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DER GESAMMTEN
MEDICINISCHES WISSENSCHAFTEN
PÜK
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DR. JUL. WEISS UND A. BRESTOWSKI.
KARL PROCHASKA
WIEN K. UND K. HOF- & VERLAGSBUCHHANDLUNG LEIPZIG
I. KUMPFGASSB 7. ' TESCHEN IN SCHLESIEN. KÖNIGSSTRASSE 9/11.
1895.
GEBUKTSHILFE
UND
GYNAEKOLOGIE
MIT BEITRAGEN VON:
Prof. Dr, F. Birnbauai, G-iessen. — Dr, Beckh, Nürnberg. — Dr. 0. Boden-
stein, Berlin. — Prof. Brandt, Klausenbürg. — Hofr. Gustav Braun,
Wien. — Doc. Dr. Eg. v. Braun-Fernwald^ Wien. — Prof. Döderlein,
Leipzig. — Prof. Dr. Droysen, Göttingen. — Doc. Dr. Dührssbn, Berlin. —
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Halle a/S. — Doc. Dr. K. A. Herzfeld, Wien. — Dr. S. Jessner, Königs-
berg i. Pr. — Doc. Dr. Gust. Klein, München. — Dr. Ed. Kurz, Florenz.
— Dr. A. Littauer, Leipzig. — Dr. Ludw. Mandl, Wien. — Prim. v.
Neugebaüer, Warschau. — Prof. Dr. Obalinski, Krakau. — Dr. E. G.
Orthmann, Berlin. — Prof. Dr. Piskäuek, Linz. — Prof. Dr. Pott, Halle
a/S. — Prof. F. Schauta, Wien. — Prof. R. Sommer, Giessbn. — Prosbct.
A. Zemann, Wien.
eedigirt von
Dr. JUL. weiss.
KARL PROCHASKA
WIEN K. UND K. HOF- & VERLAGSBUCHHANDLUNG LEIPZIG
i. ktjmpfgasse 7. TESCHEN IN SCHLESIEN. königsstbasse 911.
1895
EINLEITUNG.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynäkolog
Die Anatomie der weiblichen Sexualorgane.
Der weibliche Geschlechtstract besteht aus den äusseren Geschlechts-
Üieilen (die Scham), aus den inneren Geschlechtstheilen (die Scheide, die Gebär-
mutter, die Eileiter, die Keimdrüsen [Eierstöcken^) und der Brustdrüse. Die
Harnblase, die Harnröhre und der unterste Theil des Mastdarmes stehen
jedoch mit den einzehien Organen des Geschlechtstractes in so innigem
anatomischen Zusammenhange, dass sie ebenso wie das Mittelfleisch (Perl-
naeum) an dieser Stelle besprochen werden mögen, umsomehr, als die topogra-
phischen Verhältnisse der weiblichen Sexualorgane nur dadurch im vollen
Umfange beleuchtet werden können.
Die der vorderen Wand der Symphyse entsprechende unterste Partie
der Bauchhaut stellt, seitlich begrenzt von den Inguinal- und Cruralfalten,
mit einem derben Fettpolster versehen und von dem Zeitpunkte der Pubertät
angefangen mit Haaren besetzt, den Schamberg (Mons Venerls) dar. Ein
Weniges oberhalb der unteren Begrenzung der Symphyse theilt sich die
Haut des Mons Veneris in zwei mit Fettpolster versehene, behaarte Dupli-
caturen, die grossen Schamlippen, die sich, einen Spalt {Rlma pudendalls)
begrenzend, nach abwärts zu wieder flach vereinigen, um in die Cutis des
Perinaeums überzugehen. Bei Multiparis oder bei' Individuen, welche dem
Geschlechtsgenusse fröhnen, verwandeln sich die grossen Schamlippen in
welke, scdilatfe Hautfalten, welche die früher in der Rima verschlossenen
Gebilde nunmehr frei zu Tage treten lassen. Es werden dann zwei weitere,
viel zarter gebildete Falten sichtbar, die an ihrer Aussenfläch« den Cha-
rakter der Cutis tragen, an ihrer Innenfläche jedoch einen Schleimhaut-
überzug besitzen. Diese Falten {die Meinen Schamllppeyi) theilen sich nach
oben in je zwei Fortsätze, welche derart zur Vereinigung kommen, dass
die beiderseitigen oberen Fortsätze die Clltorls, das weibliche W^ollust-
organ , nach oben zu überkleiden {Praeputhmi cUtorldls), während die
beiden unteren Duplicaturen, an der unteren Fläche des Clitorisschaftes
sich vereinigend, das Eremditm cJltorldls darstellen. Nach abwärts zu sind
die kleinen Schamlippen durch eine zarte, nach oben concav gebildete
Schleimhautfalte (Fremdum lablorum) vereinigt und begrenzen so den Vor-
hof ( Vestibiilwn), in welchen die Scheide mit dem Ostium vaginale und die
Harnröhre mit dem Orificium urethrae ausmünden. Schon während der
ersten Schwangerschaft klafi't die Elnia pudendalls einigermassen und lässt
die eben erwähnten Gebilde sichtbar werden, welche dann später nach
fortgesetztem Coitus unter dem steten Einflüsse der atmosphärischen Luft
und der mechanischen Reize im Bereiche der kleinen Schamlippen immer
mehr den Schleimhautcharakter verlieren. Zu beiden Seiten des Orificium
vaginale münden mit zwei punktförmigen Oeffnungen die Ausführuugsgänge
der zeitlich ge\a:geYten BarfJioIlni'scheH Drüsen in den Vorhof aus. Das Orifi-
cium oaglncde ist bei jungfräulichen Individuen durch eine Schleimhaut-
1*
4 EINLEITUNG.
falte begrenzt, die. von unten her entsi)rint>en(l. mit einem concaven freien
Rande den Sclieideneingang mehr weniger circuhlr umkreist und je nach
meiner Form als Hi/tHcn ajinnJaris, ■^emilunaviPi, finihriafus etc. benannt wird.
In einzelnen Fällen stellt die Hymenalmembran eine ziemlich tieischige
imi)erforirte Mendjran dar, die dann den Scheideneingang vollständig ver-
schliesst [Hi/meu mijjerforafns) und durch diesen Verschluss [Atrenia vaginae
Jii/menalis) mannigfache Beschwerden mit dem Beginne des Geschlechts-
lebens iuvolvirt. Nach ausgeübtem Coitus reisst der Hymenalring an
mehreren Stellen ein. doch kommt es daselbst rasch zu Narbenbildungen,
so dass der Hymen mehr weniger vollständig bis zur ersten Geburt er-
halten bleibt.
Das Orificium vaginale führt in die Scheide. Diese stellt bei
Erwachsenen einen ungefähr 8 cm langen Canal dar, dessen Wände mit
einer ziemlich derben, mit geschichtetem Plattenepithel versehenen Schleim-
haut bekleidet sind. In die Schichten der glatten Muskulatur der Scheiden-
wand mischen sich Fasern des Muse, levator ani und im unteren Abschnitte
Fasern der Dammmuskulatur, während die venösen Plexus der Bulbi die
Seitemvände im unteren Abschnitte umgeben. Die vordere Scheidenwand ist
mit der Harnröhre und dem Blasengrunde durch eine massig dicke Binde-
gewebsschichte {Scptum vesico-, resp. urethro- vaginale) in innigem Zusammen-
hange, während die hintere Scheidenwand mit der vorderen Mastdarm wand durch
das Sepfum. recfovag/nale verbunden ist. Entsprechend dem, dass der unterste
Mastdarmabschnitt, die Kreuzsteissbeiuspitze umkreisend, an der Stelle eine
nach vorne convexe Yerlaufsrichtung besitzt, um dann nach hinten auszuweichen,
nimmt das Septum rectovaginale von oben nach unten an Dicke mächtig zu, um
im mitersten Theile direct in das Perinaeum überzugehen. Die Schleimhaut
der Scheide besitzt vorne und rückwärts aus horizontal verlaufenden Fältchen
zusammengesetzte Leisten, die man als Cohimnae ruganim bezeichnet. In
das obere Lumen der Scheide ist der Uterus mit der Portio eingepüanzt,
jedoch so, dass diese Einpflanzungsstelle nicht in der Fortsetzung der Ver-
laufsrichtung der Scheide, sondern vielmehr an der vorderen Wand der-
selben sich befindet, so dass das Scheidenrohr wie ein, an seinem oberen
Ende schräg abgestutzter Canal imponirt. Der Ansatz der Scheidenwand am
Uterus erfolgt so, dass die Scheide sich oben gleichsam umstülpt, um die
untere Bekleidung der Portio zu bilden, so dass am äusseren Muttermunde
sich die scharte Grenze zwischen Cervical- und Vaginalschleimhaut befindet.
Durch diese Umstülpuug der Scheide auf die Portio entsteht daselbst eine
Piinne. die man als Scheidengewölbe {Fornix vaginae) bezeichnet. Nachdem
nun der Uterus gleichsam in die vordere Scheidenwand eingepflanzt ist,
erscheint das vordere Scheidengewölbe ausserordentlich seicht, während das
hintere Scheidengewölbe wesentlich tiefer gestaltet ist. Im Zustande des
Leerseins legt sich die vordere Scheidenwand derart an die hintere AVand,
dass der Durchschnitt durch die leere Scheide ungefähr die Figur eines
H hat. Entsprechend dem, dass die Verlaufsrichtung der Scheide von
vorne unten nach hinten oben in schwach nach oben concav gekrümmtem
Bogen sich befindet, muss im Stehen die vordere Scheidenwand zugleich
die obere werden, das heisst, auf der hinteren unteren Scheidenwand
gleichsam aufruhen. Zu erwähnen ist noch, dass die Scheidenschleimhaut
keine eigenen Drüsen besitzt, die Befeuchtung daher durch das Secret der
Uterushöhle, beziehungsweise des Cervicalcanales erfolgt.
Der Uterus des virginalen Individuums besitzt eine annähernd birn-
förmige Gestalt, w^obei jedoch der Längendurchmesser und der Breiten-
durchmesser den Dickendurchmesser beträchtlich übertrifft. Nach oben zu
abgerundet (am Fundus uteri), gehen seine seitlichen Contouren in schlanker
EINLP]ITU^^G. 5
Biegung herab, so dass er sich nach abwärts beträchtlich verschmälert,
um in einen 3 cm langen Zapfen überzugehen, welchen man als Cervix zum
Unterschied von dem oberen breiteren Antheil, dem (-orpus uteri, bezeichnet.
Die vordere Fläche des Uterus, welche der Tdase zugt.'kehrt ist, ist nahezu
plan, während die hintere Fläche nach hinten zu leicht convex gebuchtet
erscheint. Der Fundus uteri geht dort, wo die seitlichen Kanten an die
obere Begrenzung heranreichen, in die Tubenansätze iiber, unterhalb deren
Einmündung das Uf/aim^itum rotundiim in der Richtung nach vorne sich
ansetzt. Zwischen Tube und ligamentum rotunduni, in der Jlichtung nach
hinten und unten, entspringt das derbe, 1 V2 cm lange lif/amenfitm onarlcam,.
Die Substanz des Uterus besteht vornehmlicli aus glatten Muskelfasern,
welche in mehrfachen Schichten den Uterus in Form von Längs- und
Querfasern, jedoch wohl auch in beiden Richtungen diagonal durchsetzen.
Im Cervixantheil treten die Muskelelemente viel mehr in den Hintergrund
gegenüber den elastischen Fasern, welche im Stroma überwiegen. Auf dem
Durchschnitt der Wandung bemerkt man zahlreiche Lumina von Arterien
und Venen, welche den Uterus allenthalben netzartig durchziehen. Die
Uteruswand begrenzt eine Höhlung, das Cariim uteri, das allerdings unter
normalen Verhältnissen blos als frontal gestellter Spalt auf dem Durch-
schnitt erscheint, indem die vordere Wand der hinteren innig anliegt. Am
frontalen Durchschnitt stellt die Begrenzung des Uteruscavums ein sphä-
risches Dreieck dar, dessen Winkel oben nach rechts und links in die
uterinen Mündungen der Tuben übergehen, und das sich nach abwärts zu
mit einer stark verengten Partie in den Cervixcanal fortsetzt. Diese Partie
bezeichnet man als Orißcium uterinum internum. Es stellt die anatomische
Grenze dar zwischen Corpus uteri und Cervix. Im Bereich des Cervix ver-
läuft nun die Fortsetzung der Uterushöhle als Cervicalcanal bis an
das Örificium uterinum externum, ein kleines, glatt umrandetes Grübchen
an der Portio, durch welches der Cervicalcanal n;iit dem Scheidenlumen
eommunicirt. Die Auskleidung der Uterushöhle und des Cervicalcanales
wird gebildet durch die Mucosa uteri, resp. cervicis, w^elche sich am äusseren
Muttermund gegen die mit stark geschichtetem Pflasterepithel versehene
Scheiden^chleimhaut, welche die untere Fläche der Portio überkleidet,
^scharf abgrenzt. Die Mucosa uteri besitzt in Folge eines wohlgegliederteii
Cylinder-Flimmerepithels ein sammtartiges Aussehen. Am mikroskopischen
Durchschnitt finden wir das Epithel der Schleimhaut sich in zahlreiche
schlauchförmige Drüsen fortsetzen, Avelche als Utriculardrüsen ein seröses
Secret liefern. Die Mucosa cervicis besitzt kein Flimmerepithel und sind
an ihr die Cylinderzellen viel niedriger, den Charakter des cubischeii
Epithels darstellend. Die Drüsenschläuche der Cervixmucosa sind seichter,
jedoch weiter als in der Uterushöhle und liefern jenes glasige Secret, welches,
aus dem äusseren Muttermund austretend, die Scheidenwand befeuchtet.
Die Schleimhaut des Cervicalcanals ist insbesonders beim Kinde und beim
virginalen Individuum in zahlreiche, giebelartig gegeneinander gestellte
Falten gelegt, die mau als plicae pcdmatcte bezeichnet. An jenen oberen
seitlichen Winkeln, an welchen die uterinen Tubenenden einmünden (Uterus-
höHier), geht die Mucosa uteri in die Tubenschleimhaut direct über. Die
Länge der normalen Uterushöhle des virginalen erwachsenen ^lädchens
beträgt ungefähr lern, wovon 3cm auf den Cervicalcanal entfallen. Doch
müssen wir bemerken, dass der Uterus erst mit dem vollendeten 20. Lebens-
jahre in der Regel seine volle Entwicklung erlangt hat. Der Uterus ist
zwischen die Blase und das Rectum derartig eingelagert, dass er in der
Regel mit einer leichten Abweichung seines Fundus nach rechts, mit seiner
Längsaxe in sagittaler Richtung verlaufend in die vordere Scheideuwand
6 EINLEITUNG.
eingepflanzt erscheint und mit einem ungefähr V-f^ cm langen Zapfen in
das Scheidengewölbe selbst hineinragt (porfio ra(/l}HiJls cerrlcis). Indem auf
diese Weise die vordere Scheidenwand am Cervix nicht so hoch hinaufragt
wie die hintere Scheidenwand, kann man den ganzen Cervix zweckmässig in drei
Abschnitte theilen: a) pars infracaginaJis cervicis, jener Theil der Portio,
welcher unterhalb des Ansatzes der vorderen Scheidenwand liegt, h) pars
media cerr/cis, jeuer Antheil, welcher zwischen dem Ansatz der vorderen
und der hinteren Scheidenwand gelegen ist, und c) pars supro,vaginalis cer-
vicis, gelegen zwischen dem Ansatz der hinteren Scheidenwand und dem
Orificium uterin um internum. Die normale Stellung des Uterus gegenüber
der Scheide ist nun die, dass die Längsaxe des Uterus mit der der Scheide einen
nach vorne oftenen Winkel darstellt, wobei die Portio in der Höhe einer Linie
steht, welche die beiden Spinae ossis ischii mit einander verbindet. Der Uterus
selbst ist bei normaler Stellung nicht gerade gestreckt, sondern bildet viel-
mehr mit seinem Corpus gegenüber dem Cervix einen nach vorne offenen
Winkel, dessen Spitze in der Gegend des Orificium internum zu suchen
wäre, so dass die vordere plane Fläche des Uteruskörpers der hinteren
Blasenwand aufliegt, während die hintere Fläche des Uteruskörpers zugleich
auch nach oben zu gerichtet ist. Die W^andung des Cervix ist nach vorn
zu vom Ansatz der vorderen Scheidenwand angefangen bis zur Gegend
des inneren Muttermundes durch ein lockeres Bindegewebe, welches als
die Fortsetzung des Septum vesicovaginale erscheint, mit der hinteren
Blasenwand in loser Verbindung. Der übrige Theil der vorderen Fläche
und die ganze hintere Fläche des Uterus bis zum Ansatz der hinteren
Scheidenwand ragt frei in die Bauchhöhle und ist mit einem serösen Ueber-
zug bekleidet, welchen das Peritoneum der Beckenhöhle liefert. Dieser
seröse Ueberzug steht durch ein mehr weniger straffes subseröses Stratum
mit dem Gewebe des Uteruskörpers in Zusammenhang. Es ist somit der
Uteruskörper an seiner vorderen Wand bloss von der Höhe des inneren
Muttermundes bis zum Fundus, an seiner Hinterwand aber vollständig bis
zur Kuppe des hinteren Scheidengewölbes herab vom Peritoneum bekleidet.
Seitlich an den Uteruskanten legt sich nun jenes parietale Blatt, das die
vordere Bekleidung des Uterus darstellt, und das Blatt der hinteren Fläche,
nur durch lockeres Bindegewebe und eingelagerte Gefässstämme, Nerven-
plexus und Lymphknoten von einander getrennt, derartig aneinander, dass
dadurch eine peritoneale Duplicatur entsteht, welche man als das ligamenfum
Jatum bezeichnet. Der Raum zwischen den beiden Blättern desselben wird
als das Parametrium bezeichnet, in dessen lockerem Bindegewebe die
Gefässe an die Uteruskante herantreten, resp. von ihr abgehen können.
Es ragen daher die Uteruskanten in die Parametrien hinein. Der peritone-
ale I^eberzug des Uterus selbst wird mitunter auch als Perimetrium
bezeichnet, zum Unterschied von der mucösen Auskleidung der Uterus-
höhle, die man Endometrium heisst.
Von den Uterushörnern ab gehen die Tube n. Dieselben entspringen
mit ihrem uterinen Ende {Isthmus tnbae) in den seitlichen oberen Winkeln
der Uterushöhle, ziehen in frontaler Richtung mit leichter Tendenz nach
hinten gegen die seitliche Beckenwand und stellen drehrunde Stränge dar,
welche nach aussen zu sich verbreiternd in frans enförmige Ausläufer über-
gehen {Fimhriae: Morsus diaboli), an welcher Stelle der Tubencanal frei
in die Bauchhöhle ausmündet. Der letzte Ausläufer dieser Fimbrien zieht
an das Ovarium und wird bezeichnet als h'gcmientnm infundilmlo-ovoricum.
Es muss demgemäss ein Theil des Tubencanals vom uterinen Ende ab die
Wandung des Uterus durchziehen, so dass erst vom Uterushorn angefangen
die Tube eigene Wandungen erhält. Diese W^andung besteht aus einem
EINLEITUNG. 7
Stronia von Bindegewebe, in welches zahlreiclie glatte Muskelfanern in Form
von Längs- und Ringsmuskulatur eingelagert sind, besitzt vorne, oben und
rückwärts peritonealen Ueberzug, der von der über die Tube sich hinüber-
schlagenden Peritonealduplicatur des ligamentum latum geliefert wird. Es
muss somit die untere Wand der Tube, sowie die IJteruskanten in das
Parametrium hineinragen, während die seitliche Begrenzung der I'eritoneal-
duplicatur nach oben zu an den Fimbrienenden stattfindet, an welclier Stelle
die Schleimhaut der Tube an den peritonealen Ueberzug angrenzt, so dass
der Tubencanal an dieser Stelle mit dem (Mium ahdominale tubae (Infun-
dibulum) in die freie Bauchhöhle einmündet. Durch die ganze Länge der
Tube verläuft der Tubencanal vom Ostium uterinum bis zum Ostium abdo-
minale. Am Ostium uterinum wesentlich verengt (Mimm tuhae), verläuft
der Tubencanal dann in gleichmässiger Weite nach aussen zu, daselbst
allmählich sich verbreiternd (Ampulle) bis zum Infundibulum. Die S c h 1 e im-
haut, welche am Durchschnitte sternförmig in Falten gelegt erscheint,
zeigt einen ähnlichen Bau wie die des Vas deferens und ist mit schön
geordnetem Cylinder-Flimmerepithel ausgestattet, deren Cilien ziemlich lang
und in lebhafter Bewegung begriifen sind.
Die Tuben bilden sich aus dem paarig bleibenden Antheil der aus den jiüLLEK'schen
Gängen hervorgegangenen Kanäle. Die wüLLEK'schen Gänge führen beim weiblichen Em-
bryo von der Gegend der Urniere bis zum Sinus urogenitalis herab und legen sich in
ihrem unteren Antheil aneinander, so dass sie durch Einschmelzung ihres Septums im
unteren Abschnitte sich zu einem unpaarigen Tracte vereinigen, während die oberen An-
theile, getrennt verlaufend, paarig bleiben. Aus diesen paarigen Antheilen gehen die
Tuben hervor, während sich der unpaarige Theil in den Uterus und die Scheide
differenzirt. Durch das Erhaltenbleiben der paarigen Theile auf eine weitere Strecke,
als es der Norm entspricht, kommt es zu den verschiedenen Entwicklungsanomalien
des Uterus und der Scheide, über welche an anderer Stelle berichtet wird. Die Tuben
führen als Eileiter das Product der weiblichen Keimdrüse zum Uterus.
Die weibliche Keimdrüse, das Ovarium, stellt beiderseits einen bis
zu Nussgrösse anwachsenden, ovalen, in der Pachtung von oben nach unten
etwas plattgedrückten Körper dar, der bei jugendlichen Individuen viel
mehr in die Länge gestreckt, walzenförmig erscheint, mit dem grösseren
Antheil seiner Oberfläche in die freie Bauchhöhle, mit einem kleineren
Theile in den Raum des Parametriums hineinragt. Bis zur Pubertätsperiode
von glatter Beschaffenheit wird die Oberfläche während des Geschlechts-
lebens mehr weniger narbig verändert und bekommt ein höckeriges Aus-
sehen, das erst mit der senilen Livolution allmählich schwindet. Indem das
Ovarium in die hintere Platte des ligamentum latum eingepflanzt ist, ragt
ein Theil des Eierstockes in die freie Bauchhöhle und ist nur von der
Rückseite des ligamentum latum her sichtbar. An diesem Oberflächentheil
besitzt das Ovarium ein Epithel, welches, dem cubischen ähnlich, als Keim-
epithel bezeichnet wird. Die Partie, w^elche dem Ansatz des Peritoneums
am Ovarium entspricht, bezeichnet man als Hilns orarii. An dieser Stelle
treten die Gefässe in das Ovarium ein. Am Durchschnitt unterscheidet
man am Ovarium eine Rindenschichte und eine Markschichte, deren binde-
gewebiges Stroma durchsetzt ist von folliculären Räumen, welche gegen
die Aussenfläche der Rindenschichte zu an Grösse zunehmen und die rei-
fenden GRAAP'schen Follikel darstellen. Das Ovarium ist durch das liga-
mentum ovaricum proprium mit dem Uterus, durch die Fimbria ovarica mit
dem abdominellen Ende der Tube und durch jenen Theil der Peritoneal-
duplicatur, welche zwischen Uterushorn und Tube einerseits, ligamentum
ovaricum, Ovarium und Fimbria ovarica andererseits ausgespannt ist, mit
der Tube selbst in A'erbindung. Dieser Theil des Ligaments, auch Mes-
orarium oder Ala vespertilionis genannt, birgt ein aus parallel mit einander
verlaufenden gangförmigen Strängen bestehendes Organ, das Parovarium.
8 EINLEITUNG.
Die topographische Lagerung der eben erwähnten Organe ist
bedingt durch die Eauniverhältnisse, wie sie die anderen Organe der Becken-
höhle darbieten, die mit ihrem stets sich ändernden Fülhmgsgrade mass-
gebend sind für die Stellung der inneren Theile des Geschlechtstractus.
Diese Organe sind die Blase und das Rectum. Die Blase ist im unteren
Theile des Grundes, resp. ihrer hinteren Wand, mit der vorderen Cervix-
und der vorderen Scheidenwand durch mehr weniger lockeres Bindegewebe
in Verbindung. Infolge dessen ist der Uterus gezwungen, bei sich stei-
gerndem Füllungsgrade der Blase nach rückwärts zu auszuweichen, während
andererseits Lageveränderungen des Uterus oder Wachsthumsveränderungen
desselben Lageveränderungen der Blase zur Folge haben können. Das
Rectum zieht in seinem Beckenantheil an der concaven Fläche des Kreuzbeins
herunter, bietet daher der hinteren Wand des Uterus eine concave Fläche dar,
um dann, an der Kreuz-Steissbeinspitze angelangt, in ziemlich scharfem Bogen
um dieselbe herumzukreisen und am Anus auszumünden,' so dass die der
hinteren Scheidenwand zugewendete Mastdarmfläche nach vorn convex
gekrümmt ist, oder mit anderen Worten, jene Schichte von Bindegewebe,
welche Mastdarm und Scheide verbindet (Septum recto-üaginale) nimmt von
oben nach unten an Dicke mächtig zu, um nach abwärts zu direct in das
Perinaeum überzugehen. Nachdem der Uterus mit seinem Körper in der
Regel leicht nach rechts von der Medianlinie ausweicht, sehen wir den
Mastdarm etwas mehr nach links gelagert herunterziehen, und wird die
Ausbuchtung des Rectums nach links durch die Anlage der Plica transver-
salis des Rectums noch wesentlich begünstigt. Die Blase und das Rectum
stehen mit dem Uterus und seinen Adnexis noch in näherem Contact durch
den gemeinsamen peritonealen Ueberzug, den diese 3 Tracte von Seiten
des Beckenperitoneums bekommen. Das parietale Blatt des die vordere
Bauchwand bekleidenden Peritoneums zieht von dem Scheitel der Blase,
dem Urachus folgend und sich von der vorderen Bauchwand entfernend,
auf die hintere Fläche der Blase, diese und ihre seitlichen Ränder über-
ziehend bis nahe zum Trigonum Lieutaudii herab. Dadurch erscheint die
der hinteren Symphysenwand anliegende vordere Fläche der Blase frei von
Peritoneum. Li der Höhe des Oriiicium uterinum intenium schlägt sich das
Peritoneum von der Blase weg auf die vordere Fläche des Uterus, bekleidet
diese, wie den Fundus und überzieht die ganze hintere Fläche des Uterus bis
zur Scheidenkuppe herunter, um von da aus in der Höhe der Plica transversalis
auf die vordere Mastdarmwand übergehend allmälig auch die seitlichen Partien
des Rectums zu bekleiden und in das parietale Peritoneum der hinteren Bauch-
wand überzugehen. Indem die Adnexa dös Uterus von demselben in frontaler
Richtung gegen die seitliche Beckenwand hinziehen, müssen auf diese Weise
frontalgestellte Peritonealduplicaturen entstehen, die vom Uterus weg an die
seitliche Beckenwand ziehen, die Tube und einen Theil des Ovariums be-
kleiden und nur das Ostium abdominale tubae freilassend seitlich gegen das
Mesenterium des Darmes (rechts bis an das Mesenteriolum des Processus
vermiformis, links bis an das Mesenterium der Flexur) ziehend, an dieser
Stelle das Ligamentuni infundihulo-pehicimi darstellen, in dessen Falte die
Aiieria spermatica interna vom Retroperitonealraum herkommend in die Plat-
ten des Ligaments eintritt. Der Uterus und die beiden ligamenta lata stellen
auf diese Weise eine Scheidewand dar zwischen den beiden Ausbuchtungen,
in welche die untere Partie der Peritonealhöhle dadurch getheilt wird, Die
vordere bezeichnet man als Cainim utero- oesicale, die hintere als Cavum
ntero-redaJe. Li dieses letztere sieht die freie Fläche des Ovariums hinein ;
entsprechend der Scheidenkuppe bildet da das Peritoneum einen nach unten
abgestumpften Recessus, der nach oben durch zwei halbmondförmige, an der
EINLEITUNG. 9
Seite concav vorspringende und mit Peritoneuni bekleidete Falten (Doiu/las'srhe
Falten, lUjamenta sacro-iderina), in denen reichlich glatte Muskelfasern zu
linden sind, begrenzt wird. Diesen Ilecessus bezeichen wir auch als (Jai-um
Dougkm. Indem die vordere IJteruswand der Blase anliegt, finden wir
nur selten das Cavum vesico-uterinum als wirklichen Hohlraum bestehen,
während in der Regel bei Leersein des Rectum das Cavum utero-rectale
durch herabsinkende Darmschlingen ausgefüllt erscheint. An der Innen-
fläche des foramen obturatum liegen normaler Weise die Ovarien.
Was das topographis ch e Verhältnis der G efä ss e anbelangt,
so müssen wir zunächst erwähnen, dass zum Uterus das Blut auf dem Wege
von zwei Gefässen hingelangt: das eine, wesentlich grössere, die Arteria
itterina, welche als ein Ast der Hypogastrica von dieser an der seitlichen
Beckenwand entspringt, zwischen den beiden Platten des ligamentum latum
in der Höhe des seitlichen Ansatzes der Scheidenwand und der Portio in
horizontaler Richtung verläuft und in der Nähe der Scheidenwandung einen
dünneren Ast nach abwärts sendet, der sich in die Vaginales superiores et
posteriores auflöst, während der Hauptstamm den Cervix zu erreichen sucht,
um dann, in einem rechten Winkel nach aufwärts umbiegend, an der Kante
des Uterus in zahlreichen serpentinenartigen Windungen emporzuklimmen und
Gefässe in die Wandungen des Cervix und das Corpus uteri entsendend,
nach oben zu gegen das Uterushorn immer mehr sich zu verjüngen. Da-
selbst stehen die Endäste dieses Bezirkes in anastomotischem Zusammenhang
mit den Endästen des zweiten grossen Gefässes des Geschlechtsapparates,
das von der Arteria renalis, mitunter auch in der Höhe des Abgangs dieser
Arterie directvon der Aorta entspringend, retroperitoneal entlang dem Ureter
herabzieht und in dem Ligamentum infundibulo-pelvicum gegen das Tuben-
ende zu diUM^igi {Arteria spermatica interna). Diese Arterie gibt zunächst
Aeste ab an das Ovarium und verläuft dann im Mesovarium mit der Tube
parallel, an derselben die Arteria tuharia darstellend, ein Analogen zu der
Arteria deferentialis des Mannes.
Die venösen Gefässe des Uterus sammeln sich in Venenplexus,
welche zum Theil durch die Vena hijpogastrica, zum Theil durch den Tlexios
pampimformis gegen die Vena spermatica interna hin ihr Blut entsenden.
Zur Arteria uterina tritt der Ureter in ein bestimmtes Verhältnis,
Vom Nierenbecken herabziehend kreuzt er an der Linea innominata die
Arteria iliaca externa und zieht am Grunde des Parametriums, von hinten
aussen nach vorne innen und unten gerichtet, und mit der hinteren Wand
die Arteria uterina kreuzend, in der Höhe der Portio vaginalis gegen das
Septum vesico-vaginale, um daselbst entsprechend dem oberen Rande des
trigonum Lieutaudii die Blasenwand zu erreichen.
Der Raum, welchen wir als die Beckenhöhle im engeren Sinne bezeichnen, erhält
seinen Abschluss durch den Beckenboden. Ueber die innere Fläche der das Foramen
obturatorinm abschliessenden Membrana obturatoria zieht vom Canalis obturatorius ange-
fangen ein sehniger Streifen zur Spina ossis ischii und von da längs des Ligamentum
spinoso-sacrum bis zur Kreuzbeinspitze, den man als Arcus teiidinexs bezeichnet. Von
diesem sehnigen Streifen bezieht beiderseits je ein Muskel seine Fasern, welche in ihrer
Richtung nach vorne unten und innen convergiren, so dass die beiden an ihrer nedialen
Pläche mit einander durch einen von der Steissbeinspitze nach vorn gegen den Mastdarm
ziehenden Muskel (Musculus recfo-coccygeus) mit einander verbunden einen Trichter dar-
stellen, der nach vorn und unten offen ist. In dem rückwärtigen Antheil dieses Trichters
ist das absteigende Stück des Mastdarms derartig aufgenommen, dass die unteren Faser-
antheile sich parallel an die seitliche und hintere Wand des Rectums anlegen, parallel
mit derselben hinunterziehen und wohl auch Muskelfasern direct an die Wandung sowie
an das Septnm recto-vaginale abgeben, wie auch Fasern des Muskels, der auf seinem
Wege die seitlichen Wände der Scheide diagonal kreuzt, zur Scheidenwand selbst gehen.
Das unterste Ende des Rectums ist von einem Ringmuskel umschlossen ( Muse, sphiucter
ani externus), in den die Levatorfasern übergehen, wie auch der Sphincter nach rück-
10 EINLEITUNG.
wärts mit dem Muse recto-coccygeus in Verbindung tritt. Auf diese Weise stellt der
Levator ani einen theilweisen Abschluss des Beckens nach unten zu dar und wird des-
halb auch Diaphrafiwa pelveott genannt. Indem er jedoch seine Ansatzfasern nicht von
der unteren Begrenzung des Beckens, d. h. den knöchernen Begrenzungen des Becken-
ausgangs bezieht, sondern vielmehr höher oben, an der Innenwand des knöchernen
Beckens sich ansetzt, muss ein Theil jenes Raumes, den M'ir als das kleine Becken be-
zeichnen, von der Beckenhöhle abgeschlossen werden. Dieser Raum stellt rechts und
links eine dreieckige Nische dar, die man als die Fossa ischio-rectaUs bezeichnet. Sie
wird oben und innen von der unteren Fläche des Levator ani, nach aussen von der me-
dialen Fläche des Sitzbeins und der unteren Partie der Membr. obturatoria begrenzt und
communicirt nach unten direct mit dem Fettgewebe der Glutäalgegend. welche-i in die
Fossa ischio-rectalis eindringend dieselbe ausfüllt und den durch sie ziehenden Gefässen
ein Stützlager verleiht. Nachdem der Levator ferner vom Ligamentum spinoso-sacrum
seine Fasern bezieht, und dieses Ligament die Grenzwand zwischen dem Foramen ischia-
dicum maiu* und dem For. ischiad. minus darstellt, muss das Foram. ischiad. maius an
die obere Fläche des Levator ani, somit in die Becl-enhöhle führen, während das Foramen
ischiadicum minus an die untere Fläche des Levator, folglich in die Fossa ischio-rectalis
führt. Diesen Weg benützen auch die Gefässe, welche durch das For. ischiad. maius
aus der Bauchhöhle austreten, um das Ligam. spinoso-sacrum herumziehen und durch das
For. ischiadicum minus wieder in die Fossa ischio-rectalis gelangen. Aber noch immer
ist es der vordere Antheil des Beckenausgangs u. zw. speciell der im Schambogen ge-
legene Theil, der eines musculösen Abschlusses noch bedarf, und dieser wird geliefert
durch einen unpaarigen Muskel, der quer von einem Schambeinast zu dem der anderen
Seite herüberzieht, nach vorne an das Ligam. arcuatum, mit seinen hintersten Fasern je-
doch an die vorderen Bündel des Levator ani angrenzt. Dieser Muskel heisst Muse
fransfersHsj)erinei lirofwidus. Nachdem er sich an der Bildung des Beckenbodens be-
theiligt, heisst er auch Diaphragma pelveos accessorium, und da er durch die Urethra
und Vagina durchbrochen, zum Urogenitalapparat in nähere Beziehungen tritt, auch
Diaphragma nrogenitale. Beim männlichen Geschlechte liegt auf diesem Muskel der
Bulbus des Corpus cavernosum urethrae auf; der Bulbus selbst ist bekleidet durch einen
zAviegefiederten Muskel, den Muse, bulbocavernosus. Vom Becken herab tritt die Urethra,
in welche die Ausführungsgänge der Samenbläschen und des Vas deferens einmünden,
durch den Muse, transversus perinei hindurch, um in das Corpus cavernosum urethrae
einzudringen. Beim weiblichen Geschleehte, bei dem die Ausführnngsgänge des Harn-
und Geschlechtsapparates getrennt ausmünden, nnden wir demgemäss den Muskel durch
zwei Oeffnungen durchbrochen, die Harnröhre und die Seheide, und demgemäss auch den
Bulbus der Clitoris, deren Sehenkel am Schambeinast haften (corpora cavernosa clido-
ridis) und die sich am Symphysenwinkel zum Schaft der Clitoris und vorn zur Glans
clitoridis vereinigen, getheilt, so dass seine Plexus die seitliehen Wandungen der
Scheide umgtben. Der dem Muse, bulbo-eavernosus des Mannes entsprechende Muskel
ist ebenfalls in zwei Schleifen getrennt, welche sphineterartig die Scheidenöffnung um-
geben (Muse, constrictor cunni) und mit den Fasern des Sphincter ani externus derart
in Zusammenhang stehen, dass diese Muskelfasern in Form von Aehtertouren beide
Oeffnungen beherrschen. Diese eben erwähnten Beckenausgangsmuskeln sind an ihrer
unteren Fläche von der Fascia perinei propria bekleidet, welche ein oberflächliches
Blatt über die zu beiden Seiten der am Beckenboden ausmündenden Kanäle entstehenden
Nischen, welche durch Fett ausgefüllt werden, hinübersendet. Auf diese Weise steht
das Fettgewebe und das subcutane Bindegewebe der Glutäalgegend in directer Verbindung
mit den entsprechenden Gewebspartien der Fossa ischio-rectalis und des Perinaeums, so
dass auf diesem Wege der Zusammenhang mit dem Beckenbindegewebe hergestellt ist,
und sich erklären lässt, wie von scheinbar einfachen bei der Geburt entstehenden Wun-
den des Dammes tödlich verlaufende Phlegmonen des Beckenzellgewebes sich entwickeln.
Das Fettgewebe ist durchsetzt von zahlreichen Gefässen, welche theils als Muskeläste,
theils jedoch zu den Wandungen der entsprechenden Organe und schliesslich zu dem
Sehwellkörper des Genitaltractes hinziehen. Die arteriellen Gefässe stammen von der
Arteria pudenda communis, welche nach rückwärts zu Aeste entsendet {A. haemorrhotdaJes
inferiores), gegen die Mitte zu (A. perineales superficiales und vaginales externae) und
nach vorne zu die Art. dorsalis und profunda clitoridis. Dementsprechend sammeln sich
die venösen Gefässe zu Plexus, welche im Plexus pudendus communis durch das Foram.
ischiad. minus abziehen. Die Nervenfasern stammen vom Nerr. pudendus coninmnis und
anastomosiren mit den Hautästen der an der Innenfläche des Oberschenkels sieh ver-
theilenden Fasern.
Sowie der Eintritt der Gesclilechtsfunction und das langsam
sich entwickelnde Climacterium bedeutende Veränderungen nicht
blos speciell im Genitaltractus, sondern in dem ganzen Organismus be-
dingen, so sind es aucii ganz ausserordentlich wichtige Vorgänge, die sich
EINLEITUNG. U
von dem Beginn einer Coneeption während der ganzen »Schwangerschaft,
während der Geburt und während des Wüchenljettes am Genitaltract ab-
spielen. Diese Veränderungen beziehen sich zunächst während der
Schwangerschaft auf den Uterus und die Pirustdrüsen, und nur von
diesen beiden letzteren wollen wir an dieser Stelle sprechen.
Die Brustdrüse stellt bis zum Eintritt der ersten Schwangerschaft
ein drüsiges Organ dar, welches bezüglich seiner Entwicklung sicli nicht
wesentlich von jenem Stadium untersclieidet, in welchem es sich Ijis zur
Pubertät befunden, d. h. das Drüsengewebe tritt weit zurück gegenüber
dem Fettgewebe, das die Hauptmasse der Brust darstellt. Die Acini der
Brustdrüse sind in spärlicher Zahl vorhanden und vereinigen sich zu Aus-
führungsgängen, welche an der Brustwarze ausmünden. Mit dem Beginn
der Schwangerschaft kommt es zu einer Proliferation des Drüsengewebes
und des interacinösen Bindegewebes, und diese Proliferation hat zur Folge
eine Zunahme der Grösse und der Ptesistenz der Brust. Dabei wird die
Brustwarze in der Regel leicht oedematös und ebenso wie die Warzenhöfe,
an welchen die deutlich geschwellten MoNTGOMMEuy'schen Papillen sichtbar
werden, dunkel pigmentirt. Auf concentrischen Druck entleert sich auch
aus der Brustdrüse in den ersten Monaten der Schwangerschaft colostrum-
ähnliche Flüssigkeit, während durch die ganze Zeit der Schwangerschaft
durch fortgesetzte Proliferation des Drüsengewebes die Brust sich zu der
Function der Milchbeschaffung vorbereitet.
Die Veränderungen, die wir bei eintretender Schwangerschaft am
Uterus wahrnehmen, beziehen sich zunächst auf den Inhalt, den die Uterus-
höhle bekommt, auf die Veränderungen an der Schleimhaut und die Ver-
änderungen am Stroma des Uterus. Das befruchtete Eichen gelangt in die
Uterushöhle und bleibt an irgend einer Falte der geschwellten Schleimhaut
haften. Diese Schleimhaut gestaltet sich allmählich, indem das Epithel sich
in ein mehrschichtiges Zellenstratum verwandelt, und allmählich auch
die Drüsenschicht zugrunde geht, in die Decidua um. Jene Falten der
Decidua nun, an welchen das Eichen haften geblieben, um wuchern durch
Proliferation das ganze Ei, ihm eine neue Hülle gebend (Decidua reßexa),
während jene Partie der zur Decidua vera umgestalteten Uterusmucosa. an
welcher das Ei direct anliegt, als Deckina serotina benannt, jene Stelle ab-
gibt, an welcher später die Chorionzotten hineinwuchern, und auf diese
Weise die erste Anlage der Placenta darstellt. Wächst somit der Uterus
einerseits dadurch, dass er einen Inhalt bekommt, und dieser Inhalt selbst stetig
fortwächst, so besitzt der Uterus andererseits auch während der Schwanger-
schaft ein eigenes W^achsthum. Dieses ist bedingt durch die Proliferation
seiner sämmtlichen Gewebselemente. So finden wir die Musculatur stark
hyperplastisch, ebenso die bindegewebigen Elemente, die nervösen Elemente,
die Wandelemente der Gefässe, so dass die Gefässlumina auf das Doppelte
und Dreifache erweitert sind, die Gefässramification eine innigere, eng-
maschige wird, das Peritoneum in ausserordentlichem Masse entfaltet, so
dass es hinreicht, den grossen schwangeren Uterus zu bekleiden, und ganz
dieselben Wachsthumsveränderungen finden wir, wenn auch nicht in dem-
selben Masse, an dem leeren Uterus bei einer Extrauterinschwangerschaft.
so dass es nicht blos der Inhalt des Uterus, sondern der durch die einge-
tretene Schwangerschaft abgegebene Reiz ist, welcher die hyperplastischen
Veränderungen am Uterus hervorzurufen im Stande ist. Infolge des
grösseren Saftreichthums bekommt dabei der Uterus eine eigenthümlich
teigig weiche Consistenz, die ihm typisch ist. Auch sein Wachsthum bis
zum Ende der Schwangerschaft ist ein typisches, hängt jedoch mit dem
Wachsthum der Frucht so innig zusammen, dass die Besclireibung desselben
12 EINLEITUNG.
wohl einer anderen Stelle vorbehalten werden miiss. Eine weitere Ver-
änderung während der Schwangerschaft finden wir am Cervix uteri. Es ist
insbesonders der supravaginale Antheil des Cervix, der während der Schwan-
gerschaft so ausserordentlich aufgelockert und comprimirbar erscheint, dass
daraufhin direct ein werthvolles Merkmal der Schwangerschaft von Hegar
basirt wurde. Auch die Schleimhaut der Portio, sowie der Scheidenwand
ist allenthalben aufgelockert, serös durchfeuchtet und ebenso wie die
Schleimhaut des Yestibulum livid verfärbt infolge der stärkeren Hyperämie
der Beckenorgane. Dass durch das stetige Anwachsen des schwangeren
Uterus eine constante Aenderung der topographischen Verhältnisse der
Beckenorgane stattfindet, ist klar, und insbesondere sind es die peritonealen
Verhältnisse, welche sich je nach der Grösse des Uterus, derselben sich
anpassend, ändern müssen. k. a. iierzfeld.
Abnabeln. Unmittelbar nach der Ausstossung der Frucht l)efindet
sich dieselbe in der Nähe der äusseren Geschlechtstheile, bei Kückenlage
der Gebärenden zwischen den Schenkeln der Mutter. Nun kommt die Zeit
der Abnabelung des Kindes sehr in Betracht.
In neuerer Zeit wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Menge
des Blutes, welches im abgenabelten Kindeskörper enthalten ist, grossen
Schwankungen unterliegt, die vorzugsweise von der Zeit der Abnabelung
abhängen. Es liegen die Verhältnisse nach der Geburt des Kindes so, dass
das gesammte Blut, welches vom Herzen der Frucht in Umlauf gesetzt
wird, nicht blos im Körper des Kindes, sondern auch in der Nabelschnur
und in dem mächtigen von Blut strotzenden Fruchtkuchen sich befindet.
Die Gesammtmenge, die im Kindeskörper und Fruchtkuchen enthalten ist,
kommt nicht dem abgenabelten Kinde zu, da, wenn ein so blutreiches Organ,
wie die Placenta, aus dem kindlichen Kreislauf, ausgeschaltet wird, wenn
also eine so grosse Zahl von Blutgefässen wegfällt, auch die entsprechende
Blutmenge ausfallen kann. Mau kann also eine gewisse Menge Blut zur Zeit
der Abnabelung in der Placenta lassen, ohne befürchten zu müssen, dass
man dem Kinde Blut, welches ihm eigentlich zukommt, entzieht. Der
Blutgehalt der Placenta wechselt aber sehr verschieden, so dass ihre Gefässe
unter Umständen einen sehr grossen Theil des foetalen Blutes, in anderen
Fällen nur eine geringe Menge von demselben enthalten können. Daher ist
es für die Frucht nicht gieichgiltig, ob die Abnabelung zu einer Zeit vor-
genommen wird, in der fast das sämmtliche Blut im Fruchtkörper oder in
der ein grosser Theil desselben in der Placenta ist. Letzteres ist besonders
der Fall, wenn der Inhalt des Uterus unter einem sehr geringen Druck
steht, wodurch das kindliche Blut reichlich nach der Placenta abfliesst. Am
Avenigsten Blut verliert daher die Frucht, wenn durch energische Uterus-
contractionen das Blut der Placenta dem Kinde zugeführt wird. Je länger
man also mit der Abnabelung wartet, desto mehr Blut wird im Allgemeinen
der Frucht zugewendet und man kann, wenn darauf geachtet wird, durch
künstliches Hineinpressen des Placentarblutes in die Frucht vor der
Abnabelung dem Kinde eine grosse Menge Blutes mitgeben. Nach Wägungen
hat sich gezeigt, dass der GeAvichtsverlust, den neugeborene Kinder in den
ersten Lebenstagen regelmässig erleiden, geringer ist und eher aufhört,
wenn vor der Abnabelung das Placentarblut in das Kind hineingedrückt wird.
Die Abnabelung soll daher bei einer regelmässigen Geburt, wenn die Frucht
lebt, nicht scheintodt oder todt geboren wurde und keine gefährlichen Coni-
plicationen sich eingestellt haben, welche die möglichst rasche Beendigung
der Geburt erheischen, erst dann vorgenommen werden, bis die Puls a-
tion des Nabelstranges aufgehört hat.
Das Abnabeln geschieht in folgender Weise: Man schlingt ein
20 on langes und 0-5 cm breites, früher desiuficirtes Fadenbändchen, bei-
läufig 5 — 6 cm vom Nabelring des Kindes entfernt um die Schnur, fasst
die beiden Enden des Fadenbändchen, nachdem man einen einfachen Knoten
14 ABORTUS (spontan).
geiiiailit hat. mit der entsprechenden Hand, hält mit Daumen und Zeige-
hnger der linken Hand das eine, mit dem Daumen und Zeigefinger der
rechten Hand das andere Ende des Fadenbändchens und zieht den Knoten,
indem man die Ulnarränder beider Hände gegeneinander presst, kräftig zu ;
dadurch wird verhütet, dass bei einem zufälligen Zerreissen des Bändchens
eine Zerrung des zum Nabel des Kindes hinlaufenden Stückes des Nabel-
stranges erfolgt oder gar das Ausreissen des Nabelstranges aus der Ein-
pflanzungsstelle bewirkt wird. Nachdem man sich überzeugt hat, dass der
Knoten hinreichend die Gefässe comprimirt, werden die Enden nochmals
um die Schnur in entgegengesetzter Richtung geführt und ein zweiter Knoten
angelegt. Beiläufig 4 — 5 cm weiter gegen die Placenta hin soll eine zweite
Ligatur angelegt Averden und zwischen beiden die Durchschneidung mit der
desinflcirteu Scheere erfolgen. Dabei hat man darauf zu achten, dass un-
nöthige Verunreinigung der Umgebung durch das aus den Nabelgefässen
spritzende Blut, sowie Verletzungen der Extremitäten des Kindes und der
mütterlichen Weichtheile vermieden werden, was am leichtesten auszuführen
ist, wenn innerhalb der linken Hohlhand mit einem Scheerenschlag die
Durchschneidung erfolgt. Die nach dem Kinde hin liegende Ligatur ist
durchaus nothwendig, da gefährliche Blutungen nicht blos aus ununter-
bundenen, sondern selbst aus schlecht unterbundenen besonders sulzreichen
Nabelsträngen vorkommen; die Ligatur nach der Placenta hin ist dann tiber-
flüssig, wenn dieselbe bei der Durchschneidung etwa schon geboren wäre.
Ist die Placenta noch in der Uterushöhle, dann ist die doppelte Unter-
bindung sehr zu empfehlen, weil dadurch die strotzend mit Blut gefüllte
Placenta sich leichter löst.
Bei etwaiger Anwesenheit einer zweiten Frucht in der Gebär-
mutterhöhle ist es auch möglich, dass aus dem durchschnittenen, aber nicht
unterbundenen Ende des Nabelstranges des ersten Zwillingskindes zu viel
Blut abfliesst und somit das zweite Zwillingskind in Verblutungsgefahr
kommen kann.
Man kann auch die Nabelschnur auf eine von einem 20 cm langen
Kautschuk oder Drainband gebildete Schlinge legen, die Enden der letzteren
über der Nabelschnur durch die Oese der Schlinge schieben, nach ver-
schiedenen Richtungen hin kräftig anziehen und fest knoten. Der unter-
bundene Nabelstrangrest wird mit sterilisirter Verbandwatte eingepackt und
mittelst der Bauchbinde lose über der linken Seite des Nabels befestigt.
Die Watte hält die bacteriellen Keime der Luft ab und verhindert die
Verschiebung des Nabelschnurrestes. gustav BRArN.
Abortus (spontan). Die Schwangerschaft kann zu jeder Zeit ihres
Bestehens aus den mannigfachsten Ursachen eine Unterbrechung erleiden.
Li den ersten zwei Dritteln der Schwangerschaft, bevor der Fötus lebens-
fähig ist, bis zur 26. bis 28. Woche bezeichnet mau dies als Abort, Miss-
fall, Fehlgeburt, fausse couche, während die Ausstossung einer zwar noch
nicht reifen, aber doch schon lebensfähigen Frucht, Frühgeburt genannt
wird. Man kann auch unterscheiden zwischen Abort oder Missfall und Fehl-
geburt, und bezeichnet als ersteres die Ausstossung des Eies vor vollendeter
Bildung der Placenta, also vom Anfang bis zur 14. bis 16. Woche, als
letzteres, als Fehlgeburt, die Geburt zwischen der 16. und 26. bis 28. Woche.
Es hat diese Eintheilung eine gewisse Berechtigung sowohl in Bezug auf
die Entwicklungsstadien der Frucht und ihrer Anhangstheile, als auch in
praktischer Beziehung. Es ist aber natürlich, dass eine genaue Abgrenzung
zwischen Abort im engeren Sinne und Fehlgeburt ebenso wenig stricte
durchzuführen ist, als zwischen Fehlgeburt und Frühgeburt, da die normale
ABORTUS (spontan). 15
Entwicklung der Frucht, resp. des Eies einerseits und des Uterus anderer-
seits vom ersten Anfange der Scliwangerschaft bis zum P]nde eine stetige,
nicht ruckweise fortsclireitende und dal)ei durchaus nicht bei allen Schwan-
geren gleichmässige ist. In so scharf begrenzte Formen lässt sicli die Natur
nicht bannen.
In den ersten vier Monaten ist der Uterus für eine eigentliche Ge-
burtsthätigkeit noch wenig vorbereitet, der Fötus in seinen einzelnen Theilen
noch kaum entwickelt, eine Placenta erst gegen Ende dieser Periode vor-
handen und dadurch die Verbindung des ganzen Eies mit dem Uterus eine
viel losere, als später, weshalb auch eine zu dieser Zeit aus irgend einer
Ursache veranlasste Losstossung des Eies wesentlich anders verläuft, als
bei weiter vorgeschrittener Entwicklung. Dies der Grund, weshalb Viele
den Vorgang dieser Periode speciell als Abort bezeichnen im Gegensatz
zur Fehlgeburt (zwischen der 16. und 26. Woche), welche sich in ihren
Erscheinungen scbon mehr der rechtzeitigen Geburt nähert; noch mehr die
Frühgeburt.
Aetiologie. Abgesehen von äusseren, plötzlich wirkenden Einflüssen,
welche das ganz gesunde Ei treffen und seine Losstossung sans praeparation
bewirken können, wird der Abort in den bei Weitem meisten Fällen ein-
geleitet durch krankhafte Veränderungen des Eies selbst, oder durch patho-
logische Zustände der Mutter. Es wird hierdurch eine Disposition gegeben,
welche für sich allein genügt oder nur eines geringen Anstosses bedarf,
um den Abort früher oder später zur vollendeten Thatsache zu machen.
Hiernach haben wir zu unterscheiden zwischen prädisponir enden oder
vorbereitenden und directen oder Gelegenheits-Ursachen des
Abortes, welche wohl auseinanderzuhalten sind, in vielen Fällen jedoch
einander ergänzen.
Die Gelegenheitsursachen wirken fast ausschliesslich von der Mutter
aus, die vorbereitenden dagegen sowohl von der Mutter, als von der Frucht.
Die vorbereitenden Ursachen von Seiten der Frucht sind ausser
Erkrankungen der Eihüllen, speciell des Chorions, wesentlich das vorzeitige
Absterben des Fötus. Dieses aber wird bedingt durch Missbildungen des
Fötus oder einzelner Theile desselben, durch mangelhafte Ernährung in
Folge gestörter oder schlechter Nahrungszufuhr, durch Torsion oder sonstige
Fehler der Nabelschnur, durch Verwachsungen und dergl., sowie auch durch
Entartungen der Decidua. Ob auch durch selbstständige acute Erkrankungen
— als solche Averden angeführt: Entzündungen, Exantheme, Afterbildungeu,
Krankheiten der Adnexa, Dyskrasien — der Fötus absterben kann, ist
immerhin zweifelhaft, besonders in so früher Zeit. In Bezug auf letztere
ist aber nicht abzusprechen, dass dem Keim resp. Ei durch den zeugenden
Vater eine Schädlichkeit, ein Virus (z. B. Si/phiJis) mitgetheilt werden kann,
Avelche die Entwicklung desselben stört und früher oder später zum Ab-
sterben führt.
Die nächste Folge des Ab Sterbens des Fötus ist Aufhören
seiner Blutbewegung, dadurch verminderter Turgor des ganzen Eies und
verminderter Inhaltsdruck des Uterus, wodurch letzterer zu Contractionen
angeregt wird, und zwar umso leichter, je mehr er bereits in der Schwanger-
schaftsentwicklung vorangegangen ist. Durch das Absterben des Fötus werden
in erster Linie auch die fötalen Eihüllen in ihrer Weiterentwicklung secun-
där gehemmt, wie auch auf der anderen Seite wdeder eine primäre Ent-
artung besonders des Chorions {Mijxom und dergl.) einen deletären Einfluss
auf den Fötus ausübt, sein Absterben bewirkt, eine Wechselwirkung, welche
sich besonders in den ersten Monaten der Schwangerschaft geltend macht.
Die durch den Tod des Fötus bewirkte Verringerung des Eivolums und
16 ABORTUS (spontan).
der dadurch veränderte Iiilialtsdruck des Uterus veranlasst Zerrungen und
Reibungen der EioberfliUdie an der Utcruswand. Hierdurch wird eine Tren-
nung der welken Chorionzotten oder später des fötalen Theiles der Placenta
von der Decidua, sei es ini Gesammtumfang des Eies in den ersten Monaten
oder später nur im placentaren Theile derselben herbeigeführt mit Zer-
reissung der mütterlichen Blutgefässe an dieser Stelle, wodurch jetzt ein
Bluterguss zwischen Ei und Uteruswand erfolgt. Dieser letztere reizt wieder
zu Contractionen. welche eine weitere Trennung der EihüUen vom Uterus
und damit weitere Blutungen, vermehrte Contractionen u. s. w. in fort-
■\virkendem circulus vitiosus veranlassen. Diese Veränderungen des Eies
bilden die häufigste Veranlassung zum Abort, sie führen aber selten den
sofortigen Eintritt desselben herbei. Sehr bald macht sich dabei eine fehler-
hafte Mitwirkung von Seiten der Mutter geltend.
Es kann aber auch die erste Disposition zum Abort von der Mutter
ausgehen durch die verschiedensten pathologischen Z us fände der-
selben, seien es örtliche oder allgemeine. Hierzu gehöven Lar/efehler
des Uterus, besonders Ketroflexionen und Prolapsus, aber auch Anteflexionen,
allgemeine oder partielle Rigidität desselben von Haus aus oder durch
KarbenbikUmgen, Verwachsimgen mit Nachbarorganen, in die Uteruswaudung
eingelagerte Fibrome, Mf/ome und dergl., und besonders Carchwm. Aehnlich
können Tumoren benachbarter Organe durch Raumbeschränkung wirken.
Auch scheint manchmal in Folge schwacher Entwicklung des Uterus oder
seines Fasergewebes demselben die Fähigkeit zu fehlen, das Ei genügend
zu entwickeln, ebenso bei Verkümmerung (uterus unicornis oder bicornis
mit verkümmertem einem Hörn). Von Erkrankungen des Uterus gibt be-
sonders häufig MetrHis chron. und acuta, Endometritis Disposition zum Abort.
Wie schon erwähnt, können auch Erlranhiuf/en der Decidua Abort veran-
lassen, sei es, dass dadurch in erster Linie der Fötus abstirbt, sei es, dass
zuerst Blutergüsse zwischen die Eihäute entstehen mit den sich daran
knüpfenden Folgen.
Eine grosse Rolle sowohl bei der Entstehung als auch im weiteren
Verlaufe des Abortes spielen Hyperaemie und Anaemie, sowohl allgemeine,
als locale, besonders letztere und können diese ebensowohl die Disposition
zum Abort begründen, als auch denselben direct bewirken. Allgemeine
Anaemie der Mutter von Haus aus oder durch Mangel, schlechte Ernährung,
vorausgegangene erschöpfende Krankheiten, Dyskrasieu, heftige Blutverluste
veranlasst, kann das Absterben des Fötus und dadurch den Abort herbei-
führen, ebenso auch locale Anaemie des Uterus, veranlasst durch Behinde-
rung der Blutzufuhr in Folge Compression der zuführenden Gefässe, Die
Compression wird allerdings häufiger passive Hyperaemie durch venöse
Stauung verursachen.
Treten Verhältnisse ein, welche die physiologische Hi/peraemie des
schwangeren Uterus zu einer pathologischen steigern, dann kann es leicht
durch den verstärkten Inhaltsdruck zu einer Zerreissung der äusserst zarten
neugebildeten Decidual- oder später Utero-Placentargefässe und damit zu
einem mehr minder starken Bluterguss kommen, welcher entweder unmittel-
bar, wenn er sehr stark ist, oder allmälig den Abort herbeiführt. Möglich
ist auch, dass die pathologische Hyperaemie des Uterus primär durch Nerven-
reiz Contractionen anregt, und durch diese eine Loslösung der Decidua und
dann erst secundär Blutungen veranlasst werden. Eine pathologische Hyper-
aemie des schwangeren Uterus kann entstehen durch allgemeine Plethora,
durch heftiges Fieber bei Entzündungen auch entfernter Organe, durch
heftige Erregungen und Blutwallungen — Orgasmus — in Folge starker
Erregung der Sinnlichkeit, Genuss starker, erhitzender Getränke, heisser,
ABORTUS (spontan). 17
allgemeiner Bäder und Fiissbäder, noch mehr aber durch alles, was eine
vermehrte Congestion nach den Beckenorganen bewirkt, so Entzündung des
Uterus, der Blase, des Mastdarms, zu heftiger, ungestümer oder zu häufiger
Coitus, Reizung des Darmcanals durch scharfe Arzneimittel, wie dadurch
besonders auch die Wirkung mancher sogenannter Abortiva zu erklären sein
möchte. Ebenso wie Congestionen erregende wirken auch Blutstauungen in
den Genitalien veranlassende Momente — passive Hyperaemie — wie
Lungen-, Leber-, Herzkrankheiten, Lagefehler des Uterus und dergi. ^'er-
mehrt wird dieser deletaere Einfluss der Hyperaemie durch alle Art Er-
schütterungen des Körpers, so durch Fall, Springen, Tanzen, Falii'en auf
holperigen Wegen, heftiges Niesen, Husten, sowie durch Stösse auf den
Unterleib, welche Erschütterungen auch ohne pathologische Hyperaemie
Zerreissung der Blutgefässe, selbst der Eihüllen bewirken können.
Auch vom Nervensjjstem aus kann Veranlassung zum Abort gegeben
werden, sei es, dass eine directe Pteizung der Uterusnerven Contractionen
auslöst, wie z. B. durch Frictionen des Uterus von den Bauchdecken aus,
durch ungestüme Palpationen des Unterleibes, resp. des Uterus, durch un-
vorsichtiges Touchiren des Genitaltractus, besonders des Muttermundes;
sei es, dass auf reflectorischem Wege, durch Reizung anderer, mit dem
Uterus in Connex stehender Nervenbahnen, so durch Reizungen der Brüste,
der Vulva oder der Scheide.
Hierher gehört wohl auch eine bei manchen Frauen zu beobachtende
erhöhte Reizbarkeit des Gesmmntorganismus, die es bewirkt, dass der ge-
ringste äussere Anlass, die geringste, selbst freudige Aufregung den Uterus
zu vorzeitigen Contractionen anregt. Nicht zu bezweifeln ist schliesslich,
dass auch heftiger Schreck, grosse Aufregung, Zorn und andere psychische
Alterationen einen Abort zu veranlassen im Stande sind, durch allgemeine
Nervenerregung oder durch die mit der Aufregung so oft verbundene
stürmische Blutbewegung (Herzklopfen!) selbst bei vorher gesundesten,
normalsten Verhältnissen. Dass hierdurch, wie manche annehmen (Scaxzoni),
der Fötus direct getödtet werden kann und dadurch der Abort entsteht,
ist wohl nicht wahrscheinlich.
Symptome. Je nach der Zeit des Auftretens und nach der ein-
wirkenden Ursache werden die Erscheinungen des Abortes verschiedene
sein. Charakteristisch dafür sind Blutungen, Contractionen des Uterus und
allmälige Eröffnung des Muttermundes, welche aber in ihrem gegenseitigen
Verhalten zu einander grosse Verschiedenheiten zeigen. Während in den
ersten Monaten die Blutungen vorherrschen, gleichen später die Erscheinungen
des Abortes und der Fehlgeburt umso mehr denen der normalen Geburt,
je weiter die Schwangerschaft bereits vorgerückt ist. In der allerersten
Zeit gleicht der Abort oft nur einer etwas lange zurückgehaltenen und
darum vielleicht etwas verstärkten Menstruation. Der Beginn der Blutung
ist verschieden, bald ganz leise, nur tropfenweise, in anderen Fällen gleich
von vornherein sehr heftig. Gar viele Frauen abortiren in den ersten
zwei Monaten der Schwangerschaft, ohne sich nur bewusst oder überzeugt
zu sein, dass sie überhaupt schwanger sind. Es treten etwas heftigere cata-
meniale Beschwerden ein, als gewöhnlich, der Blutfluss wird ungewöhnlich
stark (was der Laie als Folge der zu langen Retention betrachtet), oft mit
Coagulis, in welche eingehüllt gelegentlich das ganze Ei unbemerkt abgehen
kann, wiederholt sich wohl einigemal mit vermehrtem Drängen, Druckbe-
schwerden — und die Sache ist abgethan. Aber nicht immer geht es so
glatt ab und besonders nicht nach der achten bis zehnten Woche.
Auch jetzt noch fehlen mitunter besondere Vorboten, meist aber gehen
dem Eintritt des Abortes Erscheinungen voraus, welche darauf aufmerksam
Bibl n-.ed. Wissenschaften. I. Cieburtshilfe und Gj-näkologie. 2
18 ABORTUS (spoutan).
machen, dass etwas Ungewöhnliches vorgehe. Diese Erscheinungen, bedingt
durch den vorzeitigen Fruchttod, den allmäligen Bhiterguss in die Uterus-
höhle, die vorzeitigen, noch schwachen Contractionen oder die den Abort
bewirkenden Krankheitszustände, sind : allgemeines Unbehagen, Frösteln,
Fiebererscheinungen, Gefühl von Schwere oder eines fremden Körpers im
Unterleib, Kältegefühl im Leib, häufiger Harndrang, vermehrter Schleimabgang
u. s. w., bis zuletzt als deutlichere Aborterscheinungen dumpfe
Schmerzen im Kreuz, oft in die Schenkel ausstrahlend und Blutabgang auf-
treten, bald beide gleichzeitig, bald das eine oder das andere zuerst, je
nachdem die Trennung der Eihäute primär oder secundär, je nach der
causa movens.
Während in den ersten zwei auch drei Monaten beim spontanen Abort
das Ei unter allmäliger Erweiterung des Cervicalcanales und Eröffnung des
Muttermundes meist unverletzt abgeht, ist ein solch relativ günstiger Verlauf
nach Ablauf der zwölften Seh wangerschaftswoche seltener zu
beobachten. Häufig bersten die Eihäute schon vor Eröffnung des Muttermundes,
und dann dauert es längere Zeit unter zunehmendem Drängen und stärker
werdenden Blutungen, bis zuerst der Fötus nach aussen tritt unter Zurück-
lassung der Eihäute und Placenta, oder der Fötus wird, wenn der Mutter-
mund durch das vordrängende Ei schon etwas eröffnet war, unter einer
etwas stärkeren Contraction bei dem Bersten der Blase gleich nach aussen
gedrängt mit einem Theil oder ganz ohne Eihäute und nun tritt eine vorüber-
gehende Pause in den Contractionen ein, selbst die Blutung sistirt mitunter,
meist aber lässt sie nur etwas nach, ohne ganz aufzuhören, oder sie wird
selbst noch heftiger, wie vordem. Die weichen zarten Eihäute und Placenta
reizen den noch nicht genügend entwickelten Uterus nur wenig zu Con-
tractionen, hindern aber auch eine zur Verschliessung der durchrissenen
Gefässe genügende Zusammenziehung, und so dauert die Blutung fort, be-
sonders wenn durch den ersten Insult die Decidiia, bezw. die Placenta
nicht vollständig getrennt oder die Decidua zerrissen worden war. Die
Ausgänge sind jetzt verschieden. Die Blutung hält mit zeitweiligen Ver-
stärkungen an, bis nach und nach alle Eihaut- und Placentartheile stück-
weise ausgestossen sind. In anderen Fällen kehrt die Blutung erst nach
Tagen oder selbst Wochen, während welcher sich die Frau verhältnissmässig
wohl fühlt, wieder, oft sehr heftig; der inzwischen verschlossen gewesene
oder durch ein Coagulum obturirte Muttermund eröffnet sich wieder und
unter heftigen Schmerzen wird der Rest der Anhangstheile oder nur ein
Theil derselben ausgestossen. In letzterem Falle wiederholt sich der Vor-
gang nach kürzerer oder längerer Zeit wieder, bis endlich alles ausgestossen,
der Uterus vollständig entleert ist.
Bei der ersten Lostrennung der Decidua kann sich das Blut, wenn
der Erguss sehr stark war, aber nicht nach aussen treten konnte, in das
Ei, zwischen Chorion und Amnion, selbst in die Amnionhöhle einen Weg
bahnen und dann Veranlassung zur Bildung der sogenannten 2?!«/'- oder
Fle/schnolen geben, durch welche der Fötus meist gestört wird. Die zurück-
gebliebenen Theile des Eies können aber auch in Fäulniss übergehen, be-
sonders dann, wenn entweder beim Abgange des Fötus oder später eines
Theiles der Adnexa oder bei Versuchen zur Entfernung derselben oder
selbst bei blossem Untersuchen Luft eingetreten war. In dieser fauligen
Zersetzung liegt für die Frau die grosse Gefahr einer septischen Infection.
Weit häufiger allerdings werden die in Zersetzung übergegangenen Theile
allmälig nach aussen entleert, ohne solche schlimme Folgen nach sich zu
ziehen. Zu bemerken ist, dass auch der Fötus selbst im Uterus zurück-
gehalten werden kann, manchmal, besonders bei Luftabschluss, ohne sich
ABORTUS (spontan). 19
wesentlich zu verändern, in anderen Fällen ^eht er ebenfalls in faulige
Zersetzung über, wobei mitunter ganz abnorme Wege zum Abgang beob-
achtet worden sind, so durch die Blase, die Bauchdecken u. s. w. Von
den Eitheilen können aber auch einzelne Partikel, besonders an der Placen-
tarstelle ganz zurückbleiben, sich allmälig organisiren und zur Bildung soge-
nannter fibrinoider Polypen oder Placenfarpoh/pen Veranlassung geben mit
fortdauernder Reizung zu Blutungen.
Durch diese zuletzt geschilderten Vorgänge können die I'atientinnen
ausserordentlich herunterkommen, sei es durch die fortdauernd unterhal-
tenen Blutungen, sei es durch anhaltendes, besonders bei der Zersetzung
auftretendes Fieber. Es kann selbst, zumal bei den Polypen, zum Tode durcli
Verblutung kommen, wenn nicht für die Entfernung derselben gesorgt mrd.
Ist der ganze Process vorüber, die Ausstossung des p]ies und
aller Adnexa vollendet, dann hört vor Allem die Blutung vollständig
auf, abgesehen von Lochien ähnlichen Absonderungen, und der Uterus
bildet sich im günstigen Falle wie im Normalwochenbett zurück. Nach
Abort in den ersten Monaten erfolgt aber die Pt ü c k b i 1 d u n g relativ lang-
samer, als später, da dem Uterus bei der noch geringen Entwicklung der
Muskelfaser die nöthige Contractionskraft fehlt, welche den reifen Uterus
so prompt zurückbilden hilft. Und diese mangelhafte Rückbildung wird
oft noch merklich verlangsamt, selbst ganz hintangehalten, je nach den Ur-
sachen, welche den Abort veranlasst hatten. War dieser begründet in
primären Erkrankungen, Lage- und Bildungsfehlern des Uterus u. dgl.,
dann verzögern diese auch wieder die normale Rückbildung. Hierzu kom-
men oft noch Insulte bei der Behandlung, besonders bei gewaltsamer Ent-
fernung zurückgebliebener Eihautreste, mangelhafte Pflege und, was wir so
häufig beobachten, eine Nichtbeachtung des Umstandes, dass nach Abort
so gut Wochenzustand vorhanden ist, als nach rechtzeitiger Geburt. Ab-
gesehen davon, dass die vorher schon bestandenen fehlerhaften Zustände
durch das fehlerhafte Verhalten nicht gebessert oder gehoben werden,
treten jetzt oft neue Erkrankungen hinzu, besonders Para- und Perimetritis,
Erschlaffungszustände, chronischer Katarrh, Infarkt, Verdichtungen und
Schrumpfungen des Beckenzellgewebes, Texturerkrankungen des Uterus,
Lagefehler u. dgl. Haben solche Zustände schon vorher bestanden oder
sind sie erst nach und in Folge des Abortus aufgetreten, dann kann es
bei der nächsten Coneeption sehr leicht abermals zum Abort kommen,
häufig zu derselben Schwangerschaftszeit wie bei dem vorhergehenden, und
erklären sich auf diese Weise die meisten Fälle des sogenannten habi-
tuellen Abortus, d. h. der Neigung mancher Frauen, nach jeder oder
fast jeder neuen Coneeption wieder zu abortiren. Es kann aber diese
Neigung auch in organischen Fehlern des Genitalapparates, in nicht ge-
tilgten Dyskrasien, die ein frühzeitiges Absterben des Fötus bedingen, oder
auch in der früher erwähnten erhöhten Sensibilität oder individuellen Reiz-
barkeit, welche den Uterus, resp. das Ei nur zu einem gewissen Grade
der Entwicklung kommen lässt, begründet sein, wenn auch sicher ist, dass
gar manchesmal, wo bei mangelhafter Nachforschung diese erhöhte Reiz-
barkeit als einziger plausibler Grund angegeben oder angenommen war,
bei genauer Untersuchung ein fassbares Grundleiden als Ursache sich her-
ausgestellt hätte, wenn nicht gar strafbare Manipiüationen irgend welcher Art.
Wer kann immer hinter die Gardinen sehen!
Von manchen Autoren wird auch angegeben, dass mitunter Frauen
Früchte desselben Geschlechtes, Knaben oder Mädchen, nicht austragen,
die des anderen' Geschlechtes aber zur Reife bringen. Was Wahres daran,
was der Grund, ist schwer zu sagen.
2*
20 ABORTUS (spontan).
Ueber die Frequenz des Abortus lässt sich ein genauer statistischer
Nachweis nicht liefern. Die Zahlenangaben darüber sind ausserordentlich
verschieden. Besonders über den Abort in den ersten zwei Monaten ist
eine bestimmte Zahlenangabe nicht zu geben, da viele Frauen und Mäd-
chen bei solchem gar keine ärztliche oder hebammliche Hilfe nachsuchen
aus den verschiedensten Gründen. Gewiss ist, dass in dieser Zeit der
Abort ausserordentlich häufig vorkommt. Abgesehen von dieser Zeit, be-
obachten wir die meisten Aborte zwischen der 10. — 16. Woche. Die Neigung
zum Abort ist viel häufiger, als die zu einer Fehlgeburt nach dem vierten
Monat. Es ist dies darin begründet, dass die Eihüllen, Decidua und Chorion
zu dieser kritischen Zeit viel blutreicher als vorher, die neugebildeten
Gefässe aber viel zarter und weniger widerstandsfähig sind, und das ganze
Ei noch viel lockerer eingebettet ist als nach vollkommener Bildung der Pla-
centa. Aus diesem Unterschiede erklärt sich auch die Berechtigung der
Unterscheidung zwischen Abort und Fehlgeburt. Man rechnet, dass auf
acht bis zehn rechtzeitige Geburten ein Abort kommt. In Anbetracht der
häufigen unerkannt erfolgten Aborte der ersten zwei Monate ist dies viel-
leicht zu wenig und rechnen deshalb manche das Verhältnis selbst wie fünf
zu eins. Bei Multiparen ist der Abort häufiger, als bei Primiparen. Mit-
unter hat man ein gruppenweises, fast epidemisches Auftreten des Abortus
beobachtet (ähnlich bei Thieren), was bisweilen in erkennbaren Ursachen,
wie Schreckenszeiten, Hungersnöthen, epidemischen anderweitigen Erkran-
kungen (Kriebelkrankheit, Influenza u. s. w.) seinen Grund hat, jedoch auch
ohne solche nachweisbare Ursachen vorgekommen sein soll.
Die Diagnose des drohenden Abortus ist leicht, wenn bei nach-
gewiesener oder wenigstens ziemlich sicher vermutheter Schwangerschaft
mehr minder starke Uterinalblutungen und deutliche Contractionen des
Uterus auftreten und noch mehr, wenn der untersuchende Finger beginnende
Eröffnung des Muttermundes oder gar das Ei in demselben fühlt. Blutungen
allein, ohne Contractionen, ohne Erötfnung des Muttermundes, können ein
Zeichen von drohendem oder beginnendem Abortus sein; es ist aber auch
möglich, dass es sich um eine unregelmässig auftretende Menstruation han-
delt, welche zwar von Vielen geleugnet wird, aber doch entschieden vor-
kommt, besonders in den ersten Monaten, selbst auch, wenn zwar selten,
bis gegen Ende der Schwangerschaft. Auch können, abgesehen von Blu-
tungen aus der Scheide, aus geborstenen Thromben (was allerdings meist
erst gegen Ende der Schwangerschaft vorkommt), aus dem unteren Theile
des Uterus, besonders aus dem Cervikalcanal Blutungen kommen, die nicht
auf Loslösung des Eies hinwirken, aber diese sind, wie auch die Men-
struation in der Schwangerschaft, selten, und man wird immer gut thun. auch
Avenn keine Contractionen vorhanden sind, jede Blutung aus dem Uterus bei
sicher constatirter, selbst auch bei zweifelhafter Schwangerschaft als ver-
dächtig anzusehen. Fühlt man die Spitze des Eies im sich eröffnenden
Muttermund, so kann die Verwechslung mit einem Polypen mitunter
Schwierigkeiten machen, doch ist derselbe resistenter, als das uneröffnete
Ej, oft auch höckerig. Nach unbemerktem Abgange des Fötus kann aber,
wenn Schwangerschaft noch nicht constatirt war, die sich vordrängende
Placenta oder ein mit Blutgerinseln überdeckter Eihautklumpen eine Unter-
scheidung von einem Polypen sehr schwer machen. Schwierig ist auch oft
und kann nur durch mehrfache Untersuchung constatirt werden, ob das Ei
schon abgegangen ist oder nicht, oder ob noch einzelne Theile desselben
vorhanden sind, zumal sich oft nach Abgang einzelner Theile oder nach
stärkeren Blutungen der Muttermund wieder schliesst, und eine oft über
Tage und Wochen sich erstreckende Pause entsteht. Bei schlaffen Bauch-
ABORTUS (spontan). 21
decken hilft oft bimanuelle Untersuchung, vielleicht unterstützt durch Ex-
ploratio per anum, selbst in den ersten Monaten; nach dem dritten Monat
auch bei strafferen Bauchdecken. Eine allenfallsige Untersuchung mit der
Sonde ist zu perhorresciren, so lange man nicht sicher weiss, dass der
Fötus wirklich abgegangen ist. Die Diagnose des Lel)ens oder Todes des
Fötus ist in der ersten Zeit der Schwangerschaft nicht möglich, zu ver-
muthen ist aber der Tod aus den diesem Ereignis oft anhaftenden früher
erwähnten Allgemeinerscheinungen.
Nach dem bei Schilderung des Verlaufes bereits Angegebenen ist in
Betreff der Prognose kaum noch etwas hinzuzufügen. So lange die Blu-
tungen und Contractionen nicht sehr heftig sind, darf man die Hoffnung
nicht aufgeben, dass es gelingen könnte, den Abort zu sistiren, das Leben
des Kindes zu erhalten. Erst Abgang des Liquor amnii oder gar einzelner
Eihauttheile schliesst diese Hoffnung aus. Im Allgemeinen muss man daran
festhalten, dass jeder, auch der scheinbar leichteste Abort nicht gleich-
giltig zu nehmen ist. Ist auch der Tod der Schwangeren durch acute
Verblutung oder durch nachfolgende Entzündungen oder durch Sepsis nur
selten die Folge, so können doch, besonders bei unvorsichtigem Verhalten,
oder nach sehr starken anhaltenden oder oft wiederholten Blutungen aller-
lei Nachkrankheiten, wie oben angegeben, entstehen, die der Betreffenden
unter Umständen zeitlebens nachhängen und ihr das Leben verbittern.
Die Therapie hat verschiedene Aufgaben zu erfüllen. Abgesehen
von den allgemeinen diätetischen und sonstigen Massregeln, welche wir
jeder, auch gesunden und kräftigen Frau geben, sobald Schw^angerschaft
eingetreten ist, haben wir bei solchen, die schon ein- oder mehrmals abortirt
haben, in prophylactischer Beziehung in erster Linie die Prädisposition nach
der für den jeweiligen Fall gebotenen speciellen Behandlungsweise zu tilgen,
soweit dies in unserer Macht liegt. Bei solchen, welche noch nicht ge-
boren, wenigstens noch nicht abortirt haben, ist keine Veranlassung, pro-
phylactisch einzugreifen, wenn nicht ganz besondere Verhältnisse vorliegen.
Bei den von der Mutter ausgehenden Prädispositionen werden war mit un-
seren Versuchen mehr Glück haben als bei solchen von Seiten des Fötus.
Gegen Bildungsfehler des Fötus und der Eihäute, Nabelschnur und Pla-
centa sind wir natürlich um so mehr völlig machtlos, als wir ja zuvor gar
keine Ahnung davon haben. Das vorzeitige Absterben des Fötus aus inneren
Ursachen werden wir vergeblich zu bekämpfen suchen, höchstens können
wir eine Dyskrasie der Mutter oder des zeugenden Vaters zum Gegenstand
der Behandlung machen, sobald wir eine solche als Ursache des habituellen
Abortus erkannt haben.
Erfolgreicher können wir gegen die von der Mutter ausgehenden
P r ä d i s p 0 s i t i 0 n e n a n k ä m p f e n, wenn auch durchaus nicht immer. Wenn
es uns gelingt, eine universelle oder locale Plethora oder Anämie, Erkrank-
ungen oder Lagefehler des Uterus oder der Nachbartheile, Allgemein-
erkrankungen, Nervosität u. dgl. rechtzeitig zu beseitigen, so wird damit auch
ein Abort hintangehalten werden können, und umso leichter wird es uns
dann sein, den Gefahren der mannigfachen Gelegenheitsursachen zu be-
gegnen. Da es eine bekannte Thatsache ist, dass viele Aborte besonders
in den ersten Monaten in der Zeit auftreten, wo eine Frau, wenn sie nicht
concipirt hätte, menstruirt haben würde, so müssen wir unser Augenmerk
darauf richten, dass die Betreffenden zu dieser Zeit, sowie zu den Zeiten,
wo vordem schon ein- oder mehrmals Abort stattgefunden hat, sich beson-
ders vorsichtig verhalten, alles vermeiden, was eine stärkere geschlechtliche
oder sonstige Aufregung, Blutwallungen, Körpererschütterungen oder der-
gleichen hervorrufen könnte. Wenn nöthig, lässt man die Frau einige Tage
22 ABORTUS (spontan).
iu ruhiger Rückenlage das Bett hüten, und dies besonders im dritten und
vierten Monat, den gefährlichsten Abortzeiten. Bei Neigung zu habituellem
Abort kann selbst ein Wochen und Monate langes Liegen im Bette erfor-
derlich werden.
Kommt es nun trotz aller dieser Massregeln oder unvorhergesehen,
ohne solche zu den Erscheinungen des drohenden Abortus, dann haben wir
in erster Linie, wenn möglich, das Zustandekommen desselben zu ver-
hindern, den Abort zu sistiren, dann aber, wenn dies nicht möglich,
nicht gelingt und dadurch ernste Gefahren entstehen, denselben thunlichst
zu beschleunigen.
Da die wesentlichsten Factoren des Abortus in vorzeitigen Contrac-
tionen und in Blutungen bestehen, so muss sich behufs Sistirung des-
selben unser Augenmerk auch wesentlich auf diese richten. Vor allem ist
ein absolut ruhiges Verhalten zu emi)fehlei\, HinfanJiaUiittg aller SchädUchkeiten,
massige, blande Diät (nur bei Anämie mehr kräftige, aber nicht reizende
Kost), kühlende, säuerliche Getränke (Äc. Halleri, Ac. pltosphor. In Zucker-
irasser oder verdünnten Fruchtsäften), Verhütung von Obstipation (durch Ohst,
leichte Äbfiihrmittel, nicht durch Ch/sma) sowie Vermeidung jeglicher Auf-
regung. Machen sich Contractionen bemerklich, dann sind Narkotika am
Platz, besonders die Opiate in nicht zu bescheidenen Gaben — Tincf.
Opii 10 bis 15 Tropfen mehrmals wiederholt, Morphium innerlich und sub-
cutan — , ferner warme Tücher auf den Unterleib oder selbst warme Um-
schläge. Sind keine Blutungen vorhanden, dann empfiehlt sich sehr ein
warmes Bad, nach Umständen wiederholt. Treten geringe Blutungen auf,
dann ist gegen dieselben vorerst gar nichts weiteres anzuwenden. Werden
sie aber profuser oder treten sie gleich heftig auf, dann t a m p o n i r e
man sofort, und zwar am besten mit trockener, womöglich aseptischer
Verbandwatte. Die früher vielfach empfohlene Anfeuchtuug des Tampons
mit Eisenchlorid-, Alaun-, Essig- oder ähnlichen stiptischen Lösungen ist nicht
zweckmässig, da trockene V»^atte viel besser das Blut aufnimmt und zur
Coagulation bringt, wodurch weitere Blutungen am ehesten sistirt werden,
andererseits die stiptischen Flüssigkeiten sehr leicht die Genitalschleimhaut
stark reizen.
Es ist nicht nöthig und nicht zweckmässig, die ganze Scheide mit
Wattekugeln auszufüllen, sondern nur das Scheidengewölbe und die nächste
Umgebung der Vaginalportion. Eine zu starke Anftillung der Scheide ist
schmerzhaft, belästigt durch Druck auf die Blase und den Mastdarm und
reizt leicht zu vermehrten Contractionen, was durch massige Ausfüllung
des oberen Theiles der Scheide vermieden wird. Es genügt aber letztere
meist vollkommen, wenigstens eine Zeit lang zur Blutstillung, wenn nur
die ersten Wattekugeln gut und fest an den Muttermund angelegt werden,
womöglich in den Muttermund hinein. Am besten applicirt man den Tampon
mittelst eines Speculum. Nach Application des Tampon gibt man innerlich
noch eine kräftige Dosis Opnum, vielleicht auch etwas Hi/drastis, oder Eisen-
chlorid, Ac. Halleri, Tc. Rafanliiae u. dergl., legt ein reines Stopftuch vor
und wartet ruhig ab.
Kommt es nicht zu neuer Blutung, dann kann man diesen ersten
Tampon 18 bis 24 Stunden liegen lassen, danach muss er aber vorsichtig
entfernt werden, da das in demselben angesammelte Blut durch die Körper-
wärme sehr zur Zersetzung neigt, der Tampon übelriechend wird. Die
Entfernung gelingt leicht durch 1 oder 2 in die Vagina eingeführte Finger
— auch ohne dass man an die oberste oder an sämmtliche Wattekugeln
Fäden zum Herausziehen befestigt hat — , welche die Kugeln einzeln unter
sich herausdrücken. Man kann sich dazu auch einer langen Kornzange
ABORTUS (spontan). 23
oder dünnen Polypenzange bedienen, indem man 2 Finger der einen Hund
bis an den Tampon führt und auf denselben die mit der freien Hand gefasste
Zange wiederholt leitet, bis alle einzelnen Kugeln entfernt sind. Findet
man jetzt den vorher vielleicht schon ziemlicli geöffneten Muttermund,
in welchen unter Umständen selbst die Spitze des Eies zu fülilen war,
wieder geschlossen und kein Blut aus demselben ausfliessend, dann macht
man eine leichte lauwarme desinficirende Ausspülung, gil)t frisches Stopf-
tuch und empfiehlt strengstens ruhiges Verhalten in Jlückenlage für einige
Tage. Auch wenn kein Blut mehr kommt und im günstigsten Falle der
Zweck erreicht ist, darf die Patientin vor 8 Tagen das Bett nicht verlassen.
Leichte, ncährende, nicht erhitzende Kost, kühlende, beruhigende Getränke
(sehr zweckmässig viel Milch, wo sie angenommen und vertragen wird),
kleine Gaben Opium und H hi^ 4 Mal täglich HfidraMii^ canad, je 15 hif<
20 Tropfen.
Tritt aber wieder Blutung ein, oder zeigte sich dasselbe schon bei Phit-
fernung des Tampons oder gar schon, was bei stärkerer Lostrennung
des Eies der Fall sein kann, bei noch einliegendem Tampon, dann muss
man nach zuvoriger reinigender und desinficirender Ausspülung der Sclieide
die Tamponade der Scheide wiederholen, bezw. erneuern. Oft finden wir
bei Entfernung des ersten (oder auch späteren) Tampons das Ei im untersten
Uterusabschnitt, vielleicht selbst schon ganz oder zum grösseren Theil in
der Scheide liegen. Ist letzteres der Fall, dann ist die Entfernung mittelst
1 oder 2 über das Ei hinaufgeführte Finger, welche dasselbe nun nach
abwärts drängen, leicht und gefahrlos, und nach Entfernung desselben ein
weiterer Tampon nicht mehr notlwendig. Ist aber das Ei erst zur Hälfte
oder noch weniger in der Scheide, dann ist die Entfernung schwieriger
und liegt die Gefahr nahe, dass dasselbe beim Versuch der Entfernung,
besonders wenn dies durch Zug von unten geschieht (was man nie thun
soll!), berstet und ein Theil der Eihäute zurückbleibt. Diesem begegnet
man am besten durch abermalige Tampouade, durch welche am besten die
Blutung verhütet und die weitere Herabbeförderung des Eies bewirkt
wird. Um, da sich das vorher eingeschlagene Verfahren zur Sistirung des
Abortus nicht von Erfolg gezeigt hat — und ein anderes zur Sistirung gibt
es nicht'— jetzt den Abort nach Möglichkeit zu beschleunigen, das
Ei zu entfernen, muss der Tampon mit starker Ausfüllung der Scheide
applicirt w^erden, um womöglich kräftigere Wehen zu erregen, und könnte
man hiezu auch den stark aufzutreibenden Kolpeunjnter verwenden, doch
verdient er keinen Vorzug vor einem kräftigen Wattetampon. Ausserdem
gibt man jetzt SecaJe cormUum in kräftigen Dosen, entweder innerlich oder
subcutan oder durch Clysma. Fevner sind heisse Irrigationen der Scheide, bezw.
des Uterus und kalte' Umschläge auf die Unterbauchgegend — am besten
mittelst Gummiblase — am Platze, aber nicht, wie auch das Seeale, bevor
es sich um Beschleunigung des Abortus handelt, was leider oft verfehlt
wird. Ebenso verfahren wir, wenn der Fötus ohne oder mit einem Theil
seiner Adnexa bereits abgegangen ist, die fortdauernden oder in Intervallen
auftretenden Blutungen uns aber belehren, dass noch Theile des Eies im
Uterus zurück sind" und der wenig geöffnete oder wieder geschlossene
Muttermund das Eindringen eines oder zweier Finger zu ihrer Entfernung
nicht gestattet. Im günstigsten Falle wird man, wie oben bemerkt, einige
Stunden nach Anlegung des Tampons, nachdem die Frau ein stärkeres
Abwärtsdrängen verspürt hat, die nunmehr gelösten Theile im Muttermund
oder im obersten Theile der Scheide finden, womit dann auch die Blut-
ungen aufhören. Ist dies aber nicht der Fall oder dauert trotz des Tampon
die Blutung in bedenklicher Weise fort, dann muss zur sofortigen Ent-
24 ABORTUS (spontan).
lernung des Eies oder seiner Reste geschritten werden. Zeigt sich dabei
der Muttermund geschlossen oder wenig geöffnet, so versuche man es
immerhin, ob man nicht manuell zum Ziele kommt, indem man vorsichtig
bohrend erst einen, und wenn dies gelingt, einen zweiten Finger in
denselben einführt, während die aussen befindliche Hand bei nicht zu
straffen, empfindlichen Bauchdecken versucht, durch kräftigen Druck von
aussen den Uterus dem einzuführenden Finger entgegenzubringen, ihn
gleichsam über denselben stülpt. Manchmal gibt der Muttermund über-
raschend gut nach, und gelingt das Einführen der Finger ohne be-
sondere Schwierigkeiten. Dieselben betasten nun die ganze Innenfläche
des Uterus und entfernen alle noch anhaftenden Eitheile durch Druck
nach unten.
Zeigt sich aber der Muttermund und Halscanal zu rigid und
unnachgiebig, dann müssen dieselben durch Pressschwamm erweitert
werden, welcher, gut eingeführt, auch die Blutung vorzüglich stillt, kein
Blut nach aussen lässt. Eine etwa nachtheilige innere Blutung haben wir
in den ersten 4 Schwangerschaftsmonaten bei der geringen räumlichen
Entwicklung des Uterus dabei nicht zu fürchten, wenn nicht die Frau
durch vorhergehende colossale Blutungen schon hochgradig anämisch gewor-
den ist. Das Bedenkliche bei Anwendung des Pressschwammes ist nur,
dass er die Schleimhäute sehr reizt und leicht zum Vermittler einer Infection
wird. Er darf deshalb nur einige Stunden liegen bleiben, welche aber auch
genügen, um die nöthige Erweiterung zu bewirken. Bei seiner Entfernung
niuss sofort desinficirend ausgespült werden, damit nicht der gleich ein-
zuführende Finger das durch den Pressschwamm zersetzte Blut und Cer-
vicalsecret allenfalls in den Uterus hinauftrage. In den späteren Monaten
ist eine Anwendung des Pressschwammes nicht zulässig wegen der Gefahr
einer zu copiösen Blutansammlung in der jetzt viel weiteren Uterushöhle.
Die von mancher Seite empfohlenen besonderen Zangen oder dergleichen
zur Entfernung der Nachgeburts-, resp. Eihautreste sind nicht nöthig und
auch nicht empfehlenswerth, da sie an den weichen Eihautresten doch
keinen rechten Halt finden und dieselben leicht zerreissen, wiv aber
wünschen müssen, die Reste in toto zu entfernen. Höning hat den Rath
gegeben, die Placentar- oder Eihautreste durch Expression zu entfernen,
ein Verfahren, das bei genügend schlaffen Bauchdecken oft zum Ziele
führt. Man bringt zu dem Zwecke 2 Finger der einen Hand in das Schei-
dengewölbe — bei Anteversio in das vordere, bei Retroversio in das
hintere, — möglichst hoch hinauf und drückt sie an das corpus uteri an,
während die aussen befindliche Hand nach Art des CEEDE'schen Hand-
griffes den Fundus kräftig zusammenfasst und so der Uterusinhalt bimanuell
herausgepresst wird. Führt dies oder das vorher angegebene Einführen
der Finger in den Uterus nicht zum Ziel oder zeigt trotz scheinbar voll-
ständiger Entfernung des Eies noch andauernde Blutung an, dass nocli
etwas in dem Uterus zurückgeblieben ist, was besonders gern am Placentar-
sitz vorkommt, dann verdient die Anirmdung der Cureffe zur vollständigen
Beinigung der Uterusinnenfläche den meisten Vorzug.
Ist die Frau zur Zeit, wann sich die Nothwendigkeit zur Abort-Been-
digung ergibt, durch den vorausgegangenen Blutverlust u. s. w. schon sehr
angegriffen, dann muss man ihr zu Hilfe kommen durch Verabreichung
starker Fleischbrülie, Kaffee, Wein, Cognac, Aether, wohl auch starker Dosen
Chinin neben Seeale und empfiehlt sich deren Verabreichung schon vor
der Vornahme eingreifenderer Operationen.
Wenn Alles glücklich aus dem Uterus entfernt ist, so tritt die Frau
in den Zustand der Wöchnerin und ist die fernere Behaudluns; diesem
ABORTUS (künstlich). 25
Zustande anzupassen. Dabei muss man zugleich darauf bedacht sein, etwaige
für den Abort prädisponirende krankhafte Anlagen zu beseitigen.
Je schwerer der Abort war, umsomehr muss sich die Frau lange
Zeit schonen und ist besonders darauf hinzuwirken, dass aller und jeder
geschlechtliche Umgang für längere Zeit gemieden wird. iurnhaum.
Abortus (kilnsfJIcli). Die künstlich bewirkte Felilgcljurt bezweckt im
Interesse der Gesundheit und der Erhaltung der Mutter die
Ausstossung der Frucht in den ersten 28 Wochen der Schwangerschaft,
also zu einer Zeit, wo dieselbe unfähig ist, ausserhalb des Uterus weiter
zu leben.
Die eigenthümliche Stellung des künstlichen Abortus unter den
geburtshilflichen Operationen ist dadurch gegeben, dass nur der Arzt unter
gewissen wissenschaftlich zu begründenden Umständen berechtigt ist, das
Leben einer Frucht zu zerstören. Jahrhunderte lang galt der künstliche
Abortus für ein Verfahren, welches überhaupt nicht unter die zulässigen
geburtshilflichen Operationen gerechnet wurde, bis es zu Ende des letzten
Jahrhunderts zuerst wieder von England aus empfohlen wurde, um sich erst
allmälig Bahn zu brechen. Es ist dies um so leichter verständlich, als
die vorantiseptische Zeit mit ihren Gefahren bei der Einleitung des künst-
lichen Abortus noch nicht so weit hinter uns liegt. Erst durch die genaue
Kenntnis der Antisepsis ward es möglich bei der Einleitung des künstlichen
Abortus, günstige Resultate für die Erhaltung des mütterlichen Lebens zu
bekommen.
Unter den Indicationen für den künstlichen Abort spielt von jeher
das unstillbare Erbrechen Schwangerer eine Rolle. So häufig das
Erbrechen in der Schwangerschaft ist, so selten sind die Fälle von soge-
nanntem unstillbaren Erbrechen ; wir setzen voraus, dass vorher alle thera-
peutischen und andere Massnahmen dagegen ergriffen worden sind, ehe
man zum Abortus greift. Hört trotz aller Mittel das Erbrechen nicht auf,
nimmt die Schwangere dadurch immer mehr ab, dann ist der Zeitpunkt der
Einleitung des künstlichen Abortus gekommen.
Eine weitere, aber ziemlich seltene Indication wird gegeben durch
Einklemmung des retrof le ctirten schwangeren Uterus, wenn
es auch in den meisten derartigen Fällen gelingt, durch Reposition die
Beschwerden zu beheben und dadurch der Abortus unnöthig wird,
Nächstdem geben Nierenerkrankungen, selten die acute poren-
cliymatöse Nephriüs, als vielmehr die chronische, in der Schwangerschaft ge-
steigerte Nephritis die Indication für den Abortus. Weiterhin kann auch
durch eine rasch sich entwickelnde Psychose eine Indication dazu gege-
ben sein.
Eine wesentlich andere Indication für den Abortus bieten die Fälle
h 0 c h g r a dj g e r R a u m b e s c h r ä n k u n g des Beckens, durch
Beckenenge, durch Tumoren, wie Myome des Uterus, eventuell alte starre
Exsudate. In diesen Fällen ist das Leben der Mutter nicht durch die
Schwangerschaft als solche bedroht, wie in den bisherigen Fällen. Die
Lebensgefahr für die Mutter liegt in der Geburt selbst. Es handelt sich
hier um so hochgradige Verengerungen des Beckens (conjugata vera unter 6 cm),
bei denen mit Sicherheit anzunehmen ist, dass ein reifes oder selbst früh-
reifes Kind nicht durch die enge Stelle hindurch gebracht werden kann.
Wir sind ferner berechtigt, bei engen Becken den künstlichen Abortus ein-
zuleiten, wenn die Mutter den am Ende ihrer Schwangerschaft zu füh-
renden Kaiserschnitt verwirft und im Interesse ihrer Selbsterhaltung den
Abortus vorzieht. Freilich wird durch die grosse Verbesserung der Technik
26 ACCÜUCHEMENT FORCE.
in der Ausführimg der Sectio caesarea ein räumliches Missverhältnis des Becken-
raumes nicht immer eine Indication zur Einleitung des künstlichen Abortus
geben. Neben absoluter Beckenenge können irrei)onible Tumoren ituierhalh des
Beckem, besonders die retrocervicalen Myome oder die doch ziemlich sel-
tenen Tumoren der Beckenknochen die Indication abgeben. Bei dem treff-
lichen Erfolg der Ovariotomie in der Schwangerschaft sind Ovarialtumoren
als Indication für dön künstlichen Abort zu streichen. Selten wird hoch-
gradiger Hj/dranm/os oder enormes Wachsthum des Uterus bei BJasenmole
den Anlass zum künstlichen Abort geben, da meistens in diesen Fällen die
Geburt spontan eintritt. Doch kann besonders durch Hydramnios eine so
abnorme Auftreibung des Leibes mit Hochstellung des Zwerchfelles entstehen,
dass die Einleitung des Abortus mdicatio vifali^ wird.
Was die Zeit anbelangt, so ist es natürlich, dass bei den durch un-
stillbares Erbrechen, Einklemmung des Uterus, Nieren-, Lungen-, Herzkrank-
heiten gegebenen Indicationen der Abortus erst dann eingeleitet werden muss,
sobald die Symptome eine gefahrdrohende Höhe erreicht haben. Bei ab-
soluter oder relativer Beckenverengerung wird, sobald die Mutter sich ent-
schieden hat, den Kaiserschnitt nicht zuzulassen, der Abortus am besten im
o. oder 4. Schwangerschaftsmonate gemacht.
Das Verfahren zur Erregung der künstlichen Frühgeburt soll den
Vorgang nachahmen, wie in der frühen Schwangerschaftszeit das Ei spontan
ausgestossen wird. Bei glatt verlaufenden Fällen von künstlichem Abortus
soll das Ei in toto ausgestossen werden. Die Aufgabe der Therapie ist
namentlich, den Gefahren des spontanen Zerfalles auszuweichen und zu ver-
hindern, dass sich der Abortus zu lange hinziehe. Was die sicherste Me-
thode zur Einleitung des künstlichen Abortus anbelangt, so wurden durch
folgendes Verfahren die raschesten Erfolge erzielt. Zuerst wird die Pati-
entin in die Siais'sche Seitenlage gebracht, ein Betractor perinei eingeführt,
die vordere Muttermundslippe mit einer BozEMAN'schen Hackenzange gefasst
und vorerst die Scheide entweder mit einer 5proc. Garbollösung oder mit
einer Voo Thymollösung sehr gut ausgespült. Nachträglich wird ein Cathe-
ter ä double courant in den Cervix eingeführt und so der Gervix mit einer
Desiufectionslösung gereinigt. Weiterhin werden HEGAß'sche Stifte in den
Cervix eingeführt, auf diese Weise derselbe dilatirt und die mit einem
zugespitzten Federkiel versehene Sonde in die Uterushöhle eingeführt und
die Eihäute eröffnet. Hierauf wird die Scheide mit Jodoformgaze fest
tamponirt. In den meisten Fällen, wo auf diese Weise der künstliche
Abortus vorgenommen wurde, tritt in den nächsten 24 Stunden Wehenthä-
tigkeit ein. Bei Beginn derselben wird die eingeführte Jodoformgaze ent-
fernt und der Abortus geht vor sich. Dieses Verfahren bietet den beson-
deren Vortheil, dass ein einmaliger Eingriff genügt, dass bei dem Gebrauche
der strengen Antisepsis keine Gefahr für das mütterliche Leben eintritt!
Von vielen Autoren wird zur Einleitung des künstlichen Abortus das Ein-
legen der elastischen Bougie in den Cervix empfohlen. Ich halte dieses
Verfahren gerade für die Privatpraxis für weniger vortheilhaft, nachdem
öfters ein häufigeres Einlegen der Bougie nothwendig werden kann und man
dabei immer Gefahr läuft, eine Infection hervorzurufen. eci. v. braun.
AcCOUChement force {(jen-aUsame Entbimlung). Die gewaltsame Ent-
bindung gilt heute nur noch in wenigen Fällen für allgemein zulässig: bei
plötzlichem Tod der Mutter, acutem Lungen-Oedem und drohender Herz-
paralyse. KiLiAN definirte die gewaltsame Entbindung als „eine
Eeihe aufeinander folgender geburtshilflicher Operationen, durch welche man
bei unlängst begonnener Geburt und noch wenig eröffnetem Muttermund
ACCOUCHEMENT FORCE. 27
eine vollständige Entfernung des gesammten Eies aus der Gebärmutter-
höhle beabsichtigt". ScMRr>i)KR versteht darunter „die bei gar nicht oder
wenig erweitertem Muttermunde durch Wendung und nachfolgende Extraction
vorgenommene gewaltsame Entbindung".
Indication. Die ()i»eration galt früher als angezeigt: bei lebens-
gefährlichen Blutungen durch Placenta praevia ; bei anderen lebens))edro-
henden Zuständen Schwangerer und Kreissender, wie P^clampsie; ferner
bei Lebensgefahr für das Kind.
Die schon erwähnte Anzeige dieses Eingriffs : plötzlicher Tod der
Mutter, gilt auch nur für den Fall, dass man hoffen kann, das Kind
schneller so, als durch den Kaiserschnitt zu Tage zu fördern. Man wird
also Fehling Recht geben, wenn er bei noch nicht markstückgrossem
Muttermunde und bei engem Becken den Kaiserschnitt vorzieht.
Bis in die neuere Zeit galt die Operation noch bei lebensgefährlichen
Blutungen durch Placenta praevia für angezeigt. Wir besitzen aber jetzt
eine viel ungefährlichere und erfolgreichere Art der Behandlung, das von
Martin und Hofmeier empfohlene Verfahren : frühzeitige combinirte Wen-
dung nach Braxton-Hicks, vor- oder nachheriges Sprengen der Eiblase,
Herabholen eines Fusses und langsames Durchziehen des Kindes durch den
Cervix nach Massgabe der sich vollziehenden Eröffnung des letzteren. Die
gewaltsame Entbindung ist dadurch vollständig entbehrlich geworden, und
nur ein Teil dieser Operation (die künstliche Erweiterung des Cervix bis
zum Durchbringen einiger Finger und Herabholen eines kindlichen Fusses)
vsdrd noch ausgeübt.
Bei Eclampsie gilt sie heute nicht nur für entbehrlich, sondern
vielmehr geradezu für gefährlich; sie bringt der ohnedies schwer kranken
Mutter und dem bedrohten Kinde zu den vorhandenen Gefahren nur noch
neue. Die jetzt übliche Behandlung ist für Mutter und Kind erfolgreicher:
Anregung der Schweiss-Absonderung durch 30« R. warme Bäder, Einwicklung
in feuchte Leintücher; während des Anfalles Einathmung von Chloroform;
in der Zwischenzeit grosse Morphium-Gaben innerlich, als Klysma oder
subcutan, und zwar bis zu 0-2 täglich (nach G. Veit) ; oder endlich Chloral-
hydrat innerlich.
Bei plötzlichem L u n g e n - 0 e d e m und drohender H e r z - P a r a 1 y s e.
welche überdies selten Veranlassung zur Operation geben, wird der Eingriff"
auch nur dann nützen, wenn der Muttermund für eine rasche Entbindung
weit und nachgiebig genug ist ; dann handelt es sich aber nicht mehr um
gewaltsame Entbindung im engeren Sinne.
Vorbedingung der Operation ist es, dass der Cervix schon aufge-
lockert und etwas eröffnet ist, dass also der zweite Geburtsabschnitt schon
begonnen hat.
Ausführung. Winckel bezeichnet als gewaltsame Entbindung nur 3
Operationen: manuelle oder blutige Erweiterung des Cervicalcanals und
combinirte Wendung mit sofortiger Extraction des Kindes. Die künst-
liche Erweiterung des Cervix wird in diesem Falle nicht durch Quell-
mittel zu versuchen sein, da diese zu langsam wirken, sondern
a) mit den Fingern: man führt erst einen, dann 2, dann 3, 4 Finger ein
und schiebt die ganze Hand drehend langsam hinein, während die andere Hand
von aussen den Fundus uteri fixirt; Martin hält bei Placenta praevia diese
Methode auch dann für ausführbar, wenn der Cervix noch gar nicht erwei-
tert ist, da hier Cervix und unteres Segment ohnedies stark aufgelockert
sind. Da aber die sofortige Extraction des Kindes hier nicht angeschlossen
wird, handelt es sich auch nicht um „gewaltsame Entbindung", sondern nur
um die erste Hälfte dieses Einorifts, nämlich um Erweiterung des Cervix ;
28 ADNEXENTUMOR.
h) (liiroh radiäre Inrisloneti, am besten mittelst einer Scheere mit
stumpfen Enden. Ein Weiterreissen der Schnitte erfolgt dabei selten und
gewöhnlich nicht in gefährlicher Weise. Nach der Entbindung ist Ver-
einigung der Wundflächen durch die Naht wünschenswert, aber nicht un-
bedingt erforderlich, ja in der Land- und Armen-Praxis auch technisch
kaum ausführbar, da die hiezu nöthige Assistenz fehlt.
(■) durch lierahgeJioUe kleine Theile des Kindes (fast stets zuerst ein
Fuss). Aber der betreffende Kindestheil Avird dabei hauptsächlich zur Tam-
ponade und nur in ganz geringem Masse zur Erweiterung des Cervix be-
nützt; man soll vielncehr nur so stark und so oft am herabgeholten Kindes-
theile ziehen, dass er gerade den Cervix ausfüllt. Eine Uebereilung, also
eine wirkliche rasche und künstliche Erweiterung desselben würde für Mut-
ter und Kind nur gefährlich sein.
Peinliche Ausübung der subjectiven und objectiven Anti- und Asepsis
ist bei allen 3 Methoden natürlich Pflicht (vide : „Antisepsis in der Ge-
hurfshilfy). gustav kleix.
Adnexentumor. wir verstehen darunter die durch chronisch ent-
zündliche Atfectionen entstandenen Geschwulstformen der U t e r u s a n h ä n g e.
Die Grösse, Form und Lagerung derselben hängt ab von der Art der Ent-
stehung, von dem Grade der Erkrankung, von der Mitbetheiligung der um-
gebenden Orgaue u. s. w. Was zunächst die Entstehung dieser Tumoren
anbelangt, so spielt dabei die Infection wohl die wichtigste Rolle, und
zwar kann diese Infection entweder durch gonorrhoisches Secret oder
durch septisches Virus veranlasst sein. Dieses septische Virus kann
nun entweder beim nicht schwangeren Uterus durch Manipulationen mit
unreinen Instrumenten, als Sonden, Katheter etc. und eventuelle Ueberwan-
deruug, oder aber während der Geburt oder im Puerperium durch Infection von
aussen eingedrungen sein. Beiweitem am häufigsten kommt als ätiologisches
Moment die jmerperale und die gonorrhoische Infection zur Beobachtung.
Was zunächst die durch gonorrhoische Infection bedingten Ver-
änderungen der Adnexe anbelangt, so ist es eine bekannte Thatsache, dass
die latente chronische Gonorrhoe des Weibes, den Schleimhauttract des Cer-
vicalcanals und der Uterushöhle befällt und von da aus auf dem Wege des
Schleimhautzuges der Tube diese selbst, die Ovarien und das Beckenbauch-
fell in Mitleidenschaft zieht, während die acute Form sich in der Piegel in
der Urethra, am äusseren Genitale und in der Scheide abspielt. In leich-
teren Graden der Erkrankung kommt es dann einfach zur cafarrhali sehen
Salpingitis mit leichter Schwellung der Schleimhaut und der Wandung, so
dass die Tube bei der bimanuellen Untersuchung sich wohl als verdickt
und geschlängelt erweist, ohne dass man dabei vom Vorhandensein eines
Adnexentumors sprechen kann. Erst wenn es durch Mitbetheiligung des
Peritonealüberzuges und durch entzündliche Verlöthung des abdominellen
Endes der Tuben zur Ansammlung von Secreten verschiedener Art in den
Tuben gekommen, wenn infolge der pelveoperitonitischen Atfection die Tube
und das mitbetheiligte Ovarium mit einander durch Pseudomembranen ver-
wachsen, durch neugebildete entzündliche Adhäsionen verlagert und an die
Umgebung fixirt einen schier unentwirrbaren Knäuel darstellen, aus wel-
chem erst nach der Exstirpation die einzelnen Organe sich difterenziren
lassen, kann man von einem Tumor der Adnexe im wahren Sinne des Wor-
tes sprechen. Dabei muss nicht nothwendigerweise die Tube einen weiten
Sack darstellen. Oft genug kommt es unter dem Einfluss der Infection
vornehmlich zu einer entzündlichen Erkrankung der Wandelemente der
Tube. Die Tube wird zu Fingerdicke verändert durch pseudomembranöse
ADNEXENTUMOR 20
Autia^erungen, durch entzündliclie Infiltration ilirer starren Wände, oiine
dass ihr Lumen in einem Verhältnis zur Grösse des Tumors steht. In
anderen Fällen kommt es zu Geschwulsthildung dadurcli, dass die sonst
ziemlich gestreckt verlaufende Tube in ihrem Verlauf an irgend einer Stelle
geknickt oder auch aufgerollt erscheint, blos am abdominalen Ende, in
anderen Fällen wieder am uterinen Ende kolbig aufgetrieben, im weiteren
Verlaufe das Ovarium umkreist, blos an einzelnen Stellen eine namhafte
Erweiterung und A'erdickung erfährt und dadurch zur Geschwulstl)ildung
Veranlassung gibt. Dabei kann ein solcher Tumor von Nussgrösse bis weit
über Mannsfaustgrösse erreichen. Die Consistenz des Tumors kann eme
verschiedene sein je nach der Dicke der Wandung und je nach seiner Zu-
sammensetzung ; in einzelnen Fällen derb, hart, wenn hauptsächlich die
stark intiltrirten Gewebsmassen den Tumor darstellen, finden wir häufig
die ausgeprägteste Fluctuation, wenn der Tumor durch grosse Flüssigkeits-
ansammlung in seiner Wandung verdünnt ist. Aber auch bei solchen Flüs-
sigkeitsansammlungen, insbesondere wenn es sich um alten Eiter handelt,
kann mitunter die Hypertrophie der Sackwandung eine so hochgradige wer-
den, dass sich Fluctuation nicht nachweisen lässt. Hatten wir oben erwähnt,
dass in sehr vielen Fällen ein Adnexentumor vorhanden sein kann, ohne
dass es sich speciell um Ansammlung von Flüssigkeit handelt, so kommt
es andererseits oft zur Ausbildung von wahren Sckken in den Tuben oder
Ahscessen in den Ovarien. Den Inhalt dieser Säcke bildet dann das nor-
male, aber gestaute Secret der Tube {Hi/drosalima'), welches die am ab-
dominalen Ende verschlossene Tube zu einem grossen Sack umgestalten
kann. Durch eine eigenthümliche, auf entzündlicher Grundlage entstehende
Communication, wobei die Fimbrienenden in das Innere eines cystischen
Ovarfollikels hineingeschlagen erscheinen, kommen cystische Säcke zustande,
deren Wandung von der clirect in das Ovarium übergehenden Tube und
dem Ovarium gebildet wird (Tuho-Oüarialci/ste). Oder es kommt zur An-
sammlung von Blut in die weit dilatirte. am Fimbrienende verschlossene
Tube (Haematosalpina). Am häufigsten sind jedoch derartige Tubensäcke
erfüllt von bald mehr dünnflüssigem, bald mehr eingedicktem, bröckligem
Eiter, in dem sich mitunter nekrotische Fetzen, von der Abscesswand her-
stammend, vorfinden. Wir sprechen dann von einem Pi/osalpinx. In gleicher
Weise kommt es auch am Ovarium zu Veränderungen infolge der chronisch
entzündlichen Erkrankung. Betrifft diese Erkrankung zunächst die Albuginea
des Ovariums, so ist in Folge der Verdickung der Membran das Platzen der
gereiften GiiAAF'schen Follikel wesentlich erschwert. Wir sehen am Durch-
schnitt eines solchen mit dicker Wandung versehenen Ovariums das ganze
Stroma durchsetzt von einer Unzahl kleiner cystisch degenerirter Follikel,
welche das bindgewebige Stroma mitunter vollständig verdrängen (klein-
ctjstische Degeneration des Ovariums). In anderen Fällen kommt es zur grös-
seren cystischen Erweiterung einzelner Follikel, welche mitunter auch mit
Blut oder wenigstens mit haemorrhagisch-seröser Flüssigkeit erfüllt sind.
Dabei finden wir manchmal das Ovarium auf das Zwei- und Dreifache ver-
grössert, in derbe Pseudomembranen eingelagert und oft genug in seinem
Stroma bis nussgrosse Abscesshöhlen mit dicker Wandung, erfüllt von coc-
cenhaltigem Eiter. Auf gonorrhoischer Grundlage ruhend, kommen der-
artige Adnexentumoren in der Regel auf beiden Seiten vor. selten ohne
Mitbetheiligung des Beckenbauchfells, so dass Lage Veränderungen
und Fixationen des Uterus sowie Adhäsionen der Därme, Verlage-
rungen des Blasenscheitels etc. zu den gewöhnlichen Erscheinungen gehören.
Im Secrete der- Tuben sowie im Eiter der Ovarialabscesse gelingt es oft
genug, wenn auch nicht immer, Gonococcen nachzuweisen, sowie auch in
30 ADNEXENTUMOR.
der Tubeiiwaiidung selbst zuerst von Wertheim, dann von Anderen Gono-
coccen nachgewiesen wurden.
In der grössten Anzahl der Fälle von auf gonorrhoischer Grundlage entstandenen
Adnexentumoren mit Eiterbildung kann man nicht blos durch die mikroskopische Unter-
suchung, sondern auch durch Reinzuclit nachweisen, dass blos Gonococcen vorhanden
sind, und die Fälle,- in welchen neben Gonococcen Staphylo- und Streptococcen gefunden
werden können, demgemäss nicht zur Regel gehören, und somit jene Lehre hinfällig ist,
welche annimmt, dass derartige Adnexentumoren nicht durch gonorrhoische In-
fection allein, sondern nur durch Mischinfection zu Stande kommen können.
Auf septischer Grundlage entwickeln sich derartige Tumoren in
der Regel blos einseitig. Hierbei kommt es zu stärkerer Tumorenbildung
als bei gonorrhoisch erkrankten Adnexen. Es stellt die Tube dann in der
Regel einen dickwandigen, in seiner Structur veränderten Sack dar, welcher von
dünnflüssigem oder auch bröckeligem Eiter erfüllt ist, in welchem sich
Staphylococcen und Streptococcen nachweisen lassen. Aber ebenso wie bei
durch Gonorrhoe entstandenen Adnexentumoren ist man auch in diesen Fäl-
len öfters nicht im Stande, aus dem scheinbar sterilen Eiter irgend welche
Coccenzuchten anzufertigen.
Die anatomische Lagerung solcher Adnexentumoren ist nun eine ziemlich ty-
pische. Zu beiden Seiten des Uterus in der Regel sich entwickelnd, linden wir sie bei
Zunahme der Grösse längs der Kanten des Uterus demselben innig angelagert, bis an die
seitliche Beckenwand reichend und in ausserordentlich zahlreichen Fällen nacli hinten zu
ziehend, der hinteren Wand des Uterus anliegend, mit dieser und dem Peritoneum des
Douglas'schen Raumes innig verwachsen. Oft sind die beiderseitigen Adnexentumoren
so symmetrisch gelagert, dass man rechts und links bis in den Douglas nach hinten zie-
hende, den Uterus hufeisenförmig umkreisende Tumoren constatiren kann, welche rück-
wärts in der Medianlinie eine Furche zwischen sich entstehen lassen, durch welche das
Rectum herabzieht. Grössere Tumoren überragen in der Regel den Beckeneingang, die
Beekenbucht dabei ausfüllend. In seltenen Fällen findet man die veränderten Adnexen
vor dem Uterus gelagert. Durch feste Verwachsungen mit dem Netze und mit verschie-
denen Darmschlingen kann die Grösse des Adnexentumors scheinbar auf das Doppelte
seines eigenen Volums heranwachsen. Derartige zu Tumoren verbackene Netz- und Darm-
partien, die dann in der Plica vesico-uterina liegen, kommen insbesonders vor bei durch
Tuberctdose der Tuben und des BecJcenbauchfells entstandenen entzündlichen Affectionen.
Ganz typisch ist in der Regel die Lagerung der Adnexentumoren im Verhältnis zum liga-
mentum latum. Gewöhnlich erscheinen die Adnexe derartig verlagert, dass ihre normal
hintere und untere Fläche nach vorne gerichtet ist und dann, mit dem rückwärtigen Blatte
des ligamentum latum verwachsend, einen interligamentären Sitz des Tumors vortäuscht,
wie wenn der Tumor sich zwischen den beiden Platten des ligamentum latum, also pa-
rametran entwickelt hätte. Das ist wohl" auch der Grund, warum in früherer Zeit der-
artige Tumoren so häufig mit parametritischen Exsudaten verwechselt wurden, welche,
wie begreiflich, jeder Therapie trotzten und die Kranken langjährigem Siechthura ausätz-
ten. Aber gerade für die zweckmässige Behandlung der Tumoren bei vorzunehmenden
Operationen ist es noth wendig, diese anatomischen Thatsachen festzuhalten. Von der
üeberzeugung einer derartigen Anordnung durchdrungen, wird man nicht in den Fehler
verfallen, einen solchen Tumor als einen interligamentär entwickelten aufzufassen, und,
von diesem Irrthum befangen, das Ligament spalten, um den Tumor auszulösen. Man
kommt dabei leicht an die grossen uterinen und retroperitonealen Gefässe sowie an den
Ureter, eröffnet das Beckenbindegewebe in weitem Umfang, ohne dass es gelingt, in eine
Schichte zu gerathen, in welcher die Auslösung des Tumors in ähnlicher Weise erfolgen
könnte, wie bei wirklich interligamentär entwickelten Tumoren.
Was nun die Symptome a n 1 a n g t, welche derartige Adnexentumoren
bieten, so sind es zunächst Erscheinungen der Perimetritis, resp. Pelveo-
peritonitis, die in der Regel die hervorstechendsten sind : heftige Schmerzen
in der Unterbauchgegend, im Kreuz, die gegen den Rücken und die Ex-
tremitäten ausstrahlen, die Patientin oft genug arbeitsunfähig machen oder
ihr wenigstens den Lebensgenuss verbittern und zur Zeit der Menstruation
sich bis ins Unerträgliche steigern. Die Menstruation wird dabei unregel-
mässig, profus, alle 3 Wochen wiederkehrend, 8 — 10 Tage dauernd, so
dass nur ein kurzes Intervall zwischen zwei aufeinanderfolgenden Epochen
schweren Leidens zur Beobachtung gelaugt. Doch auch diese Intervalle
sind nicht schmerzfrei und werden oft genug getrübt durch atypische, die
ADNEXENTUMOR. 31
Patientin scliwer schädigende Blutungen aus dem Uterus. Die Obstipation
ist häufig eine anhaltende, die Stuhlabsetzung mit Schmerzen verbunden,
ebenso wie die Harnentleerung. Die Ausübung des (Joitus erscheint nahezu
unmöglich gemacht durch die ausserordentliche ICmpfindlichkeit der ganzen
Unterbauchgegend. Dabei kommt es oft zu exquisiten peritonitischen p]r-
scheinungen, wie Meteorismus, P]rbrechen, acuter Schmerzhaftigkeit, Fieber.
Bei entsprechender Therapie gehen die acuten Erscheinungen für einige Zeit
zurück, um allmälig wieder den alten Beschwerden Platz zu machen, bis
ein neuer Nachschub die Patientin aufs Neue ans Bett fesselt.
Bei der Untersuchung finden wir in solchen Fällen, wo gonor-
rhoische Infection das ätiologische Moment abgegeben, fast stets eine
örethralhlenorrhoe. Wir fühlen des ferneren zu beiden Seiten des
Uterus verschieden grosse Tumoren, in welche wir ganz deutlich die
am Uterushorn verdickten, nach aussen allmählich anschwellenden Tuben
übergehen finden. Allerdings ist es mitunter, insbesondere, wenn es sich
um die Feststellung der Nothwendigkeit eines operativen Eingriffes handelt,
unbedingt geboten, die Untersuchung in der Narcose zur Feststellung des
Befundes vorzunehmen, da mitunter die Spannung der Bauchdecken und
die Schmerzhaftigkeit der Umgebung eine genauere Untersuchung unmöglich
macht. In ähnlicher Weise gelagert, kommen manchmal durch Extrauterin-
sclumng er schaß veränderte Adnexa vor.
Entsprechend dem, dass die Extrauteringravidität so häufig bedingt
ist durch vorhergegangene chronisch entzündliche Affectionen, ohne dass
es zur vollkommenen Functionsuntüchtigkeit der Adnexe gekommen, ist es
klar, dass in solchen Fällen, insbesondere bei frühzeitig erkannter Extrau-
terinschwangerschaft die anatomischen Verhältnisse des Tumors sich nur
bei sorgfältigster Untersuchung differentiell von denen rein chronisch ent-
zündlicher Adnexentumoren unterscheiden lassen. Sehr häufig, wenn eine
frischere Eiterung, Resorption des Eiters vorhanden ist, kommt es bei den
Patientinnen zu abendlichen Temperatursteigerungen bis zu 39'^ und
darüber, sowohl dann, wenn die Eiterung nur durch gonorrhoisches Virus
wie auch dann, wenn sie durch Staphylo-, resp. Streptococcen oder Misch-
infection zustande gekommen. Erwähnen müssen wir noch, wie häufig die
Sterilität im Gefolge derartiger Adnexentumoren vorkommt, bedingt sowohl
durch die Functionsuntüchtigkeit der veränderten Organe wie durch die
Erkrankung des Schleimhauttractes des Genitales. Wenn trotzdem eine
Conception zu Stande kommt, so ist Disposition zum Abortus bei normaler
Schwangerschaft oder zur Entstehung einer Extrauteringraoidität gegeben.
Kommt es zu einer normalen Schwangerschaft mit Austragung der Frucht,
so können sich an das Puerperium schwere puerperale Erkrankungen an-
schliessen.
Aus dem Vorhergesagten geht hervor, dass man bei Klagen über Sterilität der
Ehe sich natürlich zunächst von der Functionstüchtigkeit des Sperma virile überzeugen muss,
eheman der Frau die Schuld des Uebels beimisst. Aber auch dann noch haben wir kein
Recht, ohneweiters durch operative Eingriffe, welche eine Erweiterung des Gervicalcanals
bedingen und in früherer Zeit so häufig vorgenommen wurden, in der Voraussetzung, dass
stets mechanische Hindernisse, wie Anteflexio uteri und Stenosirung des Orificium die
Ursache der Sterilität abgäben, eine Beseitigung der Conceptionshindernisse herbeiführen
zu wollen, wenn wir nicht uns vorher überzeugt haben, ob nicht Erkrankungen der Uterus-
schleimhaut und der Adnexa gonorrhoischen Ursprungs als die wahre Ursache der Steri-
lität aufzufassen sind. Dadurch wird manche junge Frau von dem unnöthigen und in
solchen Fällen mitunter nicht ganz ungefährlichen Eingriffe und einer neuerlichen Täu-
schung ihrer Hoffnungen bewahrt bleiben.
Was den Ausgang der Erkrankung anbetrifft, so kommt es in sel-
teneren günstigen Fällen bei Abscessbildung zum Durchhnich des Eiters
gegen den Cervix, die Scheide, den Darm oder die Blase, manchmal jedoch zur
32 ADNEXENTUMOR.
Perforation in das Peritoneum mit nachfolgendem raschen Exitus letalis.
In vielen anderen Fallen kommt es in Folge der durch die andauernde
Eiterresorption sich entwickelnden schleichenden Fi/aemie sowie durch die.
in Folge der schwächenden andauernden Blutungen sich entwickelnde
Anaeinie zu einer allgemeinen Cachexie, welche zum Ende führt.
Was nun die Behandlung anbelangt, so können wir zwei Methoden
unterscheiden: Die, welche auf eine radicale Heilung abzielt, und jene,
welche sich mit einer palliativen Besserung der lästigen Symptome
begnügt.
Die radicale Heilung kann nur bestehen in der Entfernung jener
Factoren, welche die sich stets erneuernden Recidiven verursachen ; wäh-
rend wir gleichzeitig durch desinficirende Ausspülungen der Scheide und
des Cervicalcauals dafür Sorge tragen, dass die localen Affectionen wo-
möglich beseitigt Averden, kann bei gonorrhoischen Adnexentumoren, bei
welchen mit Wahrscheinlichkeit eitriger Inhalt in den Tuben oder eventuell
in den Ovarien vermuthet werden kann, oder bei Hydrosalpinx und Hae-
matosalpinx die Heilung blos in der vollständigen Entfernung der erkrankten
Adnexa gesehen werden. Es ist klar, dass man sich nicht ohne weiters
zu dem EingriiEfe, der doch nur j9er laparatomiam ausgeführt w^erderi
kann, entschliessen wird, sondern erst bis man zur Ueberzeugung ge-
kommen ist, dass auf eine andere Weise eine Heilung oder wenigstens eine
dauernde Besserung nicht zu erzielen ist. Man wird daher in vielen Fällen
die weiter unten beschriebenen Methoden der palliativen Behandlung vor-
ausschicken müssen und nur in jenen Fällen, wo mit Sicherheit angenommen
Averden kann, dass Eiter vorhanden ist, und nur da, wo das Leiden voll-
ständige Arbeitsunfähigkeit und Unmöglichkeit des Lebensgenusses und der
Erfüllung der ehelichen Pflichten verursacht, oder bei Unmöglichkeit, die
andauernden Blutungen auf andere Weise zu stillen, sich zur operativen
Entfernung der Adnexa entschliessen, das allerdings umso eher, je mehr
wir uns von der bereits eingetretenen Function sunt üchtigkeit der
erwähnten Organe Ueberzeugung verschafft haben. Handelt es sich um
Adnexentumoren, bei welchen ein Pyosalpinx auf Grundlage einer puer-
peralen Infection mehr als wahrscheinlich ist, so ist die Indication der Ei-
terentleerung eine dringende. Diese Entleerung kann nun versucht werden
durch I n c i s i 0 n von der Scheide aus mit Einnähung der Sackränder an
die Scheidenwunde und Drainage des Eitersackes oder durch die Lapa-
rotomie. Kann man dabei die Wahrscheinlichkeit septischer Infection
der Bauchhöhle durch einen eventuell ausfliessenden, an Staphylo- oder
Streptococcen reichen Eiter nicht verhüten, so wäre eine zweizeitige Operation in
der W^eise geboten, dass man nach gemachtem Bauchschnitte das Bauchfell
an die Sackwand annäht und erst nach einigen Tagen, wenn man annehmen
kann, dass die Yerlöthung des Bauchfells bereits zu Stande gekommen, den
Sack an seiner freiliegenden Wand eröffnet, den Eiter abfliessen lässt und
den Sack nach aussen drainirt. In Fällen von kleinen Tumoren, bei welchen
die nähere Inspection nach gemachter Laparotomie ergibt, dass ihre Ent-
fernung möglich ist, ohne dass die Gefahr des Austrittes von Eiter in die
Bauchhöhle eine eminente ist, wird die vollständige Entfernung des Tumors
in gleicher Weise versucht werden wie bei den Adnexentumoren auf gonor-
rhoischer Grundlage.
Die T e c h n i k d e r A d n e X e n 0 p e r a t i 0 n ist, wioAvohl eine junge, doch
schon eine ziemlich ausgebildete; insbesonders die Anwendung der Beckeu-
hochlagerung ist bei der Ausführung der Adnexenoperation von grossem
Yortheile für die Erleichterung und Exactheit der Operation. Nachdem mau
in Narcose bei massig hochgelagertem Becken die Bauchdecken gespaltet
ADNEXKNTUMOR. 33
hat, sieht man sofort, ob Därme an den iieckenorganen stärker adliärent
sind oder niclit, da schon bei der Laj^ernng der Patientin die Därme von
vornherein das llestreben haben, gegen die Ilöbluiig des Zwercbfells zu
sinken, in dem Momente aber, wo das IJauchfVdl eröffnet wird, in der Ite-
gel aber vollständig von der Gegend des Beckens heruntergleiten und wäh-
rend der ganzen Operation nicht in den Pjereich des Ojterationsfeldes
gelangen. Sind Adhäsionen vorhanden, so bleil)t an diesen Stellen natürlich
das Netz, resp. der Darm im Kereich des I>eckeneingangs. die Adhäsionen
sind uns aber so deutlich zugänglich gemacht, dass wir sie leicht und ohne
Gefahr für den Darm unter der Controle des Auges mit den Fingern
stumpf lösen können; jede eventuell entstehende Verletzung der Serosa
wird sofort sichtbar, und kann der Defect durch exacte Vernähung be-
seitigt werden. Sind die Adhäsionen gelöst, so gelangt der Uterus und
die Adnexe in Sicht. Die Grösse, Form und Lage des Uterus werden
sofort kenntlich, ebenso die Art der Lagerung der Adnexa und ihre Fixa-
tion an die Umgebung, und man kann in zielbewusster Weise an die typische.
Lösung der Adnexa und ihre Abtrennung in folgender Weise gehen. Indem
man zunächst die stumpfe Ablösung des unteren Tubenendes von seiner
Fixation an der hinteren Uteruswandung oder am Douglas und an Darm-
schlingen besorgt, geht man mit der flachen Hand an der Rückfläche des
Tumors hinan, so dass man, die Fingerspitzen nach vorn gerichtet, die
untere Kuppe des Tumors erreicht und nun mit den Fingerspitzen zwischen
den Tumor und das hintere Blatt des Ligaments, dort, wo die beiden
Flächen in der Regel innig miteinander verwachsen sind, hinanstrebt und
auf diese Weise das ganze Ligament mit den Adnexen zu entrollen ver-
sucht, was gewöhnlich vollständig leicht geschieht. Dadurch werden die
Adnexa und das Ligament in ihre normale anatomische Lage gebracht, das
Peritoneum in der Regel intact erhalten und ein breiter Stiel zur exacten
Abbindung geschaffen, Mittels einer armirten DESCHAMP'schen Nadel wird
nun das Ligament vom uterinen Ende der Tube angefangen bis zum liga-
mentum infundibulo-pelvicum durch eine fortlaufende Seidenligatur in
3 Partien unterbunden, hierauf die Adnexa mit der Scheere abgetragen,
etwa am Stumpfe sichtbare grössere Gefässlumina isolirt gefasst und ligirt.
Ist derselbe Vorgang auch auf der anderen Seite in gleicher W^eise voll-
zogen, so befindet sich in der Regel der Uterus in Mittelstellung, zu beiden
Seiten die Stümpfe der abgetragenen Adnexa. Besteht dabei eine Tendenz
zu weiteren Lageveränderungen des Uterus, so wird der Uteruskörper an
die vordere Bauchwand durch Seidensuturen fixirt. Nun kann man den
ganzen Douc4LAs'schen Raum, der früher durch die Tumoren und die Ad-
häsionen unzugänglich war, übersehen. Man sieht eventuelle Blutpunkte,
kann die Blutung durch Umstechung, wenn nöthig, zum Stillstand bringen,
kurzum, die Operation ist bei Anwendung der Beckenhochlagerung eine so
leichte und exacte, dass man sich wohl wundern muss. dass sich diese
Errungenschaft der modernen Chirurgie nicht noch mehr eingebürgert hat,
als es derzeit der Fall ist. Nun wird die Bauchdecke in typischer Weise
geschlossen, der Verband angelegt; die Fäden werden am 8. Tage ent-
fernt, am 14. Tage kann die Patientin das Bett in der Regel geheilt ver-
lassen. Allerdings kommt es, insbesondere wenn von Seiten der Uterus-
schleimhaut neue gonorrhoische Infectionsstotfe zum Tubenende gelangen,
hie und da zur Bildung leichter Sfumpfe.rsxdaJe. doch machen diese, in ent-
sprechender Weise behandelt, keine Beschwerden. In den Fällen, wo die
Erkrankung sich auf den zum Theil in der l'terussubstanz befindlichen
Isthmus der Tube erstreckt, ist ausser der eben beschriebenen Abbindung
und Abtragung der Adnexa noch die keilförmige Excision des uterinen
Bibl. med. Wissenschaften. 1. Geburtshilfe und Gynäkologie. 3
34 ANTISEPSIS IN DER GEBURTSHILFE.
Endes der Tube aus dem I^terushoni erforderlich, worauf eine exaete Naht
der Musiuhvris uteri die Wundflächen zur Vereinigung bringt.
In den Fällen, wo wir die Operation nicht als dringend indicirt
erachten, oder in denen die Operation verweigert wird oder wir selbst,
um zu einer sicheren Indicationsstellung zu gelangen, versuchen, auf nicht
operativem Wege eine Besserung zu erzielen, sind die folgenden Wege
einzuschlagen, wobei wir uns jedoch vor Augen halten müssen, dass diese
Therapie nur die Behebung einiger Krankheitserscheinungen, nicht aber
die Heilung zur Folge haben kann, in Fällen jedoch, wo es sich um Eite-
rungen handelt, nicht blos keine Besserung bringt, sondern oft sogar neue
Nachschübe und Verschlimmerungen herbeiführen kann. In jenen Fällen
von Adnexenschwellungen, in welchen keine besondere Fonnveränderung
der Tuben und der Ovarien vorhanden ist, in denen es sich vielmehr um
perimetrische Verlagerungen und Verwachsungen handelt, in der Regel
gleichzeitig einhergehend mit Verlagerungen des Uterus, kann die Massage,
wie sie Thure Bkandt eingeführt hat, ganz Ausgezeichnetes leisten, und
verweisen wir auf den diesbezüglichen Artikel. Wirksam unterstützt wird
diese Massagecur durch lauwarme Vaginaldouchen, lauwarme Sitzbäder mit
einer Temperatur von 28"^ Reaumur, wobei Zusätze von Moorextract, Dar-
kauer Jodsalz, Mutterlaugensalz, Soole etc. die Wirkung des Bades wesent-
lich erhöhen. Handelt es sich um vermögende Patienten, so kann eine
Bade cur (Franzensbad, Elster, Pyrawath etc.) eine ganz bedeutende
Besserung herbeiführen. In allen Fällen ist jedoch die Ruhigstellung
des Genitales von grossem Werth. Entzündliche schmerzhafte Schwel-
lungen werden wirksam durch Einlagen von in öproc. Ichthijok/bjcerinlösimg
getauchten Tampons beseitigt. Sind Blutungen das hervorstechendste Symp-
tom und kann sich die Patientin zu einem operativen Eingriff nicht ent-
schliessen oder halten wir ihn nicht für dringend geboten, so versuchen
wir durch Hi/dmstis canadensis (3mal täglich je 20 Tropfen) oder durch
Ergoün eine Besserung zu erzielen. Das Ergotin wird in folgender Weise
verordnet: Bp. Ergotin. ö'O, Aqu. destill. 3'yO, GUjcerin. pur. 10-0, Äcid.
saUcglic. 0-1. Seine Anwendung geschieht wie folgt: Ein Kaffeelöffel des
genannten Mittels wird mit zwei Esslöffeln warmen Wassers in eine kleine
Ballonspritze mit Afteransatz gefüllt und nun der Inhalt des Ballons in den
Mastdarm gespritzt. Diese Einspritzung soll nur während der Dauer der
Blutung, und zwar je einmal im Tage gemacht werden. Zu beobachten ist
dabei, dass diese Ergotinklysmen nur nach vorhergehender Entleerung des
Darmes einen Nutzen haben können, da sie sonst zum Stuhlgang reizen
und mit den Faeces sofort abgehen, anstatt der Resorption zugeführt zu
werden. Des Ferneren trachten wir, durch Irrigationen täglich normalen
Stuhlgang herbeizuführen, weil einerseits bei derartigen chronisch entzünd-
lichen Erkrankungen in der Regel Obstipation besteht, und andererseits
jeder schwerere Stuhlgang mit einer Steigerung der Schmerzen verbunden ist.
K. A. HERZFELD.
Antisepsis in der Geburtshilfe.
Referent: Doc. Dr. K. A. Herzfeld (Wien).
Correferent: Doc. Dr. Gustav Klein (München).
Referat ; Die erschreckende Mortalität, die vor wenigen Jahrzehnten
noch sowohl in den öffentlichen Gebärhäusern wie in der Privatpraxis während
des Wochenbettes zur Beobachtung kam, hat in ganz ausserordentlicher
Weise abgenommen, seitdem wir aus den Lehren Philipp Ignaz Semmel-
weis' die richtigen Schlüsse gezogen und die Prineipien- der Antiseptik
und Aseptik auch in der Geburtshilfe zur vollen Geltung gebracht haben.
Es ist ein imponirender Erfolg, wenn man bedenkt, dass noch zur Zeit
ANTISEPSIS IN DER GEBURTSHILFE. Z!)
Semmelvvkis' in öffentlichen («ebiliiiiiusern von 100 Wöchnerinnen 6 bis 10
zu Grunde gingen, wahrend derzeit die Mortalität auf höchstens 3 von 1000
gefallen ist, ja an einzelnen Anstalten noch viel bessere Hesultate erzielt
werden konnten. Doch nicht das Mortalitätspercent allein ist es, das so
sehr gesunken ist, denn die Todesfälle an Wochenbetttieb(!r koirunen nicht
deshalb seltener zur Jieobachtung, weil wir gelernt haben, die Wochenbett-
erkrankungen besser oder anders zu l)chandeln, als es unsere Vorfahren
verstanden, sondern deshalb, weil wir gelernt haben, die Ursachen der
Wochenbetterkrankungen zu erkennen und dadurch die Mittel kennen zu
lernen, um die Erkrankungen zu verhüten. Und die Folge dessen ist, dass
auch die iMoroiditätsstatlstik eine wesentlich bessere geworden, wenn anders
wir auch bedenken müssen, dass Statistiken aus vorantiseptischer Zeit und
der Jetztzeit über dieses Thema nicht als gleichwerthig miteinander ver-
glichen werden dürfen, indem wir derzeit gar viele Erscheinungen während
des Wochenbettes als krankhaft und speciell als durch Infection verursacht
ansehen, die früher als normaler Weise zum AVochenbett gehörig dement-
sprechend in die Morbiditätsstatistik gar nicht aufgenommen wurden.
Es war in den 40er Jahren, als Semmelwp:i.s, der damals Assistent
an Klein's ärztlicher Klinik für Geburtshilfe in Wien wirkte, mit seinen
Lehren auftrat, die dahin lauteten, dass das Wochenbettfieber eine Wund-
krankheit sei, die entstehe durch Einbringung von zersetzten thierischen
Stoffen in das Innere des weiblichen (Jeburtscanals, und dass es auch Fälle
gebe, wo das Kindbettfieber nicht durch Infection von aussen, sondern
durch Resorption von im Innern des mütterlichen Organismus erzeugten
fauligen und zersetzten organischen Bestandtheilen hervorgerufen werde.
Er selbst spricht demgemäss von der Infection von aussen und der
sog. Selbstinf e ction. Den Geburtshelfern der damaligen Zeit -war es
nicht recht, zu hören, dass sie selbst Schuld trügen an den schlechten
Verhältnissen ihrer Anstalten, und so kann es nicht Wunder nehmen, dass
den Lehren Semmelweis' durch lange Zeit hindurch von Seiten der Geburts-
helfer Widerstand entgegengesetzt wurde, obwohl diese Arbeiten epoche-
machend zugleich den Boden vorbereitet haben für die umwälzenden Lehren
Joseph Listek's.
Als nun allmälig die Befunde der mikroskopischen und bacte-
rio legi sehen Untersuchungen bekannt wurden, als Mayerhofer im Jahre
1 865 das erste Mal in dem Lochialsecret Puerperalerkrankter typische
„Vibrionen" nachwies, als dann durch Klebs, Rindfleisch und Virchow
diese Befunde bestätigt und erweitert wurden und durch Pasteur und
Robert Koch die moderne Bacteriologie geschaffen war, welche uns nicht
blos mit der Morphologie, sondern auch mit der Biologie der Microorga-
nismen bekannt machte, da erhielten die Lehren Semmelweis' ihre sichere
fundamentale Begründung in den leicht zu erbringenden Thatsacheu. und
so wurde die Erkenntnis, dass die puerperalen Erkrankungen nur durch
Infection zu Stande kommen, zum Dogma der modernen Geburtshelfer und
begründete somit die Nothw^endigkeit der Einführung jener Massregelu,
wie sie sich auf Grundlage der LiSTER'schen Principien allmälig entwickelt
hatten. Wir wissen somit, dass unsere Hauptkraft gegenüber dem verhee-
renden Gespenste des Puerperalprocesses in der Prophylaxe gelegen ist,
und von dem Momente angefangen, ^vo wir zur Untersuchung einer Schw^an-
geren berufen sind oder an das Geburtsbett treten, haben diese Grundsätze
unser Handeln zu beherrschen, und werden, zur vollen Durchführung
gebracht, stets von Erfolg gekrönt sein.
Wir Avollen alle die Wandlungen übergehen , welche die Art der
Desinfe ction unserer Hände im Laufe der letzten zwei Decennien
3*
30 ANTISEPSIS IK DER GEBUKTSHILFE.
diii'cligeiiiai'ht. Ausgeliend von der Thatsaclie, dass alle mit dem weiblicheu
Genitale in Berührung kommenden Gegenstände Träger infectiöser Micro-
organismen sein können, musste man bald au die Abtödtung der an der
Hand . an den eingefiilirteii I n s t r u m e n t e n und an den anderen
Gebrauchsgegenständen eventuell haftenden Microorganismen denken, da man
von der Thatsache durchdrungen war, dass nicht die Luft, sondern die
Contadinfedion bei der Entstehung von Puerperalerkrankungen die Haupt-
rolle spielt. Nun ist es schwer, zur Desinfection der Hände jene Mittel in
Anwendung zu bringen, welche die bei der Infection in Frage kommenden
Microorganismen (Sfapln/Iococcen, Streptococcen, Saproplu/ten etc.) sicher abzu-
tödten im Stande sind, nachdem diese INIittel ohne Gefahr von Seiten des
menschlichen Körpers kaum benutzt werden können. Und so begnügen wir
uns oft in einer ganzen Reihe von Fällen damit, die Wirksamkeit der
Microorganismen und ihre Fortptianzungsfähigkeit herabzusetzen, mit dem
Bewusstsein, die vollständige Keimfreiheit der mit dem Genitale in Berüh-
rung kommenden Gegenstände nicht hergestellt zu haben. Allerdings werden
wir unseren Principien am ehesten gerecht werden, wenn wir die Berüh-
rung der erwähnten Gegenstände und Körpertheile mit pathogenen Micro-
organismen zu verhüten trachten, d. h., wenn wir sie aseptisch zu erhalten
vermögen, Bas sind wir aber, durch die Natur der Sache bedingt, nur in
geringem Masse befähigt, und so müssen wir, von dem Bewusstsein durch-
drungen, in die Aseptik der Hände, der weiblichen Geschlechtstheile etc.
nur geringes Vertrauen setzen zu können, trachten, die eventuell vorhan-
denen Keime wenn auch nicht zu tödten, so doch in ihrer Wirksamkeit
zu beschränken, d. h. die in Frage kommenden Organe und Gegenstände
zu desinficiren.
In der Geburtshilfe wurden der Reihe nach das Chlonrasser, der Chlor-
kalk, das ühermamjansuure Kali, die SaUci/lsäare, die Borsäure, die Carhol-
säiire, das Thijntol, das Creolin, das Suhllmat und in letzter Zeit das Liisol
zur Anwendung gebracht. Von diesen Mitteln sind derzeit vorwiegend blos
die Carbolsäure, das Sublimat und das Lysol in weiterer Verwendung, die
Carbolsäure hauptsächlich dadurch, dass sie nach den Hebammeninstruc-
tionen sowohl in Oesterreich wie in Deutschland von den Hebammen in
Anwendung gezogen Averden muss. Nun wissen wir aber, dass selbst die
5 o/o i g e C a r b 0 1 s ä u r e 1 ö s u n g nur einen relativ geringen Einfluss auf
die Behinderung der Lebensthätigkeit der in Frage kommenden pathogenen
Microorganismen besitzt und schon in dieser Lösung für längere Dauer
sowohl der Epidermis der Hände als insbesonders dem Schleimhauttracte
des Geschlechtsapparates unzuträglich ist. Und so werden wir von vorn-
herein der Wirkung der Carbolsäurelösung wenig Vertrauen entgegenbringen,
umsomehr als wir wissen, dass die Hebammen geneigt sind, viel eher einen
geringeren Concentrationsgrad zu bereiten, als es die Vorschrift verlangt
und demgemäss von einer eigentlichen Desinfection nur in beschränktem Masse
die Bede sein kann. Hingegen hat sich das Sublimat als ein souveränes
Desinfectionsmittel unter den Aerzten bald allgemeine, ja enthusiastische
Anerkennung verschatt't. Wegen der Gefährlichkeit des Mittels sind wir
allerdings nicht in die Lage versetzt, dasselbe den ungebildeten Hebammen
ohneweiters zur Verfügung zu stellen, und so hat die Desinfection mit
Sublimat noch nicht jene Verbreitung gefunden, wie sie eigentlich im Inter-
esse der Sache bisher zu wünschen gewesen wäre. Wir wissen, dass
öublimat auch schon in einer Lösung von 1 : 10.000 eine hemmende Wirkung
auf die Lebensthätigkeit pathogener Microorganismen auszuüben im Stande
ist und in einer Concentration von 1 : 1000, wie wir sie verwenden, ganz
ausgezeichnete Dienste leistet.
ANTISEPSIS IN DER GEBURTSHILFE. 37
Die Sul)limatlösiing ist leicht zu bereiten, indem wir i'astillen, die entwedei- zu
gleichen Tlieilon aus je 1 // Ifydrary. bwhlorat. corro.iiv. und Nutr. chlorat. bestehen,
oder Pastillen von 1 ij Hjidrurd. hicMor. corroyiiv. auf 5 f/ Acid. tartaric. in Wasser
lösen, so dass eine Pastille auf einen Liter Wasser zur Verwendung kommt. Wegen der
Gefährlichkeit dieser Lösungen und wegen der FarbJosigkeit dersellten ist es dringend
geboten, zur Kenntlichmachung die Lösung durcli irgend einen den Piistillen beigegelienen
Farbstoff zu tingiren.
Aber ii\\c\\ das oinfnche PMiitauchon unserer mit Microor^anismeii aller
Art l)ehai'teten Hiinde in eine stiUi<ere Subliinatl/isiiiiji; ist nicht im Stande,
die Keimfreiheit der Hände herl)eiziiführe]i, wenn dieser Desinfection niciit
die gründlichste mechanische Reinigung der Hände und Nägcd vor-
ausgegangen ist. Ja gerade dieser ziell)ewussten mechanischen ri,eiiiigung
müssen wir bei der Desinfection die Haui)trolle zuweisen. Die an der
Cutisoberfläche in den Poren der Haut angesammelten Fettschichten ver-
hindern eine gründliche Einwirkung der Desinfectionslösung, und es ist
demgemäss dringend geboten, der Desinfection der Hände mit einem chemi-
schen Mittel die mechanische Reinigung derselben mit Seife, Bürste und
warmem Wasser vorauszusenden. Erst dann, wenn diese Reinigung gründlicli
vollbracht, die Nagelf älze und Unternagelräume gründlich von jedem
Schmutz befreit sind, wird die Einwirkung eines chemischen Desinficiens von
Werth sein, und nehmen wir dieselbe in der Regel entweder direct mit
Sublimatlösung oder nach Fürbkinger zunächst mit absolutem Alkohol
und erst in weiterer Folge mit Sublimat vor.
Angesichts der Thatsache, dass das Sublimat zur internen Desinfection
des weiblichen Geburtsschlauches sich kaum eignet, und dasselbe in die
Hebammenpraxis nur schwer einführbar ist, andererseits die derzeit von den
Hebammen angewendeten Desinfectionsmittel nur einen sehr geringen Grad von
Verwerthbarkeit besitzen, ist die Einführung des Lysols in die (yehurtshilfe
mit grosser Freude zu begrüssen. Indem das Lysol eine Verbindung von
Seifen mit Phenolen darstellt, kann es sofort auch zur mechanischen Reini-
gung der Hände verwendet werden, was insbesondere in der Hebammen-
praxis von grossem Werth ist. Eine 2o/(jige Lysollösung kann in ihrer
Wirkung mindestens einer 5%igen Carbollösung gleichgesetzt werden, und
wir können daher durch sorgfältige mechanische Waschungen mit Lysol-
lösung gewiss eine gründlichere Reinigung der Hände unserer Hebammen
erzielen als dies mit den bisher gebräuchlichen Desinfectionsmitteln der
Fall ist.
Haben wir unsere Hände, wie oben beschrieben, gründlichst gereinigt,
betrachten wir sie daher als aseptisch, so müssen wir auch trachten, die
Aseptik der Hände so lange zu bewahren, als die Berührung des Genital-
tractes mit denselben dauert. Wir sollen daher mit der vom Desinficiens
triefenden Hand keinen Gegenstand, keine Wäschestücke oder dergleichen
berühren, sondern mit nassen Händen die Lhitersuchung. respective den
operativen Eingriff vornehmen. Dennoch ist es möglich, dass bei einer mit
derartig desinficirten, sicher reinen Händen untersuchten Frau ein Puer-
peralprocess sich entwickelt. Solche Fälle hat man in früherer Zeit einer
sogenannten Selbstinf e ction zugeschrieben, d. h.. man nahm an. dass
im Innern des mütterlichen Organismus sich pathogene Organismen bilden,
durch deren Resorption eine Puerperalerkrankung zu Stande kommt. Dit?ser
Begriff einer Selbstinfection hat in den Reihen der Geburtshelfer eine
grosse Verwirrung herbeigeführt, und es ist begreiflich, dass jeder Arzt
bestrebt sein wird, jede ihm vorgekommene Infection als Autoinfection der
Patientin zu betrachten. So stehen nun die Verhältnisse nicht. Wir sind
vielmehr im Stande, auch mit vollständig desinficirten Händen untersuchend,
eine Frau zu inficiren, wenn wir an ihren äusseren Geschlechtstheilen. an
38 ANTISEPSIS IN DER GEBURTSHILFE.
den Sclianihaaren oder an den Sclieidenwänden liaftende pathogene Micro-
organismen in das Innere des Cervicalcanals bringen oder aber an die
während der Geburt gesetzten Verletzungen, von wo aus sie die verderb-
liche Invasion des nuitterlichen Organismus beginnen. Die bacteriologischen
Arbeiten von Steffeck, Dödeklein. Winter haben, wenn auch mit ver-
schiedenen Schlussfolgerungen, ergeben, dass in den Scheidensecreten auch
gesunder Schwangerer sich pathogene Microorganismen vorfinden können;
wenn auch bei normaler Schleimhaut und bei normaler Reaction des Vaginal-
secretes unschädlich, können die somit schon vorhandenen Microorganismen
eine tödtliche Elrkrankung herbeiführen, wenn die chemische Beschatfenheit
des Yaginalsecretes in einer für die Fortentwicklung pathogener Micro-
organismen günstigen AVeise sich verändert, oder wenn unter dem Einflüsse
des Geburtstraumas die schützende Hülle der Schleimhaut an vielen Stellen
durchbrochen eine grosse Eeihe von Infectionspforten aufweist, durch
^velche die Infection stattfinden kann. Aber eine solche Infection darf man
nicht Selbstinfection nennen, denn diese Organismen sind wohl nicht in
der Puerpera durch physiologische oder pathologische Processe derselben
entstanden, sondern sie sind eben früher in das innere Genitale von aussen
eingeführt worden, sei es bei Untersuchungen während der Schwangerschaft,
oder bei IManipulationen am äusseren Genitale mit natürlich nicht desinfi-
cirten Händen, oder schliesslich beim Coitus, der ja oft genug bis gegen
das Ende der Schwangerschaft hin ausgeführt wird.
Die S c h 1 u s s f 0 1 g e r u n g e n, die wir aus dem Vorhergesagten zu
ziehen haben, müssen uns daher lehren, dass auch die gründlichste Des-
infection unserer Hände die vollständig sichere Proi)hylaxis gegen Wochen-
l)etterkrankungen nicht zu garantiren vermag, wenn nicht vorher das
uns zugängliche Genitale vollständig keimfrei gemacht
worden; kein Chirurg wird bei Wahrung der antiseptischeu und aseptischen
Cautelen eine Operation vollführen, ohne dass er auch das Operationsfeld
versucht hat, ebenso keimfrei zu machen wde seine Hände, sein Instrument,
die Seide, die Tupfer, die Verbandstoffe u. s. w. Die nächste Consequenz
daraus muss demgemäss die sein, dass unsere antiseptisch en Mass-
regeln sich nicht blos auf unsere Hände, sondern auch auf den Ge-
burtsschlauch der Gebärenden erstrecken müssen. Vorbereitet
wdrd die Reinigung des Genitales zunächst durch häufig zu wiederholende
lauwarme Reinigungsbäder während der Schwangerschaft und unmittelbar
vor der Geburt. In demselben Moment, wo die Geburt manifest beginnt,
wird die sorgfältigste Reinigung der äusseren Geschlechtstheile durch Waschen
derselben mit Seife, Bürste und warmem Wasser vorgenommen: hierauf
spülen wir das äussere Genitale mit einem Desinficiens, Carhol, Sublimat
oder Li/soJ ab und nehmen eine prophylactis che Ausspülung der
Scheide mit einer wirksam desinficirenden Flüssigkeit vor. Nach dem,
was im Vorhergehenden gesagt ist, können wir von vornherein eine Vagina
nicht immer als sicher aseptisch betrachten, insbesondere dann nicht, wenn
vor uns von anderen Personen bereits eine Untersuchung vorgenommen
wurde, und mv über die Art der Beobachtung der Antiseptik bei diesem
Eingriffe nicht orientirt sind. Zu diesem Zwecke wird eine Ausspülung
der Scheide gemacht. Nun dürfen wir Sublimat, das wirksamste aller Des-
infectionsmittel. nicht zur Anwendung bringen. Es sind bereits mehrfache
Todesfälle infolge von Intoxicationen, welche nach intravaginalen und intra-
uterinen Ausspülungen Schwangerer, Gebärender und Wöchnerinnen ent-
standen sind, verzeichnet worden. Da wir ja wissen, wie ausseror-
dentlich rasch das Sublimat in den menschlichen Köri»er übergeht und dass
wir, die wir unsere Hände mit Sublimat desinficiren, in der Regel ganz
ANTISEPSIS IN DER GEBURTSHILFE. 39
kleine Mengen von Quecksilber im Harn entleeren, so können wir uns
vorstellen, dass bei der raschen Kesorption des Quecksilbers von Seiten
der durch die Schwangerschaft noch resor])ti()nsfähiger geinafhten Weich-
tlieile es vorkommen kann, dass infolge der während d(;r Sfliwangerschaft
sich öfters einstellenden Veränderungen des Nierenpansncliyins sich eine
Störung der Ausscheidung der resorbirten Stoffe entwickelt, wodurcli eben
Intoxicationen hervorgerufen werden können. Es bleibt demgemäss derzeit
blos das Carhol und das Lißo'l^ cn^ferc^ in ^'riproc., lafztereff in 1 procf^nfit/er
Lösutxj, für die vaginalen Bespülungen übrig, doch würden wir, wie schon
aus dem Vorhergesagten hervorgellt, der Lysollösung den Vorzug geben.
Erwähnen wollen wir noch, dass die Lysollösung mit frisch gekochtem
Wasser hergestellt werden muss, da sonst bei Anwendung eines sogenannten
.,harten Wassers" die Kalksalze herausfallen, die Lösung trül)e und mit
Bröckeln vermischt erscheint.
Diese prophylac tische Desinf e ction, welche vor der ersten
Untersuchung und vor einem eventuellen operativen Eingriff vorzunehmen
ist, muss auf das Sorgfältigste gemacht werden, d. h. aus einem Irrigator
wird die Lösung mittels eines Glasmutterrohres, das bei strömender Flüssig-
keit unter der Leitung von zwei Fingern eingeführt wird, in die Vagina
gebracht und daselbst mittels der die Scheidenwände reibenden Finger zur
mechanischen Pieinigung verwendet. Das Mutterrohr muss ebenso rein sein
wie unsere Finger und unsere anderen geburtshilflichen Instrumente. Es
ist daher unbedingt nothwendig, dass das Mutterrohr vor dem Gebrauch
durch mindestens eine Viertelstunde in siedendem Wasser ausgekocht und
während der ganzen Zeit, wo sein Gebrauch eventuell nothwendig werden
dürfte, in einer Sublimat- oder Lysollösung aufbewahrt wird. Demgemäss
ist auch zu verlangen, dass jede Gebärende ihr eigenes Mutterrohr besitzt.
Bei der Billigkeit der Glasmutterrohre (Form nach Beeisky) ist dies wohl
zu erzielen. Benützt eine Hebamme ihr eigenes Mutterrohr zur Ausspülung
der Vaginen verschiedener Gebärender, ohne dasselbe vor und nach jedem
Gebrauch auf das Sorgfältigste zu desinficiren, so wird es an die Stelle
des aus der Hebammentasche gesetzlich verbannten Badeschwammes treten,
der in vorantiseptischer Zeit so entsetzlichen Schaden angerichtet. Eine
Desinfection, bei welcher die Regeln der Antiseptik nicht befolgt werden,
ist blos eine Scheindesinfe ction; ja, es kann durch eine solche Scheindes-
infection mit einem inficirten Mutterrohr viel mehr geschadet Averden. als
wenn die Desinfection überhaupt unterblieben wäre.
Als eine weitere Folge der antiseptischen, resp. aseptischen Behand-
lung der Geburt haben wir die E i n s c h r ä n k u n g der inneren Unter-
suchung zu verstehen. Durch sorgfältigste Ausbildung der äusseren Unter-
suchung, werden wir im Stande sein, uns von vornherein vor der inneren
L'ntersuchung ein genaues Bild über die Verhältnisse zu verschalfen. L^nd
in der Regel wird unter normalen Verhältnissen eine einzige innere Unter-
suchung unter der Wahrung aller Cautelen der Aseptik ausgeführt, genügen,
um uns die Prognose der Geburt von vornherein stellen zu lassen. Je
seltener wir untersuchen, umso geringer werden die Gelegenheiten zur Ein-
bringung von Infectionsstoffen, und von diesem Standpunkte aus ist das
Bestreben vieler Geburtshelfer zu beurtheilen. die innere L^ntersuchung
vollständig durch die äussere ersetzen zu lassen. Sollte jedoch im Verlaufe
der Geburt infolge der sich einstellenden Anzeichen einer Abnormität oder
eines pathologischen Verhaltens eine weitere Untersuchung nothwendig
werden, so ist es geboten, vor dieser Untersuchung das äussere Genitale
wieder geradeso zu desinficiren wie vor der ersten L^ntersuchung. wie ^nr
ja auch unsere Hände vor jeder erneuten Untersuchung in derselben Weise
40 ANTISEPSIS IN DER GEBURTSHILFE.
(lesinlicireii müssen. Es ist das äusserst nothweudig, denn die aus dem
Genitale ausiiiessenden Secrete, welche an den St'hamhaaren halten bleiben,
zum Theil eintrocknen, geben, unter dem Eintluss der atmosphärischen
Luft sich zersetzend, pathogenen Mikroorganismen einen ausserordentlich
günstigen Nährboden ab, und kann von da aus die Infection des Genitales
auf das Leichteste erfolgen. Ist ein Arzt von vornherein zur Leitung der
Geburt berufen, so ist es am zweckmässigsten, die Hebamme überhaupt
nicht untersuchen zu lassen, sondern selbst die einmalige, eventuell eine
weitere Untersuchung vorzunehmen. Durch die sorgfältigste Beobachtung
der aus der äusseren ITntersuchuiig sich ergebenden Symptome werden wir
über das Fortschreiten und das Verhalten der Geburtsthätigkeit bezüglicli
der Norm genügenden Aufschluss erhalten. In gleicher Weise wird die
Desinfection des Genitales vor jedem operativen Eingriff vorgenommen
werden müssen.
Eine andere Frage ist die: Soll nach der Geburt oder nach einer
künstlichen Entbindung die Uterushöhle und Vagina desinficirt wer den
oder nicht? Bei normalen Geburten und bei künstlichen Entbindungen,
bei welchen die Temperatur vor der Entbindung eine normale war und
kein Grund vorliegt, eine bestehende Infection anzunehmen, hat die Des-
infection df^r Uterushöhle und der Scheide keinen Zweck. Im Gegentheil,
nach der Geburt, wo Scheide, Cervicalcanal und Uterushöhle ein einziges
grosses, allenthalben mit defecter Schleimhaut ausgekleidetes Cavum dar-
stellen, ist die Gefahr der Infection eine so imminente, dass der vollstän-
dige Abschluss des Genitales nach aussen hin das Wlinschenswertheste wäre^
und demgemäss jede Gelegenheit vermieden werden muss, wodurch ein
directer Contact mit der Aussenwelt durch irgend welche Manipulationen
erleichtert wird. Wir perhorresciren daher bei normalen Fällen die Aus-
spülungen post partum gerade so, wie wir bei normalem Wochenbett keine
Ausspülungen der Scheide machen, weil wir in einem solchen Falle gerade-
zu fürchten müssten, von den äusseren Genitalien her pathogene Keime
durch den Flüssigkeitsstrahl in die Höhe, gegen die Scheide und den Uterus
zu befördern. Dagegen muss nach der Geburt das äussere Genitale sorg-
fältigst abgespült und desinficirt und durch aseptische Vorlagen gegenüber
der Umgebung geschützt werden.
Was die Behandlung der Instrumente anbelangt, so sind wir
da allerdings in die Lage versetzt, die Principien der Aseptik voll und
ganz an Stelle der Antiseptik treten zu lassen; die Desinfection der In-
strumente in Carbollösung, Thymollösung, Sublimat und Lysol so wirksam
sie auch immer sein mag, kann nicht concurriren mit der Methode der
Sterilisirung der Instrumente durch das Auskochen in W a s s e r, weil
wir Avissen, dass auf diesem Wege pathogene Mikroorganismen mit Sicher-
heit vollständig vernichtet werden. Ein Topf mit siedend heissem Wasser
ist in jedem Hause bald beschafft. Wir lassen die Instrumente durch
mindestens 10 Minuten in siedendem Wasser kochen und können sie dann
als keimfrei ruhig verwenden. Durch die Apparate, wie sie Schimmelbusch
in Berlin angegeben, sind wir im Stande, auch die Nähseide zu sterilisiren,
und zwar in strömendem Dampf. Dort, wo man nicht in der Lage ist, das
Sterilisationsverfahren der Seide durchzuführen, muss die Seide, nachdem
sie vorher durch Kochen in Wasser vom Wachs befreit ist, in 5proc. Carbol-
lösung gebracht werden, wird in dieser Lösung dutch eine Stunde hindurch
gekocht, aufgespult und nun in einem Glasgefäss in einer Sublimatlösung von
IVoo aufbewahrt. Es ist speciell dem Nahtmateriale eine grosse Bedeutung
beizumessen, und es soll dasselbe, wenn es durch lange Zeit nicht gebraucht
worden, entweder hie und da ausgewechselt oder frisch überkocht werden.
ANTISEPSIS IN DER GERUin^SIIILEK. 41
Was die mit dem Genitale der Gebärenden und Wöclmerinnen in
Berührung kommenden W ä s c li e s t ü c k e und Verbandstoffe anbelangt,
so wiire es wohl das Ideal der- Desinfection, die Sterilisation dieser Stoffe
durchführen zu können; doch scheitern wir in diesem Bestreben an der
physischen Unmöglichkeit. Wir begnügen uns daluir mit dem Vorlegen von
Jodoformgaze und aseptischer Watte. Bei einem jeden einzelnen Kingriff',
so unbedeutend er auch sei, soll aber gerade in Bezug auf die Xothwendig-
keit der l^rophylaxe in der Geburtshilfe unser obiger Grundsatz sein:
Primnin non noccre. '^'- ■^- iii'"'H/'i'i''i'n.
Correferat. Ueber die Nothwendigkeit und den Werth der Antisepsis
in der Geburtshilfe lässt sich naturgemäss nur dadurch ein Urtheil gewinnen,
dass man die Ursache des Wochenbettiiebers klarlegt.
Der geniale Semmelwels hatte — unter dem heftigsten und leider
unerhört masslosen Widerspruche fast aller seiner Zeitgenossen — 1847
die Behauptung aufgestellt, die Ursache des Kindbettfiebers sei Leichengift.
Zu dieser Anschauung war er durch die Beobachtung gelangt, dass der
Verlauf der septischen Infection eines ihm befreundeten Pathologen weit-
gehend dem Verlauf des Wochenbettfiebers glich. — 1861 erweiterte er
diese Anschauung in seinem grundlegenden Buche: „Die Aetiologie, der
Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers" dahin, dass jeder Fall von
Kindbettfieber als Resorptionsfieber zu betrachten sei, indem ein zersetz-
te r t h i e r i s c h - o r g a n i s c h e r S t o f f aufgenommen werde. Dieser könne
entweder von aussen eingeführt werden, z. B. durch die Hände eines Geburts-
helfers, der vorher Leichentheile berührt hatte, oder durch Aufnahme zer-
setzter Stoffe, die sich im Körper selbst bildeten: Selbstinfection. Der
natürlichen Forderung, dass vor Allem die Hände und Instrumente des
Geburtshelfers vollkommen rein sein müssen, suchte er durch Waschungen
mit Chlorwasser gerecht zu werden.
Seine Theorie wurde mit Spott und Hohn aufgenommen und der krank-
haft gereizte Ton des „Offenen Briefes an sämmtliche Professoren der
Geburtshilfe", 1862 (in welchem er sich z. B. an Scanzoni mit den Wor-
ten wendet: „Herr Hofrath, Sie sind ein Mörder!") erklärt sich daraus.
Erst einer späteren Zeit war es vorbehalten, die Wichtigkeit der Theorie
des unglücklichen Semmelwels (er starb im Irrenhause) zu erkennen. Auf
Grund anderer Gesichtspunkte hat bekanntlicli Ulster gelehrt, die Wund-
infectionskrankheiten zu vermeiden, und von ihm hat die Geburtshilfe das
antiseptische Verfahren erst entlehnt; Blschoff führte dasselbe als erster
1868 in -der Basier-Klinik ein und wendete seit 1876 die LiSTER'sche Me-
thode in voller Strenge an. Ergänzt und theilweise geändert wurde Semmel-
weis' Anschauung durch die Entdeckung pflanzlicher Parasiten als
Ursache des Wochenbettfiebers.
Schon 1865 hatte MAYEraioFEK im peritonitischen Exsudat einer an Wochenbettfieber
gestorbenen Frau Streptococcen gesehen und beschrieben ; Rixdfleiscii hatte in Herz-
Abscessen bei Puerperalfieber Bacterien gefunden; 18^9 sahen Coze und Feltz im Blute
piierperalkianker Frauen Streptococcen und machten Thierversuche mit solchem Blut;
Recklixghausen fand diese IMikroorganismen im Eiter, Walpeyer in parametritischen
Abscessen; Pasteuk züchtete 1880 zum" ersten Male Streptococcen in Bouillon rein, Dolerix
und pRÄNKEL machten Thierversuche mit solchen Reinculturen. Sobald also die That-
sache festgestellt war, dass auch eine Reihe von Wundkrankheiten: Eiterung, Sepsis,
Pyämie, Erysipel auf dem. Eindringen von pflanzlichen Parasiten beruhen, war die Gleich-
heit dieser Processe mit gewissen puerperalen Erkrankungen dargethan, das Puerperal-
Fieber als eine Wun d krankh e i t erkannt. 1883 fandei. Lomek und Jovaxoyic, die
in ScmiüDEii's Klinik arbeiteten, dass die in Pemphigus-Blasen einer kranken Wöchnerin
gefundenen Streptococcen für Thiere pathogen seien. Winckel vertrat später auf Grund des
gleichen Bacterienbefundes die Ansicht, dass Erysipel und gewisse Formen der ^Yochen-
bett-Infection einander ätiologisch gleichwerthig seien, und er sprach deslialb von einem
42 ANTISEPSIS IN DER GEBURTSHILFE.
„inneren Erysipel", ein Ausdruck, den auch Virchow schon früher für gewisse Formen
des Kindbettliebers eingeführt hatte. Thatsächlich ist es bisher auch nicht möglich ge-
wesen, durchgreifende Unterschiede zwischen dem Streptococcus des Erysipels und des
Wochenbetttiebers zu finden, und gerade die schwersten Formen dieser furchtbaren Krank-
heit werden durch den Ketten-Coccus erzeugt. Ausser ihm sind die verschiedenen Arten
des eitererregenden Traubencoccus — Sfaphi/lococcus pi/of/ene» aureus, albus tmd citrexs —
sowie vielleicht einige andere Bacterien Ursache des Wochenbettfiebers, wenn auch nicht
der schwersten Formen desselben. Nach Weetheim's schönen Untersuchungen ist es nicht
auszuschliessen, dass auch der GonocorcKs wirkliche Eiterung und Bindegewehsentzündung
(Phlegmone) verursachen kann; nach Haitser's Befund kann der Proteus im Verein mit
Streptococcen äusserst gefährliche Phlegmonen erzeugen ; und endlich hat Reickel einen
Bacillus als gelegentlichen Erreger der Peritonitis dui-ch das Reagensglas und das Thier-
Experiment nachgewiesen.
Die Acten über die A e t i o 1 o g i e der Wu n d k r a ii k h e i te n, also auch
des AV 0 c h e n l) e 1 1 f i e b e r s sind demnach keineswegs geschlossen. Wohl
aber steht die grundlegende Thatsache fest : olnie Bacterien hem Wochen-
beUfieher. Im Vorhinein mag bemerkt werden, dass Fieber im Wochen-
bett und Wo chenbettfieber nicht identisch sind. Eine Wöchnerin
kann an Pneumonie erkranken und fiebern, sie hat aber deshalb noch kein
Wochenbettfieber. Wir werden also definiren müssen : Wochenbettfieber ist
eine von den Genitalien während oder nach der Geburt ausgehende Wund-
infection. Ferner kann im Wochenbett auch durch nicht pathogene, sondern
einfache Fäulnis-Mikroorganismen Fieber erzeugt werden; z. B. durch die
Resorption von Fäulnisproducten bei Lochiometra, falls die zurückgehalteneu
Lochien durch Fäulnispilze zersetzt werden; für diesen Zustand hat mau
im Gegensatz zur Sepfil'ämie und Pi/ämie, die von pathogenen Bacterien
ausgeht, die Bezeichnung Saprämte (TaTöpöc-faul) eingeführt. Ob man die
Saprämie als Wochenbettfieber im engeren Sinne gelten lassen will oder
nicht, ist wohl nur Wortstreit.
Waren somit die Erreger des Wochenbettfiebers in gewissen patho-
genen Bacterien erkannt, so musste man ihnen zu Leibe gehen, wo man sie
fand : an den Händen und Instrumenten des Arztes und der Hebamme ;..
an und in den Genitalien der Kreissenden u. s. w. Damit erhielt die Anti-
sepsis ihre wichtigste Begründung. Der Operateur, dessen Instrumente,
die Genitalien der Parturiens troffen bald von Carbol; nach der Entbindung
wurde der Uterus mit mehreren Litern l%o Sublimatlösung durchspült:
es konnte nicht ausbleiben, dass schwere Vergiftungen, mehrfach sogar mit
tödtlichem Ausgange eintraten. Es wurde also die gegentheilige Parole aus-
gegeben, die Kreissende, wenn irgend möglich, gar nicht, zu berühren;
Leopold drang mit Eecht darauf, die innere Untersuchung nach Kräften
einzuschränken und die äussere umso mehr auszubilden. Und trotzdem
erkrankten, ja starben solche „unberührte" Kreissende! Also gab es doch
eine Selbstinfection?
Während nun über die Möglichkeit der „Aussen-Infection" alle
Autoren einig waren, gingen sie über die der „Selbstinfection" umso
mehr auseinander. Die Ausseninfection ist zu vermeiden durch Desinfection
der Hände und Arme des Untersuchenden, aller benützten Instrumente, der
Bett- und Leibwäsche der Kreissenden; daran zweifelte niemand, und die
entsprechenden Massnahmen (s. u.) wurden bald Gemeingut fast aller Aerzte
und der einsichtsvollen Hebammen. Allerdings muss offen gestanden werden,
dass unbegreiflicher Weise eine geringe Zahl von Aerzten und ein — leider
recht grosser — Bruchtheil der Hebammen von dem Werthe der subjectiven
Antiseptik des Geburtshelfers, der Pteinhaltung und Reinmachung des eigenen
Körpers, nichts weniger als durchdrungen ist. (lieber die den Hebammen
einiger Staaten vorgeschriebene Antiseptik s. u ).
Die schwierige Frage der „Selbstinfection'' erfuhr erst Klärung durch
ANTISEPSIS IN DER GEBUüTSiriLKE. 43
die eingehenden Untersuchungen von Kkiiukk, VVini'KF?, .Sikffk(jk. I)öi>Ki:-
LEiN u. A. Man wird am besten tliiin, mit Kaltknuach und Stkkfkck
so zu definiren : „Selbstint'ection ist Infection der Kroissoiiden od(;r Wöch-
nerin durcJi jene Bacterien, die schon v(»r der Gehurt und vor einer etwaigen
inneren Untersucliung und Beliandlung in den (ienitalien deponirt waren."
Der Wege, auf weU-hen sie liineingelangen können, sind ja genug: durch
Cohabitation. Ausspühmgen, Masturbation, nKudianiscli durcli die Wäsclie ;
die Nälie des Anus begünstigt ein soh'lies Kindring(!n. Ks frug sich nun,
ob denn tliatsi'icldicli in den (Ienitalien sogenannter ,. gesunder'' Scliwangerer
und Kreissender patliogene Organismen vorkommen. Die Frage wurde durcli
die neuesten Untersucliungen mit „ja" beantwortet.
Kkiiker brachte 1886 Scheidensecret Schwangerer unter die Kückenliaut von Ka-
ninchen; in 20 Proc. der Fälle entstanden Ahscesse und jauchende Phlegmonen. Wi.vtkü
fand milcroskoi^isch bei Schwangeren und Nichtschwangeren in 50 Proc. der Fälle patho-
gene Organismen im Cervix, (Der innere Muttermund bildet meist die Grenze für die
Flora des Genitalschlauchs. Die gesunde Schleimhaut des Uteruskörpers ist nach Wixtkii
bacterienfrei.) Stkffeck fand in 41 Proc. der untersuchten Schwangeren j)athogene Mi-
kroben im Genitaltractus ; er wies sie nicht nur mikroskopisch und durch die Cultur im
Keagensglase, sondern auch einwandfrei durch das Thierexperiment nach. DöoEiir.EiN'
fand in 45 Proc. der Fälle pathogene Mikroorganismen. Für die Praxis und besonders
für gerichtliche Beurtheilung ergibt sich daraus eine sehr wichtige Folgerung:
In Fällen mit schlechtem Ausgange braucht durchaus nicht stets der Arzt oder die Heb-
amme der schuldtragende Theil zu sein; dass andererseits diese Erkenntnis Niemanden
von der Pflicht entbindet, umso peinlicher subjective Antisepsis zu treiben, ist selbstver-
ständlich. Der Richter wird aber nicht nach dem schlechten Ausgange, sondern nur
nach dem urtheilen dürfen, was Arzt oder Hebamme gethan bez. unterlassen
haben.
War die Sachkage durcli die oben gegebene Definition, durch mikro-
skopische, culturelle und experimentelle Untersuchung schon fast geklärt,
so erwies es sich noch des Weiteren als nöthig, die Bezeichnung „gesunde
Schwangere" einzuschränken. Denn Steffeck betont mit Hecht, class eine
Frau gesund sein, im Genitalschlauch aber schon pathogene Bacterien
beherbergen kann, die später vielleicht zu tödtlicher Wochenbett-Frkran-
kung führen. Dödeklein stellt deshalb die besseren Bezeichnungen ,. nor-
males, und pathologisches Secret" auf.
Das „normale Scheidensecret" ist krümlig, weisslich, intensiv
sauer (Lakmuspapier-Probe) und enthält fast nur eine Bacterienart : die
milchsäurebildenden Scheidenbacillen. gelegentlich auch den Hefeitilz, Moitiha
Candida, si/n. Oldlnm albicans. Durch die Bildung von IMilchsäure wirken
die Scheidenbacillen der Entwicklung pathogener Staphylo- und Strepto-
coccen bis zu einem gewissen Grade entgegen, da diese in schwach alka-
lischen Nährböden besser gedeihen, als in saueren.
Das ,, p a t h 0 1 0 g i s c h e S e c r e t" ist gelblich bis gelblich-grün, rahm-
ähnlich, von schwach saurer bis alkalischer Beactiou und enthält die ver-
schiedensten Mikroorganismen : Stäbchen, Diplo-, Staphylo- und Strepto-
coccen u. s. w.
Schon vor den geschilderten Untersuchungen hatte Steffeck gezeigt,
dass sich durch Auswischen der Scheide und des Cervix mittelst der Finger
unter gleichzeitigem Einströmen von 1 — 0*57ö Sublimat die Scheide für
einige Stunden fast bacterienfrei machen lasse : allerdings muss bei längeren
Geburten öfters die Ausspülung (wenn auch nicht die Wischung) wieder-
holt werden, da eine vollständige Sterilisation des Geuitalschlauches nicht
möglich ist und die zurückgebliebenen lebensfähigen Bacterien sieh rasch
wieder vermehren. Bei diesem Verfahren sind auch thatsächlich die Ergeb-
nisse der von Hofmeier geleiteten Würzburger Klinik die besten über-
haupt je erreichten: 0"l'^/o Mortalität an puerperaler Infection. Wie nieder
diese Zahl ist, lässt sich besonders dann ermessen, wenn man erwägt, dass
44 ANTISEPSIS IN DER GEBURTSHILFE.
einerseits in der vorantiseptisclien Zeit Endemien von 300/o Mortalität vor-
kamen, und dass andererseits das Würzburger ^Material durch Studenten
undHebammenscliülerinnen ausserordentlich in Anspruch genommenwird. Die
Würzburiier Vorschriften für Handhabunü; der Antiseptik sind folgende:
A. Subjective Reinigung* der Untersuchenden.
Reinigung der Hände und Arme mit warmem Wasser, Seife, Bürste,
Nagelreiniger. Abspülen der Hände mit reinem Wasser. Bürsten mindestens
1 Minute in Siihl/itiaf 1 %f,. Einfettung mit Vaseline ; V a s e 1 i n e lässt sich durch
Einbringen in kochendes Wasser oder strömenden Dampf sterilisiren und
sie ist dann selbstredend ungefährlich; andererseits erleichtert sie dem
Exploranten und der Kreissenden gewiss die Untersuchung. Carbol-Oel ist
unzweckmässig, da Carbol in dieser Form fast unwirksam ist. — Studenten
dürfen 24 Stunden lang vorher nicht mit infectiösem Material in Berührung
gekommen sein, müssen in reiner Wäsche erscheinen, vor dem Betreten
des Kreissesaais den Bock ablegen und dafür eine ärmellose leinene Jacke
anziehen. Für den gewissenhaften, in der Technik der subjectiven Desin-
fection geiibten Arzt ist eine Carenz-Zeit (Enthaltung von der Berufsthätig-
keit) nach Behandlung infectiöser Krankheiten weder erforderlich, noch
überhaupt stets durchführbar.
B. Desinfection der Instrumente.
Vor dem Gebrauche Einlegen in 5% Cavhol, nach dem Gebrauch
Auskochen bezw. Einlegen in 5o/o Cavhol oder l%o Siihllmnt (Gummi-
schläuche etc.).
C. Objective Desinfection der Kreissenden.
Bei Beginn der Geburt: Wenn thunlich, ein Vollbad, Abseifen
der Genitalien ohne Rasieren ; äussere Abspülung mit 0-57oo Sublimat. —
Scheide, beziehungsweise auch Cervix mittelst der Finger unter strömen-
dem O-oo^o Suhliniaf, circa 1 Liter, ausgewischt. — Im Verlaufe der
Geburt: Nach jeder Untersuchung Ausspülung (nicht Wischung) mit einem
Liter O-ö^/qo Suhlimaf-, beziehungsweise dasselbe alle drei bis vier Stunden,
wenn nicht untersucht wird. — Vor Operationen: Auswaschung von
Scheide und Cervix mit 37o Carbol, da Sublimat die Scheide zu derb und
unnachgiebig macht. Auf diese Vorbereitung vor operativen Eingriffen
verzichten auch jene Geburtshelfer kaum, die eine weniger active Anti-
septik vorziehen. — Nach Operationen werden Scheide und Uterus (letzterer
nur bei intrauterinen Eingriffen) mit 37o Ccirbol ausgespült. Soweit handelt
es sich also um prophylaktische D e si n f e c t i o n. Nur bei einge-
tretener Lifection wird der Uterus möglichst bald mit 57n Carbol — 1 bis
2 Liter — ausgespült, da hier alles auf eine frühzeitige und gründliche
Vernichtung der Keime ankommt, bevor sie tiefer in's Gewebe eindringen.
Ist letzteres schon geschehen, und dies tritt sehr früh ein, so ist eine
Ausspülung fast nutzlos, da sie höchstens mechanisch reinigend wirkt.
Kranke Wöchnerinnen werden isolirt; Leib- und Bettwäsche puerperal-
fiebernder Frauen muss in strömendem Dampf sterilisirt, oder — wo dies
nicht möglich ist — ausgekocht, oder besser zu aller Vorsicht nicht mehr
für Kreissende oder Wöchnerinnen benutzt werden, da grosse Wäsche-
ballen durch Auskochen nur schwer sterilisirt werden können.
Bei dieser Behandlung ist der Nachdruck auf zwei Punkte gelegt:
Peinliche Durchführung der i^uhjedhen Asepsii^ (Keimfreiheit der Arme und
Hände des Untersuclienden sowie der Instrumente) und thunlichste Reinigung
des Genitalschlauches vor der Geburt, also objectiiie prophi/laäische Antmpsis,
AKTISEPSIS IN DKU GEBURT.SlIir.FK. 45
Der zweite Theil dicsei- Metliode ^elit von der Tliatsaclie aus, dass
es eine Selbst-Infection ^ibt; und sowohl die f^escliilderten l)acteriolo^is('hen
Untersuchungen, als die Resultate der Wiirzl)ur^(M' und anderer fioburts-
hiltlichen Anstalten haben den Vertretern der Scdbst-Inf'cction : y\iiLi-i;Li>.
KaLTENKACMI, liOMKI,', WiNTKK, IIoKMKtKI,', KlOIlliKI,', StKI'FI';( ;K, DrtDKULKJN
u. A. Recht gegeben. Sie schlägt auch zwei Fliegen mit einem Schlag, denn
sie vermeidet oder verringert doch die Möglichkeit einer intra partum zu
erwerbenden 0})hthalmoblenorrhoe des Kindes und macht so die Cu-kDiVsche
Anwendung des Arg. nitr. entlxdirlich.
Und trotzdem ist zuzugeben, dass die ideale Behandlung niciit in der
Antisepsis, sondern in der Asepsis besteht. Vor Allem aus drei
Gründen: 1. Die Anwendung aller wirksamen Antiseptica ist gefährlich,
denn sie sind ausnahmslos Gifte: vom Sublimat und Carbol ist dies hin-
reicbend bekannt; Sublimat soll deshalb bei Wöchnerinnen, sowie bei
bestehender Nephritis, Enteritis oder Anämie nicht intrauterin ange-
wendet werden; intravaginal ist es weniger gefährlich, da auch die auf-
gelockerte Scheide der Kreissenden oder Wöchnerin nur in viel geringerem
Grade resorbirt. Man hat nach ungiftigen Antisepticis gesucht: Craolin,
Lijsol und RoUerin sollten ganz oder fast ungiftig sein. Nun habe ich aber
z. B. selbst die Obduction einer an Carbolvergiftung nach Creolin-Anwen-
dung gestorbenen Frau gemacht — und dieser (von Rosix veröffentlichte^
Fall steht nicht vereinzelt da — auch ist keine hinreichende Gewähr vor-
handen, dass das fabriksmässig hergestellte Lyso? und CreoJin stets von gleicher
Beschaffenheit sein wird. Die „ chemischen Analysen" sind ja noch keine Angaben
über die Art der Herstellung; und überdies ist erst jüngst der Vorwurf ungleich-
artiger Beschaffenheit dem einen der genanntenMittel öffentlich gemacht worden.
Auch das BoUerin ist wohl ebenfalls nicht ungiftig. 2. Carbol und Sublimat machen
den Genitalschlauch derb, weniger nachgiebig ; dies ist sowohl für den spontanen
Durchtritt des Kindes als für operative Eingriffe nachtheilig; auch wird
die rigide Scheide beim Auswischen zweifellos oberflächliche Verletzungen
erleiden können. Gerade diesen Uebelstand sollen Creolin und Lysol ver-
meiden und sie erhalten thatsächlich die Genitalien geschmeidig ; aber die
genannten Einwände gelten auch hier. Ob das in jüngster Zeit empfohlene
Seifen- Carhol seinem Zwecke entspricht, muss erst abgewartet werden.
3. Der wichtigste Einwand gegen die Antisepsis ist wohl der. dass sie
gegen Bacterien auch da zu Felde zieht, wo es unnöthig wäre, also bei
Kreissenden mit „normalem Secret". Eine „Asepsis" im chirurgischen
Sinne wird allerdings in der Geburtshilfe in absehbarer Zeit nicht möglich
sein; denn die bacterielle Flora und deren Vernichtung verhält sich Inder
Scheide und im Cervix doch anders als z. B. an der Haut des Armes oder
der Mamma. Die Scheide enthält viel öfter, als die Aussenhaut, pathogene
Bacterien, und wir kennen noch keine ^fethode, diese an Grt und Stelle
zu vernichten. Aber Döderlein's Untersuchungen helfen diese Schwierig-
keit überwinden.
In zahlreichen Fällen ist das Scheidensecret ausgesprochen „patho-
logisch": gelblichgrün, übelriechend, mit Gasblasen durchsetzt; es finden
sich Ulcera oder Condylome an Vulva und Scheide ; die letztere ist fleckig
geröthet; die Anamnese der Kreissenden, vielleicht auch des Schwängerers
bildet Anhaltspunkte für den Verdacht einer sexuellen Infection; kurz,
wir werden mit Recht die ausgedehnteste Desiufection des Genitat-
schlauchs vornehmen, — In anderen Fällen fehlt jeder Verdacht: es finden
sich keine pathologischen Zustände der Genitalien, der Scheideninhalt ist
krümeliger oder doch dickflüssiger, weisser Schleim von dem bekannten
faden, aber nicht stinkenden Geruch. Wir werden keine Veranlassung
46 ANTISEPSIS IN DER GEBUETSIIILFE.
haben. Scheide und Cervix propliylactisch zu desintieiren, werden aber
vorsiclitshalber die innere Untersuchunj^' einschränken, wenn nicht ganz
vermeiden. In jenen Fällen, in welchen Anamnese und objective Unter-
suchung kein sicheres Bild geben, wird man lieber prophylactisch desin-
ficiren, als die Möglichkeit einer Infection abwarten. In der Privat-Praxis
stellen sich diese Verhältnisse auch meist viel einfacher, als in Kliniken,
deren Material oft über Gebühr in Anspruch genommen werden muss ; hier
sind prophylactische Auswischungen etc, schon aus dem Grunde geboten,
weil eine viel grössere Zahl von IJntersuchern vorhanden ist, die überdies
in der Tecbnik der Desinfection erst zu unterrichten sind. In der Privat-
praxis empfiehlt sich also in verdächtigen Fällen oder bei sicher patholo-
gischen Zuständen ein actives Verfahren, Avie es aus der Würzburger
Klinik geschildert wurde ; Aenderungen desselben, wie Benützung schwä-
cherer Lösungen, anderer Antiseptica u, s. w, sind dem wohlbegründeten
Ermessen des Einzelnen selbstredend überlassen; in ganz unverdächtigen
Fällen dagegen wird man auf die Antisepsis verzichten können und
Asepsis insofern anstreben, als man xVntiseptica vermeidet, da ja Erreger
der Sepsis nicht vorhanden sind.
Für die Hebammen bestehen in Deutschland keine einheitlichen Vorschriften.
Aus diesem Grunde und wegen der dadurch bedingten Unsicherheit in Handhabung der
Antisepsis begreift man die gegen Verwendung der Hebammen gerichtete Bewegung in
Frankfurt a. M, und an anderen Orten; in Holland ist fast bei allen Geburten ein Arzt
zugegen. In Deutschland und Oesterreich wäre dies z. Z. weder durchführbar, noch er-
strebenswerth. Man wird lieber darauf bedacht sein müssen, die Hebammen 1. gründlich
auszubilden, sie 2. auf peinliche Beobachtung genauer „Vorschriften zur Verhütung des
Kindbettfiebers" zu verpflichten, und 3. ihre Einnahmen durch Erhöhung der Taxen, Ge-
währung von Gemeinde- oder Kreiszuschüssen und freie Lieferung von Carbolsäure für
die Armenpraxis so zu gestalten, dass sie den Anforderungen der Anti- u. Asepsis auch
wirklich gerecht werden können.
Zu 1. Eine Zeit von 4 Monaten (Bayern) genügt unbedingt nicht, um in allen
Fällen die oft sehr wenig vorgebildeten Schülerinnen für den so schwierigen Beruf zu
erziehen; in Italien und Holland ist die Unterrichtsdauer 2 Jahre.
Zu 2. Die besten Vorschriften für Hebammen dürften in Deutschland z. Z.
Sachsen (das sich auch des besten Hebammenlehrbuchs, nämlich des von Credk-
Winckel-Leopoli», erfreut) und Preussen besitzen. Beide Staaten schreiben für die
subjective Desinfection Carbol (2 hezir. S"j^^ für Desinfection der Instrumente
5 hezw. .3^5 Carbol oder Auskochen, für objective Desinfection (also der Kreissen-
den) äusserliches Abseifen und (nur in Sachsen) 2"/^, Scheidenspülung vor. Mit Recht
sehen die Vorschriften beider Staaten von einer ausgedehnten Anwendung der Scheiden-
spülung durch die Hebammen ab ; es ist Sache des Arztes, hier im Einzelfalle Anwei-
sungen zu geben — allerdings ist dabei vorausgesetzt, dass Aerzte häutiger als bisher
auch zu sogenannten normalen Geburten beigezogen werden. Das Verhalten der Heb-
ammen bei Einti'itt von Kindbettlieber ist genau vorgeschrieben; es besteht Anzeige-
pflicht und in Preussen bedingte, in Sachsen unbedingte (ötägige) Carenz-Zeit, d. h. Ent-
haltung von Ausübung des Berufs. In Bayern ist zwar eine „Dienstanweisung für die
Hebammen" 1892 erschienen, aber dieselbe ist leider nur als Anhang dem Lehrbuch bei-
gegeben und im Letzteren selbst fehlen fast alle nöthigen Vorschriften; endlich ist die
Antisepsis im Einzelfalle „nach Massgabe des im Unterrichte Gelehrten" zu handhaben,
d. h. je nach der Hebammenschule wieder verschieden.
Die Anti- und Asepsis wird älteren Hebammen übrigens kaum durch „Anweisungen"
beizubringen sein und Wiederholungscurse stehen meist nur auf dem Papier. Auf diesem
Gebiete bleibt für die Mehrzahl der Staaten noch sehr viel zu thun übrig. Dass die oft
aufgetauchte Forderung nach unentgeltlicher Abgabe von Carbolsäure voll begründet ist,
bedarf für den praktischen Arzt kaum des Nachweises.
Ein zweifellos sehr grosser Misstand für Arzt und Hebamme liegt in
der A e t z- und G i f t w i r k u n g der beiden meistgel)rauchten Antiseptica :
Carbol und Sublimat. — Die Aetzwirkung auf die Haut der Hände und
Arme kann so heftig sein, dass der gewissenhafte (jeburtshelfer thatsäch-
lich seine Haut wechselt. Erst in jüngster Zeit ist man auch darauf auf-
merksam geworden, dass hartnäckige und äusserst lästige Ec-
zeme der übrigen Körperhaut (Gesicht, Kopf, Brust, Rücken) durch Sublimat
ANTISEPSIS UND ASEPSIS IN DER OPERATIVP^N .GYNÄKOLOGIE. 47
entstehen können. Albert hat jüngst wieder die bekannte schädliche Ein-
wirkung auf die Nieren hervorgehoben, die sich bei vielen Chirurgen
und Geburtshelfern geltend macht. Gewiss ist es auch aus diesem Grunde
wünschenswerth, theils andere Antisejjtica zu besitzen, theils die Antisepsis
durch die Asepsis zu ersetzen. JMsher ist dies in der Geburtshilfe nur
theilweise möglich; will man Creolin und Lysol vermeiden, so könnte zur
subjectiven Desinfection ja noch SaUci/lsäiire, Kalium lujpi'rinorKj. u. s. w. ver-
wendet werden. Gegen das sehr lästige Rauh- und Rissigwerden der Hände
hat man verschiedene Fette und Salben empfohlen. Sie sind wegen des dadurch
bedingten „Schmierigwerdens" nicht gerade angenehm: besser bewährt sich
bei Manchen der Vorschlag Unna's, bei der letzten Waschung nach jeder
Untersuchung oder Operation den Selfensclumm (neutrale oder überfettete,
reine Fettseifen, keine Wasserglasseife !) nicht ganz abzuspülen, sondern einen
Rest desselben in den Händen zu verreiben. (u^stav klp:in.
Antisepsis und Asepsis in der operativen Gynäkologie.
Bei gynäkologischen Operationen ist selbstredend das Verfahren der Anti-
bezw. Asepsis in den Grundzügen das gleiche, wie bei anderen Operationen.
Eine gesonderte Besprechung verdient aber 1. die Anti- be zw. Asepsis
bei Lapurofoiuien^ da gerade hier die Rücksicht auf das Peritoneum die
Operationsmethoden beeinflusst und Besonderheiten der Technik gezeitigt
hat, und 2, die Frage der Antisepsis bei Operationen con der Scheide
aus, da es bis jetzt noch nicht möglich ist, hier eine vollkommene Asepsis
durchzuführen. Dem Wortlaute nach kann Antisepsis als „Vernichtung" und
Asepsis als „Fernhaltung" von Erregern der Wundinfection übersetzt werden.
Man treibt Antisepsis, indem man in iuficirten Wunden die pathogenen
Keime zu vernichten sucht, und übt Asepsis, indem man es verhütet, dass
in frische Wunden und Körperhöhlen pathogene Keime hineingelangen.
In Wirklichkeit legt man aber heute dem Worte Asepsis noch einen anderen,
praktisch sehr wichtigen Gedanken zu Grunde: Vermeidung chemischer
Desiniicientien in reinen Wunden und Körperhöhlen. Lister war von der
Ansicht ausgegangen, der Sitz der Keime sei primär die Luft, erst secundär
die organische Materie; die „ Luftin fection" (Lifection der Wunden durch
Keime aus der Luft) wollte er durch den Carbolspray und durch Auflegung
carbolgetränkter Verbandstoffe auf die Wunden vermeiden. Nachdem man
in den letzten Jahren aber erkannt hatte, dass die Luftinfection Avenig oder
gar nicht von Bedeutung sei, umso mehr aber die „Contactinfection" (In-
fection durch Berührung der Wunden mit schmutzigen Händen, Instru-
menten, Tüchern, dem Erdboden etc.), konnten Spray und Carbolcompressen
•bei reinen Wunden weggelassen werden. Man that dies umso lieber, als
man die schädliche Wirkung chemischer Desinflcientien (Carbol, SiibUmat etc.)
kennen gelernt hatte ; denn a) diese Mittel verzögern und erschweren durch
ihre Aetzwirkung die primäre Verklebung frischer Wunden ; h) sie zerstören
das Peritoneal-Epithel u. s. w. und machen es untauglich, seine wichtigen
Functionen auszuüben (Verhütung von Verklebung der Baucheingeweide,
Resor]»tion von Ex- und Transsudaten, Verdauung von etwa bei der Opera-
tion hineingelangten Bacterien); <■) sie sind Gifte, die den Gesammtorga-
nismus schädigen, und zwar nicht nur den des Kranken, sondern auch d)
des Heilpersonals. Auch die Drainage konnte bei frischgesetzteu Wunden
wegfallen, da diese keimfrei sind. Die chemischen Desiniicientien ersetzte
man soweit als möglich durch Anwendung der Hitze: trockene Hitze^
kochendes Wasser, strömenden Wasserdanipf. Ganz können wir die chemischen
Desinflcientien noch nicht entbehren bei Sterilisation am Operateur und
am Kranken selbst (Desinfection der Hände, Arme, des Operations-
48 ANTISEPSIS UND ASEPSIS L\ DER OPERATIVEN GYNÄKOLOGIE.
leides) und der Instrumente, welche hohe Temperaturen nicht ertragen
(Thermometer. Gummi). Die Antisepsis besteht zu Recht bei schon vor-
handener Infection. Die Asepsis ist bei frischen, reinen Wunden anzuwenden.
Grundziig-e der Asepsis. Sterilisation der Instrumente, des Naht- und
Yer])andmaterials durch Hitze, nur im Nothfalle durch chemische Desinfi-
eientien; Fernhaltung der letzteren von frischen, nicht inficirten Wunden,
also Berieselung der Wunden mit iudiiferenten Flüssigkeiten, Ausdrücken der
Schwämme etc. in solchen; Verbinden mit sterilen Stoffen ; keine Drainage,
kein Carbolspray. keine Carbolcompressen. Die Sterilisation der Hände
und Arme des Operateurs, sowie des Operationsfeldes wird allerdings auch
jetzt noch mit Hilfe chemischer Mittel geschehen müssen; man wird aber
einen Ueberschuss der letzteren durch Abspülen mit sterilem Wasser entfernen.
Im Einzelnen stellt sich das Verfahren folgendermassen :
1. Nalitmaterial. Seide: Sterilisation in strömendem Wasserdampf,
Aufbewahren in keimdichten Kästen ; erfordert Apparate, die zur Zeit nur gut
dotirten Anstalten zur Verfügung stehen. Deshalb wird von vielen die Seide
durch V2 Stunde langes Kochen in 5 Proc. Carbol sterilisirt und auchinoProc.
Carbol aufbewahrt. Mit der Zeit wird sie dabei brüchig ; also erneuern. C a t g u t :
Noch immer die cruxmedicorum quoad desinfedioiiem. PiEverdin und Benckiser
sterilisirenes durch 4 Stunden langes Einlegen in denHeissluftschrankbei 140" C
oder V2 Stunde bei ISO^C. ; vorher gründlich entwässern durch längere Erwär-
mung auf 60 — 800 oder durch Einlegen jjj absoluten Alkohol ; Benckiser legt es
in kleineren Portionen in verschlossene Briefcouverts und so in den Heissluft-
schrank, damit später nur das herausgenommen zu werden braucht, was eben
benöthigt wird. Thiersch, Kocher u. A. benützen Oleum lignl Junlperi. Die
ScHRÖDER'sche Schule bringt das Catgut 24 Stunden in Juniperus-Oel, dann
24 Stunden in Glijcerin und bewahrt es in absolutem Alkoliol mit Zusatz von etwas
Ol. Junip. auf. An der KALTENBAcn'schen Klinik kommt das Catgut 24 Stunden
in ahsol. Alkohol, 24 Stunden in Aether sidf. behufs Entfettung und Entwässe-
rung, 3 Stunden bei 140° C. in den Heissln ff schrank (die Temperatur nicht
überschreiten: das Catgut mit Watte oder Gaze bedecken) und wird dann
in ^nhlimat-Ällohol 1 : 1000 mit Zusatz von 50 // Ghjcerm aufbewahrt. —
DöDERLEiN härtet das Catgut in Chromsäur elösnng 1 : 10.000, in welcher es
10 — 12 Minuten bleibt; dann langsames Austrocknen und Desinfection im
Heissluftschranh; trockene Aufbewahrung nach Benckiser (in Briefcouverts,
Pergamentpapier oder Gläsern mit Watteverschluss, in welchen es sterilisirt
wurde). Chromsäurecatgut ist schwer resorbirbar, also für Naht geeignet.
Für den praktischen Arzt ist das geschilderte Verfahren der ScriRÖDER'schen
Schule (HoFMEiP]R) das einfachste. Fil de Flore nee (aus dem Spinu-
organ der Seidenraupen bereitet) und S i 1 b e r d r a h t, sowie versilberter
Kupferdraht werden im Trockenschrank, der Draht auch durch kurzes
Glühen sterilisirt. Aufbewahren in ahsol. Alkohol.
2. Verband -Material. Sterilisation in strömendem Wasserdampf
(über die Apparate dazu und deren Verwendung in der Praxis s. u.) oder
durch '/2 Stunde langes Auskochen.
3. Tnpfmaterial. Gaze-Compre ssen werden in strömendem
Wasserdampf oder kochendem Wasser sterilisirt. Schwämme: Die
ScHRÖDER'sche Schule benützt ohne Nachtheil auch bei Laparotomien
Schwämme, die folgendermassen vorbereitet sind : Ausklopfen mit spanischem
Rohr, um den Sand zu entfernen ; Auskneten mit der Hand in lauwarmem, oft
gewechseltem Wasser, in 1 proc. Sodalösung mit etwas Seifenzusatz aufs Feuer
gesetzt, bis das Wasser fast zu kochen anfängt; dann Ausspülen in abge-
kochtem Wasser und Aufbewahren in 5 proc. Carbol; nie in Sublimat
bringen, da sie darin schwarz und hart werden. Nach Schimmelbusch:
ANTISEPSIS UND ASEPSIS IN DEPt OPERATIVEN GYNAEKOLOGIE. 45
Ausklopfen, Wässern und Auskneten. Einlegen in 2-proc. Soda-Lauge, die
eben kochend vom Herde weggenommen wurde; darin V2 Stunde liegen
lassen; Einlegen in sterilisirtes Wasser; Aut})cwaliren in V2V0 Sublimat.
Ohne Zweifel ist die Uesinfcction in strömendem Wasserdampf an den Besitz tadel-
loser Apparate gebunden. Den ScniMMELRUscii'schen Apparaten wirft Koiihtjkck scliwere
Fehler der Constraction vor, ganz ])esondcrs den, dass der Jrmenrauin nicht luftleer ge-
macht werde, so dass der Dampf nicht in alle Theile der eingebrachten Gegenstände
komme. Wenn nun aucli die RoiiRBECK'schen Apparate allen Anfofderuiigen genügen,
können sie doch des Preises halber nicht von jedem Arzt oder jeder kleinen Anstalt,
Gemeinde etc. beschafft werden. Das Gleiche gilt für Heissluftsterilisation, die auch der
Wärmeregulirung wegen, wie trotz Thermo-Regulatoren viele zu ihrem Aerger erfahren
haben dürften, in der Praxis oft erhebliche Schwierigkeiten machen. In der schweren
Handhabung und den hohen Kosten hegt zur Zeit das grösstc Hindernis für allgemeine
Anwendung dieser Apparate; einfacher ist die Benützung kochenden Wassers für Instru-
mente (s. u.), Naht, Seide und Verbandstoffe; für die letzteren entsteht allerdings sofort
wieder die Schwierigkeit des Trocknens ohne neue Beschmutzung. Aus diesen Gründen
wird der Arzt oft genug noch auf die Desinfection mit chemischen Mitteln zurückgreifen
müssen; er muss nur thunlichst darauf bedacht sein, die chemischen Desinficientien nicht
oder nur in geringen Mengen auf die Wunden zu bringen; er wird also z. B. die in
Carbol desinficirten Tupfer vor der Benützung in sterilem Wasser ausdrücken. Den ge-
schilderten Schwierigkeiten begegnet erfolgreich Dührssen durch seine Verbandstoffe, die
er sterilisirt und keimdicht verpackt in den Handel bringen lässt.
4. Instrumente. V2 Stunde langes Auskochen in Wasser oder nach
Schimmelbusch in 1-proc. Sodalösung, um das Schwarzwerden und Rosten
zu verringern; Gummischläuche, Thermometer, Bougies etc. müssen in l^/oo
Sublimat, beziehungsweise 5-proc. Carbol desinficirt werden. Messer und
Sc beeren vertragen weder langes Liegen in .5-proc. Carbol, noch das
Auskochen, ohne an Schärfe zu verlieren; feinere Scheeren (Fistel-
scheeren) und ebenso Messer werden am besten nach Gebrauch bei sep-
tischen oder verdächtigen Wunden ausgekocht, frisch geschliffen und vor
dem Gebrauch nur kräftig mit Watte abgerieben, die in 5-proc. Carbol
getaucht war. Alle Instrumente sollen glatt, ohne Winkel (Schmutzfänger) und
thunlichst ganz aus Metall sein.
5. Desinfection der Körper-Oberfläche. Desinfection der Hände
und Arme des Operateurs und des Operationsfeldes, wenn dieses mit Ober-
haut bedeckt ist (Desinfection der Schleimhäute s. u. bei „Operationen
von der Scheide aus"). Nach Kümmer und Fürbringer: ä) Gründliches
Waschen und Bürsten mit Seife und warmem Wasser; B) Abtrocknen;
Nagelfalz und Unternagelraum mechanisch ausräumen mit Nagelreiniger;
6') V2 — 1 Minute langes Waschen mit 80-proc. Alkohol; D) Waschen mit
0-5 — l^/oo Sublimat. Neuber verwirft Bürsten und benützt Holzwolle, die
nach dem Gebrauch fortgeworfen wird. Bürsten werden am besten dauernd
in l%o Sublimat aufbewahrt. Behaarte Körperstellen (Vulva) stets zu rasiren,
wenn daran operirt wird; auch nur mit Lanugo bedeckte Haut (Bauchhaut)
wird vortheilhaft dick eingeseift und rasirt, da die obersten Epithellagen sammt
dem Schmutz dadurch abgeschabt werden.
6. Berieseln der AVunden. Bei frischgesetzten Wuu.den nimmt man
zum Rieseln am besten 0-7-proc. abgekochte (sterile) Kochsalzlösung, oder —
falls diese nicht rasch genug zu beschaffen ist — einfach abgekochtes Wasser.
Landerer's „trockene Operationen" vermeiden jedes Berieseln, bedingen
aber ganz besonders sorgfältige Blutstillung durch Unterbindung, Torsion
kleinerer Gefäss-Enden und temporäre Compression mit steriler Gaze.
Asepsis bei Laparotomien. Desinfection der Bauchhaut nach Für-
bringer. Das Peritoneal-Epithel muss thunlichst unverletzt
bleiben, soll also weder mechanisch noch chemisch imnöthig insultirt werden.
Deshalb: chemische Desinficientien nicht in die Bauchhöhle bringen („Toilette
des Peritoneum" nur durch Austupfen mit Schwämmen oder Tupfern, die
sterilisirt^ und in sterilem Wasser ausgedrückt sind) ; rasches Operiren, wenig
Assistenz, kleines Instrumentarium, um das Hineingelangen von Keimen in
Eibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. J=
50 ANTISEPSIS UND ASEPSIS IN DER OPERATIVEN GYN AEROLOGIE
die Bauchliölile zu vermeiden ; Därme braucht man bei gynäkologischen Lapa-
rotomien meist nicht „auszupacken", wenn man sie mit sterilen Schwämmen
und Gazetüchern oder durch die TEENDELENBUEG'sche Hochlagerung zurück-
hält; sorgfältige Blutstillung und Bauchnaht. Sowohl sterile Seide als Catgut
kann zu versenkter Xaht anstandslos benützt werden. Allzu energische Toilette
des Peritoneum kann mehr schaden als nützen, weil das Epithel dabei zerstört
wird und z. B. die Entfernung aller colloiden Massen nach dem Platzen einer
Ovarialcyste einerseits technisch gar nicht möglich, andrerseits unnöthig ist;
denn Cysten-Inhalt, Ascites-Flüssigkeit und Blut ist an sich nicht infectiös,
da keimfrei. Eine Ausnahme erleiden diese Angaben bei dem Vorhandensein
von Eiter oder entzündlichen bezw. Jauchungs-Vorgängen (Pyosalpinx, Ova-
rialabscesse, verjauchende Myome etc.) ; dann kann es natürlich nöthig werden,
antiseptisch zu verfahren, d. h. die inficirten Stellen mit (nicht zu nassen)
Carbolschwämmen auszuwischen, die Bauchhöhle prophylactisch durch die
Bauchwunde hindurch mit Glasdrains oder Jodoform-Gazestreifen, oder nach
der Scheide zu mit den letzteren oder mit Gummischlauch (T-Rolir) zu drai-
niren. Zum Durchschneiden verdächtiger Stellen, wie der Tube bei Salping-
ectomie, oder zur Eröffnung der Uterushöhle bei Myomotoraie benützt man
den Paquelin, verschorft mit ihm die betreffenden Lumina tüchtig und wischt
sie noch mit kleinen Schwämmen aus, die in l^oo Sublimat getaucht sind ;
dann gutes Uebernähen der Stümpfe, die so versenkt werden können. Die
Anhänger dieser „intraperitonealen Stumpfbehandlung" werden in letzter Zeit
wieder zahlreicher, als die der „extraperitonealen," der Einnähung des Stumpfes
in die Bauchwunde; die letztere Methode ist z. Z. allerdings bei vorhandener
Infection wohl noch besser. Wo mit Wahrscheinlichkeit inficirte Stellen bei
der Operation getroffen werden (Ovarialabscess, verjauchte Myome) näht man
mit Vortheil den Tumor unterhalb der abzutragenden Partie mit Tabaks-
beutelnaht rings an das Peritoneum im unteren Wundwinkel des Bauch-
schnittes fest, schliesst den oberen Theil desselben durch Nähte und trägt
dann erst den Tumor ausserhalb der Bauchhöhle ab, was in einer Operation
oder in zwei Zeiten geschehen kann. Vor Myomotomien auch stets Scheide
und Uterushöhle gründlich reinigen.
Verfahren bei Operationen von der Scheide ans. Rasiren der Pubes;
Abseifen der Vulva, Abwischen mit l"/oo Sublimat. Die Scheide wird gründlich
ausgeseift und dann unter strömenden 37o Carbol mit den Fingern energisch
ausgewischt, um auch die Faltenbuchten zu reinigen. Sublimat macht die
Scheide rigid und erschwert die nachfolgende Operation. Am besten wird
man bei Eingriffen an der Scheide oder Portio dieses Verfahren zweimal an-
wenden: am Tage vor und unmittelbar vor der Operation, und kann inzwischen
in die Scheide etwas Jodoformgaze einlegen. — Der Cervix wird mit l^/oo Sub-
limat mittelst PLAYFAiR'scher (gerauhter Aluminium-) Sonden ausgewischt.
Ausspülungen des Uterus und eventuell nachfolgendes Einspritzen von 10%
alkoholischer Carbollösung (nach Hofmeier s. u.) ist nur dann nöthig, wenn
am Corpus operirt wird oder entzündliche, beziehungsweise Jauchungs- oder
Eiterungsvorgänge im Uteruskörper vorhanden sind.
Vor Abrasio mucosae stets peinliche Reinigung der Scheide mit Seife
und Carbol, sowie Uterusspülung.
Bei partieller oder Total-Exstirpation des Uterus wegen Car-
cinom ist ausser dem geschilderten Verfahren noch thunlichste Entfernung
jauchender Massen nöthig und darauf zu achten, dass nach Eröffnung des
Peritoneum kein infectiöses Material dorthinein gelangt; deshalb bei Portio-
Cancroid einige Tage vor der radicalen Operation Ausräumen der jauchenden
Massen mit scharfem Löffel, Verschorfen der Wundfiäche mit Paquelin oder
Ferrum candens. Bei jauchendem, aber nicht nach der Portio hin durch-
gebrochenem Cervix-Carcinom sowie bei Corpus-Carcinom kann man die Portio
APNOE DES KINDES. 51
zunähen oder (nacli Hofmeiior) zubinden, damit während der Operation nichts
in die Bauchhölile kommt. Letztere wird sofort nach Eröffnung am besten
durch an Fäden befestigte Schwämme, die man einführt, gegen die Scheide
hin abgeschlossen.
Bei Myom-Operationen von der Sclieide aus ebenfalls gründliche
Reinigung der Scheide; bei Jauchung reicliliche Uterusspülung mit 3 — o^'/o
Carbol, eventuell auch mit BßAUN'scher Spritze. Injection von 10 cm^ P/^
Carbol in den Uterus {Acid. carbol. liquef. 10-(), Aq. dest. 4()-0, Alkoh.
absol 50-0).
Eine wirkliche Sterilisation der Scheide ist nicht möglich, noch weniger
ein Keimfreimachen jauchender Geschwulsthöhlen. Man muss sich mit thun-
lichster Reinigung begnügen und bei vorhandener Infection am Schlüsse des
Eingriffs das ganze Operationsfeld nochmals mit P/oo Sublimat auswischen;
sowie dafür sorgen, dass die Bauchhöhle nicht inficirt wird. Das geschilderte
Verfahren, wie es unter Hofmeiee in der Würzburger Frauenklinik geübt
wird, genügt in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle.
Einige Punkte, die oben nicht berührt wurden, sind von untergeordneter
Bedeutung; so die Benützung getrennter Räume für einfache, für septische
Operationen und für Laparotomien, Diese Trennung ist — wo durchführbar
— angenehm, aber weder unbedingt nöthig noch überall möglich. Fritscii
hat seinerzeit in demselben Raum, in welchem die poliklinische Sprechstunde
abgehalten wurde, laparotomirt, und seine Ergebnisse waren ebensogut, wie
die anderer Operateure. Ueberdies ist sicher die Vereinfachung der Methodik
dringend nöthig, wenn sie Gemeingut aller Aerzte werden soll.
GUST. KLEIN.
Apnoe des Kindes. So lange das im Uterus befindliche oder neu-
geborene Kind hinlänglich mit Sauerstoff versorgt ist, hat es kein Bedürfnis
zu athmen, es befindet sich im Zustande der Apnoe (a privativum und tj ■kvo^
der Athem). Der Zustand der Apnoe setzt daher eine intacte oder nur un-
merkliche und vorübergehend gestörte Placentar-Athmung, einen unbehinderten
oder nur vorübergehend gestörten fötalen Blutkreislauf, aber auch eine volle
Integrität der lebenswichtigen Organe des Kindes voraus.
Die Apnoe des Kindes ist ein physiologischer Zustand, er
gehört zur Physiologie der intrauterin lebenden Frucht und hört physiologisch
mit dem extrauterin geschehenen ersten Athemzuge des Neugeborenen auf.
Ist die Sauerstoffverarmung des Blutes beim Durchtritte des Kopfes durch den
Beckencanal nicht soweit vorgeschritten, dass das Athemcentrum zur Auslösung
des ersten Athemzuges, unmittelbar nach dem Austritte des GesichteS; oder
nach der Geburt der Frucht, gereizt wird, dann bleibt das Neugeborene eine
Zeitlang apnoisch und zwar umso länger, je länger die placentare Athmung
fortdauert. Der Austritt des Kopfes in der Wehenpause begünstigt die Apnoe.
Man kann solchermassen die Beobachtung machen, dass das Neugeborene, bei
vollkommen intacter Herzthätigkeit, oft minutenlang daliegt, bevor es den
«rsten Athemzug ausführt und zu schreien begonnen hat.
Gewöhnlich hört die Apnoe des Kindes mit dem Austritte des Kopfes
auf, nachdem bis dahin, durch die Verkleinerung des Uterus, die Respirations-
fläche wegen der theilweisen Ablösung der Placenta, soweit verkleinert wurde,
dass inzwischen Sauerstoffmangel eingetreten ist.
Wenn beim Durchtritte des Gesichtes durch die Schamspalte, feinblasiger
Schaum aus den Nasenlöchern des Fötus und lufthaltiger Schleim aus dem
Munde hervorquillt, während gleichzeitig an den Nasenflügeln und an den Lippen
eine deutliche Bewegung wahrnehmbar ist, dann hat der Foetus Athmungs-
versuche ausgeführt, so lange der Kopf noch im Becken war und es hat zu
dieser Zeit schon Sauerstoffmangel bestanden.
52 ASPHYXIE DES NEUGEBORENEN.
Oberflächliche Athembewegnngen führt der apnoische Fötus nach den Un-
tersuchungen Ahlfeld's schon intrauterin aus, ohne dass Sauerstoffmangel besteht. Diese
Bewegungen lassen nach Ahlfeld, den Ehythmus und Typus der Athmung erkennen und
können aii den Bauchdecken der Schwangeren beobachtet werden, Ahlfeld hat diese Be-
wegungen graphisch dargestellt. Nach Weber beträgt die Frequenz der extrauterinen
Athembewegungen 58 in der Minute. Für die intrauterinen Athembewegungen hat Ahlfeld
ein Mittel von 61 gefunden. Und geradeso wie bei Extremitäten- und Rumpfbewegungen,
beim Neugeborenen die ruhige Athumng unterbrochen wird, hören die intrauterinen Athem-
bewegungen auf, wenn der Fötus anderweitige Bewegungen ausführt.
D^er erste Atliemzug ist nur ein gradueller Unterschied jener ober-
liächliclien Bewegungen des apnoischen Fötus, die von den Respirationsmus-
keln, auch ohne Sauerstoffmangel, ausgeführt werden und als eine blosse, un-
willkürliche Bethätigung derselben anzusehen sind. piskacek.
Asphyxie des Neugeborenen. Unter diesem Ausdrucke verstehen
wir jenen Zustand des Neugeborenen, wobei die Athmung gar nicht oder nur
unvollkommen sich eingestellt hat, während gleichfalls die Herzthätigkeit
herabgesetzt erscheint.
Es bezeichnet der Ausdruck „Asphyxie" daher nicht jenen Zustand, der aus der
Uebersetzung des Wortes resultirt ; denn 6. privativum und rj acpu^t;, der Puls, bedeutet
Pulslosigkeit. Für den Scheintod wäre die Bezeichnung Dyssphyxie (o-J; acpü^t?) mehr am Platze.
Ursachen. Die Asphyxie wird durch Sauerstoffmangel bedingt.
Es kann daher das Kind bereits intrauterin asphyktisch werden, ja in den
meisten Fällen ist gerade dies der Fall. Der Gasaustausch beim ungeborenen
Kinde vollzieht sich geradeso wie beim abgenabelten, nur ist das Medium, in
welchem sich dieser Vorgang abspielt, ein anderes, sowie die Organe, die dies
zu vermitteln haben. Durch die Nabelvene wird dem Fötus sauerstoftliältiges
Blut zugeführt, durch die Nabelarterien das kohlensäurehältige Blut zur Pla-
centa zurückgeführt. Der Gasaustausch geschieht an der Placentarinsertions-
stelle. Indem das arterielle Blut der Mutter die Quelle für den Sauerstoff
der Frucht abgibt, können bereits Störungen in der Oxydation des mütter-
lichen Blutes eine Ursache zur Entstehung der Asphyxie beim Fötus ab-
geben. Wenn die Mutter in ein irrespirables, gasförmiges Medium geräth,
tritt beim Kinde Sauerstofimangel ein, ja es kann sich, wie bei Kohlenoxyd-
gas, selbst dieses dem kindlichen Blute mittheilen. Dass bei Chloroform-
narcosen Schwangerer die Placentarathmung beeinflusst werden kann, ist eine
bekannte Thatsache, ebenso auch, dass bei langdauernden Narcosen der
Schwangeren der Fötus oft comatös zugrunde geht.
Ob die Menge des verbrauchten Sauerstoffes eine geringe oder grosse
ist, gehen die Meinungen noch auseinander ; jedenfalls ist aber der Verbrauch
ein rascher. Die Erfahrung lehrt, dass eine länger als 10 Minuten währende
Unterbrechung der Placentarathmung den Fötus tödtet ; in vielen Fällen
schon früher.
Eine Behinderung des Gasaustausches wird auch erzeugt, wenn die placen-
tare Piespirationsfläche verkleinert wird, wie dies bei vorzeitiger Lostrennung
des Mutterkuchens der Fall ist. Der Entgang an Sauerstoff wird dabei durch
die damit unvermeidlich verbundene Blutung vermehrt.
Eine häufige Ursache der Stockung der Placentarathmung bildet die
Unterbrechung des fötalen Blutkreislaufes durch Nabelschnurdruck. Es
kann sich dabei um den Vorfall der Nabelschnur neben dem Kopf, um eine
Compression derselben bei schwierigen und verzögerten Extractionen am
Beckenende, oder um Compressionen der Nabelschnur durch zu starke An-
spannung derselben bei Umschlingungen um den Hals, oder um das sogenannte
Pteiten der Frucht auf der Nabelschnur handeln. Alle diese Momente können
auf die Dauer den fötalen Kreislauf derart beeinflussen, dass dem Fötus
nicht die hinlängliche Sauerstoffmenge zugeführt wird und dass endlich
Athemnoth und Asphyxie eintritt.
ASPHYXIE DES NEUGEBORENEN. 53
Bei langdauernden Geburten kommt es gleichfalls zu Aspliyxien, nachdem
durch die Uteruscontractionen die Placcntaratlimung Störungen erfahren hat.
Aber auch bei kurzdauernden Geburten werden oft Aspliyxien beobachtet,
wenn die Wehen stürmisch aufeinander gefolgt sind, so dass in den kurzen
Wehenpausen der Ueberscliuss an Kohlensäure gegen neuen Sauerstoff nicht
umgetauscht werden konnte.
Sectionsbefund. Wenn man Kinder, die an den Folgen der Aspliyxie zugrunde
gingen, einer Autopsie unterzieht, präsentirt sich das Bild des Erstickungstodes.
Bei todt- oder sterbend geborenen Kinctern, gesellen sich noch Nachweise des Ertrinkungs-
todes hinzu, die aber bei in Gesichtslagen geborenen Kindern auch fehlen können. Die
Lungen sind mit dunklem Blut überfüllt, unter der Pleura visceralis und aucli
costalis findet man zahlreiche Ecchymosen. Auch unter dem Peri- und Endocai'd .sind
solche häufig zu beobachten. Ferner sieht man venöse Stauungen auch in entfernter
liegenden Organen, sowie häufig Blutaustritte an der GehirnoberftäcJie und an der Ge-
hirnbasis. In den Luftwegen können sich aspirirte Massen, als Fruchtwasser, Meconiumxjar-
tikelchen mit Wollhaaren, Vernix caseosa, Blut, bisweilen zäher Genitalschleim vorfinden.
Diagnose, Diese ist nicht schwer zu stellen, wenn das Kind ganz
oder zum Theil geboren ist. Für das Verhalten des Geburtsarztes ist es
aber von Wichtigkeit, schon die intrauterine Asphyxie richtig und zu rechter
Zeit erkannt zu haben.
Wenn die Bewegungen der Frucht bis zur eingetretenen Störung in der
Placentarathmung, von der Mutter lebhaft verspürt wurden, wird zunächst
der Nachlass oder das Aufliören dieser Wahrnehmung, schon der Mutter
selbst, sofern sie sich einigermassen mit ihrem Zustande befasst, auffallen.
Der objective Befund wird aber für die Diagnose ausschlaggebend sein.
Mit jeder Wehe tritt eine Verlangsamung der kindlichen Herztöne ein,
doch stellt sich die normale Frequenz in der Wehenpause vollkommen her,
wenn keine Störung im fötalen Kreislauf eingetreten ist, Geräth das Kind
in Lebensgefahr, dann erheben sich die Herztöne in der Wehenpause nicht
zu ihrer normalen Frequenzhöhe, was auf Hirndruck oder auf eine bedeutende
Venosität des Blutes zurückschliessen lässt. Durch letztere wird das Athem-
centrum, beziehungsweise der Vagusursprung gereizt und Athembewegungen
ausgelöst. War die Störung eine vorübergehende, dann stellen sich normale
Verhältnisse nach Wegfall der ersteren ein.
Bei Fortbestehen der Lebensgefahr, gesellt sich zur Verlangsamung der
Herztöne, eine Unregelmässigkeit derselben, im weiteren Verlaufe hört man
statt des Doppelschlages nur einen dumpfen Ton. Der Dicrotismus hat auf-
gehört. Bei der Verlangsamung der kindlichen Herztöne ist gehörig darauf zu
achten, dass dieselben nicht mit den mütterlichen verwechselt werden.
Namentlich wenn die mütterlichen Herztöne etwas beschleunigt sind, kommen
solche Verwechslungen oft vor. Der Radialpuls gibt hier Aufschluss.
Dem Tode des Kindes geht in vielen Fällen ein plötzliches Ansteigen
der Herzschlagfrequenz voran, was für die Frucht immer bedenklich ist, da
diese Erscheinung auf eine Vaguslähmung zurückzuführen ist.
Ist die Fruchtblase geöffnet, dann kann man in vielen Fällen die
Asphyxie aus dem raissfärbigen Fruchtwasser diagnosticiren; denn schon im
Beginne der Asphyxie wird durch die Athembewegungen manchmal das Me-
conium aus dem Rectum herausgepresst, in vorgeschrittenen Stadien der
Asphyxie gelangt dasselbe in Folge Lähmung des Spliincter ani in das Frucht-
wasser. Ist indessen die Asphyxie behoben, dann hat das Missfärbigsein des
Fruchtwassers ebensowenig eine Giltigkeit für die Diagnose der Asph}^ie, wie
bei Beckenendlagen, wo beim Tiefertritt des Steisses in das mütterliche Becken,
das Meconium mechanisch während der Wehen ausgepresst wird. Dass für
den Fötus grosse Gefahr im Verzuge ist, erkennt man oft an den kurz vor
dem Tode auftretenden terminalen Zuckungen, die durch die Bauchdecken
deutlich zu erkennen sind. Noch deutlicher kann man solche Zuckungen
54 ASPHYXIE DES NEUGEBORENEN.
fühlen, wenn man behufs Wendung eines bereits asphyktischen Kindes, die
Hand im Uterus hat.
Bei der Asphyxie der Neugeborenen ist es gut, zwei Stadien zu unter-
scheiden, und zwar das der geringen und jenes der tiefen Asphyxie.
Diese Unterscheidung ist wichtig und von grosser Bedeutung für die Stellung
der Prognose und Therapie. Auch ist der Unterschied beider Stadien, klinisch
sehr in die Augen springend.
Ein nur gering asphyktisches Kind sieht blauroth aus, die Haut-
decken sind warm, prall gespannt, die Herzthätigkeit regelmässig, oft kaum
unter der Norm stehend, so, dass das Bild nahezu einer Apnoe gleicht. Der
Muskeltonus ist erhalten. Wenn man einem solchen Kinde eine Zehe drückt,
oder an der Fusssohle eine Streichbewegung ausführt, wird das Bein angezogen.
Die Berührung des Mundes löst eine Contraction des Sphincter oris aus. Ist
das Kind nicht abgenabelt, dann pulsiren auch die Nabelschnurgefässe kräftig..
Weil das Kind wie apoplectisch aussieht, haben die alten Autoren diesen Grad
der Asphyxie auch die Asphyxia apoplectica und wegen der blaurothen Ver-
färbung der Haut auch Asphyxia livida genannt.
Ganz anders das Bild der tiefen Asphyxie. Die Herzthätigkeit
ist bedeutend herabgesetzt, der Herzschlag in sehr vorgeschrittenen Stadien
unregelmässig, die Hautdecken blass, schlaff, kalt, die Extremitäten ausgestreckt,
nur dem Eigengewichte unterworfen, da der Muskeltonus aufgehört hat. Der
Unterkiefer hängt herab, der Kopf legt sich beim Erheben des Halses haltlos
zur Seite. Die Analöffnung klafft. Tritt Vaguserschlaflung ein, dann hebt
sich die Herzthätigkeit scheinbar, um bald ganz aufzuhören. Während der
tiefen Asphyxie sind die Athembewegungen nur oberflächlich, schnappend.
Meist ist die Bewegung nur der Effect der Zwerchfellcontraction.
Prognose und Therapie. Die Prognose hängt einerseits vom Grade
der Asphyxie, aber auch von dem Umstände ab, ob die Luftwege des Kindes
aspirirte Massen enthalten oder nicht. Eine Struma verschlimmert die Pro-
gnose.
Ein göring asphyktisches Kind wird sich ohne weiteres Hinzuthun bald
erholen, wenn die Luftwege frei sind, während bei Verlegung der Luftwege
und Uebersehen dieses Umstandes bald tiefe Asphyxie sich einstellt, die oft
ganz erfolglos bekämpft wird.
Zeigt das Kind gleich nach der Geburt keine Reactionen, befindet es sich
im Zustande der tiefen Asphyxie, dann ist die Prognose schlecht. Nichts-
destoweniger müssen die Wiederbelebungsversuche so lange fortgesetzt werden,
als noch ein Schein der Möglichkeit besteht, das Kind zu beleben, denn die
Erfahrung lehrt, dass oft in ganz aussichtslos erschienenen Fällen günstige
Resultate erzielt wurden.
Ist die Geburt eines asphyktischen Kindes zu erwarten, dann müssen
schon im Vorhinein Anstalten getroffen werden, dass nach der Geburt des
Kindes, alles zu Wiederbelebungsversuchen Nöthige zur Hand sei. Eine Wanne
mit warmem Wasser (30° R.), ein Schaffei mit kaltem Wasser, eine hinlängliche
Anzahl gewärmter Leintücher, ein Tisch mit einem harten Kissen, ein Ballon-
katheter, in Ermangelung dessen ein 3 mm dicker, biegsamer, englischer Ka-
theter. Ebenso muss die Hebamme die Nabelschnurscheere und zwei Nabel-
schnurbändchen bereit halten.
Sobald das Kind ausgetreten ist, wird die Mundhöhle, sowie die Nase
vom Schleim und den anderen dahingelangten Massen gründlich befreit. Pul-
sirt die Nabelschnur kräftig, dann wartet man zu und beobachtet das Kind.
Namentlich in jenen Fällen, wo das Kind blass aussieht, wäre eine übereilte
Unterbindung der pulsirenden Nabelschnur ein Fehler.
So lange sich das Kind an der Nabelschnur befindet, kann man einige
kurze Schläge auf den Rücken ausführen. Auch ein massiges Bespritzen des
ASPHYXIE DES NEUGEBORENEN. 55
Kindes mit kaltem Wasser kann hier von Nutzen sein. Man miiss liier auch
darauf achten, dass der Mund nicht zu nahe an das auf dem Leintuch befind-
liche Fruchtwasser und Blut komme.
Hat die Pulsation l)edeutend nachgelassen, ohne dass der erste Athem-
zug erfolgt ist, dann muss das Kind abgenabelt, in ein warmes Leintucli ein-
gehüllt und bald mit weiteren Belebungsversuchen begonnen werden.
Zunächst hebt man das Kind an den Füssen so in die Höhe, dass der
Kopf senkrecht nach abwärts gerichtet ist und lässt es eine Zeitlang in dieser
Lage. Es pflegen da oft ziemlich beträchtliche Massen aus der Trachea und
dem Munde auszufliessen, die früher beim blossen Auswischen des Mundes
nicht herausbbef ordert werden konnten. Ein vorheriges Emporlieben des Kehl-
deckels ist sehr von Nutzen. Im weiteren Verlaufe müssen die Belebungs-
versuche mit Pausen abwechseln. Während der letzteren wird das Kind in
warme Leintücher gehüllt oder es kommt in warmes Wasser.
Nachdem es erwiesen ist, dass der erste Athemzug nicht durch Kälte-
wirkung reflectorisch erregt wird, sondern in Folge von Sauerstoffmangel, ist
nicht genug vor förmlichen Uebergiessungen des asphyktischen Kindes mit
kaltem Wasser zu warnen. Es verliert damit das Kind nur die ihm so nöthge
Eigenwärme.
Hinsichtlich der verschiedenen Wiederbelebungsmethoden muss hervor-
gehoben werden, dass die ScHULTZE'schen Schwingungen in erste Pieihe zu
stellen sind. Sie entsprechen am Vollkommensten, in Hinsicht der Inspiration,
dem Mechanismus der Athmung und haben auch den Vortheil, dass bei Aus-
übung derselben, die etwa in der Trachea und im Larynx befindlichen, aspi-
rirten Massen während der Schwingungen nach Aussen gelangen können.
Wenn man den ScHULTZE'sclien Schwingungen zum Vorwurf macht, dass es dabei
zu Leberrupturen oder zu Blutungen unter den peritonealen Ueberzug der Leber gekom-
men ist, so muss darauf erwidert werden, dass entweder die Blutung in Folge der durch
die Asphyxie bedingten venösen Hyperämie, aprioristisch vorhanden war, oder dass die
Schwingungen nicht sachgemäss und gewiss mit roher Gewalt ausgeführt wurden. Auch
muss hier betont werden, dass bei Clavicularfracturen von ScHULTZE'schen Schwingungen
abzustehen ist. Die Befürchtung, das Kind könnte beim Schwingen den Händen des Ope-
rateurs entrutschen, entfällt, wenn die Hände des letzteren trocken sind iind das Kind
vor dem Erfassen mit einem trockenen Tuche abgewischt wird.
Das Kind w^ird nun so erfasst, dass dessen Kücken dem Operateur zu-
gewendet ist. Die Zeigefinger kommen in die Achselhöhlen, die Daumen vor
die Brust des Kindes, die übrigen Finger auf den Rücken. Damit der Kopf
nicht nach vorn überhänge, in welchem Falle das Eindringen der Luft be-
deutend erschwert wäre, muss derselbe vom Operateur zwischen dessen Hand-
wurzeln festgehalten werden. — Beim Schwingen hält der Operateur die Beine
etwas gespreizt von einander. — Bei der ersten Schwingung nach aufwärts,
die langsam auszuführen ist, fällt die Brust des Kindes auf die Daumen des
Operateurs, in der Brust- und Lendenwirbelsäule erfolgt eine Beugung, der
Bauchraum des Kindes wird verkleinert, das Zwerchfell nach aufwärts gedrängt
und den Lungen genähert. Diese erste Schwingung nach aufwärts bedeutet
eine Verkleinerung des Thoraxraumes. — Wird nun das Kind nach abwärts
geschwungen, dann entsteht in der Trachea ein negativer Druck und zum
Ausgleich desselben wird, wenn die Luftwege frei sind, in dieselben Luft ein-
strömen, was oft mit einem hörbaren Geräusche geschieht. — In solcher-
weise wird das Kind zunächst ungefähr lOmal auf- und abgeschwungen und
kommt dann in w^armes Wasser und warme Tücher. Ist die Respiration nicht
vollends in Gang, dann muss die Manipulation wiederholt werden.
Andere, insbesondere für geringe Grade passende Methoden, wären jene von ]\Ursh^ll-
Hall (1857), Silvester (1858), Pacini (1867 und 1868), Bain (1868) und Lahs (;i889l von
welchen wir hier die ersten zwei hervorheben.
Nach Marshall-Hall legt man das asphyktische Kind mit seiner Yorderfläche auf
eine Unterlage und schiebt unter die Stirn beide A'orderarme. Nach einigen Secunden legt
man den Körper auf die Seite, dann wieder auf die Bauchfläche und wiederholt diese Ma-
56 ATONIA UTERI.
nipulation etwa 15mal in der Minute. Die Seitenlagerung soll zur Förderung der Inspi-
ration, die Brust-Bauchlagerung zur Exspiration dienen Während der Brust-Bauchlagerung
soll ein Druck auf den Tliorax ausgeübt werden. Beim ' SiLVESTER'schen Verfahren liegt
das asphyktische Kind auf dem Rücken. Die Zunge wird vorgezogen und nach vorne ge-
halten. Beliufs Inspiration werden die Arme gestreckt und bis zum Kopf hinaufgehoben,
zum Zweck der Exspiration wieder gesenkt und an die Rippenbögen angedrückt.
Wenn bei Anwendung einer dieser Methoden die Asphyxie zunimmt, oder
durch ScHULTZEsche Schwingungen bei tiefer Asphyxie nichts ausgerichtet
wird, dann soll als ultima ratio, Lufteinb lasung mit dem G. BRAUN'schen
Ballonkatheter, oder mit einem biegsamen englischen Katheter (Stempel-
^NiANx), vorgenommen werden, nachdem vorher die Luftwege von etwa aspi-
rirten Massen thunlichst befreit wurden.
Jedermann, der viele Asphyxien, mit allen möglichen Methoden zu be-
kämpfen gehabt hat, weiss, dass man mit dem Ballonkatheter Kinder beleben
kann, wo mit keiner anderen Methode etwas auszurichten gewesen wäre. Doch
muss diese Methode an einer Kindesleiche gründlich geübt sein, bevor sie an
einem asphyktischen Kinde Anwendung findet. Auch wäre es ganz verfehlt,
sofort zum Ballonkatheter zu greifen.
Schon die Einführung des Katheters erfordert einige Uebung. Der
Hals des asphyktischen Kindes wird durch Unterlegen einer Rolle überstreckt, mit
dem Zeigefinger einer Hand der Kehldeckel aufgehoben und mit der anderen
Hand der Katheter (nachdem vorerst der Ballon herabgenommen wurde), vor-
sichtig, bis nahe der Bifurcation der Trachea vorgeschoben. Man muss es
vermeiden, den Katheter in den Oesophagus einzuführen, oder mit der Ka-
theterspitze falsche Wege zu bohren.
Der Ballonkatheter ist so construirt, dass man mit demselben zunächst die aspi-
rirten Massen entfernen, hierauf die Athmung in Gang bringen kann.*)
Hat man keinen Ballonkatheter und auch sonst nicht einen passenden
Katheter zur Hand, so kann die Einblasung von Mund zu Mund ge-
schehen, nachdem man vorher vor den Mund des Kindes ein flach ausgebreitetes
Stück Leinwand gelegt hat.
Ist es gelungen ein tief asphyktisches Kind wieder zu beleben, dann
muss diesem in den nächsten Tagen eine besondere Aufmerksamkeit
zugewendet werden, die insbesondere darin besteht, dasselbe vor Wärmever-
lusten zu bewahren. Ein schwächliches Kind soll zu diesem Zwecke auch
noch womöglich in Watte gewickelt werden. piskaöek.
Atonia uteri. Zu jeder Zeit der Geburt kann es vorkommen, dass die
Contractionen des Uterus nicht die jeweilig nöthige Stärke besitzen, welchen
Zustand man im Allgemeinen als Wehenschwäche bezeichnet. Besitzt der Uterus
nach Ausschluss des Kindes nicht die nöthige Energie, um die Ablösung der
Placenta zu vollenden und die nach deren theilweiser oder vollständiger Ab-
lösung durchrissenen Blutgefässe zu comprimiren, fehlt die sogenannte „tonische
Eetraction", so nennt man diesen Zustand Atonie des Uterus. Diese gibt
sich dadurch zu erkennen, dass der Uterus, auch wenn er bei Ausschluss des
Kindes sich stark contrahirte, alsbald wieder erschlafft, die bei Ausschluss
des Kindes erlangte neue Faserordnung nicht beibehält und nicht die geringste
Neigung zeigt, sich zu contrahiren, Avodurch einestheils die Placenta nicht
nach aussen (wenigstens in die Scheide) entleert wird, anderentheils eine mehr
oder weniger starke, oft sehr profuse Blutung entsteht. Der Uterus fühlt sich
äusserlich durch die Bauchdecken nicht als harte, feste Kugel, wie bei dem
normalen Verlaufe, sondern als weicher, schlaffer, oft sehr grosser Körper an.
In extremen Fällen lassen sich selbst gar keine Contouren desselben abtasten.
'*') Vergl. den Artikel „Instrumentarium in der Geburtshilfe" mit der daselbst
befindlichen Abbildung.
ATONIA UTERI. 57
Meistens erstreckt sich die Ersclilaffung auf den ganzen Uterus, mitunter nur
auf den Körper bei normalem oder selbst krampfhaft contraliirtem iimerem
Muttermund, sehr selten nur auf die Placentarstelle. Kiitwcider tritt die Er-
schlaffung sofort ein, oft erst nach einiger Zeit, manclimal nach einigen ver-
geblichen Versuchen zur Contraction. Ist dabei der innere Muttermund durch
die vorgelagerte Placenta oder ein Coagulum oder in seltenen Fällen durch
Krampf verschlossen, so ergiesst sich das Blut aus den durciirissenen Utero-
Placentargefässen in die Uterushöhle, es kommt zu einer inneren Blutung,
durch welche der Uterus mehr und mehr ausgedehnt wird. Bei offen(;n ^^'ege^
dagegen ergiesst sich das Blut bald mehr, 1)ald minder stai'k nacli aussen, oft
in so enormen Mengen, dass die Entbundene förmlich im Blute schwimmt, die
Unterlagen, das Bett durchtränkt werden, und bisweilen der Tod schon binnen
kurzer Zeit eintritt. Je nach der Stärke des Blutverlustes machen sich l)ald
früher, bald später die Allgemeinerscheinungen der Verblutung l)emerklich.
als Druck in der Herzgrube, Flimmern und Schwarzwerden vor den Augen,
Schwindel, Ohrensausen, Gähnen, Seufzen, Brustbeklemmung, kleiner bis faden-
förmiger, sehr fre'quenter Puls, Blässe des Gesichts, Kälte der Haut, besonders
am Kopf und den Extremitäten, allgemeiner Collaps, kalter Schweiss, Ohn-
macht, zuletzt Pulslosigkeit, Athemnoth, Zuckungen — • Exitus.
Hervorgerufen wird die Atonie in erster Linie durch vollständigen
Kraftverbrauch bei langdauernden schwierigen und besonders schmerzhaften
Geburten, sei es, dass ein unüberwindlicher Widerstand die anfangs normale
Kraft erschöpfte, sei es, dass von Haus aus nicht genügende Kraft vorhanden
war selbst zur Ueberwindung eines nicht übermässigen Widerstandes. Letzteres
beobachten wir besonders bei allgemeinen Schwächezuständen nach erschöpfenden
Krankheiten, zu rasch aufeinanderfolgenden häufigen Geburten und Aborten
oder in Folge hochgradiger allgemeiner Plethora; bei übermässiger Ausdehnung
des Uterus durch Zwillinge, Hydramnios u. dgi.; ferner bei fehlerhafter Bildung
des Uterus von Haus aus oder in Folge mangelhafter Rückbildung, durch
Narbenbildungen, eingelagerte Geschwülste, Lagefehler, Adhäsionen mit ])e-
nachbarten Organen nach früheren Entzündungen; auch bei Beeinträchtigung
der Uterusthätigkeit durch Ueberausdehnung benachbarter Orgaue (Blase,
Mastdarm) oder Fremdbildungen (Ovarialtumoren u. dgl.) oder durch Rup-
turen und Wunden, bei welchen auch eine, oft starke Blutung aus den dem
Placentarsitz nicht angehörenden Gefässen der Uteruswand eintreten kann,
besonders wenn die Verletzung die Seitenränder des Uterus, wo die grossen
Gefässe verlaufen, betrifft. Es ist aber auch Atonie eine nicht seltene Folge
von überstürzten Geburten (durch Krampf, äussere Gewaltthätigkeit) oder
übereilte Entleerung des Uterus durch Zange, Wendung und Extraction. be-
sonders wenn derselbe vorher sehr stark ausgedehnt war, wie bei Zwillingen.
Hydramnios, Monstrositäten. Bei der Spontanüberstürzung oder der übereilten
künstlichen Entleerung gewinnt der Uterus nicht Zeit, der zu einer erspriess-
lichen dauernden Contraction, der tonischen Retraction, nothwendigen neuen
Faseranordnung sich anzubequemen; die eben erst in grösserem L'^mfange
durchrissenen Utero-Placentargefässe werden nicht geschlossen, es kommt zu
einem sofortigen starken Bluterguss, förmlichen Blutsturz, der nun seinerseits
wieder durch die plötzliche Schwächung des Gesammtorganismus besonders
der Centren, die Innervation hochgradig t)eeinträchtigt, eine neue LTrsache der
Atonie.
Eine solche Störung der Innervation kann aber auch hervorgerufen
werden durch gewaltsame psychische Momente, heftigen Schreck u. dgl., was
Manche allerdings, wohl aber mit Unrecht leugnen. Eine Atonie soll sich
auch im Verlauf der Nachgeburtszeit und kurz danach entwickeln können,
wenn einzelne der durchrissenen Gefässe abnormer Weise so weit sind, dass
die sonst normale Contraction des Uterus sie nicht vollständig zu schliessen
58 ATONIA UTERI.
vermag, so dass ständiger Bluterguss erfolgt, der schliesslicli allgemeine
►Schwäche und dadurch Atonie des Uterus bewirkt, ein Umstand, auf den zu-
erst Kiwiscn aufmerksam gemacht hat. Eine Lähmung der Placentarstelle,
bei welcher eben diese Stelle durch die feste Contraction der übrigen Uterus-
musculatur oft bauchig oder hutpilzförmig in die Uterushöhle vorgewölbt wird,
wodurch die durchrissenen Gelasse noch weiter klaffen, führt zu sehr perni-
ciösen Blutungen, zumal dann, wenn es durch incarcerationsähnliche Um-
schnürung zu venöser Stauung kommt, ähnlich wie bei Incarceration des in-
vertirten Uterus im Muttermund.
Die Diagnose der Atonie ist bei einiger Aufmerksamkeit nicht schwer
zu stellen, schwieriger in manchen Fällen die Diagnose der Ursachen. Bei
normalem Verlauf der Nachgeburtszeit zeigt sich der Uterus alsbald nach Aus-
schluss des Kindes als eine faust- bis kindskopf grosse (letzteres wenn die Pta-
centa noch nicht gelöst ist) harte Kugel über der Symphyse, welche wohl vor-
übergehend etwas weicher, elastischer wird, aber doch immer gespannt bleibt
und sehr bald wieder feste Contouren annimmt, oft unter deutlichen Sclimerz-
empfindungen seitens der Entbundenen und mitunter leichtem Blutabgang.
Thut sie dies nicht, wird der Uterus im Gegentheil immer weicher und schlaffer
und dabei grösser, oft bis weit über den Nabel reichend, so haben wir es mit
Atonie zu thun, auch wenn noch keine Blutung nach aussen erfolgt ist.
Blutung allein ohne äusserlich fühlbare Erschlaffung ist noch nicht Atonie,
aber kann dazu führen und ist ein Vorkommnis, das eine genaue Unter-
suchung nach der Quelle der Blutung erheischt, da ja auch Blutungen aus
durchrissenen Gefässen der Vulva, Clitoris, Vagina (geborstener Thrombus)
oder der Vaginalportion sehr gefährlich werden können. Fühlen wir den
Uterus gut contrahirt, aber nicht als vollkommen runde Kugel, sondern an
irgend einer Stelle mehr oder minder eingezogen oder vertieft und fliesst dabei
Blut nach aussen, so haben wir es mit der sehr seltenen Atonie der Placentar-
stelle zu thun. Bei fehlerhafter Bildung des Uterus, besonders Uterus uni-
cornis oder bicornis mit verkümmertem Nebenhorn oder vollständigem Uterus
bicornis fühlen wir auch den contrahirten Uterus nicht als runde Kugel,
sondern höckerig, unregelmässig, aber keine wesentliche Blutung dabei, wenn
nicht Atonie vorhanden ist.
Die Atonie des Uterus ist immer eine hochbedenkliche Affection, welche
unsere ganz besondere Aufmerksamkeit erfordert und ist deshalb auch die
Prognose immer nur bedingt zu stellen. Hochgradige Anämie kann binnen
Kurzem zum Tode führen, in anderen Fällen durch den starken Blutverlust
langes Siechthum, selbst nachträglich noch durch lentescirendes Fieber u. dgl.
den Tod zur Folge haben. Nicht selten beobachtet man nach Atonie als Nach-
krankheiten Metritis, Endometritis, Parametritis, Venenthrombose, Venenent-
zündung und Phlegmasie der unteren Extremitäten, zum Theil vielleicht Folgen
der Behandlung. Durch rechtzeitige und richtig geleitete Behandlung wird
es uns in den meisten Fällen gelingen, die Sache zu einem guten Ende zu
führen. Es ist erstaunlich, wie viel Blut oft Frauen in dieser Lage verlieren
können, wie rasch sie sich von colossalem Blutverlust erholen. Selbst wenn es
schon zu tiefer Ohnmacht gekommen, ist ein günstiger Ausgang noch nicht
ausgeschlossen. Man darf aber auf diese günstigen Umstände nicht rechnen
und muss alle Kraft daran setzen, den Gefahren zu begegnen.
Ein Haupterfordernis für eine erfolgreiche Behandlung ist, dass man
sich von den erschütternden Gefahren des Momentes nicht überwältigen lässt,
völlige Ruhe und Kaltblütigkeit bewahrt, wenn auch das Blut in Strömen
fliesst, und nicht in stürmischem, dadurch oft verkehrtem Eingreifen sein Heil
versucht. In prophylaktischer Beziehung wird man durch geeignete Berück-
sichtigung der Ursachen, die allenfalls Atonie herbeiführen könnten, schon
während des Verlaufs der Geburt, unter Umständen schon vorher in vielen
ATONIA UTERI. 59
Fällen mit Erfolg wirken können, soweit solche Ursaclien sich entfernen oder
vermeiden lassen, und wird sich das Geeignete bei gehöriger Berücksichtigung
der oben angeführten Ursachen jeweils schon von selbst ergeben. Was das
operative Eingreifen anlangt, so hüte man sich besonders vor zu raschen und
zu stürmischen Entleerungen des Uterus. Lie taugen nie etwas ! Ein Ilauitt-
punkt der Prophylaxe ist der, dass man es sich in jedem, auch dem schein-
bar leichtesten Geburtsfalle, angelegen sein lässt, sofort nach Ausschluss des
Kindes den Uterus zu überwachen. Eine Unterlassungssünde in dieser Be-
ziehung könnte sich schwer rächen. In dieser Ueberwachung, bethätigt durch
vorsichtiges Palpiren und, wenn sich etwas Contractions-Nachlass zeigt, durch
sanftes Reiben des Uterusgrundes und Körpers von den Bauclidecken aus, ist
zugleich schon der Anfang der Behandlung gegeben und genügt dies auch in
leichten Fällen. Ist die Placenta noch nicht gelöst, so muss man mit den
allmälig zu verstärkenden Frictionen so lange fortfahren, bis es gelingt, durch
den Crede'schen Handgriff die Lösung zu bewerkstelligen und den Uterus
vollständig zu entleeren. Unterstützen können wir diesen Handgriff" durch kalte
oder noch besser heisse (40—45^ C.) Irrigationen der Scheide, welche, beson-
ders letztere, sehr geeignet sind, einen kräftigen Beiz zu Contractionen zu
geben und zugleich die Blutungen zu stillen. Ausserdem gibt man Seeale,
innerlich oder subcutan in grossen Gaben und, wenn es die Umstände er-
heischen, Analeptika, bei deren Anwendung man jedoch sehr vorsichtig zu
Werke gehen muss, um nicht zu heftige Erregung, welche wieder schaden
würde, und allenfalls eine Ueberladung des Magens und. dadurch Erbrechen
hervorzurufen. Zweckmässig ist es mit diesen innerlichen Mitteln schon bei
der Austreibung des Kindes, besonders bei künstlicher Entfernung zu beginnen,
wenn aus dem vorhergehenden Geburtsverlauf schon zu fürchten ist, dass es
zu Atonie kommen könnte. Ist zu der Zeit, wenn man mit den Frictionen
und der Expression der Placenta beginnt, der Uterus schon sehr ausgedehnt,
wozu man es, wenn man rechtzeitig vorhanden ist, nicht kommen lassen darf,
dann werden, bevor die Placenta nach aussen tritt, durch die Compression
grössere Mengen geronnenes und flüssiges Blut hervorquellen, w^as nicht er-
schrecken darf. Die angegebenen Mittel, richtig angewendet, werden in den
bei weitem meisten Fällen genügen, einem weiteren Umsichgreifen der Atonie
zu begegnen. Ist die Placenta und die noch nachfolgenden Blutgerinsel ent-
fernt, muss es die Hauptsorge sein, den Uterus durch längere Zeit zu über-
wachen und am Wiedererschlaffen zu verhindern.
Gelingt es trotz methodisch angewandtem Crede'schen Handgriffe nicht,
die Placenta zu entfernen, so deutet das auf die selten vorkommende wirkliche
Verwachsung der Placenta — das Gespenst der Verwachsung ist durch den
Crede'schen Handgriff sehr in den Hintergrund gedrängt — oder auf Krampf
des Isthmus, und nöthigt uns beides, ungesäumt zur Entfernung der Placenta
durch innere Handgriffe zu schreiten. Den Krampf des Isthmus überwinden
wir meist mit einiger Geduld durch die konisch zusammengelegten Finger der
w^olil eingeölten und gut desinficirten einen Hand, die allmälig leicht drehend
und bohrend vorgeschoben wird während die aussen befindliche Hand einen
energischen Gegendruck ausübt. Unterstützt wird dieses Vorgehen dm'ch
Verabreichung von Opium innerlich oder subcutane Morphiuminjection (0"02
bis 0-03 g).
Bei Verwachsung oder zu fester Adhärenz der Placenta dringt die eine
Hand unter Leitung der Nabelschnur — ohne Zug daran! — bis zur Placenta
vor und sucht wo möglich innerhalb der Eihäute bis an den oberen Rand
derselben zu kommen, um sie von da aus mit der mit den Eihäuten bedeckten
Hand (Hildebrand) allmälig loszuschälen und in der Hohlhand nach unten
zu drücken, wobei jetzt ein leichter Zug an der Nabelschnur mithelfen kann.
Die äussere Hand überwacht den Uterus und comprimirt nach Umständen.
60 ATONIA UTERI.
Wenn nach Entfernung der Placenta sich die Atonie wieder oder jetzt
erst bemerklich maclit und trotz energischer Anwendung obengenannter Mittel
nicht weichen will, muss man versuchen, durch himanuelle Cotnpression oder
durch bimanuelle Friction des Uterus die Muskelfasern zur dauernden Zu-
sammenziehung und durch adstringirende Irrigationen in die Uterushöhle die
blutenden Gefässe zur Thrombose und die Blutung dadurch zum Stehen zu
bringen. Zu den Irrigationen eignet sich am besten Eisenchlorid in Ver-
dünnung 1 :40 — 50 (stark weingelb), auch Alaun oder Essig in entsprechender
Verdünnung, lauwarm bis heiss. Hat man diese Mittel nicht zur Hand, dann
Heisswasser-Irrigationen.
Die bimanuelle Compression führt man nach Fassbender aus, indem man
die eine Hand möglichst hoch in das hintere Scheidengewölbe heraufluhrt
an die hintere Wand des Uterus und mit der anderen durch die Bauchdecken
über der Symphyse von vorn einen Druck auf den Uterus ausübt und so
beide Uteruswandungen gegeneinander drückt und knetet, während Schröder
empfiehlt, die innere Hand möglichst hoch im vorderen Scheidengewölbe
hinaufzuführen und mit der aussen befindlichen den Fundus ut. durch die
Bauchdecken von hinten zu umfassen und so denselben Doppeldruck auszu-
üben, was jedoch nur bei schlaffen Bauchdecken gelingt.
Hilft auch dies nicht, dann führt man die eine Hand in die Uterushöhle
und reibt damit die Innenfläche derselben, wobei zugleich auch noch etwa
anhaftende Placenta- oder Decidua-Reste entfernt werden, während die andere
Hand den Uterus von aussen kräftig knetet. Man setzt dies so lange fort,
bis kräftige Contractionen nöthigen, die innen befindliche Hand herauszuziehen.
Blutet es trotz alledem noch fort, dann soll man nach dem Vorschlag
von Wynn Williams mittelst eines Schwammes (oder vielleicht besser eines
grossen Wattepfropfes) die Innenfläche des Uterus mit einer stärkeren Eisen-
Chloridlösung (am geeignetsten 1:20, nicht stärker, wie W. Williams angibt)
direct touchiren, was sich besonders bei Blutungen aus der atonischen Pla-
centarstelle empfehlen möchte. Bei dieser letzteren Art Blutung aus partieller
Atonie oder bei fortdauernder Blutung in Folge von Ueberweite eines oder
mehrerer durchrissener Utero-Placentargefässe oder von abnormen Anastomosen
derselben (relative Atonie) würde als ultimum refugium die Tamponade der
Uterushöhle mit in Eisenchloridlösung (1:40) getauchten Wattepfropfen zu ver-
suchen und gestattet sein. Bei allgemeiner Atonie ist dagegen die Uterus-
und auch die Scheidentamponade zu verwerfen, da erstere das Contractions-
bestreben des Uterus verhindert, letztere eine innere Verblutung begünstigt.
Von der von manchen Seiten für verzweifelte Fälle vorgeschlagenen Trans-
fusion ist man wieder abgekommen.
Selbstverständlich muss mit diesen örtlichen Medicationen eine geeignete
innerliche Behandlung Hand in Hand gehen, aber vorsichtig, nicht stürmisch.
Kommt es zu Ohnmächten, Pulslosigkeit, droht Exitus, dann leisten subcutane
Injectionen von Äether sulfuricus oder Kampheröl, drei, vier Spritzen voll und
mehr in viertelstündigen Pausen, oft überraschende Dienste.
Hat man es endlich glücklich erreicht, die Atonie zu überwinden, den
Uterus zu guter Contraction zu bringen, dann bedarf er noch längere Zeit
der strengsten Ueberwachung durch die aufgelegte Hand. Erst wenn er ein
bis zwei Stunden sich dauernd contrahirt zeigt, darf man es wagen, die con-
trolirende Hand mit einem Sandsack oder festen Compressen zu vertauschen,
muss aber dabei häufig mit der Hand Nachcontrole üben. Sehr ist darauf
zu sehen, dass die Entbundene strengstens in horizontaler Kückenlage ver-
harrt. Bei etwaigem Bedarf ist der Urin vorsichtig mittelst Katheter zu ent-
leeren.
BARTHOLINITIS UND BARTHOLINISCHER ABSCESS. - BECKEN ANOMALIEN. 61
Die Nachbehandlung besteht vorzugsweise in Hebung der gesunkenen
Kräfte, Beseitigung der Anämie, Fernhaltung aller Schädlichkeiten vom Geni-
talapparate und geeigneter Behandlung allenfallsiger Nachkrankheiten.
I5IKNIJAUM.
Bartholinitis und Bartholinischer Abscess. in der Hegel hat
die Bartholini sehe Drüse beim weiblichen Geschlecht Bohnenform und
Bohnengrösse d. i. 15 — 20 mm Länge. Sie liegt mit der Längenachse in der
Längsrichtung der grossen Schamlippe, aber sie liegt recht versteckt in
der Tiefe. Sie ist besonders bei ziemlich mageren Frauen im unteren Theil
der grossen Schamlippen durchzufühlen und man findet sie am raschesten,
wenn man den hinteren Theil der grossen Schamlippen zwischen Daumen
und Zeigefinger nimmt.
Die CowPEii'sche Drüse liegt der Fossa navicularis entsprechend dicht vor
dem aufsteigenden Schambeinast. Bei Frauen, welche geboren hal)en und
deren Hymen nur noch in warzenförmigen Resten übergeblieben, ist der Aus-
führungsgang gewöhnlich leicht zu finden, da er auf der Aussenseite eines
solchen Wärzchens liegt. Erkrankungen dieser Drüse kommen beim weibli-
chen Geschlechte unter gewissen Umständen recht häufig vor. Wir meinen
aber, dass diese Umstände hauptsächlich in der Verbreitung der Gonorrhoe
liegen und dass, wo diese ausgeschlossen, eine Erkrankung dieser Gebilde
zu den Seltenheiten gehört.
Jede Verbreitung einer Entzündung in der Nähe des Ausführungsganges
und in denselben hinein, bringt auch eine Schwellung der Schleimhaut zu
Stande, die das Secret staut. Durch Vulvitis, insbesondere durch die gonor-
rhoische, durch spitze Condylome, entsteht Schwellung der Schleimhaut, Ver-
engerung und Verklebung des Canals. Die Geschwülste erreichen Tauben-
bis Hühnereigrösse, hindern hauptsächlich im Sitzen, beim Aufstehen, bei
der Cohabitation oder werden durch den mechanischen Beiz auch empfindlich.
Eine lange Dauer der Retention muss eine Stauung nach rückw^ärts bedingen,
also die Sammelcanäle der Drüse erweitern. Aber es entsteht natürlich auch
eine starke Dehnung des Ausführungsganges, die gelegentlich dem gestauten
Secret Bahn macht und zum Abfliessen desselben führt.
Am häufigsten kommt diese Entzündung des Ausführungsganges als Ver-
breitung eines gonorrhoischen Katarrhes vor. Gerade bei der hartnäckigen
Gonorrhoe mit immer sich wiederholenden Recidiven ist die Entzündung dieses
Ganges, w^o das verklebte Secret zu immer neuer Regeneration des gonorrhoi-
schen Virus führen kann, die Quelle der Recidive.
Die Behandlung muss darauf gerichtet werden, die Stauungen und
die davon ausgehenden Recidiven zu vermeiden. Ist dabei der Ausführuugs-
gang verstopft, empfiehlt es sich wohl am besten den Abscess unter antisep-
tischen Cautelen in gehöriger Weise zu spalten und die Wundöffnung mit
Jodoformgaze zu drainiren. v. beaux-feenwald.
Beckenanomalien. Eintheilung. Wir theilen am besten die anomalen
Becken nach ihrer Entstehungsweise ein : 1. Anomalien des Beckens in Folge von
EntiüicMungs felllern. 2. Beckenanomalien in Folge von Erkrankungen der Becken-
knochen. 3. Anomalien der Verbindung der Beckenknochen unter einander. 4.
Anomalien des Beckens durch Krankheiten der belastenden Skelettheile. 5. Beckena-
nomalien durch Krankheiten der belasteten Skelettheile.
Einfluss des engen Beckens auf die Schwangerschaft. Beim
engen Becken werden gewisse Lage Veränderungen des Uterus häufiger
beobachtet als beim normalen; ferner kommt beim engen Becken auch eine
grössere Beweglichkeit des Uterus im Bauchraume zur Beobachtung. Von den
62 . BECKENANOMALIEN.
Lageveränderuiigen des Uterus im engeren Sinne stellt die Retroflexio und
Eetroversio uteri in den ersten Monaten der Schwangerschaft in einzelnen
Fällen mit der Beckenenge in Zusammenhang. Die häufigste Wirkung des
engen Beckens besteht aber in der Ausbildung der Anteversio und Anteflexio
uteri, des sogenannten Hängebauches. Bei gewissen Beckenanomalien finden sich
ziemlich constant Gestalts Veränderungen des Uterus; allbekannt ist
endlich der Einfluss des engen Beckens auf die Lage und Haltung der Frucht.
Die D au er der Geburt wird von dem engen Becken nicht in jedem Falle
beeinflusst; allerdings ist dabei immer eine viel grössere Wehenanstrengung
erforderlich als bei normalem Becken. Man ist seit langer Zeit gewohnt, bei
allgemein gleichmässig verengtem Becken eine schwache Wehenthätigkeit, bei
ungleichmässig verengtem und plattem Becken eine ungewöhnliche Energie
der Wehenthätigkeit zu erwarten. Doch müssen wir Litzmann Recht geben.
der den Einfluss der Form des engen Beckens auf die Wehenthätigkeit leugnet.
Einen weiteren Einfluss des Beckens auf die Geburt kennen wir in der
Aenderung des Geburtsmechanismus. In vielen Fällen wird sich dies
schon in einem verzögerten Eintritt des Kopfes geltend machen. Eine ganz
gewöhnliche Folge dessen ist ein vorzeitiger Blasensprung. Auch die Art der
Erweiterung des Muttermundes erleidet mitunter beim engen Becken wesent-
liche Störungen.
Folgen des engen Beckens für die Gebärende. Als solche
können sich Quetschungen und Zerreissungen des Geburtscanais ereignen.
Der auf die Geburtswege ausgeübte Druck kann entweder gleichmässig die
gesammte Peripherie betreffen oder er ist ein partieller, bloss von dem ge-
wöhnlich stärker vorspringenden Promontorium ausgehender. Sehr selten,
und zwar nur bei besonders hohem Stande des Cervix oder bei frühzeitigem
Verstreichen des Muttermundes über den hochstehenden Kopf werden sich
Druckspuren seitens des Promontoriums an der hinteren Scheidenwand nach-
weisen lassen. Auch entsprechend der Symphyse finden sich solche, in der
Regel am Cervix, sehr selten seitens der Linea terminalis. Bei sehr langem
und intensivem Druck seitens des Kopfes auf die Wand der Beckenhöhle
kommen auch Druckwirkungen der mitunter stark gegen die Beckenhöhle
vorspringenden Spinae ischii zu Stande.
Als Folgen des engen Beckens für die Gebärende sind auch Zerreissungen
des Geburtscanais, die Colporrhexis und die perforirende Uterusruptur zu
nennen, sowie die allerdings sehr selten zu beobachtende Ruptur der Becken-
symphysen.
Eine weitere Folge des engen Beckens bei langer Geburtsdauer ist Er-
schöpfung wegen der langdauernden Muskelanstrengung und eine gegenüber
normalen Geburten bedeutend vermehrte Gefahr der Infection der Gebärenden.
Ob in der Beckenenge ein prädisponirendes Moment für den Ausbrucli der Eclampsia
gegeben ist, mag noch dahingestellt bleiben.
Folgen des engen Beckens für die Frucht. Dieselben zeigen
sich in Bezug auf den Gesammtorganismus der Frucht als Störungen der
Placentarrespiration, da in Folge der langen Geburtsdauer und intensiven
Wehenthätigkeit, sowie des frühzeitigen Blasensprunges mit fast völligem
Abfluss des Fruchtwassers ein langdauernder und sich oft wiederholender
Verschluss der Uteroplacentargefässe eintritt.
Unter den directen, sichtbaren Folgen des engen Beckens für die Frucht
ist es zunächst die Bildung der Kopfgeschwulst, welche Erwähnung
verdient. Circumscripte Druckstellen am Schädel rühren meistens vom Pro-
montorium her ; sie finden sich demgemäss also meistens auf dem nach hinten
gelegenen Scheitelbeine oder Stirnbeine und stellen rundliche oder ovale
röthliche Flecken mit verwischten Rändern oder längliche schmale Streifen
auf der Haut vor. Die Knochen des Schädels erfahren ebenfalls meist durch
BECKENANOMALIEN. 63
das Promontorium eine Abflachung. Eine stärkere iJiegung findet sicli in der
Eegel an demjenigen Scliädelantheil, der gegen die Sympiiyse gelegen war,
meist also an dem nach vorn gelegenen Scheitelbein. Die sogenannten rinnen-
lormigen Einbiegungen finden sich an den Iländern der .Schä(]elkno('hen nahe
und parallel der Nahtlinie. Sehr selten sind die sogenannten tri chterfönn igen
oder löffeiförmigen Eindrücke der Schädelknochen; auch sie finden sich als
vom Promontorium herrührend an dem nach hinten gelegenen Scheitel])ein.
Bei der gewaltsamen Entstehung solcher P^indrücke kommt es wohl auch mit-
unter zu Brüchen und Fissuren der betreffenden Schädelknochen. Sehr ge-
wöhnliche und häufige Druckwirkungen des engen I>eckens auf den Schädel
bestehen in Verschiebung der Schädelknochen in ihren Nähten, sogar der
Schädelhälften.
Rupturen der Wirbelsäule kommen mitunter bei nachfolgendem
Kopfe vor, wenn derselbe mit grosser Kraft über den Beckeneingang hinweg-
gezogen werden muss; unter denselben Verhältnissen beobachtete Schröder
eine Abtrennung der Epiphysen der Hinterhauptschuppe.
I. Gruppe. Entwicklungsfehler des Beckens.
1. Das allgemein gleichmässig verengte Becken.
Es ist dies ein Becken, das mehr-weniger die Form des normalen Beckens
nachahmt, ohne dabei dessen Grösse zu erreichen ; besonders sind bei dieser Becken-
form irgend welche Verbiegungen oder Verunstaltungen der Knochen ausgeschlossen.
In idealer Form würde also dieses Becken ein normalgeformtes weibliches Becken
in verkleinertem Massstabe darstellen. Doch kommen bei dieser Beckenform ebenso
wie beim normalen Becken Verschiedenheiten innerhalb gewisser Grenzen vor, indem
in einzelnen Theilen des Beckens ein Stehenbleiben auf der Stufe kindlicher Ent-
wicklung beobachtet wird. Wir unterscheiden 3 Gruppen, das sogenannte verjüngte
Becken, das sogenannte männlich starke Becken und das sogenannte Zwergbecken.
Das allgemein' gleichmässig verengte Becken, dessen Vorkommen im Allgemeinen für
ein seltenes gehalten wird, wird in manchen Gegenden in einer grossen Häufigkeit ange-
troffen. Zu diesen Gegenden gehört nach Müller die Schweiz, besonders die Gegend von Bern.
Zur Diagnose das allgemein gleichmässig verengten Beckens, das seine Ur-
sache in mangelhafter Entwicklung des ganzen Skelettes oder des Beckens allein
findet,' muss zunächst überstandene Bhachitis sowohl anamnestisch als objectiv mit
Bestimmtheit ausgeschlossen werden. Die Darmbeinschaufeln liegen weniger flach
und weisen eine grössere Differenz in den Entfernungen der Spinae und Cristae auf,
das Kreuzbein ist weniger zwischen die Hüftbeine vorgerückt und die Spinae poste-
riores superiores weiter von einander entfernt.
Durch die innere Untersuchung kann zunächst eine massige Verkürzung
der Diagonalconjugata*) constatirt werden. Die Grösse des Abzuges, den die Dia-
gonalconjugata erfahren muss, um die Conjugata vera zu ergeben, schwankt von
2'9 — 1*0 cm. Bei der Unvollkommenheit der bisherigen Messungsmethoden empfiehlt
sich zur Diagnose dieser Beckenform die innere Messung nach Wellexbkrgh-
Skutsch. Ueber den Grad der Beckenvereugerung beim allgemein gleichmässig ver-
engten Becken besteht die Ansicht, dass die Conjugata vera höchst selten unter
^'^l^an herabsinke und dass ein allgemein gleichmässig verengtes Becken unter 8 c?»
überhaupt nicht existire. Bei Zwergbecken kommen jedoch viel höhere Grade der
Verengung vor.
In einer sehr charakteristischen Weise erfolgt während der Geburt der Durch-
tritt des Schädels. Schon beim Eintritt des Schädels steht das Hinterhaupt
tiefer als bei normalem Becken und der Kopf nimmt in stärkerer Flexion bei sonst
normalem Mechanismus seinen Weg durch die Beckenhöhle. Man wird den Tiefstand
*) Vergl. ..Becl-enmessung'-^ (Friedr. Schauta) ds. Bd. der „Bibliothek".
64 BECKENANOMALIEN.
tles Hinterhauptes daraus erkeiiüeu, dass die kleine Fontanelle tiefer stellt und leichter
erreichbar ist als die grosse Fontanelle und ebenso auch der Medianlinie mehr ge-
nähert ist, während in demselben Masse die Entfernung der grossen Fontanelle von
der Medianlinie zunimmt.
Einfluss auf Mutter und Kind. Die Folgen der Geburt bei dieser
Beckenform bestehen für die Mutter hauptsächlich in mehr-weniger intensiven Quet-
schungen der Beckenweichtheile im ganzen Umfange des Beckenringes. Isolirte
Druckwirkungen seitens des Promontoriums und der Symphyse werden selten be-
obachtet.
Auffallend gross ist die Frequenz der Eclampsia parturientium bei allgemein gleich"
massig verengtem Becken.
Am Kopfe des Kindes wird sich bei der frühen Fixirung und der langen
Dauer der Geburt eine sehr bedeutende Kopfgeschwulst mit dem Sitz über dem
Hinterhauptbein ausbilden müssen. Begrenzte Druckstellen der Kopfhaut kommen
wegen der gleichen Vertheilung des Widerstandes hier seltener zur Beobachtung.
Für den Geburtshelfer handelt es sich zunächst darum, den bei der Geburt
vorliegenden Kopf in die für seinen Durchtritt günstigsten Bedingungen zu versetzen,
d. 1. die Hinterhauptlage herzustellen ; dies geschieht durch entsprechende Seiten-
lagerung der Gebärenden. Bei genügender Weite des Muttermundes soll man, wenn
die W^ehenthätigkeit an Wirksamkeit abnimmt, nicht zu lange mit der Zangenextrac-
tion zögern. Gelingt dieselbe nicht, und ist die für die Sectio caesarea günstige
Zeit bereits vorüber, dann muss die Perforation ausgeführt werden. Bei den höheren
Graden der Beckenverengerung wird selten die Frühgeburt oder Sectio caesarea aus-
geführt w'erden, sondern meist die Symphysiotomie in Betracht kommen.
2. Das einfach platte, nicht rhachitische Becken.
Mit dem Namen des einfach platten Beckens bezeichnen wir eine Beckenform,
welche nur in der Conjugata eine Verkürzung aufweist, während die queren und
schrägen Durchmesser normal erscheinen, ja selbst grösser sind als am normalen
Becken. Bei dem einfach platten und nicht rhachitischen Becken ist die Conjugata
des Eingangs der am meisten verkürzte Durchmesser, doch auch die geraden Durch-
messer der Höhle und des Ausgangs sind kürzer, wenn auch nicht in dem Grade
verkürzt als die Conjugata des Eingangs. Es ergiebt sich demnach, dass bei dieser
Beckenform das Kreuzbein in toto ohne wesentliche Drehung um seine Queraxe
nach vorne gerückt ist, zum Unterschiede von dem einfach platten, rhachitischen
Becken.
Xach der übereinstimmenden Ansicht aller Autoren muss das einfach platte,
nicht rhachitische Becken als die häufigste Beckenform angesehen werden ; zur
Diagnose desselben ist es nothwendig, Ehachitismus mit Bestimmtheit ausschliessen
zu können.
Einfluss auf die Schwangerschaft und Geburt. Charakteristisch
ist bei dieser Beckenform zunächst der Eintritt des Kopfes mit der Pfeilnaht
im Querdurchmesser. In dieser Stellung bewegt sich der Schädel bei geringem
räumlichem Missverhältnis durch die oberen Beckenabschnitte herab, um dann am
Beckenboden nicht selten sehr lange im Querstande zu verharren.
Ist das Missverhältnis zwischen Kopf und Conjugata etwas grösser, so dass
derselbe nicht ohne weiters ins Becken eintreten kann, so tritt das Vorderhaupt
tiefer und in die Medianlinie. Selten tritt das Vorderhaupt so weit herab, und
weicht das Hinterhaupt so stark nach der Seite und oben aus, dass man von einer
Stirulage sprechen kann.
Für das einfach platte Becken ist ferner charakteristisch, dass bei demselben
die beiden Schädelhälften nicht gleichmässig ins Becken eintreten wie beim allgemein
gleichmässig verengten Becken, sondern gewöhnlich die eine Hälfte früher, die andere
später. Ist die nach vorn gelegene Schädelhälfte die früher eintretende, so spricht
BECKENANOMALIEN. 65
man von einer vorderen Scheitelbein- oder auch vorderen Stirnbeinlage, im entgegen-
gesetzten Falle von einer hinteren Scheitclbeinlage.
In Folge der mechanischen Schwierigkeiten, welche der Kopf als vorausgehender bei
dieser Beckenform erführt, finden wir verschiedenartige Verilnderuiigen und Druckwirkungen
an der Kopfhaut und den Schädelknoclien. Die gewölinliclisten Druckstellen seitens des
Promontoriums finden sich auf dem nach hinten gelegenen Scheitelbeine in Form, eines
rothen Streifens längs der Coronarnaht gegen die Schläfe oder das Jochbein herabziehend.
Th'erapie. Da die Conjugata beim einfach platten Becken gewöhnlich niclit
unter 8 cm herabsinkt, so dürfte der Kaiserschnitt bei dieser Beckenform nicht in
Betracht kommen. Die Wendung erscheint als die beim einfach platten Becken
vorzüglich indicirte Therapie. Die Zange wird bei dieser Beckenform
nicht selten indicirt sein, nach Ueberwindung des Hindernisses am Beckeneingange,
bei Erlahmung der Wehenthätigkeit oder tiefem Querstand. Bei hohem Kopfstand
könnte es sich bei Conjugata über 8^/2 cm nur um einen Zangenversuch handeln,
da gerade bei i^latten Becken die Zange nicht als das zur Ueberwindung des räum-
lichen Missverhältnisses geeignete Instrument erscheint. Die Kraniotomie wird bei
todtem Kinde und räumlichem Missverhältnisse in Betracht kommen ; bei lebendem
Kinde die Symphyseotomie.
3. Das allgemein verengte platte (nicht rhachitische) Becken.
Dieses Becken wird charakterisirt durch eine Verkürzung seiner sämmtlichen
Durchmesser, wobei jedoch die der geraden Durchmesser besonders am Eingange
überwiegt. Nach dem Ausgange zu wird das Becken entweder weiter oder die
Verengung hält durch den ganzen Beckencanal hindurch an. Das allgemein verengte
platte Becken nicht rhachitischen Ursprungs scheint sehr selten zu sein. Verwechs-
lungen mit dem allgemein gleichmässig verengten Becken und mit dem einfach
platten Becken werden, wenn man nur die allgemeine Verengerung und das Ueber-
wiegen derselben in der Richtung der Conjugata constatirt hat, doch unvermeidlich
sein; nur von einer ganz exacten Messung auch der Querdurchmesser des Beckens
nach dem Princip von Wellenbekgh-Skutsch kann eine grössere Sicherheit in der
Diagnose dieser Beckenform erwartet werden.
Bezüglich des Geburtsverlaufes, der Prognose und der Therapie bei dieser
Beckenform gilt dasselbe, was von den leichteren Graden derselben Form des rhachi-
tischen Beckens gesagt werden wird.
4. Das trichterförmig enge Becken.
Unter der Bezeichnung Trichterbecken verstehen wir ein im Eingange normal
weites oder nur wenig verengtes Becken, dessen Wände durch starke Convergenz
gegen den Ausgang eine im Verhältnis zur Weite des Eingangs anfallende Veren-
gung des Ausgangs verursachen. Beim trichterförmig verengten Becken finden wir
die Verengung entweder nur in querer Richtung des Ausgangs, oder nur in gerader
Richtung, oder aber in beiden Richtungen. Wir fassen das Trichterbecken auf als
das Resultat einer ursprünglich abnormen Bildung (abnorme Höhe des kleinen Be-
ckens), wodurch das Promontorium hochgestellt und nach hinten gerückt wird, und
der Einwirkung der Rumpflast, welche mit Rücksicht auf den Hochstand des Pro-
montoriums in ähnlicher Weise erfolgt wie beim kyphotischen Becken.
Gewöhnlich leitet das Resultat der Palpation die Aufmerksamlceit auf bestehende
Verengerung des Ausgangs. Die bestimmte Diagnose des Trichterbeckens kann
aber nur auf Grund einer genauen inneren und äusseren Messung des Ausgangs mit
Berücksichtigung der Grössenverhältnisse des Beckeneingangs gestellt werden.
Bei der Geburt wird der Kopf an der normalen Drehung dadurch gehindert,
dass das eine Ende des Kopfhebels zwischen Tuber und Spina ischii wie in eine
Zwinge eingeklemmt wird. Quer- und S c h r ä g s t a n d des Kopfes am Becken-
ausgang gehört zu den häufigeren Ereignissen beim Trichterbecken. Xicht selten
ist auch sowohl bei Vorder- als bei Hinterscheitellage eine verkehrte Drehung des
Kopfes. Dazu kommt noch eine auch bei Erstgebärenden schon zu beobachtende
Insufficienz der AVehenthätigkeit.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshüfe und Gynaekologie. O
66
BECKENANOMALIEN.
Die Prognose der Geburt ist bei dieser Beclienform im Allgemeinen nicht
günstig. Besonders die tieferen Partien der Scheide und des Introitus werden eine
starke Quetschung erfahren müssen, welche in einzelnen Fällen bis zur Durchreibung
der "NVeichtheile an den absteigenden Schambeinästen geführt hat; ausserdem wird
es zur Bildung von Harnröhren- und Blasenscheidenfisteln wegen des lauge dauernden
Druckes des Kopfes gegen die Schamfuge kommen können.
Therapie.' In den leichtesten Fällen wird die Geburt spontan erfolgen.
Bildet jedoch das mechanische Hindernis in erster Linie die Indication zur Zangen-
operatiou, dann muss nach den bisherigen Erfahrungen ganz besonders vor allzu
lauger Dauer der Zangenversuche und vor übermässiger Kraft anwendung gewarnt
werden. Gerade beim Trichterbecken entstehen in Folge von Zangenextraction oft
schwere und umfangreiche Zerreissungen der Scheide, mitunter erfolgt auch Zerreis-
sung der Beckengelenke, wobei die seitlichen Beckenwände geradezu als Hebelarme
zu betrachten sind. Mit Rücksicht auf diese trüben Erfahrungen bei Zaugenoperationen
tritt leider gerade bei dieser Beckeuform verhältnismässig oft die Nothwendigkeit
der Perforation des lebenden Kindes ein, die in neuerer Zeit durch die Sym-
physeotomie umgangen werden könnte.
5. Das durch mangelhafte Entwicklung eines Kreuzbeinflügels
schrägverengte Becken (Nägele).
Kg 1.
Die in Rede ste-
hende Beckenform zeich-
net sich durch folgende
Charaktere aus: Der
Kreuzbeinflügel einer
Seite fehlt oder ist man-
gelhaft entwickelt. Die
Foramina sacralia ante-
riora derselben Seite sind
eng. Ebenso findet sich
in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle auf
derselben Seite eine voll-
ständig knöcherne Ver-
schmelzung des Kreuz-
beins mit dem Hüftbeine.
Das Hüftbein auf Seite
der Ankylose ist am
Kreuzbein nach rückwärts
und aufwärts verschoben
und gleichzeitig von der
Es steht steiler, ist stärker abgeflacht,
Durch mangelhafte Entwicklung des Kreuzbeinflügels der rechten Seite
schräg verengtes Becken. (Nägele.)
Pfanne her nach einwärts gedrängt
und verläuft gestreckter als das der. anderen Seite. Mit dem Hüftbein ist auch der
Sitzbeinhöcker nach aufwärts, rückwärts inid einwärts gewichen, deshalb dem Kreuz-
bein genähert und die Incisura ischiadica verengt. Die Schambeinfuge ist nach der
gesunden Seite hinübergeschoben, die Mündung des Schambogens öifnet sich nicht
gerade nach vorne, sondern mehr nach der Seite des Kreuzbeindefectes. Das Kreuz-
bein ist gegen die synostosirte Seite hin verschoben, seine vordere Fläche derselben
Seite mehr oder weniger zugekehrt. Die Linea terminalis verläuft flacher, bei
höheren Graden der Verschiebung fast gerade, während die der anderen Seite, be-
sonders in ihrer vorderen Hälfte, stärker gebogen ist als selbst am normalen Becken.
Das Becken ist somit schräg verengt, der kürzere, schräge Durchmesser ist der-
jenige, der von der Synchondrose der gesunden zum Tuberculum ileo-pectineum der
kranken Seite gezogen wird. Der Beckeneingang hat die Form eines schrägliegen-
den Ovals, mit dem schmalen Pol nahe der Synostose, mit dem breiten Pol am
BECKENANOMALIEN.
67
horizontalen Schambeinaste der gesunden Seite. Die Entfernung des Promontorium
von dem Pfannengrundo, sowie der Abstand der Kreuzljcinspitzc von der Spina ischii
ist auf Seite der Anliylose verkürzt, ebenso die Distanz vom Tul)er ischii der an-
kylosirten Seite zur Spina post. sup. der andern, ferner die Kntf(!rnung vom Lorn-
fortsatze des letzten Lendenwirbels und der Spina ant. sup. der ankylosirten Seite,
endlich der Abstand des unteren Randes der Symphysis pubis von der Spina post.
sup. der gesunden Seite kürzer als die gleiche Linie der anderen Seite. Die Wände
der Beckenhöhle convergiren nach unten, die Hüftbeinpfanne auf der Seite des Kreuz-
beindefectes sieht mehr nach vorne, die der anderen fast vollständig nach aussen.
Bezüglich der Entstehung des NÄGELE'schen Beckens dreht sich der Streit bis
jetzt um die Frage, ob die Synostose das Primäre oder Secundäre sei. Auf diesen beiden
Wegen können zweifellos schrägverengte Becken entstehen, doch werden verschiedene
Beckenfonnen das Besultat sein müssen. Wir wollen diese verschiedenen Beckenformen
auch gesondert betrachten, werden die aus primärer Ankylose entstandenen in einem spä-
teren Abschnitte schildern, und beschreiben hier unter dem Namen NÄOELE'sches Becken
nur diejenigen Formen, bei denen die Synostose zweifellos secundär aufgetreten.
Anamnestisch ist für das Nägele' sehe Becken charakteristisch, dass in keinem
Falle Einwirkung äusserer Schädlichkeit wie Fall, Schlag, Stoss, ermittelt werden
konnte; dass nie Schmerzen in der Becken- oder Lendengegend vorausgegangen
waren; dass nie auffallendes Hinken bemerkt wurde.
Nägele empfahl die Messung folgender Distanzen zur Erkenntnis der von ihm zuerst
beschriebenen Beckenform:
1. Entfernung des Tuber ischii einer Seite von der Spina post. sup. der anderen.
2. Von der Spina ant. sup. eines Hüftbeins zur Spina post. sup. des anderen. 3. Vom Pro-
cessus spinosus des letzten Lendenwirbels zur Spina ant. sup. beider Hüftbeine. 4. Vom
Trochanter maior der einen Seite zur Spina post. sup. der anderen. 5. Vom unteren Pande
der Symphyse zur Spina post. sup.
Die Regel, dass die engständige Einstellung des Kopfes nicht günstig sei, aus-
genommen für die Zangenoperation, findet bei sehr starker Abkuickuug der Linea
terminalis an der Sj'^nostose und dadurch bedingter hochgradiger Verkürzung der
Distantia sacrocotyloidea derselben Seite eine Ausnahme. Es fällt nämlich dann der
Eaum vor der Synostose für den Geburtsmechanismus vollständig weg, und das
Becken bietet dem Vorderhaupte auf Seite der Synchoudrose mehr Raum. In
diesen Fällen tritt der Kopf leichter im kürzeren schrägen Durchmesser ein. Der
Schädel wird nur durch den Mechanismus ein-, resp. durchtreten können, der der
regelmässige bei allgemein gleich-
massig verengten Becken ist, das
ist in Hinterhauptsstellung.
Die Therapie beschränkt
sich in den Fällen von eigentlich
Nägele' schem Becken auf die
künstliche Frühgeburt,
Perforation und Sectio cae-
sarea.
Hieran reihen sich weiter als
seltenere Beckenformen:
a) Durch mangelhafte oder
fehlende Enticicldiing heider Kreuz-
heinflügel qiiei' rereiigies Becken (Ro-
bert). Als wahrscheinlichste erste
Veranlassung zu dieser Beckenform
erklärte Robert das ursprüngliche
Fehlen der Knochenkerne beider
Kreuzbeinflügel, wobei die Bogen-
kerne vicariirend die Seitentheile
theilweise ersetzt haben.
Die Prognose für Mutter und
Kind fällt zusammen mit der Prog-
nose des Kaiserschnittes.
Durch mangelliafte Entwicklung beider Kreuzbeinflügel q[uer
verengtes Becken (RoBEKi'sclies Becken.).
68
BECKENANOMALIEN.
h) Das zu iceife Becken. — Dasselbe kommt als allgemein und als theilweise zu
weites Becken vor. Beide diese Formen finden sich sowohl bei allgemein übermässiger
Entwicklung des Skeletes, Eiesenwuchs, als auch bei gewöhnlicher Entwicklung der übrigen
Skelettheile. Die Diagnose des allgemein zu weiten Beckens basirt auf der Vergrösserung
der sämmtlichen äusseren und inneren Beckenmasse, die des weit trichterförmigen Beckens
auf der Vergrösserung der Masse des Einganges, bei normalen Durchmessern des Ausganges.
Die Prognose der Geburt bei allgemeiner Erweiterung muss als günstig bezeichnet werden.
Die Theraxiie wird sich darauf zii beschränken haben, den allzu raschen Durchtritt des
Kopfes behufs Hintanhaltung von Verletzungen der weichen Geburtswege zu verliindern.
c> Das Becken mit angehorenem Sijmplijjsenspalt. Das gespaltene Becken entsteht
durch einen angeborenen Defect der Symphysis oss. pub., und zwar meist combinirt mit
Blasenspalte. Da aus begreiflichen Gründen Schwangerschaft in solchen Fällen nur selten
eintritt, so finden sich in der Literatur nur 6 Fälle von Geburten bei dieser Beckenform.
Das Becken zeigt eine starke Querspannung, und zwar sowohl im Eingange als auch in der
Höhle und im Ausgange. Trotz des Vortretens des Promontoriums hat clas Becken wegen
des Fehlens eines grossen Theiles der vorderen Beckenwand die Charaktere eines allgemein
weiten Beckens. In keinem Falle ergaben sich aus der Beckenanomalie Schwierigkeiten
bei der Geburt. Durch das Fehlen eines so beträchthchen Theiles des vorderen Becken-
ringes hatte das Becken aufgehört, Geburtscaiial zu sein. Ein regelmässiges Ereignis beim
Spaltbecken scheint Vorfall des Uterus nach der Geburt zu sein.
II. Gruppe. Beckenanomalien infolge von Erki'ankungen der Beckenkiioehen.
1. Die rliacliitisclien Beckenformen.
Wir können die bei Rhachitis häufiger vorkommenden Beckenformen in folgende
Unterabtlieilungen bringen: a) Das einfach platte rhachitische Becken, b) Das all-
gemein verengte, platte rhachitische Becken, c) Das allgemein gleichmässig verengte
rhachitische Becken, cl) Das in sich zusammengeknickte {pseudo-osteomalacische)
rhachitische Becken.
a) Das einfach
platte rhachi-
tische Becken.
Diese Beckenform
besitzt im Allge-
meinen die Charak-
tere derselben Bec-
keuform nicht rha-
chitischen Ur-
sprungs, zeigt also
bei Verkürzung in
der Richtung der
Conjugata normale,
ja selbst überuor-
male Querdurch-
messer. Im Ein-
zelneu weicht sie
j edoch von der nicht
rhachitischen Bec-
kenform in wesent-
lichen Punkten ab.
AVir erwähnen
zunächst die starke
Neigung bei sehr
starker Lordose der
Einiacli plattes rhachitisches Becken. t i • i i .. t
Leudenwirbelsaule.
Das Promontorium steht beim rhachitischen Becken verhältnismässig tiefer als beim
nicht rhachitischen Becken der gleichen Form, so zwar, dass es nur mehr wenig
über die Beckeueingangsebene zu liegen kommt. Das Kreuzbein ist nach abwärts
und vorwärts getreten, jedoch stärker mit seiner oberen Hälfte als mit seiner un-
teren. Daraus und aus dem Tiefstande das Promontorium in A^erbindung mit
BECKENANOMALIEN.
69
der starken Lordose ergeben sich die weiteren Verhältnisse. Der Winkel, den die
Conjugata mit der Lendenwirbelsäule bildet, ist kleiner, der mit der oberen
Kreuzbeinhälfte grösser als im normalen liwken, der Winkel jedoch, den das Kreuz-
bein mit dem letzton Lendenwirbel bildet, ist nicht, wie man aus der ab- und vor-
wärtsgerückten Lage der oberen Kreuzbeinhälfto schlicssen kömite, kleiner, sondern
wegen der gleichzeitigen Lordose der Lendenwirbelsäule durchschnittlich selbst grösser
als normal. Wegen des Zurücktretens des Kreuzbeines in seiner unteren Hälfte und
der gleichzeitig bestehenden geringeren Neigung der Symphyse werden die geraden
Durchmesser vom Eingange zum Ausgange allmälich immer grösser, um erst im
Ausgange selbst durch scharfe Abknickung der untersten Kreuzbeinwirl)el wieder
eine geringe Beschränkung zu erfahren. Die Spinae posteriores sujieriores übei-ragen
wegen des Nachvornegetretenseins der oberen Kreuzbeinhälfte die hintere Kreuzljein-
iiäche stärker, während ihre Entfernung sich verringert.
&) Das allgemein ver- Kg- 4-
engte, platte rhachiti-
sche Becken hat mit dem
eben beschriebenen die sämmt-
lichen Merkmale des rhachiti-
scheu Beckens gemein, unter-
scheidet sich jedoch von dem-
selben in einigen Punkten. Die
Breite des Kreuzbeines, welche
beim einfach platten Becken
nicht hinter der des normalen
zurücksteht, ist beim allgemein
verengten platten Becken etwas
geringer.
c) Das allgemein
gleichmässig verengte
rhachitischeBecken. Wie
aus den beschriebenen Fällen
mit Bestimmtheit hervorgeht,
werden bei Rhachitismus allge-
mein gleichmässig verengte
Becken beobachtet, deren Form-
verhältnisse jedoch wesentlich
von einander abweichen und
kein einheitlich übersichtliches
Bild von dieser Beckenform
geben können.
dj Das in sich zu-
sammengeknickte (pseu-
d 0 - 0 s t e 0 m a 1 a c i s c h e) Bec-
ken stimmt in den wesent-
lichen Punkten mit der Form
des osteomalacischen Beckens
überein.
Die Diagnose rhachitischer Beckeuformen fusst zunächst auf dem Nachweise
überstandener Ehachitis aus der Anamnese, sowie aus Veränderungen des übrigen
Körperskeletes. Bei der äusseren Beckeumessung ergibt sich zunächst eine mehr-
weniger starke Verkürzung des Maasses der Conjugata etc., relative, ja selbst ab-
solute Vergrösserung .des Maasses der Spinae bei massiger Verkürzung der Distanz
der Cristae. Gerade die Verringerung des Unterschiedes dieser beiden Quermaasse
ist ganz constant und ausserordentlich charakteristisch für vorausgegangene Ehachitis.
AUgemein verengtes, plattes rhachitisches Becken.
Kg. 5.
Pseudo-osteomalacisclies rhacliitisclies Becken.
70
BECKENANOMALIEN.
Bezüglich des Einflusses auf Schwangerschaft und Geburt kann,
da die diesbezüglichen Yerhältnisse des einfach platten und des allgemein gleich-
massig verengten Beckens sich nicht wesentlich unterscheiden von denen derselben
Beckenform nicht rhachitischen Ursprungs, auf das bei Besprechung jener Becken-
formen schon früher Gesagte verwiesen werden. Es erübrigt an dieser Stelle nur
noch die Besprechung des Schwangerschafts- und Geburtsverlaufes beim allgemein
verengten, platten rhachitischen Becken. Der Einfluss dieser Beckeuform wird sich
gewissermassen combiiiiren aus dem des einfach platten und dem des allgemein gleich-
massig verengten Beckens. Verhältnismässig häufig kommt bei dieser Beckenfoi'm die
Hinterscheitelbeinlage zur Beobachtung. Charakteristisch ist ferner nach Michaelis
in den tieferen Aperturen die späte Rotation des Kopfes, oder die unvollkommene
Rotation um seinen senkrechten Durchmesser.
In den leichteren Graden der Verengerung wird beim allgemein verengten,
platten rhachitischen Becken die künstliche Einleitung der Frühgeburt und die Zange,
in den höheren Graden die Perforation und die Sectio caesarea in Frage kommen
können.
2. Die osteomalacischen Beckenformeu.
^^s ö. diq Eigenthümlichkeiten, welche allen
diesen Becken gemeinsam sind, sind folgende:
Das Kreuzbein ist schmal, und zwar sind
nicht nur die Wirbelkörper, sondern auch
die Flügel, besonders aber die letzteren
schmäler als am normalen Becken. Die directe
Entfernung des Promontorium von der Kreuz-
I beinspitze ist gewöhnlich durch Abknickung
des Kreuzbeines verringert, in vielen Fällen
auf ein Minimum. Das Promontorium steht
sehr tief, häufig weit unter der Ebene des
, .j^„, Beckeneinganges. Mit dem Promontorium ist
f""'"^'^ I C^i" lä^W M^ { ^' "^ ^ häufig der 5., oft auch der 4. Lendenwirbel
theilweise ins Becken eingetreten und liegt
unterhalb der Ebene des Beckenringes. Die
obere Kreuzbeinhälfte ist stark geneigt, liegt
manchmal selbst horizontal. Die Körper des
Kreuzbeines sind ähnlich wie am rhachitischen
Becken stärker vorwärts getrieben als die
Flügel; letztere sind geknickt und gefaltet
und zwar verläuft die Faltung vom Körper des Kreuzbeines zur Synchondrose als
Ausdruck des Nachabwärts- und Vorwärtsgeschobenseins des ersten Kreuzwirbelkörpers.
Mitunter aber ist zweifellos auch das ganze Kreuzbein nach abwärts- und vorwärts-
geschoben. Die hintere Kreuzbeinfläche ist verhältnismässig abgeplattet, indem sie die
normalen Vorsprünge in geringerem Grade zeigt. Die Darmbeinschaufeln sind klei-
ner als am normalen Becken und zeigen eine von der vorderen Fläche des Ileosacral-
gelenkes zum vorderen Antheile der Crista oder zu dem Räume zwischen Spina ant.
sup. und Spina ant. inferior verlaufende charakteristische Furche, als Zeichen der Ab-
knickung der über und unter dieser Furche gelegenen Abschnitte des Darmbeines
gegeneinander. An den Schambeinen sind zunächst die Schenkel der den unteren
Beckenhalbring bildenden horizontalen Aeste kürzer; sie verlaufen gegen die Symphyse
hin schnabelförmig convergirend oder selbst parallel und lassen in hohen Graden der
Misstaltung nur einen schmalen, spaltförmigen Raum zwischen sich. Die Knickung
der horizontalen Schambeinäste findet sich etwas vor dem Tuberculum ileopectineum
in einer Senkrechten mit der vorderen Umrandung der Pfannen. Die Symphyse steht
häufig extramedian, dem Promontorium nicht gerade gegenüber. Die Sitzbeinäste
sind von allen Beckenknochen verhältnismässig am meisten genähert, so dass die
Osteomalacisches Becken.
BECKENANOMAI>IEN. 71
engste Stelle des Beckenausgaiiges an der Synostosis pubo-ifichiadica sich findet. Der
Scliambogen ist melir-weniger halbkreisförmig. Dieser Jialljkreis wird nicht selten
durch Convergenz der unteren Antheile der absteigenden Schainbeinäste gegen die
Synostosis pubo-ischiadica zum vollständigen Kreise ergänzt. (Charakteristisch für die
osteomalacischen Beckenformen sind ferner die an denselben kaum je fehlenden,
mitunter sehr hochgradigen Asymmetrien. Dieselben erklären sich theils durch un-
gleichmässige Körperhaltung, durch Verkrümmungen der Wirbelsäule, durch un-
gleichmässigen Gebrauch der unteren Extremitäten; und endlich nicht zum gei'ingsten
Theile durch Verschiedenheit des Grades der Erkrankungen der einzelnen Knochen
des Beckens.
3. Tumoren der Beckenknochen.
Osteom, Exostose, Osteophyt. Die Exostosen, entsprechend ihrer Ent-
stehung aus Ecchondrosen, finden sich dort, wo Knorpel vorhanden ist, also an den
Beckengelenken (Promontorium, Symphyse, Synchondrosis sacro liaca).
Eine eigenthümliche, geburtshilflich wichtige Form des Exostosenbeckens ist
das sogenannte Stachelbecken (Kilian). Das Eigenthümliche der Stacheln (oczavöa) ist
ihr Sitz. Sie kommen immer an dem Punkte der Linea innominata vor, wo Ileum
und Os pubis zusammenstossen, also gerade über dem Mittelpunkte des oberen
Pfannenrandes.
Das Enchondrom, nach Viechow eine heteroplastische Geschwulstforra,
stellt neben dem Beckensarcom wohl die häufigste Neubildung am Becken dar.
Fibrome gehen von dem Periost der Beckenknochen aus und sitzen gewöhnlich an
der Crista ilei. Von den Sarcomen wurden Rundzellen- und Spindelzellenformen,
sowie die weichen Medullarsarkome relativ häufig beobachtet. Carcinom kommt
in den Knochen des Beckens nie primär, sondern secundär, und zwar durch Hinein-
wuchern von Krebs der Beckenorgane, oder als Metastase vor. Die continuirlich
fortgeleiteten Carcinome haben begreiflicherweise wenig geburtshilfliches Interesse.
Die metastatischen Carcinome kommen vor in Form zahlreicher kleinerer und grösserer
isolirter Tumoren oder als krebsige Infiltration, ausgehend von der Spongiosa.
Letztere Form bringt durch allmäliges Wachsthum den Knochen zum Schmelzen
und erzeugt eine der Osteomalacie analoge Rarefaction oder Osteoporose des Knochens.
Unter dem Drucke der Rumpflast nehmen solche Becken mehr-weniger die Gestalt
osteomalacischer Becken an. Cystenbildung in den Beckenknochen kommt bei
verschiedenen Neubildungen (Sarkomen, Enchondromen) vor. Ohne solche kommt es
zur Cystenbildung in den Becl'enknochen bei Invasion von Echinococcus.
Diagnose. Die bis jetzt beobachteten Enchondrome des Beckens gehen von
der Nähe der Hüftkreuzbeinfuge aus. Für die Diagnose der Sarcome ist maass-
gebend rasches Wachsthum und geringe Consistenz; die Fibrome sind derb, glatt, von
gleichmässiger Oberfläche, und wachsen langsam. An Carcinom muss man denken
bei gleichzeitigem Bestände oder nach operativer Entfernung eines primären Carciuoms
anderer Körperregionen, besonders der Mamma. Hydatiden der Beckenknocheu sind
schwer zu diagnosticiren.
Der Einfluss einer Beckengeschw^ulst auf die Schwangerschaft und Gebiu't ist
derselbe, wie der von Beckenverengerungen desselben Grades.
4. Fracturen der Beckenknochen.
1. Querbrüche des Kreuzbeines an der unteren Hälfte.
2. Am Darmbein kommen Brüche, besonders am vorderen Antheil der Darm-
beinschaufeln, und zwar sowohl in verticaler als in transversaler Richtung vor.
3. Am Sitzbein sind Brüche selten, da dasselbe durch Weichtheile gut ge-
schützt ist.
4. Am horizontalen Schambeinast kommen Brüche in schiefer Richtmig von
oben innen, nach unten aussen zur Beobachtung. Diese Linie verläuft in der Richtung
der stärksten Krümmung durchwegs in poröser Knochensubstanz und trifft die
dünnsten Stellen des Knochens.
72 BECKENANOMALIEN.
III. Gruppe. Anomalien der Verbindung der Beckenknochen untereinander.
a) Zu feste Verbindung (Synostose).
Synostose der Symphyse kommt nicht nur im höheren Alter, sondern auch bei
jungen Individuen vor. Geburtshilfliche Bedeutung kommt dieser Anomalie nicht zu.
Sehr selten bildet die Sj'nostose einer Hüftkreuzbeinfuge das erste Glied in der
Reihe der Veränderungen am Becken. Sie kann dann, wenn sie in 'sehr früher
Lebenszeit entstanden ist, durch Behinderung des Wachsthums der verschmolzenen
Theile eine Asymmetrie des Kreuzbeines herbeiführen. Kommt die Synostose nach
vollendeter Entwicklung des Kreuzbeines zu Stande, so ist sie ein zufälliger Befund
und wird gewöhnlich keine Asymmetrie des Beckens hervorrufen.
Die Form des Beckens, welche bei primärer Synostose entsteht, ist dieselbe
wie die des NÄGELE'schen Beckens, doch mit dem Unterschiede, dass hier eine
grössere Mannigfaltigkeit der Formen entstehen kann als beim schräg verengten
Becken in Folge von angeborenem Kreuzbeinflügeldefect, da der zur Synostose die Ver-
anlassung gebende Entzündungsprocess in verschiedenen Altersstufen eintreten kann,
und demgemäss der Grad der bis dahin erreichten Entwicklung des betreffenden
Kreuzbeinflügels für den Grad der Asymmetrie massgebend sein muss.
Obwohl zweifellos die meisten syuostotisch quer verengten Becken dadurch
entstehen, dass der Defect der Kreuzbeinflügel (vielleicht auch der ileosacralen Ge-
lenlvspalten) das Primäre, die Synostose aber secundär ist, so gibt es doch auch
Becken, bei denen eine ähnliche Form in Folge von primärer Synostose entsteht. In
dieser Weise hat sich z. B. das zweite EoBERT'sche Becken gebildet.
Kreuz- und Steissbein sind durch einen Faserknorpel verbunden, der nach
ScHw^EGEL ohne Unterschied des Geschlechtes zwischen dem 30. und 40. Lebens-
jahre ossificirt. Dafür bleibt die Gelenkverbindung zwischen 1. und 2. Steisswirbel
länger erhalten, so dass ein wesentliches Hindernis aus der erstgenannten Ankylose
sich nicht ergibt. Deshalb spielt auch die Synostose zwischen Kreuz- und Steissbein
in der neueren Literatur fast keine Eolle.
b) Lockerung und Trennung der Becken gelenke.
Lockerung der Beckengelenke bis zur vollkommenen Trennung des Zusammen-
hanges kommt in Folge von Vereiterung der Gelenke zu Stande. Es kommen hier
hauptsächlich Eiterungen in Folge von Infectionen in Betracht und zwar entwickelt
sich die Gelenkseiterung als ein rein pyämischer Process, als metastatische Ent-
zündung oder in Folge einer continuirlich vorwärtsschreitenden Beckenphlegmone
(Hempel). Eine Lockerung des Symphysengelenlies kann auch die Folge einer ver-
mehrten Flüssigkeitsansammlung im Gelenke sein. Auch durch entzündliche Processe
der Gelenlvsknorpel können Erschlaffungen der Beckeugeleuke zu Stande kommen.
Eine weitere Disposition zur Zerreissung der Beckensymphyse findet sich bei
der Osteomalacie wegen der Lockerung des Zusammenhanges zwischen Knorpel und
Knochen. Auch Caries und Neubildungen können die Gelenlvsverbindung zum Theile
zerstören. Eine wichtige Disposition zu Verletzungen der Beckengelenlie bildet auch
die Beckenform. Hier wäre zunächst das osteomalacische, sowie die allgemein ver-
engten Becken zu nennen. Die Verletzung des Beckens erfolgt, nicht weil der
Schädel an sich zu unnachgiebig ist, sondern weil abnormer Weise der geringere
Widerstand auf Seite des Beckens liegt. Ein sehr wichtiges, vielleicht das wichtigste
Moment beim Zustandekommen von Beckenruptur bildet die zur Ueberwindung eines
grösseren Hindernisses angewandte übermässige Kraft bei der Extraction der Frucht.
Ist es möglich, Infection zu vermeiden, und wird die Verletzung gleich nach
der Geburt erkannt, so ist die Prognose der Zerreissung der Beckeugeleuke eine
günstige zu nennen. In der Mehrzahl der Fälle der Literatur scheinen diese günstigen
Verhältnisse nicht vorhanden gewesen zu sein, denn in etwa einem Drittel aller Fälle
trat der Tod ein durch puerperale Sepsis.
BECKENANOMALIEN.
73
Fig. 7.
IV. Gruppe. Anomalien de.s Beckens infolj^e von Anomalien der bela.«itenden
Skelettheile (Wirbelsäule).
1. Die spondylolisthc tischen Bocken.
Mit dem Namen Spondylolisthesis (von gttoviIuXo?, Wirbel nnd h)h\i-r<s\^, das
Herabgleiten, öXia&aivo)) bezeichnete Kilian im Jahre 1854 eine ei''enthümlicbe bis
dahin nicht genauer bekannte Beckenform, welche nach der Auffassun'^ Kiliax's ihre
Entstehmig einer Verschiebung des letzten Lendenwirbels und der darüber sich auf-
bauenden Lendenwirbelsäule über die Oberfläche des 1 . Kreuzbeinwirbels nach vorne
verdanke. Durch die Untersuchungen von Robert, Lambl und Neugebauee wurde
jedoch erwiesen, dass es sich bei der sogenannten Spondylolisthesis nicht um eine Ver-
schiebung des ganzen letzten Lendenwirbels, sondern nur seiner vorderen Hälfte
bestehend aus Körper, Bogenwurzeln
und oberen Gelenksfortsätzen, handle,
und dass die hintere Hälfte des letz-
ten Lendenwirbels (untere Gelenks-
fortsätze und Wirbeldorn) an ihrer
Stelle bleibe. Je nach dem Grade
dieser Verschiebung wird die untere
Fläche des letzten Lendenwirbels
entweder zum grössten Theile auf
der oberen Fläche des 1. Kreuzbein-
wirbels aufruhen, oder dieselbe befin-
det sich auf der im letzteren Falle
abgeschliffenen oder abgerundeten
vorderen oberen Kante des ersten
Kreuzbeinwirbels, oder endlich die
untere Fläche des letzten Lenden-
wirbels ruht auf der vorderen Fläche
des ersten, ja selbst zum Theile des
zweiten Kreuzbeinwirbels auf. In
den höhereu Graden des Leidens ist
die Kreuzbeinbasis stark nach hinten
gedrängt, und der Sacralcanal durch
die Belastung des Kreuzbeines in der
Eichtung von vorne und oben in
sagittaler Eichtung verengt. Die
untere Hälfte des Kreuzbeines ist
gewöhnlich gegen die obere Hälfte
winkelig nach vorne abgeknickt, welche
Abknickung wohl in dem ersten Stadium der Krankheit entstehen dürfte. Die Darm-
beine werden durch die Eetropression der Kreuzbeinbasis in ihren hinteren und
oberen Autheilen auseinander gedrängt, die Distanz der Spinae posteriores superiores
vermehrt. Durch die aufgehobene Beckenneigung werden die Ligamenta ileo-femo-
ralia stark angespannt, und rotiren dadurch die Hüftbeine um ihre Sagittalachsen
in dem Sinne, dass die oberhalb der Pfanne gelegenen Theile nach aussen, die
unterhalb gelegenen Theile nach innen treten. Daraus ergibt sich eine Vergrösserung
der Quermaasse des grossen Beckens, eine geringe Verminderung der Querspannung
des Beckeneinganges und eine bedeutende quere Vereugenmg des Beckeuausganges.
Endlich auch eine veränderte Stellung der Symphysenflächeu zu einander, indem "die
oberen Bänder der Symphysis ossium pubis klaffen, die unteren stark aufeinander
gepresst erscheinen. Die Beckenneigung ist in den höheren Graden des Leidens
fast vollständig aufgehoben.
Als Geburtscanal betrachtet, stellt das spondylolisthetische Becken einen stark
gekrümmten Caual mit sehr hoch liegender Verengerung über dem Eingänge, weiter
Eeclite Hälfte der Lumbosacralpartie des Prager
spondylolisthetisohen Beckens .
74
BECKENANOMALIEN.
Beckenhölile und engem Beckenausgang dar. Die Verengerung über dem Becken-
eingange wird durch die den Beckeneingang überdacliende Lendenwirbelsäule gebildet,
deren Xabepunkt vom oberen Sympliysenrande die stellvertretende Conjugata bildet.
Dieser Xabepunkt liegt auf der Vorderfläcbe des 2., 3. oder 4. Lendenwirbels, und
zwar umso höher, ie höher der Grad der Wirbelverschiebung ist. Unterhalb dieser
engen Stelle über dem Beckeneingange kommt die relativ weite Beckenhöhle, der
sogenamite Zwäschenbeckenraum Biknbaum's, und endlich der in gerader wie in
querer Richtung verengte Beckenausgang.
Das Wesen des Wirbelglittes ist in der, in jedem Falle sich wiederfindenden
Verlängerung der Interarticularportion des letzten Lendenwirbels zu suchen. Das
Ausbleiben der Verschmelzung zwischen dem vorderen und hinteren Knochenkerne
an der Stelle, wo wir später die Interarticularportion finden, nennt man Spondylo-
lysis interarticularis. Dieselbe gibt die Praedisposition ab, aus der unter Einwirkung
der allmäligen oder plötzlichen stärkeren Belastung die Spondylolisthesis sich ent-
wickelt. Wir hören in der Anamnese entweder von Sturz aus einer bedeutenden
Höhe oder von einer gewaltsamen Hyperflexion des Rumpfes beim Aufheben einer
schweren Last oder ähnlichem.
Diagnose. Charakteristisch für die in Rede stehende Anomalie ist der
Habitus des ganzen Körpers. Wir finden Verkürzung der gesammten Körperhöhe,
sehr starke Lendenlordose, Herabrücken des Thorax in das grosse Becken, auffallende
Hüftenbreite, breites Freiliegeu der Sacralbasis, bedeutende Entfernung der Spinae
post. sup., aufgehobene Beckenneigung, so dass die äusseren Genitalien mit ihrer
Behaarung gerade nach vorne sehen, die Symphyse aber noch über die Haargrenze
des Mons Veneris reicht.
Alle diese Merkmale hat das spondylolisthetische Becken mit dem lumbosacral-
kyphotischen gemeinsam.
Kg. 8. Wichtige Unterschei-
dungsmerkmale bietet je-
doch die i n n e r e U n t e r-
suchung. Von dieser
ist am wichtigsten das
von Beeisky angeführte,
durch w^elches sich die
Spondylolisthesis sicher
von der Lumbosacralky-
phose unterscheiden
lässt. Da nämlich der
letzte Lendenwirbel bei
Spondylolisthesis in höhe-
ren Graden des Leidens
auf der Vorderfläche des
Kreuzbeines liegt, so las-
sen sich die Lateralmas-
sen des Kreuzbeines über
den einspringenden Win-
kel, sowie zu beiden Sei-
ten des letzten Lenden-
wirbels nach oben verfol-
gen, was nicht der Fall
sein kann, wenn dieser
Winkel wie bei Kjqjho-
sis durch den nicht dislo-
cirten letzten Lendenwir-
, . „ bei und den ersten Kreuz-
Kyphosis durch Zerstörung der unteren 4 Brust- und oberen , . ■ t ■, i •, i , • i
2 Lendenwirbel. beuiwirbel gebildet Wird.
BECKENANOMALIEN. 75
Bei einer stellverti^etendcn Conjugata zwischen 8 und 9 cm und darüber kann
'das normale Ende der Geburt abgewartet werden. Bei einer Conjugata unter
7^2 <^w* wird bei todtem Kinde die Craniotoinie, bei lebendem der Kaiserscjmitt in-
dicirt sein.
2. Die Beckenformen bei Kyphose.
Die Wirkung der Kyphose auf die Beckengestalt hängt in erster Linie von
dem Sitze des Knickungswinkels ab. Es können dabei Veränderungen der Becken-
gestalt und seiner Neigung vollständig fehlen, solche nur in geringem Grade vor-
handen sein, oder hochgradige Gestaltveränderungen sich vorfinden. Sitzt die Ky])hose
sehr hoch, so wird die compensirende Lordose als eine Verstärkung der normalen
lordotischen Krümmung der Lendenwirbelsäule sich äussern. Sitzt aber die Kyphose
tief, und zwar, wie es meist der Fall ist, am Uebergange zwischen Brust- und
Lendenwirbelsäule, in letzterer selbst, oder gar im Uebergange der Lendenwirbelsäule
in das Kreuzbein, so werden bedeutende Gestaltveränderungen des Beckens die Folge
dieser Wirbelsäulenverkrümmung sein müssen. In Folge der Einwirkung muss der
oberhalb des Gibbus liegende Theil des Rumpfes nach vorne fallen und demgemäss,
wegen mangelnder Unterstützung des Schwerpunktes, auch der ganze Körper nach
vorne umfallen. Soll nun trotzdem der Körper in aufrechter Stellung balancirt
werden, so muss, damit der Schwerpunkt neuerdings hinter oder in die Drehungsaxe
des Beckens zu liegen kommt, die Neigung des letzteren vermindert oder ganz auf-
gehoben werden, das heisst, der ganze Rumpf in jener Drehungsaxe des Beckens
nach hinten bewegt werden. Die erste Folge der Kyphose finden wir also in einer
aufgehobenen oder verminderten Neigung des Beckens. Durch den in veränderter
Richtung von dem oberen Schenkel der Kyphose auf den unteren Schenkel derselben
ausgeübten Druck findet eine Dislocation dieses unteren Schenkels nach hinten und
unten statt, welche sich durch Zug auf das obere Ende des Kreuzbeines in der
Richtung nach hinten geltend macht. Diese Bewegung des oberen Theiles des Kreuz-
beines nach hinten ist also eine weitere Folge der veränderten Belastungsverhältnisse
der Wirbelsäule; sie lässt sich erkennen an dem Zurückweichen des Promontoriums,
an der Streckung des ganzen Kreuzbeines und der Aufhebung seiner Krümmung in
der Längenachse. Aus demselben Zuge, den die Lendenwirbelsäule auf die Körper
des Kreuzbeines ausübt, erklärt sich ferner die Vermehrung der Concavität des
Kreuzbeines in Querrichtung. Die directe Folge des Nachhintenweichens der Kreuz-
beinbasis muss aber ein Nachvornetreten der unteren Theile des Kreuzbeines, ins-
besondere also der Kreuzbeinspitze sein, wodurch die Conjugata des Beckenausganges
relativ, im Verhältnisse zu der des Einganges mitunter auch absolut verkürzt wird.
Das Nachhintentreten des oberen Kreuzbeinabschnittes muss aber auch auf die Lage
der Hüftbeinknochen verändernd einwirken. Zunächst werden die Ligamenta ileosa-
cralia entspannt und dadurch die Winli;el der S-förmigen Krümmung abgeflacht, dann
werden die nach hinten tretenden oberen Kreuzbeinabschnitte die oberen Enden der
Hüftbeine auseinandertreiben, die Entfernung der Spinae posteriores superiores vermin-
dern und die Darmbeinschaufeln flacher gegen den Horizont stellen. In demselben
Maasse aber, als die oberen Theile der Darmbeine sich von der Mittellinie entfernen,
werden die unteren Theile derselben mit den Sitzbeinen sich einander nähern und
dadurch den Beckenausgang auch in Querrichtung verengern. Je tiefer nun die
Kyphose sitzt, desto auffallender müssen diese Veränderungen sein, nur mit dem
Unterschiede, dass bei LumbosacraUvyphose in Folge von cariöser Zerstörung eines
oder mehrerer Wirbelkörper auch Gestaltveränderungen des Kreuzbeines, wie Sub-
stanzverluste, osteophytische Wucherungen, zu Stande kommen müssen.
Da der Eingang des Beckens bei Kyphose, Pelvis obtecta natürlich ausgenom-
men, selten ein Hindernis bereitet, so handelt es sich hier nur um die Ueberwindung
des Hindernisses am Beckeuausgange. In leichteren Graden der Verengerung und
bei kräftigen Wehen wird die Geburt wohl gew'öhnlich spontan erfolgen. Freilich
werden gerade am Ausgange, wie bekannt, die Wehen nicht selten insuölcient und
es kann nothw endig werden, theils wegen Wehenschwäche, theils auch wegen des
76
BECKENANOMALIEN.
Lesteliendeu Hindernisses die Zange am Ausgange zu appliciren. Es darf nun hierbei
nur massige Kraft augewendet werden, ferner darf die Zange keine Anwendung fiuden-
bei höheren Graden der Verengerung. Als unterste Grenze für die Zangenoperation
ist ein Querdurchmesser von 8 cm anzusehen. Unter 8 cm Icönnte nur ein schonender
und A'orsichtiger Zangenversuch gestattet sein; führt derselbe aber nicht zum Ziele,
dann ist bei todtem Kinde die Perforation, bei lebendem Kinde der Kaiserschnitt
oder die Symphyseotomie auszuführen.
3. Die Beckeuformen bei Skoliose.
Nach Rokitansky ist das Becken bei Skoliose coustant schief und asym-
metrisch; der Grad der Asymmetrie ist jedoch sehr verschieden, so dass alle Ueber-
gäuge von den unbedeutendsten asymmetrischen Formen bis zu den höchsten Graden
der einseitigen Verlegung des Beckencanals beobachtet werden. Die ersteren For-
men findet man bei spät erworbener Skoliose und bei geringem Grade derselben;
die höchsten Grade der Asymmetrie sieht
^^^' ^' man in denjenigen Fällen, in denen die
Skoliose in früher Kindheit erworben war
und ihre Veränderungen auf ein besonders
bildsames Becken ausüben konnte. Wir
finden bei der gewöhnlichen Form der
Skoliose im Brustsegmente, mit compen-
sirender Krümmung im Lendensegmente
nach links, das Kreuzbein in den unteren
Schenliel der Lendenkrümmung einbezogen,
in Folge dessen das Becken etwas schief ge-
stellt und die in dem gewählten Beispiele
linke Beckenhälfte stärker belastet ist als
die andere. In Folge der Neigung des
Kreuzbeins nach der Seite der Lenden-
krümmung sind der Flügel dieser Seite und
die anliegenden, zwischen ihm und der
Pfanne gelegenen Theile des Hüftbeines
comprimirt und sklerosirt. Der compri-
mirte Kreuzbeinflügel ist schmäler, seine
Foramina sacralia eng. Von hinten gese-
hen scheint jedoch der schmälere Flügel
gleich breit, ja selbst breiter zu sein als
der andere in Folge der nach der Conca-
vität der Skoliose erfolgten Torsion der
Dornfortsätze. Das Darmbein ist auch hier, wie in den meisten Fällen bei über-
wiegend einseitiger Belastung nach aufwärts verschoben, und zwar durch Druck von
der Pfanne her, welche ihrerseits entsprechend höher steht und sich mit ihrem
Grunde stark gegen die Beckenhöhle vorwölbt. Das Becken als Ganzes zeigt schräg
ovale Form mit bedeutender Abplattung. Der schräge Durchmesser auf Seite der
Lendenskoliose ist der längere, die Differenz beträgt bis zu 2^/^ cm, die Distantia
sacrocotyloidea auf Seite der Lendenskoliose ist meist bedeutend kürzer als die der
anderen Seite.
Die Entstehung der gew'öhnlichen Form des skoliotisch-rhachitischen Be-
ckens erklärt sich aus dem stärkeren Pfannendrucke auf Seite der Lendenskoliose,
durch welche das Kreuzbein comprimirt, das Darmbein verschoben, die Pfannen selbst
nach ein- und aufwärts verdrängt werden.
Die Diagnose der Beckenform bei Skoliose beruht zunächst auf der Ent-
scheidung über die Zeit und die Ursache des Entstehens der Wirbelsäulenverkrüm-
mung. Bei wirklich vorhandener Asymmetrie werden die von Nägele angegebenen
äusseren Schrägmaasse besonders bei grösseren Differenzen Verw'erthung finden können.
SkoUose leichten Grades.
BECKENANOMALIEN 77
Die Prognose und Therapie beim skoliotisclicn iJocken bewegt sich inner-
halb sehr weiter Grenzen. Bei nicht rhachitischer Skoliose erfolgt die Geburt meist
spontan und leicht; bei rhachitischen IJecken kann die Geburt ebenfalls spontan
erfolgen, in den stärkeren Graden der Verengerung wird jedocli die Perforation
oder Sectio caesarea kaum zu vermeiden sein, da die eine Hälfte des Beckens zu
eng ist, um für den Geburtsact überhaupt verwendet zu werden, währenddem die
überbleibende andere Hälfte für sich die Form eines hochgradig allgemein gleich-
massig verengten Beckens aufweist. Es ist deshalb auch ganz gleichgiltig, ob hiei"bei
der Schädel mit dem Hinterhaupte der weiteren oder der engeren Beckenhälfte zu-
gekehrt eintritt.
4. Die Beckenformen bei Kyphoskoliose.
Die häufigste Form der Kyphoskoliose ist die lumbodorsale. Am Uebergange
des Brust- und Lendensegmentes findet sich der Höcker, und zwar meist nach links
und hinten abweichend. Die Beckengestalt bei dieser Form summirt sich aus der
Beckengestalt bei Kyphose und der bei Skoliose. Da nun aber die kyphotische
Beckengestalt in ihren Einzelheiten fast durchgehends den diametralen Gegensatz der
rhachitischen Gestalt darstellt, so entstehen hier Beckenformen, an denen der rhachi-
tische Charakter zum grössten Theile in das Gegentheil verwandelt erscheint. Dem-
gemäss finden wir das Kreuzbein, mit der Basis nach hinten oben, mit der Spitze
nach vorne gekehrt, das Promontorium verhältnismässig hochstehend. Das Kreuzbein,
in der Regel etwas schmäler, verläuft fast gerade gestreckt, zeigt aber trotz dieser
der Kyphose zukommenden Eigenthümlichkeit doch das convexe Vorspringen der
Wirbel vor die Flügel und die Asymmetrie als Eigenthümlichkeiteu seines rhachitischen
Ursprunges. Die Asymmetrie ist dadurch charakterisirt, dass eine Kreuzbeinhälfte
comprimirt und schmäler, die Foramina sacralia derselben Seite runder und niedriger
erscheinen. In der Regel ist die comprimirte Kreuzbeinhälfte diejenige, welche der
Seite der Kyphoscoliose entgegengesetzt ist. Das gilt jedoch nur für die gewöhn-
lichen Formen der lumbodorsalen Kyphoskoliose, welche durch eine Skoliose im
unteren Lendensegmente nach der entgegengesetzten Seite und leichte Lordose com-
pensirt wird. Li Folge der Skoliose im Lendensegmente trifft der stärkere Druck
die der letztgenannten Skoliose entsprechende Beckenhälfte. Die betreffende Beckeu-
hälfte wird durch diesen stärkeren Druck gehoben, nach hinten, oben und innen
gedrängt, und erhält eine geringere Neigung als die andere. Dabei sind aber die
Seitenwandbeine unter der Wirkung der Kyphose um ihren sagittalen Durchmesser
so gedreht, dass sie nach oben stark klaffen, nach unten zu in den Sitzbeinen ein-
ander stark genähert sind. Auch sind die Darmbeine in der Linea terminalis etwas
verlängert. Die Schamfuge wird unter dem Einflüsse der stärkeren Belastung einer
Beckenhälfte nach der entgegengesetzten verdrängt. Der Tuber ischii der compri-
mirten Seite ist auch hier in der Regel nach aussen gewälzt, er kann jedoch aus
demselben Grunde wie beim skoliotischen Becken auch nach innen verdrängt sein.
Demgemäss hat das kyphoskoliotisch-rhachitische Becken folgende Charaktere:
Die Conjugata vera ist relativ gegenüber dem Skoliosenbecken vergrössert,
mitunter sogar absolut grösser als normal. Der gerade Durchmesser des Ausganges
ist relativ zu dem des Einganges, aber auch absolut im Verhältnis zum normalen
Becken verkürzt. Das Kreuzbein ist gestreckt und in die Länge gezogen, die
Spinae ant. sind weit von einander entfernt, ebenso ist der vordere Querdurchmesser
des Einganges relativ gross. Der Querdurchmesser des Ausganges ist absolut kleiner,
meist sogar beträchtlich verkürzt. Am Eingange des Beckens ist der grosse Quer-
durchmesser immer noch der grösste trotz der Verlängerung der Conjugata, verläuft
jedoch ganz wie beim rhachitischen Becken sehr nahe dem Kreuzbein, entgegengesetzt
dem Verhalten beim normalen und beim kyphotischen Becken. Da ferner der vor-
dere Querdurchmesser sehr nahe der Schamfuge liegt, so liegen vorderer imd hin-
terer Querdurchmesser sehr weit aus einander.
78
BECKENANOMALIEN.
Bezüglicli der Prognose und Therapie muss auf das beim k3'i)liotisclien
Becken und beim skoliotisch-rbacbitiscben Becken Gesagte verwiesen werden. In der
Regel geben diese Becken, wenn sie rhacbitiscben Ursprunges sind, die Indication zur
Perforation oder Sectio caesarea. Nur in den leicbteren Graden ist die Prognose
für die Geburt günstiger und kann sogar auf spontanen Geburtsverlauf gerechnet
werden.
5. D i e Beckenformen bei symmetrischer und asymmetrischer
Assimilation (Schaltwirbelbildung, Spondyloparembole).
Yon den sämmtlichen Wirbeln ist der 5. Lendenwirbel den grössten individuellen
Schwanlvungen unterworfen. Wir finden an ihm alle Uebergänge von der Form eines
rein lumbalen zu der eines vollkommen sacralen Wirbels.
Beginnen wir zunächst mit den leichter verständlichen und besser bekannten
Fällen von asymmetrischer Assimilation. Der asymmetrisch entwickelte Wirbel kann
hierbei der letzte Lendenwirbel oder noch häufiger der erste Kreuzbeinwirbel sein.
Die Asymmetrie besteht darin, dass auf einer Seite ein Flügel mehr oder weniger
volllvommen entwickelt ist, derselbe aber auf der anderen Seite fehlt oder weit
schwächer entwickelt erscheint. Der besser entwickelte Flügel tritt in Contact
seitlich mit dem Darmbeine,
^'^- ^°- nach unten mit dem Flügel
des nächsten Sacralwirbels
und ist daselbst knöchern
mit dem anliegenden Kno-
chen verschmolzen oder
durch eine Knorpelfuge von
ihm getrennt.
Auf der Seite der
mangelhaften Entwicklung
des Flügel kann ein vollkom-
mener oder theilweiser Er-
satz von dem Flügel des
nächsten Sacralwirbels gebil-
det werden dadurch, dass
letzterer stärker entwickelt
ist und ersterem gewisser-
massen entgegenwächst. Das
Becken bleibt in solchen
Fällen symmetrisch. Fehlt
aber ein solcher Ersatz und
besteht eine zweifellose Un-
gleichheit in der Vertheilung
der Seitenmassen des be-
treifenden Wirbels, dann
sinlit der Wirbelkörper nach
der minder entwickelten
Seite herab, da er auf dieser Seite mangelhaft unterstützt wird und es entwickelt
sich eine nach derselben Seite convexe Skohose der Lendensäule. Durch dieses ge-
änderte Verhältnis in der Uebertragung der Rumpflast wird die Seite der geringeren
Entwicklung einem stärkeren Drucke ausgesetzt, der sich in Abplattung der be-
treffenden Beckeuhälfte von der Pfanne aus, in Verschiebung des Darmbeines nach
hinten oben, der Symphyse nach der entgegengesetzten Seite äussert. Die Ver-
änderungen werden also hier kurz gesagt dieselben sein wie bei primärer Skoliose.
Nur ist hier die Skoliose nicht primär, sondern secundär in Folge der mangelhaften
Unterstützung des asymmetrischen Wirbels auf Seite der mangelhaften Entwicklung.
Der Entstehungsmechanismus dieser Becken ist von Hohl und neuestens besonders
AsjTnmetrisclies Assimilationsbecken.
BECKEN ANOMALIEN.
79
von H. V. Meyek aufgedeckt worden. Natürlich werden die Verschiebungen der
beiden Beckenhälften umso auffallender sein, je weicher und bildsamer das Becken
zur Zeit der ersten Belastung war.
Wesentlich com-
lilicirter ist die ^*»- ^^•
Sachlage bei sym-
metrisch e n A s-
similationen.
Zunächst ist schon
die Deutung eines
überzähligen
Kreuzbeinwirbels
schwierig, ja un-
möglich, wenn nicht
die ganze Wirbel-
säule vorliegt. Han-
delt es sich um ein
Kreuzbein von 6
Wirbeln, so kann
der überzählige
Wirbel in der Ge-
sammtreihe der 24.
(obere Assimila-
tion) oder der 30.
(untere Assimila-
tion) sein. Für die
erstere spricht
Hochstand des Pro-
montoriums über
der Beckeneingangsebene, sowie Persistiren der Bandscheibe zwischen dem ersten
und zweiten Wirbel, für letztere das Vorhandensein der Cornua coccygea an dem
letzten mit dem Kreuzbein verschmolzenen Wirbel. Auf die Gestaltung des
Beckens haben diese Anomalien nur dann Einfluss, wenn hierbei das Promontorium
hoch steht, der Promontoriumwinkel aber wenig entwickelt ist. Eine wesentliche
Störung in der Haltung der I^endenwirbelsäule wird das Resultat einer solchen
Anomalie sein; die Lendenwirbelsäule wird ihre normale Krümmung nicht mehi*
besitzen, sie wird einen zusammen mit dem Kreuzbein mehr gestreckten Verlauf neh-
men. Bei normaler Beckenneigung würde nun aber eine derart gestreckte Len-
densäule den Schwerpunkt des Rumpfes weiter nach vorne tragen als dies die nor-
malen Gleichgewichtsverhältnisse gestatten und der Rumpf müsste nothwendig nach
vorne überfallen. Diese Störung des Gleichgewichtes wird in der Art compensirt,
dass die Beckenneigung bedeutend verringert und das so entstandene Plus an Com-
pensation durch leichtes Vorwärtsneigen des Oberkörpers ausgeglichen wird. Der
kyphotische Charakter dieses Beckens ist an der Sagittal- und der Horizontalprojec-
tion deutlich erkennbar.
Symmetrisclies Assimilationsbecken.
V. Gruppe, ßeckenanomalien in Folge von Krankheiten der belasteten
Skelettlieile (untere Extremitäten).
1. Die Beckenformen bei Coxalgie.
Die Formveränderungen des Beckens bei Coxalgie, wenn dieselbe einseitig auf-
tritt, sind leicht zu verstehen, wenn man bedenkt, dass wegen des schmerzhaften
Gelenksleidens die Körperlast fast ausschliesslich auf die andere (gesunde) Seite
übertragen wird. Nicht die Coxalgie als solche, sondern nur die veränderten Be-
lastunesverhältnisse des Beckens bringen die Difformität zustande.
80
BECKENANOMALIEN.
Das durcli diese einseitige Uebertragung der Körperlast zu Staude kommeude
Becken ist ein schräg ovales, das viele Aebuliclikeit hat mit dem NlGELE'scheu,
sich aber doch iu einigen wesentlichen Punkten von letzterem unterscheidet. In Folge
der einseitigen Uebertragung der Körperlast wird auf die gesunde Pfanne ein über-
wiegender Druck ausgeübt. Dieser einseitige Druck auf die gesunde Pfanne bewirkt,
dass das Hüftbein derselben Seite nach ein-, auf- und rückwärts verschoben, seine
Neigung verringert und die Schamfuge nach der anderen Seite hinübergedräugt wird;
dass der horizontale Schambeiuast der gesunden Seite höher steht und mehr gegen
die Beckenhöhle hineinragt, dass die Spinae anteriores ossium ilei höher und weiter
zurück liegen; die
^ig 12. Mündung der ge-
sunden Pf anne mehr
nach vorne, die der
Kranken mehr nach
aussen sieht; dass
der vordere Band
der Darmbeinplatte
mehr nach innen
gedrängt, dadurch
die S-förmige Bie-
gung der Crista ver-
stärkt, die directe
Entfernung zwi-
schen Spina ante-
rior superior und
posterior, superior
kleiner ist, so dass
das Darmbein ver-
kürzt erscheint, in
Wirklichkeit aber
dieselbe Länge hat
wie das der an-
deren Seite, oder
aber letzteres an
Länge sogar übertrifft, wie Messungen längs des Darmbeinkammes mit Faden erge-
ben. Die Linea arcuata des Darmbeines scheint ebenso verkürzt, doch erklärt sich
diese scheinbare Verkürzung aus der Verschiebung des Darmbeines nach hinten. Bei
der Verschiebung des Hüftbeines am Kreuzbein wird letzteres nicht selten um
seine Längenachse gedreht und zwar im Sinne der stattfindenden Bewegung, so
dass die vordere Fläche mehr der gesunden Seite zugekehrt erscheint und die
Asymmetrie der beiden Seitenhälften vorne stärker ausgeprägt ist als auf der
hinteren Fläche des Kreuzbeines und die Kreuzbeinlöcher der gesunden Seite vorne
schmäler sind als hinten.
2. Die Beckenformen bei einseitiger Luxation des Schenkel-
kopfes.
Die Becken mit einseitiger Luxation des Schenkelkopfes zeigen die mannig-
fachsten Veränderungen. Sie sind bald schräg verengt, bald symmetrisch, bald auf
der gesunden, bald auf der kranken Seite enger. Das Kreuzbein neigt in einzelnen
Fällen nach der kranken, in anderen wieder nach der gesunden Seite, so dass es
fast den Anschein haben könnte, als ob in diese Regellosigkeit keine Gesetzmässig-
keit gebracht werden könnte, und doch gelingt dies, wenn man, wie Leopold dies
gethan, die jugendlichen von den erwachsenen, die Becken mit angeborener von denen
mit erworbener Luxation, endlich die Becken vor und nach Gebrauch der Extremi-
täten auseinander hält.
Cosalgisches Becken.
BECKENANOMALIEN. 81
Wir besprechen vorerst die angeborenen Luxationen. Dabei können
die unteren Extremitäten noch nicht gebraucht worden sein, oder das Individuum
hat sie gebraucht. Solange das Individuuni nur liegt, wird zunächst Atrophie der
luxirten Beclienhälfte eintreten; diese Atrophie zeigt sich in erster Linie an der
Pfanne, dem Sitzbein und dem Oberschenl<el. Die mangelhaft entwickelte Pfanne
hält die einzelnen Theile der Heitenbeckenknochen weniger kräftig auseinander.
Dieselben nähern sich, das Darmbein neigt sich mehr nach vorne. Ferner wird
durch den Zug der vom Tuber ischii zum Trochanter maior ziehenden Muskeln der
Tuber ischii nach aufwärts gezogen und der absteigende Schambeinast bleibt ebenso
wie der aufsteigende Sitzbeinast in der Entwicklung zurück. Durch den Druck des
Schenkelkopfes auf die Aussenfläche des Darmbeins wird das letztere steiler gestellt.
Diese Atrophie der luxirten Beckenhälfte bedingt ein stärkeres Nachvornetreten
des Kreuzbeinflügels der betreffenden Seite, wobei jedoch das Promontorium der
Schamfuge gegenüber stehen bleibt.
Beginnt das Kind zu sitzen, so fällt das Becken wegen höheren Standes des
Tuber ischii der kranken Seite mehr auf diese und damit wird auch die Körperlast
mehr auf diese übertragen. In Folge dessen neigt sich das Kreuzbein auf diese Seite
und die Differenz der Weite der beiden Beckenhälften wird noch grösser, zu Un-
gunsten der luxirten Seite. Durch den stärkeren Druck auf den Tuber der kranken
Seite wird dieser nach innen und oben gedrängt. Der schräge Durchmesser der
kranken Seite wird dadurch der weitere, der andere der engere.
Werden bei dieser Beckenform nun die unteren Extremitäten gebraucht, so
fällt der Schwerpunkt, der bei normalem wie bei abnormem Becken in die Mitte
der beide Schenkelköpfe verbindenden Linie fallen muss, nunmehr mehr nach der
kranken Seite. Dadurch wird aber die Neigung des Kreuzbeines nach dieser Seite
noch verstärkt, und die hintere Beckenhälfte wird noch stärker abgeflacht als vor-
dem. Während aber der Schenkelkopf der gesunden Seite mit voller Kraft die
Pfanne drückt und den vorderen Beckeneingang abzuflachen strebt, erfährt auf der
luxirten Seite die normale Pfannengegend gar keinen Druck, sondern der Druck
wirkt höher oben auf die Aussenfläche des Darmbeines ein, und gleichzeitig üben das
Ligamentum ileo femorale und die Gelenkskapsel, wie auch die Muskeln zwischen
Tuber und Trochanter einen starken Zug auf den vorderen Beckenhalbring in der
Richtung nach aussen und oben aus. Dadurch wird die Beckenhälfte der luxirten
Seite, die vor dem Gebrauche der Extremität die engere war, nunmehr die weitere.
Die Schambeinfuge wird durch den stärkeren Zug auf die luxirte Beckenseite ge-
zogen, dagegen streckt sich die Linea arcuata auf der gesunden Seite. Nunmehr
ist das umgekehrte Verhältnis der schrägen Durchmesser eingetreten. Der der luxirten
Seite angehörige ist nun der engere geworden.
Betrachten wir nun die Veränderungen, welche das Becken bei erworbener
Luxation erfährt. Tritt die Luxation im jugendlichen Alter ein und werden die
unteren Extremitäten nicht gebraucht, so erfolgen fast die gleichen Veränderungen,
wie wir sie eben bei angeborener Luxation vor Gebrauch der Extremitäten kenneu
gelernt, nur ist die Atrophie weniger hochgradig. Tritt die Luxation jedoch bei
erwachsenen Individuen ein, ohne dass die unteren Extremitäten gebraucht werden,
so wird die Beckenhälfte der luxirten Seite weiter, da die Beckenknochen dem steten
Zuge des Ligamentum ileo-femorale und des Psoas ausgesetzt werden. Die Stellung
des Kreuzbeines wird jedoch nicht wesentlich beeinflusst.
Werden bei erworbener Luxation die unteren Extremitäten gebraucht, so wer-
den die Veränderungen in der gleichen Richtung erfolgen bei jugendlichen wie bei
erwachsenen Individuen, nur natürlich bei ersteren in viel höherem Grade. Auch
hier ergibt sich eine hohe Aehnlichkeit mit den Veränderungen, welche wir bei an-
geborener Luxation nach Gebrauch der Extremitäten kennen gelernt haben, doch
bestehen nichtsdestoweniger wesentliche Unterschiede. Es fehlt hier, wo die Luxa-
tion erworben ist, die hochgradige, angeborene Atrophie der luxirten Beckenhälfte.
Es fällt also die Rumpflast nicht so sehr nach dieser Seite als vielmehr nach der
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. b
82
BECKENANOMALIEN.
gesunden, weil ja doch diese Extremität besser zum Gehen und Stehen verwendbar
ist als die luxirte. Es neigt sich also auch das Kreuzbein weit stärker nach der
gesunden Seite und wird der vordere Beckenhalbring stärker abgeflacht, so dass
bedeutendere Asymmetrie imd zweifellose schräge Verengerung die Folge sein muss.
Der stärkere Druck der Kürperlast auf der gesunden Seite führt bei diesen Becken
nicht selten zu Ankylose der Hüftkreuzbeinfuge derselben Seite.
3. Die Beckenformen bei doppeltseitiger Luxation der
Schenkelköpfe.
In den Fällen von Entwicklung des Schenkelkopfes an abnormer Stelle sind
die zum Schenkel ziehenden Muskeln ebenfalls anormal gebildet, einestheils kürzer,
andererseits länger, entsj)rechend der veränderten Stellung des Schenkelkopfes. Ein
abnormer Zug durch diese Muskeln auf das Becken wird also insolange nicht aus-
geübt werden, als der Druck der Körperlast noch nicht auf das Becken einwirkt.
Solche Becken haben also gewöhnlich die normale Form des fötalen Beckens.
Anders verhalten sich die Becken, in denen thatsächlich Luxation stattgefunden.
Die für die normale Entwicklungsstätte des Schenkelkopfes in genügender Länge
entwickelten Muskeln werden durch die Luxation theils zu kurz, theils zu lang. Die
Fig. 13.
liuxation beider Schenkelköpfe nach hinten oben.
ersten Veränderungen wird dieses Becken theils durch stärkeren Zug seitens der
gedehnten, theils durch schwächeren Zug seitens der erschlafften Muskeln erfahren;
deshalb wh'd schon jetzt der Tuber ischii nach aussen- oben gezogen, die Darmbein-
platte wegen des geringen Zuges eine mehr steile Stellung annehmen.
Diese A''eränderungen werden sich also zu einer Zeit einstellen, wo das Kind seine
Extremitäten noch gar nicht zum Gehen oder Stehen gebraucht, also vor der Zeit der
Einwirkung der Rumpflast.
Mag nun das Becken in dieser Weise präformirt sein oder nicht, immer sind
die Endresultate, wenn einmal die Körperlast unter den durch die Luxation verän-
derten Bedingungen eingewirkt hat, dieselben. Beginnt das Kind zu sitzen, so werden
die ersten Veränderungen, die auch normaler Weise das Fötalbecken zum Becken
des Erwachsenen umformen, damit beginnen, dass das Kreuzbein unter dem Drucke
der Rumpflast nach vorne sinkt. Nui' wird diese Bewegung in viel höherem Masse
BECKENANOMALIEN.
83
erfolgen als beim normalen Becken, da bei letzterem der Gegendruck des Schonkol-
kopfes sehr bald sich geltend macht und damit die Drehung der Darmljoine um
eine Yerticalachse hemmt, während beim Luxationsbecken dieser Gegendruck fehlt
oder doch wenigstens nicht an normalen Stellen vorhanden ist. Mit dem stärkeren
Vortreten des Kreuzbeines wird aber die Querspannung des Beckens wegen des feh-
lenden Druckes an der Stelle der Pfannen grösser werden. Beginnen die Kinder
zu stehen oder zu gehen, dann wird ferner wegen Verlegung des Unterstützungs-
punktes nach hinten (Schenkelknochen) auch der Schwerpunkt nach hinten vorlegt
werden müssen, was durch lordotische Einbiegung der Lendenwirbelsäule und damit
durch stärkere Beckenneigung geschieht. Durch die stärkere Beckenneigung wird
der Angriffspunkt für die Körperlast auf das Kreuzbein in dem Sinne günstiger,
dass die Basis des Kreuzbeines noch weiter nach vorne ausweicht, während die
Spitze durch den Zug der Ligg. tuberososacra seitens der nach vorne und aussen
tretenden Tubera ischii am Ausweichen im entgegengesetzten Sinne gehindert wird.
Durch diese Bewegung vom Promontorium und Kreuzbeinspitze in gleichem Sinne
wird die Krümmung des Kreuzbeins in senkrechter Richtung gesteigert. In demselben
Masse wird aber wieder die Querspannung des kleinen Beckens vergrössert, während
die nach aufwärts dislocirten Schenkelköpfe ihre die Querspannung hemmende Kraft
nur auf das grosse Becken zu äussern vermögen, und dadurch die Darmbeinschaufeln
sehr steil stellen. Da ferner die Schenkelköpfe durch die neugebildeten rudimentären
Pfannen beiweitem nicht so sicher an der Aussenfläche der Darmbeine gehalten
werden, wie durch die normalen Pfannen, so schwebt das Becken an den oberen
Oberschenkelenden mittels der von diesen zum Tuber ischii ziehenden Muskeln wie
eine Wagenkutsche an den Riemen zwischen den Federn und es erfährt der Tuber
ischii dabei einen starken Zug nach aufwärts und aussen, wodurch der Ausgang quer
erweitert wird.
Die Charaktere des Beckens sind demnach: starke Neigung, Verengerung der
Conjugata des Beckeneinganges, Vergrösserung des queren Durchmessers des Einganges,
sowie sämmtlicher Durchmesser des Ausganges, Kürze des ganzen Beckencanales,
steile Stellung der Darmbeine.
Die Geburt bei diesen Beckenformen verläuft in ähnlicher Weise wie bei plat-
tem Becken; die Verengerung in der Richtung der Conjugata des Einganges ist selten
bedeutend.
4. Die Beckenformen bei Klumpfuss, bei Fehlen oder Verküm-
merung einer oder beider unterer Extremitäten.
Bei dem Becken
mit beiderseitigem, ange-
borenem Klumpfuss steht
das Promontorium ausser-
ordentlich tief, die Pfan-
nengegend und die Tu-
bera ischii sind nach in-
nen getrieben, besonders
stark die letzteren, so
dass das Becken die
Trichterform erhält urd
einen sehr schmalen An-
gulus pubis aufweist; end-
lich sind beide Hüftbeine
der Mittellinie etwas
genähert.
Ein Fall von Feh-
len beider unterer
Extremitäten ist von
Holst bei einem 40-jäh-
Fig. li.
Beckenform bei beiderseitiger KhimpfussbilduBg.
6*
84 BECKENENDLAGEN.
rigen Weibe besclirieben worden. Wegen dieses Defectes beider Extremitäten konnte
das Becken nur zum Sitzen verwendet werden (Sitzbecken). Das Becken (an der Lebenden
nntersucht) war stark abgeplattet, die Tnbera ischii weit auseinander gedrängt (15 cm),
die Cristae einander genähert (20^4 cm), so dass die Hüftbeine um eine sagittale Axe gedreht
erschienen.
Das Fehlen einer unteren Extremität führt nur dann zur Verhildung des
Beckens, wenn . kein künstlicher Ersatz für die Extremität benützt wurde. Auch
hier ist einseitige Belastung nothwendig. Diese Anomalie ist jedoch sehr selten,
und zwar erstens wegen der Seltenheit von Amputation unterer Extremitäten bei
weiblichen Individuen, zweitens wegen der Seltenheit des Eintrittes von Schwanger-
schaft unter dieser Voraussetzung.
FRIEDEICH SCHAUTA.
Beckenendlagen {Unterendlagen) sind solche Lagen, bei welchen sich
der Fötus entweder mit dem Steiss und beiden Füssen (Steissfersenlage)
oder mit dem Steiss allein (Steisslage) oder mit dem Steiss und einem
Fuss (halbe Steisslage oder unvollkommene Fusslage) oder endlich
mit beiden Füssen allein (Fusslage) zur Geburt stellt. Man hat auch als
Knielage bezeichnet, wenn bei gestreckter Haltung des Fötus statt der Füsse
die Kniee vorliegen, doch ist dies nur transitorisch und imterscheidet sich
diese Modification in ihrem Verlaufe gar nicht von der Fusslage. Ueberhaupt
kann, so lange nur erst die Füsse allein oder die Kniee sich im Beckencanal
befinden, von einem geregelten Geburtsmechanismus nicht die Rede sein, da
diese Theile den Beckencanal bei weitem nicht ausfüllen, also auch von dessen
Wänden ein Einfluss auf ihre Fortbewegung oder Drehungen u. dergl. nicht
ausgeübt wird. Erst wenn das Becken des Fötus in das mütterliche Becken
eintritt, macht sich dieser Einfluss geltend und kommt es jetzt zu einem ge-
regelten Geburtsmechanismus, welcher im wesentlichen für die verschiedenen
Modificationen oder Arten der Beckenendlagen derselbe ist. Da aber bei gleichem
Geburtsmechanismus der sonstige Verlauf einer Unterendgeburt, je nachdem
der Steiss oder ein oder beide Füsse (Kniee) die Leitspitze bilden, bemerkens-
werthe V^erschiedenheiten zeigt, auf welche wir später zurückkommen werden,
so lässt es sich rechtfertigen, wenn man zwischen Steisslagen, Fusslagen und
halben Steisslagen oder unvollkommenen Fusslagen unterscheidet.
Bei noch uneröffnetem Ei, zu Beginn der Geburt hat der in Becken-
endlage befindliche Fötus im wesentlichen dieselbe Haltung, wie bei Ober-
endlage, sie ändert sich aber meist im Verlaufe der Geburt, indem selten
die Fersen am Steiss liegen bleiben, sondern entweder beide Beine dadmxh,
dass sie durch den Rand des Beckens am Hinunterrücken gehindert werden,
sich hinaufschlagen — Steisslage — oder, indem der Steiss auf dem
Becken hängen bleibt, sich vollkommen strecken und zuerst nach unten treten
— Fusslage — oder indem ein Bein am Steiss liegen bleibt oder hinauf-
geschlagen, das andere aber vollkommen nach unten gestreckt wird — un-
vollkommene Fusslage oder halbe Steisslage. Wie bei Obereudlage
unterscheiden wir auch bei Beckenendlage zwischen erster und zweiter
Stellung, je nachdem der Rücken des Kindes der linken oder rechten
Mutterseite zugekehrt ist, dabei entweder gerade zur Seite gerichtet oder mehr
nach vorn oder nach hinten, was von Manchen ziu- Unterscheidung von
Unterarten — Rücken vorn: erste Unterart, nach hinten: zweite Unter-
art — benutzt wird, aber nicht nothwendig ist. Die erste Stellung ist un-
gefähr dreimal so häufig, als die zweite.
Was die Frequenz der Beckenendlagen überhaupt anlangt, so berechnet
Schröder dieselbe auf 3-11% aller Geburtsfälle. Bei ausgetragenen Kindern und einfacher
Geburt sind sie aber noch um die Hälfte seltener, da unreife Früchte viel häufiger, als
reife in Beckenendlage geboren werden und umsomehr, je früher die Geburt erfolgt und
besonders, wenn es sich um bereits abgestorbene Früchte bandelt. Worin das so bedeutende
Ueberwiegen der Oberendlagen gegenüber den Beckenendlagen begründet ist, mag hier un-
BECKENENDLAGEN. 85
erörtert bleiben, so viel nur sei erwähnt, dass eine im Verhältnis zum Fruchtvolum zu
grosse Geräumigkeit der Uterushöhle und Schlaffheit ihrer Wandungen, welche dem Fötus
eine grosse passive und active Beweglichkeit gestatten, als wesentliclio Ursache für Becken-
endlagen sich geltend macht. Deshalb beobachten wir solche vorwiegend bei Mehrgebärenden,
bei Hydramnios, bei mehrfachen Früchten und bei Frühgeburten, besonders mit todtem
Fötus. Nach Zusammenstellungen von über 32000 Geburten durch Hegar und Si'iI':oelbekg
werden bei mehrfachen Früchten 25"/,, bei Frühgeborenen 22-4 "/o in Beckenendlugen ge-
boren bei nur 2 bis 2'57o Beckenendlagen aller Früchte insgesaramt.
Die Diagnose der Beckenendlage wird durch äussere und innere Unter-
suchung ermöglicht. Ist der Muttermund bereits eröffnet, die Blase gesprungen
und der vorliegende Kindstheil tief stehend, dann bieten sich der Erkennung
der Lage durch die innere Untersuchung kaum Schwierigkeiten, wolil aber,
wenn diese günstigen Umstände nicht vorhanden sind, bei geschlossenem
Muttermund, bei prall gespannter Blase und hochstehendem Kindstheil.
Da gibt uns die äussere Untersuchung viel bessere, oft überraschend
gute Resultate, besonders die Palpation, wenn die Bauchdecken nicht zu sehr
gespannt oder zu empfindlich sind. Zu beachten ist bei der äusseren Unter-
suchung die Stellung des Uterus, der gerade bei Unterendlagen sich oft sehr
schief stehend findet, weshalb man immer die Längslinie des Uterus, nicht die
Linea alba zur Beurtheilung der Frage, ob erste oder zweite Stellung, benutzen
muss. Fühlt man den Kopf, meist etwas seitlich stehend, im Fundus, dann
ist die Diagnose der Lage gesichert, und kann man durch Betastung des
Rückens des Fötus günstigen Falles auch die Stellung erkennen. Der Kopf
ist härter, mehr rund und gleichmässiger gewölbt, als der Steiss, dabei be-
weglicher als dieser. Mitunter lässt sich auch, wenn die Kopfknochen noch
nicht zu hart, das pergamentartige Knittern derselben durch die Bauchdecken
hindurchfühlen. Zwischen Kopf und Schultern kann man in vielen Fällen eine
deutliche Einschnürung bemerken, welche am Steiss fehlt. Der auf dem
Becken aufsitzende Steiss unterscheidet sich vom Kopfe durch geringeres Bal-
lotement, durch geringere Härte, mehr unregelmässige Form und durch den
directen, breiten Uebergang in den Rumpf.
Liegt der Rücken nach vorn, dann fühlt man kleine Kindstheile nur
undeutlich und, weil mehr an ihrer Anhaftungsstelle am Körper fühlbar,
weniger beweglich, als bei Rücken nach hinten, wo man öfters an den ver-
schiedensten Stellen der Bauchwand leicht bewegliche, oft spontan der Pal-
pation ausweichende kleine Theile fühlt. Die Unterscheidung der Steisslage
von Fusslage durch blosse Palpation ist selten möglich und nur ein Wahr-
scheinlichkeitsschluss zulässig, wenn der Steiss etwas zur Seite gemchen ist.
Die Auscnltation gibt kein ganz zuverlässiges Resultat, besonders wenn der
Rücken des Kindes nach hinten liegt. Steht der Steiss noch auf dem Beckeneingang, dann
sind die Herztöne ungefähr in Höhe des Nabels der Mutter am besten zu hören, je tiefer
aber der Steiss in das Becken selbst eintritt, umso tiefer rücken auch die Herztöne und
sind in derselben Höhe, wie bei Schädellage mit auf dem Becken aufstehendem Kopfe
zu hören.
Bei gesprungener und selbst bei noch stehender aber schlaffer
Blase und genügend erweitertem Muttermund können wir den Steiss deutlich
abtasten als weichen Theil, von welchem man nach hinten zu an die After-
öffnung — von der Mundöffnung zu unterscheiden durch die Kieferränder
und den Mangel der Lippen — und zu beiden Seiten an die Tubera ischii kommt.
Ferner zu berücksichtigen die Steissbeinspitze und die Hinterbackenfalte, die
Genitalien, besonders das mitunter stark angeschwollene Scrotum — das mit
der prall gespannten Blase verwechselt werden kann — und weiter hinauf
die Schenkelbeuge und der Hüftbeinkamm. Liegt das Kreuzbein mehr
vor, werden wir die Genitalien schwieriger auffinden, dafür aber die Dorn-
fortsätze der Kreuzbeinwirbel fühlen. Die mitunter vorkommende tiefe gruben-
förmige Einziehung der Haut am unteren Ende des Kreuzbeins kann zur Ver-
wechslung mit der Afteröfi'nung Veranlassung geben, doch kann man in die
86 BECKENENDLAGEN.
Grube nicht eindringen, wie bei der Afteröffniing, da die Haut auf dem Knochen
direct aufliegt. Bei gesprungener Blase und längerem Einstehen des Steisses
im Becken zeigt der vorliegende Kindestheil wie bei Oberendlage oft bedeutende
Anschwellung, wodurch die Diagnose der Stellung, ja selbst der Lage — Ver-
wechslung mit angeschwollenem Gesicht, Schulter, selbst starker Kopfgeschwulst
— sehr erschwert werden kann. Die vorliegende Ferse kann, besonders bei
noch wenig eröffnetem Muttermunde, welcher ein tiefes Eindringen der unter-
suchenden Hand nicht gestattet, mit dem Ellenbogen, weniger leicht mit der
Hand verwechselt werden, doch stehen die beiden Knöchel viel weiter von
dem Calcaneus entfernt, als die beiden Condylen von dem Olecranon. Der
Fuss ist länger und schmäler als die Hand, die Sohle hat einen convexen
dünnen — den äusseren — und einen concaven wulstigen — den inneren —
Band, während die innere Handfläche mehr breit oder rundlich ist und zwei
dicke convexe Seitenränder besitzt. Bei Berührung wird der Fuss oft zurück-
gezogen, während die Hand viel eher eine Greifbewegung macht. Die fünf
Zehen sind kürzer, als die Finger, stehen in einer Reihe und ist die stärkste
davon auch die längste, an der einen Seite der Reihe stehend, während bei
der Hand der dickere Daumen kürzer ist, als die vier übrigen Finger und
in Oppositionsstellung zu letzteren sich befindet. Das Knie unterscheidet
sich vom Ellenbogen und auch der Schulter durch seine grössere Breite, durch
die, jedoch nur bei gestrecktem Fusse deutlich abzutastende Patella und durch
die Fossa intercondyloidea femoris.
Die Geburt verläuft nach denselben allgemeinen Regeln, wie auch die
Oberendgeburt. Mit der allmälig zunehmenden Contraction des Uterus wird
der Kindeskörper mehr zusammengedrückt, der Kopf stärker gebeugt, die
Arme und die Schenkel an den Rumpf angepresst. Da der Beckeneingang
dmxh den Steiss nicht ganz ausgefüllt wird, drängt das Fruchtwasser mehr
nach unten, wodurch entweder eine starke Blase gebildet oder die Eihäute
gesprengt werden. Mit einem allmäligen Vorrücken in der Längslinie des
Kindes, beziehungsweise in der Richtung der Achse des Beckencanals,
bedingt durch den seitens der austreibenden Kräfte mittelst der Wirbelsäule
auf das Becken ausgeübten Druck, geht eine Drehung um die Längsachse
je nach der zu passirenden Stelle des Beckens Hand in Hand, indem der
Fötus mit seinen grössten Durchmessern — beim Rumpf der quere, beim
Kopf der sagittale — je in die grössten Durchmesser des Beckens zu kommen
strebt. Demgemäss wird der Steiss beim Eintritt in das kleine Becken —
denn vorher ist von einem eigentlichen Geburtsmechanismus noch nicht die
Rede — sich mit der Hüftbreite in einen schrägen und zwar meist den linken
schrägen, seltener in den queren, kaum je in den geraden Durchmesser des
Beckens einstellen, meist mit dem Rücken nach vorn, und verharrt in dieser
Stellung, resp. geht in dieser durch das Becken hindurch bis nahe zum
Beckenausgang. Dabei stehen beide Hüften parallel der Ebene des jeweiligen
Beckenabschnittes. Da der vordere Endpunkt dieser Ebenen bei der Kürze
der vorderen Beckenwand im oberen Theil des Beckens tiefer, im unteren
aber höher steht als der hintere Endpunkt, wird auch im Beckeneingang di&
nach vorn liegende Hüfte — bei der ersten Stellung (erste Unterart) mit
Rücken nach vorn, die wir als die häufigste der Beschreibung des Geburts-
verlaufs zu Grunde legen wollen, die linke — anfangs tiefer zu stehen
scheinen, als die nach hinten stehende rechte, wenigstens leichter zu erreichen
sein. Beide Hüften rücken nun gleichmässig nach unten, bis die nach vorn
liegende am unteren Ende der Symphyse angelangt in der Vulva erscheint,
während die nach hinten liegende jetzt allmälig tiefer zu stehen kommt. Diese
beschreibt, entsprechend der Länge und Form der hinteren Beckenwand eine
Kreisbewegung, deren Drehpunkt der am unteren Schossbogenrand ange-
presste Trochanter der vorderen (linken) Hüfte bildet. Durch den Widerstand
BECKENENDLAGEN. 87
des Beckenbodens wird jetzt die links hinten stehende rechte Hüfte mehr
nach vorn gedrängt und zugleich, durch den Widerstand, resp. die schiefen
Ebenen der Innenwand des Sitzknorrens nach der Mitte des Beckens zugeschoben,
es erfolgt eine Längsachsenrotation, wodurch die I lüftbreite sich in den geraden
Durchmesser des Beckenausgangs stellt. In dieser Stellung, bei welcher eine
leichte Torsion des Bumpfes stattfindet, da die Schultern gleichzeitig schräg
in den Beckeneingang treten, erfolgt unter starker Vorwölbung des Dammes,
der den Kindestheil nach vorn oben drängt, der Austritt der hinteren ^rechten)
Hüfte über die hintere Commissur der Labien, worauf sofort die vordere (linke)
Hüfte vollständig unter der Symphyse hervorgleitet. Der Steiss tritt somit
parallel zur Ebene der Vulva aus, woraus folgt, dass, da der Rumpf in der
Ebene des Beckeneinganges steht, der Körper des Kindes neben der Torsion
einer mehr oder minder starke seitliche Krümmung mit der Concavität nach vorn
erfahren muss. Diese hört auf, sobald der Steiss geboren, auch erfolgt als-
bald eine rückläufige Drehung des geborenen Steisses um die Längsachse, der
Querdurchmesser stellt sich jetzt wieder in den linken schrägen Durclimesser
des Beckens, den Rücken, resp. das Kreuzbein nach links vorn. Sind die
Beine schon vorher geboren oder ist der Steiss nicht sehr voluminös, so ist
es möglich, dass er diese Längsachsenrotation nicht vollständig durchmacht
und mehr-minder im schrägen Durchmesser aus der Vulva austritt. Aehnliches
kann bei der Schulter der Fall sein.
Beim weiteren Herunterrücken des Rumpfes und der Schultern beobachten
wir wieder genau denselben Vorgang, wie bei Durchgang, beziehungsweise
Austreten der Hüften, wir müssen uns nur an Stelle der Hüften die Schultern
denken. Die linke Schulter stemmt sich schliesslich an dem unteren Rand
der Symphyse an, wobei gewöhnlich zuerst der Ellenbogen sichtbar wird und
die Beine, wenn sie vorher hinaufgeschlagen waren, jetzt frei werden. Die
rechte Schulter rotirt über die vordere Fläche der hinteren Beckenwand und
den Damm, die Schulterbreite tritt im geraden Durchmesser aus, Rücken ge-
rade nach links.
Während nun der Rumpf des Kindes so im linken schrägen und später
im geraden Durchmesser das Becken verlässt, tritt der Kopf im rechten
schrägen Durchmesser, das Hinterhaupt links vorn, mitunter auch im queren,
das Hinterhaupt nach links in das Becken ein, und wird dabei der Nacken
eine ähnliche Torsion erfahren, wie vorher der Rumpf. Durch die austreibenden
Kräfte, hier vorzugsweise die Bauchpresse, wird er jetzt noch stärker gebeugt,
als vorher, das Kinn wird auf die Brust aufgedrückt, die Spitze des Hinter-
hauptes sieht nach dem Fundus und macht das Hinterhaupt, beziehungsweise
der Kopf dann dieselben Drehungen um die Längsachse, wie vorher Steiss
und Rumpf, es kommt das Hinterhaupt hinter die Symphyse zu liegen, die
Stirn in der Kreuzbeinhöhlung, und wird zuletzt, während die Basis des Hinter-
hauptes unter dem Schossbogen sich anstemmt, unter noch stärkerer Beugung
des Kopfes durch den Widerstand des Beckenbodens erst das Kinn und dann
die Stirn über den Damm nach vorn und aussen rotirt.
Bei der zweiten Beckenendlage ist der Vorgang ganz derselbe, nur
ist, was dort links, hier rechts und umgekehrt.
Auf dem nach unten vorliegenden, die Leitspitze bildenden Theile des
Kindes, meist die eine Hinterbacke, oft mehr die Sacralgegend — also bei der ersten
Beckenendlage anf der linken Hinterbacke — bildet sich eine Anschwellnng. welche, je
nachdem der Steiss kürzere oder längere Zeit eingestanden hat, bald nur in einem leichten,
rasch Yerschwindenden Oedem ohne besondere Färbung, bald in einer prallen, stark promi-
nirenden, durch Blutaustritt oft tief blaurothen Geschwulst besteht mit allen Zwi-
schenstufen, Da der Kopf erst am Beckenboden, wenn er bereits nahezu im geraden Becken-
durchmesser steht, eine stärkere Compression erfährt, wird diese vorzugsweise auf Ver-
kürzung des fronto-occipitalen und mento-occipitalen Durchmessers, und auch etwas, wenn
auch weniger auf die Querdurchmesser einwirken, während der als Leitspitze voran-
88 BECKENENDLAGEN.
kommende Scheitel von Druck frei bleibt und daher der senkrechte Durchmesser sich com-
pensirend verlängert. Hierdurch erhält der Kopf eine brachycephale Form, welche für
Beckenendlagen charakteristisch ist.
Yon dem eben betrachteten gewöhnliclisten normalen Verlauf der Becken-
endlagen kommen mitunter Abweichungen vor, besonders in Bezug auf die
Läugsachsenrotation, veranlasst durch Beckenanomalien, Wehenanomalien und
wohl auch häufig durch zu frühes, oft unmotivirtes Eingreifen, resp. fehler-
haftes Unterstützen der Natur in ihren Bestrebungen zur Ausschliessung des
Kindes. Wer glaubt, bei jeder Beckenendgeburt, sobald nur kaum der Steiss
oder gar erst die Füsse geboren sind, auch schon eingreifen müssen — und
es gibt deren leider sehr viele — wird kaum je eine regelrecht verlaufende
Beckenendgeburt zu sehen bekommen, wird kaum wissen, wie eigentlich der
normale Geburtsmechanismus bei Beckenendlage ist.
Eine sehr häufige Abweichung ist die, dass der Steiss mit nach hinten ge-
wandtem Rücken in das Becken eintritt und zwar häufiger mit dem Rücken nach
rechts hinten, als nach links, so dass also auch hierbei der linke schräge Durchmesser
die Hüftbreite des Kindes aufnimmt. Im weiteren Verlaufe der Geburt beobachten wir nun
folgendes: 1. Der Rumpf geht in der Anfangsstellung, wie auch sonst, durch das Becken,
am Ausgang stellt er sich in den geraden Durchmesser, den Rücken gerade zur Seite ; nach
Durchtritt des Steisses in der bekannten Weise erfolgt eine weitere j) regressive, nicht
retrograde Längsachsenrotation, sogenannte Ueberdrehung, so dass jetzt der Rücken
nach vorn seitlich kommt und die Geburt weiter so verläuft, als sei von Anfang an der
Rücken nach vorn gewesen. Der Kopf tritt dabei mit dem Hinterhaupt nach vorn in
demselben schrägen Durchmesser in das Becken ein, wie vorher die Hüftbreite. Dies ist
der häufigste Fall. 2. Seltener erfolgt nach der ersten Längsachsenrotation behufs Austritt
des Steisses eine retrograde Rotation, so dass der Rücken wieder nach hinten zu liegen
kommt und nach hinten bleibt bis zu dem, wieder im geraden Durchmesser erfolgenden
Austritt der Arme, beziehungsweise der Schulterbreite, wobei dann der Kopf im entgegen-
gesetzten Durchmesser, als anfangs Steiss und später Schultern, mit dem Hinterhaupt nach
hinten in das Becken eintritt. Nach Austritt der Schultern erfolgt jetzt entweder eine Ueber-
drehung, indem sich der E,ücken des Kindes, der im Augenblick des Austrittes gerade zur
Seite sah, jetzt nicht wieder nach hinten, sondern nach vorn dreht, durch Rotation des
Hinterhauptes nach vorn, so dass schliesslich der Kopf mit der Medianlinie im geraden
Durchmesser des Beckenausganges, das Hinterhaupt hinter der Symphyse, geboren wird, wie
bei dem normalen Mechanismus. Oder 3. in seltenen Fällen erfolgt auch nach Durchtritt
der Schultern die Hinterhauptsdrehung des Kopfes nach vorn nicht, es bleibt das Hinter-
haupt nach hinten gewandt und kann jetzt der Durchtritt und Austritt in zweierlei Weise
erfolgen :
a) Durch den mehr auf den vorderen Umfang des Kopfes wirkenden Druck der
Bauchpresse wird dieser noch mehr gebeugt, das Kinn fest auf die Brust aufgedrückt, und
tritt so das Gesicht hinter der vorderen Beckenwand, anfangs etwas mehr zur Seite ge-
richtet, herab und erscheint zuerst das Kinn, dann die untere Gesichtshälfte in der Vulva,
im Moment des Austretens sich gerade nach vorn drehend. Die Stirn bleibt hinter der
Symphyse stehen, die Gegend der Nasenwurzel stemmt sich am Schoossbogen fest als vor-
derer Drehpunkt für die Hinterhauptsrotatiou, indem dieses durch den Widerstand des
Beckenbodens nach vorn gedrängt unter allmäliger Streckung des Kopfes über die Vorder-
fiäche des Kreuzbeines und Steissbeines, also die Hinterwand des Geburtscanais nach aussen
rotirt. Da hierbei der Kopf mit seiner grössten Peripherie, der Ebene des Diameter fronto-
occip., durch die Schamspalte hindurchtreten muss (analog wie bei Vorderscheitellage), so
ist es klar, dass eine Spontanentwicklung des Kopfes in dieser Durchtrittsweise nur bei
sehr kleinem Kopfe oder bei sehr geräumigem Beckenausgang möglich ist.
h) Bleibt bei Eintritt des Kopfes in das Becken mit nach hinten gewandtem Hinter-
haupt durch irgend einen Umstand das Kinn auf dem Beckeneingang hängen, dann erfolgt
jetzt schon unter Drehung des Kopfes um seine Querachse nach hinten die Streckung des-
selben, das Hinterhaupt tritt zuerst tiefer in das Becken, über die Vorderfläche des Kreuz-
beines nach unten rotirend, die Unterfläche des Unterkiefers liegt hinter der Symphyse, das
Gesicht sieht nach oben, nach dem Fundus zu; schliesslich stemmt sich der Winkel des
Unterkiefers am Schossbogen fest ujid dient, analog wie bei Gesichtslage, nunmehr als
vorderer Drehpunkt für die Rotation des Hinterhauptes über den Beckenboden, beziehungs-
w^eise den Damm nach vorn und aussen. Aach diese Durchtrittsweise erfordert sehr kleinen
Kopf oder geräuuiigen Beckenausgang, um spontan zu Stande kommen zu können. Am ehesten
möglich wäre sie noch bei Seitenlage oder Knieellenbogenlage der Kreissenden, da der
geborene Rumpf nach dem Bauche der Mutter zu rotiren muss, was bei Rückenlage spontan
nicht möglich ist.
BECKENENDLAGEN. 89
Diese verschiedenen Modificationen der Durchtrittsweise des
Kindes bei Beckencndlage beobachten wir um so elier, je mehr der Fötus vor
oder bei der Geburt seine ursprüngliche Haltung aufgibt, also am seltensten
bei Steissfersenlage, am häufigsten l)ei reiner Fusslage und da um so eher,
je mehr zu frühzeitige, unvorsichtige Extractionsversuche an dem bereits ge-
borenen Kunipfe gemacht worden sind. Im übrigen bieten die verschiedenen
Beckenendlagen den bemerkenswerthen Unterschied in ihrem Verlaufe dar,
dass gemeiniglich bei reiner Fusslage der Durch- und Austritt des unteren
Theiles des Körpers ziemlich rasch erfolgt, mit der Geburt des oberen Kumpfes,
der Schultern und des Kopfes aber mehr und mehr Zögerung eintritt, da für den
Durchtritt dieser stärksten, umfangreicheren Theile durch das wenig volumi-
nöse untere Rumpfende die Wege nicht vorbereitet werden, jeder nachfolgende
Theil vielmehr sich selbst erst Platz schaffen muss. Bei Steisslage dagegen,
noch vielmehr bei Steissfersenlage dauert im Gegensatz hierzu der Anfang
des Durch- und Austrittes meist sehr lang, oft länger als der des Kopfes bei
Schädellage, der. Thorax mit den Armen, die Schultern und der Kopf folgen
aber dann verhältnismässig rasch, da der durch die anliegenden Oberschenkel
oder gar Ober- und Unterschenkel die Schultern und den Kopf an Umfang
überragende Steiss letzteren den Weg geebnet und genügend ausgeweitet hat.
Die unvollkommene Fusslage nähert sich in dieser Beziehung der Steiss-
lage. Bei beiden kommt als günstig für den Austritt der oberen Rumpfhälfte
hinzu, dass durch das Verharren beider oder wenigstens einer Unterextremität
in der natürlichen Haltung auch die Arme vor allenfallsigem Hinaufschlagen
bewahrt werden, also in der natürlichen Haltung bleiben und hierdurch wieder-
um der Kopf in seiner Haltung mit dem Kinn auf der Brust gesichert ward,
was beides für das normale Durchtreten von Vortheil ist, während bei Fuss-
lagen es leicht vorkommt, dass sich die Arme hinaufschlagen und der Kopf
gestreckt wird mit den daraus resultirenden, die Geburt erschwerenden Folgen.
Schliesslich ist noch zu bemerken, dass es bei Fusslagen häufiger zu
einem vorzeitigen Blasensprung kommt, als bei Steisslagen, da die Füsse den
Muttermund nicht ausfüllen und das Fruchtwasser durch die Uteruscontrac-
tionen an ihnen vorbei nach unten gedrängt wird.
Prognose. Die Beckenendlagen bieten an und für sich für die Mutter
keine besonderen Gefahren und verhalten sich nicht anders, als Oberendlagen.
Nur durch hier häufiger nothwendig w^erdende operative Eingriffe kann sich
die Prognose etwas ungünstiger gestalten. Anders verhält sich die Sache bei
dem Kinde. Durch Unterbrechung oder Aufhören des fötalen Kreislaufes w'ii'd
der Fötus, sobald Athemnoth herantritt, zu Inspirationsbewegungen veranlasst,
durch welche er fremde Körper in die Luftwege einzieht, und wird der Kopf
nicht sehr bald geboren — höchstens 8 bis 10 Minuten nach Unterbrechung
des Blutlaufes ■ — , dann tritt Asphyxie und alsbald der Tod durch Erstickung
ein. Die Unterbrechung des fötalen Kreislaufes kann aber eintreten durch
Druck der Nabelschnur seitens des Thorax oder Kopfes, sobald der Rumpf
halbwegs, wenigstens bis zum Nabel geboren ist und dies um so eher, je we-
niger die Nabelschnur vor dem Druck geschützt ist, wie letzteres, soweit es
den Thoraxdruck betrifft, durch die hinaufgeschlagenen Beine geschieht, darum
leichter bei A'-ollkommener Fusslage, als bei halber oder ganzer Steisslage.
Die Communication des fötalen mit dem mütterlichen Blute hört aber auch
auf, wenn die Placenta vollständig losgelöst ist, wie dies bei der zur Aus-
treibung des Kopfes nothwendigen starken Contraction des Uterus unbedingt
erfolgen muss. Je länger nun die Entwicklung der Arme, Schultern und des
Kopfes dauert, umso grösser die Gefahr für den Fötus, weshalb auch reine
Fusslagen eine viel ungünstigere Prognose geben, als Steiss-
lagen. Die unvollkommene Fusslage nähert sich in der Prognose mehr der
Steisslage, als der Fusslage, schon weil durch das hinaufgeschlagene eine
90 BECKENENEXSUDATE.
Bein die Nabelschnur doch eher vor Druck bewahrt wird, vor allem aber durch
die günstigere Vorbereitung der Ausgangswege. Die Prognose wird sich
im allgemeinen um so gtinstiger gestalten, wenn durch rechtzeitig geleistete
kunstverständige Hilfe den Gefahren begegnet wird.
Aus dem Gesagten erhellt, dass die Beckenendlagen einer noch sorg-
sameren Behandlung und Ueberwachung bedürfen, als die Oberendlagen,
Unsere erste Sorge muss sein, die Fruchtblase vor dem zu frühen Springen
zu bewahren, zu welchem Zwecke man der Kreissenden die Seitenlage gibt
— auf die Seite, nach welcher der Bücken des Kindes hingewendet ist — ,
um das im übrigen streng zu verbietende Mitpressen seitens der Kreissenden
zu verhindern oder doch zu beschränken, und sich ferner jedes unnöthigen
Untersuchens enthält. Hat man einmal Lage und Stellung richtig erkannt,
so muss man, so lange die Blase noch nicht gesprungen ist, sowohl bei schon
beinahe verstrichenem, als bei noch wenig eröffnetem Muttermund ruhig zu-
warten. Springt die Blase, dann muss man gleich untersuchen, ob nicht allen-
falls die Nabelschnur mit vorgefallen ist, und genau die Stellung des Kindes
eruiren, hüte sich aber vor jedem Zug oder Drehen an dem etwa zum Vor-
liegen gekommenen Fusse oder dem Steisse, lässt aber die Kreissende jetzt
tüchtig mitpressen, zu welchem Zwecke man derselben am besten die Rücken-
lage mit erhöhtem Kreuz gibt, in welcher Lage man auch die Herztöne des
Fötus am besten controliren kann, auch für etwa nöthig werdende Extraction
am besten schon vorgesorgt ist. Geht auch die Entwicklung der unteren
Körperhälfte sehr langsam vor sich, so lasse man sich doch ja nicht zu irgend
einem Eingriff, durch welchen man nur die nöthige Längsachsenrotation des
Fötus stören würde, verleiten, so lange die Herztöne des Fötus keine Gefahr
für denselben indiciren, da ja gerade eine langsame Entwicklung der unteren
Körperhälfte die Geburtswege für eine rasche Entwicklung der Schultern und
des Kopfes am günstigsten vorbereitet. Je länger man mit dem Eingreifen
warten kann, umso günstiger. Ist das Kind über den Nabel geboren, dann
kann man an dem Nabelstrang, den man etwas hervorzieht, controliren, ob
Gefahr für dasselbe vorhanden ist oder nicht. Geht bei Steisslage der Nabel-
strang zwischen den Beinen durch, „reitet das Kind auf der Nabelschnur,"
dann lockere man die Schlinge und bringe sie über die am bequemsten sich
darbietende, meist die nach vorn liegende Hinterbacke zurück, beziehungsweise
hinauf. Ist das Kind noch nicht in Gefahr, lässt man auch jetzt noch der
Sache ihren Lauf, lässt aber die Kreissende tüchtig mitpressen, was man durch
einen kräftigen, allmälig sich steigernden umfassenden Druck auf den Fundus
— Expression — unterstützen kann. Den geborenen Theil des Körpers um-
hüllt man mit einem womöglich gewärmten Tuche, weniger um das Kind vor
„Erkältung" zu hüten, als vielmehr um den Reiz der äusseren Luft auf die
feuchte Körperoberfläche, welcher möglicherweise zu vorzeitigen Athembewe-
gungen Veranlassung geben könnte, abzuhalten. Sind endlich die Arme und
die Schultern geboren, oder zeigen vorher schon Veränderungen des Fötal-
pulses Gefahren für das Kind an, dann, aber auch erst dann ist es Zeit
für die rasche Zutageförderung des Kopfes, beziehungsweise das Lösen
der Arme und Herausbeförderung der Schultern und des Kopfes nach den bei
der Lehre der Extraction zu erörternden Regeln Sorge zu tragen. Die Ent-
wicklung des Kopfes kann günstig durch kräftige Expression vom Fundus aus
befördert werden. birnbaum.
BeckeneXSUdate. Die weiblichen Beckenorgane sind von einem mäch-
tigen theils derben, theils lockeren Binde- und Fettgewebe umgeben, welches
in erster Linie denselben zur Stütze und Umhüllung dient, dann aber auch
den einzelnen derselben die Fähigkeit verleiht, den durch ihre speciellen Func-
tionen bedingten mehr-minder häufigen, oft sehr bedeutenden Veränderungen
BECKENEXSUDATE. 91
in Bezug auf Ausdehnung und Lagerung und den dadurch hervorgerufenen
Verschiebungen ohne besondere Benachtheiligung ihrer selbst oder der Nacli-
barorgane nachgeben zu können. »Soweit der Uterus diroct vom Peritonäuiii
überzogen wird, besonders am Fundus, ist die Bindcgewebslage unter dem-
selben, das subseröse Zellgewebe, eine sehr massige, das Peritonäum fest auf-
liegend; umso stärker entwickelt aber ist das Bindegewebe zwischen den
beiden Blättern der Ligg. lata, hinter der vorderen Bauchwand, über und hinter
der Symphyse in der Fossa iliaca und besonders tiefer unten im Becken zu
beiden Seiten der Organe, zwischen diesen und der Beckenwand, wo es alle
Lücken ausfüllt und sich zum Theil auch zwischen die Organe zipfelförmig
hineinschiebt.
Wie der Uterus selbst ist auch dieses den Uterus umhüllende Fett- und
Bindegewebe sehr häufig der Sitz einer Entzündung, welche man nach dem
Vorgange Viechow's als Parametritis bezeichnet im Gegensatze zur Entzünd-
ung des Uterus selbst — Metritis und Endometritis — und seines freien Bauch-
fellüberzuges — Perimetritis u. s. w. Diese Beckenzellgewebsentzündungen sind
meist puerperal und gehören andererseits zu den häufigsten Puerperal-Erkrank-
ungen, kommen jedoch auch ohne Zusammenhang mit dem Puerperium vor.
Meist von der Uterussubstanz ausgehend, können diese Entzündungen local
auf das Becken beschränkt bleiben und Veranlassung zur Bildung von mehr-
minder starken Exsudaten, den parametritischen Beckenexsudaten geben,
in anderen Fällen greifen sie weiter um sich und gewinnen oft sehr rasch
eine bedeutende Ausdehnung, den subserösen Zellgewebszügen in grosser
Erstreckung folgend, selbst bis zur Brusthöhle.
Wahrscheinlich nach anfänglicher Hyperämie — zu sehen bekommt man diese aller-
dings wohl nur zufällig — beginnt das Bindegewebe sich zu trüben und zu schwellen in
Folge serös-fibrinöser Durchtränkung, welche dem Gewebe eine grössere Derbheit verleiht.
Bei Zunahme des Processes sieht das Gewebe in Folge der vermehrten Durchfeuchtung aus,
als ob es mit einer fibrinösen Gallerte durchdrungen oder zu einer solchen aufgequollen
wäre (ViRCHOw). Die Bindegewebskörper erscheinen vergrössert, ihr Inhalt dichter und
reichlicher, zuweilen deutlich körnig, der Zellkörper tritt als trübe Masse hervor (trübe
Schwellung). Die Kerne vergrössern sich und theilen sich einfach oder mehrfach, nachher
theilen sich die Zellen und an Stelle der einfachen Spindelzellen findet man öfters ganze
Reihen kleiner rundlicher Granulationszellen. Sehr früh tritt an manchen Stellen eine meist
unvollständige Fettmetamorphose dieser Granulationszellen ein, unter welcher sie zerfallen,
wodurch unter Umständen eine vollständige, freilich mitunter auch zu weitgehende, zur
Atrophie führende Rückbildung eingeleitet wird.
Unter infectiösen Einflüssen bleibt oft der Process bei dieser milden Form mcht stehen,
sondern nimmt gern den Charakter einer diffusen Phlegmonean. Er kriecht in denZügen
des Beckenbindegewebes weiter und kann hier rasch an Ausdehnung gewinnen und bedeutende
Exsudate herbeiführen, welche in erster Linie die Zellgewebsräume in der Umgebung des Uterus
und der Nachbarorgane mehr-minder erfüllen und dann sich auf das retroperitonäale Binde-
gewebe bis über die Nieren hinauf, sowie auf das subperitonäale Bindegewebe der vorderen
Bauchwand und auf das der Oberschenkel erstrecken können. Das befalleneGewebe
wird derb, hart, sclerosirt und können ganz bedeutende Geschwülste auf diese 'VTeise
entstehen, anfangs zumeist an der Seitenwand des Uterus, dann aber nach den verschie-
densten Seiten ausstrahlend, überallhin, wo das Beckenbindegewebe sich hin erstreckt.
Das ganze Lig. latum kann von dem Exsudat erfüllt sein, in anderen Fällen nimmt
letzteres nur die Basis desselben ein, den oberen Rand freilassend, oder liegt es der Becken-
wand an, sich auf die Fossa iliaca hinauf erstreckend. Auch kann die Infiltration zu den
Seiten der DouGLAs'schen Tasche nach hinten gehen, den Mastdarm einengend. Selten ist
die Infiiltration in das um die Blase liegende Gewebe, besonders vor und über der Blase,
eher noch in das Bindegewebe des Septum vesico cervicale. Auch das Zellgewebe des Sept.
recto-vaginale wird seltener ergriffen, wobei das Peritonäum des DouGLAs'schen Raumes in
die Höhe gedrängt werden kann. Auch diese grösseren Exsudate_ können durch fettige
Degeneration der Granulationszellen eine vollständige oder theilweise Resorption erleiden,
oder sie gehen in Eiterung über, es bilden sich Abscesse. König und nach ihm
SCHLESSINGER haben experimentell erforscht und nachgewiesen, welche Wege je nach der
Ursprungsstelle diese in das Beckenbindegewebe stattfindenden Ergüsse und die sich daraus
bildenden Abscesse nehmen. Es würde zu weit führen, hier des Näheren darauf einzugehen
und möchte es genügen, nur die Durchbruchsstellen der Eiterung anzugeben. Am häufigsten
bahnt sich der Eiter einen Ausweg durch die Bauchdecken über dem PoüPARx'schen Bande
92 BECKENEXSUDATE.
— seltener nach der Fossa iliaca — oder durcli den Mastdarm, dann durch die Scheide,
seltener durch die Blase oder den Uterus, mitunter auch neben dem Mastdarm durch das
Perinäum oder unter den Glutäen her, oder durch den Schenkelring an der Vorderfiäche
des Oberschenkels. Nach Entleerung der Eiters schwindet der Rest des Exsudates rasch
oder allmälig. manchmal vollständig, in vielen Fällen bleiben aber Indurationen zurück,
narbige Zusammenziehungen mit ihren Folgen, an welchen die Patienten oft jahrelang,
selbst zeitlebens kranken.
Aetiologie. Die häufigste Veranlassung zur Entstehung von Becken-
exsudaten geben die im Verlaufe einer Geburt erfolgenden leichteren oder
schwereren Verletzungen der Geburtswege, von den leichtesten Schleimhaut-
abschülferungen bis zu den schwersten Quetschungen und Einrissen, zu wel-
chen eine von aussen eingebrachte Infection hinzutritt. Sie sind im strengsten
Sinne des Wortes eine infectiöse Wundkrankheit. Wie bei der Geburt
so können auch im nicht gebärenden Zustande bei Operationen, durch unvor-
sichtiges Untersuchen mit oder ohne Sonde, nach Einführung von Press-
schwamm — seltener von Tupelo- oder Laminariastiften — behufs Erwei-
terung des Cervicalcanals, durch Pessarien, durch Intrauterinbehandlung, durch
excessiven, ungestümen Coitus, durch Masturbation und durch zufällige Ver-
anlassungen, wie Traumen u. dgl. entstandene Wunden des Genitaltractes
Veranlassung zu Parametritis und Beckenexsudaten geben. Lymann gibt
neben anderen für nicht puerperale Beckenexsudate (nach ihm die Mehrzahl)
Uebermüdung während der Menstruation, Erkältung durch Bäder, gonorrhoische
Infection, fortgepflanzt durch die Tuben u. s. w. als Ursache an, Kisch be-
schuldigt als veranlassendes Moment heftige Vaginaldouchen, heftige Bewegung
nach erregenden Bademethoden; Johannovsky in einem Falle Ueberanstreng-
ung beim Nähen mit einer Ledermaschine, wieder Andere Heben schwerer
Lasten vor der Entbindung mit consecutivem, sich ins Wochenbett fortpflan-
zendem Schmerz in der Unterbauchgegend u. s. w. Aber immerhin bilden die
puerperalen Beckenexsudate bei weitem die Mehrzahl. Diejenigen Stellen des
Geburtscanales, welche bei der Geburt am ehesten verletzt werden, also die
engsten, wie Muttermund, Scheidenmund, Portio supravaginalis und Cervical-
canal u. s. w. wm^den demnach auch die häufigsten Ausgangspunkte der In-
fection sein. Besonders trifft dies auch für diejenigen Gegenden zu, welche
bei der Geburt durch den allmälig herunterrückenden Kopf, beziehungsweise
das Hinterhaupt am meisten gequetscht werden und erklärt sich damit auch
die Erfalirung, dass die puerperalen Beckenexsudate mehr auf der linken
Seite vorkommen, als rechts, aus dem bedeutenden Ueberwiegen der Links-
stellungen. Im Anfange bleibt diese infectiöse Parametritis auf die Umgebung
der Wunde beschränkt, bleibt günstigsten Falles auch da stehen, oft aber wan-
dert sie weiter und kann, wie schon bemerkt, das gesammte Beckenbinde-
gewebe u. s. w. ergreifen.
Was die Infectionsträger anlangt, so ist nach dem jetzigen Stand-
punkt der Wissenschaft nicht daran zu zweifeln, dass wir verschiedene Mikro-
kokken als solche zu beschuldigen haben und sind dies wohl besonders Strepto-
coccus^ Staphylococcus und wahrscheinlich Gonococcus.
Wie richtig die Ansicht von der infectiösen Natur des Leidens ist, dafür
spricht der Umstand, dass in der Neuzeit, seit und soweit man sich daran
gewöhnt hat, jede, auch die leichteste Geburt antiseptisch zu behandeln, die
Beckenexsudate viel seltener geworden sind, als vor der antiseptischen Zeit, wo
sie zu den häufigsten Puerperal-Krankheiten gehörten.
Symptome. Die ersten Erscheinungen der beginnenden Parametritis
treten meist am zweiten oder dritten Tag nach der Entbindung, mitunter
auch etwas später auf und charakterisiren sich durch Schmerzen und
Fieber, zu welchen sich allmälig deutlich erkennbare Anschwellungen
gesellen, meist nur an einer Seite, u. zw. wie schon bemerkt, häufiger links,
als rechts, seltener gleichzeitig zu beiden Seiten. Die Schmerzen sind in ihrer
BECKENEXSUDATE. 93
Art und Intensität sehr verschieden, von einer leichten iJruckempfindlichkeit
neben dem Uterus, bei Palpation von den Bauchdecken oder der Vagina aus
bis zu den heftigsten spontanen Schmerzen, letztere jedoch nur auf die
Uterusgegend beschränkt, sofern nicht das Peritonäum gleichzeitig mit er-
griffen ist. Oefters wird nur über ein dumpfes, unbehagliches Gefühl in der
Unterbauchgegend geklagt, das nur bei Palpation zu einem eigentlichen
Schmerz sich steigert. Sind stärkere spontane Schmerzen vorhanden, so
werden dieselben durch jede Erschütterung des Körpers bei Husten, Niesen,
Lachen u. drgl., bei Bewegungen des ganzen Körpers gesteigert, mitunter bis
zur Unerträglichkeit. Der Leib zeigt sich oft, aber nicht immer, etwas ge-
spannt. Schon nach einigen Tagen kann man sehr häufig bei genauer, besonders
bimanueller Untersuchung eine Anschwellung neben dem Uterus nachweisen.
Bei blos äusserer Untersuchung durch die Bauchdecken lassen sich diese An-
schwellungen nicht deutlich begrenzen; es macht sich oft nur ein gewisses
Kesistenzgefühl bemerklich, bei bimanueller Untersuchung aber gelingt es
nicht schwer, die meist an den Seitenflächen des Uterus sich anlagernde Ge-
schwulst genauer abzutasten. Sie erstreckt sich bald mehr nach der hinteren,
bald mehr nach der vorderen Gebärmutterfläche, manchmal geht sie bis nach
der entgegengesetzten Gebärmutterwand oder nach abwärts bis unter das Niveau
des äusseren Muttermundes. Anfänglich fühlt sich die Anschwellung mehr
weich, teigig an, mit zunehmendem Wachsthum aber, was meist bald der
Fall, wird sie fester, derber und drängt nun, wenn sie die seitliche Becken-
wand erreicht hat, unbeweglich geworden den Uterus nach der entgegen-
gesetzten Seite. Man fühlt dann bei der inneren Untersuchung das
Scheidengewölbe der betreffenden Seite als derbe Masse, mitunter mit einzelnen
knolligen Hervorragungen in die Scheide, den Uterus oft unbeweglich, wie
eingemauert, besonders wenn sich die Anschwellung über die vordere und
hintere Fläche desselben erstreckt. Ist die Geschwulst einmal so weit ge-
wachsen, dann lässt sie sich auch ohne bimanuelle Untersuchung von den
Bauchdecken aus seitlich von der Symphyse dmxh Eindrücken hinter dem
PouPAET'schen Bande, bei grösserer Ausdehnung selbst über demselben als
mehr-minder höckrige Geschwulst deutlich erkennen, oft ohne deutliche Grenzen
in den Uterus übergehend, manchmal auch durch deutliche Furche von dem-
selben getrennt. Bei grösserer Ausdehnung werden sich jetzt auch Druck-
erscheinungen auf die Nachbargebilde bemerklich machen, die bei kleinen
Geschwülsten fehlen. Druck auf den Mastdarm bewirkt Stuhlverstopfung und
Schmerzen bei der Stuhlentleerung. Harnbeschwerden sind seltener, da eine
Erstreckung des Exsudates nach der Harnblase hin nicht häufig. Erstreckt
sich die Anschwellung nach der Fossa iliaca hin, so begegnen wir häufig hef-
tigen neuralgischen Schmerzen nach der Nieren- und Lendengegend und in
der Bahn des N. ischiadicus, des Plexus cruralis und auch des N. cutaneus ext.,
sowie Motilitätsstörungen, besonders starker Flexion des Schenkels und sehr
starke Schmerzen bei dem Versuche, das Hüftgelenk zu strecken, sowie bei
etwaigen Gehversuchen hinkendem Gang mit vornübergebeugtem Körper.
Durch die entzündliclie Anscliwelhing in der Umgebung des Uterus wird Mufig die
Rückbildung des letzteren beeinträchtigt und damit zusammenhängend eine Veränderung
in der Lochialsecretion veranlasst. Die Lochien werden oft spärlicher, besonders anfangs,
dabei bald übelriechend; in anderen Fällen werden sie mehr schleimig, eitrig, missfarbig,
auch mitunter später wieder mehr blutig, während anfangs die blutige Ausscheidung oft
gänzlich sistirt.
Das Fieber setzt, von den ganz leichten Fällen abgesehen, meist mit
einem deutlichen Schüttelfrost ein und steigt mehr-minder rasch zu bedeuten-
der Höhe an, bis zu 41" und darüber, im Mittel 4:0'5^ und bleibt einige Tage
auf dieser Höhe stehen. Dann macht sich, meist gegen Morgen, eine deutliche,
oft sehr bedeutende Eemission bemerklich, während allerdings der continuirliche
Charakter des Fiebers oft weit länger anhält, bis zu 5 Wochen. Dies ist
94 BECKENEXSUDATE.
aber selten. Die Remission mit leichter abendlicher Exacerbation hält oft
längere Zeit an und geht in günstigen Fällen allmälig, in zwei bis 3 Wochen,
selten früher, aber öfters später in normale Temperatur über. Nicht selten
aber folgt der anfänglichen Remission ein vollständig intermittirendes Fieber
mit sehr starken abendlichen Exacerbationen, Schwankungen um 3 bis 4 Grad,
von 37"0 Morgens auf 41 "0 Abends sind nichts seltenes und gerade für para-
metritische Exsudate sehr charakteristisch. Sie kommen bei keinem anderen
Puerperalleiden so eclatant zum Ausdruck. Die Pulsfrequenz steigt bei dem
Anfangstieber bis zu 110 bis 120, selbst bis zu 130 und ist der Puls dann
oft hart und gespannt.
Mit dem Nachlass des Fiebers fällt auch der Puls je nach dem Grade
der Remission auf 80 bis 100, um bei steigender Temperatur auch wieder
entsprechend in die Höhe zu gehen. Bei völligem Nachlass des Fiebers kann
er bis auf 60 und darunter zurückgehen. Die Respiration ist massig frequent,
meist ungehindert und nur bei starken Schmerzen wesentlich beschränkt, kurz,
hastig. Das Sensorium bleibt meist frei. Der Appetit liegt danieder, die Zunge
ist meist feucht, der Durst aber selten sehr stark, nur bei sehr hohem Fieber.
Die Patienten haben wohl ein deutliches Krankheitsgefühl, es ist dies aber
oft selbst bei sehr starken Exsudaten nur ein massiges.
Nicht selten kommen Nachschübe des Exsudates vor und machen sich
dieselben durch erneuten Frost und oft sehr starkes Fieber, sowie auch meist
durch Steigerung der etwa noch vorhandenen oder durch erneut auftretende
Schmerzen bemerklich. Auch können dabei geringe Metrorrhagien auftreten.
Je nach Umständen, bezw. nach der Gegend, wohin der Nachschub
sich erstreckt, werden neue nachweisbare Tumoren auftreten oder die vorhan-
denen sich vergrössern. Die Allgemeinerscheinungen sind dieselben, wie in
den anfänglichen Anfällen. Das Fieber dauert bei starken Nachschüben wieder
gewöhnlich continuirlich oder subcontinuirlich 7 bis 8 Tage, während die
Exacerbationen im Verlaufe des schon erwähnten intermittirenden Fiebers
wohl mit leichteren Nachschüben zusammenhängen, vielleicht auch mit Eiter-
resorption bei beginnender Rückbildung.
In der Mehrzahl der Fälle komint es früher oder später zu einer
völligen Resorption, deren Dauer sich wesentlich nach der Grösse der
Exsudate richtet. Bei sehr grossen Exsudaten können drei und vier Monate
vergehen, bis der Resorptionsprocess vollendet ist. Als mittlere Dauer rechnet
man 7 bis 8 Wochen.
Während derselben zeigen sich öfters noch, besonders gegen Abend leichte
Fieberregungen, das Allgemeinbefinden aber zeigt zunehmende Besserung.
Nicht immer aber kommt es zur völligen Resorption" sondern es bleiben oft
Indurationen zurück, die oft erst nach Jahren, manchmal auch gar nicht ver-
schwinden.
Kommt es zur Eiterung, dem nach völliger Resorption häufigsten
Ausgange, so steigert sich nach dem ersten Nachlasse das Fieber von Neuem,
mit starken abendlichen Exacerbationen bis zu 4P, die Schmerzen und Empfind-
lichkeit der sich jetzt oft vergrössernden Geschwulst nehmen wieder zu und
werden sich hauptsächlich nach der Gegend hin bemerklich machen, wohin der
Eiter seinen Ausweg nimmt. Auch bei grossen eitrigen Schmelzungen fühlt
man selten über grosse Strecken verbreitete Fluctuation, wohl aber kleinere,
weiche, druckempfindliche Stellen, besonders über dem PouPAßT'schen Bande
und im herabgedrängten Scheidengewölbe, welche König als Gewebslücken be-
zeichnet. Bahnt sich der Eiter einen Weg nach aussen, so röthet sich die
betreifende Stelle und spitzt sich allmälig zu, bis der Durchbruch erfolgt. Bei
Durchbruch nach inneren Organen sind die Erscheinungen verschieden je nach
dem Organe. Bei der nach dem Durchbruche über dem PouPAEx'schen Bande
häufigsten Entleerung, in und durch den Mastdarm, macht sich mehr-minder
BECKENEXSUDATE. 95
starker Tenesraus bemerklicli, dem, oft unter Schmerzen, manchma] aber aucli
ganz schmerzlos eine oft sehr copiösc, eitrige Stuhlentleeriing folgt. Bei
Durchbruch durch die Blase geht demselben heftige Strangurie voraus und be-
gleitet oft noch längere Zeit die Entleerung des eitrigen Urins. Bei dem
selteneren Durchbruch durch die Vagina macht sich vorher vermehrtes Hitze-
gefühl und ödematöse Schwellung in derselben, sowie grosse Emphndlichkeit
bei etwaiger Untersuchung bemerklich, nel)en ödematöser Anschwellung der
Vulva und besonders der grossen Labien, letzteres oft einseitig. El)enso zeigt
sich Oedem der Labien, sowie Röthung der äusseren Haut des Perinäum bei
dem sehr seltenen Durchbruch durch dieses neben dem After her, auch ist
dabei das Sitzen sehr schmerzhaft. Der glücklicherweise sehr seltene Durch-
bruch in die Peritonäalhöhle führt heftige, rasch tödtliche Peritonitis herbei.
Ein sehr seltener Ausgang ist der in Verjauchung des Exsudates, Ichorrhämie
und damit zusammenhängenden Tod, und ist dann meist nur Theilerscheinung
universellen Puerperalfiebers.
Sobald der Eiter einen Weg nach aussen gefunden hat, tritt,
sofern nur- die Perforationsöffnung gross genug ist, um reichliche Entleerung
zu gestatten, sehr rasch eine bedeutende Besserung im Befinden der Patienten
ein und erholen sich dieselben meist sehr bald, die Geschwulst verkleinert
sich zusehends und kann schon binnen acht bis vierzehn Tagen vollkommene
Heilung erfolgen; mitunter dauert es etwas länger. Wird aber wegen zu enger
oder sonst ungünstiger spontaner oder künstlicher Perforationsöffnung der Eiter
nicht genügend entleert, dann zieht sich der Process in die Länge, der Eiter
sucht sich womöglich einen anderen oder selbst mehrere Auswege und die
Kranken können schliesslich an Erschöpfung in Folge des andauernden Fiebers
und dergl. zu Grunde gehen. Bei Durchbruch des Eiters in den Mastdarm hat
man bisweilen ausgedehnte Geschwürsbildungen im Mastdarm und Dickdarm
mit profusen erschöpfenden Diarrhöen beobachtet. Durch Zerstörung des
Periostes können Beckenabcesse auch Caries und Necrose der Beckenknochen
oder, indem der Eiter in der Scheide des Psoas nach unten tritt, secundäre
Erkrankung des Hüftgelenkes verursachen.
Die Diagnose der entzündlichen Beckenexsudate ist meist nicht schwer
zu stellen, wenn man den Process von Anfang an zu beobachten Gelegenheit
hat. Am schwersten ist die Unterscheidung zwischen intra- und extraperito-
näalem Exsudat, zumal beide zusammen vorkommen können. Abgesehen von
der meist grösseren Schmerzhaftigkeit bei den intraperitonäalen Exsudaten
sind diese meist ausgebreiteter und höher sitzend, anfangs ohne bestimmte
Grenzen, weicher als die parametritischen; der Uterus oft hinaufgezogen und
beweglich, während er bei den parametritischen, die anfangs durch grössere
Härte sich auszeichnen und erst allmälig durch die Eiterung erweichen,
nach unten oder zur Seite gedrängt und durch die starren Exsudatmassen
fixirt wird. Die parametritischen Exsudate, von den Bauchdecken aus sich oft
höckerig, uneben anfühlend, gehen nicht über den Fundus uteri hinüber,
während das bei Peritonäalexsudaten sehr häufig der Fall ist. Im weiteren
Verlaufe abgekapselte, deutlicher umgrenzte Peritonäalexsudate wechseln oft
je nach der Füllung des Darmes oder der Blase ihre Stelle, sind ver-
schieblich, während Beckenexsudate starr und unbeweglich sind, was sich
besonders bei bimanueller Untersuchung leicht erkennen lässt. Eine Ver-
wechslung der Beckenexsudate ist möglich mit Hämatocele periuterina, deren
Entstehung jedoch meist in eine Menstruationsperiode fällt, was bei Becken-
exsudaten doch selten der Fall ist, und nicht mit puerperalen Vorgängen
zusammenhängt. Die Geschwulst der Hämatocele wächst viel rascher, als die
parametritische, ihr Sitz ist mehr median, hinter und über dem Uterus, sie
fühlt sich W'eich und elastisch an und ist bei Berührung wenig schmerzhaft.
96 BECKENEXSUDATE.
Eine Yerweclislimg mit kleinen Ovarialcysten, mit Uterusfibroiden, mangel-
haft involvirtem Uterus, mit ante- und retroflectirtem Uterus wird sich bei
genauer Untersuchung und bei Berücksichtigung der anamnestischen Verhält-
nisse leicht vermeiden lassen.
Die Prognose und der Verlauf sind wandelbar, verschieden. Es ist
dabei vor allem die Ausdehnung des Processes und die Gegenwart von Com-
plicationen zu berücksichtigen. Die primäre Parametritis verläuft in den bei
weitem meisten Fällen günstig, selbst wenn die Patienten durch lange Dauer,
Eiterung und dergl. sehr herunterkommen. Sie erholen sich doch meist
sehr rasch wieder, selten endet die Krankheit tödtlich. Allerdings bleiben
mitunter durch Indurationen u. dgl. Störungen zurück, die oft erst nach
Jahren, zuweilen auch gar nicht verschwinden. Wenn die Exsudate - aber
secundär entstehen als Folge oder Theilerscheinung universeller Infection, wenn
Peritonitis, Lymphangoitis, Ichorrhämie u. dgl. sich hinzugesellen, dann ist die
Prognose allerdings meist ungünstig, infaust zu stellen,
Therapie. Die beste prophylaktische Behandlung ist eine gewissenhaft
und streng durchgeführte absolute Antisepsis bei jeder, auch der leichtesten
Geburt, bei jeder Operation und jeder sonstigen, Gelegenheitsursache geben-
den Veranlassung.
Die eigentliche Behandlung ist eine wesentlich locale, da das Fieber
und die Allgemeinerscheinungen von dem Localleiden abhängig sind. In erster
Linie ist dafür zu sorgen^ dass jede Heizung der Beckenorgane und alles, was die
Congestion zu denselben vermehren oder den Rückfluss des Blutes von denselben
verhindern könnte, vermieden werde. Deshalb strenge horizontale Rücken-
lage, Vermeidung jeder unnöthigen Bewegung, Unterlassung aller nicht unbe-
dingt nöthigen, besonders inneren Untersuchung, Sorge für leichte, geregelte
Ausleerungen u. s. w. So lange Fieber und Schmerzhaftigkeit ein Fortbestehen
der Entzündung erkennen lassen, suche man diese durch kalte Umschläge oder
den Eisbeutel oder durch tem;perirte Wasserumschläge zu bekämpfen. Letztere
werden oft besser vertragen, als die absolute Kälte. Kisch empfiehlt im
acuten Stadium intravaginale Anwendung der Kälte durch besonders constru-
irten Irrigator. Bei plethorischen Patienten kann man auch im Anfange des
"Wochenbettes locale Blutentziehungen — 6 bis 10 Blutegel in die Inguinal-
gegend der betreffenden Seite, der Entzündungsstelle möglichst nahe — an-
wenden. Weniger empfehlenswerth sind Blutegel an das Scheidengewölbe oder
die Vaginalportion wegen der dadurch bedingten Reizung und möglicherweise
Infectionsgefahr, eher noch Scarificutionen oder Heurteloup.
Die Eisblase werden wir nur so lange liegen lassen, bis die Schmerzen
aufhören, dann gehen wir, insofern dies nicht schon von vornherein geschehen ist,
zu ternperirten Wasserumschlägen (22—25^ C.) über, die wir tagelang anwenden
können und unter welchen sehr oft die Resorption günstig eingeleitet wird. Von
den von mancher Seite empfohlenen Einreihungen von Ung. cinereum oder Jod-
Jodkalisalbe in die schmerzhafte Unterbauchgegend, habe ich weniger günstige
Resultate gesehen, als von den Wasserumschlägen.
Gossmann empfahl nacli Erfahrungen auf Spiegelberg's Klinik neben Blutegeln und
Cataplasmen innerlich Sublimat, 0-01 stündhch, bis 10 Centigramm verbraucht sind, dann
zweistündlich; bei etwa auftretender Diarrhoe: Tinct. Opii.
Bei übelriechenden Lochien sind mehrmals täglich lauwarme Scheiden-
ausspülungen mit P/oQ Sublimat- oder 1 bis 2°lf, Carbol-Lösung zu machen.
Gegen das Fieber wird man nur, wenn es sehr hochgradig und angreifend
ist, einschreiten durch grosse Chinindosen oder durch Antipyrin (Vorsicht!),
Salicylnatron, Digitalis mit Säure u. dgl. Lässt der Zustand des Intestinal-
traktus es zu, suche man durch roborirende, aber leicht verdauliche, nicht
reizende Diät die Kräfte zu erhalten, beziehungsweise zu heben.
BECKENEXSUDATE. 97
Ist es trotz alledem zur Vereiterung der Exsudate gekoTriirien, ist es
immerhin noch möglich, dass durch Eindickung des Eiters und Aufsaugung
seiner flüssigen Theile eine Resorption zu Stande kommt, welche man eben
immer wieder durch stete Anwendung der temperirten Umschläge zu befördern
suchen muss. Deutet aber fortdauerndes P'ieber auf eine Fortdauer der
eitrigen Schmelzung des Exsudates, dann ist es geboten, den PJiter w(;nn irgend
möglich zu entleeren. Scheint derselbe einen Ausweg nach aussen gewinnen
zu wollen, dann muss man dies durch warme Umschläge (Leinsamen, Grütze,
Reis u. dgl.) zu befördern suchen, andernfalls für künstliche Entleerung des
Eiters Sorge tragen. Bei zu erwartendem oder drohendem Durchbruche nach
aussen, meist über dem PouPART'schen Bande ist dies nicht schwierig, beson-
ders wenn die Incisionsstelle durch Fluctuation sich markirt, gewöhnlich 1 bis
2 cm oberhalb des Lig. Poupartii 2 bis 3 cm von der Spina iL ant. sup. entfernt.
Bei nicht deutlicher Fluctuation kann man eine Probepunction vorausschicken.
Roser empfahl das Lig. Poupartii neben der Art. femor. bloszulegen und durcli
Einführen einer Kornzange an der äusseren Seite des Schenkelringes das Zell-
gewebe bis zur Abscesswandung auszudehnen und so dem Eiter einen Ausweg
zu bahnen. Nicht leicht ist die Eröffnung, wenn der Durchbruch nach dem
Mastdarm oder der Scheide zu erfolgen scheint. Vom Mastdarm ist kaum
eine künstliche Eröffnung möglich, wohl aber, besonders nach vorausgeschickter
Probepunction von der Scheide aus. Hier kann günstigen Falles der Abscess
direct getroffen werden, andernfalls muss man sich nach Durchtrennung der
Scheidenwand mit dem Finger oder einem stumpfen Werkzeug erst durch eine
oft sehr dicke Zellgewebs-Schwarte den Weg zu dem Abscess bahnen und diesen
dann mit einer langgestielten spitzen Scheere oder einem dicken Troikart
eröffnen. Bei solch' tiefliegenden Abscessen ist es zweckmässig, nach der Er-
öffnung ein Drainrohr einzulegen. Bei Durchbruch durch die Blase oder den
Mastdarm mit enger Oeffnung und nicht genügendem Eiterabfluss empfiehlt
Byford (Chicago) eine gekrümmte Sonde durch die Perforationsöffhung zu
führen, die Spitze der Sonde gegen die Vaginalwand zu drehen und letztere
auf der Spitze der Sonde einzuschneiden.
Kommt es nicht zur Eiterung, verzögert sich aber, auch nach voraus-
gegangener Eiterung die Resorption, so kann man verschiedene Mittel in
Anwendung bringen. Vielfach wird Jod, sowohl innerlich, Jodkalium — als
äusserlich empfohlen, letzteres durch Aufpinseln von Jodtinctur oder Einreiben
von Jod- Jodkalisalbe oder eine Jodkalisalbe (sehr zweckmässig mit Lanolin
bereitet) in die Bauchdecken, durch Bepinseln der Port, vagin., der Cervical-
schleimhaut, auch des verdickten Scheidengewölbes mit Jodtinctur oder Jod-
glycerin; Jodglycerintampons, Jodoformbestäubung u. dgl. Beeisky empfiehlt
jeden 3. Tag die Schleimhaut des Collum im Röhrenspeculum (zur Schonung
der Scheidenschleimhaut) und täglich die Bauchdecken mit reiner Jodtinctur
zu bepinseln. Bei heruntergekommenen, anämischen Patienten muss man mit
der Jodbehandlung, besonders der innerlichen, sehr vorsichtig sein.
Nächst dem Jod werden besonders kalte, laue bis ganz heisse Scheiden-
irrigationen mit oder ohne Zusatz von Mutterlauge, Soole oder Salz
empfohlen, ferner Sitz- und Vollbäder, pur oder mit obigen Zusätzen,
Moorbäder u. dgl. und eignen sich dieselben besonders zur Nachcur und
für zurückgebliebene Indurationen. Naheliegend ist, dass jeder Badearzt
seinem Bade besondere Vorzüge für diesen Zweck nachrühmt, welche wir
vielleicht den jod- und bromhaltigen Soolen, sowie den Eisen-Moorbädern zu-
erkennen können.
Viel umstritten ist die Frage des Massirens und Knetens*) der
nach Ablauf der Entzündung zurückgebliebenen starren Exsudate, welches
*) Vergl. Artikel „Massage in der Gynähologie" (Dührssen) ds. Bd. der „BibliotheJc",
Bibl med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 7
98 BECKENMESSUNG.
tlieils einfach von den Baucliclecken aus, noch wirksamer aber bimanuell, von
Bauchdecken und Scheide aus bewirkt werden kann. Jedenfalls ist grosse
Vorsicht dabei nothwendig. Contraindication gibt bestehende Suppuration im
Exsudat.
Die von Apostoli und anderen empfohlene elektrische Behandlung,
theils P'aradisation, theils Galvanisation hat sich bis jetzt noch nicht viele
Freunde zu erwerben vermocht. Quecksilberbehandlung, theils inner-
lich — Calomel, Sublimat, ■ — theils äusserlich als Schmiercur ist bei Verdacht
gonorrhoischer Infection in Betracht zu ziehen.
Selbstverständlich ist, dass, je mehr sich der Process in die Länge zieht
und die Patienten herunterkommen, man vor allem auf roborirende Diät
und Verabreichung von Eisen, Chinin, Wein u. dgl. bedacht sein muss.
Auch darf man die Patienten ja nicht zu früh aufstehen lassen.
BIRNBAUM.
Beckenmessung. Die aligemeine Untersuchung betrifft zunächst
die Körperhöhe, die Stärke und den Bau der Knochen des gesammten Ske-
letes. In dieser Hinsicht sind Gestaltabweichungen der Wirbelsäule und der
unteren Extremitäten nur dann für eine vorhandene Beckenverengerung dia-
gnostisch von Werth, als sie Zeichen einer Knochenerkrankung sind, durch
welche erfahrungsgemäss auch das Becken beeinflusst wird. Die veränderten
statischen und mechanischen Verhältnisse drücken sich am besten in der Art
des Ganges des Individuums aus.
Für gewisse Krankheiten der Skeletknochen ist die Anamnese von grossem Werthe;
ebenso wie der Verlauf früherer Geburten bei Mehrgebärenden.
Die Untersuchung des Beckens selbst wird eine äusserliche und
eine innerliche sein müssen. Die äussere Untersuchung lässt uns die
Stärke und die Form der Beckenknochen erkennen. Die innerlicheUnter-
suchung des Beckens besteht in der möglichst genauen Austastung des ge-
sammten Beckenraumes und der Beurtheilung der Lage der einzelnen Becken-
knochen zu einander.
Die Beckenmessung kann eine äussere oder eine innere sein, und in
jedem dieser Fälle manuell oder instrumenteil ausgeführt werden.
Durch die äussere Beckenmessung werden folgende Distanzen bestimmt:
1. Die Conjugata externa^ 2. die Distanz der Spinae^ Cristae und Trochanteren,
3. die Distanz der Spinae posteriores superiores, 4. die Länge des Kreuzbeines,
des Hüftbeinkammes ^ 5. der gerade und quere Durchmesser des Beckenausganges,
6. die äusseren Schrägmaasse.
Die Conjugata externa wurde nach Baudelocque vom oberen Symphysen-
rande zur Grube zwischen den Dornfortsätzen des letzten Lendenwirbels und
des ersten Kreuzbeinwirbels gemessen.
Heute jedoch verfährt man allgemein nach dem Verfahren von
Michaelis, demzufolge als hinterer Messpunkt der Conjugata externa der
Dornfortsatz des letzten Lendenwirbels selbst genommen wird. Um diesen
Messpunkt leicht und sicher aufzufinden, gab Michaelis folgende Vor-
schrift: Zu beiden Seiten des Kreuzbeines finden sich zwei Gruben, welche
durch das Festeranliegen der Haut über den Spinae posteriores superiores
gebildet werden; verbindet man diese beiden Gruben durch eine gerade Linie
und projicirt in dem Halbirungspunkte dieser Linie eine Senkrechte von
2V2 — 5 cwi Höhe, so fällt der Endpunkt der letzgenannten Linie auf die
Spitze des Dornfortsatzes des letzten Lendenwirbels. Doch ist zu berücksich-
tigen, dass bei abnormen Becken der Dornfortsatz auch in die Linie zwischen
die beiden Spinae, ja sogar unter dieselbe herabsinken kann.
Die Conjugata externa wird am besten in der Seitenlage der zu Unter-
suchenden gemessen.
BFXKENMESSUNG.
99
Die beiden wiclitigsten Querin aasse, welclio mittels des Tasterzirkels
bestimmt werden, sind die Distanzen der »Spinae und der Cristae ossium ilei;
man misst die Distanz der Spinae anteriores superiores, indem man die Knöpfe
des Tasterzirkels genau an der Stelle ansetzt, wo der äuss(.'re Hand der Seime
des Musculus sartorius in die Spinae übergeht. Die der Cristae wird {gemessen,
indem man die Knöpfe des Zirkels an die äusseren Kanten derselben, und
zwar dort ansetzt, wo dieselben die grösste Entfernung haben. Das Resultat
dieser Messungen an normalen Becken ist sehr schwankend. Als durch-
schnittliche Entfernung fand C. Martin an einer grösseren Zahl von Decken
für die Spinae 25, für die Cristae 28 on. Der eigentliche Werth dieser Mes-
sungen liegt in der Erkenntnis der Form des Beckens, nicht der seiner Grösse,
besonders gilt dies für die Differentialdiagnose zwischen den rhachitischen und
nicht rhachitischen Becken.
Bei den Schlüssen, die man aus den Querabständen des grossen Beckens zieht, hat
man ausser dem Knochenbau und der Entwicklung der Weichtheile auf gewisse Anomalien
in der Grösse und Neigung der Darmbeinschaufeln zu achten.
Noch weniger Werth als die Messung der Spinae und Cristae für die Er-
kenntnis der Beckenweite hat die Messung der Trochanterendistanz.
Zum Zwecke dieser Messung liegt die Frau mit vollkommen adducirten unteren
Extremitäten gerade ausgestreckt auf dem Ptücken; als Messpunkte dienen die
am weitesten nach aussen vorspringenden Punkte der beiden grossen Roll-
hügel. C. Martin bestimmte deren Entfernung durchschnittlich auf 31 cm.
Am meisten Berücksichtigung verdienen noch die Distanzen des
Beckenausganges. Nach Breisky wird die Conjugata des Beckenausganges
von der Spitze des Kreuzbeines zum unteren Rand der Symphyse in folgender
"Weise gemessen: Die Frau befindet sich in Seitenlage mit stark angezogenen
Oberschenkeln. Zur Bestimmung des hinteren Messpunktes führt man den
Zeigefinger in die Scheide oder in den Mastdarm ein, legt den Daumen aussen
an die Spitze des Kreuzbeines und sucht durch Bewegung des Steissbeines
die Lage des Gelenkes zwischen den beiden genannten Knochen zu bestimmen.
Unmittelbar über dieser Gelenksverbindimg wird der eine Knopf des Taster-
zirkels aussen auf die Haut angesetzt, der andere Knopf kommt auf den
scharfen Rand des Ligamentum arcuatum zu liegen. Um aus dem erhaltenen
Maasse den dazu gehörigen inneren Durchmesser zu erhalten, zieht man etwa
iVgCw für die Dicke der Weichtheile und Knochen ab.
Der Querdurchmesser des Beckenausganges wird nach Breisky
in Rückenlage, am besten auf einem Untersuchungstische gemessen; man
tastet in dieser Lage sehr leicht die j,j„ ^
inneren Ränder der Tubera ischii.
Drängt man in den Beckenausgang
zwischen die inneren Ränder der-
selben einen Tasterzirkel mit diver-
girenden Branchen und drückt die
Knöpfe kräftig gegen die Tubera, so
erhält man ein Maass, welches um
die Dicke des Fettpolsters kürzer ist
als der wirkliche Querdurchmesser
des Beckenausganges.
Die innere Beckenmessung
wird entweder mit den Fingern oder
mit eigens dazu construirten Instru-
menten ausgeführt.
Digitale, auch manuelle
innere Beckenmessung. Zur
Messung der Conjugata diagonalis
wird die zu Untersuchende in die Digitale Messung der conjugata dlagonalls (nach Michaeus).
7*
100
BECKENMESSÜNG.
Rückenlage mit erliölitem Steiss, gebeugten und abducirten unteren Extre-
mitäten gebracht; man führt den Zeige- und Mittelfinger wie zur Unter-
suchung in die Scheide ein und tastet sich mit den Fingerspitzen bis zum
Promontorium vor. Hat man dasselbe sicher erkannt, dann setzt mau die
Spitze des Mittelfingers auf dessen Mitte auf, streckt die Finger und hebt die
Hand so weit, bis das Ligamentum arcuatum den Radialrand des Zeigefingers
berührt, und macht hierauf mit dem Nagel des Zeigefingers der anderen Hand
einen Eindruck gerade an der Stelle der Haut der untersuchenden Hand,
welche genau der Lage des Ligamentum arcuatum entspricht.
Kg.
Messung der Conjugata vera (nach Skutsch).
Fig. 3.
Aus der Conjugata diagonalis berechnet man die Läge der Conjugata vera.
Skutsch fand unter 100 Becken die Differenz zwischen 0*5 und 2 cm
schwankend, nur llmal betrug der Abzug
1"8 cm. Diese Differenz soll abhängig sein:
1. Von der Stellung des Promontoriums,
2. von der Stellung der Symphyse, 3. von
der Höhe der Symphyse, 4. von der Dicke der
Symphyse.
Von diesen Momenten kommt jedoch nur die
HöHe der Symphyse und der Grad ihrer Neigung
in Betracht. Da wir aber nicht im Stande sind,
die Höhe der Symphyse und den Symphysenwinkel
an der Lebenden genau zu messen, so kann es sich
immer nur um eine Schätzung der Conjugata vera
handeln. Der Ausdruck „Messung" der Conjugata
¥era ist unrichtig.
Durch die instrumenteile innere
Becke um essung hat man versucht, die
Conjugata diagonalis und vera, die Conjugata
des Ausgangs, die Grösse des Querdurch-
messers am Eingange und Ausgange, die
Distantia sacrocotyloidea, sowie die Entfer-
nung der Spinae ischii zu bestimmen. Fast
zahllos sind die zu diesem Zwecke angege-
benen Instrumente.
Am zweckmässigsten und einfachsten erscheint ein von Skutsch ange-
gebener Tasterzirkel, dessen einer Arm einen langen Bleistab darstellt.
Mit diesem Instrumente ist man im Stande, auf einfache und sichere Weise
Messung der Transversa major
(nach Skutsch).
BILDUNGSANOMALIEN DEll WEIBLICHEN SEXU ALOKGANE. 101
die sämmtlichen Distanzen des lieckeninneren zu messen. Dies gescliielit nach
Skutsch in der Weise, dass man das Instrument an die l)etreffenden Messpunkte
anlegt, die Stellung der Branchen zu einander mittels der Flügelschraube
fixirt, an dem am Instrumente befindlichen Maasstabc die gegenseitige Knt-
fernung der Branchen abliest, dann das Instrument entfernt, auf die gleiche
Zahl einstellt und dann direct die Entfernung der Knöpfe misst. Die Art
und Weise der Messung erfolgt ganz nach den Grundsätzen des Wellex-
BERGH'schen Princips der Beckenmessung Friedrich schauta.
Bildungsanomalien der weiblichen Sexualorgane. Die verschie-
denen Bildungsanomalien der weiblichen Sexualorgane kann man am leich-
testen an der Hand der Entwicklungsgeschichte des weiblichen Genitaltractes
studieren. Von der 4. bis 5. Woche angefangen findet man zu beiden Seiten
der Wirbelsäule Organe, welche als die Primordial ni er en oder WoLFP'schen
Körper bezeichnet werden. Ihr Ausführungsgang zieht nach abwärts und hat
für die Entwicklung des weiblichen Geschlechtsorganes keine besondere Be-
deutung, während beim männlichen Geschlechte aus diesen Gängen das Vas
deferens hervorgeht. Unterhalb des WoLFF'schen Körpers und diesem an-
gelagert, am. medianen Rand desselben findet sich die Keimdrüse, aus welcher
die Geschlechtsdrüse sich entwickelt. An der vorderen Fläche derselben finden
wir einen Strang, der als MtJLLER'scher Gang beim weiblichen Geschlecht
persistirt und am unteren Ende der Harnblase am Uebergang der Urethra
zum Sinus urogenitalis mündet. Bei der späteren Differenzirung des Ge-
schlechtes zum femininum entwickelt sich aus der Keimdrüse das Ovarium,
während aus den MtJLLER'schen Gängen die Tube, der Uterus und die Vagina
entsteht. Vom WoLPP'schen Körper bleiben Rudimente zurück, welche später
den Nebeiteierstock bilden, während der unterste Theil des WoLFF'schen Ganges
bei einzelnen Säugethieren seitlich von der Vaginalwand ins Vestibulum aus-
mündend den GÄRTNER'schen Canal darstellt. Einzelne Fälle von Vaginal-
cysten kann man in der Entstehung auf diesen Theil des WoLFF'schen Ganges
zurückführen.
Beim männlichen Geschlecht entwickelt sich die Keimdrüse zum Hoden. Der
WoLFF'sche Körper, aus dem der Nebenhode hervorgeht, bleibt in Verbindung mit dem
WoLFF'schen Gang, der, nun zum Vas deferens entwickelt, mit den Ductus ejaculatorü in
den männlichen Sinus urogenitalis ausmündet, während der MÜLLER'sche Gang zu Grunde
geht und nur rudimentär in seinem Anfangs- und Endstücke {Morgagnische Hydatide und
Sinus prostaticus) iDersistirt. Diesen Sinus prostaticus, welcher in der Mitte des Caput
gallinaginis sich befindet, hat man auch als Utriculus masculinus bezeichnet mit der Ana-
logie der Bedeutung des MüLLER'schen Ganges für das weibliche Geschlecht. Diese Be-
zeichnung ist nun eine falsche, denn der Utriculus masculinus entspricht dem untersten
Abschnitt der MÜLLEu'schen Fäden, und diese stellen beim weiblichen Geschlecht nicht den
Uterus, sondern die Vagina dar.
Der MÜLLER'sche Gang beim weiblichen Geschlechte, im oberen,
der Keimdrüse zunächst gelegenen Theile paarig bleibend, bildet mit diesem
paarigen Theile die Tube, während die übrigen Abschnitte der beiden MtJLLER"schen
Gänge, sich aneinanderlegend, dann mit einander zu einem unpaarigen Tracte
sich vereinigen, indem die Scheidewand zwischen den ursprünglich paarig an-
gelegten Hälften in der Regel vollständig zum Verschwinden kommt. Aus
diesem unpaarigen Stück geht der Uteruskörper, der C^-rwa; und die Vagina
hervor.
Dementsprechend lassen sich die Bildungsanomalien an den weiblichen
Geschlechtsorganen in folgende Unterabtheilungen bringen:
1. Die beiden paarigen Anlagen verschmelzen nicht miteinander in ihrem
unteren Antheile, oder die Verschmelzung erfolgt an einem tieferen Punkte
als es der Norm entspricht oder aber es tritt eine äussere Verschmelzung ein,
102 BILDUNGSANOMALIEN DER WEIBLICHEN SEXÜALOEGANE.
während das die beiden Hälften trennende Septum vollständig oder zum Theil
erhalten bleibt.
2. Die zweite Gruppe von Bildungsanomalien stellt jene dar, bei der es
zu einer Entwicklungshemmung kommt in der Weise, dass entweder beide
Hälften rudimentär entwickelt sind und somit auch die aus ihnen hervor-
gegangenen unpaarigen Antheile, oder aber die eine Anlage erscheint normal
ausgebildet, während die andere, in der Entwicklung zurückgeblieben, zur
Bildung der normalen Organe wenig beiträgt.
Was nun die erste Gruppe anbelangt, so ist zunächst zu erwähnen die
Form des Uterus didelphys und der Vagina duplex. Wir finden die beiden
Uteri neben einander liegend, in ihren oberen Antheilen von einander weiter
entfernt, am Cervix eventuell mit einander leicht vereinigt und mit der" ge-
trennten Portio in besondere Vaginen ausmündend. Jede der Hälften läuft
kolbig verdickt in das uterine Ende der Tube aus, an welche jederseits das
runde Mutterband sich ansetzt. In solchen Fällen zieht in der Regel vom
Peritoneum des Ptectums eine Duplicatur sagittal gestellt zwischen den beiden
getrennten Uteruskörpern zu dem Peritoneum der Blase — Lignamentum-vesico-
rectale. Diese Form der vollständigen Verdopplung des Genitaltractes kommt
bei vollständiger Ausbildung beider Hälften selten vor, könnte jedoch zu einer
gleichzeitigen Schwangerschaft in beiden Uteris Veranlassung geben.
Viel häufiger sind die nachfolgenden Formen.
Der Uterus hicornis hicolUs. Beide Hörn er des Uterus sind oben durch
eine mehr oder weniger tiefe Furche getrennt, während die beiden Cervices
von einander gesondert in die zu ihnen gehörige Vagina ausmünden. Der
Uterus hicornis unicollis stellt jene Form dar, wo die Bicornität des Uterus im
Fundus angedeutet ist, während der untere Theil des Cervix gemeinsam mit
einer einzigen Portio in die Scheide ausmündet. Dabei kann das Septum des
Uterus entweder vollständig erhalten sein und bis an das Orificium externum
herunterreichen ( Uterus hicornis hilocularis) oder das Septum ist nur zum Theil
erhalten und reicht von der Furche zwischen den beiden Hörnern nur eine
Strecke weit in die Uterushöhle hinein {Uterus hicornis septus). In anderen
Fällen haben sich beide Hälften äusserlich zu einem normalen Uterus und
Cervix vereinigt, während das Septum durch die ganze Länge der Höhle und
des Cervixcanales hindurchzieht {Uterus hilocularis unicollis), während in
anderen häufigeren Fällen bei vollständig normaler Form des Uterus und
Cervix nur eine Spur einer Andeutung eines Septums im Fundus uteri sich
vorfindet.
Die Diagnose ist in jedem einzelnen Falle nur durcli die genaueste Untersuchung
zu stellen, und es kann vorkommen, dass man bei doppelter Anlage der Scheide und des
Cervix erst bei wiederholter Untersuchung auf die Abnormität durch einen Zufall auf-
merksam gemacht wird, indem man das einemal bei der Untersuchung in die zweite bisher
nicht constatirte Scheide geräth, wie ja auch in der Regel beim Coitus bloss die eine
Scheide verwendet wird und demgemäss für den touchirenden Finger leichter passierbar
erscheint.
Eine Entwicklungshemmung kann zunächst den unpaarigen Theil der
Müller' sehen Gänge betrefi'en. In einem solchen Falle würde ein vollständiger
Defect des Uterus und der Vagina entstehen. Diese Fälle sind ausserordentlich
schwer als solche mit Sicherheit zu erkennen. Denn selbst bei der sorgfäl-
tigsten bimanuellen Untersuchung per rectum und eventuell per rectum et
vesicam ist man oft genug nicht im Stande, mit Sicherheit das Vorhandensein
eines Stranges, der zwischen Blase und Rectum herabzieht, auszuschliessen,
welcher Strang dann einer rudimentär entwickelten nach aussen nicht perfo-
rirten Vagina, resp. einem rudimentären Uterus entsprechen würde. Dagegen
kann man die rudimentäre Entwicklung der Vagina und des Ute-
rus in einzelnen Fällen ganz deutlich constatireu. An und für
BILDUNGSANOMALIEN DER WEIBLICHEN SEXUALORGANE. 103
sich werden die Individuen uud ihre Umgebung in der Regel einige Zeit nach
dem sonst gewöhnlichen Termin der Menstruation durch das vollständige
Ausbleiben der Periode oder eventuell durch, zur Zeit der nicht erschienenen
Menstruationen auftretende Beschwerden verschiedenen Grades auf die Abnor-
mität aufmerksam gemacht und suchen ärztliche Hilfe auf. In einzelnen sol-
chen Fällen findet man einen kaum angedeuteten Uterus mit kaum angedeu-
teter Portio entsprechend der angeborenen rudimentären Entwicklung ; oder
aber es ist ein normaler infantiler Uterus vorhanden, der, in seiner weiteren
Entwicklung stehen geblieben, stets die Form und die Grösse des normalen
kindlichen Uterus behält; oder schliesslich der Uterus hat die Form des vir-
ginalen Uterus erreicht, ist aber ausserordentlich zart und klein gebaut,
während andererseits die Ovarien normal ausgebildet sind und durch ganz
ausserordentliche Beschwerden zur Zeit der erwarteten Menstruation die nor-
male Ausübung ihrer Function (Ovulation) andeuten. Diese Beschwerden
können mitunter so hochgradiger Natur sein, dass man gezwungen ist, durch
die Castration Heilung zu bringen.
Viel schwerwiegender ist die Bildungshemmung, welche blos eine
einseitige Anlage betrifft, während die zweite Anlage normal entwickelt
ist. Findet man von der einen entwickelten Anlage überhaupt keine An-
deutung, während die zw^eite normal entwickelt ist, so entsteht die Form des
Uterus unicornis. In anderen Fällen finden wir bei einem wohl ausgebildeten
Uterus unicornis das zweite Hörn rudimentär entwickelt mit einer eigenen
Höhle, ohne dass jedoch diese mit dem Cervix oder mit der Scheide der voll-
kommenen Anlage in Communication treten würde. Es sind Fälle bekannt,
in welchen in einem solchen rudimentären Hörne eines Uterus Schwanger-
schaft zu Stande gekommen ist. Allerdings kann man sich das Zustandekommen
einer solchen nur erklären durch das Ueberwandern eines befruchteten Eichens,
resp. der Spermatozoen aus der entwickelten Tube durch das abdominale Ende
derselben und die Bauchhöhle in die Tube des rudimentär entwickelten Hor-
nes. Dass in einem solchen Falle wegen der Dünnwandigkeit und mangel-
haften Ausbildung des Hornes die Gefahren dieselben sind wie bei einer Extra-
uterinschwangerschaft, ist selbstverständlich und die differentielle Diagnose
zwischen Schwangerschaft in einem rudimentären Hörn und Schwangerschaft
in einer Tube lässt sich nur stellen durch den Nachweis des Abganges
des Ligamentum rotundum. Indem das Ligamentum rotundum sich am
Uterushorn ansetzt, am Abgang der Tube von demselben, muss bei einer
Tubarschwangerschaft das runde Mutterband an der medianen Seite, bei
einer Schwangerschaft in einem rudimentären Hörn an der lateralen Seite
des Fruchtsackes abgehen, und durch genaue Untersuchung in der Narcose
wird es leicht gelingen, diese differentiellen Merkmale zu eruireu. Die
Therapie muss selbstverständlich in beiden Fällen die gleiche sein: Durch
Laparotomie werden wir die Frau vor den Gefahren der Fruchtsackruptur be-
schützen, eventuell bei schon eingetretener Ruptur vor der Gefahr der Ver-
blutung retten können. Aber auch bei sonst wohl ausgebildetem Uterus
bilocularis kann die eine Höhle nach abwärts zu atre tisch sein. In
einem solchen Falle kann sich allerdings die Frucht nahezu bis zui' Reife
entwickeln und wird dann die Sectio caesarea zur Herbeiführung der Entbin-
dung zur unabwendbaren Nothwendigkeit.
Der Defect der Ovarien oder die rudimentäre Entwicklung derselben
wird nur in seltenen Fällen beobachtet und führt auch in der Regel ausser
zur Sterilität zu keinen besonderen Beschw^erden.
Zu grossen Beschwerden geben die Bildungsanomalien Veranlassung,
welche einen Verschluss einer Höhle an ihrem normalen Ausführungs-
punkt herbeiführen. So kommen angeborene Atresien der Vagina und des
104 BILDUNGSANOMALIEN DER WEIBLICHEN SEXÜALORGANE.
Uterus vor. Die Atresie der Vagina entsteht am häufigsten durch das im-
perforirte Hymen. Dasselbe stellt in einem solchen Falle eine fleischige,
dicke Membran ohne Oeflhung dar. Die Folge dessen ist, dass das Menstrual-
blut und die normalen Secrete des Uterus, resp. des Cervix am Abfluss ge-
hindert sind und lange Zeit hindurch sich hinter dem Hymen stauen. In der
Kegel ist das Nichtauftreten der Menstruation und heftige kolikartige Schmerzen
zur Zeit der Menstruation jenes Symptom, das die Frauen zum Arzte führt.
Und es ist merkwürdig, dass oft genug in solchen Fällen vorher schon der
Coitus versucht wurde; das Vestiblum durch Einstülpen des imperforirten
Hymen vertieft wird und den Ort abgibt, in welchem der Geschleclitsact sich
abspielt. Die Ausdehnung, welche dann die Scheide (Haematokolpos) durch
die Ansammlung des Menstrualblutes und der Secrete des Uterus, resp. des
Cervix erfährt, ist mitunter eine enorme; in einzelnen Fällen sitzt der kleine
Uterus kappenförmig der zu einer das kleine Becken fast ausfüllenden Ge-
schwulst ausgedehnten Vagina auf, während andererseits das Hymen nach unten
zu vorgebaucht, öfters einen Prolaps der Scheide vortäuscht. In anderen
Fällen betheiligt sich der Uterus an der Bildung 'der Höhle, es erscheinen
der Cervicalcanal, die UterushöhlC; in einzelnen Fällen auch die Tuben weit
ausgedehnt und mit Blut gefüllt. In ausserordentlich seltenen Fällen betrifft
die Atresie blos die eine Seite einer doppelten Geschlechtsanlage und
kann in Folge der normalen Function der zweiten Geschlechtsanlage lange Zeit
vollständig übersehen werden. Die Atresie des Uterus fülirt unter ähn-
lichen Erscheinungen wie die Atresie der Vagina zur Haematometra, welche
jedoch viel früher zu heftigen Beschwerden Veranlassung gibt als die Haemato-
kolpos, mitunter ebenfalls bei Uterus bilocularis blos die eine Uterushälfte
betrifft und dann zu jenen Erscheinungen führen kann, welche wir früher
angedeutet haben.
Zu den interessantesten Bildungsanomalien gehören die der theilweisen
oder scheinbaren zweigeschlechtlichen Anlage der Keim- und Zeugungsorgane.
Jene Fälle, in welchen bei vollständig gleichartiger männlicher und weiblicher
Anlage der Keimdrüsen und der äusseren Genitalien ein wahrer Hermaphro-
ditismus mit vollständiger Functionirung beider geschlechtlicher Apparate
beschrieben wurde, sind nicht ein einzigesmal sicher nachgewiesen worden.
Dagegen sind jene Fälle von Bedeutung, welche man als Pseudohermaphro-
ditismus bezeichnen kann. Diese Fälle betreffen vornehmlich eine rudimen-
täre Entwicklung des männlichen äusseren Genitales, welche demselben das
Aussehen eines weiblichen Geschlechtsorganes gibt, obwohl die Geschlechts-
drüsen männlichen Charakter besitzen, oder aber es haben bei Vorhandensein
von weiblichen Geschlechtsdrüsen die äusseren Geschlechtstheile eine derartige
Gestalt, dass nach ihrem Aussehen das Individuum fälschlich als ein männ-
liches gedeutet wird. Bei rudimentär entwickeltem Penis mit vollständiger
oder theilweiser Hypospadie und Getrenntbleiben der beiden Hälften des
Scrotums, wodurch zwischen den beiden, einen Testikel tragenden oder auch
leerbleibenden Scrotalhälften, welche dann die grossen Schamlippen vortäuschen,
eine tiefe Spalte entsteht, welche als Schamspalte gedeutet und eventuell auch
zum Coitus benützt wird, kann der Anschein eines w^eiblichen Geschlechtes
hervorgerufen werden. Bei neugeborenen oder noch unentwickelten Kindern
kann nur der Nachweis von Testikeln über das wahre Geschlecht Aufschluss
geben. Bei erwachsenen Individuen ist die Entwicklung des Kehlkopfes,
welcher viel mehr den männlichen Charakter trägt, die Behaarung, die ge-
ringe Entwicklung der Brustdrüsen, das massive, typisch männlich gebaute
Becken, das Ausbleiben der Menstruation und der Nachweis der Testikel,
resp. ihres Secretes ausschlaggebend für die Diagnose. Dennoch sind oft
genug Fälle vorgekommen, w^o derartige Pseudohermaphroditen viele Jahre
BLASENKRANKIIEITEN DES WEIBES. 105
lang den Behörden gegenüber als weiblichen Geschlechts declarirt wurden.
Andererseits kann eine hypertrophische Clitoris dem weiblichen äusseren Ge-
schlechtstract den Charakter eines rudimentär entwickelten männlichen Ge-
schlechtes verleihen.
Die Bildungsanomalien der äusseren Geschlechtstheile be-
treffen zunächst Entwicklungshemmungen in Betreff der Ausl)ildung der
Geschlechtsfurche und des Perineums. Im zweiten Schwangerscliaftsmonate
finden wir an der Frucht bereits unterhalb des Geschlechtshöckcrs, der sicli
später zur Clitoris, resp. zum Penis umgestaltet, die Geschlechtsfurche, von
beiden Geschlechtswülsten begrenzt, aus denen die grossen Schamlippen, resp.
die Scrotalhälften hervorgehen. Der unterste Abschnitt der Allantois, in
welchen die Geschlechtscanäle ursprünglich einmünden, steht mit dem unteren
Ende des Darmes am Sinus urogenitalis noch in innigem Zusammenhang. ICrst
durch das Herabwuchern jener Gewebsmassen, welche weiter oben den End-
darm von dem Harnapparate trennen (Perineum) kommt schliesslich eine
Scheidung des Darmcanals vom Urogenitalsystem zu Stande. Durch Einstülpung
der Cutis in der Kima analis und Schwinden der entsprechenden Zwischen-
Rubstanz tritt dann der Mastdarm durch den Anus mit der Aussenwelt in
Communication, während andererseits durch Einstülpung der Geschlechtsfurche
nach innen zu der Sinus urogenitalis sich nach aussen entwickelt. In den Fällen,
wo die Ausbildung des Anus ausbleibt (Atresia analis), bleibt dann oft genug
eine Communication zwischen dem untersten Abschnitt des Mastdarms und
der Vagina (Ätresia ani vestihidaris) beim weiblichen Geschlecht oder mit dem
Urogenitalsystem beim männlichen Geschlecht bestehen {Ätresia ani urogeni-
talis). In solchen Fällen wird man versuchen, durch Eröffnung des Anus,
resp. des unteren blinden Endes des Mastdarms, wobei die Aufsuchung des
letzteren mitunter recht schwierig ist, den Darm nach aussen wegsam zu
machen und seine Wandung mit der Peripherie des künstlich geschaffenen
Anus durch Naht zu vereinigen. Leider haben derartige Operationen in der
Regel nur einen ganz vorübergehenden Werth.
An der Clitoris finden wir in einzelnen seltenen Fällen Epispadie in
Verbindung mit Symphysenspalt und Ectopie der Blase; doch werden solche
Fälle in operativer Beziehung kaum je in Frage kommen.
K. A. HEEZFELD.
Blasenkrankheiten des Weibes. Die Blasenleiden des Weibes sind
naturgemäss zum Theile dieselben, wie die des Mannes; es gibt aber einige
Erkrankungen der weiblichen Blase, welche der männlichen ganz fehlen, z. B.
die Urin-Scheidenfisteln, die Cystocele vaginalis, der Vorfall der Blasenwand
durch die Urethra; andere Blasenleiden kommen beim Weibe häufiger und in
anderen Formen vor, als beim Manne: z. B. die Communicationen zwischen
Blase und Abdominal-Cysten. Wieder andere Leiden sind dagegen bei der
Frau aus anatomischen Ursachen seltener, als beim Manne: so die Steinbil-
dung, da bei der Kürze und Weite der weiblichen Harnröhre kleine Concre-
mente leichter spontan ausgestossen werden. Diese Verhältnisse, ferner die
topographischen Beziehungen der w^eiblichen Blase zu den Genitalien und die
physiologischen Vorgänge in den letzteren (Schw^angerschaft und Gebuit) be-
dingen in Ursache, Verlauf und Behandlung der Blasenleiden des Weibes
einige Verschiedenheiten gegenüber jenen des Mannes.
Es ist deshalb nöthig, die Erkrankungen der weiblichen Harnblase ge-
sondert zu besprechen und das Hauptgewicht auf jene Umstände zu legen,
welche dem Weibe eigenthümlich sind. Auch ein praktischer Grund spricht
liier mit: die Mehrzahl der blasenkranken Frauen kommt zuerst zum Gynä-
106
BLASENKRANKHEITEN DES WEIBES.
Fig. 1.
kologen. — Erkranlvuugen, welche bei beiden Geschlechtern gleichmässig vor-
kommen, sollen nur der Vollständigkeit halber kurz erwähnt werden. Die
anatomischen und physiologischen Verhältnisse der Harnblase und besonders
deren topographische Beziehungen beim Weibe müssen dagegen mehr berück-
sichtigt werden, da sich aus ihrer Kenntnis wichtige Anhaltspunkte für Ur-
sache, Untersuchung und Behandlung der Leiden dieses Organes ergeben.
Anatomie und Topographie. Die Harnblase (Vesica tirinaria, Urocystis,
To oupov = der Harn) entwickelt sich nicht, wie früher angenommen, aus der röh-
renförmigen AUantois, sondern ebenso wie die weibliche Harnröhre aus dem vor-
deren Abschnitte der Cloake; nur der Urachus entstammt der AUantois (s. unter
„Missbildungen der Blase"); der obere Theil derselben verengt sich in embryonaler
Zeit zum Urachus, welcher zwischen den beiden Arteriae umbilicales zum Nabel
zieht. Dadurch erhält der Blasenscheitel bei Embryonen eine spindelige Form, die
man auch noch bei Kindern und ausnahmsweise selbst bei Erwachsenen finden kann,
wenn der Urachus nicht obliterirt; verliert er sein Lumen, was normal der Fall ist,
so wird er zum Lig. vesicoumbilicale. Beim Erwachsenen hat die gefüllte Blase
meist eine ovale Gestalt; sie liegt im leeren Zustande im kleinen Becken; gefüllt
kann sie bis und über Nabelhöhe reichen. Beim Weibe liegt die Blase zwischen
Symphyse, Uterus und den Ligamentis rotundis; nach unten ruht sie der vorderen
Scheidenwand auf. An Sagittalschnitten des weiblichen Beckens sieht man, dass sich
ein Theil der leeren Blase nach hinten
in den Winkel erstreckt, welcher von
Scheide und anteflectirtem Uterus gebil-
det wird: Möglichkeit einer Fistelbil-
dung zwischen Blase und Scheide oder
Cervix (vide Fig. 1). Die obere Wand der
leeren Blase ist tellerförmig nach unten
eingedrückt. Die leere weibliche Blase
wird nur zum kleineren Theile vom
Bauchfell überzogen und zwar nur auf
der hinteren oberen Fläche. Füllt sich
die Blase, so drängt sie das Perito-
neum zum Theil derart von der Bauch-
wand ab, dass sie dem Messer zugäng-
lich wird, ohne dass eine Verletzung
des Peritoneum nöthig wäre: Möghch-
keit des hohen Blasenschnittes ohne
Eröffnung der Bauchhöhle. Für gewisse
gynäkologische Operationen, besonders
für theilweise und ganze Exstirpation
der Gebärmutter, ist das Lageverhält-
nis zwischen Scheide, Uterus und Ure-
teren wichtig. Während der nach hin-
ten oben gerichtete Theil der Blase sich
stark gegen die Nachbar-Organe verschieben kann, ist die Gegend des Trigonum
Lieutaudii mit der vorderen Scheidenwand, und der hintere untere Theil der Blase
mit dem Cervix uteri durch derbes Bindegewebe straffer vereinigt. Deshalb macht
bei Lageveränderung des Cervix und der vorderen Scheidenwand (Prolaps) der ent-
sprechende Theil der Blase die Lageveränderung mit (Cystocele). Das Trigonum
Lieutaudii (Dreieck zwischen den beiden Ureteren-Mündungen und dem Abgang der
Urethra) liegt über der vorderen Scheidenwand nahe dem vorderen Scheidengewölbe,
von der Portio aber etwa 2 — 3 cm, entfernt. Die Ureteren verlaufen convergirend
so gegen diese Stelle hin, dass sie die Conturen der Portio in einer Entfernung von
1 — 2 cm vom Muskelgewebe des Uterus gleichsam umrahmen: Möghchkeit der Aus-
Schematische Darstellung der normalen Gestalt iind
Lage der entleerten Blase zur Symphyse und zum Ute-
rus. INach B. S. SCHULTZB,
BLASENKRANKHEITEN DES WEIBES 107
lösung des Cervix ohne Verletzung der Ureteren. Nach liinten oben kommen sie
hinter die Arteriae «terinae zu liegen.
Bei Verzerrungen durch Exsudate, Adhäsionen, Tumoren etc. ändern sich diese
Verhältnisse natürlich und es kann schwer werden, bei einer Totalcxstirpation des
Uterus die Ureteren mit Sicherheit zu vermeiden (häufigste Ursache für Ent-
stehung von Ureteren-Fisteln).
Für physiologische Verhältnisse (Schwangerschaft) und bei patholgischen Zu-
ständen (Tumoren, Ascites) ist die ausserordentliche Dehnbarkeit und Verschiebbar-
keit der Blase, besonders des oberen Theiles, wichtig. Ohne weiteres kann die
Blase sich nach oben und den Seiten ausdehnen, beziehungsweise ausweichen; ab(!r
auch nach unten kann sie dies beim "Weibe gelegentlich thun, wenn sie bei Platz-
mangel im Becken sammt der vorderen Scheidenwand oder dem Cervix theilweise
zur Vulva (Cystocele vaginalis bei Beckentumoren oder Ascites) oder gar durcli
die Urethra hinausgedrängt wird.
Die Blase hat — abgesehen vom Peritoneum, das sie nur theilweise überzieht —
folgende Schichten:
a) Schleimhaut, an der leeren Blase unregelmässig sternförmig gefaltet; mehr-
schichtiges, polymorphes Epithel, in den oberen Schichten massig abgeplattet; einzelne
Zellen der mittleren Schichte erscheinen durch schmale Protoplasma-Fortsätze wie ge-
schwänzt (mikroskopische Untersuchung bei Blasenkatarrh). Die Schleimhaut enthält zahl-
reiche, lacunäre Vertiefungen und kleine Schleimdrüschen, letztere hauptsächlich gegen
das Orificium internum urethrae hin).
b) Submucöses Bindegewebe, reich an elastischen Fasern.
c) Glatte Musculatur in einer inneren Ring- und einer äusseren Längsfaser-
schicht: Der sogenannte Detrusor vaginae (s. n.). Die Kreisfasern um die Blasen-Oeffnung
der Urethra herum bilden den Sphincter vesicae; dieser besteht zum Theil aus will-
kürlichen Muskelfasern, welche man auch kreisförmig um den oberen Theil der Urethra
angeordnet findet.
Phy,siologie. Die Blase dient als Harnbehälter. Ihre Entleerung kann
bewirkt werden durch die Thätigkeit der Blasenmusculatur und der Bauchpresse
(letzteres wahrscheinlich unter normalen Verhältnissen) oder durch Erschlaffung des
Sphincter vesicae (vielleicht auch bei normaler Entleerung, hauptsächlich aber unter
pathologischen Verhältnissen, wie Incontinentia urinae etc.). Gerade diese Punkte
bildeten lange eine Streitfrage, welche auch jetzt noch nicht eudgiltig entschieden
sein dürfte.
Dass auch eine willkürliche Entleerung der Blase ohne Wirkung der
Bauchpresse stattfinden kann, zeigt folgender Fall aus der chirurgischen Klinik in
Würzburg (Geheimrath Professor Schöjnborn), dessen Kenntnis ich Dr. P. Reichel ver-
danke.
Ein 13-jähriges Mädchen wurde wegen einer abgesackten, eitrigen Peritonitis operirt,
n. zw. zunächst mittelst eines die rechtsseitige Bauchmusculatur parallel dem rechten Lig.
Pouparti durchtrennenden Schnittes. Da das Fieber anhielt und auch links ein Exsudat
auftrat, wurde später links der gleiche Schnitt geführt und — um einer Secretverhaltuug
vorzubeugen — beide Schnitte mit einander vereinigt. Es war also die gesammte vordere
Bauchmusculatur durch einen queren, nach unten leicht convexen Schnitt etwas oberhalb
der Symphyse durchtrennt. Die Harnblase lag völlig frei. Bei gefüllter Blase konnte die
Kranke auf Geheiss allein den Urin entleeren. Man musste cca. 1 — 2 Minuten zuwarten,
dann sah man, wie die Blase, während der Urin im Strahle entleert wurde, sich am Schei-
tel dellenartig einzog, und sich bei völliger Entleerung die vordere Wand an die hintere
anlegte, als wenn der äussere Luftdruck die leerwerdende Blase einfach zusammendrückte.
Man hatte den Eindruck, dass willkürlich der vorher bestehende Sphincterenverschluss
gelöst werde.
Dies wird ja auch von einigen Autoren für die normale Entleerung angegeben; viel-
leicht spielt ferner eine reflectorische Erregung des Detrusor vesicae in Folge des Eintritts
kleiner Mengen von Urin in die Urethra eine Rolle.
Im Allgemeinen scheint aber für die normale Entleerung der Harnblase die
Bauchpresse ganz besonders wichtig zu sein; dafür sprechen auch einige klinische
Umstände, so das mangelnde Bedürfnis und die Schwierigkeit des Urinii'ens bei
schlaffen Bauchdecken nach der Geburt, die Schwierigkeit, in horizontaler Rückenlage
108 BLASENKRANKHEITEN DES WEIBES.
überhaupt zu uriuii-en, welche es uöthig macht, vor gynäkologischen Operationen
die Frauen sich üben zu lassen, Ui'in in Kückenlage zu entleeren, damit nicht später
katheterisirt werden muss u. s. w. (Hier eine Einschaltung für die Praxis: Können
Frauen nach der Geburt oder nach Operationen in Rückenlage nicht uriniren, so
gelingt ihnen dies oft, wenn man ihnen eine Leibbinde anlegt, also die Bauchpresse
unterstützt, oder w^enn mau die Yulva mit warmem Wasser überrieselt.) Der soge-
nannte Detrusor vaginae soll mehr die Wirkung haben, die Blase während der
Entleerung zu verkleinern; denn sie coUabirt dabei nicht einfach wie ein leerer Sack,
sondern verkleinert sich thatsächlich unter gleichzeitiger Verdickung der Wand.
Der Verschluss der Blase gegen die Uretereu hin, also ein Ver-
hüten des Zui'ückpressens des Urins in die Harnleiter, wird bewirkt durch die ela-
stische Spannimg der Muskelfasern, zwischen welchen die Harnleiter die Blasenwand
durchbohren. Von geringerer Bedeutung soll die ventilartige Schleimhautklappe
sein, welche in Folge der schrägen Durchbohrung der Blasenwand entsteht.
Eine andere Streitfrage ist die, ob die normale Blasenschleimhaut Urin zu
resorbiren vermag; die Versuche mit Injectionen von Chemilvalien in die Blase und
Nachweis derselben im Speichel u. s. w. fielen negativ aus. Trotzdem sprechen
manche klinischen Thatsachen dafür, dass auch die normale Blasenschleimhaut Urin
zu resorbiren vermag, was von der verletzten Mucosa vesicae ja bekannt ist. Die
Resorption scheint sich auf einzelne Bestandtheile des Urins, hauptsächlich das Wasser,
zu beschränken, so dass er dabei eine Eindickung erfahren kann. Das würde es
erklärlich machen, weshalb die erwähnten Versuche mit Chemikalien negativ aus-
gefallen sind; vielleicht eigneten sicli gerade die gewählten nicht zur Resorption durch
die intacte Blasenschleimhaut.
Die Blase kann unter pathologischen Verhältnissen über 4 Liter Urin fassen:
grosse Urinmengen in der Blase beobachtet man bei Incarceratio uteri gravidi
retroflexi.
Untersuchimgs-Metlioden.
Von praktischer und allgemeiner Bedeutung sind z. Z. hauptsächlich 3 Me-
thoden: Untersuchung des Urins, Palpation und Percussion der Blase von aussen,
Abtastung des Blasen-Inneren mit dem Finger oder Katheter. Die übrigen Methoden:
Kystoskopie, Sondirung und Katheterismus der Harnleiter, diagnostische Scheiden-
blasenschnitte, Untersuchung mit dem Manometer nach Schatz, Sondirung mit Na-
pier's geschwärzter Bleisonde bieten theils nicht unerhebliche Schwierigkeiten, so
dass sie nicht Gemeingut der Aerzte geworden sind und es auch nicht so bald werden
dürften, theils sind sie von geringem praktischem Werthe. Es ist aber selbstver-
ständlich, dass jede Untersuchungsmethode und ganz besonders die Kystoskopie die
sorgfältigste Ausbildung verdient. Denn die Technik der Blasen-Untersuchung steht
noch nicht auf der wünschenswerthen Höhe und die klinischen und pathologisch-ana-
tomischen Kenntnisse der Blasenleiden sind mangelhaft; man erinnere sich nur der
Ausdrücke „reizbare Blase (irritable bladder), Enuresis nocturna" u. Ae. — Wie viel
auf diesem Gebiete noch gethan werden kann, hat die in jüngster Zeit erschienene
Arbeit Rovsing's über ein scheinbar hinreichend klargelegtes Leiden, wie es der
Blasenkatarrh ist, gezeigt.
1. Untersuchung des Urins.
a) Chemisch. Normaler Harn ist sauer (saures phosphorsaures Alkali);
durch Bacterien zersetzter Harn (Cystitis) kann durch allcalische Harngährung alka-
lisch werden (kohlensaures Ammoniak); hält man einen mit Salzsäure befeuchteten
Glasstab darüber, so entwickeln sich Salmiakdämpfe. Aber durchaus nicht jeder
Cystitis-Urin ist aUcalisch, wie Rovsing (abgesehen vom Urin bei Blasentuberculose)
meint; im Gegentheil: bei Cystitis findet man den Urin öfter sauer als alkalisch und
bei Blasentuberculose scheint er — wenn nicht andere Bacterien ausserdem hinein-
BLASENKRANKIIEITEN DES WEII5ES. 109
gelangt sind — stets sauer zu sein. Die chemische Reaction allein gestattet also
keinen sicheren Schluss auf das Vorhandensein oder Fehlen einer Cystitis.
Schwach saure, neutrale oder alkalisc^he Reaction kann überdies auch durch
andere Umstände bedingt werden: durch reichliche Flüssigkeitsaufnahme und starke
Verdünnung des Harns, durch Genuss von kohlensauren oder pflanzensauren Alkalien,
bei starkem Verlust von Magen-Salzsäure durch habituelles Erbrechen oder wieder-
holte Magenausspülungen. — Ei weiss kann im Urin auch bei Cystitis enthalten
sein und braucht nicht ausschliesslich aus der Niere zu stammen. Bei Nephritis
wird dagegen das Auffinden von Cylindern diagnostisch den Ausschlag geben.
h) Mikroskopisch. Sargdeckel-Krystalle {J)ho^)\lovnaul■(i Ammoniakmagnesia)
finden sich im nicht zersetzten alkalischen Harn nur spärlich, im ammoniakalisch
zersetzten sehr reichlich. Leukocyten kommen in geringer Menge auch im normalen
Urin vor, reichlich bei eitrigem Katarrh und Verletzungen der Blase; roihe Blut-
zellen finden sich ebenfalls in diesen beiden Fällen, doch ist die relative Menge der
weissen Blutzellen bei Katarrh eine viel grössere als im normalen Blut, das bei Ver-
letzungen der Blase in den Urin übergeht. Die Epühelien der Blase lassen sich
kaum stets von jenen derUreteren und Nierenbecken unterscheiden; die Blasen-Epithe-
lien der oberen Schichten sind ziemlich gross, polygonal bis abgeplattet, die der tieferen
Schichten rundlich, oft geschwänzt, sie haben grossen Protoplasma-Mantel um den
runden bis ovalen Kern. Die Nieren-Epithelien sind klein, rund oder kubisch, oft
stark verfettet. An Bacterien sind ausser Tuherkel-Bacülen, Staphyl. pijogenes au?\,
alb. und citr., Streptococcus pi/ogeties, noch einige andere pyogene Formen und meh-
rere nicht pyogene, den Urin aber ammoniakalisch zersetzende Arten gefunden worden
(s. u. ,^ Cystitis''^). Durch Gonococcen scheint Cystitis nur selten erzeugt zu werden.
Von thierischen Parasiten sind Echinococcen (deren Blasen und Haken), Em-
bryonen von Filaria sanguinis und Eier von Distomum haematohium im Urin beob-
achtet worden, aber wegen ihrer Seltenheit von geringer praktischer Bedeutung.
Für rasche Gewinnung der Sedimente, also auch der Bacterien, bietet die Centri-
fuge eine weitgehende Erleichterung, die auch dem praktischen Arzte leicht zugänglich ist.
Ob organisirte Bestandtheile (weisse und rothe Blutzellen, Epithelien u. s. w.j
aus der Blase oder aus höheren Theilen des Harn-Apparates stammen, ist oft schwer
zu entscheiden; stammt Blut aus der Niere, so soll es sich bei Entleerung des Urins
innig mit diesem vermischt zeigen, stammt es aus der Blase, so soll es erst zum
Schluss entleert werden. Sicherer als dieses Merkmal ist in Fällen, wo andere
Methoden im Stiche lassen und wo alles auf Entscheidung dieser Frage ankommt,
das Katheterisiren der Harnleiter (s. u.).
2. Palpation und Percussion der Blase.
Von aussen kann nur die gefüllte Blase palpirt werden; man fühlt sie bei
massiger Füllung als einen elastisch weichen Tumor von der Consistenz eines nicht
zu stark gefüllten Wasserkissens; bei starker Füllung kann die Blase sehr prall
(Verwechslung mit Ovarial-Cysten) und die Palpation schmerzhaft werden. Die Per-
cussion ergibt nur dann vollkommene Dämpfung, wenn keine Därme vorgelagert sind.
Bei schweren Blasenkatarrhen mit Gasbildung im zersetzten Urin (ungenau als „Em-
physem der Blase" bezeichnet — die Gase sind in der Blase, nicht in deren Ge-
webe enthalten; wirkliches Emphysem der Blase kommt übrigens vor) wird natürlich
an den höchstgelegenen Stellen tympanitischer Percussions-Schall vorhanden sein.
Bei Schwangerschaft, Tumoren des Beckens u. s. w^ ist die gefüllte Blase meist
auch von aussen deutlich sichtbar als ein unmittelbar über der Symphyse sich flach
vorwölbender Tumor, welcher gegen den Uterus u. s. w. duixh eine seichte Furche ab-
gegrenzt ist. Durch die bimanuelle Untersuchung ist die Blase bei einiger üebung
ebenfalls als weiche, eindrückbare Cyste fühlbar. Fremdkörper in der Blase können
nur dann mit Sicherheit bimanuell abgetastet werden, wenn sie hart und nicht zu klein
sind. Zur Difi'erential-Diagnose: Blase oder Tumor, kann der Katheter nöthig werden:
denn nicht stets vermag die Kranlie allen Urin willkürlich zu entleeren: und es sind
110 BLASENKRANKHEITEN DES WEIBES.
Fälle bekannt, in welchen Function und Laparotomie wegen des vermeintlichen
Ovarialtumors ausgeführt und erst im weiteren Verlaufe der Operation der Irrthum
entdeckt wurde. Deshalb die Regel: mau katheterisire vor jeder Laparotomie oder
Function des Abdomens.
3. Abtastung des Blaseninneren mit Katheter oder Finger.
Die Abtastung des Blaseninneren mit dem eingeführten Metall-Katheter kann
folgende Funkte feststellen: Geräumigkeit der Blase; Ausdehnbarkeit nach verschie-
denen Richtungen; Fremdkörper (das Anstossen an Steine kann man fühlen und hören):
Unebenheiten von abnormer Grösse und Consistenz (ist die Blase wenig gefüllt, so
kann man mit dem Katheter die Schleimhautfalten als weiche Unebenheiten fühlen);
abnorme Empfindlichkeit (die normale Blase ist gegen Berührung mit dem Katheter
nur wenig empfindlich).
Zur Abtastung des Blasen-Inneren mit dem Finger ist meist eine vorherige
Dilatation der Urethim nöthig. Am besten führt man diese nach J. Simon's Angaben
folgendermassen aus: man benützt röhrenförmige Specula aus Hartgummi, die zunächst
durch einen Mandrin geschlossen sind; die 7 Nummern haben ^j^ — 2 cm Durchmesser.
Um sie allmälig einzufühi'en, ist oft eine Incision des Orif. ureth. ext., des unnachgie-
bigsten Theils der Harnröhre, nöthig. Man macht nach entsprechender Desinfection
seitlich oben 2 Einschnitte von ^4 <^^'^ i^^cl unten einen solchen von ^j^ cm Tiefe.
Bei Frauen, die mehrmals geboren haben, wird man auch die stärksten Nummern,
bei Mädchen nur entsprechend geringere einführen können. Selten reissen die Schnitte
durch die Specula weiter. Die geringe Blutung steht auch nach Entfernung der
Specula meist von selbst; nöthigenfalls schliesst man die Wunde durch eine Naht,
worauf auch die Blutung steht. Narkose ist zur Dilatation nöthig. Incontinenz pflegt
nicht oder nur für ^/g — 1 Tag lang darnach aufzutreten.
Nach Einführung des jeweils stärksten noch benutzbaren Speculum entfernt man
den Mandrin und sieht nach, ob sich durch die Röhre etwas von der Blasenschleimhaut
besichtigen lässt. Gewöhnlich sieht man nichts, als ein Stückchen graurother Schleim-
haut oder eine spiegelnde kleine Lache von blutigem Urin. Die Simon' sehen Specula
würden deshalb besser Dilatatorien genannt, und ihre Herstellung zu diesem Zweck
wäre billiger, wenn man einfache solide Kolben der verschiedenen Dicke machte;
auch die Hegau' sehen Uterus-Dilatatorien wären dazu verwendbar.
Nun wird ein Finger eingeführt. Ist die Erweiterung hinreichend, so nimmt
man den Zeigefinger und bringt den Mittel- oder die übrigen Finger in die Scheide
ein; kann oder will man nicht so stark dilatiren, so genügt oft auch der Kleinfinger;
bei einer Länge der Harnröhre von 4 cm kann man mit dem bis zur Schwimmhaut
5 — 6 cm langen Kleiufinger sicher in die Blase gelangen und sie abtasten. Mit der
freien Hand drängt man sich von den Bauchdecken aus die verschiedenen Theile der
Blase nach einander entgegen.
Die übrigen Methoden der Blasenuntersuchung können wegen ihrer
Schwierigkeit und der dadurch bedingten geringeren praktischen Verwerthbarkeit kürzer
besprochen werden.
a) Kystoskoine. (Die Schreibweise Cystoskopie ist ein Unding: zuer.-t c dann k; ent-
weder Kystoskopie oder Cystoscopie). Für die Besichtigung des Blasen-Inneren haben sich
Rutenberg, der die Blase mit Wasser anfüllt nnd die Lichtquelle ausserhalb derselben an-
bringt, lind neuerer Zeit Nitze grosse Verdienste erworben. Nitze's Kystoskop ist mit
einem Glühlämpchen versehen und die Lichtquelle wird in die Blase selbst eingebracht.
Neuerdings hat er auch ein Operations-Kystoskop constrnirt, an dessen innerem Ende sich
2 bewegliche, von aussen lenkbare Branchen zum Fassen und Abkneifen befinden ; man kann
damit unter Leitung des Auges Fremdkörper und kleinere Tumoren oder Stückchen von
grösseren zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken entfernen.
h) Scheidenblasenschnitt. Nach Simon wird er ^4— V2 «?^ vor der vorderen Mutter-
mundshppe quer in der Länge von 3 cm ausgeführt, also oberhalb des Trigonum Lieutaudii,
•und anf diesen Schnitt ein 2 cvi langer Schnitt nach vorn gemacht, so dass die Figur eines
T entsteht. Man kann jetzt die Blase durch diese Wunde in die Scheide umstülpen, be-
sichtigen und die Wunde dann wieder zunähen.
BLASENKllANKIlEITEN DES WEIBES. 111
c) Sondirung und Kathetorismus der Harnleiter nach G. Simon. Die Urethra wird
blutig dilatirt, unter Leituiifj; eines Fingers das Lig. interaretericum (der Wulst zwischen
den Harnleitermündungen) aufgesucht und die 25 cm lange Sonde in die Gegend eines
Harnleiterschlitzes gebracht; dieser selbst ist nicht zu f'iililen; die Sonde, beziehungsweise
der Harnleiter-Katheter wird durch entsprechende, der bekannten Dage dieses Schlitzes
angepasste Bewegungen vorsichtig eingeführt. Die Operation ist weder leicht noch gefahrlos,
aber sie kann zweifellos diagnostisch wichtige Anhaltspunkte geben. Pawlik hat sie ver-
einfacht; ohne Dilatation der Urethra lässt er bei Knie-Ellenbogenlage der Kranken die
hintere Scheidenwand mit einem Plattenspeculum hochhalten und führt die Urtitercn-Sonde
in Urethra und Harnleiter ein, indem er das Instrument von der Scheide aus mit den
Fingern leitet.
I. Missl)il(luiigen der Blase.
A. Spaltbildungen.
Die wichtigsten Missbildungen der Blase beruhen auf Spaltbildung, d. h.
einem Offensein der vorderen Blasenwand. Dies kann in mehrfacher Weise
geschehen:
a) Blasenspalt unterhalb der schlaffen, aber geschlossenen Symphyse:
Fissura vesicae inferior, weibliche Epispadie.
b) Blasenspalt nahe dem Nabel, unterer Theil der Blase und die Harn-
röhre meist wohl ausgebildet: Fissura vesicae superior.
c) Offenbleiben des Urachus: Fistula vesico-umbilicalis.
d) Blase in ihrer ganzen vorderen Ausdehnung gespalten; Bauchdecken
und Symphyse ebenfalls gespalten, die Blase nach aussen umgestülpt: Eversio
oder Exstrophia vesicae. Bei diesem hohen Grade des Blasenspaltes
fehlt die Urethra meist ganz und es finden sich auch Bildungsfehler der Ge-
nitalien; die Scheide kann fehlen oder ebenso wie der Uterus getheilt sein;
die Spaltbildung kann sich gleichzeitig sowohl auf alle von der Allantois aus-
gehenden inneren Organe (Urachus, Blase, Urethra), als auch auf den ganzen
Genital-Apparat beziehen.
Die Aetiologie dieser Missbildungen hat in jüngster Zeit durch
Arbeiten von grundlegender Wichtigkeit belangreiche Aufklärungen erfahren.
Nach älterer Auffassung spielen verschiedene Ursachen mit, vor allem Hinder-
nisse der Urin-Entleerung, z. B. bei Verschluss der Harnröhre. Bei den
höheren Graden des Blasenspaltes soll es sich nach Ahlfeld um eine Zug-
wirkung des D Otterstranges handeln: Urachus und Blase sollen dadurch nach
vorn gezerrt und der Schluss der Bauchplatte unmöglich gemacht werden ; die
starkgefüllte Blase platzt in Folge des mangelnden Schutzes. Besonders Fälle,
bei welchen in die missgebildete Blase hinein ein oder zwei widernatürliche
After münden, lassen sich nach der AHLFELü'schen Erklärung deuten. Ein
von Hecker beschriebener Fall spricht andererseits dafür, dass auch die x4.n-
fangs geschlossene Bauchwand später wieder reissen kann. Er fand bei einem
Fötus einen vernarbten und mit Bauchfell bedeckten Riss in den Bauchdecken
und dahinter die stark ausgedehnte aber noch nicht geborstene Blase.
Zu ganz anderen Ergebnissen haben die Untersuchungen Keibel's und
besonders die geistreiche Arbeit P. Reichel's geführt. Nach diesen Autoren
handelt es sich bei der Epispadie (wie dies von der Hypospadie schon länger
angenommen wird) um Jffemmnngsbildungeti, nicht aber um ein Ruptm'ii-en der
bereits ausgebildeten und geschlossenen Blase, Bauchwand u. s. w.
Ohne auf die Einzelheiten der Untersuchungen Reichel's hier eingehen
zu können, muss doch folgendes erwähnt werden: Nicht nur der unterste
Theil des Sinus uro-genitalis, sondern wahrscheinlich die w^eibliche Harnröhre
und die ganze Blase entwickelt sich aus dem vorderen Abschnitte der Cloake;
die frühere Annahme, dass Blase und weibliche Harnröhi^e von der Allantois
abstammen, scheint irrig zu sein. Nur der Urachus ist ein Rest der Allantois.
Bis zur 5. Foetal- Woche (beim Menschen) ist nun die Cloake nach aussen
durch das Cloaken-Septum abgeschlossen und erst dann mündet nach ein-
112 BL ASENKE ANKHEITEN DES WEIBES.
getretener Spaltung desselben die Cloake (u. zw. zunächst der Sin urogenit.,
später auch der Darm) nach aussen. Wie hier normal eine Spalte im hinteren
Theile eintritt, durch deren Offenbleiben u. s. w. hypospadiäische Bildungen
entstehen können, so kann sich — allerdings in etwas anderer Weise und zu
anderer Zeit — als pathologische Bildung eine Spalte auch im vorderen
Theile entwickeln, entsprechend dem oberen Theile des Penis, der Bauchwand
und Harnblase; diese Spalte scheint so zu Stande zu kommen, dass die Rän-
der der Primitiv-Rinne (die Primitiv- Streifen) nicht in entsprechender Aus-
dehnung verwachsen; erfolgt „diese Störung nun an einer oder mehreren
circumscripten Stellen, so entstellt eine totale Blasen-Becken-Bauchspalte oder
nur eine .Blasenspalte oder nur eine Epispadie etc."
Demnach gibt es auch keine doppelte Anlage der Blase und keine da-
durch entstehenden Sagittal-Septa derselben etc.
Die Diagnose wird kaum besondere Schwierigkeiten machen, da sie
durch den unwillkürlichen Urinabfluss und den sichtbaren Defect nahegelegt
wird. Sind auf der invertirten Blasenwand die Ureter-Mündungen nicht ohne-
dies zu erkennen, so kann man sie sichtbar machen, indem man den durch
den Rest der Blase gebildeten Tumor an der Basis comprimirt und so Urin
zum Ausspritzen kommen lässt (Küstner).
Die Symptome der Blasenspalten können für die Patientin äusserst lästig,
bei hohen Graden fast unerträglich werden. Durch den unwillkürlichen Abfluss
des Urins, in den erwähnten Fällen gleichzeitig auch der Fäces, durch den ent-
stehenden, abscheulichen Geruch, das Eczem der umgebenden Weichtheile und
endlich durch den Symphysen-Spalt und die in Folge dessen bestehende Er-
schwerung des Gehens wird die Patientin auf's äusserste beeinträchtigt.
Die Therapie wird hauptsächlich in plastischen Operationen bestehen
müssen. Nur wenn diese wiederholt misslungen sind, wird man sich begnügen
dürfen, die invertirte Blase nach aussen durch eine Pelotte abzuschliessen und
einen Urinaufiänger tragen zu lassen. Kleine Defecte wird man ohne weiteres
durch Anfrischung der Ränder und Naht schliessen können; bei grösseren aber
wird es nöthig sein, zuerst bewegliche Hautlappen aus der Umgebung her-
zustellen; dies kann geschehen entweder durch einfache Unterminirung unter
der Fascia superficialis, oder indem man die Haut der Umgebung dadurch
beweglich macht, dass man 3 — 5 cm von der Spalte entfernt parallele Ent-
spannungsschnitte anlegt; oder man präparirt einen Hautlappen ab, schlägt
ihn mit der Epidermis-Seite nach innen um, macht ihn so zur Blasenwand
und deckt ihn von aussen durch andere Hautlappen; zu diesem Zwecke wäre
auch die Transplantation verwendbar. Solche Operationen können in ein oder
zwei Zeiten gemacht werden. Ist die Capacität der Blase klein und der Symphy-
senspalt gross, so kann es wünschenswerth sein, nach Demme's Vorgang mit
einem entsprechenden Apparat den Symphysenspalt zu verringern und die
Blase aussen zu überdecken, damit sie durch den sich sammelnden Urin aus-
gedehnt wird; man operirt dann erst später. Immerhin erfordern diese Ein-
griffe ebensoviel Geduld als technisches Können, und ihr Erfolg ist stets ein
unsicherer. Subjective Besserung lässt sich übrigens gelegentlich schon da-
durch erzielen, dass wenigstens ein Theil des Defectes gedeckt, dieser selbst
verkleinert wurde. Den etwa bestehenden Symphysen-Spalt wird man ver-
suchen, operativ zu schliessen, und gerade die in jüngster Zeit mehrfach er-
zielten Heilungen nach Symphyseotomie muntern dazu auf.
B. Doppelte Blase; Scheidewände der Blase.
Die Doppelbildungen der Blase spielen praktisch eine sehr geringe Rolle.
Sie würden sich ätiologisch einfach erklären lassen, wenn die von einigen
Autoren beschriebene ursprünglich doppelte Anlage der Allantois Bestätigung
BLASENKRANKIIEITEN DES WEIBES. 113
fände. Kölliker lässt diese Frage offen. Nach neueren Arbeiten ist die Blase
aber nur einfach u. zw. als ein Theil der Cloake angelegt.
In einigen Fällen war eine senkrechte Scheidewand vorlianden, oder der
Blasenscheitel war nur eingesattelt, wie der Fundus uteri Iteini Uterus ar-
cuatus. Horizontale Septa sind zurückgefülirt worden auf die PJntwick-
lung von Cysten im wegsam gebliebenen Urachus; das .Septum wäre dann
nur die Scheidewand zwischen der normalen Blase und der Urachus-Cyste,
die mit der ersteren in Roser's Fall noch durch eine kleine Oeffnung
communicirte. Divertikel der Blase und dilatirtc Ureteren scheinen übrigens
in anderen Fällen für überzählige Blasen gehalten und als solche beschrieben
worden zu sein.
n. Lagefehler der Blase.
Sie kommen weitaus häufiger beim Weibe als beim Manne vor. Die
Cystocele vaginalis ist überdies ein oft ebenso lästiges, als leicht zu beseiti-
gendes Leiden, wenn man ihre Ursache bekämpft (s. u.).
Einige andere Lageveränderungen sind äusserst selten: so die Iletro-
flexiovesicae (Winckel), bei welcher der Blasenscheitel durch den adhärenten
Uterus oder sonstige Adhäsionen nach hinten verzerrt ist. Der von Winckel
beschriebene Fall könnte vielleicht als Retrofixatio verticis vesicae be-
zeichnet werden. Aeusserst selten sind ferner dieEctopie der ungespal-
tenen Blase (Spaltung der Bauchdecken und der Symphyse bei nicht ge-
spaltener, aus dem Abdomen herausgedrängter Blase) und die theilweise U m-
stülpung der Blase durch die Urethra nach aussen: Durch die Harn-
röhre tritt bei starkem Druck von innen, schlaffer Blasenwand und weiter
Harnröhre ein Theil der Blasenwand als fleischrother, gefalteter Tumor nach
aussen. Auch die Harnleitermündungen können so vor das orif, urethr. ext.
zu liegen kommen. Die Symptome bestehen in Harndrang, Schmerz, Ent-
leerung von Blut mit dem Urin oder gelegentlicher Harnverhaltung. Als
Therapie muss natürlich die meist nicht schwierige Reposition mit der Hand
oder mit dem Katheter versucht werden; Narkose wird den Eingriff erleichtern.
Um ein Wiedervorfallen zu verhüten, kann man die Scheide behufs Gegen-
druckes wiederholt tamponiren, ein Scheidenpessar einlegen oder durch Thuee
BRANDT'sche Massage eine Kräftigung der Blasen-Musculatur versuchen.
Cystocele vaginalis. Wird der Cervix oder die vordere Scheidenwand
oder beides in oder vor die Vulva gepresst, so macht ein Theil der Blase diese
Dislocation mit, da der Blasengrund mit genannten Organen ziemlich straff
verbunden ist; es entstellt eine Cystocele, die Ausstülpung einer Blasenbucht
in die invertirte Scheidenwand. Ursache kann sein: Defect des Beckenbodens
durch Dammriss, Erschlaffung der Ligamente des Uterus, H}Tpertrophie des
Cervix mit secundärer Inversion der Scheide, erhöhter Abdominaldi'uck durch
Tumoren, Ascites, Raummangel im kleinen Becken bei Beckenenge; das letztere
Moment kann auch bei Jungfrauen die erwähnte Dislocation bewirken. In der
Mehrzahl der Fälle handelt es sich aber um Folgezustände von Gebui't und
Wochenbett.
Selten ist mit der vorderen Scheidenwand die ganze Blase in dem vor
der Vulva liegenden Tumor enthalten, meist nur ein Theil derselben. Die
Urethra ist dabei meist verzerrt, läuft S-förmig oder in einem einfachen Bogen
nach unten. Man muss dies wissen, um beim Katheterisiren nicht Verletzungen
zu machen. Die subjectiven Erscheinungen können in erschwerter LTrin-Ent-
leerung, aber auch in zeitweilig vollkommener Harnverhaltung bestehen. Die
Therapie fällt zusammen mit jener der Scheiden-Inversion (.,Prolaps'') und
wird bei dieser besprochen.
Bibl. med. Wissenscliaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. ö
114 BLASENKRANKHEITEN DES WEIBES,
Auch die Harnverhaltung bei Incarceratio uteri grayidi retro-
flexi ist nur ein secundärer Zustand und wird mit dieser an entsprechender
Stelle besprochen.
in. Uriiifisteln des Weibes.
Die Urinfisteln des Weibes gehören zu jenen Leiden, welche mit dem
Fortschreiten der Heilkunde immer seltener werden: Je grössere ärztliche
Kreise in der frühzeitigen Diagnose des Uterus-Krebses erfahren sind, je öfter
solche Tumoren von geübter Hand rechtzeitig entfernt werden, je sorgfältiger
die Vorbildung unserer Aerzte in der Geburtshilfe und je gründlicher die
Schulung der Hebammen und ihre Gewissenhaftigkeit bei der Leitung patho-
logischer Geburten ist, desto seltener werden Uriniisteln entstehen. In manchen
Fällen sind die Frauen selbst an ihrem Leiden schuld, wenn sie Pfuscherinnen
zur Entbindung beiziehen, Pessare entgegen der Weisung zu lange liegen
lassen u. Ae. Die Prophylaxe hat auch hier ein glänzendes Feld ihrer
Thätigkeit, ein Feld, auf dem sie auch jetzt schon unleugbare Erfolge erzielt
hat. Denn z. B. die Berichte russischer Gynäkologen enthalten viel häufiger
als dies in deutschen Culturländern der Fall ist, Fälle von Urinfisteln der
allerschwersten Art.
Die möglichen Combinationen von Fisteln der Harnröhre, Blase und der
Ureteren in die Nachbarorgane sind recht zahlreich. Am häufigsten und des-
halb am wichtigsten sind die Blasen-Scheiden- und Cervixfisteln; seltener
sind pathologische Communicationen der Blase mit dem Uteruskörper und
Tumoren, z. B. Dermoiden des Ovarium; oder zwischen Blase und benach-
barten Abscesshöhlen, z. B. des Parametrium; ferner zwischen Blase und an-
gelötheten Darmschlingen, endlich Blasenfisteln durch die Bauchdecken nach
aussen.
Die Urethra kann gegen die Scheide hin pathologische Oeffnungen
zeigen, die Ureteren ebenfalls in die Scheide, in den Cervix und Darm.
Diese Fisteln können überdies in verschiedener Weise combinirt an einer
und derselben Patientin vorhanden sein.
In der Aetiologie der Urin-Genitalfisteln spielen maligne Tumoren,
pathologische Geburten — sei es, dass sie spontan oder mit Kunsthilfe ver-
laufen — und gynäkologische Operationen die Hauptrolle. Spontan können
sie entstehen durch maligne Tumoren (Carcinom und Sarkom der Scheide,
Portio, des Cervix; Lupus), seltener durch vereiternde benigne Tumoren (Der-
moidcysten des Ovarium), Abscesse des Parametrium, Tubenschwangerschaft
und durch pathologische Geburten (enges Becken, Gesichts- und Schieflage);
künstlich werden sie erzeugt durch geburtshilfliche und gynäkologische
Operationen, durch Insulte von aussen, zu langliegende Pessare u. s. w. —
Unter den geburtshilflichen Operationen wird die Anwendung der Zange und
des Perforatoriums bei schlechter Handhabung am gefährlichsten, unter den
gynäkologischen Operationen die Totalexstirpation des Uterus. Zu diagno-
stischen und therapeutischen Zwecken werden Blasenscheidenfisteln
angelegt bei Tumoren der Blase, Ureterscheidenfisteln u. s. w. — Nur neben-
bei mag erwähnt sein, dass man bei Dünndarm-Scheidenfisteln, deren operative
Heilung nicht gelang, gelegentlich Scheidenmastdarmfisteln angelegt und die
Scheide darunter verschlossen hat (Kolpokleisis), um so Continentia alvi zu
erzielen.
Symptome. Nach Geburten entstehen die Fisteln, wenn es sich nicht
um eine acute, gewaltsame Zerreissung handelt, meist erst am 3. — 4. Tage.
Das hat folgenden Grund: Drückt der kindliche Kopf bei engem Becken tage-
lang die Weichtheile vorn gegen die Symphyse, wird ein Kind in Schieflage
andauernd auf den Beckeneingang gepresst, so kommt es zu einer Druck-
Nekrose der gequetschten Theile, seltener zu einer sofortigen Durchreibung;
BLASENKRANKIIEITEN DES WEIBES. 115
besonders Exostosen an der Innenseite der Synipliyse l)ei rhaehitiscliem Becken
sind hier gefährlich. Kurzdauernder s t a r k (; r J ) r u c k, \v i e er h ei künst-
licher Entbindung oft ausgeübt werden niuss, ist weniger ge-
fährlich, als langdauernder Druck bei engem Becken, Schieflage u. Ae.
— Die nekrotischen und l)ei Zutritt von Bacterien auch in Gangrän über-
gehenden Theile werden erst nach einigen Tagen, bei stärkerer Fülbmg der
Blase begünstigt durch den hohen Druck, al)gestossen, und nun entleert sich
der Urin auf einmal massenhaft durch die Scheide. Dies Ereignis kann sogar
erst 6 — 7 Tage nach der Geburt eintreten, wenn die F'rau schon aufgestanden
war und der Abdominaldruck so verstärkt wurde. Je nach Lage und B(;-
schaffenheit der Fistel wird nun aller oder nur ein Theil des Urins unwill-
kürlich durch die Scheide entleert; bald entstehen Eczeme der Vulva, des
Damms, der Innenseite der Oberschenkel. Die ständige Durchnässung der
Wäsche und Kleider bedingt eine dauernde Urinzersetzung und nicht zum
mindesten ist es der entsetzliche Geruch, welcher den unglücklichen Frauen
und ihrer Umgebung das Leiden so furchtbar macht. Bei wenigen anderen
Krankheiten entschliessen sich die Patientinnen so rasch zu Operationen und
bei Misserfolgen zu mehrfach wiederholten Eingriffen (wenn sie auch zu diesem
Zwecke oft alle Gynäkologen, die ihnen erreichbar sind, der Pieihe nach auf-
suchen) als gerade bei Urinfisteln. Oft incrustirt sich die Vagina mit Harn-
sedimenten und wird zu einem derben Rohr, in dem bei der Untersuchung
mit Fingern oder Instrumenten leicht blutende Einrisse entstehen. Da die
Blasenschleimhaut den Bacterien ohne weiteres zugänglich ist, gesellt sich
oft Blasenkatarrh dazu.
Ist auch die Diagnose: „Urinfistel" meist leicht, so kann es doch
Schwierigkeiten machen, kleinere Fisteln aufzufinden oder festzustellen, ob es
sich um eine Blasen- oder Ureterfistel handelt. Es ist dann nöthig, die
Scheide mit Platten-Speculis freizulegen und besonders das vordere Scheiden-
gewölbe genau zu untersuchen. Grössere Defecte sieht man ohne weiteres und
man kann bei der Palpation leicht von der Scheide aus in die Blase, oder
umgekehrt mit dem Katheter von der Blase in die Scheide gelangen. Kleinere
Fisteln können hinter Falten der Scheide oder der meist vorhandenen Narben-
züge versteckt sein. Ein guter Behelf ist es in solchen Fällen, Lösungen
von Tusche oder Kai. hypermang. oder abgekochte Milch in die Blase einzu-
giessen und in der mit Speculis blosgelegten Scheide nachzusehen, wo die
Farbflüssigkeit austritt. Küstner schlägt vor, die Scheide voll Liquor-ferri-
Watte zu stopfen und in die Blase ganz dünne Carbollösung einzugiessen;
im Falle des Bestehens einer Fistel findet sich an der entsprechenden Stelle
am Tampon ein violetter Fleck. Hat man Farbflüssigkeit in die Blase ge-
gossen und es fliesst aus der Fistel trotzdem klarer Urin, so spricht das für
eine Ureterenfistel. Noch sicherer wird diese Diagnose, wenn man — be-
sonders bei leichtem Druck auf das seitliche Scheidengewölbe — den Urin
a,us der Fistel ausspritzen sieht; endlich kann man, wenn der I'reter nur
angerissen oder angeschnitten ist, von der Fistel aus eine Sonde einerseits
in den Ureter, andererseits in die Blase einführen.
Die Prognose ist selbst quoad vitam manchmal zweifelhaft; denn bei
lange bestehendem Blasenkatarrh kann es durch aufsteigende Ureteren-Ent-
zündung zu eitriger Infection der Nierenbecken und Niere kommen; auch die
bei Fisteln nicht seltene Steinbilduug kann durch LTrämie Lebensgefahr be-
dingen.
Die Prophylaxe, die sich zwingend aus der Aetiologie ergibt, ist
z. T. ebenso einfach als erfolgreich; auf ihr muss deshalb der Nachdruck liegen.
Die Therapie hat seit Anwendung der SiMS-Sniox'schen Specula und
der G. SiMON'schen Operationsweise glänzende Fortschritte gemacht; trotzdem
gehört aber die Heilung grosser Fisteln zu den ermüdendsten Operationen,
116 BLASENKRANKHEITEN DES WEIBES.
die manchmal erst nacli 5 — 6-facher Wiederholung zum Ziele führen; ausge-
dehnte Verletzungen können allen Bemühungen der besten Operateure trotzen.
Der Plan muss last stets lauten: Blutige Anfrischung der Fistel-
ränder, Naht. Nur bei ganz kleinen Fisteln mag man es mit dem Argentum-
nitricumstift oder dem spitzen Brenner des Paquelins versuchen. Besser
ist es, diese Versuche nicht zu wiederholen, falls sie nicht aufs erstemal
helfen. Man kann damit mehr schaden als nützen.
Vor der blutigen Anfrischung müssen Blasenkatarrhe thunlichst gebes-
sert werden durch tägliche Ausspülungen mit Borsäure und nachfolgende
Injectiou von 10 cm'^ 2% Arg. nit. (s. u. „Blasenkatarrh"). Sehr wichtig
ist es, die Fistel in schwierigen Fällen gut zugänglich zu machen. Bozeman
benützte dazu dilatirende Scheidenkugeln aus Hartgummi; die meisten
Operateure erweitern jetzt die Vagina durch wiederholte Ausstopfung' mit
grossen Mengen von Jodoform-Gaze; gute Dienste thun grosse Längsschnitte
in der Vagina unmittelbar vor der Operation, die nach derselben gleich
wieder genäht werden, ebenso Incisionen der Narbenstränge in der Um-
gebung der Fistel. Vor der Operation selbst müssen Vulva und Vagina
gut ausgeseift und mit einem leichten Desinficiens gewaschen werden. Die
Fistel wird nun mit Platten- Speculis und Seitenhebeln gut freigelegt und die
Portio mit Kugelzange oder Muzeux oder nach Anschlingung mit einem durch-
gestochenen Faden zur Seite gezogen; die Fistelränder werden mit Messern
angefiischt, welche lange Griffe haben und deren vorderer Theil winklig ab-
gebogen ist, oder mit entsprechend gekrümmter (SiMON'scher Fistel-) Scheere,
damit das Operationsfeld nicht durch die Hand des Operateurs und die In-
strumente verdeckt wird. Zur Freilegung der Fistel wandte Neugebauek sen.
bei Knie-Ellenbogenlage der Patientin einen umfangreichen, mit Ketten verse-
henen Speculum-Apparat an, durch welchen er allerdings an Assistenz sparte. —
Es ist nöthig, breit um die Fistel myrthenblattförmig anzufrischen; ob man
auch den Rand der Blasenschleimhaut mehr oder weniger ausgiebig anfrischt,
ist wenig belangreich. Drängt sich die Blasenschleimhaut zu sehr vor, so wird
sie durch einen an einem Faden befestigten Schwamm zurückgehalten. Nach
der Anfrischung werden zunächst die Fäden (sterile Seide, Silkwormgut, ver-
silberter Kupferdraht) mit dünnen Nadeln, event. mit Stielnadeln sämmtlich
angelegt, aber nicht geknotet; es ist gut, die Fäden nur durch die unterste
Schicht der Blasenschleimhaut zu legen; sie ragen dann nicht in das Blasen-
lumen hinein. Nun wird der Schwamm entfernt, die Fäden geknotet und
schlechtschliessende Stellen durch eine oder mehrere Nähte gedichtet. Zum
Schluss giesst man wieder Farbflüssigkeit in die Blase und sieht nach, ob
irgendwo etwas durchsickert, um gleich mit einer Naht die Stelle zu schliessen.
Auf die Wunde streut man etwas Jodoform; in die Scheide kann Jodoform-
gaze eingelegt werden. Verweilkatheter zu benützen, wird von vielen Opera-
teuren verworfen, von einigen empfohlen. In den ersten paar Tagen muss
der Urin alle 2 — 3 Stunden willkürlich oder mit Katheter entleert werden,
damit die zunächst noch kleine Blase nicht stark gedehnt und die Nähte
nicht gezerrt werden. Bei Blasenkatarrh sofort wieder Blasenspülungen und
Injectionen von 2% Arg. nit. — Die Seidennähte werden am 6. — 8. Tag, Silk-
wormgut und Draht am 14. Tage entfernt. Bei grossen Fisteln heilt oft zu-
nächst nur ein Theil. Dann sind wiederholte Operationen in Pausen von
6 — 8 Wochen nöthig, bis auch der letzte Rest geschlossen ist. Nur im äusser-
sten Nothfalle soll man zum blutigen Verschluss der Scheide {KolpoMeisis)
greifen. In ganz verzweifelten Fällen, wenn ein grosser Theil der Blase und
Urethra fehlt, wurde sogar die äussere Urethra-Mündung und die Vulva operativ
ganz verschlossen und eine Scheiden-Mastdarmfistel angelegt, um so die will-
kürliche Urin-Entleerung per Rectum statt des unwillkürlichen Harnabflusses
zu erzielen {KolpoMeisis rectalis).
BLASENKIIANKHEITEN DES WEIBES. 117
Blasen-Cervixfisteln heilen im allgemeinen leichter, weil reichlich
Gewebe zur Anfrischung vorhanden ist. Vor der Operation kann die »Spaltung
des Cervix nöthig sein.
Zur Heilung von der Scheide aus schwer zugängliclier oder schwer zu
operirender Fisteln ist auch die Naht nach Sectio alta gemacht worden.
Ureterenfisteln könnte man nach Landau's Vorschlag so operiren,
dass man von der Scheide aus einen elastischen Katheter erst gegen die
Niere, dann gegen die Blase hineinlegt und darüber die Itänder anfrischt
und näht. Ferner kann man den peripheren Ureteren-Stumpf in eine frisch-
angelegte Blasenscheidenfistel einnähen. Meist wird man sich aber mit Ope-
rationen begnügen müssen, welche leider keine Ilestitutio ad integrum sind:
Anlegung einer Blasenscheidenfistel und darunter blutiger Verschluss der
Scheide, um so den oberen Theil der Vagina mit zum Urinbehälter zu machen.
Allerdings kommt es darin leicht zur Steinbildung, und es kann deshalb sogar
die Wiedereröffnung der Scheide nöthig werden.
Ist ein maligner Tumor Ursache der Urinfistel, so wird man von einer
Operation absehen müssen, da man in dem von der Neubildung durchsetzten
Gewebe keinen Verschluss herstellen kann; dasselbe gilt von jenen Fisteln,
welche bei Total -Exstirpation des Uterus entstanden sind und in deren Um-
gebung ein Recidiv des malignen Tumors auftritt.
Blasen-Darmfisteln; Commnnicationen der Blase mit anderen Bauchorganen.
Fisteln zwischen der Blase und anderen Bauchorganen (abgesehen von den Blasen-Genital-
fisteln) entstehen meist nur dann, wenn jene Organe zuerst durch Adhäsionen oder Exsu-
date mit der Blase verklebt sind.
n) Blasen-Mastdarmfisteln; bei diesen kann Urin durch den Mastdarm und
Koth durch die Blase entleert werden; durch eine bestimmte Lagerung der Fistel geht in
einzelnen Fällen nur Urin durch das Rectum ab. Therapeutisch hat man die Colotomie
ausgeführt.
b) Blasendünndarmfisteln. Die Diagnose ergibt sich meist leicht aus der
Entleerung von Dünndarminlialt mit dem Urin. Therapeutisch könnte man durch den
Scheidenblasenschnitt die Fistel einem operativen Eingriff zugänglich machen.
c) Durchbruch von Ovarialcysten, besonders von Dermoidcysten in die Blase;
die Diagnose ist leicht, wenn Haare, Zähne, Fett durch die Blase abgehen. Eine Behand-
lung der Fistel selbst ist nicht stets nöthig, da nach Entleerung der Cyste spontane Heilung
möglich ist.
d) Durchbruch extrauteriner Fötalsäcke in die Blase; es können dann Theile
des macerirten Fötus, besonders Knochen, durch die Blase entleert werden. Grössere Knochen
können die Harnröhre nicht spontan passiren und machen dann eine Erweiterung der
Harnröhre oder hohen Blasenschnitt behufs nachfolgender Entfernung nöthig.
e) Durchbruch para- und perimetritischer Exsudate in die Blase; der
Vorgang ist eine Art von Naturheilung; therapeutisch wird nicht stets ein Eingreifen nöthig
sein. Entleert sich das Exsudat nicht genügend durch die Blase, so kann man es von
aussen oder von der Scheide aus breiter eröffnen, drainiren und später die Fistel operativ
schliessen.
Bei den Fortschritten, welche die Bauchhöhlen-Operationen in letzter Zeit gemacht
haben, Hesse sich daran denken, auch bei Blasen-Darm-, Blase a-Cysten-Fisteln u. s. w. die
Laparotomie zu machen, die betreffenden Organe von der Blase abzulösen und beide Oeflf-
nungen zu vernähen. Bei den meist ausgedehnten Verwachsungen wird jedoch abzuwägen
sein, ob die Gefahr des Eingriffs im Vergleich zum veranlassenden Leiden nicht zu gross ist.
TV. Ruptiu' der Blase.
Ein Bersten der Blase setzt 2 Umstände voraus: Starke Füllung und
Einwirkung einer Gewalt. Begünstigend kann dafür eine theilweise starke
Verdünnung der Blasenwand sein, wie sie Westckel in einem Falle bei Re-
troüexio uteri gravidi und Cystitis fand. Ursache der übermässigen Füllung
war in einigen Fällen die erwähnte pathologische Lage des Uterus; deshalb
hat die Ruptur der Blase auch besonderes Interesse für den Frauenarzt. Die
Gewalteinwirkung kann in einöm Stoss, Schlag, Fall, vielleicht auch ausnahms-
weise in der Wehenthätigkeit bestehen.
118 BLASENKRANKHEITEN DES ^YEIBES.
Die Symptome sind die einer schweren Perforations-Peritonitis: Schmerz,
Angstgefühl, Brechreiz, kleiner, frequenter Puls; ausserdem seitens der
Blase: ürindrang, ohne dass Urin in beträchtlicher Menge entleert werden
kann; auch beim Katheterisiren tliesst nur wenig Urin ab, der meist — aber
nicht immer — blutig ist. War die Ruptur im vorderen oder unteren Abschnitt
der Blase erfolgt, so braucht das Peritoneum nicht mit durchrissen zu sein,
und es kann zu einer Urin-Infiltration entlang der vorderen Bauchwand oder
im Bindegewebe des kleinen Beckens kommen. In diesem Falle ist die Pro-
gnose besser, sonst ist sie schlecht, besonders wenn bei Eintritt der Behand-
lung schon Peritonitis vorhanden ist.
Therapie. Theoretisch wäre es am besten, sofort nach eingetretener
Berstung die Laparotomie und entweder nach Glättung der Wundränder die
Naht der Blase zu machen oder den Blasenriss so in den unteren Winkel der
Bauchwunde einzunähen, dass er extraperitoneal wird. Auch bei der Blasen-
ruptur ist zukünftig von einer chirurgischen Behandlung sowohl der Verletzung
als der Peritonitis eine Besserung der Prognose zu erwarten. Wo ein so ein-
greifendes Verfahren nicht mehr geeignet schien, hat man nach Dilatation der
Urethra den Eiss aufgesucht und durch Urethra und Blase ein Drainrohr in
die Bauchhöhle eingelegt; bei Peritonitis ist Eis und Opium indicirt. Wenn
nach extra-, beziehungsweise subperitonealer Zerreissung Urin-Infiltration ein-
getreten ist, wird man die betreffenden Stellen incidiren.
V. Neubikluiigeu der Blase.
Die Ruptur der Blase bietet für den Frauenarzt wegen des gelegentlichen
Zusammenhanges mit einer bestehenden Retroflexio uteri gravidi besonderes
Interesse; ähnliches gilt für die Neubildungen der Blase, weil sie diagnostisch
und therapeutisch beim Weibe leichter oder doch auf anderem Wege zugänglich
sind, als beim Manne: durch die Abtastung und Besichtigung des Blasen-
Inneren nach Dilatation der Urethra und nach dem Scheidenblasenschnitte.
Im übrigen unterscheiden sich die Blasentumoren des Weibes sowohl nach
ihrer Beschaffenheit, als nach den Symptomen, der Diagnose und Therapie
natürlich nicht von jenen des Mannes.
Beobachtet worden sind: Polypen, entweder als umschriebene Wuche-
rungen der Schleimhaut selbst oder aus Myomen bestehend, welche die
Schleimhaut stielförmig ausgezogen haben; das letztere ist sehr selten, wie
die Myome der Blase überhaupt. Zottengeschwülste, dendritisch ver-
zweigte, papillomatöse Tumoren, können entweder gutartige Wucherungen der
Schleimhaut oder echter Epithelial-Krebs sein: Zottenkrebs. Ausserdem
kommt Carcinom in der Form des mehr flachen C an er oids vor. Weit öfter
als primär findet sich aber Carcinom der Blase secundär, ausgehend von
Nachbar-Organen (Uterus, Ovarien). Deshalb kommt secundäres Blasen-Car-
cinom bei Frauen ziemlich häufig vor. Sehr selten sind Sarkome der Blase.
(„Blasentuberculose" s. u. bei Cystitis.)
Die Symptome der Blasen-Neubildungen sind Anfangs wenig typisch:
Schmerz in der Blasengegend, Urinbeschwerden theils in der Form von Harn-
drang, theils von erschwerter oder (durch Einklemmung von Tumor-Theilen in
die Harnröhre) zeitweilig unmöglicher Urin-Entleerung. Die Schmerzen strahlen
in Nachbar-Organe auS; besonders in die Urethra. Blutungen fehlen selten
und können geradezu erschöpfend werden. Blasenkatarrh pflegt sich früh ein-
zustellen ; secundär kann sich Hypertrophie der Blase und Dilatation der Ure-
teren einstellen.
Die Diagnose stützt sich auf diese Symptome, auf den Tastbefund
(I)i manuell per vaginara oder rectum oder per urethram), auf die Besichtigung
mittelst des Kystoskops und auf die mikroskopische Untersuchung von Tumor-
Stückchen; solche können gewonnen werden, indem man sie mit der Korn-
PLASENKIIANKIIEITEN DES WEIBES. 119
zange abquetscht oder — und diese Methode ist vorzuziehen — indem man
sie mit Nitze's Operations-Kystoskop unter Leitimg des Auges abträgt.
lieber die Aetiologie aller dieser Tumoren wissen wir nichts; es hat
jedoch den Anschein, als ob eine nahe Zeit Autklärung über die P^ntstehung
des Carcinoms im allgemeinen brächte (s. „Carcinom der weiblichen Geni-
talien").
Therapie. Gutartige Neubildungen sind mit Erfolg operativ entfernt
worden; alle Wege um ins Blaseninnere zu gelangen, können hiefür in Frage
kommen. Zur Abtragung der Tumoren kann Messer, Scheere, Ecraseur,
Paquelin, Kornzange oder Operations-Kystoskop benützt werden. Eine aus-
gedehnte, aber in Plan und Erfolg geradezu glänzende Operation hat Pawlik
gemacht: Das Carcinom hatte den grössten Theil der Blasenwand ergiiffen.
Pawlik schnitt die Ureteren nahe der Blase ab und nähte ihre Enden in die
Scheide ein; dann schälte er nach einem über der Symphyse gemachten Quer-
schnitt die Blase von der Umgebung aus und schnitt die Urethra von der
Scheide aus durch; nun konnte er die ganze Blase entfernen und nach ope-
rativem Verschluss der Scheide functionirte diese als Urinbehälter, während
die Entleerung durch den stehen gebliebenen Theil der Urethra erfolgte.
Bei inoperablen Fällen ist eine symptomatische Behandlung nothwendig,
welche sich hauptsächlich auf drei Punkte erstrecken wird: Bekämpfung der
Blutungen durch Injection von Liquor-ferri-Lösungen, des Blasenkatarrhs
(s. d.) mit 4% Borsäure-Spülungen und 2^0 Arg. nit.-Injectionen, und
endlich durch Milderung der oft ausserordentlichen Schmerzen: Priessnitz,
Narcotica. Morphium ist erst möglichst spät anzuwenden, da dieses Alkaloid
unsere letzte Zuflucht ist.
VI. Cystitis.
Catarrhus vesicae urinariae, Blasen- Entzündung ^ Blasen- Katarrh). *)
Aetiologie. Jede Blasenentzündung wird durch Mikroben verui^sacht.
Gewisse innere Mittel, wie Cantharidin, Terpentin, junges, ungegohrenes Bier
u. s. w. können zwar eine Hyperämie der Blase, aber ohne Hinzukommen
von Bacterien keine Blasenentzündung hervorrufen. Von den bei Cystitis in
der Blase gefundenen Bacterien kann man 2 Gruppen unterscheiden : a) e i t e r-
bildende (pyogene) Bacterien; b) nichtpyogene Bacterien.
a) Pyogene Bacterien. Sie können den Harn ammoniakalisch zer-
setzen oder nicht.
1. Tuberkel-Bacillen; sie bewirken keine ammoniakalische Zersetzung des
Urins. Bei Blasentuberculose wird also der Urin stets sauer sein, wenn nicht
eine Mischinfection mit harnstoffzersetzenden Bacterien vorliegt. Aber auch
bei nichttuberculösen Blasenentzündungen kann der Urin sauer sein (Joh.
Müller gegen Rovsing). Dieser Umstand muss hervorgehoben werden, denn
Rovsing hatte angegeben, dass saurer Cystitis-Urin auf tuberculöse Blasen-
erkrankung hinweise. Ich erinnere mich lebhaft der grossen Sorgen, welche
diese Angabe einem mir befreundeten Arzt bereitete, als er bei Blasenkatarrh
seiner Frau saure Reaction des Urins fand.
2. Staphi/lococcus i^yogenes aur.., alh. u. cur.
3. Streptococcus pyogenes ureae.
4. — 6. Einige seltenere Bacterien: Diplococcus ureae pyogeneSy Coccobacillus
ureae pyogenes und Micrococcus flavus ureae pyogenes.
*) Die folgende Darstellung der Aetiologie. Eintheilting und Behandlung des Blasen-
katarrlis schliesst sich in der Hauptsache an die schöne und ergebnisreiche Arbeit Rovsiis'Ct"s
an (Thorkild Eovsing, Die Blasenentzündungen. Deutsch 1890 bei Hirschwald. Berlin). Ein
in mancher Beziehung wichtiger Untersuchungsfehler, welcher Rovsi:\G mit untergelaufen
ist, wru-de in der LEUBE'schen Klinik durcli Joh. Müller festgestellt und verbessert
(ViRCHOw's Archiv, 129. Bd., 1892). Im Folgenden ist darauf entsprechende Rücksicht ge-
nommen.
120 - BLASENKRANKHEITEN DES WEIBES,
Walirsclieinlicli sind nur die Bacterien dieser Gruppe die wirklichen
Erreger der Cystitis. Die unter 2 — 6 angeführten können Harnstoff ammo-
niakalisch zersetzen. Ihr schädlicher Einfluss auf die Blase beruht theils auf
einem Eindringen in die Blasenwand und der Bildung von Eiter, theils in der
Ausscheidung von giftigen Stoffwechselproducten ; beide Umstände ergänzen
sich und hängen von einander ab. Nach Krogius spielt bei der Cystitis das
Bacteriiim coli coimmine, nach Haus er der Proteus vulgaris oft eine wichtige
Rolle.
b) Nichtpyogene, aber harnstoffzersetzende Bacterien. An
solchen hat Rovsing beschrieben: 1. Diplococcus ureae trifoliatus, 2, Strepto-
coccus ureae rugosus, 3. Diplococcus ureae, 4. Coccobacillus ureae. Diese
Bacterien erregen keine Eiterung, können aber Harnstoff ammoniakalisch ver-
setzen. Rovsing glaubte, das von ihnen gebildete kohlensaure Ammoniak
wirke schädlich auf die Blasenwaiid und erzeuge eine katarrhalische
Cystitis, während die Bacterien der ersten Gruppe eine suppurative
Cystitis hervorrufen. Die letztere sollte schwerere Erscheinungen machen
und schwerer heilen, als die erstere. Leube, Joh. Müller u. A. fanden aber
in der Mehrzahl der Fälle eine saure Reaction des Cystitis-Urins ; aus
diesen und anderen Gründen scheint den nichtpyogenen Bacterien eine ge-
ringe oder keine ätiologische Bedeutung für den Blasenkatarrh zuzukommen.
Dann bleiben für die Entstehung des Blasenkatarrhs hauptsächlich, wenn nicht
ausschliesslich, die pyogenen Staphylo- und Streptococcen, die Tuberkel-Bacillen
und einige seltenere pyogene Bacterien verantwortlich. Die Reaction des
Urins bei Blasenkatarrh kann sauer, neutral oder alkalisch sein; bei rein
tuberculöser Blaseninfection scheint sie stets sauer zu sein.
Wichtig ist die von Rovsing gefundene Thatsache, dass es im Thier-
Experiment erst dann gelang, durch eingeführte Bacterien Blasenkatarrh zu
erzeugen, wenn durch Unterbindung der Harnröhre Harnstauung erzeugt oder
wenn die Blasenschleimhaut vorher verletzt wurde. Das macht die schweren
Cystitiden bei Harnstauung in Folge von Retrofl. ut. grav. u. s. w. erklärlich.
AVie gelangen die Bacterien in die Blase? Der normale Urin ist in der Blase
bacterienfrei. Dagegen enthält die normale Urethra sowohl pathogene wie nichtpathogene
Bacterien. Das Orif. int. nreth. bildet also ebenso wie das Orif. int. cervicis die normale
Grenze der Bacterien-Flora nach oben. Die Yon Roysing in der Urethra gefundenen Bac-
terien waren dieselben, wie die bei Blasenkatarrh nachgewiesenen. Die häufigste Quelle der
Cystitis-Bacterien dürfte deshalb die Harnröhre sein. Von hier gelangen sie durch Katheter,
Bougies u. s. w. in die Blase. Unter normalen Verhältnissen ist die letztere von der Urethra
pilzdicht abgeschlossen. Jedoch können bei Prostata-Hypertrophie, Stricturen, Ueberfüllung
der Harnblase etc. auch durch Rückstauung (also ohne Anwendung von Instrumenten)
Bacterien aus der Harnröhre in die Blase gelangen.
Eine zweite, sehr wichtige Quelle für Einführung von Bacterien in die Blase sind
natürlich unreine Instrumente selbst ; eine weitere Quelle bilden bei ungenügender Vorsicht
beim Katheterisiren die an der äusseren Urethral-Mündung und deren Umgebung (besonders
bei der Frau überreich) vorhandenen Bacterien. Seltener sind folgende Wege der Infection :
Durchbruch von Abscessen und jauchenden Tumoren, besonders Carcinom in die Blase;
primäre Nephritis, welche durch pyogene Staphylo- oder Streptococcen erzeugt ist {Cystitis
e nephritide); es liegt auf der Hand, dass bei abscedirender Nephritis Eitererreger durch
den Urin in die Blase hinabgespült werden können. Tuberkelbacillen können sowohl von
der Niere aus, als durch den Blutkreislauf in die Blase, beziehungsweise Blasenwand ge-
langen.
Gonococcen sollen nach neueren Untersuchungen (Barlow u. A.) Cystitis hervorrufen
können, wenn dies auch selten der Fall zu sein scheint. Es gäbe also doch eine gonor-
rhoische Cystitis. Mit Wertheim's Untersuchungen über den Gonococcus wäre diese
Aiiffassung gut vereinbar (s. u. ^^GonorrJwe des Weihes").
Eintheilung. Je nach dem geringeren oder grösseren Gehalt des
Urins an Eiterkörperchen spricht man von einer katarrhalischen oder
suppurativen Cystitis. Beide Fonnen scheinen nur graduell verschieden
zu sein. Es ist wahrscheinlich, dass sie nicht durch verschiedene Formen von
Bacterien (die katarrhalische Cystitis durch nichtpyogene, aber harnstoflfeer-
BLASENKRANKHEITEN DES WEIBES. 121
setzende, die suppurative durch pyogene Bacterienj erzeugt werden, sondern
stets durch pyogene Mikroben mit Einscliluss der Tuberkelbacillen.
Symptome und Verlauf. Blasenentzündung äussert sich Anfangs
durch Harndrang, Tenesmus, der auch zu lästigem Stuhldrang füliren kann,
schmerzhaftes Uriniren, besonders bei Entleerung der letzten Tropfen, Schmerz
in der Blasengegend, Fieber. Der Urin wird trüb und enthält Blasen-Epithe-
lien, weisse, später auch rothe Blutkörperchen, Krystalle von Tripelphosphat
(Sargdeckelform) und harnsaurem Ammoniak (Stechapfelform), Bacterien. Zu-
satz von Salpetersäure hellt den Urin ziemlicli auf, es bleibt jedoch eine
leichte Trübung zurück, wenn man die Epithel] en, Blutkörperchen und Bacte-
rien nicht vorher abfiltrirt hat; der Urin kann aber auch p]i weiss enthalten,
das beim Kochen gefällt wird. Bei Zunahme der Entzündung kann der Process
auf die Ureteren, Nierenbecken und Nieren übergehen und durch abscedirende
Nephritis — in einzelnen Fällen nach metastatischer Erkrankung anderer
Organe und allgemeiner Sepsis — zum Tode führen. Immerhin ist dieser
schlimmste Ausgang selten.
Als diphtherische Cystitis hat man jene Formen bezeichnet, bei
welchen Fetzen der schwer erkrankten, gangränösen Blasenschleimhaut, ja
sogar die gesammte Mucosa vesicae unter hohem Fieber ausgestossen wird.
Dieses äusserst gefährliche Ereignis wird besonders dann beobachtet, wenn
tagelang völlige Harnstauung auftritt, wie bei grossen Tumoren des kleinen
Beckens, Retrofiexio uteri gravidi u. s. w. — Es kann, muss aber nicht
unbedingt zum Tode führen. Eine Heilung ist in der Weise möglich, dass
die der Schleimhaut entblösste Blasenwand narbig schrumpft, und die Blase
zu einem kleinen, nicht mehr ausdehnungsfähigen ßecessus wird, welcher nicht
als Urinbehälter dienen kann; es wird also Incontinentia urinae auftreten. —
Nicht verwechselt darf damit die croupöse Cystitis werden, bei welcher
sich auf der Schleimhaut Membranen aus Fibrin, Schleim, weissen Blutzellen
und Blasen-Epithelien bilden. Diese können in Fetzen entleert werden, unter-
scheiden sich aber von gangränösen Fetzen der Schleimhaut durch das Fehlen
anderer Bestandtheile als der oberflächlichen Epithelien und durch die haupt-
sächliche Zusammensetzung aus Fibrin und Eiterkörperchen. Diphtherische
und croupöse Membranen können beim Versuch des Katheterisirens die Fenster
des Instrumentes verstopfen und so die Entleerung erschweren. Man hat in
solchen Fällen sogar schon den Blasenstich gemacht. Durch theilweise Ulce-
ration kann es zu Infection des Bindegewebes neben der Blase (Paracystitis),
bei hochgradiger Entzündung zu Infection des Peritonealüberzugs (Peri-
cystitis) kommen.
Die acute Entzündung kann in die chronische Form übergehen. Fieber,
Gehalt des Urins an pathologischen Bestandtheilen und subjective Erschei-
nungen werden dann geringer; zeitweise Verschlimmerungen sind nicht selten.
Sowohl durch Entzündung als in Folge bestehender Hindernisse der Ent-
leerung kann es Anfangs zur Hypertrophie, bei übermässiger Ausdehnung
aber später zur Atrophie der Blasenwand kommen. Ragen die verdickten
Muskelbündel gitterförmig in das Blasenlumen hinein, während die Schleimhaut
dazwischen verdünnt und vertieft ist, so spricht man von Gitter- oder Bal-
kenblase. Im weiteren Verlaufe kann es so zur Bildung von Divertikeln
kommen.
Die Prognose ist bei frischen Fällen eine gute, bei vernachlässigten,
hochgradigen Erkrankungen kann sie aber durch aufsteigende Entzündung der
Ureteren, Nierenbecken und Nieren, sowie nach Erkrankung der Muscularis
und des Peritoneal-Ueberzuges der Blase dui'ch Peritonitis letal werden.
Die Prophylaxe hat auch hier ein weites und erfolgreiches Gebiet
ihrer Thätigkeit. Nicht nachdrücklich genug kann besonders Vorsicht beim
Katheterisiren eingeschärft werden; und zwar einerseits in dem Sinne, dass
122 BLASENKEANKHEITEN DES WEIBES.
nur im Xothfalle katheterisirt, andererseits die Möglichkeit einer Infection
dabei tliiinlichst eingeschränkt wird. Ganz zu vermeiden wird sie nie sein.
Küstner lienützt als Katheter beim Weibe einfache, ^orn durch Abschmelzen
gut geglättete Glasröhren ohne Fenster, also mit endständiger Oeffnung.
Gewiss haben diese Glas-Katheter Vortheile vor den metallenen mit seitlichen
Fenstern, die, trotz ausgegossener Enden in der Praxis nicht stets aseptisch
zur Hand sind; leider steht ihre Zerbrechlichkeit einer ausgedehnten Ver-
wendung etwas entgegen. Nie soll man aber Katheter benützen, die nicht
vorher in kochendem Wasser sterilisirt sind oder in 5"/o Carbol, beziehungs-
weise l*/oo Sublimat gelegen waren. Man katheterisire nicht unter der Bett-
decke, sondern nach Freilegung der Vulva. Die Urethralmündung muss mit
feuchter Sublimat-Watte gründlich abgewischt sein; man wische von oben nach
unten, um nicht Scheidenschleim immer wieder hinaufzubringen. Ist die Blase
gesund, so wird sie mit den Bacterien, die wir aus der Urethra hineintrans-
portiren, meist allein fertig; eine geringe Menge von Mikroben kann auch der
normale Urin töten beziehungsweise abschwächen. Bedenklich werden aber
diese Mikroben, wenn wir die Blase durch ungeschicktes Katheterisiren zu-
gleich verletzen. — Muss bei schon bestehender Erkrankung der Blasenwand
oder Harnverhaltung katheterisirt werden, so mache man nach der Entleerung
des Urins jedesmal eine prophylactische Injection von 5 — 10g 2% Argentum
ni tri cum (Rovsing), am besten mit einer grösseren BEAUN'schen Spritze. —
Den Katheter fette man nicht mit Vaseline ein, die sich massenhaft in der
Blase ansammeln kann, sondern mit Oel.
Therapie. Sie muss in der Hauptsache local sein, d. h, die Blase selbst
zum Angriffspunkt nehmen. Man sorgt für häufige Urin-Entleerung, sei
diese spontan oder instrumenteil. Harnstauung verschlimmert die Entzündung.
Die Blase wird ferner täglich mit 4''/o Borsäure-Lösung ausgespült und dann
eine Injection von 5 — 10^ 27o Argentum nitr. gemacht; bei hartnäckigen
Fällen steigt man bis zu 57o Lösungen. Diese werden auffallend gut und
ohne Schmerzen;; ertragen. Die Kranke soll bei Nachlass der ersten und hef-
tigsten Symptome, wenn thunlich, nicht zu Bett liegen. Will man den animo-
niakalischen Urin neutralisiren, so gibt man innerlich Borsäure, Benzoesäure,
Decoct von Folia uvae ursi, letzteres so, dass man täglich 8 — 15 g mit einem
Liter heissen Wassers aufgiesst und tagsüber mit Zucker trinken lässt. Eines
alten Rufes erfreuen sich die Quellen von Wildungen, Vichy, Bilin. Die
oft äusserst heftigen Schmerzen werden durch feuchtwarrae Umschläge, Opium
per OS oder in Suppositorien, im äussersten Falle durch Morphium gemässigt.
— Flüssige, nicht reizende Diät ist nothwendig. Dagegen sind Copaiv-Balsam,
Terpentin (auch das vielgerühmte von Chios) wirkungslos. Vor operativen
Eingriffen an der Harnblase soll man den etwa bestehenden Katarrh zu heilen
oder doch thunlichst zu bessern versuchen; Fremdkörper in der Harnblase,
welche den Katarrh unterhalten, wird man natürlich zuerst entfernen und
dann erst den letzteren behandeln.
Eine Therapie der Blasentuberculose gibt es bis jetzt umso we-
niger, als sie meist secundär nach Nieren-Tuberculose u. s. w. auftritt. Die
Behandlung wird also rein symptomatisch sein müssen. Ob es sich empfiehlt,
nach Sectio alta die erkrankten Stellen auszukratzen und zu kauterisiren, wie
man vorgeschlagen hat, erscheint auch bei primärer Blasentuberculose zur Zeit
noch mehr als fraglich.
Vn. Fremdkörper in der Blase.
Fremdkörper können 1. von Nachbarorganen aus spontan in die Blase
gelangen, oder 2. durch die Urethra von aussen eingeführt werden oder 3. bei,
Unfall-Verletzungen in dieselbe auf den verschiedensten Wegen eindringen,
oder endlich 4. in der Blase selbst entstehen.
BLASENKRANKHEITEN DES WEIBES. 123
Zu 1. Schon erwähnt wurde der Durc-hbruch von Deniioid- und anderen
Ovarial-Tumoren, sowie von extrauterinen Fruchtsäcken in die Blase; Haare,
Knochen, Zähne u. s. w gelangen so in dieselbe; Echinococcusblasen können
auf demselben Wege eindringen; aus den Nierenbecken und Harnleitern können
Steine herabgebracht werden; aus der Scheide sind Pessare und Nadeln nach
Perforation der Zwischenwand schon in die Blase gelangt.
Zu 2. Am häufigsten werden durch Masturbation Fremdkörper per ure-
thram eingeführt; man hat Haar-, Strick-, Steck- und Nähnadeln, Nadelbüchsen,
Zahnstocher, Bleistifte, Federkiele und Federspulen in der Blase gefunden;
nach versuchtem criminellen Abort fand man Nadeln und Baumreiser darin;
durch Katheterisiren können abgebrochene Stücke der benützten Instrumente
gefunden werden.
Zu 3. Durch Verletzungen bei Sturz sind in einzelnen Fällen Stücke von
Holz, Stroh u. s. w. eingedrungen.
Zu 4. In der Blase selbst können sich gestielte Tumoren abschnüren und
es entstehen durch Incrustation oder spontan Steine, die dann als Fremdkörper
wirken (s. u.).
Behandlung. Sie besteht naturgemäss in 2 Massregeln: Entfernung des
Fremdkörpers und Heilung des fast nie fehlenden Blasenkatarrhs. Der ersteren
Forderung kann man auf mehrfache Weise gerecht werden. Kleine Fremd-
körper sucht man mit dem Kystoskop auf und entfernt sie per urethram
mittelst des NiTZE'schen Operations-Kystoskops oder mit Kornzange. Grössere
kann man bimanuell von Scheide und Bauchdecken aus, oder nach Dilatation
der Urethra digital in der Blase selbst fühlen. Je nach der Grösse und Be-
schaffenheit wird man sie durch die Urethra, oder nach angelegtem Scheiden-
blasenschnitt, beziehungsweise nach Sectio alta entfernen und die Wunde gleich
wieder schliessen.
Blasensteine sind beim Weibe wegen der kurzen und weiten Urethra
seltener als beim Mann; kleine Concremente können unbemerkt spontan ent-
leert werden. Sie bestehen meist aus einem von Harnsäure gebildeten Kern
mit einem organischen maschigen Gerüst und schalenförmig aufgelagerter phos-
phorsaurer Ammoniakmagnesia oder oxalsaurem Kalk. Der Kern kann von
abgeschnürten Wucherungen der Blasenschleimhaut und von anderen Fremd-
körpern gebildet werden. Die Symptome bestehen in Harndrang, oft er-
schwerter oder plötzlich unterbrochener Urinentleerung, Blasenkatarrh, Blu-
tungen. Die Behandlung ist dieselbe wie bei anderen Fremkörpern. Weiche
Steine zerquetscht man mit der durch die Urethra eingeführten Kornzange
und extrahirt die Trümmer mit derselben oder spült sie heraus; bis tauben-
eigrosse Steine kann man unverkleinert auf diesem Wege entfernen, grössere
muss man nach Scheidenblasenschnitt oder Sectio alta herausholen. Den
Blasenkatarrh soll man vorher thunlichst bessern, dann bis zur völligen Heilung
behandeln.
Vin. Neurosen der Blase.
Ein durchaus ungenügend geklärtes Gebiet stellen die Neurosen der
Blase dar. Sind wir über die Physiologie der normalen Urin-Entleerung
schon nicht hinreichend unterrichtet, so gilt dies noch vielmehr für jene
Störungen, bei welchen eine Ursache nicht ohne weiteres zu finden ist. Ein-
facher liegen die Verhältnisse beim Blasenkrampf, Cystospasmus; hier
findet man als Grund oft Katarrh, Tumoren, Steine der Blase. Fissuren der
Urethra (die durch Aetzung mit Arg. nitr. zu heilen sind), Ulcera der Urethra
oder Blase nach ungeschicktem Katheterisiren u. s. w. In anderen Fällen —
und es sind dies die hartnäckigsten — fehlt jede solche Ursache und selbst
die genaueste Untersuchung findet keine objective Veränderung; man hat für
Harndrang ohne objective nachweisbare Ursache die Bezeichnung ..reizbare
Blase (irritable bladder)" eingeführt. „Denn immer, wo Begriffe fehlen.
124 BLUTUNGEN IN DER GEBURTSHILFE.
da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein." Therapeutisch hat man
dilatirende Füllungen der Blase mit lauwarmer Borsäurelösung in zunehmender
Menge empfohlen; in einem Falle sah ich von Injectionen 2-procentiger Arg.-
nitr.-Lösung Besserung, obwohl kein Blasenkatarrh nachweisbar war; in einem
anderen Falle half die von Saengee angegebene Dilatation der Urethra vor-
iibergehend: man führt einen metallenen Katheter ein und drückt ihn gleich-
massig nach unten,, unten links und unten rechts, um so die ganze Harnröhre
zu dilatiren und gleichzeitig deren Muscularis zu Contractionen anzuregen;
man führt also eine Art Heilgymnastik der Urethral-Musculatur aus.
Enuresis nocturna, nächtliches Bettnässen kann durch die ver-
schiedensten Ursachen bedingt sein, deren Beseitigung oft das Leiden heilt:
Rhachitis, Scrophulose, schlechte Gewohnheit u, s. w. — Es gibt aber Fälle,
bei welchen eine solche Ursache nicht nachzuweisen ist, und die lange Zeit
jeder Behandlung trotzen. Harnentleerung vor dem Schlafen, Trinken geringer
Flüssigkeitsmengen am Abend, Wecken zum Zweck des Urinirens im Laufe
der Nacht, Anwendung des Inductionsstromes (ein knopfförmiger Pol an iso-
lirtem Drahtstab in die Blase, der andere als plattenförmige Elektrode auf den
Bauch) sind neben einer Anzahl raedicamentöser Mittel empfohlen worden.
Nie darf eine vorhergehende gründliche Untersuchung der
Harnröhre und Blase, sowie der Nachbar-Organe, besonders der
Genitalien des Weibes, versäumt werden. Es ist zu hoffen, dass
auch hier genaue klinische und experimentelle Forschung mehr Licht
schaffen wird. Oft ist dieses Leiden mehr für eine neuropathologische, als
für eine nur gynäkologische, d. h. in diesem Falle nur locale Behandlung,
geeignet.
Verhinderte oder erschwerte Urin-Entleerung kann ebenso
wie wirkliche Blasenlähmung zum Symptom der Ischuria paradoxa
führen: bei starkgefüllter Blase wird nur ab und zu eine geringe Menge
LTin entleert. Ist die Urin-Entleerung mechanisch durch Tumoren der Blase,
des Beckens der weiblichen Genitalien, durch Pietrofl. ut. gravidi u. s.w. er-
schwert, so ist die Behandlung auf Beseitigung der Ursache gerichtet; na-
türlich muss vorerst für Entleerung des Urins mittelst Katheter Sorge ge-
tragen w^erden. Diese Zustände sind als Harnverhaltung, Ischuria,
nicht aber als Blase nlähmung zu bezeichnen.
Blasenlähmung im strengen Sinne kommt nur bei Erkrankung und
Verletzung des Centralnervensystems, hauptsächlich des Rückenmarkes, oder
bei operativer Verletzung der Nervi vesicales vor.
Die Bezeichnung: „Blasenschwäche" drückt nichts als ein Symptom
aus, dessen Ursachen fast in allen Leiden der Blase und in vielen Erkran-
kungen der Nachbar- Organe liegen kann, in anderen Fällen aber mit dem
Begriff der „reizbaren Blase" zusammenfällt und gleich dieser noch der Auf-
klärung harrt. Incontinentia urinae kommt häufig nach operativem
Verschluss von Blasenfisteln in Folge des langen Nichtgebrauchs der Blasen-
hals- und Urethral-Muskeln vor. In solchen Fällen und bei Erschlaffung der
Harnröhre aus anderen Gründen kann man Continenz durch kleine plastische
Operationen erzielen, indem man die Harnröhre selbst oder deren Mündung
verengt, letzteres nach Schröder's oder Pawlik's Vorschlag; man vernäht
die durch Schnitte oder kleine keilförmige Excisionen angefrischten Partien
am orif. ext. urethral, in entsprechender Weise. gustav klein.
Blutungen in der Geburtshilfe. Blutungen aus den Geschlechts-
theilen können zu jeder Zeit der Schwangerschaft, der Geburt und des Wo-
chenbettes auftreten. In seltenen Fällen hängen dieselben mit der Schwanger-
schaft gar nicht oder nur ganz indirect zusammen, nämlich bei Scheiden- und
Portiocarcinomen oder bei Ruptur eines Varix am Scheideneingang oder in
BLUTUNGEN IN DER GEBURTSHILFE. 125
der Scheide. Immerhin ist der Hinweis auf diese seltenen Quellen der Blu-
tung wichtig, da ein Portiocarcinom häutig für Placenta praevia gehalten, und
bei Ruptur eines Varix die Blutungsqucille meistens höher, im Uterus selbst
gesucht wird. Infolgedessen wird bei Portiocarcinom urinöthiger Weise, und
ohne die Blutung zu stillen, eventuell die combinirte Wendung gemacht, statt
zu tamponiren, und bei Yarixruptur tamponirt, statt die Blutung durch Um-
stechung zu beseitigen.
Was zunächst die Blutungen in der Schwangerschaft anbetrifft, so
sind die häufigsten diejenigen, welche in den ersten 3 Monaten der
Schwangerschaft auftreten, die Folge einer partiellen Loslösung des
Eies von der Uteruswand sind und durch ihre Stärke und Dauer uns schon
einen Anhaltspunkt dafür geben, ob es zu einer Ausstossung des Eies, zum
Abort kommen wird oder nicht. Die Stärke der Blutung bestimmt ferner
auch die Therapie. Ist die Blutung nur gering, so werden wir jedes Blut-
stillungsmittel vermeiden, welches Wehen anregt. Wir beschränken uns in
solchen Fällen auf die Verordnung absoluter Bettruhe, die auch noch einige
Tage nach Aufhören der Blutung innegehalten werden muss, der Vermeidung
hitzender Getränke und Speisen und geben Opium in Form des Pulv. Doveri
o4er in Suppositorien. Ist dagegen die Blutung stark, sind vielleicht schon
Zeichen von Anämie vorhanden, ist der innere Muttermund für 1 Finger durch-
gängig; so ist die Möglichkeit, die Schwangerschaft zu erhalten, äusserst
gering, und man hat ohne Rücksicht auf die Schwangerschaft eine sichere
Methode der Blutstillung zu wählen. Das Rationellste ist in diesen Fällen
die sofortige Ausräumung des Uterus.
Was die Technik derselben anbelangt, so kann die Ausräumung in den
ersten 10 Wochen durch die Curette*) allein bewirkt werden. Dies hat den
Vortheil, dass die Narcose überflüssig wird. Von der 10.— 12. Woche muss
dagegen die Placenta manuell entfernt werden; die Decidua kann man eben-
falls manuell entfernen, leichter, vollständiger und schneller wird sie jedoch
mit Hilfe der Curette herausbefördert. Für die manuelle Ausräumung ist in
der Regel die Narcose nothwendig, da es nur in Narcose ausnahmslos gelingt,
den äusseren Druck so energisch zu machen, dass man sich den Uterus voll-
ständig über den inneren Finger herüberstülpen kann, was nöthig ist, um
mit dem Finger bis zum Fundus heraufzudringen. Zur Herausbeförderung der
gelösten Eitheile wendet man die bimanuelle Compression des Uterus (Hö-
NiNG'scher Handgritf) an. Hat man sämmtliche Eitheile entfernt, so hört
die Blutung vollständig auf. Nur in seltenen Fällen kann es auch schon im
3. Monat ex atonia uteri weiter bluten. Hier kommt die Scheidentamponade
mittelst Wattetampons oder diese Art der Tamponade combinirt mit der Jodo-
formgazetamponade des Uterus in Betracht.
Die Nothwendigkeit der Narcose, des Curettement, die Grösse des Ein-
griffs überhaupt — der allerdings bei strenger Antisepsis ganz ungefährlich
ist — schrecken manchen Praktiker von diesem activen Vorgehen ab. Und
in der That ist es ja richtig, dass man mit einer gut ausgeführten Scheiden-
tamponade die Blutung für eine gewisse Zeit sicher stillt und in vielen Fällen
auch durch die Rückstauung des ergossenen Blutes eine völlige Ablösung,
dann Ausstossung des Eies und hiermit definitive Blutstillung erreicht.
Beide Zwecke lassen sich allerdings noch sicherer durch eine Tamponade
des Uterovaginalcanals erreichen, wie Verfasser sie seit 6 Jahren erprobt hat.
Diese Methode besteht darin, dass man in den Uterus so viel Gaze hinein-
stopft, als möglich ist, und dann die Scheidentamponade in der gewöhnlichen
Weise mit Wattetampons ausführt. Die Blutstillung ist eine sichere und der
*) Nur bei Blasenmole ist das Curettement zu unterlassen und entweder nur
die Tamponade oder die manuelle Ausräumung vorzunehmen.
126 BLUTUNGEN IN DER GEBURTSHILFE.
im Uterus liegende Streifen regt solche Wehen an, dass binnen 24 Stunden
gewöhnlich der ganze Uterusiuhalt, Tampon und Ei, ausgestossen werden.
Dieselbe günstige Wirkung hat diese Methode auch bei Fehlgeburten,
mag bei denselben nur die Placenta oder Placenta nebst Frucht retinirt sein.
Auch in den diagnostisch schwierigen Fällen ist die Anwendung dieser Me-
thode sehr vortheilhaft, wo starke Blutungen schon längere Zeit angedauert
haben, wo Eitheile abgegangen sind, und man den Cervix geschlossen findet.
Hier wird durch die Uterustamponade ausser der Blutstillung binnen 24 Stun-
den entweder eine Ausstossung des ganzen Uterusinhalts oder zum mindesten
eine solche Dilatation des Cervix erreicht, dass der Finger bequem in den
Uterus eindringen und feststellen kann, was in demselben noch retinirt ist.
Bei dieser Methode der Tamponade des Uteroyaginalkanals ist auch eine innere
Blutung unmöglich, wie sie bei der einfachen Scheidentamponade vorkommen kann. So
berichtet Klotz {Centrhl. f. Gyn. 1890, S. 268) über eine Verblutung in dem 13 "Wochen
schwangeren Uterus, der noch Frucht und Placenta enthielt, bei einer XII para nach 12-
stündiger Scheidentamponade, nach welcher der Uterus die Grösse eines Uterus von 8 Mo-
naten erlangt hatte.
Was nun die Ausführung der Tamponade anbelangt, so erfordert die-
selbe ebenso strenge antiseptische Vorsichtsmassregeln, wie die manuelle oder in-
strumenteile Ausräumung des Uterus. Es muss also vor der Tamponade eine
Desinfection der äusseren Geschleclitstheile vorgenommen werden, an die sich
in bereits innerlich untersuchten, resp. fiebernden Abortfällen auch eine Des-
infection des Uterus und der Scheide anzuschliessen hat. Die Desinfection
ist auf dem Querbett vorzunehmen. Als Desinficiens empfiehlt Verfasser die
l^o-ige Lysollösung. Dieselbe hat mit Rücksicht auf die nachfolgende Tam-
ponade den grossen Vortheil, dass sie den Genitalschlauch schlüpfrig erhält.
Der Uterus ist natürlich mit dickem doppelläufigem Katheter auszuspülen.
Nach vollendeter Desinfection nimmt man zweckmässig eine Entleerung
der Blase mittelst Katheters vor. Der Mastdarm musste seitens der He-
bamme schon vorher durch eine Eingiessung entleert sein, falls er sich ge-
füllt zeigte.
Ferner müssen Hände, Instrumente und tamponirendes Material asep-
tisch, keimfrei sein. Letzteres muss ausserdem mit einem Antisepticum im-
prägnirt sein, um die Entwicklung der schon normaliter im Genitaltractus vor-
handenen Keime zu hemmen und auf diese Weise eine Zersetzung der vom
Tampon aufgesogenen Secrete zu verhindern. Ein einfach aseptisches Ma-
terial stinkt schon nach einer Tamponade von einigen Stunden, ein Jodoform-
gazesteifen, ein Salicylwattetampon dagegen können mehrere Tage liegen
bleiben, ohne nachher einen üblen Geruch zu verbreiten.
Somit muss das antiseptisch imprägnirte Material, um die in demselben
noch vorhandenen Keime zu vernichten, durch strömenden Wasserdampf steri-
lisirt werden. Verfasser lässt nun in einer hiesigen Verbandstolffabrik ^)
das zur Tamponade nöthige Material in Blechbüchsen verpacken, die nach
der Sterilisation durch Verlöthung luft- und wasserdicht abgeschlossen werden,
dabei aber leicht zu öffnen sind. Für die Geburtshilfe und Gynäkologie sind
die Büchsen 1 — 3 bestimmt. Die Büchse 1 enthält: einen 5 m langen, hand-
breiten, aus 4 Lagen bestehenden Jodoformgazestreifen und 30 g Salicylwatte,
die Büchse 2 -.1 g Jodoformpulver, zwei 5 m lange und 10, resp. 3 cm breite
Jodoformgazestreifen und 20 g Salicylwatte, die Büchse 3 : 12 Salicylwatte-
tampons. Sämmtliche 3 Büchsen verschreibt Verfasser für jede Geburt, da
das in ihnen enthaltene Material auch zu Vorlagen und Tupfern verwendet
werden kann, und führt ausserdem für den Nothfall die Büchsen 1 und 2 in
seiner geburtshilflichen Tasche mit sich.
Für die bisher besprochenen Arten der Tamponade dient die Büchse 2.
^) Arkold Passmann, Fabrik sterilisirter Einzelverbände. Berlin, Blumenstr. 70.
BLUTUNGEN IN DER GErJURTSIIILFE. 127
Die Asepsis der Hände erzielt man durch ?> Minuten langes Bürsten in
lo/o-iger Lysollösung, der Instrumente durch Auskochen in einem genügend
grossen Topf (Waschkessel), nachdem die Instrumente in ein Handtucli ein-
gedreht sind.
Was nun die Technik der Scheidentamponade anbelangt, so ist
dieselbe am leichtesten mit Hilfe einer, resp. zweier Smox'scher Halbrinnen
oder eines Klappenspeculum auszuführen, durch welche die Portio und die beiden
Scheidengewölbe freigelegt werden. Man führt mittelst einer 30cm langen ana-
tomischen Pincette oder einer Kornzange den ersten Tampon in das hintere,
den zweiten in das vordere Scheidengewölbe, den dritten gegen den Muttermund
und schiebt noch 1 — 2 Tampons nach. Statt der einfachen Wattatamponade
kann man auch das Scheidengewölbe fest mit Jodoformgaze ausstopfen und
dann noch 1 — 2 Tampons nachschieben. Das untere Scheidendrittel bleibt
zweckmässig frei, da sonst heftige Schmerzen und Urinretention entstehen.
Hat man keinen Spiegel zur Hand, so tamponirt man in der Weise, dass
man mittels des linken Zeigefingers und ev. noch Mittelfingers den Damm
und die hintere Scheidewand herunterdrückt und nun auf diesem Finger
als Spiegel mittels des rechten Zeigefingers oder einer Pincette den Tampon
bis ins hintere Scheidengewölbe vorschiebt. Um den Tampon so weit zu
bringen, muss man unter Umständen den linken Zeigefinger entfernen,
worauf der rechte höher hinaufgeführt werden kann.
Die Technik der Uterustamponade ist folgende: Nachdem die
Portio im Speculum freigelegt, wird die vordere Lippe mit einer Kugelzange
gefasst, mittels der langen Pincette der 10 cm breite, bei engem Cervix der
schmälere Streifen bis in den Uterusfundus, resp. so hoch wie es geht, ein-
geführt und successive fest nachgestopft, bis nichts mehr in den Uterus
hineingeht. Hat man keinen Spiegel, so fasst man die vordere Lippe unter
Leitung des linken Zeigefingers mit der Kugelzange, zieht dann die Portio
bis in den Introitus herunter und tamponirt — oder falls die Portio sich nicht
so weit herabziehen lässt, übergibt man die Zange einem Assistenten, führt
den Gazestreifen unter Leitung des linken Zeigefingers mittels der langen
Pincette bis in den Muttermund und tamponirt, wie beschrieben.
Bei Mangel an Assistenz klemmt man am einfachsten die Büchse zwi-
schen die Kniee. Ist der Cervix sehr eng, so bedarf man zur Ausführung der
Uterustamponade einer oben gerieften Sonde, wie sie von Asch angegeben ist.
(Ueber die Technik der Uterustamponade nach rechtzeitiger
Geburt s. u.)
Die fertigen Wattetampons zieht man an ihrem Faden heraus, die Tam-
pons, welche man sich selbst durch Zusammendrehen der in Nr. 2 enthaltenen
Watte hergestellt hat, entfernt man ebenso wie auch den Gazestreifen, indem
man sie unter Leitung des linken Zeigefingers mit einer Kugelzange fasst.
Kurz erwähnt sei noch die innere Blutung bei Euptur einer Tuben-
schwangerschaft oder bei dem Austritte des Eies aus der schwangeren Tube
in die Bauchhöhle (tubarer Abortus-WEETH). Hier ist bei beträchtlicher
Blutung und Fehlen einer Haematocele die schleunige Vornahme der Laparo-
tomie indicirt.
Blutungen bei Fehlgeburten, d. h, vom 4. — 7. Monat der Schwan-
gerschaft, treten in der Regel erst nach Geburt des Foetus infolge von par-
tieller Lösung der Placenta auf. Hier ist die Placenta manuell mittels 1 — 2
in den Uterus eingeführter Finger zu entfernen oder die schon beschrie-
bene Tamponade des Uterovaginalcanals auszuführen. Letztere ist auch in
den Fällen indicirt, wo es vor Geburt des Foetus blutet, ohne dass Placenta
praevia vorliegt. In Ausnahmefällen kann nämlich eine Placenta praevia
schon in den früheren Schwangerschaftsmonaten zu Blutungen führen, in der
Regel aber treten die Blutungen bei Placenta praevia erst in
128 BLUTUNGEN IN DER GEBURTSHILFE.
den letzten Scliwangerscliaftsmonaten auf und bewirken meistens
den vorzeitigen Eintritt der Geburt. Seltener sind die Fälle von Placenta
praevia, wo bis zu dem normalen Geburtstermin keine Blutung entsteht.
Ist die Placenta praevia durch das Fühlen des schwammigen Pla-
centargewebes über dem inneren Muttermund diagnosticirt, so ist die com-
binirte Wendung auszuführen. Man kann dieselbe vornehmen, sobald der
Cervix für einen Finger durchgängig geworden. Dies ist nach stärkerer Blu-
tung immer der Fall. Nach der Wendung tamponirt der Steiss. Blutet es
nach der Wendung noch, so ist der Steiss noch nicht ordentlich in das
Becken eingetreten. In solchem Fall muss man den Fuss eine Zeit lang
angezogen halten. Die weitere Geburt wird der Natur überlassen, extrahirt
nur, wenn nach völlig erweitertem Muttermund Gefahr für das Kind eintritt.
Nach der Wendung ermöglichen sofort dargereichte Analeptica eine Hebung
des Kräftezustandes, infolgedessen die Gebärende den physiologischen Blut-
verlust der Nachgeburtszeit besser erträgt. Ist der Muttermund für 2 Finger
durchgängig, so lässt sich bei der Dehnbarkeit des aufgelockerten Cervix statt
der schwierigeren combinirten gewöhnlich die innere Wendung vornehmen.
Die vor dem Blasensprung ebenfalls zulässige Scheidentamponade stillt
die Blutung nur vorübergehend. Während des Wechsels der Tampons kann
die Frau viel Blut verlieren — auch ist die Methode für den Arzt viel zeit-
raubender und veranlasst ihn leicht dazu, bei mangelhaft eröfinetem Mutter-
mund die Entbindung vorzunehmen. Hierdurch entstehen aber leicht stark
blutende Cervixrisse. Sind gute Wehen und eine Placenta praevia marginalis
vorhanden, so genügt zur Stillung der Blutung die einfache Sprengung der
Blase.
Verfasser verlor unter einigen 40 Fällen von Placenta praevia nur einen
einzigen, wo in Folge von Tamponade nach dem Blasenspruug die Kreissende
sich bereits völlig in ihren Uterus hinein verblutet hatte, unter 35 Fällen von
combinirter Wendung hatte Verfasser keinen Todesfall. Die Mortalität der
Kinder dagegen war sehr hoch, was für die meisten Fälle, weil es sich um
Frühgeburten bei Mehrgebärenden handelt, irrelevant ist. In Fällen dagegen,
wo das Kind ausgetragen ist, ist die combinirte Wendung mit ihrer Kinder-
mortalität von 60"/o keine ideale Methode. Als eine solche wird sich viel-
leicht die folgende erweisen, welche der Verfasser einmal") mit Glück ausführte:
Wenn nach der Blasensprengung die Blutung nicht aufhört, so wird ein dünn-
wandiger Kolpeurynter mittels Kornzange in den Uterus eingeführt, bis zu
Kindskopfgrösse mit Wasser gefüllt und sein Schlauch so am Bettende be-
festigt, dass am Kolpeurynter ein permanenter, wenn auch schwacher Zug
ausgeübt wird. In dem Fall des Verfassers stand die vorher profuse Blutung
vollständig, nach 3 Stunden wurde der Kolpeurynter spontan ausgestossen und
es konnte nun, da die Blutung wieder anfing, bei völlig erweitertem Mutter-
mund die Wendung und Extraction eines lebenden Kindes vorgenommen
werden.
Blutungen in den letzten Monaten der Schwangerschaft,
resp. unter der Geburt können auch bei normalem Sitz der Placenta
durch partielle Ablösung derselben entstehen und zwar durch Traumen, häu-
figer noch bei Nephritis chronica (Winter), bei verzögertem Blasensprung und
bei starker Contraction des Uterus nach dem Blasensprung, resp. nach der
Geburt des 1. Zwillings. Was zunächst die Blutung in Folge der ersten beiden
Ursachen anlangt, so kann sie eine innere sein und in seltenen Fällen, bei
ganz abnorm schlaffem Uterus, selbst vor dem Blasensprung so hochgradig
werden, dass die Pat. an innerer Verblutung stirbt. Sind Zeichen einer
solchen inneren Blutung vorhanden, so ist die schleunigste Entbindung indi-
^) Vergl. auch Artikel „Placenta praevia". (Dührssen) ds. Bd. der „BibUothek" .
BLUTUNGEN IN DER GEBURTSHILFE. 129
cirt. Die verscliiedenen Methoden derselben wird Verfasser in dem Capitel
„Edampsie^' auseinandersetzen. Bei lebendem Kind kommt wohl in diesen
Fällen in Kliniken auch der Kaiserschnitt in Betracht, bei todtem Kind
ist nach genügender Dilatation zu perforiren und die Kraniotraction auszu-
führen.
Bei äusserer Blutung vor dem Blasensprung und vor völliger p]rweiterung
des Muttermundes ist die Scheidentamponade indicirt — treten jedoch Zeichen
einer inneren Blutung auf, so sind die Tampons zu entfernen, und der Fall
wie bei einer inneren Blutung zu behandeln. Bei starker äusserer Blutung
nach dem Blasensprung ist ebenfalls die schleunigste Entbindung indicirt.
Tritt eine äussere Blutung infolge verzögerten Blasensprunges, also erst
nach völliger Erweiterung des Muttermundes ein, so hört eine weitere Ab-
lösung der Placenta durch die Blasensprengung auf, und die Blutung wird
nicht stärker, resp. sistirt ganz, wenn nur ein kleiner Theil der Placenta ab-
gelöst war.
Blutet es erheblich weiter, so ist die Entbindung indicirt. Dieselbe muss
ebenfalls vorgenommen werden, wenn nach dem Blasensprung bei Hydramnien
oder nach Geburt des 1. Zwillings bei Zwillingsgeburten infolge der starken
Verkleinerung des Uterus ein Theil der Placenta abgelöst wird, und eine
erhebliche Blutung eintritt.
Blutungen während der Geburt treten ferner auch nach erfolgter
Uterusruptur auf. Vorausgegangen sind in der Regel die Zeichen einer
stärkeren Dehnung des unteren Uterinsegments, die Ruptur tritt entweder
spontan oder bei Entbindungsversuchen (Wendung bei Querlage!) ein. Sichere
Zeichen derselben sind ausser der Blutung der Collaps und das Beweglich-
werden des vorher fixirten vorliegenden Theils. Die Diagnose wird dann
weiterhin dadurch gesichert, dass man neben dem in die Bauchhöhle ausge-
tretenen Kind den leeren verkleinerten Uterus fühlt. Man unterscheidet
complete und incomplete Rupturen. Bei letzterer ist das Bauchfell nicht mit-
zerrissen, aber auch bei ihr kann der Verblutungstod erfolgen (Leopold).
Die Prognose ist ohne schnelle ärztliche Hilfe absolut schlecht. Die
Frauen sterben an Shock, Verblutung oder Sepsis.
Die principiell beste Therapie ist die Laparotomie zur Entfernung
des Kindes und der Nachgeburt, zur Vernähung des Risses, resp. zur Auf-
suchung der blutenden Gefässe, resp. zur Amputation des Uteruskörpers. In
der Praxis wird dies Verfahren meist nicht angängig sein. Hier entbinde
man per vias naturales durch Wendung oder Perforation, spüle die Bauchhöhle
und den Uterus mit ^j^^j^ig^i: Lysollösung aus und tamponire durch den Riss
hindurch die Bauchhöhle so hoch hinauf wie möglich, bei Atonia uteri auch
das Uteruscavum und die Scheide mit Jodoformgaze aus. Dies vom Verf.
zuerst ausgeübte Verfahren*) hat schon manche Erfolge aufzuweisen. Zweck-
mässig wird man daneben noch den gut fühlbaren Tampon von den Bauch-
decken aus gegen den Uterus andrücken. Hierdurch kann mau die völlige
Stillung einer recht profusen Blutung erreichen, und auf die Blutstillung hat
Verf. von vornherein mehr Gewicht gelegt, als auf die Drainagewii'kung der
Gaze, die erst in zweiter Linie in Betracht kommt. Welch' grosse Rolle die
Blutung bei der Uterusruptur thatsächlich spielt, hat Leopold überzeugend
nachgewiesen. Die blosse Drainage ist also ein ganz unzulängliches Verfahren.
Die Gaze entfernt man nach 24 — 48 Stunden.
In ganz extrem seltenen Fällen kann eine Blutung unmittelbar
nach dem Blasensprung aus den kindlichen Gefässen stammen,
wenn eine Insertio velamentosa vorhanden ist, und die Gefässausbreituug gerade
im Muttermund liegt. Zu diagnosticiren ist die Blutungsquelle natiüiich nur
*) Berliner klin. Wochenschr. 1888, Nr. 1.
Eibl. med. Wissenschaften, I. Geburtshilfe und Gynaekologie.
130 BLUTUNGEN IN DER GEBURTSHILFE.
in den Fällen, wo man schon bei stehender Blase einen oder mehrere pulsirende
nicht verschiebliche Stränge innerhalb der Eihäute gefühlt hat.
Prophylaktisch muss man alsdann den Blasensprung durch Scheiden-
tamponade aufzuhalten suchen, und sobald der Muttermund völlig erweitert
ist, die Entbindung vornehmen. Springt die Blase schon bei mangelhaft er-
weitertem Muttermund, so ist ebenfalls die schleunigste Entbindung, bei Erst-
gebärenden mit Hilfe tiefer Cervixincisionen, indicirt, falls der Geburtshelfer
die Technik der letzteren beherrscht.
Kommt man zu einem solchen Fall erst nach dem Blasensprung, so
wird den Geburtshelfer die immer mehr zunehmende Verschlechterung der
kindlichen Herztöne zur Vornahme der Entbindung veranlassen.
Die Blutungen nach Geburt des Kindes (Nachgeburtsblu-
tungen) theilt man zweckmässig folgendermaassen ein:
A. Blutungen aus dein Uteruscavum.
1. Blutungen v or,
2. Blutungen nach Entfernung der Nachgeburt.
B. Blutungen aus Cervixrissen.
C. Blutungen aus Scheidenrissen
D. Blutungen aus Dammrissen.
E. Blutungen aus Clitorisrissen.
F. Blutungen hei Inversio uteri.
G. Blutungen in das perivaginale Geivehe {Thrombus oder Haematoma
vaginae et vulvae).
Die Blutungen aus dem Uteruscavum vor Entfernung der
Nachgeburt rühren daher, dass die Nachwehen zu schwach sind und daher
nur einen Theil der Placenta ablösen. Es blutet nun aus der früheren Haftstelle
dieses Theils, da die geöffneten Gefässe der Uteruswand erst nach Ausstossung
der Placenta durch feste Contraction und Retraction des Uterus geschlossen
werden.
Die Nachwehen sind zu schwach:
1. Wenn sie bei ermüdetem Uterus dm"ch zu frühzeitiges Reiben und
Expressionsversuche hervorgerufen werden.
Es ist ein Fehler bei schlaffem, atonischem Uterus zu reiben, ohne dass
eine äussere oder innere Blutung vorhanden ist. In diesem Fall ist eben die
Placenta noch völlig adhärent. Das Reiben erzeugt hier nur schwache Wehen,
die die Placenta partiell lösen. Man lasse dem ermüdeten Muskel Zeit, frische
Kräfte zu sammeln. Allerdings dauert dies oft viele Stunden, ja Tage. Unter
diesen Umständen kann der Arzt nicht immer bei der Frau verweilen, anderer-
seits kann dieselbe jeden Augenblick eine starke Blutung bekommen. Aus
diesem Dilemma ziehen sich manche Geburtshelfer dadurch, dass sie die Pla-
centa manuell lösen, wenn sie binnen 2 Stunden nicht durch den CßEDE'schen
Handgriff exprimirt werden kann.
Verfasser hatte sich in solchen Fällen viel von der üterustaniponade verspx'ochen. In
einem Fall von partieller Lösung der Placenta blutete es trotz Tamponade. Dagegen in
einem Fall von völlig adhärenter Placenta konnte 24 Stunden später, nach Entfernung des
Streifens, die Placenta leicht exprimirt vferden, nachdem es während dieser Zeit gar nicht
geblutet hatte.
2. Wenn der Uterus sehr ausgedehnt war (bei Hydramnion, Zwillings-
geburt).
3. Nach rascher operativer oder spontaner Entleerung (Sturzgeburt) des
Uterus.
4. Nach Ueberanstrengung der Uterusmusculatur (Fortsetzung der secun-
dären Wehenschwäche in die Nachgeburtszeit).
5. Bei Schwäche der Uterusmusculatur.
6. Bei allgemeinem schlechten Ernährungszustand (Häufigkeit der Blu-
tungen bei Proletarierfrauen).
BLUTUNGEN IN DER GEBURTSHILFE. 131
7. Bei gefüllter Harnblase.
Diagnose: Man constatirt mit einem Griff' auf den Uterus eine mangel-
hafte Contraction desselben und eine abnorm starke äussere Blutung oder
Zeichen innerer Blutung, als Anämie, starlce Ausdehnung des schlaffen Uterus.
Man sehe aber gleich nach, ob nicht die Blutung zum Theil auch aus einem
Damm- oder Clitorisriss herrührt, und. denke auch an die Möglichkeit eines
Cervixrisses.
Die Therapie muss eine bestimmte Reihenfolge innehalten und in
folgenden Massnahmen bestehen:
1. Entleerung der Harnblase.
2. Reiben des Uterus (auch der hinteren Wand) mit beiden Händen und
Ergotininjection (0*3).
3. Heisse Uterusausspülung (40° R.) mit l7o-iger Lysollösung.
4. Eiskalte Uterusausspülung (notabene, wenn man sie zur Hand hat,
und die Blutung massig ist).
Contrahirt sich hiernach der Uterus kräftig, so wende man den CiiEOE'schen
Handgriff an. Blutet es dagegen bei fehlender oder schwacher Contraction
weiter, so dass die Frau in Lebensgefahr geräth, so nehme man die ma-
nuelle Lösung der Place nta vor. Dieselbe ist, unter streng antiseptischen
Cautelen ausgeführt, eine ungefährliche, unter anderen Umständen aber eine
eminent gefährliche Operation.
Ausführung der Placentarlösung: Steissrückenlage, Desinfection
der operirenden Hand, Desinfection der äusseren Genitalien und der Scheide,
Narkose. Indem die linke Hand die Nabelschnur anspannt, geht die andere
an der Nabelschnur entlang ins Uteruscavum. Trifft sie über dem inneren
Muttermund einen losgelösten Lappen, so nimmt sie von hier die Lösung
vor, indem sie mit sägeförmigen Bewegungen die feinen, zwischen Placenta
und Uteruswand sich anspannenden Fäden zerreisst, wobei die Volarfläche
stets der Placenta zugekehrt sein muss. Die äussere Hand muss bei der Lösung
den Uterus umfassen und kräftig nach abwärts drängen. So dringt die
Hand allmälig bis in die Tubenecken, wo die Lösung immer am schwierigsten
ist und durch Gegendruck der betreffenden Partie seitens der äusseren Hand
unterstützt werden muss. Stülpen sich die Eihäute über die operirende Hand,
so zerreisse man sie. Die Lösung, wie empfohlen ist, innerhalb der Eihäute
auszuführen, ist gerade so schwierig, wie wenn man behandschuht operiren
wollte. Nie ziehe man an den abgelösten Partien, sondern drücke von oben
her die Placenta heraus. Hat man die obere Peripherie der Placenta völlig
abgelöst, so schadet es nichts, wenn sie tiefer unten etwa noch an einer kleinen
Stelle adhärent ist. Durch eine halbe Umdrehung der mit der vollen Hand
von oben her gefassten Placenta schält man sie leicht völlig ab.
Sitzt die Placenta rechts, so kann man mit der rechten Hand die Lösung
hin und wieder nur so vollenden, dass man die Frau auf die rechte Seite legt.
Hierbei ist aber die Gefahr der Luftembolie vorhanden. Man führe daher lieber
die Hand wieder heraus, desinficire die linke und gehe mit dieser ein.
Liegt der gelöste Lappen höher oben, so gehe man zunächst an die In-
sertion der Nabelschnur und betaste von da aus den Rand der Placenta.
Findet man nirgends die abgelöste Partie, so beginne man nach Zerreissung
der Eihäute die Lösung vom Rande her. Fühlt man denselben nicht deutlich,
so durchbohre man an einer Stelle die Placenta bis zur Uteruswand und löse
von hier aus.
Nach Entfernung der Placenta gehe man nochmals mit der Hand in die
Scheide, mit zwei Fingern in den Uterus ein, um sich davon zu überzeugen,
ob nicht etwa Reste zurückgeblieben sind, und mache sodann eine Uterusaus-
spülung mit l°/o-iger Lysollösung,
9*
132
BLUTUNGEN IN DER GEBURTSHILFE.
Manclimal ist der Cervicalcanal stricturirt und nur für 2 — 4 Finger durch-
gängig. Auch in diesen Fällen ist dem Verfasser unter geeigneter Anwendung
äusseren Druckes und Einführung der ganzen Hand in die Scheide die
manuelle Lösung stets gelungen.
Bei den Blutungen nach Entfernung der Nachgeburt wirken
die oben genannten Ursachen weiter fort, der Uterus bleibt schlaff, die in die
Placentarstelle frei .mündenden Gefässlumina bleiben offen. Die Therapie ist
die oben sub 1—4 genannte. Blutet es aber dann noch weiter, so gehe
man in das Uteruscavum ein, um etwa zurückgebliebene Placentartheile
oder Eihäute (Artikel „Placentarreste'-^) manuell zu entfernen. Stösst man
hierbei schon in der Scheide auf Eihäute, so wird man dieselben mit der
Kornzange fassen, durch öfteres Umdrehen einen Strang herstellen und diesen
vorsichtig herausziehen. Blutet es bei leerem Cavum weiter, so nehme man
die Tamponade des Uterovaginalcanals nach der Methode des
Verfassers vor. Dieselbe bewirkt, wie jetzt schon die Erfahrung Vieler gelehrt
hat, die Blutstillung durch 2 Factoren:
1. Durch Erzeugung kräftiger Contraction, beziehungsweise dauernder
Ketraction des Uterus.
2. Durch Compression der blutenden Placentarstelle.
Die Tamponade ist bei antiseptischer Ausführung ein durchaus unge-
fährliches Mittel, was man z. B. vom Liq. ferri nicht behaupten kann. Man
betrachte daher die Tamponade nicht mehr als ultimum refugium, sondern
wende sie an, sobald die schon genannten Mittel nicht alsbald die Blutung
stillen.
Als tamponirend es Material nimmt man am besten einen aus
4 Lagen bestehenden handbreiten und 5 m langen Streifen von sterilisirter
57o-iger Jodoformgaze, die man in einer besonderen Blechkapsel (Büchse Nr. 1:
s. 0.) nur für diesen Zweck aufbewahrt. Einfach sterile Gaze zu nehmen, ist
nach des Verfassers Erfahrungen gefährlich, weil man mit der Gaze Keime
aus der Vagina oder dem Cervix an die Placentarstelle heranbringen kann.
Diese Keime werden durch die Jodoformgaze unschädlich gemacht, durch eine
einfache sterile Gaze natürlich nicht, und selbst nicht durch sterilisirte Salicyl-
gaze. Hat man das von mir empfohlene Material nicht zur Hand, so nehme
man einen vorher ausgekochten und in Carbolsäure ausgedrückten Leinwand-
streifen. Dann muss man aber ev. noch die Scheide mit Salicylwatte aus-
stopfen, weil Leinwand wenig imbibitionsfähig ist.
Technik der
Tamponade.
Die Frau wird
aufs Querbett ge-
legt mit massig
erhöhtem Ober-
körper (um eine
Luftembolie zu
vermeiden). Man
fasst sodann un-
ter Leitung von
Zeige- und Mittel-
finger der linken
Hand beide Lip-
pen möglichst
hoch mit 2 Kugel-
zangen und zieht
den Muttermund
bis zur Vulva
BLUTUNGEN IN DER GEBURTSHILFE.
133
Fig. 2.
herab. Gelingt dies nicht, selbst nicht unter Beihilfe äusseren Druckes, so
kann man einen Kinnenspiegel einsetzen oder man bringt 2 Finger der
linken Hand in den Cervicalcanal (s. Fig. 1) und führt unter ihrer Leitung
— bei Gebrauch des Spiegels natürlich einfach unter Leitung des Auges —
vermittelst der langen anatomischen Pincette das Ende des Gazestreifens
direct aus der Blechkapsel in den Uterus ein. Die nunmehr frei gewordene
linke Hand fühlt mit der Kleinfingerseite aussen nach, ob die Spitze der Pin-
cette wirklich bis zum Fundus hinaufgeführt ist (Fig. 2) und geht dann wieder
mit den aseptisch gebliebenen Fingern in den Muttermund, durcli welchen
hindurch die Pincette abermals ein tieferes
Stück des Streifens in den Fundus herauf bringt.
Man kann die beiden Finger auch im Cervix
liegen lassen. Um sich dann davon zu über-
zeugen, ob die Spitze der Pincette auch wirklich
bis zum Fundus hinaufgeführt ist, legt man
das Ende der Pincette in die linke Hohl-
hand, fixirt daselbst die Pincette mit dem 4.
Finger und umfasst mit der nunmehr freige-
wordenen rechten Hand den Fundus um die
Spitze der Pincette durchzupalpiren. Zu die-
sem Zweck muss die linke Hand die Pincette
ev. sonst etwas gegen den Fundus hinaufdrän-
gen. Ln Interesse der Asepsis muss mau dann
bei der weiteren Ausführung der Tamponade
darauf sehen, dass die rechte Hand nicht mit
dem Gazestreifen in Berührung kommt. Auf diese Weise wird allmälich der
ganze Uterus von oben bis unten fest ausgestopft. Wird der Uterus von der
Hebamme ordentlich in das Becken hineingedrückt, so lassen sich die Kugel-
zangen entbehren. Selbstverständlich kann man statt der Pincette auch eine
Kornzange nehmen oder man kann den Gazestreifen mit der ganzen Hand in
den Uterus einführen — ein Verfahren, das nur ungemein schmerzhaft und
unbequem ist. An die Uterustamponade schliesst sich die Tamponade der
Scheide, die man nach Bedürfnis loser oder fester macht und bei Blutungen
aus dem unteren Uterinsegment (bei Placenta praevia und Cervixrissen) noch
mit Wattetampons (wegen ihrer geringeren Durchlässigkeit) abschliesst. In
Fällen von schwerer Blutung kann bei sehr empfindlichen Frauen die Nar-
kose angezeigt sein; damit man nicht, durch etwaige Schmerzensäusserungen
der Frau veranlasst, zu früli mit der Tamponade aufhört. Sollten in einem Fall
von absoluter Atonie des Uterus nach der Tamponade des Liter ovaginal-
canals keine Contractionen auftreten, der Uterus vielmehr sich durch innere
Blutung ausdehnen, so müsste man den Uterus von aussen gegen den Tampon
andrücken. Sollte es dagegen, nachdem das Vorhandensein eines Cervixris-
ses ausgeschlossen, trotz combinirter Gazewattetamponade nach aussen wei-
ter bluten, so würde ich in diesem Fall auch das Cavum uteri mit trockenen
Salicylwattetampons ausfüllen. Beide Fälle sind mir noch nicht vorgekommen.
Eine Vg— 2 Stunden nach der Tamponade auftretende Blutung hat ge-
wöhnlich ihre Ursache in einer stärkeren Contraction des L^terus, welche das
Blut aus dem Streifen herausdrückt. Hier muss man nicht nachstopfen,
sondern den Streifen überhaupt entfernen.
An atonischer Blutung post partum sterben cca. O'OS^/o aller Gebärenden
oder mit anderen Worten: In Preussen allein geht täglich eine Gebärende an
Verblutung nach der Geburt zu Grunde! Die allermeisten dieser Fälle könnten
durch die beschriebene Methode gerettet w^erdeu.
B. Blutungen aus Cervixrissen. Ist der L'terus gut contrahii't,
und sind keine äusseren Verletzungen vorhanden, so stammt jede stärkere
134 BLUTUNGEN IN DEß GEBURTSHILFE.
Blutung aus einem meist seitlichen Cervixriss"), der meist über den Ansatz
der Scheide hinausreicht und oft nicht nur die Üteruswand durchsetzt, sondern
auch noch in das Parametrium hineingeht. Infolgedessen können stärkere
Aeste der A. uterina, ja die A. uterina selbst angerissen werden. Solche tiefe
Zerreissungen, bei denen in seltenen Fällen auch das Peritoneum zerrissen
ist (perforirende Cervixrisse), kommen übrigens nur vor, wenn bei mangelhaft
erweitertem Muttermund mit roher Gewalt extrahirt wird.
Bei Verdacht eines Cervixrisses wird der Geübte den Riss auch direet
fühlen. Schwierig kann die Diagnose werden, wenn es zugleich ex atonia uteri
und aus einem Cervixriss blutet. Für diese Fälle ist die Tamponade des
Uterovaginalcanals besonders bedeutungsvoll, da sie die Blutung aus diesen
beiden Quellen stillt. Sie stillt ferner auch die Blutung aus etwaigen Scheiden-
und Dammrissen und lässt bei Clitorisrissen erkennen, dass die Blutung nicht
aus der Scheide stammt. Meine Methode stellt daher viel geringere Anfor-
derungen an diagnostische Fertigkeit, die dem Anfänger im Moment einer
starken Blutung leicht abhanden kommt. Sollte bei einer Blutung aus der A.
uterina die Blutung auf die Gazewattetamponade nicht stehen, so wird sie
jedenfalls bedeutend verringert, so dass man mit mehr Müsse die Vorberei-
tungen zur Naht, resp. zur Umstechung vom Scheidengewölbe aus treffen kann.
Letztere, nach Anziehung der beiden Uteruslippen mit Kugelzangen und un-
ter Leitung des Zeige- und Mittelfingers der linken Hand ausgeführt, ist für
die Praxis empfehlenswerther als die Naht des blutenden Risses. Man ver-
w^endet zu dieser Umstechung am besten einen Deschamps.
C. Blutung aus Scheidenrissen. Dieselbe pflegt sehr unbedeutend
zu sein. Man wird an einen Scheidenriss denken, falls es bei gut contrahirtem
Uterus blutet, und weder ein Cervixriss zu fühlen, noch äussere Verletzungen
zu sehen sind. Ist der Riss zugänglich, so vernähe man ihn, sonst stille man
die Blutung durch Tamponade des Risses.
Starke Blutungen aus Scheidenrissen kommen nur vor, wenn es sich um
perforirende Scheidenrisse oder um geborstene Varicen handelt. In beiden Fäl-
len ist die Verletzung womöglich zu vernähen sonst zu tamponiren.
D. Blutung aus Dammrissen. Dieselbe kann im Anfang recht stark
sein. Die Diagnose stellt man durch Besichtigung der äusseren Genitalien.
Therapie: Provisorische Tamponade, nach Expression der Placenta Naht.
E. Blutung aus Clitorisrissen. Dieselbe kann aus einem 72 — 1 ^^
langen Riss so profus sein, dass sich die Frau verblutet. Diagnose: Besich-
tigung der äusseren Genitalien, ev. Einführen eines Gazestreifens in die Vagina.
Dann sieht man, dass das Blut von oben her und nicht aus der Scheide her-
auskommt. Therapie: Naht, ev. provisorische Tamponade.
Resume: Blutet es nach der Entfernung der Placenta, so hat der Arzt
in der antiseptisch ausgeführten Tamponade des Uterovaginalcanals mit sterili-
sirter öliger Jodoformgaze ein ungefährliches und sicheres Mittel, um die
Blutung, mag dieselbe herstammen, woher sie will, für die überwiegende
Mehrzahl der Fälle zu beseitigen, bez. (bei Clitorisrissen) ihre Quelle zu
erkennen.
An Verblutung in der Nachgeburtsperiode überhaupt gehen cca. 0*1 "/o
aller Gebärenden zu Grunde.
F. Blutung bei Inversio uteri. Ursachen der Umstülpung:
1. Zug an der Nabelschnur (alte Methode der Entfernung der gelösten
Placenta) bei noch adhärenter Placenta.
2. Ausübung des Crede'schen Handgriffes bei schlaffem Uterus.
*) Anm. Fehlen alle Verletzungen und ist der Uterus gut contrahirt, so ist als Quelle
der Blutung an ein angerissenes aneurysmatisches Gefäss zu denken. Therapie: Uterustam-
ponade.
BLUTUNGEN IN DER (JEBUKTSIUJ.FE. 135
3. Uebermässig starke Anwendung der Bauchpresse.
4. Sturzgeburten.
Symptome: Erscheinungen von Shock, starke Blutung, falls ein Theil
der Placenta bereits gelöst ist.
Diagnose: Tumor vor den äusseren Geschlechtsth eilen oder in der
Scheide, während der Uterus an seiner normalen Stelle fehlt.
Prognose: ist ohne schnelle Hilfe sehr schlecht.
Therapie: Reposition, dann manuelle Lösung der Placenta und (Jterus-
tamponade, um einem Recidiv vorzubeugen.
G. Blutungen in das perivaginale Gewebe. {Thrombus oder Hä-
matoma vaginae et vulvae.)
Aetiologie: Die Abwärtszerrung der Scheide durch den tiefer tretenden
Kopf führt zu Zerreissungen von Gefässen des perivaginalen Gewebes. Zunächst
tamponirt der Kopf, so dass sich das Blut erst nach der Geburt ansammeln
kann.
Symptome: Heftige Schmerzen in der Schamlippe oder Scheide, Anä-
mie in den schwersten Fällen.
Diagnose: An der Vulva sichtbarer, bläulicher oder in der Scheide
fühlbarer Tumor, der elastisch ist oder fluctuirt. Selten reicht derselbe bis
an die Seitenkante des Uterus und noch höher bis nach den Nieren hin
herauf.
Prognose: ist bei zweckmässiger Therapie günstig.
Therapie: Eisumschläge, feste Scheidentamponade durch einen mit Eis-
wasser gefüllten Kolpeurynter. Wächst die Geschwulst und droht zu platzen,
oder zeigen sich Erscheinungen bedenklicher Anämie, oder zögert später ihre
Resorption, oder tritt Vereiterung ein: dreiste Incision, Ausspülung mit Lysol,
Carbol- oder Salicylsäure, Jodoformgazetamponade. Erstreckt sich die Gesch^Milst
höher in die Bauchhöhle, so dürfte, wie das Leopold für die Hämatome bei
unvollkommener Uterusruptur empfohlen, bei Fortdauer der inneren Blutung
in einer Klinik die Laparotomie und die Aufsuchung der blutenden Gefässe
indicirt sein. Ist dies nicht möglich, so empfiehlt sich ein fester Druckver-
band aufs Abdomen und die Compression der Aorta.
Die Blutungen, welche erst im Verlauf des Wochenbettes eintreten, nennt
man Spätblutungen. Sie beruhen auf mangelhafter Retraction des Uterus,
auf Retention von Eiresten resp. Blutgerinnseln, die sich auf der Placentar-
stelle niederschlagen (Placentarpolyp), auf dem Vorhandensein von Neubildungen
(Uteruspolypen) oder fehlerhaften Lagen (Retroflexio uteri, Inversio uteri chro-
nica), auf der Ruptur aneurysmatischer Uterusgefässe. Die Behandlung
besteht in der Entfernung des abnormen Uterusinhalts, in der Reposition des
Uterus bei den Lageveränderungen und Einlegung eines Ringes bei Retro-
flexio, in der Bekämpfung der Atonie, resp. der Aneurysmablutung durch die
Tamponade des Uterovaginalcanals, falls Massage, heisse Uterusausspülungen
und Seeale erfolglos bleiben. Ueberdauert die Atonie das Wochenbett (chro-
nische Atonie nach Lomer), so ist die Anwendung des constanten Stromes
mit Einführung des positiven Pols in die Uterushöhle indicirt.
Behandlung der Folgezustände der Blutung, der Anämie.
Es kommt zunächst nur darauf an, die verloren gegangene Flüssigkeit zu ersetzen.
Dies geschieht am schnellsten durch eine Mastdarmeingiessungmit warmem Wasser
Das Wasser wird wie von einem Schwämme durch die Schleimhaut aufgesogen,
und der Puls hebt sich binnen wenigen Minuten. Das Verfahren versagt nach
der Beobachtung des Verfassers in einzelnen Fällen von Anämie seinen Dienst,
in welchen auch bei nicht ohnmächtigen Frauen der Sphincter ani vorüber-
gehend gelähmt ist. Hier nehme man eine subcutane Infusion mit 1 — 2 Lit.
einer 0-6"/oigen Kochsalzlösung vor (Münchmeyer-Leopold), zu deren Aus-
führung man nur eine grössere Canüle mit sich zu führen braucht, die in den
136 CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXUALORGANE.
Irrigatorschlaiicli passt, und einige Koclisalzpulver ä 6-0 g. Als Einstichstelle
wählt man die Haut zwischen den Schulterblättern.
Weitere Massnahmen: Sorge für gute Luft, Tieflagern des Kopfes, Ein-
wickelung und Hochlagerung der Extremitäten (Autotransfusion), Wärmeflaschen.
Darreichung von starkem Wein, Champagner, Branntwein, Rum, starkem Kaifee
(1 Loth auf die Tasse!) — Alles aber theelöffelweise, da bei Anämie Neigung
zum Erbrechen besteht. Bei diesem Vorgehen erweisen sich die sehr schmerz-
haften Aetherinjectiönen meist als überflüssig. dührssen.
Carcinom der weiblichen Sexualorgane. Folgende allgemeine
Bemerkungen seien als Einleitung der speciellen Abhandlung des Car-
cinoms der weiblichen Sexualorgane vorausgeschickt.
Unter Carcinom versteht man die Neubildung solider Epithelhaüfen
an fremdem Orte. Diese Definition legt den Nachdruck auf drei Punkte: 1. auf den
epithelialen Charakter der Hauptbestandtheile der Geschwulst, 2. auf das Vorhandensein
solider Epithelhaufen und 3. auf das Vorhandensein an fremdem Orte.
Zu 1. Im Folgenden ist stets die Anschauung Waldeyer's und Thiersch's zu Grunde
gelegt, dass Carcinom eine echte Epithelneubildung ist, also nur von Epithel abstammt,
während bekanntlich Virchow das Carcinom von Bindegewebe abstammen lässt. — Zu 2.
Durch das Kennzeichen ., solide (geschlossene) Epithelhaufen" unterscheidet sich das Car-
cinom von jenen epithelialen Neubildungen, welche stets den Drüsencharakter behalten, d. h.
ein Lumen besitzen. Von diesen kennen wir gut- und bösartige. Gutartige Drüsen-
neubildungen kommen an den weiblichen Genitalien als Polypen (Cervix, üterushöhle),
glanduläre Endometritis und Cysten (Ovarium, Parovarium) vor. Bösartige Drüsen-
Neubildungen bezeichnet man als Adenome (Uterus, Ovarium). Natürlich kommen bei Car-
cinomen, die von Drüsen abstammen, auch üebergangsbilder vor: hier die normale Drüse,
dort eine solche mit wucherndem Epithel, aber noch erlialtenem — wenn auch verengtem —
Lumen, und an wieder anderen Stellen endlich solide Epithelhaufen ; die letzteren bestim-
men die Diagnose, nur dürfen Tangentialschnitte von Drüsen nicht mit den soliden Epi-
thelnestern des Carcinoms verwechselt werden; hierin liegt zweifellos eine oft nicht geringe
diagnostische Schwierigkeit. Wenn man für das Carcinom an dem Merkmal „solide Epi-
thelhaufen'' festhält, erscheint die Bezeichnung als alveoläre Geschwulst misslich; denn
alveolär wird oft mit wabenartig übersetzt, und wabenartig ist das Carcinom eben ge-
rade nicht, da es (ausser bei schleimiger Degeneration, s. u.) keine centralen Hohlräume
in den Zellnestern besitzt. — Zu 3. Das dritte Merkmal : „Vorhandensein an fremdem Orte,"
ist zugleich das Kennzeichen der Bösartigkeit (Malignität); denn es zeigt, dass die Neubil-
dung in fremdes Gewebe eingebrochen ist oder dass Theile (Zellen oder Keime) an entfern-
tere Stellen verschleppt worden sind (Bildung von Metastasen). Durch das Vorhandensein
der Epithelhaufen an fremdem Orte unterscheidet sich das Carcinom von der Pachydermie,
den spitzen und breiten Condylomen u. s. w. Es ist diagnostisch ganz besonders wichtig,
bei Stückchen, welche zur Probe excidirt wurden, stets die Basis zu untersuchen ; denn es
kann unmöglich sein, aus einer oberflächlichen Partie zu erkennen, ob es sich um eine gut-
oder bösartige Neubildung handelt.
Definirt man mit Waldeyer das Carcinom als atypische epitheliale Neubil-
dung, so grenzt man es damit treffend von den typischen epithelialen Neubildungen,
den Adenomen ab.
Histologische Abstammung. Dem Ursprünge nach kann sich Carcinom a) aus
Pflaster -Epithel entwickeln; man nennt es dann auch Cancroid (über die Bezeich-
nung s. u.) oder seiner eigenthümlichen äusseren Form halber Blumenkohlgewächs
(cauliflower-cancer) ; an den weiblichen Genitalien kann sich diese Form aus dem Pflaster-
Epithel der Vulva, Vagina und Portio entwickeln; hierher gehört auch jene interessante
Fonn, welche einige Male nach Umwandlung des Cylinderepithels in Pflaster- Epithel in der
Uterus höhle beobachtet wurde; es kann ferner abstammen Z>) vom Cylinder-Epithel
einer Schleimhautoberfläche, Cylinderepithel-Krebs; man muss sich aber stets daran
erinnern, dass diese Bezeichnung nur sagt, dass die Neubildung vom Cylinder-Epithel aus-
gegangen ist, nicht aber, dass sie aus Cylinder-Epithel besteht; denn in solchen Carcinomen
werden die ursprünglich cylindrischen Zellen im Innern der Epithelnester polygonal; Car-
cinom kann c) vom Drüsen-Epithel abstammen, Drüsen -Carcinom; aber auch hier be-
zeichnet der Name nur die Abstammung, nicht den Bau, denn wir nennen eine bösartige
Neubildung, welche den Drüsencharakter behält, eben nicht Carcinom, sondern Adenom.
Allgememe Diagnose. *) Man hat früher nach einer typischen Carcinomzelle gesucht.
Eine solche gibt es nicht; es wäre allerdings denkbar, dass man nach Auffindung des hypo-
*) Es ist nöthig. diese allgemeinen Bemerkungen vorauszuschicken, denn nicht alle
Autoren sind in diesen Definitionen einig. Manche nennen z. B. auch bösartige Neubil-
CARCINOM DER WEIBLICHEN .SEXUALOROANE. 137
thetischen Carcinom-Erregers (s. u.) in diesem ein diagnostisches Merkmal gewänne. Zur
Zeit entfcheidet aber nicht die einzelne Zelle, sondern das Nebeneinander der Zellen
die Diagnose. Bei mikroskopischer Untersuchung wird man deslialb darcli Zupfpräparate
viel schwerer Aufschluss über die Natur der Neubildung erhalten, als durch Scimitte, welche
einen Ueberblick gestatten und besonders die Basis des Tumors mit enthalten; ohne diese
topographische Uebersicht ist die Diagnose oft einfacli unmöglich. Das muss betont werden,
da dem Mikroskopiker gelegentlich Stückchen übergeben werden, an welchen die von einigen
Untersuchern mit Unrecht geschmähte „Stückchen-Diagnose" allerdings zu Schanden
werden kann.
Benennung. 6 xctp-zivo?, Cancer = der Krebs. Zur Abstammung dieses Namens ist
eine von Billroth citirte Stelle aus dem classischen Werke von I^orenz Heister (3. Aufl.,
1731, Seite 220) bemerkenswerth; es heisst dort, ein Scirrhus k()nne bösartig werden „in
welchem Stande man es anfängt Krebs oder Carcinoma, auch Cancer zu nennen, wobey
offt die dabei liegenden Adern dicke aufschwellen, und sich gleichsam wie die Füsse eines
Krebses ausdehnen (welches aber doch nicht bei allen geschiehet), als wovon dieser Affect
seinen Namen bekommen hat." Ueber die Bezeichnung Cancroid sagt Billrotii folgen-
des: .,Krebsälinliche Geschwülste; man wählte diesen Namen früher, weil man diese Haut-
krebse nicht für so bösartig hielt, wie diejenigen Krebsformen, welche man in den Brust-
drüsen beobachtete, welche fast allein als Typus echter Krebse galten."
Aetiologie. Die Versuche, den Erreger des Carcinoms in gewissen Bacterien zu
finden (Scheurlen), gelten jetzt wohl endgiltig als gescheitert. Zahlreiche Stimmen, die sich
von Tag zu Tag mehren, werden aber für eine Entstehung des Carcinoms durch Einwir-
kung niedrigster thierischer Lebewesen, durch Protozoen, laut. Man findet thatsächlich
bei Carcinomen Zeil-Einschlüsse, welche sich morphologisch vollkommen analog jenen Pro-
tozoen verhalten, wie sie bei gewissen Infectionskrankheiten von Thieren schon seit längerem
bekannt sind, z. B. bei Psorospermose der Kaninchenleber u. Ae. Vor allem haben sich
L. Pfeiffer in Weimar um das Studium dieser Parasiten und auch besonders der ihnen so
weitgehend gleichenden Zelleinschlüsse bei Carcinom, Schuberg und Andere um die Er-
forschung der in Thieren vorkommenden pathogenen und nichtpathogenen Protozoen
grosse Verdienste erworben. Der exacte Nachweis, dass diese Zelleinschlüsse Protozoen und
diese wiederum die Erreger des Carcinoms sind, steht aber noch aus.
Von den übrigen Theorien über Entstehung der Ki'ebsgeschwülste seien kurz
folgende erwähnt:
1. Cohnheim's Theorie: „Angeborene Geschwulstkeime wachsen, durch einen Reiz
getroffen." Für das Carcinom ist die Theorie später von Cohnheim selbst verlassen worden.
2. Thiersch's Theorie: Krebs entsteht durch verändertes Gleichgewichtim Wachs-
thum von Bindegewebe und Epithel, bedingt durch senile Veränderung des Bindegewebes;
das productionsfähig bleibende Epithel wuchert in das letztere hinein.
3. Klees' Theorie: Sie ist ähnlich der von Thiersch, nur lässt Klebs die Störung
des Gleichgewichts dadurch entstehen, dass die Blutgefässe sich dem Epithel nahe anlagern,
wodurch dieses besser ernährt wird und übermässig wuchert.
4. Theorie der chemischen oder mechanischen Reizung: Krebs der Pa-
raffin-Arbeiter, Hodenkrebs der Schornsteinfeger in Folge des engen Anliegens der Hose;
Unterlippenkrebs bei Pfeifenrauchern ; Krebs auf dem Boden von Bein- und Magengeschwüren,
im Bereich des Mal perforant, bei Seborrhoe des Gesichts. — Diesen Momenten kommt
wohl eine unterstützende Wirkung zu.
5. Billroth's Theorie: Krebs beruht auf einer Diathese.
6. Hansemann führt die Wucherung der Epithelien auf eine eigenthümliche Unregel-
mässigkeit der Kerntheilung zurück.
Dazu kommen als 7. und 8. Theorie die von der bacteriellen und von der proto-
zoistischen Natur der hypothetischen Erreger.
Dass Carcinom aber infectiös ist, dafür spricht eine grosse Reihe klinischer
Beobachtungen: Bei Carcinom der Unterlippe kann sich Carcinom an der entsprechenden
Stelle der Oberlippe entwickeln; nach Amputation einer carcinomatösen Mamma und nach-
folgender Drainage entwickelte sich im Drainagecanal Carcinom; nach Function eines Ascites
bei Carcinom des Bauchfells wurde der Stichcanal carcinomatös ; Carcinome der Bauchorgane
können durch ,, Aussaat" (so auch bei Platzen von Ovarialcarcinomen) das ganze Perito-
neum carcinös inficiren; hieher gehören auch die Recidive in Nadelstichnarben nach Ab-
tragung von Carcinomen, in der Operationsnarbe nach. Exstirpation von Uterus-Krebs etc.
Experimentell ist Krebs von einem Thier auf das andere übertragen worden. (B. v. Lakgen-
beck 1840, Follin, Lebert u. A.); Hanau hat mit Stücken vom Virlva-Carcinom einer
Ratte Krebs am Scrotum anderer Ratten erzeugt. Wehr mit Stücken von Vorhaut- und
Scheiden-Krebs von Hunden Carcinom bei anderen Hunden (in einem Falle mit tödtlichem
Ausgang) hervorgerufen. — Vom inoperablen Mamma-Carcinom einer Frau wurde mit deren
düngen mit Drnsencharakter, Carcinom, während diese im Folgenden als Adenom bezeich-
net sind. Andere unterscheiden gutartige Adenome (hier als Polypen u. s. w. bezeichnet)
von den bösartigen; im nachstehenden ist unter Adenom stets eine maligne Neubildung
verstanden.
138 jC'ARCINOM der weiblichen SEXUALORGANE.
Einwilligung ein Stückchen am Oberarm implantirt und Carcinom erzeugt, das sich ver-
grösserte. Dieser letzte Fall hat durch den Uebereifer eines jungen Juristen in Tagesblätter
Eingang gefunden und seiner Zeit weite Kreise in Erregung versetzt. — Allerdings stellen
die genannten Versuche keine wahre Infection im bacteriologischen Sinne dar.
Eiiitlieihing. Schon erwähnt wurde oben, dass die Carcinome je nach der histo-
logischen Abstammung in Pflasterepithelkrebs (Cancroid, malignes Epitheliom), Cylinder-
Epithelkrebs und Drüsenkrebs eingetheilt werden können. Einige andere Bezeichnungen
(Scirrhus, Markschwamm etc.) beziehen sich nicht auf die Abstammung, sondern «) auf
das Verhalten zum Bindegewebe und b) auf gewisse Degenerations-Erschei-
nungen.
a) Verhalten des Carcinoms zum Bindegewebe. Spärliche Bindegewebszüge,
überwiegende Entwicklung von Epithelhaufen geben der Geschwulst ein markiges Aussehen,
weiche Beschaffenheit: Markschwamm, Carcinoma medulläre (z. B. an der Portio,
an den Ovarien). Von der Schnittfläche lässt sich ein milchiger Saft, „Krebsmilch", ab-
streichen; er besteht aus Epithelien, deren Zerfallsproducten und Serum.
Bei reichlichem Bindegewebe U-ud spärlichen Epithelhaufen erscheint die Geschwulst,
derb, sie kann beim Anschneiden knirscheii: Carcinoma fibrosum s. scirrhosum
Scirrhus (a-/tppd; = hart). Diese Form findet sich u. A. am Cervix. Unter infiltrirtem
Carcinom (ebenfalls am Cervix und am Ovarium vorkommend), versteht man eine innige
Durchsetzung des Bindegewebes nnit schmalen Epithelzügen; an dicken Schnitten kann es
mikroskopisch schwer sein, Epithelzüge und Bindegewebe getrennt zuerkennen; Rüge und
Veit haben sich dadurch zur Annahme einer bindegewebigen Abstammung dieser Epithel-
neubildungen bestimmen lassen.
h) Degenerations- Erscheinungen an Carcinomen. Die Epithelhaufen können
schleimig oder gallertig degeneriren; dieser Vorgang beginnt meist im Innern der Epi-
thelnester: Carcinoma gelatinosum s. colloides (^besonders am Ovarium nicht
selten) ; auch das Bindegewebe kann sich primär und secundär in Schleimgewebe umwandeln :
Carcinoma myxomato des. Degeneriren die Epithelhaufen nur im Centrum gallertig, so
erscheinen sie wie mit Hohlräumen versehen, welche ein Lumen, bez. Cylinderform der
Epithelnester vortäuschen; Cylindroma car cinomatodes.
Krebs -Cachexie. *) Eine specifische Krebscachexie gibt es nicht. „Ein Krebskranker
wird endlich marantisch, wie jeder andere Mensch, der an einer schweren Störung in der
Function wichtiger Organe leidet und welcher aus zerfallenden Gewebspartikeln Zersetzungs-
stoffe in sich aufnimmt" (Billroth). Die Krebscachexie hat in der Hauptsache zwei Ur-
sachen: Säfteverlust und Intoxication durch Aufnahme giftiger Zerfallsproducte, die auch
Stoffwechselproducte der hypothetischen Erreger sein können. Die Giftigkeit von Carcinom-
Massen ist auch im Thierversuch festgestellt worden : wässrige Extracte aus frisch exstirpii-ten,
nicht jauchenden Carcinomen erwiesen sich als toxisch. Es ist sehr wahrscheinlich, dasS'
diese Stoffwechselproducte es sind, welche gelegentlich bei carcinomatösen Ovarialtumoren
durch chemische Reizung Adhäsionen mit Nachbarorganen veranlassen; so dürfte wohl
auch bei Stieldrehung gutartiger Eierstocksgeschwülste die Ursache des Fiebers und der
Adhäsions-Bildung in der Entwicklung toxischer Producte der regressiven Gewebsmeta-
morphose zu suchen sein. Die Symptome der Krebscachexie sind: wachsgelbe bis bräun-
liche Färbung der Haut, Abmagerung, Appetitmangel, Abneigung gegen Fleischgenuss,
eiweissh altiger Urin, Störungen des Intellects, Apathie u. s. w.
Heredität. Es ist mehr als fraglich, ob Carcinom erblich ist. Die Fälle, in welchen
z. B. Mutter und Tochter an Gebärmutterkrebs leiden, beweisen nichts; denn bei der Häu-
figkeit dieses Leidens ist es nicht anders zu erwarten, als dass ein solches Zusammentreffen
vorkommt. Im Volke ist die Angst vor Erblichkeit des Krebses gross; man wird die ge-
ängstigte Tochter, deren Mutter an Carcinom leidet, mit vollem Rechte beruhigen können.
Alter. Carcinom findet man am häufigsten bei Erwachsenen, selten sind Fälle unter
20 und über 70 Jahren, wenngleich für beides Beobachtungen vorliegen. Scheiden-Carcinom
soll an einem 14-monatlichen Mädchen operirt worden sein; Portiokrebs ist mehrfach bei
Mädchen und Frauen im Alter von 20 Jahren gesehen worden; umgekehrt kommt z. B.
Vulva-Krebs bei Frauen zwischen 70 und 80 Jahren vor.
Prophylaxe. Es sind mehrfach Fälle beobachtet worden, in welchen sich Carcinom
auf dem Boden von Psoriasis vulvae, von Scheidengeschwüren, die durch Pessare erzeugt
wurden, und von Erosionen der Portio entwickelten. Man wird deshalb die Psoriasis ener-
gisch behandeln, die Frauen, welche Pessare tragen, nachdrücklich anweisen, sich einer
ärztlichen Ueberwachung zu unterziehen und der Arzt wird mindestens alle 2—3 Monate
die Pessare entfernen, um die Scheide zu untersuchen; Erosionen bedürfen auch aus diesem
Grunde der Behandlung ; bei hartnäcldgem Bestehen wird man die Portio-Lippen am besten
excidiren. Verdächtige Ulcerationen und Wucherungen der Vulva, Scheide und Portio
wird man nach Probe-Excision kleiner Stückchen, welche dem Rand und der Basis der betref-
fenden Stelle entnommen sind, mikroskopisch untersuchen; zu demselben Zwecke wird man
aus Cervix und Uteruskörper mit der Curette kleine Partikel herausholen. Undurchführbar
*) Vergl, „Cachexie"' (F. Kraus) : Interne Medicin und Kinderkrankheiten, Bd. I., pag. 238.
CAECINOM DER WEIBLICHEN SEXÜALORGANE. 139
ist der Vorschlag, alle Frauen zwangsweise in gewissen Zeiträumen ärztlich zu untersuchen ;
aber unbedingt erforderlich ist eine peinliche Selhstüberwacliung der Frauen und das Be-
fragen eines Arztes beim Auftreten verdächtiger Symptome, wie Fluor, linregelmässige Blu-
tungen u. s. w. Leider besteht gerade hierin eine oft verhängnisvolle Indolenz der Frauen-
welt, Dass eine gründliche Ausbildung der Aerzto in der Untersuchung der weiblichen
Genitalien nothwendig ist, bedarf nicht des Nachweises. Jn schwierigen Fällen und beson-
ders dann, wenn eine mikroskopische Untersuchung die Diagnose sichern soll, ist die Be-
fragung eines Facharztes oder die Ueberweisung der Kranken an eine Frauenklinik gewiss
nicht ein Zeichen mangelhaften Könnens des zuerst befragten Arztes, sondern vielmehr der
Ausdruck strenger Gewissenhaftigkeit; und gerade diese weiss der Laie wohl stets zu
schätzen.
Allgemeine Thei'apie. Das einzige Mittel, welches eine endgiltige Heilung ermöglicht,
ist zur Zeit die operative Entfernung der Geschwulst. Diese muss thunlichst früh ausge-
führt werden, so lange die Nachbargewebe noch nicht erkrankt und noch keine Metastasen
vorhanden sind. Die Entscheidung, ob dieser Zeitpunkt nicht schon eingetreten ist, kann
im Einzelfalle schwierig sein; man wird sich in unsicheren Fällen aber lieber zur Operation
entschliessen, da sie die einzige und letzte Hoffnung auf Lebensrettung bietet; und gerade
Uterus-Carcinome können, wenn sie nach der Operation doch recidiviren, unter viel weniger
schweren Symptomen zu dem unaufhaltsamen traurigen Ende führen, als die primäre Er-
krankung selbst. Man spricht von operablen und inoperablen Carcinomen; das ist
nicht ganz zutreffend, denn auch solche Geschwülste, die nicht mehr radical entfernt werden
können, erfordern doch manchmal operative Eingriffe, wie Excochleation, Verschorfung mit
dem Glüheisen u. s. w. Man hat also unter operablen Carcinomen solche zu verstehen, bei
welchen eine radicale Entfernung des Tumors für möglich gehalten wird, unter inope-
rablen solche, bei welchen dies nicht mehr der Fall ist. — Es ist ein Gebot der Menschlichkeit,
die Diagnose inoperablen Kranken nicht mitzutheilen, wenn man sie auch den Angehörigen
sagt. Mit Ausdrücken wie „Geschwulst, verdächtige Neubildung" wird man ausweichen,
ohne sein Gewissen zu belasten; die Mehrzahl der Kranken ahnt ja ohnedies die Art der
Erkrankimg. Nur wenn sich operable Kranke weigern, einen vielleicht lebensrettenden
Eingriff machen zu lassen, dürfte man versuchen, durch Mittheilung der Diagnose sie dazu
zu veranlassen.
I. Carcinom der Vulva.
Nach HiLDEBRAXDT, welcher jedoch zum Krebs auch die Sarkome rechnet,
kommt auf 35 — 40 Fälle von Krebs der Gebärmutter ein Fall von Vulva-
Carcinom. Da aber Sarkome der Vulva sehr selten sind, dürfte diese Zahl
eher zu niedrig gegriffen sein. Gurlt fand unter 7479 krebskranken Frauen
72 Fälle von Vulva-Carcinom, also circa 1%.
Pathologische Anatomie. An der Vulva kommt Carcinom in zwei
Formen vor: als Cancroid und als Drüsen-Carcinom (von den BARTHOLiN'scheu
oder von Schweissdrüsen ausgehend); die letztere Form ist seltener als das
Cancroid. Ein makroskopischer Unterschied scheint nicht festgestellt zu sein.
Die Neubildung beginnt mit rundlichen, die Haut überragenden, massig harten
Knötchen, deren Oberfläche sehr bald geschwürig zerfällt. Durch Vergrösserung
und Zusammenfliessen mehrerer Herde kann es zur Bildung gi'osser, unregel-
mässig höckeriger, über das Niveau der Haut breit hervorragender Ge-
schwürsflächen mit jauchendem, schmutzig braunrothem bis schmierig grau-
gelbem Grunde kommen, während die Ränder stellenweise übergeworfen, meist
sehr derb sind. Die Neubildung kann alle Theile der Vulva zerstören, auf
die Urethra, seltener auf die Scheide, häufig auf den Mons Veneris, ja selbst
auf die Innenseite der Oberschenkel und auf den Damm übergreifen. Die In-
guinaldrüsen pflegen sehr früh anzuschwellen.
Die Diagnose ist in den Anfangsstadien durchaus nicht immer leicht:
am schwierigsten ist die Unterscheidung von breiten Condylomen und lue-
tischen Geschwüren. Die Knötchenbildung und die später umgeworfenen
Ränder sprechen für Carcinom, das gleichzeitige Auftreten von Syphiliden für
Lues. Landerer gibt an, dass bei luetischen Geschwüren die I'mgebung mehr
bräunlichroth, bei Krebs bläulich cyanotisch ist; „beim syphilitischen Ge-
schwür ist die Umgebung nur wenig infiltrirt und so gut wie nicht gewulstet,
auch der Grund im ganzen weich; beim Krebs harte, gewulstete Ränder."
140 CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXUALORGANE.
Bei der liolien Wichtigkeit der Diagnose wird man im Zweifelsfalle
Stückchen aus dem Rande ziemlich tief ausschneiden, um besonders auch die
Basis der Neubildung mitzuerhalten, und dann mikroskopisch untersuchen.
Kur die Basis wird die Entscheidung bringen; denn sowohl bei Cancroid als
bei breiten Condylomen findet man ein regelloses Sichdurchwachsen von Epi-
thelzügen und stark kleinzellig infiltrirteniBindegewebe. Beim breiten Condylom
reichen aber die Epithelzüge nicht unter die Basis des Tumors, sie dringen
nicht in fremdes Gewebe ein, was gerade beim Cancroid kennzeichnend ist. —
Auch Sarkome sind schwer vom Carcinom zu unterscheiden und es bedarf
gelegentlich der mikroskopischen Untersuchung. Lupus der Vulva hat sowohl
mit luetischen Processen als mit beginnendem Carcinom Aehnlichkeit. Die
hypertrophische Form des Lupus soll „glatte, zuweilen hellrothe Tumoren von
Erbsen- bis Taubeneigrösse und darüber bilden, einzelne derselben ulceriren
oberflächlich und secerniren" (Winckel). Vom Carcinom unterscheidet sich
der Lupus vulvae durch „den langsamen Verlauf der Geschwürsbildung mit
nachfolgender Hypertrophie und das Fehlen einer deutlich ausgesprochenen
Drüsenschwellung" (Pozzi). Beim Lupus perforans sind die befallenen Theile
geschwollener und derber, mit flachen Indurationen versehen, stellenweise öde-
matös und von ulcerirten Stellen aus kommt es zu Perforationen der Labien,
des Dammes, in die Urethra u. s. w. Gerade diese Form dürfte makroskopisch
leicht mit Carcinom verwechselt werden. Auch die Forderung, bei Lupus
mikroskopisch Tuberkel-Bacillen nachzuweisen, ist nicht immer leicht zu er-
füllen, wie auch der fehlende Nachweis nicht mit Sicherheit gegen Lupus
spricht. Wichtig und entscheidend wird dann das Verhalten des Epithels an
mikroskopischen Schnitten sein.
Symptome und Verlauf. Die ersten Symptome pflegen in einem oft
hochgradigen und dann qualvollen Juckreiz zu bestehen und zwar auch dann,
wenn die Carcinom-Entwicklung nicht auf dem Boden eines Pruritus vulvae
stattfindet. Nach Eintritt des geschwürigen Zerfalls zeigt sich Anfangs serös-
blutige, bald aber jauchige Secretion, welche die Umgebung röthet und aus-
gedehnte Eczeme hervorruft. Dieses Symptom ist viel lästiger als die meist
geringen Schmerzen, welche der Tumor selbst erzeugt; schmerzhaft kann die
Urinentleerung durch die unvermeidliche Benetzung der Geschwürsflächen
werden. Stärkere Blutungen sind selten. Der Introitus vaginae und die
Urethral-Mündung erfahren eine starke A^erengerung, das Uriniren wird er-
schwert; Cachexie und Metastasen, die schliesslich zum Tode führen, treten
ziemlich spät auf (abgesehen von der meist frühen Infection der Leisten-
drüsen), so dass die ganze Krankheit sich über Jahre erstrecken kann.
Prognose. Die Prognose ist im allgemeinen schlecht, da man einer-
seits selten ganz frühe Stadien zur Behandlung bekommt, und andererseits
selbst bei früher Exstirpation des Tumors und der Leistendrüsen Recidive sehr
häufig sind.
Therapie. Die Behandlung bietet nur bei frühzeitiger gänzlicher Ent-
fernung des Tumors und der inficirten Leistendrüsen Aussicht auf Erfolg. Man
muss breit im Gesunden und in der Tiefe umschneiden, am besten schritt-
weise mit dem Messer, indem man alle spritzenden Gefässe sofort unterbindet;
es kann nöthig werden, die Urethra bis zum Blasenhals hinauf mit zu exci-
diren; dann muss die Urethralschleimhaut durch Nähte mit der umgebenden
Scheiden- und Aussenhaut vereinigt werden. Nach gänzlicher Abtragung des
Tumors schliesst man die Wunde durch Naht; bei grossen Defecten legt man
zuerst eine fortlaufende, versenkte Catgutnaht an (einfach oder in Etagen) und
vereinigt die Hautränder mit Catgut oder Seide; im Nothfalle legt man in
der Nähe Entspannungsschnitte an. In einem Falle fand sich mitten im Car-
cinom ein Abscess, welcher die frische Wunde während der Exstirpation
inficirte und es nöthig machte, die Nähte am Tage nach der Operation wieder
CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXÜALORGANE. 141
ZU entfernen. Secundär-Naht brachte später Heilung' per priinam. Ijoi in-
operablen Fällen ist eine Bespülung der Gesdiwürstiädie mit dosinficirenden
Lösungen, oder Bestäuben mit Trocken- Antisepticis fDermatol, .Salicylsäure,
Borsäure) angebracht; gegen das Eczem bestreicht man die Nachbarschaft mit
Borvaseline. Bei starker Jauchung kann man die Geschwürsfläche mit dem
Ferrum candens verschorfen. Die Behandlung wird im üljrigen auf P^rlialtun^
der Kräfte durch entsprechende Nahrung, Alkohol u. s. w., sowie auf .Schmerz-
stillung (warme Umschläge und Sitzbäder, Opium, Morphium) gerichtet sein.
Eines Versuches werth dürften Injectionen von absolutem Alkohol sein,
wie sie für das Carcinom der Portio und des Cervix fs. u.) mit einigem Er-
folg ausgeführt worden sind.
IL Carcinom der Scheide.
Primäres Carcinom der Scheide ist selten; Martin fand es unter etwa
5000 Patientinnen nur 4Mal, also bei nicht ganz P/oo der Kranken. Ziemlich
häufig ist secundärer Scheidenkrebs, besonders bei primärem Portio-Carcinom.
Auifallend oft kommt Scheidenkrebs in jugendlichem Alter vor (Winckel
citirt einen Fall von T. Smith, der diese Neubildung bei einem 14-monat-
lichen, und einen solchen von Guersant, der sie bei einem 3 V2 -jährigen Kinde
fand), wenngleich Carcinom der Vagina vorwiegend bei Frauen im mittleren
Lebensalter auftritt.
Pathologische Anatomie. Da die Scheide eine Uebergangshaut mit
mehrschichtigem Pflaster-Epithel und ohne Drüsen ist, kann es nur eine Form von
primärem Scheidenkrebs geben: den Pflaster-Epithelkrebs (Cancroid). Man
unterscheidet davon auf Grund der Ausbreitung zwei Arten: das papilläre und
das infiltrirte Scheidencarcinom. Das papilläre Carcinom bildet umschriebene
Geschwülste, meist von einem Scheidengewölbe, manchmal von einem Geschwür
ausgehend, welches dort durch ein Pessar erzeugt wurde. An der Oberfläche
zerfällt es meist bald, während die Bänder wie bei anderen Cancroiden stellen-
Aveise umgeworfen und meist sehr derb sind. Das infiltrirte Carcinom bleibt
flacher, ergreift die Scheide allmälig in so grosser Ausdehnung, dass diese
zu einem starrwandigen Rohr umgewandelt wird und bildet oberfläclilich eben-
falls ausgedehnte Ulcerationen, „so dass die Schleimhaut wie geschunden aus-
sieht" (Schroeder). Urethra, Blase und Rectum können secundär erkranken
und es kommen dadurch Fistelbildungen in diese Organe hinein zu Stande;
meist wird auch bald die Portio ergriffen oder die Neubildung localisirt sich
hauptsächlich auf die Urethralgegend: periurethrales Scheidencar-
cinom.
Symptome und Verlauf. Die Symptome sind jenen des Portio-
Cancroids ähnlich: Anfangs blutigseröser, später blutiger und jauchender Aus-
fluss, Schmerzen im Kreuz und den Genitalien, bei Erkrankung des periure-
thralen und periproctalen Gewebes Compressions-Erscheinungen ; auch die Ure-
teren können comprimirt werden und dadurch Stauungen in den Harnleitern und
Nierenbecken mit ihren Folgen auftreten. Meist schreitet die Erkrankung sehr
rasch vorwärts; auch die retroperitonealen Lymphdi'üsen erkranken carcinomatös;
die Kranken verfallen und können toxisch oder an Metastasen zu Grunde
gehen.
Für die Diagnose gilt das beim Vulva- Carcinom Gesagte.
Die Prognose ist schlecht, Recidive sind auch nach anscheinend fi'üh-
zeitigen Operationen häufig, jedoch sind Radicalheilungen beschrieben worden.
Therapie. Natürlich ist thunlichst frühzeitige Entfernung der Ge-
schwulst mit Messer und Scheere nöthig. Am besten ist es, den Tumor zu
umschneiden und dann stumpfe Ablösung von der Unterlage zu versuchen.
Man wird sich aber auch vor unbeabsichtigter oder absichtlicher Verletzung
des Douglas-Peritoneum, der Urethra und des Rectum nicht zu scheuen
142 CARCINOM DER ^YEIBLICHEM SEXUALORGANE.
braiiclien. Schröder hat bei infiltrirtem Carcinom die ganze Scheide mit
der Portio, einem Handschuhiinger ähnlich, exstirpirt; Rüter hat nach Ab-
tragung eines Theiles der vorderen Scheidenwand den Hautsaum an die vor-
her angefrischte Vaginalportion angenäht; v. Eiselsberg entfernte die ergrif-
fene Rectovaginalwand, legte einen künstlichen After in der Kreuzbeingegend
an und nähte, nach Herabziehung des Uterus die Vaginalportion nach aussen
an die Hautoberfläche; das Menstrualblut hatte so freien Abfluss nach aussen.
Nach Abtragung des Tumors vernäht man die Wundfläche. Bei inoperablen
Fällen kann man die Jauchung und Blutung durch Auskratzen mit scharfem
LöÖel und Verschorfung mit dem Glüheisen bekämpfen. Selbst Recidive nach
Exstirpationen sind wiederholt sorgfältig abpräparirt und so der traurige Aus-
gang verzögert, das subjective Befinden für einige Zeit gebessert worden.
Ausspülungen mit desinficirenden Lösungen, Ausstopfung mit Jodoformgaze
bei parenchymatöser Blutung sind nützliche Nothbehelfe. Im übrigen ist
natürlich symptomatische Behandlung nöthig. Ob ein Fall operabel oder
inoperabel ist, wird man hauptsächlich nach der fehlenden oder schon ein-
getretenen Infection der retroperitonealen Lymphdrüsen und des Beckenbinde-
gewebes entscheiden. Die Erkrankung von Nachbarorganen ist kein Grund
gegen den Versuch einer Radical-Operation.
Bei Schwangeren und Kreissenden soll man die Geschwulst exci-
diren; die Geburt kann entweder auf normalem Wege erfolgen oder es muss
der Kaiserschnitt ausgeführt werden; dieser kann auch bei inoperablen Fällen
nöthig sein. Da gerade in der Schwangerschaft das Carcinom reissende Fort-
schritte macht, ist es besser, bei operablen Fällen sofort die Excision zu
machen und nicht erst bis nach der Geburt zu warten.
ni. Uteriis-Carcinom.
Carcinom befällt die Frauen am häufigsten in der Form des Gebärmutter-
krebses: ein Drittel aller an Carcinom gestorbenen Frauen litt an Uteruskrebs.
Verheiratete und solche, die geboren haben, sind dieser Erkrankung mehr
ausgesetzt, als Virgines; jedoch auch letztere bleiben nicht von ihr verschont.
Beide Thatsachen sprechen eher für als gegen die Theorie einer infectiösen
Entstehung des Carcinoms: Das Geschlechtsleben — Cohabitation, Geburt,
Wochenbett, Masturbation — erleichtert das Hineingelangen von infectiösem
Material und schafft durch die gleichzeitigen Insulte Orte von geringerer Wider-
standskraft. Der Geschlechtsgenuss erzeugt nicht Carcimon, aber
er bereitet den Boden für dessen Entwicklung vor. Aehnliches ist
an anderen Körper-Ostien, wie an Mund, Pylorus, Rectum und an solchen
Stellen der Fall, welche Insulten öfter ausgesetzt sind: Gesicht, Mamma. —
Die Frauen der Weissen erkranken häufiger an Carcinom, als die Frauen
farbiger Racen. — Schröder fand bei seinen Kranken öfter Carcinom an Frauen
der schwer arbeitenden, als der begüterten Kreise. — Dem Alter nach werden
am häufigsten Frauen zwischen 35 und 55 Jahren von Gebärmutterkrebs be-
fallen; man hat auch schon Mädchen von 17 und 19 Jahren (Schauta und
E. Fränkel), andererseits Frauen über 80 Jahren mit Uterus-Carcinom
beobachtet. — Praktisch wichtig ist es, dass man auf dem Boden von Cervix-
katarrh mehrfach Carcinom entstehen sah.
Pathologische Anatomie. Rüge und Veit unterscheiden 3 Formen des
Gebärmutterkrebses: a) Portio-, b) Cervix-, c) Corpus-Carcinom.
a) Portio-Carcinom.
Die normale Portio besitzt ebenso wie die Scheide mehrschichtiges Pflaster-
Epithel, aber keine Drüsen. Primäres Portio-Carcinom wird deshalb nur in
der Form des Pflasterepithelkrebses, des Cancroids auftreten können.
Secundär kann vom Cervix aber Drüsenkrebs (Cylinder-Epithelcarcinom) auf die
.CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXUALOROANE. 148
Portio übergreifen. Ist das Pflaster-Epitliel durch (Jylinder-Ej)it]iol verdrängt — •
eine Epithel-Metaplasie, die man an der Tortio l)ekaniitli(;li als p]rosion be-
zeichnet — so kann sich auf diesem ]>oden natürlich auch (.'yiiiidei-Ejjitliel-
carcinom bilden; der Ausgangspunkt ist aber auch in diesem Falle doch der
Cervix, beziehungsweise die Erkrankung der Cervix-Schleimhaut. Ob ein
Carcinom vom Portio-Epithel oder der Cervix-Mucosa ausgeht, lässt sich meist
an excidirten Piandstücken unterscheiden: im ersten Falle die Verbreiterung
des Pflaster-Epithels, welches im Berei(;h der Neubildung tief in das infiltrirte
basale Bindegewebe hinein Epithelzüge und -Zapfen sendet; im letzteren Falle
das Fehlen dieser Wucherung, dagegen das Wuchern der iJrüsen-Epithelien
bis zum völligen A^erschluss des Lumens. Ein ganz eigenartiges Bild sieht
man gelegentlich bei Cervix-Carcinom: auf die carcinomatöse Drüsen-Ent-
artung antwortet das nahe darüber hinziehende Pflaster-Epithel der Portio durch
Bildung von massig tief eindringenden Epithelzügen, welche also ganz dem
Bilde des Cancroids entsprechen und die sich stellenweise sogar breit um die
erkrankten Drüsen herumlegen.'"")
Die Entscheidung, ob Portio- oder Cervix-Carcinom vorliegt, hat nicht nur
theoretischen, sondern auch weitgehend praktischen Werth : Die Anhänger der
sogenannten partiellen Operationen werden ein Portio-Cancroid im geeigneten
Falle nur durch hohe Abtragung des Cervix, ein Cervix-Carcinom aber wohl
stets durch Total-Exstirpation des Uterus zu heilen suchen (s. u. Therapie).
In vorgeschrittenen Fällen und besonders bei Ulceration der Ptandstellen kann
es aber schwer oder unmöglich sein, zu entscheiden, ob die Erkrankung primär
die Portio oder den Cervix ergriffen hat.
Entgegen der Anschauung von Rüge und Veit ist im Folgenden stets
die Anschauung festgehalten, dass Carcinom der Portio, des Cervix und des
Corpus nur von Epithelien, nicht vom Bindegewebe abstammt.
An dieser Stelle mag auch gleich die von Abel und Landau vertretene und von
Waldeyer gestützte Ansicht erwähnt werden, dass bei Portio-Carcinom oft eine sarkomatöse
Entartung der Schleimhaut des Uterus-Körpers (in 7 Fällen dreimal) vorkomme. Dem ist
von mehreren Seiten schon nachdrücklich und auf Grund genauer Untersuchungen wider-
sprochen worden. Die von Abel und Landau beschriebenen Veränderungen der Corpus-Mucosa
sind nichts, als eine interstitielle Endometritis; w^enn man die Angaben der genannten
Autoren genau liest, kommt man nicht zu klarem Einblick, ob sie glauben, dass wirkliches
Sarkom dabei so liäufig auftrete; denn was sarkomähnhch ist, ist desLaib noch kein
Sarkom. Oder sollten sie gar an ein gutartiges Sarkom glauben? Damit würde jede patho-
logisch-anatomische Eintheilung, Bezeichnung und Diagnose unmöglich gemacht sein. Dagegen
ist von einigen Autoren bei Portio- und Cervix-Carcinom auch ein räumlich davon getrenntes
(also nicht durch einfaches Fortwuchern entstandenes) Corpus-Carcinom mit Sicherheit
nachgewiesen worden. Nicht immer lässt sich mit Gewissheit entscheiden, welcher Tumor
der primäre war; aber man muss zugeben, dass diese Beobachtungen trotz ihrer Seltenheit
mit Recht gegen die Vornahme von Theil-Operationen geltend gemacht werden können.
Das primäre Portio-Cancroid beginnt auf einer Lippe, seltener seitlich
an der Vereinigungsstelle beider Lippen, als etwas über das Hautniveau her-
vorragender Knoten, welcher sehr bald oberflächlich geschwürig zerfällt, sich
ziemlich rasch vergrössert und breitbasig aufsitzende Tumoren von typisch
blumenkohlähnlichem Aussehen bildet: umgeworfene Bänder, um-egelmässig
höckerige Oberfläche von schmutzigbraum^other Oberfläche, welche jaucht und
sowohl spontan als besonders bei Berührung l)lutet; die Blutung ist eine
parenchymatöse und oft äusserst heftig. Mit dem Finger kann man von dem
Tumor Stückchen abbröckeln. Die gesunde Lippe ist oft hinter dem Tumor
ganz versteckt und umgreift ihn von einer Seite her als schmaler Saum; auch
sie kann von der Neubildung ergriöen werden und die ganze Portio ist dann
in einen Tumor verwandelt, der bis und über Orangengrösse erreichen kann.
Entsprechend der Abstammung von Pflaster-Epithel geht das Cancroid der
Portio am häufigsten auch auf das gleiche Epithel der Scheide über; es kann
*) Ich will dieses eigenthümliche Vorkommen an anderem Orte näher beschreiben.
144 CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXÜALORGANE.
sowohl die angrenzende Scheidenliaut selbst carcinomatös werden, als auch
das Portio-Carcinom im perivaginaleu Bindegewebe fortkriechen und Höcker
in den Scheidengewölben bilden, die noch von intacter, glatter Scheidenhaut
überzogen sind. Viel langsamer als nach unten schreitet das Portiocancroid
im Cervix-Gewebe nach oben vor, kann aber darin Knoten bilden und nach
und nach den Cervix durch gleichzeitigen Zerfall dieser Neubildungen auf-
zekren.
h) Cervix-Carcinom.
Es geht von den Drüsen beziehungsweise drüsenähnlichen Lacunen der
Cervix-Schleimhaut aus; da diese mit Cylinder-Epithel bekleidet sind, ist das
Cervix-Carcinom ein echtes Drüsen-, beziehungsweise Cylinderzellen-
Carcinom. Mikroskopisch erkennt man es in frühen Stadien daran, dass
die Pflaster-Epithelschicht der Portio nicht selbst Epithelzüge in die Tiefe
schickt (mit Ausnahme der oben erwähnten interessanten Fälle), sondern dass
man sieht, wie das Epithel der Cervical-Drüsen wuchert, polygonal wird, das
Lumen füllt und wie diese soliden Epithelhaufen sich reichlich vermehren, im
Bindegewebe und in den Bindegewebszügen der Muscularis in die Tiefe dringen
und besonders in den Lymphspalten rasch in der Umgebung fortkriechen.
Nach unten erreicht es so das Portio-Epithel, welches man an geeigneten
Fällen noch glatt und unverletzt über den Knoten des Cervix-Carcinom hin-
wegziehen sieht; später wird es aber durchbrochen oder abgestossen und die
Neubildung zerfällt gegen die Scheide hin, wie sie auch gegen den Cervical-
Canal sehr früh durch Gewebszerfall und Jauchung eine Höhle mit höckerigen
Wänden bildet. Nach oben schreitet das Cervix-Carcinom rascher vorwärts als
nach unten und ergreift den Uterus-Körper; dies geschieht jedoch gewöhnlich
nicht auf dem Wege der Schleimhaut, sondern im submucösen Binde-, beziehungs-
weise Muskelgewebe, so dass auch hier der sich vergrössernde Knoten noch
von zwar entzündeter, aber doch nicht carcinomatöser Schleimhaut des Uterus-
Körpers überzogen sein kann. Seitlich werden die Parametrien ergriffen,
carcinomatös intiltrirt und zwar in der Form von derben, manchmal rosen-
kranzähnlichen Strängen, die sich eng an den Cervix anschliessen und — sich
verjüngend — gegen die seitlichen Beckenwände oder in der Richtung der
ligg. recto-uterina nach hinten ziehen. Auch dies geschieht hauptsächlich auf
dem Wege der Lymphgefässe, deren Richtung sich die Infiltration genau an-
schliesst. Endlich erkranken schon früh die retroperitonealen Lymphdrüsen.
Ebenso wie das Portio-Carcinom, eher noch häufiger und früher, geht das
Cervix-Carcinom auf die Nachbar-Organe über; ist die Blase ergriffen, so kann
es durch Gewebszerfall zur Bildung von Blasen-Genitalfisteln kommen, oder
nach Verlötung des Douglas zur Entstehung von Rectum-Genitalfisteln, ja
sogar von Blasen-Rectumfisteln. In Fällen hochgradiger Erkrankung kann der
Uterus bis auf einen Rest des Körpers aufgezehrt sein; an seiner Stelle sitzt
eine zerfallende Geschwulst, welche nach Rectum und Blase durchgebrochen
ist und so eine jauchende, mit zerbröckelnden Wänden versehene Cloake
bildet. Tuben, Ovarien und Därme sind oben mit dem peritonealen Ueberzug
verlötet.
Ebenso verhängnisvoll wie das Uebergreifen auf Blase und Rectum und
wie die Infiltration des parauterinen Bindegewebes ist das Umwuchern der
Ureteren durch die Neubildung. Die Harnleiter werden verengt, der Urin-
abfluss erschwert; die Folge davon ist Dilatation des darüberliegenden Theiles
der Ureteren und der Nierenbecken, es entsteht Hydro neph rose. Der Harn-
abfluss kann ganz gehindert werden; die Niere atrophirt dann, wenn nicht eine
gleichzeitige Betheiligung der anderen Seite durch Uraemie zum Tode führt.
Die Carcinom-Massen können aber auch in einen Harnleiter einbrechen und
so eine Ureteren -Fistel bilden. In seltenen Fällen ist eine (secundäre?)
CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXUALORGANE. 145
Carcinom-Entwicklung in den Ovarien gefunden worden. Ebenso wie
beim Portio-Cancroid können endlich Metastasen in entfernteren Organen
auftreten.
Ob Cervix-Carcinom auch vom Obcrflächonepithel des Cervix ausgehen kann, scheint
nicht festgestellt zu sein. Es ist deshalb pathologisch-anatomisch gerechtfertigt, den Krebs
des Gebcärmutterhalses nur in die beiden Formen : Portio-Cancroid und Cervix-Carcinom
einzutheilen. Man kann die von einigen Autoren aufgestellte S. Form des „carcinomatösen
Knotens des Cervix" ebenso entbehren, wie z. B. die von Pozzi benützte Eintheilung in
papilläre, noduläre, cavitäre, liminäre und noch einige andere seltene Formen.
Nach dem Verhalten zum Bindegewebe kann man wieder M arks c h wamni,
Scirrhus und infiltrirtes Carcinom des Cervix unterscheiden. iJiese
Formen sind aber nur durch quantitative Unterschiede des Gehaltes an Epi-
thelnestern und Bindegewebe gekennzeichnet.
Kurz mögen noch die sonst an Portio und Cervix beobachteten malignen
Neubildungen erwähnt sein: Sarkom, selten, mikroskopisch an der Zusam-
mensetzung aus bindegewebigen Rund- oder Spindelzellen erkennbar; inter-
essant ist die Form des traubenförmigen Sarkoms des Cervix: sie ist
ausgezeichnet durch die Bildung von traubenähnlichen Massen, die an eine
Blasenmole erinnern und aus Sarkom mit myxomatöser Entartung bestehen.
Nach operativer Entfernung scheinen bisher stets Recidive erfolgt zu sein. —
Adenom und Adenom yxom des Cervix; selten; mikroskopisch gekenn-
zeichnet durch Neubildung von Drüsen, die in's Nachbargewebe einbrechen
und (im 2. Falle) mit gallertigem Schleim gefüllt sind. Auch dieser Tumor
scheint nach der Exstirpation meist zu recidiviren. — Myxom a enchondro-
matodes und Fibroma papilläre cartilaginescens, sehr selten, aus-
gezeichnet durch das in der Geschwulst enthaltene Knorpelgewebe; in zwei
Fällen nach Operation jedesmal Recidiv, Tod. — Carcinom, auf Myome
übergehend, nicht allzu selten.
C. Corpus-Carcinom.
Es ist viel seltener als die beiden ersten Formen. Schrödee fand unter
812 Fällen von Uteruskrebs 28mal primäres Corpuscarcinom = o"4%, Schatz
in 80 Fällen 2mal = 2'57o- Entsprechend einigen Beobachtungen der jüngsten
Zeit muss man zwei Formen des primären Corpus-Carcinoms unterscheiden:
1. das von den Drüsen der Körperschleimhaut ausgehende, also das Drüsen-
(oder Cylinderzellen-) Carcinom und 2. jene äusserst seltene Form, bei
w^elcher das oberflächliche Cylinder-Epithel sich in Pflasterepithel umgewandelt
hat und von dem letzteren ein Carcinom ausgeht: also echtes Cancroid des
Uterus -Körpers. Den üebergang zwischen beiden Formen, die klinisch
gleichwertig zu sein scheinen, vermittelt Hofmeiee's Beobachtung, dass auch
bei der ersten Form das Oberflächen-Epithel stellenweise polygonal und viel-
schichtig w^erden kann. Je nach der Ausdehnung kann man auch eine
diffuse Form unterscheiden, bei w'elcher die ganze Körperschleimhaut
ergriften ist, und eine cir cum Scripte Form, bei der es zur Bildung
polypöser Wucherungen kommt.
Das Körper-Carcinom bildet ziemlich weiche Geschw^ulstmassen, die an
der Oberfläche grosse Neigung zum Zerfall haben und dadurch heftige Blu-
tung verursachen. Nach der Tiefe zu dringt die Neubildung in die Muscularis
ein und bildet hier metastatische Knoten. Selten wird der Bauchfellüberzug
durchbrochen, bevor durch Verlöthung mit Nachbarorganen eine Art Ab-
kapselung gegen die Bauchhöhle geschaffen w^m'de. So kann das Carcinom auf
Därme, Tuben und Ovarien übergreifen, wie es auch nach unten auf den
Cervix, nach vorn und hinten auf Blase und Mastdarm, seitlich auf das para-
metrale Bindegewebe übergeht. Das Körpercarcinom entwickelt sich viel lang-
samer als der Krebs der Portio und des Cervix; es führt auch viel langsamer
Bibl. med. Wissenschaften, I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 10
146 CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXÜALORGANE.
zur Erkrankung der Naclibarorgane und zu Metastasen; die Prognose ist da-
durch besser.
Adenome und Sarkome des Uterus-Körpers sind selten und klinisch
wohl nicht von Carcinom zu unterscheiden; vielleicht bildet das Sarkom ge-
legentlich grössere Geschwulstmassen, als das Carcinom. Mikroskopisch ist
die Unterscheidung leichter: beim Adenom besteht der Tumor fast ganz aus
den massenhaft neugebildeten, langen Drüsenschläuchen, die ausnahmslos ihr
Lumen l)esitzen und regenwurmähnlich aufgeknäuelt sind. Das interglandu-
läre Bindegewebe ist auf ein Minimum geschmolzen und kann so spärlich
sein, dass man im Zweifel ist, ob man an einzelnen Stellen das Drüsenlumen
oder das kaum erkennbare Bindegewebe zwischen den Epithel-Reihen sieht.
Das Sarkom besteht aus Rund- oder Spindelzellen, zwischen welchen man
nur an den Randpartien des Tumors noch Reste der Mucosa mit Drüsen, so-
wie der Muscularis sieht.
Portio- und Cervix-Carcinom können auch bei Schwangeren
gefunden werden; wenn es sich auch nur um frühere Stadien handelt, in
welchen die Gravidität eintrat, so kann — begünstigt durch den Blutreich-
thum und die GewebsauÜockerung — der Tumor doch ausserordentlich rasch
während der Schwangerschaft wachsen. Es mag hier gleich erwähnt werden,
dass für die Therapie mehrere Möglichkeiten bleiben: in den drei ersten
Monaten bei operablen Fällen Abtragung der Portio oder vaginale Total-
Exstirpation des schwangeren Uterus; später FßEUND'sche Operation; eventuell
noch Sectio Caesarea. Bei inoperablen Fällen palliative Behandlung
(s. u.) und Abwarten spontaner Entbindung, oder — falls diese wegen Grösse
und Beschaffenheit des Tumors unmöglich — ebenfalls Kaiserschnitt.
Diagnose des Uterus-Carcinoms. Die klinische Diagnose aller drei
Formen des Uterus-Carcinoms stützt sich auf Anamnese, Gesichts- und Tast-
betund sowie mikroskopische Untersuchung. Die letztere muss in zweifelhaften
Fällen stets zu Hilfe gezogen werden, und es ist nöthig, zu diesem Zwecke
Stückchen der Neubildung auszuschneiden, mit Finger oder Curette beziehungs-
weise scharfem Löffel auszuschaben, w^enn nicht spontan ausgestossene Stücke
die mikroskopische Diagnose ermöglichen.
Das Portio-Cancroid kann im Beginne mit Papillomen, spitzen Con-
dylomen, Ulcus und Erosion der Portio sowie mit Sarkom verwechselt werden.
Für Cancroid kennzeichnend ist die Bildung von Knoten, die an der Ober-
fläche zerfallen, und das Vorhandensein einer blumenkohlähnlichen Geschwulst:
umgew^orfene Ränder, höckerige, leichtblutende, zerbröckelnde Oberfläche.
Gutartige Papillome, also echte Warzen der Portio sind sehr selten, meist von
intacter Haut überzogen und machen fast keine Symptome; Erosion der
Portio tritt nicht als Tumor, sondern als umschriebene, scharlachrote, im oder
unter dem Niveau der Portio, selten darüber flach und seicht vorragende,
feinkörnige Fläche auf. Immerhin kann eine papilläre Erosion kleinhöckerige
Wucherungen vortäuschen; nur das Mikroskop bringt dann Aulldärung. Ul-
cera der Portio, sowol luetische als solche, die durch Pessare etc. erzeugt
sind, unterscheiden sich vom Cancroid ebenfalls dadurch, dass sie Substanz-
defecte, nicht Neubildungen vorstellen; Granulationen erschweren aber auch
hier die Diagnose. In späteren Stadien kann das Portio-Cancroid mit halb-
geborenen, gangränösen Myomen kaum verwechselt werden; denn ersteres ist
höckerig, zerbröckelnd, letztere sind im Allgemeinen glatt, nur am untersten,
am meisten gangränösen Pol zerfetzt und matsch, aber nicht zerbröckelnd.
Das Cervix-Carcinom kann im Beginn beträchtliche diagnostische
Schwierigkeiten machen. Bei bimanueller Untersuchung, besonders wenn man
einen oder zwei Finger in's Rectum einführt, fühlt man die Auftreibung des
Cervix zu einem Tumor, dem der Uterus-Körper als schlanker, kleinerer Teil
wie ein Anhängsel aufsitzt. Von der Scheide aus sieht und fühlt man durch-
CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXÜALORGANE. 147
aus nicht immer die Neubildung; die Portio kann mit intacter Scheidenhaut
tiberzogen sein, nur erscheint die ergriffene Lippe autgetrieben, plump, cyanotisch
verfärbt. Mit Sonde oder Finger gelangt man jedoch statt in den engen
Cervical-Canal in eine mehr weniger weite Höhle mit zerfressenen, leicht blu-
tenden, unregelmässig höckerigen Wänden, von welchen man Stückchen ab-
bröckeln kann. Ist das orificium externum zu eng, so erweitert man es mit
Jodoformgaze oder durch Quellstifte oder durch seitliche Incisionen. Sehr
schwierig, wenn nicht unmöglich kann die Unterscheidung des Cervix-Catarrhs
mit papillären Schleimhaut-Wucherungen vom beginnenden Cervix-Carcinom
sein. Das Mikroskop muss auch hier die Diagnose sichern. In späteren
Stadien ulceriren allerdings Carcinome regelmässig, Cervix-Catarrhe aber nicht;
bei letzteren kann auch das Vorhandensein von Eetentions-Cysten (Ovula Na-
bothi) die Diagnose erleichtern helfen. Auch Myome können von der be-
nachbarten Schleimhaut aus carcinomatös erkranken. Diese Complication wird
man oft erst bei oder nach der Operation entdecken, die man wegen des
Myoms vorgenommen hat.
Das Carcinom des Uteruskörpers bildet anfangs eine ziemlich
gleichmässige Vergrösserung des Corpus uteri, dessen 01)erfläche man leicht
uneben aber auch ganz glatt findet. Das rasche Wachsthum und die Prallheit
spricht für Carcinom; die Unterscheidung von interstitiellem und submucösem
Myom kann aber so schwer sein, dass eine Dilatation des Cervix aus zwei
Gründen nötig wird: Austastung des Uterus-Innern und Ausschabung von
Gewebsstücken.
Symptome. Bei allen drei Formen steht im Vordergrund der Sym-
ptome die unregelmässige Blutung, welche unterbrochen wird durch fleisch-
wässerigen Ausfiuss, später aber complicirt ist mit Jauchung. Die
oft geradezu furchtbare Jauchung macht den Angehörigen und Pflegern das
Zusammensein mit der unglücklichen Kranken manchmal fast unerträglich
und erhöht so das Bejammernswerthe der Lage. Bei Erwachsenen muss des-
halb jede Unregelmässigkeit der Menses, bei Frauen nach der Menopause das
Wiederauftreten von Blutungen zur genauesten Untersuchung veranlassen. Am
frühesten und stärksten treten Ausfiuss, Blutung und auch Jauchung
beim Portio-Carcinom, später bei den zwei anderen Formen auf. Das Cervix-
Carcinom kann sich so schleichend entwickeln, dass selbst intelligente Frauen
erst dann auf ein bestehendes Leiden aufmerksam werden, wenn schon die
Parametrien erkrankt sind und eine Ptadical-Operation unmöglich ist. Die Cer-
vix-Carcinome sind deshalb ganz besonders zu furchten. Je stärker die Krebs-
wucherung, desto reichlicher die Blutung, wenn sie auch wol nie unmittel-
bar und allein zum Tode führt; bindegewebsreiche, harte Carcinome pflegen
weniger stark zu bluten.
Die Schmerzen sind anfangs gering, nicht genau localisiil und von
den Beckenorganen nach dem Kreuz, dem Blasenhals und den Schenkeln aus-
strahlend. Erst bei vorgeschrittener Erkrankung und ganz besonders, wenn
das Beckenbindegewebe carcinomatös erkrankt ist, treten heftige, anfallsweise
durchschiessende (1 a nein ir ende) Schmerzen auf.
Der Durchbruch nach der Blase führt zu Fistelbilduug, Blasenkatarrhen,
aufsteigender Ureteritis, Pyelonephritis und abscedirender Nephritis; diese
letzteren Erkrankungen können ebenso wie die Dilatation der Ureteren und
die Hydronephrose eine Folge der Compression der Harnleiter sein. Seitens
des Mastdarms kann sowol Verstopfung als Diarrhoe, nach Dui'chbruch des
Carcinoms Fistelbildung eintreten.
Das Allgemeinbefinden kann anfangs — so besonders bei Cernx-
Carcinom — auffallend gut sein. Mit Eintritt grösseren Gewebszerfalls und
infolge der Blutungen wird es aber stark beeinträchtigt und es entwickelt sich
langsam das Bild der Krebscachexie, welche — unterstützt dui'ch Harnstauung,
10*
148 CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXÜALORGANE.
Metastasen in anderen Organen, Pneumonie, Peritonitis u. s. w., endlich zum
ersehnten Tode führt. Meist sind die unglücklichen Kranken in den letzten
Lebenstagen durch zunehmende Apathie und Somnolenz dem Bewusstsein ihrer
entsetzlichen Lage entrückt. Portio- und Cervix-Carcinom führen in 1 — P/s
Jahren, selten langsamer zum Tode; Körper-Carcinome sollen 4 und 5 Jahre
lang bestehen können.
Prognose. Mit einem nicht unberechtigten Stolze darf man sagen,
dass die Prognose des Uterus-Carcinoms mit der zunehmenden diagnostischen
und operativen Ausbildung der Aerzte sichtlich besser wird, ganz besonders,
^Yenn intelligente, dem Kurpfuscherthum abholde Patientinnen sich zu frühzeitiger
Befragung des Arztes entschliessen. Die Procentzahlen der endgiltig Geheilten
werden in letzter Zeit grösser; das Einzelne darüber ist bei der Therapie
mitgetheilt. — Die Prognose ist bei Portio- und Corpus-Carcinom besser als
bei Cervix-Carcinom. Trotzdem ist die Zahl der Geheilten im Gegensatze zu
jenen, die inoperabel in die Sprechstunde des Arztes kommen, noch immer
eine erschreckend grosse; und nicht stets ist mangelnde Selbstbeaufsichtigung
der Frauen, sondern mehr noch das schleichende Auftreten der Erkrankung
die Ursache. Wenn man also z. B. hört, dass unter Schröder's und Hof-
meier's Operirten über 41% nach 4 Jahren noch recidivfrei und gesund blieben,
so drückt diese Zahl leider nicht die Procentzahl der überhaupt geretteten
Carcinomkranken aus: denn weitaus mehr Frauen, als operirt wurden, konnten
dem Versuche einer radicalen Operation gar nicht mehr unterworfen werden.
Therapie. Die Behandlung des Uterus-Carcinoms muss auf gänzliche
Entfernung der Neubildung gerichtet sein. Technisch ist diese Forderung
zur Zeit nur erfüllbar, wenn das Carcinom auf den Uterus beschränkt ist.
Eine Gegenanzeige für den Versuch radicaler Exstirpation liegt also in
der Erkrankung benachbarter Organe, vor Allem auch der Parametrien. Die
geringere Beweglichkeit des Uterus kann heute nicht mehr als Contraindica-
tion einer Kadical-Operation betrachtet werden, ebensowenig die Grösse des
Uterus. Bevor man die Möglichkeit und die Art des Eingriffes bestimmt, ist
eine genaue bimanuelle Abtastung des Uterus und der Anhänge nöthig; Un-
tersuchung vom Piectum aus, in schwierigen Fällen Anwendung der Narcose
sind unerlässlich. Besonders sorgfältig muss man die Parametrien und die
Ligg. recto-uterina abtasten. Metastasen in denselben erkennt man als derbe,
oft rosenkranzähnlich gewulstete Stränge, die unmittelbar vom Uterus in der
Höhe des Cervix abgehen. Exsudat-Keste und parametritische Schwarten
können allerdings damit verwechselt werden. Ist die Entscheidung, ob Me-
tastase oder Schwarte, nicht möglich, so wird man sich aus 3 Gründen lieber
zur Operation entschliessen: sie bietet die letzte Hoffnung auf Radical-Heilung,
selbst beim Eintreten von Recidiven können Monate gewonnen werden, und
die Ptecidive verlaufen manchmal unter geringeren subjectiven Beschwerden,
als der primäre Tumor, besonders wenn sie sich hinter der giattgeheilten
Vagina entwickeln und nicht oder doch erst spät jauchig zerfallen.
Die sacrale Methode (s. u.) bietet vielleicht Aussicht, auch kleine Me-
tastasen in den Parametrien mit entfernen zu können.
Operations-Metlioden bei operablen Carcinoiiien.
Es kommeu hauptsächUch 4 Methoden iu Betracht: Hohe Amputation, vaginale
Total-Exstirpation, Exstirpation nach Laparotomie und nach Sacral-Schuitt. Diese
4 wichtigsten Methoden erfuhren einige Aenderungen und Ergänzungen, welche
am Schkisse besprochen werden,
1 Hohe Amputation. Sie ist nur bei Portio-Carcinomen in frühen Stadien
anwendbar; für diese Fälle wird sie aber von der Schröder' sehen Schule mit
vollem Rechte festgehalten. Für die Operation spricht die Thatsache, dass Portio-
Cancroide sehr langsam nach oben wachsen; und was die Erkrankung der Anhänge
CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXUALORGANE. 149
betrifft, so kann diese vor der liohen Amputation ebenso scliwer als vor der Total-
Exstirpation feststellbar sein. Für die partielle Operation s])riclit ferner die Er-
haltung eines Theiles des Uterus, sowie der Tuben und Ovarien : die (Jperirten sind
nicht geschlechtslos, ja es besteht sogar die Möglichkeit einer Conception. Gegen
die hohe Amputation wird vor Allem geltend gemacht, dass bei Portio-Carcinom
räumlich getrenntes Corpus-Carcinom vorkommen könne; das ist richtig, aber die
Zahl der sicher beobachteten Fälle ist eine äusserst geringe. Immerhin macht eine
Reihe von Operateuren grundsätzlich nur die Total-Exstirpation bei Uterus-Krebs.
Die Technik der hohen Amputation ist folgende : Desinfection der Vulva und
Scheide (s. ^^ Antisepsis bei gynäkol. Operationen'^ ds. Bd.par/. f)0) durch gründliches Aus-
seifen und Auswischen mit 3°/o Carbollösung; ist Jauchung und Gewebszerfall vorhanden,
so wird man einige Tage vorher die Geschwulst mit scharfem Löffel ausräumen und
mit Glüheisen verschorfen. Zur Operation selbst legt man die Portio, bez. den
Tumor mit Platten-Speculis gut frei, fasst den Tumor mit einer oder mehreren
MuzEux'schen Zangen oder schlingt die Portio, wenn die Zangen im brüclngeu Ge-
webe ausreissen, mit starkem Faden au. Während man die gefassten Theile kräftig
zur Seite zieht, umschneidet man die Portio breit im Gesunden mit dem Messer
und löst jetzt den Cervix stumpf mit dem Finger vorn und hinten los; ist vorn die
Blase ein Stück weit abgedrängt, so umsticht man das seitliche Gewebe unter Lei-
tung eines Fingers mit der ÜEscHAMPs'schen Nadel und bindet mit starker Seide die
gefasste Partie ab. Nun durchschneidet man die letztere gegen den Uterus hin. Die
Ureteren vermeidet man am besten, wenn man sich stets nahe dem Cervix hält, den
man ja als derben Körper durchfühlt. Indem man so auf der einen, dann auf der
anderen Seite unterbindet und abschneidet, wird der Cervix allmälig ganz frei und
man durchtrennt nun hoch über dem Tumor das gesunde Cervix-Gewebe quer mit
dem Messer; am besten geschieht dies erst vorn, und man vernäht sofort den Wund-
rand der Scheidenhaut mit der Cervix-Mucosa; dann schneidet man hinten den Cervix
durch und vernäht ebenso Scheidenhaut mit Cervix-Schleimhaut. Es kann beim Aus-
präpariren nöthig werden, den Douglas zu eröffnen; mau schliesst ihn dann nach-
träghch mit Seidennähten. Die Fäden der seitlichen Anhänge leitet mau in den
Winkeln der Scheidenwamde heraus. Die Fäden lässt man etwas lang, um sie später
leicht entfernen zu können. In die nochmals mit Sublimat ausgewischte Scheide
kann man Jodoform-Gaze einlegen. Die seitlichen Unterbindungsfäden stossen sich
mit dem nekrotischen unterbundenen Gewebe meist nach 8 — 10 Tagen spontan ab,
die Nähte der Scheiden-Cervix- Wunde entfernt man am 12. — 14. Tage. Die Ope-
rirten dürfen am 14. Tage aufstehen, und man kann sie meistens 3 Wochen nach
der Operation geheilt entlassen. Als Complication kommen Nachblutungen vor, die
man durch Umstechung und Gaze-Tamponade der Scheide stillt, und Eiterungen,
welche ein früheres Entfernen einzelner Nähte nöthig machen. Todesfälle in Folge
der Operation selbst, früher durch Infection manchmal verursacht, kommen bei pein-
licher Asepsis und Antisepsis jetzt seltener vor: Hofmeier gibt dafür folgende Zahlen:
Bis 1887 141 hohe Amputationen mit 10 Todesfällen
nach MöMMSEN bis 1890 82 „ „ „ 2 „
Hofmeier selbst
machte bis 1892 30 „ „ „0 „ .
Die Enderfolge der Operation sind später neben jenen der Total-Exstirpatiou mit>
getheilt.
Man hat die partielle Operation bei Portio-Cancroid als infravaginale und supra-
vaginale Amputation ausgeführt; bei ersterer wird einfach die Portio unter dem Scheideu-
gewölbe flach oder keilförmig abgetragen; die letztere ist eben die hohe Amputation. Die
infravaginale Abtragung erscheint unsicherer im Enderfolg und wird deshalb besser ganz
durch die hohe Amputation ersetzt.
2. Vaginale Total-Exstirpation des Uterus (Exstirpatio uteri
totalis vaginalis). Sie ist angezeigt bei vorgeschrittenem Portio-Cancroid, bei
allen Cei'vix- und Coi'pus-Carcinomen, natürlich ebenso bei Adenomen und Sarkomen,
150 CARCINOM DER ^YEIBLICHEN SEXUALORGANE.
■wie sie aucli bei nicht zu grossen Myomen ausgeführt wird, welche einen radicalen
Eingriff erfordern.
Die Vorbereitung ist die gleiche, wie bei der hohen Amputation; stark jau-
chende Cervix-Carcinome kann man ebenfalls vorher auslöffeln und verschorfen, oder
man näht oder bindet die Portio zu, damit während der Operation nicht Jauche in
die Bauchhöhle, gelangt. Winter fordert mit vollem Recht vor der Operation thun-
lichste Zerstörung der Tumor-Massen, am besten durch Glühhitze, um das Auftreten
von Impf-Recidiven möglichst einzuschränken. Der Beginn des Eingriffes ist
der gleiche, wie bei der supravaginalen Amputation: Umschneidung der Portio, vorn
und hinten stumpfes Auslösen des Cervix; Unterbinden und Abschneiden der seitlichen
Anhänge. Im weiteren Verlaufe kommt es aber naturgemäss stets zur Eröffnung derPerito-
nealhöhle vorn und hinten. Zum Schutz des Bauchfelles legt man nach Eröffnung des Dou-
glas hinten einen an starkem Faden befestigten Schwamm in die Bauchhöhle; die Tuben
und Ligg. rotnnda, lata und ovarica werden nach genügend hoher Abschneidung des seit-
lichen Bindegewebes unter Leitung eines herumgeführten Fingers ebenfalls unter-
bunden, nahe dem Uterus abgeschnitten, der nun auf einer Seite freie Uterus vor
die Vulva gewälzt und' jetzt unter Leitung der Augen auch die andere Seite unter-
bunden und abgeschnitten. Die Unterbiudungsfäden bleiben zunächst lang; Tuben
und Ovarien entfernt man nach Unterbindung der Bauchfellduplicatur ebenfalls, wenn
sie nicht allzu schwer zu erreichen und nicht durch Adhäsionen stark fixirt sind;
in diesem Falle lässt man sie zurück, falls sich nicht Metastasen daran finden. Nun
legt mau durch die Ränder der Scheidenwunde derart von vorn nach hinten Seiden-
nähte, dass man das Peritoneum dazwischen fasst; die Stümpfe der Anhänge werden
in die seitlichen Wundecken eingenäht und jetzt nach Entfernung des Bauchschwammes
erst die Nahtfäden geknotet. Nachbehandlung wie bei der hohen Amputation. Von
Zufällen bei der Operation sind die Verletzungen der Blase und der Ure-
ter en am unangenehmsten. Erstere schliesst man sofort oder nach einigen Wochen
durch Naht, wenn nicht Recidive des Tumors in der Umgebung eingetreten sind. Unter-
b in düng eines Ureters macht früheres Entfernen der Nähte nothwendig, was umso
leichter geschehen kann, als einige Operateure die Scheide ohnedies nicht vernähen und
doch gute Resultate erzielen. Bei Verletzung eines Ureters kann später die Anlegung
einer Blaseuscheidenfistel und ebnere Obliteration der Scheide nöthig werden (vide
„Blasenkrankheiten''' paglOö.). Treten keine Complicationen ein — und diese sind relativ
selten — so trift't der Ausspruch Schrödeb's zu: „Die Operirten liegen da, wie
normale Wöchnerinnen." Man sieht ihnen im Gegensatze zu den meisten Laparoto-
mirten die Grösse des Eingriffes nicht an.
RiCHELOT hat eine Anwendung dieses Verfahrens eingeführt, die allerdings eine
bedeutende Abkürzung der Operationsdauer ermöglicht: er unterbindet nicht, sondern
fasst die seitlichen Anhänge in eigens construirte Klemmen (vide ^^Instrumentarium in
der Gynäkologie'-^), welche nach 48 Stunden entfernt werden. Seine Methode wird
nur von wenigen deutscheu Operateuren angewandt, denn sie be\wkt keine exacte
Blutstillung, Nachblutungen kommen leichter vor und die Klemmen machen oft fast
unerträgliche Schmerzen: Hofmeiek legt mit Recht neben peinlicher Anti-, bez. Asepsis
und guter Freilegung des Operationsfeldes auf sichere Unterbindung der Parametrien
das Hauptgewicht. Anderseits können aber bei Nachblutungen die Richelot' sehen
Klemmen vortheilhaft zur Blutstillung angewendet werden.
Ergebnisse der partiellen und totalen Exstirpation. Man muss zwischen
augenblicklichen und endgiltigen Erfolgen unterscheiden. Der augenblickliche Erfolg ist
natürlich mit zunehmender Uebung der Operateure besser geworden. Für die vaginale
Total-Exstirpation ergibt sich folgendes:
Nach Zusammenstellung von Saekger bis 1883 133 Fälle mit 28-67o Mortalität
T, „ „ Kaltekbach „ 1885 257 „ „ 23 „ „
, Martin , 1887 311 , , 15-1,
, Hofmeier , 1891 749 „ , 9-2 „
Dauer-Erfolge. A. Nach partiellen Operationen:
Nach WiKTER 132 Fälle mit 80 Recidiven bis nach 5 Jahren; dann überhaupt kein
Eecidiv mehr; also recidivfrei 38*3<'/o.
CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXUALORGANE. 151
B. Nach Tota 1-Exstirpati on.
Nach 2 Jahren in Schrödeu's Klinik 42"/„ recidivfrei.
„ Olshausen's „ 47-5 ,, „
„ Fritsch's „ 47 ,, „
„ Schauta's „ 47-3 „ ,,
,, Leopold's ,, 56 ,, „
4. Exstirpation des Uterus nach Laparotomie, FEEUND'sclie Ope-
ration. Sie ist durch die weniger gefährliche vaginale Methode sehr in den Hinter-
grund gedrängt worden. Trotzdem kann sie in Ausnahmefällen auch heute noch nicht
entbehrt werden, z. B. bei zu grossem Umfang des Uterus (Comi)lication von Car-
cinom mit Schwangerschaft, wobei nach Sectio Caesarea gleich der Uterus entfernt
werden muss ; das weitere über die Complication von Gravidität und Uterus-
Car einem siehe oben vor „Diagnose des Uterus-Carcinoms"), Hindernissen in der
Vagina u. Ae.
Sie besteht darin, dass nach Eröffnung der Bauchhöhle der Uterus durch Unter-
bindung und Abtrennung von seinen Nachbarorganen losgelöst wird ; nach Ryuygier's
Vorschlag ist mit Erfolg vorher der Cervix von der Vagina aus losgelöst und dann
der Uterus von oben her entfernt worden. Die Operation ist wegen der breiten Er-
öffnung der Bauchhöhle und ihrer Communication mit der Scheide, sowie wegen des
Durchziehens des wohl nie aseptischen, oft aber jauchenden Uterus durch die Bauch-
höhle äusserst gefährlich :
Ahlfeld zählte unter 68 Operationen 49 Todesfälle = 72-l''/o
Kaltekbach „ „119 „ 80 „ = 67-2^1 q,
4. Exstirpation des Uterus nach S a er al -Schnitt. Diese Methode
schlägt den Weg ein, welchen Keaske für die Entfernung hochsitzender Rectum-
carcinome angegeben hat. Indem sie den Uterus von hinten her zugänglich macht,
schafft sie einen Ueberblick über seine Rückseite und die Anhänge — ein Vortheil,
der nicht zu unterschätzen ist. Sie hat einige Modificationen erfahren :
a) Exstirpatio uteri sacralis nach Keaske-Heezfeld-Hochexegg :
Schnitt in der Mittellinie oder im Bogen am Seitenrande des Kreuzbeins von hinten
aus ; das Kreuzbein wird entweder zum Theil resecirt oder (nach Hegae) nur abge-
meisselt, aber in Verbindung mit den Weichtheilen gelassen und dann wieder einge-
setzt (temporäre Resection). Der Mastdarm wird nun zur Seite gedrängt und
die ganze Operation von der Rückseite gemacht.
b) Exstirpatio uteri parasacralis nach Wölflee. Man schneidet am
Rande des Kreuzbeins ein und di"ingt hier neben dem Kreuzbein vor ; dabei müssen
die Ligg. tuberoso-sacralia durchtreunt werden.
Als jüngste Operationsmethode muss noch die Exstirpatio uteri peri-
nealis nach Zuckeekandl erwähnt werden. Feommel hat sie ausgeführt. Man
macht einen Schnitt von einem Tuber ossis ischii quer über den Damm zum anderen ;
Spaltung des Septum zwischen Scheide und Mastdarm, Eröffnung des Douglas an
seiner tiefsten Stelle. Der Uterus wird von hintenher zugänglich gemacht, umgeklappt
u. s. w. — Feommel hatte auch hier zuerst den Cervix von der Scheide aus ab-
gelöst.
Ueber die sacrale und perineale Methode kann ein Urtheil erst gefällt werden,
wenn zahlreichere Beobachtungen vorliegen.
Historisches über die vaginale Total-Exstirpation.
Zufällige oder absichtliche Abtragung der vorgefallenen nicht ca reinem a-
tösen Gebärmutter war am Ende des letzten und am Anfange dieses Jahrhunderts schon
mehrfach und mit Erfolg ausgeführt worden ; so in ^YRISBERG■s Fall, 1787, in dem eine
Hebamme den vorgefallenen Uterus für ein Gewächs hielt und mit dem Brodmesser ab-
schnitt u. s. w. Auf Grund des citirten Falles will Osiander schon cca. 1793 den Vorschlag
gemacht haben, den Krebs der Gebärmutter durch Ausschneiden zu heilen ; für jubiläums-
lustige Aerzte eine Gelegenheit, den 100-jährigen Gedenktag dieses Vorschlags zu feiern.
1801 machte Osiander dann die erste hohe Amputation der carcinomatösen
Portio, die er in der Folge noch öfter aiisführte. Ungefähr 1813 machte Laxgenbeck die
erste absichtliche Total-Exstirpation eines prolabirten, carcinomatösen Uterus ; die Be-
schreibung ist nicht klar : Langenbeck s;ibt an, den Uterus aus dem unverletzten Peritoneal-
152 CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXUALORGANE.
üeberzug herauspräpaiirt zu haben, während er doch die Ovarien mitentfernte. Die Er-
zälihmg der Operation ist aber in mehr als einer Beziehung lesenswertii ; Sauter druckt sie
wörtlich ab.
Die erste, absichtliche, vaginale Total-Exstirpation des carcinomatösen Uterus machte
am 28. Januar 1822 Jon. Nep. Sauter in Constanz; die Frau genas, starb aber 4 Monate
später an einer aus dem Obductions-Bericht nicht klar erkennbaren Krankheit ; die Genital-
wunde war tadellos und recidivfrei geheilt. Das Lesen des SAUTEu'schen Büchleins („Die
gänzliche Exstirpation der carcinomatösen Gebärmutter", Constanz 1822) sei jedem Arzte
empfohlen: man wird mit Bewunderung die Energie, Sachkenntnis und Gewissenhaftigkeit
Sauter's erkennen. Trotzdem gerieth die Operation fast in Vergessenheit (von einem litera-
rischen Streit abgesehen, der um sie anfangs entbrannt war) bis sie 1876 von Hennig, 1879
von CzERNY, Billroth, Schedl, 1880 von Schröder wieder aufgenommen wurde. Hire
jetzige technische Ausbildung verdankt sie hauptsächlich Czerny und Schröder. — 1878
hatte W. A. Freund seine Methode der Üterus-Esstirpation nach Laparotomie angegeben.
Behandlung nicht radical heilbarer Uterus-Carcinome.
Die Mehrzahl der Uterus-Carcinome gelangt in ärztliche Behandlung leider erst
dann, wenn gänzliche Entfernung des Tumors nicht mehr möglich ist. Dem Arzt fällt
dann die schwere und oft seine ganze Geduld in Anspruch nehmende Aufgabe zu,
den unglücklichen Frauen nach besten Kräften zu helfen, die erschöpfende Blutung
und die Jauchung zu bekämpfen, welche oft für die Kranken und deren Umgebung
durch den entsetzlichen Geruch mit zum quälendsten Symptom dieser furchtbaren
Kranlvheit wird ; die Kräfte der Patientin müssen thuulichst erhalten, die Schmerzen
gestillt werden, welche sie so oft den Tod als Erlösung herbeiwünschen lassen.
Bei allen Formen des Gebärmutterkrebses werden Blutung und Jauchung
am nachdrücklichsten durch Ausschaben mit dem scharfen Löffel und nachfolgendes
Yerschorfen mit dem Glüheisen bekämpft. Narcose ist meist erforderlich ; mit dem
scharfen Löffel schabt man die zerfallenden Massen heraus, darf aber nicht vergessen,
dass schon benachbarte Organe (Blase, Rectum, Ureteren, Dünndärme) von der Neu-
bildung ergriffen sein können und dass man bei tiefem Ausräumen Fisteln in diese
Organe hinein erzeugen kann ; die beabsichtigte Hilfe schlüge dann in das Gegentbeil
um. Bindegewebsreiche Carcinome lassen oft nur w'enige Bröckel herausschaben und
man kann mit der Scheere die nur zum Tlieil abgelösten Fetzen wegschneiden ; dabei
muss man auf grössere Blutungen gefasst sein, die oft nicht mit dem Glüheiseu,
sondern erst nach Unterbindung des fiottirenden Fetzens gestillt werden können. Xach
dem Ausräumen, das mit Hilfe von Platteu-Speculis unter Leitung des Auges ge-
schieht, verschorft man die blutenden Flächen des oft recht tiefen Kraters mit roth-
glüheudem, kugel- oder olivenförmigem Eisen und spült nach kurzem Ausbrennen
immer wieder mit Eiswasser nach, um eine zu hohe Erhitzung, besonders auch der
Specula, und dadurch eine Verschorfung der Scheide zu vermeiden ; zu demselben
Zwecke legt man unter die Platten der Specula auch feuchte Watte ; vor neuer An-
wendung des Glüheisens muss natürlich jedesmal das übrige Wasser mit Watte aus-
getupft werden. In den nächsten Tagen bleibt die Kranke zu Bett und es stossen
sich jetzt bei den täglich ein- bis mehreremale gemachten Scheidenspülungen die
schwarzen Brandschorfe ab. — Der Paquelin genügt nicht stets, da er in stär-
kerer Blutung auslöscht.
Geringere Blutung kann man durch Aetzen der Geschwürsfläche mit 40°/o
Chlor zinklösung stillen; auch liiezu ist Freilegung mit Platten-Speculis und vor-
her Auswischen der Yagina mit Vaseline nöthig, da die Scheide sonst durch aus-
fliesseude Pieste von Chlorzink stark verätzt wird. Das Medicament bringt man mit
kleinen Wattebäuschchen auf die Geschwürsfläche ; die Bäuschchen werden nach
kurzem Aufdrücken entfernt und trockene Watte vorgelegt. — Auch Liquor ferri
sesquichlorati kann in gleicher Weise verwendet werden.
Plötzliche Blutungen lassen sich, wenn scharfer Löffel, Glüheiseu u. s. w. nicht
gleich zur Hand sind, meist durch energisches Ausstopfen des Carcinomlvraters und
der Scheide, besonders der Scheidengewölbe um die Neubildungen der Portio herum
mit Jodoform-Gaze stillen ; natürlich bleibt die Kranke in horizontaler Ptückenlage
im Bett, man gibt Analeptica u. s. w. — Die Gaze kann man selbst 3 und 4 Tage
CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXÜALORGANE. 153
lang liegen lassen, olme schädliche Zersetzung fürchten zu müssen. Immerliin ist die
tiefgreifende Ausschabung mit dem scharfen L()ffel und Verschorfung mit dem Glüh-
eisen weitaus die l)este Methode, da sie die Wucherungen tief liinein zerstört und
den Wundkrater durch Narbenretraction verengt. Man ist manchmal erstaunt, statt
des früheren jauchenden Tumors einen kleinen Krater mit derben, narbigen Rändern
und Wänden zu sehen. Bei entsprechender Pflege können sich die Kranken für einige
Zeit sichtlich erholen und au Gewicht zunehmen. Allerdings muss bei neuem Eintritt
von Blutungen und Jauchung der Eingriff wiederholt werden. Contraindicirt ist er
bei carcinomatöser Erkrankung der Nachbarorgane und dann, wenn keine oder nur
geringe Blutung und Jauchung besteht ; man schafft dadurch Goschwürstiäclien, wo
noch keine waren. Besser ist es dann, adstringirende und desinticirende Ausspülungen
mit Lösung von Kai. hypermang., Sublimat, Carbolsäure machen zu lassen. Küstxer
nimmt dazu Tannin und Glycerin äü, 2 Esslöftel voll auf einen halben Liter Wasser.
In neuerer Zeit sind Injectionen von Lösungen des Pyoc tauin. coerul. in
den Tumor mittelst PEAVAz'scher Spritze (1 : 200) von Mosetig-Moorhof empfohlen
worden. Die Methode ist recht unangenehm durch die Blaufärbung der Hände des
Arztes, der Wäsche der Patientin, des Zimmerbodens u. s. w. Ein sicherer Erfolg
ist dadurch anscheinend noch nicht erzielt worden.
Die jüngst empfohlenen Injectionen von absolutem Alkohol in das Tumor-
gewebe mit cca. 10 g haltender thi erärztlicher Subcutan- Spritze verdienen eher Auf-
merksamkeit ; die Methode ist nur massig schmerzhaft^ und soll Schrumpfung des
Carcinoms bewirken. Das gleiche Ziel verfolgen die von Bernhaht (Amanx's Klinik
in München) empfohlenen Injectionen von Salicylsäurealkohol (6"0 Acid. salicyl.,
94-0 alkohol ßO^/o); man macht damit alle 4 Tage, 2 Monate und länger eine
lujection von 2 cm^.
Die Schmerzen müssen mit Opium und später mit Morphium, per os und
subcutan, bekämpft werden ; man wird sich nicht scheuen dürfen, die unglücklichen
Kranken an das Morphium zu gewöhnen, nur spare mau es möglichst lange auf, da
es unsere letzte Zuflucht darstellt.
Die Kräfte müssen durch abwechslungsreiche, kräftige Kost thunlichst er-
halten werden. Fleisch wird sehr oft ungern genommen, man versucht es also mit
Bouillon, Fleischsaft, Wein, bei bemittelten Kranken mit Austern, Caviar u. s. w.
Zur Begeluug des Stuhlgangs gebe man nicht Drastica, die den Appetit
noch mehr stören, sondern Wasser- und Glycerin-Clysmen.
Condurango ist nur ein Stomachicum ; Terpentin, auch das vielgerühmte von
Chios, scheint wirkungslos zu sein.
Zur Desodorisation des Zimmers empfiehlt KtisTXER, in eine Flasche
mit eingeschliffenem Glasstöpsel eine Stange der in Scheeing's Fabrik (Berlin) ge-
fertigten Bromkieselguhr zu legen, zwischen Glas und Stöpsel einen Papierstreifen zu
klemmen und das ganze auf einen Schrank zu stellen. Es soll dann von dem irre-
spirablen Brom nur soviel frei werden, als zur Desodorisation genügt, ohne dass die
Athmung gestört wird ; nur muss man unnöthige Metallgegenstände aus dem Zimmer
entfernen, die übrigen dünn mit Vaseline bestreichen.
IV. Carcinoin der Eileiter.
Primäres Carcinom der Tuben gehört zu den grössten Seltenheiten;
bis vor Kurzem wurde sein Vorkommen von einigen Autoren über-
haupt bestritten. See und är findet man es nicht allzu selten, besonders bei
primärem Carcinom der Ovarien und des Uterus; jedoch auch bei weitgehender
krebsiger Erkrankung der Eierstöcke kann man mitten in den Adhäsionen
noch gesunde Eileiter finden. Sieht man von jenen Fällen ab. in welchen die
Diagnose „Sarkom oder Carcinom" nicht vollkommen gesichert wurde, so
bleiben nur ein paar Fälle von Eileitercarcinom (Dorax, Martix und Orth-
MANx, Kaltexbach, Zweifel); es scheint hauptsächlich in der Form papillärer
Wucherungen aufzutreten, welche grosse Aehnlichkeit mit plumpen Chorion-
154 CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXUALORGANE.
zotten haben und von welchen aus Epithelnester in die Muscularis eindringen;
das Entstehen dieser Epithelhaufen aus dem Tuben-Epithel haben Zweifel
und Fuchs gezeigt.
Symptome. In Zweifel's Fall waren die Symptome ähnlich jenen
eines Ovarialtumors; überdies litt die Patientin an grosser Mattigkeit und
wässerig-gelblichem Ausfluss. Das letztere wird auch in anderen Fällen be-
richtet.
Die Diagnose scheint intra vitam et ante Operationen! noch nicht
gestellt worden zu sein; auch Zweifel dachte in seinem Falle doppelseitigen, pri-
mären Eileitercarcinoms an Ovarialtumoren; die Diagnose könnte sich auf das
rasche "Wachsen und die wurstförmige Gestalt des seitlich vom Uterus-Fundus
abgehenden Tumors, auf das Fehlen von Fieber (im Gegensatze zu Pyosalpinx)
und das Allgemeinbefinden (im Gegensatze zu Hydrosalpinx) stützen.
Die Therapie muss in operablen Fällen in der Laparotomie und Ab-
tragung des Tumors bestehen, sonst wird sie symptomatisch sein. Das letz-
tere gilt auch für das kaum vor der Eröffnung der Bauchhöhle zu diagnosticirende
secundäre Tuben-Carcinom, In einigen Fällen ist der carcinomatöse Eileiter
bei primärem Ovarialkrebs mit diesem durch Laparotomie entfernt worden.
V. Carcinom des Eierstocks.
Schröder fand unter 600 von ihm operirten Ovarial-Tumoren 100 bös-
artige = 16*7%, Leopold unter 116 Laparotomien 26 bösartige Geschwülste
= 2 2 -470; Zweifel fand unter 92 durch Laparotomie operirten Ovarialtu-
moren 14 maligne = 15"2''/o; darunter waren 8 Adenome, 5 Carcinome, 1
Sarkom. Die maligne Entartung des Eierstocks und seiner Geschwülste ist
demnach eine ziemlich häufige.
Pathologische Anatomie. Die jüngsten Arbeiten haben es wahr-
scheinlich gemacht, dass Ovarial-Cysten und epitheliale Ovarial-Tumoren über-
haupt sich postfötal nicht aus dem Keimepithel entwickeln, welches die Ober-
fläche der Eierstöcke überzieht, sondern aus dem Follikel-Epithel. Der Vor-
gang ist der, dass sich vom Follikel-Epithel aus drüsen- oder schlauchförmige
Einsenkungen in's umgebende Bindegewebe bilden; diese drüsenähnlichen
Sprossen können sich theils abschnüren und cystisch erweitern, theils immer
wieder neue Sprossen treiben; herrscht die Bildung abgeschnürter cystischer
Flaume vor, so nennt man den Tumor „multiloculäre Ovarial- Cyste";
an solchen Cysten findet man regelmässig wieder secundäre Drüsen-Einsen-
kungen in's Bindegewebe. Tritt die cystische Erweiterung gegen die Drüsen-
Neubildung in den Hintergrund, so hat man eine typische Drüsengeschwulst
vor sich; diese kann gutartig bleiben: Kystom a proliferum glanduläre,
oder bösartig werden, d. h. sowohl in angrenzendes fremdes Gewebe einbrechen,
als Metastasen bilden: Adenoma ovarii. — In anderen Fällen können aber
die anfangs drüsigen Einsenkungen, welche also vorerst ihr Lumen noch be-
sitzen, durch Epithelwucherung zu soliden Epithelnestern werden und wieder
solide Epithelsprossen bilden: Carcinoma ovarii.
Eine Abart des Kystoma proliferum glanduläre entsteht dann,
wenn die Neubildung nicht sowohl durch Einsenkung in die Tiefe, sondern
durch Papillenbildung in's Lumen der Cysten hinein stattfindet: Kystoma
proliferum papilläre. Diese Wucherungen sehen wie massenhafte, zu-
sammengeballte Warzen aus, vermehren sich meist äusserst rasch, können die
ganze Innenfläche der Cysten auskleiden, sie ausfüllen und schliesslich deren
Wand durchbrechen; so gelangen sie an die Oberfläche und werden durch den
Druck der üljrigen Cysten noch mehr vorgestülpt, so dass ihre zuerst concave
Basis nun convex wird; die Ovarien können vollständig in der Neubildung
aufgehen, so dass links und rechts vom Uterus grosse papillomatöse Tumoren
liegen. Erfahrungsgemäss bilden sie fast regelmässig Metastasen auf dem
CARCINOM DER WEIBLICHEN SEXUALORGAXE. 155
Peritoneum, sie sind klinisch als maligne Tumoren zu bezeichnen; pathologisch-
anatomisch müssen sie wohl eher den Adenomen als den Carcinomen ein-
gereiht werden. Man wird deshalb auch Quknu Üeclit geben, wenn er die
Bildung der papillären und glandulären Neubildungen für gleichartige Wucher-
ungsprocesse hält; nur findet im ersten Falle die Wucherung mehr nach der
Oberfläche, im zweiten mehr nach der Tiefe zu statt. Die glandulären Ge-
schwülste (sowohl gut- als bösartige) können sich durch die Bildung colloi-
der (leimartiger), zäher, dicker Flüssigkeit im Inneren der Hohlräume den
Beinamen colloides verdienen.
Klinisch sind noch die Pseudomyxome des Peritoneum als bös-
artig zu bezeichnen; sie entstehen dadurch, dass nach dem Platzen colloider
Ovarial-Cysten deren Inhalt sich in der Bauchhöhle ausbreitet und auf dem
des Epithels verlustig gehenden Peritoneum durch neugebildete Gelasse weiter-
ernährt wird.
Von bösartigen Epithelialgeschwülsten des Eierstocks kann
man also unterscheiden: 1. Adenome, und unter diesen wieder reine Drüsen-
geschwülste — Adenoma ovarii (sensu strictiori), und solche mit papillären
Wucherungen — Adenoma papilläre ovarii; und 2.) das Carcinoma
ovarii, ausgezeichnet durch die Bildung solider Epithelhaufen, welche in
fremdes Gewebe einbrechen.
Die Benennung der einzelnen Geschwülste des Ovarium ist seitens verschiedener
Autoren verschieden. In Vorstehendem wurde in strenger Verfolgung des am Anfange auf-
gestellten Grundsatzes der Unterschied zwischen d r ü s i g e n malignen Neubildungen (Ade-
nomen) und solchen mit soliden Epithelhaufen (Carcinomen) festgehalten. Man wird
dieser Eintheilung das Zugeständnis nicht versagen können, dass sie folgerichtig und ein-
heitlich ist ; sie gilt für den Uterus so gut wie für die Ovarien, für die Mamma ebenso wie
für die Oberhaut.
Synonyma sind: A. Gutartige Drüsengeschwülste des Ovarium — Multi-
loculäre Ovarialcyste, Kystoma myxoides glanduläre, Kystoma proliferum glanduläre;
B. Bösartige Geschwülste — Unterabtheikmgen : 1. mit erhaltenem Drüsenlumen —
Adenoma ovarii (proliferum, colloides), Colloidkystom — und der Unterart: Adenoma pa-
pilläre ovarii, Kystoma myxoides papilläre, Kystoma proliferum papilläre; 2. mit soliden
Epithelnestern: Carcinoma ovarii, Kystoma carcinomatosum.
Einige Schwierigkeiten in der mikroskopischen Diagnose entstehen gerade am Ova-
rium dadurch, dass Processe. die im foetalen Alter normal sind, beim Erwachsenen hoch-
gradig pathologisch sind; die Einsenkung'.des Keimepithels in Form solider Epithelzüge
in's Bindegewebe ist beim Foetus normal ; die Bildung solider Epithelhaufen (allerdings nicht
vom Keim- sondern vom Follikel-Epithel ausgehend) muss beim Erwachsenen als Carcinom
bezeichnet werden; eine andere Schwierigkeit liegt in der Bezeichnung „Einbrechen in
fremdes Gewebe." Denn bei der Entstehung multiloculärer Ovarialcysten schieben sich
die drüsigen Follikelschläuche in's umgebende Bindegewebe ; trotzdem handelt es sich dabei
noch nicht um die Bildung eine]- malignen Geschwulst; diese kann erst dann als solche
bezeichnet werden, wenn die Drüsenneubildung auf Nachbarorgane (Peritoneum, Tube)
übergreift oder Metastasen macht.
Das Epithel kann in Ovarialtumoren alle Formen zeigen, vom niedrig-
kubischen bis zum hochcylindrischen und vielschichtigen polygonalen Epithel.
In normalen Follikeln ist es meist kubisch bis polygonal in niedrigen Schichten.
Die Follikel-Sprossen pflegen cylindrisches, lebhaft sich vermehrendes Epithel
zu besitzen, die Cysten ebensolches bis hochcylindrisches, oft mit schleimiger
Degeneration des oberen Theils des Protoplasmas („Becherzellen"); jedoch
kommen in älteren Cysten auch Stellen mit niedrigpolygonalem Epithel sowie
epithelfreie Stellen vor. In Colloid-Kystomen und Adenomen ist es meist
sehr hoch cylindrisch und die Zellen sitzen wie Körner und Grannen einer
Kornähre auf den Bindegewebspapillen, ein mikroskopisch äusserst zier-
liches Bild.
In den soliden Epithelnestern des Carcinoms sind die basalen ZeUeu
mehr weniger deutlich cylindrisch, die übrigen polygonal.
Makroskopisch kann Carcinom des Eierstocks nicht mit Sicherheit
von einer multiloculären Cyste unterschieden werden, wenn es sich nicht um
papilläre Tumoren handelt, die schon an der Oberfläche dui'chgebrochen sind.
156 CARCINOM DER ^YEIBLICHEN SEXUALORGANE.
Aber auch diese können mit benignen Papillomen venvecliselt werden, welche
ähnlich aussehen, aber meist nur vereinzelt der Oberfläche aufsitzen und
mikroskopisch nur aus breiten bindegewebigen Papillen mit flachkubischem
Epithel bestehen. Carcinom des Ovarium kann an der Oberfläche einem
derben multiloculären Kystom gleichen, da es auch aus und in diesem ebenso
wie in Dermoidcysten sich gelegentlich entwickelt. Die flachhöckerige, im
übrigen mit glatter Membran überzogene Oberfläche lässt stellenweise Cysten
bläulich durchschimmern. Auf der Schnittfläche fällt dagegen die markige
Consistenz des Carcinomgewebes und der abstreiibare milchige Saft („Krebs-
milch") auf; dazwischen können wieder Cysten mit serösem bis colloidem
Inhalt liegen. Adenome sehen den Colloidcysten sehr ähnlich ■ — man sieht
massenhafte kleinfächerige Abtheilungen, gefüllt mit zähem Colloid, stellen-
weise so klein, dass das Aussehen der Schnittfläche eher markig wird. Auf-
fallen muss stets die reichliche Adhaesions-Bildung an der Obei^äche.
Symptome und Verlauf, Die ersten Symptome sind wohl nicht von
jenen eines gutartigen Ovarialtumors zu unterscheiden. Sie bestehen in Druck
auf die Nachbar-Organe (Blasenbeschwerden, Urindrang oder erschwerte Ent-
leerung, Verstopfung) Vergrösserung des Leibes, Appetitlosigkeit, Uebelkeit,
Erbrechen, Abmagerung, Schmerzen im Leib, Kreuz und den Schenkeln, An-
schwellen und Milchsecretion der Brüste; Störungen der Menses, meist als zu
häufige und zu reichliche Menstruation ; Oedem der Beine, der Vulva und der
Bauchhaut; als eines der wichtigsten Symptome bei malignen Bauchtumoren
muss reichlicher Ascites gelten, ebenso die rasche Grösseuzunahme der Ge-
schwulst, die aber nicht, wie bei Stieldrehung gutartiger Ovarialtumoren, ganz
plötzlich und unter Fieber stattfindet; umschriebene Peritonitis kann im
Bereich der Neubildung, allgemeine Peritonitis aber besonders bei carcinoma-
töser Infection des Peritoneum eintreten, w^enn z. B. papilläre Tumoren das
Ovarium durchbrechen. Unter rascher Vergrösserung der Geschwulst, zu-
nehmendem Ascites u. s. w, kann es zu tödtlichem Lungen-Oedem kommen
oder durch Peritonitis, Metastasen in anderen Organen u. s. w. der Exitus
herbeigeführt werden.
Die Diagnose der Bösartigkeit eines Ovarialtumors (über die all-
gemeine Diagnose der Eierstockgeschwülste vide Ovarium) stützt sich vor
Allem auf das stetige, aber rasche Wachsthum, den reichlichen Ascites, die
ausgedehnten Adhäsionen und die mehr weniger ausgesprochene Cachexie:
gelbliche Gesichtsfarbe, Mattigkeit, Appetitmangel u. s. w. Allerdings können
alle diese Symptome auch bei benignen Ovarialtumoren und selbst bei Myo-
men vorhanden sein. Reichlicher Ascites wird noch am meisten den Verdacht
auf eine maligne Neubildung rechtfertigen.
Papilläre Wucherungen kann man bimanuell, besonders manchmal vom
Rectum aus fühlen; im Douglas können sie zwar mit fibrinösen Gerinnseln ver-
wechselt werden, aber zerdrückbare papilläre Wucherungen geben das ziemlich
charakteristische Gefühl des „Schneeballknirschens." Beim Percutiren des
Abdomens muss man sich daran erinnern, dass bei der peritonitischen und
carcinomatösen Erkrankung des Bauchfells das Mesenterium oft stark verkürzt
ist; die Därme können dann nicht auf der Oberfläche der Flüssigkeit schwimmen
und man hört leeren Percussionsschall, ohne dass ein solider Tumor vorhan-
den ist. Beim Palpii'en kann man Carcinomknoten der Leber, etwas schwerer
des Peritoneum und der Därme durchfühlen; die letzteren sind leicht von
jenen anderer Organe dadurch zu unterscheiden, dass Darmgeschwülste stets
den tympanitischen Darmschall durchhören lassen. Die Diagnose kann er-
leichtert werden, wenn man durch Function des Abdomens die ascitische
Flüssigkeit entfernt; man fühlt dann oft vollkommen deutlich die höckerigen
Knoten, die bei der enormen Spannung zuerst nicht palpabel waren. Im
äussersten Falle muss die Prob e-Laparotomie gemacht werden, an welche
CASTRATION. 157
sich in operablen Fällen gleich die Entfernung des Tumors anfügt, während
man bei inoperablen Geschwülsten und beim Vorhandensein von Metastasen
die Bauchhöhle sofort wieder schliesst.
Die Prognose ist schlecht, da einerseits die Diagnose oft zu spät
gestellt wird, so dass eine Operation nicht mehr ausführbar ist, und da ander-
seits auch nach der operativen Entfernung des Tumors Ilecidiven häufig sind;
immerhin ist eine grosse Anzahl endgiltiger Heilungen durch Operation bekannt.
Die Therapie muss in operablen Fällen in der Exstirpation bestehen;
als inoperabel wird man solche Fälle ansehen, wo Peritoneum, Darm, Leber
u. s. w. schon Metastasen zeigen; sind die Tuben secundär carcinomatös, so
entfernt man sie mit den Ovarien; ist anscheinend nur ein Ovarium erkrankt,
so trägt man besser auch das andere ab, da Krebs der Eierstöcke sehr häufig
doppelseitig auftritt. — Ueber die Technik der Operation vgl. Ovarium und
Ovariotomie. — Inoperable Fälle werden symptomatisch behandelt: Ptobo-
rantien, schmerzstillende Mittel, Function des Ascites bei starken Kreislauf-
störungen, besonders bei hochgradigen Athembeschwerden und drohendem
Lungen-Oedem; die Function (mit Troicart) muss nöthigenfalls öfters wieder-
holt werden. Gustav klein.
CastratiOil. Unter Castration versteht man die Entfernung nor-
maler Ovarien oder wenig veränderter Ovarien zum Zwecke der Herbei-
führung des vorzeitigen Climacteriums. Speciell diese Indication ist es, welche
die Entfernung beider Ovarien als Castration erscheinen lässt. Demgemäss
kommt es hiebei darauf an, die Ovulation und die damit verbundene Men-
struation vorzeitig zum Stillstand zu bringen. Es kann also die Castration in
Frage kommen in solchen Fällen, wo die Menstruation, resp. die Ovulation allein
einen krankhaften Process bedingen, resp. solche Beschwerden erregen, dass es
nothwendig erscheint, diesen physiologischen Process zum Stillstand zu bringen,
oder aber bei solchen Fällen, wo unter dem Einfluss der Menstruation ein
vorhandener Krankheitsprocess mächtig erregt wird, während andererseits
durch das vorzeitig eintretende Climacterium ein Stillstand im Fortgange der
Erkrankung mit Sicherheit zu erwarten ist.
Die erste Kategorie wird solche Fälle betreffen, bei welchen in Folge
rudimentärer Entwicklung einzelner Theile des Geschlechtsapparates die Men-
struation derartige Molimina verursacht, dass man, umsomehr als wegen der
rudimentären Entwicklung an eine Conception nicht zu denken ist, die Castration
ungescheut vornehmen darf. Insbesondere bei der rudimentären Entwicklung
eines Hernes oder bei einer hochgradigen Hypoplasie des Uterus finden wir
derartige heftige Beschwerden als Schmerzen, Krampfanfälle, welche oft genug
Bewusstseinsstörungen hervorrufen; oder aber es handelt sich um eine Atresie
der Vagina oder des Uterus, und trotz vollzogener operativer Eröffnung von
aussen gelingt es nicht, den Weg offen zu erhalten, so dass die Gefahi- einer
immer wieder sich neubildenden Hämatokolpos oder Hämatometra sich ein-
stellt und man demgemäss dem ganzen Process Halt gebietet durch die Aus-
führung der Castration. Des Ferneren wird von einzelnen iVutoren bei schweren
Fällen von Retroflexio uteri, die mit ausserordentlich hochgradigen, schwächenden
Blutungen verbunden sind, die Ventrofixation des Uterus ersetzt oder aber
combinirt mit der Ausführung der Castration.
Eine ganz ausserordentliche Bedeutung hat diese Operation für die
Therapie der Myome. Wir wissen, dass die Myome in der Regel bei
Fortdauer der Menstruation besondere Beschwerden machen, entweder durch
ihr Wachsthum oder durch ihre Lage oder aber durch schwere menstruelle
Blutungen, dass in der Regel bei dem allerdings sehr verspätet eintretenden
Climacterium ein Stillstand dieser Beschwerden eintritt, wenn nicht eventuell
die enorme Grösse des Myoms oder seine Lagerung die Beschwerden andauernd
158 CASTRATION.
forterhält. Jedenfalls tritt in den meisten Fällen ein Stillstand des Wachs-
timms, ja oft genug eine regressive Metamorphose der Neubildung ein in dem
Momente, wo die Menstruation cessirt. Man kann daher insbesondere in
solchen Fällen, wo einzig und allein die schweren Blutungen jenes Symptom
sind, welches als lebensbedrohlich aufzufassen ist, die Castration ausführen
und dadurch eine vollständige Heilung erzielen, da ja vom Myom aus in
diesen Fällen gar keine anderen Symptome als die der Blutungen manifest
waren. Aber auch in Fällen, wo es sich nicht allein um das Aufhören der
Blutung handelt, sondern wo die Entfernung eines Myoms technisch undurch-
führbar oder aber mit grossen Gefahren für Patientin verbunden wäre, würde
eventuell die Castration an die Stelle der Myomotomie zu setzen sein.
Des Ferneren gehören hieher jene Fälle, in welchen man wegen be-
stehender 0 s t e 0 m a 1 a c i e die Ovarien entfernt, ausgehend von der That-
sache, dass nach den bisherigen Erfahrungen bei Kaiserschnitten nach Poreo
wie auch ausserhall) der Schwangerschaft wegen Osteomalacie ausgeführten
Castrationen ein vollständiger Stillstand des Processes oft genug eingetreten
war. Wenn auch derzeit nach den Arbeiten PETRom's und Anderer die Ur-
sache für diesen Stillstand nicht so sehr in der Castration als in chemischen
Processen, die in Folge des Einflusses der Narcose stattfinden, zu suchen ist,
so müssen wir die bisherigen Ansichten dahin charakterisiren, dass durch die
Castration eine wesentliche Besserung des Processes herbeigeführt werden
könne.
Zu erwähnen wäre noch die Castration bei schweren nervösen Erschei-
nungen, bei Hysterie, Hy steroepilepsie, Menstrualpsy chosen etc.
Auch die Frage über den Einfluss der Castration auf die Reflexneurosen und
Psychosen ist keine geklärte. Wenn es auch sicher ist, dass durch Hin-
wegräumung der einen occasionellen Ursache der Menstruation durch die Ca-
stration oft vorübergehend und scheinbar eine Heilung oder Besserung der
Psychose beobachtet wird, so ist es doch Thatsache, dass in sehr zahkeichen
Fällen nach einiger Zeit dieselben schweren Erscheinungen wieder auftreten,
welche früher die Veranlassung zur Castration gegeben haben. Es wird
daher diese Indication nur in den seltensten Fällen überhaupt in Frage kom-
men können.
Was die Technik der Castration anbelangt, so ist sie zunächst dieselbe
wie die der Adnexoperationen. Auch bei der Castration wird uns die Becken-
hochlagerung ganz ausserordentliche Dienste leisten. Wir sind im Stande, die
Blutstillung exact zu machen und die Entfernung der Ovarien vollständig
vorzunehmen. Darauf basirt der ganze Erfolg der Operation. Wenn insbe-
sondere bei Myomen hie und da nach der Castration schlechte Erfolge be-
richtet werden, so sind die Misserfolge in einer ganzen Reihe von Fällen,
wie wiederholte Laparatomien bewiesen haben, darauf zurückzuführen, dass
Pteste der Ovarien bei der ersten Castration zurückgelassen wurden und dem-
gemäss ein vollständiger Stillstand der Ovulation, resp. Menstruation nicht
stattgefunden, daher der Zweck der ersten Operation nicht erreicht wurde.
Man muss vielmehr bestrebt sein, das Ligamentum ovarii proprium dicht
an der Uteruskante zu unterbinden und den Stiel möglichst entfernt
vom medialen Pol des Ovariums zu durchtrennen. Der Sicherheit halber
empfiehlt es sich, umsomehr als ja die Tube ohne das entsprechende Ova-
rium für den Organismus keinen Werth hat, mit den Ovarien auch die
entsprechende Tube zu entfernen. Jedenfalls ist es nothwendig, das liga-
mentum ovarii proprium separat zu ligiren und da ja gerade in solchen
Fällen, wo die Castration nothwendig wird, sehr häufig ein ausserordentlicher
Blutreichthum der Ligamenta lata besteht, für das Einführen des Unterbin-
dungsinstrumentes solche Stellen auszusuchen, an welchen man mit Sicherheit
grösseren venösen Gefässen ausweichen kann, um eine stärkere Blutung oder
CEßVIXKATARRH. 159
die Gefahr der Nachblutung zu vermeiden. Technisch scliwer kann die Ca-
stration nur in solchen Fällen von Myomen sein, wo die Ovarien selir tief
und an das Myom nahe herangezogen erscheinen. In solchen Fällen wird wohl
die Frage erwogen werden müssen, ob niclit die Myomotomie technisch leicliter
ausführbar sei als die Castration, und wird man sich dann gewiss für den er-
steren radicaleren Eingriff entschliessen müssen. Ohne vollen Einfiuss auf
das Wachsthum des Myoms bleibt die Castration in solchen Fällen, wo die
Ernährung des Myoms auch stattgefunden hat, nicht blos von Seiten der
uterinalen Gefässe, sondern auch durch Gefässe, welche auf dem Wege der
Adhäsionen zum Myom gebracht werden. Gelingt es nicht, bei der Operation
diese Adhäsionen zu lösen, oder stehen wir davon wegen der Gefälirlichkeit
des Eingriffes ab, so werden wir doch durch die Castration und die damit
verbundene Unterbindung eines für die Ernährung des Myoms wiclitigen
Weges das Wachsthum der Geschwulst einigermaassen zu l)eeinflussen im
Stande sein. k. a. hekzfeld.
Cervixkatarrh . Endometritis cervicis. Manunterscheidetdieseltene
acute und eine chronische Form des Cervixkatarrhs. Die acute
sieht man nach schwerer gonorrhoischer oder septischer Infection. Letztere
ist am häufigsten nach Geburten, wo die Einrisse des Cervix die Eingangs-
pforte der Streptococceninvasion bilden — gelegentlich beobachtet man sie
aber auch nach gynäkologischen Operationen, l)ei welchen die Antisepsis nicht
streng durchgeführt wurde.
Die acute gonorrhoische Form des Katarrhs gibt sich dadurch zu
erkennen, dass die Portio geschwollen ist und eine lebhaftere Röthung zeigt,
dass aus dem Muttermund reichlich Eiter quillt, und sich die Cervicalschleim-
haut, geschwollen und lebhaft geröthet, aus dem Muttermund herausdrängt.
Zusammen mit der in diesen Fällen stets vorhandenen Urethritis und Kolpitis
acuta ist ein Symptomencomplex vorhanden, der auch ohne Untersuchung des
Cervixsecrets auf Gonococcen, die Diagnose auf Gonorrhoe sichert. Bei der
septischen Infection von Cervixläsionen tritt die Entzündung der
Cervicalschleimhaut gegen die missfärbigen, aus den Verletzungen entstan-
denen Geschwüre mehr in den Hintergrund. Hier ist übelriechender Ausfluss
und Fieber vorhanden. Die Diagnose ist somit eine leichte.
Was die Prognose anbelangt, so beruht die Gefahr der gonor-
rhoischen Entzündung auf der Weiterverbreitung der Entzündung auf die
Corpus-, Tubenschleimhaut, auf das Beckenbauchfell und die Ovarien. Die
Entzündung, die meistens zu abgesackten Abscessen in der Tube, den Ovarien
und im Beckenbauchfell führt, kann in seltenen Fällen in eine allgemeine
gonorrhoische Peritonitis (Wertheim) ausgehen, und so den Tod verursachen.
Mindestens ist aber, sobald der Process das Beckenbauchfell ei^griffen hat,
schweres Siechthum die Folge der Propagation der Entzündung der Cervical-
schleimhaut. Bei der septischen Form hängt der Ausgang ebenfalls da-
von ab, ob die Entzündung eine locale bleibt, oder sich durch die Lymph-
und Blutbahnen fortpflanzt.
Die Therapie hat bei der gonorrhoischen Entzündung nui" in
antiseptischen Scheidenausspülungen (mit f/j-iger Lysollösung) und nach-
folgender Tamponade der Scheide mit Jodoformgaze zu bestehen, die am besten
täglich vorgenommen wird. Auch eine l^o-ige Chlorziuldösung (Feitsch) ist füi"
die genannten Ausspülungen sehr erapfehlenswerth. Neben der Sorge füi" Fort-
schaffung des Secrets ist absolute Bettruhe nothwendig, regelmässige LTinent-
leerung und bei Entzündungserscheinungen seitens des ganzen LTterus oder
des Beckenbauchfells die Application einer Eisblase. Die septische Form
ist local durch Bespülung der Geschwüre mit l^o-iger Lysollösung und nach-
folgendes Einpudern mit Jodoform zu behandeln. Bei schwerer Allgemein-
160 CERVIXKATAREH.
infection ist allerdings von dieser Behandlung kein Erfolg mehr zu erwarten
und in solchen Fällen zu unterlassen, um den Patientinnen die unnöthige
Belästigung zu ersparen.
D er chronische C e r v i x k a t a r r h entsteht entweder aus der acuten
Form, oder tritt ohne ein solches acutes Stadium in die Erscheinung. Aber
auch in diesem letzteren Fall wird er durch dieselben Noxen verursacht, wie
die acute Form. Vor Allem spielt hier wieder die gonorrhoische Infection eine
Hauptrolle. Auch leichtere septische Infectionen bei Geburten kommen hier
in Betracht.Aber auch bei Virgines ist, wie B. S. Schultze hervorhebt, zur
Zeit der Menstruation durch die feuchte Strasse des ausfliessenden Blutes
Gelegenheit zur Infection gegeben, zumal wenn bei mangelnder Reinlichkeit
sich das Blut an den äusseren Geschlechtstheilen zersetzt. Besonders leicht
sind natürlich bacterielle Invasionen möglich, wenn die Yagina durch alte
Dammrisse, der Cervix durch alte Einrisse klaflt.
Pathologische Anatomie: Die entzündete Schleimhaut schwillt an, ist stark
geröthet und secernirt Schleim oder Eiter in grösseren Mengen. Besonders wuchert das
Cylinderepithel und schickt drüsige Einsenkungen in die Tiefe. Auch auf der Aussenseite
der Portio wandelt sich von den tiefsten Epithelschichten aus das Plattenepithel in Cylinder-
epithel um (C. PbUNGE und J.Veit). Hierdurch entsteht das Bild der einfachen Erosion.
Es handelt sich hier also nicht, wie man früher annahm, um einen Substanzverlust, sondern
um eine Umwandlung des Gewebes. Indessen kann nach den Untersuchungen Döder-
lein's und des Verfassers das Cylinderepithel der Erosion secundär abgestossen werden,
wodurch also dann wirklich ein Substanzverlust, eine wirkliche Erosion im Sinne der
älteren Auffassung entsteht. Gehen die drüsigen Einsenkungen regelmässig senkrecht in
die Tiefe, so entstehen zwischen ihnen fein zerklüftete Theile der Schleimhaut, die mikro-
skopisch wie Papillen aussehen — papilläre Erosion. Schnüren sich die Drüsen ab, so
entstehen mit Secret gefüllte Hohlräume — folliculäre Erosion. Diese vergrössei'n
sich und ragen über das Niveau der Schleimhaut hervor. Durch ihre Schwere können sie
die angrenzende Schleimhaut zu einem Stiel ausziehen. So entstehen die Schleimhaut-
polypen. Wächst eine grössei'e Zahl neben einander liegender Follikel, betheiligt sich an
der Wucherung auch das Cervixgewebe selbst, so entsteht Virghow's folliculäre Hy-
pertrophie der Lippe. Die Vergrösserung kann so bedeutend werden, dass die Lippe
bis zur Vulva reicht. Tritt diese Cystenbildung bei der Wucherung des Cervixgewebes
nicht so sehr in den Vordergrund, so bilden sich wulstartige Hervorragungen in die Cer-
vicalhöhle hinein, welche den Verdacht carcinomatöser Erkrankung erwecken können. Bei
Nulliparen mit engem Muttermund wird durch die Secretverhaltung der Cervix ballonartig
ausgedehnt.
Symptome: Dieselben bestehen in der reichlichen Absonderung des
zähen, oft mit Eiter vermengten Cervixsecrets, in Blutungen, die nicht nur
zur Zeit der Regel verstärkt sind, sondern auch ausserhalb derselben auf-
treten, und in Schmerzen, die bei folliculärer Erosion oft als unerträgliches
Brennen geschildert werden.
Diagnose. Schon bei der digitalen Exploration fällt einem die weiche
oder körnige Beschaffenheit der Umgebung des Muttermundes auf. Am Finger
hängt oft ein Klumpen des zähen Cervixsecrets. Im Speculum sieht man die
Erosion, d. h. der Muttermund ist von einem lebhaft gerötheten Hof umgeben,
der scharf gegen die blassere Färbung der normalen Portioschleimhaut ab-
sticht. Handelt es sich um eine papilläre Erosion, so erkennt man eine fein-
körnige Beschaffenheit, beim Abtupfen des Secrets kommt es häufig zu Blu-
tungen; bei der folliculären Erosion prominiren die Follikel als graue oder
gelbe Knötchen {Ovula Nahothi). Die entzündete Cervicalschleimhaut selbst
bekommt man bei alten Cervixrissen zu Gesicht {Ectropium). Was man bei
Mehrgeliärenden als Erosion bezeichnet, ist nach Roser, Emmet und Döerlein,
denen sich Verf. auf Grund eigener Untersuchungen anschliesst, der Haupt-
sache nach Ectropium, d. h. durch einen nicht verheilten Cervixriss sichtbar
gemachte Cervicalschleimhaut. Als reine Erosionen möchte Verfasser nur die
seltenen Erosionen bei Nulliparen mit engem Muttermund gelten lassen, die
sich weit über die Aussenfläche der Portio hin erstrecken. Ist der Mutter-
mund bei Nulliparen nur in beschränktem Umkreis von einer lebhaft ge-
CERVIXKATARRH.
161
rötheten Zone umgeben, so kann diese sogenannte Erosion auch ein Ectro-
pium sein, cl. h. die aus dem Muttermund hervorquellende entzündlich ge-
schwellte Cervicalschleimhaut. Denn nur bei sehr engem Muttermund sieht
man von der entzündeten Cervicalschleimhaut nichts. Dann ist stets die oben
genannte Erweiterung der Cervicalhölile und die Auftreibung des ganzen
Cervix vorhanden. Die Polypen und die folliculäre Hypertrophie erkennt man
ohne Weiteres im Speculum.
Uebrigens erscheint das Carcinom der Portio im Beginn auch als leicht
blutende Erosion. Bei genauer Betrachtung unterscheidet man jedoch nach
GussEROw diese beiden Affectionen dadurch von einander, dass das beginnende
Cancroid ein tiefer greifendes Geschwür, also einen Su})stanzverlust darstellt
mit oft deutlich erhabenen, etwas infiltrirten Rändern. Gewissheit gibt nur
die Excision eines das Cervixgewebe selbst mitfassenden Stückchens und die
mikroskopische Untersuchung desselben.
Prognose: Die Gesundheit leidet unter den abnormen Säfteverlusten
und infolge der Schmerzen. Durch den Cervixkatarrh wird bei Nulliparen
Sterilität gesetzt, die ja auch auf die Psyche ungünstig einwirken kann. Die
Möglichkeit einer malignen Degeneration ist vorhanden.
Therapie: Der wichtigste Theil der Behandlung besteht in den thera-
peutischen Einwirkungen auf die erkrankte Cervical- und eventuell auch Corpus-
schleimhaut selbst. Die Behandlung der Erosion allein ist nur von unter-
geordneter therapeutischer Bedeutung. Den Cervixkatarrh behandelt man nach
Entfernung des Schleims durch Ausspülung zunächst durch Auskratzen
des Cervicalcanals mit einer Curette oder scharfem Löffel. Wenn auch hier-
durch die Schleimhaut nicht vollständig entfernt wird, so werden doch eine
Menge Gefässe eröffnet, die Hyperämie nimmt ab. Dies erreicht man an der
Erosion durch Stichelung derselben mit einem Lanzenm.esser. Danach wird
der Cervicalcanal und die Erosion mit einer in 507o-iger Chlorzinklösung
getauchten, watte-umwickelten Sonde geätzt, wieder ausgespült, ausgewischt,
und ein Jodoformglycerintampon gegen die Portio gelegt, welchen die Patientin
nach 24 Stunden zu entfernen hat. 8 Tage später beginnt man mit wei-
teren Aetzungen der Cervicalschleimhaut und der Erosion, die man alle 4 — 8
Tage wiederholt. Als Aetzmittel erfreuen sich der gereinigte Holzessig, die
reine Salpetersäure, der Liq. Bellostii (Sol. Hydi-arg}^-! nitrici oxydulati), in
letzter Zeit besonders die 10— öO^/o-igen Chlorzinklösungen grosser Beliebtheit.
In Fällen von Cervixkatarrh mit ausgedehnter
Follikelbildung gelingt es vermittels dieser Behand-
lung nicht, die Entzündung zu beseitigen. Hier ist
die operative Entfernung*) der erkrankten
Schleimhaut vermittels der von Schröder angege-
benen Excisio mucosae cervicis indicirt.
Zu dem Zweck werden die beiden Lippen mit 2 Kugel-
zangen gefasst, nach abwärts gezogen und mit einer Cowpee.-
schen Scbeere bis zur Grenze der Erosion seitlich auf-
geschnitten. Sodann umschneidet man an der vorderen Lippe
(Fig. 1, a) die Erosion und dringt mit diesem Schnitt schräg
nach oben in die Tiefe. In diesen Schnitt fällt ein zweiter, wel-
cher quer die Cervicalschleimhaut der vorderen Lippe durch-
setzt. Schröder legt besonders Werth darauf, diesen Quer-
schnitt so hoch wie möglich zu fähren. Indessen wird hier-
durch eine exacte, die ganze Wundfläche umfassende Naht
schwierig, und es entsteht leicht eine Tasche. Auch wird
die ganze Cervicalschleimhaut doch nicht entfernt. Die ent-
standene Wunde, in der oft mehrere Arterien spritzen, wird
sofort vernäht (Fig. 2), indem der vordere Wundrand in der
Mitte durchstochen, die Nadel unter der ganzen Wunde durch-
*) Vrgl. zum Nachfolgenden auch Artikel „Fortio- Operationen" (J. Elischer),
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 11
162 CEKVIXKATARRH.
und im Cervicalcanal herausgeführt wird. Ist die Blutung stark, so wird sofort geknüpft,
nachdem der rechtsstehende Assistent den vorderen Wundrand mit einer Hakenpincette an
den hinteren cervicalen Wundrand herangezogen hat. In derselben Weise legt der
Operateur noch je eine oder zwei seitliche Suturen an, welche die Portio- esact mit
der Cervicalschleimhaut vereinigen. An den langgelassenen Fäden zieht der linksstehende
Assistent die Portio nach abwärts, während der Operateur, die Kugelzange der hinteren
Lippe mit der linken Hand fassend, in der schon geschilderten Weise die Erosion umschnei-
det und dann den Querschnitt über die hintere Lippe führt. Die Vernähung geschieht an
der hinteren Lippe natürlich derart, dass jetzt in der Cervicalschleimhaut ein- und an der
Portioschleimhaut ausge~stochen wird, und dass der Assistent den Portiolappen in die Höhe
zieht. Nach der Yernähung der hinteren Lippe w^erden die langgelassenen Fäden beider
Lipjjen von dem rechtsstehenden Assistenten nach rechts gezogen, worauf der Operateur
den linken Seitenschnitt durch eine oder mehrere von oben nach unten durchgeführte
Nähte vereinigt. Im Moment des Knüpfens muss der rechte Assistent durch Eindrücken
der Wunde mit einer Pincette für die genaue Adaption der Wundränder sorgen. In der-
selben Weise wird mutatis mutandis der rechte Seitenschnitt vereinigt. Nunmehr werden
die Fäden abgeschnitten, die Portio mit Jodoform bepudert und ein Jodoformgazestreifen
eingelegt.
Ist der Cervicalcanal sehr weit, so lässt sich auch an den Seiten die Portio- mit der
Cervicalschleimhaut vereinigen. Die isolirte Vernähung der Seitenschnitte fällt dann fort.
Dies ist die HEGAR'sche Methode der circulären ümsäumung.
Da an der hinteren Lippe durch eine eigenthümliche Ptetraction der Wunde diese
oft dicht an den DouGLAs'schen Raum stösst, die unter der Wunde durchgeführten Fäden
somit das Peritoneum mitfassen oder demselben dicht anliegen, so hat Verf. gerathen, an
der hinteren Lippe die Wunde in der Tiefe zunächst durch einige Catgutsuturen zu ver-
schliessen und darüber Cervical- und Portioschleimhaut durch oberflächliche Nähte zu ver-
einigen. Hierdurch wird einer Peri-, resp. Parametritis posterior vorgebeugt, welche sich in
mindestens 10°l„ der Fälle an alle Absetzungen der hinteren Lippe anschliesst. Denn wenn
von infectiösem Cervix- oder Scheidensecret eine Infection der Stichcanäle stattfindet, so
bleibt die Entzündung der Stichcanäle bei dieser Doppelnaht eine oberflächliche, schreitet
nicht auf das Peritoneum fort. Der genannten Retraction lässt sich auch dadurch vor-
beugen, dass man bei allen Excisionen an der Portio den äusseren Schnitt an der Unter-,
nicht an der Hinterseite der Portio beginnt.
Führt man den Schnitt über die Portioschleimhaut etwas höher, so gibt
das die „keilförmige Excision oder Amputation der Portio" (Fig. 1,
c, d, e), legt man dagegen den inneren Schnitt tiefer an die Grenze der Portio-
und Cervicalschleimhaut und schneidet schräg nach oben und aussen, so gibt
das die kegelmantelförmige Excision (Fig. 1, die punktirte Linie
bei b). Erstere hat besonders A. Martin empfohlen, um l)ei chronischer
Metritis eine Involution des gesammten Uterus zu erzielen, letztere ist von
Simon und Küster bei Stenosen des Muttermundes angegeben.
Als Nahtmaterial empfiehlt sich Seide, Silkworm oder Silberdraht. Neuerdings wählt
man auch vielfach Catgut.
Die Patientin muss mindestens 8 Tage das Bett hüten. Die Fäden können später
entfernt werden.
Bei Cervixkatarrh in Verbindung mit tieferen Cervixrissen
genügt die Beseitigung des Katarrhs nicht zur Heilung aller Beschwerden.
Vom Ptisswinkel strahlen Narbenzüge in das Parametrium aus, w^elche dauernde
Schmerzen unterhalten. Auch Recidive des Cervixkatarrhs sind sehr häufig.
Hier ist die operative Schliessung des Cervixrisses indicirt.
Zu dem Zweck wird die Portio mit 2 Kugelzangen herab-, die Lippen auseinander-
gezogen, und der Riss angefrischt. Die Anfrischung ist ^j^—l cm breit und greift zum
Theil auf die Cervicalschleimhaut über. Nach unten hin, gegen den neuzubildenden Mutter-
mund, wird die Anfrischung schmäler. Schwierig ist die Anfrischung oft im Risswinkel.
Die obere Hälfte der Anfrischung wird mit der unteren durch 4 Nähte vereinigt. Der erste
Faden liegt dicht am Risswinkel und geht unter der ganzen Wunde durch. Derselbe wird
nicht geknotet, sondern bei linksseitigem Cervixriss von dem linken Assistenten nach links
gezogen. Die nächsten 3 Nähte werden an der oberen Hälfte der Anfrischung in der Portio-
schleimhaut eingestochen, unter der Wunde durchgeführt, an der Grenze der Cervical-
CERVIXSTENOSE. 163
Schleimhaut ausgestochen, an derselben Stelle der unteren Hälfte der Anfrischung sofort
wieder eingestochen, unter der Wunde durchgeführt und in der Portioschleimhaut aus-
gestochen. Geknüpft wird erst, wenn säntimtliche Nähte gelegt sind CFig. 3). Bei doppel-
seitigem Riss wird auf beiden Seiten angefrischt. Hier schneiden sich die Anfrischungs-
flächen nicht unter einem spitzen Winkel, sondern die untere bildet die directe Verlängerung
der oberen. Die Anfrischung ist daher beim doppelseitigen Riss leicliter, die Vernähung
schwieriger. Letztere kann man sich dadurch erleichtern, dass man sicii mittels der Kugel-
zangen die Portio bei Vernähung der linken Seite nacli rechts, bei Vernähung der rechten
Seite nach links ziehen lässt. Der besseren Uebersicht halber macht man bei doppelseiti-
gem Riss die Anfrischung gleich auf beiden Seiten — falls es nicht zu stark blutet — und
legt ebenfalls alle Nähte, bevor man knüpft. Ist die Blutung stark, so knüpft man den
Faden im Risswinkel.
Fig. 3.
In der letzten Zeit hat Verfasser bei zahlreichen Cervixrissen nach der Anfrischung die
in Fig. 4 dargestellte Nahtanlegung gewählt. Dieselbe hat den Vortheil, dass eine Infection
der Stichcanäle vom Cervix aus nicht möglich ist, da die Cervixschleimhaut gar nicht
durchstochen wird.
Die weitere Behandlung ist dieselbe, wie bei der Excisio mucosae cervicis.
Ist die Endometritis cervicis bei gleichzeitigem Cervixriss mit stärkerer Follikelbildung
verknüpft, ist also die Excisio mucosae cervicis indicirt, so lässt sich diese mit der
EiiMET'schen Operation combiniren. Man schneidet den Risswinkel mit der Scheere
leicht ein und lässt dann den die Portio umkreisenden und den cervicalen Schnitt in den
Risswinkel auslaufen.
Auch ohne Anfrischung lässt sich ein Cervixriss schliessen, indem man den Riss an
der Grenze zwischen Portio- und Cervicalschleimhaut ^/^ cm tief einschneidet (in der Länge
und Richtung der Linie c d in Fig. 4). Durch das Auseinanderweichen, resp. Auseinander-
ziehen der Wundränder entsteht eine Wundfläche, deren obere Hälfte
genau wie bei der oben beschriebenen EMMET'schen Operation und durch
dieselbe Art der Nahtanlegung mit der unteren vereinigt wird. Noch ein-
facher gestaltet sich die Nahtanlegung, die ich ebenfalls mit Erfolg an-
wandte, mit einer einzigen Naht, welche der Länge nach unter der
oberen Wundfläche durchgeführt, im Risswinkel aus-, dicht daneben wie-
der eingestochen und nun unter der unteren Wundfläche durchgeführt
wird (cf. Fig. 4). Die Durchführung der Nadel wird dadurch erleichtert,
dass man die Punkte c und d mit den Kugelzangen möglichst nach
oben und unten zieht. Diese „Lappenspaltung" am Cervix hat vor der ^ig- 5.
EMMET'schen Operation noch den Vortheil voraus, dass die vom Risswinkel in das Para-
metrium aussti-ahlenden Narbenzüge sicher und leicht durchtrennt werden. Der Cervical-
lappen darf nicht zu dünn ausfallen. Der Schnitt muss sich also in der Mitte zwischen
Portio- und Cervicalschleimhaut halten (Fig. 5 i h, e f). DÜHESSEX.
CerviXStenOSe. Stenosen des Uterus betreffen seinen unteren Abschnitt,
den Cervix, und zwar gibt es isolirte Stenosen des äusseren Mutter-
mundes, Stenosen des ganzen Cervicalcanals und am seltensten isolii'te Ste-
nosen des inneren Muttermundes. Die Stenosen können angeboren oder er-
worben sein.
Die angeborenen Stenosen des äusseren Muttermundes treten in
zwei Formen auf: Stenose bei normal grossem Uterus und Stenose bei atropM-
11*
164 CERVIXSTENOSE.
scliem Uterus. Auch bei den angeborenen und erworbenen Stenosen des
ganzen Cervicalcanals ist natürlich zunächst der äussere Muttermund stenotisch.
Die angeborene Stenose des ganzen Cervicalcanals ist meistens mit einer
Verlängerung des Cervix verbunden, der in der Axe der Scheide liegt, während
ihm der kleine Uteruskörper stark antefiectirt, aufsitzt („der anteflectirte
Uterus liegt in Retroversionsstellung"). Es handelt sich hier um einen Uterus
infantilis mit entzündlicher Hypertrophie des Cervix.
Die erworbenen Stenosen sind am häufigsten durch intrauterine
Aetzungen bedingt, bei denen nicht durch nachfolgende Uterusausspülungen
für eine gründliche Entfernung des Aetzmittels gesorgt wurde, ferner durch
Narbenbildungen im Anschluss an geschwürige Processe in der Umgebung des
Muttermundes, an ausgedehnte Zerreissungen bei Geburten, an Operationen.
Gerade die Portioamputation, welche vielfach zur Heilung einer Stenose em-
pfohlen wird, kann zu einer derartigen Narbenbildung führen, dass eine Ste-
nose des äusseren Muttermundes die Folge ist. Ferner hat auch ein zu aus-
giebiger plastischer Verschluss eines Cervixrisses (EMMEx'sche Operation) den-
selben Effect. Entzündliche Schwellung der Cervicalschleimhaut führt gleich-
falls zu einer Verengerung des Cervicalcanals, ebenso auch die senile Invo-
lution des ganzen Uterus. In letzterem Fall betrifft die Stenose bei Frauen,
die geboren haben, zunächst nur den inneren Muttermund, da bei Pluriparen
der untere CervixaJjschnitt durch die Geburt dauernd mehr dilatirt bleibt.
Es gibt ferner eine relative Stenose, die darin besteht, dass der
Cervicalcanal zwar normal weit, das Uterussecret indessen abnorm vermehrt
oder abnorm zähe ist. Hier tritt wie bei stenotischem Cervix eine Secret-
stauung ein, die zu secundärer Dilatation, und zwar bei Corpuskatarrh zur
Dilatation der Corpushöhle, bei Cervixkatarrh zu spindelförmiger Dilatation
der Cervicalhöhle führt.
Endlich gibt es vorübergehende Stenosen des inneren Mutter-
mundes, die bei Aetzungen der Cervicalschleimhaut, bei öfterem Sondiren auf-
treten. Sie sind durch Contraction der Ringfasern des inneren Muttermundes
bedingt. Auch ohne derartige Contraction kann übrigens eine Stenose des
inneren Muttermundes dadurch vorgetäuscht werden, dass die Sonde nicht in
der Richtung des Uteruscanals vorgeschoben wird.
Symptome: Dieselben bestehen in Dysmenorrhoe und Sterilität und
sind nach Sims dadurch bedingt, dass die Stenose den Abfluss des Menstrual-
blutes und das Eindringen der Spermatozoen hindert. Die Anstauung des
Blutes führt zu schmerzhaften Uteruscontractionen. Diese Uteruskoliken
können übrigens bei mit katarrhalischen Entzündungen combinirten Stenosen
auch ausserhalb der Menstruation auftreten und entstehen dann durch den ge-
hemmten Abfluss des katarrhalischen Secrets.
Die Sterilität ist keine absolute, da natürlich auch durch einen abnorm
engen Muttermund die Spermatozoen in Folge ihrer Kleinheit und ihrer Eigen-
bewegung eindringen können. Sie ist ferners häufig durch eine mit der Ste-
nose vergesellschaftete Entzündung der Uterusschleimhaut oder mangelhafte
Entwicklung des ganzen Uterus, resp. der Ovarien bedingt. Eine Erschwerung
der Conception ist aber jedenfalls durch die verschiedenen Stenosen gegeben —
schon allein dadurch, dass die Stenose die beim Coitus normaliter erfolgende
Ausstossung und nachfolgende Einziehung des mit Spermatozoen beladenen
Cervix — Schleimpfropfes — hindert. Hierdurch ist ein längeres Verweilen
des Sperma in der Vagina gegeben, deren saurer Schleim die Spermatozoen
abtödtet.
Dysmenorrhoe und Sterilität finden sich übrigens noch bei einer Reihe
anderer gynäkologischer Affectionen, vornehmlich bei Erlvrankungen der Uterus-
anhänge, bei mangelhafter Entwickelung des ganzen Uterus oder der Ovarien.
CERVIXSTENOSE. 165
Man darf also niemals auf die Anamnese liin die Diagnose „Stenose" stellen,
sondern muss mittelst einer genauen c.ombinirten Untersuciiung die Grösse
des ganzen Uterus, die Beschafienheit der Uterusadnexe (Tuben und Ovarien),
des Beckenbauchfells und Beckenbindegewebes eruiren. Findet sich hierbei
nichts Abnormes, so wird man erst an die Möglichkeit einer Stenose denken.
Diagnose: Mit Ausnahme der relativen Stenose ist bei Stenose des
äusseren Muttermundes der Muttermund unter Umständen so eng, dass
man ihn mit dem Finger kaum fühlen und im Speculum nur als kleines
Löchelchen erkennen kann. Bei diesem hohen Grad der Stenose ist unter
allen Umständen, selbst bei abnormer Kleinheit des Uterus die Diagnose auf
Stenose zu stellen, während eine geringe Stenose bei abnorm kleinem Uterus
eben nur eine Theilerscheinung der Entwicklungshemmung des gesammten
Uterus darstellt. Jede Stenose des äusseren Muttermundes, auch die relative,
erkennt man ferner an der secundären Ausweitung des Cervicalcanals, der
durch das in ihm angestaute zähe Cervixsecret förmlich aufgeblasen erscheint.
Nach genauen Messungen von B. S. Schultze muss bei richtiger Führung
eine Sonde von 4 mm Dicke den normal weiten Cervicalcanal ohne Schwie-
rigkeit passiren können. Wir dürfen also ferner bei normal grossem Uterus
eine Stenose des äusseren Muttermundes als sicher annehmen, wenn ein Sonden-
knopf von 4 mm Dicke den Muttermund nicht oder nur bei Anwendung einer
gewissen Gewalt zu passiren vermag.
Durch die Sondirung mit der erv.'ähnten Sonde stellen wir auch die
Stenose des ganzen Cervicalcanals fest. Dieselbe ist vorhanden, wenn
die 4 «^m-Sonde den Cervicalcanal nicht zu passiren vermag.
Eine Stenose des inneren Muttermundes ist zu diagnosticiren,
wenn trotz geschickten Sondirens, trotz passender, d. h. der Krümmung
des Uterus angemessener Biegung der Sonde, trotz Vorführung der Sonde in
der Eichtung des Uteruscanals und trotz Fixation der Portio mit einer Kugel-
zange die 4 mm-Sonde bei wiederholter Untersuchung den inneren Muttermund
gar nicht oder nur mit Anwendung einer gewissen Gewalt zu passiren vermag.
Was die Prognose anlangt, so führt die Stenose zwar nicht zu lebens-
gefährlichen Zuständen, wohl aber zu mancherlei Leiden, welche die Frau
schliesslich einem dauernden Siechthum überliefern. Von ihrem Beginn an
ist die Menstruation sehr schmerzhaft, so dass die betreffenden Patientinnen das
Bett hüten müssen. In Folge der Stauung des Secrets kommt es allmälig zu
einer Endometritis mit vermehrter Secretion — und nun treten jene Uterus-
koliken, welche die Dysmenorrhoe bedingten, auch ausserhalb der Menstruation
auf. Durch die mehr oder minder fortwährenden krampfartigen Schmerzen wird
der ganze Organismus und besonders das Nervensystem in Mitleidenschaft
gezogen — es entstehen Neurosen der verschiedensten Art. Die Entzündung
des Endometriums pflanzt sich weiter auf das Uterusparenchym, auf das Becken-
bauchfell und die Ovarien fort. So entstehen ausser der Endometritis im An-
schluss an die Stenose noch Metritis, Perimetritis, Oophoritis, Perioophoritis,
die zu verstärkten Menstruationsblutungen und dem Auftreten neuer Schmerzen
führen.
Therapie: Ehe man an die Behandlung einer Stenose geht, hat man
sich zunächst davon zu überzeugen, ob neben der Stenose die erwähnten
Folgezustände vorhanden sind oder nicht. Bei frischer, fieberhafter Peri-
metritis wird man von jedem Eingriff absehen. Handelt es sich dagegen um
ältere perimetritische Verwachsungen der Ovarien, um den Uterus fixii'ende,
perimetritische Stränge, so wird man die Narcose der Patientin benutzen, um
die Ovarien aus ihren Verwachsungen bimanuell nach B. S. Schultze aus-
zulösen, die perimetritischen Stränge zu dehnen, resp. zu zerreissen. Ist
166
CERVIXSTENOSE.
neben der Stenose eine Endometritis vorhanden, so wird man gleichzeitig mit
der Stenose auch die Endometritis, letztere durch Curettement, zu beseitigen
suchen.
Sehr einfach zu behandeln sind die uncomplicirten Fälle von
leichter Stenose, die bei jungen Mädchen bald nach Eintritt der Men-
struation zur Behandlung kommen. Hier genügt manchmal das einfache Ein-
führen einer Sonde in den Uterus, um die Dysmenorrhoe zu beseitigen und
bei Ausübung des Coitus eine Conception zu ermöglichen. Bei stärkeren
Stenosen ist eine energische Behandlung indicirt, welche bei der isolirten
Stenose des äusseren Muttermundes in der bilateralen Discision und
nachfolgenden Umsäumung der Schnittflächen durch die Naht besteht und bei
richtiger Ausführung die Stenose sicher beseitigt.
Die Operation wird f olgendermaassen ausgeführt:
Nach gehöriger Desinfection der äusseren Geschlechtstheile und der
Scheide wird die Portio durch SiMON'sche Specula eingestellt, die
vordere und hintere Lippe mit je einer Kugelzange fixirt, und der
Uterus mit einer 37o-igen Carbolsäure resp. l^-igen Lysollösung
ausgespült. Darauf schneidet man den Muttermund zu beiden Seiten
mit einer CowPER'schen Scheere cca. ^j^ —1 cm weit ein. Hierdurch
entstehen 2 der Cervicalschleimhaut jederseits anliegende von der
Spitze der vorderen zu derjenigen der hinteren Lippe sich hin-
ziehende Wundfiächen. Dieselben werden nun dadurch geschlossen,
dass man auf beiden Seiten durch quere, unter der ganzen Wunde
hindurchgeführte Knopfnähte von Seide, Silkworm oder Catgut die
^ ^ Portio- mit der Cervicalschleimhaut vereinigt. Hierdurch behält der
\ \p*M^i^Ä^'iK Muttermund seine klaffende Gestalt, ein Wiederverwachsen der
y\ pl^^^^ i/l / gesetzten Wundflächen, wie es nach der einfachen Discision so
häufig vorkommt, ist unmöglich. Man legt die Fäden von oben nach
unten an und knüpft jeden Faden sofort. Der rechtsstehende
Assistent muss (mit seiner linken Hand) mit der oberen Kugel-
zange, resp. den schon geknoteten Fäden die Portio stark nach vom
ziehen, während seine rechte Hand mit einer Hakenpincette die
Wunde eindrückt, sie gewissermaassen einfalzt, damit der Opera-
teur beim Knoten die durch starres Gewebe getrennten Wundrän-
der auch dicht aneinander bringt. Zu dem Zweck muss ausser-
dem der Operateur die Fäden recht fest schnüren.
Noch zweckmässiger ist es für eine leichte Adaption der
Wundränder die gesetzten Wundflächen keilförmig auszuschneiden
(Chrobak). Nach der Vernähung werden die Fäden kurz abgeschnit-
ten, mit Jodoform bestäubt und ein Jodoformgazestreifen eingelegt.
Die Operirte muss 8 Tage das Bett hüten, die Fäden werden am besten erst 8 Tage
später entfernt. Bei stärkerem Ausfluss lässt man tägliche Scheidenausspülungen mit
Lysol machen.
Ist die untere Fläche der Portio breit, die ganze Portio also mehr cy-
lindrisch oder pilzförmig, so empfiehlt sich mehr die kegelmantelförmige Ex-
cision der Portio nach Simon-Maeckwald. Man macht bei dieser zunächst
ebenfalls die bilaterale Discision und schneidet dann aus der vorderen und
hinteren Lippe ein keilförmiges Stück heraus, dessen Basis an der unteren
Seite der Portio liegt.
Bei der Stenose des ganzen Cervicalcanals, resp. des inneren
Muttermundes helfen Discisionen nichts. Die oberhalb des Scheidenan-
satzes gelegenen Schnitte verwachsen wieder. Hier sind wir auf die mechanische
Dilatation angewiesen. Am schmerzlosesten und raschesten erreicht man die-
selbe durch die Anwendung eines constanten Stroms von 50 Milliamperes bei
Einführung der negativen Sonde in den Uterus. Wenige Sitzungen genügen,
um den ganzen Cervicalcanal, wie es scheint, dauernd zu erweitern. Die
Dysmenorrhoe verschwindet, und Conception kann eintreten, wie Verfasser
mehrfach beobachtete. Hat man keinen so starken elektrischen Strom zur
Verfügung, so dilatirt man den Cervicalcanal kurz vor der Menstruation mit
Fig. 1.
CLITORIDECTOMIE. — COCCYGODYNIE. 167
metallenen Diktatoren soweit, als es ohne grösseren Schmerz zu erzeugen,
angeht und tamponirt dann den Uterus mit einem Jodoformgazestreifen aus.
Die Menstruation verläuft dann gewöhnlich schmerzlos. Eventuell muss das
Verfahren aber noch ein oder mehreremale wiederholt werden.
Schneller kommt man mit der mechanischen Dilatation zum Ziel,
falls man die Patientin narcotisiren kann. In Narcose führt man dann rasch hin-
tereinander immer stärkere Nummern solider Diktatoren, wie z. B. die He-
GAR'schen Dilatatoren, ein und tamponirt dann ebenfalls den ganzen Uterus
fest mit einem Jodoformgazestreifen aus. Die Narcose ermöglicht es, die Di-
latation viel weiter zu treiben. Die nachfolgende Tamponade führt zu einer
bedeutenden Auflockerung des ganzen Cervix und zu einer energischeren Cir-
cuktion im Uterusgewebe, was besonders für die Fälle von mangelhafter Ent-
wickelung des Uterus von Werth ist.
VuLLiET hat neuerdings die Stenose des Cervicalcanals resp. des inneren Mutter-
mundes durch Einpflanzung eines um die Portio entnommenen Lappens in den Cervix zu
heilen empfohlen. Ebenso wie Vulliet hat auch Verf. in einem Fall diese Methode mit
Erfolg alisgeführt.
DÜHRSSEN.
Clitoridectomie. Man versteht unter derselben die operative Entfer-
nung der Clitoris. In den sechziger Jahren gab es eine Zeit, wo besonders
Baker Brown nicht nur die Onanie und Nymphomanie, sondern auch die
Hysterie und Hystero-Epilepsie durch diese Operation heilen zu können ver-
meinte — ein ähnlicher Irrthum, wie er in den siebziger Jahren zur Castra-
tion bei Neurosen führte. Wir halten die Clitoridectomie heutzutage nur
berechtigt bei krankhaften Vergrösserungen der Clitoris durch einfache Hy-
pertrophie, durch Elephantiasis oder durch maligne Geschwülste. Einzelne
Autoren haben neuerdings noch die Operation ausgeführt in Fällen von Pruritus
vulvae oder Masturbation, wo die Clitoris allein als Ausgangspunkt des Pteizes
angegeben wurde. Die Erfolge waren jedoch nahezu negative.
Die Technik der Operation ist sehr einfach: Man zieht die Clitoris
mit einer Kugelzange an und umschneidet sie mit einem unteren, oberhalb
der Harnröhrenmündung verlaufenden und einem oberen Bogenschnitt. Indem
man von diesen Schnitten in die Tiefe dringt, durchtrennt man die Crura
clitoridis. Die Blutung wird durch Knopfnähte gestillt, welche den Grund der
Wunde umfassen und die Wundränder genau vereinigen. Bei elephantia-
stischen oder Geschwulstbildungen der Clitoris müssen in der Ptegel die er-
krankten Nymphen mitentfernt werden. Hier umgreifen die verlängerten
Bogenschnitte noch die Njrmphen. Der Blutung wegen trennt man dann am
besten jede Nymphe von untenher bis zur Clitoris hin ab. Die gesetzten
Wunden werden von untenher sofort durch Knopfnähte verschlossen. Zum
Schluss wird dann erst die Wurzel der Clitoris durchschnitten und vernäht.
Selbstverständlich muss man sich vor Verletzungen der Urethra oder Mitfassen
derselben beim Nähen, event. durch Einlegen eines Katheters, schützen. Die
Vulva und ihre Umgebung wird mit einem Jodoformgazestreifen bedeckt,
nach dem Urinlassen wird mit Vj^-iger Lysollösung abgespült, dührssex.
CoCCygodynie. Mit der BezÄclmung Coccygod}Tiie (6 v.oxxuc, das
Kuckucks- oder Steissbein und •?] oSuv/;, der Schmerz) benannte Simpson ein
Leiden, welches sich in heftigen Schmerzen in der Steissbeingegend äussert.
Am intensivsten verspüren die davon Betroffenen den Schmerz beim Aufstehen
oder Niedersetzen, beim längeren aufrechten Sitzen, wenn man das Steissbein
bewegt, oder einen Druck auf dasselbe ausübt. Zumeist sind es im geschlecht-
lichen Verkehr stehende Frauen, die von dem Uebel befallen werden, aber
168 COCCYGODYNIE.
es werden auch Fälle von Coccygodynie bei Jungfrauen beobaclitet. Auch
Männer können an Coccygodynie leiden.
Der Schmerz wird mit einem intensiven Zahnschmerz verglichen und
kann sich bis zur Unerträglichkeit steigern.
Aetiologie: Nach Scanzoni soll es vornehmlich der Geburtsact sein,
der zur Entstehung der Coccygodynie führt. Insbesondere geben dazu Ver-
anlassung operativ beendigte Geburten. Für gewöhnlich wird die durch den
austretenden Kopf erzeugte Erweiterung im Beckenausgang, ohne weitere
Folgen, ganz gut vertragen; es stellen sich bald nach der Geburt wieder nor-
male Verhältnisse her. Es kommen aber auch, wie Hyetl nachgewiesen hat,
im Gefolge der Geburten, Luxationen des Steissbeins mit consecutiven Anky-
losen vor. Erstere können zur Coccygodynie Veranlassung geben. Anderer-
seits sind von Luschka exsudative Processe im Kreuz-Steissbeingelenke nach-
gewiesen worden, deren Vorhandensein das Bild der Coccygodynie leicht er-
klärt. Die von Scanzoni beobachteten Anschwellungen des Kreuz-Steissbein-
gelenkes, lassen auch nichts anderes, als exsudative Processe in diesen Fällen
annehmen. Es hat sich dabei stets um eine bedeutende Empfindlichkeit der
betroffenen Stelle gehandelt. Gewiss ist, dass die Nervi coccygei und die am
Steissbein befindlichen Ligamente durch den Geburtsact eine bedeutende
Zerrung erleiden. Scanzoni hat auch das Keiten als Ursache der Coccygo-
dynie beschuldigt. Er beobachtete Frauen, die eine normale Geburt und ein
normales Wochenbett durchmachten, wo aber nach einem, bald nach dem
Wochenbett unternommenen Ritt, eine Coccygodynie entstand, die monatelang,
trotz aller möglichen therapeutischen Maassnahmen andauerte. In vielen
Fällen ist auch der Coitus Ursache der Coccygodynie. Auch hyperämische
Zustände in der Gravidität, während der Menstruation und bei hartnäckigen
Stuhlverstopfungen, geben Veranlassung zur Entstehung der Coccygodynie,
sowie auch letztere als Begleiterscheinung bei sonstigen Genitalaffectionen
beobachtet wird. Nott beschreibt einen Fall, der als Begleiterscheinung einer
Caries im Steissbein auftrat. Da, wo jede greifbare Ursache fehlt und den-
noch Coccygodynie besteht, wird nach Fritsch das Leiden als eine local-hyste-
rische Erscheinung aufgefasst. Schliesslich seien noch Erkältungen (Sitzen
auf einem kalten Stein, auf feuchtem Rasen) als Ursachen der Coccygodynie
erwähnt.
Verlauf und Prognose: Das Leiden kann einige Wochen dauern,
es kann sich auf Jahre hin ausdehnen, und hängt zumeist der Verlauf von
der Ursache des Leidens ab. Hörschelmann berichtet über einen Fall, der
5 Jahre gedauert hat. Ist die Caries des Steissbeins als die Ursache der
Coccygodynie aufzufassen, so wird das Leiden, bis zum Aufliören des Processes,
beziehungsweise bis zur Entfernung des Krankheitsherdes bestehen. Meist
besteht der Schmerz nicht continuirlich. Beim Gehen und im Liegen sind
die an Coccygodynie Leidenden gewöhnlich schmerzfrei. Nur wenn die er-
krankte Stelle einem Insult ausgesetzt wird, tritt Schmerzempfindung ein. Es
suchen auch die Trägerinnen des Leidens Stellungen einzunehmen, bei welchen
sie den Schmerz wenig oder gar nicht verspüren, so insbesondere, indem sie
zum Sitzen nur eine Gesässhälfte benützen. Häufig kommt es im Verlauf
der Krankheit zu monatelangen Paus^, so dass es den Anschein hat, als
wäre das Leiden verschwunden, während indessen neuerdings sich Schmerzen
einstellen, um dann schliesslich ganz aufzuhören.
Die Prognose ist günstig zu stellen, wenn die therapeutischen Maass-
nahmen der Ursache des Uebels entsprechend eingerichtet werden.
Therapie: Schon der Umstand, dass die von der Coccygodynie Be-
troffenen dann schmerzfrei sind, wenn das Kreuz-Steissbeingelenk keinem In-
COLPEÜRYSE. 169
sulte ausgesetzt ist, deutet darauf hin, zunächst die Ruhe und Schonung- der
erkrankten Stelle in den Vordergrund stellen zu lassen. Tliatsächlich ver-
schwinden oft viele Coccygodynien ohne besondere therapeutischen Maassnahmen.
Ist Gravidität die Ursache des Leidens, dann rauss man sich ohnehin zumeist
auf das Zuwarten beschränken, höchstens symptomatisch verfahren. Kalte
Umschläge bewirken eine Erleichterung. In manchen Fällen hat auch die
Elektricität geholfen. Ist eine hartnäckige chronische Stuhlvcrstopfung die
Ursache des Leidens, dann muss vor Allem erstere beseitigt werden. Bei exsu-
dativen Processen ist von manchen Seiten die Massage (Bekoiimann) mit Er-
folg angewendet worden. Auch Jodpräparate, äusserlich angewendet, können
versucht werden. Lautearme Sitzbäder mit und ohne Jodsalzzusatz unter-
stützen wesentlich die Therapie. Eventuell muss der Coitus verjjoten oder
dessen möglichste Einschränkung bis zum Aufhören des Leidens betont werden.
Bei local-hysterischen Momenten können Antipyrin, saUcylsaures Natron^ Brom,
Chinin etc. von Nutzen sein. Auch subcutane Morphiuminjectionen, sowie
Morphiumsuppositorien, haben oft einen Dauererfolg gehabt (Scanzoxi.) Wird
das Leiden als eine Begleiterscheinung anderweitiger Frauenleiden aufgefasst,
so müssen zunächst letztere beseitigt werden. Da wo alle Versuche zu keinem
Resultate führten, schrieb Simpson vor, alle am Steissbein sich inserirenden
Sehnen subcutan durchzuschneiden und, wo auch das nichts hilft, das ganze
Steissbein zu entfernen. In letzterer Weise verfuhr auch Nott, der wegen
eines cariösen Processes im Steissbein dasselbe exstirpirte und einen Dauer-
erfolg erzielte.
PISKACEK.
Colpeuryse. Das Verfahren der Colpeuryse findet in Fällen Anwen-
dung, wo es sich darum handelt, einen Reiz auf den Uterus auszu-
üben und dadurch ein rascheres Entfalten des Orificium externum herbeizuführen.
Die Colpeuryse besteht darin, dass der speciell für diesen Zweck construirte
Colpeurynter nach vorausgegangener entsprechender Desinfection zusammen-
gelegt in die Vagina vorgeschoben und dann mit Wasser gefüllt wird, um
durch die starke Ausdehnung einen Reiz auszuüben. In neuerer Zeit wird
häufig der früher viel verwendete Colpeurynter C. Braun's durch die Tampo-
nade mit Jodoformgaze ersetzt. Colpeuryse ist indicirt, wenn man bei vollem
oder entleertem Uterus einen Reiz auf ihn ausüben will.
Von geradezu unschätzbarem Werthe erweist sich die Anwendung der
Colpeuryse bei Behandlung der Placenta praevia centralis oder
lateralis, wo eben bei sehr heftiger Blutung in der Eröffnungsperiode noch
nicht derartige Bedingungen vorliegen, dass auf andere Weise operativ vor-
gegangen werden könnte. Wenn es sich um eine heftige Blutung bei Placenta
praevia in der Eröffnungsperiode handelt, bei nicht entfaltetem Cervix, wird die
Colpeuryse, sei es durch Colpeurynter oder feste exacte Jodoformgazetamponade
in Anwendung kommen. Wohl wird oft nicht durch die ausgeführte Colpeuryse
die Blutung vollständig zum Stehen gebracht werden können, aber es wird immer
hiedurch stärkere Wehenthätigkeit hervorgerufen werden, eine raschere Ent-
faltung des Orif. ext. eintreten und dadurch werden früher die Verhältnisse ein-
treten, unter denen durch die Ausführung der combinirten Wendung die Blutung
dauernd gestillt werden kann. Es wird daher, Avenn bei Placenta praevia
wegen der heftigen Blutung in der Eröffnungsperiode die Colpeuryse in An-
wendung gekommen ist, nothwendig sein, einerseits das Verhalten des Uterus-
körpers zu beobachten, andererseits sich nach 2 — 3 Stunden nach Entfernung
des Colpeurynters oder der Tamponade davon zu überzeugen, ob schon die
Eröffnungsperiode in der Weise vorgeschritten ist, dass die combinirte Wen-
170 COLPEURYSE.
dimg auf einen Fiiss ausgeführt werden kann. Da in den meisten Fällen bei
exact ausgeführter Colpeuryse die Blutung aus dem Genitale wohl sistirt, die
Ursache der Blutung dabei aber nicht behoben wird und es dabei vorkommen
kann, dass sich das Blut in der Uterushöhle ansammelt, ist es von Wichtig-
keit, den Stand des Uteruskörpers während der Ausführung der Colpeuryse zu
beobachten.
In allen jenen Fällen, wo nach der ausgeführten Colpeuryse plötzlich der Uterus-
körper hoch nach aufwärts steigt und sich dabei sehr schlaff anfühlt, haben wir den Beweis
dafür, dass sich eine grosse Blutmenge in dem Cavum uteri angesammelt hat, und es wird
nothwendig sein, rasch den Colpeurynter wieder zu entfernen, obschon durch combinirte
^Yendung die Möglichkeit besteht, die Blutung dauernd zu beherrschen.
Eine weitere Indication zur Ausführung der Colpeuryse findet sich.bei
der Behandlung des Abortus. Ist aus irgend einer Veranlassung der
Abortus in Gang gekommen, und sind nach exact ausgeführter innerer Unter-
suchung die Verhältnisse derart gefunden worden, dass nicht mehr daran
gedacht werden kann, den Abortus zum Stillstand zu bringen, so wird es sich
darum handeln, ihn durch stärkere Wehenthätigkeit zum Abschluss zu bringen,
und dabei wird sich das Verfahren der Colpeuryse in den meisten Fällen sehr
günstig bewähren.
Hiezu wird in der neueren Zeit wohl nicht mehr so häufig der Colpeu-
rynter in Anwendung gezogen, nachdem man durch die Ausführung der Tam-
ponade der Vagina und des eventuell schon geöffneten Orif. ext. mit Jodo-
formgaze denselben Effect erreichen kann. Von besonderem Werthe erscheint
die Jodoformgazetamponade in solchen Fällen, wo die Frucht abgegangen ist,
es sich aber um eine Ketention der Placenta handelt und dadurch eine sehr
bedeutende Blutung hervorgerufen werden kann. In derartigen Fällen werden
wir häufig die manuelle Placentalösung umgehen und durch die Jodoformgaze-
tamponade die Blutung beherrschen können. Sie wird am besten ausgeführt,
indem in der Rückenlage der Patientin das Perineum durch einen Spiegel
herabgedrängt, die vordere Muttermundslippe mit einer Krallenzange fixirt
und dann der eröffnete Cervix und die Vagina fest mit Jodoformgaze aus-
gestopft wird. In vielen Fällen, wo man sich veranlasst sah, wegen einer
starken Blutung nach eingetretenem Abortus und Retention der Placenta die
Colpeuryse durch feste Jodoformgazetamponade auszuführen, wird man nicht
allein im Stande sein, die Blutung zum Stehen zu bringen, sondern man wird
auch oft bei Entfernung der Tamponade nach 12 — 24 Stunden die Placenta
gelöst auf der Gaze vorfinden, so dass dann kein weiterer Eingriff mehr nöthig
erscheint.
Eine weitere Verwendung findet die Colpeuryse als unterstützendes Moment
bei Einleitung des künstlichen Abortus. In früherer Zeit wurde
sie als selbständige Methode hiefür betrachtet. In neuerer Zeit wird sie hie-
be! nur als unterstützendes Moment angesehen, besonders bei der Methode
der Einleitung des künstlichen Abortus durch den tiefen Eihautstich, wo nach-
träglich die Vagina mit Jodoformgaze tamponirt wird, um einerseits die Wehen-
thätigkeit noch stärker anzuregen und andererseits dadurch die Gefahr einer
Infection zu vermeiden.
Eine weitere Indication zur Ausführung der Colpeuryse, sei es nun durch
den Colpeurynter oder die Jodoformgazetamponade, findet sich in der Inver-
sion des Uterus post partum, welche dadurch häufig hervorgerufen
wird, dass zu einer Zeit, wo die Placenta noch nicht gelöst ist, am Nabel-
strange zur rascheren Beendigung der Geburt zu stark gezogen wird. In jenen
Fällen, wo die vollständige Umstülpung des puerperalen Uterus eingetreten
ist, wird es nothwendig sein, so rasch als möglich den invertirten Uterus zu
CONCEPTION. 171
reinvertiren. Es geschieht am besten dadurch, dass die geballte Faust in die
Vagina vorgeschoben und so hoch hinaufgedrängt wird, bis der Uteruskörper
in seine normale Lage gebracht wird. Um dann den Uterus dauernd in seiner
Lage zu fixiren, wird es entweder geboten sein, den Colpeurynter in die
Scheide einzulegen oder die Vagina zu tamponiren.
V. BRAUN-FEKNWALD.
Conception. Unter Conception (Imprägnation, Schwängerung) versteht
man im weiteren Sinne die Vereinigung von lebenskräftigem Sperma mit
einem oder mehreren lebenden Eiern. Ueber Art, Zeit und (M dieses Vorganges
beim Menschen ist man noch immer auf Vermuthungen angewiesen. Zweierlei
ist aber zum Eintritt einer Schwängerung unbedingt erforderlich: lebenskräf-
tiges Sperma und ein lebendes Ei. Früher hatte man angenommen, dass bei
unberührten Jungfrauen eine Ausstossung von Eiern aus dem Ovarium über-
haupt nicht stattfände; erst durch die Cohabitation würde der Ei-Austritt
veranlasst. Diese Theorie ist vollständig widerlegt; man weiss durch Ob-
ductionsbefunde und Laparotomien mit einwand sfreier Sicherheit, dass auch
ohne Cohabitation regelmässiger Austritt von Eiern aus den Ovarien statt-
findet. Selbst die Theorie über den zeitlichen Zusammenhang der Schwänge-
rung mit der Menstruation hat in den letzten Jahren gewaltige Aenderungen
erfahren. Es ist deshalb vor Allem nöthig, den Begriff der Menstruation ge-
nauer festzustellen. Die Mehrzahl der Autoren versteht jetzt unter Menstrua-
tion eine Summe aus zwei Vorgängen, nämlich der menstruellen Blutung plus
der Ei -Ausstossung aus dem Ovarium (Ovulation). Gewöhnlich bezeichnet
man aber das eine Symptom, die Blutung, schlechthin als Menstruation, Menses.
Die Ovulation ist ungleich wichtiger als die menstruelle Blutung; es kann
wohl Schwangerschaft ohne menstruelle Blutung, aber nicht ohne Ovulation
zu Stande kommen. Denn es sind Fälle bekannt, dass Frauen schwanger
wurden, ohne je „menstruirt" gewesen zu sein, d. h. menstruell geblutet zu
haben; ferner tritt nach einer Entbindung oft genug neue Schwangerschaft
ein, ohne dass die Blutung inzwischen wiedergekehrt wäre; so ist es auch bei
den Hindu's Brauch, dass sich die Mädchen vor dem Eintritt der ersten Regel
verheiraten, denn sie betrachten die Regel, welche ohne die Möglichkeit einer
Befruchtung eintritt, als Kindesmord. Aus diesen Umständen kann man wohl
schliessen, dass die allererste Ovulation früher stattfindet, als die erste men-
struelle Blutung.
Nicht geringe Schwierigkeiten macht es, zu bestimmen, zu welcher Zeit
die Ovulation beim Menschen jeweils eintritt. Die geläufigste Ansicht ist die,
dass die Hyperämie der Genitalien intra menses den Follikel zum Platzen
bringt. Ein Circulus vitiosus ist es, wenn man die PFLüGER'sche Theorie da-
neben stellt, laut welcher die menstruelle Hyperämie wiederum durch den
Reiz der wachsenden und den Eierstock ausdehnenden Follikel hervorgerufen
wird. Nach Leopold's Untersuchungen findet die Ovulation thatsächlich be-
sonders zur Zeit der Blutung statt; aber nicht ausschliesslich zu dieser Zeit,
wie man durch Obductionen und Laparotomien weiss. Man sieht, dass mit
dieser einfachen Frage: „Wann treten Eier aus dem Ovarium aus?"
schon die Schwierigkeiten beginnen. Im Allgemeinen hört die Ovulation
während der Schwangerschaft auf, es scheint aber, dass sie gelegentlich,
wenigstens in den ersten Schwangerschaftsmonaten noch stattfinden kann.
Das endgiltige Aufhören der Ei-Ausstossung beim einzelnen "Weibe dürfte mit
dem Aufhören der menstruellen Blutung zeitlich zusammenfallen.
Wie gelangt nun das Ei in die Tube? Für diesen Vorgang ist
zweierlei wichtig, einerseits das enge Anliegen der Fimbrien der Tuben an
172 CONCEPTION.
einem grossen Tlieil des Eierstockes und andrerseits die Flimmerbewegung der
Tubeu-Epitlielien; der Flimmerstrom ist gegen den Uterus gerichtet. Bei der
Nähe der Ovarien und der abdominalen Enden der beiden Tuben unterein-
ander (sie laufen hinter dem Uterus fast parallel, ja unter Umständen auch
convergirend nach liinten), ist sogar die Möglichkeit gegeben, dass Eier des
einen Ovariums in die Tube der anderen Seite gelangen (äussere Ueber-
wanderung des Eies, s. u.). Noch ein weiterer Umstand trägt dazu bei,
dass das ausgestossene Ovulum sich nicht allzu leicht in die weite Bauch-
höhle verirrt: es ist die Umfassung eines Theils der Ovarien durch die Tube
selbst, welche den Eierstock so förmlich „im Arme hat." Ist das Ei in die
Tube gelangt, so kann es schon hier mit Sperma zusammentreffen oder es
wird durch den Flimmerstrom in den Uterus hineinbefördert.
Es fragt sich nun weiter: Wie gelangt das Sperma in den Uterus
und in die Tuben? Bei der Cohabitation wird das Sperma meist im oberen
Theil der Scheide deponirt. Die Portio taucht in die Samenlache und ein
Theil der nach allen Kichtungen sich bewegenden Spermatozoon gelangt in
den alkalischen Schleimpfropf des Cervicalcanals. Die übrigen Spermatozoon
gehen im sauren Scheidenschleim bald zu Grunde; jene aber, die in den Cervix
gelangt sind, scheinen durch ihre Eigenbewegung zum Fundus und in die
Tuben zu gelangen; die Epithel-Flimmerung leistet ihnen dabei keine Hilfe,
im Gegentheil, sie erschwert eher ihr Vorwärtskommen, denn sowohl in der
Tube als auch im Uterus flimmern die Epithelien gegen die Scheide hin
(Hofmeiee). Während diese Theorie der Sperma-Fortbeförderung kaum
ernste Einwände zulässt, gilt bei den anderen Theorien nicht das gleiche. So
hat man eine Saug Wirkung des Uterus angenommen: bei der Cohabitation
contrahire sich der Uterus zuerst, presse den cervicalen Schleimpfropf (Kri-
steller's Schleimstrang) theilweise in die Samenlache und sauge ihn, mit
Sperma vermischt, bei der nachfolgenden Erschlaffung wieder nach innen. Es
fände ferner während des Coitus eine Erection des Uterus statt, so dass
Sperma unmittelbar in das Orificium externum cervicis eingespritzt werden
könne; unterstützt würde dieser Vorgang dadurch, dass sich die äussere Harn-
röhrenmündung des Mannes unmittelbar an den äusseren Muttermund anlege.
Valenta hat auf Grund dieser Anschauung sogar empfohlen, bei gewissen
Lageveränderungen des Uterus den Coitus a posteriore, in Knieellenbogenlage
der Frau, ausführen zu lassen und will damit Erfolge erzielt haben. Gegen
diese Anschauung ist aber hauptsächlich einzuwenden, dass die Gewalt der
Ejaculation wohl nicht hinreicht, um Sperma wirklich in den cervicalen
Schleimpfropf zu bringen; denn der Cervicalcanal ist ja keine klaffende Höhle.
Andere haben eine Stempelwirkung des Penis angenommen; auch diese
kommt, wenn überhaupt, nur ausnahmsweise in Betracht; denn in der Mehrzahl
der Fälle hört nach der Ejaculation die Stempel Wirkung aus dem einfachen
Grunde auf, weil dann eben die physiologische Erschlaffung des Membrum
virile eintritt. Ein verbreiteter Volksglaube, dem auch neuerdings Leopold
Ausdruck verliehen hat, ist es, dass Conception dann zu Stande komme, wenn
der Augenblick der summa libido bei beiden Geschlechtern gleichzeitig ein-
tritt, und dass man Schwängerung vermeiden könne, Avenn man dieses Zu-
sammentreffen hintanhalte.
Wenn nun auch alle diese Umstände gelegentlich mit in Betracht kommen
können, so ist doch wahrschleinlich die Thätigkeit der Frau dabei sehr un-
w^esentlich und die Eigenbewegung der Spermatozoon die Hauptsache.
Wo treffen Sperma und Ei zusammen? Hausmann hat frühestens
1^/2 Stunden nach der Cohabitation Spermatozoon im Uterus gefunden; andrer-
seits hat man sie 7V2, Peecy sogar 8V2 Tage post cohabitationem noch be-
CONCEPTION, 173
wegungsfäliig darin beobachtet. Durch Eigenbewegung können sie bis zum
Ovarium gelangen und es ist kaum fraglich, dass sie im Stande sind, dem
Flimmerstrom in der Tube entgegenzuschwimmen; denn in Deckglasprä])araten
gelingt es ihnen leicht, gegen massig starke Flüssigkeitsströme foitzukommen.
Bei Kaninchen fand man sie 2V4 Stunden nach dem Belegen auf dem Eier-
stock; für diese Möglichkeit beim Menschen spricht auch die sichere Beobach-
tung von äusserer Ueberwanderung des Samens (s. u. ^^Ueberwanderung'' ).
Demnach können Ei und Sperma im ganzen Bereich der Strecke vom Ova-
rium durch die Tube bis in den Uterus zusammentretten. Wird das Ei noch
im Ovarium (im eben geplatzten Follikel oder in der Bauchhöhle) vom Spenna
getroffen, so entsteht Eierstocks- oder Abdominal-Schwangerschaft. Dass Sperma
die ganze Tube bis zum Ovarium durchwandern kann, ist fraglos. „So er-
scheint die ektopische Schwangerschaft als Folge eines nach Zeit und Ort
verfehlten Zusammentreffens von Ei- und Sperma-Zelle und als Anomalie
der Conception". (Saenger). Dadurch wird allerdings die Berechnung der
Schwangerschaftsdauer schwierig, weil die Cohabitation (Aufnahme des Sperma
in die weiblichen Genitalien) durchaus nicht zeitlich mit der Imprägnation
(Vereinigung von Ei und Sperma) zusammentreffen muss. Es ist deshalb nöthig,
die Begriffe „Conception" und „Imprägnation" auseinanderzuhalten. Unter Con-
ception wird man die Aufnahme jenes Sperma, das zur Befruchtung führt,
in die weiblichen Genitalien verstehen; die Conception fällt also zeitlich mit
dem befruchtenden Coitus zusammen; die Imprägnation, die Vereinigung von
Sperma und Ei, erfolgt stets später, unter Umständen erst nach mehreren
Tagen.
Zeit der Befruchtung. Ueber diese Frage bestehen zwei Anschau-
ungen, welche wahrscheinlich beide ihre Berechtigung haben. Die ältere
Theorie, die auch im Volksglauben allein herrscht, lautet: Das befruchtete
Ei stammt von der zuletzt dagewesenen Regel. Eine vollständige
Umwälzung in diesen Anschauungen und in der Schwangerschaftsrechnung
bedeutet die neuere Theorie von Sigismund, Löwenhardt, Reichert: Das
befruchtete Ei stammt von der zuerst ausgebliebenen Regel.
Da eben das Ei befruchtet wurde, kam es nicht mehr zur menstruellen Blutung;
die Frau soll nur menstruell bluten, wenn sie nicht empfangen hat. Im Zu-
sammenhalt bedeuten beide Theorien einen Unterschied von 4 Wochen in der
Schwangerschaftsrechnung. Als dritte Möglichkeit bleibt noch die, dass ein
aussermenstruell ausgetretenes Ei befruchtet wird. Dann wäre
die Schwangerschaft in gar keinem zeitlichen Zusammenhange mit einer Men-
struation. Die Anhänger jeder dieser Theorien haben sie mit statistischen
Gründen zu vertreten gesucht. Es scheint aber, dass gerade diese statistischen,
ebenso mühsamen als oft wenig zuverlässigen Beobachtungen für jede dieser
Möglichkeiten sprechen; man ist fast ganz auf die Angaben der Frauen ange-
wiesen und diese sind naturgemäss theils absichtlich, theils unabsichtlich mit
Voreingenommenheit gemacht. Eher scheinen die Untersuchungen von Abort-
Eiern Klarheit zu schaffen, da man die Entwicklung des Fötus ziemlich
genau kennt.
Schwangerschaftsrechnung. Praktisch ist es am einfachsten,
die Zeit der Niederkunft so zu berechnen, dass man zum ersten Tag der
letzten Regel 280 Tage hinzuzählt, oder, was das gleiche Resultat
in leichter Weise gibt, w^ennman vom ersten Tag der letzten Regel
3 Monate zurück- und 7 Tage hinzuzählt (Naegele"s Regel). Diese
280 Tage entsprechen 10 Mondmonaten zu je 28 Tagen, oder 9 Kalender-
monaten. Die wissenschaftliche Eintheilung in 10 Mondmonate ist mit Rück-
sicht auf 10 Menstruations-Intervalle gemacht w^orden. Diese Rechnung
braucht natürlich nicht auf den Tag zuzutreffen; sie geht ja von einem Zeit-
174 CONCEPTION.
punkte aus (erster Tag der letzten Regel), welcher durchaus nicht immer,
vielleicht nur ausnahmsweise auch der Tag der Imprägnation ist. Diesen
selbst kennt man eben nicht; die subjectiven Angaben der Frauen darüber
können nicht in Betracht kommen; sie beziehen sich wohl meist nur auf ein
erhöhtes Wollustgefühl bei dem nach ihrer Ansicht fruchtbaren Coitus. Die
Zahl von 280 Tagen entspricht eben nur einer Durchschnittsberechnung aus
zahlreichen Fällen, in welchen man den ersten Tag der letzten Regel, den
Tag der Niederkunft und die Entwicklung des Kindes kannte. In Löwen-
hardt's Fällen kam über die Hälfte der Frauen in der 40. und 41. Woche
nieder, und eben das war für ihn mit die Veranlassung, das befruchtete Ei
auf die zuerst ausgebliebene Regel zu beziehen. Selten dauert die Schwanger-
schaft bei lebendem Kinde länger als 290 Tage; die längste Dauer, die Löwen-
HAEDT fand, betrug 329 Tage nach dem ersten Tag der letzten Regel.
Man hat sich Aufldärungen aus solchen Fällen versprochen, in welchen
nur ein einziger Coitus stattfand, der zur Conception führte; den Tag dieser
einzigen Cohabitation hat man den Conceptions-Termin genannt. Aber
nach dem oben Gesagten ist eben dieser Tag mit dem Zeitpunkt der Impräg-
nation nicht gleichbedeutend. Unter 503 Frauen, welche nach einer einzigen
Cohabitation befruchtet wurden, kamen 396 = 78* 7% innerhalb 265 — 280
Tagen nach diesem Coitus nieder, 107 Frauen = 21 -3% nach dem 280.
Tage. Die längste beobachtete Dauer einer Schwangerschaft nach dem Coitus
betrug 329 Tage, also ebensoviel, als nach dem ersten Tage der letzten Regel.
Im Allgemeinen scheint es, dass die Imprägnation meist 10 — 15 Tage nach
der zuletzt dagewesenen Regel eintritt. Nimmt man ferner an, dass die
Niederkunft 280 Tage nach dem ersten Tage der letzten Regel stattfindet, so
bleiben für die wirkliche Dauer der Schwangerschaft 265 — 270 Tage.
Diese Verhältnisse sind ganz besonders in criminellen Fällen wicMig, also dann,
wenn es sich um Feststellung der Vaterschaft und darum handelt, wer für die Alimente
aufzukommen hat. Um Beispiele anzuführen: „Nach dem preussischen allgemeinen Land-
recht wird ein Kind, welches bis zum 302. Tage nach dem Tode des Ehemannes geboren
worden, für das eheliche Kind desselben beachtet." Nach dem preussischen Gesetz vom
Jahre 1854 ist „als Erzeuger eines unehelichen Kindes derjenige anzusehen, welcher mit
der Mutter innerhalb des Zeitraumes vom 285. — 210. Tage vor der Entbindung den Bei-
schlaf vollzogen hat." Das neue deutsche Civilgesetz, das sich noch in der Ausarbeitung
befindet, nimmt eine Schwangerschaft von längstens 300 Tagen an. Fritsch sagt hierüber
mit Recht: „da ohne Zweifel Uebertragungen vorkommen, müsse sicher die Zeitdauer, wenig-
stens bei Posthumis, auf 324 — 336 Tage verlängert werden. Dass aber andererseits aus
einer Verlängerung der Empfängniszeit wiederum mancher ungerechtfertigte Anspruch seitens
einer Geschwängerten resultirt, ist gewiss klar." Wird ein nicht ausgetragenes Kind ge-
boren, so ändern sich diese Zahlen natürlich entsprechend der Entwicklung des Kindes.
Ueber die mikroskopischen Vorgänge bei der Imprägnation des
menschlichen Eies wissen wir soviel wie nichts. Wahrscheinlich dringt bei
Bildung eines Fötus nur je ein Spermatozoon in den Dotter ein; Hertwig
nimmt an, dass durch Vereinigung des Restes des Keimbläschens mit dem
Kopf des Samenkörperchens ein neuer Kern entsteht und dass darin der wich-
tigste Vorgang der Befruchtung zu sehen sei. Die Zona pellucida des mensch-
lichen Eies hat deutlich radiäre Streifung, aber keine Mikropyle oder Poren-
canälchen.
Auch über die Ursachen der Geschlechtsbildiing wissen wir trotz zahlreicher
Hypothesen soviel wie nichts. Am bestechendsten erscheint die jüngste dieser Theorien,
welche Düsing 1883 ausgesprochen hat. Er geht von dem Gedanlien aus, dass auf Grund
der natürlichen Zuchtwahl stets eine annähernd gleich grosse Zahl von Individuen beider
Geschlechter erzeugt wird, was ja für die Erhaltung der Art unbedingt vorausgesetzt werden
muss; diese Voraussetzung soll nun thatsächlich dadurch erfüllt werden, dass immerjenes
Geschlecht entsteht, welches im Augenblicke der Zeugung geschlechtlich
überangestrengt ist. Eine sehr geistreiche Theorie, aber doch nur Theorie Von den
älteren Anschauungen seien folgende erwähnt : Hippokrates glaubte, dass dem rechten Eier-
stock die Knaben, dem linken die Mädchen entspriessen ; diese Ansicht tauchte 1786 von
CUßETTEMENT. 175
Neuem auf, als Henke rieth, Frauen, welche einen Knaben empfangen wollten, sollten sich
auf die rechte Seite legen, zur Empfängnis eines Mädchens aber auf die linke. Während
hier die Geschlechtsl^estimmang auf den Eierstock zurückgeführt wird, liielt B. S. .Sgiiultze
eine entsprechende Anlage des Eies selbst für ausschlaggebend. Nacli diesen Theorien wäre
das Geschlecht im Eierstock, beziehungsweise im Ei schon vorausljestimmt. Andere Autoren
suchten die Ursache der Entwicklung verschiedener Geschlechter in äusseren Umständen,
sei es im Augenblicke der Befruchtung, sei es in der ersten Zeit der Entwicklung des
Fötus. So führte Tiiury 1863 aus, dass im Anfange der Brunst bei Thieren nur weibliche,
am Ende der Brunst nur männliche Thiere erzeugt würden. Thatsächlich gelang es ihm,
in Befolgung dieser aufsehenerregenden Theorie in 29 Fällen nach Wunsch 22 Kuh- und
7 Stierkälber zu erzielen. Es liegt auf der Hand, dass diese Anschauung nicht ohne Wei-
teres auf den Menschen zu übertragen ist. Immerhin erscheint der Einwand, dass die Frau
zur Zeit der Menses (wenn man diese überhaupt auf eine Stufe mit der Brunst der Thiere
stellen darf) die Cohabitation aiicht oder doch nur ausnahmsweise zulasse, nicht stichhaltig.
Denn es ist kaum fraglich, dass die sexuelle Enthaltsamkeit des Weibes zu dieser Zeit auf
einem Herkommen, einer anerzogenen Sitte beruht; der Geschlechtstrieb selbst ist intra
menses meist sogar gesteigert, analog dem Verhalten der Thiere während der Brunst. Dem
Verhalten von Ei und Sperma misst auch Hensen eine gewisse Bedeutung bei, wenn er
glaubt, manches spreche dafür, dass ein günstiger Zustand von Ei und Sperma zur Weib-
chenbildung führe, während ein dem Absterben nahes Ei eher Männchen hervorbringe. Die
gerühmte Superiorität des Mannes erlitte dadurch allerdings eine empfindliche Einbusse,
oder aber seine Bescheidenheit wird dadurch in helles Licht gerückt. Von grossem Interesse
ist auch die Thatsache, dass sich bei den Bienen aus unbefruchteten Eiern die männhchen
Drohnen entwickeln, aus den befruchteten aber die weiblichen Arbeitsbienen; hier scheint
ursprünglich eine männliche Anlage der Eier zu bestehen. Einer Verallgemeinerung wider-
spricht allerdings auf das schlagendste der Umstand, dass den unbefruchteten Eiern ge-
wisser Psychiden (Schmetterlinge, Familie der Spinner) Weibchen, den befruchteten aber
Männchen und Weibchen entspringen sollen; es muss jedoch beigefügt werden, dass die
Parthenogenesis der Psychiden nicht ohne Widerspruch geblieben ist.
Sehr bemerkenswerth für die Theorie äusserer Einflüsse auf die Geschlechtsbildung
ist auch die Beobachtung Knight's an Gurken und Melonen: durch Wärme, Licht und
Trockenheit sollen sich nur männliche, durch Schatten, Feuchtigkeit und Düngung nur
weibliche Blüthen entwickeln. Ferner ist dabei zu erwähnen, dass z. B. beim Frosch nach
Born noch eine Beeinflussung des Geschlechtes nach der Zeugung möglich ist. In jüngster
Zeit (1893) hat Nüssbaum experimentell bei Hydra (Süsswasserpolyp) durch veränderte
äussere Bedingungen (Temperatur, Licht etc.) nach Wunsch die beiden Geschlechter selbst
nach der Befruchtung entstehen lassen.
Das gegenseitige Verhältnis zwischen Ei und Sperma wäre nach der Theorie Hof-
acker's und Sadler's, welche 1828 und 1830 unabhängig von einander das Alter der Er-
zeuger für die Geschlechtsbestimmung verantwortlich machten, von Einfluss; nach ihrer
Ansicht soll, besonders bei grossem Altersunterschied, das Geschlecht des älteren erzeugt
werden. Dem widerspricht allerdings wieder die Thatsache, dass alte Erstgebärende mehr
Knaben als Mädchen zur Welt bringen, obwohl hier der Altersunterschied relativ geringer,
ja die Frau verhältnismässig oft älter als der Mann ist. Der KNiGHT'schen Beobachtung
reiht sich die PLOss'sche Theorie an, dass nach der Conception einwirkende äussere Ver-
hältnisse von Einfluss auf das Geschlecht seien. Breslau und Wappäus widersprechen dem
nach ihren statistischen Untersuchungen; letzterer konnte zeigen, dass Missernte und Hun-
gersnoth in Schweden ohne Einfluss auf das Geschlecht waren. Gleichfalls auf äussere
Ursachen führt Olshausen die Geschlechtsbestimmung zurück, wenn er die Beschaffenheit
des Beckens dafür heranzieht. Janke nimmt an, dass bei der Zeugung beide Geschlechter
einen Kampf eingehen, in dem jedes das ihm Entgegengesetzte hervorzubringen bestrebt ist.
Das erinnert weitgehend an Sacher-Masoch's Worte: „Die Liebe ist der Krieg der Geschlech-
ter, indem sie darum ringen, eines das andere zu unterwerfen — für kurze Zeit durch die
Begier, den Trieb sich fortzupflanzen, in süsser Wollust gleichsam zu einem einzigen Wesen
vereinigt, um dann in noch ärgerer Feindschaft zu entbrennen und noch heftiger und noch
rücksichtsloser um die Herrschaft zu streiten." Für die Frage der Entstehung des Ge-
schlechtes ist damit allerdings nichts gewonnen. GUSTAV KLEIX.
Curettement. Unter Curettement (Syn. Abrasio, Baclage, Auskratzung^
Ausschahu7ig) versteht man die Entfernimg der Uterusschleimhaut mittels
besonderer Instrumente, nämlich mittels eines scharfen Löffels oder, was mehi'
empfehlenswerth, mittels einer am oberen Eand geschärften Metallschlinge
von 4 — 12 mm Breite, der Cui-ette. Diese von Eecamier 1846 zuerst angegebene,
dann verdammte und schliesslich in Vergessenheit gerathene, in Deutschland
176 CüRETTEMENT.
von Hegae, Kaltenbach und Olshausen eingefiüu'te und bald zur allgemeinen
Anerkennung gelangte Operation ist entschieden eine der segensreichsten Er-
rungenschaften der modernen Gynäkologie, da sie die Endometritis beseitigt,
resp. die Heilung derselben anbahnt. Die Endometritis ist aber das häutigste
gynäkologische Leiden, welches nicht nur durch die Blut- und Säfteverluste,
dieses erzeugt, sondern auch dadurch von grösster Bedeutung ist, dass es
secundär Entzündungen des Uterusparenchyms, der Tuben und Ovarien, des
Beckenbindegewebes und Beckenbauchfells veranlasst. Eine Errungenschaft
der modernen Gynäkologie ist das Curettement insofern, als nur die Antisepsis
die Operation zu einem gefahrlosen Eingriff gestalten konnte.
Die Hauptindication des Curettements besteht also in der
Entfernung der erkrankten Uterusschleimhaut bei den ver-
schiedenen Formen der Endometritis, die sich theils durch Blutungen,
theils durch Ausfluss manifestiren und nicht nur zu Verdickung, sondern sogar
zu Polypenbildung der Schleimhaut führen können. Betriöt die Endometritis
allein die Cervixschleimhaut, so ist nur das Curettement des Cervix indicirt. Doch
ist hervorzuheben, dass die Cervicalschleimhaut von der Curette nur sehr
unvollständig entfernt wird. Immerhin wirkt aber auch hier das Curettement
günstig durch die Zerstörung von Schleimfollikeln und die Verödung zahl-
reicher Blutgefässe. Dagegen wird die Corpusschleimhaut von der Curette
bis auf geringe Reste, die innerhalb von Vertiefungen der Musculatur gelegen
sind, entfernt. Von den zurückgebliebenen Drüsenfundi und dem sie um-
gebenden Bindegewebe aus bildet sich dann eine neue und in vielen Fällen
direct normale Schleimhaut. Letzteres wird am besten dadurch bewiesen,
dass in vielen Fällen nach dem Curettement statt der Sterilität oder früherer
Aborte, eine normale Schwangerschaft eintritt. Der Erfolg von Aetzungen
ohne vorausgeschicktes Curettement ist ein viel unsicherer, die Behandlung
nimmt viel längere Zeit in Anspruch.
Contraindicirt ist das Curettement nur, wenn in der Umgebung des
Uterus Eiter vorhanden ist, also besonders bei Pyosalpinx, wo durch die
Operation eine Berstung des Sackes und damit tödtliche Peritonitis erfolgen
kann, ferner bei para- oder perimetritischen Exsudaten und Exsudatresten.
Para- oder perimetritische Stränge contraindiciren dagegen weder das Curet-
tement noch nachfolgende Aetzungen. Vielmehr sieht man, dass nach einer
solchen localen Behandlung des Endometrium die frühere Druckempfindlichkeit
jener Stränge und Beschwerden verschwinden, welche, wie Schmerzen beim
Gehen, bei der Defäcation und Cohabitation, von der Zerrung jener empfind-
lichen Stränge abhingen.
_ Aus dem Gesagten geht hervor, dass das Curettement nur von einem in der gynä-
kologischen Diagnostik bewanderten Arzt ausgeführt werden sollte.
Neben dem Curettement wird man natürlich die Ursachen zu be-
seitigen haben, welche auf dem Wege der Hyperämie zu der Endometritis
führten. Lageveränderungen des Uterus sind zu beheben, peri- und para-
metritische Narbenstränge durch Massage zu dehnen, die Blutzufuhr zum
Uterus durch Erzeugung von Contractionen (durch Massage, heisse Aus-
spülungen, Aetzungen) zu massigen, bei Störungen der Gesammtcirculation
sind die Erkrankungen der betreffenden Organe (Herz, Leber, Lunge) zu
behandeln. Man muss ferner auf die Wichtigkeit regelmässiger Stuhl- und
Urinentleerung und die Nothwendigkeit aufmerksam machen, während der
Menstruation einen aufsaugenden sogenannten Monatsverband (Sublimatholz-
wolle, Mooskissen) zu tragen.
Uebrigens beseitigt das Curettement mit nachfolgenden Ein-
spritzungen von Jodtinctur die Endometritis häufig selbst dann dauernd,
CURETTEMENT. 177
wenn die schädlichen Reize fortwirken. Für die Endometritis bei Myomen hat
PtUNC4E diese Thatsache constatirt, die Verfasser bestätigen kann. Nur ersclieint
ihm das Chlorzink (in 50-proc. Lösung) in diesen Fällen nocli wirksamer als
die Jodtinctur.
Technik desCurettement. Zur Lagerung der Patientin wählt man
einen gynäkologischen Untersuchungsstuhl oder einen festen viereckigen Tisch
oder das Querbett. In den letzten beiden Fällen sind die SciiAUTA'schen
Beinhalter recht bequem, aber nicht absolut nothwendig. Eine Person, die
rechts neben dem Tisch steht, resp. neben der Patientin im Bett sitzt, kann mit
dem linken Arm und Hand die im Knie gebeugten Schenkel ganz gut an den
Leib der Patientin angedrückt halten und hat so noch eine Hand für das Halten
des Irrigators frei. Wird die Patientin nicht narkotisirt — bei empfindlichen,
verzärtelten Personen ist die Narkose entschieden wünschenswerth — so kann
die Patientin auch bei der Wahl des Querbetts die Füsse auf 2 Stühle stellen,
zwischen denen der Operateur sitzt. Blase und Mastdarm sind vor der
Operation zu entleeren. Nach gehöriger Desinfection seiner Person desinficirt
der Operateur die äusseren Geschlechtstheile und ihre Umgebung durch Ab-
spülen und Abreiben mit 1-proc. Lysollösung oder durch Abseifen und Ab-
spülen mit 3-proc. Carbolsäurelösung. Mit denselben Lösungen wird die
Scheide ausgespült und ihre Wände mit 2 Fingern abgerieben. Sodann fasst
man entweder unter Leitung des SiaiON'schen oder NoTT'schen Speculums
(das hintere Blatt von Simon genügt gewöhnlich, die Portio einzustellen, wenn
man die vordere Vaginalwand mit dem linken Zeigefinger etwas in die Höhe
drückt) oder unter Leitung eines oder zweier Finger der linken Hand die
vordere Lippe mit einer Kugelzange, welche etwas angezogen wird — von dem
Operateur selbst bei Gebrauch eines Spiegels, sonst von einem Assistenten.
Nun führt man (bei Gebrauch des Spiegels) unter Leitung des Auges, sonst
unter Leitung des linken Zeigefingers einen doppelläufigen Katheter in die
Uterushöhle ein und spült dieselbe mit einer der genannten Lösungen aus.
In derselben Weise wird — bei sehr engem Cervix, besonders steriler Nulliparen
nach vorausgeschickter Erweiterung mit soliden Dilatatoren — darauf die
Curette in das Cavum gebracht. Der Anfänger thut nun gut, nachdem die
Kugelzange losgelassen ist, sich mit der Curette den Uterus etwas nach vorn
und oben zu drängen, um mit der linken Hand von aussen nachzufühlen, ob
die Curette auch wirklich im Fundus liegt. Ist dies der Fall, so nimmt man
die Kugelzange in die linke Hand und schabt methodisch zuerst die vordere,
dann die hintere und, indem man die Curette auf die Kante stellt, den
Fundus und die Seitenkanten ab. Hierbei muss natürlich die Curette gegen
die Uteruswand in gewissem Maasse angedrückt werden. Nach abwärts darf
man kräftig schaben, nach oben muss die Curette sanft zurückgeführt werden.
Uebrigens schadet eine mit einem aseptischen Instrument ausgeführte Per-
foration des Uterus nichts, falls man nicht hinterher Liqu. ferri oder Aehn-
liches injicirt. Ist das Cavum sehr weit, so muss der Stiel der Curette
gekrümmt werden, um alle Partien der Uterusinnenfläche erreichen zu können.
Aus diesem Grund empfiehlt es sich auch, zu einer gründlichen Abla\itzung
der vorderen Wand den Spiegel zu entfernen, da dieser häutig die nöthige
Senkung der Curette hindert. Das Curettement ist vollendet, wenn die Cui'ette
überall ein knirschendes Geräusch erzeugt.
Nach dem Curettement muss der Uterus nochmals ausgespült
werden, um die abgelösten Schleimhautfetzen herauszubefördern. Ist ausserdem
Cervixkatarrh vorhanden, so wird die Cervixschleimhaut ebenfalls mit der
Curette bearbeitet. Gewöhnlich schliesst man an das Curettement noch die
Einspritzung eines Aetzmittels, Jodtinctur, Liq. ferri, Chlorzink in 50-proc.
Lösung mittels BRAUN'scher Spritze an. Um das Eindringen des Mittels in
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 1^
178 CURETTEMENT.
die abnorm erweiterten Tuben und die Bauchhöhle zu vermeiden, darf man
den Stempel nur langsam herunterdrücken, indem man zu gleicher Zeit die
Spritze langsam aus dem Uteruscavum herauszieht. Sodann muss rasch der
Katheter eingeführt werden, um die überschüssige Menge des Aetzmittels zu
entfernen, da sonst sehr heftige Uteruskoliken entstehen. Führt man den
Katheter nicht gleich ein, so coutrahirt sich der innere Muttermund so fest,
dass der Katheter nicht mehr hindurchgeht. Uebrigens ist der Verfasser von
diesen Einspritzungen ganz zurückgekommen und macht Aetzungen nur noch
mit der PLAVFAiR'schen Sonde.
Die Blutung ist meistens unbedeutend, kann aber auch, besonders
bei Endometritis post abortum, sehr profus sein. Für diese Fälle ist die
Tamponade des Uterovaginalcanals indicirt. Man führt einen 1 — 4 cm breiten
Jodoformgazestreifen, bei genügend weitem Cervicalcanal mit einer langen
Pincette, sonst vermittelst einer Uterussonde oder einer Sonde, w^elche an
ihrer Spitze eingekerbt ist, bis in den Fundus und stopft den ganzen Uterus,
sowie das Scheidengewölbe fest aus. Die Scheide wird mit einigen Watte-
tampons austamponirt. Die Tamponade muss eine recht feste sein, da bei dem
nicht puerperalen Uterus die Blutstillung weniger durch Erzeugung von Uterus-
contractiouen als vielmehr durch Compression erfolgt. Das Material hierzu
findet sich in den vom Verfasser angegebenen käuflichen Büchsen.
Ein Ereignis, welches beim Curettement häufig vorkommt und eine
Perforation des Uterus vortäuschen kann, ist eine plötzliche bedeutende Dila-
tation der Uterushöhle. Die Curette dringt auf einmal, ohne Widerstand
zu finden, tief ein. Palpirt man nun aber von aussen, so fühlt man die
Curette nicht unmittelbar unter den Bauchdecken, sondern allseitig von einem,
wenn auch sehr dünnen und schlaffen Sack umschlossen. Eine befriedigende
Erklärung für diese Thatsache existirt nicht. Ist eine Perforation erfolgt, die
bei puerperalem Uterus trotz aller Vorsicht passiren kann, so darf man das
Curettement nicht fortsetzen und keine Aetzmittel anwenden. Bei antisep-
tischem Vorgehen bleibt jegliche entzündliche Reaction aus.
Die Schmerzen, welche manchmal nach dem Curettement auftreten, werden durch
hydropathische Umschläge, ev. durch eine Morphiuminjection bekämpft.
Nach dem Curettement muss die Patientin mindestens 4 Tage lang strenge
Bettruhe einhalten. 14 Tage nach der Operation nimmt man noch eine
zweite Aetzung mit 50-proc. Chlorzinklösung vor, falls noch Ausfluss besteht.
Bedient man sich hierzu der Einspritzung, so darf dieselbe nur im Hause der
Patientin ausgeführt werden, da nach ihr oft äusserst heftige Uteruskoliken
eintreten — ein Zeichen, dass dieses Aetzmittel starke Uteruscontractionen
hervorruft. Weitere Chlorzinkätzungen (6 — 12 in 4 — 8-tägigen Intervallen)
nimmt man nur vor, wenn früher schon das einfache Curettement erfolglos
geblieben, ferner bei der Endometritis exfoliativa und der Endometritis bei
Myomen, sowie in den Fällen, wo 14 Tage nach der letzten Aetzung der
Uterus noch Secret liefert. Bei ambulanter Behandlung mache man also die
dem Curettement nachfolgenden Aetzungen nur mit der PLAYFAm'schen Sonde.
Vor und nach der Aetzung wird der Uterus mit einer P/o-igen Lysollösung
ausgespült.
Ein zweites, sehr wichtiges Feld seiner Anwendung findet
das Curettement als diagnostisches Hilfsmittel zur Erkennung
carcinomatöser oder sarcomatöser Degenerationen der Uterus-
innenfläche. Befördert man mit der Curette nicht ohne Weiteres grosse
markähnliche Massen heraus, so nimmt man auch in diesen Fällen
am besten ein gründliches Curettement, wie beschrieben, vor. Erweist
nämlich die nachträgliche mikroskopische Untersuchung der herauscurettirten
CURETTEMENT. 179
Massen die Schleimhautveränderungen als gutartige, so ist die sogenannte
Probeauskratzung nicht nur ein diagnostisches, sondern auch ein therapeutisches
Hilfsmittel gewesen, welches die Blutungen und den AusÜuss zu beseitigen
im Stande ist. Bei jauchigem Austluss mache man das Curettement
recht vorsichtig, da eine Perforation, welche durch maligne Degeneration der
Uteruswand begünstigt wird, in diesen Fällen zu einer septisclien Peritonitis
führen kann. Uebrigens muss man bei diesen verdächtigen Fällen auch den
Cervix gründlich auskratzen, da Cervixcarcinome, die den äusseren Muttermund
intact lassen, sonst ganz übersehen werden können. Hat das Curettement und
die nachfolgende mikroskopische Untersuchung eine maligne Neubildung
ergeben, so hat sich an das Curettement die Totalexstirpation des Uterus an-
zuschliessen. Ist diese nicht mehr indicirt, weil die Neubildung schon den
Uterus überschritten hat, so kommt drittens das Curettement — hier in Con-
currenz mit der Auslöffelung — als palliatives Hilfsmittel in Betracht,
um die Jauchung und die Blutungen in Schranken zu halten. In diesen
Fällen schliesst man an das Curettement die Cauterisation mit dem Platin-
brenner.
Auch in der Geburtshilfe spielt das Curettement eine
wichtige Rolle in der Abortbehandlung. Bis zur Mitte des 3. Monats
kann man mit der Curette allein das ganze Ei von der Uteruswand ablösen und,
indem man die Curette durch die abgelösten Massen hindurchdrückt, es so
zertrümmern, dass es sich auch durch einen engen äusseren Muttermund (und
zwar ohne Invasionen) mit der Curette oder der Ausspülung herausbringen
lässt. Der Gebrauch der Curette in diesen Fällen hat den Yortheil, dass man
die Patientin nicht wie bei der manuellen Ausräumung, zu narcotisiren braucht.
Von der Mitte des 3. Monats ab, wo die Placenta sich bildet, ist die Curette
immer noch das bequemste Mittel, um die Decidua rascher, vollständiger und
schmerzloser zu entfernen, als es der eingeführte Finger vermag, während
für die Ablösung der Placenta allerdings der Finger der Curette vorzuziehen ist.
Ich wende die Curette principiell bei allen Aborten an, wo der Abort
nicht mehr aufzuhalten ist — und zwar bis zur Mitte des dritten Monates zur
Ablösung des ganzen Eies, in späterer Zeit nach manueller Ablösung der
Placenta zur Entfernung der Decidua. Nicht alle Geburtshelfer theilen diesen
Standpunkt, indessen greifen wohl die meisten zur Curette in Fällen, wo bei
wenig vergrössertem Uterus und geschlossenem Cervix Abortreste Blutung
oder Jauchung veranlassen. Neuerdings hat man aus diesen Gründen auch im
Wochenbett nach normalen Geburten das Curettement angewendet.
Einen Erfolg kann es bei jauchigem Ausfluss selbstverständlich nur in den
Fällen haben, wo der Sitz der Fäulnis oder der Infection auf die Decidua
beschränkt ist. Die Auskratzung ist daher in allen Fällen zu unterlassen, wo
Exsudate, allgemeine Peritonitis oder Pyämie vorhanden sind, vorzunehmen
in den Fällen, wo Fieber und übelriechender Ausfluss bestehen, welche weder
Uterusausspülungen, noch der Jodoformgazetamponade weichen. Letztere hat
den Vortheil, dass sie den Cervix für den Finger durchgängig macht,
so dass man den Finger einführen und constatiren kann, ob die Blutung, resp.
Jauchung nicht durch Piacentarreste oder Neubildungen bedingt ist. Curettii-t
man bei Zersetzung im Uteruscavum, so sieht man übrigens häufig nach dem
Curettement einen intensiven Schüttelfrost und hohes Fieber eintreten —
Erscheinungen, die dadurch bedingt sind, dass von den frischgesetzten Wunden
aus eine Resorption von Ptomainen stattfindet. Diese bedrohlichen Symptome
gehen jedoch innerhalb 24 Stunden zurück. Um sie zu vermeiden, erscheint
der Gebrauch eines Spüllöffels oder einer Spülcurette zweckmässig — d. h.
eines Instrumentes, welches inwendig hohl ist und an beiden Enden ent-
12*
180 DAMMRISSE UND DAMMNAHT.
sprechende Öftnimgen hat. Dieses Instrument wird auf den Irrigatorschlauch
aufgesetzt, und die Desinfectionslösung überspült infolgedessen continuirlich
die Schneide des Instrumentes und die Wunden, welche die Curette erzeugt.
DÜHRSSEX.
Dammrisse und Dammnaht. Am Scheideneingange kommen bei der
Geburt als Folge derselben mitunter auch im nicht gebärenden Zustande durch
zufällige traumatische Veranlassungen verschiedene Verletzungen vor, als deren
wichtigste und häutigste diejenigen des Frenulums und Dammes, sowie des
Beckenbodens, welche man kurzweg als Dammrisse zusammenfasst, zu be-
zeichnen sind.
Sie entstehen in Folge der Ueberausdehnung, welche der Scheideneingang
bei dem Durchtritt des Kindes, besonders des Kopfes und mitunter auch der
Schultern desselben erfährt. In ihrer Ausdehnung sind sie je nach Umständen
ausserordentlich verschieden, von einem leichten Einrisse des Frenulum bis
zu einem vollständigen, selbst auf den Anus und Mastdarm sich erstreckenden
Zerreissen des ganzen Mittelfleisches, und unterscheidet man danach verschie-
dene Grade. Geringere Einrisse des Frenulums sind besonders bei Erstge-
bärenden ausserordentlich häufig. Abgesehen von diesen unterscheidet man
die Rupturen in oberflächliche, bei welchen nur die äussere Haut des
Perineums und die Fascia perin. superficialis geborsten ist — Dammrisse
ersten Grades — und in tiefe, die eigentlichen Vulvo-Perinealrisse,
bei welchen entweder ausser dem untersten Theil der hinteren Scheidenwand
auch die Dammuskeln — - die Fasern des M. constrictor cunni, welche zum
M. sphincter ani gehen. Mm. transversus perinei superfic. und profundus
und die Fascia perin. profunda eingerissen sind — Dammrisse zweiten
Grades, — oder der Riss auch noch auf den Sphincter ani externus und
auf die Schleimhaut des Mastdarmes, sowie einen bedeutenden Theil der hin-
teren Scheidenwand sich erstreckt — Dammrisse dritten Grades.
Die Dammrisse zweiten Grades gehen nur bis an den Anus, die dritten
Grades in oder auch gabelförmig um denselben herum. In nicht seltenen
Fällen werden nur die inneren Gewebe des Beckenbodens — ■ Schleimhaut,
Muskeln und Fascien — zertrümmert ohne Verletzung der äusseren Haut,
Rupturen, welche bei nicht sorgfältiger Untersuchung der Beobachtung ent-
gehen. Gewöhnlich verläuft der Riss, an der hinteren Commissur der Labien
beginnend geradlinig oder etwas gezackt von vorn nach hinten; es kann auch,
was allerdings selten, das durch die Ueberausdehnung des Frenulums gebildete
verdünnte Dreieck an der einen Seite abreissen bis zur Raphe und geht dann
der Riss, einen stumpfen Winkel bildend, in der Raphe weiter nach hinten.
.Mitunter auch berstet die Haut zuerst in der Mitte der Raphe, und zwar nicht
längs, sondern querüber und geht dann der Riss in die Tiefe; oder die
inneren tieferen Schichten reissen an dieser Stelle zuerst und dann erst die
äussere Haut querüber. Ein solcher Riss kann sehr weit gehen, nach vorn
die Vulva und die Labia majora, nach hinten den Mastdarm umfassend, ohne
diesen oder die hintere Commissur der Labien zu zerreissen, und nennt man
solchen Riss eine Centralruptur, durch welche hindurch in extremen
Fällen das Kind geboren werden kann.
Waren die inneren Schichten des Beckenbodens zuerst durchrissen oder zertrümmert,
so kann es, wie oben bemerkt, vorkommen, dass die äussere Haut unversehrt bleibt. Oft
kommt es aber auch vor, dass dieselbe im Moment des Einschneidens, noch bevor es zum
eigentlichen Durchschneiden des Kopfes kommt, plötzlich in der ganzen Ausdehnung des
Perineums berstet und zwar oft von hinten nach vorn oder von der Mitte der ßaphe
aus gleichzeitig nach vorn und hinten.
Was die Häufigkeit der Dammrisse anlangt, so sind darüber die
Angaben sehr verschieden, was wohl in der verschiedenen Auffassung des Be-
griffes „Dammriss" seine Begründung hat. Die einen rechnen zum Dammriss
DAMMRISSE UND DAMMNAHT. 181
jedes auch kleine Einreissen des Frenulums und werden dadurch hohen Pro-
centsatz erhalten, andere lassen erst Risse von wenigstens 2 cm oder noch
mehr Länge (vom Frenulum aus) als Dammrisse gelten. So kommt es, dass
z. B. HuGENBOG nur P/o Dammrisse für alle Geburten angibt, Sxow Beck
dagegen ßß^/o für Erstgebärende. Litzmann rechnet 41% für Pp., 11-4''/^,
für Mp., Schröder 34<>/o für Pp., !)"/o l'ür Mp.; SwEGELBERf^ für Risse von
2'5 cm an 3-5"/o, Winckel für solche von 1-5 cm an lO'Vn für alle Geburten,
Olshausen (10-jährige Beobachtung in der Klinik zu Halle) 21-1 'Vo für Pp.,
4-4V0 für Mp. Unbestritten ist, dass Dammrisse bei Erstgebärenden häufiger
vorkommen, als bei Mehrgebärenden. Blosses Einreissen des Frenulums
nehmen Puzos, Spiegelberg, Olshausen u. A. für fast alle Geburten an,
Schröder dagegen zu 6 P/o bei Primiparen und 30"' /o bei Multiparen.
In Bezug auf die Entstehung der Perinealruptur sind diejenigen
Umstände zu berücksichtigen, welche zu der Zerreissung disponiren, sie be-
günstigen, und die Ursachen, welche letztere direct herbeiführen. Wenn der
Kindeskörper, bezw. Kopf und Schultern, die Schamspalte schonend passiren
sollen, müssen diese und ihre Ausdehnungsfähigkeit in harmonischem Ver-
hältnisse zum Umfang des hindurchtretenden Kindeskörpers stehen. Besteht
Missverhältnis in dieser Beziehung, dann Avird es leicht zum Dammriss
kommen.
Disponirend von Seiten der Mutter sind besonders ungewöhnliche Enge
und Unnachgiebigkeit der Schamspalte, Rigidität ihrer Wandungen von Haus
aus oder durch Krankheiten — Oedeme, Narben, Geschwüre u. dgl. — er-
worben, zu grosse Breite und Unnachgiebigkeit des Dammes, ungewöhnliche
Höhe der Symphyse, abnorme Straftheit des Lig. trianguläre (B. Schultze),
zu enger Schambogen, zu geringe Beckenneigung. Ob auch zu starke Becken-
neigung, ein sehr gestrecktes Kreuzbein oder ein abnom concaves nachtheilig
wirken, wie von einigen Autoren behauptet wird, ist zweifelhaft. Disposition
von Seiten des Kindes geben: zu grosser harter Kopf, ungünstige Stellung
und Drehung desselben beim Ein- und Durchschneiden, zu breite Schultern
u. dgl. Dieses Missverhältnis zwischen der Schamspalte und dem austre-
tenden Kindeskörper kann ausgeglichen oder doch in seinen Folgen gemildert
w^erden durch eine schonende, allmälige Erweiterung der Geburts-
wege, durch geeignete Kunsthilfe, richtige Lagerung der Kreis-
senden u. s. w. Kommen aber statt dessen stürmische Wehen, welche keine
Zeit zu schonender, allmäliger Erweiterung der engen Geburtswege lassen und
den Kindeskörper der Fähigkeit berauben, die nöthigen Drehungen oder
Stellungsänderungen zu vollziehen, dann wird die Ruptur umso eher eintreten,
besonders wenn durch fehlerhafte Lagerung der Kreissenden und sonst un-
geeignete Kunsthilfe der Natur nicht richtig zu Hilfe gekommen wird. Bei
wenig geneigtem Becken und Situs ant. gen. wird in der Austreibungsperiode
der Kindeskörper durch die Wehenkraft mehr gegen die Mitte des Becken-
bodens angedrängt, als in der Richtung der Achse des in der Rückenlage der
Kreissenden fast horizontal liegenden nach oben sehenden Scheidenausganges
vorwärts bewegt, da er zu letzterer Bewegung dem Gesetz der Schwere ent-
gegen in die Höhe steigen müsste. Ist aber der Damm sehr unnachgiebig
und die Wehen sehr stürmisch, werden die inneren Theile des Beckenbodens
in erster Linie zertrümmert und zuletzt auch die äussere Haut gesprengt, sei
es in Form einer Centralruptur oder erst beim Durchschneiden des Kopfes
vom Frenulum aus; es entsteht dann ein tiefer, grosser Einriss. Ist bei wenig
geneigtem Becken der Beckenboden dagegen zu nachgiebig, dann kann er
sackartig weit vorgetrieben und dabei ausserordentlich verdünnt werden und
dann beim Durchschneiden des Kopfes in weiter Ausdehnung eim-eissen. be-
sonders bei stürmischen Wehen. Alles dies wird in Rückenlage der Kreis-
senden leichter eintreten, als bei Seitenlagerung. Breiter Damm und geringe
182 DAMMRISSE UND DAMMNAHT.
Beckenneigung begünstigen Centralruptur. Von Seiten des Kindes gibt be-
sonders das Durchschneiden des Kopfes mit dem Fronto-Occipital-Durchmesser,
wie dies bei Vorderscheitellage der Fall ist, überhaupt jeder Durchtritt des
Kopfes, bei welchem nicht der suboccipito-frontale oder der submento-occipitale
Durchmesser gewonnen wird, Veranlassung zur Perinealruptur.
Es kommt auch vor, dass der Kopf glücklich durch ist und erst beim Durch-
treten der S<;hultern, besonders wenn sie gleichzeitig austreten oder unvorsichtiger
Weise ausgezogen werden, der Damm einreisst und dies umso eher, wenn die inneren
Theile des Beckenbodens schon stark gequetscht oder zertrümmert waren. Manchmal
scheinen alle bis jetzt genannten, einen Dammriss begünstigenden Momente zu fehlen und
doch erfolgt ein solcher, was dann wohl in einer abnormen krankhaften Brüchigkeit des
Dammes seinen Grund hat, der, wie Hecker sagt, wie Zunder reisst.
Die Folgen der Dammrisse sind verschieden je nach der Grösse
und Tiefe derselben, sowie auch nach dem Verlaufe des Wochenbettes. ■ Die
Blutungen sind meist geringfügig, parenchymatös und nur bei tiefen, w^eit
hinaufreichenden Rissen kommt es auch einmal vor, dass ein etwas grösseres
Gefäss durchrissen wird und profusere arterielle Blutung erfolgt, welche durch
Unterbindung leicht zu stillen ist. Unmittelbar nach dem erfolgten Einreissen
macht sich ein brennender Schmerz in der Vulva bemerklich, der oft schon
sehr bald nachlässt, manchmal aber, wenn auch in verringertem Grade einige
Tage anhalten kann. Bei grösseren Verletzungen stellt sich am zweiten,
dritten Tage des Wochenbettes meist etwas Wundfieber ein, während geringere
besonders bei geeigneter antiseptischer Behandlung gewöhnlich ohne solches
verlaufen.
Bei vorher gesundem Damm und sorgfältiger Behandlung des Risses
heilen nach Winckel etwa 6 5 °/o Dammrisse per primam, nach Anderen etwas
weniger. Mitunter zeigen sich Oedem der Wundränder und Puerperalgeschwüre,
besonders bei nicht sorgfältiger Antisepsis. Je grösser der Riss, umso grösser
ist die Infectionsgefahr, jedoch im Ganzen weniger, als bei inneren, tiefer lie-
genden Verletzungen, weil eine gründliche Desinfection leichter ausführbar ist.
War der Sphincter eingerissen, kann unwillkürlicher Abgang der Darmgase
und selbst der Fäces auftreten. Spontane vollständige Heilung kommt nur
ausnahmsweise vor, öfters nur am hinteren Wundwinkel eine Wiedervereinigung
von einigen Millimetern, während der grössere Theil der Wundränder vereitert
und sich später mit einer dünnen, schleimhautähnlichen Membran überhäutet.
Hierdurch wird die Schamspalte erweitert, im ungünstigsten Falle bis zum
After und wird dadurch die hintere Vaginalwand ihrer Stütze beraubt, was
zur Folge haben kann, dass die Scheide eine Geneigtheit zu Senkung und
Vorfall erhält. Durch das stärkere Klaffen der Scheide wird das Auftreten
von Vaginal- und Uterinalkatarrhen mit all ihren Folgen begünstigt. Bei un-
genügender Verheilung tiefer, in die Mastdarmschleimhaut gehender Risse
können Mastdarm-Scheidenfisteln zurückbleiben, welche jedoch später durch
Nachoperation sich unschwer beseitigen lassen. In extremsten Fällen kommt
es zur Kloaken-Bildung.
Die rationellste Behandlung der Dammrisse würde die prophylaktische,
d. i. die Verhütung derselben sein, in Betreff welcher wir auf das Capitel
„Dammschutz'^") verweisen. Wir müssen aber mit dem Factum rechnen, dass
trotz sorgfältigster Unterstützung des Dammes das Einreissen desselben nicht
immer zu verhüten ist. Trotz sorgfältiger Uel^erwachung des Dammes während
des Durchtritts des Kopfes kann das Eintreten eines Risses unserer Beachtung
entgehen, besonders beim Durchtreten der Schultern, und soll man es sich
deshalb zum Grundsatz machen, nach jeder Entbindung sofort die Genitalien
einer genauen Untersuchung zu unterwerfen, soweit dies durch blosse In-
spection möglich ist.
*) ^Dammsclmtz" (Gr. Braun) ds. Bd. pag. 184
DAMMRISSE UND DAMMNAIIT. -, 183
Einfache Einrisse des Frenulums l)e(lürfcn keiner weiteren Be-
handlung, als einer sorgfältigen desinticirenden Reinigung, welche auch in den
ersten Tagen des Wochenbettes fortzusetzen ist. Zweckmässig ist das Vorlegen
eines Jodoformgaze- oder Wattebausches. Wenn keine störenden Compli-
cationen dazwischen treten, heilen sie meist sehr rasch. Auch für leichte
oberflächliche, nur die äussere Haut und die J^ascia supcrfic. betreffende Ein-
risse des Dammes genügt dies Verfahren vollständig, nur ist es zweckmässig,
zur Verhütung des Spreizens der Beine, wodurch die Wunde gezerrt wird,
dieselben an den Knieen leicht zusammenzu])inden, wenigstens bei Nacht, d. h.
beim Schlaf. Manche Autoren empfahlen auch für tiefere Einrisse, sobald sie
nicht den Anus berühren oder weiter in die Scheide hinaufgehen, sich nur
auf Reinhaltung, bezw. Desinficirung der Wunde und genaues Aneinanderhalten
der Beine zu beschränken, von der Ansicht ausgehend, dass trotz Naht meistens
die Vereinigung der Wunde nicht besser und sicherer vor sich geht, als wenn
man die Risse sich selbst überlässt, eine Heilung per primam doch nicht er-
zielt werde. Es ist dies aber nicht wichtig und nach der jetzigen Auffassung
wohl allgemein angenommen, dass nur eine genaue Vereinigung der Wunde
durch gut angelegte Dammnaht einigermaassen, wenn auch nicht unl)edingt
Garantie für eine gute Heilung gibt. Am besten ist es, wenn die Vereinigung
alsbald geschieht, aber nicht vor der Entfernung der Nachgeburt, damit man
nicht durch das bis zu diesem Moment noch öfters fliessende Blut in der
Operation gestört und durch den nach der Vereinigung erst erfolgenden Aus-
tritt der Placenta die Wunde gezerrt werde. Der Eingriff' ist ja im Ganzen
ein so geringfügiger, dass selbst sehr angegriffene Neuentbundene denselben
gut vertragen, und je früher die Vereinigung geschieht, umso eher ist Hei-
lung per primam zu erwarten. Man sorge dafür, dass die Wundflächen nicht
mehr bluten und keine Blutgerinnsel darauf zurückbleiben. Ebenso werden
etwaige Gewebsfetzen entfernt und die Wunde, besonders die Wundränder mit
der Scheere geglättet. Vor Anlegung der Nähte ist es zweckmässig, die
Wundflächen und ihre Umgebung mit dem Irrigator desinficirend abzuspülen.
Nicht sehr tiefe Risse kann man in der Seitenlage operiren, wobei ein
Gehilfe die oben gelegene Hinterbacke in die Höhe zieht. Es werden dann
entsprechend der Tiefe und Länge der Wunde in etwa 1 cm Entfernung
mehrere Knopfnähte angelegt, aber erst geknüpft, wenn alle Fäden durch-
geführt sind. Man sticht etwa 1 bis 1-5 cm vom Wundrand entfernt ein und
muss die Naht so tief als möglich führen, um die Wunde ganz zu umfassen.
Besonderer Werth ist darauf zu legen, dass die Ausstichöffnungen in gleiche
Höhe und ebensoweit vom Wundrand entfernt zu liegen kommen, als die Ein-
stichöffnungen. Es ist aber nicht nothwendig, die Naht, wie manche empfohlen
haben, von der Tiefe der Wunde aus durch Ausstechen nach beiden Seiten
mit doppelter Nadel anzulegen. Für den Damm genügen 2 bis 3 tiefe Nähte,
deren erste man möglichst nahe an der hinteren Commissur der Labien an-
legt, und zwischen welche man je nach Bedarf noch einige oberflächliche
Knopfnähte anbringen kann. Um tief umstechen zu können, bedient man sich
leicht gekrümmter grosser Nadeln, welche man mit einem Nadelhalter — am
besten dem RosER'schen — einführt. Als Nahtmaterial dient dünne, carbo-
lisirte und sterilisirte Seide oder auch für leichtere Risse Catgut. In Berück-
sichtigung der zur Zeit der Anlegung der Nähte noch vorhandenen Schwellung
der Weichtheile ist es zweckmässig, die Nähte sehr fest, nahe bis zum Ein-
schneiden fest zu knüpfen, sonst liegen sie andern Tags zu locker.
Für die tieferen Risse zweiten und dritten Grades ist diese
einfache Naht nicht genügend und legt man die hier nothwendigen, meist
complicirten Nähte am besten in der Rückenlage mit erhöhtem Kreuz und
erhobenen Oberschenkeln (Steinschnittlage) an. Ist die hintere Vaginalwand
184 DAMMRISSE UND DAMMNAHT.
mit eingerissen neben der Verletzung des Dammes bis an den Anus, dann
niuss zuerst die Sclieidenschleimliaut, von oben nach unten gehend, sorgfältig
durch halbtiefe Knopfnähte — manche empfehlen dafür fortlaufende Naht,
sogenannte Kürschnernaht, über deren Zweckmässigkeit das Urtheil noch nicht
abgeschlossen ist — von der Scheide aus vereinigt werden bis zur hinteren
Commissur und dann erst werden die üblichen Dammnähte angelegt.
Bei dem höchsten Grade der Dammrisse, bei welchen das ganze
Septum recto-vaginale in mehr oder minderer Ausdehnung und der After einge-
rissen sind, wird zuerst der Mastdarm durch ebenfalls von oben nach unten
sorgsam angelegte Knopfnähte mit Knotung auf der Schleimhautfläche genäht,
wozu man, wie auch zur Scheidennaht kleine stark gekrümmte Nadeln, mit
dem Nadelhalter eingeführt, braucht; danach die Scheide in der oben ange-
gebenen Weise und zuletzt der Damm. Die den Anus, bezw. Sphincter ext.
zuletzt schliessende Naht verbindet sich mit der hintersten Dammnaht ebenso,
wie die unterste, die hintere Commissur der Labien vereinigende Scheidennaht
mit der Dammnaht. Die drei Reihen von Nähten bilden ein nahezu gleich-
schenkliges, spitzwinkliges Dreieck, dessen Basis der Damm bildet. Scheiden-
und Mastdarmschleimhaut bedürfen zu guter Heilung eine sehr sorgfältige
Coaptation durch dicht angelegte Nähte. Ist diese Bedingung erfüllt, legen
sich die Ränder der Dammwunde von selbst gut aneinander und bedürften
unter Umständen selbst keiner Nähte mehr, es ist aber sicherer, solcher 2 bis
3 anzulegen.
Von YiDAL J. Cassis wurde zur Vereinigung mittelgrosser Dammrisse statt der Nähte
die Anwendung von Serres-fines empfohlen und von ihm, Hoogeweg, Braun u. A. recht
gute Eesultate'erzielt, man ist aber doch wieder mehr davon abgekommen, da sie durchaus
keine Vorzüge vor einer gut angelegten Naht besitzen und ihre Anwendung mitunter recht
schmerzhaft ist. Auch ein von Greuser als Ersatz der Naht empfohlener CoUodiumverband
hat keine dauernde Anerkennung zu erlangen vermocht.
Bei der Nachbehandlung ist neben peinlicher Sorge für Reinhaltung
dafür zu sorgen, dass die Wunde in keiner Weise gezerrt werde, weshalb
vor Allem die Schenkel durch ein Tuch über dem Knie lose zusammenge-
bunden werden. Hierbei bleibt es sich gleich, ob die Patientin die Rücken-
oder Seitenlage einnimmt oder mit beiden wechselt, nur darf sie einen Wechsel
der Lage nicht selbständig vornehmen wegen der bei solcher Anstrengung
unvermeidlichen Zerrung der Wunde, sondern muss sich ganz passiv von
einer in die andere Lage bringen lassen. Die Nahrung sei dem Puerperal-
zustande angemessen unter Vermeidung stopfender und blähender, fester
Speisen. Durch milde Laxantien sorge man für täglichen weichen Stuhl, was
wohl zweckmässiger ist, als durch Opiate eine längere Stuhlretention herbei-
zuführen, da ein bis zum 8. oder 10. Tage zurückgehaltener Stuhl unweigerlich
hart und durch die Erschlaffung der Beckeneingeweide in Folge der Geburt
oft sehr voluminös wird, dann nur unter Schmerzen abgeht und mög-
licherweise die kaum verheilte Wunde wieder zum Bersten bringen kann.
Geht die Urinentleerung leicht vor sich, ist gegen die Spontanentleerung nichts
einzuwenden, nur muss sie vorsichtig geschehen, andernfalls wird der Urin
mittelst des Katheters (durch den Arzt!) entleert. Nach jeder spontanen oder
künstlichen Entleerung muss die Wunde sorgfältig irrigirt werden. Scheiden-
ausspülungen sind zu vermeiden und nur vorzunehmen, wenn übelriechende
zersetzte Lochien oder Fieberzustand dazu veranlassen. Die Entfernung der
Nähte geschieht bei kleinen Rupturen nicht vor dem 3. bis 4., bei grossen
nicht vor dem 7. bis 8. Tage. Am längsten sucht man die an der hinteren
Commissur der Labien und am Anus zu halten. Wenn einzelne Nähte durch-
schneiden, ist das nicht schlimm, da die hierdurch entstehenden, kleinen
Fisteln leicht spontan heilen. Ist aus irgend einem Grunde die Anlegung
der Dammnaht direct nach der Entbindung versäumt worden, und eine Spon-
tanheilung nicht erfolgt, dann muss die Vereinigung sofort nach Ablauf des
DAMMSCIIÜTZ. 185
Wochenbettes vorgenommen werden, es bedürfen aber dann die Wundflächen
einer sorgföltigen Anfrischung. Letzteres gilt auch von veralteten Dammrissen,
tieferen I)ammnarl)en u. dgl., doch würde die Erörterung der dazu dienenden
Verfahren hier zu weit führen und muss der Beschreibung der Perineoidastih *)
überlassen werden. birnbaum.
Dammschutz. Die Haltung, Stellung oder Lage, in welcher die Ge-
bärenden den letzten Theil der Austreil)ungsperiode zubringen, ist seit den
ältesten Zeiten bis auf die heutigen Tage nicht blos bei verschiedenen Völ-
kern, sondern auch bei ein und demselben Volksstaram sehr verschieden ge-
wesen.
Stehend kommen die Hindu«, die Bewohnerinnen von Madras und die Frauen an
der Ostküste Indiens nieder und zwar unterstützt von Freundinnen oder dem Manne;
ebenso die Negritos auf den Philippinen, ferner die Frauen Centralafrikas, aucii die der
Boers, ferner manche Indianerinnen. Früher wurden die Französinnen so entbunden und
in neuerer Zeit auch die Slavinnen in Oberschlesien. Hockend, beziehungsweise kauernd
kommen die Polyneserinnen, die Austrainegerinnen und Persierinnen nieder. Schwebend
und hängend kommen nieder manche Russinnen, an einem Querbalken, dann die Brasilia-
nerinnen an einem Baum mit Stricken befestiget, dann die Gurierinnen an einem Strick
von der Decke herabhängend, ebenso die Frauen Darfurs; am Arm oder Halse einer Frau
oder des Mannes hängend einzelne Frauen in Deutschland und England. In Meerane wird
die Gebärende öfters durch ein untergeschobenes breites, festes Handtuch in der Schwebe
erhalten. Knieend kommen nieder die Abyssinierinnen, die Frauen von Neuseeland, Tscher-
kessien, Georgien, Armenien, Persien, die Tartarinnen, Mongolinnen, Griechinnen, Esthinnen;
sitzend: Australierinnen, Frauen in Japan, China, Türkei, Griechenland und Egypten. Die
Geburtstuhl-Sitte ist uralt, sie findet sich schon im ältesten Egypten und bis in die
neuesten Zeiten so im alten B,om, in Holland, in Deutschland, bei den Kalmücken und
Beduinen. Liegend: die brasilianischen Wilden, die Antillenweiber, die der Sandwichinseln,
die auf Sumatra, in Australien, Japan, China, Indien; auf der Seite liegend: die Frauen
in Slam, England, Nordamerika, endlich mit sehr erhöhtem Oberkörper : die Frauen
in einzelnen Gegenden Oberitaliens.
Wie zu ersehen, gibt es kaum eine denkbare Lage, in der nicht bei
civilisirten und Urvölkern eine gewisse Anzahl von Frauen die letzte Zeit
der Austreibungsperiode zubringt ; die Mode, der Rath der Helfenden, ein
natürlicher Instinct, ein Versuch die Schmerzen zu mindern, oft die zwingende
Nothwendigkeit in grossen Städten einen Zufluchtsort aufzusuchen und auf
dem Wege dahin sich ergebende Ueberraschungen, zuweilen Anordnungen des
Arztes sind die Ursachen, welche jene grosse Mannigfaltigkeit erklären; ausser-
dem geht aus diesen Thatsachen hervor, dass Ueb erlief erung und Unterweisung
hiebei eine grosse Eolle spielen.
Lässt man aber Kreissende ohne irgend welche Vorschrift diejenige
Lage einnehmen, welche ihnen selbst als die beste und bequemste erscheint,
so legen sich auch bei den cultivirten Völkern die meisten ins Bett auf den
Rücken oder auf eine Seite; manche verlassen zwar nur im letzten Augen-
blicke das Bett, aber nur um dem unwiderstehlichen Stuhldrange nachzukommen
und auf einem Gefäss sitzend oder kauernd diesen vermeintlich zu befriedigen,
wobei genug oft statt der erwarteten Entleerung des Darmes der Durchtritt
des Kindeskopfes erfolgt. Werden Erstgebärende, welche noch nichts von dem
Hergang der Geburt bei Anderen gesehen haben, von der Geburt überrascht,
so vollenden sie dieselbe gar nicht selten stehend, nie kniend, bisweilen
kauernd, auch Mehrgebärende in gleicher Lage knien fast nie, sondern stehen,
sitzen, kauern oder legen sich nieder.
Die Frage nach der besten Lagerung der Kreissenden wurde
daher von Laien und Aerzten vielfach erörtert. Die Erfahrungen, welche an
Hunderttausenden von Entbindungen gesammelt wurden, haben ergeben, dass
nicht eine bestimmte Lage und Haltung der Gebärenden für alle Fälle passt.
um am zweckmässigsten den Dammschutz während des Durchtretens des Kin-
*) Siehe dieses Stichwort.
180 DAMMSCHUTZ.
deskopfes durch die Schamspalte ausführen zu können, sondern dass auf ver-
schiedene Umstände Rücksicht genommen und die entsprechende Auswahl
getroffen werden muss. Am zweckmässigsten eignet sich die Seitenlage bei
Erstgebärenden mit enger Schamspalte und breitem, rigidem Damme, hingegen
kann die Rückenlage auch bei Erstgebärenden in Betracht gezogen werden,
wenn Erkrankungen von Seite des Herzens, der Lunge oder andere Zu-
fälligkeiten wie beispielsweise Eclampsie die Seitenlage nicht räthlich oder
ausführbar erscheinen lassen. Der Dammschutz muss auch zuweilen auf dem
Querbett, sowohl bei dem Durchschneiden des Kopfes durch die Schamspalte
bei Kopflagen als auch beim zuletzt kommenden Kopf bei Beckenendlagen
ausgeführt werden. Zuweilen sind sowohl Erstgebärende als auch die Pluri-
paren nicht im Stande anders sich während des Durchtrittes des Kopfes
durch die Schamspalte zu verhalten als sitzend am Rande des Bettes oder
auf einem Stuhle, besonders wenn seröse Ergüsse im Pleuraräume hochgradige
Dyspnoe bedingen. Oft ergibt sich die Nothwendigkeit den Dammschutz zu
leisten bei Frauen, welche stehend von den Austreibungswehen überrascht,
sich auf der Strasse oder auf freiem Felde nicht legen wollen oder können.
Die Knie-Ellbogenlage wurde von Ritgen schon in der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts empfohlen, doch konnte sich dieselbe, trotz vielfacher Prüfung dieser Lage-
rung, keiner allgemeineren Ausbreitung erfreuen.
Was nun den Dammschutz in der Seitenlage betrifft, so wird bei
Erstgebärenden derselbe dann in Anbetracht kommen, wenn die Schamlippen
sich auszudehnen beginnen, der Damm kugelförmig sich vorwölbt, ein
Theil des Hinterhauptes in der Schamspalte sichtbar wird und die Scham-
lippen auseinanderdrängt. Um nun den Schutz des Dammes erfolgreich
ausführen zu können, muss die Gebärende eine bestimmte Lage und Haltung
einnehmen. Da am häufigsten bei regelmässigen Geburten, Schädellagen und
unter diesen erste Stellung am häufigsten beobachtet wird, so ist es auch am
zweckmässigsten die Gebärende auf die linke Seite zu legen. Zunächst sollen
die vielen Kissen, welche während der Austreibungsperiode häufig zur Erhöhung
des Oberkörpers benützt wurden, entfernt werden, der Kopf soll nahe dem
linken Bettrande der Brust genähert auf einem nicht zu hohen Kissen ruhen,
das Gesäss möglichst nahe dem rechten Bettrande zugekehrt sich befinden.
Die linke untere Extremität soll, nur massig im Hüft- und Kniegelenk ge-
beugt, auf der Unterlage aufliegen, die rechte untere Gliedmasse muss, auch
im Hüft- und Kniegelenk gebeugt, durch ein zwischen beide Kniee geschobenes
Kissen oder durch eine der Gebärenden genehme Person in der passenden
Richtung erhalten werden, da eine zu geringe oder zu starke Beugung auf
die Spannungsverhältnisse des Dammes einen sehr erheblichen Einfluss aus-
zuüben vermag. Man setzt sich oder stellt sich je nach der Höhe des Lagers
auf dem rechten Bettrand auf, und geht mit der linken Hand zwischen den
beiden Oberschenkeln über den Schamberg vorwärts gleitend bis an den in
der Schamspalte fühlbaren Kopf. Dabei hat man besonders darauf zu achten,
dass der Vorderarm bis zur Ellbogenbeuge vollkommen unbedeckt und selbst-
verständlich desinficirt sei, kein Druck weder auf den Uterus durch die
Bauchdecken hindurch, noch auf die Darmbeinkämme und am allerwenigsten
auf die Clitoris ausgeübt werde. Sobald der Zeige- und Mittelfinger den
Kindeskopf in der Schamspalte berührt hat, ist man im Stande, dem zu stür-
mischen Vordringen des Kopfes und der dadurch beginnenden Gefahr des
Zerreissens des Perineums zu begegnen, indem ein in der Richtung der Füh-
rungslinie entsprechender Druck das zu schnelle Hervortreten des Kopfes
durch die Schamspalte hintanzuhalten vermag. Ist die Uteruscontraction
vorüber, dann kann man die Zeit benützen, um mit in sterilisirtes Wasser
oder Desinfectionslösung getauchter Watte oder Gazetupfer den vorgewölbten
Damm zu säubern, insbesondere die Analumgebung von Faecalstoffen zu reinigen,
DAMMSCHUTZ. 187
wobei die Vorsicht zu gebrauchen ist, stets in der liichtung gegen den Anus,
nie gegen die Schamspalte mit den stcrilisirten Tupfern zu wischen. Wenn
das kugelig vorgewölbte Mitteltieisch sorgfältig gereinigt wurde, dann bereitet
man eine in Desinfectionslösung oder sterilisirtes Wasser getauchte drei- bis
vierfache Lage einer handtellergrossen Gaze-Compresse über den After und
den Damm aus und bedeckt dieselbe mit der rechten Hohlhand, die ebenfalls
früher sorgfältig desinficirt wurde, so dass der Daumen gegen die rechte grosse
Schamlippe, die übrigen Finger an der linken grossen Schamlippe zu liegen
kommen und dadurch der Damm vollständig mit der Hohlhand bedeckt er-
scheint. Während einer Contraction des Uterus prüft man die Dehnungs-
fähigkeit der Gewebe, insbesondere ist darauf zu achten, dass die hintere
Commissur sich langsam und allmälig entfalte. Während der Wehe muss
also beim Einschneiden des Kopfes die Weite der Schamspalte und die Aus-
dehnungsfähigkeit des Dammes genau beurtheilt werden und soll der Kopf
nie zu schnell die Schamspalte erweitern, da sonst die Nachgiebigkeit der
Weichtheile des Perineums nicht mit der zu raschen Ausdehnung gleichen
Schritt zu halten vermag. Ereignet es sich, dass durch die schmerzhafte
Zerrung der Schamspalte die Gebärende sich unruhig hin und her bewegt,
mit dem Gesässe nach aussen drängt oder wohl gar den Versuch macht, sich
zu erheben und die den Dammschutz leistende Person wegzudrängen, dann
braucht man nur den Oberkörper vorzuneigen, womit das Becken fest in der
Klemme gehalten und das zu rasche Hervortreten des Kopfes verhindert wer-
den kann. Zeigt es sich, dass der Damm nicht genug nachgiebig ist, so lasse
man sich nie beifallen durch Anwendung von Carbolöl, Vaseline oder Lanolin
eine Erweichung oder grössere Elasticität des Mittelfleisches erzielen zu wollen,
hingegen empfiehlt es sich den in der Scham spalte befindlichen Kopf, während
einer Wehenpause durch den Druck des Zeige- und Mittelfingers der linken
Hand, wieder in den Geburtsschlauch zurückzudrängen und durch den Druck
der Finger daselbst so lange zu erhalten, bis sich eine neue Contraction des
Uterus einstellt. Da bei zu lange anhaltendem Drucke auf den Damm von
Seite des in der Schamspalte vorgeschobenen Kopfes, die Versorgung der
Weichtheile des Perineums mit Blut erschwert wird, so ergibt sich daraus
eine ödematöse Brüchigkeit und ZeiTeisslichkeit des Gewebes, welche zu gerin-
geren oder grösseren Continuitätsstörungen führen kann. Diese werden am
leichtesten vermieden, wenn durch das Zurückdrängen des Kopfes Gelegenheit
gegeben wird, die Blutversorgung zu erleichtern. Schon bei einer der bald
sich wieder einstellenden Wehen bemerkt man ein grösseres Segment des
Kopfes durch die Schamspalte sich hervordrängen, doch kann der Austritt
noch immer nicht gestattet werden, so lange der linke Zeigefinger nicht in
der Lage ist die beiden vorderen oberen Scheitelbeinecken, welche den zur
Pfeilnaht führenden Winkel der grossen Fontanelle bilden, zu fühlen.
Ist einmal die Hälfte der grossen Fontanelle über die hintere Commissur
hervorgetreten, dann ist der Durchtritt des grössten Schädelumfange s
durch die Schamspalte zu gewärtigen, man wird sodann gut thun eine
Wehenpause zu benützen, um nochmals den Kopf in die Beckenhöhle zui'ück-
zuschieben und wartet so lange bis dm'ch eine Uteruscontraction der Kopf
in der Führungslinie sich vorwärtsbewegt; hat die grosse Fontanelle die hintere
Commissur überschritten, dann soll durch das Einhaken des linken Zeige-
fingers in den hinteren Winkel der grossen Fontanelle der Kopf in der Rich-
tung gegen den Mens veneris und beziehungsweise gegen die vordere Fläche
der Symphyse angedrängt und in der Stellung gehalten werden, bis der hin-
tere Rand der stark gedehnten Schamspalte über die Stirne, Nase, Oberlippe
und Kinn zurückgleitet und somit der Kopf die Schamspalte passirt hat. Man
darf nicht vergessen, dass der Augenblick, wann man sich entschliessen
soll, den Kopf durch die Schamspalte durchtreten zu lassen, von
188 .DAMMSCHUTZ.
grosser Bedeutung ist, man vermeide also den Kopf, weder zu schnell, noch
während einer Wehe durch die Schamspalte austreten zu lassen, sondern wähle
stets eine Wehenpause und sorge nur dafür, dass durch die Bauchpresse der
etwa noch nothwendige Druck ausgeübt werde. Ebenso soll jeder zu lange
anhaltende oder auf eine bestimmte Gegend mit der rechten Hohlhand auf
die Wölbung des Dammes ausgeübte Druck vermieden werden, da zu-
weilen an diesen Stellen Druckwirkungen sich geltend machen. Die rechte
Hohlhand soll während der Wehenpause nur lose anliegen, erst wenn die
Convexität des Perineums ausgeprägter sich ausbildet, soll ein vorsichtiges
Schieben gegen den Schamberg hin stattfinden, das jedoch keineswegs über-
mässig stark, sondern nur entsprechend der Vorwärtsbewegung des Kopfes in
der Schamspalte angewendet werden darf. Beim Durchtritte des Kopfes durch
die Schamspalte soll aber die Bauchpresse ganz ausser Wirksamkeit gestellt
werden, was durch die Aufforderung der Gebärenden zu raschen In- und Ex-
spirationen leicht zu erreichen ist.
Nach dem Durchtritte des Kopfes durch die Schamspalte bewegt
sich das Hinterhaupt bei erster Schädellage gegen die vordere linke Ober-
schenkelfläche der Gebärenden und das Gesicht gegen die hintere rechte Ober-
schenkelfläche. Sollte der Kopf nicht sogleich diese äussere Drehung lie-
ginnen, so kann der linke Zeige- und Mittelfinger an das Hinterhaupt, der
Daumen derselben Hand an das Kinn gebracht und mit denselben der Kopf
entsprechend seinem Mechanismus leicht gedreht werden. Ist dies geschehen,
so untersucht der linke Zeigefinger, ob nicht det Nabelstrang um den Hals
des Kindes umschlungen sei.
Solche Umschlingungen des Nabelstranges um den Hals des Kindes können
einmal, zuweilen doppelt, ja drei- und vierfach stattfinden und unter Umständen zu ernsten
Störungen Veranlassung geben. Ist der Nabelstrang absolut zu kurz, so kann schon eine
einmalige Umschlingung imi den Hals eine Unterbrechung der Zufahr des mütterlichen
Blutes zum Kinde hin zur Folge haben und da das Athmen, trotzdem die Mundöffnung
sich schon ausserhalb der Schamspalte befindet, wegen der Compression des kindlichen
Thorax innerhalb der mütterlichen Geburtswege nicht möglich ist, Asphyxie und selbst der
Kindestod erfolgen. Wenn der Nabelstrang aber einer starken Zerrung unterworfen ist,
so erfolgt durch den Zug an der Insertionsstelle eine vorzeitige theilweise oder vollständige
Loslösung der Placenta von ihrer Haftstelle oder bei zu starker Adhäsion ist die Möglich-
keit einer Inversio uteri post partum nicht ausgeschlossen. Bei einem Nabelstrange
von regelmässiger Länge, die aber zwei-, drei- oder viermal eine Windung um den Hals des
Kindes macht, kann die gleiche Störung sich ergeben, daher muss solcher etwa vorkom-
mender Umschlingungen bei jeder Geburt gedacht werden, da früher nicht immer sichere
Symptome die Diagnose der vorhandenen Umschlingung des Nabelstranges um den Hals
des Ivindes gestatten. Findet man bei der Untersuchung des kindlichen Halses, dass eine
Schlinge der Nabelschnur um den Hals verläuft, so kann durch Einhaken des Zeigefingers
in den Nabelstrang und angebrachten Zug eine Lockerung versucht werden. Folgt der
Nabelstrang dem Zug und lässt sich die Schlinge genügend weit hervorziehen, um dieselbe
über den Kopf zu bringen, so sind keine weiteren Störungen zu besorgen. Zeigt sich aber
der Nabelstrang gespannt und merkt man, dass ein angebrachter Zug nicht von Erfolg sein
wird, so durchschneidet man sofort auf dem Finger den Nabelstrang, ohne denselben zu
unterbinden und behält sich die Vornahme der Ligatur nach erfolgter Geburt des Kindes vor.
Findet der untersuchende Finger keinerlei Umschnürung des kindlichen
Halses von Seite des Nabelstranges vor, so darf die am Damme befindliche
rechte Hand nicht entfernt werden, da während des Durchtrittes der
Schultern immerhin noch die Gefahr besteht, dass hiebei der Damm einreisst
oder ein blos die hintere Commissur betreuender Schleimhautriss 'weiter sich
fortsetzt und als vollständiger Dammriss endet. Wurde Mund und Nase des
Kindes freigelegt, so kann man abwarten, bis sich wieder eine Wehe einstellt,
welche die Schultern austreibt. Tritt nach einigen Minuten keine
Wirkung der Bauchpresse ein, so kann mit der linken Hand, der Zeigefinger
am Hinterhaupt, der Daumen am Kinn, der Kopf gefasst und etwas nach ab-
wärts und hinten gedrängt werden, wodurch die hinter der Symphyse befind-
liche Schulter unter dem Schambogen hervorgleitet. Ist die Schulter unter
DAMMSCIIUTZ. 189
dem Schambogen hervorgetreten, dann soll der Kopf wieder etwas nach vorn
gedrängt werden, wodurch die hintere »Schulter über den Damm hervorrollt.
Sollte das nicht gelingen, so müsste zuerst die nach hinten befindliche Schulter,
durch Einhaken des Zeigefingers in die Achselhöhle, behutsam hervorgezogen
werden. Nach der Geburt der Schultern erfolgt der Austritt des Kumijfes
mühelos durch leichten Zug.
Der Dammschutz in der Rückenlage, welche man gemeiniglich
dann vorzieht, wenn die Gebärende wegen Athemnoth und ähnlicher Ursachen
die Seitenlage nicht verträgt, oder wenn die Seitenlage wegen Eclampsie und
anderer Störungen nicht in Erwägung gezogen werden kann, wird in folgen-
der Weise ausgeführt. Nachdem der Oberkörper entsprechend mit Kissen
unterstützt und unter die Kreuzgegend ein 15 cm hohes, festes, mit wasser-
dichtem Stoff belegtes und mit reiner Wäsche bezogenes Kissen geschoben
wurde, setzt man sich an den rechten Bettrand führt die rechte Hand unter
dem rechten Oberschenkel an das hervorgewölbte Mittelfleisch. Die Holilliand,
zwischen welcher und der Afteröffnung sich eine sterilisirte Gazecompresse
befinden soll, schmiegt sich an den kugelförmig ausgedehnten Damm, der
Daumen kommt an die rechte Schamlippe, die übrigen Finger seitwärts der
linken Schamlippe zu liegen. Während die linke Hand durch Erfassen des
Hinterhauptes von vornher das zu rasche Durchschneiden des Kopfes zu ver-
hüten trachtet, schiebt die rechte Hand den Damm durch gelinden Druck nach
vorn und sucht die Spannung desselben zu massigen, seine Ausdehnungs-
fähigkeit für den Durchtritt des Kopfes zu unterstützen.
Der Dammschutz bei der auf dem Querbette befindlichen Gebä-
renden wird ausgeführt, indem man sich etwas rechts von den äusseren
Geschlechtstheilen entweder stellt oder setzt, die rechte Hand so an das Mittel-
fleisch bringt, dass die Handwurzel gegen das Schamlippenbändchen, die Hohl-
hand über den Damm, die Finger gegen die Afteröffnung gerichtet sind. Die
linke Hand leistet in derselben Weise, wie in der Seiten- oder Rückenlage
die entsprechende Hilfe.
Der Dammschutz beim Sitzen der Gebärenden auf dem Bett-
rande oder auf einem Stuhl kann am zweckmässigsten geleistet werden, wenn
man sich auf das linke Knie niederlässt, dagegen die rechte untere Extremität
zur Stütze für die rechte obere Gliedmasse benützt, um ähnlich, wie bei der auf
dem Querbette liegenden Gebärenden die Hervorleitung des durch die Scham-
spalte durchschneidenden Kopfes zu bewerkstelligen.
Beim Dammschutze in der Knie-Ellbogenlage der Gebärenden,
muss durch eine verständige Person mit Hilfe eines Handtuches der Umfang
des Bauches umfasst und durch einen in senkrechter Richtung nach aufwärts
ausgeführten Zug die richtige Einstellung des Uterus zum Beckeneingang
besorgt werden, damit ein zu starkes Vornüberheben des Fundus verhütet
werde. Man stellt sich an dem linken Bettrande auf, legt die rechte Hand,
nachdem die Aftergegend mit einem sterilisirten Wattabausch oder sterilisii'ter
Gaze geschützt wurde, auf den vorgewölbten Damm, während die linke Hand
zwischen rechter, seitlicher Bauchwand und rechter, innerer Oberschenkelfläche
bis zur Schamspalte geführt wird und das Vordringen des Hinterhauptes über-
wacht.
Die Knie-Ellbogenlage zur Ausführung des Dammschutzes wird jedoch nur selten in
Anwendung gezogen, da damit erhebliche Uebelstände verbunden sind. Die m der Knie-
Ellbogenlage Befindlichen werfen sich oft unversehens auf die Seite und können sich der
Ueberwachung des Dammes ganz unerwarteter Weise sehr rasch entziehen, wobei es dann
ohne Dammzerreissung selten abgeht, oder es macht sich eine sehr mangelhafte Verwen-
dung der Bauchpresse bemerkbar, wodurch sich unliebsame Verzögerungen des Austrittes
ergeben können.
Das Dammschutzverfahren in der Seiten- oder Rückenlage
der Gebärenden kann auch so ausgeführt werden, dass der rechte Zeigefinger
190 DAMMSCHUTZ.
in den Mastdarm eingeführt, und durch die vordere Rectal- und hintere
Scheidenwand ein Druck auf das Kinn ausgeübt wird, wodurch es gelingt
den Kopf um seinen queren Durchmesser zu drehen, ihn in die Schamspalte
vorwärts zu schieben und mit Hilfe der linken Hand gegen den Schamberg
hinaufzudrängen und nach aussen zu schielten. Mit diesem Handgriffe ist es
empfehlenswerth vorzugehen, wenn keine Wehen mehr auf die Vorwärtsbewegung
des Kopfes einwirken, die Bauchpresse, entweder wegen Erschöpfung oder aus
anderen Gründen die Mitwirkung versagt, die Beendigung der Geburt wünschens-
werth ist, und keine eigentliche Indication zur Extraction mit der Zange besteht.
Es kann nicht unterlassen w^erden, darauf aufmerksam zu machen, dass der
Fingernagel, bei dem auf die Mastdarmschleimhaut ausgeführten Druck, jede
kratzende oder bohrende Einwirkung vermeiden muss, um Beschädigungen- zu
vermeiden. Besonders vortheilhaft kann das Herausdrücken des Kopfes vom
Rectum aus in Aussicht genommen werden, w^nn am Damme sich Ulcerationen
syphilitischer Art befinden.
Nach diesen für alle Lagen des Kindes geltenden Vorschriften
sind jedoch für die bes onderen Lagen noch besondere zu beobachten.
Zunächst ist der Dammschutz bei abweichendem Mechanismus der
Schädellagen zu berücksichtigen. Sind die Wehen kräftig und rollt das
Hinterhaupt von der Kreuzbeinspitze über den Damm hervor und befindet
sich die kindliche Stirne unter dem Schambogen, so muss in der Seitenlage
der Gebärenden mit den vom Schamberg her in die Schamspalte eingeführten
Fingern der linken Hand, das Hinterhaupt nach vorn gegen den Schambogen
gedrängt und zuerst aus der Schamspalte hervorgedrückt werden. Die Finger
der linken Hand sollen das Hinterhaupt so lange während einer Wehenpause an
die vordere Fläche der Symphyse anpressen bis der Damm bis zum Nacken
des Kindes zurückgestreift ist; erst dann soll das Hinterhaupt gesenkt
werden, worauf Stirne und Gesicht unter dem Schambogen hervorrollen. Nach
der Geburt des Kopfes findet der Beistand in der gewöhnlichen Weise statt.
Der Da mm schütz bei Gesichtslagen wird am wirksamsten aus-
geführt, w^enn in der Austreibungsperiode die Gebärende schon auf jene Seite
gelegt wird, wo das Kinn, die Herztöne und die unteren Gliedmassen nach-
weisbar sind, weil dadurch die Drehung des Kinnes nach vorn unter dem
Schambogen begünstigt wird. Beim Durchschneiden des Gesichtes durch die
Schamspalte darf, erst wenn das Gesicht vollends in der Schamspalte sichtbar
ist, ein Druck auf den Damm in der Richtung gegen den Mons veneris aus-
geübt werden; dieser soll aber nicht auf die Mitte des Dammes gerichtet sein,
sondern von der hinteren Aftergegend durch die Weichtheile auf die scharfe
Convexität des Hinterhauptes in Anwendung kommen, um durch gleichzeitigen
Zug der linken Hand am Gesicht, ein Durchdrängen des Kopfes ohne Gefähr-
dung des Dammes zu ermöglichen.
Der Dammschutz bei abweichendem Mechanismus der Ge-
sichtslagen hat zu berücksichtigen, ob bei querem Tiefstand das Kinn auf
der linken oder rechten Seite des Beckenausganges sich befindet. In einzelnen
Fällen gelingt es durch den Druck auf die Stirne oder durch hebelnde Be-
wegungen am Kinn dieses unter den Schossbogen, die Stirne aber nach
hinten gegen die Kreuzbeinspitze zu drehen. Man darf dabei keine zu grosse
Gewaltanwendung sich erlauben und muss im Falle des Misslingens das weitere
Durchtreten des Gesichtes abwarten, um bei richtiger Verwerthung der Bauch-
presse oft noch im letzten Augenblicke das Kinn unter den Schambogen zu
drängen und den Schutz des Dammes in der beschriebenen Weise auszu-
führen.
Der Dammschutz bei der Drehung des Kinnes nach hinten
hat mit der abnormen Streckung des kindlichen Halses zu rechnen, da bei
diesem regelwidrigen Mechanismus das Perineum durch das Gesicht in der
DAMMSCHÜTZ. 191
Richtung gegen den Anus hin stark ausgedelint wird und zuerst die .Stirne
dann der Scheitel und zuletzt erst das Hinterliaupt unter dem Schambogen
hervorgetrieben wird, dabei sieht man die Berstung der allgemeinen Decke
von hinten nach vorn beginnen, wenn nicht rechtzeitig durch Episiotomie
Raum für den Durchtritt des Kopfes geschaüen wird.
Der D a m m s c h u t z b e i B e c k e n e n d 1 a g e n ist unter allen TTmständen,
sowohl bei Erstgebärenden als auch bei solchen Pluri])aren, deren Damm breit
und straff ist, nicht beim Durchschneiden des Steisses, sondern erst beim
Durchtritt des zuletzt kommenden Kopfes durch die Schamspalte erforderlich.
Es handelt sich dabei stets darum den Kindeskörper stark nach aufwärts zu
heben und den Kopf soweit durch die Schamspalte hervortreten zu lassen,
bis die Mundspalte die hintere Commissur überschritten hat. Etwa in dieser
Zeit auftretende Respirationsbewegungen haben keine Aspiration von Frucht-
wasser oder Blut zur Folge, die bei der Extraction an der Gesichtsfläche be-
theiligt gewesene Hand umfasst von hinten her den vorgewölbten Damm und
drängt den Kopf in der Richtung des Schambogens, während die andere Hand
durch die über der Schulterhöhe eingehakten Finger einen entsprechenden
Zug ausübt, um vollends den Kopf durch die Schamspalte nach aussen zu be-
fördern. Man darf sich jedoch keiner Uebereilung schuldig machen, da sonst
leicht eine Dammzerreissung erfolgen kann.
Der Damm schütz bei Querlagen und allen jenen Operationen, bei
welchen die ganze Hand in die Scheide, beziehungsweise in die Gebärmutter-
höhle eingeführt wird, ist keinesfalls zu vernachlässigen. Zu schnelles Ein-
dringen mit der grössten Peripherie der Hand durch den Scheideneingang
kann schon beim Beginne der Operation ein Zerreissen des Dammes bedingen,
besonders wenn die Grösse der Hand im Missverhältnisse zur Enge der Scham-
spalte steht, seltener beobachtet man die Zerreissung des Dammes bei sich
ergebender Nothwendigkeit die Hand behufs Lösung der Placenta in die Ge-
bärmutterhöhle einzuführen, da die bereits vorausgegangene Geburt des Kindes
bereits erheblich zur Erweiterung der Schamspalte beigetragen hat.
Zuweilen kommen aber starke Oedeme an Schamlippen und Damm zur
Beobachtung, bei welchen grosse Gefahr für den Damm besteht. In solchen
Fällen erweisen sich schon vor dem Austritte der Frucht, im Verlaufe der
Eröffnungsperiode oder im Falle man erst in der Austreibungsperiode zur
Hilfeleistung berufen wird, auch in dieser vorgenommene seichte Scarißcationen
der Vulva sehr vortheilhaft. Man nimmt dieselben, nachdem die Haut im
ganzen Umkreise der Vulva sorgfältig desinficirt wurde, mit einem sterilisirten
Spitzbistouri vor, das nicht zu tief und auch nicht zu nahe dem Schleim-
hautrande eingestochen werden soll. Das Oedem schwindet nach Anbringung
zahlreicher Stichelungen ziemlich rasch und die Dehnungsfähigkeit des Dammes
ist regelmässig eine ausgiebige. Wenn auch der Dammschutz mit der grössten
Aufmerksamkeit ausgeführt wird, so kommen doch Fälle vor, bei welchen
mit ziemlicher Gewissheit vorhergesehen werden kann, dass der Damm
nicht unversehrt bleiben wird. Es sind dies jene Fälle bei denen der
Damm eine gewisse Straffheit und geringe Elasticität in Folge vorgerückteren
Alters bei Erstgebärenden aufweist. Häufig genug findet man bei Frauen,
welche sich dem 30. Lebensjahre nähern oder dasselbe bereits überschritten
haben, den Damm wenig nachgiebig, dem vordringenden Kopfe zuweilen
einen erheblichen Widerstand entgegensetzend, der vollends die Kräfte der
Gebärenden erschöpft. Kommt es aber zur energischen Verwendung der
Bauchpresse, so gelingt es doch zuweilen den Kopf durch die Schamspalte
hindurchzubringen, jedoch auf Kosten des Dammes, der entweder theilweise
oder ganz zerreisst.
In einzelnen Fällen kann auch bei enger Vulva und sehr breitem Mttel-
fleische der Kopf den nachgiebigen Damm in der Nähe des Afters besonders
192 . DAMMSCHUTZ.
hervorwöllien und verdünnen, während die Schamspalte gar keine oder nur
eine unbeträchtliche Erweiterung erfährt. Allmälig zerreisst das Perineum an
seiner dünnsten Stelle, und ^Yird der Kopf nicht zweckmässig nach vorn ge-
leitet, so bricht er sich vollends seine Bahn durch Scheide, Rectum, Sphincter
ani und Perineum, während zuweilen noch eine schmale Brücke des letzteren
nach vorn zurückbleibt. Es erfolgt unter solchen Verhältnissen nicht immer
der Durchtritt des Kopfes durch die entstandene Centralruptur, sondern man
vermag manchesmal selbst nach erfolgter Ruptur, noch den Kopf, ohne dass
sich dabei die OeÖnung am Damme vergrösserte, durch sorgfältiges Stützen
oder vermittelst der Zange durch die Schamspalte zu leiten, wenn nur letztere
dehnbar ist. Es kann sich auch ereignen, dass nach erfolgter Geburt des
Kindes bei der Besichtigung des Dammes die erfolgte Centralruptur erst
entdeckt wird.
Es unterliegt daher keinem Zweifel, dass dann die künstliche Erweiterung
der Schamspalte durch Episiotomie platzgreifen müsse, wenn die Schamlippen
und Perineum eine solche Resistenz bieten, dass die bis zu einem gewissen
Grade erweiterte Schamspalte ungeachtet guter Wehen sich nicht mehr ausdehnt
und daher den Durchtritt des Kopfes hindert — zur Erhaltung des Perineums
und wohl auch zur Beförderung der Geburt, ferner wenn das Mittelfleisch
sehr breit gedehnt ist und sich in der Nähe des Afters immer mehr vorwölbt
und verdünnt, oder gar schon durchbricht, während die Schamspalte unge-
W'öhnlich eng und rigid bleibt — zur Verhütung einer Centralruptur; endlich,
w^enn nach erfolgter Centralruptur der Kopf schon mit einem bedeutenden
Segmente durch selbe getreten wäre — zur Erhaltung des Sphincter ani. Was
die Methode anbelangt, nach welcher die Episiotomie ausgeführt werden
soll, so ist derjenigen der Vorzug zu geben, bei welcher die Gegend des Fre-
nulum vermieden wird, weil, wenn schon manchesmal ein Schnitt weiter reisst,
was hie und da vorkommt, der Nachtheil geringer ist, wenn der Riss seitlich
und nicht gerade gegen den After hin erfolgt. Wenn daher Schamlippen und
Damm in ihrer ganzen Ausdehnung bedeutende Resistenz darbieten, so muss
zu tieferen Einschnitten, unter einem Winkel von 40° zur Raphe und zwar
je nachdem geringere oder stärkere Erweiterung nothwendig ist, einen oder
zwei, seichter oder tiefer, was stets nach der Individualität des Falles beur-
theilt werden muss, geschritten werden. Man führt, nach sorgfältiger Desin-
fection der Operationsgegend, die Episiotomie mit dem früher desinficirten
Knopfbistouri oder der Scheere aus.
Nach der Geburt sollen Episiotomiewunden nicht sich selbst über-
lassen bleiben, sondern sie müssen nach sorgfältiger Ueberwachung des Uterus,
wenn keine Wahrscheinlichkeit einer atonischen Blutung mehr vorliegt, durch
die Naht geschlossen werden. Bevor man sich anschickt, die durch
die Episiotomie gesetzte Wunde zu vereinigen, empfiehlt es sich, die Schleim-
haut in der Ausdehnung zwischen Urethramündung und Clitoris zu besich-
tigen. In Folge der oft aussergewöhnlichen Zerrung der Schamspalte kommt
es an diesen Stellen oft zu queren Zerreissungen, welche nicht selten tiefer
eindringen und arterielle Blutungen bedingen. Solche Blutungen sollen sofort
durch Umstechung und Naht der Rissteile zum Stehen gebracht werden. Auch
kommen nicht selten, trotz der angewendeten Episiotomie, kleinere Dammrisse
zur Beobachtung. Auch diese sind nach vorausgeschickter Glättung der Riss-
wände mittelst Naht zur Vereinigung zu bringen. Die Episiotomiewunden
sollen mit aseptischer Gaze sorgfältig von Blutgerinnsel, Fruchtwasser, Meco-
nium oder Harn, womit dieselben beim Durchtritte des Kindeskörpers leicht
verunreinigt werden, befreit werden. Zeigt sich etwas erhöhte Temperatur,
dann werden desinficirende Lösungen von Sublimat, Carbol, Lysol oder Kresol
nicht entbehrt werden können. Nicht zu vergessen ist vor der auszuführenden
Vereinigung die nochmalige subjective Desinfection, da bei der
DIÄTETIK DER SCHWANGERSCHAFT. 193
Hilfeleistung während des Durchtrittes des Kindes Gelegenheit sich zu infi-
ciren reichlich geboten ist. Eine ebenso grosse Sorgfalt inuss dem Nalitinaterial
zugewendet werden. Am zweckmässigsten eignet sich zur Naht sterilüirte Seide.
Beim Anlegen der Nähte soll auf genaue Adaptirung geachtet werden und
dürfen dieselben in der Regel nicht vor dem 5. bis 6. Tag entfernt werden.
GUSTAV ÜliAUX.
Diätetik der Schwangerschaft. Erhebliche Beschwerden begleiten
häufig die tiefgreifenden Veränderungen, welche der ganze weil)liche Organismus
während der Gravidität durchmacht und relativ geringe, äussere Einflüsse
können leicht nachtheilige Störungen hervorrufen. Deshalb erwartet auch die
gravide Frau vom Arzte besondere Verhaltungsmaassregeln für ihren an und
für sich physiologischen Zustand mit vollem Rechte. Zwar mag nun die
Gravide ihre bisherige Lebensweise, wofern sie eine naturgemässe und ver-
nünftige war, beibehalten, wohl aber muss sie auf besonders zu vermeidende
Schädlichkeiten aufmerksam gemacht und über die zweckmässige Vorbereitung
für die Vorgänge der Geburt und des Wochenbettes belehrt werden. Es kann
nicht allein Sache des Arztes sein, die Indicationen für die einzelnen Eingriffe
bei der Geburt zu kennen, vielmehr muss es seine Pflicht sein, von Anfang
an die schwangere Frau in die richtigen Verhältnisse zu bringen.
Vor Allem sollte der Arzt dahin seinen Einfluss geltend machen, die
Erstgeschwängerten dazu zu bewegen, dass sie sich einmal einer genauen
ärztlichen Untersuchung unterziehen, den hiernach gegebenen Vor-
schriften sich fügen und so in deren Folge — gewiss nicht selten — die Noth-
wendigkeit schwerer geburtshilflicher Eingriffe vermeiden.
Von Wichtigkeit ist, dass die Wohnung licht, hell, nicht feucht und
nicht gegen Norden gelegen sei. Es soll auch das Schlafzimmer nicht zu
sehr durch Vorhänge, Teppiche etc. gefüllt sein, wodurch bedeutende An-
sammlung des Staubes hintangehalten wird. Das Zimmer ist ordentlich zu
ventiliren und soll eine Temperatur von cca. 16*^ besitzen. Daraus ergibt
sich, dass gerade das beste Zimmer von der Graviden benützt werden soll.
Die Kleidung soll natürlich auch den hygienischen Anforderungen
entsprechen, den Luftzutritt ebensowenig hindern als die Wasserverdunstung
an der Leibesoberfläche; er soll daher aus gewebten Stoffen angefertigt werden.
Es sind dementsprechend wollene Unterkleider gewiss die besten Wärme-
regulatoren und besonders für Personen, die leicht schwitzen, zu empfehlen.
Am wichtigsten ist die Anpassung der Kleidung je nach der Jahreszeit und
Witterung, doch sollen die Frauen sich nicht zu verweichlichen. Das Corset
ist nicht nur durch übermässiges Schnüren schädlich, sondern es ist auch bei
schwangeren Frauen gefährlich. Während der ersten Monate der Gravidität
kann wohl ein massig geschnürtes Mieder getragen werden; sobald aber der
Unterleib sich vorzuwölben beginnt, muss das gewöhnliche Corset mit einem
Schwangerschaftsmieder vertauscht werden, das durch Einlagen von Elastik und
seitlich zuzuschnürenden Einschnitten der zunehmenden Ausdehnung des Abdo-
mens zu folgen vermag. Die Röcke darüber sollen nicht zu fest gebunden werden.
Auch Strumpthänder dürfen während der Schwangerschaft nicht getragen
werden. Häutig genug findet man den Gebrauch von unter dem Knie be-
festigten elastischen Strumpfbändern, welche durch Hemmung des Blut- und
Lymphstromes die Veranlassung zur Entstehung von Varicositäten, besonders
im Schwangerschaftszustande, bilden. Vortheilhaft ist es daher, das Ende des
am besten über das Knie reichenden Strumpfes am Mieder zu befestigen.
Viele schwangere Frauen zeigen geschwollene untere Extremitäten; es ist in
solchen Fällen rathsam, Binden an den Beinen anzulegen.
Die ersten Anzeichen der Gravidität, welche von der Frau bemerkt
werden, sind Ueblichkeiten und Erbrechen, weshalb häufig die Intervention
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. -^^
194 DLITETIK DER SCHWANGERSCHAFT.
des Arztes in Anspruch genommen wird, imd hierbei erwächst die Frage:
Wie soll sich die Gravide nähren? Es ist nun bei den Frauen eine
allgemein verbreitete Ansicht, dass gewisse Naln^ungsmittel während der
Gravidität zu meiden sind, und dass die Frauen gegen manche Speisen eine
besondere Abneigung verspüren. So ist es kekannt, dass in den meisten
Fällen eine Vorliebe für stark gewürzte und saure Speisen, dagegen eine
specielle Aversion gegen Fleischnahrung sich entwickelt. Xun ist es aber
am richtigsten und- rathsamsten, dass die schwangere Frau wie im normalen
Zustande esse, trinke und verdaue. Gerade die Verdauung und Stuhlentleerung
ist eine Sache, der besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. Nicht selten
leiden die Frauen schon in den ersten Monaten der Gravidität an 01)stipation,
welche dann eine Reihe von Folgeerscheinungen, wie Kopfschmerz und Ueblich-
keiten hervorrufen. Am einfachsten und besten sind dann Lavements -von
1 Liter lauwarmen Wassers mit dem Irrigator, denen auch eine Seifenlösung,
sowie ein Löffel Ricinusöl zugesetzt werden kann.
Damit die Verdauung regelmässig vor sich gehe, ist ferner hinlängliche
Bewegung unbedingt nöthig. Viele Frauen hegen die falsche Ansicht, dass
man im Zustand der Schwangerschaft sich so viel als möglich schonen, also
auch so wenig als möglich Bewegung machen solle. Dieser Standpunlvt
ist natürlich falsch, massige Bewegung ist in diesem Zustande geradezu noth-
wendig und von nicht geringem Werthe für Appetit, Verdauung und Stuhlent-
leerung; es soll daher die Schwangere alle Tage zum mindesten eine Stunde
in frischer Luft sich bewegen.
Anders verhält sich dies bei Frauen, die zu Früh- oder Fehlgeburten
oder Blutungen während der Schwangerschaft neigen; hier wird natürlich im
Gegentheil die grösste Ruhe indicirt sein. Im Allgemeinen ist es nicht
rath^am, sich den Erschütterungen des Körpers und den damit verbundenen
Schädlichkeiten auszusetzen, das Fahren auf schlechten Wegen oder der
Gebrauch der Nähmaschine ist also zu vermeiden. Nicht selten wird an den
Arzt die Frage gerichtet, ob das Tanzen gestattet sei oder nicht. In den
meisten Fällen wird wohl eine derartige heftige Bewegung nicht angezeigt
sein, wenn auch manche Patientinnen gerade durch ihren Beruf gezwungen
sind, längere Zeit während der Gravidität zu tanzen, ohne dass dabei ein
schädlicher Eintluss auf den Verlauf der Schwangerschaft eintreten würde.
Aehnlich verhält es sich mit dem Verbote des Reitens.
Es ist nun einerseits gewiss Pflicht einer jeden schwangeren Frau, sich
während der Gravidität nicht Gefahren auszusetzen, welche eine Unterbrechung
der Schwangerschaft herbeizuführen im Stande sind, andererseits dürfen aber
die Vorsichtsmaassregeln nicht übertrieben werden. Dazu gehört die über-
mässige Furcht vor dem Reisen. Falls wir es mit einer im Uebrigen voll-
kommen gesunden Frau zu thun haben, die also in normalem Zustande das
Reisen gut verträgt, so werden wir bei Beobachtung einiger Vorsichtsmaass-
regeln gegen das Fahren auf der Eisenbahn nichts einzuwenden haben. Die
geringste Gefahr besteht in der Zeit vom 4. — 8. Monate, und falls eine längere
Reise zurückzulegen ist, wird es rathsam sein, sie in einer Tour zu machen
und so viel als möglich in liegender Stellung zu verbleiben. Ein Anderes ist
es aber bei Frauen, die entweder schon Störungen in der Schwangerschaft
durchgemacht haben oder überhaupt das Fahren schlecht vertragen. Anders
verhält es sich mit den Hochzeitsreisen. Nachdem die grösste und eingrei-
fendste physische und psychische Umwandlung in dem jungfräulichen Wesen
durch die Heirat stattgefunden hat, wird das junge Geschöpf, bei dem häufig
schon ganz zu Beginn eine Conception eingetreten ist, fortwährend auf der
Eisenbahn herumgeführt, jeden Tag anderswo gespeist, anderswo geschlafen etc.,
und dabei finden wohl oft gleichzeitig auftretende leichte Störungen und
Schwangerschaftssymptome nicht genügende Beachtung und Pflege. Wie oft
DIÄTETIK DER SCHWANGERSCHAFT. 195
kommt es vor, dass während der Hochzeitsreise ein Abortus eintritt, und dass
in Folge des mangelliaften Verständnisses nicht die geliöi-ige Schonung daljei
beobachtet wird, und so frühzeitig die Ursachen der verschiedensten, späteren
Erkrankungen entstehen können.
Besondere Wichtigkeit liegt in der Pflege des Körpers, speciellder
Haut. Zu den entsprechenden Maassregeln gehört das häutige Wechseln von
Leib- und Bettwäsche. Nicht selten begegnen uns Frauen, welche in der Zeit
der Menstruation oder nach der Entbindung sich sträuben, die Wäsche zu
wechseln und darin eine Gefahr erblicken. Pteinlichkeit in jeder Beziehung
soll das Grundprincip jeder graviden Frau bilden. Was die warmen Bäder
anbelangt, so sind dieselben besonders in den letzten 2 Monaten der Schwan-
gerschaft allgemein gebräuchlich, sie können zweimal wöchentlich in einer
Dauer von 10 — 20 Minuten und Temperatur von 26 — 2SoPieaumur mit Vortheil
gebraucht werden. In der ersten Zeit der Schwangerschaft ist es besser, sie
zu unterlassen. Eine grosse Ptolle spielen bei den Frauen die Fussbäder, weil
von ihnen häufig eine günstige Einwirkung auf die Menstruation und eventuell
der Eintritt eines Abortus erwartet wird; sie werden deshall) von graviden
Frauen strenge gemieden. In vernünftiger Weise angewendet sind sie ohne
besonderen Einfluss auf den Organismus und können daher schon aus Piein-
lichkeitsrücksichten auch während der Schwangerschaft anstandslos gebraucht
werden. Direct zu verbieten ist der Gebrauch der Moorbäder in der Zeit der
Gravidität.
Der Pflege der Brüste muss selbstredend schon während der Schwan-
gerschaft genügende Aufmerksamkeit zu Theil werden, und dies nicht allein
aus Reinlichkeitsgründen, sondern auch schon mit Rücksicht auf das
zu erwartende Säugegeschäft. Die Brüste schwellen schon in den ersten
Schwangerschaftsmonaten an, besonders die Brustwarzen treten deutlicher
hervor, weshalb schon in der ersten Zeit der Gravidität eng anliegende Kleider,
welche die Entwicklungsfähigkeit der Brüste ungünstig beeinflussen könnten,
nicht getragen werden sollen. Da oft schon zeitlich Secretion sich einstellt,
so ist es von Wichtigkeit, durch fleissiges und sorgfältiges Abwaschen mit
Wasser und durch Wattaeinlagen die Brüste vor dem Anlegen des Hemdes
zu schützen. Was die Vorbereitung der Brüste zum Stillen des Kindes an-
langt, so ist es vortheilhaft, schon während der Schwangerschaft die Brust-
warzen mit Wasser und Franzbranntwein mittelst einer feinen Bürste täglich
abzureiben, damit dann nicht später beim Anlegen des Kindes zu leicht Wund-
werden der Warzen eintrete.
Zur Körperpflege gehört auch noch die der Genitalien. Diesbezüglich
erscheint es von Werth, von Zeit zu Zeit Ausspülungen der Vagina ent-
weder mit einer schwachen Carbol- oder Lysollösung mittelst eines IiTigators
vorzunehmen; dagegen muss dringend davor gewarnt werden, dass die
Waschungen des Genitales, wie es nur noch zu oft geschieht, mit einem
Schwämme vorzunehmen, der ja ein bedeutender Infectionsträger sein kann.
Häufig wird an den Arzt die Frage gerichtet, ob während der Schwan-
gerschaft der Coitus gestattet sei und bis zu welcher Zeit er ausgeübt
werden könne. Wenn der Beischlaf nicht zu brüsk ausgeführt wird, so wii'd
er wohl nur selten zu Unterbrechung der Schwangerschaft Anlass geben, aber
es ist jedenfalls vor Excessen in venere während der Gravidität zu warnen.
Was die Dauer des geschlechtlichen Verkehres betriÖ't, so kann er ohne
Schaden bis in die letzten Monate der Gravidität fortgesetzt werden.
Nicht minder wichtig als die Körperpflege ist die Sorge für die psy-
chische Stimmung der graviden Frauen. Die Schwangere soll sich zwar
keinem beschaulichen, trägen Leben hingeben; man wird aber gut thun, be-
sondere psychisch erregende Einflüsse von ihr fernzuhalten.
13*
196 DIÄTETIK DES WOCHENBETTES.
Verläuft die Schwangerschaft normal, so ward der Arzt gewöhnlich erst
zur Entbindung selbst zugezogen, wodurch ihm selbstredend jeder Einfluss
auf diese selbst entzogen ist, und er gezwungen wird, mit den ihm sich bie-
tenden Verhältnissen zu rechnen. In einer gut geleiteten Schwangerschaft
liegt auch eine günstige Prognose für die Geburt, und sollte daher immer,
auch bei vollkommen normaler Schwangerschaft, frühzeitig ein Arzt zugezogen
werden, schon aus dem Grunde, um die zweckentsprechenden Vorbereitungen
und Maassregeln für die Entbindung zu treffen. Die erste Aufgabe bildet die
Wahl der Hebamme. Diese Wahl sollte immer vom Arzte getroffen werden,
da es dabei weniger auf Sympathie ankommt als auf die Verlässlichkeit und
Vertrautheit der Hebamme mit der Handhabung der Antisepsis. Sind ja doch
die Aufgaben, die wir an eine Hebamme heute stellen, von grosser Bedeutung.
Sie muss die Lehren von der Antisepsis genau kennen und der Gefahren sich
wohl bewusst sein, welche die A'ernachlässigung in der Durchführung der
Asepsis und Antisepsis mit sich bringt.
Auch darüber wird der Arzt oft die Entscheidung zu fällen haben, ob
die Frau das Säugegeschäft werde selbst besorgen können oder nicht. Jede
Frau, die gesund ist und deren Brüste gute Warzen haben, sollte
ihr Kind selbst stillen. Das Stillen wird zu verbieten sein bei sehr anä-
mischen, scrophulösen, tuberculösen, nervösen und sonst hereditär belasteten
Frauen. Ist aber aus irgend welchem Grunde nicht möglich, dass die Frau
ihr Kind selbst nähre, so muss rechtzeitig für eine gute Amme gesorgt werden.
Was nun das Kreiss- und Wochenbettzimmer anlangt, so wird
darauf zu sehen sein, dass es geräumig ist, keine unnöthigen Teppiche und
Vorhänge sich darin befinden, und last but not least, dass das Bett von zwei
Seiten zugänglich ist. Vom siebenten Monate der Schwangerschaft angefangen
sollte jede Frau mit sämmtlichen Gegenständen, welche zur Niederkunft und
Pflege des Kindes nothwendig sind, versehen sein. Unter solchen Verhält-
nissen wird sie beruhigt der schweren Stunde entgegensehen können.
T. BRAUN-FERN WALD.
Diätetik des Wochenbettes. Wochenbett nennen wir den Zustand
einer Frau so lange, als deren Genitalien nach der Entbindung in den Eückkehr
zu ihrer früheren Verfassung begriffen sind. Diese Rückbildung beginnt un-
mittelbar nach der Geburt und findet ihre Beendigung, wenn ausser Narben
keine weiteren Veränderungen als Folge der Schwangerschaft und Geburt am
Uterus nachzuweisen sind, namentlich aber die Placentarstelle in ihm nicht
mehr zu erkennen ist. Die Dauer des Wochenbettes beträgt zumeist 4 — 6
Wochen.
Der leere Uterus wiegt gleich nach der Ausstossung der Frucht ungefähr 750—1000 g
und hat eine Länge von 16 — 18 cm. Das mittlere Sondenmaass von der Höhe der Uterus-
höhle bis zur vorderen Umrandung beträgt circa 15 cm. Seine Wand ist im Grunde 2 — 4 cm
dick. Nach 8 Tagen ist er kaum halb so schwer, nach 14 Tagen etwa 350 f/, nach
ö Wochen 200 r/, am Ende des zweiten Monates nur noch 50 — 70 g. Er ist also nach
Ablauf von 5 — 6 Wochen ungefähr zu seiner ursprünglichen Grösse zurückgekehrt. Der
durch Messung bemerkbare Beginn der Abnahme der Grössen- und Gewichtsverhältnisse
fällt in der Regel schon in die ersten 12 Stunden nach der Geburt, wohl selten in die
ersten 36 Stunden. Die nunmehrige Umwandlung des ganzen Organes geht so rasch von
Statten, dass bei normaler Involution der Fundus uteri am neunten Tage des Wochenbettes
schon hinter der Symphyse liegt, also der ganze Uteruskörper wieder im kleinen Becken
und zwar in antevertirter oder anteflectirter Stellung sich befindet. Der früher weit klaffende
äussere Muttermund ist wieder geschlossen, und bereits ein geringer Scheidentheil gebildet.
Die Massenabnahme wird wesentlich durch die Verfettung des Protoplasmas der Uterus-
musculatur bewirkt, die, unmittelbar nach der Geburt eingeleitet, in Form feiner, den Kern
der j\Iuskelfaserzellen umgebender Kügelchen auftritt. Die im Uterus zurückgebliebenen
Fetzen der Decidua vera werden mit den Lochien ausgestossen, und die schon in der Gra-
vidität begonnene Neubildung der Mucosa macht nun rasche Fortschritte. Mit der Ab-
stossung der Decidua-Fetzen nimmt auch die Neubildung des intraglandulären Gewebes
zu. Die ihrer Epitheldecke verlustig gegangenen Partien der Innenfläche werden von den
DIÄTETIK DES WOCHENBETTES. 197
Epithelien der Drüsen mit neuem Epitliel versehen. Bei diesem Abstossungs- und Ueber-
häutungsprocesse ist eine massenhafte Auswanderung farbloser Blutkörperchen nachweis-
bar. Diese und die Secrete der im Cervixcanale und den Muttermundslipp<!n befindlichen
Wunden stellen im Vereine mit den Vaginalsecreten den puerperalen Gcnitalausfiuss dar.
Die wichtigste Ursache der Rückbildung des Uterus post partum liegt in
seinen Contractionen, die den Blutandrang in })cdcutendem Maasse verringern und einen
bedeutenden Druck auf die Gcfässe, Nerven und Muskulatur ausüben. Das aus dem Geni-
tale abgehende Wundsecret ist anfänglich roth, braunroth, fast neutral, später schwach
sauer (Lochia criienfa) und besteht in der Hauptsache aus flüssigem Blute und kleinen
Blutgerinnseln, denen Fetzen der Decidua vera beigemengt sind. Am zweiten oder dritten
Tage wird das Secret mehr serös, sanguinolent, ärmer an Blutkörperchen, reicher an
Schleimkörperchen, dünnflüssig (Lochia serosa), und vom siebenten bis achten Tage ange-
fangen wird der Ausfluss noch Islässer, consistenter, glasighell oder rahmähnlich (Lochia
alba). Jetzt besteht er im Wesentlichen aus Schleim, Eiterkörperchen und Epithelien. Die
Dauer dieses Ausflusses ist starken Variationen untei'worfen, bei stillenden Frauen ist er
geringer als bei nicht stillenden,
Mit der Involution des Uterus gehen die puerperalen Veränderungen an den
Brüsten Hand in Hand. Vom 2.-3. Tage beginnen sie eine starke Congestion zu zeigen,
stark anzuschwellen, als harte Halbkugeln hervorzutreten und eine dünne Flüssigkeit zu
secerniren. Die in den ersten Tagen des Wochenbettes austretende Milch führt den Na-
men Colostrum und besteht aus Milchserum und Körnchenkugeln, ist durchsichtig, enthält
vorwiegend Albumin und viele feste Bestandtheile, insbesondere Salze. Dem Gehalte an phos-
phorsaiirem Kalk, Magnesia, Chlornatrium und Chlorkalium verdankt das Colostrum seine
abführende Wirkung auf das Meconium. Mit dem Aufquellen der die Körnchenkugeln
verkittenden, eiweissähnlichen Zwischensubstanz zerfallen die Colostrumkörperchen zu
Milchkügelchen, die durch den Schleim der Kittsubstanz in der Flüssigkeit suspendirt
werden.
Das Allgemeinbefinden der frisch Entbundenen beurtheilen
wir zunächst aus dem Verhalten von Temperatur und Puls. In den ersten
12 Stunden post partum tritt eine gleichmässige geringe Temperatursteigerung
von 0"5^ Celsius ein, die durch die veränderte Circulation bedingt ist, aber
durch die beginnende reichlichere Thätigkeit der Organe in den zweiten
12 Stunden ausgeglichen wird, so dass am Ende der ersten 24 Stunden fast
dieselbe Temperatur wie die gleich nach der Geburt beobachtete gefunden
wird. Darnach beginnt eine zweite, ebenfalls sehr massige Steigerung, die
gleichfalls Va^ C. nicht überschreitet, mit der beginnenden Milchsecretion zu-
sammenhängt und allmälig, wenn diese in Gang gekommen ist, zur Norm
abfällt. Trotz der bedeutenden Rückbildung und Veränderungen der Sexual-
Organe zeigt die Temperatur bei der normalen Wöchnerin eine ziemliche
Constanz, und ihre Feststellung bleibt daher für die Beurtheilung des puer-
peralen Zustandes von grösstem Werthe. Bei streng aseptischer Behandlung
haben mehr als -SO'^/o aller Wöchnerinnen solchen Verlauf und bleiben
vollständig frei von Fiebererscheinungen, ist doch die normale Milchsecretion
durchaus nicht mit Fieber verbunden; besteht aber abnorme Temperatur',
dann ist immer eine locale Erkrankung nachweisbar.
Erfährt also die Temperatur der Wöchnerin verhältnismässig geringe
Veränderungen, so zeigt der Puls bereits bei der halb Entbundenen ein
anderes Bild. Er ist weich und frequent. Die Nachgeburtswehen bewirken
nochmals eine kräftige Arterienspannung unter Erhöhung der Pulscurven-
reihe, wobei die Curven kleiner sind als bei der Geburt. Sofort oder einige
Stunden post partum verringert sich die Frequenz und sinkt bei 60°,o der
Wöchnerinnen auf 60 und noch weniger Schläge.
Wir bemerken auch eine erhöhte Hautthätigkeit während des
Wochenbettes. In den ersten Stunden und Tagen zeigt sich gesteigerter
Wochenschweiss, der hauptsächlich im Schlafe auftritt und eine Reihe von
Tagen anhält. Bezüglich der Nierensecretion wurde früher behauptet,
dass der Harn zuerst spärlich und concentrirt sei. Später aber wurde nach-
gewiesen, dass im Gegentheile vermehrte Ausscheidung von Harn stattfindet,
und dass geringe Harnsecretion, als abnorm, zur genauen localen Untersuchung
198 DIÄTETIK DES WOCHENBETTES.
auftordert. Die Darmthätigkeit ist in den ersten Tagen nach der Entbin-
dung herabgesetzt, was sich damit erklärt, dass die Frau in der ersten Zeit
nach der Geburt wenig feste Speisen zu sich nimmt, aber viel trinkt und
meistens bei der Gelnirt durch Klysma Stuhlgang gehabt hat. Untersuchungen
ühev die Kost habe*n ergeben, dass bei Fleischnahrung vom ersten Tag des
Wochenbettes ab die Stuhlentleerungen häufiger sind.
Bei diesen objectiven Veränderungen ist der subjective Zustand
der frisch Entbundenen folgender: Bald nach der Geburt macht sich
zunächst das Verlangen nach Trank oder Speise geltend, dann tritt Neigung
zum Schlafe ein, aus welchem die Frau in der Kegel in leichtem Schweisse
neu gestärkt erwacht. Hernach tritt bald Drang zum Uriniren ein, und die
spontane Entleerung gelingt zumeist, wenn auch unter leichtem Schmerz. Zum
erstenmale Entbundene spüren die zeitweise auftretenden Contractionen des Uterus
fast gar nicht oder höchstens beim Anlegen des Kindes an die Brust, mehr-
fach Entbundene dagegen haben gewöhnlich 2 — 3 Tage lange noch recht empfind-
liche Nachwehen, und zwar umsomehr, je schneller der Geburtsact vor sich
gegangen ist. Das Verlangen nach Speise ist in den ersten Tagen ziemlich
gering, mehr macht sich das Durstgefühl bemerkbar. Die zunehmende Schwellung
und Spannung der Brüste erschwert der Wöchnerin die Bewegung der Arme
und die Lage auf der Seite, welche Erscheinungen aber bei gut beschaftenen
Warzen und regelmässigem Anlegen des Kindes nach 5 — 6 Tagen schwinden.
Durch die erste Stuhlentleerung tritt eine Erleichterung ein. Eine grosse
Erschwerung der Darmentleerung gegen früher bleibt, so lange die Puerpera
das Bett hütet. Die Periode bleibt bei Stillenden in den meisten Fällen aus
und tritt erst einige Wochen nach dem Absetzen des Kindes wieder ein.
War die Rückbildung der Genitalorgane eine regelmässige, so
zeigt die Wöchnerin, wenn sie das Bett zum erstenmale verlässt, eine ge-
wisse Muskelschwäche, die nach einigen Tagen überwunden ist, worauf er-
höhter Appetit und besseres Aussehen sich zeigen. Bei Nichtstillenden ist die
Dauer der Lochia cruenta länger und der Gewichtsverlust durch den Wochen-
fluss bedeutender als bei Stillenden, es kommen auch nach dem Verlassen
des Bettes leichter wieder Blutabgänge vor; die Involution der Gebärmutter
ist langsamer, die Schwellung der Brüste dauert länger, die Milchsecretion
versiegt bald rascher, bald langsamer, die Menstruation tritt durchschnittlich
6 — 8 Wochen post partum wieder ein. Der Zustand der neu Entbundenen
steht hart an der Grenze zwischen physiologischem und pathologischem, ist
er auch an sich nicht pathologisch. Die Anlage des weiblichen Körpers zum
Erkranken ist im Allgemeinen durch das Wochenbett gesteigert sowohl in
Folge der Verwundung und Zerrung der Genitalien als auch durch die
häufigen Berührungen derselben und wegen der Vorgänge an den Brüsten,
weshalb auch eine strenge Ueberwachung der Wöchnerin unerlässlich ist.
Ein Hauptaugenmerk ist auf die Einrichtung des Wochenzimmers
zu richten. Es soll hell, geräumig und auf eine Temperatur von 14 — IS'^Pt.
gebracht sein, direct oder indirect von den Nebenzimmern aus täglich gelüftet
werden. Das Bett muss bequem, der Oberkörper soll nicht zu hoch gelagert,
der Körper nicht zu warm zugedeckt sein. Anfangs soll die Wöchnerin die
Ptückenlage einnehmen, vom 5. — 6. Tage angefangen ist ihr jede Lage zu ge-
statten; empfehlenswerth ist vom 7. — 8. Tage ab das Tragen einer gut an-
schliessenden Leibbinde. Auch vollständig gesunden Wöchnerinnen ist das
Aderlässen des Bettes vor dem 10. Tage nicht erlaubt, und erscheint es rath-
sam, die Frau zuerst auf ein Sopha zu heben, auf w^elchem sie erst nach
einiger Zeit sitzen darf. Es treten ja nicht gar selten beim sofortigen Auf-
richten in dem Bette Ohnmächten ein, aus welchem Grunde vor dem Ver-
lassen desselben ein Frühstück genommen werden soll. In den ersten Tagen
darf die Puerpera höchstens zwei Stunden ausser Bett verbringen, später mehr.
DIÄTETIK DES WOCHENBETTES. 199
Tritt eine Blutung auf, so muss von Neuem das Bett gehütet werden. 6 — 8
Stunden nach der Entl)indung muss die Wöclinerin daran erinnert werden , zu
uriniren und, wenn sie nach wiederholten Versuchen dies nicht kann, kathe-
terisirt werden, wobei der Katheter nicht unter der Decke, sondern nacli Er-
wärmung des gehörig dicken und nur bei der betreffenden l'uerpera allein zu
verwendenden Instrumentes nach Bloslegung der Urethralöffnung und Reinigung
der Umgebung vom Lochial-Secrete eingeführt werden darf. Die Katheterisi-
rung ist alle 8 Stunden so lange zu wiederholen, bis spontane Urinentleerung
eintritt. Die Anschwellung der Brüste wird durch Aufbinden derselben und
Bestreichen der Haut mit Vaselin erleichtert.
In den ersten 2—3 Tagen soll die Diät eine geringe sein, die Nahrung
hauptsächlich in flüssigen Speisen bestehen. Man kann schon am ersten Tage
Fleischsuppe, vom 4. Tage gedünstetes oder gebratenes Fleisch gel)en und
durch Verabreichung von Milch, Eiern und Bier die Nahrung leichter ver-
daulich machen. Für die Stuhlentleerung wird vom 4. Tage ab durch einen
einfachen Wassereinlauf von V2 — 1 Liter lauwarmen Wassers Sorge getragen,
und, ^venn mehrere Irrigationen nicht genügen, wird die Verabreichung eines
leichten Abführmittels sich empfehlen.
Bezüglich der äusseren Genitalien ist grösste Bei nlichk ei t die Haupt-
sache. Sehr leicht entsteht ein penetranter Geruch, wenn das Lochialsecret
nicht vollständig abgeht, sondern in der Vagina oder in den Schamhaaren
zurückgehalten wird. Daher sollen die äusseren Genitalien der frisch Ent-
bundenen täglich mehrmals mit einer lauen 3%-igen Carbollösung abgewaschen,
sorgfältig abgetrocknet und mit Jodoformgaze und Carbolwatte bedeckt werden.
Den meisten Wöchnerinnen ist eine tägliche Ausspülung der Scheide mit
einer S^o-igen Carbollösung angenehm, doch ist diese nicht unbedingt noth-
wendig.
Kann die Puerpera ihr Kind selbst stillen, so soll sie es zum ersten-
male anlegen, wenn sie nicht mehr zu angegriffen ist, und das Kind dui'ch
Schreien seinen Hunger bekundet. Es ist dies gewöhnlich erst 6 — 8 Stunden
nach der Entbindung der Fall. Das Anlegen des Kindes soll regelmässig
geschehen, höchstens alle 2—3 Stunden, und es ist gut, das Kind gleich im
Anfange daran zu gewöhnen, dass es Nachts entw^eder in viel grösseren
Zwischenräumen oder überhaupt nicht angelegt wird. Vor und nach dem
Anlegen des Kindes, das am besten in der Seitenlage der Frau geschieht,
sollen die Brustwarzen mit lauem Wasser in gehöriger Weise gereinigt
werden. Wenn die Frau das Kind selbst stillt, so müssen folgende Eigen-
schaften bei ihr vorhanden sein: Die Brustwarzen müssen gesund, das heisst,
gut fassbar, ohne Hohlgänge und nicht wund sein, auch dürfen keine Narben,
die Folgen früherer Mastitis, vorhanden sein. Die Frau darf an keiner an-
steckenden Krankheit leiden, wie an Syphilis, ebensowenig an Tuberculose,
Epilepsie. Bei Frauen, in deren Familie Tuberculose vorgekommen ist, darf
das Stillen nur mit grösster Vorsicht gestattet werden.
Kann oder darf die Mutter das Kind nicht selbst säugen, so bleibt die Ernäh-
rung durch eine Amme*) das beste Ersatzmittel. Die Wahl derselben kann natürlich
nur durch den Arzt geschehen, um nach gründlicher Untersuchung bestimmen zu können,
ob diese oder jene Amme für dieses oder jenes Kind geeignet sein werde. Damit man sich
über die Amme ein zuverlässiges Urtheil bilden könne, ist es erforderlich, deren Kind zu
sehen, weil nach dessen Aussehen wohl am sichersten auf die Gesundheit der stillenden
Mutter geschlossen werden kann. Ist das Kind wohlgenährt, seine Darmentleerungen von
guter Beschaffenheit, schläft es ruhig, so spricht dies für die gute Qualität der Milch der
Mutter und die Quantität der zur Ernährung des Kindes vorhandenen IMüchmenge. Die
zum erstenmale entbundenen Frauen stehen immer nach denen, welche bereits ein Kind gesäugt
*) Vergl. Artikel ^AmmenwaM'-' (Pott.) im Bd. I. d. ^Interne Medicin und Kinder-
hranlcheiten"'), pag. 39.
200 DILATATION DES UTERUS.
haben, da ja diese durch Erfahrung und Geschicklichkeit in der "Wartung des neugeborenen
Kindes sich auszeichnen.
Mit dem Alter der Milch ändert sich auch das Verhältnis ihrer Bestandtheile. Der
Käsestoff nimmt bis zum Ende des zweiten i\Ionates zu, die Butter nimmt von ]\Ionat zu
]\Ionat ab, der Zuckergehalt wächst stetig. Die Amme soll daher für gewöhnlich nicht
Tor mehr als 6 — 8 Wochen vor der Mutter niedergekommen sein. Jede Brust einer guten
Amme muss innerhalb 2 Stunden wenigstens 50 bis 60 g Milch liefern. Es kann nicht
auffallen, dass häufig Ammen in den ersten Tagen nach Antritt des Dienstes eine fühlbare
Abnahme der Milchsecretion zeigen, welche übrigens bald vorübergeht. Es ist dies be-
greiflich, wenn man die veränderte Lebensweise der Amme in Betracht zieht.
Zu den die Milchsecretion befördernden Mitteln gehören erfahrungs gemäss: Butterbrod,
Mehlspeisen, Eier, Eierspeisen, Milchbrei, Fleisch aller Arten, Suppe und als Getränk: Bier
und Kaffee, wobei aber diejenigen Nahrungsmittel in erster Linie berücksichtigt werden sollen,
an die die Amme bisher gewöhnt war. y. BRAUN-FERN WALD.
Dilatation des Uterus. Zur vollkommenen Erforschung der Uterus-
liölile genügt in den meisten Fällen die Untersuchung mit der Sonde nicht,
oft muss man unabweislich mit dem Finger in das Cavum uteri eindringen.
Es gestattet auch immerhin der Cervix unter geeigneten Verhältnissen, be-
sonders zur Zeit der Menstruation und am Tage nach derselben, öfters die
Exploration des unteren Theiles seiner Höhle, aber, wie erwähnt, beschränkt
sich die Erweiterung zumeist nur auf seinen unteren Theil. Der innere
Muttermund ist fast nur in solchen Fällen passirbar, wo ihn eine Geschwulst,
die sich aus dem Uterus herausdrängt, ausgedehnt hat. Daher ist auch hier
eine präparatorische Behandlung nothwendig.
Die wichtigste Indication für die Erweiterung der Uterinhöhle gibt
die Anwesenheit von Neoplasmen in der Gebärmutter oder der Verdacht auf
solche. Die combinirte und die Sondenuntersuchung geben oft in dieser Rich-
tung negative Resultate, und lassen auch fast immer, wenn sie selbst das
Vorhandensein einer Neubildung sichern, das Verhältnis derselben zum Uterus
und ihre sonstige Beschaffenheit unbekannt. Zumeist vermuthet man aus sub-
jectiven Symptomen, Blutungen, fleischwasserähnlichen Ausflüssen, Schmerzen,
aus der auffallend grossen Erweiterung des Orificium internmn oder externum
das Bestehen von Fibromen, Polypen, Piacentarresten, Adenomen, Sarcomen
und Corpus-Carcinomen. Oft schon gibt die Sondenuntersuchung Resultate,
die zur Erweiterung des Uterus auffordern, da die Sondenuntersuchung allein
die Diagnose zu stellen nicht gestattet. Die Dilatation der Gebärmutter wird
deshalb nicht blos der Diagnose halber nöthig sein, um dem untersuchenden
Finger das Eindringen in das Cavum zu ermöglichen, sondern auch, um Er-
krankungen des Cervix der Heilung zuzuführen. Die Dilatation des Uterus
zerfällt demnach in eine diagnostische und therapeutische. Erstere
erfordert gewöhnlich einen grösseren Grad von Erweiterung als letztere. Die
Methoden zur Dilatation sind entweder unblutige, durch quellende Substanzen,
Bougies und Diktatoren, oder blutige, die Discission des Cervix.
Ä. Die unblutige Dilatation.
Zur Ausdehnung der Cervicalhöhle durch quellende Substanzen haben
sich drei im Gebrauche erhalten: Der Presschwamm, die Laminaria
und der Tupelostift.
Die Einführung geschieht in der Seitenlage der Frau unter Zuhilfe-
nahme des Löffelspeculums, vorher muss aber durch reichliche Ausspülung
mit desinficirender Flüssigkeit Vagina und Uterus möglichst vollkommen
gereinigt sein. Die Vaginalportion wird eingestellt, mittelst eines Häkchens
fixirt, und dann der Presschwamm eingelegt. Häufig wird der Fehler
begangen, dass man Anfangs zu dicke Schwämme nimmt, welclie das Orificium
internmn nicht durchdringen und daher nur den unteren Theil des Cervix
ausdehnen. Der Schwamm darf aber auch nicht zu tief eingeführt werden,
keinesfalls so weit, dass seine Basis oberhalb des Niveaus des äusseren Mutter-
mundes steht.
DILATATION DES UTERUS. 201
Wenige Minuten nach Application des Schwammes ist sein Umfang
grösser geworden, sein Volumen nimmt stetig zu, und es wird auf diese Weise
successive die langsame Erweiterung des Cervix herbeigeführt. Der Press-
schwamm soll niemals länger als 12 Stunden liegen bleiben. Längstens nach
Ablauf dieser Zeit muss er herausgenommen und durch einen anderen unter
den gleichen antiseptischen Cautelen ersetzt werden, wofern die Erweiterung
noch nicht genügend ist. Manche Mängel haften dem im Uebrigen gut ver-
wendbaren Mittel an, die schwere Möglichkeit der ausreichenden Desinfection,
die rasche Zersetzung der Secrete, und es wurde daher später die Laminaria
in die gynäkologische Praxis eingeführt.
Der Setangmeissel wird aus dem Thallus von Laminaria digitata ge-
wonnen. Wenn man den Laminariastift in warmes Wasser legt, so wird seine
Oberfläche schlüpfriger und seine Härte nimmt ab, so dass man ihm leicht
eine Krümmung geben kann. Die Laminaria lässt sich in ziemlich sicherer
Weise aseptisch machen. Vor Application des Laminariastiftes wird die Vagina
und, wenn möglich, auch die Uterushöhle möglichst gründlich desinficirt, die
Richtung und Weite der Vagina festgestellt und der Stift in der Seiten-
oder Rückenlage der Patientin eingeführt. Die Anwendung jedes Quell-
meissels birgt Gefahren in sich, die es nöthig machen, dergleichen Eingrifle
nur nach genauer Berücksichtigung der Indicationen und Contraindica-
tionen zu unternehmen. Der Druck und die Zerrung, welche durch die auf-
quellenden Substanzen erzeugt werden, die Verletzungen der Schleimhaut waren
in erster Linie die Ursache dieser Gefahren; so ist in vorantiseptischer Zeit
nach Gebrauch von Presschwamm das Auftreten von Metritis und Parametritis
beobachtet worden.
Ebenso wie die erwähnten Blutungen gelten uterine oder periuterine
Reizzustände, Exsudate, Adhäsionen als Contraindicationen des Gebrauches
von Quellmitteln.
In dem Bestreben, jeden unserer Eingriffe möglichst gefahrlos und deshalb aseptisch
zu machen, ist man in letzter Zeit wieder auf die mechanische Dilatation der früheren
Zeit zurückgegangen. Den Uebergang zu der jetzt übhchen brüsken Dilatation bildet die
Anwendung des von Schatz angegebenen Metranoicters. Trotzdem man bei deni Ge-
brauche dieses Instrumentes völlig aseptisch vorgehen, während seiner ^\"irkung continuir-
lich irrigiren kann, so hat es doch keinen Eingang in die Praxis finden können, da bei
seiner Verwendung in den meisten Fällen heftige Schmerzen auftraten. Das Dilatatorium
von Ellinger ist dadurch ausgezeichnet, dass seine Branchen in paralleler Richtung sich
von einander entfernen. Wegen seiner zarteren Dimensionen wird es dort, wo kein grösserer
Eingriff beabsichtigt wird, in Gebrauch genommen, also bei Stenosen, Dilatation vor einem
intrauterinen Eingriff. Der grösste Nachtheil des Instrumentes ist seine Complicirtheit, die
eine genaue Reinigung erschwert.
Ein Instrument, das eine Dilatation ohne grössere Kraftanwendung gestattet, ist das
von ScHULTZE angegebene. Mit dem sagittal wirkenden Diktator lassen sich ganz bedeu-
tende Erfolge erzielen, wenn auch meist oberflächliche Läsionen der Schleimhaut mit m
Kauf genommen werden müssen.
Die langsame Erweiterung des Halscanales durch Bougie,
Sonde, dünne Dilatatorien wird meistentheils bei Behandlung der Stenosen
des Cervix uteri vorgenommen. Das hiezu am besten taugende Instrument
sind die HEGAR'schen Diktatoren, welche aus einem System von 2 — ^^26 mm
im Durchmesser habenden Hartgummi- Stäben bestehen. Vor Application des
Instrumentes, das aus einer antiseptischen Lösung in Gebrauch genommen
wird, desinficirt man den Genitalcanal, fasst den Uterus mit der Hakenzange,
zieht ihn herab und führt in der Seiten- oder Rückenlage der Patientin einen
Stift nach dem anderen ein. Ein Stift nach dem anderen wird vorgeschoben,
währenddessen desinficirende Ausspülung gemacht, bis die Cervixerweiteruug
so weit geschritten, dass mit dem Finger eingegangen werden kann. Die
ganze Procedur dauert gewöhnlich höchstens eine halbe Stunde. Wie vor
und während der Anwendung des Dilatators ist auch nach Entfernung des-
selben eine aussriebiare Desinfection unumgänglich nothwendig. Haben keine
202 DILATATION DES UTERUS.
tlierapeutisclien Maassnahmeii stattgefunden, so wird ein Jodoformgazestreifen
in den Uterus geschoben.
B. Die blutige Dilatation.
Die blutige Erweiterung besteht in der localen Durchtrennung des Cervix
mit schneidenden Instrumenten. Man nennt den Vorgang Discission, Hyste-
rostomatomie oder Tracheotomie. Je nachdem die Durchtrennung die
Seitemvand oder die vordere oder die hintere Wand des Cervix betrifft, unter-
scheidet man eine laterale oder sagittale Discission. Je nachdem der Schnitt
bis zum inneren Muttermund sich erstreckt oder nur die Portio vaginalis
spaltet, spricht man von einer inneren oder äusseren Discission. Die laterale
und sagittale Discission kann an einer oder an beiden Seiten der Lippe vor-
genommen werden. Die Discission kann sowohl zum diagnostischen als auch
zum therapeutischen Zwecke ausgeführt werden, häutiger als Indication thera-
peutischer Eingriffe.
Ursprünglich verwendete Simpson sein bekanntes einklingiges Hystero-
tom. Mittelst desselben wurde blos unter Leitung des Fingers die eine, dann
die andere Seite des Uterushalses im Herausziehen des Instrumentes durch-
schnitten. Dem Instrument hafteten nur besonders die Nachtheile an, dass
es zweimal angewendet werden musste, und dass der zweite Schnitt leicht
weniger tief als der erste wurde. Nach dem Muster dieses Metrotoms wm^den
dann zweiklingige Instrumente construirt, von denen wohl das Geeenhalgh'-
sche am meisten in Gebrauch genommen wurde. Diesen complicirten Instru-
menten gegenüber lehrte nun Simpsox die Discission mit Scheere und Spitz-
messer. Er spaltet durch je einen Scheerenschlag die Seitenwände des Cervix
bis zur Insertion des Yaginalgewölbes und vervollständigt diesen Schnitt
mittelst des Messers, welches er, bei der Incissionsstelle oberhalb des Orificium
internum beginnend, bis zum Ende jedes Scheerenschnittes weiterführt.
Die häufigste Indication zur blutigen Erweiterung des Cervix geben
Stenosen des äusseren und inneren Muttermundes ab. Die wirkliche Veren-
gerung betrifft in den meisten Fällen nur den äusseren Muttermund. Die
Stenosen des Orificium internum sind meistentheils Knickungsstenosen oder
durch congestive Zustände der Schleimhaut oder Wucherungen derselben her-
vorgerufen. Hiebei kommt weniger der Grad der Stenose als die dadurch
erzeugten functionellen Störungen in Betracht, nämlich die Dysmenorrhoe und
die Sterilität. Flexionen und Versionen geben auch häufig die Indication zur
Discission ab. Bei den Flexionen handelt es sich wohl in den meisten Fällen
darum, dem geknickten Uteruskörper eine mehr gerade Stellung zu geben.
Nach der Ausführung der bilateralen Discission ist im Allgemeinen das
Auftreten einer stärkeren Blutung ziemlich selten, da es ja immer empfehlens-
werth erscheint, unmittelbar nach ihrer Vornahme in sehr energischer Weise
das Genitalrohr zu desinficiren und mit Jodoformgaze zu tamponiren. Sollte
aber trotzdem nach einer bilateralen Discission eine starke Blutung aus einem
Gefässe bestehen, so kann man sie rasch durch Umstechung zum Stillstande
bringen.
Die Nachbehandlung besteht darin, dass man nach 12 Stunden die
Jodoformgaze entfernt und weiterhin täglich desinficirende Ausspülungen des
Cervicalcanales vornimmt. In denjenigen Fällen, wo entweder bedeutende
dysmenorrhoische Beschwerden oder Sterilität, hauptsächlich in Folge einer be-
deutenden Verengung des äusseren Muttermundes vorhanden sind, empfiehlt
es sich, in der Ptückenlage der Patientin durch Scheerenschläge den Cervix
bilateral zu spalten und dann an der vorderen und der rückwärtigen Mutter-
mundslippe eine Excision auszuführen, da man auf solche Art durch die später
entstehenden Narben das Offenbleiben des Cervix ermöglicht.
V. BRAUX-FERNWALD.
ECLAMPSIA. 203
Eclampsia. Unter Eclampsia gravidarum, parhirientiinn et j'uerperarum
verstellt man anfallsweise auftretende tonische und clonisclie Convulsionen des
ganzen Körpers bei Schwangeren, Kreissenden und Wöchnerinnen, die mit
Bewusstlosigkeit verbunden sind. Die Bewusstlosigkeit überdauert den Krampf-
anfall, so dass bei Häufung der Anfälle die Patientin gar niclit mehr aus dem
Coma erwacht. In circa 50% der Fälle tritt die Eclampsie während der
Geburt, in je 25% während der Schwangerschaft und des Wochenbettes auf.
Aetiologie: Die Ursache der Eclampsie ist in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle eine Urämie, eine Intoxication des Blutes, die durch Ile-
tention von Kreatin und Kreatinin, saurem phosphorsaurem Kalium und
anderen Harnsalzen im Blut erzeugt wird. Die Retention kommt am häufig-
sten vor bei der LEYDEN'schen Schwangerschaftsniere, seltener bei wirklicher
Nephritis, bei Stauungshyperämie der Nieren, bei Harnstauung durch Druck
auf die Ureteren und bei Hydronephrose.
Das Kreatin und die erwähnten anderen Substanzen lagern sich in der Grosshirn-
rinde ab, setzen bestimmte motorische Centren derselben in Erregung und bringen hier-
durch sowohl Convulsionen als auch Coma hervor (Landois). Die Ueberladung des Blutes
mit den genannten Stoffen kann somit direct den Symptomencomplex der Eclampsie erzeugen
— häufig spielen auch bei schon vorhandener Intoxication des Blutes und dadurch erhöhter
Erregbarkeit jener Gehirncentren als Gelegenheitsursache für den Ausbruch der Eclampsie
Reizungen sensibler Nerven (am häufigsten des Genitaltractus) oder psychische Erregungen
eine Rolle.
Man bezeichnet diese auf fehlerhafter Blutbeschaffenheit beruhende Form
der Eclampsie zweckmässig als Eclampsia uraemica oder Eclampsia haemato-
genes. Wie schon erwähnt, ist die S ch wanger schaftsni er e diejenige
Nierenstörung, w^elche am häufigsten zur Eclampsia uraemica führt. Anato-
misch charakterisirt sie sich durch Anämie der Niere und Verfettung der
Nierenepithelien, klinisch durch Oedeme, Verminderung des Urins, reichlichen
Eiweissgehalt, durch Auftreten von Cylindern, Nierenepithelien und weissen
Blutkörperchen im Urin. Sie tritt gegen Ende der Schwangerschaft, jeden-
falls erst nach der Hälfte auf und verschwindet in der Mehrzahl der Fälle
nach der Geburt. Der anatomische Befund und das zeitliche Auftreten der
Schwangerschaftsniere machen es wahrscheinlich, dass sie durch einen Krampf
der Nierenarterien entsteht, der reflectorisch durch Beize sensibler Nerven
des Genitaltractus ausgelöst wird. Solche Reize (wie Schwangerschaftswehen,
stärkere Ausdehnung des Uterus, Eintritt des Kopfes in das Becken) machen
sich erst in den letzten Monaten, resp. Wochen der Schwangerschaft geltend. Aus-
nahmsweise können auch Intoxicationen durch Alkohol, Blei, Sublimat, Carbol
zu Nierenstörungen und damit zu Eclampsie führen. Auch ist die ]\Iöglich-
keit nicht von der Hand zu w^eisen, dass bacteridisclie Noxen durch Erzeugung
einer Nierenerkrankung oder durch Zersetzung des Blutes bei schon vorhan-
. dener Schwangerschaftsniere Eclampsie erzeugen können. Beweise hiefür liegen
indessen zur Zeit noch nicht vor.
In etwa 5% der Fälle tritt die Eclampsie bei gesunden Nieren und nor-
maler Blutbeschaffenheit als Eclampsia reflecforia auf. Bei dieser Form treten
die Krampfcentren dm^h Reizung sensibler Nerven (am häufigsten des Ge-
nitaltractus) oder psychische Erregungen in Action, und zwar entweder, wenn
die Reize sehr stark sind (z. B. bei abnormer Ausdehnung des Uterus, bei
sehr schmerzhafter Wehenthätigkeit), oder die Erregbarkeit der Krampfcentren
eine gesteigerte ist (bei nervösen Individuen, bei sehr jungen oder alten
I. par.).
Wie schon erwähnt sind auch Mischformen der Eclampsia uraemica und
der Eclampsia reflecforia häufig, indem bei schon vorhandener und durch
Uratintoxication bedingter erhöhter Reizbarkeit der motorischen Centren von
der Peripherie, speciell vom Genitaltractus aus, fortgeleitete Reize auf jene
Centren einwirken und so die schon drohende Explosion zum Ausbruch bringen.
204 ECLMIPSIA.
Das Primäre und die eigentliche Causa movens bleibt hierbei jedoch die aus
der Schwangerschaftsniere resultirende Uratintoxication. Indessen ist die Mit-
betheiligung des Nervensystems nicht unwichtig und erklärt sich aus ihr auch
die Thatsache, dass die I. par. 84% aller Eclamptischen ausmachen. Denn durch
die erste Schwangerschaft und Geburt wird ja das Nervensystem in ganz anderer
Weise afficirt, als durch die folgenden.
Die Anämie des Gehirns, welche man bei Sectionen Eclamptischer häufig findet,
weist auf eine Mitbetheiligung des in der Medulla oblongata gelegenen vasomotorischen
Centrums hin. Bei der Eclampsia uraemica kann es sich nach den Versuchen von Landois
nur um eine secundäre Erregung dieses Centrums handeln, da Kreatin und die übrigen
schon erwähnten Stoffe, wenn sie bei Thieren auf bestimmte Centren der Grosshirnrinde
aufgetragen werden, direct das typische Bild der Eclampsie erzeugen. Bei der Eclampsia
reflectoria dagegen und den Mischformen ist die Frage noch nicht entschieden, ob das in
der Medulla oblongata gelegene vasomotorische Centrum primär auf reflectorischem Wege
(durch Reizung depressorischer Fasern) erregt wird und dann secundär eine Anämie (durch
Contraction der Hirnarterien) und consecutive Erregung des nach Nothnagel im Pons
gelegenen Krampfcentrums, resp. der motorischen Centra der Grosshirnrinde erzeugt, oder
ob sich die Reizung der Uterus- und Beckennerven (Ischiadicus nach Wernigh) direct auf
die letztgenannten Centren überträgt, und von diesen aus secundär das vasomotorische
Centrum in Erregung versetzt wird (Landois und Eulenburg).
In ganz anderer Weise erklären Traube-Rosenstein die Hirnanämie, nämlich durch
den Druck eines Hirnödems, welches wiederum dem während der Wehe gesteigerten Blut-
druck und der hydrämischen Blutbeschaffenheit bei Schwangeren, speciell bei an Albu-
minurie leidenden Schwangeren, seine Entstehung verdanken soll. Diese Theorie erklärt
weder die Eclampsia gravidarum et puerperarum noch die Thatsache, dass die Albumin-
urie lange bestehen kann, ohne zu Eclampsie zu führen, und dass erst eine fortschreitende
Verminderung, beziehungsweise eine plötzliche Aufhebung der Harnsecretion die Eclampsie
erzeugt.
Die TRAUBE-RosENSTEiN'sche Theorie ist daher ziemlich allgemein verlassen. Die
Hirnanämie ohne Oedem erklärt sich nach der eben entwickelten Theorie durch die
Mitbetheiligung des vasomotorischen Centrums, und das Oedem ist bedingt durch die venöse
Stauung, die bei jedem eclamptischen Anfall eintritt.
Resumirend können wir sagen, dass in 80% der Fälle von Eclampsie
die Ursache derselben in einer Schwangerschaftsniere liegt, welche zu
einer Retention von Harnbestandtheilen geführt hat. Die Retention, und im
Anschluss an dieselbe, die Eclampsie tritt auf, sobald die Urinsecretion stark
abnimmt. In weiteren 15^/o der Eclampsiefälle führen andere Nierenerkran-
kungen, beziehungsweise bestimmte Intoxicationen mit consecutiven Nieren-
störungen die Retention und Eclampsie herbei. In 57o der Fälle liegt der
Eclampsie keine organische Veränderung zu Grunde. Hier handelt es sich
um rein nervöse Störungen, um abnorme Reize, die die motorischen Centren
treffen, resp. eine individuelle abnorme Erregbarkeit jener Centren.
Symptome: In der Mehrzahl der Fälle gehen der Eclampsia uraemica
Vorboten voraus, die leider nur selten vor Ausbruch der Eclampsie zur Kenntnis
des Arztes kommen. Schon Tage und Wochen vorher fällt den Kranken ausser
der Schwellung der Füsse, der Hände, des Gesichts häufig die Verminderung der
Urinsecretion auf. Sehr häufig werden sie während dieser ganzen Zeit von
Kopfschmerzen geplagt: Andere Symptome, wie Uebelkeit, Erbrechen, Druck
in der Magengegend, heftige Magenschmerzen, Schwindel, Dunkelwerden vor
den Augen, Amaurose, Ohrensausen gehen dem Ausbruch der Eclampsie nur
kurze Zeit voraus.
Der eclamptische Anfall beginnt mit leichten clonischen Krämpfen,
Zuckungen der Gesichtsmuskulatur, der Extremitäten ; es folgt dann ein län-
geres Stadium tonischer Contraction der gesammten Körpermuskulatur von
etwa 20 Secunden Dauer, worauf das dritte längste Stadium (45 Secunden)
mit clonischen Krämpfen die Scene beendet. Das Bewusstsein ist schon mit
dem Beginn der Krämpfe völlig erloschen, und die Bewusstlosigkeit über-
dauert den Anfall noch eine Zeitlang. Während der clonischen Krämpfe
geräth zuerst die Gesichtsmuskulatur in gewaltige Zuckungen: Hierl)ei wird
in der Regel die Zunge zwischen den Kieferrändern vorgetrieben und zer-
ECLAMPSIA. 205
bissen. Es folgen dann Zuckungen über den ganzen Körper, die die unteren
Extremitäten zuletzt erreichen. Besonders erschreckend ist die Cyanose und
das Gedunsensein des Gesichts, welche in Folge der behiridcirten Respiration
und Circulation bereits im tonischen Stadium auftreten und das Gesicht sehr
entstellen. Später tritt manchmal Icterus auf (s. u.j. Der einzelne Anfall
dauert V2~"1V2 Minuten. Nach demselben tritt tiefer Schlaf mit schnarchen-
der Respiration ein. Die Geburt kann unterdessen ruhig weiter gehen. Häufen
sich die Anfälle, so kehrt das Bewusstsein überhaupt nicht wieder, die Tem-
peratur steigt progressiv bis zu dem höchsten Grad (Winckel), und es treten
vor dem Tode Ersclieinungen von Lungenödem und Herzschwäche auf. In Folge
von Hirnblutungen kann es auch zu halbseitigen oder totalen Körperlähmungen
kommen. Ist eine grössere Zahl von Anfällen dagewesen, ohne dass der Tod
erfolgte, so dauert es nach Aufhören der Eclampsie mehrere Stunden, ja Tage,
bis das Bewusstsein wiederkehrt. Von der inzwischen erfolgten Geburt wissen
die Kranken nichts, in einzelnen Fällen auch nichts mehr von Ereignissen,
die sich unter ihrer Betheiligung vor Ausbruch der Erkrankung abspielten.
In schweren Fällen von Eclampsie ist völlige Anurie vorhanden, in den
anderen die Urinmenge vermindert, der Urin stark eiweisshaltig, so dass er
beim Kochen selbst völlig gerinnen kann. Nach Aufliören der Eclampsie
steigt die Urinmenge rasch, der Eiweissgehalt nimmt ab. Spuren von Eiweiss
lassen sich aber in circa 157o der Fälle noch in der zweiten Woche nach
der Geburt nachweisen, und in einzelnen Fällen bildet sich aus der Schwanger-
schaftsniere nach der Geburt eine chronische Nephritis. Die Eclampsia retlec-
toria führt erst secundär (durch die forcirte Muskelarbeit) zu passagerer und
geringfügiger Albuminurie.
Als Nachkrankheiten treten Schluckpneumonie und puerperale Psy-
chosen auf. Letztere enden meist günstig. Verfasser sah auch einen Fall von
tödtlicher Magenblutung 45 Stunden nach dem letzten Anfall, 5 Stunden
nach der Geburt.
Sehr wichtig sind die Wechselbeziehungen zwischen den
eclamptischen Anfällen und der Geburt. Einerseits führt die in
der Schwangerschaft einsetzende Eclampsie in der Mehrzahl der Fälle die
Geburt herbei — das wehenerregende Moment ist hierbei wohl die Kohlensäure-
überladung des Blutes — andrerseits hört mit der Entleerung des Uterus
die Eclampsie in 89 7o der Fälle sofort oder sehr rasch auf. Auch der Tod
des Kindes, welcher bei lebensfähigen Kindern in 49*^/0 der Fälle durch die
Eclampsie (nämlich durch die Kohlensäureüberladung des mütterlichen Blutes
vielleicht auch durch die Vergiftung des kindlichen Blutes mit den in das-
selbe übergehenden retinirten Harnbestandtheilen — Feis) bedingt wird,
beseitigt vielfach die Eclampsie (Winckel). Bei lebensunfähigen Kindern
führt die Eclampsie stets zum Tod des Kindes, nämlich entweder dadui'ch,
dass sie durch mangelnde Ventilation des mütterlichen Blutes direct den
Tod des Kindes herbeiführt oder dadurch, dass sie eine Fehlgeburt erzeugt
(Verfasser).
Die Häufigkeit der Eclampsie beträgt bei dem Material der ge-
burtshilflichen Kliniken und Polikliniken 1 : 330, nach der Statistik der
Wiener Gebäranstalten nur 1 : 589. Für sämmtliche Geburten taxii^t Löhleix
das Verhältnis auf 1 : 675 = 0-157o- In l-57o der Fälle tritt, me Verfasser
an 200 Fällen der geburtshilflichen Klinik der Charite zu Berlin constatirte,
die Eclampsie auch bei einer späteren Geburt wieder auf.
Was die anatomischen Befunde und ihre Deutung anlangt, so findet man an
den Nieren theils Anämie mit theilweiser Fettinfiltration der Nierenepithelien. theils ver-
schiedene Formen der Nierenentzündung, theils Hydronephrose. Die trübe Schwellung, resp.
die fettige Degeneration und Epithelnecrose der Niere, die ausserdem an der Leber, am
Herzfleisch und an der Magenschleimhaut sehr häufig zu constatiren ist (llöglich-
keit einer tödtlichen Magenblutung; s. o.), hängt nach Ansicht des Verfassers nicht direct mit
206 ECLAMPSIA.
der Nierenstörung zusammen, sondern ist die Folge einer Zerstörung der rotlien Blut-
körperchen, die bei schwerer Eclampsie theils durch die im Blute retinirten Harnbestand-
theile, theils durch die Chloroform- oder Chloralnarcose bewirkt wird. In solchen Fällen
ist auch Icterus zu constatiren. Ausser diesen durch die Urämie und eventuell durch eine
protrahirte Karcose erzeugten Veränderungen gibt es noch solche, welche direct durch die
Convulsionen erzeugt werden. Es sind dies die Blutergüsse in der Leber, durch welche
Fettembolien (VmCHOW^), resp. Embolien von Leberzellen (Jürgens) in denLungen, den Nieren,
dem Gehirn auftreten können. Nach Schjiorl kommen auch Embolien durch abgelöste
Gefässendothelien vor. Diese Embolien fähren in der Lunge leicht zu Oedem, in anderen
Organen zu kleinen Blutungen, während die grösseren Blutungen, speciell die Hirnblutungen,
auf Zerreissungen der Gefässe beruhen, welche durch den gesteigerten Blutdruck im eclamp-
tischen Anfall bedingt sind. Im Gehirn findet man ausserdem Anämie, zuweilen auch
Hyperämie, Oedem der Hirnhäute. Ihre Beziehungen zur Eclampsie sind schon oben er-
wähnt.
Im Anschluss an die Convulsionen kommt es in den Lungen häufig zu Hyperämie
und Oedem, auch finden sich in der Regel Schluckpneumonien — eine Folge der Bewusst-
losigkeit Eclamptischer.
Die Diagnose der Eclampsie ist meistens leicht. Krämpfe mit Verlust
des Bewusstseins können nur noch epileptische sein oder auf Hirnkrankheiten
beruhen. Epileptische Anfälle treten nun gerade während der Geburt selten
auf, und es bleibt bei einem oder wenigen Anfällen. Ueber vorhandene Epi-
lepsie gibt ferner in der Eegel die Anamnese Auskunft. Bei Hirnkrankheiten
finden sich Lähmungserscheinungen, bei Meningitis speciell vorheriges Fieber.
Es fehlen dagegen bei diesen und der Epilepsie die Symptome der Schwanger-
schaftsniere. Noch weniger leicht mit Eclampsie zu verwechseln sind die
Zuckungen, welche, auf Gehirnanämie beruhend, bei starken Blutverlusten
dem Tode kurz vorausgehen. Bei hysterischen Convulsionen fehlt die Be-
wusstlosigkeit. Beobachtet man keine Convulsionen, so kann ein vorhandener
Sopor durch Eclampsie, durch Gehirnaffectionen und, wie Spiegelbeeg erlebte,
auch durch Betrunkenheit bedingt sein. Der Geruch des Athems und des
Erbrochenen klärte in letzterem Fall die Sachlage auf. Schwierig ist nach
des Verfassers Erfahrungen die Diagnose der Eclampsie in den Fällen, wo
die Schwangerschaft nicht diagnosticirt wird. Es kommt in Berlin häufig vor,
dass auf der Strasse erkrankte Eclamptische auf die Station für Epileptiker
gebracht und dort als Epileptische weiter behandelt werden.
Prognose: Die Mortalität der Mutter bei Eclampsie — aus 400 Eclamp-
siefällen der beiden Berliner geburtshilflichen Kliniken berechnet — beträgt
circa 257o- Die Mortalität der vor der Geburt ausgebrochenen Eclampsien
ist eine etwas höhere, der nach der Geburt entstandenen eine etwas gerin-
gere. Die Prognose für die Mutter hängt zunächst von der Zahl der An-
fälle ab. Wenn mehr als 10 Anfälle eintreten, ist die Prognose schlecht,
wenn auch ausnahmsweise nach viel zahlreicheren Anfällen Genesung eintreten
kann. So beobachtete Rosenstein Heilung nach 81 Anfällen. Indessen kann
schon nach wenigen Anfällen, ja sogar nach einem Anfall (Pfannenstiel und
Verfasser) eine tödtliche Hirnhämorrhagie oder eine Fettembolie der Lungen
eintreten. Ferner kann auch bei wenigen Anfällen durch die Zerstörung der
rothen Blutkörperchen — die theils durch die Intoxication des Blutes, theils
durch die angewandten Narcotica bedingt wird — eine fettige Degeneration
lebenswichtiger Organe erzeugt werden. Weitere, die Prognose trübende Mo-
mente liegen in der Möglichkeit der Entstehung von Schluckpneunonien und
von puerperalen Manien.
Eine bessere Prognose bieten die seltenen Fälle von Eclampsia reßedoria.
Hier hören die Anfälle bei Fortfall des Irritaments, der Wehenschmerzen,
prompt auf.
In den Fällen von Eclampsia uraemica besitzen wir jedoch keine Anhalts-
punkte, um einen Fall von Hause aus, etwa wegen der geringen Zahl der
Anfälle, des kräftigen Pulses, als einen leichten anzusprechen. Die Pro-
gnose ist daher bei Eclampsie in jedem Falle als dubia zu be-
ECLAMPSIA. 207
zeichnen. Auf einen günstigen Ausgang können wir nur hoffen, wenn es
bei freier Respiration und guter Pulsljesdiattenheit gelingt, bevor der nächste
Anfall eintritt, die Geburt zu beenden, weil mit der Entleerung des Uterus
die Eclampsie in 89 7o der Fälle sofort oder sehr rasch aufhört. Die rasche
Entleerung des Uterus beeinÜusst auch die Prognose für die Kinder, von
denen circa 50°/o hei der bisher übliclien Therapie der protraliirten Narcose,
resp. dem Sauerstoffmangel im mütterlichen Blut erliegen.
Therapie: Die Eclampsie kann in vielen Fällen durch eine geeignete
Behandlung verhütet w^erden. Schwangere mit Erscheinungen der Schwanger-
schaftsniere müssen sofort eine strenge Milchdiät einhalten. Ferner muss
durch warme Vollbäder, beziehungsweise nasse Einwickelungen eine energische
Diaphorese erzielt werden. Bei dieser einfachen Behandlungsmethode sah
Verfasser in einer grösseren Zahl von solchen Fällen späterhin, während der
Geburt, niemals Eclampsie eintreten.
Ist bei Schwangerschaftsniere während der Geburt eine Aljnahmc der
Urinsecretion und Steigerung des Eiweissgehalts zu constatiren, treten ferner
bei derselben Kopfschmerzen, Erbrechen, Schwarzsehen, Druck in der ]\Iagen-
gegend auf, so ist so schnell wie möglich in tiefer Narcose die Geburt ope-
rativ zu beenden. Bei schon vorhandener Eclampsie besteht die
einzig rationelle Therapie in der sofortigen Entleerung des
Uterus in tiefer Chloroform narcose, da hiernach, wie Verfasser er-
wiesen, in 93'7ö°io der Fälle die Eclampsie entweder sofort oder sehr rasch auf-
hört, da ferner die Gefahren des operativen Eingriffs, verglichen mit der Gefähr-
lichkeit der Eclampsie, minimale sind, falls man antiseptisch operirt und gegen
die häufigen atonischen Nachblutungen sich der vom Verfasser in die GelDurts-
hilfe eingeführten Tamponade des Uterovaginalcauals mit Jodoformgaze bedient.
Schon gegenwärtig ist bei operativer Entbindung in tiefer Narcose die Sterb-
lichkeit an Eclampsie geringer als bei spontaner Geburt. Die Sterblichkeit
nach operativer Entleerung des Uterus ward noch bedeutend heruntergehen,
wenn die Entbindung womöglich nach dem ersten beobachteten Anfall vorge-
nommen wird: die Krankheit wird hierdurch coupirt, ihre deletäreu Folgen
für Mutter und Kind, die erst bei längerer Dauer der Eclampsie auftreten,
sowie die Schädigung von Mutter und Kind durch die symptomatische The-
rapie (Narcose) fallen fort. Die sofortige Entleerung des Uterus ist in jedem
Stadium der Schwangerschaft indicirt, ^veil die Eclampsie in den ersten sieben
Monaten das kindliche Leben doch stets vernichtet — entweder dadurch, dass
sie direct den Tod des Kindes herbeiführt oder dadurch, dass sie die Geburt ein-
leitet. Die besonders von Schauta hervorgehobene- Thatsache, dass Operationen
die Prognose der Eclampsie verschlimmern, ist nur richtig, falls die entbindende
Operation ohne tiefe Narcose*) vorgenommen wird. Die Unterlassung
der tiefen Chlor oformnar CO se bei der Entbindung einer Eclamp-
tischen sollte daher als Kunstfehler bezeichnet w^erden!
Eine protrahirte Narcose bei Eclampsie ist dagegen irra-
tionell, W'Cil sie die Entstehung von Bronchopneumonien begünstigt und
theils für sich allein, theils in combinirter Wirkung mit der bei Eclampsie
schon vorhandenen Intoxication des Blutes eine Auflösung der rotheu Blut-
körperchen und eine fettige Degeneration lebenswichtiger Organe erzeugt.
Bei Eclampsie, die mit starker Ausdehnung des Uterus einhergeht, kann der
Tod nach w^enigen Chloroforminhalationen erfolgen (Chloroformtod im engeren
Sinne). In diesen Fällen dürfte sich vor Einleitung irgendwelcher Narcose
die Blasensprengung zwecks Verminderung des Uterusvolumens empfehlen.
Da Chloral sich im Blute in Chloroform umsetzt, so hat die Anwendung des
Chlorals dieselben Nachtheile, wie die des Chloroforms. Weil die bei
*) Vergl. „Narcose in der Gehurtshüfc" ds. Bd.
208 ECLAMPSIA.
Eclampsie vorhandene Intoxication des Blutes auch eine fettige Degeneration
der Herzmuskuhitur erzeugt, so sind grössere Dosen Morphium bei
Eclampsie ebenfalls als gefährlich zu bezeichnen. Diesen Grund-
sätzen gemäss gestaltet sich die Behandlung einer Eclamptischen folgender-
maassen:
Es wird zunächst die tiefe Chloroformnarcose eingeleitet, die Kreissende
auf das Querbett gelegt, die äussere Untersuchung und nach Desinfection der
Hände, der Vulva und Vagina mit 1-proc. Lysollösung, nach Abnahme des
Urins (Autbewahren desselben für die spätere Untersuchung !) die innere Unter-
suchung vorgenommen. Ist der Muttermund völlig erweitert und steht der Kopf
mit seinem grössten Umfang mindestens im Beckeneingang oder lässt er sich durch
energischen äusseren Druck soweit in den Beckencanal hineinpressen, so wird
nach prophylactischer Ergotininjection die Zange angelegt — und zwar schräge
in all den Fällen, wo die Pfeilnaht im schrägen oder queren Durchmesser ver-
läuft. Setzt der Beckenboden oder der Damm der Zangenextraction grösseren
Widerstand entgegen, so wird derselbe im Interesse einer schonenden und
schnellen Entwickelung des Kopfes durch einseitige mehr-minder tiefe Incisio-
nen in den Damm und Scheide (mittels CowPER'scher Scheere) beseitigt.
Nach der Entbindung wird bei Fortdauer der tiefen Narcose die Pla-
centa exprimirt oder bei stärkerer Blutung manuell gelöst. Dauert die Atonie
fort, so ist nach vergeblicher Anwendung der heissen Uterusausspülung die
Uterustamponade"") nach der Methode des Verfassers indicirt. Weiterhin werden
etwaige Incisionen, resp. Dammrisse genäht. Erst nach Vollendung der Naht
hört man mit der Narcose auf.
Steht der Kopf bei völlig erweitertem Muttermund beweglich über dem
Becken, oder ist eine Querlage vorhanden, so wird ebenfalls in tiefer Narcose
die Wendung und Extraction ausgeführt. Bei Steisslagen holt man einen
Fuss herunter und extrahirt dann wie bei Fusslagen.
Ist der Muttermund mangelhaft erweitert, so ist er künstlich zu
dilatiren. Es ist dies ein Accouchement force, welches aber bei strenger
Antisepsis, bei zweckmässiger Methode und in tiefer Narcose frühzeitig (nicht
nur an Moribunden) ausgeführt, sehr gute Kesultate für Mutter und Kind gibt.
Die Dilatation**) ist eine blutige oder eine mechanische oder eine Combination beider.
Die blutige kommt in allen den Fällen von Eclampsie in Betracht, wo die supravaginale
Partie des Cervix völlig erweitert ist und die mangelhafte Erweiterung nur noch die Portio
betrügt, die mechanische bei Mehrgebärenden und die Combination beider Methoden bei
Erstgebärenden mit nahezu oder völlig erhaltenem Cervix.
Die blutige Dilatation ist in circa 80°/o aller Fälle von Eclampsie sofort an-
wendbar, da es sich meistens um kreissende Erstgebärende handelt, bei denen schon die
ersten Wehen den supravaginalen Theil des Cervix auseinanderziehen. Die Incisionen, 4
an der Zahl, müssen bis zum Ansatz der Scheide an die Portio gelegt werden, und zwar zu-
erst die hintere, dann die vordere und zum Schluss die beiden seitlichen. Zu dem Zweck
wird der Saum zwischen dem linken Zeige- und Mittelfinger fixirt und auf beiden Fingern
die Blätter einer SiEBOLD'schen Scheere vorgeführt. Ist der Saum sehr nachgiebig, so muss er
eventuell durch 2 Kugelzangen fixirt werden, zwischen denen, ebenfalls unter Leitung zweier
Finger, incidirt wird. Die Blutung aus den Incisionen, die nicht genäht werden, ist unbe-
deutend. Die weitere Behandlung ist die schon oben bei spontan erweitertem Muttermund
geschilderte. Zur Ausführung dieses Verfahrens gehört ein geübter, streng antiseptischer
und mit einem vollständigen Armamentariiim ausgerüsteter Geburtshelfer.
Die mechanische Dilatation ist einfacher. Man sprengt in tiefer Narcose die
Blase und führt mittels einer mit Verschluss versehenen Kornzange unter Leitung des
linken Zeigefingers einen dünnwandigen zusammengefalteten Colpeurynter in den Uterus
ein. Dies gelingt leicht, sofern der Cervicalcanal nur einen Finger durchlässt, was bei Mehr-
gebärenden ja schon in der Schwangerschaft der Fall ist. Nunmehr lässt man aus dem Irri-
gator den Colpeurynter bis zu Kindskopfgrösse mit Wasser füllen, wozu circa ^j^ Liter
*) Das Material hierzu wird von der Berliner Verbandfabrik in Blechbüchsen ver-
packt, welche nach der Sterilisation (durchströmenden Wasserdampf) zugelöthet werden.
**) Vergl. Artikel „Dilatation des Uterus" (v. Braun-Fernwald), pag. 200 ds. Bd.
ECLAMPSIA, 209
erforderlich ist. Bei andauernder tiefer Narcose wird nunmehr an dem unteren Endo
des Colpeurynters gezogen, bis derselbe durch den Muttermund und Scheide tritt. Darauf
lässt sich die Wendung und Extraction ohne Widerstand seitens des Muttermundes aus-
führen.
Bei Erstgebärenden mit völlig erhaltenem und geschlossenem Cervix fEclampsie in
den drei letzten Schwangerschaftsmonaten — 10"/o der Fälle) dilatirtman zunächst in tiefer
Narcose den Cervix mit dem Finger oder Sonden, sprengt die Blase, macht die mechanische
Dilatation, wie beschrieben, und incidirt dann noch den Portiosaum, worauf ebenfalls in
der Regel die Wendung und Extraction anzuschliessen ist. Diese Combination der
mechanischen und blutigen Dilatation ist ein Ersatz der künstlichen Frühgeburt,
die ja wegen ihres schleppenden Verlaufs in derartigen Fällen, statt Rettung zu bringen,
gerade den Tod herbeiführen kann und deswegen in ihrer bisherigen Ausführung mit
Recht fallen gelassen ist.
Diese drei von dem Verfasser empfohlenen und erprobten Methoden er-
möglichen es, in den drei letzten Schwangerschaftsmonaten und im Anfang
der Geburt die Eclamptische rasch, schonend und ungefährlich per vias natu-
rales von einem lebenden Kind zu entbinden. Sie machen daher den neuer-
dings bei Eclampsie executirten Kaiserschnitt unnöthig, der wegen seiner Ge-
fährlichkeit bei Eclampsie nur bei Moribunden zu gestatten ist, falls die Ent-
bindung per vias naturales nicht so rasch zu bewerkstelligen ist. Die spätere
Conceptionsfähigkeit wird durch die genannten Methoden erhöht, und die
späteren Geburten gehen auffallend leicht von statten.
Kann sich der Geburtshelfer zu diesen eingreifenden Verfahren nicht
entschliessen, so sprenge er in jedem Fall in tiefer Narcose die Blase, lege
den Colpeurynter in den Uterus, fülle ihn mit Wasser bis zu Kindskopfgrösse
und ziehe den Schlauch des Colpeurynters durch eine am Bettende ange-
brachte Schlinge in der Weise, dass ein permanenter Zug am Colpeurynter
ausgeübt wird. Trotz Fortdauer der Narcose werden starke Wehen eintreten
und den Colpeurynter rasch austreiben, worauf die Entbindung mit geringeren
Schwierigkeiten zu beenden ist.
Ist das Kind nachweislich todt, so wäre es auch bei mangelhaft erweitertem
Muttermund ein Kunstfehler, mit der Entbindung zu warten. Hier besitzen
wir in der Perforation und Kraniotraction ein Mittel, das Kind auch durch
den mangelhaft erweiterten Muttermund hindurchzuziehen — freilich ist viel-
fach auch in diesen Fällen eine Muttermund sincision sehr angebracht, um tieferen,
stark blutenden Cervixrissen vorzubeugen.
Lebt das Kind noch, geht es aber bei weiterem Abwarten doch sicher
zu Grunde — und das ist stets der Fall, wenn die Eclampsie in den ersten
7 Monaten der Schwangerschaft ausbricht — so ist auch in diesen Fällen im
Interesse der Mutter die Entleerung des Uterus indicirt.
Bei Eclampsie in den ersten 7 Monaten ist somit ebenfalls die möglichst
rasche Entleerung des Uterus angezeigt. Der Specialist kann dieselbe mittels
Sondendilatation, combinirter Wendung, Extraction und manueller Placentar-
lösung in V2 Stunde bewerkstelligen, für den Praktiker empfiehlt der Ver-
fasser in diesen Fällen mehr die Sprengung der Blase in tiefer Narcose (mittels
ausgekochter Stricknadel) und die Ausstopfung des Uteruscavum durch Jodo-
formgaze, die in schmalen Streifen entweder mit der langen Pincette, einer
Kornzange oder einer Uterussonde in möglichst grosser Menge in den Uterus
eingeführt ward. Nach 12 — 24 Stunden werden dann gew^öhnlich Tampon,
Frucht und Placenta zusammen ausgestossen.
Die protrahirte Narcose bei Eclampsie sieht Verfasser nur als einen
Nothbehelf an, da sie zwar symptomatisch die Krämpfe unterdrückt, allein den
Organismus in anderer, schon geschilderter Weise schwer schädigt, so dass,
wie Verfasser nachgewiesen, manche Eclamptische nicht in Folge der Eclam-
psie, sondern der protrahirten Narcose sterben. Noch am ungefähliichsten
ist die Morphiumnarcose (0-03 pro dosi, 0"1 — 0*2 pro die!) dui'ch subcutane
Injection und auch für den Praktiker am bequemsten anzuwenden. Sie ist
Bibl. med. WiBsenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 14;
210 EMBRYOTOMIE.
indicirt bei allen Woclienbettseclampsien und in den Fällen, wo der Geburts-
helfer die sofortige Entbindung nicht vornehmen will. Daneben ist durch heisse
Bäder mit nachfolgender Einwicklung (Breus) oder feuchte Einwickelung
allein (Jacquet) die Diaphorese, die Diurese durch Darreichung von Wil-
diinger Wasser oder Kalium aceticum anzuregen. Eventuell kann man durch
Drastica auch eine Ableitung nach dem Darm hin erzielen. Winckel verordnet
zu diesem Zweck Extr. Äloes, Extr. Colocynth. ää 1-5 M. f. jnl- Nr. 30, Mor-
gg^2,s 1 — 3 Pillen. Falls die Patientinnen nicht schlucken können, verbietet
sich natürlich die Darreichung per os. Treten Erscheinungen von Herz-
schwäche ein, so macht man Aetherinjectionen.
DÜHRSSEN.
Embryotomie. Unter Embryotomie versteht man diejenigen gebiirts-
hilflichen Operationen, bei welchen zur Ermöglichung der Geburt der Rumpf
des Kindes im Fruchthalter zerstückelt wird. Die Indicationen zu diesen
operativen Eingriffen sind glücklicher Weise selten gegeben. Am weitaus
häufigsten ist die sogenannte verschleppte Querlage das veranlassende Moment.
Wenn nämlich bei Querlage die Geburt längere Zeit nach dem Blasensprung
angedauert hat, die vorliegende Schulter tief in das Becken hineingetrieben
ist und andererseits der Hohlmuskel des Uterus sich stark über das Kind
zurückgezogen hat, so dass ein grosser und sogar der grösste Theil des Kindes
in dem enorm gedehnten, unteren Uterinsegment liegt, dann ist die Vornahme
der Wendung für die Mutter deswegen eine enorm gefährliche Operation, weil
schon die Einführung der Hand, vor allem aber der Versuch das Kind zu
wenden, unter diesen Umständen sehr leicht zur Zerreissung der Gebärmutter
führen kann. Um dieses für die Mutter enorm gefährliche Ereignis abzu-
wenden, bleibt nichts anderes übrig als das Kind im Uterus zu zerstückeln,
wozu man sich in den meisten Fällen umso leichter entschliessen wird, als
die Mehrzahl der Kinder in dieser Situation bereits abgestorben zu sein pflegt.
Ausserdem dürfte eine Embryotomie höchstens noch bei Missbildungen oder
bei pathologischen Veränderungen des Rumpfes, welche durch Neubildungen
oder Verschluss der Harnblase zu starken Auftreibungen desselben führen,
resp. Doppelbildungen der Früchte in Betracht kommen.
Zur Ausführung der Embryotomie bieten sich wesentlich zwei Wege
dar; auf dem einen wird das Ziel durch Abtrennung des Kopfes vom Rumpfe
(Decapitation), auf dem anderen durch Verkleinerung, resp. Zerstückelung des
Rumpfes (Exenteration) erreicht.
In allen Fällen, in welchen es gelingt mit einer Hand an den Hals des
Kindes zu kommen und denselben mit den Fingern zu umfassen, ist die D e-
capitation die empfehlenswertheste Operation. Und zwar empfiehlt es sich,
dieselbe mittels des BRAux'schen Schlüsselhakens auszuführen. Derselbe be-
steht aus einem stählernen Stabe, welcher oben in einem kurzen spitzwinklig
abgerundeten, geknöpften Hacken endigt und unten mit einem kräftigen Quer-
griffe versehen ist. Während die eine in den Uterus eingeführte Hand den
Hals des Kindes umfasst, wird mit der anderen Hand der Haken um den
' Hals herumgeführt und möglichst viel von diesem damit gefasst; mittels des
Quergriffes werden dann unter stetigem Zuge so lange Drehungen nach einer
Richtung ausgeführt, bis das IS'achlassen der Widerstände anzeigt, dass die
gefasste Partie des Halses abgetrennt ist. Ist die Manipulation mehrfach
wiederholt, wobei immer die um den Hals gelegte Hand die mütterlichen
Weich theile vor Druck und Verletzung zu schützen hat, so ist der Kopf vom
Rumpfe getrennt und man kann nunmehr zunächst den Rumpf an einem her-
abgeschlagenen Arm extrahiren, und dann den Kopf durch Zug mit der Hand
und Druck von oben, oder mit dem Kranioklast nach vorausgegangener Per-
foration des Kopfes, unter Umständen auch mit der Zange, entwickeln. Alle
ENDOMETRITIS. 211
anderen Methoden der Decapitation treten an Brauclibarkeit und Ungefährlich-
keit gegenüber dieser Methode weit zurück und kijnnen hier füglich über-
gangen werden.
In einzelnen Fällen kann es sehr schwierig sein den Hals des Kindes
zu erreichen, besonders dann, wenn die vorliegende .Schulter durch lange Ge-
burtsarbeit sehr tief in das I3ecken hineingetrieben ist. Unter diesen Um-
ständen empfiehlt es sich zunächst den Versuch zu machen an dem vorge-
fallenen oder herabzuholenden Arme das Kind in Querlage durchzuziehen.
Wenn man nach der dem Beckenende des Kindes entgegengesetzten Seite zieht,
gelingt es mitunter dieses letztere am Thorax vorbeizuleiten und das Kind
dann zu entwickeln. Gelingt dies nicht, so bleibt nichts anderes übrig, als die
Exenteration unter diesen Umständen vorzunehmen. Man geht unter der
Deckung der einen Hand mit dem scheerenförmigen Perforatorium an den Thorax
des Kindes heran und erötinet mittels dieses Instrumentes einen Intercostalraum
soweit als möglich. Nun wird das Instrument abgenommen und mit einer Hand
die eben gemachte Oeffnung im Thorax möglichst erweitert, damit die Hand
in die Brusthöhle eindringen kann. Ist dies geschehen, so werden die Con-
tenta der Brusthöhle und darauf nach Durchbohrung des Zwerchfelles auch
die der Bauchhöhle herausgerissen. Durch die Ausweidung der Brust- und
Bauchhöhle lässt sich der Rumpf nun ziemlich stark abknicken, so dass mit-
unter der vorhin beschriebene Versuch der Extraction des Kindes in Querlage
an einem Arme gelingt, ßeisst der Arm dabei ab, oder folgt dem Zuge der
Rumpf nicht, so kann man versuchen einen stumpfen Haken um die Wirbel-
säule des Kindes zu legen oder mit einer starken Scheere die letztere zu
durchtrennen und so das Kind conduplicato corpore zu entwickeln. Die Vor-
nahme der Wendung nach der Exenteration dürfte in den meisten Fällen aus
den oben ausgeführten Gründen zu gefährlich sein. Von einer Prognose der
Embryotomie kann natürlich nur im Sinne der Mutter die Rede sein. Die-
selbe "hängt ganz von dem Zustande ab, in welchem sich die Kreissende bei
Vornahme der Operation befindet; liegt keine Zersetzung der Secrete vor und
ist die Frau nicht bereits inficirt, so ist die Vorhersage eine durchaus gute,
im anderen Falle allerdings mindestens zweifelhaft. feommel.
Endometritis, Uterus-Katarrh, Entzündung der Uterus- Schleimhaut (des
„Endometrium.") Unter diesen Bezeichnungen fasst man wegen der zum
grossen Theile gemeinsamen Symptome zwei Erkrankungen zusammen: 1. Die
Entzündung, 2. die aussermenstruelle Hyperämie der Uterus-Mu-
cosa. Beide können unmerklich in einander übergehen; in anderen Fällen
ist die verschiedene Aetiologie aber unverkennbar: so ist z. B. die Erkrankung
des Endometrium bei Infection mit Eitercoccen oder mit Gonococcen eine
wahre Entzündung; dagegen kann bei Kreislaufstörungen, z. B. durch Herz-
fehler, eine Hyperämie der Uterus-Schleimhaut mit Symptomen auftreten, welche
jenen der Entzündung weitgehend gleichen; trotzdem handelt es sich nui' um
Hyperämie, nicht um Entzündung. Die Therapie wird dem entsprechend eine
ganz andere sein, als bei Endometritis. Das ist die praktisch-wichtige Seite
dieses Unterschiedes. In den meisten Lehrbüchern und deshalb auch in der
Praxis wird aber die aussermenstruelle Hyperämie ebenfalls mit dem Worte
E n d 0 m e t r i t i s, E nt z ü n du n g des Endometrium, bezeichnet. Das ist durch-
aus ungerechtfertigt, und im folgenden sollen die beiden Kraukheitsformen
thunliclist auseinander gehalten werden. Ein grosser Fehler wäre es, bei aty-
pischen Uterus-Blutungen in Folge einer Retroflexion die Curette anzuwenden,
statt den Uterus aufzurichten.
Zuerst soll hier die wahre Entzündung, dann jene Form besprochen
werden, welche in einzelnen Fällen wirkliche Endometritis, in anderen eine
11*
212 ENDOMETRITIS.
durcli Fremdkörper erzeugte Hyperämie darstellt (Endometritis post abortum),
und zuletzt soll die Hyperämie erörtert werden,
Endometritis kann entstehen:
1 . Durcli Eitererreger {Strepto- und Staphylococcus pyogenes) ; diese
Form kommt am häufigsten während und nach der Geburt zu Stande: sep-
tische puerperale Endometritis; sie ist eine der häufigsten Formen
des Wochenbettfiebers. Ausserdem kann eine Infection mit Eiter-Erregern
auch nach anderen Traumen zu Stande kommen, z. B. nach Sondirung, ope-
rativen Eingriffen u. s. w.: septische traumatische Endometritis.
2. Durch Gonococcen. Diese Infection, Anfangs acut auftretend, meist
in die chronische Form übergehend, dürfte die häutigste Ursache der Endo-
metritis sein und es ist nicht unwahrscheinlich, dass die chronische Endo-
metritis, bei welcher man Bacterien im Uterus bisher nicht nachzuweisen ver-
mochte, ausserordentlich häufig aus gonorrhoischen Infectionen hervorgeht.
Die goutte militaire so vieler Männer findet ihr Gegenstück im Fluor albus
ungezählter Frauen, welche gonorrhoisch inficirt wurden. Es muss aber vor-
weg bemerkt werden, dass einerseits Fluor albus auch ein Symptom zahlreicher
anderer Erkrankungen ist, die mit Gonorrhoe nichts zu thun haben, und dass
andererseits bei alten gonorrhoischen Endometritiden der Nachweis von Gono-
coccen ebenso schwer gelingen kann, wie bei der chronischen Gonorrhoe der
männlichen Urethra. Bei der Mehrzahl der chronischen Endometritiden,
dieser häufigsten Erkrankung der weiblichen Genitalien, sind Mikroben in der
Uterus-Schleimhaut bisher gar nicht oder nur von vereinzelten Untersuchern
gefunden worden; immerhin bleibt auch die weitere Möglichkeit, dass es sich
hier um andere secundäre Infectionen nach primärer Gonorrhoe handelt. Die
mit Recht vielgeschmähten Hochzeitsreisen dürften jedoch an sich viel
weniger häufig zu Endometritis der jungen Frau führen, als die alte Gonor-
rhoe, welche der Gatte so oft mit in die Ehe bringt, obgleich er sich für
geheilt hielt. Denn eine bis dahin latent, d. h. fast symptomlos vorhandene
Gonorrhoe kann unter den körperlichen und sexuellen Anstrengungen der
Hochzeitsreise von neuem aufflackern; ja eine Infection der jungen Frau kann
sogar zu Stande kommen, ohne dass die latente Gonorrhoe des Gatten merk-
bare Erscheinungen macht.
3. Durch Tuberkel- Bacillen; diese Form der Endometritis ist verhältnis-
mässig selten.
4. Wahrscheinlich auch durch eine Reihe anderer Bacterien, deren Be-
ziehungen zur Endometritis noch nicht hinreichend klargestellt sind, die man
aber gelegentlich, besonders bei puerperaler Endometritis findet ; Hauser
wies bei jauchiger Endometritis den Proteus nach; Gebhakd hat in 7 Fällen
von Tympania uteri jedesmal Bacterium coli commune, teils in Reincultur,
teils zusammen mit Streptococcen gefunden und gezeigt, dass das Bact. coli
einerseits pathogen wirken, andrerseits Gas entwickeln kann; Weichselbaum
hat bei diphtherischer Endometritis den Diplococcus der Pneumonie gefunden;
vielleicht wäre hieher auch die Entzündung oder doch Betheiligung der zu-
rückgebliebenen Uterus-Mucosa am Krankheitsprocesse bei Lochiometra
zu rechnen, bei welcher es durch nichtpathogene Fäulnis-Mikroben zu Zer-
setzung und Fieber kommen kann; auch die so häufige Entzündung der Cervix-
Mucosa bei Ectropium in Folge der intra partum erlittenen Cervix- Verletz-
ungen dürfte hieher gehören; vielleicht genügen aber das Biosliegen der
Schleimhaut und die auf sie einwirkenden Insulte auch ohne Mitwirkung von
Bacterien, um eine Hyperämie zu erzeugen, die sich nicht ohne Weiteres
vom Katarrh unterscheiden lässt.
5. Durch acute Infectionskranklieiten, u. zw. als secundäre Erkrankung
der Uterus-Schleimhaut, z. B. bei Masern, Scharlach, Typhus, Cholera, Pocken.
Es ist fraglich, ob es sich hier um eine secundäre Infection des Endome-
ENDOMETRITIS. 213
trium mit dem Krankheitserreger handelt, oder ol) nur durch dessen Stoff-
wechselproducte, die ja in den allgemeinen Kreislauf gelangen, oder durch
Kreislaufstörungen eine secundäre Betheiligung der Uterus-Mucosa eintritt.
6. Selbstredend kann durch Äetzmittei oder unreine Fremdkörper (Intra-
uterin-Pessare) eine wirkliche Entzündung erzeugt oder deren Entstehung be-
günstigt werden;
7. Ob atypische Blutung bei Vergiftunr/en, z. B. mit Phosphor, als Folge
einer Endometritis oder nur einer Hyperämie zu betrachten sei, ist noch un-
entschieden.
8. Die sogenannte Endometritis post abortum kann einerseits wirkliclie
Entzündung sein; denn die ursprünglich vorhandene Endometritis führte eben
zum Abort, oder aber nach dem Abort gelangten pathogene Mikroben in den
Uterus und bewirkten eine Entzündung der Decidua (Endometritis deci-
duae — nicht decidua) oder eine Zersetzung der Eireste und der nekrotischen
Decidua-Fetzen; andererseits gibt es aber in äusserst zahlreichen Fällen aty-
pische Blutungen, die mit Entzündung nichts zu thun haben, sondern auf
einem Zurückbleiben von Eiresten oder von halbgelösten Fetzen der Decidua
Vera oder auf einer mangelhaften Rückbildung der Decidua beruhen; diese
Fälle gehören demnach eher zur „Hyperämie."
Hyperämie der Üterus-Muoosa kann entstehen:
1. Durch Kreislaufstörungen, seien sie nun allgemeiner Natur, wie bei Herzfehlern,
Lungen-, Leber-, Nierenleiden, oder localer Natur, wie bei Entzündung und Tumoren der
Uterus-Anhänge oder des Uterus selbst, z. B. bei Myomen, Carcinom; ferner bei Lage-Ver-
änderungen des Uterus und nach unvollendeten Aborten; allerdings kann hier die Hyper-
ämie der Entzündung den Boden vorbereiten tind in sie übergehen. Brennecke, Czejipix
u. A. haben mit Recht auf die Häufigkeit der Endometritis bei Erkrankungen der Ovarien
hingewiesen [oophorogene Endometritis) ; vielleicht handelt es sich aber auch hier nicht
stets um Entzündung, sondern um Hyperämie des Endometrium.
2. Durch Chlorose; das Verhältnis derselben zum Fluor, der dabei so häufig auftritt,
ist nicht hinreichend klargestellt, vielleicht ist auch hier die Kreislaufstörung als Ursache
anzuschuldigen.
3. Excesse in Venere, sei es durch Masturbation oder Cohabitation, ferner körper-
liche Anstrengungen, wie Tanzen, Reiten u. s. w. während der Menses führen wohl kaum
zu einer wirklichen Entzündung, wenn auch oft zu einer vorübergehenden Hyperämie,
beziehungsweise Verstärkung einer solchen; allerdings kann auch hier wieder der Boden
für eine Entzündung vorbereitet werden, so dass z. B. selbst eine fast abgelaufene oder
sehr alte Gonorrhoe der männlichen Urethra leicht zu schwerer Infection des Endometrium
führt; auch die bei Puellis publicis nicht seltene Endometritis und Metritis ist wohl nicht
auf sexuelle Excesse, sondern meist auf Gonorrhoe zurückzuführen.
Die ätiologische Eintheilung nach den Erregern ist theoretisch gewiss
die richtigste; in zahlreichen Fällen, so bei der überaus häufigen chronischen
Endometritis, sind parasitäre Erreger aber nicht sicher nachgewiesen. Deshall)
ist eine praktische Berechtigung jener Eintheilung nicht abzusprechen, welche
z. B. Pozzi gibt; er theilt die Endometritis darnach ein, ob sie mit Men-
struation, Coitus, Entbindung oder traumatischen Einflüssen zusammenhängt;
nur fehlen darin einige wichtige Ursachen und andere werden doppelt gezählt.
Für die Praxis sind zweifellos am wichtigsten, da am häufigsten, die
puerperale septische und die gonorrhoische Endometritis, sowie
die aus beiden hervorgehende chronische Endometritis.
1. Septische puerperale Endometritis.
Sie stellt die häufigste Form des Wochenbettfiebers dar. Eine Infection
des Endometrium mit Eiter-Erregern kann auf 2 Arten erfolgen: die in Scheide
oder Cervix vorhandenen pathogenen Mikroben gelangen ohne äusseres Zu-
thun in die Uterus-Höhle (Selb st-Infection) oder sie werden durch Hände
und Instrumente des Arztes, der Hebamme u. s. w^ hineingebracht (Aussen-
Infection). Die letztere ist ungleich häufiger als die erstere; am gefähr-
lichsten sind intrauterine Eingriffe, wie Wendung, Placentarlösung, Uterus-Tam-
ponade; ja selbst das einfache Touchiren kann pathogene Keime in die Uterus-
214 ENDOMETRITIS.
liölile bringen. Mit Recht will Leopold deshalb die innere Untersuchung
möglichst eingeschränkt, die äussere aber umso gründlicher ausgebildet wissen.
Die Infection kann eine doppelte sein:
1. Es werden nur Fäulnispilze, Saprophyten, in den Uterus ge-
bracht. Es kann dadurch zu einem fauligen Zerfall der ohnedies nekrotischen
Decidua-Reste kommen — putride (putrescere = faulen) oder saprogene
E n d 0 m e tr i ti s (sa-poc = faul). Missfarbiger, übelriechender Ausfluss, massiges
Fieber sind die Haüptsymptome. Die Infection führt nicht zu einer stärkeren
Erlvi-ankung und der normale Zustand kann durch desinficirende Uterus-Spü-
lungen und durch Wegsammachen des Cervix bei starker Anteflexion oder bei
Retroflexion des Uterus hergestellt werden. Die Streckung des zu stark ante-
flectirten Uterus gelingt leicht durch Anziehen der Portio mittelst Muzeux'-
scher oder Kugelzange und durch den Uterus-Katheter; die retroflectirte
Gebärmutter niuss manuell aufgerichtet werden.
2. Weitaus gefährlicher ist die Infection mit Eiter -Pilzen {Staphijlo-
coccus und Streptococcus i)yo(/enes), oder mit anderen pathogenen Mikroben ((jo-
nococcen, Proteus, Bacterium coli etc.), die septische Endometritis. Die
Keime dringen zunächst in die Reste der Uterus-Schleimhaut, sehr bald aber
von hier aus in die Lymphspalten der Muskelwand ein, septische Metri-
tis; diese und die w^eiteren Folgezustände (Parametritis, Thrombophlebitis,
Peritonitis, allgemeine Sepsis) werden andernorts besprochen.
Die Symptome der septischen Endometritis, die meist am 2. — 4. Tage,
aber auch noch später nach der Geburt auftreten, bestehen vor Allem im
Fieber, das mit einem oder mehreren Schüttelfrösten beginnen und Abends
eine sehr bedenkliche Höhe bei oft starken Morgen-Remissionen erreichen
kann. Bald treten Kopfweh, Mattigkeit, massige Leibschmerzen und miss-
farbiger Ausfluss auf; dieser ist dabei meist, aber nicht stets übelriechend,
der Uterus oft druckempfindlich. Stärkere Leibschmerzen und heftige Druck-
empfindlichkeit des Uterus sprechen für ein Fortschreiten der Infection auf
die Muskelwand des Uterus und auf die Umgebung.
Die Therapie muss möglichst früh einsetzen; es ist nöthig, die noch
in der Schleimhaut localisirte Infection gründlich mit starken Desinficientien
zu bekämpfen; man spült sofort beim Eintreten des Fiebers, wenn eine andere
Erkrankung nicht nachweisbar ist und selbst wenn die Lochien noch nicht
übelriechend sind, den Uterus mit 1 — 2 Litern ö^o Carbollösung aus; die
mittelst Bozeman-Fritsch's oder Weinhold's Katheter ausgeführte Ausspülung
wiederholt man, wenn das Fieber nach V2 — 1 Tage nicht abgefallen ist.
Diese Therapie ist nur in der allerersten Zeit wirksam; haben die Keime erst
die Grenze des Endometrium überschritten, so sind sie für desinficirende Aus-
spülungen nicht mehr zugänglich. Zweierlei darf man aber nicht vergessen:
Die Gefahr des Eindringens der Spüllösung in offene Venen und die Möglich-
keit einer Intoxication. Während oder kurz nach solchen Ausspülungen (Sub-
limat ist strengstens zu vermeiden !) treten oft äusserst bedrohliche Zustände
auf: Die Frau verfällt plötzlich, klagt über Athemnoth und Flimmern vor den
Augen, wird blass, das Bewusstsein wird getrübt oder schwindet ganz, der
Puls ist klein und frequent. Das kann entweder die Folge des Eindringens
von Carbol in offene Venen sein, oder es handelt sich um rasche Resorption,
die im weiteren Verlaufe zu schwerer Intoxication führen kann. Deshalb ist
unter allen Umständen die Uterus-Spülung nur sehr langsam und bei geringer
Höhe des Irrigators zu machen, und die Frau muss während der Ausspülung genau
beobachtet werden, damit man die Irrigation nöthigenfalls sofort zu unter-
brechen in der Lage ist. Bei eingetretener Carbol-Intoxication (grüner bis
schwarzgrüner Urin) darf die Ausspülung natürlich nicht wiederholt werden.
Auf das Abdomen legt man die Eisblase und gibt der Kranken Seeale
oder Ergotin und reichlich Alkohol in jeder Form, als Wein, Sect, Cognac,
ENDOMETRITIS. 215
Spiritus-Mixtur; septische Wöchnerinnen vertragen überraschend grosse Men-
gen Alkohol, ohne berauscht zu werden. Nöthig ist ferner eine sorgfältige,
kräftigende Kost; diese macht Schwierigkeiten, da die Kranken gegen Fleisch
oft Widerwillen haben; man reicht Eiweiss in abwechselnder Form. Tem-
perirte Bäder sind erst beim Fortschreiten der Infection erforderlich. Sciiui/rzE
hat eine Frau bei schwerer Endometritis durch die l'orro'scho Operation
geheilt. Immer und immer wieder muss aber betont werden, dass der Nach-
druck auf der Prophylaxe liegen muss, die so glänzende Erfolge gezei-
tigt hat.
2. GoiioiTlioisclie Endometritis.
Wenn die Mehrzahl der Männer einmal Gonorrhoe durchgemacht hat, so
müsste dies eigentlich auch bei der Mehrzahl der Frauen und deflorirten Mädchen
der Fall sein. Und thatsächlich gehören die Gonorrhoe der weiblichen Geni-
talien (s. d.) und ihre Folgezustände mit zu den häufigsten Leiden, welche
der Frauenarzt zu behandeln hat. Allerdings kommen frische Gonorrhoeen
viel seltener in seine Behandlung, als die chronischen Infectionen und deren
Folgekrankheiten. Etwas günstiger liegt die Sache für das Weib aber viel-
leicht deshalb, weil der gewissenhafte Mann bemüht sein wird, eine früher
erworbene Gonorrhoe vor der Ehe zu heilen. Es ist Noeggeeath's Verdienst,
auf die enorme Gefahr selbst latenter Gonorrhoeen hingewiesen zu haben, wenn-
gleich er mit der Annahme zu weit ging, dass Gonorrhoe unheilbar sei.
Frischer Tripper des Mannes ist meist, chronischer viel häutiger heilbar, als
dies eine Zeitlang von manchen Autoren angenommen wurde.
Beim Weibe etablirt sich der Tripper vor Allem in der Urethra, dann
im Cervix. Die Gonococcen überschreiten den inneren Muttermund nicht
ohne Weiteres, manchmal überhaupt nicht spontan. Die gonorrhoische Endo-
metritis zeigt sich also zuerst in Form des gonorrhoischen Cervix-Katarrhs;
ein Fortschreiten nach oben, auf die Körperschleimhaut, erfolgt nicht stets,
kann aber sowohl spontan eintreten als auch künstlich durch Sondirung, Ute-
rus-Ausspülung u. s. w. bewirkt werden.
Die gonorrhoische Infection sowohl der Cervix-Mucosa als besonders der
Körperschleimhaut tritt zuerst in acuter Form, u. zw. oft unter sehr schweren
Symptomen auf, um nach einigen Tagen oder Wochen in die chronische Form
überzugehen.
Die acute gonorrhoische Endometritis, u. zw. sowohl des Cervix *)
als des Corpus, kann unter ziemlich hohem, Morgens remittirendem Fieber,
selten mit Schüttelfrösten beginnen. Neben allgemeinen Fieber-Symptomen
stellen sich Leibschmerzen und Erbrechen, bei Cervix-Stenose wehenähnliche
Schmerzanfälle, Anfangs mehr trübseröser, ja leicht blutig gefärbter, später
mehr eitriger Austluss ein. Der Stuhl ist oft angehalten, bei l^rindrang die
Entleerung des Harns empfindlich. Vom darüberfliessenden Secret ist die
Scheide diffus geröthet und geschwellt oder mit scharlachrothen, flachen,
hirsekorngrossen Körnchen besetzt (granuläre Kolpitis); es ist heute nicht
mehr zu bezweifeln, dass diese Erkrankung der Scheide nicht blos eine
Folge chemischer Keizung ist, sondern wenigstens in manchen Fällen auf
einer wirklichen gonorrhoischen Infection beruht. — Die Portio ist blutrei-
cher, geröthet bis bläulichroth verfärbt, die Cervix-Schleimhaut wulstet sich
infolge der Schwellung oft etwas vor und ist scharlachroth; aus dem Orificium
externum quillt trübes, blutigseröses bis eitriges Secret; der Uterus ist bei
Infection der Körperschleimhaut selbst etwas vergrössert, festweich bis prall,
sehr druckempfindlich; Bewegungen des Uterus zwischen den untersuchenden
Händen sind sehr schmerzhaft, selbst wenn die seitlichen Ligamente nicht
*) Vergl. „Cervixkatarrli" (Dührssen), pag. 159 ds. Bd.
216 ENDOMETRITIS.
infiltrii't sind, was oft genug der Fall ist, auch ohne dass eine circum-
scripte Parametritis sich später ausbildet. — In vielen Fällen bleibt die In-
fection auf den Uterus beschränkt; in anderen aber — und diese sind lei-
der recht häufig — schreitet sie auf die Tuben und das Becken-Peritoneum
über und damit beginnt für die unglückliche Kranke eine Zeit unaufhörlicher,
oft geradezu furchtbarer Leiden, die mit dem Tode enden können, günstigen
Falles aber nur durch eine an sich lebensgefährliche Operation, die Entfer-
nung der Anhänge per laparotomiam, gebessert, aber nie ganz beseitigt wer-
den können. Denn eine so eingreifende Verstümmelung der armen Kran-
ken wird man kaum als Heilung bezeichnen dürfen, wenngleich sie oft
den einzigen Weg der Rettung darstellt.
Bleibt die Infection auf den Uterus beschränkt, so kann sie nach Tagen
oder Wochen, während welcher die Patientin bettlägerig war und oft äusserst
herunterkam, in die chronische Form übergehen. Rückfälle sind jedoch
leider nur allzu häufig und sie können durch einen Diätfehler, ungenügende
Defäcation, Menses, zu frühes Aufstehen, Cohabitation verursacht werden; ge-
rade in letzter Beziehung wird dem Arzte von den Kranken oft über Rück-
sichtslosigkeit des Gatten geklagt.
Die chronische gonorrhoische Endometritis verläuft unter weniger hef-
tigen Symptomen; der Fluor wird spärlicher, milchig, oft fast rein glasig, so
dass man versucht ist an ein Ablaufen des Processes zu denken; die Menses
sind meist unregelmässig, zu selten und spärlich oder zu häutig, zu lange
dauernd und reichlicher als vordem; die Frauen erholen sich nur langsam,
Störungen des Appetits und der Verdauung dauern oft lange Zeit an.
Die Diagnose beruht vor Allem auf dem Nachweis der Gonococcen
(siehe unter ^^GonorrJioe''); dieser gelingt bei acuter Endometritis meist leicht.
Bei chronischer Gonorrhoe kann es Tage lang misslingen, Gonococcen nachzu-
weisen, bis man endlich solche findet, oft selbst in ganz klarem, glasigem Cer-
vix-Secret. Findet man keine Gonococcen, so beweist das aber
nicht, dass es sich nicht um Gonorrhoe handelt. Eine acut und
mit Fieber auftretende Endometritis bei Nichtschwangerern und Nichtwöch-
nerinnen muss stets und vor allem den Gedanken an Gonorrhoe nahe legen.
Dass die Prophylaxe (s. u. ,,Gonoty-hoe'') auch hier eine Hauptrolle
spielt, ist selbstverständlich. Eine ernste Aufgabe fällt dem gewissenhaften
Hausarzte zu, der von etwaiger früherer Gonorrhoe des Heiratscandidaten
Kenntnis hat. Selbstredend wird der Arzt bei eingetretener gonorrhoischer
Infection des Weibes nicht versäumen, die Ivranke auf die Gefahr einer
Uebertragung auf die Augen, sowie auf andere Personen (Kinder, Geschwister,
andere Angehörige, die mit der Kranken in Berührung kommen oder mit in
ihrem Bette schlafen) hinzuweisen.
Therapie. In der allgemeinen Praxis werden hier überaus häufig grosse
und folgenschwere Fehler gemacht. Der Arzt hört von Ausfluss und ver-
ordnet ohne eingehende Untersuchung Ausspülungen der Scheide mit Alaun-
lösung. Gestehen wir es doch offen, dass hierin leider oft die einzige Be-
handlung einer so tückischen Krankheit besteht, die von manchen Fachärzten
für schlimmer gehalten wird, als die Syphilis.
Die Vorbedingung einer erfolgreichen Therapie ist eine genaue, im Noth-
falle eine mikroskopische Untersuchung. Die Technik derselben kann
jeder Arzt erlernen; fehlt ihm dazu aber die Zeit — und man wird ihm daraus
keinen Vorwurf ableiten dürfen — so soll er die Kranke einem Frauenarzte
überweisen. Die Behandlung muss sich gleichzeitig auf Urethra und Endo-
metrium erstrecken. Bei acuter gonorrhoischer Endometritis mit Fieber und
den geschilderten schweren Allgemeinsymptomen ist eine locale Behandlung
des Endometrium zunächst contraindicirt; durch die betreffenden Eingriffe (Dila-
tation, Aetzung, Ausspülung) wird oft aus einem Cervix-Katarrh eine Erkran-
ENDOMETRITIS. 217
kung der Körperschleimhaut gemacht oder eine Parametritis erzeugt. Im
acuten Fieberstadium sind absolute Ruhe, Eis aufs Abdomen, Diät, Regelung
der Koth- und Urin-Entleerung die Hauptsache. Gegen die Schmerzen können
Opium und Morphium nöthig werden. Scheidenausspülungen werden behufs
mechanischer Reinigung mit leichten Desinficientien gemacht; kalte Spülungen
vermindern oft die Schmerzen. Man schärfe den Kranken ein, auch bei leiclitei-
Besserung zunächst das Bett nicht zu verlassen; der Gatte muss auf die Gefahr
einer Verschlimmerung durch Cohabitation aufmerksam gemacht und selbst-
redend vor Allem seine Gonorrhoe behandelt werden.
Lassen die acuten Symptome (Fieber und Schmerzen) nach, so beginnt
man mit localer Behandlung; den ersten Rang nimmt hier das Argentum
nitricum ein: man desinficirt Vulva und Scheide möglichst energisch, legt die
Portio im Speculum blos, wischt den Cervix möglichst trocken und ätzt ihn
mit Argentum nitricum 1:3000; zu letzterem Zwecke müssen rauhe Aluminium-
Sonden (Playfair' sehe Sonden) mit Watte umwickelt werden. Ist die Körper-
schleimhaut noch nicht inficirt, was sich nicht stets entscheiden lässt, so hüte man
sich, mit den Instrumenten über den inneren Muttermund hinaufzugehen. Ist
aber auch die Mucosa des Corpus uteri betheiligt — (und man wird dies ent-
weder aus den Symptomen, wie Empfindlichkeit des Corpus, Anschwellen des-
selben, unregelmässiger Menstruation erkennen oder indem man in den Uterus
nach KüSTNEß Glasröhrchen von 7 mm Länge einlegt, von w^elchen das zuerst
benützte nur oben, das andere nur unten Augen zum getrennten Auffangen
des Secrets hat) — so spült man im chronischen Stadium (nöthigenfalls nach
Dilatation des Cervix in Narkose) zuerst den Uterus aus; dies geschieht mit
Bozeman-Fkitsch's Katheter und 3°/o Carbollösung; dann wischt man die Uterus-
höhle mittelst PLAYFAiß'scher Sonde mit Argent. nitricum 1 : 3000 aus oder inji-
cirt mit BRAUN'scher Spritze 1 — 2 ccm solcher Lösung. Das Speculum entfernt
man erst, wenn der Rest der Silbernitratlösung abgeflossen, ausgetupft und zum
Schutze der Wäsche ein Wattetampon eingelegt oder die Scheide gründlich
ausgespült ist. Die Kranke muss sich 2 — 3 Tage lang nach diesem Eingriff
gänzlich schonen, beim Eintritt von Schmerzen aber zu Bett legen; reinigende
Scheidenspülungen sind rathsam, — Die Ausspülungen des Uterus werden
alle 2 Tage, im ganzen 6 — 7mal, wiederholt und man kann die Kranken zu-
nächst mit der Weisung entlassen, bei Wiedereintritt von Fluor, Schmerzen
etc. auch wieder zu kommen. Selten genügt die einmalige Aetzung; in den
meisten Fällen muss die leichte Aetzung aber 2, 3mal wöchentlich wiederholt
werden. Cervix- und Corpus-Gonorrhoe sind äusserst hartnäckige Leiden,
welche die Geduld der Kranken und des Arztes oft auf die schwerste Probe
stellen.
3. Chronische Endometritis.
Sie entspringt nicht einer einzigen Ursache, sondern ist vielmehr ein
Folgezustand mehrerer, unter sich durch die Aetiologie verschiedener Krank-
heitsformen. Am häufigsten entwickelt sich chronische Endometritis nach
Wochenbettfieber (einschliesslich der Infection bei Aborten), gonorrhoischer
Infection, krankhafter aussermenstrueller Hyperämie, Verletzungen des Cervix
durch die Geburt, ohne dass man in den letzteren Fällen ein bestimmtes
Bacterium dafür verantwortlich machen könnte. Trotz dieser verschiedenen
und zahlreichen Ursachen muss die chronische Endometritis als Krankheit
für sich besprochen werden, da sie eines der häufigsten Frauenleiden darstellt
und ihre Symptome und die Art der Behandlung im Ganzen einheitlich sind.
Die chronische Endometritis kann sich auf den Cervix beschi'änken:
c h r 0 n i s c h e r C e r V i x -K a t a r r h*), ist aber meist mit gleichzeitiger Entztin-
*) Vergl, auch „Cervixl-afarrh" (Dührssen). pag. 159 ds. Bd.
218 ENDOMETRITIS.
dung der Schleimhaut des Uterus-Körpers verbunden: chronische Endo-
metritis im engeren Sinne.
Der chronische Cervix-Katarrh tritt für sich allein am häufigsten bei tieferen Ris-
sen der Portio und des Cervix awi; sehr oft besteht Ectropium der Portio -Lippen.
Hier kann es das Blosliegeu der Cervix-Schleimhaut sein, welches durch Bespülung mit dem
sauren Scheiden-Schleime, durch mechanische Insulte bei der Cohabitation, durch geän-
derte Ernährungsbedingungen o. Ae. zur Erkrankung führt; wahrscheinlich ist die Haupt-
sache aber auch hier eine secundäre bacterielle Infection. Man darf das Ectropium nicht
mit der Erosio n verwechseln: beim E ctr opium wird man die ursächlichen Cervix-Risse
finden, welche ein Blosliegen der sonst dem Auge nicht zugänglichen Cervix-Schleimhaut
bedingen; bei der Erosion ist aber das normale Platten-Epithel der Portio durch Cylin-
der-Epithel ersetzt.
Beim chronischen Cervix-Katarrh ist die Schleimhaut geschwellt und alle Verän-
derungen derselben lassen sich auf eine Vergrösserung der Schleimhaut- und Drüsen-Ober-
fläche, sowie auf die Infiltration des Bindegewebes zurückführen. Die seichten, lacunen-
ähnlichen Drüsen der normalen Cervix-Schleimhaut verlängern sich, dringen in das dar-
unter liegende Bindegewebe, ja bis in die Musculatur ein, sie verzweigen sich, das zwischen
den einzelnen Drüsen liegende Bindegewebe ragt papillen-ähnlich an der Oberfläche empor
und gibt ihr ein sammtartiges bis chagrinirtes Aussehen; im letzteren Falle spricht man
von papillärem Cervix-Katarrh. Wenn aber die Drüsenvermehrung hauptsächlich
in der Tiefe stattfindet und die Drüsen durch Secret-Stauung zahlreiche follikelähnliche
Erweiterungen bilden, so spricht man von follikulärer Entzündung. Beide Formen sind
nur graduell verschieden. Das Bindegewebe ist infiltrirt; dadurch kommt es häufig zu
Abschnürungen von Drüsen, welche nun ihr Secret nicht mehr nach aussen entleeren
können; es bilden sich wahre Retentions-Cysten, die über erbsengross werden können und
je nach ihrer Lage bläulich durch das unverletzte Portio-Epithel oder durch die Cervix-
Schleimhaut durchschimmern: Ovula Nabothi, oder aber sich vorwölben, einen Schleim-
hautstiel bilden, durch ihr Wachsthum und durch Contractionen des Uterus nach aussen
gedrängt werden und sich zu Schleimhautpolypen (Schleimpolypen) entwickeln.
Sehr häufig wird an der Grenze zwischen Cervix-Schleimhaut und Platten-Epithel
der Portio das letztere durch die wuchernde Cervix-Schleimhaut verdrängt oder (und das
ist das wahrscheinlichere) die oberen Schichten des Platten-Epithels gehen verloren und
es bleibt nur die tiefste, cylindrische Schicht; man sieht in Folge dessen da, wo früher
blasses, glattes Platten-Epithel die Portio-Lippen überzog, scharlachrothe, glänzende, sammt-
artige oder chagrinirte Schleimhaut. Sie ist gegen das anstossende Platten-Epithel scharf
abgegrenzt und imponirt beim ersten Anblick als frisch granulirendes Geschwür; daher
stammt die populäre Bezeichnung „Geschwür." Es handelt sich aber nicht um einen Sub-
stanzdefect, um ein Blossliegen des entzündeten Bindegewebes, sondern um eine Umbil-
dung, Metaplasie des Epithels. Man bezeichnet solche Stellen als Erosion der
Portio (erodere = ausnagen) und unterscheidet wieder papilläre und foUiculäre Erosionen.
Bei starker Wucherung ist die Schleimhaut tief gewulstet, wie zerklüftet, und nicht ohne
W^eiteres, oft erst nach mikroskopischer Untersuchung excidirter Stückchen lässt sich Car-
cinom ausschliessen (s. Diagnose). — Bei Neugeborenen findet sich manchmal congenital ein
Uebergreifen der Cervixschleimhaut auf die Portio: Erosion der Neugeborenen.
Erosion (beim Erwachsenen), Ovula Nabothi, Schleimhautpolypen sind also Folgezustände
des Cervix-Katarrhs.
Unter den Symptomen sind Fluor und Sterilität die wichtigsten. — Der Fluor kann
rein eitrig bis milcliig oder trübglasig sein; stets ist die Secretion vermehrt. Durch den
starken und anhaltenden Ausfluss werden die Kranken oft nicht unerheblich geschwächt;
Abmagerung, Nervosität, Schmerzen im Becken und Kreuz gesellen sich dazu; Ovula Na-
bothi machen durch die Gewebsspannung oft besonders unangenehme Schmerzen; Polypen
können zu unregelmässigen, manchmal nicht unbeträchtlichen Blutungen führen. Das wichtigste
Symptom ist die Sterilität, die bei höheren Graden des Leidens wohl nie fehlt und die es
gelegentlich allein ist, welche die Kranken zum Arzte führt.
Die Diagnose ist im allgemeinen leicht; nur kann es gelegentlich schwierig sein,
ein wirkliches Ulcus und ein beginnendes Carcinom von der Erosion zu unterscheiden. Die
mikroskopische Untersuchung ausgeschnittener Stückchen, besonders vom Rande, wird die
Diagnose sichern: beim Ulcus Verlust des Oberflächen-Epithels, Blossliegen des entzündeten
Bindegewebes ; bei der Erosion oberflächliches Cylinder-Epithei auf den Portio-Lippen, Ver-
mehrung der Drüsen, welche stets ihr Lumen noch besitzen ; beim Carcinom solide Epithel-
haufen, entweder vom oberflächlichen Platten-Epithel oder von den Drüsen ausgehend
(vgl. ,, Carcinom der Portio'').
Therapie: Cervix-Risse werden operativ beseitigt: Emwet's Operation-
Man frischt die Rissflächen beiderseits vorn und hinten mit dem Messer an und näht sie
mit tiefgreifenden Nähten auf einander. Catgut hat den Vortheil, dass die Nähte nicht
beseitigt werden müssen; allerdings sieht die Portio 8-10 Tage nach der Operation oft
recht zerklüftet aus, wenn die Catgutfäden eingeschnürt haben oder einzelne Stichcanäle
ENDOMETRITIS. 219
eitern ; aber nach einigen Wochen hat die Portio regelmässig ein tadelloses Aussehen. Seiden-
nähte entfernt man am 6. Tage.
Grössere Polypen werden abgetragen; man kann nach Freilegnng der Portio mit
Speculis den Stiel entweder ohne Weiteres unterbinden, oder dies so machen, dass man
eine Nadel mit doppeltem Faden diirchsticht und dann nach boidcn Seiten hin unterbindet.
Kleinere Polypen kratzt man mit der Curette ab oder schneidet sie mit der Scheere weg;
die Blutung steht nach Einlegen von Jodoformgaze.
Sind keine oder nur seichte Risse vorhanden, so muss die entzündete Schleim-
haut selbst behandelt werden. Dies kann in folgender Weise geschehen:
I. Durch Scarißcationcn der Portio. Man stichelt sie mit einem geeigneten Messer
(Scarificator) nach Blosslegung im Speculum und sorgfältiger Reinij^ung mit in Carbol ge-
tränkter Watte) oberflächlich 30— 4Umal, bis etwa Va— 1 Esslöffel Blut ausgeflossen ist;
Ovula Nabothi sticht man gleichzeitig auf. Durch diese Blutentziehung und die Entleerung
der Retentions-Cysten wird die Spannung vermindert und durch die nachfolgende Bildung
zahlreicher feiner Narben die Hyperämie dauernd gemässigt; mit Vortheil bringt man nach
der Entfernung des Blutes Holzessig auf die Ei'osion (s. u.); die Stichelung kann je nach
einigen Tagen •mehrfach wiederholt werden;
II. durch Aetzmittel. Es ist unrichtig, wenn auch häufig geübt, bei Cervix-Katarrh
nur die vorhandene Erosion zu ätzen. Man inuss vielmehr die Cervix-Schleimhaut mit
2<'/(, Argentum nitricum, Salpetersäure, 40''/o Chlorzink o. Ae. (mittelst PLAYFAin'scher Sonden,
die mit Watte umwickelt und in das Aetzmittel eingetaucht sind) ätzen und kann daran
anschliessend die Erosion im Speculum mit Holzessig (Acet. pyrolign. crud.) behandeln. Man
mache es sich aber zum Grundsatz, nie die Erosion allein, sondern stets und vor Allem
den ursächlichen Cervix-Katarrh zu behandeln. Bei Stenose des Cervix ist Dilatation un-
bedingt nöthig, sie wird am besten brüsk mit Kupfer- oder Hartgummi-Dilatatorien von
zunehmender Dicke {1—1 mm) ausgeführt; Vulva, Scheide und Portio müssen vorher gründ-
lich mit Seife und Carbol gereinigt werden; Narcose ist oft wegen der Schmerzen nö-
thig. Bei sehr hartnäckigen Katarrhen und Erosionen hat man auch die Glühhitze
(Paquelin) angewendet. Statt derselben empfiehlt sich aber wohl mehr
III. das Ausschaben der Cervix-Schleimhaut mit der Curette (s. Endometritis corporis)
oder
IV. die opeixitii-e Abtragung der entzündeten, erodirten Lippen, keilförmige E x-
cision; man trägt sie mit dem Messer in flachem Keil ab und näht jede Lippe für sich
so, dass sie nun mit Platten-Epithel bedeckt ist.
Am einfachsten stellt sich die Therapie so: Risse werden nach Ejimet
genäht; die Cervix-Schleimhaut ätzt man in leichten Fällen mit 2^/0
Argent. nitr. und behandelt die Eros ionen mit Holzessig; in schweren
und hartnäckigen Fällen excidirt man die erodirten Lippen und schabt
die Cervix-Schleimhaut mit der Curette ab.
In der Mehrzahl der Fälle besteht jedoch neben dem Cervix-Katarrh auch Endome-
tritis des Uterus-Körpers ; dann verbindet man die Behandlung beider, und bei der Therapie
des Körper-Katarrhs geschieht dies bis zu einem gewissen Grade ohnedies, da Spülflüssig-
keiten, Aetzmittel u. s. w. auch über die Cervix-Schleimhaut abfliessen.
Die chronische Endometritis des Uterus-Körpers kommt sehr
selten ohne gleichzeitigen Cervix-Katarrh vor; wie bei diesem handelt es sich
auch beim Katarrh der Körperschleimhaut um eine pathologische Schwellung,
welche später zur Schrumpfung führen kann. Wie die Schwellung während
der Menses, so ist die Schrumpfung im Alter ein physiologischer Vorgang,
Beide Processe sind also nur dann pathologisch, wenn sie zu einer ausserge-
wöhnlichen Zeit und in aussergewöhnlichem Grade auftreten.
Die n 0 r m a 1 e U t e r u s - S c h 1 e i m h a u t trägt flimmerndes, cylindrisches
Oberflächen-Epithel; die Drüsen sind schlauchförmig, einzelne zweigetheilt;
sie verlaufen unter leichten wellenförmigen Biegungen im allgemeinen senk-
recht zur Oberfläche. Der Drüsen-Fundus ist leicht erweitert: das Drüsen-
Epithel ist cylindrisch. — Das dazwischen liegende Bindegewebe besteht aus
einem dichten Netz von Rundzellen, welche durch ihre protoplasmatischen
Ausläufer unter einander zusammenhängen. Wegen des Reichthums an runden
bis ovalen Kernen sieht man aber das Fasergerüst nur undeutlich; das Binde-
gewebe bietet so vollständig den Eindruck jungen Granulationsgewebes, dem
es auch in Bezug auf sein rasches Wachsthum, sein Vermögen, sich schnell
wieder zu ersetzen u. s. w. ähnelt. Im Bindegewebe verlaufen die Blutgefässe
und die zahlreichen Lymph spalten. Man glaubt auch glatte ^luskelfasern
darin gesehen zu haben, welche gegen die Drüsen hinziehen und bei deren
220 ENDOMETEITIS.
Entleerung mitwirken sollen. In der Schwangerschaft vergrössert sich der
Protoplasmamantel der Bindegewebszellen, sie erhalten dadurch ein epithel-
älmliches Aussehen; man nennt sie Decidua- Zellen, da sie hauptsächlich
(aber nicht ausschliesslich) in der Schwangerschafts-Decidua vorkommen.
Die Grenze zwischen Schleimhaut und Muskulatur des Uterus verläuft
nicht geradlinig, sondern in einer Wellenlinie; wenn also auch der grösste
Theil der Schleimhaut abgestossen oder künstlich abgeschabt wurde, bleibt in
den Wellenthälern immer noch ein Best, von dem aus sich die Schleimhaut
leicht und rasch — bei Endometritis oft nur zu rasch — wieder bildet.
An der entzündlichen Veränderung nehmen sowohl die Drüsen als das
dazwischen liegende Bindegewebe der Schleimhaut theil. Ist hauptsächlich
das Bindegewebe vermehrt, stark kleinzellig infiltrirt, so dass die Drüsen an
Menge relativ zurücktreten, so spricht man von interstitieller Endometritis.
Sind aber besonders die Drüsen vermehrt und verlängert, wobei sie sich in
Folge des Raummangels schlängeln, mehrfach theilen und so auf dem Durch-
schnitte korkzieher- oder sägeförmige Lumina bieten, so spricht man von
glandulärer Endometritis. Häufig sind einzelne Drüsen dabei durch Secret-
Stauung cystisch erweitert. Das Bindegewebe ist zwar auch infiltrirt, tritt
aber an Menge relativ gegen die Drüsen zurück. Ist die Wucherung des
Bindegewebes und der Drüsen ungefähr gleich stark, so spricht man von
diffuser Endometritis. Das Oberflächen-Epithel wird oft stellenweise
abgestossen; das Bindegewebe kann wie bei der Menstruation durchblutet sein,
das Blut bricht in die Drüsen ein und wird theils von hier aus, theils durch
die des Epithels beraubten Stellen der Oberfläche nach aussen entleert. Die
ganze Schleimhaut pflegt stark serös durchtränkt zu sein.
Ist die Wucherung der Schleimhaut eine beträchtliche, so kann auch
ihre Oberfläche gewulstet, flachhöckerig sein: Endometritis fungosa (Olshausen),
E. glandularis liypertrophica (PtUGE). In manchen Fällen kommt es zur Bildung
massenhafter, breitgestielter, polypöser Wucherungen: E. polyposa. Werden
durch das entzündete Bindegewebe einzelne Drüsen-Ausführungsgänge abge-
schnürt, so kann das Secret nicht mehr entleert werden, es entstehen Eeten-
tions- Cystchen; diese wachsen nach der Richtung des geringsten Widerstandes
hin, also gegen die Uterus-Höhle, können Schleimhautstiele bilden und durch
die Contractionen des Uterus noch länger ausgezogen, ja bis in Cervix und
Scheide geboren werden: Schleimhautpolypen.
Nicht allzu selten finden sich in der entzündeten Schleimhaut Inseln
von Decidua-Zellen, ohne dass Schwangerschaft besteht oder unmittelbar
vorher bestanden hat. Decidua-Zellen allein sind also nicht kenn-
zeichnend für Schwangerschaft. Ist aber das Zwischengewebe Inder
Hauptsache aus blassen, in Nekrose begriffenen Deciduazellen zusammengesetzt,
zwischen welchen allerdings mehr oder weniger reichlich frisch wuchernde,
durch Kernfarben intensiv färbbare Rundzellen eingestreut sind, und sind
ferner die sonst cylindrischen Drüsen-Epithelien polygonal, cubisch bis platt,
so kann man mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit annehmen,
dass man wirkliche Decidua vor sich hat, mit anderen Worten, dass Schwanger-
schaft besteht oder bestanden hatte. Nach Aborten ist dies der regelmässige
Befund an ausgeschabten oder spontan ausgestossenen Stücken der Schleim-
haut. Die Decidua ist nach ungefähr 6 Wochen wdeder zur normalen Schleim-
haut zurückgebildet; oft bleibt aber nach Aborten die Rückbildung unvoll-
ständig und es treten Blutungen auf (Endometritis post ab ort um), die
jedoch durch Ausschabung der Schleimhaut meist sofort gestillt werden können.
Winter hat gezeigt, dass es genügt, nur die halbgelösten, flottirenden Decidua-
Fetzen abzutragen, ohne dass man die ganze Schleimhaut auszuschaben
braucht.
ENDOMETRITIS. 221
Ein besonderes Interesse gewährt jener Vorgang, bei dem die ganze
Uterus-Schleimhaut oder ihr grösster Theil ausgestosscn wird, ohne dass
Schwangerschaft die Ursache wäre: Endometritis exfoliativa, Jjysmenorrhoea
memhranacea. Physiologisch wird ja die Uecidua nach der Geburt zum grössten
Theile ausgestossen und zwar sowohl nach der rechtzeitigen Geburt, als nach
Aborten und bei der Unterbrechung von Extrauterin-Schwangerschaften; es
muss hier eingefügt werden, dass auch bei den letzteren sich die Uterus-
Schleimhaut, obwohl ja nicht unmittelbar an der Gravidität betheiligt, zur
Decidua umwandelt. Diagnostisch ist dies ganz besonders wichtig, wenn
Tumoren der Tube vorhanden sind, welche als Schwangerschaft gedeutet
werden können. Ja der Abgang einer Uterus-Decidua nach '6 — 4-monatlicher
Menopause ist beim Fehlen einer uterinen Gravidität geradezu kennzeichnend
für unterbrochene Tubenschwangerschaft, welche so häufig in dieser Zeit durch
Ruptur oder tubaren Abort endet. — Auch bei der Endometritis exfoliativa hat
man Aborte als Ursache angeschuldigt; jedoch bestehen Vjei diesem Leiden die
ausgestossenen Membranen nur aus der entzündeten Uterus-Mucosa, die zwar
Inseln von Decidua-Zellen besitzen kann, aber nicht wie bei Tuben-Schwanger-
schaft ganz in Decidua umgewandelt ist. Makroskopisch ist der Unterschied
allerdings nicht sicher erkennbar; die Membranen stellen oft die ganze Uterus-
Schleimhaut dar, sind dreizipflige Säcke mit den Tuben-Oeffnungen und dem
Orificium intern um; die Aussenseite ist rauh, die Innenseite im allgemeinen
glatt, aber beetartig gefurcht, und man erkennt an ihr die Drüsenmündungen
als feinste Oeffnungen.
Mit der Endometritis exfoliativa ist früher ein anderer Process ver-
wechselt worden: Die Ausstossung von Fibringerinnseln; sie können
allerdings in der Form genaue Abgüsse der Uterus-Höhle darstellen; aber
mikroskopisch findet man nichts, als ein dichtes Netz von Fibrinfasern, welchem
reichlich weisse, spärlicher rothe Blutzellen beigemengt sind.
Die Schrumpfung der Uterus-Schleimhaut ist im Alter physiologisch,
kann aber nach einer starken Entzündung pathologisch schon in früheren
Jahren zu Stande kommen. Das Oberflächen- und Drüsen-Epithel wird poly-
gonal, nekrotisirt, geht zu Grunde, an Stelle der Drüsen sieht man epithel-
freie Lücken; das Bindegewebe wird kernarm, die Rundzellen verwandeln sich
in Spindelzellen, die Schleimhaut wird dünner, derb, sie wandelt sich in
Narbengewebe um: E. atrophicans, E. senilis.
In seltenen Fällen hat man bei Endometritis eine Umwandlung des cylin-
drischen Oberflächen-Epithels in geschichtetes Pflaster-Epithel beobachtet und
diesen Process als Ichthyosis uteri nicht gerade glücklich bezeichnet. Er ist
weniger von praktischer, als ganz besonders von histologischer Bedeutung; er
bildet ein wichtiges Glied in der Kette jener Epithelveränderungen, welche
auch an den weiblichen Genitalien in den verschiedensten Arten vorkommen.
Wie das Pflasterepithel der Portio in Cylinder-Epithel, so kann sich das
Cylinder-Epithel des Corpus umgekehrt in Pflaster-Epithel, oder das Cylinder-
Epithel der Corpus-Drüsen in kubisches bis plattes Epithel umwandeln, das
sich dann in nichts von Endothel der umgebenden Lymphspalten unterscheidet.
Nur unter normalen Verhältnissen haben also bestimmte Organe auch ein be-
stimmtes Epithel. Unter gewissen physiologischen (Schwangerschaft) und
pathologischen Verhältnissen kann sich jedes Epithel in jede andere Form
umwandeln. Alle Epithel-Arten sind unter sich nahe verwandt, ja man kann
daraus ein Gesetz von der Einheit des Epithels ableiten.
Die wichtigsten Symptome der Endometritis corporis chronica sind
Ausfluss, Blutungen, Sterilität, in geringerem Grade die Schmerzen. Der
Ausfluss ist serös, blutig-serös, schleimig bis eitrig, stets vermehrt; eine
massige Secretion der Uterus-Schleimhaut ist ja auch normal vorhanden. Die
Blutungen treten theils als verstärkte, verlängerte, unregelmässige Menses
222 ENDOMETRITIS.
auf: Menorrhagien, theils intermenstruell: Metrorrhagien. Der regel-
mässige 4-wöchentliche Typus wird verwischt, die Frauen bluten einige Tage,
sind einige Tage oder Wochen frei, um wieder von neuem zu bluten u. s. w.
Durch AusÜuss und Blutungen werden die Kranken geschwächt, sie magern
ab und können recht herunterkommen. Stärkere Grade der Endometritis
führen regelmässig zur Sterilität. Die Schmerzen können theils bei
Eintritt und während der Menses, theils in der Zwischenzeit auftreten; sie
beschränken sich entweder auf die Uterus-Gegend oder strahlen gegen Nabel
und Oberschenkel aus; fast regelmässig bestehen Kreuzschmerzen, die recht
quälend werden können. Die Schleimhaut ist bei Sondirung meist empfindlich.
Von allgemeinen Symptomen treten Appetitmangel, selten Erbrechen, oft
Mattigkeit, Kopfschmerz, psychische Depression hinzu.
Für die Diagnose ist die Kenntnis der Symptome und des klinischen
Verlaufs nicht stets zu entbehren: unregelmässige Blutungen, Ausfluss, lang-
same Entwicklung des Leidens, oft im Anschluss an eine acute „Unterleibs-
entzündung" oder an ein Wochenbett, lange Dauer des Leidens. Immerhin
muss man sich daran erinnern, dass alle diese Symptome bei einer grossen
Zahl anderer Krankheiten ebenfalls auftreten können, so bei Tumoren des.
Uterus und seiner Anhänge, bei Entzündung der letzteren, bei Exsudaten im
kleinen Becken u. s. w. Durch bimanuelle und durch Untersuchung mit dem
Speculum muss man alle diese Zustände ausschliessen können. Beim Sondiren
ist die Empfindlichkeit und das leicht eintretende Bluten des Endometrium
kennzeichnend. Wucherungen der Schleimhaut fühlt man nur selten mit der
Sonde, da sie zu weich sind. Zur Untersuchung des Secrets hat Schultze
das Einlegen von Probetampons empfohlen, die mit Glycerin und Tannin
ää getränkt werden, vor den äusseren Muttermund zu liegen kommen und
das Secret während 24 Stunden auffangen. Sehr wichtig kann das probeweise
Ausschaben von Schleimhautstückchen behufs mikroskopischer Untersuchung
sein.
Quoad vitam ist die Prognose fast stets günstig, wenn auch die Mög-
lichkeit nicht auszuschliessen ist, dass sich auf dem Boden einer Endometritis
maligne Erkrankungen (Adenom, Sarkom, Carcinom) entwickeln können. Quoad
valetudinem ist die Prognose aber recht ungünstig, da der chronische Uterus-
Katarrh meist nur nach langer Dauer, oft erst im Alter spontan heilt, den
Frauen ganz erhebliche Beschwerden machen und sie körperlich und psychisch
hochgradig schädigen kann. Eine Frau mit chronischer Endometritis bietet
oft so recht das Bild der immer Leidenden, welche kaum je zu frohem Lebens-
genüsse kommt.
Drei Dinge haben sich in der Behandlung der chronischen Endome-
tritis vor Allem bewährt: Ausspülungen, Aetzungen und Ausschaben der Schleim-
haut. Bei leichteren Graden wird man es zunächst mit Ausspülungen ver-
suchen; die Scheide wird mit 3% Carbol gereinigt, die Portio (mit oder ohne
Freilegung im Platten-Speculum) mit MuzEux'scher oder Kugelzange angehakt
und die Uterus-Höhle mittelst des BozEMAX-FRiTScn'schen Katheters mit o^/o
Carbol ausgespült. Bei Cervix-Stenose dilatirt man vorher brüsk oder mit
Laminaria oder Tupelo. Die Ausspülungen wiederholt man alle 2 — 3 Tage,
im ganzen etwa 10 — 12mal. Kurz vor den zu erwartenden Menses, wäh-
rend und 2—3 Tage nach denselben setzt man mit den Spülungen aus.
Genügt dieses Verfahren nicht, so injicirt man mittelst der BRAUN'schen
Spritze jedesmal 2 ccm reiner Jodtinctur oder 10"/o Carbol-Lösung nach Hof-
meier (Acid. carbol. liquef. 10-0, Alkoh. absol. 40*0, Aq. dest. öO'O). — Der
früher vielgebrauchte Liquor ferri sesquichlor. hat den Nachtheil, Gerinnsel
zu bilden, die sich später sehr leicht zersetzen. Das souveräne Verfahren in
der Behandlung hartnäckiger oder heftiger chronischer Endometritis ist aber
ENDOMETRITIS. 223
heute das Ausschaben der Uterus-Schleimli au t, das Curette-
m e n t. "^')
Das Wort „Cui-ettoment" scheint eine deutsche Erfindung zu sein; die Franzosen
sagen curage und curettage, von eurer = reinigen, säubern, ausräumen; la curette = das
Schabeisen. Die Curette kann als langgestielte Stahlschleife mit nicht zu scharfen Rändern,
oder als kleiner scharfer Löffel, oder als dünnes walzenförmiges Instrument mit löft'elartigen
Aushöhlungen angewendet werden.
Zur Behandlung von Uterus-Blutungen wurde die Curette zum erstcnmale 1846 von
Robert, einem Schüler Ri';camier's empfohlen. Sie gewann mehr Gegner als Freunde; zu
letzteren gehörten ausser Ri5;camier auch Simpson und Tilt, später Marion Sims. In B'rank-
reich bürgerte sie sich nicht ein, auch in Deutschland half selbst die Empfehlung IIegar's
und Kaltenbach's (1872) nicht. Zur allgemeinen Verwendung kam sie bei uns erst nach
Olshausen's eingehender Veröffentlichung (1875).
Die Indicationen der Ausschabung sind kurz zu fassen: chronische
Endometritis, welche durch intrauterine desinficirende Spülungen und Aetzun-
gen nicht zur Heilung kam, oder die sich durch starke Blutungen auszeichnet.
Contra indicationen sind: acute Entzündungen des Uterus und seiner
Anhänge. Tumoren des Uterus und der Anhänge sind nicht stets Gegen-
anzeigen; so kann man bei interstitiellen Myomen wohl die Ausschabung ver-
suchen — man wird allerdings nicht stets viel damit erreichen. Bei inope-
rablen malignen Uterus-Tumoren kann die Curette zur Verringerung der Blu-
tungen u. s. w. sogar gute Dienste thun. Dann handelt es sich aber nur in
letzter Reihe um die oft gleichzeitig bestehende chronische Endometritis.
Die Gefahren der Uterus-Spülung und der Ausschabung bestehen 1. in
der Infection, 2. in der Durchbohrung des Uterus ; Todesfälle durch Infection mit Curetten.
sind früher mehrfach vorgekommen, sowie auch ein Fall bekannt ist, in dem der weiche
Uterus mit dem Katheter durchbohrt und die Spülflüssigkeit in die Bauchhöhle gegossen
wurde; die Frau starb. Man niuss also einerseits vorher die Grösse und den Verlauf der
Uterus-Höhle durch Abtasten der Gebärniutter thunlichst genau feststellen, andrerseits
Vulva, Scheide und Portio gründlich mit Seife und Carbol reinigen, sowie nur frisch aus-
gekochte oder sonst desinficirte Instrumente benützen. Zweifel glüht die Curette vor dem
Gebrauch aus.
Die Technik der Operation ist sehr einfach: Desinfection, Anhaken der Portio
mit oder ohne Bloslegung durch Platten-Specula, Ausspülen des Uterus, Abschaben der
Schleimhaut in langen Zügen von oben nach unten, wobei man Sorge trägt, dass durch
systematisches Schaben auch jede Wandstelle und die Tuben-Ecken getroffen werden; ist
man auf die Muskulatur gelangt, so fühlt man harten, rauhen Widerstand, ja man kann
das schabende Geräusch sogar hören — ein Zeichen, dass die Schleimhaut hier wirklich
entfernt ist und dass die Muskulatur nicht flach, sondern mit den oben erwähnten Uneben-
heiten („Wellenberge und -Thäler^) an die Schleimhaut grenzt. Nun folgt abermahges Aus-
spülen des Uterus und Injection einer Spritze Jod-Tinctur oder lO^'/g Carbolsäure. Den
Rest der Injectionsflüssigkeit muss man abfliessen lassen oder durch kurzes Einführen des
Katheters zum Abfliessen bringen. Immerhin ist ein Eintritt von Flüssigkeit in die Tuben
und von hier aus in die Bauchhöhle überaus selten und kommt nur bei zu hohem Druck
oder zu rascher Injection vor. Narcose ist nöthig, wenn man vorher durch Sondirung
eine übermässige Empfindlichkeit der Schleimhaut festgestellt hat. — Die Kranke muss dann
2 — 3 Tage im Bett bleiben; einige Operateure machen allerdings den Eingriff auch ambu-
latorisch. Nach der Ausschabung macht man in 2-tägigen Pausen 7 — 10 Uterus-Spülungen
mit oder ohne nachfolgende Injection des Aetzmittels, je nach der Schwere des Leidens.
Der Erfolg des Curettirens ist oft ein glänzender; alle Symptome
des Leidens hören auf, die Kranken erholen sich in kurzer Zeit; in zahlreichen
Fällen ist rasch darnach Schwangerschaft eingetreten, die mit normaler Geburt
endete. So theilte Heinricius mit, dass von 9 verheirateten Kranken unter
40 Jahren nach der Ausschabung 6 concipirten. Allerdings ist die Wirkung
nicht stets eine so gute; in manchen Fällen muss man später den Eingriff
einmal, ja sogar mehreremale wiederholen. Das legt aber immer den "Ge-
danken an eine maligne Erkrankung nahe und mau soll deshalb die ausge-
schabten Massen stets mikroskopisch untersuchen. Nun ist zweifellos
nicht jeder praktische Arzt in der Lage, diese Untersuchung selbst vorzuneh-
men. Es ist aber dringend rathsam, dass er sie dann von anderer Seite vor-
*) Vergl. auch „Curettement" (Dührssen), pag. 175 ds. Bd.
224 ENDOMETRITIS.
nehmen lasse. Man kann dadurch feststellen, ob es sich um Abort, Entzün-
dung oder Neubildung handelt.
Bei Endometritis exfoliativa {Dijsmenorrhoea memhrcmacea) wird natüi'lich,
da sie nur eine besondere Form der chronischen Endometritis zu sein scheint,
gleichfalls curettirt werden; die Erfolge sind leider sehr oft nur vorübergehende
oder gar negative. — Uterus-Polypen kann man nach Dilatation des Cervix
durch digitales Abtasten diagnosticiren, falls sie nicht schon in Cervix oder
Vagina ragen. Man schabt kleinere mit der Curette ab, grössere schneidet
man nach etwaiger seitlicher Incision des Cervix ab und tamponirt Uterus-
oder Cervix-Höhle mit Jodoformgaze; die seitlichen Incisionen vernäht man
gleich wieder.
In der letzten Zeit sind zur internenBehandlung der chronischen
Endometritis die Präparate der Hydrastis Ccmadensis empfohlen w'orden. -
Hydrastis Canadensis ist eine Ranunculacee ; in diese Ordnung gehören n. A. auch
die Gattungen Aconitum = Eisenhut und Helleborus = Nieswurz. Gebräuchlich sind das Ex-
tractum Hydrastis fluidum von dem man täglich 3mal 40 Tropfen oder 1 — 2 Theelöffel voll
längere Zeit hindurch nehmen lässt, und das sehr theure Hyd)-astininnm JiydrocJdoricum,
ein gelbes Pulver, von dem man täglich 0*05— O'l am besten in Gelatine-Perlen verordnet.
Das flüssige Extract wird wegen seines unangenehm bitteren Geschmacks nicht stets ver-
tragen und oft bald zurückgewiesen; das Hydrastinin kann man überhaupt nur in der
Praxis aurea verschreiben: 0-1 kostet 60 Pfennige, man braucht also im Laufe eines Monats
für etwa 15 Mark von diesem Mittel,
Der Erfolg der Hydrastis ist überdies weder sicher noch über jeden
Zweifel erhaben. Am besten soll sie bei jungen Nulliparen wirken.
Im Vorstehenden ist in den Hauptzügen das Verfahren geschildert, wie es unter
Hofmeier in der Würzburger Frauenklinik üblich ist; auch die Mehrzahl der deutschen
Gynäkologen benützt Methoden, die nur in einzelnem davon abweichen. Als Aetzmittel
werden Liqu. ferri sesqu., Lösungen von Alaun, Tannin, Plumbum aceticum, Chlorzink
benützt; oder man nimmt die Aetzmittel in der Form von üterinstiften und -Salben, so
besonders Ferr. sesqu., Cupr. sulf., Zinc. osyd. alb. und Tannin, oder man bringt die Lösung
nicht mit der Spritze, sondern mittelst PtAYFAm'schen Sonden, die mit Watte umwickelt
sind, in den Uterus. Besonders erwähnt werden muss noch das wirksame Verfahren von
Fritsch, welcher die Uterus-Höhle mit schmalen Jodoformgaze-Streifen ausstopft; Weinhold
hat dazu einen sehr einfachen und praktischen Stopfer aus Messingdraht angegeben.
Die Elektrotherapie bei Endometritis""") hat sich weder bei den Gy-
näkologen noch in der allgemeinen Praxis in grösserem Maasse eingebürgert.
Das kann nicht an den Misserfolgen liegen, denn gerade bei Endometritis ist
sie zweifellos wirksam, vielleicht mehr als bei Myomen. Ursache scheint eher
die Umständlichkeit des Verfahrens und der sehr hohe Preis der Apparate
zu sein.
Bei Blutungen wird mittelst elektrischer Sonde der positive Pol, bei
Leukorrhoeen der negative Pol intrauterin verwendet. Man galvanisirt in fri-
schen Fällen 3 — 5 mal, in veralteten 20 — 30 mal und zwar alle paar Tage
5 — 10 Minuten lang bei einer bis zu 200 Milli- Amperes ansteigenden
Stromstärke.
' Im Nachfolgenden seien noch einige specielle Formen der Endo-
metritis besprochen.
Die tuberculöse Endometritis ist sehr selten und in der über-
wiegenden Mehrzahl der Fälle secundär nach primärer Tulierculose anderer
Organe, ^ vor Allem der Lungen, Nieren, Blase, Vulva, des Peritoneum, der
Tube. (Vergl, Artikel ,,Tuberculose der iveihlichen Sexualorgane.^^)
Die Endometritis post abortum verdient wegen ihres häufigen
Vorkommens und der praktischen Bedeutung eine gesonderte Besprechung,
wenngleich sie ätiologisch kein einheitliches Krankheitsbild darstellt.
*) Vergl. auch j^GynaekoeleJctrotherctine'^ ds. Bd.
ENDOMETRITIS. 225
Die Endometritis post abortum kann verursacht sein:
a) Durch eine chronische Endometritis, die schon vorher bestand; dann war die
Endometritis post abortum zuerst auch eine Endometritis ante abortum und die Ursache
des Aborts. — Bei geringeren Graden der chronischen Endometritis kann Schwangerscliaft
eintreten; die Endometritis äussert sich dann oft durch unregelmässige Blutungen während
der Schwangerschaft. Die Geburt kann rechtzeitig eintreten, und man findet in der Placenta
weisse Infarcte (so besonders bei gleichzeitiger Nephritis). Bei ausgedehnter Infarct-Bildung
kann der Fötus schlecht entwickelt, aber lebend geboren werden ; bei noch höheren Graden
der Endometritis kann er, da sein Ernährungsorgan nicht hinreichend für Blut durchgängig
ist, intrauterin absterben und macerirt geboren werden. Die chronische Endometritis kann
man nach Ablauf des Wochenbettes behandeln. Häutig genug kommt es aber zum
Abort; ai'is der chronischen Endometritis hatte sich eine Endometritis deciduae entwickelt,
welche der Schwangerschaft ein vorzeitiges Ende machte, vielleicht auch den Fötus zu frühem
Absterben nnd zur Resorption brachte, so dass unter Durchblutung des Eies eine Fleisch-
mole entstand. Enden mehrere Schwangerschaften nach einander mit Aljort, so spricht
man von habituellem Abort.
Auch hier wird man die Endometritis nach Ablauf des Wochenl^ettes behandeln,
wenn nicht eine Veranlassung eintritt, schon gleich nach Ausstossung des Eies einzu-
greifen (s. u.).
h) In anderen Fällen handelt es sich um eine septische Infection während des Aborts
oder nach demselben durch ungeeignete therapeutische Eingriffe oder — und das ist mit
einer beldagenswerthen Häufigkeit die Ursache — durch criminelle Einleitung des Aborts.
Die septische Endometritis ist natürlich wie nach einer rechtzeitigen Geburt zu behandeln:
gründliche Desinfection der Uterushöhle mit 5% Carbol, Eisblase, Wein etc. Sehr oft sind
noch Ei-Reste im Uterus, und diese waren das erste Object der Infection. Man wird daran
denken müssen, wenn der Cervix nach Ausstossung des Eies sich nicht schliesst, der Uterus
sich nicht genügend involvirt und die Blutungen andauern. Es ist dann nöthig, die Uterus-
höhle mit dem Finger abzutasten und solche Massen sofort digital auszuräumen. Nur im
Nothfalle wird man dazu die Curette nehmen (s. unter c), weil man mit derselben neue
Wunden schafft, welche der Infection Vorschub leisten.
c) Nicht als Endometritis sind jene Blutungen post abortum zu bezeichnen, welche
durch das Zurückbleiben von nicht inficirten Eiresten und halbgelösten Decidua-Fetzen be-
dingt sind. Dieses Ereignis ist nach Aborten ausserordentlich häufig. Man stützt die
Diagnose darauf, dass der Cervix nach Ausstossung des Eies sich nicht schliesst, der Uterus
gross und weich bleibt und die Blutungen andauern.
Handelt es sich um Abort in den ersten 2—3 Monaten, so ist der Cervix nicht
stets weit genug, um den Finger durchzulassen; manchmal kann man ihn mit sanfter
Gewalt durchbringen und räumt dann digital aus. Gelingt dies nicht, so verfährt man
folgendermaassen : Gründliches Abseifen und Carbolwaschung der Vulva und Scheide;
Uterus-Spülung mit dem Katheter (3% Carbol); Anhaken der Portio mit Muzeux oder
Kugelzange; Curettiren, abermalige Uterus-Spülung. Ist der Eingriff sehr schmerzhaft, so
narcotisirt man. Besser ist es, wenn irgend möglich, die Ausräumung mit dem Finger vor-
zunehmen. Die Vorbereitungen sind die gleichen. Das Einführen des Fingers erleichtert man
sich durch Anhaken und Tiefziehen der Portio, durch Gegenarbeiten mit der äusseren Hand
(dann muss ein Assistent oder eine Hebamme die Zange halten und damit die Portio nach
unten ziehen) ; die äussere Hand umfasst den Uterus von den Bauchdecken aus und stülpt
ihn wie einen Handschuh über den Finger; endlich bewirkt man durch Narcose ein Entspannen
der Bauchdecken. Der Finger macht geringere Verletzungen als die Curette und man kann
sich mit ihm auf das Abschälen und Herausbringen von Placentar-Resten, sowie jener
Decidua-Fetzen beschränken, welche losgelöst sind; bestand nicht schon vorher chronische
Endometritis, so kann man nach Winter die noch festsitzende Decidua ruhig im Uterus
lassen; sie bildet sich an Ort und Stelle zu.r normalen Schleimhaut zurück. Nur wenn
vorher chronische Endometritis bestand (s. o), wird man die ganze Schleimhaut ausschaben.
Zu hüten hat man sich vor Infectionen (peinliche A- und Antisepsis !) und Durch-
bohrung des weichen Uterus mit Katheter oder Curette.
Die Endometritis bei acuten Inf ectionskrankheiten und nach
Vergiftungen (Phosphor) bedarf keiner weiteren Besprechung, da nur das
primäre Leiden zu behandeln ist.
Sind Fremdkörper (Intrauterin-Pessare, abgebrochene Stücke von
Körpern, die zur Einleitung crimineller Aborte iDenützt wurden oder die bei
Unglücksfällen hineingelangten) die Ursache einer Entzündung, so entfernt
man sie natürlich und macht desinficirende Ausspülungen.
Krankhafte Hyperämie der Uterusschleimhaut führt sehr häufig zu Blutungen
(Menorrhagien, Metrorrhagien). Selbstredend versucht man, die Ursache zu entfernen,
d. h. das primäre Leiden zu behandeln ; man wird also den Herzfehler, das Lungen-, Leber-
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. J-«^
226 ENTBINDUNG.
oder Nierenleiden, die Chlorose, die Entzündungen der Uterus-Anhänge, die Tumoren der-
selben und des Uterus, dessen pathologische Lagen n. s. w. behandeln. Es wäre geradezu
ein Fehler, bei Uterus-Blutungen die Schleimhaut auszuschaben, wenn ein primäres Herz-
leiden, Exsudate im kleinen Becken u. s. w. die Ursache sind.
GUSTAV KLEIN.
Entbindung (Mechanismus partus). „Bei einem jeden Geburtsgescliäfte,"
sagt KiLiAX, „und namentlich bei einem solchen, welches entweder am vollen
Ende der Uterinschwangerschaft oder wenigstens um diese Zeit auftritt, be-
merkt man einen ofienen Kampf der neuerwachten und eigenthümlichen
Geburtskräfte gegen einen sich ihnen in den Weg stellenden Widerstand,
und die Möglichkeit der Vollendung des Geburtsactes ist nur dann gegeben,
wenn sich die treibenden Kräfte richtig zu einander stellen, d. h. wenn die
austreibenden Kräfte ein gewisses Uebergewicht über die widerstrebenden ge-
winnen," wodurch die schonende naturgemässe Entbindung der Mutter von
ihrer Frucht, die Geburt des Kindes bewerkstelligt wird.
Der regelmässige Verlauf dieses Vorganges beginnt nicht ohne Ein-
leitung und fasst man die sich hierbei bemerklich machenden, die physiologische
Vorbereitung der Geburtsorgane zu der von ihnen zu verrichtenden ausser-
gewöhnlichen Function begleitenden Erscheinungen unter dem Namen der
Vorboten zusammen, welche bei der einen rascher, bei der anderen langsamer
zu den eigentlichen Geburtsvorgängen hinüberführen. Diese letzteren selbst
sind nicht zu jeder Zeit der Geburt die gleichen und unterscheidet man deshalb
einzelne Perioden der Geburt, in welcher Beziehung verschiedene Eintheilungen
beliebt worden sind. Die gebräuchlichste und jetzt wohl allgemein acceptirte
Eintheilung ist die in eine Eröffnungs- eine Austreibungs- und eine
Nachgeburtsperiode, welch' letztere manche zu der Austreibungsperiode
rechnen.
Die Vorboten, von den Franzosen als travail insensible bezeichnet,
beginnen gewöhnlich vier bis fünf Tage, bei manchen noch viel länger,
bei Mehrgebärenden oft erst wenige Stunden vor dem Eintritt der
ersten, deutlich wahrnehmbaren Geburtswehen, selten fehlen sie ganz. Es sind
vorzugsweise Veränderungen der Genitalien und dann Allgemeinerscheinungen,
welche auf den Eintritt des bevorstehenden wichtigen Actes hinweisen. In
den Genitalien beobachten wir eine verstärkte Blutzufuhr und in Folge davon
eine beträchtliche Auflockerung und Erweichung des unteren Uterinsegmentes,
der Vaginalportion, der Scheide und der äusseren Geschlechtstheile. Der
Scheidenturgor documentirt sich neben einem subjectiv und objectiv wahr-
nehmbaren erhöhten Wärmegefühl durch reichliche Secretion eines dicken, trüb-
eiweissartigen Schleimes, welcher theils der Scheiden-, theils der Cervical-
schleimhaut entstammt. Mehr wässrige Secretion und geringe Wärmeent-
wicklung in der Scheide deutet noch längeres Ausstehen der eigentlichen
Geburtsthätigkeit. Durch den Schleim werden die Theile weicher, aufgelocker-
ter, die Oberfläche glatter. Die Labien und ihre Umgebung turgesciren, werden
mitunter selbst stark ödematös. Das untere Uterinsegment legt sich fester
an den vorliegenden Kindstheil an und wird auffallend gespannt, die Mutter-
mundsränder erweichen und setzen der Einführung eines Fingers keinen wesent-
lichen Widerstand entgegen. Der Fundus des Uterus, welcher schon in den
letzten Wochen der Schwangerschaft etwas mehr nach vorn und unten über-
gesunken war, während das Collum entsprechend nach hinten und oben ge-
treten, wird jetzt fester und elastischer, und fühlt die auf die Bauchdecken
aufgelegte Hand oft deutliche, der Schwangeren aber noch nicht oder nur
wenig, mehr nur als ein Gefühl der Spannung sich bemerklich machende
Contractionen, welche Anfangs noch spärlich auftreten. Durch das Hinauf-
treten des Mutterhalses wird die Scheide verlängert und der Muttermund
ganz nach hinten und oben gezogen, so dass er zu dieser Zeit oft sehr schwer
ENTBINDUNG. 227
ZU erreichen ist, während der vorliegende Kindestheil, meist der Kopf, die
vordere Wand des Mutterhalses, besonders hei Erstgebärenden stärker vor-
wölbt und in das kleine Becken eintritt, oft schon sehr tief. Bei Mehr-
gebärenden findet das Eintreten des Kopfes in das Becken meist erst später
statt.
Es stellen sich nun schliesslich auch mancherlei Allgemeinerschei-
nungen ein, eigenthümliche Aufregung, Angstgefühl, Frösteln, oft mit Hitze
abwechselnd, Pulsbeschleunigung, Kreuzweh, erschwertes Gehen und Stehen,
häufiger Harndrang, auch wohl Tenesmus. Oft wird der Uterus -gegen die
activen Bewegungen des Fötus und auch gegen äussere Palpationen sehr
empfindlich. Alle diese Erscheinungen gehen manchmal wieder vollständig
zurück, um dann erst nach Tagen, selbst Wochen abermals sich einzustellen
und dann erst zur Geburt zu führen. In anderen Fällen sind sie so unmerklich,
dass die Geburt plötzlich ohne Weiteres einzusetzen scheint und ist das Ije-
sonders bei Mehrgebärenden zu beobachten.
Nach und nach nehmen nun die anfänglich so schwachen, unmerklichen
Uteruscontractionen an Intensität zu, werden schmerzhaft und fangen an, auf
die Erweiterung des Muttermundes zu wirken, womit die Eröffnungs-
periode beginnt, die sich an das vorbereitende Stadium eng anschliesst,
nicht durch eine scharfe Grenze von demselben geschieden ist. Die nun ein-
tretenden Vorgänge haben den Zweck, die durch die eben geschilderten Vor-
gänge der letzten Tage hinlänglich vorbereiteten weichen Geburtswege so zu
erweitern, dass von ihrer Seite dem Durchtritt des Gebärmutterinhaltes kein
Hindernis mehr im Wege steht, und erreichen ihr Ende mit der vollständigen
Erweiterung des Muttermundes als des Haupthindernisses für den Austritt der
Frucht aus dem Uterus. Diese Erweiterung des Muttermundes wird durch
die Contractionen der Längsfasern des Uterus erzielt, welche ihrerseits wieder
ein Schmerzgefühl bedingen, das der Intensität der Contractionen und dem
von den Ringfasern des unteren Uterinsegmentes geleisteten Widerstände pro-
portional ist, weshalb auch der Wehenschmerz im Anfang dieser Periode nui'
ein geringer ist, im weiteren Verlaufe aber wesentlich gesteigert wird, manch-
mal so sehr, dass gegen Ende der Eröffnungsperiode die Schmerzen belästi-
gender sind, als während des ganzen sonstigen Geburtsverlaufs. Viele Frauen,
bei welchen besonders die Eröffnung des Muttermundes etwas schwieriger von
statten geht, bezeichnen diese Periode als die schmerzhafteste der ganzen
Geburt. Anfangs werden die Schmerzen mehr nur in der Kreuzgegend
empfunden, nach und nach aber strahlen sie gegen die Schossfuge hin und
dann weiter in die Oberschenkel. Zuerst noch seltener auftretend und von
kürzerer Dauer, kehren sie im weiteren Verlaufe rascher wieder und dauern
an und für sich länger. So wie sie erheblicher werden, greifen sie die Ge-
bärende so sehr an, dass diese eine Stütze suchen, oder sich niederlegen
niuss, nicht mehr gehen oder stehen kann.
War der Cervix in der letzten Zeit der Schwangerschaft, also während
der Vorboten noch nicht ganz verstrichen, wie das bei Mehrgebärenden sehr
oft der Fall ist, so wird er jetzt durch das andrängende Ei erweitert, sein
Canal geht in die Gebärmutterhöhle auf (wie bei Erstgebärenden gewöhnlich
schon am Ende der Schwangerschaft), aber während der Wehen kann man
den inneren Muttermund einige Zeit noch als markanten Ring fühlen. Ist
er vollständig auseinandergezogen, so fühlt man während der Wehen eine
deutliche Spannung des äusseren Muttermundes, derselbe wird bei Erstgebären-
den immer dünner, sein Saum ganz scharf; bei Mehrgebärenden dagegen ist
er zwar während der Wehe auch gespannt, aber an den Rändern mehr wulstig,
In diesen gespannten, allmälig nachgiebig werdenden Muttermundsring wird
der vorliegende Theil des Eies eingedrängt, die Eihäute treten in Gestalt
einer halbkugelig gewölbten Blase vor, „die Blase stellt sich." Ist wenig
15*
228 ENTBINDUNG.
Fruchtwasser zwischen der Blase und dem vorliegenden Ivindestheil, meist
dem Schädel, so fühlt man auch diesen während der Wehe hinter der Blase
sich vordrängen. Mit dem Nachlasse der Wehe werden Muttermund und
die Fruchtblase wieder schlaff, letztere weicht zurück und der wegen der
Spannung der Blase während der Wehe schwer erkennbare Kindestheil wird
deutlicher fühlbar, beim Schädel oft eine Naht oder eine Fontanelle dem
tastenden Finger zugängig und dadurch Bestimmung der Stellung möglich.
Jede Wehe macht so den Muttermund etwas weiter und die Blase grösser;
ist viel Fruchtwasser vorhanden und sind die Eihäute dehnbar, wird die Blase
oft wurstförmig weit vorgetrieben; sind die Eihäute dabei fester, wird sie
ausserordentlich gespannt.
Durch die alhnälig stärker einsetzenden Wehen wird der Druck im arte-
riellen System gesteigert, dadurch neben massiger Steigerung der Pulsfrequenz
in der Wehe ■ — welche nach der Wehe wieder abfällt — besonders die Ab-
sonderung im Geburtscanal und damit die Auflockerung desselben immer
stärker, es geht viel dicklicher, klumpiger, fadenziehender Schleim — „Geburts-
schleim" — ab, welchem oft streifenweise Blut beigemischt ist — „es zeichnet'^.
Diese Blutbeimengung rührt von kleinen Einrissen des scharf gespannten
Muttermundes und von der Trennung der Decidua von der Uteruswand beim
Vordringen der Blase. Bei zunehmendem Druck der Wehen erweitert sich
der Muttermund mehr und mehr, die Blase drängt sich immer weiter vor und
bleibt schliesslich auch, bei einer Erweiterung des Muttermundes von 8 bis
10 cm, in der Wehenpause gespannt, sie ist „springfertig," um bei einer der
nächsten Wehen oder bei einer ungestümen Bewegung — wohl auch bei un-
vorsichtiger Untersuchung — wirklich zu bersten, der „Blasensprung" ist
erfolgt, oft mit hörbarem Geräusch, und das vor dem vorliegenden Kindestheile
in der Blase befindliche Wasser — „Vorwasser oder erstes Wasser" — tliesst
ab. Meist fliesst nur dieses ab, da der vorliegende Kindstheil den Geburts-
canal tamponirt. Schliesst der vorliegende Kindstheil aber den Geburtscanal
nicht vollständig ab, was besonders bei fehlerhafter Schädelstellung oder bei
Unterendslage der Fall ist, dann fliesst auch von dem hinter demselben be-
findlichen Wasser mehr-minder viel, oft alles ab. Anderenfalls wird bei jeder
nachfolgenden Wehe etwas Fruchtwasser entleert. Gewöhnlich erfolgt der
Blasensprung zur Zeit der völligen Erweiterung und Erweichung des Mutter-
mundes und man sieht alsdann denselben als das Zeichen der Beendigung der
Eröffnungsperiode an. Nicht selten erfolgt aber der Blasensprung schon viel
früher, selbst bei oder sogar vor Beginn der Geburt — was besonders bei
Erstgebärenden sehr störend auf den Verlauf der Geburt wirken kann, — oft
ganz unbemerkt, in welchem Falle das • Wasser allmälig, „schleichend" abgeht.
Es kann aber auch der Blasensprung über die norraalmässige Zeit hinaus sich
verzögern, wenn wenig Fruchtwasser vorhanden ist und besonders wenn die
Eihäute sehr derb sind. In diesem Falle kann die Blase wurstförmig bis vor
die äusseren Genitalien getrieben werden — „Vorfall der Blase" — und reisst
erst mit oder nach dem Durchtritt des vorliegenden Kindstheils ein und zwar
entweder auf der Höhe der Blase oder weiter oben am Halstheil des Kindes,
rings um den Umfang der Blase.
Wenn der Kopf auf diese Weise mit der Blase bedeckt geboren wird,
so hat der Aberglaube dies als „Geburt mit der Glückshaube" bezeichnet.
(Als „GlücJcshaube''' Hesse sich dies nur dann bezeichnen, wenn die Geburt
durch eine syphilitisch inficirte Vulva erfolgte, weil dann die Augen des
Kindes vor der Berührung mit den scharfen Secreten geschützt sind.) Kleine
Früchte mit wenig Fruchtwasser werden mitunter in den unversehrten Ei-
häuten geboren.
Nicht selten ist es, dass bei noch stehender Blase während der Wehe
Fruchtwasser abgeht. Es kann dies von einer Wasseransammlung zwischen
ENTBINDUNG. 229
Ei und Uterus — „falsches Wasser" — oder von der Bildung zweier concen-
trischer Blasen mittelst des amnio-chorialen Wassers und isolirten Risses des
Chorions, oder davon herrühren, dass die Blase nicht an der tiefsten Stelle,
sondern oberhalb des Muttermundes im Innern der (jlebäniiutterhöhle sich
öffnet. In diesem Falle wird die vorliegende Blase allniälig schlaffer und
zieht sich schliesslich ganz zurück oder die liisstelle wird durch den Kindes-
körper oder die Uteruswand vollständig verlegt, die Blase füllt sich wieder
und es erfolgt ein neuer Blasensprung im Muttermund.
Das Allgemeinbefinden der Gebärenden ist während der Eröffnungsperiode
manchmal wenig alterirt und sind die Betreffenden in den oft noch langen
Wehenpausen ganz munter und guter Dinge. Bei anderen aber erreichen die
schon bei den Vorboten bemerkbaren subjectiven Erscheinungen: Die allgemeine
Aufregung, die Angst, fliegende Hitze, der Harndrang u. s. w. einen hohen
Grad. Oft gesellen sich dazu noch gastrische Erscheinungen, Ueblichkeiten,
Aufstossen, Erbrechen, durch welche die Kreissenden oft sehr gequält werden.
Meist tritt reichliche Schweissecretion und vermehrter Durst ein.
Die Dauer dieser Geburtsperiode ist äusserst verschieden, doch nimmt
sie im Allgemeinen unter sonst normalen Verhältnissen selten mehr als G
bis 8 Stunden in Anspruch, bei Mehrgebärenden wohl auch nur 1 bis 2 Stunden.
Nach dem Blasensprung tritt gewöhnlich eine mehrere Minuten bis eine
Viertelstunde dauernde Pause in der Wehenthätigkeit ein — in der Begel
umso länger, je vollständiger und rascher das Fruchtwasser aus der Uterus-
höhle entleert worden war — , bis diese von Neuem erwacht und der Mutter-
hals, beziehungsweise Muttermund durch den nachrückenden grossen Kindes-
theil weiter gedehnt und erweitert wird. Hiermit beginnt die Austreibuiigs-
periode, welche mit der Geburt des Kindes vollendet ist und in der Eegel
viel kürzer dauert, als die Eröffnungsperiode, bei Mehrgebärenden oft nur
einige Minuten bis zu einer halben Stunde, selten mehr, bei Erstgebärenden
dagegen 1 bis 3 Stunden, mitunter auch bis zu 5 und 6 Stunden und mehr.
Nach der Ruhepause, in welcher manche Kreissende sich selbst eines kurzen
ruhigen Schlafes erfreut, setzen die Uteruscontractionen — eigentliche „Ge-
burtswehen oder Treib wehen, dolores ad partum" — mit erneuter und beträcht-
lich vermehrter Kraft ein, sie folgen viel rascher aufeinander und zeigen an
sich eine längere Dauer. Allmälig werden durch dieselben auch die Contrac-
tionen in den Muskeln der Bauchpresse angeregt, welche mit denen des Uterus
stetig an Intensität zunehmen. Die Schmerzen werden jetzt nicht nur im
Kreuz, sondern vorzugsweise auch im Leib und in den Oberschenkeln em-
pfunden. Die Kreissenden klagen dabei über ein heftiges, vom Uterusgrund
nach dem Beckenausgang gerichtetes Drängen. Um diesem nachzugeben oder
besser gesagt, um es umso wirksamer werden zu lassen, suchen sie krampf-
haft nach festen Stützpunkten für die Arme und Füsse, halten nach tiefer
Inspiration während der Wehe den Athem an und lassen jetzt die Bauch-
■ presse mit ganzer Kraft wirken. Der Schweiss bricht lebhaft aus, das Gesicht
röthet sich mehr und mehr, je länger das Mitpressen dauert, die Carotiden
pulsiren stärker, die Halsven'en schwellen an, die Augen scheinen aus den
Höhlen treten zu wollen und gewinnen einen eigenthümlichen Glanz und dies
Alles umsomehr, je weiter die Geburt vorangeht. Die Bauchdecken sind
stark gespannt, der Uterus hart und fest und der Leib gegen Berührung
äusserst empfindlich. Mit dem Nachlass der Wehen inspiriren die Kreissen-
den heftig, kurz und stossen oft mehr-minder laute Klagetöne aus. Es erfolgt
eine kurze Pause der Ruhe und Erholung, in welcher sie sich jedoch weniger
behaglich fühlen, als in den Wehenpausen der Eröffnungsperiode, und als-
bald beginnt der Kampf wieder aufs Neue.
Schon mit dem Beginn der Austreibungsperiode treiben die Wehen den
vorliegenden Kindestheil durch den erweiterten und erweichten, ganz nach-
230 ENTBINDUNG.
giebigeii Muttermund hindurch, dessen Ränder ziehen sich über denselben
zurück, — ,,der Muttermund verstreicht"- — und ist der Kopf der vorliegende
Theil, so sagt man ,^der Kopf steht in der Krönung'^ sobald der Muttermundsrand
seine' grösste Circumferenz umfasst. Je weiter die Geburt vorangeht, umso
deutlicher lässt sich während der Wehe die Vorwärtsbewegung des Kindes-
körpers erkennen, während mit Nachlass der Wehe der vorliegende Kindes-
theil wieder etwas zurückweicht. Sobald derselbe durch den Muttermund hin-
durch in die Scheide getreten ist, werden jetzt auch die Muskelfasern der
Scheide zu Contractionen gereizt und hierdurch die Thätigkeit der Bauchpresse
umsomehr angeregt. Durch den Druck des unteren Uterusabschnittes und
der Scheide und später auch des Beckens wird der untere Abschnitt des vor-
ankommenden Kindestheiles comprimirt, der frei vorliegende Theil desselben,
den von Ritgen (nicht Kehree, wie Spiegelberc4 angibt) sehr treffend als
„Leitspitze" bezeichnet, schwillt an, was besonders bei vorliegendem Kopf
sich sehr bemerklich macht. Die Kopfhaut wird anfänglich durch den Druck
gehalten, dann wird sie ödematös infiltrirt, nicht selten auch über und unter
der Galea blutig suffundirt, es bildet sich die „Kopfgeschwulst."
Allmälig rückt nun der Kopf — da die Schädellage die bei weitem
häufigste aller Geburtsarten, ist auch diese hier der allgemeinen Schilderung
des Geburtsverlaufes zu Grunde gelegt — durch die Beckenhöhle hindurch
und kommt auf den Beckenboden, beziehungsweise das Mittelfleisch zu liegen,
welches nun durch jede Wehe gewaltsam ausgedehnt [und kugelig gespannt
wird, Anfangs mehr nach hinten zu, später auch nach vorn, bis endlich die
Schamspalte erreicht und erweitert wird. Schon wenn der Kopf in die Scheide
tritt, wird durch die jetzt erwachenden Contractionen der Scheidenmuskeln
bei deren anatomischem Zusammenhang mit den Muskelfasern des Mastdarmes,
wohl auch durch den directen Druck auf den Mastdarm sehr häufig das täu-
schende Gefühl des Bedürfnisses, das Rectum zu entleeren, hervorgerufen,
was man gemeiniglich als ein Zeichen des guten Fortganges der Geburt freudig
begrüsst, den Kreissenden als Trost für baldige Beendigung der Geburt. So-
bald der Kopf auf dem Beckenboden angelangt, wird dieses Gefühl bedeutend
vermehrt, zugleich auch der etwa vorhandene Rectalinhalt bei jeder Wehe
ausgepresst, oft auch in der Blase angesammelter Urin entleert, wenn nicht
die Harnröhre durch den Kopf zu sehr comprimirt ist. Der in dieser Geburts-
periode noch reichlich entleerte Geburtsschleim wird jetzt mehr und mehr
mit Blut gemischt, oft kommt nach der Wehe reines Blut, was von Schleim-
hautdrüsen und wohl auch von theilweiser Loslösung der Placenta herrührt.
Die Wehen erreichen nun ihren höchsten Grad, machen sehr kurze Pausen
und erschüttern den ganzen Körper, daher „Schüttelwehen," Dolores conquas-
santes genannt. Das Steissbein wird nach hinten gedrängt, der After öffnet
sich, seine Ränder wulsten sich stark auf (bei Hämorrhoidalzustand oft als
dicker blauer Wulst), die Schleimhaut der vorderen Mastdarmwand wird als
dunkelrothe Fläche sichtbar, der Damm wird roth glänzend, sehr breit ku-
gelig gespannt, nach vorn vorgewölbt, das Frenulum lab. oft als bläulich schim-
mernde, dünne, dreieckige Falte deutlich abgegrenzt, die Labien weichen aus-
einander, bekommen scharfe, dünne Ränder, der Kopf wird zwischen den-
selben sichtbar, er „kommt ins Einschneiden.^'
Die Aufregung der Kreissenden ist jetzt auf's höchste gesteigert, alle
Allgemeinerscheinungen stehen auf der Polhöhe, die Kreissende ist oft ihrer
Sinne nicht mehr mächtig, tobt, wird selbst aggressiv gegen ihre Umgebung,
besonders die ihr Beistehenden, wünscht sich den Tod u. s. w. Mit Nachlass
der Wehen treten alle, sowohl allgemeinen, als örtlichen Erscheinungen zurück,
die Schamspalte schliesst sich wieder, der Kopf weicht zurück, oft sehr be-
trächtlich, die Vorwölbung des Dammes, das Offenstehen des Afters, alles
lässt nach, um mit der nächsten Wehe in verstärktem Maasse wiederzukehren.
Der Kopf rückt immer weiter vor bei der Wehe, bis er schliesslich, nachdem
er mit seinem grössten Umfange in die Schamspalte gelangt, auch in der
ENTBINDUNG. 231
Wehenpause stehen bleibt — „er ist im Durchschneiden'''' — und dann in
der nächsten oder andernächsten Wehe ganz aus der Schamspalte austritt,
meist mit mehr oder minder starkem Einreissen des aufs äusserste gespannten
Frenulums und oft mit begleitendem oder nachfolgendem Abfluss (üner beträcht-
lichen Menge des noch zurückgebliebenen Fruchtwassers, das mitunter in
weitem Bogen nach aussen spritzt. Eine, zwei Minuten Pause, während
welcher sich die Kreissende schon wesentlich erleichtert fühlt und neue Kräfte
für die Austreibung des noch zurückgebliebenen Rumpfes sammelt, dann unter
heftigen, zwar starken, aber schon minder schmerzhaften Wehen — der Haupt-
widerstand ist ja überwunden — nach und nach oder auch ganz auf einmal
mit letzter Kraftanstrengung das Hervortreten des übrigen Kumpfes nebst
dem Rest von Fruchtwasser, oft gemischt mit dem von der Lösung der Pla-
centa herrührenden Blute.
Nach Ausschliessung des Kindes, mit welcher die zweite Geburtsperiode
beendet ist und die Nachgeburtsperiode beginnt, ist die Kreissende hoch-
gradig erschöpft, oft der Ohnmacht nahe, aber doch sehr bald in einem Zu-
stande behaglicher Ruhe und hochbefriedigt. Noch die vom Schmerz er-
presste Thräne im Auge lächelt sie, freut sich des ihr zu Theil gewordenen
Glückes und bittet mit freundlich rührenden Worten ihre Umgebung, ihr die
im letzten Acte etwa begangenen „Unarten" nicht zu verübeln. Bei vielen
Frauen stellt sich alsbald nach der Entbindung Frostschauer ein, bisweilen
ein förmlicher Frostanfall, verursacht durch die rasche Entleerung des Uterus
und der Bauchhöhle, durch die Abkühlung und besonders durch den plötz-
lichen Verlust einer Wärmequelle, als welcher der Fötus zu betrachten ist.
Dieser Frost, welcher ängstliche P'rauen leicht beunruhigt, ist durchaus nicht
von schlimmer Bedeutung, er bezweckt nur den Ausgleich der plötzlichen
Störung im Gleichgewicht zwischen Wärme-Production und -Abgabe, wie wir
das auch anderwärts beobachten, und geht meist sehr rasch vorüber.
Unmittelbar nach der Ausstossung des Kindes fühlt man den Uterus
durch die jetzt schlaffen Bauchdecken hindurch als feste derbe Kugel etwa
zwei Hand hoch über der Symphyse, gewöhnlich etwas nach rechts gerichtet;
es lässt aber diese feste, wenn man so sagen darf, Austreibungs-Contraction
bald nach, der Uterus wird etwas weicher, ohne gerade zu erschlaffen — es
lässt nur die heftige Spannung nach — und dabei grösser, höher in den Leib
hinaufragend. Durch die bedeutende Reduction, welche der Uterus bei der
Ausstossung des Kindes erfahren hat, ist natürlich auch die Placentarstelle
verkleinert worden, welcher Verkleinerung die Placenta selbst nicht folgen
konnte, wodurch sie dann gewöhnlich von der Uteruswand gleichsam ab-
gequetscht wird, es erfolgt eine Trennung zwischen Uterus und Placenta in
der Decidualschicht und entsteht dadurch eine Art Höhlung zwischen beiden,
da die dünnen, der Uteruscontraction sich adaptirenden Eihäute oft noch rings-
um an der Uteruswand haften bleiben und so die Trennungsstelle der Pla-
centa abschliessen. In diesem Falle ergiesst sich bei oder gleich nach Aus-
schluss der Kinder das Blut, welches durch die Zerreissung der Uteropla-
centargefässe aus diesen entleert wird, nicht sofort nach aussen mit dem Frucht-
wasser, wohl aber, wenn die Eihäute an einer Stelle, meist dem unteren
Rand der Placentarstelle entsprechend, schon losgelöst sind.
Der ruhende Zustand des Uterus dauert nun meist nicht lange. Bald
früher, bald später erwacht wieder die Wehenthätigkeit, es treten wieder Con-
tractionen, die sogenannten Nachgeburt s wehen, Dolores ad secundinas,
auf, dazu bestimmt, die letzte Verbindung der Placenta und Eihäute mit dem
Uterus zu lösen, beziehungsweise die gelösten Theile aus dem Uterus und
wo möglich auch aus der Scheide zu entfernen. Den Eintritt dieser Contrac-
tionen erkennt man an dem Kleiner- und Härterwerden des durch die Bauch-
decken fühlbaren Uterus, sowie an dem Anschwellen und Prallwerden des aus
232 ENTBINDUNG.
den Genitalien heraushängenden Xabelschnurrestes, welcher unmittelbar nach
der Unterbindung welk und schlaft' ist. Die Contractionen sind lange nicht
so schmerzhaft, als die letzten Austreibungswehen, sogar oft fast schmerzlos,
so lange der Ausstossung der Placenta aus dem Uterus durch den erschlafften
Muttermund kein ernstliches Hindernis entgegengesetzt wird. Der Uterus
nimmt dabei oft eine eckige und unregelmässige Gestalt an, je nach dem
Sitze und dem Grade der Ablösung der Placenta. Manchmal genügen drei
bis vier massige Wehen, bei denen die Kreissende oft nicht klagt, nur kaum
das Gesicht verzieht, um die Lösung zu vollenden und die Placenta in die
Vagina abzuschieben, oft sind aber, besonders bei etwas festerem Adhäriren
derselben, viel mehr und stärkere Wehen dazu erforderlich. Schon vor dem
Auftreten der stärkeren Contractionen kann man meist in dem schon etwas
Contrahirten inneren Muttermund den Rand, manchmal auch einen Theil der
fötalen Fläche der Placenta vorliegen fühlen. Bei den nun folgenden Con-
tractionen wird die Placenta weiter vorgeschoben und zwar der früher allge-
mein verbreiteten Annahme nach umgestülpt mit der Fötallläche voraus, oder,
wie Spiegelberg u. A., welche die Umstülpung nur durch den Zug an der
Nabelschnur hervorgebracht erklären, nach der fötalen oder uterinalen Seite
zusammengeklappt mit dem Rande voran. Es mögen wohl beide Arten des
Austrittes vorkommen, wobei besonders zu berücksichtigen, ob viel Blut zwi-
schen Placenta und Uteruswand sich ansammeln kann, was dann die Mitte
der Placenta vorwölbt, oder ob das Blut frei abliiesst, in welch' letzterem Falle,
vollständige Enthaltung des Zuges an der Nabelschnur vorausgesetzt, die
Placenta sich mehr mit dem Rande vorschieben wird. Insbesondere bei kräfti-
geren Erstgebärenden mit gut entwickeltem Uterus ist es nicht selten, dass
die gesammte Nachgeburt mit ein, zwei energischen Wehen nicht nur in die
Scheide, sondern nach aussen geboren wird. Bei Mehrgebärenden, deren
Scheide meistens weiter und schlaffer ist, kann die Nachgeburt längere Zeit
darin liegen bleiben und pflegt dann oft erst bei Bewegungen der Neuentbun-
denen im Bette, bei zufälligem Husten oder Niesen herauszutreten, oder sie
wird schliesslich durch die Bauchpresse mit Unterstützung der Muskeln des
Beckenbodens ausgestossen, wenn sie nicht inzwischen künstlich entfernt wor-
den ist. Gewöhnlich ist die Ausstossung der Nachgeburt mit der Entleerung
einer grösseren oder kleineren Menge theils geronnenen, theils flüssigen Blutes
verbunden, letzteres besonders wenn sie durch energische Contractionen aus
dem Uterus direct entfernt wird, mehr geronnenes, wenn sie erst nach all-
mäligen Contractionen austritt und längere Zeit in der Scheide gelegen hat.
Die Nachgeburtszeit dauert sehr verschieden lang, bei kräftigen, durch
die vorausgegangene Geburt nicht zu sehr angegriffenen Erstgebärenden oft
nur eine viertel bis halbe Stunde, in anderen Fällen mehrere Stunden. Es
kommt auch vor, dass trotz Nachgeburtswehen, bei denen gewöhnlich etwas
Blut abgeht, die Placenta nicht vollständig gelöst wird oder wenigstens den
Uterus nicht verlässt. Es beruht dies meist auf krankhaften Störungen, von
welchen an anderer Stelle die Rede sein wird. Nach der normalen Ausstossung
der Nachgeburt, womit der ganze Geburtsact vollendet ist, fühlt
man den Uterus als etwa faustgrossen, harten, kugeligen oder von vorn nach
hinten abgeflachten Körper über der Schossfuge liegen.
Als mittlere Dauer der Entbindung im Ganzen genommen rechnet man
für Erstgebärende etwa 18 bis 20, für Mehrgebärende 10 bis 12 Stunden, es
ist aber die Dauer grossen Schwankungen unterworfen. Am längsten dauern
gewöhnlich, sonst normale Verhältnisse vorausgesetzt, die Geburten bei älteren
Erstgebärenden, jedoch nulla regula sine exceptione.
Zum Schlüsse unserer Betrachtung des klinischen Verlaufes der Geburt in
seinen nach aussen tretenden Erscheinungen erübrigt nur noch eine kurze allgemeine
Erörterung derselben in Bezug auf die Art und Weise, wieder Fötus durch
ENTBINDUNG. 233
den Widerstände überwindet. Wie ein jeder Körper, welcher durch einen engen, seinem
Durchtreten Hindernisse entgegensetzenden Canal hindurchgctricbon wird, durch gewisse
Bewegungen iind Drehungen diesen Hindernissen auszuweiclicn suchen wird, so macht auch
der Kindesltörper, der von dem sicli contrahirenden Uterus durcli den iJeckencanal herab
und nach aussen getrieben wird, eine Reihenfolge von bestimmten Bewegungen, um den im
Becken, beziehungsweise Geburtscanal sich ihm entgegenstellenden Hindernissen zu begeg-
nen, dieselben zu überwinden. Die Summe dieser in einer bestimmten Reihenfolge auftreten-
den und durch bestimmte Thätigkeiten der austreibenden Kräfte bedingten Bewegungen
nennt man den Geb urtsmechanismus (mcchanismus partus), welchen wir in
seinen Allgemeinzügen kurz betrachten wollen.
Wäre der Geburtscanal ein einfach gerades Rohr mit überall gleichen Abständen von
der Centrallinie oder Achse und ebenso der Fötus ein gleichmässiger Cylinder, dann wäre
dessen Durchtreibung durch den Canal eine sehr einfache. Da aber der Geburtscanal ein
gekrümmtes Rohr darstellt mit sehr kurzer vorderer und länger hinterer Wand und mit
sehr wechselnden Durchmessern in den einzelnen Abtheilungen und andererseits der Kindes-
körper auch sehr verschiedene Durchmesser nach den einzelnen Richtungen und in den
einzelnen Körperabschnitten zeigt, so ist klar, dass dessen Bewegung durch den
ersteren auch keine einfache sein kann. In der That folgt der Fötus dabei gewissen, für
alle Durchtrittsarten gleichmässig allgemein giltigen Gesetzen, von welchen die Natur bei
diesem so hochwichtigen und bewunderungswürdigen Acte nie abweicht und deren genaue
Kenntnis für den Geburtshelfer unbedingt nöthig ist, um einerseits eine richtige Anschauung
jedes speciellen Falles zu gewinnen, jede Abweichung von dem gewöhnlichen, normalen Ver-
laufe einer Geburt richtig erkennen und beurtheilen zu können und andererseits sein Han-
deln in dem gegebenen Falle danach einzurichten. Ohne genaue Kenntnis des Geburts-
mechanismus ist kein heilbringendes Behandeln der Geburt, kein rationelles operatives
Eingi'eifen möglich. Aus diesen allgemeinen Regeln oder Gesetzen erklären sich auch die
Verschiedenheiten der Durch trittsweise des Kindeskörpers bei den einzelnen als normale zu
betrachtenden Geburtsarten, wie sich bei der speciellen Schilderung derselben ergeben wird.
Damit ein geregelter Geburtsmechanismus zustande komme, ist es nothwendig, dass
dem Kindeskörper bei seinem Hindurchtreten durch den Geburtscanal von den Wandungen
desselben ein grosser Widerstand entgegengesetzt werde, welchem er durch bestimmte Be-
wegungen auszuweichen trachtet. Diesen Widerstand wird er aber nur dann finden, wenn
er ein solches Volum besitzt, dass er mit den Wandungen des Geburtscanales auch allseitig
in enge Berührung tritt. Dies ist aber nur bei den grösseren Theilen des Kiudeskörpers,
wie Kopf, Thorax, Schultern und Steiss möglich, weshalb auch nur diese eines geregelten
Geburtsmechanismus fähig sind. So beginnt z. B. bei Fusslagen der eigentliche Geburts-
mechanismus erst dann, wenn die Hüften des Kindes in das kleine Becken eintreten. Bei
unreifen, sehr kleinen, faulen Früchten findet ein solcher überhaupt nicht statt.
Bei der normalen Geburt wird der Kindeskörper, der im erschlafften, d. li. nicht
contrahirten Uterus sehr stark über seine vordere Fläche gekrümmt liegt, so dass er eine
Eigestalt hat, durch die Contractionen des Uterus, besonders die Verkürzung desselben in
querer Richtung gerade gestreckt und tritt in solch gestreckter Haltung in den Becken-
canal hinein, wobei seine Längenlinie oder Achse genau in der Führangslinie oder Achse
des Geburtscanais sich vorwärtsbewegt, die Leitspitze voran. Da aber diese Führungshnie
einen nach vorn offenen Halbkreis beschreibt, in dem Beckeneingang in der Richtung von
vorn oben nach hinten unten, dann in der Beckenhöhle senkrecht nach abwärts, im Becken-
ausgang von hinten oben nach vorn unten und endlich im Scheidenausgang horizontal, selbst
von hinten unten nach vorn oben gerichtet, so muss auch der Fötus bei seinem Hindurch-
treten durch den Geburtscanal sich dieser gekrümmten Linie adaptiren und verschiedene
Biegungen in seiner Längsstreckung erfahren, mit seiner Achse immer senkrecht auf der
jeweiligen Durchtrittsstelle stehend. Diese einzelnen Darchtrittsstellen haben aber, da der
ganze Becken-, beziehungsweise Geburtscanal hinten viel längere Wandung hat, als vorne,
dementsprechend verschiedene Richtung in der Art, dass aufrechte Stellung der Frau ge-
dacht, das vordere Ende der Eingangsebene viel tiefer steht als der hintere; die Ebene der
Beckenhöhle horizontal liegt, vorderes und hinteres Ende gleich hoch, und schliesslich das
vordere Ende der Ausgangsebene viel höher steht als das hintere. Dementsprechend wird
der der vorderen Beckenwand anliegende Theil des Fötus beim Eintritt in das Becken
einen viel tieferen Stand haben, als die im hinteren Beckenumfang gelagerten Theile, dann
aber, wenn er den unteren Rand der Schossfuge als den tiefsten Theil der vorderen Becken-
wand erreicht hat, stehen bleiben, während die nach hinten gerichteten Theile jetzt über
die Vorderfläche des unteren Kreuzbeinabschnittes und des Steissbeins, sowie über das Peri-
neum sich hervordrängen und dadurch viel tiefer zu stehen kommen, als die nach vorn
zu unter dem Schossbogen stehenden Theile.
Abgesehen von dieser Verschiedenheit der Richtung der einzelnen Durchgangsstellen
des Beckens zur Längsachse des Körpers bieten die verschiedenen Durchmesser derselben
auch wesentliche Unterschiede in ihrer Länge dar, welche von Einfluss auf gewisse Be-
wegungen des Fötus sind. Denn derselbe wird am leichtesten den von den Beckenwan-
dungen ihm entgegengestellten Widerständen ausweichen, wenn er mit seinen längsten Durch-
234 EXTRAÜTERINSCHWANGERSCHAFT.
messern sich in die längsten Durchmesser der jeweilig zu passirenden Beckenabschnitte
stellt, er wird also bei der allmäligen Herabbewegung in der Richtung seiner Längsachse
auch gewisse Rotationen um eben diese Längsachse ausführen, welche bei der Schilderung
des Vorganges der einzelnen Geburtsarten im Speciellen ihre Erörterung finden werden,
BIRNBAUM.
ExtrauterinSChwangerSChaft. Während unter normalen Verhältnissen
das aus einem GRAAF'schen Follikel ausgestossene Ovulum durch die Tube
nach dem Uterus geleitet wird, kann dasselbe unter gewissen pathologischen
Umständen entweder auf diesem Wege aufgehalten werden oder überhaupt von
demselben abirren. Wenn nun unter den einen oder anderen Umständen zu
dem Ovulum Spermatozoon gelangen können, so kann auch ausserhalb des
Uterus eine Befruchtung des Ovulums eintreten ; findet ein derartig befruch-
tetes Ei entsprechend günstige Verhältnisse zu seiner Einbettung, so kann
auf diese Art ausserhalb des Fruchthalters das Ei sich weiter entwickeln.
Unter diesen Umständen spricht man von einer Extrauterin- oder ekto-
pischen Schwangerschaft.
Es gibt verschiedene Stellen, an w^elchen ausserhalb des Uterus eine
derartige Einbettung des befruchteten Eies möglich erscheint. Die weitaus
häufigsten ektopischen Schwangerschaften entwickeln sich im Eileiter, dessen
faltenreiche Schleimhaut mit demselben flimmernden Cylinderepithel besetzt
ist, wie die des Uterus, und in Folge dessen der Weiterentwicklung des Eies
zweifellos günstige Verhältnisse darbietet. Das Ovulum kann an allen Theilen
des Eileiters sich anlegen, sowohl in der Ampulle des Fimbrienendes oder
an irgend einer Stelle des freien Verlaufes der Tube als auch in dem Theile
derselben, welcher durch die Uteruswand hindurchgeht. Je nachdem die eine
oder die andere dieser Einbettungsarten gegeben ist, spricht man von einer
Graviditas tuho-abdominalis, tuharia oder interstitialis. Ausser der Tuben-
schwangerschaft kennen wir aber auch noch eine sogenannte Eierstockschwanger-
schaft, welche dann entsteht, wenn bei der Kuptur eines GßAAF'schen Folli-
kels das Ei nicht aus dem letzteren austritt, sondern in demselben zurück-
bleibend von einem durch die Rissteilen eingedrungenen Spermatozoon be-
fruchtet wird; unter diesen Umständen entwickelt sich also das befruchtete Ei
im Eierstock selbst weiter und wird von den Gelassen desselben ernährt.
Zwischen diesen beiden Arten der Extrauterinschwangerschaft steht eine höchst
selten vorkommende Form derselben: die Graviditas tuho-ovurica. Eine solche
kommt dann vor, wenn das Fimbrienende der Tube an einer Stelle des Ova-
riums durch entzündliche Processe angelöthet ist und in diesem Bereiche aus
einem GßAAF'schen Follikel ein Ei in die Tube ausgestossen wird. Wird dies
Ei in der Tube zurückgehalten und befruchtet, so sprechen wir von einer
graviditas tubo ovarica. In früheren Zeiten nahm man an, dass ein befruch-
tetes Ei auch an irgend einer Stelle des Beckenperitoneums sich einbetten
und weiter entwickeln könne, in welch' letzterem Falle man von einer Gravi-
ditas abdominalis sprach. Es ist aber durch die sorgfältigen Untersuchungen
von Werth im höchsten Grade zweifelhaft geworden, ob dies in der That
möglich ist. Die grosse Mehrzahl der neueren Forscher auf diesem Gebiete
neigt der Annahme zu, dass eine Bauchhöhlenschwangerschaft unmöglich sei;
jedenfalls sind keine ganz einwandsfreie, anatomische Beweise für die Existenz
einer solchen bisher beigebracht worden. Wir werden daher die Abdominal-
schwangerschaft aus unseren Betrachtungen fortlassen.
Das in die Tube gelangte, befruchtete Ovulum kann unter verschiedenen
Umständen an irgend einer Stelle der Tubenschleimhaut zurückgehalten wer-
den (Tubenschwangerschaft); in den meisten Fällen dürfte eine patholo-
gische Veränderung der Tubenschleimhaut dafür verantwortlich zu machen sein,
wobei man allerdings nicht an tiefere entzündliche Veränderungen, sondern viel-
leicht nur an Veränderungen des Epithels (Flimmerverlust) zu denken hat; auch
EXTRAUTERINSCHWANGERSCHAFT. 235
polypöse Bildungen der Schleimhaut werden beschuldigt. In anderen Fällen
findet man durch entzündliche Processe des Peritoneums die Tube und damit
auch deren Lumen in ihrem Verlaufe abgeknickt, wodurch die weitere Beför-
derung des Eies in den Uterus gehindert wird. Das Ei wird unter diesen
Umständen ebenso wie bei uteriner Schwangerschaft von der Schleimhaut der
Tube umfasst, und diese letztere selbst entwickelt in der näheren Umgebung
des eingebetteten Eies eine ziemlich charakteristische Decidua, in manchen
Fällen wohl auch eine Beflexa, während die kindlichen Eihäute in der typischen
Weise wie bei der uterinen Gravidität gebildet werden. Auch die Bildung
der Placenta scheint in ganz normaler Weise vor sich zu gehen, wenn es
überhaupt zu dieser Bildung kommt. Die Blutzufuhr zu Decidua, resp. Pla-
centa wird von den an und für sich reichlich entwickelten Gefässen der Tube
geliefert.
Bei der weiteren Entwicklung einer Tubengravidität sind nun eine Reihe
verschiedener Ausgänge möglich, welche nicht zum geringsten Theile von der
Oertlichheit der Einbettung des Eies in der Tube abhängen. In einer Anzahl
von Fällen kann die Schwangerschaft bis zum normalen Ende fort-
schreiten, und zwar ist dies wohl hauptsächlich dann der Fall, wenn die
Einbettung des Eies gegen das Fimbrienende zu in der sogenannten Ampulle
erfolgt ist, welche bekanntlich an und für sich ein wesentlich grösseres und
weiteres Lumen besitzt als der dem Uterus näher liegende Theil des Eileiters.
Am Ende der Gravidität stirbt die Frucht in Folge von Blutungen in
die Placenta ab und kann nun eine Reihe verschiedener Veränderungen durch-
machen; einestheils kann es zur Vereiterung, resp. Verjauchung des extrauterin-
gelegenen Fruchtsackes kommen, wobei entweder eine sich anschliessende
Peritonitis zur Katastrophe führt oder aber der in eine grosse Abscesshöhle
verwandelte Fruchtsack nach Verlöthung mit seinen Nachbarorganen theils
durch die vordere Bauchwand, theils durch Darm, Blase oder Scheide durch-
bricht, wodurch langandauernde Eiterungen mit Abgang fötaler Knochen her-
vorgerufen werden und das Leben der betreffenden Frau in hochgradiger
Weise gefährdet wird. In anderen Fällen tritt eine Art trockener Mumifica-
tion der Frucht ein durch Resorption des Fruchtwassers sowie des grössten
Theiles der wässerigen Bestandtheile der Frucht selbst mit und ohne Ablage-
rung von Kalksalzen in die Eihäute; im letzteren Falle kann eine vollständige
Kalkschale um den Embryo abgelagert werden (Lithopaedionhildung), welche
denselben vom Stoffwechsel so ziemlich ausschliesst und auch das Eindringen
von Eitererregern in den Fruchtsack meistens verhindert. Solche sogenannte
Steinkinder*) sind jahrzehntelang von einzelnen Frauen im Abdomen getragen
worden, in einzelnen Fällen ist auch wiederholt Uterinschwangerschaft in der-
artigen Fällen beobachtet worden. Uebrigens soll nicht unerwähnt bleiben,
dass mitunter nach jahrelangem Bestände eines Lithopädions noch Entzün-
dungen und Vereiterungen des Fruchtsackes beobachtet wurden.
Wesentlich anders pflegt sich der Verlauf der Tubenschwangerschaft zu
gestalten, wenn die Einbettung des Eies mehr in dem mittleren, resp. den dem
Uterus näherliegenden Theilen der Tube erfolgt ist. Die erste Entwicklung
des Eies erfolgt zwar hier ebenfalls normaler Weise und pflegt in den ersten
Wochen ungestört zu verlaufen. Die Ausdehnung der Tube geschieht ent-
weder mehr gegen die Bauchhöhle zu, so dass der schwangere Eileiter mehr
oder weniger beweglich mit seinem Mesenterium und dadurch mit dem Uterus
verbunden ist, oder aber die Erweiterung der Tube erfolgt mehr nach abw^ärts,
indem die beiden Platten des Ligamentum latum entfaltet werden, so dass
der wachsende Tumor mehr und mehr extraperitoneal, resp. intraligamentär
sich entwickelt. Bei beiden Wachsthumsarten des schwangeren Eileiters di'oht
*) Vergl. auch, den Artikel „Litliopädion" ds. Bd.
236 EXT RAUTERINSCHWANGERSCHAFT.
nun die gemeinsame Gefahr, dass die relativ dünn enUvickelte Muskelwand
der Tube der Ausdehnung durch das wachsende Ei nicht mehr den genügen-
den Widerstand entgegenzusetzen vermag. Dies führt, und zwar besonders
bei der Entwicklung der Tube gegen die Bauchhöhle zu, zunächst in einer
Anzahl von Fällen zur Berstung des Fruchtsackes, welche wahrscheinlich
weniger durch das zunelimende Wachsthum des Eies als durch Zerreissung
grösserer Gelasse und dadurch bedingte Blutung in die Eihäute hervorgerufen
wird. Erfolgt die Blutung in die freie Bauchhöhle, so kann mitunter rapid,
meistens aber durch wiederholte Nachschübe der Blutung durch die dadurch
hervorgerufene acute Anämie der letale Ausgang erfolgen. Dies ist aber, wie
aus den zahlreichen heute vorliegenden Beobachtungen entnommen werden
kann, gewiss nicht der häufigste Ausgang. Sehr oft sehen wir, dass die
Blutung überhaupt nicht in die freie Bauchhöhle erfolgt, sondern dass das
ergossene Blut an dem Einfliessen in die Bauchhöhle durch vorher schon be-
stehende Verwachsungen in der Umgebung der Tube gehindert wird und dass
es auf diese Art nur zur Bildung eines meist retrouterin gelegenen Blut-Tumors
(Haematokele retroiäerind) kommt; nach der Ausbildung einer solchen Hae-
matokele pflegt gewöhnlich die Blutung zu stehen; in einzelnen Fällen jedoch
kann ein solcher Bluttumor doch noch in die Bauchhöhle durchbrechen und
zur tödtlichen Verblutung führen. Bei intraligamentär entwickelter Tube kann,
wenn die Schwangerschaft nicht bis zum Ende verläuft, ebenfalls eine Ruptur
des Fruchtsackes eintreten, worauf zunächst ein extraperitoneales Haematom
gebildet wird, d. h. es ergiesst sich die Blutung zwischen die Platten des
Ligamentum latum, wodurch diese usque ad maximum mit Blut aufgespritzt
werden. In vielen Fällen steht dann die Blutung und kann resorbirt werden,
in anderen wiederum berstet das Ligamentum latum gegen die Bauchhöhle
hin, wobei wiederum die Gefahr der tödtlichen Verblutung droht. Im Allge-
meinen scheint die intraligaraentäre Entwicklung des schwangeren Eileiters
etwas weniger Gefahr zu bieten als bei der Wachsthumsrichtung nach der
freien Bauchhöhle zu.
In einzelnen Fällen scheint die Wand der Tube gegen die Bauchhöhle
hin ohne nennenswerthe Blutung auseinander zu weichen, so dass die Frucht
in den unverletzten Eihäuten oder nur im Amnion, mitunter sogar ohne Er-
haltung einer Eihülle in die Bauchhöhle austreten kann. Dies ist natürlich
nur dann möglich, wenn das Auseinanderweichen der Tubenwand an einer
Stelle erfolgt, an welcher die Einbettung des Eies nicht stattgehabt hat, an
welcher also auch die zur Ernährung dienenden Gefässe nicht zum Ei heran-
treten; in einem solchen Falle kann die Frucht durch die Nabelschnur in
Verbindung mit der intacten Placenta bleiben und sogar bis zum Ende der
Schwangerschaft ausgetragen werden. (Secimdäre Äbdominalsckwangerschaft.)
Die Frucht wird dann von Seiten des ihr anliegenden Peritoneums entweder
durch Pseudomembranen abgekapselt oder aber sie liegt in ganz seltenen
Fällen frei zwischen den Darmschlingen der Mutter. Der weitere Ausgang
entspricht gewöhnlich den oben geschilderten Verhältnissen bei ausgetragener
Extrauterinschwangerschaft.
In einer nicht unbedeutenden Anzahl von Fällen sehen wir noch eine
weitere und zwar ziemlich häufige Erscheinung bei Tubenschwangerschaft auf-
treten. Es kann nämlich ebenso wie bei uteriner Schwangerschaft dieselbe
durch das Absterben der Frucht beendigt werden. Dieses Ereignis tritt offen-
bar meistens, Avie es auch so häufig bei uteriner Schwangerschaft zu beob-
achten ist, durch Gefässzerreissung und Blutungen in die Eihäute ein. Bei
diesem sog. T üb ar- Abort kann nun entweder eine Rückbildung, resp. Resorp-
tion des Eies stattfinden, wodurch eine Art von Heilung erreicht würde, oder
aber — und dies ist jedenfalls das häufigere — • die Blutungen sind beträcht-
lich und führen zur Zertrümmerung und Ablösung des Eies von der Tuben-
EXTRAUTERINSCHWANGERSCHAFT. 287
wand. In diesen letzteren Fällen sieht man nicht selten, dass das Ei und
zwar meistens unter sehr erheblichen lilutungen aus dem abdominalen Ende
der Tube in die Bauchhöhle ausgestossen wird; die lilutungen können dabei
ebenfalls einen äusserst bedrohlichen Charakter annehmen.
Bei der sogenannten Graviditas interstitialis oder tuho-uterina, bei welcher
das Ei in dem kurzen Stücke der Tube, welches durch die Uteruswand hin-
durchführt, sich einbettet und weiter entwickelt, wird auch meistens die Uterus-
wand durch das wachsende Ei so stark verdünnt, dass die Berstung des Frucht-
sackes auch hier als der häufigste Ausgang bezeichnet werden muss. In ein-
zelnen ganz ausserordentlich seltenen Fällen hat man beobachtet, dass das Ei
gegen die Uterushöhle zu wuchs und dieselbe mehr und mehr erfüllend und
ausdehnend schliesslich grösstentheils intrauterin zu liegen kam und zur Reife
gedeihend auf normalem Wege geboren wurde. Die Literatur verzeichnet
davon nur einige wenige Fälle.
Bei allen extrauterin entwickelten Schwangerschaften kann man die stets
wiederkehrende Beobachtung machen, dass sich der Uterus selbst dabei in der
Weise betheiligt, dass er in den ersten Monaten sich beträchtlich vergrössert,
weicher wird und dass seine Schleimhaut stark hypertrophisch wird und eine
ziemlich charakteristische Schwangerschaftsdecidua bildet. Das Epithel der
Schleimhaut bleibt dabei erhalten, nur werden die einzelnen Epithelzellen
etwas niedriger. In den meisten Fällen schliesst sich an den Tod der extra-
uterin entwickelten Frucht bald darauf eine blutige Ausscheidung aus dem
Uterus an, welche durch Contractionen des Uterus bedingt ist. Diese Wehen
führen zur Ablösung der Decidua, welche in verschiedener Zeit nach dem
Auftreten der Blutung theils in einzelnen Fetzen, oft aber als völliger Abguss
der Uterusinnenfläche ausgestossen wird. Es sei aber bei dieser Gelegenheit
betont, dass eine derartige unter Blutungen erfolgende Ausstossung von De-
ciduafetzen nicht nothwendig an den Fruchttod gebunden ist. In einzelnen
Fällen wurde bestimmt beobachtet, dass während einer Extrauterinschwanger-
schaft eine derartige Ausstossung erfolgte und trotzdem die Schwangerschaft
weiter gedieh.
Bezüglich der extrauterin entwickelten Früchte sei noch bemerkt, dass in
seltenen Fällen multiple Schwangerschaft beobachtet wurde; bei zur
Reife gediehenen Früchten sieht man häufig Klumpfussbildungen, auch Ein-
drücke im Schädel der Kinder, welche wohl auf die Raumbeschränkung im
extrauterinen Fruchtsack zurückzuführen sind.
Ausserdem ist eine Anzahl von Fällen bekannt, in denen bei derselben
Frau wiederholte Extrauterinschwangerschaft eingetreten ist, so
dass z. B. nach Ablauf, auch nach operativer Entfernung der einen Tuben-
gravidität in der anderen Tube später eine zweite Extrauterinschwanger-
schaft sich entwickelte. Ebenso ist es mehrfach beobachtet, dass auf eine
Extrauterinschwangerschaft eine uterine Schwangerschaft folgte.
Wie aus der obigen Schilderung hervorgehen dürfte, wird durch die
Tubarschwangerschaft das Leben der Mutter in mannigfaltiger Weise auf's
ernstlichste bedroht und dürfte schon daraus der Wunsch hervorgehen durch
eine frühzeitige Diagnose dieses Zustandes den drohenden Gefahren wo
möglich zuvorzukommen. Leider muss in dieser Richtung bekannt werden, dass
in zahlreichen Fällen der Symptomencomplex, welcher durch Tubarschwanger-
schaft hervorgerufen wird, ein durchaus nicht charakteristischer zu sein pflegt;
sehr häufig z. B. treten so gut wie gar keine prägnanten Symptome, welche
sich von derien bei uteriner Schwangerschaft unterscheiden Hessen, hervor,
so dass häufig die alarmirenden Erscheinungen der acuten Anämie bei Ruptur
des Fruchtsackes oder bei Tubar-Abort die ersten Anhaltspunkte sind, welche
überhaupt für eine Extrauterinschwangerschaft sprechen. Dazu kommt, dass
bei extrauteriner Gravidität die Frauen sehr häufig schon vor der Conception
238 EXTRAÜTERINSCHWANGERSCHAFT.
mit Genitalerkrankungen behaftet sind, so dass die durch das Wachsthum
eines extrauterinen Fruchtsackes vielleicht etwas gesteigerten Beschwerden
oft wenig in das Auge fallend erscheinen. Die üblichen Schwangerschafts-
erscheinungen, die Zunahme der Brüste, Secretion von Colostrum, vermehrte
Pigmentation, Aufhören der Menstruation u. s. w. pflegen ja allerdings nicht
zu fehlen, sind aber wenigstens in der Mehrzahl der Fälle von denen bei
uteriner Schwangerschaft nicht wesentlich unterschieden. Bezüglich der Men-
struation muss allerdings bemerkt werden, dass in manchen Fällen dieselbe
nicht vollkommen cessirt, sondern dass mitunter atypische, wenn auch nicht
bedeutende blutige Ausscheidungen aus dem Uterus auftreten, welche mancher
Frau die Veranlassung geben, ärztlichen Rath einzuholen. In einzelnen Fällen
sehen wir allerdings, dass von Anfang an eine erhebliche Steigerung der
bereits vorhandenen Beschwerden, vor Allem aber sehr lebhafte peritonitische
Schmerzen zu beobachten sind, wenn auch in der Mehrzahl der Fälle diese
letzteren erst bei weiter vorgeschrittenen Extrauteringraviditäten aufzutreten
pflegen. Sehr beherzigenswerth ist natürlich die Ausstossung von Decidua-
fetzen während der Gravidität oder nach dem Fruchttode. Eine genaue mikro-
skopische Untersuchung ist insbesondere dahin zu richten, dass bei diesen
Deciduafetzen Chorionzotten, welche bei einem Abortivei wohl stets nachzu-
weisen sind, hier nicht gefunden werden können. Führen aber alarmirende
Symptome oder vermehrte Beschwerden eine Frau in ärztliche Behandlung,
so wird vor Allem der Nachweis eines neben dem vergrösserten Uterus ge-
legenen Tumors zur Stellung der Diagnose nothwendig sein. Ist ein solcher
Nachweis geführt, so empfiehlt es sich unter allen Umständen die weitere
Untersuchung mit Zuhilfenahme der Chloroformnarcose vorzunehmen. Es wird
sich in früheren Stadien der Schwangerschaft ein bei mehr abdominaler Ent-
wicklung mehr oder weniger gestielter vom Uterus seitlich abgehender Tumor,
bei intraligamentärer Entwicklung ein mehr breit mit dem Uterus zusammen-
hängender, wenig beweglicher Tumor neben dem Uterus nachweisen lassen.
Und von besonderer Bedeutung ist natürlich in solchen Fällen die wiederholte
Beobachtung mit dem Nachweis des raschen Wachsthums des betreffenden
Tumors. Unter letzteren Umständen dürfte dann auch die vorsichtige Ein-
führung der Sonde in die Uterushöhle ergeben, dass diese leer ist. Die von
verschiedenen Seiten ausgeführte Ausschabung des Uterus behufs mikrosko-
pischer Untersuchung der Schleimhaut des FrucTithalters ist wegen der dadurch
bedingten Gefahren (Ruptur des Fruchtsackes) besser zu unterlassen.
Wesentlich leichter ist die Diagnose bei Ruptur des Fruchtsackes oder
bei stärkeren Blutungen beim Tubar- Abort; die dabei auftretenden Symptome
der acuten Anämie, welche besonders häufig sich schubweise verstärken, muss
unter allen Umständen im Zusammenhalte mit der Anamnese zuallererst den
Gedanken an Vorgänge bei Extrauterinschwangerschaft erwecken. Weniger
alarmirend pflegen diese Symptome bei Hämatokelen oder Hämatombildung
zu sein, doch fehlen auch hier meistens Symptome innerer Verblutung nicht.
Vor Allem aber sind bei diesem Ausgange lebhafte Schmerzen vorhanden, welche
zu einer Untersuchung Veranlassung geben. Der Nachweis eines hinter oder
neben dem Uterus rasch entstandenen und den Fruchthalter nach vorn oder
seitlich verdrängenden, besonders im Anfange ziemlich prallen Tumors ist ge-
wöhnlich leicht zu führen.
Sehr viel leichter pflegt die Diagnose in späteren Monaten der
Extrauterinschwangerschaft zu werden. Hier lässt sich meistens neben dem Tu-
mor, welchen der extrauterine Fruchtsack bildet, der vergrösserte Uterus nach-
weisen, wenn er nicht gerade ausnahmsweise hinter dem Fruchtsack liegt.
Derselbe liegt dem Fruchtsack meistens platt auf und ist mehr oder weniger
aus der Beckenhöhle nach oben verdrängt. Im Fruchtsack lässt sich in der
Mehrzahl der Fälle der Nachweis von Kindestheilen und Kindesbewegungen
EXTRAUTERINSCHWANGERSCHAFT. 239
führen, bei lebender Frucht sind die Herztöne oft sehr deutlich nachzuweisen;
auch Uteringeräusch pflegt nicht zu fehlen. Sehr viel schwieriger, ja un-
möglich ist wohl meistens der Nachweis zu bringen, welche Art der p]xtra-
uterinschwangerschaft vorliegt oder gar welclie Art von Tubengravidität vor-
handen ist; doch ist dies auch von nebensäclilicher Bedeutung. Dagegen lässt
sich die oben bereits angedeutete intraligamentäre, nach Art subsei'öser Ovarial-
tumoren entwickelte Tubengravidität von der bei freier Entwicklung in die
Bauchhöhle wohl unterscheiden.
Aus der vorangegangenen Schilderung geht wohl schon hervor, dass die
Prognose der Extrauteringravidität eine ausserordentlicli ernste genannt wer-
den muss, indem das Leben der Mutter durch die verschiedensten Gefahren
aufs Schwerste bedroht erscheint. Dies geht auch aus den meisten statistischen
Zusammenstellungen von Schauta und Martin evident hervor, aus denen wir
entnehmen, dass von 255 sich selbst überlassenen, resp. exspectativ behandel-
ten Fällen nur 36"97o der Frauen am Leben blieben. Wesentlich gebessert ist
die Prognose allerdings dadurch, dass wir gelernt haben durch Ausbildung der
Diagnostik Extrauterinschwangerschaften frühzeitiger zu erkennen und durch
die vervollkommnete operative Technik die Chancen für die Frauen wesent-
lich günstiger zu gestalten. Die erwähnten Statistiken ergeben hiebei, dass
unter 515 operativ behandelten Fällen IQ'l^lo der Frauen am Leben erhalten
wurden. Von einer Prognose für die Kinder kann unter diesen Umständen kaum
die Rede sein. Die Kinder sind bei exspectativer Behandlung selbstverständlich
ausnahmslos verloren, während allerdings in einer Anzahl von Fällen durch
operative Eingriffe in jüngster Zeit eine kleine Pteihe von Kindern lebend aus
dem Abdomen der Mutter entwickelt wurde.
Die Therapie wird selbstverständlich darin bestehen müssen, den durch
Extrauterinschwangerschaft drohenden Gefahren zuvorzukommen oder aber bei
Eintritt der einen oder anderen Katastrophe die Folge derselben zu bekämpfen.
In dieser Beziehung ist wohl von der Mehrzahl der Fachgenossen der Aus-
spruch Wekth's, dass ein extrauterin entwickelter Fruchtsack als eine bösartige
Neubildung anzusehen und demgemäss unter allen Umständen auszurotten sei,
ziemlich allgemein acceptirt; allerdings ist die Frage, wie diese Zerstörung
vorzunehmen sei, nicht ebenso einheitlich beantwortet worden.
Wenn ein früheres Stadium einer Extrauterinschwangerschaft erkannt
wird und zunehmendes Wachsthum des Fruchtsackes darauf hindeutet; dass
die Frucht noch lebt, so ist der Gedanke gewiss berechtigt durch Tödtung
der Frucht die Schwangerschaft zu beendigen, vorausgesetzt, dass dies ohne
wesentliche Gefahr geschehen kann und der Tödtung der Frucht eine prompte
und gefahrlose Rückbildung des Fruchtsackes folgt. Es ist das unbestreit-
bare Verdienst von Winckel durch eine Reihe einwandsfreier Fälle gezeigt
zu haben, dass dies in der That der Fall ist. Dieser Autor nahm den alten
Vorschlag von Feiedreich wieder auf, durch die Bauchdecken in den extra-
uterinen Fruchtsack Morphiuminjectionen zu machen, wodurch der Fruchttod
mit grosser Promptheit erfolgt und fast ausnahmslos eine gefahrlose Rück-
bildung (Resorption?) des Fruchtsackes eintritt. Es ist gar nicht zu leugnen,
dass auf Grund dieser Erfahrungen Winckel's die Nachahmung dieses Ver-
fahrens weiteren Kreisen unbedingt empfohlen werden muss. Von anderer
Seite ist empfohlen worden die Frucht durch Elektropunctur des Frucht-
sackes oder durch Durchleitung starker elektrischer Ströme durch den Frucht-
sack zu tödten; beide Methoden, besonders die erstere sind wegen ihrer Ge-
fährlichkeit nicht zu empfehlen.
Die Mehrzahl der Gynäkologen befolgt die WERTH'sche Anschauung
acceptirend, ein activeres Verfahren, indem nicht nur in jüngeren
Stadien, sondern auch in späteren Monaten der Extrauterinschwangerschaft
und auch nach dem Fruchttode womöglich die Exstirpation des Fruchtsackes
240 EXTRAUTERINSCHWANGERSCHAFT.
diircli die Laparotomie und damit die Beseitigung aller weiteren Gefahren
angestrebt wird. Dies kann besonders bei gestieltem Abgange des Fruditsackes
vom Uterus eine sehr leichte und einfache Operation sein. Dagegen können
diese operativen Eingriffe bei sehr ausgedehnten Verwachsungen des Frudit-
sackes und besonders bei intraligamentcärer Entwicklung mit den grössten
Schwierigkeiten verbunden sein. Es lässt sich zwar auch ein intraligamentär
entwickelter Fruchtsack besonders nach vorhergegangener Abbindung der zum
Tumor führenden Spermatikal- und Uteringefässe ausschälen, doch gelingt
dies nicht immer. Besonders grosse Schwierigkeiten bietet die Entfernung
der Placenta, welche nicht wie bei uteriner Schwangerschaft auf contractilem
Boden aufsitzt, so dass es bei Versuchen zur Entfernung derselben zu abun-
danten Blutungen kommt, welche nur mit den grössten Schwierigkeiten oder
gar nicht zu stillen sind. Für diese letzteren Fälle emptiehlt es sich .den
eröffneten Fruchtsack in den untersten Theil der Bauchwunde einzunähen und
nach Entfernung der Frucht die Placenta in demselben zurückzulassen. Bei
antiseptischer Behandlung des zurückgebliebenen Fruchtsackes gelingt es, nach
einiger Zeit die Placenta unblutig zu entfernen, worauf der Fruchtsack rasch
sich verkleinert und durch Granulationen geschlossen wird. Die Frage, ob
bei lebendem Kinde der operative Eingriff auf das Ende der Schwangerschaft
zu verschieben ist, ist kaum zu bejahen. Bei den zweifellos durch Extrauterin-
schwangerschaft drohenden Gefahren und der meistens schwächlichen Ent-
wicklung extrauteriner Kinder ist die baldige Vornahme der Operation nach
der Constatirung der Extrauteringravidität entschieden zu empfehlen. Ein
exspectatives Verfahren etwa in Hinblick auf die Möglichkeit einer Litho-
pädionbildung ist in Anbetracht der Seltenheit dieser Bildung, sowie der Gefahr
der Vereiterung und Verjauchung des Fruchtsackes nicht zu empfehlen. Bei
Vereiterung des Fruchtsackes ist eine breite Incision an der zugänglichsten
Stelle, also wohl meistens von den Bauchdecken oder der Scheide aus zu
machen und der Abscess nach den gewöhnlichen chirurgischen Ptegeln zu be-
handeln. Beim Tubar-Abort wird bei der Abwesenheit von Fieber oder anderen
schweren Symptomen ein exspectatives Verfahren am ehesten möglich sein,
wogegen stärkere Blutungen und hochgradige Beschwerden oder Zersetzungs-
vorgänge, welche sich durch Temperatursteigerungen kennzeichnen, ebenfalls
die operative Entfernung des Fruchtsackes noth wendig erscheinen lassen.
Dieses active Verfahren hat, wie aus der oben angeführten Statistik ersichtlich
ist, besonders in den jüngsten Jahren zu immer besseren Kesultaten geführt
und dadurch seine Berechtigung erworben.
Bezüglich der Eierstockschwangerschaft ist bereits oben erwähnt
worden, dass sie augenscheinlich sehr selten vorkommt; wenigstens sind bis
jetzt nur wenige anatomisch nachgewiesene Fälle bekannt. Das im Geaaf-
schen Follikel befruchtete Ei kann entweder aus dem Ovarium in die Bauch-
höhle herauswachsen und sich in der letzteren entwickeln, während die Pla-
centa im Ovarium ihren Sitz hat, oder aber das Ei kann sich völlig im Ova-
rium selbst weiter entwickeln und wird in diesem Falle mehr oder weniger
wie ein Ovarialtumor imponiren. Es scheint, dass bei Ovarialschwanger-
schaft die Gravidität relativ am häufigsten das normale Ende erreicht. Eine
sichere Diagnose einer Ovarialschwangerschaft als solche dürfte in den
meisten Fällen ihre grossen Schwierigkeiten haben, resp. unmöglich sein. Im
übrigen kommen dieselben diagnostischen Momente in Betracht, wie sie von
der Tubenschwangerschaft beschrieben sind; dasselbe gilt von der Therapie.
Auch bezüglich der ziemlich seltenen Tubo-Ovarialgravidität, bei
welcher der Fruchtsack von der Tube und dem Ovarium gebildet wird, ist
nichts Wesentliches hervorzuheben, es gelten auch hier dieselben Momente,
wie sie oben ausgeführt sind.
FEOMMEL.
FIBROM, FIBROMYOM, MYOM. 241
Fibrom, Fibromyom, Myom. Fibrom = aus Bindegewebe bestehende
Geschwulst; Myom = aus Muskelfasern bestehende Geschwulst. Wegen der
weitgehenden klinischen Aehnlichkeit und des häufigen Vorkommens von Misch-
formen beider Geschwülste an den weiblichen Genitalien werden sie hier
gemeinsam besprochen.
Einleitung. Fibrom (Fibra, Faser) syn. Fibroid (ungeeignete Benennung, denn
die Geschwulst ist nicht faser-, ähnlich", sondern wirklich eine Fasergeschwulst), Des-
moid (oetu, ich binde, 6 6ea[j.o;, das Band; ungeeignete Bezeichnung aus demselben Grunde
und deshalb, weil Verwechselungen mit Dermoid, Hautgeschwulst, wegen des Gleichklangs
naheliegen); Myom ((j.ü?, (j.uo?, Maus, Muskel), Geschwulst aus, Muskelfasern; die Myome
können aus glatten Muskelfasern bestehen: Leiomyom, Myoma laevicellulare, oder aus quer-
gestreiften: Uhahdomyom, M. striocellulare ; die letzteren sind ausserordentlich selten. Im
folgenden handelt es sich stets um Leiomyome, wenn kurzweg von Myomen die Rede ist.
ViRCHOW und J. Vogel haben die Unterscheidung der Fibrome von den Myomen
gelehrt, indem sie zeigten, dass die früher als Fibrome bezeichneten Uterus-Geschwülste
aus glatten Muskelfasern bestehen. An Bauchdecken, Vulva, Scheide, Lig. rotundum und
Ovarien kommen reine Fibrome vor, in Scheide, Ovarien und vor allem im Uterus treten
Fibrom und Myom als Mischgeschwülste auf: Fibromyome, oder wegen des Ueberwiegens
der Muskelfasern kurzweg als Myome bezeichnet.
Nach Maceration in 20*'/o Salpetersäure (1 Tag lang) oder in 307„ Kalilauge (20— 30 Min.
lassen sich die Muskelspindeln isoliren.
In jüngster Zeit hat Weigert die Ansicht ausgesprochen und begründet, dass die
sogenannten Fibromyome ihren Namen mit Unrecht führen; sie bestehen nach ihm nicht
aus zwei verschiedenen Geweben, sondern der angeblich bindegewebige Theil
besteht nur aus nekrotischen Partien des Myoms. Die scheinbare Möglichkeit,
die Muskel- von den Bindegewebsfasern durch Säuren oder Alkalien zu isoliren, spricht
nicht gegen Weigert, denn es ist klar, dass nekrotisches und lebendfrisches Gewebe eben-
falls so isolirt werden kann. Auch andere histologische und klinische Beobachtungen sind
durchaus geeignet, Weigert's Ansicht zu stützen. Mit diesem Vorbehalt wird in Folgendem
der Ausdruck Fibromyom gebraucht, soweit es sich um unentschiedene Punkte handelt.
Fibrome und Myome sind meist von einem bindegewebigen Mantel umgeben, aus dem
sie sich mehr weniger leicht ausschälen lassen — ein Umstand, der für die Operation von
Belang ist. Subseröse Uterus-Myome (s. u.) sind an der Oberfläche oft von einem Netz
recht grosser Venen überzogen; auch im Innern können sich weite venöse Hohlräume finden,
die eine sehr dünne und mit dem starren Tumorgewebe innig verwachsene Gefässwand
besitzen; schneidet man sie an, so bluten sie stark, da sich die Gefässwand nicht zurück-
ziehen und umrollen kann.
Fibrome und Myome können verschiedene Veränderungen erleiden. Nicht selten
findet man im Innern frische oder ältere Hämorrhagien, letztere mit Bildung dunkelbrauner,
syrupöser Flüssigkeit. Ferner können sie verschiedene rückschreitende Umbildungen und
sonstige Veränderungen durchmachen: Nekrose — diese tritt besonders bei schlecht er-
nährten oder schon in Ausstossung begriffenen Uterus-Myomen in Form erweichter, gelblicher
Hei'de auf, andrerseits fast regelmässig in grösseren Myomen in der Form jeuer blassen,
schlecht färbbaren Züge, die man bisjier als Bindegewebe bezeichnet hat, die aber (s. o.)
nach Weigert nur nekrotisches Myomgewebe darstellen. Verkalkung — auch diese ist bei
Utei'us-Myomen nicht selten und deutet eine Art von Naturheilung an, indem sie haupt-
sächlich mit dem Aufhören des Geschwulst-Wachstums einzutreten pflegt; es kann sich
um eine Verkalkung der Oberfläche oder um eine Durchsetzung der ganzen Geschwulst mit
Kalktafeln handeln; auch wahre Verknöcherung soll vorkommen; Verfettung — erkenn-
bar durch Bildung gelblicher Herde, oft als Einleitung der Nekrose; myxomatöse Er-
weichung — Bildung schleimiger Partien; Gangrän — Verjauchung nekrotischer
Partien durch eindringende Fäulnis-Bacterien ; Abs c esse — durch eindringende eiter-
bildende Bacterien; mehrfach bei Uterus-Myomen beobachtet. Ferner kommen Spalten-
und Höhlen-Bildungen in Myomen vor; jedes Myom hat Lymphgefässe; handelt es sich um
starke seröse Durchtränkung der Tumoren, so findet sich Oedem einzelner Partien oder
des ganzen Tumors; staut sich die Lymphe durch behinderten Abfluss, so kommt es zur
Entstehung grösserer Spalten oder cystischer Hohlräume mit serösem Inhalt: Myoma
cysticum, cavernosum, teleangiectodes. Ausserdem kommen Complicationen mit
malignen Tumoren vor: so mit Carcinom — dieses kann entweder von benachbarten
epithelführenden Organen abstammen, oder von primärem Carcinom benachbarter Organe
(Cervix, Uterus-Schleimhaut) auf das Myom übergehen, oder metastatisch von entfernteren
carcinomatösen Organen in das Myom verschleppt sein; ferner Sarkom, Adenom,
Myxom. Sehr interessant ist das Vorkommen von epithelführenden Myom-Cysten; das
Cylinder-Epithel kann nach Breus von den Gärtnerischen Gängen abstammen.
Wichtig ist die nicht allzu seltene Complication von Myomen der weiblichen Geni-
talien mit Schwangerschaft.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 16
242 FIBROM, FIBßOMYOM, MYOM.
Die Entstellung der Fibrome und Myome ist nicht aufgeklärt. Die
CoHNHEiii'sche Theorie des angeborenen Keimes und der Entwicklung durch spätere Reize
wird heute wohl nicht mehr als eine Erklärung angesehen; sie setzt für eine Frage eine
andere. Einige Autoren nahmen eine Entstehung von Fibromen durch Traumen an; so
denkt Herzog an eine Entstehung von Bauchdeckenfibromen durch Insulte, welche ein
Muskelhämatom hervorriefen. Bemerkenswert ist der Hinweis von Cordes, Rösger,
Gottschalk, Küstner, welche die erste Anlage der Myome auf die Muskelwand kleinster
Arterien zurückführen. Gottschalk weist ferner auf das Vorkommen von einzelligen thie-
rischen Parasiten (Cystoden) hin; dieser Umstand verdient nachdrückliche Beachtung und
genaueste Untersuchung. Natürlich wird sich letztere zunächst auf die jüngsten, d, h.
kleinsten Myome erstrecken müssen. Unter diesem Gesichtspunkte ist das — wenn auch
äusserst seltene — Vorkommen von Metastasen der Fibrome sehr bemerkenswert; solche
Metastasen werden nicht nur in der älteren Literatur sondern auch in neuester Zeit wieder
beschrieben; auch wären Entstehung und Wachstum von Geschwülsten infolge eines cen-
tralen Reizes mit der Theorie, einer Parasiteu-Infection sehr gut vereinbar. Alter und Ovu-
lation sind auf gewisse Formen dieser Tumoren von unverkennbarem Einfiuss: Uterus-
Myome sind vor der Pubertät noch nicht beobachtet worden. (Ueber den Einfluss der
Ovulation auf die Uterus-Myome s. u.)
I. Fibrome der Bauchdecken.
Sie können ausgehen vom subcutanen Bindegewebe, von den Fascien und
der Scheide der Bauchmuskeln, besonders des Rectus abdominis. Sie wachsen
langsam und können, je nach dem ursprünglichen Sitze, mehr die Aussenhaut
vorwölben oder das Peritoneum nach innen vordrängen, ja bei weiterem Wachs-
thum innig mit diesem verbunden sein.
Die Symptome sind meist gering; stärkere Beschwerden können sie bei
besonderer Grösse machen, so in Eokitansky's Fall, in dem die 32 Pfund
schAvere Geschwulst bis zu den Knien herabhing. An Veränderungen sind
Oedem, Verkalkung, Verfettung, an Complicationen solche mit Myxom und
Sarkom beobachtet worden.
Die Diagnose ist im. allgemeinen leicht : langsam wachsender, harter
Tumor, unter der Haut mehr-weniger verschieblich, von den Bauchdecken aus-
gehend. Ist der Tumor aber gross und gegen die Bauchhöhle zu entwickelt,
so können allerdings differential-diagnostisch Lipome, Ovarial- und Pienal-
Tumoren, seltener wohl abgekapselte präperitoneale Exsudate in Frage kommen,
da für die letzteren die Anamnese wesentlich andere Anhaltspunkte geben
wird. Macht die Diagnose Schwierigkeiten, so wird man in Narkose den Sitz
der Geschwulst genauer zu bestimmen, insbesonders nachzuweisen suchen, ob
der Tumor mit Mere oder Ovarium in Verbindung steht.
n. Fibrome der Vulva.
Im allgemeinen selten ; meist handelt es sich um reine Fibrome, seltener
um Fibromyome, die von den grossen Labien, dem Mons Veneris, weniger
häufig von den kleinen Labien oder vom Damme ausgehen und deren Basis
leicht ausschälbar ist. Sie können bis mannskopfgross werden; während der
Menses und der Schwangerschaft sieht man sie gelegentlich oedematös werden
und Cysten, bez. cystöse Lymph-Räume entwickeln. Auf der Oberfläche können
durch Reibung und äussere Insulte Geschwüre entstehen. Wenn noch klein
und gestielt, bezeichnet man sie als Molluscum pendulum oder simplex. Durch
ihr Gewicht ziehen sie meist einen Stiel aus. Sind sie aus einzelnen Knöt-
chen zusammengesetzt, so haben sie eine bucklige, gefurchte Oberfläche, sind
also elephantiastischen Geschwülsten ähnlich. Es scheint jedoch nicht ausge-
schlossen, dass in solchen Fällen Elephantiasis und Fibrome verwechselt
wurden; denn beide haben als Grundlage eine bindegewebige Geschwulst, die
von mehrschichtigem Pflaster-Epithel überzogen ist, — Grosse Geschwülste
können mechanische Belästigungen verursachen.
ni. Fibrom, Myom und Fibromyom der Scheide.
Ebenfalls recht seltene Geschwülste, welche als reine Fibrome oder als
Fibromyome, seltener als reine Leiomyome vorkommen ; (über Rhabdomyora
FIBROM, FIBROMYOM, MYOM. 243
der Scheide siehe weiter unten). Sie können vom sut)mucösen Bindegewebe,
der Muscularis und dem paravaginalen Bindegewebe ausgehen und finden sich
in der vorderen Wand doppelt so oft als in der hinteren ; sie kommen breit
aufsitzend und gestielt vor. Die von Faye aufgestellte Vermuthung, dass
sie durch Onanie entstehen, weist Winckel mit Recht zurück ; ihre Aetiolo-
gie ist ebenso dunkel, wie die der Myome überhaupt. Beinerkenswerth ist
es, dass sie schon angeboren und in den ersten Lebensjahren beobachtet
worden sind. Bire Grösse schwankt zwischen der einer Erbse bis zu der
eines Kindskopfes. Man fand sie stets nur vereinzelt, nicht zu mehreren.
Häufig sind sie serös durchtränkt und dann weicher, fast fluctuirend ;
ausserdem sind theilweise myxomatöse Entartung und Hämorrhagien solcher
Geschwülste beobachtet worden; alte Blutungen im Innern der Tumoren
können zu syrup- ähnlich er, schwarzbrauner Flüssigkeit eingedickt werden.
Nicht nur in der Reihe der Scheidengeschwülste, sondern unter den Ge-
schwülsten überhaupt, nimmt eine ganz eigenartige Stellung jene Geschwulst
ein, welche von Breisky und Kaschev^aeowa Rudewna beschrieben und von
Klebs mikroskopisch untersucht worden ist, und für welche man Analogien
in der Mere gefunden hat: es soll sich hier um ein wirkliches Rhabdomyom,
eine Neubildung mit quergestreifter Musculatur in der Scheide eines 1.5-jährigen
Mädchens gehandelt haben. Nach der Exstirpation trat ein Recidiv ein, dem
die Kranke erlag.
Symptome. Fibrome und Fibromyome der Scheide wachsen langsam und
machen geringe Erscheinungen, so lange sie klein sind. Grössere Tumoren
können aber beträchtliche Beschwerden verursachen: Erschwerung und Ver-
hinderung des Urinirens; erschwerte Defäcation. Cohabitation und Conception
können erschwert, ja unmöglich sein. Der Uterus wird nach oben oder nach
der Seite verdrängt; in anderen Fällen kann Inversion der Scheide entstehen.
Tritt Conception ein, so werden kleinere Geschwülste den Eintritt des Kindes
nicht erschweren; grössere können aber sogar Anlass zum Kaiserschnitt geben.
Bei günstigem Sitze der Geschwulst kann allerdings das durchtretende Kind
den Tumor vor sich herabdrängen, so dass er vor dem Kinde geboren wird.
In Geeene's Fall entstand durch die Geburt des Tumors sogar ein Dammriss.
Diagnose. Die Diagnose wird sich auf folgende Punkte stützen: Lang-
sames Wachsthum, Härte, runde Form, Verschieblichkeit gegen die übrigen
Organe, Sitz im Bindegewebe der Scheide. Um den letzteren Punkt auf-
zuklären, kann es nöthig werden, von Urethra oder Rectum aus zu untersuchen.
IV. Myome des Uterus.
Wegen ihrer Häufigkeit gehören die Uterus-Myome zu den wichtigsteii
Geschwülsten der weiblichen Genitalien. Sind sie auch im pathologisch-ana-
tomischen Sinne nicht bösartig, so können sie doch einerseits Gesundheit und
Leben der Kranken in die höchste Gefahr bringen, ja vernichten, andi'erseits
gehören Complicationen mit bösartigen Geschwülsten (Carcinom, Sarkom) leider
durchaus nicht zu den Seltenheiten.
Aetiologie. Gerade bei den Myomen des Uterus schien es, als ob sich
Anhaltspunkte für das Verständnis ihrer Entstehung böten; denn Vorkommen,
Wachsthum und spontane Rückbildung der Uterus-Myome hängen ohne jede
Frage innig zusammen mit physiologischen Processen in den Genitalien: man
findet Uterus-Myome nur bei geschlechtsreifen Frauen (der Fall von Beigel,
Myom bei einem 10-jährigen Mädchen, spricht nicht dagegen, da in diesem
Alter die Menses oder doch Ovulation schon vorhanden sein kann, und da
Winckel bei einer verheirateten, aber noch nicht menstrual blutenden Frau
Myome gefunden hat); sie entwickeln sich während der Geschlechtsreife, um
bei Eintritt der Menopause in ihrem Wachsthum aufzuhören, ja sich in der
Folge sogar zurückzubilden. Ferner: die Wegnahme der Ovarien ruft mit
16*
244 FIBROM, FIBROMYOM, MYOM.
Sicherheit eine — wenn auch langsame — Kückbildung der Uterus-Myome
hervor, eine Thatsache, welche therapeutisch von so einschneidender Wichtigkeit
ist; es scheint sich hier nicht, oder wenigstens nicht allein um die dabei unver-
meidliche Unterbindung der Arteria spermatica, sondern in der Hauptsache
um das Aufhören der Ovulation zu handeln. In diesem Sinne gewinnt die
Kenntnis der von v. Herff und v. Gaveonsky untersuchten feineren Ovarial-
nerven-Aeste eine Bedeutung, auf welche schon Kaltenbach hinwies. Der Zu-
sammenhang zwischen Wachsthum der Myome und Ovulation wird von keiner
Seite bestritten. Anders verhält es sich jedoch mit der früher wiederholt aus-
gesprochenen Vermuthung, dass Myome bei solchen Personen häufiger vorkom-
men, welche den Geschlechtsgenuss entbehren, dass also die sexuelle Enthalt-
samkeit die Entstehung von Myomen begünstige. Schröder hat dem gegenüber
erfolgreich die Ansicht vertreten, dassnichtdie Sterilität zur Bildung
von Myomen führt, sondern dass vielmehr die Myome häufig Ur-
sache der Sterilität sind. Zweifellos stehen solchen Untersuchungen be-
deutende Schwierigkeiten im Wege ; denn Unverheiratetsein ist nicht gleichbedeu-
tend mit sexueller Enthaltsamkeit; Frauen, die geboren haben und später an My-
omen leiden, sind in der Folge steril, obwohl sie vorher Kinder zur Welt brachten
u. s. w. — Eine weitere Schwierigkeit solcher Untersuchungen bemühte sich
Schuhmacher, der unter Fehling arbeitete, zu bewältigen: er sagte sich, dass
„in den Lebensjahren, welche in Betracht kommen, stets mehr verheiratete
Frauen zum Arzt kommen, als ledige; es beweise also das Ueberwiegen der
mit Fibromen sich dem Arzt vorstellenden Verheirateten in dieser Beziehung
nichts." Er stellte die Frage deshalb so: „Sind im Verhältnis zur Zahl der
vorhandenen Frauen und Mädchen mehr von den ersteren als von den letzteren
erkrankt?" W^ährend nun das Verhältnis der Verheirateten zu den Ledigen
überhaupt 5 : 1 war, kam bei den Myom-Kranken auf 2 Verheiratete 1 Ledige;
nach Gusserow ist das Verhältnis der verheirateten Myom-Kranken zu den
ledigen 2'4 : 1, nach Winckel 3:1. Nach Gusserow's und Schumacher's
Statistik erkranken also die Ledigen relativ häufiger, nach Winckel's Zahlen
erkranken Ledige und Verheiratete ungefähr in demselben Verhältnis, in
welchem sie in diesem Lebensalter überhaupt vorkommen. Demnach wäre die
Frage, ob Myome häufiger bei Ledigen oder Verheirateten vorkommen, noch
strittig. Dagegen steht es fest, dass Myomkranke im Durchschnitt häufiger
unfruchtbar oder weniger fruchtbar sind, als Gesunde. Die verheirateten
Kranken der Basler Klinik hatten nach Fehling eine Fruchtbarkeit von 2*4^
während diese in der Schweiz überhaupt 3'45 beträgt; genau dieselbe Frucht-
barkeit (3-45) hatten allerdings Schröder's Myomkranke.
Am häufigsten werden Myome bei Kranken zwischen 30 und 50 Jahren
beobachtet. Schröder fand folgendes Verhältnis:
Alter
Myomkranke
Pro Cent
19
2
0-25
20—30
58
7-26
30—40
229
28-69
40—50
407
51-00
50—60
94
11-77
60—70
8
1-00
Winckel fand als Durchschnittsalter 33 Jahre. Mit ausserordentlicher
Sorgfalt hat Winckel den Ursachen nachgespürt, welche zur Entstehung von
Myomen führen könnten und er betrachtet als solche Ursachen hauptsächlich
locale Reize, wie Aborte, Contusionen der Uterus-Wand, Erschütterungen
(Tanzen, Reiten etc.) während der Menses, ferner Allgeraeinleiden u. s. w.
Aber es ist von anderer Seite hervorgehoben worden, dass diese Reize wohl
nicht mit Sicherheit als Ursache der Myom-Bildung anzusehen sind, wenn
selbst ein so gründlicher Untersucher wie Winckel in dieser Beziehung kein
FIBROM, FIBROMYOM, MYOM. 245
nennenswerthes Ergebnis erzielte. Man wird ilnn aber insofern beistimmen
müssen, dass man sagt, alle diese Heize können den ]5oden vorbereiten, auf
welchem dann die Entstehung eines Myoms erleichtert ist, wie etwa bei Car-
cinomen der Boden durch Ulcera u. Ae. vorbereitet wird.
Die Abhängigkeit des Wachsthums der Myome von der Ovulation ist eine
so überaus interessante und unbestreitbare Thatsache, dass man mit Hecht nach
anatomischen Grundlagen in den Ovarien selbst suchte; diese Untersuchungen
haben aber zu keinem Ergebnis geführt, denn eigenthümliche Veränderungen
(hyaline Entartung) der Gefässwände in den Ovarien kommen auch beim
Fehlen von Uterus-Myomen vor. Vielleicht ist die Ovulation nicht unmittel-
bar mit der Entstehung der Myome in Zusammenhang zu bringen, sondern
man dürfte eher sagen: Sind Myome aus irgend einer anderen Ursache einmal
entstanden, so sind sie in Wachsthum und Rückbildung weitgehend abhängig
von der Ovulation oder noch allgemeiner : nach gesteigerter Blutzufuhr zum
Uterus.
Patliolog. Anatomie. Für die Uterus-Myome, ihre Rückbildung, cystöse
und maligne Entartung, sowie für Verjauchung und Abscess-Bildung in den-
selben gilt das, was oben im allgemeinen von Myomen gesagt wurde. Hin-
zugefügt kann werden, dass nach Galvanisationder Myome (Apostoli's
Methode) in einzelnen Fällen Verjauchung derselben eintrat, wie man dies
auch schon früher nach diagnostischen oder operativen Eingriffen beobachtet
hatte. Dass die Verwendung starker constanter Ströme eine beträchtliche
Einwirkung auf Myome hat, ist durch mehrfache Versuche nachgewiesen; so
habe ich früher gezeigt, dass sich besonders eine polare, weniger eine inter-
polare Wirkung chemisch, makro- und mikroskopisch nachweisen lässt: am
positiven Pol findet Säureentwicklung und Gerinnung, am negativen aber
Alkalien-Entwicklung und Quellung, in beiden Fällen also Gewebs-Nekrotisirung
statt; die elektrolytische Wirkung führt ferner zu Gasbildung (nicht zur Bildung
von Luft, es kann also auch nicht Luft-Embolie darnach auftreten,
wie überraschender Weise ein Kritiker (Cario) eingeworfen hatte). Diese
Gase können in Blut- und Lymphbahnen weithin Gerinnungen erzeugen, da-
durch zur Thrombose und in letzter Reihe zur Nekrose des ungenügend er-
nährten Gebietes führen; an beiden Polen findet Temperatursteigerung statt
(und zwar nach bisher nicht veröffentlichten, von mir angestellten Ver-
suchen) an Myomen, die soeben aus der Lebenden durch Operation entnommen
waren, um 4— 5* 5*^ C. (an der Nadel- Anode bei 150 M.-Ampere, wenn der
Strom 30 — 38 Min. wirkte und die Myome selbst 19 — 20" C. massen); zu diesen
Versuchen waren kindskopfgrosse Myome benützt worden; bei früheren (schon
veröffentlichten) Versuchen hatte ich fingergrosse Myomstücke genommen.
An diesen betrug die Erwärmung bis zu 14° C. (bei 30 M.-A., 15 Min. lang,
und einer Anfangstemperatur des Myoms von 17° C.), ferner tritt zweifellos eine
physiologische Wirkung auf die Muskelfasern des Myoms und seiner Gefässe
ein, welche sich in Contraction, bez. später in Erschlaffung derselben äussert.
Es muss noch erwähnt werden, dass cystöse Uterus-Myome sich durch
besonders rasches Wachsthum auszeichnen, und dass Uterus-Myome sich in der
Schwangerschaft rascher als sonst vergrössern, jedoch im Wochenbett oft auf-
fallend stark verkleinern, — Thatsachen, welche mit der erhöhten und vermin-
derten Blutzufuhr in Zusammenhang stehen dürften und vielleicht auf
das Wachsthum der Myome zur Zeit der Ovulation den Schluss
gestatten, dass es sich auch hier um Wirkungen der verän-
derten Blutzufuhr, nicht um nervöse Einflüsse handelt.
Die Myome entwickeln sich Anfangs meist im Uterus-Körper, seltener
im Cervix: nach Winckel in 5%, nach Schröder in 8% der Fälle primär im
Cervix; allerdings wachsen viele später noch in den Cervix hinein. Wenn auch
ihr Sitz ursprünglich in der Muskelwand des Uterus ist, so wii'd er bei w^ei-
246 FIBROM, FIBROMYOM, MYO^I.
terem AVachsthura doch gewisse Aenderungen erfahren, je nach dem Orte des
geringsten Widerstandes:
a) Bleiben sie breit in der Muskel wand sitzen, so nennt man sie inter-
stitiell, intraparietal oder intramural (Fig. 5, pag. 251),
b) Liegen sie ursprünglich näher der Uterus-Schleimhaut, so drängen
sie sich in dieser Richtung vor oder werden vorgedrängt und können poly-
pös, mehr-weniger dünn gestielt in die Uterushöhle, in den Cervix, ja im
weiteren Verlauf bis in die Scheide und vor die Vulva ragen: submucöse
Myome, fibröse Polypen (im Gegensatze zu den Schleim- oder Schleim-
haut-Polypen, welche aus gewucherter Schleimhaut mit Ptetentions-Cysten
bestehen) (Fig. 4, 3 u. 1, pag. 249 u. 250).
c) Waren sie Anfangs näher dem Peritoneum gelegen, so entwickeln sie
sich leichter in dieser Richtung und sie können breit oder dünn gestielt, -von
Peritoneum überzogen in die Bauchhöhle hinein ragen: sub seröse Myome.
Bei dieser Richtung der Entwicklung können sie auch in die Ligamenta lata
hineinwachsen, diese entfaltend und breit im parametralen Bindegewebe lie-
gend; die letztere Form bietet der operativen Entfernung ganz besondere
technische Schwierigkeiten.
Für das Verhältnis der einzelnen Formen fand Winckel folgendes: 257o
seiner Fälle waren subserös, 65% intraparietal, 10% submucös.
Eine Naturheilung ist in allen 3 Fällen möglich: entweder durch
Schrumpfung oder Verkalkung, und diese tritt in der Menopause fast regelmässig
ein; oder durch Ausstossung, und der Fall, in welchem von einer Nonne ein
verkalktes Myom („Uterus -St ein") geboren wurde, paradirt in jedem Lehr-
buche und Vortrage über Myome; die Ausstossung per vaginam tritt am
häufigsten bei submucösen Myomen ein, seltener bei interstitiellen nach Gan-
grän des Mantels; oder subseröse Myome werden nach Nekrose des peritone-
alen Stieles vom Uterus getrennt und durch Adhäsionen in der freien Bauch-
höhle fixirt; ja sie können durch die Adhäsionen sogar weiter ernährt werden.
Meist kommen Uterus-Myome nicht vereinzelt, sondern zu mehreren vor.
Das ist therapeutisch wichtig und macht die von Maethst angegebene ope-
rative Ausschälung der Myome leider zu einer nicht stets genügenden Ope-
ration, so vortheilhaft diese Methode auch sonst wegen ihres conservativen
Charakters ist. Sehr häufig ist der ganze Uterus in einen grossen, vielbuck-
ligen Tumor verwandelt, an welchem nur die Abgangsstelle der Tuben und
Ligamente den Uterus-Fundus, sowie die Sondirung den Verlauf der Uterus-
Höhle erkennen lassen.
Was die Grösse anbelangt, so hat man bei interstitiellen Myomen schon
eine ganz erstaunliche Ausdehnung beobachtet; in dem von Winckel abgebil-
deten Falle von Dr. Hepites handelte es sich um ein Myom von 78 Kilo bei
einem Bauchumfange von 185 cm.
Wichtig ist eS; dass beim Vorhandensein von Uterus-Myomen, u. zw.
mehr bei interstitiellen und submucösen als bei subserösen, die Uterus-Schleim-
haut oft starke Wucherungen zeigt, welche sowohl in der Form der inter-
stitiellen als der glandulären Endometritis auftreten können; die
oft so bedrohlichen Blutungen erklären sich theil weise dadurch. Zu den
Myomen selbst gehen jedoch meist keine grösseren Gefässe, sie liegen viel-
mehr — durch kleine Arterien ernährt — in einem bindegewebigen Mantel, aus
dem sie sich oft unschwer ausschälen lassen. Die oberflächlichen Venen
können jedoch (so bei subserösen Myomen) in Folge des erschwerten Ab-
flusses ausserordentlich vergrössert sein. Auch findet man im Stiel polypöser
Myome oft recht beträchtliche Arterien,
In einem Falle hatte ich den bleistiftdicken, sehr derhen Stiel des polj^pös in die
Scheide ragenden Cervix-Myoms vor der Abtragung mit scharfer Nadel durchstochen und
nach beiden Seiten hin unterbunden, um ein Abgleiten der Ligatur zu verhüten. Trotzdem
FIBROM, FIBßOMYOM, MYOM. 247
erfolgte nach der Abtragung eine recht erhebliche arterielle Blutung; offenbar war die
centrale Arterie angestochen worden.
a) Interstitielle Myome. Sie gehören zu den grössten Gcsdiwülsten,
welche am Uterus überhaupt vorkommen. Wegen ihrer innigen Verbindung
mit der Uterus-Wand wachsen sie nicht nur schneller, sondern sie können
auch eine bedeutendere Grösse erreichen, als die subserösen und submucösen.
Sie kommen meist vielfach an einem Uterus vor; Sciiultze fand in der Leiche
einer 83-jährigen Frau einen Uterus mit mindestens 50 Myomen.
Bei zunehmendem Wachsthum können sie entweder gleichmässig den
ganzen Uterus-Körper auftreiben, oder vielbucklig an der Aussen- und Innen-
fläche vorspringen; die Uterus-Höhle wird dann in ihrer Form verändert, ja
ihr Lumen kann so verlegt werden, dass es zur Entstehung von Hämato-
metra kommt. Tuben und Ovarien können ihre normale Grösse zeigen, aber
auch verdickt oder — was häufiger ist — stark in die Länge ausgezogen sein.
Bei starker Entwicklung der Myome kann es zur Entstehung von Hängebauch,
zu Verwachsungen mit den Bauchdecken und Gangrän derselben kommen, so
dass die Tumoren frei zu Tage liegen. Auch in Leisten-Hernien kann der
myomatöse Uterus zu liegen kommen und darin eingeklemmt werden.
h) Submucöse Myome. Man findet sie entweder breit dem Uterus
innen aufsitzend — oder theils in Folge der Uterus- Contractionen, theils (aber
weniger) in Folge des eigenen Gewichtes — einen Stiel ausziehend und in Cervix,
Scheide, Vulva vorgedrängt. Dass dieser Stiel der „fibrösen Polypen" manch-
mal eine recht beträchtliche Arterie besitzt, wurde schon erwähnt.
c) Subseröse Myome. So lange sie breit dem Uterus unter dem
peritonealen Ueberzuge aufsitzen, wachsen sie schneller, als nach Bildung
eines peritonealen Stieles. Der letztere kann abgeschnürt und die Myome so
vom Uterus getrennt werden.
d) Cervix-Myome. Sie können sich entweder breit im Cervix und
ins Beckenbindegewebe hinein entwickeln, oder nur einer Portio-Lippe an-
gehören. Polypöse Stielbildung ist nicht selten; der Tumor kann dann in
der Scheide, in und vor der Vulva erscheinen; in anderen Fällen führt er
zum Prolaps des Uterus. Der untere Pol der Geschwulst ist oft nekrotisch oder
gangränös, jauchend. Starkes Oedem lässt den Tumor so weich erscheinen,
dass man Ursache hat, an eine maligne Entartung desselben zu denken. —
Grossen Cervix-Myomen, welche breit in der Cervix- Wand entwickelt sind,
sitzt der Uterus oft als Anhängsel auf, das man dann oberhalb der Sym-
physe, ja in und über Nabelhöhe als kleinen Tumor fühlt. Abgang der Li-
gamente und Tuben und Richtung der Uterushöhle (Sonde) lassen den schein-
baren Neben-Tumor dann als Uterus erkennen.
Symptome. Das wichtigste Symptom ist die Blutung; sie bestimmt in
der überwiegenden Mehrzahl sowohl das klinische Bild als die Therapie.
Meist beginnt sie als eine Verstärkung der menstrualen Blutung, führt dann
zu deren allzu früher und zu lange dauernder Wiederkehr, setzt ausserdem
bald genug mit intermenstruellen Uterus-Hämorrhagien ein, um endlich in
den schlimmsten Fällen Jahre lang fast ununterbrochen, nur in geringerer
oder grösserer Stärke, anzudauern. Die Frauen verbluten sich zwar nicht leicht
acut, aber sie kommen schliesslich bis zu vollständiger Erschöpfung herunter
und Nebenkrankheiten, welche sich auf dem so vorbereiteten Boden leicht ein-
stellen, führen das traurige, oft ersehnte Ende herbei; denn in so schweren
Fällen sind die beklagenswerthen Frauen — wenngleich oft bis zum letzten
Tage fast schmerzfrei — doch unfähig, sich auch nur dem bescheidensten Lebens-
genüsse hinzugeben.
So schlimm ein derartiger Verlauf auch ist, so häufig er auch eintritt
und so weitgehend er auch im klinischen Bilde an die Symptome einer bös-
artigen Geschwulst erinnert, er bildet doch nicht die Regel, sondern selbst
248 FIBROM, FIBROMYOM, MYOM.
in sclnvereu Fällen kann es ohne Operation zu einem Geringerwerden,
ja zum Stillstand der Blutungen und zu einer Art voa Naturheiluiig durch
Alischnürung, Verkalkung oder Rückbildung des Tumors, ja durch Ausstossung
sogar zu wirklicher Heilung kommen.
Neben den Blutungen besteht mehr-weniger reichlicher, wässerig-schlei-
miger Ausfluss, oft Jauchung. Durch Besorption der Zerfallspro ducte
kann das Bild schwerer Kachexie verstärkt werden und die wachsgelbe Farbe
der Haut lässt zuerst an einen bösartigen Tumor denken.
Schmerzen pflegen Anfangs zu fehlen; auch beim Vorhandensein grosser
Geschwülste können sie auflallend gering sein. Häufig zeigen sich die Er-
scheinungen des Druckes auf Nachbarorgane: Blase, Mastdarm, Ureteren. Man
findet sowohl Drang zum Uriniren als erschwerte oder zeitweilig unmöglich
gemachte Harn- Entleerung, erschwerte Defäcation, selten Hydronephrose und
ihre Folgen. Grössere Tumoren verursachen Kreuzschmerzen, Schmerzen in
den Oberschenkelnerven; bei submucösen Myomen treten oft intensive Wehen
auf, die beim Durchtreten des Tumors durch die Scheide naturgemäss ganz
den Charakter von Geburtswehen haben können. Ascites ist bei Myomen im
allgemeinen selten.
Aus mechanischen Gründen können sieBetrodeviationen des Ute-
rus bewirken. Verminderte Fertilität und relative oder absolute
Sterilität kann sowohl durch das mechanische Hindernis in der Uterus-
Höhle, als durch die Wucherung der Uterus-Schleimhaut, als durch mecha-
nischen Verschluss der Tuben bedingt sein. Dysmenorrhoe kann eine Folge
des ersteren Umstandes sein.
Erbrechen tritt bei Myomkranken massig häufig auf, braucht aber
nicht stets die Folge des Myoms zu sein.
Nicht selten lactiren die Brüste Myomkraiiker, wie dies ja bei Abdominal-
Tiimoren im Allgemeinen oft vorkommt.
Dass mit Eintritt der Menopause die Myome allmälig zu wachsen auf-
hören, wurde schon erwähnt. Immerhin kann aber der Eintritt der Klimax
durch vorhandene Myome hinausgeschoben werden; die erste Thatsache ist
zu bedenken, bevor man bei Frauen operirt, die dem Zeitpunkt der normalen
Pause nahestehen; die letztere Thatsache wird trotzdem oft eine Operation
rechtfertigen.
Der Ausgang kann ein mehrfacher sein: Stillstand im Wachsthum der
Myome und damit ein allmähliges Aufhören der Symptome, oder Spontan-
heilung, oder Tod in Folge der Kreislaufstörungen, der Blutungen, der sich
hinzugesellenden Sepsis.
Diagnose. Wenn man sieht, wie in der Praxis oft verfahren wird, er-
scheint es nicht überflüssig, immer wieder zu betonen, dass der allerwich-
tigste Punkt die zweihändige Untersuchung ist, bei schwieri-
gen Fällen stets in Narkose. Festzustellen hat man vor Allem, ob der
Tumor dem Uterus angehört oder den Nachbar-Organen; ferner, ob man die
Ovarien neben dem Tumor zu tasten vermag (Unterscheidung von Ovarial-
Tumoren) und wie das Verhältnis der Uterus-Ligamente und Tuben zur Ge-
schwulst ist.
Am leichtesten sind Cervix-Myome, ferner die submucösen Myome dann
zu erkennen, wenn sie in den Cervicalcanal oder in die Scheide hineingeboren
sind. Die ersteren treiben die eine Portio-Lippe oft zu einem grossen, runden,
harten Tumor auf, welchem die andere Lippe dann als schmaler Saum an-
liegen kann. Fibröse Polypen könnten mit Schleimhautpolypen verwechselt
werden; das Fehlen der Retentions-Cysten, die harte Consistenz sprechen
gegen die letztere. Submucöse Myome, welche in den Cervix hineinragen,
lassen sich oft direct abtasten; ist der Cervix aber nicht eröffnet und nach
der Anamnese mit Wahrscheinlichkeit Schwangerschaft auszuschliessen, so
FIBROM, FIBROMYOM, MYOM.
249
dilatirt man den Cervix (mit Laminaria oder brüsk mit Dilatations-Sonden)
und sucht das Uterus-Innere auszutasten; die Sonde wird mithelfen, Verlauf
und Grösse der Uterus-Höhle zu bestimmen. Subseröse Myome fühlt man
(in schwierigen Fällen in Narkose und nöthigenfalls vom Kectum aus) als
harte Tumoren, die der Uterus-Wand breit oder gestielt aufsitzen, während
man ausserdem die Ovarien für sich, oder wenigstens die Uterus-Anhänge an
der Abgangsstelle vom Fundus tasten kann.
Im Einzelnen kommen noch folgende Verhältnisse in Betracht:
Schwangerschaft. Der Nachweis des Kindes ist nur in der zweiten
Schwangerschaftshälfte und nur bei normaler Gravidität zu erbringen. Bei
macerirten Föten, Retention früh abgestorbener Eier u. s. w. sind Verwech-
selungen oft schwer zu vermeiden. Uteringeräusch und Secretion der Mammae
kommen sowohl bei Myomen als bei Gravidität vor. Anamnese, Beschaffen-
heit des Cervix und des unteren Uterin-Segments, eventuell Cervix-Dilatation
müssen helfen, die Diagnose zu sichern. Im übrigen sind schon die tüchtig-
sten Gynäkologen in diesem Punkte Irrthümern verfallen.
Ovarial-Cysten. Im Allgemeinen durch Fluctuation und topogra-
phisches Verhältnis zum Uterus und seinen Anhängen erkennbar. Cavernöse
Myome können aber Fluctuation vortäuschen; der Troicart und selbst die
Laparotomie können zur Diagnose nöthig werden.
Exsudate und Hämatocele. Im Douglas fixirte Myome sind ge-
legentlich damit zu verwechseln. Doch gehen die ersteren breit an die Becken-
wände heran, eng mit ihr verbunden, und die Anamnese wird meist Anhalts-
punkte für das eine oder gegen das andere geben.
Ganz ausserordentlich gross werden die Schwierigkeiten bei gleich-
zeitigem Vorkommen von Myomen mit Schwangerschaft oder
Ovarial -Tumoren, Exsudaten u. s. w. Zur Erleichterung der Diagnose
im Allgemeinen sollen
einige Schulfälle kurz
skizzirt werden, wel-
che der Praxis entnom-
men sind.
la. Polypöses
Cervis-Myom (Fig. 1).
In die Vulva hinein ragt
ein birngrosser Tumor von
glatter, blasser Oberfläche,
harter Consistenz und der
Oestalt eines Uterus. Der
Tumor wird für den pro-
labirten Uterus gehalten
and nach Reposition durch
ein Pessar in der Scheide
festgehalten. Bei näherer
Untersuchung zeigt es sich,
dass von dem Tumor nach
oben ein bleistiftdicker
Stiel abgeht, welcher sich
in einen massig weiten
Canal verfolgen lässt. Por-
tio-Lippen sind zwar nicht
zu fühlen, die Scheide ver-
engt sich trichterförmig
gegen diesen Canal hin;
aber bimanuell fühlt man
über Tumor und Scheide
den Uterus-Körper, dessen
unterem Theile der Canal
angehört. Es handelt sich
also um ein in die Scheide
geborenes Cervix-Myom.
Fig 1.
Polypöses Cervix-Mj-om.
250
FIBROM, FIBROMYOM, MYOM.
Ib Grosses Cervix-Myom (Fig. 2 u. 3). Die ausserordentlich erweiterte
Scheide, deren obere Gewölbe sich zunächst mit dem Finger gar nicht erreichen lassen,
ist durch einen Pol eines massig harten, flachbuckligen Tumors von beinahe Manns-
kopferösse ausgefüllt. Der untere Pol desselben steht dicht hi.nter Vulva und Damm luid
ist lanoränös zerfallen, jaucht. Der obere Pol steht dicht unterhalb des Nabels; rechts
^ ° neben dem Na-
Funä. Uleri bei fühlt man
einen apfelgros-
sen Tumor, wel-
cher rittlings
dem Huupttumor
aufsitzt. Erst in
Narkose gelingt
es, festzustellen,
dass von diesem
kleinen Tumor
die Uterus - An-
hänge abgehen;
man fühlt nun
auch die Ovarien
als bohnengrosse,
verschiebliche
Körper, welche
links und rechts
vom kleinen Tu-
mor der grossen
Geschwulst an-
liegen. Mit der
ganzen Hand in
die Scheide ein-
gehend, gelangt
man vorn (nicht
ohne Schwierig-
keit zwischen
Symphyse und
Tumor) an die
Umschlagsfalte
der Scheide auf
den Tumor; eine
Portio-Lippe fin-
det sich vorn
nicht, die Ge-
schwulst ist breit
in ihr entwickelt.
Nach hinten oben
verengt sich die
Scheide, man ge-
langt in einen
engen Canal, von
dessen vorderer
Wand die grosse
Geschwulst aus-
geht. Ein wirk-
licher Stiel ist
nicht zu fühlen,
da der Tumor
eben nichts ist,
als die vordere
Lippe, welche
durch das öde-
matöse Myom
ausserordentlich
aufgetrieben ist.
Die Diagnose wird
schliesslich da-
durch vervoll-
ständigt, dass die Sonde sich in den rechts oben neben dem Nabel fühlbaren kleinen
Tumor einführen lässt: es ist der Uterus.
rig. 2.
Cei'vix-Myom, Sagittalssclinitt.
Fig. 3.
Dasselbe Cervix-Myom wie in Fig.
2, im Frontalschnitt.
FIBROM, FIBROMYOM, MYOM
251
Fig. 4.
Submucüses Corpus-Myom.
2. Submucöses Corpus-Myom (Fig. 4). Die Menses haben nie ccssirt, sind
im Gegentheil seit 1 '/2 Jahren zunehmend häutiger und reichlicher geworden ; in den letzten
Wochen hat die Blutung fast nicht mehr aufgehört; dagegen sind wehenähnliche Schmerzen
hinzugekommen. — Der ganze Uterus ist in einen kindskopfgrossen Tamor von gleich-
massiger Rundung und praller Consistenz verwandelt, welcher das kleine Becken fast ganz
ausfüllt. — Orificium esternum geschlossen, Portio stark verkürzt, nicht aufgelockert; nach
Dilatation des Cervix fühlt man im Uterus einen ziemlich resistenten Tumor, welcher den
innerenMuttermund
schon zum Verstrei-
chen gebracht hat.
Oberfläche der Ge-
schwulst glatt; mit
der Sonde lässt sich
der Tumor in der
Uterus-Höhle theil-
weise umgehen. —
Die Ligamente fühlt
man erst in Narkose
als Stränge, welche
seitlich vom Uterus
steil ins kleine Be-
cken hinabziehen,
3. Multiple in-
terstitielle und
subseröse My-
ome (Fig. 5). Die
Portio geht in einen
mannskopfgrossen
Tumor über, der
nach oben bis in
Nabelhöhe i-eicht.
Mit dem Tumor be-
wegt sich die Portio
mit. Der Tumor ist
vielbucklig, hart;
einzelneKnoten hän-
gen gestielt daran
dun sind für sich
etwas beweglich. —
Ligamente und Ova-
rien sind auch in
Narkose nicht fühl-
bar ; dagegen geht
die Sonde 22 cm tief
von der Portio aus
in den Tumor ein
und ihr Knopf ent-
spricht seiner Lage
nach einem rechts-
seitigen, flacheren
Buckel am oberen
Umfang des Tumors :
es ist der Uterus-
Fundus.
4. Subserö-
ses, gestieltes
Myom. Im kleinen
Becken fühlt man
hinter dem Uterus
einen mannsfaustgrossen, harten, flachbuckligen Tumor, der von der hinteren Gebärmut-
terwand ziemlich dünngestielt abgeht. In Narkose lassen sich vom Rectum aus sowohl
die seitlichen Uterus-Ligamente als auch die Ovarien deutlich abtasten.
Prognose. Sie ist stets zweifelhaft, wenn auch meist eher zum Guten
neigend. Tod durch Erschöpfung in Folge der hochgradigen Anämie, der
Kreislaufstörungen, Blutungen, oder maligner Entartung des Myoms, Sepsis
bei Verjauchung des Tumors und Embolie der Lungen-Arterie kommen aber
Kg. 5.
Multiple interstitielle und subseröse Myome.
252 FIBROM, FIBROMYOM, MYOM.
leider nicht allzu selten vor. Je näher bei leidlichem Allgemeinbefinden die
Patientin der Menopause steht, desto besser ist die Prognose.
V. Fibrome der Tuben.
Sie sind überaus selten und von geringer praktischer Bedeutung; meist
fand man nur solche von Erbsen- bis Bohnengrösse; nur in Simpsox's Fall
war der Tumor kindskopfgross. Sie wachsen stets mehr nach aussen, so dass
sie nicht einmal das- Lumen der Tube verlegen. In Späth's Fall wurde je-
doch ein hühnereigrosses Myom, in welches die Tube aufging, wegen der
Schmerzen und des anhaltenden Erbrechens operativ entfernt.
VI. Fibrome und Fibromyome der Ovarien.
Sie stellen die seltensten Formen der Eierstocksgeschwülste vor. Ge-
wöhnlich entstammen sie dem Bindegewebe des Ovarium, sie sollen ihren
Ursprung aber auch im Bindegewebe eines Corpus luteum haben können.
Meist entwickeln sie sich nicht als umschriebene Geschwülste im Ovarial-
Gewebe, sondern der ganze Eierstock ist in den Tumor umgewandelt. Fast
stets handelt es sich um reine Fibrome, selten um Fibromyome. In der
Grösse schwanken sie von kleinsten Geschwülstchen bis zu solchen von Kinds-
kopfgrösse und darüber ; Simpson beobachtete eines von 28 kg, Spiegelberg
(s. u.) ein solches von 30 kg. Winckel hat eine doppelseitige Entwicklung
von Ovarialfibromen beschrieben. Sie können sich gestielt entwickeln, indem
sie das Ligamentum latum stielförmig ausziehen ; oder sie sitzen breitbasig im
breiten Mutterband: intraligamentäre Fibrome; in solchen Fällen ist
natürlich die Entscheidung, ob Ovarial- oder Uterus-Fibrom, sehr schwierig.
Gestielte Fibrome sind in der Bauchhöhle verschieblich, können aber auch
durch Adhäsionen festgehalten werden ; in Spiegelbeeg's Fall gingen gänse-
kieldicke Gefässe von der Bauchwand auf den Tumor über. Nicht selten
sind sie von Hohlräumen durchsetzt, welche von Follikeln oder von Lymph-
Spalten abstammen können. Auch Verkalkung und Verknöcherung ist be-
schrieben worden.
Symptome. Sie unterscheiden sich nicht von den Symptomen eines harten
Ovarial-Tumors im allgemeinen: Druckerscheinungen von Seiten der Nachbar-
organe u. s. w. Im kleinen Becken eingeklemmte grössere Fibrome können
auch bedrohliche Zustände bei der Geburt veranlassen; Kleinwächter machte
in einem solchen Falle den Kaiserschnitt. Ascites ist dabei nicht selten.
Die Menses können spärlich werden und frühzeitig aufliören, wenn beide
Ovarien in Fibrome umgewandelt sind, bleiben aber regelmässig, wenn nur
ein Eierstock erkrankt ist.
Die Diagnose ist durchaus nicht leicht, Verwechselungen mit Carcinom
und Dermoid-Cysten sind nicht stets zu vermeiden. Die Fibrome sollen oft,
selbst bei bedeutender Grösse noch die Form des Ovarium zeigen. Intra-
ligamentäre Fibrome werden kaum von solchen des Uterus zu unterscheiden sein.
Therapie. Sie wird stets in der operativen Entfernung bestehen, nicht
allein wegen der Beschwerden, welche der wachsende Tumor später verur-
sachen kann, sondern vor allem wegen der Möglichheit einer Verwechslung
mit anderen Tumoren. Die Ausführung der Operation ist bei gestielten Ge-
schwülsten die gleiche, wie bei gestielten Ovarial-Cysten, bei intraligamen-
tären dieselbe, wie bei solchen des Uterus.
VII. Fibrome und Fibromyome der Ligamenta rotunda.
Da die Ligamenta rotunda vorwiegend aus einer muskulösen Grundlage
bestehen, können in denselben — wenn auch selten — Fibromyome vorkommen.
Solche Geschwülste sitzen, entsprechend dem Verlaufe des Ligamentum rotundum,
entweder noch im Bereich der Bauchhöhle, oder ausserhalb derselben, im
FISSUREN DER MAMMA. 253
Leistencanal oder im oberen Tlicil der Labia majora. Man hat sie auch
lymphangiektatisch, myxomatos und sarkomatös gefunden.
Die Diagnose kann Schwierigkeiten machen, weil bei ihrem Sitze in den
grossen Labien Verwechslungen mit Netzhernien und vorgefallenen Ovarien
möglich sind. Für Fibrom spricht die Unbeweglichkeit beim Husten und die
geringe Druckempfindlichkeit.
Grössere Geschwülste können wegen der vorhandenen Schmerzen die
operative Entfernung erfordern. Diese ist massig schwer beim Sitz der Ge-
schwulst in den grossen Schamlippen, schwierig beim Sitz innerhalb des Leisten-
canals und bei grösseren Tumoren, welche in das kleine Becken hinein ent-
wickelt sind.
VIII. Fibrome und Fibromyome der Ligamenta lata.
Deren primäres Vorkommen wird von Manchen bestritten; sie sollten
nichts sein, als abgeschnürte Fibromyome des Uterus. Von vielen Unter-
suchern (ViECHOW, Saenger, Feeund) wird aber angenommen, dass sie auch
primär im Ligamentum latum selbst entstehen können. Bei dem Gehalt des-
selben an glatter Musculatur hat diese Annahme durchaus nichts unwahr-
scheinliches. Bemerkenswerth ist es, dass sehr weiche Fibrome in das um-
gebende lockere Bindegewebe Ausläufer hineinschicken können, welche gegen
Scheide, Damm oder durch die Incisura ischiadica major hindurch gegen die
Glutäen vorgedrängt werden. So hat Scheödee eine derartige Geschwulst
von der Scheide aus entfernt.
In Symptomen, Diagnose und Therapie unterscheiden sich diese Ge-
schwülste sonst nicht von den intraligamentären Myomen des Uterus.
GUSTAV KLEIN.
Fissuren der IVSämmä. (Entzündungen der Brustwarze.^) Entzündung
der Brustwarze zeigt sich entweder als Erythema papill., wobei die
Haut nur leicht geröthet und die Cutis nicht infiltrirt ist, oder als
Phlegmone, wobei die Warze im Ganzen stark geschwollen, die Haut
dunkelroth, die Schwellung meist auf den Warzenhof ausgedehnt erscheint;
ferner sehen wir Entzündung an der Brustwarze als Eczema papill. mit
Anfangs kleinen, hirsekorngrossen Bläschen, die mit einem hellen Serum ge-
füllt sind und zu 3, 4, 8 auf einer Warze sitzen, meist aber gleichzeitig
beide Drüsen befallen. Platzen die Bläschen, so legt sich die Epidermis ent-
weder wieder an oder sie wird abgehoben und das geröthete Corium bios-
gelegt, welches nässt und blutet, bis öfters aus der Erosion ein Geschwür
entsteht.
Fissuren oder Rhagaden befinden sich entweder an der Spitze oder
an der Basis der Mammilla. Ecchymosen und Hämorrhagien zeigen sich in Form
kleiner linearer oder rundlicher Blutergüsse auf der Höhe der Warze, ent-
sprechend den Steilen, die zwischen den kindlichen Kiefern fi'ei geblieben
sind. Aus den Rissen oder Ulcerationen an der Basis oder Spitze der Mam-
milla entstehen Geschwüre, welche mehrere Milchgänge verbinden, eine kranz-
förmige Oeffnung bilden und in den Grund der Milchgänge sich öffnen. Diese
Ulcera können heilen, wobei einige Milchgänge, allmälig aber auch alle un-
wegsam werden.
Herpes areolae papill. nennen war ein mit starker Borkenbildung
einhergehendes, sehr hartnäckiges Eczem, welches nicht über den Warzenhot
hinwegschreitet, aber ihn und die Warze selbst mit dicken, gelben Krusten
bedeckt. Wenn diese abgestossen werden, so reissen nicht selten die Borken,
und es sickert zwischen den Rissstellen Flüssigkeit hervor.
*) Vergl. aTicli Artikel jjMcwtmakranJcheiten^ in ds. Bd.
254 FRUCHTENTWICKLUNG.
Die Begleiterscheinungen dieser Erkrankungen der Brustwarze sind
Schmerzen, die beim Anlegen des Kindes gegen die Brust und Achselhöhle
ausstrahlen, ja häufig sind mit ihnen Fiebertemperaturen verbunden, die eine
Plöhe von 40" C. erreichen können. Durch Absetzen des Kindes auf der
Höhe des Fiebers lässt sich zuweilen ein rascher Abfall herbeiführen.
Bei Vorhandensein von Schmerz und Fieber schwindet der Appetit, die Wöch-
nerin wird aufgeregt und ängstlich vor dem Gedanken, das Kind wieder an-
legen zu sollen. In den meisten Fällen heilen die Rhagaden innerhalb
10 — 12 Tagen. In manchen Fällen bilden sich Knoten in der Brust, und es
kommt zu einem Drüsenabscess; in anderen Fällen aber tritt die Entzündung
der Brustdrüse mit Abscedirung erst 8 — 14 Tage nach dem völligen Vernarben
der Wunden an der Mammilla auf, ist aber trotzdem auf diese zurückzuführe n.
Länger bestehende Geschwüre der Mammilla können bisweilen den
grössteu Theil derselben zerstören. Die Disposition zu Erkrankungen
der Brustdrüse und deren Warze ist gewöhnlich darauf zurückzuführen, dass
die Frauen während der Schv^angerschaft die Pflege der Brustdrüsen vernach-
lässigen und speciell durch unzweckmässige Kleidungsstücke dieselben einem
schädlichen Drucke aussetzen. Auch wenn Colostrum eintrocknet, bildet es
oft eine dicke Borke auf der Warze, unter der die Epidermis zart und weich
ist, so dass sie leicht von der Mundflüssigkeit des Säuglings macerirt und
abgehoben wird. In den meisten Fällen sind starkes Saugen, Zerren oder
Beissen mit den Kiefern des Kindes die hauptsächlichste Ursache der Fissuren,
speciell dann, wenn die zu kleine oder zu flache Warze vom Säugling nicht
gut gefasst werden kann. Um die Rhagadenbildung zu verhüten, sollen die
Schwangeren bequeme, die Brüste nicht drückende Kleidungsstücke tragen,
frühzeitig anfangen, die Warzen zu waschen, mit den Fingern hervorzuziehen
und durch spirituöse Einreibungen abzuhärten.
Es ist längst bekannt, dass Fissuren häufig jeder Behandlung trotzen.
Bei einfachem Erythem und Phlegmone sind Umschläge mit Aqua plumbi zu
empfehlen und die Warze sorgfältig zu reinigen, ehe das Kind angelegt wird.
Bei Erosionen, Bläschen und Excoriationen höheren Grades werden Umschläge
mit 3 — 5% Carbolsäurelösung angewendet; in diesen Fällen kann das Kind
nicht direct sondern nur vermittelst eines Gummi-Warzenhütchens trinken.
Wenn aber trotz dieser Mittel die Wunde nicht heilt, das Geschwür tiefere
Partieen ergreift, Fieberbewegungen auftreten und die Drüse zu schmerzen
beginnt, so muss unter allen Umständen das Kind abgesetzt werden; dann
heilt auch selbst die schlimmste Excoriation im Laufe weniger Tage.
Die hartnäckigste Form ist das Eczema areolae mammae. Die
dagegen empfohlenen Mittel, wie Zinksalbe, Tannin mit Unguentum glyc,
Lapis- und Kalilösungen wirken sämmtlich unsicher. Hebea wendete gegen
hartnäckiges Eccem Aetzungen mit Sublimatlösung 1:90 an.
V. BRAUN-FERNWALD.
Fruchtentwicklung. Das durch das Eindringen der Spermatozoen be-
fruchtete Eichen gelangt in die Uterushöhle und bleibt daselbst, wenn es
zur weiteren Entwicklung kommt, an einer Falte der gewulsteten Schleimhaut
haften und entwickelt sich an dieser Stelle in normaler Weise fort {uterine
Schwangerschaft) oder das befruchtete Eichen bleibt irgendwo auf seiner Wan-
derung in dem Bestreben, die Uterushöhle zu erreichen, haften und ent-
wickelt sich ausserhalb der Gebärmutter entweder im Eierstock oder im
ampullären oder mittleren oder uterinen Antheil der Tube (extrauterine Schivan-
gerschaft).
An dieser Stelle sei die Rede von jenen Stadien, welche das Eichen
selbst von seiner Befruchtung bis zu seiner völligen Entwicklung durchmacht,
und somit auf den Sitz des Eies selbst keine Rücksicht genommen.
FRUCHTENT WICKLUNG.
255
Das menschliche Ei gehört zu denen, welche einer totalen Furchung
unterliegen, d. li. das ganze Plasma wird zum Aufbaue des Eml)ryo verwendet.
Wir sehen in kürzester Zeit die erste Anlage des Embryo in Form eines bis-
quitartig geformten Körpers, an dessen Rückseite zunächst ein Streifen (Pri-
mitivstreifen), nach einiger Zeit eine Rinne (Frimitivrinne) ausgebildet erscheint.
Wenn man zu dieser Zeit einen horizontalen Durchschnitt durch den Embryo
macht, so bekommt man das in nachstehender Figur dargestellte Schema. In
RF RW
der Medianebene des Rückens finden wir eine tiefe Furche (Rückenriime) be-
grenzt von 2 Wülsten, den Rückenwülsten, von denen aus die äussere Be-
kleidung des Embryo, das Ectoderm sich weiter fortsetzt. Diese Rückenwülste
stellen die erste Anlage des Centralnervensystems dar, das somit dem Ectoderm
seinen Ursprung verdankt. Denn, indem die Rückenwülste einander sich dorsal-
wärts entgegenwachsen und schliesslich miteinander zur Berührung kommen und
miteinander verwachsen, wird die Rückenrinne zum Canal, zum Central-
canal des Nervensystems, der sich nach oben zu gegen den Kopfantheil
in die Hirnbläschen fort erstreckt und die erste Anlage der Hirnkammern
darstellt. Ventralwärts von dieser Anlage des Centralcanals finden wir den
Durchschnitt einer Zellensäule, welche sich durch die Länge des Embryo fort-
entwickelt und die wir bezeichen als Chorda dorsualis. Rudimentäre Reste
dieser Chorda dorsualis finden wir auch noch beim erwachsenen Menschen
im Nucleus pulposus der Zwischenbandscheiben der Wirbelsäule. Sie erstreckt
sich fort bis an die Grenze zwischen vorderem und hinterem Keilbeine. Ven-
tralwärts von der Chorda dorsualis bildet sich eine zweite Zellenschichte mem-
branartig aus, welche wir zum Unterschied von dem äusseren Keimblatte oder
Ectoderm das innere Keimblatt oder Entoderm nennen. Es bildet einen
gegen den Kopf und gegen das untere Ende des Embryo noch blind ausmün-
denden Canal, den primitiven Darmcanal, welcher durch einen schmalen
Gang, der die nach vorn noch geöffnete Leibeswandung durchtritt, mit dem
Dotterbläschen in Verbindung steht und den Ductus vitelUnus darstellt. Seit-
lich von der Chorda dorsualis bilden sich nun neue Zellenmassen aus; sie
stellen die erste Anlage der Urwirbel dar und an ihren beiden Seiten
bilden sich die Aorten und die Urnieren aus. Aus dieser Zellenmasse wächst
nun zwischen äusserem und innerem Keimblatte eine neue Membran heraus,
das mittlere Keimblatt (Mesoderm), welches sich alsbald in 2 Blätter spaltet:
das äussere Blatt, die Hautmus kel platte, legt sich dem Ectoderm innig
an, während das innere, die Darmfaserplatte, das Entoderm bekleidet . In-
dem sich beiderseits die zwei Blätter des Mesoderms nach vorn zu wieder
256 FRUCHTENTWICKLÜNG.
vereinigen, entstellt zwischen ihnen eine Höhle {p-imitive Plewoperitonealhöhle
oder Coelom), durch welche der von dem Entoderm gebildete, von der Darm-
faserplatte bekleidete primitive Darm hinabzieht.
Inzwischen hat der Embryo bei weiterem Wachsthume Formveränderungen
angenommen; zunächst krümmt er sich über die Fläche, so dass sein vorderes
Ende, das Kopfende, an welchem die ersten Andeutungen der Hirnbläschen
sichtbar werden, und das untere Ende, das Schwanzende die extremen
Pole eines unter massigem Radius gekrümmten Bogens darstellen. Noch
immer ist die Leibeswandung nach vorne offen, die Cutisbekleidung erstreckt
sich weiter auf die sich differenzierenden Eihüllen und der Darmcanal steht
durch den Dottergang mit dem Reste des Dotterbläschens noch in Verbindung,
während Gelasse, die Vasa omphalo-meseraica, die den Dottergang begleiten,
die Gefässverbindung zwischen dem embryonalen Fötus und seiner Umhüllung
darstellen. Wenn nun der Embryo weiter wächst, so senkt er sich in den
Eisack hinab, so dass die äussere Membran desselben jene Falte über das Kopf-
und Schwanzende des Embryo aufwirft, die man Kopf- und Schwanz kappe
nennt (Fig. 2 auf zugehöriger Farbentafel). Je mehr der Embryo wächst, umso
tiefer senkt er sich in den Eisack, umsomehr muss Kopf- und Schwanzkappe über
den Embryo aufsteigen, umsomehr müssen sich Kopf- und Schwanzkappe gegen
den Rücken des Embryo einander nähern, bis es schliesslich zur vollständigen Ver-
einigung der Enden der Kopf- und Schwanzkappe kommt an einer Stelle, die man
als Amnionnabel bezeichnet (Fig. 3). Nun vollzieht sich die Trennung der äusse-
ren und der inneren Schichte der miteinander verwachsenen Kopf- und Schwanz-
kappe derart, dass das äussere Blatt der Kopf- und Schwanzkappe, miteinander
verwachsend, sich von dem gleichfalls miteinander verwachsenen inneren Blatte
der Kopf- und Schwanzkappe ablöst und somit eine vollständig geschlossene Mem-
bran darstellt, welche die ganze embryonale Anlage umgibt {Chorion) (Fig. 4),
während das innere Blatt dem Chorion anliegend, den Embryo umkreist, ent-
sprechend der Leibesöffnung des Fötus jedoch an diese innig herantritt, um
an der Leibesöffnung in die Cutisbekleidung des Fötus sich direct fortzusetzen
(Amnios). Inzwischen haben sich mehrfache Veränderungen vollzogen. Während
der Dottergang, das Dotterbläschen und die Vasa omphalo-mes. veröden, hat
sich vom untersten Abschnitte des Darmes, dem Enddarme, eine Ausstülpung
ausgebildet, welche, zur Leibesöffnung heraustretend, dem Chorion sich all-
mählig nähert (die AUantois, der primitive Harnsack des Fötus). Aus jenem
Stücke, welches die AUantois innerhalb der Leibeshöhle mit dem Enddarme
verbindet, geht später die Harnblase und der Urachus (Lig. vesico-umbil. medium)
hervor. Mit der AUantois werden nun vom Fötus her Gefässe an das Chorion
herangebracht, welche sich im Chorion verästeln, wobei das Chorion Zotten
auftreibt, die zunächst die ganze Peripherie des Chorion umgeben, dann aber
an dem grössten Theile der Chorionoberfläche veröden und nur an einem
bestimmten Theile persistent bleiben (C//onow laeve, Chorion fr ondosum) (Fig. 5).
Diese Zotten des Chorion frondosum wuchern nun in die Zotten der Decidua
serotina hinein und bilden so die erste Anlage der menschlichen Placenta.
— Um dies zu verstehen, müssen wir auf jene Veränderungen zurückgreifen,
welche der Uterus, respective die Schleimhaut desselben während der Schwanger-
schaft durchmacht. Ueber die Veränderungen, die die For^nelemente des
Uterus selbst, während der Schwangerschaft erfahren, ist bereits an anderer
Stelle gesprochen.
Die Schleimhaut des Uterus verändert sich nach stattgehabter Con-
ception in der Weise, dass das Cylinderflimmerepithel der gewulsteten Schleim-
haut zu Grunde geht und sich an der Oberfläche derselben grosse, runde, spindel-
förmige Zellen ausbilden, die man als Deciduaz eilen bezeichnet. Die
ganze verdickte Mucosa uteri wandelt sich somit in die Decidua um, in deren
Falten das haftengebliebene Eichen sich weiter entwickelt. Indem die De-
FRUCHTENTWICKLUNG. 257
cidua nichts anderes ist als die umgewandelte Mucosa uteri, muss sie an den
uterinen Tubenenden in die Tubenschleimhaut, am Orificium int. in die
Cervicalschleimhaut unvermittelt übergehen. Es gelangt soinit das befruchtete
Eichen in das Innere der Decidualhöhle; es ist das notliwendig hervorzuheben,
weil die Bezeichnungen, welche die alten Anatomen und Geburtshelfer für
die einzelnen Theile der Dccidua gebrauchten (Decidua vera, JJecidua reflaxa,
Decidua serotind) einer falschen Anschauung entsprechen, gemäss welcher an-
genommen wurde, dass die Decidua eine in sich abgeschlossene Membran
bilde, so dass das aus der Tube eintretende Eichen nicht in die Decidual-
höhle eintreten könne, sondern an einer Stelle die Decidua (Decidua vera)
von der Muscularis uteri abheben und — zwischen die Muskelschichte und
die Decidua eintretend — dieselbe an dieser Stelle ablösen müsse (Decidua
reflexa). Während demgemäss angenommen wurde, dass der grösste Theil
der Uterushöhle von Decidua vera ausgekleidet sei, musste an der Stelle, wo
die Decidua (Decidua reflexa) durch das Eichen abgehoben war, die Uterus-
wandung selbst der Decidua entblösst sein. Man stellte sich vor, dass an
dieser Stelle sich später neuerdings Decidua ausbilde, die man als Decidua se-
rotina bezeichnete. Es ist ja klar, dass diese Ansicht eine vollständig irr-
thümliche ist; sie musste angeführt werden, um die Ausdrücke (Decidua
vera, reflexa und serotina) dem Verständnisse näher zu bringen. Indem vielmehr
das Eichen in das Innere der Decidualhöhle eintritt und irgendwo in den
Falten der gewulsteten Schleimhaut haften bleibt, wuchern unter dem Einflüsse
des durch die Conception und das Haftenbleiben des Eichens gesetzten mäch-
tigen Reizes die Schleimhautfalten derartig; dass sie das Eichen vollständig
umwuchern. Den Theil der Decidua vera, an welchem das Eichen haften
geblieben war, bezeichnen wir noch mit dem zwar ehrwürdigen, aber falschen
Ausdrucke „Decidua serotina" und jene Falten, welche das Eichen umwuchern
und somit umhüllen, bezeichnen wir als Decidua reflexa, ein Ausdruck; der
viel richtiger durch einen Namen wie Decidua circumvallata zu ersetzen wäre.
Wenn nun das Eichen wächst, so muss es die ihm von der Decidua reflexa
gegebene Hülle allmälig ausdehnen, so dass, wenn es die Uterushöhle aus-
füllt, die Decidua reflexa der Decidua vera allenthalben innig anliegt und
mit ihr zu einer Membran verklebt. In die Zotten nun, welche die Decidua
serotina bildet au der Stelle, wo das Eichen zuerst haften geblieben war,
kommt es nun zum Hineinwuchern der Zotten des Chorion frondosum, zu
welchem auf dem Wege der Allantois die embryonalen Gefässe hingeführt
wurden, womit die erste Anlage der Placenta gebildet ist. Die Placenta besteht
daher aus den Zotten der Decidua serotina und des Chorion; wir müssen
daher das Chorion, welches der Innenfläche der Decidua reflexa anliegt, in die
Substanz der Placenta selbst eingehen finden {vide Fig. 1 der Farbentafel).
Wir sehen daher den schw^angeren Uterus erfüllt von dem Ei, welches
besteht aus den Ei hüllen und dem Ei in halte.
Die Eihüllen sind: die Decidua, das Chorion und das Amnion, von
welchen wir die beiden letzteren als die kindlichen Eihüllen von den
mütterlichen Eihüllen (Decidua) zu unterscheiden haben. Wir finden daher
die Uterusinnenfläche ausgekleidet von Decidua vera, derselben liegt überall
bis auf die Placentarfläche die Decidua reflexa an, der Innenfläche der Deci-
dua reflexa anliegend das Chorion, welches an der Stelle, wo die Decidua
reflexa von der Decidua vera abgeht, seine Zotten in die Zotten der Decidua
serotina hineinsendend, die Placenta darstellt. Indem die Innenfläche des
Chorion vom Amnion bekleidet ist, finden wir die fötale, d. h. der Eihöhle
zugewendete Fläche der Placenta ebenfalls von Amnion bekleidet, welches
dem Zuge jenes Stranges folgend, der die so gebildete Placenta mit dem ent-
wickelten Fötus verbindet (NaMstrang), denselben bis an jene Oeftnung in
der Leibeswandung begleitet, durch welche die Gefässe des Nabelstranges in
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe nrd Gynaekologie. 17
25» FEüCHTENTWICKLUNG.
die Leibeshölile eintreten {Nabclnng), um an dieser Stelle direct in die Cutis-
bekleidung des Fötus überzugehen. Am Nabelstrange müssen wir daher fol-
gende Gebilde unterscheiden: 1. Die äussere Bekleidung {Amnion), 2. die
Grundsubstanz (Wharton'sche Sidze), 3. zwei arterielle Gefässe, welche venöses
Blut des Fötus zur Placenta führen (Nabelarterien), 4. eine Vene, die das in
der Placenta arteriell gemachte Blut von derselben zum Fötus zurückbringt
{Nahelvene); alle drei Gefässe in Spiraltouren den Nabelstrang durchlaufend,
5. den Best der AUantois, 6. den Rest des Dotterbläschens, 7. den Best des
Dotterganges, respective der Vasa omphal.-meser.
Die Frucht suspendirt in dem Fruchtwasser {Liquor Amnii), welches den
Eisack vollständig ausfüllt.
Es kann nicht Aufgabe des vorliegenden Artikels sein, die einzelnen
Stadien der Entwicklung der Frucht des Genaueren zu schildern. Es sei des-
halb nur ganz schematisch auf folgende Stadien der Entwicklung hingewiesen.
Am Ende des 1. Monates ist der Fötus kaum 1 cm lang, die Krüm-
mung des Körpers stark ausgebildet, die Extremitäten und das Auge angedeutet,
die Schlundbogen sichtbar, die Hirnbläschen gegliedert, Centralcanal geschlossen,
das Herz als Schlauch ausgebildet, ein deutliches Chorion und Amnion ent-
wickelt.
Im Verlaufe des 2. Monates entwickelt sich der Kopf durch das Wachs-
thum des Hirns wesentlich, die Nasenkapsel tritt deutlich hervor, die Extre-
mitäten beginnen sich zunächst an den oberen Extremitäten in drei Theile
zu gliedern, das äussere Ohr bildet sich aus und die Genitalien sind an-
gedeutet. Der Fötus ist am Ende des 2. Monates 2^/2 — Z cm lang.
Im 3. Monate wächst der Embryo bis zu 9 cm heran, an den Knochen
beginnen sich Ossificationspunkte zu bilden, sowohl an den Schädelknochen
wie den Diaphysen der Extremitäten; Finger und Zehen sind unterschieden,
Genitalwülste, Genitalhöcker sind ausgebildet und beginnen sich als männ-
lichem, respective weiblichem Geschlechte angehörig zu differenziren.
Im 4. Monate wird der Fötus bis zu 16 cm lang, wiegt 100 — 120^,
er ist vollständig ausgebildet, sein Geschlecht deutlich kenntlich.
Im 5. Monate wird der Fötus 19 — 26 cm lang, wiegt durchschnittlich
280 g, seine kupferrothe Haut wird weniger durchsichtig, die Gefässinjection
der Haut tritt zurück, Lanugo beginnt sich auszubilden; Früchte aus dieser
Zeit werden mit deutlichem Herzschlage geboren, gelien aber rasch zu Grunde.
Im 6. Monate hat der Fötus eine Länge von 30 — 32 cm, ein Gewicht
von 600 — 800 g, die Fettablagerung im Untcrhautzellgewebe macht rasche
Fortschritte. Die Pupillarmembran verscliliesst noch vollständig die Pupille.
Im 7. Monate hat der Fötus eine Länge von 35 — 36 cm, ein Gewicht
von 1200 — 1500^, die Haut ist gerunzelt, roth, die Pupillarmembran beginnt
zu schwinden, im Fersenbein ein 2 — 5 mm breiter Knochenkern. Früchte,
die aus dieser Zeit stammen, können bei sorgfältiger Pflege kurze Zeit leben,
gehen aber dann in der Begel zu Grunde.
8. Monat: Frucht 40 — 42 cm lang, durchschnittlich bis zu 2 Kilo schwer;
es sind Früchte, welche bei sorgfältiger Pflege, wie insbesonders Aufenthalt
in einer Couveuse am Leben erhalten bleiben können.
9. Monat: Frucht 45— 46 cm lang, 2500(7 schwer, unterscheidet sich
in ihrem Aeusseren ausser den Grösseverhältnissen wenig von einer aus-
getragenen Frucht; es sind zwar nicht reife, aber lebensfähige Früchte.
Am Ende des 10. Schwangerschaftsmonates hat die Frucht eine
Länge von 50— 51 cm, ein Gewicht von 3100^ durchschnittlich, die Nägel
der Finger erreichen das Niveau der Fingerspitzen.
Mit dem Wachsthume und der Entwicklung der Frucht ändert sich auch
seine Lage in dem vom Fruchtwasser erfüllten Eisacke.
FRUCHTENTWICKLUNG. 259
Das Fruchtwasser selbst (Liquor Amnü) ist eine seröse, klare, geruch-
lose Flüssigkeit, die sich in wechselnder Quantität vorfindet. Es enthält un-
gefähr 1 — lV2 7o Trockenrückstand und O-fV'/o Asche. Der Eiweissgehalt
schwankt und steigt bis zu O'Ö^/o; auch der Harn stoffgeh alt ist ein äusserst
schwankender. Das specifische Gewicht wird verschieden angegeben, zwischen
1005 — 1012. Auch die Menge des Fruchtwassers ist eine variable ; während
im 6., 7. Monate die Fruchtwassermenge im Verhältnisse zur Grösse der
Frucht eine relativ grosse ist (relatives Ilydramnios) und dadurch die
grosse Beweglichkeit der Früchte in der Eihöhle und somit das relativ häu-
fige Vorkommen fehlerhafter Fruchtlagen zu dieser Zeit erklärlich ist, tritt
die Fruchtwassermenge in der nächsten Entwicklungszeit im Verhältnis zur
•Grösse der Frucht zurück, so dass es am Ende der Schwangerschaft in der
Menge von 800 — lOOO^/ gefunden wird.
Was die Abstammung des Fruchtwassers anbelangt, so ist es derzeit
wohl als sicher anzunehmen, dass die Hauptquelle desselben das mütterliche
Gewebe ist ; in den letzten Schwangerschaftswochen wird jedenfalls auch Harn
aus der kindlichen Blase beigemengt. Ebenso sicher ist das Verschlucken
des Fruchtwassers durch den Fötus in der letzten Schwangerschaftszeit. Ueber
die Bedeutung des Fruchtwassers für die Mechanik der Geburt und über
abnorme Mengen und Beimengungen des Fruchtwassers wird an anderer
Stelle gesprochen werden.
Dass auch der Circulationsapparat in der Frucht nicht ohne Ein-
iluss auf abnorme Veränderungen in der Fruchtwassermenge bleiben könne,
jzeigen verschiedene Fälle von abnormer Fruchtwassermenge.
Während des intrauterinen Lebens erfolgt der Athmungsprocess der
Frucht, d. h. die Oxydation des Blutes auf dem Wege der Placenta. Das bei
der Circulation durch fötales Gewebe venös gewordene Blut gelangt auf dem
Wege der Nabelarterien zur Placenta, wo es in die Anastomosen gelangend, vom
mütterlichen Blute Sauerstoff aufnimmt, Kohlenstoff abgibt, ohne mit dem
mütterlichen Blute direct in Zusammenhang zu treten, da ja die villösen
Räume des mütterlichen Circulationsapparates in der Placenta durch Endothel-
wände getrennt sind von den kindlichen Gefässen der Placentarzotten, so dass
der Gasaustausch auf endos- und exosmotischem Wege erfolgt. Das auf diese
Weise arteriell gemachte Blut gelangt durch die Nabelvene zurück zum Fötus,
gelangt aber nicht rein arteriell zum kindlichen Herzen, indem es auf seinem
Wege zum Theile zur Leber, zum Theile an der Leber vorbei sich mit dem
Blute der Lebervenen und der Cava inferior vermengt und so gemischt in
die rechte Vorkammer gelangt. Aus der rechten Vorkammer fliesst nun
dieses Blut nicht in die rechte Kammer, sondern durch das noch offene Fora-
men ovale in der Vorhofscheidewand hindurch in den linken Vorhof, von da
mit dem aus den Lungenvenen kommenden venösen Blute vermengt in die
linke Kammer und wird nun bei den systolischen Contractionen des Herzens
in die Aorta geschleudert, so dass somit in der aufsteigenden Aorta ein mit
venösen Beimengungen gemischtes arterielles Blut fliesst. Durch die drei
grossen Gefässe gelangt ein grosser Theil dieses Blutes zum Halse, Kopfe und
den oberen Extremitäten, während der übrige Theil des Blutes in die abstei-
gende Aorta fliesst, daselbst jedoch eine wesentliche Verminderung seines
Sauerstoffgehaltes erfährt durch die Beimengung des venösen Blutes, welches
aus der Arteria pulmonalis durch den Ductus arteriosus Botalli in die abstei-
gende Aorta gelangt. Dieses Blut stammt aus der oberen Hohlvene und dringt
von der rechten Vorkammer durch die Valvula Thebesii gegen den aus der
unteren Hohlvene stammenden und durch das Foramen ovale abgelenkten Strom
geschützt, zum Ostium venosum dextrum und in die rechte Kammer, von da
in den Stamm der Pulmonalarterien und hierauf durch den offenen Communi-
cationsweg des Ductus arteriosus Botalli in die absteigende Aorta, da ja die
17*
260; FRUCHTLAGEN.
rechte und linke Lungenarterie zur Zeit des intrauterinen Lebens nur jenes
Blut der Lunge zuführt, welches zur Ernährung des Organes benöthigt wird.
Es erfolgt demgemäss die Oxydirung des Blutes in der mütterlichen Placenta,
Immerhin besitzt trotz der eigenthümlichen chemischen Beschaffenheit de»
fötalen Blutes, welche ein rascheres Wachsthum der oberen Körperhälfte
gegenüber der unteren erklärt, das kindliche Blut einen Sauerstoifüberschuss,
der es gestattet, dass momentane Circulationsbchinderungen ohne wesentlichen
Schaden für das kindliche Leben ablaufen können (länger dauernde Contrac-
tionen des Uterus etc.), ein Zustand, welcher, als „Apnoe des Kindes'^ '") bezeich-
net wird, es erklärt, warum lebensfrische Kinder unmittelbar nach der Geburt
nicht sofort den ersten Atherazug thun, obwohl die Pulsation des Herzens
und die Circulation in den Gefässen eine vollständig normale ist. Erst wenn
der Sauerstotfüberschuss aufgebraucht ist, erst wenn das Blut mit Kohlen-
säure überladen ist, kommt es zur Nothwendigkeit der Auslösung einer
Athraungsbewegung, welche zur Folge hat, dass, wenn dies vor der Geburt
des kindlichen Schädels geschieht, Fruchtwasser, Meconium, Vernix caseosa
etc. aspirirt werden oder aber — post partum — athmosphärische Luft in die
Lunge eintritt und die sich ausdehnende Lunge zugleich Blut in die Lungen-
arterien aspirirt und somit den Blutstrom von dem in der letzten Schwanger-
schaftszeit der Verödung entgegengehenden Ductus arteriosus Botalli ablenkt, wo-
durch ein solches Absinken des Druckes in der absteigenden Aorta und somit
in den I^abelarterien eintritt, dass der Puls in den letzteren erlischt. Von
dem Momente an, wo die Lungen regelmässig athmen, das Blut aus der Cava
inferior in die rechte Kammer, mit dem Blute der Cava sup. gemengt,
gelangt und von hier aus durch das Herz auf dem Wege der Pulmonalarterien
der Lunge zur Oxydation zugeführt wird, ist der fötale Kreislauf beendigt
und der Lungenkreislauf installirt.
K. A. HEEZFELD.
Fruchtlagen. Unter Lage der Frucht verstehen wir das Verhältnis
der Längsachse der Frucht zu der Längsachse des mütterlichen Organismus.
Je nachdem ob die kindliche Körperachse parallel verläuft mit der mütterlichen
oder auf derselben senkrecht steht oder dieselbe unter einem schiefen Winkel
schneidet, unterscheiden wir die Längs läge von der Querlage und der
Schieflage '"*)
Bei Weitem am häufigsten ist die Längslage; wir müssen sie auch ent-
sprechend der anatomischen Anlage des Geburtsschlauches und der Haltung der
Frucht als die normale bezeichnen. Die Spannungsverhältnisse des Uterus
und mechanische in dem Aufbaue des kindlichen Körpers basirte Umstände sind
es, welche in der Regel die Längslage zustande kommen lassen, wenn nicht
andere, eine fehlerhafte Fruchtlage begünstigende Momente in dem einzelnen
Falle vorliegen. Wenn eine Frucht sich in Längslage befindet, so kann das
einemal der kindliche Kopf, ein anderesmal das untere Rümpfen de den
untersten Pol der Frucht bilden. Darnach theilen wir die Längslagen ein:
in Kopflagen und in Beckenendlagen. Jede einzelne dieser Abtheilungen
können wir nun noch in Unterclassen bringen; denn je nach der Haltung des
kindlichen Halses wird ein verschiedener Antheil des Kopfes als der tiefststehende
Punkt in den Beckeneingang eintreten und dadurch der Mechanismus der
Geburt in mannigfacher Weise beeinflusst werden. Die normale Haltung der
Frucht ist die mit leicht gekrümmter Wirbelsäule, gebeugtem Halse, über der
Brust gekreuzten Armen und an der vorderen Bauchwand hinaufgezogenen,
in Hüft- und Kniegelenk eebeugten Füssen. Wenn nun die normale Haltung
*) Siehe dieses Stichwort.
**) Vergl. auch die speciellen Artikel: „Beckenendlagen", „Hinter scheitellagen" „Vor~
derscheitellagen", „GesicJitslageti" und „Querlagen".
FRUCHTLAGEN.
061
der Frucht beibehalten wird, so muss bei bestehender Flexion des Halses, indem
das Kinn der Brust anliegt, das Hinterhaupt den vorrückenden Fruchttheil
abgeben; wir sprechen in einem solchen Falle von Hinterhaupt- oder
Schädell.ige schlechtweg.
In anderen Fällen kommt es
vor, dass der Hals in einer Art
Mittelstellung sich befindet oder aber
-ein ganz geringer Grad von Streckung
in der Halswirbelsäule existirt, so
dass das Kinn sich von der Brust
entfernt, die grosse und die kleine
Fontanelle in einem Niveau sich befin-
den oder vielleicht die grosse Fon-
tanelle sogar um eine Spur tiefer tritt
als die kleine und somit den führen-
den Punkt bei der Ausführung des
Oeburtsmechanismus bedeutet. In
einem solchen Falle sprechen wir
von VorderscheiteUage.
Wenn diese Streckung des
Halses noch höhere Grade erfährt,
so muss zum tiefsten Punkte des
kindlichen Schädels die Stirne
werden, es entsteht eine Stiriilage;
das Stirnbein steht nach abwärts
gerichtet, der kindliche Schädel tritt
mit seinem ungünstigsten Durch-
messer, dem mento-occipitalen Durch-
messer (13"5 C7n) ein, und es wer-
den demgemäss die Geburtsverhält-
nisse schwer beeinträchtigt.
Bei vollständiger Streckung des
Halses, wobei das Kinn von der
Brust sich vollständig entfernt, das
Hinterhaupt sich dem Rücken anlegt,
muss das Gesicht den tiefsten Theil
des vorangehenden Kopfes darstellen,
wir sprechen demgemäss von einer
Gesichtslage.
Wir unterscheiden daher die
Kopflagen in Hinterhaupt-,
Vorderscheitel-, Stirn- und
Gesichtslagen. Die Rumpfend-
lage n oder Beckenendlagen können
wir eintheilen in Steiss-, Knie-
oder Fusslagen, je nachdem der
Steiss, das Knie oder der Fuss den
vorausgehenden Fruchtheil abgeben;
dann müssen wir je nach der Haltung
der unteren Extremitäten verschie-
dene Unterabtheilungen unterschei-
den. Zunächst finden wir bei Steiss-
lagen mitunter beide Füsse, gestreckt
im Kniegelenke, an der vorderen
Bauchwand hinaufziehen, so dass die
Fig. 2.
Geäichtslage.
262
FßUCHTLAGEN,
beiden Gesässbacken den vorliegenden Fruchttheil präsentiren (einfache
Steisslage) oder es sind beide Füsse im Hüft- und Kniegelenke derartig
gebeugt, dass die beiden Fersenhöcker neben den beiden Gesässbacken sich
präsentiren (vollkommen gedoppelte Steisslage) oder es befindet
sich blos ein Fuss in dieser Stellung, so dass blos ein Fersenhöcker neben
den beiden Gesässbacken liegt, während der andere Fuss, im Kniegelenke
gestreckt, längs der Bauchwand der Frucht hinaufzieht (unvollkommen
gedoppelte Steisslage). Die Knielagen theilen wir in vollkommene
oder unvollko]mme'ne Knielagen, die Fusslagen in vollkommene und in
einfache oder unvollkommene Fusslagen ein, je nachdem ob beide unteren
Extremitäten oder blos die eine mit dem Fusse oder mit dem Knie voraus-
geht.
Dass jedesmal eine in der
Längslage befindliche Frucht die
1. oder 2. Stellung zeigen, d, h,
der Rücken der Frucht hiebei
nach links oder rechts gekehrt
sein muss, ist klar, und es resul-
tirt dadurch eine weitere Classi-
fication der Lagen.
Was die Entstehung der
Längslagen anbelangt, so müssen
wir sagen, dass entsprechend der
längsovalen Form des Uterus,
entsprechend der Spannung der
vorderen Bauchdecken, auf welchen
bei stehender Lage der Schwan-
geren der antevertirte Uterus mit
seiner vorderen Wand aufruht^
sowie den anatomischen Verhält-
nissen der Frucht die Längslage
als die natürlichste anzusehen
ist. Dass speciell die Kopflage un-
gleich häufiger ist als die Becken-
endlage, hat wieder in mechani-
schen Verhältnissen seinen Grund..
In den Stadien der späteren Ent-
wicklung erscheint nach übereinstimmenden Angaben erstens der kindliche-
Schädel specifisch schwerer als das untere Rumpfende, anderseits bildet die
Leber, welche der rechten Körperhälfte angehört, den specifisch schwersten
Theil des Fruchtkörpers. Wenn man eine frisch todte Frucht in einer
Flüssigkeit suspendirt, welche eine möglichst annähernd gleichartige Zu-
sammensetzung besitzt wie das Fruchtwasser, so sinkt der Kopf und die
rechte Körperhälfte tiefer. Dem entsprechend finden wir auch bei Früchten
aus der späteren Schwangerschaftszeit das Bestreben, sich diesen mechanischen
Verhältnissen anpassend in Schädellage einzustellen. Hiebei prävalirt die
Disposition für die Entstehung einer 1. Schädellage, denn bei der stehenden
Frau wird bei einer ersten Schädellage die Leber der Frucht direct nach ab-
wärts zu gerichtet sein, entsprechend der Schwerkraft, indem ja bei einer
1. Schädellage die rechte Fruchthälfte der vorderen Uteruswand aufliegt, die
entsprechend der Anteversionsstellung des Uterus nach abwärts gerichtet ist.
Dagegen wird bei der liegenden Frau die dem Princip der Schwerkraft ent-
sprechendste Lage die 2. Schädellage sein, weil ja hiebei die rechte Thorax-
hälfte der Frucht und damit auch die Leber wieder in der Lage ist, den tiefsten
Punkt einzunehmen. Es findet auch in der That ein solcher Lagewechsel der
steisslage.
FRUCHTLAGEN.
263
Frucht innerhalb des Uterus statt, und es wird sich die Frucht Ijei der Geburt
in jener Lage und Stellung präsentiren, in welcher sie sich in jenem Mo-
mente befunden, wo der kindliche Schädel im Beckeneingange fixirt wurde.
Nachdem nun der Zeitraum, in welchem eine Schwangere sich in aufrechter
Stellung befindet, nahezu doppelt so gross ist wie jener, innerhalb welches die
Frau liegt, so wird die Möglichkeit, dass die Frucht in einer ersten Stellung
zur Geburt fixirt wird, eine mindestens doppelt so grosse sein wie die, wo
die Fixation der Frucht in 2. Stellung erfolgt. Bei frühgeborenen Früchten
sind die Verhältnisse dieses Schwergewichtes nicht in der Weise ausgeprägt;
es befindet sich das obere und untere Kumpfende vielmehr im labilen Gleich-
gewichte und bei der durch die grössere Fruchtwassermenge ermöglichten
grösseren Beweglichkeit der Frucht wird es ungleich häufiger vorkommen, dass
die Frucht sich in Beckenendlage befindet, als am normalen Schwangerschafts-
ende. — Daher finden wir in statistischen Aufzeichnungen über Fruchtlagen
in den einzelnen Schwangerschaftsmonaten, dass bei Frühgeburten Becken-
endlagen relativ häufiger vorkommen als am normalen Ende der Schwanger-
schaft.
Dies entspricht auch zum Theil der alten hippokratischen Anschauung
bezüglich der Fruchtlagen und des Geburtsmechanismus, nach welcher die
Frucht normaler Weise vor der Geburt sich durch eine spontane Umwälzung
aus einer Beckenendlage in eine Kopflage begebe.
Ueber jene prädisponirenden Momente, welche bei Schädellagen das
Zustandekommen von Vorderscheitel-, Stirn- und Gesichtslagen ermöglichen
(enges Becken, angeborne Struma, Abweichen des Kopfes mit dem Hinter-
haupte nach dem einen Darmbeinteller etc.), wird bei den einzelnen, die be-
züglichen Lagen besprechenden Capiteln gesprochen werden.
Wenn die kindliche Längsachse auf der Längsachse des Uterus quer
steht, sprechen wir von Querlagen; je nachdem ob hiebei der kindliche
Schädel nach links oder rechts gekehrt ist, sprechen wir von einer L, resp.
IL Querlage, die wir nach dem Verhältnisse des Rückens zur vorderen oder hin-
teren Uteruswandung noch in eine L oder dorsoanteriore und eine IL oder dorso-
posteriore Stellung eintheilen.
Die Querlagen müssen wir
als pathologische Frucht-
lagen bezeichnen, umsomehr
als bei halbwegs entwickelten
Früchten, die in Querlage sich
befinden, die Geburt ohne
Kunsthilfe nicht beendigt wer-
den kann.
Die Entstehung der
Querlagen wird durch alle
jene Momente begünstigt, wel-
che dem Fixirtwerden der
Frucht in Längslage hinder-
lich erscheinen müssen. Dahin
gehört zunächst die durch grös-
sere Fruchtwassermenge be-
dingte abnorme Beweglichkeit
der Frucht, welche bei Lage-
veränderungen der Schwan- rig. 4.
geren, bei Lageveränderungen Queriaga.
des Uterus, bei verschiedenen Füllungsgraden des Abdomens u. s. w. eine
Veränderung der Fruchtlage ermöglicht. Je stärker dabei die Ansammlung von
Fruchtwasser ist, umsomehr bekommt der Uterus die Kugelform, umso gerin-
264 FRÜHGEBURT.
ger ist die Nothwendigkeit für die Frucht, die Längslage einzunehmen, um-
so grösser die Mögliclikeit der Entstehung einer Querlage, und so finden
wir häufig in solchen Fällen, wo die Fruchtwassermenge eine grössere ist als
es der Norm entspricht, Querlagen. So finden wir in den früheren Schwanger-
schaftsmonaten, in denen, wie schon an anderer Stelle erwähnt worden, die
Fruchtwassermenge eine relativ grosse ist im Verhältnisse zur Grösse der
Frucht (relatives Hydramnios), ungleich häufiger Querlagen vor als gegen das
normale Ende der Schwangerschaft hin. In gleicher Weise wird die Entste-
hung der Querlagen prädisponirt durch die Verengung desBeckenein-
ganges. Die Unmöglichkeit, welche für den kindlichen Schädel eintritt,
mit dem passenden Durchmesser ohne Weiteres in den Beckeneingang ein-
zutreten, wird insbesondere, wenn gleichzeitig eine grössere Schlaffheit
der Uteruswandung vorhanden ist, das Abweichen des kindlichen Schädels
nach dem einen oder anderen Darmbeinteller ausserordentlich begünstigen
und so das Entstehen einer Querlage ermöglichen. Des ferneren finden
wir die Entstehung der Querlage prädisponirt durch ausserordentliche
Schlaffheit des Uterusgewebes und auch der Bauchdecken der Frau,
die bereits öfters schwere Geburten überstanden hat, und schliesslich in
solchen Fällen, wo der Uterus eine von der Norm abweichende Form
besitzt (üt. arcuatus, TJt. septus), wobei die anatomischen Verhältnisse der
Uterushöhle der Einstellung der Frucht mit ihrem Längsdurchmesser im
Höhendurchmesser des Uterus nicht förderlich sind und die Frucht gezwungen
wird, um sich den Räumlichkeiten der Uterushöhle anzupassen, in Querlage
zu postiren.
Die Schieflagen, bei denen das untere Fruchtende (Kopf- oder Becken-
ende) vom Beckeneingange nach der einen oder anderen Seite abweicht, ver-
danken diese Lageanomalie denselben ätiologischen Momenten wie die Quer-
lage. Da sich solche Schräglagen entweder spontan in Längslagen verwandeln,
im gegentheiligen Falle jedoch ein eben solches Geburtshindernis bedeuten
wie die Querlagen, wird für sie dasselbe gelten, was bezüglich des Geburts-
mechanismus unter diesen beiden Capiteln abgehandelt werden wird.
K. A. HERZFELD.
Frühgeburt (künstlich). Man versteht darunter die vor dem rechtzei-
tigen Ende der Schwangerschaft, aber bei schon bestehender Lebensfähigkeit
des Kindes, also zwischen der 28. (30.) bis 36. Schwangerschaftswoche ein-
geleitete Geburt. Der Zweck derselben ist die Erhaltung von Mutter und
Kind, sei es, dass die Gefahren, welche der Mutter oder dem Kind oder beiden
drohen 1. entweder schon vorhanden sind, oder 2. im weiteren Verlaufe der
Schwangerschaft oder 3. erst während der Geburt am normalen Ende der
Schwangerschaft zu erwarten sind. Die unter 1. und 2. sich bemerklich ma-
chenden Gefahren sind wesentlich in Krankheiten der Mutter oder des Kindes
begründet, die während der Geburt am normalen Ende der Schwangerschaft
erst zu erwartenden aber in Raumbeschränkung des Geburtsweges, wesentlich
durch Beckenfehler. Der Zweck der Operation ist entweder auf das Kind
allein, oder auf Mutter und Kind, oder auf die Mutter allein gerichtet, in
letzterem Falle jedoch mit der Hoffnung, auch das Kind zu erhalten, und
unterscheidet sich die Operation wesentlich vom künstlichen Abort, den wir
auch nur der Mutter wegen unternehmen, aber mit der Gewissheit, das
kindliche Leben zu zerstören.
Schon frühzeitig hatte man erkannt, dass einerseits nach der aS. Schwangerschafts-
woche geborene Kinder leben bleiben können und dass andererseits vor der 36. Schwanger-
schaftswoche geborene Kinder, da sie kleiner und besonders ihre Kopfknochen weicher und
nachgiebiger sind, als bei ausgetragenen, leichter durch die Geburtswege hindurchgehen,
als reife, ausgetragene; und ferner war es schon im Alterthum bekannt, dass es möglich
ist, durch künstliche Mittel jederzeit die Schwangerschaft zu unterbrechen, die Geburt in
FRÜHGEBURT. 265
Gang zu bringen und zwar im allgemeinen ohne Naohtlieil für die Mutier. Wunderbarer-
weise hat es aber lange gedauert, bis man diese Erfahrungen wissenschaftliclx nutzbringend
zu Heilzwecken vervverthen lernte, wo doch das Bedürfnis, ein Verfall ren zu finden,
durch welches z. B. zuweilen der Kaiserschnitt, häufig aber die Perforation entbehrlich
werden würde, von jeher sich bemerklich gemacht hatte. Wenn auch Guillkmeau (1630),
Mauricean (1709), Püzos (1755) und die Siegemundin (1689) die künstliche Eröffnung des
Muttermundes und das darauf folgende Sprengen der Blase als vollkräftigcs Mittel, um zu
beliebiger Zeit Wehen zu erregen, kannten und sich derselben bei gefährlichen Blutflüssen
in der Schwangerschaft zur Einleitung der Geburt mit Erfolg bedienten, so näherten sich
ihre Verfahrungsweisen doch mehr dem Accouchement forcee, und zogen sie daraus nicht
die nothwendigen Consequenzen zum weiteren Ausbau des Verfahrens als Ersatz für die
blutigen Encheiresen des Kaiserschnitts, der Perforation und Kephalotrypsie, wie auch der
von P. Weidmann 1779 gegebene Rath, bei Beckenenge im siebenten Monat den Mutter-
mund auszudehnen und die Frucht auszuziehen (vi educere) mehr nur ein Accouchement
forcee bezweckt und nicht zur Nachahmung ermuthigen konnte. Erst in der letzten Hälfte
des achtzehnten Jahrhunderts, zu einer Zeit, wo die geburtshilflichen Operationen im Ganzen
eine grosse Reform erlitten und der Wunsch, blutige Hilfeleistungen mehr und mehr ver-
drängt zu sehen, immer stärker hervortrat, gedachte man endlich und unerwartet an
verschiedenen Orten zugleich der so lange schon bekannten und übersehenen Thatsachen
und bemühte sich, dieselben nutzbringend zum Heile der Menschheit zu verwerthen. Der
Engländer Macaulay war der Erste, welcher, im Jahre 1756, mit voller Ueberlegung und
nach reiflich erwogener Methode an einer lebenden Frau die künstliche Frühgeburt wegen
Beckenenge ausführte und zwar mit glücklichem Erfolge. Durch Lehmann's Empfehlung
kam die Operation in England sehr in Aufnahme und gebührt Englands Geburtshelfern
die Ehre, die Erregung der Frühgeburt von der richtigen und wirkliches Heil bringenden
Seite aufgefasst zu haben, indem sie dieselbe als eine Methode bezeichneten, welche nur
dann gestattet sei, wenn sie dem Leben der Mutter keine Gefahr bringe, aber auch zu-
gleich das Kind lebend erhalte. Sie stellten sie den das Kind zerstörenden Operationen
entgegen, wie Denman mittheilt, der in seinem 1788 erschienenen Lehrbuch über Geburts-
hilfe die Operation, ihre Indicationen und Ausführung als der Erste ausführlich beschrieb.
Bis zum Jahre 1801 hatte er die Operation mehr als 12mal ausgeführt, meist mit günstigem
Erfolge.
In Deutschland gab Franz Anton May in Heidelberg 1799 den gewichtigen Rath, bei
engem Becken nach den nöthigen Vorbereitungen im 7. Monat durch Anstechung der Ei-
häute die Geburt einzuleiten und durch Wendung und Extraction die Frucht zu Tage zu
fördern, oder, wenn der Kopf vorliegt, die Geburt durch die Natur vollenden zu lassen.
Gleichzeitig gab in Dänemark Paul Scheel den Rath, bei Beckenenge durch den Eihautstich
die Frühgeburt einzuleiten. Ausgeführt wurde die Operation in Deutschland zuerst 1804
durch Karl Wenzel in Frankfurt und zwar mit Erfolg bei einer Schwangeren, die wegen
Beckenenge schon 5mal todte Kinder zur Welt gebracht hatte. Von da an bürgerte sich
die Operation in Deutschland ein und wurde in der Folge häufig, vielleicht manchmal zu
häufig (von Kluge 2Gmal innerhalb 10 Jahren, von Ritgen 30mal in 4 Jahren!) und ohne
strenge Indicationen ausgeführt. Den deutschen Geburtshelfern gebührt aber die Ehre, in
der Folge die Operation, ihre Indicationen und Technik am vollendetsten ausgebildet zu
haben. Frankreich verhielt sich, besonders durch den Einfluss Baudelocque's, der die von.
England (!) kommende Operation verwarf, lange Zeit ablehnend gegen dieselbe und erst
den Bemühungen des trefflichen Stoltz in Strassburg (später in Nancy), Nachfolger Fla-
mant's, gelang es 1831 durch einen glücklich ausgeführten Fall der Operation auch in Frank-
reich Geltung zu verschaffen, und wurde er in der Folge wesentlich von Dubois und später
auch von Velpeau und Cazeaux unterstützt. Schon vorher, in den zwanziger Jahren, hatte
die Operation in Italien, Holland und Belgien Anklang und warme Vertheidigung gefunden
und wurde sie allmälig überall anerkannt und verhältnismässig häufig (vielleicht zu häufig)
ausgeführt.
Die von Baudelocque und später auch von Anderen — denn auch in England, wie
in Deutschland fanden sich Gegner der Operation — geltend gemachten Einwürfe w'aren
folgende: Dass die Kinder während oder bald nach der Operation zu Grunde gehen würden,
überhaupt eine Geburt im 7. Monat unter allen Umständen leicht Mutter und Kind tödten
könne, wie das schon Hippokrates behauptet hatte; dass es nicht immer möglich sei, die
Dauer der Schwangerschaft genau zu bestimmen; dass die zu Gebote stehenden Mittel in
ihrem Erfolge unsicher seien und dass die Operation höchstwahrscheinlich Veranlassung
zu falschen Kindeslagen und deswegen zu manchen nachtheiligen Folgen gäbe, sowie auch
ferner, dass leichte Störungen in der Nachgeburtsperiode und gefährliche Nachkrankheiten
einträten; die Operation durch die leichte Verletzlichkeit die Bildung von Scirrhus und
Carcinom begünstige; dass nach der Einleitung oft lange Zeit vergehen, bis die Geburt in
Gang komme, während welcher Zeit das Kind abstirbt; dass es schliesslich nicht immer
möglich sei, mit Sicherheit die Grösse des Beckens zu erforschen und noch schwieriger,
die Maasse des Kindeskörpers zu bestimmen.
Wenn auch nicht zu leugnen ist, dass einigen dieser, zum Theil mehr
theoretisch ausgedachten Einwendungen eine gewisse Berechtigung nicht
266 FRÜHGEBURT.
abzusprechen ist, so wurde doch im Laufe der Zeiten durch die praktische
Erfahrung der grosse Nutzen, die oft leichte Ausführbarkeit und für viele,
wenn auch, besonders was die Kinder anlangt, durchaus nicht für alle Fälle
die Gefahrlosigkeit des Verfahrens glänzend nachgewiesen und zwar so sehr,
dass, wie schon bemerkt, die Operation vielleicht öfters zu viel, ohne eigent-
liche Berechtigung ausgeführt wurde. Diesem „zu Viel" in der Ausführung
suchte Spiegelberg durch präcise Werthbestimmung der künstlichen Früh-
geburt zu begegnen (1870) und kam, gestützt auf statistische Nachweise zu
dem Resultat, dass die Ausführung der Operation durch präcisere Indications-
stellung wesentlich einzuschränken sei. Allerdings ging er in dieser Ein-
schränkung zu weit und wurde diese in erster Linie durch Litzmann und Dohrn
einigermaassen vermindert.
Die schwierigste Aufgabe bei der künstlichen Frühgeburt ist jeweils die
richtige Stellung der Indicationen und ist dieser Punkt der Gegenstand
vielseitiger und lebhafter Discussionen gewesen, worauf wir nicht näher ein-
gehen wollen. Es wird genügen, das Resultat derselben, wie es jetzt aufgefasst
wird, wiederzugeben. Indicirt ist die Einleitung der künstlichen Frühgeburt:
1. Bei mittleren Graden von Beckenenge. Hier ist nicht einseitig das
Becken allein, sondern sein Verhältnis zum Kindeskörper, zu berücksichtigen.
Die Voraussicht, dass das Kind nach erlangter Reife ohne Lebensgefahr
nicht durch das enge Becken hindurchbewegt werden könne, sei es durch
Naturkräfte oder durch Kunsthilfe, dass es aber vor erlangter Reife,
jedoch nach erlangter Lebensfähigkeit ohne Gefahr hindurchkann,
begründet diese Indication. Gestützt auf eine grosse Zahl von Beobachtungen,
theils eigenen, theils fremden, hält es Litzmann vom klinischen Standpunkt
aus für nothwendig, vier Grade von Beckenverengerungen zu unterscheiden:
1. Becken, bei denen unter sonst günstigen Verhältnissen die Geburt einer
reifen Frucht nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich ist — gleich-
massig allgemein verengte Becken mit einer Conjugata vera von 10—9 cm,
sowie einfach platte und allgemein verengt platte Becken mit Conjug.
vera von 9*5 bis 8'25 cm. II. Becken, bei denen die Geburt einer reifen Frucht
zwar noch möglich, aber kaum wahrscheinlich, jedenfalls aber dieselbe mit
grösserer Gefahr für Mutter und Kind verknüpft ist — gl eich massig
allgemein verengte Becken mit einer Conjug. vera von
weniger als 9 cw, sowie einfach platte und allgemein verengt
platte Becken mit Conjug. vera von 8*2 bis 7'4 cm. III. Becken,
bei denen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Geburt einer reifen Frucht
ohne vorherige Verkleinerung nicht mehr zu hoffen ist — einfach platte
und allgemein verengt platte Becken mit einer Conjug. von
7-3 bis 5-6 cm. IV. Becken, die selbst einer verkleinerten Frucht den
Durchgang nicht gestatten — einfach platte und allgemein verengt platte
Becken mit einer Conjug. vera von 5 '4 cm und darunter. Nach Verglei-
chung der Resultate der Geburt am rechtzeitigen Ende der Schwangerschaft
und der Einleitung der künstlichen Frühgeburt bei 373 Fällen von Becken-
verengerung kommt Litzmann zu folgenden Schlussfolgerungen: 1. Die Ein-
leitung der Geburt bei engem Becken ist besonders durch das Interesse der
Mutter geboten, die Erhaltung der Kinder dabei ist mindestens zweifelhaft.
2. Die Einleitung der Frühgeburt ist — auch bei Erstgebärenden — beim IL
und höchstens nach den Anfängen des III. Grades der Beckenenge (Conjug.
vera 9 [8-2] bis 7 [6'5] cm.) indicirt; beim I. Grad kann sie nur durch das
Vorhandensein besonders erschwerender Verhältnisse und Complicationen ge-
rechtfertigt erscheinen. Dies ist auch der Standpunkt, auf dem die
meisten Geburtshelfer jetzt stehen.
Nach ScANzoNi ist die Operation bei kürzestem Durchmesser des Beckens zwischen
8-1 bis 6-7 cm unbedingt angezeigt, einerlei ob Erst- oder Mehrgebärende; bei kürzestem Durch-
messer zwischen 10 0 und 8-1 cm aber nur bei Mehrgebärenden und zwar nur dann, wenn
FRÜHGEBURT. 267
die vorausgegangenen Geburten es wahrsclicinlich machen, dass das kräftig entwickelte
Kind bei seinem Durchtritt durch das Becken beträchtliche Hindernisse finden wird.
Spiegelberg hielt Anfangs die Einleitung der künstliclien Frühgeburt bei einer Becken-
enge über 8 cm Conjug. vera für verwerflich, bei Beckenenge unter 8 cm Conjug. vera
aber nur in den Fällen für indicirt, in denen nach dem Ergebnis früherer Geburten grosse
Kinder mit harten Schädeln und ungünstiger Einstellung zu erwarten und starke Quet-
schungen der vielleicht schon früher erkrankt gewesenen Beckenorgane zu befürchten sind.
Er verwarf sie also bei Erstgebärenden vollständig. Nach ihm wird der Werth der Früh-
geburt überschätzt, weil einmal nie das Verhältnis der Nachtheilo derselben zu den Ge-
fahren bei engem Becken überhaupt untersucht wurde, sondern sie nur mit dem Ergebnis
der anderen Operationen bei Beckenenge verglichen wurden, und dann, weil man die durch
künstliche Frühgeburt lebend geborenen Kinder mit den am Leben erhaltenen verwechselte.
Es geht aber ein grosser Procentsatz der bei künstlicher P'rühgeburt lebend geborenen
Kinder alsbald zu Grunde. Auf der Naturforscher- Versammlung zu Wiesbaden 1873 er-
klärte Spiegelberg, dass die künstliche Frühgeburt jetzt nicht mehr so gefährlich erscheine,
wie es nach seinen vor 4 Jahren gemachten und mitgetheilten Erfahrungen geschienen;
danach bei Erstgebärenden mit einfach plattem Becken, Conjugata vera circa 8 cm keine
Indication, wohl aber bei solchen mit allgemein verengtem Becken von 8 cm Conjangata
vera. In seinem Lehrbuche (1878) sagte er später, dass die Frühgeburt bei einer Conju-
gata vera unter 7 cm nicht mehr zulässig ist, bei einer zwischen 7 und 8 cm immer, bei
einer Enge aber, welche sich über 8 cm hält, nur dann, wenn Anamnese, Beckenform und
Abschätzung der Volumsverhältnisse der Kinder eine schwere Geburt vermuthen lassen,
früheres starkes Geburtstrauma die grösstmöglichste Schonung der mütterlichen Theile
erfordert. Hauptwerth legt er hierbei auf die Eruirung der Becken- und Fruchtverhält-
nisse und auf die gebliebenen Folgen früherer Entbindungen (entzündliche Reste etc.),
weniger auf den früheren Geburtsverlauf, weshalb er auch im Anschluss daran sagt: „sind
bei Erstgebärenden Becken- und Fruchtverhältnisse so beschaffen, wie sie bei Mehrgebä-
renden zur Operation auffordern, so ist auch ihnen die Wohlthat der letzteren nicht vor-
zuenthalten."
Bei der Indicationsstellung wegen Beckenverengerung darf
man aber nicht denken, dass es nur ohne weiteres auf die mehr-mindere
Verkürzung eines Durchmessers .ankomme, nein, die Gesammtverhältnisse des
Beckens müssen berücksichtigt werden, man muss suchen, die Innenform des
ganzen Beckens abzutasten, wenn es nöthig sein sollte durch Einführen der
ganzen Hand (in Chloroformnarkose). Aber auch mit dieser Feststellung ist
es allein nicht gethan, auch die jeweiligen Grössenverhältnisse des Kindes
sind, soweit dies möglich, zu bestimmen, wie wir noch bei den Bedingungen
der Ausführbarkeit sehen werden.
Als eine weitere, mehr prophylaktische Indication, die aber sehr zweifel-
haften Werthes ist, haben wir 2. das habituelle Absterben des Fötus
zu bezeichnen, vorausgesetzt, dass dasselbe in den vorhergehenden Schwanger-
schaften immer erst nach dem Zeitpunkt eingetreten ist, von welchem an die
Einleitung der Frühgeburt statthaft ist. In nicht seltenen Fällen beruht das
Absterben auf Fehlern der Nabelschnur — besonders Torsionen und Knoten
— oder der Placenta; diese Hessen sich aber nicht vorher diagnosticü'en, und
wenn sie auch in allen vorhergehenden Schwangerschaften dagewesen sind,
ist es nicht gesagt, dass sie, auch in der neu eingetretenen Schwangerschaft
wieder eintreten müssen, deshalb aufs ungewisse hin die Frühgeburt einzu-
leiten nicht gerechtfertigt. In den meisten Fällen ist das habituelle Ah-
sterben der Früchte die Folge von inveterirter Lues bei Vater oder Mutter
oder beiden. Da wird eine vor Eintritt einer neuen Schwangerschaft einge-
leitete, kräftige antisyphilitische Cur mehr und besseres leisten, als eine Früh-
geburtseinleitung, zumal die Kinder, wenn sie auch durch letztere lebend zur
Welt kommen, doch meist den verderblichen Keim in sich tragen und bald
zu Grunde gehen.
Dasselbe gilt auch von dem Absterben des Fötus in Folge anderweiter
dyskrasischer Verhältnisse bei der Mutter oder in Folge von Nahrungsmangel
und dergleichen. Die Ursache des Absterbens entfernt, ist besser als Ein-
leitung der Frühgeburt. Es sind jedoch einzelne, allerdings seltene Fälle ver-
zeichnet, in denen Anämie und Chlorose der Mutter den Tod der Frucht gegen
Ende der Schwangerschaft verursachten, bei wiederholter Schwangerschaft aber
268 -FRÜHGEBURT.
Einleitung der Frühgeburt vor der erfalirungsgemäss kritischen Zeit die Kinder
rettete. Nichtsdestoweniger ist die Berechtigung der zweiten Indication
zweifelhaft, berechtigt dagegen die Einleitung der Frühgeburt 3., wegen
lebensgefährlicher Zustände der Schwangeren, welche entweder durch
die Fortdauer der Schwangerschaft auf lebensgefährlicher Höhe gehalten,
sogar darin gesteigert werden, oder bei denen die noch bestehende
Schwangerschaft die Anwendung lebensrettender Heilverfahren behindert, in
beiden Fällen anderweite Mittel, um die Gefahr für das mütterliche Leben
zu beseitigen nicht vorhanden oder nicht anw^endbar sind. Es müssen dabei
die Zufälle bis zur wirklichen Lebensgefahr gesteigert und wir davon über-
zeugt sein, dass die Ursachen der Gefahr wirklich in der Complication mit
der Schwangerschaft liegen und dass die Unterbrechung der letzteren zur
Lebensrettung der gefährdeten Kranken wirklich beitragen kann. Es ist hier
die Frühgeburt das schleunigst gebotene Rettungsmittel. Das Becken kommt
dabei an und für sich gar nicht in Betracht, auch das Alter des Fötus nicht,
nur das Interesse der Mutter, zumal der Fötus, wenn die Schwangere
vor oder im Anfange seiner Lebensfähigkeit stirbt, so wie so verloren ist.
Der Erfolg ist natürlich umso günstiger und für uns umso angenehmer, je
weiter wir in den einzelnen Fällen die Einleitung der Frühgeburt in die Zeit
der Lebensfähigkeit des Kindes verlegen, bez. verschieben können.
Da die Gravidität an und für sich in den letzten Monaten eine ge-
wisse Beschränkung der Athemfähigkeit herbeiführt, so wird bei allen krank-
haften Zuständen, die naturgemäss Dispnoe im Gefolge haben, wie Erkran-
kungen der Respirations- und Circulationsorgane, Verkrümmung der Wirbel-
säule, übermässige Ausdehnung des Unterleibs durch Ascites, Meteorismus,
Geschwülste und dergleichen, diese Dispnoe durch die Complication mit
Schwangerschaft leicht zu lebensgefährlicher Erstickungsnoth gesteigert. Eben-
so können Eklampsie, Morbus Brigthii, Metrorrhagie durch Placenta prävia,
Peritonitis und dergleichen Veranlassung zur Einleitung der Frühgeburt geben,
wenn letztere nicht, was häufig der Fall ist, dabei von selbst eintritt. Auch
unstillbares Erbrechen und Hernia incarcerata ist als Indication angegeben
worden, allerdings mit zweifelhafter Berechtigung. Wegen noch vor dem nor-
malen Ende der Schwangerschaft bevorgestandenen Todes der Mutter hat Steh-
BERGER, um den Kaiserschnitt post mortem zu umgehen, 2-mal die Frühgeburt
mit gutem Erfolge eingeleitet.
Natürlich wird man in den ersten Wochen der eigentlichen Frühge-
burtszeit, also von der 28. bis 32. Woche nur im äussersten Nothfalle zur
Einleitung der Frühgeburt schreiten, da das Kind zu dieser Zeit noch sehr
wenig Aussicht hat, extrauterin fortzuleben. Je weiter aber die Schwangerschaft
vorgerückt ist, umso weniger ängstlich braucht man dann des Kindes wegen
mit der Einleitung zu sein.
Wie schon eingangs erwähnt, ist der Zw^eck der künstlichen Einleitung
der Frühgeburt in erster Linie die Erhaltung von Mutter und Kind.
Eine genaue Kenntnis und Berücksichtigung der Bedingungen, unter welchen
die künstliche Frühgeburt ausführbar ist, wird uns am zuverlässigsten diesem
Zwecke gerecht werden lassen. Bei dieser Frage kommt, was die erste Indi-
cation anlangt, in Betracht die Erforschung der Beckenverhältnisse, die Zeit
der Schwangerschaft, in welcher die zu Entbindende sich befindet und die
Bestimmung der Grösse des Kindeskopfes, überhaupt des Kindeskörpers. Bei
welchem Grade der Beckenenge wir überhaupt operiren können oder dürfen,
ist oben schon erörtert; wie die Beckenverhältnisse zu erforschen sind, lehrt
uns die Beckenmessung. Die Erforschung der Schwangerschaftszeit, schon
unter normalen Verhältnissen nicht immer leicht und mit Sicherheit zu be-
werkstelligen; kann gerade bei Beckenverengerungen auf Schwierigkeiten
stossen. Hat man es mit aufmerksamen, auf sich selbst achtgebenden Per-
FRÜHGEBURT. 269
sonen zu tliun, dann dient die eigene Rechnung der Scliwangeren selbst zur
Feststellung des Resultates, besonders wenn diese Kechnung mit dem liesul-
tat der objectiven Untersuchung übereinstimmt. Und trotz alledem ist man
oft Irrthümern ausgesetzt.
Sehr schwierig ist die Bestimmung der Grösse des Kindeskopfes, da man
denselben nicht direct messen kann. Denn wenn man ihn auch im günstig-
sten Falle bei bimanueller Untersuchung — sei es blos eine sub-abdominelle oder
gleichzeitig eine intravaginale — zwischen die Fingerspitzen der beiden
untersuchenden Hände fassen und abschätzen kann, so täuscht man sich in
Folge der verschiedenen Dicke der Bauchdecken u. s. w. bei dieser Ab-
schätzung doch gar zu leicht und kommt es doch gerade hier sehr auf kleine
Unterschiede an : ein annäherndes Resultat wird sie immerhin haben und be-
sonders bei gleichzeitiger intravaginaler Untersuchung Aufscliluss über die
Härte des Kopfes, die Grösse der Stirnfontanelle u. s. w. geben. Wenn es
gelingt, annähernd die Länge des Kindeskörpers, welche zu dem Umfange
des Schädels nahezu in geradem Verhältnisse steht, durch Messung (allenfallls
nach Ahlfeldt) zu bestimmen, so ist dies von Werth für die Grössenbe-
stimmung des Kopfes, gibt aber keinen sicheren Anhalt. Eljenso ist der
Schluss aus der Grösse, Körperbeschaffenheit, Alter u. s. w, der Eltern auf
die Grösse der zu erv/artenden Kinder viel zu unbestimmt. Besser ist man
noch daran bei Mehrgebärenden, wenn man genaue Angaben über die Grössen-
verhältnisse der Kinder der vorhergehenden Geburten hat, da die nachfol-
genden Kinder gewöhnlich nur geringe Unterschiede in den Grössenverhält-
nissen darbieten. Immer trifft dies aber auch nicht zu.
So kam hier in der Entbindungsanstalt eine Person dreimal, mit je 2-jährigen Pausen,
nieder. Das erste Kind wog 3150 g, das zweite 3250 g, beide mit allen Zeichen der voll-
kommenen Reife leicht spontan geboren. Das dritte wog 4330 g und musste schwer mit
der Zange entwickelt werden.
Es genügt aber nicht, dass man die Durchschnittskopfmaasse reifer Kinder
in Rechnung zieht, sondern auch die der zu früh geborenen und besonders
ist es der Biparietal-Durchmesser, der uns interessirt, da die meisten Becken-
verengerungen platte Becken mit verkürzter Conjug. vera sind, in welche
der Kindeskopf nahezu im queren Durchmesser eintritt, der Querdurchmesser
des Kopfes sich in die Conjug. vera stellt. Nach allgemeiner Annahme
misst der Biparietal-Durchmesser im letzten Monat durchschnittlich 9*5 cw, im
vorletzten S'l cm, im drittletzten 6-75 cm, nach Scheöder dagegen 8-83 cm,
8*69 cm und in der 28. bis 32. Woche 8" 16 cm, während der Längsdurch-
messer des Kopfes in den früheren Monaten eine stärkere Verkürzung gegen-
über dem Maasse des reifen Kopfes aufweist. Nach Schröder ist ferner der
Querdurchmesser bei den Kindern junger Erstgebärenden relativ klein, während
er bei denen älterer Mehrgebärenden in hohem Grade vorherrscht, wie über-
haupt das Gewicht und die Grösse der Kinder mit dem Alter der Mutter und
der Zahl der vorausgegangenen Geburten zunimmt, mit der zunehmenden
Länge des Körpers aber auch die Grösse des Kopfes in annähernd constantem
Verhältnis steigt. Abgesehen davon aber zeigen die Kindesköpfe überhaupt
erhebliche individuelle Verschiedenheiten und ist deshalb eine Schätzung nach
den Durchschnittsmaassen allein durchaus unzuverlässig, die Bestimmung der
Kopfgrösse überhaupt schwierig.
Hat man die Schwangerschaftszeit, den Grad der Beckenverengerung-
und die muthmaassliche Grösse des Kindeskopfes erforscht, so hat man danach
zu bestimmen, wann die künstliche Einleitung der Frühgeburt
vorgenommen werden soll. Je früher dies geschieht, umso weniger
angreifend wird die Geburt für Mutter und Kind sein, desto weniger Aussicht
hat aber das Kind, extrauterin weiter zu leben. Je später aber die Früh-
geburt eingeleitet wird, umso mehr tritt für Mutter und Kind die Gefahr
einer schwierigen Entbindung heran, desto leichter aber kann das Kind, wenn
270 FRÜHGEBURT.
es lebend geboren wird, auch am Leben erlialten werden. Wenn man das
gegenseitig abwägt, wird sich, die dazu geeigneten Verhältnisse vorausgesetzt,
als günstigste Zeit für die Einleitung der Frühgeburt wegen Beckenenge die
34. bis 37. Woche ergeben. Vor der 35. — 37. Woche ist sie für das Kind
sehr problematisch, nach der 37. Woche wird sie kaum mehr einen Vorzug
vor dem Abwarten der Normalgeburtszeit haben, da auch bei künstlicher Ein-
leitung zur Beendigung der Geburt, wenn die Natur nicht hilft, ein schwieriges
operatives Eingreifen nicht zu umgehen sein wird, welches das noch nicht
ganz reife Kind viel weniger gut vertragen wird, als ein reifes. Ist die
Beckenverengerung hochgradiger, dann müsste die Frühgeburt schon so früh
eingeleitet werden, dass das Kind, wenn auch lebend geboren, keine oder doch
sehr geringe Aussicht zum extrauterinen Fortleben hat, und müsste hier viel
mehr die Einwilligung der Mutter oder Eltern zum Kaiserschnitt am normalen
Ende der Schwangerschaft, der ja Dank dem neueren Operationsverfahren,
bezw. der Antiseptik viel von seinem Schrecken verloren hat, zu erstreben
sein. Handelt es sich um den seltenen Fall der Verhütung des vorzeitigen
Absterbens des Fötus, so würde nur dann eine Aussicht auf Erfolg da sein,
wenn das Absterben erst ganz gegen Ende der Schwangerschaft zu erwarten
wäre, damit die Frühgeburt, die doch wenigstens zwei Wochen vor dem
Termin des Absterbens eingeleitet werden muss, in einer Zeit vorgenommen
werden könnte, die dem Fötus einigermaassen Aussicht auf extrauterines Fort-
leben bietet. Diese Fälle sind sehr selten. Bei der Einleitung der Frühgeburt
wegen Lebensgefahr der Mutter ist die Erhaltung des Kindes Nebensache,
wenn auch im glücklichen Falle recht erwünscht, die Wahl der Zeit der
Ausführung ist uns aber hier nicht gegeben, wir können dabei keine Rücksicht
auf das Kind nehmen, sondern müssen operiren, wann es die Lebensgefahr
der Mutter gebietet. Wir werden hier die Geburt einleiten, unbekümmert
darum, ob auch für das Kind dabei etwas zu erreichen ist oder nicht, ob es
lebt oder nicht; in anderen Fällen dagegen wird man nur dann operiren, wenn
man von dem Leben des Kindes überzeugt ist. Schliesslich ist es selbst-
verständlich, dass, mit Ausnahme der Fälle, in denen es sich um Lebensgefahr
der Mutter handelt, dieselbe gesund sein und hinreichende Kräfte bei Aus-
führung der Operation besitzen muss.
Die Prognose der künstlichen Frühgeburt ist für die Mutter an und
für sich günstig zu nennen, am günstigsten bei der wegen habituellen Ab-
sterbens des Fötus unternommenen. Bei Beckenfehlern höheren Grades wird
sie einigermaassen beeinträchtigt durch die im weiteren Verlaufe der Geburt
mitunter noch nothwendigen anderweiten operativen Eingriffe, mit welchen
auch die, bei der Einleitung der Geburt selbst, besonders je nach den Me-
thoden schon vorhandenen Gefahr der puerperalen Infection gesteigert wird.
In nicht seltenen Fällen ist auch der Verlauf der Geburt selbst ein sehr lang-
samer und dadurch für die Mutter angreifender, als eine Normalgeburt. Von
Einfluss auf diesen langwierigen Verlauf ist gewiss oft der Umstand, dass die
Gebärorgane durch vorhergehende schwere Entbindungen und ihre Folgen
oder durch anderweite Erkrankung angegriffen, nicht leistungsfähig sind.
Vor Jahren habe ich bei einer Frau, welche 2 Jahre vorher sehr schwere
Perforation mit nachfolgender sechswöchentlicher schwerer Puerperalerkrankung
durchgemacht hatte, durch intrauterine Kathetrisation verbunden mit Vaginal-
douche Frühgeburt eingeleitet. Vom Einlegen des Katheters an dauerte es
60 Stunden, bis regelmässige Geburtsthätigkeit entstand, nach weiteren 8
Stunden war es möglich, durch Wendung und Extraction die Geburt zu voll-
enden. Das Kind, mit leichter Impression des einen Scheitelbeines, welche
sich nach einigen Tagen ausglich, war lebend und lebt heute noch. Das
Wochenbett war sehr gut und die Frau in der Folge sehr gesund. Nach
weiteren 3 Jahren leitete ich bei ihr abermals ganz nach derselben Methode
FRÜHGEBURT. 271
die Frühgeburt ein. Sechs Stunden nach Einlegung des Katlieters konnte
ich die Geburt, ebenfalls durch Wendung und Extraction mit ganz demselben
Erfolge für Mutter und Kind vollenden.
Bei Frühgeburt wegen Lebensgefahr der Mutter wird die Prognose für
diese wesentlich beeinflusst durch die, die Lebensgefahr involvircnde Grund-
krankheit, doch fällt eine ungünstige Prognose eben dieser und nicht der
Frühgeburt zur Last. Ein wesentlich anderes ist es mit der Prognose für
das Kind. Für dieses ist sie unter allen Umständen zum mindesten zweifel-
haft, besonders in Rücksicht auf die Möglichkeit des extrauterinen Weiter-
lebens. Man muss eben bedenken, dass es immerhin ein Frühgeborenes ist,
und das fällt umsomehr ins Gewicht, je früher die Geburt eingeleitet ist
oder werden musste. Dazu kommt auch als erschwerend, dass die im weiteren
Verlaufe oft eintretenden Geburtsstörungen und dadurch nothwendig werden-
den Operationen ein nicht reifes Kind viel härter treffen, als ein reifes.
Wenn die Geburt eingeleitet wird, um das vorzeitige Absterben zu ver-
hüten, ist es leicht möglich, dass das lebend geborene Kind doch schon den
Keim des Todes in sich trägt. Dann ist auch ein sehr langsamer Geburts-
verlauf für das Kind oft nicht ohne nachtheiligem Einfiuss, besonders wenn
das Fruchtwasser frühzeitig abgeflossen ist. Bei Frühgeburt zur Lebensrettung
der Mutter kann meist nicht Piücksicht darauf genommen werden, ob das
Kind schon lebenskräftig genug ist oder nicht, auch ist es mitunter durch
die Krankheit der Mutter selbst schon angegriffen.
Eigentliche Vorbereitungen sind nur dann möglich, wenn man die
Wahl der Zeit hat, und möchten dann einige warme Bäder vorher ganz am
Platze sein. Auch sorge man für geregelte Diät und gute Stuhlentleerung.
Wo es geht, wähle man zur Einleitung der Operation die Zeit, wo im nicht
schwangeren Zustande die Menstruation eingetreten wäre.
Es sind sehr viele Methoden zur künstlichen Frühgeburt empfohlen
worden, von welchen wir die wenigen, jetzt gebräuchlichen, ausführlicher be-
trachten, die anderen jedoch nur kurz berühren wollen.
Man hat auf verschiedene Weise versucht, die Wehenthätigkeit des Uterus anzuregen, sa
I. durch directe mechanische Reizung der Innenfläche der Gebärmuttei
und zwar entweder a) ihres Körpers oder b) mehr ihres Halstheiles ;
IL reflectorisch durch Reizung der Vaginalportion, der Scheide und Vulva, dei
Brüste oder von den Bauchdecken aus;
III. durch Anwendung des Galvanismus und der Elektricität ;
IV. durch pharmaceutische Mittel.
Die einzelnen Methoden nach obiger Gruppirung sind:
Gruppe I. a).
1. Der Eihcmtstich :
a) im Muttermund, älteste Methode (Scheel 1799);
b) höher oben (Hopkins 1814, Meissner 1840, Kluge, Ritgen).
2. Intrauterine Katheterisation, tiefes Einführen eines elastischen Katheters oder Bou-
gies zwischen üteruswand und Eihäute:
a) mit sofortiger Entfernung (Lehmann 1838, Mampe, Merrem) ;
b) mit Verbleiben im Uterus (Krausse 1855, Braun).
3. Intrauterine Injection, Einspritzen von Wasser (Theerwasser) zwischen Uterus und
Eihäute (Schweighäuser 1825, Cohen 1846).
4. Ablösen der Eihäute im Umkreise des Muttermundes:
a) mittelst des Fingers (Hamilton 1812);
^) mittelst eines festen Katheters (Merriman, Ricke);
Y) mittelst Kautschukblase, Dilatateur intrauterin (Tarnier 18'62).
Gruppe I. b).
Dilatation des Muttermundes:
a) durch Pressschwamm (Brünninghausen-Kluge 1820—1825);
ß) instrumentell, durch metallene Diktatoren (Busch, Osiander. ME^•DE,
Krausse) ;
-A durch Thierblasen (Schnackenberg's Spenosiphon);
o) durch Kautschukcylinder (uterin dilaters von Barnes 1863;.
272 FRÜHGEBURT.
Gruppe II.
1. Beihen des Muttenmindes (Ritgen),
2. Tamponade der Vagina;
a) mit Charpie (Schotler 1842);
3) mit Thierblase (Hüter, Ritgen, Haen);
y) mit Kautschukblase, Colpeurynter (Braun 1851).
3. Aufsteigende UterusdoucJie (Kiwisch 1846).
4. Koldensäuredouche (Scanzoni).
5. Reizung der Brüste (Scanzoni).
6. Beihen des Fundus uteri (Ulsamer, d'OuTREPONT).
Hieran möchte sich noch anschliessen :
7. AUgemeine Bäder (Gardien 1807).
Grupi)e III.
1. Anwendung des Galvanismus (Herder, Radfort, Schreiber 1843). Constanter
Strom (Fleischmann).
2. Inductionselektricität (Hennig 1857),
Gruppe IV. Anwendung von
1. Mutterkorn (Bongpovanni, Ramsbotham).
2. Chinin (Sayre).
3. Bilocarpin, subcutan injicirt (Massmann 1878, Kleinwächter, Schauta 1878).
Durch alle diese Methoden ist es gelungen, geeignete Wehenthätigkeit
hervorzurufen, bei den einen schneller, bei den anderen langsamer, mit mehr-
minderer Zuverlässigkeit, bei den einen mit geringer oder fast gar keiner,
bei den anderen mit mehr Belästigungen der zu Entbindenden. Man muss
aber von einer guten Methode, wie Spiegelberg bemerkt, verlangen, dass
sie sicher und milde und dabei nicht zu langsam wirke, dass die
auf sie erfolgende Geburt der spontanen möglichst gleich ablaufe und dass
sie die möglichst geringste Gelegenheit zur Infection biete. Am sichersten
wirken jedenfalls die Methoden, welche directe Reizung der Innenwand des
Uterus bezwecken, aber sie bedingen auch am ehesten eine Infectionsgefahr,
welche sich allerdings nach dem jetzigen Standpunkte der Wissenschaft wohl
leichter vermeiden lassen wird, als zu der Zeit, wo diese Methoden aufkamen.
Sie wirken aber auch unter Umständen durchaus nicht milde, weshalb sie
auch zum Theil wieder verlassen sind. Von den jetzt gebräuchlichen Methoden
steht obenan die intrauterine Katheterisation, mit oder ohne begleitende
aufsteigende Vaginaldouche, dann der Eihautstich. Unter Umständen
machen wir auch Gebrauch von der Dilatation der Vaginalportion,
aber mehr nur als vorbereitende Operation, sowie von der Colpeuryse,
welche genannten Methoden wir deshalb eingehender betrachten wollen. Die
anderen haben mehr nur historisches Interesse.
1. Der Eihautstich, ScheeVsche oder englische Methode.
Wie früher erwähnt, ist diese Methode schon von Guilleheau, Maurciean, der Siege-
mundin u. A. bei Blutungen in Anwendung gezogen worden, auch im Alterthum schon und
in späterer Zeit in sträflicher Absicht gebraucht worden, wegen Beckenenge aber zum
erstenmale von Macaulay 1756, deshalb „englische Methode." Sie wurde aber, wenn auch
von May zu gleicher Zeit mit Paul Scheel in Kopenhagen empfohlen, doch von letzterem
1799 zuerst eingehend wissenschaftlich beleuchtet und wird deshalb nach ihm genannt.
Die grössere oder geringere Entleerung des Fruchtwassers ruft unbedingt
eine dauernde Wehenthätigkeit hervor, was keine andere Methode mit dieser
Sicherheit vermag. Es erwacht dieselbe 6 bis 12 Stunden nach dem Wasser-
abfluss, mitunter dauert es jedoch 24 Stunden, selbst mehrere Tage, ausbleiben
wird sie aber nie, erlischt auch, wenn einmal angefangen, nicht wieder und
führt dann meist rasch zum Ziele. Fliesst zuviel Fruchtwasser ab, so ent-
stehen leicht für das Kind, dessen Leben ohnehin ein schwaches, gefährliche
Krampfwehen mit Umschnürungen, überhaupt Wehenanomalien. Das zu starke
Abfliessen des Fruchtwassers wird leicht vorkommen, wenn der Eihautstich im
Muttermund gemacht wird, wie Scheel empfohlen, und kann es hierdurch zu
einer, für die schonende Erweiterung des Muttermundes so nützlichen Bildung
einer Blase nicht kommen. Um es zu vermeiden, haben Hopkins (1820) und
FRÜHGEBURT. 273
später Meissner (1840) vorgeschlagen die Eihäute hölier oben im Uterus
anzustechen und dazu eigene Instrumente angegeben. Sie gingen von der
Erfahrung aus, dass bei normalen Geburten mitunter ein tropfen weises schlei-
chendes Abfiiessen von Fruchtwasser und daneben oder darnach doch die -Bil-
dung einer Blase beobachtet wird, was nur dann möglich ist, wenn die Eihäute
höher oben im Uterus springen und die Oeftnung in denselben durch die
Uteruswand wieder gedeckt wird. Hopkins und Meissner verrichteten die
Operation mit einem langen Draht, der in einer dünnen liöhre zwischen Ei-
häute und Uteruswand 12 (Meissner) bis 20 (Hopkins) cm über den inneren
Muttermund hinaufgeführt und dann in die Eiblase eingestochen wird. Ihr
Verfahren und Instrument wurde mannigfach modificirt, so von Kluoe und
RiTGEN, deren „Stechsauger" bezweckten, die Eihäute durch einen Saugapparat
anzuziehen und dem in der Röhre befindlichen gedeckten Stachel entgegen-
zuftihren. Auch für den Eihautstich im Muttermund sind eine Menge Instru-
mente angegeben, welche aber alle entbehrlich sind. Es genügt ein zuge-
spitzter Mandrin eines Katheters oder eine Stricknadel oder eine scharf
zugespitzte Gänsefeder (Rokitansky). Gegen das HoPKiNS-MEissNER'sche Ver-
fahren hat man eingewendet, dass dadurch leicht der Uterus verletzt wurde,
welchem Uebelstande die „Stechsauger" zu begegnen suchten, und dass es
meist zwecklos sei, indem die Eihäute schon eher, als man an die gewünschte
Stelle gelangt, bersten. Nun, dann hätte man eben nichts anderes bewirkt,
als mit dem Eihautstich im Muttermund. Scanzoni hat hervorgehoben, dass
bei Frühgebart fehlerhafte Kindeslagen verhältnismässig häufig sind (dies be-
trifft jedoch mehr nur die spontanen Frühgeburten) und durch den vorzeitigen
Wasserabfiuss etwaige lageverbessernde Operationen sehr erschwert sind. Es
wird deshalb der Eihautstich bei constatirten fehlerhaften Lagen zu vermeiden
sein, ebenso bei langem rigidem Mutterhals, für dessen schonende Erweiterung
die Bildung einer Blase so vortheilhaft ist. Wir haben jetzt andere, gut und
auch meist sicher wirkende Methoden, bei denen die Eihäute erhalten werden,
was besonders für das Kind vortheilhafter und wenden den Eihautstich nur
in einzelnen Fällen an, dies besonders bei drohender Lebensgefahr der Mutter
durch hochgradige Dispnoe. Hier kann eine rasche Entleerung des Frucht-
wassers den Uterus schon so weit verkleinern, dass dadurch wenigstens die
augenblickliche Erstickungsgefahr beseitigt ist. Sodann gilt er als ultimum
refugium, wenn die anderen Methoden im Stiche lassen, was ja einmal vor-
kommen kann, oder zu langsam wirken.
Die Operation wird in der Rückenlage mit etwas erhöhtem Kreuz oder
auf dem Querbett ausgeführt, die eine Hand an der Vaginalportion, mit der
anderen auf der eingeführten Hand der Draht oder was man sonst nimmt,
vorgeschoben. Nach Zw^eifel soll man für den Moment des Eiustechens
durch Reiben des Fundus eine leichte Contraction anzuregen suchen. Nach
geschehenem Einstich zieht man den Draht langsam und vorsichtig zurück,
um keinen grossen Riss zu veranlassen. Droht zu viel Wasser abzufliessen,
■so dürfte, wo man dies nicht wäll, durch Einlegen des Colpeurynters dem zu
begegnen sein.
C. Braun hat nach Veiöffentlichungen von Rokitansky jun. in der Wiener
Klinik ausserordentlich günstige Resultate mit dem Eihautstich erzielt; um
einen günstigen Erfolg zu haben, kommt es nach ihm hauptsächlich darauf
an, das Fruchtwasser nur langsam absickern zu lassen. Er bediente sich
zur Function eines über einer Uterussonde eingeführten scharf zugespitzten
Gänsekiels, wodurch das Wasser langsam abfiiessen soll. Sollten sich diese
günstigen Resultate in der Folge bestätigen, dann dürfte diese Methode als
eine der besten, ja als die beste zu betrachten sein.
Als Schattenseiten des Eihautstiches wurde von manchen Seiten die oft
grosse Schmerzhaftigkeit wegen Krampfwehen, auch mitunter heftiger Schüttel-
Bibl med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 18
274 FRÜHGEBURT.
frost, besonders nach plötzlichem, zu starkem Wasserabfluss herv orgehoben und
für die Kinder eine verhältnismässig grössere Sterblichkeit (nach Beaun
nicht), eben auch durch die Wehenanomalien bedingt. Man hat deshalb von
jeher schon auf andere Methoden gesonnen.
Die nächstälteste Methode ist
2. Erweiterung der Cervix durch Quellmittel. (Methode von Brünning-
hausen-Kluge). Ein auf die Nerven des unteren Uterussegmentes aus-
geübter Reiz vermag, wenn er lange genug wirkt, Contractionen des
ganzen Uterus anzuregen. Von diesem Gedanken ausgehend schlug Bkün-
NiNGHAUSEN vor, behufs Einleitung der künstlichen Frühgeburt den Mutter-
mund durch Pressschwamm zu erweitern, um die Nachtheile des frühen
Abflusses des Fruchtwassers zu verhüten. Das Verfahren wurde von El. v.
SiEBOLD zum erstenmale angewandt, von Kluge aber etwas modifieirt
und besonders verbreitet. In den Jahren 1820 bis 1846 wurde die Methode
in Deutschland häufig ausgeübt. Die Geburtsdauer schwankte von ^'^ bis zu
8 Tagen. Schnackenbeeg empfahl statt des Pressschwammes eine mit Wasser
aufzutreibende Thierblase mit Apparat zum Füllen und Ablassen des Wassers
{Sphenosiphon). 1863 wandte Baenes geigenförmig gestaltete Kautschukblasen
(literin dilaters) in verschiedener Grösse mit Einführungsapparat an, hat aber
sein Verfahren nicht zur dauernden Geltung gebracht. Ein Nachtheil des
BEtiNNiNGHAUSEN-KLUGE'schen Verfahrens besteht in der Unsicherheit des
Erfolgs und in der oft schweren Ausführbarkeit (bei hochstehendem, abge-
wandtem Muttermund), hauptsächlich aber in der grossen Infectionsgefahr.
Der Pressschwamm, wenn er länger gelegen, reizt die sensible Schleimhaut
und muss, wenn er nicht rasch zum Ziel führt, oft gewechselt und mit einem
grösseren vertauscht werden, in welchem Wechsel ein neuer Reiz für die
Schleimhaut liegt. Entzündungen, besonders Parametritis, sind häufig darnach
beobachtet. Die Resultate für die Kinder waren verhältnismässig nicht un-
günstig. Wir wenden das Verfahren jetzt nur noch als Vorbereitung für
andere Verfahren an, wenn der Muttermund, besonders Hals sehr eng und
unnachgiebig ist, benutzen aber statt Pressschwamm nach dem Vorschlag von
C. Beaun kurze Laminaria- oder Tupelostifte, da bei diesen die Infections-
gefahr eine geringere ist. Die BAENEs'schen uterin dilaters leisten nicht mehr
und lassen sich bei engem Muttermund gar nicht einführen.
Statt der Erweiterung der Vaginalportion empfahl Schöller 1842:
3. Tamponade der Scheide mit Watte-tampons (Geburtsdauer 1 bis 23 Tage)
statt deren 1843 HtJTEE und später Ritgen und Haen präparirte mit Wasser zu
füllende Thierblasen anwandten (Geburtsdauer 1 bis 7 Tage), zum Theil mit
besonderen Verschluss- und Fülleinrichtungen (Ritgen ,^Druckblasenhals^').
Diese verschiedenen Verfahren haben sich keine dauernde Geltung zu ver-
schaffen gewusst, weil zu unsicher im Erfolg und für die zu Entbindende sehr
belästigend und schmerzhaft. C. Beaun ersetzte 1851 die Thierblase durch
eine Kautschukblase mit einem etwa 35 bis 40 cm langen, mit einem Ab-
schlusshahn versehenen Schlauche zur beliebigen Füllung mit Wasser. Er
nannte den Apparat Colpeurynter, das Verfahren Colpeurysis. Mit demselben
wurden viel günstigere Resultate erzielt. Geburtsdauer (in 5 Fällen) 5 Stunden
bis 3 Tage. Aber auch diese Methode ist für die zu Entbindende, wenn
nicht rascher Erfolg eintritt, sehr belästigend. Angewendet wird sie jetzt
nur noch zur Unterstützung anderer Methoden bei starken Blutungen,
besonders durch Placenta praevia, sowie auch nach anderweiter Einleitung
zur Anfachung der nachlassenden Wehen und als Gegendruck gegen die
springfertige Blase oder zur Verhütung des zu starken Fruchtwasserabflusses
nach dem Eihautstich. Das Verfahren ist sehr einfach. Die entleerte, möglichst
aseptisch gemachte Blase wird der Länge nach zusammengefaltet mit Leich-
tigkeit in die Vagina eingeschoben und dann durch den Schlauch mittelst
FRÜHGEBURT. 275
einer Spritze mit Wasser gefüllt, welches man zeitweise erneuern kann. Gut
ist es, die Scheide vor der Einlegung durch Irrigation zu säubern.
Einige Jahre bevor Braun seinen Colpeurynter bekannt gab, ist ein
anderes Verfahren empfohlen worden, das jetzt noch in Geltung steht,
nämlich:
4. Die aufsteigende TJterusdouche (Methode von Kiwiscii 1S4G). Bei von
Schwangeren wegen stärkerer Fluors vorgenommenen Scheidenausspülungen
ist mitunter das Auftreten von Wehen beobachtet worden. Diese Erfahrung
brachte Kiwisch auf den Gedanken, durch methodische Anwendung der
Douche die Frühgeburt einzuleiten und waren seine Versuche von Erfolg
gekrönt, jedoch nicht immer. Nach einer Zusammenstellung von Krause
versagte in 81 Fällen die Methode 13mal, je in dem 6. Falle. Die Geburts-
dauer schwankte zwischen 6 Stunden und 22 Tagen. Trotz dieser wenig
ermuthigenden Resultate wenden wir die Methode, da sie, wenn richtig aus-
geführt, für die Mutter ungefährlich und nicht unangenehm ist, immer
noch an, aber mehr nur als Vorbereitung oder zur Unterstützung für
andere Methoden, wenn diese zu langsam wirken. Kiwisch wendete einen
irrigatorähnlichen, nur etwas grösseren Blechkasten mit etwa 2^2 '>n langem
Abfiussschlauch und durch Hahn verschliessbarem Mutterrohre an und be-
nutzte zu der, 3 bis 4mal den Tag 10 bis 15 Minuten zu machenden Douche
Wasser von 35" R. (42*^ C.), wobei er grossen Werth legte auf einen kräftigen
Strahl, der gegen das Scheidengewölbe und die Vaginalportion, aber nicht gegen
den Muttermund gerichtet sein soll, und ganz besonders auf den richtigen
Wärmegrad des Wassers, da er dem thermischen Reiz grossen Einfluss auf
die Wehenerweckung zuschrieb. Zweckmässig ist es, um einen kräftigen
Strahl zu erhalten, ein Mutterrohr mit nur einer centralen und nicht zu
engen Oeffnung zu benützen und den Irrigator hoch zu hängen. Die von
mancher Seite empfohlene Einführung des Mutterrohres in den Muttermund,
mehr minder hoch, ist zu verwerfen wegen der Gefahr des Lufteintrittes in
die Uterushöhle. Ganz aus demselben Grunde ist man jetzt von einer eben-
falls im Jahre 1846 veröffentlichten Methode abgekommen, der
5. Einspritzung von Wasser zivischen Eihäute und JJterusivand, Intraufe-
rininjection (Methode von Cohex), welche Anfangs alle bis dahin bekannten
und empfohlenen Methoden zu übertreffen schien, deren Schattenseiten sich
aber allmälig herausstellten. Schweighauser hatte schon im Jahre 1825
empfohlen, zur kräftigen Wehenerweckung Wassereinspritzungen zwischen
Uterus und Eihäute zu machen, wodurch die Eihäute losgetrennt würden,
ausgeführt hatte aber die Sache erst Cohen 1846, Anfangs mit Theerwasser,
später mit reinem warmen Wasser und gab dazu eine besondere Spritze mit ge-
krümmtem konisch zugespitztem Ansatzrohre an, welch' letzteres in den Uterus
eingeschoben wird. Später wurde statt dieses Apparates das Einschieben
eines dicken Katheters, durch welchen die Flüssigkeit ausgespritzt werden soll,
empfohlen. Wenn nöthig, soll die Einspritzung nach einigen Stunden wieder-
holt werden.
Versagt hat die Methode nicht, doch schwankte die Geburtsdauer zwischen
1 und 6 Tagen (nach Krause), wenn auch meistens ein schneller Erfolg zu
verzeichnen war. Es zeigte sich aber die Methode weit gefährlicher, als die
anderen, und waren nicht wenige Todesfälle, sei es durch Lufteintritt in die
Uterusvenen, sei es durch Infection zu beobachten. Bei vielen Schwangeren
traten sehr stürmische Wehen, bei nicht wenigen, so schon bei Cohen's erster
Anwendung, einige Stunden nach der Einspritzung sehr heftige Schüttelfröste
ein. Aus diesen Gründen ist die Methode jetzt ziemlich verworfen, zumal
wir bessere haben.
6. Die intrauterine Katli derisation (Methode von Krause). Ein Reiz auf die
Innenwand des Uterus, wie ihn das GoHEN'sche Verfahren veranlasst, wird
18*
276 FRÜHGEBURT.
benso sicher, aber weniger stürmisch bedingt durch einen längere Zeit mit
der Innenfläche des Uterus in Contact gebrachten Körper, wie z. B. ein Ka-
theter, eine Darmseite u. dgl. Schon 1838 suchte Lehmaxjsi in Amsterdam,
später Simpson, Mampe und Merrem diese Keizung durch vorübergehende
Einführung einer Wachsbougie möglichst hoch in dem Uterus herbeizu-
führen, erst Krause wählte dafür das Einlegen und Liegenlassen eines
elastischen Katheters behufs Einleitung der Frühgeburt (1855). Um den
möglichen Eintritt von Luft durch den Katheter zu vermeiden, nimmt man.
besser dafür ein Bougie nach Dohrn oder, wie es C. Braun empfohlen hat,,
eine Darmseite. Durch das Einlegen der dünnen glatten Bougie ist ein
schädliches Uebermass des Reizes, wie ihn das CoHEN'sche Verfahren durch
das plötzliche Losreissen eines grösseren Theiles der Eihäute leicht mit sich
führt, nicht zu befürchten, zumal die Wehen, wenn sie stärker werden, das
Instrument austreiben, also den Reiz entfernen. Durch das Liegenlassen
erspart man sich die Nothwendigkeit des mehrmaligen Einführens und wirkt
sicherer und rascher, dabei schonender. Der Erfolg ist ein sehr günstiger.
Die Geburtsdauer schwankt zwischen 6 Stunden und 1, ausnahmsweise bis
zu 5 Tagen. Die ersten Wehen treten in einzelnen Fällen schon nach 30,
in einem Falle sogar schon nach 5 Minuten ein. Die Methode braucht keinen
eigenen Instrumentenapparat und überhaupt nicht so viel Aufwand, als alle
übrigen. Hier und da kommt einmal ein Einreissen der Eihaut höher oben
vor, was aber doch nicht störend, da das Fruchtwasser dann nur „schleichend"
abgeht und eine Blase doch noch sich bilden kann. Schröder betrachtet
dies sogar als einen Vortheil. Im Nothfall würde der Colpeurynter das zu
starke Abfliessen verhindern. Von manchen Seiten wird die Gefahr, mit dem
Katheter oder Bougie auf falsche Wege zu gerathen, besonders möglicher-
weise auf die Placenta zu treffen, sehr urgirt, es ist aber keine nachtheilige
Folge dieser Möglichkeit bis jetzt bekannt geworden. Spiegelberg hebt auch
die Gefahr des Lufteintritts in den Uterus, selbst bei Anwendung einer
Bougie hervor, für welch' letztere sie aber sicher ausgeschlossen ist, weshalb
das von Schauta vorgeschlagene Einführen der Bougie in einem mit klarer
antiseptischer Flüssigkeit angefüllten (soweit die Vaginalportion hineinragt)
Röhrenspeculum, also Einführung unter Wasser, nicht nothwendig sein dürfte.
Nach allem für und wieder gilt die Methode Krause jetzt als die zu-
verlässigste und mildeste und wird fast allgemein angewandt.
Ausgeführt wird die Operation am besten auf dem Querbett oder in
Rückenlage mit erhöhtem Kreuz. Die eine Hand fixirt die Vaginalportion,
bezw. den Muttermund und wird auf dieser dann mit der anderen Hand die
vorher genügend antiseptisch behandelte Bougie wie sonst eine Uterussonde
eingeführt. Selbstverständlich muss dem Einführen eine gründliche desinficirende
Irrigation der Scheide vorausgehen. Um das Verbiegen der weichen Bougie,
durch welche dieselbe leicht auf falsche Wege gerathen kann, zu verhüten, ist
es zweckmässig, den Mandrin eines dünnen Katheters durch dieselbe hin-
durchzuführen, was nach Abnahme des Knopfes leicht geschehen kann. Die
Bougie oder der elastische Katheter wird vorsichtig drehend, nie gewaltsam,
auf mindestens zwei Drittel ihrer Länge, nach Manchen sogar bis an den
Knopf hinaufgeschoben und dann für geeignete Befestigung gesorgt. Bei
langem, rigidem Mutterhals und engem Muttermund ist es zweckmässig,
denselben durch Laminaria oder Tupelo zuvor etwas zu erweitern. Bei
grösseren Schwierigkeiten des Einführens kann man sich auch eines Speculums
dazu bedienen. Mitunter entstehen beim Einführen leichte Contractionen,
besonders wenn die Vaginalportion vorher allenfalls künstlich dilatirt und
der Uterus also schon gereizt ist. Während einer solchen darf das Instrument
nicht weiter vorgeschoben werden wegen Gefahr der Zerreissung der Eihäute.
Stösst man auf ein Hindernis beim Vorschieben, zieht man etwas zurück und
FRÜHGEBURT. 277
geht in anderer Richtung vorwärts. Ist die Gcburtsthätigkcit riclitig im
■Gange und ein Rückgang nicht mehr zu befürchten, der Muttermund schon
•einige Centimeter weit geöffnet, dann zieht man die I3ougie heraus oder man
kann sie auch liegen und mit dem Kind austreiben lassen.
7. Ablösen der Eihäute vom unteren Uterinsegment entweder mit dem
Finger nach Hamilton oder mittelst eines weiblichen Katheters
nach Mampe und Ricke hat sich nicht bewährt und ist deshalb gänzlich ver-
lassen. Etwas ähnliches und dabei das Liegenlassen eines fremden Körpers
Ijezweckt :
8. Der Dilatateur intrauterine von Tarnier, 1862. Der Apparat besteht
aus einem Kautschukschlauche von der Dicke eines starken Katheters, der
unten einen verschliessbaren Hahn und an der Spitze eine Stelle mit ver-
dünnten Wandungen hat, welche sich durch Wasser oder Luft kugelig auf-
treiben lässt. Durch einen eigenen „Conductor" wird diese Spitze über den
inneren Muttermund hinaufgeführt und dann mittelst Wasser unter starkem
Druck aufgetrieben, wodurch sie sich über dem Muttermund von selbst hält
und gleichzeitig die Eihaut in der Umgebung des inneren Muttermundes ab-
löst. Es erwachen sehr bald Wehen. Ist der Muttermund bis zur Grösse der
aufgeblähten Kugel geöffnet, so gleitet diese sehr leicht heraus und kann es
vorkommen, dass die Wehen wieder erlöschen. Wird der Schlauch zu wenig
aufgetrieben, reizt er auch zu wenig, bei zu starkem Auftreiben aber platzt
er leicht. Man muss deshalb mehrere Schläuche im Vorrath haben, dazu
eine genau passende Spritze zum Auftreiben und einen eigenen Apparat, den
„Conductor" zum Einführen. Das Verfahren ist also viel umständlicher, als
das KRAUSE'sche und durchaus nicht mehr leistend, deshalb nicht empfehlens-
werth.
Von den verschiedenen anderen noch empfohlenen Methoden möchte nur
9. Die Anwendung pharmaceuiischer Mittel zur Einleitung der Frühgeburt
Tiurz zu berühren sein. Bongiovanni (1828) war wohl der Erste, welcher
den inneren Gebrauch von Mutterkorn zu diesem Zwecke empfahl, doch
ohne den gewünschten Erfolg zu haben, weshalb der Vorschlag vergessen
iDlieb, bis Ramsbälbam denselben wieder aufnahm und behauptet, beinahe
immer sehr bald nach der Anwendung das Erwachen von Wehenthätigkeit
beobachtet zu haben. Geburtsdauer 12 Stunden bis 6 Tage. Von 45 Ver-
suchen waren 13 unzureichend, 3 ganz erfolgslos. Ungünstig war das Re-
sultat für die Kinder: von 39 kamen 15 todt zur Welt, 12 starben in den
ersten 36 Stunden. Aus diesen Gründen ist die Methode zur Einleitung
der Frühgeburt absolut zu verwerfen.
Massmann (1878) beobachtete nach subcutaner Inj ection von Pilocarpinum
mur. (su 0'02 g) in 2 Fällen nach kurzer Zeit Frühgeburt. Von ihm und
anderen fortgesetzte Versuche haben z. Th. günstige, z. Th. vollkommen ne-
gative Resultate ergeben. So hatten Welponer, Felseneeich, Kleinwächtee
gar keine oder sehr ungenügende Wirkung auf dauernde Erw^eckung dei'
Wehenthätigkeit gesehen. Schauta hat in der Wiener Klinik später mehr-
fach mit Erfolg durch Pilocarpin die Frühgeburt eingeleitet und ohne die ge-
ringste nachtheilige Einwirkung auf Mutter oder Kind. Er injicirt am 1. Tage
bis zu 3mal je eine Spritze einer 2°/,) Pilocarpinlösung, was meist genügt. Ist
das aber nicht der Fall, dann folgen am 2. Tage 1 bis 2 Injectionen einer
3 7o Lösung und wenn nöthig, am 3. Tage 1 bis 2 Injectionen einer 47o
Lösung, Unangenehme Nebenwirkungen, wie Herzschwäche, di'ohender CoUaps
•u, dgl. hat er dabei nicht beobachtet.
BIRNBAUM.
278 FRÜHGEBURT.
FrÜhg6burt (spontan) nennt man im Gegensatz zum Abort,*)
beziehungsweise Fehlgeburt und zur rechtzeitigen Geburt, die Geburt
einer zwar noch nicht ausgetragenen, noch nicht vollständig entwickel-
ten, aber doch schon lebensfähigen Frucht. Diese Geburt kann aus
inneren Ursachen, sowie durch äussere, aber nicht beabsichtigte Einflüsse
veranlasst werden, oder sie wird durch directe zielbewusste Eingriffe herbei-
geführt. Erstere bezeichnet man als spontane Frühgeburt oder kurzweg
als Frühgeburt, von welcher hier die Rede sein soll, letztere als künst-
liche Frühgeburt, (s. d.)
Bei älteren Autoren findet man wohl auch unterschieden zwischen physio-
logischer und pathologischer Frühgeburt und bezeichnete man als physio-
logische Frühgeburt, wenn die Geburt vor dem gewöhnlichen,
normalen Zeitpunkte, aber bei vollkommener Reife der Frucht
erfolgt, welcher Vorgang auf einer in der Individualität begründeten Schnellig-
keit des Erzeugungsvorganges beruhen solle. Wenn wir berücksichtigen, dass
bei den einzelnen Individuen nach der Geburt ein so bedeutender Unterschied
in Bezug auf die geistige und körperliche Entwicklung sich bemerklich macht,
dass es besonders viele sicher constatirte Fälle von ausserordentlich früh ein-
getretener geistiger und auch körperlicher Reife gibt (wie z. B. der seiner
Zeit viel von sich reden machende 9-jährige Hofpianist Paul Koczalski aus
Warschau) neben solchen einer ausserordentlichen Verzögerung der Entwick-
lung, dann lässt sich a priori die Möglichkeit nicht absprechen, dass auch die
intrauterine Entwicklung nicht bei Allen in demselben, gleichmässigen Tempo
vor sich gehen muss, dass sich vielmehr auch hier individuelle Unterschiede
ergeben können. Manche wollen eine verschiedene Dauer der Entwicklung
des Fötus mit der Verschiedenheit der Menstruationstermine bei den einzelnen
Frauen in Zusammenhang bringen, je 10 Menstruationszeiten für die Ent-
wicklung der Frucht, beziehungsweise für die eigentliche Normaldauer der
Schwangerschaft zu Grunde legend. Dies ist wohl nicht angängig und auch
eine Frage, welche uns hier nicht näher berührt. Nicht zu bezweifeln ist
wohl, dass häufig genug Kinder vor der 40. Schwangerschaftswoche geboren
werden, welche alle Zeichen der vollendeten Reife an sich tragen, wobei aller-
dings nicht zu leugnen ist, dass hierbei sicher oft auch Rechnungsfehler mit
unterlaufen. Nach Mereiman kommen auf 33 Geburten vollkommen reifer
Kinder in der 40. Woche nach der letzten Menstruation 14 ebensolcher in
der 39., 13 in der 38. und nur 3 in der 37. Woche. Dem sei, wie ihm
wolle, lassen wir es dahingestellt sein, ob es wirklich eine physiologische
Frühgeburt im Sinne der älteren Autoren gibt, oder nicht, wir haben es hier
nur mit der pathologischen Frühgeburt, kurzweg Frühgeburt genannt, zu thun.
Als ein wesentliches Kriterium für den Begriff derselben ist die Lebens-
fähigkeit der Frucht bei noch nicht vollendeter körperlicher Entwicklung
anzusehen. Der Fötus muss in seiner Entwicklung soweit vorgeschritten sein^
dass er, von intercurrirenden krankhaften Störungen abgesehen, an und für
sich im Stande ist, extrauterin weiter zu leben. Das Hauptmoment für diese
Fähigkeit ist die selbständige Athmung durch die Lungen, d. h. die Lungen
müssen soweit entwickelt sein, dass sie befähigt sind, den Blutlauf zu ver-
ändern, zu reguliren und in der Folge die zum Leben, beziehungsweise zur
Regeneration des Blutes nothwendige Menge Luft in sich aufzunehmen und
zu verarbeiten. Dies ist eine Function, welche durch nichts auf die Dauer
künstlich ersetzt werden kann. Die Production der zum Leben nöthigen Eigen-
wärme kann zum Theil durch äussere Mittel herbeigeführt oder besser ersetzt
Averden, ebenso kann auch die Ernährung künstlich unterhalten werden, nichts
aber ersetzt die Thätigkeit der Lungen und ihren Einfluss auf den Blutkreis-
*) Vergl. auch Art. „Abortus (spontan)", ds. Bd., pag. 14.
FRÜHGEBURT. 279
lauf. Man nimmt im Allgemeinen an, dass diese Fähigkeit der Lungen erst
nach einem 7-monatlichen Aufenthalt des Fötus in dem Uterus, resp. im
Mutterleibe erreicht wird. Wenn in einzelnen Fällen G-monatliche Früchte
weitergelebt haben sollen, so ist die Richtigkeit solcher Angaben sehr zu
bezweifeln und nirgends sicher erwiesen. Auch mit der Erreichung der
7-monatlichen intrauterinen Entwicklung ist die Wahrscheinliclikeit des extra-
uterinen Weiterlebens eine noch sehr geringe, nimmt aber von da an stetig,
von Woche zu Woche zu. Je näher dem Normaltermin die Geljurt erfolgt,
umso günstiger gestalten sich die Aussichten für das extrauterine Fortleben.
Vielfach ist noch in Laienkreison die Ansicht verbreitet, dass eine 7-monatliche Frucht
lebensfähiger sei, als eine im 8. Monat geborene, eine irrtliümliche Ansicht, die sich schon
in den Schriften des Hippokrates (de septimetri partu und de octimetri partu) ausgesprochen
findet und in der eigenthümlichen falschen Auffassung, welche Hippokrates von der Art
und Weise der Entwicklung des Fötus im Mutterleibe hatte, begründet ist. Noch manche
solche schon von Hippokrates ausgesprochene eigenthümliche Ansichten über Schwanger-
schaftsverhältnisse leben jetzt noch im Volke fort, so z. B. über die Beziehungen der Pig-
mentirung der Schwangeren zu dem Geschlechte der Kinder u. s. w.
Sehen wir nach den Ursachen für die spontane Frühgeburt, so haben
wir zum Theil dieselben Momente in Berücksichtigung zu ziehen, welche auch
für den spontanen Abort maassgebend. sind, es kommen aber auch noch ein-
zelne andere Ursachen hinzu. Wir müssen auch hier zwischen prädis-
ponirenden oder vorbereitenden und directenoder Gelegenheits-
ursachen unterscheiden. Von den vorbereitenden Ursachen ist in erster
Linie das Absterben des Fötus zu nennen. Dasselbe kann erfolgen durch
selbständige Erkrankungen des Fötus (Fieber u. dgl.), durch von der Mutter
übertragene acute Infectionskrankheiten (Variola, Morbilli, Scarlatina, Typhus
und besonders Cholera), durch von der Mutter oder vom zeugenden Vater
übertragene Syphilis, durch Fehler der Ernährung seitens der Mutter in Folge
von Dyskrasieen, Nahrungsmangel, acuten fieberhaften Krankheiten u. dgl.
mehr. Ferner kann gestörte oder gehinderte Blutzufuhr eine Ursache abgeben und
spielen hier besonders die einzelnen Anomalien der Nabelschnur'") eine wichtige
Rolle, wie Torsionen derselben (meist am Fötalende), Umschnürungen des Halses,
wohl auch des Rumpfes durch dieselbe, wahre Knoten u. s. \f. Aber auch Erkran-
kungen der Placenta können die Blutzufuhr zu dem Fötus beeinträchtigen
und dadurch das Absterben desselben bewirken. Ebenso können auch Miss-
bildungen desselben sein vorzeitiges Absterben veranlassen. Abnormitäten der
Eihüllen kommen hier weniger in Betracht, als beim Abort, doch möchte die
Bildung sogenannter amniotischer Fäden, durch welche derselbe in seiner
Entwicklung gehemmt werden kann, und anderweite Verwachsungen des Fötus
mit dem Amnion Erwähnung verdienen.
Aber auch ohne dass das Absterben des Fötus veranlasst wird, können
Abnormitäten des Eies zur Frühgeburt führen, so besonders übermässige
Ausdehnung des Uterus durch Hydramnios oder durch mehrfache Früchte,
welche Ueberausdehnung vorzeitige Contractionen veranlasst. Aehnlich kann
alles wirken, was eine normale Ausdehnung des Uterus behindert, wie Rigidität
desselben von Haus aus oder durch Narbenbildung, Missbildungen des Uterus,
Geschwulstbildungen in der Wand desselben oder von aussen den Icterus be-
engende Geschwülste (Ovarialtumoren u. dgl.) Prolapsus des schwangeren Uterus.
Von Seiten der Placenta sind vorzugsweise vorzeitige Lösung der normal
sitzenden Placenta und vor allem Placenta praevia nicht selten Veranlassung
der Frühgeburt. Die vorzeitige Lösung der normal sitzenden Placenta kann
direct, plötzlich durch äussere Gewaltthätigkeit — Stoss oder Fall auf den
Unterleib, Quetschung desselben, heftige Anstrengung der Bauchpresse — her-
beigeführt werden oder, was wohl häufiger der Fall, allmälig durch Blutan-
*) Vergl. auch Artikel „Naielschnuranonialien"
280 FRÜHGEBURT.
liäufung zwischen Placenta und Uteruswand in Folge von Gefässzerreissung,
sei es, dass diese auch durch äussere Gewalt oder durch vorzeitige Uterus-
contractionen oder in Folge krankhafter Beschaffenheit der Placenta oder der
üteruswandungen bedingt wird. In seltenen Fällen tritt nach äusserer Gewalt-
thätigkeit dadurch Frühgeburt ein, dass in erster Linie die Fruchtblase springt,
das Wasser abtiiesst, wodurch dann allmälig Wehen erregt werden. Bei Pla-
centa praevia ist es der physiologische Vorgang der allmäligen Erweiterung
des unteren Uterusabschnittes, welcher zur Loszerrung der Placenta führt.
Während die vorzeitige Loslösung der normal sitzenden Placenta häufiger
Fehlgeburt als Frühgeburt veranlasst, da, je jünger die Placenta, die Utero-
placentargefässe umso zarter, die Verbindung zwischen Uterusvvand und Pla-
centa umso leichter zu trennen ist, wird Placenta praevia viel eher zur Früh-
geburt führen, denn die normale Ausdehnung des unteren Uterusabschnittes
findet erst in den letzten Monaten der Schwangerschaft statt. Es kann aller-
dings bei Placenta praevia auch schon in früheren Schwangerschaftsmonaten
Blutung mit nachfolgender Wehenthätigkeit eintreten, es ist dies aber viel
seltener, als nach dem 7. Monat,
Von Erkrankungen der Mutter als Ursache der Frühgeburt ist in
erster Linie Eclampsie und Nierenentzündung zu nennen. Diese machen
ihren Einfluss auf Erregung der Wehenthätigkeit meist erst in den späteren
Monaten der Schwangerschaft geltend. Sodann veranlassen alle mit Circu-
iationsstörungen verbundene Krankheiten, wie Herz-, Lungen-, Leberleiden
u. s. w., ebenso wie den arteriellen Druck steigernde Affectionen, als heftiges
Fieber, Entzündungen des Uterus und seiner Nachbarorgane, acute Infections-
krankheiten leicht Frühgeburt. Bei letzteren kann der Fötus selbst ergriffen
werden, wde oben angegeben, und sein dadurch bewirktes Absterben die Früh-
geburt bedingen, oder es wird durch die Erkrankung an und für sich die
Wehenthätigkeit erregt und dadurch, oft bei unversehrtem Fötus, die Früh-
geburt herbeigeführt. Die vorzeitige Erregung der Wehenthätigkeit kann
auch durch Erschütterungen, heftige Gemüthsbewegungen, besonders bei
grosser allgemeiner Erregbarkeit, durch ungleichmässiges Wachsthum bei
Texturerlvrankungen u. dgl. mehr hervorgerufen werden. Schliesslich möchte
noch zu erwähnen sein, dass bei Frauen, welche einmal Frühgeburt über-
standen haben, nicht selten auch in den folgenden Schw^angerschaften zu der-
selben Zeit Frühgeburt eintritt (ähnlich w^ie bei dem habituellen Abort), jedoch
w^ohl nur dann, wenn die die erste Frühgeburt bedingenden Ursachen noch
unverändert fortbestehen, wie Dyskrasieen und andere obengenannte All-
gemeinleiden der Mutter, sowie Textur- und Formfehler des Uterus u. dgl.
Dass, wie der Laie vielfach glaubt, durch eine einmal dagewesene Frühgeburt
an und für sich jetzt die Neigung zu späteren entwickelt werde, ist irrthümlich.
Wiederholt sich die Frühgeburt, so liegt das in dem Fortbestehen der ersten
Ursache.
Symptome und Verlauf. Wie eine jede Geburt charakterisirt sich
auch die Frühgeburt durch das Auftreten von Wehen und die allmälige Auf-
lockerung und Erweiterung des Muttermundes und zwar gleicht der Verlauf de-
Frühgeburt an und für sich umsomehr dem der normalen Geburt, je weiter
die Schwangerschaft vorgerückt ist. Je nach den Ursachen aber, welche dir
Frühgeburt veranlassen, können Modificationen in diesem Verlaufe sich ere
geben. Ln allgemeinen gilt, dass die Frucht, da sie so viel kleiner ist, als
eine reife, umso leichter durch die Geburtswege hindurchgehen wird, damit
also die Geburt einen rascheren Verlauf haben müsste, Avas aber oft dadurch
ausgeglichen wird, dass der Uterus, w^eil er die dem normalen Ende der
Schwangerschaft zukommende Ausbildung noch nicht erlangt hat, eine un-
genügendere Thätigkeit entwickelt, also der Gebur tsverlauf schon dadurch ein
zögernder ist, abgesehen davon, dass härufig gerade durch die die Frühgeburt
FRÜHGEBURT. 281
Yeranlassenden Momente der Uterus in seiner Thätigkeit alterirt wird. Des-
halb beobachten wir häufig einen zögernden, langsamen Verlauf, träge, un-
regelmässige, dabei oft recht schmerzhafte Wehen. Wie der Verlauf der
Geburt des Kindes selbst, ist auch oft die Nachgeburtsperiode eine ausser-
ordentlich zögernde. Dem gegenüber kommt es mitunter zu einem stürmischen,
überhasteten Verlaufe und dies besonders bei Frühgeburt in Folge äusserer
Insulte, heftiger Gemüthsbewegungen u. dgl. In einer grossen Anzahl von
Fällen ist der Blutabgang bei Frühgeburt kein anderer, als wie bei Normal-
geburten, bei Frühgeburt in Folge vorzeitigen A])sterbens der Frucht sogar
oft ein ausserordentlich geringer, da die physiologische Hyperämie des Uterus,
vorzüglich der Placentarstelle schon vor Eintritt der Geburt aufgehört hat.
Ist dagegen die Frühgeburt Folge einer äusseren Gewaltthätigkeit mit vor-
zeitiger Lösung der Placenta, dann kann man sich meist auf eine stärkere
Blutung bei und nach der Geburt gefasst machen. Mitunter folgt hier dem
äusseren Insult zuerst unmittelbar eine mehr-minder starke Blutung, dann
kommen erst nach einiger Zeit Wehen und ist dann der weitere Verlauf wie
hei einer normalen Geburt oder von abermaligen wiederholten Blutungen be-
gleitet. Enorm, oft lebensgefährlich sind die Blutungen bei Frühgeburt durch
Placenta praevia und gerade hier ist oft auch eine Blutung die erste wahrnehm-
hare Erscheinung, welche auf das drohende Ereignis aufmerksam macht, an
Stärke aber meist übertroffen wird von den sich wiederholenden Blutungen wäh-
rend der Geburt und besonders in der Nachgeburtsperiode.
Die Fruchtblase verhält sich im Allgemeinen wie bei der Normal-
geburt, doch kommt es verhältnismässig häufiger vor, dass die Blase gar nicht
springt, das ganze Ei uneröffnet geboren wird. Das beobachtet man besonders
bei abgestorbenen, noch sehr kleinen Früchten. Diese können dann in den
verschiedensten Haltungen, Stellungen und Lagen, oft zu einem Knäuel zu-
sammengeballt geboren werden. Davon abgesehen sind bei Frühgeburten
fehlerhafte Kindeslagen verhältnismässig häufig und zwar besonders
Unterendslagen. So rechnen Spiegelbeeg und Hegar bei allen Geburten
zusammengenommen l*59"/o Beckenendlagen, bei Frühgeburten allein aber
22-4%. Andere geben das Verhältnis wie 1*7 zu 17-07o und ebenso Quer-
lagen bei allen Geburten 0-4 bis 0'7%, bei Frühgeburten ö^/o-
Aussergewöhnliche Vorboten pflegen besonders in den Fällen von vor-
zeitigem Absterben des Fötus als Ursache der Frühgeburt voranzugehen. Die
Frauen klagen über allgemeines Unbehagen, Verstimmtsein, Frösteln, Fieber-
regungen, Gefühl von Kälte im Unterleib, oft starkes Drängen nach unten,
Aufhören der Kindsbewegungen, Gefühl eines fremden, bei Lageveränderung
der Mutter hin und her fallenden Körpers im Unterleib, Welkwerden der
vorher starken Brüste, Magen- und Verdauungsbeschwerden u. s. w. Sind
vorzeitige Uteruscontractionen und die dadurch bewirkte vorzeitige Lösung
der Placenta die Ursache der Frühgeburt, dann sind es eben diese Contrac-
tionen, oft nur ein zeitweilig sich wiederholendes dumpfes Gefühl im Leib
und besonders Druck im Kreuze, welche sich als Vorboten beraerklich machen,
hei der vorzeitigen Lösung der Placenta auch zeitweilige Blutungen, letzteres
ganz besonders bei Placenta praevia. Ist die Frühgeburt eine Folge von fieber-
haften Krankheiten, von Entzündungen und besonders von acuten Infections-
krankheiten, dann werden oft die eigentlichen Vorboten durch die Erscheinungen
der ursprünglichen Krankheit verdeckt. Bei heftig einwirkenden äusseren,
die Frühgeburt plötzlich oder doch sehr rasch veranlassenden Ursachen fehlen
natürlich die Vorboten.
Die Frühgeburt ist kein seltenes Ereignis, wenn auch bei weitem we-
niger häufig, als Abort und Fehlgeburt. Je weiter die Schwangerschaft vor-
gerückt ist, desto mehr vermindert sich die Neigung zu einer vorzeitigen
Unterbrechung derselben. So zählte Whitehead bei 602 Fällen von vor-
282 FRÜHGEBURT.
zeitiger Scliwangerscliaftsunterbrechung 457 im 2. und 4. und nur 83 im 7.
und 8. Monate. Vielfach wird angenommen und angegeben, dass im 7. Monat
die Disposition wieder eine grössere sei, als in den unmittelbar vorhergehenden
Monaten und scheint auch die WniTEHEAD'sche Tabelle dafür zu sprechen, da
auf 30 Fälle im 5., und 32 im 6. Monat, 55 im 7. Monat kommen. Es ist
aber doch zweifelhaft, ob dies im allgemeinen zutrifft.
Die Diagnose der Frühgeburt stützt sich auf die Erkenntnis der
wirklich vorhandenen Schwangerschaft und der genauen Bestimmung der Zeit
derselben einerseits und andererseits auf den Nachweis unzweifelhaft einge-
tretener Wehenthätigkeit mit der dadurch bewirkten allmäligen Erweiterung
des Muttermundes und Cervicalcanales. Es ist die Diagnose meist nicht schwer
zu stellen.
Die Prognose scheidet sich in die für die Mutter und die für das
E.ind. Für die Mutter ist dieselbe im allgemeinen günstig zu stellen und
richtet sich im wesentlichen nach den die Frühgeburt bewirkenden Ursachen.
An und für sich ist die Frühgeburt für die Mutter nicht ungünstiger als eine
normale Geburt, durch den Geburtsact selbst wird dieselbe nicht mehr an-
gegriffen, als durch eine rechtzeitige Geburt, und dadurch, dass die Frucht
ihrer geringen Grösse wegen leichter durch die Geburtswege hindurchgeht,
als eine reife, selbst noch mehr geschont. Dadurch aber, dass oft der Ver-
lauf ein sehr zögernder ist, können empfindliche, schwächliche Frauen mehr
angegriffen werden, als sonst; ebenso sind ungewöhnlich starke Blutungen
mit ihren bekannten Folgen nicht ganz selten. Zweifelhaft ist die Prognose
für die Mutter bei Frühgeburt in Folge von acuten Infectionskrankheiten,
fieberhaften und entzündlichen Processen, Morbus Brigthii und Eclampsie, sowie
von Placenta prävia. Es liegt hier aber das Ungünstige der Prognose nicht
in der Frühgeburt an und für sich, sondern in den dieselbe veranlassenden
Ursachen und wirkt oft gerade der Eintritt, beziehungsweise die Vollendung
der Frühgeburt günstig auf den weiteren Verlauf der ursprünglichen Krankheit.
Aehnliches gilt auch von Frühgeburt in Folge von behinderter Ausdehnungs-
fähigkeit des Uterus (durch Narben, Geschwülste, Formfehler etc.), oder in
Folge von Herz- und Lungen- oder sonstigen, Dispnoe verursachenden Leiden.
Für das Kind ist im allgemeinen die Prognose umso günstiger, je weiter
die Schwangerschaft zur Zeit der Frühgeburt vorgerückt ist, und ist es ein
Irrthum, wie oben schon angeführt, dass eine siebenmonatliche Frucht leichter
am Leben erhalten bleibe, als eine achtmonatliche. Von der Schwangerschafts-
zeit, in welcher die Frühgeburt eintritt, abgesehen, wird die Prognose, wie
auch bei der Mutter, wesentlich durch die Ursachen und die allenfälligen be-
gleitenden Umstände influenzirt, und ergibt sich aus der Aetiologie das Nähere
schon von selbst. Zu bemerken wäre nur noch, dass bei acuten Infections-
Ivrankheiten als Ursache der Frühgeburt die Prognose für das Kind günstiger
ist, wenn die Infection sich nur auf die Mutter beschränkt, nicht auf das Kind
übergegangen ist. So sind genügende Beispiele bekannt von lebend früh-
geborenen Kindern bei Scharlach, Masern, Cholera und Typhus der Mutter.
Der Umstand, dass bei Frühgeburt fehlerhafte Kindeslagen verhältnismässig
häufig sind, muss auch bei der Prognose für das Kind in Rechnung gezogen
werden.
Die Behandlung muss in erster Linie als eine prophylaktische,
darauf gerichtet sein, von der Schwangeren alles fern zu halten, was geeig-
net wäre, Frühgeburt hervorzurufen, und gilt dies besonders für solche Frauen,
welche bereits schon einmal Frühgeburt überstanden haben. Was hierbei zu
thun ist, wird abhängen von den Ursachen und aus der Erkenntnis und Berück-
sichtigung derselben, sich von selbst ergeben. Am dankbarsten wird diese
Aufgabe sein, wenn es uns gelingt, etwaige dyskrasische Verhältnisse und
Anlagen rechtzeitig zu beseitigen, fehlerhafte Lagen und Gestaltungen der
FRÜHGEBURT. 283,
Gebärmutter zu corrigircn u. dergl. Kommt es trotz alledem zur Frühgeburt,
dann ist die Behandlung derselben für die Mutter in den meisten Fällen die
nämliche, wie bei der Normalgeburt, d. h. eine rein exspectative, nur vor
etwa intercurrirenden Schädlichkeiten schützende, abwartende, der Natur ihren
Lauf lassende. Der Versuch der Sistirung einer Frühgeburt wird selten
erfolgreich sein, am ehesten noch werden wir etwas ausrichten, wenn durch
vorübergehend eingewirkt habende äussere Momente vorzeitige Contractionen
und Blutabgang in massigem Grade sich einstellen. Hier kann absolut ruhiges
Verhalten in Rückenlage und die Anwendung von Opiaten und .Säuren bei
sehr massiger Diät allenfalls von Nutzen sein. Eine besondere Aufmerksam-
keit müssen wir den die Frühgeburt zuweilen begleitenden Blutungen schenken
und denselben nach den für Uterinblutungen überhaupt giltigen Regeln zu
begegnen suchen. Am schlimmsten und gefährlichsten sind solche Blutungen
bei Placenta prävia und sehen wir uns hier nach fruchtloser Anwendung des
Tampons mitunter genöthigt, durch künstliche Entbindung die Frühgeburt
zu beschleunigen, respective zu beenden. Ebenso wird eine vorsichtige»
schonende Beschleunigung, beziehungsweise künstliche Beendigung der bereits
im Gange befindlichen Frühgeburt am Platze sein bei hochgradiger Dispnoe
(aus was irgend welcher Ursache), grosser Schwäche, drohendem Collapsus,
unter Umständen auch bei eclaraptischen Anfällen. Es muss aber hier
die Beendigung leicht ausführbar sein und ist besonders bei eclamptischen
Anfällen je nach der Beschaffenheit des Falles zu erwägen, ob nicht durch
den Reiz der künstlichen Entfernung des Kindes die Krampfanfälle eher ge-
steigert werden.
Anderweitige Maassnahmen erheischt die Frühgeburt, so weit die Mutter
anlangt, an und für sich nicht und ist auch die Wochenbettsbehandlung die-
selbe, wie bei jeder Geburt am rechtzeitigen Ende der Schwangerschaft, ab-
gesehen von besonderen Zuständen, die in dem einzelnen Falle von den spe-
ciellen Ursachen der Frühgeburt abhängen. Natürlich müssen wir auch suchen,
bei der Entbundenen eine etwaige Disposition für spätere Wiederholung der
Frühgeburt zu beseitigen oder nicht auikommen zu lassen, was Sache der
Nachbehandlung ist und hier keiner weiteren Erörterung bedarf.
Dem Kinde müssen wir eine ganz besonders sorgfältige Pflege*) an-
gedeihen lassen, um es am Leben zu erhalten und dies umsomehr, je früher
die Geburt erfolgt ist. Wie schon beim reifen Neugeborenen die eigene
Wärmeentwicklung nicht intensiv genug ist, um den mit dem Uebergang aus
dem Mutterkörper in die viel kältere äussere Luft durch directe Strahlung
und Verdunstung entstehenden Verlust an Eigenwärme vollkommen zu ersetzen,
so tritt bei unreifen Kindern, bei welchen in Folge des noch schwachen
Athmens und der noch sehr reducirten Muskelbewegungen eine nur massige.
Wärmeproduction stattfindet, dies noch viel mehr in die Erscheinung und
kommt es hier dadurch zu einer weit unter das Minimum der sonst als nor-
mal angesehenen Wärme gehenden Erniedrigung der Temperatur. Unsere
erste Sorge muss deshalb sein, das Kind, nachdem es in einem warmen Bade
(34 — 35'' C.) gereinigt worden ist, sofort in weichen Flanell, Wolle oder, wenn
die Haut noch sehr zart, unfertig ist, in feine Watte einzuwickeln, und muss
diese Bekleidung für die ersten Wochen, selbst Monate beibehalten werden.
Ausserdem umgeben wir dasselbe in seinem Bettchen ringsherum, nur die
Kopfgegend frei lassend, ständig mit warmen Krügen in geeigneter Entfernung.
Sehr zweckmässig ist wohl die von Credä empfohlene "Wärmewanne, in welcher die
Kinder in einer möglichst gleichmässig temperirten Atmosphäre gehalten werden können.
Dieselbe besteht aus einer kleinen, ganz ans Kupfer — Zink würde ebensogut zu verwenden
und dabei bedeutend billiger sein, vielleicht auch Nickelblech — gearbeiteten Kinderwanne
mit doppeltem Boden und doppelten Wänden, der Innenraum oben 60 cm lang, 38 cm
*) Vergl. auch Artikel „Pßege der Neugeborenen.'^
284 GEBURTSGESCHWULST.
breit, xinten 55 zu 28 cm, das Kopfende etwas höher als das Fussende. Der überall ab-
geschlossene Zwischenraum zwischen den Wänden und Boden, am Kopfende oben mit einer
verschliessbaren Eingussöffnung, am Fussende mit Abflusshahn versehen, so dass Füllung
Tind Entleerung sehr leicht zu bewerkstelligen sind, fasst ungefähr 20 Liter Flüssigkeit.
Eine etwa alle 4 Stunden vorgenommene Füllung dieses Zwischenraumes mit 50° C. warmem
Wasser ge nügt, nach Crede, um im inneren Räume der Wanne eine Wärme zu erhalten, die
nicht oder nur wenig unter 32" C. herabsinkt. Eine Umhüllung der ganzen Wanne mit einem
schlechten Wärmeleiter wird eine Ausstrahlung der Wärme nach aussen sehr beschränken.
In den Innenraum wird das Kind mit seinen Umhüllungen eingebettet und nur zum An-
legen an die Brust herausgenommen, nicht aber zu einem etwaigen Füttern mittelst Löffel oder
Schnabelglas. Selbst das Reinigen des Kindes kann in dem Apparat vorgenommen werden.
Die damit gewonnenen Resultate in Bezug auf Erhaltung Frühgeborener, überhaupt lebens-
schwacher Kinder sind sehr günstige.
Unsere nächste Sorge ist die für die Ernährung. Das geeignetste,
ja man kann sagen das einzig geeignete dafür ist die Muttermilch. Leider
ist aber bei Frühgeburt häufig die Entwicklung der Brüste eine noch so
mangelhafte, dass Tage vergehen können, bis eine richtige, genügende Mil ch-
secretion sich einstellt, eine Pause, welche das schwache Kind nicht vertragen
kann. Es muss hier, wenn die Mutter aus Milchmangel oder aus sonst was
füi' Gründen nicht selbst stillen kann, alsbald für eine Amme gesorgt wer-
den und zwar für eine solche, deren Entbindungstermin nicht sehr fern
liegen darf. Ein künstliches Aufziehen mit Kuhmilch oder gar anderen Er-
satzmitteln der Muttermilch wird besonders bei sehr schwächlichen Frühge-
borenen kaum je zum Ziele führen. Am ehesten wäre noch ein Versuch mit
Stuten- oder Eselinnen-Milch, wenn deren Beschaffung möglich, zu machen.
Sehr häufig sind die Kinder zu schwach, um zu saugen, dann muss man
ihnen für die ersten Tage die vorher ausgezogene Muttermilch mit einem
Löffelchen einflössen oder lässt sie ihnen direct aus der Brust in den Mund
einspritzen, und zwar immer nur wenig auf einmal, aber häufiger, mit
kürzeren Pausen, als sonst bei Neugeborenen. Man suche sie aber möglichst
bald an das selbstthätige Saugen zu bringen. Für die ersten zwei bis drei
T age, bis eine Amme beschafft ist, genügt auch etwas stark mit Wasser und
etwas Milchzucker versetzte Kuhmilch — in der Maternite in Paris erhalten
sie Milch von Eselinnen, als der Frauenmilch am nächsten stehend — am
besten ist aber gleich von Anfang an Muttermilch. Bei grosser Schwäche
kann man versuchen, einigemal täglich einige Tropfen mit Wasser verdünnten
guten Malaga- oder Tokajerwein einzuflössen.
Erfolgt die Darmausleerung nicht in richtiger Weise, dann sorge
man dafür durch lauwarme Was serkly stiere, vielleicht mit Zusatz von einigen
Tropfen Glycerin.
Nur die pünktlichste Sorgfalt und Pflege kann es ermöglichen, die
Kinder am Leben zu erhalten. Zu empfehlen ist es, dieselben wenigstens
zweimal täglich in ein w^armes Bad zu bringen. Die früher vielfach em-
pfohlenen Milch- oder Fleischbrüh-Bäder oder Zusätze von Heusamen oder
aromatischen Kräutern zum Wasser sind zwecklos, es genügt einfach warmes
Wasser. Winckel hat mit einem von ihm ersonnenen Apparat, um früh-
geborene oder lebensschwache und kranke Kinder tagelang unausgesetzt oder
mit nur kurzen Unterbrechungen im warmen Wasserbade zu erhalten, einige
recht günstige Resultate erzielt, es ist aber der Apparat und die Anwendung
desselben zu complicirt, um allgemein Anwendung finden zu können, höchstens
nur in Findelhäusern oder Krankenanstalten. birnbaum.
Geburtsgeschwulst, l. Die KopfgescUvulst. (Caput succedaneum.) Die
Veränderungen, welche der Kopf während des Durchtrittes durch die Geburts-
wege in der Schädellage erleidet, betreffen theil weise die Weich theile, theilweise
die Form des knöchernen Schädels. Tritt der Kopf langsam durch den Geburts-
canal, so bildet sich das Caput succedaneum gewöhnlich erst nach dem Blasen-
sprunge; nur aussergewöhnlich selten kann eine Durchfeuchtung der Kopf-
GEBURTSGESCHWULST. 285
hautgewebe auch vor dem Blasensprunge erfolgen. Wenn sich nacli erfolg-
tem Blasensprunge der untere Gebärmutterahsclinitt fest an den Schädel an-
legt, so bildet sich die Anschwellung in jenem Theile der Koptliaut, der sich
im Muttermund befindet. Bei langsamem' Durchtritt des Schädels erleidet
dieser Veränderungen, die durch die Ver.schicbbarkeit der Knochen und
deren lose Verbindung durch Naht bedingt sind und sich zuweilen noch
einige Zeit nach der Geburt nachweisen lassen.
Bei Schädellage erscheint das Hinterhaupt in eine Spitze auslaufend,
die queren Durchmesser verkleinert, der grosse schräge Durchmesser oft er-
heblich verlängert. Bei rasch verlaufender Geburt bildet sich keine Kopf-
gesqhwulst, und es tritt auch keine Gestaltsveränderung des knöchernen
Schädels ein.
Betrachten wir den Kopf eines in erster Schädellage geborenen
Kindes, so finden wir auf dem rechten Scheitelbein, und zwar auf dessen
hinterer und oberer Partie und auf der rechten Hälfte des Hinterhauptes das
Caput succedaneum. Ausserdem sind die Kopfknochen gewöhnlich derart ver-
schoben, dass das rechte Scheitelbein über das linke, das linke Stirnbein über
das rechte, beide unter die Scheitelbeine, das Hinterhauptsbein unter die
Scheitelbeine geschoben erscheinen. Da der Beckeneingang mit dem Horizonte
einen ziemlich spitzen Winkel bildet, und die Längsaxe des Uterus fast senk-
recht auf der Beckeneingangsebene steht, so folgt daraus, dass alle der vor-
deren Seite des Kindes entsprechenden Theile tiefer als die der nach hinten
gewendeten Seite liegen müssen. Durch die Bauchpresse, welche den von dem
Ligam. rotund. nach vorn dirigirten Uterusgrund stärker nach hinten drängt
als die tieferen Partien der Gebärmutter, wird die Wirbelsäule der Frucht
nach der vorderen Uteruswand zu convex. So entsteht eine Neigung des
Kopfes gegen die hintere Schulter, ein nach Vorneschieben der Schädelbasis
und eine Neigung des queren Kopfdurchmessers gegen die Eingangsebene, so
dass die Pfeilnaht etwas mehr nach hinten geht. Für gewöhnlich fällt die
Axe des Uterus mit der der Beckeneingangsebene zusammen und zu dieser
stehen bei normalen Hindernissen beide Scheitelbeine gleich hoch. Zur hori-
zontalen Ebene tritt zumeist der Schädel mit beiden Scheitelbeinen nicht gleich
tief ein, sondern das nach vorn gewendete muss das tiefer gelegene sein, und
so bildet sich auf ihm, wie immer auf allen nach vorn gewendeten, zuerst den
Geburtscanal passirenden Kindeskopftheilen die Kopfgeschwulst. Dies ist so
constant, dass wir aus dem Sitze derselben noch an der Leiche angeben
können, in welcher Lage die Frucht geboren wurde. In Ausnahmsfällen kommt
es vor, dass die Kopfgeschwulst über beide Scheitelbeine verbreitet ist. Das
ereignet sich, wemi. der Kopf noch längere Zeit in den äusseren Genitalien
stecken blieb, oder wenn das Kind durch die zurückleitende hintere Commissur
abgestreift wurde. Bei Sectionen kann man den eigentlichen Sitz der Kopf-
geschwulst durch die Höhe der Exsudation von jenen unbedeutenden Ein-
klemmungen, leicht unterscheiden. Es ist aber für die gerichtliche Medicin
von Bedeutung, hervorzuheben, dass auch in Fällen, wo die Geburt nicht
schwierig war, neben der, der stattgehabten Kindeslage entsprechenden serös-
sanguinulenten Infiltration, auch auf dem anderen Scheitel, ferner auf dem
Hinterhauptbein und Stirnbein fast constant Stecknadelkopf- bis erbsengi'osse
Blutergüsse auf dem Pericranium unter der Galea sich befinden. Durch die
Geburt in erster Schädellage finden wir gewöhnlich die Kopiknochen auch sa
verschoben, dass das rechte Scheitelbein mehr nach hinten ragt als das linke
und daher sein Tuber parietale dem des anderen Scheitelbeines nicht gegen-
über steht. Diese Verschiebung ist die Folge des starken Druckes, dem die
nach hinten gewendete Schädelseite am Kreuzbein ausgesetzt ist, und erfolgt
daher nur bei Tiefstand des Hinterhauptes. Die nach hinten gewendete
286 GEBÜRTSGESCHWULST.
Schädelseite ist mm natürlicli auch abgeflacht, die nach vorn gewendete
melir vorgewölbt.
Bei Schädellage zweiter Stellung steht bei der inneren Unter-
snchung die kleine Fontanelle nach rechts und manchesmal im Anfang mehr
nach hinten, die grosse Fontanelle öfter höher und mehr nach links vorne,
mithin der kleine diagonale Kopfdurchmesser dem ersten schrägen Durch-
messer entsprechend; das linke Scheitelbein ist nach links vorne gewendet,
steht tiefer und liegt vor. Es bildet sich daher die Kopfgeschwulst auf dem
hinteren oberen Drittheil des Scheitelbeines. Das Auftreten einer bedeutenden
Kopfgeschwulst ist immer ein wichtiges Symptom, welches darauf hindeutet,
dass das Missverhältnis zwischen Kopf und Becken die Grenzen nicht über-
schreitet, bei denen ein Durchtreten des Kopfes noch möglich ist. Bei hoch-
gradiger Beckenverengerung kommt es nicht zur Bildung einer Kopfgeschwulst,
WT.il der Kopf über dem Eingange zu beweglich ist, daher die Bedingungen
zur Entstehung des Caput succedaneum mangeln. Hat sich aber einmal bei
Einstellung im ßeckeneingange eine Kopfgeschwulst gebildet, dann wird durch
sie der Kopf festgehalten und sein Durchtreten befördert.
Die Grösse, sowie die Gestalt des Kopfes wird durch die Ver-
schiebung der Kopfknochen wesentlich verändert. Beim platten Becken, bei
dem der Kopf mit seinem queren Durchmesser durch den verengten geraden
Beckendurchmesser tritt, wird das eine Scheitelbein über das andere geschoben
(in der Regel das nach hinten gelegene unter das vordere). Beim gleichmässig
verengten Becken treten die Scheitelbeine über die Stirnbeine und das Hinter-
hauptsbein, das nach vorne liegende Scheitelbein über das andere hinüber.
Bei grösserem Missverhältnisse tritt bei erster Schädelstellung die rechte Seite
der Kranznaht und der Hinterhauptsnaht über das rechte Scheitelbein hin-
über, die linke Seite beider Nähte aber unter das linke Seitenwandbein, so
wird Stirn und Hinterhaupt nach der einen Seite verschoben und der Kopf
erscheint, von oben gesehen, sehr schräg verschoben. Die Kopfknochen erleiden
Verbiegungen und sind entweder abgeflacht oder mehr als natürlich verbogen.
Beim platten Becken wird die nach hinten gelagerte Kopfseite, besonders das Schei-
telbein mehr abgeflacht, das nach vorn gelegene aber stark gebogen. Beim gleich-
mässig verengten Becken werden die Scheitelbeine und Stirnbeine abgeflacht
und dadurch der ganze Kopf verlängert. Beim allgemein ungleichmässig ver-
engten Becken, bei welehem das hinter der Schamfuge gelegene Scheitelbein
tiefer herabtritt, wird auch eine rinnenförmige Knochenverbiegung getroffen.
2. Die Gesichtsgeschwulst. Bei Gesichtslagen ist die normale Haltung
des Kopfes und Halses zum Rumpfe so geändert, dass das Gesicht weit von
der Brust entfernt, der Hals nach vorn convex, das Gesicht der im Uterus am
tiefsten gelegene Theil ist. Bei der äusseren Untersuchung findet mau den
Rücken schräg verlaufend und von oben einerseits, nach unten andererseits,
die kleineren Theile sind der Uteruswand eng angepresst. Zuerst tritt durch
eine Drehung um den queren Durchmesser des Gesichtes das Kinn tiefer herab,
das Gesicht wird fühlbarer; sodann dreht sich der Kopf um seinen grossen
schrägen Durchmesser, das Kinn kommt von rechts nach vorne und tritt unter
den rechten Schambogenschenkel; hieran schliesst sich eine zweite Drehung
um den queren Gesichtsdurchmesser, wodurch das Kinn vor dem Schambogen
hinauf, die Stirne herab und über den Damm geschoben, also das Kinn der
Brust genähert wird. Die Gesichtsgeschwulst finden wir auf der rechten
Gesichtshälfte (bei Gesichtslage 1. Position), Stirne, Auge und Mundwinkel
sind bläulichroth, häufig mit Blasen bedeckt und stark geschwollen. Bei
Gesichtslage zweiter Position ist die Sache natürlich umgekehrt bezüglich der
Lage der Geschwulst.''^) e. v. braun-feenwald.
*) Ueber das ,J\eph(dhaematoni^', siehe dieses Stichwort.
GESICHTSLAGEN. 287
Gesichtslagen. Unter den Deflexionslagen kommen neben den Yor-
derscheitellagen am häufigsten die Gesichtslagen vor. Wir spreclien von einer
Gesichtslage dann, wenn den tiefsten Theil des den Beckencanal passierenden
Fruchtkörpers das Gesicht bildet, wobei das Kinn den am tiefsten stehenden Punkt
markirt; eine solche Gesichtslage kann daher nur entstehen durch eine Streckung
des Halses, wobei entgegen der normalen Haltung der Frucht das Kinn von der
Brust sich entfernt, während das Hinterhaupt sich dem Rücken nähert. Da
wir während der Schwangerschaft nur ganz ausnahmsweise einmal in die Lage
kommen, am vorliegenden Fruchttheile Gesichtstheile zu fühlen und somit die
Diagnose auf Gesichtslage zu stellen, so müssen wir uns vorstellen, dass die
Gesichtslage in der Regel erst zustande kommt im Beginne oder während
der Geburtsthätigkeit unter der Mitwirkung einer Reihe von Factoren.
Entsprechend dem, dass man sich zur Erklärung des Mechanis-
mus vorstellte, die normale Flexionshaltung des kindlichen Halses, die zur
normalen Schädellage führt, sei die Folge des Umstandes, dass die Wir-
belsäule am kindlichen Schädel sich extramedian ansetze und somit die
durch die Wirbelsäule und den fronto-occipitalen Durchmesser des Schädels
gelegte Linie an der letzteren einen zweiarmigen ungleicharmigen Hebel
darstelle, dessen kürzerer Hebelarm vom Hinterhaupttheile des Schädels
gebildet wird, so dass bei der Einwirkung der treibenden Kräfte die von
Seite der knöchernen Geburtswege ausgeübten Widerstände an dem längeren
Hebelarme zu stärkerer Wirkung gelangen als am kürzeren Hebelarme und
somit der letztere (Hinterhaupt) vorausrücke, während der grössere Hebel
(Gesichtsantheil) zurückbleibe, nahm man an, dass in solchen Fällen, wo
ausnahmsweise der Gesichtsantheil voranging, während der Hinterhaupts-
antheil zurückblieb (Gesichtslage), der grössere Hebelarm auf den Hinter-
hauptschädel entfalle, es müsse sich daher in solchen Fällen um eine viel
stärkere Ausbildung des kindlichen Hinterhauptes handeln, mit einem Worte,
der kindliche Schädel wäre dolichocephal gestaltet und diese Dolichocephalie
sei die Ursache für die Deflexion des Halses, somit für Einstellung des
Kopfes in Gesichtslage. Diese Annahme wird scheinbar bestätigt, wenn
man die in Gesichtslage geborenen Kinder näher besichtigt; der Hinter-
hauptsantheil ist ausserordentlich in die Länge gestreckt und das Kind hält
auch nach der Geburt noch eine wenn auch kurze Zeit die Deflexions-
stellung des Halses bei, wobei das Hinterhaupt nach hinten zurückfällt,
aber in der Regel zeigt der kindliche Schädel schon in wenigen Tagen
eine ganz andere, seine normale Form, so dass wir in solchen Fällen ge-
zwungen werden, diese Veränderungen als Folge der Configuration des kind-
lichen Schädels bedingt durch den eigenthümlichen Geburtsmechanismus bei
der Gesichtslage zu betrachten. Wir müssen daher andere Erklärungsgründe
jür die Entstehung der Gesichtslage suchen. Wir finden sie in einer ganzen
Reihe von Momenten, welche entweder allein für sich vorkommen oder in
mannigfacher Combination vorhanden, die Deflexion des Halses entstehen
lassen.
Als ein ausserordentlich wichtiges prädisponirendes Moment ist nun
zunächst das enge Becken zu bezeichnen und zwar vornehmlich das platt ver-
engte Becken, entsprechend dem, dass der biparietale Durchmesser eine Länge
von 9*25 ctn hat und sich in den geraden Durchmesser des Beckeneinganges
normaler Weise einstellt, in solchen Fällen aber, wo dieser gerade Durch-
messer in einer Weise verengt ist, dass der biparietale Durchmesser ein Hin-
dernis findet, der Schädel mit den beiden Tubera parietalia an Symphyse und
Promontorium sich anstemmt, so dass insbesondere, wenn es sich um einen
harten Schädel handelt, der eine Compression im Sinne des queren Durch-
messers nur in geringem Grade zulässt, unter der Einwirkung der treibenden
Kraft des Uterus der schmälere Theil des Schädels (Gesichtsantheil) sich
288 GESICHTSLAGEN.
iierabdräiigen und nunmehr der Schädel wie ein Keil durchtreten wird, dessen
schmälerer Theil vorausgeht und zwar nach dem Princip der Mechanik in
günstiger Weise. Bei platt verengtem Becken tritt demgemäss der Gesichts-
antheil als der schmälere Antheil durch, wenn die Härte und Grösse des
Ilinterhauptantheiles des Schädels den Eintritt in den im geraden Durch-
messer verengten Becken hindert.
In gleicher Weise finden wir das Zustandekommen der Gesichtslage
prädisponirt in solchen Fällen, wo die normale Flexionshaltung des Halses
verhindert wird durch Tumorenbildung am kindlichen Halse, als da sind angebo-
rene Strumen, Lymphangiome etc. Bei solchen Tumoren in mehr oder weniger
starker Ausbildung wird der Hals von vornherein in einer Art Mittelstellung
oder in einem geringen Grad der Streckung sich im Beckeneingang reprä-
sentiren und unter Einwirkung der bei der Geburt mitwirkenden Factoren
wird demgemäss die Streckung des Halses viel leichter zustande kommen als
die normale Flexionsstellung. Des Ferneren kann die Gesichtslage zustande
kommen bei Schieflage des Uterus, wenn in dem Momente, wo die fixirenden
Contractionen des Uterus auftreten, der kindliche Schädel mit seinem grösseren
Antheil gegen einen Darmbeinteller abgewichen ist und auf demselben auf-
ruht, so dass in dem Momente der Contraction des Uterus statt der nor-
malen Beugung der Wirbelsäule eine lordotische Krümmung zustande kommt,
sich das Gesicht gegen den Beckeneingang herabsenkt und in demselben
bald fixirt wird, insbesondere dann, wenn eventuell gleichzeitig ein vorzeitiger
Blasensprung erfolgt ist. Weiterhin sehen wir Gesichtslagen in der Regel
sich entwickeln in solchen Fällen von Missbildungen, wo das Schädeldach
nicht zur Ausbildung gekommen ist, also bei Hemikephalie und bei Anen-
kephalie.
Die Diagnose der Gesichtslage ist nicht schwer, schon durch die
äussere Untersuchung ist sie als Deflexionslage sofort zu erkennen, entsprechend
dem Umstände, dass wir bei der Deflexionslage die kindlichen Herztöne nicht
wie normal an der Rückenfiäche, sondern an der Bauchfläche der Frucht
finden. Bei Schädellagen und Beckenendlagen hören wir die kindlichen Herz-
töne immer dort, wo der Rücken der Frucht am nächsten zur Uteruswandung
liegt, da die normale Haltung der Frucht an der Brustfläche derselben eine
Reihe von Nischen und Buchten zustande kommen lässt, in welchen sich die
Hauptmenge des Fruchtwassers ansammelt, während die breite, glatte Fläche
des Rückens sich der Uteruswandung ziemlich innig anlegt und somit gut
schallleitende Medien zwischen dem pulsirenden Herzen und dem auscul-
tirenden Ohre an dieser Stelle sich befinden; bei einer eingetretenen Streckung
des Halses, welche zugleich auch eine lordotische Krümmung der Wirbelsäule
zur Folge hat, entfernt sich der Rücken von der entsprechenden Uteruswandung,
es nähert sich die Brust der entgegengesetzten Uteruswandung, die Haupt-
menge des Fruchtwassers findet sich dort angesammelt, wo das Hinterhaupt
dem Rücken genähert ist und mit demselben eine tiefe Bucht darstellt; die
Folge dessen ist, dass die kindlichen Herztöne viel deutlicher dort zu hören
sind, wo die kindliche Brust der Uteruswandung anliegt, also bei der I. Po-
sition rechts, bei der H. Position links. Wir erkennen den Umstand, dass
die kindlichen Herztöne nunmehr an der Brustfläche und nicht an der Rücken-
fläche gehört werden, daran, dass wir an derselben Seite auch die kindlichen
Füsse fühlen, .wodurch ja festgestellt ist, dass wir mit dem auscultirenden
Ohre uns an der Bauchseite der Frucht befinden. Ist auf diese Weise die
Diagnose der Deflexionslage festgestellt, so wird bei der inneren Untersuchung
das Fühlen des Orbitalrandes, des Nasensattels, des Nasenrückens, der Nasen-
spitze, des Mundes, des Alveolarrandes und schliesslich des Kinnes die Diagnose
über jeden Zweifel erheben. Bei der Gesichtslage soll man mit dem unter-
suchenden Finger doppelt vorsichtig sein, um nicht zu, starke Kratzeffecte an
GESICHTSLAGEN. 289
den Bulbis und an den Wangen zu machen; man soll auch trachten, mit dem
Finger nicht zu tief in die Mundöfthung einzudringen, um nicht vorzeitige
Athmungsbewegungen der Frucht zu erregen oder Verletzungen an der Mund-
und Rachenschleimhaut zu setzen und auf diese Weise lufectionsprocesse zu
begünstigen.
Was unser Verhalten bei einer Gesichtslage anbelangt, so ist
dasselbe ein ebenso exspectatives wie bei einer jeden anderen Kopflage, der
Geburtsmechanismus kommt ja unter Einwirkung derselben Factoren und in
ähnlicher Weise zustande; das durch den Beckencanal hinunterrückende Ge-
sicht macht die normale innere Drehung durch in der Weise, dass das Kinn
nach vorne sich dreht und unter dem Schambogen in der Schamspalte erscheint,
entsprechend dem trägt auch die vorliegende Wange die Geburtsgeschwulst,
in welche in der Regel auch die Lippen einbezogen sind; ist das Kinn
unter der Symphyse hervorgetreten, so dass nunmehr die vordere Wand
der Halswirbelsäule am Schambogenwinkel liegt, so erfolgt die Austritts-
bewegung in der Weise, dass unter der Ausführung einer Flexionsbewegung
die Stirne, der Scheitel und das Hinterhaupt zum Durchschneiden kommen
und somit der ganze Schädel erscheint. Der Durchmesser nun, in welchem
der in Gesichtslage befindliche Kopf durchtritt, ist ein wesentlich grösserer als
bei einer normalen Hinterhauptslage oder Vorderscheitellage, wenn auch ein
kürzerer wie bei der Stirnlage. Denn wenn auch innerhalb des Becken-
raumes der kindliche Schädel sich nahezu mit dem mento-occipitalen Durch-
messer in den queren Durchmesser des Beckens einstellt, so wird beim Austritt
des in Gesichtslage befindlichen Kopfes blos der Höhendurchmesser des Kopfes
in Frage kommen, ein Durchmesser, den man sich von der unteren Fläche des
Mundbodens bis zum hinteren Rand der grossen Fontanelle gezogen denkt
und der eine Länge von IP/g an hat; in Folge der Vergrösserung des in
Frage kommenden kindlichen Durchmessers aber wird der Widerstand, der zu
überwinden ist, wesentlich grösser sein als bei den Hinterhauptslagen, wodurch
es bedingt ist, dass einerseits die Geburt viel länger dauert, andererseits die
mütterlichen Weichtheile einer viel grösseren Spannung ausgesetzt sind, so-
mit wesentlich mehr gefährdet werden und schliesslich auch das kindliche
Leben viel mehr bedroht erscheint als unter normalen Umständen. Nichts-
destoweniger werden wir von unserem exspectativen Verfahren nur dann ab-
weichen, wenn irgend eine Indication von Seite der Mutter oder des Kindes
uns zwingt, die Geburt zu beendigen, sei es durch Episiotomie am Damme,
sei es durch Anlegen der Zange am normal rotirten Gesichte, wobei die An-
legung der Zange gerade so erfolgt wie bei der Hinterhauptslage nur mit
Uebung der Vorsicht, dass das Schliessen der Zangenlöffel bei zur Symphyse
erhobenen Griffen erfolgen muss, worauf die Extraction in derselben Weise
erfolgt wie bei Hinterhauptslagen; wesentlich schwieriger ist es, wenn man ge-
zwungen ist, die Zange anzulegen bei dem nahe dem Beckenausgange quer
stehenden Gesichte; die Drehung des Gesichtes soll w^omöglich erst ganz unten
im Beckenausgange vollzogen sein, wobei man in der Regel die Episiotomie zu
machen hat, um nicht die Weichtheile zu grossen Quetschungen auszusetzen.
Unmöglich ist es, die Zange anzulegen bei im Beckeneingange hochstehenden
Gesichte; werden wir gezwungen, bei beweglichem Gesichtsstande zu entbinden,
so müssen wir trachten, die Wendung auszuführen oder eine Stellungsver-
besserung der Frucht vorzunehmen; ist das kindliche Gesicht im Beckeneingang
fixirt und tritt die Nothwendigkeit der sofortigen Entbindung ein, so bleibt
uns die Wahl zwischen Kraniotomie oder wenn wir das kindliche Leben er-
halten wollen, Symphysiotomie, resp. Sectio caesarea. Die Anlegung der
Zange an dem im Beckeneingang hochstehenden Gesichte ist unmöglich und
gefährlich. Eine der unangenehmsten Complicationen der Gesichtslage bildet
das allgemein verengte Becken, da in einem solchen Falle auch der quere
Bibl. med. Wissenschaften. I, Geburtshilfe und Gynaekologie. 19
290 GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
Durchmesser des Beckens wesentlich beeinträchtigt ist und gerade an den
queren Durchmesser des Beckens bei Gesichtslage viel höhere Ansprüche ge-
stellt werden als bei der Schädellage; es würde demgemäss bei allgemein
oder kurz gesagt bei einem im queren Durchmesser verengten Becken die
Gesichtslage eine unangenehme Complication sein, welche das vorhandene
räumliche Missverhältnis noch wesentlich zu steigern geeignet wäre. Man
kann demgemäss unter solchen Umständen versuchen, zu der Zeit, wo das
Gesicht noch über dem Beckeneingang beweglich ist, das Fruchtwasser ent-
weder noch nicht oder aber wenigstens nicht vor zu langer Zeit abgeflossen
ist, die Umwandlung der Gesichtslage in eine Hinterhauptslage zu versuchen.
Jene Verfahren, welche dabei blos durch innere Handgriffe versuchen wollen,
das Hinterhaupt herunterzuleiten, können keinen Erfolg haben, denn wenn
wir eine Gesichtslage in eine normale Schädellage umwandeln wollen,, so
müsste die Lordose der Wirbelsäule in eine nach hinten gehende convexe
Krümmung umgewandelt werden, die Deflexion des Halses in eine Flexions-
stellung übergehen; wenn das geschieht, so muss während des Ueberganges
der Deflexionsstellung in eine Flexionsstellung ein Moment eintreten, in
welchem die Wirbelsäule gerade gestreckt ist, es muss somit ein Moment
kommen, in welchem die Entfernung vom untersten Pol des Kopfes bis zum
Beckenende eine wesentlich grössere ist, als bei einer Gesichtslage und bei
einer Schädellage überhaupt; es muss daher die Entfernung vom Uterusfundus
zum Beckeneingang zunehmen können, zu diesem Zwecke ist es nöthig, mit
der von den Bauchdecken einwirkenden Hand den Eumpf zu umgreifen, die
Frucht in die Höhe zu ziehen, mit 2 Fingern, welche vom Muttermunde aus
arbeiten, dann, wenn der Rumpf elevirt ist, zu versuchen, das Hinterhaupt
allmälig herabzuleiten, wobei in dem Momente, wo das Hinterhaupt dem
Beckeneingang sich genähert hat, durch einen gegen die Brustwandung der
Frucht ausgeübten Druck einerseits, durch den Zug am Steisse gegen die
Brustwandung der Frucht andererseits die Convexität der Wirbelsäule herge-
stellt wird. Wenn nicht complicirende Umstände vorhanden sind, gelingt es
so die Umwandlung zu vollziehen, ohne dass ein weiterer Eingriff nöthig wäre.
K. A. HERZFELD.
Gonorrhoe (syn. Blennorrhoe^ Blennorrhagie) der weiblichen
Genitalien. Zu den schlimmsten Geissein des weiblichen Geschlechts gehört
die Gonorrhoe: Sie sucht ihre Opfer unter einer früher ungeahnt grossen Zahl
von Frauen auf; nur in einer Minderzahl der Fälle heilt sie rasch spontan
oder durch ärztliche Hilfe; meist geht die acute Infection in chronische Go-
norrhoe, mit beklagenswerther Häutigkeit in Jahre und Jahrzehnte lange Leiden,
wenn nicht in lebenslängliches Siechthum über; ja eine nicht geringe Zahl der
davon Befallenen erliegt dieser tückischen Krankheit. Und wie oft wird das
Weib eine Beute dieses entsetzlichen Feindes in jener Zeit, welche die schönste
ihres Lebens ist — in den ersten Tagen des jungen Eheglückes. „Als
blühendes Mädchen ist sie mit seligen Hoffnungen in die Ehe getreten, es
folgt ein wochenlanges Krankenlager an Unterleibsentzündung, und als eine
gebrochene Frau steht sie wieder auf, die krank bleibt, so lange sie lebt"
(Schröder). Nicht die körperlichen und geistigen Anstrengungen der Hoch-
zeitsreise— so thöricht und schädlich sie grossentheils auch seinmögen, lassen die
Frau krank heimkehren, sondern die Gonorrhoe des Mannes ist häufig genug die
Ursache. Hier muss mit allem Nachdruck auf einen Punkt hingewiesen
werden, für den es keinen Ausdruck der Entrüstung gibt, welcher stark genug
wäre: eine grosse Zahl gonorrhoischer Männer inficirt ihre unglücklichen
Opfer — ehelich und ausserehelich — im Vollbewusstsein der Thatsache,
dass die eigene Krankheit nicht geheilt und dass sie auf das Weib über-
tragbar ist.
GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 291
Ein Beispiel: Ein Mann, seiner Bildung nach vollkommen urtheilsfähig, leidet an
neftigem Recidiv einer Harnröhren-Gonorrhoe; er inficirt ein junges Mädchen; Uterus,
Tuben, Becken-Peritoneum desselben sind hochgradig betheiligt, das Mädchen seit Mo-
naten schwer krank. Das vollständig unbemittelte Mädchen überlässt der schuldtragende
Mann nicht nur seinem Schicksale; mehr noch: Dem Arzte, welcher ihn und das Mädchen
behandelt, eröffnet er — von seiner Gonorrhoe noch nicht geheilt — eines Tages, er beab-
sichtige, in Kurzem ein anderes Mädchen zu heiraten; trotz der eindringlichen Mahnungen
und Vorstellungen des Arztes lässt er sieh nicht davon abbringen, so nachdrücklich ihm
auch die entsetzlichen Folgen dieses Schrittes vorgehalten werden. „So gut mein Tripper
schon früher einmal geheilt ist, wird er auch jetzt wieder heilen." Und obwohl acht
Tage vor der Hochzeit des Patienten durch den Arzt das Fortbestehen der purulenten
Urethritis constatirt war, heiratete der Betreffende.
Ein solches Verhalten sollte dem Urtheil des Strafrichters verfallen;
in manchen Staaten ist es auch in bestimmten Fällen strafl^ar, wird aber —
wie die Erfahrung lehrt — fast nie Gegenstand der Anklage. Wer durch
das Offenlassen der Kellerthüre einen Unfall hervorruft, wird verurtheilt;
weshalb nicht auch jener Mann und jenes Weib, welche Gesundheit und Leben
ihrer Mitmenschen in anderer Weise bewusst auf s Spiel setzen? Und mit der
Verantwortlichkeit wird das Bewusstsein der Strafbarkeit, wenn auch nicht
in allen, so doch in den meisten Fällen erhöht und gefördert werden. Das
Bewusstsein der Gefahr, welche durch die Uebertragbarkeit der Infection be-
dingt ist, wird aber jeder und jede Inficirte haben, die in ärztlicher Be-
handlung stehen; denn der Arzt weist sie daraufhin; und wird man den Be-
theuerungen einer Puella publica glauben, sie habe die Möglichkeit einer
Ueb ertragung auf andere nicht gekannt?
Die Lex Heinze will in Deutschland u. A. die von so vielen Aerzten geforderte Ver-
antwortung und Bestrafung des bewusster Weise schuldigen Theiles ermöglichen. Dem
Arzte selbst gestattet das Berufsgeheimnis nicht, im gegebenen Falle die Braut oder deren
Eltern zu warnen, selbst dann nicht, wenn diese beim Arzte Rath darüber suchen. Placzek
(„Das Berufsgeheimnis des Arztes") bespricht in seiner Schrift diesen folgenschweren Punkt
eingehend, und man wird mit ihm eins sein in der Bewunderung der schönen Worte
Gaide's: Wenn der Vater eines reinen jungen Mädchens, das der Stolz seiner Familie ist,
zu Ihnen kommt, um Sie vertrauensvoll zu fragen, ob er ganz gefahrlos die Tochter dem
Manne verbinden könne, der bei erster Berührung sie inficiren wird — — , soll unsere
Antwort Schweigen sein, welches falsch gedeutet werden kann? Sollen wir uns zu Mit-
schuldigen einer Ehe machen, deren Früchte so bejammernswerth sein werden? Ich glaube
es nicht und erkläre meinerseits, ich werde niemals bei ähnlichem Anlass Muth genug in
mir fühlen, dem Gesetze zu gehorchen. Mein Gewissen würde anders sprechen, und ohne
Zögern würde ich erwidern: „Nein, geben Sie Ihre Tochter nicht diesem Manne." Nicht
ein Wort würdeich hinzufügen. Ich würde von dem Bewusstsein beseelt sein, das Berufs-
geheimnis nicht verletzt zu haben. Träfe mich trotz alledem die Strafe — — , ich riefe
alle Familienväter als Richter auf, und erhobenen Hauptes beklagte ich das Tribunal,
welches zu strafen sich berechtigt glaubt, weil ich ein Weib vor fast gewisser Infection
schützte."
Kein Zweifel bann jedoch darüber walten : Der Arzt, welcher so handelte, wäre nach
dem Gesetze strafbar und er muss — wie die Dinge heute liegen — dafür bestraft werden.
Noch eine weitere Thatsache muss hervorgehoben werden, ebenso traurig
in ihren Folgen, wie die eben berührte, wenngleich nicht ebenso häufig, wie
diese: Es ist der weitverbreitete Aberglaube, Gonorrhoe des Mannes werde
durch die Cohabitation mit einem unberührten Mädchen geheilt.
Historisches: Die Trennung der beiden Krankheitsformen Syphilis und Gonorrhoe
begann im_ Anfange des 18. Jahrhunderts; aber erst Ricord gelang es (1831—1837) die Ver-
schiedenheit beider Infectionen zu allgemeiner Anerkennung zu bringen. Noch jünger ist
die Erkenntnis der ausserordentlichen Tragweite, welche der Tripper-Infection zukommt.
Was Semmelweis für die Erforschung des Wochenbettfiebers, das ist Noeggerath für die
der Gonorrhoe geworden. Als Noeggerath im Jahre 1872 seine Aufsehen erregenden
Untersuchungen veröffentlichte, fehlte es ihm ebenso wenig wie Semmelweis an heftigem
Widerspruch. Die Mehrzahl der gynäkologischen Forscher hielt seine Angaben für unrichtig
oder mindestens für maasslos übertrieben. Und heute, nach wenig mehr als zwei Jahrzehnten,
steht die Sache umgekehrt und fast täglich mehren sich die Beobachtungen, welche die
Bedeutung der Gonorrhoe darthun. Allerdings in zwei Punkten ging Noeggerath zu weit
und er hat dies später selbst zugegeben : er glaubte Anfangs, Gonorrhoe sei unheilbar und
ergreife bei der Frau meist den ganzen Genitalapparat. In der Frage von der Bedeutung
der Gonorrhoe stehen aber heute wohl die meisten Forscher auf dem ursprünglich so heftig
19*
292 GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN,
angefocttenen Standpunkte Noeggerath's. "Wenn es auch hier wie bei so vielen Enf"
deckungen ging: der Eifer der Forschung führt Anfangs zu weit, so bleibt doch Noeg-
GERATH das unbestrittene Verdienst, auf die einschneidende Bedeutung der Gonorrhoe er-
folgreich hingewiesen zu haben. Nicht allgemein bekannt scheint es zu sein, dass er wohl
auch als erster die Diagnose auf Gonorrhoe durch den mikroskopischen Nachweis der Er-
reger zu erbringen suchte. Er hat die nichtgefärbten Mikroben im hängenden Tropfen
schon als stark lichtbrechende Körper von ovoider Form gesehen und diesen Befund diagno-
stisch verwerthet.
1879 veröffentlichte Neisser seine grundlegenden Untersuchungen über den Gono-
coccus; er zeigte, dass eine ganz bestimmte Pilzart stets bei Gonorrhoe vorkomme; die
Anschauung, dass so geformte Bacterien sich nur bei Gonorrhoe fänden, erfuhr später
eine Einschränkung. Bumm zeigte 1887, dass diese Pilzform auf künstlichen Nährböden
reingezüchtet und mit den Eeinculturen wieder Gonorrhoe erzeugt werden könne. Damit
war die specifische Pathogenität des Gonococcus auch bacteriologisch dargethan. Bumm's
Angaben, der Gonococcus vermöge nur in Cylinder-Epithel, nicht aber in Pflaster-Epithel
und Bindegewebe krankheitserregend zu wirken, es gäbe somit keine durch die Gonococcen
erzeugte Kolpitis und Phlegmone, sondern es bedürfe hiezu einer Misch-Infection, wurde
durch Wertheim entkräftet. Seine werthvollen Arbeiten lieferten den Beweis, dass Gono-
coccen in allen Epithelformen und auch im Bindegewebe krankheitserregend wirken können ;
er erleichterte durch Benützung von Serum-Agar als Nährboden die Reincultur dieser
Mikroben und führte damit die Reinzüchtung einer allgemeineren Benützung für diagno-
stische Zwecke näher.
Bacteriologisches: Die gefärbten Gonococcen zeigen sich bei starker
Vergrösserung (Immersion ist stets wünschenswerth, da selbst stärkere Tro-
cken-Systeme kein hinreichend scharfes Bild geben) in der bekannten Semmel-
form: zwei Hälften von der Gestalt eines Kugelsegmentes oder einer Halb-
kugel liegen mit den Breitseiten so an einander, dass sie durch einen hellen
Streifen getrennt erscheinen. Die an einander liegenden Seiten sind oft etwas
eingebuchtet ; beide Hälften zusammen zeigen besonders dann, wenn die Coccen
in Schleim oder Blutserum liegen, häufig einen glashellen Saum oder Mantel,
der ja auch bei anderen Bacterien zu finden ist.
Die Grösse der Semmel-Coccen von Pol zu Pol gemessen beträgt
0*8 — 1*6 niikra, durchschnittlich 1'25 mikra. Die Gonococcen vermehren sich
durch Theilung in abwechselnd auf einander senkrechten Durchmessern; des-
halb bilden sie stets Haufen, meist zu zweien, vieren u. s. w., nicht Ketten.
Die Diplococcen- Gestalt ist aber für den Erreger der Gonorrhoe nicht
durchaus kennzeichnend; auch andere — pathogene und nicht pathogene —
Bacterien haben Semmelform und sind morphologisch vom Gonococcus nicht
zu unterscheiden. So konnte Bumm aus der Luft und aus Scheidenschleim
nichtpathogene Diplococcen, aus dem Urin einer an Blasenkatarrh leidenden
Frau, aus Lochialsecret, aus den Blasen bei Pemphigus neonatorum, aus Eiter
eines Mamma-Abscesses pathogene Diplococcen reinzüchten, welche auf em-
pfänglichen Schleimhäuten zwar keine Gonorrhoe, subcutan eingespritzt aber
am Menschen Abscesse erzeugten. Wichtig ist es ferner, dass es Urethritis
ohne Gonococcen gibt; allerdings verlaufen solche Formen von Urethritis
rascher und harmloser. Immerhin beweist der Befund von Diplococcen allein
nicht Gonorrhoe; soweit unsere Kenntnisse bis jetzt reichen, wird das Be-
stehen von Gonorrhoe erst durch die intracelluläre Lage der Gonococcen
dargethan.
a) Färbung. In der Praxis erweist sich am bequemsten die Verwendung concentrirter
wässeriger Methylenblau-Lösung oder ebensolcher Fuchsin-Lösung. Hat man das zu unter-
suchende Secret auf Deckglas oder Objectträger dünn ausgestrichen und zuerst an der
Luft, dann über der Flamme getrocknet, so träufelt man die filtrirte Farblösung unmittel-
bar darauf und spült sie nach 1 Minute mit destillirtem Wasser wieder ab ; das überschüs-
sige Wasser saugt man mit aufgedrücktem Filtrirpapier weg und kann nun das Präparat
unmittelbar so auf dem Objectträger mit Oel-Immersion (selbst ohne Deckglas) untersuchen;
oder man bringt einen Tropfen Canada-Balsam (nicht mit Chloroform gemischt !) und ein
Deckglas darauf; letzteres empfiehlt sich, wenn man das Präparat aufbewahren will.
Es kommt vor, dass Präparate aus Scheiden- und Cervix-Schleim die Farbe nicht
^ oder nur sehr schlecht annehmen ; dann legt man sie vorher 40 Min. lang in Aether-Alkohol
GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 293
ää. Finger*) erwähnt als vortheilhaft eine Methode Klein's : Die Deckj^läschen werden mit
Secret bestrichen, nicht durch die Fhxmme gezogen, sondern auf 4^) Min. in Aether-Alkohol
ää gebracht und hierauf für 10—15 Min. in eine Eosin-Methylenblau-Lösung (O'ö Eosin in
lOÜ'O concentrirter wässeriger Methylenblaulösung) eingelegt, mit Wasser abgcsjjült, ge-
trocknet und mit Canada-Balsam conservirt. Die Gonococcen und die Zellkerne erscheinen
blau, das Protoplasma lachsfarben.
Nach der GRAM'schen Methode entfärben sich die Gonococcen ; dies ist diffcrential-
diagnostisch wichtig; während Bumm dies bestreitet, da sich auch andere Diplococcen nach
Gram entfärben, haben neuerdings wieder Finger, Steinschneider und Galewsky auf die
diagnostische Brauchbarkeit dieses Merkmals hingewiesen. Sie ^färben zu diesem Zwecke
die Deckgläschen 25—30 Min. lang in Anilinwasser-Gentianaviolett, spülen dann ab, bringen
die Präparate für 5 Min. in Jodkalium-Lösung und nach wiederholtem Abspülen in Wasser
für so lange in absoluten Alkohol, bis das Präparat entfärbt, der vom Deckglase abtropfende
Alkohol nicht mehr violett gefärbt ist. Nachfärbung in Bismarckbraun (nicht überfärben!)
oder in wässerigem Fuchsin. Die Gonococcen erscheinen dann braun, bez. roth, alle anderen
Coccen durch Combination der Gentianaviolett- und Bismarckbraun-, bez. Fuchsinfärbung
schwarz" (Finger).
ß) Reinzüchtung: Durch Wertheim's Arbeiten ist auch die Anlegung von Reincul-
turen der Gonococcen sehr erleichtert worden; sie wird dadurch zur Sicherung der Diagnose
verwerthbar. Diese Methode ist sogar viel empfindlicher, als die des einfachen mikro-
skopischen Aufsuchens. Auf Platten aus Serum-Agar entwickeln sich — lebensfähige Gono-
coccen vorausgesetzt — in 3 Tagen ßeinculturen des Pilzes. Ausser menschlichem Blut-
serum (nach Hüppe's Vorgang durch Zusatz von Agar erstarrungsfähig gemacht) kann man
auch Hydrocelen- und Kystomflüssigkeit mit Agar (nach Menge) verwenden.
Auf solchen Nährböden wachsen die Gonococcen sowohl in Stich- als Strichculturen
gleich gut, besonders bei Bluttemperatur, und bei Sauerstoffmangel besser als bei Sauer-
stoffzufuhr. Sie bilden reiche, zarte, wei'ssliche, am Rande gekerbte Rasen. Neuerdings ist
die Reinzüchtung noch vereinfacht worden durch Ghon und Sghlagenhaufer. „Sie um-
gehen das umständliche Plattenverfahren gänzlich, indem sie den Trippereiter, der Urethra
nach Reinigung und Desinficirung des Orificium entnommen, direct auf PFEiFFER'sches
Agar (d. h. Glycerin-Agar, dessen Oberfläche mit aus dem Ohrläppchen steril entnommenem
Menschenblut dünn bestrichen ist), oder auf in ähnlicher Weise gefüllte PEXRi'sche Schalen
streichen und — indem dieselbe Oese zur Anlegung mehrerer Strichculturen verwendet
wird — so Verdünnungen anlegen die bei eventueller Verunreinigung eine Isolirung der
Gonococcen-Culturen gestatten. Auch mit Rinderblutserum-Peptonagar beschickte PETRi'sche
Schalen ergeben, in derselben Weise geimpft, besonders schöne Reinculturen" (Finger).
Kennzeichnend für die Gonococcen ist das intracelluläre
■Vorkommen der typischen Diplococcen; unterstützt wird die
Diagnose durch gleichzeitige Entfärbung derselben nach Geam. Die Gono-
coccen findet man sowohl ausserhalb der Zellen, als auch einzeln und in
Haufen im Innern der weissen Blutzellen; den Epithelzellen scheinen sie
nur auf- nicht eingelagert zu sein. Die intracelluläre Lage ist nicht als
eine Wirkung der Phagocytose aufzufassen, d. h. die Gonococcen wurden nicht
von der Zelle „gefressen", sondern sind in sie activ eingedrungen; denn die
intracellulären Gonococcen zeigen meist ihre ungeschwächte Färbbarkeit, wäh-
rend eher der Zellkern schlechter gefärbt erscheint; die Bacterien sind sogar
im Stande, die von ihnen befallenen Zellen zu zersprengen.
Eine speci fische Färbung der Gonococcen, d. h. eine solche, die
nur ihnen zukommt, kennt man nicht; ihre Entfärbung bei Verwendung der
GRAM'schen Methode gilt jedoch — wie erwähnt — für kennzeichnend.
Man wird sich aber Saenger mit Hecht anschliessen düi'fen, wenn er
sagt, zur Diagnose „Gonorrhoe" bedürfe es durchaus nicht immer unbedingt
des iSTachweises der Gonococcen — so erwünscht er auch sein mag — sondern
Gonorrhoe sei auch aus ihrem klinischen Bilde sehr oft mit vollkommener
Sicherheit erkennbar. Ja häufig wird der Gonococcus trotz tagelangen Suchens
im Präpaia': erst dann gefunden, wenn die klinische Diagnose längst gestellt
ist. Nicht stets kann die Therapie auf den Nachweis des Gono-
coccu s warten.
Verhalten des Gonococcus zu verschiedenen Geweben.
ßuMM hatte angegeben, der Gonococcus dringe krankheitserregend nur
*) Diese und mehrere andere Angaben sind dem vorzüglichen Buche von E. Finger
flDie Blennorrhoe der Sexualorgane " entnommen.
294 GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
in Cylinder-Epithel ein; später haben jedoch Toutox, Dinkler, Pick,
Jadassohn, Wertheim ii. A. gezeigt, dass er auch in den anderen Epithel-
formen, ja sogar in Bindegewebe entzündungserregend wirken kann; Wertheim
sah ihn wie gewöhnliche Eitererreger in den Lymphspalten des Bindegewebes
und zwischen den Muskelbündeln vorwärtsdringen und Phlegmonen verur-
sachen. Es ergibt sich daraus die Möglichkeit, dass aus einer gonorrhoischen
Urethritis eine Periurethritis, aus Endometritis eine Parametritis entsteht, ohne
das Hinzukommen anderer pathogener Mikroben. Wertheim hat Gonococcen
in der musculären Tubenwand bei Pyosalpinx und zweimal in Ovarialabscessen,
und Zweifel hat sie ebenso in den letzteren gefunden. Da Gonococcen auch
in vielschichtiges Pflaster-Epithel eindringen, ist die Möglichkeit einer Kolpitis
gegeben; Wertheim hat ferner nachgewiesen, dass der Gonococcus nicht nur
auf thierischem, sondern auch auf menschlichem Peritoneum Entzündung ver-
ursachen kann: Perimetritis und Pelveoperitonitis gonorrhoica. Allerdings ist
seine Fähigkeit, Entzündung zu erregen, in verschiedenem Gewebe verschieden
gross; so bietet geschichtetes Ptiasterepithel offenbar seinem Eindringen
grösseren Widerstand, als Cylinder-Epithel; es sind ferner noch nicht Fälle
einer universellen, sondern nur solche von circumscripter Peritonitis bekannt;
vielleicht bleibt die durch Gonococcen erregte Entzündung auf dem Peritoneum
deshalb stets in engen Grenzen localisirt, weil es sofort zu Verklebungen mit
Nachbar-Organen kommt; die Stoffwechselproducte der Gonococcen verursachen
offenbar hier besonders leicht Adhäsions-Bildungen; das ist einerseits eine
Art von Naturheilung oder von natürlicher Abgrenzung gegen die Bauchhöhle
im Allgemeinen, andererseits sind die Fälle, in welchen Uterus, Becken-Peri-
toneum, Tuben, Ovarien und angrenzende Darmschlingen zu einem schwer
entwirrbaren Ganzen verklebt sind, so typisch für gonorrhoische Infection,
dass sie kurzweg als Perimetritis scortorum bezeichnet werden, da sie
bei Puellis publicis begreiflicher Weise am häufigsten vorkommen.
Bemerkenswerth ist es ferner, dass gonorrhoische Kolpitis nach Saenger
„besonders bei Kindern und Greisinnen, bei Schwangeren, bei zartgebauten
Frauen, namentlich Blondinen, kurz bei Dünne, Feinheit, bei Maceration und
Desquamation des Epithels" vorkommt, da hier der Widerstand des Gewebes
ein geringerer ist. Ich möchte mich Saenger hier nicht nur im Allgemeinen,
sondern auch in Bezug auf die geringere Widerstandskraft der Blondinen
gegen Gonorrhoe anschliessen; in diesem letzteren Punkte bedarf es allerdings
noch ziffermässiger Nachweise; aber bei Blondinen scheint thatsächlich Go-
norrhoe häufiger und in ernsteren Formen aufzutreten; es wäre interessant,
zu untersuchen, ob dies auch im Hinblick auf andere Infectionen zutrifft, ob
Blondinen also überhaupt in unserer Zeit weniger widerstandsfähig gegen
Krankheiten sind und ob der Rückgang in der Zahl der Blondinen im Ver-
hältnis zu den Brünetten damit zusammenhängt. Auch ethnologisch wäre das
ebenso bemerkenswerth als folgenschwer (Verdrängung blondhaariger Stämme
durch dunkelhaarige).
Die Wege der Inf ections- Verbreitung können verschieden sein:
1. Die Gonococcen können einfach in der Continuität von der Vulva
durch Scheide, Uterus und Tuben zum Bauchfell wandern; der Flimmerstrom
arbeitet in Uterus und Tuben gegen diese Wanderung nach oben; sie können
aber durch Spermatozoon und durch Saugwirkung des Uterus oder Betroperi-
staltik desselben und der Tuben gegen die abdominale Tuben-Mündung ge-
bracht werden. In einem Falle von gonorrhoischer Endometritis und Cervix-
Stenose schien es, als ob die heftigen und überaus schmerzhaften Uterus-
Contractionen, welche nur schwer den Schleim in die Vagina pressen konnten,
zu einem Hineinpressen desselben in die Tuben und damit rasch zur Salpin-
gitis geführt hätten. Damit wäre die Cervix-Stenose zu einer verhängnis-
vollen Unterstützung des Entstehens einer Tuben-Infection geworden.
GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 295
2. Die Gonococcen können auf dem Wege der Lymph-Bahncn unmittel-
bar die Urethral-, Scheiden-, Uterus-, Tuben-Schleimhaut durchsetzen und so
z. B. von der Uterus-Muscosa ohne Vermittlung der Tuben zu einem der
Uterus-Wand anliegenden Ovarium gelangen.
3. Sie können durch das Blut in entfernte Körpertheile geführt werden,
so zum Endocard, in Gelenke, Gehirn, Bückenmark, ins Bindegewebe der
Extremitäten (in Lang's Fall in das Bindegewebe des Handrückens) u. s. w.
Immerhin erfolgt diese 3. Art der Verbreitung relativ selten; man wird
Luther beistimmen, wenn er in solchen Fällen besonders vorhergehende me-
chanische Verletzungen (z. B. der Harnröhre beim Katheterisiren) für ge-
fährlich hält, da durch sie die Gonococcen in die Blutbahn gebracht werden.
Misch-Iiifectioii: Gonococcen können zwar auch für sich allein Eiterung
erregen; aber sicher bereiten sie auch anderen Eitererregern den Boden da-
durch vor, dass sie die natürliche Schutzwand der Organe, das Epithel zer-
stören. Bumm's Anschauung von der Misch-Infection wird also dahin zu ändern
sein, dass Gonococcen zugleich mit anderen pathogenen Bacterien zwar vor-
kommen (so in der Tube, in den Bartholin'schen Drüsen), dass aber zur Ent-
stehung einer Bindegewebs-Eiterung und einer gonorrhoischen Infection von
Schleimhäuten, welche Pflasterepithel tragen, durchaus nicht die Mitwirkung
oder das nachfolgende Eindringen anderer pyogener Mikroben nöthig ist. So
fand Wertheim in 116 Fällen von Pyosalpinx 72mal keine Bacterien (d. h.
sie waren darin schon zu Grunde gegangen), 32mal Gonococcen, 6mal Strepto-
coccen, Imal Staphylococcen, nie aber Gonococcen mit anderen Eiter-Erregern
zusammen. Dass jedoch Misch-Infectionen vorkommen, zeigte Witte: er fand
im Tuben-Eiter in einem Falle Gonococcen und Streptococcen, in einem
zweiten Falle Gono- und Staphylococcen, in drei Fällen Gonococcen mit anderen
Bacterien; ferner fand er im Scheidensecret Gono- und Staphylococcen. Ueber
das gegenseitige Verhältnis der verschiedenen Bacterien müssen weitere
Untersuchungen erst Klarheit schaffen. Man wird aber von Misch-Infection
nur dann sprechen dürfen, wenn thatsächlich das gleichzeitige Vorkommen
verschiedener pathogener Bacterien im kranken Organe nachgewiesen ist.
Gonorrhoe und Wochenbettfieber: Schon Noeggerath, später Sänger u. A. haben
auf den Zusammenhang von bestehender Gonorrhoe mit Wochenbetterkrankungen hinge-
wiesen. Ein solcher Zusammenhang war von Vielen bestritten worden, ist aber jetzt wohl
nicht mehr von der Hand zu weisen. Nach Wertheim's Untersuchungen ist ja die Mög-
lichkeit im Vorhinein gegeben, dass Gonococcen in die Muscularis eindringen und selbst
das Peritoneum inficiren. Nun hat ausserdem Krönig in 9 Fällen Lochialsecret unmittel-
bar aus dem Uterus entnommen und Reinculturen von Gonococcen — also ohne Bei-
mengung anderer Bacterien — gefunden. 8 dieser Frauen waren fieberhaft erkrankt.
Schon Noeggerath hatte darauf hingewiesen, dass in solchen Fällen die Erkrankung meist
erst 8—14 Tage nach der Entbindung auftrat. In zwei von Krönig beobachteten Fällen fand
sich bei den Frauen erst am 26., bezw. 28. Tage nach der Entbindung ein para-, beziehungs-
weise perimetritisches Exsudat. Auf Grund klinischer Thatsachen hatte die scharfe Beob-
achtungsgabe Kaltenbach's schon früher einen solchen Zusammenhang angenommen: er
hatte Parametritis im Wochenbett besonders häufig bei solchen Müttern auftreten gesehen,
deren Kinder an Ophthalmoblenorrhoe litten.
Latenz: Mit diesem Namen bezeichnet Noeggerath „einen Zustand,
welcher sich dadurch charakterisirt, dass bei jahrelanger Abwesenheit irgend
welcher Störung im Wohlbefinden plötzlich durch einen auf die Geschlechts-
organe ausgeübten Reiz sich die Symptome der Gonorrhoe in acuter und
subacuter Weise entwickeln." Luther (dessen Arbeit „Ueber die Gonorrhoe
beim Weibe" in ausgezeichneter Form den heutigen Stand unseres Wissens
in dieser Frage gibt) fügt dem mit Recht hinzu: „Ersetzt man die Worte,
,Latenz der Gonorrhoe' durch ,Latenz der Gonococcen' so wird die Begriffs-
bestimmung leichter." Dass es schwer sein kann, Gonococcen mikroskopisch
in jedem einzelnen Augenblicke nachzuweisen, ist besonders für die chronische
Gonorrhoe bekannt. Man kann bei chronischer Cervix-Gonorrhoe tagelang
vergeblich nach den Erregern suchen, bis man sie plötzlich selbst in rein
296 GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
glasigem Secret findet. Mit Eeclit spricht man hier von Latenz der Gonor-
rhoe oder der Gonococcen. Das Züchten auf Serum-Agar kann helfen, diese
Schwierigkeit zu überwinden. Ob hier die Frage einer verschiedenen Virulenz,
einer Abschwcächung der Mikroben durch ihre eigenen Stoffwechselproducte,
ferner die schwierige Frage nach einer Dauerform der Gonococcen (bei Coccen
sind solche überhaupt noch nicht beobachtet) mitspielt, ist noch zu unter-
suchen. Leichter verständlich ist die — zur Erklärimg aber nicht stets ge-
nügende — Annahme, dass bei chronischer Gonorrhoe durch ein Trauma
(Katheterismus, Sohdirung, Geburt) oder physiologische und pathologische
■Hyperämie (Menses, Gravidität, Allgemeinerkraukungen) die Entzündung von
neuem augefacht wird.
Ursachen und Gelegenheit der Infection: In der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle wird die Infection durch den sexuellen Verkehr in seinen
normalen und perversen Formen vermittelt; so kann bei der rite ausgeführten
Cohabitation der weibliche Genitaltract und die Urethra u. s. w. inficirt
werden; durch Stuprum kann die Infection auf Kinder und Erwachsene, durch
immissio penis in rectum auf den unteren Abschnitt des Mastdarms über-
tragen werden. Infection kann vermittelt w^erden durch das Zusammenschlafen
gonorrhoischer Mädchen oder Frauen mit gesunden, wenngleich hier weniger
häufig Uebertragung durch die Wäsche, als durch gegenseitige onanistische
Manipulationen anzuschuldigen sein dürfte. In der armen Bevölkerung, in
welcher so oft mehrere Familienmitglieder, oder Kinder mit Mägden nur ein
gemeinsames Bett haben, ist es aber nöthig, inficirte Frauen oder Mädchen
auf die Möglichkeit einer solchen Uebertragung hinzuweisen. Intra partum
kann das Kind von der gonorrhoischen Mutter Ophthalmoblennorrhoe, Gonor-
rhoe der Mundschleimhaut (Rosinski) und des Genitaltracts erwerben; Infection
von neugeborenen Mädchen ist ausserdem post partum durch die Mutter
selbst, aber auch durch Uebertragung von anderen Kindern durch das Warte-
personal, unreine Schwämme, Wäsche etc. möglich: so hat Skutsch eine
endemische Vulvovaginitis bei mehreren Hundert Mädchen durch Benützung
einer Badeanstalt beobachtet, in welcher schon inficirte Kinder gebadet hatten.
In der Sprechstunde hört man so oft die Benützung eines Closets „das von
Kranken vorher besucht worden war" als Ursache der Infection anschuldigen.
Ist eine solche Möglichkeit theoretisch auch nicht von der Hand zu weisen,
so ist sie doch in praxi anscheinend noch in keinem Falle erwiesen; überdies
wird man es begreiflich finden, dass die Kranken, welchen der Gang zum
Arzte in solchen Fällen schon schwer genug ist, nach einer ihr Gewissen
weniger belastenden Ursache suchen; unrichtig wäre es, darauf mit Spott
statt mit ernster Aufklärung zu antw^orten.
Vorkommen und Ansiedhingsgebiet der Gonococcen in den weib-
lichen Genitalien. Zwei Thatsachen müssen vor Allem betont werden: Jeder
Theil des weiblichen Genital-Apparates kann gonorrhoisch er-
kranken; Prädilecti onsste 11 en der primären Inf e^tion sind aber
Urethra und Cervix. Diese letztere, kaum noch anzuzweifelnde Thatsaclie
steht in geradem Widerspruche zu der früheren Ansicht, Blennorrhoe localisire
sich beim Weibe fast nur in Vulva, Vulva-Drüsen und Scheide. Will man im
übrigen jetzt für alle vorkommenden Localisationen der Gonorrhoe einen
Namen haben, so braucht man blos dem lateinischen oder griechischen Namen
des Organs und des umgebenden Bindegewebes die Endung „itis" und das Wort
gonorrhoica anzufügen: Urethritis, Periurethritis, Vulvitis, Bartholinitis, Kol-
pitis etc. gonorrhoica. Das Weiterkriechen der Infection nach oben wird
treffend durch die Bezeichnung „ascendirende Gonorrhoe" gekenn-
zeichnet.
GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
297
Nur kurz mag auf die schon erwähnte Thatsache hingewiesen werden,
dass bei Kindern eine gonorrhoische Stomatitis (Rosinski) und bei
Erwachsenen Nasen-Tripper und gonorrhoische Infection des Mast-
darms nachgewiesen wurde; die letztere macht oft ulceröse Zerstörungen
der Rectal-Schleimhaut und es scheint, dass dieser Process bislier oft mit
Unrecht für luetisch gehalten wurde. Der widernatürliche Coitus dürfte in
der Aetiologie eine grössere Rolle spielen, als das Ueberrieseln des Anus
mit dem aus Scheide und Vulva stammenden gonorrhoischen Secret.
Die Häufigkeit, mit welcher die einzelnen Abschnitte des weiblichen
Genital-Apparates befallen werden, ist eine sehr verschiedene: Steinschneider
sagt, in allen Fällen von gonorrhoischer Infection wird zunächst die Urethra,
in einem grossen Theile (etwa 47%) die Cervix-Schleimhaut, in einer nicht
unbedeutenden Anzahl das Endometrium, zuweilen die BARTiioLiN'schen Drüsen
etc. befallen. Bei der Wendung, welche unsere Kenntnis der Gonorrhoe durch
Wertheim zum Theil erfahren hat, ist es zur Zeit noch recht schwer, eine
genauere Statistik über die Localisation im Einzelnen zu geben. Alle Zahlen
müssen unter diesem Vorbehalte betrachtet werden.
Die Gonorrhoe localisirt
sich in:
Urethra
Cervix
Uterus
Vagina
Barthol.
Drüsen
Vulva
ioo«/„
47%
50%
95
47
89
43-7
90
37-5
—
—
—
12-5''/o
85
—
—
40-4%
36%
25.5%
Nach Steinschneider
(1887; in frischen
Fällen) . . .
„ Fabry (1888) . .
„ Welander (1888)
„ Brünschke (1891) .
„ LuczNY (1891) . .
Hier sind nur jene Organe berücksichtigt, welche der bacteriologischen
Untersuchung ohne operative Eingriffe zugänglich sind.
Die Uterus-Anhänge sind nach Herzfeld's Untersuchungen an poli-
klinisch behandelten Kranken bei 18 "/oder gonorrhoischen Kranken mitbetheiligt.
Sänger und Rosthorn nehmen an, dass in Vs aUßi" Fälle auch die Tuben
gonorrhoisch inficirt sind.
Complicatioueii und Metastasen. „Tripper-Rheumatismus" tritt beim
Weibe viel seltener als beim Manne auf, ist aber beschrieben worden.
So sind Gelenk-Entzündungen besonders bei gonorrhoischer Vulvovagi-
nitis und Ophthalmoblennorrhoe Neugeborener beobachtet worden. Hartlet
beschreibt die gleiche Complication bei Vulvovaginitis 3 — 8-jähriger Mädchen.
Sigmund will (1858) Herzaffectionen bei gonorrhoischen Frauen gesehen
haben. Lymphadenitis und Ly mphangoitis der Leistengegend scheint
beim Weibe ebenfalls in Folge gonorrhoischer Infection vorzukommen.
Immerhin bedürfen solche Complicationen noch genauerer Untersuchung.
Häufigkeit der Gonorrhoe beim Weibe. Bei der Häufigkeit, mit
welcher Gonorrhoe bei Männern auftritt, ist die nächstliegende Frage die,
wie oft sie beim Weibe vorkomme. Die Antwort ist sehr schwer zu geben;
je genauer unsere Untersuchungsmethoden werden, desto grösser wird der Pro-
centsatz der gonorrhoisch befundenen Frauen. Früher hielt man Gonorrhoe
des Weibes für selten, ja 1882 glaubte z. B. Zeissl noch, dass nur 5*^/0 aller
blennorrhoischen Frauen an specifischer Urethritis leiden. Noeggerath zu-
folge sind diese Zahlen viel grösser; er gab an, dass 80% aller Frauen an
latenter Gonorrhoe leiden; in neuerer Zeit wurde diese Annahme durch bac-
teriologische Untersuchungen allerdings zunächst etwas eingeschränkt:
Oppenheimer (Kehrer's Klinik) fand 1884 unter 108 Graviden bei 30 = 27"7%
Gonococcen;
298 GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
LoMER fand 1885 unter 32 Wöchnerinnen bei 9 = 28% Gonococcen;
Schwarz fand 1886 unter 617 Frauen bei 77 = 12-4% Gonococcen;
Singer fand 1889 unter 1930 Frauen 230 = 12''/o gonorrhoiscli.
Sänger nimmt an, dass Vs ^-Hsr Frauen, die den Gynäkologen auf-
suchen, gonorrhoisch ist. Dass durch zunehmende Erleichterung und Genau-
igkeit der Untersuchung diese Zahlen noch grösser werden können, ist jedoch
sehr wahrscheinlich.
AUgemem-Erscheiimngen können bei schwerer Infection mit ge"
radezu alarmirender Heftigkeit auftreten, und zwar nicht nur bei Metritis
und Endometritis, sondern hauptsächlich auch bei Peri- und Parametritis un^
Salpingitis gonorrhoica, also bei Mitbetheiligung des Bauchfells. Im acute^i
Stadium können alle Anzeichen einer schweren Infection vorhanden sein-
hohes Fieber, selbst mit Schüttelfrösten, Kopfweh, Schwäche, Appetitlosigkeit
u. s. w. — Die „Tripperfarbe" des Gesichtes ist selbst vielen Laien bekannt?
wenn diese fahle Verfärbung auch deutlicher bei Männern als bei Frauen
ausgesprochen zu sein pflegt. Es kann wohl nicht bezweifelt werden, dass es
sich hier (wie bei anderen Infectionsla-ankheiten) um eine Gift Wirkung, um
die Aufnahme toxischer Stoffvvechselproducte der Mikroben handelt. Autfallend
ist bei vielen Kranken die Klage über leichte cerebrale Symptome,
hauptsächlich über Schwindel und Abnahme des Gedächtnisses (Vergesslich-
keit).
Prophylaxe. Die Verhütung gonorrhoischer Infection ist — wie bei
jeder anderen Krankheit — wichtiger als die Heilung; und gerade bei der
Gonorrhoe hat die Prophylaxe ein weites und aussichtsreiches Feld. Man
muss die allgemeine Prophylaxe von der speciellen, nur im Einzel-
falle anzuwendenden, trennen.
Die allgemeine Prophylaxe hängt eng mit den socialen Zuständen
zusammen und ihre Aufgaben können nur gemeinsam gelöst werden. So lange
eine grosse Zahl geschlechtsreifer Individuen durch äussere Verhältnisse der
Möglichkeit zu heiraten (man könnte weitergehend auch sagen: der Möglich-
keit erlaubten sexuellen Verkehrs) beraubt ist, bedürfen wir der Prostitution.
Hier muss also zunächst der Hebel angesetzt werden. Mit Sänger tritt
eine grosse Zahl von Fachärzten unter den nun einmal bestehenden Verhält-
nissen für „strengere Ueberwachung der offenen, energische Verfolgung der
heimlichen Prostitution als Hauptquellen der Infection" ein; Casernement der
Prostituirten erleichtert diese Ueberwachung. Nöthig ist ferner eine „längere
Dauer der Behandlung von inficirten Prostituirten durch gynäkologisch ge-
schulte Aerzte."
Den wichtigsten Theil der speciellen Prophylaxe bilden Vor-
schriften zu prophylactischen Desinfectionen; beim nichtschwangeren Weibe
sind l%o Sublimat-Spülungen, beim Manne Waschungen damit sicher am
wirksamsten; Schwangere können Carbol verwenden. Diese prophylactischen
Ausspülungen, beziehungsweise Waschungen verdienen eine viel grössere Be-
achtung, als ihnen meist zu Theil wird. Die Benützung der von dem Engländer
Condom empfohlenen Ueberzüge aus dem Blinddarm von Lämmern, sowie der
jetzt gebräuchlichen Gummi-Präservativs kann ebenfalls mit dazu beitragen,
Infection zu erschweren. Sichere Gegenmittel sind sie jedoch ebenso wenig,
wie die Ausspülungen und Waschungen. Dass zur Verhütung der Infection
von Kindern intra partum prophylactische Scheidenspülungen der Mutter
vortheilhaft sind, wurde schon oben (Antisepsis in der Geburtshilfe) erwähnt.
Ebenso wurde schon darauf hingewiesen, dass die bewusste Uebertragung
der Infection und das Heiraten inficirter Individuen nicht allein vom Stand-
punkte der persönlichen Verantwortung, sondern auch von dem des Straf-
richters aus, einer nachdrücklichen Beachtung bedarf.
GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 299
I. Urethritis gonorrhoica.
Sie stellt die häufigste Form der Gonorrlioe beim Weibe vor ; fast alle gonor-
rhoisch inficirten Frauen leiden jirimär an Urethral-Gonorrhoe. Die Ansiodlung der
Mikroben wird begünstigt durch die (mit Unrecht als Krypten bezeichneten) Drüsen
der weiblichen Harnröhre, in welchen sie auch der Therapie schwer zugänglich sind.
Von hier aus kann sowohl das periurethrale Bindegewebe als — wenn auch sehr "
selten — die Blase gonorrhoisch inficirt werden. Immerhin ist in letzter Zeit von
mehreren Untersuchern gezeigt worden, dass es eine gonorrhoische Cystitis gibt.
Im Allgemeinen ist die Urethritis des Weibes weniger hartnäckig und folgen-
schwer als die des Mannes ; sie heilt oft spontan und geht seltener als beim 3Ianne
in die chronische Form über. Während in frischen Fällen ein Theil der Inficirten
über Brennen beim Uriniren, Harndrang, manchmal über leichten initialen Frost
u. s. w. klagt, geben andere mit Bestimmtheit an, nie solche Erscheinungen bemerkt
zu haben, obwohl sich Gouococcen in der Urethra nachweisen lassen. Die Urethral-
Schleimhaut ist im acuten Stadium geröthet, geschwellt, drängt sich oft aus dem
Orificium externum urethrae in einem scharlachrothen Wulst hervor ; spontan oder
durch Druck von der Scheide aus entleert sich etwas milchiger Eiter; der Druck
selbst kann empfindhch oder schmerzhaft sein.
Periurethrale Infiltrate kommen in Form knotiger, vereiternder Herde
oder als diffuse Verdickung des die Harnröhre umgebenden Bindegewebes vor ; die
Urethra kann man dann von der Scheide aus als verdickten, deichen, empfindlichen
Strang fühlen. Manchmal betheihgen sich an der Erkrankung auch die SxENE'schen
Follikel, welche seitlich von der MitteUinie in der unteren Wand der Urethra, nahe
dem Orificium externum sitzen. Sie können ebenfalls vereitern und nach dem Durch-
bruche kleine Fisteln gegen die Urethra und Vulva hin bilden.
Die pathologische Anatomie der gonorrhoischen Urethritis bedarf noch in vielen
Punkten des Studiums. Es liegt in der Natur der Sache, dass das hiezu nöthige
Material an iuficirtem Gewebe schwer zu erhalten ist.
Die acute Form kann sowohl spontan heilen, als in die chronische Ure-
thritis übergehen; wie häufig das eine oder das andere geschieht, lässt sich jetzt
zahlenmässig noch nicht angeben. Die chronische Urethral-Gonorrhoe macht
meist sehr geringe Symptome, kann aber trotzdem zu einer Quelle erneuter Infection
werden.)
In einem Falle traten binnen Jahresfrist mehrmals recht heftige Rückfälle auf; die
Urin-Entleerung war dann erschwert, ja tagelang spontan unmöglich, so dass katheterisirt
werden musste; beim Uriniren hatte die Kranke das Gefühl, als ob sich „ein Strohhalm
in die Harnröhre bohre". Von der Scheide aus fühlte man die Urethra als fast kleinfinger-
dicken, derben, empfindlichen Strang; katheterisiren war schmerzhaft; das sehr spärlich
ausstreichbare Secret war trübglasig, nicht eiterig. Locale Argentum nitricnm-Behandlung
Hess die Rückfälle immer seltener auftreten, behob sie aber innerhalb eines Jahres nicht ganz.
Diagnose: Bei allen Fällen von Gonorrhoe der weiblichen Genitahen hat
man die Urethra zu untersuchen, Subjective Erscheinungen von Seiten derselben
müssen ja nicht stets vorhanden sein. In acuten Fällen kann man von der Scheide
aus, nach vorn streichend, milchig-eiteriges oder trüb-glasiges Secret ausdrücken.
Gelingt dies nicht, so holt man mit der Platindraht-Oese etwas Secret aus der
Urethra, nachdem man vorher die Urethral-Mündung sorgfältig gereinigt hat. Die
mikroskopische Untersuchung des Secrets ist sehr wünschenswerth, wenn auch oft
die klinische Diagnose ohne dieselbe mit weitgehender Sicherheit gestellt werden
kann. Ein guter diagnostischer Behelf ist die Zweigläserprobe : Man lässt die
Patientin in zwei Gläser uriniren und findet bei Gonorrhoe oft im ersten Glase
trüben oder schleimige Fäden enthaltenden, im zweiten Glase klaren Urin ; ist auch
der Urin im zweiten Glase trüb, so weist dies auf bestehende Cystitis hin.
Therapie: Eine grosse Zahl von Frauen kommt wegen der geringen Symptome
bei bestehender Urethritis gar nicht zum Arzt ; andere kommen wegen des „weissen
Flusses", der durch Cervical- Gonorrhoe bedingt ist, während die gleichzeitige Ure-
SOO GONORRHOE DER ^YEIBLICHEN GENITALIEN.
thral-Infection keinerlei subjective Symptome machte. Wieder bei einem anderen
Theile der Inficirten heilt die acute gonorrhoische Urethritis spontan.
In diesen Thatsacheu liegt schon ein Hinweis darauf, dass durchaus nicht
immer eine locale Behandlung der acuten Form nöthig ist. Und in neuester Zeit
mehren sich die Stimmen, so besonders von Seiten hervorragender Berliner Gj'näkologen
(Veit, Wintee, Beüse u. A.), gegen eine allzueifrige locale Behandlung; es ist kaum
fraglich, dass durch diese sogar Verschlimmerungen und Complicationen verursacht
werden können (vgl.- „Cervix-Gonori-hoe").
Bei acuter gonorrhoischer Urethritis genügen Anfangs allgemeine Maassregehi :
Euhe, bei Fieber Bettruhe, äussere Waschungen der Vulva mit ^Iz^lo Sublimat-
Lösung, blande Diät, Verbot der Cohabitation; das letzte ist bei jeder
gonorrhoischen Infection Haupterfordernis.
Schliesst sich an das acute, durch die relativ starke Eiterung gekennzeichnete
Stadium eine chronische Urethritis an, so wird mau diese local behandeln, da sie
sonst zur Quelle der Infection anderer Organe werden kann. Am besten haben sich
Aetzungen mit Argentum nitricum bewährt. In der letzten Zeit bin ich von der
Anwendung stärkerer (2 — S^/n) Lösungen zurückgekommen, wenngleich sie vielfach
empfohlen und benützt werden. Aber auch Xeissek ist für Anwendung schwächerer
Aetzmittel, bezw. Lösungen eingetreten. Mir schien die (bei der Urethritis des Mannes
häufig verwendete) Lösung 1 : 3000 bessere und länger dauernde Erfolge zu geben.
Die Patientin lässt man behufs Wegspülung des Secrets vorher uriniren.
Die Lösung kann man hierauf entweder mit BEAUN'scher Spritze oder mit
PLATFAiß'schen gerauhten Aluminium-Sonden, oder mit Holzstäbcheu, die mit Watte
umwickelt sind, einbringen. Solche Aetzungen, die fast schmerzlos sind, werden alle
drei Tage vorgenommen, bis die objectiven Symptome geschwunden sind und sich
mikroskopisch keine Gonococcen mehr nachweisen lassen. Man muss aber stets
auf Rückfälle gefasst sein und die Patientin nach einiger Zeit wieder controlii-en.
— Bei manchen Frauen bewirkt jede intraurethrale Behandlung vorübergehendes
Schwächegefühl, Unbehagen, ja sogar Verkleinerung des Pulses, Blasswerden des
Gesichtes u. s. w. ; ernstere Symptome habe ich nicht gesehen.
Von anderen wird das Einlegen von Jodoform-Stäbchen mit Cacaobutter, aus
Neisser's Klinik (Jadassohn) 1—5% Ichthyol-Lösung empfohlen (Ammon. sulfo-ichthyol.
l-Q— 50, Aq. dest. 90'0, Glycerin lO'O) ; man kann in diese Lösung auch Gaze-Streifen ein-
tauchen und sie für eine Stunde lang in die Urethra einlegen. — Asch verwendet AI umnol;
er lässt durch die Patientin selbst oder deren Angehörige täglich 6 — 8mal Einspritzungen
einer 1 — 27o Alumnol-Lösung machen; die dazu benützte Spiitze „fasst 5 — 10 ccin Flüssig-
keit, die in 2 — 3 Portionen versvendet wird, und sie hat einen stumpfen, bezw. olivenförmigen
Ansatz mit weiter Oeffnung, der fest in die Harnröhrenmündung aufgesetzt werden muss."
II. Vulvitis gonorrhoica Erwachsener ; spitze Condylome.
Die gonorrhoische Vulvitis Erwachsener ist anscheinend meist nur eine secun-
däre Erkrankung bei Infection der Xachbar-Organe (Urethra, Cervix u. s. w.). Die
Frage, ob Haut und Bindegewebe der Vulva gonorrhoisch erkranken können, wird
verschieden beantwortet. Manche Autoren nehmen an, dass die Vulva nicht durch
die Gonococcen selbst, sondern durch das Secret entzündlich erkrankt, welches von
höheren Partien kommend über sie wegfliesst. Ebenso sollen spitze Condylome
durch „chemisch reizende" Secrete, ja sogar ohne das Vorhandensein von Gonorrhoe
entstehen können, so z. B. bei uichtgouorrhoischen Schwangeren. Andere Autoren
weisen aber darauf hin, dass nicht nur — was ziemlich allgemein angenommen wird —
die Baetholix' sehen Drüsen, sondern auch die Vulva ebenso wie die Scheide
gonorrhoisch erkranken können und dass spitze Condylome ein specifisches Product
der Gonorrhoe sind. Hildebeandt hielt schon vor Entdeckung der Gonococcen daran
fest, dass spitze Condjdome bei Schwangeren durch eine Infection entstanden sind.
Dass sie bei Gravidität rascher wachsen und im Wochenbett häufig verschwinden,
ist nach ihm kein Beweis gegen die gonorrhoische Xatur ; denn auch während der
M_enses wachsen sie rascher oder schwellen an.
GONOEEHOE DEE WEIBLICHEN GENITALIEN. 301
Zweifellos gibt es aber auch nichtgononhoischo Entzündungen der Vulva, so
bei jauchenden Vulva- oder Uterus-Carcinomen, bei Urinfisteln ; ferner in der Form von
Eczemen der Vulva u. s. w.
Bei gonorrhoischer Infection ist die Vulva gcröthet, die Küthung kann an der
Innenfläche der Oberschenkel weit herabreichen, sich auf Damm und Gesässbacken
erstrecken. Die grossen Labien sind oft geschwellt, die kleinen Labien und die
Vorhaut der Clitoris manchmal so stark ödematös, dass sie zwischen den grossen
Labien weit hervorragen. Die Haut der Vulva ist nicht selten feinkörnig, wie
chagrinirt: es handelt sich um eine Schwellung der Papillarkörper, also um die
Vorstufe der spitzen Condylome. In anderen Fällen sieht man die geschwellten
Follikel als flache Buckel sich vorwölben ; Haut und Schamhaare sind bei hohen
Graden der Erkrankung mit Eiter bedeckt, die Haut stellenweise erodirt.
Spitze Condylome können vereinzelt, zu mehreren oder so massenhaft
auftreten, dass grosse Theile der Vulva und die angrenzenden Stellen ganz mit
Paketen von Condylomen bedeckt sind. Durch den Druck der Glutäen werden sie
am Damm u. s. w. abgeplattet. Dass Condylome während der Menses, noch mehr
während der Schwangerschaft rasch grösser werden, nach der Entbindung aber sich
verkleinern, ja sogar verschwinden können, wurde schon erwähnt.
Selten geht die acute Form in die chronische Vulvitis über ; die Haut wird
blass, sondert kein eitriges Secret mehr ab, nur einzelne Follikel ragen noch etwas
über die Oberfläche empor und können vereitern. Jahrelang sind in solchen Folli-
keln gelegentlich noch Gonococcen nachweisbar. Durch die Vereiterung inflcirter
Follikel können kleine Geschwüre entstehen. Die chronische Form kann durch
den bestehenden Juckreiz zur Verwechslung mit Pruritus vulvae Anlass geben, wenn
nicht — was kaum zu bezweifeln ist — der letztere thatsächlich manchmal als
chronische gonorrhoische Vulvitis anzusehen ist ; in solchen Fällen würde sich Sängek's
Bezeichnung „Vulvitis pruriginosa" statt Pruritus vulvae besonders empfehlen.
Symptome: Unter den subjectiven Beschwerden ist das heftige Jucken und
Brennen am unangenehmsten ; es kann sich bis zum Schmerz steigern und das Gehen
fast unmöglich machen ; besonders bei Benetzung der entzündeten Flächen mit Urin
wird der brennende Schmerz überaus heftig.
Die Therapie muss sich, da die gonorrhoische Vulvitis fast stets, wenn
nicht immer, eine Secundär-Aflfection ist, vor Allem gegen die bestehende Urethritis,
Endometritis cervicis u. s. w. richten. Ausserdem ist häufige Waschung der Vulva
mit warmem Wasser, Seife und Desinficientien, besonders V2%o Sublimat, Tragen
von Vulva-Binden („Menstruations-Binden") mit salicylirter Watte, in hartnäckigen
Fällen aber locale Behandlung nöthig ; zu dieser benützt man Pinselungen mit
1 — 270 Argentum nitricum-Lösung, welcher man Waschungen und Abreibung mit
Aether behufs Entfettung vorhergehen lässt.
Spitze Condylome trägt man am besten operativ ab. Natürlich desinficirt man
die Vulva vorher, fasst die grösseren Condylome einzeln mit der Pincette und
schneidet sie mit der Scheere weg ; die kleinsten Wärzchen braucht man nicht zu
excidiren. Die geringe Blutung stillt man durch Aufdrücken von steriler Watte
oder Gaze oder durch Bestreichen der Wundfläche mit Lapis-Stift. Grössere Pakete
von Condylomen trägt man sammt der Hautbasis mit dem Messer schrittweise von
unten nach oben ab ; spritzende Gefässe unterbindet man und schliesst die Wunde
mit Seidenknopfnaht. Auf diese Weise können geradezu plastische Operationen an
der Vulva nöthig werden.
Nur für messerscheue Frauen und bei geringer Entwicklung der Condylome
mag das Bestreuen derselben mit Pulvis Sabinae angewendet werden. Es ist keine
Frage, dass bei Behandlung der primären Urethral-, Cervix- u. s. w. Gonorrhoe und
peinlicher Reinhaltung der Vulva auch unter dieser Behandlung, allerdings erst nach
längerer Zeit, Condylome zum Verschwinden gebracht werden können. Das spricht
zweifellos auch dafür, dass gonorrhoische Infection der Vulva ein secundärer Process
ist. Wegen der Infections-Gefahr müssen ausgedehnte Condjiome auch während der
302 GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
Scliwangerscliaft abgetragen, kleinere mit Desinficientien behandelt werden, wenngleich
sie nach der Geburt spontan kleiner werden, ja sogar verschwinden können.
III. Bartholinitis gonorrhoica.
j)ie gonorrhoische Bartholinitis *) gehört allerdings zum Gesammtbilde der gonor-
rhoischen Vulvitis; ätiologisch ist sie davon nicht zu trennen. Klinisch nimmt sie aber
in mancher Hinsicht eine besondere Stellung ein: sie ist manchmal das wichtigste,
wenn nicht einzig in die Erscheinung tretende Symptom der gonorrhoischen Vulvitis;
sie verlangt oft eine Behandlung für sich, wenn andere Symptome fehlen, und sie
kann für die jahrelange Verschleppung und für die Uebertragung der Gonorrhoe
von besonderer Bedeutung sein; in dieser Hinsicht ist ihre Beachtung besonders auch
für den Polizeiarzt wichtig.
Man muss eine acute und eine chronische Form unterscheiden; beide gehen
in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von gonorrhoischer Infection aus, wenn es
auch nichtgonorrhoische Bartholinitis geben kann. Man hat bei der acuten, absce-
direnden Form sowohl Gonococcen allein als Gonococcen mit anderen Eiter-Erregern
gefunden; die chronische Form hält Sänger ausnahmslos für gonorrhoisch.
a) Acute Bartholinitis. Sie kann entweder bei bestehender acuter gonor-
rhoischer Infection oder erst später, nach Ablauf aller übrigen acuten Symptome auf-
treten und dann den einzigen Hinweis auf eine früher erfolgte gonorrhoische In-
fection bilden; die acute und noch mehr die chronische Bartholinitis muss deshalb
stets den Verdacht auf eine früher erfolgte gonorrhoische Infection hervorrufen und
zu einer genauen Untersuchung des Genital-Apparates veranlassen.
Die inficirte Drüse fühlt man im unteren Theile der grossen Labien als pralle,
meist scharf begrenzte Anschwellung; Noeggerath macht auf deren Kometen-
schweifform aufmerksam; Sänger bezeichnet die um den Ausführungsgang herum
(besonders auch bei chronischer Bartholinitis) meist bestehende Eöthung als Macula
gonorrhoica.
Fast stets kommt es zur Vereiterung der Drüse. Die Schmerzen nehmen dann
zu, Fieber tritt meist, Frost manchmal auf und der weitere Verlauf ist der jeder
anderen Abscedirung: Verdünnung der Haut, Durchbruch. Der letztere erfolgt meist
an der Innenseite der Labien, selten durch Senkung nach unten am Damm oder ins
Eectum. Sowohl vor als nach dem Durchbruch kann es zur Bildung recht bedeu-
tender Abscess-Höhlen kommen, die sich besonders nach oben oft bis in die Gegend
des Mons Veneris erstrecken können.
Therapie: Glaubt man, die Eiterung hintanhalten zu können, so wird man
Umschläge mit Watte machen lassen, die mit antiseptischen Lösungen getränkt ist;
Bettruhe ist nöthig.
Meist tritt aber Vereiterung ein. Da die Drüse ziemlich tief sitzt, fühlt man
Anfangs nicht gleich Fluctuation, sondern kann nur aus den grossen Schmerzen, be-
sonders bei Druck, aus der Röthung der Haut und dem Fieber auf Eiterung schliessen.
Differentiell-diagnostisch sind diese Symptome wichtig; bei Hämatomen fehlt
Röthung und Fieber; vereitern Hämatome, so müssen sie ebenso gut wie abscedirende
Bartholin' sehe Drüsen incidirt werden; Cysten, Hernien etc. der Labien lassen eben-
falls Röthung und Fieber vermissen.
Ist Eiterung festgestellt (in schwierigen Fällen und beim Ausschluss von Hernien
durch Probe-Punction mit Pravaz'scher Spritze), so muss man thunlichst bald inci-
diren; man spaltet die Abscess-Höhle der Länge nach ausgiebig nach unten und
oben; nach Ausspülung der Höhle wird diese mit Jodoform- oder Dermatol-Gaze
ausgestopft und Watte darübergelegt; Bettruhe ist nöthig, bis die Wundhöhle ver-
kleinert und mit Granulationen bedeckt ist. Verbände sind schwer anzubringen, da
die Urin-Entleerung ein häufiges Abnehmen erfordern würde. Man muss darauf
* Vergl. auch Artikel „Bartholinitis", pag. 61.
GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 303
achten, dass sich die Wunde niclit unter Fistclhiklung sclilicsst; deslialb ist Anfangs
ausgedehnte Spaltung und dann ein Ausstopfen der Abscess-Hohle mit Gaze nöthig;
man wiederholt das letztere alle 1 — 2 Tage.
b) Chronische Bartholinitis. Kommt es nicht zur Eiterung, so kann
die gonorrhoische Infection der Drüse und ihres Ausführungsganges clironisch werden.
Der gewundene und ziemlich lange Ausführungsgang kann durch Secret-Stauung kleine
Cysten bilden, die sich ebenso wie die inficirte Drüse als derbe Knötchen fühlen
lassen. Ist der Ausführungsgang nicht ganz verschlossen, so entleert sich bei Druck
eitriges, milchig-schleimiges oder auch rein glasiges Secret, in welchem Gonococcen
nachweisbar sind. Die Köthung der Stelle, an welcher der Ausführungsgang mündet
(Macula gonorrhoica) wurde schon erwähnt.
Finger u. A. weisen mit Recht auf die Bedeutung der chronischen Bartho-
linitis hin. In ihr ist ein schwer zugänglicher Schlupfwinkel der gonorrhoischen
Infection gegeben; ist die Drüse und ihr Ausführungsgang zufällig (so durch Coha-
bitation, äussere Waschungen etc.) oder absichtlich entleert worden (was von Pro-
stituirten vor der polizeiärztlichen Untersuchung aus naheliegenden Gründen geschieht),
so kann es schwer sein, die thatsächlich bestehende gonorrhoische Infection nach-
zuweisen. FiNGEE erklärt dadurch auch die Thatsache, dass von einem und dem-
selben Weibe ein Mann inficirt werden, ein unmittelbar darauf folgender aber gesund
bleiben kann — das Secret hatte sich eben während der ersten Cohabitation ent-
leert. Auf dieselbe Weise erklärt es sich, dass ein Mann durch das an chronischer
Bartholinitis leidende Weib inficirt werden kann, während man bei nachfolgender
Untersuchung des Weibes kein sicheres Zeichen von Gonorrhoe findet.
Die Behandlung muss energisch sein, wenn sie Erfolg haben soll. Am sichersten
ist es, die derbe Drüse auszuschälen oder sie und den Ausführungsgang zu spalten
und mit energischen Aetzmitteln (Lapis-Stift) zu verschorfen.
IV. Vulvovaginitis bei Kindern.
Gonorrhoische Infection kommt bei neugeborenen Mädchen und bei Mädchen vor
der Pubertät leider nicht allzu selten vor und sie ist schon wiederholt in der Form
ausgedehnter Endemien beobachtet worden. Die Uebertragung kann von der INIutter
auf das Kind intra partum erfolgen, aber auch im Wochenbett durch unreinliche
Mütter, welche ihre Kinder selbst pflegen, sie mit sich ins Bett nehmen u. s. w.:
in Anstalten sind Endemien von mehreren hundert Fällen durch Benützung inficirter
Schwämme, Wäsche und Badewannen vorgekommen; Sänger gebraucht den Yergleich,
in solchen Badewannen seien die Kinder inficirt worden, wie die Fischmilch den Laich
befruchtet. Eine Uebertragung ist ferner möglich und anscheinend nicht allzu selten
durch das Zusammenschlafen erwachsener gonorrhoischer Weiber mit kleinen Mädchen;
seltener wird die Infection durch Nothzucht und Unzucht vermittelt.
Die Haut der Scheide und Vulva scheint bei Kindern (s. auch ^Kolpitis gonor-
rhoica^') dem Eindringen der Gonococcen weniger Widerstand zu leisten als bei
Erwachsenen. Offenbar besteht eine verschiedene Widerstandskraft des Epithels je
nach seiner Weichheit, Auflockerung und dem Alter der Individuen. Daraus erklärt
es sich, dass bei Kindern die Gonorrhoe anscheinend primär an Vulva und Vagina
vorkommt. Immerhin bedarf auch hier noch vieles der Aufklärung. Vielleicht
spielt hier auch der von Döberlein nachgewiesene geringere Säui'egehalt der kind-
lichen Scheide (bedingt durch das Fehlen der säurebildenden Scheidenbacillen) eine
Eolle ; die Gonococcen können sich beim Fehlen des Säuregehaltes leichter ansiedeln.
Umgekehrt können nach Döedrlein die in der Scheide Erwachsener vorhan-
denen Gonococcen das Secret so verändern, dass sich auch andere pathogene Mi-
kroben dann leichter ansiedeln.
Die beklagenswerthe Thatsache, dass diese tückische Krankheit ihre Opfer
schon im frühesten Alter befallen kann, wird noch ernster durch den Umstand, dass
die Infection offenbar Jahre hindurch latent bestehen, ja vielleicht den Grund späterer
304 GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
Leiden der Erwachseuen bilden kann. Bei Kindern und Jungfrauen ist schon gonor-
rhoisclie Salpingitis, Pyosalpinx und Peritonitis beobachtet worden.
In manchen Fcällen scheint die Krankheit spontan zu heilen, in anderen trotzt
sie selbst einer laugdauernden und sorgfältigen Behandlung ; diese wird besonders
durch den Hymen erschwert.
Die Symptome sind die einer heftigen, eitrigen Entzündung ; dazu kann sich
starkes Oedem gesellen. Die Vulva findet man stark geröthet, geschwellt, mit Eiter
beschmiert, der auch- aus der Scheide hervorquillt.
Die Behandlung besteht im acuten Stadium in Reinigung und Reinhaltung der
Vulva und Scheide durch Waschen und vorsichtiges Ausspülen mit schwachen Des-
infections-Lösungen (Kai. hypermang. 1 : 200), fleissiges Baden der Kinder (die
Badewanne muss peinlich reingehalten und darf trotzdem von anderen Kindern nicht
benützt werden) und Vorlegen von Watte vor die Vulva. Ganz besonders zu beachten
ist die Uebertragungsfähigkeit der Inf«ction auf die Augen.
Sind die ersten stürmischen Symptome vorüber, so beginnt man mit localer
Behandlung : man spült die Scheide unter Erhaltung des Hymen mit Kai. hypermang.-
Lösung (1 : 200) oder schwacher Sublimat-Lösung täglich 1 — 2mal aus und legt
alle 2 — 3 Tage ein Jodoform-Stäbchen ein ; zu versuchen sind auch Auswischungen
der Scheide mit 0'5 — 1% Argentum nitricum oder mit 0'5% Sublimatlösung.
Die Behandlung erfordert ausserordentliche Geduld ; sie führt oft erst nach
Monaten zum Ziel und auch dann vielleicht nur zum Authören der von aussen sicht-
baren Symptome. Wie lange sich die Infection an den inneren Genitalien erhalten
und wie oft sie höher fortkriechen kann, darüber fehlen zunächst noch sichere Be-
obachtungen. Stets aber ist die Infection als eine sehr ernste Sache zu betrachten.
V. Kolpitis (Vaginitis, Elytritis) gonorrhoica, i)
Die Ansichten über die gonorrhoische Scheiden-Entzündung haben in kurzer
Zeit eine starke Wandlung durchgemacht : Vor weniger als zwei Jahrzehnten hielt
man noch die Kolpitis für die häufigste Form der gonorrhoischen Infection des
Weibes und die Urethritis für selten ; Bumbi stellte die umgekehrte Ansicht auf ;
er gab an, es gebe eine gonorrhoische Kolpitis überhaupt nicht, dagegen localisire
sich die Gonorrhoe vor Allem in der Urethra. Heute steht man auf einem ver-
mittelnden Standpunkte, dessen wichtigste Stützen wir Weetheim verdanken : die
Urethritis ist die häufigste Form der Gonorrhoe des Weibes, aber es gibt auch —
wenngleich seltener — eine gonorrhoische Kolpitis.
Das Vorkommen der letzteren ist nach Schwarz, Sänger u. A. wohl nicht
mehr zu bezweifeln. Während man früher annahm, die bei Cervix-Gonorrhoe auf-
tretende Kolpitis sei nur eine Wirkung des chemischen Reizes, welchen das Secret
ausübe, fand Schwarz Gonococcen im Pflaster-Epithel der Scheide selbst ; er reinigte
vorher die Scheide energisch von Schleim und Mikroben und schabte dann mit der
Curette Epithel ab ; im Scheiden-Schleim selbst sind die Gonococcen ja schwer oder
oft gar nicht im Gewirr der übrigen Bacterien nachzuweisen. Aus klinischen Gründen
sprachen andere Untersucher gewisse Formen der Kolpitis und auch die granuläre
Kolpitis als meistens gonorrhoisch an. Genaue mikroskopische und culturelle Unter-
suchungen sind noch unbedingt erforderlich.
Der heutige Standpunkt lässt sich etwa so darstellen : Es gibt bei Kindern
in Folge der Zartheit des Scheiden-Epithels eine primäre gonorrhoische Kolpitis ;
bei Erwachsenen kommt sie primär nur dann vor, wenn das Epithel wenig wider-
standsfähig ist, also „bei Greisinnen, Schwangeren, bei zartgebauten Frauen, nament-
lich Blondinen, kurz bei Dünne, Feinheit, bei Maceration und Desquamation des
Epithels" (Sänger). Ferner kommt gonorrhoische Kolpitis bei Erwachsenen auch
secundär vor, u. zw. hauptsächlich in Folge bestehender gonorrhoischer Endometritis
(des Cervix und Corpus) ; besteht die letztere, so wird trotzdem die Scheide nicht
^) Ueber die Bezeichnung vgl. später unter Artikel „Kolpitis'^.
GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 305
stets (nach Luczny bei 40-4''/o der gonorrhoischen Frauen) und manchmal erst spät
inficirt; mit dem Aufhören oder Nachlassen der gonorrhoischen Endometritis kann
die Scheiden-Gonorrhoe spontan heilen. Ob eine Entzündung der Scheide durch den
chemischen Reiz des Cervix-Secretes zu Stande kommt, ist fraglich. Es erscheint
aber schwer, anzunehmen, dass jene starken, mit Eiterung, hochgradiger Papillen-
schwellung u. s. w. einhergehenden Entzündungen nur durch einen chemischen Reiz
bewirkt sein sollen. Da nach Wertheim sowohl mehrschichtiges Epithel, als Rinde-
gewebe und sogar Musculatur gonorrhoisch inficirt werden können, ist die Erklärung
doch viel einfacher, es handle sich um eine wirkliche gonorrhoische Kolpitis.
Allerdings ist die Scheide offenbar dank ihrer histologischen Beschaffenheit
(sie ist eine Uebergangshaut, keine Schleimhaut) widerstandsfähiger gegen Gonorrhoe
und wird mit ihr leichter fertig, als Schleimhäute.
Pathologische Anatomie: Die gonorrhoische Kolpitis äussert sich durch eine
oft recht starke Schwellung der Scheide; unter Abstossung der oberflächlichen Epithel-
Lagen kommt es zur Bildung schmutziggelben bis grünlichgelben, rahmigen Eiters;
in Folge der Wirkung anderer Bacterien kann er mit Gasblasen durchsetzt sein.
Die Scheide fühlt sich heisser an als gewöhnlich, theils durch wirkliche Temperatur-
Steigerung, theils durch erhöhten Blutgehalt. Ziemlich häufig schwellen die Einde-
gewebs-Papillen der Scheide und Portio an, ihr Epithel wird an der obersten Stelle
theilweise oder ganz abgestossen, und sie ragen dann als scharlachrothe, leicht blu-
tende, hirsekorn- bis apfelkerngrosse Körnchen über die Oberfläche empor: Kol-
pitis granulosa oder papillaris. Beim Touchiren fühlt sich die Scheide da-
durch wie chagrinirt an. Die Körnchen sitzen meist im oberen Theile, seltener in
der ganzen Ausdehnung der Scheide und auf der Portio. Durch den starken Aus-
fluss entstehen (theils in Folge der Maceration und Desquamation des Epithels, theils
als wirkliche gonorrhoische Infection) Eczeme und Intertrigo der Vulva. Keinem
Zweifel kann es unterliegen, dass ein Theil des in der Scheide enthaltenen Secrets
vom Cervix stammt ; aber ebenso sicher hat auch die Scheide einen erheblichen
Antheil daran. Für das Bestehen einer primären gonorrhoischen Kolpitis (deren
Vorkommen mehrere Autoren berichten) wäre es beweisend, wenn man bei Frauen
nach Total-Exstirpation des Uterus gonorrhoische Kolpitis fände.
Verlauf: Das acute Stadium dauert 1 — 2 Wochen und geht selbst bei fehlen-
der Behandlung meist in ein subacutes Stadium über, dem spontane Heilung folgen
kann. Recidive sind selten, kommen aber vor. Es scheint auch eine chronische
Kolpitis auf gonorrhoischer Basis zu bestehen; sie bedarf aber noch des bacterio-
logischen Nachweises. Die Scheidenhaut ist dabei verdickt, derb, stellenweise fleckig
geröthet oder erodirt. Die Erkrankung soll in die alsXerosis vaginae bezeich-
nete Form übergehen können, welche sich durch eine Umwandlung der Scheide in
ein derbes, mit harten Falten ausgestattetes, wenig nachgiebiges Rohr auszeichnet;
sie kommt besonders bei Puellen vor.
Die Symptomf der acuten Kolpitis sind Ziehen und Brennen in der Scheide,
weisser, gelblicher bis gelblichgrüner Ausfluss; nicht stets sind erhebliche Schmerzen
vorhanden, sie können aber auch hochgradig werden, bei der Defäcation zunehmen:
Fieber und Frost können sich dazu gesellen. Die Frauen fürchten sich vor der
Cohabitation, auf welche der ungebildete und rohe Gatte nicht stets verzichten will.
Die gleichzeitige Vulvitis kann das Bild des Vaginismus vortäuschen.
Diagnose. Gesichert wird die Diagnose auf gonorrhoische Kolpitis dui'ch den
Nachweis von Gonococcen im Scheidengewebe, also nicht im Schleim allein. Dieser
Nachweis wird durch das erwähnte Verfahren von Schwajrz erleichtert. In der
Praxis ist die Diagnose mit grosser Wahrscheinlichkeit, aber auf andere Weise
möglich: einerseits ist eine acute, eitrige Kolpitis ohne Zusammenhang mit Geburt,
Wochenbett, Trauma, seniler Atrophie und allgemeinen Infections-Kranlvheiten stets
auf Gonorrhoe verdächtig; der Verdacht wird andererseits fast zui- Gewissheit, wenn
gleichzeitig gonorrhoische Urethritis oder Endometritis besteht. Auch hier wird man
sich Sänger anschliessen können, w^enn er die Gonorrhoe für eine klinisch wohl
■ßibl. med. "Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gjnaekolosie. 20
306 GONORRHOE DER ^YEIBLICHEN GENITALIEN.
charakterisirte Krankheit hält, welche nicht stets des bacteriologischen Nachweises
bedarf.
TJierapie. Aus dem Gesagten ergeben sich von selbst einige Anhaltspunkte
für die Behandluno-. Die Kolpitis erfordert in jedem Stadium zunächst nur eine
allgemeine und symptomatische Behandlung, aber man muss die gleichzeitig bestehende
Gonorrhoe der Nachbar-Organe im subacuten und chronischen Stadium local behandeln.
Erst wenn auch dann die Kolpitis nicht schwindet, wird sie selbst local in Angrifi
genommen.
Die AUgemein-Behandlung besteht wie bei jeder gonorrhoischen Genital-Er-
krankung in Ruhe, nöthigenfalls Bettruhe, Diät, Sorge für Stuhlgang, Scheiden-
spülungen (Kalium hypermang. 1 : 500, 3*^/0 Carbol-, VaVoo Sublimat-Lösung) Eis-
blase, Narcoticis; von letzteren sind Opium-Suppositorien wirksam, ohne allzu un-
günstige Neben- Wirkungen (Op. pur. Oa, Butyr. Cac. 1-5, M. f. suppos.); von Extr.
Hyoscyami und Extr. Belladonnae habe ich wenig oder keine Wirkung gesehen.
Ist im chronischeu Stadium der Kolpitis eine locale Behandlung nöthig, so
muss sie nach meiner Ansicht vom Arzte selbst vorgenommen werden; ich möchte
mich (im Gegensatz zu anderen) dagegen aussprechen, diese Behandlung der Patientin
selbst oder einer Hebamme anzuvertrauen. Abgesehen von der Gefahr einer Ueber-
tragung auf die Augen der Patientin oder Hebamme und auf Augen und Genitalien
anderer Pfleglinge der Hebamme, bedarf die Behandlung der vollen Sorgfalt und
Sachkenntnis eines Arztes, wenn sie Erfolg haben soll. Und selbst dem geübtesten
und erfahrensten Facharzte wird das Wort Noeggerath's von der Unheilbarkeit der
Gonorrhoe oft genug in den Sinn kommen, wenn er sich Monate und — vielleicht
mit längeren Pausen — Jahrelang vergeblich bemüht hat, den unheilvollen Ein-
dringling zu bannen.
In der localen Behandlung haben sich Argentum nitricum und Sublimat am
meisten Anhänger erworben. Die Scheide wird gründlich ausgespült, ein Röhren-
speculum (nicht aus Metall!) eingeführt und nach Auswischung der Scheide mit Watte
werden die entzündeten Stellen unter allmäligem Zurückziehen des Speculum, so
dass nach und nach die ganze Wand der Scheide sichtbar wird, mit 1 — 20/0 Argentum
nitricum-Lösung energisch ausgewischt; schliesslich wird zum Schutze der Wäsche ein
Tampon eingelegt, den man gleichzeitig zu therapeutischen Zwecken mit 3"/o Carbol,
1/2 "/o Sublimat 0. Ae. tränken kann, statt dessen Andere auch Jodoform-Gaze benützen;
letztere wird den Frauen wegen des Geruchs oft recht lästig. So verfährt man alle
3 — 4 Tage bis zum Aufhören der Symptome. Ausspülungen mit Kalium hyper-
manganicum und anderen Desinficientien (wohl alle sind dazu schon verwendet worden)
macht die Patientin täglich 2 — 3mal während und selbst Wochenlang nach der
Behandlung.
ScHWAEz reinigt Yulva und Vagina zuerst mit l°/oo Sublimat, reibt dann die
Scheide im Speculum mittelst Wattebauschen mit 1% Sublimat-Lösung aus und legt
dann Jodoform-Gaze ein. Dieses Verfahren w^endet er zweimal innerhalb 3 Tagen
an; die Gaze bleibt jedesmal 3 Tage lang; darnach lässt er die Patientin selbst
2 Wochen lang täglich 2 Scheidenspülungen mit Vg^oo Sublimat-Lösung machen.
Sänger legt zuerst Tannin-Glycerin-Tampons ein, reinigt am nächsten Tage
die Scheide durch Ausseifen und ätzt sie dann im Speculum mit 1 — 2^00 Sublimat-
Lösung; dann Tampons, die mit Jodoform-Glycerin getränkt sind.
Es ist nöthig, ein paar Worte über die Art und Weise zu sagen, wie die Gonorrhoe
des Weibes in der Praxis leider &o oft behandelt wird. Kommt eine Frau in die Sprechstunde
und erfährt der Arzt von „weissem Fluss", so lautet in der Mehrzahl der Fälle — ja nicht
allzu selten ohne weiteres Untersuchen — die Verordnung: Scheidenspülungen mit Alaun-
Lösung. — E. FRÄNKEL-Breslau spricht mit berechtigter Ironie davon, dass man „früher
bei Klagen der Kranken über Ausfluss den Arzt mit der Sicherheit einer Reflex-Wirkung
adstringirende Vaginal-Injectionen verordnen sah." Es ist besser, offen zu bekennen, dass
diese „Reflex-Wirkung" auch heute noch viel zu häufig eintritt.
Die althero-ebrachten Alaun-Lösungen haben zweifellos eine adstringirende Wirkung.
Aber man überlege doch: Rührt der Fluor von Endometritis her, so ist es mit Adstringentien
in der Scheide ja doch nicht gethan; Alaun macht vielmehr die in der Scheide vorhandene
GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 307
Säure unwirksam; sie fehlt dann im Kampfe gegen die Bactcrien. Und ist die Scheide
selbst inficirt, so wende man lieber Desinlicientien als Adstringcntien an. Nicht einer
Vielthuerei, nicht einer allzu frühen und allzu energischen Beliandlung des acuten Stadiums
soll also das Wort geredet werden, sondern einem Aufgeben der Alaun-Spülungen und einem
Austausch derselben gegen antibacterielle Mittel.
VI. Cervix-Gonorrhoe.
Die Cervix-Schleimhaut wird nach der Urethra am häufigsten von Gonococcen
befallen; die neueren Untersucher stimmen darin überein, dass ?j1 — 47''/o aller
gonorrhoischen Frauen an Cervix-Gonorrhoe leiden. Bei Anwendung noch empfind-
licherer Untersuchungs-Methoden (Züchtung) wird diese Zahl eher noch grösser werden.
Aber noch aus einem anderen Grunde ist die Cervix-Gonorrhoe von so verhängnis-
voller Bedeutung: sie vermittelt das Uebergreifen auf benachbarte Organe, welche
sowohl durch ihre Function als für das Leben des Weibes von einschneidender
Wichtigkeit sind. Nicht die Cervix-Gonorrhoe an sich bedingt Sterilität und bedroht
das Leben, sondern die Krankheiten, welche sich aus ihr entwickeln können, die In-
fection des Uterus-Körpers, der Tuben und Eierstöcke, des Beckenbindegewebes und
Becken-Peritoneum.
Es ist nöthig, die Cervix-Gonorrhoe*) von der gonorrhoischen Endometritis zu
trennen: diese Trennung findet zum Glück auch in der Natur häufig statt, und wir
selbst müssen sie bei der Behandlung einhalten; der innere Muttermund ist oft die
Grenze der Infection, die auch wir dann in der Therapie nicht überschreiten dürfen.
Für gewöhnlich bildet das Orificium internum die Grenze der Flora des Genital-
schlauchs; das Cavum uteri ist normaler Weise frei von Bacterien. Es bedarf
besonderer Umstände, damit die Bacterien den inneren Muttermund überschreiten.
In den Cervix können die Gonococcen bei der Cohabitation unmittelbar ein-
gebracht werden; sie können ferner durch die Eigenbewegung des Sperma, durch
Saugwirkung des Uterus, durch rückfliessende Secrete oder Blut dorthin gelangen.
Der nach aussen gerichtete Flimmerstrom vermag ihrem Eindringen leider keinen
Einhalt zu thun. Einmal in den Cervix gelangt, sind die Gonococcen in den tiefen
Faltenbuchten und Drüsen der Behandlung überaus schwer zugänglich. Und selbst
wenn die ersten stürmischen Erscheinungen der Infection vorüber sind, können sich
Gonococcen in den Drüsen Jahrelang erhalten (latente Gonorrhoe), um beiden
verschiedensten Anlässen die Infection neu aufflackern zu lassen.
Pathologische Anatomie, Symptome und Verlauf: Auch die Cervix-Gonorrhoe
lässt ein acutes, subacutes und chronisches Stadium unterscheiden. Im acuten Sta-
dium ist die Schleimhaut geschwellt, scharlachroth, sie faltet sich und drängt sich
in Wülsten aus dem äusseren Muttermunde heraus ; das angrenzende Portio-Epithel
wird theilweise abgestosseu und nur seine tiefsten cylindrischen Schichten bleiben
zurück, es bilden sich die sogenannten „Erosionen" der Portio. Die entzündete
Schleimhaut sondert in den ersten Tagen blutigen Schleim, bald aber reinen oder
glasig gestreiften Eiter ab. Ausserdem treten oft Leibschmerzen, Ziehen im Kreuz,
Fieber, das sich bis zu Frost steigern kann. Abgeschlagenheit, Kopfweh auf. Ge-
wöhnlich sind diese Symptome aber nicht so heftig, wie bei der Infection des Uterus-
körpers. Die Entzündung kann von der Schleimhaut aus sich auch dem Binde-
und Muskelgewebe des Cervix selbst mittheilen, es kommt zur Cervicitis, die
sich durch Schwellung, Verdickung und Empfindlichkeit des Cervix kennzeichnet.
Von hier aus ist dann eine Infection des Parametrium u. s. w. möglich.
Nach 8—10 Tagen werden die Symptome geringer, Fieber und Schmerzen
lassen nach und hören allmälig auf, nur die starke Secretion des Cervix und die
Veränderungen seiner Schleimhaut dauern an. Das Secret wird mehr glasig oder
glasig mit eitrigen Streifen. Ohne bestimmte Grenze geht die Entzündung in die
chronische Form über, in welcher das Secret sogar rein glasig sein, aber doch
*) Yergl. auch Artikel „Cervixcatarrh^'- pag. 159.
20*
308 GONOERHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
noch Gonococcen eiitlialteu kann ; allerdings wechselt der Gehalt an den letzteren
sehr, sie können zeitweilig auch ganz fehlen.
Eine eigenthümliche Thatsache ist das Entstehen chronischer Gonorrhoe ohne
ein sicher festzustellendes acutes Infectious-Stadium. Wenn die Frauen durch einen
Mann angesteckt werden, welcher an chronischer, unter geringen Symptomen bestehen-
der Gonorrhoe leidet, so kann sich auch bei ihnen eine von Beginn an schleichend
verlaufende Gonorrhoe entwickeln, ohne dass Patientin oder Arzt ein acutes, stür-
misches Stadium beobachten. Dies scheint für eine geringere Virulenz der Mikroben
zu sprechen, oder für eine geringere Empfänglichkeit des Gewebes ; der letzteren
widerspricht allerdings der Umstand, dass aus solchen schleichenden Gonorrhoen
später recht ernste und stürmische Erkrankungen werden können.
Die Behandlung der Cervix-Gonorrhoe muss sich vor einem zu frühen und zu
energischen Eingreifen hüten. Mit Anderen halte ich es für bedenklich, im acuten
Stadium Uterus- Ausspülungen, Cervix-Dilatationen u. s. w. zu machen ; statt zu nützen,
kann man die Infection damit nur auf andere Gebiete übertragen.
Die acute Cervix-Gonorrhoe behandelt man deshalb wie die acute
Urethritis, Kolpitis etc. nur symptomatisch und mit Scheidenspülungen (s. Therapie
der „Kolpitis gonorrhoica").
Im subacuten oder chronischen Stadium, also beim Aufhören von Fieber,
Schmerzen und Empfindlichkeit des Uterus und seiner Anhänge darf erst die locale
Behandlung einsetzen ; sie muss es, wenn noch irgend erhebliche Symptome, also vor
allem übermässige Schwellung und Secretion der Schleimhaut bestehen. Winter geht
wohl zu weit mit der Annahme, die Gonorrhoe könne bereits nach acht Tagen auf-
hören, ohne wiederzukehren ; jedenfalls ist eine so rasche Spontan-Heilung äusserst
selten.
Ganz besonders hüte man sich vor jedem Eingriff und die Patientin vor jeder
neuen Schädigung während der Menses und beginne mit der localen Behandlung
auch erst wieder 3 — 4 Tage nach denselben. Die auf den Cervix zu beschränken-
den Eingriffe sind schonend und vorsichtig auszuführen ; intrauterine Eingriffe sind
erst dann am Platze, wenn die Körperschleimhaut auch inficirt ist. Nach Aus-
spülung der Scheide stellt man die Portio im Röhrenspeculum ein und wischt den Cer-
vix mit Watte und Playfaie' sehen oder Silber - Stäbchen aus. Der zähe Schleim
lässt sich leichter entfernen, wenn man die Watte in Soda-Lösung eintaucht; ebenso
gelingt dies, und zwar auffallend leicht, wenn man mit BEAUN'scher Spritze eine
schwache Carbol-Lösung in den hinteren Theil des Cervicalcauals einspritzt. Nun
bringt man schwache Argeutum nitricum-Lösung (O'l : 300) oder 107o Ichthyol-
Lösung (Ammon. sulfo-ichthyol. 10"0, Aq. dest. 80"0, Glycerin 10"0) mit Braun-
scher Spritze oder mittelst Watte und Playfair in den Cervix ein. Man führt das
Instrument nur 2 — 3 cw, u. zw. so tief ein, als es leicht gelingt ; der Knickungs-
winkel am Orificium internum verhütet gewöhnlich ein tieferes Eindringen ohnedies.
Man strecke deshalb auch den Uterus lieber nicht durch Tiefziehen der Portio. Zum
Schluss kommt ein Tampon in die Scheide. So verfährt man 2 — 3mal wöchentlich
bis zu entsprechender Besserung ; von endgiltiger Heilung kann man bekanntlich
dann noch nicht sprechen; Recidive bedürfen erneuter Behandlung. Die Patientin
selbst macht täglich 1 — 2 Scheidenspülungen mit Kai. hypermang. 1 : 500, 72%
Sublimat, 2% Carbol o. Ae.).
Bei einem so hartnäckigen Leiden ist es selbstverständlich, dass eine Unzahl anderer
Mittel und Methoden empfohlen und angewendet wurden. In obigem sind nur die ange-
führt, deren Anwendung sich in weiteren Kreisen bewährt hat. Da aber auch hierbei die
Erfolge oft unbefriedigend sind, ist es nöthig, offen zu gestehen, dass die Frage von der
Behandlung der Cervix-Gonorrhoe nichts weniger als abgeschlossen ist. Von neueren Be-
handlungsarten sei deshalb die von Asch noch erwähnt. Er geht von der zweifellosen
Thatsache aus, dass es schwer und oft unmöglich ist, zu entscheiden, ob nebst der Mucosa
des Cervix nicht auch schon die des Corpus uteri ergriffen ist. In Fällen, wo diese Ent-
scheidung nicht sicher zu treffen ist, behandelt er auch sofort die Corpus-Schleimhaut mit.
Er spritzt alle 3-4 Tage 5% Alumnol-Salbe in den Uterus ein:
GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 309
Alumnol 7-5
Lanolini 100-0
Aq. dest.
Glycerin. ää 25'0
M. D. S. 57o Alumnol-Salbe.
Asch verwendet dazu eine der GuYON'schen ähnliche Spritze mit einem Ansatzrohr
aus Celluloid und seitlicher Oeffnung ; die Spritze selbst hat grosses Kaliber, so dass sie
von hinten mit Salbe gefüllt werden kann und für mehrere Einspritzungen ausreicht ; der
Kolben wird durch ein Schrauben-Gewinde vorgetrieben. Jede Patienlin hat ihr eigenes
Ansatzrohr zur Spritze.
Sind Gonococcen nicht oder nicht mehr nachzuweisen, handelt es sich um Ero-
sionen, Ovula Nabotlii etc., so behandelt man die Krankheit so, wie es unter „Endo-
metritis" angegeben wurde. Wahrscheinlich ist die Mehrzahl der chronischen Cer-
vix-Katarrhe aber gonorrhoischen Ursprungs.
Das erste, schonendere Verfahren kann bei einer Cervix-Gonorrhoe
•während der Schwangerschaft auch durchgeführt werden; stellen sich
Wehen ein, so wartet man einige Tage, um bei wiederholten Wehen damit
ganz auszusetzen. . Uebrigens habe ich dabei noch nie verfrühte Geburt eintreten
sehen. Es ist gewiss nothwendig, die Behandlung nicht Monate lang liinauszu-
schieben, da sowohl Kind als Mutter intra und post partum durch das Leiden in
grosse Gefahr kommen können.
VII. Endometritis und Metritis gonorrhoica.
Wurde aus verschiedenen Gründen die Gonorrhoe des Cervix getrennt von der
des Corpus uteri besprochen, so können hier die Endometritis und Metritis*) gemein-
same Besprechung finden. Nicht, als ob die letzteren einheitliche Processe wären ;
im Gegentheil, es handelt sich dabei um Infection verschiedener Gewebe. Aber
gonorrhoische Metritis scheint ohne vorhergehende Endometritis nicht vorzukommen
und beide compliciren sich im acuten Stadium fast stets, im chronischen sehr häufig
zu einem Bilde und bedürfen dann einheitlicher Behandlung.
Welche Umstände begünstigen nun das Uebergehen der Infection auf Uterus, Para-
metrien, Ovarien, Tuben und Peritoneum?
Winter führt folgende Momente an:
1. Menstruation; während derselben ist dieses Höherkriechen der Infection recht
häufig; Winter sah sie während derselben den ganzen Genital-Schlauch ergreifen;
2. Geb^urt und Wochenbett; vgl. „Gonorrhoe und Wochenbettfieber " ;
3. mechanische Einflüsse; also Finger und Instrumente bei zu früher localer
Behandlung; ich möchte dazu ferner ein ungeeignetes Verhalten der Kranken selbst, wie
angestrengte Arbeit (besonders an der Nähmaschine), Bergsteigen, Tanzen, die Cohabitation
u. s. w. rechnen ; dadurch wird sicher das Eindringen der Gonococcen in die Lymphbahnen
etc. begünstigt.
Es ist nicht möglich, gegenwärtig Zahlen über die Häufigkeit der gonorrhoischen
Endometritis beizubringen, ja oft sogar schwierig, das erfolgte Uebergreifen auf das
Corpus festzustellen. Zwei Umstände deuten auf dieses Ereignis : plötzliche Ver-
schlimmerung unter Vergrösserung des überaus empfindlichen und auch spontan
schmerzenden Uteruskörpers, und Aenderung im Typus der Menses, welche im acuten
Stadium meist zu spät eintreten, ja sogar aussetzen können, vor und bei Eintritt
und während ihres Bestehens aber hochgradige Schmerzen veranlassen können.
Die acute gonorrhoische Endometritis verläuft oft unter dem Bilde
einer sehr ernsten Infection : Fieber, Frost, selbst Schüttelfrost, hochgradiges Schwäche-
gefühl, Kopfweh u. s. w., bei gleichzeitigen heftigen Symptomen seitens der inneren
Genitalien; die Schmerzen steigern sich häufig krampfartig, die Contractionen des
Uterus können bei Stenose des Cervix äusserst schmerzhaft sein, da der Schleim
nicht ohne weiteres durchgepresst wird. Beim Untersuchen findet man in der Scheide
blutig-glasigen, erst später eiterigen Schleim. Der Uterus ist etwas vergrössert, meist
prall, so empfindlich, dass ein genaues Abtasten unmöglich ist ; Narkose nimmt man
*) Vergl. auch die Artikel „Endometritis"' (pag. 211) und „Metritis'^.
310 GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
nur zu Hilfe, wenn man gleichzeitig die Anhänge verdickt findet und wegen der
Schmerzhaftigkeit nicht entscheiden kann, ob es sich nur um diffuse Infiltration oder
um abgegrenzte Eiterherde in den Parametrien, im Douglas, in Tuben oder Ovarien
handelt. Die Behandlung ist im acuten Stadium rein symptomatisch: Bettruhe,
Diät, Eisblase, Sorge für Stuhlgang; Narkotica, Scheidenspülungen. Dringend ist von
jedem localen Eingriff bei acuter gonorrhoischer Endometritis abzurathen, also auch
vor dem früher von einigen Seiten empfohlenen Curettiren.
Wohl fast stets schliesst sich an die acute eine chronische Endometritis,
seltener chronische Metritis an; deren Behandlung wurde unter Endometritis
schon besprochen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch die chronische Endometritis,
bei welcher Gonococcen nicht zu finden sind, in der Mehrzahl der Fälle gonorrhoisch
ist. Ausgenommen davon sind natürlich jene Endometritiden, die sich an nichtgo-
norrhoische Wochenbetts-Infection anschliessen und jene Hyperämien der Uterus-
Schleimhaut, die bei Kreislaufstörungen, Adnex-Erkrankungen, Uterus-Tumoren,
Lage-Veränderungen etc. vorkommen. Schon Schröder hielt es für sicher, dass die
gonorrhoische Infection diese Folgen haben könne, und nach seiner Ansicht spielt
diese Schädlichkeit eine bedeutende Rolle in der Aetiologie der Endometritis.
VIII. Salpingitis gonorrhoica.")
Unter den Adnexen des Uterus erkranken am häufigsten die Tuben und jener
Theil des Bauchfells gonorrhoisch, welcher die inneren Genitalien überzieht und
ihnen benachbart ist. Zahlen für die Häufigkeit der gonorrhoischen Salpingitis bei-
zubringen, ist heute noch sehr schwer, da diese Fragen erst im Flusse sind. Immer-
hin dürften selbst die nachfolgenden Zahlen später eher eine relative Vergrösserung
erfahren, da die Zahl der tuberculösen und Streptococcen- etc. Infectionen ganz be-
deutend hinter jener der gonorrhoischen Infection zurücksteht. Winckel fand bei 138
Obductionen von v/eiblichen Individuen zwischen 20 und 30 Jahren 58mal, bei 575
Obductionen von Frauen verschiedenen Alters 182mal Affectionen der Tuben.
Saenger und Rosthorn nehmen an, dass etwa in ^/g aller Fälle die Tuben gonorr-
hoisch miterkranlit sind. Herzpeld fand unter 2224 poliklinischen Fällen von
gonorrhoischer Infection bei IB^o der Frauen die Uterus- Anhänge und das Bauch-
fell mitbetheiligt.
Ueber die Ursachen, welche ein Uebergehen der Infection vom Uterus auf
die Tuben begünstigen, weiss man wenig genaues. Aber jedesfalls ist die uterine Tu-
ben-Mündung kein keimdichter Verschluss ; die Flimmerung der Tiiben-Epithelien
gegen den Uterus hin vermag ein Vordringen der Coccen hier ebenso wenig aufzuhalten
als im Uterus selbst. Oben wurde schon erwähnt, dass die Tuben-Infection anscheinend
durch Cervix-Stenose begünstigt werden kann.
In einem Falle von gonorrhoischer Endometritis bei Cervix-Stenose traten ausser-
ordentlich schmerzhafte Wehen ein, welche den blutigglasigen Schleim stets nur nach län-
gerer Anstrengung in die Scheide beförderten ; der Endometritis schloss sich sehr bald eine
Salpingitis an, welche nach Ruptur des Eileiters zum Tode führte. Die Annahme ist nahe-
liegend, dass es zu einem mechanischen Hineinpressen des coccenhaltigen Secrets in die
Tube gekommen war, wenn auch eine solche rückläufige Bewegung im übrigen nicht statt-
zufinden scheint.
Auf dem Wege durch die Lymph-Gefässe können die Coccen ferner ohne weiteres
die Cervix- und Uterus- Wand durchsetzen und zum Peritoneum, sowie zu den anliegen-
den Tuben und Ovarien gelangen (Wertheim).
Pathologische Anatomie. Gonorrhoische Infection kann nach neuerer Auffassung
sowohl zu katarrhalischer Salpingitis mit Verlust des Flimmer-Epithels, als
zu interstitieller Salpingitis, d. h. zu (gleichzeitiger oder hauptsächlicher)
Infection der Muskelwand der Tube, und zu Pyo Salpinx führen. Vielleicht können
auch Hydro- und Haematosalpinx in manchen Fällen Reste einer gonorrhoischen
Infection darstellen. Auf Grund der neueren Arbeiten kommt man immer mehr zu
*) Vergl. auch die Artikel „Adnexentiiinor" und „Salpingitis.''''
GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 311
der Auffassung, dass katarrhalisclie, folliculäro, purulento und intcrstitiolle Salpingitis
ebenso wie Perisalpingitis nur graduelle Unterschiede der gpHorrhoischcn Infection
darstellen, natürlich mit Ausnahme jener Fälle, in welchen tuberculöse, Strepto-
coccen-Infection u. s. w. vorhanden ist.
Ueber das Verhältnis der gonorrhoischen zu anderen Infoctionen der Tuben
bedarf es noch weiterer Untersuchungen. Bumm's Anschauungen von der Misch-
Infection und von der ausschliesslichen Infection des Cylinder-Epithels durch (iono-
coccen haben eine Zeitlang durch ihre Verallgemeinerung weitere I'ortschritte in
dieser Frage erschwert. Erst Wertheim's Untersuchungen haben wieder freie Bahn
geschaffen. Er zeigte, dass die Gonococcen nicht nur in die Tuben-Schleiirdiaut,
sondern auch in deren Muskelwand eindringen, die letzteren durchsetzen und theils
so, theils durch die Abdominal-Mündung zu Ovarien und Peritoneum gelangen können.
In 116 Fällen von Pyosalpinx fand er 72mal keine Bacterien (d. h. sie waren
schon zu Grunde gegangen oder ihr Nachweis gelang mikroskopisch nicht), 32mal
Gonococcen, 6mal Streptococcen, Imal Staphylococcen, nie aber Gonococcen mit
anderen Eitererregern zusammen. Es ist interessant, dass er mit Hilfe des Platten-
verfahrens in 24 Fällen 17mal Gonococcen fand, während nach Menge's Zusammen-
stellung sich mikroskopisch nur lOmal Gonococcen nachweisen Hessen — ein Zeichen
der UnZuverlässigkeit der mikroskopischen Untersuchung allein und der Empfindlich-
keit des Culturverfahreus. Allerdings gibt es auch Misch-Infecti-onen. So fand
Witte im Tuben-Eiter einmal Gonococcen und Streptococcen zusammen, in einem
zweiten Falle Gono- und Staphylococcen, in drei Fällen Gonococcen mit anderen
Bacterien.
Ist eine Tube gonorrhoisch inficirt, so kommt es, wie beim Endometrium,
zuerst zur Schwellung und stärkeren Secretion der Schleimhaut: Salpingitis
catarrhalis. Das Cylinder-Epithel geht auf den Faltengipfeln früh verloren und
erhält sich nur in den Faltenbuchten längere Zeit; die Gefässe sind blutreich, in
die Schleimhautfalten hinein können Blutungen stattfinden. — Ist vorwiegend oder
gleichzeitig die Muskelwand verdickt, so spilcht man von Salpingitis inter-
stitialis (Maetin). Weetheim und Menge haben Gonococcen in der Tubenwaud
nachgewiesen. Bei höheren Graden der Infection wird das Secret eiterig: Salpin-
gitis purulenta. Der Eiter kann in den Uterus und, wie Wertheiji bei Gele-
genheit einer Laparotomie unmittelbar sah, durch das noch offene abdominale Tuben-
Ende in die Bauchhöhle austreten. Meist aber scheint es durch Verklebimgen der
Franseü unter sich und mit Nachbarorganen bald zu einem Verschluss der abdominalen
Mündung zu kommen, da der gonorrhoische Eiter überaus leicht Vei'klebungen peri-
tonealer Flächen etc. bewirkt. Auch die uterine Tuben-Mündung wird offenbar früh
verschlossen und der Eiter befindet sich nun in einem Sacke: Pyosalpinx. In
solchen Eitersäcken geht die normale Structur der Tuben-Schleimhaut nach und nach
verloren, die Wand zeigt innen flache Falten, das Epithel ist an den meisten Stellen
zu Grunde gegangen. — Als Salpingitis nodosa bezeichnet Schauta jene Form
des Anfangs-Stadiums, in welchem es zur Bildung abgeschlossener, knotiger Eiter-
herde kam.
Im abgeschlossenen Eiter können die Mikroben nach einiger Zeit zu Grunde
gehen, vielleicht in Folge ihrer eigenen Stoffwechselproducte. Nach neueren Unter-
suchungen scheint dies aber nicht so früh und so regelmässig zu geschehen, als es
früher auf Grund klinischer und mikroskopischer Befunde schien. Allerdings kann
alter Tuben-Eiter steril sein und dann natürlich selbst beim Platzen der Tuben
während der Salpingectomie keinen Schaden anrichten. Mikroskopisch findet man
gewöhnlich nach 9 — 12 Monaten keine Gonococcen mehr darin. Die beiden letzteren
Thatsachen sind aber keine Beweise für das Abgestorbensein der Mikroben: denn
das unverletzte Peritoneum kann eine gewisse Menge von Bacterien verdauen, und
die mikroskopische Untersuchung ist nicht so empfindlich, als die Züchtungs-Methode.
Mit dieser hat nun Weetheim thatsächlich auch aus alten Eitersäcken noch sehi-
virulente Gonococcen reingezüchtet. Streitfrage ist es noch, ob sich der Eiter klären
312 GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
und zur Bildung von Hydro Salpinx führen, oder ob sich der Sack durch Blutungen
in eine Ha emato Salpinx umwandeln kann. Manche Umstände sprechen für beide
Möglichkeiten.
Sind Eiterherde von Tuben und Ovarien zusammen verlöthet, so können sie sich
durch Ruptur der Zwischenwände zu einer Höhle vereinigen: Tubo-Ovarial-
Cysten. Interessant sind jene Fälle, in welchen die Fimbrien-Enden der Tube im
Inneren des Ovarial-Sackes sternförmig angeklebt sind (Rosthorn). Es wurde schon
mehrfach darauf hingewiesen, dass die Gonococcen und ihre Stoffwechselproducte,
"welche theils durch die noch offene Tubenmüudung, theils durch die Tuben- Wand zu
Ovarien und Peritoneum gelangen, ausgedehnte Verwachsungen herbeiführen können.
Dadurch werden die inneren Genitalien unter sich, mit der Beckenwand und mit
Darmschlingen veiiöthet, ja oft zu einem unentwirrbaren Knäuel verklebt (s. u.
^^Peritonitis gonorrh.^').
Symptome und Verlauf. In der Mehrzahl der Fälle sind beide, weniger häufig
ist nur eine Tube ergriffen. Die Kranken klagen Anfangs über Schmei-z im Becken,
der oft deutlich an der erkrankten' Seite localisirt ist. Die Infection kann unter
den stürmischen Symptomen einer Peritonitis einsetzen, so dass man Anfangs Ursache
hat, an eine universelle Peritonitis zu denken. Bald aber massigen und localisiren
sich die einzelnen Erscheinungen; die Infection kann in anderen Fällen schleichend
beginnen, um bei den verschiedensten Ursachen stärker aufzuflackern. Die Schmerzen
nehmen während der Menses, bei stärkerer Körperbewegung und mechanischen In-
sulten zu, also beim Coitus, bei Defäcation, angestrengtem Arbeiten, Treppensteigen
längerem Gehen, Heben und Tragen schwerer Gegenstände, digitaler Untersuchung
u. s. w. — Dieses Aufflackern der Symptome, besonders der Schmerzen und des
Fiebers nach Insulten, tritt vor Allem während der Menses auf. Die Schmerzen
können im Beginne der Infection und bei den wiederholten Nachschüben so stark
■werden, dass die schwer leidenden Frauen selbst um operative Hilfe bitten. Es ist
bemerkenswerth, dass die Schmerzen bei ruhiger Bettlage häufig spontan geringer
werden, ja aufhören, um bei Körperbewegung sofort wieder anzuschwellen. Bei
gonorrhoischer Pyosalpinx besteht Abends gewöhnlich kein Fieber, wenn sich die
Kranken entsprechend schonen.
Diagnose. Die Diagnose wird gestützt durch das gleichzeitige Vorhandensein
gonorrhoischer Infection des Uterus u. s. w. Aber bei der langen Dauer der Er-
krankung ist sehr oft der Gonococcen-Nachweis im Secret des Uterus nicht mehr
möglich, wenn die Tuben-Affection in unsere Behandlung kommt. Wichtig ist auch
die Feststellung einer gonorrhoischen Infection des Gatten; diese kann seit Jahren
keine Symptome mehr gemacht haben und doch die Ursache einer so schweren Er-
krankung der Frau sein. Eine genaue, aber vorsichtige bimanuelle Untersuchung der
Kranken, nöthigeufalls in Narkose, ist selbstverständlich nöthig. Meist sind die ent-
zündeten Organe so druckempfindlich, dass ohne Narkose eine genaue Feststellung
des Befundes überhaupt nicht möglich ist. Schauta weist darauf hin, dass im An-
fangs-Stadium der Salpingitis öfters abgegrenzte knollige Verdickungen bestehen
(Salpingitis nodosa). Wahrscheinlich ist dafür die normale Schlängelung der Tuben
von Bedeutung, welche nach Feeund am infantilen Eileiter die Regel bildet und
besonders scharf ausgesprochen ist. An einer ausgebildeten Pyosalpinx vor der Ope-
ration zu unterscheiden, ob es sich um Gonorrhoe oder eine andere Infection handelt,
ist durch den Thastbefund allein nicht möglich. Zweifel weist auf die diagnostische
Bedeutung des Umstandes hin, dass selbst bei Pyosalpinx, wenn sie auf gonorrhoischer
Infection beruht, Abends das Fieber zu fehlen pflegt, um sich bei Insulten einzustellen.
Bei Streptococcen-Pyosalpinx besteht regelmässiges und hohes Fieber, das Morgens
stark remittirt, bei tuberculöser Salpingitis von Zeit zu Zeit spontan und ohne be-
kannte Ursache aufflammendes Fieber. Für die gonorrhoische Natur der
Salpingitis spricht also das Fehlen von Fieber und erheblichen
Schmerzen, so lange sich die Kranke schont.
GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 313
Die Therapie unterscheidet sich im Allgemeinen nicht von joner der Salpingitis.
Nur die operative Entfernung des erkrankten Organs kann vielleicht länger hinaus-
geschoben, ja eher umgangen werden, als etwa bei Streptococcen-Infection. Die
Salpingectomie hat in letzter Zeit gute Erfolge erzielt. In Deutschland und
Oesterreich zieht die Mehrzahl der Operateure eine Entfernung der Anhänge
nach Laparotomie vor. PiSan und nach ihm Segond u. A. haben in zahlreichen
Fällen und mit Erfolg bei allseitiger Verwachsung und Bildung von Eiterherden der
inneren Genitalien die „Hysterectomia vaginalis" mit Morcellement, d. h.
Zerstückelung des Uterus, ausgeführt. Pj<:an umschneidet die Portio von der
Scheide aus und schneidet nach Abklemmen der seitlichen Blutgefässe den Uterus
der Länge nach in 2 Theile, deren jeder (wiederum an der Grenze des
Cervix zweigetheilt) mit der Scheere herausgeholt wird. Geeignet ist diese Methode
ebenso bei Erkrankungen der Tuben, als der Ovarien und Parametrien. — War eine
Tube noch erhalten und nur ihre abdominale Mündung verschlossen, so haben einzelne
Operateure (Martin, Skutsch u. A.) eine neue Mündung angelegt und die bios-
gelegte Schleimhaut mit dem peritonealen Tuben-Ueberzug vernäht, also die neue
Mündung umsäumt (Salpingostomie). Kann mit der Exstirpation der erkrankten
Organe bei Gonorrhoe auch oft Monate- und Jahrelang gewartet werden, so ist sie
doch gewiss gerechtfertigt, wenn nach so langer nicht operativer Behandlung immer
wieder Rückfälle eintreten und die Kranke körperlich herabgekommen, seelisch in
tiefer Depression ist. Treten auch nach der Operation oft die verschiedensten ner-
vösen Beschwerden auf, so pflegen diese doch meist viel geringer zu sein, als die
der ursprünglichen Erkrankung. Bei begüterten Frauen, die sich schonen können,
wird man mit der Operation länger zu warten in der Lage sein, als bei unbemit-
telten Kranken, die auf ihrer Hände Arbeit angewiesen sind; was soll aus diesen
armen Frauen werden, wenn sie ausser Stande sind, sich ihren Unterhalt zu ver-
dienen?
Die Eröffnung von Eitersäcken von der Scheide aus, mit Troieart
oder durch Incision wurde von Simpson, Landau, Winckel u. A. empfohlen und
ausgeführt. Sie hat den Vorzug, die Eröffnung der Bauchhöhle und den Verlust
der kranken Organe zu vermeiden. Diese Operation ist also gewiss nicht von der
Hand zu weisen und sie kann in geeigneten Fällen segensreich wirken. Sie ist aber
weder leicht, noch sicher und gefahrlos. Bei Operationen und Obductionen sieht man
gelegentlich mehrfache Eiterherde, die unter sich durchaus nicht zusammenhängen;
es ist recht schwierig, diese alle von der Scheide aus zu eröffnen, und man hat
kaum zuverlässige Anhaltspunkte dafür, dass es wirklich gelungen ist. Aus diesen
Gründen und da die Organe doch functionsunfähig geworden sind, wird zunächst
deren operative Entfernung nach Eröffnung der Bauchhöhle noch häufiger ausgeführt,
als die Eröffnung von der Scheide aus.
Der Verlauf des Leidens ist ein überaus langwieriger. Die bedauerns-
werthen Frauen kränkeln jahrelang, erholen sich vorübergehend, um beim nächsten
Anlass wieder bettlägerig zu werden, ihre Ernährung leidet stark, sie magern ab, sind
seelisch tief niedergedrückt, andauernd arbeitsbeschränlvt, wenn nicht arbeitsunfähig,
und die ungezählte Menge der neurasthenischen Beschwerden täuscht das Bild der
-Hysterie vor. Nicht gar selten verfallen die armen Kranken dem missgünstigen Urtheile
ihrer Umgebung, welche die Schwere der Erkrankung nicht ahnt, so lange das
Leiden nicht ärztlich festgestellt ist. Die gonorrhoische Pyosalpinx hat wenig Nei-
gung zur Ruptur, aber es bleibt noch festzustellen, wie oft dieses lebensbedro-
hende Ereignis durch Gonococcen oder Streptococcen allein oder duixh Mischinfec-
tion bedingt ist. Ruptur spricht im allgemeinen eher für eine Streptococcen-In-
fection. "Wenngleich die Gonococcen nach einiger Zeit im abgeschlossenen Eitersacke
zu Grunde gehen können, ist die Kranke damit nicht geheilt. Ganz abgesehen
davon, dass es nie zu einer Restitutio ad integrum kommt, bildet sich der Tumor
nicht zurück, er verwandelt nur die Beschaffenheit seines Inhalts. Dass eine doppel-
seitige Infection sehr bald zur Sterilität führt, ist begreiflich. Diese ist dauernd
3U GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
und unheilbar, wenn beide Tuben in Eitersäcke umgewandelt sind. Dagegen erscheint
es fraglich, ob Wyder's frühere Auffassung zu Eecht besteht, dass Verlust
der Flimmerhaare des Epithels zu Sterilittät führen muss; denn einerseits gehen
bei einfacher, also nicht eitriger, Entzündung durchaus nicht sofort alle Flimmer-
haare zu Grunde, sondern sie erhalten sich in den Faltenbuchten länger als auf den
Faltengipfeln; anderseits können die Flimmerzellen sich ohne Zweifel regeneriren,
sei es von den noch vorhandenen aus, oder durch Flimmerbildung auf den flimmerlos
gewordenen, aber aoch lebensfähigen Zellen. Und endlich ist die Bedeutung der
Flimmerzellen offenbar bisher überschätzt worden. Wenn trotz des nach aussen
gerichteten Flimmerstroms im Uterus das Sperma doch bis zur Tube wandern kann,
so vermag gewiss die Tuben-Peristaltik das Ei auch ohne Hilfe des Flimmerstroms
in den Uterus zu befördern.
IX. Oophoritis, Parametritis und Peritonitis (Perhnetritis, Perisalpingitis,
Perioojjhointis) gonorrhoica.
Das Vorkommen einer gonorrhoischen Erkrankung der Eierstöcke, des Binde-
gewebes neben dem Uterus (Parametritis) und des Peritoneum, welches den Uterus
und seine Nachbarorgane überzieht, wurde erst durch Wertheim's Untersuchungen
nachgewiesen. Von Bumm wurde bekanntlich vorher die gonorrhoische Natur dieser
Erkrankungen bestritten und ihre Entstehung auf eine Misch-Infection zurückgeführt.
Andere Beobachter hatten aus klinischen Gründen trotzdem die Ansicht vertreten,
es handle sich dabei oft um gonorrhoische Infection ; Weetheeni gelang es, dies ein-
wandsfrei zu beweisen.
Peritonitis gonorrhoica. Wertheim hat bei weissen Mäusen und Meer-
schweinchen experimentell gonorrhoische Peritonitis erzeugt und deren Vorkommen
beim Menschen bacteriologisch nachgewiesen. Beim Menschen kennt man bis jetzt
nur Fälle umschriebener, nicht aber universeller gonorrhoischer Peritonitis. Es wurde
schon erwähnt, dass dies wahrscheinlich mit der Wirkung des Gonococcen-Eitei's
zusammenhängt, auf dem Peritoneum sehr rasch Verklebungen herbeizufühi^en. In
diesen Adhäsionen liegt eine Art von Schutzwall gegen die Verallgemeinerung der
Peritonitis. Trotz dieser Wirkung der Gonococcen können jedoch umschriebene peri-
toneale Exsudate auftreten ; in einem solchen hat Welandek bei einem 5-jährigen
Mädchen Gonococcen nachgewiesen.
Die gonorrhoische Peritonitis pflegt sehr stürmisch zu beginnen, zeichnet sich
durch heftige Schmerzen, selten durch grössere Exsudate aus, macht aber bald einer
Besserung Platz. Allerdings besteht das Leiden dann chronisch fort, um bei den
verschiedensten Anlässen wieder aufzuflackern: recidivirende Peritonitis.
Dies ist entweder durch wiederholten Eiteraustritt aus dem abdominalen Tuben-Ende
bedingt oder durch die Fähigkeit der Gonococcen, die Tuben- Wand etc. zu durchsetzen.
Die hochgradige Adhäsions-Bildung, welche die inneren Genitalien oft in eine
unentwirrbare Masse umwandelt, ist so kennzeichnend für gonorrhoische Infection,
dass man ihr, wie oben erwähnt, einen eigenen Namen (Perimetritis scortorum)
beigelegt hat.
Oophoritis und Parametritis gonorrhoica. Wertheim und Zweifel
haben im Eiter von Ovarial-Abscessen Gonococcen gefunden ; in parametralen Phleg-
monen und Abscessen scheint dies noch nicht geschehen zu sein ; aber es unterliegt
nach Wertheim's Untersuchungen und vom klinischen Standpunkte aus kaum einem
Zweifel, dass in Fällen sicherer gonorrhoischer Infection auch gonorrhoische Para-
metritis auftreten kann. Es bleibt zu untersuchen, welche KoUe dabei andere Eiter-
Erreger spielen. Sehr häufig findet man bei acuter oder recidivirender gonorrhoi-
scher Endometritis, Metritis u. s. w. auch eine diffuse, nicht umgrenzbare Empfind-
lichkeit und Anschwellung der Parametrien, ohne dass es stets zur Exsudatbildung
kommt. Anscheinend handelt es sich dabei um gonorrhoische Infection der Para-
metrien. Natürlich wird abscedirende Parametritis in anderen Fällen sehr oft durch
Strepto- und S'taphylococcen u. s. w. hervorgerufen.
GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN, 315
Die Behandlung der Parametritis bei Gonorrhoe ist keine andere, als die
der Parametritis überhaupt ; das gleiche gilt für die gonorrhoische Perimetritis etc.
Im Einzelfalle vereinigt sich die Erkrankung der Parametrien, Tuben, Ovarien und
ihres peritonealen Ueberzugs zu einem Gesamnitbilde, dass man mein- praktisch als
schön mit dem Namen Adnexitis belegt hat. Deren Behandlung und operative
Beseitigung fällt mit jener der gonorrhoischen Salpingitis zusammen (s. o.). Im
acuten Stadium spielen Ruhe, Diät, Sorge für Stuhlgang, Eisblase und
schmerzstillende Mittel oder operative Eingriffe die Hauptrolle. Im chronischen Sta-
dium sind die physikalischen Heilmethoden (feuchte Wicklungen Sitzbäder, Darm-
und Scheiden-Eiugiessungen) werthvoU. Von Massage habe ich gleich Anderen hier
keine sicheren Erfolge, wohl aber die allerbedenklichsten Verschlimmerungen gesehen.
Das stimmt mit dem überein, was vom Aufflammen der Infection bei Insulten gesagt
wurde. Die Indicationen und Methoden operativer Behandlung /urden schon bei
der Salpingitis besprochen. Ueber Hydrotherapie, sowie über Benützung von
Heilquellen wird in diesem Aufsatze bei der „Allgemeinen Therapie" noch einge-
hender gesprochen.
Allgemeine Diagnose. Die Diagnose der einzelnen Localisationstypen
der Gonorrhoe wurde im Vorhergehenden einzeln besprochen, es erübrigt
also nur noch die „ungenügenden und Fehldiagnosen" bei Gonorrhoe
kurz zu berühren. Man findet letztere nicht selten und da es sich in der
Hauptsache um solche handelt, die immer wiederkehren, verdienen sie eine
Besprechung für sich.
Vor Allem ist hier 1. die Diagnose „weisser Fluss" zu erv^ähnen.
Sie bezeichnet ein Symptom, keine Krankheit. Die reflex-ähnliche Wirkung,
mit welcher dagegen so oft ohne w^eitere Untersuchung Scheidenspülungen
mit Alaun-Lösung verordnet werden, hat auch E. Fkaenkel, Breslau, erw'ähnt.
— Bei Fluor albus, mag gleichzeitig Chlorose bestehen oder nicht, ist stets
eine Untersuchung der Genitalien erforderlich. Die Scheidenspülungen allein
genügen doch wohl den Anforderungen der Diagnostik nicht.
2. Ein bis zur Heirat gesundes Mädchen erkrankt während oder bald
nach der Hochzeitsreise unter Harndrang, Brennen beim Uriniren, „weissem"
oder eitrigem Ausfluss. Aus falsch angebrachter Schonung des Schamgefühls
unterbleibt eine genaue Untersuchung, die Fehldiagnose lautet „Blasen-
reizung". In Wirklichkeit ist die bedauernswerthe junge Frau gonorrhoisch
inficirt und statt des verordneten Leinsamenthees wäre unbedingte Enthaltung
Yom Coitus, Bettruhe u. s. w. erforderlich.
3. In anderen Fällen untersucht der Arzt gewissenhaft digital und mit
Speculum; er findet eine Erosion der Portio. Diese ist vielleicht Theil-
erscheinung eines gonorrhoischen Cervix-Katarrhes; die Diagnose lautet — nach
dem unrichtigen, aber populären Sprachgebrauch — „Geschwür der Po r-
tio" (meist heisst es „Geschwür des Muttermundes;" das ist falsch, denn der
Muttermund ist eine Oeffnung, kein Organ); die bestehende Gonorrhoe wird
jedoch verkannt und statt einer localen Behandlung des chronischen Katarrhs
erhält die Patientin die Auskunft ( — ich berichte Erlebtes — ), „es sei ganz
gut, wenn der Eiter durch das (jeschwür aus dem Körper herauskomme."
In anderen Fällen wird mit anerkennenswerther Ausdauer Holzessig auf die
Portio gegossen. Auch diese Behandlung genügt nicht, da die Erosion eben
nur eine Theilerscheinung des Cervix-Katarrhs ist, welcher selbst in Angriff
genommen werden muss.
4. Am häufigsten hört man bei Adnex-Erkrankungen die Fehldiagnose
„Blinddarm-Entzündung." Ueberaus oft kommen Patientinnen damit in
Behandlung eines zweiten Arztes, ohne dass die geringste Spur eines solchen
Leidens vorhanden ist, während eine ausgesprochene Erkrankung der rechts-
316 GONORRHOE DER WEIßLICHEN GENITALIEN.
seitigen Uterus-Anhänge (Parametritis, Salpingitis u. s. w.) besteht. Im Allge-
meinen ist — wenn es sich nicht um Eiter- Ansammlungen handelt — diese
Diagnose nicht so verhängnisvoll, da sie zu einer Behandlung führt (Ruhe,
Diät, Eis, Opium), welche auch bei acuten Adnex-Erkrankungen angezeigt
ist; gefährlich kann aber der IiTthum werden, wenn es sich um Eiterherde
in den Genitalien handelt, welche operativer Behandlung bedürfen.
Wenn man von Fehldiagnosen spricht, muss gerechter Weise zur Ent-
lastung des ärztlichen Gewissens hinzugefügt werden, dass gerade die Gonor-
rhoe der weiblichen Genitalien in einer oft verwirrenden Vielgestalt auftritt.
Was ferner vor wenigen Jahrzehnten als harmloser Fluor galt, stellt sich jetzt
als eine der hartnäckigsten und bedenklichsten Infectionen heraus; was noch
vor einigen Jahren als die Wirkung der eiterbildenden Staphylo- und Strepto-
coccen bezeichnet wurde, haben wir als Ergebnis einer bisher unbekannten
deletären Fähigkeit der Gonococcen kennen gelernt.
Allgemeine Prognose: Gonorrhoe ist unter allen Umständen ein
ernstes Leiden, die Prognose nur bei frischen Infectionen und der Möglichkeit
vollständiger Schonung gut, sonst aber zweifelhaft, häufig schlecht. Die Gefahr
der Gonorrhoe des Mannes besteht in der Schädigung der samenbereitenden
und samenleitenden, sowie der harnleitenden Organe, seltener in weiterer
Metastasirung; die Gefahr der gonorrhoischen Infection des Weibes liegt in
der Schädigung jener Organe, welche der Eibildung (Ovarium), Ei-Leitung
nnd Ei-Entwicklung (Tube, Uterus) dienen, sowie in dem unmittelbaren An-
grenzen des Peritoneum an einzelne der gonorrhoisch erkrankten Organe.
Die Gonorrhoe erschwert also nicht nur die wichtigste Aufgabe, die dem
Weibe wie überhaupt jedem Lebewesen zugetheilt ist, die Fortpflanzung, oder
macht sie unmöglich; mehr noch: sie bedroht Gesundheit und Leben des
Einzelnen in einer Stärke und Häufigkeit, die man früher nicht einmal ahnte.
Die Prognose ist deshalb selbst bei der scheinbar leichtesten Infection
stets zweifelhaft, bei schweren Infectionen aber schlecht, sowohl im Hinblick
auf die Gesundheit als auch — wenngleich seltener — auf das Leben. Spontan-
Heilungen, besonders der Urethritis des Weibes, kommen sicher vor. Durch
geeignete Lebensweise wird die Möglichkeit der Heilung kräftig unterstützt;
aber es scheint, dass die Mehrzahl der Infectionen zu chronischen Leiden
führt.
Schlimmer als beim Manne noch tritt die Gonorrhoe beim Weibe auf.
Gerade durch die häufige Betheiligung des Peritoneum werden ungleich mehr
Frauen als Männer für Jahre hinaus krank und siech. Die anatomische Ver-
schiedenheit, die Lage eines Theils der weiblichen Genitalien innerhalb des
Beckens und nahe dem Peritoneum, ist also Ursache des verschiedenen Cha-
rakters der Infection bei Mann und Weib. Kein Arzt darf deshalb versäumen,
die Kranken auf den Ernst ihres Leidens hinzuweisen. Er wird seltener in
die Gefahr kommen, seine Pfleglinge unnöthig zu ängstigen, als vielmehr
seine Piathschläge schlecht oder gar nicht befolgt zu sehen.
Sowohl im Einzelfalle, als für den National-Oekonomen überaus wichtig
ist der Einfluss, welchen die Gonorrhoe auf die Fruchtbarkeit des
Weibes und des Mannes ausübt. Die Zeugungsfähigkeit des Mannes ist
hier nicht Gegenstand der Besprechung. Dagegen muss mit Nachdruck dar-
auf hingewiesen werden, dass einerseits eine erschreckend grosse Anzahl von
Störungen der Schwangerschaft und des Wochenbettes, andrerseits nicht
weniger häufig vollkom.mene Unfruchtbarkeit des Weibes durch Gonorrhoe
bedingt sind.
Gonorrhoe ist zwar heilbar, und gewiss heilt die specifische Urethritis
und Endometritis spontan oder unter dem Einfluss entsprechender Lebens-
weise nicht selten aus. Ob es bei eitriger Tuben-Gonorrhoe wieder zur Re-
stitutio ad integrum kommen kann, ist eher zu bezweifeln. Wenn aber einmal
GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 317
einzeihe Theile des Genital-Apparates jahrelang gonorrhoisch inficirt bleiben
oder wenn der ganze Geschlechts-Apparat von der Urethra l)is zum Ovariiim
specifisch erkrankt ist, treten unvermeidlich die verschiedensten Störungen
der Schwangerschaft und des Wochenbettes auf: Bei Endometritis kommt es
zu Blutungen in der Schwangerschaft, zu Abort, zum frühzeitigen Absterben
des Fötus und bei Durchblutung des Eies zur Bildung von sogenannten
„Fleisch- oder Blut-Molen;" ist die Placenta in Folge der Endometritis deciduae
stark mit Infarcten durchsetzt, so wird der Fötus ungenügend ernährt und er
zeigt sich nach der Geburt ungenügend entwickelt, also unterwerthig; oder
er stirbt kurz vor der Geburt ab und wird macerirt geboren. Während und
nach der Geburt kann durch die bis dahin latente Gonorrhoe eine acut auf-
flackernde Verschlimmerung, acute gonorrhoische Endometritis u. s. w. auf-
treten; in weiterer Folge kann dieselbe nunmehr zu Sterilität führen: Ein-
kindersterilität, Die häufige Entstehung von Opthalmoblenorrhoe
der Neugeborenen ist bekannt.
Sind beide Tuben oder die beiden Ovarien hochgradig gonorrhoisch er-
krankt, besteht Pyosalpinx, allgemeine Perioophoritis u. s. w., so ist die un-
glückliche Kranke dauernd und unheilbar steril: acquirirte, absolute
Sterilität. — Die häufige Unfruchtbarkeit der Puellen dürfte in der Mehrzahl
der Fälle darauf beruhen.
Zum Tröste jener Kranken, die durch das körperliche Leiden und die
Furcht kinderlos zu bleiben, gleich tief niedergedrückt werden, muss aber
gesagt werden, dass sie nicht als absolut steril gelten können, so lange
wenigstens eine Tube und ein Ovarium ohne palpatorisch nachweisbare Ver-
änderungen sind, ja dass selbst einfache Anschwellungen der Tuben — sofern
es sich um entzündliche Hyperämie und nicht um Eiter- Ansammlung handelt —
vollständiger Heilung zugänglich sind. — Endometritis führt seltener zur
Sterilität, als zu Störungen der Schwangerschaft und des Wochenbettes.
Hier mag folgende treffende Schilderung Aufnahme finden, welche Finger von der
schleichenden Form der chronischen Gonorrhoe gibt.
„Eine junge Frau, vor ihrer Ehe gesund und blühend, die von Störungen bei der
Menstruation, uterinen Beschwerden etc. nie etwas wusste, beginnt bald nach der Hochzeit
zu kränkeln. Anfangs bemerkt sie nur eine vermehrte, besonders um die Zeit der Men-
struation reichlichere Secretion aus den Genitalien. Sie wird leicht matt, empfindet Brennen
und Jucken in den äusseren Schamtheilen. Nach einiger Zeit, meist nach einer Menstrua-
tion, gesellt sich dumpfer Schmerz im kleinen Becken, Ziehen im Kreuz hinzu, das bei
stärkeren Bewegungen zunimmt, vor der Menstruation zu kolikartigen Erscheinungen an-
schwillt. Eine Gravidität endet entweder mit Abortus, oder aber mit normalem Verlauf, an
den sich aber Perimetritis, Perioophoritis, circumscripte Peritonitis, also ein anormales und
schweres Wochenbett anschliesst. Nach demselben werden die Erscheinungen noch schwerer.
Die Beschwerden im kleinen Becken haben zugenommen. Jede forcirte Bewegung, Laufen,
Tanzen, auch der Coitus ist schmerzhaft. Vor jeder Menstruation treten schwere Erschei-
nungen, Koliken auf, die die Frau an das Bett , fesseln. Dabei ist der Typus der Men-
struation selbst alterirt. Diese ist unregelmässig, kommt bald zu früh, bald zu spät, ist
bald profus, bald spärlich, scheinbar schon abgelaufen, stellt sie sich wieder ein. Dabei
leidet das Aussehen, die Ernährung bedeutend. Solche Frauen magern ab, welken, ver-
lieren ihre Lebenslust, Arbeitslust, allmälig kommt das vielgestaltige Bild nervöser Be-
schwerden hinzu, es entwickelt sich typische Hysterie."
Allgemeine Therapie: Schon bei der Besprechung der einzelnen Lo-
calisationen wurde betont, dass durchaus nicht jede gonorrhoische Infection
örtlicher Behandlung bedarf. Ja es kann als Grundsatz aufgestellt
werden, dass im acuten Stadium jede instrumenteile und che-
mische locale Behandlung (Katheterisiren der Blase, Aetzungen, Aus-
spülung und Sondirung der Harnröhre und des Uterus) mehr schade tals
nützt. Das Hauptgebiet localer Therapie sind die chronischen gonorrhoischen
Infectionen, abgesehen von der frühzeitigen operativen Behandlung der Tuben-
und Ovarial-Infection.
Obenan in der Behandlung der acuten und chronischen Gonorrhoe stehen
1. Entfernung der Ursache, also Heilung der Gonorrhoe des Gatten^
318 GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
bezw. Verbot der Coliabitation mit einem tripperkranken Manne und 2. Ruhe
und Schonung. Den Kranken ist sowohl im eigenen als im Interesse des
Gatten die Coliabitation überhaupt auf das allerstrengste und unter Schil-
derung der Gefahren zu verbieten. Veit hat ganz Recht, wenn er darauf
hinweist, dass acute Infectionen unter entsprechender Schonung und Ruhe
spontan heilen können. Ganz besonders ist diese während der Menses ge-
boten. Die Zeit der Menstruation ist für gonorrhoische Frauen besonders
gefährlich.
Bestehen im acuten Stadium Fieber und Schmerzen, so lässt man bis
zum Aufliören dieser Symptome Bettruhe einhalten. Die Kost sei milde, Al^
kohol ist zu vermeiden, für regelmässige Urin- und Stuhl-Entleerung ist
Sorge zu tragen. Balsamica und andere innerlich anzuwendende Heilmittel
erfreuen sich ganz mit Unrecht eines Rufes. Es fehlt jeder Beweis, dass sie
die Heilung der Gonorrhoe auch nur begünstigen. Vielleicht kommt die Zeit,
in welcher wir die Gonococcen oder ihre Stoffwechselproducte durch Antitoxine
und ähnliche chemisch wirksame Stoffe bekämpfen können. Diese Zeit ist
aber noch nicht da — mit ernstem Bedauern müssen wir uns diese That-
sache klar machen.
Unterstützen können wir die Heilung durch reinigende Waschungen der
Vulva, Ausspülungen der Scheide, durch Anwendung der Eisblase bei acuter
Endometritis, Metritis und Erkrankung der Anhänge. Durch Eis, Opium und
Morphium sind die oft quälenden Schmerzen zu lindern.
Diese recht pessimistische Anschauung über die Behandlung der acuten
Gonorrhoe führt zu einer neuen Deutung des Wortes „Unheilbarkeit" der
Gonorrhoe, zu einer Deutung in dem Sinne, dass wir kein specifisches Heil-
mittel der Gonorrhoe besitzen, dass also die acute Infection zwar durch die
Naturkräfte selbst, nicht aber durch unsere Medicamente geheilt werden kann.
Den gleich pessimistischen Standpunkt, welchen Veit, Wintee, Bröse gegen
die heutigen Heilmethoden der acuten Gonorrhoe einnehmen, kennzeichnen
Bröse's Worte: „Ich bin allmälig zu der Ueberzeugung gekommen, dass
die frische gonorrhoische Infection, wie fast alle Infections-Krankheiten, vom
Körper selbst überwunden werden muss und dass eine zweckmässige Allgemein-
behandlung dabei viel nützlicher ist, als jede locale Therapie". Veit glaubt
ausserdem, dass die acute Infection überhaupt ohne deletäre Processe aus-
heilen kann, wenn nicht stets wieder Cohabitation mit dem tripperkranken
Manne stattfindet. Dass sie es kann, ist nicht zu bestreiten; dass aber selbst
eine einmalige, nicht behandelte Infection doch zu den schwersten Leiden
führen kann, ist leider ebenfalls kaum zu bezweifeln.
Die locale Behandlung ist den chronischen Formen der
Gonorrhoe vorbehalten. Aber es ist bezeichnend, dass gerade in den
letzten Jahren, welche in der Erkenntnis der Gonorrhoe immer neue Fort-
schritte brachten, die Behandlung eine immer mildere wurde. Dieselbe Wand-
lung, welche hier im Allgemeinen vor sich geht, hat wohl auch mancher
Gynäkologe durchgemacht, der früher mit 2^/o Argentum nitricum-Lösung und
ähnlichen starken Mitteln den Gonococcen zu Leibe zog und sich jetzt —
nicht zum Nachtheile der Kranken — mit Argentum nitricum von 1 : 3000
und ähnlichem begnügt. Ja, unter den Dermatologen werden sogar Stimmen
laut, welche für eine Nichtbehandlung der Gonorrhoe der weiblichen Ge-
nitalien sprechen und diese für ein Noli me tangere ansehen, durch dessen
Behandlung nicht genützt, sondern geschadet wird.
Ich möchte mich diesen Stimmen trotz aller Zurückhaltung in der Be-
handlung der acuten Gonorrhoe doch für die chronischen Formen nicht an-
schliessen. Es gibt eine ganze Reihe von Fällen, welche durch eine schonende
locale Behandlung zweifellos und zwar rascher gebessert werden, als durch
einfache Schonung. Behandelt man z. B. eine Cervix- Gonorrhoe einige Wochen
GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 319
lang local und sieht dann einige Wochen lang wieder ruhig zu, so verschlim-
mert sich in dieser Zeit unter sonst gleichen Umständen das Krankheitsbild
oft zusehends, um bei Einsetzen der Behandlung wieder einer Besserung Platz
zu machen. Dass es mit den berühmten oder berüchtigten Alaun-Ausspülungen
der Scheide aber nicht gethan ist, wurde schon (S. 316) bei der Besijrechung
der Endometritis hervorgehoben.
Neben der örtlichen Behandlung darf die Allgemeinbehandlung
nicht vernachlässigt werden. Auch bei der chronischen Gonorrhoe sind
Schonung und Ruhe, also vollkommene Enthaltung von der Cohabitation,
Vermeidung von Ursachen, welche sexuelle Erregung begünstigen (erotische
Leetüre, gewisse Schauspiele, Ballet, Bälle), Vermeidung von körjjerlichen An-
strengungen — vor Allem während der Menses, — ferner reinigende Waschungen
und Scheidenspülungen erforderlich.
Besteht bei gonorrhoischer Endometritis des Cervix oder Corpus uteri
gleichzeitig eine gonorrhoische Erkrankung der Uterus-Adnexe, so unterbleibt
die locale Behandlung der ersteren mit Aetzmitteln etc. am besten. Es ist
aussichtslos, die erkrankte Schleimhaut zu behandeln, während die umgebenden
Gewebsschichten und die benachbarten Organe doch gleichfalls erkrankt, aber
dieser Behandlung vollkommen unzugänglich sind. In nicht seltenen Fällen
schadet man sogar geradezu durch solche Aetzungen.
Von hohem Werthe ist die Hydrotherapie zur Unterstützung der
Heilungs Vorgänge. Im chronischen Stadium der Endometritis, noch mehr
vielleicht der Metritis und der Adnex-Erkrankungen, sind feuchtwarme
Wickelungen des Unterleibes, warme Sitzbäder ohne oder mit Zusatz von Salz
oder Seesalz (Sitzbäder werden übrigens im subacuten Stadium oft schlecht
ertragen und bewirken Schmerzen), warme Scheiden- und Mastdarm-Eingiess-
ungen sehr wirksam. Diese Behandlung stimmt überein mit jener der chro-
nischen Metritis, Parametritis u. s. w. im Allgemeinen, die ja so häufig gonor-
rhoischen Ursprungs ist. Ebenso sind Glycerin-Tampons ohne oder mit
Zusatz von Jodkali 5 : 100 (Andere empfehlen Ichthyol u. s. w.) im Stande,
die Heilung zu unterstützen.
Der Aufenthalt in C u r - und Bade- Orten ist aus mehrfachen Gründen
empfehlenswerth. Die Kranken werden einerseits den Mühen der Haushaltung
entrückt; sie werden von der gewohnten Umgebung getrennt und können sich
gesellschaftlichen Verpflichtungen vollkommen entziehen. Ist der Gatte selbst
noch gonorrhoisch, so empfiehlt es sich dringend, die beiden Gatten nicht
gleichzeitig oder nicht in dasselbe Bad zu schicken. Die Verhältnisse liegen
hier ganz anders als in jenem nicht seltenen Falle, in welchem Mann und
Frau die verordnete graue Salbe sich gegenseitig und in Eintracht einreiben.
Beim Zusammenleben der Gatten ist es oft gar nicht möglich, die Cohabi-
tation zu verhindern, die bei Gonorrhoischen unbedingt unterbleiben muss.
Arsen-, Jod- und Eisenquellen, zu Trink- und Bade-Curen verwendet,
sind hier zweifellos von Nutzen. Ebenso können Sool-Bäder die Heilung
begünstigen.
Die Zahl der Bäder, welche sich zur Behandlung solcher Leiden eines Rufes erfreuen,
ist nicht gering; es seien davon folgende erwähnt:
Arsen-Wässer — Levico, Vetriolo, Roncegno.
Jod-Wasser — Kreuznach, Hall in Oberösterreich, Adelheidsquelle und Kranken-
heil bei Tölz, Oberbayern; Dürkheim, Königsdorf-Jastrzemb, Münster am Stein, Sodenthal,
Suiza.
Eisenwässer — Alexandersbad, Alexisbad, Bocklet, Brückenau, Cudova und Rein-
erz, Driburg, Kohlgrub, Liebenau, St. Moritz, Pyrmont, Schwalbach, Spa, Stehen ; an alka-
lisch-salinischen Wässern mit Eisengehalt: Franzensbad, Elster, Marienbad, Rippöldsau.
Soolbäder — Bex, Cannstadt, Colberg, Elmen, Schwäbisch-Hall, Harzburg, Ischl.
Kissingen, Kosen, Kreuth, Nauheim, Oeynhausen, Pyrmont, Rehme, Reichenhall (ebenso
Aibling, Rosenheim, Traunstein mit Berchtesgadner und Reichenhaller Soole), Soden,
Wittekind.
320 GONORRHOE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
Ebenfalls viel benützt werden die zahlreichen Thermen mit geringem Salzgehalt und
hoher Temperatur, wie Baden-Baden, Wiesbaden, ferner die alkalischen Wässer mit Koch-
salzgehalt, wie die warmen Quellen von Ems, die kalten Quellen von Tönnisstein; dann
die einfach alkalischen Wässer wie Vichy, Neuenahr, Ober-Salzbrunn u. s. w.
Ausser den genannten gibt es noch eine ganze Reihe von Bädern, so
besonders von kohlensäurehaltigen Quellen und indifferenten Thermen, die
ohne Frage bei der Behandlung chronischer Entzündungen und besonders alter
Exsudate und ihrer Residuen von Erfolg sind. Das wirksame ist neben der
Quelle vor allem die Entfernung vom eigenen Hause, die Entlastung von
Haushaltungssorgen und gesellschaftlichen Verpflichtungen, die Trennung vom
Gatten und das Vermeiden der Cohabitation, nicht minder aber die gänzlich
veränderte Lebensweise und — wenn thunlich — die Bewegung in reiner,
freier Luft. Ganz entschieden zu verurtheilen ist die Unsitte, in Badeorten
und besonders in sogenannten Mode-Bädern einen grossen, wenn nicht den
grössten Theil des Tages auf das Zurschautragen von Toiletten zu verwenden;
sind die Mode- und Kleiderthorheiten schon im heimatlichen Kreise auf das
strengste zu verpönen, so müssen sie in Badeorten, welche der Gesundheit
dienen sollen, erst recht in Acht und Bann gethan werden. Nicht in dreimal
täglich gewechselter Toilette mit Schnürmieder, Schleppkleid, Sonnenschirm,
Schleier und Handschuhen, nicht auf der Curpromenade und bei Reunions
wird die leidende Frau sich die Gesundheit wieder holen; nein — in beque-
men, nirgends drückenden Kleidern, welche Athmung und Kreislauf frei lassen,
hinaus in den Wald und — wenn die Sonne nicht gerade glühend herabscheint
— über Felder und Wiesen; die Luft soll den Körper frei umspielen;
Sonnenschein auf Gesicht und Händen wird die Schönheit der Frauen und
Töchter nicht vermindern, sondern erhöhen. Angemessene Bewegung, Ball-
spiel im Freien, Baden und Schwimmen wird den Körper stählen im Kampfe
gegen die Mikroben. Wie viel an Bewegung sich jedes zumuthen darf, hat
der Arzt zu bestimmen, der auch sorgfältig darüber wacht, dass nicht ein
Uebermass den Heilungsvorgang verzögert.
Heiraten gonorrhoisch Inficirter. Wann darf ein Mädchen, das gonorrhoisch In-
fi cirt wurde, heiraten, wann eine Frau ihren ehelichen Pflichten wieder genügen? Das ist
eine schwere und ernste Frage. Die Antwort kann nur lauten: Wenn die Infection ab-
gelaufen ist. Wann aber kann sie als abgelaufen gelten? Doch wohl nur dann, wenn die
objectiven und subjectiven Symptome der Entzündung aufgehört haben und wenn Gono-
coccen im Secret von aussen zugänglicher Schleimhäute bei wiederholter Untersuchung
nicht mehr nachweisbar sind. Dieser Nachweis misslingt aber nicht selten, wenn die In-
fection noch besteht; der mikroskopische Nachweis ist überdies unzuverlässiger als der cul-
turelle; der letztere ist nun aber in der allgemeinen Praxis einfach undurchführbar. Da-
durch sind wir doch auf die mikroskopische Untersuchung und auf die objectiven und sub-
jectiven Symptome angewiesen. Vielleicht wäre in schwierigen Fällen der Versuch zu
machen, bei vermutheter latenter Gonorrhoe durch Injection geringer Mengen von l^/oo
Sublimatlösung in Cervix- oder Uterus-Höhle eine leichte, vorübergehende Entzündung zu
bewirken, welche etwa vorhandene Gonococcen zu vorübergehender Vermehrung und so zu
leichterem Nachweis bringt (provocatorische Injection); wenigstens ist diese Methode bei
der Gonorrhoe der männlichen Urethra gelegentlich erfolgreich; allerdings stehen ihr
einige Bedenken entgegen. Gerade an den Schleimhäuten der weiblichen Genitalien ist
aber nicht alles Gewicht auf den Gonococcen-Nachweis zu legen ; er misshngt ganz beson-
ders auch deshalb oft, weil die Gonococcen durch die Menge anderer Bacterien verdeckt
sein können. Im einzelnen Falle dürfte sich die Sache folgendermaassen gestalten:
Gonorrhoe der weiblichen Urethra heilt meist spontan. Einige Monate nach dem Auf-
hören objectiver und subjectiver Symptome wird die Betreffende heiraten dürfen.
Sehr hartnäckig kann gonorrhoische Bartholinitis und Endometritis sein. Man dart
die Zustimmung zur Heirat erst dann geben, wenn einige Monate lang keine Symptome
einer Entzündung der BARXHOLm'schen Drüsen auftraten, beziehungsweise wenn sich das
Cervis-Secret einige Monate lang bei wiederholter Untersuchung als glasig und gonococcen-
frei erwiesen hat. Leichte Störungen der Menses bleiben häufig längere Zeit zurück und
machen den Verdacht rege, dass die Infection im Uterus oder in dessen Adnexen noch nicht
abgelaufen ist. Die Infection muss aber deshalb nicht stets noch fortbestehen; und wollte
man darum das Heiraten verbieten, so thäte man gelegentlich den ehedem Inficirten schweres
Unrecht. Für männliche Gonorrhoiker wurde erst jüngst von einer Seite verlangt, man
solle das Heiraten erst dann erlauben, wenn sich keine Schleimfäden mehr im Urin zeigten.
Dem wurde von anderer Seite entgegengehalten, dass dann ein ungemein grosser Procent-
GYNÄKO-ELEKTROTHEHAPIE. 321
satz von Männern überhaupt nicht zum Heiraten gelangen und das Menschengeschlecht
bald aussterben würde. Geht diese Ansicht auch zu weit, so liegt in ihr doch ein wahrer
Kern. Leichte chronische Endometritiden, geringe Störungen der Menses werden also selbst
bei vorausgegangener Gonorrhoe nicht unbedingt gegen eine beabsichtigte Heirat sprechen,
wenn nur keine anderen Zeichen eines Fortbestehens der Infcction mehr vorhanden sind.
Man muss aber einerseits die Patientin auf die Möglichkeit eines Recidivs und aut
die Nothwendigkeit aufmerksam machen, dann gleich einen Arzt zu befragen; andrerseits
muss die locale Behandlung unbedingt einige Wochen oder Monate geruht haben, denn
durch sie wird stets von neuem eine artificielle Entzündung erzeugt, welche den Fortbestand
des Leidens vortäuschen kann.
Bei Erkrankungen der Anhänge müssen Eiter-Ansammlungen und Exsudate vorher
ganz beseitigt, Parametrien, Tuben und Ovarien dürfen nicht abnorm empfindlich sein.
Finden sich Verwachsungen, Verkürzungen einzelner Ligamente, dadurch bedingte Lage-
veränderungen des Uterus und der Ovarien, so spricht das nicht gegen die Möglichkeit
einer Heirat, wenn nur keine Erscheinungen eines noch bestehenden Entzündungs-Processes
vorhanden sind. Man muss aber dann die Betreffende schonend darauf hinweisen, daas
unter Umständen die Fruchtbarkeit beeinträchtigt oder — in Fällen schwerer Adnex-Ver-
änderungen — auch aufgehoben sein kann. Nie aber, ausser bei operativer Entfernung
beider Tuben oder beider Ovarien, kann man Sterilität mit Sicherheit voraussagen.
Diese Fragen erfordern zu ihrer Beantwortung eine peinlieh genaue Untersucfiung
der Genitalien, in schwierigen Fällen unter Narkose. Sie stellen an die Erfahrung und
Sorgfalt des Arztes die allergrössten Ansprüche. Dem Praktiker bleibt in letzter Pieihe die
Möglichkeit, einen Facharzt beizuziehen; und wohl niemand wird dies anders deuten, denn
als ein Zeichen grosser Gewissenhaftigkeit. Eine sehr ernste und prophylactisch wichtige
Aufgabe fällt hier dem Hausarzte zu, obgleich ihm öfter, als es im Interesse seiner Schutz-
befohlenen liegt, durch das Berufsgeheimnis der Mund verschlossen ist,
GUSTAV KLEIN.
Gynäko-Elektrotherapie. Die Ansicht, dass es möglich sei, die
Wirkungen des elektrischen Stromes in der Frauenheilkunde zu verwerthen,
ist nicht neuen Datums. Von einer Gynäko-Elektrotherapie kann man aber
erst seit den grundlegenden Arbeiten Apostoli's sprechen. Sein ausschliess-
liches Verdienst ist es, die Principien dieser Behandlungsweise festgestellt
und durch eine grosse Eeihe einschlägiger Arbeiten das Interesse der Fach-
ärzte auf diese Methode gelenkt zu haben. Es erscheint jedoch begreiflich,
dass man mit einer gewissen Skepsis und nur ganz allmälig an die Uebung
eines Verfahrens schritt, welches in Bezug auf die Ströme, die Beschaffenheit
der Elektroden, Dauer und Zeitfolge der Sitzungen so vielfach variabel erschien
und das sich, von den Galvanopuncturen ganz abgesehen, schon durch die Ver-
wendung bis dahin unerhörter Stromstärken als durchaus nicht indifferent
erwies. Auch einzelne Todesfälle waren ja im Gefolge der Methode beob-
achtet und die Frage stand durchaus offen, ob und inwieweit dieselben dem
Wesen des Verfahrens zur Last zu legen seien.
Die Methode Apostoli's basirt auf der normaler Weise geringen Em-
pfindlichkeit der Beckenorgane gegen allmälig in ihrer Stärke veränderte
galvanische Ströme, auf der Anwendung einer grossen, indifferenten Bauch-
elektrode, wodurch die Stromdichte an der empfindlicheren Hautdecke ver-
ringert wird, auf der Verlegung des Angriffspunktes direct in die Uterus-
höhle, weiters auf dem Gebrauche von entsprechenden Galvanometern, auf der
Angabe zweckentsprechender Elektroden, und von Vorrichtungen, durch w^elche
das allmählige Ein- und Ausschleichen mit dem Strome ermöglicht wird. Ueber-
dies hat Apostoli die Wirkungen des inducirten Stromes auf die w^eiblichen Ge-
schlechtsorgane studirt und bestimmte Indicationen zur Verwendung desselben
angegeben. So einfach diese Principien sind, so erfordern sie doch die sorgfältige
Handhabung zahlreicher Technicismen, wenn befriedigende Erfolge erzielt
werden sollen. Es kommt hier gar sehr darauf an, w^ie die Sache gemacht
wird und wenn einzelne Autoren von starken, ja unerträglichen Schmerzen,
häufig auftretenden Ohnmächten, consecutiven Eutzündungsprocessen etc. bei
ihren Kranken zu berichten haben, andere aber nicht, so lässt sich dieser
Widerspruch wohl in den meisten Fällen damit erklären, dass nur die letz-
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie 21
322 GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE.
teren sich genau an die aus einer unvergleichlich ausgedehnten Erfahrung
geschöpften Angaben Apostoli's gehalten haben.
Bei der Anschaffung des elektrischen Apparates wird es sich
empfehlen, eine Batterie zu wählen, die eine hinreichende Stromstcärke
(300 Milli-Amperes) erzeugen kann und möglichst constant ist und welche
auch die zur Erzeugung des faradischen Stromes nothwendigen Elemente be-
sitzt. Wichtig ist ein Rh eostat, der zur Ein- und Ausschaltung beliebig
grosser Widerstände in den Strom dient und der das allmälige Ein- und Aus-
schleichen mit dem Strome ermöglicht. Als Galvanometer werden das
EüELMANN'sche, dauu das von Gaiffe, Hirschmann und Anderen empfohlen.
NöGGERATH fand bei Prüfung verschiedener in den Stromkreis eingeschlosse-
ner Galvanometer ganz bedeutende Differenzen. Auch Andere (Mandl, Winter)
konnten diese Angaben bestätigen und fanden die Werthe des GAiFFE'schen
Galvanometers durchwegs, bei hohen Stromintensitäten sogar sehr bedeutend
höher, als die des EoELMANN'schen. Es ist dies ein Umstand, der bei Ver-
gleichung der von verschiedenen Gynäkologen erreichten Stromstärken sehr
wohl berücksichtigt werden muss und es wird sich empfehlen bei Publicationen
immer anzugeben, welches Galvanometer verwendet wurde. Ein Strom-
wechsler dient dazu, den constanten, den primären oder secundären Induc-
tionsstrom, oder den galvano-faradischen Strom einschalten zu können. Was
die inactive Elektrode betrifft, so benützt Apostoli als solche einen
flachen, 30 cm langen, 20 cm breiten und IV2 bis 2 cm dicken Kuchen, der
aus feinem, mit lauem Wasser gut durchgeknetetem Modellirthone besteht,
und in eine einfache Lage feuchter, weitmaschiger Gaze eingeschlagen wird.
In der Mitte der oberen Fläche dieses Thonkuchens kömmt eine Metallplatten-
elektrode, deren Länge 12 cm, deren Breite 9 cm beträgt und die mit der
Leitungsschnur verbunden ist. Eine solche Thonplatte muss zwar von Zeit
zu Zeit neu hergerichtet werden und sie beschmutzt Hände und Bauchhaut,
aber sie ist plastischer und legt sich schon, weil sie schwerer ist, inniger der
Haut an, als irgend eine der aus Feuerschwamm, Lint oder Lamalagen gefer-
tigten Elektroden. Das Eigengewicht der dicken Thonplatte unterstützt die
Application derselben durch die Hände der Kranken und macht die Verwen-
dung einer Warteperson zu dieser Besorgung vollkommen überflüssig. Auch
nach einer 5 bis 10 Minuten andauernden Application von 200 und 250 M.-A
starken Strömen findet man nach Abnahme einer gut angefertigten Thon-
elektrode meist nur eine geringe Röthung der kühl sich anfühlenden Haut.
Blasenbildung, Verschorfung oder sonstige Läsionen der Bauchhaut treten
niemals auf. Ein Zusatz von etwas Glycerin (Massey) erhöht die Plasticität
der Thonmasse. Wenn man die Platte, in feuchte Tücher und impermeablen
Stoff eingeschlagen, aufbev>'ahrt, kann sie viele Wochen immer wieder ver-
wendet werden.
In Deutschland wurden hauptsächlich die von G. Engelmann empfohle-
nen und von Hirschmann verfertigten durchlöcherten Zinkblechplatten ver-
schiedener Grösse (bis zu 600 cm''- Oberfläche) verwendet, die unter einem
Lederüberzuge mit Zunder gefüttert sind. In neuester Zeit werden in Deutsch-
land gepresste Mooskissen, die vor dem Gebrauche in warmes Wasser gelegt
und durchgeknetet werden, sehr warm empfohlen (Bröse, Schaeffer). Auf
das Mooskissen kommt die mit einer Schraube für die Leitungsschnur ver-
sehene breite Bleiplatte. Ferner wurden breite, flache Schwämme (Munde),
ausgebogene und mit warmem Wasser ausgefüllte Metallplatten (Franklin,
H. Martin), mehrfach zusammengelegte, in warmes Wasser getauchte Tücher
(Benedikt) oder Flanelllappen (Kleinwächter) etc. empfohlen.
Für massig starke Ströme (50 — 100 M.-A) wird fast jede, für sehr starke
jedoch die Thonelektrode oder das von Deutschland empfohlene Mooskissen am
besten geeignet sein.
GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE. 323
Die activen Elektroden sind unipolare — wenn sie blos mit einem
Pole verbunden werden — oder bipolare, wenn beide Pole in denselben endigen.
Bei Anwendung des constanten Stromes werden immer unipolare Klektroden
verwendet, von denen man sondenförmige, aus Metall verfertigte, ferner KoVilen-
elektroden, dann stiletförmige, zur Ausführung der Galvanopunctur und sog.
Kugelelektroden unterscheidet. Letztere werden mit feuchter Watte umgeben,
von einzelnen Autoren bei Parametritiden und Adnexerkrankungen vom
Scheidengewölbe aus applicirt. Doch hat Nagel bei dieser Anwendungsweise
stets bedeutende Schorfbildungen in der Vagina auftreten gesehen.
Die uterussondenförmigen Metallelekt roden werden vortheilhaft aus
Platin verfertigt. Dieselben können aus einem Kupferstabe, der auf circa
15 cm Länge mit einer Platinlage überzogen ist, bestehen.
Von dem Gebrauche der Aluminiumsonden kommt man allmählig wieder zurück.
Das Aluminium wird von den Säuren des positiven Poles angegriffen, wird rauh. Ausserdem
wurde beobachtet, dass die obersten Schichten des Aluminiums bei dem Durchfliessen des
galvanischen Stromes auch da. wo das Metall mit dem Gewebe nicht in Berührung kommt,
zerfallen und als feiner Aluminiumstaub abfallen und weiters darauf aufmerksam gemacht,
dass bei Anwendung der Aluminiumsonden, die in Folge der Elektrolyse an dem activen
Metallpol entstehenden Säuren weniger wirksam sind, da ein Theil von ihnen durch das
Aluminium sogleich gebunden wird. (Bröse.)
Zu diesen sondenförmigen Elektroden braucht man einen Handgriff, in
dem dieselben eingeschraubt werden und an dem die Leitungsschnur mittelst
Schraube befestigt werden kann; ferner sogenannte Isolirröhren, die über
jenen Theil der Sonde, der ausserhalb des Uterus liegt, geschoben werden,
um die Yaginalwand vor der Wirkung des Stromes zu schützen. Sie werden
gewöhnlich aus Hartkautschuk oder Celluloid verfertigt.
Die Kohlenelektroden, welche bei starken Blutungen und weiter
Uterushöhle benutzt werden, bestehen aus einem 2^2 c^ langen Kohlen-
cylinder von verschiedener Dicke (3—11 mm), der auf einem in Abständen
von 2V2 ^^ gekerbten Hartgummistabe, durch den ein mit dem Kohlenstücke
verbundener Draht zieht, aufsitzt. Am unteren Ende der Elektrode befindet
sich eine Schraube für die Leitungsschnur. Leiter hat aus halbhartem Kaut-
schuk bestehende Sondenstäbe verfertigt, die vor den Pariser Modellen den
Vorzug der Biegsamkeit haben und bei denen es möglich ist an ein und dem-
selben Stabe die verschieden dicken Kohlencylinder anzuschrauben.
Die bipolaren Elektroden werden ausschliesslich bei Anwendung des
Iriductionsstromes benutzt und unterscheidet man Uterus-elekt roden und
Vagina-elektroden von verschiedener Dicke.
Es ist nothwendig das Wesentlichste über die Wirkungen des elek-
trischen Stromes hier einzuflechten, da man nur bei genauer Kenntnis
derselben die Anwendungsweise bei den verschiedenen Erkrankungsformen
richtig variiren kann.
Beim galvanischen Strome unterscheidet man eine polare, eine
interpolare und eine extrapolare Stromwirkung. Während die An
schauungen über die interpolare und extrapolare Wirkung noch zum grossen
Theile hypothetischer Natur sind, liegen derzeit bereits zahlreiche am leben-
den und am frisch exstirpirten Gewebe, sowie im Eeagensglase angestellte
Versuche über die polare Wirkung des galvanischen Stromes vor. Es seien
nur die wichtigsten Punkte, in Sonderheit die, denen therapeutische Verwerth-
harkeit innewohnt, angeführt. Sowie der allmählig gesteigerte galvanische
Strom zu wirken anfängt, erfolgt eine an dem positiven und nega-
tiven Pole differente Zersetzung der in den Geweben enthal-
te nen Flüssigkeiten und der organisch enGewebssub stanz selbst,
welche abhängig ist von der Intensität des Stromes, der Dauer seiner Ein-
wirkung und bei gleichem Materiale umgekehrt proportionirt ist der Ober-
fläche der activen Elektrode. Am positiven Pole scheiden sich Sautr-
21*
324 GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE.
Stoff, Chlor, Kohlensäure und andere Säuren ali und entfalten in statu nascendi
eine kräftige, einer starken Säure entsprechende chemische Wirkung. Am
negativen Pole häufen sich Wasserstoff und Alkalien an, ihre locale Wir-
kung gleicht der eines kräftigen Alkali.
Die Anode ^Yirkt coagulirend, blutstillend (Versuche am Fussgeschwür
und der scarincirten Portio: Schaw, Apostoli). Bei der Verwendung ent-
sprechend starker Ströme wirkt die Anode antiraikrobisch (Milzbrand: Apostoli
und Lagueeiere; Prochownik und Spaeth. Staphylococcus pyogenes und
aureus und Streptococcus pyogenes : Prochownik und Spaeth).
Die Kathode, welche bei gleicher Stromintensität schmerzhafter ist,
wirkt quellend, erzeugt Hyperämie und Blutungen (Schaw, Apostoli wie
oben; Nagel an Kaninchen). Dringen die am activen Pole entwickelten .Gas-
blasen in Blutgefässe ein (Klein : Versuche mit Nadelelektroden an frisch extir-
pirten Myomen), dann kommt es zur Verdrängung und Gerinnung des Blutes.
Die Gasblasen dringen auch in andere anscheinend präformirte Bahnen ein
(Lymphräume). Die Thatsache, dass sich das aus den Gefässen verdrängte Blut
nicht wieder in dieselben zurückstreichen liess, wird von Klein auf eine Ver-
änderung des Blutes oder der Gefässwand bezogen. Ferner vermochte Klein
an frisch exstirpirten Myomen durch eine 15 Minuten dauernde Application
eines 30 — 35 M.-A. starken Stromes eine Temperatursteigerung im Gewebe um
13° C. nachweisen, ein Befund der von Prochownik und Späth bestätigt
wurde. Letztere haben Untersuchungen an Leichenuteris, sowie an frisch
exstirpirten Uteris, welche früher mit entsprechend starken Strömen behandelt
worden waren, angestellt und sagen über die hiebei gesetzten Schorfe Fol-
gendes aus: „Die Färbung der Schorfe, ihre Consistenz, ihre Abgrenzung
gegen das umliegende Gewebe, endlich ihr Eindringen in der Tiefenrichtung
ist bei Application des positiven Poles eine andere, als bei derjenigen des
negativen. Die Anodenschorfe sind fest, trocken, scharf umschrieben, tiefroth
bis braunschwarz gefärbt und lassen sich oft bis in die Muscularis hinein ver-
folgen; bei den Versuchen am lebenden Uterus zeigt sich die Reaction gegen
das umgebende Gewebe durch active Hyperämie. Die Kathodenschorfe da-
gegen haben einen mehr schmutzig graubraunen Farbenton, sind weich, sulzig^
leicht abzustreifen, und gegen das Nachbargewebe nicht so scharf abgegrenzt,
sondern mehr verschwommen, auch erreichen sie die Muscularisgrenze nicht."
Schwieriger ist es, sich über die Wirkungen der interpolaren, zwischen
activer und inactiver Elektrode auf dem Wege des geringsten Widerstandes
kreisenden Stromes, Eechenschaft zu geben. Schaw, Steawenson und
Masset vermochten den Transport des durch die Zersetzung von Jodkali frei-
gewordenen Jod auf dem Wege des interpolaren Stromes nachweisen, theils
an einer Serie von Gläsern, theils im Körper, indem das in den Uterus
gebrachte Jodkali durch die Kathode zersetzt wurde und nach einer Weile
auf der mit Stärkelösung bestrichenen Bauchhaut an der Anode, abgeschieden
wurde. Klein konnte an frisch extirpirten Myomen das Auftreten von Gas-
blasen, sowie Temperaturerhöhung auch in dem interpolaren Gewebsgebiete
nachweisen. Ford glaubt die Wirkung des interpolaren Stromes direct unter
dem Mikroskope beobachtet zu haben; er sah Hühnereiweiss in welliger Be-
wegung vom positiven zum negativen Pole hinziehen, feine Fäden bildend
von der Form der Eisenfeilspäne zwischen den Polen des Magneten. Schaw
erzielte an frisch extirpirten Myomen durch längeres Durchleiten starker
galvanischer Ströme Gewichtsverluste bis zu 2°/o und konnte zugleich Ab-
nahme des Fettgehaltes und Zunahme des Procentgehaltes an Eiweiss, Pepton
und Extractivstoöen nachweisen. Er fand weiters, dass der Strom die Gefäss-
spannung erhöhe, wodurch mehr Flüssigkeiten ausgeschieden werden, wie dies
die erhöhte Ausscheidung der Chloride durch den Harn erweist.
GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE. 325
Das Meiste, was sonst noch über die Wirkung des interpolaren Stromes
gesagt wird, sind Erklärungen eines kräftigen Agens und seiner Leistungen,
die sicher vorhanden sind, denen aber die Grundlage der exacten Unter-
suchung derzeit noch fehlt. Es ist hier völlig unmöglich auf die einander
zum Theil widersprechenden Angaben der verschiedenen Autoren einzugehen,
welche je nach der Wahl des intrauterinen Poles im intcrpolaren Kaume eine
Spaltung der Gewebe, Anregung, Umstimmung, Wanderung der Molecüle,
Steigerung der physiologischen Gewebsfunction etc. sich abspielen lassen.
Was die Wirkung des inducirten Stromes betrifft, so ist dieselbe
verschieden, je nachdem man den primären (von einer mit kurzem und dickem
Draht versehenen Spule — Quantitätsstrom) oder den secundären (von einer
mit dünnem und langem Drahte versehenen Spule— Spannungsstrom) benützt.
— Ersterer bringt die glatten und quergestreiften Muskelfasern zur Contrac-
tion, letzterer wirkt auf die Empfindlichkeit, ist schmerzlindernd. Der gal-
vanofaradische Strom wurde besonders von Hünerfauth, Köllker und Bröse
zur Behandlung der chronischen Obstipation empfohlen; er bringt die glatten
Muskelfasern der tiefliegenden Därme zur Contraction.
Bei Anwendung des galvanischen Stromes hat man folgende Technik
einzuhalten : Vor Einführung der intrauterinen Elektrode wird jedesmal eine
genaue bimanuelle Untersuchung, bei neu in Behandlung tretenden Kranken
auch die Sondirung des Uterus vorgenommen. Ausspülung der Vagina mit
17oo Sublimatlösung, Entfernung des dem Muttermunde anhaftenden Schleimes.
Dagegen hat man von einer Desinfection des Cervix abzustehen (Schäffer).
Die Platinsonden werden durch Ausglühen, die Kohlensonden durch Einlegen
in 57o Carbolsäure desinficirt; die letzten werden unmittelbar vor Einführung
in eine gesättigte Jodoformätherlösung getaucht. Man kann die Sonde unter
Leitung des Fingers einführen. Bei manchen Fällen, so bei langer Scheide,
grossen Myomen, fixirtem Uterus, hat dies seine Vortheile. In der Ptegel
soll man aber die Portio mit Spateln oder einem entsprechenden Speculum
einstellen, die Sonde unter Controle des Auges einführen. Die Anwendung
von Kugelzangen ist nur — wenn unumgänglich nothwendig — gestattet.
Die Bauchelektrode wird am zweckmässigsten sogleich nach Beendigung der
himanuellen Untersuchung auf die Bauchhaut gelegt und von der Kranken
durch Auflegen beider Hände angedrückt. Bis die Desinfection beendet, die
Sonde eingeführt, der Stromkreis geschlossen ist, ist die Haut genügend
durchgefeuchtet und liegt die Elektrode derselben überall gleichmässig an
Vor Einleitung des Stromes w^erden noch einmal die Kabelklemmen nach-
gesehen ; bei loser Befestigung könnte irgend ein Zufall die Kranke der Un-
annehmlichkeit und Gefahr eines starken Schlages durch Oeffnung des Strom-
kreises aussetzen. Aus diesem Grunde sind die Gleitcontacte, die an den
Pariser Apparaten statt der Schrauben angebracht sind, durchaus zu verwerfen.
Das Einschleichen mit dem Strome geschieht unter beständiger Beobachtung
des Gesichtsausdruckes der Kranken. Nach einer halben bis einer Minute
ist zumeist, nach zwei Minuten immer jene Stromstärke erreicht, welche die
Kranke ertragen kann, ohne mehr als ein massiges Brennen dabei zu em-
pfinden. Gibt die Kranke an, Schmerz zu empfinden, so wird der Strom sogleich
abgeschwächt; meist gelingt es dann, nach einer halben Minute etwa, noch
weiter anzusteigen. Hiebei ist die Eeaction der Kranken für bestim-
mender zu halten als der Ausschlag des Galvanometers. Man
muss grundsätzlich auf die Verwendung von Strömen verzichten, welche der,
entsprechende Technik und das Fehlen acuter Entzündungsprocesse voraus-
gesetzt, so tolerante Uterus nicht mehr ohne Schmerz ertragen kann.
Bei der Verwendung der Kohlenelektrode — die immer mit
dem positiven Pole verbunden wird — muss diese wegen der nur 2"5 cm
betragenden Länge des als activen Poles wirkenden Endstückes möglichst
326, GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE.
hoch eingeführt und dann successive an tiefere Stellen des Endometriums
angelegt werden. Dabei soll man, wenn der Strom 4 — 5 Minuten auf eine
bestimmte Stelle eingewirkt hat, den Strom allmälig bis auf 0 wieder ab-
schwächen, dann die Sonde um 2'5 cm zurückziehen und nun mit dem Strome
wieder einschleichen. Die Dauer der Sitzung wird dadurch zwar verlängert,
dafür werden starke und durch relativ lange Zeit applicirte Ströme gut ver-
tragen. Und gerade bei jenen Erkrankungsformen, welche in der Kegel die
Verwendung der Kohlensonden nöthig machen, hängt ja der Erfolg wesentlich
davon ab, dass entsprechend hohe Stromintensitäten auf die ganze Fläche des
Endometriums einwirken.
Hat die intrauterine Elektrode genügend eingewirkt, dann wird allmälig
mit dem Strome ausgeschlichen und hierauf die Sonde herausgezogen. Neuer-
liche Ausspülung der Scheide; eventuell Jodoformgazetampon. Die Kranken
werden angewiesen, eine halbe Stunde liegend auf dem Ruhebette zu ver-
bringen und sich am selben Tage jeder anstrengenden Arbeit zu enthalten.
Der Tampon ist nach 24 Stunden zu entfernen. Die Zulassung des Coitus
wird den Kranken strenge untersagt.
Die Sitzungsdauer schwankt gewöhnlich zwischen 5— 10 Minuten.
In der Regel werden zwei Sitzungen in der Woche abgehalten. Bei sehr
starken Blutungen kann man unter Umständen auch drei Mal die Woche
elektrisiren.
Die Methode der Galvanopunctur vom Scheidengewölbe aus,
w^elche Apostoli bei Myomen, wenn sich Sonden in den Uterus nicht ein-
führen lassen, ferner bei chronischen Parametritiden und eitrigen Entzün-
dungen der Adnexe, welche von der Scheide nicht zugänglich sind, anwendet,
wird von den meisten Gynäkologen nicht geübt. Das Verfahren war
eminent gefährlich als die stiletförmige Elektrode noch 10 und 15 cm tief
eingestochen wurde und ist es auch jetzt noch, wo man sich mit 0'5 bis 1 cm
tiefen Einstichen begnügt. Das Auftreten von Fieber, starken Schmerzen
nach den Sitzungen wurde häufig beobachtet. Unter allen Umständen ist
eine zweitägige Bettruhe nach der Sitzung geboten ; die grössere Schmerzhaf-
tigten des Puncturverfahrens macht zumeist die Anwendung der Narkose
erforderlich. Die häufig beobachtete Nekrosirung von Geschwulstpartien mit
den Erscheinungen schwerer periuteriner Entzündungen, die immerhin vor-
handene Möglichkeit einer secundären Infection des Stichcanals können für
die Kranke gefährlich werden. Eine conservative Methode aber, die ausser
einem grossen Apparate noch wiederholte Narkosen, wiederholten mehrtägigen
Bettaufenthalt erforderlich macht und bei alledem nicht ungefährlich ist, ver-
dient wohl kaum mehr dem chirurgischen Eingriffe vorgezogen zu werden.
Als Contraindicationen gegen die Anwendung des constanten
Stromes gelten : Schwangerschaft, acute Nephritis, ausgesprochene Idiosyn-
krasie gegen den galvanischen Strom (G. Engelmann), acute Darmcatarrhe
{Enterite glaireuse Apostoli' s), welche sich bei einzelnen Individuen nach der
Galvanisation regelmässig einstellen, acute Entzündungsprocesse des Uterus
oder seiner Anhänge. Im Hinblicke auf die Versuche von Schaw, der unter
dem Einflüsse des constanten Stromes eine Zunahme der Spannung im arte-
riellen Gefässsystem nachweisen konnte, wie auf die diesbezüglichen Er-
fahrungen Kleinwächter's, der bei herzkranken Frauen während der
Sitzungen das Auftreten von Collapserscheinungen mit Sinken der Pulsfrequenz
und der Pulswelle beobachtete, soll man bei mit Vit. cordis combinirten Fällen
sehr vorsichtig zu Werke gehen.
Bei der Anwendung des inducirten Stromes sind die Ver-
haltungsmassregeln dieselben wie bei der des constanten Stromes. Die Appli-
cation der inactiven Bauchelektrode entfällt, da man gewöhnlich die bipolaren
Sonden gebraucht. Das Einschleichen mit dem Strome hat ganz allmälig zu
GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE. 327
erfolgen, entweder durch Anwendung eines Ilheostaten oder bei Verwendung
des Schlittenapparates durch langsames Uebereinanderschieben der Rollen.
Man steigt nur bis zu jener Stromstärke, welche die Kranke verträgt und
kann auch hier die BeolDachtung machen, dass, wenn eine gewisse Strom-
stärke, die die Kranke eben noch tolerirt hat, eine Zeit lang eingewirkt hat,
der Strom dann verstärkt werden kann, ohne dass die Kranke über Schmerzen
klagen würde. Die Dauer der Sitzung schwankt zwischen 5 und 30 Minuten.
Die Sitzungen können wiederholt in der Woche, auch täglich abgehalten
werden. Besondere Vorsichtsmaassregeln nach den Sitzungen sind nicht nöthig.
Während der elektrischen Behandlung einer Reihe von Erkrankungs-
formen von Seite der Fachärzte keine Opposition gemacht wurde, wird die
Berechtigung, gewisse Fälle von Endometritis und manche Formen von Uterus-
myomen mit dem elektrischen Strome zu bekämpfen, nicht allseitig anerkannt
und es erscheint daher zunächst eine ausführliche Besprechung dieser Krank-
heitsgruppen geboten.
Die bei der chronischen Endometritis ^orfindlichen Verände-
rungen bestehen bekanntlich in einer verschieden beträchtlichen Schwellung
der Schleimhaut, an welcher Drüsen und Stroma participiren; die Uterushöhle
ist dabei in der Regel von einer blutreichen, weichen, Wucherungen und
Excrescenzen zeigenden, selbst bis 1 cm dicken Schichte ausgekleidet. Fast
immer bestehen Blutungen, welche theils den Charakter von Menorrhagien,
theils von intermenstruellen Blutungen tragen; ferner Schmerzen, die zumeist
zum Beginn der Periode und besonders bei jenen Formen auftreten, wo es
zu starker Schwellung des Endometriums kommt. Ein häufiges Symptom
endlich ist der Fluor. Die Therapie der chronischen Endometritis hat dem-
nach folgenden Anforderungen gerecht zu werden: Es soll eine genügend tiefe
und doch nicht zu tief reichende, nicht die spätere Regeneration schädigende
Zerstörung des chronisch veränderten Endometriums bewirkt werden. Die
Blutungen und die Schmerzen sollen behoben werden. In welcher Weise nun
vermag die intrauterine Galvanisation diesen Ansprüchen zu genügen? Indem
die in den Uterus eingeführte Sonde dem erkrankten Endometrium direct
anliegt, ist dem galvanischen Strome volle Gelegenheit zur Entfaltung seiner
localen, polaren Wirkung gegeben. Ueber diese ist bereits ausführlich be-
richtet. Zu betonen ist hier die hämostatische Wirkung der Anode. Hervor-
zuheben ist, dass man den Strom in jedem Augenblicke nach Belieben steigern
oder abschwächen kann ; in der Reaction der Kranken und im Galvanometer
haben wir hinreichende Anhaltspunkte. Der Strom kann auf jeden Punkt
des Endometriums localisirt werden. Der Cervix kann vor jeder Aetz Wirkung
geschützt werden (Umhüllung des cervicalen Sondenantheils mit Schellak;
Massey).
Die Behandlung besteht darin, dass man die Anode (Platin oder Kohle)
intrauterin applicirt, wobei angestrebt wdrd, mit wenigen meist 5 Minuten
dauernden und durch 3 — 4tägige Pausen unterbrochenen Sitzungen, bei An-
wendung von mittelstarken (50 — 1 00 M.-A.) Strömen eine vollständige und
dabei nicht zu tief reichende Verschorfung des Endometriums zu erzielen.
Ist, wie dies oft nach wenigen Sitzungen der Fall ist, die Blutung gestillt,
dann soll die Behandlung abgebrochen werden und die Kranke bis zum Ein-
tritt der nächsten Periode in Beobachtung bleiben. Verläufe diese und die
nächste Menstruation normal, dann kann die Kranke als vorhiufig geheilt ent-
lassen werden. Kommt es aber nicht so rasch zu einer regelmässigen
Periode, setzt die Blutung zu früh und zu heftig ein oder dauert sie bei grösserer
Copiosität länger als 4 — 5 Tage, dann soll die Behandlung fortgesetzt werden.
o28 GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE.
Vergleicht man die Elektrotherapie der chronischen Endometritis mit
den übrigen bei den schweren Formen derselben üblichen Ver-
fahren, so kommt ausser den localen Aetzmitteln, die hier als zu wenig
energisch wirkend zumeist verlassen sind, in erster Keihe die A.nwendung der
Curette, die Abrasio mucosae in Betracht. Diese stellt allerdings, wenn eine
entsprechende Nachbehandlung nicht unterlassen wird und auch sonst lege
artis vorgegangen wird, ein einfaches und zumeist erfolgreiches, gelegentliche
Recidiven aber nicht ausschliessendes Verfahren dar. — Die elektrische Be-
handlung der Endometritis lässt sich jedoch im Ambulatorium durchführen,
sie hat nicht den Anschein einer Operation, sie erfordert keine Narkose, wie
dies beim Curettement in der Regel der Fall ist. Die Kranke braucht nicht
das Bett zu hüten, kann ihrem Berufe nachgehen und bedarf ausser den
Sitzungen, die in Zwischenräumen von 3 — 4 Tagen abgehalten werden, keiner
weiteren Behandlung. Vehemente Koliken, welche fast nach jeder energischen
intrauterinen Therapie auftreten, so nach Salpetersäure-Aetzungen, nach der
Einführung von Stiften etc.. sind, wenn sie nach der intrauterinen Galvani-
sation vorkommen, von kurzer Dauer und geringer Intensität. In wieweit die
antimikrobische Wirkung der Anode als Heilfactor mitwirkt, lässt sich derzeit
nicht sicher entscheiden. Ein anscheinend schwer wiegendes Bedenken kann
gegen die Elektrotherapie der Endometritis geltend gemacht werden, dass
nämlich die elektrolytische Verschorfung zur völligen Zerstörung des Endo-
metriums führen und somit Sterilität zur Folge haben könne. Gewiss hat
es keine Schwierigkeiten mit starken, lange und wiederholt applicirten Strömen,
zumal bei der Anwendung der Anode, das ganze Endometrium in eine Narben-
schichte zu verwandeln, ein Effect, der sich schliesslich auch mit Hilfe der
Curette oder Salpetersäure-Aetzungen erreichen liesse. Man wird die Gefahren
einer excessiven Anodenwirkung indess vermeiden, wenn man nur, den vor-
hin ausgeführten Behandlungsprincipien folgend, das unschwer einzuhaltende
Maass nicht aus den Augen verliert. Absolute Zahlen können freilich nicht
gegeben werden, nachdem die Dicke des kranken Endometriums, seine Ten-
denz zur Blutung, der Zustand der Nachbarorgane, die Reaction der Kranken
in jedem Falle verschieden sind. Verwendet man aber nur mittelstarke
Ströme durch circa 5 Minuten und hört man nach Stillung der Blutungen
mit den Sitzungen auf, um die nächste Periode abzuw^arten, dann kann man
sicher sein, die Regeneration des Endometriums nicht gehindert zu haben.
Dafür sprechen sowohl die klinischen Beobachtungen — Apostoli verfügte
schon vor Jahren über mehr als 30 Fälle, in denen nach der Behandlung
Gravidität eintrat - — als die Ergebnisse der erwähnten Untersuchungen von
Prochov^nik und Späth.
Dieselben bezeichnen allerdings den Sclilusseffect vielfacher Anodenwirkung als
^ISIarbenbildung der üterusschleimhaut unter Verschwinden der epithelialen Elemente."
Dieser Satz bezieht sich aber auf die histologische Untersuchung eines nach 14 con-
tinuirlich ausgeführten Anodensitzungen (40 — 190 M.-A. 7—10 Minuten) exstipirten myoma-
tösen Uterus. Bei diesem war die Schleimhaut atrophisch, bindegewebig indurirt und erin-
nerte in ihrer Structur lebhaft an diejenige der äusseren Haut. In ihrer äusseren Schichte
waren keinerlei Epithelzellen, nur Trümmer von Epithelüberresten nachweisbar; von Drüsen
war keine Spur zu finden, Blutgefässe waren äusserst spärlich vorhanden.
Solche Tiefenwirkungen, wie sie durch 14 in continuo fortgesetzte Ano-
denapplicationen erzielt werden, werden nun in der Behandlung der Endo-
metritis weder beabsichtigt noch erreicht. Prochownik und Späth haben
unter Anderem auch an 4, nach je einer Anodensitzung extirpirten Uteris
histologische Untersuchungen über die Ausdehnung der Verschorfungen ange-
stellt, wobei Ströme von 120—150 M.-A. durch 6, 6V2, 7^2 und 10 Minuten
applicirt wurden. "Wenn diese Ströme auch stärker sind, als die in der Be-
handlung der Endometritis gebrauchten und diese Ströme auch länger ein-
gewirkt haben, wenn endlich kein Anlass vorliegt, an den dem Experimente
GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE. 329
unterworfenen Uteris das Bestehen einer wesentlichen Verdickung des Endo-
metriums anzunehmen, so geben diese Untersuchungen dennoch einen genü-
genden Anhalt zur Abschätzung der bei diesem Verfahren zu gewäitigenden
Einwirkungen auf das chronisch entzündete und verdickte PJndometrium. Die
Tiefe der bei jenen Versuchen erzielten Schorfe betrug 1 bis Hmm. Cylinder-
epithel und Drüsen waren zerfallen und mit geschichteten Streifen durchsetzt,
welche sich bei Anwendung von metallischen Sonden (Platin, Kupfer) bis in
die Muscularis verfolgen Hessen. Man darf nun freilich nicht vergessen, dass
Zerstörungen von solcher Tiefe (1— 3 mm), wenn sie ein verdicktes und auf-
gelockertes Endometrium betreffen, eben nicht bis an die Muscularisgrenze
reichen. Wenn aber mit Sicherheit eine genügende Anzahl von Fundis der
Uterindrüsen erhalten bleiben und eine Regeneration des Drüsenlagers er-
möglicht werden soll, dann wird es, trotz der massigeren Beschaffenheit des
chronisch erkrankten Endometriums dennoch geboten sein, Intensität und
Dauer der Stromwirkung, sowie die Anzahl der einander unmittelbar folgenden
Applicationen auf das eben hinreichende Minimum herabzudrücken.
Der Versuch, bestimmte Indicationen für die Elektrotherapie der
Myome aufzustellen, begegnet ähnlichen Schwierigkeiten, wie die Abwägung
der für den chirurgischen Eingriff Ausschlag gebenden Gründe.
Zweifellos erscheint der operative Eingriff geboten in folgenden Fällen:
bei rasch wachsenden oder cystisch degenerirten Myomen, wenn Zeichen der
Stieltorsion, der beginnenden Nekrose des Myoms bestehen, wenn es nicht
gelingt, die Blutungen zu beherrschen oder wenn die allgemeinen Beschwerden
(Druck auf Nachbarorgane) unerträglich werden, wenn entzündete Adnexen-
geschwülste sich vorfinden oder ein durch das Myom bedingter Ascites sich
entwickelt hat. Endlich wird man sich zur Operation entschliessen müssen,
wenn die Kranke dieselbe fordert, -weil sie sonst ihren oder der Ihrigen
Lebensunterhalt nicht beschaffen könnte.
Die Grenzen der operativen Indicationen bestimmen auch das
Gebiet der conservativen Therapie.
Was vermag nun die Elektrotherapie der Myome als conservative Methode
zu leisten ? Zunächst ist festzustellen, dass sie nicht in allen Fällen anwend-
bar ist. Sie kann ausgeschlossen sein, w^enn pathologische Zustände jedes
zuwartende Verfahren ausschliessen oder aus Gründen, die im Wesen der
Methode selbst liegen.
So muss von der Elektrotherapie abgestanden werden, w^enn frischere
oder ganz acute Entzündungen in der Nachbarschaft des Uterus bestehen. Sie
ist ungeeignet für cystische Myome, sie kann keinen besonderen Erfolg auf-
weisen, bei ausgesprochenen subserösen Myomen, wenn sich diese vom activen
intrauterinen Pole zu weit entfernt befinden; sie ist zu widerrathen bei poly-
pösen Myomen, da bei diesen die Blutungen bei Anwendung des constanten
Stromes vermehrt w^erden (Veit, Schäffee), endlich müsste die Elektro-
therapie, selbst wenn sie symptomatisch wirksam gewiesen und gut ertragen
worden wäre, in jedem Falle aufgegeben w^erden, in dem ein unaufhaltsames
Wachsthum der Geschwulst nachweisbar wäre.
Die Elektrotherapie der Myome hat als conservative Methode die
Aufgabe, die durch das Myom erzeugten Symptome zu beheben oder zu bessern.
Unanfechtbar ist zunächst der Einfluss der Anode auf die Blutungen. Es ist
um so richtiger, hier an das Capitel der Endometritis anzuknüpfen, als uns
die Arbeiten von Wyder, Kampe, Bunge u. A. in der chronischen Entzündung
des Endometriums eine nur selten vermisste Complication des Myoms kennen
gelehrt haben. Runge hat daher auch die Abrasio mucosae mit nachfolgen-
der Jodtincturbehandlung empfohlen, in der Absicht, durch Heilung der Endo-
metritis auf die Blutungen einzuwirken. In der Stillung der dui'ch die Endo-
metritis bedingten Blutungen sieht auch Nagel die Hauptleistung der Elektro-
330 ÜYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE. ,
therapie der Myome. Wenn aber in der Behandlung der genuinen Endo-
metritis stets darauf geachtet werden soll, dass die durch wiederholte Anoden-
sitzungen erzeugte Narbe nicht zu tief reiche, das Endometrium nicht in eine
derbe, drüsenlose, gefässarme Schwiele verwandelt werde, hier, in der Be-
handlung der das Myom complicirenden Endometritis ist die Verödung des
Endometriums gerade das, was wir anstreben. Wenn schon die Verschorfung
des Endometriums hinreichen kann, die Blutung bei Myomen zu stillen, um
wie viel wirksamer muss die Blutung gehindert sein, wenn das Endometrium
nach vielfachen Anodensitzungen die Beschaffenheit einer derben, mit spär-
lichen Gefässen versehenen, der Lederhaut ähnlichen Narbe angenommen hat?
In der Sistirung der oft sehr starken Blutungen, die allerdings häufig genug
erst nach vielen Sitzungen (40 — 50) dauernd gelingt, liegt eben der grosse
Werth der AposTOLi'schen Methode. Das Symptom schwerer Blutungen ist ja
häufig das einzige, welches die Myomkranken zum Arzte führt.
Weiters wird von den meisten Autoren, die sich eingehender mit dieser
Methode beschäftigt haben, berichtet, dass es in einer überwiegenden Anzahl
von Myomfällen gelänge, die Schmerzen und Dritckbeschiverden zu lindern. Die
letzteren werden nur dann behoben werden können, wenn es wirklich gelingt,
das Volumen des Tumors zu verkleinern. Die Frage, auf welche Weise das
Nachlassen der Schmerzen durch die galvanische Behandlung zu erklären ist,
wird gemeiniglich dahin beantwortet, dass es einerseits gelänge, peri- und
parametritische Entzündungsproducte zur Verkleinerung oder zum Verschwin-
den zu bringen, dass man ferner die Thatsache constatiren könne, dass bei
längerer entsprechender Behandlung fast immer eine Zunahme der Beweglich-
keit des Uterus beobachtet werde, endlich dass durch die Wegätzung des
erkrankten Endometriums der Sitz der menstruellen Schmerzen direct beein-
flusst werde (Schäffek).
Was schliesslich die durch die elektrische Behandlung er-
zielte Verkleinerung oder gar das Verschwinden von Myomen
betrifft, so muss constatirt werden, dass die übertriebenen und sinnlosen Be-
hauptungen Einzelner zum grossen Theile als Ursache anzusehen sind, dass
ernste und gewissenhafte Gynäkologen sich lange ablehnend gegen die Methode
verhalten haben. Man soll überhaupt der durch die Elektrotherapie erziel-
baren Verkleinerung der Myome kein allzugrosses Gewicht beilegen, vielmehr
in der Stillung der Blutungen und der sodann erreichbaren Hebung des All-
gemeinzustandes und in der Besserung oder Heilung der Schmerzen die Ziele
dieser Behandlungsweise suchen. Geringe Verkleinerungen der Geschwülste
sind mit Sicherheit schwer zu constatiren, da die einfache Angabe „das Myom
sei kleiner geworden" nur der subjectiven Anschauung des Untersuchers Aus-
druck verleiht, Methoden aber, die es ermöglichen würden, einen Tumor in
allen seinen Dimensionen genau zu messen, nicht existiren. Aus der Messung
der Länge der Uterushöhle allein aber kann man keinen Schluss auf die Zu-
oder Abnahme der Geschwulst machen. Man soll daher — im Interesse der
Methode — nur dann von Verkleinerung der Myome sprechen, wenn dieselbe
augenscheinlich ist. Eine nicht anzuzweifelnde Verkleinerung von Myomen
ist nun vielfach beschrieben; doch scheint es, dass die meisten dieser Frauen
sich nahe dem Klimakterium befanden. Das Zusammenfallen der spontanen
Involution mit der durch die Galvanisation erzielten, kann in solchen Fällen
nicht geleugnet werden. Aber gerade diese Thatsache würde (Lucas Cham^
piONiicßE, Richelot) eine besondere Indication für die Methode abgeben,
indem es bei solchen Frauen um so eher gelingen dürfte, ihnen nach Stillung
der Blutungen in das Klimaterium hinüberzuhelfen.
Was endlich die Wirkung der fortgesetzten Galvanisationen
auf den Gesammtorganismus anlangt, welche — und das bezieht sich
nicht blos auf die Myomkranken — oft in einer auffällig raschen Besserung
GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE. 331
der nervösen Symptome, Hebung des Kräftezustandcs besteht, so ist diese
wohl hauptsächlich auf die Sistirung der clironischen Blutverluste zu beziehen.
Immerhin sieht man diese Besserung manchmal so bald eintreten (Schwinden
von Kopf- und peripheren Nervenschmerzen, Angstgefühlen, Muskelkrämpfen,
Besserung der Schlallosigkeit) und so vorwiegend das Nervensystem betreffen,
dass man den Eindruck nicht von sich weisen kann, dem extrapolaren Strome
könne ein günstiger Eintluss auch auf den Körper im Allgemeinen zukommen.
Apostoli und eine Anzahl anderer Autoren haben die Ausstossung von
Myomen aus ihrem Mutterboden mit der contractionserregenden Wir-
kung der galvanischen Ströme in Zusammenhang geljracht, Apostoli be-
hauptet, dass interstitielle Myome unter dem Einflüsse der Galvanisationen
submucös oder subserös, subseröse Myome beweglicher, gestielter werden kön-
nen. Ohne diesen Einfluss bestreiten zu wollen, wird man immerhin im Auge
halten müssen, dass sowohl die Ausstossung als Nekrose von Myomen spon-
tan, ohne jede Therapie, erfolgen könne.
Die Behandlung hat in folgender Weise stattzufinden: Treten die Kran-
ken, wie dies zumeist der Fall ist, blutend in die Behandlung, dann wird
zunächst die Anode intrauterin applicirt und zwar die Platinsonde bei massiger
Stromintensität und durch circa 5 Minuten, um die specielle Pteaction der
Kranken kennen zu lernen. Bei stärkeren Hämorrhagien werden dann die
Anodensitzungen eventuell mit der Kohlensonde fortgesetzt, bis es gelungen
ist, periodische und an Copiosität und Dauer der Norm entsprechende Blutun-
gen zu erzielen. Erst, wenn dies geschehen, soll man mit der Application
der Kathode beginnen, in der Absicht, auf die Verkleinerung der Myome hin-
zuwirken. Durch unzeitige Anwendung der Kathode kann eine vielleicht seit
Tagen gestillte Blutung wieder angeregt oder der Eintritt der Periode ver-
früht werden. Unmittelbar vor und nach der Menstruation soll daher die
Kathode nicht applicirt werden.
Die Stromstärken sollen wenn möglich sehr hohe sein; die Sitzungen
werden 2 — 3mal wöchentlich abgehalten.
Zum Schlüsse erscheint es zweckmässig, speciell für Jene, welche diese
Methode selbst in Anwendung zu ziehen beabsichtigen, in übersichtlicher
Kürze jene Krankheiten, gegen welche diese Therapie mit Erfolg gebraucht
werden kann und die Art und Weise der Anwendung zu besprechen.
EndoniPtritis: Positive intrauterine Galvanisation mit der Metall- (Platin-) Elektrode >
bei starken Blutungen und weiter Uterushöhle mit der Kohlenelektrode. Bezüglich der
Stromstärken siehe oben,
_ Metritis chron. : a) im hyperämischen, mit Blutungen einhergehenden Stadium: posi-
tive, intrauterine Galvanisation wie bei Endometritis.
b) In alten mit Induration einhergehenden Fällen: Negative intrauterine Galvani-
sation mit der Metallelektrode. Sehr starke Ströme. Eventuell auch intrauterine Faradi-
sation mit dem Quantitätsstrome.
Chronische Para- und Perimetritis: chronisch entzündliche Adnexenschwel-
lung: Bios die vaginale bipolare Faradisation mit dem Spannungsstrome zur Linderung
der Schmerzen, eventuell die vagino-abdominelle Galvanisation (Kathode in der Vagina)
mit der Kugelelektrode, welche mit einer dicken Lage feuchter Watte umgeben ist. sind zu
empfehlen. Von intrauterinen Eingriffen oder der Galvanopunctur soll man wo möglich
abstehen. Will man die Kathode intrauterin appliciren, so ist Vorsicht geboten; die Ströme
sollen nicht stark, die Dauer der Sitzungen nicht zu lange sein. Die Reaction der Kranken
gilt hier in erster Linie als Fingerzeig, ob mit dem Strome angestiegen werden darf, und
ob die Behandlung fortgesetzt werden kann.
Dysmenorrhoe: Die Behandlung besteht, wenn nicht ein bestimmtes Leiden (Endo-
metritis, Myom, Adnexerkrankung) eine andere Applicaiionsweise des Stromes erheischt, in
der negativen intrauterinen Galvanisation mit der Metallelekirode. — Mittelstarke Ströme.
Dysmenorrlioea membranacea: positive intrauterine Galvanisation mit möglichst
hohen Stromstärken.
Amenorrhoe: Bipolare intrauterine Faradisation (Quantitätsstrom) und intrauterine
Application der Kathode bei massig starken Strömen.
Von der Elektrotherapie ausgeschlossen sind virginale Personen — zur gymnastischen
Behandlung geeignet — ferner solche, bei denen ein Nisus menstrualis (Eintritt von ner-
332 HAEMATOKELE EETROÜTERINA.
vösen Störungen, Congestionserscheinungen oder sonstigen Beschwerden in periodischen
Intervallen) nicht nachweisbar ist; endlich jene Fälle, denen ein schweres Allgemeinleiden
(Chlorose, Tuberculose etc.) oder ein Bildungsfehler der Geschlechtswerkzeuge zu Grunde
liegt.
^Wenn nicht in kui'zer Zeit ein befriedigender Erfolg mit der Elektrotherapie zu ver-
zeichnen ist, wird es sich empfehlen, die gynäkologische Massage mit der elektrischen Be-
handlung zu combiniren.
Metrorrliagieii : wie Blutungen bei Endometritis. Auch gegen die nach Estirpation
der erkrankten Adnexe häufig sich einstellenden, oft sehr abundanten Blutungen mit sehr
gutem Erfolg angewendet (^Rosthorn).
Stenosen des Cervicalcanales: Negative intrauterine Galvanisation mit allmälig
stärker werdenden Sonden (Aluminiumsonden). Massig starke Ströme.
Subinvolutio uteri: Bipolare intrauterine Faradisation (Quantitätsstrom). Bei starken
Blutungen eventuell intrauterine Application der Anode. In veralteten Fällen auch negative
intrauterine Galvanisation.
Myome: Bei Blutungen: positive intrauterine Galvanisation mit der Platinsonde, bei
weiter Gebärmutterhöhle und starken Blutungen mit der Kohlensonde. Möglichst stärke
Ströme.
Wenn keine Blutungen vorhanden — intrauterine negative Galvanisation.
Snperinvolutio uteri: Bipolare intrauterine Faradisation (Quantitätsstrom) vor der zu
erwartenden Menstruation. In der Zwischenzeit negative intrauterine Galvanisation mit
schwachen Strömen. (Congestionirende Wirkung des negativen Poles.)
Ovarie : Bipolare vaginale und intrauterine Faradisation mit dem Spannungsstrome.
Die SitziTUg soll so lange dauern, bis die Kranke auch auf starken Druck nicht mehr mit
einer Schmerzäusserung reagirt.
Pruritus vulvae : Mittelgrosse indifferente Plattenelektrode. Anode als feuchte Polster-
elektrode auf das äussere Genitale und Perineum. Schwache Ströme (5—15 Ma.). Sitzungs-
dauer bis 10 Minuten.
Campe führt die Anode in die Vulva ein, während die Kathode, ohne den Strom zu
unterbrechen, über die juckenden Stellen hinweggeführt wird. Sitzungsdauer 10 Minuten,
Stärke des Stromes nach Elementenzahl berechnet. 6—10 SPAMER'sche Elemente.
Cholmogorof verwendete eine cylindrische Elektrode, deren Knopf nur vorne aus
Metall war, während ihre ganze Oberfläche aus Hartgummi bestand. Die andere Elektrode
bestand aus einer mit Handschuhleder überzogenen Scheibe, die 4«?^ im Durchmesser maass.
' Die cylindrische Elektrode wird 4— 5 cot tief in die Vagina eingeführt und mit dem posi-
tiven Pole verbunden, die andere in Salzwasser getauchte, gleitet über die juckende Ober-
fläche. 15—22 M-A., 10—15 Minuten.
Vaginismus: Bipolare Faradisation mit dem Spannungsstrome. Aiich schwache
positive Galvanisation.
Lomer: Fünf Centimeter im Durchmesser zählende active Elektrode auf den Damm,
respective auf den Introitus. Sitzungen anfangs täglich, später seltener. 4—5 Minuten.
Saülmann: Kugelelektrode abwechselnd auf den Damm und den Introitus vaginae.
Auf die grosse Reihe anderer Genitalerkrankungen, gegen welche die
Elektrotherapie in verschiedenster Form versacht und empfohlen wurde (Ova-
rialcysten, Uteruscarcinome, Haematocele periuterina, Vaginalcysten, Uterina!- '
polypen, Extrauteringravidität, Entfernung zurückgebliebener Nachgeburtsreste
nach vorausgegangenem Abort, Verlagerungen des Uterus etc.) soll hier nicht
eingegangen werden, weil diese Behandlungsweise bei der Mehrzahl derselben
erfolglos, eventuell auch schädlich sein wird und Aveil zwecklose Heilversuche
zu einer Zeit, wo ein operativer Eingriff noch leicht und mit Aussicht auf
Erfolg ausgeführt werden könnte, absolut zu widerrathen sind.
LUDWIG MANDL.
Haematokele retrOUterina. Benennung: Wegen der Aelmlichkeit
mit Eingeweidebrüchen (vj xr^X/j, der Bruch), wurde im Jahre 1850 dem Krank-
lieitsbilde durch Nelaton, der al§ Erster das Leiden anatomisch richtig er-
kannte und beschrieb, der Name Haematokele gegeben.
Pathologische Anatomie: Die Haematokele retrouterina stellt
einen im Douglas'schen Räume abgekapselten, mit Blut gefüllten Tumor dar.
Bei grösseren Blutergüssen kann der Tumor das Becken überragen, ja oft bis
^n den Rippenbogen hinaufreichen, so dass er dann einem grossen, cystischen
Abdominaltumor gleicht.
HAEMATOKELE RETROUTERINA. 333
Der Inhalt des Tumors ist frisches oder verschieden verändertes Blut,
je nach Umständen auch gewöhnlicher oder zersetzter Eiter. Die Wandungen
des Tumors bildet vorne und unten die Ilinterfläche des Uterus und der oberste
Abschnitt der hinteren Vaginalwand, rückwärts die hintere Fläche der Doug-
las'schen Falte und das Eectum; nach oben ist die Höhle durch Pseudomem-
branen, verklebte Darmschlingen oder das Netz abgeschlossen. Die Innen-
fläche der Höhle ist nach längerem Bestehen mit pseudomembranösen und
fibrinösen Auflagerungen ausgekleidet.
Der Sack, in welchem sich das Blut ansammelt, kann entweder, in Folge
vorangegangener Erkrankungen des Peritoneums, präexistiren, oder er bildet
sich durch den Reiz, den das in das Peritonealcavum ergossene Blut hervor-
ruft, secundär.
Der Sitz des ganzen Tumors ist intraperitoneal.
Diagnose: In typischen und frisch beobachteten Fällen hat das ganze
Krankheitsbild solche pathognomonischen Zeichen, dass die Stellung der Dia-
gnose unter Berücksichtigung der Anamnese nicht schwer fällt. Hinter dem
Uterus ein elastischer, einen grossen Theil des kleinen Beckens ausfüllender
Tumor, der die hintere Vaginalwand kuppeiförmig nach abwärts und vorne
wölbt. Der Uterus selbst ist mit dem Corpus nach vorne und oben gedrängt,
so dass das letztere vor dem Tumor, über der Symphyse, die Vaginalpor-
tion knapp hinter der Symphyse, an den oberen Theil derselben meist an-
gepresst, gefunden wird.
Die gynäkologische Untersuchungstechnik ist gegenwärtig so ausgebildet,
dass die früher zur Sicherstellung der Diagnose von der Vagina aus häufig
vorgenommene Probepunction ganz unterbleiben kann. Sie ist nicht ganz
ungefährlich und hat oft, wegen der Möglichkeit des Lufteintrittes, eine Ver-
jauchung des ganzen Sackinhaltes und eine Verschlimmerung der Prognose
zur Folge gehabt.
Die Herkunft des Blutes kann verschieden sein. Zunächst kann
öasselbe aus dem Ovarium, speciell aus dem klaffengebliebenen Graf sehen
Follikel und den Gefässen seiner Auskleidung herrühren. Stärkere menstru-
elle Congestion, wie solche durch Coitus während der Menstruation, Tanzen,
Heben schwerer Lasten, stärkere Inanspruchnahme der Bauchpresse etc. er-
zeugt werden kann, bilden prädisponirende Momente zur Entstehung der-
selben.
Eine der häufigsten Quellen der Blutung bilden geborstene Eier einer
Tubargravidität. Entweder berstet das Ei allein, oder mit demselben
auch die Tube mit dem peritonealen Ueberzug.
Aber auch aus nicht graviden Tuben kann das Blut herstammen, wenn
dasselbe während der menstruellen Congestion, wegen Unwegsamkeit der ute-
rinen Tubenenden, nicht in den Uterus gelangen kann. Es ergiesst sich dann
in die freie Bauchhöhle und gelangt an deren abhängigsten Theil, den Douglas.
Ebenso kann bei Vorhandensein subperitonealer Varicositäten des Liga-
mentum latum, wenn es anlässlich einer vermehrten Congestion zu der
Berstung einer Vene kommt, eine retrouterine Blutansammlung erfolgen.
Als weitere Ursachen zur Entstehung der Blutung werden genannt: die
Peritonitis retrouterina haemorrhagica, Purpura, Icterus gravis, Scarlatina,
Variola, Morbillen und Typhus, insoferne als es dabei, bei partiellen Erkran-
kungen des Peritoneums und der darunter liegenden Gefässe zur AiTosion
der letzteren kommen kann.
In selteneren Fällen kann das Blut aus einer resecirten Tube, die nach
Ovariotomien versenkt wurde, zur Zeit, wo die Periode hätte kommen sollen,
herstammen.
Ursachen: Die Haematokele retrouterina entsteht selten bei Frauen,
deren innere Geschlechtsorgaue bis dahin nor mal waren. Man kann las
334 IIAEMATOKELE RETllOUTERINA.
immer den Nachweis liefern, dass seit längerer Zeit Unterleibsbescliwerden,
irgendwelcher Art bestanden haben. Meist handelt es sich um Menstruations-
anomalien, verbunden mit Erkrankungen des Uterus, seines peritonealen Ueber-
zuges, der Tuben oder Ovarien. Es besteht eine Prädisposition zur Entste-
hung der Blutung, die man als die entferntere Ursache bezeichnet. Meist
handelt es sich um Frauen, die schon geboren haben, von Vielen hört man
die Angabe, dass liintereinander mehrere Fehlgeburten stattgefunden haben.
Tritt nun zu einer ' entfernteren Ursache eine Gelegenheitsursache hin-
zu, wie solche im Coitusabusus, oder im Coitus während der menstruellen
Congestion, Tanzen während der Periode, Maschinnähen etc. gesucht werden
kann, so kann diese Gelegenheitsursache zur Entstehung der Haematokele
führen.
Bei Tubargraviditäten bildet die unmittelbare Ursache die aufs Aeusserste
gediehene Expansion des Fruchtsackes, oder des Eies.
Bandl vergleicht mit Recht die Ursachen zur Entstehung der Haematokele mit jenen
der Gehirnapoplexien. Ein junges, gesundes Individuum wird von einer Apoplexie selten
befallen. Meist sind es ältere Leute, deren Gehirngefässe eine Prädisposition zur Berstung
haben. Anlässlich einer opulenten Mahlzeit, bei einem Excess im Alkohol, bei einer Auf-
regung etc. kann dann die Apoplexie erfolgen.
Symptome: Mit der Entstehung der Haematokele tritt meist plötzlich
eine Aenderung im Befinden der Patientin ein. Das erste Anzeichen ist ein
Schmerzanfall im Unterleibe, welchem bald Unruhe und ein Angstgefühl folgt.
Dann treten Erscheinungen auf, die auf eine peritoneale Reizung hindeuten,
als Ueblichkeiten, Brechneigung, Meteorismus etc. Je nach der Menge des,
ins Peritonealcavum ergossenen Blutes, gesellen sich zum Ganzen noch Er-
scheinungen plötzlicher Anämie, als Flimmern vor den Augen, Ohrensausen,
Gähnen, Blässe, Lufthunger, vermehrter Durst etc. Es kann auch zu einem
tiefen Collaps kommen.
Wenn die Geschwulst prall gespannt ist, treten Erscheinungen des
Druckes auf die Nachbarorgane ein, als: Gefühl des Vollseins, Stuhldrang,
Harnzwang, Gefühl des Vorfalls. Bei länger anhaltendem Druck auf den
Mastdarm tritt Obstipation ein.
Die Schmerzen können wehen- oder kolikartig sein und dauern oft
stundenlang ununterbrochen an.
Fieber wird selten beobachtet; nur vfmn mit dem Blute auch Infections-
keime in die Bauchhöhle gelangt sind, kann es zu beträchtlichen Temperatur-
steigerungen kommen.
Prognose: Diese ist in den meisten Fällen günstig zu stellen, sobald
es zu einer Abkapselung gekommen ist und die Nachschübe von Blut auf-
gehört haben. Nur selten erreicht die innere Blutung eine solche Höhe, dass
das Leben der Patientin damit direct bedroht wird. Viel schlimmer sind jene
Fälle zu nehmen, wo Infectionskeime in das Peritonealcavum gelangen. Eine
tödtliche Peritonitis kann die Folge davon sein. Bei Verjauchung der Höhle
ist der Ausgang auch zweifelhaft, indem dann pyämische Processe nicht aus-
geschlossen sind.
Verlauf und Ausgang: Die Fälle innerer Verblutung abgerechnet,
gestaltet sich der Verlauf so, dass nach einigen Wochen eine Piesorption des
Blutes erfolgt. In dem Maasse, als der Blutsack sich verkleinert, tritt auch
der Uterus tiefer herab und schliesslich nimmt dieser seine normale Lage
wieder ein, während von dem hinter ihm befindlichen Tumor nicht viel nach-
zuweisen ist. Nur eine Druckempfindlichkeit und eine kleine resistente Stelle
im Douglas deutet darauf hin, dass ein Bluterguss daselbst stattgefunden hat.
Bildet eine Tubargravidität das Substrat der Haematokele, dann löst sich
einige Tage nach Entstehen derselben die Decidua von der Innenfläche des
Uterus ab und gelangt unter wehenartigen Contractionen desselben nach aussen.
Für die Aetiologie der Haematokele kann dieser Umstand entscheidend sein
IIAEMATOKELE RETROUTEPJNA. 335
indem der mikroskopisclie Befund dann bestimmend ist. Doch sind auch Ver-
eiterungen der Blutmassen keine Seltenheit, wobei es zu einem Uurchbruch
in den Mastdarm (der häufigste Fall), in die Scheide, in die Blase (wenn der
Bluterguss auch das Cavum vesicouterinum mit erfasst hat) oder in die Beri-
tonealhühle kommen kann. Während aber beim Durchbruche nach Aussen
der Krankheitsverlauf bedeutend abgekürzt wird, bildet der Durchbruch nach
innen eine schwere Complication.
Therapie: Hinsichtlich der Therapie ist das Verhalten zumeist ex-
spectativ- symptomatisch, in wenigen Fällen ist man zum chirurgischen Vor-
gehen genöthigt. Ein, die Therapie wesentlich unterstützender Factor ist die
Berücksichtigung des Allgemeinbefindens und das Hinarbeiten auf Hebung der
Ernährung und Beseitigung der Schwächezustände.
Ruhe ist die erste Bedingung, die eingehalten werden muss. Bei frischen
Processen, oder da, wo Nachschübe von Blut vorausgesetzt werden, ist die
Kälteeinwirkung von Vortheil.
Die schlechten Erfahrungen, die man beim activen Vorgehen gemacht
hat, haben die Therapie mehr in eine zuwartende Bahn gelenkt. Bei den
früher häufig vorgekommenen Incisionen der hinteren Vaginalwand, behufs
Entleerung des Blutsackes, ist es oft zu phlegmonösen Processen und foudro-
yanten Fieberbewegungen gekommen, die ein mehr passives Verhalten auf-
genöthigt haben. Da, wo ein Durchbruch sich vorbereitet, soll man denselben
sich ruhig vollziehen lassen. Zwingt ein langandauerndes Fieber, oder der
Umstand, dass der Tumor sich nicht verkleinert, die Eröfinung der Höhle
von der Vagina aus vorzunehmen, so muss dies mit aller Vorsicht geschehen.
Eine plötzliche Entleerung der Höhle ist zu widerrathen und dem Eindringen
von Luft in dieselbe, muss durch Vermeidung des negativen Druckes durch
Höherlagerung des Rückens, entgegengearbeitet werden. Nur langsam darf
sich die Entleerung vollziehen und durch passend eingebrachte Drainage muss
diese unterstützt werden.
Nur da, wo durch die anhaltende innere Blutung das Leben direct be-
droht erscheint, kann zur Laparotomie geschritten werden. Dass damit die
Prognose bedeutend getrübt ist, braucht nicht näher erwähnt zu werden.
Differentialdiagnose: Obzwar bei richtiger Beobachtung, gründ-
licher Untersuchung und unter Berücksichtigung der anamnestischen Momente,
«ine Verwechslung mit einem anderen Beckenbefunde nicht so leicht möglich
ist, so seien hier dennoch einzelne differential-diagnostische Merkmale her-
vorgehoben.
Um nicht eine Verwechslung mit einem Exsudat zu begehen, halte man
sich vor Augen, dass dasselbe, wenn es sich schon bis hinter den Uterus er-
strecken sollte, fast immer eine Temperatursteigerung mit sich bringt und
nur allmälig entsteht, während eine Temperatursteigerung bei Haemato-
kelen schon zu grösseren Seltenheiten gehört und der Tumor sich plötzlich
bildet. Die Entstehung zur Zeit der Periode oder bei vermuthlicher Schw^anger-
schaft spricht auch für Haematokele. Es sei hier auch erwähnt, dass die
meisten Fälle der sogenannten Parametritis posterior eigentlich nichts
anderes sind, als in späteren Stadien zur Beobachtung gelangte Haemato-
kelen.
Eine weitere Verwechslung wäre möglich mit einem extraperitonealem
Haematom, wie solche aus ähnlichen Ursachen und ebenso plötzlich, wie die
Haematokelen, entstehen. Doch die extraperitonealen Haematome liegen seit-
lich vom Uterus und wenn sie beide Ligamenta lata betreffen und doch mit ein-
ander communiciren, dann ist die unter dem Douglas befindliche Brücke
kleiner, als die seitlichen Tumoren, während der Douglas"sche Raum leer
bleibt, wenn das Haematom mit einer Haematokele nicht complicirt ist.
336 HAEMATOMETRA UND HAEMATOKOLPOS.
Das Haematom drängt den Douglas'schen Raum selten gegen die hin-
tere Vaginalwand vor, während dies bei der Haematokele fast immer der Fall
ist. Eine Ausnahme bilden jene Fälle, wo vor Entstehung einer Haematokele
eine Verklebung der Douglas'schen Falten bestand, wobei das Blut sich höher
oben ansammelt, den Fundus überdachen kann und im Cavum vesico-uterinum
zur Bildung eines Blutsackes Veranlassung gibt (Haematokele peri- und ante-
uterina). Ferner ist das Haematom nach oben immer abgrenzbar, während
die Abgrenzung nach oben bei den Haematokelen nur im Falle ausgedehnter
Verwachsungen nachweisbar ist.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass das Haematom nur anfangs druck-
empfindlich ist, während bei den Haematokelen immer Druckempfindlichkeit
besteht.
Vor einer Verwechslung mit Erkrankungen der Ovarien und Tuben
schützt eine genau aufgenommene Anamnese und eine gründliche Unter-
suchung. PISKACEK.
Haematometra und HaematokolpOS. UnterdenGynatresleen zuerst
zu erwähnen ist die Atresia hymenalis. Das imperforirte Hymen zeichnet
sich zumeist durch grosse Derbheit und Festigkeit aus. Die Atresieen der
Vagina beruhen in der Mehrzahl der Fälle auf Entwicklungsfehlern, und es
kann dabei das ganze Scheidenstück der MüLLER'schen Fäden fehlen, so dass
Blase und Mastdarm nur durch eine dünne Zellgewebsschichte getrennt er-
scheinen, oder es ist der Scheidenantheil der MüLLER'schen Fäden zwar
vorhanden, jedoch auf eine kürzere oder längere Strecke verwachsen und
unpassirbar. Es kommen daher alle möglichen Uebergangsformen vom ein-
fachen membranösen Verschlusse bis zur breiten Atresie vor.
Erworbene Atresieen der Scheide entstehen infolge von puerperaler
Drucknekrose, anderweitigen Verletzungen (Nothzuchtsversuchen), caustischen
Injectionen, Entzündungen oder infectiösen Ulcerationsprocessen mannig-
facher Art.
Im Gegensatz zu den vaginalen Atresieen sind die der Gebärmutter
häufiger erworben als angeboren; namentlich sind Fälle selten, in denen
congenitale Atresia uteri isolirt ohne anderweitige Entwicklungsanomalie
der Sexualorgane, auftritt. Der Verschluss wird entweder dadurch herbei-
geführt, dass der Schleimhautüberzug der Vaginalportion ohne Unterbrechung
von einer Muttermundslippe bis zur anderen hinüberzieht, oder es ist der
Cervix in toto nicht perforirt und die ganze Vaginalportion nur dürftig ent-
wickelt. Erworbene Obliterationen können sowohl den äusseren als den
inneren Muttermund betreffen. Der Verschluss des äusseren Orificiums ist
die Folge von Drucknecrose, von Verwachsung gegenüberliegender Ge-
schwürsflächen oder auch von Verlöthung des amputirten Cervixstumpfes mit
dem benachbarten Scheidengewölbe. Verwachsungen des Orificium internum
finden wir in der Mehrzahl der Fälle bei älteren Individuen infolge von
catarrhalischer Endometritis mit Epithelverlust.
Angeborene Gynatresieen führen natürlicher Weise mit dem Beginne
der Geschlechtsreife zur Zurückhaltung des Menstrualblutes. Das Genitalrohr
wird durch das über dem Verschlusse angesammelte Blut immer w^eiter aus-
gedehnt, also zu einem Blutsacke ausgeweitet. Je nach dem Sitze der Obli-
teration betheiligt sich nur der Uterus („Haematometra") und in diesem
vorwiegend das Collum oder auch die Scheide („Haematokolpos") an der
Bildung des Blutsackes ; daneben finden sich auch bei längerem Bestände Blut-
ansammlungen in den Eileitern („Haematosalpinx"). Hiebei stellen die
Tuben nicht einen einfachen Hohlraum dar, sondern sie bilden eine Reihe
von Blutsäcken, die durch peritonitische Pseudomembranen und Stränge von
HAEMATOMETRA UND HAEMATOKOLPOS. 337
einander geschieden sind. Bleibt das abdominale Ende offen oder gibt es
dem Drucke des angestauten Blutes nach, so kann sich letzteres in die Bauch-
höhle ergiessen und wird im günstigsten P'alle im DouGLAs'schen Räume
abgekapselt (Haematokele retrouterina. *)
Das zurückgehaltene Blut hat meist die bekannte theerartige Farbe und
Consistenz; durch Beimischung von Entzündungsproducten kann es auch eine
eitrige Beschaffenheit annehmen. Doch ist es nicht immer Blut, welches
derartig zur Stauung im Genitale gelangt, sondern zuweilen auch katarrhalisches
Secret, was Letzteres meist, und zwar in relativ bedeutenderem Maasstabe,
bei den im Klimacterium erworbenen Atresieen vorkommt. Ist nur das
Orificium internum verschlossen, so wird nur das eigentliche Cavum uteri
ausgedehnt und wir sprechen dann von einer Hydrometra. Wenn beide
Orificia verschlossen sind, finden wir häufig sanduhrlormige Tumoren aus-
gebildet. Luftzutritt oder Entwicklung von Fäulnisgasen kann zur Entstehung
einer sogenannten Phy so metra Anlass geben. Vorübergehende Verklebungen
des Muttermundes, seien sie nun in Folge von Ausflüssen oder nach Aetzungen
oder Anwendung der Glühhitze entstanden, führen in manchen Fällen zur
Zurückhaltung höchst übelriechender Jauche.
Die hauptsächlichste Indication für das Einschreiten bilden die
durch die Zurückhaltung von Uterussecreten oder Menstrualblut bedingten
Folgeerscheinungen und Gefahren. Am meisten leiden die Patientinnen anfangs
nur während der Menstruationszeit, später auch durch das Hinzutreten von
äusserst heftigen Schmerzanfällen, die durch das Auftreten von Entzündungs-
processen zu erklären sind. Je nach der Grösse und Lage des Tumors stellen
sich im Verlaufe Compressionserscheinungen von Seite der Beckenorgane sowie
mechanische Beschwerden verschiedener Art ein. In solchen Fällen ist es
nun unsere Aufgabe, nicht blos die einmalige Entleerung der Retentions-
flüssigkeit durchzuführen, sondern es muss ein dauernd ungehinderter Abfluss
für die Uterussecrete hergestellt werden.
Bei einfacher Atresia hymenalis werden die Labien auseinandergezogen,
das untere Scheidenrudiment durch Pdnnenspecula freigelegt und ein Spitz-
messer oder Troiquart durch den sich vorbauchenden bläulich oder schwärzlich
schimmernden Blutsack durchgestossen. Beginnt der Inhalt langsamer zu
fliessen, so wird die Oeffnung durch einen Kreuzschnitt erweitert und ein
Stück der obturirenden Membran exscidirt.
Wenn wir die bei verschiedenen Formen von Atresie erforderlichen Ein-
griffe überblicken, so finden wir, dass es sich stets nur um einen Stich oder
Schnitt durch ein wenig gefässreiches Gewebe handelt. Nur bei der Eröffnung
breiter Scheidenatresieen werden breite Wunden gesetzt und kommt überdies
noch die Gefahr einer Verletzung des Peritoneums in Betracht. Demzufolge
sollte man die Operation der Gynatresie für ungefährlich halten, und dennoch
weist sie eine viel höhere Mortalität auf als manche scheinbar viel eingreifendere
Operation. Die weitaus grösste Zahl der Gestorbenen erliegt septischen
Processen, der Ruptur der Blutsäcke in die Tuben oder in den Uterus. In
äusserst seltenen Fällen ist die Sepsis auf directe Infection zurückzuführen,
meistens entsteht sie durch Zersetzung des unvollständig entleerten Blutsack-
inhaltes. Die Perforation von Blutsäcken in die Tuben kommt entweder
durch innere Hämorrhagie oder durch acuteste Perforationsperitonitis zu
Stande. Als prädisponirendes Moment für die Ruptur ist vor Allem die
Brüchigkeit der ausgedehnten, verdünnten und durch vorausgegangene Ent-
zündungsprocesse veränderten Tubarwandungen anzusehen. Früher wurden
meist Contractionen des Uterus beschuldigt, welche bei unvollständiger Ent-
leerung des Blutsackes oder bei Verklebung der Punctionsöflnung das Blut
*) Siehe dieses Stichwort, pag. 332.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gvnaefcoloeie. ^"
338 HAEMATOMETRA UND HAEMATOKOLPOS.
aus dem Uterus nacli den Tuben treiben sollten. Diese Erklärung ist aber
nicht stichhältig; denn abgesehen davon, dass die Annahme einer unvoll-
ständigen Entleerung oder eines Verschlusses der Punetionsöffnung häufig
nicht der Fall ist, erscheint eine Einwirkung von Contractionen der Gebär-
mutter auf die Tuben schon deshalb nicht zutreffend, weil das Ostium uterinum
verschlossen ist und die einzelnen Tubarblutsäcke unter sich durch Membranen
von einander getrennt sind.
Wichtig erscheint zunächst die Wahl eines passenden Zeitpunktes für
die Operation, da die mit der katamenialen Congestion und Hämorrhagie
verbundene Volumszunahme der Retentionssäcke den Eintritt der Ruptur
begünstigen kann. Man operirt deshalb am vortheilhaftesten bald nach Ablauf
einer Menstruationsepoche, um auf diese Weise einen möglichst langen
Zeitraum — bis zur nächsten Periode — zu gewinnen. Weiterhin ist auch
die Art der Entleerung zu berücksichtigen, welche nur langsam erfolgen
darf, damit der Anlass zu plötzlichen Druckschwankungen innerhalb der
Bauchhöhle, vermieden werde. Um der Zersetzung zurückgebliebener In-
haltsreste vorzubeugen, muss für einen permanent freien Abfluss Sorge
getragen werden. Haben wir es mit einem membranösen Verschlusse zu
thun, so erreichen wir dies am besten und leichtesten durch eine genügend
weite und passende Eröffnung, während wir bei breiten Atresieen genöthigt
sind, den neu gebildeten Canal durch Einlage von Canülen oder Glasröhren
offen zu halten. Nach beendigter Operation wird Darm und Uterus durch
reichliche Gaben von Morphium auf längere Zeit vollkommen ruhig gestellt
und in jeder Weise für die absoluteste Körperruhe der Patientin gesorgt.
Handelt es sich bestimmt um Tubarsäcke, dann ist die Laparatomie
indicirt, sie bildet sogar in jenen Fällen, wo bereits eine Ruptur eingetreten
ist, mit nachfolgender Drainage den einzigen Weg der Rettung. Bei der
Nachbehandlung ist das Hauptaugenmerk darauf zu richten, dass der artificielle
Canal offen bleibe und Retentionsvorgänge innerhalb des Sackes verhütet
werden. Beides macht in der Regel nur bei breiten Atresien Schwierigkeiten,
und sucht man das unbequeme Vorkommnis, das sich häufig bei breiten
Atresien im Wiederverschlusse des neugebildeten Canales manifestirt, dadurch
zu verhindern, dass man die Troiquartcanüle liegen lässt oder elastische
Katheter einführt. Da indessen meist nicht ganz streng aseptisch verfahren
wurde, so waren häufig Zersetzungsprocesse innerhalb der Tubarsäcke zu
beobachten. Diese Erfahrung führte zunächst zur Anwendung von Doppel-
canülen, wodurch man antiseptische Lösungen einführen konnte. Hiezu
gehört nun die von Breisky angegebene pfeifenförmige Doppelcanüle. Breisky
will zunächst über die Hülse seines Troiquartmessers die sogenannte Zangen-
canüle vorgeschoben haben, welche im Wesentlichen aus zwei äusseren sperr-
baren Halbrinnen besteht; mittelst dieses Instrumentes sollen die Ränder der
Punctionsstelle so weit auseinandergehalten werden, dass nun ein 6 — 7 mm
langes Doppelröhrchen mit pfeifenförmigem Knopfe eingeführt werden kann. Der
Knopf soll gerade in die Gegend der bestandenen Atresie zu liegen kommen und
dieselbe gedehnt erhalten. In sein äusseres Ende ist ein röhrenförmiges Ansatz-
stück angepasst, durch welches der Retentionssack ausgespült werden kann.
Die Prognose der Operation hängt vor Allem von der anatomischen
Beschaffenheit des Verschlusses und der Ausdehnung der Retention ab. Je
ausgedehnter die Verwachsung, je unzugänglicher die verschlossenen Theile,
desto länger wird die Operation dauern; je länger die Retention dauert, umso
vorgeschrittener und ausgedehnter sind die entzündlichen Veränderungen
in der Umgebung der Retentionssäcke und umso mehr ist die Anwesenheit
von peritonealen Adhäsionen und abgeschlossenen Tubarsäcken zu befürchten.
Doch ist immerhin in glücklichen Fällen die Wiederherstellung der sexuellen
Functionen eine vollkommene. v. braun-fernwald.
HÄNGEBAUCII. 339
HänyebaUCh, {Venter propenäens. — Anteversio oder Anteflexio uteri
gravidi). Unter Hängebauch verstehen wir eine Lageanomalie des Uterus,
die in der 2. Hälfte der Schwangerschaft auftritt. Legen wir eine hoch-
schwangere Frau mit leicht erhöhtem Oberkörper in horizontale Lage, so
wird eine durch die Schamfuge gelegte senkrechte Linie höchstens die Uterus-
vorwölbung des Leibes tangiren, beim Hängebauch geht die Vorwölbung nach
den Füssen zu über die Linie hinaus. Der Hängebauch verstärkt sich beim
Stehen der Schwangeren.
Die Ursachen des Hängebauchs liegen einmal in einer verminderten Re-
sistenz der Bauchdecken und auch der Uteruswandungen, daher findet sich
derselbe vorwiegend bei Zweit- und Mehrgeschwängerten. Dann sind von Ein-
fluss alle mechanischen Verhältnisse, wodurch eine grössere Belastung der
vorderen Bauch- und Uteruswand bewirkt wird. Vor Allem also der Hochstand
des schwangeren Uterus, meist bedingt durch Beckenenge, aber auch durch
Zwillingsschwangerschaft, Hydrocephalus etc. Ferner können alle Fehler, durch
welche eine Beschränkung des Bauchraumes hervorgerufen wird, Hängebauch
zur Folge haben. So: Kleine Statur, Scoliose der Wirbelsäule, besonders auch
Lordose der Lendenwirbelsäule, dann geringe Beckenneigung, wodurch Sym-
physe und Schwertfortsatz genähert werden. Aber auch durch zu starke Becken-
neigung wird die Disposition zu Hängebauch gesteigert, wegen des grösseren
Drucks auf die vordere Bauchwand und der Beschränkung der Bauchhöhle im
sagittalen Durchmesser.
Man findet alle möglichen Grade von Hängebauch von den ersten An-
fängen bis zu den Fällen, in denen der Uterus auf den Oberschenkeln nach
den Knieen zu herabhängt. Diese höchsten Grade findet man vornehmlich bei
Beckenenge. Es darf hier eingeschaltet w^erden, dass der Hängebauch bei
Beckenenge trotz wiederholter Schwangerschaft fehlen kann. Wenn er bei Erst-
geschwängerten gefunden wird, ist er uns ein dringender Hinweis, das Becken
auf seine Weite zu untersuchen. — Durch das Vornüberhängen des Uterus
bildet sich eine charakteristische quere Hautfalte oberhalb der Schamfuge,
hier zeigt sich oft ein lästiges Erythem. Die unteren Theile der Bauchdecken
sind mitunter ödematös. Meist, besonders bei den stärkeren Graden des
Hängebauchs besteht eine Diastase der recti, so dass der anteflectirte Uterus
in einer Aussackung liegt, die durch gedehnte Haut, Fascien und Peritoneum
gebildet wird. Doch kommt auch eine Dehnung der Bauchhaut in toto ohne
Diastase der recti vor. Weil der Uterus mit dem Fundus so stark nach vorn
übersinkt, sucht der Cervix nach hinten und oben hin auszuweichen so, dass
er sogar oberhalb des Beckeneingangs gefunden werden kann. — Während
der Schwangerschaft klagen die Patientinnen über mancherlei Belästigungen:
Ziehende Schmerzen in Leib und Rücken, Beschwerden durch Intertrigo etc.
Harnbeschwerden; auch Incontinentia urinae, ja sogar Erbrechen wird der
Wirkung des Hängebauchs zugeschrieben. Von ungleich schwereren Folgen
kann der Hängebauch für den Verlauf der Geburt sein. Abgesehen von den
Störungen durch Wehenschwäche, mangelnden Druck der Bauchpresse und
spätes Verstreichen der vorderen Muttermundslippe, wird durch den Hänge-
bauch eine ungünstige Richtung der Fruchtaxe bewirkt, der Kopf gelangt
daher nicht oder doch erst spät in das kleine Becken. Durch den Hochstand des
Kopfes kommt es leicht zu vorzeitigem Blasensprung und Vorfall von Extre-
mitäten und Nabelschnur. Der Kopf wird gegen das Promontorium und die
hintere Beckenwand gedrängt, die Pfeilnaht verläuft dicht am Promontorium.
Oder es bildet sich gar die gefürchtete Hinter scheite Ibeinstellung
aus, bei der die Pfeilnaht dicht hinter der Schamfuge verläuft und das hintere
Scheitelbein in den Beckeneingang gedrängt wird, eine Kopfstellung, bei der
oft nur die Perforation des Kindes die Mutter vor Uterusruptui' retten kann.
Es finden sich alle diese Schwierigkeiten des Eintretens des vorliegenden Theils
340 HARNFISTELN.
oft schon bei normalen Becken; es ist klar, dass sie in den Fällen von Becken-
enge, und das ist die Mehrzahl, noch weit bedeutender sind.
Die Behandlung des Hängebauchs beschränkt sich in der Schwanger-
schaft auf das Anlegen einer passenden Leibbinde oder eines rationell ge-
bauten Corsets, durch welche der Uterus gestüzt wird/")
Für die Geburt empfiehlt es sich die Kreissende frühzeitig in Rücken-
lage zu lagern, um den vorzeitigen Blasensprung zu verhüten. Winkel räth
halbsitzende Stellung. Der Hängebauch muss durch passende Binden (Hand-
tücher) oder durch die Hände des Geburtshelfers (besonders während der Wehe)
aufgerichtet werden. Es gelingt dadurch oft ganz normalen Geburtsverlauf
zu erzielen in Fällen, in denen früher zu zerkleinernden Operationen ge-
schritten werden musste. f. deoysen.
Harnfisteln. Man unterscheidet: a) Hm-nröhrenscheidenfisteln, h) Blasen-
scheidenfistehij c) Blasen- Cervixßsteln, d) Harnleiterscheidenfisteln, e) Harnleiter -
Cervixfisteln.
Die Entstehung der Harnfisteln*"^") ist in der grossen Mehrzahl der
Fälle auf schwere Geburten bei räumlichem Missverhältnis zwischen mütter-
lichem Becken und kindlichem Schädel (enges Becken oder zu grosser Kopf)
zurückzuführen. Der langanhaltende und starke Druck, welchem eine Gewebs-
partie zwischen dem letzteren und der Symphyse ausgesetzt ist, kann Gan-
grän zur Folge haben. Mit Zerfall des Schorfes bildet sich die Fistel. Selte-
ner kommt es bei instrumenteller Beendigung von Geburten (Zange, Haken,
Kephalotrypsie, scharfe Knochenstücke bei Kranioklasie) zu einer directen Zer-
reissungder Blasenscheiden-, beziehungsweise Blasencervixwand, letzteres nur
dann, wenn der Muttermund sich noch nicht über den Kopf zurückgezogen hat.
Auch gelegentlich gynäkologischer Operationen (Kolporaphia anterior,
vaginale Enucleation cervicaler oder interligamentärer Myome, vaginale Fixa-
tion des retroflectirten Uterus) kann es zu einer Eröffnung der Blase von
der Scheide aus kommen. Da hier aber die Verletzung sofort durch die Naht
geschlossen wird, kommt es selten zur Fistelbildung. Dagegen ist die vagi-
nale Totalexstirpation des Uterus heutzutage die häufigste Ursache von Harn-
leiterscheidenfisteln.
Zu langes Tragen von Pessaren — die Zv^^ANCK'schen Hysterophore
werden von Aerzten glücklicherweise nicht mehr eingelegt — gibt nur noch
selten Anlass zur Bildung von Blasenscheidenfisteln. Oefter beobachtet man
sie bei inoperablen Cervixcarcinomen. Fälle, in welchen Blasensteine, Blasen-
geschwüre, entzündliche Processe der Vagina (Diphtherie) zur Perforation der
Blasenwand geführt haben, sind nur wenige beobachtet worden.
Die einzige directe Erscheinung, welche eine Harnfistel hervorruft,
ist der unwillkürliche Urinabgang. Bei kleineren Fisteln kann noch ein Theil
des Harns auf natürlichem Weg entleert werden; bei grösseren geht er
sämmtlich durch die Fistel ab. In letzterem Fall wird das Blasenlumen all-
mälig ein immer kleineres, — Bei Bestehen einer Harnleiterscheidenfistel
fliesst natürlich nur der von der Niere der betroffenen Seite secernirte Urin
ununterbrochen durch die Scheide ab. In der Regel tritt da, wo eine schwere
Geburt Veranlassung zur Fistelbildung gegeben hat, zwischen dem dritten
und fünften Tag Harnträufeln ein. Nur, wenn es schon bei der Entbindung
zu einer Eröffnung der Blase gekommen war, schliesst es sich sogleich an
die--erstere an.
*) Vergl. die diesbezüglichen Abbildungen im Artikel „Instrumentarium zur Gynae-
kologie"'.
**) Vergl. auch den Artikel „Blasenkranlclieiten des Weibes" pag. 114 u. £f.
HARNFISTELN. 341
Im weiteren Verlauf kommt es fast regelmässig zu einer Entzündung
der Scheide und. Vulva in Folge ihrer fortwährenden IjeniJssung mit Urin.
An den äusseren Geschlechtstheilen, an der Innenfläche der Oberschenkel, am
Gesäss können sich Excoriationen bilden. Oft entsteht Blasenkatarrh. Quälend
für die Kranken, aber auch für ihre Umgebung ist der fortwährende Urin-
geruch, welchen sie verbreiten.
Die Diagnose der Harnfisteln wird meist eine leichte sein. In der
Mehrzahl der Fälle wird schon die Angabe der Patientin, dass einige Tage
oder unmittelbar nach einer schweren Entbindung unwillkürlicher Urinabgang
eingetreten sei, keinen Zweifel lassen, um was es sich handelt. Bei grösseren
Blasenscheiden- oder Harnröhrenfisteln wird die digitale Untersuchung der
Scheide, bei kleineren die Besichtigung mittelst eines Speculums die Ver-
muthung bestätigen. Schwierigkeiten kann es aber machen bei nach dem
Puerperium zurückgebliebenen Verengerungen oder Verwachsungen in der Vagina
über den Sitz der Fisteln in's Klare zu kommen. Unter Umständen muss zu
einer gewaltsamen Erweiterung, beziehungsweise einer Durch trennung geschritten
werden. Sonst kann die Berührung einer durch die Harnröhre in die Blase
und einer durch die Scheide eingeführten Sonde oder die Füllung der Blase
mit gefärbter Flüssigkeit (Milch, dünne Anilin- oder Methylenblaulösung) den
gewünschten Aufschluss geben. Fliesst im letzteren Fall weder nach der
Scheide, noch durch den Cervix Flüssigkeit ab, so handelt es sich um eine
Harnleiterfistel, deren Sitz sich gewöhnlich seitlich im Scheidengewölbe be-
findet. Die Diagnose einer solchen wird durch das Einführen einer feinen
Sonde in die meist schlitzförmige Oeffnung nach vorausgeschickter gründlicher
Desinfection der Scheide, durch die Beobachtung einer nicht continuirlichen,
sondern stossweisen Urinentleerung gesichert.
Die Prognose ist mit seltenen Ausnahmen eine günstige. Kleinere
Fisteln heilen zuweilen spontan. Die Heilung auf operativem Wege hat Dank
der fortgeschrittenen Technik von Jahr zu Jahr günstigere Ergebnisse aufzu-
weisen. Es ist nicht zu viel gesagt, dass es heutzutage dem erfahrenen und
geschickten Operateur in der Regel gelingt, selbst grosse oder ungünstig ge-
legene Fisteln zu schliessen.
Die Prophylaxe der Harnfisteln fällt in erster Linie mit einer sach-
gemässen Leitung der Geburt bei räumlichem Missverhältnis zwischen Kopf
und Becken zusammen. Wie aus dem Eingangs Gesagten hervorgeht, trägt
die operative Beendigung der Geburt viel seltener als das zu lange Aufschieben
derselben die Schuld an dem Zustandekommen der Fistelbildung. Daraus er-
klärt es sich, dass Harnfisteln heutzutage in Gegenden, wo die Hebammen
gut geschult sind und ärztliche Hilfe leicht zu haben ist, nur noch sehr
selten vorkommen. Frauen, welche Pessare tragen, muss eingeschärft werden,
dass letztere, selbst wenn sie keine Beschwerden verui'sachen, doch in regel-
mässigen Zwischenräumen entfernt und gereinigt, beziehungsweise durch
neue ersetzt werden müssen. Um der Verletzung der Harnleiter bei vagi-
naler Totalexstirpation des Uterus vorzubeugen, ist es angezeigt, vor Unter-
hindung der Lig. lata die Blase vom Cervix loszulösen und möglichst nach
oben zu schieben, bei Infiltration, beziehungsweise Schrumpfung der Parame-
trien vorsichtig, stückweis und womöglich unter ControUe des Auges zu um-
stechen und zu unterbinden.
Bei frischen, im Anschluss an eine Geburt entstandenen Harnfisteln be-
schränkt sich die Behandlung zunächst auf desinficirende Ausspülungen
der Scheide. Kleine heilen unter denselben nicht allzuselten spontan.
Aetzungen der Fistelränder sind als nutzlos, ja unter Umständen sogar schäd-
lich zu unterlassen.
Schliesst sich die Fistel nicht, so schreite man nicht vor der vierten
Woche zur Operation, schiebe letztere auch nicht zu lange auf, damit die
342 HARNFISTELN.
Gewebe nicht zu sehr an Blutreichthum verlieren. In Fällen, wo Blaseii-
scheidenfistebi, in welchen die Scheide verengert ist oder ausgedehnte Ver-
wachsungen bestehen, muss, um sich die Fistel gut zugänglich zu machen,
erstere erweitert, die letzteren gelöst werden. Zu diesem Zweck kann man
sich der von Bozeman angegebenen Kugeln oder Cylinder aus Hartgummi von
steigender Grösse bedienen.") Nach warmer Ausspülung der Scheide werden
sie in letztere eingeführt und bleiben mehrere Stunden liegen. Empfehlens-
werth ist auch die wiederholte feste Tamponade mit Jodoformgaze. Da aber
das eine wie das andere Verfahren langwierig und für die Kranken lästig
ist, so wird in neuerer Zeit, die schon von Simon befürwortete Dehnung der
Vagina und die blutige Trennung etwaiger Verwachsungen geübt.
Ist auf diese oder jene Weise das Operationsfeld zugänglich gemacht
worden, so wird die Fistel mittelst SiMON'scher Specula und Seitenhebel ein-
gestellt. Hierfür speciell eine Körperlage der Patientin zu empfehlen, ist nicht
richtig. In der Kegel wird die Steissrückenlage die Operation ermöglichen.
Wohl aber kommen Fälle vor, in denen die Fistel in Knieellenbogen- oder
Seitenlage der Patientin dem Auge besser sichtbar gemacht werden kann.
Auch das Hinabziehen der Portio vaginalis mittelst eines durch sie gelegten
Zügels oder einer Kugelzange empfiehlt sich unter Umständen zu diesem
Zweck. Die Anfrischung der Fistel erleichtert man sich durch Anspannung
des sie umgebenden Gewebes mittelst scharfer Häkchen oder durch Entgegen-
drücken mittelst eines dicken in die Blase eingeführten Katheters. Man be-
dient sich langgestielter, schmaler, spitzer Messer. Manche Gynäkologen
verwenden über die Kante gebogene, nach rechts oder links schneidende.
Die Art der Anfrischung kann nicht für alle Fälle dieselbe sein. Sie
muss sich den Verhältnissen anpassen. Im Allgemeinen hat sie nicht zu
schmale Wundflächen zu schaffen, welche sich ohne wesentliche Spannung
vereinigen lassen. In einfachen Fällen genügt eine je nachdem steile oder
mehr flache Umschneidung der Fistel in der Art, dass das Messer circa Vs «^'^
vom Fistelrand schräg eingestochen an der Grenze der Blasenschleimhaut
wieder erscheint. Ein Anschneiden der letzteren vermeide man, da es zu sehr
störenden Blutungen in die Blase führen kann.
In jüngster Zeit ist die bei plastischen gynäkologischen Operationen
jetzt viel benützte Lappenbildung, besonders von Fritsch auch für die
Schliessung von kleineren Blasenscheidenfisteln empfohlen worden. Es wird
ein Längsschnitt über die Fistel geführt, die Ränder desselben nach beiden
Seiten unterminirt und die so geschaffenen Lappen vereinigt. Auch für solche
Fälle eignet sich die FßiTScn'sche Methode, in welchen der eine Rand der
Fistel an dem Knochen festsitzt. Dieser wird gewöhnlich angefrischt. An
dem beweglichen, beziehungsweise dem, welcher sich beweglich machen
lässt, wird in der angegebenen Weise ein Lappen gebildet. Letzterer muss so
gross sein, dass er sich leicht über den Defect ziehen und annähen lässt
(Centralbl. f. Gyn. 1888, pag. 805).
Zuweilen kann bei diesen mit den Beckenknochen verwachsenen Fisteln
eine sofortige Operation von der Scheide aus unmöglich sein. Teendelenburg
macht dann die Sectio alta in Beckenhochlagerung, frischt die Fistel von der
Blase aus an und näht sie derart, dass er die Fäden nach der Scheide
durchführt und dort knotet.
Fritsch versucht in solchen Fällen die Blase zwar von oben her vom
Knochen abzulösen, näht aber nicht von der Blase aus, sondern hält letztere
durch feste Jodoformgazetamponade nach unten gedrückt und schliesst nun
die Fistel doch von der Vagina her.
*) Siehe die diesbezüglichen Abbildungen im Artikel „Instrumentarium in der Gynae-
Jcölogie.^'-
IIARNFISTELN. 343
Bei Blasencervixfisteln zieht man die Portio stark nach unten, spaltet
sie seitlich und klappt die vordere Lippe nach oben. Kleinere lassen sich in
der Eegel leicht schliessen, da der Cervix eine tiefe Anfrischung und feste
Naht gestattet. Walcher empfiehlt die Loslösung der Blase vom Cervix, wie
sie bei der vaginalen Totalexstirpation geübt wird. Bei sehr grossen Blasen-
cervixfisteln muss man auf einen directen Verschluss verzichten. Man frischt
den Muttermund an und vernäht diesen. Das Menstrualblut wird dann durch
die Blase ausgeschieden.
Als Nahtmaterial wird Seide, Silkwormgut, Catgut, Silberdraht ver-
wendet. Das eine oder das andere zu benützen, ist Geschmackssache. Die mei-
sten Gynäkologen sind wieder zur Seide zurückgekehrt. Die Nähte werden in
Zwischenräumen von circa V2 ^'^ angelegt. Es ist darauf zu achten, dass sie
genügend Gewebe fassen, um ein Durchschneiden zu verhüten. Die Blasen-
schleimhaut vermeidet man, führt aber die Nadel dicht über ihr hin.
Nachdem alle Nähte gelegt sind — und zwar lege man nicht zu viel —
werden sie von der Mitte her nach den Seiten unter genauer Anpassung der
Wundränder geknüpft, wobei man sich hüten muss, sie zu fest anzuziehen.
Klaffen die Wundränder noch an einer Stelle, so werden sie durch feine,
oberflächliche Nähte geschlossen. Schliesslich wird die Nahtlinie mit Jodoform
oder Dermatol bepudert und in die Scheide ein Jodoformgazestreifen gelegt.
Die Nachbehandlung wird verschieden gehandhabt. Während manche
Gynäkologen die Patientin von vornherein den Harn spontan entleeren lassen,
drainiren andere die Blase während der ersten Tage; noch andere lassen den
Urin regelmässig mittelst des Katheters entleeren. Dass alle über gute
Eesultate berichten, ist ein Beweis dafür, dass es nicht von wesentlicher Be-
deutung ist, wie man in dieser Beziehung verfährt. — Die Blasenblutungen
versuche man durch Auflegen einer Eisblase auf die Blasengegend und subcu-
tane Ergotininjection zum Stillstand zu bringen. Bleibt dies erfolglos, so kann
Jodoformgazetamponade der Blase von der Urethra aus zum Ziel führen. Wenn
nicht, bleibt nur die Eröffnung der Blase und Tamponade von der Fistel
selbst aus übrig.
Die Patientin lässt man 8 Tage das Bett hüten. Die Nähte werden am
achten Tage unter Vermeidung irgend erheblicher Spannung der frischen
Narbe vorsichtig entfernt. Ist eine kleine Fistel zurückgeblieben, so warte
man einige Wochen, ehe man zu einer zweiten Operation schreitet, da sehr
häufig noch spontane Heilung eintritt.
Früher kam es nicht allzu selten vor, dass man sehr grosse Blasen-
scheidenfisteln (besonders bei totalem Verlust der Harnröhre) nicht zum Ver-
schluss brachte. Man nahm dann zu der Kolpokleisis seine Zuflucht, indem
unterhalb der Fistel ein Ring in der Scheide angefrischt und dann vereinigt
wurde. Der augenblickliche Erfolg ist meist ein zufriedenstellender. Nach
nicht allzulanger Zeit kommt es aber zu sehr lästigen Störungen durch Harn-
stauung in der von der Scheide gebildeten Kloake, durch Steinbildung, Blasen-
und Nierenbeckenkatarrh. Man sollte daher die Kolpokleisis nur in den ver-
zweifelten Fällen machen, in welchen die ganze Harnröhre zerstört ist. Hier
lege man aber zuvor eine Kectovaginalfistel an, so dass der Urin per anum
entleert werden kann.
Grosse Schwierigkeiten bereiten auch die Hariüeiterscheidenfistelii
dem Operateur. In der Kegel ist das Blasenende des durchtrennten Ureters
verschlossen, so dass eine Vereinigung desselben mit dem oberen nicht mög-
lich ist. Man ist gezwungen, zunächst eine Blasenscheidenfistel anzulegen, dann
von der Blase aus einen Ureterenkatheter in das offene Ende des Harnleiters
zu führen und über demselben die Schleimhaut etwas anzufrischen und dann
zu vereinigen. Gelingt dies nicht oder handelt es sich um eine Harnleiter-
344 HEBAMMENWESEN.
cervixfistel, so bleibt nur die Exstirpation der entsprechenden Niere übrig, um
die Kranken von ihren qualvollen Leiden zu befreien.
Mackenrodt hat neuester Zeit eine Operationsmethode für Harnlei tersc beide n-
Tind Harnleitergebärmutterfisteln angegeben, welche sich bei zwei der ersteren und
einer der letzteren bestens bewährt hat. Handelt es sich um eine üretergebärmutterfistel,
so wird diese diirch lippenförmiges Einnähen des aus dem Uterus losgelösten Harnleiters
in die Scheide in eine Harnleiterscheidenfistel iimgewandelt (eventuell nach vaginaler
Totalexstirpation des Uterus). Letzterer wird dann durch Implantation in eine künst-
lich angelegte Blasenscheidenfistel geheilt. Graefe.
Hebammenwesen, a) in Oesterreich. Der Unterricht der Hebammen
wird in den im Keichsrathe vertretenen Ländern in dreifacher Weise besorgt,
nämlich in Universitätsstädten mit besonderen Professoren für Mediciner und
Hebammenschülerinnen, wie in Wien und Prag, ferner in Universitätsstädten
mit demselben Vorstand sowohl für die Mediciner als auch für die Hebam-
menschülerinnen, wie in Krakau, Graz und Innsbruck, endlich in Städten, wo
sich keine Universität befindet, so in Salzburg, Olmütz, Lemberg, Linz,
Laibach, Klagenfurt, Triest, Zara, Czernowitz und Brunn.
In Betreff der Erfordernisse, hinsichtlich des Bildungsgrades und Civil-
standes der Aufnahmsbewerberinnen und des Alters hat zu gelten, dass ledige,
verheiratete und verwitwete Frauenspersonen zum Hebammen-Unterrichte
und sohin auch zur Hebammenpraxis zugelassen werden. Sie dürfen jedoch
das 45. Lebensjahr nicht überschritten und sollen, wenn sie ledigen Standes
sind, das 24. Lebensjahr vollendet haben. In Ausnahmsfällen bewilligt das
Ministerium für Cultus und Unterricht über Antrag der Lehrbehörde auch
jüngeren, jedoch nicht unter dem 20. Lebensjahre stehenden ledigen Frauens-
personen, die Aufnahme in die Hebammenschule.
Frauenspersonen, welche an einer österreichischen Hebammenschule Auf-
nahme finden wollen, haben sich in der Regel vor dem Professor einer Auf-
nahmsprüfung zu unterziehen. Bei dieser Prüfung haben sie nachzuweisen,
dass sie die Landessprache correct lesen und schreiben können und mit den
Piechnungselementen vertraut sind. Der Professor hat darauf zu sehen, dass
die Aufnahmsbewerberinnen nicht mit entstellenden Gebrechen behaftet sind,
weder an Krebs, noch an Syphilis leiden, keine Narben oder Verstümmelungen
an den Fingern aufweisen und nicht schwanger sind.
Die Aufnahmsprüfungen finden vom 1. bis 8. October für das Wintersemester, vom
1. bis 8. März für das Sommersemester statt. Später sich Meldende sollen zur Ablegung
der Aufnahmsprüfung nicht mehr zugelassen werden. Die zur Aufnahme sich Meldenden
haben den Tauf- oder Geburtsschein, beziehungsweise den Trauungs-, Witwen- oder den
Todtenschein ihres Gatten, und ein von der Behörde bestätigtes Moralitätszeugnis vor-
zulegen.
Die Ertheilung des Hebammen-Unterrichtes und die Bestreitung der
Mittel für denselben wird als eine Aufgabe der obersten Unterrichtsbehörde
betrachtet und wird von eigenen für dieses Lehrfach ernannten Professoren
ertheilt, denen als Hilfspersonen noch ein oder mehrere Assistenten und eine
oder mehrere geprüfte Schulhebammen beigegeben sind.. Die Kosten des
Hilfspersonales werden gleichfalls vom Staats- Aerar getragen. Uebrigens leistet
der Staat den Hebammenschülerinnen noch viele andere Unterstützungen unter dem
Titel von Stipendien, Reise-, Sustentations-, Miethzins- und Diploms-Auslagen.
Um die Frauen auf dem flachen Lande zum Hebammenstudium zu er-
muntern, werden auch aus Landes- und Gemeindemitteln Stipendien und
Unterstützungen, Weggelder, zumeist unter der Bedingung gewährt, nach er-
langter Concession sich in bestimmten Orten als Hebammen niederzulassen.
Der Hebammen-Unterricht wird theoretisch und praktisch von dem
Professor, den Assistenten und Schulhebammen ertheilt. Der Professor hält
den Schülerinnen systematische Vorträge, täglich eine Stunde unentgeltlich.
HEBAMMEN WESEN. 345
Hiebei wird zuerst die Anatomie des menschlidien Körpers, mit besonderer
Berücksichtigung der Aveiblichen Gesclilechtsorgane und des licsckens belianrlelt
und sonach zu den Vorträgen über Schwangerschaft, rcgelrriiissige Geburt,
Wochenbett und zuletzt zu den regelwidrigen Verhältnissen übergegangen.
Die Schülerinnen sind mit den Anschauungen über Desinfection in einer ihrem
Verständnisse angepassten Weise bekannt zu machen und von Fall zu Fall
mit den von der obersten Sanitätsbehörde zur Sicherung der Pflegebefohlenen
erlassenen Vorschriften {Instruction für die Hebammen) vertraut zu machen.
Sie sind auch zu belehren wie die Mischung der vorgeschriebenen Desinfections-
mittel zu erfolgen hat, ebenso wie das Thermometer bei Gesunden oder Kranken
in Anwendung zu kommen hat. Die Vorlesungen sind mit Demonstrationen
an Wandtafeln, an Alkohol- und trockenen Präparaten (Becken etc.) verbunden.
Bei den Vorträgen über die regelwidrigen Vorgänge werden auch die Schü-
lerinnen mit den in der Instruction für Hebammen vorgesehenen Paragraphen
bekannt gemacht, damit sie beurtheilen lernen, unter welchen Verhältnissen
und zu welcher Zeit sie verpflichtet sind den Arzt rufen zu lassen und welche
Vorsichtsmaassregeln sie zur Verhütung und Weiterverbreitung des Kindbett-
fiebers zu beobachten haben.
Die Assistenten halten Wiederhol ungscurse, in welchen der jedesmalige
Vortrag des Professors nochmals durchgenommen wird.
Die Schülerinnen haben den Professor und die Assistenten vom Dienst
bei ihren Visiten auf den Wochenzimmern zu begleiten. Hiebei werden die ein-
zelnen Wöchnerinnen gezeigt und jene Fälle erklärt, in welchen die Hebamme
wegen Erkrankungen die Hilfe eines Arztes in Anspruch zu nehmen ver-
pflichtet ist.
Jede Schülerin hat eine gewisse Anzahl von Geburten in Gegenwart des
Professors, des Assistenten oder der Schulhebamme zu leiten und die entspre;
chende Hilfeleistung vorzunehmen. Geübtere dürfen in bestimmten, jedoch
stets nur in regelmässigen Fällen selbständig handeln. Instrumental-Opera-
tionen dürfen die Hebammen in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen
und Ländern unter keiner Bedingung vornehmen und Hilfe nur in gewissen
Fällen in der äussersten Nothlage und, wenn kein Arzt zu haben ist, unter den
vom Professor genau zu bezeichnenden Umständen leisten, womit die Schü-
lerinnen während des Lehrcurses bekannt zu machen sind.
Der Hebammen-Lehrcurs dauert in der Regel fünf Monate, ausnahmsweise beträgt
die Dauer des Lehrcurses für Hebammenschülerinnen in Krakau 10 Monate. Während
dieser Zeit müssen die Schülerinnen nach bestimmten Gruppen, je durch eine Woche ab-
wechselnd in der Gebäranstalt wohnen ; nur in Salzburg, woselbst sich keine Gebäranstalt
befindet, wird der Unterricht ambulatorisch ertheilt, wofür die Wöchnerinnen, in deren
Wohnung einer Anzahl von Schülerinnen die Unterweisungen gegeben werden, eine be-
stimmte Entlohnung erhalten. Während des Gruppendienstes in der Gebäranstalt müssen
die Schülerinnen alle denselben aufgetragenen Verrichtungen unweigerlich und genau aus-
führen. Die Curse werden nur innerhalb des Winter- oder Sommersemesters abgehalten.
Nach vollendetem Curse haben sich die Schülerinnen einer Vorprüfung
(Semestral-Prüfung) beim Professor zu unterziehen. Haben sie darüber ein
Zeugnis mit genügendem Erfolge erhalten, so müssen sie die strenge Prüfung
(Rigorosum) zur Erlangung des Hebammen-Diplomes ablegen. Die strenge
Prüfung wird in Gegenwart einer Regierungs-Commission, bestehend aus dem
(Decan) Director, dem Regierungs-Commissär und dem Professor vorgenommen.
Die strenge Prüfung ist zur Erlangung des Diplomes und letzteres zur Er-
langung der behördlichen Bewilligung für die Hebammenpraxis unbedingt
nothwendig.
Für die strenge Prüfung, die Angelobuug und Ausfertigung des Diplomes ist zu ent-
richten: Für den Vorsitzenden 4 fl 72^/2 kr., für die Abnahme der Angelobung 4 fi. 20 kr.,
für den Fachprofessor 4 fl. 72^2 kr., für den Beisitzer als Eegierungscommissär 4 fl. 72'/2 kr,
für Kanzleierfordernisse und Diplom 9 fl. 80^2 kr., daher in Summa 28 fl. 18 kr.
3-16 HEBAMMEN WESEN.
<
Bei der strengen Prüfung werden die Antworten der Candidatinnen mit
den Calcülen „ausgezeichnet," ;,genügend" und „ungenügend" classificirt.
Solche, welche durch Mehrheit der Stimmen den Calcül „ungenügend" erhalten
haben, können über Beschluss der Prüfungs-Commission verhalten werden,
einen Curs zu wiederholen. Candidatinnen, welche nur von einem Prüfer
„ungenügend" erhalten haben, sollen verhalten werden, ein oder mehrere
Monate an der Hebammen-Lehranstalt dem Unterrichte beizuwohnen. Candi-
datinnen, welche bei der strengen Prüfung wegen ungenügenden Erfolges
zurückgewiesen wurden, dürfen zu keiner neuen Taxentrichtung herangezogen
werden. Stipendistinnen sind mit Ausnahme der Leistung für das Diplom von
der Entrichtung der Prüfungstaxen befreit.
Nach bestandener Prüfung haben die Geprüften die Angelobung in die Hände des
Vorsitzenden der Prüfungscommission zu leisten. Der Hebamme ist nachstehende „Ange-
lobungsformel für Hebammen" vorzulesen. „Sie werden geloben, dass sie den Schwangeren,
Gebärenden und Wöchnerinnen, zu welchen Sie zur Hilfeleistung berufen werden, und zwar
den armen ebenso gut wie den reichen, mit Ihrer erlernten Kunst willfährig beistehen
werden, und dass Sie hiebei alle Pflichten, welche einer Hebamme durch die Gesetze und
Verordnungen durch die besondere Instruction vorgeschrieben sind, treu und gewissenhaft
erfüllen werden."
Hierauf hat die Angelobende nachzusprechen: „Was mir soeben vorgelesen wurde,
habe ich deuthch verstanden und ich gelobe es zu halten." (Folgt der Handschlag.)
Diploms- Formular: Die medicin. Facultät in — die Direction der
k. k. Hebammen-Lehranstalt in bezeuget, dass Frau geb. N. N. aus
nach vorschriftsmässig zurückgelegten Studien am . . . 18. . . sich der strengen Prüfung aus
der Geburtshilfe unterzogen und dabei solche Beweise erworbener Geschicklichkeit darge-
legt hat, dass sie als eine taugliche und erfahrene Hebamme anerkannt und ihr hiemit
kraft der der Facultät — der Hebammen Lehranstalt — übertragenen Berechtigung die
Befugnis ertheilt wird, die geburtshilfliche Praxis in allen Kronländern des österreichischen
Kaiserstaates auszuüben. Bei Uebergabe dieser Urkunde wurde dieselbe mittelst des in die
Hände des Decans — des Directors — abgelegten Gelöbnisses verpflichtet, bei Ausübung ihrer
geburtshilflichen Praxis sich strenge nach den bestehenden Vorschriften und insbesondere
nach der ihr vorgelesenen und eingehändigten Instruction zu benehmen.
Vom Decanate der medic. Facultät — von der Direction der k k. Hebammen-Lehr-
anstalt. Ort der Ausstellung. Datum. N. N. Decan — Director N. N., Fachprofessor.
Eigenhändige Unterschrift der Hebamme, (s^)
Bei der Uebergabe des Diplomes wird die in der üblichen Landessprache abgefasste
Instruction eingehändigt und deren Empfang durch die eigenhändige Unterschrift der He-
bamme bestätiget.
Für die Ertheilung der Licenz und die Registrirung derselben ist an
die competente Behörde keine besondere Taxe zu entrichten. Die Licenz
besteht in der einfachen amtlichen Bestätigung der erstatteten Anzeige von
der Ausübung der Praxis.
Die Hebammen stehen unter fortwährender Aufsicht der Sanitäts- und
politischen Behörde. Bei Vergehungen derselben gegen die besonderen Pflichten
ihres Berufes treten die im Strafgesetze vorgesehenen Strafen ein. (§§. 358,
359, 498 des Allg. St.-G. vom 27. Mai 1852, R.-G.-Bl. Nr. 111.)
Der Verlust des Diplomes wird im Sinne des §.26 des Strafgesetzes
und §. 242 des Strafgesetzes bei Verbrechen und Vergehen vom dem Straf-
richter, der Verlust der Berechtigung zur Ausübung der Praxis in Fällen, wo
eine Hebamme die erforderliche Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit ver-
wirkt hat, von der politischen Behörde (Bezirkshauptmannschaft, Statthalterei)
ausgesprochen. Mindere Strafen, hauptsächlich Geldstrafen, werden gegen
Hebammen von den politischen Behörden nach der Verordnung vom 20. April
1854, R.-G.-Bl. pro 96 und der Ministerial-Verordnung vom 30. September
1857, R.-G.-Bl. pro 198 verhängt.
Gegen die Concurrenz nicht befugter Hebammen sind die autorisirten Hebammen
durch die Verordnung des Ministeriums des Innern vom 6. März 185-i, R.-G.-Bl. Nr. 57,
geschützt.
Frauenspersonen, welche die Befähigung zur Ausübung
der Hebammenkunst in den im Reichsrathe vertretenen König-
HEBAMMENWESEN. 347
reichen und Ländern erworben haben und daselbst ihren Beruf
ausüben wollen, haben hieb ei i'ol^'cndcn Vorsdiriften zu genügen.
Die Hebammen unterstehen der politischen Behörde I. Instanz (der k. k.
Bezirkshauptmannschaft oder der mit den Geschäften der politischen Bezirks-
behörde betrauten Gemeindebehörde, Magistrate, Bürgermeisteramt), beziehungs-
weise dem Amtsarzte derselben. Sie haben den dienstlichen Weisungen
derselben jederzeit pünktlich zu entsprechen, die ämtlich verlangten Auskünfte
wahrheitsgemäss zu ertheilen, sich über alle ihren Beruf betreffenden Vor-
schriften stets in genauer Kenntnis zu erhalten, auf die Erhaltung und Vervoll-
kommnung ihrer Kenntnisse und Fertigkeiten Bedacht zu sein und nach
Maassgabe der behördlichen Anordnungen sich an den für dieselben errichteten
Fortbildungscursen zu betheiligen. Die Hebammen haben bei dieser Behörde
den Ort, wo sie ihre Praxis ausüben wollen, anzuzeigen, sich hierauf dem
Amtsarzte vorzustellen und demselben die vorgeschriebenen Instrumente und
Geräthschaften vorzuweisen.
Unter Vorzeigung der amtlichen Bestätigung ihrer erstatteten Anzeige
haben sich dieselben bei dem Gemeindevorstande ihres Wohnortes, beziehungs-
weise bei der Orts-Polizeibehörde zu melden und ihre Wohnung, die jederzeit
mit einem Schilde am Hause ersichtlich zu machen ist, anzuzeigen, ebenso
ist auch jeder Wohnungswechsel zur Anzeige zu bringen. Andere Ankündi-
gungen als die des Wohnungswechsels in öffentlichen Blättern können nur mit
behördlicher Bewilligung erfolgen. Hebammen dürfen sich keines anderen als
des Titels „Hebamme" bedienen.
Die verscliiedeiien Gegenstände, welche jede Hebamme in einem zweck-
mässigen, leicht zu reinigenden, verschliessbar en Behältnisse verwahrt,
zu jeder Geburt mitzunehmen hat, sind:
1. Eine Spülkanne — Irrigator — mit flachem Boden 1 Liter haltend, aus innen und
aussen vernickeltem Blech, aus Hartgummi oder Glas, mit passendem Kautschuck-
schlauch von 1 — 1'/2 Meter Länge, an dessen Ende sich ein Bügelverschluss mit Spritzenansatz
aus Hartgummi befindet; der Irrigator soll am freien Rande mit einem Ringe zur Befestigung
an einem Nagel versehen sein.
2. Zwei vollkommen unversehrte Mutterrohre aus dickrandigem Glas, mit glatter
Oberfläche, welche durch ein Mittelstück aus Kautschuck mit dem Spritzen-Ansatz in Ver-
bindung gebracht werden können. Das eine Rohr soll am Knopfe mehrere Oeffnungen, das
andere nur eine Oeffnung besitzen.
3. Zwei Afterröhrchen aus dickwandigem Glas oder aus Hartgummi, mit Olive und
gleichmässiger Bohrung, ein etwas grösseres für Erwachsene, ein kleineres für Kinder.
Beide sollen an der Spitze gut abgerundet, am Ansatzstücke mit einer scheibenförmigen
Anschwellung versehen sein. Beide Afterrohre sollen einen kurzen Ansatzschlauch besitzen,
um die Verbindung mit dem Spritzenansatze des Kautschuckschlauches der Spülkanne her-
stellen zu können.
4. Ein weiblicher, stets blanker Katheter aus Neusilber. Für Hebammen, welche au
der Schule mit einem Glaskatheter umgehen gelernt haben, ist ein solcher aus Glas wegen
der leichteren Reinhaltung vorzuziehen. Es ist darauf zu sehen, dass er stets vollkommen
unversehrt, glatt und mit einem gut abgerundetem Auge versehen sei.
5. Zwei Drathbürstchen zur Reinigung des Mutterrohres und des Katheters.
6. Eine Nabelschnurscheere mit abgerundeten Enden und ein Vorrath von Nabel-
schnurbändchen.
7. Eine Nagelscheere (Nagelzwicker).
8. Eine Nagelfeile aus Metall, an einem Ende stumpf lanzenförmig, am anderen Ende
breit schaufeiförmig endend, um als Nagelputzer gebraucht werden zu können.
9. Eine 10 cm lange und 4: cm breite, aus Naturborsten hergestellte Nagelbürste.
10. Schmierseife 50 Gramm gut verwahrt in einer Büchse.
11. 150 Gramm, krystallisirte, durch Zusatz von etwas Wasser zum Zerfliessen ge-
brachte Carbolsäure behufs Herstellung einer Desinfectionsflüssigkeit, wohlverstopft
in blauer oder schwarzer Flasche, welche mit dem Giftzeichen der Apotheker und überdies
mit der Aufschrift „Starke Carbolsäure", ^giftig" versehen sein und in dieser Ausstattung
aus der Apotheke bezogen werden muss. Statt der Carbolsäure darf die Hebamme mit-
führen: 100 Gramm Lysol, oder 50 Gramm Kresol.
12. Ein Messglas, 50 Gramm haltend, mit eingeäzten Maasstrichen, welche den Inhalt
von 30, 20 und 10 Gramm angeben, zur Abmessung der flüssigen Carbolsäure, des Lysols
oder Kresols.
348 HEBAMMENWESEN.
13. 50 Gramm Vaseline oder Lanolin.
14. 25 Gramm Aetherweingeist (Hoffmannsgeist).
15. 25 Gramm Zimmttinctnr.
16. Ein Bade- und Körperthermometer nach Celsius.
Vaseline, Aetherweingeist und Zimmttinctur sind in Gläsern mit eingeriebenem
Stöpsel vorräthig zu halten, das für Vaseline oder Lanolin bestimmte Glas soll einen
weiten Hals besitzen, alle Gläser aber sollen eine lesbare Aufschrift haben.
17. 10 Gramm übermangansaures Kali.
18. 100 Gramm Bruns'sche Verbandwatte in Wachspapier gut aufbewahrt.
19. Ein Stück Billroth-Battist, 1 Meter im Geviert.
20. Eine frisch gewaschene weisse Schürze oder eine Latzschürze aus Kautschuck oder
Billroth-Battist, gross genug, um die ganze Vorderseite des Kleides zu bedecken.
21. Ein gebundenes Tagebuch in kleinem Octavformat mit dazu passendem Bleistift,
numerirter Seitenzahl und Rubriken, in welches die Hebamme die Begebenheiten vor,
während und nach der Geburt einzutragen und zu Hause angelangt, hienach die vor-
geschriebenen Geburtstabellen gewissenhaft auszufüllen hat.
22. Das Lehrbuch der Geburtshilfe für Hebammen, welches ihr beim Unterrichte in
der Schule als Leitfaden diente, um sich darin Raths holen zu können.
Hinsichtlich der Verwendung von Geräthschaften für die Hebammen-
praxis von anderer als der vorgezeichneten Beschaffenheit sowohl beim Unter-
richte der Hebammen in den Hebammenschiüen als auch in der Hebammen-
praxis ist die Genehmigung des Ministeriums des Innern einzuholen. Die
aufgezählten Gegenstände hat die Hebamme jederzeit in gutem Zustande
und in vollem Ausmaasse vorräthig zu halten und daher für den recht-
zeitigen Ersatz des Fehlenden vorzusorgen. Sie darf weder einzelne der
angeführten Gegenstände noch den ganzen Apparat bei den Schwangeren,
Gebärenden oder Wöchnerinnen zurücklassen oder wegborgen.
Alle Geräthschaften müssen auch in der Wohnung der Hebamme in dem
Behälter jederzeit in gutem Stande verwahrt und stets derart bereit gehalten
werden, dass die Hebamme, zu einer Geburt gerufen, nichts vergesse und
auch durch das Zusammensuchen keine Zeit verliere.
Eine besondere Aufmerksamkeit hat die Hebamme der sicheren Ver-
wahrung der concentrirten Antiseptica zuzuwenden. Sie darf von der Car-
bolsäure, dem Lysol oder Kresol nur in der Weise Gebrauch machen, wie
ihr in der Belehrung oder vom Arzte aufgetragen wurde. Das Behältnis mit
den Geräthschaften hat die Hebamme, auch wenn sie am Fortbildungscurse
theilnimmt, mitzunehmen.
Die Hebammen sollen sich eines ehrbaren, nüchternen Lebenswandels
befleissen und Gebärenden, welche ihre Hilfe in Anspruch nehmen, ohne
Unterschied der Lebensstellung oder Confession, ob arm oder reich, ob bei
Tag oder Nacht, mit voller Bereitwilligkeit und nach bestem Wissen den
nöthigen Beistand leisten.
Die Hebammen haben sich stets der strengsten Eeinlichkeit zu befleissen,
und die Berührung mit Personen, die an ansteckenden Krankheiten leiden,
sowie die Verunreinigung mit Auswurfsstoffen von Kranken und mit in Zer-
setzung oder Fäulnis befindlichen Stoffen zu vermeiden, damit an ihren
Fingern, Geräthschaften oder Kleidern keine schädlichen Schmutztheilchen
haften bleiben, die gelegentlich der Untersuchungen oder Hilfeleistungen in
den Körper ihrer Pflegebefohlenen gerathen und dann schwere Infectionen
erzeugen können. Aus diesem Grunde werden die Hebammen mit Hinweis
auf die Belehrung aufs Strengste verpflichtet, jedesmal vor Berührung einer
Pflegebefohlenen ihre Hände und Geräthe mit der Desinfectionsflüssigkeit aufs
Gründlichste zu reinigen. Hat eine derartige bedenkliche Verunreinigung
des Körpers oder der Bekleidung der Hebamme stattgefunden, so muss die
Desinfection der verunreinigten Körperstellen und ihrer Umgebung in gleicher
Weise wie jene der Hände vorgenommen, die Wäsche und waschbaren Kleidungs-
stücke müssen durch Auskochen in Laugenwasser, die nicht waschbaren
Kleidungsstücke durch Hitze in eigenen Desinfectionsapparaten, wo solche
HEBAMMENWESEN. 349
zur Verfügung stehen, sonst aber durch Einlegen in 37o CarboUösung
desinficirt werden. Insbesondere muss die Hebamme darauf achten, dass die
Schürze nur vollliommen rein und sauber in Gebrauch genommen und nach
jeder möglicherweise stattgefundenen Infection desinficirt werde. Mit der
Pflege von an ansteckenden Krankheiten leidenden Personen darf sich die
Hebamme gar nicht, mit anderweitiger Krankenpflege nur in Fällen, in welchen
es vom Arzte nicht verboten wurde, befassen. Hat die Hebamme eine
Gebärende in Pflege genommen, so darf sie sich von derselben während des
Geburtsverlaufes nicht entfernen und muss auch nach jeder regelmässigen
Geburt mindestens drei Stunden nach dem Abgange der Nachgeburt
bei der Entbundenen bleiben. Mit Ausnahme des zwingenden Nothfalles,
dass eine zweite Hebamme nicht herbeigezogen werden kann, ist es nicht erlaubt,
dass eine Hebamme zwei Gebärenden zu gleicher Zeit Beistand leiste und ab-
wechselnd von der einen zur anderen gehe, weil aus einem derartigen Vorgange
grosse Gefahr für die eine oder für beide Gebärende entstehen könnte. Dabei
hat immer diejenige Gebärende, bei der die Hebamme die Hilfeleistung begonnen
hat, den Vorzug vor der, zu welcher sie später gerufen wird, die erste Frau
mag noch so arm, die zweite auch noch so reich sein. Die Aussicht auf
Lohn darf die Hebamme nie höher stellen als die Pflicht und Standesehre.
Die Hebammen sollen gegen einander sich verträglich und friedlich
benehmen, nicht sich gegenseitig verkleinern, noch durch zudringliches An-
bieten ihrer Dienste oder andere unerlaubte Mittel einander bei den Frauen
zu verdrängen suchen. Hat eine Hebamme aushilfsweise die Dienstleistung
einer andern übernommen, so ist sie verpflichtet, der letzteren ihre Stelle
sogleich wieder einzuräumen, sobald diese und die Hilfsbedürftige es wünschen.
Bei gefahrdrohenden oder regelwidrigen Vorkommnissen, mögen dieselben
Schwangere, Gebärende oder Wöchnerinnen oder deren ungeborene oder neu-
geborene Kinder betreffen, ist die Hebamme unter schwerer Verantwortung
verpflichtet, unverzüglich die Herbeirufung eines Arztes zu veranlassen, (.s. u.) Sie
hat in diesen Fällen stets die Ankunft des Arztes abzuwarten, bei der Pflege-
befohlenen so lange zu verweilen, als es der Arzt für nothwendig erachtet,
und den Weisungen desselben pünktlich nachzukommen.
Da bei Gebärenden und kurz vorher Entbundenen plötzlich ein Zustand
eintreten kann, in welchem sie todt zu sein scheinen, regungslos daliegen,
ohne zu athmen, sich kühl anfühlen und Herz- und Pulsschlag sich nicht
mehr wahrnehmen lassen, so darf die Hebamme einen solchen Zustand nicht
sofort für wirklichen Tod erklären, sondern muss darauf dringen, dass schleu-
nigst der Arzt gerufen werde. Bis zur Ankunft des Arztes lasse sie die
scheinbar Entseelte mit erhöhtem Oberkörper im Bette und sorge für reine
Luft und entsprechende Zimmerwärme. Weigern sich die Angehörigen, einen
Arzt rufen zu lassen, so hat die Hebamme ungesäumt dem Ortsvorstande von
dem Vorfalle Anzeige zu erstatten.
Es ist der Hebamme nicht gestattet, ohne hiezu erlaugte behördliche
Bewilligung, Schwangere oder Gebärende — ausgenommen im unabweislichen,
der Ortsbehörde stets anzuzeigenden Nothfalle — zur Entbindung in ihre
Wohnung aufzunehmen. Eine solche besondere behördliche Bewilligung —
Concession — kann nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen ertheilt
werden und hat die Nichterfüllung der vorgeschriebenen Bedingungen die
Entziehung der Concession zur Folge. Die Ankündigung derartiger concessio-
nirter Entbindungsanstalten in öfientlichen Blättern darf nur in unverfäng-
licher Form und mit behördlicher Bewilligung erfolgen.
Befindet sich eine an Kindbettfieber oder an folgenden Ki'ankheiten als :
Blattern, Scharlach, Masern, Kothlauf, Bräune, Fleck- oder ünterleibs-Tj-phus,
Ruhr oder Keuchhusten erkrankte Person in der Wohnung der Hebamme,
oder hat die Hebamme eine an einer solchen Krankheit Leidende ausser dem
350 HEBAMMENWESEN.
Hause in Pflege, so darf sie andere Schwangere, Gebärende oder Wöchne-
rinnen nicht besuchen oder pflegen, so lange diese Krankheit dauert und die
Infectionsgefahr nicht beseitigt ist. Diesen Umstand hat sich die Hebamme
vor Wiederaufnahme ihrer Thätigkeit von dem Arzte bestätigen zu lassen,
welcher die Durchführung der sanitären Massnahmen zur Beseitigung der
Infectionsgefahr zu überwachen hatte. Nur in dringendem Nothfalle d. h. wenn
eine andere Hebamme nicht zu erlangen ist, darf sie unter den gedachten
Umständen ausnahmsweise nach sorgfältigst vorgenommener Desinfection bei
Kreissenden und Wöchnerinnen die verlangte Hilfe leisten.
Es ist den Hebammen strengstens verboten, bei Schwangeren, Gebärenden
und Wöchnerinnen oder Kindern ärztliche Ordinationen und ohne zwingende
Noth Verrichtungen vorzunehmen, deren Vornahme nur dem Arzte zusteht.
Auch darf die Hebamme keine als die vorgeschriebenen Instrumente und
Medicamente in ihrer Behausung vorräthig halten.
Die Hebamme ist verpflichtet, die vorgeschriebenen Vorkehrungen gegen
das Auftreten der bösartigen Augenentzündung bei neugeborenen Kindern
genau zu beobachten. Da dieselbe durch krankhafte Ausflüsse aus den
Geschlechtswegen der Gebärenden verursacht werden kann, hat die Hebamme,
wenn sie einen solchen verdächtigen Ausfluss bei der Gebärenden beobachtet,
die Herbeirufung eines Arztes zu veranlassen.
Abgesehen von dieser Verpflichtung, ist die Hebamme gehalten, sogleich
nach der Geburt eines jeden Kindes die Umgebung der Augen mit einem
Bäuschchen reiner Verbandwatte, welches früher in gekochtes und wieder ab-
gekühltes Wasser getaucht wurde, das Auge von Innen nach Aussen zu über-
wischen. Zeigt sich jedoch trotz dieser vorschriftsmässigen Reinigung ein
Ausfluss aus der Lidspalte und Schwellung der Augenlider, so ist die Heb-
amme verpflichtet, sofort die Herbeiziehung des Arztes zu veranlassen. Die
Hebamme hat zugleich die Wöchnerin und die sie umgebenden Personen
aufmerksam zu machen, dass das erkrankte Auge des Neugeborenen nicht
berührt werden dürfe, weil diese Absonderung sehr ansteckend ist und ins
Auge der Mutter oder anderer Personen oder auf die Schleimhäute namentlich
der Geschlechtswege gelangt, gefährliche Erkrankungen hervorrufen könnte.
Daher hat auch die Hebamme darauf zu achten, dass sie nach jedesmaliger
Berührung der erkrankten Augen des Kindes stets ihre Hände desinficire, da sie
sonst selbst der Gefahr, angesteckt zu werden, sich aussetzen würde und andere
Pfleglinge in Gefahr bringen könnte. Bis zum Eintreffen des Arztes müssen
die Augen mit gekochtem und wieder abgekühltem Wasser zeitweise gereinigt
werden. In der Zwischenzeit soll das erkrankte Auge mit einem in reines
Wasser getauchten Wattebäuschchen, das alle 5 Minuten zu wechseln ist,
bedeckt werden. Tritt die Erkrankung nur auf einem Auge auf, so muss
die Hebamme darauf achten und die betheiligten Personen auf die Vorsicht
aufmerksam machen, dass die ansteckende Absonderung vom kranken Auge
nicht auf das gesunde übertragen werde. Sollte von den Angehörigen des
erkrankten Kindes kein Arzt gerufen worden, so ist die Hebamme verpflichtet,
von dieser ansteckenden Augenkrankheit des Kindes die Anzeige bei der Orts-
behörde ehestens zu erstatten.
Bei Kindern von lebensfähiger Ausbildung, welche ohne Lebenszeichen,
aber auch ohne offenbare Zeichen der Fäulniss geboren sind, oder bei welchen
die Lebensäusserungen gleich nach der Geburt unerwartet und schnell er-
loschen wären, haben die Hebammen sogleich die gegen den Scheintod gerich-
teten Wiederbelebungsmittel gemäss den ihnen beim Unterrichte ertheilten
Vorschriften mit Fleiss und Beharrlichkeit anzuwenden und, wenn ihre Be-
mühungen in kurzer Zeit nicht von Erfolg wären, unverzüglich die Herbei-
rufung des Arztes zu veranlassen. Bis der Arzt kommt, hat die Hebamme,
so lange noch Spuren von Lebenszeichen (leise hörbarer oder schwach sieht-
•HEBAMMEN WESEN, 351
barer Herzschlag, noch nicht geschwundene Körperwärme etc) vorhanden sind,
die Belebungsmittel fortzusetzen und auch nach Wiederkehr eines deutlicheren
Herzschlages und zeitweisen Athembewegungen darin fortzufahren, da es oft erst
nach mehreren Stunden gelingt, das Kind zu regelmässiger und ausreichend
tiefer Athmung zu bringen. Als vollständig wiederbelebt darf das Kind erst
betrachtet werden, wenn es mit lauter Stimme anhaltend schreit. Wird
das scheintodt gewesene Kind früher sich selbst überlassen, so verfällt es oft
bald wieder in den früheren Zustand.
Da der Hebamme häufig schon während der Geburt durch Behorchen
der kindlichen Herztöne die dem Kinde drohende Gefahr bekannt sein muss,
so ist sie auch in der Lage, schon rechtzeitig einen Arzt zu rufen und
soll dies auch nach gelungener Wiederbelebung des Kindes nicht verabsäumen,
da solche wiederbelebte Kinder dennoch nach wenigen Stunden sterben können.
Bei den Wiederbelebungsversuchen darf die Hebamme nie unterlassen,
ihre Aufmerksamkeit von Zeit zu Zeit auch der Entbundenen zuzuwenden,
damit sie nicht von einer inneren Gebärmutterblutung überrascht werde.
Die Hebamme ist verpflichtet, über jeden Geburts-Fall der Ortsbehörde
die vorschriftsmässige Anzeige zu erstatten. Auch sind die Hebammen ver-
pflichtet, jeden zu ihrer Kenntnis kommenden Fall einer ohne Beihilfe einer
geprüften Hebamme stattgefundenen Geburt sofort der Ortsbehörde anzuzeigen.
Die Hebamme hat ferner dafür zu sorgen, dass jede Geburt eines Kindes,
bei welcher sie Hilfe geleistet hat, behufs Eintragung in die Geburtsregister
dem Seelsorger rechtzeitig angezeigt werde. Bei der Geburt eines lebens-
schwachen, scheintodten oder sonst in Lebensgefahr schwebenden Kindes christ-
licher Eltern ist die Hebamme verpflichtet, auf die Nothwendigkeit der Noth-
taufe aufmerksam zu machen und kann die Nothtaufe von der Hebamme über
Aufforderung und mit Zustimmung der Eltern, bei einem unehelichen Kinde
mit Zustimmung der Mutter vorgenommen werden, die Hebamme hat dafür
zu sorgen, dass die vollzogene Nothtaufe dem zuständigen Seelsorger angezeigt
werde. Es ist aber der Hebamme verboten, das Kind einer nicht christlichen
Mutter ohne Vorwissen und Einwilligung der Eltern, beziehungsweise ein
uneheliches Kind ohne Einwilligung der nicht christlichen Mutter der Noth-
taufe zu unterziehen. Die Hebamme soll erinnern, dass neugeborne Kinder
christlicher Eltern zur gehörigen Zeit getauft werden. In Fällen jedoch, wo
Krankheitszustände des Kindes die Vornahme der Taufe in der Kirche
bedenklich machen, hat die Hebamme die Angehörigen des Täuflings aufmerk-
sam zu machen und die ärztliche Entscheidung zu veranlassen. Sie ist ver-
pflichtet, dem Seelsorger oder dem mit der Führung der Geburtsbücher sonst
betrauten Organe über Verlangen, die zur Eintragung in die Geburtsbücher
erforderlichen Daten in Betreff der Mutter, deren ledigen, verheirateten oder
Witwenstand bekannt zu geben. Zu diesem Zwecke hat auch die Hebamme bei
der ceremoniellen Taufe eines Kindes gegenwärtig zu sein.
Der Hebamme obliegt es die Veranstaltung zu treffen, dass jedes todt-
geborene Kind ohne Rücksicht auf den Grad der erreichten körperlichen Ent-
wicklung, alle abortirten Eier, auch solche ohne Frucht und auch blosse Ei-
theile, sowie Molen der vorschriftsmässigen Leichenbeschau unterzogen werden,
ohne letzterer dürfen Früchte, Eier und Molen auch an Institute nicht ab-
gegeben werden.
Wird eine Hebamme berufen, um einer unerfahrenen Frauensperson wiegen
Schmerzen oder Beschwerden im Unterleibe Hilfe zu leisten, so hat sie die-
selbe genau zu untersuchen und, wenn sie Kennzeichen der Schwangerschaft
findet, dies derselben mitzutheilen und sie zu ermahnen, Sorge zu tragen, dass
dem Gedeihen der Leibesfrucht nicht geschadet werde. Ist jedoch die unter-
suchte Person schon in der Geburt begriffen, so hat die Hebamme ihr den
nöthigen Beistand zu leisten und im Falle einer Erki'ankung die Beizi6hung
352 HEBAMMENWESEN.
eines Arztes zu veranlassen. Sie ist ferner verpflichtet, der Ortspolizei-
behörde unverzüglich die Anzeige zu machen, wenn sich ihr der gegründete
Verdacht einer stattgefundenen Kindestödtung, Fruchtabtreibung oder einer
anderen strafbaren Handlung aufdrängt und verfcällt der Strenge des Straf-
gesetzes, wenn sie die Anzeige verspätet erstattet oder gar unterlässt. Auch
wenn ihr die Absicht zur Verübung eines solchen Verbrechens bekannt wird
und sie die Ausführung dieser Absicht ohne Beihilfe der Behörde nicht ver-
hindern kann, ist sie zur Anzeige verpflichtet. Denn jede Hebamme, welche
die Verderbung oder Abtreibung einer Leibesfrucht, die Unterschiebung oder
Verwechslung eines Kindes absichtlich herbeiführt oder aber bei einer solchen
strafbaren Handlung als Mitschuldige oder Theilnehmeriu mitwirkt, verfällt
der Strenge des Strafgesetzes.
Da die Hebamme zu allen Stunden des Tages und der Nacht bereit sein
soll, Gebärenden ohne Zeitverlust Hilfe zu leisten, soll sie auch in anderen
als Berufsgeschäften, wenn eine zweite Hebamme sich in der Gemeinde nicht
befindet, nie ohne dringende Ursache über Nacht sich von ihrem Wohnort
entfernen und, wenn sich daselbst Hochschwangere befinden, auch bei Tage
nicht ohne Noth vom Hause abwesend sein. Ist die Hebamme ausser ihrer
Wohnung, so hat sie dafür zu sorgen, dass jeder Fragende während ihrer
Abwesenheit erfahren kann, wo sie zu finden ist. Die Beistandleistung bei
der Geburt darf sie Niemanden abschlagen, auch Solchen nicht, die mit ekel-
haften oder ansteckenden Krankheiten behaftet sind. Nur muss im letzteren
Falle um so gründlicher die Desinfection erfolgen. Die Beistandleistung bei
Geburten geht allen anderen Obliegenheiten vor, z. B. den Verrichtungen bei
der Taufe, dem Besuche einer Wöchnerin, dem Baden und Besorgen eines
Neugeborenen.
Die Hebammen sollen die Geheimnisse der sich ihrer Pflege anvertrau-
enden Personen gewissenhaft bewahren, über ihnen bekannt gewordene Krank-
heitszustände derselben Stillschweigen beobachten und haben nur in den Fällen,
in welchen sie zur Anzeige verpflichtet sind, oder wenn sie von der Behörde
hiezu aufgefordert werden, die erforderlichen Mittheilungen zu machen.
Wird eine Hebamme von der politischen oder Gerichtsbehörde zu einer
Untersuchung verwendet, so hat sie nach ihrem besten Wissen genau an-
zugeben, was sie bei der Untersuchung gefunden hat. Bei solchen Aussagen
ist sie verpflichtet, ohne Rücksicht auf etwaige Freundschaft oder Feindschaft
die volle Wahrheit anzugeben, da sie im entgegengesetzten Falle sich einer
schweren Strafe aussetzen würde.
Jede des Schreibens kundige Hebamme ist verpflichtet, ein Tagebuch
mit folgenden Rubriken zu führen: Laufende Nummer; Jahr, Monatstag und
Stunde der Geburt; Name, Alter, Stand, Wohnort, Confession der Gebärenden;
die wie vielte Geburt; Geschlecht und wenn möglich Name des Kindes oder der
Kinder (bei mehrfachen Geburten); war es eine Fehl-, unzeitige oder Früh-
geburt oder eine rechtzeitige; Lage des Kindes oder der Kinder; besondere Zu-
fälle vor, während und nach der Geburt; ob und welche Kunsthilfe geleistet
wurde und von wem; Zeit des Abganges der Nachgeburt; Ausgang der
Geburt für Mutter und Kind oder Kinder; Ausgang der Wochenzeit für
Mutter und Kind; Besondere Bemerkungen. . . . Der Hebamme wird es durch
diese Aufzeichnungen möglich, die von der politischen Behörde zur Ausfüllung
ihr zugekommenen in der Belehrung näher bezeichneten Geburtstabellen pünkt-
lich und wahrheitsgetreu auszufüllen und die ordnungsmässig geführten
Geburtstabellen in den von dem Amtsarzte bekannt gegebenen Terminen an
die Bezirksbehörde zu Händen des Amtsarztes vorzulegen.
Die Hebammen sind angewiesen, sich genau an die, mit dem Diplome
oder von der politischen Behörde ihnen zukommende Instruction und Beleh-
rungen zu halten, sie sind insbesondere verpflichtet, die in der Belehrung
HEBAMMENWESEN. 353
bezeichneten Vorsichten zur Verhütung der Uebertragung ansteckender Krank-
heiten, insbesondere des Kindbettfiebers auf das genaueste zu l^eobachten.
Zur Verhütung der Uebertragung ansteckender Krank-
heiten, namentlich des Kindbettfiebers, ist es nothwendig, dass die Hebammen
sich vor Augen halten, dass das Wesen der Ansteckungsstoff'e darin bestehe,
dass dieselben als für das freie Auge nicht sichtbare, meist pflanzliche Lebe-
wesen in den menschlichen Körper gelangen und daselbst sich rasch ver-
mehren. Je nach den einzelnen Organen, in welchen sich die Ansteckungsstoffe
angesiedelt haben, werden sie entweder in den Entleerungen des Darmes (bei
Cholera, Typhus, Kuhr) in den Ausscheidungen aus der Gebärmutter, Scheide
und Harnröhre (bei Kindbettfieber) in den Absonderungen der Drüsen und
Schleimhäute (bei Bräune, eitriger Augenentzündung, Lungenschwindsucht)
in den abgestorbenen Schüppchen der Oberhaut (bei Blattern, Masern,
Scharlach) oder in den Absonderungen der Wund- und Geschwürsflächen (bei
Rothlauf, Milzbrand, Rotz) angetroffen oder vermuthet.
Die Hebamme soll weiters vermeiden, ohne Noth, übelriechende,
faulige Stoffe, eitrige und andere krankhafte Absonderungen, sowie Gegen-
stände zu berühren, die durch letztere verunreinigt wurden, (Geschwür, aus-
gestossene, todtfaule Frucht, übelriechende Wochenbettunterlagen) und ent-
halte sich so viel, als nur möglich, jedes Verkehres mit Personen, welche an
einer ansteckenden oder ansteckungsverdächtigen Krankheit leiden, da so-
wohl durch mit Ansteckungsstoffen verunreinigte Hände und Geräthschaften,
als auch durch derart inficirte Kleider die ihre Hilfe in Anspruch nehmenden
Schwangeren, Kreissenden oder Wöchnerinnen in Folge der Berührung mit
denselben angesteckt werden können. Die Hebamme darf auch nicht verges-
sen, dass alle Gegenstände, welche mit dem Körper einer Schwangeren,
Gebärenden oder Wöchnerin in Berührung kommen, durch Verunreinigung mit
Infectionsstoffen gefährlich werden können, z. B. verunreinigte Bett- und
Leibwäsche, unsaubere oder durch zu langen Gebrauch von mit Zersetzungs-
stoffen durchdrungenen Unterlagen u. dgl.
Die Hebamme hat sich demnach vor Allem in jeder Beziehung der
grössten Reinlichkeit zu befleissen, Sie beobachte sie auch in jedem Gebär-
oder Wochenzimmer. Wo es thunlich ist, soll das für die zu erwartende
Entbindung bestimmte Zimmer einer gründlichen Reinigung unierzogen werden.
Lassen sich die Wände mit Kalk tünchen, so soll die Hebamme auf den
Nutzen einer solchen Reinigung aufmerksam machen. Der Staub soll beseitigt,
der Fussboden aufgewaschen, oder feucht aufgewischt werden. Die gi'össte
Aufmerksamkeit verwende die Hebamme auf die Reinheit ihrer eigenen Hände,
Arme und Oberkleider.
Sie soll stets darauf bedacht sein die Haut der Hände sorgfältig zu
pflegen, dieselbe vor Verletzungen, Schrunden und Schwielen zu bewahren
suchen. Die Nägel sollen mit dem Nagelzwicker kurz und rund geschnitten
sein, die etwa vorstehenden Ecken und Kanten müssen mit der Feile des
Nagelputzers geglättet, spitzig hervorragende Theile der verhornten Oberhaut
des Nagelfalzes sollen abgeschnitten und mit dem Nagelputzer zugefeilt werden,
da durch solche spitze Hervorragungen bei Vornahme der Untersuchung,
leicht Verletzungen der inneren Geschlechtstheile bewii^kt werden können. Der
freie Stand der Nägel an der Fingerspitze, sowie der Nagelfalz rings um den
Nagel soll von daselbst vorhandenem Schmutze durch Anwendung "des nicht
zu spitzen, lanzenförmigen Endes des Nagelputzers gereinigt werden, während
der schauf eiförmige Theil des Nagelputzers zum Abschaben der Nagelfläche
zu verwenden ist. Die Hebamme hat nicht blos den Zeigefinger der einen
oder andern Hand, sondern die sämmtlichen Finger gleich sorgfältig zu
behandeln. Die Reinigung der Hände und Arme ist stets durch gründliches
Waschen unter Benützung der Seife und Bürste zu vervollständigen.
■Ribl. med. Wissenscliaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 23
354 HEBAMMENWESEN.
Bei Ausübung ihres Berufes trage die Hebamme nur solche Kleider,
welche leicht zu desinficiren sind, daher Waschkleider, deren Aermel so ein-
gerichtet sein sollen, dass die Arme bis zum Ellbogen unbedeckt gehalten
werden können. Das Oberkleid soll vorn einschliesslich des Brusttheils von
einer breiten Schürze aus hellem waschbaren Stoff, oder aus weissgrauem beider-
seits glatten Kautschuckstoff oder wasserdichtem Battist völlig bedeckt sein.
Die Hebamme ist ferner strengstens verpflichtet, vor jeder Verrichtung
am Körper der Schwangeren, Gebärenden oder Wöchnerin, sowie nach Be-
endigung derselben ihre Arme und Hände, sowie am Körper verwendete
Geräthschaften nach Vorschrift zu desinficiren. Sie hat sich hierzu der vor-
geschriebenen Carbolsäure, des Lysols oder Kresols zu bedienen.
Wird der Hebamme nicht von dem, vorkommenden Falles, beigezogenen
Arzte der Gebrauch eines bestimmten Desinfectionsmittels verordnet, so ist
sie verpflichtet, sich mittelst der vorgeschriebenen Carbolsäure eine Desin-
fectionsflüssigkeit für ihre Hände und Geräthschaften im Verhältnis von
30 Grammen zerflossener Carbolsäure zu 1 Liter Wasser zu bereiten und zu
gebrauchen (S^/o Carbollösung).
Sie hat darauf zu achten, dass diese Mischung der concentrirten Carbol-
säure genau nach dem vorgeschriebenen Verhältnisse ausgeführt werde und
hat sich hiezu des Messgläschens und des Irrigators — der Spülkanne —
zu bedienen.
Die S^/o-ige Carbolsäurelösung besitzt eine hervorragende, die Entwick-
lung der Ansteckungskeime hemmende oder dieselben vollständig abtödtende
Wirkung, und eignet sich zur Desinfection aller waschbaren Gegenstände, der
Hände, Oberarme und Geräthschaften. Sie verursacht jedoch auf Schleim-
häuten und zarten Hautstellen heftiges Brennen und starke Reizung, weshalb
auch die Verwendung einer 2°/o Lysol- oder l^oigen Kresol-Lösung gestat-
tet ist.
Vor der ersten Untersuchung bereitet die Hebamme zunächst ein Liter
S^lf^-igei Carbolsäurelösung. Zu diesem Zwecke füllt sie zuerst ihren stets
rein zu haltenden Irrigator, der 1 Liter Flüssigkeit fasst, mit reinem Wasser
und giesst dieses in ein Gefäss (am besten eine reine Glasflasche) in welchem
die Mischung gemacht werden soll. Warmes Wasser begünstigt die inni-
gere Mischung der Carbolsäure mit dem Wasser. Nun wird das 30 Gramm
fassende Messgläschen mit der Carbolsäure gefüllt und der Inhalt in das
Gefäss gegossen. Gleich nach dem Hineingiessen der Carbolsäure in das
Gefäss entsteht eine milchige Trübung, welche sich jedoch bald aufhellt,
wenn die Flasche geschüttelt und bei verschlossener Oeffhung wiederholt um-
gestürzt wird. Wird die Mischung in einem anderen Gefässe, welches eben-
falls zuverlässig rein sein muss, gemacht, so rührt die Hebamme unter all-
mähligem Zugiessen der Carbolsäure beständig, bis keine öligen Tropfen am
Boden des Gefässes zu sehen sind. Diese Tropfen sind ungelöste Carbolsäure,
welche, da sie schwerer als Wasser sind, in diesem herabsinken, die Haut
der Pfleglinge arg verätzen können. Die Hebamme ist daher strengstens ver-
pflichtet, die Mischung nie im Irrigator zu machen, in dessen Abflussrohr
die scharfe Säure leicht herabsinken kann.
Es kann sich jedoch zuweilen ereignen, dass die Hebamme von der vor-
schriftsmässigen Desinfectionsflüssigkeit keinen Gebrauch machen kann, weil die
Haut der Hände der Hebamme gegen die Einwirkung der Desinfectionsmittel zu
empfindlich geworden ist, oder weil der vorgeschriebene Vorrath an Carbol-
säure (Lysol oder Kresol) zu Ende gegangen ist, wie es bei langdauernden
Geburten vorkommen kann, oder durch Zerbrechen des zur Aufbewahrung des
Desinfectionsmittels bestimmten Fläschchens, der ganze Vorrath in Verlust
eerathen ist. Für einen solchen Fall wurde die Mitnahme von 10 Gram-
HEBAMMENWESEN. 355
men von übermangansauren Kali vorgeschrieben. Das üljerraangansaure
Kali kann als Ersatz für das vorgeschriebene Desinfectionsmittel nur im Noth-
falle benützt werden, da es wohl eine sehr desodorisirende Eigenschaft besitzt,
die Ansteckungskeime jedoch nicht so sicher wie Carbolsäure (Lysol oder
Kresol) tilgt.
Um mittelst des Kali hypermanganicum die Desinfectionsflüssigkeit zu
bereiten, wirft man einige Krystalle desselben in eine mit warmen Wasser
gefüllte Flasche oder Schüssel und erhält nach deren Lösung eine violett-
rothe Flüssigkeit, welche verwendet wird. Diese Lösung des übermangan-
sauren Kali hat unmittelbar vor der Verwendung der Desinfectionsflüssigkeit
und vollständig zu geschehen. Ungelöste Krystalle dürfen in der Flüssigkeit
nicht enthalten sein, weil sie die Schleimhaut reizen würden. Bei stark gesät-
tigten Lösungen dieses Desinfectionsmittels ergibt sich der Uebelstand, dass
die Haut der Hände und die Fingernägel eine oft stark gelbliche und wenn die
Flüssigkeit dunkelroth ist, selbst eine bräunliche Färbung annehmen. Diese
Färburg verursacht weder Schmerz noch sonstigen Schaden, wie es bei Ver-
ätzung mit Carbolsäure vorkommt, doch ist es wünschenswerth, diese leicht zu
Missdeutungen veranlassenden Färbungen der Haut bald wieder zum Verschwin-
den zu bringen, was durch Anwendung von verdünntem Essig- oder Citronen-
saft, leicht zu erreichen ist.
Die Hebamme soll zur Bereitung der Desinfectionsflüssigkeit womöglich
nur destilirtes Wasser gebrauchen. Steht ein solches nicht zur Verfügung,
so soll es früher gekocht und nach der Abkühlung zur Bereitung der Des-
infectionsflüssigkeit verwendet werden.
Vor einer Entbindung dringe die Hebamme darauf, dass die Kreissende
mit reiner vorher erwärmter Leibwäsche, sowie mit eben solchen Bettbezügen
und Unterlagen für das Geburtsbett und auch ferner für das Wochenbett ver-
sehen werde.
Die äussere und innere Untersuchung einer Schwangeren, Kreis-
senden oder Wöchnerin darf die Hebamme niemals anders als mit völlig
entblössten und gereinigten und desinficirten Händen und Vorderarmen aus-
führen. Die Reinheit der untersuchenden Hand ist aus Rücksicht auf die
Gesundheit der zu untersuchenden Person eine unbedingte Nothwendigkeit,
die geringste Verunreinigung der Hand ist im Stande, durch Uebertragung
von Ansteckungskeimen auf die Schleimhaut der Geschlechtstheile Krankheit
und auch den Tod herbeizuführen.
Je näher dem Zeitpunkte der Entbindung desto leichter findet bei unrein-
lichem Vorgehen eine solche Infection statt. Zum Zwecke der persönlichen
Desinfection wäscht die Hebamme zunächst in einem passenden Gefässe ihre
Hände, an deren Fingern sie keine Ringe tragen soll, mit warmen, fast dampfen-
den Wasser unter Zusatz von Schmierseife und Benützung der vorgeschriebenen
aus der o%igen Carbolsäure- (Lysol- oder KresoUösung) entnommenen Nagel-
bürste, wobei insbesondere die Spitzen der Fingernägel, der Nagelfalz, die
Zwischenräume zwischen den einzelnen Fingern, die Rücken- und Hohlhand-
fläche der Hand und der ganze Vorderarm bis zum Ellbogen hinauf beider-
seits in gleicher Weise abgebürstet werden müssen. Das Büi'sten der Hände
und der Vorderarme soll wenigstens drei Minuten lang dauern. Sodann
trocknet sie die Hände mit einem reinen, womöglich frisch gewaschenen von
Niemanden früher benützten Handtuch und nimmt die Säuberung der Fin-
gernägel mit Benützung des Nagelputzers vor. Wenn sich weder unter den
Nagelrändern noch aus dem Falz Schmutzlagen mehr entfernen lassen, dann
muss zum zweiten Male eine Bürstung der Nägel im Seifenwasser vorgenom-
men werden. Nun taucht sie eine Minute lang die Hände und Vorderarme
in die o°/cige Carbolsäurelösung (27oige Lysol- oder 17oige KresoUösung)
welche seit der Bereitung mit einem reinen Tuch oder reinem Papier bedeckt
356 HEBAMMENWESEN.
gehalten wurde und damit ist die Desinfection der Hände und Vorderarme
vollzogen.
Nun fasst die Hebamme mit reinen Händen das Wattapacket, eröffnet
es und entnimmt soviel Watte als sie muthmaasslicli während der Geburt
brauchen wird. Sie zupft sich eine hinreichende Anzahl hühnereigrosser
Bäuschchen, welche in das Gefäss mit obiger Carbolsäurelösung (2"/oiger
Lysol- oder P/oiger Kresollösung) kommen.
Zum Zwecke der Desinfection des Unterleibes der Gebärenden wird die-
selbe am Rücken liegend bis über den Nabel hinauf entblösst und ihr ein
passendes Gefäss (Steckbecken, Leibschüssel), welches mit S^/oiger Carbolsäure-
lösung abgewaschen wurde, unterschoben, dann die Einseifung von der Nabel-
gegend bis über die Mittelfleischgegend vorgenommen, wobei der Seifenschaum
mit der Bürste vertheilt wird. Es muss jedoch auf wunde Stellen, welche
sich zuweilen bei fetten Personen in den Falten zwischen Bauchhaut und
Oberschenkel finden, vorsichtig geachtet werden, um nicht Schmerz zu ver-
ursachen. Lange oder verfilzte Haare werden vorsichtig mit der früher in
3"/oige Carbolsäurelösung (27oiger Lysol- oder 1 7oiger Ki'esollösung) getauch-
ten Scheere abgetragen.
Zum Abspülen des Seifenschaumes soll der Spritzenansatz des Schlauches
vom Lrrigator benützt werden, nachdem kurz zuvor die Mischung einer 3°/o-igeii
CarboUösung (einer 27oigen Lysol- oder 1 böigen Kresollösung) hergestellt und
in die Spülkanne eingefüllt worden ist. Nun werden die in der Schüssel in Vor-
rath befindlichen Wattebausch chen einzeln aus der antiseptischen Lösung mit
der einen Hand herausgenommen etwas ausgedrückt und zum Reinigen des
Vorhofes, des Dammes und der Umgebung benützt, wobei Daumen und Zei-
gefinger der anderen Hand die zu reinigenden Theile biossiegen. Die Reinigung
selbst geschieht durch Auswischen der Schamspalte von vorn nach hinten
gegen das Gefäss, nie in der entgegengesetzten Richtung, damit die Be-
schmutzung des Reinigungsfeldes durch Darminhalt vermieden werde. Watte-
bäuschchen, welche bereits einmal über das Reinigungsfeld geführt worden
sind, dürfen hiezu ein zweitesmal nicht mehr benützt, sondern müssen in ein
hiezu bestimmtes Gefäss beseitigt und später verbrannt werden. Auch darf die
Watte, welche vor dem Gebrauche verstreut wm^de und mit dem Fussboden oder
dem Staube ausgesetzten Gegenständen in Berührung gekommen ist, zu die-
sem Reinigungszwecke nicht mehr verwendet werden. Erst nach der so vor-
genommenen Reinigung und Desinfection des Leibes der Pflegebefohlenen und
Entfernung des Steckbeckens darf die äusserliche Untersuchung vorgenom-
men werden.
Nach der äussersten Untersuchung müssen die Hände und Vorderarme
neuerlich im heissem Wasser mit Seife und Bürste gewaschen und in die
3%-ige Carbolsäurelösung (27oige Lysol- oder 1 7o ige Kresollösung) getaucht
werden, ehe an die innerliche Untersuchung geschritten werden darf, vor
welcher die untersuchende Hand in der S^/o-igen CarboUösung abzuspülen ist,
um feucht, ohne abgetrocknet worden zu sein, verwendet zu werden. Die Be-
fettung der untersuchenden Finger mit Vaseline oder Lanolin ist nur zum
eigenen Schutze dann nöthig, wenn die tastenden Hautstellen empfindlich
geworden sind oder eine Infection derselben durch mittelbare Berührung der
mit einem ansteckenden Uebel behafteten Körpertheile der Gebärenden zu
besorgen ist. Es ist streng untersagt, beliebiges Oel, Butter oder sonstiges Fett
aus dem Haushalte des Pfleglings zu diesem Zwecke zu benützen, da dieselben
niemals von zuverlässiger Reinheit sind.
Die Hebamme soll aufmerksam untersuchen, das Ergebnis der gemachten
Wahrnehmungen im Gedächtnis behalten, um die Pflegebefohlene nicht wieder-
holt belästigen zu müssen; sie darf weder durch Geberden noch durch un-
vorsichtige Aeusserungen die Untersuchte in Angst versetzen, noch bei zweifei-
EEBAMMENWESEN. 357
haften oder schwierigen Fällen ihr Urtheil vorschnell abgehen, sondern soll
in solchen Fällen die Entscheidung des Arztes verlangen.
Nach der Untersuchung müssen Hände und Vorderarme neuerdings in
Seifenwasser gebürstet, desiniieirt und hierauf mit einem reinen Tuch abge-
trocknet werden. So oft eine neuerliche Untersuchung erforderlich ist, muss
auch die Desinfection der Hände in der vorgeschriebenen Weise erfolgen.
Zur Verhütung der Weiterverbreitung des Kindbcttfiel)ers wird die Heb-
amme beitragen, wenn schon während der Schwangerschaft darauf gesehen
wird, dass sich Schwangere stets, namentlich aber in den letzten Wochen sehr
rein halten. Lauwarme Bäder sollen Schwangeren, welche dieselben zu nehmen
in der Lage sind, falls nicht besondere Gründe entgegenstehen (Neigung zu
Blutungen, gewisse Krankheiten) bis zum Eintritte der Geburt empfohlen
werden.
Die äussere Untersuchung soll stets mit grösster Sorgfalt ausgeführt
werden, um die innerliche Untersuchung so selten als möglich vornehmen zu
dürfen, da sich die Hebamme durch eine genaue äusserliche Untersuchung
sehr gut die Aufklärung über die Lage und Haltung der Frucht, über das
Bestehen eines Missverhältnisses, über das Leben und den Tod der Frucht ver-
schaffen kann und erst dann, wenn sie im Zweifel ist, die innerliche Unter-
suchung zu Hilfe nehmen soll.
Bezüglich der Hilfeleistung der Hebamme bei der Geburt selbst,
hat sich dieselbe genau nach den im Lehrbuche enthaltenen Weisungen zu
benehmen.
Die Fruchtblase soll von der Hebamme so lange wie irgend möglich er-
halten, also ohne dringende Veranlassung niemals künstlich gesprengt werden.
Der Harn- und Darmentleerung muss eine fortwährende Aufmerksamkeit
zugewendet werden und müssen durch dieselben verunreinigte Körperstellen
mit 3°/o-Jger Carbollösung (mit 27oigei" Lysol- oder l%iger Kresollösung) ab-
gespült, beziehungsw^eise durch mit dieser Lösung durchtränkte Wattabäusch-
chen gereinigt werden.
Auf den kunstgerechten Schutz des Dammes während der Geburt hat sie
ganz besondere Sorgfalt zu verwenden"'^") und bei eingetretenem Dammriss.jeden
Grades die ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Die Hebamme darf die Unterbindung der pulslosen Nabelschnur nur mit
desinficirten Nabelbändchen vornehmen und auch nur mit desinficirter Nabel-
schnurscheere das Durchschneiden des Nabelstranges ausführen. Sie hat sich
bezüglich der Versorgung des Nabelschnurrestes am Kindeskörper an das im
Lehrbuch angegebene Verfahren zu halten.
Sie ist auch verpflichtet, die vorgeschriebene Keinigung der äusserer
Augengegend der Neugeborenen womöglich noch vor dem Oeffnen der Augen-
lider vorzunehmen.
Die Hebamme hat während der Nachgeburtsperiode ihre vollste Aufmerk-
samkeit dem Verhalten der Nachgeburt zu widmen und hiebei sich genau
an die im Lehrbuche enthaltenen Vorschriften zu halten. Sie ist verpflichtet,
wenn eine Stunde nach der Geburt des Kindes, während welcher sie
durch Reibung des Unterleibes am Gebärmuttergrunde die Zusammenziehung
der Gebärmutter fördern soll, der Abgang der Nachgebui't noch nicht erfolgt
ist, auch wenn keine Blutung zu bemerken wäre, einen Arzt rufen zu lassen.
Sie hat die Nachgeburt genau zu besichtigen und dieselbe dem berufenen
Arzte vorzuweisen. Bis dahin hat sie für die sichere Aufljewahrung dersel-
ben an einem kühlen Orte, eventuell unter Begiessung derselben mit antisep-
tischer Lösung zur Verhinderung der Fäulnis zu sorgen. Nachgeburten dür-
fen nicht in Aborte oder Canäle entfernt, sondern sollen beerdigt werden.
*) Vergl. Artikel „Dammschiitz'' pag. 185 u. ff.
358 HEBAMMENWESEN.
Nach der Besiclitigimg und Besorgung der Nachgeburt und neuerlicher
Reinigung und Desinfection ihrer Hände hat die Hebamme nachzusehen, ob
die Geburt irgend welche Verletzungen nach sich gezogen hat und Blut-
gerinnsel oder andere Verunreinigungen mit in der vorgeschriebenen Des-
infectionsflüssigkeit getauchten Wattebäuschchen zu entfernen.
Im Falle des Vorhandenseins einer Verletzung derselben, ist die Heb-
amme verpflichtet, alsogleich ärztliche Hilfe zu beanspruchen. Nach der
Geburt hat die Hebamme ihre weitere Aufmerksamkeit dem Verhalten der
Gebärmutter und den sich einstellenden Ausscheidungen aus den Geburts-
wegen zuzuwenden. Ausspülungen derselben oder Einspritzungen in die Gebär-
mutterhöhle darf die Hebamme ohne ärztliche Anordnung, nur in den durch
das Lehrbuch näher bezeichneten Fällen vornehmen; dabei darf sie nur die
3<*/o-ige Carb Öllösung verwenden. Nur der Arzt ist berechtigt, eine andere
Desinfectionsflüssigkeit zu verordnen. Zu den im Lehrbuche vorgesehenen
oder vom Arzte verordneten Einspritzungen hat sich die Hebamme der Spül-
kanne oder des Irrigators mit Kautschukschlauch und des vorschriftsmässigen
in der Regel gläsernen Mutterrohres zu bedienen. Die Ausspülung soll in
erhöhter Rückenlage der Wöchnerin nach Unterlegung eines Steckbeckens oder
einer Leibschüssel mit frisch bereiteter und eben in den Irrigator gefüllter,
antiseptischen Lösung (2%-ige Lysol- oder l7o-ige Kresollösung) stattfinden.
Das Mutterrohr mit mehreren seitlichen Oeffnungen am Kopfe, dient zu rei-
nigenden Ausspülungen, das andere mit nur einer Oeffnung am glatten Ende
versehene Mutterrohr zu Einspritzungen zum Zwecke der Blutstillung. Nach
der Füllung des IiTigators bei geschlossenem Bügel muss derselbe bei her-
abhängendem Schlauch geöfinet werden, um die in demselben enthaltene Luft
auszutreiben. Wenn keine Luftblasen mehr entweichen, wird der Bügel wieder
geschlossen, der gefüllte Irrigator einer Gehilfin übergeben, damit sie densel-
ben in einer bestimmten Höhe halte, oder falls dies nicht möglich sein sollte,
beiläufig V2 Meter über dem Lager der Wöchnerin aufgehängt. Das Mutter-
rohr mit dem Kautschuck stück wird nun aus der 3°/o-igen Carbolsäurelösung
entnommen, mit dem Kautschuckschlauch des Irrigators in Verbindung ge-
bracht und der Verschluss desselben geöffnet, die Luftblasen aus dem Mutter-
rohr ausgetrieben und unter der Leitung des Zeigefingers der anderen Hand
nach der in der Schule erhaltenen Anleitung eingeführt. Während des Aus-
strömens der Flüssigkeit hält die Hebamme das Mutterrohr unverrückt mit
einer Hand, untersucht mit der anderen durch die Bauchdecken, ob nicht
die Gebärmutter sich ausdehnt. Zugleich achtet sie, ob die Menge des Ab-
flusses der Flüssigkeit auch der einströmenden Flüssigkeitsmenge entspricht,
und regulirt die Stärke des Strahles, die durch Heben des Irrigators vermehrt,
durch Senken desselben vermindert werden kann. Um das Eindringen von
' Luft durch den Schlauch und das Mutterrohr in die Geburtswege am Ende
der Ausspülung zu verhüten, muss der Bügel, ehe die Flüssigkeit vollständig
aus dem Irrigator abgeflossen ist, geschlossen und dann erst das Mutterrohr
entfernt werden. Sollte eine Einspritzung länger fortgesetzt werden, so muss für
diesen Fall schon früher Carbolsäure (Lysol- oder Kresollösung) in den Irri-
gator nachgegossen werden. Nach beendigter Einspritzung ist das Mutter-
rohr sogleich vom Spritzenansatz zu entfernen und in die Desinfectionsflüssig-
keit zu bringen.
Neben der Entbundenen hat die Hebamme auch dem Neugeborenen
die erforderliche Sorgfalt zuzuwenden, wie ihr dies in der Schule gelehrt
wurde. Noch vor dem Verlassen der Entbundenen soll sie demselben einen
Einlauf (Klystier) mit dem Irrigator geben. Zu diesem Zwecke muss der Lti-
gator sammt Schlauch früher mit reinem Wasser durchgespült werden, damit
keine Carbolsäure (Lysol- oder Kresol) in demselben zurückbleibe. Dann wird
der Irrigator mit beiläufig 100 Grammen warmen Wassers ohne weiteren Zu-
HEBAMMENWESEN. 359
satz gefüllt und der Einlauf dem in die linke Seiten- oder in die Bauchlage
gebrachten Kinde, mittelst des gläsernen kunstgereclit eingeführten After-
röhrchens, welches mit dem Schlauche des Irrigators erst nach vorgängiger
Austreibung der Luft in Verbindung zu bringen ist, gegeben. Dabei ist zu
beachten, dass der Irrigator nicht zu hoch, sondern nur beiläufig 256W höher
als das Lager des Kindes gehalten werde, da der Druck sich steigert, je
höher der Irrigator emporgehalten wird, wodurch bei der zarten Beschaffen-
heit der kindlichen Gedärme leicht üble Folgen sich ergeben können. Auch
muss die Hebamme, sobald sie sieht, dass das Afterröhrchen in den Mast-
dann eingedrungen ist, mit der linken Hand das kindliche Becken festhalten,
weil oft heftige ruckweise Bewegungen des kindlichen Körpers erfolgen, die
eine Verletzung des Kindes durch das Köhrchen verursachen könnten. Noch
bevor alle Flüssigkeit aus dem Irrigator ausgeflossen ist, soll das Afterröhr-
chen bei geschlossenem Bügel entfernt werden, damit nicht Luft in den
Mastdarm gelangt. Das Afterröhrchen wird nach Abnahme vom Schlauche
zur Desinfection in die Desinfectionsflüssigkeit gelegt.
Während des Wochenbettes muss die Hebamme ihr besondere«
Augenmerk auf die Reinhaltung der Geburtswege der Wöchnerin
und ihrer äusseren Umgebung von Verunreinigungen richten, weshalb die
Reinigung durch die Hebamme während der ersten neun Tage womöglich
zweimal täglich, weiterhin durch einige Zeit einmal täglich vorgenommen
werden soll. Vor dieser Reinigung, welche durch Abspülung mit 3"/o-iger
warmer Carbollösung (2"'/o-iger Lysol- oder l^o-iger Kresollösung) und Ab-
streifen mit von dieser Lösung durchtränkten Wattebäuschchen geschieht,
hat sich die Hebamme jedesmal mit einer Schürze zu versehen und die Desin-
fection ihrer Hände und Arme vorzunehmen.
Sie hat auch die Temperatur der Wöchnerin durch Einlegen des Thermo-
meters in die Achselhöhle zu überwachen und in dem Falle, dass die Tem-
peratur 38*0<' Celsius erreicht, die Berufung des Arztes zu veranlassen. Dies
hat auch bei normaler Temperatur zu geschehen, wenn ein übelriechender
Ausfluss wahrgenommen wird.
Die Wöchnerin ist durch die Hebamme aufmerksam zu machen, dass sie
sich der Berührung der Geschlechtstheile mit ihren Händen enthalten und
wenn dies stattgefunden hätte, die Reinigung der Hände mit Desinfections-
flüssigkeit vornehmen soll.
Die Hebamme hat auch auf die rechtzeitige Erneuerung des Durchzuges
nach stattgefundener Reinigung, sowie der nach der letzteren einzulegenden
Wattevorlage zu achten, welche, wenn beschmutzt, zu verbrennen ist. Zu
Durchzügen soll nur reine Wäsche verwendet werden. Deshalb ist es unter
allen Umständen selbst bei armen Wöchnerinnen zu vermeiden, dass schon
gebrauchte Kleidungsstücke oder Lappen von zweifelhafter Reinlichkeit als
Unterlagen benützt werden. Schwämme dürfen weder während der Geburt
noch während des Wochenbettes verwendet werden, da sie einmal verunreinigt,
nicht mehr verlässlich gereinigt werden können.
Eine weitere wichtige Sorge der Hebamme bezieht sich darauf, dass bei
schwieriger Entleerung der Harnblase rechtzeitig mittelst des Katheters nach-
geholfen werde. Der Katheter muss zu diesem Zwecke innen und aussen
vollkommen rein und in der Desinfectionsflüssigkeit desinficirt sein, aus welcher
er unmittelbar vor dem Gebrauche zu entnehmen und durch Schwenken von
aller anhängenden Flüssigkeit zu befreien ist.
Die Einführung desselben darf erst nach vorgängiger Desinfection des
Vorhofes und seiner Umgebung mittelst der von Desinfectionsflüssigkeit durch-
tränkten Wattebäuschchen vorgenommen werden. Dieselbe hat kunstgerecht
unter Beobachtung aller in der Schule gegebenen Vorschriften zu erfolgen.
360 HEBAMMENWESEN.
Beim Misslingen oder besonderer Schwierigkeit der Einführung des Katheters
ist ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Auch für rechtzeitige Darmentleerung bei der Wöchnerin hat die Heb-
amme Sorge zu tragen und in dem Falle, dass bis zum dritten Tage des
Wochenbettes keine Entleerung erfolgt ist, in kunstgerechter Weise mit dem
Irrigator einen Einlauf von 200 — 300 Gramm lauen Wassers erfolgen zu
lassen.
Sämmtliche mit dem Körper in Berührung gelangenden Geräthschaften,
als Mutterrohr, Einlaufröhrchen, Spritzenansatz müssen vor und nach dem
Gebrauche in die Desinfectionsflüssigkeit gelegt, nach jeder Verwendung innen
und aussen gründlich und zwar die röhrenförmigen mit Hilfe der Draht-
bürstchen und nach Bedarf durch Auskochen gereinigt werden.
Zur grösseren Sicherheit vor Infectionsübertragung soll die Hebamme
jeder von ihr berathenen Schwangeren, deren Verhältnisse es gestatten, schon
vor der bevorstehenden Niederkunft rathen sich mit einem Irrigator und
gläsernen Mutterrohr, Glaskatheter, einem Pakete wohlverwahrter BßUNs'scher
Watte und 200 Grammen starker Carbolsäure (100 Gramm Lysol oder 50
Gramm Kresol) zur Bereitung der Desinfectionsflüssigkeiten zum eigenen
Gebrauche zu versehen. Die Mutterrohre, Glaskatheter, Spritzenansätze sollen
in einem entsprechend grossen Glas mit weitem Hals, dessen Oeffnung mit
einem Deckel oder Wattepropf zu versehen ist (Einsiedeglas), das mit Des-
infectionsflüssigkeit gefüllt sein soll, aufbewahrt werden.
Aus dem Wohnzimmer sind alle Ausscheidungen und Entleerungen sowohl
der Mutter als des Kindes, sowie Bade- und Waschflüssigkeiten allsogleich
hinauszuschaffen, da die Zimmerluft stets rein sein und daher hinreichend oft
dmxh Lüftung erneuert werden soll. Es soll vermieden werden, mit Wohl-
gerüchen eine scheinbare Besserung der Luft bewirken zu wollen, sowie, dass
ausser der Wöchnerin andere Personen ihre Mahlzeiten im Wohnzimmer ein-
nehmen, und daselbst gekocht oder geraucht werde.
Die Hebammen sind verpflichtet, in allen Fällen eines regelwidrigen
Verlaufes der Schwangerschaft, der Geburt oder des Wochenbettes, sowie bei
Erkrankungen des Kindes rechtzeitig ärztliche Hilfe zu verlangen. Insbeson-
dere müssen sie in folgenden Fällen jedesmal auf die Her-
beirufimg des Arztes dringen:
Bei Schwangeren: wenn eine Verengerung des Beckens vermuthet
oder erkannt wurde ; wenn Blutungen eintreten ; wenn Krankheiten oder plötz-
lich gefahrdrohende Erscheinungen auftreten ; wenn eine Schwangere plötzlich
gestorben ist.
Bei Gebärenden: Bei allen regelwidrigen Lagen des Kindes, bei
Schief- und Querlagen, womöglich vor dem Blasensprunge ; beim Vorliegen
der Hände, Füsse oder der Nabelschnur neben dem Kopfe; in jedem Falle,
wo wegen Enge des Beckens, Grösse des Kopfes oder aus was immer für einer
Ursache der Kopf nicht in regelmässiger Weise vorrückt, wodurch länger
anhaltende Quetschungen der Geburtstheile zwischen Becken und Kindeskopf
veranlasst und Erkrankungen der Mutter oder der Tod des Kindes herbei-
geführt werden können; bei Störungen der Wehenthätigkeit, w^elche zur Ver-
zögerung der Geburt oder zu ungewöhnlicher Schmerzhaftigkeit und Erschöpfung
der Kreissenden führen. Insbesondere, wenn zwei Stunden nach dem Ver-
streichen des Muttermundes und dem Abgange des Fruchtwassers der Kopf
tief steht und keine Aussicht vorhanden ist, dass er bald ausgetrieben wird
und zwar in diesem Falle auch bei regelmässigem Verhalten der kindlichen
Herztöne ; wenn die Herztöne des Kindes während der Austreibungszeit unregel-
mässig werden; bei allen Blutungen, in welcher Geburtszeit sich, dieselben
auch ereignen mögen; beim aufsitzenden Mutterkuchen, auch wenn die Heb-
amme im x^ugenblicke der Untersuchung keine Blutungen wahrnehmen sollte:
HEBAMMENWESEN. 361
wenn eine Stunde nach der Geburt des Kindes der Mutterkuchen nicht abgeht,
auch wenn keine Blutung vorhanden ist; bei jedem Dammrisse gleich nach
der Entstehung; bei unzeitigen oder frühzeitigen Geburten, ebenso auch bei
drohender oder überstandener Fehlgeburt; bei Zwillingen oder mehrfachen
Geburten; bei Geburten missgestalteter Früchte oder, wenn sie rasch geboren
sind, nach denselben; bei allen krankhaften Erscheinungen und gefahrdrohen-
den Zufällen, sowie beim plötzlichen Tode der Gebärenden; beim Scheintode
des neugeborenen Kindes.
Bei Wöchnerinnen und Kindern: Wenn die Hebamme bei
Wöchnerinnen beschleunigten Puls, vermehrte Körperwärme abwechselnd Frost
und Hitze, Ausbleiben des Wochenflusses oder autfallend üblen Geruch desselben,
Empfindlichkeit des Leibes u. s. w. bemerkt; ferner bei jeder Krankheitserschei-
nung des Kindes, da die Hebammen ebensowenig kranke Kinder, als kranke
Frauen zu behandeln berechtigt sind.
Dem Arzte, der wegen einer Geburtsstörung gerufen wird, soll womög-
lich in kurzen Worten auf einem Zettel schriftliche Meldung erstattet wer-
den, um was es sich handelt. Auch soll die genaue Angabe des Wohn-
ortes, besonders in grösseren Städten, der Hilfsbedürftigen und die Zeit der
Ausstellung der schriftlichen Aufforderung angegeben werden, damit der Arzt
sich darnach richten könne. Ist Gefahr im Verzuge, soll die Hebamme den
Boten beauftragen, im Falle er den gesuchten Arzt nicht findet, sogleich einen
anderen zu holen. Wenn von einer Leidenden oder deren Angehörigen, auch
ohne dass die Hebamme eine Regelwidrigkeit wahrnimmt, die Berufung
«ines Arztes gewünscht wird, so soll sich die Hebamme derselben nie
widersetzen oder sie auch nur zu verzögern suchen. Ueber die Wahl eines
Arztes entscheidet das Zutrauen der Kranken oder ihrer Angehörigen
und die Hebamme hat sich hierüber nur, wenn sie befragt wird, auszu-
sprechen.
Wenn die Hebamme als Sachverständige, als Zeugin, als Anklägerin,
als Angeklagte zu den Behörden in Beziehung tritt, so muss sie nach ihrem
besten Wissen die vorgelegten Fragen, wenn sie es vermag, beantworten.
Als Zeugin tritt die Hebamme bei jeder Geburt mit der Behörde in Verkehr, denn
sie muss jede Geburt sogleich ordnungsmässig anzeigen. Es kann aber auch vorkommen,
dass sie auch vor dem Richter über die stattgehabte Geburt selbst oder über einzelne Vor-
fälle bei derselben oft nach langer Zeit Zeugnis ablegen muss. Sie muss daher ihr Tage-
buch zu den genauen Aufschreibungen stets bei sich haben und die Tagebücher, wenn sie
nicht mehr Raum bieten, nicht vernichten, sondern längere Zeit aufbewahren.
Als Anklägerin muss die Hebamme bei der Behörde auftreten, wenn sie von der
Verübung eines Verbrechens Kenntnis erlangt oder wenn die nothwendige Herbeirufung des
Arztes verweigert wird, daher soll sie stets im Tagebuche die Absendung der schriftlichen
Anzeige vermerken, damit sie sich später im vorkomir --den Falle rechtfertigen könne.
Als Angeklagte kommt die Hebamme vor die Behörde, wenn sie eine ihrer Pflich-
ten versäumt, oder wenn sie ihre Befugnisse überschritten hat, denn durch das Eine wie
durch das Andere kann sie leicht ihrer Pflegebefohlenen an Gesundheit und Leben scha-
den. Sollte sie unbegründet angeklagt werden, so wird durch klare Auseinandersetzung
des Geschehenen, unter Vorlegung der in dem Tagebuche befindlichen Aufzeichnungen der
Verdacht leicht behoben werden können.
Die Hebamme ist verpflichtet, die vorgeschriebenen Geburtstabellen
zu führen und binnen 24 Stunden nach jeder einzelnen Geburt, bei der sie
Beistand leistete, die einzelnen Rubriken auszufüllen. Der Amtsarzt wird von
Zeit zu Zeit in diese Tabellen, welche in den von ihm bestimmten Zeiträumen
einzusenden sind, Einsicht nehmen. Auf Verlangen sind diese Tabellen auch
dem zu einer Geburt beigezogenen Arzte vorzulegen, dem es anheimgegeben
ist, seine eigenen Bemerkungen in dieselben einzuschreiben. Die Aufzeichnun-
gen in die Geburtstabellen hat die Hebamme gewissenhaft, wahrheitsgetreu
und möglichst vollständig zu machen. Sie ist verpflichtet, die Geburtstab eilen
vor Verunreinigung zu schützen, wohlgeordnet aufzubewahren und regelmäs-
sig einzusenden.
362 HEBAMMENWESEN.
Da die Hebamme, besonders in kleineren Gemeinden, vermöge ihrer Be-
rufstliätigkeit von Müttern um Ratli gefragt ^Yird, ob und wann Neugeborene
geimpft werden sollen, so soll sie stets in dieser Beziehung auf die von der
politischen Behörde erlassenen Anordnungen verweisen und auf die schädlichen
Folgen der Unterlassung der Impfung aufmerksam machen. Wird sie befragt,
so hat sie zu empfehlen, dass das geimpfte Kind nach dem vierten Tage nicht
mehr gebadet werde, dagegen ist die Reinigung der Scham- und Aftergegend
öfters des Tages vorzunehmen. Am 7 — 8 Tage, je nach Anordnung des Impf-
arztes, sollen geimpfte Kinder zur Ueberprüfung gebracht werden, um zu unter-
suchen, ob die Impfpustel zur regelmässigen Entwicklung gelangt sei. Um die
Impfpusteln vor dem Aufreiben, Zerkratzen oder Verunreinigung zu schützen
und zugleich zu verhindern, dass bei grösseren Kindern die mit Impfstoff in
Berührung gekommenen Finger das Gift nicht auf andere Körperstellen —
Augen, Nase und Mundöffnung — übertragen, sollen dieselben mit reiner Ver-
bandwatte bedeckt und darüber ein reines Tuch lose gebunden werden.
So oft die Hebamme mit der Absonderung der Impfpustel in Berührung
gekommen ist, soll sie ihre Hände der vorschriftsmässigen Pteinigung und
Desinfection unterziehen.
Die Hebamme ist in einzelnen Gemeinden oft die einzige Person, welche
bei vorkommenden Unglücksfällen um Hilfe angegangen wird, daher
soll sie auch das Nothwendigste über Hilfeleistung bei Unglücks-
fällen wissen, damit nicht, bis der jedesmal zu holende Arzt an Ort und
Stelle erschienen ist, mehr geschadet, als genützt wird.
Verhalten bei Verletzungen. Alle Verletzungen bluten, wenn Blut- oder Schlag-
adern durchtrennt wurden; läuft das Blut nicht gleichmässig in starkem Strome aus der
Wunde, so sind nur kleine Adern verletzt. An Stellen, wo die Haut durch Kleider bedeckt
ist, müssen diese zuerst entfernt — aufgeschnitten — werden, ehe zur Blutstillung geschrit-
ten wird. Geringe Blutungen stillt man, indem man auf die Wunde reine Verbandwatte
mit der Hand fest aufdrückt, oder mit einer Binde auf der Wunde befestigt. Fliesst dun-
kelrothes Blut in gleichmässigem Strome aus, so ist eine grössere Blutader verletzt. Man
stillt die Blutung durch Druck auf die Wunde und Erheben des verletzten Gliedes unter
Loslösung einer etwaigen Einschnürung z. B. eines Strumpfbandes. Wenn aber hellrothes
Blut stossweise aus der Wunde spritzt, so ist eine Schlagader verletzt. Das verwundete
Glied ist in die Höhe zu heben, auf die Wunde ein Bausch reiner Verbandwatte zu
legen und derselbe durch Umwicklung einer Binde fest gegen die Wunde zu pressen.
Blutet es trotzdem weiter, so umschnürt man das Glied zwischen Wunde und Herz
mit einer fest angelegten und nachher befeuchteten Binde, oder mittels eines Knebels, der
aus einem Taschentuch und einem Stück Holz angefertigt wird oder auch mittels eines
elastischen Hosenträgers; die erste und wichtigste Maassregel bei allen Wunden, sie mögen
durch Schnitt, Riss oder Biss verursacht worden sein, besteht darin, sie vor Verunreinigung
zu schützen.
Das Berühren der Wunden mit schmutzigen Händen, das Auflegen von Charpie,
Pflaster, Schwämmen oder unreiner Leinwand ist sorgsam zu meiden. Der einfachste Ver-
band ist reine in S^/oige Carbolsäurelösung getauchte Watte, das verletzte Glied darf nicht
bewegt werden. Trotz des Verbandes soll auf Herbeirufung des Arztes gedrungen we'''"n.
Verhalten bei Verbrennungen. Bei Verbrennung entsteht je nach der Stärke
derselben schmerzhafte Röthe, Blasenbildung oder Verkohlung. Am besten ist es, das in
dem Geräthschaften-Behältniss mitgeführte Vaseline oder Lanolin auf reine Verbandwatte
aufzutragen und auf die Verbrennungsfläche in hinreichender Menge aufzulegen.
Etwa vorhandene Blasen dürfen nicht aufgerissen werden. Bei scnon entleerten
Blasen darf die abgehobene Haut nicht weggeschnitten werden, sondern dieselbe soll durch
Auflegen der mit Vaseline oder Lanolin versehenen reinen Verbandwatte auf die Unterlage
angedrückt werden,
Verhalten bei Erfrierungen. Erfrorene dürfen nicht sogleich in das warme
Zimmer gebracht werden, sie sollen vielmehr im kalten Zimmer entweder am ganzen
Körper oder an einzelnen erfrorenen Theilen mit Schnee, oder kalten nassen Tüchern abge-
rieben werden. Im Nothfalle ist auch die künstliche Athmung zu machen. Erst wenn ein
Erfrorener sich bewegt und athmet, darf Wärme in Anwendung kommen.
Verhalten bei Ertrunkenen. So wie plötzlich Gestorbene und Erstickte sind
auch Ertrunkene als scheintodt zu betrachten und bei denselben demnach Wiederbelebungs-
versuche durch Reiben, Bürsten, künstliche Athmung zu machen, nachdem früher alle den
Hals und Oberleib beengenden Kleider entfernt wurden. Ertrunkene legt man so, dass
Bauch, Brust und Gesicht gegen den Boden gerichtet sind. Die Stirne muss dabei, etwa
HEBAMMENWESEN. 363
durch den Arm des Verunglückten, so unterstützt werden, dass der Mund und die Nase
frei bleiben. Nun wird auf am Rücken ein leichter Druck ausgeübt, dann fasst. man den
Körper an den Schultern und den Becken und rollt ihn langsam etwa zehnmal in der
Minute so der Länge nach hin und her, dass das einemal die Brust, das anderemal der
Eücken etwas mehr gegen den Boden liegt. Dadurch wird der Brustkorb abwechselnd
ausgedehnt und verengt, das eingesogene Wasser fliesst aus, und wenn das Leben über-
haupt noch angefacht werden kann, so ist von dieser Art künstlicher Athmung noch ein
Erfolg zu erwarten.
Verhalten bei Vergiftungen. Bei Vergifteten tritt Erbrechen oft schon durch
das Gift selbst ein, ausserdem ist es aber noch durch Trinken von lauem Wasser oder
Milch zu befördern. Tritt das Erbrechen nicht leicht ein, so kann es durch Kitzeln am
Schlünde mit einem Federbarte und fleissiges Trinken von Oel, Wasser mit Butter hervor-
gerufen werden. Nur wenn eine Person mit Phosphor (Zündhölzchen-Köpfe) oder mit spa-
nischen Fliegen sich vergiftet hätte, dann wäre Oel oder Butter zu vermeiden, da sonst
das Gift noch heftiger und nachhaltiger wirken würde.
Die Hebamme hat, wenn sie zu Verunglückten gerufen wird, womöglich und rasch
die Ursache der Gefahr zu entfernen, wenn sich die Person noch unter dem Einflüsse der-
selben befindet, denn die fortwirkende Ursache führt den Tod, der vielleicht noch abzuhalten
ist, am sichersten herbei. Ertrunkene müssen daher aus dem Wasser gezogen, Erlienkte
müssen vorsichtig, damit sie nicht durch den Sturz Schaden erleiden, abgeschnitten werden.
Erstickte müssen aus dem Räume, der mit Rauch, Leuchtgas, Kohlengas erfüllt ist, ent-
fernt oder reichliche Luftströmung erzeugt werden. Bei Verwundeten soll die Blutung
gestillt. Erfrorene müssen aus der Kälte, aber nicht zu rasch, in geheizte Zimmer gebracht,
durch Verbrennung Verunglückte müssen von dem brennenden Gegenstande entfernt. Ver-
giftete durch Entleerung des Magens von dem in demselben befindlichen Gifte befreit
werden.
Nachdem diese ersten, vor Allem erforderlichen Anordnungen getroffen wurden, hat
die Hebamme dafür zu sorgen, wenn es nicht schon geschah und wenn sie nicht etwa an
dem Körper schon sichtbare Zeichen des Todes bemerkt, dass um den nächsten Arzt geschickt
und in jedem Falle die Ortsbehörde sofort schriftlich von dem Sachverhalte verständigt
werde.
GUSTAV BRAUN.
h) In Ungarn. Noch gegenwärtig unterscheidet man dreierlei Arten
von Hebammen „in den Ländern jenseits der Leitha:" 1. Diplomirte, welche
eine Hebamme^ "chule besucht haben. Solche existiren in Agram, Budapest,
Grosswardein, ivlausenburg, Pressburg, Szegedin. 2. Befugte Hebammen,
das sind solche, welche vom Comitatsphysicus nach kurzer, 2 — 3 Wochen
dauernder Anleitung die Befugnis erhalten, als Hebammen zu prakticiren (nur
solche Frauen können eine derartige Befugnis erhalten, deren Wohnort min-
destens 75 Kilometer von der nächsten Hebammenschule entfernt ist; w^enn
sich jedoch eine diplomirte Hebamme im selben Orte niederlässt, muss die
befugte im Laufe von zwei Jahren ein Diplom erwerben, sonst verliert sie ihr
Recht). 3. Bauernhebammen, diese haben gar keinen Unterricht genossen.
In welchem Zahlenverhältnis diese verschiedenen Kategorien von Hebammen
zu einander stehen, illustriren am besten die Angaben Prof. Wilhelm Tauffer's,
der als Mitglied einer von der Budapester Aerztegesellschaft entsendeten
Commission genaue statistische Erhebungen anstellte und dieselben in einer
ausführlichen Arbeit im Jahre 1891 veröffentlichte.") Nach Taüffer gibt es
in 12.380 Landgemeinden 13,906 Hebammen, von denen nur 3755 ca.
26-27o diplomirt sind. 3249 Hebammen sind angestellt, doch gibt es 853 Ge-
meinden (mehr als 1500 Einwohner), welche nach dem Gesetze eine diplo-
mirte Hebamme anstellen müssten und dies verabsäumt haben. Viel geord-
neter sind die Verhältnisse in den Städten. In den Daten über 143 Stadt-
gemeinden fand Tauffer 2028 diplomirte, 56 befugte und 58 Bauernhebammen.
Aus diesen Zahlenangaben geht also hervor, dass die Hebammen geradeso wie
die Aerzte in die Städte streben und sich dort die Existenz gegenseitig er-
schweren, während gerade auf dem Lande, wo schon w^egen geringerer Aerzte-
zahl die Hebammen nothwendig zahkeicher sein sollten, sich ein Mangel zu
*) „Der Zustand des Hebammenwesens in unserem Vaterlande, als ein Factor der
grossen Mortalität der Kinder und Wöchnerinnen" von Prof. Wilhelm Tauffer, 1891.
364 HEB AMMENWESEN.
mindestens gut ausgebildeter Hebammen merklich fühlbar macht. Cultur-
geschichtlich interessant ist hiebei die Thatsache, dass unter den von Kumänen
bewohnten Gegenden die Volkssitte herrscht, dass in den einzelnen Orten eine
Frau der anderen während der Geburt und des Wochenbettes beisteht, ja sogar
die Verpflichtung hat die Wöchnerinnen zu verköstigen; die Beihilfe fremder
Frauen gegen entsprechende Entlohnung ist verpönt.
In Ungarn besteht eine als Regulativ geltende ministerielle „Verord-
nung für die Hebammen bezüglich des Verfahrens zur Verhü-
tung des Kindbetttiebers," welche Verordnung jedem praktischen Arzte
und jeder Hebamme von Amtswegen zugestellt wird. Die wichtigsten Punkte
dieses Regulativs wären folgende:"") Es wird angeordnet, dass die Hebamme
vor und nach jeder Untersuchung ihre Hände und Arme bis an den Ellbogen
unter Benützung der Nagelbürste und Seife in lauem Wasser sorgfältig waschen
und hierauf die Hände durch einige Minuten in Carbolwasser eingetaucht
halten muss (§. 4). Behufs Reinigung der Hände und Geräthe bereitet die
Hebamme das Carbolwasser, indem sie die mitgebrachte 57o-ige Carbolflüssig-
keit mit ebenso viel Wasser mengt. Von diesem Verfahren darf die Hebamme
nur dann abweichen, w^enn der Arzt, dem die Hebamme zu folgen hat, ein
anderes Verfahren anordnet (§ 3). — Der Gebrauch von Schwämmen und
Vaginalinjectionen zur Reinigung von Wöchnerinnen (ausser auf Anordnung des
Arztes) sind verboten (§ 6).
Die Uebelstände des Hebammenwesens in Ungarn liegen so-
mit weder in dem Mangel eines gesetzlichen Regulativs, noch in der mangel-
haften Schulung der diplomirten Hebammen, sondern einerseits in deren un-
genügenden Ueberwachung („das beste Erziehungsresultat verlischt allmälig
in der Praxis," Mann), anderseits in dem Mangel und der unrichtigen Ver-
theilung der diplomirten Hebammen, resp. in der Frequenz der Bauernhebammen.
c. E.
c. In Deutschland. In Deutschland ist das Hebammenwesen Sache
der Einzelstaaten; wollte man also eine Karte entwerfen, auf welcher die
Staaten mit besserer oder schlechterer Gestaltung des Hebammenwesens
in verschiedenen Farben angezeichnet sind — die Karte würde ebenso
bunt aussehen, wie jene Karten, auf welchen vor 1870 die politischen Grenzen
verschiedenfarbig angegeben waren. Und wenn man jene Einzelstaaten, welche
über eine vollkommen genügende Regelung des Hebammenwesens verfügen'
weiss lassen wollte — es fände sich auf der Karte des deutschen Reichs kein
weisses Fleckchen.
Selbst in den einzelnen Staaten ist nur die Zulassung zur Hebammen-
Praxis und die Beaufsichtigung der Hebammen jeweils einheitlich geordnet.
Die Ausbildung der Hebammen-Schülerinnen ist dagegen in Preussen Sache
der einzelnen Provinzen, also in Pommern anders als in Schlesien u. s. w. —
Auch in Bayern ist den einzelnen Schulen die Auswahl des Lehrbuchs, des
Antisepticums u. s. w. freigestellt. Für die einzelnen Staaten besteht ferner
nicht allgemeine Freizügigkeit der Hebammen; Frauen des einen Staates können
nur unter bestimmten Bedingungen in einer Reihe der anderen deutschen
Staaten prakticiren.
Schlimmer als diese Verschiedenheit der Ausbildung in den einzelnen
Staaten und deren Provinzen oder Kreisen ist aber die Thatsache, dass in
allen deutschen Einzelstaaten die Ausbildung der Hebammenschülerinnen eine
weniger sorgfältige ist, als z. B. in Holland oder Italien. Die Unterrichts-
dauer ist entschieden allgemein zu kurz, das Unterrichtsmaterial vielfach zu
*) Nach Prof. J. Mann (Szegedin): Zum Hebammenwesen, Centralblatt für Gynä-
kologie 1889.
HEBAMMENWESEN. 365
klein. Die Bezahlung der Hebammen ist — entsprechend den veralteten
Taxen — fast überall eine ungenügende; für eine Fortbildung der Hebammen,
welche aus der vorantiseptischen und voraseptischen Zeit stammen, ist zum
Theil gar nicht, zum Theil unzulänglich gesorgt.
Diese Umstände haben in mehrfacher Beziehung zu nachtheiligen Ver-
hältnissen geführt: Die Zahl der Wochenbett-Infectionen hat in der Hebammen-
Praxis nicht in demselben Maasse abgenommen, wie in Kliniken und anderen
durch Aerzte geleiteten Anstalten; die sociale und die financielle Stellung der
Hebammen ist eine ungenügende. Die erwähnten Misstände lassen sich am
besten aus einer genaueren Schilderung der einzelnen Punkte erkennen.
1. Auswahl und Vorbildung der Schülerinnen.
Es werden sowohl Mädchen als Frauen und Witwen zum Unterricht
zugelassen. Als Altersgrenze gelten das 18. und 30., an einzelnen Schulen
das 40. Lebensjahr. Ausnahmen werden im Einzelfalle nur dann gemacht,
wenn Mangel an Hebammen besteht. Vorbedingung der Aufnahme ist eine
entsprechende geistige, moralische und körperliche Beschaffenheit; die meisten
Schulen verlangen, dass in den letzten fünf Jahren eine Ptevaccination statt-
gefunden hat. Schwangere werden in späteren Monaten der Gravidität nicht
mehr als Schülerinnen zugelassen. Die Candidatinneü melden sich theils aus
eigenem Antriebe, theils nach Auswahl durch den Ortsvorstand, durch die
Frauen des Ortes u. s. w. zur Aufnahme in die Hebammenschule. Nach abge-
legter Prüfung können die Hebammen in ihrem Staate sich entweder als „frei-
prakticirende Hebammen" den Ort ihrer Thätigkeit selbst wählen, oder sie
werden als „Gemeindehebammen" einer bestimmten Gemeinde zugewiesen, je
nachdem sie den Unterricht auf eigene oder Gemeindekosten genossen haben.
Sachsen hat nur Gemeindehebammen,
Die Candidatinnen machen eine zwei-, beziehungsweise dreifache Sichtung
durch. Die erste Auswahl trifft der Gemeinde vorstand, die zweite der Amts-
arzt, die dritte der Anstaltsleiter. Dem letzteren steht das Recht zu, einzelne
Schülerinnen nach schlechtem Ausfall der Aufnahmeprüfung oder bei offen-
kundiger Untauglichkeit während der ersten Unterrichtswochen zu entlassen.
Immerhin sind trotz dieser dreifachen Sichtung die thatsächlichen Forde-
rungen an Vorbildung und Begabung nicht sehr hoch. Es genügt, dass die
Frauen leidlich lesen, schreiben und rechnen können.
2. Hebammen-Unterricht. Deutschland hat 43 Hebammenschulen,
also (nach der Volkszählung von 1880 berechnet) 1 Schule auf 1'052 Millio-
nen Einwohner.
Von diesen 43 Schulen entfallen 21 auf Preussen, 4 auf Bayern, 2 auf
Sachen, 1 auf Württemberg, 3 auf Baden, 2 auf Hessen u. s. w. — Die kleineren
Einzelstaaten haben nur zum Theil eigene Schulen; zum Theil senden sie
ihre Schülerinnen in die Schulen benachbarter Staaten. Auf die Zahl der
Einwohner berechnet sind Baden, Hessen, die Reichslande und einige Klein-
staaten am besten mit Hebammenschulen versehen: 1 Schule auf etwa Va ^^^^~
lion Einwohner; am ungünstigsten ist Württemberg daran mit 1 Schule auf
fast 2 Millionen Einwohner. Dementsprechend sind die einzelnen Schulen
auch sehr verschieden belastet. Die Zahl der Schülerinnen schwankt
zwischen 3 und 64. Blomberg hat durchschnittlich 3, Greifswald 5,
Breslau dagegen 50, München 64 Schülerinnen; ja einmal betrug deren
Zahl in München sogar 75. Am häufigsten sind 20 — 40 Schülerinnen iu
den einzelnen Anstalten.
So verschieden wie die Schülerinnen-Zahl ist auch die Unterrichts-
dauer an den einzelnen Schulen. Die Mehrzahl derselben (16) hat eine
Unterrichtsdauer von 6 Monaten; dagegen dauert der Unterricht an einer
Schule nur 2 Monate, an 11 Schulen 3^,2 — 4V2 Monate, an 7 Schulen 5
366 HEBAMMENWESEN.
beziehungsweise 7 Monate, an 8 Schulen 8 beziehw. 9 Monate. Wie kurz aber
selbst die höchste deutsche Unterrichtsdauer ist, geht daraus hervor, dass die-
selbe in Holland und Italien 2 Jahre beträgt (s. pag. 369.)-
Das Unterrichtsmaterial ist an den einzelnen Schulen nicht minder
verschieden. Das Hauptgewicht liegt natürlich auf dem Unterricht an der
Schwangeren und Kreissenden. Die Zahl der Entbindungen, welche jede
Schülerin sieht, schwankt zwischen 3 Geburten und 500 Geburten; in den
meisten Anstalten sieht die einzelne Schülerin zwischen 20 und 50 Entbin-
dungen.
Auch die Lehrbücher sind in den Einzelstaaten oder sogar (Bayern)
an den einzelnen Schulen verschieden. Die grösste Verbreitung hat das neue
preussische Hebammen-Lehrbuch von 1892, welches Dohrn verfasst hat. Es
ist an den 21 preussischen, ausserdem an einigen anderen Schulen im Gebrauch
und enthält die Anti- und Asepsis gleich den Büchern von Schultze (in
3 bayerischen und 4 anderen Schulen im Gebrauch), Fehling (Stuttgart und
Erlangen), Kehrer (Baden) und Crede-Winckel-Leopold (Sachsen) in ein-
gehender Darstellung.
An Operationen wird den Hebammen in Preussen und Württemberg
nur die Wendung und die manuelle Placentarlösung gelehrt; in den übrigen
Staaten ist ihnen nur die Ausziehung des Kindes bei Beckenendlage und die
Expression der Placenta erlaubt.
Die Desinfection, beziehungsweise die Handhabung der Anti- und
Asepsis ist in den meisten Einzelstaaten durch „Dienstanweisungen, Regu-
lative, Instructionen" u. s. w. geordnet; einige Staaten bereiten solche vor,
wenige entbehren derselben noch ganz.
Die Prüfung zerfällt an allen Schulen in zwei Theile, einen münd-
lichen und einen praktischen; der letztere findet theils am Phantom, theils
an der Lebenden statt.
3. Verhalten und Ueberwachung der Hebammen in der
Praxis. Ist schon die Unterrichtsdauer, das Unterrichtsmaterial u. s. w. in
den einzelnen Schulen sehr verschieden und nicht an allen genügend, so ist
die Verschiedenheit in der amtlichen Ueberwachung der prakticirenden Heb-
ammen in den Einzelstaaten eine noch grössere und für das Ergebnis der
Hebammenthätigkeit noch einschneidendere.
Die prakticirenden Hebammen werden vom Amtsarzt überwacht ; diese
Ueberwachung findet ihren Ausdruck in mehrfacher Weise: Die Hebammen
haben dem Amtsarzt der meisten Staaten in gewissen Zeiträumen Tage-
bücher vorzulegen; es besteht für sie in den meisten Einzelstaaten die
Anzeigepflicht für Wochenbetts-Infectionen und für Todesfälle im Wochen-
bett;, sie müssen sich in den meisten Einzelstaaten einer Nachprüfung
unterziehen, welche alle 1 — 3 Jahre stattfindet. Soweit Hesse sich keine
erhebliche Verschiedenheit der Ueberwachung erkennen ; trotzdem ist diese in
der That eine überaus grosse. Fast alles kommt im Einzelfalle auf das Inter-
esse an, welches der Amtsarzt dem Hebammenwesen entgegenbringt, und dieses
Interesse ist oft ein ungenügendes. Die Tagebücher (in Bayern müssen
solche überhaupt nicht geführt werden) untersucht ein Amtsarzt eingehend,
der andere nur flüchtig ; und vielbeschäftigte Aerzte werden sie unmöglich
stets hinreichend genau prüfen können ; die Anzeigepflicht lässt viele
Seiten- und Hinterthüren offen — denn nicht stets wird jedes Puerperalfieber
angezeigt, da ja die Hebamme die Folgen einer solchen Anzeige fürchtet und
da sie einen Ausweg in der Stellung einer anderen Diagnose findet ; nicht ein-
mal jeder Todesfall kann überall auf die Ursachen hin geprüft werden. Selbst
die Nachprüfungen erfüllen ihren Zweck nur in jenen wenigen Einzel-
staaten, in welchen ein schlechtes Ergebnis der Prüfung zu einem Wieder-
holungs-Unterricht oder zur Dienst-Enthebung führt. Es liegtauf
HEBAMMENWESEN. 367
der Hand, dass diese letztere eine Härte darzustellen vermag', welche oft durch'
Wiederholungs-Unterricht vermieden werden könnte.
Ist Wochenbettfieber in der Praxis einer Hebamme aufgetreten, so kann
der Amtsarzt eine bestimmte Carenzzeit über die Hebamme verfügen, d. h.
sie für eine Reihe von Tagen von der Praxis ausschli essen ; für die betreffende
Hebamme und ihre Geräthe, Kleider u. s. w. ist in den meisten Einzelstaaten
eine entsprechende Desinfection vorgeschrieben.
Für die Praxis sind ferner die freie Lieferung von Desinficientien
und die Taxe von Wichtigkeit. — Freie Lieferung von Desinficientien wird
in einer grossen Zahl der deutschen Einzelstaaten für die Armen-Praxis
gewährt; so sind 1892 in Dresden hiefür 24:0 kg Carbolsäure verwendet
worden.
Recht schlimm steht es fast überall mit der Taxe. Diese ist meist
veraltet und selbst der geringe Mindestlohn wird in armen Gegenden nicht
stets eingehalten. Ist die Zahl der Entbindungen überdies eine geringe, so
ist nicht abzusehen, wie sich die Hebammen der Vorschrift fügen können,
dass sie die Hände „durch Vermeidung schwerer Arbeiten geschmeidig erhalten
sollen."
In Bayern beträgt z. B. die Taxe: „Für eine gewöhnliche Entbindung, wenn die
Anwesenheit der Hebamme nicht über 12 Stunden dauert, von 1 Mark 80 Pfennig bis
9 Mark" (die Berechnung in Pfennigen rührt von der Umrechnung aus Gulden und
Kreuzern her).
„Für jede fernere Stunde von 27—54 Pfennig."
„Für die Assistenz bei einer Geburt, welche von einem Geburtshelfer besorgt wurde
von 1 Mark 80 Pfennig bis 3 Mark 60 Pfennig."
„Für jeden Besuch einer Wöchnerin einschliesslich der gewöhnlichen Pflege der
Mutter und des Kindes, wenn die Entfernung hin und zurück nicht mehr als eine Stunde
beträgt, von 45 Pfennig bis 72 Pfennig".
Sind schon diese Lohnsätze in der Mindestgrenze viel zu niedrig, so
erhält die Hebamme oft nicht einmal diesen Mindestlohn, sondern in manchen
Bezirken nur 3 — 5 Mark für jede Entbindung mit Einschluss der Wochen-
bettsbesuche. Aus allen diesen Punkten ergibt es sich, dass manche Klagen
über das deutsche Hebammenwesen berechtigt sind, dass die Schuld aber nur
zum kleineren Theile den Hebammen selbst, zum grösseren Theile dagegen
ihrer unzulänglichen Auswahl, Ausbildung, üeberwachung und Bezahlung
zufällt. In den letzten Jahren sind zahlreiche Hebammen vereine ent-
standen, welche auf Fortbildung, Standesgefühl, Lohnfrage, Kranken- und
Altersversicherung nicht ohne guten Einfluss geblieben sind.
Mehrfach ist das Bestreben zu Tage getreten, statt der Hebammen bei
jeder Entbindung Aerzte beizuziehen und ihnen zur Hilfeleistung „Wochen-
bett-Wärterinnen" beizugeben. Dieses Bestreben ist für den grössten Theil
Deutschlands, besonders aber für die Landbevölkerung ein verfehltes — es
ist heute einfach unmöglich, bei jeder Geburt und während der ganzen ITauer
einer solchen Aerzte zur Verfügung zu haben. Bis auf absehbare Zeit wird
man in Deutschland also die Hebammen nicht entbehren können, man wird
vielmehr auf Besserung einzelner Punkte im Hebammenwesen bedacht sein
müssen. Gustav kledt.
d) Iii den übrigen Staaten. In Frankreich*) werden in dem grössten
Hospital eines jeden Departements Hebammencurse abgehalten. Daselbst
dauern die Curse zwei Jahre und bestehen zum Theil aus theoretischen Stu-
dien, zum Theil aus praktischen Uebungen. Nach Vollendung derselben lest
die Candidatin vor einer Gommission einer medicinischen Facultät, oder einer
Ecole praeparatoire ihre Prüfung ab. Die Facultäten ertheilen Diplome 1. und
2. Classe, die Ecole praeparatoire hingegen nur solche 2. Classe. Die Prüfungen
*) Nach Mittheilungen Dr, Schreiber's in seinem Buche „Das medicinische Paris".
368 HEBMIMENWESEN.
der letzteren sind unentgeltlich, nur für das Diplom muss 25 Frcs. entrichtet
■werden. Dagegen kosten die Prüfungen an den Facultäten 80 Frcs. und das
Diplom 50 Frcs. Der Unterschied zwischen Hebammen 1. und 2. Classe
besteht darin, dass die ersteren in ganz Frankreich, die letzteren nur in jenen
Departements prakticiren dürfen, in denen sie ihre Prüfung abgelegt haben.
In Paris existiren zwei besondere Lehranstalten für Hebammen, so dass sich
die Hebammenschülerinnen daselbst in zwei Kategorien theilen: 1. Zöglinge
des „Hojntal des cUnicpies", 2. die Zöglinge der MaterniU. Die Candidatin, welche
den ein Jahr dauernden Curs am Hopital des cliniques besuchen will, muss
mindestens 18 und höchstens 35 Jahre alt sein. Die Aufnahmsprüfung
bezieht sich auf das Lesen, Schreiben, Rechnen und Geographie. Die Ober-
hebamme überwacht die Zöglinge während der Unterrichtszeit; die Schluss-
prüfungen w^erden vor der medicinischen Facultät abgelegt. Die Maternite
ist ein selbständiges Institut, das nicht unter der Leitung der Facultät steht
und eine Hochschule zur Ausbildung Hebammen 1. Classe bildet. Die Auf-
nahm sbedingungen sind dieselben, wie die in der ersterwähnten Anstalt und
liegt der Unterschied hauptsächlich darin, dass die Zöglinge der Maternite
gewissermassen in Pension untergebracht sind, indem jeder Zögling für ganze
Verpflegung (sammt Wäsche, Lehrbücher und Instrumente) circa 270 Frcs.
vierteljährig zu zahlen hat. Es gibt aber auch Freiplätze. Die Aufsicht ist
eine sehr strenge (die Zöglinge dürfen nur sechsmal im Jahre ausgehen).
Nebst praktischer und theoretischer Geburtshilfe wird gelehrt: Impfung,
Kinderpflege, Wundverband. Im Juni eines jeden Jahres werden die Prüfun-
gen abgehalten.
In der Praxis ist den Hebammen die Anwendung von Instrumenten
strengstens untersagt. In entsprechenden Fällen haben sie sofort einen Arzt
zu verständigen; desgleichen sind sie bei Gefängnisstrafe verpflichtet, inner-
halb drei Tagen nach einer vorgenommenen Entbindung die Geburt des
Kindes anzuzeigen, falls kein Vater anwesend ist, dem diese Pflicht gesetzlich
zukommt. — Ein grosser Theil der Pariser Hebammen hat Privatentbindungs-
anstalten (maison d'accouchement), aus denen sie ziemlich bedeutenden Nutzen
ziehen. Die Sages-femmes der verschiedenen Arondissements stehen unter der
Aufsicht der Sous-Präfectur.
Im Jahre 1890 tagte in Paris eine Commission, bestehend aus den
Herren Bourgoin, Brouardel, Gueniot, Nocard, Tarnier und Budin, nach
deren Beschlüssen den Hebammen gestattet werden sollte ein starkes Anti-
septicum zur entsprechenden Verwendung mit sich zu führen, ja sogar selbst
zu verschreiben. Folgendes Pulver wurde nach dem Vorschlage des Referenten
gebilligt:
Sicblimat. 0'25
Äcid. tartar. l'O
Bouge de Bordeaux O'Ol.
Aul der Umhüllung des Pulvers hat gedruckt zu stehen: Sublimat 0'25,
für ein Liter Wasser; giftig. Die weiteren Beschlüsse der Commission lauteten:
Zur Einfettung der Finger diene Sublimat- Vaselin, das in der Menge von
30 9^ und der Concentration 1 : 1000 in den Apotheken den Hebammen verab-
reicht werden dürfe; Metallinstrumente sind in kochendem Wasser zu steri-
lisiren; die mit oben bezeichnetem Pulver dargestellte Sublimatlösung diene
zur Reinigung der Hände der Hebamme sowohl, als zur Reinigung der Ge-
schlechtstheile der Kreissenden; Carbol ist zur Vereinfachung der Desinfec-
tionspraxis gar nicht anzuwenden.
In Belgien recrutiren sich nach Graefe die Hebammen durchschnitt-
lich aus einem viel besseren Material und sind auch besser ausgebildet, als
die deutschen. In einer Instruction, welche eine medicinische Commission
der belgischen Provinz Luxemburg erlassen hat (1889), werden häufige Va-
ginalinjectionen mit 1 — 3°/o Carbollösung den Hebammen „als nützlich"
HEBAMMENWESEN. 369
empfohlen, ja selbst intrauterine Ausspülungen darf die Hebamme vornehmen,
wenn der Arzt anwesend ist.
In Holland*) halten jährlich 6 ärztliche Inspectoren in ihren Bezirken
eine Aufnahmsprüfung ab. Hiebei wird eine schriftliche Schilderung des
Wohnortes, Lebenslaufs u. s. w. gefordert, zu gleichzeitiger Prüfung der Auf-
fassungsgabe und der schriftlichen Gewandtheit, ferner Uebung im Lesen und
Kechnen. Es bestehen 3 Schulen bei 4*3 Millionen Einwohner, also 1 Schule
auf 1*4 Millionen Einwohner; darunter sind 2 Staatsschulen (Amsterdam und
Rotterdam) und 1 Gemeindeschule (Groningen). Die Aufnahme erfolgt mit
20 — 30 Jahren, u. zw. mit Bevorzugung der Unverheirateten; Unterrichtsdauer
2 Jahre. Im 1. Jahre: Theoretischer Unterricht in Geburtshilfe, Lesen, Rech-
nen, Schreiben, Physik; in letzterer werden das Gesetz der Schwere, Thermo-
meter, Barometer, Luftdruck u. s. w. besprochen. Im L Jahre wohnen
die S€hülerinnen getrennt vom Entbindungsgebäude, das sie jetzt noch
nicht betreten. Im 2. Jahre wohnen die Schülerinnen in der Anstalt
selbst; eine beschränkte Zahl von Schülerinnen wohnt ausserhalb der Anstalt
Der Unterricht wird im 2. Jahre in praktischer Geburtshilfe und in kleinen
gynäkologischen Verrichtungen (Einsetzen von Pessaren u. s. w.) ertheilt.
In Italien**) bestehen bei 29 Millionen Bewohnern 26 Hebammen-
schulen, also 1 Schule auf l'l Millionen Bewohner. Aufgenommen werdeü
Verheiratete und Unverheiratete von 18 — 36 Jahren, wenn sie eine Aufnahme-
prüfung vor dem Director der entsprechenden Elementar-Schule und dem Be-
zirksschul-Inspector nach dem Programm der 3. Elementarschule im Rechnen
mit Einschluss der Elemente der Geometrie (Kreis, Quadrat u. s. w.), ferner
im Lesen und Schreiben bestanden haben. Der Unterricht dauert 2 Jahre.
Im 1. Jahre: Theoretische Geburtshilfe, Untersuchung von Schwangeren; die
Schülerinnen sind bei den Geburten anwesend, leiten sie aber nicht selbst.
Im 2. Jahre: Untersuchung der Kreissenden,. Leitung der Geburt und des
Wochenbettes. Am Ende des 1. Jahres theoretische, des 2. Jahres praktische
Prüfung. Den Hebammen gestattet sind Wendung, Ausziehung und Nach-
geburtslösung.
In Russland ist der Ruf nach Regulirung des Hebammenwesens ein
dringender. Dies beweisen die Verhandlungen in der gynäkologischen Section
des III. Congresses russischer Aerzte, abgehalten zu Petersburg im Januar
1889. Alle Mitglieder erklärten einstimmig die Untauglichkeit der Hebam-
men und die Nothwendigkeit einer gründlichen Umgestaltung des Hebammen-
wesens. In der Discussion vertrat namentlich Dr. S. Chazax, Chefarzt der
Frauenheilanstalt zu Grodno, den Standpunkt, man solle die active Thätigkeit
der Hebammen bei Kreissenden und Wöchnerinnen auf ein Minimum beschrän-
ken und insbesondere das strenge Verbot ertheilen, die Hebamme dürfe weder
die Schwangere, noch die Kreissende vor Abfluss des Fruchtwassers unter-
suchen.
In dem „freien" England und Amerika kann jede Frau Hebammen-
dienste leisten, welche Lust zu dem Gewerbe hat. Es existiixu zwar eine
Reihe von Hebammenschulen (School for midwives), doch ist deren Besuch kein
obligatorischer für das Recht der Ausübung von Hebammenpraxis. Eine An-
zahl von Midwives lassen sich übrigens von den geburtshilflichen Gesell-
schaften Certificate ausstellen, die ihnen als Ersatz der Diplome von staat-
lichen Anstalten dienen. Es ist ein öffentliches Geheimnis, dass diese Ge-
sellschaften namhafte materielle Vortheile aus diesen Anfertigen von Zeug-
nissen beziehen. Die Ueberwachung der Hebammen in praxi und die Be-
stimmung der erlaubten Functionen unterliegt fast gar keiner Controle. So
*) Nach Mittheilmig eines holländischen Gynäkologen an Herrn Doc. G. Klein (1886).
**) Nach Mittheilungan eines italienischen Gynäkologen au Herrn Doc. G. Kledi (1886).
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 24:
370 HINTEßSCHEITELBEINLAGEN.
wird es begreiflich, dass die Stimmen der Aerzte einmüthig eine neue ge-
setzliche Regelung des Hebammenwesens verlangen. Wer die letzten Jahr-
gänge der „Lancet" durchblättert, der wird des öfteren finden, aus welchen
Anlässen strenge Massregeln di'ingend erforderlich erscheinen. Allgemein ist
die Klage über das unzweckmässige, ja gerade gefährliche Treiben der Midwives
in praxi. Anderseits macht sich das Bestreben geltend, so viel als möglich
Aerzte statt der Hebammen bei Geburten Beistand leisten zu lassen. Nach
einem Berichte Rosenberg's geschieht dies in Newyork in mehr als 50^/o der
Fälle. Im Jahre 1891 wurden 24.134 Frauen von Aerzten und 22.720 von
Hebammen entbunden. — Im Jahre 1892 und 1893 tagte in London eine
Commission von Fachärzten, bestehend aus den Herren Mr. Albert Brigth,
Mr. Tatton Egerton, Dr. Farquharson, Mr. Fox, Sir. Fredrick Fitz-Wygram,
Sir Henry Honvorth, Mr. Fell Pease (als Präsident), Mr. Priestley, Mr. Bath-
hone, Mr. Stephens, Mr. Arthur Williams, deren Beschlüsse zur Regelung des
Hebammenwesens vom Ministerium dem Parlament vorgelegt und im Jahre
1894 bereits im Oberhause durchbera-then wurden.
Ganz irregulär ist das Hebammenwesen in der Türkei."") Hebammen-
dienste kann jede Frau leisten, die sich darauf versteht; meist werden diese
Kenntnisse in einzelnen Familien von Mutter auf Tochter und andere Ver-
wandte vererbt. Nur in Constantinopel besteht an der militär ärztlichen
Schule eine eigene Hebammenlehranstalt seit ca. 20 Jahren. Der Unterricht
dauert 3 Jahre, wird aber nur am Phantom ertheilt. Später ist es den Zög-
lingen gestattet an den Uebungen in der Frauenambulanz des Municipal-
krankenhauses (Beledie Khastakhanessi) Antheil zu nehmen. Die Zahl der
Schülerinnen beträgt jährlich ca. 30. Die Prüfungen dürfen auch in fran-
zösischer Sprache abgelegt werden. In Constantinopel dürfen nur die in dieser
Hebammenanstalt ausgebildeten Candidatinnen prakticiren; es steht ihnen aber
auch frei in irgend einem anderen Orte der europäischen oder asiatischen
Türkei ihre Praxis auszuüben. c. ß.
Hinterscheitelbeinlagen. Die Hinterscheitelbeinstellung,**)
ist eine Geburtsanomalie, die darin besteht, dass nicht wie bei normaler Geburt
beide Kopfhälften gleichmässig ins Becken hineintreten, sondern das hintere
Scheitelbein auf oder in dem Beckeneingang vorliegt. Die Pfeilnaht muss
darnach mehr oder weniger der Schamfuge genähert sein und die Fruchtaxe
bei dieser Schädelhaltung nothwendigerweise eine Abknickung im Halstheil
erfahren. Es besteht eine recht- oder spitzwinklige Seitenbeugung des
Kopfes (caput obstipum) gegen die vordere Schulter hin und der Uterus be-
kommt dadurch eine Convexität der Uterusaxe nach hinten. Litzmann, der
nach Michaelis das Verdienst hat diese Anomalie zuerst näher untersucht
zu haben, unterscheidet 3 Grade. Erster Grad: Die Pfeilnaht verläuft 1-5— 2-5 cm
vor der Mittellinie des Beckens. Zweiter Grad: Die Pfeilnaht verläuft hinter
dem oberen Rand der Symphyse. Dritter Grad: Pfeilnaht oberhalb der Sym-
physe, nur das hintere Scheitelbein vorliegend zu fühlen, an oder neben dem
Promontorium das Ohr (Ohrlage).
Aetiologie: Die Ursache dieser Anomalie ist noch keineswegs klar.
Die Hinterscheitelbeinstellung kommt vorwiegend bei engem Becken vor,
doch auch bei normalem Becken wird sie, wenn auch seltener, beobachtet.
Als Grund derselben wird angeführt:
1. Beckenenge,
2. starke Beckenneigung besonders bei straffen Bauchdecken, weil da-
durch die Uterusaxe hinter die Axe des Beckeneingangs fallen soll,
*) Nach Mittheilungen des Herrn Dr. Mazahr Effenw.
**) Vergleiche Artikel „F7-itcJdlagen'^ pag. 260.
IIINTERSCHEITELBEINLAGEN.
371
3. plötzlicher Fruchtwasserabfluss bei starker Beckenneigung,
4. abnorm spitzer Winkel zwischen Symphyse und Conjugata vera,
5. tiefer Stand des Promontoriums,
6. Hängebauch, , . .
7. volle Harnblase, weil sie die Krümmung der Uterusaxe betordern
soll u. a. m.
Die Häutigkeit der Hinterscheitelbeinstellung gibt Litzmann au
auf l-27o der Geburten bei normalem Becken,
auf 107o der Geburten bei engem Becken,
auf 20"/o der Geburten bei allgemein gleichmässig verengtem Becken.
J. Veit fand 11 — 14 unter 1000 schweren Geburten.
Die Diagnose ergibt sich aus dem Befund: Vorliegen des hinteren
Scheitelbeines, Pfeilnaht quer verlaufend hinter der Symphyse, beim 3. Grade
das Ohr fühlbar, das vordere Scheitelbein ist unter das hintere, vorliegende
untergeschoben, dies eine Veränderung, die auch nach Eintritt des Kopfes ins
kleine Becken eine nachträgliche Diagnose der Anomalie ermöglicht. Bei
längerer Dauer der Geburt nach dem Blasensprung ist das ganze im Becken-
eingang vorliegende Schädelgebiet mit einer Kopfgeschwulst bedeckt und dadurch
die Diagnose oft recht erschwert. Da muss denn aufmerksames Untersuchen
der Peripherie des Schädels oder Untersuchung in Chloroformnarcose mit
halber Hand Klarheit schaffen. Bei der äusseren Untersuchung fällt mitunter
eine sichtbare Delle unterhalb des Nabels auf (Hegar).
Ausgänge und Prognose: Die Hinterscheitelbeinstellung wird gewiss
oft genug im Anfang der Geburt übersehen und findet häufig, besonders bei
normalem Becken, eine Correction durch die Geburtskräfte statt. Ist die Hinter-
scheitelbeinstellung stärker ausgeprägt, so ist auf Selbstcorrection nicht zu
rechnen, da die Bedingungen für den Eintritt des Kopfes in dieser Haltung
zu ungünstig sind. Bei ganz kleinen Zwillingen oder unausgetragener kleiner
Frucht ist ein Eintritt des Kopfes in dieser Stellung wohl denkbar und
möglich, bei ausgetragenem Kind ist die Hinterscheitelbeiiastellung als ein
schweres, fast unbedingtes Geburtshindernis zu betrachten. Es stellt sich bei
dieser Haltung des Kopfes in die Conjugata ein Durchmesser von circa 11 cm
(von der Basis des Schädels bis zum Scheitel). Man ersieht daraus die enormen
Schwierigkeiten, die dem Eintritt des Kopfes bei dem häufig bei Hinterscheitel-
beinstellung vorhandenen engen Becken entgegenstehen. Die Art wie in
manchen Fällen der Eintritt dann doch spontan erfolgt, ist folgende: Das
Promontorium bildet das Hypoinochlion für eine Drehbewegung, die der Schädel
etwa um seine querstehende Längsaxe ausführt. Das vorliegende hintere
Scheitelbein wird stärker convex, das vordere Scheitelbein unter das hintere
untergeschoben, muss an der breiten Reibungsfläche der vorderen Beckenwand
heruntergepresst werden. Dabei nähert sich unter Tiefertreten die Pfeilnaht
mehr und mehr der Mittellinie des Beckens.
Litzmann nahm an, dass dabei sich das hintere Scheitelbein am Pro-
montorium Avieder in die Höhe schob, ein Mechanismus, der von J. Veit be-
stritten wird. Tritt keine Selbstcorrection im Anfang der Geburt ein, fehlt
die Kunsthülfe, so besteht die Gefahr, dass bei Nichttiefertreten des Schädels
in's Becken durch Eetraction des Uterus und Dehnung des unteren Uterin-
segments Uterusruptur eintritt, die in diesem Falle um so schwieriger zu
erkennen ist, als die Dehnung besonders die hintere Wand des unteren
Uterinsegments betrifft»
Therapie. Im Anfang der Geburt kann man bei stehender Blase durch
xlufstehenlassen, Anordnung einer sitzenden Stellung und Herumgehenlassen
der Kreissenden die Anteversionsstellung des Uterus zu vermehren und damit
eine Correctiou der fehlerhaften Kopfstelluug zu erreichen suchen. Es wii'd
ferner empfohlen ein festes Polster unter eine straffgezogene Leibbinde ober-
24*
372 HYDRAMNIOS.
halb der Symphyse dabei anzulegen. Andere rathen die Rectification der Stel-
lung dui'ch Handgriffe von Aussen, Druck oberhalb der Symphyse auf den Kopf,
besonders während der Wehen, ferner Seitenlagerung auf die Seite der Stirn
(A. Martin). Auch innere Handgriffe werden empfohlen durch Eingehen mit
der ganzen Hand zur Correction der Kopfstellung oder Druck gegen den vor-
springenden Rand des Scheitelbeines nach hinten zur Beschleunigung des
Mechanismus des Eintrittes. Alle diese Mittel dürften ziemlich erfolglos sein
und besteht der Verdacht, dass sie bei scheinbarem Erfolg unnöthig waren,
da sie in den meisten Fällen ganz im Stich lassen. Früher wurde die
Zange empfohlen. Litzmann wollte sich von Aussen den Kopf in annä-
hernd normale Stellung drücken und fixiren lassen, die Zange quer anlegen
und extrahiren. Man hält jetzt die Zange für ein ungeeignetes und sogar
sehr gefährliches Instrument bei dieser Stellung. Natürlich ist eine An-
wendung der Zange nach erfolgtem, vollkommenen Eintritt des Kopfes ins
Becken auf gegebene Indication hin erlaubt und geboten, denn dann hat man
ja keine Hinterscheitelbeinstellung mehr.
Die heute am meisten zu empfehlende Therapie ist die, dass
man bei der Stellung des Schädels, welche dem 2. und 3. Grade Litzmann's
entspricht und bei einer ausreichenden Beweglichkeit des Schädels zu prü-
fen hat, ob die Wendung auf die Füsse gemacht werden kann, und im
bejahenden Falle sie auszuführen. Zu berücksichtigen ist die frühzeitig ein-
tretende Dehnung des unteren Uterinsegments, welche eine Wendung sehr
gefährlich machen könnte. Handelt es sich um den ersten Grad Litzmann's
so wird man die spontane Entwicklung abzuwarten suchen, zumal da die
Zeit der Wendung dann meist vorüber und die Aussichten auf spontane
Geburt nicht ungünstig sind. Aber auch da muss man sich durch genaue
Beobachtung des Befindens der Mutter (P'ieber, blutiger Urin etc.) ebenso wie
in den Fällen von Grad 2 und 3, wo die Wendung nicht mehr möglich
war, hüten den Zeitpunkt zu versäumen, in dem eine Rettung des mütterli-
chen Lebens durch Perforation des Kindes noch möglich ist. f. droysen.
iraniniOS (Hydrops amnii, Tolyhydramnie). Wenn man nach
Fehling die mittlere Fruchtwassermenge*) am rechtzeitigen Schwangerschafts-
ende mit 630 ccm annimmt, ein Plus darüber bis zur Gesammtmenge von
1500 ccm als „reichliches Fruchtwasser" bezeichnet, so heisst man jede, über
diese Quantität hinausgehende Fruchtwasserbildung einen Hydramnios. Gassner
hat als Durchschnittsmenge am Ende der Gravidität 1877 ccm gefunden.
Die übermässige Fruchtwasserbildung kann eine ziemlich beträchtliche
Höhe erreichen, eine Höhe, wo man fast nicht glauben möchte, dass der Uterus
eine solche Expansion seiner Wandungen zulässt. In einem von Küstner
beobachteten Falle betrug der Leibumfang in der Nabelhöhe 124 cm. Wir
konnten in einem Falle von Hydramnios einen Leibumfang von 115 ccm nach-
weisen und betrug dabei die Entfernung vom oberen Symphysenrande bis zum
Processus ensiformis 52 cm.
Die Beobachtungen der oberen Grenze der Fruchtwasserbildung fallen
umsomehr auf, als zur Zeit des Befundes das normale Schwangerschafts-
ende noch nicht erreicht war, in vielen Fällen noch mehrere Monate auf das-
selbe fehlten. So beobachteten: Schneider 30 Liter (6. Mon.), Küstner
15 Liter (5. Mon.), Scarpa 7V2 Liter (6. Mon.), Martin 7 Liter (7. Mon.)
OsiANDER 6 Liter (6 Mon.). — Die grösste Menge unserer Beobachtung betrug
5V2 Liter am rechtzeitigen Ende der Schwangerschaft.
Die häufigste Ursache zur Entstehung des Hydramnios liegt in Stö-
rungen der Entwicklung im Ei selbst. Jungbluth, Lebedefp u. A. suchen
*) Vergl. Artikel y,Fruchtentwicklung" , pag. 254.
HYDRAMNIOS. 373
die Entstehung in einem langen und weiten Offenbleiben der Vasa propria
der Grenzmembran der Placenta, wenn diese Capillaren nicht rechtzeitig ob-
literiren. Durch Stauungen im fötalen Kreislaufe (Herzfehler, Lebererkran-
kungen) wird die Entstehung dieser Anomalie begünstigt. Infolge des er-
höhten fötalen Blutdruckes in diesen Capillaren kommt es zu einer vermehrten
Transsudation in die Amnioshöhle. Nachdem die Nabelstranggefässe mit den
Vasis propriis der Grenzmembran zusammenhängen, kommt es dann auch zu
Oedem der Nabelschnur und einer Transsudation aus den Gefässen derselben.
Auch die Placenta wird ödematös und deren oberflächlich liegenden Gefässe
transsudiren in die Amnioshöhle. Als weitere Ursachen seitens des Gefäss-
systems werden genannt: Stenose der Vena umbilicalis, Varices dieser Vene,
übermässige Torsion der Nabelschnur, Insertio velamentosa, Insufficienz der
Tricuspidalis, der Pulmonalklappen, Stenose des Ductus Botalli. — Seitens
der Leber: Syphilis, Stauung und Cirrhose (Küstner). — Seitens der Lunge:
Syphilis. — Der Umstand, dass der Harnstoffgehalt des Fruchtwassers bei
Hydramnios oft vermehrt ist, lässt einzelne Autoren, für diesen den renalen
Ursprung annehmen.
Wenn der Boden der Ventrikel bei Hemicephalie, oder des Canalis spi-
nalis bei Spina bifida blossliegt, kann der Hydramnios durch den continuir-
lichen Erguss der Cerebrospinalflüssigkeit in die Amnioshöhle bedingt werden
(Feitsch). Auffallend ist es dem gegenüber aber, dass bei geschlossenem
Hydrocephalus, wo also der Liquor cerebrospinalis nicht nach aussen gelangen
kann, fast immer auch der Hydramnios beobachtet wird. Nach Schultze
kommt es auch zu einem Hydramnios, wenn die Production des Fruchtwassers
grösser ist, als die Kesorption; letztere in dem Sinne, dass der Fötus zu wenig
Wasser schluckt.
Constant lässt sich der Hydramnios bei eineiigen Zwillingen beobachten,
so dass dieser Umstand einen diagnostischen Werth für die eineiige Zwillings-
schwangerschaft hat. Man hat früher von einer häufigen Coincidenz des Hy-
dramnios mit Zwillingsschwangerschaften gesprochen; doch seit den genauen
Untersuchungen von Schatz und KtiSTNER stellte es sich heraus, dass der
Hydramnios nur mit eineiigen Zwillingen vergesellschaftet ist. Der Hydram-
nios bei eineiigen Zwillingen ist nur einseitig, das heisst, nur eine Amnios-
höhle enthält eine übermässige Fruchtwassermenge, während in der Amnios-
höhle des Zwillingsnachbars eine normale oder unter der Norm stehende
Fruchtwassermenge enthalten ist. Während die Eihöhle des ersteren prall
gespannt und stark ausgedehnt ist, kann die letztere schlaff sein und wenn
die Fruchtblase derselben dem untersuchenden Finger zugänglich ist, kann
aus diesem Umstände die Diagnose auf eine eineiige Zwillingsschwangerschaft
gestellt werden. Bei eineiigen Zwillingen bestehen Anastomosen der placen-
taren Gefässbezirke, ein Befund, der schon den älteren Autoren bekannt war.
Die Anastomosen können oberflächlich oder tiefliegend sein und betreffen das
arterielle und venöse Gebiet, vorwiegend das erstere. Diese Anastomosen er-
möglichen eine Transfusion des Blutes des einen Zwillings zum anderen.
Schatz nennt diese Anastomosenbezirke „Zottentransfusionsbezü'ke". Man
kann einen solchen Zottentransfusionsbezirk an einer Placenta durch Luft-
einblasen in diese durch die Nabelstranggefässe in folgender Weise abgrenzen:
Treibt man durch die Gefässe der einen Nabelschnur in eine, schon längere
Zeit freigelegene Placenta, Luft ein, so nimmt die Oberfläche jenes Placenta-
abschnittes, der von der Luft beschickt wird, eine hellere Färbung an. Die
mediane Begrenzungslinie wird nun durch Nadeln abgesteckt. Wenn hierauf
nach längerer Zeit von der anderen Nabelschnur Luft eingeblasen wird, so
nimmt wieder der zu dieser gehörige Placentatheil eine hellere Färbung an.
Durch Absteckung des medianen Abschnittes auch dieses Placentaabschnittes
erhält man den gemeinsamen Zottentransfusionsbezirk.
374 HYDRAMNIOS.
Der liydramniotisclie Zwilling ist stärker entwickelt, der andere, in dessen
Amnioshölile weniger Fruchtwasser enthalten ist, schwach, in der Entwicklung
zurückgeblieben, oder verkümmert. Das Herz des ersteren zeigt Hypertro-
phie; in dessen Leber lässt sich venöse Stauung nachweisen. Die mit der
letzteren einhergehende Stauung im Pfortadersystem, bedingt bei diesem oft
auch einen Ascites und Hydrothorax. Bei Fortdauer der Störung im Pfort-
adersystem tritt Schrumpfung der Leber ein.
KüSTNEE fasst seine (von Schatz abweichende) Theorie des Hydramnios
bei eineiigen Zwillingen in folgende 3 Punkte zusammen: „Durch immer
grössere Ueberlegenheit gelingt es dem kräftigeren Fötus alsdann bald wei-
tere Placentagebiete zu erobern und so das schwächere Zwillingsgeschwister
immer mehr und mehr, aus dem, der Anlage nach, diesem gehörigen Placentar-
bezirk herauszudrängen. Dasjenige Organ aber, welches, weil am meisten in
Anspruch genommen, sich am rapidesten entwickeln muss, ist das Herz; dieses
hypertrophirt zu unverhältnismässiger Grösse. Folge: Mehr Urins e er e-
tion in den Amniossack hinein. Schliesslich kann aber das hyper-
trophirte Herz seiner, sich immer mehr steigernden Aufgabe nicht mehr ge-
nügen, es wird relativ insufficient. Von diesem Momente an entwickeln sich
dann Erscheinungen des erhöhten Druckes mit Stase im Venensysteme und
es macht sich diese Drucksteigerung als Oedem geltend. Folge: Mehr
Transsudation in den Amniossack hinein. Wenn die Druckerhöhung
im Venensysteme lange genug besteht, so entwickelt sich unter ihrem Ein-
flüsse die Lebercyanose, ganz analog wie bei Herzfehlern extrauterin lebender
Menschen. Diese Lebercyanose hat als Endstadium die Lebercirrhose, Folge:
Steigerung des schon gesteigerten Druckes im Gebiete der
Xabelvene, noch mehr Transsudation in den Amniossack hinein."
Hinsichtlich des Verlaufes des Hydramnios müssen wir jene Fälle, w^o
die Fruchtwasserbildung eine nur stetig zunehmende ist, von jenen unter-
scheiden, wo in wenigen Wochen die Amnioshöhle sich zu einer enormen Höhe
anfüllt und welchen Zustand Charpentier mit dem Namen acuter Hyd-
ramnios bezeichnet hat.
Während die ersteren Fälle, ausser einer unbequemen Schwere, keine
anderen Symptome zu geben brauchen, erreichen im letzteren Falle die me-
chanischen Schwangerschaftsbeschwerden oft einen hohen Grad und können
dem Arzte zu activem Vorgehen Veranlassung geben. Die lästigsten Symp-
tome sind Athembeschwerden, die sich bis zum Lufthunger steigern können
und die bis zu einer enormen Grösse anwachsenden Oedeme der unteren Ex-
tremitäten, der grossen und kleinen Labien und der Bauchdecken. Als Be-
gleiterscheinung wird bei acutem Hydramnios regelmässig Albuminmie beob-
achtet; in einem von uns beobachteten Falle ist auch Anurie eingetreten und
konnte der rechte Ureter als fingerbreiter, aber vollkommen abgeplatteter
Strang getastet werden. Alle diese Symptome und Befunde schwinden, wenn
der Fruchthalter entleert ist, oder zum mindesten die Eihöhle verkleinert wird.
Nach dem Gesagten richtet sich auch unser therapeutisches Vor-
gehen. Bei beginnender Athemnoth kann man dieser durch Höherlagerung des
Oberkörpers entgegenarbeiten; da jedoch auch während des Schlafes diese Lage
eingenommen werden muss, kommt es zu baldiger Uebermüdung, die umso-
mehr zu berücksichtigen ist, als auch bei diesen Beschwerden die Nahrungs-
aufnahme nur eine spärliche ist. Bei sicher vorhandenem acuten Hydramnios
ist die einfachste und beste Hilfe die künstliche Blasensprengung und damit
vorzeitige Unterbrechung der Schwangerschaft. Man thut gut, diesen Ent-
schluss bald zu fassen, denn einerseits haben wir gesehen, dass die Lebens-
fähigkeit der Früchte bei acutem Hydramnios so gut wie auszuschliessen ist
(handelt es sich doch in den meisten Fällen um einen Hydrocephalus, Hemice--
phalus, eine Hydrorrhachis, Stauungsleber, Lebercirrhose mit Hydrops Ascites
HYDRORRIIOEA UTERI GRAVIDI. 375
und Hydrothorax), andererseits Jcann bei Fortbestelien der Schwangerschaft, ganx
abgesehen von den mechanischen Schwangerschaftsbeschwerden, die missbil-
dete Frucht, zu allerlei ernsten, ja auch das mütterliche Leiten Itedrohenden
Geburtscomplicationen Veranlassung geben. Der vom Fundus aus vor-
zunehmenden periodischen Function der Eihöhle können wir nicht beistimmen
und möchten diesen Vorgang auch nicht empfehlen.
Im Beginn der Athembeschwerden haben wir sowohl diese, als auch die
Oedeme sich auffallend vermindern gesehen, wenn eine Ableitung auf die Nieren
durch schwach wirkende Diuretica und durch warme Bäder eine profuse
Schweissbildung hervorgerufen wurde. piskaöek.
Hydrorrhoea Uterä gravidio Abnorm starke Wucherung der Uterin-
drüsen der Decidua vera bildet eine anatomische Ursache und Erklärung ihrer
vermehrten Secretion, so dass durch letztere ein Hindernis dafür entsteht,
dass sich die Decidua vera und reflexa an einander legen, was dann entweder
unvollständig oder gar nicht geschieht. Das Secret sammelt sich zwischen
beiden Deciduen an und fiiesst schliesslich, wenn es den Widerstand am
Orificium internum überwunden hat, ab. Es ist zweifellos, dass die Eihäute
durchlässig sind, und dass daher die Möglichkeit gegeben ist, dass zwischen
Amnion und Chorion und zwischen Chorion und Decidua circumflexa gevrisse
Quantitäten von Fruchtwasser austreten, welche unter wehenartigen Schmerzen
auch zum Austritte gebracht werden können, ohne dass es zu einer Berstung
der Eihäute und vorzeitigem Geburtseintritte kommt. Es zeigt sich selten
schon im Anfange, also im 2. oder 3. Monate, meistens erst nach der Mitte
einer bis dahin normal verlaufenen Gravidität ein massiger Ausfluss aus den
Genitalien der Frauen, welcher sowohl im Bette als beim Umhergehen erfolgt,
gewöhnlich morgens am stärksten ist und von wenigen Tropfen bis zu einer
grösseren Menge steigen kann. Der Ausfluss tritt theils ohne jede Empfin-
dung ein, theils aber gehen ihm wehenartige Schmerzen voraus, die erst nach
reichlicher Entleerung nachlassen. Manche Frauen haben hieb ei ziemliches
Wohlbefinden, bei anderen tritt Abnahme der Kräfte, Anämie in Folge der
Säfteverluste ein, und es sind dementsprechend Frühgeburten nicht zu selten,
wenn auch in den meisten Fällen die Schwangerschaft ihr normales Ende
erreicht oder wenigstens fast ganz bis zum normalen Ende dauert. Kolpitis
oder Endometritis bedingen manchmal eine eitrige Beimengung des Secretes ;
zuweilen finden wir das Secret auch blutig tingirt.
Stockt der Ausfluss, was mitunter der Fall ist, so wird das Abdomen
durch die Ansammlung des Secretes stark ausgedehnt, nimmt aber an Volumen
ab, wenn durch Contractionen des Uterus der Widerstand beseitigt und der
flüssige Inhalt abgegangen ist. Der Abfluss erfolgt ohne Prodromalsymptome,
und folgt ihm die Frühgeburt, so liegen meist zwischen dieser und dem An-
fange des Leidens einige Wochen.
Diese Hypersecretion kommt zuweilen in mehreren Schwangerschaften
nacheinander vor. Viele Patientinnen tragen aber bei monatelangem Abflüsse
dieser Art völlig aus. Was das Secret als solches betrifft, so muss es vom
Fruchtwasser, Harn und den Secreten bei Endometritis colli und Kolpitis
unterschieden werden. Vom Fruchtwasser unterscheidet es sich durch den
Mangel an Vernix caseosa und dadmxh, dass die Frühgeburt entweder gar
nicht oder erst sehr spät nach dem Abflüsse eintritt. Die Unterscheidung
von Harn wird durch die geringe Menge des Harnstoffes im Secrete, die neu-
trale oder alkalische Reaction und durch den Nachw eis des Abflusses aus der
Gebärmutter ermöglicht. Da das Secret bei Hydi'orrhoea uteri gra^ddi nicht
wie jenes der Endometritis colli und Kolpitis Eiter und Pilze enthält, fällt
es nicht schwer, es von diesem pathologischen Producte zu unterscheiden.
376 HYPEREMESIS GRAVIDARUM.
Das Leiden findet sich haiiptsäclilich bei Vielgeschwängerten, und hcäufig
sind früher bestandene intensive Katarrhe des Uterus als Ursache zu betrachten.
Oft kommt es bei zarten, etwas anämischen und hysterischen Frauen und
manchmal bei Herzkranken vor. Die Prognose ist ziemlich günstig, wofern
nicht die Kranken durch die Säfteverluste zu sehr erschöpft sind. Auch die
Frucht ist nicht immer schwächlich und es ist wie schon erwähnt, die Früh-
geburt, wenn auch nicht selten, doch nicht immer nothwendig. Mit der voll-
endeten Entbindung ist das Leiden in den meisten Fällen vollständig beseitigt.
Was die Therapie anbelangt, so sind Kühe und Vermeidung von zu reichlichen
und starken Getränken indicirt. Gegen den lästigen Ausfluss wendet man am
besten Liigationen oder Injectionen mit leicht adstringirenden Flüssigkeiten
an. Gegen drohenden Abortus oder Partus praematurus sind Narcotica und
Ruhe angezeigt, gegen die anämischen Zustände verordnet man Eisenälbu-
minate und ausserdem ist für gehörige Diurese und Defäcation Sorge zu tragen.
V. BEAUN-FERNWALD.
HyperemesiS gravidarum (Unstillbares Erbrechen). Während ein
Erbrechen bei nüchternem Magen zu den gewöhnlichen Vorkommnissen in
der Schwangerschaft gehört und deshalb auch unter den muthmasslichen
Zeichen derselben angeführt wird, bildet das „unstillbare Erbrechen"
eine schwere Schwangerschaftscomplication. Schwangere, die zum Erbrechen
bei nüchternem Magen neigen, werden von demselben beim Aufstehen befallen.
Nach eingenommenem Frühstück hört meist das Erbrechen auf, oder bleibt
ganz aus, wenn das Frühstück vor dem Aufstehen liegend eingenommen wurde.
Obzwar aber das Erbrechen bei nüchternem Magen und das unstillbare
Erbrechen auf eine ähnliche Ursache zurückzuführen sind, ist das Bild und
der Verlauf des letzteren ganz eigenthümiich. Dasselbe tritt wohl auch bei
nüchternem Magen auf, wiederholt sich aber fortwährend, wenn der Magen
etwas aufgenommen hat und ist dieser leer, dann kommt es, unter Würgen,
zum Erbrechen klaren, gallig gefärbten oder blutig gestreiften Schleimes. Oft
ist dieser Zustand mit Speichelfluss complicirt. Dieses Versagen der Nahrungs-
assimilation seitens des Magens und die gleichzeitige Abgabe der Körper-
feuchtigkeit durch die Lungen, die Haut, in etwas vermindertem Maasse durch
die Nieren, dann in Form von Schleim und Speichel, führen zum. successiven
Verfall der Kräfte und präsentirt sich das ganze Krankheitsbild nach einigem
Bestehen wie folgt: Die Mundhöhle wird trocken, die Zunge feurig roth, der
Athem nimmt einen widerwärtigen Geruch an, es treten Schmerzen in der
Magengrube auf, die Extremitäten werden kühl, die Haut spröde und welk,
der Puls klein und frequent, der Urin wird übelriechend, stark concentrirt
und eiweisshältig, bisweilen -sind Cylinder in demselben nachweisbar. Stuhl-
verstopfung ist dabei Regel und eines der lästigsten Symptome ist der quä-
lende Durst. Auffallend und vielleicht ätiologisch von Belang ist die Beobachtung,
dass mit Fortschreiten des Zustandes fast immer eine Temperatursteigerung
nachzuweisen ist. Hat die Inanition einen höheren Grad erreicht, dann treten
Ohnmächten und Delirien auf, es kommt zum Coma und schliesslich zum
letalen Ausgang.
Im Anfang der Schwangerschaft ist meist keine nennenswerthe Störung
nachweisbar, so dass von einzelnen Seiten die Ansicht vertreten wird, als
bestünde im ersten Monate eine Immunität gegen dieses Leiden; höchstens
dass Erbrechen bei nüchternem Magen beobachtet wird. Wir können dieser
Ansicht nicht beistimmen, machen vielmehr zwischen diesem und dem unstill-
baren Erbrechen nur einen graduellen Unterschied. Richtig ist, dass das
Auftreten des letzteren am häufigsten zwischen dem 2. und 4. Monate be-
obachtet wird.
HYPEREMESIS GRAVIDARUM. 377
Die Abmagerung kann oft in kurzer Zeit eine sehr bedeutende werden.
Zweifel beobachtete bei einer seiner Kranken eine Körpergewiehtsabnahme
von 36 Pfunden binnen 8 Wochen. Ob die nicht corrigirbare Inanition beim
Menschen sich so verhält, wie bei Thieren, bleibt dahingestellt. Bei letzteren
ist eine Rettung noch möglich, wenn nicht mehr als 0-4 des ursprünglichen
Körpergewichtes verloren gegangen sind (Brücke). Hinsichtlich der Aetio-
logie des Leidens sind die Ansichten verschieden. Das Erbrechen führte
zunächst zu der Annahme, dass Störungen im Darmtractus das ursächliche
Moment bilden. Thatsächlich Hessen und lassen sich beim unstillbaren Er-
brechen Erkrankungen des Magens und functionelle Störungen der Darm-
thätigkeit nachweisen. Als solche führen wir Magenkatarrhe, Magengeschwüre
und die chronische Obstipation auf. Wenn ab und zu auch ein Magencarcinom
gefunden wurde, so gehört dieses nur zu ganz besonderen Zufälligkeiten.
Mehr Beachtung verdient das gleichzeitige Vorkommen der Bright'schen
Nierenkrankheit und von Herzfehlern. Ahlfeld und Kaltenbach bringen
die Hyperemesis in einen constanten Zusammenhang mit Hysterie. Sie be-
zeichnen das Leiden als eine Beflexneurose, ersterer als eine Schwangerschafts-
complication, während letzterer auch diese für die Hyperemesis nicht für noth-
wendig hält, indem er letztere für eine Folgeerscheinung einer functionellen
Neurose, der Hysterie, hält. Ahlfeld bezeichnet aber auch Erkrankungen
des Magens und des Bauchfelles als Ursachen der Hyperemesis, Fischel hat
auf Grund gleichzeitiger Beobachtung von zwei Fällen in einem Hause, der
Vermuthung Raum gelassen, dass miasmatisch-bacterielle Einwirkungen das
LeideE hervorrufen können und fordert zu weiterer Beobachtung in diesem
Sinne auf. Nach Lomer bedingen perimetritische, sowie peritonitische Adhä-
sionen überhaupt, beim Wachsen des Uterus einen Reiz, der den Symptomen-
complex einer Hyperemesis erklärlich macht.
In letzterer Zeit bricht sich immer mehr die Ansicht Bahn, dass die
u n m i tt elb a r e U r s a ch e der Hyperemesis gehirnanämische Zustände bilden.
Wenn man bedenkt, dass mit den meisten der erwähnten Ursachen Anämie
vergesellschaftet ist, dass therapeutische Maassnahmen, die auf die Herabsetzung
oder Beseitigung der Gehirnanämie hinarbeiten, sich fast immer, zur richtigen
Zeit angebracht, als wirksam erweisen, so verdient diese Anschauung eine be-
sondere Beachtung. Auch wir halten an ersterer fest. Es verhält sich mit
der Hyperemesis ähnlich, wie mit der Seekrankheit.
Wir werden daher bei der Therapie der Hyperemesis nebst der
Berücksichtigung irgend eines Localbefundes, insbesondere auf die Beseitigung
der Gehirnanämie unser Augenmerk richten. Auch den bereits eingetretenen
Folgezuständen muss entgegengearbeitet werden. Insofern aber durch die
Gravidität die Psyche, sowie die Innervation im allgemeinen alterirt ist, muss
auch diesem Umstände eine Beachtung geschenkt werden. Da, wo alle Ver-
suche, das Leiden zu beheben, scheitern, muss zur künstlichen Unterbrechung
der Schwangerschaft geschritten werden. Doch muss dieser Entschluss bei
Zeiten gefasst werden. Oft wird der Zeitpunkt verpasst und die Kranken
gehen, trotzdem die Schwangerschaft unterbrochen wurde, dennoch zu Grunde.
Die erste Bedingung wird sein, für geistige und körperliche Ruhe
der Kranken Sorge zu tragen. Wo es nur halbwegs angeht, ist es das Beste,
sie aus der gewöhnlichen Umgebung herauszubringen. Man erreicht dies am
zweckmässigsten durch eine Anstaltsbehandlung oder durch eine sonstige
Isolierung. Frauen, die im Hauswesen zu sehr in Anspruch genommen waren,
dürfen während der Behandlung von letzterem nichts erfahren und dies muss
owohl den Kranken, als auch ihren Angehörigen durch die ärztliche Autorität
seingeschärft werden.
Bettruhe und horizontale Lagerung ist die zweite Bedingung. Man
erreicht damit am schnellsten und leichtesten den nothwendigen Ausgleich
378 HYPEREMESIS GRAVIDARUM.
in der Bluh-ertheilung. Der Rumpf muss zum mindesten horizontal aufruhen.
Noch besser ist es, dessen Beckenende in der Weise zu heben, dass das Fuss-
ende des Bettes um etwa 20 cm höher gestellt wird. Bis auf ein kleines
Kopfldssen müssen alle Kopfpölster entfernt werden. Alle Functionen gehen
in dieser Lage vor sich und auch die Nahrungsaufnahme erfolgt nur im
horizontalen Liegen.
Die dritte Bedingung besteht in der richtigen Ernährung und da
muss als Grundsatz gelten, dass die Nahrung leicht assimilirbar sei, in
kleinen Portionen, aber sehr häufig gereicht werde. Im Beginn der Behand-
lung wird wohl nur von einer Milch- und Suppendiät die Ptede sein können.
Hat man damit einen Erfolg erzielt, dann kann gradatim auch zu consistenterer
Nahrung geschritten werden, ohne aber die Milch aufzugeben. Der Stuhlgang
wird durch Wassereingiessungen geregelt.
Dies wären die Hauptprincipien, nach welchen die Behandlung zu leiten
ist und wir haben, selbst bei sehr schweren Formen der Hyperemesis, damit
unser Auskommen gefunden.
Bei stark heruntergekommenen Individuen verdienen auch ernährende
Kly stiere eine Beachtung. Wiesel hat zu diesem Zwecke Kuhmilch^ mit
etwas gelöstem Kochsalz (10 Gramme auf einen Liter) empfohlen. Leube
empfahl Pancreas-Fleischklijstiere. Nebst der ernährenden Eigenschaft, kann
ihnen der Werth einer Autotransfusion nicht abgesprochen werden. Wir
wären in Zukunft bei geeignet erscheinenden Fällen auch nicht abgeneigt,
von Kochsalzwasser-Eingiessungen in den Mastdarm, oder hypodermatischen
Infusionen solcher Lösungen Gebrauch zu machen. Gerade so, wie dieselben
bei acuten Anämien und bei der Cholera sich gut bewähren, könnte auch
hier auf diese Weise der Herzschwäche entgegengearbeitet werden.
Von medicamentösen Mitteln, die innerlich, beziehungsweise äusserlich
angewendet, insbesondere sedativ, narcotisch oder reflectorich wirken sollen,
seien hier folgende hervorgehoben: Das Bromkalium, mehrmals täglich zu 1 gr
(Friedreich); eine Lösung von Bromkalium, Bromnatrium, Bromammonium
mit Natrium bicarbonicum (Wertheim); die Tmct. nuc. vom. zu 15 — 20
Tropfen 4mal täglich (Roth); das Cocain 0'03 — 0*05, 3mal täglich (Weiss,
Engelmann); das Cerium oxydulatum oxalicum zu 0'2 — 0'3, mehrmals täglich
(Simpson, Peters, Conrad); das Chloropliorm und Morphium; das Menthol
(Gottschalk) in folgender Verabreichung:
Bp. Mentholi 1-0
Solve in Spir. vini 20' 0
Aqu. destill. 150' 0
DS.: stündlich ein Esslöffel;
das Ingliivin (Popp) Smal täglich ^'^ g Yg Stunde vor dem Essen gegeben,
mit nachfolgender Verabreichung einer 1% Lösung von Äcid. mur. dilut.
Breisky Hess nebst der Verordnung einer horizontalen Ruhelage und genauen
Beobachtung der Diät Rachenpinselungen mit einer b^j^^-igen Cocainlösung
machen. Nach C. Braun hat sich eine wiederholte Pinselung der Portio
vaginalis mit einer lO^j^-igen Lapislösung oder Bad der Portio im Speculum
mit dieser Lösung häufig wirksam gezeigt.
Wenn alle Versuche fehlschlagen, dann muss, wie oben erwähnt, die
Schwangerschaft unterbrochen werden und zu diesem Zwecke empfiehlt sich
am besten die Dilatation des Cervix mit Jodoformgaze. *) Das Verfahren ist
leicht, ungefährlich, sicher wirkend. M'Clintock hat durch künstliche Unter-
brechung der Schwangerschaft von 36 Fällen 27 gerettet.
*) Vergl. Artikel ^Frühgehurt'-'' {Jcünstlich), pag. 264
INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURTSHILFE. 379
Ist sicher zu constatiren, das perimetritische Adhäsionen vorliegen,
dann könnte, nach dem Vorschlage Lomeu's, ein Versuch mit der Tjiukj:-
BRANDT'schen Massage gemacht werden. piskaöek.
Instrumentarium zur Geburtshilfe. Den grössten Einfiuss auf das
Instrumentarium des Chirurgen, also auch des Geburtshelfers und Gynäkolo-
gen hat in unserer Zeit die Asepsis ausgeübt. Denn als man erkannte, dass
die Luftinfection an Bedeutung weit zurücktritt gegen die Contact-Infection,
wurden dadurch Anhaltspunkte für die Gestaltung des operativen Geräthes
gegeben, welche von einschneidender Wichtigkeit sind.
Es war vor Allem nöthig, die Instrumente möglichst widerstandsfähig
gegen strömenden Wasserdampf und kochendes Wasser zu machen, denn die
Sterilisation im strömenden Wasserdampf und im kochenden Wasser oder in
wässrigen Soda-Lösungen u. s. w. hat sich bis jetzt als die geeignetste erwiesen.
Dadurch trat die Forderung auf, die Geräthe nach Möglichkeit nur aus
Metall, also ohne Holz-, Elfenbein- oder Hartgummi-Theile anzufertigen.
I'erner erwies sich ein Ueberzug der Stahl-Instrumente mit einem weniger
oxydirbaren Metalle, als wir es im Stahl besitzen, als nöthig ; zu diesem Zwecke
dient heute vorwiegend die Vernickelung; bei den jetzt ungewöhnlich nie-
drigen Silberpreisen wäre wohl auch eine Versilberung nicht erheblich kost-
spieliger als das Vernickeln. Der Metall-Ueberzug wird auf galvanischem
Wege hergestellt.
Um ein Rosten und Ansetzen von Schmutz zu vermeiden, sollen die
Metallgeräthe möglichst aus einem Stücke hergestellt werden; sind aber
Zusammensetzungen aus mehreren Stücken erforderlich, so müssen diese auf
das sorgfältigste vernietet und verlötet sein.
Es ist ferner nöthig, die Instrumente thunlichst einfach zu gestalten,
damit ihre Ecken und Winkel nicht als Schmutzfänger wirken. Dadurch sind
manche alten und früher eingebürgerten Geräthe, so gewisse complicirte eng-
lische Cysten-Zangen mit Klemm- Vorrichtung u. ä., fast ganz ausser Gebrauch
gekommen.
Instrumente, die aus zwei oder mehreren Theilen bestehen, wie Scheeren,
Zangen, zusammensetzbare Specula, Nadelhalter, müssen ein zerlegbares
Schloss besitzen, da das nicht zerlegbare („fixe") Schloss in hohem Grade
als Schmutzfänger dient und Rostansatz begünstigt. Hier muss eingeschaltet
werden, dass oft noch immer mit Unrecht Blutvergiftungen auf die Benützung
eines rostigen Instrumentes, auf Verletzungen durch rostige Eisennägel
zurückgeführt werden ; nicht der Rost, sondern der anhaftende, keim haltige
Schmutz wirkt infectiös. — Bei der grossen Wichtigkeit, die dem zerleg-
baren Schlosse zukommt, wird dasselbe in der Einleitung zum „Instrumen-
tarium zur Gynäkologie" genauer besprochen.
Ebenfalls auf der Asepsis beruht die Forderung, die Zahl der Instru-
mente und die Zahl der Assistenten, welche mit den ersteren in Be-
rührung kommen, bei jedem Eingriff nach Möglichkeit zu beschränken.
Diese Forderung geräth allerdings manchmal in Widerspruch mit der Noth-
wendigkeit, für alle Zwischenfälle gerüstet zu sein. Das Instrumentarium für
Laparotomien gewinnt dadurch eine Ausdehnung, die nicht stets erwünscht
ist. Viele Operateure „instrumentiren" selbst, d. h. sie lassen sich die Ge-
räthe nicht von einem Assistenten reichen, sondern nehmen sie selbst aus
der Instrumenten-Schale. Das bedingt einen gewissen Zeitverlust, bringt die
Geräthe aber mit weniger Händen in Berührung.
Was das Sterilisiren und Reinhalten des Instrumentariums selbst betrifft,
so ist für die Praxis ein grosser emaillirter Kochtopf und Aufbewahrung der
Geräthe in auskochbaren Metallkästchen oder Leinwandtaschen genügend. Der
praktische Arzt ist einfach nicht in der Lage, sich stets kostspielige Apparate
380 INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURSTHILFE.
zur Desinfection in strömendem Wasserdampf zu kaufen. Er möge seine In-
strumente nach jedem Gebrauch sorgfältig in warmem Wasser oder Seifen-
■wasser abbürsten und dann 10 Minuten lang in Wasser oder l^/o Soda-Lösung
(Schimmelbus eil) — in letzterer rosten sie weniger schnell — auskochen.
Unmittelbar vor dem Gebrauch, also vor einer Zangenanlegung, einer
plastischen Operation, Laparotomie u. s. w. müssen die Geräthe nochmals
ausgekocht und dann sofort in die mit abgekochtem Wasser gefüllte Instru-
menten-Schale gelegt werden. Um sie bei diesem Einlegen nicht berühren
zu müssen, ist ein gelochtes Blech mit Henkeln sehr cmpfehlenswerth, auf
welchem sie im Kochtopf liegen.
Ausgekocht werden können alle nicht schneidenden Metallgeräthe ohne
weiteres, jedoch, wenn möglich, mit der Vorsicht, dass sie sich im Kochtopf
nicht gegenseitig berühren ; Scheeren legt man mit geöffneten Armen (Branchen)
ein; Messer müssen auf einem kleinen Gestell so aufliegen, dass ihre Schneiden
frei nach oben sehen; übrigens sind die an glatten Messern ohnedies nur
spärlich anhaftenden Mikroben auch durch kräftiges Abwischen mit Watte,
die mit Carbollösung getränkt ist, hinreichend sicher zu entfernen ; Nadeln
werden ebenfalls ausgekocht. Neuerdings wird sogar angegeben, dass man
nicht nur Hartgummi-, sondern auch Weichgummi-Geräthe auskochen könne,
also z. B. Gummi-Schläuche. Wenn sich das bestätigt, brauchte man diese
nicht wie bisher in Sublimat- oder Carbol-Lösung zu desinficiren ; in beiden
büssen sie etwas an Güte ein. Als nicht auskochbare Geräthe blieben dann
nur noch die Thermometer übrig.
Verbandstoffe, Jodoform-Gaze u. s. w. bezieht der praktische Arzt am
besten schon sterilisirt ; sehr empfehlenswerth sind die „sterilisirten Einzel-
verbände" nach DüHKSSEN, d. h. Schachteln, in welchen sterilisirte Gaze,
Watte u. s. w. keimdicht in solcher Menge verpackt ist, wie sie erfahrungs-
gemäss zur Uterus-Tamponade, zu Laparotomie-Verbänden u. s. w. am meisten
benützt wii'd.
Den angegebenen Grundsätzen entsprechend sind in den Aufsätzen „Instrumentarium
zur Geburtshilfe und zur Gynäkologie", soweit dies möglich ist, nur ganz aus Metall beste-
hende Instrumente abgebildet ; die zusammengesetzten Instrumente besitzen durchgehend
zerlegbares Schloss ; nur solche sind ausgewählt, welche durch ihre Einfachheit sich im
allgemeinen Gebrauche erhalten haben ; man wird also vergeblich Ovarialstiel-Klammern,
Hysterotome, gewisse Cysten-Zangen u. s. w. suchen ; bei den zusammensetzbaren Speculis
ist auf das Schloss besonders Rücksicht genommen.
Im Ganzen wird also das folgende Verzeichnis geburtshilflicher und gynäkologischer
Instrumente nur das enthalten, was heute thatsächlich im Gebrauch ist, und zwar in der
Form, die sich besonders bewährt hat. Die historisch denkwürdigen Geräthe sind, soweit
veraltet, nicht aufgenommen; man wird das nicht als einen Mangel an Pietät bezeichnen,
da in folgendem nur eine üebersicht des heute wirklich benützten gegeben werden soll.
Nicht erwähnt werden endlich jene Instrumente, welche die Gynäkologie unverändert
der Chirurgie entnommen hat, so die Messer, Nadeln, einige Formen von ünterbindungs-
Klemmen, den PAQUELra'schen Platin-Glühapparat, das Glüheisen u. s. w. — Eine grosse An-
zahl gynäkologischer Geräthe unterscheidet sich von den chirurgischen nur durch die
grössere Länge, welche das Arbeiten in der Tiefe der Scheide, des kleinen Beckens u. s. w.
erfordert; Beispiele hiefür sind die gynäkologischen Kornzangen, Scheeren, einige Arterien-
Klemmen, die Kugelzangen, Intrauterin-Spritzen u. s. w. Der Vollständigkeit halber sind
solche Geräthe aber hier aufgenommen, was umsomehr nöthig war, als sich unter ihnen
die nothwendigsten und meist gebrauchten befinden.
Schwierigkeiten macht es in manchen Fällen, den Erfinder des Instrumentes zu be-
stimmen. Viele Instrumente werden stets und eingebürgerter Weise mit unrichtigen Er-
finder-Namen bezeichnet ; andere sind in französischen Katalogen französischen Erfindern,
in deutschen Katalogen Deutschen, in österreichischen hinwieder Oesterreichern zuge-
schrieben. Es wurde liier sorgfältig versucht, den wirklichen Erfinder zu bestimmen; Irr-
thümer, die vielleicht trotzdem mit untergelaufen sind, erklären sich durch das Gesagte.
Ein grosser Theil der Abbildungen wurde für diese Aufsätze nach den Instrumenten
selbst durch Herrn G. Krapf, Universitäts-Zeichner in München, hergestellt ; einzelne
wurden von ihm nach Abbildungen in den Werken von Schröder, Hofmeier, Pozzi ange-
fertigt. Einige Bilder sind mittels der Original-Holzstöcke hergestellt, welche einzelnen im
Text angegebenen Werken entstammen. Für die übrigen Abbildungen sind Holzstöcke,
INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURTSHILFE.
381
beziehungsweise Galvanos benützt worden, welche die Herren HÄRTEL-Breslau, Rf.iner-
Wien, Leiter- Wien, Reiniger, Gebbert und SciiALL-Erlangen und HmsciiMANN-Berlin für ihre
Instrumenten - Kataloge anfertigen Hessen, ferner Ilolzstöcice, welche dem grossen und
inhaltsreichen Kataloge des „Verbandes deutscher Instrumontenmacher" entnommen sind.
— Herrn KATSCH-München verdanke ich vielfachen Rath in technischen und anderen dies
Gebiet betreffenden Fragen. Den genannten Herren sowie Herrn Instrumentenmacher
TASCH-Berlin (Verbandskatalog) gebührt für das bewiesene Entgegenkommen besonderer
Dank.
Bei den Abbildungen wurde die Länge der Instrumente angegeben.
1. Beckenmesser (Tasterzirkel) von Martin (Fig. 1). Aus der
unendlichen Flut von Tasterzirkeln hat sich im allgemeinen Gebrauche nur
eine Form erhalten und zwar — wie es auch in anderen Dingen geht —
nur die einfachste. Wohl noch mehr als die von' Baudelocque angegebene
Form, die wegen der stark geschweiften Arme bei fetten Frauen am bequem-
sten ist, wird gegenwärtig der zerlegbare Zirkel von Martin benützt; er ist
aber im Allgemeinen nur zur äusseren Untersuchung bestimmt und verwendbar.
2. Der Becken-
messer (Tasterzir-
kel) von CoLLiN und
jener von Crede (Fig 2)
unterscheiden sich vom
MARTiN'schen dadurch,
dass die Mess-Scala am
Ende des einen Arms
angebracht ist und dass
die Arme sich kreuzen
lassen, also auch zu
innerer Messung leid-
lich verwendbar sind.
3. Beckenmes-
ser zur externo-
internen Messung
nach Skutsch (Fig. 3).
Dieser nimmt einen
Gedanken auf, der dem
VAN HuEVEL'schen Zir-
kel zu Grunde lag: in-
nere Maasse können mit
weitgehender Genauig-
keit so bestimmt wer-
den, dass man zuerst
die Dicke der umge-
benden Knochen und
Weichtheile mitmisst,
dann für sich misst und
vom ersten Maasse abzieht.
Der spateiförmig endende, stählerne Arm a wird in die Scheide einge-
führt ; der andere, aus Blei bestehende Arm ist abschraubbar und wird stets
aussen aufgesetzt. Zur Bestimmung der Conjugata vera wird z. B. die Spitze
des inneren Armes zuerst am Promontorium, dann an der Symphyse, die Spitze
des entsprechend gebogenen äusseren Armes hingegen auf die Hautstelle
aufgesetzt, welche über der Symphyse der verlängerten Conjugata entspricht.
Die Differenz beider Maasse ergibt die Conjugata vera. Das Ablesen jedes
Maasses findet in der Art statt, dass man nach Einstellung beider Zirkelspitzen
den eingeschraubten Bleiarm abnimmt, den inneren Ai'm herauszieht und nach
wieder erfolgtem Aufsetzen des Bleiarmes die Entfernung der Zirkelspitzen
misst. Auf ähnliche Weise können auch innere Querdurchmesser berechnet
Tasterzirkel von Martin.
Lg. 33 cm.
Tasterzirkel v. Collin-Credö.
Lg. 28 cm.
382
INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURTSHILFE.
:i
Kg. 3. Skutsch's Tasterzirkel zur extemo-internen Messun».
32 cm lang.
werden ; es ist dazu jedoch theilweise eine andere Zu-
sammenstellung der Zirkelarme erforderlich, welche durch
das Gabelgelenk ermöglicht wird. Trotz aller Vorzüge
hat der Zirkel wegen der umständlicheren Anwendung
in der allgemeinen Praxis nicht die Verbreitung der
erstgenannten Beckenmesser erlangt.
4. Kopfzange nach Naegele, beziehungsweise
ScHROEDEE. Noch grösscr als die Zahl der je benützten
Beckenmesser ist jene der Zangen. „Bis vor w^enigen
Jahrzehnten glaubte kaum irgend Jemand ein echter
Lehrer der Geburtshilfe zu sein, der nicht auch eine
besondere, seinen Namen tragende Zange vor-
zeigen konnte" (Winckel). Und auch von den Zan-
gen haben sich eigentlich nur zwei Grundformen im
allgemeinen Gebrauche erhalten : Die einfachen, für den
in Beckenweite oder noch tiefer stehenden Kopf bestimm-
ten Zangen, und die Achsönzugzangen, welche für den
hochstehenden Kopf bestimmt sind.
Fig. 4. Zange nach
Naegele-Schroeder.
S5 cm lg.
Fig. 5. Zangenschloss von
Brünninghausen (nach
Schröder).
INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURTSHILFE.
383
An den gebräuchlichen Zangen ist das Schloss verschieden ; in England
wird jetzt vorwiegend ein solches benützt, das nur aus zwei vorspringenden
Leisten besteht : Leistenschloss, zwei vorspringende Plättchen (Tabulae) ver-
hindern das Auseinanderfallen der Blätter: junctura per contabula-
tionem; zugleich ist die englische Zange nach Smellie's Modell die kürzeste;
in Frankreich besteht das Schloss — heute kurzweg als „französisches
Schloss" bezeichnet — aus einem Stift oder Zapfen, der in ein entsprechen-
des Loch oder einen Ausschnitt des anderen Blattes gefügt und durch eine
Schraube o. Ae. darin festgehalten wird ; wegen des als Achse wirkenden Stiftes
spricht man hier von einer junctura per axin; die französischen Zangen
sind durchschnittlich viel länger als die englischen. Eine Zwischenstellung
sowohl im Hinblick auf die Länge als auf das
Schloss nimmt die „deutsche Zange" ein, die in
den Grundztigen sich an Naegele's Modell an-
lehnt. Sie ist mittellang, das Schloss besteht aus
einer Leiste, die in einen seichten Ausschnitt des
anderen Blattes passt und darin durch einen vor-
springenden Knopf festgehalten wird.
Von Beckenausgangszangen werden in
Deutschland am meisten benützt
die von Naegele und deren
kürzere Form nach Schroeder
(Fig. 4).
Deren Schloss ist das von
Brünninghausen angegebene
(Fig. 5, nach Schroeder).
Als Beispiel einer lan-
gen Zange mit französischem
Schlosse sei die von Pajot
(Fig. 6) abgebildet.
In Oesterreich am mei-
sten gebraucht ist die soge-
nannte „Wiener Schulzange"
nach Simpson, abgeändert von
C. Braun (Fig. 7).
Die Maasse der gebräuch-
lichen deutschen Zangen sind
folgende : Gesammtlänge 34 —
35 cm, bei langen Zangen 39 cm,
Beckenkrümmung (Entfernung
der Spitze von einer horizon-
talen Unterlage) 5 — 7 cm, Kopf-
krümmung (grösste Entfernung
beider Löffel) 7 cm, kleinste
Entfernung der Löffelspitzen
1 cm, Gewicht ungefähr 750^.
Wesentlich verschieden
von diesen Zangen sind die
„Achsenzugzangen", d. h. jene,
welche für den hochstehenden
Kopf einen Zug in der Rich-
tung der Beckeneingangs-Achse
gestatten. Es ist ein zweifelloser;
Fig. 7. Zange nach Simpson-
C. Braun. 35 cm lg.
Fig. 6. Französische Zange
von Pajot. 45 an lg.
384
INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURTSHILFE.
Verdienst Tarnier's, in dieser Hinsicht einen Gedanken Hermann's frucht-
bringend ausgebaut zu haben.
8. Die Achsenzugzange von Tarnier lässt den Zug zwar an den
Löffeln angreifen, aber nicht in der Richtung nach vorn wirken, da hiebet
durch „Contusion" des hochstehenden Kopfes an der Symphyse Kraft verloren
geht, sondern er fügt an den Löffeln gelenkig Zugstangen ein, die sich in
starker Krümmung nach unten über den Damm erstrecken (Fig. 8), und so
ein Ziehen in der- Richtung der Beckeneingangs-Achse gestatten.
9. Gustav Breus hat durch eine geistreiche theilweise Umkehrung der
Verhältnisse an seiner Achsenzugzange die Griffe selbst gelenkig mit den
Löffeln verbunden, so dass man also nicht wie bei Tarnier's Zange an den
leichten Zugstangen, bez. an der mit ihnen verbundenen Querstange, sondern
an den Griffen selbst zieht (Figur 9).
Ist auch der leitende Gedanke, welcher zum Bau der Achsenzugzangen
führte, ein entschie-
den richtiger, so
sind sie in Deutsch-
land doch nur ver-
einzelt empfohlen
worden; statt der
„hohen Zange" wen-
det man gegebenen
Falles aligemeiner
die Wendung auf
den Fuss mit nach-
folgender Extraction
an. üebrigens ist die
Strömung neuer-
dings den Achsen-
zugzangen günstiger
geworden.
Von den zer-
stückelnden Instru-
menten haben sich
nur der Kranio-
klast, das schee-
renförmige Per-
Fig. 9. Achsenzugzange nach G. Ereus.
38 cm lg.
Fig. 8 Achsenzugzange nach Tarnier.
42 cm lg.
foratorium und
der Schlüsselha-
ken das allgemeine
Bürgerrecht erhal-
ten. Keplialotrib,
Trepan und Sichel-
messer werden zwar
vereinzelt benützt,
sind aber nicht un-
entbehrlich.
Instrumentarium zur Geburtshilfe.
385
10. Kranioklast von Simpson, abgeändert von C. Braun (Fig. 10). Der
Kranioldast (xo xpaviov = die Hirnschale, der Schädel, xXaoi = brechen, zer-
brechen; es ist also richtiger, das Wort mit ]•: statt mit latinisirtem c zu
schreiben) ist eine verlängerte Knochenzange ; Simpson hatte das Instrument
auch als solche, d. h. nur zum Verkleinern des Schädels benützt ; C. Braun
versah das Geräth mit dem Compressions-Apparat, der es auch zum Ausziehen
vorzüglich geeignet macht.
Eine geistreiche Abänderung des Instrumentes gab Auvard an ; er
machte die Löffel so um 180" in der Längsachse gegen einander
verstellbar, dass das Geräth zuerst als Kephalotrib (s. 11), dann
als Kranioklast verwendbar ist. Die Umständlichkeit des Ver-
fahrens war auch hier einer allgemeineren Anwendung im Wege.
Bemerkenswerth ist die Abänderung von J. Veit, welcher einen
Löffel mit einer Spitze versah und so zum Perforiren geeignet
machte (Fig. 10).
11. Kephalotrib (Kephalotriptor, Kephalothryp-
tor) von Baudelocque dem Neffen, (y) xscpaX-*^ = der Kopf, Trp-'ßoj
= reiben, zerreiben, zermalmen; OpuTitou = zerreiben, zerbröckeln,
zermalmen; die Wortbildung Kephalotrib und Kephalothryp-
tor nebst den zahlreichen, meist falsch geschriebenen Abkömm-
lingen wäre für den Philologen eine ungetrübte Quelle gerech-
ten Zorns; vom philologischen Standpunkte aus Hessen sich am
besten die Schreibarten Kephalotript (t ohne h) und -thrypt (th)
vertreten; denn ^ xpl^ und 6 xptßog heisst „das Reiben, Zer-
reiben", der Kephalotrib oder die Kephalotribe bedeutet also das
„Kopfzermalmen", d.h. die Operation, nicht das Instru-
ment; 6 TpmxTj? heisst aber der Reiber, Reibende, also könnte
man wohl das Geräth auch einen Kephalotript, Kopfzermalmer,
nennen. Von OpuTcxw abzuleiten wäre Kephalothrypt oder Kepha-
lothrypter; die letzte Form ist mit Recht die häufigst ange-
wendete). Der Kephalothrypter stellt eine lange kräftige Zange
dar, welche am äusseren Ende mit einem Compressions-Apparat
versehen ist, und deren Löffel bei vollkommener Schliessung nur
4 cm von einander abstehen (Fig. 11). Das Geräth ist durch den
Kranioklast entbehrlich geworden, da der letztere die Eigen-
schaften eines verkleinernden und ausziehenden Instrumentes
besser in sich vereinigt.
Der zum Anbohren der Schädelbasis bestimmte Basi-
1 y s t von Simpson, der B a s i o t r i b von Tarnier und jener
von Auvard werden in Deutschland wohl kaum noch benützt.
12. Eine Reihe von Kephalothrypteren ist ungefen-
stert, so das ältere Modell von Martin, die Instru-
mente von ScANzoNi, Busch, Braun, Braxton-Hicks,
Olshausen, Zv^eifel (Fig. 12).
13., 14.Unter den Perforatorienist das ein-
fachste und deshalb zweckmässigste jenes von Siebold
(Fig. 13), welches meist als das NAEGELE'sche
(Fig. 14) bezeichnet wird, sich von diesem aber
durch Wegfall der Feder unterscheidet. Es
stellt also nichts dar, als eine spitze Scheere, mit innen
stumpfen, aussen halb geschärften Rändern. Es ist
nicht erforderlich, dass die Ränder schneidend scharf
sind, im Gegentheil — man wird seine eigenen Finger
und die Weichtheile der Mutter mit einem scharf-
schneidenden Perf Oratorium unnöthig in Gefahr brin-
Fig 10. Kranioklast nach 0. Braun,
abgeändert v. J. Veit. 40 cm lg.
Bibl. med. Wissenschaften. I Geburtshilfe und Gynaekologie.
25
386
INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURTSHILFE.
Fig. 11. Kephalothrypter nach Breisky; ii cm lg.
INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURTSHILFE.
387
gen. Auch die vorspringenden Ecken hinter der Schneide, welche das LEVRET'sche
Perforatorium hat, sind nicht unbedingt nöthig.
15., 16. In gewisser Beziehung ist es autfallend, dass die Perforativ-
Trepane aus der geburtshilflichen Tasche noch nicht verschwunden sind;
man müsste sich Mühe geben, um ein Geräth zu erfinden, das noch schwerer
zu reinigen und für seinen Zweck noch umständlicher gebaut wäre. Trotzdem
ist es in den meisten Lehrbüchern noch immer aufgeführt und zwar nicht nur
im Abschnitte über die geburtshilfliche Rüstkammer früherer Zeiten. Nur
deshalb muss es von einem ehrlichen Chronisten erwähnt werden — für die
Praxis ist es durchaus entbehrlich.
Der Perforativ-Trepan von Leisnig-Kiwisch ist gerade (Fig. 1.5),
jener von C. Braun (Fig. 16) in leichtem Bogen gekrümmt; die Drehbarkeit der
Trepan-Krone wird hier durch Ueb ertragung der Ptotation mittels einer Kette
erzielt. — Pajot's Perforativ-Trepan soll mit einer Hand geführt werden können,
während die anderen Trepane Assistenz erfordern; durch die scheerenförmigen
Perforatorien ist es jedoch ebenfalls verdrängt worden.
17. Ein ebenso einfaches als zur Decapitation vorzüglich
brauchbares Instrument ist der BRAUN'sche Schlüssel-
haken (Fig. 17); er führt seinen Namen deshalb, weil er wie
ein Schlüssel beim Gebrauch um die Längsaxe gedreht wird.
In geburtshilflichen Operations-Cursen gelingt es aller-
dings nicht stets, seine Brauchbarkeit darzuthun, da
der lederharten Haut und den
zähgewordenen Weichtheilen
der Spiritus-Kinder oft versagt.
er an
1
Fig. 17. Schlüsselhaken von
C. Braun ; 28 cm lg.
18. Der scharfe GuYON'sche Haken, mit Smellie's stumpfem
Haken zweckmässig zu einem Instrumente vereinigt (Fig. 18), dient
mit dem scharfen Ende zum Ausziehen perforirter Kinder, besonders bei vor-
25*
388
INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURTSHILFE.
liegendem Gestellt oder nach Abtragung des Scliädeldaclies. Mit dem stumpfen
Ende soll er zur Ausziehung bei Steisslage benützt werden; diese Anwendung
ist aber für das Kind überaus bedenklich, denn ich habe trotz aller Vorsicht
einmal die Bauchdecken des Kindes über der Schenkelbeuge bis zum Peri-
toneum durchbohrt; das Kind genas allerdings, aber das macht den stumpfen
Haken nicht ungefährlicher; Winckel erwähnt einen ähnlichen Fall. Ueber-
dies ist die Biegung des betreuenden Endes an den meisten Instrumenten
eine zu starke; sonst könnte nicht die Leistengegend verletzt werden.
19. Sichelmesser von B. S. Schultze (Fig. 19). Es ist als Embryo-
tom noch ausgedehnter verwendbar, als der Schlüsselhaken, da es sowohl zum
Abtrennen des Kopfes, als zum Durchtrennen des kindlichen Körpers an jeder
anderen Stelle benützt werden kann.
Manche Geburtshelfer em-
pfehlen und benützen statt des
Schlüsselhakens und Sichel-
messers die Decapitations-
Scheere nach Dubois, d. h.
eine sehr kräftige und lange
(26 cm) CooPER'sche Scheere.
20. Der Kolpeurynter
von G. Braun (Fig. 20 a und
h) (6 xöXiro? = der Busen, der
Schoss, die Scheide; eupu? =
weit, supuveo = weit machen,
erweitern) erfreut sich nicht
mehr ganz der ungetheilten An-
erkennung; viele benützen ihn
gar nicht und verwenden statt
desselben einfach Jodoformgaze.
Zweifellos thut Jodoform-Gaze
zur Scheiden-Tamponade behufs
Blutstillung, Wehenerzeugung
u. s. w. dieselben Dienste
unter grösserer Gewähr eines
aseptischen Verfahrens. — Um
den Kolpeurynter mit Luft auf-
zublasen, kann man sich eines
Gummibaiions bedienen.
S.Ü>
Mg.' 20 a. Kolpeurynter.
Zu den geburtshilflichen
Geräthen, welche mehr und
mehr aus dem Gebrauche ver-
Fig. 20 6. Ballon zum Auf- schwinden, müssen auch die
blasendes Kolpeurynter. ^ ab 6 1 SCh UUr - R ep 0 S It 0 -
rien gezählt werden. Man hat einsehen gelernt, dass in manchen Fällen kein
Geräth die Hand zu ersetzen vermag. In anderen Fällen ist das Verfahren
heute ein anderes als früher, so dass es der Reposition einer vorgefallenen
Nabelschnur gar nicht mehr bedarf. So wenden wir unter Umständen trotz Schä-
dellage das Kind prophylaktisch auf einen Fuss, statt es in Schädellage zu
lassen und uns die bei engem Becken unfruchtbare Mühe zu geben, die Nabel-
schnur immer aufs neue zu reponiren; trotz aller zum Theil so geistreich er-
sonnenen Apparate fällt sie eben doch wieder vor.
21. Der Apparat zu subcutaner Infusion sollte dagegen in jeder
geburtshilflichen Tasche vorhanden sein. Durch Leopold ist er in eine sehr
handliche Form (Figur 21) gebracht worden, und es ist in jedem Haushalt
INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURTSHILFE.
889
möglich, sich rasch Wasser oder eine 0-7% Kochsalzlösung abzukochen und
in einem Eisentopf oder Blechgefäss durch Eintauchen in kaltes Wasser auf
Körperwärme abzukühlen. Ich möchte übrigens davor warnen, nicht abgekochtes
Wasser zu benützen, wie ich es in einem Falle that, in welchem lebens-
bedrohende Anämie eingetreten war: die Frau überstand allerdings die Blutung,
aber an der Infusionsstelle unterhalb des rechten Schlüsselbeins entwickelte
sich eine Gas-Phlegmone, welche grosse Fetzen des Musculus pectoralis sich
abstossen Hess und zu einer Gebrauchsbeschränkung des rechten Armes führte.
Nach dieser Erfahrung scheint auch der Einwand nicht stichhaltig, dass ja
das Leben der Frau gerettet wurde; denn es ist unwahrscheinlich, dass eine
Verzögerung von 10 — 15 Minuten nach eingetretener Blutstillung das Leben
in höhere Gefahr versetzt hätte; und länger braucht man nicht, um Vi — ^,'2
Liter Wasser abzukochen und wieder abzukühlen.
Statt des Leo-
POLD'schenAppa- nliÜI, ^JlllWf' ^
rates kann man
sich übrigens
auch einer kräf-
tigen Injections-
nadel bedienen,
die durch ein ent-
sprechend dickes
Ansatzstück mit
dem Irrigator-
schlauch verbun-Q^
den werden kann.
In dieser Form
ist der Apparat
auf das denkbar
kleinste Maass
gebracht und er
dient doch voll-
ständig seinem
Zwecke.
Nicht uner-
wähnt darf der
Luftröhren-
Katheter blei-
ben, welcher zur
Aspiration des in
die kindliche Trachea gelangten Schleimes dient. Der Luftröhren-Katheter
darf nicht seitliche Oeffinungen besitzen, sondern muss wie ein gerades Rohr
unten ofien se-in; seitliche Oeffnungen werden durch die Tracheal-AVände selbst
verlegt — vorausgesetzt, dass das Instrument wirklich bis in die Luftröhre
gebracht wurde, was anscheinend durchaus nicht immer der Fall ist. Man
muss Zungengrund und Epiglottis mit einem Finger sicher nach vom
drängen, um den Katheter in die Trachea zu bringen.
Eine Anzahl von Instrumenten (Blasen-Katheter, Uterus-Katheter, Mu-
SEUx'sche Zange u. s. w.) sind zwar in der Geburtshilfe unentbehrlich, wui'den
aber dem gynäkologischen Instrumentarium entnommen, und sie müssen deshalb
mit demselben besprochen werden.
22—28. Eine praktisch recht wichtige Frage ist die nach einer einfachen
aber zweckentsprechenden geburtshilflichen Tasche. Diese soll sammt
den Instrumenten oder gleich diesen füi- sich allein leicht und sicher steri-
lisirt werden können; dieser Forderung entsprechen Kästchen aus vernickeltem
Fig. 21. Leopold's Apparat zur subcutanen Infusion; nach Münclimeyer.
390
INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURTSHILFE
Zinkblech bezw. Nickelin oder Rolltaschen aus Leinwand; beide können ausge-
kocht oder in strömenden Wasserdampf gebracht werden. Vor der näheren Be-
schreibung einiger Formen solcher „Bestecke" muss aber auf einen Punkt
hingewiesen werden. Es ist nämlich mehr als fraglich, ob alle diese Kästchen
und Taschen draussen in der Praxis — von reichdotirten Anstalten ist hier
nicht die Rede — auch wirklich sterilisirt werden, ja sogar, ob sie unmittelbar
nach jeder Geburt sterilisirt werden müssen und können. Es lassen sich
gegen dieses „müssen und können" ernste Gründe vorbringen. Wer nicht
über ein doppeltes Instrumentarium verfügt, muss oft genug dieselbe Tasche
unausgekocht zu zwei und drei Geburten mitnehmen, wenn nicht genug Zeit
blieb, alles auszukochen und wieder in Stand zu setzen. Und wenn er dann
seiner Tasche die Kopfzange, den Kranioklasten entnimmt, die er nach der
letzten Entbindung möglichst gründlich auf mechanischem Wege gereinigt
Fig. 22. Mackenrodt-Martin's geburtshilfliches Instrumentarium,
hat, so wird er die Entbindung ruhigen Herzens leiten können, wenn er nui
die eben benöthigten Instrumente im Hause der Kreissenden selbst wieder
auskocht. Mackeneodt's Blechkästen sind übrigens durch eingegossenen und
angezündeten Spiritus sammt den Instrumenten leicht zu desinficiren (s. u.);
in Winter's Instrumentarium ist zu diesem Zwecke sogar ein Kochkasten
aus Nickelin nebst Spiritus-Lampe untergebracht. — Alles in allem wird es
also gewiss genügen, die benützten Instrumente vor und nach dem Gebrauch
zu desinficiren, die unbenutzten aber gleich der Tasche in angemessenen
Zwischenräumen auszukochen, ob sie benützt worden sind oder nicht. Dass
die Tasche sammt Inhalt allezeit peinlich sauber zu halten ist, versteht sich
wohl von selbst, ebenso, dass Instrumente und Tasche nach Benützung bei
inficirten Frauen erst dann wieder in Gebrauch genommen werden dürfen,
wenn sie vorher desinficirt worden sind.
Die Taschen von Wintet?, Dührssen, Mackenrodt und Anderen gestatten
eine Trennung in mehrere Theile, so dass zu Fehlgeburten nicht auch Zange,
Kranioklast u. s. w. mitgenommen werden müssen.
Mackeneodt's Tasche (Fig 22, 23, 24), die in A. Martin's Poliklinik
in Berlin benutzt wird, hat folgende Zusammensetzung:
INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURTSHILFE.
m
Fig. 24.
Der Kasten Ä enthält die vollständig aus Metall gefertigten geburtshilf-
lichen Instrumente. Dieser Theil des Instrumentariums ist dann in toto in
einen Desinfectionsofen zu schieben oder kann in siedendem Wasser oder in
einer Desinfectionslösung gereinigt werden.
Der zweite Kasten B enthält die für die Praxis nöthigen Droguen,
Chloroform, Morphium, Ergotin, Carbol oder Lysol oder Sublimat, Thermo-
meter, Gummischlauch zur Irrigation, Watte.
Beide Kasten werden zum Transport in eine waschbare Segeltuchtasche
gelegt, und wie Figur 22 zeigt, vereint.
Die beiden Taschen können entweder zusammengeschnallt transportirt
werden, wie in Fig. 22, oder auch jede für sich, was für Aborte, Dammuähte,
ambulatorische Abrasionen und anderweite operative Eingriffe, welche im
Hause der Patientin ausgeführt werden, zweckmässig erscheint.
Die Chloroform-Maske liegt in einer Tasche unter dem Griff', die Opera-
tionsschürze und die Beinhalter auf dem Boden der grossen Tasche.
Tasche A enthält den Instrumentenkasten a (Fig. 23). Tasche B enthält
den Kasten b (Fig. 24). Dieser Kasten b besteht aus zwei Abtheilungen c
392
INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURTSHILFE.
und d, welche durch ein leicht zu trennendes Gelenk g verbunden gehalten
werden. Kastenhälfte c enthält die Apotheke in ihrem unteren Raum, oben
trägt sie den genau passend eingesetzten Kasten e (Fig. 24) mit Watte und
Gaze. Kastenhälfte d nimmt über den kleineren Instrumenten den Kasten /
(Fig. 23) auf. Sind Kasten e in c, und f m d eingesetzt, so kann der grosse
Kasten h geschlossen werden.
In dem MACKENRODT'schen Besteck enthält Kasten a die nur zur Kunst-
hilfe bei völlig odernahezu ausgetragenen Geburten nothwendigen Instrumente:
Zange, stumpfen Haken, Perf Oratorium, Kranioklast oder Kephalothrypter.
Kasten h c enthält 1 Heberschlauch, 1 Nagelbürste, 1 Pravaz-Spritze,
1 Maassglas, 1 Flasche mit Sublimatpastillen, 1 Flasche mit Liquor ferri,
1 Flasche mit Ergotin, 1 Catgutb eh älter, 1 Flasche mit 200 g Lysol.
Fig. 25.
Kasten l d enthält 2 Uterus-Katheter, 1 Speculum, Instrumente zur
Naht, 2 Seitenhebel, Silberdraht im Etui, 4 Scalpelle im Etui, 2 Scheeren,
4 Kugelzangen, 1 Curette, 1 Uterus-Sonde, 1 gebogene lange Kornzange,
1 gebogene lange Knochenzange.
Kasten / enthält Blasenkatheter, zwei Canülen zur Kochsalzinfusion im
Etui, 1 Trachealkatheter, 3 elastische Bougies im Etui (im Deckel), 2 Mutter-
rohre aus Glas, 1 Badethermometer, 1 Maximalthermometer, 1 Tasterzirkel,
1 Maassband, 1 Canüle zur permanenten Wundirrigation, 1 Aftercanüle,
1 Stethoskop, 1 BßAUN'sche Spritze.
Kasten e wird mit Verbandwatte und Jodoform-, respective Dermatol-
gaze gefüllt.
Die Kästen können mitsammt den Instrumenten, soweit letztere nicht
dadurch zerstört werden, durch trockene Hitze oder Kochen in einem Gefäss
mit Sodalösung sterilisirt werden.
INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURTSHILFE,
39^
Kasten a und b d kann
nöthigenfalls im Kreiss-
zimmer sehr schnell und
sicher mit den In-
strumenten durch
Abbrennen von
Spiritus, den
man eingegossen
hat, sterilisirt
werden (Martin,
liehrbuch der Ge-
burtshilfe).
Mackenrodt's
Besteck ist sehr
reichhaltig u. ge-
stattet eine Tren-
nung der kleine-
ren Instrumente
nebst Droguen
vom Hauptkasten,
wenn die grossen
Instrumente nicht
benöthigt werden,
wie bei Aborten,
Dammnähten,
Abrasio.
Eine der
Mackenrodt'
sehen in mancher
Hinsicht ähnliche
Zusammenstel-
lung ist (unabhän-
gig von der ge-
nannten) an der
üniversitäts-
Frauenklinik in
Würzburg (Pro-
fessor Hofmeier)
von Dr. A. Nebel,
jetzt in Frank-
furt a. M., und
mir ausgeführt
Verden und für
die geburtshilf-
lichePoliklinik im
Gebrauch. An der
Einrichtung des
zu schildernden
Kästchens habe
ich später einige
Aenderungen an-
gebracht, so dass
jenes, welches ich
jetzt benütze, fol-
gende Gestalt hat:
394
INSTRUMENTARIUM ZUR GEBURTSHILFE.
Die Geräthe sind in zwei Abt li eilungen verpackt, und zwar die
grossen Instrumente in einer Rolle aus Segeltuch, die kleineren nebst
den Droguen u. s. w. in einem Blechkästchen. Man nimmt also zu
Aborten, Dammnähten, Abrasionen nur das kleine Kästchen, zu Entbindungen
aber beide Apparate mit, braucht demnach nicht das ganze Gewicht zu kleinen
Eingriffen mitzutragen.
Die Rolltasche aus Segeltuch enthält nur die grossen geburtshilflichen
Instrumente und - zwar : Martin's Beckenmesser, ScHROEDER'sche Zange,
Kranioklast, Siebold's Perforatorium, stumpfen und spitzen Haken vereinigt,
Decapitations - Scheere, grossen Uteruskatheter nach Weinhold ; in einer
Seitentasche sind Wendungsschlinge und Tracheal-Katheter; diese Seitentasche
dient auch dazu, die benützten und vorläufig gereinigten, aber nicht ausge-
kochten Instrumente von den unbenutzten getrennt heimtragen zu können.
Gesammtgewicht der (nicht abgebildeten) Rolltasche 3 kg\ Länge (zusammen-
gerollt) 45 cm, Breite (auseinandergerollt) 60 cm.
DaskleineKäst-
chen besteht aus ver-
nickeltem Zinkblech
und ist 35 cm lang,
20 cm breit, 11 cm
hoch; es enthält die
Droguen und einige
kleinere Geräthe. Aus-
sen auf dem Deckel
(Fig. 25) liegt einTäsch-
chen aus Segeltuch
(Fig. 25 &, 26 h\ in
dem sich die kleinen
Instrumente befinden,
und zwar Feitsch's
Uterus-Katheter, Kom-
zange, männlicher Neu-
silber-Katheter, Weich-
gummi-Katheter, Ute-
rus-Sonde, Curette,
MusEux'sche Zange,
Nadelhalter, Cooper-
sche Scheere, Infusions-
Nadel, Nagelreiniger,
und in einer Seitenta-
sche Nähnadeln.
Auf diesem kleinen Täschchen liegt noch eine Gummischürze (Fig. 25 c)
und eine Gummi-Unterlage; beide kann man nicht nur in der Armenpraxis,
sondern oft auch bei bemittelten Familien recht gut brauchen.
Blechkästchen, kleine Instrumententasche, Gummischürze und Unter-
lage stecken in einem Ueberzug von Segeltuch und werden mittels eines
Plaid-Riemens getragen; Gesammtgewicht 5V2 ^^
Im Blechkästchen selbst befindet sich folgendes: Email-Irrigator, Fig. 26 c
(der sog. „bayrische Armee-Irrigator"), welcher auch für Sublimatlösungen
verwendbar ist; im Irrigator steckt ein Paket Wundwatte und ein gläsernes
Scheidenrohr; Irrigator-Schlauch, Chloroform-Maske nach Schimmelbusch, ein
vernickeltes Blechkästchen mit in Streifen geschnittener Jodoform-Gaze,
Stethoskop, sterilisirte Seide und Catgut in 2 verschraubbaren Gläschen,
Pravaz-Spritze, Nagelbürste (diese muss in Pergament-Papier eingewickelt
sein, da sie sonst nach Gebrauch in Sublimat die Metallwände angreift);
Fig. 27.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
395
in Gläschen befinden sich Sublimat-Pastillen, concentrirte Carl)ollösun{?
nebst Carbolmessglas, Chloroform in einem Tropffläschchen, Ergotin- und
Morphiumlösung, Campheröl, Vaseline.
Um nun das Blechkästchen leicht reinigen zu können, sind seine Wände
vollkommen glatt ; zum Festhalten der Gläschen wird ein entsprechend ge-
bogener Blechstreifen darin nicht etwa befestigt, sondern einfach hineingelegt
(Fig. 27 a); durch den danebenliegenden Irrigator (Fig. 2G c) werden Blech-
streifen und Gläser genügend in ihrer Lage festgehalten.
Nimmt man auch noch den Blechstreifen heraus, so kann man das
leere Kästchen gleichsam als Instrumentenschale zum Einlegen der Instrumente
in Carbollösung benützen; und wohl jedem Geburtshelfer wird es in armen
Familien schon vorgekommen sein, dass keine genügende Anzahl von Schüsseln
zur Verfügung stand.
GUSTAV KLEIN.
Instrumentarium zur Gynäkologie. Der Einfluss, weichen die
Asepsis auf die Gestaltung des Instrumentariums im allgemeinen ausgeübt
hat, wurde in der Einleitung des Aufsatzes „Instrumentarium zur Geburtshilfe'*
besprochen. Bei Beschreibung des Geräthes, welches der gynäkologische Operateur
benützt, ist es nothwendig, einige beson-
dere Einzelheiten, so vor allem den Bau
des sogenannten „aseptischen Schlosses"
klarzulegen; denn dieses bildet ein wesent-
liches Merkmal der neueren Bauart jener
Geräthe, welche aus zwei gekreuzten Thei-
ien bestehen; und auf die Herstellung
eines guten zerlegbaren Schlosses ist von
verschiedenen Aerzten und Instrumenten-
machern nicht geringe Mühe verwendet wor~
den; man darf wohl hinzusetzen: mit Erfolg.
Das am meisten verbreitete — aber
nicht zugleich das beste — zerlegbare
Schloss besteht aus einem „Kreuzna-
gel", welcher in einen Ausschnitt des
anderen Theiles passt, aber nur bei einer
gewissen Spreizung beider in einander
gefügten Theile herausgenommen werden
kann. Diese Spreizung ist so berechnet,
dass sie beim gewöhnlichen Gebrauche
mit einer Hand nicht erreicht wird. Die
Nachtheile dieses Schlosses (Fig. 1, Schloss
mit Kreuznagel, geschlossen; Fig. 2 a und
2 b die einzelnen Theile des Schlosses
von oben und der Kreuznagel von der
Seite gesehen) sind folgende: Beim Aus-
einandernehmen und Zusammenfügen der
beiden Theile dreht man leicht den Kreuz-
nagel ab oder lockert ihn; das Schloss
wird bei längerem Gebrauch häufig lose,
beide Theile „wackeln" gegeneinander;
Scheeren schneiden dann schlecht, Klem-
men greifen an der Spitze nicht genau in-
einander, das Fassen feiner Theile, wie
kleiner Arterien, wird erschwert.
Fi;
a und 6.
Theile dieses
Schlosses, ver-
grösseit.
1. Zerlegbares Schloss
mit „Kreuznagel".
396
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
Beide Nachtheile werden vermieden durch einige andere Schlösser, so
durch jene mit „Lappen-Verschluss", bei Walcher's patentirtem Schloss u. A. —
Der Lappen-Verschluss (Fig. 3, 4 a und 4 &) ist gekennzeichnet durch
einen vorspringenden „Lappen" oder eine „Backe", welche ebenfalls nur bei
maximaler Spreizung aufhört, über den anderen Theil des Instrumentes zu
greifen; erst dann ist es möglich, den mit dem Lappen versehenen Tlieil aus
dem Stift, welcher als Drehungs-Axe dient, herauszuheben. Die meisten In-
strumente bedürfen nur eines solchen Lappens; wenn es aber auf sehr grosse
Festigkeit des Schlosses ankommt, wie bei Nadelhaltern, bringt man mit
Vortheil 2 Lappen an (Fig. 5, 6 a und 6 h). Das Auseinanderfallen beider
Theile verhütet während des Gebrauchs beim „Kreuznagel" dessen Kopf, beim
,.Lappenverschluss" der eine oder die beiden Lappen.
i'ig i a fig. ib
Fig. ü a ITig. e b
Fig. 6a lind 6, Theile dieses
Schlosses.
Pig. 3. Zerlegbares Schloss mit
„Lappenverschluss."
Fig. 4a und <^. Theile dieses
Schlosses.
Fig. 5. Zerlegbares Schloss mit
2 „Lappen".
Andere zerlegbare Schlösser beruhen auf dem Gedanken, welcher dem
BRtJNNiNGHAUSEN'schen Zangenschlosse zu Grunde gelegt ist. Dieses letztere
stellt also eine der ältesten Formen leicht zerlegbarer und leicht zu reinigender
Schlösser dar.
Bei vielen gekreuzten Instrumenten ist es nöthig, sie nach erfolgtem
Schluss feststellen zu können. Dazu bedient man sich heute meist der
Crem all lere (Zahneisen, sägeförmig gezahnte Leiste; lat. cremaculus); sie
besteht — wie ihr Name „Zahnleiste" sagt — aus einem gezähnten Theil,
in welchen ein hakenförmiger Vorsprung der anderen Seite eingreift (Fig. 3, c);
es ist dadurch ein Feststellen der beiden Arme in verschieden weiter Spreizung
möglich.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
397
Federn werden nach Möglichkeit vermieden, da sie beim Auskochen
rasch schlecht werden und ihre Anbringung zum Entstehen von Schmutz-
winkeln führt. Man findet deshalb nur an wenigen Instrumenten noch Federn;
am letzten Modell des HAGEDOEN'schen Nadelhalters ist die P'eder in sehr
sinnreicher Weise angebracht, aber trotzdem bildet sie den „wunden Punkt"
desselben. An manchen Instrumenten, so an Richelot's Zange (Fig. 3) ist
eine gewisse Federung in den beiden schlanken Stahlarmen des Geräthes
selbst vorhanden.
Speciila, Scheiden sj > i egel,
Specio = ich sehe, speculor = ich beschaue, besichtige, beobachte;
speculum = der Spiegel. Entsprechend der Ableitung von specio oder spe-
culor bedeutet speculum ursprünglich „Geräth zur Besichtigung" und erst im
übertragenen Sinne „Spiegel". Diese doppelte Bedeutung kommt auch beim
gynäkologischen „Speculum" zur Geltung : es ist in seiner wichtigsten An-
wendung ein Geräth zum Besichtigen, kein Spiegel; (das Wort Spiegel selbst
ist ja keine Uebersetzung, sondern nur eine Umwandlung des Wortes spe-
culum). Selbst beim FEEGussoN'schen Scheidenspiegel dient der Spiegelbelag
des Glasrohrs nicht dazu, um die Scheide oder Portio im Spiegelbild zu sehen,
wie etwa beim Kehlkopfspiegel den Kehlkopf; sondern der FERGussoN'sche
Röhrenspiegel dient nur zum Erhellen des Gesichtsfeldes, zum Reflectiren des
einfallenden Lichtes. Es ist also bei allen Geräthen zur Besichtigung der
Scheide und Portio (ebenso bei einigen ähnlichen Geräthen, die für Blase,
Mastdarm, Ohr u. s. w. bestimmt sind) falsch, von einem Spiegel zu sprechen;
dieses Wort trifft selbst für das FERGUssoisr'sche Instrument den Sinn nur
unvollständig. Man müsste also eigentlich von „Scheiden-Besichtigern, spec-
tatores vaginae" sprechen — allerdings keine schöne Wortbildung, —
wie man das persönliche Wort „reflector = Zurückwerfer" auch sachlich für
bestimmte Geräthe verwendet. Unter diesem Vorbehalte werden im Folgenden
des Herkommens und der Kürze halber die Worte Speculum und Spiegel
benützt.
1. Röhrenförmige Speciüa.
Als solche benützt man Röhren von verschiedener Weite und Länge, am
äusseren Ende mit verbreitertem, etwas umgebogenem Rand, am inneren Ende
besser schräg als quer abgeschnitten. Sie werden aus verschiedenem Material
Fig. 7 und 8. Milchglasspeculum von C. Mayer.
Fig. 8.
Fig. 9.
Fergusson's
Hartgummi
Speculum.
Speculum.
hergestellt: Das Speculum von C. Mayee aus Milchglas (Fig. 7), das von
Fergusson aus Glas mit Spiegelbelag und Hartgummi oder Lacküberzug
(Fig. 8); haltbarer sind die Specula aus Metall, Hartgummi oder CeÜuloid ;
398
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
iene aus Hartgummi (Fig. 9) sind am widerstandsfähigsten gegen chemische
und mechanische Insulte, reflectiren aber sehr wenig Licht nach innen ; die
Celluloid-Specula, aussen schwarz lackirt, innen gelblichweiss, erhellen das
Gesichtsfeld besser; der Lack-Ueberzug wird aber durch alkoholische Losungen
(so durch rückfliessende Jodtinctur bei intrauterinen Injectionen) rasch zerstört,
die anfangs gelblichweisse Innenseite wird bald bräunlich ; immerhin sind die
Hartgummi- und Celluloid-Specula heute mit Recht am meisten verbreitet,
da sie nicht leicht zerbrechen.
2. Plattenförmige Specula.
a) Mit getrennten Blättern.
Ihrer Bedeutung und der geschichtlichen Entwicklung entsprechend
müssen unter den getrenntblättrigen Speculis zuerst der „Entenschnabel"
und der „Depressor" von Marion Sims genannt werden. Mit Recht sagt
Winckel" dass die Gynäkologie jene Höhe, auf welcher sie sich jetzt befindet,
hauptsächlich zwei Er-
findungen verdankt:
Der bimanuellen Unter-
suchung und Sims'
Speculum, erstere seit
1864 hauptsächlich
durch Holst zur An-
wendung und Aufnah-
me gebracht, letzteres
1845 von Sims erfun-
den und 1866 in sei-
nem epochemachenden
Werke „Klinik der
Gebärmutter - Chirur-
gie" eingehend be-
schrieben. Fast gleich-
zeitig mit Sims hatte
von Metzler in Prag
(1846) ein solches Spe-
culum erfunden.
Ursprünglich be-
diente sich Sims
zweier verschieden
grosser, entenschna-
belförmiger Rinnen,
die gleichgerichtet
an einem Stiel befes-
tigt waren (Fig. 10)
und bei Knie-Ellenbogenlage der Frau die hintere Scheidenwand nach oben
drängen sollten ; da bei dieser Stellung der Frau die vordere Scheidenwand
mittelst eines durchbrochenen löffelähnlichen Instrumentes herabgedrückt
wurde, bezeichnete Sims dasselbe als „Depressor" (Fig. 12).
Wird es — wie in Deutschland meist — bei Rückenlage der Frau ver-
wendet, so erhebt man damit die vordere Scheidenwand — es dient dann
nicht als Depressor, sondern als Elevator.
Bei Rückenlage der Frau auf einem Untersuchungsstuhl empfiehlt sich
mehr Breisky's Z-förmige Form des SiMs'schen doppelten Entenschnabels
(Fig. 11), da man mit dem äusseren Löffel des SiMs'schen Modells (Fig. 10)
am Untersuchungsstuhl anstösst.
Fig. 10. Marion Sims'
„Entensclmabel-Speculuin''.
Fig 11. Marion Sims'
Speculum in Z-Form,nacl>
Breisky.
Fig. 12. Bepressor von Marion Sims.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
399
Später wurde das Sms'sche Speculum in zweifacher Weise durch Boze-
MAN und G. Simon abgeändert : statt des Depressors wurden Platten ver-
wendet und Platten, beziehungsweise Pdnnen verschiedener (jr^yfiHd für die
vordere und hintere Scheidenwand abnehmbar an einem besonderen Griff
befestigt. Der vordere Griff ist durch die Symphysen-Biegung gekenn-
zeichnet ; diese ist erforderlich, da sonst der Zug am Ende der Platte angreift
und diese zum Herausgleiten aus der Scheide bringt ; infolge der Symphyscii-
Biegung wird der Zug auf die Mitte der Platte selbst (Fig. 13, a) verlegt.
Der hintere Griff ist nur in leichtem Bogen gekrümmt. (Fig. 14.) Eine
Umbiegung am äusseren Ende ist wünschenswerth, weil das Speculum damit
leichter in der Hand festgehalten wird. Diesem Zwecke
dient auch der schräg geriefte Griff (Fig. 13) ; andere
benützen aus Gründen der Asepsis ganz glatte Griffe
(Fig. 14).
Es ist nöthig, von den vorderen und hinteren
Platten mehrere von verschiedener Grösse zu haben
(Fig. 15 — 18 vordere Platten, flach; Fig. 19 und
20 hintere Kinnen, entenschnabelförmig).
Die gebräuchlichsten Grössen der vorderen Platten
sind (in Centimetern) 8 : 3, schmal; 9 : 4, breit ; 10 : 3'5 ;
— die der hinteren Rinnen, quer von Rand zu Rand
gemessen, 8:3, 10 : 4, 11 : 4-5. — Natürlich kann
man sich der verschiedensten Zwischengrössen bedienen;
kleinere Modelle als 8 : 3 sind selten erforderlich, da
bei Jungfrauen die Anwendung der Platten-Specula
meist ausgeschlossen ist; grössere Formen als 10 : 3'5,
beziehungsweise 11 :4*5 können bei Operationen nöthig
sein, sie werden aber besser durch die Specula von
Fritsch oder Martin ersetzt. Die gewöhnlichen hin-
teren Rinnen nach Sims verdrängen nämlich die
Portio zu stark nach hinten und verhüten nicht das
Vorquellen der seitlichen Scheidengewölbe. Beiden
Misständen helfen die kurzen und breiten hinteren
Platten von Martin (Fig. 21), sowie die von Fritsch
(Fig. 22) ab, welch' letztere mit höheren seitlichen
Fügein versehen sind. Beide Formen eignen sich
deshalb besonders als Operations-Specula.
Gleich den Ge-
burtszangen haben
auch die Scheiden-Spe-
cula eine Anzahl von
Aenderungen erfahren;
nur wenige Gynäkolo-
gen dürften es sein,
die sich nicht einmal
dieser Frage gewidmet
haben. Aber während
z. B. die unzählbare
Menge der früheren
Diphtherie - Heilmittel
nur ein Beweis für die
Unwirksamkeit dersel-
ben ist, verhält es sich
bei Geburtszange und
Scheidenspiegel Unige- Fig. IS u. 20. Hintere Speculum-Einnen
Fig. 14
Hinterer
Speculum-
Vorderer Griff nach
Speculura-Griff nach Bozeman.
Bozeman-Simon. Simon.
Fig. 13.
Fig. 15 - IS.
Vordere Speculura-Platten.
400
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE,
kehrt: Die grosse Zahl der Abänderungen und Neu - Erfindungen beweist
den grossen Werth, ja die Unentbehrlichkeit dieser Geräthe.
Fig. 21.
Hintere Binne nach Martin.
Fig. 22. Hintere Speculum-Einnen nach Fritscli.
Von Abänderungen der getrenntblät-
trigen Specula, welche sich im allgemeinen
Gebrauche erhalten haben, seien noch fol-
gende erwähnt:
Feitsch's Rieselspeculum (Fig. 23);
der Schlauch des mit der Spülflüssigkeit ge-
füllten Irrigators wird am Speculum selbst
angebracht und die Wundfläche auf einfache
Weise überrieselt.
Warm empfohlen hat in jüngster Zeit
Saenger das NEUGEBAUER'sche Speculum
(Fig. 24); es eignet sich besonders für die
Sprechstunde.
Für den Gebrauch der Specula mit ab-
nehmbaren Platten und Rinnen ist ein guter
Verschluss unbedingtes Erfordernis. Der
Fe der verschluss (Fig. 13 und 14) hat
den Nachtheil, bald zu versagen oder nach
längerem Gebrauch und öfterem Auskochen
einmal mitten unter der Operation die Platte
aus dem Griffe herausgleiten zu lassen ;
auch ist er ein schwer zu reinigender
Schmutzfänger. Beides bedeutet nicht un-
erhebliche Nachtheile. Von anderen Ver-
schlüssen hat sich mir der von dem verstor-
benen Assistenten der FEiTscn'schen Klinik,
Dr. Seltmann, gemeinsam mit dem Bres-
lauer Instrumentenmacher Haertel ange-
fertigte Verschluss vorzüglich bewährt; der
schmale federnde Endtheil der Platten besitzt einen Flügel, welcher in eine
Kerbe des Griffes passt ; ein Stift greift gleichzeitig in einen Ausschnitt des
oberen Griff-Endes ein (Fig. 25).
Der Seitenhebel (Scheidenhalter) von Simon ist ein Wundhaken
mit stumpfem Bande ; man kann ihn gefenstert oder ungefenstert benützen ;
die seitlichen Vorsprünge am Griff erleichtern das Festhalten.
Bei Fisteloperationen u. s. w. sind manchmal Seitenhebel mit kleinen
Zähnen am vorderen Rande vortheilhaft.
Das Festhalten der Specula erfordert mehr Assistenz, als man in der
Sprechstunde oder in der Praxis überhaupt meist zur Verfügung hat. Von
Fig. 24.
Speculum nach
Keugebauer.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
401
Feitscii u. A Sind deslialb Spccula- Halter angegeben worden, welche
am Tisch oder Untersuchungsstuhl befestigt werden und die hinteren Platten
aufnehmen. Assistenz durch geübte Hände ist natürlich vorzuziehen
Kg 25 Seltmann-Härtel's Speculum-Verschluss
Fig. 26. Seitenhebel
(Scheidenhalter) nach Simon
und Benckiser.
h) Mehrblättrige Specula mii vereinigten
Blättern.
Das älteste Vorbild eines solchen Speculum,
zugleich das älteste bekannte Scheiden-Speculum über-
haupt, wurde in Pomp ej i gefunden. Es stellt eine
eben so geistreiche als brauchbare Form dieser Specula dar.
Die Zahl der heute benützten mehrblättrigen Specula mit vereinigten
Blättern ist eine sehr grosse ; dagegen begnügen sich jetzt die meisten mit
zwei Blättern, während vor Sims' Erfindung 3 und mehr Blätter nicht selten
waren. Man sollte glauben, dass die von Sims angegebenen Rinnen und eben-
so die Antisepsis den vereinigtblättrigen Speculis ein rasches und sanftes Ende
bereitet hätten. Aber die schon erwähnte Schwierigkeit, stets über genügende
Assistenz zu verfügen, ferner der Umstand, dass Gesichts- und Operationsfeld
in den Röhren-Speculis sehr beschränkt sind, sichert zunächst den Spiegeln
von Cusco u. a. noch immer ein berechtigtes Dasein — ja, diese Thatsachen
führen zu immer neuen Erfindungen auf diesem Gebiete.
Bitl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe tind (rynäkologie.
26
402
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
Am meisten benützt wird heute wohl das zweiblättrige Speculmn von
Cusco (Fig. 27), das in der letzten Zeit mit innlegbaren Griffen versehen
wurde. Diese Anwendung soll dazu dienen, das Instrument zum Tragen in
der Tasche kleiner zu machen; es ist aber nicht wahrscheinlich, dass sehr
viele Gynäkologen mit dem Speculum in der Tasche zur Praxis ausgehen —
diese Geräthe sind in der Hauptsache doch für Sprechstunde und Operations-
zimmer bestimmt.
Das Speculum von G. Breus
(Fig. 28) hält sich in der Scheide
selbst durch Federung der beiden
Arme ; in gewissem Maasse „selbst-
haltend" ist übrigens auch jedes
andere mehrblättrige Speculum,
sobald die beiden Theile weiter
als bis zu paralleler Stellung ge-
öffnet sind.
Während Cusco's Speculum
eine beliebige Entfernung der Blät-
ter nur am Innern, nicht aber am
äusseren, in der Vulva liegenden
Theile gestattet, ist an Collin's,-
Trelat's u. a. Speculis eine Vor-
richtung — meist eine Zahnstange
mit Zahnrad — vorhanden, welche
es ermöglicht, auch den äusseren
Theil zu erweitern. Alle diese Vor-
richtungen machen das Geräth
aber noch complicirter und schwe-
rer zu reinigen. Dieser Vorwurf
trifft auch Cusco's Spiegel, der
nicht auseinandernehmbar ist. Ein
zerlegbares und sehr einfaches
Schloss besitzt ein Speculum, das
nur in wenigen Katalogen abge-
bildet ist und als das CoLLiN'sche
bezeichnet wird.
Fig. 27. Zweiblättrigea Speculum nach Cusco.
Fig. 28. Selbsthaltendes Speculum nach Gr. Breus.
Aber auch dieses theilt mit den meisten zweiblättrigen Speculis den
Grundfehler, dass beide Platten gleich lang sind, während doch
— den anatomischen Verhältnissen entsprechend — die vordere Platte
kürzer sein müsste, als die hintere. Mit den jetzt gebräuchlichen
Speculis verdrängt man die Portio, statt sie einzustellen.
Diesen Fehler vermeidet ein Speculum, das in jüngster Zeit als das
HAMiLTON'sche in den Handel gebracht wird. Die vordere Platte ist daran
kürzer als die hintere, das Speculum zerlegbar.
Uterus-Sonden, Aetzmittelträger, Intrauterin-Siiritze.
Die Uterus-Sonden zeichnen sich vor ihrem Vorbilde, der chirurg-
ischen Sonde, durch die Länge, den Griff und in einzelnen Fällen durch
eine bestimmte unveränderliche Biegung, sowie durch eine Graduirung aus.
Die letztere besteht an Schröder's Sonde (Fig. 29) in seichten Einkerbungen,
an Schultze's Sonde in 5 Knöpfchen (Fig. 30).
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
403
Einzelne Sonden haben 7 cm von der
Spitze entfernt ein stumpfwinkliges Knie;
da die normale Uterus-Höhle vom Orifi-
cium externum bis zum P'undus beim Er-
wachsenen ungefähr 7 cm lang ist, kann
man bei eingeführter Sonde an diesem Knie
ohne Weiteres erkennen, ob die Uterus-
Höhle die normale, eine zu geringe oder
zu grosse Länge hat. Die Gesammtlänge
der Sonde mit Gritü: soll nicht unter 35 cm
betragen. Bei nicht biegsamen Sonden
ist am Griff" eine Marke nothwendig, welche
„vorn", d. h. die Richtung anzeigt, nach
welcher jeweils der Sondenknopf sieht.
Es ist wünschenswerth, eine un-
biegsame, graduirte und eine bieg-
same Sonde zu besitzen; die letztere —
meist aus versilbertem Kupfer oder Neusil-
ber bestehend — ist bei abnormem Ver-
lauf der Uterus-Höhle sehr brauchbar, so
bei Myomen u. s. w.
Die Aetz mittelträger spielen für
die Behandlung der Endometritis heute
eine grosse Rolle. Es sind deren recht zahl-
reiche Formen im Gebrauch; am meisten
benützt werden bei uns wohl der Aetz-
mittelträger von Playfair und das
Holzstäbchen nach Obermann, selten
G ä n s e f e d e r n nach ScHRADER. Playfair's
Stäbchen (Fig. 31) ist am oberen Ende
gerauht und besteht aus Aluminium, es
wird also durch Silbernitrat etc. nicht an-
gegriffen. Das oberste Ende soll nicht —
wie oft fälschlich — mit einem Knopf ver-
sehen sein, da sich sonst nach dem Ge-
brauche die Watte schwer entfernen lässt; übrigens wird das
Entfernen der Watte dadurch erleichtert, dass man die Watte
mit einer Kornzange unter Wasser abzupft, oder indem man
sie mit einem trockenen Wattebauschen abstreift.
Das OßERMANN'sche Holzstäbchen (Fig. 33 ^) ist aus weichem Holz
geschnitzt; es wird durch Silbernitrat etc. nicht in solcher Weise angegriffen,
dass dadurch die beabsichtigte Aetz Wirkung gestört wird; andererseits hat es
den Vorzug weitgehender Reinlichkeit, da man die gebrauchten Stäbchen
einfach ortwirft, also stets ungebrauchte benützt. Seine geringe Biegsamkeit
ist gelegentlich nachtheilig.
In jüngster Zeit empfahl Saenger das amerikanische Silber Stäb-
chen (Fig. 32 a und h) nachdrücklich; dessen Erfinder konnte Saenger nicht
feststellen. „Das aus reinem, nicht legirtem Silber gefertigte Stäbchen ist
etwa 22 cm lang und in einen glatten etwa 8 ctn langen Handgriff aus Holz
gefasst oder besser (so wie es Saenger jetzt herstellen lässt) in einen solchen
aus versilbertem Messing eingelöthet. Gesammtlänge somit circa 30 cm. In seinem
vordersten Drittel ist das Stäbchen bei einer Breite von etwas über 1 mm
ganz glatt, nicht dicker als Cartonpapier; in seinem mittleren Drittel ver-
dickt es sich allmälig etwas, um, bei durchaus gleichbleibender Breite, in
Mg 29 Uterus-
Sonde n. Simp-
son u. Schröder.
Fig.
fair's
31. Play-
Stäbchen.
404
INSTRÜMENTAEIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
seinem hinteren Drittel aus der abgeplatteten Form in eine rimd-cylindrische
überzugehen. Es ist vollkommen glatt und biegsam wie ein elastisches Bougie,
ohne wie ein solches die ihm beigebrachte Biegung wieder aufzugeben. Ver-
möge seiner Schmächtigkeit und Biegsamkeit, welche
sich unter der Einführung in den Uterus dessen Krüm-
mung anpasst, lässt sich das mit wenig Watte um-
wickelte und mit dem flüssigen Aetzmittel getränkte
Silber Stäbchen ohne Fixation der Portio auch
in stark fiectirte Uteri mit enger Cervix rasch, leicht
und schonend bis zum Fundus einschieben.
Je nach Weite der Cervix umwickelt man das
Stäbchen mit mehr oder weniger Watte, welche aber
stets aus einem Stück herausgezupft sein
muss, damit sie beim Wegziehen auch vollständig wie-
der herauskomme. An der Spitze lässt man eine breite
Watteflocke pinselartig vorstehen (Fig. 34a),
welche gegen den Fundus uteri angedrückt
wird, so dass sich die Aetzfiüssigkeit rückwärts tiber
die Schleimhaut ergiessen kann. Die Play fair -Stäb-
chen ätzen, wie Fig. 34 h zeigt, die Uterus-Schleim-
haut nicht so ausgedehnt. Nach dem Aetzen entfernt
man „das Silberstäbchen aus dem Uterus in der Weise,
dass man es sammt
der umwickelten
Watte mittels
Kornzange dicht
vor dem Mutter-
munde fasst und
so herauszieht."
Die Watte wird dann
vom Stäbchen mit
einem trockenen Watte-
bauschen abgestreift.
An dieser Stelle
muss auch die Aus-
stopfung desnicht
puerperalen Ute-
rus mit Gaze be-
sprochen werden. Die-
ses ausgezeichnete Mit-
tel bei der Behandlung
von Endometritiden ist
von Fritsch angege-
ben worden; er benützt
dazu einen „Stopfer",
d. h. ein glattes, nur
an der Spitze rauhes
Stäbchen, mittelst des-
h. obermann's scn cr dlc Uterus-Höhle
mit Jodoform - Gaze
„plombirt."
Will man grössere Mengen des flüssigen Aetzmittels in die Uterus-Höhle
bringen, so bedient man sich der Intrauterin-Spritzen nach C. Braun.
Der Gedanke, eine schlanke Spritze mit langem Ansatzstück zu benützen, war
für die Intrauterin-Therapie überaus nutzbringend — und doch gleicht er in
Fig. 32. a lt. h.
Amerikanisches SilberstUb-
chen (nacti Saenger).
Kg. 33. er. Playfair's Stäbclien.
Holzstäbchen, c. Silberstäbchen,
(nach Saenger).
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
405
seiner Einfachlieit dem Ei des Columljus. Im Allgemeinen fassen die Braun'
sehen Spritzen (Fig. 35) nur 1 cm^\ es wäre bequemer, sie stets für mindestens
2 cm'^ einzurichten, da es wünschenswcrth ist, die Menge der Aetzmittel-
Lösung verschieden gross zu wählen. Zu den Injectionen von 20/0 Argentum
nitricum in die Blase, welche von Kovsing mit PJrfolg zur Behandlung des
Blasenkatarrhs empfohlen wurden, habe ich mir ausserdem eine Spritze machen
lassen, welche 10 cm^ fasst und — bei sonst gleicher Beschaffenheit wie die
gebräuchlichen BiiAUN'schen Spritzen — an deren Ansatzstücke passt. Ich
benütze die grosse Spritze u. a. auch besonders zur Behandlung der Cervix-
Gonorrhoe mit Argentum-nitricum-Lösung 1 : 3000.
Bei dieser Gelegenheit mag erwähnt werden, dass man
sich mit Vortheil grosser PRAVAz'scher Spritzen (zu 10 cm^)
zur Injection von Alkohol oder 67o alkoholischer Lösung von
Salicylsäure (siehe Carcinom der weiblichen Genitalien,
Seite 153) bedient, wie sie in neuerer Zeit von mehreren
Seiten zur Behandlung des inoperablen Portio- und Cervix-
Krebses anjrerathen wurde.
Fig 34 a. Die Aetzflüssigkeit
gelangt durch das Silberstäbchen
in alle Theile der Uterus-Höhle.
Fig. 34 6. Mit Playfair's Stäbchen
■wird die Aetzflüssigkeit nicht in alle
Theile der Uterus Höhle gebracht.
(Fig. 34 a. u. h. nach Saenger).
Fig. 35.
C. Braun's In-
trauterin-Spritze.
Uterus-Katheter.
(xaör/jfxi = ich sende hinab, versenke, stecke hinein; 6 xaösTr^p-Einsteck-Geräth.)
In noch höherem Maasse, als Aetzmittelträger und Intrauterin-Spritzen
findet der Uterus -Katheter bei der Behandlung der Endometritis An-
wendung; sein Gebiet ist nicht allein die chronische Entzündung der Gebär-
mutterschleimhaut, sondern ebenso die acute septische Endometritis nach Ge-
406
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
burten, die durch Saprophyten erzeugte Fäulnis von Ei-Kesten nach recht-
zeitigen Geburten oder nach Aborten u. s. w. Der Spiükatheter des Uterus
gehört deshalb sowohl zu den geburtshilflichen, als zu
-' '-^ den gynäkologischen Geräthen, und er muss in jeder
geburtshilflichen Tasche vorhanden sein.
Der oft enge Cervical-Canal verhindert gelegent-
' lieh — ja beim nicht puerperalen Uterus meistens —
das Ausströmen der mittels Katheter in die Uterus-
Höhle eingegossenen Flüssigkeit. Jeder Uterus-Kathe-
ter muss daher eine Vorrichtung besitzen, welche den
Rückfluss ermöglicht ; er muss doppelläufig sein,
was wir als Deutsche natürlich mit dem Ausdruck
ä double courant bezeichnen. Diese Vorrichtung besteht
beim BozEMAN-FßiTscn'schen Katheter in einem weite-
ren Abflussrohr, welches über das dünnere Einfluss-
rohr gesteckt wird (Fig. 36), bei den Kathetern von
ai BuDiN (Fig. 38), Weinhold (Fig. 37) u. A. in einer
Längs - Rinne, welche
das Rohr im Quer-
schnitt hufeisenförmig
gestaltet, bei anderen
Kathetern sogar in 4
Längsrinnen. Am mei-
sten wird bei uns wohl
der Katheter von
Bozeman-Fritsch ge-
braucht; es ist an-
genehm, für den nicht-
puerperalen Uterus
eine kleinere, für den
puerperalen eine gröss-
ere Form dieses In-
strumentes zu besitzen.
Hofmeier lässt die Ab-
fluss-Oeffnung (Fig. 36,
a) an der concaven
Seite anbringen, nicht
— wie dies bei den
Fig. 38. Uterus- im Handel vorkommen-
den Kathetern meist
der Fall ist — an der
convexen; senkt man
nämlich den Katheter bei normaler Lage des Uterus auch nur etwas gegen
den Damm, so drückt man sich sonst damit die Ausflussötfnung zu und
der Abfluss hört auf.
Weinhold's, Piskacek's und andere Katheter bestehen aus 2 Stücken,
die einen in der Längsrichtung auseinandergeschnittenen, gleichsam längsge-
spaltenen Metall-Katheter darstellen. Das Geräth lässt sich dadurch in allen
AVinkeln und sogar im Lumen selbst unter Leitung der Augen reinigen.
Eine Längsrinne sorgt für den Abfluss. Der WEiNHOLü'sche Katheter ist
besonders bei acuter Endometritis nach Aborten oder rechtzeitigen Geburten,
ferner auch bei Heisswasser-Irrigationen des Uterus wegen atonischer Blu-
tungen sehr vortheilhaft, da er grössere Flüssigkeitsmengen auf einmal durch-
lässt, als Fritsch's Katheter.
Fig 36. Uterus-Katheter
nach Bozeman-Fritsch,
Fig. 37. Uterus-Katheter,
nach Weinhold.
Äatheter nach
Budin.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
407
Zu den einfachsten Uterus-Kathetern gehören die aus Glas, sowie der
Katheter von Budin (Fig. 38); der letztere wird häufig aus Celliiloid hergestellt.
Er besteht in der Hauptsache aus einem leicht gebogenen Rohr mit Längs-
rinne.
Die Uterus-Katheter aus Glas, ohne oder mit Längsrinne, werden besonders
zur Behandlung gonorrhoischer Endometritis mit Argentum nitricum empfohlen.
Fig. 39. Anatomischs Kg. 40. Haken-Pincette.
Eincette.
Fig. 38a. Katheter nacli Piskacek. 385. In seine TheiTs
zerlegt.
PisKAcEK hat einen Katheter angegeben, dessen Krümmung es erlaubt,
ihn auch „durch ein längeres Speculum hindurch einzuführen. Der in den
Uterus einzuführende Theil ist konisch geformt, damit das Ende die vor-
geschriebene Dünnheit und der Strahl, der sich bei dieser Construction ver-
408
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
Jimgen muss, die entsprecliende Intensität erlange" (Piskacek; vgl. „Intra-
uterin -T h e r ap i e").
Die Vorrichtungen zur permanenten Irrigation der Uterus- Höhle
bei septischer Endometritis, jauchenden Myomen u. s. w. finden noch von
mehreren Gynäkologen Verwendung. Solche Apparate sind von Fmtsch,
Küstner (in Katalogen ist als Erfinder meist Küster bezeichnet) u. A. an-
gegeben worden, theils als einfache Riesel-Vorrichtungen mittels Irrigators
und Drain-Kreuzes, theils in Verbindung mit Schücking's Tropfenzähler.
Pincetten, Klemmen, Zangen.
Eine grosse Anzahl der hier zu besprechenden Instrumente ist mit
der einzigen Veränderung, dass sie für gynäkologische Zwecke länger und
schmäler hergestellt werden, der Chirurgie entlehnt. Die betreffenden chi-
rurgischen Geräthe haben als Stamm-Mütter ihren hoch aufgeschossenen
Sprösslingen mit der unverkennbaren Familien- Aehnlichkeit meist auch den
gleichen Namen mitgegeben. Nur we-
nige gynäkologische Klemmen und Zan-
gen entbehren der chirurgischen Ahnen.
Fig. il. Lange Kornzanje. Fig, 42. Tiemann's Kugel- Fig. 43. Zange nach Museux. Fig. 44. Zange n. Museux,
Zange. mittelgross.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOaiE. 4U^J
Von den Pincetten finden sowohl die einfach gerieften anatomischen,
als die mit 1 — 3 Ilaken an jedem Ende versehenen liaken-ri ncetten
(Fig. 39 und 40) in der Frauenheilkunde Verwendung.
Zu den unentbehrlichen Geräthen gehört die Kornzange (Fig. 41);
deren Schwester ist später noch als Polypenzange (Fig. 47j zu beschreiben,
sie erfreut sich aber nicht einer gleich vielseitigen Verwendbarkeit.
Ebenfalls der Chirurgie entnommen sind jene Zangen, die zum Anhaken
der Portio, ferner der Weichtheile der Vulva bei Damm- und .Scheidenplastik,
zum Festhalten der Gebärmutter-Anhänge bei Eierstocks- und Eileiter-Ojte-
rationen u. s. w. dienen. Man benützt sie meist in der Form der Kugel-
zange (Fig. 42) und der MusEux'schen Zange (Fig. 43, 44, 45j, letztere
gewöhnlich kurzweg als Museux bezeichnet.
Die Kugelzange wurde von Tiemann in New-York zu dem Zwecke
hergestellt, um mit ihr Bleigeschosse aus Wunden zu entfernen. Was Hueteu
im Hinblick auf diese Bestimmung von ihr rühmt, gilt auch für ihre gynä-
kologische Verwendung: „Die schlanken Branchen des kornzangenähnlichen
Instrumentes gestatten seine Einführung in die Tiefe enger Canäle. Die
Branchen endigen in einwärts gebogene Spitzen, weiche sich in geschlossenem
Zustande decken und die Gewebe nicht verletzen. Ihre Leistungen sind
geradezu als vorzügliche zu bezeichnen." — Vortheilhaft versieht man das
Geräth am hinteren Ende mit einer Zahnsperre (Cremaillere); es hat gegen-
über der MusEux'schen Zange den Nachtheil, an der Portio ziemlich grosse,
manchmal etwas stärker blutende Löcher zu machen.
Die Zange von Museux (Fig. 43) ist mit 1 — 3 dünneren und längeren
Spitzen an jedem Arm versehen. Am gebräuchlichsten ist wohl jene Form,
welche beiderseits 2 Spitzen trägt. Die Löcher, welche sie macht, sind kleiner
als die durch die Kugelzange verursachten; die längeren Spitzen erschweren
aber das Abnehmen des Geräthes manchmal, besonders wenn man es ohne
Specula verwendet. Im Uebrigen gehört die MusEux'sche Zange zu den brauch-
barsten Instrumenten, ob es sich nun um Damm- und Scheiden-Operationen
oder um Eingriffe an Portio und Corpus uteri oder um die Abtragung von
Uterus- und Adnex-Tumoren nach Laparotomie handelt.
Den verschiedenen Zwecken entsprechend ist es nöthig, verschieden starke
und lange Formen dieser Zange zu haben. In der Sprechstunde, also zum
einfachen Anhaken der Portio, ist die lange Form mit schmalem Maul (Fig. 43)
bequem ; zum Hervorholen der Tuben und Ovarien bei Ovario- und Salpingek-
tomie eignet sich eine Zange mit breiterem Maul (Fig. 44), bei Myom-Opera-
tionen, sei es von der Scheide oder vom Abdomen aus, bedarf man oft einer
sehr kräftigen Zange (Fig. 45).
Der Name Museux wird meist falsch ausgesprochen und anscheinend
bei uns auch falsch geschrieben. Man hört das s scharf statt weich sprechen,
wie es richtiger gesprochen werden soll. In deutschen Büchern liest man
ferner meist Muzeux mit Z, während Pozzi in seinem Lehrbuch stets Museux
mit S schreibt. An der Aussprache ändert das nichts.
Als Polypen Zangen sind theils Instrumente mit löffelähnlichem, theils
solche mit kornzangenähnlichem Ende im Gebrauch. Ein Beispiel der ersteren
ist die Polypenzange von Peitsch (Fig. 46), welche sich besonders zum Fassen
von Schleimhautpolypen eignet; myomatöse Polypen packt man sicherer mit
MusEux'schen Zangen; ein Beispiel für die erwähnte zweite Art ist die Zange
von Küchenmeister (Fig. 47), die eine gebogene Kornzange vorstellt. Wer
Kornzange, Kugelzange und MusEux'sche Zange besitzt, wird eigener Polypen-
Zangen meist entrathen können. Nur bei Aborten mit zurückgehaltenen Ei-
Theilen kann es wünschenswerth sein, eine stark gebogene Kornzange zu ver-
wenden; wenn nämlich der Cervical-Canal schon wieder ziemlich eng wurde
und die Entfernung jauchender Ei-Reste möglichst rasch ausgeführt werden
410
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
soll, ist es oft recht schwer, dies mit einem Finger zu bewirken; eine stark
im Bogen gekrümmte Kornzange thut dann sehr gute Dienste. Ich benütze
dazu eine solche von 32 cm Länge und 6 cm Abstand des aufgebogenen vor-
deren Endes von einer horizontalen Unterlage. — Mit solchen Zangen darf
aber nur das gefasst werden, was man mit dem Finger vorher sicher gefühlt
hat; sonst kommt es leicht zu bedenklichen Verletzungen (Durchbohrung) des
Uterus.
rig. 45. Zange n. Museux, gross.
rig. 46. Polypenzange nach
Tritsch.
Pig. 47. Polypenzange nach
Küchenmeister.
Ausser den genannten Polypen-Zangen ist noch eine grosse Anzahl der
verschiedensten Formen angefertigt worden; sie besitzen theils gezähntes, theils
gerieftes, bald gefenstertes, bald ungefenstertes Maul. Keine von ihnen ist
unentbehrlich.
Dagegen ist in neuerer Zeit von Pean, Eichelot und Doyen eine Klemme
angegeben worden, die sich in ausgezeichneter Weise zur Massen-Ligatur
eignet; sie wurde als Forcipressur -Zange bezeichnet und wird von
vielen deutschen Gynäkologen unter der kurzen Bezeichnung „Piichelot"^
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
411
benützt, in gleicher Abkürzung, wie Museux, Uesciiami'.s statt MusEi:x"sclie
Zange, Deschamps' Nadel. In der Hauptsache stellt sie eine Klemme mit
langer, geriefter Klemmfläche dar, welche im vorderen Theile leicht gekrümmt
ist (Fig. 48).
Nach den Abbildungen, welche Pozzi in seinem ausgezeichneten Lehr-
buche der Gynäkologie bringt, ist eine wichtige Aenderung daran, die bei uns
meist RiCHELOT zugeschrieben wird, anscheinend nicht von diesem, sondern
von Doyen angegeben worden: es ist dies die Wölbung der beiden Arme
im Bereich der Klemmfl.ächen. Fasst man nemlich ein breites Gewebebündel
Flg. 48: Doyen's ITorcipresstir-
Zange .
Kg. 49. Arterienklemme nach
Pean.
Kg. 50. Arterienklemme nach
P^an.
mit einer Zange, welche geradegestreckte Arme hat (etwa wie die Arterien-
klemme, Fig. 50), so bilden beide Arme vorerst einen spitzen Winkel und es
wird das dem Schloss zunächstllegende Gewebe am stärksten, das weiter vorn
liegende weniger stark, ja vielleicht ungenügend zusammengedrückt. Die
Wölbung der klemmenden Zangentheile (Fig. 48) hilft diesem Misstand in
geistreicher Weise ab — : zunächst drückt man damit die äussersten Gewebs-
bündel zusammen und bei kräftigem Schliessen des Instrumentes allmälig zu-
nehmend auch jene Gewebstheile, die dem Schlosse näherliegen.
Die Forcipressur-Zange ist für Pean's Hysterektomia vaginalis
bestimmt; aber auch nach Unterbindung der Adnexe mit Seide, wie sie bei
412
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
der Total -Exstirpation von den meisten deutschen Gynäkologen ausgeführt
wird, ist diese Zange zur Stillung von Blutungen, welche durch Umstechung
nicht zum Stehen gebracht wurden oder von Nachblutungen sehr brauchbar;
nicht minder gute Dienste leistet sie bei Adnex-Operationen nach Eröffnung
der Bauchhöhle u. s. w.
Zur Blutstillung im Allgemeinen sind natürlich auch
bei gynäkologischen Eingriffen die bekannten chirurgischen
Arterien - K!emmen im Gebrauch. Hier seien die Bilder von
zwei Klemmen beigefügt, welche auch als Kornzange u. s. w.
dienen können, und sowohl zum Fassen von Gefässen als von
breiteren Gewebsbündeln dienen. Es sind dies die bekannten
PEAN'schen Arterienklemmen (Fig. 49 und 50) mit langer
Klemmfläche. Es ist vortheilhaft, längere und kürzere Formen
derselben zu besitzen: die längeren für Portio-, Corpus-Opera-
tionen und Laparotomien, die kürzeren für Damm-Plastiken u.
s. w. Die Verlängerung dieses ausgezeichneten Geräthes ist der
einzige Einfluss, welchen die gynäkologische Verwendung dar-
auf ausgeübt hat. Für manche Zwecke würde es sich em-
pfehlen, auch Abänderungen in der
Weise vorzunehmen, dass man die
DoYEN'sche Wölbung (s. o. bei der
Pean - RiCHELOT'schen Forcipressur-
Zange) anbringt; angedeutet ist dies
in Abbildung 49 an der kürzeren
PEAN'schen Arterien-Klemme.
Zwei Zangen-Arten, welche nicht
allgemein, sondern nur zu ganz be-
stimmten Operationen Verwendung fin-
den, die Cysten - Zangen und
Schlauchklemmen, werden beiden
Laparotomie - Instrumenten besprochen.
Scliwammhalter.
Viele Operateure verwenden grund-
sätzlich keine Schwämme. Dieser Stand-
punkt ist durch die sehr schwierige
Sterilisation der Schwämme bedingt;
immerhin ist eine solche Sterilisation
aber technisch möglich, und sie wurde
schon oben (Antisepsis und Asepsis
in der Gynäkologie, S. 48) näher be-
schrieben. Der Benützung steriler
Schwämme steht natürlich nichts im
Wege; ja mehr noch: zu manchen
Zwecken sind die Schwämme viel bes-
ser und verwendbarer, als Gaze- und
Watte-Tupfer. Uebrigens dienen die
„Schwamm-" Halter selbstverständlich
auch als „Tupfer- "Halter.
Unter den zahlreichen Formen von Schwammhaltern werden folgende
drei wohl am häufigsten benützt: Der Schwammhalter von Crede (Fig. 51),
der von C. Braun (Fig. 52) und der von M. Sims (Fig. 53). Einige Schwamm-
halter haben einen schmalen Ring, durch den beim Vorschieben der Schwamm
festgeklemmt wird (Fig. 51 und 53), andere eine Hülse, welche das Vor-
Fig. 51.
Schwammhalter
nach Credo.
Fig. 62
Schwammhalter
nach C. Braun.
Fig. 53.
Schwaitimhalter
nach M. Sims.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
413
scliieben vom hinteren Ende aus gestattet, ohne dass man mit den Fingern
bis an das vordere Ende zu gehen braucht (Fig. 52); beim Tupfen in engen
Hohl-Räumen, in der Tiefe des Beckens u. s. w. bietet dies eine gewisse Er-
leichterung, wenn der Schwamm herauszufallen droht. Das Maul der Schwamm-
halter besteht theils aus einfachen umgebogenen Spitzen (Fig. 51), theils aus
gezähnten Enden (Fig. 52, 53). Andere Schwammhalter sind wie selbst-
klemmende Pincetten, also mit Kreuzung der Arme, oder wie Zangen u. s. w.
gebaut. Im Nothfalle kann jede Kornzange oder jede lange Arterien-Klemme
den gleichen Zwecken dienen.
Ciiretten.
(Curer = reinigen, ausräumen; la curette = das Schabeisen. Das Wort
„curettement" ist anscheinend eine deutsche Erfindung; die Franzosen sagen
curage und curettage, gebrauchen diese Worte aber als masculina, während
der Deutsche auffallender Weise die französischen Wörter auf -age als
feminina gebraucht, also auch sagt: die curettage. „Das curettement" ist
doppelt falsch: erstens gibt es dieses Hauptwort im Französischen nicht, und
zweitens sind die Wörter auf -ment masculina.)
Eine ähnliche Verw^irrung, wie sie in der Benennung des gynäkologischen
Eingriffes der Ausschabung herrscht, besteht auch in der Frage nach den
Erfindern der dazu benützten Geräthe.
Nach Pozzi verhält sich die
Sache so: die Curette mit schneidender
Oese (Stahlschleife)*) stammt von Sims
(Fig. 55 0^ und h), der scharfe Löffel
von Simon (Fig. 54), die Löffel-Cu-
rette mit halbstumpfen Rändern von
Recamiee-PiOux (Fig. 56); Pozzi sagt,
dass „das ursprüngliche Modell nach
Recamier an seinem Ende eine unzweck-
mässige Krümmung habe". Das Roux'-
sche Modell ist häufig als Doppel-
löffel, d. h. an jedem Ende löffelähn-
lich ausgehöhlt, im Gebrauch. Bei uns
hat es Martin in Aufnahme gebracht;
manche bezeichnen es deshalb auch als
die MARTiN'sche Curette. Für die
Ausschabung der Uterus-Schleimhaut
ist es unnöthig, dass die Ränder dieser
Geräthe scharf sind; vielmehr eignen
sie sich halbscharf besser dazu, da sie
die Uterus - Wand so nicht verletzen
können.
Instrumente für Harnröhre, Blase
und Ureteren des Weibes.
Es ist auffallend, dass unser In-
strumentarium für dieses Gebiet ein so
kleines ist. Zum Theil beruht dies
darauf, dass die Krankheiten der genannten Organe — abgesehen von den
Fisteln — beim Weibe seltener instrumentelle Hilfe erfordern, als beim Mann,
und dass die Kürze und Weite der weiblichen Harnröhre nicht so umständ-
Fig. 54.
Scharfer Löffel
nach Simon.
Fig. 55 a u. 6.
Schneidende
Oesen
nach Sims.
rig. 56.
Löffelcnrette
nach Keeamier-
Eous.
*) Vgl. „Curettement", S. 175.
414 INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
lieh gebaute und nicht so zahlreiche Geräthe nöthig macht. Es kommt
aber noch ein anderer Umstand hinzu, nämlich unsere mangelhafte Kennt-
nis der Erkrankungen dieser Organe. Sind wir doch nicht einmal über die
Mechanik der physiologischen Urin-Entleerung im Klaren. Und was wissen
wir denn über gewisse oder richtiger ungewisse Formen der Incontinentia
urinae, z. B. über die Enuresis nocturna, ferner über die reizbare Blase, über
die Tumoren des Harnbehälters? Nicht viel mehr, als den Namen und einige
Symptome.
Die Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie hat hier noch grosse
Lücken auszufüllen.
Die wichtigsten unter den vorhandenen Geräthen zur Erkennung und
Behandlung der Blasenleiden verdanken wir neben Snis und Bozeman vor
allem G. Simon und Pawlik. Das NrrzE'sche Kystoskop war grundlegend
und bisher unerreicht in seinen Leistungen für die männliche und weib-
liche Harnblase; in der Anwendung beim Weibe dürfte ihm aber vielfach
das einfachere Endoskop von Pawlik mindestens gleichkommen.
Der Harnröhren-Dilatator von G. Simon (Fig. 57) dient sowohl
zum Erweitern der Uretlira als zur Besichtigung dieser selbst und der Blase.
Das röhrenförmige Geräth besteht meist aus Hartgummi und
besitzt einen vorn kolbenförmig abgestumpften Ob turator (ob-
turare = verstopfen); es ist nöthig, verschiedene Grössen des
Instrumentes zum allmäligen Dilatiren der Harnröhre zu besit-
zen; im Allgemeinen sind 7 Grössen von 0'6— 2 cm Durchmes-
ser erforderlich (Vgl. „Blasenkrankheiten des Weibes",
S. 110). Man führt das Instrument sammt dem Obturator ein
und kann nach Entfernung des letzteren durch Verschieben des
Speculum nach und nach die einzelnen Abschnitte der Urethra
besichtigen.
Handelt es sich nur um Dilatation, nicht auch um
j.. g^ Besichtigung der Harnröhre, so sind statt dieses Diktators
Harnröhren- verschicdeu dlcko Stifte aus Glas (Asch) oder Hartgummi ver-
""'f'tZ::^ wendbar.
Zur Blasen-Besichtigung verwendete Paw^lik Simon's
Dilatations-Speculum in folgender Weise: er Hess einen Griff daran anbringen,
brachte die Patientin in Knieellenbogenlage und führte jetzt das Speculum
ein; die Blase blähte sich dabei spontan mit Luft auf und er konnte das
Blaseninnere einfach mittels des Sonnenlichtes sichtbar machen; später be-
nützte er ein elektrisches Lämpchen, das an einem langen Stiel angebracht
war und in die Blase miteingeführt wurde; so kam er zur Herstellung seines
Endoskops (s. u.).
Das Kystoskop von Nitze (Fig. 58 a) ist eigentlich für die männliche
Blase bestimmt, aber auch für die des Weibes verwendbar") und vielfach ver-
wendet worden; Nitze hat ausserdem ein Operations- Kystoskop
(Fig. 58 b) hergestellt, mit welchem unter Leitung des Auges Fremdkörper,
Polypen, Tumorstückchen u. s. w. gefasst, abgetragen und entfernt werden
können. Nitze's Verdienste um die Endoskopie der Blase sind so allgemein
anerkannt, dass sie nicht mehr des Hinweises bedürfen; aber für die weib-
liche Harnröhre und Blase genügt natürlich ein kürzeres Instrument, welches
auch einen grösseren Durchmesser haben kann. Dieser Thatsache wird
Pawlik's Endoskop (Fig. 59 A— D) gerecht.
Die Harnröhre muss vorher dilatirt werden ; zur Dilatation ist Narkose
erforderlich, zu wiederholten Untersuchungen mittels des Endoskops aber
nicht mehr. Die Kranke wird nun in Knieellenbogenlage auf einem Bozeman'-
*) Vgl. „Kystoskopie" im Aufsatze „Blasenkrankheiten des Weibes", S 110.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
415
Fig. 58a. Kystoskop von Nitze.
Kg. CSb. Operations-Kystoskop von Xitze.
416
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
sehen Fisteltisclie befestigt und der Harnröhrenspiegel eingelegt; die Blase
dehnt sich spontan durch die eindringende Luft aus. Die Besichtigung des
Blaseninnern kann nun bei genügendem Sonnenlichte ohne Weiteres geschehen.
„Bedarf man der künstlichen
Beleuchtung, so wird der
Beleuchtungskörper (Fig. 50
B oder C) eingeschoben und
an der Spiegelhandhabe mit
den Knöpfen a a in den ent-
sprechenden Ausschnitten
(Fig. 59 A, a) befestigt. Die
Besichtigung der ganzen
Blase geschieht durch ent-
sprechende Verschiebung und
Drehung des Spiegels. Für
langdauernde Untersuchun-
gen ist in dem Beleuch-
tungsapparat eine Wasser-
leitung angebracht, durch
welche er abgekühlt wird."
Auf diese Weise war das
Katheterisiren der Ureteren
oft ziemlich leicht möglich;
Pawlik hat ausserdem Tu-
moren, Narben, Geschwüre,
Katarrh, Fremdkörper u. s.
w. damit endoskopirt. „Nach
geschehener Untersuchung
wird die in die Blase ein-
gedrungene Luft in Rücken-
lage der Frau durch einen
gewöhnlichen Katheter aus
der Blase herausgedrückt."
Die Kystoskopie ist in
der allgemeinen Praxis bis
B.
Vig. 59. A. Harnröhrenspiegel mit Handhabe von Pawlik.
Elektrisclier Beleuchtungsapparat mit Wasserleitung (w
w).
SS = Schrauben zur Flxirung der Elektroden, c =: Schraube zur Strom-
schliessung, aa = Knöpfe zur Fixirung, die nach Einlegung des
Beleuchtungsapparates in den Harnröhrenspiegel in die entsprechen-
den Einschnitte (aa) seiner Handhabe eingeschoben werden,
e = Kapsel mit der elektrischen I/ampe.
C. Kürzerer Beleuchtungsapparat für geschrumpfte Blasen ohne
Wasserleitung.
l''ig. 59. D. Das zusammengestellte Endoskop in eins künstliche Blase eingeführt, wie sie Leiter be der
Construction des Instrumentes bei seinen Versuchen verwendete.
Fig. 59 Ä — ü nach Pawlik und Leiter.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
417
jetzt viel zu sehr vernachlässigt worden ; zum Theil waren daran die ziem-
lich kostspieligen Apparate und ihre umständliche Anwendung Schuld. Es ist
zu hoffen, dass durch vereinlachte Geräthe, wie durch Pawlik's Endoskop,
auch die Kystoskopie allgemeine Verwendung finden wird.
Schon vor Erfindung seines Blasenspiegels hat Pawlik eine Methode
angegeben, um unter Leitung eines Fingers nach Dilatation der Harnröhre
auch die Ureteren sondiren und katheterisiren zu können; durch sein Endo-
skop wird dieser diagnostisch oft so wichtige Eingriff" wesentlich erleichtert.
Man verwendet dazu die Ureteren-Sonde (Fig. 60) und den Ureteren-
Katheter (Fig. 61) von Pawlik.
Zum einfachen Katheterisiren der Blase bedie-
nen sich die meisten metallener oder aus Weich-
gummi verfertigter (Jacques Patent-) Katheter u. zw.
viele lieber des längeren männlichen als des wegen
seiner Kürze oft unbequemen weiblichen Katheters.
Fritsch sagt, dass nach seiner Ansicht die weib-
liche Harnröhre meist mit zu dicken Kathetern ka-
theterisirt wird. Er empfiehlt dünne Glas- Kathe-
ter. Eingeschaltet muss hier werden, dass Salben
(wie Vaseline) zum Einfetten des Kathe-
ters ungeeignet sind: Rovsing beschreibt
einen Fall, in welchem die Blase schliess-
lich grosse Mengen der Vaseline enthielt ;
aus diesem und anderen Gründen ist
Barlow's Vorschlag beherzigenswerth,
statt der Salben besser Glycerin zu ver-
wenden.
Zum Einbringen von Arzneimitteln
in die Harnröhre hat Fritsch „eine Canüle
construirt, die an jede PRAVAz'sche Spitze
anzustecken ist. Dieselbe hat die Dicke
eines dünnen Katheters und ist aus Cellu- ^.^ ^^
loid gearbeitet, um auch Argentum-Lösun- Apparat zur
gen anwenden zu können. Die Röhre nach KüS^r!
ist siebförmig durchbohrt und trägt oben
einen Knopf. Sie wird in die Harnröhre eingeführt
und dann etwas zurückgezogen, so dass der Knopf die
Harnröhre oben einigermassen abschliesst."
Zur Ausspülung der weiblichen Blase sind
natürlich alle jene Vorrichtungen, wie doppelläufige
Katheter u. s. w. verwendbar, w^elche auch beim
Manne benützt werden. Küstner hat dazu einen
sehr einfachen Apparat (Fig. 62) angegeben : Der
Glastrichter wird in die Blase eingeführt, der Conus
des Ansatzrohres, welches mit dem Irrigatorschlauch
Fig. 60. Fig. 61.
Ureteren - Sonde Ureteren -Käthe-
(N?ch^PozS). *TNlchPozTi?' verbunden ist, wird in den Trichter gesteckt und
nun füllt man die Blase bald mit Spülflüssigkeitj
bald entleert man sie durch Entfernen des Ansatzrohres.
Blaseiifistel-Operatioiien.
Das Instrumentarium dazu hat im weiteren Sinne Sms geliefert, der
mit seinen Speculis die Fisteln zugängig machen lehrte; die Geräthe zur
Blasenfi.stel-Operation im engeren Sinne stammen hauptsächlich von Bozeman
und G. Simon.
ßibl. tned. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie
27
418
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
Zur Dilatation der oft narbig verengten Scheide hat Bozeman Vaginal-
kugeln (Fig. 63) und Cyl Inder (Fig. 64) aus Hartgummi angegeben.
Sie können entweder mittels daran befestigter Schnüre oder mit einer
kleinen aus Draht gefertigten Zange wieder herausgezogen werden ; die letz-
tere (Fig. 65) hat Breisky nach Art der Kopfzangen anfertigen lassen. In
neuerer Zeit wird statt dieser Kugeln und Cylinder häufiger die Tamponade
der Scheide mit Jodotormgaze ausgeführt (vgl. Blasenkrankheiten des Weibes.
Q -1-1 /?N
Zur Freilegung der Fisteln, welche oft hinter Scheidenfalten und Narben -
Zügen versteckt sind, bedient man sich der Fistelhäkchen, welche eine oder
mehrere Spitzen (Fig. 66 a— e) und ein gerades oder gebogenes Ende haben.
Oft erweist sich der mit einer kleinen Platte versehene Spatel haken von
Ulrich dazu als nützlich.
Fig. 63.
Scheidenkugeln
nach Bozeman.
n
Fig. 64.
Scheidencylinder
nach Bozeman.
Fig 65.
Zange zur Entfernung
der Scheidenkugeln nach
Breisky.
Fig. 66 a - e.
Pistelhäkchen, ver-
schiedene Formen.
Zur Anfrischung der Fistelränder benöthigt man schmaler und in leichtem
Winkel gegen den langen Griff abgebogener Messerchen, wie sie von G. Simon
angegeben worden sind (Fig. 67 und 68). Man muss von diesen je ein links-
und ein rechtsschneidendes besitzen; in ähnlicher Weise ist von den Boze-
MAN'schen Fistelscheeren (Fig. 69 und 70) je nach der Krümmung eine
rechts- und eine linksschneidende zu unterscheiden. Die Biegung der Messer
und die Krümmung der Scheeren haben den Zweck, das Operations-Gebiet
durch das Instrument nicht zu verdecken — denn alles kommt hier auf eine
gute Freilegung der Fisteln behufs sorgfältiger Anfrischung und Naht an.
Zur Naht empfiehlt Fritsch besonders den bekannten HAGEDORN'schen
Nadelhalter; oft erweist sich eine Stielnadel (Fig. 71) als sehr bequem, da
sie ein Durchführen der Seide oder des Drahtes in der Längsaxe der Scheide
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
419
Kg 69.
Fistelscheere nach Boze-
man, rechtsschneidend.
Fig. 70.
Dieselbe, links-
sohneidend.
Fig. 67.
Fistelmesser nach
G-. Simon,
rechtsschnei dend.
Fig. 68.
Dasselbe, links-
schneidend.
ermöglicht, also in jener Richtung, welche ohne-
dies den meisten Raum bietet. Im Uebrigen ist die
Wahl des Nadelhalters natürlich Sache der Ueb-
ung und Gewohnheit jedes Operateurs. Als Na-
deln bedienen sich einzelne Operateure mit Vor-
liebe der sogenannten „Angelhaken", welche stark
gebogen und am Oesen-Ende geradegestreckt sind; sie erlauben ein Nähen
selbst in engem Räume.
Operationen an Portio und Cervix.
Zu Stichelungen der Portio dient der Scarificator von C. Mayer
(Fig. 72), dessen vorderes Ende die Form einer breiten Pfeilspitze hat.
Zu Portio-Plastiken, wie keilförmige Excision, Emmet's Operation, ist
C. ScHEOEDERS doppelsclineidigesLanzenmcsser (Fig. 73) überaus verwendbar.
Für gynäkologische Zwecke, und zwar ebenso für Operationen an Portio
und Cervix als für andere Eingriffe, ist eine lange Form der bekannten
CooPER'schen Scheere (Fig. 74) erforderlich; abgesehen von der grösseren
Länge unterscheidet sie sich in nichts von ihrem chirm'gischen Vorbilde.
Die gebogene Stiel nadel von Deschamps (Fig. 75; oft fälschlich
Dechamps geschrieben) ist in der Hauptsache nur eine Aneurysma-
Nadel. Man bedient sich ihrer sowohl zum Umstechen und Unterbinden der
27*
420
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
seitlichen Blutgefässe und Anhänge bei der hohen Amputation des Cervix
und bei der vaginalen Total-Exstirpation des Uterus, als bei Abtragung
der Uterus -Anhänge nach Eröffnung der Bauchhöhle. Viel kommt aut
eine genaue Anfertigung des einfachen Geräthes an: hat die Oese zu scharte
Ränder, so schneiden diese leicht den Faden durch - ein Ereignis das mehr
als äro-erlich sein kann, wenn man gerade mühsam em blutendes Gewebsbun-
del umstochen hat; die Rinne hinter der Oese darf nicht zu tief sein, sonst
J
Fig 71. Fig. 72. Fig. 73.
Stielnadel. ScariBcator von lianzenmesser
C. Mayer. von C. Schrö-
der.
Fig. 74.
Cooper'sclie Scheere,
l
l\
y
Fig. 7Ö. Fig- 7U.
Gebogene Stiel- Stumpfes
nadel von Häkclien
Deschamps. dazu.
lässt sich der Faden schwer hervorholen; die Spitze der Nadel darf nicht zu
scharf sein, damit sie nicht Gefässe verletzt, aber auch ^i^l^V^/^umpf da-
mit sie das Bindegewebe und gelegentlich auch Exsudatschwarten durchdringt
Zum Hervorholen des Fadens aus der Oese m der Tiefe bedient man sich
vortheilhaft eines stumpfen Häkchens (Fig. 76).
INSTRUMENTAUIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
421
Cervix-Dilatation.
Die Anzahl der für diesen Eingriff erfundenen Instrumente ist sehr gross;
aber alle mit Gelenken, Schlössern, Uebersetzungen, vorspringenden Klingen
u s w. versehenen Geräthe sind aus Gründen der Asepsis last ganz autge-
ffeben worden. Die Hauptgefahr der Cervix-Erwoiterung i^t ^le Intection -
Lo fort mit allen umständlich gebauten, schwer zu reinigenden Instrumenten.
Diesem Grundsatz entsprechend sind hier nur die eintachsten Erwcite-
rungsgeräthe, welche sich jetzt im allgemeinen Gebrauche befinden, autgeluiirt.
I"ig 80. Cervis-Di- Fig.' 81a Cervix-
latator aus Hart- Dilatator aus Glas
gummi n. Hegar.*) nach Eichholtz,
Fig. 78 Cervix-Dilatator Fig. 79. Cervix-Dilatator
nach. Fritsch mit Maassstab. aus Zinn
nach Fritsch.
Fig. 77.
Cervix-Dilatator
nach Schröder
816. CerTis-Dilatatorien
im Glasgefäss.
Zur brüsken Dilatation dienen kolbenförmige Instrumente oder Sonden,
von welchen man stets einen ganzen Satz benöthigt; die einzelnen Stücke
desselben nehmen von 0-5 zu 0-5 mm an Durchmesser zu; die Grösse des
letzteren muss am Griffe angegeben sein. Will man behufs Ausspülung und
Ausschabung der Uterus-Höhle dilatiren, so genügt meist eine Erweiterung
bis 7 mm Sondendurchmesser; Uterus-Katheter und Curetten mittlerer Dicke
können dann eingeführt werden.
*) Vgl. ,,Cervixstenose", S. 167 und „Dilatation des Uterus'', S. 201.
422 INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
Solche Dilatatorien sind entweder in der Form dicker Sonden, wie nach
Schröder und Feitsch (Fig. 77, 78 und 79} oder in der Form kurzer Kolben,
wie nach Hegar, Eichholtz (Fig. 80 und 81a) und Küstner gebaut.
Die ScHRüDER'schen und die graduirten KüSTNER'schen Dilatatorien sind
aus Kupfer, die von Fritsch aus Kupfer oder Zinn, jene von Hegar aus
Hartgummi, und die von Eichholtz aus Glas. Fig. 81b zeigt das Glasgefäss
mit den in der Desinfectionslösung aufbewahrten Dilatatorien von Eichholtz.
Zur langsamen Erweiterung des Cervix sind die Quellstifte
oder Qu ellm eissei in ausgedehntem Gebrauche; man bedient sich ihrer
besonders dann, wenn es sich um starke Erweiterung handelt, z. B. zur Ein-
führung eines Fingers in die Uterus-Höhle. Der Pressschwamm ist mit Recht
aufgegeben worden, da er sich nur schwer sterilisiren lässt, ohne seine Quell-
fähigkeit einzubüssen. Dagegen finden die Laminaria- und Tupelo-Stifte
umso häufiger Verwendung. Die Radix Gentianae quillt nicht sehr stark.
Röhrenförmig durchbohrte Stifte quellen noch stärker, als solide.
Die Laminaria-Stifte sind von Sloan in Glasgow in die gynäkolo-
gische Praxis eingeführt worden; sie bestehen aus dem Stiel einer Alge, der
Laminaria Cloustoni s. digitata, welche als braungrüner Seetang mit langen,
flachen, zerschlitzten Blättern in den nördlichen Meeren vorkommt. Da sie
beim Quellen mehr cylindrisch bleiben als die Tupelo-Stifte, ziehen sie Fehlnig
u. A. den letzteren vor. Wegen des leichten Quellens und der Grösse ziehen
umgekehrt Hofmeier u. A. die Tupelostifte vor*).
Die Tupelo-Stifte, von Sussdorf eingeführt, bestehen aus dem Holz
der Nyssa aquatica. Während die Laminariastifte nur bis zu massiger Dicke
zu haben sind, kann man Tupelostifte bis zu bedeutender Stärke herstellen.
Beide Stifte lassen sich je nach dem Verlauf des Cervicalcanals, den man
vorher untersucht hat, biegen: man taucht sie in kochende 5^0 CarboUösung
eiU; krümmt sie in der gewünschten Weise und fixirt die Krümmung durch
Eintauchen in kalte CarboUösung; der- Carbolzusatz dient natürlich nur zur
Desinfertion.
Zum Sterilisiren der Stifte bedient man sich folgender Methoden:
a) man kocht sie in 5°/o Carbolwasser 3 — 5 Minuten lang und kann sie
entweder nun sofort verwenden oder in lO^/o alkoholischer Salicylsäurelösung
aufbewahren; oder
b) man taucht sie in Jodoformäther (Jodoform im Ueberschuss in Aether
gelöst) und lässt den Aether verdunsten — das Jodoform bildet dann einen
leinen Ueberzug über dem Stift.
Dass es mit der Desinfection des Stiftes allein aber nicht gethan ist,
wurde schon früher betont (Dilatation des Uterus, S. 201); der Dilata-
tion muss stets eine sorgfältige Reinigung von Vulva, Scheide und Cervix
vorangehen, und man führt den an sich ja geringen Eingriff erst nach Frei-
legung der Portio mit Plattenspeculis aus.
Die Entfernung der Stifte findet 12 Stunden nach dem Einlegen statt,
und zwar entweder mittels der am unteren Ende beiestigten Fäden oder mit
Hilfe einer Kornzange; die Stifte werden unter vorsichtigen Drehungen damit
langsam herausgezogen.
Ist die Erweiterung noch nicht genügend, so kann man einen stärkeren
Stift oder mehrere Stifte zugleich einlegen oder eine brüske Dilatation mit
festen Dilatatorien sofort anschliessen.
Fig. 82 zeigt einen Laminariastift, Fig. 83 einen Tupelostift vor und
nach dem Quellen; manchmal haben sie nach dem Gebrauch eine sanduhr-
förmige Gestalt infolge der Umschnürung durch die Gegend des Orificiuni
internum.
') Vgl. „Dilatation des Uterus", S. 200.
INSTRUMENTARIUM ZUR UYNAKULUÜlE.
423
Zur Dilatation des Cervix
kann man auch Jodoform-Gaze
benützen; sie wirkt aber uicht als
Quellmittel, denn sie quillt nicht,
sondern als Fremdkörper, welcher
Wehen und so, wie bei der Ge-
burt, eine Erweiterung des Cer-
vix bewirkt.
Vaginale Totalexstirpation des
Uterus.
Zu dieser Operation bedarf
man nur der schon beschriebenen
Instrumente; es sind dies haupt-
sächlich Plattenspecula verscliie-
dener P'orm und Grösse, Seitenhe-
bel, MusEUx'sche Zangen, Scheere,
Messer und zur Umstechung und
Unterbindung der seitlichen Anhänge die ÜESCHAMPs'sche Stielnadel nebst
stumpfem Häkchen, ferner — je nach der Operations-Methode — auch die
PEAN-DoYEN'sche Klemme.
Fig 82.
Laminaria-Stift ; a vor,
& nach dem Quellen.
Fig. 83.
Tupelo- Stift, a vor,
h nach dem Quellen.
Laparotomie (Koüiotomie).
Zur Diagnose, Behandlung und Entfernung der Uterus- Anhänge
der Geschwülste des Uterus und seiner Nachbarorgane ist eine grosse
von Instrumenten erfunden worden ; aber viele
von ihnen entsprechen den Forderungen der
Asepsis nicht mehr: sie sind gezählt, gewo-
gen und — zu zahlreich und umständlich
befunden worden. Alle die geistreichen Stiel-
klammern sind vom Operationstische der mei-
sten Gynäkologen verschwunden und in die
historische Abtheilung des Instrumenten-
schrankes gewandert.
Andere Geräthe sind erheblich ver-
einfacht worden; der Einfluss der Asepsis
und der veränderten Anschauung über Luft-
und Contactinfection zeigt sich am deut-
lichsten an den Troicarts: Früher versah
man sie mit schön erdachten und umständ-
lichen Zuthaten, um das Eindringen von
Luft oder um ein Ausfiiessen von Cystenin-
halt in die Bauchhöhle zu vermeiden;
heute weiss man, dass die Luftinfection ganz
zurücktritt gegen die viel gefährlichere Con-
tactinfection und dass Ascites-Flüssigkeit oder
der gewöhnliche Inhalt einer Ovarialcyste
durchaus nicht infectiös ist. Man benützt
jetzt einfache Troicarts, welche nur aus
Rohr und Stachel bestehen (Fig. 84 und 85);
letzteren zieht man nach dem Einstechen
heraus und lässt die Flüssigkeit ausströmen.
Ovarialcystome sticht man bei Ovariotomi©
sowie
Anzahl
Fig. 84.
Einfacher Troicart.
424
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
einfach mit dem Messer an und fasst die Cysten- Wand an der so gemachten
Oeffnung mit einer Cystenzange, welche zum sicheren Fassen mit Quer-
leisten oder — wie Nelaton's Cystenzange (Fig. 8G) — mit Zähnen ver-
sehen ist.
Wenn zur Sectio Caesarea oder Myom-Operation von der Bauchhöhle aus
ein Gummischlauch um den Uterus gelegt wird, so klemmt man ihn zunächst
Fig. 87.
Schlauchklerarae nach
Keaar-Kaltenbacli.
Fig 85.
Troicart nach Douglas.
Fig. 86.
Cystenzange nach Nölaton.
mit der Schlauchklemme von Hegar (Fig. 87) zusammen; später kann
man ihn an den Uterusstumpf annähen oder sammt kleinen Bleiklammern
versenken. Statt eines Gummischlauches bedienen sich übrigens manche
Operateure einer soliden Gummischnur.
Die Drainage der Peritoneal-Höhle und eiternder Wundhöhlen
(wie eröffneter parametraler Abscesse u. s. w.) kann sowohl nach der Scheide
zu, als nach oben hin erfolgen. Man beschränkt die Drainage jedoch auf solche
Fälle, wo wirklich eine Infection vorhanden oder wo eine solche mit Wahr-
scheinlichkeit zu befürchten ist.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
425
riß. 88.
Drainkreuz,
z. Einführung
mit einer
Zange gefasst
(nach Pozzij.
Verwendung finden dazu Drains aus Gumrnisclilaucli, in welchen man
Fenster einschneiden und die man zum besseren Festhalten in der Wundhöhle
mit einem kreuzförmig angenähten oder an-
gebundenen Schlauchstücke (Fig. 88) versehen
kann; ferner benützt man — und zwar be-
sonders zur Drainage der Bauchhöhle nach
oben — durchlöcherte Glasdrains (Fig. 89
und 90), welche mit Jodoformgaze („Gaze-
Docht") ausgefüllt werden; endlich kann
man die Bauchhöhle wie eine andere Wund-
höhle mit Jodoform-Gaze ausstopfen, die
man nach oben oder unten herausleitet; zur
leichteren Entfernung empfahl Mikulicz fol-
gendes Verfahren: man bildet einen tabaksbeu-
telähnlichen Gazesack, an dessen Grund man
lange Seidenfäden befestigt; der Gazesack
wird zunächst in die Höhle eingelegt und
dann mit Streifen von Jodoformgaze aus-
gefüllt; deren Enden und die Enden des
Seidenfadens hängen aus der Wunde heraus;
die Gazestreifen entfernt man nach 2 — 3
Tagen und den Gaze-Sack mit Hilfe des
Fadens nicht vor dem 5. Tage.
Bei Anwendung der Glasdrains mit Gazedocht ist es oft schwer, sich des
Gedankens zu erwehren, dass es den Peritonitis-Erregern ziemlich gleichgiltig
ist, ob das Glasröhrchen mit Gaze in einem Wundwinkel steckt oder nicht.
Pessare.
Will man eine übersichtliche Eintheilung für die Pessare schaffen,
kann man sie nach Zweck, Form und Material unterscheiden.
Ihr Zweck ist ent-
weder, ein Organ zu
stützen: Stütz-
P e s s ar e für den Ute-
rus bei Metritis, für
die Ovarien bei Oopho-
ritis, für Uterus und
Scheide bei Prolaps ;
oder sie haben die Auf-
gabe, ein Organ zu
heben: Hebe-Pes-
sar bei Neigung des
Uterus, nach rückwärts
umzufallen. Diese Auf-
gabe fällt theilweise
mit der eines Stütz-
pessars zusammen ;
falsch ist es aber, sie
als Hebel - Pessare zu
bezeichnen, denn sie
hebeln nicht, heben aber wohl, nämlich die Portio nach hinten und oben;
natürlich muss vor der Einlegung des Pessars der Uterus manuell in die
gewünschte Lage gebracht worden sein ; diese Leistung darf man nicht von den
Pessaren erwarten; oder man benützt sie, um den oberen Theil der Scheide
und damit die Portio nach unten abzuschliessen: Occlusiv-Pessar.
so
Fig. 91.
Weichgummi-Eing nach
C. Mayer.
Pig. 92.
Hartgummi-Bing nach
Hodge oder Prochownik.
Pig. üi.
Wiegen-Pessar nach
B. S. Schultze.
oder S-Pessar.
426
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
Je nach dem Zweck gibt man ihnen verschiedene Formen ; die Stütz-
Pessare können die Form von Ringen haben — MAYER'scher Ring, Fig. 91,
— oder von Ovalen, oder von durchbohrten Scheiben mit Bügel zum leich-
teren Herausnehmen — Löhlein's Prolaps-Pessar, Fig. 98, — oder die
Gestalt von aufklappbaren Schmetterlingsflügeln mit Stiel — Zwanck's
Prolaps-Pessar, — oder Becherform mit Stiel, der an einem Gürtel-
Apparat befestigt ist. — verschiedene Hysterophore gegen Prolaps, oder
endlich Cylinder- oder Kugelform nach Beeisky ; Hysterophore und Kugel-
pessare erfreuen sich wohl nur noch ausnahmsweise der Verwendung.
Die Hebe-Pessare können oval sein, oder S-förmig — Hebe-Pessar,
Fig. 93, — oder schlittenförmig mit aufgebogenem vorderen Theil, der sich
gegen die Symphyse stützt und durch eine Einbiegung der Urethra Raum
lässt — Schlitten-Pessar, Fig. 96, — oder wiegenförmig — Wiegen-
Pessar, Fig. 94, — oder achterförmig, — Achter-Pessar, Fig. 95, —
wobei dann die Portio in der hinteren Oeffnung des Achters festgehalten
werden soll. Die verschiedenen Formen der Hebe-Pessare verdanken wir
B. S. ScHULTZE. Ein sehr gutes Pessar zur Festhaltung des aus Retroflexion
künstlich in Anteflexion gebrachten Uterus ist das Bügel-Pessar von Thomas,
Fig. 97 a, h, dessen dicker Bügel in das hintere Scheidengewölbe kommt ;
durch die starke Biegung hält es sich viel zuverlässiger in der Scheide, als
weniger stark gebogene Pessare. Die stäbchenförmigen Intrauterin-
pessare sind wegen der Infectionsgefahr jetzt wohl allgemein verlassen.
Die Occlusiv-
Pessare (Fig. 99)
sind von Mensinga
zur Verhütung der
Schwängerung ange-
geben worden. Es
werden von ihnen
zwei Arten herge-
stellt : solche mit
Uhrfeder und solche
mit luftgefülltem
Gummi - Ringe zur
Sicherung der run-
den, bezw. halbku-
geligen Form. Man
mag über ihren
Nutzen oder Scha-
den welcher Ansicht
auch immer sein,
so wird man sicli
doch nicht verhehlen
dürfen, dass sie eine höchst bedauerlich verbreitete Anwendung finden und
dass es falsch wäre, sie in Fachkreisen absichtlich übersehen zu wollen.
Die meisten Pessare können aus verschiedenem Materiale hergestellt wer-
den. Am häufigsten verfertigt man sie aus Weich- oder Hartgummi (Kautschuk),
aus Kupferdraht oder Uhrfederstahl mit Gummiüberzug und aus Celluloid.
Die Hartgummi-Pessare sind von Hodge eingeführt worden ; die hohlen
Hartgummi-Rmge stammen anscheinend von Prochownik; die Ringe aus
Kupfer mit Gummi-Ueberzug werden theils B. S. Schültze, theils Schröder
zugeschrieben. Es scheint aber, dass in diesen Bezeichnungen eine gewisse
Verwirrung eingetreten ist.
Die Weichgummi-Ringe kommen als schwarze oder als graue (vulkani-
sirte) Kautschukringe in den Handel ; beide können die Scheidenhaut che-
Fig. 95.
Achter-Pessar n.
B. S. Schnitze.
Fig. 96.
Schlitten-Pessar
n. B. S. Schultze.
Fig. 97a. Fig. 97 6.
Pessar nach Thomas.
Fig. 98.
Prolaps-Pessar nach Löhlein.
Fig. 99.
Occlusiv-Pessar nach Mensinga.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOJ.OGIE.
427
misch stark reizen, die grauen Ringe meist mehr als die sdiwarzen. Ist die?
der Fall, so müssen sie natürlich mit besseren vertauscht werden; es ist
wichtig, die Einge deshalb nur aus verlässlichen Fabriken zu beziehen und eine
Mehrausgabe nicht zu scheuen.
Hartgummi- und Celluloid-Pessare kann man nach kurzem Einlegen in
kochendes Wasser biegen und ihnen so jede gewünschte Form geben ; sie
behalten diese von selbst nach dem Erkalten, das man durch Eintauchen in
kaltes Wasser beschleunigen kann.
In der Grösse steigen die Pessare von 0'5 zu 0-h cm lichter Weite,
welche in Centimetern auf dem Ring unverwischbar angegeben sein soll ;
leider ist diese Bezeichnung nicht stets genau, so dass zwei Pessare Nr. 7
aus verschiedenen Fabriken oft auch verschieden gross sind. Noch schlimmer
ist die Sitte, ihre Grösse gar nicht darauf zu vermerken. Bei allen Pessaren,
wie z. B. jenen von Thomas, ist die Grössenbezeichnung ebenfalls sehr
schwankend ; am besten wäre es, sie mit jener Zahl zu bezeichnen, welche
sie in Centimetern lichter Weite haben, sobald man sie zum Ringe biegt —
dann wäre die Grössenbezeichnung aller Pessare einheitlich gestaltet.
Untersuclmngsstühle, Operationstische und Beinhalter.
Wie früher jeder berühmte Geburtshelfer ein eigenes Zangen-Modell
haben wollte, so verfügen jetzt die meisten Operateure über einen von ihnen
erfundenen Untersuchungs-Stuhl oder Operationstisch. Viele dieser Geräthe
sind nur in Einzelheiten von einander verschieden.
Fig. 100. Untcrsuchiings- und Operationsstubl nach Veit und Schröder.
Es können drei Grundformen der Untersuchungsbetten und Stühle unter-
schieden werden : Der niedere Langstuhl (Chaise longue), der hohe Unter-
suchungsstuhl für Seitenlage nach Sims und der hohe Untersuchungsstuhl für
Steissrückenlage. In Deutschland wird die Kranke vorwiegend in Rückenlage
untersucht; dazu kann man sich sowohl des niederen Langstuhls, als hoher
Stühle mit Beinhaltern bedienen. Ohne Zweifel sind die letzteren für den
Arzt bequemer ; aber man kann leicht bemerken, dass sich die meisten Kranken
428
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
anfangs nur mit einer gewissen Scheu und zögernd liinaufsetzen : sie ahnen
oder wissen, dass ihr Unterleib dort oben viel ausgedehnter entblösst wird,
als etwa auf dem Langstuhl, und sie haben gegenüber den Beinhaltern,
Schrauben und Klammern die unheimliche Empfindung wie vor einem Marter-
Instrument; manche Frauen sagen das auch ganz aufrichtig. Soweit es die
Genauigkeit der Untersuchung und die therapeutischen Eingriffe gestatten,
soll man deshalb die Kranken lieber auf dem Langstuhl lagern ; man kann
bei einiger Uebung darauf ebenso genau untersuchen und ebenso gut manche
kleine Eingrilfe vornehmen, wie auf dem hohen Untersuchungsstuhle. In der
Narkose und zu vielen Eingriffen ist allerdings der hohe Stuhl mit Bein-
haltern nicht zu entbehren.
Sehr verbreitet ist der Untersuchungsstuhl von Veit und Schröder
(Fig. 100), der sich auch zu allen Operationen von unten vorzüglich eignet;
er ist mit Knie- und Fussstützen versehen. Eine einfachere Form eines
solchen Stuhles habe ich mir in theilweiser Benützung eines Vorbildes, das
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Fig. 101. Einfacher üntersuchungsstuhl.
ich in A. Martin's Poliklinik sah, machen lassen (Fig. 101). Dieser Stuhl
sieht harmloser aus, als jener von Veit; er besteht aus einem Tisch von 1 m
Höhe, 60 cm Breite und 116 cm Länge, ist gepolstert und mit Ledertuch
überzogen; der Sitztheil ist 40 cm, der verstellbare Rückentheil 75 cm lang.
Zum Aufstellen der Füsse dienen die Fussbretter FF, welche schief nach
aussen und oben laufen und sowohl vor- oder zurückgeschoben, als auch ganz
entfernt werden können. Unter dem Sitz ist ein herausziehbares Brett
B angebracht, welches nach dem Niederlassen des Rückentheils einen langen
horizontalen Tisch herzustellen erlaubt; zur äusseren Untersuchung von Ab-
dominaltumoren u. s. w. kann dies recht wünschenswerth sein. Um den
Stuhl endlich auch zu Operationen an narkotisirten Kranken verwenden zu
können, sind an den vorderen Beinen seitlich je 2 starke Oesen angebracht;
in diese passt je eine Eisenstange, welche Knie- und Fussstützen trägt; für
gewöhnliche Benutzung sind diese aber nicht daran befestigt, um dem Stuhl
ein weniger abschreckendes Aeussere zu geben.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
429
Fig. 102. Laparotomie-Tisch. nach Hofmeier.
Als Laparotomie-Tisch verwendet Hofmeier einen solchen aus
Gasrohr mit Einailanstrich und mit grosser Platte aus Weicligunimi (Fig. 102);
in der Mitte hat diese Platte einen Ausschnitt, durch welclien Spülflüssigkeit,
Cysteninhalt u. s. w. abflicssen können. Der Kopftheil ist verstellbar und.
kann zu Teendelenburg 'scher llochlagerung benützt werden, indem man die
Kranke so mit den Beinen darauf legt, dass die Kniekehlen der hohen Ktinte
des Kopftheils anliegen; letztere wird dazu mit Tüchern unterpolstert und die
Unterschenkel mit Handtüchern lose befestigt.
Martin benützt einen von Frau Hörn angegebenen Laparotomie-Tisch
(Fig. 103), welcher so nieder ist, dass der Operateur am Fussende zwischen
den Beinen der
Kranken sitzt. Der
Mitteltheil des
Tisches kann her-
untergeklappt wer-
den, um die An-
legung des Bauch-
verbandes zu er-
leichtern.
Der leitende
Gedanke bei der
Construction des
Laparotomietisches
von Fritsch (Fig.
104 a) war der, „den
ganzen antisepti-
schen, bezw. asep-
tischen Apparat bei
der Operation am
Tisch zu concentriren. Er
ist mit Abflussvorrichtung
am Fuss- und Kopfende ver-
sehen, so dass die Spülflüs-
sigkeit, das Blut und der
Cysteninhalt schnell ver-
schwinden. Als Unterlage
für die Patientin dienen
massive Gummiplatten. Die
nach oben convexe Tafel
(welche zur Beckenhochlage-
rung dient) ist aus Blech
hergestellt (Fig. 104 5). Das
Mittelstück wird einfach
hervorgezogen und wegge-
nommen, wenn der Verband
gemacht werden soll. Am unteren Bande des Tisches befinden sich die
Oesen für die Beinhalter, so dass auch die Operationen in Steissrückenlage
auf diesem Tische gemacht werden."
Mit Hilfe von Beinhaltern hässt sich jeder einfache Tisch zur Vor-
nahme einzelner Operationen geeignet machen; solche ßeinhalter sind von
zahlreichen Operateuren angegeben worden. Von Fritsch stammen 2 Modelle,
ein älteres (Fig. 105) und ein neueres (Fig. 106); beide sind am Tisch anzu-
schrauben. Eine andere, ebenfalls verbreitete Form rührt von Schauta her
(Fig. 107). Ihle hat in neuerer Zeit eine Zusammenstellung erfunden, in
welcher sie bequem in einer eigenen Tasche mitgenommen werden können.
Fig. 103. Laparotomie-Tisch nach Frau Hörn (A. Martins Klinik;.
430
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
Mg. 105. Beinhalter
nach Fritsch, älteres Modell
Fig. 105 a. Nach v. Ott.
Fig. 105 h. Nach Greder.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
431
Fig. 107. Beinlialter nrxh Sohaiita-
Leibbinden.
, Einen wunden Punkt in der
Frage der gynäkologischen Ge-
räthe bilden die Leibbinden. D i e
besteLeibbinde harrt noch
immer des Erfinders.
Sehr verbreitet sind die Leib-
binden von Teuffel (Fig. 108);
sie bestehen aus Drell mit Gum-
mistoff-EinScätzen und sind durch
mehrere Bänder in verschiedener
Weite verstellbar. Damit sie
nicht hinaufgleiten, müssen ein
oder zwei Schenkelriemen, am
besten aus Gummischlauch, ab-
knöpfbar daran befestigt werden.
Die Leibbinden nach Beely
(Fig. 109) sind in weiteren Gren-
Fig, 108. Leibbinde von Teuffel. (Nach Hofmeier).
Fig. 109. Leibbinde von Beely (nach Hofmeier.)
zen veränderlich und passen sich
so dem Körper besser an, da
sie auf der Seite blos verstell-
bare Riemen und nur eine vor-
dere und hintere Platte haben.
Ihnen ähnlich, das heisst als
Gitterbinden, jedoch mit mehr
verticaler Anordnung gebaut, sind
die Leibbinden von Barden-
heuer und Klaes (Fig. 110).
Fig. 110. Leibbinde auch BardenJieuer und Klaes.
432
mSTRUMENTARroM ZUR GYNÄKOLOGIE.
Andere Binden beruhen auf dem Gedanken, sie in der Form männlicher
Schwimmhosen herzustellen u. s. w.
Subjectiv angenehmer wird das Tragen von Binden oft, wenn man sie
nicht auf dem blossen Leibe, sondern über dem Hemd anlegen lässt.
Spülkaimeii, Miitterrolire.
Geradezu unentbehrliche Geräthe sind heutzutage die Spülkannen (Irri-
gatoren) ge^Yorden, die sich aus dem HEGAR'schen Trichter entwickelt
haben. Für den häuslichen Gebrauch empfehlen sich solche aus emaillirtem
Blech (Fig. 111); in der ärztlichen Praxis werden Irrigatoren aus Glas, mit
oder ohne Blechgestell (Fig. 112, 113) oft vorgezogen; sie sind leicht rein-
zuhalten und bedürfen keines Wasserstandsrohres. Das Ablaufrohr soll bei den
Spülkannen, welche den Frauen selbst in die Hand gegeben werden, nicht
Kg. 111. Irrigator aus
emaillirtem Blech,
Pig. 112. Irrigator aus
Glas mit Blechgestell.
Fig. 113. Irrigator
aus Glas.
ü'ig. 114. Mutterrolire mit einer
Oeffnung.
rig. 115. Mutterrohr mit mehreren
Oeffnungen.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
433
in sondern über dem Boden des Gefasses angebracht sein, damit Schmutz,
ungelöste Tropfen concentrirter Carbolsäure etc. nicht so leicht mit abfiiessen.
Die Klysopompes kommen mit liecht immer mehr ausser Gebrauch;
dagegen kann man statt der Spülkanne die wenig Kaum beanspruchenden
Heber-Irrigatoren (Fig. 116) verwenden; die Flüssigkeit muss bei ihnen
jedesmal mit Hilfe des Gummi-Ballons angesaugt werden. In den letzten
Jahren sind mehrere Methoden zur Improvisation von Irrigatoren aus Flaschen
u. s. w. beschrieben worden, so von Braatz u. A.
Scheiden- oder Mutterrohre sol- ,
len behufs leichter Reinigung nicht aus Hörn
oder Hartgummi, sondern aus Glas beste-
hen. Für den Gebrauch durch die Kranken
selbst verordnet man, wie Pozzi hervorhebt,
Scheidenrohre mit mehreren Oeffnungen,
damit der Flüssigkeitsstrahl nicht zu kräftig
ist und nicht Schaden bringen kann; soll
aber die Scheide vor Operationen durch den
Arzt mit Hilfe der Finger und eines strö-
menden Desinficiens gereinigt werden, so
sind Scheidenrohre mit nur einer Oeffnung
wegen des starken Stromes wirksamer. Macht
die Kranke selbst ihre Scheidenspülun-
gen, so ist es räthlich, dass sie dies auf
einer Leibschüssel liegend im Bett thue;
die Ausspülungen im Sitzen (über einem
Bidet) oder Kauern (über dem Nachtgeschirr)
sind weniger wirksam, da die Flüssigkeit so-
fort durch den gesteigerten Abdominaldruck
ausgetrieben wird, statt langsam durch die
Scheide zu laufen; ausserdem können Aus-
spülungen im Sitzen oder Kauern auch
Schmerzen, Uebelkeit, ja Schwindel hervor-
rufen.
Um Glasrohre zu reinigen, kocht man sie aus, muss sie aber natürlich
in kaltem Wasser auf's Feuer setzen; beschlagen sie sich dabei mit Kalk,
so spült man sie mit verdünntem Essig aus.
Instrumente zur Gynäko-EIektrotherapie.*)
Durch Apostoli wurden in die Elektrotherapie bei Frauenleiden Ströme
von grosser Stärke eingeführt. Dadurch ist die Benützung grösserer Apparate
nothwendig geworden, und Versuche haben gezeigt, dass sich diese nur schwer
als transportable Batterien herstellen lassen; man ist also vorwiegend auf
stationäre Apparate angewiesen. Wer die Möglichkeit hat, sich an bestehende
Leitungen anzuschliessen, wird der Batterien entrathen können. Eine di'itte
Elektricitäts- Quelle ist endlich durch Benützung der Accumulatoren gegeben.
Wer in der Nähe seines Hauses elektrische Licht- oder Kraftleitungen hat,
wird sich an diese anschliessen können; wenn in seinem Wohnort dagegen elek-
trische Centralen bestehen, ist die Möglichkeit gegeben, zum täglichen Gebrauche
Accumulatoren laden zu lassen; fehlt beides, so sind Batterien erforderlich.
Als solche erfreuen sich gegenwärtig die Leclanche-Elemente der
meisten Verwendung. Sie bestehen aus Kohle und Zink, w^elche in concen-
trirter Salmiaklösung eintauchen. Reiniger, Gebbert und Schall in Erlangen
Fig. 116. Heber-Irrigator nach Zweifel-
*) Vergl. den Aufsatz „Gynäko-Elehtrotherapie^ auf Seite 321 ff. dieses Bandes und
den Artikel „ElektromediciniscJie Apparate ', p, 507 der „Internen Medicin'', Bd. I.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. ^o
434
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
benutzen einen aus Braunstein und Kohle gepressten Cylinder, dem ein Zink-
stab in der Salmiaklösung gegenüberstellt.
Hirschmann in Berlin umgibt den Zinkstab mit einem Kohlencylinder
und trennt beide durch eine Thonisolirung.
Die stationären Apparate werden meist in Pult- oder Tischform aus-
geführt und zum Schutze gegen Staub- und andere Schädlichkeiten mit ver-
schliessbarem Deckel versehen. Die Tischplatte, auf welcher Galvanometer,
Ein- und Umschalter u. s. w. angebracht sind, kann horizontal (Fig. 118)
oder schief gestellt sein (Fig. 117'^).
Zur Einschaltung der Ele-
mente bedient man sich heute fast
ausschliesslich geeigneter Kurbel- Vor-
richtungen, während die Stöpselein-
schaltungen fast ganz aufgegeben
worden sind.
Reiniger, Gebbert und Schall
haben einen Doppel - Collector
(Fig. 119) eingeführt, der es ermöglicht,
unter Benützung von 2 Kurbeln eine
Fip. 117. Stationärer Apparat. (K., G. u. S.)
Kg. 118. Stationärer Apparat. (H.,
*) Die Abbildungen der elektrotherapeutischen Apparate sind den Katalogen der be-
kannten Fabriken von Rf.ijjiger, Gebbert und Schall (R., G. u. S.) in Erlangen und
von W. A. HiRsciiMANN (H.) in Berlin entnommen; diese Kataloge enthalten auch sehr
übersichtliche Anweisungen zur Zusammenstellung und zum Gebrauche solcher Apparate.
INSTRUMENTARIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
435
beliebige Anzahl der hinter einander eingeschalteten Elemente, von
einer Nummer angefangen, in den Stromkreis zu bringen. Bind z.
ersten Elemente stark in Anspruch
genommen worden, so kann man, mit
dem 10., 15. oder einem anderen
Elemente beginnend, die folgenden
nach und nach einschalten. Ebenso
kann jedes einzelne Element für sich
eingeschaltet und mit Hilfe des Gal-
vanometers geprüft werden. Auf
diese Weise lässt es sich auch leicht
herausfinden, y<o gelegentlich der
Schaden steckt, an welchem Element
der Draht aus der Schraube geglit-
ten ist und ähnliches. Die Anord-
des Doppel - Collectors zeigt
nung
Figur 120.
Zum
ruckweisen
Strom sind
irgend
B. die
Fig.
allmäligen, also nicht
Einschleichen in den
Rh eostaten erforder-
lich; sie stellen in der Hauptsache
starke eingeschaltete Widerstände
vor und man verwendet als solche
entweder Flüssigkeiten oder Metalle
(z. B. Nickelindraht) oder Graphit.
Metall-Ptheostaten werden gegenwär-
tig wohl am meisten benützt. Wer
elektrische Lichtleitungen für medi-
cinische Zwecke verwenden will, muss
die hochgespannten Ströme durch
Rheostaten herabdrücken. Gewöhn-
lich werden sie mit Kurbeleinschal-
tung (Fig. 121) hergestellt. Bei Ver-
wendung von Rheostaten sind nicht
stets grosse Elementenzähler (Collec-
toren mit einfacher oder doppelter
Kurbel) erforderlich, welche die Ele-
mente einzeln nach einander einschal-
ten; man kann statt ihrer auch
kleine Elementenzähler nehmen,
welche die Elemente zu 5, 10, 20
ü. s. w. einschalten.
Die Benützung eines Galvano-
meter s ist unerlässlich (vergl. „ Gt/näko -Elektrothe-
rapie", Seite 322). Die graduirte Platte kann verti-
cal oder horizontal angebracht sein; bei der hori-
zontalen Anordnung wird das Ablesen durch einen
Spiegel erleichtert (Spiegel-Galvanometer).
Ist die Kranke in den Strom eingeschlossen, so hat
man bei allmäliger Verstärkung des Stromes ab-
wechselnd das Gesicht der Kranken und die Nadel
des Galvanometers zu beobachten.
Ein Stromwechsler dient dazu, aen con-
stanten, den primären oder den secundären In-
ductions- Strom oder den gemischten galvano-
119. DoppelooUector von Eeiniger, Gebbert und
Schall.
Fi<T. 120. Anordnung des Doppel-CoUectors.
436
INSTRÜMENTAKIUM ZUR GYNÄKOLOGIE.
faradisclien Strom einzusclialten. Ein Stromwender gestattetes, die Strom-
riclitung zu wechseln; nie darf dies geschehen, wenn die Kranke in einen
stärkeren Strom eingeschlossen ist, stets muss vorher die Galvanometer-Nadel'
in Ruhestellung, d. h. die Kurbel des Elementenzählers (Collectors)
oder des Rheostaten auf den Nullpunkt gebracht sein.
Die grosse inactive Elektrode kommt auf den Unterleib;
über ihre Beschaffenheit und Anwendung wurde auf Seite 322 das
erforderliche schon besprochen.
Als a c t i V e Elektroden sind zur intrauterinen Behandlung
Sonden, zur Function der Myome Troicarts erforderlich. Beide
werden durch Handgriffe einerseits mit den Leitungsschnüren ver-
bunden, andererseits gegen die Hand des Arztes isolirt. Im All-
gemeinen bestehen die Handgriffe aus Holz mit durchbohrtem
Metallansatz und Schrauben zur Befestigung der Leitungsdrähte.
(Fig. 122.)
^^^_ Die Sonden können aus Aluminium oder Platin bestehen.
di^TcüveVirk- Platinsonden sind th eurer als Aluminiumsonden, letztere werden
*^°^^' aber durch Säureentwicklung am positiven Pol angegriffen und-
rauh. Man kann auch Kupfersonden benützen, die mit einer Platinlage
überzogen sind. Der in der Scheide liegende Sondentheil muss mit einer
Isolir -Röhre aus Hartgummi oder Celluloid. (Fig. 124) versehen sein.
Apostoli hat ausserdem Koh-
lensonden eingeführt, deren Pol-
aus einem Kohlencylinder von
verschiedener Dicke (Fig. 125)
besteht; der isolirende Hart-
gummistab ist mit Kerben von
2" 5 cm Abstand versehen.
Soll die active Elektrode
in der Vagina liegen, so kann
man dazu Kugel-Elektro-
den benützen (Fig. 123). .
Myome kann man unmit-
telbar mit Hilfe von stilet-
förmigen Elektroden in
den Strom einschliessen: Gal-
vanopunctur. Deren Spitze
wird entweder aus Stahl oder
besser aus Platiniridium an-
gefertigt (Fig. 126, 127).
Es ist wünschenswerth,
neben dem constanten Strom
auch den unterbrochenen an-
ii
rig. 124.
Sonde mit Griff
und Isolii-Kohr.
Fig. 126.
Troicart-Elek-
trode.
Fig. 127. Troicart-Elektroden
mit Spitzen von verschiedener
Dicke.
INTERNE KRANKHEITEN WÄHREND DER GRAVIDITÄT. 437
wenden zu können; man bedarf dazu eines Inductions-Apparates, der
leicht am Haupt-Apparat anzubringen ist.
Als elektrische Maasseinheiten dienen folgende: Die elektromotorische Kraft
eines Daniell - Elementes (Zink in verdünnter Schwefelsäure, Kupfer in gesättigter
Kupfervitriollösung) dient als Einheit für die elektromotorische Kraft oder Span-
nung und wird 1 Volt genannt.
Als Einheit des Widerstandes wird der Widerstand emer Quecksilber-saule von
Imm^ Querschnitt mit 106m Länge bei 0" Geis, angesehen und als 1 Ohm bezeichnet.
Als Einheit der Stromstärke gilt jener Strom, welcher von emer Stromquelle mit
1 Volt Spannung bei einem Widerstände von 1 Ohm erzeugt wird ; man nennt diese Strom-
stärke 1 Ampere. Nach Dr. Watterville hat man den Ampere zu feineren Messungen
in Tausendstel getheilt: Mi 111 -Ampere.
,. „, ,., Elektromotonsche Kraft /- E\
Nach Ohm's Gesetz ist dann die Stromstarke = Widerstand? V wj'
GUSTAV KLEIN.
Interne Krankheiten während der Gravidität. Erkrankungen inne-
rer Organe können zu allen Zeiten der Gravidität den weiblichen Organismus
befallen und bilden als selbständige, pathologische Symptomencomplexe eine
mehr oder minder bedeutende Complication des Schwangerschaft.szustandes.
Die Ansicht, dass Gravide zu gewissen Erkrankungen, wie dies beispielsweise
von der Pneumonie behauptet wurde, besonders prädisponirt seien, erscheint
nicht vollkommen beglaubigt. Doch muss man andererseits zugeben, dass
gewisse mehr functionelle Störungen, wie beispielsweise die Magen- und
Darmatonie in jenen theils allgemeinen, theils localen Veränderungen, welche
die Gravidität mit sich bringt, ihren ursächlichen Boden finden. Bei der Er-
wägung dieser Verhältnisse muss man der Thatsache eingedenk sein, dass
die weiblichen Geschlechtsorgane und ihre functionellen
Leistungen einen unleugbaren Einfluss auf den vitalen Zustand
der übrigen Organe und auf deren Functionen besitzen. Dazu
muss bemerkt werden, dass die lieüexbeziehungen zwischen Erkrankungen der
weiblichen Geschlechtsorgane ausserhalb der Gravidität zu den übrigen Organ-
functionen bisher nur wenig studirt und bekannt sind.
Ein Versuch dieses Gebiet zu betreten, haben Theilhaber tmd in neuester Zeit
Frank gemacht, indem sie genauere Studien über die Wechselbeziehungen zwischen Ge-
nitalaffectionen und Magendarmerkrankungen anstellten. — Kupferberg hat es unter-
nommen in einer ausführlichen Arbeit „den Zusammenhang von Allgemeinerkrankungen
mit solchen der Genitalsphäre" darzustellen. — Die von Alters behauptete Abhängigkeit
der Hysterie von Genitalaffectionen hat auch dazu geführt gewisse Neurosen auf
ihren Zusammenhang mit Erkrankungen der Sexualorgane zu prüfen. Schon Asax hat darauf
aufmerksam gemacht, dass sogenannter Tussis uterina von Graviditätseintritt und -verlauf
abhängig sei. Dasselbe Thema hat neuerer Zeit Profaimter bearbeitet, indem er Reflex-
neurosen von Seiten des Respirationstractus als abhängig von chronischer Entzündung
der Beckenorgane beschrieb.
Der eben berührte Connex des hysterischen Symptomenbildes mit Erkrankungen
der Sexualorgane (Reflextheorie der Hysterie) wird gegenwärtig von den Neuropathologen
nur bedingungsweise anerkannt. Möbius hat an einer Stelle, wo ihn die Gynäkologen
ganz deutlich vernehmen können (Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie, Heft I,
1895) nachdrücklich betont, dass die Hysterie immer eine endogene Krankheit
sei und die als Ursachen der Hysterie angeführten Umstände nur ,.agents provocateurs" seien.
So geben auch die Krankheiten der weiblichen Geschlechtstheile nur Ge-
legenheitsursachen ab. „Viel mehr als beim Manne," schreibt Möbius, , steht beim
Weibe das Geschlechtsleben im Mittelpunkte des Lebens überhaupt. Jede Erkrankung der
Geschlechtsorgane stört daher das seelische Leben des Weibes in hohem Grade. Dazu
kommt die von Verwandten und Freunden, besonders auch von den Aerzten ausgeübte
Suggestion und schliesslich macht die körperliche Erkrankung nicht direct, sondern mittels
der Angst und Sorge das beanlagte Weib hysterisch."
Häufig kommt es vor, dass der Graviditätszustand die Veranlassung zum
Ausbruche einer hereditären Disposition gibt. Es ist dies mit Sicher-
heit festgestellt, für die Hysterie, die Chorea, die Hämophilie, die Tuberkulose
und gewisse Erkrankungen der Psyche, wie dies an einem anderen Ort noch
ausführlicher erörtert wird. Unzweifelhaft ist ferner der pathogenetische Zu-
438 INTERNE KRANKHEITEN VÄHREND DER GRAVIDITÄT.
sammenliang zwischen Erkrank un gen der Nieren und der Gravi-
dität. Es ist ferner leicht begreiflich, dass alle jene krankhaften Zustände,
deren Entstehung durch Stauungsvorgänge begünstigt wird, durch die
Gravidität leicht zu Erscheinung kommen. Freilich spielen hiebei in weiterer
Hinsicht auch locale Druckverhältnisse, wie dies für die Varices der Blase,
die Hämorrhoiden des Mastdarmes, die Venenerweiterungen an den unteren
Extremitäten und die präteriirende Albuminurie der Fall ist, eine Kolle.
Andererseits geben oft äussere Reize (Erkältung, Infection) den unmittelbaren
Anlass zu dem Auftreten von katarrhalischen Zuständen der Nasen-, Rachen-,
Kehlkopf- und Bronchialschleimhaut.
Die Neigung zu Stauungen der Circulation im Verein mit der durch
die Gravidität an und für sich bedingten Arbeits erhöhung des Herzmuskels
(Verbreiterung der Herzdämpfung, Accentuation des zweiten Aortentones in
graviditate) influencirt meist im ungünstigen Sinne bereits früher vorhandene
oder erst während der Schwangerschaft aufgetretene Lungen- und Her z-
affectionen. Von den übrigen Organerkrankungen werden anatomisch
begründete Krankheiten des Nervensystems (Gehirntumoren, Tabes
Myelitis etc.) durch die Schwangerschaft gar nicht beeinflusst. Dasselbe gilt
auch für die schweren Stoffwechselanomalien (Diabetes, Leukämie etc.).
Dagegen erhalten Anämien, sowie allgemeine Schwächezustände durch das
Eintreten von Gravidität eine ungünstigere Prognose. Dass schon bestehende
Magen- und Darmaffectionen durch die Schwangerschaft schlechter
werden, ist nach dem über den Connex der Functionen der Eingeweide mit
dem der Genitalorgane Bekannten wohl leicht erklärlich. Ob Gravide beim
Eintritt eines Infectes schwerer gefährdet sind, als nicht gravide
Frauen, ist im Allgemeinen eine offene Frage, Unbedingt anzuerkennen aber
wäre der ungünstige Einfluss der Schwangerschaft auf den Verlauf der Tuber-
kulose.
Was nun anderseits den Einfluss interner Krankheiten auf
den Verlauf der Gravidität, der Geburt und des Wochenbettes
betrifft, so kann man behaupten, dass jede Erkrankung eine Complication
dieser Zustände bildet. Hiebei sei nur im Allgemeinen bemerkt, dass ana-
tomisch begründete Erkrankungen des Nervensystems (mit Ausnahme umfang-
reicher Hirnblutungen), Magen- und Darmaifectionen (mit Ausnahme der Hypere-
mesis gravidarum) und Stoffwechselkrankheiten den normalen Ablauf der Gra-
vidität gar nicht zu stören pflegen, Lungen- und Herzaffectionen nur bei Ein-
tritt schwerer Compensationsstörungen zur frühzeitigen Unterbrechung der
Gravidität führen, während endlich acute Infecte (Exantheme, Dysenterie,
Cholera, Typhus etc.) und chronische Infectionen (Tuberkulose und Syphilis)
in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle intrauterinen Fruchttod, Abort,
Frühgeburt veranlassen.
Klautsch hat in einer ausgezeichneten Arbeit auf Grund des gesammten derzeit
vorliegenden Literaturmaterials den Einfluss acuter Infectionskrankheiten auf
die Schwangerschaft, eingehend besprochen. Klautsch stellt ein gewisses Schema auf,
das in seinen einzelnen Punkten die Erklärung für die verschiedenartige Einwirkung der
Infecte auf die Gravidität bietet. Wir wollen die einzelnen Momente an dieser Stelle kurz
resumiren.
I. Die Schwangerschaftsstörung, resp. -Unterbrechung findet statt in Folge intra-
uterinen Fruchttodes. Dieser tritt ein:
1. Durch Mangel an Sauerstoff,
a) im Blute der Mutter in Folge gestörter Herz- und Lungenfun ctionen,
b) im Blute des Fötus dadurch, dass die Communication zwischen mütterlichem
und fötalem Kreislauf beschränkt oder aufgehoben wird,
a) in Folge Erkrankungen der Placenta foetalis.
ß) in Folge von Entzündungen der üterusschleimhaut,
y) in Folge vorzeitiger Lösung der Placenta.
2. Durch Wärmestauung (dem Embryo ist nach Preyer die Regulation seiner
Eigenwärme unmöglich, es tritt daher der Tod des Fötus durch Wärmestauung bei hohen
Fiebertemperaturen der Mutter leicht ein).
INTERNE KRANKHEITEN WÄHREND DER GRAVIDITÄT. 4;:i9
3. Durch Uebergang der Infectionsträger auf das Kind. (Die Infection
des Fötus ist aber nur dann möglich, wenn eine Alteration der zclligen Elemente der
zwischen Mutter und Kind bestehenden Scheidewand eingetreten ist.)
IL Die Schwangerschafts-Unterbrechung erfolgt durch vorzeitig eintretende
Wehen. Dieselben werden wieder ausgelöst:
1. Durch den directen thermischen Reiz des Fieberblutes.
2. Durch qualitative und quantitave Veränderungen des mütterlichen Blutes
(Blutverluste, Anämie, C02-Ueberladung).
3. Durch Erkrankungen der Uterusschleimhaut (Endometritis haemor-
rhagica Slavjansky-Klautscii bei Cholera, Endometritis exanthematica Klotz, Endometritis
influenzae Gottsghalk-Müller, Metrite interne villeuse Slavjansky bei Typhu.s).
4 Durch Anregung des Wehencontractionscentrums von Seiten von Bacterien-
toxinen.
Nach dieser Uebersicht sind es also dieselben Momente, welche einerseits pri-
mären Fruchttod, anderseits vorzeitige Wehencontraction veranlassen. Die Erklärung hiefür
gibt Runge derart, dass für den Fall als diese pathologischen Ursachen rasch eine beträcht-
liche Höhe und Ausbreitung erreichen, der Fötus abstirbt und hiedurch Schwangerschafts-
unterbrechung eintritt, für den Fall aber als diese Veränderungen in ihrer Intensität eine
gewisse Grenze nicht überschreiten, die Frucht am Leben bleibt, die Reizbarkeit
des Uterus jedoch derart erregt wird, dass es zur frühzeitigen Wehenthätigkeit und so zur
Ausstossung der Frucht kommt.
Es seien mm im Nachfolgenden die einzelnen Krankheiten im Speciellen
abgehandelt, wobei die im Allgemeinen relativ spärlichen Literatur an gaben
der letzten Jahrzehnte benützt wurden.
Abdominaltyphus. Bei einer wochenlang mit hohen Temperatursteigerungen
einhergehenden Krankheit, wie sie der Typhus vorstellt, ist es leicht hegreiflich, dass
häufige Unterbrechung der Gravidität einzutreten pflegt. Als Ursache derselben
wird aber ausser der Hyperpyrexie noch angeführt: Infection des Fötus und Endo-
metritis. In den meisten Fällen kommt die Frucht todt zur Welt, in jenen wo sie
lebend geboren wird, müssen wir annehmen, dass die Frühgeburt durch frühzeitige
Wehenaction zu Stande kam. Feänkel behauptet, dass die normale Placenta das
Typhusgift nicht durchlasse, die Angabe der Infection von Mutter auf Kind deshalb
unrichtig sei. (s. o.)
Der Yerlauf des Typhus wird durch die Gravidität nicht wesentlich beein-
flusst. Immerhin kann die durch die Schwangerschaft bedingte Kräfteconsumption,
sowie die schwächenden Momente während der Gehurt den Typhus ungünstig gestalten.
Ein Eingriff rücksichtlich der Gravidität ist nicht zu befürworten; eine Unter-
brechung derselben auf künstlichem Wege nützt weder der Mutter, noch dem Kinde.
Dagegen wird bei Eintritt von Wehen eine rasche Beendigung des Entbindungsactes
indicirt sein. In der Statistik von Teipiee und Bouveeet sind 108 Fälle von Typhus bei
Schwangeren verzeichnet, von diesen starben 16, d. h. 14°/o, während 69, d. h. 63%
ahortirten.
Trotz der Gravidität kann man schwangere Typhuskranke mit kalten Bädern
behandeln, wofür sich Teipiee und Bouveeet, E. Vincent, Deasche u. a. aus-
sprechen. Clement räth das Antipyrin beim Typhus Gravider anzuwenden, um die
excessiven Temperatursteigerungen zu verhüten ; diese Empfehlung gehört in die
Zeit, wo man noch nichts von üblen Nebenwirkungen des Antipyrins wusste, heut-
zutage wird Antipyrin gegen das Typhusfieber überhaupt nicht mehr verordnet, mau
wählt zweckmässiger, wenn man die individualisirende Bäderbehandlung
nicht anwenden kann, mildere Antipyretica, wie namentlich Phenacetin oder Lacto-
phenin, wenngleich keinem derselben eine specifische Wirkung gegen die Typhus-
infection zukommt.
Anämie. Eine Reihe von älteren Autoren stellten die Behauptung auf, dass
während der Gravidität das Blut eine Verarmung an rothen Blutkörperchen erfahre;
in neuerer Zeit, wo man zuverlässigere Methoden vei'wendet, steht man hingegen
auf dem Standpunkt, dass die Schwangerschaft zwar zur Anämie disponire, dieselbe
aber keineswegs immer zur Folge haben müsse. Meist sind andere Factoren, schlechte
Ernährung, begleitende Magen-Darmaffectionen, sociales Elend Schuld, dass gerade
zur Zeit der Gravidität schwere Anämien entstehen. Während des Gebui'tsactes
440 INiEßNE KRANKHEITEN WÄHREND DER GRAVIDITÄT.
konnte Schröder eine Steigerung der Zahl der rotlien Blutkörperchen constatiren,
was wohl auf die Eindickung des Blutes in Folge der grossen Wasserverluste
während des Entbindungsactes zurückzuführen ist.
Von verschiedenen Autoren wird auch eine Zunahme der weissen Blutkörper-
chen während der Gravidität beschrieben (Moleschott, Nosse), während andere, wie
Halla und V. Lisibeck nicht in allen Fällen von Gravidität Vermehrung der Leuco-
cj'teu constatiren konnten, v. Limbeck meint, dass die wachsende Brustdrüse zeit-
weise die Quelle eine!" Leucocytose abgebe.
Nach GussEROw kommen während der Gravidität schwere Anämien vor, die
man als perniciöse zu bezeichnen Recht hat. Nach Sänger soll die Entbindung
stets eine Verschlimmerung der perniciösen Anämie zur Folge haben. Frankenhäuser
beschrieb im Blute von Schwangeren, welche au progressiver Anämie litten, kugelige
Gebilde mit Geissein, die er als eine parasitäre Lepthotrixform auffasst.
ApopIectiscUe [nsulte treten zuweilen während der Schwangerschaft auf, ohne weder
diese, noch die Geburt wesentlich zu beeinflussen. Apoplectische Insulte in aufeinanderfolgen-
den Schwangerschaften wurden beobachtet (Inglis, Kiwisch). Einleitung der Frühgeburt
nur durch besondere Umstände indicirt, sonst exspectatives Verhalten.
Asthenie, ein von Perry (1892) beschriebener Zustand, der sich als Folge des Puer-
periums einstellt. Gravidität und Geburt schädigen in gewissen Fällen den gesammten
Organismus derart, dass ein hochgradiger Mangel an Kraft und Vitalität ziirückbleibt.
Einen ähnlichen Zustand beschrieb W. W. Johnston (1888) als in Amerika weit verbreitet
bei neuvermählten Frauen, ohne dass gerade immer eine Entbindung vorausgegangen sein
müsse. Es würde somit das eheliche Zusammenleben an und für sich den Grund zu diesen
Zuständen abgeben, diese selbst also wohl zum Theile zu der sexualen Neurasthenie, für
welche gegenseitige psychische Abneigung, Impotenz des Mannes, widernatürliche Be-
friedigung des Sexualbedürfnisses etc. die Grundlage abgeben, gerechnet werden können.
Broncliitis, Entsprechend der Neigung zu Stauungszuständen sind acute und
chronische Bronchialkatarrhe bei Graviden häufig, abgesehen davon, dass andere
Organerkrankungen (Herzfehler, Nierenaffectionen etc.) die directe Ursache derselben
abgeben können. (Vide auch „Pneumonie.")
Asthma gravidarum wird als echtes Bronchialasthma bei Schwangeren vorkommend
beschrieben. Durch die Heftigkeit und Frequenz der Anfälle kann es zu Abort kommen.
(J. H. Croom u. a.) [Vergl. „Tussis uterina^^ pag. 437.].
Blasenreizuiig findet sich während der Gravidität als ein oft sehr lästiges Symptom
und ist oft ein Hinweis auf Lageveränderungen des Uterus.
Bläsensteine sind häufig oft sehr bedeutsame Geburtshindernisse. Ihre Entfernung ist
daher vor dem Entbindungsact indicirt.
Cholera ist eine der gefährlichsten Complicationen der Schwangerschaft. Von
allen acuten Infectionskrankheiten erzeugt sie neben Variola am häufigsten Unter-
brechung der Schwangerschaft. Dieselbe ist direct veranlasst durch die von
Slavjansky und Klautsch beschriebene Endometritüis interstUialis liaemarrhagica.
Dagegen soll nach den Beobachtungen von Schulz während der letzten schweren
Hamburger Epidemie die Mortalität der Mütter nicht höher sein, als die nicht
schwangerer Frauen. Nach den Mittheilungen verschiedener Autoren soll dieselbe
zwischen 57 und 8 6^0 schwanken. Unbedingt ungünstig ist der Einfluss der
Cholera auf die Frucht. In allen Fällen, die Voigt, Jaff^; und Schulz in der
erwähnten Hamburger Epidemie entbinden sahen, kamen sowohl reife als frühzeitige
Kinder todt zur W^elt. Die Geburt selbst ist wegen Wehenschwäche meist protahirt.
Chorea ist eine bei Schwangeren sehr häufige Erkrankung. 60 7o der Fälle
betreffen Primiparae. Wie für nicht schwangere, so wird auch für gravide Frauen
plötzlich eintretender Schreck als Ursache der Chorea angeführt (Wasseige).
Nach Me Cann tritt Chorea fast mit Sicherheit während der Schwangerschaft auf,
falls sie bereits bei derselben Person in der Kindheit bestanden. Sind die Anfälle
nicht sehr intensiv, so pflegt die Gravidität ungestört zu verlaufen, bei starken An-
fällen tritt Abort ein.
Interessant ist ein Fall von Dodge, indem bei einer Ill-para, deren Mutter
ebenfalls in ihrer 3. Gravidität, während sie mit derselben Tochter gravid war,
an Chorea gelitten hatte, schwere Chorea auftrat.
INTERNE KllANKIIEITEN WÄHREND DER GRAVIDITÄT. 441
In therapeutisclier Hinsicht ist ein oxspectatives Verhalten, diätctisch-hygie-
Eische Behandlung mit mittel grossen Bromgaben angezeigt, in schweren lallen befür-
worten Spiegelbeeg und Aiilfeld den künstlichen AJjort. Yolquakjjsen beschreibt
einen Fall von Chorea, der bei einer zum erstenmal Schwangeren im 5. Monate
auftrat und bei dem durch künstliche Erweiterung des Muttermundes eine wesentliche
Besserung des Zustandes eintrat, so dass die Gravidität bis zu ihrem Ende normal
verlief.
Diabetes mellitus. Derselbe bildet eine schwere Complication der Gravidität
und führt meist zur Unterbrechung derselben, am häufigsten nach voilierigem Ab-
sterben der Frucht. Nach der Statistik Gaudard's starben von 100 Kindern 41.
DüNCAN theilte einen Fall mit, wo auch das neugeborene Kind mit Diabetes
behaftet war. Das Eintreten von Gravidität kann wohl durch die im Gefolge von
Diabetes eintretende Atrophie der Genitalien (andauernde Ammonorrhoe: Hofmeiek,
CoHN, Nebel u. a.) gehindert werden.
Die Krankheit wird durch die Schwangerschaft insoferne betroffen, als Wöch-
nerinnen häufig im Coma diabeticum zu Grunde gehen. Oft erliegen sie auch der
secundären Lungenphtise.
Diphtherie verläuft bei Graviden, wie bei Erwachsenen überhaupt meist milde.
Schwangerschaft und Geburt wird durch die Erkrankung wenig beeinflusst ; in Fällen,
wo selbst die Tracheotomie nothwendig wurde, verlief der Entbindungsact normal.
Die Einleitung der Frühgeburt ist nur bei absolut ungünstiger Prognose für
die Mutter im Interesse des Kindes gerechtfertigt.
Das Vorkommen von diphtheritischen Geschwüren an den äusseren Geschlechts-
theilen, der Vagina und dem Rectum bei Puerperalinfectionen ist allgemein bekannt,
ist aber wohl ätiologisch von der durch den LöFFLEE'schen Bacillus erzeugten Diph-
therie zu trennen (siehe auch ^^Scarlatina'-^). Hiebei sei auf die Aeusserung Escheeich's
aufmerksam gemacht, dass in der gesammten bacteriologischen Literatur nur ein Fall
von Baginsky erwähnt wird, in dem in diphterischen Auflagerungen auf der Vulvo-
Yaginalschleimhaut LöFELER'sche Bacillen nachgewiesen wurden. Diesem Falle schliesst
sich noch ein zweiter von Escherich selbst beobachteter Fall an.
Dysenterie. Die Schwangerschaft nimmt bei Dysenteriekranken meist ein vorzeitiges
Ende, was nicht nur durch die Allgemeininfection, sondern auch durch die bekannten Con-
nexbeziehungen zwischen Darm und weiblichen Sexualorganen erklärlich erscheint. Die Pro-
gnose richtet sich übrigens im Einzelfalle nach dem Charakter der Dysenterieerkrankung,
resp. der Endemie und nach der Constitution des Individuums.
Erysipel. Das Gesicht serysipel befällt Schwangerehäufig; eine Unterbrechung
der Gravidität kann eintreten; am wenigsten folgenschwer ist dieselbe, wenn sie
gegen das normale Ende der Schwangerschaft zu stattfindet. Man sieht in solchen
Fällen das Erysipel nach beendigter Geburt seinen normalen Ablauf nehmen. Ee-
ferent sah die Kinder in den Fällen, die er zu beobachten Gelegenheit hatte, nicht
inficirt zur Welt kommen, doch wird anderseits positive intrauterine Uebertragung
behauptet, (v. p. 439.)
Das Erysipel der Genitalien ist eine dem Puerperium zukommende Infection.
Es tritt meist ohne septische Allgemeinerkrankung auf und zeichnet sich dui'ch sein
rapides Fortschreiten von den Genitalien auf die unteren Extremitäten einerseits,
auf den Rücken und Bauch anderseits aus. Die Prognose dieser Erysipele ist meist
gutartig.
Eine dritte für den Geburtshelfer wichtige Form des Erysipels ist das „Ery-
sipelas puerperale internum". Winckel vertritt die Anschauung, dass Ery-
sipelcoccen Puerperalfieber hervorrufen können, während Gusseeow, Kroxee, Laatdeeer
u. a. dies für zweifelhaft halten. Die Meinung Wince:el's wird durch eine Arbeit
Haetmann's wesentlich gestützt. Haetmann gelangte auf Grund positiver bacterio-
logischer Befunde zu dem Untersuchungsergebnis, dass sich die Erysipelmicrococcen
nicht allein in den Lymphspalten der Haut, der Schleimhäute des Darm- und Re-
spirationstractus ansiedeln, sondern auch in die Lymphwege der weiblichen Geuital-
Bchleimhaut eindringen und so zu einer Erysipelinfection derselben führen. Die Ver-
442 INTERNE KRANKHEITEN AYÄHREND DER GRAVIDITÄT.
breituiig der lufection auf die inneren Orgaue des Bauches uud der Brust wurde
ebenfalls als möglich bewiesen; so konnte Hartjiaxn aus Milz, Leber, Niere, Lunge,
selbst aus Herz und Gehirn von an Erj'sipelas puerperale Verstorbenen den
FEHLEiSEN'schen Kettencoccus züchten.
Merkwürdig war der Infectionsmodus in einem Falle Düderlein's : Die Pa-
tientin hatte ein Jahr vor der Geburt ein Armerj-sipel in Folge einer Verletzung
überstanden, in einer Cervicaldrüse war ein Depot von Erysipelvirus zurückgeblieben
und hatte von hier ausbrechend zu einem tödtlichen inneren puerperalen Erysipel
geführt.
Gallensteine mit ihrem typischen Krankheitsbild (Icterus, Coliken) können die Gra-
vidität compliciren, wie Fälle aus der Literatur beweisen, in denen nach einer Karlsbader Cur
Gallensteine abgingen und das normale Ende der Gravidität, Geburt eines reifen Kindes eintrat.
Differentialdiagnostisch wichtig ist die Möglichkeit des Vorkommens von Gallensteinsym-
ptomen im Puerperium (Fall von Skutsch: V. Para zeigt am 2., 5. und 7. Tage des V7oclien-
bettes Temperatursteigerungen bis 40" mit heftigen Schmerzen in der Lebergegend; nach
wiederholten Anfällen gehen Gallensteine mit dem Stuhl ab). In Hinsicht auf den von
N. Ortner geführten Nachweis von der bacteriellen Genese der Gallengangs- und Gallen-
blasenentzündungen, erscheint es gerechtfertigt anzunehmen, dass Mikroorganismen, während
der Puerperalinfection in die Gallenwege metastatisch deponirt werden können und hier
eine Cholangitis resp. Cholecystitis zu erzeugen vermögen. Hiermit wäre vielleicht direct
ein Anlass zur Gallensteinbildung gegeben, wofür Referent ein überzeugendes Beispiel sah.
Gehinihypei'ämie, ein pathologischer Vorgang, der häufig im Verlaufe der Schwan-
gerschaft auftritt und auf den gewisse cephalische Symptome während der Gravidität zu-
rückzuführen sind.
Gehirntumoren. Der chronische Verlauf derselben hat auf die Gravidität meist keinen
Einfluss. Im Interesse der Frucht wird in speciellen Fällen die Einleitung der Frühgeburt
indicirt sein.
Gelenksrlieiiinatismus. Entsprechend dem überhaupt häufigen Auftreten des
Gelenksrheumatismus, namentlich bei Frauen der arbeitenden Classen ist auch das
Zusammentreffen von Rheumatismus articulorum mit Gravidität ein nicht gar seltenes.
Die Prognose ist rücksichtlich der Schwangerschaft eine günstige, der meist
schleichende Verlauf der Krankheit hemmt den normalen Ablanf der Gravidität nicht.
Gelenk saffectionen im Wochenbett sind meist septisch-metastatischer Natur.
Doch muss man bei Vorhandensein einer Gonorrhoe auf den gonorrhoischen Ursprung,
bei bacillärer Affection der Lungen auf einen fungösen Process Bedacht haben. Der
Einfluss der Schwangerschaft und des Wochenbettes auf den Gelenksrheumatismus
ist nach v. Noorden ein sehr ungünstiger. Der Verlauf der Krankheit ist „ausser-
ordentlich langwierig", die Heilung erschwert.
Hämophilie bedroht die Schwangerschaft insoferne, als auf geringe Anlässe
Blutungen auftreten, die zum Abort, resp. Frühgeburt führen. Auch die Gehurt
und namentlich die Nachgeburtsperiode ist hei Frauen aus Bluterfamilien sehr gefähr-
lich. Oft ist es gerade der Schwangerschaftszustand, welcher die hereditäre Dispo-
sition zum Ausbruch bringt. Selbstverständlich ist die grösste Umsicht hei der Ent-
hindung hämophiler Frauen angezeigt. (Siehe auch „Scorbut'-'^.)
Herzfelüer gehören zu den schwersten und gefährlichsten Complicationen der
Gravidität. Es ist leicht hegreiflich, dass Schwangerschaft ein disponirendes Moment
zum Ausbruch von Compensationsstörungen ahgebe, deren Folgen sich viel schwerer
als bei Nichtschwangeren reguliren lassen und so lehenshedrohend werden. Anderseits
können Schwangerschaften, ja sogar wiederholte Schwangerschaften bei Herzleidenden
normal verlaufen, oder nur vorübergehende Störungen hervorrufen. Erfahrungs-
gemäss sind es aber doch nur die leichten, gut compensirten Herzfehler, welche
von der Gravidität unbeeinträchtigt bleiben. In allen übrigen Fällen treten ge-
fahrdrohende Zustände, vornehmlich in der zweiten Hälfte der Gravidität ein;;
nach Sänger ist besonders der Act der Entbindung gefährlich, nacli LeydejSt
tritt erst mit Beendigung der Geburt die eigentliche Gefahr, die Herzschwäche, der
Collaps ein, um schnell unter Entwicklung von Lungenödem oder durch Herzpara-
lyse zum Exitus zu führen. Von den Mortalitätsstatistiken wären folgende zu er-
wähnen : Macdoxald : GOo/q, Wessner : 37^/o, Lublinski: 100°/o, Schlager: 40%^
Leyden: 55°/o'
INTERNE KRANKHEITEN WÄHREND DER GRAVIDITÄT. 443
Die künstliche Frühgeburt wäre nur in jenen Fällen, in denen die Unterdrückung
schwerer Compensationsstörungen durch absolute IJettruhe und Ilerztonica nicht
möglich wäre, einzuleiten. (Sänger, Zwkifjol.) Im Interesse des Kindes ist sie
jedenfalls so lange als möglich hinauszuschieben.
Robsger empfiehlt als schonendste Methode die „Dilatation und Tamponado
des Cervixcanals bis zum Eintritt von Wehen und darauffolgender Dlasensprengung",
während Zweifel auch den Katheterismus uteri (Einlegen einer Bougie) für zuläs-
sig erklärt. Während überhaupt die Mehrzahl ^^der Gynäkologen die Indication
zur künstlichen Frühgeburt nur in ganz beschränktem Maasse gelten lassen will, tritt
Leyden ganz entschieden für dieselbe ein, indem er namentlich geltend macht,
dass je länger die mit Gravidität complicirten Compensationsstörungen andauern,
desto unsicherer die Bedingungen zu ihrer Beseitigung werden, so dass oft sich die
Folgen selbst nach glücklich überstandener Geburt bemerkbar machen.
Hypereniesis gravidarum s. dieses Stichwort in ds. Bd.^ pag. 376.
Hysterie beeinflusst die Schwangerschaft gar nicht, wird aber selbst in dem
Schwangerschaftszustand meist schwerer, indem Convulsionen und Paralysen häufiger
als sonst früher bei derselben Person beobachtet werden. Zuweilen entwickelt sich
Hysterie bei gegebener Disposition während der Gravidität, in solchen Fällen schwinden
die hysterischen Symptome meist nach Eintritt der Geburt. In einem Falle von
JoLLY, in dem wegen Hysteria gravis artificieller Abort eingeleitet wurde, ver-
schlimmerte sich der hysterische Zustand, indem Paraplegie der unteren Extremi-
täten mit Contracturstellung auftrat. Auch die Lactationsperiode gab in einer Pieiho
von Fällen Anlass zu hysterischen Zuständen. — Der Einzelfall wird zu entscheiden
haben, ob Frühgeburt oder Abort eingeleitet werden soll, unbedingt zu befürworten
sind diese Eingriffe keineswegs.
Icterus wird von älteren Autoren als ein im Schwangerschaftszustand selbst begrün-
detes Symptom beschrieben. Als Ursache wird Dru^k des Uterus auf die Gallenausführungs-
gänge angeführt, ein Moment, welches wohl für das Ende der Graviditätsperiode den An-
schein von Berechtigung haben kann. Es gibt jedenfalls Fälle von Icterus in der Gravi-
dität, deren Aetiologie nicht geklärt erscheint — Referent kann dies aus eigener Erfahrung
bezeugen — meist wird in diesen der ^ obligate Darmkatarrh " als Grund beschuldigt. —
Icterus kann ferner als Symptom von Leber- und Gallenwegenaffectionen auftreten (Leber-
cirrhose, Echinococcen der Leber, Gallensteine etc.), besonders als Erscheinung der in der
Gravidität relativ häufigen acuten gelben Leberatrophie.
Influenza. Jacquemier und Kiwisch behaupteten, dass die Influenza ohne
Nachtheil auf den Verlauf der Schwangerschaft seien, dagegen sprechen die Fälle,
von BiERMER und Gottschalk, dass Influenza, die Schwangere in den ersten Mo-
naten der Gravidität befällt, leicht Abortus veranlassen könne. Die Ursache liegt
in einer durch die Influenzainfection veranlasste acute Entzündung der Gebärmutter-
schleimhaut, beziehungsweise der Decidua.
Leukämie. Bis zum Jahre 1894 finden sich nur sieben Fälle von Schwanger-
schaft mit Leukämie in der Literatur : Die Fälle von Cameeon, Säxger und
Laubenburg betreffen chronisch verlaufende Leukämien, während die Fälle von
Gkeene (2 Fälle) Hilbert und Askanazy als acute Leukämien beschrieben wurden.
In dem Falle Sänger's bestand die Leukämie schon zur Zeit der Conception. Wegen
hochgradiger Beschwerden musste im achten Monate die Frühgeburt eingeleitet w'erden.
Das Kind zeigte keine leukämische Blutbeschaffenheit und verblieb gesund während bei
der Mutter der leukämische Zustand fortdauerte. — Sänger behauptet, dass Leu-
kämie beim weiblichen Geschlecht seltener sei, als beim männlichen und dass es der
regere Stoffwechsel ist, der das Weib vor der Leukämie besser bewahre, eine Be-
hauptung, die nach des Eeferenten Erfahrungen nicht gerechtfertigt erscheint. Die
Kranke Hilbert's wurde im neunten Monate eines macerirten Kindes entbunden und
starb zehn Stunden nach der Entbindung.
In dem einen der GREENE'schen Fälle trat nach spontaner Frühgeburt rasch
tödtlicher Verlauf ein, in dem zweiten leitete Greene die künstliche Frühgeburt ein,
worauf baldige Heilung (?) eintrat. Kechnet man übrigens die Fälle Geeene's von
444 INTERNE KRANKHEITEN WÄHREND DER GRAVIDITÄT.
den diagnostisch zweifellos sicher gestellten Leukämien ab, so bleiben nur 5 Fälle
übrig.
Lungenemphysem ist bei Schwangeren häufig. Es ist die echte Form des
Emphysems — zu trennen von der senilen Lungenatrophie — und entwickelt sich
meist in Folge chronischen Bronchialkatarrhs oder Strumen, welche Hindernisse für
den normalen Athmungsact abgeben.
Lungenödem. Drohendes Lungenödem indicirt die sofortige Einleitung der künst-
lichen Frühgeburt.
Magen- und Darmaffectionen. Da durch Theilhaber's Untersuchungen und
durch Feank's Befunde der ursächliche Zusammenhang zwischen Genitalleiden
(Lageveränderungen des Uterus, Oophoritis, Parametritis etc.) und Magen-Darm,
beschwerden (Dyspepsia nervosa, Atonie des Magens und Darmes etc.) erwiesen ist-
erscheint es begreiflich, dass auch die mit der Gravidität einhergehenden Verände-
rungen der Sexualorgane die Aetiologie zu Magen-Darmaffectionen abgeben können.
Die veränderten Druckverhältnisse in der Abdominalhöhle, der veränderte Spannungs-
grad der Befestigungsmittel der Därme und der Druck des wachsenden Uterus auf die
benachbarten Organe geben die mechanischen Ursachen von Magen-Darmleiden ab.
Hiezu kommt ferner der Einfluss, welchen die Gravidität auf das Allgemein-
befinden und auf specielle Sinnesfunctionen (namentlich den Geschmackssinn) auszu-
üben pflegt. Die beiden häufigsten klinischen Symptome gestörter Magen-Darmfunction,
die wir bei Gravidität finden, sind die Hyperemesis gravidarum (s. d.) und die Ob-
stipation (s. d.)
Malaria. In Folge der häufig sich wiederholenden Fieberanfälle kommt es in
einzelnen Fällen zu intrauterinem Fruchttod. Seltener ist die Ursache desselben die
schwere mütterliche Anämie oder die typische Malariacachexie, wie sie in Tropen-
ländern vorkommt. Die todten Föten bieten oft die Zeichen der übertragenen Ma-
lariainfection: Milztumor, Pigmentablagerungen in den grossen Unterleibsdrüsen, Me-
lanämie.
Der Mechanismus partus wird durch complicirende Malaria nicht gestört. Wichtig
sind die Beobachtungen Ritter's über das Vorkommen von Wechselfieber im Puer-
perium. Bei Frauen, welche vor der Geburt an typischer Malaria
litten, kommt es im Wochenbett zu einer Veränderung der typischen
Fieberanfälle, wodurch die Differentialdiagnose mit Sepsis in
Frage kommt. Für Malaria entscheidet unbedingt der Nachweis von Malaria-
plasmodien im Blute.
Energische Chininbehandlung eventuell deren Ersatzmittel (Arsen, Phenococoll,
Berberin etc.) sind die einzige Therapie gegen die Malaria der Graviden ; eine
künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft kommt nicht zur Erwägung.
Milzbrand. Die Complication der Schwangerschaft ändert den ungünstigen
Ausgang dieser Infection nicht im geringsten. F. Marchand theilte einen Fall von
Milzbrand mit, bei dem die Infection circa 8 Tage vor der Geburt stattfand, die
Geburt normal ablief, die Mutter aber 7 Stunden, das Kind 4 Tage post partum
starben. Die Infection des Kindes hatte erst intra partum während der Lösung der
Placenta stattgefunden. Auch im Wochenbette wurde Milzbrandinfection beobachtet
(Joha.nnsen).
Milzkrankheiten. Vergrösserungen der Milz können bei Graviden dieselben
Ursachen haben, wie bei nicht schwangeren Frauen (überstandene Infectionskrank-
heiten, Malaria, Leukämie, Stauungsmilz bei Herzfehlern und chronische Bron-
chitis etc.), Neoplasmen der Milz sind ja überhaupt sehr selten, am häufigsten Lym-
phosarcome. So entfernte Fritsch eine über 2 kg schwere lympho-sarcomatös entartete
Milz bei einer im 1. Graviditätsmonat befindlichen Frau, die später am normalen
Ende der Gravidität niederkam, sonst aber ganz gesund blieb. Milzrupturen, die bei
acuten Milztumoren vorzukommen pflegen, hat man gerade bei Graviden des Oeftejen
eintreten gesehen, wqrnach der Tod plötzlich erfolgte.
INTERNE KRANKHEITEN WÄHREND DER GRAVIDITÄT. 445
Wandermilz ist wie die Wanderleber eine Folge der durch ■wiodorliolte Schwan-
gerschaften bedingten Lockerung der Mescnterienfixation. Die Wandonnilz muss nicht
unbedingt Beschwerden machen, zuweilen bestehen dieselben in „Schmerzen, Zerrungs-
gefühl." Druck der dislocirten Milz auf die Därme können Erscheinungen von
Darmstenose veranlassen.
Morbillen. Häufig kommt es zur Unterbrechung der Schwangerschaft, als
deren Ursache eine specifische Endometritis angenommen wird. Die Kinder kommen,
sofern sonst die Zeit der Lebensfähigkeit gekommen ist, lebend zur Welt. Eine
intrauterine Infection kommt vor (Thomas, Rüter, Ballantyne), muss jedoch nicht
unbedingt stattfinden. Im Falle Ballantyne's wurde der Fötus im 6. Graviditäts-
monat lebend geboren und zeigte Masernflecke im Gesicht, Kücken und Beinen.
Wie Masern bei Erwachsenen überhaupt viel intensiver auftreten, als bei
Kindern, so ist dies namentlich bei Graviden der Fall. Die Neigung zu Stauungs-
zuständen macht die bei Masern regelmässig auftretenden Bronchial- und Lungen-
affectionen besonders gefährlich.
Ahlfeld beschreibt ein morbillenähnliches Exanthem bei einer von ihm beob-
achteten Wöchnerinnenendemie. (Vergl. auch ,^Scarlatma''^).
Morbus Basedowi. Die Gravidität wird häufig durch diese Krankheit unter-
brochen, wozu die vorzeitige Lösung der Placenta die Veranlassung bietet (Benicke,
Häbeelin). In einem Falle H. Müller's war der Beginn des Morbus Basedow an
die Conception geknüpft; die Symptome desselben steigerten sich während des Vei'-
laufes der Gravidität, um nach der Geburt ziemlich rasch wieder abzunehmen. Die
Frage der künstlichen Frühgeburt kommt deshalb in speciellen Fällen zur Discussion.
Erwähnenswerth sind die Mittheilungen von Kleinwächter, Hoedemaker und
Bamours, in denen hochgradige Atrophie der Sexualorgane als nicht gar seltener
Folgezustand des Morbus Basedow beschrieben wird, ein Umstand, der wohl das Ein-
treten einer Gravidität verhindern dürfte. Im Gegensatze zu diesen Beobachtungen
steht ein Fall von Souza-Leitb (Paris), in dem bei einer 27-jährigen Dienstmagd ein
3 Jahre lang bestandener Basedow durch den Eintritt einer Gravidität bedeutende
Besserung erfuhr.
Miiskelatrophie (progressive) wurde bei Graviden in zwei Fällen beobachtet. Bei der
Geburt zeigte sich in Folge mangelhafter Leistungsfähigkeit der Bauchpresse bedeutende
Verlängerung der Austreibungsperiode.
Neuralgien, im Verlaufe der Gravidität sind häufig zu beobachten, sie beeinflussen
die Schwangerschaft gar nicht.
Nierenaffectionen Schwangerer vide y,Nephritis gravidanim.'^
Myelitis. Trotz weitgehender Erkrankung des Rückenmarkes und damit einhergehender
Leistungsunfähigkeit einzelner Abschnitte desselben, wird normaler Verlauf des Entbin-
dungsactes berichtet. (Siehe auch „Eüchenmarkscompression.'^)
Obstipation ist in der Schwangerschaft sehr häufig, wobei zu bedenken ist, dass
Frauen überhaupt an diesem Uebel viel laboriren. Die Obstipatio gravidarum ist
nach P. MtJLLER speciell als Folge „eines subparalytischen Zustandes der Darm-
musculatur und herabgesetzte Thätigkeit der Bauchpresse, welche durch die Aus-
dehnung des Uterus veranlasst wird, zu erklären.
Osteomalacie vide „dieses Stichwo7-t".
Pneumonie bildet eine der ernstesten Complicationen der Gravidität. Die
Widerstände im kleinen Kreislauf, die durch die Absetzung des croupösen Exudats
in die Alveolen zu Stande kommen, erschweren die Thätigkeit des rechten Ven-
trikels, wodurch in weiterer Folge auch der linke Ventrilvel betroffen wird. Bedenkt
man nun, dass gerade während der Gravidität der linke Ventrikel vermehi-te Wider-
stände zu überwinden hat, so ist die Möglichkeit der Herzinsufl'icienz bei der die Gra-
vidität complicierenden Pneumonie leicht gegeben. Der Entbiudungsact selbst ist für
die Pneumoniekranke mit besonderen Gefahren verbunden, da die Wehenthätigkeit
als solche Veranlassung zu Blutstauungen gibt und der hiedurch begünstigte Eintritt
eines Lungenödems oft rasch das letale Ende herbeiführt. Aus diesem Grunde be-
fürworten die Geburtshelfer Alles zu vermeiden, was eventuell während des Fieber-
stadiums der Pneumonie (i. e. vor der Krise) die Geburt veranlassen könnte. Ist
446 INTERNE KRANKHEITEN WÄHREND DER GRAVIDITÄT.
die Geburt aber bereits im Gange, dann soll sie so rasch als möglicli eventuell durch
Kunsthilfe zum Abschluss gebracht werden. Der ersterwähnten Indication kann
insofern nicht immer Genüge geleistet werden, weil gerade mit dem Eintritt der
Pneumonie durch die sie begleitenden Factoreu (Infectiou, Hj'perpj-rexie) künst-
liche Unterbrechung der Gravidität und zwar namentlich in den späteren Schwan-
gerschaftsmonaten eintritt.
Es wurde behauptet, dass Gravide leicht zur pneumonischen Infection neigen.
Dieser Ansicht widerspricht "Wallich auf Grund einer grossen Reihe deutscher,
französischer und italienischer Statistiken.
Auf die Frucht übt die Pneumonie fast durchaus ungünstigen Einfluss. Meist
findet ein Absterben der Frucht in utero statt. Die Ursache hiefür ist die mangel-
hafte Oxydation des Blutes, das Fieber der Mutter und die Uebertragung der Infection.
Fälle von Pneumonie während des fötalen Lebens, die in utero durch Infection Von
der Mutter aus acquirirt wurden, werden von Sigl, Stishan, Hirst u. a. beschrieben.
Im Falle von Hiest wurde das Kind schon cyanotisch geboren, starb nach 24 Stunden
und zeigte beide Lungen pneumonisch infiltrirt, die Mu;/:er hatte Sepsis.
Rückenmarkscompression. Trotz schwerer traumaüscher Läsioa des Rückenmarks
kann die Geburt normal ablaufen. In einem Falle Nasse's von Fractu.v des 3. und 4. Hals-
wirbels fand bei nicht enipfandenen Wehen ein normaler Entbindungsact statt.
Pj'elitis tritt in der Gravidität und im Wochenbett als Fortleitung einer Cystitis aut.
Stadtfeld behauptet, dass durch den Druck des puerperalen Uterus auf den Ureter eine
Stauung des Harnes zu Stande komme, die zu einer Pyelitis führe. Diese_ Pyelitis pu-
erperalis ist durch hohes Fieber und heftigen Lumbaischmerz gekennzeichnet, während
der Harn den typischen Befund der Pyelitis darbietet.
In einer Reihe dieser Fälle liegt eine tuberculöse Infection der Harnwege vor.
Scorbiit. Das Auftreten von Scorbut wurde im Anschluss von Entbindungen beob-
achtet (Petroke, Koch). Die Entbindungen Scorbutischer werden oft durch starke Blutungen
gefährlich.
Tabes stört Schwangerschaft und Geburt nach den m der Literatur bekannten Fällen
gar nidit. Doch wurde Verlängerung der Austreibungsperiode beobachtet (Macdonald und
LiTSCHKUs). Die Wehen sollen weniger schmerzhaft empfunden werden.
Tetanie ist als Complication der Gravidität wiederholt beschrieben worden.
Das Auftreten der Krankheit wurde in verschiedenen Schwangerschaftsmonaten, meist
jedoch in den späteren, beobachtet. Erstgebärende scheinen für die Krankheit dis-
ponirter zu sein als Multiparae. Lobach sah bei einer Frau bei wiederholter Gra-
vidität jedesmal Tetanie auftreten. Desgleichen hat J. Neumanjt einen Fall beob-
achtet, in dem von der 5. bis zur 11. Gravidität jedesmal Tetanie zur Zeit der
ersten Kindesbewegungen auftrat. Während der Geburt können Tetanie-Krämpfe
fortbestehen, ja werden zuweilen wie die Fälle von J. Neumann und R. v. Bbaun
beweisen, durch den Reiz der Wehen hervorgerufen und verstärkt. Das Auftreten
von Tetanie nach der Geburt bei Frauen, die nicht säugen, ist selten, scheint jedoch
nach des Referenten Erfahrung nicht blos auffallend schwächliche Individuen zu be-
treffen, wie Lothar v. Feankl betont. Am häufigsten ist die Tetanie bei Säugenden,
der Ausbruch der Krankheit erfolgte in den einzelnen in der Literatur publicirten
Fällen bald 5 — 8 Tage, bald 2—8 Monate nach Beginn der Lactationsperiode. Nach
übereinstimmenden Aeusserungen der Autoren häufen sich die Tetauiefälle bei säu-
genden Frauen namentlich in den Monaten Januar bis April.
In zwei der verzeichneten Fälle erfolgte Abortus bei mit Tetanie behafteten
Frauen, einmal musste Craniotomie gemacht werden. Für die Tetanie der Schwan-
geren und Säugenden empfiehlt sich absolute Ruhe, Verabreichung von Brom, com-
binirt mit kleinen Morphiugaben oder Gallobromol (Referent). Eine künstliche
Unterbrechung der Sciiwangerschaft wird von keinem Autor empfohlen. Die Be-
handlung der Tetanie intra partum beschränkt sich auf die rasche Beendigung der
Geburt, wozu in manchen Fällen protrahirte Narcose nothwendig sein dürfte. Zur
Ausführung derselben empfiehlt J. Neumann Aether, da Chloroform zu denjenigen
Substanzen gehört, welche toxische Tetanie hervorrufen. In einem Falle R. v.
Beaun's genügte eine starke Morphin-Injection (0-02), um intra partum die Tetanie-
krämpfe zu beseitigen. ,
INTERNE KRANKHEITEN WÄHREND DER GRAVIDITÄT. 447
Tuberkulose. Lungentuberkulose wird von der Gravidität und Puerperium
entschieden ungünstig bccinfiusst. Es ist eine iilltügliclie Erfahrung der Internisten,
dass ein alter Spitzenkatarrh unter dem Einflüsse der Gravidität sicli rapid zu einer
floriden Phthise ausgestaltet, der die Kranke zuweilen schon während der Schwanger-
schaft, viel häufiger aber erst einige Monate post partum zu erliegen pflegt. Ebenso
unzweifelhaft ist es für den Internisten, dass rasch hintereinanderfolgende Graviditäten
die directe Veranlassung zur Entwicklung der Tuberkulose bei selbst hereditär
absolut nicht belasteten Frauen abgeben. Die Mehrzahl der Gynäkolgen scheinen
nicht Gelegenheit zu haben, diese Thatsachen kennen zu lernen; es wäre sonst ihr
ablehnendes Verhalten gegen die Unterbrechung der Gravidität nicht zu erklären.
In der Literatur werden die Fälle, wo künstlicher Abort eingeleitet wurde, einzeln
aufgezählt. Der Standpunkt, auf den die Gynäkologen stehen, ist der, ob die Gravide das
normale Ende der Schwangerschaft werde erleben können oder nicht. In letzte-
rem Falle halten sie im Interesse der Frucht die künstliche Frühgeburt für
angezeigt. So meint Michael, dass dies namentlich bei der Localisation der
Tuberkulose im Kehlkopfe zur Discussion komme, weil diese rapider zu ver-
laufen pflege, eine Ansicht der wohl nicht unbedingt beigestimmt werden kann. Jaffe
betont, dass man, um ein sicher verlorenes mütterliches lieben nicht zu retten,
sondern nur zu verlängern, ein kindliches Leben nicht opfern dürfe. Dem gegenüber
wäre einzuwerfen, dass einerseits die Krankheit der Mutter selbst Abortus, resp.
Frühgeburt mit todter Frucht häufig bedinge und anderseits, dass das selbst lebend
geborene Kind die schwere Last der hereditären Disposition mit zur Welt bringt,
seine Aussicht auf dauerndes Leben also immerhin beschränkt ist.
Darmtuberkulose soll nach der Ansicht Schkadee's, der den ungünstigen
Einfluss von Gravidität aut Lungentuberkulose vollkommen in Abrede stellt, eine
Indication zum künstlichen Abort abgeben, weil es denkbar sei, dass diese durch die
Gravidität eine Verschlimmerung erfahre.
Die EntvÄcklung von Nierentuberkulose soll durch das Eintreten der
Gravidität begünstigt werden, weil nach Schröder der erhöhte Lymphstrom vom Douglas
aus, woselbst sich ja tuberkulöse Keime mit Vorliebe ansiedeln, eine Nierenaffection
veranlassen könne. Die Schwangerschaft verschlimmert aber auch bereits bestehende
Nierentuberkulose und w^erden deren Beschwerden durch das Eintreten des Abortes, wie
dies die Fälle Schrödeb's beweisen, stets erleichtert.
Scharlacli. Die Literatur weist nur eine geringe Anzahl von Fällen auf, wo
Schaiiach während der Gravidität aufgetreten ist. Dass derselbe eine gefährliehe Com-
plication der Schwangerschaft darstellt, ist wohl begreiflich.
Viel häufiger wird des Vorkommens von Scarlatina im Puerperium Erwähnung
gethan. Ob es sich in vielen oder allen Fällen von 'Wochenbettscharlach um Scar-
latina handelt, oder ob nicht eine eigene Infection septischer Natur als Scarlatina
puerperalis anzuerkennen wäre, scheint weder nach der einen, noch nach der anderen
Meinung mit überzeugender Sicherheit klargestellt. Olshause?? vertheidigt das
Vorkommen von genuinen Scharlach im Wochenbett, obwohl er einen durch das
Wochenbett bedingten besonderen Verlauf der Erkranlvung zugibt.
Desgleichen hält L. Meyer (Kopenhagen) den Scharlach der Wöchnerinnen als
identisch mit der genuinen Scharlachinfection, w^eist aber darauf hin, dass das
Exanthem (im Gegensatz zu Olshausen) meist nicht stark vortrete, diphteritische
Erkrankung der Vulva häufig, jene des Halses selten als Complicatiou eintreten.
Beweisend für das Vorkommen einer genuinen Scharlachinfection in puerperio sind
jene Fälle, wo von der an Scarlatina erkrankten Wöchnerin eine weitere Scharlach-
übertragung auf Kinder statttand. So berichtet Arctander (Dänemark) dass 4 Tage
nach der Erkrankung die Puerpera deren 7-jährige Tochter und 14 Tage später
zwei Kinder einer Schwester der Kranken von Scharlach befallen wurden.
Auch die Ansicht, dass eine Mischinfection von Scarlatinavirus mit Sepsistoxinen
vorkommen können, hat ihre Vertreter. Dagegen leugnen andererseits englische
Autoren wie Boxall die Beziehungen des puerperalen Scharlachs zur Septicämie.
448 INTRAUTERINE THERAPIE.
Die Mortalität des Puerperalscharlaclis ist eine beträchtliche, die Hälfte der
"Wöchnerinnen stirbt! (Olshausen).
Variccs der Blase kommen in der Gravidität nicht selten vor und erzeugt nebst
Störungen in der Harnentleerung auch Blutungen durch Bersten einzelner Gefässe.
Varices an den unteren Extremitäten kommen bei jeder Graviden vor, nur
der Grad ihrer Ausbildung wechselt. Sie führen zu Blutungen ins Gewebe (Extra-
vasate), zu Rupturen mit starker Blutung, zu Oedemen und zu Eczemen der Haut.
Eine besondere Behandlung gegen die Varices einzuleiten, ist nur bei beson-
deren Folgezuständen (s. u.) nöthig. Häufig bleiben aber die Varices auch nach
Ablauf des Wochenbettes zurück und führen oft durch wiederholte Schwangerschaften
zu hochgradiger Entwicklung.
Variola. Die Pockeninfection hat fast regelmässig Unterbrechung der Gravidität
zu Folge: es erfolgt Abortus in den ersten, Frühgeburt mit todter, aber auch lebender
Frucht in den letzten Monaten der Schwangerschaft. „Schwangere sind durch die
Variola, sagt L. Voigt, vielleicht noch mehr gefährdet als durch die Cholera,
wenn und insoweit sie nicht durch die Impfung geschützt sind". Die Prognose des
Abortes soll nach Aknaud im Florescensstadium der Variola eine ungünstige, im
Convalescensstadium eine günstige sein. Kinder, deren Mütter intra graviditatem
Blattern überstanden, zeigten sich gegen Variola und Vaccine refractär.
Schwangerschaft stellt selbst ihrerseits wieder eine Complication der Variola
dar und erschwert deren Prognose. Die Therapie soll rücksichtlich der Gravidität
nur exspectativ sein. Unterbrechung der Schwangerschaft soll einen ungünstigen
Effect haben.
Venenentzündung ist eine häufige Folge von Varices, namentlich wenn die-
selben stellweise thrombosirt sind (Thr ombo-phlebitis). Thrombosen der Venen
in den unternen Extremitäten sind eine bekannte Nachkrankheit des Puerperiums, die
ganze Extremität ist bedeutend ödomatös und längs der Venenstämme druck-
empfindiici] (Phlegmasia alba dolens). Vidal erklärt diese Affection als eine
Infection mit Streptococcus pyogenes, der sich auf dem Endothel der Vene fest-
setze, zu einer Entzündung ihrer Wand und hiedurch zur Thrombose führe. Die
Prognose dieser puerperalen Thrombosen ist meist günstig, wenn auch die Rück-
bildung mitunter langwierig.
Vergiftiiiigen Schwangerer vide dieses Stichwort.
Verletzungen Schwangerer vide dieses Stichwort.
JUL. WEISS.
Intrauterine Therapie. Obzwar erst die neuere Gynäkologie die
intrauterine Behandlung zu einer Vollkommenheit gebracht hat, wie sie gegen-
wärtig geübt wird, reichen dennoch die ersten Anfänge der Localbehandluag
des Uterus bei gewissen Leiden in die älteste Zeit zurück. So bespricht
HiPPOKRATES die /Xia[i.ol xa&apxtxot [xr^Tpioiv, so kannten Galen, Prosper-
Alpinus u. A. intrauterine Injectionen. Ein neuer Aufschwung in der Be-
handlung intrauteriner Leiden beginnt aber erst in den dreissiger Jahren
dieses Jahrhunderts. Doch handelte es sich da anfangs meist um Blutungen
aus dem puerperalen Uterus. Es wurden in Essig oder Branntwein getauchte
Leinwandbäuschchen (Le Koux), Schwämme (Schweighäuser, Mende, Bör),
geschälte Citronen (Evart), Schweinsblasen, die nachträglich aufgeblasen
wurden (Basedow), die Faust (Stein d. Ae., Wiegand) in den blutenden
Uterus eingeführt.
Gegen die chronische Metritis verwendete als erster Steinberger intra-
uterine Injectionen mit reiner Jodtinctur, hat aber, sowie nach ihm Hourmann,
die üblen Zufälle dieser Behandlungsmethode bereits kennen gelernt. Während
aber diese Eingriffe nur schüchterne Versuche einer intrauterinen Therapie
waren, beginnt das methodische Handeln in dieser Hinsicht mit der in diesem
Jahrhundert von Simpson, Kiwisch, Huguier in die Gynäkologie eingeführten,
aber schon den Alten (Aetius, Soranus, Paulus von Aegina) bekannten und
INTRAUTERINE THERAPIE. 449
im 18. Jaluimndcrt neuerdings von Lkvuet, La ir wieder eingeführten Uterus-
sonde. Obzwar der Uterussonde gegenwärtig nicht mehr jene Bedeutung bei-
gemessen wird, welche ihrer Verwendung die Vorkilmpfer der modernen Gy-
näkologie in der Mitte dieses Jahrhunderts zuschrieben, kann docli nicht in
Abrede gestellt werden, dass gerade das Bestreben, durch die Utcrussonde die
Lageanoraalien, sowie die Grössenverhältnisse des Uterus zu erforschen, die
Vorbedingung für eine rationelle intrauterine Therapie war. Heutzutage wird
dieser Vorbedingung durch die hochentwickelte, bimanuelle Untersuchungs-
methode entsprochen ; die Sondenuntersuchung ist nur ein unterstützender
Factor der ersteren. Die Combination beider einerseits, die durch die opera-
tive Gynäkologie, sowie durch die pathologische Anatomie erlangte Controle
der Untersuchungsbefunde andererseits, hat eine Klarheit in den Bereicli der
pathologischen Veränderungen des weiblichen Sexualtractes gebracht und die
auf Grund der Beobachtung der verschiedenen gynäkologisclien Krankheits-
bilder gewonnene Erfahrung, erschloss sowohl die Wechselseitigkeit der ein-
zelnen Theile des Sexualtractes zu einander, als auch deren Bedeutung für
den Gesammtorganismus, sowie des letzteren zur Sexualsphäre. Ein erkranktes
Glied der ganzen Kette kann letztere theilweise oder ganz in Mitleidenschaft
ziehen. Das erkrankte Endometrium kann pathologische Veränderungen in
den Ovarien setzen, eventuell auch den ganzen Organismus herabstimmen.
Ein erkranktes Ovarium kann das bis dahin normal gewesene Endometrium
und auch den Uterus verändern, in weiterer Folge seine Wirkung auf den
Gesammtorganismus äussern.
Der engere Zweck der intrauterinen Therapie ist die Beseitigung jener
Schäden, die durch eine primäre Erkrankung des Endometriums und des
Uterus, sowohl diesen als auch dessen Nachbarschaft, in vielen Fällen auch
den Gesammtorganismus betroffen haben und wo durch Beseitigung der Grund-
ursache wieder normale Verhältnisse geschaffen werden können.
Hier spielen gonorrhoische Infectionen die wichtigste Ptolle. Die durch
das Puerperium oder gestörte Circulationsverhältnisse gesetzten Veränderungen
kommen in zweiter Linie in Betracht; angeborene oder erworbene Anomalien
des Uterus bilden einen weiteren Gegenstand der intrauterinen Therapie. In
welcher Weise diese, soweit es der Rahmen dieser Bearbeitung gestattet, in
Anwendung kommen sollen, wird der Gegenstand der nächsten Zeilen sein.
1. Intrauterine Irrigation.
Iiidicatioii: Chronische, katarrhalische Endometritis ; sonst als Vorbereitung
und Nachbehandlung hei intrauterinen Eingriifen.
Contraindication: Alle acuten und subacuten Entzündungen des Uterus
und der Adnexa.
Technik: Dieselbe erheischt einige Umsicht und Uebung. Zunächst muss
durch bimanuelle Untersuchung, eventuell mittelst der Sonde die Grösse des Uterus
und die Richtung des Cavum cervico-uterinum ermittelt werden. Bei ungenügender
Passage geht der Uterusausspülung eine Erweiterung des Cavum cervico-uterinum
(siehe pag. ) durch ÜEGAE'sche Hartgummi- oder Glasdilatatorien voraus. Die Ein-
führung des Irrigationskatheters soll nur unter der Controle des Auges geschehen.
Jede Einschleppung irgend eines Secretes oder Eintreibung von Luft in den Uterus
muss sorgfältigst vermieden werden. Eine Hauptbedinguug ist daher die gründliche Rei-
nigung und Desinfection der Scheide. Hierauf Einstellung der Portio vaginabs
mittelst Spateln oder in einem kurzen Röhrenspeculum. Sehr zweckmässig und ein-
fach ist das BANDL'sche.
Zur Vermeidung des negativen Druckes im Cavum cervico-uterinum muss die
Patientin so gelagert werden, dass der Rücken höher als das Becken zu liegen
kommt. Knapp vor der Einführung soll das Orificium mit sterilisirten oder in
Desinfectionsflüssigkeiten getauchten Wattabäuschen abgetupft und von dem etwa
Eibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 29
450 INTRAUTERINE THERAPIE.
heraushängenden Cervicalschleim befreit werden. Um bei der Verwendung des
üterusliatheters eine etwaige störende Verschiebung des Uterus zu vermeiden, wird
derselbe an der vorderen Muttermundslippe durch eine amerikanische Ivugelzauge
oder ein spitzes Häkchen fixirt. Der Katheter wird nur unter fliesseudem
Strahl eingeführt, dabei soll der Irrigator nicht mehr als um einen Meter das Becken
der Frau überragen. Mehr als zwei Liter Irrigationsflüssigkeiten brauchen nicht
verwendet zu werden. Der Katheter wird entfernt, bevor alle Flüssigkeit durch-
geflossen ist.
Sollten während der Irrigation Schmerzen im Unterleibe auftreten, dann muss
die Uterusausspülung sofort unterbrochen werden. Der Puls und das Aussehen der
Kranken muss während der Irrigation unausgesetzt beobachtet werden. Es ist zweck-
mässig die Kranke darauf aufmerksam zu machen, dass nach der Irrigation mög-
licherweise ein kleiner Frost sich einstellt, eine unschädliche Complication, die -bei
Uterus- und Blasenirrigatiouen ab und zu beobachtet wird. Nach der Irrigation ist
eine horizontale Ruhelage durch mehrere Stunden sehr angezeigt.
Hinsichtlich der Lagerung der Patientin bei der Ausspülung sei erwähnt, dass
die Rückenlage die üblichste ist, da in dieser die Orientirung bezüglich der Topo-
graphie der Beckenorgane auch für einen Mindergeübten leichter möglich ist.
Fehlixg u. A. empfehlen die SiMs'sche Seitenlage, B. Schultze die Knie-
ellbogenlage. Im Allgemeinen kommt es dabei übrigens nur auf die Uebung an.
"Wahl des Irrigationskatheters: Es ist eine Reihe von Kathetern zur
Uterusirrigation angegeben worden, deren Princip in der Doppelläufigkeit besteht.
Zuerst war es der doppelläufige Katheter, wie er auch zu Blasenausspülungen heute
noch verwendet wird. Einen eigenen, doppelläufigen Uteruskatheter construirte
BozEMANN". Die von H. Fkitsch und C. Breus angegebenen Modificatiouen dieses
Katheters sind allgemein bekannt und beliebt. Auch der von B. Schultze in
vier Grössen angegebene, einfache Katheter steht vielfach in Benützung.
Wenn auch durch das Auskochen des Instrumentes die Möglichkeit gegeben
ist, so gut es eben geht, dasselbe für einen anderen Fall nach dem Gebrauche wieder
in Stand zu setzen, kann dennoch nicht bezweifelt werden, dass die Verlässlichkeit
des Katheters hinsichtlich der Anti- und Asepsis nur erhöht wird, wenn die Rei-
nigung des Inneren desselben der Controle der Augen zugänglich gemacht wird.
Von diesem Gesichtspunkte geleitet, ist unter Beibehaltung der äusseren Form des
BozEMAN-FKiTscH'schen doppelläufigen Katheters eine Construction vom Verfasser
in Xr. 15 der Wiener klin. Wochenschrift vom Jahre 1888 angegeben worden.*)
Dieser folgten dann andere, von welchen wir jenen von Lott hervorheben. Beim
Gebrauch eines solchen, vollständig zerlegbaren, doppelläufigen Uteruskatheters
sieht man erst recht, was sich alles in der Abflussrinne ansammeln kann, wie
leicht dieselbe durch Blutgerinnsel und Gewebspartikelchen verstopft wird, und
man kommt zu der Ueberzeugung, dass nur eine solche Construction die vollste
Garantie hinsichtlich der Anti- und Asepsis bietet.
Wahl der Irrigationsflüssigkeiten: Als solche verwendet man steri-
lisirtes Wasser oder die physiologische Kochsalzlösung. Von Desinficientien stehen
in Gebrauch Carbol-, Thymol-, Salicyl- und Lysollösungen. Bei zähem Schleim gebraucht
man zur Auflösung desselben mit Vortheil I^q -ige Sodalösung. Von Sublimatlösungen
ist man im Ganzen und Grossen abgekommen. Auch adstringirende Mittel werden
für Irrigationen wegen zu starker Zusammenziehung des Cervix meist vermieden.
2. Intrauterine, medicamentöse Injectionen.
Indication: Starke Meno- und Metrorrhagien und als unterstützende Thera-
pie bei Uterusausspülung und nach Excochleationen.
Contraindication: Alle acuten und subacuteu Entzündungen des Uterus
und der Adnexa.
*) Vide Fi(j. 36 und 38a und l im Artikel „Instrumentariiwi zur GynäJcoloffie."
INTRAUTERINE THERAPIE. 451
Technik: Hinsichtlich der vorbereitenden Desinfection der Scheide, La'gerung
der Patientin, Fixation des Uterus und Wcgsamkcit des Cavum cervico-uterinura
gilt dasselbe, wie bei den Uterusausspülungen.
Vor der Einführung des Spritzenansatzes muss aus demselben durch Vorschieben
des Stempels alle Luft ausgetrieben worden sein. Das Medicament darf nur tropfen-
weise in das Uteruscavum eingebracht werden. Wenn die beabsichtigte Menge in
dasselbe gelangt ist, muss vor Entfernung der Spritze, durch Zurückziehen des
Stempels, die etwa im Uteruscavum frei befindliche, medicamentöse Flüssigkeit in
die Spritze aspirirt werden. Wenn Todesfälle hei intrauterinen Injectionen beobachtet
worden sind, war es meist nicht die Injectionsflüssigkeit, welche dieselben bewirkte,
sondern der aus den Tuben in das Peritonealcavum gelangte infectiöse Inhalt.
Dieser Umstand allein erheischt eine besondere Vorsicht bei der Anwendung intra-
uteriner Injectionen und soll deren Gebrauch auf ein Minimum reduciren. Injections-
fiüssigkeiten sind nur dann in das Peritonealcavum gelangt, wenn der Stempel der
Spritze plötzlich vorgeschoben wurde und wenn das Ostium uterinum der Tube abnorm
weit war.
Wahl der Intrauterinspritze: Solche Spritzen haben M. Sims, C. Beaux,
B. ScHULTZE, Rosner, Hoffmann u. A. angegeben. Die gebräuchlichste ist jene,
von C. Beaun. Sie fasst einen Cubikcentimeter Flüssigkeit und ähnelt einer
PEAVAz'schen Spritze mit einem langen, der Uteruskrümmung entsprechend gebogenen
Ansatz aus Hartgummi oder Glas.*) Der Vortheil der Uterusspritze von der später
zu beschreibenden Wattesonde ist der, dass bei ersterer das Medicament mit der
Cervixmucosa nicht in Berührung kommt.
Wahl der Injectionsflüssigkeit: In erster Reihe steht die Jodtinctur
(rein oder 10 — 20'^/o-ig) ferner empfehlen sich Lapislösung (lO^/o-ig)» Chlorzinklösung
(2 — 10*^/o-ig), nach Cheobak mit Beimischung von etwas Glycerin zur letzteren. Doch
muss man vor zu häufigen und vor zu intensiven Aetzungen mit Chlorzink warnen,
da im Gefolge desselben stai-ke Narbenbildungen, oft mit vollständigen Stenosirungen
des Os internum und Cervix, mit allen Folgen beobachtet wurden. DelSeis verwirft
Chlorzinklösung ganz. — Auch Liquor ferri sesquichlorati hat lange Zeit das Feld
behauptet.
3. Intrauterine, medicamentöse Auswischung" des Uteras.
i Obzwar in jenen Fällen, wo die Application eines Medicamentes nur auf das
Uteruscavum beabsichtigt wird, durch eine Auswischung auch die Cervix-mucosa
betroffen ist, wird dieser Vorgang von vielen Seiten dennoch der intrauterinen In-
jection vorgezogen, da bei Berücksichtigung der Contraindicationen mit dieser Mani-
pulation so gut wie keine Gefahren verbunden sind.
Die Indicationen, sowie die Contraindicationen decken sich mit jenen
für die intrauterinen Injectionen. Auch bezüglich der Vorbereitungen, der Lagerung
der Patientin und zum Theile auch der Wahl der Medicamente gilt dasselbe, wie
bei den Injectionen.
Das Specielle dieser Technik besteht nur darin, dass das Medicament mit
watte- oder gazearmirten Sonden oder sondenartigen Instrumenten*) in den Uterus
eingebracht wird. Den Vortheil haben die Auswischungen den Injectionen gegen-
über darin, dass die erkrankte Schleimhaut mit dem Medicamente gerade in Be-
rührung kommt, während das Plus des ersteren mit der auf der Sonde befindlichen
Watte wieder entfernt wird. Man muss sich aber mit der Einführung der Sonde
beeilen, da bei langsamer Manipulation der Uterus zu Contractionen angeregt und
die Einführung der Sonde unmöglich wird. Der ganze Vorgang ist einfach, erfordert
keinen grossen Apparat (das Bandl'scIic Speculum, ein spitzes Häkchen und die
AVattesonde genügen) und lässt sich in der Sprechstunde ausführen. Insbesondere
*) Vergl. die diesbezüglichen Abbildungen im Artikel „Insfrumentarhim zur Gynä-
l-ohs/ie", Fig. 31—35. '' ' "'' ''^' "'
m"-
452 INTRAUTERINE THERAPIE.
empfiehlt ei' sich bei Cervixkatarrhen, wobei die Sonde das Os iuternum nicht zu
passireu braucht. Für diese Fälle genügt ein langes, zündhölzchendickes, watte-
armirtes Stäbchen, welches nach dem Gebrauche weggeworfen wird.
Hier sei auch des CHiAni'scheu Aetzmittelträgers, eines uterussondenartigeu
Instrumentes mit einer abschraubbaren, mit Oeft'nungeu versehenen Platinkapsel Er-
wähnung gethan. Dieses Instrument erfreute sich bei den älteren Gynäkologen
einer grossen Beliebtheit und auch mit vollem Recht. Schade nur, dass es gegen-
wärtig durch die neueren Methoden etwas in den Hintergrund gedrängt ist. Es
könnte so manchem praktischen Arzte, namentlich auf dem flachen Lande, wo
eine specialistische Hilfe schwer zu haben ist, bei seinem therapeutischen Vorgehen
sehr von Kutzen sein. Je nach Bedarf wurden in die Kapsel behufs Aetzung Lapis-,
Cuprum-, Ferrum-, Chloi'zink-, Tannin- oder andere Stifte eingelegt. Die Uterus-
feuchtigkeit brachte die Oberfläche des Stiftes zur Auflösung, so dass gerade ein
Theil des gelösten Stiftes mit der Uterusmucosa in Berührung kam. Der Rest wurde
mit dem Aetzmittelträger entfernt.
4. Die Ausschabung' des Uterus. (Abrasio mucosae, Excochleatio uteri,
Raclement, Curettement.)
In der gynäkologischen Therapie spielt gegenwärtig die Ausschabung des
Uterus eine wichtige Rolle. Von RficAMiEß in die gynäkologische Therapie eingeführt,
wurde dieselbe später von Spiegelbeeg und Hildebkand als „rohes Manipuliren
im Dunkeln", bekämpft, später aber von Olshausen zur vollen Geltung gebracht.
DüVELius hat zur Genüge durch mikroskopischen Nachweis dargethan, dass
nach dem Curettement nicht Narbenbildung, sondern Regeneration der Schleimhaut
eintritt und A. Martin hat auch den Vorwurf der Sterilisation der curettirten
Frauen an der Hand eines grossen Materiales beweiskräftigt widerlegt. Gegenüber
anderen intrauterinen Eingriffen hat die Ausschabung den unbestrittenen Vortheil,
dass durch dieselbe eine reine Wunde gesetzt wird, die, chirurgisch behandelt, die
grössten Chancen zur Heilung bietet. Alle Aetzmethoden führen zu einer mehr oder
minder grösseren Verschorfung und Gangränescenz der betroffeneu Gewebsstellen,
während eine reine Wunde den Uterus am leichtesten zur Regeneration der Schleim-
haut disponirt.
Indicationen: Chronisch-katarrhalische Processe der Mukosa uteri, wenn
dieselben durch andere Behandlungsmethoden nicht beseitigt werden können. Die
mit starken menorrhagischen Blutungen einhergehende chronische hyperplasirende
Endometritis: Endometritis fuugosa, Endometritis exfoliativa (Dysmenorrhoea mem-
branacea), die interstitielle Form der Endometritis dysmenoiThoica. Die durch Zurück-
bleiben von Deciduaresten bedingte Endometritis hyperplastica polyposa, sowie alle
jene Fälle von frühzeitigem Abortus, wo durch Zurückbleiben von Eihautresten
Blutungen unterhalten werden und die Involution des Uterus langsam vor sich geht,
Metro- und Menorrhagien, bedingt durch kleine, interstitielle Uterusmyome; als
palliative Behandlung bei Uteruscarcinomen, als Probeauskratzung zu diagnostischen
Zwecken.
Contraindication: Alle acuten und subacuten Entzündungön des Uterus
und der Adnexa.
Zur Ausschabung der Uterushöhle verwendet man Curetten oder scharfe Löffel.
Ueber die „Wahl der Instrumente" vergleiche den Artikel ^^Instrumentarium
zur Gynäkologie''^ , über die Technik der Operation den Artikel ^^Curettement'''' .
5. Die Dilatation des Cavum cervico-uterinum.
Als Behelf bei der intrauterinen Behandlung ist oft eine Dilatation des Cavum
cervico-uterinum unerlässlich nothwendig. Dieselbe mag daher an dieser Stelle eine
Erwähnung finden.
Die Dilatation des Cavum cervico-uterinum kann auf blutigem und unblutigem
Wege geschehen und dient zur Austastung der Uterinhöhle bei Verdacht auf Car-
cinom der Corpusschleimhaut, Polypen, submucösen Myomen, Abortresten oder behufs
INTRAUTERINE THERAPIE. 453
leichterer Ermögliclmng einer Drainage der Corpusliolilc, ferner bei Sterilität und
Dysmenorrhoe wegen Stenose im Bereiche des Cervicalcanals und Knickung des Uterus.
Gegen angezeigt ist die Erweiterung bei acuten Entzündungen des Uterus
und der Adncxa, bei putridem Inhalt des Cavum uteri, bei septischem Abort und
verjauchenden Mj^oraen und Carcinomen. Es könnte dabei der mit der Dilatation oft
einhergehenden Continuitätstrennung der Gewebe leicht eine allgemeine Sepsis auftreten.
a) Die unblutige Dilatation:
Diese kann mit Quellstiften, ferner durch successive rasch aufeinander folgende
Einführung immer dickerer Stäbe oder durch Instrumente, deren Mechanismus eine
Spreitzung der Branchen gestattet, oder mittelst Jodoformgaze zu Stande gebracht
werden.
Von den ersteren stehen die Pressschwämme, Tupelo- und Laminaria-Stifte in
Gebrauch. Ueber die Technik ihrer Application vergleiche den ausführlichen
Artikel „Dilatation des Uterus" (pag. 200).
Wenn der für die Dilatation bestimmte Fall zu keiner Eile drängt, verdient der
Laminariastift anderen Dilatationsmitteln gegenüber den Vorzug, da die Dilatation mit
demselben eine successive, auf eine längere Zeit ausgedehnte ist, was bei anderen, soge-
nannten unblutigen Dilatationen nicht immer zutrifft, (vgl. Fig. 82, pag. 423). Bei plötzlich
durchgeführten Dilatationen kommt es oft zu Fissuren und Längsrissen der Schleimhaut.
Allgemein gebräuchlich und überall zum Ziele führend, wenn auch oft den letztgenannten
Nachtheil mit sich bringend, ist die Dilatation mit den HEGAR'schen Dilatatorien. Diese
sind Hartgummi- oder Glasstifte, deren vordej-es Ende eine der physiologischen Biegung
des Uterus entsprechende Krümmung besitzt. Das Sortiment besteht in 26 Stücken, von
3 bis 28 nmi Durchmesser (vgl. Fig. 80 — 81 h, pag, 421). Auch die von B. Schultze und
H. Fritsch angegebenen Dilatatorien stehen vielfach in Gebrauch. Sie bestehen auch in
verschiedenen Grössen und haben die Form der Uterussonden. Die von Busch, Ellinger,
B. Schultze u. A. angegebenen, durch Spreizung der in den Uterus eigeführten Branchen
die Dilatation bewirkenden Instrumente haben eine geringe Verbreitung und sind auch
entbehrlich.*)
Viel mehr Beachtung verdient die Dilatation des Cervix und des Uteruscavums, be-
wirkt durch eine systematische Einführung von Jodoform- oder einer anderen anti- oder
aseptischen Gaze. Der Vorgang ist etwas umständlicher, führt aber doch zum Ziele, wenn
er durch den Gebrauch der BREisKv'schen Gabelsonden unterstützt wird, welche das Heraus-
gleiten des eingeführten Theiles der Gaze verhindern.
b) Die blutige Dilatation (Discission) :
Um sich behufs diagnostischer Austastung der Uterushöhle den Weg zu der-
selben rasch frei zu machen, dann bei der Entfernung von Uteruspolypen oder
submucösen Myomen, wenn der Cervicalcanal wegen Enge den Eingriff nicht gestattet,
ferner bei Dysmenorrhoe und Sterilität bei bestehender Stenose des Os internum,
wegen spitzwinkeliger Retro- oder Anteflexion des Uterus, kann nach gründlicher Er-
wägung des vorliegenden Falles von einer blutigen Erweiterung eines Theiles, even-
tuell des ganzen Cervicalcanales bis über das Os internum hinauf, Gebrauch ge-
macht werden.
Inwiefern insbesondere bei der Sterilität und der Dysmenorrhoe die blutige
Erweiterung des Cervix angezeigt erscheint, ist bisher noch immer eiue individuelle
Ansicht, und die Discussion darüber noch nicht abgeschlossen. Jedenfalls aber muss
gesagt werden, dass in diesen Fällen die Discission in früheren Zeiten eine ^iel zu
laxe Indication gefunden hat. Dass sie ab und zu von dem beabsichtigten Erfolge be-
gleitet war, ist nicht in Abrede zu stellen, und deshalb wollen wir dieses Verfahren
weiter unten besprechen. Die blutige Erweiterung des Cervix in einem Maasse, dass zu
diagnostischen Zwecken der Finger eingeführt werden kann, ist für solche Zwecke
ein zu heroisches Verfahren und mit Recht in ganz enge Grenzen gedrängt worden
Man kommt mit der unblutigen Dilatation zu demselben Ziele.
Weniger eingreifend und doch zum Ziele führend und imvermeidlich, ist oft
die blutige Erweiterung, wenn es sich um die Entfernung von Uteruspolypen oder
submucösen Myomen handelt. Dass das Operationsfeld vollkommen aseptisch sei
und jede acute und subacute Entzündung des Uterus und der Adnexe fehle, bedarf
keiner näheren Begründung.
*) Vergleiche „Dilataiion des Uterus" l. c.
454 INVERSIO UTERI.
Technik. Man kann mit verschiedenen Instrumenten die angestrebte blutige
Erweiterung des Cervix erreichen.*) Eine Anzahl der Anhänger dieses Operations-
verfahrens hat zu diesem Zwecke eigene Instrumente angegeben. So existirt das
unilaterale cachirte Metro tom von M. Sims, das gleichzeitig nach beiden Seiten
wirkende Metrotom von E. Maktin, das bilaterable cachirte H3'sterostomatora von
Greenhalgh mit der Modification von Segalas, die KüCHENMEisTER'sche Scheere,
das KtJCHENMEisTER'sche geknöpfte Lanzenmesser etc. Bis auf die letzteren sind
diese Instrumente mehr oder weniger complicirt, schlecht zu reinigen und sind
deshalb gegenwärtig wenig in Gebrauch. Unter Beihilfe von zwei Kugelzangen
(vgl. Fig. 42, pag. 408) kommt man mit einer geraden Scheere und einem gelcnöpften
Messer auch zu demselben Ziele. Fehling hat statt des gewöhnlichen geknöpften
Messers ein Sichelmesser angegeben. Jedenfalls beherrscht man die Wunde und die
Aseptik mit der Scheere und einem Messer besser als mit den complicirten Instrumenten.
Eine noch offene Frage ist die Behandlung der Wunde nach geschehener
Discission. Es hängt dies wesentlich von der Indication zur Discissiou ab. Ist diese
zu Zwecken einer diagnostischen Austastung geschehen, dann muss der Cervix durch Naht
so geschlossen werden, dass die alten Verhältnisse wieder hergestellt werden. Anders ver-
hält es sich mit der wegen Dysmenorrhoe oder Sterilität vorgenommenen Discission. Hier
muss darauf Bedacht genommen werden, dass das Menstrualblut freie Passage hat, anderer-
seits für die Conception die günstigsten Bedingungen geschaffen werden. Um dies zu er-
zielen, muss während der Behandlung die Yerlöthung der gegenüberliegenden wunden
Flächen verhindert werden, da, im Falle dies geschehen sollte, Narbenbildungen die Folge
sind, durch deren Zustandekommen oft viel schlimmere Zustände sich herausbilden, als
jene waren, wegen welcher die Discission gemacht wurde. Solche Verlöthungen kann man
durch Einlegen von Watte- oder Gazebäuschchen zwischen die Wundflächen verhindern. Die
Bäuschchen werden vor dem Einlegen in Glycerin getaucht oder mit Vaselin bestrichen und
müssen häufig gewechselt werden.
Viel rationeller und jedenfalls chirurgischer ist der vom Verfasser geübte Schluss
der Wunden durch Naht, derart ausgeführt, dass eine jede der nach der Discission ent-
standenen 4 Wundflächen durch je eine Naht zusammengezogen wird. Man vermeidet damit
eine Verlöthung der nach der Discission gegenüberliegenden Wundflächen, schafft einen
Trichter vor dem neuen Orificium, der namentlich bei den rüsselförmigen Vaginalportionen
vor der Discission gefehlt hat, und kann auch eine eventuelle, nach der Discission ent-
standene Blutung sicher beherrschen.
PISKAÖEK.
InversiO uteri, die Gebärmutterumstülpung entsteht entweder durch Zug
nach unten an der Innenfläche oder durch Druck von oben her auf die Aussen-
fläche. Complete und incomplete Inversion wurden unterschieden, incomplet
waren die minderen Grade und die partiellen Einstülpungen, Impressionen,
Depressionen der Gebärmutterwand, speciell am Fundus einschliesslich bis zu
dem Grade, wo der invertirte Fundus nur bis in das Collum uteri herabreichte,
trat er jedoch durch den Muttermund in die Scheide und tiefer herab,
wurde die Inversio eine complete genannt — mit Unrecht, denn zur vollkom-
menen Umstülpung des Uterus gehört auch die vollkommene Umstülpung der
gesammten Cervix, welche im höchsten Grade selten beobachtet ist. Trat der
invertirte Fundus bis vor die Vulva herab, so hiess es Prolapsus uteri inversi
resp. Inversio uteri cum prolapsu. Richtiger ist es nur von einer Umstülpung
des Gebärmuttergrundes, respective -körpers zu sprechen, eventuell mit theil-
weiser Umstülpung des oberen Cervicalabschnittes. Praktisch brauchbarer ist
die Eintheilung in intrauterin bleibende und in intravaginale Inversion, deren
höchster Grad dann der Prolapsus uteri inversi bildet. In Fig. 1 sind die
verschiedenen Grade der Inversion nach einer Zeichnung Beigel's dargestellt.
Die Inversion kann puerperalen Ursprunges (^/^o aller Fälle) oder durch
Neoplasmen extra Puerperium bedingt sein. Die Häufigkeit der puerperalen
Inversionen hängt in erster Linie von der fachgemässen Ausbildung des geburts-
*) Vergleiche den Artikel ^Dilatation des Uterus" nag. 202.
INVERSIO UTERI.
455
i-k
hilflichen Personales ab, während andrerseits auch Inversionen — aber seltener
— ohne jeden Kunstfehler, also spontan entstehen können. Das Verhältnis
der extra Puerperium entstandenen Inversionen zu den puerperalen ist nach
Crosse 1 : 8, ich würde sagen 1 : 10.
Während z. B. auf 190.000 Gebarten im
ßotunda Hospital nur 1 Inversion icam, im
Petersburger Kaiserlichen Gebärhausc binnen
48 Jahren kein einziger Fall beobachtet wurde,
Depaul binnen 18 Jahren nur 2, HoRwrrz in
seiner ganzen Piaxis nur 1 sah, so beobachtete
L. Neugebauer allein 5 Fälle -von chronischer
Inversion, die Kijewer Klinik sah binnen
30 Jahren 7 solche Kranke. In Russland sieht
man puerperale Inversionen häufiger als im
Westen Europas.
Sehr wichtig ist, dass die Inver-
sion des puerperalen Uterus auch eine
Leichenerscheinung sein kann, — der
welke Uterus wird durch die im Unter-
leibe sich entwickelnden Gase umge-
stülpt; es scheint jedoch dazu die Bedin-
gung einer ausnahmsweise schlaffen Ute-
rinwand zu gehören. Es gelang Kalten-
BACH in einem Obergutachten die post-
mortale Entstehung der Inversion in
einem Exhumationsprocesse nachzuwei-
sen, wodurch die in erster Instanz
„wegen Kunstfehlers" schuldig gespro-
chene Hebamme freigesprochen werde.
Nach Meyer soll schon Hippokrates (edit. Foesius p. 656 de morbis mulierum:
„ixT^inzTai t6 axdp.a xüiv [jTjTpwv otä x&ü aü/evo?-') die Uterusinversion erwähnen, jenes Citat
würde ich jedoch eher als auf einen Descensus uteri bezüglich ansehen, indem wie meist
in der alten Literatur die Vagina als Collum aufgefasst wurde. Aretaeus soll ebenfalls
Andeutungen geben, Galen bezieht die Inversion auf zu starke Wehenthätigkeit, Pare,
Mauriceau, Levret kennen die Inversion. Die neuere Literatur der Inversio umfasst Fälle
nach Hunderten. Zu den umfassendsten Bearbeitungen gehören die Arbeiten von Betschler
(1862), W. A. Freund (1870), Hennig (1875), Denucö (1883), L. A. Neugebauer (1886), Meyer
(1889) und Szuwarsicy (1892) Die ältere Literatur haben Schultze, Wingkel, L. Neugebauer
zusammengestellt, für die letzten Jahre die Jahresberichte von Froimmel. Eine erschöpfende
Monographie existirt bis jetzt nicht.
Die puerperale Inversion kann plötzlich oder allmälig entstehen. Prä-
disposition: Erweiterung der Uterinhöhle und der Cervix, theilweise oder all-
seitige Erschlaffung der Uterinwand, Verdünnung, krankhafte Beschaffenheit
der Uterinwand an der Placentarstelle etc. Dabei kann jede von aussen oder
von innen, von oben oder von unten wirkende Kraft die Ein-, resp. Um-
stülpung zu Wege bringen, zumeist bei Geburten am normalen Schwanger-
schaftsende bei Mehrgebärenden, jedoch sind auch Inversionen bei Erst-
gebärenden, partielle Inversionen bei Aborten beobachtet, was ja leicht ver-
ständlich ist.
Bei der sogen, completen Inversion bildet der Uterus einen nach der Bauch-
höhle zu offenen Trichter, in den die centralen Tubenenden, selten ein oder beide
Ovarien hineingezogen sind, sehr selten Netz oder Darmschlingen; je nach der
Dauer des Bestehens und dem Grade der Hyperämie durch Strangulation, der
secundären entzündlichen Processe bilden sich die verschiedenartigsten Adhä-
sionen, Strang- und flächenförmige Verwachsungen, die jeden späteren Versuch
einer Re-inversion illusorisch machen; diese entzündlichen secundären Verwach-
sungen sind jedoch viel seltener als man theoretisch annehmen sollte — sehr
selten obliterirt das Lumen des Inversionstrichters vollständig durch Ver-
wachsung der einander zugekehrten Serosaflächen; oft bleiben die im Trichter
456 INVERSIO UTERI.
eingebetteten Tuben wegsam; die verhältuismässige Seltenheit bedeutsamer
secundärer VerNvaclisungen wird bewiesen durcli die grosse Zahl der nach lang-
jährigem Bestehen mit Erfolg ausgeführten Re-inversionen. Ulcerationen an
der Mucosa des invertirten Uterus führen zu den mannigfaltigsten Compli-
cationen, hartnäckigen intermittirenden Blutungen, Verwachsungen mit der
Scheide, Jauchungen mit folgender Septicämie etc., Kachexie, Anämie, Tod.
In anderen Fällen verliert die Schleimhaut ihren Charakter, wird derb, trocken,
leder-, pergamentartig. Der umgestülpte Uteruskörper präsentirt sich bei
frischer Inversion als faust- bis kindskopfgrosser Tumor mit blaurother, sammt-
artig weicher, leicht blutender Oberfläche, der Tumor verringert sich gemäss
dem Fortschreiten der puerperalen Inversion stetig, wird schliesslich hühnerei-
gross, kann endlich durch atrophische Processe noch kleiner werden. Auf-
fallend ist der Contrast zwischen der blutrothen Farbe des intravaginalen
Tumors und der blassen Scheidenschleimhaut (Anämie infolge der grossen Blut-
verluste). Das Centrum der Inversion ist meist die Placentarstelle, mindestens
der Fundus uteri, viel seltener sind es die seitlichen Einstülpungen der Uterin-
wand. Die puerperale Inversion erfolgt meist acut unter heftigen Schmerzen,
Blutung, oft mit Erbrechen, Ohnmacht, Collaps, zuweilen vollständig symp-
tomenlos; öfter sofort nach der Geburt des Kindes in der Nachgeburtsperiode,
zuweilen erst 1 bis mehrere Tage post partum beim Stuhldrang, Uriniren,
Hustenstössen, kann aber auch bald post partum entstanden, einige Tage latent
bleiben und erst bei volkommener Inversion bemerkt werden, zuweilen erst
nach Wochen — namentlich wo Blutungen vollständig oder fast vollständig
fehlen, sowie die anderen sonstigen Begleiterscheinungen. Die Hauptgefahr
der Inversion liegt in den Blutungen, die in kurzer Zeit — binnen weniger
Minuten oder Stunden den Tod herbeiführen können, öflers aber lange an-
dauernd oder intermittirend die äusserste Anämie herbeiführen. Diese Blu-
tungen gehören zu den hartnäckigsten, schon der blosse Anblick einer solchen
Frau — die Anämie mit wachsbleicher Gesichtsfarbe — weckt den Verdacht
auf Inversion zuweilen. Ulceröse Processe, Gangrän, brandige Abstossung,
Sepsis kommen oft dazu.
Crosse fand die Länge des invertirten Uteruskörpers am 4. Tage
5V2 Zoll bei 12 Zoll Umfang, am 16. Tage nur noch 372 bis 8 Zoll Umfang
statt dessen. Oft ist die acute Inversion von einem „Shok" begleitet, den
V. WiNCKEL mit Herzlähmung auf reflectorischem Wege in Beziehung bringt
(durch mechanischen Insult der an sympathischen Fasern reichen bei der In-
version interessirten Baucheingeweide (Uterus und Adnexa, Darm) analog wie
bei dem GoLTz'schen Klopfversuche). Er citirt zum Beweise einen von
Mereiman beschriebenen Todesfall aus der Praxis von Ed. Smith: Tod nach
16 Stunden ohne Blutsturz, Ohnmacht, Delirien, ohne einen Laut von sich zu
geben, nachdem schon längere Zeit der Puls unfühlbar war, Olshausen be-
zieht den plötzlichen Tod auf Luftembolie.
Diagnostisch ist neben den schon erwähnten Symptomen in erster Linie
wichtig: Der Uterusgrund fehlt da, wo er sein sollte, statt seiner fühlt man
durch die Bauchwand, eventuell per rectum bei combinirter Untersuchung den
Inversionstrichter, die dellenartige Vertiefung. Bei chronischen Fällen kommt
man zuweilen ohne Chloroform und Sonde, welche den Einschnürungssulcus
nachweist, nicht aus, die Sonde umkreist den invertirten Uteruskörper, indem
sie auf 1 bis mehrere Centimeter eingeht, oft an der vorderen Uteruswand
tiefer als an der hinteren oder umgekehrt. Auch bringt ein künstliches Her-
abziehen und Heraufschieben des Tumors bei in situ Bleiben der untersuchen-
den Hand Klarheit in das Verhalten des Tumors zum einschnürenden Mutter-
mundssaume, resp. Mutterhalse. Sehr schwerwiegende Folgen kann durch
Verwechselung mit gestielten Fibroiden eine oberflächliche Untersuchung
haben, es sei speciell gewarnt davor ! Es werde auf eine besondere Empfind- \
INVERSIO UTERI. 457
lichkeit des iiivertirten Uterus „Ijeim Kratzen" aufmerksam gemaf;lit. Ter-
sönlich möchte ich noch diagnostisch auf die Constatirung der Tubenmün-
dungen aufmerksam machen, die ja sofort die Diagnose sicherstellt. Oft
gelingt es ohne Schwierigkeiten 2 Sonden einzuführen.
Die häufigste Ursache der acuten Inversion ist Zug an der Nabel-
schnur, obgleich dies von einzelnen Fachleuten geleugnet wurde. Sclion deshalb
ist die puerperale Inversion seltener in Deutschland, als in Franlcreich, w'O,
wie ich 1884 Gelegenheit hatte, mich in Paris zu ül)erzeugen, der Zug an der
Nabelschnur zur Aushilfe bei Entfernung der Placenta noch vom Katheder aus
empfohlen wird. Daher geschieht auch die Inversion am häufigsten in der
Nachgeburtsperiode, kann aber auch schon während der Ge1)urt, resp. Extraction
des Kindes erfolgen bei zu kurzer Nabelschnur, relativ zu kurzer Nabelschnur
(mehrfache Uraschlingungen: in dem Falle von Daillez 2mal um den Hals,
3mal um die Beine, Imal um die Schulter), dann bei Sturzge])urten, als
Folge des horror vacui bei Stehenbleiben des bereits tief in die Scheide herab-
getretenen zuletztfolgenden Kindestheiles, wo der intraabdominale Druck die
Einstülpung verursacht. Nächst dem Zug an der Nabelschnur kann un-
vernünftiger äusserer Druck auf den Uterus die Ursache abgeben, also Zug
von unten oder Druck von oben.
Auch das zu starke Pressen der Gebärenden kann eine Inversion lierbei-
führen, jeder Stoss der Bauchpresse bei Stuhl, Harnen, Hustenstösse können
zur Veranlassung werden bei welkem, schlaffem Uterus, niemals aber bei
contrahirtem Uteruskörper. Auch ungleichmässige Uteruscontractionen, Läh-
mung der Placentarstelle w^urden beschuldigt bei welkem, schlaffem Collum;
ferner der Zug von unten bei zu grosser Schwere des Kindes, so dass die
straff gespannte Nabel nur einen Zug ausübt. — Bei der allmälig im
Wochenbett entstehenden Inversion spielen die „mangelhafte Kückbildung der
Placentarstelle" und Placentarpolypen eine Rolle. Die puerperale Inversion
kann habituell werden (Braun), d. h. sich mehrmals bei derselben Frau wie-
derholen bei späteren Geburten (Kühlebrand und Crosse).
Bei sachgemässer Hilfe lautet die Prognose verhältnissmässig gut.
Crosse fand 1847 auf 109 Fälle SOmal tödtlichen Ausgang und zwar 72mal
schon binnen wenigen Stunden, v. Winckel gab auf Grund von 12 Todes-
fällen auf 54 neuere Beobachtungen bis 1866 die Sterblichkeitsziffer noch
auf 25-27o an. Am leichtesten gelingt die sofortige Reposition, jedoch nicht
immer (Kocks); manche rathen bei festhaftender Placenta sofort die Re-inver-
sion vorzunehmen, die meisten jedoch lösen zuvor die Nachgeburt und repo-
niren dann mit oder ohne nachfolgende Tamponnade, heissen IiTigationen, Se-
eale, Sandsack, Massage etc.
Je länger die Inversion besteht, desto geringer die Lebensgefahr für die
Frau, ja es sind veraltete Fälle beschrieben, wo jedes belästigende Symptom
mit der Zeit ganz schwand; andererseits nimmt mit dem längeren Bestehen
der Inversion die Schwierigkeit der Re-inversion zu, ja letztere wird zuweilen
durch secundäre Verwachsungen (wenn auch selten) unmöglich. In der grossen
Mehrzahl gelang die Re-inversion bei der nöthigen Geduld (!) von Seiten des
Arztes und der Kranken noch nach Jahren und Jahrzehnten, selbst nach
20-, 30-, 40-jährigem Bestehen. Die ältere Casuistik ist enorm reich an ver-
alteten Inversionen. Die puerperale Inversion ist selbstverständlich an gewisse
Jahre gebunden, die durch Tumoren bedingte kennt keine Altersgrenze wie
der Fall Schauta's bei einer 78-jährigen Frau beweist, wo die Inversion
erst in hohem Alter entstanden sein soll.
Die Behandlung der frischen puerperalen Inversion hat zu-
nächst neben der symptomatischen Behandlung die Aufgabe, die Blu-
tung zu stillen. Hier steht natürlich das Redressement obenan. Kocks
konnte — die Re-inversion gelang nicht — die colossale Blutung nicht anders
458 INVERSIO UTERI.
stillen, als durch Abbinden des Uterus mit einem Schürzenbande, das er nach
sechs Stunden löste; die Reposition gelang dann leicht. Einzelne haben
bei nicht aufzuhaltender Blutung empfohlen, die blutende Fläche mit einem
in Chloroform getauchten Schwämme abzuwischen. Die ideale Behandlung be-
steht in der Re- in Version, die Amputation soll ein ultimum refugium sein
und wird meines Erachtens in der Neuzeit mit Unrecht ausgeführt ohne
genügende Ausdauer in Redressementsversuchen. Der leider noch moderne
Furor operativus reisst heute noch Manchen hin, den conservativeu Principien
untreu zu w^erden. Bei frischen Inversionen umfasst man den Uteruskörper
(Einzelne mit eingeölter Hand) wie einen Schwamm mit der Hohlhand, hebt
ihn in die Vagina hinein, sucht ihn zu comprimiren und dann durch den
Muttermund so zu re-invertiren, dass man die dem Muttermunds-
saume zunächst liegenden peripheren Partien einstülpt, wobei oft die Inver-
sion mit einem schnellenden Ruck zurückgeht, sobald erst die grössere
Hälfte des Uteruskörpers intracervical gelegen ist. Persönlich möchte ich
warm die Knieellenbogenlage für die Re-inversionsversuche empfehlen. Ist
das Redressement gelungen, so ist dauernde Controle für einige Stunden
nothwendig nebst eventueller Tamponnade mit Watte, Gaze, Kolpeurynter
etc., um einer neuen Umstülpung vorzubeugen. Husten ist zu beseitigen
etc., der Urin künstlich zu entleeren, Laxans am Platz.
Die Behandlung einer wochen-, monate- und jahrelang beste-
henden Inversion kann eine ganz verschiedenartige sein, mit mehr oder
minder Gefahren verbunden, je nach Sachkenntnis und Geduld des Arztes und
der von beiden Seiten geopferten Zeit. Das Messer leistet viel und schnell,
der Kolpeurynter mehr, aber langsamer. Das Messer schneidet, der Kol-
peurynter nicht. Jeder Arzt wird für seine Frau bei Inversion lieber den
Kolpeurynter wählen, mit welchem Recht greifen Viele bei anderen Frauen
gleich zu dem verstümmelnden Messer — ganz abgesehen von etwaigen
Gefahren der Operation?
Die älteste Behandlung der Inversion bestand in kalten und heissen, auch alternirend
heissen und kalten Begiessungen, Bespritzungen (Löffler, Martin, Hamon noch
im laufenden Jahrhundert bis 1853, 1854), Räucherun gen, Adstringentienetc, sodann
traten die manuellen Repositionsversuche auf (Valentin, Hugh, Müller, Barrier,
Cakney, Quakenbush, Windsor, Noeggerath, Th. A. Emmet, Marion Sims, Courty, Green-
HALGH, J. H. Tait, Watts, Wallace). Die Manipulationen dabei waren sehr verschieden-
artig. Während die Einen vornehmlich den einschnürenden Ring dehnten, pressten die
Anderen gewaltsam den Fundus in der Beckenaxe in die Höhe, andere fingen mit seitlichem
Druck an. Denuce unterschied „taxis central, peripherique, lateral". Emmet wollte den
Hauptdruck zuerst von der Rinne des einschnürenden Ringes wirken lassen und dann erst
den Fundus emporschieben, Sims und Noeggerath wollen den Druck nicht am Fundus,
sondern an den Tubenecken wirken lassen. Sims machte zur Erleichterung der Reposition
einen Längsschnitt in den einschnürenden Ring behufs Entspannung, Andere scarificirten
durch Längseinschnitte den invertirten Uteruskörper, um durch Blutentleerung Consistenz
und Volumen zu vermindern. Schröder zog mit vier Kugelzangen den Muttermundssaum
herab, während die Hand den Fundus in die Höhe drängte, ähnlich wie Freund verfuhr,
der mit vier durch den Muttermundssaum hindurchgezogenen Seidenbändern die Cervix
herabzog. Courty reponirte bimanuell, indem er per rectum die einschnürende Cervix
fixirte. Tait führte je einen Zeigefinger in den Mastdarm und durch die Harnröhre in die
Blase zum gleichen Zweck, presste dann mit beiden Daumen mit Erfolg den Fundus zurück.
Watts stülpte per rectum den zweiten und dritten Finger der rechten Hand in den Inver-
sionstrichter ein und presste dann mit der linken Hand den Fundus hindurch. Die manu-
ellen Versuche scheiterten — selbst unter Narcose wiederholt — oft genug, weil in
falscher Richtung d. h. nicht in der Beckenaxe, sondern aufs Gerathewohl in die Höhe
gedrückt wurde. Oft genug passirten die schlimmsten, ja tödtlicb gewordenen Ver-
letzungen bei brüsk ausgeführten Piedressementsversuchen. (Krüger )
Es folgen nun die instrumentellen Re-inversionsversuche. Die verschieden-
artigsten Instrumente wurden empfohlen, v. Winckel verwirft wegen einseitig localisir-
ten Druckes alle Sonden, alle knöpf-, platten-kegelförmigen Redresseurs. Gestielte sPes-
saires en bilboquet", allerhand becherförmige Repositorien, das Stethoskop und gar ein
Trommelschlägel gelangten zur Verwendung. Viardel's Repoussoir ist ähnlich den schon
von Baudelocque und Ane erfolglos angewendeten Instrumenten. Siebold hat in acht Fällen
INYEKSIO UTERI.
459
ein gestieltes Repositojium aus Iloru mit einem Schwamm am oberen Ende mit Erfolg
angewendet. E. Martin benützte eine Perinäalbinde, auf der ein intravaginaler Stift mit einer
Pelotte befestigt war; die Kranke konnte aber das Insirument nicht länger als zwölf Tage
ertragen. Smart's Instrument war mörserartig; Bohoouaeve's (Imhncreigrosscr Knopf auf
einer 8 Zoll langen Sonde) ähnlich; Depaul benützte ein „repoussoir en forme de ba-
ouette de tambour h renflement terminal bourre" — die Frau siarb, statt den Uterus zu
re-invertiren, hatte der Trommelschläge! den Uterus perforirt ! White benützte ,a large
rectum bougie" (becherförmiges gestieltes Pessar, dessen Stiel er an seine Brust presste,
während die linke Hand durch die Bauchdecken die Cervix fixirte, die rechte in der Scheide
den Uteruskörper comprimirte). Er berichtete 1878 in Philadelphia über 12 von ihm
geheilte chronische Inversionen. Braxton Hicks („Old shaped sthetoscope" mit Perinaeal-
binde) und G. Tarbell („continued gentle pressure") wandten constanten massigen
Druck an; Lombe Atthill eine Art gestielten Mutterring. Clifton E. Winü fixirte ein mit
der Platte am Fundus aufgesetztes gewöhnliches Stethoskop durch Gummischnüre, die um
die Schenkel herum zu einer Bauchbinde gingen, nach 30 Stunden fühlte die Frau : ,,some-
thin» jump inside" und war geheilt. Aehnlich ist L. Tait's Verfahren, Matthew's
Duncan's, Gervis'; in England sehr beliebt ist Aveling's gestielter Becher, dessen Stiel
je eine pelvine und perinäale Krümmung aufweist. (Die fixirende Bandage übt auf den
Fundus einen Druck von 2^/2 Pf. aus). William's „double curved roth witli cupped end";
Byrne's Redressor (complicirt) soll „rapidly" wirken. A. Martin benützte einen für die
FREUND'sche üterusexstirpation benützten vaginalen Elevator-Stab mit Messingkugel darauf.
Marcy (1889) vereinigte Druck und Zug, indem er ein becherförmiges gestieltes Pessar auf
den Fundus ansetzte, dann einige Nähte durch die Muttermundslippen zog und die Fäden
über den Fuss des gestielten Pessars straff anziehend knüpfte. Druck auf den Fundus und
Zug an der Cervix (4 Seidenfäden). Hofmeier will von einfacher Tamponnade mit Jodo-
formgaze stets Erfolg gehabt haben. Den aerostatischen Druck in luftgefüllter Blase, spä-
ter Garriel's air-pessary etc. führte 1858 Tylor Smith ein, ihm folgten Pridgin Teale, Tes-
sekmayer, Birnbaum, Fletwood Churchill, West, W. A. Freund, Albakese, Hicks, Frankerd,
Lewis, Chadwick, Konitz.
Tait verlor eine so behandelte Kranke 24t Stunden nach erfolgter Re-inversion !
Schon Fries rieth 1804 eine flaschenförmige Blase in die Scheide einzuführen und
durch eine Spritze dann mit Wasser zu füllen, wonach dann eine T-binde angelegt werden
sollte behufs Fixation dieser Vorrich-
tung in der Scheide. Bockendahl führte
dies zuerst aus 1858, Jedrzejewigz,
K. Schroeder, Ninkel, ' Vetterlin,
Spaeth, Spiegelberg, L. Neugebauer,
Rosenthal, Rein hatten gleich gute
Erfolge mit dieser Behandlung durch
protrahirten hydrostatischen
Druck. L. Neugebauer hat in dem
Berliner Congress 1890 wenige Tage
vor seinem daselbst erfolgten plötz-
lichen Dahinscheiden — in seinem
Schwanensang - die grossen Vortheile
dieser Behandlung besonders hervor-
gehoben, die nichts weiter verlangt als
Sauberkeit und Geduld, dabei das Le-
ben der Kranken nicht gefährdet, meist
zum Ziele führt und eine völlige Resti-
tutio ad integrum gibt.
Ein Blick auf Fig. 2 a— e zeigt sche-
matisch die Wirkungsweise des wasser-
gefüllten Kolpeurynters. Einzelne erziel-
ten in kurzer Zeit Re-inversion, indem
sie den Kolpeurynter, der nach gehöri-
ger Desinfection der Scheide leer ein-
geführt wird, sofort ad maximum füll-
ten so weit bis die Kranke über
Schmerz klagte, und ihn dauernd lie-
gen Hessen, Andere wechselten mit dem
Quantum der Flüssigkeit (300 Gramm
und mehr), noch Andere steigerten all-
mälig das Quantum, Andere legen den
Kolpeurynter täglich nur für einige
Stunden an u. s. w., so dass diese
Behandlung einen Zeitraum von einigen
Stunden bis zu 30 Stunden, ja bis zu
15 Tagen einnahm. Es heisst eben
460
INVERSIO UTERI.
Geduld haben, v. Winckel erzielte eine
lle-inversion ohne instrumenteile Ein-
griffe nach 2-jähriger Behandlung.
KocKS schlug eine Modification
der Form des Kolpeurynter's vor, wobei
ein Gummiballou in Gestalt eines Kegel-
trichters mit einer zur Aufnahme des
Fundus uteri bestimmten Vertiefung in
die Scheidengewölbe zu liegen kommt.
Dieser Ballon soll durch Zusammenwir-
ken von Druck auf den Fundus und
radiären Zug an den Cervixwänden die
Re-inversion erleichtern.
Ausser der manuellen, instru-
mentellen, aerostatischen und liy-
drostatisclien Behandlung, sowie
der Combination derselben wurde
die operative angew^andt und die
Combination der letzteren mit den
ersteren.
Schon 1773 versuchte Millot die
manuelle Reposition nach vorausge-
schickter tiefer Cervixincision, Colom-
BAT d'IsEZE machte vier Incisionen,
Dungan, Wilson, Barnes ebenfalls mit
Erfolg, Gaillard Thomas scheiterte in
einem Falle trotz tiefer, fast bis an das
Bauchfell reichender Incision.
Einige führten eine zeitweilige H y-
sterostomalokleisis aus, so Emmet,
der den Fundus in den Cervicalcanal
zurückdrängte und dann den Mutter-
mund durch einige Drähte verschloss.
Nach einer Woche entfernte er die
Nähte, die Re-inversion gelang, in einem
andern Falle verschloss er dauernd den
Muttermund operativ. Das erstere Ver-
fahren kann zur Re-inversion beitragen,
dem meist die weitere Re-inversion all-
mälig spontan folgt, sobald erst der
Fundus wieder im Cervicalcanal ist.
Steffens vernähte nach voraus-
gehendem Gebrauch des Luftballons den
Muttermund; als er nach mehreren
Stunden wegen heftiger Schmerzen die
Naht wieder entfernte, fand er den
Uterus re-invertirt, die Frau geheilt,
also binnen wenigen Stunden.
Behufs Redressement wurde wei-
ter der Bauchschnitt von Thomas Gail-
lard gemacht; er erweiterte sodann von
der Bauchhöhle aus den einschnüren-
den Cervicalring mit einer speciellen
dyscentrisch durch Druck wirkenden
Zange und reponirte sodann von der
Scheide her; einmal gelang die Ausfüh-
rung des Planes, eine zweite Kranke starb nach zwei Tagen. Auch Munde verlor eine Kranke
nach dieser Operation. Battlehner theilt einen Fall aus der Praxis eines badischen Arztes
mit, dem trotz Bauchschnitt die Re-inversion nicht gelang, er castrirte daher die Frau, sie
starb an Peritonitis.
Einzig steht der Fall von Roberts da, der 1892 bei einer nicht puerperalen Inversion
zunächst ein Stück eines submucösen Fibroids entfernte, nach 5 Wochen bei schon hinzu-
getretener Peritonitis ein zweites Stück entfernte ; nach drei Wochen kam die Frau wieder,
jetzt erst wurde die Inversio uteri durch zwei kleine Fibroide erkannt, die entfernt wurden.
Nach vergeblichen Versuchen mit Aveling's Redressor, endlich Bauchschnitt: Ein
Faden von der Scheide aus durch den invertirten Uterusgrund in die Bauchhöhle geleitet,
ein Glasknopf unten angebunden und dann von oben her gezogen. Statt der erwarteten
Fifr. 2e.
INVERSIO UTERI. 461
Re-inversion perforirte der Glasknopf den Uterus, weil dqr Knopf zu klein war; der nach,
wenigen Stunden folgende Tod beugte weiteren Versuchen vor.
V. WiNCKEL tritt gegen die Laparotomie auf, da sie nicht immer zum Ziele führe,
und gefährlicher sei, andererseits aber auch im Falle gelungenen Redressomonts noch nicht
beweise, dass letzteres nicht auch per vaginam gelingen konnte, schliesslich müsse ja nicht
jede Inversion durchaus re-invertirt werden, wie die lalle von Drnman, d'OtjTruiPONT,
LiSFRANC, White, Pate (40jähriges Bestehen bei einer 78-Jährigen [1878]) beweisen.
HoFMEiKR berichtet einen Fall, wo bei dem Redressemcntsversuch per vaginam ein im
Trichter befindlicher Ovarialabscess barst und zum Tode führte.
Macdonald versuchte eine manuelle Redression (1881) bei 5Y, -jährigem Bestehen,
auf einmal entschlüpfte der Fundus seiner Hand, er war durch einen Riss der hinteren
Scheidenwand in die Bauchhöhle gelangt. Macdonald zog ihn wieder heraus, schloss die
Wunde mit drei Seidennähten. Nach vergeblichem Versuche nunmehr mit der Drahtschlinge
zu amputiren — der Draht platzte — amputirte er mit dem Messer, legte dann zwei
Nähte durch den ganzen Stumpf und zwei besondere Silbcrdrahtligaturen vorher um die
beiden Tuben; Genesung folgte. In einem Falle Whit^'s rissen bei forcirtem Redressement
von der Scheide her beide Scheidengewölbe ein; die Frau starb.
Die älteste operative Behandlung der Inversio uteri: Die Amputation des invcr-
tirten Uteruskörpers — Denuce zählt 24 solche Operationen als ^extrascientifiques"
in roher Weise von Unberufenen ausgeführt auf, wobei 12 Frauen genasen — hat ihren
Ursprung in einem diagnostischen Irrthum: in der Voraussetzung eines gestielten submu-
cösen Tumors exstirpirte man denselben durch Messer oder Ligatur oder beides zusammen
— man entfernte also den invertirten Uteruskörper, ohne es zu wissen, in dem Glauben,
einen Polypen abzulösen ! Bedeutend später erst wurde diese Operation ad hoc gemacht, in
jüngster Zeit besonders häufig dank dem leider modernen Furor operativus.
Erwähnt sei noch die vollständige eigenartige Therapie, welche 1891 Küstner einmal
anwandte bei völliger Uterusinversion (inclus. Cervix). Er eröffnete mit breitem Schnitt die
DouGLAs'sche Peritonealtasche, führte durch die Wunde einen Finger in die Bauchhöhle
und den Trichter des invertirten Uterus ein und drängte so den invertirten Uterus bis vor
die Vulva heraus, dann durchschnitt er die hintere Uterinwand von der Schleimhautfläche aus
2 cm lang in der Mittellinie in der Gegend des inneren Muttermundes bei massiger Blutung.
Re-inversion gelang vor dem Einschnitt nicht, jetzt aber spielend leicht. Zeige- und
Mittelfinger der linken Hand im Trichter, Daumen der linken Hand in der Scheide. Dann
retroflectirte er den re-invertirten Uterus stark, zog mit Hakenzange die longitudinale
Wunde in die hintere Uteruswand bis in die Wunde des DouGLAs'schen Raumes hinein und
vernähte die erstere von der Peritonealseite aus mit 3 tiefen und 2 oberflächlichen Suturen,
darauf die Wunde des DouGLAs'schen Ratimes, bez. hinteren Scheidengewölbes ebenfalls mit
5 Nähten. Glatte Heilung. Der Schnitt in der hinteren Uteruswand soll 2 cm unterhalb
des invertirten Fundus beginnen und 2 cm über dem äusseren Muttermund aufhören.
Die Sterblichkeit des operativenVerfahrens war früher überaus
gross. Nach der Zusammenstellung von v. Scanzoni, die von Schröder
ergänzt wurde, kamen auf 69 Operationen: 26 Fälle von Abbindung (19 ge-
nasen, 7 Frauen starben), 29 mit Abbindung und nachfolgender Amputation
(24 Frauen genasen, 5 starben), 14 Amputationen ohne Ligatur (6 Frauen ge-
nasen, 8 starben). Gerettet wurden 49 Frauen (71-57o), es starben 20 (28-.57o)-
Die Methodik dieser älteren Amputationen ist ausführlich von Forbes,
Breslau, West und v. Scanzoni erörtert. Nach der neuesten und vollstän-
digsten Zusammenstellung von Szuwarskij in Kijew (1892) kommen auf
133 Fälle von manuellem Redressement der frischen puerperalen Inversion von
1826—1892: 27 Todesfälle (20-5o/o), 5 Fälle von nicht gelungenem Redresse-
ment (3-77o) und 101 Restitutionen ad integrum, auf 126 Fälle von manuellem
Redressement bei chronischer Inversion: 6 Todesfälle (4-8 7o) [48mal bestand
die Inversion 50 Tage bis 1 Jahr, 29mal 1—5 Jahre, 7mal 5 bis 15 Jahre,
omal 15—40 Jahre].
Es kamen auf 42 Fälle von ausschliesslich manuellem Redressement
2 Todesfälle (4-87o)-
Es kamen auf 48 Fälle von aerostat. und hydrost. Behandlung 2 Todes-
fälle (4-8%).
Es kamen auf 32 Fälle von instrumenteller Behandlung durch Redressement
2 Todesfälle (eVo)-
Es kamen auf 4 Fälle von gemischter Behandlung 0 Todesfälle (O^/o)
zusammen also 4-87o Sterblichkeit bei der nicht operativen Behandlung von
126 Fällen.
462 INYEESIO UTERI.
Die Pieposition gelang auf diese Weise selbst nach 40-jälirigem Bestehen
noch. Wenn schnell, wurde die Reposition binnen 5 Minuten bis 5 Stunden
erreicht, wenn langsam innerhalb 24 Stunden bis 33 Tagen. Kolpeurynter
und Chirotaxis (manuelle Reposition) hatten gleich gute Resultate, die am
wenigsten guten der Redresseur — trotz der lebhaften englischen Empfehlungen.
Die operative Behandlung durch Amputation (152 von Denuce bis 1887
und 30 von Szuwaeskij von 1891 — 1892 zusammengestellte Fälle) von 182
Fällen ergab 38 Todesfälle (20-8%) und zwar erstrecken sich diese Angaben
auf Inversionen sowohl puerperalen als auch nicht puerperalen Ursprunges.
Auf 143 puerperale Inversionen kommen 31 Todesfälle: 21-7''/o.
'• • „ 39 nicht puerperale Inversionen kommen 7 Todesfälle: 17-9%.
Szuwaeskij fand für 30 von ihm persönlich zusammengestellte Fälle von
Amputation bei nicht puerperaler Inversion nur 3 Todesfälle (lO^o) im Gegen-
satz zu den noch älteren Zusammenstellungen. Die Behandlung der In-
versio uteri im Allgemeinen weist eine ziemlich bedeutende
Sterblichkeit auf (167o)- Die Sterblichkeit war geringer für die Be-
handlung der chronischen Inversion; die Amputation ergab die grösste Sterb-
lichkeitsziffer, die besten Resultate ergaben das manuelle Redressement und
die hydrostatische Behandlung. Die Statistik hat jedoch einen wunden Punkt,
die moderne Epoche und die vorantiseptische Zeit werden in einen Topf gethan,
— somit hat sie für den, der praktische Schlussfolgerungen, aber nicht Zahlen
verlangt, keinen absoluten Werth.
Jedenfalls liegt heute die Frage der Behandlung so, dass im Gegensatz
zu einigen Hauptvertretern unseres Faches dieAmputation nur das ulti-
mum refugium sein soll, sie soll nicht gemacht werden, bevor nicht
ausgiebige Versuche mit der Hydrostase gemacht sind. Ausnahmsweise kann
sie sofort indicirt sein, wenn bei manuellen Repositionsversuchen Verletzungen
stattfinden, die nicht einfach und sicher durch die Naht zu schliessen sind.
So z. B. hat deshalb Sutugin in einem Fall operirt, Nazaeetow berichtet
dagegen einen Scheidenriss, der vernäht wurde, also hängt auch hier viel oder
Alles von dem individuellen Ermessen des Operateurs ab, maassgebend werden
für ihn auch das Alter der Frau, die Beschwerden der Kranken, Blutungen oder
Fehlen derselben sein. Das Redressement ist schon deshalb bei jungen
Frauen vorzuziehen, weil selbst nach jahrelangem Bestehen der Inversion nach
erfolgtem Redressement Schwangerschaft und glückliche Entbindung beob-
achtet wurden (Maeion Sims, Tyloe Smith).
Für die Abtragung des invertirten Uteruskörpers empfahl Dubois die Ligatur. Nach
BoRHAM starben von 5 damit behandelten Frauen 4, nach Dewuc^'s Zusammenstellung
starben von 24 fünf. Einzelne vollzogen die Constriction langsam — Aran in ^4 Stunden,
Valler binnen 20 Stunden, Andou schnell binnen 8 — 10 Minuten. Mo. Clintok benützte,
fast gleichzeitig mit Aran und Marion Sims den Ecraseur zuerst (1859), Clintock's und Sims'
Operirte genasen. Follinea (1891) klemmte den Uteruskörper mit einer BiLLROTH'schen
Klammer ab und empfiehlt sein Verfahren als leicht und gefahrlos. Unter den
Fällen, wo der invertirte Uterus für einen Polypen angesehen mit der Scheere amputirt
wurde, hatte Lee einen Todesfall binnen 24 Stunden zu beklagen. Wilson, Aran, Veit
verloren je eine Kranke nach Amputation mit dem Ecraseur. Das anatomische Präparat
der Operirten Veit's in Rostock beschrieb v. Winckel: „Trichter leer bis auf die inneren
Tubenenden, Scheide normal, Muttermiind lässt 2 Finger durch, Abtragung an der Grenze
zwischen Collum und Corpus, Ovarien und äussere Tubenenden befinden sich in den neben
der Amputationswunde stehengebliebenen Resten der breiten Mutterbänder". Vallet und
Ollier cauterisirten den invertirten Uteruskörper mittelst einer eigens construirten Zange,
deren Löffel mit Canquoin's Pasta gefüllt waren (3 Todesfälle auf 5 Operationen). Courty
und Mackenzie verloren auf 3 mit Galvanokaustik Operirte 2, Spencer Wells benützte
rnit Glück den Thermokauter von Paquelin (1878). — Pallasciano, Poinsol, Corradi com-
binirten Ligatur und Galvanokaustik. Wodjagin, Michaux, Porget benützten die elastische
Ligatur, die gewöhnlich nach 10—12 Tagen mit dem Stumpf abfiel. Es sind auch Fälle
von spontaner brandiger Amputation — Abstossung beobachtet, so von Murray. Die
Kranke von Clemensen genas nach spontaner, brandiger Abstossung. Bei der heutigen
Technik könnte man leicht die vaginale Totalexstirpation bei irreponibler Inversion machen,
aber können heisst nicht müssen!
INVELISIO UTERI.
463
Fig. 3a.
Nach V. WiNCKEL genasen auf 27 mit einfacher Ligatur und Amputation unterhall>
derselben behandelte Frauen 22 j — je veralteter die Inversion war, desto besser die
Prognose. C. v. Braun benützte mehrmals mit Glück die galvanokaustische Schlinge.
Hegar und Kaltenbach zogen Drahtschlingen darch die Cervix, um ein Zurückschlüpfon zu
verhindern, amputirten dann und vernähten dann den Stumpf, um die Peritonäalhöhle
ganz abzuschliessen.
V. WiNCKEL betont als Schattenseite der Ablatio corporis uteri das Zurücklassen der
Ovarien. Bruntzel zählt auf 4-2 operativ behandelte Fälle 33 = 67'7"/„ Heilungen.
Kaltenbach schlug seiner Zeit die elastische Ligatur vor, amputirte unterhalb, ver-
nähte dann das Loch im peritonäalen Trichter und legte einen Jodoformgazetampon ein ;
nach 2—3 Wochen fiel die Ligatur ab. _
ScHÜLEiN und Sghauta legten provisorische Nähte durch den Trichter in toto vor der
Abtragung. Um dem Zurückgleiten nach der Amputation vorzubeugen, wurde auch seitlich
je eine Naht durch die vordere Lippe, seitliche Tumorwand und hintere Lippe gelegt und
dann erst amputirt und die Wunde nach allgemeinen chirurgischen Grundsätzen behandelt.
Soll schon amputirt werden, so zieht Sutugin das Messer jeder Ligatur u. s. w. vor, weil er
damit den Trichter öffnen will, um gesichert zu sein vor Mitfassen von Darm im Trichter
(dieser Fall ist nie bei der Operation beobachtet worden, wohl aber wurde einmal Darm
im Trichter sub necropsia gefunden — er vernähte die Wunde etagenweise. Einio-e haben
ausserdem noch unterhalb der genähten Amputationswunde für einige Tage den
Muttermund vernäht. Die Kasuistik der Operationen neueren Datums gelten Frommel's
Jahresberichte seit 1887.
Bezüglich der Inversionen nicht piier
peralen Ursprunges ist zu sagen, dass dieselben
spontan durch den Zug von submucösen Neo-
plasmen während der Austreibungsperiode derselben
allmälig entstehen oder oft genug artificiell beim
übertriebenen Herabziehen solcher Tumoren bei der
Operation, so dis^ es oft genug vorkam, dass der
Scheerenschlag, der den Stiel des Tumors (Myom,
Sarcom, Fibroid) durchschneiden sollte, bei parti-
eller Inversion der Uteruswand die Bauchhöhle
eröffnete. Spiegelberg berichtete so einen eigenen
Fall, ScHULTZE passirte das Gleiche, die Kranke
genas trotz einer sofortigen Auspülung mit Chlor-
wasser, die eine Peritonitis herbeiführte. Die
reichste Auslese dieser Fälle findet sich in der
erwähnten Zusammenstellung der 27 amputations
extrascientifiques Denuce's. Es sind aber auch
Fälle beobachtet, wo die Inversion erst nachträg-
lich nach Abtragung des Fibroids entstand. Es
kann daher nicht genug zur Vorsicht bei der
Differentialdiagnose sowohl, als auch bei der Ope-
ration selbst verwendet werden!
In Fig. 3 a — e ist schematisch die allmälige Inver-
sion des Uterus durch das Wachsthum eines Fibroid dar-
gestellt.
ScHAUTA und Nazaeetow veröffentlichten
jüngst zwei interessante Fälle von Inversio uteri
durch ein gestieltes Fibroid bei einer 78-jähr. und
einer 44-jährigen Frau. Im ersteren Fall mit
A'^orzüglicher Abbildung war die ganze Cervix und
der oberste Scheidenantheil mitinvertirt, so dass
eine Grenze zwischen Scheide und Cervix nicht zu erkennen war. Schauta
beschränkte sich anfangs auf die Abtragung des Tumors, da aber nach Repo-
sition des Uterus in die Scheide kein Pessar vertragen wurde und Verfärbung
eintrat, so amputirte er 14 Tage später an der Grenze zwischen Collum und
Corpus nach vorausgeschickter Nahtligatur in einzelnen Portionen. Naht-
verschluss der Schnittfläche des Stumpfes. Glatte Heilung unter Re-inversion
des Trichters, nachdem Stumpf und Ligaturen abgefallen waren.
Fig. 3d.
464
INVERSIO UTERI.
Fif . 4 a und b stellen ein Spirituspräparat des Warschauer patliologiscli-anatomisclien
Institutes' dar: eine an der Leiche in Necropsia zufällig entdeckte Gebärmutterumstülpung
durch ein submucöses Fibrom. ,
Fic. a bietet die Ansicht von vorne: die vordere Scheidenwand ist durch einen Glas-
stift in die Höhe gehoben, um den Muttermundsaum zu zeigen, darüber die geöffnete
Harnblase. Fig. 4 b stellt dasselbe Präparat von hinten aus gesehen dar: Ligamenta lata,
Tuben, Ovarien am Rande des Inversionstrichters, am umgestülpten Fundus seitlich aufsit-
zend das Fibroid.
Die Inversion durch Tumo-
ren ist aufzufassen als einfache
Inversion durch Zug ganz analog
der puerperalen, der Zug aber das
Ergebnis der allmäligen Austrei-
bung des Tumors durch Uteruscon-
tractionen. Die Bedingungen dazu
sind analog denen im Puerperium,
Pozzi will noch eine Lähmung
der Musculatur an der Inser-
tionsstelle des Tumors annehmen,
Emmet beschuldigt partielle Con-
tractionen der Uteruswand. Nach
Schröder spielt bei der Geburt
der Tumoren ihre Schwere und
der intraabdominale Druck eine
Rolle. Die Ursache der Inver-
sion ist ceteris paribus die gleiche
wie im Puerperium, erklärt durch
Verdünnung und Atrophie der
Uteruswand bei Anwesenheit von
Tumoren etc.
ScHAUTA will Contractionen
der Uteruswand als causa movens
nicht gelten lassen, nur der
schlaffe Uterus lasse sich einstül-
pen. In 20 von etwa 500 frü-
heren Fällen ist spontan Re-in-
version beobachtet worden, nach
Beseitigung von Tumoren am häu-
figsten (Aberbanell, Schwartz,
Schultze); oft auch wurden
Kranke mit unvollständiger Re-
position entlassen, bei späterer
Untersuchung zeigte sich dann
das Redressement oft zur auge-
nehmen Ueberraschung des Arz-
tes vollendet.
Tatscher, Baudelocque,
Meigs, Bruntzel sahen spontane
Re-inversionen in Fällen, wo sich
keine Ursache derselben feststel-
len Hess.
PoLK will eine Inversio bei
einer Virgo beobachtet haben, v.
WiNCKEL bezweifelt den Sachverhalt, Doch hat Gotschalk kürzlich eine
Inversion infolge multipler submucöser Myome bei einer 63-iährigen Virgo
mit Prolapsus eines am Fundus uteri haftenden kindskopfgrossen Myoms mit
glatter Heilung nach supravaginaler Amputation beschrieben.
Fig. 4b.
KAISERSCHNITT. 465
Im Gegensatz, zu der Mehrzahl der puerperalen Inversionen entstehen
die nicht puerperalen meist sehr allmälig, geradeso wie auch die äi-ztliche Rein-
version meist allmälig erfolgt und erst ihr letzter Act sich plötzlich abspielt.
Sänger schlug statt der von Lomer für unstillbare Blutungen post
partum vorgeschlagenen P o r r o amputation eine künstliche Inversion des
puerperalen Uterus behufs Blutstillung vor (1890). Kocks will noch weiter
gehen (1890), den atonischen Uterus durch die Scheide invertiren, dann einen
EsMARCH'schen Schlauch anlegen und rechnet dabei gleichzeitig auf die con-
stringirende und strangulirende Wirkung des einschnürenden Cervixringes
und der Scheide: an seinen Vorschlag knüpft er dann noch weitere theoretische
Deductionen, die dem Auge zugänglich gewordene blutende Placentarstelle mit
fortlaufender Schnürnaht zu umgeben etc. Er beruft sich auf seinen schon
oben erwähnten Fall, wo er bei einer frischen Inversion nur durch Abbindung
mit einem Schürzenband die Blutung schliesslich beherrschte. Schliesslich
schlägt KocKS vor, nach dem Kaiserschnitt den Uterus künstlich zu invertiren,
um die Nähte vom cavum uteri aus zu knüpfen. Aber das sind eben Vor-
schläge am Schreibtisch und bisher nicht erprobte. Schon mehrere Jahre
zuvor hat Frank mehrmals nach Porroamputationen den Uterusstumpf
künstlich nach der Scheide zu invertirt und dann die Peritonaealhöhle dar-
über glatt durch Naht verschlossen, also gleichsam unter Herstellung einer
Excavatio retrovesicalis. Eine per vaginam in die Bauchhöhle eingeführte
lange Klemmzange fasste die lang belassenen Enden der die Peripherie des
Stumpfes umsäumenden Nähte (welche Peritoneum mit Stumpfschleimhaut
vereinigten) und zog dieselben durch die Vagina nach aussen, wobei noth-
wendig der Stumpf invertirt und der Trichter oben durch Nähte verschlossen
wurde. In ähnlicher Weise wurde seither schon mehrmals bei utero-
vaginaler Amputation sub partu der Uterusstumpf in die Scheide umgestülpt.
Die Fälle finden sich in Frommel's Jahresbericht.
FRANZ NEUGEBAUER.
KäiSGrSChnitt. Unter der Bezeichnung Kaiserschnitt verstehen wir
diejenige Operation, bei welcher das Kind nicht auf dem natürlichen Geburts-
wege, sondern durch Eröffnung der schwangeren Gebärmutter von der Bauch-
höhle aus zu Tage gefördert wird. Der Kaiserschnitt gehört zu den ältesten
geburtshilflichen Operationen und ist schon in frühem Alterthum bei den ver-
schiedensten Völkern ausgeführt worden, wie uns verschiedene historische
Ueberlieferungen beweisen. Bis in die neueste Zeit herein galt mit Piecht
diese Operation als ein heroischer und ungemein gefährlicher Eingriff, weil
weitaus die grösste Anzahl der operirten Frauen dem Eingriffe erlag und auch
in der ersten Zeit des Zeitalters der Antiseptik w^aren die Ptesultate immer
noch ausserordentlich ungünstige. Die Hauptgefahr der Operation bestand in
der Verblutung der operirten Frauen, da der eröffnete Uterus meist nicht
genäht wurde, oder aber — und dies war das häufigste — die Frauen gingen
an septischer Peritonitis infolge der Operation zu Grunde. So kam es, dass
der in den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts hervorgetretene Vorschlag
von PoRRO, nach der Entleerung des Uterus diesen oberhalb des Cer\ix zu
exstirpiren und damit alle von demselben ausgehende Gefahren zu beseitigen,
ziemlich allgemeinen Beifall fand. Und in der That w^aren die dui'ch die
PoRRo'sche Operation gewonnenen Resultate gegen früher derartig günstig,
dass die Zahl der PoRRo'schen Kaiserschnitte sich rasch vermehrte, während
der alte Kaiserschnitt fast von der Bildfläche verschw^unden war. Da trat
wieder eine rasche Wandlung der Sache insofern auf, als Sänger unter Angabe
eines exact durchzuführenden neuen Verfahrens den alten classischen Kaiser-
schnitt wieder zu Ehren brachte. Das SÄNGER'sche Verfahren beruht haupt-
sächlich auf einer ausserordentlich exact durchzuführenden Naht des eröffneten
Eibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaefcologie. 30
466 KAISEESCHNITT.
Uterus, welches einen vollkommen sicheren Abschluss des letzteren gegen die
Bauchhöhle gestattet. Die Resultate nach der SÄNGER'schen Methode sind
gegen früher so ausserordentlich günstige, dass von vielen Seiten sogar die
Indicationen für die Ausführung des Kaiserschnittes wesentlich erweitert
wurden. Wir werden weiter unten bei der Besprechung der Technik sehen,
dass von den Vorschlägen Sängee's allerdings die wenigsten mehr im Ge-
brauch sind; deswegen kann aber doch nicht geleugnet werden, dass Sänger
auf dem Gebiete des Kaiserschnittes eine neue und vor allem eine glückliche
Aera inaugurirt hat. Die PoRRo'sche Operation ist dadurch wieder stark in
den Hintergrund gedrängt, doch gibt es immerhin eine Reihe von Fällen, in
denen wir nach dem Kaiserschnitt die Exstirpation des Uterus nicht entbehren
können, so dass wir also heute über 2 Methoden des Kaiserschnittes verfügen,
den classisch-conservativen und die PoRRo'sche Operation.
I. Kaiserschnitt {Sectio caesarea). Bei der immerhin auch heute noch
durchaus nicht zu unterschätzende'n Gefährlichkeit dieser Operation sind glück-
licher Weise die stricten Indicationen zur Vornahme derselben nicht häufig
gegeben. Unter allen Umständen aber muss die Operation dann ausgeführt
werden, wenn absolute Beckenenge besteht, d. h. wenn ein auch zerkleinertes
Kind nicht ohne Schädigung für die Mutter auf natürlichem Wege entwickelt
werden kann. Es betrifft dies also die höchsten Grade der Beckenenge wie
sie durch Skeleterkrankungen (Rachitis und Osteomalacie) hervorgerufen
w^erden können; zahlenmässig ausgedrückt nimmt man gewöhnlich an, dass
alle diejenigen Becken hieher gehören, deren kleinster Durchmesser weniger
als 6 cm misst. Ausser diesen Skeleterkrankungen können auch Tumoren
verschiedener Art das Becken verlegen und zur absoluten Beckenverengerung
Veranlassung geben. Es betrifft dies nicht nur von den Genitalien ausgehende
Neubildungen, sondern unter Umständen auch vom Becken selbst ihren Ausgang
nehmende Geschwülste. Bei Myomen des Uterus, sowie bei Ovarialtumoren
ist dabei immer noch die Möglichkeit vorhanden, dass der Tumor in Chloro-
formuarkose sich aus dem Becken heraus in die Höhe schieben lässt und
dadurch das Hindernis beseitigt werden kann. In seltenen Fällen gibt auch
die krebsige Entartung des Cervix Veranlassung zur Sectio caesarea und zwar
dann, wenn durch ausgedehnte carcinomatöse Infiltration des Beckenbinde-
gewelDCs das Becken so ausgefüllt erscheint, dass eine Entwicklung des Kindes
auf dem natürlichen Wege ausgeschlossen ist. In allen diesen eben erwähnten
Fällen liegt eine absolute zwingende Indication zum Kaiserschnitt vor, da auch
ein Versuch, ein zerkleinertes Kind durch die natürlichen Geburtswege hin-
durchzuziehen, für die Mutter zu gefährlich wäre, und der Kaiserschnitt trotz
seiner Gefahren als die schonendere und aussichtsvollere Methode der Ent-
bindung bezeichnet werden muss.
Die glücklichen Resultate, welche bei der Ausführung des Kaiser-
schnittes in sehr zahlreichen Fällen in den letzten Jahren erreicht wurden,
haben, wie bereits oben erwähnt, zahlreiche Geburtshelfer veranlasst, die In-
dicationen des Kaiserschnittes zu erweitern. Hauptsächlich wurden sie auf
diejenigen Fälle ausgedehnt, in welchen ein derartiger Grad der Beckenenge
vorliegt, dass die Entbindung nur durch Perforation des Kindes ohne wesent-
lichen Schaden der Mutter beendet werden kann. Es betrifft dies also die-
jenigen Becken, welche im Grade der Verengerung dem Kaiserschnittsbecken
am nächsten stehen (beim platten Becken etwa diejenigen mit einer Conjugata
von 6 — 7-5 cm). In diesen Fällen würde also der Kaiserschnitt die Auf-
opferung des Kindes, durch die allein bisher eine für die Mutter glückliche
Entbindung denkbar war, unnöthig machen. Es fragt sich nur, ob wir zur
Zeit nach den bisherigen Verfahren berechtigt sind, die sogenannte relative
Indication zum Kaiserschnitt allgemein aufzustellen. Ich glaube, dass dies
KAISERSCHNITT. 467
noch zur Zeit verneint werden muss. Es wird sehr darauf ankommen, unter
welchen Umständen in den einzelnen Fällen operirt werden kann. In einer
Klinik, in welcher alle Vorbereitungen für Bauchschnitte jederzeit getroffen
sind und unter den denkbar günstigsten Verhältnissen operirt werden kann,
wird ein mit der Technik der Laparotomie vertrauter Operateur sich leichter
und mit den denkbar günstigsten Aussichten unter diesen Umständen zur
Sectio caesarea entschliessen, als der praktische Arzt, welcher oft unter den
ungünstigsten Verhältnissen gezwungen unter allen Umständen besser thun
wird, in diesen Fällen die Perforation vorzunehmen. Nur der stricte aus-
gesprochene Wunsch der Kreissenden und ihrer Angehörigen unter allen Um-
ständen ein lebendes Kind zu erhalten, würde, günstige äussere Verhältnisse
voraugesetzt, die Vornahme der Sectio caesarea in der Praxis rechtfertigen.
Denn es muss mit Bestimmtheit betont werden, dass die Prognose des Kaiser-
schnittes trotz ihrer wesentlichen Besserung in letzter Zeit noch immer nicht
eine so günstige ist, dass sie mit jener der rechtzeitig ausgeführten Perforation
erfolgreich in Concurrenz treten könnte. Inwieweit die in neuerer Zeit wieder
in Aufnahme gebrachte Symphyseotomie gerade in diesen letzterwähnten Fällen
berufen sein wird, mit dem Kaiserschnitt in Concurrenz zu treten, ist vor-
läufig noch nicht zu sagen, da erst weitere Erfahrungen über die Operation
gesammelt werden müssen.
Die Indicationsstellung liegt also heutzutage so, dass bei absoluter Becken-
enge von jedem Arzte die Vornahme des Sectio caesarea verlangt werden
muss, dass dagegen bei relativer Indication nur unter den denkbar günstig-
sten äusseren Verhältnissen operirt werden darf.
Die Frage, ob bei eminenter Lebensgefahr der Mutter, wie z. B. bei
Eklampsie oder vorzeitiger Lösung der Placenta dann der Kaiserschnitt
gemacht werden soll oder nicht, wenn eine Entbindung per vias naturales
wegen ungenügend vorbereiteter Weichtheile unmöglich erscheint, muss
erst noch weiteren Untersuchungen vorbehalten werden. Bezüglich der Eklam-
psie scheint es schon heute, als ob die Erfolge nicht gerade ermunternd
seien.
Technik der Operation: Der günstigste Zeitpunkt zur Vornahme
der Operation ist zweifellos der, wenn man einige Zeit nach Auftritt der
ersten Wehen operiren kann; insbesondere hatte sich gezeigt, dass es durch-
aus nicht rathsam ist, schon am Ende der Schwangerschaft, also vor Beginn
der Wehen zu operiren, weil der Uterus unter diesen Umständen meist nach
der Entbindung schlecht contrahirt ist, und schwere atonische Nachblutungen
auftreten. Anderseits ist es ebenfalls ungünstig, die Operation später vor-
zunehmen, weil mit der längeren Dauer der Geburt die Zersetzung der Secrete
im Uterus droht und damit die Chancen für die Operation wesentlich getrübt
werden.
Vor der Operation selbst bekommt die Kreissende, wenn möglich, ein
Bad, und wird dann wie bei anderen Laparatomien das Abdomen in gründ-
lichster Weise desinficirt, am besten nach der Fürbringee' sehen Methode mit
Seife, Alkohol und l^/oo Sublimatlösung behandelt. Der Bauchschnitt wird in
der Linea alba mehrere Centimeter oberhalb des Nabels bis nahe an die Sym-
physe heruntergeführt und die Bauchdecken schichtweise durchtrennt, wobei
etwa spritzende Gefässe unterbunden werden. Nach der Eröffnung des Peri-
toneums wälzt man den kreissenden Uterus vor die Bauchdecken vor und
schliesst am besten den oberen Theil der Bauchwunde provisorisch durch
einige Nähte, um den Darm nicht in zu ausgedehnter Weise frei liegen zu
lassen; der etwa noch freiliegende Darm wird durch sterile Gazeservietten
zurückgehalten, dann wird um den supravaginalen Theil des Cervix herum
ein kräftiger Gummischlauch gelegt und, nachdem derselbe stark angezogen
wurde, mit einer Klammer befestigt. Hat man reichliche Assistenz, so kann
30*
468 KAISEESCHNITT.
der betreffende Assistent auch mit der Hand den Cervix umfassen und com-
primiren. Nun wird in der Medianlinie der Uteruswand gegen den Fundus
hin der Uterus eingeschnitten, dann mit 2 Fingern in die Oetfnung eingegangen
und unter Leitung derselben der Uterusmuskel bis nahe an die Cervixpartien
rasch durchschnitten. Dabei tritt gewöhnlich eine starke Blutung auf, indem
das im Uterus vorhandene Blut herausstürzt. Diese Blutung ist umso stärker,
wenn die Placentarstelle getroffen ist. Der Operirende darf sich dadurch
nicht verblüffen lassen, sondern eröffnet schleunigst die Eihöhle und ent-
wickelt das Kind so rasch als möglich. Nach Unterbindung der Nabelschnur
wird dasselbe der Wärterin oder Hebamme übergeben. Diese Entwicklung
des Kindes gelingt meistens so rasch, dass dasselbe nicht asphyktisch geworden
ist, so dass Wiederbelebungsversuche zumeist ausgeschlossen sind. Nunmehr
wird mit Gazeservietten das Blut aus der Wunde möglichst entfernt und dann
die Placenta nebst den Eihäuten manuell gelöst, worauf sofort die Wieder-
vereinigung der Uteruswand erfolgt. Manche halten es für nothwendig, im
Anschlüsse an die Entfernung der Placenta die Uterusinnenfläche mit einer
desinficirenden Ausspülung zu behandeln, resp. Jodoformpulver in die Uterus-
höhle zu streuen, bevor die Gebärmutterwunde wieder geschlossen wird. Dies
ist jedenfalls in allen denjenigen Fällen unnöthig, in welchen im Beginne der
Geburt operirt wurde und die Innenfläche des Uterus zweifellos aseptisch ist.
Eher kann man an eine derartige antiseptische Behandlung der Uterusinnen-
fläche denken, wenn der Kaiserschnitt nach langdauernder Geburt und ins-
besondere nach mehrfachen vorausgegangenen inneren Untersuchungen vor-
genommen worden ist. Ist aber eine Zersetzung der Secrete im Uterus bereits
eingetreten, so ist der Kaiserschnitt überhaupt nicht mehr indicirt, sondern,
wie wir später sehen werden, die Exstirpation des Uterus (PoEEo'sche Opera-
tion) vorzuziehen. Die von Sänger zuerst angegebene complicirte Nahtmethode
kann dabei völlig entbehrt werden. Es genügt durch eine Anzahl von tief-
greifenden und oberflächlichen Nähten, welche lediglich die Musculatur des
Uterus ohne das Peritoneum fassen und nahe an der Schleimhautgrenze des
Uterus ausgeführt werden, die Vereinigung zu vollziehen. Die Zahl der hiezu
nöthigen Nähte schwankt etwa zwischen 12 — 25. Die Wahl des Nahtmateriales
ist ebenfalls ziemlich gleichgiltig, die Hauptsache ist, ob man nun Seide oder
Catgut oder Fil de Florence nimmt, dass dasselbe entsprechend antiseptisch,
resp. aseptisch vorbereitet ist. Am besten erscheint es zuerst in kurzem Ab-
stände tiefgreifende Nähte durch die Musculatur zu legen, dann den Schlauch
zu lösen und an den Stellen, an welchen noch Blut durchsickert, durch ober-
flächliche Umstechungsnähte die Blutung zu stillen. Die baldige Entfernung
des Schlauches ist deswegen erwünscht, weil erfahrungsgemäss nach langem
Liegen desselben der Uterus häufig atonisch bleibt und schwere Nachblutung
eintritt. Steht dann die Blutung, so schneidet man die bisher geknoteten
Nähte kurz ab und näht darüber das bisher nicht eingefasste Peritoneum
linear an einander. Nach Sängee's Vorschrift soll dies durch Einfalzung des
Peritoneums nach Art der LAMBERT'schen Darmnähte mit einzelnen Knopfnähten
geschehen. Es ist dies aber kaum nöthig. Eine einfache fortlaufende Catgut-
naht vermag das Peritoneum so genau zu adaptiren und gestattet insbeson-
dere eine so rasche Vereinigung des Peritoneums, dass auf die complicirtere
Methode nach Sänger am besten verzichtet werden kann. Darauf wird der
Uterus wieder in die Bauchhöhle zurückgebracht und aus der letzteren etwa
eingeflossenes Blut, Fruchtwasser etc. mit sterilen Gazeservietten so gut als
möglich aufgetupft, worauf dann der Schluss der Bauchwunde mit oberfläch-
lichen und tiefen Seidenknopfnähten erfolgt. Die Bauchwunde wird mit Jodo-
formpulver bestreut und ein einfacher Deckverband darüber gelegt.
Nach unseren neueren Erfahrungen werden wie alle anderen Laparatomien
auch der Kaiserschnitt unter aseptischen Vorbereitungsmassregeln ausgeführt.
KAISERSCHNITT. 469
d. h. wir werden in der Klinik Instrumente, Auftupfmaterial etc. vorher steri-
lisiren und keine antiseptischen Mittel in die Bauchhöhle bringen. Dies
wird natürlich in der Praxis bei mehr improvisirten P'ällen nicht in der Weise
durchführbar sein, so dass hier der antiseptische Apparat mehr in den Vorder-
grund zu treten hat."^) Die Behandlung geschieht in derselben Weise, wie bei
Laparatomien. Die frisch Entbundene erhält in den ersten 1—2 Tagen am
besten gar keine Nahrung oder Erfrischung per os und wird erst vom dritten
Tage an langsam erst flüssige und ganz allmälig dann andere Kost zuge-
führt. Gegen das Erbrechen helfen häufig kleine Morphiumgaben, eventuell
Eispillen u. s. w. Die Blase wird nur bei Unvermögen den Urin zu lassen, mit
dem Katheter entleert. Treten keine peritonitischen Reizungen auf, so kann
man schon am 4. — 5. Tage Stuhlentleerungen herbeiführen, wozu häufig ein
wenig voluminöser Einlauf in den Mastdarm genügt. Die Nähte der Bauch-
wunde werden zwischen dem 9. bis 10. Tage entfernt und nach Al)lauf von
drei Wochen nach der Operation kann die Wöchnerin das Bett verlassen.
Gegen eventuelle atonische Nachblutungen wird man mit Ergotininjectionen
und nur im Nothfalle mit intrauterinen Injectionen vorgehen. Bei glattem
Verlauf steht nichts im Wege, dass die Wöchnerin ihr Kind selbst stillt.
Die Vorhersage des classischen Kaiserschnittes ist, wie wir bereits
oben ausgeführt haben, seit der durch Sänger inaugurirten neuen Aera eine
wesentlich bessere gegen früher geworden. Denn während in den früheren
Zeiten höchstens 20% der operirten Frauen nach der Operation am Leben
blieb, hat sich dies sehr wesentlich insofern verschoben, dass wir in letzter
Zeit etwa eine Mortalität von circa 15 — 20''/o berechnen können, und diese
Ziffer wird noch günstiger, wenn wir die Resultate einzelner Kliniken betrach-
ten, von welchen mehrere eine nur ausserordentlich geringe Mortalität zu
verzeichnen haben. Immerhin aber muss auch bei dieser Gelegenheit betont
werden, dass eine derartige Mortalitätsziffer noch immer als eine hohe zu
betrachten ist, und dass daraus hervorgeht, dass die Gefährlichkeit des
Kaiserschnittes noch sehr erheblich ist. Daraus geht eben mit Evidenz her-
vor, dass mit der Erweiterung der Indicationsstellung für den Kaiserschnitt
unter sehr günstigen Bedingungen vorgegangen werden darf. Die Prognose
für das Kind muss in allen denjenigen Fällen, in welchen früh und unter
günstigen Verhältnissen operirt wird, eine gute sein. Bei richtiger Ausfühi'ung
der Operation muss das Kind lebensfrisch oder kaum asphyktisch dem Uterus
entnommen werden. Die Vorhersage wird nur in denjenigen Fällen getrübt,
in welchen die ärztliche Hilfe spät, d. h. nach langer Geburtsdauer in Anspruch
genommen, resp. geleistet wird.
Im Anschluss an die bisherige Besprechung des Kaiserschnittes sei noch
in Kürze erwähnt, dass unter Umständen auch an der eben verstorbenen
Mutter der Kaiserschnitt vollzogen werden muss. Das Gesetz einiger Länder
legt dem Arzte geradezu die Pflicht auf, bei Todesfällen schwangerer Frauen
innerhalb einer gewissen Zeit nach dem Tode den Uterus zu eröffnen und
auf diesem Wege das Kind zu Tage zu fördern. Selbstverständlich ist nm-
dann eine, wenn auch sehr schwache Aussicht vorhanden, ein lebendes Kind
oder wenigstens ein asphyktisches Kind, welches wieder belebt werden kann
zu Tage zu fördern, w'enn einerseits unmittelbar post mortem operirt wird,
und andererseits der Tod der Mutter unter Umständen eingetreten ist, bei
welchen nicht das Kind schon vorher im Mutterleibe zu Grunde gegangen
ist. Es betrifft dies also diejenigen Fälle, bei welchen die Mutter plötzlich
durch einen Unglücksfall oder durch Vergiftung, dui'ch Apoplexie oder Em-
bolie zu Grunde gegangen ist, während in denjenigen Fällen, in welchen die
Mutter infolge hochfieberhaften Erkrankungen (Infectionski'ankheiten) oder
*) Vergl. „Antisepsis wid Asepsis in der Gynäkologie^ , pag. 47 u. ff.
470 KAISERSCHNITT.
durch Verblutung oder Erstickung zu Grunde gegangen ist, regelmässig das
Kind vor der Mutter abzusterben pflegt. Die Aussichten auch unter den
denkbar günstigsten Verhältnissen, durch die Operation ein lebendes Kind zu
erzielen, sind ungemein gering. In diesen Fällen wird der Kaiserschnitt an
der Todten ebenfalls völlig lege artis auszuführen sein, und ist auch eine
Vereinigung des Uterus und der Bauchhöhle durch die Naht wieder auszu-
führen.
IL Der Kaiserschnitt mit siipravaginaler Amx)utation des Uterus.
{Porro'sche Operation.) Es ist bereits oben erwähnt worden, dass die Porro-
sche Operation, welche in den siebziger Jahren den alten Kaiserschnitt ver-
drängt hatte, neuerdings wieder stark in den Hintergrund getreten ist, seitdem
die Ausführung des alten classischen Kaiserschnittes nicht mehr mit den
früheren Gefahren für das mütterliche Leben verbunden ist. Immerhin bleibt
aber wohl für alle Zeiten ein kleines, aber wohlberechtigtes Gebiet von Fällen
reservirt, in welchen wir die Entfernung des Uterus nach dem Kaiserschnitt
nicht entbehren können. Die Indicationen lassen sich etwa folgendermassen
feststellen:
1. Wenn der hochschwangere, resp. kreissende Uterus durch grosse und
besonders auch durch multiple Myome durchsetzt ist, welche durch ihren
Sitz und durch die weiteren Symptome, welche sie hervorrufen, an und für
sich eine Entfernung des Uteruskörpers nothwendig machen. Es ist selbst-
verständlich, dass man unter diesen Umständen den schwer erkrankten Uterus
nicht mehr in die Bauchhöhle zurückversenken, sondern sofort bei der Opera-
tion entfernen wird.
2. Wenn bei osteomalaci sehen B e c k e n der Kaiserschnitt gemacht
werden muss, wird man am besten thun, den Uterus nebst den Eierstöcken
im Anschluss an den Kaiserschnitt zu entfernen. Nach den Erfahrungen von
Fehling, die von zahlreichen anderen Autoren bestätigt wurden, führte die
Entfernung der Ovarien bei einer an Osteomalacie erkrankten Frau zu einem
Stillstande, resp. zu einer Ausheilung der Knochenerkrankung. Unter diesen
Umständen ist es daher nicht unbedingt nothwendig, den Uterus mit den
Eierstöcken zu entfernen, sondern man kann sich auf die Castration beschränken
und den Uterus, nachdem man ihn in der oben beschriebenen Weise versorgt
hat, wieder in die Bauchhöhle zurückbringen. Man wird aber sich wohl in
den meisten Fällen zur Entfernung des Uteruskörpers entschliessen.
3. In seltenen Fällen ist man zum Kaiserschnitt genöthigt, weil hoch-
gradige Narbenstenosen der Scheide oder des Cervix eine Geburt per vias
naturales unmöglich machen. In diesen Fällen würde nach dem Kaiserschnitt
ein Abfluss der Lochialsecrete des Uterus unmöglich oder hochgradig erschwert
sein und dies müsste zu einer erschwerenden Gefährdung der Entbundenen
führen. Die Exstirpation des Uterus beseitigt mit Sicherheit diese Gefahren.
4. Es ist bereits oben erwähnt worden, dass, wenn wir genöthigt sind
den Kaiserschnitt bei Zersetzung der Secrete des Uterus nach langer
Geburtsdauer auszuführen, die Entfernung des inficirten Uterus diingend
geboten erscheint. Vor allem würde bei Infection des Uterus die Incisions-
wunde voraussichtlich nicht heilen und durch Austritt der zersetzten Secrete
in die Bauchhöhle die Gefahr einer septischen Peritonitis eine sehr grosse
sein. Die Exstirpation des inficirten Uterus hat unter diesen Umständen
wiederholt günstige Ptesultate aufzuzeichnen.
5. In manchen Fällen von Sectio caesarea ist die Beobachtung gemacht
worden, dass der Uterus nach der Naht sich nicht zusammenzog und dass
schwere atonische Nachblutungen auftraten. Meistens waren das solche Fälle,
bei welchen der Constrictionsschlauch zu lange liegen blieb. Sollte in einem
derartigen Falle die Blutung sich nicht bewältigen lassen, so käme als letztes
Mittel der Blutstillung auch hiebei die Entfernung des Uterus in Frage.
KEPHÄLHAEMATOMA. 471
Die Vorbereitungen zur Operation werden ebenso ausgeführt wie
beim Kaiserschnitt, und auch der Beginn der Operation bis zur Kritloerung
des Uterus wird ganz in derselben Weise ausgeführt, wie es beim Kaiser-
schnitt beschrieben wurde. Nachdem unter elastischer Constriction des Cervix
das Kind nebst Placenta und Eihäuten aus dem Uterus entfernt worden ist,
wird derselbe einige Centimeter oberhalb des Constrictionsschlauches arapu-
tirt. Nunmehr können zweierlei Wege der Stumpf Versorgung einge-
schlagen werden. Einerseits kann man den Stumpf in den unteren Wund-
winkel der Bauchwunde einnähen, so dass also die Amputationsfläche voll-
ständig extraperitoneal zu liegen kommt; dieses Verfahren ist unter allen
Umständen bei Zersetzung der Secrete im Uterus stricte indicirt. Um den
Stumpf am nachträglichen Zurückschlüpfen in die Bauchhöhle zu verhindern,
stösst man 2 lange Nadeln kreuzweise durch denselben, welche auf den Bauch-
decken aulliegen und mit steriler Gaze oder Watte unterlegt werden. Zwischen
den Stumpf und die Bauchdecken legt man am besten Jodoformgaze ein und
versorgt den Stumpf mit dem Therm okauter. Der Constrictionsschlauch bleibt
um den Stumpf herum liegen. Die Nachbehandlung hat hauptsächlich darauf
ihr Augenmerk zu richten, dass der absterbende Theil des Stumpfes oberhalb
der Constriction nicht in Fäulnis übergeht, was man durch Trockenhalten
desselben entweder durch Bepinselung mit einer 50% Chlorzinklösung oder
durch Aufstreuen von Tannin-Salicylpulver zu gleichen Theilen erreichen kann.
Der so behandelte Stumpf stösst sich dann gewöhnlich in den nächsten Wochen
ab, und es bleibt ein granulirender Wundtrichter zurück, der meist eine Pieihe
von Wochen bis zu seiner völligen Vernarbung bedarf.
Andererseits kann aber auch, wenn der Inhalt des Uterus bei der Ope-
ration vollständig keimfrei war, die intraperitoneale Stielversorgung gewählt
werden. Man vernäht dann zunächst die Uterushöhle durch versenkte Nähte
und vereinigt darauf die Stumpfwand nach irgend einer der Methoden wie sie
bei der Myotomie (siehe „dieses Stichwort") ausgeführt werden. Schliesslich
wird das Peritoneum des Stumpfes durch fortlaufende Catgutnaht über den-
selben herübergenäht. Dann wird der Schlauch abgenommen, eventuelle Blu-
tung durch Umstechungsnähte gestillt und darauf der Stumpf in die Bauch-
höhle versenkt. Die weitere Behandlung der Wöchnerin ist ganz dieselbe
wie beim conservativen Kaiserschnitt.
Die Prognose der PoRRO'schen Operation dürfte ungefähr der des
conservativen Kaiserschnittes entsprechen. Zweifelhaft allerdings wird sie in
allen denjenigen Fällen sein, in welchen eine Zersetzung der Secrete im
Uterus die Indication zur Operation gegeben hat. Dabei wird es vor allem
darauf ankommen, ob es dem Operirenden gelungen ist, während der Opera-
tion das Eintiiessen des zersetzten Uterusinhaltes in die Bauchhöhle zu ver-
hindern; in letzterem Falle wäre allerdings die Vorhersage eine sehr ungünstige.
RICHAED FROMMEL.
Kephalhaematoma, {die BlutkopfgeschwuUt.) Selbst bei normalen Ver-
hältnissen in der Geburt kann durch Verbiegung der Kindesschädelknochen
eine Zerrung und Verschiebung ihres Periosts vorkommen. Dasselbe kann auch
ein dem Kindesschädel zugefügtes Trauma bewirken. Die nächste Folge davon
ist das Zerreissen der subperiostalen Gefässe und damit ein Blut austritt
zwischen Periost und Knochen. Die so gesetzte, mehr-minder rund-
liche pralle Geschwulst, das Kephalhämatom kann nach seinem Vorkommen
ein äusseres oder ein inneres sein.
Ersteres kann unmittelbar nach der Gebm't für eine einfache Kopf-
geschwulst") angesprochen werden, wächst aber nach 1—3 Tagen (Differen-
*; Yergl. Artikel ,^Geburtsgeschwtdst'', pag. 284.
472 KLIMACTERIÜM.
tialdiagnose von letzterer) oft bis zu Kleinfaiistgrösse und hat nach dieser
Frist eine dem Kande des Knochens entsprechende, harte Leiste, während der
mehr central gelegene Theil der Geschwulst sich prall elastisch anfühlt. Solche
Geschwülste können gleichzeitig an mehreren Knochen vorkommen. Schneidet
man in die Geschwulst ein, so ergiesst sich daraus eine dunkle, theerartige,
ziehende, dickliche Blutmenge.
An den vom Periost entblössten Stellen finden sich gallertige Exsudat-
massen, in die später Knochensalze abgelagert werden und die zu den später
nachweislichen Unebenheiten, Leistenvorsprüngen u. d. g. am Schädel Ver-
anlassung geben.
Mit diesem äusseren Kephalhämatom zusammen, jedoch auch ohne
dieses, kommt besonders bei Traumen das sogenannte innere Kephal-
hämatom vor. Es liegt an der Innenfläche des Knochens, gegen die
Meningen zu, erreicht nicht die Grösse des äussern, ist aber das gefährlichere.
Denn während das Kephalhaematoma externum in der Regel ohne Hin-
zuthun — wenn auch nach Monaten zu vergehen pflegt — oder höchstens die oben
erwähnten Knochenauflagerungen hinterlässt, so stellen sich beim Kephal-
haematoma internum sehr bald die Zeichen von Gehirndruck ein, und es
erfolgt unter Krämpfen, Strabismus und Coma rasch der letale Ausgang.
Ausnahmsweise kann das Kephalhaemat omaexte rnum zur Abscess-
bildung führen, wie auch nachfolgende Caries der Schädelknochen beobachtet
wurde; diese Ausgänge gehören zu den Seltenheiten.
In differentialdiagnostischer Beziehung kommt die Kopf-
geschwulst und die Abscessbildung in Betracht. Man erkennt das
Kephalhämatom am nachträglichen Wachsthum und unterscheidet es von
einem Abscess durch den Mangel an Schmerzhaftigkeit und des Fiebers.
Die Therapie anlangend, empfiehlt sich beim Kephalhämatoma
externum zuerst zuzuwarten; da sich der eröffnete Blutsack leicht nochmals
füllt, so kürzt der Eingriff den Process nicht immer ab. Hingegen tritt
WiNCKEL, der sich mit dem Gegenstande eingehender beschäftigte, für die
Eröffnung des Tumors unter streng antiseptischen Cautelen und das Anlegen
eines leichten Druckverbandes ein. Wir empfehlen diesen Vorgang nur für
jene Fälle, wo der Blutsack sehr lange nicht zur Resorption gelangt oder
man sichere Zeichen für den Zerfall des Inhaltes wahrnimmt. Der Abscess
fällt dann unter chirurgische Betrachtung und Behandlung.
Elischer.
Klimacterium ist die Zeit der Menopause, jene, Lebensperiode des Weibes,
mit deren Eintreten das Geschlechtsleben durch atrophische Veränderungen
des Genitales erlischt. Am allerhäufigsten cessiren die Menses unter unseren
Breitegraden im Alter zwischen 45 und 50 Jahren, in einem bedeutend ge-
ringeren Bruchtheil der Fälle hört die Menstruation bereits zwischen dem 40.
und 45. Jahre auf, ohne dass man ein Recht hätte, diese frühere Cessation
als pathologisch zu bezeichnen. Nach Francis Hogg trat bei 44 Frauen
21mal Menopause zwischen 40—45 Jahren
23 „ „ „ 45 — 50 Jahren ein.
Nach EvERs trat bei 102 Frauen
16mal Menopause zwischen 40 — 45 Jahren
86 ,, „ „ 45 — 50 Jahren ein.
Nach KiscH trat bei 318 Frauen
141mal Menopause zwischen 40 — 45 Jahren
177 „ „ „ 45—50 Jahren ein.
Klima, Nationalität, Rasse, Stadt- oder Landleben, sociale Verhältnisse be-
einflussen den Zeitpunkt des Eintritts der Menopause. Frauen, bei denen die
erste Menstruation im Alter zwischen 13 und 16 Jahren eintrat, kommen
KLIMACTERIUM. 473
später ins Klimacterium als solche, bei denen die ersten Menses sich zwisclien
dem 16. und 20. Lebensjahre zeigten (Kiscii). Häufige Aborte oder Entbin-
dungen schieben ebenfalls das Klimacterium auf die späteren Jahre hinaus.
Sehr vereinzelt sind die Fälle, wo die Menopause nicht zwischen dem 5.ö.
und 60. Jahre eintrat. Unter den statistischen Daten der Literatur finden
sich auch solche, wo abnorm früh ein vollständiges Aufhören der Menstru-
ation verzeichnet ist. Wenn auch genauere Details über die näheren Um-
stände fehlen, warum in einem Falle schon im 23. (IIogg), in einem an-
deren gar schon im 17. Jahre (Kisch) die Menopause eintrat, so lässt sich
doch vermuthen, dass pathologische Ursachen mitgewirkt haben. Im Falle
Kisch's wird eine übermässige Adipositas erwähnt und dies ist wohl ein Mo-
ment, welches zur frühzeitigen Atrophie der Sexualorgane führen kann.
Das genauere Studium des Einflusses von internen und Allgemein-
erkrankungen auf das anatomische und physiologische Verhalten der weiblichen
Genitalien hat in einer Eeihe von Fällen gelehrt, dass erstere auf letztere
eine direct schädigende Einwirkung im Sinne einer Atrophie herbeizuführen
vermögen. Dies ist z. B. für den Morbus Basedow der Fall.
Häufiger liegt die Ursache des Unregelmässigwerden und schliesslich
vollkommenen Erlöschens der monatlichen Blutungen, in allgemeinen dyskra-
sischen Cachexien (Anaemia gravis, Carcinom, Tuberkulose). Schwere entzünd-
liche Processe, die sich als Metritis oder Endometritis localen oder allgemein
infectiösen Ursprungs am Genitale abgespielt haben, können begreiflicher
Weise frühzeitiges Eintreten der Menopause hervorrufen. Dem entsprechend
wäre es wohl angezeigt, im Gegensatze zum physiologischen Klimacterium
jene Fälle von frühzeitiger Menopause, wo eben eines der letzt' erwähnten
Momente nachweisbar ist, als pathologisches Klim acterium zu be-
zeichnen.
Die regressiven Veränderungen, welche die Ursache für die
Cessation der Menses abgeben, betreffen in erster Linie die Ovarien. Nach
Hyrtl's klassischer Beschreibung „besteht das Parenchym des Eierstocks aus
einem mehrweniger festen, gefässreichen Zellstoff, in welchem 12 — 20 voll-
kommen geschlossene häutige Säckchen, die GRAAF'schen Bläschen (Folliculi
Graafii) eingesenkt liegen". Die atrophische Metamorphose des Eierstocks be-
steht nun darin, dass dieses Zellstroma sich bedeutend vermehrt, das ernährende
Capillarnetz verödet und hiemit gleichzeitig der Inhalt der GRAAF'schen Follikel
selbst mit dem Ovulum fettig degenerirt. Entsprechend diesen Veränderungen
wird in der klimacterischen Zeit die früher regelmässig erfolgte Ruptur der
GRAAF'schen Follikel immer seltener, die Ovulation sistirt und hiemit im Zu-
sammenhange cessirt die aus der Uterinalschleimhaut erfolgende Blutung i. e.
Menstruation.
In weiterer Folge entsteht die senile Atrophie des Uterus und der Va-
gina.*)
Bei vielen Frauen beträgt die klimacterische Zeit nur einige Monate
und verlauft ohne jegliche besondere Beschwerden. In der Mehrzahl der
Fälle stellen sich jedoch die sogenannten Molimina klimacterii ein. Zunächst
sind es Störungen subjectiver Natur, die sich als Blutwallungen (..fliegende
Hitze") allgemeines Hautjucken, Parästhesien in den unteren Extremitäten
(Kriebeln, Ameisenlaufen), Neigung zu starken Schweissen äussern. Die Frauen
kommen zum Arzte und klagen über intensive Kopfschmerzen, Augenflimmern,
Geschmacksalterationen, Ohrensausen, sie beschweren sich oft über häufig
eintretendes Nasenbluten oder Blutungen aus dem Mastdarm; fragt man nach
dem Verhalten der Menses, so hört man, dass die eben erwähnten Beschwerden
*) Vergl. diesbezüglich auch die Artikel: „Menstruation^' und „Ovulation'^
474 KOLPITIS.
meist zu Beginn des Klimacteriums auftreten, dass die Menstruation zwar
noch vorhanden, aber unregelmässig und dann oft ziemlich profus eintrete.
Die meisten Frauen zeigen eine gewisse psychische Depression, die
theilweise in den eben erwähnten Symptomen ihre Begründung findet, theil-
weise aber auch deren Intensität nicht entspricht. Nicht so sehr wirkliche
Krankheitssymptome, als die Furcht vor einer schweren Erkrankung und der
althergebrachte Glaube, dass der „Wechsel" grosse Gefahren für jede Frau
berge, führen sie zum Arzt.
Den Symptomencomplex der subjectiven Beschwerden und der psychischen
Alteration bezeichnet man oft mit Unrecht als „Hysterie". Sie haben mei-
stentheils nichts mit der Krankheit „Hysterie'^ zu thun. Wohl aber kommt
es vor, dass sich zuweilen wirkliche Psychosen im Klimacterium entwickeln
(Melancholie und Hypochondrie), ja nach Krafft-Ebing soll in T^/o der weib-
lichen Psychosen ein directer Zusammenhang der psychischen Störungen mit
der Cessation der Menses bestehen. Andererseits ist es auch zweifellos sicher-
gestellt, dass das Klimacterium einen bessernden Einfluss auf früher bestandene
psychische Krankheiten ausübt (Griesingeb).
Was die Abnormitäten im Bereiche der sexualen Organe anlangt,
so ist es leicht begreiflich, dass bei der Häufigkeit von pathologischen Zu-
ständen des weiblichen Genitalapparates der Gynäkologe fast immer bei der
Untersuchung einer Frau im Klimacterium irgend eine Veränderung consta-
tiren wird, die schon von früher her datirt. So fand Kisch in einer Beob-
achtungsreihe von 500 Fällen 440mal solche Krankheitszustände. Nur we-
nige Afifectionen davon hängen mit dem Klimacterium direct zusammen, so
in erster Linie die Unregelmässigkeiten in der Menstruation (irreguläre und
profuse Meno- und Metrorrhagien). Nach Kisch ist die plötzliche Cessation
der Menses ein ätiologisches Moment für eine Metritis. Nicht selten kommt
Hydrometra vor, entstanden durch mit der Menopause einhergehende Atresie
des Cervicalcanales. Sehr häufig ist Leukorrhoe, die sich zuweilen auch pe-
riodisch als „vicariirende Menstruation" zeigt. Der Pruritus vaginae et
vulvae*) ist eines der lästigsten Symptome der klimacterischen Zeit, ohne
aber ätiologisch mit der Menopause im Zusammenhang zu stehen. Eine sta-
tistisch erhärtete Thatsache ist es ferner, dass das Uterus-Carcinom
zwischen den vierziger und fünfziger Jahren, d. i. also gerade in der klimac-
terischen Zeit am allerhäufigsten zur Entwicklung kommt.
Die Therapie der Molimina climacterii ist zunächst eine prophylactische.
Eine leicht verdauliche, möglichst reizlose Kost, die wegen der häufigen Nei-
gung zur Adipositas wenig Kohlehydrate enthalten soll, wäre anzurathen.
Keineswegs ist einer ausschliesslichen Fleischkost das Wort zu sprechen,
da im klimacterischen Alter Neigung zur Harnsäuredyskrasie besteht und der-
selben durch diese Diät Vorschub geleistet wird. Sorge für leichten Stuhl
ohne Anwendung von drastischen Purgantien und Hautpflege durch Gebrauch
von kühlen Bädern wären die weiteren therapeutischen Maassnahmen. Spe-
cielle Affectionen des Sexualapparates, insbesondere die profusen Metrorrhagien
sind entsprechend zu behandeln, wobei die wichtigste Aufgabe des Arztes
darin besteht ein sich entwickelndes Neoplasma möglichst frühzeitig zu
erkennen und der operativen Behandlung zuzuführen. w.
KolpitiS (synon. VapinitiSj Elytrüis, Blennorrhoea vaginae; o xoXtto; = die
Scheide, xo IXuxpov = die Hülle, Scheide, also nicht Elythritis mit h; xö ßXswog
= der Schleim, r] povj = das Fliessen), Scheiden-Entzündung, fälschlich
Scheiden- Katarrh. Die verschiedenen Formen dieser Erkrankung sind
nicht genügend erforscht. Das könnte auffallen, da die Scheide doch der
^) Vergl, „dieses Stichwort''
KOLPITIS. 475
Untersuchung leicht zugänglich ist. Die Erklärung liegt in dem Umstände,
dass es nur selten möglich ist, Stücke der Sclieide aus der Lebenden zu ent-
nehmen; und gerade die Entzündungen der Sclieide machen einen solchen Ein-
griff, der ja bei Vorfall, Tumoren u. Ae. nothwendig sein kann, nicht nur
entbehrlich, sondern auch schädlich. Dadurch entgeht der mikroskopischen
Forschung die wichtigste Grundlage. In bakteriologischer Hinsicht bleibt
trotz der Arbeiten Düderlein's u. A. ebenfalls noch sehr viel, wenn nicht
das meiste zu thun.
Die Scheidenentzündung wird oft als Scheidenkatarrh bezeichnet. Das
ist falsch. Unter Katarrh versteht man die Entzündung einer Schleimhaut.
Die Scheide ist aber keine Schleimhaut, sie besitzt keine Schleimdrüsen, da
sie überhaupt keine Drüsen hat; sie kann also keinen Schleim absondern.
Ein Transsudat liefert sie allerdings; dieses sickert durch die zwar mächtige,
aber weiche, oberflächlich nicht verhornte Epithelschicht hindurch; man kann
dies schon daraus erkennen, dass nach Total-Exstirpatiou des Uterus sich die
Scheide doch feucht erhält, obwohl kein Uterus-Secret in sie hineingelangt.
Prolabirt die Scheide, so verhornt die oberste Epithelschicht, die Scheide
wird trocken, derb, lederähnlicli, da kein Transsudat mehr durch die ver-
hornten Epithelien hindurchdringt.
Auch die Bezeichnung Blennorrhoea vaginae ist für die Scheiden-
entzündung im allgemeinen schlecht gewählt; sie hebt ein Symptom — die ver-
mehrte Flüssigkeits-Secretion — hervor, statt das Wesen der Erkrankung zu
treffen. Eher könnte man nach dem Vorbilde des Wortes Ophthalmoblennorrhoe
die gonorrhoische Scheidenentzündung als Blennorhoea vaginae bezeichnen;
auch dafür erscheint aber die Benennung Kolpitis gonorrhoica zutreffender.
Die Scheide ist, da drüsenlos, keine Schleimhaut, sondern eine Ueber-
gangshaut; ihre Entzündung ist deshalb kein Katarrh, sondern eine Dermatitis.
Aetiologie. Die Ursachen der Scheiden-Entzündung bedüi'fen noch
genauer Untersuchungen. Nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse lassen
sich folgende Formen unterscheiden:
A. Kolpitis mit bekannten Erregern:
1. Gonorrhoische Kolpitis.
2. Septische Kolpitis.
3. Tuberkulöse Kolpitis.
4. Erysipelatöse Kolpitis.
5. Soor der Scheide (Infection mit Oidium albicans) und Ansiedlung von
Leptothrix vaginae.
6. Kolpitis emphysematosa {Kolpohyperplasia cystica Winckel's).
B. Kolpitis, deren Ursachen zum Theil bekannt sind, während wir die
Erreger nicht oder nicht mit Sicherheit kennen:
7. Diphtherie der Scheide (abgesehen von jenen Fällen, in welchen sie
durch den Diphtherie-Bacillus erzeugt ist).
8. Luetische Kolpitis (es ist unsicher, ob Winckel's Kolpitis gummosa
und die von E. Fraenkel beobachtete Form hieher gehören).
9. Kolpitis senilis sive adhaesiva idcerosa.
10. Gangrän der Scheide.
11. Herpetisch-vesiculöse Kolpitis.
12. Kolpitis bei acuten Infectionskrankheiten.
13. Entzündung und Ulcera durch, mechanische Insulte (wahrscheinlich mit
secundärer Ansiedlung von Bacterien).
14. Entzündung und Ulcera durch chemische und thermische Insulte.
Von diesen Formen ist die Hyperämie der Scheide zu trennen, welche sich
physiologisch während der Schwangerschaft, des Wochenbettes, der Menses, der Cohabitation
zeigt, oder pathologisch bei Kreislaufstörungen durch Krankheiten des Herzens, der Leber, der
Nieren u. s. w. auftritt. Die Hyperämie kann allerdings einer Entzündung den Boden Yor-
bereiten, indem sie die Ansiedlung von Krankheitserregern begünstigt u. s. w.
476 KOLPITIS.
Acute und chronische Formen der Entzündung scharf zu trennen ist
nicht möglich, da sie in einander übergehen; es ist aber auch unnöthig, da
die meisten Entzündungen der Scheide acut und chronisch verlaufen können.
1. Gonorrhoische Kolpitis. Sie wurde im Aufsatze „Gonorrhoe der weib-
lichen Genitalien", pag. 304 dieses Bandes schon besprochen; hier sei nochmals
hervorgehoben, dass sie meist secundär bei primärer Infection der Urethra,
der Vulvadrüsen, der Cervix- und Uterus-Schleimhaut vorkommt. Die That-
sache ihres Vorkommens bei Kindern wird fast von allen Untersuchern be-
stätigt, und auch für das Auftreten einer gonorrhoischen Kolpitis Erwachsener
mehren sich von Jahr zu Jahr die Stimmen; immerhin ist es wünschenswerth,
den Gonococcen-Nachweis im Epithel oder Bindegewebe der inficirten Scheide
an ausgeschnittenen Stückchen noch sicher zu erbringen. Die gonor-
rhoische Kolpitis scheint die häufigste und deshalb wichtigste
Form der Scheidenentzündung darzustellen.
Die gonorrhoische Kolpitis kann sowohl diffus, als in der Form der
granulären Scheidenentzündung auftreten, d. h. es zeigen sich in der
Vagina hochrothe, Stecknadelkopf- bis apfelkerngrosse Granula, welche aus den
entzündeten Bindegewebspapillen bestehen; über diesen ist das Epithel theil-
weise oder ganz abgestossen.
Die Therapie der gonorrhoischen Kolpitis richtet sich hauptsächlich
gegen die Stellen der primären Infection (Urethra, Bartholin' sehe Drüsen,
Cervix); gleichzeitig wird mechanische Reinigung der Scheide und Abnahme
der Entzündung durch Ausspülungen mit antiphlogistischen und antibacteriellen
Mitteln angestrebt; dazu eignen sich alle Antiseptica, vor allem Sublimat V2 7oo
(nicht bei Wöchnerinnen), Kalium hypermangan. 0'25-l%oi nachFßiTSCH ferner
Arg. nitr. V2%oi Chlorzink PV Bei hartnäckiger Entzündung sind stärkere
Aetzmittel am Platze, die natürlich der Arzt anwenden muss; Fritsch em-
pfiehlt dazu (bei gleichzeitiger Behandlung der Cervix-Gonorrhoe durch in den
Cervix gestopfte Gazestreifen, die in 27o Arg. nitr. getaucht wurden) Aus-
stopfung der Scheide mit Watte, welche ebenfalls mit 2°/o Arg. nitr.-Lösung
getränkt ist. „Dieser , Verband' wird wenigstens eine Woche lang täglich mit
grosser Sorgfalt bei der im Bette liegenden Kranken erneuert. Sodann wird
eine Pause von einigen Tagen gemacht, welche zu Chlorzinkspülungen benützt
wird. Die ganze Procedur wird nochmals durchgeführt-" — Einige andere
Behandlungsarten, darunter die von Schwarz und Sänger, wurden schon auf
pag. 306 dieses Bandes besprochen.
2. Septische Kolpitis. Sie wird durch die bekannten Eitererreger (pyogene
Staphylo- und Streptococcen), wahrscheinlich auch durch andere, bisher we-
niger oft beobachtete oder beachtete Entzündungserreger {Bacierium coli com-
mune u. A.) hervorgerufen. Am häufigsten findet man sie als Theilerschei-
nung puerperaler Infection; man sieht sie als diffuse Entzündung oder
mit Bildung von „Puerperal-Geschwüren" oder von diphtherischen Belägen
(s. u.) auftreten. Sie ist gleich der puerperalen Endometritis nur anfangs einer
localen Therapie durch Antiseptica zugänglich, während bei allgemeiner Sepsis
eine örtliche Behandlung kaum mehr nützt; hier ist die AUgemeinbehandluug
in den Vordergrund zu stellen.")
Anscheinend gehört auch das Ulcus molk hieher, das ja ebenfalls durch
Eiterreger entstehen kann. Ulcera mollia der Scheide und Portio kommen
nicht sehr häufig vor; sie werden mit Desinficientien oder Aetzmitteln be-
handelt; letztere können chemischer Natur sein (Arg. nit. 2*^/0, Chlorzink
40% u. s. w.) oder in der Form der Kauterisation (Glüheisen, Paquelin)
Verwendung finden.
*) Vergl. den Artikel ,^Puerperalinfection."'
KOLPITIS. 477
3. Tuberkulöse Kolpitis. Sie scheint bisher nur als secundäre Erkran-
kung beobachtet worden zu sein ; im Beginne findet man graue Knötchen auf
geröthetera Grunde ; diese fliessen später zusammen und bilden rundliche Sub-
stanzdefeete mit unterminirten Rändern. Wegen ihres secundären Vorkom-
mens hat man sie in den wenigen beobachteten Fällen nicht local behandelt.*)
4. Erysipel der Scheide. Es scheint sehr selten zu sein ; hieher gehören
die beiden von v. Winckel citirten Fälle von Eppinger und Matthews Duncan
Es handelte sich um primäres Erysipel der benachbarten Haut; die Scheide,
selbst war im Zustande hochgradiger, diffuser Entzündung. Sind die Erysipel-
Coccen identisch mit den pyogenen Streptococcen, so ist das Erysipel der
Scheide nur eine Form der septischen Kolpitis (2.).
5. Soor der Vagina und Leptothrix vaginae. Durch Döderlein's Unter-
suchungen über das Scheidensecret ist die Frage von der Bedeutung der
Soorhefe für die menschliche Scheide in ein neues Licht gerückt worden.
„Die Soorhefe findet sich nur vereinzelt als ein Pilz, der relativ häufig in der
gesunden Scheide Schwangerer vorkommt, aber es unter den hier obwaltenden
Verhältnissen nur zu einem massigen, klinisch nicht wahrnehmbaren Wachs-
thum. zu bringen vermag."
Haussmann fand den Soorpilz in etwas mehr als 10% der von ihm untersuchten
Schwangeren, dagegen in nur 1—2% bei nichtschwangeren Frauen. Winckel hat darauf
hingewiesen, dass die Soormykosis der Scheide Schwangerer später im Wochenbett von
selbst verschwindet, was vielleicht durch die alkalischen Lochien bedingt sei. Winter und
ebenso Steffeck fanden in 20% bei Schwangeren den Soorpilz in der Scheide. Döderlein
konnte ihn in 36% der Fälle bei gesunden Schwangeren nachweisen. Nach Plaut ist der
Soorpilz, früher als Oidium albicans bezeichnet, identisch mit Monilia Candida;
er hat zwei Entwicklungsarten; in der ersten Wuchsform als Gonidien, die sich durch
Sprossung vermehren, und in der zweiten als Mycelien, aus welchen sich durch Ab-
schnürung wieder Gonidien entwickeln. Döderlein bezieht das häufigere Vorkommen im
normalen Scheidensecret und besonders bei Schwangeren auf den höheren Säuregehalt ;
im Wochenbett und im pathologischen Scheidensecret begünstigt dagegen die alkalische
oder neutrale Eeaction das Wachsthum saprophytischer Keime, durch deren reichlich
gebildete Stoffwechselproducte nach Döderlein auch die Soorpilze im Kampfe ums Dasein
zu Grunde gehen.
Trotz des häufigen Vorkommens in der Scheide gesunder Frauen, u. zw.
hauptsächlich Schwangerer, scheint der Soorpilz nicht ohne gewisse örtliche
Vorbedingungen zu erheblichem Wachsthum zu gelangen. Diese Vorbeding-
ungen sind theils durch die Schwangerschaft, theils durch Kreislaufstörungen,
theils durch locale Herabsetzung der Widerstandskraft des Gewebes gegeben,
wie bei marantischen, durch Krankheiten geschwächten Individuen, bei schwäch-
lichen Kindern u. s. w. Während die Monilia Candida grössere Easen bilden
kann, kommt die Leptothrix vaginalis anscheinend nur in geringen
Mengen vor und sie macht fast gar keine Beschwerden.
Man hat sich Mühe gegeben, zu erklären, wie denn diese Pilze in die
Scheide gelangen. Einerseits hat man bei soorkranken Kindern an den weib-
lichen Geschlechtsorganen denselben Pilz gefunden und eine Uebertragung
durch unsaubere Wärterinnen angenommen ; andererseits schuldigte E. Martix
in einem Falle die Manipulationen an, welche ein Müllergeselle mit den
Händen an den Genitalien seiner Braut ausgeführt hatte. Hier sollte das
Mehl die Rolle des Uebertragers gespielt haben. Solche Ursachen können
gewiss mitwirken; bei der grossen Verbreitung des Soorpilzes bedarf es aber
dieser Erklärungen wohl nicht stets.
Die Symptome bestehen hauptsächlich in Jucken und Brennen, in
Hitzegefühl und vermehrter Secretion, bedingt durch den theilweisen Epithel-
verlust. Die Höhe der Beschwerden kann aber sehr verschieden sein, je
nachdem die Erkrankung kleinere oder grössere Theile der Scheide und
stellenweise auch die Vulva ergriffen hat. Meist läuft die Infection in 5 — 10
*) Vergl. Artikel „Tuberkulose der weihliclien Genitalien.
478 KOLPITIS.
Tagen ab ; im Wochenbett pflegt sie, wie erwähnt, spontan zu heilen. Nicht
selten dauert sie aber wochenlang und recidivirt später ; v. Winckel hat selbst
monatelangen .Bestand bei Schwangeren gefunden. Fieber fehlt oder erreicht
nur geringe Höhe. In der Scheide sieht man anfangs kleine, weissliche oder
weisslichgelbe Flecken auf geröthetem Grunde ; das Aussehen gleicht dem
einer soorkranken Mundhöhle. Diese Flecken vergrössern sich, bilden aber
nicht ausgedehnte Membranen. Man kann sie nicht ohne gleichzeitigen Epithel-
verlust abschaben. Mikroskopisch sind die Pilzrasen leicht in die einzelnen
sporentragenden Fäden zu zerlegen.
Entsprechend dem Verlauf und der im allgemeinen guten Prognose
ist auch die Behandlung eine einfache: desinficirende Scheidenspülungen,
bei heftigem Brennen warme Sitzbäder und nöthigenfalls Einführung von
Globulis und Cacao-Butter mit Opium, bei kräftigen Frauen reizlose Kost, bei
geschwächten aber kräftigende Diät.
Hier mag aucli die Trichomonas vaginalis erwähnt sein, welcher früher wohl eine zu
grosse Bedeutung beigelegt wurde. Sie scheint nicht pathogen zu sein und ist wohl nur
ein harmloser Gast der Scheide.
6. Kolijitis emphysematosa sive Kolpohyperplasia cystica. Diese interessante
Erkrankung wurde zuerst von v. Winckel beschrieben. Sie besteht in der
Bildung von gashaltigen Cysten in der Scheide, welche bis kirschgross
und grösser werden können, oft „wie Maiskörner auf dem Folben" dicht-
gedrängt im Scheidengewölbe, ja theilweise noch auf der Portio sitzen und
sich meist bei Schwangeren finden. Je nach dem Grade der Verdünnung der
Cystenwand sehen sie röthlich oder blauroth oder bläulich durchschimmernd
aus. Sie machen fast gar keine subjectiven Erscheinungen. Trotz ihrer
geringen praktischen Bedeutung bieten sie weitgehendes Interesse, und zwar
wegen des Gasgehaltes. Dieses Gas ist nicht atmosphärische Luft, sondern
ein Gasgemisch, in welchem nach Zw^eifel Trimethylamin vorkommt. Den
Gasgehalt kann man leicht dadurch nachweisen, dass man die Cysten unter
Wasser in einem Speculum ansticht.
Der Ursprung dieses Gases hat die verschiedensten Deutungen erfahren:
es sollte aus Luft abstammen, welche in Scheidendrüsen eingedrungen oder
durch verklebende Scheidenfalten eingeschlossen worden sei; andere lassen es
aus dem Serum entstehen u. s. w. Mehrfache Untersuchungen hatten nun
schon früher dargethan, dass die Cysten im sub epithelialen Bindegewebe und
zwar in Lymphspalten sitzen. In neuerer Zeit haben dann Eisenlohr und
ich in den Cysten kleine anaerobe Bacillen in Reincultur gefunden, welche
auch im Reagensglase Gas entwickeln. Es handelt sich also um eine Infec-
tion mit gasbildenden Bacillen und deshalb erscheint auch die Bezeichnung
^^Kolpitis ejnphysematosa" als zutreffender.
Analoge Bildungen hat man übrigens auch in Harnblase und Darmwand bei Thieren
gefunden.
Nach der Geburt sind die Cysten regelmässig spontan verschwunden,
die Affection bedarf deshalb und wegen ihrer geringen Symptome keiner Be-
handlung.
7. Diphtherie der Scheide. Als Diphtherie oder Croup der Scheide werden
zweifellos ganz verschiedene Processe bezeichnet, welchen nur ein ähnliches
Aussehen gemeinsam ist, die aber durch die verschiedensten Ursachen ent-
stehen können. Einerseits scheint bei wirklicher Rachen-Diphtherie auch
Scheiden-Diphtherie vorzukommen; nur diese Erkrankung verdient auch diesen
Namen; sie wird durch die Diphtherie-Bacillen hervorgerufen, ist aber an-
scheinend stets secuBdär. Die nächste Zeit wird wohl bei dem hochgradig
gesteigerten Untersuchungseifer, welchen Beheing's Serum-Therapie gezeitigt
hat, auch hier Aufklärungen bringen. Andererseits kommen aber dipththerie-
almliche Processe in der Scheide bei verschiedenen anderen Infectionskrank-
heiten vor, so besonders bei Puerperalfieber, Cholera, Pocken, Masern und
KOLPITIS. 479
Scharlach. Es kann sich da um zwei Vorgänge handehi: Entweder um
directe Infecti n der Scheide (hauptsächlich bei Puerperalfieber) oder um lo-
cale Gewebs-Nekrose, welche saprophytischen Bacterien die Ansicdlung ermög-
licht und zur Bildung weisslicher, zerfallender Herde führt. Biese Nekrose
ist vielleicht durch Capillar-Thrombose bedingt, wie sie durch bekannte Gifte
— Sublimat, Chlorkalium — aber wohl auch durch Stoffwechselproducte von
Bacterien, also den Erregern der Cholera u. s. w. bewirkt wird. Hier
bleibt der Untersuchung noch ein fast unberührtes Feld der Thätigkeit. Bas
Aussehen der erkrankten Scheide ist in den verschiedenen Fällen ein ziem-
lich ähnliches: graue, weissliche bis weisslichgelbe, oft breit ausgedehnte
Membranen auf geschwollenem, stark geröthetem Grunde; auch die Portio
kann mitergriffen sein. Bie meist schwer abziehbaren Membranen hinter-
lassen eine blutende Fläche.
Bie Therapie muss sich bei unserer geringen Kenntnis von der Natur
dieser Processe — abgesehen von der wirklichen Biphtherie — auf die Be-
handlung der Allgemein-Infection und des Allgemeinzustandes beschränken.
8. Luetische Kolpitis; Kolpüis gummosa v. Winckel's. Primäre luetische
Geschwüre in der Scheide sind sehr selten, sie kommen aber sowohl in der
Vagina als auf der Portio vor. Bire Behandlung ist natürlich dieselbe wie
die der luetischen Primäraöecte überhaupt; sie wird an anderer Stelle dieses
Werkes besprochen. Birch-Hieschfeld hat einen Fall von syphilitischer Peri-
vaginitis beobachtet, in welchem die Scheide in ein dickwandiges Rohr von
glatter, blasser Oberfläche verwandelt war.
Eine besondere Stellung nimmt der von v. Winckel beschriebene Fall ein,
welchen er als Kolpitis gumynosa bezeichnet hat. Es handelte sich um eine
ausgesprochene Endokolp)itis bei einem 28-jährigen Mädchen, das eine ähnliche
Affection mit Bildung von Membranen am linken Auge zeigte. Bie Scheide
war in der ganzen Ausdehnung trocken, uneben, durch grauweisse Membranen
rauh; der Verlauf war ein ausserordentlich chronischer, das Leiden trotzte
jeder, auch der antisyphilitischen Behandlung.
Hier mag auch der von E. Feänkel beobachtete Fall erwähnt werden,
bei dem es sich um eine makroskopisch ähnliche Erkrankung der Portio allein
handelte; es zeigte sich auf ihr ein festhaftender, dicker, weisser Belag mit
rauher und körniger Oberfläche; Fimnkel deutet den Befund als eine „chronisch
entzündliche Reizung des Bindegewebes der Portio mit Wucherung und Ne-
krose der darüber liegenden Plattenepithelschichten."
9. Kolpitis senilis sive vetularum sive ulcerosa adhaesiva.
Auch über die Entstehung dieses Leidens fehlen aufklärende Unter-
suchungen, welche sich auf das Scheidengewebe selbst, vielleicht auch auf
Gefässe und Nerven der Scheide, sowie auf ihren Bacterien- oder im wei-
teren Sinne auf ihren Parasitengehalt erstrecken müssten.
Bie Krankheit kommt bei alten oder geschwächten Frauen vor. Gleich
V. WiNCKEL, der dieses Leiden bei einer erst 32-jährigen Frau sah, habe ich
es auch bei einer 32-jährigen, im übrigen gesunden Frau der besten Stände
beobachtet, bei welcher es sich also keinesfalls um mangelnde Reinlichkeit
handeln konnte; seit 5 Jahren cessirten die früher regelmässigen Menses,
nachdem die Frau vorher 2 normale Geburten und einen Aboii; durchgemacht
hatte. Bie Scheide bot das typische Bild einer senilen Kolpitis.
Allem Anscheine nach handelt es sich dabei um eine Ernährungsstörung;
die Scheide sieht wie geschunden aus, ihr Epithel wird herdweise in den
oberen Schichten oder bis auf das Bindegewebe abgestossen, sie erhält dadurch
ein roth- bis braunrothfleckiges Aussehen; die Epithel Verluste führen zu Ver-
klebungen der einander gegenüberliegenden Flächen und so entstehen Septa,
Stränge, Brücken und Narbenzüge. Bie Scheide ist dadurch allgemein oder
stellenweise verengt. Bie Portio pflegt an diesem Processe betheiligt zu sein,
480 KOLPITIS.
SO dass sich Stränge zwischen ihr und der Scheide bilden können; gleich-
zeitig atrophiren Portio und Uterus oft hochgradig.
Die Therapie hat wenig oder keinen Eintiuss auf dieses Leiden, das
allerdings ausser anfänglich vermehrtem Ausfluss meist wenig Beschwerden
macht. Ist der Ausfluss blutig gefärbt, so erschreckt er die Kranken, da sie
an Carcinom denken. Durch Auswischungen der vorher gereinigten Scheide
mit 2% Argent. nitr. und durch Scheidenspülungen mit Adstringentien (Alaun,
schwache Tannin-Lösung) kann man die Secretion beschränken.
Bei jüngeren Frauen könnte das Auftreten der Kolpitis ulcerosa aller-
dings als Symptom einer Ernährungsstörung im Genital-Apparat von Be-
deutung werden; der oben geschilderte Fall lässt sich in diesem Sinne
heranziehen.
Bei Gelegenheit einer Obduction fand ich einmal zahlreiche Herde von
Pigment in der Scheidenwand, die offenbar alten Blutungen entstammten.
10. Gangrän der Scheide; Perivaginitis dissecans. Ist Nekrose ein
Gewebszerfall ohne Mithilfe von Fäulnis-Bacterien, so kann Gangrän als Ge-
webszerfall durch ausschliessliche oder unterstützende Wirkung von Fäulnis-
bacterien bezeichnet werden. Allerdings müsste nach dieser Definition der
mumificirende Altersbrand nicht Gangraena, sondern Nekrosis senilis genannt
werden.
Gangrän der Scheide kann durch verschiedene Ursachen bewirkt sein:
durch septische Processe, durch andere acute Infectionskrankheiten, durch
mechanische Insulte, welche zuerst partielle Nekrose bewirken und dadurch
die Ansiedlung von Fäulnisbacterien begünstigen. Schlechte, jahrelang in
der Scheide liegende Pessare sind nicht selten Ursache umschriebener Scheiden-
gangrän ; in gewissem Sinne lässt sich hieher auch die „Perivaginitis dissecans'-'-
rechnen, bei welcher es durch eine perikolpitische Phlegmone zur Ausstossung
des ganzen Scheidenrohres kommen kann. Die Diagnose stützt sich auf
die schiefergraue bis schwärzliche Verfärbung, die Ausstossung von Gewebs-
fetzen, den schmutzigblutigen Ausfluss und die Jauchung. Die Therapie
ist natürlich gegen den septischen Process gerichtet; Fremdkörper müssen
entfernt werden. Die Prognose ist selbst quoad vitam schlecht, immerhin
hat V. WiNCKEL Heilung beobachtet.
11. Herpetisch-vesiculäre Kolpitis, sive, Kolpitis miliaris. Sie ist sehr
selten und wird gekennzeichnet durch gruppenweises Auftreten von Pusteln
und kleinen Abscessen. Sie soll namentlich bei Circulationsstörungen und
multiplen Gefässthrombosen vorkommen. Im Allgemeinen wurde sie bei
älteren Frauen, von v. Winckel aber auch bei einer 32-jährigen Patientin
beobachtet.
12. Kolpitis hei acuten Infectionskrankheiten. Bei Cholera, Pocken,
Typhus, Masern, Scharlach findet sich gelegentlich eine Entzündung der
Scheide, die sich anfangs als diffuse Piöthung und Schwellung, manchmal
unter Bildung von Hämorrhagien (siehe „Pigment in der Scheide" unter
Kolpitis senilis), später und bei höheren Graden unter Bildung nekro-
tischer, diphtherie-ähnlicher oder gangränescirender Herde äussert. Es ist
unbekannt, ob es sich dabei um eine Infection der Scheide mit den be-
treffenden Erregern auf dem Blutwege handelt, oder um Wirkungen von
Stoffwechselproducten der bekannten oder hypothetischen Erreger, oder um
secundäre septische Infection. Im letzteren Falle wäre der Process mit der
geschilderten septischen Kolpitis (2.) gleichbedeutend.
13. und 14. Entzündung und tflcera der Scheide durch mechanische,
thermische oder chemische Insulte. Es ist klar, dass solche Insulte auch in
der Scheide zu Entzündung und Ulceration führen können. Unter den
mechanischen Insulten stehen schlechte oder zu lang liegende Pessare, in
unserer Zeit besonders schlechte Weichgummi-Pessare, in erster Pteihe. Sie
KRANIOTOMIE. 481
tonnen sich in die Scheide förmlicli einbohren und entweder Fisteln (Blasen-,
Mastdarm scheidenfisteln) oder Verwachsungen hervorrufen, in welchen die
Kinge förmlich eingebettet sind. In der Würzburger Frauenklinik (Professor
Hofmeier) wurde ein Fall beobachtet, bei welchem der Bügel eines Loiir.ioiN'schen
Pessars in einer Portiolippe eingewachsen war, wie etwa der Lippenring einer
Südsee-Insulanerin in deren Lippe.
Auch bei Prolaps kommt es durch die ständige Reibung der lederharten
Scheide und Portio zu ausgedehnten Ulcerationen; die Ulcera heilen spontan,
wenn die Scheide dauernd reponirt erhalten bleibt.
Auch Fremdkörper, die bei Gelegenheit der Masturbation, crimineller
Aborte, therapeutischer Eingriffe u. s. w. in die Scheide gelangen, können
Geschwürsbildung hervorrufen und schliesslich förmlich in die Scheide hinein-
wachsen; sie bieten der Entfernung, die' schon mehrfach nur mit Hilfe der
Kopfzange oder erst nach Zerkleinerung des Fremdkörpers möglich war, nicht
geringe Schwierigkeiten; die gleichzeitige Jauchung und Granulationsbildung
legt oft zuerst den Verdacht auf Carcinom nahe. Selbstredend kommt es
wohl stets zu secundärer Ansiedlung von Saprophyten, seltener von pathogenen
Bacterien.
Thermische und chemische Reize treffen die Scheide theils bei
therapeutischen Eingriffen, so bei Heisswasser-Irrigation des Uterus wegen
atonischer Blutungen, zum Zwecke künstlicher Fehl- oder Frühgeburt, bei
Aetzungen der erodirten Portio oder inoperabler Carcinome, bei der Behandlung
der Endometritis mit Aetzmitteln; theils ist der chemische Pteiz durch
jauchende Tumoren, durch Blasen- und Darm-Scheidenfisteln u. s. w. bedingt.
Bei Diabetes kann die chemische Veränderung vielleicht den Boden vor-
bereiten, auf welchem sich dann Pilze leichter ansiedeln.
Neben pathologischen Processen und therapeutischen Eingriffen ist es
vor allem die Macht des Sexualtriebes, der in seiner unnatürlichen oder über-
mässigen Befriedigung die mannigfachsten Gefahren für die Scheide bringt.
-X- -X-
Für den „Katarrh" der Scheide hat sich bei dieser Eintheilung kein
Platz gefunden, denn es gibt keinen Scheidenkatarrh. Und gleich ihm muss
das kritiklose Verordnen von Scheidenspülungen mit Alaunwasser ") aus der
Lehre von der Scheidenentzündung verschwinden.
Es ist unerlässlich, dass man in jedem einzelnen Falle versucht, die
Art der Erkrankung festzustellen; erst dann wird sich nach genauer
Untersuchung auch die Heilmethode bestimmen lassen. Den wichtigsten
Theil im Erkennen und Behandeln der Scheiden-Entzündungen haben aller-
dings weitere Forschungen noch festzustellen. Gustav klein.
KraniotOtnie (-0 xpavwv, Schädel, tIixvco schneiden) synonym mit Kepha-
lotomie (tj xscpaX-^ Kopf) bedeutet, wörtlich genommen, nur Eröffnung der
Schädelhöhle, ist aber nach C. Schröder's Vorgang als Bezeichnung für
eine zusammengehörige Gruppe von geburtshilflichen Operationen beliebt.
Man subsumirt unter diesem Ausdruck die Perforation, Durchbohrung des
Schädels, ^^Excerebratio, Entkinnmg, Kranio-Jdasie oder -tlüasie (xXacD, OXccto,
brechen, zermalmen) -tractio (trahere ziehen) oder Kephalothrypsie (Opu—o)
zerreiben), Verkleinerung des kindlichen Schädels durch Zerdrücken desselben
und Extrahiren des Kindes. Als selten nur ausgeführte Operationen gehören
hieher noch die Basiothrypsie oder Basiolysis (rj ßaaic, Grund [Schädelbasis]
Xuo), lösen). Der Zweck der Kraniotomie ist, nach Eröffnung und Entleerung
der Schädelhöhle den Kopf des Kindes durch Zerdrücken zu verkleinern, so
*) Vergleiche „Behandlung der Kolpitis gonorrlioica," pag. 306
X5ibl, med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynäkolosie. '^■'-
482 KRANIOTOMIE.
dass in Fällen von räumlichem Missverliältnis zwischen Kind und Geburts-
canal durch die durch die Operation gewonnene Volumsverminderung der
Frucht die Geburt per vias naturales möglich wird.
Die Operation gehört zu den ältesten geburtshilflichen Eingriffen, beschreibt
doch schon Hippokrates Instrumente zur Vornahme derselben. Sie bestand
lange Zeit in den Fällen, wo die Grösse des Kindes, beziehungsweise Enge
des Geburtscanales den Austritt der Frucht hemmten, als einzige Möglichkeit,
die Mutter vor dem Schicksal zu retten, an den Folgen der Gebärunmöglich-
keit zu sterben. Jetzt concurrirt die Kraniotomie mit der Symphyseotomie
und der Sectio caesarea, wozu noch als prophylaktischer Eingriff bei engem
Becken die künstliche Frühgeburt zu rechnen ist. Diese Operationen streben
alle einem edleren Ziele zu, nämlich nicht nur die Mutter zu erhalten, sondern
auch das Kind dem Leben zu gewinnen. Allgemeine Grundsätze für die Ab-
grenzung dieser Operationen gegeneinander lassen sich zur Zeit nicht auf-
stellen, es ist vielmehr in jedem einzelnen Falle die oft schwierige Aufgabe
des Geburtshelfers, Auswahl zu treffen. Nur das ist klar, dass Symphyseo-
tomie und Sectio caesarea nur bei lebendem Kinde zulässig sind, sofern nicht
eine allzuhochgradige Enge des Geburtscanais jede Entbindung per vias
naturales zur Unmöglichkeit werden lässt, während andererseits bei lebendem
Kinde die Kraniotomie wenn irgend möglich vermieden werden soll. In den
Gebäranstalten wird sich der Grundsatz, niemals ein lebendes Kind zu per-
foriren, allerdings viel leichter durchführen lassen als in der Privatpraxis,
wo rein äussere Gründe den Geburtshelfer zwingen können, von der Vornahme
einer Sectio caesarea oder Symphyseotomie abzustehen. Vielleicht vermag
die Symphyseotomie bei weiterer Ausbildung der Technik künftighin die
Kraniotomie bei lebendem Kinde noch mehr zu verdrängen.
Die Häufig keit der Kraniotomie schwankt nach den jeweilig herrschen-
den Grundsätzen sehr; nach C. v. Braun kam in der ersten Klinik des
Wiener Gebärhauses in den Jahren 1881 — 1885 unter 15050 Geburten 1 Kra-
niotomie auf 307 Geburten, an anderen Orten z. B. in Dublin, Dresden ist
die Häufigkeit eine beträchtlich grössere 1: 106, beziehungsweise 1:77"6,
während sich das Verhältnis in Stuttgart 1: 1620 und in Baden 1: 1504 stellt. *)
Indicationen. 1. Enges Becken. Die mittleren Grade der Becken-
verengerungen bilden die typische und häufigste Veranlassung zur Vornahme
der Kraniotomie. Es lässt sich weder eine obere noch eine untere Grenze der
Beckenverengerungen angeben, bis zu welcher das Gebiet der Kraniotomie
reicht. Schon bei ganz geringgradig verengten Becken, z. B. plattes Becken
Conj. vera 9' 5 kann gelegentlich bei sehr grossem Kind (5000 gr) mit hartem,
nicht configurationsfähigem Schädel die Verkleinerung desselben nöthig werden.
Als untere Grenze wird gewöhnlich ein Becken mit einer Conj. vera von 6 cm
angegeben mit der Begründung, dass durch noch engere Becken auch der
entleerte und zerdrückte Kopf nicht durchgezogen werden kann. Dass
mit passenden Instrumenten auch bei noch weitergehender Verengerung selbst
ein ausgetragenes Kind mittelst Kraniotomie entwickelt werden kann, beweist
der Fall von Zweifel, welcher bei einem plattrachitischen Becken mit einer
Conj. vera von 4-25 — 4'5 die Geburt auf diese Weise mit vollem Erfolg für
die Mutter vollendete.
Indicirt ist bei engem Becken die Kraniotomie, wenn trotz längerer Ge-
burtsarbeit der Kopf des Kindes nicht in das Becken eingetreten ist und
seitens der Mutter gefahrdrohende Symptome, wie Quetschung der Weichtheile,
Fieber, drohende Uterusruptur u. ä. die Entbindung erheischen. Ist das Kind
bereits abgestorben, so ist die Kraniotomie die einzig richtige Operation, so-
ferne nicht das Becken auch für diese Entbindungsmöglichkeit zu enge ist.
*)Nach Fehling: Handbuch der Geburtshilfe Bd. III, p. 156.
KRANIOTOMIE. 483
Lebt das Kind, so wäre Symphyseotomie oder Sectio caesarea mit in Er-
wägung zu ziehen, bei den Beckenverengerungen I. und IL Grades ist der
Ivraniotomie ein schonender Zangenversuch vorauszuschicken; bei künftigen
Schwangerschaften wäre hier die Einleitung der künstlichen Frühgeburt ins
Auge zu fassen.
2. Weichtheil-Anomalien. Die von Weichtheilen ausgehenden,
den Geburtscanal verlegenden soliden Geschwülste werden deswegen selten eine
Veranlassung zur Kraniotomie werden, weil, wenn durch solche Tumoren eine
Eaumbeschränkung verursacht wird, dieselbe meist eine derartige ist, dass
jede Entbindungsmöglichkeit per vias naturales ausgeschlossen ist. Dagegen
werden bei todtem Kinde Stenosen des Geburtscanales wie hartnäckige
Contractur des inneren oder äusseren Muttermundes, Stricturen der Scheide,
Rigidität des Scheideneinganges z. B. bei alten Erstgebärenden, oder namentlich
carcinomatöse Verengerungen des Cervix die Kraniotomie als den schonendsten
Eingriff zur Entbindung erscheinen lassen, bei lebendem Kinde wird man in
diesen Fällen wohl nur ausnahmsweise sich zur Perforation entschliessen.
3. Missbildungen des Kindes. Hydrocephalus, Meningocelen-
bildung und ähnliche die Geburt erschwerenden Monstrebildungen indiciren die
Kraniotomie, welche in diesen Fällen eine leichte Geburt ermöglicht und hier
auch bei lebendem Kinde nicht gescheut zu werden braucht.
4. Erkrankungen der Mutter. Die Erfahrung, dass die Eklampsie
mit der Vollendung der Geburt sistirt, wenn eine gewisse Zahl von An-
fällen noch nicht überschritten ist, macht es zur Pflicht, in jedem Falle so
frühzeitig wie möglich zu entbinden. Ist das Kind, wie so oft, unter den
ersten Anfällen schon zu Grunde gegangen, so wird auch hier namentlich bei
nicht völlig erweiterten Ostien, die Kraniotomie die schonendste Entbindung
darstellen.
FßiTSCH empfiehlt gelegentlich bei Placenta praevia zum Zwecke einer
raschen Entbindung die Kraniotomie auszuführen.
Im Ä.llgemeinen ist also die Kraniotomie stets indicirt,
wenn bei sicher nachw^eisbarem Tod des Kindes entbunden
werden muss; hier stellt sie die schonendste Entbindungs-
möglichkeit dar und bietet für die Mutter günstigere Chancen
als die Zange oder Wendung mit Manual-Extraction. Bei leben-
dem Kinde darf nur dann die Kraniotomie vorgenommen
werden, wenn aus inneren oder äusseren Gründen eine das
Leben des Kindes erhaltende Operation ausgeschlossen werden
muss.
Vorbedingungen: Die Kraniotomie setzt keineswegs die für eine
JZangenextraction nothw^endig zu fordernden Vorbedingungen voraus. Für den
ersten Act derselben genügt eine Erweiterung des Muttermundes, w^elche das
Perforatorium passiren lässt. Nicht ohne Gefahr wäre es natürlich, wollte
man nun gleich die Extraction anschliessen, im di-ingenden Nothfalle müsste
eine Eröffnung des Muttermundes durch seitliche Incisionen nachhelfen. Ist
der Muttermund aber etw^a 5 Markstück gross, so ist zu hoffen, dass bei dem
Durchziehen des verkleinerten Kopfes keine schweren Einrisse erfolgen werden,
wie dies z. B. mit der Zangenextraction verknüpft wäre. Auch die zweite
der wesentlichen Vorbedingungen für die Zangenoperation: Feststand, wo
möglich sogar Tiefstand des Kopfes fällt bei der Kraniotomie; mit dieser
Forderung würde in der Kegel die Operation selbst hinfällig, da ja gerade
bei den die Kraniotomie indicirenden Fällen ein enges Becken den Eintritt
in das Becken, vielleicht sogar schon das Feststellen auf dem Beckeneingang
verhindert. Bei noch bew^eglichem Kopfe kann die Perforation ohne Gefahren
ausgeführt werden, wenn durch 2 Hände von oben her der Kopf zuverlässig
31*
484
KRANIOTOMIE.
auf dem Beckeneingang festgehalten wird. Dass man die Forderung der gesprun-
genen Eiblase jederzeit herstellen kann und niuss, ist selbstverständlich.
Ausführung der Kraniotomie. Wie bei allen geburtshilflichen
Operationen erfordert auch diese eine vorherige Entleerung von Blase und
Mastdarm und eine gründliche Desinfection der äusseren und inneren
Genitalien.*)
Dringend rathsam ist ferner die Zuhilfenahme einer tiefen Narkose. Es
ist nöthig, wiederholt mit Hand und Instrumenten in die Genitalien einzu-
gehen; aber abgesehen von dem dadurch hervorgerufenen Schmerz verlangt
eine Narkose hiebe! der Umstand, dass die einzelnen Acte der Kraniotomie,
Perforation, Excerebratio, Kranioclasie namentlich bei lebendem Kinde dem
Bewusstsein der Mutter entrückt werden müssen. Die zu der Narkose nöthige
Zuziehung eines zweiten Arztes ist auch aus dem anderen Grunde wünschens-
werth, dass die Verantwortung des Eingriffes, der einem lebenden Kinde den
Tod gibt, nicht von einem Einzelnen getragen werden soll und kann. Als zweck-
mässigste Lagerung der zu Entbindenden empfiehlt sich die Steissrückenlage,
womöglich mit erhobenen Beinen auf einem Tisch, da die Betten meist unbe-
quem niedrig sind. Gelegentlich muss man sich natürlich mit der Lagerung
auf dem Querbett behelfen; auch die Seitenlage kann zu dieser wie zu jeder
anderen gebmlshilflichen Operation verwendet werden.
1. Perforation.
Zwei principiell verschiedene Instrumente sind zur Zeit bei Vornahme
einer Perforation im Gebrauch, das scheeren- oder dolchförmige Perf Oratorium
und der Trepan. Da wohl das scheerenförmige Perforatorium für alle Fälle
passt, nicht aber der Trepan, so wird letzterer immxer mehr obsolet.
Die Ausführung
X ^ der Perforation ist
sehr einfach. Steht der
Kopf fest, so wird ohne
weiteres das Perforatorium
unter Deckung der einen
Hand senkrecht an die
Leitstelle des Kopfes, wenn
möglich an eine Naht oder
Fontanelle angesetzt und
mit einem Ruck in den
Schädel eingestossen. (v.
Fig. 1.) Muss man durch
einen Knochen, z. B.
Parietalbein hindurch, so
kann man zvreckmässig
bohrende Bewegungen aus-
führen; dabei ist zu beach-
ten, dass das Perforato-
rium nicht am Kopf ent-
lang gleitet und schliess-
lich in mütterliche Weich-
theile gelangt. Die Gefahr
hiezu ist besonders nahe-
liegend, wenn der noch
über dem Beckeneingang beweglich stehende Kopf perforirt werden muss. In
diesem Falle muss durch eine zweite Person der Kopf mit beiden Händen
Fig. 1. Einbohren der Perforationsscheere in den Kopf.
{Aus Döderlein: Leil/aden für den geburtsliilflichen Operationscurs.)
*) Vergl. „Antisepsis in der Geburtshilfe'^ , pag. Si.
KRANIOTOMIE.
485
^on oben her fest und sicher auf den Beckencingang eingestellt werden, da-
mit derselbe nicht dem entgegenstossenden Perforatorium entgleiten kann. Ist
das Perforatorium in den Schädel eingestossen, so wird durch wiederholtes
Spreizen der Branchen nach verschiedenen Eichtungen die Oeffnung erweitert.
Bei Gesichtslagen kann man die Stirnnaht oder Orbita als Perforations-
stelle wählen. Der nachfolgende Kopf wird am zweckmässigsten bei ge-
senktem Rumpf dicht hinter der Wirbel Säulen Insertion eröffnet. Ist er wegen
Hochstand schwer zugänglich, so genügt die Eröffnung des Wirbelcanales, um
durch ihn auch den Schädel zu entleeren. Manche empfehlen auch von der
Schädelbasis aus oder durch den Mund zu perforiren.
War man genöthigt, bei lebendem Kinde zu perforiren, so muss diesem
Operationsact eine zuverlässige Zerstörung der Gehirnmasse folgen, damit das
dem Tode verfallene Kind nicht noch lebend zu Tage gefördert wird. Am
zweckmässigsten erreicht man dies dadurch, dass man mit einem männlichen
Metallcatheter durch die Perforationsöffnung in die Schädelhöhle eingeht und
mit diesem das Gehirn „umrührt." Sodann wird der Catheder mit einem Irri-
gator verbunden und unter hohem Druck das Gehirn herausgespült. Bei
todtem Kinde ist diese Maassnahme unnöthig.
2. Verkleinerung und Extraction des perforirten Kopfes.
Als Instrumente dienen hiezu vornehmlich der Kranioclast von Carl
Beaun und der Kephalothryptor von Busch. Nach allgemeiner Ansicht ist der
Kephalothryptor durch den Kranioclast völlig entbehrlich geworden. Referent
steht auf Grund eigener Erfahrung auf dem von Crede und Zweifel vertre-
tenen Standpunkt, dass der Kephalothryptor für die Extraction des
perforirten, über dem Becken stehenden Kopfes ein äusserst
zweckdienliches Instrument ist, welches leichter und scho-
nender die Entbindung gestattet als der Kranioclast. Auf eine
genaue Beschreibung des Baues und der Unterschiede beider Instrumente
kann wohl hier im Hinweis auf den Artikel „Instrumentarium zur Geburts-
hilfe" (pag. 385) verzichtet werden.
Hervorgehoben sei nur, dass
der Kranioclast den Kopf nicht
selbst verkleinert. Er fasst ihn,
indem die eine Branche durch die
Perforationsöffnung in den Kopf,
die andere, gefensterte über den-
selben, und zwar, wenn möglich,
über das Gesicht geführt wird. (v.
Fig. 2.) Wird der so fest gefasste
Schädel in das Becken herein-
und durchgezogen, so bewirkt der
von den Beckenwänden gegen den
enthirnten Kopf ausgeübte Ge-
gendruck eine Verkleinerung des-
selben. Der Kephalothryptor da-
gegen zerbricht den Kopf selbst,
derselbe wird also durch das In-
strument entsprechend verklei-
nert, bevor er in das Becken
gezogen wird; die Volumsvermin-
derung ist hiebei eine grössere und
weil durch das Instrument, und nicht durch den Geburtscanal selbst aus-
geführt, auch eine schonendere. Bedingung ist allerdings ein gut construirtes
Instrument; der BREiSKi'sche Kephalothryptor erfüllt seine Aufgabe nicht.
Fig. 2. Anlegen des Kiaiuiiclutt von C. Bratm.
(Aus Döderlein: Leitfaden für den geburtshilflichen
Operalionscurs.)
486 LACTATION.
wohl aber vollkommen der von Busch construirte. Derselbe hat im Gegen-
sätze zu dem BßEisKY'schen Instrument ungefensterte Branchen, deren concave
Innenfläche zum besseren Halt nach Art eines Reibeisens rauh gemacht ist.
Der Kephalotli yptor wird A\'ie eine Zange quer an den Kopf gelegt; da er
nur bei Hochstand des Kopfes angewandt ist, kommt er über Gesicht und
Hinterhaupt zu liegen. Ein häutiger Fehler beim Anlegen ist, dass das
Instrument nicht hoch genug hinaufgeschoben wird; wird nur ein unteres
Segment des Schädels gefasst und zerkleinert, so führt das Instrument selbst-
verständlich nicht zum Ziele. Es muss vielmehr der Kopf wie mit der Zange
voll erfasst werden, so dass die Spitzen des Kephalothryptors an den Hals
zu liegen kommen. Dann wird beim Zusammenschrauben der zwischen den
Branchen geklemmte Theil des Schädels auf den Durchmesser der Kopf-
krümmung des Instrumentes zusammengepresst und zugleich der Kopf zugfest
erfasst. Bevor man nun daran geht, den Kopf in das Becken hereinzuziehen,
muss der zusammengedrückte Theil des Kopfes in den verengten Durchmesser
gestellt werden. Handelt es sich wie in der Regel um ein plattes Becken,
so wird also der Kephalothryptor um 90 Grad gedreht. Dadurch adaptirt
sich der comprimirte Kopf der Beckenform und gleitet mit überraschender
Leichtigkeit in das Becken. Ist der Kopf bis in den Beckeneingang getreten,
so wird das Instrument wieder langsam zurückgedreht, um den Kopf wie bei
der Zangenextraction langsam vollends zu entwickeln. Zur Extraction des
im Becken stehenden Kopfes eignet sich der Kephalothryptor nicht, hier ist
der Kranioclast am Platze. Mit diesen beiden Instrumenten wird man für alle
Fälle auskommen. Als zweckdienliches Instrument möge noch die Knochen-
zange von BoER angeführt sein, die zum Abtragen des Schädeldaches in be-
sonders schwierigen Fällen Anwendung findet.
Zur Extraction des nachfolgenden perforirten Kopfes eignet sich
wiederum der Kephalothryptor vortrefflich. Zu beachten ist hier, dass das
Instrument bei erhobenem Rumpfe so an den Kopf gelegt wird, dass es
denselben bei nach vorn stehendem Hinterhaupt über die beiden Seiten des
Gesichtes erfasst.
Der von Gusserow befürwortete scharfe Haken wird allgemein als ein
zu gefährliches Instrument bezeichnet. Ebenso sind die sogenannten Zangen-
sägen {Forcepsscie von V. Huevl) wie auch der Transforateur obsolet.
Dagegen mag hier noch auf den auch von DtJHRSSEN warm empfohlenen
Kranioklast von Auvard hingewiesen sein, welches Instrument eine Combina-
tion von Perforatorium, Kephalothryptor und Kranioclast ist. Dasselbe dient
sowohl zur Perforation, als auch zur Kranioklasie und auch zur Kephalothrypsie.
Eigene Erfahrungen stehen dem Referenten hierüber nicht zur Verfügung.
DÖDERLEIN.
Lactation. Nach der Geburt schwellen die Brüste mehr an, w^erden
praller, elastischer, voluminöser, ihre Warzen werden durch die hemisphäri-
sche Ausdehnung der Brüste etwas eingezogen und verkürzt; die Milchbe-
hälter werden durch die reichlich eintretende Milchsecretion gefüllt, dadurch
prall gespannt und stellen zahlreiche, unregelmässig geformte, haselnussgrosse
Knoten dar, die unter der Haut liegen und selbst beim Betasten keinen
Schmerz verursachen. Wenn auch schon während der Schwangerschaft bis-
weilen aus den Brüsten Milch secernirt wird, so tritt doch gewöhnlich dieser
Vorgang erst während des Wochenbettes auf. Durch die reichlichere Secre-
tion der Brüste wird gewöhnlich am ersten Tage des Wochenbettes die Nah-
rungsquelle des Neugebornen eröffnet. Die Milch wird entweder als unreife,
Colostrum, oder als reife, als eigentliche Milch bezeichnet; beide haben
dieselben chemischen und mikroskopischen Bestandtheile und differiren nur in
der Menge derselben.
LACTATION.
487
Die chemischen Bestandtheile sind Wasser, Zucker, Butter, Casein
und .Salze; das specifische Gewicht gesunder Frauenmilch beträgt im Mittel
1-032, die Reaction ist alkalisch, bisweilen neutral, niemals aber sauer und
differirt von der Kuhmilch, die unter Grünfutter sauer reagirt.
Die mikroskopischen Bestandtheile werden als Colostrumkörperchen
und Milchktigelchen beschrieben. Die Auflösung der Mutterzellen geht zu ver-
schiedenen Zeiten vor sich, und es werden daher nicht selten im fertigen und
bereits entleerten Secrete unaufgelöste Mutterzellen, Colostrumkörperchen,
angetroffen. Diese finden sich auch noch in der Milch 3—4 Woclien post
partum, aber in grösserer Menge gewöhnlich in den ersten Tagen des Wochen-
bettes oder nach längerer Unterbrechung der Lactation.
Wegen der verschieden-
artigen Metamorphosen
der Epithelialzellen der Drüsen-
membran findet man nebst den
Milchkugeln und Colostrumkör-
perchen auch polygonale, fett-
glänzende Zellen, kleinere, rund-
liche, blasse Zellen und einige
blasse Kerne mit Kernkör-
perchen.
Die Zahl der Milchkör-
perchen überhaupt steigt nach
der Geburt, die Colostrumkör-
perchen vermindern sich auffal-
lend vom 6. Tage an. Die But-
termenge der Milch steht mit
der Menge der Milphkügelchen
in directer Proportion, und
ist die Butter in der Milch
nach Art einer Emulsion ver-
theilt. Mit der Vermehrung
der Butter nimmt das specifi-
sche Gewicht ebenso ab wie
durch die Zunahme des Wasser-
gehaltes; je älter die Milch, desto ärmer wird sie an Buttergehalt. Das Casein
erscheint grösstentheils im gelösten Zustande und nur ein geringer Theil
trägt zur äusseren Hülle der Milchkügelchen bei. Der Zucker, das vorzüg-
lichste Element der Frauenmilch, dient als Respirationsmittel. Die Salze
stehen in keinem bestimmten Verhältnisse zu der Zeit der Lactation.
Die Güte der Frauenmilch charakterisirt sich am besten dadurch,
dass der Säugling bei derselben gut gedeiht, ruhig ist und mehrere Stunden
nach dem Stillen gesättigt bleibt. Solche Milch zeigt gewöhnlich eine w^eisse
Farbe, hat guten Geschmack und hinterlässt beim Abfliessen über ein Glas
einen weisslichen Streifen.
Die normale chemische Constitution der Frauenmilch erleidet durch die
Dauer des Wochenbettes, der Lactation, das Alter, die körperliche Constitu-
tion, die Zahl der Geburten, durch den Eintritt der Menstruation; einer neuen
Schwangerschaft, durch Gemüthsafifecte, Erkrankungen, durch die Nahrung,
durch Medicamente grössere oder geringere Veränderungen, wodurch die
Frauenmilch bei ausreichender Quantität aber abnormaler Qualität, wofern
erstere überhaupt vorhanden ist, zu einer mangelhaften, ja selbst schädlichen
Ernährungsquelle des Säuglings werden kann; es ist also klar, dass man bei
Erkrankungen desselben die eine Wöchnerin treffenden Einflüsse besonders
genau erforschen muss.
a. Dr'dsenzellen. b. Milchkügelchen. d. CoUostrumkorpercTien.
488 LACTATION.
Die Milch der ersten zwei Wochen ist reicher an Butter, Casein und
Salzen, aber ärmer an Wasser und Zucker. In den späteren Monaten ändert
sich auch die normale Proportion der flüssigen zu den festen Bestandtheilen
derart, dass die Frauenmilch schon im fünften Monat ärmer an Butter und
Salzen, im achten Monat ärmer an Zucker, im. zehnten ärmer an Casein wird,
mithin vom fünften Monate angefangen die festen Bestandtheile abnehmen,
das Wasser aber zunimmt, so dass schon vom fünften, besonders aber vom
zehnten Monate ab durch die Abnahme des stickstoft'hältigen Caseins die Nah-
rungsfähigkeit der Frauenmilch verringert wird.
Das Alter der Wöchnerin ist nicht ohne Einfluss. Die Milch von sehr
jungen Wöchnerinnen ist oft zu „kräftig", von älteren oft zu wenig nahrhaft.
Bei zarten, gesunden Frauen ist die Zusammensetzung der Milch gewöhnlich
normal, bei starken Frauen finden wir eine an Zucker und Casein ärmere
Milch.
Durch schlechte Kost nimmt (wegen Verringerung des Gehaltes an Butter
und Casein) das specifische Gewicht der Milch ab, der Wassergehalt zu. Durch
seltenes Anlegen oder durch unvollständiges Entleeren der Brust nimmt die
Menge der Butter zu, Casein und Zucker bleiben normal, das Wasser und das
specifische Gewicht nehmen ab; durch zu häufiges Anlegen werden grosse
Mengen abgesondert, und die Milch ärmer an Casein und Zucker, etwas rei-
cher an Butter, Wasser und Salzen, wobei die Dichtigkeit derselben sich kaum
ändert. Durch Euhe wird der Butter- und Caseingehalt vermehrt, durch an-
strengende Bewegungen aber vermindert.
Bei der ersten Geburt sind die chemischen Bestandtheile gewöhnlich
normal, nach öfteren Geburten wird die Milch ärmer an festen Bestand-
theilen, was auch im Zusammenhange mit dem vorgerückten Alter steht.
Die Menstruation übt zumeist in dem ersten Halbjahre post partum
auf die Milch keinen störenden Einfluss aus; im Wiener Findelhause werden
auch menstruirte Ammen an Private überlassen, welche gewöhnlich, wie ich
mich oft überzeugen konnte, die ihnen anvertrauten Säuglinge vortrefflich
nähren. Tritt die Menstruation in der zweiten Jahreshälfte der Lactation
auf, so nimmt bisweilen die Quantität der Milch ab, die Qualität derselben
wird aber nicht wesentlich verändert. Die Milch ist während der Menstrua-
tion nahrhafter, weshalb durch selteneres Anlegen des Säuglings darauf Rück-
sicht genommen werden soll.
Ist eine neue Schwangerschaft eingetreten, so hat sie im ersten
Halbjahre auf die Milch weder bezüglich der Qualität noch der Quantität
b esonderen Einfluss. Gegen das Ende der Gravidität nehmen die festen Be-
standtheile auch zu, woraus sich erklärt, dass stillende Schwangere die Säug-
linge bis zur nächsten Geburt nähren können.
Gemüthsaffecte haben auf die Menge der Milchabsonderung einen
entschiedenen Einfluss. Es ist eine altbekannte Sache, dass durch das Weinen
des Säuglings die Milchabsonderung sich in wenigen Minuten rasch vermehrt,
die Brüste praller werden und viel Milch heraussickert. Durch chronische
Gemüthsleiden kann die Milch qualitativ verändert und quantitativ verringert
werden.
In acuten Krankheiten sind die festen Bestandtheile vermehrt, die
Wassermenge verringert, bei chronischen Krankheiten ist dasselbe der Fall,
nur nimmt das Casein im Gegensatze ab. Auffallend arm an Butter ist die
Milch bei Tuberkulose und Lues der Stillenden, bei welchen nur 12 an-
statt 26 Gewichtstheile gefunden werden. Die Milch luetischer Frauen charak-
terisirt sich auch noch durch ihre grössere Dichtigkeit, durch ihren Pteichthum
an Salzen und durch die Fähigkeit, ohne sichtbare Zeichen durch das Stil-
len den Säugling mit secundärer Lues zu inficiren.
LACTATION. 489
Die chemische Beschaffenheit der Frauenmilch soll endlich auch durch Infasorien
verändert werden und die bekannten diarrhoischen Stühle der Säuglinge veranlassen.
Die Quantität der täglich abgesonderten Milch ist sehr relativ. In
den ersten 3 Tagen ist sie gering, später reichlicher, so dass der Säug-
ling in der ersten Woche höchstens V4, später V2 ^^^^^^ Milcfi pro die
verbraucht. l)ie Milchsecretion kann gesteigert werden durch das frühzeitige
Anlegen des Kindes am Tage der Geburt selbst, durch regelmässiges Anlegen
in längeren Zeiträumen und das regelmässige, vollständige P^ntleereri der
Brustdrüse, durch reichlich Amylum, Butter und Zucker enthaltende Diät,
Verhinderung flüssiger Ausscheidungen und durch rasche Beseitigung von
Diarrhoen. Je früher eine reichliche Milchabsonderung eintritt, desto länger
pflegt sie auch anzudauern. Bisweilen tritt im Wochenbette gar keine Milch-
secretion ein (Agalactie), öfters reicht die vorhandene Milchmenge zur
Ernährung des Säuglings nicht aus. Diese relative Agalactie hängt ge-
wöhnlich von vorgerücktem Alter, vorausgegangenen Krankheiten der Brust-
drüse, unzweckmässiger Diät, vom Eintreten fieberhafter oder Vorausgehen
chronischer Krankheiten, von dem zu häufigen Anlegen des Säuglings, von
dem zu langen Liegenlassen desselben an der Brust und von individueller
Anlage ab. Gewöhnlich dauert die Lactation 6 — 9 Monate an und reicht hin,
einen Säugling allein zu ernähren. Hierauf wird die Absonderung meistens
geringer, ob nun eine Menstruation oder Schwangerschaft eintritt oder nicht.
Künstlich kann die Dauer der Milchsecretion sogar auf IV2 — 2 Jahre aus-
gedehnt werden, wobei die Kinder dieses Alters wohl fast immer auch mit
anderen Stoffen ernährt werden, und nur ausnahmsweise können junge Säug-
linge mit der Milchmenge einer Amme einer so vorgerückten Lactationszeit
befriedigt werden. In pathologischen Fällen kann das Aussickern der Milch
noch lange fortdauern (Galactorrhoe).
Werden die Säuglinge in was immer für einer Zeit des Wochenbettes
oder der Lactation entwöhnt, so sickert einige Zeit hindurch Milch aus;
es sammelt sich ein Theil aber in der Brustdrüse an, dehnt diese aus, erregt
eine Hyperämie, Anschwellung und schmerzhafte Spannung derselben, bis nach
einem Tage etwas Colostrumkörperchen führende Milch wieder erscheint; nach
einer Woche wird dann die Secretion so spärlich, dass spontan keine Milch
mehr aus der Brustwarze hervorquillt, immerhin kann aber noch nach Verlauf
eines Monates ein wenig Milch ausgepresst werden. In Ausnahmsfällen kann
sogar die durch einige Monate unterbrochene Lactation wieder hervorgerufen
und zur Ernährung eines Säuglings benützt werden.
Unter Milchfieber verstanden unsere Vorgänger eine fieberhafte Auf-
regung, welche am 3. oder 4. Tage des Wochenbettes mit erhöhter Tempe-
ratur, beschleunigtem Pulse, Appetitlosigkeit, Durst und Ermattung auftritt.
Man glaubte, dass diese Erscheinungen mit der um diese Zeit reichlicher
werdenden Milchabsonderung in einem innigen Zusammenhange stehen. Geht
man aber in die Analyse dessen näher ein, so findet man, dass die grösste
Anzahl der Wöchnerinnen überhaupt von keiner fieberhaften Alteration des
Allgemeinbefindens befallen werden und dass fieberhafte Symptome dieser Zeit
in Excoriationen der Brustwarze, Endometritis leichteren GradeS; Verletzungen
des Perineums oder der Scheide, in Diätfehlern viel häufiger ihren Grund
haben als in congenitalen Affectionen der Brustdrüse und vermehrter Milch-
secretion.
Wenn eine Wöchnerin ihr Kind selbst stillen kann und darf, dann soll
sie es zum erstenmale anlegen, wenn es durch kräftiges Schreien seinen
Hunger bekundet und die Puerpera nach der Geburt nicht zu sehr angegriften
ist. Das ist gewöhnlich erst 6 — 8 Stunden post partum der Fall. Das" Anle-
gen des Kindes soll in bestimmten Zeiträumen geschehen, höchstens alle zwei
bis drei Stunden, und es ist empfehlensw^erth, dass man das Kind sogleich
490 LAPAßOHYSTEROTOMIE — LAPAROMYOMOTOMIE-
daran gewöhne, dass es nachts, das heisst von 10 Uhr Abends bis 6 Uhr Früh,
nicht angelegt werde. Vor und nach dem Anlegen des Kindes soll die Brust-
drüse mit lauem Wasser gereinigt werden. Das Kind soll in der Seitenlage
der Frau an die Brust gelegt werden, nicht aber, wie manche es aus Bequem-
lichkeit thun, quer über den Leib, weil es hier drückt, nicht gut saugen und
schlucken kann, und dadurch die Warzen schwerer gefasst werden und leichter
Fissuren derselben entstehen.
Es ist selbstverständlich, dass die Frau, die ihr Kind stillen will, ge-
sund sei, dass speciell ihre Warzen gut fassbar, keine Hohlwarzen und nicht
wund seien, dass der Warzenhof frei von Geschwüren und die Brust frei von
Ausschlägen sei. Auch Narben nach vorausgegangener Mastitis dürfen nicht
vorhanden sein, weil durch das Saugen des Kindes und den hiedurch aus-
geübten Reiz wieder Mastitis hervorgerufen werden kann. Ansteckende, con-
stitutionelle und schwere Nervenleiden, also in erster Linie Tuberkulose, Lues
und Epilepsie schliessen die Möglichkeit des Stillens aus. Es ist auch rath-
sam, denjenigen Frauen, in deren Familie Tuberkulose vorkam, nur mit grösster
Vorsicht das Stillen zu gestatten. Auch sehr erregbare Frauen sollen ihre
Kinder nicht säugen, da, wie erwähnt, Gemüthsaffecte auf die Beschaffen-
heit der Milch stark einwirken. Es gilt natürlich alles jetzt Gesagte auch
für die Ammen. v. braun-fernwald.
Laparohysterotomie — Laparomyomotomie. Die Entfernung eines
Gebärmuttermyoms"") auf abdominellem Wege, ohne dass dabei etwas von
Uterussubstanz geopfert wird, nennt man kurz Laparomyomotomie, da-
gegen Laparohysterotomie, wenn sammt dem Myom auch der Uterus-
körper abgetragen wird.
Die ersten Myomoperationen auf abdominellem Wege wurden zufälliger Weise
in Folge von Fehldiagnosen beabsichtigter Ovariotomien von Granville, Atlee, Lane,
Clay, Heath und Burnham ausgeführt ; Kimhall war der erste in Amerika und Koeberl^
in Europa, welche die Operation mit Vorbedacht und nach richtig gestellter Diagnose aus-
führten, doch wird allgemein Fean als der Vater der Hysterotomie angesehen, da ihm das
Verdienst gebührt, die Technik der Operation ausgebildet und diese selbst auf wissenschaft-
liche Grundlagen basirt zu haben. Speciell in Deutschland ist es der Freiburger Gynäkologe
Hegar, welcher die Laparohysterotomie zum erstenmale ausgeführt, sowie die P^AN'sclie
Methode modificirt und weiter ausgebildet hat, wobei jedoch nicht vergessen werden darf,
dass das Verdienst, die temporäre Blutstillung durch elastische Ligatur angegeben zu haben^
dem Odessaer Chirurgen Kleeberg zufällt.
Das erste zur Entfernung der Uterusmyome angewendete Operations-
verfahren war die Laparohysterotomie durchgehends mit der sogenannten
extraperitonealen Methode der Stielbehandlung; als jedoch inzwischen
bei der Ovariotomie durch Stielversenkung glänzende Erfolge erreicht wurden,
gelangte auch hier — von Schröder eingeführt — die intraperitoneale
Methode zur Aufnahme.
Bald darauf publicirte Martin seine Methode der intraabdominalen
Enucleation der Uterusmyome, eine sehr geniale Operation, die jedoch bei
den Operateuren gar bald in schlechten Ruf kam, nachdem sich ihr Mortalitäts-
percent als ein viel höheres erwies, als das der unterdessen technisch sehr
hoch ausgebildeten supravaginalen Uterusamputation und der radicalen Uterus-
exstirpatiön ; erst die mit dieser Enucleation verbundene Hysteropexie oder
eigentlich Suspension des Uterus nach Obalinski und Albert scheint ihr
wieder neue Terraine erworben zu haben.
Somit haben wir bei Besprechung der Technik der Laparomyomotomie
folgende Methoden zu berücksichtigen:
*) Vergl. Artikel „Fibrom, Fibroivyom, Myo7n." IV. Myome des Uterus, pag. 243 u. ff.
LAPAEOHYSTEROTOMIE - Lift>AROMYOMOTOMIE. 491
A. Die supravaginale Laparoliystcrotomie, u. zw. :
I. mit extraperitonealer Stielhehandlung,
IL mit intraperitonealer Stielhehandlung und
III. mit iuxtaparietaler Stielhehandlimcj.
Die ersten drei Acte sind bei allen drei Methoden der
supravaginalen Uterusamputation dieselben, sie werden daher, um
Wiederholungen zu vermeiden, nur einmal beschrieben. — Zunächst wird die
Bauchhöhle durch einen Längsschnitt in der Linea alba eröffnet (erster Act),
wobei eine Verletzung der Harnblase durch Einführung einer Steinsonde in
dieselbe leicht vermieden wird. Von der Grösse des Tumors wird die Aus-
dehnung abhängen, in welcher die vordere Bauchwand gespalten wird, sie
wird bei sehr grossen Tumoren den Nabel überschreiten, wobei dieser links
umkreist wird.
Im zweiten Acte wird die Geschwulst entwickelt, d. i. aus der Bauch-
höhle hervorgezogen und über den Symphysenrand hinübergebeugt, wobei die
Beziehungen derselben zum Uterus und seinen Adnexen, sowie seine physika-
lischen Eigenschaften deutlich zu Tage treten und der Plan für das weitere
Verfahren festgestellt werden kann. Manchmal ist die Geschwulst so gross,
dass man an ihre Verkleinerung denken muss. Sehr voluminöse und weiche
Tumoren dürften vielleicht durch Function verkleinert werden. Pean räth,
umfangreiche Geschwülste nach seiner Angabe zu zerstückeln {Morcellement)^
welchem Verfahren jedoch viele Autoren, in erster Reihe Pozzi, entgegen-
treten. Hat man sich nun für die supravaginale Amputation entschlossen,
dann schreitet man zum dritten Act: zur Blutstillung. Dieselbe wird provi-
sorisch durch die KLEEBERG'sche elastische Ligatur besorgt, welche um den
Gebärmutterhals fest umschlungen und entweder mit speciellen, dazu bestimmten
Klammern, oder, wie ich verfahre, mit einer starken TnoRNTON'schen Pince
festgehalten wird. Es ist auch hier rathsam, vorher einen Katheter in die
Blase einzuführen, sich zu überzeugen, wo ihr Grund sich befindet, über dem-
selben eine lange Nadel von vorne nach hinten durch den Uterus hindurch
zu stechen und erst über dieser die elastische Ligatur anzulegen, weil man
auf diese Weise vor Blasenverletzungen gesichert ist. Um aber den Uterus
frei und für die elastische Ligatur zugänglich zu machen, muss vorerst beider-
seits das Ligamentum latum zwischen einer doppelten Reihe von Ligaturen
bis auf den Gebärmutterhals durchschnitten werden. Zu gleicher Zeit können
die Adnexa exstirpirt werden, was bei jeder Uterusexstirpation geschehen
sollte, wenn nun keine besonderen technischen Schwierigkeiten entgegenstehen,
da die Ausserachtlassung dieser Vorsicht — wie bekannt geworden — schon
schlimme Zufälle zur Folge hatte.
Das weitere Verfahren hängt von der gewählten Methode der Stielbehand-
lung ah
Bei der extraperitonealen Methode von Hegar wird nun der Uterus
sammt der Geschwulst zwei Querfinger oberhalb der elastischen Ligatur ein-
fach amputirt, der Stiel in den unteren Winkel der Bauchv/unde placirt, dessen
Peritonealüberzug unterhalb der elastischen Ligatur mit dem Peritonealrande
der Bauchwunde zusammengenäht und diese dann bis oberhalb des Stieles
durch eine dreischichtige Naht fest verschlossen. Um einem Versinken des
Stieles vorzubeugen durchsticht man denselben oberhalb der Ligatur mit einer
oder zwei langen Nadeln in der Quere. Seine Schnitttiäche wird entweder mit
5% Chlorzinklösung (Kaltenbach) oder mit dem Thermocauter (Pozzi)
geätzt und hierauf antiseptisch verbunden. Der oberhalb der elastischen Li-
gatur gelegene x4bschnitt des Stieles unterliegt einer Mortification und nach
Abnahme der Ligatur und Ablösung der mortificirten Theile heilt die W^unde
per granulationem.
492 LAP AROHYSTEROTOMIE — LAPAROMYOMOTOMIE.
II. Beider intraperitonealen Stielbehandlung nach Schrödek
wird oberhalb der Ligatur ein gegen 3 cm breiter Peritoneallappen ringsherum
abpräparh't, dann der Uterus sammt dem Tumor quer amputirt, die Schleim-
haut des Cervixcanales trichterartig herausgeschnitten, der Canal selbst mit
dem Thermocauter ausgebrannt, die sichtbaren Gefässe werden unterbunden,
dann erst wird eine Etagennaht der Wundfläche angelegt und zuletzt darüber
der Peritoneallappen mit feinem Catgut oder Seide sorgfältig genäht. Wird
nun die elastische Ligatur entfernt, so steht die Blutung vollkommen. Nach
ausgeführter Toilette der Bauchhöhle wird der so genähte Stiel in die Tiefe
versenkt und die Laparotomiewunde wie gewöhnlich genäht. Manche Opera-
teure (Martin) fügten noch der Sicherheit halber die Drainage vom Cavum
Douglasii nach der Scheide hinzu.
Diese Methode erfuhr im Laufe der Zeit verschiedene Modificationen,
von denen die bedeutendsten von Zweifel und Cheobak angegeben wurden,
so dass die jetzt überhaupt gebräuchliche Methode der Laparo-Myomo-Hyste-
rotomie diese beiden Namen führt. Zweifel hat seine Grundsätze und Pri-
oritätsrechte im Centralblatte für Gynaekologie 1894 Nr. 14 zur Genüge ent-
wickelt und aufrecht erhalten. Nach diesem besteht seine Methode aus fol-
genden Acten: 1. Eröffnung der Bauchhöhle; 2. Emporheben des myomatösen
Uterus aus der Tiefe vor die Bauchwunde; 3. Unterbindung der beidersei-
tigen ligamenta lata mittelst fortlaufender Partienligatur, welche entweder mit
der ZwEiFEL'schen Schiebernadel, aber auch ebensogut mit einer gewöhnlichen
gestielten Nadel zu Stande gebracht werden kann. Dabei werden die uterin-
wärts gelegenen (somit die Tuben und Ovarien enthaltenden) Partien der
Küi'ze halber nicht unterbunden, sondern mit starken Pinces abgeklemmt;
4. Trennung der Ligamenta lata zwischen den Klemmen und den Kettenliga-
turen ; 5. Abpräpariren eines Peritoneallappens an der vorderen Uterusfläche
mit nach unten stehender Basis; 6. Anlegung der Kettenligatur aus starkem
Catgut horizontal durch das Uteringewebe in fünf bis sechs Partien unmittel-
bar oberhalb der Basis des abpräparirten Peritoneallappens ohne auf den Cer-
vixcanal Ptücksicht zu nehmen; 7. Abtragung des Uterus sammt dem Tu-
mor 2 cm oberhalb der Ligaturlinie; 8. Annähung des Peritoneallappenran-
des unterhalb der Ligaturlinie an der hinteren Uterusfläche, wodurch dieselbe
vollends subperitoneal zu liegen kommt.
Wenn die Ligaturen gut geknotet sind, so steht die Blutung vollstän-
dig, somit kann weder diese noch die zurückgelassene Cervixschleimhaut einen
Anlass zur lufection abgeben, zumal das Ganze unter dem Peritoneallappen
sich befindet und wiederholte Untersuchungen auf Zweifel's Klinik dargethan
haben, dass in der gesunden Uterushöhle und im oberen Theile
des Cervicalcanales gar keine Keime vorkommen. Uebrigens
könnte Jemand, der sich von den Gedanken an die Gefährlichkeit der im
Stumpfe zurückgelassenen Cervicalschleimhaut nicht befreien kann, dieselbe
bis zum Niveau der Ligaturen exstirpiren und den so entstandenen Trichter
zunähen. Zw^eifel drückte durch dieses Verfahren das Sterblichkeitsprocent
der Laporohysterotomie bis auf 3'27o herunter! Ein wahrhaft schönes Eesultat,
Beinahe gleichzeitig mit Zweifel hat Chrobak ein ähnliches Ver-
fahren angegeben, welches von ihm retroperitoneale Laparohystero-
tomie genannt wurde und welches von ihm und seiner Schule cultivirt nicht
minder gute Resultate ergab als das ZwEiFEL'sche. Er selbst beschreibt
seine Methode folgendermaassen: „Die Operation wird so ausgeführt, dass nach
Vorwälzung des Tumors die Ligamente abgebunden werden, hierauf wird von
^ier vorderen oder hinteren Fläche des Tumors ein grosser Peritoneallappen
umschnitten und abgelöst bis auf den Ansatz der Scheide herunter. Bei sehr
grossen Tumoren wird innerhalb des Lappens ein elastischer Schlauch an-
gesetzt, dann umsticht man möglichst hart am Scheidenansatze die Art. uterina
LAPAROHI-STEROTOMIE — LAPAROMYOMOTOxMIE. 493
und setzt etwa ^2 ^^is Vi ^"^ darüber den Uterus ab. Hat man tief unten
ligirt, so blutet der Stumpf nicht, ist der Stumpf länger geblieben, so treten
aus demselben Blutungen auf, welche durch isolirte Umstechungen beherrscht
werden. Hierauf wird die Höhle des Cervixstumpfes energisch mit dem Thermo-
cauter ausgebrannt, ein Jodoformdocht durch denselben in die Scheide geführt
und kurz über der Stumpftiäche abgeschnitten. Ueber dem Ganzen werden
die Peritoneallappen vereinigt."
Hieher gehört auch die von Demetrius v. Ott auf dem XI. inter-
nationalen Congress zu Rom publicirte Methode, von ihm selbst „nach dem
Typus der Ovariotomie" benannt, mit welcher er auch nicht schlechte
Erfolge davongetragen hat, denn auf 24 Fälle starb nur einer = 4'3^/o. Die
Operation wird folgendermaassen ausgeführt: 1. Act: Sorgfältige Desinfection
der Scheide mit Sublimatlösung (1 : 2000), Curettage der Cervicalhöhle, Cau-
terisation derselben mit dem Thermocauter und Tamponade der Scheide
mit Jodoformgaze. 2. Act: Laparotomie und Hervorziehen des Uterus mit
der Geschwulst. 3. Act: Beiderseitige Unterbindung der Lig. lata mit Ketten-
ligatur, wobei die letzten Ligaturen auch Theile des Uterusgewebes mitnehmen,
doch Freilassen des Cervixcanals. 4. Act: Amputation des Uterus 1cm ober-
halb der Ligaturen, Cauterisation der Schnittfläche und des Cervixcanals.
5. Act: Einführung eines Jodoformdochtes von oben durch den Cervixcanal
in die Scheide, Toilette der Bauchhöhle und Sutur der Laparatomiewunde.
HL Die juxtaperitoneale Methode nach Wölfler und
V. Hacker. Der Stiel wird so gebildet wie bei der ScHRöDER'schen Methode;
dann fixirt man ihn in der Höhe der Peritonealränder der Bauchwunde mittelst
Fäden, welche rechts und links durch beide Stielenden und die Bauchwand
geführt werden und von denen je einer auf jeder Seite über Jodoformgaze-
röllchen geknüpft wird. Ueber dem Stiele bleibt die Bauchwunde offen, sie
wird hier drainirt und mit Gaze tamponirt, oberhalb und unterhalb des Stie-
les dagegen fest zugenäht. Aehnlicher Methoden bedienten sich Fritsch und
Sänger, von denen ersterer sehr viele Fälle und mit sehr gutem Erfolge
operirt hat. Schauta hat (Wien. med. Woch. Nr. 2 und 3. 1895) eine Me-
thode publicirt, welche auch zu den juxtaperitonealen gehört und sich von
der eben beschriebenen dadurch unterscheidet, dass hier der Uterus zuerst
im unteren Winkel der Bauchdeckenwunde eingenäht und die Bauchwunde
gänzlich geschlossen und erst als letzter Act die Amputation des
Uterus und damit die Eröffnung der Uterushöhle vorgenommen
wird. Schauta erreichte damit auch nicht schlechte Erfolge, denn auf 65
Operirte verlor er nur 4 = 6*157o-
B. Totale Myomohysterectomie."") Dass Bardenheuer im Jahre 1882
mit dem Vorschlage in die Oeffentlichkeit trat, bei Myomen, sogar bei ein-
*) Freund war der erste, welcher eigentlich die totale Exstirpation des ütenis per
laparatomiarfl bei Uteruscarcinom vorschlug und ausführte, doch wurde sie sehr bald
durch die vaginale Uterusexstifpation verdrängt, nachdem die damit erreichten Erfolge
durch die hohe Mortalität (wahrscheinlich in Folge Infection durch das ulcerirte Carcinom)
beinahe erschreckend waren.
Die eigentliche FnEUND'sche Operation, nur vom Abdomen aus ausgeführt und des-
wegen ziemlich schwer, wird gewöhnlich jetzt gar nicht, sogar vom Autor selbst nicht, prak-
ticirt, sondern nur nach der von Eydygier angegebenen Modification, die darin besteht, dass
zuerst die Vaginalportion von der Scheide gänzlich frei gemacht wird, bevor man an die
Eröifnung des Abdomens geht.
•Somit gestaltet sich die Operation jetzt folgendermassen : 1. A c t : Circumcision der Portio
vaginalis. 2. Act: Anlegung der Ligatur auf die beiden Art. uterinae. 3. Act: EröJBfnung
der Bauchhöhle. 4. Act: Ligatur und Durchtrennung der beiderseitigen Lig. lata, Incision
der Bauchfellfalten und Beseitigung des Uterus. 5. Act: Vernähen der Bauchfellränder in
der Vaginalwunde.
Die letzte von Hegar und Kaltenbach zusammengestellte Statistik der axif diese
Weise operirten Uteruscarcinome wies 119 Operationen mit 80 Todesfällen = 67-2 '/o nach.
494 LAPAROHYSTEROTOMIE — LAPAROMYOMOTOMIE.
fachen, systematisch den ganzen Uterus zu exstirpiren, kann gar nicht ver-
-w'undern, wenn man bedenkt, dass zu dieser Zeit das Sterblichkeitspercent
der supravaginalen Amputation ein ziemlich hohes war (über 307o) ; wenn aber
auch jetzt, nachdem Zweifel und Chkobak durch ihre speciellen Methoden
diese Ziffer bis o'2*'/o herabzudrücken vermochten, solch ausgezeichnete Fach-
männer wie Feitsch und Martin dennoch die totale Hysterectomie als die
Zukunftsmethode bei Uterusmyomen zu proclamiren wagen, so muss wohl
diesem Umstände eine solche Bedeutung beigelegt werden, dass es jedem
Chirurgen und Gynäkologen zur Pflicht wird, sich auch mit diesem Operations-
verfahren vertraut zu machen. Ich schliesse deshalb die Darstellung desselben
hier an und zwar folge ich jener, welche der französische Gynäkologe Doyen
von demselben gegeben hat, da sie mir die klarste und prägnanteste erscheint :
Nach Eröffnung der Bauchhöhle und Umstürzen des Tumors auf die Scham-
gegend wird mit einem einzigen vom Douglasraum bis zum Scheitelpunkt
des Tumors reichenden Schnitt der Peritonealüberzug desselben getrennt
(1. Act.). In der Höhe der Adnexen, doch etwas über ihnen, führt man quer
einen zweiten Schnitt, welcher den ersten um einige Querfinger unterhalb
seines oberen Endes kreuzt und somit horizontal um den Tumor doch über
den Adnexen zieht. Bei der Ausführung des 2. Schnittes muss man sich
gut von der Lage der Harnblase überzeugen, um diese nicht zu verletzen
(2. Act).
Nun ergreift der Assistent das linke Lig. latum, während der Operateur
dasselbe rasch vom uterinen Tumor abpräparirt, um es mit einer festen
Ligatur zu binden. Nachdem auch auf der rechten Seite in derselben Weise
verfahren wurde, schält der Operateur den Tumor vorsichtig auf der vorderen
Seite von der Harnblase ab, dann lateralwärts bis zum Cervix, worauf durch
einen einzigen am Douglas ausgeführten Querschnitt der ganze Uterus sammt
Geschwulst abgetrennt und die Scheide eröffnet wird. (3. Act). Die unter-
bundenen Lig. lata werden in die Vagina herabgedrückt und sammt dem
peritonealen Mantel mittelst durch die Vagina eingeführter Zangen in dieselbe
heruntergezogen (4. Act). Nun wird die Patientin, nachdem die Bauchwunde
provisorisch mit automatisch schliessenden pinces ä griffes emoussees
geschlossen wurde, aus der Ptückenlage in die Steinschnittlage gebracht, ein
Scheidenspeculum eingeführt und die Blutung definitiv gestillt, u. z. entweder
durch RiCHELOT'sche Pinces oder starke Catgutligaturen, wie bei der vagi-
nalen Hysterectomie. (5. Act.) Im letzten d. i. 6. Act wird in der Tiefe der
Bauchwunde zuerst das im DouGLAs'schen Kaume geöffnete Peritoneum durch
Kür^chnernaht zusammengenäht, dann folgt Toilette der Bauchhöhle und
Schluss der Laparotomiewunde und schliesslich wird die Vagina mit Jodo-
formgaze tamponirt.
C. Die iiitraperitoneale Eiiiicleation der Myome. Während manche
Operateure Myome aus dem Uterusgewebe nur deshalb enucleiren, um desto
leichter die supravaginale üterusamputation oder die totale Hysterectomie
ausführen zu können, schlug Martin vor, in einzelnen, besonders dazu ge-
eigneten Fällen nur zu enucleiren, die zurückgebliebene Wunde nach er-
folgter Blutstillung etagenartig zu nähen und den Uterus auf diese Weise
zu erhalten. Manche Fälle verliefen gut und schnell, sogar solche, bei denen
die Uterinhöhle eröffnet worden war und nach der Scheide drainirt werden
musste. Doch als immer häufiger Meldungen von Fällen kamen, die an
inneren Blutungen oder an Sepsis zu Grunde gingen, wandte man sich all-
mählig von dieser Methode ab und dies um so leichteren Herzens, nachdem
die anderen Methoden, wie oben ausgeführt wurde, immer bessere Ptesultate
aufwiesen. Erst in letzterer Zeit scheint es Albert und Obalinski zu ge-
lingen, die Reputation der sonst so leichten und vielfach zusagenden Methode
zu retten, indem sie die Ventrifixation der am Uterus gesetzten Wunde vor-
LAPAROHYSTEROTOMIE - LAPAROMYOMOTOMIE. 495
schlugen und ausführten. Krsterer zeigte an der Iland eines von ihm ge-
sammelten, reichlichen statistischen Materiales {Wiener Klinik 1804, Nr. 12),
dass dieses Verfahren in beinahe zwei Dritteln vorkommender Uterusmyome
mit gutem Erfolge angewandt werden könnte, sowie an einer Reihe eigener
Fälle die Vortheile und Ungefährlichkeit desselben und Löiilkin, dass die
Ventrification des Uterus keinen ungünstigen Einfluss auf den Eintritt und
den Verlauf der Schwangerschaft ausübt. Diese Methode kann nicht nur, wie
Albert glaubte, dann angewendet werden, wenn das Myom auf der vorderen
Seite des Uterus gelegen ist, sondern auch dann, wenn es im Fundus, ja so-
gar wenn es auf der hinteren Seite des Uterus i)lacirt ist, nur darf es über-
haupt nicht zu tief in das Collum reichen. Untauglich sind diese Fälle,
wo multiple Myome nach verschiedenen Richtungen hin sich nachweisen lassen.
Hieher gehört auch die Ablation der gestielten subserösen Fibromyome,
deren Nahtstelle auch der Sicherheit halber wo nur möglich in der Lapa-
rotomiewunde fixirt werden sollte.
D. Decorticatio myomatis. So nannte Pozzi eine Operation, welche
nur ausnahmsweise ausgeführt wird und darin besteht, dass man Fibromyome,
die entweder zwischen die Blätter der Lig. lata oder gegen das Rectum u. dgl.
wachsen, aus ihrer Lage herausschält und aus den Peritoneallappen einen
Stiel bildet, der in zweifacher Weise behandelt werden kann, nämlich: Nach
Stillung der Blutung werden die Ränder derselben fein zusammengenäht und
die Höhle gegen die Scheide mittelst eines Kreuzdrains ventilirt (Martin);
oder es werden die Ränder der Peritoneallappen in die untere Hälfte der
Bauchwunde hineingenäht und die ganze Caverne mit Jodoformgaze oder
steriler Gaze tamponirt. Die damit erzielten Resultate sind ziemlich gut.
In sehr schwierigen Fällen hat man nur einen Theil der Geschwulst entfernt
und aus dem Reste einen im unteren Wundwinkel eingenähten Stiel ge-
bildet, der mit Chlorzink behandelt wurde und auch auf diese Weise wurden
gute Resultate gewonnen (Taufper). Nur in ganz besonders schwierigen
Fällen bleibt nichts anderes übrig, als die Castration auszuführen. Diejenigen
Fälle, die mehr gegen das kleine Becken wachsen, sollen mittelst der vagi-
nalen Methoden behandelt werden. (Siehe den Artikel ^Myotomie'^ .)
Wenn wir noch die vaginalen Methoden der Beseitigung von
Uterusmyomen berücksichtigen; dann haben wir eine Fülle, eigentlich einen
Ueberfluss derselben, so dass es unsere Pflicht ist, sich etwas in der schon auf
einem ziemlich bedeutenden Material basirenden Statistik umzusehen und so-
wohl darauf, wie auf den Ansichten der bedeutendsten Autoritäten gestützt,
eine Richtschnur geben, welche dem praktischen Arzte bei Beurtheilung
eines gegebenen Falles gute Dienste abgeben dürfte, zumal ich mit Chrobak
sagen muss: „dass nicht leicht bei einer anderen Operation so genau zu
individualisiren sei, als bei der Myotomie".*)
Wenn wir uns nach der bisherigen Statistik richten würden, dann müssten
wir unbedingt der radicalen Totalexstirpation des myomatösen Uterus den
ersten Platz lassen, daher erklärte auch Martin auf dem XL internationalen
Congress zu Rom dieselbe als die Methode der Zukunft, welcher Er-
klärung viele und ansehnliche Gynäkologen beistimmten, wie Pean (Paris),
Landau (Berlin), Carle (Turin), nur mit dem Unterschiede, dass Martin
dabei nur die per laparotomiam ausgeführte Totalexstirpation im Sinne hatte,
während jene dabei auch an die vaginale Exstirpation mit Beihilfe des Mor-
cellement und Pincement dachten und bei Mj^omen, welche unter den
Nabel reichten, der letzteren sogar den Vorrang gaben vor der ersteren.
Man muss wirklich diesen W^orten Recht geben, wenn man hört, dass
bei der abdominalen Totalexstirpation folgende Resultate erreicht wurden :
*) Vergl. Artikel „Myotomie'^
406 LAPAROHYSTEROTOMIE — LAPAROMYOMOTOMIE.
Martin auf 26 -
- 1 t
Chrobak „ 24 -
- 0 t
Carle „ 20 -
- 0 t
zusammen 70 -
- 1 t zz= 1-430/,
Und trotzdem sagt Chrobak selbst in einer seiner letzten Enuntiatio-
nen über Myomotomieen (Wien. Min. Woch. 1894, Nr. 52): „Wir können
aber keinerlei Ersatz bieten für den Wegfall wichtiger Organe und Functio-
nen und nicht zum geringsten Theile wird die Freude an unseren Opera-
tionsmethoden vergällt durch jene Erscheinungen, welche der gewaltsam her-
beigeführte Klimax mit sich bringt." Und an anderer Stelle : „Aus der totalen
Exstirpation heraus hat sich bei mir eine Methode entwickelt, zu der Andere
auf anderem Wege gelangt sind" (nämlich die retroperitoneale Methode);
Chrobak spricht ferner von Schwierigkeiten der sicheren Desinfection der
Scheide und des Cervix und von operativen Schwierigkeiten, welche sich
darbieten. Daraus ersieht man, dass Chrobak die Totalexstirpation des
myomatösen Uterus für eine schwierige Operation hält und wenn man berück-
sichtigt, dass er selbst mit der retroperitonealen Methode ein Mortalitäts-
percent von 4' 7 5 und Rosthorn, der unter besseren Bedingungen arbeitete,
sogar 2*2''/o herausbekam, dass Zv\^eifel mit seiner sehr verwandten Methode
ein Percent von 3*2 erreichte, so ist man doch berechtigt, die retro-
peritoneale Hy steromyomectomie der totalen abdominalen Ute-
rusexstirpation vorzuziehen.
Mit diesen beiden ausgezeichneten Methoden streiten unter den ver-
stümmelnden Operationen um den Vorrang noch zwei andere, nämlich die
extraperitoneale Uterusamputation und die totale Exstirpation per vaginam.
Die extraperitoneale Uterusamputation, welche bis vor nicht langer Zeit
beinahe die Alleinherrschaft behauptete, verliert mit jedem Jahre ihre An-
hänger; sollte sie aber hie und da indicirt sein, dann dürfte man sie nach
den von Schauta aufgestellten Regeln ausführen. Dagegen hält die vaginale
Totalexstirpation vollständig den Vergleich mit den zwei ersten Methoden aus
und es scheint eine Sache der Gewöhnung zu sein, sozusagen vom „Gusto"
des Operateurs abzuhängen, ob man sich mehr zu der abdominalen oder zu
der vaginalen Methode hinneigt. Jedenfalls sind die durch die Franzosen
erreichten Resultate wohl zu beherzigen und insbesondere der Rath, welchen
Pean auf dem XL internationalen Congress gegeben hat: „Sobald ein Fibrom
des Uteruskörpers erkannt ist, so ist es ohne Unterschied des Sitzes auf ab-
dominalem Wege zu entfernen, wenn sein Volumen sehr gross ist, indem
man sich der elastischen Ligatur, der präventiven Klemmen und des Morcel-
lements bedient; auf vaginalem Wege, wenn das Volumen weniger gross
ist, indem man sich der Einklemmung (Pincement) der Lig. lata und des
Morcellements des Uterus und des Tumors bedient." So hätte man zu ver-
fahren, wenn der Tumor überhaupt gross ist und wir uns entschliessen, sammt
demselben auch den Uterus zu opfern, doch soll man, wo irgend nur möglich,
die conservative Methode anwenden (Chrobak, Obalinski) und zwar die ab-
dominale Enucleation, die vaginale Enucleation und die von Czerny begründete
und von Dührssen vaginale Laparomyomotomie genannte Operation.
Sobald nun einmal ein Uterusfiibrom diagnosticirt wurde, und die beob-
achteten Symptome, welcher immer Natur sie wären, im Steigen sind, dann
soll man trachten, durch eine der beschriebenen radicalen Methoden dasselbe
so bald, wie möglich, zu beseitigen. Je früher man dies thut, desto sicherer
werden die Resultate sein. Dabei ist an erster Stelle die Enucleation des
Myoms auf vaginalem oder auf abdominalem Wege, somit eine der conser-
vativen Methoden zu berücksichtigen und erst in zweiter Reihe eine der radi-
calen aber den Uterus aufopfernden Methoden, wobei wieder die vaginalen vor
die abdominalen zu setzen sind. Decortication soll nur in Ausnahmsfällen
angewendet werden.
LITHOPAEDION. — LOCHIEN. 497
Nur wenn keine von den eben aufgezählten Methoden angewendet werden
kann, treten die palliativen Mittel in ihre liechte, nämlich : das von
Apostoli propagirte Elektrisiren"), die von liYDYGiKu-GoTTSciiALK vor-
geschlagene Unterbindung der beiden Art. aterinae und zuletzt die beider-
seitige Castration. a. obalinski.
Lithopaedson. (SteinMnd). In seltenen Fällen kommt es bei der Extra-
uteringravidität"""), als Ausgang derselben, zur Bildung eines Lithopädions.
Der Name ist insofern nicht ganz zutreffend, als es bei diesem Process nie
zu einer vollständigen Versteinerung des extrauterin abgestorbenen Fötus
kommt, indem die Auf- und Einlagerung von Kalksalzen, der die Bildung
ihren Namen verdankt, nur auf der Oberhaut des Fötus oder des Fruchtsackes
statt hat. Die Hauptmasse des kindlichen Körpers dagegen, also Muskeln
und die sämmtlichen inneren Organe bleiben von der Kalksalzeinlagerung ver-
schont und meistens ziemlich gut erhalten ; sowohl makroskopisch wie mikro-
skopisch am deutlichsten erhalten sich die Muskeln, am wenigsten das Fett
und die fetthaltigen Organe.
Küchenmeister unterscheidet in seiner Arbeit über das Lithopädion
drei Hauptformen:
1. Das Lithokeliphos (6 xsXucpo? = die Eischale), bei dem die Kalk-
ablagerung nur die eng um den Fötus, nach Resorption des Fruchtwassers,
anliegenden Eihäute betrifft;
2. das Lithokelyphopädion, bei dem auch die Oberhaut des Fötus mit
von dem Process betroffen ist und
3. das Lithopädion im engeren Sinne, bei dem die Oberfläche des Fötus
frei von den Eihäuten versteinert wird. Die Entstehung dieser dritten Form
ist nur dadurch möglich, dass der Fötus aus dem geplatzten Eisack in die
freie Bauchhöhle tritt und dort dem Verkalkungsprocess verfällt. Derartige
Steinkinder können Jahre lang, ohne überhaupt Beschwerden zu machen,
getragen werden und werden sehr häufig erst nach dem Tode der Trägerin auf
dem Sectionstisch entdeckt. In den Fällen von KtJCHENMEiSTER, Nebel und bei
dem berühmten Steinkind von Leinzell, dessen Trägerin 94 Jahre alt wurde,
weilte die entartete Frucht über 50 Jahre in der mütterlichen Bauchhöhle
ohne Schaden ; ja zu wiederholten Malen wurde beobachtet, dass solche Frauen
wieder intrauterin empfingen und ausgetragene gesunde Kinder zur Welt
brachten. So gebar z. B. die Frau mit dem Steinkind von Leinzell noch
zweimal ausgetragene Kinder. Aus dem Gesagten geht hervor, dass ein Ein-
greifen nur dann nöthig wird, wenn die betreffenden Frauen nennenswerthe
Beschwerden von ihrem Lithopädion haben. Die Entfernung kann nur auf
dem Weg der Laparotomie geschehen und dürfte auf grosse Schwierigkeiten
nicht stossen. Der in früheren Fällen, wo bei der Geburt Schwierigkeiten
erwartet wurden, eingeleitete künstliche Abort ist zu verwerfen und am Ende
der Schwangerschaft eventuell durch den Kaiserschnitt zu ersetzen. In der
Literatur ist ein Fall (Hugenberger) veröffentlicht, bei dem das Lithopädion
ein unüberwindliches Geburtshindernis bildete, und deshalb der Kaiserschnitt
vorgenommen wurde. beckh.
Lochien. Die Lochien oder der Wochenfluss sind zum grössten Theil
das Secret der nach vollständiger Ausstossung der Frucht einer grossen Wund-
fläche vergleichbaren Uterus-Innenfläche. Einen kleinen Theil zum Lochialsecret
liefert die Cervixschleimhaut, sowie Scheide und Vulva. Die Lochialsecretion
dauert gewöhnlich annähernd 4 Wochen, doch kann dieselbe auch 6 — 7 Wochen,
*) Vgl. Artikel „Gy^tähoeleJch-otherapie^, pag. 321.
**) Vergl. Artikel: „ExtraiiterinscJiwatifferschaft"' pag. 234.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 32
498 LOCHIEN.
besonders bei nichtstillendeii Frauen anhalten, \Yälirend erfalirungsgemäss das
Stillen eine raschere Rückbildung der Genitalien und damit auch rascheres
Verschwinden des WochenÖusses begünstigt, lieber die Menge desselben An-
gaben zu machen, ist schwer und dürfte wohl auch kaum praktischen Werth
haben. Die frühere Eintheilung des Wochenflusses in Lochia criienta bis zum
2. Tag, sanguinolcnta bis zum 3. Tag, serosa bis zum 8. Tag und dann alba
ist zu schematisch und mit den praktischen Erfahrungen nicht im Einklang.
Die ersten zwei Tage allerdings sind die Lochien gewöhnlich rein blutig, von
da ab aber beginnen dieselben dünner, wässeriger zu werden und durch die
allmälig geringere Blutbeimenguiig mehr hellroth zu werden. Der Eintritt
des Zeitpunktes, in welchem völlige Freiheit von Blut constatirt werden
kann, ist sehr wechselnd und tritt manchmal schon am 8. Tage ein, nicht
selten aber auch später nach 14 Tagen bis drei Wochen, ohne dass gerade
ein abnormer Zustand vorhanden wäre. Nicht selten werden die Lochien beim
Aufstehen, insbesondere beim zu frühen Aufstehen wieder rein blutig. Schon
makroskopisch kennzeichnet sich der Gehalt der Lochien an Deciduabestand-
theilen durch mehr oder weniger reichliche Beimengung von Deciduafetzen.
Mikroskopisch beherrschen in den ersten Tagen das Bild neben Decidua-
zellen, Cylinderepithelien des Cervix und Plattenepithelien der Vagina rothe
Blutkörperchen, die allmälig mit dem Fortschreiten des Wochenbetts den
weissen Blutkörperchen Platz machen und schliesslich ganz verschwinden.
Die reinen Uteruslochien ohne Beimengung des Cervical- und
Scheidenschleimes sind bei gesunden Wöchnerinnen wenigstens vollkommen
keimfrei. Nach ihrem Eintritt in die Scheide und Vermengung mit dem
Scheidensecret werden sie stets keimhaltig und reagiren alkalisch, welche
Reaction erst nach vollständiger Rückbildung unter normalen Verhältnissen
der sauren Reaction des Scheidensecrets Platz macht. Die anfänglich geringe
Anzahl der Keime nimmt im Laufe der Tage zu und damit geht Hand in
Hand eine zunehmende Giftigkeit der Lochien bis zur zweiten Woche, die
sowohl durch Experimente ad hominem wie beim Thiere nachgewiesen ist.
Ueber die im Vaginalsecret in der Schwangerschaft vorhandenen Hefepilze
und Bacillen gewinnen bei der alkalischen Reaction der Lochien Fäulnis-
erreger, die Staphylococcusarten und der Streptococcus pyogenes, die Ober-
hand und bedingen dadurch die erwähnte Lifectiosität derselben, die vor-
handen ist selbst bei vollständig fieberlosem Verlauf des Wochenbetts. Aus
dem eben Gesagten geht hervor, dass die Lochien einer jeden Wöchnerin, sei
sie gesund oder krank, die Träger von Infectionskeimen sind, w^oraus sich die
Lehre der Vorsicht für diejenigen, welche mit denselben in Berührung kommen,
ergibt. Ueber die hier auch in Betracht kommende Frage der Selbstinfection
s. Artikel ^Antisepsis in der Gehurt shilfe.^^
Störungen im Verlauf des Wochenbettes führen häufig auch
zu Störungen in der Lochialsecretion. Bei sehr vielen fieberhaften puerperalen
Processen ändert sich die Beschaffenheit der Lochien, indem der normaler
Weise fade, aber durchaus nicht üble Geruch einem schlechten, ja oft uner-
träglichen Gerüche Platz macht, namentlich bei der puerperalen Endometritis.
Damit Hand in Hand geht Vermehrung und oft auch Farbenveränderung des
Secrets, Avelches eine schmutzig-bräunliche, ja oft schwärzliche Farbe annimmt
und zwar tritt diese Veränderung auch bei der puerperalen Pelveoperitonitis
und Parametritis namentlich, wenn dieselben vom Endometrium ausgegangen
sind, ein. Oft sind neben dem Fieber putride Lochien das einzige Symptom
einer stattgehabten Infection. Freilich gibt es auch schwere, rasch letal endi-
gende Formen des Puerperalfiebers, bei denen eine Veränderung in den Lochien
nicht im geringsten nachzuweisen ist, so dass also die Anschauung, dass nor-
male Lücliien gegen ein stattgehabte Infection von selten des Genitaltractus
sprechen, als eine durchaus irrige zurückzuweisen ist.
MAMMAKRANKHEITEN. 499
Eine hervorragende Rolle spielen die Lochien in dem Symptomencomplex,
welcher bei mangelhafter Involution des Uterus in Erscheinung tritt; dieselbe
wird oft erst dadurch erkannt, dass die blutigen oder blutwässerigen Lochien
nicht verschwinden oder wieder auftreten, nachdem bereits rein eiteriger
Lochialfluss vorhanden war. Mit diesen blutigen Abgängen wechseln oft ab
sehr reichliche, serös-schleimig-eitrige Lochien. Die Therapie besteht in der
möglichst raschen LLerbeiführung einer besseren Involution durch geeignete
Mittel.
Mit dem Namen Lochiometra wird ein Krankheitsbild bezeichnet, das
dadurch zu Stande kommt, dass aus irgend einem Grunde im Wochenbett eine
Anteflexio höheren Grades, welche den Abfluss der Lochien verhindert, entsteht,
oder dass Blutcoagula oder Eireste sich vor 6ei^ inneren Muttermund legen.
Die Erscheinung einer Lochiometra, die meistens mit Fieber einhergeht, aber
nicht mit Fieber einherzugehen braucht, sind Verminderung oder gänzliches
Aufhören des Wochenflusses gewöhnlich am Ende der ersten oder Anfang der
zweiten Woche. Druckschmerzen oder überhaupt Schmerzen sind in uncom-
plicirten Fällen nicht vorhanden. Bei der bimanuellen Untersuchung findet
man den weichen Uterus stark spitzwinkelig anteflectirt; gleicht man bei der
Untersuchung die Abknickung aus, so fliessen gewöhnlich die retinirten
Lochien ziemlich plötzlich ab. Dieselben sind meist übelriechend und von
bräunlicher Farbe. Handelt es sich um eine Verlagerung der Ausfluss-
öflfnung, so muss das Hindernis mit dem Finger entfernt werden. Ist Fieber
vorhanden gewesen, so verschwindet dasselbe gewöhnlich nach dem Abfluss;
zu empfehlen ist eine desinficirende Ausspülung der Uterushöhle. Im Uebrigen
sind Maassnahmen zu treffen, welche eine rasche Rückbildung des Uterus be-
fördern. Recidivirt die Lochiometra, was öfter beobachtet wird, so ist in
gleicher Weise vorzugehen. beckh.
^ammakrankhelten. I. Entwickelmigsfehler. Unter Polythelie be-
ziehungsweise Polymazie versteht man das Vorhandensein von mehr als zwei
Brustwarzen, beziehungsweise Brustdrüsen; es handelt sich stets um eine an-
geborene Missbildung. Die höchste bis jetzt beobachtete Zahl ist 10 in dem
Fall von Neugebauee. Die überzähligen Warzen und Drüsen befinden sich
meist am Brustkorb, dieselben werden jedoch auch in der Achselhöhle, auf
der Schulter, am Rücken, auf dem Leib und an der Innenfläche des Ober-
schenkels beobachtet. Die überzähligen Mammae, die meistens sehr klein
sind und deshalb nur selten zum Stillen verwendet w^erden können, schwellen
ebenso wie die normalen Brüste in der Schwangerschaft und im Wochenbett
an und secerniren ebenso wie diese. Eine praktische Wichtigkeit hat diese
Missbildung nicht, ebenso wie das ebenfalls, wenn auch seltener, beobachtete
Gegentheil derselben, die Äthelie und Ämazie, der gänzliche Mangel von Warze
und Drüse.
Wichtiger sind gewisse Fehler in der Beschaffenheit der Brustwarze,
welche entweder das Stillen erschweren oder sogar ganz unmöglich machen
können. Zu diesen gehört die abnorme Kleinheit der Brustwarzen, die soge-
nannte Mikrothelie, welche entweder auf einer Entwickelungsstörung beruht
oder erworben sein kann. Um bei derselben das Stillen zu ermöglichen,
muss die Warze mittels der Milchpumpe herausgezogen werden und das Kind
muss an der herausgezogenen, am besten mit einem Warzenhütchen versehenen
Warze das Trinken versuchen. Zu beflü'chten ist nur durch das öftere Mani-
puliren mit Milchpumpen und Warzenhütchen das Entstehen von Schrunden,
auf deren Verhütung also zu achten ist. Eine weitere Abnormität, welche
das Stillgeschäft erheblich stören kann, ist die sogenannte Hohlwarze oder
Papilla circumvallata, bei der die Warze eingezogen ist, also der Warzenhof
höher wie die Warze liegt. . Dieses Tiefliegen der Warze kann sehr hohe
32*
500 MAMMAKPtANKIIElTEN.
Grade erreichen. Die Therapie besteht ebenfalls in dem Versuch, die Warze
durch die Milchpumpe zur Erection zu bringen. Bei den höchsten Graden,
der sogenannten versteckten Hohlwarze, ist von Kehrer die Excision des
Warzenhofs empfohlen.
II. Erkrankungen der Brustwarze und Brüste. Der weitaus grösste
Theil dieser Erkrankungen, soweit sie das Gebiet des Gynäkologen berühren,
hängt mit Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett zusammen. Zu den
nicht mit Schwangerschaft etc. zusammenhängenden Erkrankungen gehört
zunächst eine, die aus naheliegenden Gründen meist der Behandlung des
Geburtshelfers obliegt, nämlich die Schwellung der Brustdrüse bei
Neugeborenen, bei der es mitunter infolge von Infection auch zur Ver-
eiterung kommen kann. Die Erkrankung macht sich bemerkbar durch
Schwellung, Röthung und Ausdrückbarkeit einer milchigen Flüssigkeit. ■ Sie
kann beide Geschlechter befallen. Die Behandlung besteht in feuchten Um-
schlägen, bei eingetretener Suppuration hat die entsprechende chirurgische
Behandlung einzutreten. ")
Bei jungen Mädchen kommen manchmal zur Zeit der Menses Anschwel-
lungen der Brüste, die mit starker Empfindlichkeit einhergehen, vor, welche
oft förmlich den Charakter einer Mastitis annehmen, ohne dass es zur Suppu-
ration kommt. Die Behandlung ist, wenn überhaupt eine solche nöthig, rein
symptomatisch. Auch das unter dem Namen Mastodi/nie oder Neuralgie der
Brustdrüse bekannte Krankheitsbild kommt manchmal dem Frauenarzt zur
Beobachtung. Man versteht unter dieser Erkrankung das Auftreten von
Schmerzen in den Brüsten bald ein-, bald doppelseitig, ohne dass ein anato-
mischer Grund nachzuweisen wäre. Die Fälle, in denen die Neuralgie durch
Entfernung kleiner vorhandener Tumoren verschwand, sind strenggenommen
nicht unter das Bild der Mastodynie zu rechnen. Die mit dem Leiden
behafteten Frauen sind häufig historisch.
Die häufigste der zur oben erwähnten Gruppe gehörigen Krankheits-
erscheinungen bilden die sogenannten Schrunden der Brustwarze, welche
entweder entstehen bei abnormer Zartheit der Warzenepidermis oder durch
mangelhafte Pflege der Brustwarze und Unreinlichkeit. Begünstigend wirken
eine zu eng anliegende Kleidung namentlich in der zweiten Hälfte der Schwan-
gerschaft und abnorme Beschaflenheit der Warze. Den äussern Anstoss zur
Entstehung der Schrunden, soweit sie nicht schon in der Schwangerschaft
sich bilden, gibt das Säugen der Kinder. Eine etwa auf der Warze vor-
handene Kruste wird entweder nebst dem Epithel abgehoben, so dass das
darunter befindliche Corium frei zu Tage liegt oder die Epidermis der Warze
wird in kleinen Bläschen durch die mechanische Saugwirkung abgehoben und
dann abgestossen. Im weiteren Verlauf kommt es oft zu tiefen, spaltförmigen
Einrissen oder zu grossen, fast die ganze Warze bedeckenden Geschwüren.
Die Hauptgefahr der Schrunden besteht darin, dass sie zur Eingangspforte
für Spaltpilze werden können und damit die Entstehung von Entzündung im
Gewebe der Mamma herbeiführen. Die Symptome sind meist ziemlich be-
deutende Schmerzen beim Anlegen des Kindes, welche beim Fassen der Papille
von selten desselben gewöhnlich am lebhaftesten empfunden werden. Ob ein-
fache Schrunden zu hohen Tomperatursteigerungen führen können, erscheint
sehr zweifelhaft. Jedenfalls handelt es sich dann wohl meist um Fälle, bei
denen der Process nicht mehr local auf die Papille beschränkt geblieben ist.
Die Prophylaxe der Schrunden ist von grosser Bedeutung. Dieselbe besteht in
der Anordnung einer zweckmässigen, nicht zu engen Kleidung in der Schwanger-
schaft, besonders in den letzten Wochen und in täglich ein- bis zweimaligem
Abwaschen der Warze mit Wasser und Seife. Sind bereits Schrunden vor-
*) Vergl, Artikel ^Mastitis neonatorum"' im Bd. II. der y,Interne Medicin.'^
MAMMAKEANKIIEITEN. 501
banden, so muss die bedeckende Kruste mit Perubalsam oder Glycerin auf-
geweidit werden; auch nach Abstossung der Kruste ist es zweckmässig, den
Epidermisdefect mehrmals täglich mit Perubalsam zu bestreichen und die
Warze dann mit steriler Gaze oder Watte zu schützen. Zur Unschädlich-
machung des Saugreizes lässt man Warzenhütchen aus Glas oder Gummi auf-
setzen und an diesen das Kind trinken. Peinliche Asepsis auch dieser kleinen
Gegenstände ist selbstverständlich. Bei schwächlichen Kindern ist die Be-
nutzung der Teterelle biaspiratoire nach Auvarj) zu empfehlen, bei der das
Ansaugen der Milch durch die Mutter oder jede andere Person bewerkstelligt
werden kann.'^")
Nicht selten vorkommende Blutunterlaufungen im Warzenhof,
gewöhnlich hervorgerufen durch Saugversuche des Kindes an falscher Stelle,
verschwinden gewöhnlich rasch wieder und haben keine pathologische Be-
deutung. Auch die manchmal beobachtete Entzündung des Warzenhofs ist
von besonderer Bedeutung nur dann, wenn es zu Phlegmonenbildung kommt,
(Phlegmone subareolaris). Der Process wird mit feuchten Umschlägen l)e-
handelt, eventuell tritt die Incision in ihr Recht.
Die Entzündung der Brustdrüse ist in den meisten Fällen
eine puerperale; die in der Schwangerschaft entstandenen Mastitiden sind viel
seltener.
Auch ausserhalb der Schwangerschaft sind dieselben beobachtet, doch
handelt es sich immer um den gleichen anatomischen Process. Die puerperale
Mastitis ist unter dem Druck der modernen antiseptischen Behandlung des
Wochenbettes entschieden seltener geworden. Die Entzündung der Brustdrüse ent-
steht ausnahmslos durch Infection entweder von aussen her oder in sehr seltenen
Fällen als metastatische Theilerscheinung einer puerperalen Septicopyaemie.
Die Infection geht entweder von einer Schrunde oder von den Milchgängen
aus durch Einwanderung von Staphylococcen oder Streptococcen. Eine Mastitis
entstanden durch Milchstauung ohne Einwirkung von Spaltpilzen gibt es
nicht, demgemäss gibt es auch das sogenannte Milchfieber nicht. Alle unter
diesem Namen gehenden Fieberlalle sind entweder auf Infection oder auf
irgend eine intercurrente Krankheit im Wochenbett zurückzuführen. Die
Symptome der Mastitis, welche im W^ochenbett gewöhnlich erst in der zweiten
oder dritten Woche einzusetzen pflegt, sind Fieber, eine geringere Erhöhung
der Pulsfrequenz im Vergleich zur puerperalen Sepsis, Schmerzhaftigkeit und
Anschwellung eines oder mehreren Lappen der Drüse. Die Haut über der-
selben fühlt sich heiss an und ist stark gespannt. Die Entzündung kann
unter Abfall des Fiebers am zweiten oder dritten Tage bei geeigneter Be-
handlung zurückgehen; ist dies nicht der Fall, so kommt es unter Fortdauer
des Fiebers, bei dem höchste Grade selten sind, unter Röthung der äusseren Be-
deckung zur Eiterung, welche sich meist durch Fluctuation kennzeichnet.
Wird nicht eingegriffen, so bricht der Eiter gewöhnlich spontan nach aussen
durch, worauf Abfall des Fiebers folgt, wenn der Process nicht auf die andern
Lappen übergreift. Zeigen sich die ersten Symptome einer Mastitis, so ist
das Stillgeschäft sofort zu unterbrechen, die Brust durch ein Suspensorium
mammae, ohne Druck auszuüben, heraufzubinden; ferner ist ein Eisbeutel auf-
zulegen oder, da derselbe häufig nicht gut vertragen wird, Umschläge mit
Bleiwasser zu machen. Ausserdem ist durch ein kräftiges Laxans füi' aus-
reichende Stuhlentleerung zu sorgen. Bei eingetretener Eiterung wii'd, wenn
irgend möglich wegen der starken Schmerzhaftigkeit in Narkose, an der SteUe,
wo Fluctuation oder wo vorher die grösste Schmerzempfindung constatirt
wurde, ausgiebig incidirt und zwar radiär zur Brustwarze, um ein Dui'ch-
schneiden der radiär verlaufenden Gefässe und Milchgänge nach Möglichkeit
*) Vergl. Artikel ^Fissuren der Mamma" pag. 253 ds. Bd.
502 MANÜALHILFE UND EXTRACTION.
ZU verhüten. Im Allgemeinen soll man mit der Incision nicht zu lange warten,
da die rechtzeitige Vornahme derselben oft vor vollständiger Zerstörung der
Mamma schützt. Sind mehrere Abscesshöhlen vorhanden, so werden die-
selben entweder durch mehrfache radiäre Incision eröffnet, oder von der ersten
Incision aus durch stumpfe Durchtrennung des Gewebes mit dem Finger ver-
bunden. Die Höhle wird mit Jodoformgaze oder einfacher steriler Gaze aus-
gestopft oder ein Drainagerohr eingeführt. Der erste Verband ist nach
24 Stunden zu wechseln, der weitere Wechsel ist je nach den Verhältnissen
(Durch tränkung des Verbandes oder Eintritt voq neuem Fieber), jedenfalls
aber nach 3 — 4 Tagen zu wechseln. Die Wundheilung geschieht durch Gra-
nulation; eine Secundärnaht der äusseren Bedeckung dürfte nur in seltenen
Fällen nothwendig werden. beckh.
Manualhilfe und Extraction. Unter Manualhilfe versteht man
die bei Becken-Endlagen in Frage kommende Kunsthilfe, welche in der
Lösung der kindlichen Arme und der Entwicklung des nachfolgenden Kopfes
besteht; unter Extraction hingegen muss man einen weiteren Eingriff ver-
stehen, nämlich den der Ausziehung des Rumpfes eines in Becken-Endlage
befindlichen Kindes, (vergl. „Becke7iendlagen^\ pag. 84) In früherer Zeit war es bei
jeder Becken-Endlage Gepflogenheit, die Ausziehung des Rumpfes, d. h. die Ex-
traction, vorzunehmen, sobald es nur möglich erschien und zwar aus dem Grunde,
weil man gewohnt war, die Becken-Endlage als pathologische Fruchtlage zu bezeich-
nen. Von der Voraussetzung ausgehend, dass blos die Schädellage die normale
Fruchtlage sei, dachte man sich, dass jedes in Becken-Endlage befindliche Kind
nicht blos bezüglich seines Lebens sich in Gefahr befinde, sondern dass der Ge-
burtsverlauf auch für die Mutter ein abnormer sei, und bestrebte sich, die Ge-
burt auf künstliche Weise zu beendigen. Die grosse Zahl von Verlusten des kind-
lichen Lebens, die sich hiebei ergaben, war nur geeignet, die Ansicht von der
Gefährlichkeit der Becken-Endlage zu bestätigen, obwohl man sich doch eigent-
lich sagen musste, dass die grössere Mortalität der Kinder vielmehr dem irra-
tionellen Vorgehen der Aerzte bezüglich der Extraction des Rumpfes zuzu-
schreiben war. Wir wissen nunmehr, dass die Geburt in Becken-Endlage,
wenn nur sonst keine Abnormität des Falles vorliegt, in der Regel ebenso
spontan vor sich geht wie die Geburt eines in Schädellage befindlichen Kindes.
Wir haben demgemäss eigentlich gar keine wie immer geartete Berechtigung,
von vorne herein einen Fall, in welchem sich die Frucht in Becken-Endlage
präsentirt, als einen abnormen, durch Kunsthilfe zu beendigenden zu bezeichnen.
Richtig ist es allerdings, dass bei Becken-Endlagen im Verlaufe der auch
sonst spontan sich vollziehenden Geburt ein Moment eintritt, in welchem das
kindliche Leben mehr gefährdet erscheint als sonst bei normalem Geburts-
verlaufe. Der Schädel eines in Becken-Endlage befindlichen Kindes wird als
der zuletzt kommende Fruchtheil geboren, er passirt daher den Beckencanal
gleichzeitig mit dem Nabelstrang, und es besteht die Gefahr, dass eine Com-
pression des Nabelstranges durch den harten, kindlichen Schädel gegen den
unnachgiebigen knöchernen Beckenring stattfindet, wodurch eine Unterbrechung
des Placentar-Kreislaufes zustande kommt; in gleicher Weise entsteht eine
Gefahr für das Kind dadurch, dass in dem Moment, wo der kindliche Schädel
durch den Beckencanal durchtritt, der Uterus seines Inhaltes nahezu voll-
ständig entleert ist und demgemäss sich auf ein geringeres Volumen zusammen-
gezogen hat. Während bei einer Geburt eines in Schädellage sich befindlichen
Kindes dieser Moment erst eintritt, wenn der Schädel bereits längst ausge-
treten ist und blos die untere Rumpfliälfte das Becken passirt, was bei der
Schädellage in wenigen Secunden geschieht, wird dieser Umstand bei Becken-
Endlagen vielmehr ins Gewicht fallen, nachdem einerseits der Schädel als der
zuletzt kommende Theil sich noch im Genitalschlauch befindet, andererseits
MANUALIIILFE UND EXTRACTION. 503
seine Beförderung durch den Beckencanal viel längere Zeit in Anspruch nimmt.
Jede Störung der Circulation im Placentar-Kreislaufe, sei sie bedingt durch
eine Compression des Nabelstranges im knöchernen Beckenring oder durch
die Entleerung des Uterus, muss zur Folge haben, dass eine starke venöse
Hyperämie des kindlichen Hirns eintritt, dass Sauerstoffarmuth sich geltend
macht. Wir wissen ja, dass das Blut des ungeborenen Kindes einen gewissen
Grad von Sauerstoftüberschuss besitzt; wir wissen, dass während einer jeden
Contraction des Uterus eine Beeinträchtigung des Placentar-Kreislaufes statt-
finden muss, dass jedoch der im Blute des Kindes befindliche Sauerstoftüber-
schuss hinreicht, um über diese Pause hinwegzuhelfen. So sehen wir auch,
dass das eben geborene Kind eine Zeit lang braucht, bis es den ersten Athem-
zug macht, u. zw. so lange, bis der Sauerstoffiiberschuss aufgezehrt ist, und
der Zustand der Apnoe des Kindes deragemäss vorübergeht. Wenn nun die
Unterbrechung des Placentar-Kreislaufes so lange dauert, dass der Sauerstoft-
überschuss aufgebraucht ist und Sauerstoffarmuth eintritt, so wird infolge des
durch die eigenthümliche Blutbeschaft'enheit des Hirns auf das Athmungscentrum
der Medulla oblongata ausgeübten chemischen Pteizes der Impuls zur ersten
Athembewegung gegeben; während nun aber bei einem Kinde, dessen Schädel
sich bereits ausserhalb der Vulva befindet, ein solcher Athemzug zur Folge
haben wird, dass die atmosphärische Luft in die Luftwege eindringt, würde
eine solche reflectorische Athembewegung in einem Falle, da der kindliche
Schädel noch im Geburtsschlauche sich befindet, zur Folge haben, dass in die
sich erweiternden Lungenbläschen statt der athmosphärischen Luft die um-
gebenden Medien aspirirt werden, welche in der Form von Fruchtwasser,
Meconium, Vaginalsecreten, Vernix caseosa etc. zu mindest in die grossen
Luftwege gelangen und durch die Verstopfung derselben den Erstickungstod
der Frucht herbeiführen müssen. Diese Gefahr besteht demgemäss allerdings
bei einer jeden Geburt eines in Becken-Endlage befindlichen Kindes, sie tritt
ein in dem Momente, wo der Eumpf bis über Nabelhöhe ausgestossen und
der Eintritt des kindlichen Schädels in den Beckencanal zu gewärtigen ist;
dauert der spontane Durchtritt des kindlichen Schädels nur kurze Zeit, so
wird das Leben der Frucht in keiner Weise gefährdet werden. Diese rasche
Durchbeförderung des zuletzt kommenden Schädels durch den mütterlichen
Beckencanal in einer Weise, dass das kindliche Leben nicht gefährdet wird,
ist jedoch blos zu erwarten bei Multiparis oder bei ausserordentlich geringer
Entwicklung einer etwa früh geborenen Frucht; dann erfolgt die Durchstossung
des kindlichen Schädels mit ein, zwei Wehen so rasch, dass der im kindlichen
Blute angesammelte Sauerstoffiiberschuss wohl hinreicht, um dem Kinde über
die erwähnte Gefahr hinwegzuhelfen. Aus diesen Gründen sind wir gezwungen,
bei Becken-Endlagen den letzten Theil der Geburt, d. h. den Durchtritt des
kindlichen Schädels durch den Geburtsschlauch, zu beschleunigen, und nach-
dem wir nicht in der Lage sind, in jedem einzelnen Falle zu ermessen, ob
die oben erwähnte Gefahr für das kindliche Leben im ernsteren Grade ein-
treten werde oder nicht, sind wir verpflichtet, uns in jedem Falle von Becken-
Endlage für diesen Eingriff bereit zu halten. Nur in diesem Sinne kann dem-
gemäss unter sonst normalen Verhältnissen von einem Eingriffe bei Becken-
Endlage die Bede sein, im Uebrigen vollzieht sich die Geburt vollständig
spontan, ja sie würde auch unter sonst normalen Verhältnissen mit der voll-
ständigen Durchtreibung des Kindes spontan enden, wüi'den wir nicht im
Interesse des kindlichen Lebens Ursache haben, den letzten Theil der Geburt
zu beschleunigen. Wir ersehen daraus, dass wir die Verpflichtung haben, die
Geburt bei Beckenendlage ebenso exspectativ zu behandeln, wie sonst bei
anderen normalen Fruchtlagen; wir haben, wenn nicht eine specielle Indication
vorhanden ist, keine Verpflichtung und somit auch keine Berechtigung, die
Geburt eines in Becken-Endlage befindlichen Kindes in anderer Weise operativ
504 MANÜALHILFE UND EXTRACTION.
herbeizufiiliren, als etwa die Manualhilfe zu leisten. Und in der That sehen
wir, dass dadurch viel mehr Kinder am Leben erhalten bleiben, die mütter-
liche Gesundheit viel weniger gefährdet ist, als wenn wir indicationslos jede
Becken-Endlage durch Extraction behandeln würden. In dieser Weise sollen
wir nun bei jeder Becken-Endlage vorgehen ohne Unterschied darauf, ob es
sich um eine primäre oder secundäre Becken-Endlage handelt.
Unter primärer Becken-Endlage verstehen wir eine solche, in welcher
sich die Frucht schon bei Beginn der Geburt präsentirt hat. Unter secun-
däre r Becken-Endlage verstehen wir eine solche, welche erst während der
Geburt, in der Regel künstlich hergestellt wurde, durch einen Eingriff, welchen
wir als Wendung bezeichnen. Wir müssen daher sagen, wenn durch eine
Wendung eine Becken-Endlage, u. zw. eine secundäre, hergestellt worden ist
so müssen wir den w^eiteren Geburtsverlauf in derselben Weise behandeln,
wie bei einer primären Becken-Endlage, d. h. wir haben kein Recht, wenn
nicht eine specielle Indication seitens der Mutter oder des Kindes uns auf-
fordert, die Geburt sofort zu beendigen, die Extraction des gewendeten Kindes
vorzunehmen. Wir müssen vielmehr die Wendung als einen Eingriff sui ge-
neris bezeichnen, der mit der nachfolgenden Extraction nichts zu thun hat,
und werden somit unter sonst normalen Verhältnissen nach der Wendung die
Austreibung der Frucht abwarten, um dann die Manualhilfe in Anwendung
zu bringen. Die zeitliche Trennung der Wendung und der Ausziehung des
kindlichen Rumpfes ist von grosser Bedeutung für das kindliche und mütter-
liche Leben.
Die Ausführung der Manualhilfe ist folgende: Ist infolge der Wehen-
thätigkeit das untere Rumpfende so weit geboren, dass unter spontaner all-
mäliger Erhebung des Steisses gegen die Symphyse hin die beiden in der
Regel gestreckt an der vorderen Bauchwand des Kindes emporziehenden
Füsse aus der Vulva ausgetreten sind, so tritt dann der Moment ein, wo
mit der Manualhilfe zu beginnen ist. Es scheint zweckmässig, die Manual-
hilfe auf dem Querbette auszuführen; alle Handgriffe, welche gerade bei
der Raschheit, die diesem Eingriffe den Erfolg sichert, ausserordentlich exact
und prompt gemacht werden müssen, gelingen hiebei viel leichter als bei
der gewöhnlichen Lagerung der Gebärenden im Bette. Es ist daher zweck-
dienlich, die Frau auf das Querbett zu lagern schon in dem Momente, wo der
kindliche Steiss in der Vulva sichtbar wird, um für die manuelle Hilfeleistung
gerüstet zu sein, da wir ja wissen, dass oft bei ein bis zwei Wehen der Steiss
vortritt, und wir zum Eingriffe bereit sein müssen, um nicht die Rücksichten auf
die Antiseptik und auf das kindliche Leben zu verletzen. Die Manualhilfe besteht,
wie schon oben erwähnt, in der Lösung der kindlichen Arme und der Entwick-
lung des nachfolgenden Kopfes; um die hiebei in Frage kommenden Handgriffe
genau zu verstehen und zweckmässig anzuwenden, ist es nothwendig, sich den
Mechanismus des Durchtrittes der Schultern und des Kopfes des in Becken-
Endlage befindlichen Kindes vor Augen zu halten, da wir nur dann einen geburts-
hilflichen Eingriff zweckdienlich für das Kind und die Mutter werden durch-
führen können, wenn wir den physiologischen Vorgang möglichst nachzu-
ahmen, unsere Handgriffe demselben möglichst anzupassen, bestrebt sind. Die
kindlichen Schultern treten in der Regel in einem schrägen Durchmesser durchs
Becken, so dass bei der ersten Position der Becken-Endlage die linke Schulter
nach rechts vorne, die rechte nach links hinten, bei einer zweiten Position die
rechte Schulter nach links vorne gegen den Schambogen der Mutter, die
linke Schulter nach links hinten gegen das Sitzbein der Mutter gerichtet
erscheint; der Rücken der Frucht sieht demgemäss in diesem Momente des
Durchtrittes, wobei er die Tendenz hat, sich nach vorne gegen die Symphyse
zu kehren, bei einer ersten Stellung der Frucht nach links, bei einer zweiten
Stellung der Frucht nach rechts. Hiebei ist entsprechend dem Bestreben der
MANÜALHILFE UND EXTRACTION.
505
Frucht, bei ihrem Durchtritt durch den Beckenausgang die vordere niedrige
Beckenwand, d. h. die Symphyse im Bogen zu umgehen, die nach hinten zu
gelagerte Schulter der Frucht zugleich die tiefer gelegene, dem Niveau des
Beckenausganges näher gebrachte. Die kindlichen Arme liegen bei physio-
logischer Haltung in der Eegel an der Brustwand über einander gekreuzt,
nur bei unzweckmässigem, vorzeitigem Anziehen an dem noch ungeborenen
unteren Ru mpfende oder bei vorhandener Verengerung des Beckeneinganges
werden die kindlichen Arme beim Heruntertreten des kindlichen Schädels
zurückgehalten, verlassen ihre physiologische Haltung und erscheinen neben
dem Kopfe, parallel mit demselben in die Höhe gestreckt, oder es kommt
gar unter besonders ungünstigen Verhältnissen dazu, dass der eine oder an-
dere Arm in den Nacken der Frucht geschlagen, den Hals von hinten her
umkreist. Will man mm die Lösung der Arme vornehmen und dabei die
Integrität des Schultergürtels bewahren, so ist es nothwendig, die kindlichen
Arme am Rumpfe herunterzuführen in einer Weise, dass dadurch eine Con-
tinuitätstrennun^ am knöchernen und bindegewebigen Apparate des Schulter-
gürtels verhindert wird. Das geschieht am sichersten dann, wenn wir die
Herabführung der Hand im Sinne der Beugebewegung der Extremität vor-
nehmen, d. h. indem wir den Arm niemals in eine Lage bringen, in welcher
er nur durch eine Ueberstreckung der Gelenke herabbefördert werden könnte;
den anatomischen Verhältnissen entspricht es daher, wenn er so herunter-
geführt wird, dass bei hinaufgeschlagenem Arme die Hand eine Bewegung
macht, wie
wenn sie mit
der Handfläche
das Gesicht ab-
streifen würde,
während bei
über der Brust
gekreuztenAr-
men die herab-
geführte Hand
dieselbe Bewe-
gung an der
Brust, respec-
tive BaucMä-;
che der Frucht
ausführt.Diese
Beugebewe-
gung der Hand
erfordert nun
einige Raun
entwicklung,
und zu dieser
ist der geeig-
neteste Platz
die Kreuzbein-
höhlung des
mütterlichen Beckens; wir finden daher in ihr den besten Platz zur Herab-
führung des Armes und werden demgemäss jenen kindlichen Arm zuerst lösen,
welcher von Vorneherein entsprechend der physiologischen Lagerung der Frucht
nach hinten zu gegen die Kreuzbeinhöhlung gerichtet ist, d. h. entsprechend
dem oben erwähnten Durchtrittsmechanismus des Rumpfes eines in Becken-End-
lage befindlichen Kindes wird bei einer ersten Position der nach hinten zu
gerichtete rechte Arm, bei einer zweiten Position, der nach hinten zu gerich-
Fig. 1. Lösung des ersten hinteren Armes bei der manuellen Estration.
(Aus Döderlein: Leitfaden für den geburlshüftichen Operationscurs.)
506 MANÜALHILFE UND EXTRACTION.
tete linke Arm der Friiclit zuerst zur Lösung kommen. Nachdem der kind-
liche Rücken hiebei die Tendenz hat, nach vorne zu treten, entspricht un-
sere rechte Hand der rechten Hand des Kindes und unsere linke Hand dessen
linkem Arme; wir lösen daher den kindlichen rechten Arm mit unserer rechten
Hand, den kindlichen linken Arm mit unserer linken Hand. Wir erleichtern
uns den Vorgang, indem wir dabei die kindlichen Füsse mit der uns frei
bleibenden Hand ergreifen und durch Erheben derselben den geborenen Theil
des Rumpfes gegen die Symphyse bringen, u. zw. nach der entgegengesetzten
Richtung als der, in welcher sich der zu lösende Arm befindet; d. h. haben
wir eine in erster Stellung befindliche Frucht vor uns, und wäre daher der
rechte kindliche Arm als der gegen die Kreuzbeinhöhlung gerichtete zuerst
zu lösen, so fassen wir die herabhängenden Füsse des Kindes mit unserer
linken Hand, erheben diese und mit ihnen den kindlichen Rumpf gegen- die
rechte Schenkelbeuge der Mutter und bringen uns dadurch die Schulter der
zu lösenden Hand wesentlich näher; nunmehr gehen wir mit dem gestreckten
Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand längs der rechten Schulter des
Kindes an den rechten Oberarm entlang, bis wir das Ellbogengelenk passirt
haben und an den Vorderarm des kindlichen Armes gelangen; daselbst ver-
suchen wir durch schwachen Druck auf den Vorderarm jene Bewegung her-
beizuführen, welche wir als ein Herabgleiten in der Richtung der Beuge-
bewegung der Hand bereits bezeichnet haben; der Daumen unserer rechten
Hand, mit der wir die Lösung machen, soll gestreckt auf dem kindlichen
Rücken liegen, damit wir uns nicht veranlasst fühlen, auch mit den Fingern
die kindliche Extremität zu umgreifen, wodurch Fracturen des Vorderarmes
oder der Clavicula leicht zustande kämen. Es ist daher nothwendig, blos
mit zwei Fingern der lösenden Hand an den Vorderarm des zu lösenden
kindlichen Armes zu gehen und durch schwachen Druck die Extremität herab-
zubefördern in der Weise, dass erst die Finger dann der Vorderarm und
dann der Oberarm aus der Vulva austreten. Ist auf diese Weise die eine Hand
gelöst, so muss man an die Lösung der zweiten Hand gehen. Die linke
Schulter ist bisher nach vorne gegen die Symphyse gerichtet; um sie in der
Kreuzbeinhöhlung leichter lösen zu können, müssen wir sie in die Kreuzbein-
höhlung bringen und werden deshalb in dem Momente, wo unsere rechte
Hand die rechte obere Extremität entwickelt hat, folgendes vornehmen: Mit
unserer rechten Hand fassen wir den Vorderarm der eben gelösten rechten,
kindlichen oberen Extremität und ziehen sie mit leichtem Zuge vom Damme
gegen die Symphyse der Mutter, wobei wir die in der linken Hand gehaltenen
Füsse des Kindes nach abwärts zu bringen und dadurch die Drehung des
Rumpfes um seine eigene Achse bewerkstelligen, so dass nunmehr die linke
Hand gegen die Kreuzbeinhöhlung zu gelangt. In dem Momente fasst un-
sere rechte Hand die Füsse der Frucht, erhebt dieselben gegen die linke
Schenkelbeuge der Mutter, während unsere nnnmehr frei gewordene linke
Hand die obere Extremität des Kindes in derselben Weise löst, wie das von
unserer rechten Hand bezüglich der rechten oberen Extremität geschehen ist.
Sind also beide kindliche Arme gelöst und hängt der Rumpf frei herunter,
so finden wir in der Regel, den Rücken bei erster Position gegen den linken
Schenkel der Mutter, bei zweiter Position gegen den rechten Schenkel der
Mutter gewendet. Das ist ein Zeichen, dass der kindliche Schädel mit seinem
Fronto-Occipital-Durchmesser dem queren Durchmesser des Beckenausganges
entspricht; würde jedoch, was in diesem Momente der Manualhilfe hie und
da vorkommt, der Rücken der Frucht vollständig nach vorne zu gerichtet sein,
so müsste das uns ein Zeichen dafür abgeben dass der Fronto-Occipital-Durch-
messer des kindlichen Schädels dem geraden Durchmesser des Beckenaus-
ganges (gezogen von dem unteren Rande der Symphyse zur Kreuz-Steissbein-
spitze) entsprechen würde, mit anderen Worten, im ersten Falle hätten wir
MANUALHILFE UND EXTRACTION. 507
ein Zeichen dafür, dass der kindliche Schädel noch quer stehe, im zweiten
Falle müssten wir erkennen, dass der kindliche Schädel bereits rotirt sei,
Verhältnisse, welche für die Entwicklung des nachfolgenden Kopfes von grosser
Bedeutung sind. Die spontane Entwicklung des nachfolgenden Kopfes geht
mutatis mutandis unter ähnlichen Verhältnissen vor sich wie die des voraus-
gehenden. Der kindliche Schädel tritt mit dem Fronto-Occipital-Durchmesser
in den queren Durchmesser des Beckeneinganges, wobei der Hals gebeugt,
das Kinn der Brust genähert erscheint. Diese Einstellung des kindlichen
Schädels entspricht den anatomischen Verhältnissen des Beckencanales am
besten. Die Einstellung des kindlichen Schädels in dieser Form lässt seinen
Durchtritt durch den Beckencanal viel rascher von Statten gehen, als dies
beim vorangehenden Schädel der Fall ist, deshalb, weil der nachfolgende
Schädel mit seinem Gesichtsantheil vorausgeht, während das breit ausladende
Hinterhaupt den zuletzt austretenden Theil darstellt, so dass der kindliche
Schädel wie ein Keil, dessen Spitze nach abwärts, dessen Basis nach aufwärts
gerichtet ist, den Beckencanal passirt. Das ist auch der Grund, warum bei
platt verengtem Becken eine Becken-Endlage unter Umständen wesentlich
günstiger ist als eine Schädellage, so dass wir in solchen Fällen eine vorhan-
dene Schädellage durch eine Wendung in eine Becken-Endlage verwandeln,
um die eben erwähnten günstigeren Verhältnisse für den Durchtritt des
Schädels zu erzielen. Bei platt verengten Becken erscheint nämlich die Ver-
kürzung entweder blos oder zumindest vornehmlich die Conjugata betreifend,
einen Beckendurchmesser, welchem der quere Durchmesser des kindlichen
Schädels (biparietaler Durchmesser 9"25 cm lang) entspricht. In die verengte
Conjugata stellt sich nun der kindliche Schädel mit dem vorangehenden,
schmäleren Gesichtsantheile und Stirnantheile, wie dies bei einer Becken-End-
lage der Fall ist, ein, während bei einer Hinterhauptslage der breiteste Theil
des kindlichen Schädels mit den beiden Scheitelbeinhöckcrn sich zunächst in
das Hindernis einstellt, um eine solche Configuration des Schädels herbei-
zuführen, durch welche das Hindernis überwunden werden kann. Das ist ja
auch der Grund, warum bei platt verengten Becken der vorausgehende Kopf
das Bestreben zeigt, sich in die Vorderscheitel- und Gesichtslage einzustellen,
welche unter diesen Umständen mitunter günstigere Verhältnisse darbietet
wie die Hinterhauptslage. Anders sind die Verhältnisse, wenn es sich um
ein allgemein verengtes Becken handelt, wenn nicht blos die Conjugata, son-
dern auch der quere Durchmesser des Beckens verengt erscheint; in einem
solchen Falle müssen wir eine Becken-Endlage als eine ungünstige Compli-
cation bezeichnen. Bei einem allgemein verengten Becken ist die günstigere
Einstellung des kindlichen Schädels die in der Hinterhauptlage, u. zw. in for-
cirter Hinterhauptslage, d. h. mit extremer Beugestellung des Halses, weil
dadurch der kürzeste Durchmesser des kindlichen Schädels (der kleine, schräge
Durchmesser, Diam.eter suboccipito-braegmaticus) dem queren Durchmesser
des Beckeneinganges entspricht. Des Ferneren ist es bei allgemein verengtem
Becken nothwendig, dass die Accomodationsfähigkeit des kindlichen Schädels
viel höheren Ansprüchen gerecht werde als bei platt verengten Becken. Um
sich nun in der Weise zu configuriren, dass das Hindernis überwunden werde,
muss der Schädel lange Zeit im Beckencanale verweilen, und wird unter dem
Einflüsse lang andauernder Wehenthätigkeit diese Accomodation herbeigeführt.
Bei Becken-Endlage darf jedoch die Passage des Beckencanales durch den
kindlichen Schädel nur ganz kurze Zeit betragen, soll nicht das Kind ura's
Leben kommen. Diese Zeit genügt aber lange nicht, um jene Accomodation
des kindlichen Schädels zu bewerkstelligen, welche nöthig wäre, um die Hinder-
nisse, welche die knöchernen Widerstände in diesem Falle bieten, zu über-
winden. Aus all' den Gründen müssen wir eine Beckenendlage wegen der
Schwierigkeit der Entwicklung des nachfolgenden Kopfes als eine ungünstige
508 MANUALHILFE UND EXTRACTION.
Complication eines allgemein verengten Beckens betrachten, während wir ander-
seits eine Becken-Endlage bei platt verengtem Becken als eine günstige, oft
erst durch Wendung herbeizuführende Fruchtlage bezeichnen müssen.
Tritt nun, wie schon oben erwähnt, der kindliche Schädel mit quer
stehendem Fronto-Occipital-Durchmesser in den Beckencanal, so wird unter
dem Einflüsse der Contraction des Uterus, der Widerstände des knöchernen
Beckens und der Wirkung der Musculatur des Beckenbodens die Drehung des
kindlichen Schädels um seine Höhenachse in demselben Sinne erfolgen wie
bei Schädellage, d. h. der Kopf dreht sich nunmehr mit seinem Fronto-Occi-
pital-Durchmesser in den geraden Durchmesser des Beckenausganges, so dass
das Hinterhaupt der Hinterwand der Symphyse anliegt, während das Gesicht
mit stark der Brust genähertem Kinn der Kreuzbeinhöhlung zugewendet wird.
Der Austritt des Schädels aus der Schamspalte erfolgt nun in der Weise, dass
das Kinn, Mund, Nase, die Augen und die Stirne über dem Damme hervor-
rollen, und schliesslich der Schädel vollständig austritt, indem er um den
unteren Rand des Schambogenwinkels gleichsam einen Bogen beschreibt. Die
Entwicklung des nachfolgenden Kopfes durch Kunsthilfe muss demgemäss
diese physiologischen Verhältnisse möglichst nachzuahmen bestrebt sein. Für
die künstliche Entwicklung des nachfolgenden Kopfes kommen
nun mehrere Methoden in Frage:
1. Entwicklung des nachfolgenden Kopfes durch Expression.
2. „ „ „ „ „ manuellen Zug.
3. „ „ „ „ „ „ ^ ;, und
Expression.
4. „ „ „ „ ,. die Zange am nachfolgen-
den Kopfe.
5. Die Graniotomie des nachfolgenden Kopfes.
Die Expression des nachfolgenden Kopfes durch die am Uterus -Fundus
aufgelegte und daher als vis a tergo wirkende Faust des Geburtshelfers, wie
sie Kristeller und Wigand beschreiben, kommt derzeit kaum mehr in Be-
tracht, es sei denn, es handle sich um eine todte Frucht, und man wollte den
kindlichen Schädel schnell herausbefördern. Ist jedoch bei einer Becken-End-
lage die Frucht abgestorben, so ist unter normalen Verhältnissen die manuale
Hilfe nicht nöthig, da ja unter diesen Umständen die Geburt des in Becken-
Endlage befindlichen Kindes spontan von Statten geht, und die Manualhilfe
nur ein im Interesse des kindlichen Lebens unternommener Eingriff ist. Es
könnte der Fall sein, dass bei todter Frucht nach spontaner Entwicklung des
Rumpfes der Schädel zu erscheinen zögert, oder dass bei der Lösung der
kindlichen Arme das Kind erst abgestorben ist, und wir die Expression einem
vaginalen Eingriff vorzögen, dann würden wir eventuell von dieser Methode
Gebrauch machen. Viel zweckmässiger jedoch und viel häufiger in Anwen-
dung kommt die Expression in Combination mit der Methode des manuellen
Zuges.
Die Methode des manuellen Zuges zur Entwicklung des nach-
folgenden Kopfes kann auf verschiedene Art ausgeführt werden. Es ist nicht
Sache dieser Abhandlung sämmtliche zahlreich bekannt gewordenen und an
einzelnen Stellen geübten Handgriffe zu beschreiben, es seien nur der Wich-
tigkeit halber in Kürze folgende erwähnt:
ä) Der alte Smellie'sche Handgriff; er wurde in der Weise ausgeführt,
dass der Operateur mit zwei Fingern einer Hand in die Scheide einging und
die Fingerspitzen auf beide Fossae caninae des kindlichen Oberkiefers aufsetzte.
Zeige- und Mittelfinger der anderen Hand tendiren gegen das Hinterhaupt.
Während nun die zwei auf dem kindlichen Oberkiefer liegenden Finger durch
leichten Druck nach abwärts den Hals noch mehr beugen, schieben die zwei
MANÜALHILFE UND EXTRACTION.
509
am Hinterhaupt liegenden Finger dasselbe ein wenig in die Höhe und unter
gleichzeitigem Erheben des liumpfes wird der kindliche Schädel hervorgerollt.
h) Der Handgriff von Kiwisch, auch Prager Handgriff genannt, wird in
der Weise ausgeführt, dass Zeige- und Mittelfinger einer Hand in ähnlicher
Weise an die Fossae caninae des kindlichen Oberkiefers gehen wie beim
SMELLiE'schen Handgriffe, während die andere Hand die Füsse der Frucht
ergreift. Während einerseits durch Druck am Oberkiefer der kindliche Hals
noch mehr gebeugt wird, erhebt die zweite Hand die Füsse und somit den
ganzen kindlichen Rumpf gegen die Symphyse und darüber hinaus gegen die
vordere Bauchfläche der Mutter, wodurch der kindliche Schädel um die Sym-
physe herumgerollt wird.
c) Der Mauriceau'sche Handgrif. Derselbe wurde im Jahre 1857 von
Carl Braun in seinem Lehrbuche als modificirter Smellie' scher Handgriff be-
zeichnet, im Jahre 1863 von G. Veit neuerdings beschrieben und war nun-
./■
Pig. 2. Entwicklung des naclifolgenden Kopfes mittelst des Mauriceau'sclicn
Handgriffes.
{Aus Döderlein: Leitfaden für den geburtahilflichen Operationscuys.)
mehr unter dem Namen des Smellie-Veit' sehen Handgriffes bekannt, bis neuere
Forschungen mit Sicherheit nachwiesen dass er aus dem 17. Jahrhundert
stamme und von dem Pariser Geburtshelfer Mauriceau auch geübt worden
war. Der Handgriff wird in folgender Weise ausgeführt: Der Zeigefinger einer
Hand geht an die Mundöffnung des Kindes und wird an den alveolaren Rand
des Unterkiefers aufgesetzt ; um zu verhindern, dass durch starken Druck am
Unterkiefer derselbe verletzt werde, setzt man den Daumen derselben Hand
an den unteren Winkel der Mandibula auf und verhindert dadurch eine gewalt-
same Wirkung. Nur der so in die Mundöffnung eingehackte Finger sucht
zunächst durch leichten, massigen Zug das Kinn tiefer zu bringen bis zum
Momente, wo die Beugung des Halses eine vollkommene ist. Die Füsse der
Frucht werden rittlings über den Vorderarm der zur kindlichen Mundöffnung
510 MANÜALHILFE UND EXTEACTION.
strebenden Hand geschlagen, und nunmehr erst, nachdem die Beugung des
Halses vollzogen. Zeige- und Mittelfinger der anderen Hand hackenförmig vom
Rücken her auf die Schultern des Kindes rasch aufgelegt. Durch leichten Zug
nach abwärts und allmäliges Erheben des Rumpfes gegen die Symphyse wird
der kindliche Schädel hervorgerollt, wobei die am Unterkiefer wirkende Hand
zu verhindern hat, dass durch rasches Vortreten des Schädels ein Dammriss
zu Stande komme. So einfach gestaltet sich jedoch der Handgriff blos dann,
wenn der nachfolgende Kopf bereits vollständig rotirt am Beckenboden auf-
ruht, wenn das Hinterhaupt an der Symphyse, das Gesicht in der Kreuzbein-
höhlung der Mutter sich befindet. Wir erkennen das daran, dass dann der
Rücken der Frucht direct nach vorne zu sieht; sollte jedoch der kindliche
Schädel noch nicht rotirt sein, d. h. mit seinem Fronto-Occipital-Durchmesser
entweder dem queren oder schrägen Durchmesser des Beckenausganges ent-
sprechen, was wir daraus ersehen würden, dass der kindliche Rücken je nach
der ersten oder zweiten Stellung gegen den linken oder rechten Schenkel der
Mutter zu gerichtet ist, so müsste der Extraction des kindlichen Schädels die
künstliche Rotation desselben vorangehen in der Weise, dass bei normaler
Stellung des Rumpfes der Zeigefinger der einen Hand wieder an den Unter-
kieferrand geführt wird, wobei jedoch die Wahl der betreffenden Hand von der
Stellung der Frucht abhängt, d. h. bei der ersten Stellung der Frucht, wenn
demgemäss der Rücken des Kindes nach links zu sieht, die linke Hand, bei
der zweiten Stellung der Frucht, wenn das kindliche Gesicht nach links sieht,
die rechte Hand in Anwendung kommt. Die zweite Hand wird hackenförmig
auf die Schultern der Frucht vom Rücken her aufgelegt. Ehe nun ein Zug
an den Schultern stattfindet, wird die am Unterkiefer wirkende Hand zunächst
das Kinn durch leichten Zug tief stellen, zweitens das Kinn in die Kreuzbein-
höhlung zu bringen suchen, wobei anderseits die auf den Schultern liegenden
Finger der zweiten Hand das Hinterhaupt nach vorne zu drehen. Nun erst
wird die Entwicklung des Kopfes in der früher erwähnten Weise vollzogen.
Viel schwieriger ist es, wenn hiebei der kindliche Schädel noch im Niveau
des Beckeneinganges steht, wie das beim verengten Becken der Fall ist, denn
es ist oft sehr schwer, den kindlichen Schädel in die tieferen Ebenen des
Beckens herunterzubringen, wobei wir jedoch erwähnen, dass das überhaupt
nur dann möglich ist, wenn vor dem ausgeübten Zuge an der Schulter zuerst
die Beugung des Halses durch die am Unterkiefer wirkende Hand vollzogen
ist. Des Ferneren muss betont werden, dass die Rotation des Schädels erst
vollzogen werden kann, wenn er unter das Niveau der Beckenmitte herab-
getreten ist. Trotzdem gelingt es oft unter solchen Umständen bei verengten
Becken nicht, den kindlichen Schädel rasch genügend in die tieferen Ebenen
des Beckens herabzubringen, um das Absterben des Kindes zu verhindern. In
einem solchen Falle muss der durch den MAUßiCEAu'schen Handgriff aus-
geübte Zug durch einen gleichzeitigen Druck von oben unterstützt werden.
Die Entwicklung des nachfolgenden Kopfes durch manuellen Zug in Combina-
tion mit Druck von oben kann ausgeführt werden mittelst des eben beschriebe-
nen MAURiCEAu'schen Handgriffes, wobei die Faust einer zweiten Person vom
Uterus-Fundus her in der Richtung vom Beckeneingange wirkend den kind-
lichen Schädel in denselben einpresst. Insbesonders ist, wie schon oben
erwähnt, bei engen Becken diese Combination von Vortheil, Etwas ähnliches
strebt der sogenannte WiECiAND-MARTix'sche Handgriff an. Derselbe wird in der
Weise ausgeführt, dass nach Lösung der kindlichen Arme der Operateur mit
dem Finger einer Hand an den Unterkiefer der Frucht geht, daselbst durch
leichten Zug das Kinn tief stellt; und von hier aus bei weiterem Fortschreiten
des Schädels die Rotation desselben besorgt, während die zweite Hand vom
Beckeneingange her den kindlichen Schädel in den Beckeneingang und durch
den Beckencanal durchpresst. Dieser Handgriff kann bei normalem Becken
MANUALIIILFE UND EXTRACTION.
511
den Durchtritt des kindlichen Schädels rasch bewerkstelligen, bei engem Becken
•und hochstehendem Schädel jedoch genügt er nicht, und ist es dann zweck-
mässiger, den MAURiCEAu'schen Handgriff mit Druck von oben, wie bereits
beschrieben, anzuwenden. Man hat, um die Vorzüge des WiEGAXD-MAiiTix'schen
Handgriffes gegenüber dem Mauriceau'schen Handgriffe in ein besseres Licht zu
stellen, jene Nachtheile hervorgehoben, welche bei Anwendung des Mauriceau-
sehen Handgriffes sich einstellen können. Es ist ja richtig, dass bei der Ent-
wicklung des nachfolgenden Kopfes Verletzungen am Muskel- und Knochen-
apparate des Halses zustande kommen können. Zerreissungen des Musculus
sterno-cleido-mastoideus, welche ein Collum obstipum zur Folge hätten, und
Zerreissungen der Halswirbelsäule werden, wenn auch zum Glücke nur in sel-
tenen Fällen, hie und da beobachtet. Solche Verletzungen können jedoch nur
zustande kommen, w^enn der Zug an der Schulter, bei torquirtem Halse voll-
zogen wird, wenn demgemäss der Zug am Nacken der Rotation des kindlichen
Schädels vorausgeht, ein Vorgang, welcher vollständig regelwidrig ist, daher
Flg. 3. Entwicklung des nachfolgenden Kopfes mittels des Wiegand-Martin'sclien
Handgriffes.
(Aus Döderlein: Leitfaden für den geburtshilflichen Operationscurs.)
derartige Verletzungen nicht so sehr dem Handgriffe als der fehlerhaften Aus-
führung desselben zuzuschreiben sind. Bei normaler Lage der Halswirbel-
säule kann unter dem massigen Zuge, welcher beim MAURiCEAu'schen Hand-
griffe in Anwendung kommt, eine Zerreissung der Halswirbelsäule oder des
Musculus sterno-cleido-mastoideus nicht statthaben.
Die Za7ige am naclifolgenden Kopfe wird von der Wiener Schule über-
haupt nicht, von deutschen Schulen hie und da geübt. Die Anlegung der
Zange ist eine ganz einfache : Bei rotirtem Schädel wird der geborene Rumpf
des Kindes gegen die Bauchfläche der Mutter hinaufgeschlagen, daselbst an
den Füssen von einer Nebenperson gehalten, und nunmehr die Zangenlöffel in
typischer Weise an den nachfolgenden Kopf angelegt und derselbe leicht
extrahirt. Entsprechend dem, dass wir bei der Entwicklung des nachfolgen-
512 MANÜALHILFE UND EXTRACTION.
den Kopfes mit dem manuellen Zuge, eventuell in Combination mit Druck
von oben vollständig auskommen und in jenen Fällen, wo diese Entwicklungs-
versuche scheitern, das kindliche Leben nicht zu retten ist, wird die Zange
am nachfolgenden Kopfe kaum indicirt sein. Die Unmöglichkeit der Entwick-
lung des nachfolgenden Kopfes kann gegeben sein durch eine Strictur des
inneren Muttermundes, durch fehlerhafte Einstellung des kindlichen Schädels
und durch ausserordentlich starke Verengung des Beckencanales. Die Strictur
des inneren Muttermundes tritt in der Regel nur dann ein, wenn man die
Extraction der Frucht in irrationeller Weise bei nicht verstrichenem Mutter-
munde vollzogen und lässt rieh durch manuellen Zug weder beseitigen, noch
ist man im Stande, in einem solchen Falle die Zange anzulegen. Es ist
vielmehr nöthig, ruhig zuzuwarten, bis der Krampf am inneren Muttermunde
spontan aufhört, oder man beseitigt denselben durch Einleitung der Narcose,
worauf dann der nachfolgende Kopf des in der Regel inzwischen abgestorbenen
Kindes spontan ausgestossen wird. Eine fehlerhafte Einstellung des kindlichen
Schädels in den Beckeneingang, wobei das Kinn und das Hinterhaupt sich an
dem knöchernen Beckenringe anstemmen, kommt zu Stande, wenn man vorzeitig
an der Schulter gezogen hat, ehe der an den Unterkiefer angelegte Finger
die Beugestellung des Halses bewerkstelligt hat, der Schädel kommt mit einem
ungünstigen Durchmesser in den Beckeneingang, und die sich daraus ent-
wickelnden räumlichen Missverhältnisse können derartig grosse sein, dass es
nicht gelingt, dieselben auf bisher beschriebene Weise zu überwinden; da
während der Entwicklungsversuche das kindliche Leben in der Regel erlischt,
bleibt in solchen, durch fehlerhafte Manipulation des Arztes verschuldeten
Fällen, nichts übrig wie die Perforation des nachfolgenden Kopfes, die eben-
falls in Betracht kommt, wenn ein durch Verengung des Beckens oder durch
abnorme Grösse des kindlichen Schädels bedingtes zu grosses, räumliches Miss-
verhältnis die Entwicklung des nachfolgenden Kopfes in unverkleinertem Zu-
stande verhindert.
Die Kraniofomie des nachfolgenden Kopfes wird in der Weise ausgeführt,
dass man den geborenen Rumpf des Kindes in ein Tuch schlägt und nur von
einer Nebenperson nach jener Seite hinüberziehen und halten lässt, gegen
welche das Gesicht des Kindes gekehrt ist; hierauf wird die Spitze der
NAEGELE'schen Perforationsscheere *) unter Leitung von zwei Fingern an den
Processus mastoideus des kindlichen Schädels gebracht, daselbst eingestossen,
die Perforation in typischer Weise vollzogen, und die Scheere wieder
zurückgezogen; durch einfaches Anziehen am Rumpfe wird der kindliche Schädel
in den Beckencanal hereingezogen, worauf infolge des Druckes des Becken-
ringes die Hirnmassen ausgepresst und der kindliche Schädel derart verklei-
nert wird.
Die Extraction d. h. die Ausziehung des in Becken-Endlage befindlichen
kindlichen Rumpfes, darf nur vorgenommen werden, wenn eine specielle In-
dication seitens der Mutter (Eclampsie, Fieber während der Geburt; interute-
rine Blutungen, Beckenenge etc). oder des Kindes (Lebensgefahr der Frucht,
Vorfall der Nabelschnur etc.), das Abwarten der spontanen Entwicklung des
Rumpfes bis zur Nabelhöhe als unthunlich erscheinen lässt. Im Falle eine
solche Indication gegeben wäre, müssten wir uns vor der Ausführung der
Extraction noch vergewissern, dass auch alle Bedingungen für das Ge-
lingen derselben gegeben sind, d. h. der Muttermund soll verstrichen sein,
und ein absolutes räumliches Misverhältnis mit Sicherheit ausgeschlossen
werden können. Die Extraction erfolgt an dem vorliegenden Fruchttheile,
d. h. bei Steisslage am Steiss, bei Knielage am Knie, bei Fusslage am Fuss.
Die Extraction am Steisse gehört zu den schwersten geburtshilüichen Ope-
*) Vergl. Fig. 14 im „Instruinentarium zur GeburtsJiüfe", pag. 387.
MANUALIIILFE UND EXTRACTION.
513
rationen, wenn der Steiss aus dem Beckenausgange noch nicht ausgetreten ist.
In der früheren Zeit wurde die Extraction am Stcisse in der Kegel mit dem
SMELLiE'schen Steisshacken '^"j ausgeführt. Die Anwendung desselben bei
Fig. 4. Extraction bei iPusslage. I. Act: Ji.rid5ben Je» Passes (Haltung des Kindes nach. Wendung).
{Aus Döderlein: Leitfaden für den geburtshilflichen Ojperationscurs.')
Fig. 5. Extraction bei Fusblage II Act- Eilieben ül» i u^ses, Eingeben in die hintere Schenkelbeuge i,Xach
V. Winkel).
{Aus Döderlein : Leitfaden für den geburtshilflichen Operationscurs.)
lebender Frucht ist jedoch verboten, da Fracturen des Oberschenkels oder
schwere Verletzungen der Weichtheile nicht vermieden werden können; man
*) Vergl. Fig. 18 im ^Instrumentarium zur Geüurtshüfe'^ pag. 388.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie.
33
514 MASSAGE IN DER GYNÄKOLOGIE.
wird daher von ihm nur dann Gebrauch machen, wenn es sich um die Ex-
traction einer in Becken-Endlage befindlichen todten Frucht handelt. Bei le-
bender Frucht geht man in der Weise vor, dass der Zeigefinger einer Hand
hakenförmig in die vorliegende Htiftbeuge der Frucht eingehakt wird, wobei
jedoch der Zug vielmehr den Darmbeinteller als den kindlichen Oberschenkel
betreffen soll, da sonst eine Fractur des Oberschenkels auch durch den Zug
des Fingers erfolgen würde. Man zieht unter allmäligem Erheben so lange,
bis auch die zweite Hüfte in der Vulva sichtbar wird, worauf auch in diese
Hüftbeuge ein Zeigefinger eingehakt wird, und nun unter allmäligem Zuge
und Erheben der Steiss so weit herausgezogen wird, bis beide Füsse spontan
aus der Vulva herausfallen. Die Extraction am Knie bewerkstelligt man durch
Einhaken eines Zeigefingers in die Kniebeuge. Weitaus am häufigsten kommen
die Fusslagen u. zw. die einfachen zur Beobachtung. Die Extraction geschieht
in der Weise, dass man den Fuss zwischen Zeige- und Mittelfinger einer Hand
fasst, wobei der Daumen auf den Fersenhöcker aufgelegt wird, und nun durch
massigen Zug nach abwärts den Oberschenkel zum Erscheinen bringt. Hier-
auf wird nun der Fuss in folgender Weise gefasst: Der Daumen der einen
Hand wird auf die Beugefläche des Oberschenkels, der Daumen der zweiten
Han«^ auf die Beugefläche des Unterschenkels aufgelegt, indem je vier Finger
einer Hand die Streckfläche des Oberschenkels, respective Unterschenkels um-
fassen, und nun zieht man langsam nach abwärts und in jene Richtung, gegen
welche die Bauchfläche der Frucht gekehrt ist, bis der Steiss erscheint, nun-
mehr verlassen beide Hände ihre bisherige Stellung und greifen am Steiss in
folgender Weise an: Während die Daumen auf die Crista sacralis media des
Kreuzbeines aufgelegt werden, fassen die Zeigefinger die Crista ilei nahe der
Spina anterior superior und die drei anderen Finger den obersten Antheil
eines Oberschenkels, nun wird so lange nach abwärts gezogen, bis eine Schulter
sichtbar wird, worauf die Manualhilfe in der oben beschriebenen Weise nach-
folgt. Sorgfältig muss vermieden werden, dass bei der Extraction anstatt am
Kreuzbeine höher oben angefasst werde, wodurch Rupturen der Leber, Milz
und Platzen des kindlichen Darmes herbeigeführt werden können. Die Ex-
traction soll stets in der Weise vorgenommen werden, dass nur wo möglich
während der Wehe gezogen werde, da sonst leicht die kindlichen Arme in die
Höhe gestreift und eventuell auch in den Nacken der Frucht geschlagen werden
können, wodurch die Lösung der Arme sehr erschwert wird. In diesem letz-
teren Falle wäre es nöthig, durch Drehung des Rumpfes die in den Nacken
geschlagenen Hände in die Kreuzbeinhöhlung zu bringen, worauf die in die
Vagina eingeführte ganze Hand des Operateurs versuchen muss, den Vorder-
arm über das Hinterhaupt hinweg gegen das Gesicht der Frucht zu führen
und auf diese Weise den Arm in typischer Art zu lösen. Ein einfaches
Herabziehen der in den Nacken geschlagenen Hände müsste unfehlbar Frac-
turen der Knochen zur Folge haben.
Wenn trotz aller Vorsichtsmaassregeln der Rücken der Frucht sich so
dreht, dass er gegen Damm, der kindliche Bauch gegen die Symphyse der
Mutter sieht, so ist das ein Zeichen, dass sich der kindliche Schädel abnorm
gedreht hat, d. h. das kindliche Hinterhaupt sieht dann in die Kreuzbein-
höhlung, während das Gesicht nach vorne gekehrt ist. Man macht dann den
MAURiCEAu'schen Handgriff in der früher beschriebenen Weise durch starkes
Erheben des Rumpfes. k. a. herzfeld.
Massage in der Gynäkologie. Als der Begründer dieser Therapie
ist der schwedische Major Thure Brandt zu bezeichnen, indem er für diesen
Zweig der Massage eine vollständige Methodik überhaupt erst geschaffen und
an der Hand von zahlreichen geheilten Fällen, die von Aerzten controlirt
wurden, ihre Zweckmässigkeit bewiesen hat. Da Brandt sich nur mit Massage
MASSAGE IN DER GYNÄKOLOGIE.
515
beschäftigt, so ist es selbstverständlich, dass er bestrebt ist, mit dieser Me-
thode möglichst viele gynäkologische Affcctionen zu heilen, und leider sind
ihm in diesem Bestreben manche Aerzte nachgefolgt, welche ohne specielle
gynäkologische Vorbildung nach einem Besuch bei Tiiure Bkandt sich der
Gynäkologie widmeten. Ich habe die BuANDT'sche Methode von ilim selbst
in Stockholm erlernt und seitdem Hunderte von Patientinnen massirt. Im Nach-
stehenden werde ich auf Grund meiner Erfahrungen nur die Erkrankungen
besprechen, wo ich die Behandlung mit Massage gegenüber einer anderweitigen
Behandlung für erfolgreicher halte, und werde zugleich angeben, welche Modi-
ficationen, beziehungsweise Vereinfachungen der BEANDT'schen Methode sich
mir als vortheilhaft erwiesen haben.
Zur erfolgreichen Ausübung der gynäkologischen Massage
gehört zunächst eine genaue Diagnostik, eine Untersuchungs-
methode, welche uns gestattet, einen vollständigen Palpationsbefund sänimt-
licher Beckenorgane zu gewinnen. Wir besassen eine solche Methode schon
vor Brandt in der Untersuchung der Patientinnen in der Narcose, allein das
grosse Verdienst von Brandt besteht darin, dass er eine Untersuchungs-
raethode angegeben hat, mit welcher es in den meisten Fällen gelingt, die
Bauchdecken der Patientin so zu entspannen, dass auch ohne Narcose ein
ebenso vollständiger Befund erhoben werden kann, wie mit Narcose. Brandt
benutzt zu der Untersuchung und Massage ein kurzes niedriges Sopha, welches
ich in der Weise modificirt habe, dass sich auch das Fussende erheben lässt
(s. Figur).
Dieses So-
pha ist nur 150
cm lang, 60 breit,
das Mittelstück
50, das Kopf- und
Fussende 70 cm
hoch. Die Pa-
tientin muss das
Corset ausziehen,
ihre Kleider in
der Taille voll-
ständig lockern,
so dass die rechte
Hand des Unter-
suchers von oben
her frei auf den
Leib gelegt wer- Lagerung zm- Massage.
den kann. Darauf
legt sich die Patientin mit stark angezogenen Schenkeln aut das Sopha, und
zwar so, dass ihre linke Seite unmittelbar mit dem Rand des Sophas abschnei-
det. Das Kinn wird durch ein unter den Kopf geschobenes Kissen der Brust
möglichst genähert, die Arme liegen ausgestreckt, ohne die geringste Anspan-
nung ihrer Musculatur, auf der Unterlage. Sind durch diese Lagerung die
Bauchdecken noch nicht völlig erschlaftt, so ziehe ich die Patientin noch
mehr nach abwärts, so dass das Becken auf die aufsteigende schiefe Ebene des
Fussendes zu liegen kommt. Hierdurch wird die Symphyse dem Thorax noch
mehr genähert, somit eine Annäherung der beiden Ansatzpunkte der Musculi
recti und eine Ei'schlaffung dieser Muskeln bewirkt. Der linke Zeigefinger
wird darauf von dem an der linken Seite der Patientin auf einem oOcm
hohen Schemel sitzenden Untersucher unter dem linken Schenkel der Frau
hindurch in die Scheide eingeführt. Brandt nimmt stets nur den Zeigefinger
für die innere Untersuchung, indessen ist es eine grosse Erleichterung für
33*
Ölß MASSAGE IN DER GYNÄKOLOGIE.
die Untersuchung und auch für die Massage, wenn die Weite der Scheide
auch die Einführung des Mittelfingers gestattet.
Die Vortheile dieser Untersuchungsmethode sind nun
folgende:
1. Vollkommene Entspannung der Bauchdecken.
2. Die rechte Hand kann sich ungehindert nach allen Richtungen be-
wegen, während bei der Untersuchung auf einem gynäkologischen Unter-
suchungstisch oder Stuhl der rechte Arm und damit auch die Hand zwischen
den Schenkeln der Frau eingeengt ist.
3. Die inneren Finger können ohne Ermüdung der Armmusculatur, wor-
unter das feine Tastgefühl leidet, die Palpation vornehmen, da der ganze
Unterarm auf dem ansteigenden Fussende aufliegt.
Thure Brandt stützt den linken Ellenbogen auf seinem linken Knie auf, wodurch
die ganze Haltung eine viel gezwungenere wird, und der Arm leichter ermüdet.
4. Mit den inneren P'ingern lässt sich der ganze Inhalt des Beckens
gleichmässig gut austasten, während man bei der Untersuchung auf einem
gynäkologischen Stuhl mit den linken Fingern die rechtsseitigen Adnexe nur
ungenau palpiren kann und gezwungen ist, zu diesem Zwecke die Hände zu
wechseln.
5. Die Decenz der Untersuchung, da die Patientin gar nicht entblösst
wird, wenn man den Leib mit dem Hemd bedeckt lässt. Letzteres beein-
trächtigt natürlich etwas die Genauigkeit der Untersuchung, so dass ich das
Hemd gewöhnlich in die Höhe ziehen lasse, während die Röcke den Leib der
Patientin lose bedecken und bis zu den Füssen herunterfallen.
Wenn es sich nicht um Personen mit sehr fetten oder straffen Bauch-
decken oder um sehr ängstliche Frauen handelt, die mit aller Kraft die
Bauchmusculatur anspannen, so gelingt es einem bei Anwendung dieser Unter-
suchungsmethode sehr bald nicht nur den Uterus, die Tuben und die Ovarien,
sondern auch die feinsten para- und perimetritischen Stränge genau zu fühlen
und die genannten Organe mit der grössten Leichtigkeit innerhalb der phy-
siologischen Breite ihrer Bewegbarkeit zu dislociren oder aus einer patho-
logischen Lage (Retroflexio) in die normale überzuführen. Die Vortheile dieser
Untersuchung sind sc grosse, dass ich J3de neue Patientin zuerst in dieser
Weise untersuche und dann auf dem UnVersuchungsstuhl eine etwa noch noth-
wendige Inspection der Geschlechtstheile vornehme — die Vortheile leuchten
auch jedem Anfänger ein, da er sofort mit Leichtigkeit den Uterus und
sehr bald auch die Ovarien fühlt.
Zur Ausführung der Massage wird die Patientin genau in der be-
schriebenen Weise gelagert und untersucht. Nehmen wir nun an, es seien
bei der Untersuchung para- oder perimetritische Stränge zwischen
Uterus und hinterer Beckenwand gefunden, so hat die Massage in einer Dehnung
dieser Stränge zu bestehen. Zu diesem Zwecke legt man die inneren Finger
an die Hinterseite des Cervix, die äussere Hand über die hintere W^and des
Uteruskörpers, zieht den ganzen Uterus möglichst weit nach der Symphyse
hin und hält ihn in dieser Lage eine Weile fest. Dies wiederholt man in
jeder Sitzung, die womöglich täglich stattzufinden hat, 3 — 4mal und kann
dann gewöhnlich in 8 — 10 Sitzungen die genannten Stränge derart dehnen
und nicht zu starke perimetritische Fäden zerreissen, dass sich der Uterus
ohne grössere Schmerzen bis zur Symphyse ziehen lässt. Sind seitliche
Stränge vorhanden, so zieht oder schiebt man den Uterus nach der entgegen-
gesetzten Seite.
Contraindicirt sind diese Dehnungen, wie überhaupt jede Mas-
sage, bei Vorhandensein von Eiter in der Umgebung des Uterus {vereiterte
Exsudate, ryosalpinx, Ovarialahscess\ unmöglich können sie werden durch zu
grosse Schmerzhaftigkeit. Letztere ist oft bedingt durch eine Endometritis,
MASSAGE IN DER GYNÄKOLOGIE. 51 7
die erst secundär zur Para- und Perimetritis führte. Wo daher die Unter-
suchung eine Endometritis constatirt, beseitige ich diese vor Ausführung der
Dehnungen durch Curettement, event. mit nachfolgenden Aetzungen. Nach
Heilung der Endometritis werden die einfachen para- und perimetritischen
Stränge häufig ganz unempfindlich und machen vielfach keine Beschwerden
mehr. In solchen Fällen unterlasse ich überhaupt eine weitere Behandlung.
Bleiben dagegen noch Beschwerden bestehen, welche auf das Vorhandensein
jener Stränge zu beziehen sind (zerrende Schmerzen beim Gehen, bei An-
strengungen, Schmerzen bei der Defaecation und Cohabitation), oder sind durch
die Stränge Lageveränderungen des Uterus bedingt (Pietroversio, pathologische
Anteflexionen), so schliesse ich an die Behandlung der Endometritis die be-
schriebenen Dehnungen an.
Drei Methoden gibt es allerdings, welche einfacher,
schneller, bequem er und sicherer zum Ziele führen, nämlich: die
bimanuelle Dehnung, resp. Durchtrennung jener Stränge in
tiefer Narcose nach B. S. Schultze, die Dehnung durch elasti-
schen Zug nach Chrobak und die directe Durchtrennung peri-
metritischer Verwachsungen unter Zuhilfenahme der vaginalen
Laparotomie des Verfassers.
Die Methode des Verfassers ist die radicalste. Es wird das vordere
Scheidengewölbe und die Plica geöffnet, der Uterus fundus in die Scheide
hineingezogen, und die Verwachsungen des Uterus mit dem Becken und den
Adnexen auf einer Hohlsonde mit dem Pacquelin durchtrennt In manchen
Fällen lassen sich auch die Tube und Ovarium in dieser Weise oder durch
Fingerdruck von den sie umspinnenden Verwachsungen befreien, in anderen
freilich sind die Verwachsungen hiefür zu feste. Zum Schluss wird der Fun-
dus uteri an die vordere Vaginalwand festgenäht, „vaginofixirt". Durch die
dem Uterus ertheilte Lageveränderung können sich die früheren den Uterus
fixirenden Stränge nicht wieder bilden. Auch ist nun eine spätere Massage
der etwa noch fixirten Ovarien sehr erleichtert. Jedenfalls ist diese Methode
des Verfassers viel weniger eingreifend als die in diesen Fällen oft vorge-
nommene ventrale Laprotoraie.
Die Methode von Schultze besteht darin, dass man in der Narcose
2;unächst den Sitz, die Ausdehnung und die Form der Stränge bestimmt, in-
dem zwei Finger der linken Hand im Rectum, der Daumen in der Vagina liegen,
und die andere Hand von den Bauchdecken aus manipulirt. Die einander
entgegenarbeitenden Finger trennen die Adhäsionen immer möglichst dicht
am Uterus, sie schieben sie ohne nennenswerthe Gewalt von dem Uterus ab.
Lassen sich perimetritische Stränge auf diese Art nicht durchtrennen, so kann
man sie, ebenso wie die parametritischen, in Narcose häufig doch so stark
dehnen, dass eine weitere Dehnung überflüssig ist. Muss man wegen einer
Endometritis doch in Narcose curettiren, so schliesst man diese Methode
sofort an das Curettement an.
Die Methode von Schultze ist eine forcirte Massage. Sie darf ambu-
latorisch nicht ausgeführt werden, Verfasser, der sie ausserordentlich oft übte,
sah einigemale nach ihr rasch wieder verschwindende Blutergüsse, beziehungs-
weise Exsudate auftreten, die übrigens auch bei der Massage nach Thure.
Brandt entstehen können.
Die Methode von Chrobak führt Verfasser einfach in der Weise aus,
dass er die hintere Lippe mit einer Kugelzange fasst und durch die Griffe
desselben einen elastischen Schlauch zieht, dessen Enden durch eine am
Ende des Bettes angebrachte Schlinge durch- und so stark angezogen werden,
als es die Patientin verträgt. Die so erreichte Zugwirkung wird dadurch
gesichert, dass die Schlauchenden unmittelbar hinter der Schlinge durch eine
Klemmzange fixirt werden. Durch 2—10 solcher Dehnungen von jedesmal
518 MASSAGE IN DER GYNÄKOLOGIE.
2— lO-stündiger Dauer hat Verfasser derartige Dehnungen para- und peri-
metritischer an dem Uterus inserirender Stränge erzielt, dass die quälendsten
Beschwerden völlig verschwanden. Jeder Arzt kann diese Methode leicht
ausführen — sie passt auch für die Sprechstunde, wo sie auf dem abgebildeten
Sopha vorgenommen wird. Auch dieses Verfahren lässt sich sehr bequem
an ein etwa nöthiges Curettement anschliessen, wo die Patientin so wie so
4 — 7 Tage das Bett hüten muss. Man lässt dann täglich oder jeden zweiten
Tag den elastischen Zug wirken.
Ich sprach oben von der Schmerzhaftigkeit para- und perimetritischer Stränge als
Hindernis für die bimanuellen Dehnungen. Brandt sucht diese Schmerzhaftigkeit durch
centripetale „Cirkelreibungen" zu beseitigen, welche direct gegen die schmerzhaften
Stellen gerichtet sind, ausserdem sucht er eine etwa vorhandene Endometritis und Metritis
durch allgemeine Massage aller Beckenorgane zu heben. Brandt vermeidet es überhaupt
ängstlich, der Patientin Schmerz zu bereiten, während ich die Cirkelreibungen nur zur
Entspannung der Bauchdecken anwende. Bin ich unter diesen von der äusseren Hand aus-
geführten Reibungen so tief ins Becken gedrungen, dass ich die zu dehnenden Stränge zwischen
beiden Händen habe, resp dass ich mit beiden Händen den Uterus fassen kann, so dehne ich so
stark, als es die Patientin aushalten kann. Der erzeugte Schmerz dient dann als Gegen-
gewicht gegen etwaige sexuelle Reizung Aus Farcht vor einer solchen führt Brandt nur
einen Finger in die Vagina und gebraucht zu den Cirkelreibungen nur die äussere Hand.
Der innere Finger drängt dieser nur die zu massirenden Theile entgegen.
Hat man durch die Untersuchung Verwachsung der Ovarien fest-
gestellt, so hat man auch in diesem Falle zunächst die Endometritis durch
Curettement zu beseitigen und wird zugleich die Narcose dazu benutzen, um
die Ovarien nach der Methode von Schultze aus den Verwachsungen zu
lösen. Gelingt diese Lösung nicht, oder verwachsen die Ovarien wieder mit
ihrer Umgebung, was nach der Lösung in Narcose häufig geschieht, so ist doch
dmx^h das Curettement die Schmerzhaftigkeit der Ovarien und der sie fixirenden
perimetritischen Stränge so herabgesetzt, dass die Massage bedeutend er-
leichtert ist und dementsprechend schneller zum Ziele führt.
Was die Technik der Massage bei fixirten Ovarien anbelangt,
so spielen auch hier die Dehnungen der Fixationen die Hauptrolle. Da das
Ovarium stets nach hinten hin fixirt ist (auf der hinteren Platte des Ligamen-
tum latum, resp. im DouGLAs'schen Raum), so besteht das ganze Kunststück
bei der Massage darin, sowohl mit dem inneren Finger als auch mit
der äusseren Hand hinter das Ovarium zu kommen, um es alsdann
mit beiden Händen nach der vorderen Beckenwand hinzuziehen. Durch die
oben beschriebene Lagerung gelingt es in vielen Fällen, die Bauchdecken so
zu entspannen, dass man gleich bei der ersten Untersuchung hinter das
fixirte Ovarium gelangen und dasselbe, allerdings unter lebhafter Schmerz-
äusserung der Patientin, aus nicht allzufesten Verwachsungen lösen kann.
Es ist dies also eine forcirte Lösung fixirter Ovarien nach der Methode
von B. S. Schultze, aber ohne Narcose. Ermöglicht wird diese Lösung ohne
Narcose durch die vorzügliche Lagerung nach Thure Brandt. Brandt selbst
verwirft freilich ein so gewaltsames Vorgehen. Hat man in dieser Weise die
fixirten Ovarien gelöst, so muss in den nächsten Tagen nachgesehen werden,
ob die Ovarien nicht wieder festgewachsen sind und, wenn dies der Fall, eine
abermalige Lösung vorgenommen werden.
Ist die Schmerzhaftigkeit der fixirten Ovarien oder die Spannung der
Bauchdecken eine zu grosse, als dass man mit beiden Händen das Ovarium
fest von hintenher umgreilen könnte, so nimmt man zunächst snnfte kreisför-
mige Reibungen über den schmerzhaften Partien vor. Durch die Reibungen
erschlaffen die Bauchdecken allmälig, die äussere massireüJcHand dringt allmälig
immer tiefer in das Becken, bis sie schliesslich das von den inneren Fingern
möglichst in die Höhe und nach vorn gedrängte Ovarium selbst fühlt. Die
Cirl«;e]ix'il)iingen werden dann weiter in der Weise fortgesetzt, dass sie das
Ovariuiü möglichst unmittelbar umkreisen, worauf dann entweder schon in der
MASSAGE IN DER GYNÄKOLOGIE. 519
ersten oder nach mehreren Sitzungen der Moment kommt, wo man die Finger-
spitzen beider Hände hinter dem Ovarium aneinanderbringen und nun die
schon beschriebene Dehnung vornehmen kann.
In vielen Fällen, wo die Ovarien sehr weit nach hinten fixirt oder das
hintere Scheidengewölbe flach und wenig nachgiebig ist, empfiehlt Brandt den
Zeigefinger statt in die Vagina in das Rectum einzuführen. Ich bin hievon
fast ganz zurückgekommen, da man mit 2 Fingern von der Vagina aus ebenso
tief und weit nach hinten reicht, als mit einem Finger im Rectum.
Die kreisförmigen Reibungen um das Ovarium herum ohne Dehnung sind
von gutem Erfolg bei chronischer Oophoritis, also in den Fällen, wo das
Ovarium vergrössert und schmerzhaft ist, ohne fixirt zu sein. Allerdings muss
man auch in diesen Fällen eine etwa vorhandene Endometritis zunächst durch
Curettement beseitigen. Dann verschwindet häufig auch die Schmerzhaftigkeit
der Ovarien, so dass eine nachfolgende Massagebehandlung überflüssig ist.
Um zu resümiren, so nehme ich die vaginale Laparotomie bei allen
Fällen von fixirter Retroflexio vor, die ScHULTz'sche Methode bei Verwach-
sungen der Ovarien, die BßANDT'sche und CnEOBAK'sche bei perimetritischen
Störungen. Wie erwähnt, lassen sich die genannten Methoden vielfach mit
Erfolg combiniren.
Die Massage ist ferner indicirt bei para- und perimetritischen Ex-
sudaten, wenn diese nach Abnahme des Fiebers mit der Resorption zögern.
Man beginnt frühestens 14 Tage nach Verschwinden des Fiebers mit der
Massage. Freilich muss man sich zunächst, event. durch Untersuchung in Nar-
cose, davon überzeugen, ob der Kern des vermeintlichen Exsudats nicht eine
Pyosalpinx ist. Ich komme immer mehr zu der Anschauung der Amerikaner,
dass die Mehrzahl der sogenannten Exsudate, zumal der nicht puerperalen,
durch Tubenerkrankungen vorgetäuscht werden. In solchen Fällen ist die
Massage contraindicirt, ebenso auch in den Fällen von alten Exsudaten, wo
früher schon einmal ein Eiterdurchbruch erfolgt war. Für bedenklich halte
ich auch die Massage bei frischeren Hämatocelen, von denen wir jetzt wissen,
dass sie in der Mehrzahl der Fälle durch Tubenschwangerschaft bedingt
werden. Hier kann eine zu frühe Massage — das lehrt die Erwägung der
anatomischen Verhältnisse — sicher frische Blutungen verschulden.
Was die Technik der Massage bei Exsudaten und Blut-
ergüssen anlangt, so kommen im wesentlichen Cirkelreibungen in Betracht,
welche den Tumor an seiner Peripherie angreifen und hauptsächlich in der
Richtung des Lymphstromes ausgeführt werden. Allmälig kann man auch
zu Knetungen übergehen, welche mit dem Daumenballen und der Handwurzel
ausgeführt werden.
Die Wirkung der Massage lässt sich durch voluminöse heisse Scheiden-
ausspülungen (50'' Celsius), durch Moorbäder, durch Resorbentien (Ichthyol)
erhöhen, ebenso ist die Wirkung zur Zeit der Menstruation eine gesteigerte.
Verfasser hat nur die locale Massage, nicht auch die von Brandt daneben
angewandten heilgymnastischen Bewegungen ausgeführt und glaubt
hiemit ebenso gute Resultate erzielt zu haben. Von den „Uterushebungen"
bei Retroflexio und Prolaps ist Verfasser ganz zurückgekommen. Erfolge sind
zwar in manchen Fällen zu erzielen, in anderen bleiben sie trotz längerer
Behandlung (auch in Combination mit Heilgymnastik) aus*). Daher unterzieht
der Verfasser die Fälle von Retroflexio, welche keine Aussicht auf Heilung
durch Ringbehandlung gewähren, der von ihm angegebenen „intraperitonealen
*) Ich habe übrigens gezeigt, dass man diese Hebungen ohne einen Assistenten
durch die inneren Finger allein ausführen kann, während die äussere Hand dem Uterus
die richtige Direction nach der vorderen Bauchwand hin gibt (s. Berliner klin. Wochen-
schrift 1891).
520 MASTDARMSCHEIDENFISTELN.
Vaginofixation des Uterus" (Eröffnung des vorderen Scheidengewölbes, An-
näherung des Fundus uteri an die vordere Vaginalwand), und macht bei
Prolapsen die Kolporrhaphie, ev. (bei gleichzeitiger Retroversio) in Combina-
tion mit der intraperitonealen Vaginofixation.
Bei Amenorrhoe hält der Verfasser die Faradisation des Uterus, bei
Endometritis und Metritis das Curettement für wirksamer als die Massage.
DÜHRSSEN.
MastdarmSCheidenfisteln. Die meisten Mastdarmscheidenfisteln
danken ihre Entstehung einem vollkommenen Darmriss, welcher nur in
seinem untern Theil zur Heilung gekommen ist. Seltener sind sie Folgen
einer directen Verletzung der Scheidenmastdarmwand oder geschwüriger Pro-
cesse derselben (Carcinom, Lues, Tuberculose, Lupus).
Die Erscheinungen bestehen in dem Abgang von Blähungen und
Stuhlgang durch die Scheide. Kleinere Fisteln lassen oft nur Winde und
dünnflüssigen Koth durchtreten. Durch die Beschmutzuug der Scheide und
der äusseren Geschlechtstheile kann eine Vaginitis und Vulvitis entstehen.
Die Beschwerden, über welche die Patientinen klagen, führen meist schon
auf die Diagnose, welche eine sorgfältige Untersuchung der Scheide, be-
ziehungsweise des Rectum sofort sichern wird. Die Prognose ist eine
günstige, da es, abgesehen von den durch Carcinom oder Tuberculose be-
dingten Fisteln so gut wie immer gelingt, sie auf operativem Weg zu heilen.
Man kann dies entweder vom Mastdarm oder vom Damm oder von der
Scheide aus erreichen. Die Schliessung der Fistel vom Rectum aus hat man
heutzutage ganz aufgegeben. Vom Damm aus geht man vor, wenn derselbe
nur unvollkommen geheilt ist, die Fistel sehr tief sitzt oder das sie umge^
bende Gewebe so dünn ist, dass hier eine erfolgreiche Anfrischung nicht
möglich ist. Der Damm wird gespalten, die Fistelränder besonders sorgfältig
im oberen Winkel excidirt und des Weiteren genau wie bei einer Perineo-
plastik*) verfahren. Liegen die Verhältnisse für die Operation von der Scheide
aus günstig, so kann man, wie bei Blasenscheidenfisteln**) mehr flach oder
trichterförmig anfrischen oder sich auch der Lappenspaltung bedienen.
Eine sehr einfache und erfolgreiche Methode hat Fritsch angegeben.
Es wird ein kleiner Halbmond angefrischt, dessen concaver Rand ziemlich
nahe dem oberen Fistelrande verläuft. Von jenem aus wird dann die Columna
rugarum etwas unterminirt, über den Defect gezogen und derart genäht, dass
die Fäden unter der ganzen Wundfläche, aber unter Vermeidung der Fistel
durchgeführt werden.
Als Vorbereitung zu jeder Mastdarmfisteloperation wird der Darm 2 Tage
zuvor durch reichliche Ricinusölgaben, am Abend vorher durch ein Klysma
entleert und nur Nahrung verabreicht, welche keinen voluminösen Stuhlgang
macht.
Die Nachbehandlung besteht in Bettruhe und flüssiger Kost während
der ersten fünf Tage. Am sechsten Tag wird durch Ricinusöl oder Bitterwasser
für Stuhl gesorgt; am achten werden die Nähte entfernt. G.
Melaena neonatorum. Bluterbrechen und Blutausleerungen aus dem
Anus charakterisiren die Melaena neonatorum. Diese ominösen Krankheits-
erscheinungen treten schon am 2. Tage nach der Geburt auf, seltener
später. Werden nach den ersten 8 Lebenstagen Magen- und Darm-
blutungen beobachtet, so darf man dieselben wohl stets als den Ausdruck
einer allgemeinen hämorrhagischen Diathese betrachten. Es kommt dann
gleichzeitig zu Nabelblutungen, Schleimhautblutungen, Blutungen unter die
*) Vergl. „Ferineoplastik'''' in ds. Bd.
**) Vergl. „Hanißsteln", pag. 340. ds. Bd.
MELAENA NEONATORUM. 521
Haut, in die grösseren Körperhöhlen etc. Diese Neigung zu Blutungen in
den ersten Lebenswochen kann durch verschiedene allgemeine Krankheits-
zustände bedingt und hervorgerufen sein. Wir sehen sie bei der Sepsis der Neu-
geborenen, bei der congenitalen Syphilis, bei der BuiiL'schen Krankheit etc.
oft in auffallendster Weise in den Vordergrund treten. Anders bei der Me-
laena neonatorum! Hier sind die Kinder anscheinend ganz gesund und
überstehen sie die Blutung, so erholen sich dieselben verhältnismässig sehr
schnell und entwicklen sich in ganz normaler Weise. Ich fülire die Melaena
neonatorum auf eine angeborene, mit dem Aelterwerden der Kinder sich völlig
verlierende Hämophilie zurück. Diese transitorische Hämophilie kann
das Leben des Neugeborenen auch bei sonst sehr geringfügigen und völlig
ungefährlichen, unabsichtlichen oder absichtlichen Verletzungen (Circumcision,
Lösen des Zungenbändchens, Blutegelstiche etc.) durch schwer- oder unstill-
bare Blutungen direct gefährden. Die transitorische Hämophilie ist mit der
erblichen Bluterkrankheit nicht zu identificiren. Denn die entsprechenden
Kinder entstammen keineswegs notorischen Bluter-Familien, und Erblichkeit
erscheint somit völlig ausgeschlossen. Dagegen ist eine gewisse Familien-
disposition nicht ganz von der Hand zu weisen. So verlor ich am 3. Tage
nach der Geburt ein Kind an Meläna, während die 8 Jahre alte Schwester
einige Wochen früher an Morbus Werlhofii schwer erkrankte. Die erbliche
Hämophilie der Neugeborenen ist ebenso selten, wie die Melaena neo-
natorum (etwa 1 Fall auf 800 — 1 000 Geburten). Die Blutungen beider Krank-
heitszustände dürften derselben Quelle ihren Ursprung verdanken. Wir müssen
einerseits eine Alteration des Blutes selbst, andererseits eine angeborene leich-
tere Durchlässigkeit, respective grössere Brüchigkeit der Capillargefässwan-
dungen annehmen. Freilich der positive anatomische Nachweis für diese Blut-,
resp. Gefässalteration ist noch nicht erbracht worden. Das Wesen der tran-
sitorischen Hämophilie ist uns noch ebenso dunkel und unbekannt, wie das
der erblichen Hämophilie.
Trotzdem bei Lebzeiten Blut in reichlicher Menge erbrochen und durch
den Stuhl entleert wird, findet man den Magen und Darm doch noch mit
grossen Blutmassen schwappend angefüllt. In einer grösseren Zahl der Fälle
von Meläna kommt es auch zu örtlichen Veränderungen der Magen-
Darmschleimhaut. Oberflächliche Erosionen, tiefergreifende Defecte, ein-
zelne oder zahlreichere circumscripte, runde oder ovale glattrandige oder terrassen-
förmig sich vertiefende kleinere Geschwüre, auch ein grösseres Ulcus analog dem
Ulcus rotundum der Erwachsenen im Magen, im Duodenum, einmal sogar im
Oesophagus oberhalb der Cardia (Henoch) bildeten den Sectionsbefund; aber
wir finden gleiche Geschwürsbildungen unter Umständen auch bei Neugebo-
renen, welche niemals Blut gebrochen oder durch den Stuhl entleert haben!
— Und ebenso häufig, wie ich aus eigener Erfahrung behaupten darf, ist
bei der Melaena neonatorum auch keine Spur von Geschwürsbildungen in der
Magen- und Darmschleimhaut nachweisbar. Ich kann daher auch nicht in
den Geschwüren die Quelle der Blutung erblicken. Meiner Meinung nach
ist die Blutung in die Magen- und Darmschleimhaut stets das primäre
und die Entstehung der Ulcera sind secundäre Erscheinungen. Sie entwickeln
sich wahrscheinlich dann, wenn bereits im Intrauterin-Leben capilläre Blu-
tungen in die Magen- und Duodenalschleimhaut eingetreten sind und an diesen
lädirten Stellen die selbst verdauende Thätigkeit des Magensaftes eingewirkt
hat. Landau hat zuerst die Entstehung der Magen- und Duodenalgeschwüre
bei der Melaena neonatorum auf Grund eines sehr eingehend untersuchten
Falles auf embolische Processe in den Gefässen der Magen- und Darmschloim-
haut zurückgeführt. Eine primäre Thrombose dei' Nabelvene oder eine secun-
däre Thrombose des Ductus Botalli seien der Ausgangspunkt solcher Em-
bolien. Diese Anschauung hat zwar vielen Anklang und durch Einzelbeobach-
522 MELAENA NEONATORUM.
tungen auch anscheinend eine Bestätigung gefunden, aber in der weit grösseren
Mehrzahl der Fälle vermisst man solche Thrombenbildungen und ohne die-
selben kann es auch nicht zu Embolien kommen. Ebenso wenig möchte ich
die mycotischen Embolien (Rehn, Neumann) für die Melaena neonatorum im
engeren Sinne gelten lassen. Nur bei den pyo-septischen Formen spielen
sie vielleicht die Rolle, welche ihnen zuertheilt wird. Experimentell sind
V. Peeuschen und Pamoeski der Frage über die Entstehung der Ulcerationen
und Geschwüre im Magen und Darm der Neugeborenen näher getreten. Sie
constitirten in einem Falle von Melaena neonatorum unter dem Tentorium
cerebelli und im 4. Ventrikel dunkelrothe Blutgeschwüre und flüssiges Blut,
ausserdem im Kleinhirn zwei erweichte hämorrhagische Herde. Es wurde
festgestellt (an Kaninchen), dass nach gewissen Läsionen des vasomotorischen
Centrums im 4. Ventrikel, hyperämische Zustände in den Lungen und. Ge-
schwüre im Magen entstehen; ja dass schon abnorme Circulationszustände,
hervorgerufen durch Hirndruck in der nächsten Umgebung der vasomotorischen
Centren gleiche Veränderungen hervorzurufen im Stande sein. Das Factum
braucht man nicht wegzuleugnen. Solche Blutungen ins Gehirn kommen bei
Neugeborenen wahrscheinlich noch häufiger vor, als man ahnt. Sie verlaufen
aber symptomlos. Bei fast allen Neugeborenen, wie ich einer mündlichen
Mittheilung des Collegen Prof. Runge entnehme, lassen sich ophthalmoskopisch
Netzhautblutungen oft recht erheblichen Grades nachweisen, die nach wenigen
Tagen völlig verschwinden. Dies beweist aber, dass die Neigung zu Blut-
austritten bei allen Neugeborenen an und für sich eine ver-
hältnismässig grosse ist und dass eventuell die normalen Geburtsvor-
gänge, mehr wohl noch die geburtshilflichen Manipulationen zu Blutungen
auch ausgedehnterer Art Veranlassung geben. Dies wird aber bei solchen
Kindern ganz besonders der Fall sein, welche sich durch eine excessive Nei-
gung zu Blutungen auszeichnen, einen Zustand, welchen ich als tr ans i to-
rische Hämophilie bezeichnet habe.
Die Krankheitserscheinungen bieten wenig Abwechslung. Die
Kinder sind m^ist ohne Kunsthilie geboren, sind ausgetragen, gut entwickelt
und anscheinend völlig gesund. Am ersten und am ffolgenden Tage wird Me-
conium entleert, doch zeichnen sich die Ausleerungen schon durch eine auf-
fallend schwärzliche, theerartige Färbung aus, und in den Windeln bemerkt
man schon Blutspuren; dann häufen sich die Ausleerungen, sie enthalten gar
keine Kothmassen mehr, sondern nur reines, dunkel gefärbtes, flüssiges Blut.
In anderen Fällen geht Bluterbrechen voraus. Zwei-dreimal wird reines
Blut ausgebrochen, dann erfolgt meist eine längere Pause. Erneut sich das
Blutbrechen und dauern die Blutausleerungen aus dem Anus fort, dann ver-
fallen die Kinder sehr schnell, die Körpertemperatur sinkt unter die Norm,
Gesicht und Extremitäten zeigen eine cadaveröse Kälte. Dabei ist der Leib
nicht empfindlich, fühlt sich schwappend an, aber erscheint nicht besonders
aufgetrieben. Der letale Ausgang erfolgt meist schon nach 1- bis 2mal 24
Stunden. Die Mortalität beträgt über 50%. Andererseits erholen sich die
Kinder, falls die Blutungen aufhören, wider Erwarten schnell und Heilung
wurde noch beobachtet, trotzdem bereits Collapszustände eingetreten waren.
Die Diagnose unterliegt keinen Schwierigkeiten. Nur sei hier darauf
aufmerksam gemacht, dass das Blut auch von aussen in den Magen gelangen
kann. So kann eine Blutung der Nasen- oder Mundschleimhaut des ISeu-
geborenen vorliegen und das Blut verschluckt sein; oder das Blut stammt
aus Schrunden oder Einrissen an den Brustwarzen der Stillenden. Solche \ or-
kommnisse sind ziemlich unschuldiger Natur. Das herabgeschluckte Blut macht
meist keine Beschwerden; die etwa wieder ausgebrochenen oder durch den
Stuhl entleerten Blutmengen sind nur geringe. Es fehlen selbstverständlich
auch die Collapszustände {Melaena spuria).
MENSTRUATION— MENORRHAGIEN. 523
Ob man bei der Melaena vera durdi die therapeutischen Maass-
regeln die Magen- und Darmblutungen wirklich zum »Stillstand bringt,
mag dahingestellt bleiben; jedenfalls wird es aber unsere erste Aufgabe sein,
die Blutung zu bekämpfen und den schweren Collaps zu verhindern. Das
meiste Vertrauen unter den Arzneimitteln verdient die Tinct. ferri sesquiddor.
[1 bis 2 Tropfen in einem Theelöffel Haferschleim oder Kisivasser). Als Nah-
rung Frauenmilch; mit der Milchpumpe abgezogen und mit den Theelöffel
eingeflösst. Teoss erreichte in einem schweren Falle Heilung durch Kopfabwärts-
lagerung des Kindes, centripetale Einwicklung der Extremitäten {Autotrans-
fusion). Eisblase auf den Bauch, Wärmeflaschen an den peripheren Körper-
theilen, Ergotininjedion {O'Oö) und gegen den drohenden Collaps subcutane
Injectionen von Kampherhenzoelösung . pott.
Menstruation. — Menorrhagien.*) Während des Kindesalters be-
finden sich die weiblichen Geschlechtsorgane hinsichtlich ihrer jibysiologischen
Functionen in einem Zustand der Inactivität. Erst zwischen dem zwölften
und sechszehnten Jahre gehen in ihren Geweben, ihrer Gestalt und Grösse
Veränderungen vor, welche, nachdem sie ihren Abschluss gefunden haben,
jene befähigen dem Fortpflanzungsgeschäft zu dienen. Der Eintritt in das
mannbare Alter documentirt sich durch eine in regelmässigen Zwischenräumen
sich wiederholende Blutung aus den Genitalien, die Menstruation (Menses,
Periode, monatliche Reinigung, Unwohlsein, Blutveränderungj.
In unserem gemässigten Klima tritt sie durchschnittlich im vierzehnten Lebens-
jahre ein, in heissen liändern früher, in kalten später. Uebrigens sind Fälle,
in welchen auch bei uns 12-jährige Mädchen menstruiren, gar nicht selten.
Nicht ohne Einfluss auf den Eintritt der Menstruation ist die Lebensweise.
Frühzeitige, schwere körperliche Arbeit bei schlechter Ernährung schieben
ihn hinaus, während günstige äussere Lebensbedingungen, frühe geistige
Thätigkeit ihn beschleunigen. Im Allgemeinen menstruiren Städterinnen
früher als Landbewohnerinnen.
Die menstruelle Blutung kehrt in annähernd regelmässigen Zv/ischen-
räumen wieder. Durchschnittlich sind es 28-tägige. Doch kommen Fälle vor,
in welchen die Pausen kürzere, selbst nur 3-wöchentliche, andere, in welchen
sie längere sind. Die Menge des ausgeschiedenen Blutes ist eine individuell
sehr verschiedene. Aus naheliegenden Gründen ist ihre genaue Bestimmung
kaum möglich. Sie soll zwischen 50 g und ^4 % schwanken. Auch Verlauf
und Dauer der Blutung weicht bei verschiedenen Individuen wesentlich von
einander ab. Die letztere schwankt zwischen ein- und sechs Tagen. Hält sie
noch länger an, so ist sie als pathologisch zu betrachten.
Manche Frauen fühlen sich zur Zeit der Menstruation ebenso wohl wie
sonst. Bei nicht wenigen dagegen ist sowohl das psychische wie körper-
liche Befinden mehr oder minder alterirt. Einige sind sehr erregbar, andere
verstimmt, deprimirt und unlustig zu irgend welcher Thätigkeit. lieber
Müdigkeit wird oft geklagt, desgleichen über ein Gefühl von Schwere in
den Beinen, im Unterleib, über Kreuzschmerzen, Kopfweh, Magenstörungen.
Im Allgemeinen kann man sagen, dass je gesünder, je weniger nervös eine
Frau ist, um so geringer die Begleiterscheinungen der Menstruation sind.
Allen Frauen ist es anzurathen sich während ihres monatlichen Unw^ohl-
seins eine gewisse Schonung aufzuerlegen. Starke körperliche Anstrengungen,
weite Spaziergänge, Tanzen, Schlittschuhlaufen, Reiten, Schwimmen (überhaupt
Bäder) sind zu vermeiden, Dass der geschlechtliche Verkehr in diesen Zeiten
zu unterbleiben habe, ist eigentlich selbstverständlich, bedarf aber besonders
bei jungen Ehemännern nicht selten des Hinweises. Für regelmässigen Stuhl-
*) Vergl. auch den Artikel „Uterus-Blutungen" (Metrorrliagien).
524 MENSTRUATION— MENORRHAGIEN.
gang ist Sorge zu tragen; reichlicher Genuss von Alkohol und Kaifee besonders
den Frauen zu untersagen, welche erfahrungsgemäss sehr starke Blutungen
haben. Im Uebrigen bedarf es bezüglich der Diät keiner besonderen Vor-
schriften. Im Gegensatz zu früheren Zeiten hat sich die Ansicht mehr und
mehr Bahn gebrochen, dass menstruirende Frauen für die Reinhaltung
ihrer äusseren Geschlechtstheile Sorge tragen müssen. Die Leibwäsche
ist falls beschmutzt, sofort zu wechseln, eine der heute überall im Handel
käuflichen sogenannten Menstruationsbinden zu tragen. Morgens und Abends,
wenn nöthig öfter, werden die äusseren Genitalien mit in lauwarmes Wasser
getauchter Wundwatte sorgfältig abgewaschen*). Frauen, welche an Vaginal-
oder Cervicalkatarrh leiden oder bei denen das Menstruationsblut einen üblen
Geruch hat, können auch während der Menses desinficirende Scheidenaus-
spülungen machen.
Während man früher — und auch heute noch vielfach in Laienkreisen —
in der Menstruation eine Ausscheidung überschüssiger, beziehungsweise schäd-
licher Stoffe aus dem Organismus sah, steht heute das Irrige einer derartigen
Annahme fest. Zwar müssen wir zugeben,; dass unsere Kenntnisse der men-
struellen Vorgänge auch heute noch lückenhafte sind, über die wesentlichen
Punkte derselben können aber Zweifel nicht mehr herrschen. So wissen wir
vor Allem, dass ein Zusammenhang zwischen Ovulation und Menstruation besteht.
Mit dem Eintritt in die Pubertätsjahre, nur ausnahmsweise schon früher
(Nagel), beginnen beim Mädchen die GRAAF'sche Follikel zu reifen; die in
ihnen enthaltene Flüssigkeit nimmt zu, der allmählig grösser werdende
Follikel verdrängt das umliegende Gewebe und reizt dadurch die in demselben
befindlichen Nervenverzweigungen. Durch die Untersuchungen v. Herfp's
wissen wir, dass dieselben so zahlreich sind, dass sie einen wesentlichen Be-
standtheil des Gewebes ausmachen und dass ihre feinsten Fasern die Fol-
likel umspinnen, ja in die Membrana granulosa eindringen. Dies letztere Ver-
halten, sowie der ausserordentliche Nervenreichthum des Ovarium überhaupt
machen es uns verständlich, dass der Reiz des an sich kleinen, wachsenden
Follikels es vermag auf reflectorischem Wege das vasomotorische Centrum zu
erregen und hierdurch eine Reizung der Vasodilatatoren, d. h. eine Hyperämie
der Ovarien herbeizuführen. Unter dem Einflüsse der letzteren nimmt der
Liquor folliculi noch erheblicher zu. Schliesslich führt der Innendruck zum
Platzen der Theca; das Ei wird ausgestossen. Diesen Vorgang bezeichnet man
als Ovulation. '"")
Die erwähnte reflectorische Hyperämie beschränkt sich aber nicht auf das
Ovarium; sie kommt auch im Uterus, insbesondere in seiner Schleimhaut zu
Stande und steigert sich allmälig, bis es schliesslich zum Blutaustritt aus den
oberen Schichten derselben, zur Menstruation, kommt.
Ueber die sich in der Gebärmutterschleimhaut kurz vor und während
der menstruellen Blutung abspielenden Vorgänge gehen die Ansichten nicht
unerheblich auseinander. Während Kundrat und Engelmann annehmen, dass
eine mehr- minder tief greifende fettige Degeneration der Uterusschleimhaut
vor Eintritt der Menses Platz greife und mit demselben zum Zerfall und Aus-
stossung der degenerirten Schleimhautpartien führe, leugnen Rüge, Möricke
und Leopold eine solche. Letzterer führt die menstruelle Blutung auf Stau-
ung und oberflächliche Abstossung der Schleimhaut zurück. Erstere fanden
diese, ja sogar das sie bekleidende Flimmerepithel intact. Nach ihrem
Dafürhalten tritt das extravasirte Blut durch die unverletzte Schleimhaut.
V. Kahlden dagegen nimmt eine Abstossung des gesammten Deckepithels
und der darunter liegenden Schichten an. Wie dem auch sei, so viel steht
*) Vergl. Artikel „Prophylaxe der Frauenleiden"
v-*j Yergl. auch Artikel „Ovulation".
MENSTßUATION-MENORRHAGIEN. 525
fest, dass die Uterusschleimhaut bis zum Eintritt der Menstruation um
das 2 — 3-fache an-, nach derselben langsam wieder abschwillt. Gegen die
Mitte der intermenstruellen Zeit beginnt wieder das Anschwellen. Dieses An-
und Abschwellen, sowie die Ovulation stehen vielleicht mit Welkinbcwegungen
in Zusammenhang, welchen nach den Untersucliungen von Coodman, Jacoui,
Keinl der weibliche Gesammtorganismus während seiner fortpfianzungsfähigen
Periode unterworfen ist. Während des Ansteigens der Welle sind alle Lebens-
processe gesteigert, die Wärmeproduction vermehrt, der Blutdruck erhöht, die
Harnstoffausscheidung grösser und dies bis kurz vor Eintritt der Menstruation,
wo das Maximum erreicht wird. Dann sinkt die Welle bis zu ihrem in
der Mitte der intermenstruellen Zeit liegenden Minimum. Das Platzen des
GEAAF'schen Follikels würde auf der Wellenhöhe erfolgen, die Menstruation
einige Tage später eintreten, ihr die Abschwellung der Gebärmutterschleim-
haut folgen, bis sie, nachdem die Tiefe des Wellenthals erreicht ist, mit der
Erhebung wieder schwillt.
So viel es für sich hat, Ovulation und Menstruation auf eine gemein-
same, in ihren Ursprüngen allerdings noch unbekannte Ursache zurück-
zuführen, wir können doch nicht umhin, in der Menstruation eine Folge der
Ovulation zu sehen. Hört doch erfahrungsgemäss mit Entfernung beider Ova-
rien die Menstruation auf. (Bei Fällen, in welchen sie trotzdem fortbesteht,
liegt die Wahrscheinlichkeit des Zurückbleibens ovarieller Reste vor, bei un-
regelmässigen Blutungen das Bestehen von Stumpfexsudaten, uterinen Fi-
bromen). Sie stellt sich erst ein mit Beginn der Ovulation in der Pubertät
und verschwindet im Klimacterium, der Zeit, in w^elcher die Ovarien ihre
Functionen einstellen. Diese fällt in das fünfte Jahrzehnt, in unserem Klima
durchschnittlich in das 45. Lebensjahr; häufiger etw^as später als früher. Fälle,
in welchen Frauen selbst nach dem 50. Jahre noch menstruiren, kommen vor.
Hier handelt es sich aber oft um Kranke, welche an chronischen Metritis,
Adnextumoren, Fibromen u. d. m. leiden. In der Regel hört die Men-
struation nicht plötzlich auf, sondern es gehen der Menopause Störungen in
dem regelmässigen Erscheinen der Menses voraus. Bei manchen Frauen
nehmen sie allmälig an Stärke ab; bei andere treten sie in längeren Zwischen-
räumen, manchmal von mehrmonatlicher Dauer ein und werden profus. Bei
wieder anderen werden die intermenstruellen Pausen immer kürzer, bis
schliesslich die Blutungen ununterbrochene sind. Häufig haben die Frauen
vor und auch noch einige Zeit nach der Menopause unter Störungen des All-
gemeinbefindens, psychischen Depressions- oder Excitationszuständen, fliegender
Hitze, Blutandrang zum Kopf, Herzklopfen, Schweissausbrüchen, Pruritus, be-
sonders der Vulva, Verdauungsstörungen zu leiden.
Auch an den Genitalien, sowohl den äusseren wie den inneren stellen
sich im Klimacterium '^) allmälig fortschreitende Veränderungen ein. Die
Scheide wird blass, glatt, verengt sich; die Portio wird kleiner; der Mutter-
mund enger. Auch das Corpus uteri atrophirt besonders nach eingetretener
Menopause! und nimmt fast immer eine leicht retroflectirte Stellung ein. Das
seine Schleimhaut bekleidende Flimmerepithel verschwindet. Zunächst wird
es durch Cylinder-, später durch Plattenepithel ersetzt. Tuben und Ovarien
bilden sich gleichfalls zurück. Die Follikel atrophiren unter Verfettung der
Epithelien. Durch Bindegewebsneubildung kommt es zu einer erheblichen
Schrumpfung der EierstöcJke,
Die Menstruation verläuft nicht nur bei verschiedenen Individuen, wie
wir aus dem Vorbesprochenen ersehen haben, verschieden; auch bei ein und
demselben kann sie in ihren Erscheinungen w^echseln. Es ist daher oft sehr
schwer zu bestimmen, wo hier das Normale aufhört und das Pathologische
*) Vergl. dieses SdcJiivort in ds. Bd.
526 MENSTRUATION— MENORRHAGIEN.
anfängt. Doch kommen Störungen vor, welche stets als krankhaft zu be-
trachten sind, so die Amenorrhoe, das Fehlen der Menstruation, falls es nicht
durch Schwangerschaft oder Lactation bedingt ist.
Wir unterscheiden eine constitutionelle und einelocale Amenor-
rhoe. Die erstere kann Folge chronischer Anämien, der Chlorose, der Tuber-
kulose, allgemeiner Adipositas sein, auch noch längere Zeit nach schweren
acuten InfectiOnskrankheiten fortbestehen.
Der localen Amenorhoe begegnen wir bei rudimentärer Bildung oder
vollständigem Defect des Uterus, beziehungsweise der Ovarien; bei Stehen-
bleiben des einen wie des andern auf der infantilen Entwicklungsstufe, ferner
bei vorzeitiger Atrophie der Gebärmutter. Ausserdem kommen Fälle von
Amenorrhoe vor, wo wir weder eine constitutionelle, noch eine locale Ursache
finden können.
Schliesslich sei nochdie sogenannte vicariirende Menstruation erwähnt,
bei welcher die monatlichen, uterinen Blutungen fehlen, dafür aber solche aus
anderen Organen beziehungsweise Körperstellen auftreten, z. B. den Lungen,
dem Magen, der Nase, den Lippen, Fussgeschwüren u. a. m. Berichte über
solche Fälle sind stets mit Vorsicht aufzunehmen. Dass sie aber vorkommen,
ist nicht zu bezweifeln. Die annehmbarste Erklärung derselben ist die, dass
der unter dem Einfluss der Ovulation nicht nur in den Sexualorganen, sondern
in ganzem Körper gesteigerte Blutdruck in pathologisch veränderten Geweben,
einem Locus minoris resistentiae, z. B. einem Magengeschwür zum Blutaus-
tritt führt.
Die Behandlung der constitutionellen Amenorrhoe deckt sich mit der
ihr zu Grunde liegenden constitutionellen Leiden. Wir können also dies-
bezüglich auf die Capitel Anämie (Chlorose) und Tuberkulose in diesem
Sammelwerke verweisen. Bemerkt sei nur, dass hier eine örtliche Behandlung,
ebenso wie die Anwendung heisser Fuss- und Sitzbäder oder der sogenannten
Emmenagoga wie sie oft von den Müttern der Patientinnen, beziehungsweise
von diesen selbst gewünscht und in Anwendung gebracht wird, nicht nur
nutzlos ist, sondern sogar schädlich wirken kann. Dasselbe gilt für schnell
fett gewordene Personen, welche dabei meist anämisch sind. Bei ihnen hat
meist eine Marienbader Brunnencur, was das Allgemeinbefinden wie die Ame-
norrhoe betrifft, eine vorzügliche Wirkung. Wenn möglich lasse man sie an
Ort und Stelle, nicht zu Haus gebrauchen. Auch mit Vorsicht angewandte di-
ätetische Entfettungscuren nach Ocrtel oder Schweninger haben nicht selten
einen günstigen Einfluss auf die Menstruationsstörung.
Die locale Amenorrhoe kann selbstverständlich Gegenstand einer Behand-
lung nicht sein, wenn ihr rudimentäre Bildung [oder Mangel des Uterus und
der Ovarien zu Grunde liegt. Erwähnt sei, dass bei lunctionirenden Ovarien
und fehlenden oder nur andeutungsweise vorhandenem Uterus so quälende
Menstruationsmolimina bestehen können, dass die Castration indicirt ist, Mäd-
chen, deren Genitalien auf der infantilen Entwicklungsstufe zurückgeblieben
sind, sind es in der Regel auch in ihrer übrigen Entwicklung und in ihrem
Ernährungszustand. Eine Besserung des letzteren, Sorge für körperliche Kräf-
tigung vermögen hier in ein wie der anderen Beziehung Wandel zu schaffen.
Auch bei der vorzeitigen Atrophie des Uterus ist die Allgemeinbehand-
lung der meist anämischen und schlecht genährten Patientinnen über der ört-
lichen nicht zu vernachlässigen. Die letztere hat im Allgemeinen die Auf-
gabe durch eine vermehrte Blutzufuhr zu den inneren Genitalien die Ernäh-
rungsverhältnisse ihrer Gewebe zu verbessern. Warme Sitzbäder und Vaginal-
douchen (34—36" R.) Massage des Uterus, Einlegen eines Intrauterinstiftes,
besser einer FEHLiNG'schen Glasröhre in das Cavum uteri lür mehrere Mo-
nate (nach jeder Menstruation zu reinigen) kommen in Betracht. Auch die
intrauterine Anwendung der Elektricität ist empfohlen worden. Die örtliche
MENSTRUATION— MENORRHAGIEN. 52 7
Behandlung kann durch Thure BRANDx'sche Gymnastik (blutzuführende
Bewegungen) unterstützt werden.*)
In Fällen, bei welchen irgend eine Ursache der Amenorrhoe sich nicht
finden lässt, und bei denen andere Behandlungsmethoden, insbesondere auch das
Eisen im Stich gelassen haben, mag ein Versuch mit dem besonders von
Amerika her empfohlenen Kali hy per mang anicum (3 — 4mal täglich 0'05)
gemacht werden. Die eigentlichen Emmenagoga sind zu meiden.
Im Gegensatz zur Amenorrhoe steht die Menorrhagie, die zu starke
oder zu lange Zeit anhaltende menstruelle Blutung. Häufig ist sie Folge patho-
logischer Zustände der Sexualorgane, in erster Linie der chronischen Endo-
metritis, der chronischen Metritis, der Betroflexio oder Retroversio uteri,
submucöser oder intramuraler Fibrome, von Adnextumoren, Exsudaten. Fer-
ner begegnen wir Menorrhagien bei constitutionellen Störungen, so bei
Herz- und bei Leberkrankheiten in Folge venöser Stauung, bei Morbus
Brightii. Auffallenderweise ist auch die Chlorose besonders während der
Pubertätsjahre von Menorrhagien begleitet. Wenn manche in ihnen das pri-
märe, in den anämischen Zuständen das secundäre sehen, so trifft das ohne
Zweifel für eine lieihe yon Fällen zu. Oft ist aber das umgekehrte der Fall,
so auch bei Frauen, welche durch zu langes Stillen heruntergekommen sind.
Wie schon bei Besprechung des Klimacteriums erwähnt worden, sind
Menorrhagien eine häufige Erscheinung desselben. In manchen Fällen beruhen
sie hier auf einer chronischen Endometritis, insbesondere der fungösen Form,
in anderen fehlt eine nachweisbare Schleimhauterkrankung.
Die Behandlung der Menorrhagien ist je nach ihrer Aetiologie eine
verschiedene. Sind sie Folge der oben erwähnten pathologischen Zustände
der Sexualorgane oder anderweitiger Organerkrankungen, so sind diese zu
behandeln. Es kann diesbezüglich auf die betreffenden Capitel verwiesen
werden. Handelt es sich um heruntergekommene oder chlorotische Individuen,
so ist in erster Linie der Ernährungszustand zu heben. Oft tritt damit schon
ein Nachlass der Blutungen sowohl was ihre Stärke wie Länge betrifft ein.
Die Menorrhagie selbst sucht man dadurch zu verringern, dass man die Pa-
tientin während der Menses das Bett hüten lässt. Die Anwendung von Kälte
sei es in Form einer auf das Abdomen gelegten Eisblase oder kalter Yaginal-
ausspülungen kann zwar von günstiger Wirkung sein, wird aber zumal von
anämischen Individuen schlechter vertragen als heisse Scheidendouchen
(38 — 40'^ R.), welche 3 — 5mal täglich zu wiederholen sind. Bei nicht zu
heftigen Menorrhagien erweiset sich auch das Einlegen von Glycerintampons
an die Portio vor und während der Menses wirksam.
Bei Virgines vermeidet man zunächst jede örtliche Behandlung. Man
gibt hier prophylaktisch in der ganzen intermenstruellen Zeit oder 14 Tage
vor Eintritt der Menses Extractum fluidum Hydrastis canadensis (Smal täglich
30 Tropfen) oder während derselben zweistündlich 20 Tropfen, auch Extract.
■ßuid. Gossyp. 3mal täglich 1 Theelöffel, ferner Seeale, bezw. dessen Präparate.
Von den letzteren wird in jüngster Zeit in Deutschland das von Fkitsch
empfohlene Ergotinum Denzel, sowie dessen Tindura haemosiyptira (3mal täg-
lich 1 Thee- bis Esslöffel) viel verordnet. Wird bei jungen Mädchen doch ein
örtlicher Eingriff nöthig, so soll es ein einmaliger, nicht ein wiederholter
(wie z. B. Einspritzen, beziehungsweise Auswischen des Cavum uteri mit Tct.
Jodi oder Liq. ferri sesquichlorati) sein*'"'). Die Abrasio mucosae ist vorzuneh-
men und zwar in Narcose.
Wenn die Menstruation mit Unterleibs-, beziehungsweise Kreuzschmerzen
verbunden ist, so spricht man von Dysmenorrhoe. Oft ist dieselbe mit ande-
*) Vergl. Artikel „Massage in der Gynäl-ologie".
**) Vergl. Artikel „Intrauterine Therapie'', pag. 451.
528 MENSTRUATION— MENORRHAGIEN.
ren Störungen verbunden, so mit Migräne, Erbrechen, schmerzhaftem Zie-
hen in den Beinen. Ja es können bei Hysterischen tonische und klonische
Krämpfe ausgelöst werden. Zweifellos ist die Dysmenorrhoe in nicht seltenen
Fällen nur ein hysterisches Symptom. Dafür spricht, dass sie einmal auf-
tritt, ein anderesmal fehlt, und zwar besonders dann, wenn die Patientin
einmal in anderer als der gewohnten Umgebung die Zeit der Menstruation
verbringen muss, ferner die Beobachtung, dass bei manchen Mädchen die
fi'üher schmerzlose Menstruation erst mit dem gleichzeitigen Auftreten
anderer nervöser Erscheinungen schmerzhaft wird. In anderen Fällen sind
nachweisbare pathologische Zustände der Sexualorgane Ursache der Dysme-
norrhoe. Man beobachtet sie bei mangelhaft entwickeltem mehr infantilem
Uterus, wie wir ihn meist bei gleichzeitig schlecht genährten, chlorotischen
Individuen finden ; ferner bei starker Anteflexio uteri, bei Stenosen des äusse-
ren, beziehungsweise des inneren Muttermundes. Möglich, dass es sich hier
um eine sogenannte mechanische Dysmenorrhoe, Behinderung des freien Blut-
abganges und dadurch hervorgerufener Uteruscontractionen handelt. Zuweilen
trägt eine zu starke menstruelle Congestion (Endometritis, Metritis, Oopho-
ritis, Betroflexio) die Schuld an den Schmerzen. Sie lassen erklärlicherweise
mit dem Eintritt einer starken Blutausscheidung nach. Eine besondere Form
ist die DysmenoryJioea membranacea, bei welcher unter ausserordentlich hef-
tigen Schmerzen die oberflächlichen Schichten der Schleimhaut in Gestalt
von Membranen ausgestossen werden. Schliesslich begegnen wir der Dysme-
nori'hoe sehr oft bei perimetritischen Processen, bei Adhäsionsbildungen an
Tuben und Ovarien, besonders, wo dieselben Folgen einer gonorrhoischen In-
fection sind.
Bei chlorotischen oder in der Entwicklung zurückgebliebenen Mädchen
hat sich die Behandlung der Dysmenorrhoe zunächst wieder gegen die
constitutionellen Störungen zu richten; ebenso soll sie bei hysterischen zu-
nächst eine allgemeine sein, die der Hysterie zu Grunde liegenden psychischen
und körperlichen Momente bekämpfen.
Bei jungen Mädchen versuche man, auch hier, ehe man sich zu einer
örtlichen Therapie entschliesst, innere Mittel. Wie gegen Menorrhagien wirkt
Hydrastis auch bei Dysmenorrhoe durch Verminderung der menstruellen Con-
gestion (während der intermenstruellen Zeit Smal täglich 30 Tropfen bis
1 Theelöffel) oft ausgezeichnet. Desgleichen Ergotin (Ergot. aq. bis dep. 2'0,
Aq. destilL 30, Glycerin o'O. 2 läge vor dem muthmaassUchen Eintritt der
Menses, omal täglich 1 Iheelöffel) ; ferner Extract. fluid. Viburn. pnmifol. (Smal
täglich 30 Tropfen bis 1 Theelöffel^ kurz vor und während der Menses). Sind
die Schmerzen sehr heftige, so braucht man sich nicht zu scheuen Morphium
(0-015) in Suppositorienform zu geben. Man beobachtet nicht selten, wie
Fritsch zutreftend bemerkt, dass nach 2— Smaliger Anwendung die Dysme-
norrhoe verschwindet. Am besten ist es die an Dysmenorrhoe leidenden
Frauen während der Menses das Bett hüten zu lassen. Warme, selbst heisse
Umschläge auf d«n Unterleib bringen oft Linderung der Schmerzen. Auch die
alten Hausmittel: Kamillen-, Kümmel-, Baldrianthee scheinen zuweilen wirksam.
Bei Deflorirten ist eine energische Scarification der Portio besonders
dann zu empfehlen, wenn der Uterus an sich hyperämisch und vergrössert ist.
Finden sich andere Erkrankungen desselben oder der Anhänge, so sind diese
natürlich zum Gegenstand der Behandlung zu machen. Bei Stenose des
äusseren Muttermundes ist derselbe durch eine Stomatoplccstik (Excision keil-
förmiger Stücke) zu erweitern.
Ist der Uterus stark anteflectirt oder der innere Muttermund sehr eng
und beim Sondiren schmerzempfindlich, so sondirt man 1 — 2mal einige Tage
vor Eintritt der Menses. Die Fälle sind nicht selten, in welcher dies allein
genügt, um die nächste Menstruation schmerzlos zu machen. Lassen die
METPJTIS. 529
Schmerzen zwar nach, verschwinden sie aber nicht vollständig, oder kehren
bei Fortlassen der Sondirung stets wieder, so dilatirt man den Uterus mit
Laminariastiften (mit ganz dünnen anfangend) bis auf Fingerweite und tam-
ponirt dann das Cavum noch einige Tage mit Jodoformgaze.
Bei Endometritis chronica hat die meist schon durch die Menorrhagie
bedingte Abrasio mucosae^'') ein Verschwinden der Schmerzen zur Folge. Sie
ist auch die einzige empfehlenswerthe Therapie bei der Dysmenorrhoea meni-
branacea, hier aber muss ihr eine wiederholte Aetzung des Cavum uteri mit
Tct. Jodi oder Liq. ferri sesquichl. folgen. Recidive sind auch dann niclit
selten, kehren aber meist bei energischer Fortsetzung der Behandlung in immer
Längeren Zwischenräumen wieder. In neuerer Zeit ist auch die intrauterine
Anwendung des constanten Stromes in der intermenstruellen Zeit als äusserst
wirksam gegen Dysmenorrhoe empfohlen worden ; desgleichen ThuiU':-Brandt-
sche Gymnastik.
Vor der Castration ist dann dringend zu warnen, wenn sie nicht durch
gleichzeitige, schwere Adnexerkrankungen gerechtfertigt ist.
GRAEFE.
Metritis. a) Acute Metritis. Die acute Erkrankung des Uterusgewebes
kommt ausserhalb des Wochenbettes verhältnismässig nur selten zur Beob-
achtung. Am häufigsten tritt sie im Anschlüsse an Geburtsvorgänge
infolge septischer Infection auf und führt dann zu schweren Allgemeinerkran-
kungen. Ausserhalb des Wochenbettes reiht sich die Metritis acuta am häu-
figsten an die Menstruation an ; die intensive Blutfülle der Gebärmutter zu
dieser Zeit gibt reichlich Gelegenheit zu den Veränderungen, welche bei
einer acuten Entzündung eintreten. Besonders Erkältungen und Traumen,
zum Beispiel übermässiger Geschlechtsverkehr zu dieser Zeit, können zur acu-
ten Entzündung führen. Eine der häufigsten UrsachenistdieTrip-
perinfection,'"""') und alle Schleimhauterkrankungen aus ähnlichen Ursachen.
(Vergl. „Kolpitis'\ pag. 475.) Acute Metritis ist öfters die Folge von un-
geeigneten gynäkologischen Eingriffen, und weniger ist oft dabei der Eingriff
selbst zu beschuldigen als die bei demselben erfolgte Infection.
Bei der acuten parenchymatösen Entzündung des Uterus findet sich
dieser besonders im oberen Drittel bis zur Grösse eines Gänseeis geschwellt,
von vorn nach hinten dicker, geröthet oder bläulich roth, seine Wandungen
sind stark durchfeuchtet, lassen eine schleimige, fadenziehende Flüssigkeit
ausdrücken, in der sich Eiterkörperchen in geringer Menge finden. Die
Schleimhaut des Fundus und Corpus ist injicirt, geröthet, gelockert, jene des
Cervix ist jedoch meistens unverändert. Die Vaginalportion ist geschwellt,
ödematös, mit Erosionen versehen.
Die acute parenchymatöse Metritis setzt die erheblichsten Veränderungen
in den innersten Schichten der Uterussubstanz, breitet sich häufig nach aussen
zu einer Perimetritis aus, combinirt sich oft mit einer Kolpitis, Salpingitis,
Oophoritis.
Die Ausgänge der Erkrankung sind zunächst Lösung mit Resorption des
Exsudates und Rückkehr zur gewöhnlichen, normalen Grösse, oder es hat
sich, durch den Entzündungsreiz angeregt, eine Bindegewebswucherung im
Uterus entwickelt, die sofort zur bleibenden Vergrösserung und Induration
seines Gewebes führt. Sehr selten ist der Ausgang einer solchen acuten Ent-
zündung des Uterusgewebes in Abscedirung.
Die Symptome der acuten Metritis, welche zumeist unter Frost und
Temperatursteigerung eintritt, bestehen in heftigen Schmerzen im Kreuz und
*) Vei-gl. Artikel „Intrauterine Therapie", pag. 452.
.**) Yergl. Artikel „Gonorrhoe der iveiblichen Genitalien."
Kbl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 04
530 METIUTIS.
Unterleibe und in sehr bedeutenden Beschwerden von Seiten der Blase und
des Darmes. War die Ursache der Metritis eine Erkältung während der
Menstruation, so pflegt diese plötzlich aufzuhören, um dann nach einigen
Tagen mehr oder minder stark wieder aufzutreten ; in anderen Fällen aber
zeigt sich beim Auftreten der acuten Metritis eine profuse Metrorrhagie.
Die Diagnose der acuten Metritis gründet sich auf die starke Schwellung
der Gebärmutter, weiterhin ist für sie eine ausserordentliche Empfindlichkeit
des Uterus charakteristisch, so dass schon die leiseste Berührung intensive
Schmerzen hervorruft. Gelingt es, den Uterus abzutasten, so erscheint das
Volumen meistens im Dickendurchmesser vergrössert, der verdickte Uterus
zeigt eine aufquellende, weiche Consistenz, ferner finden wir im acuten Sta-
dium eine verminderte Schleimhautsecretion. Beginnt aber die acute Hyper-
ämie sich auszugleichen, so tritt bedeutende Zunahme der Schleimhautsecre-
tion ein, häufig mit blutigen Beimischungen.
Die^Prognose der acuten Metritis ist meist eine ernste. Es kann jedoch
oft rasche Lösung dem acuten Entzündungsstadium folgen und damit die
Heilung eintreten.
Die Therapie im acuten Stadium der Entzündung ist eine antiphlogi-
stische : möglichste Ruhelagerung, kräftige Blutentziehung, Eisbeutel, ausser-
dem desinficirende Vaginalausspülungen, sowie Gebrauch von Morphium und
anderen Narcoticis. Verläuft das acute Stadium ohne Ausbreitung auf die
Umgebung, so kann die Blutentziehung am Uterus durch Scarificationen
wiederholt werden, und durch warme Sitzbäder und energische Ableitung auf
den Darmcanal der Versuch gemacht werden, die Schmerzhaftigkeit möglichst
herabzusetzen.
Bei acuter Metritis, die im Anschlüsse an die Menstruation sich entwickelt
hat, wird häufig die Eisbehandlung nicht vertragen; man wird in
solchen Fällen die Behandlung mit warmen Umschlägen auf das Abdomen
und heissen Vaginalausspülungen vorziehen. Sind die acuten Erscheinungen
der ersten Tage vorüber, so ist zur Behandlungsweise, welche bei der chro-
nischen Metritis erörtert werden wird, überzugehen.
b) Chronische Metritis entwickelt sich häufig im Anschlüsse an
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Bei Störungen der puerperalen
Involution erfolgt oft eine unvollkommene' Verfettung der Musculatur, das
Gewebe, welches sich im Verlauf der Gravidität gebildet hat, gelangt nicht zur
Eückbildung. Solche Störung der Involution sehen wir besonders bei vorzei-
tiger Beendigung der Schwangerschaft, schlechter Abwartung des Wochenbettes,
und durch vorzeitige sexuelle Reize auftreten. Im erstgenannten Falle geschieht
dies nicht allein deshalb, weil die Frauen in der Meinung, dass die früh abge-
brochene Schwangerschaft nicht die gleiche Pflege wie die normale bean-
spruche, sich zu wenig pflegen, sondern auch besonders aus dem Grunde,
weil die vorzeitige Unterbrechung der Gravidität häufig mit unvollkommener
Entleerung der Uterushöhle und dauernd gestörter Schleimhautfunction ein-
hergeht. Sehr oft entwickelt sich die chronische Metritis im Verlauf eines
Wochenbettes, das durch Erkrankungen complicirt ist.
Ausserhalb des Wochenbettes ist die Endometritis die häufigste Ursache
der chronischen Metritis. Im übrigen gilt rücksichtlich der aetiologischen
Momente der chronischen Gebärmutterentzündung dasselbe, was bei der acuten
Metritis bemerkt worden.
Pathologisch-anatomisch ist die in Rede stehende Erkrankung durch be-
deutende Hyperplasie des Bindegewebes zwischen dessen Fasern die Uterus-
muskelfasern theilweise verfettet, theilweise in unregelmässigen Bündeln
abgeschnürt werden, charakterisirt. Fast ganz regelmässig ist das Bild der
chronischen Metritis mit dem der chronischen Endometritis und nicht selten
mit jenem der chronischen Perimetritis verbunden. Der Process kann in sehr
.METRITIS. 531
verschiedener Weise lange Zeit fortdauern, während gelegentliche acute Nach-
schübe die Spuren der Entzündung bald stärker, bald schwächer hervortreten
lassen.
Ist die chronische Metritis das Ergebnis mangelhafter puerperaler Invo-
lution, dann erholen sich die Frauen sehr schwer von ihrem Wochenbette.
Bei jeder Anstrengung stellen sich Schmerzen im Kreuz und in der Schoss-
gegend ein, die Secretion hält an und nimmt zu, die Patientinnen klagen über
häufigen Harndrang, die Menses sind abundant, treten in kurzen Zwischenräu-
men auf, und in der Zwischenzeit ist der Ausfluss oft blutig verfärbt.
Der Befund bei gynäkologischer Untersuchung zeigt meistens eine bedeu-
tende Volumszunahme des Uterus, speciell im Dickendurchmesser, dabei kann
der Uterus selbst fast ganz unempfindlich sein, während er wieder in an-
deren FäUen besonders bei Einführung der Sonde empfindlich ist; immer
aber ist während der acuten Zwischenfälle gesteigerte Empfindlichkeit vor-
handen. Während dieser acuten Zwischenfälle schwillt der Uterus an und
zeigt eine veränderte Härte. Erst nach Ablauf des Processes zeigt er eine
gleichmässige Härte, die Volumszunahme hört auf, der Uterus verkleinert
sich, die Empfindlichkeit kann ganz schwinden.
Unter den weiteren Erscheinungen der chronischen Metritis treten beson-
ders die Störungen der Menstruation und Conception hervor. Bei
der puerperalen Form sind die Menses meist stärker protahirt und abundant,
bei der nicht puerperalen Form verläuft die Periode verschiedenartig; lange
Zeit ist sie regelmässig, dann entwickelt sie sich unter heftigen, krampfartigen
Schmerzen, die bald mit dem Eintreten der Blutung aufhören, bald während
derselben andauern, die Menses werden immer reichlicher, so dass grosse
Mengen Blutes auch in geronnenen Stücken entleert werden; in anderen.
Fällen sind die Menses spärlich und treten in immer grösseren Zwischen-
räumen auf. Bei allen Formen der chronischen Metritis werden nach Ablauf
des Leidens die Menses immer geringer, und lange vor der physiologischen
Zeit tritt Amenorrhoe ein.
Der Einfluss der Krankheit auf die Schleimhaut ist nicht gleichmässig
und hängt von den Erkrankungen dieser selbst und der Adnexe ab. Die
Schwangerschaft wird von der chronischen Metritis ungünstig beeinflusst und
die daran erkrankten Frauen abortiren häufig.
Am leichtesten wird die Erkrankung mit einer Schwangerschaft ver-
w^echselt. Bei dieser aber nimmt der Dickendurchmesser des Uterus stärker
und gleichmässiger zu, Colostrum kann aus den Brüsten entleert werden, der
Vorhof und Scheideneingang sind bläulich verfärbt, was Alles bei der Metritis
chronica nicht der Fall ist. Von Fibromen unterscheidet sie sich dadurch,
dass bei diesen gewöhnlich nur eine Uterinalwand stärker verdickt ist, während
die andere dünn bleibt, dabei aber die meisten Symptome der Metritis bestehen
können.
Die chronische Metritis ist sehr qualvoll und langwierig, aber selten
lebensgefährlich, führt jedoch zu andauernden Schmerzen in der Lendengegend,
Lähmung der unteren Extremitäten, hysterischen Anfällen, häufig zur Sterilität.
In den frischen Fällen ist vor Allem Kühe des Körpers im Allgemeinen zu
empfehlen ; besonders wenn Entzündungen sich entwickeln, ist mehrtägige
Bettruhe mit kalten Umschlägen, eventuell eine Eisblase auf das Abdomen sehr
wirksam. Nach Ablauf der acuten Zwischenfälle sind bei nicht complicirten
Formen locale Blutentziehungen sehr nützlich, wobei man vom Cervicalcanal
ausgehend die Schleimhaut ritzt und eine grössere oder kleinere Anzahl ober-
flächlicher Wunden in verschiedener Tiefe anlegt. Diese Scarificationen führen
bedeutende Erleichterung herbei und sind der Application von Blutegeln an
die Portio vorzuziehen, weil man bei ihnen die Blutung mehr in der Gewalt
behält; sie sind je nach der Erkrankung und Blutfülle der Frauen anfangs
532 MYOTOMIE.
in kürzeren Zwischenräumen zu wiederholen. Ist die Blutung darnach abun-
dant, dann müssen die Frauen 1 — 2 Stunden ruhig im Bette liegen; ist aber,
besonders im Stadium der narbigen Involution die Blutung gering, dann
sollen die Frauen unmittelbar nach der Scarification umhergehen. Auch die
Sitzbäder bringen grosse Erleichterung. Man nimmt sie entweder mit
einfachem Wasser oder mit Zusatz von Franzensbader Moorsalz oder Halleiner
Mutterlaugensälz in einer Temperatur von 28 — 30" C. und einer Dauer von
10 Minuten, doch sollen hiebei die Frauen jede Erkältung vermeiden. Der
interne Gebrauch von Narcoticis ist nicht immer nothwendig, um die Schmerzen
zu lindern, es genügen oft PEiESSNiTz'sche Umschläge oder das Einreiben
narcotischer, hautreizender Salben. Hat die Frau Gelegenheit, sich zu pflegen,
und vermeidet sie sexuelle Keize, dann wird besonders in frischen, aus dem
Wochenbett stammenden Fällen die Involution des Uterus erreicht.
Bei nicht puerperalen Formen sind ausser dieser allgemeinen und localen
Behandlung auch die Beschaffenheit der Umgebung, Schleimhautkatarrhe, even-
tuell auch Circulationsstörungen durch Flexionen und Versionen des Uterus
und andere Störungen zu berücksichtigen. Auch in diesen Fällen führen
Scarificationen, heisse Vaginalausspülungen und PEiESSNiTz-Umschläge oft zur
Heilung. Es empfiehlt sich ferner der Gebrauch von Jod in der Weise, dass
man entweder mit verdünnter Jodtinctur oder mit Tind. Jodi und Glycerin m
die Portio vaginalis bestreicht; auch die intrauterine Jodbehandlung ist
besonders empfehlenswerth. *) Desgleichen kann die Massage empfohlen werden,
doch nur dann, wenn perimetrische Exsudate oder frische Nachschübe im
Endometrium den Fall nicht compliciren, aber der günstige Erfolg lässt dabei
oft lange auf sich warten. Mehr nützen Trink- und Badecuren als Unter-
stützung der übrigen Therapie.
Führen zwar die angegebenen therapeutischen Maassnahmen nicht selten
zum Ziele, so finden wir anderseits, dass speciell in den Fällen, wo die äusseren
Bedingungen einer rationellen Behandlung nicht gegeben sind, die Schädlich-
keiten fortwährend einwirken, die Behandlung erst spät eingeleitet wird, oft
jede conservative Therapie fehlschlägt; die Excision von Stücken des
Collum oder die Amputatio colli*) bleiben das einzige und beste Mittel
zur Heilung des Leidens. Durch die Untersuchungen von Kokitansky und
Cael V. Braun, sowie durch zahlreiche klinische Beobachtungen wurde fest-
gestellt, dass nach einem solchen Eingriff an der Portio eine Umbildung des
ganzen Uterus wie nach dem Wochenbette erfolgt. In der Mehrzahl der Fälle
wird eine der normalen sehr nahe kommende Configuration der Muttermunds-
lippe erreicht, der Uterus bildet sich zurück, die Metritis chronica heilt nicht
nur, sondern es wird oft genug auch eine bestandene Sterilität günstig beein-
flusst. Viele Fälle sind bekannt, wo nach der Amputatio colli aus dieser 'In-
dication die Frauen concipirten und eine normale Schwangerschaft durch-
machten. T. BEAUN-FEENWALD.
MyotomiB. Unter Myotomie (eigentlich Myomotomie) versteht man die
Ausschneidung eines Myoms, da es sich aber gemeiniglich um Uterusmyome
handelt, so versteht man darunter Uterusmyome, obwohl einige der Genauig-
keit halber den Namen Hysteromyotomie gebrauchen.
Da nun Uterusmyome sowohl auf abdominalem Wege (durch Laparotomie)
als auf vaginalem entfernt werden können, und die ersten Operationen bereits
einer Besprechung unterzogen wurden (vide ,,Laparohysterofomie - Laparo-
myotomie, pag. 490)", so haben wir uns jetzt nur mit den Operationsverfahren zu
befassen, welche zur Entfernung der Uterusmyome auf vaginalem Wege dienen.
*) Vergl. „Intrauterine TJierapie" pag. 461.
*) Vergl. Artikel ^Cervixcatarrh" und „Portio- Operationen" in ds. Bd.
MYOTOMIE. 533
Bis zum zweiten Viertel dieses Jahrhundertes wagten sich die Chirurgen
und Gynäkologen nur auf Entfernung von solchen Uterusmyornen, welche auf
einem Stiele sassen und deren Ausgaiigsstelle gut zugängig war. Erst als
durch immer öfter ausgeführte Bauchoperationen und insbesondere durch Ova-
riotomieen die Kenntnis der pathologischen Anatomie der weiblichen Ge-
schlechtstheile bedeutend erweitert wurde, kam man auf den Gedanken, auch
die nicht gestielten, also interstitiellen, aber gegen die Uterusschleimhaut
wuchernden Myome zu exstirpiren.
Velpeau war der erste, welcher diesen Gedanken aufwarf und Amussat
der erste, der ihn ausführte, dann wurde sie Gemeingut der Chirurgen
und Gynäkologen aller Nationen. Somit ist die Myotomie sowohl die abdo-
minale als auch die vaginale eine Operation französischer Herkunft, aber während
die erste ganz besonders in Deutschland cultivirt und bis zu ihrer jetzigen
technischen Vollkommenheit ausgebildet wurde, genoss die letztere bei den
Franzosen immer eine Bevorzugung und die unternehmungslustige Plejade der
modernen französischen Gynäkologen und Chirurgen, wie Peän, Pozzi, Segond,
Doyen brachte dieselbe zu solcher Höhe einer vollkommenen technischen
Ausbildung, dass sie mit der Laparomyotomie um den Vorrang nicht nur zu
streiten wagt, sondern sogar die Siegespalme für sich zu erobern scheint.
Zu den vaginalen Myomotomieen werden gegenwärtig folgende Methoden
gerechnet.
1. Die Ablation eines gestielten in das Cavum uteri hinein oder aus
ihm herausragenden Fibromyoms (oder sogenannten fibrösen Polyps). Diese
einfachste von allen Myotomieen wird auf die Art ausgeführt, dass das Myom
mit einer starken MusEux'schen oder anderen Hakenzange (Fig. 43 — 47, pag.
408 und 410) gefasst und durch die vermittelst Ecarteurs offen gehaltene
Scheide nach unten gezogen wird, wodurch der Stiel gut zu Gesicht kommt
und nun mit einer langen SiEBOLD'schen oder CooPER'schen Scheere (Fig.
74, pag. 420) abgeschnitten wird. Früher wurde dazu Glühhitze, galvano-
kaustische Schlinge oder Ecraseur gebraucht, doch ist man von diesen Mitteln
abgekommen, nachdem sich gezeigt hat, dass die so sehr gefürchtete Blutung
nur in Ausnahmsfällen zutrifft und wenn sie eintreffen soll, ihr durch diese
Mittel gar nicht vorgebeugt werden kann.
Vor und nach der Operation soll genau der Genitaltractus mit desinfi-
cirenden Flüssigkeiten gereinigt werden. Nach der Operation genügt ein
die Scheide gut ausfüllender Tampon aus Jodoformgaze und einige Tage Bettruhe.
2. Die Enucleation der breitsitzenden submucösen Myome.
Wie schon oben erwähnt wurde, stammt die Operation von den beiden
französischen Chirurgen Velpeau und Amussat und wird dieselbe seit der
Zeit (in den vierziger Jahren) immer öfter ausgeführt. Im Jahre 1878 stellt
GussEKOw eine Statistik von 154 Enucleationen mit 51 Todesfällen, also einer
Mortalität von 33-1 7o, wobei als häufigste Todesursache Pyämie und Septicämie
notirt \vorden war, was übrigens nicht zu verwundern ist, da doch die meisten
dieser Fälle in die vorantiseptische Zeit fallen.
Eine Statistik der Fälle aus dem antiseptischen Zeiträume ist bis
nun noch nicht zusammengestellt worden, doch entnehme ich aus einzelnen
Berichten von Kliniken und Spitalsabtheilungen, dass das Mortalitätsprocent
ein bedeutend geringeres ausfallen würde.
Diese Operation wird folgendermassen ausgeführt:
Erster Act: Ptücken-Kreuzlage. Narcose, Entblössung der Portio
vaginalis mit einem löffeiförmigen Speculum und 2 Ecarteuren. Praeventive
Unterbindung der unteren Aeste der Arteria uterina zu beiden Seiten und
darauf Incision des Muttermundes nach beiden Seiten bis zur Insertion der
Scheide. Manche rathen den Cervix zuvor zu präpariren durch Einlegen
von Laminariastiften oder strahlenförmige kleine Incisionen. Jedenfalls muss
534 MYOTOMIE.
der Muttermund so weit geöffnet werden, dass zwei Finger des Operateurs
ganz bequem eingeführt werden können.
Zweiter Act: Die Muttermundslippen werden durch 2 Fixationszangen
auseinandergezogen und sobald der Tumor gut zu Tage tritt, wird derselbe
mit einer MusEux'schen Zange gut nach unten gezogen, dessen Kapsel ange-
schnitten und die Wände der Kapsel mit Finger, Scheere und Elevator stumpf
nach allen Seiten etwas abgelöst.
Dritter Act: Fasst man den theilweise enucleirten Tumor mit 2 star-
ken MusEUx'schen Zangen und zieht ihn nach unten, wobei er nicht selten
mit Hilfe dieser Tractionen sich entbinden lässt; manchmal muss man noch
mit Scheere und Elevator nachhelfen. Nur in den Fällen, wo der Tumor über
faustgross ist, muss er verkleinert werden. Dazu werden verschiedene Kunst-
griffe verwendet, so z. B. räth Chrobak melonenschnittartige Stücke ,mit
dem Messer herauszunehmen, andere thun es mit besonders dazu angegebenen
Instrumenten, wieder andere ganz einfach mit Hakenzange und Scheere.
Letztere Kunst hat Pean in Paris zur Virtuosität entwickelt und sein Ver-
fahren Morcellement benannt. Da dasselbe ein ganz besonderes Vorgehen
erfordert, will ich es hier ganz präcis wiedergeben als
3. vaginale Myotomie nach Pean. Im ersten Acte wird die
durch Ecarteurs biosgelegte Portio vaginalis mit einer Hakenzange nach
unten gezogen und mit einem Messer ihre Schleimhaut an der Grenze des
Scheidenansatzes rings herum angeschnitten, wodurch sie selbst sehr beweg-
lich wird. Natürlich eventuelle Unterbindung der blutenden Gefässe.
Im zweiten Acte wird die Vaginalportion zu beiden Seiten ange-
schnitten, indem man mit der stumpfen Branche einer geraden Scheere in den
Cervixcanal eingeht. Der Schnitt ist nicht] lang, doch reicht er so weit,
dass man bequem mit 2 Fingern in die Uterushöhle eingehen und den
Tumor untersuchen, ja sogar sein unteres Segment zu Gesichte bekommen
kann.
Im dritten Acte werden beide Muttermundslippen durch Kugelzangen
auseinandergezogen und der mit einer starken MusEux'schen Zange gefasste
Tumor etwas nach unten herabbefördert. Nun wird mit einem Bistouri die
Geschwulst in der Mitte angeschnitten und jeder auf diese Weise entstandene
Lappen für sich mit speciell dazu angegebenen, der Cystenzange nach
Nelaton nicht unähnlichen, Hakenzangen gefasst. Jetzt werden rechts und
links mit langen Scheeren oder langen Bistouris Partieen der Geschwulst-
masse herausgeschnitten, wobei man sich mit dem Auge und mit dem immer
tastenden Finger über die Lage desselben gut orientiren muss. Die Blutung
ist meistentheils minimal, so dass man ganz gemächlich grössere Stücke auf
einmal abschneiden kann (die Grösse variirt zwischen der einer wälschen
Nuss und eines Hühnereies). Nach Beseitigung der unteren Partieen gelingt
es manchmal die oberen ganz einfach auszuschälen; wenn nicht, so verfährt
man auf die beschriebene Weise weiter vorwärts bis man den ganzen Tumor
auf diese Weise herausbefördert hat. Sollte das nach ihm verbliebene Bett
bluten, dann incidirt Pean das untere Uterussegment noch weiter nach oben
beiderseits, um den Uterus nach unten ziehen zu können.
Der vierte Act ist bestimmt für die Toilette des Uterus und die Naht
des Cervix. Die erstere wird so bewerkstelligt, dass man mit kleinen Schwämm-
chen oder Wattebäuschchen, die auf langen Tamponträgern befestigt sind, sehr
genau das Innere der Wundhöhle, welche mit sehr heissem Wasser irrigirt
wurde, abtupft, dann die Stellen, die zu bluten nicht aufhören, mit Pinces
hemostatiques fasst. Jetzt wird noch einmal irrigirt und abgetupft und zu-
letzt Jodoformgaze zwischen die einzelnen Pinces hineingelegt. Die Pinces
bleiben 36 — 48 Stunden. Ist die Blutung gering und braucht man keine
Pinces zu hinterlassen, dann wird die Incisionswunde des Cervix genäht. In
MYOTOMIE. 535
den ersten Tagen nach der Operation reicht Pean kleine Dosen von Seeale
cornutum.
Es ist selbstverständlich, dass sicli dieses Verfahren nur bei jenen Myo-
men anwenden lässt, welche eine besondere Kapsel besitzen, und, wie bekannt,
ist dies in den meisten der Fall; sollte es aber ausnahmsweise anders sein
und dadurch eine Gefahr für die Patientin erwachsen, dann muss man immer
darauf gefasst sein, die Totalexstirpation des myomatösen Uterus per vaginam
oder eventuell per laparotomiam ausführen zu müssen.
Pean hat Tumoren bis zur Grösse eines Kindskopfes auf diese Weise
operirt, sagt aber, dass sie nur bei Tumoren, welche über die Nabelhöhe nicht
hinaufreichen, angewendet werden dürfe.
Kleine Peritoneumverletzungen, die dabei passiren können, sollen den
Operateur nicht aus dem Gleichgewichte bringen, wenn nur die Genitalwege
gut desinficirt waren, und wenn in der Geschwulst selbst keine Infectionsquelle
vorliegt; wenn sie glatt und recht zugänglich sind, werden sie genäht, wenn
aber gequetscht oder unzugänglich, dann reicht die Jodoformgazetamponade aus.
Ganz besonders eignet sich für diejenigen Myome, welche ihren Sitz in
der hinteren Muttermundslippe aufgeschlagen haben (hier brauchen wir gar
nicht den Cervix aufzusuchen und zu dilatiren) eine einfache Incision der
durch die Geschwulst aufgetriebenen und in die Scheide nach unten herab-
gedrängten Muttermundslippe. Der Schnitt führt uns direct auf die Myom-
kapsel, nach deren Spaltung die Enucleation eventuell die Zerstückelung vor-
genommen werden kann. Ist der Zutritt schwer, so räth Pean das Perineum
und die Recto vaginal wand bis an die Geschwulst zu zerschneiden nach vor-
heriger Anämisirung dieser Scheidewand durch Forcipressur vermittelst zweier
langer elastischer Klemmzangen, deren eine Branche ins Rectum, die andere
in die Scheide eingeführt wird.
Die vaginale Enucleation und Zerstückelung gewinnt immer mehr Gönner
in Mitteleuropa und es liegen schon recht viele Berichte von deutschen Chi-
rurgen und Gynäkologen, welche sie nicht nur ausgeführt haben, sondern ihre
Vorzüge ganz besonders hervorheben. Ich brauche nur auf die Berichte von
Chrobak, Löhlein, Mikulicz, Rüge, Schauta, Veit u. s. w. zu erinnern,
4. Die extrauterine vaginale Myotomie nach Czerny. Wenn
bei der vaginalen Myomenucleation und dem PEAN'schen Morcellement das
Myom von der Schleimhautfläche des Uterus angegriffen wird, nahm Czerny
gegen nicht allzugrosse an den Aussenwänden des Uterus in der Nähe des
Cervix sitzende Tumoren Stellung von der Aussenseite, indem er das vordere
oder hintere Scheidengewölbe, je nach dem Sitze des Tumors, anschneidet
und im Bindegewebsraume zwischen Cervix und Peritoneum bis an die Ge-
schwulst vordringt und sie auf diese Weise attaquirt. Unbeabsichtigte Peri-
tonealwunden werden genäht.
5. Dührssen's sogenannte vaginale Laparotomie hat den Zweck
durch Eröffnung des vorderen Scheidengewölbes und der Plica vesico-uterina
Zugang zu den Beckenorganen zu gewinnen. Das retrovesicale Bindegewebe
wird bis zur Höhe des inneren Muttermundes zurückgeschoben, dann die
höchste sichtbare Partie der vorderen Uteruswand mit einer queren Seiden-
sutur gefasst und herabgezogen. Nun wird oberhalb dieser Sutur das Peri-
toneum geöffnet und durch diese Oeffnung der ganze Uterus sammt Tuben
und Ovarien vor die Vulva herausgezogen. Ganz besonders ist diese Operation
indicirt zur Exstirpation kleiner subseröser Myome. In einem Falle hat
DtJERSSEN 10 solche Myome exstirpirt.
6. Myomohysterectomia vaginalis. Wenn man sich einmal ent-
schlossen hat einen myomatösen Uterus zu opfern und w^enn er nicht zu
gross ist, d. i. nicht über den Nabel reicht, dann ist es am besten dies
nach der von Doyen angegebenen Methode zu thun, welche wegen ihi'er
536
MYOTOMIE.
Eleganz, Leichtigkeit und kurzer Zeitdauer in der Ausführung liiemit auch
für anderweitige Indicatiouen und ganz besonders zur Beseitigung des carcino-
matösen Uterus anempfohlen werden soll.
Ich schreite jetzt zur Beschreibung des Operationsverfahrens selbst, welches
ich dem ausgezeichneten Buche des Verfassers „La castration totale par
le vagin" sammt den hier des besseren Verständnisses halber beigegebenen
Holzschnitten entnehme.
Die Patientin liegt in Steinschnittlage, Operateur und sein Assistent
sitzen vor ihr. Die Vaginalportion wird fixirt durch zwei an den Seiten ange-
l)rachte Hakenzangen, welche bis zur Beendigung der Operation verbleiben.
Nachdem nun der Uterus so viel als möglich heruntergezogen worden ist,
umschneidet man ringsherum die Schleimhaut am Mutterhals, wobei allsogleich
die hintere Peritonealfalte er-
öffnet wird. Der in diese Oeft-
nung eingeführte rechte Zeige-
finger beseitigt Adhäsionen,
wenn solche vorhanden sind, un-
tersucht die hintere Fläche des
Uterus und das kleine Becken,
um noch einmal auf dieser Un-
tersuchung basirend zu ent-
scheiden, ob der Uterus ge-
opfert werden müsse. (1. Act.)
Nun wird mit demselben Fin-
ger die Harnblase mit beiden
Ureteren isolirt, um dieselben
vor Verletzung bei den weite-
ren Manipulationen zu schützen.
(2. Act.)
Jetzt wird ein kurzer Ecar-
teur eingeführt und vom Assi-
stenten oberhalb des Schamhü-
gels gehalten und nachdem der
Uterus stark nach unten her-
untergezogen wurde, schneidet
man dessen vordere Wand mit
einer Scheere entzwei von unten
nach oben. Mit zwei Schee-
renschnitten ist die vordere
Peritonealfalte eröffnet und die
kleine Oeffnung wird stumpf
erweitert, indem man die in die-
selbe eingeführten Scheeren
während des Zurückziehens
öffnet. Den vorderen Rand der
so geöffneten Peritonealfalte
schiebt man unter den Ecarteur.
(S.Act, welcher in Fig. 1 dar-
gestellt ist.)
Mit zwei Hakenzangen
werden die beiden Ränder nach
unten gezogen und dabei eine
neue Partie des Uterus ent-
wickelt, der wieder um ein
Stück höher entzwei getheilt
Fi"'. I. CU = Collum uteri. — SV = die umschnittene Sclileim-
haut. — CP ;= vordere Peritonealfalte geöffnet. —
^B = Längsschnitt der vorderen Muttermundslipir».
= das erste Paar der Hakenzangen. —
=: das nächste Paar derselben.
MYOTOMIE.
537
Fig. 3. U = Uterus. — O = Ovarum sinistrum. — Tr = Tuba
sinistra. — Pc = erstes Paar der Hakenzangen. — Ps ^ letztes
Paar der Hakenzangen. — LL = Lig. latum sinistrum mit der
grossen Pince.
Fig. 4. Pc — P, — ^3 — Stellen, wo
die Hakenzangen applicirt wurden.
wird; zwei neue Hakenzangen
greifen die Ränder wieder um 2
cm höher, während das darunter
gelegene Paar abgenommen wird,
um wieder höher angebracht zu
werden u. s. w. bis man zum Fun-
dus uteri gelangt. Fig. 2 zeigt
das weiter vorgeschrittene Stadium
des dritten Actes, während Fig. 4
die vordere Fläche des schon her-
ausgenommenen Uterus darstellt.
Ist der Uterus myomatös und
ziemlich gross, dann wird aus des-
sen vorderer Fläche ein Stück in
der Gestalt V herausgeschnitten,
wie dies auf der Fig. 5 sehr gut
angedeutet ist. Merkwürdig da-
bei ist das, dass diese Schnitte
gar nicht bluten, da der durch die
Hakenzangen nach unten gezogene
Uterus durch den Zug vollständig
anämisirt wird.
Im 4. Act kippt man
den Fundus uteri gänzlich nach
vorne um, was mit Hilfe des obersten Paares der an den Rändern des Längs-
schnittes angebrachten Hakenzangen mit Leichtigkeit zu Stande gebracht wird.
Nun kommt der letzte, 5. Act, in welchem beiderseitig, doch zuerst
auf der linken Seite, eine grosse elastische Pince nach Doyen durch die ganze
Breite des Ligamentum latum, u. zw. jenseits der Tuba und des Ovariums von oben
nach unten angelegt wird: Fig. 3. Wenn die Adnexen sich nicht leicht mit-
nehmen lassen, so zwingt man sie dazu durch Herunterziehen mit einer Ring-
zange, oder man nimmt sie besonders in eine kleine DoYEx'sche Pince.
Kg. 5. P, — Pg Stücke des Tumors, die nacheinander
abgenommen wurden.
538 NABELSCHNUR — NABELSCIINURANOMALIEN
Manchmal wird der Sicherheit halber auch von unten auf das Ligamentum
latum hinter die grosse Pince noch eine kleine zugegeben. Das Ligamentum
latum wird 2—3 niiu vor den Pinces abgeschnitten und die Operation ist voll-
endet u. zw. in verhältnissmässig sehr kurzer Zeit, je nach dem Fall, zwi-
schen 15—20 Minuten.
Die Scheide wird mit sterilisirter Gaze austamponirt und die Pinces
verbleiben 36—48 Stunden. Doyen selbst soll unter 28 auf diese Weise ope-
rirten Fällen nur 1 Todesfall gehabt haben = 3-6%.
Es muss noch ganz besonders auf die Construction der DoYEN'schen
Pinces hino-ewiesen werden, welche durch Elasticität ihrer Branchen und durch
auf der Innenseite derselben angebrachte Längsfurchen vor den gewöhnlich
dazu gebrauchten RiCHELOT'schen sich auszeichnen.
Ist bei grösseren Tumoren oder bei carcinomatöser Infiltration der Para- .
metrien ein besserer Zutritt erwünscht, dann räth Pean das Perineum sammt
der Scheidewand zwischen der Vagina und dem Rectum entzwei zu schneiden;
mir convenirt aber viel besser der von Schuchardt angegebene Schnitt,
welcher zwischen dem mittleren und hinteren Drittel der dem erkrankten
Parametrium entsprechenden grossen Schamlippe beginnt und in leichten
Bogen nach hinten, 2 Finger breit von der Afteröflnung entfernt bleibend,
zum Kreuzbeine zieht. Die Wunde wird im Wesentlichen nur in dem Fett-
gewebe des Cavum recto-ischiadicum vertieft, lässt den Trichter des M. levator
ani, den hinter ihm verborgenen Mastdarm und die Kreuzbeinbänder ganz
frei. Nun wird nach innen zu vom Cavum recto-ischiadicum aus die Seiten-
wand der Scheide biosgelegt und durch einen langen Schnitt der Scheide
seitlich bis hinauf zum Gebärmutterhalse gespalten.
Ich habe in schweren Fällen den Schnitt etliche lOmal angewendet
und muss sagen, dass er mir ausgezeichnete Dienste geleistet hat und
glaube, dass derselbe einen Vorzug hat vor dem PEAN'schen Dilatationsschnitte,
nämlich den, dass hier das Rectum gar nicht eröffnet wird.
Was die Wahl der einzelnen Operationsverfahren anbelangt,
so muss ich auf das im Artikel Laparohysterotomie — Laparo-
myotomie Gesagte verweisen, doch der Wichtigkeit halber noch einmal mit
Nachdruck wiederliolen, dass wo möglich conservative Methoden dei;!
verstümmelnden, und vaginale den abdominalen vorzuziehen sind.
A. OBALINSKI.
Nabelschnur— Nabelschnuranomalien. Die Nabelschnur (Nabel-
strang) ist ein strangartiges Gebilde, welches, vom Nabel des Fötus zur
Placenta verläuft; sie hat im Durchschnitt eine Länge von 50 — 55 cm und ca.
Kleinfingerdicke. Es kommen aber sowohl was Länge wie Dicke betrifft,
erhebliche Schwankungen vor.
Die Nabelschnur ist von seltenen Ausnahmen abgesehen spiralig
gedreht und zwar meist, vom Kind aus gerechnet, von rechts nach links.
Man hat diese Drehungen, welche zwischen dem 2. und 4. Monate zu
Stande kommen, verschieden erklärt. Wahrscheinlich sind sie einfach die
Folge der Drehung des Embryo (Hyetl). Auch auf die in der Nabelschnur-
vene einerseits, den Nabelschnurarterien andererseits vorhandene Druckdiffe-
renz hat man sie zurückgeführt. Infolge der in ihr durch grösseren Druck
herrschenden, stärkeren Spannung soll sich die Vene stärker auszudehnen
suchen als die Arterien; dies wird ihr nur durch eine spiralige Drehung der
letzteren ermöglicht. Diese erfolgt meist nach links, da die rechte Arterie
stärker ist als die linke (Neugebauer). Möglich auch, dass die häufige
Linksdrehung durch den Rückstoss entsteht, welchen der Embryo, beziehungs-
weise dessen rechte Beckenhälfte von dem Strom der stärkeren, rechtsseitigen
Arterie erfährt (Simpson).
NABELSCHNUR — NABELSCIINUUANOMALIEN. 539
Von den eben erwähnten Nabelschnurgefässen sind die beiden Ar-
teriae umbilicales — dass nur eine vorhanden, ist eine Ausnahme — 3—5 min
dick. Ihre Muscularis ist stark entwickelt, während ihnen die elastisclie In-
tima fehlt. Bis zu ihrem Eintritt in die Placenta ge])en sie keine Aestc ab;
in der Nähe der letzteren aber findet sich fast regelmässig eine Anastomose
zwischen beiden. In der Placenta selbst theilen sie sich bis sie in die Zotten
als Capillaren eintreten, sich rückläufig wieder zu grösseren venösen Gefässen
vereinigen, welche schliesslich in der Nabelvene enden. Sie führt, nachdem
sie durch den Nabelring in das Ligamentum Suspensorium hepatis getreten
ist, das in der Placenta veränderte Blut wieder dem Kind zu. Ihr Durch-
messer beträgt 5 — 7 mm. Die Dicke ihrer Wand ist etwas geringer als die
der Arterien. Vasa vasorum fehlen den Nabel gefässen. An der Stelle des
Eintrittes der Schnur in den Nabel findet sich ein von der Bauchhaut kom-
mender Capillarkranz, welcher an dem Amnion aufhört. In seiner oberen Grenze
stösst sich später die Nabelschnur ab.
Wie die Nabelschnur selbst, so sind auch die in ihr verlaufenden Gelasse,
spiralig und zwar auch meist nach links gewunden. Ausserdem zeigt nicht
selten die einzelne Arterie eine Eigendrehung. Schlingenbildung kommt
besonders bei den Arterien vor.
Halbmondförmige Klappen finden sich in beiden Gefässen, besonders in
der Vene. Eine functionelle Bedeutung kommt ihnen nicht zu.
Eingebettet sind die Nabelschnurgefässe in die sogenannte WiiARTON'sche
Sülze, einem gallertigen, embryonalen Gewebe. Ausser ihnen finden sich
in der letzteren noch die Beste zweier embryonaler Gebilde und zwar in dem
von der Arterie und der Vene gebildeten Dreiecke als feiner nur mit der Lupe
sichtbarer Canal, der geschrumpfte Allantoisgang, der Urachus (s. Figur);
dagegen sind die Ueberbleibsel des Dotter-
ganges nur schwer nachweisbar. Bekleidet
ist die Nabelschnur mit dem von ihr nicht
trennbaren Amnion. Setzt sich dasselbe trich-
terförmig auf die nächste Umgebung des
Nabels fort, so spricht man von einem
Amnionnabel; von einem Fleischnabel, wenn
umgekehrt die Bauchhaut noch eine Strecke
die Nabelschnur bekleidet.
Zum besseren Verständnis dieser Ver- Schematlsclier Durchschnitt der Nabelschnur.
1,k1a„:„„„ 4„i „„ „ ii j- • -r>i • 1 i? T'm. Vena umbil. U. Urachus. Aau, Arterieae
naltnisse ist es nothwendig einen Blick auf umui. vo. vas {duct.) omphai.
die embryonale Entwicklung zu werfen").
Nachdem sich im Ei die Embryoanlage gebildet hat, schnürt sich von dem
Dotter die Dotter- (Nabel-) Blase ab und zwar derart, dass allmälig die
Verbindung zwischen ihr und dem Embryo nur noch durch einen hohlen
Stiel hergestellt wird. Der in dem letzteren befindliche Gang wird Ductus
ompkalo-entericus genannt. In ihm verlaufen die anfänglich für die Ernäh-
rung des Embryo wichtigen Vasa omphalo-mesenterica, 2 bis 3 an der Zahl.
Schon frühzeitig beginnt die Nabelblase, sowie ihr Stiel zu schrumpfen;
gleichzeitig veröden die Gefässe. Schliesslich bleibt von dem Dottergang
nur noch ein dünner Strang über, dessen Reste, aus kernlosen, in der
Rückbildung befindlichen Zellen bestehend, in der Nabelschnur des ausgetra-
genen Kindes, wie schon erwähnt, schwer nachzuweisen sind. Das Nabel-
bläschen findet sich dagegen, wie B. S. Schültze zuerst festgestellt hat,
fast regelmässig als ein linsengrosses, gelbliches Gebilde zwischen Amnion
und Chorion, dem ersteren anliegend, ausserhalb der Placenta. An der
Stelle, an welcher der Dottergang in die Bauchhöhle eintritt, bildet sich
*j Vergl. auch Artikel „FruchtentwicJchmg' mit zugehöriger Farbendrucktafel.
540 NABELSCHNÜR — NABELSCHNÜRANOMALIEN.
später der Nabel. Bei seinem Uebertritt auf die Eihäute aus dem Nabel-
strang findet sich manchmal eine von dem letzteren abgehende Amnionfalte
(ScHULTZE'sche Falte).
Als einen weiteren constanten Bestandtheil der Nabelschnur nannten wir
ferner den Allantoisgang (Urachus). Bisher nahm man an, dass die Allan-
tois begleitet von den Nabelarterien vom Hinterdarm neben der Dotterblase
frei dem Chorion zu wächst und nachdem sie das letztere erreicht hat, die
Zotten mit Capillaren versehe. In jüngster Zeit hat v. Peeuschen diese
Annahme wieder vertreten. His dagegen, dem sich J. Veit anschliesst, ist
der Ansicht, dass der Fötus stets durch den Chorion-Bauchstiel mit
dem Chorion in Verbindung stehe und die Allantois in den Canal desselben
hineinwachse.
Die Ein Senkung der Nabelschnur in die Placenta ist selten eine
völlig centrale (Insertio centralis), sondern meist eine seitliche (Insertio late-
ralis). Manchmal findet sie sich völlig am Rand (Insertio marginalis), oder über-
haupt nicht direct an der Placenta, sondern zwischen den Eihäuten [Insertio
velamentosa) angesetzt. Im letzteren Falle verästeln sich die Nabelschnur-
gelasse zwischen jenen und gelangen so erst zur Placenta.
ScHULTZE führt das Zustandekommen der Insertio velamentosa auf den
Zug des mit dem Chorion oder Amnion abnorm fest verwachsenen Ductus
omphalo-entericus, beziehungsweise der Nabelblase in einer frühen Zeit des
embryonalen Lebens, ungefähr um die sechste Woche, zurück. Dieser hindert
die von der Nabelschnurscheide umschlossenen Gebilde des späteren Nabel-
stranges die Placentarstelle direct zu erreichen, zwingt sie, insbesondere die
Nabelschnurgefässe vielmehr erst eine Strecke im Chorion laeve zu verlaufen,
d. h. velamentös zu inseriren.
ScHULTZE hat noch auf zwei andere Möglichkeiten des Zustandekommens
einer velamentösen Insertion hingewiesen. Er nimmt an, dass sich gelegent-
lich an der Stelle, an welcher die Nabelgefässe zuerst das Chorion erreichen,
infolge günstiger Ernährungsverhältnisse in der Reflexa eine sogenannte
Placenta succentoriata bildet. Die Gefässe müssen dann von dieser
aus zwischen den Eihäuten zur Hauptplacenta verlaufen.
Schliesslich kann es bei eineiigen Zwillingen zur velamentösen Insertion
kommen. „Wenn sich nämlich die Allantoisgefässe eines jeden Zwillings aus-
reichend an der Serotina betheiligt haben, das Amnion des einen aber der
Serotina nicht gegenübertreten kann, weil das Amnion des anderen den Platz
voll eingenommen hat, so kann natürlich auch die Amnionbekleidung der
Nabelschnur des erstgenannten bis zur Placenta nicht fortschreiten und seine
Nabelschnurgefässe müssen nothwendig eine Strecke weit zwischen dem ge-
meinsamen Chorion und dem Amnion des anderen Zwillings verlaufen."
Ausser den Insertionsanomalien kommen an der Nabelschnur auch Ano-
malien der Structur vor. Sehr häufig findet man an ihr die sogenannten
falschen Knoten, mehr-minder starke Vorbuchtungen an einer oder mehreren
Stellen des Stranges. Sie entstehen durch die schon erwähnte Schleifenbildung
eines Nabelschnurgefässes (meist eines arteriellen), welche von WnARTON'scher
Sülze, bekleidet sich als buckelige Prominenz präsentirt. Für den Fötus sind sie
völlig belanglos. Dagegen können die wahren Knoten ihn gelegentlich
gefährden. Sie entstehen dadurch, dass der Fötus durch eine Nabelschnur-
schlinge schlüpft und zwar muss dieselbe derart gedreht sein, dass das fö-
tale Stück unter dem placentaren hindurchgeht. Es sind doppelte, ja mehr-
fache Knoten beobachtet worden. Ihr Zustandekommen wird durch abnorme
Länge der Schnur begünstigt. In der Regel werden diese Knoten erst wäh-
rend der Geburt zugezogen. Geschieht es ausnahmsweise bereits während der
Schwangerschaft, so macht ihre Lösung zuweilen Schwierigkeiten ; an den com-
primirten Stellen findet sich die WnARTON'sche Sülze atrophirt. In allerdings
NABELSCHNUR — NABELSCHNURANOMALIEN. 541
nur sehr seltenen Fällen ist ein Absterben des Fötus infolge sehr fester
Schürzung der Knoten beobachtet worden.
Entschieden gefährlicher als die Nabelschnurknoten können für den
Fötus die Nabelschnurumschlingungen werden. Kh sind nicht nur
viele Fälle bekannt, in welchen durch dieselben Verunstaltungen des Fötus,
sondern noch zahlreichere, wo durch sie der Tod des letzteren herbeigeführt
wurde, besonders dann, wenn die Schnur um den Hals geschlungen war. Auch
wenn die Umschlingung während der Schwangerschaft ohne Folgen geblieben
war, kann sie noch während der Geburt, ja gerade während derselben das
Kind gefährden. Entweder wird sie über irgend einen Theil des Fötus fest
angespannt, zwischen diesem und Partien des mütterlichen Beckens fest com-
primirt, so dass die Circulation unterbrochen wird, oder die Halsgefässe werden
bei Umschlingung um den Hals stricturirt. Schliesslich kann die durch die
Umschlingung verkürzte Nabelschnur während der Geburt mit dem Tiefer-
treten des Kindes an der Placenta derart zerren, dass eine partielle Lösung
derselben eintritt, ein Ereignis, welches zur Asphyxie, bei Lösung ausgedehn-
ter Placentarpartien zum Absterben des Fötus führen kann.
Es liegt auf der Hand, dass eine an sich abnorm kurze Nabelschnur
in gleicher Weise das Leben des Kindes zu gefährden vermag. Erwähnt sei,
dass selbst ein völliges Fehlen des Stranges beobachtet worden ist;
der Fötus lag mit dem Bauch der Placenta unmittelbar auf. Meist war
diese Abnormität durch eine Bauchspalte complicirt.
Eine weitere Abnormität stellen die Torsionen der Nabelschnur
dar. Wir haben gesehen, dass sie normaler Weise spiralig gewunden ist.
Diese Windungen können aber pathologisch werden und zwar dann, wenn die
Achsendrehung der Schnur einen solchen Grad erreicht, dass durch sie die
Gefässe stenosirt oder, was seltener der Fall, völlig undurchgängig werden.
In der Vene finden sich stellenweise varicöse, mit geronnenem Blute gefüllte
Dilatationen.
Die Torsionen können sehr zahlreich (bis 380 sind beobachtet worden)
oder nur auf eine kleinere Partie der Schnur (Striciur oder Stenose) beschränkt
sein; ja es kann sich nur um eine einzige Drehung handeln. Die Bauchhaut
des Fötus zeigt zuweilen als Fortsetzung der Torsion eine radiäre Fältelung,
desgleichen das Amnion an der placentaren Insertion der Nabelschnur. Häufig
kommen an torquirten Nabelsträngen erbsen- bis kirschengrosse, in der
WiiARTON'schen Sülze liegende, serumhaltige Cysten vor.
Ob die Torsionen während des Lebens oder erst nach dem Absterben
des Fötus entstehen, darüber gehen auch heute noch die Ansichten aus ein-
ander. Wahrscheinlich kommt das eine wie das andere vor. Während im
ersteren Fall die Eigenbewegungen des Kindes das ätiologische Moment ab-
geben, muss dasselbe im letzteren in passiven Bewegungen des Fötus gesucht
werden, welche wieder ihre Ursache in solchen des mütterlichen Körpers haben.
Als einen allerdings sehr schwachen Beweis der prämortalen Entstehung
der Torsionen hat man das nahezu doppelt so häufige Vorkommen derselben
bei Knaben wie bei Mädchen angeführt, indem man dies der grösseren Muskel-
kraft und Beweglichkeit der ersteren zuschrieb. Ungleich wichtiger ist der
Nachweis von Stauungserscheinungen, welche, wie Küstner sehr trefiend
bemerkt, placentarwärts gesucht werden müssen, da die dünnwandigere Nabel-
vene, deren Strom nach dem Fötus hinführt, eher comprimirt wii'd, als die
Arterien. Thatsächlich finden sie sich recht häufig, als Ectasien der Venen,
ferner als Cysten der Nabelschnur, welche als circumscripte Oedeme aufzu-
fassen sind. Auch diese hat man als postmortale Producte, als Folgen der
Einschmelzung von gallertiger Substanz und Diffusion von serösen Massen
angesprochen, eine Möglichkeit, welche nicht abzuleugnen ist. Mit
Recht weist aber Küstner darauf hin, dass das gleichzeitige Vorkommen
542 NABELSCHNÜR — NABELRCHNURANOMALIEN.
örtliclier Oedeme mit so reichlichen Transsudationen, dass sie als Leichen-
transsudate nicht aufgefasst werden können, für die vitale Entstehung der
Torsionen spricht. Thatsächlich sind solche Transsudationen {Hydramnios)
von ihm und anderen gar nicht selten beobachtet worden."")
Der Erwähnung bedürfen auch die s y p h i 1 i t i s c h e n V e r ä n d e r u n g e n
der Nabelschnur, meist in atheromatösen Processen der Gefässwand . mit
Verdickung der Intima bestehend (v. Winckel). In weit vorgeschrittenen
Fällen fand Oedmannson an Stelle der letzteren fast ausschliesslich Kalk-
schollen. Auch Ahlfeld beobachtete bei einer syphilitischen Frucht kalkige
Ablagerungen in der Nabelschnur. Ferner kommen in derselben tuberkel-
ähnliche, aus dicht gedrängten Rundzellen zusammengesetzte Knötchen vor,
welche gleichfalls syphilitischen Ursprungs sind.
Schliesslich ist des Nabelschnurbruches {Hprnia funiculi umhili-
calis,) einer Hemmungsbildung, zu gedenken. Die Verwachsung der Bauch-
decken, welche gewöhnlich nach der 6. — 7. Woche des embryonalen Lebens
erfolgt, ist in der Nabelgegend nicht zu Stande gekommen; ein Theil der
Eiiigeweide liegt nur vom Amnion, einer Schicht WHAETOx'scher Sülze, Peri-
toneum parietale bedeckt, ausserhalb der Bauchhöhle. Meist enthält der Bruch-
sack nur Darmschlingen und einen Theil oder die ganze Leber. Doch hat man
auch den Magen, den Pancreas, die Nieren, die Milz in ihm gefunden. Ver-
wachsungen zwischen ihm und Theilen seines Inhaltes, insbesondere der Leber
sind nicht selten. Sehr oft sind die Fälle von Nabelschnurbruch durch an-
dere Missbildungen leichterer oder schwererer Art complicirt, welche das Kind
entweder lebensunfähig machen oder schon intrauterin zu seinem Absterben
geführt haben. Die Insertion der Nabelschnur am Bruchsack ist meist excen-
trisch. Ihre Gefässe verlaufen zwischen Amnion und Peritoneum zur Bruch-
pforte; zuweilen fehlt eine Arterie.
Bezüglich der Entstehung der Nabelschnurbrüche ist zu bemerken, dass
sie vielleicht in einzelnen Fällen auf mechanischem Druck, bei den meisten
aber, wie schon erwähnt, auf eine Hemmungsbildung zurückgeführt werden
muss. Nach Ahlfeld steht letzterer in Beziehung zu dem Dotterstrang.
Gewöhnlich trennt dieser sich schon frühzeitig vom Ileum, so dass letzteres
sich in die Bauchhöhle des Embryo zurückziehen kann. Verzögert sich aber
diese Trennung oder kommt sie überhaupt nicht zu Stande, so wird der Schluss
der Bauchwand am Nabel verhindert.
Eine Spontanheilung eines Nabelschnurbruches ist möglich. Es sind
Fälle beobachtet worden, in welchen sich das Amnion losstiess, das Peritoneum
sich mit Granulationen bedeckte und die Wundfläche sich unter allmäliger
Retraction überhäutete. Durch aseptische Verbände, wenn völlige Reposition
des Inhaltes möglich, durch Heftpflaster-Compressivverbände hat man dieses
Heilbestreben der Natur zu begünstigen versucht. Immerhin ist die Mortali-
tät bei conservativem Verfahren eine so hohe geblieben, dass ihm die Radical-
operation des Bruches vorzuziehen ist, welche überraschend günstige Erfolge
aufzuweisen hat.
Es wird möglichst bald nach der Geburt und zwar streng aseptisch ope-
rirt. Nach Spaltung des Bruchsackes werden Adhäsionen desselben mit dem
Inhalt gelöst, eventuell zuvor unterbunden, der Sack bis in die Hautränder
resecirt, der Inhalt reponirt (gelingt die Reposition nicht, so muss die Wunde
noch nach oben und unten gespalten werden) und die Bauchwunde durch
tiefe und oberflächliche Nähte genau geschlossen. Schliesslich wird ein Jodo-
formgaze-Heftpflasterverband aufgelegt. graepe.
*) Vergl. Artikel „Hi/dramnios'^ pag. 372.
NACHGEBURT. 543
Nachgeburt heisst im gewöhnlichen Spracligeljrauch die Ausstossung
der Placenta nach Austreibung der Frucht am normalen Ende der Schwanger-
schaft oder auch, bei vorzeitiger Unterbrechung derselben.'^")
Unter physiologischen Verhältnissen und nach der recht-
zeitigen G e b u r t erfolgt diese Ausstossung kürzere oder längere Zeit nach-
dem das Kind geboren, entweder noch an der Nabelschnur befestigt oder
schon abgenabelt ist; der bereits nach Austreibung des Kindes bedeutend
verkleinerte Uterus beginnt sich nach einer Ruhepause aufs Neue energisch
zu contrahiren; durch diese Contractionen wird die Placenta von der sich
zusammenziehenden Ansatzfläche an der Innenwand des Uterus abgelöst und
zu Tage gefördert.
Die Vorgänge nach Ausstossung der Frucht bis zu vollendeter Ausstos-
sung der Placenta und ihrer Anhänge werden unter dem Begriff der Nach-
geburtsperiode zusammengefasst. Die Zeit, innerhalb welcher unter normalen
Verhältnissen die Nachgeburt auf die Geburt zu folgen pflegt, schwankt
zwischen einer Viertelstunde und zwei Stunden. Ausnahmsweise schliesst sich
die Ausstossung der Nachgeburt unmittelbar an die der Frucht an; ebenfalls
Ausnahme ist, ohne dass Anomalieen obwalten, die Verzögerung von Tagen
und sogar in einzelnen Fällen von Wochen. Dass solche Verzögerungen
ohne allen Schaden für die Wöchnerinnen vorkommen können, ist durch viel-
fache Beobachtungen erwiesen.
Der Mechanismus der Lösung und Ausstossung der Placenta ist (nach
B. Schultze) folgender: Durch die Uteruscontractionen wird zuerst der cen-
trale Theil der Placenta gelöst und der hiedurch zwischen Placenta und
Uteruswand entstehende Raum durch einen retroplacentaren Bluterguss aus-
gefüllt. Die weitere in Folge der wiederholten Contractionen eintretende
Verkleinerung des Uterus führt zu vollständiger Lösung der Placenta, welche
durch ihr Gewicht und die Kraft der Wehen umgestülpt, das heisst mit der
fötalen Fläche nach abwärts gedrängt wird, die Eihäute mit dem von ihnen
umschlossenen Bluterguss hinter sich herzieht und theils in Folge der Action
der Bauchpresse und der Scheidenmusculatur, theils in Folge ihrer eigenen
Schwere aus den Genitalien hervortritt.
Wenn, wie dies nicht selten der Fall ist, durch die Uteruscontractionen
zuerst die Peripherie der Placenta gelöst wird, so entleert sich der hiebei
entstehende Bluterguss sofort und die folgenden Contractionen vollenden die
Lösung. Die Placenta rückt dann mit ihrem unteren Rand nach abwärts und
wird mit vorangehender uteriner Fläche geboren (Duncan).
Die Trennung der Placenta geschieht auf Kosten der Uterusschleimhaut,
d. li. ein Theil der Decidua scrotina bleibt an den unversehrten Chorionzotten
sitzen, w^odurch die mütterlichen Blutgefässe eröffnet werden. Der mit der
Placentalösung verbundene Blutverlust schwankt innerhalb des Breitegrades
der Normalität zwischen Vi und V2 Liter Blut, kann aber auch ganz mini-
mal sein.
Bei der Behandlung der Nachgeburtsperiode soll der natürliche
Vorgang der Placentalösung nicht gestört werden, w^enn nicht bestimmte
Indicationen zum Einschreiten vorliegen. Zunächst wird, falls nicht durch
Asphyxie des Kindes die sofortige Abnabelung desselben geboten ist, das Auf-
hören der Pulsation im Nabelstrang abgewartet und dann derselbe nach dop-
pelter Unterbindung durchschnitten; das centrale Ende wird deshalb unter-
bunden, weil durch die Retention des Blutes in der Placenta in Folge ihres
grösseren Volumens die Ablösung von der Uterusw^and erleichtert wird, wäh-
rend die Trennung einer ausgebluteten schlaffen Placenta durch die Uterus-
contractionen nicht so rasch bewerkstelligt werden kann. Zur Vermeidung
*) Vergl. Art. ^Enthindting'^ pag. 231.
544 NACHGEBURT.
einer Erschlaffung des Uterus kann sein Fundus durch die aufgelegte Hand
überwacht werden und eventuell leicht gerieben werden. Wenn die Placenta
aus der Uterushöhle getreten ist, rückt der Fundus wieder mehr nach oben.
Nach einigem Warten tritt die Placenta aus dem unteren Uterinsegment in
die Yagina und wird meist spontan ausgestossen.
Bis in die neuere Zeit glaubte man diese Ausstossung nicht der Natur
überlassen zu dürfen; und die Verführung zu activem Vorgehen lag ja nahe
genug: Die durch die Geburtsschmerzen erschöpfte Frau Avollte möglichst
schnell zur Kühe kommen, und ebenso auch der oft müde Arzt (resp. die
Hebamme). Ganz zu verwerfen ist in dieser Hinsicht der von den Hebammen
zum schweren Schaden der Frauen immer noch häufig genug geübte Zug an
der Nabelschnur. Zurückbleiben von Placentar- und Eihautresten mit folgen-
der Blutung, Verjauchung und Infection sind nur zu oft die Folgen dieser
rohen Manipulation; gar nicht selten wairden durch das gewaltsame Heraus-
reissen der Placenta sogar Inversionen des Uterus herbeigeführt.
Die verbreitetste und rationellste Methode der künstlichen Entfernung
der Nachgeburt ist das Verfahren von Crede. Dasselbe besteht darin, dass
der Uterus, falls er nach Geburt des Kindes nicht contrahirt ist, durch Keiben
zur Contraction gebracht und dann, womöglich während einer stärkeren Wehe,
der Fundus mit den gespreizten Fingern umfasst, aufgerichtet, comprimirt
und gegen das kleine Becken hinabgedrückt wird. Auf diese Weise gelingt
es, bei der ersten oder bei den nächstfolgenden Wehen die Placenta zu ex-
primiren. Andernfalls muss gewartet und erwogen werden, ob nicht vielleicht
pathologische Verhältnisse ein Hindernis der Lösung bedingen.
Eine ähnliche Expressionstnethode stellt der Dubliner Handgriff dar: Eine Hand
umfasst, schon nach Geburt des Kopfes, den Fundus des in die Mittellinie gebrachten
Uterus, ülnarreihe nach hinten, Daumen auf die Vorderfläche. Compression und Druck
nach abwärts nur während der Wehe. Nach Geburt des Rumpfes und nach erfolgter Lö-
sung der Placenta Auspressen der letzteren aus der Scheide durch starken Druck nach
abwärts, eventuell leichten Zug am Nabelstrang nach hinten und unten, und wenn die
Placenta in der Vulva erscheint, nach vorn und oben; jeder stärkere Zug, besonders vor
Ausstossung der Placenta aus dem Uterus, ist zu vermeiden.
Gegen die gewohnheitsmässige Anwendung der CREDE'schen Methode
ist neuerdings von verschiedenen Seiten polemisirt worden, besonders von
Ahlfeld, indem auf die möglichen Gefahren, vor allem bei frühzeitiger An-
w^endung derselben, aufmerksam gemacht wurde (Schwierigkeit der Expression,
deshalb grosser Kraftaufwand und dadurch unnöthiges Trauma, Nachblutun-
gen, Zurückbleiben von Eitheilen, Zersetzung derselben und puerperale Er-
krankungen). Diesen Anschauungen haben sich u. a. Schröder, v. Winckel,
DoHRN, Freund, Kaltenbach angeschlossen. Eine Einschränkung des activen
Verfahrens hat gewiss volle Berechtigung. Die Natur verrichtet ihre Arbeit
meist besser als die Kunst, die es ihr zuvorthun will.
Wenn keine Indicationen zum Eingreifen vorliegen, so wartet man am
besten, besonders in Anstalten, wo genügendes Personal im Kreisszimmer zur
Verfügung steht. Fördern nach längerem Warten (^/a — 1 Stunde) die Uterus-
contractionen allein die Nachgeburt noch nicht zu Tage, so mag der Arzt,
zumal in der Privatpraxis, welche oft genug keine Zeitverschwendung gestattet,
durch Reiben und Compression des Fundus nachhelfen. Die aus der Scheide
tretende Placenta wird mit der vollen Hand gefasst und unter langsam drehen-
den Bewegungen abgenommen, damit die Eihäute folgen, ohne abzureissen.
Durch genaue Inspection überzeugt man sich, dass alles in toto abgegan-
gen ist.
Da bei der Trennung der Placenta vom Uterus ein Theil der Decidua
serotina mitgeht und die mütterlichen Blutgefässe eröffnet sind, so bluten
dieselben, falls sie nicht durch energische Uteruscontractionen geschlossen
werden. Der Uterus ist deshalb auch bei normalen Geburten in der ersten
NACHGEBURT. . 545
Zeit zu überwachen und, sobald er nicht mehr als harte Kugel über die
Symphyse gefühlt wird, durch Reiben zu Contractionen anzuregen (was oft
von intelligenten Frauen besser selbst besorgt wird als von den Hebammen).
Später stellen sich die spontanen Contractionen ein, besonders nach raschen
Entbindungen und von Mehrgebärenden als sogenannte Nachtvehen empfunden,
durch welche der Uterus noch mehr verkleinert und die puerperale Involution
desselben angebahnt wird.
Bei pathologischen Geburten (Zange, Wendung, Perforation etc.) verhält
sich die Nachgeburtsperiode im allgemeinen wie bei der normalen Geburt,
nur dass anderer Umstände wegen vielleicht etwas häufiger eine Besclileuni-
gung des Vorganges indicirt ist. Bei der Sectio caesarea muss die Placenta
selbstverständlich, falls sie an der vorderen Wand sitzt, zuerst, andernfalls
sofort nach Extraction der Frucht abgelöst werden. Ebenso ist bei Uterus-
ruptur die sofortige Entfernung der Placenta nothwendig, da nur dann durcli
die Contraction des Uterus die Blutung gestillt und der Ptiss geschlossen wird.
Störungen im Verlauf der Nachgeburtsperiode können in
Folge verschiedener durch das Verhalten der Placenta selbst bedingter patho-
logischer Verhältnisse hervorgerufen werden.
Der Prolaps der Placenta ist bei normalem Sitz derselben selten, kommt
manchmal bei Zwillingsgeburten vor. Die vorgefallene Placenta wird vor dem
Kind geboren, wodurch das letztere im höchsten Grad der Gefahr der Asphyxie
ausgesetzt ist und häufig todt zur Welt kommt.
Die vorzeitige Lösung der Placenta wird hauptsächlich bei Nephritis,
Morbus Basedowii, bei abnormer Kürze des Nabelstranges, aber auch ohne
auffindbare Ursache beobachtet und kann, wie sie schon vor und während
der Geburt des Kindes Blutungen bedingt, so auch nach vollendeter Aus-
stossung der Frucht (wenn nicht derselben — wie dies häufig der Fall — die
Nachgeburt unmittelbar folgt) weiteren Blutabgang unterhalten und dadurch
die Beendigung der Nachgeburtsperiode durch den ÜREDE'schen Handgrifi:
indiciren.
Die Placenta praevia führt, wenn sie nicht vor oder mit der Frucht
zugleich ausgestossen wird, in Folge ihrer theilweisen Ablösung ebenfalls zu
Blutungen und macht dann die Expression nach Ceede und eventuell nach-
her noch die Tamponade nöthig (s. „Placenta praevia'-^).
Die verzögerte Lösung, respective Pietention, der Placenta ist häufig
durch Wehenschwäche, seltener durch Contraction des unteren Uterinsegments,
sehr selten durch Verwachsung der Placenta mit der Uteruswand bedingt und
erfordert ärztliche Eingriffe, da sie meist mit Blutungen verbunden ist.
Dauert die Wehenschwäche, die sich gewöhnlich schon während der
Geburt geltend gemacht hat, in der Nachgeburtsperiode an, so wird in Folge
der mangelhaften Contraction der Placentarstelle die Nachgebmt nur theil-
weise gelöst, und es treten Blutungen ein. Sehr häufig wird hiebei die Blu-
tung, wenn sie rasch erfolgt und der Fundus uteri nicht durch die aufgelegte
Hand überwacht ist, zu einer inneren; der Uterus wird durch den Bluterguss
wieder fast bis auf das frühere Volum ausgedehnt; der Puls der Frau wii'd
schwach, das Gesicht blass, es stellt sich das Gefühl der Ohnmacht ein.
Dieses Ereignis kann bei gehöriger Aufmerksamkeit vermieden werden. Ist
es eingetreten, so muss das ergossene Blut durch Compression des Uterus
entfernt werden, wobei oft auch die Placenta mitgeht. Zögert der Eintritt
von Uteruscontractionen und der Abgang der Placenta unter Fortdauer der
Blutung, so ist der Fundus zu reiben und der CREDE'sche Handgriff' in ent-
sprechenden Pausen zu wiederholen, wobei man zugleich innerlich Seeale
geben und heisse Scheidendouchen in Anwendung bringen kann. Auf diese
Weise wird die Entfernung der Nachgeburt in derartigen Fällen stets gelingen.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynäkologie. 35
546 NACHGEBURT.
Manchmal kommen nach Ausstossung der Frucht unregelmässige Uterus-
contractionen zu Stande, so dass der Fundus schlaff bleibt, das untere Uterin-
segment aber zusammengezogen wird und der Contractionsring den Austritt
der Placenta verhindert. Besteht dabei Blutabgang, so ist die Entfernung der
Placenta ebenfalls in der obigen Weise, eventuell unter Beihilfe der Chloro-
formnarcose, zu bewerkstelligen. Eine länger dauernde Retention ohne Blu-
tung bildet zunächst keine Indication zum Einschreiten. Nur wenn sich die-
selbe bis auf 24 Stunden hinzieht, muss die Placenta, wenn die einfachen
Manipulationen nicht zum Ziel führen, manuell entfernt werden, weil sonst
der Cervix seine Dehnbarkeit verliert und dem Eindringen der Hand Schwie-
rigkeiten bereitet.
Die Lösung der Placenta mittelst der eingeführten Hand
wurde früher viel häufiger vorgenommen als jetzt. Sie ist fast nur bei Ver-
wachsung derselben mit der Uteruswand (in Folge von Endometritis oder
auch entzündlichen Processen in der Placenta selbst), einem sehr seltenen
Ereignis, indicirt und stellt einen durchaus nicht ungefährlichen Eingriff dar,
welcher die peinlichste Antiseptik dringend erfordert. Man geht, während
man sich den Fundus entgegendrückt, dem Nabelstrang entlang mit der
zusammengelegten Hand in den Uterus ein und trennt mit dem Ulnarrand
derselben die meist an der vorderen oder hinteren Wand, und wenn seitlich,
häufiger rechts als links sitzende Placenta unter sägenden Bewegungen von
oben nach unten von ihrer Haftstelle ab. Dabei muss man sich hart an die
Uteruswand halten, um nicht die Trennung in der Substanz der Cotyledonen
vorzunehmen. Hierauf extrahirt man die Placenta mit der vollen Hand, löst
sofort etwa noch zurückgebliebene Stücke und bringt den Uterus durch Reiben
zur Contraction. Hildebrandt empfiehlt, die Ablösung innerhalb der Ei-
häute auszuführen — eine unnöthige Erschwerung der ohnehin nicht ganz
leichten Operation.
Auch Placentae succenturiatae*) können manchmal wegen Blu-
tungen die Indication zur künstlichen Lösung geben; sollte diese auf Schwie-
rigkeiten stossen, so wäre unter Umständen die Jodoformgazetamponade des
Uterus in Anwendung zu bringen.
Entsteht in der Nachgeburtsperiode bei schlaffem Organ durch Zug am
Nabelstrang oder durch Druck von oben eine Inversio uteri, so kann die Pla-
centa noch festsitzen; so dass keine Blutung erfolgt; ist sie aber in grösserer
Ausdehnung gelöst, so treten stürmische, lebensgefährliche Blutungen auf.
Im ersten Fall wird sie mit sammt dem Uterus reponirt, im zweiten Fall
löst man sie vorher ganz ab und nimmt dann die Reposition des Uterus vor.
Sofort nach der Geburt der Placenta können pathologische Verhältnisse
in die Erscheinung treten, die nicht nur den weiteren Verlauf des Wochen-
bettes ungünstig beeinflussen, sondern vor allem in acutester Weise das Leben
der Entbundenen durch heftigen Blutverlust gefährden. Dies sind in erster
Linie die oft schwer zu stillenden Blutungen aus der Placentarstelle, welche
hauptsächlich bei Vorhandensein von Geschwülsten (Carcinomen, Myomen)
dadurch zu Stande kommen, dass sich der Uterus nicht allseitig concentrisch
zusammenziehen kann und somit die Lumina der mütterlichen Gefässe klaffen.
Sehr bedenklich sind ferner die Blutungen, welche durch Atonie oder
durch Paralyse des ganzen Uterusmuskels in Folge von mangelhafter Ent-
wicklung oder mangelhafter Innervation desselben hervorgerufen werden. Der
Uterus, dessen Wandungen sich kaum oder gar nicht contrahiren, wird durch
das ergossene Blut bis über den Nabel ausgedehnt und ist oft so schlaff, dass
man ihn nur undeutlich durch die Bauchdecken durchfühlt. Bald kann er
*) Vergl. Artikel „Nahelschnur — Nahelschnuranomalien" ,
NACHGEBURT. 547
das Blut nicht mehr fassen, und dasselbe stürzt in schweren Fällen in Strö-
men aus der Vulva.
Man hat bei all diesen Blutungen zunächst den Uterus tüchtig zu reiben
und ähnlich wie bei der CREDE'schen Methode zu comprimiren und compri-
mirt zu halten. Dabei sind kalte oder heisse Irrigationen seiner Höhle, E'm-
l'ühren von Eisstücken, von in Chloroform getränkter Watte etc. zu ver-
suchen. Nebenbei werden einige subcutane Ergotininjectionen gemacht. Doch
halte man sich mit diesen Maassnahmen nicht auf, da die grösste Gefahr im
Verzug ist. Compression der Bauchaorta, Compression des Uterus gegen die
Wirbelsäule, bimanuelle Compression desselben, besonders aber Einführen einer
Faust in die Höhle und energisches Reiben der Uteruswandungen über der-
selben von aussen können zur Sistirung der Blutung führen. Kasch und zu-
gleich dauernd aber lässt sich die Blutung durch die DüHRSSEN'sche Jodo-
lormgazetamponade des Uterus stillen, mit der in schweren Fällen nie gezö-
gert werden soll. Um die Contraction des Uterus noch mehr anzuregen,
lässt man sofort die Tamponade der Scheide mit Carbol- oder Salicylwatte
folgen. Der Uterus muss dabei so lang von den Bauchdecken aus überwacht,
gerieben und geknetet werden, bis er von selber fest contrahirt bleibt, weil
sich sonst trotz der Tamponade eine grosse Menge Blutes in demselben an-
sammeln und die Frau, ohne dass ein Tropfen Blut ergossen wird, an dieser
inneren Blutung zu Grunde gehen kann. (Bezüglich der Technik der Jodo-
formgazetamponade V. Artikel „Blutungen in der Geburtshilfe'' pag, 127.)
Unsicher und sehr gefährlich sind die von manchen Seiten empfohlenen in-
trauterinen Injectionen von Liquor ferri sesquichlorati, zumal in concentrirter
Lösung, sowie die Einlegung von in dieser Lösung getränkter Watte —
wegen der Gefahr der Thrombose und Embolie.
Die acute Anämie und drohende Herzparalyse bei solchen Blutungen
wird bekämpft durch niedrige Lagerung des Kopfes, heisse anregende Ge-
tränke, Aetherinjectionen, Autotransfusion durch Erheben der Beine oder Ein-
wicklung derselben mit EsMARcn'schen Binden, ferner durch Rectalinjectionen,
subcutane oder intravenöse Infusionen warmer physiologischer Kochsalzlösung,
eventuell später Bluttransfusion.
Dauern in der Nachgeburtsperiode trotz vollständiger Ausstossung der
Placenta und guter Contraction des Uterus Blutungen fort, so ist ihre Quelle
in einem Riss des Cervix, des Scheidengewölbes oder des Introitus vaginae
(am Damm oder in der Nähe der Clitoris) zu suchen. Diese Blutungen
werden durch Naht oder Umstechung der verletzten Theile gewöhnlich leicht
gestillt. Nachblutungen in der ersten und späteren Zeit des Wochenbettes sind
meist durch Zurückbleiben von Placentar- und Eihautresten (aus zurückgeblie-
benen Cotyledonen können sich die sogenannten Placentarpolypen entwickeln)
bedingt und werden durch die Entfernung derselben mittelst der Curette ge-
hoben (s. Artikel „Placentar- und Eihautreste'-').
Etwas anders als nach der rechtzeitigen Entbindung verhält es sich mit
der Ausstossung der Nachgeburt bei vorzeitiger Unterbrechung der
Schwangerschaft. Da die Placenta sich im vierten Monat ausgebildet
hat, so kommt sie von da an beim Abort oder bei der Fehlgeburt, wie man
die Unterbrechung der Gravidität vom Ende des vierten bis gegen den sie-
benten Schwangerschaftsmonat besser bezeichnet, ebenfalls in Betracht. Da
sie aber in diesem Zeitraum in Folge ihrer geringeren Entwicklung, sowie
der ungenügenden Ausbildung und Vorbereitung des Fruchthalters meist nicht
so leicht gelöst und ausgetrieben wird, wie dies nach der normalen Entbin-
dung die Regel ist, so bietet das Verhalten der Nachgeburt in solchen Fällen
gewisse Unterschiede von dem bei der rechtzeitigen Geburt. In je späterer
Periode der Schwangerschaft die Fehlgebui't eintritt, umso mehr nähert sich
35*
548 NACHGEBURT.
natürlich der Vorgang der Placentarlösung demjenigen bei der Frühgeburt,
resp. der rechtzeitigen Niederkunft.
Zur Unterbrechung der Schwangerschaft gibt oft genug die Placenta
selbst durch Degeneration, Apoplexie, falschen Sitz die Veranlassung, (v. Ar-
tikel ,,Placentaanomalien'^) In anderen Fällen stirbt die Frucht primär ab,
wodurch bälder oder später die Ausstossung des Eies herbeigeführt wird.
Dasselbe wird vom dritten Monat an selten in toto ausgestossen. Gewöhnlich
geht der Fötus zuerst ab, indem die Fruchtblase springt; hierauf folgt nach
kürzerer oder längerer Zeit die Nachgeburt mit den Eihäuten. Häufig zö-
gert der Abgang derselben, weil sich der Uterus noch nicht so energisch
contrahirt wie am Ende der Schwangerschaft. So kann die Ausstossung der
Nachgeburt nach Tagen oder erst nach Wochen erfolgen, bald in toto, bald
in einzelnen Stücken, manchmal fast ohne Blutabgang, oft mit geringem" und
oft auch mit bedeutendem Blutverlust.
Während das eine Mal der Abgang der Placenta sich trotz längerer
Verzögerung ohne wesentliche Störung des Allgemeinbefindens der Frau voll-
zieht, tritt das andere Mal eine Gefährdung der Gesundheit und des Lebens
ein, nicht nur durch abundante Blutungen, sondern auch durch septische
Vorgänge in Folge der Zersetzung zurückgebliebener Placentartheile. Letztere
können überdies im Wochenbett Veranlassung zu pathologischen Wucherungen
geben (v. Artikel „Placetitar- und Eihaub-este'-^).
Was das therapeutische Einschreiten bei zögerndem Abgang der Nach-
geburt betriift, so stehen sich hier zwei Richtungen gegenüber. Die einen,
wie Martin, Fehling, Kleinwächter u. s. f., entfernen die Placentartheile
stets, auch wenn keine Blutung besteht, möglichst rasch durch Ausräumung
mit dem scharfen Löffel und schliessen zugleich die Auskratzung der Uterus-
schleimhaut und sogar die Ausätzung der Uterushöhle an — wenn nöthig
unter Vorausschickung der instrumentellen Dilatation des Cervicalcanals.
Nicht nur die Blutung, sondern auch das Vorhandensein von Sepsis betrachten
sie geradezu als Indication für die Anwendung des scharfen Löffels. Die
anderen, wie Veit, Schauta und besonders v. Winckel, empfehlen ein mehr
exspectatives Verfahren, indem sie zu bedenken geben, dass wir mit Fingern
oder Instrumenten die Placenta niemals in so reiner und vollkommener Weise
von der Uteruswand ablösen können, wie dies die Natur durch die allmälig
wirkenden Uteruscontractionen besorgt. Sie überlassen also, wenn keine In-
dication zum Eingreifen besteht, den Vorgang der Natur, indem sie höchstens
für desinficirende Ausspülungen sorgen. Bei Blutungen wenden sie die Tam-
ponade an, bei Verjauchung die manuelle Ausräumung; zurückgebliebene
Reste werden durch intrauterine Carbolirrigationen unschädlich gemacht. Den
scharfen Löffel verwerfen sie, weil einmal die Entfernung aller Placentartheile
unsicher ist, und dann, besonders bei Sepsis, seine Anwendung im puerperalen
Uterus gefährlich werden kann, dadurch, dass er den Infectionsstoften neue
Eintrittspforten eröffnet.
Nach zwanzigjährigen Erfahrungen über mehr exspectatives, sowie über
mehr actives Verhalten und nach zahlreichen Beobachtungen des von unge-
übten, aber auch von geübten Händen in der Privatpraxis, wie in Anstalten
durch die Currette [angerichteten Unheils muss der Verfasser den Ansichten
V. Winckel's vollständig beipflichten und kann hauptsächlich dem Praktiker
als einfach und zuverlässig folgendes stets mit Vortheil erprobtes Verfaliren
empfehlen:
Wenn weder Blutung noch Fieber ein Eingreifen indicirt,
wartet man nach Abgang des Fötus ruhig ab, bis die Placenta
von selbst folgt. Besonders bei noch nicht genügend eröffnetem Cervix
unterlässt man jeden Versuch einer manuellen Entfernung, vor allem auch
jede Dilatation des Cervicalcanales, da dieselbe in Folge der Uteruscontrac-
NACHGEBURT. 549,
tionen spontan viel besser und ausgiebiger zu Stande kommt. Ist die Pla-
€enta bereits im eröffneten Muttermund erschienen, so wird sie nur entfernt,
wenn dies ganz leicht geht. (Manchmal gelingt die bimanuelle Expression
nach Höning: im vorderen Scheidengewölbe werden zwei Finger gegen den
Uteruskörper gesetzt und derselbe von den Bauchdecken gegen diese Finger
compiimirt.) Nie dürfen Extractionsversuche vorgenommen werden, wenn die
Placenta noch fest im Collum steckt, da man sonst nur Stücke abreisst und
die vollständige Lösung stört md verzögert.
Wenn Blutungen zu möglichst rascher Entleerung des Uterus drängen
oder wenn man wegen grösserer Entfernung die Frau niclit sich selbst über-
lassen will, so kommt in erster Linie die Tamponade der Scheide in Betracht.
Dieselbe wird mittelst eines langen Streifens von Jodoformgaze oder Verband-
watte (die man an ihrem Ende, resp. Anfang mit Jodoform bestreut) ohne
Speculum und ohne Instrumente vorgenommen. Der Tampon muss das ganze
Scheidengewölbe vollständig ausfüllen und mit einiger Kraft fest in dasselbe
gestopft werden. Dadurch wird die Blutung sicher gestillt, zugleich werden
Uteruscontractionen angeregt, und wenn man den Tampon nach 8 — 12 Stun-
den entfernt, findet man in der Regel die ganze Placenta sammt den Eihäuten
hinter demselben liegen.
Wenn dies nicht der Fall ist, und wenn gar stärkere Blutungen
eintreten, so tamponirt der Verfasser, nach vorausgehender Desinfection der
Vagina, im Speculum die ganze Uterushöhle mit einem langen ca. 5 cm breiten
Jodoformgazestreifen vollständig aus. Mit der Sonde oder mit der Komzange
wird in den durch eine Hakenpincette fixirten Uterus so viel Gaze eingeführt
als sich ohne zu grosse Kraft einbringen lässt. Im Anschluss hieran wird
zweckmässig auch noch das Scheidengewölbe tamponirt. Dieses Verfahren
ist schonender, ungefährlicher und sicherer als die manuelle oder gar instru-
mentelle Ausräumung des Uterus. Der die ganze Uterushöhle ausfüllende
Tampon stillt die Blutung unfehlbar, da der Uterusmuskel um diese Zeit
nicht erschlaffen kann wie bei der Atonia uteri nach rechtzeitiger Geburt;
zugleich erregt er als Fremdkörper energische Contractionen, welche die
Placenta dem natürlichen Vorgang entsprechend lösen, so dass dieselbe bald
zusammen mit dem Tampon ausgestossen wird. So wird am besten die Re-
tention von Eiresten verhindert und zugleich die Rückbildung des Uterus ein-
geleitet.
Ist Zersetzung der Placenta mit Fieber und septischen Erschei-
nungen eingetreten, so nimmt der Verfasser nach einer intrauterinen Carbol-
irrigation ebenfalls die Tamponade der Uterushöhle vor. Der Jodoformgaze-
streifen wird zuvor an einem vorangehenden Ende 20— 25 cm weit in Carbol-
campher 1 : 3, eine nicht ätzende, stark antiseptische und wenig giftige Lö-
sung, getaucht. Die Wirkung ist eine vorzügliche; die Nachgeburt wird ge-
wöhnlich in kurzer Zeit unter vollständiger Entfieberung ausgestossen. Sollte
die Ausstossung keine vollkommene sein oder die Temperatur wieder an-
steigen, so werden wiederholte oder permanente Carbolirrigationen der Uterus-
hohle vorgenommen. Vor und besonders nach Abgang der Placenta kann man
Ergotin und später auch Hydrastis canadensis anwenden, um stärkere Uterus-
contractionen anzuregen und die puerperale Involution zu beschleunigen.
Bei verschlepptem und verzetteltem Abgang von Placentarstücken, wenn
schon ein längerer Zeitraum nach Beginn der Fehlgeburt verflossen ist und
Blutabgang auf das Vorhandensein von Eiresten hinweist, wird am besten,
eventuell nach vorhergeschickter Dilatation des Cervix (Feitsch's Dilatatorien
oder Jodoformgaze), die Entfernung der Massen mittels der Curette *) ausgeführt.
EDGAE KURZ.
*j Vergl. Artikel ^Curettetnent^, pag. 175.
550
NÄHTE AM KINDESSCHÄDEL.
Fig. 1.
Z =
Nähte am Kindesschädel. Die Knochen, welche das feste Gehäuse
des Schädels bilden, sind beim Kinde, wegen des noch nicht vervollstän-
digten Ossificationsprocesses, mittelst membranöser oder knorpeliger Zwischen-
stellen verbunden. An den Knochenrändern bezeichnet man diese als Nähte
(suturae), die Zwischenräume zwischen mehreren Knochen hingegen mit Fon-
tanellen (fonficiUi). Ersteresind: 1. Die Kronen- oder Kranznaht (sufura
coronalis) gebildet vom kreisförmigen Rande des Stirnbeines und den Scheitel-
■„^--^ beinen. 2. Die Pfeil naht {sutura
sagiUalis s. interparietalis) zwischen
den oberen Rändern der beiden
Scheitelbeine; sie setzt sich in die
'6. Lambdanaht {sutura lambdo-
idea) fort, zwischen den hinteren
Rändern der Scheitelbeine und der
Hinterhauptsschuppe; endlich wird
das Stirnbein durch die Stirnnaht
{sutura frontalis) als Fortsetzung der
Pfeilnaht nach vorne bis zur Nasen-
wurzel in zwei Hälften getheilt.
In der Mitte der Kranznaht
zwischen Stirnbein und den Seiten-
wandbeinen findet sich der grösste,
etwa 2 cm breite und ebenso lange
rhombische Zwischenraum, dessen
Spitze in die Stirnnaht verläuft; er
heisst 1. die grosse Fontanelle
{fonticulus major); fonticulus, weil
die Alten unter seiner Pulsirung die
Lebensquelle vermutheten. Verfolgt
man die Kranznaht zu bei-
den Seiten nach abwärts, so
kommt man an die von
Stirn-, Schläfen- und Keil-
bein begrenzte Lückenräume;
die beiden vorderen
Seitenfontanellen(/o?2-
ticuli laterales anteriores).
Entlang der Pfeilnaht
und von der Hinterhaupts-
schuppe begrenzt findet sich
beim Fötus eine dreieckige
langausgezogene Lücke, die
sogenannte kleine Fon-
tanelle {fonticulus minor),
die bei ausgetragenem Kinde
nurmehr als Vertiefung zu
fühlen ist.
Der Lambdanaht ent-
lang gegen die Schädelbasis
zu stösst man ~ auf die
beiderseitigen, viereckigen, hinteren Seit enfontanellen (/b?/i^icu/e Za^e-
rales po4'rior's), von dem Schläfe-, Seitenwand- und Hinterhauptsbein begrenzt.
Sowohl die Nähte als auch die Fontanellen sind für den Dm'chtritt des Kindes-
schädels aus den Geburtswegen von hoher Wichtigkeit. Während die Nähte
ein Aneiuaiidertreten der Knochen um mehrere Millimeter gestatten, erlaubt
Fontanellen und Nähte am Kindesscliädel,
von oten gesehen.
grosse Fontanelle; II = kleine Fontanelle
i = Kronen- oder Kranznaht. 2 ^ Pfeilnaht, übergehend
in 3 = Lambdanaht. 4 = Stirnnaht.
Pig. 2. Fontanellen und Nahte am Kindesschadel,
von der Seite gesehen.
J Grosse Fontanella, II. Kleine Funtane'la, III. Linke
vordere Seite ifontanella, IV. = linke hintere Seitenfon-
tanelle; 1 = Krahn- oder Kranznaht, 2 = Pfeilnaht
übergehend in 3 = Stirnnaht.
NARCOSE IN DER GEBURTSHILFE. 551
die grosse Fontanelle eine Verschiebung des Stirnbeines unter die Schläfebeine,
ebenso die vorderen Seitenfontanellen ein Aneinanderrücken der übrigen
Knochen, wodurch diese sich dem Geburtscanal leichter anpassen, die
Querdurchmesser des Kindesschädels zugleich eine beträchtliche Itcduction er-
fahren müssen, und dann der Schädel den auf ihn ausgeübten Druck
leichter erträgt.
In diagnostischer Beziehung kommen sowohl die Nähte als die
Fontanellen in Anbetracht; man erkennt an ihnen, oft noch vor eröffnetem
Muttermunde den kindlichen Schädel und bestimmt daraus die Lage des Kindes
im Uterus. elischer.
NarCOSe in der Geburtshilfe. Es ist eine Thatsache, dass der Prak-
tiker die Narcose in der Geburtshilfe fast gar nicht verwendet, eine Thatsache,
die bedingt ist durch die Scheu, die Narcose selbst zu unternehmen, und die
Schwierigkeit, rasch einen Collegen herbeizuschaffen. Meiner Ansicht
nach kann der Arzt recht gut ausser der geburtshilflichen Ope-
ration auch die Narcose übernehmen. Ich bin stets, wo ich nur
auf die Hilfe der Hebamme angewiesen war, so vorgegangen, dass ich die
Patientin zweckmässig lagerte, mich selbst, dann die Patientin desinficirte und
jetzt ausschliesslich an die Narcose heranging. War die Narcose völlig er-
reicht, also nach Aufhören des Cornealreflexes, so desinficirte ich mich noch
einmal und ging dann an die eigentliche Operation heran.
Die Kürze der meisten geburtshilflichen Operationen erlaubt es häufig,
die ganze Operation in der so erzeugten Narcose zu beenden. Dauert die
Operation voraussichtlich länger, so zieht man die Zunge mit einem feinem
Muzeux vor und weist die Hebamme an, zeitweise 1 — 2 Tropfen Chloroform
auf die Maske aufzugiessen und das nicht eher zu wiederholen, als bis die
Maske überhaupt nicht mehr nach Chloroform riecht. So vermeidet man die
schweren Asphyxien nach bereits erzielter tiefer Narcose, die zu reichlicher
Chloroformdarreichung ihre Entstehung verdanken — und gegen die Asphyxien
im Beginn der Narcose ist man völlig gerüstet, so lange man sich aus-
schliesslich der Narcose widmet. Geht man in dieser Weise vor, so ist bei
unglücklichem Ausgang ein Conflict mit dem Strafgesetzbuch ausgeschlossen.
Der Werth der Narcose in der Geburtshilfe besteht in folgendem:
1. Bei sehr empfindlichen, resp. durch dauernde Schmerzen ungebärdigen
Personen ermöglicht uns erst die Narcose, die in diesen Fällen meistens nur
eine oberflächliche zu sein braucht, eine richtige Diagnose; sie ermöglicht es,
die wichtige Frequenz der kindlichen und mütterlichen Pulsschläge festzustellen,
und zwar letzterer unbeeinflusst durch psychische Erregung der Kreissenden.
Sie allein gestattet bei straffen, engen Genitalien die ausgiebige Austastung
des Beckens zur Feststellung der inneren Beckenmaasse, des Tiefstandes und
der Einstellung des Kopfes. Die Möglichkeit, in Narcose den Kopf ausgiebig zu
betasten, lässt uns selbst bei grosser Kopfgeschwulst den Verlauf der Nähte
und den Stand der Fontanellen erkennen. Die auf diese Weise in Narcose
erhobenen Befunde, welche von den früheren oft erheblich abweichen, geben
uns vielfach sehr wichtige Anhaltspunkte für die richtige Therapie.
2. Die tiefe Narcose unterstützt die eigentliche geburts-
hilfliche Therapie. Sehr wichtig ist in dieser Beziehung die Ausschaltung
der Bauchpresse, durch welche wir in den Stand gesetzt werden, die innere
Hand durch Entgegendrängen des Uterus mit der äusseren Hand zu unter-
stützen und hierdurch die innere, die combinirte Wendung, die Placentar-
lösung bei Aborten oder nach normaler Geburt wesentlich zu erleichtern, resp.
überhaupt zu ermöglichen. Die Ausschaltung der Bauchpresse durch die Nar-
cose ermöglicht ferner in manchen Fällen die Reposition von Tumoren, die
den Beckencanal verlegen, in das grosse Becken — sie ermöglicht ferner bei
552 NAECOSE IN DER GEBURTSHILFE.
Steisslagen das Herausdrängen des Steisses aus dem Becken in all den Fällen,
wo der Steiss noch nicht tief genug steht, um manuell extrahirt werden zu
können. Ist also bei feststehendem Steiss unter diesen Umständen die Ex-
traction nöthig, so lässt sich durch die tiefe Narcose die gefährliche, respective
schwierige Anwendung des stumpfen Hakens oder der Schlingen oder ander-
weitiger Zuginstrumente ganz umgehen, da man in der Lage ist, die Steiss-
lage in eine Fusslage umzuwandeln und die leichte Extraction am Fuss zu
machen.
Die tiefe Narcose erleichtert ferner das Eindringen einzelner Finger, resp.
der ganzen Hand in den mangelhaft erweiterten Muttermund. Man hat hier
manchmal den Eindruck, als ob die Narcose einen bestehenden Krampf be-
seitigte.
3. Die Narcose wirkt als selbständiges therapeutisches
Agens, indem sie die Geburt beschleunigt. Die bei normalen Geburten an-
gestellten Untersuchungen von v. Winckel, Poullet und Dönhoff kommen zu
dem entgegengesetzten Resultate, indessen sind diese Untersuchungen bei Krei-
ssenden aus den unteren Classen angestellt. Ich verfüge über eine ganze
Eeihe von Beobachtungen, wo bei sensiblen Erstgebärenden der höheren Classen
die Geburt gegen Ende der Austreibungszeit trotz guter Wehenthätigkeit
stillstand, weil die Kreissenden aus Angst vor den vermehrten Schmerzen die
Bauchpresse nicht spielen Hessen. Eine ganz leichte Narcose, die in Auf-
giessen von wenigen Tropfen Chloroform im Beginne der Wehe bestand und
nicht einmal völlige Analgesie herbeiführte, genügte in diesen Fällen, um die
Bauchpresse in Thätigkeit zu setzen und die Geburt rasch zu beenden.
Für solche Fälle, die an der Grenze des Normalen stehen, empfehle ich
die Narcose gegen Ende der Geburt zur Beseitigung des Geburtsschmerzes
und zur hiedurch erzielten Beschleunigung der Geburt. Aus denselben Gründen
wende ich in der Eröffnungsperiode die leichte Narcose bei Krampf wehen
an, in Fällen also, wo die Wehenthätigkeit nur schwach ist, wo aber die
Wichen excessiv schmerzhaft sind, und wo auch in der Wehenpause der Uterus
nicht ordentlich erschlafft. In diesen Fällen habe ich gesehen, dass bei mi-
nimalem Chloroformverbrauch der auf 1 — 2 cm geöffnete Muttermund sich
binnen 2 — 3 Stunden völlig erweiterte, und bald darauf die Geburt erfolgte,
nachdem die Kreissenden vorher schon Tage lang in Geburtsschmerzen ge-
legen hatten, ohne dass die Geburt Fortschritte machte.
4. Zur Beseitigung des Geburtsschmerzes allein, bei regel-
mässiger Wehenthätigkeit und guter Action der Bauchpresse, soll die Narcose
nur bei ganz excessiven Schmerzen angewendet werden, wenn gutes Zureden,
Ermahnungen und der Gebrauch von Morphium, Opium oder Chloral nichts
helfen. Auch soll die Narcose in diesen Fällen nicht über 4 Stunden aus-
gedehnt werden, da ich mehrmals bei längerer Narcose plötzlich eine Ab-
schwächung der kindlichen Herztöne constatirte, und mittels Zange die Kinder
tief soporös extrahirte. Diese Thatsache kann nicht Wunder nehmen, seitdem
Zweifel den Uebergang von Chloroform in das fötale Blut nachgewiesen hat.
Sie fordert bei längeren Narcosen zu sorgfältiger Ueberwachung der kind-
lichen Herztöne auf.
Um zu recapituliren, so empfehle ich eine kurze, aber tiefe Nar-
cose bei den meisten geburtshilflichen Operationen — bei der
Zange genügt häufig eine leichtere Narcose — und für manche innere
Untersuchungen zwecks genauer Diagnosenstellung, eine län-
gere, aber nur oberflächliche Narcose, zur Beschleunigung der
Geburt bei gewissen Anomalien der austreibenden Kräfte oder
zur Beseitigung ganz excessiver Wehenschmerzen bei sonst
normaler Geburt.
NEPHRITIS GRAVIDARUM. 553
Herzfehler, Lungen-, Nicrenkrankheiten contraindiciren im Allge-
meinen die Narcose, als speciclle Contraindi cationen nenne ich Sepsis,
Eklampsie, Tetanus uteri, acute Anämie. In all diesen Fällen kann ich nur
eine unter allenCautelen instituirte, kurze Narcose zwecks möglichst
rascher Beendigung der Geburt für cmpfehlenswerth halten (v, Artikel
Die Aethernarcose Kreissender darf Nachts wegen der Explosionsgefahr
nicht ausgeführt werden. Uebrigens entwickelt auch aus Chloroform bei Petro-
leum- und Gaslicht freies Chlor und Salzsäure (Stohwasseu, Kyll), die so-
gar zu Lungenentzündungen (Zweifel) führen können. In kleinen Räumen ist
daher nach der Entbindung auf gründliche Lüftung zu sehen. Hierauf werden
allerdings auch Laien von selbst durch die unerträgliche Atmosphäre ver-
anlasst, die häufig zu starkem Reizhusten führt. dührssen.
Nephritis gravidarum. Hiemit bezeichnet man verschiedene Krankheits-
zustände, nämlich :
1. Die Schivang er Schaftsniere Leyden's.
2. Die rilckfällige Schivangerschaftsniere.
3. Eine in der Schwangerschaft entstandene wirkliche Nephritis.
4. Eine in die Schwangerschaft mit hineingenommene chronische Nephritis.
Einfache Albuminurie kommt nach klinischen Zusammenstellungen in
circa 57o bei Schwangeren vor.
ad 1. Die Schwangerschaftsniere ist die häufigste Erkrankung.
Ihre Symptome bestehen darin, dass meistens bei I.-paris in der zweiten
Hälfte der Schwangerschaft, und zwar am häufigsten in den letzten Wochen der
Schwangerschaft bei den bisher ganz gesunden Schwangeren Hydrops und Al-
buminurie auftritt. Der Hydrops ist in der Mehrzahl der Fälle ein Hydrops
anasarca, der ganz ausserordentlich hochgradig werden kann, so dass die Beine
ganz unförmlich anschwellen, und die Schwangere weder gehen noch sitzen kann.
Selten ist auch Ascites vorhanden. Der Urin ist in seiner Menge vermindert
und enthält reichlich Albumin, meistens auch Formelemente, Cylinder,
Nierenepithelien, weisse Blutkörperchen und rothe, letztere gewöhnlich nur in
geringer Anzahl. In vielen Fällen macht der beschriebene Zustand der Schwan-
geren so wenig Beschwerden, dass sie gar keine ärztliche Hilfe nachsuchen.
Die Erkrankung dauert dann in günstigen Fällen nur bis zur Geburt, die
rechtzeitig eintritt. Nach der Geburt wird der Urin sehr reichlich, und binnen
wenigen Tagen verschwinden die Oedeme und die Albuminurie vollständig.
Immer jedoch besteht bei den Fällen von Schwangerschaftsniere, die ohne
rationelle Behandlung bleiben, die Gefahr des Ausbruchs der Eclampsie
(cf. Artikel „ Eclamp)sie'^). Dieses Ereignis ist zu fürchten, wenn die Urinmenge
plötzlich bedeutend abnimmt, wenn sich Kopfschmerzen, Uebelkeit, Magen-
schmerzen, Erbrechen, Dunkelwerden vor den Augen, Amaurose einstellen.
Die Eclampsie tritt vielfach vor der Geburt auf und führt zur Frühgeburt oder
die Schwangerschaft erreicht ihr normales Ende und erst im Verlauf der Ge-
burt kommt es zu eclamptischen Krämpfen.
Eine andere ungünstige Folge der Schwangerschaftsniere ist der Fort-
bestand der Albuminurie auch nach der Geburt.
Der der Schwangerschaftsniere zu Grunde liegende Krankheitsprocess
besteht nicht in einer wirklichen Nephritis, sondern nach Leydex in einer ein-
fachen Anämie der Niere, welche zu Fettinfiltration der Nierenepithelien,
besonders in den gewundenen Canälchen, und zu den beschriebenen Störungen
der Urinsecretion führt. Es handelt sich somit nicht um eine Destruction des
Nierengewebes, nicht um eine fettige Degeneration mit Zerfall der Zellen,
sondern um eine einfache, durch die Schwangerschaft bedingte functionelle
Störung, die nach Ablauf der Schwangerschaft in der Regel verschwindet.
554 NEPHRITIS GRAVIDARUM.
Woher stammt nun die Anämie der Niere? Mit Spiegelberg, Cohn-
HEiM und Osthoff sehe ich die Ursache der Anämie in einem Krämpfe der
Nierenarterien, welcher reflectorisch durch die Reizung sensibler Nerven des
Genitaltractus erzeugt mrd. Als Reize sind zu nennen die Schwangerschafts-
wehen, starke Ausdehnung des Uterus, Eintritt des Kopfes in das Becken.
Alle diese Reize machen sich erst in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft
geltend, womit die Thatsache gut übereinstimmt, dass die Schwangerschafts-
niere eine Erkrankung der letzten Monate der Schwangerschaft darstellt.
Durch Summirung der Reize oder durch einen ungewöhnlich starken Reiz
kommt es dann zu einer derartigen Anämie der Niere mit consecutiver Er-
nährungsstörung der Nierenepithelien, dass eine hochgradige Beschränkung
der Harnsecretion und Eclampsie („Eclampsia uraemica") die Folge ist.
Gelegentlich kann die beschriebene Ernährungsstörung der Niere .auch
durch Harnstauung erzeugt werden (Ureterencompression durch den Uterus
oder Kindskopf — Halbeetsma).
Die Behandlung der Seh wanger sc haftsniere hat vor Allem
in der Regelung der Diät zu bestehen. Die beste Behandlung besteht in
der Anordnung einer absoluten Milchdiät, neben welcher man noch Eier,
Geflügel, Mehlspeisen, Gemüse und als Getränk kohlensaure Wässer
erlauben darf. Sehr wichtig ist ferner für die Verminderung der Albuminurie
die Ruhe, am besten vollständige Bettruhe. Ist der Urin sehr sparsam, so
wendet man heisse Bäder bis zu 45'' C. mit nachfolgenden feuchtwarmen Ein-
packungen an. Verfasser hat unter zahlreichen Fällen von Schwangerschafts-
niere noch keinen Fall gesehen, wo bei dieser schon in der Schwangerschaft
eingeleiteten Behandlung Eclampsie eingetreten wäre.
Was die Prognose der Schwangerschaftsniere anlangt, so hängt
dieselbe von der Möglichkeit einer rechtzeitigen Behandlung ab. Durch diese
beugen wir sowohl der Eclampsie als auch dem Uebergang der Schwanger-
schaftsniere in eine chronische Nephritis vor. Letztere Möglichkeit ist nach
Leyden keineswegs selten. Verfasser sah ebenfalls mehrfach nach vorausgegan-
gener Schwangerschaftsniere mit Eclampsie Albuminurie Jahrelang bestehen
bleiben. Unter 158 Fällen von Schwangerschaftsniere, die von der Eclamp-
sie genesen waren, hatten 26 (16"5Vo) bei der Entlassung aus der geburts-
hilflichen Klinik der Charite noch Eiweiss im Urin.
ad 2. Die rückfällige Schwangerschaftsniere. Das Krankheits-
bild derselben schildert Fehling folgendermassen : Es handelt sich um Frauen,
die ausserhalb der Schwangerschaft ganz gesund sind, aber meist schon mit
Beginn der Schwangerschaft reichlich Eiweiss, sparsame Cylinder im Urin auf-
weisen ; daneben bestehen manchmal Oedeme, gesteigerte Herzaction. In
den meisten Fällen kommt es zum Absterben der Frucht infolge der durch
die Krankheiten gesetzten Veränderungen der Placenta, den sogenannten
weissen Infarcten — darauf Abnahme der Fruchtwassermenge und Aufhören
des Wachsthumes der Gebärmutter und damit Hand in Hand Abnahme oder
sogar völliges Verschwinden der Albuminurie. Die weitere Folge ist habitueller
Abort. Eclampsie tritt selten ein. Herz Veränderungen fehlen.
Die Behandlung dieser Fälle ist dieselbe wie die der einfachen Schwanger-
schaftsniere.
ad 3. und 4. Beide Formen der Nephritis unterscheiden sich nur da-
durch, dass die eine nachweislich schon vor der Schwangerschaft bestand,
während die andere erst in der Schwangerschaft entsteht oder wenigstens erst
in der Schwangerschaft zu auffälligen Krankheitserscheinungen führt. In beiden
Formen finden wir mit Ausnahme der Fälle von Schrumpfniere reichlich Eiweiss
und Formelemente im Urin, sowie Oedeme. Das Allgemeinbefinden
ist viel mehr gestört, als bei der einfachen Schwangerschafts-
niere, die Patientinnen magern ab, bei längerem Bestand des Leidens findet
OOPHORITIS. 55b
sich Herzhypertrophie Als Complicationen treten Retinitis alhuminurica,
Gehirnblutungen, dagegen selten Eclampsie auf, insofern wir unter Eclampsia
Urämie mit Convulsionen verstehen. Urämie ohne Convulsionen ist häufig. Eine
schon vor der Schwangerschaft bestehende Nephritis, wird durch die Schwan-
gerschaft beträchtlich verschlimmert. Auch für die Kinder ist die
Prognose sehr schlecht. So gebaren nach Feiiling 5 Frauen mit chro-
nischer Nephritis in 16 Geburten 11 todte Kinder.
Die Ursache für das habituelle Absterben der Kinder bei
Nephritis liegt in den schon oben erwähnten Placentarveränderungen, den
weissen Infarcten.-) Diese sind theils durch Necrose, beziehungsweise hyaline
Degeneration der Decidua (Steffek, Jacobsoiin), theils durch Blutergüsse
entstanden, welche wiederum durch eine Endarteritis der decidualen Ge-
fässe (Rohr, Rossier), beziehungsweise durch eine hyaline Degeneration der
Gefässendothelien (Jacobsohn) bedingt werden. Die Placenta wird hierdurch
klein, derb und äusserst blutarm. Die Frucht stirbt infolge der Beschränkung
des placentaren Kreislaufes ab, oder das Ei wird infolge der Necrose der
Decidua zum Fremdkörper und daher vorzeitig ausgestossen. Die erwähnten
Blutergüsse können auch zu einer vorzeitigen Ablösung der normal inserirten
Placenta führen (Winter) und hierdurch noch neue Gefahren für das mütter-
liche Leben herbeiführen.
Die Behandlung der wirklichen Nephritis in graviditate
ist zunächst die der einfachen Schwangerschaftsniere. Bleibt trotz Bettruhe,
Milchdiät, heisser Bäder die Eiweissausscheidung gleich stark, oder treten
gefahrdrohende Erscheinungen, wie urämische Kopfschmerzen, starkes Nasen-
bluten, Retinitis, Circulationsstörungen auf, so ist der künstliche Abort oder
die künstliche Frühgeburt indicirt. Chloroformnarkose ist hierbei wegen
ihrer deletären Wirkung auf die Nieren (v. ,,Eclamime") wennmöglich zu
vermeiden. Eine erneute Conception muss bei Nierenleidenden verhütet
werden. Dijhrssen.
Oophoritis. Die acute Oophoritis ist in der Regel Folge einer In-
fection entweder einer örtlichen der Genitalorgane während der Gebiu't oder
eines Aborts, nach gynäkologischen Eingriffen, durch Uebertragung einer
Gonorrhoe oder einer allgemeinen, bei schweren acuten Infectionskrankheiten,
wie Scharlach, Pocken, Typhus, Cholera. Auch nach Phosphorvergiftung ist
sie beobachtet worden.
Man unterscheidet eine parenchymatöse (follikuläre) und eine inter-
stitielle Oophoritis. Der ersteren begegnet man besonders bei den ge-
nannten Infectionskrankheiten. Sie charakterisirt sich durch Hyperämie des
Organs im Allgemeinen, der Membrana propria der Follikel im Besonderen.
Der Inhalt der letzteren ist getrübt; auch ihre Epithelzellen zeigen körnige
Trübung und Zerfall. Das Keimbläschen des Eies verschwindet. Es kann
vorkommen, dass alle Ovula zu Grunde gehen.
In schwereren Fällen wird auch das die Follikel umgebende Stroma hy-
perämisch ; kleinzellige Infiltration schliesst sich an. Es gesellt sich also zu
der anfänglich parenchymatösen Entzündung eine interstitielle.
Während bei der rein parenchymatösen Oophoritis das Ovarium wenig
oder gar nicht vergrössert ist, kann es bei der interstitiellen sehi' er-
heblich und zwar in verhältnismässig kurzer Zeit an Umfang zunehmen. Das
Bindegewebe findet sich hier Anfangs geschwollen, hyperämisch, serös durch-
tränkt (Oophoritis serosa). Später kommt es zu kleinzelliger Infiltration, welche
bei anhaltender Entzündung zunächst zu eitrigem Zerfall des die Gefässe umge-
benden Gewebes, später zu mehr-minder ausgedehnter Abscessbilduug fühlt.
*) Vergl. Artikel „Placentaanomalien" .
^ 556 OOPHORITIS.
(Ovarialahsces.) In Fällen scll^Yel•e^ acuter septischer Peritonitis kann sich das
ganze Ovarium in einen grossen jauchigen Abscess verwandeln. In dem Eiter
ist wiederholt der Streptococcus pyogenes gefunden worden. Auch der Gono-
coccus scheint zur Abscessbildung im Ovarium führen zu können (Weetheim).
Wie die Oophoritis parenchymatosa zur Verödung der Follikel führen
kann, so auch die Oophoritis interstitialis. Hier kommt es, nachdem die acute Ent-
zündung abgelaufen ist, zu einer Schrumpfung des Bindegewebes. Die Oberfläche
des sich allmälig verkleinernden Organes wird uneben (Granularatrophie). Es sind
Fälle beobachtet worden, in welchen das letztere schliesslich nur noch Hasel-
nussgrösse hatte. Bei beiden Formen der Oophoritis kommt eine Entzün-
dung des serösen Ueberzuges des Ovarium, eine Perioophoritis, nicht selten vor.
Sie führt meist zu Verwachsungen mit den Nachbarorganen.
Die Symptome der acuten Oophoritis sind wenig charakteristisch, zumal
in leichteren Fällen. In schwereren wird von den Kranken über eine durch
Bewegungen gesteigerte Schmerzempfindung in der Gegend der Anhänge ge-
klagt. Bei combinirter Untersuchung findet man das Ovarium vergrösser t,
druckempfindlich. In der Regel sind diese Beschwerden, sowie andere, welch e
ihr gelegentlich zugeschrieben werden, z. B. Harndrang nicht Folge der Oopho-
ritis, sondern der sie begleitenden Perioophoritis, bezw. Perimetritis. Dagegen
sind Störungen der Menstruation und zwar sowohl eine Suppressio mensium,
sowie ein profuses und verlängertes Auftreten derselben als direct durch die
Oophoritis hervorgerufen anzusehen.
Wie schon aus dem eben Gesagten hervorgeht, wird die Diagnose der
acuten Oophoritis meist nur schwer zu stellen sein. Besonders gilt dies von
den Fällen, in welchen sie als Begleiterin schwerer, acuter Infectionskrank-
heiten auftritt, da hier die vielleicht vorhandenen, geringen örtlichen Be-
schwerden vor den Allgemeinerscheinungen völlig zurücktreten. Auch die
Deutung eines Ovarialabscesses als solcher ist schwierig, zumal, wenn nicht mit
Sicherheit ausgeschlossen ist, dass bereits zuvor eine Ovarialgeschwulst vor-
handen war. Kann doch eine solche durch Entzündung, bezw. Vereiterung
genau dieselben Symptome hervorrufen wie jene.
Die Behandlung der acuten Oophoritis erfordert in den Fällen, in wel-
chen ein schnelles Anschwellen und erhebliche Druckempfindlickeit des Organs
festgestellt wird, anfänglich Bettruhe der Patientin, Auflegen einer Eisblase
auf das Abdomen, Opiate; später PßiESSNiTz'sche Umschläge, Sorge für leich-
ten Stuhl, Scarificationen der Portio vaginalis.
Liegt ein muthmaasslicher, nicht zu grosser Ovarialabscess dem Scheiden-
gewölbe unmittelbar auf, so empfiehlt es sich ihn von der Scheide aus zu punkt-
tiren, bezw. zu incidiren. Ist dies nicht der Fall, so muss er auf dem Weg der
Laparotomie entfernt werden.
Die chronische Oophoritis hat verschiedene Ursachen. Sie kann
sich aus der acuten entwickeln. Vielleicht geschieht dies häufiger, als man
annimmt, da die geringeren Grade der acuten Entzündung sich oft der Beob-
achtung entziehen. Als weitere ätiologische Momente sind Masturbation, sowie
überhaupt längere Zeit fortgesetzte sexuelle Excesse, wahrscheinlich auch der
Coitus interruptus zu nennen. Auch Erkältungen und körperliche An-
strengungen während der Menstruation werden als solche angesehen. Am
häufigsten entsteht die chronische Oophoritis aber im Anschluss an anderweite
chronische Erkrankungen der Sexualorgane, Endometritis, Metritis, Perimetritis
Salpingitis, Ptetroflexio uteri. Da bei allen diesen, mit Ausnahme der letzt-
genannten die gonorrhoische Infection eine grosse Rolle spielt, so thut sie es
natürlich auch bei der ersteren. Schliesslich sei noch der habituellen Obsti-
pation Erwähnung gethan. Vermag sie schon an sich zu dem Leiden zu
führen, so beosnders in den Fällen, in welchen das eine oder beide Ovarien
OOPHORITIS. 557
descendirt sind. Hier wirken die im Rectum angehäuften, festen Kothmassen
mechanisch reizend.
Ueber die pathologisch-anatomischen Grundlagen der chro-
nischen Oophoritis gehen die Ansichten noch auseinander. Während die einen
(BuLius) das Primäre und Wesentliche in der Follikelerkrankung, der cysti sehen
Entartung derselben sehen {Jdemcystische Degeneration IIegak's, follikuläre
Hypertrophie Ziegler's), nehmen die anderen (Nagel, Winternitz) an, dass
die Stromaveränderungen das Primäre sind. Im Wesentlichen bestehen diesf
in Hyperämie und Wucherung des Bindegewebes. Winternitz fand hyaline
Entartung der Gefässintima oder Endarteritis obliterans, eine von anderer
Seite (Sratz) beobachtete kleinzellige Infiltration dagegen fast nie. Die Al-
buginea ist mehr-weniger verdickt; Schwund der Primordialfollikel und Mangel
an GRAAF'schen Follikeln ist nachweisbar. Das Epithel der cystisch degenerirteri
Follikel zerfällt körnig. Das Ovulum und der Cumulus proligerus ver-
schwinden. In einzelnen Follikeln finden sich Blutergüsse.
Die Erscheinungen, welche die chronische Oophoritis hervorruft, sind
mannigfache. In erster Linie sind es Menstruationsstörungen, welche sich
bemerkbar machen. Die Menses treten zu frühzeitig ein, halten länger als
früher an und werden profus. In der Regel gehen dysmenorrhoische Be-
schwerden voraus. In manchen Fällen halten diese auch nach Eintritt der
Blutung an. Fehling sieht in dem sogenannten Mittelschmerz, dem Auftreten
mehrstündiger heftiger Unterleibsschmerzen, welchem meist eine starke
schleimige, seltener eine schwachblutige Ausscheidung folgt, in der Zwischenzeit
zwischen zwei Perioden, ein Symptom der chronischen Oophoritis.
Während anfänglich Schmerzen in der Ovarialgegend nur bei körper-
lichen Anstrengungen, bei der Defäcation (dies besonders bei descendirtem
Ovarium) und beim Coitus auftreten, haben die Kranken später nahezu ununter-
brochen unter denselben zu leiden. Fritsch erwähnt, dass in exquisiten Fällen,
fast immer über ausstrahlende Schmerzen in der vorderen Fläche des Ober-
schenkels geklagt wird.
In allen Fällen wird man kaum je eine Reihe hysterischer Erscheinungen
vermissen. Diese, die örtlichen Beschwerden und eine aus beiden naturgemäss
resultirende tiefe psychische Depression können solche Kranke völlig unfähig
machen, irgend w^elche Pflichten zu erfüllen. Sie w^erden sich selbst und ihrer
Umgebung zur Last. Es ist daher von grösster Wichtigkeit das Leiden schon
in seinen Anfängen zu erkennen. Da die Beschwerden keine charakteristischen
sind, so kann die Diagnose nur durch eine wiederholte, sorgfältig combinirte
Untersuchung gesichert werden. Findet man ein oder beide Ovarien deutlich
vergrössert, auf massigen Druck empfindlich, womöglich im Douglas liegend
oder durch Adhäsionen anderweitig fixirt, so ist man zu der Annahme einer
chronischen Oophoritis berechtigt.
Die Prophylaxe des Leidens besteht selbstverständlich in Beseitigung,
beziehungsweise Vermeidung der Eingangs erwähnten Schädlichkeiten, welche
dasselbe zur Folge haben können, der Onanie, anderweiter Excesse in venere, des
Coitus interruptus, körperlicher Anstrengungen, Erkältungen w^ährend der Men-
ses. Die bei dem weiblichen Geschlechte so verbreitete habituelle Obstipation
ist zu heben. Die Erkrankungen der Sexualorgane, welche erfahrungsgemäss
eine chronische Oophoritis nach sich ziehen können, bedürfen natürlich, auch
wenn sie geringfügig sind, einer sorgfältigen Behandlung.
Adhärente Ovarien sind aus ihren Verwachsungen zu lösen. Zuweilen
gelingt dies durch schonende Massage in einer oder mehreren Sitzungen. Sind
die Verwachsungen festere, so empfiehlt es sich .die Lösung sofort in Narkose
vorzunehmen, zumal wenn gleichzeitig der retroflectirte Uterus adhärent ist.
Ist letzterer beweglich, so genügt in der Regel seine Reposition, um das oder
die descendirten Ovarien wieder in normale Las-e zu bringen.
558 OSTEOMALACIE.
Fälle, in welchen die Verwachsungen so feste sind, dass sie nicht in
Narkose gelöst werden können, berechtigen umsomehr zur Laparotomie und
zur Trennung unter Controle des Auges, als sie, wie schon oben erwähnt,
sehr oft durch eine fixirte Retroflexio complicirt sind. Hier ist es am Platze
die Ventrofixation des Uterus anzuschliessen.
Bei normaler Lage der Ovarien sind in mehrtägigen Zwischenräumen
Scarificationen der Portio vaginalis vorzunehmen, nach denselben ein mit
reinem oder 10°/o Ichtyolglycerin durchtränkter Wattetampon an die letztere
zu legen, welcher nach 12 — 24 Stunden entfernt wird. Nachts lässt man einen
einfachen Priessnitz- oder einen Soolumschlag auf das Abdomen legen. Während
des ganzen Verlaufes der Menstruation ist strenge Bettruhe indicirt. Bei
heftiger Dysmenorrhoe, aber auch bei den sich manchmal in der intermen-
struellen Zeit einstellenden, quälenden Schmerzen in der Adnexgegend-wird
man der Opiate nicht ganz entbehren können. Für die erstere empfiehlt sich
die Anwendung von Morphium oder Opium in Suppositorien per rectum, für
letztere Codein innerlich.
Der geschlechtliche Verkehr wird am besten für einige Wochen gänzlich
untersagt. Da aber das Verbot selten streng eingehalten wird, empfiehlt sich
eine zeitweilige Trennung der Gatten. Während derselben lasse man, wenn
angängig, die Patienten eines der bekannten Soolbäder oder lauen Wildbäder
(insbesondere Schlangenbad oder Landeck) gebrauchen.
Wenn es sich um anämische, in ihrer Ernährung heruntergekommene
Individuen handelt, ist für eine kräftige Diät, viel Aufenthalt in freier Luft bei
massiger Bewegung, regelmässigen und leichten Stuhlgang Sorge zu tragen.
Ueberhaupt ist, zumal in den Fällen in welchen sich schon Neurosen in an-
deren Nervengebieten entwickelt haben, der Allgemeinbehandlung mehr Auf-
merksamkeit zu schenken, wie es oft seitens der Specialisten geschieht.
Bessert sich trotz Vermeidung aller Schädlichkeiten, trotz einer lange
Zeit durchgeführten, sachgemässen Behandlung das Leiden nicht, sondern ver-
schlimmert sich eher, so dass die Kranken jede Lebensfreudigkeit verlieren
und an der Ausübung ihrer Pflichten behindert werden, so bleibt als letztes
Mittel die Entfernung der erkrankten Ovarien. graefe.
Osteomalacie. Die Osteomalacie oder Knochenerweichung ist eine ver-
hältnismässig seltene Krankheit; man kann sie nach Kehrer als eine chro-
nische, endemische Krankheit bezeichnen, da ihr Vorkommen an bestimmte Ge-
genden gebunden ist, unter welchen das Kheinthal und seine Nebenthäler,
Ostflandern, das Orlonathal in der Nähe von Mailand und Ungarn besonders
bevorzugt zu sein scheinen, während man dieselbe in manchen Gegenden, z, B.
der Mark Brandenburg und überhaupt in der norddeutschen Ebene wenig oder
gar nicht beobachtet. Litzmann hat im Jahre 1861 die bis dahin bekannten
131 Fälle von Osteomalacie zusammengestellt; von diesen fallen 120 auf Frauen
und 11 auf Männer. Bei den ersteren entwickelte sich die Krankheit 85mal,
also in 71"/o, im Anschluss an eine Schwangerschaft oder ein Wochenbett;
man hat diese Form der Osteomalacie als puerperale bezeichnet, im Gegensatz
zu der nicht puerperalen oder rheumatoiden Form. Eine Fortsetzung der
LiTZMANN'schen Zusammenstellung rührt von Hennig her, der im Jahre 1873
weitere 149 Fälle sammeln konnte; heute dürfte sich die Zahl der
beobachteten Fälle wohl auf mindestens 500 belaufen.
Aetiologie: Was nun die speci eueren ätiologischen Momente anbetrifft,
so müssen wir auch heute noch, trotzdem in der letzten Zeit in dieser Hinsicht
mannigfache neue Gesichtspi,mkte aufgetaucht sind, bekennen, dass wir die
eigentliche Ursache der Osteomalacie nicht kennen.
Bis vor Kurzem suchte man die Ursache derselben vorwiegend in schlechten
äusseren Verhältnissen; namentlich wurden in dieser Beziehung mangelhafte
OSTEOMALACIE. 559
Ernährung und ungesunde feuchte Wohnungen beschuldigt. Wenn sicli auch
nicht leugnen lässt, dass derartige Umstünde einen nachtheiligen Einfliiss auf
die Entwickelung der Krankheit haben können, so kann man denselben des-
halb doch keine specifische Ursache zuschreiben, da man dann einerseits die
Krankheit viel häufiger antreffen müsste, und da auch andrerseits bereits eine
ganze Reihe von Fällen bekannt ist, wo Frauen in den besten Verhältnissen
von der Osteomalacie befallen worden sind; Kehrer hat unter 30 Osteomala-
cischen 10 sehr gut situirte Patientinnen in Behandlung gehabt.
Das meist endemische Vorkommen der Osteomalacie hat es ferner nahe
gelegt, gewisse geognostische Eigentümlichkeiten des Bodens, eine besondere
Beschaffenheit des Trinkwassers etc. für die Erkrankung verantwortlich zu
machen; aber auch diese Gründe haben sich eingehenderen Untersuchungen
gegenüber nicht stichhaltig erwiesen. — Kehrer macht noch auf die Mög-
lichkeit einer genealogischen Disposition, einer hereditären Belastung auf-
merksam, ohne aber bestimmte Beweise hiefür anführen zu können.
Ob und welchen Einfluss die Schwangerschaft auf die Osteomalacie hat,
Ist eine noch strittige Frage; einige halten die gesteigerte Fruchtbarkeit der
Osteomalacischen für eine Folge der Erkrankung, andere glauben, dass sie die
Ursache derselben sei.
In neuerer Zeit ist man nun bei den Bestrebungen, die Osteomalacie zur
Heilung zu bringen, auf rein empirischem Wege zu einer neuen Theorie ge-
langt, welche zuerst von Fehling aufgestellt worden ist und die sehr viele
Wahrscheinlichkeit für sich hat. Während früher an der Osteomalacie ca. 80 7o
zu Grunde gingen theils in Folge der durch dieselbe bedingten schweren Ge-
burten, theils durch die in ihrem Gefolge häufig auftretenden, anderweitigen
Erkrankungen, trat eine wesentliche Verminderung der Todesfälle ein, nachdem
eine Anzahl an Osteomalacie leidender Schwangerer durch den Kaiserschnitt
nach Porro entbunden worden war. Nach einer Statistik von BAUJiAisrsr sind
von 44 nach Porro operirten Osteomalacischen 21 genesen und vollkommen
gesund geworden; diesen günstigen Erfolg erklärte Fehling aus dem durch
die Castration herbeigeführten Wegfall der Ovulation und Menstruation und
auf Grund dessen hat er zuerst die Castration als solche zur Heilung der
Osteomalacie empfohlen. Er geht hierbei von der Annahme aus, dass die Haupt-
ursache der Osteomalacie in einer pathologisch erhöhten Thätigkeit der Ovarien
liegt, und begründet diese Ansicht damit, dass in fast allen Fällen zur Zeit
der Menstruation eine deutliche Verschlimmerung des Leidens eintrete, und
dass ferner unmittelbar nach der Entfernung der Ovarien eine bedeutende Ab-
nahme der Schmerzen in den Knochen eintrete; die Ursache der bei der so-
genannten puerperalen Form der Osteomalacie fast stets vorhandenen ausser-
ordentlichen Fruchtbarkeit der Frauen glaubt Fehling ebenfalls auf die krank-
haft gesteigerte Thätigkeit der Ovarien zurückführen zu müssen; schliesslich
fand er noch eine Bestätigung seiner Ansicht in dem ausserordentlichen Blut-
reichthum sämmtlicher venösen und arteriellen Gefässe der Uterusanhänge,
welchen er bei den von ihm ausgeführten Castrationen fast regelmässig vorfand.
Den Zusammenhang zwischen der Erkrankung der Knochen und der pa-
thologisch gesteigerten Thätigkeit der Ovarien erklärt nun Fehling so, dass
letztere auf reflectorischem Wege durch die Sympathicus -Bahnen eine krank-
hafte Reizung der Vasodilatatoren der Knochen bedingt,wodurch eine venöse
Stauungshyperämie entsteht, die, vielleicht unter Mitwirkung einer Säure, eine
Auflösung der Kalksalze und eine erhöhte Resorption des Knochengewebes
bewirkt; es handelt sich also bei der Osteomalacie um eine von den Ovarien
ausgehende reflectorische Trophoneurose des Knochensystems. (Aehnliche Vor-
gänge haben wir bei der Struma und dem Morbus Basedowii).
Eisenhart kommt auf Grund sehr sorgfältiger Untersuchungen und ein-
gehender Prüfung der bisherigen Theorien zu einem ganz ähnlichen Resultat;
560 OSTEOMALACIE.
die Hauptursache der Osteomalacie sieht er in einer Ilyperproductivität der
Ovarien, welche einen vermehrten Zufluss von Blut zu den Weichteilen und
Knochen des Beckens bedingt. Die in Folge der starken Hyperämie im Knochen
selbst auftretende Säurebildung (Milchsäure und andere organische Säuren nach
Senator oder Kohlensäure nach Bindfleisch) bedingt eine Blutalteration,
welche, neben einer Verminderung des Hämogloijingehaltes, in einer Abnahme
der Alkalescenz besteht und in Folge dessen lösend auf die Kalksalze des
Knochens einwirkt. In ähnlichem Sinne äussert sich v. Recklinghausen, der
ebenfalls zu dem Schluss kommt, dass das eigentliche Wesen der osteomalaci-
schen Knochenerkrankung in localen Reizen des Knochengefässapparates in
Folge vasomotorischer Erregungen zu suchen ist.
V. WiNCKEL hat vor Kurzem versucht, die FEHLiNO'sche Theorie zu
widerlegen, indem er glaubt, die von Fehling hervorgehobenen starken Erwei-
terungen der Gefässe in den Uterus-Anhängen auf die gleichzeitig vorhandenen
Lageveränderungen des Uterus zurückführen zu müssen; unter den von
V. WiNCKEL zu diesem Zweck gesammelten 41 Fällen fand sich 8 mal eine
derartige starke Gefässerweiterung und unter diesen 4mal eine bewegliche
Retroflexio, resp. Retroversio und nur Imal eine hochgradige mit starken
Verwachsungen; in 16 weiteren, von mir zusammengestellten Fällen fand sich die
Gefässerweiterung 7mal und hierunter nur 2 leicht retroflectirte und beweg-
liche Uteri; also haben wir es in 15 Fällen von Gefässerweiterung in den Uterus-
Anhängen nur 7mal mit einer Lageveränderung des Uterus zu thun und
hierunter nur eine einzige hochgradige mit Verwachsungen; hiernach dürfte die
V. WiNCKEL'sche Erklärung wohl kaum aufrecht zu erhalten sein, zumal da
man derartige Gefässanomalien bei Retroflexionen überhaupt nur äusserst selten
antrifft.
LöHLEiN hält nach seinen Befunden ebenfalls die Ovarien nicht für den
eigentlichen Sitz und Ausgangspunkt der Osteomalacie, dagegen glaubt er, dass
einerseits die ausserordentlich starke Gefässentwicklung in der Schwanger-
schaft und andrerseits die prämenstruale und menstruale Congestion zu den
Blutgefässen des Beckens ein die Erkrankung besonders begünstigendes Moment
bilden.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass man auch gewisse Bacterien für die
Entstehung der Osteomalacie verantwortlich gemacht hat; Keheer u. a. haben
den Gedanken ausgesprochen, dass die Knochenerweichung das Werk osteo-
lytischer Bacterien sei. Greifbarere Gestalt hat diese Theorie durch die An-
gaben Petrone's gewonnen, der die Entstehung der Osteomalacie auf ein
nitrificirendes Ferment (Winogradsky's Mikroorganismus der Xitrification)
zurückführt; die durch die Lebensthätigkeit der TNIikroorganismen der Nitrifi-
cation entstehende salpetrige Säure, welche angeblich stets im Harn von Osteo-
malacischen nachzuweisen ist, soll die Knochenerkrankung bedingen. Von
anderer Seite (Tschistowitsch, Löhlein) ist es nun weder gelungen, den Ni-
trificationsbacillus oder irgend welche andere Bacterien nachzuweisen, noch
konnten im frischen Harn Osteomalacischer jemals Nitrite aufgefunden werden
(Tschistowitsch, Latzko und Jolles).
Wenn wir nun auch bereits über eine ganze Anzahl von ätiologischen
Momenten verfügen, die theils einzelnen, theils im Zusammenhang mit anderen
einen den Ausbruch der Krankheit befördernden Einfluss ausüben, so ist es
bisher noch nicht geglückt, die eine specielle Ursache aufzufinden.
Pathologische Anatomie: Wir haben bei der Osteomalacie einer-
seits die Veränderungen am Knochen, und andererseits diejenigen in anderen
Organen zu berücksichtigen. Die Hauptveränderungen betreffen natürlich die
Knochen und zwar in erster Linie die Beckenknochen, ein merklicher Unter-
schied in der Häufigkeit, mit welcher die einzelnen Knochen befallen werden.
OSTEOMALACIE.
561
besteht nach Litzmann bei der puerperalen und bei der nicht puerperalen
Form; aus der folgenden Tabelle ist dies leicht ersichtlich:
Knochen
85 Fälle von
Osteomal.
puerperalis
46 Fälle von
Osteomal.
non puerperalis
des Beckens
der Wirbelsäule ....
des Thorax
der unteren Extremitäten .
der oberen Extremitäten .
des Kopfes
82mal (ee^o/o)
46 „ (öi-P/o)
26 „ (30-5o/o)
15 „ (17-6%)
10 „ (11-7%)
7 . ( 8-2<'/o)
40mal (86-9''/o)
40 „ (86-9%)
(80-4'V„)
(78-2°/o)
(65-20/0)
(52-l«/„)
Die osteomalacischen Knochen zeichnen sich durch eine hochgradige Bieg-
samkeit und Weichheit aus, so dass sie leicht mit dem Messer geschnitten
werden können. Dieser Zustand ist die Folge einer von innen, d. h. von der
Markhöhle aus, vordringenden Entkalkung des compacten Knochengewebes mit
nachfolgender Eesorption des entkalkten Knochens. Die Markräume und
HAVERs'schen Canäle nehmen an Umfang zu, sie füllen sich mit wucherndem
Mark, machen den compacten Knochen porös und verdrängen so schliesslich
das Knochengewebe bis zum Periost hin. Am Knochengewebe selbst, speciell
den Knochenkörperchen sind nur geringe Veränderungen wahrzunehmen,
höchstens das Auftreten von Fetttröpfchen in den Lakunen; v. Reckling-
HAUSEN und Maechand haben jedoch auch eine ausgedehnte Neubildung von
Knochengewebe nachweisen können, welches allerdings des normalen Kalk-
gehaltes entbehrte. Ausgesprochener sind die Veränderungen am Knochen-
mark; dasselbe ist Anfangs stark hyperämisch und geröthet, hin und wieder
findet man auch kleinere Blutextravasate; an Stelle des Fettmarks tritt Lymph-
mark auf; später wird dasselbe wieder fetthaltiger, von mehr gelblicher
Farbe und schliesslich atrophisch und in eine graue, gallertige Masse um-
gewandelt. Das Periost ist in der Regel in der Nähe der erkrankten Stellen
verdickt und sehr blutreich.
In trockenem Zustande zeichnen sich die osteomalacischen Knochen durch
eine ausserordentliche Leichtigkeit aus; das specifische Gewicht ist unter die
Hälfte des normalen gesunken; die Farbe ist gelblich in Folge des vermehrten
Fettgehaltes, die Oberfläche rauh und die Ueberreste des compacten Knochen-
gewebes von mehr oder minder poröser Beschaffenheit.
Die chemischen Untersuchungen der Knochen haben ergeben, dass die
anorganischen Bestandtheile Vs betragen, die organischen % ; über etwaige im
Knochen vorhandene Säuren sind bisher keine übereinstimmenden Resultate
erzielt worden; einzelne Forscher wollen Milchsäure nachgewiesen haben, andere
haben dieselbe nicht auffinden können.
Die durch die Knochenerkrankung bedingten Veränderungen am Skelet
sind sehr mannigfacher Art; wie aus obiger Tabelle ersichtlich, sind die Knochen
des Beckens, der Wirbelsäule und des Brustkorbes die am häufigsten erki'ankten.
Die Wirbelsäule ist meist S-förmig gekrümmt, es besteht eine Kyphose der
Rücken- und eine Lordose der Lendenwirbel; die Rippen biegen sich' und zeigen
mannigfache Infractionsstellen, das Sternum ist stark nach vorn geschoben und
auch häufig mehrfach eingebrochen. Das Becken ist ebenfalls hochgradig ver-
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie.
36
562
OSTEOMALACIE.
Fig. 1. Osteomalacisches Becken. (Ansicht von oben.)
Nach E. MARTINAS Handatlas.
ändert, *) das Kreuzbein wird durch den Druck der Wirbelsäule nach unten und
vom getrieben, so dass das Promontorium weit in die Beckenhöhle vorspringt;
durch den Druck der Schenkelköpfe entsteht eine Knickung der Darmbeine
nach innen, hierdurch werden die Tub. ischii einander geucähert, ebenso die
Schambeinäste, so dass die Symphyse schnabelförmig vorspringt und die Becken-
höhle eine kartenherzförmige oder Y-förmige Gestalt annimmt (Fig. 1). Die
Knochen der Extremitäten zeigen häufig zahlreiche Bruchstellen, welche meist
nur langsam und schlecht durch Callusmasse heilen und bedeutende Verkür-
zungen im Gefolge haben.
Von sonstigen Veränderungen
sind atrophische Zustände und fettige
Degeneration in den Muskeln be-
obachtet worden. — Von grösserer
Bedeutung sind die Gefässveränder-
ungen im Uterus und seinen Anhän-
gen, namentlich in den Ovarien, auf
welche nach Fehling, besonders v.
Velits aufmerksam gemacht hat. Es
handelt sich hier um eine ausser-
ordentlich starke Vermehrung und
Erweiterung der Gefässe in den Liga-
menten, namentlich der Gegend des
Plexus pampiniformis, in den Ova-
rien und auch im Uterus selbst.
In den von v. Winckel und mir
zusammengestellten 57 Fällen ist
diese Erscheinung 15mal beobachtet worden, und unter diesen 15 Fällen
fand sich 3mal eine hochgradige Macies des Uterusgewebes; v. Velits hat
nun an den Gefässen des Ovarium und des Uterus in 9 Fällen stets eine
hochgradige hyaline Degeneration der arteriellen Gefässe nachweisen können,
und zwar scheint der Grad der hyalinen Gefässdegeneration mit der Vermeh-
rung derselben Hand in Hand zu gehen; v. Velits glaubt, dass die hyaline
Degeneration der Arterien der Genitalien, speciell der Ovarien bei der Osteo-
malacie, namentlich in den chronischen Fällen derselben als charakteristische
Erkrankung derselben auftritt und die Macies der Gewebe verursacht. Es
gelang mir in einem Fall die gleichen Veränderungen, starke Vermehrung und
hochgradige hyaline Degeneration der Gefässe im Ovarium einer Osteomala-
cischen nachzuweisen (Fig. 2); desgleichen beobachtete v. Recklinghausen
eine hyaline Degeneration der Arterien bei Osteomalacie, allerdings in an-
deren Organen. — Ueber anderweitige Veränderungen der Ovarien ist bis-
her nur sehr wenig berichtet worden, vielleicht weil nicht genügend hierauf
geachtet worden ist; es wird erwähnt das Vorkommen kleiner Cysten, atro-
phische und hypertrophische Zustände und leichte chronische Entzündungen.
Symptome und Verlauf: Der Beginn der Erkrankung kündigt sich
durch ausserordentlich heftige Schmerzen in den zuerst befallenen Knochen
des Beckens oder der Wirbelsäule an; die betreifenden Patientinnen bezeichnen
die Schmerzen mit Vorliebe als „rheumatische" und führen sie meist auf eine
Erkältung oder Durchnässung zurück; Nachts steigern sich die Schmerzen oft
zu ausserordentlicher Heftigkeit, um nach Ausbruch eines starken Schweisses
wieder nachzulassen; durch Bewegung und Druck tritt ebenfalls eine Ver-
mehrung derselben ein, namentlich bei längerem Sitzen. Im weiteren Verlauf
treten in Folge der oben geschilderten Knochenveränderungen Beschwerden
beim Gehen auf; der Gang wird unbehilflich, schwankend und watschelnd; ge-
*) Vergl. Artikel ,.Beclcen tmcl Bechenanomalien,"' pag, 70.
OSTEOMALACIE.
563
wohnlich fällt der Umgebung zuerst auf, duss die Patientinnen kleiner werden,
eine Folge der Verkrümmung der Wirljelsäulo.
Die Verkrümmungen und Infractioncji der Itippen und des Brustbeins
bedingen Compressionen und Verlagerungen von Herz und Lungen und rufen
dadurch Herzklopfen und Athembeschwerden hervor. Die Gestaltveränderungen
der Beckenknochen sind namentlich bei eintretender Schwangerschaft von be-
sonderer Wichtigkeit; man hat allerdings beobachtet, dass auch bei schon
ziemlich starker Verengerung des Beckens während der Geburt eine derartige
Erweichung der Knochen eingetreten ist, dass die Geburt spontan zu Ende
ging; derartige günstige Ausgänge gehören jedoch zu den Ausnahmen. In
der Mehrzahl der Fälle kommt es zur Perforation oder schliesslich zur Sectio
caesarea; unter den LrrzMANN'schen 85 Fällen von puerperaler Osteomalacie
starben 47 in Folge von schweren Entbindungen; 16mal wurde die Perforation
ausgeführt mit 1 Todesfall, 40mal der Kaiserschnitt mit 32 Todesfällen; die
übrigen starben theils nach anderweitigen Eingriffen (Zange, Symphyseotomie
etc.) theils an Uterusruptur etc.; heutzutage weisen derartige operative Ein-
griffe allerdings eine bessere Statistik auf. Die nicht im Anschluss an eine
Geburt zu Grunde gegangenen 13 Osteomalacischen starben infolge der ein-
getretenen Erschöpfung oder an Asphyxie.
IM«, V
Fig. 2. Vermehrung und hyaline Degeneration der Ovarialgefässe bei Osteomalacie. —
Schnitt an der Hilusgegend.
Charakteristisch für die Osteomalacie ist jedenfalls, dass eine jede
Schwangerschaft eine bedeutende Steigerung des Leidens hervorruft, während
nach einer Geburt in der Regel eine mehr oder minder auffallende Besserung
eintritt. Erwähnt sei hier noch, dass man häutig selbst zur Zeit der Men-
struation eine deutliche Verschlimmerung der Erkrankung beobachten kann;
die Menstruation pflegt ausserdem in manchen Fällen aussergewöhnlich stark
zu sein und in kürzeren Zwischenräumen, wie gewöhnlich, wiederzukehren.
36*
564 OSTEOMALACIE.
Die Muskeln sind meist schlaff und werden im weiteren Verlauf atrophisch;
hin und wieder werden durch unbedeutende Hautreize hervorgerufene hef-
tige Krämpfe und Contractionen beobachtet; Latzko sieht in der Parese der
Hüftgelenksbeuger und der Contractur der Adductoren besonders charakteri-
stische ]\Ierkmale für die Osteoraalacie.
Im Harn sind bisher auffallende Veränderungen nicht nachgewiesen; von
der einen Seite ist eine Vermehrung der Phosphorsäure- und Kalkausscheidung
festgestellt worden, von anderen eine Verminderung; die Untersuchungen auf
Milchsäure haben ebensowenig bemerkenswerthe Resultate ergeben; Fehling-
hat eine bedeutende Zunahme von Harnstoff bei einer Osteomalacischen
nachweisen können; die Harnstoffmenge nahm nach der Castration bedeutend
ab; ebenso konnte Fehling in mehreren Fällen nachweisen, dass die Phosphor-
säureausscheidung nach der Castration bedeutend zunahm, während die Kalk-
ausscheidung gleichblieb; er schliesst hieraus auf eine Zersetzung von phosphor-
haltigen Bestandtheilen des Körpers (Lecithin und Nuclein).
Die Untersuchungen des Blutes haben bisher auch noch zu keiner Ueber-
einstimmung geführt; einzelne Forscher haben allerdings mit Sicherheit eine
Verminderung der Alkalescenz des Blutes nachgewiesen; dieselbe findet sich
jedoch auch bei manchen anderen Erkrankungen. ISTeussee stellte in einzelnen
Fällen eine Vermehrung der eosinophilen Zellen im Blute fest, in anderen ein
Auftreten von Myelocyten, also ein abnormes Vorkommen von Knochenmarks-
elementen; TscHiSTOwiTSCH uud Fehling haben diesen Befund nicht bestätigen
können; Cheobak hat noch die Möglichkeit einer abnormen Beschaffenheit oder
abnormen Menge der Blutgase betont.
Im späteren Verlauf der Erkrankung treten zuweilen Fieberbewegungen
auf, welche allmälig einen hektischen Charakter annehmen können und die
Kräfte der Kranken schnell zum Schwinden bringen; dieselben gehen dann
schliesslich marastisch zu Grunde, wenn nicht etwa noch intercurrente Krank-
heiten, namentlich von Seiten der Luftwege, den Tod beschleunigen; Erstickung
infolge mangelnder Ftespirationsbewegungen des nicht mehr functionsfähigen
Brustkorbes ist ebenfalls beobachtet worden.
Die Dauer der Krankheit bewegt sich zwischen 9 Monaten und 13 Jahren.
In der letzten Zeit haben die Heilungen Dank der von Fehling eingeführten
operativen Behandlung der Osteomalacie in erfreulicher Weise zugenommen,
so dass wir an Stelle der von Litzmann festgestellten Mortalität von SOVo jetzt
beinahe von einer Heilung von SO^/o sprechen können.
Diagnose: Besondere Schwierigkeiten sind meistens mit der Stellung
der Diagnose nicht verbunden; höchstens im Anfange der Erkrankung können
die in den Knochen zuerst auftretenden Schmerzen mit rheumatischen oder
auch syphilitischen verwechselt werden; gewisse nervöse Symptome lassen so-
dann zuweilen noch an spinale Erkrankungen denken. Sämmtliche Bedenken
schwinden aber alsbald mit der Zunahme der Knochenveränderungen und deren
Folgen: Empfindlichkeit und Biegsamkeit der Knochen, Verkrümmung der
"Wirbelsäule, Kleinerwerden der Kranken, Gehbeschwerden etc. Bei der
Untersuchung des Beckens fällt als Hauptmerkmal auf die schnabelförmig vor-
getriebene Symphyse, die fast parallel verlaufenden, absteigenden Schambein-
äste und die stark genäherten Sitzbeinhöcker, so dass es stellenweise sogar
schwierig wird, auch nur einen Finger in die Vagina einzuführen, v. Winckel
führt folgende Erkrankungen an, welche zu Verwechslungen mit Osteomalacie
Veranlassung geben können: Rückenmarksaffectionen, periphere Nervenerkran-
kungen, Rachitis, malignes Lymphom oder multiples Myelom der Knochen; Car-
cinomatose der Knochen, Gelenksrheumatismus, Beckengelenkszerreissungen, se-
nile Osteoporose, Arthritis deformans.
Prognose: Die bis vor wenigen Jahren noch ausserordentlich ungün-
stige Prognose ist seit dem Zeitpunkt, wo Fehling die Castration als Heil-
OSTEOMALACIE. 565
mittel für die Osteomalacie empfohlen hat, bedeutend gebessert worden; Fehling
nimmt, wie bereits erwähnt an, dass jetzt mindestens 807o von Osteomalacie-
Fällen geheilt werden können. Durch mcdicuTnentöse Therapie, namentlich
lange Zeit fortgesetzte Phosphorbehandlung sind in der letzten Zeit ebenfalls
mehrfach Heilungen berichtet worden; spontane Heilungen gehören zu den
grössten Seltenheiten.
Therapie: Bei der Therapie haben wir zwei Hauptrichtungen zu unter-
scheiden; die medicamentüse und die operative. Zunächst lässt sich gegen
die Osteomalacie immerhin schon viel durch eine geeignete Prophylaxe er-
reichen, d. h. also durch Beseitigung der oben erwähnten, die Krankheit vor-
wiegend begünstigenden Momente; hierhin gehört vor allen Dingen eine sorg-
fältige Regelung der Diät und die Herstellung möglichst günstiger äusserer
hygienischer Verhältnisse für diejenigen Kranken, bei welchen man irgend
welchen begründeten Verdacht auf den Beginn der Erkrankung haben kann.
Was die Nahrung anbetrifft, so empfiehlt sich vor Allem sowohl bei Beginn
der Erkrankung, als auch während der ganzen Dauer derselben eine gute,
leichte gemischte Kost mit Bevorzugung derjenigen Nahrungsmittel, welche
Kalk und Phosphor enthalten, wie Fleisch, Fische, Gemüse, namentlich Legu-
minosen in Breiform oder als Suppen, ferner Käse und Eier, Bouillon, Milch,
Chokolade und gutes Bier; zu vermeiden sind saure und Säure bildende Nahrungs-
mittel, Kartoffeln, Schwarzbrot, Kaffee, Thee und saure Weine. Bei Appetit-
mangel sind geeignete Stomachica zu verabreichen; bei Neigung zu rheuma-
tischen Schmerzen empfiehlt v. Winckel und Siber Vinum semin. colchici (4*0)
in Verbindung mit Leherthran (lOO'O) 2 — 4mal täglich 1 Esslöffel.
In hygienischer Beziehung ist ein ganz besonderer Werth auf gesunde,
trockene Wohnungen und rationelle Kleidung zu legen; desgleichen müssen die
Körperfunctionen überwacht werden, namentlich ist für sorgsame Pflege der
Hautthätigkeit zu sorgen; hier sind vor allen Dingen die von Kehree speciell
empfohlenen Soolbäder und überhaupt warme Vollbäder am Platze.
In Bezug auf die Anwendung von Arzneien hat man in der letzten Zeit
der Phosphorbehandlung eine erneute Aufmerksamkeit geschenkt, namentlich
nach den günstigen Ptesultaten, welche Latzko und Sternberg damit erzielt
haben wollen; beide berichten über 22 geheilte Fälle nach mehnnonatlichem
Gebrauch des Phosphors. Sternberg empfiehlt grosse Dosen in Verbindung
mit Leberthran {Phosphori 0-05; Ol. jecoris aselli 50' 0. Imal täglich 1 Theelöffel)
und hält auf Grund seiner Erfolge den Phosphor für ein directes und defini-
tives Heilmittel der Osteomalacie; für gewisse Fälle lässt er jedoch auch die
Castration als ultimum refugium gelten.
Von anderweitigen Arzneimitteln ist noch zu erwähnen die Anwendung
von Eisen und phosphorfreiem Kalk (Ferr. lactic, Calcar. phosphoric. ää lO'O
Magnes. carhonic, Natr. chlorat., SaccJi. alh., ää ö'O. MD. 3mal tägl. 1 Messer-
spitze nach dem Essen [Eichhorst]). Schliesslich sei noch bemerkt, dass Petrone
auf Grund seiner Nitrificationshypothese die Anwendung von Chloralhydrat oder
wiederholter tiefer und langandauernder Chloroform-Narkose empfiehlt; die
Untersuchungen hierüber sind noch nicht abgeschlossen.
Wenden wir uns nun zur operativen Behandlung der Osteomalacie, so
haben wir zunächst zu berücksichtigen, ob wir es mit einer Schwangeren oder
Nicht-Schwangeren zu thun haben. Im ersteren Fall tritt die Frage eines
operativen Eingriffes in Bezug auf die Osteomalacie als solche nm- bei Gele-
genheit des Kaiserschnittes an uns heran; es herrscht in dieser Hinsicht wohl
kaum irgend ein Zweifel, dass, wenn es wegen zu hochgradiger Beckenenge
zmn. Kaiserschnitt kommt, gleichzeitig die Ovarien mitzuentfernen, d. h. also
nach PoRRO zu operiren ist.
Was die speciellere geburtshilfliche Therapie bei Osteomalacischen
anbetrifft, so hat man sich einerseits nach dem Zeitpunkt der Schwangerschaft
566 OSTEOMALACIE.
und anderseits nacli dem Grad der Beckenverengerung zu richten. Bei leichten
Graden von Beckenenge kann man sowohl im Anfang der Schwangerschaft, als
auch gegen Ende derselben ruhig abwarten und eingehende Versuche mit der
medicamentösen Therapie anstellen, vorausgesetzt, dass im weiteren Verlauf
keine aussergewöhnliche Verschlimmerung des Leidens auftritt; in diesem Falle
ist der an und für sich indicirten Einleitung des Abortes oder der Frühgeburt
die Operation nach Porro vorzuziehen. Bei hochgradiger Beckenenge ist zu-
nächst ein abwartendes Verfahren ebenfalls nicht unmittelbar von der Hand zu
weisen, da eine Anzahl von Beobachtern auch in derartigen Fällen noch in
Folge einer ganz aussergewöhnlichen Biegsamkeit der Knochen, worauf na-
türlich ganz besonders zu achten ist, die Geburt auf natürlichem Wege hat
zu Ende gehen sehen; Löhlein empfiehlt namentlich mit Eücksicht hierauf
die Wendung und Extraction. Tritt eine hinreichende Biegsamkeit der Knochen
nicht ein, so ist ebenfalls die PoREo'sche Operation angezeigt. Bleibt nach be-
endeter Schwangerschaft die erwartete Besserung aus, so ist die von Fehling
eingeführte Castration vorzunehmen.
Die Indicationen zur Castration bei Osteomalacie hat v. Winckel fol-
gendermassen zusammengefasst : „Eine absolute Anzeige tritt ein: 1. wenn
alle anderen Behandlungsmethoden vergeblich angewandt wurden und die fort-
schreitende Erweichung das Becken so verengt und die Knochen so nachgiebig
werden, dass das Leben der Patientin in Gefahr ist; 2. wenn bei länger
dauerndem, vernachlässigtem Leiden dasselbe einen so hohen Grad erreicht
hat, dass durch anderweitige Curen die Lebensgefahr nicht rasch zu beseitigen
wäre und die für die Castration noch günstige Zeit versäumt werden könnte.
Relativ ist die Castration angezeigt: 1. bei Patientinnen, welche lebende
Kinder haben, deren Becken aber bereits so verengt und unnachgiebig ist, dass
es bei neuer Schwangerschaft den Kaiserschnitt nothwendig machen würde;
2. unter denselben Bedingungen bei Kreissenden, die wegen noch bestehender
Osteomalacie durch den Kaiserschnitt entbunden werden, da die PoRRO'sche
Operation immer weit eingreifender und gefährlicher als die Castration und
auch die Mortalität der Sectio caesarea grösser als die der Castration ist.
Contraindicirt ist die Castration bei weit fortgeschrittener Tuber-
kulose und sehr grosser Morschheit aller Knochen.
Die Castration als solche ist eine so einfache Operation, dass sie wohl
kaum einer eingehenden Schilderung bedarf; es sind in erster Linie die für
Laparotomien allgemein giltigen Regeln in Bezug auf Anti-, respective Asepsis»
Vorbereitungen, Nachbehandlung etc. zu beachten.
Eine sehr sorgfältige Zusammenstellung aller bisher bekannt gewordenen,
zum Zwecke der Heilung der Osteomalacie ausgeführten Castrationen ist erst
ganz kürzlich von Truzzi veröffentlicht werden; dieselbe beläuft sich auf 08
Fälle, hierzu kommt noch ein in letzter Zeit von Donat mitgetheilter Fall,
so dass wir also bereits über eine Gesammtzahl von 99 Fällen verfügen; von
diesen sind im Ganzen 7 oder 7,07 % gestorben.
Was die Dauererfolge schliesslich anbetrifft, so sind für eine genaue
Beurtheilung derselben von Truzzi 63 Fälle für brauchbar erachtet worden;
hievon sind 45 vollständig geheilt, 10 gebessert, 3 vorübergehend rückfällig,
4 dauernd rückfällig geworden und 1 ohne jeden Erfolg operiert worden;
eine endgültige Heilung ist also in 71*4 7o eingetreten. Die Möglichkeit
eines Misserfolges oder einer nur vorübergehenden Besserung macht selbst-
verständlich eine weitere Ueb erwachung und eine fortgesetzte Behandlung
erforderlich; immerhin haben wir in der Castration ein Mittel in der Hand»
durch welches es geglückt ist, den bis vor Kurzem ausserordentlich hohen
Procentsatz von Todesfällen in einen fast gleich hohen von Heilungen um-
zuwandeln.
E. G. ORTHMAlSnsr.
OVARIE. 567
Ovarie Ovarie (Negrier), Ovarialgie (Schützenberger), Hyperldnhie
de l'ovaire (Swediaur). Unter diesem Namen wird eine besondere Druck-
empfindliclikeit, ein Zustand der krankhaften Hyperästhesie des Ovariums bei
hysterischen Personen verstanden, der nach Ciiakcot ein differential-diagnostisch
werthvolles Merkmal für die Ilystero-Epilepsie aljgibt. Unter den sogenannten
hysterogenen Zonen ist eine der am häutigsten beim weiblichem (ieschlecht
beobachteten, die lliacalgegend, die sich durch eine besondere Druckschmerz-
haftigkeit an bestimmter Stelle auszeichnet, ein Druck an dieser Stelle kann
sowohl einen hysterischen convulsivischen Anfall auslösen als auch momentan
unterdrücken. Schützenberger brachte zuerst die Druckempündlichkeit an
besagter Stelle und ihre Beziehungen zum Ovarium in einen Causalnexus
und bezog die zu Grunde liegende Hyperästhesie des Ovarium auf Congestions-
zustände, Entzündung, Degenerationsprocesse, erkannte aber auch einen patho-
logischen Zustand des Eierstockes von nervöser, neuralgischer Natur an. Die
Engländer sahen in der Ovarialgie den Ausdruck einer „Local-Hysterie" (F. C.
Skey). Sie fassen als „Local-Hysterie" eine Gruppe von nervösen lieizzuständen
zusammen, welche mehr oder minder constant in den freien Intervallen zwischen
den einzelnen convulsivischen Attaquen bei Hysterischen hinterbleiben. Diese
last stets mehr- weniger prägnant ausgesprochenen Erscheinungen der „Local-
Hysterie" gestatten es auch ausserhalb der Attaquen in schmerigen Fällen die
Diagnose der Hystero-Epilepsie zu stellen. Zur Gruppe dieser Erscheinungen
der Local-Hysterie gehören Hemianästhesien, Paralysen, Contracturen und fixe
Schmerzen, respective Druckschmerzhaftigkeit an verschiedenen Stellen des
Körpers, und zwar Rhachialgie, Pleuralgie, der Clavus hystericus u. s. w. vor
allem aber ein Schmerz in der seitlichen Gegend des Hypogastrium, die Ova-
rialgie, auch Iliacalschmerz benannt. Charcot, der sich Schützenberger's
Auffassung anschloss und die ausführlichste Erörterung der Ovarialgie durch
klinische Demonstrationen in seinen Vorlesungen in der Salpetriere erhärtet,
hinterlassen hat, fand seiner Zeit auf 160 in seiner Abtheilung weilende
nervenkranke Frauen fünf mit hysterischer Ovarialgie behaftet. Schon Lorry
und PoujOL hatten die Häufigkeit einer abnormen hypogastrischen Druck-
schmerzhaftigkeit bei Hysterie angegeben. Skley, welcher allen anderen Be-
obachtern entgegen häufiger das rechte als das linke Hypogastrium befallen
sah, fasste diesen Schmerz als den Ausdruck einer localen Hysterie auf.
Schützenberger, Piorry und Negrier bezogen den Schmerz direct auf
eine Hyperästhesie des Ovarium. Romberg schloss sich deren Anschauungen
an, die anderen deutschen Neuropathologen jedoch, auch Hasse, Yalentiner,
Rudolf Arndt wollen eine specifische Ovarialgie nicht anerkennen und wird
eine solche in den meisten deutschen Lehrbüchern nur kurz oder gar nicht
erwähnt. Nach Arndt sollen die mannigfaltigen unangenehmen und schmerz-
haften Empfindungen in der Regio hypogastrica in vielen Fällen mit dem
Ovarium nichts zu thun haben, da man sie ebenso ausgesprochen auch bei
hysterischen Männern fand, was auch Legrand du Saulle anführt. Arndt
will vielmehr mit Jolly die Ursache dieses Bauchschmerzes in einer Hyper-
ästhesie der Bauchmuskeln und Bauchhaut (Myalgie und Dermalgie) suchen
oder auch in einer Hyperästhesie des Bauchfells (Valentiner) oder selbst des
Darmes. Schroeder van der Kolk z. B. bezog den Schmerz auf einen Krampf
des Colon ascendens. Arndt behandelte einen Fall von typischer sogenannter
Ovarialgie, die nach langer Dauer endgiltig schwand, als gelegentlich mit dem
Stuhlgang sich eine Menge Eiter aus dem Darme entleerte, wahrscheinlich
aus einem in den Darm durchbrechenden Peritonealabscess, „wobei vielleicht
eine Art von Klappenventil am Darm günstig mitgewirkt hatte;" seit 10 Jah-
ren ist die nunmehr zur Gattin und Mutter gewordene Frau ihre sogenannte
Ovarialgie gänzlich losgeworden.
568 OVARIE.
Charcot schreibt diese differente Auffassung von Seiten der deutschen
Fachgenossen dem Einflüsse Briquet's zu. Letzterer hatte für dieses Leiden
den Ausdruck „Bauchschmerz" Coelialgie angeführt und auf 430 Fälle von
Hysterie 200mal diese Coelialgie festgestellt, er fasst jedoch hierbei Schmerz-
äusserungen am gesammten Unterleibe zusammen und sucht die Ursache
in einer Myodynie; nach ihm soll irrthümlich ein Druckschmerz am unteren
Ende des Muse, rectus abdominis und am Muse, pyramidalis als Uterinschmerz,
am unteren Ende der Muse, obliqui abdominis als Ovarialschmerz aufgefasst
worden sein. Die Druckschmerzhaftigkeit ist manchmal so stark, dass schon
die Schwere einer Bettdecke lästig empfunden wird, die Kranke vor dem
untersuchenden Finger mit einem Ruck ihres Körpers zu entfliehen sucht.
Ist der Leib dabei unter Betheiligung der Bauchmuskeln und -haut mitbe-
theiligt, der Leib daher aufgetrieben, so ist das Bild der „Spurious Peritonitis"
der Engländer fertig. Todd localisirt den Schmerz auf einen 2 — 3 Zoll breiten
abgerundeten Bezirk der Bauchwand, der theilweise der Fossa iliaca, theilweise
dem Hypogastrium angehöre, also der Region des Eierstockes. Ab und zu
erscheint der Schmerz spontan, ein andermal erst auf Druck von aussen. Da
die Haut dab ei anästhesirt ist, die Muskeln oft erschlafft sind, so dass sich die
Bauchdecke in Falten erheben lässt, so kann nach Charcot die Schmerzhaf-
tigkeit nicht in der Bauchwand ihren Sitz haben, derselbe sei tiefer zu suchen
und zwar am Ovarium, dort soll der Schmerzpunkt constant sein: zieht
man eine beide Spinae anteriores superiores verbindende Linie, und fällt
darauf 2 Senkrechte in der Frontalebene an den seitlichen Grenzen des Epiga-
strium, so fällt der rechts- und linksseitige Schnittpunkt, letzterer mit der
Bispinallinie gerade auf die Druckschmerzpunkte Charcot's. Drückt man hier die
Hand ein, nachdem bei starren Bauchwandungen z, B. durch continuirlich wir-
kenden starken Druck dieser Widerstand überwunden ist, so gelangt man unge-
fähr auf die Mitte der nach der Mittellinie des Körpers zu concav ausgehöhl-
ten Linea innominata des Beckeneinganges. An der Mitte dieses Knochenrandes
tastet man bei einiger Uebung leicht einen ovoiden Körper, das Ovarium, der
hei Fingerdruck ausgleitend leicht entschlüpft und zwar solle man nach
Charcot nicht nur ein vergrössertes Ovarium, sondern auch das normale auf
diese Weise gut betasten können. Bei Druck an dieser Stelle entsteht sofort ein
specifischer heftiger Schmerz und von dieser Stelle ausgehendeine Aura hyste-
rica; sofort erscheinen Irradiationen nach dem Epigastrium zu, zuweilen
mit Uebelkeit und Erbrechen gepaart, bei darauffolgendem fortgesetztem Fin-
gerdruck Herzpalpitationen, Globus hystericus etc. Diese ascendirenden Irra-
diationserscheinungen bilden hier die Aura hysterica, aber es können auch
noch diverse „Troubles cephaliques" hinzukommen, ein Pfeifen im Ohr ähn-
lich dem schrillen Eisenbahnpfiff, ein hammerschlägeartiges Klopfen in der
Schläfe, Verschleierung des Gesichtsfeldes u. s. w. Alle diese Erscheinungen
bleiben auf die Körperhälfte der Ovarialgie beschränkt, also bei der häu-
figeren linkseitigen Ovarialgie empfindet die Kranke die Auraerscheinungen
nur linkerseits, sind beide Ovarien betheiligt, so sind die Erscheinungen
meistens- linkerseits mehr ausgesprochen. Nach Schützenbergek erfolgen
nach Ovarialcompression die Erscheinungen der Aura in derselben Aufeinan-
derfolge wie beim spontanen hysterischen Anfalle, Wenn von anderer Seite
eingewandt wurde, das Ovarium liege normal viel zu tief, um auf diese Weise
durch die Bauchwand getastet zu werden, so berief sich Charcot darauf, dass
angesichts der Turgescenz, der Erectilität und arteriellen Rigidität des Plexus
der Tuben zu Lebzeiten die Lage des Ovarium eine andere, höhere sei als
an der Leiche, einen Beweis sollen auch die Gefrierschnitte ergeben, wo man
eine Lagerung der Eierstöcke analog wie bei Neugeborenen gefunden habe,
also eine höhere Lage. Charcot berief sich hier auf einen von Legendre
OVARIE. 569
an der Leiche einer 20-jährigen ausgeführten Gefrierschnitt, das Ovarium
lag hier rechterseits oberhalb der Linea innominata auf der Fossa iliaca.
Chakcot ist es bei wiederholten Leichenversochen öfters gelungen, wenn
er an der von ihm bezeichneten Stelle eine Nadel in den Unterleib einstiess,
das Ovarium aufzuspiessen. Cheneau behauptet sogar, bei schlaffer Bauch-
wand solle die äussere Palpation eine ebenso genaue Betastung ergeben wie
die Ovarialpalpation per rectum. Nach Ciiarcot ist also der fixe, iliacale
Schmerz Hysterischer bestimmt nur auf das Ovarium allein zu beziehen, findet
sich häufiger links als rechts, selten beiderseitig und wenn doch, so linker-
seits stärker ausgesprochen. Ueber den Zustand eines solchen Eierstockes
sagt die pathologische Anatomie bisher nichts Bestimmtes aus, er kann
erkrankt sein, kann aber auch frei von irgendwelchen nachweisbaren patho-
logischen Veränderungen sein, vielleicht hängt diese Druckschmerzhaftigkeit
von einem congestiven Zustand, einer erhöhten Turgescenz al). Charcot
bemühte sich den Zusammenhang zwischen der Ovarialgie und den anderen
Theilerscheinungen der localen Hysterie nachzuweisen und legt zunächst gros-
sen Werth darauf, dass sowohl die Erscheinungen am Auge, der Schläfe etc.
bei der hysterischen Aura als auch die Hemianästhesien, Paresen und Glie-
dercontracturen stets die gleichnamige Körperhälfte betreffen wie die Ova-
rialgie, dass bei bilateraler Ovarialgie auch jene Erscheinungen bilateral auf-
treten, ferner fand Charcot auch den gleichen Complex von Erscheinungen
alternirend bald rechterseits, bald linkerseits, dabei war aber auch stets die
Ovarialgie eine entsprechend alternirende. Bei der Hystero-Epilepsie soll in
schwierigen Fällen die Ovarialgie als ein zwischen den einzelnen Anfällen
permanent bleibendes Symptom einen diagnostischen Werth besitzen. Die
methodische Compression des afficirten Eierstockes ruft in einzelnen Fällen
sofort die Aura hervor, der dann die convulsivischen Zustände folgen, in an-
deren erfolgen sofort jene Anfälle, in wieder anderen Fällen kann man durch
die Compression plötzlich die Anfälle coupiren, steigern, schwächen, durch wie-
derholte Compression wiederholt hervorrufen etc., zuweilen modificirt die Com-
pression nur die Phänomene des Anfalles. Bei starren Bauchwandungen ist
der CHARCox'sche Handgriff für den Arzt ermüdend und anstrengend, da eine
grosse Kraft erheischt wird, um den Widerstand der Bauchmuskeln zu über-
winden. Charcot lässt die Kranke horizontal auf eine Matratze auf dem Fuss-
boden niederlegen, der Arzt kniet rechterseits von ihr nieder und drückt an
der angegebenen Stelle die zur Faust geballte Hand mit aller Kraft gegen die
Bauchwand, manchmal gelingt es erst nach 2 — 3 Minuten continuirlichen
Druckes das Ziel zu erreichen; sobald einmal der Widerstand der Bauch-
muskeln gebrochen ist, genügt ein fortgesetzter Druck mit 1 bis 2 Fingern
an jener Stelle.
PoiRiER ersetzte die ermüdende Compression mit der Hand durch einen
speciellen Apparat mit stellbarem Pelottendruck: „Compresseur iliaque," Charcot
auch durch eine von Lannelongue für andere Zwecke angewandte Compres-
sion, einen mit Schrot gefüllten Sack, und w^underte sich darüber, dass
«in therapeutisch so hilfreiches Mittel wie die Ovarialcompression zur Cou-
pirung gewisser hysterischer Anfälle so sehr in Vergessenheit gerathen sei.
Schon WiLLisius behauptete im 16. Jahrhundert, dass dem Aufsteigen eines
vom Abdomen ausgehenden convulsivischen Spasmus nach dem Halse und
Kopfe zu durch starke Compression des Unterleibes vorgebeugt werden könne,
der Leib sollte entweder durch Bindendruck comprimirt oder mit beiden
Armen behufs Compression umfasst werden. Er selbst unterbrach einen Anfall,
indem er die Kranke von hinten her mit beiden Armen umfasste und seine
Hände am Unterleib vereinte. Schon Mercado (nach Charcot 1513) hatte
die Friction des Unterleibes empfohlen, Monardes legte einen grossen Stein
570 OVARIE.
auf den Unterleib, Boerhave empfahl zu Beginn des 18. Jahrhunderts aufs
Neue die Compression des Unterleibes bei hysterischen Attaquen, er wollte
ein Kissen zwischen Crista ossis ilei und den falschen Rippen anlegen und
durch festen Bindendruck fixiren. Recamier folgte seinem Beispiele und
hiess einen Gehilfen sich auf ein auf den Unterleib der Kranken gelegtes
Kissen setzen. Nur Negrier empfahl unter den späteren Autoren ein ähn-
liches Vorgehen, er wollte jedoch durch blosses festes Eindrücken der Hand
die convulsivische Attaque vollständig unterdrücken. Uebrigens sieht man
zuweilen, dass die hysterische Patientin instructiv bei dem Anfalle die Hand
fest gegen die besagte Körperstelle anpresst, sie behauptet dadurch Erleich-
terung zu haben, verlangt auch wohl von ihrer Umgebung, man solle diesen
Druck ausüben, die Aniälle sollen dadurch zuweilen coupirt oder gemildert
werden. Charcot gelangt auf Grund seiner Erfahrungen zu dem Schlüsse,
eine energische Compression des Eierstockes habe keinen directen Einfluss
auf die meisten permanenten Symptome der Hysterie, wie Contracturen, Läh-
mungen, Hemianästhesien etc., aber sie habe einen oft entscheidenden Einfluss
auf convulsivische Attaquen, die sie abzuschwächen, oft auch ganz zu unter-
drücken vermöge.
Dass der Sitz des Schmerzes wirklich im Ovarium zu suchen sei, soll
nach Souques (siehe seine Bearbeitung der Hysterie in dem Manuel der
Medeci?ie, herausgegeben von Debove und Achard: Tom. IV: Maladies du Sy-
steme nerveux. Paris 1894, p. 292) dadurch erwiesen sein, dass Budin und
Fere bei Schwangeren im Stande waren ein der fortschreitenden Schwanger-
schaft entsprechendes Aufwärtswandern des Sitzes der Schmerzhaftigkeit nach-
zuweisen, entsprechend dem Aufsteigen der Eierstöcke. Fere beobachtete so-
dann im Wochenbett entsprechend der zunehmenden Involution des Uterus
ein abermaliges Herabsteigen der Localisation des Schmerzes. Richer (Etudes
diniques sur l' hysteroSpilepsie ou grande hysterie. Paris 1881) bildet auf S. 596
den von Poirier construirten Compresseur de l'ovaire ab, der oft in der
Salpetriere mit gutem Erfolg gebraucht wurde. Das Tragen dieser stellbaren
Pelottenvorrichtung soll nach Poirier den Kranken einen prophylaktischen
Schutz gewähren: so lange der Eierstocks compressor gut anliege, seien
die „Points hysterogenes" verschwunden, kommen aber sofort wieder mit Ab-
nahme des Compressors. Die Application sei nicht schmerzhaft und werde von
den Kranken gut vertragen, nach 48-stündigem Tragen sei kaum eine Röthung
der Haut an der Druckstelle zu bemerken. S. 727 bildet Richet in einem
Nachtrage einen neuen Eierstockscompressor von Ballet ab, der praktischer
sein soll, insofern er auch beim Gehen getragen werden könne.
Legrand du Saulle will es nicht als bestimmt erwiesen betrachten,
dass wirklich der Eierstock der Sitz der betreffenden Zone hysterogene sei,
weil man ganz die nämlichen Erscheinungen bei Compression mit der Hand
an derselben Stelle auch bei hysterischen Männern auftreten sehen könne,
immerhin betreffe die grosse Mehrzahl der Beobachtungen doch das Ovarium,
wo ein leichter Druck die aura hysterica hervorrufe, ein stärkerer die con-
Yulsivischen Erscheinungen auslöse, andererseits auch eine starke Compression
die convulsivischen Erscheinungen plötzlich unterdrücke.
Weir-Mitchell beobachtete nach W. R. Gowers die gleiche von Charcot
als Ovarialgie beschriebene Schmerzerscheinung an der von Charcot bezeich-
neten Stelle, während durch vaginale Untersuchung gegenüber dem normalen
Sitze des Ovarium eine abnorm tiefe Lagerung des Eierstockes (Descensus)
nachgewiesen wurde, also können nach Gowers wohl auch die benachbarten
Partien der Sitz jener neuralgischen Empfindlichkeit sein.
ToDD sah zuweilen eine oberflächliche Schmerzhaftigkeit gerade über
den Ovarien. Neben der tiefer gelegenen Druckschmerzhaftigkeit bestehen
zuweilen spontane Schmerzen; sind beide Ovarien ergriffen, so meist das linke
OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN. 571
in Überwiegendem Maasse, aber es gibt auch Frauen, die absolut frei von
Hysterie sind und doch an der von Ciiakcot bezeichneten Stelle eine ausser-
ordentlich grosse Empfindlichkeit aufweisen. vu. l. neugkijauek.
Ovariotomie-Ovarialtumoren. Die Ovariotomie ist jener operative
Eingriff, als dessen Zweck die Entfernung des pathologisch veränderten, gewöhn-
lich cystisch verbildeten Ovariums erscheint. Je nachdem die Erkrankung nur das
eine, oder beide Ovarien betrifft, ist auch die Operation eine ein- oder beiderseitige,
zeitlich gleich- oder ungleichzeitige und ihrem nunmehr definitiv errung(!nen
Siege nach kann sie als bahnbrechend nicht allein für alle Bauch-(jpera-
tionen, sondern für die gesammte moderne operative Chirurgie betrachtet
werden; denn an ihren stets zunehmenden Erfolg auch in jenen compli-
cirteren Fällen, in welchen theils zufällig, theils nothgedrungen Ver-
letzungen anderer Organe sich ergaben, reihten sich naturgemäss eben so bald
die Hystero-Myotomien, Darmvernähungen, Darmresectionen und in weiterer
Folge die verschiedenen Operationsmethoden am Magen und den übrigen Bauch-
organen, als die Erfahrungen über Ungefährlichkeit der Baucheröffnung zur
operativen Behandlung anderer wichtiger Höhlen, wie der Schädel-, Brust- und
Gelenkshöhlen mehr und mehr ermuthigten. Hat sie doch auch den Haupt-
anstoss zu einer der wichtigsten chirurgischen Errungenschaften der letzten
20 Jahre gegeben, nämlich zur Entwicklung der Nierenchirurgie. Ihr absoluter
Werth aber in Hinsicht der gründlichen Beseitigung eines lebenstörenden
Uebels ist so hoch, wie ihn höheren Grades kaum irgendwelche Operation auf-
zuweisen hat, da bei einseitiger Ovarial-Erkrankung jüngeren Frauen durch
dieselbe nicht allein das Leben gerettet, sondern gleichzeitig deren normaler,
d. i. zeugungsfähiger Zustand herbeigeführt wird.
Geschichte. Im Verhältnis zu ihrer hohen und üheraus segensreichen Entwicklung
schliesst die Geschichte der Ovariotomie einen relativ nur kurzen Zeitraum ein, denn ihr
eigentlicher Beginn fällt in das Jahr 1809, in welchem Ephraim Mc Dowell in Kentucky
wohl als erster erscheint, welcher die Operation mit vorausbestimmter wissenschaftlicher
Begründung und correcter Vollendung an einer gewissen Mrs. Crawford mit einem Erfolge
ausführte, und der Genannten das Leben 3ü Jahre nach der Operation bis zu ihrem
79. Lebensjahre verlängerte. Die Anregung zur Operation erhielt er höchst wahrscheinlich
von seinem Lehrer John Bell in Edinburgh.
Die Idee für die Ausführbarkeit der Operation taucht übrigens viel früher auf, wir
finden dieselbe *) bereits im Jahre 1680 bei Felix Plater in Basel ; 1685 bei Schorkopf ;
1725 bei Schlenker; 1774 bei de la Porte und Morand; — und wenn wir uns fragen,
woraus dieselbe geschöpft sein mochte, so dürfte die Antwort nicht weit liegen; man braucht
nur einmal in „viva" in einem günstigen Falle einen gestielten, frei in der Bauchhöhle
beweglichen Ovarientumor klinisch untersucht und diagnosticirt, oder bei der Section
einen solchen gesehen zu haben, um gleichsam unwillkürlich nicht allein von dem Ge-
danken der Entfernbarkeit überrascht, sondern zugleich vom inneren Drange für seine
Entfernung beseelt zu sein, vorausgesetzt, dass man mindestens ein passionirter und kühner
Chirurg ist. Uebrigens wurde die Idee auffallend gestützt durch zufällige Erfahrungen, die
man bei der Exstirpation in Brüchen gelegener Ovarien machte (Pott exstirpirte mit gutem
Erfolge beide Ovarien, die in Leistenbrüchen lagen), und durch die Beobachtungen an
Thieren, bei denen der besseren Mästung halber die Exstirpation der Geschlechtsdrüsen
im Gebrauche stand. Und jene geschichtlichen Daten, wonach ein deutscher „Stein-
schneider" seiner unkeuschen Tochter beide Ovarien exstirpirte, desgleichen ein anderer
bei seiner Frau vollführte, um dem überreichen Kindersegen Einhalt zu thun, wirkten
ebenfalls ermunternd zur Ausführung der Operation.
Alles hat seine Zeit und diese auch tritt periodenweise in Erscheinung, zuweilen erst
die Idee und nachher die That und beide kämpfen hart bis zum endlichen Siege. So
geschah es auch mit der Ovariotomie; die Erfolge brachten sie vorwärts, die Misserfolge
wieder hemmten ihren Gang. — MG Dowell hatte Glück mit seinen 8 Heilungen unter 13
Fällen, die er bis zu seinem 1830 erfolgten Tode operirte und kann in Folge davon als wahrer
Bahnbrecher der Ovariotomie betrachtet werden. Ihm folgte Nathan Smith, New-Haven, Con-
necticut, welcher wahrscheinlich unabhängig von Dowell 1821 seine erste glückliche Ova-
*) Siehe Krankheiten der Ovarien von Dr. Robert Olshausen. — Deutsche Chirurgie»
Liefg. 58. 18g6.
.572 OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN.
riotomie vollführte. Alban Smith als Dritter in der Reihe hatte anfangs Unglück, dann
aber operirte er im Jahre 1823 mit Erfolg. Nun machten mehrere nordamerikanische
Operateure vergebliche Operationsversuche, bis im Jalire 1829 David Rogers einen gün-
stigen Ausgang davon verzeichnen konnte. Den nächsten Erfolg darauf in Nord-Amerika
weTst erst im Jahre 1834 Billinger auf. Nun folgte eine Pause bis zum Jahre 1843, dann
aber rasche Verbreitung der Operation, indem in demselben Jahre J. L. Atlee die erste
doppelseitige Ovariotomie vollführte und im folgenden Jahre Washington L. Atlee seine
Operationsreihe begann, deren Zahl bis 1871 auf 246 Fälle sich erhob und nachdem gleich-
zeitig viele andere amerikanische Operateure, wie Kimball, Dunlap u. m. a. sich der Ope-
ration bemächtigten, wurde in ihrem Heimatslande nach und nach auch deren endgiltige
Berechtigung begründet.
Der Zeitgeist pflanzte sie nun nach Europa herüber und zwar vor Allem nach Eng-
land, wo sie übrigens bereits im Jahre 1824- und 1825 von Lizars und Granville einige-
male, u. z. nicht mit besonderem Glücke ausgeführt wurde ; und da vielen anderen Opera-
teuren dasselbe passirte, gerieth sie anfänglich auch hier in Misscredit, so dass deren häu-
figere Wiederaufnahme erst in den 50er und 60er Jahren dieses Jahrhunderts Eingang fand.
Unter den Operateuren dieser Zeitperiode mit einer grösseren Zahl von günstigen Erfolgen
getragenen Operationsfällen sind besonders Bird, Clav und Backer Brawn anzuführen,
indessen war es Spencer Wells vorbehalten, am Ende der 50er und Anfangs der 60er
Jahre der Ovariotomie in England jenen festen Ruf zu begründen, welcher nach und nach
in den anderen Ländern Europas den wohlverdienten Wiederklang fand.
Spencer Wells mit seiner genialen Chirurgen- Veranlagung und rastlosen Hingebung
für diese operative Heilrichtung, dann Lister mit beinahe gleichzeitiger Einführung seiner
antiseptischen Wundbehandlung bilden wohl die Grundfesten, auf welchen die heilsamen
Erfolge der nunmehr nach vielen Tausenden zählenden Ovariotomien ruhen, die in den letzten
3 Decennien an allen Orten der Erde, wo wissenschaftliche Medicin betrieben wird, vollführt
wurden.
In Deutschland und Frankreich, allwo die Ovariotomie in der Folge zu bedeu-
tendem Aufschwünge gelangen sollte, kam solche anfänglich schwer zur Geltung, obgleich
sie in beiden Ländern viel früher, als in England geübt, oder wenigstens sehr warm em-
pfohlen worden war; Crysmer in Isny (Württemberg) vollführte seine erste Ovariotomie 1819,
ihm folgten mit günstigen Fällen 1846 Siebold, 1850 Kiwisch und Stilling; 1851 und 1852
Langenbeck und ed. Martin u. m. a. ; in Frankreich, nachdem bereits im vorigen Jahr-
hundert Delaporte und Chambon (mal des femmes 1798), Samuel Hartman d'EsCHER in
seiner These (MontpelHer 1807) deren Berechtigung gewürdigt, Chereau 1844 (Journal des
conn. med. chir. Juillet) sogar eine Statistik über 65 Fälle veröffentlicht hatte, erscheint
doch erst 1844 eine glücklich vollführte Ovariotomie von Woyerkowsky, dann 1847 von
Vaullegard; die Fälle mit ungünstigem Ausgange in Händen der gediegensten Chirurgen,
wie eines Dieffenbach, Maisonneüve, Jobert bewirkten immer wieder eine Gegenströmung.
Dieffenbach verwarf sie gänzlich und bei Gelegenheit einer Discussion in der Pariser Aka-
demie in den Jahren 1856 und 1857 sprach sich nur Gazeaux dafür aus. In Folge hievon
ergab sich eine Pause, die erst im Jahre 1862 durch Nelaton in Paris, der ebenfalls, wie
Andere vorerst Spencer Wells und Backer Brawn operiren gesehen, unterbrochen wurde;
ihm zur Seite stand Koeberle in Strassburg mit seinen so schönen Erfolgen, welche ihn
1864 über 9 glückliche Fälle unter 12 berichten Hessen; desgleichen erging es der Ope-
ration in Oesterreich, speciell in Wien. Nachdem Franz Schuh (Abhandlungen über Chi-
rurgie und Operationslehre 1867) im Jahre 1858 und 1864 je einen Fall mit tödtlichem Aus-
gange operirt hatte, entschloss man sich so schwer zu weiteren Versuchen, dass, nachdem
A. Kumar — gleichfalls durch Spencer Wells angeregt — im Jahre 1866 in Wien seine erste
Ovariotomie mit ungünstigem Ausgange vollführt hatte, bei Besprechung derselben in der
Wiener Gesellschaft der Aerzte von Seite Dumreighers und Carl Braun's, als auch meh-
rerer jüngerer Chirurgen die heftigste Controverse darüber sich entspann; nach Kumar's
folgender ungünstiger Operation, gelang es dann Weinlehchner 1867 seinen 2. und 3. Fall
durchzubringen, damit in Wien der Ovariotomie den Weg zu ebnen, welchen nunmehr
Billroth epochemachend betrat. In Ungarn war J. Koväts in Budapest und ich in Klausen-
burg, die wir im Jahre 1869 — ersterer mit anfänglich ungünstigem, ich mit gutem Erfolge —
operirten (Wiener medic. Wochenschrift 1869). Die nunmehr sich ergebende rasche Ent-
wickelung und Verbreitung der Ovariotomie gehören der neuesten Zeit an und werden im
Weiteren berücksichtigt werden. Was uns aber aus der Geschichte dieser Operation be-
sonders interessirt und auch für die heutige Technik derselben von actuellem Werthe ist, sind
jene Daten ihrer Entwickelung, die sich auf die Grösse (Länge) und Oertlichkeit des
Bauchschnittes, auf die Behandlung der während der Operation in die Bauchhöhle ge-
langten Flüssigkeiten (Blut-Cysteninhalt), aut die Lösung der Adhäsionen und Versorgung
des Stieles und endlich auf den Schlussact sich beziehen.
MC DowELL hatte bei seiner ersten Ovariotomie einen 9 Zoll langen parallel der
weissen Bauchlinie geführten Bauchschnitt angelegt, um einen Tumor von 22^/2 Pfund
Gewicht aus der Bauchhöhle herauszubefördern ; die Gedärme waren gleich anfangs vor-
gefallen und bis zur Operations-Vollendung auch draussen verblieben und doch war eine
Heilung erfolgt. Die Mehrzahl der folgenden Operateure legte ein besonderes Gewicht auf
OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN. 573
einen kleinen (kurzen), die Linea alba genau einhaltenden Bauchschnitt, — und wenn auch
bereits im vorigen Jahrhundert Hunter gesagt hatte, dass die Operation sehr zu empfehlen
sei, falls zu deren Ausführung die Bauchhöhle nur soweit eröffnet werden müsse, um die
Cyste nach vorläufiger Function mit 2 Fingern aus der Bauclihöhle herausziehen zu können,
so ist anzunehmen, dass hierin nicht so sehr im Voraus bestimmte Princiiiien maassgebend
waren, als eher die Umstände, unter welchen gegebenen Falles der Tumor eben entwickelt
werden konnte.
Auf Fernbaltung von Blut und Cystenflüssigkeit und sorgsamste Entfernung der-
selben aus der Bauchhöhle, musste in einer Zeit, in welcher man die rasche Resorptions-
fähigkeit des Bauchfells und die Unschädlichkeit dieser Flüssigkeiten — solange sie nämlich
nicht eiterig zersetzt sind und sonst auch während der Operation in aseptischem Zustande
erhalten werden — nicht kannte, besonderes Gewicht gelegt werden. Und so sehen wir
bereits MC. Dowell vor Schluss der Bauchhöhle die Kranke auf den Bauch legen um Blut
und Cystenflüssigkeit daraus zu entfernen, welches Vorgehen nach ihm von vielen Opera-
teuren bis in die neuere Zeit, u. a. von Nussbaum befolgt wurde. Das gewöhnlichste Ver-
fahren zur Entfernung dieser Flüssigkeiten aus der Bauchhöhle war aber jenes, vermittelst
Schwämmen, — und wenn wir deren Zustandes vor Einführung der Antiseptik, gedenken, so
können wir die vielen durch septische Peritonitis bedingten Misserfolge nur zu gut ver-
stehen. — In der Folge erscheint in dieser Richtung ein Fortschritt, indem die Bauchhöhle
drainirt, oder behufs Entfernung der Secrete wieder eröffnet wurde (Peaslee, Koebbrle),
ein Verfahren, welches in der Vaginal-Drainage nach Marion Sims seinen Culminationspunkt
erreichte. Die Bekämpfung der Adhäsionen — ein heute beinahe vollkommen überwun-
dener Standpunkt — bildete im Anfange der Ovariotomie ein gewöhnliches Operationshin-
dernis; gab doch die Diagnostik der Adhäsionen vor der Operation Bird u. a.*) Veran-
lassung zu besonderem Studium derselben und wenn es auch schon MC. Dowell und nach
ihm Anderen gelang, Fälle mit Adhäsionen durchzubringen, so sind die vielen unvollen-
deten Operationen der ersten Zeit vor Allem auf die vorhandenen Adhäsionen zurückzu-
führen.
Das grösste geschichtliche Literesse gewinnt uns die Behandlung des Stieles ab.
Da nach der Abtragung des Tumors vom Stiele, der Blutung halber, derselbe unbedingt
unterbunden werden musste, das Unterbindungsmateriale aber zu dieser Zeit als ein reizen-
der fremder Körper betrachtet wurde, ja betrachtet werden musste, so hatte man auch auf
dessen Entfernbarkeit Rücksicht zu nehmen und so sehen wir bereits bei Dowell, dass er
den unterbundenen Stiel zwar in die Bauchhöhle versenkt, den Unterbindungsfaden aber
im untern Baucliwundewinkel herausleitet. Eine Modification dieses Verfahrens finden wir
bei March, der den Ligaturfaden des Stieles durch das Scheidengewölbe in die Vagina zu
führen angibt, ein Vorschlag, der als Vorläufer der späteren Vaginal-Drainage Mario:s
Sims' betrachtet werden kann. Eine wesentliche Aenderung in der Stielbehandlung, welche
zugleich die Operation einem bedeutenden Aufschwünge zuführte, war die im Jahre 184:1
von Stilling und 1850 von Duffin eingeführte extraperitoneelle Behandlung desselben. Die
unvollkommene Technik der Stielunterbindung damaliger Zeit (wahrscheinlich übte man
nur „en masse" und nicht zugleich auch isolirte Ligaturen an den Stielarterien) führte
sehr häufig zu tödtlichen Nachblutungen, die durch die extraperitoneelle Stielbehandlung
beseitigt waren. Eine weitere Entwicklung dieser Methode geschah 1858 durch die Erfin-
dung der Klammer von Hutchinson, welche unter instrumenteller Verbesserung von Seite
Spencer's zu ausgebreiteter Verwerthung gelangte. Als weiteren und überaus werthvollen
Fortschritt, welcher zu erneuerter und nunmehr so vortheilhafter Versenkung des Stieles
geleitete, können wir die von J. Clay und Backer Brawn eingeführte Durchtrennung des
Stieles vermittelst Glüheisens betrachten. Den Schlussact der Operation bildete die Schlies-
sung der Bauchhöhle, welche Modalitäten unterworfen war, je nachdem der Stiel versenkt.
oder extraperitoneal behandelt, das Peritoneum in die Naht einbezogen wurde, oder nicht!
Bei der extraperitonealen Behandlung füllte der Stiel den unteren Wundwinkel aus — an
dessen Ränder angenäht, (Stilling, E. Martin), oder mit der Klammer fixirt (Wells, Koeberle,
Keith), während oberhalb desselben die Wundränder mit dem verschiedensten Nähmateriale
— Zwirn, Seide, Eil de Florence, Draht, später Catgut — in Form einer Knopf-, Zapfen- oder
Plattennaht vereinigt wurden. Das Peritoneum sollte nicht in die Naht einbezogen werden,
da es hiedurch entzündet, überdies dem Eiter, Blut der Stichcanäle dadurch freie Passage
in die Bauchhöhle geschaffen werden könnte. Indessen wurde dasselbe schon von Alban
Smith 1823 mitgefasst und diese Einbeziehung auch von Spencer Wells besonders befür-
wortet und geübt, — von jener durch Thierversuche gestützten Ansicht ausgehend, dass
Darmschlingen und Netz an den des Peritoneums entblössten Partien der Bauchwand viel
leichter Adhärenzen eingingen.
Eine genaue Statistik der Ovariotomie zu geben, wäre unmöglich, da eine
grosse Anzahl der Fälle gar nicht publicirt ist (ich selber habe die Gesammtzahl meiner
Ovariotomien noch nicht veröffentlicht) — und wo fänden wir überdies all die relativen
*) S. Diagnose und chir. Behandlung der Unterleibsgeschwülste, 6 Vorträge von
T. Spencer Wells, Volkmann's kl. Vorträge 1878.
574 OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN.
Daten, aus denen die wahre Ursache des günstigen oder ungünstigen Ausganges der ein-
zelnen Fälle mit Sicherheit erschlossen werden könnte? Ein gewisser Werth kann indessen
auch einer mangelhaften Statistik nicht abgesprochen werden, denn sie illustrirt nicht
allein die bisherige Entwickelung der Operation, sondern, da all' unser Thun und Lassen
unzulänglich ist, wirkt sie belehrend auch für deren fernere Vervollkommnung. Was ich
in den Rahmen dieses Aufsatzes aus der allgemeinen Statistik aufzunehmen für noth-
wendig erachte, sei durch folgende aus Olshausen entnommene Daten gegeben:
Früheste, alle Fälle einschliessende Statistiken geben:
Atlee über 165 Operationen mit 64 Todesfällen := 66'67o Genesung. In derselben
Zeit 57 begonnene und nicht vollendete Operationen;
Lyman 212 vollendete Operationen mit 57-22 7o Genesungen und 88 begonnene Ope-
rationen.
Die von Stafford Lee seit 1809 — 1846 gesammelten, von Kiwisch und Cl.\y bis zum
Jahre 18B0 ergänzten Fälle ergeben folgende Statistik:
Vollendete Ovariotomien 395 Genesen 212 := 54°/o
Partielle Exstirpationen 24 Genesen 10
Exstirpation eines anderen Tu-
mors anstatt Ovarialtumors 13 Genesen 3
Wegen Adhäsionen unmögliche
Exstirpation 82 Genesen 58
Summe der Fälle 514 Genesung 288 = öll»/«
Die von Dutoit mit den bis 1864 reichenden Fällen ergänzte Tabelle J. Clay's er-
gibt unter 577 vollendeten Ovariotomien 323 Genesungsfälle = 567o-
Die von Peaslee durchgeführte und nur auf die vom Jahre 1860 — 1864 vollendeten
Operationen sich beziehende Zusammenstellung gibt unter 150 Fällen 99 = 6670 Gene-
sungen.
In den Jahresberichten von Virghow und Hirsch erscheint eine Zusammenstellung
der vom Jahre 1867 — 1874 vollendeten Ovariotomien, wo unter 1087 Operationsfällen 751
Genesungen = 6917o dargestellt sind.
Kiwisch zählte auf 122 Operationen 22 wegen technischer Schwierigkeiten unvoll-
endete == 18%; 14 diagnostische Missgriffe = ll".'o; zusammen 29''/o; Clay auf 514 Fälle
106 unvollendete Operationen = 21 7o und 13 Irrthümer = 27o, zusammen 237o; Robert
Lee 1853 auf 162 Operationen 60 unvollendete = 37"/o.
Nach Dutoit's bis zum Jahre 1863 reichender Zusammenstellung haben die Englän-
der in 15% der Fälle unvollendete Operationen und in 3-2% diagnostische Missgriffe.
Nach Grenzer's Zusammenstellung von 146 Fällen (von 1864—1870 in Deutschland)
erscheinen 7 unvoUendbare Operationen und 10 diagnostische Irrthümer = 12% ; Spencer
Wells zählte auf die ersten 500 vollendeten Operationen 28 unvoUendbare und 24 Probe-
incisionen = zusammen 9-4"/o; auf 1000 Fälle (1858 bis Juni 1880) 768 Genesungen = 89-2%;
die Mortalität war von 34 im 1. Hundert auf 11 im 10. Hundert gesunken.
Thomas Keith (1862—1881) 381 Operationen: 340 Genesungen = 89-27„.
Autor (1876 bis Mai 1885) 293 Fälle; 27 Todesfälle; 266 Genesungen = 90-0«/,; im
letzten Hundert 4 Todesfälle.
In diesen Zusammenstellungen ergibt sich die Thatsache, dass im Anfange der Ope-
rationen das Resultat ein günstigeres war, als in der nächsten Folge und zwar wohl aus
dem Grunde, weil anfänglich nur einzelne geübtere Operateure sich mit der Operation be-
fassten, später aber viele, denen Erfahrungen und nothwendige Technik fehlten; ferner,
dass die Zahl der unvollendeten Operationen nach und nach abnahm und endlich, dass
nach Einführung der Antiseptik die Genesungsziffer auffallend sich erhöhte.
Wenn wir nach Vorausschickung dieser geschichtlichen Daten zur Be-
sprechung der Operation von heute übergehen wollen, so möge deren
specielle Beschreibung mit folgender allgemeiner Betrachtung eingeleitet
werden:
Die Ovariotomie ist unter gegebenen Umständen ebenso leicht und ein-
fach, als schwierig und complicirt, ausführbar einmal in etwa 10 Minuten,
das anderemal erst im Verlaufe mehrerer Stunden, in seltenen Fällen über-
haupt unausführbar. Ihre Ausführbarkeit und der Erfolg ruhen heute ebenso
sehr auf der tieferen Einsicht in das Wesen und den Entwickelungsgang der
Ovarialtumoren, als auf der genaueren Kenntnis der Anatomie, der vervoll-
kommneten operativen Technik und hauptsächlich auf der aseptischen Behand-
lungsweise.
Wiesen und Entwickelungsgang, ferner regionäre und allgemeine Compli-
cationen vor Augen haltend, müssen wir uns vor Allem in Erinnerung rufen,
dass es cystische und feste, gestielte und ungestielte, intraperi-
toneale und extraperitoneale (intraligamentäre-subseröse), freie und
OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN. 575
an die Nachbarorgane adhärente; klinisch betrachtet; gut- und bösartige
Ovarial-Tumoren gibt und all' dem entsprechend auch die Operation und deren
Erfolg sich gestalten werden.
Zum leichteren Verständnisse der Pathologie und Therapie wollen wir Tcurz die topo-
graphische Anatomie der inneren Genitalien und ihrer Um g'ebung*j berühren.
Gehen wir zu diesem Behufe vom Ligamentum latum, als jener peritonealen Duplicatur aus,
welche das Becken in transversaler Richtung überspannt und dasselbe somit in einen vor-
deren und hinteren Raum abtheilt, so mögen wir imaginiren, dass im vorderen die Blase,
im hinteren der Mastdarm und zwischen beiden der Uterus mit seinen Adnexen in folgen-
dem wechselseitigen Verhältnisse gelagert sind: Uterus in der Mitte des breiten Bandes
zwischen die beiden Blätter desselben von unten her hineingeschoben, erhält diese als
peritonealen Ueberzug, welcher nach vorne in der Höhe des os uteri int. auf die Blase,
nach rückwärts in derselben Höhe, zuweilen tiefer bis zum fundus vaginae herabrückend,
nach vorhergehender Erhebung zu einer flachen transversalen Falte, auf den Mastdarm
übersetzt. Nach dem peritonealen Ueberzuge, welchen die beiden Blätter des Lig. lat. am
Uterus — vorne in lockerer, am Grunde und der rückwärtigen Fläche in festerer Verwach-
sung — bewerkstelligten, vereinigen sich dieselben wieder und im obern freien Rande die Tuba,
gleich unterhalb und nach rückwärts gelegen das Lig. ovarii, beinahe in gleicher Höhe
nach vorne zu das zum Leistencanale ziehende Lig. uteri rotundum und mit einer Aus-
buchtung der hinteren Lamelle den Hilus des Ovariums einfassend, gelangen sie zur
Seitenwand des Beckens, wo die Lamellen sich abermals theilen, die vordere dem Verlaufe
des Lig. uteri rotund., die hintere aber jenen Muskelzügen folgend, welche vom Uterus zur
Seite des Mastdarmes ziehen. Diese letzteren in sagittaler Richtung gelegenen flachen
Falten (Plicae Douglasii) begrenzen mit jener oben erwähnten transversalen Falte einen
zwischen Uterus und Mastdarm gelegenen Raum, welcher als Cavum Douglasii bekannt ist;
der Raum zwischen Uterus und Blase ist die Excavatio vesico-uterina. Die Tuba, welche
in den seitlichen Ecken des Uterusgrundes entspringt und ihrem anatomischen Baue nach
als röhrenförmige Fortsetzung dee Uterus (Schleimhaut mit Flimmerepithel, Kreis- und
longitudinelle Muskelfasern), in physiologischer Hinsicht aber als Ausführungsgang des
Ovariums betrachtet werden kann, verläuft anfänglich als gerader dünner, 9 5 — 16'5 cm
langer, bald sich erweiternder und dann geschlängelter, strangartiger Schlauch im obern
freien Rande des Lig. lat. seitwärts und dann nach rückwärts sich wendend zum Ovarium,
an welchem die längste der Tubenfransen, die Fimbria ovarica angeheftet ist, welche ihrer-
seits in einer secundären, zwischen äusserem Rande des Eierstockes und der äusseren
Tubenmündung ausgespannten Peritoneal-Falte (Lig. infundibulo-ovaricum) liegt. Das
abdominale Ende der Tube (Infundibulum, Morsus diaboli) durchbohrt das Lig. lat. noch
etwas vor dessen Anheftung an der seitlichen Beckenwand, wodurch der etwa 2 cm lange
und scharfe seitliche Theil desselben leer bleibt; dieser ist nach Hekle das Lig. infundi-
bulo-pelvicum.
Das Ovarium, durch einen 2>—^cm langen, aus glatten Muskelfasern, Gefässen und
Bindegewebsbündeln bestehenden, zwischen den Lamellen des Lig. lat. gebetteten festen
Strang (Lig. ovarii proprium) an den Uterus angeheftet, liegt als länglich runder, abge-
flachter, 3 — h cm langer, l^/g — 3 cm breiter und etwa lern dicker Körper in einer Tasche
der hinteren Lamelle des Lig. latum, welche aber nur die untere (Hilus) Partie bekleidend,
hier mit freiem Auge sichtbarem scharf begrenzten Saume abschliesst, über welchen hinaus
der übrige Theil mit der fibrösen, von grosskörnigem Cylinderepithel bedeckten Albuginea
umhüllt ist, die ihrerseits auch in das Stroma des Ovariums übergeht. Der untere, der
Falten-Basis zugekehrte Rand (Hilus Ovarii) ist auch frei vom Peritoneum und für den
freien Ein- und Ausgang der Blutgefässe bestimmt. Indem ich in Hinsicht auf den ana-
tomischen Bau und Function des Ovariums auf die Artikel „Ovarium" und „Oculation" ver-
weise, will ich hier nur kurz erwähnt haben die Eintheilung des Ovariums in Rinden- und
Marksubstanz oder nach Waldeyer in die Zona parenchymatosa und vasculosa, welch letztere
ausser Bindegewebe vorzüglich aus einzelnen Gefässen und solchen von cavernösem Cha-
rakter zusammengesetzt ist, während erstere in zartem Bindegewebsgerüste ausser feinen
Gefässen hauptsächlich jene bläschenförmigen Bildungen enthält, die als die Eizellen ein-
schliessenden GRAAp'schen Follikel bekannt sind. Diese complicirte Gewebsbildung in ihrer
regen Functionssphäre lässt uns die so häufigen und verschiedenartigen Verbildungen der-
selben verstehen.
Zu erwähnen ist noch das zwischen Tuba und Eierstock innerhalb der Lamellen des
breiten Bandes gelegene, aus parallel verlaufenden Schläuchen bestehende Parovarium,
welches als Ueberbleibsel der ursprünglichen Keimdrüse, ebenfalls und besonders cystischen
Verbildungen unterworfen ist. Gleichwie aus dieser kurzen anatomischen Skizze eine innige
Beziehung nicht allein zwischen Uterus, seinen Adnexen und deren Umgebungen, als
Beckenwand, Blase, Mastdarm, sondern auch zwischen deren einzelnen Gewebsschichten zu
*) Vergl. auch die Einleitung zu diesem ,Bande.
576 OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN.
ersehen ist, ebenso werden wir den wechselseitigen anatomischen Zusammenhang der Ver-
bildungen dieser einzelnen Organe wieder erkennen.*)
Auf die anatomisclieii Verhältnisse der krankhaften Bildungen des
Ovariiinis nunmehr übergebend, indem ich in Bezug auf deren Histogenese
und die darauf bezüglichen verschiedenen Ansichten auf die Werke der patho-
logischen Anatomie verweise, berühre ich hier nur kurz deren verschiedenartigen
anatomischen Bau, ihre Weiterentwickelung und ihre Beziehung, in w^elcher sie
zur Umgebung und in weiterer Folge zum (iesammt-Organismus stehen.
Wie bereits oben erwähnt, unterscheiden wir cystische und solide Ova-
rial-Tumoren, auch eine Combination beider. Erstere lassen sich ihrem Baue
und ihrer genetischen Entwickelung nach in 3 Arten zusammenstellen : 1. Folli-
ßUläre, 2. Dermoid- und 3. Proliferh'ende Cysten.
Die Follicular Cysten {Hydrops follicidorum Graafii), als erweiterte und
eine dünne, seröse, eiw^eisshältige Flüssigkeit bergende GEAAF'sche Follikel
sind selten Gegenstand operativen Eingriffes, da solche in oft zahlreicher Menge
vorhanden, doch nur selten zu bedeutenderer Grösse sich entwickeln. Wächst
eine unter diesen multiplen uniloculären (pauciloculären) Cysten bis zur Kopf-
grösse und darüber, so unterliegt sie demselben operativen Verfahren, wie die
anderen.
Die D e r m 0 i d c y s t e n (uniloculär, nie prolif erir end) , ob nun in Folge fötaler
Inclusion (Einstülpung des Hautblattes) (Heschl), oder durch Verirrung eines
Theiles jenes Axenstranges, in welchem die Fötal-Anlage aller Keimblätter
vorhanden (Hiss), oder aus den fötalen Epithelzellen (Eizellen) des Eier-
stockes (Waldeyee) entstanden, kommen seltener vor und erreichen gewöhnlich
nur die Grösse eines Mannskopfes, Sie sind vorwiegend einseitig, ausnahms-
weise beiderseitig, selten zwei in einem Eierstocke. Ihr Inhalt sind Bestand-
theile des Hautorgans, als : Fett in flüssig öliger, oder dicklich schmieriger
mit Epidermisz eilen untermischter Masse, welcher gewöhnlich ein bald kleineres,
bald grösseres Convolut heller Haare beigemengt ist. (Auch bei Negerinnen ist
die Farbe dieser Haare hell.) Die nach dem Erkalten erstarrte Fettmasse
zeigt häufig auch Cholestearinkrystalle; die Wand, aus Bindegewebe bestehend,
trägt auf ihrer glatten inneren Oberfläche eine mehrschichtige Lage von Pflaster-
epithel, enthält ferner Talgdrüsen (selten auch Schweissdrüsen), Knochen und
Zähne, Muskel und Nervenelemente.
Der Fall zu meiner ersten Ovariotomie — Wiener medic. Wochenschrift 1869 —
war eine Mannskopfgrosse Dermoidcyste des rechten Eierstockes, juxtaponirt der äusseren
Wandoberfläche eine zweite hühnereigrosse — in der Wandung kronengrosse Knochen-
platten — im Innern erstarrte Fettmassen, und ein faustgrosser Haarknäuel.
Das p r 0 1 i f e r e Kystom (Adenoma cylindro-cellulare) infolge einer Wu-
cherung der Drüsenschläuche des Ovariums, nicht der fertigen Follikel, und Ab-
sonderung einer schleimigen Flüssigkeit seitens der Epithelzellen entstehend,
ist die häufigste cystische Verbildung des Ovariums, welcher wir bei der
Ovariotomie begegnen, u. z. am gewöhnlichsten in der glandulären Form
(Waldeyee), bei der durch Wucherung und Einstülpung des Epithels in der
Wandung neue Drüsenschläuche und somit secundäre Cysten (Tochtercysten)
sich entwickeln, die in Folge gegenseitigen Druckes und dadurch bedingter
Atrophie der Wandungen confluiren und derart das Kystoma multiloculare
darstellen. Seltener ist die Form des Kystoma prolif erum papilläre (Waldeyee),
wobei durch Wucherung des Bindegewebes der Wand papilläre, mit Epithel be-
deckte Vegetationen in das Innere der Cyste sich ergeben, welche in ihrem
weiteren Wachsthum die Wand durchbrechen und dann in die freie Bauch-
höhle hineinwuchern.
*) Eine bildliche Orientirung für die Topographie der weiblichen Sexualorgane und
ihrer Umgebung bieten die in den Artikeln ^Uterus"' (s. d.) eingefügten Figuren.
OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN. 577
Die proliferen Kystome erreichen sehr häufig eine enornne Grösse — bis
zu 50 Kilo; deren Wandung ist bald durch Wucherung ihrer Bindegewebs-
schichte (Ovariumstroma), bald in Folge Einlagerung kleinerer Tochtercysten,
oft auch durch die in Folge entzündlicher Processe von aussen sich aunagerndo
Schwarten (Adhäsionen) mcistentheils verdickt, besonders stellenweise oft einen
scheibenförmigen festen Tumor darstellend; seltener verdünnt, leicht zerreissbar,
und somit für die Operation ungünstig. Der Inhalt, anfänglich schleimig, wird
in der Folge durch colloide Umwandlung der Zellen colloidartig, in manchen
Fällen honigartig, dicklich, einer Gelee gleich und dann mit dem Troicar unent-
fernbar; in Folge vermehrter Transsudation serös, durch Blutungen bluthältig
und in Folge Entzündungen eitrig, jauchig, letzteren Falles mit gleichzei-
tiger Gasentwickelung, (gewöhnlich eine Folge vorausgegangener, unreiner
Functionen). Zuweilen ist der Inhalt in den verschiedenen Cystenräumen ver-
schieden, in den jüngeren — kleinen Tochtercysten hühnereiweissähnlich —
in den grösseren bald serös-, bald colloidartig-bluthaltig, u. s. w.
Vor 20 Jahren vollführte ich bei einer älteren, mit einem colossalen proliferen
Kystome behafteten Dame im Laufe von 6 Jahren 34 Functionen, bei welchen ich mit dem
Troicar aus der einen in die nächstfolgende Cyste eindrang und hiebei Flüssigkeiten ver-
schiedener Farbe und Consistenz entleerte.
Eine seltene Erscheinung sind die P a r o v a r i a 1 c y s t e n ;"^') aus der Er-
weiterung jener Canälchen, die als Residuen des WoLFF'schen Körpers be-
trachtet werden, hervorgehend, haben sie einen intraligamentären Sitz und
entbehren daher auch gewöhnlich eines Stieles ; indessen kann sich beim
Grösserwerden der Cyste ein solcher auch bilden, indem ein Theil des Liga-
mentum latum zu einer stielartigen Falte sich ausdehnt. In den meisten
Fällen aber bleibt sie intraligamentär und gelangt bei ihrer Vergrösserung sehr
leicht unter dem DouGLAs'schen Boden an das Eectum und im retroperito-
nealen Räume zwischen die Blätter des Mesocolon. Ihre Wand ist gewöhnlich
dünn, nach innen ausser Cylinder-, oft auch Flimmerepithel tragend; ihr Inhalt
sehr dünn und klar, von geringem spec. Gewicht (1002 — 1005), opalescirend
und gewöhnlich kein Albumen enthaltend. Die Behandlung derselben besteht in
der Punction, welche oft zu radicaler Heilung führt; indessen ist in den ent-
wickelteren Fällen — besonders bei Vorhandensein eines Stieles — auch die
Exstirpation angezeigt, deren Erfolg bei Vorsicht gegen septische Infection ebenso
sicher ist, wie bei den anderen Cysten (das gesunde Peritoneum, welches diese
Cysten gewöhnlich bedeckt, ist für Infection viel empfänglicher, als das durch
wiederholte Entzündungen veränderte).
Noch seltener kommen die Tubo-ovarial-Cysten vor; sie bestehen
aus Erweiterungen des Ovariums und der Tuba wahrscheinlich in Folge Tubar-
katarrhes nach vorläufiger Verlöthung der Tuba mit einem Ovarialfollikel, (die
Verwachsung der Fimbrien mit dem Ovarium geht der Erweiterung voraus, da
erstere immer innerhalb der Cyste angetroffen werden — Rokitansky,
Richard, Burnier). — Das Uterinal-Ende der Tuba bleibt dabei gewöhnlich
offen, wodurch eine Entleerung ihres Inhaltes durch Uterus und Vagina (Hy-
drops ovariorum profluens), wie auch eine injicierende Therapie ermöglicht ist.
Viel seltener, als die cystischen, kommen die soliden Tumoren des
Ovariums vor (etwa in 57o) und dann besonders als Fibrome, Fibromyome,
Enchondrome, Sarcome und Carcinome. Die Fibrome, häufig beiderseitig, gehen
aus dem Ovariumstroma, wahrscheinlich nach vorausgegangenen Entzündungen
hervor und erlangen nur selten jene Grösse, in Folge deren sie Gegenstand
einer Operation sein könnten.
Im Jahre 1887 operirte ich einen enorm grossen soliden Tumor, welchen ich als
Fibrom des linken Ovariums diagnosticirt hatte. Bei der Operation stellte es sich indessen
heraus, dass der Tumor (Fibromyom) vom breiten Bande ausgegangen war. In iutraliga-
*) Vergl. auch den Artikel „FarovariaUmnoren'^ in ds. Bd.
ßibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. Ol
578 OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN.
mentärer Entwicklung — stiellos — an die Blase gelangt, hatte derselbe das paravesicale
Peritoneum und damit auch den Scheitel der Blase mitgehoben. Letztere wurde bei der
Auslösung des Tumors verletzt und in Folge davon die Blasennaht nothwendig.
Die aus Spindelzellen bestehenden und nicht selten ausgebreitete Meta-
stasen verursachenden Sarcome kommen auch seltener und meistentheils in
der Jugend vor, während die Carcinome bei älteren Personen eine häufigere,
die Lymphdi'üsen bald inficirende Erscheinung abgeben.
Die Combination fester und cystischer Formen kommt bei
allen festen Tumoren vor. Bald sind es Erweichungs-Cysten mit fettigem,
breiig flüssigem Inhalte, bald hydropisch entartete Follikel oder Erweiterungen
von Lymphräumen und Lymphgefässen, die in dem soliden Tumor eingebettet,
dessen Consistenz zu einer elastisch fluctuirenden gestalten.
Die Entwicklung und P'olgen der Ovarial-Tumoren verdienen sowohl in
symptomatischer, als therapeutischer Hinsicht unsere besondere Aufmerksam-
keit. Was hauptsächlich die Ovarial-Kystome anbelangt, kommt in erster Reihe
ihr intra- oder extraperitonealer (subseröser) Stand in Betracht und hiemit eng
verbunden ist ihr stielloser oder gestielter Zustand.
Der häufigste Entwicklungsmodus nun ist der, dass die Cyste der
Bauchhöhle zu aus dem Theile des Ovariums herauswächst, welcher oberhalb
jener, Inder anatomischen Beschreibung erwähnten Peritonealtasche {Mesovarium)
des Ligamentum latum liegt. Durch den Zug, welchen die sich erhebende
Cyste auf die das Ovarium befestigenden Theile ausübt, wie nicht minder in
Folge hyperplastischer Processe, wird vor Allen dieses Mesovarium, nachher
der mediale, das Ligamentum ovarii enthaltende und endlich der laterale Theil
des breiten Bandes (Lig. infundibulo-ovaricum) gehoben und ausgedehnt. Die
im obern Rande des breiten Bandes liegende Tuba folgt mit, wobei deren
abdominaler Theil auf die Cystenwand zu liegen kommt, während der mediale
(uterinale) Theil zur Stielbildung beiträgt.
In manchen Fällen bleibt die Tuba durch ihren Mesosalpinx vom Tumor getrennt
und kann bei der Operation zurückgelassen werden.
Durch diese Entwicklungsvorgänge entsteht der Stiel der Cyste,
welcher seiner Form nach, breit, dick, dünn, kurz, schmal oder lang ist, seinen
Bestandtheilen nach, vor allen aus der hinteren Platte des breiten Bandes,
Ligamentum ovarii, Ligamentum infundibulo-ovaricum, meistentheils auch aus
dem medialen Theile (Isthmus) der Tuba besteht, ausserdem natürlicherweise
aus den Gefässen, welche von lateralwärts durch das Ligamentum infundibulo-
pelvicum, als sogenannte Spermaticalgefässe, von medianer Seite her als Aeste
der Arteria und Vena uterina in den Stiel und die Cystenwand eintreten.
Kurze, dicke Stiele haben oft Gefässe kleineren Kalibers, schlanke Stiele,
starke (Bryant).
Das Wachsthum der Cyste nun kann in anderer Richtung geschehen,
wodurch sie in eine theilweise oder totale intraligamentäre Lagerung geräth.
Indem die Cyste nämlich sich mehr nach abwärts zwischen den Lamellen des
Ligamentum latum entwickelt und diese gleichsam entfaltet (auseinanderdrängt),
kann sie medianwärts an den Uterus und die Blase, lateralwärts das Ligamen-
tum infundibulo-pelvicum entfaltend, an die Beckenwand herantreten und beiden
Ortes innige Verbindungen eingehen, bei späterer Erhebung in den Bauch-
raum Uterus und Blase mitheben; des Ferneren kann der Tumor sich mehr
nach rückwärts, der Basis der hinteren Lamelle des breiten Bandes zu ent-
wickeln und so den DouGLAs'schen Boden, ja die hintere peritoneale Lamelle
des Uterus erhebend, an das rectum gelangen und nun subserös im retroperi-
tonealen Räume nach aufwärts zwischen die Blätter des Mesocolon hinein-
w^achsen. Viel seltener entwickelt sich der Tumor in der Richtung nach
vorne, wobei dann das Peritoneum der Fossa paravesicalis erhoben und immer
weiter nach oben gedrängt wird. In extraperitonealer Lage zwischen den
Lamellen des breiten Bandes finden wir gewöhnlich die Parovarial- Cysten,
OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN. 579'
welche indessen auch gestielt sein können, wenn durch den Zug am Ligamen-
tum latum ein strangartiger Fortsatz sich entwickelt hat. Dem Gesagten
zufolge fehlt der Stiel gewöhnlich bei subseröser Entwicklung; er kann aber
auch fehlen infolge von Torsion, in welchem Falle die Ernährung des Tumors
auf dem Wege von Adhäsionen geschieht, welche er mit anderen Organen,
besonders mit dem grossen Netze eingeht. In Folge solcher Adhäsionen kann
der Stiel auch doppelt sein.
Im Jahre 1891 operirte ich eine rechtsseitige Ovarial-Cyste, welche linkerseits
einen zweiten, starke Gefässe enthaltenden und vom grossen Netze stammenden Stiel
besass.
Eine Doppelung des Stieles kann übrigens auch durch Dehiscenz der ihn
zusammensetzenden Theile und ferner dadurch zu Stande kommen, dass ein
Ovarialtumor auch mit dem gegenseitigen breiten Bande verwächst und das-
selbe in seinem weiteren Wachsthum zu einem zweiten Stiele ausdehnt.
Die Allgemein-Ersch einungen, welche in Folge von Ovarialtumoren
auftreten, sind in den meisten Fällen anfänglich so bedeutungslos, dass die
Betreffenden sich ihres krankhaften Zustandes erst bewusst werden, wenn der
Tumor bis zum Nabel und darüber hinaus gewachsen ist, oder dessen Existenz
durch zufällige ärztliche Untersuchung schon früher constatirt wurde. Natur-
gemäss sind diese Erscheinungen oft schon im Anfange und später in allen
Fällen die Folge jener mechanischen Beeinflussung, welche die Tumoren auf
ihre Umgebung ausüben. In erster Reihe stehen hier der öftere Harndrang
und die erschwerte Defäcation, als Folge des Druckes, welchen der Tumor auf
Blase und Mastdarm verursacht, so lange er noch im kleinen Becken liegt,
und welche verschwinden, wenn derselbe in die Bauchhöhle sich erhebt. Becken-
Nerven und Gefässe sind diesem Drucke besonders bei den Cysten intraperi-
tonealer Entwicklung weniger ausgesetzt und daher auch Schmerzen und Cir-
culationsstörungen (Oedeme) in dieser Gegend und in ihrem nächsten Gebiete
(Scham, Unterextremitäten) nur selten vorhanden; subseröser Stand des Tumors,
dann feste und unter diesen vorzugsweise maligne Tumoren indessen geben in
dieser Richtung bald Kunde von sich. Auch die Ureteren werden nur aus-
nahmsweise beeinflusst, indem sie durch mechanischen Verschluss in ihren
oberen Partien erweitert werden und in weiterer Folge erhebliche Nieren-
stauungen sich ergeben. Das Vorkommnis ist zum Glücke gewöhnlich einseitig.
Im Jahre 188.5 operirte ich eine Hydronephrose, welche durch eine im kleinen Becken
eingekeilte linksseitige Ovarial-Cyste entstanden war ; einen ursächlich ähnlichen Fall, der
in Folge von Urämie auch tödtlich endete, erwähnt Martiim.
Albuminurie infolge Druckes auf die Nierenvenen kann auch in Er-
scheinung treten und nach der Operation schwinden. Prolapsus uteri infolge
Ovarial-Kystoms entstanden, sah ich öfters — auch in Fällen, wo kein com-
plicirender Ascites zugegen war; in einigen Fällen auch Umbilicalhernien. Die
sexuellen Functionen sind gewöhnlich nicht beeinträchtigt, Menstruation nur
ausnahmsweise gestört, besonders bei subserösen (intraligamentären) und
papillären Kystomen in verfrühter und profuserer Erscheinung; Schwanger-
schaften sind nicht ungewöhnliche Vorkommnisse.
Vor einigen Jahren operirte ich ein Kystom im siebenten Monate der Schwangerschaft.
Erhebliche Functionsstörungen verursachen Ovarialtumoren besonders durch
ihr rasches Wachsthum in der Bauchhöhle; Druck, Zerrung des Darmtractes (bei
Adhäsionen) sind nicht seltene Erscheinungen; Hinaufdrängen des Zwerchfells und
dadurch bedingte Compression der Lungen und des Herzens können zu tödtlichem
Lungen-Oedeme führen; Compression des Magens, der Nieren, verui'sachen
Ernährungsstörungen, die ihren Culminationspunkt in dem Verluste an stick-
stoffhaltigen Substanzen des Körpers erlangen. Auch die im Laufe des Wachs-
thum s auftretenden Peritonitiden tragen, wenn auch nicht in Folge von Fieber,
welches nur ausnahmsweise vorkommt, so doch durch die Schmerzen ebenfalls
zu den im Gange stehenden Störungen bei. Diese Entzündungen,
580 OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN.
welclie sich schon spontanerweise ergeben, Avenn der Tumor eine gewisse
Grösse — das Niveau des Nabels — erreicht hat und nun der Druck und die
zum Verluste des peritonealen Oberflächenepithels führende Reibung sich
gesteigert haben, gelangen durch die daraus resultirenden Adhäsionen zu beson-
derer Bedeutung, indem letztere, von heftigeren Darmerscheinungen (Occlu-
sionen), wie solche bei den zum Glücke selteneren visceralen Adhäsionen auf-
treten können, abgesehen, ein oft schwieriges Operationshinderniss abgeben.
Dem Gesagten zufolge bedingen die Ovarial-Tumoren einen krankhaften
Zustand, welcher, wenn er durch Intercurrenz einer rationellen Therapie in
seinem Verlaufe nicht sistirt wird, in den allermeisten Fällen den Organismus
bald früher, bald später (in 5—12 Jahren) durch Erschöpfung zur Auflösung —
und nur in Ausnahmsfällen zur Genesung führt und wenn wir all' die Vor-
bedingungen zu diesen verschiedenen Ausgängen einer speciellen Betrachtung
unterziehen wollen, so sind es: Blutungen in die Cystenräume — spontan, haupt-
sächlich bei papillären Kystomen, dann bei Stieltorsionen, ferner activerweise
durch Function in Folge directer Gefässverletzung oder rascher intracystöser
Druckverminderung entstanden, welche zu hochgradiger Anämie und plötz-
lichem Collaps führen können. Die Stieltorsion — höchst wahrscheinlich durch
ungleichmässige Entwickelung des Tumors, Lageveränderung des Körpers, oder
jener Organe, die den Tumor begrenzen — schwangerer Uterus — Darm —
und in Folge langer Stielverhältnisse entstanden, führt ausser zu den bereits
erwähnten, möglicherweise letalen Blutungen, häufig zur Verjauchung und
acuten Peritonitis und nur ausnahmsweise zur Heilung durch Schrumpfung,
Verfettung und Verkalkung der Cyste, hie und da aber auch zu ihrer weiteren
Entwicklung unter neuen (Adhäsions-) Ernährungs-Verhältnissen.
Die Vereiterung und Verjauchung der Cysten, als eine vorzugs-
weise durch um-eine Function herbeigeführte, aber auch spontan wahrscheinlich
auf indirectem Wege durch Einwanderung von Zersetzung erregenden Organismen
(etwa aus dem Darme bei visceralen Adhäsionen) entstandene Erscheinung, bedingt
sehr häufig eine allgemeine letale Peritonitis, oder fieberhaften Marasmus.
Vor einigen Jahren hatte ich in dieser Richtung zwei parallele Fälle: in dem einen,
in welchem durch vorläufige Function eine Ovario-Cystitis und circumscripte Peritonitis
entstanden — machte ich nach Ablauf der acuten Attaque die Ovariotomie, bei welcher
ich die Besudelung der Peritonealhöhle mit dem theils flüssigen, theils gasartig-jauchigen
Inhalte der überaus zereisslichen Cyste nicht verhindern konnte und daher die Patientin
in Folge acuter septischer Peritonitis verlor, während im anderen Falle, in welchem die
cysto-peritonitischen Affectionen spontanerweise entstanden waren, infolge dieser ohne
Operation zu Grunde ging.
Die Ruptur der Kystome — ein Vorkommniss besonders bei dünnwan-
digen (folliculären und parovariellen, seltener bei proliferen) Cysten und spontan
bald durch den Druck ihres flüssigen Inhaltes, oder durch entzündliche Vorgänge
in den Wandungen (Thrombose der Gefässe — indirecte Infection), durch pa-
pilläre Excrescenzen, am häufigsten wohl durch äussere mechanische Einflüsse,
als Druck, ärztliche Untersuchung (vor einigen Jahren gelangte ein proliferes
Kystom in meine Untersuchung, bei welcher zahlreiche eigrosse extramurale
Cysten gleichsam unter der Hand zerplatzten), Stoss, erhöhte Bauchpresse bei
Geburten, oder sonstigen körperlichen Anstrengungen bedingt, — nimmt einen
verschiedenen Ausgang, je nach der anatomischen Beschaffenheit der Cyste
selbst (uni — multiloculär), oder je nach der Richtung, in welcher der Durchbruch
geschieht oder endlich je nach der Qualität und Quantität des Cysten-Inhaltes.
Dünne seröse Flüssigkeit, wie solche die erweiterten uniloculären GRAAF'schen
oder WoLLP'schen Follikel liefern, in die Peritonealhöhle ergossen, gelangt
nachtheilslos zur raschen Resorption und der Cystensack etwa zur Schrumpfung,
sonach der ganze Krankheitsprocess unter vermehrter Diurese zur Heilung.
Desgleichen können sich Heilungen ergeben beim Durchbruch in den Darm —
Rectum — in die Blase und nach aussen. Schlimme Ausgänge folgen nach
OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN. 581
Rupturen von proliferen Kystomen mit dickem geleeartigen, oder blutig eitri-
gem, jauchigen Inhalte, wie oben erwähnt in Folge von Peritonitis; oder bei
papillären Kystomen durch Metastasen, welch' letztere so häufige Begleit-
erscheinungen aller malignen Tumoren sind.
Die Diagnose der Ovarial-Tumoren ist auf Grund der heutzutage ent-
wickelteren physikalischen Untersuchungsmethoden für gewöhnlic.h keinen
Schwierigkeiten unterworfen; auch sind Irrthümer in einer Zeit, in welcher
beinahe alle xibdominal-Tumoren einer operativen Behandlung unterzogen werden
und explorative Laparotomien unter aseptischen Cautelen durchgeführt, ganz
unschuldige Eingriffe bedeuten, nicht von jener Tragweite, die sie früher hatten.
Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, können wir uns in der Bestimmung
Ton Ovarialtumoren auf die Hauptmomente der Erscheinungen beschränken.
Soll nun ein solcher Tumor in die Adnexe des Uterus verlegt werden, so muss
dieser und die anderen Becken- und Bauch-Organe, wie nicht minder die re-
troperitonealen Gebilde in normalem Zustande befunden werden, was durch
genaue Palpation und Percussion in einem Falle, in welchem der Adnextumor
etwa bis zur Nabellinie nur, oder nicht viel höher sich erhoben hat, durch
Constatierung folgender Symptome ermöglicht ist: der Tumor ist nach oben
und den beiden Seiten, in der Richtung nach der Beckenhöhle aber nicht be-
grenzt; die hiebei constatirbare Grenze der Leber- und Milzdämpfung, des
Percussions-Schalles von Magen und Colon transversum, schliessen dessen Zu-
sammenhang mit diesen Organen aus. Von einer etwa dilatirten Blase durch
Katheterisation derselben unterscheidbar, ergeben sich betreffs eines schwangeren
Uterus folgende differentielle Merkmale: Von aussen betastet, erscheint die
Form des Tumors viel unregelmässiger gestaltet (unregelmässige Kugelform),
als jene des schwangeren Uterus, durch vaginale oder rectale Digitaluntersuchung
der Gebärmutter, eventuell nach Abwärtsziehen derselben mit Muzeux (Hegar)
ist ihre normale Form und Grösse durch Umtasten zu constatiren, gewöhnlich
auch die seitliche strangartige Verbindung derselben mit dem Ovarial-Tumor.
Menses von gewöhnlich typischer Erscheinung bei Ovarial-Tumoren, cessiren
in der Schwangerschaft, in welcher nach dem 5. Monat auch die Kinds-
bewegungen in Erscheinung treten. Die Umgreifbarkeit des Tumorgrundes an
seiner oberen Begrenzung, theilweise auch dessen hinterer Fläche, sein An-
liegen an die vordere Parietalwand, öfter auch freiere Beweglichkeit lassen
denselben von einem retroperitonealen Tumor, einer Hydronephrose — vor
welcher Gedärme liegen — das Fehlen einer pulsirenden und etwa auch Geräusche
bergenden Geschwulst von einem Aneurysma der Bauchaorta oder Iliaca com.
unterscheiden. Der nach vorne leere Percussions-Schall des Ovarialtumors ist
in der Rückenlage oben und von beiden Seiten von Darmton begrenzt; diese
Percussionserscheinungen ändern sich beim Wechsel der Körperlage nicht,
oder nur unbedeutend, was ihn wieder von Ascites unterscheidet.
Eine stercorale Erweiterung des Darmes unterscheidet sich durch eine
theils knollige, theils teigigweiche Consistenz. Hysterischer Tympanites, sog.
Pseudo- oder Phantom-Tumoren, sind selten und auf Grund präciser Per-
kussion, eventuell durch Anwendung der Narkose vom Ovarial-Tumor unter-
scheidbar.
Ist der Ovarialtumor noch im kleinen Becken, so liegt er gewöhnlich dem
hinteren Scheidengewölbe auf und ist von dort aus zu fühlen. Bei bimanueller
Palpation können wir nicht nur dessen rundliche, zuweilen höckerige Gestalt,
sondern auch seine seitliche Lage zum Uterus und Verbindung mit demselben
durch das Lig. ovarii constatieren; letzteres gelingt noch besser durch die
HEGAR'sche Untersuchungsmethode, bei welcher der Uterus mit Muzeux herab-
gezogen wird und nun zwei ins Rectum geführte Finger den Grund und die
Seiten des Uterus betasten. Ist der Tumor beweglich, so wird man über seine
Lage am besten orientiert, wenn ein Assistent mit beiden Händen vorerst die
582 OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN.
Bauchdecken der Symphyse zuschiebend, den Tumor aus dem Becken nach
oben hebt und nun der bimannell Untersuchende mit der einen Hand oberhalb
der Symphyse den Uterus zu umgreifen sucht, während die andere Hand den-
selben von der Vagina oder dem liectum aus entgegendi'ückt (B. G. Schultze).
Indem hiebei auch der Stiel gefühlt wird, ist gleicherzeit die Rechts- oder Links-
seitigkeit des Tumors klargestellt.
Schwierigkeiten ist die Diagnose unterworfen, wenn der Tumor im kleinen
Becken eingekeilt oder dort adhärent ist, da dann Verwechselungen mit
Beckenexsudaten und Beckenhämatomen vorkommen können. Nicht minder
ergeben sich betreff der Diagnose Schwierigkeiten, wenn der Tumor in Folge
steten Wachsthums weit über die Nabelhöhe in die Kuppel des Zwerchfells
sich erhoben hat. Die Grenzen desselben können nunmehr durch Palpation
weier nach oben, noch aber nach den Seiten zu bestimmt werden. Die "Milz
weit hinauf unter das Zwerchfell, die Leber nach rechts bis zur Axillarlinie
verdrängt, lassen sich durch Percussion vom Tumor nicht mehr abgrenzen und
die Gedärme wiederum sind derart nach rückwärts verlagert, dass deren
tympanitischer Percussionsschall nunmehr in den Weichen, jener des Magens
und Colon transversum unter dem linken Rippenbogen zu linden ist.
Ein typischer Fall dieser Kategorie, welcher mir nicht allein zur Unter-
suchung, sondern auch zur Operation die Gelegenheit verschaffte und in Hinsicht letz-
terer und deren Ausganges von besonderer "Wichtigkeit war, sei hier in Kurzem dar-
gestellt: Abdomen der 60 Jahre alten Patientin über die Grösse einer Hochschwangeren
ausgedehnt, nähert sich in der Form einer unregelmässigen, länglich runden Kugel ^
linkerseits mehr hervorgewölbt, als rechts, steigt dessen Wandung überdies steil zur weissen
Bauchlinie hinauf, während rechts davon eine Abflachung und unterhalb des Nabels die
Form eines Hängebauches erscheint; dem entsprechend beträgt die linke Hälfte des
über die Nabelhöhe mit 122 cm bemessenen Umfanges 62, die rechte 60 cm ; die Länge der
von der rechten Brustwarze zur linken Spina oss. ilei sup. gezogenen Linie 68, gegenüber
der gegenseitigen, die nur 66 cm misst. Die Länge der weissen Bauchlinie vom Proc.
xyphoides zur Symphysis beträgt 88 cm, von welchen 31 auf die obere und 57 cm auf
die unter dem Nabel gelegene Hälfte entfallen. Diese für die Annahme einer Cyste —
gegenüber von Ascites — charakteristischen Werthe, gewinnen an Bedeutung durch den
Unterschied zwischen transversalem und sagittalem Durchmesser des Abdomens, deren
ersterer in der Nabelhöhe gemessen 37 cm, während der letztere aber 40 cm misst. Durch
Palpation ist der Abdominaltumor von keiner Seite umgrenzbar, da er sich aus der Becken-
höhle in medialer Linie bis weit unter dem Proc. xyph., lateral unter die Rippenbögen
erstreckt, die Weichen aber in Folge hochgradiger Spannung ein Durchtasten illusorisch
machen. Rippenbögen und Proc. xyph. nach aussen zu umgebogen — letzterer zur Körper-
axe beinahe vertical gestellt, ist dadurch die bei kleineren Cysten vorkommende fassähn-
liche Gestalt des Abdomens in eine mehr kugelförmige umgewandelt. Herzdämpfung im'
vierten Intercostalraume zwischen Sternum und Brustwarze; Lungengrenze in der linken
Mammalinie an der 6. Rippe; von da abwärts bis ins Becken hinein absolute Dämpfung-
an der medialen Grenze der linken Axillarlinie beginnt in der Höhe des sechsten Inter-
costalraumes ein gedämpft tympanitischer Schall, welcher immer voller werdend, in schräger
Richtung nach ab- und rückwärts unter dem Rippenbogen in die Lumbaigegend sich erstreckt,,
welch' letztere sowohl in der Rücken-, als Seitenlage reinen Darmton gibt. In der medianen
Linie absolut gedämpfter Ton von der Symphyse an bis an die untere Grenze des Sternum-
körpers, an welcher nach aufwärts zu der Lungenton beginnt. Rechterseits im fünften
Intercostalraume an der Parasternallinie beginnend gedämpft tympanitischer Schall, welcher
ebenfalls in schiefer Richtung lateralwärts zur Axillarlinie läuft, in welcher die Tumor-
dämpfung unmittelbar in jene der Leber übergeht. In der rechten Lumbaigegend wieder
reiner Darmton, welcher nach aufwärts bis zur 10. Rippe sich erstreckt und beim Wechsel
der Körperlage unverändert bleibt. An der Haut des Abdomens 3 punktförmige Narben
als Residuen vorausgegangener Functionen. Diese physikalischen Erscheinungen geben
deutlich an, wie der Tumor in die Kuppel des Zwerchfells gestiegen, nunmehr Herz und
Lunge nach aufwärts, Milz unpercutirbar in die Höhe des Zwerchfells, die Leber lateral-
wärts der Axillarlinie zu, Magen, Colon trans. wie überhaupt alle Gedärme nach rückwärts
verlagert hatte.
Wenn ich des Weiteren erwähne, dass durch die Adspection am Abdomen hie und
da handtellergrosse, flachconvexe Erhöhungen, daneben plane Abflachungen, ausgedehnte
subcutane, besonders rechts bis in die Achselhöhle sich erstreckende Venennetze; ferner
durch Palpation fest elastische und massig derbe Territorien von bald rund-oblonger, bald
strangartiger Form; durch Percussion im grösseren Theile des Abdomens eine freie, gross-
weUige, und in nur kleinerem Theile kurzwellige, nur bis zu den Grenzen der Tumor-
OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN. 583
Dämpfung sich erstreckende Fluctuation; durch vaginale Digitaluntersuchung' Ilochlagerung
und Verstrichensein, sonst aber Beweglichkeit der Vaginalportion, elastische Resistenz am
hinteren Scheidengewölbe wahrzunehmen sind, der Urin eiweisfrei, Stuhl trüge, Appetit
geringe, Oedeme an den Unterextremitäten, wie überhaupt überall; fehlen, Patientin von
etwas blasser Gesichtsfarbe, ziemlich abgemagert ist: so habe ich das diagnostische Bild
eines „Cystoma proNferum^^ auch in einem Falle, in welchem der Abdominaltumor die
gröstmögliche Ausdehnung erreicht hat, in den Hauptzügen gezeichnet, doch nicht in Hin-
sicht der Details in Bezug auf Rechts- oder Linksseitigkeit und auf die Stielverbältnisse,
Complicationen, als Adhäsionen, Verlagerung der Beckenorgane, hauptsächlich des Uterus,
wozu die obenerwähnte bimanuelle Untersuchung nach Hegau und Sciiültzk, ferner die An-
wendung der Uterussonde als nothwendig erschienen wären, welche unterblieben, da die
Operation auf Drängen der Patientin in zwei Tagen darauf erfolgen sollte — und Com-
plicationen uns heute nicht mehr überraschen. Auf diesen Fall, als Typus für viele
andere gewählt, werden wir auch bei der speciellen Beschreibung der Ovariotomie
noch zurückkommen.
Feste und cystische Ovarialtumoren unterscheiden sich von einander
naturgemäss durch ihre Consistenz, welche bei den ersteren derb, fest elastisch,
bei letzteren elastisch fluctuirend erscheint. Vielwiegend für die bezügliche
Differential-Diagnose ist ferner die Erfahrung, dass feste Tumoren den cystischen
gegenüber eine viel seltenere Erscheinung abgeben, und dass in ihrem Gefolge
bald Ascites auftritt. Dass ein fester Tumor nicht einer vergrösserten Milz
oder Leber {Wandermüz, Wanderleber) angehörig ist, lässt sich durch deren
Begrenzung ' dem Beckeneingang zu, respective durch die Isolirbarkeit der
inneren Genitalien unterscheiden. Ein solider Tumor des Uterus unterscheidet
sich von einem soliden Ovarien-Tumor durch das Fehlen einer stielartigen
Verbindung des Letzteren mit einem Uterushorn, vor Allem aber durch die
vermittelst Uterussonde constatirbare Verlängerung der Uterinhöhle. Ketro-
peritoneale cystische und feste Tumoren haben die Gedärme immer vor, oder
neben sich (vor einigen Jahren kam mir ein colossales, zwei Drittheile des
Bauchraumes einnehmendes linksseitiges Nierensarcom zur Beobachtung, bei
welchem der ganze Darmtract nach rechts verlagert war). Präperitoneale,
sogenannte Bauchdeckenfibrome und Cystofibrome (Weinlechnee, Wiener
medic. Bl. 1883, Nr. 1 und Rokitansky, Wiener medic. Pr. 1880, Nr. 4.)
und verschiedene intraperitoneale Tumoren, als Pankreas-, Netz-, Mesenterial-
Cysten, Echinococcen, Sarcome, Carcinome, u. s. w. lassen in erster Reihe durch
ihre Lage und ferner auf Grund der bezüglichen rationellen Symptome sich
unterscheiden.
Vor zwei Jahren operirte ich mit gutem Erfolge ein kindskopfgrosses Sarcom des
Netzes, welches in einem kleinen Nabelnetzbruche entstanden, theils in den Bauchdecken,
theils und zwar seinem grössten Theile nach aber in dem der Bauchhöhle angehörigen
Netze lag ; und vor zwei Wochen ein mannskopfgrosses Bauchdecken-Sarcom, welches in
seiner subserösen Entwicklungslage Bauchmusculatur vor, Peritoneum hinter sich, das
Letztere tief in den Bauchraum hineingedrängt hatte.
Das Hauptmerkmal der cystischen Ovarial-Tumoren, die Fluctuation
erscheint entsprechend der verschiedenen Natur der Kystome betreffs anatomi-
schen Baues ihrer Wandung und chemisch-physikalischer Eigenschatt ihres
Inhaltes, in verschiedener Weise. Freie, grosswellige Beweglichkeit der
Flüssigkeit ergibt sich in den folliculären, dann parovarialen, zuweilen auch
in den einkämmerigen dermoiden Cysten; unregelmässig sich ausbreitende,
kurzwellige Fluctuation in den proliferen, oft coUoiden Inhalt einschliessenden.
Dermoide, die solide Massen, wie Haare, Knochen enthalten, behindern die
freie Fluctuation. Ein wichtiges diagnostisches Merkmal der parovarialen
Cysten ist ausser der freien, grosswelligen Fluctuation das Vorhandensein des
Ovariums neben der Cyste, welches bei bimanueller Untersuchung zuweilen
durchgefühlt werden kann.
Die selten vorkommenden Tubo-Ovarialcysten charakterisiren sich, wie
bereits oben erwähnt durch periodische Verkleinerung während des Ausflusses
ihres Inhaltes durch Uterus und Vagina {Hydrops ovariorum profluens). In-
dessen können auch hierbei Täuschungen unterlaufen.
584 OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN.
Im Jahre 1S93 operirte ich eine Patientin, bei welcher unter jedesmaliger Verklei-
nerung des kopfgrossen Abdominaltumors periodenweise eine dünne schleimige, hie und da
rothtingirte Flüssigkeit sich entleerte, nachdem ich auf Grund dieses Symptoms die
"Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf eine Tubo-Ovariakyste gestellt hatte. Die diagnostische
Schwierigkeit war dadurch bedingt, dass bei der Patientin im Jahre 1885 in Budapest eine
Ovario- oder Myotomie (?) mit extraperitoneeller Stielbehandlung vollführt worden war,
über welche ich keinen näheren Aufschluss erhalten konnte. Bei der nun meinerseits
vollführten Operation ergab sich am üternskörper ein Fibromyom und gleicherzeit in
dessen Höhle ein Carcinom, die nachträglich den Ausfluss aus dem Uterus und die jewei-
lige Verkleinerung der Geschwulst klarstellten. Nach supravaginaler Amputation des
Uterus nebst extraperitonealer Stielbehandlung verbheb der Verlauf ein aseptischer und
konnte die Patientin am 11. April vollkommen geheilt entlassen werden.
Die Vorbereitung zur 0 v a r i o t o m i e bezieht sich auf Alles, was zu
ihrer Ausführung in Hinsicht auch auf deren sicheren Erfolg derzeit als noth-
wendig erscheint, also ebenso auf die passive, als active Persönlichkeit ■ oder
Persönlichkeiten, als auf die anderen nothwendigen Behelfe.
Die Räumlichkeit sei nicht zu gross und nicht zu klein von klarem
diffusen Lichte erhellt und auf 19 — 20 " C. erwärmt, damit der Abkühlung des
Körpers bei längerer Operationsdauer auch hiedurch vorgebeugt werde. Was
die Grösse anbelangt, ist ein kleiner Operationssaal mit guter Ventilations-
Vorrichtung, abwaschlDaren Wänden, Plafond und Fussboden sehr beliebt, im
Nothfalle thut es auch ein grösserer Operationssaal, wenn man die vorherige
Lüftung und Reinigung vermittelst Carbol-Salicyl-, oder Sublimat-Spray durch-
geführt hat. In letzterer Zeit lasse ich über dem Operationsfelde einen mit
sterilisirtem Leintuche hergestellten Baldachin spannen, um allen fallenden
Staub und dessen schädliche Beimengungen abzuhalten. Zur Lagerung der
Patientin während der Operation ist ein gewöhnlicher, gepolsterter, mit Carbol-
oder Sublimatlüsung desinficirter Operations-Tisch wohl am zweckmässigsten,
und ebenso vortheilhaft jene Eimichtung, wonach Patientin nach vollendeter
Operation von diesem direct in das im Voraus herbeigestellte Bett gelegt und
damit in eine gut gelüftete und temperirte andere Räumlichkeit getragen wird.
Patientin, deren Darmcanal einige Tage vorher mit Ricinusöl, am Tage der
Operation überdies mit einer Clysma - Irrigation entleert wurde, nimmt 1
oder 2 Tage vorher ein Bad mit Seifengeist — 1 Liter — bereitet. Etwaige
Lungen- und Darmkatarrhe müssen natürlich auch vorher sistiert werden
(Ipecacuanha, Opiate, Bismuth). Unmittelbar vor der Operation wird die Blase
spontanerweise oder vermittelst Katheter entleert, letzteren Falles, wenn es
nicht schon früher bei der Untersuchung geschehen, gleicherzeit die Contrac-
tilität der Blase und mithin das Fehlen von Adhärenzen constatirt — und
nachdem auch die Schamhaare rasirt, die Vagina mit einer 2^0 Borsäurelösung
ausgespült wurde, wird der Bauch mit einer Seifenlösung unter Anwendung
von Bürste oder Holzwolle, nachher von Alcohol und zuletzt Sublimatlösung
(1:1000) gewaschen, besonders der Nabelring auf die minutiöseste Weise gerei-
nigt. Leibwäsche der Patientin sei ein sterilisirtes Hemd; überdies werden zum
Schutze gegen Wärme-Verlust die Unterextremitäten in reine Flanelldecken oder
Strümpfe gehüllt und unmittelbar vor Beginn der Operation der ganze Körper
mit einem in der Mitte geschlitzten sterilisirten Leintuche, das Operations-
gebiet mit ebenfalls sterilisirten und nachher in Sublimatlösung getauchten
Compressen bedeckt. Vertrauenerweckende Zuspräche ist bei psychisch auf-
geregten Patientinnen besonders nothwendig, da hiedurch die Narcose erleichtert
wird. Operateur und Hilfspersonale seien nach einem vorher genommenen
Bade rein gekleidet, vorne mit einer sterilisirten Schürze bedeckt, Hände und
Arme mit antisept. (Kreolin) Seife und Bürste, rohem Flanell oder Holzwolle
gewaschen, besonders Nagelfalz und Nagelunterhöhlung vollkommen gereinigt
und endlich mit obiger Sublimatlösung desinlicirt. Zur Assistenz ist ein
ganz verlässlicher Narcotiseur, zwei Assistenten, ein Instrumentarius und ein
Wartgehilfe genügend; zu zahlreiches Hilfspersonale stört oft den raschen Gang
OVAßlOTOMIE — OVARIALTUMOREN. 585
der Operation. Instrumente, Verband und Tupfmaterial seien vollkommen steri-
lisirt, erstere, nachdem sie vorher von Staub und etwaigem Host gereinigt,
in kochendem Wasser, letztere in strömendem Dampf. Nach dieser Sterilisa-
tion werden die Instrumente sogleich in eine antiseptische — 2V2 °/o Car-
bollösung, Verband und Deckmateriale in gut schliessende sterilisirte Behälter
gelegt.") Der Instrumentenapparat kann den gegebenen Fällen entspre-
chend ebenso einfach, als complicirt sein. Ein Scalpell, Bistouri, Scheere, einige
Schieberpincetten, Nadel und Faden, zum Ueberflusse etwa noch ein Troicart
reichen hin, um eine einfache, langgestielte, nicht adhärente Cyste zu entfernen,
überhaupt die ganze Operation zu vollenden, während complicirtere Fälle eine
weit grössere Anzahl von den verschiedensten Instrumenten erfordern. Diese
in vorausbestimmter Anzahl zusammengestellt und gewöhnlich nur für Ovario-
tomien verwendet, bestehen aus: Messer, Bistouris, Scheeren, Schieberpincetten,
dann sog. Pinces hämostatiques, Hohlsonde, Kornzangen, DECHAMP'sche Umste-
chungs-Nadel und Muzeux; chirurgische Nadeln in verschiedener Grösse,
Nadelhalter; zur Entleerung der Cyste benützt man mit Vorliebe den Troicart
von Spencer Wells mit seiner haken- oder krallenartigen Vorrichtung be-
hufs gleichzeitiger Fixirung und Extrahirung der Cyste, welch letztere auch
mit der Zange nach Nelaton oder Nyrop geschieht; unter weiteren Instru-
menten und Apparaten zur Behandlung der Adhäsionen und des Stieles wären
noch Paquelin's Thermocauter, Spencer's Klammer, Pean's Zangen zu erwäh-
nen. Behufs gieichmässigeren circulären Druckes lege ich nach Entwickelung
der Cyste um deren Stiel gewöhnlich ein elastisches Drainrohr, welches ich
bei intraperitonealer Stielbehandlung nach Abtrennung der Cyste und Ver-
sorgung des Stieles entferne, bei extraperitonealer Stielbehandlung aber bis
zur Selbstlösung am Stielstumpfe zurücklasse. Zur Aufsaugung von Blut
und Cystenflüssigkeit kommen präparirte und desinficirte feine Schwämme, die
in lange Zangen oder sogenannte Schwammhalter gefasst werden, in Anwendung;
ich benütze zu diesem Zwecke am liebsten Tupfer aus sterilisirter hydrophiler
Oaze bereitet. Das Näh- und Unterbindungsmaterial ist Catgut und Seide in
verschiedener Stärke und sterilisirtem Zustande.
Narkose. Zur Ausführung einer Ovariotomie werden wir die Patientin
immerhin, u. z. tief narkotisiren; verschiedene Operateure verwenden hiezu ver-
schiedene x^nästhetica, so Spencer Wells das Methylen-Bichlorid, welches weniger
Brechen erregen soll, andere Aether, oder Chloroform oder ein Gemisch von Beiden
(Billroth); ich verwende zu den Narkosen überhaupt immer reines Chloro-
form, eine Morphin-Injection von 1 cg vorausschickend; im Allgemeinen wird
die Narkose von den Patientinnen gut vertragen, Brechneigung und Erbrechen,
welche anfänglich schon, besonders aber nach Eröffnung der Bauchhöhle dui'ch
Netz und Darm- Vorfall, die Operation verzögern, sind vereinzelte Erschei-
nungen, welche durch tiefe Narkose bald schwinden.
Den Spray benütze ich seit langer Zeit nicht mehr; abgesehen von einer Intoxication
besonders beim Carbolspray, wenn derselbe nach Eröffnung der Bauchhöhle fortspielt, kann
durch die Carbolsäure das Epithel des Peritoneums derart zerstört werden, dass Letzteres
dadurch für Infectionsstoffe empfänglicher wird.
Ist die Narkose eingetreten, so schreite man unverweilt zur Operation,
welche so rasch, als nur möglich bis zum vollkommenem Verschlusse der Bauch-
höhle zu vollführen ist. Sie verdient sowohl in ihrer Einfachheit, als in ihren
Complicationen, ferner in all' ihren Phasen eine eingehende Würdigung, welcher
wir in folgenden Einzelheiten Ausdruck geben.
Bau eh schnitt. Die Grösse (Länge) desselben richtet sich immer nach
der im Voraus bestimmten Grösse und möglichen Verkleinerung des Tumors.
Ein 6—8 cm langer Schnitt kann hinreichen, so wie ein von der Symphyse
*) Bezüglich der näheren Details vergl. den Artikel „Antisepsis und Ase2:>sis in der
operativen Gynaelcologie,''^ pag. 47. ds. Bd.
586 OVAEIOTOMIE — OVARIALTUMOREN.
bis zum Nabel, ja bis zum Proc. xypli. hinaufreichender nothwendig werden
kann, um eine Ovariotomie zu vollt'ühreu. Wurde ein grösseres proliferes
Kystom, oder gar ein grösserer fester Tumor mit voraussichtlichen Adhäsionen
vorher bestimmt, so ist ein gleich anfänglich dem entsprechend angelegter,
etwa die Distanz zwischen Symphyse und Nabel einnehmender Schnitt am
zweckmässigsten; derselbe kann nöthigenfalls links vom Nabel, um dem Lig.
rotundum hepatis und einer in demselben etwa offen gebliebenen Vene aus
dem Wege zu gehen, weiter hinaufgeführt werden.
Die Schnittführung in den Bauchdecken geschah meistentheils — besonders
durch Spencer Wells zum Dogma erhoben — in der weissen Bauchlinie; es ist
dies der kürzeste Weg nämlich zur Bauchhöhle, aus der Haut, Fase, superf.,
linea alba, als bandartige Yereinigang der Aponeurosen der breiten Bauch-
muskeln (Hyrtl), subseröser Fetttschichte, die am Nabel gänzlich fehlt --- und
dem Peritoneum bestehend; zugleich ist es die gefässärmste Gegend und daher
zur blutlosen Durchtrennung am geeignetsten. Nun ist es aber in vielen Fällen
schwierig, immer und überall diese Linie einzuhalten, denn nur bei grösseren
Tumoren und daher stark ausgedehnter Bauchwandung ist sie breit, gegen die
Symphyse geAvöhnlich schmal, so dass man unwillkürlich doch bald in den
einen, oder anderen geraden Muskel hineinkommt. Sowohl frühere, als spätere
Operateure stellten dem gegenüber wieder die Regel auf: parallel der weissen
Bauchlinie im Muse. rect. durchzudringen (Stover in Boston), auch Dowell
in seinen ersten Fällen; andere führten halbkreisförmige Schnitte von den
lilschen Rippen zur Crista ilei (Bäheing), von der Symphyse zur Crista ilei
(Atlee), oder parallel dem PouPART'schen Bande gelegen (Haardtmann). —
Maassgebend hiefür war der Sitz des Tumors im Abdomen. Ich selbst legte
bei meiner ersten Ovariotomie, nachdem ich im Voraus eine rechtseitige Der-
miidcyste des Ovariums diagnosticirt hatte, den Schnitt an den äusseren Rand
des rechten geraden Bauchmuskels, um der damals üblichen extraperitonealen
Stielbehandlung günstige Chancen zu bieten. Im Laufe der Zeit ist nun bald
aus theoretischen, bald aus Erfahrungsgründen einer ausserhalb der Linea alba
in die Muskelschichten verlegten Schnittführung Gewicht beigelegt worden.
(Siehe „Ztw Technik der La2:)arotomie" von Dr. Abel, Archiv f. Gijnäkol.
Bd. 45, 1894.)
Die blutarme, weisse Bauchlinie soll zum raschen, die Wundränder ver-
einigenden plastischen Processe nicht jene günstigen Chancen bieten, als es die
gefässreicheren Muskel schichten thun, die Narbe im ersten Falle nicht so fest
und massig sein, wie im zweiten und daher den nachträglich sich entwickelnden
Unterleibsbrüchen eher Vorschub geleistet werden. Ich habe bei Gelegenheit
der radicalen Behandlung der freien Unterleibsbrüche noch Anfangs der 80-ger
Jahre Studien zur Verhütung von Recidiven gemacht und auf Grund dieser —
die Inscriptiones tendineae der Muse, recti nachahmend — in die breite Bauch-
musculatur durch transversal angelegte Resection einzelner Bündelstückchen
und nachheriger Vernähung der Schnittränder sehr feste, das Peritoneum
fixirende Narben erzielt. Die Anlegung des Bauchschnittes bei der Ovariotomie
ausserhalb der Linea alba, wobei die Fasern der Mm. recti nicht geschont,
besonders nicht scharf und nicht parallel ihrer Richtung, sondern eher schief
und stumpf durchtrennt werden, dürfte daher ein rationelles Verfahren sein.
In dem erwähnten Falle meiner ersten Ovariotomie (1869), in welchem ich
den Schnitt an den äusseren Rand des rechten geraden Muskels gelegt hatte,
ist an der heute noch lebenden Patientin keine Spur einer Hernie zu sehen,
auch in den anderen Fällen nicht, in welchen ich nicht absichtlich, sondern
zufällig mit dem Schnitte in die Musculatur gelangte, oder diese in schwierigen
Fällen durch Hacken und Hände gequetscht wurde.
Zur Orientiruug ist es gut, die einzelnen Bauchschichten, als Haut, super-
ficiale Fettschichte, Linea alba, Fascia transversa mit präperitonealer Fettschichte
OVARIOTOMIE - OVARIALTUMOREN. 687
und Peritoneum während ihrer Durchtrennurij^ genau in Augenschein zu nehmen.
Die Fettschichten, auch präperitoneale, sind bei jüng(!ren und gut genährten
Frauen überaus dick, bei älteren und mageren und sehr grossen Frauen sehr
dünn, besonders das Fett der Fase, subserosa gänzlich geschwunden, welch'
letzterer Befund zugleich als ein Zeichen festerer, parietaler Adhärenzen
gedeutet werden kann. Haut und Unterhautgewebe ist unterhalb des Nabels
viel derber, als oberhalb desselben und bei grossen Tumoren gewöhnlich
hypertrophirt und hydi'opisch infiltrirt. Beim Schnitt durch den geraden
Bauchmuskel kommen ausser den Muskelbündeln, seine Scheidenblätter in
Betracht. Alle genannten Schichten werden mit Messer rasch bis zum Peri-
toneum durchtrennt, Blutgefässe — aus der Epigastrica und Mammaria stammend
— in Schieberpincetten gefasst und sogleich oder nachher unterbunden. Ist
die Blutung dieser nunmehr durchtrennten Schichten gänzlich gestillt, so fasst
man mit einer Hakenpincette das Peritoneum und dasselbe in einen Kegel
erhoben; wird dieser angeschnitten und die so gebildete Oeffnung mit stumpfem
Bistouri oder Scheere so weit vergrössert, dass zwei Finger eingeführt werden
können, zwischen welchen nun unter gehöriger Spannung des Peritoneums,
dasselbe bis zur Grenze der äusseren Schnitte durchtrennt wird. Wäre die
Spannung zwischen Bauchwand und Cyste zu gross und daher für die Finger
kein Raum vorhanden, so wird die Hohlsonde eingeführt, unter deren Leitung
das Peritoneum gespalten und dessen Spaltränger jederseits mit einer Hacken-
Sperrpincette gefasst. Sogleich drängt sich der blassbläuliche, oder weiss-
glänzende, zuweilen stark erweiterte Venen enthaltende Tumor, besonders wenn
ein Assistent von oben und den Seiten her die Bauchwand mit Hand und
Arm an denselben anpresst, was ich stets befolgen lasse, in den Bauch-
spalt und v/ird nun im Falle er von cystischer Natur ist, seines Inhaltes bis
auf jenes Volumen entleert, bei welchem er durch den Bauchspalt heraus-
schlüpfen kann, was unter erwähntem Händedruck des Oefteren auch geschieht.
Ist dies nicht der Fall, so schiebt der Operateur seine Hand zwischen Bauch-
wand und Tumor bis zu dessen Scheitel hinauf und diesen erfassend, stülpt
er ihn aus der Bauchhöhle heraus oder aber er fasst denselben gleich nach
der Punction mit einer PEAx'schen Zange und befördert ihn durch Anwendung
eines langsam wirkenden Zuges heraus. Sind keine Adhäsionen, oder deren
nur vereinzelte und lockere vorhanden, so läuft all' dies glatt ab und können
sofort die weiteren Acte der Operation eingeleitet werden.
Behufs deren Beschreibung nehmen wir vorerst den einfachsten Fall
einer Cyste an. Sie liegt durch die Hände eines Assistenten gestützt schon
ausserhalb der Bauchhöhle; ihr hinreichend langer Stiel im unteren Bauch-
wundewinkel, während ein Assistent den übrigen Theil der Bauchwunde
geschlossen erhält. Nun wird gleich unterhalb der Cyste um den Stiel
herum ein elastisches Drainrohr geführt und derselbe damit zusammen-
geschnürt, oder aber mit der Klammer zusammengedi'ückt, darüber die
Cyste mit Messer abgetrennt und aus dem Operationsterrain entfernt. Auf
der Schnittfläche des Stieles sichtbare Arterienstümpfe werden isolirt mit
Catgut oder aseptischer Seide (kleinere mit Catgut, grössere mit Seide)
unterbunden, nachher unterhalb der Klammer oder des Draim'ohrs der Stiel
je nach seiner Dicke in 1, 2 oder 3 Partien mit starker aseptischer Seide
unterbunden, um dadurch auch einer parenchymatösen Blutung aus dem
Stiele vorzubeugen; behufs Unterbindung des Stieles in mehreren Partien ist
natürlich die Durchführung des Unterbindungsfadens vermittelst DECHAMP'scher
Umstechungsnadel nothAvendig. Nun wird das Draim-ohr, oder die Klammer
gelöst, während der Stiel an seinem noch unabgeschnittenen Unterbindungs-
faden nach aussen fixirt erhalten bleibt. Das zweckmässigste Weitere nun ist
die Deckung der Stielschnittfläche mit Peritoneum, was möglicherweise der-
massen geschieht, dass die Schnittränder des Stielperitoneums mit Catgut-
588 OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN.
knopfnähten vereinigt werden; lässt sich dieser Ueberzng nicht bilden, so kann
die Schnitttiäche mit Thermocauter — ohne dabei die Gefässligaturen zu lösen,
verschorft, oder aber mit Jodoformpulver bestreut werden. Zeigt sich keine
Blutung mehr aus dem Stiele, wird derselbe nach Abtrennen der Unterbin-
dungsfäden — knapp über deren Knotung — bei gleichzeitiger Jodoformirung
der Stielseitenflächen, in die Bauchhöhle versenlit und nachher die ganze
Bauchwunde vermittelst Naht geschlossen. Diese Schliessung nun geschieht
je nach der Vorliebe des Operateurs und der Beschaffenheit der Bauchwunde
selbst derweise, dass zuerst die Schnittränder des Peritoneums für sich mit
fortlaufender Naht, darüber jene der Musculatur sammt Fascien in Form von
Knopfnähten mit Catgut und endlich jene der Haut mit Seide abermals in
fortlaufender Naht vereinigt werden. Bestreuung der Wundrandlinie mit Jodo-
formpulver, Belegung derselben mit einer Borsalbe und darüber mehr-
schichtigen Jodoform- oder Sublimatgaze, dann mehreren Schichten von Bruns-
watte, die vermittelst Scultet-Flanellbinde befestigt werden, bilden den Schluss-
act der Operation, auf welchen die Lagerung der Kranken in das vorher
bereitete Bett erfolgt.
Betrachten wir nun die Fälle der Complicationen, welch' letztere
gleich beim Bauchschnitte in Erscheinung treten können. Von den Unzu-
kömmlichkeiten, die sich durch stärkere Blutungen aus durchtrennten grösseren
Gefässen der Bauchwand — hauptsächlich Venen — ergeben und die vermittelst
Schieb erpincetten bald gestillt sind, abgesehen, sind es die Verwachsungen der
Cyste mit dem parietalen Peritoneum, welche Schwierigkeiten bereiten, w^enn
dieselben, wie sehr häufig, gleich vorne im Schnittgebiete liegen. Im Glauben,
die Cyste vor sich zu haben, löst man das Peritoneum selbst ab. Die gleich-
massig lockere parietale Adhärenz, sowohl des normalen, als eines infolge
entzündlicher Processe verdickten Peritoneums gegenüber den in ihrer Dicli-
tigkeit und territorialen Ausbreitung ungleichmässig entwickelten Tumor-
Adhärenzen führt uns nur bald auf die rechte Fährte. Sistirung der w^eiteren
Ablösung, Fixirung des abgelösten Peritoneums an seine parietale Unterlage
mit einer Catgut -Matrazzennaht, Verlängerung des Bauchschnittes bis zu einer
Stelle, die frei von Adhäsionen ist, ist unsere nächste Aufgabe. Vor Kurzem
kam mir ein derartiger Fall vor, in welchem ich den primitiv bis zum Nabel
angelegten Schnitt nach und nach bis zum Proc. xyph. führen musste, um
eine freie Partie des Tumorscheitels zu erreichen und um sofort Adhärenzen
mit Leber, Magen, Milz, wie nicht minder die parietalen Verwachsungen von
oben nach unten lösen zu können. Zuweilen ist man genöthigt, die anfäng-
liche Schnittlinie zu verlassen und die Eröffnung der Bauchhöhle an eine
andere Stelle zu verlegen; manche Operateure suchten in derart verzweifelten
Fällen darin einen Behelf, dass sie die Cyste eröffneten, ihren Inhalt ent-
leerten und nun mit der Hand eingehend, deren innere Wand erfassten und
Adhäsionen gleichsam von rückwiirts nach vorne zu lösend, die Cyste heraus-
zogen. Dass man bei solcher Manipulation die Adhäsionsblutungen nicht con-
troliren kann, liegt auf der Hand und ist das Verfahren daher auch nicht
anzurathen. Nachdem Bauch und Cystenwand durchschnitten sind, wird man
sich durch genaue anatomische Zergliederung der einzelnen Schichten doch
endlich orientiren und nun die mögliche Lösung von vorne an beginnen. Dem
Gesagten zufolge fehlt uns zuweilen die in der fetthaltigen subserösen Schichte
gegebene Directive zur Unterscheidung des Peritoneums von der Cystenwand,
andererseits bietet, aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, wieder ein fettreiches
und dem Netze ähnlich in Läppchen zusammengedrängtes subseröses Gewebe,
oder umgekehrt, nachdem das Peritoneum bereits durchtrennt ist, das vor der
Cystenwand liegende adhärente Netz Orientirungs-Schwierigkeiten, Mächtigkeit
und der Längsrichtung des Körpers entsprechender Verlauf der Gefässe des
OVARIOTOMIE - OVARIALTUMOREN. • 589
Netzes unterscheiden dasselbe von den blutarmeren Fettlüppclien der Lamina
praeperitonealis, deren Gefässe überdies einer transversalen Kiclitung folgen.
Eine Verwechslung der Cystenwand mit dem Peritoneum kann
auch geschehen, wenn letzteres in Folge Ascitesflüssigkcit cystenartig in die
Bauchwunde sich drängt. Dünnheit, dunklere Farbe und kegelförmige Vorwölbung
desselben, die bei der Cystenwand mehr-weniger fehlen, schützen vor Irrthum.
Momentane Verlegenheit bereitete mir ein am 16. Juli 1892 operirter Fall,
in welchem infolge Dehiscenz des parietalen Peritoneums eine extramurale
Tochtercyste in präperitoneale Lage gelangt war; vorsichtige Lösung aus ihrer
Umgebung, nebst genauer Beobachtung der anatomischen Schichten dieser Um-
gebung geleiteten mich aber bald auf die rechte Spur.
Viel grössere und häufigere Schwierigkeiten als jene, die in der Unter-
scheidung des Peritoneums von der Cystenwand gelegen sind, bieten die Ad-
häsionen dar. Der Häufigkeit nach in eine Keihenfolge gestellt, sind es parie-
tale, Netz-, Darm-Adhäsionen, Adhäsionen mit dem kleinen Beckenboden oder
Ligg. latis, Mesenterium, Harnblase, Uterus, Proc. vermif,, Fossa iliaca, Leber,
Magen, Milz, der Form nach flächen- oder strangartige und ihrer organisch
physikalischen Structur nach feste, narbenähnliche oder lockere; den Ernährungs-
verhältnissen gemäss blutreiche und blutarme.
Behufs Entfernung der Cyste nun sind diese Adhäsionen ohne schädliche
Folgen seitens einer Blutung, oder Verletzung des adhärenten Organs zu
trennen, was gewöhnlich durch stumpfe Kraftwirkung vermittelst unserer Hände
und Finger, nothwendigerweise mit Messer und Scheere am zweckmässigsten
folgendermaassen geschieht : Sind die Bauchschichten bis zur Cystenwand
durchtrennt, so dringt man zwischen dieser und der Bauchwand, die vola gegen
die Geschwulst gewendet, mit etwa 4 Fingern ein und streichende Bewegungen
mit deren Spitzen und Ulnarrand ausführend, reisst man die Adhäsionen rings-
herum durch. Hierauf punctirt man die Cyste und während der durch das
Ausfliessen ihres Inhaltes erfolgenden Verkleinerung, zieht man den gelösten
Theil der Wandung aus der Bauchhöhle heraus, wodurch die weiteren adhären-
ten Partien gleichsam zu Gesichte gelangen und wie vorhin weiter abgelöst
werden können. Zeigt sich hiebei am Peritoneum eine geringe capilläre Blu-
tung, so wird diese am besten dadurch gestillt, dass eine sterilisirte Gaze auf
die blutende Fläche gelegt und dort angedrückt erhalten wird; blutende ein-
zelne Gefässe aber werden sofort mit Catgut unterbunden; sehr ungelegen sind
anhaltende parenchymatöse Adhäsions-Blutungen, sie werden von_ vielen Opera-
teuren durch Betupfen mit Eisenchlorid, oder mit dem Thermocauter gestillt;
was ich dagegen zweckmässig erachte und principiell auch befolge, ist eine
Knopfnaht, die ich nach Einstülpung der blutenden Fläche an die Einstülpungs-
ränder des Peritoneums anlege, somit die blutende Fläche aus der Peritoneal-
Höhle ausschalte. Das Netz ist sehr häufig an der vorderen und den Seiten-
flächen der Cyste sträng- oder flächenartig angewachsen und enthält bei Weitem
die stärksten Gefässe, hauptsächlich Venen, deren Verletzung auch eine ent-
sprechende heftigere Blutung folgt und doch ist sowohl dessen Lösung als
Blutstillung am zugängigsten. Nachdem eine freie, oder leichter lösbare cen-
trale Partie desselben in der Entfernung von einigen Centimetern, gegebenen
Falles in kleinfingerdicken Portionen zwischen zwei Pinces haemostatiques
gefasst wurden, wird zwischen diesen mit Messer, Scheere, oder noch zweck-
mässiger mit dem Thermocauter durchtrennt und hinter der centralen Pince
eine Ligatur — sogleich, oder am Schlüsse der Operation — angelegt, während
am peripheren, der Cyste adhärirenden Netztheile die Pince liegen bleibt und
schliesslich sammt der gelösten Cyste entfernt wird. Hiedui'ch ist einer Blu-
tung sowohl aus dem centralen, als peripheren Netztheile vorgeschützt. Einige
Schwierigkeiten ergeben sich dann, wenn das Netz in seiner ganzen Breite die
590 OVARIOTOMIE - OVARIALTUMOREN.
vordere und theihveise auch die seitlichen Flächen des Tumors bis tief hin-
unter in den Beckenraum deckt, ja sogar an dessen Wand, an der Blase, u. a.
Organtheilen angewachsen ist; da strebe man von den Seiten her, oder in der
Mitte nach stumpfer Durchtrennung unter dasselbe an den Tumor zu gelangen
und so die weiteren Lösungen zu vollführen.
Als höchst unangenehme, meistentheils rückwärts und an den Seiten des
Tumors vorkommende, zum Glücke seltenere Complicationen, erscheinen die
mesenterialen und Bann- Adhäsionen, da bei deren Lösung sehr leicht Ver-
letzungen des Darmes sich ergeben können. Solcher Eventualität auszu-
weichen, trenne man sträng- und membranartige Adhäsionen immer erst
nach vorläufiger doppelter Unterbindung derselben zwischen den beiden
Ligaturen, bei Üächenartigen und straffen aber geschehe die Lösung ver-
mittelst Messers derart, dass man den am Darme adhärenten Theil der
Cystenwand in einzelnen, oder all' ihren Schichten abtrennt. Im letzteren Falle
ist der epitheliale Ueberzug dieser Partie abzulösen, eventuell vermittelst Schab-
löffels und überdies deren Wundfläche durch Vernähung der Ränder zu decken.
Wird bei aller Vorsicht der Darm verletzt in erster Eeihe etwa nur dessen
peritonealer Ueberzug, so vernähe man seine Ränder mit Catgut; im Falle einer
penetrirenden Verletzung aber, lege man eine regelrechte Darmnaht an. Aus-
gebreitetere feste Adhäsionen, die zu ihrer Lösung eine Darmresection erheischen,
und welche nöthigenfalls auch gemacht werden muss, gehören zu den Aus-
nahmsfällen. Dass bei diesen Darmresectionen die Besudelung des Peritoneums
mit Darmkoth auf das strengste vermieden werden muss, versteht sich von selbst.
Adhärenzen mit dem Mesenterium unterliegen im Allgemeinen derselben
Behandlungsart, wie jene des Darmes. In nähere Beziehung zu demselben
tritt ein Ovarialtumor gewöhnlich bei seiner subserösen Entwicklung, wovon
später.
Die Lösung der Adhäsionen an Leher und Milz verdient eine besondere
Aufmerksamkeit, da Anreissung des Parenchyms von erheblicher Blutung gefolgt
sein kann. Trennung der Adhäsionen, wenn mit dem Finger nicht leicht
möglich, so mit dem Messer im Tumor selbst, ist hier besonders geboten.
Stillung der Blutung an diesen Organen übrigens kann auch mit Eisenchlorid
oder Thermocauter bewerkstelligt werden.
Adhäsionen am Uterus, hauptsächlich dessen hinterer Fläche, sind ge-
wöhnlich breit und straff und deren Lösung und Blutstillung schwierig. Letz-
teres, weil isolirte Ligatur auf fester Unterlage schwer anwendbar ist. In
vielen Fällen hielt ich es für gerathener den Uterus mitzuentfernen, als dessen
schwierige Loslösung zu vollführen. Die Blutstillung übrigens gelingt in den
meisten Fällen ganz prompt mit der Glühhitze.
Am gefährlichsten sind die Verwachsungen mit der Harnblase, weil diese
sehr häufig nicht erkannt und dann eröffnet wird und weil nach angelegter
Naht eine „Prima "-Heilung so schwer erfolgt; dann sind Urämie, im günstigen
Falle eine Bauchwand-Urin-Fistel häufige Folge-Erscheinungen. Der Rath, die
Harnblase vor der Operation nur halb zu entleeren, um während derselben sie
rechtzeitig zu erkennen, hat eine rationelle Begründung. Die grössten Schwie-
rigkeiten bereiten uns die häufig breiten und festen Adhäsionen am kleinen
Beckenboden in Bezug auf deren Lösung, Blutstillung und Verhinderung einer
Verletzung der grossen Beckengefässe und der Ureteren. Demzufolge sind wir
oft genöthigt, den adhärenten Theil der Cystenwand unter später zu erwäh-
nenden Behandlungs-Cautelen zurückzulassen, oder aber das Diaphragma pelvis
zu zerstören, worauf dessen Completirung durch Herbeiziehen des Peritoneums
zu geschehen hat. Ureter- Verletzung hatte in vielen Fällen einen günstigen
Ausgang in der Fistelbildung, die ihrerseits wieder durch die Nierenexstirpation
geheilt wurde. Anreissung grösserer Beckengefässe dürfte höchst VN^ahrscheinlich
eine rasch tödtende Blutung zur Folge haben; indessen wird der gewandte
OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN. 591
Chirurg durcli rasche Unterbindung einer Arterie, Tamponirung einer Vene
bei gleichzeitiger Anwendung einer regelrechten Operation.s-Technik auch hierin
das Ptichtige treffen. Absolute Unlösbarkeit parietaler Adhäsionen ist eine
Seltenheit. Ein einzigesmal begegnete ich dieser Unzukömmlichkeit, derent-
halber die Operation unvollendet blieb. Bei der am 7. Tage nach der Ope-
ration erfolgten Section hatte der pathol. Anatom mit derselben Schwierigkeit
zu kämpfen, da Parietal- und Cysten-Wand durcli straffes, narbenähnliches
Bindegewebe derart miteinander verwachsen waren, dass eine Trennung beider
auch auf dem Seziertische zur Unmöglichkeit Avurde.
Gleichzeitig mit der Behandlung der Adhäsionen nimmt unsere Aufmerk-
samkeit der aus der Bauchhöhle herauszubefördernde Tumor in An-
spruch. Da sein Umfang meistentheils grösser, als der Ausgang ist, so muss
er verkleinert werden. Besteht derselbe aus einer Cyste, so wird die Ver-
kleinerung durch Entleerung ihres Inhaltes bewerkstelligt, u. z. je nach der
Dichtigkeit der Flüssigkeit vermittelst Troicarts oder Bistouris. Dieser
Inhalt darf besonders, wenn er Eiter oder Jauche enthält, nicht in die Bauch-
höhle gelangen, was des Oefteren erreicht wird, wenn die Schnittränder der
Bauchwand während der Function mit dicken Jodoformgaze-Bauschen be-
deckt, vom Assistenten gleicherzeit fest an den Tumor angedrückt werden.
Sobald die Cyste nach dem Ausflusse eines Theiles ihres Inhaltes soweit col-
labirt ist, dass ihre Wand gefaltet werden kann, so wird eine solche Falte mit
der Zange nach Nelaton oder Nykop gefasst und während der Assistent damit
den nothwendigen Zug nach aussen besorgt, schreitet der Operateur in der
Lösung der Adhäsionen weiter. Ist die Cystenwand dick und fest, so kann
dieser in Hinsicht Entleerung, Lösung und Extraction der Cyste so bedeutungs-
volle Operationsact ganz glatt ablaufen; ist sie aber dünn und zerreisslich, so
haben wir in all' diesen Richtungen mit den grössten Schwierigkeiten zu
kämpfen. Die Zerreisslichkeit der Cyste wird gleich anfänglich bei der Func-
tion erkannt, da die Stichwunde von selbst sich erweitert und der Cysteninhalt
neben dem Troicart herausfliesst. Sind keine, oder nur lockere Adhäsionen
vorhanden, so ist die Herausbeförderung der Cyste noch immer leicht möglich,
wenn man mit der Hand in ihren Innenraum eingeht und die Extraction an
einer resistenteren Partie vollführt. Zuweilen aber ist die Cystenw^and überall
so dünn, dass, ob von innen, oder aussen gefasst, dieselbe überall in Fetzen
auseinanderreisst, wobei ihr Inhalt die Peritonealhöhle tiberflutet; sind gleicher-
zeit festere Adhäsionen vorhanden und, w^as dem Schlimmen die Krone aufsetzt,
die Lösung und das Einreissen der Cystenwand von heftigen Blutungen
begleitet, so werden Geduld und Geistesgegenwart des Operateurs auf eine
wahre Probe gestellt. Rasches Vordringen auf einer freien, oder leicht frei
zu machenden Bahn zum Stiele, Compression desselben mit der einen Hand,
während die andere Cystenwandfetzen und Cysteninhalt aus der Bauchhöhle
räumt, sind zur möglichen Bewältigung dieser Schwierigkeiten die einzigen
rationellen Handlungen. Die Verkleinerung solider Tumoren geschieht in der
Weise, dass einzelne Partien desselben vorerst mit Gummischnüreu umfasst
und diese dann abgetragen werden, oder wenn das der Form des Tumors halber
nicht möglich ist, durch Pean's Verfahren vermittelst Drahtschnürung. Zweck-
mässiger ist es aber, den Bauchdecken-Schnitt zu vergrössern.
Ein wichtiger und oft schwieriger Moment liegt in der Behaudlimg des
Stieles, welche in eine intra- und extraperitoneale zerfällt; bei ersterer wird
der Stielstumpf in die Bauchhöhle versenkt, bei letzterer in der Bauchwunde
vermittelst Klammer, durchgeführter Nadeln oder Einnähen fixirt.
Das zweckmässigste, weil zur raschesten Heilung führende Verfahren ist
die Versenkung, zu deren Ausführung als erste Vorbedingung die sichere
Blutstillung gilt; diese aber wird erzielt durch isolirte Unterbindung der Ge-
fässe, durch Massenligatur und durch Abbrennen des Stieles, am allerver-
592 OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN.
lässlichsten durch die Combination aller drei Verfahren. N'achdem nämlich die
sichtbaren Arterien des Stielstumpfes isolirt unterbunden sind, wird um denselben
ein starker Seidenfaden geführt, dieser fest zugeschnürt und geknüpft, die
Wundfläche, ohne die Ligaturfäden zu zerstören, oberflächlich mit Thermo-
cauter verschorft und nun versenkt. Was ich, womöglich am liebsten übe, ist
die isolirte und ;,en masse" Ligatur und die Deckung der Stielwundfläche mit
Stielperitoneum durch Vernähuug dessen Ränder. Ist der Stiel dünn, so ge-
nügt eine Ligatur; ist er dick und breit, so wird er in mehreren Partien mit
Hilfe der DECHAMP'schen Nadel unterbunden. Das unterbundene Stück stirbt
nicht ab; der Unterbindungsfaden, wenn in aseptischem Zustande angewendet,
ebenso der Brandschorf reizen nicht zur Entzündung.
Bei der extraperitonealen Behandlung wird der Stiel gewöhnlich
mit der Klammer im unteren Wundwinkel fixirt. Da dieselbe häufig 1 — 2 Wochen
auf der Bauchwand liegend, den Kranken durch Druck und Schwere unbequem
wird, verwende ich zur Zuschnürung des Stieles ausnahmslos ein elastisches
Drainrohr und zur Fixirung an den BaucliAvundrändern einige Knopfnähte. Die
Nachtheile der extraperitoneellen Stielbehandlung liegen in der längeren Hei-
lungsdauer (4 — 6 Wochen), möglichen Verschlingung von Därmen und even-
tueller Wundinfection (Eitersenkung), der Vortheil aber, bei längerer Ope-
rationsdauer, in rascherer Vollendung der Operation.
Ist der Stiel sehr kurz, so wird ein Theil der Cystenwand dazu ver-
wendet, w^obei aber ihre innere Schichte (Epithel-Ueberzug) vorerst abgelöst
werden muss; oder aber es wird nach Olshausen's Rath ein Stiel (haupt-
sächlich bei einer zweiten, im anderen Ovarium liegenden Cyste, auf deren
etwaiges Vorhandensein bei jeder Operation untersucht werden muss) dadurch
gemacht, dass das Lig. lat. von seinem Rande her zwischen Fimbrienenden
und Ovarium bei möglicher Vermeidung von Gefässverletzungen 2 — 3 cm
weit mit der Scheere eingeschnitten und nun zwischen Ovarium und Uterus
unterbunden wird. Sind zwei Stiele vorhanden, so unterliegen beide dem
gleichen Verfahren. Was ist aber zu thun, wenn derselbe überhaupt fehlt?
Nun, wenn er in Folge von Torsion fehlt und die Ernährung auf dem Wege
gefässreicher xidhäsionen geschieht, wird bei Lösung dieser die Blutstillung
besorgt; fehlt er wegen subserösen (interligamentären) Standes, wie es so häufig
bei den Parovarial-Cysten der Fall ist (siehe oben), so spalte man nach dem
von Miner (Buöalo) bereits 1869 empfohlenen Verfahren den peritonealen
Ueberzug der Cyste an ihrem prominentesten Theile und löse sie stumpf aus
diesem Ueberzuge heraus, was wegen häufig lockerer und gefässarmer Ver-
bindung derselben, ohne Schwierigkeit gelingt. Bei heftiger Blutung, wird
solche am zweckmässigsten dadurch gestillt, dass die Spermatical-Gefässe am
etwa erkennbaren Lig. infundibulo-pelvicum durch Umstechung unterbunden
werden.
Der zurückbleibende Peritoneaisack wurde früherer Zeit bald nach der
Bauchwand, bald nach der Vagina zu drainirt, was gemäss unserer heutigen
Erfahrungen weder nothwendig, noch zweckmässig ist. Verkleinerung des
Sackes durch Ausschneiden einiger Theile, Auswaschen seiner Innenfläche mit
Carbollösung, überdies noch etwaige Vereinigung der Schnittränder schützen
für gewöhnlich vor nachheriger entzündlicher Reaction, während die Drainage
einer späteren Infection Thür und Thor öffnet. Ist die Auslösung (Enucleation)
wegen strafferer Adhäsions-Verhältnisse nicht möglich, dann bleibt die Operation
unvollendet, was aber mit einem nothwendig ungünstigen Ausgange nicht
gleichbedeutend ist. In diesem Falle wurden nämlich nicht nur bei paro-
varialen, sondern bei einkämmerigen (Dermoid-) Cysten überhaupt, nach Ent-
fernung des Inhaltes und Auswaschen mit einer Carbollösung, die Schnittränder
der Cyste mit jenen der Bauchwunde vernäht, die Höhle drainirt und in Folge
davon auf dem Wege der Eiterung,' wenn auch erst nach langer Zeit
OVABJOTOMIE — OVARIALTUMOREN. 593
(ein Jahr) Heilungen erzielt. Seit vielen Jahren übe ich znr radicalen Heilung
der Hydrokelen ein Verfahren, wobei ich den llydrokelensack seiner ganzen
Länge nach spalte, nachher dessen innere (epitheliale) Wand vorerst mit einer
in gesättigte (ö^o), wässerige Carbollösung getauchten, hydrophilen und dann
mit trockener Jodoform-Gaze fest abreibe (hei Gewebswucherungen vermittelst
Schablöffels) und nun von der Tiefe an nach aussen zu, in Etagen, mit
Catgutknopfnähten die gegenständigen Wandpartien, zuletzt deren Schiiittränder
und darüber die Schuittränder der Hodensackschichten vernähe. Da ich mit
diesem Verfahren in allen Fällen eine primäre Heilung (ohne Eiterung) erzielte,
so kann ich dasselbe auch für unexstirpirbare einkämmerige Ovarialcysten nur
'warm empfehlen.
Grosse technische Schwierigkeiten in der operativen Entwicklung (Aus-
lösung) bieten jene Tumoren, welche zum Theile intraperitoneal, zum Theile
subserös, unter dem Peritoneum des Beckenbodens im Retroperitoneal-Raume
oft bis in das Mesenterium coli aufsteigend, gelegen sind. Die Operation
blieb in diesen Fällen früher gewöhnlich unvollendet; heutzutage werden wir
nach der Entwicklung des intraperitonealen Theiles sofort zur Auslösung des
subserösen übergehen, indem wir vorerst das Peritoneum an der Tumorbasis
umschneiden und nun die Herausschälung des Tumors vollführen nebst auf-
merksamer Vorsicht gegen Verletzung der Beckengefässe und der Ureteren.
Einer der Fälle dieser Art war jener, dessen Status ich oben beschrieben habe
und den ich nun als Typus für die möglichen Schwierigkeiten in Folgendem er-
gänze. Die Operation der 60 Jahre alten Marie Kupsa wird am 8. November 1894
im Hörsaale vor dem Auditorium nach tiefer Narcose mit einem Bauchschnitte
begonnen, welcher in der weissen Linie 1 cm oberhalb der Symphyse beginnt und
links neben Nabel bis 4 cm oberhalb desselben reicht. Bauchmusculatur wird durch
denselben auch getroffen und einige Venen, die in Schieberpincetten gefasst werden.
Die Fascia subserosa kaum zu erkennen, wohl aber das Peritoneum, welches ange-
schnitten, auf der Hohlsonde weiter gespalten wird. Schon mit der Hohlsonde sind Ad-
häsionen zu entdecken, die durch die Finger im Schnittbereiche gelöst werden. Nach auf-
wärts zu sind dieselben fester und ausgebreiteter, weshalb der Bauchdeckenschnitt bis auf
4 cm unterhalb des aufgebogenen Proc. syph. geführt wird. Am rechten oberen Wund-
rande anhaltende Blutung, die durch eine durch den Rand des Peritoneums und der Haut
geführte Fadenschlinge bald gestillt ist. Im oberen „Bauchschnitt-Rayon" an Cyste und
Bauchwand adhärirendes Netz. Function der Cyste und Entleerung einer dünnflüssigen, licht-
braunen Flüssigkeit, die zur raschen Collabirang des grossen Bauches führt ; Fixirung und
Vorziehen der gelösten Cystenwand mit PEAN'scher Zange erleichtert die weitere stumpfe
Lösung der Adhäsionen, die vorerst am Netz — welches in 5 Partien mit Catgut doppelt
unterbunden und dazwischen durchtrennt wird — und dann am Scheitel und den seit-
lichen Flächen der Cyste mit harter Mühe nur vollführt werden kann, unter ziemUcher
Flächenblutung, welche theils durch Einstülpung vermittelst Naht und durch Jodoformgaze-
Compressen gestillt wird. Herausstülpung der Cyste vom Scheitel aus und weitere Lösung
der seitlichen Parietal-Adhäsionen nach abwärts (viscerale Adhäsionen fehlen, die hintere,
die Gedärme deckende Cystenwandpartie erscheint in zwei Handtellerbreite ganz glatt),
lassen bald erkennen, dass am Eingange der grossen Beckenapertur die Tumorbasis ringsum
vom Peritoneum parietale bedeckt, ihr unterer im Becken liegender Theil mithin subperi-
toneal gelegen ist. An der linken seitlichen Partie des Tumors, ebenfalls vom Peritoneum
bedeckt, eine derbfeste, dicke, länglichrunde Masse, die im ersten Moment als Niere impo-
nirt, nach genauerer Untersuchung aber als ausgedehnter, mit der Cystenwand fest ver-
wachsener, einige haselnussgrosse, intramurale und subseröse Myofibrome enthaltender
Uterus sich darstellt. Circumcision des peritonealen üeberzuges und stumpfe Loslösung
des Tumors aus der Beckenhöhle geht mühsam vor sich, da rechterseits vom Peritoneum
bedeckt ein kleinfingerbreiter fester Strang im Wege steht, welcher als ureterverdächtig
geschont wird, unter weiterer Lösung des Tumors aber doch durchreisst. Das Rissende
zeigt eine Lichtung, die einem starken Gefässe, aber auch dem Ureter entsprechend aus-
sieht; vorläufig in eine Pince gefasst, leite ich denselben im späteren Operationsacte sub-
peritoneal knapp über dem rechten Darmbeinkamm durch die Bauchwand durch und fisire
ihn an dieser mit Nähten zum Zwecke einer eventuellen Fistelbildung. Nunmehr umschnüre
ich den aus seiner peritonealen Hülle gelösten Tumor tief unten mit einem starken ela-
stischen Drainrohr und unterbinde ihn überdies knapp unterhalb des Drains in zwei Par-
tien mit starkem Seidenfaden, und trenne nun die Cyste sammt Uterus ab. Während der
Stumpf im Weiteren an den Enden des Drainrohrs und der Unterbindungsfäden nach Mög
lichkeit aus der Beckenhöhle nach aussen gestülpt wird, lässt sich diese genau überbHcken
und erkennen, dass, nachdem der DouGLAs'sche Boden und beiderseits das Lig. infundibulo-
Bibl. med. Wissenschaften I. Geburtshilfe und Gynaekologie. «j8
594 OVARIOTOMIE — OVARIALTUiMOREN.
pelvicum, welche durch die Geschwulst kuppelartig emporgehoben waren, in Folge Ampu-
tation dieser Kuppel nun fehlen, die kleine Beckenhöhle nach rückwärts und den beiden
Seiten vom Peritoneum entblösst und dadurch das Rectum und der freie Rand der medialen
Lamelle des Mesocolons (Flexura sig.) frei zu sehen ist. Nun werden die freien, ziemlich
zerfetzten Ränder des Beckenperitoneums unterhalb der Drainrohr-Seiden-Ligatur an die
Basis des Stielstumpfes ringsherum angenäht. Hiedurch war der Beckenboden neugebildet
und der nach aussen verlegte Stielstumpf in extraperitoneale Lage gebracht, worauf der
Schluss der Bauchhöhle erfolgte. Die mehrkämmerige Cyste sammt ihrem Inhalte wog
26 Kilo und die nach ihrer Untersuchung im pathologischen Institute von Professor Dr. Anton
V. Genersich gestellte Diagnose lautet: „Kystoma ovarii glanduläre peritoneo adcretum et
resectio partialis uteri deformati elevati." Der gleich nach vollendeter Operation mikro-
skopisch untersuchte Hohlstrang stellte sich als ein Blutgefäss dar.
Es würde zu weit führen und auch zwecklos sein, wollte ich den detaillirten Verlauf
dieses schwierigen Falles von vollführter Operation an bis zur Genesung darstellen. Es sei
in den Hauptzügen nur soviel erwähnt, dass weder im Anfang, noch später eine Tempera-
turerhöhung, überhaupt welche besondere allgemeine und örtliche Anomalie sich" zeigte ;
dass die Kranke 48 Stunden nach der Operation während Einschlafens der neben ihrem
Bette sitzenden Wärterin — ohne Schaden — aufgestanden und im Zimmer herumgegangen
war, um das Wasser der anderen Kranken auszutrinken, dass der Bauch bei dem am
14. November — also 5 Tage nach der Operation — nur in Folge der Verrutschung des
ersten Verbandes nothwendig gewordenen Verbandwechsel dieselbe Einsenkungsform wie
gleich nach der Operation besass und die Bauchwunde vollkommen „per primam" geheilt
war; dass der extraperitoneale Stielstumpf — auch jener des vermeintlichen Ureters —
unter zeitweilig gewechseltem Jodoformgaze- Verbände langsam und ohne jede störende
Local-Reaction nekrotisirte und endlich sammt elastischen Drainrohr und Fadenligatur am
13. December sich loslöste, worauf die granulirende Bauchwandwunde rasch heilte und die
Patientin vollkommen gesund und in wohlgenährtem Zustande am 30. December die
Klinik verliess.
Ein unangenehmes Vorkommnis während der Operation ist der Vorfall
des Darmes, befördert besonders durch Erbrechen der Kranken. Inder Ab-
kühlung, traumatischen Belästigung und Besudelung mit unreiner Cystenflüssig-
keit und Blut liegen die Nachtheile. Für gewöhnlich kann dieser Vorfall
durch oben erwähnte geschickte Assistenz verhindert werden. Ist das aber
nicht möglich, so bedecke man die vorgefallenen Därme beständig mit steri-
lisirten und in Borsäurelösung getauchten warmen Compressen.
Die Toilette war vor den durch Wegner über die Kesorptionsfähigkeit
des Peritoneums gemachten, interessanten Studien, eine der wichtigsten Ope-
rations-Aufgaben. Minutiöseste Entfernung von Ascites-, Cysten- und Blut-
flüssigkeit wurde bald durch Lagerung der Kranken auf die Seite, oder auf
den Bauch (Mc. Dowell, Nussbaum), bald durch Schwämme bewerkstelligt. Da
nach Wegners Versuchen das Peritoneum in einer Stunde 2 — 6 Liter Flüssig-
keit zu resorbiren vermag, so ist die genaue Entfernung einer aseptischen
Flüssigkeit, als welche unzersetztes Blut, Ascites- und Cysteninhalt gelten
können, ganz überflüssig, ja infolge der durch diese Manipulation verlängerte
Operationsdauer und durch die mechanische Beleidigung der Bauchhöhlen-
Oberflächen möglicherweise nachtheilig. Wir beschränken uns daher in der
Toilette der Bauchhöhle bei der heutigen aseptischen Operations-Methode, bei
welcher schon im Voraus der von Aussen her mögliche Zutritt septischer
Erreger verhindert wird, blos auf die Entfernung stark gequetschter Gewebs-
(Adhäsions-) Theile, Blut-Coagula, Dermoidcysten-Inhalt, Eiter und Jauche als
möglicherweise veränderter Inhalt anderer Cysten. Aseptische Schwämme, oder
wie ich es übe, Tampons aus hydrophiler Gaze bereitet und in lange Tupfer-
hälter oder Zangen gefasst, sind zur raschen Beseitigung eines flüssigen Inhaltes
dar Bauchhöhle sehr geeignet und wenn die Einführung derselben für Darm
uid die anderen Organe in schonender Weise geschieht, auch ohne nachtheilige
Folgen. Gequetschte Gewebspartikelchen werden am besten mit der Scheere,
Blutcoagula mit Fingern und Pincetten entfernt.
Vor einigen Jahren begegnete mir ein eigenthümlicher, ein zweitesmal nicht mehr
vorgekommener Fall, in welchem ich nach leichter Lösung einer allseitig adhärenten Cyste
am parietalen und visceralen, auffällig verdickten Peritoneum, zwischen den einzelnen
Darmschlingen und auf den Mesenterialflächen eine 5-6»???^ dicke, flächenartig ausge-
OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN. 595
breitete fibrinöse Laraelle antraf (wahrsclieinlich als eine Folge einer plastischen Peritonitis).
Die Lamelle war von ihrer Unterlage sehr leicht a})zulösen und so befVirderte icli mit den
Fingern eine fibrinöse Masse im Gewichte von wenigstens 1 hj aus der IJauchhöhle heraus,
ohne Alles zu entfernen und trotz dessen erzielte ich in diesem Falle eines der schönsten
Heilresultate. Ein eclatanter Beweis dafür, dass ein entzündlich verdicktes Peritoneum
gegen septische Infection viel weniger empfänglich ist als ein normales.
In inniger Beziehung zur Toilette steht die Drainage der Bauch-
höhle. Ihr Zweck ist die Entfernung jener Flüssigkeit, welche während,
oder nach der Operation in der Bauchhöhle sich ansammelt, ihre Anwendung
eine primäre oder secundäre und die Richtung, nach welcher sie geschieht,
die Bauchwunde oder die Vagina. Die Drainage hat im Laufe der Zeit ver-
schiedene Phasen durchgemacht. Während dieselbe im Anfange der Ovarioto-
mien keine Anwendung fand, waren es später die gediegensten Ovariotomisten,
wie Peaslee (1855), Spencer Wells, Koeberle, Marion Sims, die sich ihrer
bemächtigten und derselben eine mehr-weniger allgemeine Geltung ver-
schafften, was in einer Zeit, in welcher die Technik der Antiseptik noch un-
entwickelt war, seine Berechtigung hatte. Anfänglich war es die Bauchwunde,
durch welche der Drain (Kautschuk, Silber, Glas) herausgeleitet wurde, da
aber hiebei die abzuleitende Flüssigkeit, welche sich naturgemäss immer an
dem abhängigsten Theile, also am Beckenboden ansammeln musste, einen weiten
Weg nach aussen hatte, schlug Marion Sims (1872) die Vaginal-Drainage vor
und befürwortete deren, sogleich bei der Operation zu vollführende Anwen-
dung mit der Begründung, dass die meisten Kranken nicht an diffuser Perito-
nitis, sondern in Folge Resorption jener putriden Flüssigkeit sterben, welche
schon während der Operation als Blut und Cysteninhalt in die Bauchhöhle ge-
langt, nachher als entzündungsloses Exsudat aus den Adhäsionswundflächen
und dem Peritoneum selbst darin sich ansammelt und eine Zersetzung er-
leidet. Die Technik dieser Vaginal-Drainage ist die, wonach mit einem
leichtgebogenen Troicart (25 cm Länge, 1 cm Lumen) nach gehöriger Desinfi-
cirung der Vagina entweder von dieser aus in der Richtung nach der Becken-
höhle, oder umgekehrt der Boden des Cavum Douglasii durchstochen und nun
mit Hilfe der Canüle das Drainrohr eingeführt wird. Marion Sims führte das
Drainrohr (silbernes) nun bis in das Cavum Douglasii, das andere Ende ragte
in die Vagina, während andere Operateure das obere Ende auch bei der Bauch-
wunde herausleiteten, welches Verfahren den Vorzug gewährte, dass das ge-
fensterte Kautschukrohr und mithin das Cavum selbst durchspült werden
konnten
Da die Erfahrung gelehrt hat, dass die Bildung und Ansammlung einer
septischen Flüssigkeit in der Bauchhöhle in Folge septischer Erreger statt-
findet, welche gewöhnlich während der Operation dorthin gelangen, nach der
Operation aber gerade durch diese Drainröhren ihren freien Zugang finden; da
ferner die Flüssigkeiten, welche während der Operation in die Bauchhöhle ge-
langen, auf die bei der Toilette erwähnte Weise entfernt werden können, jene
aber, die nach Schluss der Bauchhöhle und Adhäsionsflächen aussickern, sehr
rasch resorbirt werden; da endlich in vielen Fällen von letalen Ausgängen
kaum mehr, als ein feiner, eiterig-fibrinöser Belag auf dem Peritoneum und
keine grössere Ansammlung flüssiger, septischer Exsudate in der Bauchhöhle
gefunden werden: so ist man heutzutage von der primären Drainage im
Allgemeinen, speciell aber von jener durch die Vagina mehr und mehr abge-
kommen. Wenn solche von einigen Operateuren noch benützt mrd, so ge-
schieht es nur in Fällen, in welchen den Umständen gemäss nur eine un-
reinliche Operation vollführt werden konnte. Viele Operateure di'ainiren auch
dann nicht, von der Ueberzeugung geleitet, dass sie auch hier nutzlos, ja eher
schädlich sei. Ich meinerseits habe die primäre Drainage nie angewendet und
die secundäre im Falle einer diffusen Peritonitis ganz nutzlos gefunden. Was
indessen circumscripte, mit der Bildung von abgesackten, eitrigen und jauchigen
38*
596
OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN.
Exsudaten einhergeliencle Peritonitiden canbelaiigt, da ist die seciindäre Drainage
am Platze. Während der Operation gelangt zuweilen auch Luft in die Bauch-
höhle, die ohne Nachtheil resorbirt wird, soferne sie keine septischen Er-
reger enthält. Gerne sehen wir deren Eindringen nicht und sind daher be-
müht durch Streichen und Andrücken der Bauchwände solche herauszu-
befördern.
Der Schluss der Bauchhöhle kann hier kurz berührt W' erden, da die
Technik desselbeii in diesem Aufsatze des Oefteren berührt w^urde. Wie wir
gesehen haben, bezogen sich die Unterschiede im Verfahren hauptsächlich auf
das Nähmateriale und darauf, ob das Peritoneum mit oder nicht mit in die
Naht gefasst werden solle. Was das Nähmateriale anbelangt, ist es ganz gleich-
giltig, ob solches aus Draht, Seide, Fil de Florence, oder Catgut besteht, wenn
es nur genug stark ist und in aseptischem Zustande zur Anwendung kommt
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%U'>*
Doppelseitiges, ijapilläres Kystom.
{Nach einer von dem Präparat aufgenommenen Photographie.)
und bezüglich des Peritoneums können wir sagen, dass dessen Mitfassung heut-
zutage allgemein angenommen ist. Die Art der Naht ist jene der Knopfnaht
auf einmal durch alle Schichten durchgeführt, die gebräuchlichste; ich nähe,
wie KovÄcs, immer vorher das Peritoneum mit einer Catgut-Kürschner-Naht,
dann die Musculatur mit Catgutknopfnähten und darüber die Haut mit Seiden-
Kürschner-Naht. Bei extraperitonealer Stielbehandlung, presse ich den Stiel
in den unteren Wundwinkel, den ich übrigens zuweilen auch mit einer Naht
versehe; oberhalb fasse ich die Seiten des Stieles in die letzte Naht mit ein.
Der Verband nach vollführter Naht ist jener, welcher eine massige Com-
pression des Leibes erfüllt und sicheren Schutz gegen spätere Infection ge-
währt, besteht mithin aus einer regelrechten antiseptischen Gaze- und Watta-
decke, die mit einer um den Leib geführten elastischen Flanellbinde be-
festigt wird.
Ovariotomia duplex. Da die Erkrankung der Ovarien sehr häufig
eine gleichzeitig beiderseitige ist, wie es besonders bei den malignen
Tumoren und den diesen nahestehenden papillären Kystomen vorkommt
(v. Fig.) so entsteht die Frage, ob auch die Entfernung eine gleich-
OVARIOTOMIE — OVAPJALTUMOKEN. 597
zeitige sein soll, oder nicht? Im allgemeinen kann hierauf nur die Antwort
gegeben werden, dass es zweckmässiger ist, die Kranke auf einmal von
einem schweren Leiden zu befreien. In relativer Hinsicht aber steht die
Sache anders. Spencer Wells Hess ein, zwei kirschcngrosse Cysten ber-
gendes, zweites Ovarium stehen; die Kranke heiratete und gebar nachher
4 Kinder. Hätte die Kranke das klimakterische Alter überschritten gehabt,
so wäre die Entscheidung je nach der Altershöhe auf ganz andere Gründe
basirt worden. In den 50-ger Lebensjahren, wo eine Conception bereits
ausschliessbar erscheint, wäre das zweite, sozusagen nur halb erkrankte Ova-
rium mit entfernt worden, in den Jahren über 60, nach welcher Zeit das
Leben eine hochgradige Entwicklung der anderseitigen Ovarien-Erkrankung
kaum überdauern würde, aber nicht. Die Entfernung des zweiten, noch
mindergradig erkrankten Ovariums hat wegen ungünstiger Stielverhältnisse in
der Technik seine Schwierigkeiten, die eine präcise Indication für die Ent-
fernung nothwendig machen. Eine solche kann unter Umständen auch für die
Entfernung eines zweiten, ganz gesunden Ovariums gelten, w^enn z. B. bei
Uterus-Myomen die Cessirung der Ovulation und Menstruation für nothw^endig
erachtet wird. Die gleichzeitige, beiderseitige Exstirpation der Ovarien ist im
Allgemeinen kein tiefergreifender Eingriff, als die einseitige, und wenn nach
derselben ungünstige Resultate sich ergeben, so sind dieselben den ungünstigen
Stielverhältnissen, hauptsächlich aber jenem Umstände zuzuschreiben, dass es
die operativ ungünstigen Tumoren sind, wegen welchen die Ovariotomia duplex
zu machen ist. Die Ovariotomia duplex werden wir unter den erwähnten Ver-
hältnissen immerhin machen und zu dem Behufe es als Regel betrachten
müssen, nach Entfernung der einen Cyste das andere Ovarium auf etwaige
Erkrankung zu untersuchen.
Die Ovariotomie von der Vagina aus wurde besonders von ame-
rikanischen Operateuren seit dem Jahre 1857 empfohlen und in einigen
Fällen auch mit günstigem Erfolge in der Weise vollführt, dass das hintere
Scheidengewölbe im rinnenförmigen Speculum angehakt und mit der Scheere
sammt dem Peritoneum durchschnitten, darauf die Cyste angehakt, punktirt,
der leere Sack in die Vagina hereingezogen, dessen Stiel doppelt ligirt,
dann reponirt und nun die Vaginalwunde mit Silberdraht geschlossen
wurde (Thomas 1870).
Battay operirte in der Weise, dass er den Uterus bis in die Vulva
herauszog und nun in der Seitenlage der Kranken im Rinnenspeculum das
Scheidengewölbe in der Mittellinie knapp am Uterus mit der Scheere bis auf
die Weite von 1 — Vj^" trennte, darauf mit dem Finger eindringend, das
Ovarium unter gleichzeitigem Drucke, welchen ein Assistent auf die Bauch-
decken übte und dadurch die Beckenorgane herabdrückte, hervorholte und
abtrennte. Die Indication für diese Operation wäre in jenem Falle gegeben,
in welchem eine kleine, kurzgestielte, oder stiellose, im kleinen Becken ein-
gekeilte, auf dem hinteren Scheidengewölbe, oder sogar in einem Prolapsus
vaginae lagernde Cyste vorhanden ist. Da indessen in technischer Hinsicht
deren Vollt'ührung auch in günstigen Fällen kaum leichter ist, als jene ver-
mittelst Laparotomie, überdies die dabei leichtmöglichen Verletzungen der
Nachbarorgane, unstillbare Blutungen und erschwerte Antiseptik zu ihrem spe-
ciellen Nachtheile gereichen, erfreut sie sich keines Anklanges.
Verlauf und Behandlung der Krankheits-Erscheinungen
nach einer Ovariotomie, sind verschieden, je nach der Complicirtheit
des Falles und je nach den verschiedenen Einflüssen, denen der Organismus
während und gleich nach der Operation unterworfen ist. Lange Narkosen und
Operationsdauer, profuse Blutung während und nach der Operation, toxische
Wirkung der Antiseptica, besonders der Carbolsäure und der Sublimatlösung,
Abkühlung des Körpers, Erbrechen, u. s. w.
598 OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN.
Der gewöhnlichste Verlauf ist jener, welcher zu rascher Genesung
(85 — 90%), oder aber zu raschem letalem Ausgange führt und selten jener,
bei welchem Genesung oder letaler Ausgang langsamer und nach vorläufigen
verschiedenartigen Erkrankungen eintreten. Wollen wir die Fälle der Gene-
sungen kurz skizziren, so stellen sich solche in folgenden Verlaufsformen dar.
Gleich nach der Operation ist das Gesicht — auch bei geringerem Blutverluste — ■
blass, sein Ausdi'uck aber gewöhnlich unverändert, zuweilen noch etwas besser^
als vor der Operation, Puls kleiner, weicher und etwas frequenter, Temperatur
verändert, in der Achselhöhle gemessen von 37'' zuweilen bis auf 35"5°, und noch
tiefer gesunken. In den folgenden 6 — 12 Stunden ändert sich das Bild vor
Allen durch die Erhöhung der Temperatur bis zur normalen, ja etwas darüber
und jener der Pulsfrequenz; der Puls wird voller und frequenter, an Zahl bis zu
80 — 90 aufsteigend, Gesicht zugleich etwas röther. Dazu gesellen sich Ueblich-
keiten und Erbrechen — wohl als Folgen der Narcose — und bald erheblicher
Durst, nicht minder Unbehagen und Schlaflosigkeit; Schmerzen aber nur in
Ausnahmsfällen. Am folgenden Tage steigt die Temperatur bis zu 38° — 38-5 ^
Puls dem entsprechend bis zu 100. Der Temperaturerhöhung nicht entsprechende
Pulsfrequenz ist — wenn solche nicht als frühere Eigenthümlichkeit gedeutet
werden kann, kein gutes Zeichen. Abgang von Flatus und spontane Harn-
entleerung während dieser Zeit, Nachlass des Erbrechens, feuchte und nur
leicht belegte Zunge, Schmerzlosigkeit und Flachheit des Bauches sind gün-
stige Erscheinungen. Die Temperatur und Pulsfrequenz erhalten sich auf dieser
Höhe 3 — 4 Tage lang und sinken dann auf den normalen Stand zurück. Beide
sind eine Begleitung des sogenannten Wundfiebers, wie solches auch nach an-
deren Operationen auftritt, als eine Folge der Eesorption von Zerfallstoffen
ohne septische Agentien. In gleichem Maasse verliert sich der Dm'st, bessert
sich der Appetit, besonders nach einer spontanen Stuhlentleerung, die nicht
selten schon am 4. — 5. Tage erfolgt, wenn der Darm nicht vor der Operation
durch Laxantien und Klystiere entleert worden war. Zugleich bessert sich der
Schlaf und damit auch das Allgemeinbefinden in erhöhtem Kräftezustande,
welcher es erlaubt, dass die Kranke am 5. — 6. Tage schon im Bette aufsitzen,.
am 12. — 14. Tage aus dem Bette aufstehen kann. Das ist der ideale Verlauf
zur raschen Genesung, welcher ohne örtliche Entzündung und ohne specifische
Allgemein-Erkrankung erfolgt, wie wir ihn heutzutage unter aseptischem Ope-
rations-Verfahren am allerhäufigsten in fi^appantester Weise beobachten, ja im
Voraus schon in den ersten 24 Stunden in erwähntem Anfangsbilde erkennen
können. Dies Krankheitsbild kann bald, oder später ohne Ausschluss einer
Genesung, eine Störung erleiden, die sich in den verschiedenen Formen fol-
gendermaassen gestaltet: die Temperatur steigt schon in den ersten Tagen auf
39—40°; Puls dem entsprechend auf 120 — 130, der Bauch wird schmerzhaft,
etwas aufgetrieben und gespannt, damit die Athemnoth erhöht, der Durst ver-
mehrt, Appetit, Schlaf und die Ruhe vermindert. Dieser Zustand, als wahr-
scheinliche Folge leichterer, mnschriebener Entzündungen, oder zufälliger an-
derer Störungen, dauert einige Tage, um dann unmerklich zu verschwinden.
Zuweilen ist die Dauer eine längere, oder anders geartete. Das Fieber steigt
rasch an und wurde vielleicht von Schüttelfrost, oder Frösteln eingeleitet, Puls
accelerirt und klein, Abdomen an irgend einer Stelle auffallend schmerzhaft,
Gesicht unter den Erscheinungen von Ohnmacht, oder Collaps mit kaltem
Schweiss-Ausbruch verfallen, Zunge stark belegt und trocken, Durst erhöht.
Diese Erscheinungen bis zum Culminationspunkte gelangt, schwinden rasch
nach spontaner Entleerung eines eiterigen, jauchigen, nekrotische Gewebsstücke
enthaltenden Stuhles, Urines, oder eines Bauchabscesses, oder aber sie werden
zum Schwinden gebracht durch einen operativen Eingriff, den wir ausführen,
wenn wir durch genaue Untersuchung der Vagina am hinteren Scheidengewölbe
im DOUGLAs'schen Baume, oder aber irgendwo an den Bauchdecken eine Fluc-
OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN. 599
tuation entdeckten, indem wir incidiren und eine sogenannte secundäre Drai-
nage appliciren.
Als ich vor einigen Jahren einen subserös entwickelten Tumor operirte, welcher
zwischen die Blätter des Mesenterium coli gestiegen war und die Flcxura sigmoidea von
links nach rechts in einer Weise verlagert hatte, dass sie oinem zweiten Colon transversum
glich, wurde bei der Entwickelung auch die Serosa verletzt. Die Deckung der Muscularis
durch Vernähung der Serosa, besonders aber die Stillung der parenchymatösen Blutung aus
der Muscularis war schwierig und gelang mir. Letzteres nur durch Anwendung der Forci-
pressur, zu deren Behufe ich mit einer pince haemostatique die gegenständigen Wund-
ränder faaste, somit die blutende Fläche deckte und nun die Pince subperitoneal durch die
Bauchdecke nach aussen leitete. Patientin, eine sehr intelligente Dame blieb bei einer Tem-
peratur-Erhöhung bis zu 38° 5 Tage hindurch im besten Allgemeinbefinden. Am 6. Tag in
der Frühe fand ich sie in kalten Schweiss gebadet mit verfallenen Gesichtszügen, kleinem,
frequenten Pulse und hohem Fieber. Ich erfuhr, dass dieser Zustand am vorherigen Nach-
mittage mit einem Frösteln begonnen, hatte. Nach Lösung des Verbandes fand ich an der
Bauchdecke neben der Pince eine faustgrosse entzündliche Anschwellung. Incision beför-
derte den Ausfluss einer immensen Menge jauchigen, mit Koth untermischten Eiters, welchem
bald Nachlass der Collaps- und Fiebererscheinungen, freilich auch Kothfistelbildung folgten.
Patientin genas, die Kothfistel heilte spontan im Verlaufe von 8 Wochen.
Solche fieberhafte Zustände können sich auch später in der 2. ja 3.-4.
Woche ergeben, als eine Folge circumscripter eiteriger Peritonitiden, welche
durch zurückgelassene Cystenstücke, Adhäsionsfetzen oder Instrumente, Schnür-
stück des Stieles, Ligaturen, u. s. w. eingeleitet werden, indessen aber spon-
tanerweise, oder in Folge operativen Eingriffes zu dauernder Heilung gelangen.
Den Abgang einer Stielligatur durch die Harnblase beobachtete Thomas 3 Mo-
nate nach der Operation, ich nach 6 Wochen aus einem Bauchwandabscesse.
E i t e r u n g s p r 0 c e s s e unter phlegmonösen Entzündungserscheinungen und er-
höhter Temperatur gingen früherer Zeit sehr häufig von den Stichkanälen aus,
was unter heutiger Aseptik nur selten der Fall ist; die Heilung der Bauch-
wunde wurde dadurch sehr verzögert. Wie ich selbst noch nicht beobachtet
habe und aus der Literatur anführe, sind es Parotitiden — nicht septische —
welche mit hohen Fiebererscheinungen schon am 5—7 Tage nach einer Ova-
rotomie ein-, oder beiderseitig, auftreten und durch Zertheilung oder Absce-
dirung heilen. Andere, oft fieberlos verlaufende Erscheinungen sind hef-
tige Darmkoliken; ob durch Stagnirung von Faecal-Massen, oder Heizung
des Darmes während der Operation oder aus irgend einer anderen Ursache
entstanden, ist oft nicht zu bestimmen. Sie sind den Kranken lästig durch
wie heftigsten Schmerzen, starke Blähung und Athemnoth, schwinden aber oft
mald nach spontaner Stuhl entleerung, Abgang von Winden, der auch befördert
erden kann durch Einlegen eines elastischen Kohres in den Mastdarm. In
dbanchen Fällen müssen wir auch zum Morphin greifen, innerlich, oder noch
besser, in subcutaner Injection verabreicht, wie ich es in einem Falle von hoch-
gradiger Hysterie thun musste, deren Anfälle nach der Ovariotomie sich wieder-
wolten.
Blasenkatarrhe infolge öfterer Katheterisation — Metrorrhagien,
hahrscheinlich durch collaterale Fluxion entstanden — , kommen hie und da
bald nach der Operation vor, sind aber von keiner besonderen Bedeutung, da
letztere bald von selbst und die ersteren nach Einstellung des Katheterismus
verschwinden. Unruhiges Verhalten der Kranken in den ersten Tagen,
Brechanstrengungen, Husten und Messen können zu einer Nachblutung, auch
Sprengung der Bauchwunde führen.
Die Behandlung der Operirten in den Fällen, in w^elchen Genesung
eintritt, sei vor Allem eine abwartende. Weder warme, noch Eis-Umschläge,
wie es einige Operateure, so Bakee Brown liebten; weder Opium, noch Ana-
leptica sind nothwendig; sondern nur absolute physische und psychische Euhe.
War der Darm schon vor der Operation gut entleert, so bleibt er auch nach-
her — ohne Narcotica, in der für die erste Zeit nothwendigen peristaltischeu
Ruhe, während häufiges Trinken, Eispillen, Klystiere dieselbe natürlicher-
GOO OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN.
weise stören. Ueblichkeiten und Erbreclien, die sieh in Folge der Nareose
einstellen, können leicht durch tiefere Lagerung des Kopfes, oder mit etwas
kaltem schwarzem Kaffee bekämpft werden. Ist das Erbrechen sehr häufig, so
greife man zur Morphininjection. Verabreichung von Nahrung — die
wenig feste Bestandtheile im Darme zurücklassen — wie kräftige Fleischbrühe,
Milch und jNIilchkatfee, Weinsuppe, Biscuit mit Wein geschehe erst nach einigen
Tagen, überhaupt dann, wenn der bei diesen Kranken gewöhnlich herabgesetzte
Appetit sich einstellt. Blähende Speisen müssen Wochen lang gemieden
Averden, während Eier, Kalbs- und Hühnerbraten Ende der ersten Woche schon
nach und nach verabreicht werden können. Beförderung des Stuhles und Wind-
abganges ist auch nur ausnahmsweise in oben erwähnten Fällen und darauf
bezüglicher Weise nothwendig. Spontane Oeffnung ist für den ungestörten
Verlauf viel vortheilhafter und sie erfolgt auch gewöhnlich zwischen" dem
fünften und siebenten Tage. Coli apser scheinungen werden mit Analep-
ticis, wie Champagner, warmem Kothwein und schwarzem Kaffee, warmen Ein-
wicklungen, eventuell mit Moschus- und Aetherinjectionen behandelt.
Gegen Fieber und E n tz ü n d u n g e n ist die Therapie ziemlich macht-
los. Ist ersteres die Folge einer septischen Infection, so hat kaum irgend
welche Therapie einen heilenden Einfluss; im Gefolge einer örtlichen Entzün-
dung aber schwindet das Fieber, wie diese mit der Eliminirung der Eutzün-
dungserreger. Das einzige, was wir gegen Entzündung thun können, ist das
Bestreben, die Einkapsekmg der deletären Entzündungserreger zu erzielen und
das erreichen wir durch die Aufhebung der Peristaltik des Darmes mit grossen
Dosen Opiums.
Was die örtliche Behandlung der Bauchwunde anbelangt, ergibt
sich darin ein Unterschied zwischen intra- und extraperitonealer Stielver-
sorgung. Im ersteren Falle erfolgt eine vollständige „prima "-Heilung in
8 — 10 Tagen unter dem ersten antiseptischen Deck- und Compressions- Verbände
und braucht dieser daher auch bis dahin nicht gewechselt zu werden. Nur
zufällige Verrutschung oder Inficirung desselben mit Excrementen, oder von
Aussen kommenden Agentien machen einen Wechsel nothwendig und dabei
sehen wir dann schon in den ersten Tagen den ganz reactionslosen Verlauf
der Wundheilung, dass der Bauch ganz flach, oder eingesunken, die Haut in
Falten gelegt erscheint, wie wir ihn nach der Operation gelassen und auf
Druck nirgends eine Schmerzhaftigkeit sich zeigt. Erst nach 5 — 7 Tagen ist
im linken Hypochondrium, in der Beckengegend eine flache Erhöhung zu
bemerken vom Colon descendenz herrührend, welches sich anschickt, einen
Stuhl herauszubefördern.
Die Bauch nähte entfernen wir erst nach dem achten Tage, zuerst
nur einzelne und in den folgenden Tagen nach und nach die anderen. Das
aseptische Nähmaterial ist nicht schädlich, ein längeres Verweilen aber kräftigt
die Narbe.
Die extraperitoneale Stielbehandlung erheischt öfteren Verband-
wechsel. Schon in den ersten 24 Stunden kann durch das Aussickern von
Blut- und Gewebsflüssigkeit aus einem besonders massigen Stiele der Verband
durchnässt, die Klammer angerostet sein und dadurch die Patientin Jucken
und Brennen empfinden, hauptsächlich aber kann hiedurch eine Infection von
Aussen eingeleitet werden. Nach einigen Tagen entwickelt sich um den Stiel
herum die Eiterung und durch Zerfall des Stieles entstehen Fäulnissstoö'e, die
längs desselben in die Bauchhöhle gelangen können. Zeitgemässe Entfernung
dieser Secrete erfordern oft täglichen Verbandwechsel, welcher zu einem sel-
teneren nur dadurch werden kann, wenn wir die Secretion und den schnelleren
Zerfall mit Jodoform-, Salicylsäure-, Natrium-benzoicum- Pulver- Aufstreuung
beschränken. Die Klammer fällt am 7. bis 15. Tage ab; nun ist darunter eine
rein granulirende, guten, dicken Eiter secernirende Wunde, die sich in kurzer
OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN. 601
Zeit (3., 4. Woche) schlicsst. Ich wende die Klairiiiier nicht mehr an; sie ist
durch Schwere lästig, überdies unreinlich; ein dickes iJruinrolir ist die beste
Klammer, Jodoformpulver das beste Streupulver, unter welchen ein Verband-
wechsel und zwar schon der erste, erst in 5— 6 Tagen nothwendig wird. Die
Verminderung der Stielausschwitzung, dessen raschere Mumification und Lösung
bewerkstellige ich des Oefteren auch vermittels Thermocauters.
Ein Wiederaufplatzen der Ikuchwunde, welches in Folge von Husten,
Erbrechen oft noch nach dem achten Tage erfolgt ist, hatte frülier immer eine
tödtliche Folge. Wird es heutzutage frühzeitig bemerkt und die Wieder-
vereinigung der Wundränder bewerkstelligt, kann immer noch Heilung ein-
treten.
Verlauf und Behandlung der Fälle, in welchen die Gene-
sung nicht erfolgt, soll nachfolgend kurz dargestellt werden. Die Krank-
heiten, W'elche nach einer Ovariotomie entstehen und den Tod in rascher oder
langsamer Weise bedingen, sind der Reihe nach betrachtet: Shok, Verblutung,
Septikämie, Peritonitis, Darmocclusion, Tetanus, Emholie^ erschöpfende Eiterung
und endlich zufällige Compjlicationen.
Am raschesten führt zum Tode der Shok, in seinem Wesen als jene
Herzschwäche betrachtet, welcher bald die Lähmung folgt. Die Ursachen des
Shokes sind in verschiedenen, vielleicht noch nicht genau gekannten, aber
jedenfalls zusammenwirkenden Momenten gelegen. Langdauernde Xarcosen
bei vielem Chloroformverbrauch, profuser Blutverlust, lange Operationsdauer,
starke Abkühlung des Körpers, besonders der peritonealen Oberfläche der
Gedärme, mechanische und chemische Ueberreizung derselben werden als
Hauptbedingungen dafür angesehen. Wenn wir zu den Todesfällen durch Shok
nach dem Grundsatze von Czeeny und Nussbaum nur jene rechnen, in w^elchen
die Kranken nach der Operation sich nicht mehr erholten, sondern in einem
anhaltenden Zustande von Collaps bei niederer Körpertemperatur bis zum Tode
verblieben, so ist diese Todesart eine nicht sehr häufige. Der Tod erfolgt für
gewöhnlich in den ersten Stunden bis zum zweiten Tage, selten später. Die
Behandlung geschieht nach jenen therapeutischen Massregeln, die für Collaps
überhaupt gelten. Ich konnte durch Autotransfusion einmal eine Patientin
retten. Vielleicht wäre, besonders nach starkem Blutverluste eine Bluttrans-
fusion oder Infusion einer Kochsalzlösung angezeigt.
Erhebliche Blutungen nach der Operation, die zum Tode führen,
kommen fast immer aus dem versenkten Stiele und zwar am 1. — 2. Tage,
selten später — in Folge Lösung der Ligatur, die ihrerseits wieder durch
Erbrechen, Husten, überhaupt Anstrengung befördert wird. Früher ein öfteres
Ereignis, wird dasselbe durch die vollkommenere Operationstechnik immer
seltener; die Diagnose ist nicht immer leicht, da ein plötzlicher Collaps auch
andere Ursachen haben kann. Feste Umschnürung des Leibes mit Compression
des Bauches, eventuelle rasche Oeffnung desselben und neue Stielunterbindung,
bilden das einzig rationelle Verfahren.
Septikämie und Peritonitis stammen aus einer und derselben
Quelle; Zersetzungsstoffe in der Bauchhöhle sind es, die durch örtliche Rei-
zung am Peritoneum eine Entzündung anregen, w^ährend sie auf dem Wege
der Resorption in die Gefässbahnen gelangt, in den allgemeinen Ernährungs-
verhältnissen ihre deletäre, meistentheils tödtende Wirkung entfalten. Oertliche
und allgemeime Wirkung stehen in keinem parallelen Verhältnisse. Die all-
gemeine Erkrankung kann sich entfalten und einen rasch tödtlichen Ausgang
nehmen ohne gleichzeitige Peritonitis, und umgekehrt kann letztere nebst
Bildung und Ansammlung einer in Zersetzung begriffenen Flüssigkeit in der
Bauchhöhle sich entwickeln, ohne jene Erscheinungen, die dem Bilde einer
allgemeinen septischen Erkrankung entsprechen. Rasch sich entwickelnde
diffuse Peritonitis indessen ist für gewöhnlich mit allgemeiner septischer Er-
602 OVARIOTOMIE — OVARIALTUMOREN.
krankung verbunden. Der Beginn der allgemeinen Erkrankung fällt meisten-
theils auf den ersten Tag, ihr tödtlicher Ausgang manchmal schon auf den
2., für gewöhnlich aber erfolgt er zwischen dem 3. und 7. Tage. Leichtes
Frösteln — selten Schüttelfrost — mit hohen Temperaturen von 40 — 41^, die
nur geringen Morgenremissionen unterworfen sind, schneller, erregter Puls von
130 — 140, beschleunigte Kespiration, psychische Unruhe, welcher bald eine
Trübung des Sensoriums mit leichten Delirien und endlich ein soporöser Zu-
stand folgen, Kopfweh, Erbrechen einer schmutzig braunen, oft galligen Flüs-
sigkeit, Schluchzen (Singultus), trockene und schmutzig belegte Zunge, heisse,
trockene Haut — und wenn gleichzeitig Peritonitis im Anzüge ist, Schmerz-
haftigkeit des Bauches und Meteorismus sind die Begleiterscheinungen. Hohe
Temperaturen aber haben für Septikämie keine absolut charakteristische Be-
deutung. Oft sinkt die Temperatur von ihrer Höhe rasch herunter, sogar
unter den normalen Stand, um dann wieder rasch anzusteigen; zuweilen ist
überhaupt keine Temperaturerhöhung zugegen, oder höchstens nur am Beginne
der Agonie.
Vor Kurzem hatte ich einen solchen Fall, in welchem nach einer Laparotomie —
nicht wegen einer Ovarien Cyste, sondern wegen durch Blinddarm-Carcin cm
bedingter Darmocclusion vollführt — der letale Ausgang in Folge von Septikämie
am 7. Tage erfolgte. Die höchste Temperatur wurde am Tage nach der Operation abends
mit 37'5°, und am Tage des Todes 8 Stunden vorher mit 38'b", in der Zwischenzeit constant
in der Früh und Mittags mit 36-ö— 36'8, abends mit 37" gezeichnet, während der Puls
schon am ersten Tage abends die Frequenz von 100 und in den folgenden Tagen von 120
bis 140 erreichte; Brechreiz, hie und da Erbrechen, besonders Schluchzen, ferner die anderen
oben erwähnten charakteristischen Symptome sich einstellten und in constanter Weise an-
hielten. Bei der Section war nur in der nächsten Umgebung jener Darmschlinge, die be-
hufs Bildung eines widernatürlichen Afters aus der Bauchhöhe nach aussen verlagert und
an der Bauchwunde fest angewachsen war — die Erscheinung einer septischen Peritonitis
— mit auffallend geringem eitrig-fibrinösen Exsudate zu constatiren. Wäre in diesem
Falle der Tod in Folge der septischen AUgemein-Erkrankung bereits am 2. oder 3. Tag, wie
es so häufig der Fall ist, eingetreten, so hätte man bei der Section von der Peritonitis
höchstwahrscheinlich keine Spur gefunden.
Die Prognose der septischen Allgemeinerkrankung ist höchst
ungünstig und finden wir nach einer Ovariotomie schon am ersten Tage die
dafür sprechenden charakteristischen Symptome, hauptsächlich einen frequenten,
der Temperatur nicht adäquaten Puls, wiederholtes — nicht dem Chloroform
zuzuschreibendes Erbrechen, so wissen wir auch, dass hiemit für gewöhnlich
das endgiltige Schicksal der Patientin beschlossen ist.
Die Therapie ist dagegen sozusagen machtlos; Antipyretica und
Analeptica, die wir zu verabreichen pflegen, haben keinen Erfolg. Von Bädern,
Priessnitz-Einwicklungen, mit welchen wir jenen Vorgang im Organismus ein-
leiten wollen, wonach die septischen Allgemein-Erscheinungen nach einer pro-
fusen Schweissabsonderung hie und da spontan nachlassen, habe ich wohl eine
vorübergehende Besserung des Allgemeinbefindens, besonders des getrübten
Sensoriums gesehen, nie aber eine Heilung damit erzielt.
Die Prognose der circumscripten Peritonitis — ohne septische Allge-
meinerkrankung, ist gewöhnlich günstig. Das sind jene Fälle, die wir des
Oefteren erwähnt haben und die ihren günstigen Verlauf durch unser zeit-
gemässes, operatives Eingreifen vermittelst Incision und secuudärer Drainage,
nehmen.
Diffuse Peritonitis ist schon in Folge ihres allgemeinen septischen
Charakters tödtlich, der Tod wird aber durch sie noch beschleunigt in Folge
hochgradigen Meteorismus, der seinerseits Respiration und Herzthätigkeit behin-
dert. Der Tod in Folge septischer Peritonitis kann auch später — Wochen
nach der Operation — durch Darmperforation, oder auf anderen Wegen zu
Stande kommende septische Infection des Peritoneums erfolgen.
Darmocclusionen — früher oder später auftretend — sind im Ge-
folge einer Ovariotomie nicht ganz seltene Erscheinungen. Die Ursache kann
OVAPJÜM. 603
in einer während der Operation zu Stande gekommenen Axendrehung des
Darmes, oder aber darin liegen, dass sich der Darm zwischen dem Stiel (be-
sonders bei extraperitonealer Behandlung desselben) und der Bauchwand, oder
einem anderen Organe, oder aber zwischen Adhäsionen einklemmt. Bei ge-
stellter Diagnose, die nicht immer leicht ist, hat man so zu verfahren, wie bei
Darmocclusionen überhaupt, nämlich den Bauch zu öffnen und die Lösung zu
vollführen.
Tetanus ist nach Ovariotomie relativ häufig beobachtet worden.
Als Ursache davon ist besonders die Klammerbehandlung des Stieles ange-
nommen worden, hauptsächlich in jener Deutung, dass keine hinreichend feste
Umschnürung des Stieles und somit auch keine raschere und totale Zerstörung
der Stielnerven stattgefunden habe. Die Therapie ist dieselbe, wie solche
überhaupt gegen Tetanus in Anwendung kommt.
Thrombosen reihen sich an umschriebene Eiter-, und Jauche-Herde
in der Bauchhöhle an. Zerfall des Thrombus führt durch Pyämie, oder Em-
bolie zum Tode.
Tod in Folge erschöpfender Eiterung kommt bei unserer heutigen
Antiseptik und operativen Technik höchst selten vor. Jene Zustände, die dazu
führen könnten, als: Eiteransammlung, Eitersenkung, unterliegen dem allgemein
bekannten chirurgischen Verfahren.
Unter den Nachkrankheiten, die sich nach einer Ovariotomie zu ent-
wickeln pflegen, will ich hier nur noch der Hernien gedenken, deren häu-
figes Entstehen an die Nachgiebigkeit und Ausdehnung der Bauchnarbe ge-
bunden ist. Wie wir dies schon bei der Operation durch Erzielung einer
festen Narbe verhindern können, habe ich oben erörtert; was nach der Ope-
ration als unsere Aufgabe erscheint, ist unsererseits die Verordnung einer be-
ständig zu tragenden Leibbinde, seitens der Genesenen aber die Meidung über-
grosser körperlicher Anstrengung. beaxdt.
Ovarium. Der Eierstock (Ovarium) ist die Keimstätte der Eier. Nach
dem FLEMiNG'schen Schema der Drüseneintheilung werden die Ovarien zu
den alveolären Drüsen gerechnet. Da jedoch die Ovarien keine eigentliche
secernirende Function besitzen, ihre Thätigkeit vielmehr darin besteht, aus
den Follikeln, einem integrirenden Gewebsbestandtheil, functionsfähige Zellen,
die Eier, auszustossen, so sollten nach Schieferdecker die Ovarien rich-
tiger nicht zu den Drüsen gerechnet werden.
Die Anatomie des Ovariums ist in der Einleitung zu diesem Bande
dargestellt; die Topographie des Organes rücksichtlich seiner Lage zum
Uterus und den Eileitern, seine Verbindungen zu den letztgenannten
Bestandtheilen des weiblichen Genitalapparates und die Art der peritonealen
Bekleidung ist in dem Aufsatze „ Ovariotomie — Ovarialtumoren^'' ausführlich
beschrieben und in dem Artikel „ Uterus'-'' durch eine entsprechende Figur
illustrirt.
Die Histologie des Ovariums ist ein Gebiet, das noch bis in die
Gegenwart eine Reihe von Autoren beschäftigte. Auf einem Längsdurchschnitte
unterscheidet man zunächst eine einfache Keihe cylindrischer Epithelzellen,
Keimepithel, dicht unterhalb derselben eine Bindegewebslage, in welcher
keine Follikel vorhanden sind, Rindenschicht, centralwärts hievon ein
bindegewebiges Stroma, welches die Follikel trägt, Parenchymzone. In
dieser finden sich nun, sofern die Ovarien geschlechtsreifer Individuen in Be-
tracht kommen, dicht unter der äusseren Rindenschicht die noch unentwickelten
Follikel, Primordialfollikel, genannt; gegen das Centrum zu, werden die Fol-
likel an Zahl spärlicher, nehmen aber an Grösse zu, das ist die Zone der
reifen, sogenannten GRAAP'schen Follikel.
um die Entwicklung der GRAAF'schen Follikeln zu verstehen, ist es angezeigt, die
Anlage des Eierstockes kurz zu skizziren. Das Ovarium kennzeichnet sich in seiner
604 OVARIUM.
ersten Anlao'e als ein Epithclwnlst, der dadurch entstellt, dass in der Leibeshöhle neben
den iVlesenterialplatten die Epithelialzellen sich stärker entwickeln. Diese Epithelzellen
fahren den Namen Keimepithel und wachsen schlauchartig in die Tiefe (Ovarialschläuehe).
Hierauf schnüren sich dieselben vom oberflächlichen Keimepithel ab und bilden so ver-
schieden umfangreiche Zellenhaufen im Stroma. Dieses letztere entsteht durch eine Wu-
cheiunw von Bindegewebe, das vom ^YoLFF'schen Körper her gegen den Keimepithelwulst
wächst? In den genannten Epithelzellenhaufen tritt nun oine Differenzirung derart ein,
dass einige durch besonderes Wachsthum grösser werden und die Primordialeier bilden,
während die anderea die bisherige Grösse beibehaltend jene als Epithelbekleidung um-
hüllen. So entstehen die Primordialfollikel. Später wuchert das Follikelepithel und
bildet mehrere Schichten bis endlich durch Verflüssigung einzelner Zellpartien ein Spalt
entsteht, der allmälig immer grösser wird und mit einer Flüssigkeit dem Liquor folli-
culi gefüllt ist. Die eigentliche Eizelle bleibt an der einen Wand des Follikel zurück und
i t von einem kuppeiförmigen Zellenhaufen umgeben, den man Cumulus ovigerus
nennt. So entwickelt sich aus dem Primordialfollikel der GRAEF'sche Follikel.
Centrahvärts von der Parencliymzone befindet sich die sogenannte Mark-
substanz des Ovariums, Avelche ^Yegen der mächtigen Entwicklung der
daselbst verlaufenden Blutgefässe auch Gefässzone genannt wird. Ausser
diesen besteht sie noch aus derbem Bindegewebe, elastischen Fasern und
glatten Muskelzellen.
Die Blutgefässe treten am Hilus in das Organ ein, bilden ein die
Follikel umschliessendes Netz und sind wie eben bemerkt, in der Marksubstanz
stark entwickelt. Die Vertheilung der Lymphgefässe ist die gleiche, wie
die der Blutgefässe. Die mit den Gelassen in den Hilus eintretenden Nerven
durchziehen die dicken Bündeln mit Markschichten und treten von dieser in
die Rindenschicht über. Um die Gelasse bilden die Nervenfasern dichte
Geflechte. In der Follikularzone umspinnen die Nervenfasern die grossen
und kleinen Follikel und endigen mittels frei auslaufender Fäden an und in
der Wand der Follikel. Nach v. Herfp treten die Nervenfasern bis in das
Follikelepithel ein, eine Beobachtung welche L. Mandl in daraufhin ge-
richteten Untersuchungen nicht bestätigen konnte.
Die physiologische Thätigkeit der Ovarien ist in den Aufsätzen
„Menstruation'-^ und Ovulation^^ ausführlich dargelegt. Der Abbruch dieser
normalen Function ist an gewisse regressive Veränderungen in der Structur
des Eierstockes gebunden. (Vergl. Artikel „Klimaderimn^, pag. 472.)
Die Atrophie der Ovarien kann durch Allgemeinerkrankungen be-
dingt sein, die mit schweren Stoff Wechselstörungen einhergehen {luberculose,
Chlorose, Diabetes, Morbus. Basedoivi etc.). Bei gynäkologischer Untersuchung
findet man die Ovarien gegen die Norm verkleinert und schlaff. Diese Atro-
phie kann auch wieder dem Normalzustand Platz machen, wenn der Gesammt-
organismus sich erholt.
Zu den Bildungsfehlern der Ovarien rechnet man die Ueberzahl
von Eierstockanlagen; oft sind dies nur „abgesprengte Keime," die als „acces-
sorische Ovarien" zur Entwicklung gelangen, in einigen Fällen wurde aber
auch ein vollkommen ausgebildetes drittes Ovarium gefunden (v. Winckel,
Bassini). Angeborener totaler Defect der Eierstöcke ist eine Theilerschei-
nung einer bedeutenden Bildungshemmung des ganzen Genitalapparates. Das-
selbe gilt von der rudimentären Bildung der Ovarien. Sie finden sich
also meist nur bei Mangel des Uterus, bei Uterus unicornis (nur auf der
einen Seite), bei rudimentärem Uterus.
Die Lageveränderungen der Ovarien betreffen zunächst eine
Verlagerung in herniöse Säcke. Am häufigsten sind die ovarialen Inguinal-
hernien, viel seltener die ovarialen Cruralhernien. Nach Englisch's Beobach-
tungen ist das Verhältnis beider Bruchformen zu einander wie cca. 1 : 4. Von
den Inguinalhernien sind die angeborenen häufiger als die erworbenen; sie
entstehen durch die Bildung eines Proc. vaginalis peritonei, der offen bleibt
und in den die Ovarien gegen das Labium majus zu hineingleiten. Dieser
Eintiitt in den vorgebildeten Bruchsack wird oft erst durch ein Puerperium,
OVULATION. 605
in dem ja eine gewisse Schlaffheit aller Fixati onsmittel des Genitalapparates
und auch der Bauchdecken vorhanden ist, direct veranlasst. Das (Jvarium
im Bruchsack entzündet sich sehr leicht und die P^nt/ündung- saninit den hie-
mit verbundenen Beschwerden macht oft erst den Arzt auf die A'erlagerung
aufmerksam. Als Hernia abdominalis ovarica bezeichnet man die Verlagerung
des Ovariums in eine hernienartig ausgestülpte Partie der Bauchdecken. Selten
ist die Hernia ovarica ischiadica (Routier); eine Hernia ohturatoria hat Kiwiscii
beobachtet. Die Diagnose der Ovarialhernien ist die gleiche wie die aller
übrigen Brüche; Gestalt, Consistenz und Zusammenhang mit dem Uterus
weist auf den Eierstock als Inhalt des Bruchsackes hin. Ein Bruchband mit
Hohlpelotten soll das Ovarium gegen äussere Insulte schützen, eine Entzün-
dung muss antiphlogistisch behandelt werden, an eine Herniotomie kann nur
bei Möglichkeit der Eeposition gedacht werden, sonst ist bei besonderen Be-
schwerden die Exstirpation indicirt.
Abnormer Tiefstand des Ovariums kommt ziemlich häufig vor,
erzeugt oft kolikartige Schmerzen und ist ursächlich durch Erschlaffung des
Ligamentum latum bedingt. Dieser Descensus ovarii gegen den DouGLAs'schen
Raum zu ruft oft besondere Beschw^erden bei der Defäcation hervor, so dass
auch bei dieser Lageveränderung, wenn Massage, Jodoformgaze - Tamponade
der Scheide, Einlegen eines Hebelpessars nicht wirksam sind, nur die Exstir-
pation entscheidende Hilfe bringt.
Blutungen in das Ovarialgewebe haben wegen der begleitenden
Erscheinungen klinisches Interesse. Mit dem Platzen eines GRAAF'schen
Follikels ist regelmässig eine geringe Blutung verbunden. Pathologisch sind
bedeutende Blutergüsse, welche den Follikel zu einer Blutcyste umgestalten.
Platzt der Follikel, so tritt das Blut in die Bauchhöhle aus und kann so
direct den Tod veranlassen (ohne oder mit begleitender Peritonitis) oder einen
abgekapselten Blutherd bilden, der zuw^eilen die Stelle einer Haematocele retro-
uterina '^') einnimmt. Findet keine Ruptur statt, dann etablirt sich eine
sogenannte Ovarialblutcyste, welche bis wallnussgross werden kann. Zu-
weilen können sich dieselben vollständig rückbilden, in anderen Fällen führen
sie zu den Beschwerden eines Ovarialtumors und müssen operativ entfernt
werden, wie dies auch schon wiederholt geschehen ist (Sänger, Munde, Dorax
Gottschalk u. a.). — Viel seltener sind interstitielle Blutungen in das
Stroma, insbesondere bei allgemeiner hämorrhagischer Diathese. — Eine eigen-
thümliche Art von „cavernöser Blutgeschwulst des Ovariums" beschrieb Gott-
schalk, indem beide Ovarien von blutgefüllten wandungslosen Räumen durch-
setzt waren, w^elche mit dem Gefässystem in Communication standen.
Die Entzündug der Ovarien und die Bildung von Eiterherden inner-
halb des Eierstockgewebes (Ovarialabscesse) sind in dem Artikel ,, Oopho-
ritis^'' abgehandelt. Bezüglich der Neubildungen des Ovariums, der
Symptomatologie und Diagnose derselben und der Methoden ihrer operativen
Entfernung muss auf den Artikel „Ovariotomie — Ovarialtumoren'', bezüglich
der Tuberculose der Ovarien auf den Artikel „Titberculose der weiUichen
Genitalien" verwiesen werden. c-r.
Ovulation. ""■") Wenn es auch feststeht, dass schon bei Neugeborenen, ja
selbst bei Föten fertige GAAF'sche Follikel vorkommen können (Bischoff,
SiNETY, Slaviansky, Raciborsky, Haussmann, Nagel), so ist dies doch als
eine Ausnahme, nicht als die Regel anzusehen. Erst mit dem Herannahen der
Pubertät, in unserem Klima ungefähr vom 12. oder 13. Lebensjahr, fangen
die Follikel an zu reifen. Es bildet sich in ihnen eine freie Höhle, von dem
Liquor folliculi gefüllt. Das Epithel der Membrana granulosa häuft sich an
der, der Aussenseite des Ovarium gegenüberliegenden Seite zu dem das Ei um-
*) Siehe diesen Artikel, pag. 332.
**) Vergl. auch Artikel „Menstruation'^.
606 PARAMETRITIS.
scliliessenden Cumulus proligerus.'^ Die allmälig waclisenclen Follikel üben
auf die sie nicht nur umspinnenden, sondern in die Membrana granulosa der
grösseren eindringenden Nerven (v. Herff) einen Eeiz aus, welelier auf reflectori-
scliem Weg eine Hyperämie der Sexualorgane, insbesondere der Ovarien her-
beiführt (Pflüger). Unter dem Einfluss der letzteren nimmt die Follikel-
flüssigkeit schneller zu, die Spannung in dem Follikel Avird grösser; er rückt
an die Peripherie des Ovarium heran und birst, das Ovulum entleerend, auf
der Höhe der Cohgestion. Das Eichen wird entweder von der Ampulle der
Tube direct aufgenommen oder durch die seröse Strömung, welche die Flimme-
rung der Tubenschleimhaut hervorruft, dem Eileiter zugeführt.
Nachdem der GnAAF'sche Follikel geplatzt und das Ei ausgetreten ist,
beginnt er sich zurückzubilden. Es entsteht aus ihm das sogenannte Corpus
luteum; wird das Ei befruchtet, das Corpus luteum verum, wenn nicht," das
Corpus luteum falsiim. Ein principieller Unterschied zwischen beiden besteht
nicht. Bei dem Corpus luteum verum findet unter dem Einfluss der Schwan-
gerschaftshyperämie der Genitalien zunächst eine stärkere und länger anhaltende
Zellwucherung statt; die Eückbildung erfolgt langsamer. Bei dem Corpus luteum
falsum dagegen tritt sie in der Eegel bald nach dem Platzen des Follikels ein.
Während man früher dem in den Follikel ergossenen Blut die Hauptrolle
bei der Bildung des Corpus luteum zuschrieb, stimmen jetzt alle Autoren
darin überein, dass dies von keiner wesentlichen Bedeutung ist. Dagegen
sind die Ansichten noch getheilt, ob die Zellen des gelben Körpers von der
inneren Schicht der Theca folliculi oder von der Membrana granulosa oder von
beiden herrühren (s. Benckisser: Zur Entwicklungsgeschichte des Corpus lu-
teum. Ärch. f. Gyn. Bd. XXIII, pag. 350). Wahrscheinlich gehen die Zellen der
Membrana granulosa bei der Berstung des Follikels zu Grunde und nur durch
Wucherung der Zellen der Theca interna (Granulationsschicht Slaviansky's)
bildet sich das Corpus luteum. Allmälig, bei Schwangeren ungefähr vom vierten
Monat der Gravidität an, verkleinert sich dasselbe wieder, bis schliesslich nur
noch eine narbige Einziehung an der Oberfläche des Eierstockes von ihm
übrig bleibt.
Ob die Ovulation nur in regelmässigen, ungefähr den menstruellen
Perioden entsprechenden Zwischenräumen oder auch ausserhalb derselben er-
folgt, ist eine bisher noch nicht mit Sicherheit entschiedene Frage. Dass sie
nicht stets an die Menstruation gebunden ist, beweisen die zahlreichen Fälle,
in welchen bei Amenorrhoe in Folge von Lactation, Chlorose, ja bei überhaupt
noch nicht menstruirten Mädchen Schwangerschaft eintrat. Trotzdem ist die
Annahme gerechtfertigt, dass die Ovulation in der Kegel mit der Menstruation
in einem zeitlichen Zusammenhang steht, d. h. kurz vor, während oder nach
derselben ein GRAAF'scher Follikel platzt. Dies schliesst nicht aus, dass ge-
legentlich, dann wohl infolge einer plötzlichen starken Hyperämie der inne-
ren Geschlechtsorgane, z. B. bei sehr heftiger sexueller Erregung, stürmischem
Coitus auch zu anderer Zeit ein reifer Follikel birst. Auch bei Schwangeren
sind springfertige Follikel gefunden worden. Es ist dies aber jedenfalls eine
Ausnahme. Gewöhnlich ruht die Ovulation während der Gravidität.
GRAEFE.
ParametritiS. (Siehe Art. „Adnexentumor" und „Beckenexsudate".) Unter
Parametritis oder Pelveocellulitis verstehen wir diejenigenEntzündungsvorgänge
und deren Folgezustände, welche sich in dem den Uterus ringsum umgebenden
Beckenbindegewebe abspielen. Nach oben"" ") wird der als Parametrium bezeich-
nete Raum vom Beckenperitoneum begrenzt, nach unten von dem das sogenannte
*) Vergl. auch Artikel „Ovarium'^.
**) Vergl. die in den Artikel „Uterus" eingefügten Figuren.
parametritis. 607
Diaphragma pelvis bildenden Levator ani; lilase und Uterus mit den Ligg.
rotundis und den Ligg. sacro-uterinis oder Douglasii bilden in gewissem Sinne
eine mittlere Scheidewand und trennen den Raum in eine rechte und linke
Hälfte; zwischen beiden bestehen jedoch Verbindungsbrücken und zwar vorn
zwischen vorderer Bauchwand und Blase, sowie zwischen Blase und Uterus, und
hinten zwischen Uterus und Mastdarm, respective Kreuzbein; man könnte
demnach also eine Parametritis dextra und sinistra, und eine Parametritis
anterior und posterior unterscheiden; derartige streng abzugrenzende Ent-
zündungsherde gehören allerdings zu den Seltenheiten, namentlich was die
vorderen und hinteren Parametritiden anbetrifft; letztere kommen ausser-
ordentlich selten isolirt vor und sind meist mit einer rechts- oder links-
seitigen verbunden.
Das mit der oberen Hälfte des Uterus fest verwachsene Peritoneum,
welches sich nach vorn bis ungefähr zur Höhe des Orificium internum uteri
erstreckt, während nach hinten der festhaftende Theil desselben etwas höher
inserirt und dann locker sich nach abwärts noch über das Collum und den
oberen Theil der Vagina fortsetzt, verhindert eine Ausdehnung der parametri-
tischen Entzündungen nach dieser Richtung hin und bedingt bei grösseren
Exsudaten die charakteristische Form derselben. Wichtig ist also vor allen
Dingen, dass es sich bei der Parametritis in erster Linie um extraperitoneale
Entzündungsherde handelt.
Der parametrane Raum wird von meist lockerem Bindegewebe und ver-
einzeltem Fettgewebe gebildet, in welchem zahlreiche Arterien, Venen und
Lymphgefässe verlaufen; besonders ausgedehnt sind die Venennetze, welche in
den Ligg. latis den Plexus pampiniformis bilden. Die Verbreitung der Lymph-
gefässe sind in letzter Zeit eingehend von Poieier studirt und beschrieben
worden.
Interessante Injectionsversuche über die in diesem Bindegewebe verlau-
fenden Spalträume sind von König und Schlesinger ausgeführt worden; sie
ergaben eine bemerkenswerthe Uebereinstimmung mit der Art und Weise der
Verbreitung entzündlicher Vorgänge; natürlich darf hierbei die Wichtigkeit
und Bedeutung der Blut- und Lymphgefässe nicht ausser Acht gelassen werden.
Aetiologie: Man hat meist zwei Formen von Parametritis unterschieden:
eine gutartige, nicht infectiöse und eine bösartige, infectiöse; das Vorkommen
der ersteren wird von manchen Forschern geleugnet, namentlich nachdem
BuMM auf experimentellem Wege versucht hat, Klarheit in die Entstehungs-
weise der Parametritis zu bringen. Bumm versuchte durch mechanische und
chemische Reize Entzündungen im Parametrium des Kaninchens zu erzeugen,
aber ohne Erfolg; dagegen gelang es ihm leicht, eine Parametritis durch In-
fection mit Eitercoccen hervorzurufen; auf Grund dieser Versuche, glaubt er,
dass eine einfache, traumatische, nicht infectiöse Parametritis nicht vorkommt.
Es entspricht allerdings auch der allgemeinen Erfahrung, dass die bei weitem
meisten Parametritiden auf infectiöser Basis beruhen. Diejenigen Eitercoccen,
welche man bisher vorwiegend als die eigentliche Ursache hat nachweisen
können, sind die Streptococcen, die Staphylococcen, die Gonococcen, die Tu-
berkelbacillen und der Actinomycespilz. Die Wege, auf denen diese Mikroorga-
nismen in das Parametrium gelangen können, sind vorwiegend zweierlei Art,
entweder vom Genitaltractus oder vom Darm, respective Peritoneum aus. Die
erstere Verbreitungsweise ist die häufigste, wir beobachten dieselbe am meisten
bei Verletzungen nach Geburten und Aborten, w^eiterhin nach operativen Ein-
griffen in der Scheide oder am Uterus. Eine w^eitere, in der Regel vom Geni-
taltractus ausgehende Infectionsquelle ist die Gonorrhoe; diese Form der Infec-
tion ist jedoch dadurch charakterisirt, dass sie selten allein zur Parametritis
führt, sondern in fast allen Fällen gleichzeitig auch die Eileiter und Ovarien
in Mitleidenschaft zieht, da die Gonococcen sich mit Vorliebe auf der Schleim-
"608 PARAMETRITIS.
hautaiiskleidung des Genitaltractus weiter aiiszudelmen pflegen. In einer
seltenen Zahl von Fällen ist eine Infection von Seiten des Darmes nicht von
der Hand zu weisen; man hat sowohl Fälle beobachtet, wo sich Parametritiden
im Anschluss an eine Paratyphlitis, als auch vom Mastdarm, respective der
Flexura sigmoidea aus entwickelt haben; wahrscheinlich spielt hierbei das
Bacterium coli commune eine Kolle; ein derartiger Fall ist kürzlich von
Eisenhart beobachtet worden.
Pathologische Anatomie: Es gibt eine eitrige und eine nicht ei-
trige Parametritis, letztere ist jedoch meist nur das Vorstadium von ersterer.
Anfangs handelt es sich meist um eine hochgradige Hyperämie mit nachfolgen-
der seröser oder ödematöser Durchtränkung und Infiltration des parametranen
Bindegewebes, wodurch dasselbe eine derbe, schwielige Beschaffenheit annimmt;
es kommt nun entweder zur Ptesorption, wobei jedoch namentlich bei chro-
nischem Verlauf noch lange schwielige Verdickungen im Parametrium zurück-
bleiben können, welche mannigfache Verlagerungen und Verwachsungen des
Uterus bewirken, oder die Infiltration geht in Eiterung und Abscessbildung
über, die häufig mit ausgedehnten Nekrotisirungen des Gewebes oder Ver-
jauchung, namentlich in der Nähe des Darmes verbunden sind.
Die Form und Ausdehnung der eitrigen Processe kann sehr verschieden
sein; sie kommen ein- und doppelseitig vor; sie können sich auf die unmittel-
bare Umgebung des Uterus beschränken, sie nehmen aber olt auch eine ganz
bedeutende Ausdehnung an, so dass nicht nur das ganze Lig. lat. ergriffen
wird, sondern das Exsudat auch den Mastdarm vollkommen umgreift, nach den
Bauchdecken zu vordringt und ebenso zur Blase; secundär können sodann
auch die Beckenknochen und Gelenke ergriffen werden. Die hauptsächlichen
Verbreitungswege sind aus den in den Artikel ;, Utejms" eingefügten Figuren
leicht ersichtlich. Schliesslich kommt es zu Perforationen: nach aussen gewöhn-
lich über, seltener unter dem PouPART'schen Bande; ferner nach der Scheide, dem
Mastdarm, der Blase, seltener durch die Fossa ischiadica unter die Mm. Glutaei.
Nach dem Durchbruch des Eiters kann es zur langsamen Ausheilung kommen,
allerdings unter Zurückbleiben meist ausgedehnter schwieliger Verdickungen,
oder die Perforationsöffnung schliesst sich nur vorübergehend, um sich nach
erneuter Eiteransammlung wieder zu öffnen. Bei so ausgedehnten Formen
der Parametritis fehlen auch selten pelveo-peritonitische Erscheinungen, welche
zu mannigfachen Verwachsungen mit den umliegenden Organen Veranlassung
geben.
Besondere Formen der Parametritis sind beschrieben worden von W. A.
Freund, der eine gewisse Art als Parametritis chronica atrophicans bezeichnet
hat; hierbei kommt es zu narbiger Schrumpfung des Beckenbindegewebes und
nachfolgenden atrophischen Zuständen des Uterus, der Scheide und auch der
Ovarien; ferner von B. S. Schultze die Parametritis posterior, welche sich
vorwiegend auf die Ligg. sacro-uterina beschränkt und hier zu starker Ver-
kürzung und secundär zu pathologischer Anteflexion des Uterus führen kann.
Schliesslich sind namentlich von französichen Forschern (Courty) Fälle be-
obachtet worden, bei denen es sich um starke Drüsenschwellung in den Pa-
rametrien gehandelt hat ; hierbei zogen sich die geschwollenen Drüsen rosen-
kranzähnlich zu beiden Seiten des Uterus bis zur Beckenwand hin; diese Er-
krankungsform wird als Adenitis periuterina bezeichnet; ähnliche Fälle sind
auch von A. Martin beobachtet worden.
Symptome und Verlauf: Die Symptome der Parametritis sind ver-
schiedener Natur, je nachdem es sich um einen acuten oder chronischen Fall
handelt. Im acuten Stadium sind die Hauptsymptome Fieber und Schmerz-
haftigkeit in der Tiefe des Beckens; meist setzt die Erkrankung, namentlich
in den ausgesprochen infectiösen Fällen mit einem heftigen Schüttelfrost ein;
das Fieber erreicht bald darauf eine Höhe von 40 — 41" C, unter gleichzeitiger
PARAMETPJTIS. 609.
starker Steigerung der Pulsfrequenz auf 120—140; das Fieber kann sich ei-
nige Tage auf ziemlicher Höhe halten, bis allinälig langsam Kemissionen ein-
treten. Die Schmerzen (die vorwiegend auf eine gleichzeitige lieizung des
Beckenperitoneum zurückzuführen sind) gehen gewöhnlich mit dem Fieber
Hand in Hand; bei zunehmendem Exsudat treten dann Druckerscheinungen
und dadurch bedingte Schmerzen im Bereich der benachbarten Nervenplexus,
namentlich des Plexus sacralis auf, sowie Functionsstörungen von Seiten der
Blase und des Mastdarms. Kommt es zur Resorption, so gehen die Erschei-
nungen allmälig zurück, während schwielige Verdickungen in den Parametrien
noch lange zurückbleiben können.
Bei einigermaassen chronischem Verlauf kommt es fast stets zur Eiterung
unter meist hektischen Fiebererscheinungen nebst starkem Kräfteverfall.
Während man Anfangs bei innerer Untersuchung meist nur eine empfindliche
Infiltration auf einer oder zu beiden Seiten des Uterus findet, bildet sich
jetzt alsbald ein leicht palpabler Tumor von zunächst teigiger, später harter,
knolliger Beschaffenheit, und häufig bis zum Nabel reichender Ausdehnung;
Uteras, Blase und Rectum werden von den starren Exsudatmassen oft voll-
kommen eingemauert; im weiteren Verlauf kommt es zu umfangreichen Eiter-
bildungen, welche mehr oder weniger Neigung zum Durchbruch in die benach-
barten Organe, namentlich Scheide, Mastdarm oder Blase haben (cf. Artikel:
„Beckenexsudate^'). — Häufige Exacerbationen auch nach erfolgtem Durch-
bruch gehören keineswegs zu den Seltenheiten.
Während im acuten Stadium die langandauernde Höhe des Fiebers,
pyämische Metastasen oder Durchbruch in die Peritonealhöhle zum Tode führen
können, stellen sich beim chronischen Verlauf häufig amyloide Degenerationen
in den parenchymatösen Organen, namentlich den Nieren ein, welche ein lang-
sames Siechthum und schliesslich den Tod zur Folge haben.
Diagnose: Von grosser Bedeutung für die richtige Stellung der Diag-
nose ist die Berücksichtigung der Anamnese. Treten die Krankheitserschei-
nungen im unmittelbaren Anschluss an eine Geburt oder einen Abort auf,
sowie nach operativen Eingriffen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich
um eine reine Parametritis handelt, grösser, wie bei dem Verdacht, dass die
Erkrankung die Folge einer gonorrhoischen Infection ist. Mit Nichts sind
und werden noch heutzutage, namentlich in chronischen Fällen, die Parametri-
tiden häufiger verwechselt, wie mit Erkrankungen der Tuben und Ovarien,
wenn letztere eine gewisse Ausdehnung gewonnen haben (cf. Artikel: „Adnexen-
tumor"), hier ist es vor allen Dingen von grösster Wichtigkeit unter Zuhilfe-
nahme der Narkose die genaue Lage und Gestalt des Tumor festzustellen.
Während die parametritischen Exsudate eine mehr gleichmässige, rundliche
Gestalt haben, nimmt man an der Sadosalpinx (Sammelbegriff für Hydro-,
Hämato- und Pyo-Salpinx) eine mehr knollige, durch die verschieden stark
hervortretenden Windungen und Knickungen der Tube bedingte unregel-
mässige Gestalt wahr; während erstere zunächst in dem unteren Ab-
schnitt des Lig. latum dicht neben der Uteruswand, etwa in der Höhe
des inneren Muttermundes und unmittelbar über dem Scheidengewölbe
sich entwickeln und sich breit der Uteruswand anlegen, liegen letztere
einerseits mehr in dem oberen Theil des Lig. latum, wobei der über dem
Scheidengewölbe liegende Theil des Lig. latum Anfangs ganz frei und
unbetheiligt bleibt, und anderseits stehen sie mit der betreffenden Uterus-
horn durch einen meist bleistift- bis fingerdicken Stil, dem verdickten Isthmus
tubae, in Verbindung. Ln weiteren Verlauf dehnt sich gewöhnlich das para-
metritische Exsudat, dem Lig. latum folgend, bis dicht an die Beckenwand und
mit dieser fest verwachsend, aus, während die Sactosalpingen bald nach hinten
sinken und mit dem Boden des Douglas und der hinteren Fläche des Uterus
Verwachsungen eingehen; es bleibt jedoch meist immer, im Gegensatz zu der
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynäkologie. 39
610 PARAMETRITIS.
Parametritis posterior eine deutliche Furche zwischen Tumor und hinterer
Uterusfläche erlvennbar. Schwieriger, ja ganz unmöglich kann natürlich die
Unterscheidung werden, wenn es sich um eine zuweilen vorkommende Com-
plication von Sactosalpinx und Parametritis handelt.
Weniger schwierig ist die Differential-Diagnose zwischen intra- und
extraperitonealem Exsudat, zumal wenn man die Entstehung der Erkrankung
verfolgen kann, da erstere meist ihren Anfang liinter dem Uterus im Douglas-
Bchen Räume nehmen, und sodann auch in der Regel nicht so unmittelbar
in den Uterus übergehen, wie die letzteren. "Weitere Verwechselungen sind
möglich mit einer Haematocele retrouterina oder einem Haematoma extra-
peritoneale; hierüber dürfte alsbalb die Anamnese und die Art der Entstehung
Aufschluss geben; ebenso lassen sich etwaige Verwechselungen mit Geschwül-
sten des Uterus oder der Ovarien bei eingehender Untersuchung, wenn nöthig
in Narkose, meist leicht vermeiden.
Prognose: Die Prognose ist im Grossen und Ganzen nicht als ungün-
stig zu bezeichnen. Leichtere acute Formen kommen zur Heilung, ohne zu-
weilen irgend welche Spuren zurückzulassen; bei chronischem Verlauf besteht
die Gefahr einerseits in der die Kräfte allmälig erschöpfenden, zu lange
dauernden Eiterung, oder wenn diese zur Ausheilung kommt, in den fast stets
zurückbleibenden mehr oder weniger ausgedehnten, narbigen Schrumpfungen
und Verwachsungen mit den benachbarten Organen, welche mannigfache Lage-
veränderungen und Functionsstörungen der Beckenorgane zur Folge haben
können.
Therapie: Die acute Parametritis erfordert eine streng antiphlogistische
Behandlung: Ruhe, Eisblase oder PRiESSNiTz'sche Umschläge; Narcotica, na-
mentlich Opium; Regelung der Stuhlentleerungen. Antifebrilia und locale
Blutentziehungen sind in der letzten Zeit mehr und mehr verlassen w^orden.
Im chronischen Stadium haben wir zu unterscheiden, ob es sich um ein
starres Exsudat oder um Uebergang in Eiterung handelt, die allerdings zu-
w^eilen auch schon nach wenigen Tagen auftreten kann. Im ersteren Fall
sind vor allen Dingen resorbirende Mittel in der verschiedensten Form am
Platze; unter diesen nimmt das Jod und seine Präparate die erste Stelle ein;
innerlich als Jodkali, äusserlich Jodtinctur zum Bepinseln der Bauchdecken,
sowie des Scheidengewölbes, Jodkali-Salbe oder Suppositorien; Jodoform, Jod-
glycerintampons, in letzter Zeit werden vom Ichthyol auch sehr günstige Er-
folge berichtet; daneben heisse Scheiden-Injectionen ebenfalls mit Jodzusatz
(Jod. piiri 2-5; Kai. jodat. 5-0; Äq. destill. 200-0. 1 — 2 Theel. auf 1 Liter
Wasser), oder Soole. Von grossem Vortheil sind auch häufig Moorbäder oder
Sitz- und Vollbäder mit Soole, sowie Badecuren in jod- und bromhaltigen
Bädern (namentlich Tölz, Kreuzenach etc.) Schliesslich ist auch in geeig-
neten Fällen ein günstiger Einfluss von vorsichtig ausgeführter Massage und
elektrischer Behandlung nicht zu verkennen. Bei alledem darf die Allge-
meinbehandlung der Kranken nicht aus dem Auge gelassen werden, da von
derselben oft der günstige Erfolg obiger Curen zum grössten Theil mit ab-
hängt.
Ist deutliche Eiterung nachzuweisen, so tritt die chirurgische Behand-
lung in ihr Recht; hierüber dürfte kaum eine Meinungsverschiedenheit be-
stehen. Anders liegt die Sache bei der Frage, wann ist der richtige Zeitpunkt
für die Eröffnung gekommen und auf welchem Wege soll man dem Eiterherd
beizukomraen suchen. Am einfachsten sind die Verhältnisse, wenn bereit
ein Durchbruch zu Stande gekommen ist oder nahe bevorsteht; bei Durch
bruch nach Aussen in der Gegend des PouPAHT'schen Bandes oder nach d
Scheide zu, wird die Oeffnung hinreichend erweitert, um dem Eiter gen
genden Abfluss zu verschaffen; bei drohendem Durchbruch wird die betreffent
Stelle baldigst incidirt. Besteht eine Perforation in die Blase oder in de
PARA- UND RETRO PERITONE ALTUMOREN. 611
Mastdarm und zieht sich die Eiterung zu sehr in die Länge, so empfiehlt es
sich, eine Gegenöffnung nach der Scheide hin zu machen; dies gilt ebenfalls für
anderweitige Perforationen, wenn keine spontane Auslieilung eintritt.
Während die meisten Autoren rathen, sich mit der Eröffnung der para-
metritischen Abscesse nicht zu sehr zu beeilen, hat Fiirrscii empfohlen, auch
ganze frische parametritische Exsudate, wenn dieselben Kindskopfgrösse erreicht
haben, von der Scheide aus zu eröffnen. Veit will keinen grossen Nutzen
hievon gesehen haben; er lässt die frühen operativen Eingriffe höchstens dann
gelten, wenn schwere Allgemeinerscheinungen eintreten und man bald neben
dem Uterus Schwellungen im Bindegewebe nachweisen kann; er hält dagegen
die Incision für nothwendig, wenn das Fieber, nachdem es bereits vollkommen
verschwunden war, von Neuem längere Zeit in verstärktem Maasse auftritt,
wenn sich an irgend einer Stelle Oedem der Haut zeigt oder wenn sich bei
den typischen Temperatursteigerungen das Exsudat nicht zurückbildet, sondern
sich deutlicher gegen seine Umgebung abgrenzt.
Die bisher üblichen Methoden der Eröffnung sind diejenigen von der
Scheide oder vom Mastdarm aus; ferner nach Laparotomie: Eröffnung und Ent-
leerung des Exsudates von oben mittelst Potain und dann Naht der Einstich-
öffnung und Drainage nach der Scheide (Martin), oder extraperitoneale
Laparotomie oberhalb des PouPAET'schen Bandes und von hier Eindringen in
die Tiefe, wie bei der Unterbindung der A. iliaca communis (Veit).
Eine ganz neue Methode ist in der letzten Zeit, namentlich in Frank-
reich geübt worden, um Beckenabscesse zur Heilung zu bringen, nämlich die
sogenannte Hijsteredomie par morcellement oder die Castration uUrine von
Pean und Segond;*) in Deutschland ist diese Operation namentlich von L. Lan-
dau sehr empfohlen worden, der allerdings im Gegensatz zu ersteren betont, dass
es nöthig sei, alles Krankhafte von der Scheide aus zu entfernen; vor Kurzem
hat L. Landau über 33 Fälle von complicirten Beckenabscessen berichtet,
die er durch die vaginale Radicaloperation zur Heilung gebracht hat; in den
meisten dieser Fälle handelte es sich gleichzeitig um eitrige Erkrankungen der
Tuben und Ovarien.
Für rein parametritische Abscesse wird immer noch die bewährteste
Methode bleiben: ausgiebige Eröffnung an der tiefsten Stelle von der Scheide
aus und Drainage mit antiseptischen Ausspülungen oder Tamponade, wobei
allerdings eine vollkommene Ausheilung oft noch Monate lang auf sich warten
lassen kann. E. G. Oethmann.
Para- und RetroperitOBiealtumoren. Paraperitoneale Ge-
schwülste stehen selten mit den weiblichen Sexualorganen in Zusammen-
hang. Wenn sie trotzdem an dieser Stelle eine Besprechung finden, so ge-
schieht dies, weil sie einerseits zu Verwechslungen mit Tumoren der letzteren
Anlass geben können und andererseits zum Theil überwiegend bei Frauen vor-
kommen. Dies gilt besonders von den desmoiden Geschwülsten der Bauch-
wand, von welchen nur ungefähr lO'^/o auf das männliche Geschlecht^ ent-
fallen. Eine sehr ausführliche Arbeit über dieselben (Arch. f. Gyn. Bd. XXIV,
pag. 1) danken wir Sänger. Er theilt sie ein in solche: 1. des subcutanen
Zellgewebes, 2. in perichondrale und periosteale, ausgehend vom Perichondrium
und Periost der Bippen und des Beckens, 3. in solche der Aponeurosen der
Bauchmuskeln (besonders des Rectus abdominis, 4. in solche der Muskeln selbst
(Entstehung aus Muskelhämatomen nach Herzog), 5. in solche des praeperito-
nealen Bindegewebes (Cavite de Retzius) 6. in solche des Peritoneum selbst.
Von letzteren sagt Sänger selbst, dass ihr scharfer anatomischer Nachweis
bisher nicht erbracht sei. Auch die Ansicht Herzog's {Ueler Fibrome der
*) Vergl. Artikel „Myotomie'^.
612 PARA- UND RETROPERITONEALTÜMOREN.
Bauchdecken. München, M. RiEGER'sclie Uuiv.-Buchli. 1883), nach welcher sich
Bauchdeckenfibronie aus Muskelhämatomen infolge partieller oder totaler Eup-
turen des M. rectus bilden sollen, hat bisher keine Bestätigung gefunden.
Ohne Zweifel hat Säxger Ptecht, wenn er den Ursprung der Bauchwanddes-
moide in erster Linie in dem Sehnengewebe, in den Aponeurosen der Bauch-
muskeln sucht. Hiefür spricht besonders die Thatsache, dass jene stets in
eine der letzteren aufgegangen sind.
In der grossen Mehrzahl der Bauchdeckendesmoide handelt es sich um
reine, derbe Fibrome (s. auch Artikel „Fibrom", ixig. 242 ds. Bd.), doch sind
auch, aber nur in ganz seltenen Fällen Fibrosarcome, weiche Rundzellensar-
kome, Cjstotibrome, myxomatöse Fibrome und Cysto- Fibro-Sarcome beobachtet
worden.
Die Diagnose dieser Geschwülste ist in der Regel unschwer zu stellen,
indem sich bei genauer Untersuchung feststellen lässt, dass sie in den Bauch-
decken, nicht unter denselben ihren Sitz haben. Die Oberfläche ist meist
glatt, die Consistenz fest; die Geschwulst selbst in der Regel wenig beweglich,
wohl aber die Haut über ihr verschieblich. Wenn von manchen Seiten lang-
sames Wachsthum als charakteristisch bezeichnet wird, so ist dies nicht zu-
trefiend. Wiederholt ist eine sehr schnelle Grössenzunahme dieser Geschwülste
beobachtet worden.
Differentialdiagnostische Schwierigkeiten entstehen meist nur
dann, wenn der Tumor zur Zeit der ersten Untersuchung bereits sehr gross
ist und sich mehr nach der Bauchhöhle, als nach aussen entwickelt hat. Es
kommen dann mit der Bauchwand verwachsene oder ihr fest anliegende Darm-,
Nieren-, Ovarialgeschwülste in Betracht. Auch ein präperitoneales Exsudat,
welches ursprünglich die Fortsetzung eines parametritischen bildete, kann, wenn
letzteres resorbirt ist, zu Verwechslungen Anlass geben. Meist, aber nicht
immer wird die Anamnese hier den wünschenswerthen Aufschluss geben. Wenn
dies nicht der Fall, versuche man in zweifelhaften Fällen eine resorbirende
Behandlung, welche, handelt es sich um ein den Bauchdecken anliegendes
Exsudat, dasselbe zum Verschwinden bringen wird.
Die Prognose dieser Geschwülste ist entsprechend ihrem histologischen
Bau in der Regel eine günstige. Doch kommen Fälle vor, in welchen sie
ausserordentlich schnell wachsen und gleichzeitig das Allgemeinbefinden leidet.
Meist handelt es sich dann um Neubildungen, welche zwischen Fibromen und
Fibrosarcomen stehen. Auch Rundzellensarkome kommen, wie schon er-
wähnt, vor.
Die Behandlung wird bei kleinen Tumoren eine abwartende sein.
Manche Autoren empfehlen mit Rücksicht auf die mögliche Umwandlung der
an sich gutartigen Geschwülste in bösartige auch die Exstirpation dieser.
Schnelles Wachsthum indicirt nach dem vorhin Gesagten stets die operative
Entfernung der Geschwulst, welche, je grösser die letztere, umso schwieriger
sein kann, zumal, wenn ihre Rückseite, was ziemlich häutig der Fall ist, fest
mit dem Peritoneum verwachsen ist. Mehr-minder ausgedehnte Resectionen
desselben sind dann nöthig. Die Erfahrung hat ergeben, dass dieselben, auch
wenn sich der Defect der Serosa nicht schliessen lässt, auf den Heilungs-
verlauf ohne Einfluss bleiben.
Stets zu achten ist darauf, dass die Exstirpation der Geschwulst eine
vollständige ist, da bei Zurücklassung selbst kleiner Reste ein Recidiv eintreten
kann. Nach Entfernung grosser Tumoren empfiehlt es sich (nach dem Vor-
gang Sänger's) die überschüssige Haut nicht zu reseciren, sondern durch
Etagennaht einen Hautkamm zu bilden, welcher, wie eine Pelotte wirkend, der
Entstehung eines Bauchbruches vorbeugen soll.
Nächst den Desmoiden der Bauchdecken sind Lipome derselben ver-
hältnismässig häufig beobachtet worden. In der Regel gehen sie von dem sub-
PARA- UND RETROPERITONEALTUMOREN. 613
serösen, richtiger präperitonealen Fettgewebe aus, welches sich durch einen
Spalt zwischen den Fascien oder der Linea alba durchgedrängt hat und dann
unter der Haut pilzförmig weiterwuchert. Erwähnt sei, dass das subseröse
Fett auch nach anderen Richtungen zur Lipornbildung führen kann, so nach
dem Labium majus, am Schenkelring, am Foramen ovale. Zu beachten ist,
dass an diesen Stellen sich nicht selten hinter dem Lipom ein Bruchsack
findet. Die eigentlichen präperitonealen Lipome machen keine oder nur sehr
geringe Beschwerden. Anders die Netzhernien, welche, zwar intraperitonealen
Ursprungs, ihres präperitonealen Sitzes wegen aber hier erwähnt zu werden ver-
dienen, zumal sie bisher die ihnen zukommende Beachtung gerade seitens der
Gynäkologen nicht gefunden haben. Es mag dies seinen Grund darin haben,
dass ilire Diagnose eine sehr schwierige sein kann. Wo sie sich vor die
Fascie gedrängt haben, werden sie, selbst, wenn wenig umfangreich, bei sorg-
fältiger Untersuchung stets nachzuweisen sein. Sind sie dagegen subfascial
geblieben (s. Wild, lieber Fetthernien. Verhandig. d. deutsch. Gesellsch. f. Gyn.
IV. Leipzig 1892, Beeitkopf & Haertel, pag. MO), so lassen sie sich aus dem
Tastbefund kaum diagnosticiren, sondern nur aus den durch sie hervorgeru-
fenen heftigen Beschwerden, vor Allem in Magenschmerzen, Druckempfindlich-
keit einer bestimmten Stelle der Bauchwand, Schmerzempfindung an dieser
und in der Magengegend bei bestimmten Körperbewegungen bestehend.
Während die präperitonealen Lipome der Bauchdecken nur bei schnellem
Wachsthum, beziehungsweise erheblicher Grösse die operative Entfernung er-
fordern, ist diese bei den Netzfetthernien stets indicirt, auch dann, wenn sie
sich reponiren lassen, da es kaum gelingt sie durch Bandagen reponirt zu er-
halten. Ausserdem ist zu beachten, dass die Reposition eine scheinbare sein
kann, indem es wohl gelingt den Netztumor hinter die Fascie, nicht aber in
die Bauchhöhle zurückzubringen. Auch bei der Operation, welche in Abtra-
gung der Fettmasse, exacter Vernähung des peritonealen Ringes, der Fascie
und der Bauchdecken besteht, hat man hierauf sein Augenmerk zu richten.
Die sich in das Labium majus entwickelnden, subserösen Lipome können
sehr umfangreich werden. Bei ihrer Exstirpation darf man nicht vergessen,
dass sie durch eine Hernie complicirt, beziehungsweise dass es sich überhaupt
um eine Netzhernie (Hernia labialis anterior) handeln kann.
An dieser Stelle sei eine kurze Besprechung der sich in dem extra-
peritonealen Theil des Lig. rotundum selbst oder fn seiner
Umgebung entwickelnden Tumoren angeschlossen, w^elche auch für
die letzterwähnten Geschwülste in differentialdiagnostischer Hinsicht in Betracht
kommen. Nur selten sind sie fester d. h. fibröser, fibromyomatöser, auch sar-
comatöser Natur. Häufiger kommt die sogenannte Hydrocele feminae
eine Flüssigkeitsansammlung in dem Canalis inguinalis Nuckii vor, welche
anfänglich wohl meist mit der Bauchhöhle in Verbindung steht, durch Ver-
wachsung des oberen Theiles des Canals zu einer extra-, beziehungsweise prä-
peritonealen werden kann. So lange sie klein ist, verursacht sie selten Be-
schwerden. Sie kommt daher meist erst dann zur Beobachtung des Arztes,
wenn sie grösser geworden ist oder sich entzündet hat. Im ersteren Fall
schützt die glatte Oberfläche des sich in das Labium majus erstreckenden
Tumors, seine prallelastische Beschaffenheit vor Verwechslungen mit Netz-
hernien, beziehungsweise Lipomen, sein Sitz vor der mit einer Cyste der
BARTHOLiN'schen Drüse, welche sich stets nach dem Scheideneingang hin ent-
wickelt. Hat sich eine Hydrocele entzündet, so können Zweifel entstehen, ob
es sich um eine incarcerirte Hernie handelt. Die beiden einzigen Anhalts-
punkte sind hier: 1. die Gestalt der Geschwulst, welche immer nach unten
breiter, gegen den Leistenring hin schmäler wird, 2. die Durchgängigkeit des
Darms bei Erscheinungen einer örtlichen Peritonitis (Smital, Wiener Min.
Wochenschr. 1889, Nr. 42— M)
614 PARA- UND RETROPERITONEALTUMOREN.
Aufgabe der Behandlung ist die Exstirpation sowohl der soliden wie der
cystischen Geschwülste des Ligamentum rotundum. Sind die letzteren sehr
fest mit ihrer Umgebung verwachsen, so ist die Eröffnung des Sackes und
Tamponade, beziehungsweise Drainage desselben bis zur Verödung vorzuziehen.
Kehren wir zu den in den Bauchdecken vorkommenden Tumoren zurück,
so sind noch die cystischen zu erwähnen. In Folge der von Jahr zu Jahr sich
mehrenden Coeliotomien hat man wiederholt die Beobachtung gemacht, dass
ein Theil des Urachu's offen bleiben kann. Obliterirt derselbe nach der
Blase zu, so entsteht eine präperitoneale Cyste zwischen Nabel und Symphyse,
welche zuweilen sogar Kindskopfgrösse erreicht. In derselben Gegend sind
des öfteren Echinococcen gefunden worden. Bei sorgfältiger Untersuchung
wird eine Verwechslung mit intraperitonealen Cysten kaum vorkommen. Wenn
möglich, sind auch diese Geschwülste zu exstirpiren. Für Echinococcen, welche
unmittelbar dem Peritoneum aufsitzen, kommt auch die einfache Incision be-
hufs Verödung des Sackes in Betracht.
Häufiger noch als in den Bauchdecken kommen im Beckenbinde-
gewebe subperitoneal sich entwickelnde Echinococcen vor. Be-
sonders oft finden sie sich unter der Serosa des DouGLAs'schen Raumes als
prallgespannte, cystische Tumoren von verschiedener Grösse. Das gleichzeitige
Vorkommen mehrerer Geschwülste noch an anderen Stellen des Beckens der-
selben Patientin giebt einen Anhaltspunkt für die Diagnose. Sonst ist diese
vor der Operation oder dem nicht selten erfolgenden Durchbruch nach den
Nachbarorganen, der Blase, dem Rectum, der Scheide, dem Uterus und dem
Abgang von Tochterblasen mit Sicherheit nicht zu stellen, es sei denn, dass
man auf dem Weg der Probepunction eine wasserhelle, Traubenzucker, Bern-
steinsäure, im günstigsten Falle auch Hakenkränze enthaltende Flüssigkeit von
geringem specifischem Gewichte (1008 — 1010) erhält. Man darf sich aber
mit der Entleerung des Sackinhaltes nicht begnügen, sondern muss sofort die
Incision anschliessen und den Sack durch Drainage zur Verödung bringen.
Bei nicht in unmittelbarer Nähe der Scheide sitzenden Blasen ist die Coelio-
tomie indicirt. Ist es zur Spontanperforation gekommen, so erweitert man,
wenn möglich, die Oeffnung, spült aus und drainirt.
Ausser Echinococcen sind im Beckenbindegewebe des Oefteren Dermoid-
cysten beobachtet worden, bei welchen ein Zusammenhang mit dem Ovarium
ausgeschlossen war. Nach Sänger (Arch. f. Gyn. Bd. XXXVII, Hft. 1)
sind sie z. Th. vom Achsenstrang z. Th. vom Ektoderm abzuleiten.
Der Sitz der Cyste, der Nachweis, dass sie den Uterus ohne Entfaltung
der Ligamenta lata nur emporgedrängt hat, das Vorhandensein normaler Eier-
stöcke, das langsame Wachsthum der Geschwulst geben Anhaltspunkte für die
Diagnose. Gesichert wird sie auch hier durch die Probepunction. Zur Exstir-
pation dieser Geschwülste bedient man sich am Besten der sagittalen Peri-
neotomie (die mediane, transversale hat Sänger nur an der Leiche versucht),
indem man den Schnitt vom inneren Rand der rechten grossen Schamlippe
leicht schräg nach innen über den Damm weg bis ca. 2 cm über den After
hinausführt, das Cavum ischiorectale eröffnet, den M. levator ani und die
Fascia pelvis durchtrennt. Nach Ausschälung der Cyste tamponirt oder drainirt
man die Wundhöhle.
Eine Art von Geschwülsten, welcher man erst im Laufe des letzten Jahr -
zehntes mehr Beachtung geschenkt hat, sind die des Mesenteriums. Ent-
sprechend den in demselben enthaltenen Geweben kommen hier Lipome, Fi-
brome, Myxome, Sarcome, Carcinome, vor Allem aber Cystenbildungen vor.
Die Lipome können eine enorme Grösse erreichen. Die Exstirpation hat
bisher wenig günstige Resultate ergeben. Doch hat z. B. Pean {Gaz. des
hopitaux 1886, Nr. 39) einen Fall mitgetheilt, in welchem bei einer Schwan-
PARA- UND RETßOPERITONEALTUMOREN. 615
geren ein 25 kg schwerer Tumor entfernt wurde und die Gravidität normal
weiter verlief.
Die malignen Tumoren des Mesenterium werden von manchen Autoren
für secundäre gehalten. Zu operativem Eingreifen haben sie sehr selten Anlass
gegeben. Umgekehrt die cystischen, bei welchen es sich um ßlut-, Chylus-,
seröse und Echinococcus-Cysten handeln kann. Diesen allen gemeinsam ist das
Fehlen eines InnenÜächenepithels.
Als wichtige Merkmale für die Diagnose gibt Hahn {Berl. Min. Wochen-
schr. 1887, Nr. 23) folgende an: Glatter, runder, prallelastischer Tumor, welcher
bei verticaler Körperstellung in der Medianlinie ein klein wenig nach rechts
zwischen Nabel und Symphyse liegt; schon bei äusserer Untersuchung grosse
Beweglichkeit im Gegensatz zu uterinen oder Adnexentumoren. Bezüglich eines
eventuellen Zusammenhanges mit den letzteren wird die combinirte Untersuchung
sicheren Aufschluss geben.
Nach den bisher gemachten Erfahrungen (s. Hahn 1. c.) empfiehlt sich die
Function der Mesenterialcysten zum Zweck der Ausheilung derselben nicht,
wohl aber die Probepunction nach Freilegung der Geschwulst durch Coeliotomie.
Wird durch jene eine seröse oder Echinococcencyste festgestellt, so ist die
Incision, Anheftung der Cystenwand und Drainage der Höhle vorzunehmen,
bei Blut- und Chyluscysten dagegen, falls keine ausgedehnten Verwachsungen
bestehen, die Exstirpation.
Wir wenden uns nun zu den retroperitoiiealen Tumoren. Auch hier
begegnen wir wieder Lipomen, w^elche sich aus dem neben der Wirbelsäule
befindlichen subperitonealen Fettgewebe entwickeln. Als für die Diagnose
charakteristisch wird bei der Palpation ein eigenthümliches Fluctuationsgefühl
und trotzdem negatives Punctionsergebnis bezeichnet; ferner quer über dem
Tumor nachweisbarer Darmton (Colon transversum), übrigens Merkmale, w^elche
auch dem Mesenteriallipomen zukommen können, wie denn auch die einen häufig
in die anderen übergehen. Wie die Mesenterialipome können auch die retro-
peritonealen durch ihre Grösse die Gesundheit ihrer Trägerinnen schwer schä-
digen, indem sie Verdauungs- und Athmungsthätigkeit behindern, Blut- und
Lymphgefässe des Darmes comprimiren. Auch Darmverschluss kann durch sie
herbeigeführt werden. So ist die Prognose dieser an sich gutartigen Geschwülste,
keine günstige. Auf der Hand liegt, dass je grösser sie sind, umso schwie-
riger ihre Entfernung sein wird. Man hat deswegen vorgeschlagen frühzeitig
zu operiren, ein Rath, welcher deswegen meist nicht zu befolgen sein wird, weil
diese Tumoren erst dann zur Kenntnis des Arztes kommen, wenn sie infolge
ihrer erheblichen Grössenzunahme Beschwerden hervorrufen und sich dadurch
oft erst den Patienten bemerkbar machen. Die Operationsergebnisse sind übri-
gens bis jetzt wenig befriedigende zu nennen.
In derselben Gegend wie die retroperitonealen Lipome, meist in der Nähe
der Niere, entwickeln sich zuweilen auch seröse Cysten mit sehr dünner, aber
fester Wand. Ihr Inhalt ist wässrig und enthält wenig feste Bestandtheile.
Obalinski (Gaz. lekarska 1891, ref. Centralbl. f. Gyn. 1894, Nr. 24) nimmt
an, dass sie aus Besten der WoLFF'schen und MüLLER'schen Körper entstehen.
Sie sollen langsam wachsen und selten sehr gross werden. Ihre Exstirpation,
welche der Punction vorzuziehen ist, gelingt in der Regel leicht, da sie sich
meist aus ihrer Umgebung ohne Schwierigkeit ausschälen lassen. Am häufig-
sten entstehen retroperitoneale Tumoren aus der Niere. Sie können sich aus
der Kapsel (Lipome, Fibrome, Sarcome) oder aus dem Parenchym (Carcinom,
Tuberkulose, cystische Geschwülste) bilden. Auch Echinococcen der Niere sind
beobachtet worden.
So lange Nierengeschwäilste noch keine erhebliche Grösse erreicht haben,
werden sie, sofern sie überhaupt entdeckt werden, durch ihren Sitz auf einer
Seite der Wirbelsäule in der Nierengegend, durch ihre geringe oder völlig
616 PAROVARIALTUMOREN.
fehlende Beweglichkeit (falls es sich nicht um eine Wanderniere handelt) und
den Kachweis des mangelnden Zusammenhanges mit den Sexualorganen unschwer
als solche diagnosticirt werden. Anders, wenn der Tumor zur Zeit der ersten
Untersuchung bereits ein sehr grosser ist. Dann sind Verwechslungen nicht
nur mit anderen retroperitonealen Geschwülsten, sondern auch mit solchen
der Eierstöcke sehr leicht möglich und sind thatsächlich sehr häufig vor-
gekommen, zumal bei Cystenniere und Hydro-, seltener Pyonephrose. Während
bei der letzteren die Anamnese des öfteren wenigstens ergibt, dass, ehe die
Geschwulst bemerkt wurde, entzündliche Erscheinungen, Fieber, Schmerzen in
einer Nierengegend, ab und zu nach der Blase ausstrahlend, vorausgegangen
sind, fehlen bei den ersteren irgendwelche charakteristische Symptome völlig.
Auch die Untersuchung des Urins ergibt selbst bei Pyonephrose, sofern der
betreffende Ureter völlig verschlossen ist, ein gänzlich negatives Resultat. Stets
zu beachten ist der Verlauf des Dickdarms. Lässt er sich vor der Geschwulst
nachweisen, so spricht dies für den renalen Ursprung derselben. Zumal gilt
dies für linksseitige Tumoren, da der Dickdarm bei rechtsseitigen häufig nach
der Mitte zu gedrängt wird.
Ueber den Weg, auf welchem Merengeschwülste zu entfernen sind, gehen
die Ansichten zur Zeit noch auseinander. Während manche den Lumbarschnitt
(nach Schede soll derselbe am äusseren Rand des Sacrolumbalis 5 cm unter
der letzten Rippe beginnen und mit dieser parallel 25 cm lang nach vorn ver-
laufen) den Vorzug geben, empfehlen andere die abdominale Nephrectomie. Für
die grossen Nierengeschwülste — diese wenn auch nicht allein, so doch haupt-
sächlich kommen in Folge falscher Diagnosenstellung in die Behandlung des
Gynäkologen — ist entschieden die transperitoneale Entfernung, d. h. auf dem
Wege der Coeliotomie vorzuziehen. Die mit der letzteren erzielten Resultate
haben sich in den letzten Jahren, besonders in der Hand einzelner Operateure,
so Thoenton's (Brit. med. Journ. 1889 L), welcher unter 25 Operationen
20 Heilungen hatte, wesentlich gegen früher gebessert.
Bei Hydronephrose scheint die Nephrectomie die Nephrotomie zu ver-
drängen. Dass es auch bei Pyonephrosen das ideale Verfahren ist, das ver-
eiterte Organ in toto zu entfernen, liegt auf der Hand. Doch darf man nicht
vergessen, dass auch die einfache Eröffnung des Eitersackes auf dem Wege
des Lumbarschnittes und Drainage mit günstigem Erfolg angewandt worden ist.
Eine ausführlichere Besprechung werden diese wichtigen und interessan-
ten Fragen in dem die Chirurgie behandelnden Theil dieses Werkes finden.
Zum Schluss sei noch der sich am Kreuzbein, seltener an der Darmbein-
schaufel entwickelnden retroperitonealen Geschwülste, Fibrome, Enchondrome,
Osteosarcome gedacht. Enchondrome finden sich an der Innenfläche des Os
sacrum gar nicht so selten. Ein Irrthum in der Diagnose ist kaum möglich.
Höchstens kommen im Douglas eingekeilte, verkalkte Myome oder zum grössten
Theil aus Knochengewebe bestehende Dermoide in Betracht.
Dem Gynäkologen werden die genannten Geschwülste kaum zu einem
operativen Eingreifen behufs ihrer Entfernung Veranlassung geben. Wohl aber
kommen sie für ihn gelegentlich als Geburtshindernis in Betracht. Auch beim
Einlegen von Pessarien wegen Lageveränderungen des Uterus, beziehungsweise
bei Prolaps können sie stören, ja es unmöglich machen.
Die sich prä- und retroperitoneal, sowie intraligamentär entwickelnden
Tumoren der weiblichen Sexualorgane z. B. Fibrome des Cervix und Corpus
uteri, Parovarialcysten, intraligamentäre Eierstockstumoren finden sich in den
entsprechenden Capiteln dieses Werkes besprochen. graefe.
Parovarialtumoren. Zwischen den Blättern der Ala vespertilionis
{Mesosalpinx), welche von Tube und Eierstock begrenzt wird, liegt der Neben-
eierstock {Farovarium, Epoophoron). Er wird gebildet von 15 — 20 länglichen,
PAROVARIALTUMOREN. 617
blind endigenden Canälclien, in deren Wand sich nach einigen Autoren Muskel-
fasern finden sollen; von anderen wird dies bestritten. Ausgekleidet sind sie
mit Flimmerepithel. Sie sind der liest des WoLFF'schen Körpers. Aus
ihnen können sich die sogenannten Parovarialcysten bilden, welche im
Vergleich zu Ovarialcysten relativ selten sind (Olshau.sen ll-S'Vo Fiütsch
9^lo). Sie sind von den letzteren unschwer zu unterscheiden.
Die grosse Mehrzahl der Parovarialcysten zeichnet sich durch erhebliche
Dünne ihrer Wandungen aus. Dickwandige sind sehr selten. Fritscii gibt
als ein Charakteristikum der Parovarialcysten an, dass in ihren Wandungen
zwei sich kreuzende Gefässysteme zu sehen sind; das eine gehört dem Perito-
neum, das andere der Cyste selbst an. Selten überschreiten diese Geschwülste
die Grösse eines Kindskopfes. In der Regel sind sie einkammerig; nur ganz
ausnahmsweise mehrkammerig. Ihre Innenwand ist glatt und trägt, entsprechend
ihrer Entstehung Flimmer-, bezw. Cylinderepithel. In ganz vereinzelten Fällen
sind kleine Papillen an ihr gefunden.
Auch der Inhalt der Parovarialcysten ist meist ein charakteristischer. Er
ist wasserhell; sein specifisches Gewicht schwankt zwischen 1002 und 1007.
Er enthält kein Eiweiss oder nur Spuren desselben. In ganz vereinzelten
Fällen soll ein dem Inhalt von Ovarialkystomen ähnlicher gefunden sein. Es
ist nicht ganz ausgeschlossen, dass hier diagnostische Irrthümer hinsichtlich
des Ursprunges der Geschwulst untergelaufen sind.
Die Parovarialcysten entwickeln sich, wie es bei ihrem Ursprung selbst-
verständlich ist, intraligamentär. Unter Entfaltung der Blätter des breiten
Mutterbandes können sie bis auf den Beckenboden wachsen. Die meist lang
ausgezogene und nach der Peripherie hin abgeplattete Tube liegt ihnen ge-
wöhnlich dicht an. Das Ovarium findet sich an ihrer hinteren, bezw. unteren
Seite mit ganz kurzem, seltener längerem Stiel.
KossMANN hat jüngst (CentralU. f. Gyn. 1894 Nr. 28, 34, 42) die Behauptung aul-
gestellt, die bisher als ParoYarialcysten gedeuteten Cysten des breiten Mutterbandes seien
nichts anderes als „Hydroparasalpinges", d. h. cystische Entartungen einer accessorischen
Tube ; ihre Wandung bestehe nicht aus Bindegewebe, sondern aus einem kompacten Geflecht
glatter Musculatur. Diese Ansicht hat energischen Widerspruch, besonders seitens Gebhard's
(Centralbl. f. Gyn. 1894, Nr. 29 und 38) gefunden, welcher an der alten Auffassung festhält.
Die Diagnose kann auf Grund der klinischen Erscheinungen, welche
eine Parovarialcyste hervorruft, nicht gestellt werden, da sie sich, an sich
meist gering, von den durch Ovarialtumoren bedingten nicht unterscheiden.
Dagegen vermag der Untersuchungsbefund Anhaltspunkte zu gewähren. Be-
sonders bei kleineren ist der seitliche Sitz, die Verdrängung des Uterus nach
der entgegengesetzten Seite zu beachten. Letztere findet sich, wenn auch we-
niger ausgesprochen, auch bei grösseren Parovarialcysten, welche mit fort-
schreitendem Wachsthum sich mehr nach vorn, häufiger nach hinten vom
Uterus entwickeln. Sie bieten, wenn die Palpationsverhältnisse günstige sind,
deutliche Fluctuation. Charakteristisch ist, wie schon oben erwähnt, in der
grossen Mehrzahl der Fälle der Inhalt. Bei dem Beckenboden anliegenden
Cysten würde also eine Function die Diagnose sichern. Man könnte umsomehr
versucht sein eine solche vorzunehmen, als Fälle beobachtet worden sind, in
welchen die Cyste nach der Function definitiv verschwand. Trotzdem ist von
ihr abzurathen. Denn mit Sicherheit ist auf eine definitive Ausheilung auf
diesem Wege keineswegs zu rechnen. Sowohl nach spontaner Ruptui' wie nach
Function kann dem jahrelangen Verschwinden der Cyste erneutes Wachs-
thum folgen.
Auch für die Parovarialcysten gilt heute dasselbe Behandlungsprincip wie
für ovarielle Tumoren: sie sind auf dem Weg der Laparotomie zu entfernen.
Wenn man an ihm festhält, dann ist eine Probepunction völlig übei-flüssig, da
ja die Erkenntnis, dass es sich um die eine oder die andere Art einer Cyste
handelt, unsere Behandlung doch nicht beeinflusst.
618 PARTUS PRAECIPITATUS.
Die E n t f e r n iin g der P a r o v a r i a 1 c y s t e n (vergl. auch ,, Ovariotomie " )
nach Eröffnung der Bauchhöhle bietet manchmal einige Schwierigkeiten. In vielen
Fällen gelingt es ZAvar durch starkes Anziehen des Tumors trotz seines intra-
ligamentären Sitzes eine Art, wenn auch etwas breiten Stiels zu bilden, welcher
dann in mehreren Partien unterbunden wird. Ist dies nicht möglich, so enucleirt
man die Cyste nach Unterbindung der Spermaticalgefässe und Spaltung des
peritonealen Ueberzuges auf der Höhe der Geschwulst. Bei der Verschieblichkeit
desselben über der lezteren gelingt die Ausschcälung oft überraschend leicht. Nur,
wenn Spontanrupturen oder Punctionen vorausgegangen sind, kann sie durch
stellenweise Verwachsung der Cystenwand mit dem Peritoneum auf Schwierig-
keiten stossen. Nach Entfernung der Cysten wird der zurückbleibende Sack so weit
wie möglich resecirt, stärker blutende Stellen in ihm umstochen und unter-
bunden, schliesslich die Höhle mittelst versenkter Catgutnähte geschlossen oder
nach der Vagina zu eröffnet, mit Jodoformgaze drainirt und das Peritoneum über
der Drainage durch Nähte fest vereinigt. Dies letztere Verfahren ist jedenfalls
dem Einnähen des Sackes in die Bauchwunde vorzuziehen, obwohl auch auf
diese Weise völlige Heilungen erzielt worden sind. graefe.
Partus praecipitatUS. Sturzgeburt. Ungemein rapid beendigte oder
mit Hinabfallen des Kindes auf den Boden verbundene Geburten hat man
Sturzgeburten — Partus praecipitatus — genannt und im Allgemeinen mit
zu starken Wehen und einigen anderen Verhältnissen, wie kleinem Kinde, weitem
wenig geneigtem Becken und nachgiebigen Weichtheilen in Berührung gebracht.
Wegen der praktischen Bedeutung sind gleich im Voraus diejenigen
präcipitirten Geburten, welche in Bettlage der Mutter erfolgen, von denen zu
unterscheiden, die bei aufrechter, hockender oder sitzender Stellung stattfinden.
Bei den ersteren ist eine ungewöhnliche und anhaltende Wehenthätigkeit das
Hauptagens und ohne die kann eine überaus schnelle Geburt nicht von
statten gehen. Anders bei den Geburten in mehr aufrechter Stellung der
Gebärenden. Hier wirkt die Wehenthätigkeit sehr verschieden. Es können sein:
1. Sehr starke Wehen bei kaum merklichem Widerstände
der Weicht heile. Das Kind wird förmlich herausgeschleudert und mit
einer gewissen Vehemenz zu Boden geworfen.
2. Gewöhnliche Wehenstärke. Das Kind tritt im Gehen oder Stehen
der Mutter ziemlich langsam durch. Es würde nur durch die eigene Schwere
zu Boden fallen, kann aber von der Mutter noch zuweilen aufgefangen werden.
3. Geringe Wehen vor dem Blasensprung. Die Blase ist tief
herabgetreten und bringt infolge der durch sie bewirkten Ausdehnung die
noch gehende oder stehende Kreissende zum Mitpressen. Auf der Höhe der
Wehe springt die Blase, das Kind tritt schnell in den Muttermund und löst
einen neuen Drang zum Mitpressen aus. Die durch die stehende Blase gut
vorbereiteten Weichtheile geben leicht nach. Mit dem Fruchtwasser fällt das
Kind hervor, zerreisst die Nabelschnur und sinkt zu Boden (v. Winckel).
Aetiologie: Abgesehen von den abnorm starken Wehen, weitem, wenig
geneigtem Becken, nachgiebigen Weichtheilen der Mutter und kleiner, resp.
macerirter Frucht sind von den verschiedenen Autoren unter anderen Ursachen
für das Zustandekommen der Sturzgeburten auch die Reizbarkeit der sensiblen
Nerven und die Heredität (Cazeaux) herbeigezogen worden. Als wirklich prä-
disponirend dürfen indessen nur Erkrankungen der Mutter, wie Lues, Bron-
chitis, Epilepsie; Kleinheit und Maceration der Frucht, abnorme Kürze der
Nabelschnur (Wigand, v. Winckel), besonders die Bewegungen der Parturiens
selber nebst der beim Gehen und durch Erschüttern des Körpers beim Fahren etc.
erfolgten Ruptur der Eihäute angesehen werden. Natürlich wirken in den
meisten Fällen mehrere Ursachen zusammen, worauf auch das wiederholte
präcipitirte Niederkommen einzelner Frauen hinweist.
PARTUS PRAECIPITATUS. 619
Diese rein mechanischen Ursachen für das Zustandekommen und den
Verlauf eines Partus praecipitatus, d. h. solche Ursachen, die sich theils aus
den äusseren Verhältnissen, in denen sich die Gebärende zur Zeit ihrer Nieder-
kunft befand, theils aus der eigentlichen Geburtsthätigkeit herleiten lassen,
genügen für die praktisch gerichtlich-medicinische Beurtheilung abnorm beschleu-
nigter Geburten nicht, 8tkassmann weist deshalb mit Kecht darauf hin, dass
hierfür noch r e i n i n d iv i d u e 1 1 e, r e s p. s u b j e c t i v e Ursachen herangezogen
werden müssen, d. h. solche, die von der Mutter durch ihr beabsi(;htigtes oder
unbeabsichtigtes Verhalten herbeigeführt sind. Es gehören dazu diejenigen
Fälle, wo die Schwangerschaft von der Mutter oder auch selbst vom Arzte
verkannt wurde, ferner wo die Presswehen nur als Stuhldrang empfunden
wurden und sehr weites Becken bei abnorm kleiner oder macerirter Frucht
vorhanden ist.
Prognose: Je nach dem Zustandekommen der präcipitirten Geburt sind
auch die Gefahren für Mutter und Kind verschieden.
Die Gebärende ist vor allem entsprechend der Nachgiebigkeit und
Rigidität, sowie der vorhergehenden Erweiterung ihrer Weichtheile durch die
Fruchtblase mehr-weniger grossen Verletzungen in der Vagina und am Damme
ausgesetzt. Nach v. Winckel kommen bei Sturzgeburten ausserhalb des Bettes
Perinealrisse auch bei Mehrgebärenden doppelt so häufig vor, als wenn sie
liegend präcipitirt niederkommen. Es kommen als weitere Complicationen :
Ohnmächten, Collapse, verzögerte Placentarlösung, Inversion des Uterus und
Vorfall mit Inversion in Betracht. Blutungen während der Nachgeburtsperiode
infolge von Abreissen der Placenta und der Eihäute bei diesen Entbindungen
sind häufiger stärker und öfter gefährlich als sonst. Diese betreffen wiederum
häufiger Erstgebärende, während bei Multiparae leichter Atonia uteri post
partum auftritt. Auch Emphysem am Halse, Nacken und Brust der Kreissenden
ist bei übermässigem Mitpressen gesehen worden.
In Bettlage der Gebärenden fällt eine Gefahr für das Kind gewöhnlich
von selbst weg, obgleich die Möglichkeit einer solchen immerhin nicht ganz
ausgeschlossen scheint in Anbetracht folgenden Falles. Leonpachee berichtet
in Feiedrich's Blättern f. gericht. Medic. und Sanitätspolizei 1892 Bd XLIIL
p. 206 von einer Erstgebärenden, die während heftiger DrangAvehen vor Schmerz
im Bette in die Höhe sprang. Darauf sprang die Blase, das Kind stürzte
herab und die Nabelschnur riss an der Placenta-Insertion ab, keine Blutung,
Kind unversehrt.
Aber auch bei den präcipitirten Geburten extra lectulum ist die Lebensgefahr
für das Kind keine so grosse, als man von vorneherein erwarten könnte. Bei
dem grossen Uebergewicht der Kopfgeburten berührt auch zuerst der Schädel
des herabstürzenden Kindes den Boden. Einmal ist nun die Sturzhöhe that-
sächlich nur eine geringe, denn im letzten Augenblicke der Austreibung
nimmt die Gebärende gewöhnlich unwillkürlich eine möglichst tief hockende
Stellung ein; zudem mildern noch die Cohäsion der Nabelchnur und das Zu-
sammenklemmen der mütterlichen Schenkel die Fallkraft und dann ist der
Schädel des Neugeborenen vermöge der Elasticität und leichten Verschieblich-
keit der Knochen ausserordentlich leistungsfähig im Ertragen von Verletzungen.
Die grössere Mortalität der Kindernach präcipitirten Geburten (4-9 :2-5''/o) ist
viel eher herzuleiten aus zu starkem Gehirndruck, Nabelschnurdruck, Erstickung
in ungünstiger Lage etc. und wohl auch durch Nabelschnurzerreissung mit
nachheriger Verblutung. Diese Zerreissung der Nabelschnur"^') geschieht selten
nahe an der Insertion in den Nabel, meist ziemlich weit ab von dieser; und
deshalb ist die Blutung — wenn sie überhaupt stattfindet — in der Ptegel
nur gering. Die Rissenden sehen stets sehr uneben aus, die Nabelschnur-
*) Vergl. Artikel ^^Nabelschnur — Nahelsclinuranomalien."'
620 PERIMETRITIS.
scheide l)ildet meist eine lappige Yerläugeriing des Stumpfes, aus welcher die
in ungleicher Höhe zerrissenen Gefässe hervorragen.
Zur Vervollständigung will ich hier noch erwähnen, dass man nach dem
Orte, wo der Partus praecipitatus stattgefunden, auch seiner Zeit die Bezeich-
nung dieses Vorganges gewählt hatte. So wurde von Gassen-, Treppen-, Flur-
geburten gesprochen. Mit der Grösse der Literatur wuchsen dann die Auf-
zeichnungen darüber und wir lesen von Sturzgeburten im Tragkorb und im
Schlitten, in der Droschke und im Omnibus oder der Tramway. Grigokow
beschreibt sog^ar eine solche in stehender Stellung auf der Plattform eines
Eisenbahnwagens erfolgt. Das Kind wurde gleich darauf lebend und unmerk-
lich verletzt neben dem Zuge aufgefunden.
Therapie. Wegen Vermeidung einer Infection, zu der die präcipitirt
Entbundenen leichter noch als andere Wöchnerinnen neigen, enthalte man sich
jeder Manipulation gleich nach derselben, selbst der Einführung des Katheters.
Auch sonst kann man in Anbetracht der Verhältnisse fast nur prophylaktisch
thätig sein, Frauen, die schon eine Sturzgeburt durchgemacht haben, müssen
bei den ersten Zeichen von Wehen das Bett aufsuchen. Zur Vermeidung von
Presswehen nehme man ihnen jede Handhabe, eventuell Anwendung von Nar-
coticis (Chloral, Morphium, Chloroforminhalation). Stuhl- und Uriuentleerung
darf nur liegend im Bett vorgenommen werden. Sorgfältiger Dammschutz.
Eventuell gegen Atonia uteri prophylaktisch Ergotin gleich nach der Geburt
und genaue längere Ueberwachung der Uteruscontraction post partum.
Bodenstein.
Perimetritis. Unter der Bezeichnung Perimetrium versteht man jenen
Theil des Bauchfelles, der die Blase, Gebärmutter und den Mastdarm im
Becken überkleidet und zwischen diesen Organen Einsenkungen (Taschen) bil-
det;") somit unter Perimetritis die Entzündung dieses Theiles vom Becken-
peritoneum, welcher althergebrachte Name richtiger durch das Wort: Pelveo-
peritonitis zu ersetzen wäre, womit dann die localisirte Entzün-
dung des Peritoneums im kleinen Becken gekennzeichnet würde.
Entgegen früheren Anschauungen von der Gefährlichkeit eines Eingriffes
auf das Peritoneum überhaupt, wissen wir heute erfahrungsgemäss, dass das
Bauchfell reine Verwundungen nicht allein sehr gut überdauert, sondern sich
gegen Infectionskeime indifferent erweist, ihnen gegenüber sogar eine ge-
Avisse verdauende Wirkung (Fehling) entfaltet. Allerdings wird von einem
derartigen Bauchfelle verlangt, dass es an seiner Oberfläche nicht alterirt,
und weder durch medicamentöse Substanzen, noch es berührte Stoffe (Schwämme,
Tücher, Instrumente) an seiner Glätte Schaden genommen hat. So gibt das
durch die Schwangerschaft enorm ausgedehnte Beckenperitoneum nie zur
Perimetritis Veranlassung.
Anders verhält sicli aber die Sache, sobald im Becken durch Circu-
lationsstörungen alterirte Verhältnisse entstehen. Nach Annahme Einiger sollen
dieselben durch .^Erkältung'-'' hervorgerufen werden, ohne dass man für das
Zustandekommen einen anderen Grund nachzuweisen vermöchte. Wir stehen
nicht an bei Anführung dieses ätiologischen Momentes zu bemerken, dass wir
in unseren Fällen noch immer einen zweiten, für das Zustandekommen der
Becken-Bauchfellentzündung maassgebenderen Grund, als die Erkältung
aufzuweisen im Stande waren.
Meistentheils ist hiebei ein Trauma vorhanden; so haben wir be-
schränkte Peritonitiden im Becken nach dem Coitus inter menses und intet--
ruphis, nach Excessen, Masturbation, endlich nach chirurgischen Eingriffen
aufs Peritoneum (Ovariotomie, Castration u. s. f.) entstehen gesehen.
*) Vergl. die diesbezügliclien Figuren im Artikel „Uterus" ds. Bd.
PERIMETRITIS. 621
In der Mehrzahl der Fälle liegt jedoch ein in seiner Substanz er-
krankter Uterus vor. Die mehrfachsten Lageveränderungen und damit
Circulationsstörungen sind dann durch letzteren Vorgang bedingt. Die ver-
grösserte und schwere Gebärmutter legt sich an das Nachbarorgan an, übt
durch continuirlichen Druck einen Reiz aus, dem sehr bald eine Ausschwitzung
und eine Aneinanderklebung auf den sich berührenden Flächen folgt. Dann
treten Gefässchen in diese Ausschwitzungen. Je länger der Process dauert
und je massiger letztere sind, umso reichlicher wird die Vascularisation,
Entfernt sich später das Organ aus seiner Lage (Schwangerschaft), so dehnen
sich diese flächenhaften Gebilde mitsammt den Gefässen aus {Stränge), oder
aber die Pseudomembranen führen zu Verklebungen der einzelnen Organe
untereinander.
Aehnliche Entzündungszustände mit Veriöthung des Perimetriums, also
Verwachsung des Douglas, kommen bei Verlagerungen der Gel)ärmutter nach
unten zu Stande {Prolapsus \mA Inversion); oder umgekehrt, wenn der über-
mässig ausgedehnte Mastdarm durch seine Contenta auf die Xachbarorgane
drückt. {Habituelle Obstipation.)
Endlich werden Entzündungsherde der Nachbargebilde (Typhlitis, Der-
moidcysten, Echinococcus) sich auch auf die Beckenbauchfelltaschen erstrecken,
wie ja auch in dieser Region wachsende Neubildungen mit ihren Folgezustän-
den und Verlagerungen (Stieldrehung) (Cystosarcoma ovarii, Carcinom) locale
Entzündungen hervorrufen können.
Diese sämmtlichen Arten der Entstehung von Perimetritis kennzeich-
nen sich durch selteneres Auftreten; sie bleiben beschränkt und blos die
krebsartige Nachbarschaft führt zumeist zu allgemeiner Bauchfell-Entzündung
(wenn das Individuum nicht früher an chronischer Ichorämie zu Grunde geht).
Viel gefährlicher gestalten sich die Verhältnisse, wenn das Bauchfell von
Infectionskeimen betroffen wird. Die Mikroorganismen können entweder
unmittelbar darauf abgelagert werden, oder sie wandern aus benachbarten
Gewebszügen auf die Excavationen des Peritoneums. Gewöhnlich ist es das
Trippergift, dem man die Entstehung der Pelveoperitonitis bei jungen
Frauen zuschreiben darf.
Nicht immer ist es die virulente, sondern zumeist die latente Form
der G 0 n 0 rrh oe, ") welche das Wohlbefinden der Frau bedroht; wenngleich dafür
der Mann auch nicht verantwortlich werden kann, da er sich gesund fühlt, und
keine Erscheinungen der vor längerem Zeiträume (bis 15 Jahren) überstan-
denen Tripperansteckung darbietet. Auf dem Wege aus der Urethra, beson-
ders den perimetralen Einbuchtungen und Drüsen oder der BARTHOLiNi'schen
Drüse der Vulva gelangen die durch Neisser entdeckten Gonococcen in die
Vagina, Uterus- und Tubenhöhle, w^o sie reichlichen Nährboden vorfindend,
durch das Ostium abdominale auf den Beckenboden gelangen und sich hier
weiter entwickeln.
Die andere Art des Zustandekommens bezieht sich auf die Strepto-
und Staphylococcusinvasion. Wir wissen durch die schönen Arbeiten
Leopold's, wie sehr sowohl das Parametrium, als das Lymphgefässystem des
Uterus und seine Schleimhaut, der Einwanderung septischer Keime genügende
Wege darbieten, auf welchen sie bis zum Perimetrium gelangen und beson-
ders im Wochenbette (Miscliinfection) zu verheerender Wirkung ausreifen.
Das ohnehin hyperämische Bauchfell des Beckens reagirt dermaassen rasch,
dass es sehr bald zur allgemeinen Peritonitis mit letalem Ausgange kommt.
In gleicher Weise erkrankt das Perimetrium, w^enn durch ärztliche
Eingriffe der Infection Zugang verschafft wird. Bis in die jüngste Zeit
waren beim früheren Gebrauche des PresscJnvammes, bei Verwundungen der
*) Vergl. auch Artikel y,Gonorrhoe der iceihl. Genitalien'^ ^ pag. 295.
622 PERIMETRITIS.
Uterussclileimhaut gelegentlich der Sondeniinter suchung, überhaupt bei Dila-
tation der Cervix die partielle Entzündung des Beckenbauchfelles keine Sel-
tenheit.
Entgegen dem gutartigen Verlaufe der mit dem Ausgange in Adhä-
sionsbildung beschriebenen Form ist die infectiöse Perimetritis ent-
schieden als bösartig zu bezeichnen. Hiebei erleiden die stark hyperämischen
serösen Häute an ihrer Oberfläche eine Trttl)ung und Auflockerung, sind mit
einem fibrinösen Belage behaftet und verkleben mit einander. Zwischen den
freien Räumen findet aber eine Ausschwitzung fibrinoseröser Flüssigkeit statt,
die bald trüb, flockig, später mit blutigen Stellen durchsetzt wird, und in der
man die unterschiedlichen Colonien verschiedenartiger Mikroorganismen zu
erkennen vermag. Sobald diese Flüssigkeitsmengen nach oben, von den ver-
klebten und mit Fibrinbelage überzogenen Darmschlingen abgegrenzt werden,
entsteht ein Tumor, dem stets anfänglich noch eine gewisse Beweglichkeit
innewohnt. Die Hauptmenge der Flüssigkeit zieht nach dem tiefsten Theile
des Beckenbodens (Douglas), man kann das Exsudat darin fühlen. Es
können aber auch andere höhere Darmschlingen das Exsudat zwischen sich
fassen, es kommt zu der durch Feitsch charakteristisch bezeichneten „Darm-
c a V e r n e. "
Je nach der Grösse und Ausdehnung dieser Exsudatmassen erfolgt dann
die Verlagerung der Beckeneingeweide. Nur in sehr geringer Zahl der Fälle
gelangt ein solches Exsudat zur Resorption, nicht ohne durch Verklebung
und Ueberhäutung der Tuben und Ovarien die Function derselben zu beein-
trächtigen. {Perioophoritis, Salpingitis nodosa.) Meist wird der Inhalt des ab-
geschlossenen Sackes, sei es durch die ursprünglichen Krankheitserreger, sei
es durch aus der Nachbarschaft (Mastdarm) eingewanderte Mikroorganismen
oder Gifte zum Zerfalle gebracht, die Folge ist ein Jaucheherd, der sich
nach Aussen Bahn zu brechen anschickt.
Erfolgt der Durchbruch trotz der Abkapselung in die freie Bauchhöhle,
so ist allgemeine Peritonitis die Folge, mit den bekannten Ausgän-
gen. Oder der Jaucheherd usurirt die ihm zunächst liegende, nachgiebigste
Stelle. Zumeist geschieht dies in den Darm (Darmfistel) und hier wieder
zu öftern in den Mastdarm; aber auch in die Blase, oder auch durch die
Bauchdecken nach Aussen.
Mit dem Durchbruche ist die langsame Heilung angebahnt. Abgesehen
davon, dass die Abcesshöhle sich schwer schliesst, erfolgen selbst bei günsti-
gen Verhältnissen sehr leicht Recidive; sie sind eigentlich ebenso, wie bei
der erfolgten Resorption des Exsudates die Regel, so dass man bei der Peri-
metritis selbst in günstigem Ablaufe nur mehr von relativer Heilung spre-
chen kann.
Unter den Symptomen der Perimetritis ist zu allererst die grosse
Empfindlichkeit im Becken zu erwähnen; sie gibt sich als Schmerzhaftigkeit
beim Gehen, längeren Stehen, kurz bei stärkerer Bewegung kund. Wenngleich
derartige Kranke kaum fieberhaft sind, so leitet der rasche Puls mit der er-
höhten Druckempfindlichkeit im Becken die Aufmerksamkeit auf die Entzün-
dung des Bauchfelles hin. Hat keine Infection stattgefunden, so schwinden
diese Erscheinungen bei Bettruhe und freiem Leibe verhältnismässig rasch,
um mit Eintritt der nächsten Menstruation wieder aufzuleben.
Kann sich die Kranke nicht schonen, oder übt sie Coitus aus, so ver-
schlimmert sich der Zustand gewöhnlich. Selbst ohne höhere Fiebergrade
bieten aber solche Patientinen schon das Bild von schwerer Erkrankten, deren
Leiden durch die ungenügende Thätigkeit des Darmes gesteigert wird.
Schwindet die Druckempfindlichkeit, so gehen auch die Schmerzen lang-
sam zurück, man kann dann blos durch die — mittelst Untersuchung constatir-
bare — Verlagerung der Beckenorgane, ferner nach der vorhandenen Dysmenor-
PERIMETRITIS. 623
j-lioe und Sterilität (zu mindest aus der erschwerten Conceptionsfähigkeit) auf
die abgelaufene Entzündung des Beckenbauchfelles schlicssen.
Schleichender verläuft die Erkrankung bei gonorrhoi scIier Infec-
tion. Die einzelnen Erscheinungen sind den angeführten ähnlich.
Stürmischer tritt die Pelveoperitoneitis bei septischer Infectionzu
Tage. Fehlt auch hiebei im Anfange das hohe Fieber, so klagen die Kranken
vom Beginne an über stechende Schmerzen im Unterleib, die sich schrittweise
steigern als die Ausdehnung des Bauches erfolgt, wodurch sie am Athmen be-
hindert werden. Zu diesen gesellen sich Störungen in der Blasenfunction,
fortwährender Reiz zum Uriniren, mit Abgang von wenigen Tropfen. Hat dann
der Tympanites einen gewissen Grad erreicht, so fehlt ferner das Alier-
quälendste: das Erbrechen nicht, das erst mit Abkapselung des Tumors
aufhört. Dauert aber das Erbrechen und Schlucksen fort, so ist die Entzündung
auf das weitere Peritoneum überschritten.
Mit Stabilisirung des Exsudates kommt für die Kranke ein Stadium der
Ruhe, in dem mit reichlichem Schweisse ein gewisses Wohlbefinden vorhanden
sein kann; steigt hingegen das Fieber an, und überfallen die Kranken Schüttel-
fröste, so ist das ein Zeichen des Zerfalles vom Exsudat.
Aus den eben geschilderten Erscheinungen ist die Diagnose der Peri-
metritis selbst dann nicht schwer, wenn noch kein Exsudat gefühlt wird.
Ist ein Tumor vorhanden, so gibt er häufig Veranlassung die Pelveo-
peritonitis mit der ihr ohnehin leicht zugesellten Parametritis zu ver-
wechseln. Zeigt bei ersterer der Tumor im Anfange noch grössere Beweglichkeit,
steht er nicht so tief im Douglas, und wölbt dieses mehr kugelig vor, so
haftet bei letzterer das Exsudat als mehr derbe, knollige Masse seitlich am
Uterus fest, verdrängt den Uterus nach vorne, ist bimanuell leichter austast-
bar, während das perimetritische Exsudat das Becken wie mit einer harten
ausgegossen erscheinen lässt (cfr. Artikel „Beckenexsudate" und „Parametritis").
Die Prognose kann nach diesem, selbst für die acute, nicht infec-
tiöseForm nicht günstig lauten. Die Verlagerung der Organe, selbst
wenn die Trennung der Adhäsionen glücklich gelang, tritt selten ganz zurück,
die Recidiven sind beinahe permanent und werden durch die subsequente,
mangelhafte Function des Darmes erschwert. Noch ungünstiger stellt sich die
Vorhersage bei der infectiösen Form. Die gonorrhoische Perimetritis
führt zwar selten zum Tode, aber sie wird durch die stetigen, oft bis über
das Climacterium dauernden und bei der geringsten Körperanstrengung ein-
tretenden Recidiven zu einer Quelle fortwährenden Leidens. Daneben bergen
die den Eierstock und die Tuben treffenden Veränderungen eine Kette von
Gefahren in sich, besonders da die Verlöthungen in letzterem Organe zur Eiter-
sackbildung führen, deren Heilung nur auf operativem Wege zu erzielen ist.
Die Therapie der Pelveoperitoneitis hat mit der Prophylaxe gegen das
Leiden zu beginnen. Dass sich die Frau den in der Aetiologie angeführten
Schädlichkeiten nicht aussetze, bedarf nicht weiterer Auseinandersetzung. Aber
es dünkt uns als ganz praktische Maassregel jungen Männern zu empfehlen,
eine genaue Untersuchung ihrer Genitalien besonders vornehmen zu lassen
ehe sie in die Ehe treten, wie man Mittel und Wege zu finden wissen muss,
dass die junge Frau, bezüglich des Verhaltens während der Menstruation des
ehelichen Lebens und des Wochenbettes*) der nöthigen Aufklärungen nicht
entbehre.
Aerztlicherseits wird man jeden Eingriff nurmehr unter strenger Anti-
sepsis vollziehen; bei vorhandener Empfindlichkeit des Peritoneums im Becken
ihn bis zum Stillstehen der Erscheinungen verschieben, ja sogar die Unter-
suchung bei Entzündungen auf das nothwendigste Maass ijeschränken.
*) Vergl. die Artikel ,,Z)^■«Ye^^7l; (7es Wochenbettes" und ^Prophi/laxe der Fraiierileidev-
624 PERIMETRITIS.
Gegen die nicht infectiüse Perimetritis ist vor Allem absolute
Ruhe indicirt. Sorgt man dabei für gründliche Ausleerung des Darmes, sei
es durch einen aromatischen Eingussj (Kamillenthee, mit geringer Druckhöhe)
oder durch ein Klystier von 15 — 20 g reinen Glycerins; umspannt man den
Unterleib mit einer fest angelegten und gehörig schliessenden „Priessnitz"-
binde, so wird man der Darreichung von Calomel und Opium in diesem
Stadium der Erkrankung entrathen können. Hingegen haben wir bei Schmerz-
haftigkeit und grösserer Empfindlichkeit des Abdomens von der Application
einiger (nicht weniger als 6 — 8) Blutegel und nachfolgenden kalten Ueber-
schlägen oder dem Kühlapparate vortreifliche Wirkung gesehen. Ueberhaupt
leistet die Kälte ganz vorzügliche Dienste, sei es durch eiskalte Compressen,
die Eisblase oder den LEixER'schen Kühlapparat; nur darf die Vorsicht nicht
ausser Acht gelassen werden, in der Kälteanwendung Pausen eintreten zu
lassen, da die gespannte Bauchhaut leicht zum Erfrieren neigt.
Die Zunahme des Volums vom Unterleib deutet auf gänzliche Unthätig-
keit des Darmtractes und wird gewöhnlich bald vom quälendsten Symptom
der Bauchfellentzündung, dem Brechreize und Erbrechen, gefolgt. Wir lassen
solchen Kranken nebst grösseren Gaben Opiums per os oder als Suppositorien
wenig Flüssigkeit zukommen; Eispillen, kaltes Sodawasser mit wenig Cognac
haben sich besser bewährt, als warme Getränke oder selbst Cocainlösungen;
am besten vertragen die Kranken frappirten, nicht süssen Champagner oder
Ausspülen des Mundes mit Sodawasser. Ist die Exsudation zur Höhe gediehen,
so beruhigt sich die Kranke in der Ptegel, die Schmerzhaftigkeit im Abdomen
tritt meist nur beim Wechsel der Lage und bei eventueller Berührung ein.
Zeigt die Fiebercurve Zerfall des Exsudates an, so tritt die chirurgische
Behandlung zu Recht, und ist die Eröffnung des Abscesses angezeigt. Man
wird zumeist im Scheidengewölbe, aber auch durch die Bauchdecken hindurch
die fluctuirende Stelle zu finden vermögen, wo die Eröffnung stattzufinden hat.
Meist ist die Kranke durch das Fieber und die schlechte Ernährung
erheblich herabgekommen. Ist die Fluctuation undeutlich, so wird die vor-
sichtig ausgeführte Prob epunction Klarheit verschaffen, der wir dann die
Eröffnung des Eitersackes unmittelbar nachfolgen lassen. Wo immer wir dem
perimetritischen Eiterherde freien Abfluss schaffen, müssen wir uns vor zu
ausgiebiger Ausspülung des Sackes, ebenso vor Ausdrücken der Eitermengen
durch die Bauchdecken hüten. Denn es kann ein tieferer Abscess, und nicht
immer ist es der grösste, mit höher gelegenen „Darmcavernen" in Verbindung
stehen, deren Inhalt dann in den Peritonealraum gedrückt wird. Dasselbe
kann auch die Ausspülung verursachen. Räthlich ist beim Eröffnen mit
dem Messer die blutenden Stellen gleich zu unterbinden, die Fäden aber
recht lange zu belassen; sie halten die Schnittränder auseinander, zwischen
denen man das Glas-Drainrohr einfügen und für Abfluss Vorsorgen kann.
Letzterer Zeit haben wir die Ausspülungen ganz unterlassen und die
Abscesshöhle blos mit Jodoformgazestreifen ausgewischt. So behandelt bleibt
die Kranke oft auch 48 Stunden in vollkommener Ruhe, was für die Erhal-
tung der Kräfte ein nicht zu unterschätzender Vortheil ist.
Schlimmer steht es um die Behandlung eines nach der Blase oder dem
Rectum durchgebrochenen Abscesses. Man erkennt dies an der reichlichen
Entleerung fötideu Eiters mit dem Urin oder dem Stuhl; bei letzterem oft
mit Fetzen geronnenen eiweissähnlichen Massen gemengt. Die Ausheilung
findet stets sehr langsam statt. Der von Schröder eingeschlagene Weg: die
in die Blase erfolgte Durchbruchstelle durch hohen Blasenschnitt aufzusuchen
und zu schliessen, dürfte nur in seltenen Fällen zur Wiederholung gelangen;
meist wird man sich mit Blasenausspülungen (Borsäure 4%, Sublimat V5000)
und häufigem Katheterisiren zur Ableitung des Eiters begnügen müssen.
Fisteln in dem Mastdarm heilen verhältnismässig noch langsamer, oft erst
PERIMETRITIS. 625
nach Jahren. Sie machen keine besonderen Beschwerden, jedoch birgt die
fortgesetzte Eiterung die consecutive Gefahr, dass mit Ab/.ehrung der Kräfte
Nierenentartungen (amyloide Degeneration) sich entwickelt.
Heilt das Exsudat, sei es durch üesorption oder nach Durchbruch durch
Schrumpfung, so müssen die Folgezustände in Betracht gezogen werden und
den Verlagerungen der Beckenorgane entgegengearbeitet werden.
Die Behandlung der Adhäsionen hatte bis vor nicht langer Zeit unge-
nügende Resultate aufzuweisen. Es folgte bei nur gewissermaassen ener-
gischeren Eingriffen eine Recrudescenz der Krankheit, oft mit schlimmeren
Zuständen, als bevor. Man hatte die latente Entzündung wieder angefacht
gehabt, der Kranken also durch die Behandlung eine Aveitaus schwerere Er-
krankung „angeheilt." Die Kenntnis der Aetiologie hat in der Bezie-
hung vieles zu Nutzen gefördert, und auf die auf Picsorption hinzielenden
Mittel das Hauptaugenmerk gerichtet.
Also in erster Reihe die Jodpräparate, und das neuerer Zeit trefflich ein-
geführte Ichthyol. Wir wenden erstere als Einpinselungen von mitigirter Tinctur
{Tinctura jodinae, Tind. gallar. ää) ins Scheidengewölbe; letzteres nur mehr als
Salbe von 10 "/o an. Diese wird in consistenter Form verordnet, ein wallnuss-
grosses Stück in sterile Gaze geschlagen, und so als Tampon in die Vagina
hoch hinaufgeführt und durch 24 Stunden darin belassen. Das untere Ende
der Gaze fängt die abfliessende Salbe auf, der Tampon gibt dem Uterus einen
gewissen Stützpunkt, der die Kranken zu der Aussage veranlasst: „dass
sie sich erleichtert" fühlen. Die Verbindungen von Jod oder Ichthyol
mit Glycerin haben stets rege Reizzustände im Gefolge, was eben zu vermei-
den ist; aus diesem Grunde sind selbst mit grosser Vorsicht ausgeführte
Vaginaldouchen gegenangezeigt. Alle in die Vagina eingeführten Medica-
mente von harter Consistenz (Zäpfchen, Globuli) haben keine Wirkung.
Unter den indirect wirkenden Resorptionsmitteln kommt dem feuchten
„PmESSNiTZ-Um schlage" eine Hauptrolle zu. Nur darf mit der feuchten
Fläche nicht gespart und muss die Binde fest anliegend um das ganze
Becken gelegt werden. Nichtsdestoweniger kommt es vor, dass Kranke die
PRiESSNiTZ-Umschläge nicht vertragen (sie erwärmen sich nicht!); in
solchen Fällen können Cataplasmen (Mandelkleie) in Verwendung gezogen
werden.
Die Perimetritis gonorrhoischen Ursprunges erfordert die gleiche Thera-
pie. Die besten Resultate gab uns bisher die Behandlung mit Ichthyolsalbe
und consequent durchgeführter Bettruhe. Daneben wird man der etwa noch
vorfindlichen Gonorrhoe, resp. Blenorrhoe gehörige Beachtung schenken und
sie auf geeignetem Wege bekämpfen.
Als kräftigste Unterstützungsmittel der oben angeführten Medication die-
nen zur Aufsaugung perimetri tischer Reste noch die verschiedensten Ther-
mal-, Sool- und Moorbäder; wenn nicht anders, so wirken sie durch die
Ruhestellung des Individuums, durch die Anregung und Regelung der Darm-
thätigkeit und Entlastung des Beckens. Geradezu vortrefflich bewährte sich
uns in dieser Beziehung wiederholt Karlsbad.
Sind durch mächtige Adhäsionen im Becken derartige Verlagerungen
und Erkrankungen der Organe daselbst erfolgt, dass diese Nebenzustände
entweder eine stetige Quelle der Recidiven (Perioophoritis) schaffen oder durch
Verklebungen (Oophoritis, Salpingitis) nicht allein das Wohlbefinden herab-
setzen, sondern die Arbeitsfähigkeit vernichten und das Leben bedrohen
(Pyosalpinx) und hat man durch die, nach vollkommener Ruhestellung des
Individuums angewandte gynäkologische Massage nach Thure Brandt*) keinen
*) Vergl. Artikel „Massage in der Gynaelcologie^ , pag. 514.
ßibl med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 40
626 PERINEOPLASTIK,
Erfolg erzielt, so bleibt nun mehr die Trennung der Adhäsionen, eventuell
die Entfernung der bedrohlichen Organe durch das Messer oder Glüheisen auf
dem Wege der Laparatomie übrig. elischer.
Perineoplastik oder DammUldimg ist die operative Wiederherstellung
des durch Einrisse bei der Geburt, sehr selten durch andere Traumen, defect
gewordenen Dammes. "") Da die bei der Geburt entstehenden Dammrisse von
den Hebammen aus nahe liegenden Gründen gewöhnlich verheimlicht werden,
so ist der Arzt, wenn er nicht selbst die Geburt geleitet hat, selten in der
Lage den frischen Riss durch Perineorrhaplüe zu schliessen. Fast stets suchen
die Frauen erst ärztliche Hilfe, wenn die Verletzungen längst vernarbt sind
und sich die Folgen der mangelhaften Vereinigung derselben geltend machen.
Die Aufgabe der Perineoplastik ist es alsdann, den Status quo so gut wie
möglich wiederherzustellen.
Wlihrend oberflächliche Einrisse, auch wenn sie nicht genäht w^erden,
ohne besondere Difformität der Vulva heilen können, führt die liächenhafte
Vernarbung tieferer Dammrisse zu einem Defect des Dammes, zu einer Er-
weiterung des Introitus vaginae und, wenn sich dieselben auf einer oder beiden
Seiten der Columna rugarum posterior in der Scheide in die Höhe ziehen,
zu einer Erweiterung des Scheidenrohrs und in Folge davon zu chronischem
Reizzustand, zu Erschlaffung und Prolaps der höher gelegenen Theile der
hinteren Scheidenw^and, zu Rectocele und secundär zum Descensus oder Prolaps
des Uterus.
In dieser Weise können schon etwas tiefer gehende incomplete, den
Damm nur theilweise durchsetzende Risse wirken; ist jedoch der Dammriss
ein completer, d. h. geht er durch den ganzen Damm und den Sphincter
ani bis in den Mastdarm, so sind natürlich die Verhältnisse für die Frau noch
ungünstiger. Wiewohl manchmal solche ausgedehnte Defecte auffallender
Weise keine oder nur unbedeutende Symptome verursachen, so ist doch häufig
genug, von anderen Unbequemlichkeiten abgesehen, Incontinenz, w^enigstens für
Flatus und flüssigen Stuhl, die Folge dieses Zustandes, welcher somit zu
schwerer Beeinträchtigung des Lebensgenusses und oft zu bedenklichen ner-
vösen Depressionszuständen führen kann.
Aber auch kleine Dammrisse, die noch keine besonderen pathologischen
Störungen mit sich bringen, können durch Beeinträchtigung der physiologischen
Functionen der Theile unangenehme Folgen haben. Das Klaffen Jö:' Vulva
und die Unwirksamkeit des Constrictor cunni kann nicht nur Abfiuss des
Sperma nach dem Coitus und Erschwerung der Conception bedingen, als auch
eine Verminderung des Wollustgefühles für den Mann und in Folge davon
gar nicht selten allerlei Unannehmlichkeiten für beide Theile herbeiführen.
Schon aus diesen Gründen sollten die frischen Dammrisse stets durch die
Naht vereinigt, die veralteten viel häufiger, als dies geschieht, durch die Pe-
rineoplastik beseitigt w^erden.
Eine Reihe von Operationsmethoden ist zu diesem Zweck ersonnen
worden. Diese Methoden geben gewisse Schemata ab, welche, wie bei allen
plastischen Operationen, nach der Individualität des Falles Modificationen und
Oombinationen erleiden können.
Die LANGENBECK'sche Methode besteht bei incompletem Dammriss in
Abpräparirung der die Narbe bedeckenden Schleimhaut mit Bildung eines
Vaginallappens, seitlicher Vernähung der Wundfläche und Deckung des neu-
gebildeten Dammes nach der Scheide zu mit dem Vaginallappen. Bei com-
pletem, in den Anus sich fortsetzendem Riss kommt dazu die Ablösung der
Schleimhaut vom Mastdarm aus, Bildung der vorderen Mastdarmwand und
Vergl. Artikel „Dammrisse und Dammnaht^^ , "pag. 180.
PERINEOPLASTIK.
C27
. 1. Perineopla.9til; nach Simon
Ijei incompletem Dammriss.
Vernähung derselben mit dem neugebildeten Damm. Dieses Verfahren ist,
ebenso wie ein ähnliches von Bisciioff, wegen seiner Umständlichkeit durch
die folgenden Methoden verdrängt und ersetzt worden.
Nach der SmoN'schen Meth ode wird beim incompleten Dammriss (Fig. 1)
die Anfrischung in Form eines Dreiecks vorgenommen, dessen Spitze in der Va-
gina, dessen Basis am Damm liegt. Nachdem die Schenkel in der Vagina
umschrieben sind, werden sie durch einen am Damm, an der unteren Grenze
des Defects, quer verlaufenden
Schnitt verbunden, dessen Mitte
über der Analöffnung liegt. Nach
Ablösung der Schleimhaut wird die
dreieckige Wundfiäche in der Weise
geschlossen, dass zuerst innerhalb
der Scheide die Schenkel des Drei-
eckes mit einander vereinigt und
hierauf die dadurch aneinander
gelegten Hälften der Basis, welche
den neuen Damm bilden, von aussen
mit einander vernäht werden. Die
Linien ba und ha' werden in der
Vagina durch Nähte vereinigt und
bilden das untere Ende der hinte-
ren Vaginalwand. Dadurch kommt
a auf a' ; ca wird mit ca' von aussen
vernäht und bildet den neuen
Damm.
Beim completen Dammriss
(Fig. 2) erfolgt dieselbe dreieckige
Anfrischung in der Scheide; dazu
kommt eine solche von der Form
eines Schmetterlingsfliigels nach
jeder Seite, indem die Schleimhaut
durch Schnitte abgelöst wird, die
beiderseits erst nach oben divergi-
rend, dann nach unten convergirend
sich bis zu den vorderen Enden
des eingerissenen Sphincter ani
erstrecken und von da wieder auf-
wärts laufend sich am oberen
Winkel des Defects der vorderen
Mastdarmwand in einem convexen
Bogen treffen. Zuerst wird nun
wieder wie beim incompleten Eiss
das Dreieck aha' in der Scheide
vernäht; dann werden ac und a'c' durch tief gelegte Nähte vereinigt, wodurch
die Verlängerung der vorher defecten hinteren Scheidenwand gebildet wird; ed
und ed' werden (vom Mastdarm aus) mit einander vernäht und bilden die vor-
dere Mastdarmwand; schliesslich wird noch durch oberflächliche Nähte cd mit
c'd' vereinigt und so mit Bildung des neuen Dammes die Operation abge-
schlossen. — x\uf dem Princip der SiMON'schen Methode beruhen auch die
von Hegar und anderen.
Die SiMON'sche Methode ist hauptsächlich zu empfehlen, wenn der Ein-
riss in der Mittellinie stattgefunden hat und durch die Narbenbildung das
untere Ende der Columna rugarum posterior verloren gegangen ist. Blieb
aber letztere, wie dies meistens der Fall, intact, indem der Kiss auf einer oder
Fig. 2. Perineoplastih nach Simon
bei comiiletem Dammriss.
628
PERINEOPLASTIK.
I'jg. 3. Perineoplastik nach Freund
bei incompletem Dammriss.
beiden Seiten derselben in die Höhe ging, so erscheint es unzweclnnässig,
durch die Ausschneidung des medianen Dreiecks gerade diesen wichtigsten
Theil zu opfern, in welchem die hintere Scheidenwand ihre hauptscächliche
Stütze findet, und der durch seine Ausdehnungsfähigkeit, wenn er erhalten
bleibt, bei späteren Geburten am besten die Vermeidung der sonst leicht ein-
tretenden neuen Einrisse ermöglicht.
Die FREUND'sche Methode schont, von dieser Erwägung ausgehend
principiell die Columna rugarum posterior; die Anfrischung wird seitlich von
der letzteren vorgenommen, indem
ein der Narbe entsprechendes zungen-
förmiges Stück zu einer oder zu bei-
den Seiten der Columna aus der Va-
ginalwand excidirt und somit durch
Umschneidung und Auslösung der
Narbe die ursprüngliche Wundfläche
annähernd wiederhergestellt wird.
Beim incompleten Riss (Fig. 3) werden
die nach aussen gelegenen Schenkel
der beiden in der Vagina rechts und
links von der Columna rugarum um-
schnittenen Dreiecke durch einen nach
abwärts geführten und quer über die
untere Grenze des Dammrisses ver-
laufenden Bogen mit einander ver-
einigt und die von der Figur um-
schriebenen narbigen Schleimhaut-
partien durch Excision entfernt. Es
werden nun zunächst die zungenför-
migen Defecte in der Vagina durch
die Naht geschlossen, h a kommt an
& ot, c a' an c a. Hierauf wird der noch
klaffende untere Theil der hinteren,
Scheidenwand (durch Vereinigung
von ad mit a'd') vernäht und zum
Schluss der durch Aneinanderlage-
rung von ed und ed' gebildete neue
Damm durch äussere Nähte vereinigt.
Beim completen Dammriss (Fig. 4)
werden die Schnitte nach Umschrei-
bung der beiden die Scheidennarben
einbegreifenden Dreiecke beiderseits
nach aussen und unten, zuerst diver-
girend, dann convergirend, bis zu
den vorderen Enden des zerrissenen
Sphincter ani und von da nochmals
convergirend nach oben geführt, so dass sie sich über dem oberen Winkel
des Defects der vorderen Mastdarmwand treffen, (wobei zugleich auch die
Mastdarmschleimhaut angefrischt wird). Nach Excision der so umscliriebenen
Schleimhautfigur werden die Scheidendreiecke ah a und a' c a vernäht {h a mit
öor, ca' mit c a)\ dann wird der Fiest der Scheidenwunde unter Anlagerung
von ac? an a'd' durch tiefgreifende Nähte geschlossen; hierauf wird durch
Vereinigung von /e und /e' mittelst vom Mastdarm aus (oder besser früher
von der Wundfläche aus) gelegter Nähte die vordere Mastdarmwand gebildet
und schliesslich der neuentstandene Damm, durch Vernähung von d e mit
d' e'. vereinigt.
Kg.
4. Perineoplastik nach "Pheitkd
bei conix)letem Dammriss.
PERINEOPLASTIK.
629
Fig. 5a. PerineoplastiJc
nach Tait bei incorapletem
Dammriss (Sclinittfülirung).
TPig. 56. Perineoplasti'k
nacli Tait bei incorapletem
Dammriss (NahtJ.
Die FiiEUND'sclie Methode ist eine ausgezeichnete, da bei ihr fast nur
entartetes Narbengewebe und möglichst wenig von der gesunden Schleimhaut
entfernt zu werden braucht. Ausserdem ist sie, wenn zugleich ein Prolaps
der hinteren Scheidenwand vorliegt, sehr bequem mit der Kolporrhaphia posterior
zu verbinden, indem in diesem Fall einfach die Anfrischungen in der
Vagina durch zungenförmige Verlängerung der beiden Dreiecke bis gegen
das Scheidengewölbe hin ausge-
dehnt werden. (Bei gleichzeitig
bestehendem Cervixriss wird die
„EMMET'sche Operation" voran-
geschickt). — In ähnlicher Weise
operirt auch A. Martin.
Der Methode von Tait,
die in Deutschland hauptsächlich
durch Saenger bekannt geworden
ist, liegt die Vorstellung zu Grunde,
dass nach den plastischen Opera-
tionen, bei denen mehr-weniger
ausgedehnte Schleimhautpartieen
excidirt wurden, im Falle des Miss-
glückens der Prima intentio der
Defect wieder annähernd einen
Zustand wie vor der Operation dar-
bieten kann. Desshalb vermeidet
diese Methode überhaupt die Ex-
cision von Gewebstheilen.
Die Operation besteht beim
incompleten Dammriss in der
queren Spaltung des Septum recto-
vaginale, und zwar in der Mitte
zwischen der unteren Grenze des
Dammdefectes und der Analölf-
nung, in der Längsausdehnung von
3—4: cm und in der Tiefe von
IV2 — 2 cm. Auf diesen Querschnitt
werden nach aufwärts bis zur
Labionymphalgrenze zwei recht-
winklige Seitenschnitte gesetzt.
Der so entstandene Vaginallappen,
der sich durch Retraction verklei-
nert, wird nach oben gezogen
und von den meisten Operateuren
sich selbst überlassen; die Wund-
fläche wird in querer Richtung
durch Dammnähte geschlossen.
Fig. 5a zeigt die Schnittführung,
Fig. bb den durch die quere Ver-
nähung gebildeten Damm.
Beim completen Dammriss wird ebenfalls zuerst das Septum rectovagi-
nale gespalten (wobei man sich wegen seiner Dünne vor Verletzungen der
Scheiden- und der Mastdarmwand zu hüten hat) und ebenso der Vaginallappen
nach oben abpräparirt. Hierauf werden die senkrechten Schnitte nach unten
bis an die Enden des eingerissenen Sphincter verlängert und durch Abprä-
pariren dieser Partie ein Rectallappen gebildet. Der (längere) Vaginallappen
wird nach oben, der (kürzere) Rectallappen nach unten gezogen; beide retra-
Pig. 6a. Perineoplastik
nach Tait bei completem
Dammriss (Schnittführiuig).
Kg. 65. Perineoplasti'k
nach Tait bei completem
Dammriss (Naht).
630 PERINEOPLASTIK.
hiren sich stark und werden sicli selbst überlassen. Die übrige Wundflcäclie
wird durch tiefe, unter der ganzen Wunde durchgeführte, und durch dazwischen
gelegte oberflächliche Nähte in querer Kichtung vereinigt. Fig. 6a zeigt die
Schnittführung, Fig. Qb den durch die Naht geschlossenen Damm.
Es wird allerdings bei dieser Methode kein neuer Defect gesetzt, aber es
bleiben schrumpfende Lappen zurück, die manchmal gangränös werden und
ausserdem besonders in der Vagina zu unregelmässigen Verziehungen der
Wand des Introitus führen können. Wenn auch mit dem relativ einfachen,
leicht und rasch auszuführenden Verfahren von verschiedenen Operateuren
befriedigende Resultate erzielt worden sind, so ist doch zu bedenken, dass
durch dasselbe lange keine Restitutio ad integrum erreicht wird, da ja die
verunstaltende und das Scheidenrohr verzerrende, starre und oft empfindliche
Narbe erhalten bleibt. Schon die Thatsache, dass bei dieser Operation phy-
siologisch nicht zusammengehörige Theile mit einander vereinigt werden,
spricht im Princip gegen dieselbe. Es sind deshalb, besonders bei tiefen
Scheiden-Dammrissen und grösseren Mastdarmdefecten, als chirurgisch rich-
tiger die deutschen Anfrischungsmethoden vorzuziehen, von denen haupt-
sächlich die in vollkommenem Sinne plastische FuEUND'sche Methode die nor-
malen anatomischen Verhältnisse am besten wieder herstellt.
Die Ausführ ungderPerineoplastik geschieht nach vorhergehender
gründlicher Entleerung und Ausspülung des Darmes, sowie sorgfältiger Des-
infection der Vagina, der Vulva und ihrer Umgebung, in Steinschnittlage
(Beinhalter ; Bozeman's Speachim oder Seitenhehel)") unter Cocainanästhesie,
bei allen ausgedehnteren Operationen unter Chloroformnarkose. Die Operation
wird, wenn möglich, bald nach der Geburt, bei welcher der Dammriss ent-
standen, nachdem der Lochialfluss aufgehört hat und die Involution vollendet
ist, also nach circa 8 Wochen, vorgenommen. Um diese Zeit sind die Theile
noch blutreicher und bieten günstige Verhältnisse für die Heilung dar. Aber
auch später kann man jederzeit mit bestem Erfolge operiren.
Die Operation beginnt mit der Umschneidung der Anfrischungsfigur. An
den Schnittgrenzen wird die Schleimhaut mit Kugelzangen oder Pincetten
gefasst und sorfältig mit dem Messer, am besten von verschiedenen Punkten
der Grenzen aus nach der Mitte zu, abpräparirt, wobei darauf zu achten ist,
dass keine Schleimhautinseln stehen bleiben. Die adhärente Scheidennarbe wird
da, wo sie am dünnsten ist, oft besser mit der Scheere ausgeschnitten; ebenso
wird die Anfrischung des Mastdarmdefectes mit der Scheere vorgenom-men,
indem man denselben stark anspannt. Wenn ein Assistent einen oder zwei
Finger im Rectum hält, so wird sowohl die Ablösung der Schleimhaut als
später die Anlegung der Nähte sehr erleichtert.
Während der Operation lässt der Verfasser keine Berieselung mit anti-
septischen Flüssigkeiten vornehmen, da dieselbe die Blutung unterhält und
die prima Intentio zum Mindesten nicht begünstigt; das Operationsfeld wird
vielmehr mit trockener, sterilisirter Gaze abgetupft, da auf diese Weise die
Blutung am leichtesten gestillt wird und die besten Vorbedingungen für eine
sichere und rasche Verheilung gegeben sind.
Ueber das Nahtmaterial ist viel gestritten worden. Die Hauptsache
ist jedenfalls eine genaue und sorgfältige Vernähung der zusammengehörigen
Theile, indem mit krummen Nadeln möglichst viel Gewebe gefasst wird. In
der Scheide werden die Nähte bei kleineren Anfrischungen unterhalb der
ganzen Wundfläche durchgeführt, wobei man mit der Nadel nahe bis gegen
den Mastdarm vordringt; bei einer grösseren Wundfläche ist es besser, einmal
in der Mittellinie derselben aus- und wieder einzustechen. Zur Naht kann
*) Vergl. Fig. 105, 106 (Beinhalter) und Fig. 26 (Seitenhebel} im Artikel Instrumen-
tarium zur Gynaekoloffie."
PESSAPJEN. 631
Seide, Juniperuscatgut, Fil de Florence oder weiclior Silberdraht verwendet
werden. Bei der Vereinigung sehr ausgedehnter Defecte ist die Anlegung
versenkter Nähte (Etagennaht) zweckmässig; für diese wird, wie auch für die
Darmnähte, Catgut das beste Material bleiben. Die Naht der Mastdarmwand
lässt sich mit Schonung der Darmschleimhaut von der Wundfläche aus vor-
nehmen; diese versenkten Nähte ragen dann nicht ins Mastdarralumen; jeden-
falls dürfen die Suturen, wenn man sie vom Darm aus legt, nicht viel Schleim-
haut fassen (wegen der Infectionsgefahr). Die Dammnähte brauchen, ausser
bei der TAix'schen Methode, bei der sie unter der ganzen Wundfläche durch-
geführt werden müssen, nicht besonders tief angelegt zu werden, da sie ni''it
viel zu halten haben. Vielfach wird bei der Perineoplastik die fortlaufende
Naht mit sehr gutem Erfolg verwendet. Aber auch die Knopfnaht gibt tadel-
lose Resultate.
Nach Vollendung der Operation kann die Nahtlinie mit Jodoform
bestreut werden; vor Vulva und Damm kann man zum Schutz ein Stück Ver-
bandbauniwolle legen. Doch ist beides nicht nöthig. Ausspülungen werden bei
der Nachbehandlung besser unterlassen; sorgfältige Reinigung der zugänglichen
Theile durch Abtupfen mit Watte genügt vollständig. Die Einlegung eines Darm-
rohres ist überflüssig. Hintanhaltung des Stuhles durch Opium ist unzweck-
mässig. In Folge der vorher künstlich herbeigeführten Entleerungen und der
nach der Operation verordneten knappen Diät tritt in den ersten Tagen über-
haupt kein Stuhl ein. Nach 5—6 Tagen kann durch ein Laxans verbunden
mit einer hohen Wassereingiessung die Defäcation erleichtert werden. Für
zwei bis drei Wochen muss die Operirte absolute Bettruhe mit geschlossenen
Beinen einhalten. Die Nähte werden vorsichtig und allmälig entfernt, die
Dammnähte vom 6. bis 8. Tag, die Scheidennähte, wenn kein Catgut verwendet
wurde oder wenn sie nicht vorher durchgeschnitten haben, von der zweiten
bis dritten Woche an. Die Mastdarmnähte gehen, wenn sie im Darm geknotet
sind, von selbst mit dem Stuhl ab; sind sie mit sterilisirtem Catgut von der
Wunde aus bis an die Grenze der Darmschleimhaut gelegt, so werden sie
resorbirt. Sehr wichtig ist es, wenn man nicht ein Wiederaufreissen der jungen
Narben erleben will, der Operirten noch für eine Reihe von Wochen jede
schwere Arbeit, ganz besonders aber die Ausübung des Coitus dringend zu
verbieten. edgar kurz.
PeSSarien.*) Um die vorgefallene Gebärmutter im Becken wieder
zurückzuhalten, mögen nach gelungener Reposition anfänglich Linnenstiicke,
Werg und dgl. verwendet worden sein; später wurden diese Materialien zu einem
Kranze umgeformt, und dieser durch einen harzigen Ueberzug wasserdicht
• gemacht. Man nennt daher auch heute noch die zu diesem Zwecke con-
struirten Instrumente Mutterkränze oder -Ringe, Pessarien. Der neu-
eren Zeit war es vorbehalten in den Pessarien einen Stützapparat zu sehen,
der in die Scheide zu dem Zwecke eingelegt wird, um der verlagerten Gebär-
mutter die normale Stellung zu verschaffen. Zugleich mit diesem traten Ver-
suche zu Tage, die abgeknickte Gebärmutteraxe instrumenteil gerade zu stellen,
zu welchem Behufe man Stützapparate in die Gebärmutter höhle ein-
führte, die ebenfalls als Uterus-Pessarien benannt wurden, jedoch rich-
tiger als Uterusstifte bezeichnet werden sollten.
Wurden die obenerwähnten Pessarien noch mit einer Beckenbandage
verbunden, so nannte man sie Hysterophore.
Der Zweck der in die Scheide eingeführten Ringe ist demnach der, durch
Spreitzung der Vaginal wand auf den Uterus einzuwirken, ihn in nor-
maler Lage zu erhalten, was dadurch erreicht wird, dass der Ring über den
*) Vergl. den A'bschniit „Lageveninderiwgen'^ im Artikel „Uterus"
632 PESSARIEN.
Beckenboden gelagert und vom Musculus levator ani getragen ihn am Herab-
oder nach Hintensinken hindert. Für ersteren Zweck reichen die ein-
fachen Kinge aus, für letzteren — die Deviationen des Uterus nach hinten
— sind die Kinge länglich und in verschiedenen Krümmungen construirt
worden."^")
HoDGE hat seinem Pessar eine S-förmige Krümmung gegeben, dessen
nach oben gerichteter Bügel hinter die Portio vaginalis kommt, während
der nach unten gebogene am Schambeinaste Stellung findet. Da diese
Biegung jedoch auf die Blase, resp. Urethra von schädlicher Wirkung
sein könnte, so versuchte man durch eine Hufeisen- oder Lyraform
die genannten Gebilde zu schützen. So entstanden die nach unten offenen
oder durch Bänder verbundenen Pessarien, die im Gebrauche geradezu noch
gefährlicher werden als die HoDGE'schen. Olshausen gab dem Pessar eine
AViegen-, Schultze eine Schlittenform, Walcker machte am vordem Bügel
für die Urethra eine Einbiegung. Da dem die Portio vaginalis aus der durch
das Pessar geschaffeneu Lage abwich, modificirte Schultze seinen Ring
dahin, dass er ihm eine Achter-Form gab, und die Portio in der kleineren
Schlinge befestigte.
Die nach rückwärts abgewichene Gebärmutter kann durch sämmtliche
angeführte Pessarien in Normalstellung gehalten werden, um überdies dem Ute-
ruskörper einen stärkeren Halt zu geben, formte Thomas in seinem, dem Hodge-
schen ähnlichen Pessar den hinteren Bügel zu einem dicken Wulst um und
intendirte damit eine grössere Stabilität der Gebärmutter.
Neben diesen einfachen, findet man noch eine Unzahl verschiedenst
gestalteter Pessarien; je nach vorgefasster Meinung von besonderer Wirkung,
oft auch aus dem Grunde, „Neues zu erfinden" construirt, wandern sie sehr bald
mit dem Verfasser zugleich in die Rüstkammer. Für die prolabirte Gebär-
mutter hat das Pessarium wie ein Tampon der Scheide zu wirken. Die vo-
luminösen alten Mutterkränze aus Werg mit Theer oder Colophonium über-
zogen, verfolgen gerade denselben Zweck wie die aus G u m m i gemachten, soliden
(Mayer) oder hohlen (Galante) Ringe; letzteren sollte eine im Inneren an-
gebrachte Uhrfeder grössere Elasticität und Spannkraft geben (Meigs). Als
Tampons im weiteren Sinne sind ferner das aus Hartkautschuk geformte
Eierpessar Breisky's und das mehrfach durchlochte Schalenpessar
von Schatz anzusehen. Geradezu verwerflich waren die aus zwei flügeiförmigen
Stücken, durch eine Schraubenvorrichtung auseinander spreizbaren Frank-
ScHiLLiNG'schen Pessarien, die heutzutage wohl nur mehr in Lehrbüchern
Curiosum halber noch erwähnt und hoffentlich in Bälde ganz von der Bild-
fläche verschwinden werden.
Wie aus dem Vorhergesagten ersichtlich, ist die Anwendung der Pessa-
rien heutzutage nurmehr eine beschränkte, sie wird es täglich noch
mehr, als mit der Ausbildung der operativen Eingriffe die Normallage der
Gebärmutter sicherer und ohne die unangenehmen Begleiterscheinungen des
Pessars erzielt werden kann. Ganz der Pessarien zu entrathen wird man
kaum in der Lage sein, besonders wo es sich um eine zeitweilige Aushilfe
.bei messerscheuen Personen handeln wird.
Zur Herstellung der Pessarien kommt heute kaum mehr ein anderes
Material, als Hartgummi, Celluloid und Aluminium in Frage. Die erstgenannten
Substanzen haben den grossen Vortheil, dass sie in heisses Wasser gelegt nach
Belieben gebogen und dem Falle adaptirt zu werden vermögen. Das richtige
Pessar einzusetzen gehört anerkannt zu den schwierigeren gynaekologischen
Maassnahmen.
*) Vergl. den Abschnitt ^Pessare" im Artikel ^Instrumentarium zur Gt/naekologie"
mit den zugehörigen Figuren, pag. 425 u. 426.
PESSARIEN. 633
Das Pessar soll aber die Gebärmutter in beweglicher Anteflexio-Versions-
stellung (Schultze) erhalten, dabei aber weder beim Gehen, Sitzen, Liegen,
auch nicht beim Coitus .störend sein, durch die Bauchpresse aus seiner Lage
nur insofern alterirt werden, dass es nach Aufliören des Druckes in seine
frühere Lage zurücktritt („spielen" FEiiLiNa), vor allem aber soll es nicht
schaden. Wenn es demnach in letzterem Sinne gehörig gebaut ist, so wirkt
es auf die Scheide reizend, und bleibt ein immerhin günstiger Zustand,
wenn es in der Vagina blos eine erhöhte Secretion, einen mehr minder
reichlichen Fluor erzeugt. Gewöhnlich bringt aber jedes Pessar — sei es
aus dem reinlichsten und leichtesten Material erzeugt — auf der Vaginal-
w^and Druckerscheinungen hervor. Diese erscheinen zuerst als locale
Anämie, die zur Abschilferung der Schleimhautoberfläche führt. Sehr bald
entstehen an diesen Stellen kleine oberflächliche Substanzverluste, meist mit
kleinen, schwachen Granulationen am Geschwürsgrunde. Letztere können
jedoch auch stark auswachsen und dann das Pessar ein- und umfassen; oder
aber die Geschwüre dringen in die Tiefe und rufen Entzündungen im
Scheiden- oder aber auch im Beckenzellbindegewebe hervor.
Fehlerhaft gebaute und schlecht sitzende Pessarien machen jedoch auch
echte Druckgangrän sowohl gegen die Scheide, als auch gegen den Mastdarm
zu, was zur Fistelbildung einerseits, andererseits aber zur Entzündung im
Perimetrium, sogar zu allgemeiner Peritonitis Veranlassung geben kann. Wir
müssen auch an dieser Stelle die Möglichkeit der Entstehung von Gar ei-
nem (in 87o der Fälle nach Neugebauee) erwähnen. Schliesslich können
diese Zustände noch durch Indolenz und Unsauberkeit der Trägerin eines
solchen Instrumentes arg ausarten, wie die mannigfachen Uebelstände bei
der Entfernung von alten, eingewachsenen (vergessenen!) Pessarien
lehren. Jeder beschäftigte Gynäkolog kann hiezu reichlich casuistische Beiträge
liefern, wenn sie auch nicht so arg auftreten, als bei dem aus dem Uterus-
cavum herausgeschälten Eierpessar.
Es gilt demnach für den Gebrauch der Pessarien als Gesetz, dass
der Arzt nur solche Pessarien einführe, die bezüglich Reinlichkeit ai3Solut
sicher sind; dass er die Patientin anleite für Pieinhaltung der Scheide Sorge
zu tragen und die Entfernung und Wiedereinlegung des Instrumentes persön-
lich vornimmt. Wenn die Pessarien während der Menstruation liegen bleiben
können, so empfiehlt es sich dennoch sie nicht länger als 3 — 4 Wochen in situ
zu belassen. Zu mindest haben uns genau controlirte Versuche gelehrt, dass
bei minutiöser Reinlichkeit selbst Celluloidpessarien nach 3 Wochen an der
Oberfläche rauher werden. Das Pessar in situ wird durch Vaginalirrigationen
gereinigt. Wir verwenden stets Sublimatlösung (1 : 5000) dazu, da wir
gefunden haben, dass sowohl Carbol, Kali hypermang., Lysol, als auch Creolin
die Vaginalwände angreift, letzteres hat bei einzelnen Individuen ein dauern-
des Brennen im Gefolge. Stets kommt es hiebei weniger auf das Mittel
selbst, als auf die Menge der Spülflüssigkeit an.
Der Vorgang zur Application des Pessars ist ein einfacher. Die
Kranke kann ebenso gut die SiMs'sche Seiten-, als die Rückenlage mit er-
höhtem Becken einnehmen. Wendet man hohle Gummiringe an, so thut die
FRiTSCH'sche Pessarzange bei der Einführung gute Dienste; bei den übrigen
hat man das Pessar seitlich in die Rima pudendi zu bringen, hüte sich vor
allem vor Druck auf die Urethra und drücke es gegen den nachgebenden
Damm an; ist es in die Scheide eingelegt, so hebelt man es erst hinter
die Portio, und gibt dann dem vorderen Bügel die gewünschte Lage. Die
Patientin wird nun angehalten, in der liegenden Stellung zu husten und zu
pressen; ändert das Pessar darnach seine Lage nicht, so lasse man die Kranke
noch einige Gehversuche machen. Ein gut eingelegtes Pessar tritt dabei
weder vor die Vulva, noch darf es die Kranke überhaupt spüren; es
634 PFLEGE DES NEUGEBORENEN.
empfiehlt sich daher anläDglich lieber Pessarien kleineren Kalibers zu wählen;
unbedingt ist es zu entfernen, sobald es im Mindesten Störungen, sei es
beim Uriniren oder Stuhlgang hervorbringt oder schmerzlich empfunden wird.
Aus diesem ergibt sich, dass die Einlegung eines Pessars bei jeglicher
Entzündung des Genitalapparates von vorneherein ausgeschlossen ist. Wenn-
gleich Sch^YaDgere unter Umständen ein Pessar ganz gut vertragen, so wird
man es bei ihnen, ebenso wie im Wochenbette, wegen der Möglichkeit einer
Infection bei Seite lassen. Besondere Aufmerksamkeit erfordert die Pessar-
behandlung bei Frauen, deren Genitalien in seniler Rückentwicklung be-
griflen sind.
Die Ut er in stifte, ob solid oder hohl, aus Glas, Metall oder Gummi
oder mit Oeflfnungen versehen (diese können mit Antisepticis gefüllt werden),
erreichen den Zweck einer Dauerheilung der geknickten Gebärmutter nicht,
und sind durch dies anstrebende Operationen heute bereits ganz verdrängt,
ihrer Gefährlichkeit wegen mit Recht verlassen.
Sie haben eben noch Berechtigung in Fällen von Amenorrhoe, und bei
Anteflexion vorkommenden gewissen Reflexneu r ose n, die durch ihre An-
wendung manchmal gebessert werden. Mit Hinblick auf die Vulnerabilität der
Uterusschleimhaut und die consecutiven Entzündungsprocesse ersetzt man
diese Stifte lieber durch die wiederholte Application von Dilatations-
sonden, die sterilisirt anzuwenden sind und mit denen wir dieselben
günstigen Erfolge erzielten. Ganz der Vergessenheit zum Opfer zu fallen
verdienen die Beckenbandagen mit Gebärmutterträgern, und
sollten endlich auch aus den Lehrbüchern umsomehr ausgemerzt werden, als
das Alter der Frauen bei der Radicaloperation des Prolapsus uteri tota-
lis, in welchen Fällen sie etwa noch in Verwendung kommen könnten, keine
Contraindication mehr abgibt; wie auch die früher für obligat gehaltene Nar-
cose heutzutage dabei immer mehr entfällt.
Der Vollständigkeit halber haben wir den Pessarien noch die soge-
nannten Occlusivpessarien anzufügen. Es sind dies aus Gummi gefertigte
Ringe, die durch eine membranöse Kuppe abgeschlossen sind. Sie werden
ins Scheidengewölbe eingelegt und umhüllen den Conus der Portio vaginalis.
(Fig. 99 im „Instrumetitarium zur Gynaekologie" , pag. 426.)
Der Zweck des Instrumentes ist Verhinderung des Eintrittes von
Sperma ins Cavum uteri. Die Beurtheilung fällt unter dieselben Gesichts-
punkte, wie der Condom. Die Einführung, Reinhaltung und Wechsel derselben
hat genau so wie die der übrigen Scheidenringe zu erfolgen. elischee,
Pflege des Neugeborenen. Das reif geborene Kind: „Der Kampf
um's Dasein beginnt bereits im Mutterleibe" sagt PIyetl, es muss also schon
dem ungeborenen Kinde durch ein entsprechendes Verhalten der Mutter eine
gewisse Pflege zu Theil werden, die allerdings nur eine indirecte sein kann
und in das Capitel der „Diätetik der Schwangerschaft" (s. d.) fällt. Mit dem
Momente der Geburt beginnt die directe Pflege, deren erste Acte darin bestehen,
zunächst Schleim und Fruchtwasser aus der Rachenhöhle zu entfernen, um
die Wege für den Luftstrora frei zu halten, und dann, den Nabel zu versorgen.
Die Pflege des Nabels bedarf einer besonderen Aufmerksamkeit, da
seine Insertionsstelle wohl als die Haupteingangspforte septischer Infection an-
gesehen werden muss. Es ist daher strenge Asepsis geboten, Antisepsis sollte
nur bei Erkrankungen desselben Anwendung finden.
Als Materiale zur Unterbindung des Nabels dienen am besten durch
Auskochen sterilisirte Leinwandbändchen. Selbst die sulzreichste Nabel-
schnur wird, besonders wenn die Bändchen noch feucht verwendet werden,
mit vollständiger Gewähr sicheren Verschlusses der Gefässe unterbunden'
werden können, nur dürfen die Bändchen nicht zu schmal sein (mindestens
PFLEGE DES NEUGEBORENEN. 635
0'5 cm) und müssen die nothwendige Festigkeit besitzen. Anderes Unter-
bindungsmateriale als carbolisirte Seide, lianlbindfaden (SAiCNOEJi) oder Gummi-
schnüi'chen (Budix, Crede, Webek) haben keine allgemeine Verwendung gefunden.
Die alte Streitfrage über den richtigen Zeit])unkt der UnterljinduDg,''-; ob
unmittelbar nach der Geburt oder nach Aulliören der Pulsation oder endlich
nach Expression der Placenta wird wohl von den meisten Autoren dahin ent-
schieden, dass die zweite Methode vorzuziehen sei. Durch die Abnabelung
nach dem Verschwinden der Pulsation wird dem Kinde eine gewisse Menge
Reserveblutes zugeführt, dessen Menge nach den verschiedenen Angaben
zwischen 13 und 150 </ schwankt und dem mag es wohl zuzuschreiben sein,
dass der initiale Gewichtsverlust bei spät abgenabelten Kindern ein zweifellos
geringerer ist (M, Hopmeier,' Porak). Zur sofortigen Abnabelung kann der
Arzt durch die Asphyxie des Kindes gezw^ungen werden, die dritte Methode
hingegen birgt, wie der Fall von Illing gezeigt hat, bei welchem cerebrale
Blutungen gefunden wurden, geradezu eine Gefahr für das Leben des Kindes.
Die Dauer der Pulsation ist nun eine sehr verschiedene und kann
zwischen der gewöhnlichen Zeit von 2 — 3 Minuten und selbst 10 Minuten
wechseln, Ruxge schlägt daher als besseres Merkmal, dass das Pteserveblut
von dem Kinde aufgenommen ist das Collabiren der Nabelvene als den rich-
tigen Zeitpunkt der Unterbindung vor.
Die weiteren Veränderungen, welche der Nabelstrangrest eingeht, sollen
in Mumification bestehen. Dieser physiologische Vorgang wird durch Trocken-
halten, Wärme und freien Luftzutritt befördert. Alle Occlusivverbände (Dohrn)
sind daher zu vermeiden, da dieselben leicht zur Verjauchung führen. Der
Nabelstrangrest wird eingerollt, mit einem auf trockenem Wege (GLEicn'sche
Pappschachteln) sterilisirten Läppchen aus weicher, alter Leinwand oder Ver-
bandwatte eingehüllt und auf die linke Bauchseite gelegt, um nicht auf die
weit herabreichende Leber einen schädlichen Druck auszuüben. In dieser Lage
wird derselbe durch eine zweimal um den Leib gehende, etwa 8 cm breite
Leinwandbinde fixirt gehalten. Dieser Verband muss mindestens zweimal im
Tage, im Uebrigen aber so oft, als derselbe von Urin durchnässt ist, erneuert
werden. Bei dem Wechsel soll jede Zerrung und mechanische Beleidigung
des Nabelstrangrestes vermieden werden, insbesondere aber ein Versuch den
nur mehr an einem dünnen Faden hängenden Rest loszutrennen.
Die vollständige Abstossung des Nabelstranges erfolgt normaler W^eise
zwischen dem 5. und 7, Tage, kann sich aber durch starke Entwickelung der
Nabelstrangsulze, durch Lebensschwäche des Kindes oder infectiöse Einflüsse
bedeutend verzögern. Die die Abstossung verursachende reactive Entzündung
beginnt schon wenige Stunden nach der Geburt als leichte Injectionsröthe,
welche sich in den nächsten Tagen um die Einpflanzungsstelle verbreitert.
Nach dem Abfall des Nabelstrangrestes bleibt eine kleine mit einzelnen
Eiterpunkten besetzte Granulationsfläche zurück, welche normaler Weise am
10. — 13. Tage verheilt ist. Diese Wunde wird mit einer 3% Borsalbe bedeckt
oder, wenn die Secretion reichlicher ist, wird ein Pulververband (Acid. salicyl.
1-0, Amyl. 5-0) angelegt.
Die Einpflanzungsstelle des Nabels wird durch diesen physiologischen
Vorgang der Abstossung leicht zur Eintrittspforte für pathogene Mikroorga-
nismen. Intrauterine Infectionen sind wohl unstreitig erwiesen, aber gewiss
sehr selten. Durch die Erkenntnis der septischen Infection wird dem Arzte,
der Geburtsfrau oder Pflegerin eine schwerwiegende Verantwortung bei der
Pflege 'eines Neugeborenen aufgebürdet, da es in der weitaus grössten Zahl
der Fälle, Fehler in der Anti- oder Asepsis sind, w^elche eine septische Erkran-
kung bedingen.
*) Vergl. Artikel nAhnabeln^.
636 PFLEGE DES NEUGEBORENEN.
Die Prophylaxis ergibt sich aus der Erkenntnis der Ursache der
Infection : *) Selbstinfection, Infection durch Contact oder durch die Luft (epi-
demisches Auftreten.) Es müssen daher folgende Punkte besonders beachtet
Averden:
1. Sorge für regelmässige Vertrocknung und Hintanhalten der Fäulnis
des Nabelstrangrestes.
2. Die Hände der Person, welche den Nabel besorgt, müssen vorher mit
Bürste und Seife gründlich gereinigt und hierauf mit 3"/o Carholsäurelösung
oder 1 : 1000 Suhlimat abgespült werden.
3. Zuerst muss das Kind, dann erst die Mutter besorgt werden, ausser
ersteres wäre schon septisch erkrankt.
4. Das Kind muss von der Mutter getrennt werden und zwar nicht nur,
wenn letztere septisch erkrankt ist, da Kehrer experimentell nachgewiesen
hat, dass das normale Lochialsecret vom Muttermunde abwärts infectiöse Eigen-
schaften besitzt. Wenn möglich daher getrenntes Wartepersonale für Mutter
und Kind.
5. Sterilisirung des Verbandmateriales und Desinfection der Nabelschnur-
scheere.
Die Pflege der Haut erfordert Bäder und locale Waschungen. Die
Haut des Neugeborenen, welche in Folge des Reizes der kalten Luft und der
rauhen ungewohnten Berührung leicht geröthet erscheint, ist mit der käsigen
Schmiere, Vernix caseosa, bedeckt, welche aus abgestossenen Epidermiszellen,
Talgschüppchen und feinen Wollhärchen besteht. Am 4. — 5. Tage beginnt
eine leichte Desquamation, sowie der Ausfall der Lanugohärchen.
Die Temperatur des ersten Bades soll 35" C, oder 28° Pt. betragen und
immer mit einem verlässlichen Thermometer bestimmt werden. Strenge ist
dem Uebelstande entgegenzutreten, die Temperatur des Badewassers nur durch
das Gefühl zu bestimmen, da die Neugeborenen weder zu niedrige noch zu
hohe Temperaturen gut vertragen. Eine stärkere Abkühlung, insbesondere
bei schwächlichen Kindern, wenn dieselbe ausserdem noch etwas länger dauert,
ruft bei der relativ grösseren abgekühlten Fläche, sowie bei dem noch unvoll-
kommen functionirenden Wärmeregulirungsapparate der Neugeborenen leicht
Schnupfen mit seinen schweren Folgen, erschwertes Saugen, nachfolgende
Bronchitis hervor. Doch auch zu hohe Temperaturen der Bäder können
schwere Schädigungen der Gesundheit nach sich ziehen, wie die Trismus-
epidemie in Elbing lehrte und wenn auch nicht immer solch' schwere Erkran-
kungen die Folge sind, ruft doch der fortgesetzte Gebrauch solcher Bäder
Schlaffheit und Blässe hervor.
Bei dem Umstände, dass, wie Sommer nachgewiesen hat, schon bei einem
Bade von 35*^ im Mittel eine Temperaturabnahme von 0-57° C. erfolgt, ist es
selbstverständlich, dass das Bad so kurz als möglich sein soll, jedenfalls nicht
über 5 Minuten. Wenn es auch in dieser Zeit nicht möglich sein wird, das
Kind vollkommen rein zu bekommen, so muss doch der Gepflogenheit mancher
Geburtsfrauen so lange zu waschen bis schon bei dem ersten Bade dieses Ziel
erreicht wird, wegen zu starker Abkühlung entgegengetreten werden.
Zur leichteren Entfernung der käsigen Schmiere wird vor dem Bade die
Haut an denjenigen Stellen, wo dieselbe am stärksten angehäuft ist mit reinem
Gel, Vaselin oder ungesalzener Butter eingefettet und das Kind hierauf in
einer reinen Windel, auf dem Arme der Wärterin ruhend, in das Bad gebracht.
Während desselben sind noch local besondere Waschungen dort vorzunehmen
wo sich Unreinlichkeiten am leichtesten halten und durch Zersetzung Anlass
•zur Reizung der Haut geben können. Insbesondere Halsfalten, Achselhöhle,
Schenkel sowie Kniebeuge, Geschlechtstheile und After. Schwämme sollen
*) Vergl. Artikel „Nahelschnur — Nabelschnuranomalien'^.
PFLEGE DES NEUGEBORENEN. 637
hiezu nicht benützt werden, am besten eignet sich BiiUNs'sche Watte. Kopf,
Gesicht, Augen, Ohren sollen nicht mit dem Badewasser gereinigt werden,
sondern es soll zu diesem Behufe etwas kühleres, reines Wasser in einem
eigenen Gefässe bereit stehen. Nach dem Bade ist das Kind rasch in erwärmte
Tücher einzuschlagen, um grösserem Wärmeverluste vorzubeugen und gründlich
abzutrocknen, ohne aber viel die Haut zu reiben.
Besondere Beachtung verdient hiebei die Gegend der Brustdrüsen. Bei-
nahe bei allen Neugeborenen ohne Unterschied ob Knabe oder Mädchen
schwellen am dritten oder vierten Tage die Brustdrüsen etwas an und können
bis Haselnussgrösse und darüber erreichen, wenn durch wiederholte Ptcize die
Drüse zu stärkerer Secretion angeregt wird. Nach den Untersuchungen von
ScHLOSSBERGER, QuEVENUE, Haup Und Genser hat das Secret der Milchdrüse
der Neugeborenen am meisten Aehnlichkeit mit dem Colostrum vor der Geburt.
Es handelt sich demnach um ein wirkliches Secretionsproduct der Milchdrüse
und es kann analog der Brust einer stillenden Frau auch hier zur Einwan-
derung pathogener Keime durch die Milchgänge, zur Entwickelung einer Ma-
stitis kommen. Es ist daher ebenso wie jedes Ausdrücken der Milch jede
unzarte rohe Berührung dieser Gegend beim Abtrocknen nach dem Bade
zu vermeiden.
Die Stellen wo Haut und Haut sich berühren, werden hierauf zur besseren
Austrocknung mit Keismehl eingestreut. Letzteres kann eine ganz geringe
Menge von Salicylsäure beigemischt enthalten (0*50 : lOO'O).
Die Bäder werden im ersten Jahre täglich wiederholt und zwar am
Morgen, einige Zeit nachdem das Kind erwacht ist, doch ist zu berücksich-
tigen, dass manche Kinder selbst diese mit grösster Vorsicht verabreichten
Bäder nicht vertragen und ihr frisches, gesundes Aussehen verlieren; in solchen
Fällen muss man sich mit localen Waschungen begnügen. Als Zusätze zum
Badewasser, um die reizende Einwirkung mancher Wässer auf die Haut zu
mildern, kann Milch (2 Liter für das Bad) oder Kleie verwendet werden. Zur
Herstellung solcher Bäder wird V2 — 1% (2—4 Handvoll) Weizenkleie in
einem leinenen Säckchen mit Wasser gekocht und der Absud dem Badewasser
beigesetzt.
Der Pflege der Augen gilt die nächste Sorge. Die Hauptgefahr für
dieselben besteht in der Infection mit dem NEissER'schen Gonococcus während
oder nach der Geburt. Bei jenen Fällen, in welchen die Infection noch während
der Geburt erfolgt, wo also die Kinder inficirt zur Welt kommen wird meistens
die aufmerksamste Pflege die Entwicklung einer Blenorrhoe nicht aufhalten.
Mit Ausnahme dieser seltenen Fälle aber sind wir mit Hilfe des von Crede
im Jahre 1881 angegebenen Verfahrens, unmittelbar nach der Geburt eine 2°,o
Lapislösung einzuträufeln, in der Lage die Entstehung einer Ophthalmo-
blenorrhoe mit grosser Wahrscheinlichkeit zu verhüten.
Crede gibt für die Ausführung des Verfahrens folgende Regeln : „Nach-
dem die Kinder abgenabelt, gebadet und dabei die Augen mittelst eines reinen
Läppchens — nicht mit dem Badewasser — sondern mit anderem reinem
Wasser äusserlich gereinigt sind, namentlich von den Lidern aller anhaftende
Schleim beseitigt ist, wird vor dem Ankleiden auf dem Wickeltisch zur Aus-
führung des Einträufeins geschritten. Jedes Auge wird mittelst zweier Finger
ein wenig geöffnet, ein winziges an einem Glasstäbchen hängendes Tröpfchen
einer 2''/o Lösung von salpetersaurem Silber der Hornhaut bis zur Berührung
genähert und mitten auf sie einfallen gelassen. Jede weitere Berücksichtigung
der Augen unterbleibt. Namentlich darf in den nächsten 24 — 36 Stunden,
falls eine leichte Böthung und Schwellung der Lider mit Schleimabsonderung
folgen sollte, die Einträufelung nicht wiederholt werden. Das Glasstäbchen
soll 3 mm dick und an den Rändern rund und glatt abgeschmolzen sein."
638 PFLEGE DES NEUGEBORENEN.
Der Neugeborene ist nahezu 3 Wochen hindurch lichtscheu, erst in der
vierten Woche verträgt das Auge stärkeren Lichtreiz, was sich dadurch ver-
räth, dass bei stärkerer Beleuchtung die Augen offen gehalten werden. Es ist
daher zu empfehlen in der ersten Zeit das Zimmer halbdunkel zu halten.
Die Stellung des Bettes soll eine solche sein, dass das Kind von beiden Seiten
möglichst gleich viel Licht erhält.
Das Gewicht eines reifen Neugeborenen schwankt zwischen 3000 und
3500^, w^obei Mädchen im Allgemeinen niedrigere Werthe aufweisen als
Knaben. Genaue Wägungen haben ergeben, dass bei der weitaus grösseren
Zahl von Kindern in den ersten vier Lebenstagen ein Gewichtsverlust von
200 selbst bis zu SOO g, zu verzeichnen ist. Am 7. — 10. Tage niuss aber
unter normalen Verhältnissen das Anfangsgewicht wieder erreicht sein. Die
Ursache dieser Gewichtsabnahme ist einerseits in der Ausscheidung der Ex-
crete durch Niere, Darm, Lunge und Haut zu suchen, andererseits in der
unvollkommenen Aufnahme der Nahrung. Es wird eben mehr ausgegeben als
eingenommen. Dem entsprechend verlieren Kinder, welche sofort an die Brust
gelegt werden können, weniger als solche, welche längere Zeit ohne Nahrung
bleiben. Künstlich aufgezogene werden wegen der schwereren Assimilirbarkeit
der Nahrung, schwächliche, wegen der functionellen Untüchtigkeit ihrer Ver-
dauungsorgane grössere Gewichtsverluste erleiden. Regelmässiges Wiegen
alle 8 Tage gibt den sichersten Anhaltspunkt über die normale Entwicklung,
doch soll hiebei nicht die Controlirung der Grössenzunahme verabsäumt
werden. Ebenso wie ein regelmässiges Wiegen gehört auch ein regelmässiges
Messen der Körperlänge, des Schädel- und Brustumfanges zu den Forderungen
einer exacten Kinderpflege, doch genügt es diese Massbestimmungen in jedem
Vierteljahre vorzunehmen. Der Neugeborene hat eine durchschnittliche Länge
von 50 cm, einen Schädelumfang von 33 — 34 cm, der Brustumfang über
die Mamilla gemessen beträgt ungefähr 31 cm, derselbe soll im Verhältnisse
zur Kopfperipherie um nicht mehr als 2Y2 — o cm zurückstehen, eine grössere
Differenz ist nach Feöbelius und Liharzik als Zeichen der Schwäche zu
deuten. Dasselbe gilt, wenn der Brustumfang die halbe Körperlänge um
weniger als 9 cm überragt.
Pflege des Mundes. In den ersten Lebenstagen ist die Mundschleim-
haut bläulich roth und auffallend trocken. Das Fehlen des Speichels mit
seinen antizymotischen Eigenschaften und die von Epstein erwähnte Epithel-
abschilferung bedingen eine hochgradige Vulnerabilität derselben. Es wird
daher von vielen Autoren und zwar mit dem besten Erfolge gerathen, die
Mundhöhle eines kräftigen gesunden Säuglings überhaupt nicht auszuwaschen.
Anders liegen die Verhältnisse bei dem unreifen Kinde, w^elches in Folge
seiner Schlafsucht und der damit verbundenen längeren Ruhe im Munde viel
eher zur Entwickelung des Soorpilzes disponirt erscheint.
Die Reinigung der Mundhöhlenschleimhaut muss wiegen der leichten
Verletzlichkeit mit grösster Zartheit vorgenommen w^erden, da durch ein rohes
Vorgehen hiebei leicht eher geschadet als genützt werden kann, wir verdanken
es insbesondere Epstein auf die Gefahren unzarter Manipulationen aufmerk-
sam gemacht worden zu sein.
Zum Reinigen des Mundes kann durch Kochen sterilisirtes Wasser oder
l7o Boraxlösung genommen werden, desgleichen müssen die aus weicher
Leinwand gefertigten Mundläppchen durch Auskochen sterilisirt sein. Diese
werden um den Finger gelegt und durch zartes Auswischen die Milchreste
aus den Schleimhautfalten des Mundes entfernt. Zu hüten hat man sich hie-
bei einen stärkeren Druck an den rückwärtigen Seitentheilen des harten
Gaumens auszuüben, wo beim Oeffnen des Mundes durch den Zug des Liga-
mentum pterygomandibulare die Schleimhaut straff über den Knochen gespannt
wird und daher leicht Verletzungen des Epithels zu Stande kommen können
PFLEGE DES NEUGEBORENEN. 639
(BEDNAR'sclie Aphthen). Die Ileiniguiig' des Mundes soll jedesmal nach dem
Trinken vorgenommen werden, wenn das Kind beim Haugen nielit eingeschlafen
ist. Im letzteren Falle muss diese Manipulation nach dem PJrwachen durch-
geführt werden.
Von Wichtigkeit ist es ferner die Brustwarzen der Säugenden vor und
nach dem Trinken zu reinigen, bei Kindern, welche künstlich ernährt werden,
müssen die Gummisauger unmittelbar nach dem Trinken umgestülpt, gründ-
lichst gereinigt und bis zur nächsten Mahlzeit in Wasser auiliewahrt werden.
Schnuller, Lutschbeutel sind auf das Energischeste zu verbieten.
Kleidung. Die Kleidung hat den doppelten Zweck zu erfüllen, die A])gabe
der producirten Wärme zu verhindern und andererseits dem Köper Schutz vor
der umgebenden kalten Luft zu gewähren. Dieselbe soll vor Allem rein, trocken
und warm sein, und darf nicht mit Nadeln, sondern nur mit Bändchen
geschlossen werden. Sie soll nirgends drücken, besondere Rücksicht muss
auf den Nabel und die Brustdrüsen genommen werden. Athmung, Circulation
und Bewegung, sowie die gewohnte Haltung der Füsse in Beugestellung soll
nicht durch zu festes Anlegen der Kleidungsstücke behindert werden. Das
geeignetste Materiale ist weiche Leinwand und Flanell.
Zunächst wird der Bauch des Kindes mit der Nabelbinde umwickelt;
dieselbe hat hauptsächlich den Zweck den Nabelschnurrest in der richtigen
Lage zu halten und soll nur locker um den Leib gelegt werden. Hierauf
folgt ein aus weicher Leinwand gefertigtes Hemdchen, welches bis über den
Bauch hinabzureichen hat, dasselbe wird rückwärts mit Bändchen geschlossen.
Hals und Aermelweite müssen bequem sein, um nicht durch localen Druck
die Haut zu reizen. Ueber das Hemd wird ein Jäckchen aus Flanell oder
Wolle angezogen, welches gleichfalls hinten oöen und mit Bändchen zu schliessen
ist. Die Windeln, aus weicher Leinwand gefertigt, sollen gegen 90 cm
im Quadrat messen. Die erste wird dreieckig zusammengelegt, eine Ecke
zwischen den Schenkeln auf den Bauch hinaufgeschlagen, während die seit-
lichen von rechts und links über den Körper gelegt werden. Eine zweite
solche Windel mit einer ilanellenen dritten bilden dann die nächsten Hüllen,
welche am Körper ziemlich hoch hinaufreichend beim Halten des Kindes eine
gewisse Stütze geben, während der über die Füsse hinabreichende Theil nach
rückwärts hinaufgeschlagen ein guten Verschluss nach unten bildet. Darüber
wird nun als vierte Schichte ein wasserdichter Stoff gelegt, welcher aber nicht
den ganzen Körper einhüllen darf, um nicht die Luftcirculation vollständig
zu behindern. Es genügt vollständig, wenn derselbe über Rücken und Seiten-
flächen reicht und die Vorderfläche frei lässt. Damit wäre die Toilette des
Neugeborenen vollendet. Eine Wickelschnur ist überflüssig, der Kopf bleibt
unbedeckt, nur nach dem Bade und wenn das Kind bei kühlerer Temperatur
an die Luft getragen wird, ist ein weitmaschiges aus Zwirn gestricktes Häubchen
gestattet. Steckbetten, wie sie häufig im Gebrauche sind, können gestattet
werden, sind aber nicht unbedingt nothwendig.
Lager des Kindes. Der Neugeborene soll sein eigenes Bettchen
haben, da bei dem Aufenthalte des Kindes im Bette der Mutter die Gefahr
einer Infection der Nabelwunde droht und ausserdem das Kind im Schlafe
von der Mutter erdrückt werden kann. Am geeignetsten ist ein feststehendes
Korbbett. Die Auskleidung im Innern soll für die Luft gut durchlässig sein,
die Farbe' ist am besten blau. Jede Art von Wiegen ist mindestens über-
flüssig. Als Unterbett dient eine Rosshaarmatratze, über welche ein wasser-
dichter Stoff und ^veiter ein Leintuch gelegt wird. Ein kleiner Rosshaai-polster,
sowie in allererster Zeit ein Federkissen vervollständigen die Einrichtung.
Das Kind soll möglichst horizontal im Bette liegen, der Kopf nur wenig
erhöht. Ueber die Stellung des Bettes zum Lichte wurde schon bei der Pflege
der Augen gesprochen. Das dichte Verhängen des Bettes mit Vorhängen aus
640 PFLEGE DES NEUGEBORENEN.
Gaze, Moiisseline etc. ist wegen ungenügender Luftcirculation zu vermeiden.
WärmeÜasclien sollen nur zum Auswärmen des Bettes verwendet werden, nicht
aber in demselben liegen bleiben, da ein kräftiges, gesundes Kind, genügend
bekleidet, hinreichend Wärme producirt, um dieselben entbehren zu können.
Zur Kinderstube soll ein grosses, freundliches, vor Allem trockenes
Zimmer gewählt werden, welches dem Sonnenlichte zugänglich ist. Auf pein-
liche Reinlichkeit, der Luft ist durch Beförderung der Ventilation auf natür-
lichem, wie künstlichem Wege zu achten und Alles zu vermeiden, was die Luft
verschlechtern könnte, Waschen, Kochen, Trocknen von Windeln etc. darf
daher nicht gestattet werden. Der Boden soll eingelassen sein oder mit einem
wasserdichten Teppiche belegt werden, die Wände werden am besten mit einem
bläulichen Kalkanstriche versehen, keine Tapeten, kein Oelanstrich. Zweimal
täglich ist auch im Winter durch Oeffnen der Fenster für eine ausgiebige
Erneuerung der Luft zu sorgen. Zimmer im Souterrain, Dach- sowie Hof-
zimmer sind zur Kinderstube ungeeignet. Die Fenster müssen mit Jalousien
und Vorhängen versehen sein, um allzugrelles Licht abdämpfen zu können.
Die Beleuchtung soll mittelst Hängelampe geschehen. Gasbeleuchtung schädigt
durch zu starke Austrocknung der Luft, elektrisches Licht ist durch Schirme
abzuschwächen, Nachtlampen verschlechtern durch die Producte der unvoll-
kommenen Verbrennung die Luft, sind daher nicht zu erlauben. Zur Beheizung
sind Kachelöfen Allem anderen vorzuziehen. Die Temperatur ist auf 15° R.
oder 19° C. zu erhalten. Die hohen Temperaturen zur Sommerszeit müssen
durch fleissiges Lüften und Herablassen der Jalousien gemässigt werden.
Ln Zimmer des Kindes soll nur noch eine erwachsene Person schlafen.
Ernährung. Es würde wohl weit den Rahmen dieses Aufsatzes über-
schreiten, wenn auch nur skizzenhaft die Ernährungsfrage besprochen würde,
es sollen daher nur einige wenige ausschliesslich den Neugeborenen betreffende
Fragen berührt werden.*)
Zunächst, wann soll das Kind an die Brust gelegt werden. Es ist noch
nicht lange her und in manchen Ländern wird es heute noch geschehen, dass
der Neugeborene in den ersten 24 Stunden nach der Geburt zum Hunger ver-
urtheilt ist, in der Ueberzeugung, dass die erste Milch dem Kinde schädlich
sei. Zuckersäfte und Thee müssen über die ersten Lebensstunden hinweg-
helfen. Solche tief eingewurzelte Vorurtheile sind nirgends schwerer zu
bekämpfen als in der Kinderstube und wie häufig ist auch hier gerade das
Gegentheil von dem, was als Glaubensartikel angesehen wird, das Richtige.
Die colostrumhältige Milch dürfte mit ihrem hohen Gehalte an Salzen sich
geradezu als nützlich für den Neugeborenen erweisen, da ihre abführende
Wirkung sehr erwünscht erscheint zur Entfernung des Meconiums. Nach dem
Erwachen aus dem ersten Schlafe und wenn das Kind durch Geschrei sein
Nahrungsbedürfnis verräth, soll dasselbe befriedigt werden. Die Milch fliesst
zwar im Anfange sehr spärlich, doch wird es trotzdem zweckmässig sein, das
Kind an die Brust zu legen, da durch das Saugen der Zufluss des Blutes ein
reichlicher und damit die Milchsecretion befördert wird. Ein nicht zu unter-
schätzender Vortheil des frühen Anlegens liegt auch darin, dass die Erfahrung
gezeigt hat, dass Kinder, welchen bald nach der Geburt die Brust gereicht
wird, einen geringeren initialen Gewichtsverlust aufweisen und früher ihr An-
fangsgewicht erreichen, als solche, welche 24 oder 36 Stunden warten müssen.
Eine weitere Frage wäre die, was soll dem Kinde gereicht werden, wenn es nicht
an die Brust gelegt werden kann, wenn z. B. die Mutter aus irgend einem
Grunde nicht selbst ihr Kind zu stillen vermag und die Beschaffung einer
Amme sich verzögert. Das landesübliche Zuckerwasser oder Kamillenthee
ist zu widerrathen. In einem solchen Falle wird es wohl am besten sein
*) Vgl. auch „Ernährung ehr Säiigliiige" im Bd, ^Interne Medicin 1., pag. 601."
PFLEGE DES NEUGEBORENEN.
641
gute, gewissenhaft sterilisirte Kuhmilch zu geben und zwar Vi Milch ^4 Theile
Wasser mit 4*5^ Kandiszucker auf 100 <^. Mischungstiüssigkeit,
Die Angaben über die Menge der in den ersten Lebenstagen nothwen-
digen Milchnahrung schwanken in ganz beträchtlichen Verhältnissen, gleich-
massigere Resultate ergaben erst Wägungen von der zweiten Woche an.
Bouchaüd's Tubelle ergibt folgende Werthe:
in 24 Stunden
10 Mahlzeiten
9
Mahl-
zeiten
6—7 Mahlzeiten
1.
2.
3.
4.
1
2
3
4-9
Tag
Tag
Tag
Tag
Monat
Monat
Monat
Monat
Milch einer Mahlzeit
3
15
40
55
70
100
120
150
Milch in 24 Stunden
30
150
400
550
650
700
840
950
nach Deneke entfallen für eine Mahlzeit:
am 1. Tage 19,9' Milch, am 6. Tage 55 ^ Milch
9 9^ 7 fiO
)) -" 11 ^'^ 11 v 11 ' • » "^ ■) ;)
„ 4. „ 40 „ „ „ 9. „ 65
„ 0. „ Ol
8 — 9 Säugungen im Tage angenommen.
WerthvoUe Angaben über diesen Gegenstand verdanken wir Uffeljiann,
Cameeee, Krüger Snitkin, Ahlfeld etc. Der Versuch aus einer grossen
Reihe von Wägungen ein allgemein giltiges Gesetz abzuleiten muss als miss-
lungen bezeichnet werden. So fasste Snitkin das Resultat seiner Unter-
suchungen in folgendem Satz zusammen : Ein Säugling soll am 1. Tage bei
jeder Säugung Vioo seines Körpergewichtes bekommen, und jeden folgenden
Tag um 1 Gramm pro Mahlzeit mehr. Doch sind die daraus gewonnenen
Zahlen für die ersten 5 Tage zu hoch, für die folgenden zu niedrig. Wir
müssen daher, wie Fleischmann sagt, den empirischen Weg entschieden dem
der Abstraction vorziehen.
24 Stunden nach der Geburt erfolgt gewöhnlich die erste Entleerung
des Kindspeches. Dasselbe besteht aus den Darmsäften, hauptsächlich Galle,
abgestossenen Epithelien und Resten des verschluckten Fruchtwassers. Zwei
bis drei Tage zeigen die Fäces die vom Meconium herrührende dunkelgrüne
Farbe, um dann den gelben Milchstühlen Platz zu machen; nur bei ungenügen-
der Ernährung oder lebensschwachen Früchten kann man selbst bis zum
achten Tage grün gefärbte Stühle beobachten.
Der Urin wird häufig unmittelbar nach der Geburt oder nach dem ersten
Bade entleert, doch auch nicht selten erst nach 24 Stunden und selbst später,
so dass man, wenn die Blase nicht übermässig gefüllt erscheint, besser jeden
Eingriff in den ersten 36 Stunden unterlassen wird. Der Urin, welcher An-
fangs licht gelblich, später klar ist, reagirt leicht sauer, selten neutral und
enthält Anfangs geringe Mengen Eiweiss, Harnsäurekry stalle, sowie Epithelien
der gesammten Harnwege. Die Häufigkeit der Entleerungen steigt schon in
den ersten Tagen auf 5 — 6, dann auf 10 — 12.
Das unreife Kiiid : Die grösste Menge der unreifen Neugeborenen sind
Frühgeburten, die geringere Zahl ist zwar zum normalen Termine der
Schwangerschaft geboren, tragen aber als Zwillingskinder oder infolge foetaler
Erkrankungen oder endlich infolge elenden Ernälu^ungszustandes der Mutter
mehr oder weniger die Zeichen der mangelhaften Entwickelung an sich.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtsliilfe und Gynäkologie. 41
642 PFLEGE DES NEUGEBORENEN.
Solche Früchte documentiren die unvollständige Reife des Organismus
zunächst durch ihr vermindertes Gewicht und geringere Länge. Je weiter diese
sich von den normalen Zahlen entfernen, desto deutlicher werden die Zeichen
der Unfertigkeit zu Tage treten. Früchte, welche ein Gewicht von 2000 </
oder weniger aufweisen und deren Länge 40 cm oder darunter beträgt, werden
w^ohl immer die Merkmale der Debilitas vitae an sich tragen. Der Körper ist
klein, der Schädel mehr rund als bei dem reifen Kinde und sein Umfang tiberragt
um mehr als 3 cw die Brustperipherie, während letztere nur wenige cm grösser
ist als die halbe Körperlänge. Bei reifen, kräftigen Kindern beträgt die
Differenz zu Gunsten des Brustumfaages 9 — 10 cm. Die Fontanellen, sowie
die Nähte sind breiter, nicht selten die Stirnnaht noch deutlich fühlbar. Der
Nabel steht tiefer als bei dem reifen Kinde, ist daher dem Becken mehr
genähert. Das Abstossen des Nabelstrangrestes verzögert sich und erfolgt oft
erst gegen Ende der zweiten Woche und scliafft dadurch, dass er nicht in
normaler Weise vertrocknet, sondern mehr verfault; leichter die Möglichkeit
einer septischen Infection.
Die Kinder sind mager, die Haut bei höheren Graden der Lebensschwäche
glänzend roth und runzelig infolge des Mangels an subcutanem Fett. Körper,
sowie Gesicht sind von dichten Lanugohärchen bedeckt, welche sich länger
halten als bei dem reifen Kinde, desgleichen erfolgt der Desquaniationsprocess
langsamer. Die Nägel an den Fingern und Zehen sind sehr dünn, brüchig
und erreichen die Fingerspitzen nicht. Bei den Knaben enthält der Hodeu-
sack noch keine Hoden, bei den Mädchen sind die grossen Schamlippen noch
wenig entwickelt, sie werden daher von den Nymphen überragt. Die Augen
sind meistens geschlossen, die Haltung des Körpers entspricht der Stellung
im Mutterleibe, die Kinder liegen zusammengekauert mit angezogenen Füssen
und gebeugten Armen, ihre Bewegungen sind wenig energisch, zumeist bleiben
sie ganz ruhig und theilnahmslos. Ferner finden sich häufig ödematöse An-
schwellungen an den unteren Extremitäten. Entsprechend diesen äusseren, auch
dem Laienauge erkennbaren Zeichen unvollständiger Entwicklung, weisen auch
die den wichtigsten Lebensfunctionen dienenden Organe in ihrem anatomischen
Bau Veränderungen auf, welche die functionelle Leistungsfähigkeit derselben
in hohem Grade beeinträchtigen.
Wärmebildung, Athmung, Kreislauf und Ernährung, die zum Weiterleben
nothwendigsten Functionen erfahren bei dem lebensschwachen Kinde hoch-
gradige Störungen, auf welche bei der Pflege besondere Piücksicht genommen
werden muss. Infolge der relativ grösseren abgekühlten Fläche ist die Wärme-
abgabe beim lebensschwachen Kinde eine grössere als bei dem reifgeborenen,
dazu kommt noch, dass der schützende Fettpolster fehlt und dass die Quel-
len der Wärmebildung Respiration, Circulation, Ernährung und Bewegung
sehr darniederliegen, so dass mehr Wärme abgegeben als erzeugt wird und
ein langsames, aber stetiges Sinken der Temperatur den Tod herbeiführt.
Es muss daher bei der Pflege lebensschwacher Früchte in erster Linie
darauf Bedacht genommen werden, die Abgabe der Wärme an die kühlere
Umgebung so viel wie möglich zu beschränken, in zweiter Linie die Thätig-
keit der Lungen, des Herzens und der Verdauungsorgane zu heben.
Das Einfachste, aber lange nicht genügende Mittel die Kinder warm zu
halten, wäre dieselben ganz in Watte einzuhüllen und ihnen mit heissem Sand
oder Wasser gefüllte Behälter ins Bett zu legen, doch wird damit das gewünschte
Ziel nur höchst unvollkommen erreicht. Bessere Resultate geben die eigens
zu diesem Zwecke angegebenen Vorrichtungen. So beschreibt Miller, die im
Moskauer Findelhause in Verwendung stehenden Apparate: „Es sind zwei in
einander gestellte kupferne Wannen, zwischen deren Wände heisses Wasser
hineingegossen wird, das man zweistündlich erneuert. Das Kind nebst Bett-
zeug befindet sich in der oberen Wanne, die passend gebogenen Ränder dieser
PFLEGE DES NEUGEBORENEN.
643
inneren Wanne liegen ganz dicht an den Rändern der äusseren unteren Wanne
an. Die Länge dieser Wärmewannen beträgt 72 cm, die Breite am Kopfende
46 cm, in der Mitte 43 cm und am Fassende 38 cm, die Höhe 38 cm, die Tiefe
der inneren Wanne 32—34 cm. Am Fussende der äusseren Wanne, nicht weit
von dem Boden ist ein Hahn angebracht zum Ausgiessen des abgekühlten
Wassers. Oben am Rande dieser Wanne befindet sich ein Trichter mit einer
Oeffnung, durch die das heisse Wasser in einer Menge von 10—12 Litern
eingegossen wird; diese Oeffimng kann man durch einen Deckel fest hermetisch
schliessen. Dieses ganze Bettchen wird von oben mit dichtem Mousselin ver-
deckt, das von einem an den Seiten der äusseren Wanne angebrachten Draht-
bogen gehalten wird."
Auf demselben Principe, wie diese russischen Doppelwannen, beruht der
von Crede angegebene Wärmeapparat. Auch bei diesem ist es nothwendig, um
eine gleichmässige Temperatur zu erhalten, stündlich oder halbstündlich warmes
Wasser nachzugiessen, was die Bedienung eines solchen Apparates umständlich
macht. Prof. v. Winkel sucht das Ziel durch permanente Bäder zu erreichen
und sollen die damit erzielten Resultate sehr gut sein.
Der dritte Typus der Wärmevorrichtungen ist den Brutapparaten nach-
gebildet. Hieher gehört zunächst die von Tarnier angegebene Couveuse, deren
Modification von Dr. Auvard durch die Einfachheit, sowie durch die damit
erzielten günstigen
Resultate sich beson-
ders auszeichnet.
Dieser Apparat be-
steht aus einem Holz-
kasten Fig. I, des-
sen Lineres durch
eine Scheidewand in
einen oberen Bett-
und unteren Heiz-
raum geschieden ist.
Die Scheidewand,
welche als Lager-
stätte für das Kind
dient, reicht nicht
ganz an die eine
Schmalseite des Ka-
stens, so dass da-
durch eine w^eite
Communication bei-
der Abtheilungen
geschaffen ist. Die
innere Länge des
Kastens beträgt
63 cm, die innere
Breite 32cm, die
Höhe 47 cm. Die
Länge der horizon-
talen Zwischenw^and,
welche die Matratze
trägt, hat eine Länge
von 52 cm und steht
16 cm von dem Boden ab. Die Breite des Communicationsraumes beträgt dem-
nach 11 cm. Nach oben zu wird die Kiste durch einen ^'u der Länge ein-
nehmenden Glasdeckel (Fig. H a b) geschlossen, der mittelst zweier Knöpfe
41*
Fig. 1. Wärmeapparat nach AUVARD. Ansicht von Innen.
Fig. 2. "Wärmeapparat nach AUVAED. Ansicht von Aussen.
644 PFLEGE DES NEUGEBORENEN.
(c c) abgehoben werden kann. In dem nicht abnehmbaren Theile des Deckels
befindet sich eine Oefthung-, auf Avelche ein Glascylinder (Fig. II d) mit
einem Rädchen aufsitzt, dessen Rotation die Circulation der Luft anzeigt.
An derselben Seite der Couveuse befindet sich im Heizraume eine seitliche
Oetfnung (Fig. I und 11 e) von 10 cm Breite und 6 cm Höhe, welche mittelst
eines kleinen Holzschiebers theilweise verschliessbar ist, doch ist dieser kleiner
als die Oefluung, um das Zuströmen der Luft reguliren zu können, hiebei aber
einen vollständigen Verschluss unmöglich zu machen. In den Heizraum,
welcher durch einen Klappdeckel (Fig. I. und IL f) zu verschliessen ist, werden
im Durchschnitt dreieckige Thonflaschen (Fig I und II g) gelegt, welche mit
siedendem Wasser gefüllt werden. Es genügen auch vollständig runde, 72 Liter
Flüssigkeit fassende Thonllaschen, die überall erhältlich sind. Um die Cou-
veuse zur Aufnahme eines Kindes vorzubereiten, werden 3 von den 5 Flaschen
mit siedendem Wasser gefüllt und der ganze Apparat geschlossen. Die Luft
tritt durch die Oeftnung e (Fig. I) ein, streicht über die Flaschen, wird erwärmt
und steigt in die Höhe. Den Communicationsraum passirend, wo ein nasser
Schwamm (Fig. I. h) denselben die nöthige Feuchtigkeit mittheilt, zieht sie dann
über das Kind, um bei dem Thünnchen (Fig. I i) auszutreten. Ein Thermo-
meter am Fussende des Kindeslagers angebracht, zeigt die Lufttemperatur im
Bettraume an. Die erwünschte Höhe von 30 — 32*^ C. ist meist schon in der
ersten halben Stunde erreicht; um diese Wärme dauernd gleichmässig zu
erhalten, wird nach je 2 Stunden die 4. und 5. Wärmeflasche eingelegt und
weiterhin jede 2. Stunde eine Flasche neuerdings mit siedendem Wasser gefüllt.
Das Kind muss in der Couveuse angekleidet sein, das will sagen, es soll
nicht nackt in dieselbe gelegt werden. Hemdchen und Jäckchen anzuziehen
wird den Nachtheil haben, dass bei dem öfteren Wechseln dieser Kleidungs-
stücke viel Wärme verloren geht und die Kräfte des Kindes consummirt
werden. Am zweckmässigsten ist es die Kleinen in Watte einzuwickeln und
darüber eine Flanellhülle zu geben. Behufs Trockenlegen und Ernährung
müssen die Kinder stündlich, aber auf möglichst kurze Zeit aus der Couveuse
herausgenommen werden. Die Furcht, dass dadurch der ganze Effect des Wärme-
apparates zu Nichte wird, ist eine unbegründete, da Thierversuche von Edwards
gezeigt haben, dass die Wirkung einer entsprechenden Wärmezufuhr sich ver-
längert auch nach dem Aufhören der Ursache. Die Kinder vertragen daher
nach dem Verlassen der Couveuse die Abkühlung viel besser als wenn sie aus
einem gewöhnlichen Bette genommen werden.
Die Zeit während welcher ein Kind in der Couveuse gehalten werden
muss, ist durchschnittlich 3—4 Wochen. Die Kinder werden dann schon
selbst durch Geschrei das Unbehagen verrathen, wenn sie in den Wärme-
apparat gelegt werden. Der sicherste Maasstab bleibt aber die Körpertempe-
ratur. Hat dieselbe am Ende der ersten 14 Tage die Höhe von 37" C.
(Mastdarm) erreicht, dann wird die Couveuse überflüssig, hält sie sich constant
unter diesem Niveau, dann wird der Apparat noch nicht zu entbehren sein.
Ist die Temperatur nach den ersten 14 Tagen nicht über 35" C, dann ist
nach Miller die Aussicht auf Erhalten des Lebens eine sehr geringe.
Durch die Anwendung dieser Apparate gelingt es wohl eine grössere
Wärmeabgabe zu verhindern, es muss aber auch darauf Bedacht genommen
werden, dass hinreichend Wärme producirt wird. Es ist daher vor Allem die
Athmung zu vertiefen. Lebensschwache Kinder schlafen nahezu fortwährend,
wobei die Respiration eine ungemein oberflächliche und dabei unregelmässige
ist. Bliebe das Kind sich selbst überlassen, so würde die Athmung immer
seichter, immer grössere Partien der Lungen würden atelektatisch, so dass
dasselbe schliesslich infolge Sauerstoftmangels asphyktisch zu Grunde gehen
würde. Das Kind muss daher stündlich auf künstlichem Wege dazu gebracht
werden, tiefe Athemzüge zu machen. Oft genügt schon ein einfacher Lage-
PFLEGE DES NEUGEBORENEN. 645
Wechsel, um dieses Ziel zu erreichen, wenn nicht, dann kann man durch mehr-
maliges Ausstrecken der Arme und Andrücken an die Thorax wand oder durch
Hinaufdrücken der Oberschenkel nach dem Bauche tiefe Athemzüge auslösen.
Zu demselben Zwecke ist das Kind öfters zum Schreien zu bringen, nur darf
man nicht das krcäftige Geschrei eines reifen Kindes erwarten, die Stimme
solcher Früchte ist sehr schwach und nur ein leises Wimmern verräth das
Unbehagen. Auch durch Reiz des Niesens, sowie durch die Anwendung des
Inductionsapparates können tiefere Respirationen hervorgerufen werden.
Infolge der ungenügenden Respiration liegt auch die Leistungsfähigkeit
des Herzens darnieder, da infolge der wenig entfalteten Lungen der kleine
Kreislauf sich nur mangelhaft entwickeln kann, wodurch den einzelnen Thei-
len des Herzens ungleichmcässige Arbeit aufgelastet wird. Die Folge davon
ist das Oflenbleiben des Ductus Botalli, sowie der Communication der Vorhöfe,
da der Druck in diesen ein ungleicher ist. Die Kinder sehen daher mehr
oder weniger cyanotisch aus, die Leber ist geschwellt, Oedeme an der Peri-
pherie gehören zu den Folgen der darniederliegenden Functionen von Herz
und Lunge.
Excitantien in Form von Liquor ammonii anisati oder Cognac und Mas-
sage zur Beseitigung der Oedeme werden sich als nothwendig erweisen.
Von nicht geringerer Wichtigkeit als Erhalten der Wärme, Anregung von
Circulation und Respiration ist die Ernährung. Zwei Momente sind es haupt-
sächlich, die hier störend in den Weg treten. Erstens sind die Kinder mit
höheren Graden der Lebensschwäche nicht im Stande zu saugen oder es werden
selbst nicht einmal Schlingacte ausgelöst und zweitens ist infolge der Un-
fertigkeit des Organismus die Quantität und Qualität der Verdauungsflüssig-
keiten eine mangelhafte.
Von Vorneherein wird daher der Versuch ein lebensschwaches Kind
künstlich zu ernähren aufgegeben werden müssen und es kommt nur die Er-
nährung durch die eigene Mutter oder durch eine Amme in Frage. Die An-
forderungen, welche an eine solche zu stellen sind, wären folgende. Das Alter
des Kindes der Amme sollte nicht viel über 14 Tage, jedenfalls nicht über
4 Wochen sein, die Brust der Amme muss schon bei leichtem Fingerdrucke
die Milch ausfliessen lassen und die Warzen sollen leicht fassbar sein. In
den ersten Tagen werden lebensschwache Früchte weder ein Nahrungsbedürf-
nis äussern, noch lange saugen und wenn sie schon den Versuch machen,
ermüden sie sehr rasch und schlafen nach wenigen Zügen ein, so dass nur
kleine Mengen 8 — 10 g getrunken werden. Es ist daher nothwendig einer-
seits solche Kinder stündlich an die Brust zu legen, andererseits das Saugen
durch regelmässiges Zusammendrücken der Brüste zu erleichtern. Erreicht
die Lebensschwäche höhere Grade dann wird auch nicht einmal der Versuch
des Saugens gemacht und die Amme ist genöthigt dem Kinde die Milch in
den Mund zu spritzen oder besser die Milch wird auf einen vorher erwärmten
Löffel abgespritzt und bevor sie noch abkühlt, dem Kinde gegeben. In den
ersten Tagen genügen stündlich 2 — 3 Kaffeelöffel für eine Mahlzeit. Bei den
höchsten Graden von Lebensschwäche werden selbst Schlingacte nicht mehr
ausgelöst und die eingegossene Milch fliesst zum Munde wieder heraus. Für
solche Fälle empfiehlt sich das von Widerhofer angegebene Verfahren die
Milch durch die Nase einzugiessen ganz besonders. Bei etwas nach rück-
wärts gebeugtem Kopfe wird langsam ein Kaffeelöffel abgespritzter Milch nach
dem andern eingegossen. Niesen hindert gewöhnlich diese Procedur nicht,
da dasselbe bei Kindern mit solcher Schwäche infolge der geringen Reflex-
erregbarkeit nicht ausgelöst wird. Jedenfalls ist dieses Verfahren der Gavage
(Einführen der Nahrung mittelst weicher Schlundsonde) schon aus dem Grunde
vorzuziehen, weil diese Manipulation Laienhänden anvertraut werden kann,
während letztere nur von einem Arzte ausgeführt werden sollte. Ausserdem
646 PHLEGMASIA ALBA DOLENS.
ist noch in Eeclmung zu ziehen, dass die Kräfte des Kindes durch das öftere
Einführen der Sonde in den Magen in übermässiger Weise in Anspruch ge-
nommen werden. In beiden Fällen bei der Ernährung durch die Nase, sowie
mittelst Schlundrohr darf aber nie verabsäumt werden jedesmal zu versuchen
das Kind saugen zu lassen, gewöhnlich reichen 2 Wochen hin um das Kind
so weit zu kräftigen, dass es sich selbst seine Nahrung holen kann.
Bei der ungenügenden Menge und Beschaffenheit der Verdauungssäfte
wird es sich empfehlen durch Verabreichung geringer Dosen Pepsin (0"10
3mal täglich) die Verdauung zu unterstützen, desgleichen muss häutig die in-
folge der schwach entwichelten Darmmusculatur und geringer Peristaltik be-
stehende Stuhl Verstopfung durch Klysmen mit lauem Wasser behoben werden.
In der Zeit, so lange die Körpertemperatur nicht normal ist, sind Bäder
zu widerrathen, da bei denselben, insbesondere durch die nothwendige Mani-
pulation des Abtrocknens etc., Wärmeverluste unvermeidlich sind. Später
sind Bäder mit Zusätzen von Kleie oder Milch von entsprechendem Nutzen
und werden auch angenehm empfunden.
Die Gewichtsverhältnisse zeigen geringe Abweichungen von denen reifer
Kinder. Zunächst ist der initiale Gewichtsverlust ein grösserer und es bedarf
einer längeren Zeit, bis das Ursprungsgewicht wieder erreicht ist. Beginnt aber
die Gewichtszunahme, dann sind die Zunahmen grössere und betragen nicht
selten 30 — 50 g pro Tag, so dass solche Kinder ihr Anfangsgewicht meistens
vor dem 5., oft schon im 3. Monate verdoppelt haben. Trotz dieses Bestrebens
ein dem Alter entsprechendes Gewicht zu erreichen, werden solche Kinder
im späteren Alter doch immer zarte, für alle Schädlichkeiten leicht empfäng-
liche Individuen bleiben.
Es ist schwer zu sagen, wo die Grenze liegt, unter welcher selbst die
aufopferndste Pflege nicht mehr im Stande ist das Leben zu erhalten. Nach
Miller sind Fälle, wo Frühgeborene aus einer früheren Periode als der 29.
Woche erhalten blieben, äusserst selten, doch würde der Glaube, dass selbst
hochgradig lebensschwache Kinder, nicht nur kurze Zeit am Leben erhalten,
sondern zu gesunden, wenn auch zarten Menschen aufgezogen werden können-
mehr befestigt sein, dann würden viele Leben gerettet werden. Ist erst ein-
mal der Ausspruch „die Frucht ist lebensunfähig" gefallen, dann erlischt das
Interesse; solchen Kindern wird dann weniger Aufmerksamkeit gewidmet als
lebenskräftigen und sie machen schliesslich den über sie gefällten Urtheils-
spruch zur Wahrheit. foltanek.
Phlegmasia alba dolens, {die weisse schmerzhafte Schenkelschwellung)
Phlegmone cruralis mit oder ohne Thrombose. Der Name ist hergeleitet von
der blassen weissen Hautfarbe des straff geschwollenen Schenkels und der
Schmerzhaftigkeit. (cpXsYjjia bei Hippokrates Hitze, sodann weisser, zäher,
kalter fleischiger Saft, Schleim); Phlegmatia sive Phlegmasia alba nach Eisen-
mann, lactea nach Saüvages, Oedema lacteum, Oedema puerperarum nach
Callisen, Infarctus lactei extreniitatum, Ecchymoma lymphaticum, Ischias
sparganosi (Diosceorides), besser Spargasis nach Eisenmann (cfirotpyaEiv an-
schwellen) Scelalgia puerperarum nach v. Siebold, Bucnemia sparganotica
(Schmalz) auch Metastasis lactea cruralis u. s. w. sind sämmtlich in der
älteren Literatur gebräuchliche Bezeichnungen für die puerperalen Erkran-
kungen der Schenkel mit oder ohne Thrombose ihrer Venen, heute wird dafür
zumeist der Name Phlegmone der Schenkel im Wochenbette und Thrombose der
Schenkelvenen gebraucht.
Streng genommen werden auch heute noch von einander ätiologisch
verschiedene Processe, resp. Krankheitsformen unter diesem einheitlichen
Namen von vielen Autoren zusammengefasst, andere Autoren wollen eine
schärfere Trennung duixhführen, womöglich verschiedene Bezeichnungen
HLEGMASIA ALBA DOLENS. 647
wählen, so z. B. unterscheidet v. Winckel die Phlegmasia alba dolens mit
Venenthrombose von der Phlegmone cruralis ohne Venentlirombose, Spieoel-
BERG wieder gebraucht die Bezeichnung Phlegmasia alba dolens für die Venen-
thrombose der unteren Extremität, während doch derartige Phlegmasien durch-
aus ohne Venenthrombose, selbst ohne secundäre vorkommen. .Spieoelberg
will mit Recht die reine gutartige im Anschluss an das Puerperium ent-
stehende Thrombose, die in causaler Beziehung nichts mit infectiösen Vor-
gängen zu thun hat, von der septischen Form trennen. Kehker trennt die
Phlebitis und Phlebothrombosis cruralis von der Phlegmasie. Er will die
Frage offen lassen, ob nicht vielleicht die Phlegmasie einfach den höchsten
Grad der durch Cruralthrombose eingeleiteten Veränderungen darstellt, in
welchem Falle es nicht mehr gerechtfertigt wäre, die Phlegmasie als ein ge-
sondertes Krankheitsbild zu betrachten. Nach Unterbindung einer Schenkel-
vene, an Thieren aseptisch ausgeführt, erfolgt, wie Baumgarten nachwies, nur
einfaches Stauungsödem, aber keine Blutgerinnung, keine Thrombose in der
Vene, das hinterher durch einen Einschnitt nach aussen entleerte Blut gerinnt
an der Aussenluft wie jedes andere. Es kommt bei experimenteller Unter-
bindung der Vene beim Thiere nicht zu einer Phlegmasie. Entweder ist also
nach Kehrer die Phlegmasie keine gleichartige bestimmt abgegrenzte Krank-
heit und kann durch verschiedene Vorgänge — Verschluss der Blutadern oder
Lymphgetässe — hervorgerufen werden oder es muss noch eine andere Bedin-
gung erfüllt sein. Man hat die Phlegmasie davon abgeleitet, dass zur Throm-
bose mit ihrem Oedem noch eine Phlegmone hinzutrete, allein die weisse
Hautfarbe, die massige und nicht diffuse Schmerzhaftigkeit bei Druck, der
immerhin seltene Uebergang in Eiterung sollen dagegen sprechen. Man
könnte nach Kehrer daran denken, dass die Phlegmasie nur den höchsten
Grad von Stauungsödem darstelle, dass sie nur bei gleichzeitigem Verschluss
von Venen- und Lymphgefässstämmen, oder nur bei Thrombose von Becken-
und Cruralvenen oder bei gleichzeitigen trophischen und vasomotorischen
Nervenstörungen, vielleicht nur unter gewissen individuellen anatomischen
und. constitutionellen Bedingungen zur Entwicklung komme, jedenfalls sei
heute das Wesen der Phlegmasia alba noch nicht völlig klargelegt.
Eine einheitliche Autfassung der hierhergehörigen Kiankneitsprocesse
existirt bis jetzt nicht. Am einfachsten erscheint es, eine primäre sep-
tische Bindegewebsphlegmone des Schenkels, welche zu einer
secundären Venenthrombose führen kann, aber nicht muss, zu tren-
nen von einer Phlebitis und Phlebothrombosis, die zu einer
secundären Phlegmasie führen kann, aber nicht muss. Während nun
die Bindegewebsphlegmone stets septischen also infectiösen Ursprunges und
auf Heteroinfection beruht, — so kann die primäre Thrombose auch eine gut-
artige, nicht auf infectiöser Basis beruhende sein, auf welch' letztere Form,
wie schon erwähnt, besonders Spiegelberg aufmerksam giriiiacht hatte.
Die weisse Schenkelgeschwulst im Wochenbett ist ein nicht
gar so selten vorkommendes Leiden, als gemeinhin angenommen wird, in
Eussland relativ häufig nach meiner Erfahrung. Nach v. Winckel kommt
auf 635 Entbindungen eine Phlegmasie als Wochenbettscomplication, es
kommt jedoch die Erkrankung auch in der Schwangerschaft vor sowie auch
ganz unabhängig von Schwangerschaft und Geburt im klimakterischen Alter,
ja sogar bei Männern. White sah auf 8000 Entbindungen 4 Erki'ankungen
an Phlegmasie, Bland auf 1897 Geburten 5 Fälle, Hamilton rechnete 1 : 200
als häufigstes und 1 : 2000 als seltenstes Vorkommen, D'oütrepont sah im Salz-
burger Gebärhause binnen 11 Jahren 3 Fälle auf 518 Entbindungen, v. Siebold
5 in 26 Jahren, Olbels 4 — 5 in 40 Jahren, Treviranus sah nur einen Fall
in 30 Jahren, Velpeau sah im Ganzen in Paris 5 Fälle, Struve im Hol-
steinischen 12 Fälle binnen 9 Jahren, ich selbst sah binnen 10 Jahren 6 puerperale
648 PHLEGMASIA ALBA DOLENS.
Fälle, von denen einer tödtlich endete mit Vereiterung beider Kniegelenke;
desgleichen sah ich einen tödtlich verlaufenden Fall mit Gangrän des
Unterschenkels binnen drei Tagen bei Pyosalpinx einer nicht Schwangeren.
Die so verschiedenen Angaben bezüglich der Häufigkeit lassen es wahrschein-
lich erscheinen, dass von den verschiedenen Autoren nicht immer genau die-
selbe Krankheit gemeint war. Wenn von einem epidemischen Auttreten ge-
sprochen wui'de, so ist dies wohl so zu erklären, dass, wo überhaupt es zu
einer Endemie des" Puerperalfiebers kam, auch die Zahl der dabei auftretenden
Phlegmasien eine grössere gewesen sein mag. Die Zeitgenossen dürften eine
solche Endemie von Phlegmasien nicht mehr erleben!
Die anatomische Grundlage der Phlegmasie mit primärer Venenthrora-
bose wurde zuerst von Davis (1817) und Bouillaud (1823) klargelegt, dann
von Lee (1829) und Bouchut (1844) erhärtet. Maueiceau beschrieb jedoch
die Krankheit zuerst (1712) und erklärte sie für eine Metastase der Lochien.
Die Angaben Wiesemann's von 1676 lassen es fraglich erscheinen, ob es
sich in dem von ihm berichteten Falle um eine Phlegmasie handelte oder
um einen einfachen Oberschenkelabscess.
Die Besclireibungen der früheren Autoren sind ziemlich ungenau und
wird von ihnen die Krankheit meist als „Milchversetzung" angesehen. White
(1784) nahm eine Verstopfung, Zerreissung oder anomale Beschaifenheit der
Lymphgefässe als Ursache an, Hüll sah darin eine entzündliche Affection,
welche eine plötzliche und bedeutende Ausschwitzung von Serum und coagu-
abler Lymphe aus den exhalirenden Gefässen in das Zellgewebe der Extre-
mität hervorrufe. Davis bezog die Krankheit auf die Entzündung eines oder
mehrerer Stämme der Hauptvenen in der Nähe des Beckens, wodurch die Bil-
dung vom Pseudomembranen auf der inneren Oberfläche, allmälige Gerinnung
ihrer Contenta und zerstörende Eiterung ihres ganzen Gewebes bedingt werde.
Weil die Krankheit bei weitem am häufigsten im Anschluss an den Geburts-
act beobachtet wird, brachte man sie in einen bestimmten Zusammenhang
mit demselben, sie kann aber ebensogut bei Schwangeren, sowie ausserhalb
von Schwangerschaft und Geburt, ja auch in klimacterio und sogar bei Männern
vorkommen, sobald eine entsprechende Infection des Schenkelzellgewebes statt-
findet bei irgend welcher benachbarten Wunde am Bein selbst, an den Geni-
talien, Damm, Gesäss etc., wie schon oben erwähnt wurde.
Es scheint, dass die primäre Venenthrombose zu zwei ganz ver-
schiedenen Krankheitsbildern führt, jenachdem sie aufseptischerln-
fection beruht oder nicht, j e nachdem eine septische Infection
hinzugekommen ist oder nicht, während die Phlegmone des Beines, sei
sie primär oder secundär, stets septischen Ursprunges ist.
Die meisten Autoren handeln heute die Phlegmasie unter den infectiösen
Puerperalkrankheiten ab, nur Spiegelberg betont ausdrücklich das Vorkommen
einer primären Venenthrombose, die causal mit Sepsis nichts zu thun hat.
Chaepentier nennt die Phlegmasie den tardiven Ausdruck einer gemilderten
(„attenuee") secundären Septicämie. Nach Spiegelberg kommen ini Wochen-
bett häufig genug Venenthrombosen vor, die, so lange sie nur die Becken-
venen betreffen, wegen symptomlosen Verlaufes latent bleiben, leichter werden
solche thrombosirte Venenstämme am Schenkel entdeckt. Da der Wochen-
bettszustand, der Wundzustand des Uterus, die puerperale Blutbeschaffenheit
eine Blutgerinnung in den Becken- und Schenkelvenen ausserordentlich be-
günstigen, Venenthromben im puerperalen Uterus immer vorhanden sind,
deren centrale Fortsetzung und auch periphere Ausbreitung stets möglich ist,
so kommen einfache gutartige (nicht septische) Thrombosen im Anschluss an
die Thromben in der Placentarstelle oft genug vor, aber es treffen sich auch
dergleichen Thrombosen unabhängig von denen der Placentarstelle, weil durch
die häufige abnorme Erweiterung dieser Gefässe (im Becken und den unteren
PHLEGMASIA. ALBA DOLENS. 649
Extremitäten vorwiegend) und aucli durch die anatomischen Verhältnisse am
Ursprünge der Schenkelvenen eine Steigerung der Verlagsamung des rückläu-
figen Blutstromes gegeben ist. Da/u kommt noch nach SriiooKLUKRa die
lang dauernde Unthätigkeit der Schenkelmusculatur, Verminderung der Ilerz-
kraft bei ohnehin schon geschwächten Individuen. Diese Thrombose sei ein-
fach als Dilatationsthrombose aufzufassen, eine Art marantischer Thrombose;
eine Compression der Beckengefässe will Spiegelberü als Ursache nicht
anerkennen, weil diese Thrombose meist erst 1 — 2 Wochen post partum auf-
trete, wo der venöse Blutkreislauf nicht mehr durch den gefüllten Uterus
erschwert sei. Nach v. Winckel sind diese oft schon in der Schwangerschaft
entstehenden primären Venenthrombosen hingegen auf den Druck des aus-
gedehnten Uterus auf die Iliacalgefässe zurückzuführen als Stauungs- oder
Dilatationsthrombosen, deren Wachsthum also schon in der Schwangerschaft
oder einige Zeit nach der Geburt die betreffenden Gefässe vollständig ver-
stopfen kann.
Entgegen der Auffassung Spiegelberg' s führt Kehrer die Ergebnisse
der Studien von Brücke, Cohnheim u. A. an, dass Blutgerinnungen nur bei
anatomischen Veränderungen der Gefässwand und ihres Endothels entstehen.
Stromverlangsamung könne höchstens begünstigend wirken, da das Blut in
einer aseptisch unterbundenen Vene nicht gerinnt. Für die von einer Metro-
phlebitis, schreibt Kehrer, oder Pelvicellulitis ausgehenden absteigenden
Thromben der Cruralvene liege in den entzündlichen Veränderungen der
Gefässwände genügende Veranlassung zur Thrombosirung vor. Aber auch
von den Varices wissen wir, dass Endothelverluste und endophlebitische Pro-
cesse häufig Platz greifen. Während es dort nicht an intra- oder peri-
venös eingedrungenen Mikroorganismen fehlt, welche in gewissen Fällen eitrige
oder jauchige Schmelzung der Pfropfe herbeilühren, müssen wir für die eitrige
Saphena-Phlebitis annehmen, dass die Pilze durch Hautabschürfungen in die
Venenwand und -lichtung eingedrungen oder aus dem kreisenden Blut in
den Venenpfröpfen zurückgehalten worden sind.
Die Thrombose der Schenkelvenen kann sich auch im Anschluss
an die Thrombose der Vena hypogastrica entwickeln, sobald die Blutgerinnung
tiefer herab reicht, ebenso nach Blutgerinnung in der Vena spermatica interna,
sobald der in dieser befindliche Thrombus bis in die Vena Cava gewachsen
ist und diese verengt. Solche Thrombosen sind daher oft die Folge der
Tkrombosis placentaris und der Ihromhose des plexus pampiniformis. Ist die
Vena cruralis und iliaca verstopft, so wird die Ableitung des venösen Blutes
durch die Vena epigastrica oder circumflexa ileum und ileolumbalis oder durch
die Venen der Gluttaen besorgt. Die Stauungshyperämie wird in solchen
Fällen einige Zeit hindurch so erheblich, dass nicht blos das Blutplasma aus-
tritt und die ödematöse Schwellung des Beines verursacht, sondern auch, wie
dies CoHNHEiM durch Unterbindung der Vena femoralis bei Fröschen bewirkte,
die rothen Blutkörperchen durch die Stomata des Capillarepithels in das Pa-
renchym hinausgepresst werden, v. Wixckel theilt die interessanten Ergeb-
nisse einer mikroskopischen Untersuchung der Muskeln des befallenen Bei-
nes durch den verstorbenen Collegen Martini mit, welcher den Verlust der
Querstreifung mit Auftreten einer deutlichen Längsstreifung durch Zerspal-
tung in Fibrillen im Muskelgewebe nachwies.
Bei einer solchen thrombotischen Venenobliteration kann es zur völligen
Ptesorption des Thrombus kommen, zu einer Canalisirung eines Thrombus auf
dem Wege der Durchsetzung des Pfropfes durch neugebildete Gefässe, es kann
auch der Pfropf in einen soliden Bindegewebspfropf sich verwandeln oder aber
es kommt zum Zerfall des Thrombus, zur Zersetzung, Eiterung etc. mit all
deren secundären Gefahren. Das Schicksal des Thrombus hängt hier in erster
Linie davon ab, ob septische Agentien dazukommen oder nicht, es kann also
650 PHLEGMASIA ALBA DOLENS,
auf Grund dessen auch die primär gutartige Venenthrombose den schlimmsten
Verlauf nehmen, sobald es zum Zerfall des Thrombus und Embolien kommt,
geschweige denn bei Complication mit Sepsis und jauchigem Zerfall. Einer-
seits kann es bei ausgedehnter Verödung der Gefässe am Bein zu Stauungs-
erscheinungen schlimmsten Grades bis zur Gangrän kommen, andererseits zu
metastatischen Erkrankungen in Lunge, Herz, Leber, Nieren, Milz, Gehirn
und Extremitäten auf dem Wege der Embolie, zur Pyämie mit all deren Lo-
calisationen.
Eine strikte Grenze zwischen der gutartigen und bösartigen primären
Veneuthrombose lässt sich füglich nur dann ziehen, wenn man eine Complication
mit Sepsis als Kriterium zu Grunde legt. Freilich hängt auch bei der nicht
septischen Form viel von der Ausbreitung der Thrombose ab, der Grösse des
aus der Circulation ausgeschalteten Gebietes; die Hauptgefahr erwächst aber
stets aus der Complication mit Sepsis. Meist tritt die Erkrankung erst nach
Ablauf der ersten Woche des Wochenbettes auf, gewöhnlich zwischen dem
10. und 21. Tage post partum, viel seltener später. Varices disponiren. Der
linke Schenkel ist öfters befallen, weil er auch häufiger Varices aufweist. Le
fand auf hundert Fälle 60mal Entstehung in puerperio, 40mal ohne voraus-
gegangene Geburt, und zwar waren es meist Erst- und Zweitgebärende, welche
nach vorausgegangener protrahirter Geburt: erkrankten 33 mal am linken
Bein, 23 mal am rechten, selten an beiden Beinen. Das Ueberwiegen der Er-
krankung am linken Bein will v. Winckel gleich Velpeau mit der grösseren
Häufigkeit der ersten Schädellage in Beziehung bringen. Spiegelberg be-
zieht das Vorwiegen der linksseitigen Erkrankung auf die Lagerung der Vena
iliaca sinistra zur Arteria iliaca communis dextra resp. auf den Druck, welchen
erstere von der über sie hinweg nach rechts gehenden Iliacalarterie und
weiter unterhalb auch von der Arteria hypogastrica erleidet — man habe bei
Autopsieen an der Kreuzungsstelle öfter einen von der Arterie herrührenden
Eindruck im Venenthrombus beobachtet. Sind beide Schenkel, was selten vor-
kommt, befallen, so existirt meist ein Abhängigkeitsnexus. Die Thrombose hat
sich meist vom einem Stamm auf den anderen durch die Hohlvene hindurch
fortgesetzt oder es ist Thrombose im zweiten Schenkel erfolgt, weil er sein
Blut in die thrombosirte Cava nicht entleeren konnte. Fast stets tritt die Er-
krankung des zweiten Beines erst nach einem gewissen Zeitraum nach der
Erkrankung des ersten auf, niemals isochron. Meist handelt es sich um die
Vena cruralis und ihre Verzweigungen, besonders die Tibialis und Peronaealis,
die Saphena, aber auch die Profunda können theilnehmen.
V. WiNCKEL führt als Beispiele beiderseitiger Erkrankung einen eigenen
Fall an sowie die Beobachtungen von Boehr, Sankey, Davis, Puzos, Tre-
viRANUs, Struve, persönlich sah ich zwei solche Fälle, von denen einer mit
Vereiterung beider Kniegelenke tödtlich endigte. Als besonders interessant
führt v. WiNCKEL den Fall von Baart de la Faille an, wo die Erkrankung
von der linken Vena saphena m. ausging, die Thrombose durch die V. cruralis,
iliaca communis und Vena cava bis zum ersten Lendenwirbel hinaufreichte und
durch diese auch die Vena iliaca communis dextra verstopft war. Die Vena
azygos und hemiazygos waren stark erweitert, das rechte Bein erkrankte erst
12 Tage später als das linke. Wenn auch die Erkrankung genuin am an-
deren Bein entstehen kann, so doch meist wohl als Fortsetzung der Erkran-
kung des ersterkrankten Beines, wenn der Thrombus einer iliaca communis,
in die A^ena cava inferior hineinreichend die Mündung der anderen Vena iliaca
communis verengt oder ganz verschliesst. Es kann sich an die primäre Venen-
thrombose mit auf- und absteigender Verbreitung, welcher Art auch ihr Ur-
sprung sei, autochtone Entstehung oder Fortsetzung einer im Becken statt-
gehabten Blutgerinnung nach der Peripherie bei eitrigem Zerfall des Thrombus
eine Phlebitis mit nachfolgender phlegmonöser Erkrankung des Beines an-
PHLEGMASIA ALBA DOLENS. 651
schliessen. Diese primäre Thrombose kann also sicher zur Zellgewebsphleg-
mone des ganzen Beines führen, also zu einer Phlegmasia alba dolens im
wahren Sinne des Wortes, sie kann aber auch ohne die secundäre Thrombose
verlaufen. (Barker, Simpson). Im Allgemeinen ist diese Form der primären
Venenthrombose mit secundärer Phlegmasie des Beines die seltenere, die se-
cundäre Bindegewebserkrankung ist hier gleichbedeutend mit einer infectiösen
Complication.
Der Verlauf dieser Erkrankung ist dann derselbe wie bei einer primären
septischen Zellgewebsphlegmone des Beines mit oder ohne secundäre Venen-
thrombose, also ohne primäre Venenthrombose. Es handelt sich dabei um
eine primäre Erkrankung der Haut oder des subcutanen oder intermusculä-
ren Zellgewebes, eine ohne primäre Venenthrombose beginnende Schen-
kelphlegmone. Dieser Process ist entweder einfach eine Fortsetzung eines
gleichen entzündlichen Processes am Uterus und dem Beckenzellgewebe,
Parametritis, Pelveocellulitis oder die Bindegewebsentzündung ging von
irgend welchen Verletzungen an Vulva, Damm, Nates etc. aus. Spiegel-
berg fasst diesen Process als einen secundären, das Puerperalfieber beglei-
tenden Zustand auf. Diese Phlegmasie beruht also auf einer längs des Zell-
gewebes und der Lymphbahnen vom Infectionsorte aus auf den Schenkel fort-
schleichenden phlegmonösen Entzündung.
Sehr verschieden ist der Verlauf dieser Form je nach Betheiligung der
Lymphgefässe und Venen (secundäre Thrombose mit all ihren eventuellen
Folgen, Embolien, etc.) Die Beine schwellen an, die Haut erscheint dabei
blass, oder schwach geröthet, gespannt, verdickt, das subcutane Zellgewebe
ödematös infiltrirt. Es bilden sich ab und zu seruragefüllte Blasen auf der
Haut, welche platzen und nässen. Die Bindegewebserkrankung greift auf das
intermuskuläre Zellgewebe und die Gefässscheiden über; die Lymphdrüsen
schwellen an, es bilden sich hie und da Abscesse. Hier sind sowohl die
Venen als auch die Lymphdrüsen verdickt und hier kommt es ganz besonders
leicht zu secundärer Thrombose.
Es kommen jedoch, wie v. Winckel schreibt, auch Formen nach Lee
vor, wo nur die Adventitia einer beträchtlichen Entzündung unterliegt, welche
Entzündung jedoch nicht auf die Innenfläche der Vene übergreift. Die gebil-
deten Exsudatlagen gehen entweder rasch in Eiterung über, unterminiren alle
Muskelschichten, isoliren die Gefässe, perforiren die Haut, oder es entsteht
Nekrose oder Verjauchung der Haut, der Zellgewebsscheiden und Muskeln
mit nachfolgender Blutvergiftung und Tod, der oft erst nach wochenlanger
Pyämie die schwer geprüfte Kranke von ihrem Leiden erlöst. Es ist ver-
ständlich, wie leicht es hier bei secundärer Phlebitis und Thrombose zu ei-
trigem Zerfall des Thrombus und Embolie und Metastasen der schlimmsten
Art mit Entstehung metastatischer Heerde in edleren Organen kommen kann,
welche leicht zum Tode führen.
Die Erkrankung setzt gewöhnlich mit einem Schüttelfrost ein, Fieber und
allgemeinem Missbehagen, das erste charakteristische Symptom ist gewöhnlich
ein ziehender, spannender Schmerz im ganzen Gliede oder aber nur auf die
Wade, Kniekehle, Leistengegend beschränkt. Selten hat der Schmerz die In-
tensität neuralgischer Anfälle, wohl aber ist er meist anhaltend und steigt
bei jeder activen Bewegung, weniger bei passiven. Druckempfindlich ist meist
besonders die Wadengegend, sowie die innere, vordere Fläche des Unterschenkels
und Oberschenkels, besonders die dem Verlaufe der erkrankten Vene entspre-
chende Gegend. Bald folgt eine auf- oder absteigende Schwellung des ganzen
Gliedes meist eine absteigende, selten bleibt die Schwellung auf den Ober-
schenkel beschränkt. Anfangs ist die Schwellung mehr hart und gespannt, später
mehr teigig und ödematös, wenn bereits durch die Lymphgefässe ein Theil des
Traiissudates resorbirt ist. Die Haut ist oft matt, glänzend gefärbt, hie und
652 PHLEGMASIA ALBA DOLENS.
da sieht man inselförmige rotlie Flecke, einzelnen Netzen feiner Hautvenen
entsprechend. Man fühlt die obliterirten Venen als harte Stränge durch
mit knotigen Anschwellungen (erstarrte Varices) sobald sie oberflächlich
liegen, am leichtesten im ScAEPA'schen Dreieck, in der Kniekehle etc. Diese
Stränge sind meist druckschmerzhaft, oft die Haut längs ihres Verlaufes ge-
röthet. Das, geschwollene Glied fühlt sich im Beginne der Erkrankung heiss,
später kalt an, es wird im Knie flectirt gehalten, jede Bewegung selbst der
Zehen ängstlich vermieden. So lange es sich um eine einfache gutartige
Thrombose handelt, sind die Allgemeinerscheinungen geringe, anders verhält
sich die Sache bei septischer Complication, die zu den schwersten Erkran-
kungen gehört trotz aller heut geübten Antisepsis in der Behandlung. Nach
Kehrer sehen wir bei der absteigenden Thrombose und Phlebitis cruralis. nach
vorausgegangenen Erscheinungen von MetropJdebitis die Cruralvene zunächst
unter dem PouPART'schen Bande in einen dicken prallen schmerzhaften
Strang sich verwandeln. Diese Veränderungen schreiten von Tag zu Tag weiter
fusswärts in die Aeste und Zweige, die Vena poplitaea, selbst in die Vena ti-
bialis, sowie in die Saphenae. Das zuständige Oedem nebst Ausweitung der
collateralen Hautvenen und angrenzenden Capillaren, welche zu breiten blauen
Netzen oder rothen gewundenen Streifen oder Linien werden, bezeichnen die
Störung der Circulation, der erschwerten Resorption der Lymphe durch die
Venen und des gehemmten venösen Blutstromes.
Bei primärer Erkrankung der Saphena macht nach Kehrer
zuerst ein local beschränkter Schmerz die Kranke auf ihr Leiden aufmerk-
sam, der zunächst nur bei Bewegungen auftritt. Man findet irgendwo am
Knöchel, Unterschenkel, Knie eine röthliche, bläuliche, verdickte, schmerz-
hafte, mit dem Finger eindrückbare Schwellung und tastet darunter liegend
einen thrombosirten Venenknoten. In den nächsten Tagen breitet sich die
Thrombose nach oben und nach unten zu aus, jede Bewegung schmerzt jetzt
stark. Fieber meist gering, so lange es sich nur um Thrombose handelt,
sowie aber ein eitriger Zerfall hinzukommt, entsteht das Bild des pyämi-
schen Fiebers.
Entstand die Schenkelvenenthrombose in der Schwangerschaft, so fühlt
gewöhnlich die Schwangere einen drückenden Schmerz an der Stelle des
Thrombus, eine Erstarrung im Fusse, den Zehen, dem Fussrücken (nach
V. Winckel), Otters fiebert die Schwangere vom Beginne der Krankheit an.
Post partum entsteht selten die Thrombose ohne irgend welche Vorläufer, ein
Stadium prodromorum mit gastrischen Beschwerden, Druck in der Herzgrube,
grau belegter Zunge, Verstopfung, Aufstossen etc. Ab und zu beginnt die
Schenkelschwellung erst nach wiederholten Frostanfällen und nachdem eine
Thrombose der Beckenvenen schon längere Zeit bestanden hat. Meist beginnt
die Krankheit schleichend in der 2. Woche am 12.— 13. Tage, nachdem ein
gewisses Gefühl der Lahmheit des Beines vorausgegangen ist.
Dann beginnen die Schmerzen und die Schwellung des Beines. Bei zu-
nehmender Anschwellung und Spannung des Beines bilden sich Blasen auf der
Haut, diese platzen und die Epidermis stösst sich ab und eiternde Stellen
bleiben zurück, oder es röthen sich einzelne Stellen stärker und es erfolgt
mit Perforation derselben eine Eiterentleerung nach aussen. Treten wieder-
holte Frostanfälle auf, so ist dies meist ein ungünstiges Zeichen und spricht
für Zerfall des Thrombus und embolische Metastasen.
Nach V. WiNCKEL ist bei einer uncomplicirten Venenthrombose mit
Phlegmasia alba dolens das Fieber anfangs eine Febris continua remittens,
demnächst eine unregelmässige Remittens, welche intermittirend wird und
schliesslich langsam, lange noch ehe die Abschwellung des Beines geschwun-
den ist, völlig zur normalen Temperatur absinkt. Bei Metastasen jedoch wird
das Fieber coutinuirlich, zuweilen von starken Remissionen unterbrochen
PHLEGMASIA ALBA DOLENS. 653
Puls gewöhnlich so lange secundüre Erkrankungen anderer Organe fehlen,
92 — 116 Schläge nach v. Winckel, Respiration 20—80 pro Minute. iJiurese
abgenommen, hohes specifisches Gewicht des Harnes, viel Ilarnstoft', wenig
Kochsalz, Eiweisspuren, Verstopfung, — nur bei putridem Zerfall der Throm-
ben Durchfall. Die Temperatur fällt meist ab, sobald die Entzündung be-
grenzt ist und es zur Resorption kommt.
Der weitere Verlauf und Ausgang kann sehr verschieden sein, gün-
stiger ist die Prognose bei einfacher primärer Venenthrombose ohne septische
Infection. Im Allgemeinen endigt nach v. Winckel die Phlegmasie in 68-.57o
Fälle mit völliger Zertheilung und Resorption des Thrombus, in anderen
Fällen kommt es zur Abscedirung mit lang währender Eiterung, Pyämie und
doch schliesslicher Genesung, wie solche wenn auch in seltenen Fällen von
Struve, Kosack, Simmons, White, v. Siebold und v. Winckel beschrieben
wurden oder aber es nimmt die Krankheit durch Gangrän oder Extremität
einen tödtlichen Verlauf, wie ihn Davis, Boee, Burns, v. Winckel und ich
persönlich beobachtet haben (in meinem schon erwähnten Falle handelte es
sich um eine Venenthrombose mit nachfolgender Embolie bei Pyosalpinx mit
Phlegmasie und Gangrän des Beines). Im günstigsten Falle kann durch Auf-
saugung und Schwund des die Vene obliterirenden Pfropfes eine restitutio
ad integrum binnen drei bis sechs Wochen erreicht sein; wenn es zum tödt-
lichen Ausgang kommt, so erfolgt der Tod gewöhnlich zwischen dem 9. Tage
und der sechsten Woche nach v. Winckel, zuAveilen noch später, nur bei
Complicationen früher. Wie v. Winckel angibt, soll nach Mauriceau, Boer.
Casper und Gittermann in einzelnen Fällen ein höherer oder geringerer
Grad von Lähmung der ergriffenen Extremität nachgeblieben sein. Chevalier
und Fricke sahen ein jahrelang dauerndes Bestehen der Schenkelgeschwulst
zurückbleiben, eine Art Elephantiasis; v. Winckel sah zeitweiliges Anschwel-
len des vor Jahren erkrankten Beines. Bei der primären Phlegmasie ohne
primäre Venenthrombose kommt es gemäss der septischen Aetiologie entweder
zur tödtlichen Toxämie oder der Process bleibt mehr weniger localisirt;
unter Bildung begrenzter Gangrän, Eiterung, Abscessen, Ausstossung der
necrotischen Zellgewebsmassen kommt es allmälig zur Heilung; oft aber folgt
Tod an Gangrän, Septicämie, Pyämie, Erschöpfung, secundären Complicationen.
Man kann zufrieden sein, wenn die Kranke nach 3 — 4 — 6 monatlichem
Krankenlager mit Decubitus, Embolien der verschiedensten Art, Pneumonie
etc. schliesslich doch das Bett lebend verlässt. Es gibt wenige Krankheiten,
die zuweilen einen so schweren und langwierigen Verlauf nehmen, wäe
gerade die bösartige septische Phlegmasie.
Nach V. Winckel kommt die eigentliche Schenkelphlegmone
ohne primäre Venenthrombose ungleich seltener vor als die letztere.
Die Diagnose ergiebt sich aus den erwähnten Symptomen, — sehr schwie-
rig, zuweilen unmöglich ist die Entscheidung für den erst längere Zeit nach
Beginn des Leidens herbeigerufenen Arzt, ob er es mit einer reinen Schen-
kelphlegmone zu thun hat oder mit einer solchen auf Grund primärer Venen-
thrombose, ferner ob eine secundäre Veneuthrombose vorhanden ist oder nicht.
Gelingt es in der Wade, in der Kniekehle, im ScARPA'schen Dreieck unter
der Haut etc., verdickte Venenstränge durch Betastung nachzuweisen, so bleibt
es oft doch noch fraglich, ob diese Thrombosen primär oder secundär waren.
Eine eingehende Untersuchung des Beines namentlich aber des Beckeninhaltes
darf dabei nur mit grösster Vorsicht ausgeführt w^erden, da jede, auch die geringste
Bewegung der Kranken die heftigsten Schmerzen bereitet, zudem auch eine
Losreissung eines Blutgerinnsels und so indirect auch eine Embolie zur Folge
haben kann. Eine vorhandene Thrombose des plexus utero- vaginalis oder der
Vena hypogastrica jedesmal zu erkennen erscheint leichter ausgesprochen als
in praxi erhärtet. Unregelmässige starke Remissionen der Temperatur und
654 PHLEGMASIA ALBA DOLENS.
häufige intensive Fröste sollen nach v. Winckel zu Gunsten der Venen-
thrombose sprechen.
Die Vorhersage der gutartigen primären nicht mit Sepsis complicirten
Thrombose, auf welche Spiegelberg besonders die Aufmerksamkeit lenkte,
ist eine gute, indem es zu einem genügenden collateralen Blutstrome, zu einer
Resorption des Thrombus kommt, weit bedenklicher ist die Prognose bei pri-
märer Thrombose mit septischer Complication, am schlimmsten nach v. Winckel,
an dessen Schilderung ich mich zum grössten Theile wörtlich gehalten habe,
bei der primären Schenkelphlegmone besonders bei entkräfteten Individuen,
w^o oft der Tod sehr rasch erfolgt; im günstigsten Falle bleiben langwierige
Eiterungen, Kachexie, selbst Contracturen zurück.
Gegenüber der Thrombose des plexus uterovaginalis, die nach v. Winkel
33°/o tödtliche Ausgänge aufweist, ist die Sterblichkeit der Phlegmasia- alba
nach primärer Venenthrombose ungleich geringer und würde die Prognose für
die primäre in den Schenkelvenen selbst, sagen wir, peripher im Beine ent-
standene Venenthrombose nach v. Winckel vielleicht noch günstiger zu be-
zeichnen sein, wenn man im Stande wäre, diese P'älle zu unterscheiden von
der aus der Vena hypogastrica in den Schenkel hinabsteigenden Thrombose.
Nach V. Winckel ist es kaum zweifelhaft, dass die Gefahr purulenter oder
putrider Schmelzung mit der grösseren Entfernung der Thrombose von der
Uterusinnenfläche abnimmt. Je häufiger die Fröste, je stärker das Bein an-
schwillt, desto schlimmer die Prognose, günstiger bei ausbleibenden Frösten
und allmälig sinkender Temperatur, aber auch hier kann in jedem Augenblick
eine Verschlimmerung und tödtliche Embolie folgen. Bei der Phlegmasie,
die zu der Metrophlebitis hinzutritt, erfolgt der Tod oft binnen wenigen
Tagen, desto früher, je eher Metastasen sich einstellen, es kommen doch aber
auch nach metastatischen Erkrankungen anderer Organe Genesungen vor, ja
es ist vorgekommen, dass eine und dieselbe Frau in mehreren Wochenbetten
hintereinander an Phlegmasie erkrankte (Macneeven, Steuve, Carlander.)
Diagnostisch ist gegenüber anderweitigen Stauungsödemen durch Herzfehler,
Nephritis etc. noch darauf aufmerksam zu machen, dass dort beide Beine
geschwollen sind, hier aber nur eines, wenn aber ausnahmsweise beide, so
ungleichmässig; auch ist die Schwellung des anderen Beines erst viele Tage
nach der des ersten, also anisochron, aufgetreten. Dazu kommt als Unter-
scheidungsmerkmal die bei jenen Leiden rein ödematöse, weichere Schwellung,
die überall auf Fingerdruck eine Delle hinterlässt, während bei Phlegraasie
an den Stellen der härtesten Spannung kaum eine Delle hinterbleibt, sondern
nur in der Peripherie Dellen auftreten bei Fingerdruck. Jene Schwellungen
betreffen meist beide Beine, sind nicht schmerzhaft und fieberlos verlaufend,
diese das Gegentheil.
Nach Kehrer stirbt bei Ausschluss einer Pyämie, an der von der
Iliaca absteigenden Cruraliserkrankung ein Drittel der Kranken,
bei coagulirender Phlebitis stehe wenn auch nach längerem Kranksein Gene-
sung zu erwarten, die meisten Saphenaerkrankungen kommen zur Heilung,
nur ausnahmsweise führen sie zur Pyämie. In den einfachsten Fällen lasse
nach Kehrer Schwellung, . Steifigkeit Schmerz nach einer bis mehreren
Wochen nach. Wird das thrombosirte Gefäss wieder durchgängig, so erlangt
das Glied seine Brauchbarkeit bald wieder, wird der Thrombus con-
solidirt, so entwickelt sich ein Collateralkreislauf. Die Schenkelhaut-
venen erweitern sich und führen das Blut durch die Venen der Bauch-
decken, Hinterbacken, Lenden zu den V. epigastricae und lumbares.
Durch die Vena profunda femoris, überhaupt die tiefen Muskelvenen geht
ein anderer Theil des Blutes in die Beckeugefässe und durch die V.
sacrales, vertebrales, spinales, lumbales ascendentes in die Azygos und Hemi-
azygos, die lumbales musculares und intercostales, sowie durch Anastomosen
PHLEGMASIA ALBA DOLENS. 655
der haemorrhoidales selbst in Pfortaderäste kurz auf den verschiedensten
Wegen in das Gebiet der Vena cava superior. Die Kntwickclurig dieses colla-
teralen Kreislaufes erfordert jedoch wie Kehkku mit liecht beliauptet, lange
Zeit, oft viele Monate. Verdickung des Pauniculus, Steifigkeit, Ermüdung
nach längerem Stehen, Schwere, Kriebeln, Stechen, Schmerzen im Kreuz und
Gesäss, zumal beim Stehen, Knöchelödem bleiben oft lange zurück und ver-
schwinden zuweilen wegen ungenügender Ausbildung des collateralen Blut-
stromes niemals wieder. Die folgenden Menses sind häufig profus und mit
Steigerung der erwähnten Beschwerden verknüpft. Jeder Einfiuss, der eine
Blutstauung, einen Blutandrang zu den Beckenorganen oder dem Beine her-
vorruft, ruft aufs Neue Schmerzen und Steifigkeit hervor. An die Phlebitis
saphenae obliterans schliessen sich öfter an: Neigung zu (Jedem, neuralgische
oder jede Bewegung begleitende hartnäckig fortbestehende Schmerzen. Die
Ablösung von Cruralisthromben, fährt Kehrer in seiner Schilderung fort,
bedingt Lungenembolie sowohl im Anfang, wenn die Thrombose in die lliaca
sich verbreitet, wie später bei Zerfall der Pfropfe. Plötzliche Bewegungen,
zumal Beugung in der Hüfte, (de Brun sammelte nach Keiirer 47 Fälle von
Embolie dabei), Aufstehen, Stuhl- und Urinentleerung, Husten u. s. w. geben
die nächste Veranlassung, Bei Aufsteigen der Thrombose durch die V.
haemorrhoidales in die Vena portarum kann diese obliteriren und es kommt
zu blutigen Durchfällen. Gelegentlich hat man die Venen des Halses, eines
Armes, die Sinus des Schädels, im letzteren Falle unter Sprach- und Gesichts-
störungen, Pupillenerweiterung, Bindehautchemose im Verlauf der Phlegmasie
thrombosiren gesehen, zuweilen mit Ausgang in Genesung. Es ist wie
Kehrer sagt, noch fraglich, ob letztere Erscheinungen bedingt waren in einer
bis in die Vena cava superior aufsteigenden Thrombose oder aber in Ver-
schleppung von Coccen, welche eine metastatische Phlebitis erregten. Meta-
statische Erkrankungen können in jedem Organ des Körpers folgen, die bei
putridem Zerfall des Thrombus natürlich die schlechteste Prognose bieten.
Kehrer sah eine Frau pyämisch mit Chorioiditis zu Grunde gehen, bei der
sich längs der Saphena minor eine Reihe periphlebitischer die Haut unter-
minirender und siebförmig durchbrechender Abscesse gebildet hatte. Ver-
eiterungen der sämmtlichen Beckengelenke, der Kniegelenke (einen eigenen
Fall dieser Art habe ich bereits erwähnt) Fussgelenke und anderer sind be-
obachtet worden. Eine sehr häufige Complication, die ich jedoch in fast keinem
Lehrbuche besonders erwähnt fand, ist der Decubitus am Kreuz und Gesäss,
ich sah in einem Falle einer sehr schweren beiderseitigen Erkrankung eine
über 5 cm tiefe Wundhöhle am Kreuz entstehen, deren Boden die hintere
Wand des Kreuzbeines bildete. Welche unendlichen Qualen der Verband
eines hier localisirten Decubitus bei Phlegmasie der Beine der Kranken be-
reitet, das muss man gesehen haben, schildern lässt es sich nicht!
Kehrer fügt seiner Schilderung den LeichenbefundbeiPhlebitis
cruralis an, der hier wiedergegeben sei: Die erkrankten, in ihrer Wand ver-
dickten, innen rauhen Venen sind anfangs prall gefüllt mit einem schwarz-
rothen, später braunrothen, zuletzt schmutzig gelb entfärbten Pfropfe. Die um-
gebenden Gewebe sind von Oedemflüssigkelt durchtränkt, die Hautvenen er-
weitert. Später findet man bröcklig eitrige Massen oder reinen Eiter, oder den
Thrombus geschrumpft, die Vene durchgängig, oder endlich den Thrombus
consolidirt. Nach den sorgfältigen Untersuchungen von E. Thoma und dessen
Schülern (Arbeiten des pathologischen Institutes in Dorpat 1887) kommt hier
ein doppelter Modus vor. Entweder schrumpft der Blutpfropf, es lösen sich
die rothen Blutkörper, das Fibrin wird hyalin. Der entfärbte Pfropf zieht
sich stellenweise von der Gefässwand zurück, von der Berührungsfläche mit
letzterer wuchert Bindegewebe in den Thrombus und bildet das Endothel der
Intima eine Art Kapsel um letzteren. Das Endothel treibt dann weiterhin
G56 PHLEGMASIA ALBA DOLENS.
liolile, netzförmig zusammenfliessende Fortsätze in den allmälig abschmelzen-
den Thrombus hinein. So entsteht ein Capillarsystem, zusammenhängend mit
den Gelassen der Adventitia, andererseits mit den nicht thrombosirten Ab-
schnitten der Vene. Jedenfalls ist dieser Modus für die Circulation der gün-
stigste. Andere Male bleibt der Thrombus fast überall mit der Intima in
Berührung, nur stellenweise findet man endothelial ausgekleidete Zwischen-
räume. Nun wuchert die Intima mit zahlreichen Sternzellen und die Gefässe
der Adventitia init Ausläufern in den sich allmälig verkleinernden Pfropf
hinein und es entwickelt sich schliesslich ein Capillarnetz in dem „sich con-
solidirenden Thrombus". Von dem ursprünglichen Venenlumen bleiben dann
nur kleine Lücken übrig, ein stark vascularisirter Strang hat im Uebrigen
die Lichtung ausgefüllt. Dieser Ausgang ist naturgemäss für den venösen
Rückfluss weniger günstig und erklärt die in der Folge leicht und häufig
auftretenden peripheren Stauungen.
Was nun endlich die Behandlung anbetrifit, so culminirt dieselbe so-
weit die Entstehung der Krankheit auf Grund einer Heteroinfection, einer In-
fection der Puerpera von aussen her zurückführbar ist, in der entsprechen-
den Prophylaxis im Verkehr mit der Schwangeren und Gebärenden.
Die nicht infectiösen Formen haben im Allgemeinen eine gute Prognose,
die Hauptsache in der Therapie ist eine Ruhiglagerung des erkrankten Beines,
kühlende Umschläge, Analgetica und salinische Abführmittel, ebenso Narcotica.
SpiEGELBERa legt für die nicht abscedirende Erkrankung den Hauptwerth auf
die absolute Ruhigstellung in der bequemsten Stellung des Beines in sanfter
Erhebung der Ferse gegen den Rumpf. Bestreichung mit narkotischen Salben,
spirituöse Waschungen, Watte-, resp. Flanelleinwickelung (lockere), dabei diä-
tetische und tonisirende Behandlung mit besonderer Berücksichtigung der
Regulirung des Stuhles durch Abführmittel. Er verwirft die früher gebrauchte
locale Antiphlogose sowie cutane Hautreize (Jodtinctur etc.); sobald Neigung
zur Abscedirung eintritt, werden warme Umschläge gemacht, Kataplasmen
und dann Eröffnung etwaiger Abscesse nach rein chirurgischen Principien.
Sowie die Schwellung teigig wird, genügen warme Einwickelungen und spiri-
tuöse Einreibungen nebst Ruhe zur Beförderung der Resorption. Kehree
will bei Cruralisphlebitiden der von Vielen heute verlassenen Inunctions-
behandlung mit grauer Quecksilbersalbe das Wort reden, die auch für Spiegel-
berg noch werthvoll war, und behauptet, diese öfters bis zur eintretenden
Salivation wiederholten Mercurialcuren beschleunigen die Resorption. Küh-
lende Umschläge jeder Art, Begiessung der lockeren Flanellbindeneinwicke-
lungen ist vielfach empfohlen, Bleiwasser mit Opiumzusatz wird oft gerühmt.
Andere greifen zu allerhand fettigen narkotischen Einreibungen; die Franzosen
zu Ammoniakeinreibungen bis zur Dermatitis mit Erythem und Phlyctänen-
bildung. Bei Schwund des Fiebers und Consolidation, resp. wiederhergestellter
Viabilität der obliterirten Vene treten lauwarme Bäder und feuchtwarme Ein-
wickelungen des Beines in ihre Rechte. Behufs der Narcotica werden nach
Kehrer locale subcutane Injectionen in das erkrankte Gebiet gefürchtet, die
leicht zu Nekrosen an der Einstichstelle führen sollen. Von der antifebrilen
Behandlung mit Chinin, Salol etc. ist nicht viel zu erwarten, mehr leistet die
Alkoholhehandlung gepaart mit Abführmitteln und Analgeticis. Sehr wichtig
ist es, diejenige Lagerung für das erkrankte Bein zu finden, welche der Kranken
am erträglichsten erscheint; Flexion des Kniegelenkes etc. ist nicht zu em-
pfehlen, die Fusspitze soll nicht nach aussen rotirt liegen, daher entsprechend
die Unterschenkel durch seitlich gelagerte Kissen zu stützen sind. Sobald
das acute Stadium der Krankheit und die Gefahr einer Embolie längst vor-
über sind, darf die Kranke ihr Bett verlassen, Bäder, Massage mit fettigen
Einreibungen, Gummistrumpf u. s. w. werden alsdann die Behandlung ergän-
zen. Latour's Collodiumpinselungen im acuten Stadium haben keinen förder-
PLACENTA-ANOMALIEN UND ERKRANKUNGEN. 657
liehen Einfluss bewiesen nach v. Winckel; irj^end welche energische Einrei-
bungen im acuten Stadium sind aus Rücksicht auf die Gefahr einer dadurch
erleichterten Lossreissung eines Blutgerinnsels mit dai-auf folgender Embolie
entschieden zu unterlassen; welche Gefahr darin liegt, illustrirt u. a. die von
Spiegelbeeg erwähnte von Trousseau (Clinique de THötel Dieu; Gazette
des Hopitaux 1860 S. 577) beschriebene Beobachtung "').
Franz Neugebauer.
Placenta-Anomalien und -Erkrankungen. Eine Reihe der häufig
wiederkehrenden Placentar-Anomalien sind klinisch insoferne bedeutungslos,
als sie gewissermaassen nur Nebenbefunde darstellen, welche der Entwicklung
des Fötus keinerlei Einbusse thaten. Hieher gehören Formanomalien wie die
Placenta succenturiata, besondere Dünnheit oder Dicke der Placenta, und
Bildungsanomalien, wie Cystenbildungen, Kalkeinlagerungen in derselben, bis
zu einem gewissen Grade auch der sogenannte „weisse Infarct."
Eine eigenthümliche Bildungsanomalie der Placenta ist die „mehrfache
Placenta." "Während normaliter beim Menschen nur eine, discoidale Placenta
auswächst, findet man nicht selten zwei gleich grosse, wohlgetrennte Mutter-
kuchen oder häufiger neben einer Hauptplacenta eine oder mehrere kleinere
Nebenplacenten.
Die Entstehungsart dieser Formanomalie ist umstritten. Küstner glaubt,
dass durch frühzeitigen Schwund von Placentargewebe Septa zwischen in Er-
nährung bleibenden Inseln entstehen; andere deuten diese Nebenplacenten als
abnorm lebenszähe Theile des in der Decidua reflexa inserirten Chorion. Ver-
wächst die Decidua reflexa mit der Decidua vera, so erhalten diese Chorion-
inseln von der üteruswand aus neue Nahrung und persistiren als kleine Pla-
centen. Da bei den Affen der alten Welt mehrfache Placentarbildung zur
Norm gehört, sahen Autoren in dem Vorkommen der Placenta succenturiata
beim Menschen Erinnerungsbilder an frühere Entwicklungsperioden.
Abnorme Dicke und Grösse der Placenta ist, sofern nur deren Ge-
webe normal gebildet und functionsfähig ist, ohne Bedeutung. Ln Allgemeinen
steht die Grösse der Placenta im Verhältnis zu der Grösse der Frucht. Ist
eine Placenta sehr dünn, so ist sie in der Regel compensatorisch in die
Fläche gewachsen, wie dies am auffallendsten bei abdominaler Gravidität,
Insertion der Placenta auf dem Peritoneum zur Beobachtung kommt.
Sclerös oder membranös nennt man Placentargewebe, welches sich
durch Derbheit und Trockenheit auszeichnet. Küstner wählt für diesen
Zustand den treffenden Ausdruck „Ateledase der Placenta.^'' Er fand, dass
es sich um normale Bildungen, aber um völlige Leerheit der intervillösen Räume
handelt. Die Entleerung derselben ist Folge einer bei der Geburt erfolgten
Compression.
Die Cysten sitzen ausschliesslich sub amniotisch, wurden in verschie-
dener Grösse beobachtet. Die Entstehung derselben ist noch nicht auf-
geklärt.
Die so ausserordentlich häufig vorkommenden Kalkeinlagerungen
findet man auf der uterinen Fläche der Placenta; in ausgesprochenen Graden
hat dann diese Oberfläche ein weisslich-graues, körniges Aussehen, bei leichtem
*) Bei der Schilderung der Phlebothrombosis des Beines und der Phlegmasia alba
sensu strictiori habe ich mich hauptsächlich an die ausgezeichnete Bearbeitung dieser Frage
durch Herrn v. Winckel in dessen Lehrbuche der Geburtshilfe (Leipzig 1889, S. 826—835)
und die Bearbeitung der Phlegmasie durch Herrn Kehrer (in P. Müller's Handbuch der
Geburtshilfe 3. Band. Stuttgart. J889, S. 399 — -i06) gehalten, deren Schilderung ich zum
grossen Theile wörtlich wiedergegeben habe. Gleichzeitig sind die neueren Bearbeitungen
durch andere Autoren berücksichtigt worden, soweit der für dieses vorliegende Werk dis-
ponible Eaum für einen Einzelaufsatz es gestattete.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 42
658 PLACENTA-ANOMALIEN UND -ERKRANKUNGEN-
Darüberstreichen fühlt man die sandige Beschaffenheit. Die Einlagerungen
bestehen aus kohlensaurem und phosphorsaurem Kalk. Derselbe ist sowohl
in die Zotten, wie auch in das mütterliche Gewebe der Placenta eingestreut.
Da an den Stellen, wo reichliche Verkalkung auftritt, eine Ernährungsstörung
des Gewebes sich nachweisen lässt, ist nicht von der Hand zu weisen, dass bei
ausgedehnter Verkalkung die Entwicklung des Fötus nothleidet. Die Ver-
kalkung ist aber wohl stets ein secundärer, nicht ein primärer Vorgang, sie
ist dann als ein Zeichen des vorher eingetretenen Gewebstodes aufzufassen.
Die Anatomie und Aetiologie des weissen Infarctes ist früher
sowohl, als namentlich in letzter Zeit Gegenstand eingehender Studien gewe-
sen. Während man lange Zeit das Gewebe des Infarctes als Fibrin auffasste,
entweder entstanden durch Blutung in die Placenta oder durch entzündliche
Exsudation, ist namentlich durch die gründlichen Untersuchungen von Steffeck
das Wesen des Infarctes als „deciduale Wucherung" festgestellt, eine An-
schauung, die zuerst von R. Maiee vertreten wurde. Damit fällt auch die
bekannteste von Ackermann aufgestellte Hypothese, dass der Infarct als Coa-
gulationsnecrose in Folge einer Periarteritis aufzufassen sei. Auch nach
Steffeck's Darlegungen behält der Infarct pathologische Werthigkeit insoferne,
als die das Wesen des Infarctes bildenden decidualen Wucherungen in sicli
den Keim des Gewebstodes tragen, welchem auch die vom Infarct umschlosse-
nen Placentarzotten anheimfallen.
Bei sehr ausgebreiteter Infarctbildung kann es somit zu einem dem
Fötus nachtheiligen Degenerationsprocess der Placenta kommen, der zu man-
gelhafter Entwicklung, selbst zum vorzeitigen Tode desselben führen kann.
In den meisten Fällen jedoch erreicht die Infarctbildung in der Placenta
keinen der Entwicklung des Fötus nachtheiligen Grad.
Auf gleicher oder ähnlicher Basis entsteht auch die sogenannte Placenta
marginata, bei welcher ein mehr oder weniger breiter Rand vom Placentar-
gewebe rings um den Ansatz der Eihäute vorragt. In diesen Fällen ist die
Placenta unter der Abgangsstelle der Decidua reflexa in die Decidua vera hin-
ausgewuchert. Sehr häufig ist gerade dieser marginale Rand der Placenta
dann der Sitz ausgedehnter Infarctbildung, welche darauf hinweist, dass die
Decidua besonderen Antheil an dieser abnormen Bildung nimmt.
Entzündungen in der Placenta mit dem Ausgang in Eiterung
sind bis jetzt noch nicht einwandsfrei nachgewiesen. Eiterähnliche Flüssigkeit
findet sich nicht selten; so sah Verfasser einmal bei einem Kaiserschnitt, wie
sich bei der Lösung der Placenta aus der Mitte derselben eine grössere
Menge einer weisslich-gelblichen Flüssigkeit entleerte. Dieselbe wurde auf-
gefangen und durch das Mikroscop als aus Fettkügelchen bestehend erkannt.
Nur wenn bei protrahirten Geburten frühzeitig eine pyogene Infection
in den Eihäuten platzgreift, ist hier eine Eiterbildung beobachtet worden. (Fall
von DONAT.)
Eine pathologische Anomalie des Sitzes der Placenta ist die Insertion
derselben an oder über dem inneren Muttermund Placenta praevia. Dieselbe
ist an anderer Stelle dieses Werkes eingehend berücksichtigt. ■^')
Unter Oedem der Placenta versteht man eine ungewöhnliche seröse
Durchfeuchtung der Placenta, so dass aus derselben reichlich blutig-wässerige
Flüssigkeit austritt. Die Ursache ist wohl in einer im fötalen oder mütter-
lichen Kreislaufe gelegenen Stauung zu suchen.
Apoplex ieen finden sich retroplacentär oder intraplacentär. Die retro-
placentaren Blutergüsse führen zur partiellen oder gänzlichen Ablösung der
Placenta; erfolgen sie noch zu der Zeit des intrauterinen Daseins des Fötus,
so geht derselbe bei dieser vorzeitigen Lösung der normalsitzenden Placenta
*) Siehe dieses Stichwort.
PLACENTA-ANOMALIEN UND -ERKRANKUNGEN. 659
an Erstickung zu Grunde. Ursache für die Bildung rctroplacen tarer Hämatome
sind Traumen oder Geiasserkrankung, wie solche bei Nephritis bekannt wurde.
Intraplacentare Apoplexieen sind sehr selten; es können sowohl im maternen
wie im fötalen Gewebe bei Gefässerkrankung Rupturen entstehen.
Von Neubildungen in der Placenta sind einige wenige Fälle von
Fibrombildung und ein Fall von Sarkom bekannt. Ilieher zu rechnen ist aber
auch die nicht selten vorkommende Erkrankung der Chorionzotten, die unter
dem Namen Myxom oder Traubenmole eine der wichtigsten Bildungs-
krankheiten des Eies repräsentirt. Nach Virchow, dem wir grundlegende,
anatomische Untersuchungen über diese Erkrankung verdanken, ist einMy-
xoma chorii im engeren Sinne, die eigentliche Blasen- oder Trau-
benmole von ein Myxoma chorii fibrosum zu unterscheiden. Das
Myxoma chorii fibrosum ist sehr selten, besteht in einer bindegewebigen
Umbildung eines oder einzelner Cotyledomen der Placenta. Da der übrige
Theil der Placenta functionsfähig bleibt, leidet der Fötus keinen Schaden.
Bei der Traubenmole dagegen handelt es sich um eine frühzeitig ein-
tretende, meist das ganze Chorion betreffende Entartung der einzelnen
Zotten, so dass eine heterologe Neubildung entsteht, mit welcher die Ent-
wicklung einer Frucht unvereinbar ist. Nur in Ausnahmefällen findet man
kleine, faultodte, dürftig entwickelte Föten und zwar nur dann, wenn nicht
das ganze Chorion, sondern nur ein Theil desselben blasig degenerirt ist.
Das Aussehen der Traubenmole ist ein unverkennbar charakteri-
stisches. Es besteht dieselbe aus einer oft Ungeheuern Masse von beerenförmigen
an dünnen Stielen hängenden Cystchen der verschiedensten Grösse, von einer
Eihöhle ist gewöhnlich überhaupt nichts mehr zu sehen. Der Wucherungsgrad
dieser Blasen ist ein enormer, da nicht etwa blos die normaliter vorhandenen
Chorionzotten die abnorme Gestalt der cystischen Degeneration annehmen,
sondern ein wahre Neubildung in dieser Mole vorliegt und zwar eine Neu-
bildung von rapider und beinahe unbegrenzter Wachsthumstendenz. Gewöhn-
lich sitzen die der Decidua anhaftenden Zottencysten in derselben ähnlich
wie mit derselben die normalen Zotten verbunden sind. In glücklicherweise
seltenen, besonders bösartigen Fällen aber dringen diese Zottencysten auch
in die Uteruswand tiefer ein, dieselbe bis zum Peritoneum unterwühlend und
bis auf Papierdünne zerstörend. Es liegt die dadurch bedingte Gefahr auf
der Hand, dass spontan oder bei therapeutischem Vorgehen artificiell die
letzten vielleicht nur mehr mikroskopischen Schichten der Uteruswand an-
gerissen werden, wodurch die Peritonealhöhle mit der Gefahr der intraperitonealen
Blutung oder Sepsis eröffnet ist. Diese geradezu bösartige Blasenmole hat
von R. Volkmann, der sie zuerst beschrieb, den treffenden Namen erhalten:
„Mola Jiydatitosa destruens interstitialis}'-
Die Aetiologie und Pathogenese der Blasenmole ist noch dunkel.
Die Aehnlichkeit der Neubildung mit manchen durch Blasenwürmer entstan-
denen Geschwülsten, z. B. Echinococcus mit zahlreichen Tochtercysten, erregte
einst den Gedanken, dass auch hier Entozoen ihr Unwesen treiben. Diese
Hypothese hat nur mehr geschichtliche Bedeutung. Ob die Ursache der Ent-
stehung einer Blasenmole im Ei liegt, also dass das Ei diese Wachsthumsten-
denz bereits vom Follikel her mitbringt, oder ob erst bei der Entwicklung
des Eies, etwa von einer kranken Decidua her der Anstoss zu dieser Neu-
bildung ausgeht, ist nicht entschieden. Der Sitz der Erkrankung ist im
Chorion, ob das Exo- oder Endochorion mehr Antheil hat, ist ebenfalls um-
stritten.
Die Symptome der Blasenmole sind nicht pathognomonisch, so dass
die Diagnose und daraus die rationelle Therapie oft zum schweren Nach-
theil der Patientin über Gebühr verzögert wird.
600 PLACENTA-ANOMALIEN UND -ERKEANKUNGEN.
Frühzeitig in der Schwangerschaft einsetzender blutig-wässeriger Aus-
fluss mit intercurrenten, oft profusen Blutungen sind die Folgen des succesiv
eintretenden Ablösens einzelner Blasen aus ihrer Haftstelle, Erscheinungen
wie sie bei chronischem Verlauf eines aus irgend einer Ursache eingeleiteten
Abortes auftreten. Bestimmend für die Diagnose „Blasenmole" ist dabei,
wenn der Uterus beträchtlich grösser ist, als der angenommenen Schwanger-
schaftszeit entspricht, so dass etwa im 3. Monat der Fundus uteri in Nabel-
höhe steht. Das grössere Volumen jeder einzelnen Zotte, sowie die reich-
liche Neubildung solcher pathologischen Zotten verursacht dieses überrasche
und übergrosse Wachsthum. Gesichert ist die Diagnose, wenn der Abgang
einzelner Bläschen beobachtet ist.
Die Prognose bei Blasenmole ist, sofern die Hilfe nicht zu spät ge-
rufen wird, günstig, abgesehen von der destruirenden Blasenmole, welche durch
die Zerstörung der Uteruswand und der Gefahr der Eröffnung der Peritoneal-
höhle eine schlechte Prognose gibt. Auch bei der einfachen Form der Trauben-
mole trübt die grosse Neigung zu Blutungen, zur Zersetzung der etwa noch
in utero verbliebenen Blasen die Vorhersage, wenn nicht durch eine ratio-
nelle Therapie rechtzeitig diesen Gefahren vorgebeugt werden kann.
Das Ziel der Therapie muss sein, ohne Schaden für die Mutter die
Neubildung in toto zu eliminiren.
Ist die Diagnose etwa durch Abgang einiger Blasen gesichert, so ist
selbstverständlich jeder Versuch, die Schwangerschaft zu erhalten, sinnlos.
In zweifelhaften Fällen, wo nur blutiger Ausfluss vielleicht in Verbindung
mit einer auffallenden Grösse des Uterus den Verdacht auf Blasenmole erweckt,
ist zunächst ein Abwarten mit genauer Beobachtung angebracht. Im Falle
stärkere Blutungen bei noch geschlossenem Muttermund auftreten, muss die
Scheide tamponirt werden. Wenn man auch niemals vorschnell an die Ein-
leitung eines Abortus gehen soll, so ist doch andererseits vor zu langem
Warten dringend zu warnen.
Besteht seit längerer Zeit schon blutiger Ausfluss oder gar Blutabgang,
so ist das Ei auf alle Fälle krank; was es auch sein mag, ein gutes Ende
der Schwangerschaft wird nicht erreicht werden, durch eine über Gebühr
lange Verzögung der Unterbrechung wird die Gesundheit der Mutter geschädigt.
Muss die Eröffnung des Haiscanales und die Wehenthätigkeit bei Blasen-
mole erst erregt werden, so empfiehlt sich das Einlegen eines in Salicylalkohol
oder Jodoformäther desinficirten Laminariastiftes mit Jodoformgazetamponade
der Scheide. Vor den Presschwämmen ist wegen der unvermeidlichen In-
fectionsgefahr zu warnen. Ist die spontane Lösung und Ausstossung der
Blasenmasse im Gange, so kann dieselbe unter genauer Controle der Tem-
peratur abgewartet werden. Tritt Fieber ein oder stellen sich abundante,
durch Tamponade nicht zu stillende Blutungen ein, so muss die Einlasse manu-
ell in Narcose ausgeräumt werden.
Wie bei jeder Abortausräumung ist auch hier das Hinzukommen von
Infectionskeimen sorgfältig zu vermeiden. Die Kreissende muss an den äusse-
ren und inneren Genitalien mit einer 1% Lysollösung desinficirt werden,
die Hände des Operateurs müssen zuverlässig keimfrei sein. Die Ablösung
der noch an und in der Uteruswand festhaftenden Blasen muss vorsichtig
geschehen, damit nicht Durchbohrungen stattfinden. Strenge verpönt ist
das Arbeiten mit Instrumenten im Blinden ohne Controle des Fingers, inson-
derheit die Anwendung der Kornzange und der Curette.
Ist die Masse vollständig entfernt, muss nochmals die Uterushöhle mit
Lysollösung ausgespült werden. Blutet es weiter, so kommt die intrauterine
Tamponade mit einer wenig Jodoform enthaltenden Gaze in Anwendung. Die
Rückbildung des Uterus wird zweckmässig durch längeren Gebrauch von Er-
gotin befördert.
PLACENTA PRAEVIA. 661
Im Falle bei destruirender Blasenmole die Uteruswand durchbrochen
ist, kann nur Laporotomie und Nath oder Entfernung des Uterus die Frau vor
dem Tod an Verblutung oder Sepsis erretten. döderlein.
Placenta praevia. Unter Placenta praevia versteht man die Insertion
der Placenta auf oder dicht neben dem inneren Muttermund. Ohne rationelle
Behandlung stellt diese Anomalie einen der gefährlichsten Zustände für das
schwangere Weib und ihr Kind dar. Da die Placenta den unteren Eipol
bildet, und dieser bei auftretender Wehenthätigkeit abgelöst wird, so kommt
es bei Beginn der Geburt zu Ablösung der unteren Partien der Placenta.
Mit jeder Wehe wird ein weiteres Stück der Placenta abgelöst, und somit
stellt sich eine immer stärkere Blutung aus der früheren Ilaftstelle des ab-
gelösten Lappens ein, da die zur Blutstillung nöthige Contraction und Kectrac-
tion der Placentarinsertion erst nach Geburt des Kindes eintritt. Frauen mit
Placenta praevia sind also der Gefahr des Verblutungstodes ausgesetzt.
Man unterscheidet eine Placenta praevia totalis^ lateralis und marginalis.
Bei der ersten Form ist der innere Muttermund ganz, bei der zweiten nur
theilweise von Placentargewebe bedeckt, bei der dritten reicht die Placenta
bis an den inneren Muttermund heran. Gebraucht man diese Bezeichnungen,
so ist es zur Verständigung unerlässlich, auch gleich die Grösse des Mutter-
mundes hinzuzusetzen. Liegt nämlich, wie das gewöhnlich der Fall ist, nur
ein kleiner Zipfel der Placenta über dem inneren Muttermund, so haben wir
bei wenig geöffnetem Muttermund eine Placenta praevia totalis, die sich bei
fortschreitender Eröffnung in eine Placenta praevia lateralis und schliesslich
marginalis umwandelt, weil mit der Erweiterung des Muttermundes immer
grössere Abschnitte des unteren Eipols in den Muttermund eintreten, und die
Placenta nur einen Theil des unteren Eipols bildet. Eine Ausnahme bildet
nur die Placenta praevia centralis, deren Centrum direct über dem inneren
Muttermund liegt und somit auch die unterste Spitze des Eies bildet. In
diesem Falle ist auch der völlig erweiterte Muttermund ganz von Placentar-
gewebe überlagert. Bei je grösserem Muttermund wir also eine Placenta
praevia totalis finden, umsomehr sind wir zu der Annahme berechtigt, dass
diese Placenta praevia totalis zugleich eine centralis ist. Die Placenta prae-
via centralis ist natürlich prognostisch am ungünstigsten.
Die Ursache für die Placenta praevia ist in einer Endometritis zu
suchen, welche zu einer tieferen Eiinsertion *) führen kann — wie und wa-
rum, wissen wir nicht, Frauen mit Placenta praevia haben ganz gew^öhnlich
an Fluor und abnorm starker Menstruation gelitten. Man findet ferner bei
ihnen abnorm feste Adhärenz der Placenta und der Eihäute, sowie die Margo-
bildung an der Placenta — Abnormitäten, die sämmtlich auf Endometritis
beruhen. Da Mehrgebärende häufiger an Endometritis leiden, so trifft man
Placenta praevia auch 3mal häufiger bei Mehr- als bei Erstgel3ärenden. Was
die Häufigkeit überhaupt anlangt, so kommt auf ca. 1500 Geburten ein Fall
von Placenta praevia (v. Winckel).
Die Symptome der Placenta praevia bestehen in Blutungen. Dieselben
treten sehr häufig schon in den letzten Monaten der Schwangerschaft ein und
führen in der Hälfte aller Fälle von Placenta praevia zur Frühgeburt. Diese
Schwangerschaftsblutungen beruhen auf der Entwicklung des unteren Uterin-
segmentes in den letzten Monaten der Schwangerschaft. Hierbei findet eine
derartige Dehnung der Haftstelle der Placenta statt, dass die Placenta abge-
löst wird. Durch eine abnorm feste Verbindung der Placenta mit der Uterus-
*) Die Theorie von Kaltenbach-Hofmeier, wonach die Placenta sich auf der Reflexa
weiter nach abwärts entwickelt und erst secundär zur Placenta praevia wird, ist von Ahl-
feld widerlegt worden.
662 PLACENTA PRAEVIA.
wand kann die Entfaltung des unteren Uterinsegmentes ganz verhindert wer-
den (Bayer), und dann bleibt jede Blutung bis zu dem rechtzeitigen Eintritt
der Geburt aus, was natürlich vortheilhafter für die Kreissende ist, als wenn
sie, durch wiederholte Seh wangerschaitsblutungen geschwächt, zur Geburt kommt.
Die Schwangerschaftsblutungen können nämlich eine bedeutende Intensität er-
reichen: die Frau wacht manchmal im Schlaf auf und findet sich im Blute
schwimmend — ja es kann ohne eine einzige Wehe der Verblutungstod eintreten!
Tritt eine Ablösung der Placenta erst durch die Geburt ein, so beginnt
die Blutung mit der ersten Wehe und wird immer stärker, da ja jede fol-
gende Wehe die Placenta weiter ablöst und dadurch die blutende Fläche der
Uteruswand vergrössert. So kann vor Geburt des Kindes der Verblutungstod
eintreten. Indessen ist eine spontane Blutstillung während der Geburt bei
Placenta praevia lateralis und marginalis dadurch möglich, dass nach dem
Blasensprung eine weitere Ablösung der Placenta aufhört, und die Blutung
aus den schon eröffneten Uterusgefässen stellt, weil der tiefer tretende Kindes-
theil den abgelösten Placentarlappen fest gegen seine frühere Haftstelle an-
drückt. Bei der Placenta praevia centralis ist die spontane Blutstillung wäh-
rend der Geburt viel seltener. Im günstigsten Falle tritt sie ein, wenn die
Placenta völlig von der Uteruswand abgelöst, und die Kreissende dem Ver-
blutungstode nahe ist. In diesen Fällen kann die Placenta vor dem Kind
geboren werden {Prolapsus placentae), und der tiefer tretende Kindestheil
tamponirt die Placentarstelle.
Selbstverständlich ist auch das Kind bei Placenta praevia sehr bedroht.
Durch das Sinken des mütterlichen Blutdrucks erleidet der placentare Gas-
wechsel Störungen (Runge), und das Kind geht häufig an Asphyxie zu Grunde,
ehe die Mutter bedrohliche Erscheinungen von Anämie aufweist. Ist ein
Drittel der Placenta abgelöst, so stirbt das Kind, weil seine Respirationsfläche
zu klein ist, um seinen Sauerstoftbedarf zu decken. Die restirende Respi-
rationsfläche kann noch weiter dadurch beschränkt werden, dass der vorlie-
gende Theil ausser dem abgelösten Placentarlappen auch die noch adhärente
Partie der Placenta derartig comprimirt, dass die Circulation des Blutes in
grösseren Bezirken beschränkt wird (Selbstmord des Fötus). Nur ausnahms-
weise verblutet sich der Fötus direct, indem die Placenta bei der durch die
Wehen bewirkten Ablösung einreisst oder bei der Untersuchung, resp. der
combinirten Wendung eingerissen wird.
Die Diagnose der Placenta praevia ist leicht. Bei Blutungen in den
letzten Monaten der Schwangerschaft und im Beginn der Geburt muss man
immer an Placenta praevia denken. Sicheren Aufschluss gibt die in solchem
Falle stets vorzunehmende innere Untersuchung, falls es gelingt den Finger
bis zum inneren Muttermund in die Höhe zu führen. Man fühlt alsdann über
diesem rauhes Placentargewebe, statt der glatten, elastischen Eiblase oder (bei
Placenta praevia lateralis) beide. Ist der Muttermund geschlossen, so kann
man Placenta praevia vermuthen, wenn die Portio sich ganz auffallend weich
anfühlt, und der vorliegende Theil hoch steht und nur wie durch ein dickes
Polster vom Scheidengewölbe aus durchzufühlen ist.
Mehrfach wurde übrigens Verf. zu Fällen von diagnosticirter Placenta
praevia hinzugezogen, wo thatsächlich ein Portiocarcinom vorhanden war.
Einmal constatirte Verf. einen Hemicephalus, wo die blutenden schwammigen
Hirnreste für Placenta praevia angesprochen worden waren. (Ueber die übrigen
Ursachen für Schwangerschaftsblutungen siehe den Artikel: y^Blutungen in der
Geburtshilfe".)
Die Prognose der Placenta praevia sowohl für die Mutter als auch
für das Kind richtet sich nach dem zeitlichen Eingreifen und der Art der
Kunsthilfe. So verlor Verf. unter cca. 50 Fällen von Placenta praevia nur eine
Mutter (also 2^0 Mortalität), die pulslos in seine Behandlung kam. Die
PLACENTA PRAEVIA. 663
Hebamme hatte nach dem Blasensprung bei geschlossenem Muttermund tam-
ponirt, und die Kreissende sich buchstäblich in ihren Uterus hinein verblutet.
Der Uterus war prall mit Blut gefüllt, so dass die combinirte Wendung
wegen der Spannung nicht möglich war. Ich perforirte dalier rasch und
extrahirte mit dem Kranioklasten. Die Placcnta wurde schnellstens heraus-
befördert, die Tamponade des Uterovaginalcanals ausgeführt und eine sub-
cutane Kochsalzinfusion gemacht. Die Frau verlor nach der Entbindung
keinen Tropfen Blutes mehr, ging aber trotzdem cca. % Stunde später an den
Folgen des erlittenen Blutverlustes zu Grunde.
Therapie. Bei Blutungen in der Schwangerschaft, welche man bei
geschlossenem Muttermund nur muthmaasslich auf Placenta praevia bezichen
kann, verordnet man absolute Bettruhe und DovEE'sche Pulver. Dauert die
Blutung trotzdem fort oder wird sie stärker, so ist die Scheidentamponade
indicirt. Freilich kommt es unter dem Einfluss der letzteren oft zur Früh-
geburt, was indessen für die Schwangere des Beste ist, weil sie dadurch
weiteren Schwangerschaftsblutungen entgeht. Finden wir den Muttermund
für einen Finger durchgängig, so kann man die Blutung stillen:
1. Durch die Blasensprengung.
Die weitere Ablösung der Placenta hört dann auf, die Blutung aus der
Anheftungsstelle des bereits gelösten Lappens wird ebenfalls gestillt, wenn
der vorliegende Theil tiefer tritt und damit den gelösten Lappen zunächst
gegen seine Anheftungsstelle und diese gegen den Beckenrand compri-
mirt. Hierzu sind aber Wehen nothwendig, die häufig fehlen. Und selbst,
wenn Wehen vorhanden sind, so setzt die Placenta praevia totalis ein mecha-
nisches Hindernis für das Tiefertreten des vorliegenden Theils. Somit ist
diese Therapie nur bei Placenta praevia marginalis, bei welcher die Placenta
gerade den Muttermundsrand erreicht, empfehlenswerth.
2. Durch die feste Scheidentamponade (selbstverständlich ist dieselbe
wegen der Gefahr der inneren Blutung*) nicht mehr nach dem Blasensprung
anzuwenden).
Die Gefahren der septischen Infection durch die Tamponade, die früher
sehr gross waren, fallen durch eine antiseptische Ausführung derselben
fort, auch die Blutstillung lässt sich durch dieselbe erreichen, indem das
untere Uterinsegment gegen den Eisack und damit auch gegen den schon
abgelösten Lappen der Placenta fest angedrückt wird — allein bei dem Wechsel
der Tamponade kann die Kreissende viel Blut verlieren, und der Wechsel
muss von Zeit zu Zeit geschehen, um nachzusehen, ob der Muttermund für
die Entbindung weit genug geworden. Die Tamponade värd aus äusseren
Gründen den Geburtshelfer leicht dazu verführen, die Entbindung bei mangel-
haft eröffnetem Muttermund vorzunehmen. Hierdurch aber entstehen Risse
in das abnorm gefässreiche untere Uterinsegment hinein, welche die Frau der
Verblutungsgefahr aussetzen.
3. Durch die combinirte Wendung *"^") auf einen Fuss (Beaxton Hicks).
Infolge der Blasensprengung hört die weitere Ablösung der Placenta auf,
die Blutung aus den bereits eröffneten Gefässen der Uteruswand wird durch
die seitens des Steisses ausgeübte Tamponade gestillt. Die Operation wird
durch die Narcose bedeutend erleichtert, die bei anämischen Kreissenden sehr-
leicht einzuleiten und gefahrlos ist, da sie nicht tief zu sein braucht und
nicht lange dauert. Sehr selten ist es bei der combinirten Wendung nöthig,
die Placenta zu durchbohren, um in die Eihöhle zu gelangen. Meistens kann
man an irgend einer Stelle die Eihäute erreichen, indem man event. ein Stück
der Placenta ablöst.
*) Vid. Artikel y,Blutungen in der Geburtshilfe,"- pag. 124.
**) Vergl. Artikel „Tfenrfim^".
664 PLACENTA PRAEVIA.
Die Yortlieile der combinirten Wendung sind folgende:
a) Man kann dieselbe anwenden, sobald man zur blutenden Frau hin-
zukommt. (Der innere Muttermund lässt, sobald bei Placenta praevia eine
irgendwie stärkere Blutung aufgetreten, einen Finger durch!).
b) Von diesem Moment ab findet keine weitere Blutung mehr statt.
(Geht nach der combinirten Wendung noch etwas Blut ab, so lasse man den
Fuss eine Weile angezogen halten!).
c) Die Gefähr der septischen Infection ist auf ein Minimum reducirt,
da der Eingriff ein sehr kurzer ist.
d) Nach der Wendung ermöglichen sofort dargereichte Analeptica eine
Hebung des Kräftezustandes, infolgedessen die Gebärende den physiologischen
Blutverlust der Nachgeburtszeit besser erträgt.
e) Da man die Extraction nur bei lebendem Kind und dann erst nach
völliger, spontaner Erweiterung des Muttermundes ausführt, verläuft die Nach-
geburtszeit viel glatter als bei der alten Methode der Tamponade und nach-
folgender rascher Entleerung des Uterus bei mangelhaft erweitertem Mutter-
mund.
f) Die Behandlung ist keine so zeitraubende und hat vor Allem den
bedeutenden moralischen Effect, dass nach dem kurzen und einzigen Eingriff
des Arztes die Blutung definitiv steht.
Die Mortalität der Mütter beträgt bei der alten sub 1 und 2 geschil-
derten Methode 307o, bei der neuen Methode der combinirten Wendung, wie
sie besonders in den beiden Berliner Kliniken cultivirt wird, 4*5 7o! (Verfasser
verlor unter 35 Fällen von combinirter Wendung keinen einzigen.)
Die Mortalität der Kinder ist bei beiden Methoden gleich, nämlich 607o-
Diese hohe Kindermortalität ist ein Nachtheil der combinirten Wendung.
Der zweite Nachtheil besteht darin, dass der Praktiker mit der combinirten
Wendung häufig nicht fertig wird. Zumal wenn der Muttermund nur für
1 Finger durchgängig ist, gelingt das Herunterziehen des Fusses mit einem
Finger nur dadurch, dass man mit dem Finger hinter den Fuss geht, ihn
mitsammt dem Cervix fest gegen die Symphyse andrückt und unter stetem
Andrücken des Fusses gegen die Symphyse Finger und Fuss durch den Cervix
durchzieht. Die Symphyse ersetzt in diesen Fällen gewissermaassen den
zweiten Finger.
Die erwähnten Uebelstände vermeidet eine Methode, welche Verf. bisher
in 6 Fällen mit dem Erfolg angewandt hat, dass sämmtliche Mütter ein nor-
males Wochenbett durchmachten und die Kinder lebend zur Welt kamen, von
denen nur eine Frühgeburt von 1400^ Gewicht an Lebensschwäche zu
Grunde ging.
Die Methode besteht in der Einführung eines dünnwandigen Kolpeu-
rynters in den Uterus und unterscheidet sich von ihren Vorläufern (Mad-
ußowicz, ScHAUTA, Mäuree) dadurch, dass die Blase gesprengt und der Kolpeu-
rynter in die eröffnete Eihöhle eingeführt wird, und zweitens dadurch, dass
am Schlauch des Kolpeurynters ein massiger, aber permanenter, selbstthätiger
Zug angebracht wird. Die Blutstillung geschieht in der Weise, dass der Kol-
peurynter genau wie der tiefertretende Kindestheil von oben her den gelösten
Placentarlappen an seine blutende ehemalige Haftstelle andrückt. Die Blasen-
sprengung ist manchmal nicht ganz leicht. Statt bei Placenta praevia totalis
die Placenta zu perforiren, ist es besser den vorliegenden Lappen abzulösen,
bis man an die Eihäute gelangt, und dann dieselben mit einer vorher ausge-
kochten Stricknadel oder eine Kugelzange zu öffnen. Den zusammengefalteten
Kolpeurynter klemmt man in eine Kornzange und kann ihn dann durch jeden
für 1 Finger durchgängigen Cervix in die Eihöhle hinaufführen. Das Ansatz-
stück des Kolpeurynters wird alsdann mit dem Irrigator schlauch verbunden
und durch Erheben des Irrigators 72 Liter Wasser in den Kolpeurynter ein-
PLACENTAE- UND EIIIAUTRESTE. 6G5
getrieben. Darauf wird das Ende des Kolpcurynterschlauchs durch eine am
Bettende angebrachte Schlinge so stark durchgezogen und angespannt, als es
die Kreissende ohne stärkere Schmerzen aushalten kann. An der Schlinge wer-
den beide Schlauchschenckel in eine Klemmpincette gelegt.
Bald nach der Einführung des Kolpeurynters treten kräftige Wehen auf,
die in 3 meiner Fälle den Kolpeurynter binnen 3 Stunden austrieben. In
2 dieser Fälle wurde das Kind gleich hinterher geboren, im 3. wegen wieder
auftretender Blutung die innere Wendung und Extraction vorgenommen. Bei
dieser Art der Kolpeuryse rauss also der Arzt stets bei der Hand sein, um
nach spontaner Geburt des Kolpeurynters rechtzeitig die Blutung durch die
Entbindung stillen zu können. Wird der Kolpeurynter nicht ausgetrieben, so
lässt man ihn cca. 12 Stunden liegen, um ihn dann durch Zug an seinem un-
teren Ende zu extrahiren und sofort die innere Wendung und Extraction
anzuschliessen.
Die Blutstillung bei dieser Methode ist eine absolut sichere, ferner macht
sie manche Wendung unnöthig. Muss man aber schliesslich eingreifen, so ist
nach Extraction des Kolpeurynters der Cervix so dilatirt, dass man die innere
Wendung vornehmen und das Kind auch gleich extrahiren kann, wodurch die
Chancen für die Erhaltung des Kindes weit bessere werden. Durch Abbürsten
mit Sublimatlösung lässt sich der Kolpeurynter so sicher desinficiren, dass
eine Gefahr der septischen Infection durch das lange Verweilen des Kolpeu-
rynters im Uterus nicht besteht.
Was die Nachgeburtszeit anbelangt, so muss man in derselben der
schon anämisch Entbundenen möglichst Blut sparen. Diese Aufgabe ist in-
sofern schwieriger, als das muskelarme untere Uterinsegment sich physio-
logischer Weise weniger contrahirt, und daher bei Placenta praevia auch bei
normaler Contraction des Uterus der Blutverlust in der Nachgeburtszeit ein
grösserer ist, als bei normalem Sitz der Placenta. Man sorge daher durch
eine schon gegen Ende der Geburt gemachte Ergotininjection für eine mög-
lichst feste Contraction des Uteruskörpers. Hierdurch werden die das untere
Uterinsegment versorgenden Arterienäste, welche in der Höhe des Contrac-
tionsringes in die Uteruswand eintreten, comprimirt, und so die Blutzufuhr
zur Placentarstelle herabgesetzt (Hofmeier). Man sorge ferner für Entleerung
der Blase, überwache ständig durch die aufgelegte Hand den Uterus, reibe
nur bei Blutung und exprimire die Placenta erst 1 Stunde post partum.
Gelingt dieselbe nicht und blutet es trotz Massage, so ist unter streng anti-
septischen Cautelen die manuelle Lösung der Placenta vorzunehmen. Dieselbe
darf ebenso wie die combinirte Wendung bei Placenta praevia, nicht in Seiten-
lage vorgenommen werden, da sonst eine tödtliche Luftembolie entstehen kann
(Olshausen). Blutet es nach der Lösung weiter, so ist nicht lange mit der
Tamponade des Utero vaginalcanals zu zögern, um der ausgebluteten Frau
auch einen geringen späteren Blutverlust zu ersparen. Hierbei muss die
Scheide fest mit Watte ausgestopft w^erden (s. Artikel .^Blutungen in der
Geburtshilfe").
Zur Ausführung der combinirten Wendung ist die Narcose unbedingt
nothwendig, für die Placentariösung sehr angenehm. Im Princip ist in diesen
Fällen die Aethernarcose gewiss vorzuziehen, ihre Anwendung in der Praxis
stösst jedoch auf Schwierigkeiten (Feuersgefahr, längere Dauer des Excitations-
stadiums, grosse Maske und grosse Aetherflasche). Dühessen.
Placentar- und Eihautreste. Betrachten wir- zunächst die ßetention
von Piacentarresten, so kommt dieselbe sowohl nach Aborten als auch nach
rechtzeitiger Geburt vor, und zwar in der Form der Eetention von einzelnen
nur mikroskopisch erkennbaren Chorionzotten als auch von grösseren Stücken,
ganzen Cotyledonen der Placenta. Bei Aborten und Fehlgeburten sind diese
ö66 PLACENTAE- UND EIHAUTRESTE.
Ketentionen häufiger, weil hier physiologischer Weise der Zusammenhang
zwischen Placenta und Uteruswand ein festerer ist, als gegen Ende der Schw^anger-
schaft, wo dieser Zusammenhang durch Necrobiose der Decidua (Klein) ge-
lockert ist. Ist durch entzündliche Veränderungen der Decidua serotina pa-
thologischer Weise dieser feste Zusammenhang noch am Ende der Gravidität
vorhanden, so liegt hierin eine Prädisposition der Verhaltung von Nachgeburts-
theilen nach rechtzeitiger Gebiu-t. Eine fernere Ursache für partielle Pla-
centarretention bildet Wehenschwäche, die nur zu partieller Lösung der Pla-
centa führt. Wendet unter diesen Umständen die Entbundene stark die Bauch-
presse an, oder wird die Placenta zu früh exprimirt, so bleibt der noch adhä-
rente Theil zurück. Neben der anatomischen Veränderung der Decidua, resp.
Placenta materna und der functionellen Störung der Uterusmusculatur ist als
dritte Ursache der partiellen Placentarretention eine pathologische Veränderung
der fötalen Placenta zu nennen — nämlich die Placenta succenturiata oder
Nebenj^lace^ita.
Die Nebenplacenta ist von der Hauptplacenta völlig getrennt, dazwischen
liegen die Eihäute. Von der Hauptplacenta laufen zur Nebenplacenta fötale
Gelasse, welche in die Zotten der Nebenplacenta eindringen. Während die
Lösung der Hauptplacenta durch das retroplacentare Hämatom befördert wird,
fehlt dieses Hämatom bei der Nebenplacenta, die daher leicht retinirt bleibt.
Mit der Nebenplacenta bleibt auch ein Theil der Eihäute retinirt.
Die Retention von Placentartheilen führt in erster Linie zu
starken Blutungen, die selbst bei der Retention von zerstreuten nur mikros-
kopisch nachweisbaren Chorionzotten einen lebensgefährlichen Grad erreichen
können. Grössere retinirte Stücke bilden ferner einen günstigen Nährboden für
Fäulnis und pathogene Bacterien. Sind derartige Keime in die Uterushöhle ein-
geführt oder reichen die retinirten Massen zum Theil in die keimhaltige Va-
gina hinein, so kommt es zu saprämischem, resp. septicämischem Fieber, wel-
ches zum Tode führen kann. Eine Naturheilung kann dadurch eintreten,
dass der Uterus die Piacentarreste ausstösst, manchmal erst nachdem sich
der Piacentarrest durch aufgelagerte Blutgerinnsel in einen Placentar-
polypen umgewandelt hat.
Bei der ungewissen Prognose der partiellen Placentarretention ist die
Entfernung der Piacentarreste dringend geboten. Eine exacte Diag-
nose auf partielle Placentarretention ist in den Fällen nicht zu stellen, wo die
bereits geborenen Eitheile nicht mehr vorhanden sind. Ist dagegen die Placenta
vorhanden, so muss sie einer sorgfältigen Besichtigung unterzogen werden, in-
dem man sie auf eine horizontale Unterlage oder die beiden ausgestreckten
Handflächen legt. Sind nun noch ausser den die Cotyledonen begrenzenden Fur-
chen wirkliche Defecte auf der uterinen Seite oder am Rande der Placenta
vorhanden, avo der grauweisse Ueberzug der Decidua serotina fehlt, wo das
rothe Zottengewebe nackt zu Tage tritt, so ist der Schluss auf partielle Pla-
centarretention gerechtfertigt, und in diesem Schluss wird man bestärkt, wenn
der Uterus schlecht zusammengezogen, und Blutung vorhanden ist. Die Diag-
nose der Placenta succenturiata wird ermöglicht durch den Nachweis durchris-
sener fötaler Gefässe am Rande der Placenta und zwar dort, wo die Eihäute
abgerissen sind. Sind die Eihäute um die Hauptplacenta herum erhalten, da-
gegen von der Nebenplacenta abgerissen, so sieht man an den ausgestossenen
Eihäuten grössere fötale Gefässe, welche von dem Rand der Placenta bis zum
Rand der Eihäute verlaufen und dort mit einem freien Lumen enden.
In zweifelhaften Fällen rechtfertigen Blutung und mangelhafte Contraction
des Uterus oder Fieber mit übelriechendem Wochenfluss die directe Austastung
des Uterus. Hierzu genügen bei Aborten und Fehlgeburten 1 — 2 Finger, aber
auch nach normaler Geburt braucht man, wenn man den Uterus ordentlich
von aussen in das Becken drückt, nicht immer die ganze Hand einzuführen
PLACENTAE- UND EIHAUTRESTE. 667
und kann dann in manchen Fällen die Ablösung des Placentarrestes ohne Nar-
cose vollenden. Dies ist besonders von Vorthcil, wo der Arzt keine Assistenz hat,
und die Blutung eine sehr starke ist.
Ist der Cervix für den Finger undurchgängig, so nehme man nach vor-
ausgeschickter Uterusausspülung die Tamponade des Uterus mit Jodoformgaze
und der Scheide mit Salicylwatte vor. Die Tamponade stillt die Blutung,
beschränkt die Fäulnis und eröffnet den Cervix. Sind Piacentarreste retinirt,
so kann man sicher darauf rechnen, dass nach 24 Stunden der Cervix durch
die Tamponade für 1 Finger durchgängig geworden ist. Je grösser der Pia-
centarrest, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass die durch Tamponade
erzeugten Wehen den ganzen Uterusinhalt, Tampon und Piacentarrest, aus-
treiben.
Sowohl die diagnostische Austastung als die manuelle Lösung der Pia-
centarreste darf nur nach strengster Desinfection der Entbundenen und des
Operateurs geschehen, da die operirende Hand bei der Abschälung des Piacen-
tarrestes mit den noch oöenen oder frisch thrombosirten, mächtigen Blut-
bahnen der Placentarstelle in innige Berührung kommt. Sind schon Zer-
setzungsvorgänge im Uterus vorhanden, so ist vor der Lösung eine Uterus-
ausspülung unbedingtes Erfordernis. Trotzdem sieht man oft genug unter diesen
Umständen nach der Lösung Schüttelfrost und hohes Fieber nachfolgen —
als ein Zeichen, dass bei der Lösung Coccen oder Ptomaine in die Blutbahn
übergeführt wurden.
Die Technik der Lösung von Piacentarresten entspricht der-
jenigen der Lösung der ganzen Placenta. Die äussere Hand muss mit ener-
gischem Druck den inneren Fingern die Haftstelle des Piacentarrestes entge-
gendrücken. Die Volarseite der inneren Hand muss stets nach der Placenta,
nie nach der Uteruswand hin gerichtet, der Piacentarrest muss von der Ute-
ruswand in toto abgedrückt werden, indem die Finger mit sägeförmigen Be-
wegungen zwischen Uteruswand und Piacentarrest eindringen. Zug an dem
Piacentarrest selbst, mittels der Finger oder Instrumente ist zu unterlassen.
Lassen sich keine deutlichen Hervorragungen über die Innenfläche des Uterus
''mehr constatiren, so höre man mit der Ausräumung des Uterus auf und
bedenke, dass die normale Placentarstelle sich uneben anfühlt und etwas
über das Niveau der Umgebung vorspringt. Den Gebrauch der Curette zur
Ablösung grösserer Piacentarreste widerrathe ich auf das entschiedenste, da
man hierbei entweder leicht den Uterus perforiren oder Theile der Placenta
zurücklassen kann. Das Curettement halte ich nur in den Fällen für indicirt,
wo es sich um Retention von Chorionzotten bis zur Mitte des 3. Monates
handelt. Bis zu diesem Termine kann man eventuell das ganze Ei mit der
Curette allein entfernen.
Ketentionen der Eihäute sind häufiger als partielle Placentar-
retentionen. Diese Thatsache beruht auf dem Umstand, dass in den ersten
3 Monaten die Decidua vera allein, später die zu einer Membran vereinten
sämmtlichen Eihäute, also Decidua, Chorion und Amnion nicht durch die
Wehen, sondern im wesentlichen durch die Schwere des nach unten sinkenden
Eisacks, resp. der Placenta von der Uteruswand losgelöst werden. Werden
Eisack, resp. Placenta entweder durch starke Action der austreibenden Kräfte
oder durch forcirte Expression sehr rasch nach abw^ärts getrieben, so können
die Eihäute sehr leicht am Placentarrand abreissen, zumal wenn noch eine
pathologisch festere Verbindung der Eihäute mit der Uteruswand (bei Endo-
metritis decidua) besteht. Es darf also nach normalen Geburten die Expression
nicht zu gewaltsam geschehen, merkt man, dass die Placenta tiefer tritt, so
muss der Druck vermindert, und die Placenta beim Austritt aus der Vulva
aufffefanffen werden.
668 PLACENTAR- UND EIHAUTRESTE.
Retentionen der Decidua ver aallein beobachtet man am häufigsten
bei Aborten (in den ersten 3 Monaten der Schwangerschaft), weil in dieser
Zeit die Decidua vera ein fast ganz von den übrigen Eitheilen getrenntes
Gebilde darstellt — hängt sie doch nur mit dem Rand der Placenta zusammen.
In späteren Schwangerschaftsmonaten hat die Retention der Decidua nur dann
eine Bedeutung, wenn Decidua vera und reflexa abnorm gewuchert sind, wie
man das bei Lues, nicht selten beobachtet. In diesen Fällen zieht die nach
unten sinkende Placenta das Chorion von der zurückbleibenden Decidua ab.
Die Diagnose der Deeiduaretention ist sehr einfach, wenn man
die ausgestossenen Eitheile zu Gesicht bekommt. Bei Aborten hat man dann
nur den Eisack vor sich, dem der charakteristische von der Decidua vera
gebildete Mantel völlig oder ganz fehlt. In späteren Monaten bieten die Eihäute
sowohl innen wie aussen die gleiche glatte Fläche dar. Die Retention der
sämmtlichen Eihäute liegt auf der Hand, wenn dieselben an der Placenta
ganz fehlen. Sind die Eihäute nur partiell von dem Placentarrand abgerissen
oder ist der Eihautriss ein sehr grosser, so kann die Diagnose einer partiellen
Retention zweifelhaft sein. Praktisch ist dieser Zweifel von keiner wesent-
lichen Bedeutung. Es gibt übrigens eine Retention von Decidua und
Chorion allein — nämlich in den Fällen, wo zunächst nur das Chorion
einriss und sich mit der Uteruswand nach oben retrahirte, während der nun
vom Amnion allein gebildete Eisack weiter nach abwärts getrieben wurde.
Hierbei findet eine Ablösung des Amnion vom Chorion statt, welche sich
bis zur Nabelschnur erstrecken kann. Das Amnion wird dann stets mit der
Placenta geboren, während das Chorion umso leichter am Placentarrand ab-
reisst, als diese Verbindung durch das Fehlen des festeren Amnion bedeutend
geschwächt ist.
Sind die bereits ausgestossenen Eitheile nicht mehr vorhanden, so kann
die Retention der Eihäute nur durch Untersuchung der Frau selbst constatirt
w'erden. Handelt es sich um Deeiduaretention allein, so fühlt man die Uterus-
innenfläche mit einer weichen, dicken Membran ausgekleidet, die zum Theil
auch in das Uteruscavum frei hineinragt. Bei den übrigen Eihautretentionen
sieht man die Eihäute manchmal vor der Vulva oder fühlt sie in der Scheide,
resp. imUterus als lange, membranöse, glatte Gebilde. Ist der Muttermund
geschlossen, so lässt sich die Diagnose durch das Curettement stellen, welches
man aber nur bei wenig vergrössertem Uterus und bei Vorhandensein von
Blutungen machen darf.
Symptome der Deeiduaretention können ganz fehlen. Nach
Winter kann sich die retinirte Decidua, soweit sie der Uteruswand adhärirt,
wieder zur normalen Uterusschleimhaut zurückbilden. Häufig treten freilich in-
folge partieller Lösung der Decidua Blutungen auf, die recht profus werden
können und zur Entfernung der Decidua zwingen. Ausserdem beweist die
Endometritis post abortum, bei welcher die mikroskopische Untersuchung
Deciduainseln, umgeben von kleinzelliger Infiltration, ergibt, dass die Rück-
bildung der Decidua nicht immer vor sich geht, sondern dass die retinirte
Decidua als Fremdkörper ein Endometritis erzeugen kann. Eine andere Mög-
lichkeit ist die, dass die retinirte Decidua in Fäulnis übergeht (s. o. Pla-
centarretention), und Fieber und übelriechender Ausfluss ebenfalls zur Entfer-
nung der Decidua zwingen.
Die Retention der Eihäute in späteren Monaten braucht gar keine Symp-
tome zu machen, vielmehr werden dieselben nach einigen Tagen, in ein Blut-
gerinnsel eingehüllt, spontan ausgestossen. Zwar sieht man bei Retention
der Eihäute nach normaler Geburt manchmal atonische Blutungen, allein dieselben
sind kaum durch die Retention bedingt, sondern Blutungen und Retention sind
Folgen einer Ursache, nämlich der Wehenschwäche. Fäulnis der retinirten Eihäute
POLYPEN DES UTERUS. 669
tritt nur auf, wenn Fäulniskeime in das Uteruscavum eingebracht sind oder
die Eilläute in die Scheide herabhängen.
Bezüglich der Prognose der verschiedenen Retentionen ist ausser dem
schon Angeführten noch hervorzuheben, dass sowohl retinirte Chorionzotten
als auch Deciduazellen Veranlassung zur Bildung bösartiger Geschwülste sar-
komatöser Natur geben können (destruirende Placentarpolypen, maligne iJeci-
duome). Die klinischen Erscheinungen sind profuse Blutungen und trotz gründ-
licher Ausschabung rasche Wiederbildung der Geschwulstmassen, welche ohne
mikroskopische Untersuchung für retinirte Eitheile gehalten werden. Die ein-
zige Patientin, bei welcher Totalexstirpation des Uterus vorgenommen wurde,
ging ebenfalls an Metastasen zu Grunde (Gottschalk).
In therapeutischer Hinsicht sind folgende Momente zu berück-
sichtigen: Bei Deciduaretention ist die Decidua, falls Blutungen oder Fieber
eintreten, zu entfernen, nachdem man vorher auch das Uteruscavum ausgespült
hat. Die Entfernung kann manuell oder mittels der Curette vorgenommen
werden. Im ersteren Falle muss der Cervix für den Finger durchgängig sein,
und meistens die Narcose zur Erschlaffung der Bauchdecken angewandt werden.
Bei Ptctention des Chorion sind die Eihäute stets zu entfernen, falls sie
in die Scheide herunterragen. Man fasst sie zu dem Zwecke möglichst hoch
mit einer langen Kornzange, schliesst die Cremailliere und dreht nun mittels
der Kornzange die Eihäute zu einem Strang zusammen, den man vorsichtig
herabzieht, bis ein stärkerer Widerstand eintritt. Dann fasst man die Eihäute
wieder ein Stück höher und wiederholt die Drehungen. Der Uterus ist vor-
her durch Ergotin oder Reibungen zu fester Contraction zu bringen und
während der Extraction der Eihäute in das Becken herunterzudrücken.
Liegen die Eihäute im Uterus, so sind sie nur bei Blutungen, Fieber und
übelriechendem Ausfluss manuell zu entfernen, sonst beschränkt man sich auf
Darreichung von Seeale. Zur manuellen Entfernung sucht man die Ansatz-
stelle der Eihäute im Uterus auf und schiebt die Finger zwischen Eihäute
und Uteruswand unter sägeförmigen Bewegungen vor. Unentbehrlich ist auch
hier der Gebrauch der äusseren Hand. Fühlt man die Ansatzstelle nicht, so
müssen die inneren Finger über die ganze Innenfläche des Uterus geführt
werden, wobei die Eihäute abgelöst werden. dührssen.
Polypßn des Uterus kommen in den verschiedensten Formen und
Grössen vor und können ihren Sitz im Verlauf des ganzen Canals der Gebär-
mutter vom Orificium externum bis zum Fundus uteri nehmen. Ihrer Be-
schaffenheit nach lassen sie sich im allgemeinen eintheilen in 1 . Schleimhaut-
hyperplasien, 2. fibromyomatöse und 3. maligne Geschwulstbildungen und
müssen demgemäss nicht nur vom anatomischen sondern auch vom sympto-
matologischen und therapeutischen Standpunkt aus gesondert betrachtet werden.
1. Die häufigsten Polypen des Uterus sind die Schleimhautpolypen.
{folliculären Folypen). In ätiologischer Hinsicht sind für ihr Entstehen haupt-
sächlich Cervixkatarrhe und Endometritis corporis (besonders auch bei gleich-
zeitigem Bestehen von Myomen) verantwortlich zu machen. Aus der gereizten
hyperämischen Schleimhaut erheben sich circumscripte Hyperplasieen, welche
die morphologischen Elemente der Schleimhaut: feinfaseriges, kernreiches
Bindegewebe, vor allem stark hypertrophische und erweiterte Follikel und
reichliche Blutgefässe enthalten; auch die den Polypen überziehende Schleimhaut
ist meist sehr blutreich.
Am und im Orificium externum finden sich diese Polypen als kleine,
. kaum erbsengrosse Tumoren, die bald nur gestielte Ovula Nabothi, bald etwas
derbere, mehr bindegewebshaltige Knötchen darstellen. Meist haben sie ihren
Sitz im Cervicalcanal, aus dem sie bei grösserem Wachsthum gestielt hervor-
ragen als bald rundliche, bald längliche, kolbig eingeschnürte oder verästelte
670 POLYPEN DES UTERUS.
Geschwulstbildungen, welche Eigrösse erreichen und sogar bis in die Vulva
herunterwachsen können. Indem der lang ausgezogene Stiel reisst, werden sie
manchmal spontan abgestossen.
Diese Cervixpolypen sind entschieden die häufigsten; aber auch in der
üterushöhle entwickeln sich, wohl von den Uterusdrüsen ausgehend, oft genug
Schleimhautpolypen. Dieselben bleiben gewöhnlich klein, da die starre Uterus-
wand sie an der Ausdehnung hindert. Wachsen sie etwas mehr, wie in dem
schlaffen atrophischen Uterus älterer Frauen, so nehmen sie annähernd die
Form der Uterushöhle an. Gar nicht selten finden sich kleine, kaum erbsen-
grosse Polypen in den Tubenecken.
Die grösseren Schleimhautpolypen haben manchmal infolge reichlicherer
Entwicklung des Bindegewebes einen fibromatösen Kern und nähern sich somit
den fibrösen Polypen. Auch können sie in einzelnen Fällen nach der Ex-
stirpation recidiviren und malignen Charakter annehmen. Der Placentarpolyp,
der als Grundstock einen nach der Geburt oder nach dem Abortus zurückge-
bliebenen Cotyledo hat und in der Form meist einen Abguss des Uterus-
cavum darstellt, ist kein Polyp im eigentlichen Sinne des Wortes. Doch macht
er häufig die gleichen Symptome, er kann ausserdem destruirende Wirkungen
ausüben, indem die Chorionzotten in die Uterusvenen hineinwuchern und die
Uteruswand zum Schwund und sogar zur Perforation bringen.
Die Symptome der Schleimhautpolypen sind vermehrter Ausfluss, Blu-
tungen, Schmerzen, Sterilität. — Die kleinen Polypen, besonders die in der
Üterushöhle sitzenden, verursachen oft keine Blutung und stellen einen zu-
fälligen, bei einer Auskratzung wegen Fluor albus oder auch bei der Section
gewonnenen Befund dar. Dagegen führen die kleinen in den Tubenecken
sitzenden Polypen gewöhnlich zu starken Blutungen.
Die Cervixpolypen haben fast stets Blutungen im Gefolge, und zwar je
nach Grösse, Vascularisation etc. bald nur eine leicht verstärkte Men-
struation, bald ein an die normalen Menses sich anschliessendes Stillicidium
sanguinis, bald Menorrhagieen und Metrorrhagieen. Die Schmerzen äussern
sich manchmal als dumpfe Kreuzschmerzen, manchmal als wehenartige Em-
pfindungen. Sterilität kann durch mechanische Verlegung des Cervicalcanals,
some auch durch andauernden Fluor oder Blutabgang bedingt werden.
Ein eigenthümliches Symptom, vorzugsweise der kleinen im Orificium
oder im Cervicalcanal sitzenden Schleimhautpolypen, die im Uebrigen oft nur
einen kaum verstärkten Menstrualfluss oder ein leichtes Stillicidium sanguinis,
oft auch keinerlei Blut- oder Schleimabgang verursachen, stellen die Reflex
erscheinungen, ") besonders der ßeflexhusten, dar.
Da auf diese interessante Erscheinung nirgends aufmerksam gemacht wird, so mögen
bei der Wichtigkeit derselben gerade für den praktischen Arzt einige prägnante Bei-
spiele aus einer grösseren Pi,eihe derartiger Beobachtungen des Verfassers hier in Kürze
mitgetheilt werden.
Bei einer in der sechzehnten Woche schwangeren Frau bestand seit Monaten ein
continuirlicher, äusserst quälender trockener Husten, der durch Narcotica kaum zu lindern
war und von vielen Aerzten wegen der zunehmenden Schwäche und Abmagerung auf eine
beginnende Tuberkulose zurückgeführt wurde. Bei der Untersuchung der Genitalien fand
sich ein erbsengrosser Polyp im Orificium externum, nach dessen Abtragung der Husten
wie mit einem Schlag verschwunden war.
Eine Jungverheiratete Frau, die als Mädchen wegen andauernden Hustens von specia-
listischer Seite fast zwei Jahre lang im Kehlkopf behandelt worden war, bekam nach vor-
übergehender Besserung auf der Hochzeitsreise heftige krampfartige Husten attaquen, ver-
bunden mit starker nervöser Erregung. Menses schwach, aber von 8-tägiger Dauer; kein
Ausfluss. Die mit Mühe durchgesetzte Genitaluntersuchung ergab eine Erosion am Mutter-
mund und einen linsengrossen Polypen, dessen Berührung nervöse Zuckungen und Husten-
stösse auslöste. Nach Abtragung desselben und mehrmaliger Touchirung mit Jodtinctur.
blieb Husten und Nervosität dauernd beseitigt.
*) Vergl. auch Artikel „Interne Krankheiten während der Gravidität/' pag. 4:37,
POLYPEN DES UTERUS. 671
Eine dem Klimakterium nahestehende, aber noch regelmässig mcnstruirte Frau, bei
der sich an die Menstruation ein spärlicher, verzettelter Abgang von Blut und wässrigem
Schleim anschloss, litt seit geraumer Zeit an grosser Schwäche, Magenkrämpfen, Erbrechen,
Ohnmachtsanfällen, und vor allem an einem Jiäufig auftretenden eigenthümlicbcn trocknen
Reizhusten. Die Wahrscheinlichkeitsdiagnose wurde auf Uteruspolyp gestellt und fand
ihre Bestätigung bei der Untersuchung. Nach Abtragung eines fast haselnussgro.ssen,
länglichen, gestielten Cervixpolypen und Auskratzung der mit Wucherungen bedeckten
Cervicalschleimhaut schwanden sämmtliche Erscheinungen unter vollkommener Wiederher-
stellung der Kraft und Gesundheit.
Die Diagnose der Sclileimhautpolypen ist, wenn dieselben aus dem
äusseren Muttermund hervorragen, durch den tastenden Finger, der einen mehr
oder weniger beweglichen, weichen Tumor fühlt, leicht zu stellen. Manchmal
kann es vortheilhal't sein, während der Menses zu untersuchen, da dann ein
im Cervicalcanal versteckter Polyp, dadurch, dass er succulenter und grösser
wird, tiefer tritt und dem palpirenden Finger besser zugänglich ist.
Die im Uteruscavum sitzenden Polypen können in günstigen Fällen mit
der Sonde gefühlt werden, indem man auf einen Widerstand stösst, den man
mit derselben umgehen und abgrenzen kann. In den meisten Fällen ist die
Diagnose schwer ; sie kann gestellt werden durch Abtastung nach vorher-
gehender Dilatation des Uterus. Häufig wird nur die Diagnose Endo-
metritis gestellt; und falls wegen Ausfluss und Blutungen eine Auskratzung
vorgenommen wird, fördert man ausser hypertrophischen Schleimhautpartieen
auch polypöse Wucherungen oder einzelne gestielte Polypen zu Tage.
Die Therapie ist immer eine operative, und zwar die dankbarste, die
sich denken lässt. Lästige Beschwerden, ja lebensgefährliche Blutungen können
durch kleine, einfache, jedem Arzt mögliche Eingriffe rasch und dauernd ge-
heilt werden, oft in der Sprechstunde und sogar ohne Vorwissen ängstlicher
Patientinnen.
Kleinere Polypen werden durch Abkneifen mit einer schneidenden Zange
entfernt, bei grösseren sucht man den Stiel auf und schneidet ihn mit einer
Scheere ab. Ein Speculum ist nicht immer nothwendig. Meist erfolgt keine
oder eine ganz unbedeutende Blutung, die durch Andrücken von Watte oder
durch eine leichte Jodoformgazetamponade sofort gestillt wird. Der Abtragung
kann man eine Aetzung mit Jodtinctur, Holzessig etc. folgen lassen. Wenn,
wie dieses häufig der Fall ist, auch die übrige Uterusschleimhaut sich in
einem hyperplastischen Zustand befindet, so verbindet man zweckmässig die
Abtragung des Polypen mit einer Auskratzung der ganzen Uterushöhle.
Dieses Vorgehen ist in jedem Falle indicirt, wenn der Polyp seinen Sitz im
Cavum hat und nicht direct mit der Zange gefasst oder mit der Scheere ab-
geschnitten werden kann.
2. Die fibrösen und fibromyomatösen Polypen bilden sich
aus den submucösen Fibromyomen, '^) indem diese ins Uteruscavum hinein-
wachsen, die Schleimhaut vor sich herdrängen und mit der Uteruswaud nur
noch durch einen bald dickeren, bald dünneren Stiel im Zusammenhang bleiben.
Sie können eine enorme Grösse erreichen.
Ihrem anatomischen Bau nach sind sie, je nach Vorwiegen des Binde-
gewebes oder der Muskelfasern, das einemal mehr Fibrome, das andremal
mehr Myome ; scharfe Grenzen sind hier nicht zu ziehen. Sie können die-
selben Veränderungen erleiden wie die Fibromyome, cystisch degeneriren oder
auch malignen Charakter annehmen, sarkomatös werden. INIanchmal werden
sie infolge der Ausziehung und des Abreissens ihres Stiels durch die Uterus-
contractionen in toto geboren, Andremale werden sie durch Ernährungsstörung
gangränös, verjauchen und werden unter septischen Erscheinungen stückweise
ausgestossen.
*) Vergl. auch Artikel „Fibrom, Fih'077ujom, Mi/om," pag. 241.
672 POLYPEN DES UTERUS.
Die Aetiologie dieser Polypen ist die der Fibromyome. Sie kommen
in jedem Alter der geschlechtsreifen Frau vor, aber häufiger gegen das
Klimakterium hin. Sie finden sich vorzugsweise bei Multiparen, aber auch
oft genug bei Nulliparen. Auch im Puerperium nach frühzeitiger oder recht-
zeitiger Geburt werden fibröse Polypen des Uterus beobachtet, die schon
während der Schwangerschaft bestanden haben.
Wenn die Polypen sich aus Myomen des Cervix bilden, so treten sie
meist bald aus dem Muttermund hervor, ragen in die Scheide und wachsen
hier weiter. Während sie ursprünglich ein massiges Volum haben, können
sie, da sie in der Scheide Platz zur Ausbreitung finden, bei längerem Be-
stehen eine ansehnliche Grösse erreichen. Manchmal tritt auch der Tumor
direct aus einer Muttermundslippe heraus und zieht dieselbe durch sein Ge-
wicht in die Länge, so dass sie den Stiel bildet.
Werden die vom Uteruskörper ausgehenden Myome durch Stielbildung zu
Polypen, so dehnen sie die Uterushöhle aus und bleiben zunächst in derselben
liegen. Sie wachsen oft zu colossalen Tumoren, von Kindskopfgrösse und
mehr, an. Durch Contractionen des Uterus können sie in die Scheide ge-
boren werden, wobei der in die Länge gezogene Stiel noch in der Uterushöhle,
oft nahe dem Fundus befestigt ist. Bei schwacher, verdünnter Uteruswand
kann dieselbe von dem Stiel nachgezogen werden, so dass eine unvollständige
oder vollständige Uterusinversion entsteht (V. „Inversio uteri").
Der Stiel der fibromyomatösen Polypen ist meist stark vascularisirt,
ebenso der Tumor selbst und die ihn überziehende hypertrophische Schleimhaut ;
letztere kann secundär durch den Druck der wachsenden Geschwulst zu einer
atrophischen, dünnen Membran werden. Im Stiel können die fibrösen und
musculären Elemente schwinden, so dass derselbe nur noch aus Schleimhaut
besteht. Diese Polypen erschweren einerseits die Conception, andrerseits führen
sie leicht zur Unterbrechung der Schwangerschaft. Sie gefährden Gesundheit
und Leben, hauptsächlich durch Blutungen und Gangrän.
Ihre Symptome sind nach Grösse und Sitz verschieden. Während die
kleineren in der Uterushöhle sitzenden, sowie selbst grössere, vom Cervical-
canal ausgehende und in der Scheide liegende Polypen oft nur vermehrten
Ausfluss, verstärkte Menstruation oder irregulären Blutabgang, dabei manchmal
ein Gefühl von Druck und Schwere im Becken hervorrufen, führen grosse, in
der Uterushöhle sich entwickelnde Polypen zu weit schwereren Erscheinungen,
indem sie reizend auf die Uteruswand wirken und Wehen erregen. Die
Wehen treten haupsächlich zur Zeit der Menstruation ein, so dass diese
ausserordentlich schmerzhaft wird und von reichlichem Blutabgang (bald
flüssiges Blut, bald grosse Coagula) begleitet ist. Bei stärkerem Wachsthum
treten die Contractionen auch in der Zwischenzeit auf und können mit
heftigen Metrorrhagien verbunden sein.
Dabei stellen sich oft Erscheinungen wie in der Gravidität ein, nicht nur
subjective Schwangerschaftssymptome, wie Uebligkeit und Erbrechen, sondern
auch objective, wie Auflockerung der Scheide, Pigmentirung der Linea alba
und Milchsecretion. Bei grossem Volumen kommen dazu noch Druck auf
Blase und Mastdarm, neuralgische Schmerzen, Oedeme etc. Wird der Polyp
infolge von Thrombose der Stielgefässe oder von Einschnürung des Stiels durch
den inneren Muttermund gangränös, so tritt jauchiger Ausfluss, oft verbunden
mit septischem Fieber, ein.
Die Diagnose eines fibrösen Polypen ist leicht, wenn derselbe bereits
in die Scheide getreten oder im Orificium fühlbar ist. Von einem grösseren
Schleimhautpolypen unterscheidet er sich durch die härtere Consistenz und
die regelmässigere Form. Zu vermeiden ist die einigemale vorgekommene
Verwechslung mit einem invertirten Uterus.
POLYPEN DES UTERUS. 673
Sitzt er noch in der Uterushöhle, so kann er manchmal während der
Menstruation vom touchircndcn Finger erreicht werden wegen seines zu dieser
Zeit grösseren Volumens und der besseren Zugilnglichkeit des Cervicalcanals.
Ist dies nicht der Fall, so lässt si('h zunilchst nur in Hinblick auf die Ver-
grösserung des Uterus und die übrigen »Symptome die Diagnose auf Myom
stellen. lieber den Stiel des Tumors muss man sich, nach vorheriger aus-
giebiger Dilatation des Cervix, durch die Sonde oder den Finger, durch Dre-
hungen der Geschwulst eine möglichst genaue Vorstellung zu verschaffen suchen.
Die Therapie kann nur in der operativen Entfernung des Polypen be-
stehen. Diese ist bei einem vom Cervicalcanal ausgehenden Polypen ge-
wöhnlich nicht schwer. Hier kommt man bei massiger Grösse desselben neben
ihm ohne weiteres an den Stiel und kann ihn mit einer SiEHOLD'schen Scheero
abschneiden. Ist der Tumor zu gross, als dass dies möglich wäre, so zieht
man ihn vor die Vulva und macht so den Stiel zugänglich.
Bei den grossen, vom Fundus ausgehenden, aber bereits in die Scheide
getretenen Polypen verfährt man ebenso. Oft sind dabei vorbereitende Trac-
tionen mit der Geburtszange nöthig, bis es nach mehreren Sitzungen gelingt,
die nicht selten über kindskopfgrosse Geschwulst, manchmal nach Trennung
von Verwachsungen mit dem Orificium uteri oder der Vagina und nach
Spaltung des Perineums, vor die Vulva zu bringen. Der Stiel wird dann, nicht
zu nahe am Uterus, abgeschnitten, in dessen Wand sich sein Piest sofort
zurückzieht. Gewöhnlich erfolgt keine oder nur eine massige Blutung, die
durch Tamponade leicht zu stillen ist. Lässt sich der Polyp nicht herunter-
ziehen und ist es nicht möglich, an ihm vorbei zum Stiel zu gelangen, so kann
die sogenannte operative Verlängerung oder die Verkleinerung vorgenommen
werden. Erstere besteht in seitlichen Einschnitten (Simon) oder Spiraltouren
(Hegar), durch die der Polyp verlängert und im Dickendurchmesser ver-
kleinert wird, so dass man leichter an den Stiel kommt. Letztere besteht in
der Excision von Stücken aus der Masse des Tumors mit dem Messer oder-
der galvanokaustischen Schlinge. Beide Verfahren sind schwierig und ge-
fährlich und müssen auf alle Fälle zur Vermeidung von Blutung und Jauchung
in einer Sitzung vollendet werden. Ganz zu verwerfen ist die allmähliche
Entfernung durch partieenweises Abbinden oder mit Intervallen ausgeführtes
..Morcellement'^ \ ein solches, ab und zu in französischen Journalen publicirtes,
durchaus unchirurgisches Verfahren hat gewöhnlich den letalen Ausgang zur
Folge. *)
Befindet sich der Polyp noch ganz in der Uterushöhle, so ist die
Operation meist sehr schwierig. Man kann nach genügender Cervixdilatation
versuchen, eine Drahtschlinge oder eine galvanokaustische Schlinge um den
Stiel zu legen. Durchaus zu widerrathen ist die Anwendung des Ketten-
ecraseurs wegen der ausgedehnten Schleimhautverletzungen, die man mit dem-
selben verursachen kann. Wenn bei schwerzugänglichen Polypen nicht sehr
heftige Blutungen oder Gangrän die sofortige Operation indiciren, so ist eine
vorbereitende Behandlung mit Dilatation, starken Ergotindosen, Tractionen mit
der Zange vorzunehmen, um so die weitere Ablösung von der Uteruswand,
die Verlängerung des Stiels und das Tiefertreteu des Tumors zu befördern.
Es gelingt auf diese Weise allmählich, denselben so mobil zu macheu, dass
man den Stiel mit Scheere oder Schlinge durchtrennen kann.
3. Die malignen Polypen treten als adenomatöse, carcinomatöse,
sarkomatöse Geschwulstbildungen auf.
a) Den Uebergang zu den bösartigen Formen bilden die adenomatösen
Polypen, da bei denselben sehr häufig gleichzeitig eine adenomatöse Degene-
ration der ganzen Uterusshleimhaut besteht, die später leicht in Carcinom'
*) Vergl. Artikel „Myotomie"'.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gyn? .-kologie. 43
674 POLYPEN DES ÜTERÜS.
übergehen kann. Die Aetiologie dieser ge^Yühnlicll gegen das Klimacterium
hin auftretenden Erkrankung bilden chronische Katarrhe des Uterus. Die
adenomatösen Polypen gehen meist von der Schleimhaut des Cervix aus und
können manchmal eine ansehnliche Grösse erreichen. Ein solcher aus dem
oft'enen Cervicalcanal eines vergrösserten und empfindlichen Uterus hervor-
ragender, etwas unregelmässig geformter, nussgrosser Polyp zeigte nach der
vom Verfasser vorgenommenen Exstirpation vollständig die mikroskopischen
Charaktere des Adenoms, er bestand fast nur aus Drüsen und intraglandulärem
Bindegewebe. Dasselbe Bild ergab auch die ausgekratzte Uterusschleimhaut.
Die sichere Diagnose dieser Neubildung kann stets nur durch das
INIikroskop gestellt werden, da auch die Symptome sich nicht wesentlich von
denen anderer Polypen unterscheiden. Die Blutungen pflegen massig zu sein,
der Ausfluss kann manchmal ganz fehlen.
Die Therapie besteht in Abtragung und Aetzung des Stiels. Derselbe
enthält entweder auch Drüsengewebe oder er ist rein fibrös. In letzterem
Falle kann damit das Uebel beseitigt sein, ohne dass sich ein Beeidiv zeigt.
Wenn Becidive auftreten oder w^enn der adenomatöse Process die ganze Uterus-
schleimhaut in höherem Grad ergriffen hat, so ist wegen des stets ver-
dächtigen Charakters dieser Neubildung die vaginale Hysterektomie indicirt.
h) Carcinomatöse PolypmUldungen beobachtet man bei der sogenannten
cancroiden Form des Krebses (Scheöder). Dabei ragt der meist von einer
Muttermundslippe mit ausgesprochenem Stiel entspringende, mit hypertrophischer
Schleimhaut überzogene und oft stellenweise ulcerirte Tumor als polypöse
Wucherung in die Scheide. Die Symptome sind dieselben wie bei anderen
Carcinomformen. Die Diagnose ergibt sich aus dem palpatorischen Nachweiss
der Krebsinfiltration des Collum, sowie aus dem mikroskopischen Befund. Die
Therapie kann vielleicht in einzelnen günstigen Fällen mit der hohen Excision
des Collum auskommen, gewöhnlich aber erfordert sie die Totalexstirpation
des Uterus.
c) Sarkomatöse Polyimi, kommen als in die Uterushöhle vorspringende,
von der Schleimhaut ausgehende Wucherungen in relativ frühem Alter und
vorzugsweise bei Nulliparen vor. Häufiger aber finden sie sich in späterem
Alter als sarkomatöse Degenerationen fibromyomatöser Polypen. Die Gewebs-
elemente der letzteren erscheinen dann durch Bundzellen- oder Spindelzellen-
wucherung verdrängt oder ersetzt.
Was Symptome und Diagnose anbelangt, so verhalten sie sich im
Allgemeinen wie die fibrösen Polypen. Doch wachsen sie schneller und fühlen
sich meist weicher an. Sie verursachen Schmerzen, Blutungen und (manchmal
jauchigen) Ausfluss und können eine sehr bedeutende Grösse erreichen. Dabei
entwickeln sich Störungen des Allgemeinbefindens, die ziemlich bald zur
Kachexie führen.
Die Therapie erfordert in erster Linie die Abtragung dieser Polypen,
besonders wenn dieselbe leicht ausgeführt werden kann, und zw^ar womöglich
hart an der Uteruswand. Die mikroskopische Untersuchung sichert die
Diagnose. Wenn sich im Stiel keine sarkomatösen, sondern nur fibröse Elemente
finden, so kann die Entfernung des Polypen von definitiver Heilung gefolgt
sein. In der weitaus grösseren Anzahl der Fälle aber muss möglichst rasch
zur Exstirpation des ganzen Uterus, sei es von der Scheide oder von den
Bauchdecken aus geschritten werden. edgar kurz.
PORTIO-OPERATIONEN. 675
Portio-Operationen. Zu den typischen Operationen an der Cervix uteri
gehören: 1. Die Anipidatio colli uteri; 2, die iJiscissio orificii.
Amputjitio colli.
Die Amputatio colli zählt zu den frühesten Eingriffen, die am Gebär-
organ selbst vorgenommen wurden. Das Hereinragen des unteren Gebärmutter-
abschnittes in die Scheide als Portio vaginalis erleichtert das operative Handeln,
während andererseits gerade dieser Theil des Uterus am häufigsten der Sitz
gutartiger Veränderungen, wie auch bösartiger Neubildungen ist. Die erste
Amputatio colli wird Marschall zugeschrieben, welcher im Jahre 1783 einen
prolabirten, carcinomatösen Uterus angeblich total exstirpirte; in Wahrheit
nahm er aber nur eine partielle Resection, d. i. Amputation des erkrankten
Theiles vor. Auch Ossiander vollführte 1801 nur eine hohe Amputation, als
er vermeinte, den Uterus exstirpirt zu haben.
So lange diese Eingriffe von so grosser Gefahr begleitet waren, durfte
nur eine maligne Neubildung, das so überaus häufige Carcinom zur Veran-
lassung chirurgischen Vorgehens dienen. Erst als Sims, Simon, Hegar
Schröder u. a. die Technik, Schnittführung und Nahtmethode so verbesserten,
dass die Gefahren der Blutung, Sepsis, Stenosenbildung nicht mehr zu fürchten
waren, dehnte sich die Indication zu der Amputatio colli immer mehr aus, so
dass sie heute als ein harmloser, ungefährlicher Eingriff eher unterschätzt und
zu häufig geübt wird.
Streng zu trennen ist nun bezüglich der Indication, Prognose und Technik
zwischen Amputatio portionis vaginalis seu colli infravaginalis und der Am-
putatio supravaginalis seu amputatio alta colli uteri. Während man im erste-
ren Falle lediglich den zapfenförmigen, in die Scheide hervorragenden Theil
des Cervix abtrennt, also unterhalb des Ansatzes des Scheidengewölbes die
Absetzung der Portio vorgenommen wird, fällt bei der hohen Amputation der
ganze Cervix fort, zu welchem Behufe derselbe erst von Scheide, Blase, Para-
metrien, Peritoneum abgelöst werden muss, wie dies der erste und wesent-
lichste Theil der totalen Exstirpation des Uterus darstellt.
a) Amimtatio portionis vaginalis.
Indication zu derselben geben vornehmlich:
1. Hypertropliia portionis vaginalis;
2. Erosionen und Follikelhildung ;
3. Stenosen.
Carcinom der Portio wird wohl niemals mehr zu dieser Operation Indi-
cation sein. Wie weit die hohe Amputation des Collum mit der Totalexstir-
pation des Uterus bei Portio- oder Cervixcarcinom concurrirt, soll weiter unten
besprochen werden.
Technik der Amputatio portionis vaginalis. Nach vielfachen
Versuchen ist nunmehr eine Methode der Operation zum Typus geworden, die
sich sowohl durch Einfachheit, als durch Sicherheit auszeichnet, es ist- dies die
keilförmige oder kegelmantelförmige Excision wie sie von Simon, Maekwäld,
Hegar ausgebildet worden ist.
Die Verfahren mittelst des Ecraseurs, einer Drahtschlinge oder des gal-
vanocaustischen Brenners die Portio zu amputiren, gehören der Geschichte an.
Die Unsicherheit der Blutstillung, die Gefährlichkeit der Nebenverletzung
von Blase, Ureteren, Peritoneum, die damit nothwendig werdende Heilung per
secundam intentionem, endlich die Unmöglichkeit die spätere Form der Portio
und Weite des Muttermundes zu beeinflussen, verurtheilen diese Verfahren.
p]benso ist völlig obsolet geworden die erst geübte Methode von Sims, welche
als Ueberleitung von diesen Verfahren zu den rein chirurgischen der Jetzt-
zeit zu betrachten ist, nämlich nach Abtragen der Portio durch Horizontal-
43*
676
POETIO-OPERATIONEN.
schnitt, die Wuudfläclie mit einem Lappen der Vaginalschleimliaut zu über-
kleiden, wie dies etwa bei der intraperitonealen Stielbehandlung bei Myomecto-
mie mit dem Peritoneum noch geschieht.
Die Grundsätze der heutigen Technik sind: erstens die Absetzung der
Portio mit dem Messer so zu gestalten, dass sich die entstandenen Wund-
flächen leicht und vollständig an einander legen lassen; zweitens die Adaption
der Wunde durch- Nähte zu sichern, so dass die Blutung dadurch gestillt wird
und die Form der Portio und Weite des Muttermundes, bez. Cervicalcanals
die gewünschte ist.
Die Schnittrichtung ist deshalb von Bedeutung, weil der Cervix in seiner
Wandung völlig starres Gewebe trägt, und die Wundränder umgrenzenden
Schleimhäute nur geringe, d. h. Cervicalschleimhaut gar keine Verschieblich-
keit besitzt. Setzt man also z. B. nach dem früheren Brauch die Portio durch
einen horizontalen Schnitt ab, so ist es unmöglich die Wunde so zu vernähen,
dass sie per primam zusammenheilt. Die Excision muss vielmehr keilför-
mig erfolgen.
Die Vornahme der Operation gestaltet sich darnach folgen-
de rmaassen:
Als Instrumentarium ist nöthig:"")
SiMON'sche Specula, Seitenhebel, 1
MuzEux'sche Zange, 1 amerikanische
Kugelzange, 1 Messer, 1 Scheere, 1
Hakenpincette, 1 Nadelhalter, halb-
kreisförmige nicht zu grosse Nadeln,
Catgut.
Narcose erwünscht, doch nicht
unbedingt nöthig. Desinfection der
äusseren Genitalien, der Scheide und
Cervix, Steinschnittlage. Die Operation
beginnt damit, dass man mittelst der in
die vordere Muttermundslippe einge-
setzten MuzEux'schen Zange den Ute-
rus so viel als möglich herabzieht. Ge-
lingt es, so ist nur eine kurze breite
SiMON'sche Platte zum Zurückdrängen
der hinteren Scheiden wand nöthig, even-
tuell ein oder beide Seitenhebel, ein
vorderes Speculum ist in der Regel
nicht erforderlich. Die SiMON'schen
Halbrinnen sind wegen ihrer Länge un-
praktisch, erschweren die Operation.
Vor dem Einsetzen der Zange ist mit-
telst des Katheters zu prüfen, wie weit
herunter die Blase an der vorderen
Cervixwand inserirt.
Durch eine in die hintere Mut-
termundslippe eingesetzte Kugelzange
wird der Cervix möglichst zum Klaffen
gebracht und durch bilaterale Schnitte mit dem Messer so weit aufgeschnitten,
als der Länge der abzutragenden Stücke der Portio entspricht.
Nun wird zunächst die hintere Lippe excidirt, indem zuerst an der
Grenze der erkrankten und noch gesunden Cervixschleimhaut ein bis etwa
1. Kreisförmige Umsäumung des Muttermundes
bei Amputatio colli nach. HEGrAE.
Ka
2. Schluss der Nähte bei kreisförmiger
Umsäumung nach. HEGAR.
Icolocjie.
*) Vergl. die diesbezügliclien Abbildungen im Artikel „Insthimentariujn zur Gynä-
POllTIO-OPEliATIONEN.
Ö77
in die Mitte der Cervixwand gehender, scliräg nach oben gerichteter Schnitt
ausgeführt wird. Sodann wird unter starkem Erheben der Kugelzange ein
ebensolcher Schnitt von der Scheidenfiäche der hinteren Muttermundslippe
aus angelegt. Beide Schnitte müssen sich in einem spitzen Winkel treffen.
Die nun einsetzende Blutung ist nicht selten, namentlich bei grösseren
Hypertrophieen sehr profus, indem eine ganze Anzahl von Gelassen spritzen.
Prophylactische, blutsparende Verfahren, wie sie früher z. B. in der Umgebung
der Portio vermittelst eines Gummischlauches angewandt wurden, sind aber
nicht nöthig.
Richtiger und einfacher ist es, die Blutung durch sofortige Naht zu
stillen. Es müssen deshalb schon beim Beginn des ersten Schnittes mehrere
eingefädelte Nadeln zurecht sein, so dass rasch einige Näthe durchgeführt werden
können, welche die Blutung stillen und zugleich die Wunde vereinigen. Lässt
sich die Portio ganz tief in die Scheide herunterziehen, was nur bei Ver-
wachsung des Uterus und parametranen
Narben behindert ist, so ist die Naht-
anlegung keineswegs schwierig und er-
fordert weder besonderes Geschick, noch
complicirte Nahtapparate.
Eingestochen wird stets in die
Cervixschleimhaut. Besonders zu beach-
ten ist, dass die Nadel nicht durch
die Wunde geht, sondern hinter der-
selben durch das Cervixgewebe geführt
wird. Im ersteren Falle würde nach
dem Knoten in der Tiefe der Wunde,
namentlich seitlich eine Tasche ver-
bleiben, in der sich Blut verhält und
späterhin zersetzt, wodurch nicht allein
die Wundheilung gestört wird, son-
dern eventuell Sepsis veranlasst wer-
den kann. Ist durch einige Näthe die
Blutung gestillt, so wird in derselben
Weise die vordere Muttermundslippe
abgetragen und vernäht.
Man hat es leicht in der Hand
die Weite des Muttermundes so weit zu
gestalten, als man es für erforder-
lich hält. (Fig. 1. und 2.) Hat die Am-
putation vorwiegend plastischen Zweck,
ist sie also wegen Stenose des Mutter-
mundes und Cervicalcanales ausgeführt
worden, so empfiehlt sich die kreisför-
mige Naht nach Hegar, bei welcher
auch die seitlichen Vaginalränder nicht
aufeinander, sondern an die Cervix-
schleimhaut angenäht werden.*^ (Fig 3.
u. 4.)
Bei Amputationen wegen Hyper-
trophie würde dies einen zu sehr klaf-
fenden Cervix erzengen; hier ist es richtiger nur in der Breite der Cervix-
schleimhaut die Vaginalschleimhaut anzunähen, seitlich hingegen Vaginal-
schleimhaut mit Vaginalschleimhaut in Verbindung zu bringen (siehe Fig 2).
Anlegung der Nähte bei der kreisförmigen
Amputatio colli.
Eig. 4. Sobluss der Niitlie bei Amputatio colli.
*) Vergl. auch Artikel .,Cervix3tenose" pag. 166.
678
PORTIO-OPERATIONEN.
Es muss sorgfältig und solange genäht werden, bis die Sclileimbäute linear an
einander liegen und die Blutung völlig steht. Blutende Stichcanäle sind even-
tuell zu umstechen. Nur dann ist man vor Nachblutung gesichert.
Nach Schluss der Naht Aufstreuen von Jodoform, Einlegen eines Jodo-
formgazestreifens. Die Nachbehandlung ist sehr einfach. Patientin verbleibt
8 — 10 Tage zu Bett. Keine Ausspülungen, welche die Wundheilung stören !
Hat man mit Catgut genäht, braucht
gar nicht zu kümmern.
Kg. 5. Excißio cevvicis nach SCHEOEDER.
a 6 horizontaler Schnitt. — ac senkrechter Schnitt.
man sich um das Schicksal der Fäden
Eine besondere, gelegentlich sehr
empfehlenswerthe Operationsmethode
hat Schröder für gewisse Fälle ange-
geben. Der Unterschied zwischen dieser
und der vorigen besteht darin, dass hier
nicht aus der ganzen Dicke der Portio
ein Keil herausgeschnitten wird, son-
dern dass nur die erkrankte Cervix-
schleimhaut eliminirt wird. Die Ope-
ration wird hiezu so ausgeführt, dass
nach starkem Auseinanderziehen der
Muttermundslippen, eventuell unter Zu-
hilfenahme bilateraler Discission, ober-
halb der erkrankten Cervicalschleimhaut
ein nicht sehr tiefer horizontaler Schnitt
augelegt wird. Ziemlich senkrecht zu
diesem wird nun mehr oder weniger
flächenhaft die zu entfernende Schleim-
haut excidirt. (Fig. 5.) Durch aus Fig.
6 ersichtliche Nahtanlegung wird die
vaginale Fläche der Portio nach der Cer-
vixhöhle zu eingeklappt, so dass also
der untere Theil des neugebildeten
Cervixcanales mit Vaginalschleimhaut
ausgekleidet wird.
h) Ämputatio alta.
Die Indicationen zu der hohen
Amputation sind :
1. Elongatio colli supravaginalis ;
2. beginnendes Portiocarcinom.
Beide Indicationen werden mehr
und mehr umstritten, so dass die Vor-
nahme dieser Operation immer sel-
tener wird.
V. Rokitansky und neuerdings
KtJSTNER wiesen nach, dass die bei to-
taler Inversio vaginae ohne Descensus
uteri sich vorfindende Verlängerung der Uterushöhle auf 12 — 15 — 18 cm nicht
durch eine wirkliche Hypertrophie des Collum bedingt ist, sondern vielmehr
nur eine durch den Zug des herabgetretenen Scheidenansatzes am Uterus
entstandene Ausziehung und Oedembildung ist. Keponirt man in diesen Fällen
nach Ausführung der Kolporrhaphie den Uterus, so verkürzt sich derselbe,
begünstigt durch die ruhige Bettlage in wenigen Tagen so wesentlich, dass eine
operative Kürzung desselben nicht mehr notwendig erscheint.
Die Berechtigung der hohen Amputation wegen Portiocarcinom ver-
fechten heute nur mehr einzelne Autoren, wie Hofmeiee und Wlstee, dio
Fig. 6.
Wundvereinigiing bei Excisio cervicis
nach SCHKOEDER.
PORTiO-OPEKATIONEN. 679
für beginnende Carcinome nach dem Vorgange Sciiköder's dieser partiellen
Exstirpation vor der totalen Entfernung des Uterus den Vorzug geben.
Es bleibt abzuwarten, in welcliem Verhältnis das Auftreten von lleci-
diven bei beiden Operationsverfahren in einer grösseren Zahl von Vergleiclis-
fällen stehen wird. Die allgemeine Meinung tendirt zur Zeit mehr zu der
Totalexstirpation des Uterus, wozu ganz besonders die Beobachtung berechtigt,
dass in einzelnen Fällen das gleichzeitige Vorkommen von Portiocarcinom und
Corpuscarcinom beobachtet wurde.
Die Technik der hohen Amjnitation ist wesentlich verschieden von der-
jenigen der vorbeschriebenen Amputatio portionis infravaginalis. Der erste
Act dieser Operation besteht in dem Auslösen des Cervix aus deren Ver-
bindung mit Blase, den Parametrien und dem hinteren Peritonealüberzug des
Uterus, welcher bekanntlich bis auf das hintere Scheidengewöll)e herabreicht.
Zu diesem Behufe wird zuerst die Portio vaginalis cca. 1 cm unterhalb
der Blasengrenze kreisförmig umschnitten und unter starkem Herabziehen
der Portio mit MuzEUx'scher Zange der Cervix in gewünschter Länge
stumpf herauspräparirt, wie dies auch zur Ausführung der Totalexstirpation
nöthig wird. Selbstverständlich ist hiebei grösste Vorsicht gegen Blasen- und
Ureterenverletzung anzuwenden. Weniger bedenklich ist ein Einreissen des Pe-
ritoneums, nur muss eine Eröffnung der Peritonealhöhle erkannt und sofort
durch Naht verschlossen werden.
Die Abtragung des abgelösten Cervixstückes geschieht wieder durch keil-
förmige Excision, indem die ganze Länge der Cervix bis, zu der Amputations-
stelle bilateral gespalten wird und erst die hintere, dann die vordere Lippe
abgeschnitten wird. Auch wird schliesslich Vaginalschleimhaut an Cervix-
schleimhaut genäht. Die seitlichen, Vaginalschleimhaut mit Vaginalschleimhaut
vereinigenden Nähte müssen sorgfältig tief hinter der Wunde herumgeführt
werden. Da hier die Parametrien mit ihren zahlreichen und starken Gefässen
verletzt werden, ist die Blutung eine beträchtlichere und die Stillung der-
selben sorgfältig zu handhaben. Schröder und Martin empfehlen zum Be-
ginne der Operation tiefe, durch die Parametrien geführte, prophylactische Ab-
stechungen der Arteriae uterinae und deren Aeste.
Discissioii.
Unter Discission versteht man die Erweiterung des äusseren Muttermundes
oder des ganzen Cervicalcanales durch Schnitt.
Als Indication hiezu gilt Verengerung des Muttermundes, so dass der
Austritt des Menstrualblutes Schwierigkeiten findet und Beschwerden macht,
„Dijsmenorrhoea stenotica'^ und die Aufnahme von Sperma behindert ist, „Ste-
rilität'^. Namentlich zur Beseitigung der letzteren war lange Zeit die Discissio
das typische Vorgehen, nachdem im Jahre 1843 Simpson als Erster durch diese
Operation einer seit 7 Jahren steril verheirateten Frau die 4 Monate später
eintretende Conception ermöglicht hatte. Auch heute noch wird an dieser
Indication zur Discission festgehalten, im Gegensatz zu früher aber wird sie
nur dann gegen Sterilität versucht, wenn einmal die Untersuchung des Spermas
die Zeugungsfähigkeit des Mannes festgestellt hat und andererseits sonstige
Veränderung der weiblichen Genitalien, Tuben- und Ovarienerkrankungen,
Lageveränderungen oder Tumorbildung des Uterus ausgeschlossen ist. Da die
anderen Sterilitätsursachen prävaliren, ist die Discission aus dieser Veranlassung
wesentlich seltener geworden.
Auch bei der Dysmenorrhoe ist der Erfolg der Discission aus dem Grunde
nicht immer der gewünschte, weil auch dieser Störung oftmals andere Ur-
sachen zu Grunde liegen.
.680 PROLAPS.
Am meisten Erfolg verspricht die Discission in den Fällen, wo über dem
]\Iuttermund im Cervicalcanal eine ampulläre Erweiterung und Anstauung von
Cervicalsecret die gestörte Function derselben augenscheinlich macht.
Auch in Fällen von functioneller Stenose des inneren Muttermundes in-
folge von hochgradiger Anteflexionsknickung desselben findet die Discission
noch Anwendung. Selbstverständlich ist aber hier besser, wenn möglich die
Correction der Lageveränderung auzustellen.
Von Baker Brown, Mc. Clintock und Nelaton stammt die Beobachtung
her, dass die durch submucöse oder interstitielle Myome erregte Blutung durch
Spaltung des Cervicalcanals beseitigt werden könne. Es wurde dies auf eine
unbeabsichtigte Spaltung des Geschwulstbettes zurückgeführt, welche eine Ke-
traction der congestionirten Blutgefässe herbeiführt. Die Inangriffnahme der
Geschwulste selbst dürfte hier die Discission mit Recht verdrängen.
Endlich findet die Discission Anwendung, um das Uterusinnere behufs
operativer Maassnahmen in demselben zugänglich zu machen, sie ist also dann
nur Mittel zum Zweck und concurrirt mit der unblutigen Erweiterung.
Die Technik der Discission bestand früher darin, dass man mittelst schnei-
dender Instrumente meist bilateral einen Einschnitt machte. Durch Aetz-
behandlung der Wunden wurde das Wiederverwachsen derselben verhindert.
Besondere „Metrotome" wurden zu diesem Zwecke construirt, die bekanntesten
sind diejenigen von Simpson, Sims und E. Martin. An deren Stelle wird
jetzt das Aufschneiden des Cervix mit der Scheere oder das Einschneiden der
Wand desselben mit einem einfachen, langen, schmalen Messer vorgezogen,
da sich damit sicherer als mit einem Metrotom die Tiefe der Einschnitte be-
stimmen lasse. Nach der Discission wird in den Cervicalcanal ein mit Liquor
ferri sesquichlorati oder 50 "^/o Chlorzinklösung befeuchteter Wattebausch ein-
gelegt, welche die Blutung stillt und gleichzeitig durch die Verschorfung der
Wunden die prima reunio hindert. Am 3. Tag wird der Tampon entfernt und
fortan 8 Tage lang täglich ein solcher mit Jodoformglycerin eingelegt.
Bei Anteflexionsstenose wird in sagittaler Richtung die linke Lippe,
bei Retroflexionen die vordere Lippe eingeschnitten. Zuverlässiger als
die Discissio erscheint bei angeborener oder erworbener Stenose des Mutter-
halses eine plastische Operation entweder in Form der keilförmigen Ampu-
tation oder ähnlicher Verfahren. döderlein.
Prolaps. Die grosse Mehrzahl aller Scheiden- und Uterusvor-
f all e sind puerperalen Ursprunges. Schon während der Gravidität werden
die Scheidenwände derart aufgelockert, dass sich selbst bei Erstschwangeren
die vordere Vaginalwand oft vorbuchtet. Während der Geburt wird bei Primi-
paren, zumal bei rigidem Muttermund, der Cervix stark nach unten gezogen
und dadurch seine feste Verbindung mit der Blase gelockert. In der Aus-
treibungsperiode wird ferner die Scheide durch den Kopf sehr erheblich gedehnt
und infolge dessen auch ihre Verbindung mit den Nachbarorganen eine losere.
So geht selbst nach normalem Geburts- und Wochenbettsverlauf die ursprüng-
liche Festigkeit und Straffheit der Vagina verloren. Fehlt in Folge eines
nicht geheilten, grösseren Dammrisses der vorderen Scheidenwand die sonst
vorhandene Stütze der hinteren, so kommt es leicht zu einem Herabgleiten,
einem Descensus der ersteren. Er wird durch starke Füllung der Blase
und Anstrengen der Bauchpresse befördert. Auch die hintere Scheidenwand
kann in Folge eines Dammrisses prolabiren. Manchmal bildet sich eine Rec-
tocele, welche die Scheide vortreibend, dieselbe secundär zum Vorfall bringt.
Auffällig ist es, dass isolirte Scheidenvoiiälle verhältnismässig selten sind.
Die Ursache ist darin zu suchen, dass die Verbindung der vorderen Vaginal-
■wand mit dem Cervix, selbst wenn sie gelockert, doch noch eine so feste ist,
PROLAPS. G81
dass jene nach unten sinkend, einen '/av^ an dem letzteren ausübt, welcher meist
infolge ungenügender puerperaler llückbildung noch hyperämisch und hyper-
trophisch ist. Während das Corpus uteri durch seine Ijcfestigungsmittel an-
nähernd in normaler Höhe erhalten wird, wird er in die Länge gezogen. Sind
aber auch jene, d. h. der peritoneale Ueberzug des Corpus wie die Ligamenta
lata, recto-uterina und rotunda mangelhaft involvirt, so sinkt der Uterus in
toto nach unten und das umso leichter, wenn er massig retrovertirt, also
annähernd in der Scheidenaxe liegt. Letzteres wird wieder durch starke
Füllung der Blase, welche das Corpus nach hinten, sowie Anhäufung von
Kothmassen im Rectum, die den Cervix noch verdrängen, begünstigt. Selbst-
verständlich ist es, dass ein schwerer, d. h. schlecht involvirter Uterus unter
den geschilderten Verhältnissen leichter descendirt als ein solcher von nor-
maler Griisse, selbstverständlich auch, dass starke Anwendung der Bauchpresse,
welche chronische Obstipation so oft erfordert oder mit heftigem Erbrechen,
starkem Husten verbunden ist, hier begünstigend wirkt.
Nicht selten hört man von älteren, jenseits des Klimacterium stehenden
Frauen, dass sich bei ihnen sehr schnell ein Prolaps entwickelt habe. Ge-
nauere Erkundigungen, beziehungsweise die Untersuchung ergeben aber fast
immer, dass bei ihnen bereits geringe Grade von Vorfall bestanden haben
und dass ein mehr-minder tief gehender Dammriss vorhanden ist. Die schnelle
Vergrösserung des Vorfalles ist hier einerseits auf das Schwinden der Elasti-
cität der Gewebe in diesen Jahren, sowie wieder auf eine häufige und stär-
kere Anwendung der Bauchpresse, sei es in Folge schweren Stuhlganges oder
körperlicher Anstrengungen zurückzuführen. Letztere spielen überhaupt da,
wo andere begünstigende Momente bereits vorhanden sind, eine wichtige Rolle
bei der Entstehung der Vorfälle. Auf sie, zumal wenn sich ihnen Frauen
frühzeitig in Wochenbett unterziehen, ist es zuschieben, dass wir dem Pro-
laps ungleich häufiger bei den niederen, als den besitzenden Classen begegnen.
Bisher haben wir in dem Descensus der Scheide das Primäre, in dem
Vorfall des Uterus des Secundäre gesehen. Auch das umgekehrte kann der
Fall sein. Sind die bereits erwähnten Befestigungen des Uterus erschlalft,
liegt er selbst leicht retrovertirt, so sinkt er nach unten und invertirt die
Scheide. So kann ein totaler Uterusprolaps entstehen, d. h. die ganze Gebär-
mutter vor der Vulva liegen. Ein anderer Entstehungsmodus ist der, dass
der Prolaps des hypertrophischen Uterus längere Zeit durch ein zu grosses
Pessar reponirt erhalten wurde und dieser sich inzwischen wieder zu nor-
maler Länge zurückgebildet hat. Nach Entfernung des Pessars kann er dann
plötzlich wieder und jetzt in toto vorfallen.
Ein ganz plötzliches Zustandekommen eines Uterusprolapses gehört sonst
zu den grössten Seltenheiten, ist aber bei sehr starker Anstrengung der Bauch-
presse und Vorhandensein der geschilderten begünstigenden Momente möglich.
In seltenen Fällen auch liegt schliesslich die Ursache der Vorfall-
bildung in intraabdominellen Geschwülsten, welche den Uterus nach abwärts
drücken oder solchen — besonders sind es vom Cervix entspringende — ,
welche ihn nach unten ziehen.
Bei isolirtem Prolaps der vorderen Scheidenwand findet sich die
letztere in der Regel verdünnt, schlaff, blassroth. Stets enthält er, gleich-
viel ob isolirt oder durch Uterusvorfall complicirt, eine Ausstülpung der
hinteren Blasenwand, eine Cystocele, deren Grösse von der des Vorfalles
abhängt. Der obere Theil der Urethra folgt dem Zug der Blase, biegt sich
also etwas nach hinten um; der untere, dem Knochen fest angeheftete behält
dagegen seinen normalen Verlauf.
Während die Blase dem Vorfall der vorderen Scheidenwand stets folgt,
(Peitsch macht hierfür nicht nur die festere Verbindung beider beziehungs-
weise der Blase mit dem Cervix, sondern auch den intraabdominellen Druck,
682
PROLAPS.
pertto'"'
eurrt
■welcher die Blase an die Vagina angedrückt erhält, sowie das Fehlen eines
die Erstere oben festhaltenden Bandapparates verantwortlich), ist ein Gleiches
nicht mit dem Rectum bei Prolaps der hinteren Wand der Fall, da hier die
Verbindung des einen mit dem anderen eine sehr lockere ist. Findet sich
eine Rectocele, so ist sie, wie oben erwähnt, das primäre gewesen, der Vor-
fall durch sie herbeigeführt worden. Sie kann so hochgradig werden, dass
ein Theil des Rectum, in welchem sich dann Kothmassen ansammeln, unter-
halb des Anus liegt. Gewöhnlich finden sich dann stark entwickelte Hämor-
rhoidalknoten, sowie Schwellung der Rectalschleimhaut als Folge venöser Stase.
Bei Prolaps des Uterus gestalten sich die Verhältnisse verschieden, je
nach der Betheiligung der einzelnen Abschnitte des Cervix, beziehungsweise
des ganzen Organs. Wenn von manchen Autoren von einem isolirten Prolaps
der Vaginalportion gesprochen wird, so ist dies nicht gerechtfertigt. Es han-
delt sich hier nicht um einen Vorfall, auch nicht um die Folgen eines solchen,
sondern um eine primäre Hypertrophie.
Eine von Schröder herrührende schematische Zeichnung ist am Besten
geeignet die in Frage kommenden, anatomischen Verhältnisse zu veran-
schaulichen.
Man unterscheidet nach derselben einen
unterhalb des vorderen Scheidenansatzes liegen-
den Theil des Cervix (a) als Pars vaginalis, einen
oberhalb des hinteren Scheidenansatzes liegen-
den (c) als Pars supravaginalis und den zwischen
beiden liegenden (b) als Pars media. Die eben
erwähnte, reine Hypertrophie betrifit die Pars
vaginalis. Zerrt die prolabirende vordere Va-
ginalwand die Pars media nach unten, so tritt
der Muttermund tiefer und tiefer, während
das hintere Scheidengewölbe annähernd in nor-
maler Höhe stehen bleibt. Fallen vordere und
hintere Scheidenwand gleichzeitig vor, so wird
die Pars supravaginalis ausgezogen; vorderes und
hinteres Scheidengewölbe verschwinden. Letzte-
res ist auch bei dem viel selteneren totalen
Prolaps des dann meist retroflectirt, nur ganz
ausnahmsweise anteflectirt liegenden Uterus der Fall. Während hier die Sonde
eine normale Länge der Gebärmutterhöhle ergibt, findet sich diese bei der
sogenannten Hypertrophie der Pars media oder supravaginalis sehr erheblich,
bis um 5 zu 7 cm verlängert. Hiervon kann man sich auch durch combinirte
Untersuchung sowohl vor wie nach der Reposition des Vorfalles und des
meist retrovertirten Uterus überzeugen. Nach letzterer liegt das Corpus
stark antevertirt.
Das es sich in diesen Fällen von Prolaps nicht etwa um primäre Cervix-
hypertrophien handelt, wie von einigen Autoren angenommen wurde, geht
schon aus dem über ihre Entstehungsweise Gesagten hervor. Ausserdem
finden wir eine richtige Hypertrophie nur an der oft erodirten oder von wirk-
lichen Geschwüren bedeckten Pars vaginalis, während die Pars media und
supravaginalis in der Regel auifallend dünn sind. Das Corpus uteri dagegen
ist meist verdickt. Die Sondirung gelingt in der Regel leicht. Manchmal
stösst man in der Gegend des inneren Muttermundes auf einen Widerstand.
Während er von manchen Autoren als durch Atresie bedingt angesehen wird,
führen ihn andere auf die Rückwärtslagerung des Uterus zurück. Da diese
aber meist in einer Retroversion besteht, ist die erstere Annahme wohl die
richtige.
Anatomisclie Eintlieihmg des Cervix
nach SCHKÖDEE.
PROLAPS-OPERATIONEN. 683
Die ersten Erscheinungen des Vorfalles bestehen in massigen
Unterleibsschmerzen bei einem gleichzeitigen Gefühl von Drängen nach unten.
Liegt erst die prolabirte Scheide dicht hinter oder vor der Vulva, so klagen
die Kranken über die quälende Empfindung, als wolle unten etwas heraus-
fallen. Sie steigert sich im Gehen und besonders bei körperlichen Anstren-
gungen, um im Liegen zu verschwinden. Ziemlich frühzeitig machen sich
auch Blasenbeschwerden, in häufigem Harndrang bestehend, bemerkbar. Lei
grösseren Vorfällen macht das Entleeren der Blase nicht selten Schwierig-
keiten; in manchen Fällen ist es erst nach Reposition des Prolapses möglich.
Ueber starken, eitrigen Ausfluss wird oft geklagt. Er rührt meist nicht
von einem Cervix- oder Uteruskatarrh, sondern von dem den Muttermund
umgebenden Erosionen und Geschwüren her. Greifen die letzteren tiefer, so
wird er blutig gefärbt und oft ist es erst diese Erscheinung, welche in den
Patienten die Befürchtung eines beginnenden Krebsleidens erweckend sie zum-
Arzt führt.
Macht ein Vorfall an sich den meisten Kranken schon sehr erhebliche
Beschwerden, so steigern sich dieselben in hohem Grade, wenn er sich in
folge der mechanischen Reizung und mangelhafter Reinlichkeit entzündet
und anschwillt. Es sind Fälle beobachtet, bei welchen Gangrän eintrat und
die Patientin an Sepsis zu Grunde ging.
Auffallend ist es, dass erheblichere Mentruationsstörungen gewöhnlich
fehlen; Schwangerschaft kann eintreten. Gewöhnlich steigt der Uterus mit
dem Fortschreiten derselben nach oben, so dass im 3. oder 4. Monat spon-
tane Reposition des Vorfalles erfolgt.
Bei plötzlicher Entstehung eines Prolapses treten meist, wenn auch nicht
immer schwere Collapserscheinungen ein, welche aber bald wieder rückgängig
werden.
Die Diagnose des Scheiden- und Uterusvorfalles macht kaum Schwierig-
keiten. Gewöhnlich haben die Kranken selbst sie bereits gestellt. Gesichert
wird sie durch den Nachweis des Muttermundes an der äusseren Kuppe der
hühnerei- bis mehr als faustgrossen Geschwulst. Isolirte Vorfälle der vorderen
oder hinteren Vaginalwand können zu Verwechslungen mit Scheidencysten
führen. Die Möglichkeit vom Rectum her den Finger in die der hinteren
Wand angehörende Geschwulst einzuführen, den Katheter von der Blase aus
in die der vorderen entscheidet für Prolaps.
Nicht selten klagen Patienten über einen Vorfall, ohne dass sich ein
solcher sofort findet. Erst bei wiederholter Anstrengung der Bauchpresse
tritt er nach unten, am schnellsten und vollkommensten, wenn die Kranke
steht. Ueber die Art des Vorfalles gibt die Stellung der Scheidengewölbe,
die Länge des Uterus, seine Lage Aufschluss"). gkaefe.
ProlapS-Operationen. Trotz mehrfacher früherer Versuche den Vor-
fall der weiblichen Genitalien auf operativem Wege zu heilen, ist der nun-
mehr erreichte volle Erfolg eine Errungenschaft neuerer Zeit (Simon); und
hat man Hegar die Klärung der Principien, nach denen die Operation vorge-
nommen werden solle, zu danken. Durch die einleuchtende Darstellung der
den Descensus uteri hervorrufenden ätiologischen Momente und die Würdi-
gung des Einflusses der Retroflexion musste man einsehen lernen, dass der
Prolaps vorkommen wird, wo der Schlussaparat der Scheide nur un-
vollständig wirkt, oder die Bauchfellbefestigungen des Uterus
ihres Tonus verlustig gingen. Wir nehmen hiezu noch jene Categorien
von Vorfällen, die auf allgemeine Erschlaffung des Beckenbinde-
*) Betreffs der Therapie der Prolapse vergleiche die Artikel „Pessarien" und
jProlapsojoerationen".
684 PROLAPS-OPERATIONEN.
gewebes, — Avie eine solche nach rasch hintereinander folgenden Wochenbet-
ten aufzutreten pflegt, selbst wenn der Damm keine namhafte Verletzung
erlitt — zurückzuführen sind.
Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, war es ermöglicht die lästigän
Stützapparate (Pessarien) zu vermeiden, und den bisher sehr mangel-
haften, unter Umständen nicht ungefährlichen Erfolg zu einem
vollständigen, gefahrlosen zu gestalten. Dass hiebei nicht stets
einfache Verhältnisse vorwalten, beweist der Verlauf der Erkrankung, der
nicht allein im Ablösen der vorderen Scheidenwand (als Cystokele); dem
Herabtreten des Uterus, mit und ohne Rückwärtsbeugung (Descensus uteri);
dem Ausweiten der hinteren Wand mit Hervorstülpung der Ampulla recti
(Rectokele), einzeln oder vereint bestehen kann, sondern der auch
durch auf Grund von Circulationsstörungen basirten histologischen Veränderun-
gen, zur ödematösen Schwellung und nachfolgender Hypertrophie der
Cervix führt.
Die Operation niuss also der Aufgabe entsprechen: palliative Stütz-
apparate ganz entbehrlich zu machen, dem vorgefallenen Organe seine Nor-
mallage zu sichern, eventuell seine Rückbildung zu ermöglichen; und dies
wird nur erreicht, wenn das vergrösserte Organ verkleinert, und dem Uterus
in der verengten Scheide und dem verstärkten erhobenen Damme ein der-
artiger Wiederhalt gegeben wird, dass er in der normalen Lage zu verbleiben
vermag.
Je nach diesen Bedürfnissen, theilen wir die Prolaps-Operation in meh-
rere Abschnitte ein, die, wenn auch nicht zeitlich getrennt zur Ausführung
gelangen, in vorbereitende und eigentliche Maassnahmen zerfallen.
Zur ersteren rechnen wir die Heilung etwaiger Vaginalgeschwüre, wie
solche den Prolaps zu einer fortwährenden Qual und Gefahr gestalten
{s. „Prolaps p. 683'^) und die Verkleinerung der hypertrophischen Portio vaginalis
durch Excision von Theilen derselben oder Amputation des Collum uteri; zu
letzteren jene Eingriffe, durch welche die Scheide und der Beckenboden
neu gestaltet werden oder durch welche eine Fixirung der Gebär-
mutter erfolgt. Bei Ersteren wird es sich zumeist um die Frage der Ver-
engerung oder Verschlusses der Scheide, und eine Versetzung ihrer Axe und
der Verhältnisse zu derjenigen der Gebärmutter handeln.
Dieses Ziel durch caustische Mittel erreichen zu wollen, wird
heutzutage im Ernste wohl Niemand versuchen wollen. Ehe wir an die kurz-
gefasste Beschreibung der diesbezüglichen blutigen Methoden schreiten, möchten
wir noch Einiges über die Indication der Operation vorbringen.
Weniger der Unbequemlichkeit und der Schmerzen wegen, die zeitweilig
im Kreuze und Becken gefühlt werden, suchen die mit Vorfall behafteten
Frauen ärztliche Hilfe, sondern weil sie der herabhängende Tumor bei mil-
derem Grade durch Störungen der Blasenfunction, bei höherer Entwickelung
an jeglicher Beschäftigung hindert und ihnen das Ankleben der Wäsche
an die Theile sehr peinlich wird und sie zum fortwährenden Liegen ver-
dammt. Wir haben oft über den Gleichmuth gestaunt, mit dem selbst Frauen
besserer Stände die mannigfaltigsten Verbände täglich erneuerten, mehr noch
über die Ausdauer mit der immer grössere Pessarien verlangt wurden, am mei-
sten jedoch darüber, dass solche Hilfsmittel in ausgedehntem Maasse von Aerzten
in Anwendung gebracht wurden, denen im operativen Eingriffe viel sicherere
Erfolge zu Gebote stehen. Allerdings veranlassen uns die Resultate mehrerer
Hunderte von Fällen der Indication für die Prolapsoperation die weitesten
Grenzen zu ziehen.
Da die Narcose zu mindest bei den von der Scheide und dem Becken-
boden in Angriff zu nehmenden Operationen nicht unumgänglich nöthig ist,
und durch Injectionen von Cocainlösung (5 — lO^o) ersetzt zu werden
PROLA PS-OPERATIONEN. 685
yermag, so wäre nur das Alter der Patientin in Beriicksicliti^ung zu zie-
hen. Wir haben deren in allen Lebensjahren (auch über die 70 hinausj ohne
Zwischenfall einer glücklichen Heilung zugeiiihrt.
Es bildet demnach nur der irreponible Prolaps, sei es, dass er
durch peritonitische Verklebungen complicirt ist, oder dass der Gebärmutter
Tumoren (meist Fibromyome) aufsitzen oder wie es bei totalem Vorfalle vor-
kommen mag, dass das Organ incarcerirt ist — ein wesentliches Hindernis
ihm von der Scheide aus beizukommen, und erfordert dann freilich gefähr-
lichere, später abzuhandelnde Maassregeln.
Als Vorbereitung für die Operation lassen wir die Kranke vor-
her tüchtig den Darm entleeren, und geben zu diesem Zwecke mit Vorliebe
ein Elektuarium aus Ricinusöl und Mannit ä,ä kaffeelöffel weise bis zur aus-
giebigen Wirkung. Danach bleibt die vorher ebenfalls gebadete Kranke im
Bette, und nachdem das ganze Gebiet des Vorfalles gereinigt und gründlich mit
schwacher Sublimatlösung abgespült wurde, bepudert man die vorfindlichen
Geschwürsflächen mit Jodoform und reponirt den Vorfall. Es ist erstaunlich,
welche Verkleinerung die geschwollenen Theile darnach schon nach wenigen
Stunden aufweisen. Doch schnellt in vielen Fällen das Organ wieder her-
aus, worauf es mit in Sublimatlösung (Vs^/oo) getauchten Compressen be-
deckt wird. Stuhlverhaltende Mittel werden nicht, hingegen am Tage vor
der Operation blos leichtere Kost verabreicht.
Zur Operation kommt die Kranke in Steinschnittlage. Nun werden zu-
erst die Verhältnisse der Blase und des Rectum dem Uterus gegenüber durch
gleichzeitiges Katheterisiren und Austasten des Mastdarmes (stets von der
Assistenz ausgeführt), ebenso die Länge des Uterus durch Sondirung fest-
gestellt. Während durch erstere Untersuchung eine Verletzung der Blase und
des Douglas vermieden wird, erfahren wir durch letztere ob die Gebärmutter
hypertrophirt oder blos ödematös geschwellt ist.
Bei der (bis auf 25 cw Länge) Hypertrophie der Cervix schicken wir
stets die Amputatio colli voraus.
Die keilförmige Excision aus den Lippen der Portio führt nicht
in dem Maasse zur Verkleinerung des Organes, wenn es auch der erwünschten
Depletion entsprechen würde, als die c i r c u 1 ä r e A m p u t a t i o n, in deren Bezirk
man etwaige Geschwürsfläche gleich einzubeziehen vermag. Für den Nutzen
ausgedehnter Resection der Vaginalwand hat aber Fritsch ganz tref-
fende Belege geschaffen.
Für diese und die folgenden Vorgänge flnden wir beinahe bei jedem der
namhafteren Gynäkologen mehr-minder abweichende Operationsmethoden und
Modificationen. Wir haben uns auf die einfachsten und das bescheidenste
Instrumentarium beschränken zu sollen geglaubt.
Zur Amputation*) haken wir die hintere Muttermundslippe an und stellen den
Prolaps wieder her. Nachdem die Grenzen der Blase und des Mastdarmes festgestellt sind,
ziehe ich das Organ fest an und umkreise die Portio mit bis an die Musculatur reichendem
Schnitte. Spritzende Gefässe werden in Pin^es gefasst und nun die Vaginalwand von der
Cervix so hoch auf stumpfem Wege abgelöst als die Verkürzung zu betragen hat, hierauf
die Cervix glatt abgetrennt. Bei metritischem Uterus blutet es aus der Amputationsfläche
ganz bedeutend, und einzelne Arterien ästchen müssen auch zugehalten werden, bis man
an eben den blutenden Stellen die Vaginalwand an den Rand des Cervicalcanales festnäht.
Sticht man vom Vaginalwundrande die gekrümmten Nadeln recht tief durch die Cervix-
mucosa, so lässt sich die Vaginalwand prompt an letztere anlegen und nach der Lage der
spritzenden und auf diese Weise gesicherten Gefässe bekommt man eine Kleeblattfigur
um das Orificium uteri herum. Die langgelassenen Fäden der Nähte geben eine vorzüg-
liche Handhabe zur Fixirung der Gebärmutter ab, und zwischen denen werden die noch
klaffenden Stellen vernäht. Ist die Blutung vollkommen aus jeder Stelle gestillt, so ist
die vorbereitende Operation abgeschlossen — unstreitig heroischer als die keilför-
*) Eine ausführliche Darstelhmg der verschiedenen Methoden der Amputatio colli
findet sich in dem Artikel ^^Portio-O'perationen^
686
PROLAPS-OPERATIONEN.
mige Abtrennung aus der vordem Lippe nach Schröder, aber den Heilungsprocess auch
ganz bedeutend abkürzend. Auf eine spätere Schwangerschaft und Geburt hat diese Maass-
nahme unserer Erfahrung nach keinerlei nachtheihgen Einfluss.
Dem folgt nunmehr die Verengerung der vorderen Scheidenwand, durch
Ausschaltung ovaler oder rhombischer Stücke aus derselben, mit Vernähung
der Wundflächen an einander. Man nennt diese Operation Kolpo- oder
ElyfroiTh.aphia anterior. (Figur 1.)
Nachdem man sich die vorgefallene Va-
ginalwand in situ durch eingesetzte vier Ku-
gelzangen angespannt, zeichnet man die vor-
fallende Stelle im Oval- oder in Myrthen-
blattform, die breitere Stelle nach oben —
den Harnröhrenwulst nur dann miteinbezie-
hend, wenn er stark hypertrophisch ist —
._. - vor. Nun beginnt man mit der Abtrennung
des Lappens gewöhnlich an der linken Seite,
zieht das Messer in langen Zügen gegen den
Lappen und nicht gegen die Blase gerichtet
~-^ fort, spannt dabei den in einer Krallenpin-
cette gehaltenen Lappen fest an und hilft
erst, an die rechte Seite gelangt, in der Zeich-
nungslinie nach. Auf diese Weise hat man
später an der Wundfläche wenig mehr zu
glätten, was mittelst CooPER'scher Scheere
geschieht; von spritzenden Gefässen werden
die transversal verlaufenden Arterien der vor-
pig. 1. Anfrischungsfigur der Koiporraphia dcreu Wand zwcckdienlich gleich unterbunden.
anterior nach FEHLIN Gr. -.r ^ tt'-I' i- j. •
Die punktirte Linie gibt die Figur für die Mau kanu dio Kolpormaphia anterior
Die schwarze LSrdi^renTge'nach HEGAE. übrigeus mit der Amputatlo colü auf einmal
erledigen. Hiebei findet die Vorzeichnung
der abzutragenden Fläche eine kleine Umgestaltung, indem das Oval gleich
in . die circuläre Linie übergeht und man am Lappen selbst die zu amputi-
rende Collumpartie anzieht; sie ist aus der Zeichnung ersichtlich (s. Fig. 1).
Da bei der nachfolgenden Naht die Wundränder eine bedeutende Spannung
auszuhalten haben und ein Auseinanderweichen derselben darnach öfter ein-
tritt, so muss es als sehr gelungene Modification bezeichnet werden, dass
Fehling seine Anfrischungsfigur in zwei Abschnitte theilt, die von ein-
ander durch eine Brücke von 1 — 1"5 cm breiter vaginaler Wand getrennt er-
scheinen (s. Figur 1).
Wie bei sämmtlichen in der Scheide vorgenommenen Operationen kommt
es behufs erster Heilung auf genauestes Aneinanderpassen der Wundränder
an. Wir ermöglichen ein bedeutendes Zusammenrücken der Ränder nun
dadurch, dass die Seitenkugelzangen entfernt, die obere und untere stramm
angezogen werden. Wir haben bei diesem einfachen Vorgange weder Mar-
tin's gezähnten Stab zum Aufrollen des Lappens, noch die Kleinpincetten
Hegar's oder die Forcipressur Cheron's vermisst; die Berieselung des
Operationsfeldes — selbst mit sterilisirtem Wasser — halten wir für un-
nöthig ; es genügt ein Abtrocknen mit sterilen Gazetupfern. Genäht kann mit
jedem Material werden, vorausgesetzt dass es rein sei. Die Nähte mit Silber-
draht und Silkworm haben das Angenehme, dass sie die Trockenheit der
Wunde erhalten; hingegen dauert die Nahtanlegung bei ersterem geraumere
Zeit, und schneiden bei letzterem die Nähte leicht ein, wodurch beiden der
Uebelstand anhaftet, dass die Entfernung der Nähte nicht so glatt erfolgt
als bei Seide. Diese hingegen imbibirt sich leicht und reizt die Vagina zu
Fluor. Catgut knotet sich bei Knopfnähten leicht auf, hingegen hat es sich
PROLAPS-OPERATIONEN.
687
zur sogenannten forthiui'endon oder conti n iiirliclicn Ts^alit sehr bewährt,
indem man es gar nicht zu entfernen brauclit. Die ('atgutnaht beginnt mit
einer tiefgefassten Schichte und zieht in dreifacher Annäiierung die Wund-
ränder zusammen. Sie erfordert bei grösseren FUlchen hie und da trotzdem
auch noch verstreute Knopfnähte sowohl olierfiächlich als auch in der Tiefe.
Für die glatte Heilung kommt es bei dieser Operation überhaupt, nach welcher
Art immer genäht wurde, hauptsächlich darauf an, in der Wundtläche keine
(sogenannten todten) Lücken zu belassen, und da wird der weniger Geübte
doch lieber zu Knopf nähten greifen, die ihm eine grösseren Controle
der durch die Nähte gesetzten Spannung der Wundtlächen gestattet.
Die Vereinigung zu linearer Narbe erfolgt gewöhnlich, nur kann die er-
wähnte Spannung wie auch die beim Athmen erfolgende Bew^egung, noch mehr
aber die Ueberfüllung der Blase (und manche Frauen erlernen es überhaupt
nicht liegend zu uriniren) ein Auseinanderweichen der Wunde hervorrufen.
Ist der Schaden auch nicht gross, so wird der Heilungsprocess durch die
spätere Granulation verzögert.
Ist auf diese Art die Vaginalwand vorne nicht blos verkürzt, sondern
hat sie, strammer gemacht, der Blase einen Halt verschafft, so geht man an
die Schaffung der Stützfläche für den Uterus, respective an die Fort-
schaffung des Vorfalles vom hinteren Theil der Scheide; wobei wir
die gleichzeitig zu behandelnden alten Dammrisse ausser Betracht lassen (s.
„ Perineoplastik " ) .
Soll nur die vorfallende hintere Vaginalwand zurückgehalten werden, so
genügt die Verengerung der Scheide an dieser Stelle, durch die Kolporraphia
posterior. Das Anfrischungsoval im hinteren Scheidengewölbe, ist schmäler
zu halten und bis zur Comissura posterior auszudehnen. Lappenablösung,
Glättung, Blutstillung, Naht wie bei der Operation an der vorderen Wand.
Soll jedoch gleichzeitig ein Stützpunkt für den prolabirenden Theil geschaf-
fen werden, so reicht dieses Verfahren nicht aus und es muss die Vulva und
der Damm dazu herangezogen werden.
Die einfachste aber auch
unzulänglichste Methode hiezu
stammt von Feicke, der zu die-
sem Zw^ecke eine, aus den grossen
Labien gebildete Brücke verwen-
dete; sie ist heute ganz obsolet.
Grundlegend war darnach
die Reconstruction der Verhält-
nisse durch Simon und seine
Methode: durch Ausschaltung
einer trapezförmigen Fläche nicht
allein die Verengerung der Scheide,
sondern durch Verstärkung des
ganzen Abschnittes und Verschie-
bung der Vaginalaxe gegen die
Symphyse zu, den Uterus in Ante-
fiexionsstellung zu bringen, end-
lich durch ein an das Trapez an-
gelegtes Kreissegment den Damm
zu verstärken (s. Figur 2). Wurde
jedoch bei dieser Operation die
oberste Partie des Fünfeckes mit abgerundeter Basis (s. Figur 2) fest an-
gezogen, so gestaltete sich die Figur mehr minder zu einer triangulären, also
zu der etwas später von Hegae erdachten, weitaus einfachsten, gebräuchlichsten
und wie es sich nach vielen Modificatiouen herausstellt, besten Anfrischungs-
Fisr. 2. Schema der Anfriscliungsfignr
nach SIMOif & HEGAU für die Kolporraphia posterior.
688
PROLAPS-OPERATIONEN.
\
rig. 3. Anfrisclmngsfigiir nach MAETIN.
Die punktirte Lienie diejenige nach
BISCHOF.
methode. Man ersieht aus der Zeichnung die Nahtanlegung zur Genüge,
durch sie wird eine 5—6 cm an der Basis breite Fläche zu einem bis
tief in die Vagina hineinreichenden festen Dreieck umgewandelt (s. Fig. 2).
Es emphehlt sich bei vorhandenem in-
completem veraltetem Dammriss, den unte-
ren halbkreisförmigen Schnitt in einen ge-
gen den Mastdarm zu gerichteten Winkel
umzugestalten. Der Methode haftet blos der
Uebelstand an, dass in dem Bestreben einen
möglich festen Damm zu erzielen, leicht
am unteren Vaginaltheile in dem den Labien
angrenzenden Abschnitte ein Auseinander-
weichen der Wundränder, — wohl durch die
grosse Spannung verursacht — erfolgt.
Martin sucht diesen Nachtheil nach
dem Vorbilde Bischof's in der Weise abzu-
helfen, dass er die Columna posterior zu
erhalten trachtet, neben ihr zwei seitliche
Segmente aus der Vagina ausschält, und diese
dann in ein am Damme liegendes Kreisseg-
ment als Anfrischungsfigur übergehen lässt.
Die seitlichen Flächen werden nun mit fort-
laufender Naht vereinigt und dann der
Damm construirt. Im Wesen also ebenfalls
eine mit Doppel-Kolporraphie combi-
nirte Perineoauxesis (s. Figur 3 und 4).
Das Verlangen möglichst viel der Vaginalwand zu erhalten, führte eine
Reihe von Operateuren dahin die Perineoauxesis durch Lappenbil-
dung erreichen zu wollen. Hieher zählen die in Wesen übereinstimmenden
Methoden von Lawson Tait-Sängee, Doleris und Franck. Letzterer
schneidet an der Grenze zwischen Damm und Vulva
halbkreisförmig ein, löst die Scheide vom Mastdarm
ab, so lange bis der nach oben geschlagene Lappen
eine rautenförmige Anfrischungfläche darstellt. Nun
näht er mit continuirlicher Naht erst in der Tiefe,
dann etagenförmig umgreifend die höheren Parthieen
zusammen. Hopmeier umfasst den so behandelten
Damm noch mit einer Entspannungsnaht aus Silber.
Hier bleibt also alles Gewebe erhalten, bei den übri-
gen Methoden dreht es sich um theilweise oder
ganze Entfernung des Lappens. Bei vaginalem Pro-
laps leistet diese Art des Operirens ganz vorzügliche
Dienste, einen ausgesprochenen Uterusprolaps hält
man durch sie auf die Dauer nicht zurück. Gerade
dem Wunsche einen dauerhaften Erfolg zu erzie-
len, entspringen noch einige Methoden die durch
Schaffung einer, die Vaginalwände zusammenhalten-
den Brücke dem Uterus den nöthigen Halt verschaffen
wollen.
Zwei Arten dieser sind es, die näheres Eingehen erheischen. Die eine
stammt von v. Winckel und besteht in einer Kolporraphia mediana, in der
Weise wie die Kolpokleisis ausgeführt, doch in der Mitte einen engen
Canal zum Abflüsse der Secrete übriglassend, v. Winckel schneidet demnach
aus der angespannten Scheide zwei hufeisenförmige Figuren aus, die er
miteinander vereinigt (s. Fig. 5).
Fig. 4. Schema der Naht nach
MARTIN.
PROLAPS-OrERATIONEN.
689
Fig. 5. KolporrapUia mediana
nach WINCKEL.
Aehnliches bezweckt die andere, von Gekardin vorgeschlagene, von Lki-'Ojit
und Spiegelbekg ausgeführte und neuerer Zeit von Neugebauer wieder
propagirte Methode. Aus der vorderen und hinteren Vaginalwand wird je ein
2 — 4 cm breites quadratisches Stück obertlächlich excidirt und diese Wund-
fiächen vernäht. Der prolabirende Uterus ruht auf der so geschaffenen Brücke
auf. Als Vortheile dieser Methode wird die Kleinheit
des Eingriffes und die Einfachheit der Ausführung her-
vorgehoben, auch soll die Brücke keinerlei Verrichtung
hinderlich sein. Bei eingetretener Schwangerschaft muss
sie freilich gelöst werden. Für uns barg letzterer Um-
stand die ganze Kritik des Verfahrens (s. Figur 6).
Ueberblicken wir die angeführten Methoden, so
nimmt es nicht Wunder, dass die ÜEGAR'sche von
Allen als die Gebräuchlichste erfunden und mit gros-
ser Uebereinstimmung als die beste geschätzt wird.
Weniger findet eine Einigung bezüglich der Naht
und des Nähmaterials statt. Wir können an dieser Stelle
abermals nur hinweisen, dass die günstigen Kesultate
einzig davon abhängen, dass genau — gleichviel
nach welcher Art — und mit sterilem Material
genäht werde. In zu kleinen Abständen gelegte, zu
viele Nähte hindern durch Circulationsstörung die
Prima reunio, ebenso bleibt sie fort, wenn die Nähte
zu stark gespannt sind „einschneiden". Gegen letzteres hat sich am Damme
noch der Silberdraht am besten bewährt, deren Fäden ebenfalls lange belassen,
dann in Bündel von 3 — 4 zusammengedreht und mit durchlochten Schrot-
körnern versorgt werden können. Diess sichert trefflich gegen die Unbequem-
lichkeiten des Drahtes.
Die in den ersten Tagen auftretende ödema-
töse Schwellung am Damme hat wenig zu bedeu-
ten, sie schwindet nach Entfernung der Entspan-
nungsnähte. Eine glatte Heilung war mir jedoch in
all' jenen Fällen versagt, wo die Dammcutis an
chronisch entzündlichen Processen (Eczem u. d. gl.)
erkrankt gefunden wurde.
Die gesammte Operation nehme ich, in der
Regel in einer Sitzung vor; die Narcose nur
in dem Falle, wenn gegen sie nicht die gering-
sten Anzeichen vorhanden sind, und das Indivi-
duum sehr reizbar und empfindlich erscheint.
Hat man Cocainlösungen eingespritzt so ist es
gut, sich dessen bewusst zu sein, dass selbst
kleine Gaben bei manchen Kranken eine grosse
Aufregung (Cocainrausch) wachrufen, die ohne
weitere Bedeutung nach einigen Stunden vergeht.
Sind die Nähte festgemacht und hat man sich überzeugt, dass es auf
dem ganzen Operationsgebiete nirgends blutet (der Uterus kam schon ü'üher
in situ), so bestäuben wir die Wunden mit Jodoform- oder Dermatolpulver
und befestigen eine Lage Krüllgaze über den Damm mit einer J_-Binde. Wo
starke Zusammenziehung des Dammes ausgeführt werden musste, kommt auf
diesen statt der Gaze eine in Sublimatlösung getauchte Compresse. Die Kranke
hat sich möglichst ruhig zu verhalten. (Füsse zusammenbinden!). Wir le-
gen auf diesen Umstand ein grosses Gewicht, wenn wir auch die Patientin
nicht zwingen in Rückenlage zu verharren, ja die oft von ihr gewünschte
Seitenlage ist sogar aus dem Grunde yortheilhafter, weil die genähte Vagina
dadurch bedeutend entlastet wird.
Fig. 6. KolpoiTapliia nacli LEFORT.
ßibl med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie.
44
690 PROLAPS-OPERATIONEN.
Kann die Kranke spontan uriniren, so wird darnach die Wunde stets neu
eingestäubt, kann sie es nicht, so wird regelmässig (jede 4 Stunden)
der (reine!) Katheter eingeführt; Ausspülungen und Compressen kommen blos
in Verwendung, wenn sich — wie dies bei Seidennaht nach einigen Tagen
der Fall ist — reichlicher, oft mit Geruch versehener Fluor einstellt. Zu beiden
Maassnahmen wird sehr schwache Subliraatlösung verwendet. Die weitgreifen-
den Dammnähte entfernen wir vom 4. Tage an, jedoch nur wenn ödematöse
Schwellung vorhanden ist, sonst bleiben alle übrigen Nähte (Seidennähte etwa
10 Tage) länger liegen.
Obschon wir vollkommene Heilungen selbst beträchtlicher Vorfälle gar
nicht selten binnen 14 Tagen beobachteten, so gestatten wir das Verlassen des
Bettes nicht vor drei Wochen. In dieser Frist sind die Narben gehörig resi-
stent geworden, und können die Nähte ohne Schaden entfernt werden; während
uns früher, wie wir einen kürzeren Terrain gestatteten, hie und da eine, wenn
auch nicht grosse Dehiscenz der vorderen Vaginalwand in der Narbe erfolgte.
Der kleine Spalt schloss entweder durch Granulation oder infolge angelegter
Secundärnaht; wir sind aber seitdem zum längeren Schonungstermin zurück-
gekehrt.
Viele der Kranken klagen unmittelbar nach der Operation über
heftige, krampfartige Schmerzen im Mastdarm (Tenesmus). Dies hängt ent-
schieden mit Reizungszuständen im M. sphincter ani zusammen, und pflegen
wir dagegen nebst den bereits erwähnten Sublimatcompressen abendlich eine
Morphium inj ection zu verordnen. Oefter werden die Operirten von Blähun-
gen (und der Furcht ihrer ohne Schaden ledig zu werden) gequält. Dagegen
empfiehlt sich ein gut geöltes, nicht zu dünnes Glasrohr (unter der
Controle des Gesichtes in Seitenlage) für einige Stunden in den After ein-
zulegen, wodurch stets Erleichterung geschaffen wird. In den ersten Tagen
nach der Operation lasse ich die Kranke Milch und Speisen nehmen. Hat sio
darnach Mahnungen zu Stuhlgang, so wird ein Einguss von Kamillenthee
gemacht und erst mit Schluss der ersten Woche und stets vor Abnahme der
Dammnähte ein Abführmittel (meist zusammen mit einem Eingüsse) gegeben.
Nach dem Verlassen des Bettes hat sich die Kranke jeglicher Körperanstren-
gung, — besonders vom Stiegensteigen — zu enthalten, und bedarf längere
Zeit Schonung in geschlechtlicher Beziehung.
Da bei dem von uns beschriebenen Operationsverfahren Verletzungen
der Blase und des Piectum kaum vorkommen können — auch stets allsogleich
durch die Naht geschlossen werden sollen — den Schutz gegen Infection der
Wunde eine correcte Antisepsis abgibt, so wird der Eingrift der Prolapsope-
ration übereinstimmend als nicht gefährlich bezeichnet. Es würde zuweit
führen an dieser Stelle die Vortheile und Schwierigkeiten der mannigfachen
Methoden ausführlich abzuhandeln, es entscheidet ihre Brauchbarkeit lediglich
der Dauererfolg. Nach genau später controlirten Fällen stellt sich ein
solcher bei der IlEGAR'schen Methode in über 70% (für private Kranke sogar
d2°/o, Sonntag) ein, was als sehr günstig bezeichnet werden muss, besonders
wenn man mit in Rechnung zieht, dass unter den Operirten mehrere später
geboren haben, ohne dass die durch die Operation geschaffenen Verhältnisse
bedeutend alterirt worden sind. Da aber viel, vielleicht das Meiste von dem
Verhalten, der Schonung und Beschäftigungsweise der Operirten abhängt, so
werden theilweise oder auch gänzliche Misserfolge ebenfalls vorkommen.
Zumeist geschieht dies dort, wo das Beckengewebe nicht genügend Wider-
stand leistet und der Uterus durch den intraabdominellen Druck tn Retroposi-
tion gezwängt wird. Mit der Ausweitung der Dammstütze geht dann die Ver-
engerung der Scheide, und hier wieder zuerst der vorderen Wand verloren.
Wo demnacli der Uterus in toto vor die Genitalien in einem Sacke ein-
gelagert erscheint, und seine Reposition wegen Mangels an Stützgewebe ver-
PROLAPS-OPERATIONEN. 691
geblicli ausgeführt wird, weil er stets wieder prolabirt, muss der Angriffs-
punkt zum Zurückhalten des Prolapses auf die Gebärmutter selbst ver-
legt werden. Für das operative Vorgehen unter solchen Umständen war die
Behandlung der Eetroflexionen maassgebend.
Von den, in dieser Weise auszuführenden Openitionen haben wir uns mit
der Verkürzung der Ligamenta rotunda und der der Lig. sacro-
uterina ferner mit der Ventrofixatio uteri zu beschäftigen. Der Vor-
schlag die Normalstellung des Uterus in Antefiexioversio durch Verkür-
zung der Lig. rotunda (den Leitbändern für den schwangeren Uterus)
zu erzielen, stammt von Alexander. Es wird die Trennung der Haut am
äusseren Leistenringe vorgenommen, die Lig. rotunda aufgesucht, mittelst Häk-
chen herangezogen, um mehrere Centimeter verkürzt, d. h. soweit resecirt als
die Stellung des Uterus erfordert und dann die Stümpfe in die Hautwunde
genäht. Doleris modificirte dieses Verfahren dahin, dass blos ein Lig. rotun-
dum gestrafft und abgekürzt wird, zur Erhaltung besserer Verhältnisse in
Rücksicht auf die Ausdehnung der Blase. — Nach längerer, streng eingehal-
tener Bettruhe, die für diesen, an und für sich nicht grossen Eingriff erfor-
derlich ist, folgt meist günstiger Verlauf. Die Methode — nach überseeischen
Meldungen von bestem Dauererfolge begleitet — hat in Deutschland wenig
Nachfolger gefunden. Aehnlich erging es dem Verfahren durch Verkür-
zung der Ligamenta sacrouterina oder Verödung des Douglas
eine Fixation der Cervix und so die Normalstellung des Uterus (Freund,
Frommel, Stratz) anzubahnen. Die Ventrofixatio uteri zur Behebung
des Vorfalles hat zuerst Olshausen in der Weise ausgeführt, dass er die
Ligamenta rotunda an der Insertion am Uterus aufsuchte und sie an
der Bauchwand anheftete. Spätere Operateure (Czerny, Leopold u. A.) fixi-
ren den Uterus selbst in der Bauchwunde. Betreffs der speciellen Technik und
Ausführung der Operation muss auf den Artikel ^^Ventrofixatio uteri''
verwiesen werden.
Der Erfolg dieser Operation allein ist kein sicherer, wenn man nicht
durch plastische Operation am Becken den Halt des Organes verstärkt. Ge-
schieht dieses in ausreichendem Maasse, so sind die Resultate zufriedenstellend,
wenngleich meine eigenen Erfahrungen keine absolut guten Erfolge aufwiesen,
da der Prolaps nicht länger als etwa ein halbes Jahr zurückgehalten erschien.
Erreicht man weder durch die plastischen Operationen, noch durch die
Ventrofixation mit oder ohne Combination ersterer Methoden eine Zurückhal-
tung des Vorfalles und fordert die daran leidende Person die Behebung des
Uebels wegen Unmöglichkeit sonst ihrem Broderwerbe nachgehen zu können,
oder bringen Incarcerationserscheinungen die meist älteren, das Klimacterium
überschritten habenden Individuen in Gefahr, so erübrigen nunmehr die E x s t i r-
patio uteri totalis per vaginam mit ausgedehnter Resection der Scheide,
Bildung eines strammen Vaginalabschlusses und nachfolgender ausgedehnter
Perineoauxesis. Man wird sich zu diesem Eingriffe nur bei ganz stricter In-
dication entschliessen; er bietet bei beweglichem Organe nicht die gering-
sten Schwierigkeiten, da der Fundus uteri sehr leicht auszutasten und zu
erreichen ist, eigentlich schon herausgetreten erscheint; und die Auslösung des
Organes hingegen durch den Schwund des haltenden Bindegewebes geradezu
spielend erfolgt.
Einer unserer Fälle betraf eine 69-iähiige, auch heute noch schwer zu arbeiten ge-
nöthigte Person, der Erfolg seit drei Jahren noch ein in jeder Beziehung vollkommener.
Schwieriger stellt sich die Entscheidung, wenn es sich um jüngere, viel-
leicht conceptionsfähige Frauen handelt. Man wird sich in solchem Falle die
Mühe nicht verdriessen lassen dürfen, durch Repositionsversuche und selbst
umständliche Bandage den prolabirten Uterus zur Verkleinerung zu bringen,
und darnach lieber zur wiederholten plastischen Operation oder zur Ventro
44*
692 PROPHYLAXE DER FRAUENLEIDEN.
fixation zu greifen als das Individuum der Verstümmelung und den daraus
entspringenden Folgen auszusetzen. Zu dem sind Fälle beobachtet, wo nach
fruchtloser, zweifacher Scheidendammbildung das drittemal ein befriedigendes
Zurückhalten des Uterus erzielt wurde. Elischek.
Prophylaxe der Frauenleiden. Drei grosse Gruppen von Schädlich-
keiten lassen sich aufstellen, welche vor Allem für die Entstehung von Frauen-
leiden in Betracht kommen und deren Ursachen wir kennen; es sind dies
1. die Gonorrhoe, 2. die Geburtsverletzungen und Wochenbetts-
Infectionen und '3. eine Reihe von Schädlichkeiten, welche durch
Herkommen und Sitte bedingt sind. Für eine 4. und 5. Gruppe, die
der angeborenen Entwicklungsstörungen und der Bildung von
Geschwülsten, sind wir über die Ursachen nicht oder nicht genügend
unterrichtet; es kann also dafür auch von einer Prophylaxe noch nicht die
Rede sein. Die Verhütung von Gefahren, welche durch verschiedene Berufs-
arten dem Weibe drohen, ist Aufgabe der Gewerbe-Hygiene; diese wird aber
für das Weib nicht zu anderen Folgerungen kommen, als für den Mann, sie
kann also hier nicht Gegenstand der Besprechung sein.
Die Aetiologie der Gonorrhoe, der Geburtsverletzungen und der Wochen-
bettsinfectionen ist in den Hauptzügen bekannt und sie hat — wenn auch in
vielen Beziehungen leider nur theoretisch — zu einer brauchbaren Prophylaxe
der durch sie bedingten Frauenleiden geführt.*)
Noch viel zu wenig ist dies aber der Fall bei jenen Schädlichkeiten,
welche der Frau durch Herkommen und Sitte in so mannigfacher Weise
erwachsen. Nur von diesen Gefahren soll im Folgenden die Rede sein. Man
kann diese Gefahren nicht in den Begriff der „socialen Misstände" zu-
sammenfassen, denn die socialen, d. h. gesellschaftlichen Misstände sind es
durchaus nicht allein, welche hier in Betracht kommen. Zahlreiche Schädi-
gungen der Gesundheit des Weibes, welche in Sitte und Herkommen
begründet sind, haben mit unseren gesellschaftlichen Einrichtungen nichts
zu thun. Dazu gehört die Kleidermode, die Hygiene des Geschlechtslebens,
z. B. das Vorurtheil, während der Menses dürften keine Waschungen der
Genitalien vorgenommen und die Wäsche dürfte nicht gewechselt werden
u. Ae. — Dieser Unterschied zwischen „socialen" Gefahren und den durch
Sitte und Herkommen bedingten Misständen muss nachdrücklich hervorge-
hoben werden, da heute von vielen Seiten alles auf „sociale Misstände" zurück-
geführt wird, die meist auch nicht das geringste damit zu thun haben.
Drei Fehler müssen vor Allem klargelegt werden: durch Herkommen
und Sitte wird gegen unabweisbare Forderungen der Natur schwer gesündigt;
in den weniger bemittelten Kreisen ist von einer Hygiene der weiblichen
Genitalien und zwar besonders in der Zeit ihrer wichtigsten Functionen
(Menses, Fortpflanzung) soviel wie gar keine Rede; durch unsere Lebens-
gewohnheiten ist das Weib Schädlichkeiten ausgesetzt, welche den Mann nicht
oder doch nicht in gleichem Maasse treffen; diese Schädlichkeiten bestehen
theils in Begehungs-, theils in Unterlassungssünden.
Das Weib ist an der Fortpflanzung in viel einschneidenderer Weise be-
theiligt, als der Mann. Sexual-Trieb, Menses, Schwangerschaft, Geburt und
Wochenbett sind Dinge, welche eine ununterbrochene Kette von Gefahren mit
sich bringen. Diesen Gefahren wird durch Sitte, Gewohnheit und Lebensweise
auch nicht annähernd Rechnung getragen.
Aus diesen Thatsachen ergeben sich vor Allem wichtige Anhaltspunkte für
die Beantwortung eines Theiles der Frauenfrage. Man strebt für das Weib
*) Vergl. ^Äntise])sis in der Gehurtshüfe,"' S. M u. ff., sowie „Prophylaxe der Go-
norrlioe," S. 298.
PROPHYLAXE DER FRAUENLEIDEN. 693
gleiclies Reclit an, wie für den Mann. Im Vorhinein soll zubegeben werden, dass
ein grösseres Maass von Hechten für das Weib zu den bejj:ründetsten Forderungen
gehört. Diese Forderungen werden sich liauptsäclilich auf gleiche körperliche und
geistige Ausbildung beziehe«; wie sie der Manu gcniesst, ferner auf eine Zu-
lassung zu grösseren socialen und pol itisclien Kcchten. Es dürfte aber wohl nie
zu einer vollkommenenGleich Stellung von Mann und Frau kommen.
Dies ist so lange unmöglich, als dem Weibe der grössere Antheil an der Fort-
pflanzung zugewiesen bleibt.
Zur Zeit der Menses, der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochen-
bettes ist das Weib nicht oder doch nicht in gleichem Maasse wie der Mann
arbeitsfähig. Rechnen wir für das Weib durchschnittlich nur 8 Schwanger-
schaften, so ergibt das einen Ausfall von 3mal 3 Monaten (letzte Monate der
Schwangerschaft) und 3mal 14 bis 42 Tagen (Zeit bis zur Ilückbildung der
Genitalien) an verminderter Arbeitsfähigkeit, also durchschnittlich von 9 Mo-
naten plus 84 Tagen; ferner — nur für die Zeit vom 20. — 40. Lebensjahre be-
rechnet — für die Menses einen Ausfall von mindestens 20mal 12mal 3 Tagen
= 720 Tagen, von welchen für die Zeit der Schwangerschaft (Cessiren der
Menses) 3mal 9mal 3 Tage = 81 Tage abzuziehen sind; für die Menses sind
also 720 — 81 = 639 Tage verminderter Arbeitsfähigkeit zu berechnen. Im
Ganzen muss man also für das Weib vom 20.— 40. Lebensjahre mindestens
9 Monate -]- 84 -|- 639 Tage rechnen, d. h. ungefähr 274 Jahre, während
welcher sie in der Hauptsache weniger arbeitsfähig als der Mann, zum Theil
aber gar nicht arbeitsfähig ist. Diese Zahlen sind nieder gerechnet und patho-
logisclie Zustände im Gefolge der Menstruation und Gravidität überhaupt nicht
in Betracht gezogen.
Man kann dagegen nicht einwenden, dass das Weib heute vielfach auch
während der Menses und unmittelbar bis zur Entbindung hin arbeite; das be-
deutet eine Gefahr, welche unbedingt als solche anerkannt, und deshalb auch
beseitigt werden muss.
Das Weib wird also wohl nie die gleichberechtigte Rivalin
des Mannes auf dem Markte der körperlichen und geistigen
Arbeit sein können. Wegen dieser Inconstanz der Arbeits-
leistung wird jeder Arbeitgeber für bestimmte Arbeiten so
lange männliche Arbeitskräfte vorziehen, als dem Weibe das
L[oos zufällt, Kinder zu gebären.
Der Einwand, dass ja auch der Mann gewisser Ruhepausen (Ferien,
Urlaub, Feiertage) bedarf, ist nicht stichhältig; denn das Weib wird neben
■den durch die Fortpflanzung bedingten Pausen eben auch diese Erholungs-
pausen mit gleichem Rechte fordern.
Von ärztlicher Seite ergibt sich daraus eine weitere Folgerung:
Eine gleiche körperliche Ausbildung wie beim Manne ist dem Weibe infolge
-der körperlichen Beschaffenheit und physiologischer Functionen erschw^ert,
wenn nicht unmöglich gemacht; die Verwerthung seiner geistigen Fähigkeiten,
ist aus denselben Gründen eine zeitw^eilig unterbrochene. Für die letzte Zeit
der Schwangerschaft wie für die Zeit der Entbindung und des Wochenbettes
ist das Weib social und politisch einfach unfähig zur Concurrenz mit dem Manne.
Einfluss körperlicher Arbeit und Nichtarbeit, sowie der
Lebensweise im Allgemeinen. Die schädliche Wirkung verschiedener
Gewerbe auf den menschlichen Organismus im allgemeinen, also auch auf den
des Weibes, ist in hygienischen Schriften hinreichend gew'ürdigt. Hier soll
nur auf jene körperlichen Arbeiten hingewiesen werden, w^elche dem Weihe
heute bei uns vorzugsweise oder allein zufallen: es handelt sich um Haus-
wesen, Küche und die sogenannten weiblichen Handarbeiten, sowie um die
ausschliesslich oder vorzugsweise übliche Verw^endung weiblicher Kräfte in ein-
.zelnen Erwerbszw^eigen,
694 PROPHYLAXE DER FRAUENLEIDEN.
Lässt man die oben angestellte Rechnung in der Hauptsache gelten, sa
mrd man auch folgendem Satze zustimmen können: Durch Menses, Schwanger-
schaft und Wochenbett ist das Weib in höherem Maasse an das Haus gebun-
den, als der Mann. Kann die Frau während dieser Zeit auch nicht alle und
jede Arbeit verrichten, so liegt es doch sehr nahe, dass sie — ohnedies an das
Haus gebunden — nun auch leichtere Hausarbeit verrichtet oder sie beauf-
sichtigt. Naturgemäss entwickelt sich daraus die vorwiegende, wenn auch
nicht ausschliessliche Verwendung weiblicher Kräfte für Küche und Haus. Es
bedarf jedoch keines Beweises, dass männliche Kräfte ebenso gut dafür ver-
wendbar sind; nur werden sie mit grösserem Vortheile zu anstrengenderen
gewerblichen und zu solchen geistigen Arbeiten herangezogen werden, welche
eine constante Arbeitsleistung beanspruchen.
Bleibt deshalb dem Weibe auch die Besorgung des Hauswesens und der
Küche in der Hauptsache vorbehalten, so bestehen doch heute in dieser Hin-
sicht grosse und gesundheitsschädliche Misstände: Das Weib ist zu viel in
Haus und Küche thätig, es hat kein hinreichendes Gegengewicht für die Ge-
fahren, welche der Aufenthalt im Hause durch den Mangel an Luft und Licht
bringt. Es ist eine der wichtigsten Forderungen der Gesundheitspflege, dass
jedem Menschen reichliche Bewegung in freier Luft durch ausgedehnte Spa-
ziergänge — nicht allein durch ein Schlendern von Kaufladen zu Kaufladen, —
ferner durch alle Arten vernünftigen Sports, wie Schwimmen, Schlittschuh-
laufen, Turnen gewährt werde. Das Radfahren scheint für Frauen weniger
rathsam. zu sein und ist während der Menses und Schwangerschaften geradezu
schädlich; eine besondere Gefahr des Radsportes liegt einerseits in der schlech-
ten Körperhaltung auf den gebräuchlichen Niederrädern, andererseits in der
Uebertreibung, zu welcher man sich durch schlecht angebrachten Ehrgeiz nur
allzu oft verleiten lässt. Von ausserordentlichem Werthe sind die besonders
in England gepflegten und eingebürgerten Bewegungsspiele im Freien,
wie Handball, Lawn-Tennis u. Ae.
Das „zuviel im Hause sein" ist aber auch bei Frauen bemittelter Kreise,,
die nicht durch häusliche Sorgen und Arbeiten daheim gehalten werden, der
Ursprung häufiger Schädigung der Gesundheit; obwohl solche Frauen das
Hauswesen nur leiten (und auch dieses „Leiten" ist oft genug der Ausdruck
für ein gefährliches Nichtsthun), haben sie nicht genügende körperliche Be-
wegung und besonders nicht in freier Luft. Sonnenschein und Bewe-
gung in freier Luft sind zwei Heilmittel, die viel, viel zuwenig
gewürdigt und angewendet werden. Bedarf es des Hinweises auf die
blassen, alles Blattgrüns entbehrenden Pflanzen, die bei mangelndem Licht
sich kümmerlich entwickeln? Sollte nicht auch das frische Wangenroth mit
unendlich mehr Nutzen aus der sonnenfrohen Werkstätte der Natur, als aus
Puderfabriken bezogen werden? Migräne, Neurasthenie, Chlorose beruhen ja
nicht allein, aber doch oft genug und zum grossen Theile auf diesen Mis-
ständen.
Es genügt nicht, dass der Arzt zur Kranken sagt: Nehmen Sie Eisen,
kalte Bäder und gehen Sie in die Luft." Nein, er muss genau und haarklein
vorschreiben, was die Patientin thun und nicht thun darf; er muss bestimmen,
Avie lange, ja selbst wohin sie gehen soll, bis sie Willenskraft genug erlangt
hat, für ihre Gesundheit in hinreichendem Maasse zu sorgen. Es ist ganz er-
staunlich schwer, fleissige Hausfrauen und romanlesende Nichtsthuerinnen zu
regelmässiger, erspriesslicher Körperbewegung im Freien zu veranlassen. In
den ärztlichen Verordnungen müssen Sonnenschein und frische Luft einen viel
grösseren Raum einnehmen, als dies leider so oft geschieht. Man hat sich
fast daran gewöhnt, bei Kopfweh Antipyrin, bei Schlaflosigkeit Chloralhydrat,
bei Neurasthenie Bromkali, bei Chlorose Eisen zu geben. Diese Mittel können
an ihrem Platze segensreich wirken; aber neben ihnen und recht oft statt
PROPHYLAXE DER FRAUENLEIDEN. 695
ihrer muss Kegekmg der Lebensweise, Sonnenschein und freie Luft verordnet
werden. Das gilt für die Frauen der ärmsten und der reichsten .Stände, für
Ladnerinnen, welche den ganzen Tag lang in dumpfen, dunklen, staubigen
Eäumen zu leben gezwungen sind, für Näherinnen und Stickerinnen, für Dienst-
mädchen und Köchinnen, welche aus Zimmer und Küche wöchentlich nur auf
ein paar Stunden hinauskommen, aber nicht minder für Mädchen und Frau(;n
bemittelter Kreise, welche ihr Leben in Salon, Theater und Concertsaal ver-
bringen und die paar Schritte vom einen zum anderen kaum mehr selbst
machen, sondern im Wagen zurücklegen; ja es gilt für die überwiegende Mehr-
zahl der grossstädtischen Bevölkerung überhaupt. Es wäre interessant, aus-
zurechnen, wie viel Stunden lang im Jahre ein Dienstmädchen, eine Näherin,
eine Ladnerin der Grosstadt frische Landluft und frohen Sonnenschein ge-
messt.
Zu den meist unterschätzten Gefahren für die Gesundheit des Weibes
gehören die sogenannten „weiblichen Handarbeiten." Zu diesen muss auch
clie Thätigkeit an der Nähmaschine gerechnet werden. Schlimm genug, wenn
des Erwerbs halber Tausende von Frauen und Mädchen 12, 14, ja mehr Stun-
den täglich über ihre Arbeit gebeugt im Zimmer sitzen müssen. Weshalb
schädigen auch ungezählte Frauen und Mädchen, die nicht darauf angewiesen
sind, mit solchen Arbeiten ihre Gesundheit? Wer es des Erwerbs halber nicht
muss, lasse solche Arbeiten oder beschränke sie auf das äusserste Maass; dann
werden auch jene ihr Brod leichter und mit Vermeidung der gesundheitlichen
Schädigung verdienen, welche diese Arbeiten um's tägliche Brod anfertigen.
Dadurch kann und soll dem Kunstsinne, dem Wunsche, das eigene Heim zu
schmücken, nicht Abbruch gethan werden. Aber was hier schadet, dem Ein-
zelnen wie der Gesammtheit, ist wieder nur das zuviel. Jede Mutter wird
davon erzählen können, wie viel in der Zeit bevorstehender Feste, vor Weih-
nachten, Geburts- und Namenstagen hierin von Frauen und Mädchen gegen
die Gesundheit gesündigt wird.
Einfluss der weiblichen Kleidung. Die bei uns übliche Beklei-
dung des Weibes bedarf einer gründlichen Aenderung. Klimatische Verhält-
nisse sprechen gegen eine Bekleidung etwa nach Art der altgriechischen.
Aber warum soll sich das Weib nicht in einer Weise kleiden, welche der bei
den Männern üblichen nahekommt? Es ist nicht einzusehen, weshalb das
Tragen von weiten Pumphosen und von tiefreichenden, faltigen Blusen gegen
den Anstand Verstössen sollte. Ja selbst in der Schwangerschaft ist dabei die
Vergrösserung des Leibes eher weniger sichtbar, als bei unseren modernen
Schnürkleidern. Aber solche Wünsche haben zunächst leider wenig Aussicht
auf Verwirklichung. Es ist deshalb besser, vorläufig nur das anzustreben, was
Aussicht auf unmittelbaren Erfolg hat.
Am schädlichsten wirkt in der heute üblichen Bekleidung das Schnür-
mieder, das Corset. Chlorose, Neurasthenie, Magenleiden, Verlagerung der
Brust- und Baucheingeweide, wie Wanderniere, Wandermilz, Schnürleber, En-
teroptose u. s. w. kommen zu einem grossen Theile, wenn auch natürlich
nicht ausschliesslich auf Rechnung des Schnürmieders. Weshalb ist es so
schwierig, dasselbe aus dem Kleiderschatze der Frau zu verbannen ? Eitelkeit,
Mode und mangelhafte Beschaffenheit der Oberkleider ist die Ursache. Wes-
pen-Taille gilt merkwürdiger Weise für schön — und doch haben weder die
Venus von Milo, noch andere Frauengestalten, welche die grössten Künstler
aller Zeiten geschaffen haben und die als Vorbilder der Schönheit gelten,
einen anderen Lenden-Umfang, als er dem nicht eingezwängten Körper des
Weibes entspricht.
Man sagt, das Corset sei nothwendig, weil es den Röcken Halt geben
muss; bei schmalen Hüften sei dieser Halt nicht gegeben, und das Corset
schütze ferner die Baucheingeweide vor dem Druck der Rockbänder. In dieser
696 PROPHYLAXE DER FRAUENLEIDEN.
Beziehung treibt man wieder einmal den Teufel mit Beizebub aus. Denn der
Einwand beweist nicht, dass das Corset gut, sondern nur, dass die bei uns
übliche Form der Oberkleider mit ihren schnürenden Rockbändern schlecht
ist. Weshalb nimmt man also nicht statt der Roclvbänder und des Corsets
Rockträger nach Art der über die Schulter laufenden Hosenträger? Man kann
das Frauenbeinkleid lose mit Bändern knüpfen — ein festes Schnüren ist ja
nicht noth wendig; den untersten Unterrock befestigt man durch Rockträger,
und an ihm die ülDrigen Röcke durch Anknöpfen. Eine ebenso einfache Lösung
für die Befestigung des Oberrocks ist es, ihn aus einem Stück mit der Jacke
(„Taille") zu arbeiten, wie dies bei Frauenschlafröcken geschieht. Eine andere
Möglichkeit, das Schnürmieder entbehrlich zu machen, besteht in der Ver-
wendung von Unterleibchen, Untertaillen; diese können so gearbeitet sein, dass
sie der Brust durch faltige Einsätze Spielraum und Halt gewähren, und an
ihnen kann man mit Knöpfen die Röcke befestigen. Jene Balltoiletten, welche
Hals, Nacken, Schulter und Brüste in einer Weise entblössen, die unter allen
anderen Umständen für unziemlich gilt, sind dadurch allerdings unmöglich
gemacht; und das ist kein Nachtheil.
Aber selbst unter Beibehaltung der jetzt üblichen Bekleidungsart ist das
Schnürmieder durchaus entbehrlich. Trotz dieser Entbehrlichkeit wird es jeder
Arzt mit Recht als einen Erfolg ansehen, wenn es ihm gelungen ist, der Mode
huldigende Patientinnen zum dauernden Fortlassen des Schnürmieders zu be-
wegen.
Gleich dem Schnürmieder sind auch die Taillen (enganliegende Jacken)
mit Fischbein- und Stahleinlagen, ferner die Strumpfbänder und die mit Gummi-
zügen versehenen Schuhe in die Acht zu thun. Statt der Strumpfbänder aus
Gummiband oder Leder — die letzteren sind in der bäuerlichen Bevölkerung
ziemlich verbreitet — sind Strumpfträger zu benützen. Man befestigt sie seitlich
am Unterleibchen. Gleich den Strumpfbändern schaden die Schuhe mit Gummi-
Zügen dem Blutumlauf. Statt solcher Schuhe („Stiefletten") verwendet man
weiche Halbschuhe oder Schnürschuhe; ein zu festes Schnüren verbietet sich
wegen der rasch auftretenden Beschwerden von selbst und die Erfahrung zeigt,
dass man zwar erschreckend häufig zu eng geschnürte Mieder und Röcke, aber
recht selten übermässig geschnürte Schuhe findet. Sandalen bieten ja dem
Blutkreislauf vollkommene Freiheit, aber sie werden sich bei uns der klima-
tischen Verhältnisse halber wohl nicht einbürgern. Schaftstiefel eignen sich
für Arbeiten im Freien. Sie sind aus diesem Grunde auch vielfach bei der
arbeitenden w^eiblichen Bevölkerung im Gebrauch.
Jenes Unfugs muss noch gedacht werden, der sich in der Form der
Frauenhüte, in übermässiger Benützung des Sonnenschirms, des Schleiers und
der Handschuhe von Tag zu Tag mehr breit macht. Statt eines breitkräm-
pigen Hutes, welcher gegen zu heftige Besonnung schützt, trägt man Spinn-
gewebe aus Draht, Tüll und Blumen; sie gewähren weder den Augen noch
dem Kopfe überhaupt jenen Schutz, den der Hut doch seinem Zwecke ent-
sprechend bieten soll.
Umgekehrt wird durch Schleier, Sonnenschirm und Handschuhe wioder
ängstlich jeder Lufthauch, jeder Sonnenstrahl abgehalten, statt dass man dafür
sorgt, frische, freie Luft zu athmen und sich der belebenden Wirkung des
Sonnenlichtes zu freuen. Gegen den schädlichen Einfluss übermässiger Beson-
nung genügt für das Gesicht die breite Krampe des Hutes; die Hände braucht
man nicht Tag aus, Tag ein durch Handschuhe künstlich zu bleichen. Man
nehme Handschuhe im Winter, Sonnenschirm und Schleier in den Tropen;
aber bei Spaziergängen kann man sich in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
hierzulande die liebe Sonne auf Gesicht und Leib scheinen lassen; das wird
unserer Gesundheit nützlicher sein, als übertriebene Furcht vor Sonne und Luft.
PROPHYLAXE DER FRAUENLEIDEN. 697
Hygiene der Sexual-Orj^ane. Wie die Dinge liegen, ist die Be-
sprechung mancher Verhältnisse, die iiicher gehören, eine der schwierigsten
Aufgaben. Aber man wird weder dem einzelnen Weibe, noch der Allgemein-
heit nützen, wenn man darum vor dieser Aufgabe zurückschreckt.
Der Fortpflanzungstrieb, die gewaltigste aller Leidenschaften, fordert
gebieterisch mehr Rechte, als die, welche ihm dun^h unsere Cultur heutzu-
tage oft gewährt werden. Die erlaubte Befriedigung des Geschlechtstriebes
ist für das Weib nur allzu häufig abhängig von der Schönheit seines Gesichts
und den Geldmitteln. Findet ein armes und nicht durch körperliche Vorzüge
ausgestattetes Mädchen keinen Gatten, so gibt es nur zwei Wege für sie: der
eine führt durch Jahre und Jahrzehnte langen, Körper und Geist häufig aufs
tiefste schädigenden Kampf zum theuer erkauften Sieg über die mächtigste
der Leidenschaften. Und was ist der Lohn? Enttäuschung, Einsamkeit, Gering-
schätzung und ein Geduldetsein, das mehr verletzt, als offene Kränkung. Wie
oft aber ist ein solches Mädchen geradezu dem Spott ausgesetzt; die „alte
Jungfer" ist das dankbare Object der Possendichter und Witzblätter gewor-
den. Wie wenige bedenken, dass jenes alternde Mädchen seinem guten Rufe
Jahre der schönsten Blüthe, ja einen Theil seiner Gesundheit geopfert hat.
Beim W^eibe fallen diese Umstände noch viel schwerer ins Gewicht, als
beim Manne, sie wirken auf die Gesundheit noch viel schädlicher, weil es
hunderttausenden von Mädchen nicht vergönnt ist, in frei gewählter Thätigkeit,
in anstrengender Arbeit halbswegs ein Gegengewicht für diese Gefahren zu
suchen.
Der erzwungene Cölibat führt in der Mehrzahl der Fälle zur Neura-
sthenie oder zur Masturbation; und wenn die Gefahren der letzteren in popu-
lären Schriften auch meist übertrieben werden, so dürfte doch kaum jemand
bestreiten, dass die Masturbation selbst wieder meist nichts anderes darstellt,
als eine erneute Quelle der Neurasthenie.
Der andere Weg führt das Mädchen der besseren Kreise zum Untergange
seines Rufes und seiner Zukunft.
Die Frage spielt — von ihrer überaus ernsten ethischen und socialen Be-
deutung abgesehen, auch unmittelbar ins ärztliche Leben herein. W^ie oft
kommen jene Mädchen mit welker Gesichtsfarbe und den zahllosen neurasthe-
nischen Beschwerden in die Sprechstunde des Arztes. Er findet trotz genau-
ester Untersuchung keine andere Ursache der quälenden Leiden, als den er-
zwungenen Cölibat oder die dadurch bedingte Masturbation; und doch, was
vermag er zu thun? Er weiss sehr wohl, dass alle Rathschläge, die er gibt
und geben darf, unzureichend sind. Nicht im Sprechzimmer des Arztes kann
diese Frage im Einzelfalle entschieden w^erden; sie erfordert das vorurtheils-
lose Studium der Naturforscher und Social- Politiker. Nachdrücklich muss her-
vorgehoben werden, dass aber nicht in der „freien Liebe," sondern in der mono-
gamen Ehe die Lösung gefunden werden kann. Die Erleichterung der Ehe-
schliessung und die Sicherung des Lebensunterhaltes werden dazu unent-
behrlich sein.
Eines wichtigen Umstandes ist hier zu gedenken: der facultativen
Sterilität. Die überwiegende Mehrzahl der Aerzte, Naturforscher und Social-
Politiker stimmt darin überein, dass sie mit verschwindend w^enigen Ausnahmen
verwerflich und für das Einzelwesen wie für die Gesammtheit schädlich ist.
Die Fälle sind überaus selten, in welchen das W^eib ausser Stande ist, ihrer
Aufgabe ohne Gefährdung des eigenen Lebens gerecht zu werden. Künstliche
Fehl- und Frühgeburt und Kaiserschnitt haben in ihre Rechte zu treten, wenn
eine rechtzeitige, spontane Entbindung unmöglich oder die Fortdauer der
Schwangerschaft für die Mutter lebensbedrohend ist. Das Zweikinder-
system verfällt wie jede willkürliche Beschränkung der Nachkommenschaft
diesem verdammenden Urtheile; so hat in Frankreich die Gewalt der Ver-
698 PRURITUS VAGINAE ET VULVAE.
liältnisse über dieses System schon den Stab gebrochen. Alles, was der
Natur zuwiederläuft, rächt sich früher oder später.
Während der Menses, der Schwangerschaft und des Wochenbettes ist für
das Weib Enthaltung von anstrengenden körperlichen und geistigen Arbeiten
nothwendig. Gegen diese Forderung Verstössen ganz besonders die Frauen
der unbemittelten Stände unter dem Zwange der Noth.
Es gibt aber in dieser Beziehung auch sehr verbreitete Vorurtheile,
welche schädlich wirken, jedoch wohl zu beseitigen sind. So gilt es in weiten
Kreisen für schädlich, während der Menses die Wäsche zu wechseln und die
Vulva zu reinigen. Allerdings kann vielleicht einmal durch das Anziehen
eines kalten Leinenhemdes auf die bestehenden Menses ein Einfluss ausgeübt
werden. Dieser ist aber recht gering und er kann ohne weiteres aufgehoben
werden durch das einfache, vorherige Erwärmen des Hemdes. Reinigen der
Vulva mit lauwarmem W^asser, ja selbst Scheidenspülungen mit solchem, be-
sonders, wenn es vorher abgekocht wurde, sind unschädlich. — Im Aufsatze
„ Gonorrhoe'-'' wurde auf den entsetzlichen Aberglauben hingewiesen, dass der
Tripper des Mannes durch Cohabitation mit einem unberührten Mädchen
geheilt werden könne.
Die Reihe von Gefahren, welche durch mancherlei Einrichtungen, Ge-
bräuche und Ansichten unserer Zeit und unserer Cultur der Gesundheit des
Weibes drohen, ist damit nicht erschöpft. Es bedarf noch sorgfältiger, vor-
urtheilsfreier Untersuchung, um in dieser Hinsicht Wandel zu schaffen,
GUSTAV KLEIN.
Pruritus Vaginae et vulvae ist eine durch verschiedenartige Ursachen
bedingte Erkrankung, deren wesentliches Symptom in einem lästigen Jucken
im Bereich des Scheideneinganges besteht. Der Pruritus wird bei Frauen jeden
Alters beobachtet, sowohl bei sonst gesunden, als bei an Genital- oder All-
gemeinkrankheiten {Carcinonij Diabetes) leidenden Frauen. Er tritt auf in der
Schwangerschaft, sogar während der Geburt, auch im Wochenbett. Relativ
häufig wird er bei älteren Frauen vor oder nach Eintritt des Klimakterium
beobachtet. Nicht selten kommt ein leichtes vorübergehendes Jucken während
der Menses oder gleich nach denselben vor, was wohl nicht dem Pruritus sensu
strictiori zuzuzählen ist. Letzterer stellt ein meist sehr hartnäckiges Leiden
dar, welches symptomatisch bei abnormen Secreten (oder auch als Reflex-
erscheinung), seltener essentiell als selbständige Neurose auftritt.
Aetiologisch hält Küstner den abnormen Reiz pathologischer Secrete
für die häufigste Ursache des Pruritus; secundäre Veränderungen der Schleim-
haut, wie Miliumknötchen, Schleimhautsclerosen, Geschwüre, Eczeme, herpe-
tische Ausschläge, Furunkel (zum Theil durch Reiben und Kratzen veranlasst)
unterhalten dann die Irritabilität der Vulva, während in selteneren Fällen das
Jucken seinen Grund in einer primären Neurose haben soll. Auch nach
Ohlshausen existirt ein essentieller, nur durch Erkrankung der Nerven-
endigungen bedingter Pruritus. Sänger dagegen betrachtet als Ursache der
Affection stets eine örtliche Erkrankung der Schleimhaut in Folge innerer
oder äusserer Schädlichkeiten, die secundär die Nervenendigungen in Mitleiden-
schaft ziehen können. Er bezeichnet die Krankheit, da bei einiger Dauer der-
selben stets Veränderungen der Schleimhaut zu constatiren sind, als Dermato-
neuritis vulvae lyruriginosa.
Zur Erklärung der Pathogenese des Pruritus zieht Seeligmann die
locale mikroparasitäre Infection heran, indem er bei Diabetes den Sacha-
romyces, in anderen Fällen das Bacterium ureae, den Coccus ureae und
andere Mikroben für die Entstehung der Krankheit verantwortlich macht. Da-
gegen ist mit Recht geltend gemacht worden, dass der Sacharomyces stets nur
auf der Oberfläche der Schleimhaut und nicht im Corion gefunden wurde,
PRURITUS VAGINAE ET VULVAE. 699
dass somit einfache Waschungen zur Beseitigung des Pruritus hätten genügen
müssen, dass ferner bei Diabetes (nach v. Wjnckel) durchaus nicht in allen
Fällen von Pruritus der Pilz zu finden war. Gegen die Verallgemeinerung
der parasitären Theorie spricht auch die Thatsache, dass im Scheideneingang
sich stets Mikroben in reichlicher Menge finden und trotzdem nur wenige
Frauen an Pruritus vaginae leiden, ebenso dass bei Schwangeren sehr häutig
Mycosis ohne alles Jucken und andererseits manchmal Pruritus ohne jede
Pilzablagerung besteht. Auch die Erfolge der Carbolbehandlung sind kein
stricter Beweis für die parasitäre Grundlage des Pruritus, da die Wirkung
des Medicamentes ebensogut auf der Anästhesirung der afficirten Theile be-
ruhen kann.
Die Ursachen des Pruritus sind jedenfalls sehr mannigfache. Nach
dem heutigen Stande des Wissens muss die von Sänger aufgestellte Ein-
theilung im Allgemeinen als durchaus objectiv und als den häufigsten Beobach-
tungen entsprechend anerkannt werden. Derselbe unterscheidet: 1. Endogene
Ursachen, a) Hämatogene: Icterus, Nephritis, Diabetes können Pruritus hervor-
rufen durch die im Blut kreisenden und auf die Nervenendigungen ein-
wirkenden reizenden Stoße. Ebenso können auch Medicamente wirken, wie
Jodoform, Morphium u. A. h) Fluxionäre: Stauungshyperämieen bei Hämor-
rhoiden, Schwangerschaft, Tumoren. 2. Exogene Ursachen, a) Secretorisch-
cliemisciie: Abnorm gesteigerte Secretion der Hautdrüsen, Benetzung mit
pathologisch verändertem Urin, krankhafte Secrete der Scheide und des
Uterus (z. B. bei Carcinom, auch bei Secretionsanomalieen des Uterus ini
Klimakterium), h) Parasitäre: Pediculi, Oxyuris, Leptothrix, Bacterium ureae.
3. Mechanische Ursachen. Reiben, Kratzen, Masturbation (diese sind
jedenfalls häufiger Folge als Ursache des Leidens).
Es kann übrigens nicht jeder Fall von Pruritus als Dennatitis pruriginosa
bezeichnet werden, da nicht selten sowohl Anfangs, als auch später, besonders
wenn die Kranken nicht kratzen, jede locale Veränderung fehlt. Dass eine
solche sich schliesslich im Verlauf der Krankheit durch Reiben und Kratzen
secundär gewöhnlich einstellt, ist nicht zu verwundern. Das Vorkommendes
Pruritus als essentielle primäre Neurose lässt sich so lange nicht läugnen,
als nicht für jeden solchen Fall eine bestimmte andere Ursache mit Evidenz
nachgewiesen werden kann. Als Reflexneurose sah Schultze einigemale den
Pruritus auftreten; die sehr interessanten Beobachtungen betreffen Fälle von
leichter Endometritis. Dass hier nicht etwa der minimale Ausfluss das Jucken
hervorrief (welches ja selbst in Fällen schwerer Endometritis nicht beobachtet
zu werden pflegt), sondern dass dasselbe auf dem Wege des Reflexes ausgelöst
wurde, konnte durch die Untersuchung mit der Sonde sichergestellt werden.
Die Einführung derselben in den Uterus, respective die Berührung einer um-
schriebenen Stelle der inneren Uteruswand, verursachte sofort heftiges Jucken
in der Vulva. Nach Beseitigung der Endometritis war auch der Prui'itus
geheilt.
Das anatomische Wesen des Pruritus besteht in den ausgebildeten
Formen nach den Untersuchungen von Webster in einer Entzündung des
Papillarkörpers der Schleimhaut des Introitus vaginae mit langsam fort-
schreitender Fibrosis der Nerven und ihrer Endapparate, besonders in der
Klitoris und in den kleinen Schamlippen. Makroskopisch sind die Ver-
änderungen in der ersten Zeit meist gering und bestehen in Röthung und
leichter Schwellung der Schleimhaut der Vagina und Vulva, selten zeigt sich
eine papulöse Dermatitis. Allmälig aber entwickelt sich, hauptsächlich in
Folge des Kratzens, ein Eczem der Schleimhaut mit Excoriationen und Schorfen,
sehr häufig mit starrer Infiltration der Nymphen, des Präputium klitoridis
und der Klitoris selbst. Diese Infiltration führt zu Hypertrophie und elephan-
700 PRURITUS VAGINAE ET VULVAE.
tiastischer Yerdickuiig der Theile, welche den Charakter der Schleimhaut ver-
lieren und eine eigenthümliche harte und trockene Beschaffenheit annehmen.
Das Cardinalsymptom des Leidens ist ein quillendes Jucken im
Scheideneingang, oft auch im unteren Abschnitt der Scheide, hauptsächlich
aber in den kleinen Schamlippen und in der Klitoris, häufig auf den Damm
und auf die, inneren Schenkelflächen sich verbreitend. Das Jucken ist ge-
wöhnlich am stärksten bei Nacht, in der Bettwärme. Manchmal tritt es auch
in Pausen anfallsweise auf. In schweren Fällen erreicht das Jucken einen
solchen Grad, dass es die Frauen zur Verzweiflung treibt und tiefe psychische
Depression mit Selbstmordgedanken verursacht. Die Allerwenigsten können
dem Reiz zum Reiben und Kratzen widerstehen; sie verschalfen sich so eine
momentane Erleichterung, verschlimmern aber thatsächlich nur ihr Leiden.
In manchen Fällen ist das Jucken mit erotischen Empfindungen verbunden
und führt dann leicht zur Masturbation. Einige Beispiele seien nachfolgend
angeführt.
Eine Patientin des Verfassers litt, ohne dass locale Veränderungen bestanden, und
ohne dass eine Ursache nachzuweisen war, an besonders Nachts auftretendem heftigem
Jucken in den GenitaUen, so dass sie unzähligemale aufstehen und durch kalte Sitzbäder
Linderung suchen musste. Die Folge war Schlaflosigkeit und tiefe Melancholie. Das
Leiden wurde durch Galvanisation beseitigt. Eine andere Patientin kratzte sich wegen
intensiven Pruritus fortwährend mit den Nägeln und zeigte eine enorme Hypertrophie der
Klitoris, des Präputium klitoridis und der Nymphen mit blassrother, harter und rissiger
Epidermis; die Abtragung der Theile wurde verweigert, eine Salbe aus Ichthyol 20, Ungu.
Zinc. 30'0, Menthol. 10 brachte bedeutende Linderung. Eine dritte Patientin, bei welcher
die Erkrankung im Klimakterium begonnen hatte, ebenfalls verbunden mit Infiltration
und Hypertrophie der Klitoris und der Nymphen, empfand zugleich mit dem Jucken
heftige wollüstige Erregungen; sie erkaufte sich häufig den Coitus, und wenn dies nicht
möglich war, masturbirte sie bis zur Bewusstlosigkeit. Die hier gewiss indicirte Exstir-
pation der afficirten Partieen wurde nicht gestattet, andere Mittel wurden mit palliativem
Nutzen verwendet.
Die Therapie des Leidens besteht in Auffindung und Beseitigung der
Ursache, wenn dies möglich ist. Bei leichterem Jucken, wie es nach der
Menstruation ab und zu vorkommt, genügt Reinigung der Vagina, kühlender
Umschlag, Tanninglycerintampon etc. Bei Ausflüssen aus dem Uterus ist die
Grundkrankheit durch directe Behandlung zu beseitigen, und wenn dieses
nicht möglich, durch desinficirende und reizmildernde Injectionen der Charakter
der Secrete zu modificiren. Vor Allem ist bei Pruritus auf das Vorhandensein
von Endometritis zu fahnden, da eine solche bei ganz in den Hintergrund
tretendem Ausfluss, wie die Beobachtungen von Schultze zeigen, auf dem
Wege des Reflexes das Jucken hervorrufen kann. Mit Beseitigung der Endo-
metritis durch Jodoformgazetamponade oder durch antiseptische Ausspülungen
des Uterus wird dann zugleich auch der Pruritus geheilt. Noch mehr sind
die Antiseptica bei parasitären Ursachen des Leidens angezeigt und werden
hier in energischerer Weise (Sublimat- und besonders Carbollösung, letztere
nach Schröder 1 : 40 bis 1 : 10) angewandt. Bei inneren Ursachen können
Bäder und Mineralwässer in Frage kommen.
In den hartnäckigen Fällen, wo entweder eine primäre Neurose besteht
oder die secundären Veränderungen der Gewebe durch die medicamentöse Be-
handlung nicht beeinflusst werden, ist zunächst der galvanische Strom (c. 20
Milliamperes, 10 Minuten Dauer, Anode in der Vulva, Katode labil in der
Umgebung) zu versuchen. Die Resultate sind häufig recht gute, viel wahr-
scheinlicher infolge der umstimmenden Wirkung auf die Nerven und Gewebe
als infolge der bakterientödtenden Eigenschaft der Anode. Bemerkenswerth
ist ein Fall von Campe, in welchem selbst nach vergeblicher Excision von
Hautstücken die Galvanisation rasche Heilung brachte. Auch die Faradisation
ist schon mit Erfolg angewendet worden. Als Palliativmittel sind Cocain,
Menthol, kühlende Salben etc. häufig nicht zu entbehren.
PUERPERALE INFECTION. 701
Wenn der Pruritus jeder Therapie trotzt, und besonders, wenn er dabei
auf Klitoris, Nymphen oder umschriebene Tlieilc der grossen Sehamlippen
oder des Scheideneinganges beschrünld ist, so tritt die operative Jiehandlung
in ihr Recht. SciiiiöDEit hat zuerst (1884) die Excision der juckenden Ilaut-
partieen empfohlen und ausgeführt. Ihm folgte Küstnek, der u. a. auch
einmal eine Dammnarbe als Sitz des Pruritus erkannte und durch die Perineo-
plastik prompte Heilung erzielte. Mautin, Fkiiling, Fiutsch, Weij.S'I'Kk,
nahmen die Excision der kranken Stellen, manchmal mit Entfernung der
Klitoris, ihres Präputium und der Schamlippen vor. Sängku heilte zwei
Fälle durch Abtragung der Nymphen und der Klitoris. Er empfieJilt bei
jungen Personen womöglich partielle Excisionen, bei älteren (wenn nöthig)
Exstirpation der ganzen Vulva mit entsprechendem plastischem Ersatz.
EDGAR KURZ.
Puerperale Infection. Der Uterus puerperalis ist vermöge seiner
anatomischen Baucart ausserordentlich für Infectionen intra et post partum
prädisponirt. Die Mächtigkeit der Venen, welche bis zu 1-4 cm im Durch-
messer betragen können und von welchen das Wachsthum des Uterus in
gravididate zum grössten Theil abhängt, der Reichthum an Lymphgefässen,
welche in ihrem Laufe meistens den Blutbahnen folgen und von denselben nur
durch ihre vom Bindegewebsgerüste gebildeten Endothelscheiden getrennt sind,
lassen die Gebärmutter und den Geburtscanal zu einem Haupt-Tummelplatz
für pathogene Bacterien werden.
Als Infectionserreger, welche die puerperalen Erkrankungen bedingen,
können vor Allem der Staphylococciis pijogenes aureus und albus und der StrejJto-
coccus pyogenes Rosenbach und Fehleisen in Betracht. Weiterhin werden
in der Literatur als bei puerperalen Infectionen gefundene InfectionseiTeger
das Bacterium coli commune und der Pneumococcus genannt.
Die Eingangspforten dieser Eitererreger sind im Wesentlichen die durch
den Geburtsact selbst geöffneten Lymph- und Blutadern. Als bevorzugte
Stellen gelten die Risse iili Perineum, die Verletzungen am Collum uteri
und als häufigste die Placentarinsertion.
Die erste Wirkung, welche die in das Gewebe eingedrungenen Bacterien
ausüben, ist in einer Anhäufung von Leukocyten am Infectionsherd zu suchen
(Chemotaxis). Gewebszerstörend (leukolytisch) wirken die Bacterien erst in
2. Linie. Das mikroskopische Bild, welches wir durch diese Bacterienthätig-
keit in fast allen Infectionsfällen erhalten, wäre also in umgekehrter Reihe
folgendes:
1. Ein Centrum, worin die Coccen zuerst lagen; an Stelle des Gewebes
ist Detritus getreten;
2. eine Wucherungszone der Pilze in der Peripherie des centralen Herdes.
Hier liegen die Coccen dicht gedrängt, in energischer Proliferation begriffen,
in die lockeren, anzugreifenden Gewebspartieen in verschiedener Richtung Pa-
trouillen sendend;
3. eine Coagulationszone über die Zone 2 hinaus ragend und
4. eine Infiltrationszone. Die Coccen sind hier mit einem Ringe dicht
gedrängter Leukocyten umgeben.
Die Möglichkeiten des Zustandekommens einer puerperalen Infection
lassen sich in 2 grosse Gruppen zusammenfassen: 1. Die vor der Infection
ausserhalb des Genitalschlauches befindlichen Erreger werden durch irgend
eine der vielen Handreichungen bei einer Geburt in die Wunden der Geschlechts-
organe der Wöchnerin gebracht. 2. Die vor der Infection schon innerhalb des
Geburtscanais anwesenden Bacterien verursachen in loco selbst die puerperael
Infection.
Die e X a n t h r 0 p e n f ür unser Capitel in Betracht kommend enpathogenen
Bacterien sind durch eine Menge von Untersuchungen an allen im Wochen-
702 PUERPERALE INFECTION.
Zimmer und in Operationssälen befindlichen Gegenständen, in der Luft und
auf dem Fussboden nachgewiesen worden. Dieselben haften ferner auf der
Haut des Menschen, unter den Fingernägeln, im Sputum, im Nasenschleim,
in den Haaren, Kleidern etc. etc. des behandelnden Arztes, der Hebamme
und des Wartepersonals, der Kreissenden und der Wöchnerin selbst. Es lässt
sich somit leicht erklären, wie bei nicht genügender Desinfection der Hände
und Instrumente^ welche bei inneren Eingriffen während der Geburt gebraucht
werden, puerperale Infectionen zu Stande kommen können.*) Auch die gründ-
lichste Reinigung der Hände und Instrumente und Abtödtung der daran hän-
genden Bacterien mittelst Desinficientien wird nach dem eben gehörten zu
Schanden und unwirksam, wenn der betreffende Arzt oder die Hebamme, sei
es in der Wichtigkeit des Augenblickes oder in strafbarer Unkenntnis der
Desinfectionslehre vor oder während der intendirten Manipulation mit Gegen-
ständen in Berührung kommen, welche, undesinficirt, mit Bacterien behaftet
sind. Und gerade in dieser leichtsinnigen Ausserachtlassung und Vernach-
lässigung der wichtigsten Paragraphen der Desinfectionslehre, dass wirklich
desinficirte und sterile Hände und Instrumente nur bei peinlichstem Ver-
meiden von der Berührung mit undesinficirten Gegenständen für eine gewisse
Zeit steril bleiben — gerade dieser Umstand ist es, welcher die meisten In-
fectionen in puerperio bedingt. Wenn bei erfolgter Infection sich der Arzt
oder die Hebamme zu beruhigen suchen, dass bei der Geburt von ihnen Des-
inficientien der verschiedensten Art gebraucht werden, so mögen sie sich
vor allen Dingen fragen, ob dieselben gründlichst angewendet und ob nicht
nach Desinfection von Händen und Instrumenten Dinge angefasst wurden,
welche die ganze Sterilisation von Neuem unwirksam machten. Und gewiss
würden in den meisten Puerperalfieberfällen das Selbstbekenntnis folgen: Pater
peccavi.
Dass in den äusseren Schamtheilen der Geschlechtsorgane, der Vagina
und dem Uteruscavum pathogene Mikroorganismen, wie Staphylococcen, Strepto-
coccen und Gonococcen, der verschiedensten Virulenz vorkommen, ist eine
Thatsache, welche die verschiedensten Arbeiten unumstösslich beweisen. Au
dieses enanthrope Bestehen von pathogenen Spaltpilzen reiht sich
die Frage an, ob nicht durch dieselben auch puerperale Infectionen vermittelt
werden können? Zweifellos ! Durch völlig aseptische Finger und Instrumente kön-
nen demnach in Vagina und im Uterus präexistirende Bacterien in Risse und Wun-
den des Geburtscanais hineingebracht werden und von hier aus Infectionen be-
wirken oder es können als seltenerer Infectionsmodus die Bacterien als selbst-
thätige Inf ections vermittler, ohne dass irgend welche Untersuchung oder Mani-
pulation an der Kreissenden oder Wöchnerin vorausgegangen wäre, Puerperal-
fieber erregen. Es ist diese letztere Art einer puerperalen Infection, vor vielen
Jahren schon von Semmelweis erkannt, erst jetzt jedoch durch eine Reihe
von diesbezüglichen Arbeiten nach langjähriger Aufeindung bewiesen worden.
Man kann also mit Recht eine „Selbstinfection'^ in puerperio annehmen, wenn
nach Ausschliessung jeder inneren Untersuchung eine Infection in
puerperio Platz greift. Und gerade aus diesem Grunde — dass nur von einer
Selbstinfection gesprochen werden kann, wenn der strikte Beweis geliefert ist,
dass in die inneren Genitalien weder durch Finger noch Instrumente pathogene
Bacterien in den Organismus gelangt sind — ist die Gefahr der Anerkennung
der SEMMELWEiss'schen Theorie eine nur eingebildete. Es kann ja in weitaus
den meisten Fällen zu jeder Zeit von der Wöchnerin durch Nachforschen
eruirt werden, ob eine innere Untersuchung stattgefunden hat und ist im
Bejahungsfalle jede Entschuldigung von Arzt oder Hebamme oder Wärterin,
dass bei eingetretenem Puerperalfieber ein Selbstinfectionsfall vorliege, damit
*) Vergl. auch Artikel „Antisepsis in der Gehurtshilfe^^. Pag. 34'.
PUERPERALE INFECTION. 703
abzuweisen, dass eben eine Untersuchung vorausgegangen und eine Selbst-
infection in diesem Sinne unmöglich ist. Für den gewissenlosen Arzt oder
die Hebamme gibt es ausserdem ja Ausflüchte und Entschuldigungen genug
die Ursache eines Wochenfiebers von den eigenen Händen und Instrumenten
abzuschieben.
Als eine Art von Selbstinfection wären noch die Fälle zu erwähnen, in
welchen eine schon seit langem bestehende Pyosalpinx im Wochenbett acut
exacerbirt, zum Platzen kommt und eine tödtliche Peritonitis verursacht.
Vom Verfasser dieses Aufsatzes, wurde in einer experimentellen Arbeit
gezeigt, dass die Schwere einer Infection nicht von besonderen Bacterien
abhängig ist, dass, mit anderen Worten, es gleichgiltig ist, ob Staphylococcen
oder Streptococcen oder beide gemeinsam oder irgend welche andere
Eitererreger eine Infection bedingen. Es wurde ferner in der gleichen
Arbeit nachgewiesen, dass auch nicht von der Menge der Keime die Schwere
der Infection abhängig ist, ja, dass schon durch eine relativ geringe Keim-
menge, eine tödtliche puerperale Erkrankung Platz greifen kann. Die verschie-
dene Infectionsintensität resultirt lediglich aus der Virulenz der zur
Verwendung gekommenen Bacterien. Alle im Wochenbett vorkom-
menden Krankheiten des Geschlechtsapparates, mit Ausnahme der Saprämie,
sind somit durch die Virulenz, welche jeweils den inficirenden Bacterien
eigen ist, bedingt und wir können aus Erfahrung und Experimenten folgen-
des Virulenzschema für die genitalen Wundkrankheiten aufstellen:
a) Bacterienwirkung bei geringster Virulenz: Einfache Endovulvitis-
Kolpitis, Mefritis mit Geschwürsbildung etc.
b) Als nächste Steigerung, Entzündung derselben Organe mit bald
mehr, bald weniger tiefgreifender Eiterung und Abscessbildung: Vulvitis, Kol-
pitis, Metritis parenchymatosa etc.
c) Als dritten Virulenzgrad mit phlegmonöser Eiterung und Eitersack-
bildung: Die Paravulvitis, -kolpitis, -metritis und der daran anschliessenden
Peritonitis ascendens.
Ferner die thromholische Form des Puerperalfiebers die Phlebitis und
Pyämie.
e) Endlich als höchster Virulenzgrad: die Septicämie.
Die ersten drei Bacterienvirulenzgruppen bedürfen keines weiteren Com-
mentars, da sie der Kenntnis der gewöhnlichen Eiterung, welche schon seit
Jahren anerkannt ist, unterstehen. Auf die beiden letzten Gruppen jedoch
erübrigt es mit einigen Worten kurz einzugehen.
Die Pyämie verdankt bekanntlich ihre Entstehung der Phlebitis einer
Placentar- oder Wandvene des Uterus, gelegentlich auch einer entzündeten
Vene der Scheide, der äusseren Genitalien, der Vena cruralis und saphena.
Von diesem primären Infectionsherd aus gelangen Eiter oder eiterhaltige
Pfropfe (Emboli) in das Gefässystem und verursachen hier jene secundären
Erscheinungen, welche durch neue Infectionsherde und Schüttelfröste charak-
terisirt sind. Die Thrombophlebitis purulenta bei Pyämie, die pathologische
Fortsetzung eines physiologischen Thrombus nach Venenzerreissung ist in
ihrer Ausdehnung gleichfalls von der Virulenz der Bacterien abhängig. Die
nach Zerfall der Infectionserreger aus dem Zellleib freigewordenen Proteine
sind im Stande das nach Leukoly'se der durch dieselbe angelockten Leukocyten
ausgeschiedene Nucleohiston (Lilienfeld) zu spalten und nach Verbindung
des Histons mit Kalksalzen des Blutes das gerinnungsfördernde Nuclein zur
Wirkung zu bringen. Durch diesen rein chemischen Vorgang ist die eitrige
Thrombose der verschiedensten Venenstämme bei Pyämie bedingt. Es lässt
sich hieraus leicht verstehen, dass wiederum die Virulenz der Bacterien es
f ist, welche die grössere oder kleinere Ausdehnung einer Thrombophlebitis
verursacht.
704 Puerperale infection.
Die Entstehung der Sepsis ist nach den neuesten Forschungen gleich-
falls nicht an verschiedene Bacterienarten gebunden, sondern ebenfalls wie
alle übrigen genitalen Wundkrankheiten des Wochenbettes von der Energie
der Infectionserreger abhängig. Es wohnt jedoch dieser höchste Virulenzgrad,
welcher sich in den septischen Erkrankungen durch einen rapiden Verlauf
fast ohne jede Localerscheinung äussert, dem Bacterienleib nicht selbst inne,
sondern wird erst im Laufe der Infection durch Hilfskräfte hervorgerufen.
Diese Hilfskräfte sind in Gestalt von Fäulniserregern gefunden, welche am
Ort der Infection, auf bis jetzt noch unbekannte Art, den eigentlichen
Infections- und Eitererregern die höchste Infectionswirkung verleihen. Denn
wir sind experimentell im Stande eine Infection von massiger Schwere durch
nachträgliche Infection mit Saprophyten in das Ungemessene zu steigern.
Die als Septico-Pyämie bezeichnete Mischform einer puerperalen
Infection würde nach Vorausgehendem und nach den klinischen Erfahrungen
folgende Erklärung finden: Zu einer schon bestehenden Pyämie tritt eine
septicämische Steigerung hinzu, d. h. eine neue Infection mit Fäulniserregern
steigert die ursprüngliche Virulenz der schon thätigen Eitererreger oder facht
diese schon abnehmende Virulenz von neuem an. Diese acute Exacerbation
führt den gewöhnlich durch langes chronisches Bestehen einer pyämischen
Affection stark geschwächten Organismus in den meisten Fällen zum Tode.
Saprämie ist ein reines Kesorptionsfieber der durch Saprophyten an
der Infectionsstelle selbst erzeugten Stoffwechselproducte. (Hat somit einige
Aehnlichkeit mit Diphtherie und Tetanus.) Da die Infection mit Fäulnis-
erregern allein äusserst selten ist, so darf Saprämie nur dann diagnosticirt
werden, wenn nach genauer bacteriologischer Untersuchung der Uteruslochien,
des Infectionsbelages und des Blutes die Anwesenheit von Eitererregern aus-
geschlossen ist.
Das bei den meisten puerperalen Infectionen bestehende, mehr oder
minder hohe Fieber ist durch die in das Blut gelangten giftigen Stoffwechsel-
producte der Infectionserreger bedingt.
Die Diagnose der einzelnen genitalen Wundkrankheiten in puerperio
ist aus Geschwüren, phlegmenösen Eiterungen, abgesackten parametranen oder
pelveoperitonitischen Exsudaten, aus entzündeten, thrombosirten Venen und
aus den embolischen Processen mit mehr oder minder hohem Fieber und
Schüttelfi'östen nicht leicht zu verfehlen. Schwieriger kann sich die Diagnose
der Sepsis gestalten, indem wir ausser einem grauschmutzigen diphtherischen
Wundbelag — welcher in manchen Fällen durch seinen Sitz nicht nachzu-
weisen ist oder mitunter ganz fehlt — und schweren Allgemeinerscheinungen
oft keine anderen localen Anhaltspunkte haben, welche auf eine septische
Infection hindeuten. Wir sind jedoch neuerdings im Stande auch hierin Klar-
heit zu schaffen, indem wir aus Untersuchungen des Blutes, aus dem Nach-
weis von kreisenden Eitercoccen in demselben, jede andere Infections-
krankheit von der septischen ausschliessen können. Eine in solchen Krank-
heitsfällen methodisch durchgeführte Blutuntersuchung gibt uns zugleich
werthvolle Anhaltspunkte für die Prognose der Infection. Es wurde nämlich
nachgewiesen, dass bei massenhaftem Vorhandensein von Streptococcen oder
Pneumococcen im Blut, die Krankheit einen ganz besonders deletären Cha-
rakter aufweise und dass ferner ein Abnehmen in der Keimzahl oder gar Ver-
schwinden derselben ein prognostisch günstiges Zeichen sei.
Das Ausklingen einer puerperalen Infection ist wie die Schwere gleich-
falls von der Virulenz der Bacterien abhängig. Rein septische Zustände füh-
ren fast ausnahmslos zum Tode. Ueberwindet der Organismus die Bac-
terienüberschwemmung, so sind langwierige Organerkrankungen (Nephritis,
Cystitis etc.) die in vielen Fällen weiterhin noch letal verlaufenden Folge-
zustände.
PUERPERALE INFECTION. 705
Die Pyämie mit ihren thrombophlebitischen Processen scliickt ihre Em-
boli in die verschiedensten Organe, woselbst von neuem Abscesse oder phleg-
monöse Eiterungen entstehen. In Folge dieser embolischen Neuerkraiikungen
und der damit verbundenen Allgemoininfcction des Organismus gfthör(m Hei-
lungen von puerperaler Pyämie zu dem selteneren Ausgang derselben.
Bei den para- und periuterinen und -vaginalen Eiterungen mit phlegmo-
nösem Charakter wird der Eiter entweder abgesackt, eingedickt und resorbirt
oder er bricht in irgend ein Organ (Vagina, Darm, Blase etc.) oder nach Auf-
wärtskriechen im retroperitonealen Bindegewebe oder längs der Lig. ut. ro-
tunda und Absackung, durch die Bauchdecken oder an der Inguinalgegend oder
nach Senkung durch die Foramina obturatoria an den Glutäen oder Senkung
durch die Lacuna vasorum am Oberschenkel {Pldegmasia alba dolens) durch.
Endlich kann durch Lymphgefässe bei einem retroperitonealen Eiteraufstieg
eine Peritonitis mit gewöhnlichem tödtlichem Ausgang vermittelt werden.
Die parenchymatösen Entzündungen des Geburtscanais, charakterisirt
durch serös-eitrige Durchtränkung und Abscessbildung sind durch Granulations-
bildung und Ueberhäutung einer vollständigen Heilung fähig. Gehen diese
rein parenchymatösen Eiterungen durch secundäre Saprophyteninfection in
gangränös-septische Erkrankungen über, so haben wir ausser den localen,
tiefen und oft ausgedehnten Gewebsläsionen und Abstossungen {Mdritis dis-
secans), noch schwere Allgemeinerscheinungen, welche im weiteren Verlauf
einen mehr pyämischen oder rasch zum tödtlichen Ausgang führenden septi-
schen Charakter annehmen. Heilungen dieser localen Affection kommen meistens
mit ausgedehnten Narbenstricturen zustande.
Die einfache entzündliche Infiltration der Schleimhäute des Geburtscanais
mit Geschwürsbildung hat ausser geringen Fiebersteigerungen für den Orga-
nismus keine nachtheiligen Folgen. Kriecht jedoch die Entzündung der
Gebärmutterschleimhaut weiter in die Tuben und wird weiterhin der hier ge-
bildete Eiter abgekapselt, so entsteht die Pyosal/pinx, aus deren Platzen wieder-
um schwere peritonitische Erscheinungen mit meistens tödtlichem Ausgang
resultiren. Das Zusammenwirken einer gleichzeitigen saprophytischen Infec-
tion mit der schon bestehenden Strepto- und Staphylococceninvasion kann
deren Virulenz, wie wir gehört haben, in einer Weise steigern, dass wir aus-
gesprochene septische Erscheinungen — vom diphtherischen Belag der ursprüng-
lichen Geschwürsstelle mit heftigen Fieberbewegungen bis zu jenen gefüi'ch-
teten Allgemeinsymptomen, welche die Prognose der Septicämie zu einer pes-
sima gestalten — als Ausgang zu verzeichnen haben.
Schliesslich hätte ich noch zu erwähnen, dass aus manchen Fällen von
puerperaler Infection ein „Hallucinatorisches Irresein" der Wöchnerinnen re-
sultiren kann, wie es FtJESTNEE im Jahre 1875 erstmals beschrieb.")
Die Schutzvorrichtungen, welche dem Organismus gegenüber dem Ein-
dringen und der zerstörenden Wirkung der Bacterien verliehen sind, haben
wir, nach unserer heutigen Kenntnis, 1. in dem für die Bacterien schädlichen
Einfluss der am Entzündungsherd angesammelten Leukocyten, 2. in der mikro-
biciden Kraft des Blutserums zu suchen.
Die METSCHNiKOFF'sche Phagocytentheorie ist ad acta gelegt und auch
die neuesten Anstrengungen des Erfinders vermögen derselben keinen Werth
beizulegen. Auch die Ansicht, dass der an jeder Entzündungsstelle sich bil-
dende Leukocytenwall ein mechanisches Hindernis für das Eindiingen der
Bacterien abgebe (Bumm), ist durch gegentheilige Beobachtungen gründlich
widerlegt (Gäetner). Die nützliche Wirkung der am Infectionsherd angesam-
melten Leukocyten ist eine chemische, indem nach Zerfall derselben ein für
*) Vergl. Artikel „Puefperalpsychosen", pag. 713.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtsliilfe und Gynäkologie. 40
708 PUERPERALE INFECTION.
die Bacterienvermehrung ungünstiger, ja dieselben abtödtender Boden geschaf-
fen wird.
Im Gegensatz zu dieser rein chemisclien Wirkung steht die bacteri-
cide Kraft des Blutserums. Dieselbe ist eine Lebensäusserung, d, h. eine
Eigenschaft lebendigen durch Zellen freigewordenen Eiweisses. Das von Buch-
ner entdeckte antibacteriell wirkende Alexin, dessen Zusammensetzung aller-
dings noch nicht gekannt ist, wird dadurch im Blute frei, dass Bacterien-
proteine die weissen Blutkörperchen, in deren Zellen die mikrobicide Kraft
schlummert, zu Zerfall bringen wodurch die im Blute kreisenden Bacterien
seinerseits wieder abgetödtet werden. Es wird dieser Circulus vitiosus umso
rascher unterbrochen, je grösser die Virulenz der Bacterien ist.
Abgeschwächt oder ganz aufgehoben wird die mikrobicide Kraft des Blut-
Serums durch Hydrämie, als Folgezustand der Anämie, durch Chlorose etc.,
d. h, durch alle dyskrasischen, die Blutmischung verändernden Krankheiten.
Diese durch experimentelle Untersuchungen gewonnenen Versuchsergebnisse
(Gärtner) können wir in directen Einklang bringen mit der Erfahrung, dass
Wöchnerinnen, welche intra oder post partum grosse Blutverluste erlitten
haben, mehr zur Infection disponirt sind und folglich öfter Temperaturstei-
gerungen haben, als solche mit normalem Geburtsverlauf. Das normale Blut-
serum einer Wöchnerin überwindet eine Infection von nicht allzu hoher Viru-
lenz der eindringenden Bacterien, während das hydrämische Blutserum einer
anämischen Wöchnerin nicht mehr im Stande ist Bacterien von auch gerin-
gem Virulenzgrad zu tödten. Aus diesem Prädispositionsnachweis können
wir die wichtige Lehre ziehen bei pathologischen Geburten mit grossem
Blutverlust umso peinlichere Desinfectionsmaassregeln zu ergreifen.
Die Schutzvorrichtungen, welche Arzt und Hebamme dem Organismus
gegen Bacterieneinwanderung zu beobachten haben, bestehen in ausgedehn-
ten Desinfectionsmaassregeln. Hände und Instrumente sind gründlichst zu
desinficiren. Als bestes Recept gilt für Desinfection der Hände: 5 Minuten
langes Abseifen in lauwarmem Wasser hierauf ca. 3 Minuten langes Bürsten
in Sublimatlösung von 1 : 2000, endlich nochmaliges kurzes Eintauchen der
Hände in eine Sublimatlösung von 1:1000. Für die Instrumente gilt als
beste Sterilisation ein halbstündiges Kochen in Wasser und nachträgliche Auf-
bewahrung in 3^lo-igem Carbolwasser.
Der Körper und die äusseren Genitalien der Kreisenden sind durch Bad
und Abseifung gründlichst zu reinigen.
Für die Sterilisation der Vagina als Receptaculum einer Menge patho-
gener Bacterien werden von verschiedenen Gynäkologen desinficirende Aus-
spülungen mit oder ohne gleichzeitigem Abreiben der Vaginalwände vor und
nach jeder inneren Untersuchung empfohlen.
In einer ganzen Reihe von Kliniken wurden ausserdem Versuche gemacht
trotz innerer Untersuchungen keine Sterilisation oder Ausspülung der Vagina
vorzunehmen, sondern nur eine Waschung der äusseren Genitalien vorausgehen
zu lassen. Die hierbei erhaltene Morbiditätsziffer war nicht schlechter als
die bisher trotz der Desinfection gewonnenen. Hierin einen Gegenbeweis für
die Möglichkeit einer Selbstin fe et ion erblicken zu wollen, ist aus dem
Grunde schon allein zurückzuweisen, weil die Methode des Nichtausspülens
vor einer Geburt nie bei pathologischen Entbindungen angewendet wird. Erst
wenn auch bei gezwungenen instrumenteilen oder manuellen Eingriffen eine
vorausgehende Desinfection unterbleibt, diejenige der Hände und Instrumente
gleichzeitig einwurfsfrei ausgeführt wird und auch dann der Procentsatz einer
Infection gleich ist dem mit peinlicher vorausgehender Desinfection, dann
könnte man daran denken, die im Geburtscanal anwesenden Keime von einer
drohenden Gefahr auszuschliessen. Ich habe jedoch schon erwähnt, dass das
Vorhandensein pathogener Bacterien im Geburtscanal keineswegs gleichbedeu-
PUERPERALE INFECTION. 707
tend ist mit dem imbedingten Zustandekommen einer puerperalen Infection.
Im Gegentheil! Wir haben erfahren, dass dieselbe sehr bedingt ist, d. h. dass
€S ganz bestimmter Voraussetzungen und Prädispositionen im Organismus
bedarf, um derselben Thür und Thor zu öffnen. In diesem Sinne möchte ich
mit Bockelmann's Ansicht übereinstimmen, wonach die gesunde Kreissende
a priori als aseptisch angesehen werden kann. Es wären demnach bei einer
normalen Geburt auch keine antiseptischen Maassregeln nöthig, was ohne wei-
teres durch die klinische Erfahrung, dass die Morbiditätszilfer bei Unter-
lassung von Ausspülungen ante et intra partum nicht gestiegen ist, bestätigt
wird. Die Desinfectionsraaassregeln bei solchen Kreissenden, welche völlig
gesund und ohne zu erwartende Geburtscomplicationen auf das Kreissbett
kommen, haben folglich nur in gründlicher Reinigung der äusseren Genitalien
zu bestehen. Bei jenen Gebärenden jedoch, bei welchen durch irgend welche
pathologischen Zustände (Chlorose, Anämie, fehlerhafte Lagen etc.) der Or-
ganismus seiner natürlichen Schutzvorrichtungen beraubt oder wenigstens
theilweise benommen oder deren Fährdung während der Geburt erwartet
werden kann und dadurch einer intendirenden Infection zugänglich geworden
ist, müssen alle jene künstlichen Hilfsmittel der Antiseptik angewandt werden,
welche Leopold, Hofmeier u. A. erschöpfend angegeben haben. Das Hin-
und Herstreiten ob das STEFFECK'sche, von Döderlein und Günther geübte
Verfahren, das Ausreiben der Vagina und die damit verbundene Beraubung
derselben ihres physiologischen Schleimes, ein richtigeres Desinfectionsver-
fahren, als die blosse Ausspülung der Vagina ist nach statistischen Angaben
zu Gunsten der letzteren entschieden worden. Doch haben beide ihre Schatten-
seiten. Und wenn betont wird, dass die STEFFECK'sche Scheidensterilisation
der Schleimhaut die natürliche Glätte raubt und dieselbe spröd und leichter
einreissbar gemacht wird, so kann der einfachen Ausspülung entgegengehalten
werden, dass die mit Belassung des physiologischen Schleimes auch deren
Inwohner, die Bacterien, grösstentheils in der Vagina zurücklässt. Ich halte
nun als Schlussfolgerung aus all' diesen Auslassungen für das praktisch ge-
eignetste, wenn der Geburtshelfer bei einem pathologischen Zustande des Or-
ganismus, bei welchem die Geburt noch auf natürlichem Wege ihre Beendi-
gung findet, einfache Vaginalausspülungen mit Sublimatlösung von 1 : 2000
macht, bei solchen Zuständen jedoch, wo bei instrumentellem Eingreifen oder
künstlicher Vollendung schwerere Verletzungen erwartet werden müssen, das
STEFFECK'sche odcr HoFMEiER'sche Verfahren für die richtigere Desinfections-
handhabung. Denn in letzterem Falle ist das Fehlen der physiologischen
„Bahnschmiere", welche übrigens einen gewissen Ersatz in dem Einbringen
von Oel oder Fett der eingeschmierten Hände und Instrumente findet, das
kleinere Uebel gegenüber der Infectionsgefahr durch noch vorhandene patho-
geue Bacterien.
Die puerperalen Infectionskrankheiten, welche ausser Pyämie und Septi-
caemie alle durch einen mehr oder weniger ausgedehnten localen Eiterherd
ohne Allgemeininfection des Körpers ausgezeichnet sind, unterstehen fast
sämmtlich chirurgisch therapeutischen Maassregeln. Aetzmittel, Cu-
rette, Scalpell und Desinfectionsmittel sind die Waffen, mit welchen wir
meistens erfolgreich gegen diese Bacterieninvasion geringerer Virulenz kämpfen.
Bei Pyämie und Sepsis jedoch, bei welchen, puerperalen Infectionen höchster
Virulenz, wir die Erreger kreisend im Blute finden, bei denen der Gesammt-
organismus in hohem Grade durch die Bacterienüberschwemmung gefährdet
ist, haben locale Eingriffe am Infectionsherd nur den Werth das Nest, von
welchem aus ein weiteres Vordringen in die Gewebssäfte des Körpers erfolgt,
durch Raklage zu zerstören und zu eliminiren. Diese unvollkommene Be-
handlungsweise bietet jedoch wenig Befriedigung für den behandelnden und
leidenden Theil, da bei auch gelungener Zerstörung der Infectionseingangs-
45*
708 PUERPERALFIEBER DER NEUGEBORENEN.
pforte dennoch die grösste Gefahr für die Wöchnerin bestehen bleibt, das'r
Kreisen und Vermehren der Coccen im Blut. Wir müssten folglich auf
Mittel und Wege bedacht sein, die Bacterien und ihre schädlichen Stoff-
wechselproducte aus dem Körper zu eliminiren.
Und in der That, wir haben in therapeutischer Hinsicht bei puerperaler
Pyämie und, Sepsis ausser jener vorerwähnten Herdzerstörung nichts anderes,
zu thun als den Organismus in seiner selbstthätigen Heilmethode zu unter-
stützen. Alle schweisstreibenden Mittel — ausser das für Septische äusserst
gefährliche Pilocarpin — sind hier am Platze. Von mir selbst wurden in
einigen Fällen mit gutem Erfolg grössere Tagesdosen von Phenacetin (4-0— 6* 0)
verordnet. Um eine grössere Diaphorese und Diurese zu erzielen, ist es
weiterhin geboten grössere Wassermengen per os oder clysma dem Körper
zuzuführen. Auch phj'siologische Kochsalzlösung mittelst Schlundsonde in
Mengen von 2 — 3 Liier täglich in den Magen gebracht, leisteten gute Dienste.
Um den Eiweisszerfall hintanzuhalten und die Herzthätigkeit bei gesteigerter
Arbeitskraft zu heben, sind grössere Dosen Alkohol (bis Vs Liter Cognac pro
die) äusserst zu empfehlen. Oeftere Darreichung von kräftigen Brühen, ent-
sprechende Nahrungszufuhr überhaupt, und laue Bäder sollen endlich dem
Kräftezerfall vorbeugen und den Appetit steigern.
Von Interesse mag noch sein, dass Thikey in ca. 10 Fällen der schwersten
puerperalen Infection ohne Localerscheinungen, in w^elcher die herkömmlichen
Behandlungsweisen völlig im Stiche Hessen, kaum noch erwartete Heilung
durch Unterhautzellgewebsabscesse erzielte, welche er durch subcutane Injection
von je l'O Terpentinöl hervorrief.
Anhang. Eine glücklicherweise äusserst seltene Krankheit ist der puerperale Teta-
nus. Verursacht ist derselbe durch den bekannten anaeroben Bacillus Kitasato's, welcher
sich nur local am Infectionsherd vermehrt und dessen schädliche Wirkung auf den Orga-
nismus in ausgeschiedenen Toxalbuminen besteht. Das Vorkommen dieser Krankheit ist
in der Privatpraxis häufiger beobachtet als in Anstalten. Die Prognose ist äusserst schlecht.
Von 106 von Vikay zusammengestellten Fällen verliefen S-ßy/o letal. Als besonders
prognostisch ungünstig bei Infection der weiblichen Genitalien mit Tetanusbacillen wird
von Schreiber ein bei der Geburt erfolgter starker Blutverlust erwähnt. Die ersten An-
zeichen fallen gewöhnlich in den Anfang der zweiten Woche des Puerperiums. Eine spe-
cifische Therapie kennen wir noch nicht, doch wird die Chloroformnarkose in manchen
Fällen als heilwirkend empfohlen.
Mit wenigen Worten will ich endlich noch erwähnen, dass die Aetiologie der
Eclampsie*), welche nach den Untersuchungen von Blanc, Faure und neuerdings von
Gerdes an einen specifischen Bacillus gebunden sei und deshalb zu den puerperalen Infec-
tionskrankheiten gerechnet werden müsste, durch die Publicationen von Hofmeier, Haegler,
DÖDERLEiN, CoMBEMALE, Bu^ Und Chamberlent in ihre alten Bahnen zurückgedrängt worden
ist: Die Ursache der Eclampsie ist in der Mehrzahl der Fälle eine Intoxication des Blutes
(Eclampsia hämatogenes) von Kreatin oder Kreatinin oder seltener eine Eclampsia reflec-
torica, durch Reizung der Krampfcentren von Seiten sensibler Nerven (Dührssen). Fehling
stimmt den ätiologischen Annahmen von Ohlshaüsen, Dührssen u. A. bei und äussert
sich dahin dass „der Kliniker zur Erklärung der Eklampsie keinen bacillären Ursprung
bedarf." GÄRTNEE.
Puerperalfieber der Neugeborenen, in der vorantiseptischen Zeit
gehörten Puerperalfieber in den Geburtsanstalten zu den häufigeren Erschei-
nungen. In gleicher Weise, wie die Wöchnerinnen erkrankten und starben
auch die Neugeborenen. Die Krankheitsursache für Mutter und Kind glaubte
man in einem „flüchtigen Miasma« suchen zu müssen. Unsere Anschauungen
haben sich insoweit geklärt, dass wir das Puerperalfieber jetzt zu den schwe-
ren Wundinfectionskrankheiten rechnen. Die infectiösen Stoffe sind
bacterieller Natur, sie haften an unseren Fingern, Instrumenten, Verband-
material u. s. w. Findet; nun unzweifelhaft auch eine Uebertragung von der
puerperal erkrankten Mutter auf das Kind statt, so geschieht das in der über-
") Vergl. Artikel „Eclampsie"'.
PUERPERALFIEBER DER NEUGEBORENEN. 709
wiegenden Mehrzahl der Fälle doch nur indirect. Grundfalsch wäre es aber
bei dem Puerperalfieber des Neugeborenen eine puerper-alo Eikraukung der
Mutter als eine Conditio sine qua non hinstellen zu wollen. iJie Wöchnerin
kann ein völlig normales fieberfreies Wochenbett durchmachen, das Kind selbst
aber an Puerperalfieber zu Grunde gehen. Es handelt sich eben, wie bei dem
Puerperalfieber der Wöchnerinnen, auch bei den Neugeborenen um schwere
septische Infectionen, bedingt durch das Eindringen hochvirulenten Strep-
tococcus- und Staphylococcusarten. Diese entwickeln sich in dem Lochialsecret
ganz gesunder, in potencirter Menge selbstverständig in dem puerperal er-
krankter Wöchnerinnen. Rationeller wäre es daher die Bezeichnung „Puer-
peralfieber der Neugeborenen" ganz fallen zu lassen und an dessen Stelle
Septicaemie oder Sepsis der Neugeborenen zu setzen. Ausge-
schlossen ist dabei freilich nicht, dass nicht auch ältere Kinder einer Sepsis
erliegen können. Wir müssen daran festhalten, dass die Sepsis der Neu-
geborenen in erster Linie eine Wundinfectionskrankheit ist.
(Runge, Epstein.) Die Infection geht mit geringen Ausnahmen erst post
partum, also extrauterin vor sich.
Die Haupteingangspforte für die septischen Mikroorganismen ist der
Nabel, Hier bildet sich infolge der Lostrennung des Nabelschnurrestes
bei jedem Neugeborenen, eine „physiologische Wundfläche", Die Gefahr ist
in den ersten Tagen, solange der Nabelschnurrest noch haftet, am grössten.
Nach Abfall der Nabelschnur granulirt die Wunde, und als solche ist dieselbe
vor einer septischen Infection mehr geschützt.*) Mit der Infection der Wunde
beginnt der erste Act des Puerperalfiebers. Wie der w^eitere Verlauf sich
gestalten wird, lässt sich nicht immer voraussagen. Die Erkrankung kann
ihrön Localcharacter bewahren, sich abgrenzen und zur Heilung führen
(Ulcus umbilicalis, Phlegmone der Bauchdecken etc.). Häufig kriecht aber der ent-
zündliche Process w^eiter fort. Das perivasculäre Bindegewebe der
Nabelgefässe wird ergriffen, und dann die Wandungen der Nabelarterien
(Runge); seltener wird die Nabelvene in Mitleidenschaft gezogen (Arteriitis
und Phlebitis umbilicalis^) Auch in diesem Stadium ist Stillstand möglich,
aber die Gefahr einer allgemeinen, tödtlich verlaufenden Sepsis ist eine un-
gemein grosse. Dabei kann aber die Nabelentzündung anscheinend w^enig-
stens völlig zur Ausheilung kommen. Es wird kein Tropfen Eiter mehr
secernirt, die Nabelwunde verheilt und vernarbt. In den Lymphbahnen ge-
langt aber das septische Gift zu den entfernteren Geweben und Organen.
Es kommt zur Entwicklung einer septischen Peritonitis, Pericarditis, Pleuritis,
zu Lungen-Nierenentzündungen u, s. w. Der fortschreitenden Infection Einhalt
zu thun, liegt ausserhalb unserer Macht. Weshalb die septische Nabel-
erkrankung in den einem Falle ihren localen Charakter bewahrt, in dem
anderen sehr schnell eine tödtliche Allgemeininfection eintritt, ist schwer zu
sagen. Doch scheint die Wiederstandsfähigkeit der Einzelindividuen, oder
präciser ausgedrückt^ die Wiederstandsfähigkeit seiner Gewebe nicht ohne Ein-
tiuss zu sein. Soviel steht w^enigstens fest, dass frühreife, nicht völlig aus-
getragene Kinder fast nie eine septische Nabelentzündung überstehen, sondern
•schnell der allgemeinen Sepsis erliegen.
Bildet somit die Nabelwunde die natürliche Eingangspforte für die von
aussen her eindringenden septischem Mikroorganismen, so werden dui-ch
jede anscheinend auch noch so unbedeutende Verletzung der schützen-
den Hautdecke, durch jede La dirung der Schleimhäute die gleichen
Chancen geboten. Schon durch den touchirenden Finger, mehr noch durch
die zur Beendigung der Geburt nothwendigen operativen Eingriffe (Druck der
*) Vergl. die Artikel „Nahelschnur-, Nahelschnuranomalien"' und „Pflege des Neu-
geborenen".
710 PUERPERALFIEBER DER NEUGEBORENEN.
Zangenlöffel etc.) können Sclirunclen, Excoriationen, Abschilferungen der Haut
herbeigeführt werden. Schleimhautdefecte entstehen bei Neugeborenen in-
folge der normaliter vor sich gehenden Losstossungen der oberen Epithel-
schichten leicht. Hiermit im Zusammenhange stehen die Aphthen der ]\Iund-
schleimhaut, die leichten Flächengeschwüre an den grossen Schamlippen der
Neugeborenen u. dgl. Mechanisch wird die Mund- und ßachenschleimhaut
häufig laediii: und eventuell inficirt durch das Herausholen des Schleimes mit
den Fingern, das- Einführen des Katheters in die Trachea, das Auswaschen
des Mundes mit unsauberen Läppchen, Schwämmen etc. (Epstein). Eine Ueber-
tragung kann übrigens auch durch inficirtes Badewasser herbeigeführt werden.
Ist somit das „Puerperalfieber der Neugeborenen" in erster Linie eine
Wundinfectionskrankheit, so bleibt freilich noch immer eine Anzahl
Fälle übrig, wo der Infectionsmodus auch ein anderer sein kann.
Wir haben zunächst an die Möglichkeit einer intrauterinen Infec-
tion zu denken. Die Annahme einer placentaren Infection d. h. der
Uebertritt des septischen Giftes von der Mutter auf das Kind ist aber nur
dann zulässig, wenn die Mutter in der Schwangerschaft oder spätestens wäh-
rend der Geburt selbst septisch erkrankte, das Kind aber todt geboren wurde,
oder bald nach der Geburt starb und bei der Section septische Organerkran-
kungen gefunden wurden (Runge).
Leichter verständlich ist die Infection des Kindes durch Aspiration
von faulenden, resp. inficirten Fruchtwassers oder Genital-
schleim. In diesem Falle kann die Mutter völlig gesund bleiben. Wird
bei vorzeitigen Athembewegungen zersetztes Fruchtwasser inspirirt, so ist das
Entstehen primärer septischer Pneumonien wohl erklärlich. Dass aber solche
Streptococcen-Pneumonien, wenigstens in geschlossenen Anstalten (Findelhaus
in Prag) durch Inhalation „frei in der Luft suspendirter" septischer
Keime hervorgerufen werden können, scheint doch durch die neueren bacte-
riologischen Untersuchungen Fischl's ausser Frage gestellt zu sein. Ebenso
ist die Möglichkeit einer intestinalen Infection, einer Infection vom
Magen-Darmcanal aus nicht von der Hand zu weisen. Allerdings muss man
annehmen, dass die septischen Mikroorganismen durch die Verdauungssäfte bei
intacter Magen- und Darmschleimhaut auch unschädlich gemacht werden
können. Hierfür spricht der Umstand, dass die Kinder unbeschadet eine Zeit
lang an der Brust puerperal erkrankter Wöchnerinnen tranken (Biedert),
obschon die Milch solcher Mütter nachgewiesener Maassen pathogene Mikro-
organismen enthält. Die gegentheilige Beobachtung Karlinski's, dass das
Neugeborene nach dem Genuss solcher Milch an Sepsis zu Grunde ging, steht
ziemlich vereinzelt da. Sind aber die septischen Magen- und Darmerkran-
kungen der Säuglinge (Gastroenteritis septica) in Findelanstalten nicht selten,
so ist doch kaum der Schluss gerechtfertigt, dass in allen diesen Fällen eine
„äussere Wunde" die Eingangspforte für die Krankheitserreger gebildet haben
müsste. Viel näher liegt die Annahme, dass die Streptococcen mit der Nah-
rung in den Magen-Darmcanal gelangten, oder eine Infection von den Lungen
aus stattfand.
Die Symptomatologie und der Verlauf des „Puerperalfiebers der
Neugeborenen" ist ein sehr wechselndes und mannigfaltiges. Gleich im Voraus
sei hier darauf hingewiesen, dass die Erhöhung der Körpertemperatur durch-
aus nichts Pathognomonisches an sich hat. Es pflegen sogar die schwersten,
schnell tödtlich endenden Formen nicht blos bei dürftig entwickelten, früh-
reifen Kindern, sondern auch bei kräftigen, ausgetragenen Neugeborenen völlig
fieberfrei zu verlaufen. Auch schon aus diesem Grunde ist die Bezeich-
nung „Pu er p er alfieb er" keine sehr glückliche. Plötzlich und unvermuth et
bricht die Krankheit über die Kinder herein. Sie werden unruhig, verweigern
die Nahrung, collabken und verfallen ohne ausgesprochene Krankheitserschei-
PUERPERALFIEBER DER NEUGEBORENEN. 711
nungen einem schnellem Tode. War die Nabelwunde eitrig und übelriechend,
der Nabelschnurrest verfault, oder constatirt die Section eine Arteriitis umbi-
licalis, so liegt die Erklärung solcher Ereignisse auf der Hand. Fehlt aber
auch dieser Befund, so dürfte wohl nur von der b acter iologi sehen Unter-
suchung der Leiche Aufschluss über die Krankheits- und Todesursache zu
erwarten sein. Bei diesen foudroyanten septischen Intoxicationen fällt meistens
die livide, bleigraue Hautverfärbung auf, selten fehlt auch ein deutlich aus-
gesprochener Icterus Letzterer kann ja aber auch physiologischer Natur
sein! In anderen Fällen und zu anderen Zeiten äussert sich die Sepsis der
Neugeborenen als eine „hämorrhagische Diathese'' (Pütter, Epstein).
Es kommt zu Nabelblutungen, subcutanen Blutungen, Blutungen aus den
Schleimhäuten, Magen- und Darmblutungen etc. Die Häufung solcher Fälle
in Gebäranstalten, Findelhäusern u. s. w. deutet dann schon auf die wahre
Natur solcher Vorkommnisse hin.
Durchsichtiger und leichter verständlich sind uns aber solche Fälle, bei
denen die normale Mumification und Abstossung des Nabelschnurrestes aus-
blieb, derselbe übelriechend wurde und faulte, locale Entzündungen und
Vereiterungen der Nabelgegend bestanden, oder an irgend einer Stelle
Geschwüre, Furunkel, Abscesse oder phlegmonöse Entzündungen der Haut sich
bildeten. Es sei hier noch einmal flüchtig auf die circumscripten Phlegmonen und
die Gangrän der Bauchdecken in der Nabelgegend, auf die Schleimhautgeschwüre
des Mundes und der Schamlippen, auf die Furunkelbildungen bei Neugebo-
renen, auf die Mastitis mit Vereiterung der Brustdrüse und ähnliche Zustände
hingewiesen. Alle diese Eiterungs- und Entzündungsprocesse können ja auch
beim Neugeborenen einen günstigen Verlauf ohne Miterkrankung des Gesammt-
organismus nehmen, bisweilen tritt aber schon frühzeitig die septische Natur
derselben zu Tage. Die Geschwüre zeigen croupöse oder diphtheritische
Belege, eine bis dahin circumscripte phlegmonöse Infiltration greift plötzlich
und unvermuthet um sich, die Haut wird oft in grosser Ausdehnung unter-
minirt und schwappend, es entleert sich bei der Incision ein missfarbiges,
seröses, blutig gefärbtes, dünnflüssiges Secret, Neigung zur Hautgangrän ist
vorhanden etc. Fieber und Collapstemperaturen wechseln in solchen Fällen
miteinander ab; ein rapider Kräfteverfall tritt ein; die Kinder bekommen ein
greisenhaftes Aussehen und ein livides, bleifarbenes, gleichzeitig aber auch
icterisches Hautcolorit. Der Exitus letalis erfolgt in ein- bis zweimal 24 Stun-
den. Blutig seröse Ergüsse in den Peritonealraum, die Pleurahöhle, ins
Pericard bisweilen auch in einzelne Gelenke bilden einen häufigen Sections-
befund, werden aber selten bereits intra vitam diagnosticirt.
In geschlossenen Anstalten (Findelhäusern etc.) gelangt die Infection
des Organismus mit eitererregenden Microben auch unter dem Bilde einer
acuten oder subacuten Gastro-Enteritis oder eines capillaren Bronchitis,
resp. einer Lobulärpneumonie zum Ausdruck (Fischl). Die Gastro-
enteritis septica unterscheidet sich von den einfachen dyspeptischen
Krankheitszuständen der in den ersten Lebenswochen stehenden Säuglinge
zunächst dadurch, dass die Häufung der Erkrankungsfälle nicht zur Sommer-
zeit auftritt, sondern gerade in den Wintermonaten, w^o die Kinder dauernd
und in grösserer Anzahl in mangelhaft ventilirten Bäumen internirt sind.
Trotz der sehr heftigen intravitalen Krankheitserscheinungen fehlt aber im
Magen-Darmcanal solcher Säuglinge jede pathologisch- anatomische Verände-
rung, oder es deutet nur die colossale Hyperämie darauf hin, dass wir es mit
einer intensiveren Wirkung der organisirten Gifte auf die Gefässnerven zu
thun haben.
Der sicherste Fundort für die Krankheitserreger {Staphylococcus jpijogenes
albus et aureus^ sowie S/reptococcen) sind die Lungen. Hier finden sich die-
selben nicht blos in infiltrirten Partien oder etw^a vorhandenen kleinen Eiter-
712 PUEEPERALFIEBEß DER NEUGEBORENEN.
lierden, sondern auch in den makroskopisch schei/ibar normalen Gebieten
(Fischl). Der Schluss ist daher gerechtfertigt, d/.ss die in der Luft des
Krankenzimmers befindlichen Keime mit dem InspirP/tionsstrome in die Lungen
gelangen und nicht blos prinicäre septische Entzündüngszustcände des Lungen-
gewebes bedingen p,ls auch allgemeine septische Infectionen des Gesammt-
organismus herbeiführen können.
Die septischen Lungenentzündungen, mögen sie primär i;*-
treten oder secundär sich entwickeln, bleiben auf der Stufe kleiner die Lun-
gengewebe durchsetzender Infiltrationen stehen, seltener erreichen diese Herde
durch Coufluenz eine solche Ausdehnung, dass sie durch die Percussion nach-
gewiesen werden könnten. Im günstigsten Falle deutet die beschleunigte
Respiration der Scäuglinge oder circumscripte feinblasige Rasselgeräusche auf
das Vorhandensein solcher disseminirten Herdpneumonien hin.
Auch die Nieren, Leber und Milz werden in Mitleidenschaft gezogen
"Wir dürfen aber eine Nephritis wohl nur dann diagnosticiren, wenn sich im
Urin solcher Neugeborener nicht blos Eiweiss, sondern auch pathologische
Formelemente (Blutkörperchen, Harncylinder, Detritusmassen etc.) finden. Vor-
handener Icterus lässt nicht immer auf eine septische Erkrankung der Leber
schliessen. Schwellungszustände dieses Organes, sowie der Milz werden bei
Lebzeiten kaum mit Sicherheit nachgewiesen werden können.
Die bei weitem grösste Anzahl der Infectionen tritt ohne Zweifel in der
ersten Lebenswoche ein. Ein acuter Verlauf mit letalem Ausgang bildet die
Regel! Doch gibt es auch Fälle mit protrahirterem Verlauf. Fieber fehlt
dann nie! Die Localerlo-ankungen entwickeln sich in ausgesprocheneren For-
men, so dass sie der Diagnose intra vitam zugänglicher werden. Ausser den
Lungen-, Nieren-, Magen- und Darmaffectionen sind es namentlich die Ent-
zündungen der serösen Haute (Peritoneum, Pleura, Pericard), eventuell auch
der Gelenke, welche der septischen Infection eigen sind. Der Nachweis ihrer
septischen Natur kann mit Sicherheit aber nur auf bacteriologischem
Wege geführt werden.
Die Behandlung wird vorwiegend eine prophylactische sein
müssen. Einer streng durchgeführten Asepsis gelang es, die früher mit
Recht so gefürchteten Puerperalfieberepidemieen von den Gebäranstalten fern
zu halten oder diese im Keime zu ersticken. Selbstverständlich haben auch
die Neugeborenen von dieser glänzenden Errungenschaft grossen Nutzen und
Vortheil gezogen. Nur muss immer und immer wieder darauf hingewiesen
werden, dass sich auch im Lochialsecret ganz gesunder, fieberfreier Wöchne-
rinnen hochvirulente Eiter- und Entzündungserreger entwickeln können; der
Neugeborene aber schon durch seine Nabelwunde zu septischen Infectionen
ganz besonders disponirt ist. Daraus folgt, dass der Behandlung des Nabel-
schnurstumpfes (vergl. die betreffenden Artikel!) eine ganz besondere Auf-
merksamkeit geschenkt und Alles vermieden werden muss, dass den normalen
Nabelschnurabfall irgendwie störend beeinflussen könnte. Es würde sich
empfehlen, das Baden der Kinder, das Verbinden des Nabels und alle Mani-
pulationen, welche zur ersten Pflege der Neugeborenen erforderlich sind, .nie
von derselben Wärterin vornehmen zu lassen, der auch die Reinigung der
Wöchnerin obliegt. Falls sich dies nicht umgehen lässt, muss zuerst das
Kind gebadet und besorgt werden, und dann erst die Wöchnerin. Selbstver •
ständlich sind alle Waschutensilien für Mutter und Kind gesondert zu halten.
Schwämme sollten überhaupt nicht benutzt werden, sondern nur Wundwatte,
die nach jedesmaligem Gebrauche verbrannt werden kann.
Dass mehrere Kinder dasselbe Badewasser benützen, ist immer bedenk-
lich. Solche Kinder, deren Nabel eitert, sind selbstverständlich völlig aus-
zuschliessen. Diese müssen in besonderen Badewannen und wo möglich von
besonderen AYärterinnen gebadet und verbunden werden. Vor Allem muss
PÜERPERALPSYCIIOSEN. 713
aber bei dem Pflege- und Wartcpcrsonal auf eine peinliche iJesi nfecti on
der Hände gedrungen und die Desinfection auch überwacht und controlirt
werden. Das schablonenmässige Auswaschen und Ausreiben des Mundes
der Neugeborenen mit leinenen Läppchen, harten Schwämmen etc. ist eben-
falls zu untersagen. Leicht wird dadurch die zarte Mundschleimhaut des
Kindes lädirt und, wie Epstein gezeigt hat, ist die Gefahr der septischen
Infection auch auf diesem Wege ein grosse. Je consequenter und peinlicher
alle die Maassregeln durchgeführt werden, welche im Grunde genommen auf
eine strenge Asepsis hinauslaufen, umso sicherer wird auch „das Puerperal-
fieber" der Neugeborenen, soweit es sich hierbei um eine Wundinfecti on
handelt, verhütet werden können. Wir dürfen uns aber nicht verhelilen, dass
neben der strengen Asepsis auch die hygienischen Verhältnisse sol-
cher Anstaltsräume, in denen eine grössere Anzahl von Kindern der ersten
Lebenswochen internirt sind, wesentlich mit in Betracht kommen. Das ende-
mische Auftreten von septischen Magen-Darmaffectionen, Bronchitiden und
Pneumonien deuten doch darauf hin, dass die Findelanstalten wohl nicht
immer den nöthigen hygienischen Anforderungen entsprechen.
Der einmal ausgebrochenen septischen Infection der Neugeborenen stehen
wir ziemlich machtlos gegenüber. Eine locale Behandlung event. mit den
nöthigen chirurgischen Eingriffen erforderen alle diejenigen Fälle, bei denen
Erkrankungen des Nabels, Furunkel, Abscessbildungen oder dgl. vorliegen.
Desinficirende Ausspülungen, Abwaschungen, Verbände sind dabei nicht zu
umgehen. Gewarnt sei ausdrücklich vor der Anwendung der Carbolsäure.
Unschädlich erweisen sich Thymollösimgen, Borsäurelösungen etc. Trockene
Verbände mit Salicyl-, Bor-, Jodoformpulver sind den feuchten Verbänden
vorzuziehen; bei Nabel Vereiterungen sind diese geradezu unerlässlich.
Den Blutungen bei den hämorrhagischen Formen der Sepsis wird man
noch allen Regeln der Kunst Rechnung tragen. Meist sind aber alle unsere
Bemühungen, der Blutungen Herr zu werden, vergeblich. Die interne Be-
handlung erheischt vor Allem die Erhaltung der Kräfte und der Lebensener-
gie. Brustnahrung ist absolut erforderlich. Falls die Kinder zu schwach sind,
um selbst noch saugen zu können, muss die Milch abgezogen und den Kin-
dern mittelst des Schnabeltässchens eingeflösst werden. Mit der Anwendung
der Alcoholica {Champagner^ Tokayer, Cognac, Spiritus aeth. in Zucker-
wasser etc.) sei man nicht zu sparsam. Warme Bäder (nicht unter 30° R.);
PßiESSNiTz'sche Einpackungen, (Wasser nicht unter 20" R.), Wärmeflaschen
leisten bei drohenden Schwächezuständen oft gute Dienste. Eine directe
medicamentöse Beeinflussung der septischen Gastro-Enteritis oder Pneumonie
ist nicht zu erwarten. Im Allgemeinen gestaltet sich die Prognose bei Fällen
mit protrahirterem Verlauf etwas günstiger. Doch gilt auch hier der Satz:
Natura non medicus sanat. pott.
PuerperalpsychOSen. Das Wort „Puerperalpsgchose,'' deutet, wenn
man das Puerperium nicht rein als Zeitbestimmung oder als allgemeine Ur-
sache der Psychose auffassen will, eigentlich an, dass es eine bestimmte kli-
nische Form von Geistesstörung gäbe, aus welcher mit Sicherheit der Rück-
schluss auf ein Puerperium als Ursache der Psychose gemacht werden könnte.
Eine derartige ausschliessliche Puerperalpsychose gibt es nun in der That
nicht, sondern das Puerperium kann nur im Allgemeinen als directe oder in-
directe Ursache einer ganzen Reihe von Geistesstörungen aufgefasst werden.
Allerdings ist eine Form von Geistesstörung relativ häufigem Puerperium,
nämlich die acute hallucinatoris che Verwirrtheit, und ferner steht in
der Aetiologie der hallucinatorischen Verwirrtheit das Puerperium im Vorder-
gründe. Es kommen jedoch einerseits viele Puerperalpsychosen ohne die spe-
714 PUERPERALPSYCHOSEN.
cielle Form der hallucinatorischen Verwirrtheit vor, andererseits gibt es hallu-
cinatorisclie Verwirrtheit ohne Puerperium.
Die symptomatischen Hauptzüge dieser Krankheit gleichgiltig ob
sie im Puerperium oder nicht darin auftritt, bestehen in schwerer Verwirrt-
heit und massenhaften Sinnestäuschungen mit lebhaften wechselnden Gefühls-
reactionen und heftiger motorischer Erregung. Diese Erkrankungsform ist
früher meist mit Manie zusammengeworfen worden. Es ist jedoch nothwendig,
dieses Wort auf diejenigen ebenfalls manchmal im Puerperium auftretenden
Zustände einzuschränken, welche eine durch lebhafte Associationen gekennzeich-
nete Ideeniiucht mit motorischer Erregung bei Fehlen von Verwirrtheit zeigen.
Bei der hallucinatorischen Verwirrtheit beherrschen massenhafte Sinnes-
täuschungen bald schreckhaften, bald heiteren Charakters das klinische Bild.
Es ist umnöglich den wunderbaren Pieichthum von Sinnestäuschungen bei dieser
Krankheit im Einzelnen aufzuzählen. Dabei zeigen diese Kranken meist eine
nicht durch klare Motive bedingte, oft geradezu sinnlose Tobsucht.
Dieses Krankheitsbild kann als Symptom bei bestimmten Grundkrank-
heiten (Infectionskrankheiten, Alkoholismus, in sehr seltenen Fällen
progressive Paralyse, ferner, was für die Wochenbetterkrankungen in
diagnostischer Beziehung wichtig ist, bei Epilepsie) auftreten, ist jedoch nach
Abzug dieser Fälle und nach Abzug der Manie, welche früher damit zusam-
mengeworfen worden ist, als selbständige Krankheit sui generis aufzufassen.
Das relative Verhältnis der beiden wesentlichen Symptomen: Verwirrtheit
und massenhafte Hallucinationen ist von Bedeutung, Wenn man die chrono-
logische Entwicklung derselben betrachtet, so scheint es manchmal dass die
Verwirrtheit durch die massenhaften Sinnestäuschungen bedingt ist. Es
gibt jedoch Fälle, wo die Sinnestäuschungen weniger ausgebildet sind und
nur eine schwere Verwirrtheit mit oder ohne motorische Erregung das Bild
beherrscht. Dadurch wird eine noch grössere symptomatische Aehnlichkeit
mit Intoxicationszuständen bedingt.
Sehr wichtig ist die Coincidenz von Sinnestäuschungen mit Verwirrtheit
in Bezug auf die Wahnbildung. Alle Sinnestäuschungen haben potentiell die
Fähigkeit, Wahnbildung zu bedingen. Je verwirrter ein Mensch bei gleich-
zeitigem Auftreten von Sinnestäuschungen ist, desto weniger ist die Möglich-
keit zu dauernden Wahnbildungen gegeben. Man kann manchmal beobachten,
dass Kranke im Ablauf der hallucinatorischen Verwirrtheit, wenn das Bewusst-
sein sich etwas aufliellt, auf Grund ihrer Sinnestäuschungen viel mehr Wahn-
bildung zeigen als vorher, dass diese dem Grade der Bewusstseinshelligkeit
parallel geht. Wahrscheinlich liegt gerade in dem Bestehen der schweren
Verwirrtheit bei dem Auftreten von Sinnestäuschungen das prognostisch gün-
stige Moment der Krankheit.
Als körperliche Begleitsymptome werden auch bei den nicht durch Puer-
perium bedingten Fällen von hallucinatorischer Verwirrtheit im Beginn öfter
leichtes Fieber (38—39^) und Albuminurie ohne sonstige Zeichen von Nieren-
krankheit gefunden.
Die Prognose ist quod vitam zweifelhaft, wenn sich die körperlichen
Symptome längere Zeit halten, wenn sich allgemeine Erschlaffung dazustellt
und das Krankheitsbild immer mehr die Form der reinen Verwirrtheit an-
nimmt. Auch wenn diese in der Krankheit selbst unmittelbar liegenden und
die Prognosis quoad vitam gefährdenden Momente w^egfallen, sind noch mehrere
die Lebensfrage berührende Punkte vorhanden: 1. Die oft sehr hartnäckige
Nahrungsverweigerung oder besser Nahrungsfurcht, welche die Kranken zeigen,
2. die Gefahr des raptusartigen Suicidiums, 3. die Gefahr der tödtlichen Selbst-
verletzung durch die sinnlose, motorische Erregung.
Eine Pteihe von Momenten, welche schon bei den nicht im Puerperium
auftretenden Fällen von hallucinatorischer Verwirrtheit eine differential-dia-
PUERPERALPSYCHOSEN. 715
gnostische Rolle spielen, kommen nun im Puerperium zu erhöhter Geltung,
so dass hier die diagnostischen Schwierigkeiten vermehrt sind. (Infections- und
Intoxicationsdelirien, Epilepsie, beziehungsweise Eclampsie, Nierenerkrankungen.)
Es muss also, wenn eine hallucinatorische Verwirrtheit im Puerperium
auftritt, immer genau das causale Verhältnis zu diesem ins Auge gefasst werden.
Es muss erörtert werden:
1. Ob eine mit dem Puerperium zufällig coincidirende Krankheit vorliegt,
welche symptomatisch hallucinatorische Verwirrtheit bedingen kann.
Beispiele: Epileptisches Aequivalent bei einer längst epileptischen Person, ferner
hallucinatorische Verwirrtheit als Symptom eines Typhus abdominalis oder einer Menningitis
cerebrospinalis (von mir in der Frauenklinik in Würzburg beobaclitet, Delirium tremens).
Diese Fälle sind enorm selten, aber es ist wichtig daran zu denken.
2. ob eine durch den Geburtsact indirect bedingte körperliche
Erkrankung vorliegt, w^elche hallucinatorische Verwirrtheit bedingen kann. An
erster Stelle ist hierbei an Nierenerkrankung und Eclampsie zu denken. Er-
schwerend fällt für die Diagnose ins Gewicht, dass auch bei der nicht durch
Nierenerkrankung bedingten und nicht im Puerperium auftretenden hallucina-
torischen Verwirrtheit im Beginn leichte Albuminurie vorkommt. Es ist daher
falsch, bei einer an hallucinatorischer Verwirrtheit erkrankten Puerpera, welche
Eiweiss im Urin zeigt, ohne Weiteres Nierenerkrankung anzunehmen.
Anfängliches Auftreten und rasches Verschwinden von Eiweiss spricht,
wenn gemeine Epilepsie und Alkoholismus ausgeschlossen ist, für echte hallu-
cinatorische Verwirrtheit mit wahrscheinlich günstigem Verlauf. Die wirklich
durch Nierenerkrankung bedingte hallucinatorische Verwirrtheit kann man zu
den Intoxicationspsychosen rechnen.
Ebenso handelt es sich eigentlich um Intoxicationspsychosen bei den-
jenigen Formen von hallucinatorischer Verwirrtheit, welche bei gleichzeitigem
Bestehen eines relativ geringen localen Processes an den Genitalorganen der
Puerpera ausbrechen. Man rechnet jedoch diese nach Art einer Intoxication
verlaufenden Erkrankungen zu den Infectionspsychosen im w^eiteren Sinne,
(cfr. Olshausen, Zeitschrift für Geburtshilfe tmd Gynäkologie XXI, 2.) Zu
diesen zählt man auch diejenigen Formen von Geistesstörung nach puerperaler
Infection, w^elche erst indirect durch Folgezustände der localen Infection
bedingt sind (kapilläre Embolien bei den pyämischen Formen des Puerperal-
fiebers, meningitische und encephalitische Processe), obgleich doch hier ent-
schieden ein viel weiterer Zusammenhang zwischen localer Infection und Geistes-
störung vorliegt als bei den einfachen mit Geistesstörung einhergehenden Puer-
peralfiebern.
Im Allgemeinen muss also an zweiter Stelle an die Fälle von Verwirrt-
heit gedacht werden, welche durch Ueberschwemmung des Gehirns mit into-
xicatorischen Stoffen bei den eitrigen und septischen Erkrankungen nach In-
fection im Puerperium bedingt sein können. Es ist jedoch falsch, wenn im Puer-
perium eine hallucinatorische Verwirrtheit mit leichter Fiebersteigerung auf-
tritt, sofort ein Puerperalfieber anzunehmen und die Geistesstörung als Symptom
dieser aufzufassen. Es kommen, wie schon gesagt, auch bei den nicht im
Puerperium auftretenden und nicht durch anderweitige Erkrankungen bedingten
Fällen von hallucinatorischer Verwirrtheit leichte Fiebersteigerungen und Al-
buminurie vor. Erst dann, wenn sowohl die zufällige Coincidenz
von anderen Krankheiten, welche hallucinatorische Verwirrt-
heit bedingen können, als diejenigen Folgezustände des Puer-
periums, bei welchen hallucinatorische Verwirrtheit als Symp-
tom auftreten kann, ausgeschlossen sind, darf eine echte hallu-
cinatorische Verw^irrtheit als unmittelbare Folge des Puer-
periums diagnosticirt werden. Das Vorhandensein einer leichten
Fiebersteigerung und Albuminurie im Beginn darf, wie nicht genug hervor-
gehoben werden kann, an der idiopathischen Beschaftenheit der Psychose nicht
"^16 PÜERPERALPSYCHOSEN.
irre machen, weil diese Symptome auch bei den nicht durch Puerperium be-
dingten Fällen von hallucinatorischer Verwirrtheit vorkommen.
Die Differenzierung dieser Zustände ist hauptsächlich der verschiedenen
Prognose wegen wichtig. Für die als Symptom der puerperalen Infec-
tionen und Intoxicationen auftretenden Anfälle von hallucinatorischer Ver-
wirrtheit gilt im Allgemeinen der Satz: Sublata causa tollitur effectus. Die
idiopathische Form der durch das Puerperium bedingten hallucinatorischen
Verwirrtheit hat dagegen einen über Wochen und Monate sich erstreckenden
Verlauf.
Die Behandlung hat abgesehen von der Therapie der eventuell zu
Grunde liegenden Krankheiten folgende Aufgaben:
1. Die Selbstverletzung der motorisch stark erregten und von massenhaf-
ten Hallucinationen beeinÜussten Kranken zu verhüten. Permanente Bewa-
chung ist unbedingt nothwendig. Man sieht sich manchmal veranlasst zur
Bekämpfung der Unruhe Narcotica zu gebrauchen. Es sind jedoch gerade bei
hallucinatorisch Verwirrten die Erregungen meist so stark, dass, wenn man
überhaupt Schlafmittel beibringen kann, diese in einer toxischen Dosis gege-
ben werden müssen, um Ruhe zu erzielen.
Es handelt sich dabei nicht um Schlaf, sondern um Narcose, welche an-
dauernd erhalten werden müsste. Zudem handelt man hierbei gegen die In-
dication, die hallucinatorisch Verwirrten in einem Zustand zu erhalten, welcher
der Nahrungsaufnahme am günstigsten ist. Das vorzüglichste Mittel,
diese Kranken vor Selbstschädigung zu bewahren, ohne sie durch toxische
Dosen von Narcoticis zu beruhigen, ist die Einwickelung in feuchtwarme Leinen-
tücher. Sehr oft stellt sich gesunder Schlaf darnach ein. Isolirung ist bei
dieser Krankheit ganz zu verwerfen. Sie endigt meist mit furcht erlichen Selbst-
verletzungen und häufig mit Inanition, weil die Kranken in der Isolirung
überhaupt nichts zu sich nehmen; hierbei kommen wir auf die zweite Auf-
gabe der Behandlung, nämlich
2. Die Erhaltung der Kräfte. Zunächst ist die oft sehr hartnäckige Nah-
rungsverweigerung zu bekämpfen. Dies soll nicht dadurch geschehen, dass
man solche Kranke zu einer bestimmten Zeit zwingt, etwas zu essen, was
ihnen durch die sie momentan beherrschenden Sinnestäuschungen manchmal
unmöglich gemacht wird. In der nächsten Nähe des Bettes soll immer Milch
oder eine Mischung von Milch und Eiern mit Cognac bereit stehen, um im
richtigen Moment, wenn die Kranke gerade etwas ruhiger ist, eingeflösst zu
werden. Bei dem Füttern soll man alle Arten der Anrede durchprobiren- Man
erlebt gerade bei der durch hallucinatorische Verwirrtheit bedingten Nahrungs-
verweigerung die sonderbarsten Dinge. Eine solche Kranke, welche durch
48 Stunden den Anforderungen zu essen mit Schlagen und Schütteln beant-
wortet hatte, trank zum erstenmal wieder nach den Worten: „es ist verboten
zu essen," was sich dann regelmässig wiederholte. Eine andere, die alle Ver-
suche, ihr Nahrung beizubringen, mit Pusten und Spucken beantwortet hatte,
trank Milch, wenn man den Act in Theile zerlegte: „Mund auf! (dann wurde
Milch eingegossen), Mund zu! Schlucken!" Das Beibringen von Nahrung ist
bei dieser Krankheit oft eine lebensretl ende Handlung und muss in den Vor-
dergrund der Therapie gestellt werden. Die Schlundsonde ist bei diesem Zu-
stand eine grosse Qual für den Kranken und noch mehr für den Arzt. Sehr
zu empfehlen ist die Kochsalz transfusion und zwar nicht erst dann, wenn
Collaps droht.
Neben der hallucinatorischen Verwirrtheit kommen im Puerperium noch
eine Anzahl anderer nicht durch organische Erkrankungen oder Intoxicationen
bedingte Psychosen vor.
Zunächst sind symptomatisch mit den relativ kurzen Delirien der Puer-
peralfieber am meisten verwandt, die kurzen Bewusstseinstr Übungen zu
PYOMETRA. 717
nennen, welche manchmal während oder wenige Stunden nach der Entbin-
dung auftreten und während eines wenige Stunden dauernden Taroxysmus oft
zu den schlimmsten Folgen für Wöchnerin und Kind führen. Praktisch sehr wich-
tig ist dabei die fast immer vorhandene Amnesie. JJiese Anfälle gleichen voll-
ständig einem epileptischen Aequivalent, treten allerdings auch bei Frauen
auf, welche keine sicheren Zeichen von Epilepsie geboten haben. Vielleicht
handelt es sich um nichts als um ein unter bestimmten Umständen auftre-
tendes Sichtbarwerden larvierter Epilepsie.
Ferner kommt die Manie in Betracht, welche in einzelnen Symjitomen
(motorische Erregung, lebhafte Gefühlsmotive) mit der hallucinatorischen Ver-
wirrtheit übereinstimmt. Das Charakteristische hiebei ist eine aus ungere-
gelter, lebhafter Association hervorgehende Ideenflucht meist mit heiterer Stim-
mung und motorischer Erregung. Charakteristische Unterschiede zwischen der
im Puerperium ausbrechenden und der sonst ausbrechenden Manie sind nicht
vorhanden. Die Prognose ist dieselbe, vorwiegend günstige.
Dasselbe gilt für die im Puerperium ausbrechende Melancholie. Hier
gehört das Puerperium durchaus wie bei der Manie in die allgemeine Aetio-
logie. Schliesslich muss der Fall im Auge behalten werden, dass irgend eine
Form von Geistesstörungen in zufälliger Coincidenz im Puerperium ausbricht.
Wir können also das ganze Gebiet in folgender Weise eintheilen:
I. Geistesstörung im Puerperium als Symptom von körperlichen
K r a n k h e i t e n.
1. Von solchen, die durch das Puerperium indirect bedingt sind.
Beispiele:
a) Delirien nach schweren Blutverlusten.
h) Delirien durch Puerperalfieber.
a) Durch Septicämie, Pyämie und Endocarditis ulcerosa.
c) Delirien durch Eclampsie,
d) Delirien durch Urämie ohne Eclampsie.
2. Von solchen, welche das Puerperium zufällig compliciren. (Me-
ningitis, Typhus, progressive Paralyse.)
IL Geistestörungen im Puerperium, welche ohne verursachende
körperliche Krankheit entstehen.
a) Geistesstörungen, welche ohne vermittelnde körperliche Krankheit
durch das Puerperium veranlasst sind, (hallucinatorische Verwirrtheit, Manie,
Melancholie).
h) Geistesstörungen, welche zufällig das Puerperium compliciren. {Pro-
gressive Paralyse^ Epilepsie^ Delirium tremens, ]}rimärer Schwachsinn)
Während man von einer Puerperalpsychose wenigstens in dem Sinne sprechen kann,
dass das Puerperium eine häufige Ursache einer bestimmten Form von Geistesstörung,
nämlich der hallucinatorischen Verwirrtheit ist, gehört die Schwangerschaft ganz in die
allgemeine Aetiologie der Psychosen. Vielleicht kann man behaupten, dass einfache De-
pressionszustände, öfter ohne melancholische Wahnbildung etwas häufiger sind als andere
Formen. Specielle Merkzeichen haben die in der Schwangerschaft ausbrechenden Psy-
chosen nicht. Auf den Verlauf haben weder Abort noch zeitlich normale Entbindung
einen wesentlichen Einfiuss, so dass sie ganz nach den allgemeinen diagnostischen und
prognostischen Gesichtspunkten der speciellen Psychopathologie beurtheilt werden müssen.
Sehr häufig ist sogar der ätiologische Einfiuss der Schwangerschaft zweifelhaft.
Wenn Frauen im Alter von circa 18 bis 25 Jahren, welche so wie so zu Geisteskrankheiten
disponirt, öfter in Schwangerschaft, Puerperium oder Lactation sich befanden, so handelt
es sich vielfach um reine Coincidenz der Zustände.
Ganz entsprechend verhält es sich mit den Lactationspsychosen, welche abge-
sehen von der Häufigkeit von Depressionszuständen nichts Charakteristisches zeigen und
durchaus nach den allgemeinen Regeln der Psychopathologie beurtheilt werden müssen.
EOBERT SOMMER.
PyOmetra, Eiterretention in der Gebärmutterhöhle. Es handelt sich
dabei um absoluten oder partiellen Verschluss des Cervicalcanals, infolge dessen
die in der Uterushöhle ausgeschiedenen Secrete nicht abzufliessen vermögen
718 PYOMETRA.
und durch irgend welche Veranlassung in Eiterung übergehen. Am häufigsten
ist die Pyometra das Ergebnis einer in Eiterung übergegangenen Secretion
des Uteruskörpers bei Cervixcarcinom, wo die wuchernden Massen den Cer-
vicalcanal zeitweilig verlegen und Infectionskeime sehr leicht in die Uterushöhle
gelangen. Da das Cervixcarcinom zumeist von einer gutartigen glandulären
Endometritis corporis begleitet ist und starker Wucherung der Uterusdrüsen,
papillenartigen Erhebungen in das Lumen des Uterus hinein und vermehrter
Secretion, so ist das Zustandekommen einer Pyometra unter diesen Verhält-
nissen leicht verständlich. Man wird in solchen Fällen zuweilen überrascht,
wenn bei Untersuchung der Kranken mit Cervixcarcinom z. B. plötzlich eine
Menge stinkender Jauche sich entleert, wenn z. B. eben die Sonde eingeführt
worden war, wodurch die verlegte Bahn frei wurde. Noch häutiger findet, eine
solche Eiterretention, respective Jaucheretention im Uterus bei Corpuscarcinom
und Sarcom älterer Frauen statt, wie ich im vorigen Jahre 4 Fälle in meiner
Klinik sah, — die eine Kranke klagte über fortwährende wehenartige Koliken.
Ich fand bei der 64-Jährigen die Vaginalportion rein, ohne Wunden, einen
sehr engen Muttermund, den ich künstlich dilatirte. Es entleerte sich eine
Masse stinkender Jauche und Gewebsdetritus, eine mikroskopische Untersu-
chung stellte ein Carcinom fest, der ich die Totalexstirpation per vaginam
folgen Hess. Das dmxhschnittene Präparat wies ein verjauchtes Corpuscarcinom
auf. Vor der Operation wurde eine exploratives Curettement und tägliche Aus-
spritzungen gemacht. Die Kranke behauptete nach jeder Ausspülung grosse
Erleichterung zu haben. Pyometra dieser Art bei Verjauchung endouteriner
Neoplasmen, Piacentarreste, bei Anwesenheit von Fremdkörpern in cavo
uteri und erschwertem oder bei Atresie oder Compression des Cervicalcana-
les zeitweilig oder ganz aufgehobenem Abfluss der Uterussecrete kommt viel
öfter vor, als gemeinhin angenommen wird. Eine zweite Quelle der Pyometra
ist die Vereiterung einer Hämatometra, respective Hydrometra, namentlich oft
bei Ketention in der einen Hälfte des zweigetheilten Uterus, (manche
Autoren wollen die Vereiterung hier erklären durch Eindringen von Infec-
tionskeimen vom Mastdarm aus — ob wohl mit Recht?) eine dritte Quelle
ist die Operation der Hämatometra, respective Hämatokolpometra bei zu
kleinem Einschnitt, respective Einstich, wenn nur ein ungenügender Abfluss
erreicht wurde und Luft und Infectionskeime dazu kamen, besonders wo
nicht aseptisch operirt wurde. Endlich ist die Pyometra zu erwähnen, die
hervorging aus Vereiterung bei Retentio lochiorum, sei es, dass sub puerperio
eine Atresie des inneren oder äusseren Muttermundes oder des Cervicalca-
nales folgte, sei es, dass die Viabilität des Cervicalcanales zeitweilig durch
Compression durch Tumoren etc. aufgehoben wurde. Ich sah kürzlich eine
Kolpopyometra profluens nach sub puerperio erworbener hochgradiger Scheiden-
stenose. 4 — 5 Tage nach jeder Periode begann ein eitriger stinkender Ausfluss
unter wehenartigen Schmerzen, ganz besonders reichlich sub exploratione,
Uterushöhle stark erweitert, Uterus bedeutend vergrössert. Es handelt sich in
diesen Fällen um partielle oder zeitweilige Retention der Uterussecrete mit
Vereiterung, seltener sind die Fälle von Pyometra bei absolutem Verschluss
der Abflussöfi'nung. Die Diagnose der Pyometra bei absolutem Verschluss dürfte
kaum jemals mit Sicherheit ohne Probepunction gestellt worden sein, meist
wird die Pyometra erst sub operatione erkannt, w^elche ja die einzige rationelle
Therapie ist. Die Operation wird mit Troicart oder Messer gemacht, die
Oeffnung soll genügend gross gemacht werden und es muss um Recidiven oder
Fortbestand vorzubeugen, dafür gesorgt werden, dass die Oeffnung nicht wie-
der verwachsen kann. Am besten sofort reichliche antiseptische Ausspülung,
wie sie Emmet empfahl, entgegen dem Rathe Galabin's „nicht auszuspülen".
Bei Atresie des äusseren Muttermundes nimmt man die Eröffnung möglichst
nahe dem hinteren Scheidengewölbe vor, da die Erfahrung bewiesen hat, dass
QUERLAGEN. 719
sonst meist die vordere Cervicalwand angestochen wurde. Zur Diagnose ver-
hilft bei jüngeren Frauen die Amenorrhoe, der kolikenartige, anfangs in
Menstrualintervallen, später unausgesetzte Schmerz, die bimanuelle Unter-
suchung, die einen kugeligen Tumor an Stelle des Uteruskörpers ergiebt und
die Sonde, welche bei vorsichtigem Ausschluss einer Schwangerschaft gebraucht,
entweder eine Atresie der Cervix an irgend einer Stelle aufweist oder zu dem
überraschenden Phänomen der plötzlichen Eiterentlcerung während des Son-
direns führt. So gross wie bei Hämatometra wird der Uterus bei Pyometra
nicht; 20 — 50 cm^ ßetentionsflüssigkeit hat man jedoch beobachtet.
Die Therapie ist genau dieselbe wie bei Hämatometra; also rein chirur-
gischer Natur. Für die Diagnose ist natürlich Fieber, pyämisches Aussehen
wichtig, jedoch können diese Symptome selbstverständlich den localen Befund
auch noch nicht in vollkommener Weise ergänzen. Puech berichtet je einen
von Chambon und von Guy beobachteten Fall von Pyometra auf Grund von
Lochialretention. Voisin, Hüsson, Puech, Eppingee, Norstroem, Kuhn und
Schröder sahen Pyometra bei eitriger Endometritis entstehen. Handelt es
sich um Verschluss des äusseren und des inneren Muttermundes mit Eiter-
retention im Corpus und der Cervix, so nimmt der Uterus eine Sanduhrform
an, anders bei Atresie des inneren, respective äusseren Muttermundes. Spontaner
Durchbruch der Pyometra kann sowohl in die Scheide hinein erfolgen, als
auch in die Blase, den Mastdarm, die Bauchhöhle, jedoch sind diese Fälle
überaus selten; derartige Perforationen sind jedenfalls viel seltener als bei der
Hämatometra, die z. B. in einem PuEcn'schen Falle durch Perforation sich in den
mit dem Uterus verlötheten Magen hinein entleerte. Der Grund, w^eshalb eine
Pyometra seltener als eine Hämatometra auf diese Weise entleert wird, ist der,
dass die Flüssigkeitsansammlung bei Pyometra nicht so gross wird und dass
die Uterinwand nicht eine Verdünnung, sondern im Gegentheil meist eine
Verdickung aufweist. Theoretisch jedoch muss immerhin die Möglichkeit eines
spontanen Durchbruches einer Pyometra in die Nachbarorgane zugegeben wer-
den. Bezüglich der Aetiologie der Pyometra muss man also vor Allem alle
diejenigen Umstände betonen, welche einen dauernden oder zeitweiligen Ver-
schluss des Cervicalcanales an irgend welcher Stelle herbeiführen können; nebst
den schon genannten Bedingungen sind also hier noch die ätiologisch wichtigen
Infectionskrankheiten: Scharlach, Pocken, Typhus, Cholera, Erysipel u. s. w.
zu nennen, in deren Verlaufe solche Atresien beobachtet werden, die senile
Atresie, die Atresie als Folge von Cervixentzündungen, endlich die Atresie
nach chirurgischen und medicamentösen Eingrifien (allerhand Operationen,
Cauterisationen) endlich nach zufälligen Aetzungen mit Säuren, Alkalien etc.,
wie die Literatur deren genügend aufweist, welche die Folgen von Einspritzun-
gen waren, die einen künstlichen Abort zur Folge haben sollten. Der Haupt-
factor in der Aetiologie der Pyometra ist Retention der Uterussecrete aus irgend
welcher Ursache und Infection. In der Aetiologie der Retentionen spielen die
angeborenen Missbildungen (rudimentäre Doppelbildungen des Uterovaginal-
canales) eine hervorragende Rolle. fr. neugebauer.
Uuerlayen. *) Ais Querlage bezeichnet man jene Abnormität der
intrauterinen Fruchtlagerung, wo die Längsachse des Kindes auf die Gebär-
mutterachse im rechten Winkel gestellt ist. Da dieser Zustand — strenge
genommen theils sehr selten vorkommt, und wenn vorhanden, gewöhnlich
mit dem eintretenden Geburtsvorgange eine Aenderung erleidet, also vor-
übergehender Natur ist, so wurde die Bezeichnung Querlage auch auf
jene Fruchtlagerungen ausgedehnt, bei denen die Kindeslängsachse, mit der
^des Uterus einen mehr-minder grossen spitzen Winkel bildet. Mit Rücksicht
'^) Vergl. auch Artikel „Friiclitlagen", pag. 260 mit den zugehörigen Figuren.
720 QUERLAGEN.
auf den Geburtsvorgang sprach schon die Lachapelle von Schult er lagen,
neuerer Zeit unterscheidet man genauer die echte Querlage von der
Schief- oder Schräglage, in welche sich erstere gewöhnlich umwandelt.
Geht man den Ursachen nach, die diese fehlerhafte Lagerung des Kindes
bedingen, so sind sie theils in den mütterlichen Theilen, theils in der Frucht
zu suchen; es können aber, wie v. Winckel treffend bemerkt, Combinationen
beider Schädlichkeiten ebenfalls vorkommen.
Manche Frauen erleiden regelmässig Schieflagen (Hohl, v. Winckel) ; ebenso
ist es erfahrungsmässig festgestellt, dass sie bei Mehrgebärenden öfter als bei
Erstgebärenden vorgefunden werden. Gewiss sind Hängebauch, Diastase der
Bauchmuskeln prädisponirende Momente, als sie Anlass zu einer grösseren Be-
weglichkeit der Frucht, oder richtiger zum Ausweichen derselben in die Lage,
dass Kopf und Steiss zugleich über den Beckeneingang zu liegen kommen —
abgeben. Krankhafte Veränderungen in der Musculatur des Uterus (Carcinom
der Portio) seine fehlerhafte Gestalt und Entwickelung, Verlagerung durch
Geschwülste (Myome) kommen hiebei ebenso in Betracht, wie das verengte
Becken, die Anomalien in der Insertion der Pia centa (praevia und
lateralis in 107o der Fälle. Winckel) oder die der Nabelschnur. Endlich
werden die den Körper der Schwangeren treffende Erschütterungen, Stoss,
Sturz oder Fall nach rückwärts, möglicherweise gewisse Bewegungen des
Beckens (Nähen an der Nähmaschine) auf die Verlagerung vom Einflüsse sein.
Von Seite der Frucht wäre in erster Linie die abnorme Menge des
Fruchtwassers (Hydramnion in 10'8%) und die dadurch bedingte Schlaffheit
des Uterusschlauches zur Erklärung der erhöhten Beweglichkeit des Kindes
heranzuziehen. Partielle Vergrösserung des Kindskörpers (Monstro-
sitäten) ebenso Mehrzahl der Kinder bedingen diese Lagerung ebenfalls,
wenn auch in letzterem Falle nicht immer. Kleine, unreife und macerirte
Früchte finden sich zumeist in Querlage.
Ueber die Haltung der Frucht und die daraus folgende Eintheilung
der Querlagen herrscht unter den Geburtshelfern noch eine gewisse Meinungs-
verschiedenheit.
Naegele nahm die Eintheilung nach dem Rücken vor, und erwähnt die
1. dorso-anteriore Lage, mit den Unterabtheilungen Kopf rechts und
Kopf links, die etwa dreimal häufiger vorkommen soll als die 2. dorso-
posteriore Lage, mit denselben Unterabtheilungen.
Hohl legt auf die ätiologischen Momente ein grösseres Gewicht und
sondert die L Querlage mit dem Kopfe links, und deren Unterabtheilungen
a) Ptücken vorne, J^ Rücken hinten, von der H. Querlage (Kopf rechts und
ihren gleichen Unterabtheilung) ab.
Um die Diagnose der Querlage festzustellen, muss sowohl die äussere
als innere Untersuchung genau ausgeführt werden. Fühlt man den Leib
der Schwangeren sehr in die Breite gedehnt, und vermag man die flache Hand
recht tief über der Simphyse einzudrücken, ohne dass man hiebei einen vor-
liegenden Theil zu fühlen bekommt, so liegt der Gedanke an eine Querlage
nahe, und kommt es nun hauptsächlich darauf an, nach dem Kopfe oder dem
Steisse zu tasten. Bei schlaffen Bauchdecken wird dies bei der dorso-
posterioren Lage wohl leichter gelingen. Liegt hingegen der Rücken nach
vorn, so erkennt man den Kopf bei dünnen Bauchdecken an den Knochen,
wird auch die Herztöne deutlicher zu vernehmen in der Lage sein.
Der praktische Arzt kommt in der Privatpraxis kaum dazu, die
innere Untersuchung bei noch stehender Fruchtblase vornehmen
zu können. Es findet sich blos das Scheidengewölbe hoch hinaufgezogen.
Stets wird die Gebärende durch ihr Benehmen sehr auffällig erschei-
nen. Nach den ersten, stark spannenden Schmerzen, lösen sich sehr
kräftige Wehen aus, die bei der kaum zu beruhigenden Frau die Anstrengung
QUERLAGEN. 721
zum Pressen hervorrufen. Die fruchtlose Kraftanstrengung, der mit Schweiss
bedeckte Körper, das rasche Athmen, das geröthete Gesicht lassen das Ein-
schneiden des Kopfes vermuthen, während der untersuchende Finger blos das
Anfangsstadium der Geburt constatirt. Klarer wird der Befund erst nach
dem Blasensprunge. Gewöhnlich senkt sich eine Schulter als vor-
liegender Theil herab. Er ist auf seine Grösse, Beweglichkeit und Schwellung
zuerst zu prüfen, umsomehr als mit der Zunahme der letzteren die Unter-
suchung ins Maasslose erschwert sein kann.
Die Ucächste Handhabe zur Orientirung über die Fruchtlage gibt die
Feststellung dessen, wo der Rücken liegt. Man sucht demnach durch Aus-
tastung der Schulterhöhle nach den Rippen, und nach dem Schlüsselbein.
Es gelingt dies selbst bei stark geschwollener Schulter und wird die Clavicula
stets die Bauchseite bezeichnen. Gelangt man an die Extremitäten, so empfiehlt
es sich denselben entlang zu streichen. Die oberen Extremitäten, wird man
am Olecranon des Ellbogens, die unteren hingegen am scharfen Rande der
Tibia, wo nicht, an der Ferse zu erkennen vermögen. Schwieriger steht die
Sache, wenn man die Finger oder Hände des Kindes tastet. Die Erkennung
der betrefienden Hand (Arm) ist nicht allein für die Diagnose, sondern noch
mehr für die späteren einzuleitenden Maassnahmen von besonderer Tragweite.
Da jedoch blos gleichnamige Hände aufeinander passen, so versuche man die
Kindeshand mittelst Handschlages zu fassen.
Da eine ausgetragene Frucht in Querlage nicht geboren zu werden
vermag, so ist es unumgänglich nöthig, dass diese Lagerungsabnormität
nicht allein vom Arzte, sondern auch durch die Geburtshelferin zeitig genug
erkannt werde; wobei bemerkt werden mag, dass man sich vor zwecklosem
Alarmiren der Gebärenden wohl zu hüten habe.
Denn zumeist erfolgt in der Eröffnungsperiode und bei noch stehender
Blase eine Correctur in Längslage. Wenn diese nicht durch Kunst-
hilfe (Hand des Arztes, Lagerung der Gebärenden) stattfindet, wird von
Selbstwendung gesprochen (nach v. Winckel besser als „n a t ü r 1 i c h e Wen-
dung" bezeichnet), die dann durch die zunehmenden Wehen bedingt wird.
Sonst fliesst nach dem Blasensprunge gewöhnlich das gesammte Frucht-
wasser ab, reisst wohl die Nabelschnur mit sich und, da diese vorfällt, muss
zuvörderst der Placentarkreislauf behindert werden. Handelt es sich hiebei um
kleine, etwa der 25 — 26. Schwangerschaftswoche angehörige oder abgestorbene
Früchte, so erfolgt nun die spontane Geburt. {Evolutio spontanea^ Selbst-
entwickelung.)
Bei dieser sogenannten Selbstentwickelung (v. Art. „Selhstent-
wicklung und Selhstwendimg) wird die eine Schulter durch die mächtigen
Wehen ins kleine Becken gedrängt. Es kann dabei der Arm auch vor-
fallen, die Frucht wird über die Seite gebogen, theilweise um ihre Längs-
achse gedreht; während nun der am horizontalen Schambeinast gestemmte
Kopf in die Höhe gezogen, und die Schulter an die Symphyse gedi'ückt wird,
tritt der Steiss ins kleine Becken herab. Die nächste Wehe drückt ihn dann
nach rückwärts und unten, ihm folgt der Rumpf nach vorwärts, dann tritt
die zweite Schulter heraus, nun fallen auch die Füsse vor und es bleibt am
sehr gedehnten Halse nur mehr der Kopf zurück. Die Gebärmutter entwickelt
hiebei eine bis zum Tetanus uteri gesteigerte Energie, zieht sich über die Frucht
zurück, wobei die Cervix ad maximum gedehnt wird, so dass die Ruptur
der letzteren unabweislich erscheint, auch thatsächlich erfolgt.
Hiebei müssen nicht alle Kinder zu Grunde gehen; nach Simji bleiben
14%, nach v. Winckel deren S'ö^o am Leben. (Die meisten sterben jedoch
bald nach der Geburt ab.)
Unter sonst günstigen Beckenverhältnissen kann die Geburt anderweitig
ebenfalls erfolgen, u. z. Conduplicato corpore. Durch die mächtige
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtsliilfe und Gynäkologie ifc>
722 QUERLAGEN.
Muskelaction des Uterus wird der Kopf des Kindes gewaltig in den Bauch
oder in den Thorax eingepresst. Ohne dass eine Correctur der Längsachse,
oder deren Drehung erfolgt, knickt der Rumpf ein, und wird nun als ge-
schwollene, bläulichrothe Masse ins Becken gedrängt; unter fortsteigernden
Wehen tritt dann das vorher abgestorbene Kind zur Welt. Dieser Vorgang
ist freilich der seltenere, und kommt nur bei sehr biegsamen Kindeskörpern vor.
Hat der Uterus trotz alledem die grosse Spannung ausgehalten, so drohen
doch der Mutter, besonders bei langdauerndem Geburtsacte und mehr noch
durch fruchtlose Entbindungsversuche weitere Gefahren. Das durch den
Vorfall der Nabelschnur oder durch vorzeitige Placentalösung bewirkten
Blutungen abgestorbene Kind, mehr noch durch Lufteintritt in die Gebär-
mutterhöhle sich entwickelnden Fäulnisprocesse daselbst, führen zur Auf-
saugung (Physometra-Septicaemie) einerseits, oder es kann andererseits Luft-
eintritt in die Gefässe erfolgen (Luftembolie) und dann raschen Collaps und
Tod zur Folge haben.
Noch grässlicher wird der Zustand, wenn die Cervix reisst (Uterus-
ruptur) und die Frau an ihr, rascher als bei den oberwähnten septicämischen
Processen, unentbunden zu Grunde geht oder der Erschöpfung und den
Blutverlusten erliegt.
Wie aus dem Vorstehenden erhellt, kann die Prognose im Anfange
der Geburt, und bei Mangel an gefährlichen Ursachen, insbesondere bei aus-
gesprochener Schräglage noch genug günstig lauten; mit der Verzögerung des
Geburtsverlaufes und bei den angezogenen, bereits erkennbaren Misständen
steigert sich die Verschlimmerung der Vorhersage. Aus dem Umstände, dass
die Vorhersage in Kliniken besser als in der Privatpraxis ist, wo in letzterer
der Arzt in der Eegel erst zur sehr verschleppten Geburt zugezogen
wird, und aus der beim Geburtsvorgange geschilderten Momenten, ist der
Schluss ein gerechtfertigter, dass die Naturhilfe für die Mutter mehr Ge-
fahren birgt, als die künstlich verbesserte Lage des Kindes. Günstig für die
Mutter gestaltet sie sich, wenn das Kind vor dem 7. Schwangerschaftsmonate
ausgetrieben wird. Nach v. Winckel's auf reicher Praxis beruhender Berechnung
sterben sub partu etwa 33^0 der Kinder ab. Ungünstig für das Kind stellt
sich die Prognose bei Vorfall der Nabelschnur, bei Beckenenge und bei zu
spät eingeholter Kunsthilfe.
Bei der Behandlung der Querlagen kann schon prophylaktich mit Nutzen
vorgegangen werden. Wenn in der Schwangerschaft erkannt, ja beim blossen
Verdachte auf Querlage, wird man die Lagenverbesserung durch geeignete
Bandagen des Bauches (durch Lagerung, Kissen, Bauchbinden mit Keilein-
satz, Fritsch) anstreben, eine Maassnahme, die bereits von Soranus an-
empfohlen wurde. Auch wird der sorgsame Arzt der Schwangeren jede
Erschütterung des Bauches zu verbieten haben (s. Aetiologie). Bei der
Geburt wird ebenfalls die für den Fall passendste Lagerung im Bette,
bei Beginn derselben und stehender Blase die äussere Wendung womöglich
auf den Kopf und darnach unmittelbar der Blasensprung vorzunehmen sein.
Ist der Muttermund hiebei gehörig erweitert, so nimmt man die com-
binirte Wendung*) und die nachfolgende Extraction, womöglich in der
Narkose vor. Bei nicht gehörig erweitertem Muttermunde sei das Bestreben
auf Herableitung eines Fusses, und der darnach folgenden Beendigung der
Geburt gerichtet.
IBei verschleppter Geburt wird man zumeist die Schulter vorliegend
finden. Hier handelt es sich doch zuerst darum den mütterlichen Organismus
^) Vergl. Artikel „Wendung".
RIGIDITÄT DES ÄUSSEREN MUTTERMUNDES. 723
vor Schaden zu bewahren und zu retten; da ja das Kind in den meisten
Fällen ohnehin als verloren zu betrachten ist.
Gelingt es nicht, die Mutter durch Morphiuminjectionen zu beruhigen,
so greift man zur Narkose und versucht durch combinirte Wendung die
Längsachsenstellung des Kindes zu erzielen. Es bleibt gleichgiltig in welche
Längslage man es bringe (ob Kopf oder Steiss), wenn nur die Manipulation
leicht und rasch vor sich geht.
Vor zu brüskem Vorgehen ist selbstverständlich abzurathen, da mit
Schonung und Ausdauer bei der Wendung Erfolg erzielt werden kann.
Findet man das Collum ad maximum ausgedehnt, so können selbst in
der Narkose die Füsse über dem Contractionsringe nicht erreicht werden;
die Narkose lässt hiebei auch im Stiche, es bleibt dann nur die De-
capitation, eventuell das Exenteriren der wohl stets abgestorbenen Frucht
übrig.*) Nie darf der Arzt bei einem schweren oder unüberwindlichen Geburts-
hindernisse die Zeit nutzlos verstreichen lassen und die Gefahr der Uterusruptur
heraufbeschwören, sondern muss — umsomehr bei todter Frucht — zur
Verkleinerung derselben schreiten (Kaltenbach). elischer.
Rigidität des äusseren Muttermundes. Der äussere Muttermund
kann der Sitz pathologischer Veränderungen werden, welche der andrängenden
Fruchtblase, beziehungsweise dem vorliegenden Fruchttheil, ein bedeutendes
Geburtshindernis entgegenbringen können. Man nennt diesen Zustand Ri-
gidität des äusseren Muttermundes.
Pathologische Anatomie: Veranlasst wird die Rigidität durch
narbige Stenosen, fibröse Hypertrophie, Stenose der äusseren
Ringfasern, sowie durch carcinomatöse und syphilitische Indura-
tionen des Os externum.
Die häufigste Ursache bilden narbige Stenosen, wie solche nach operativ
beendigten, mit starken Verletzungen einhergegangenen Entbindungen zu
Stande gekommen sind. Die in früheren Zeiten mit der galvanocaustischen
Schlinge häufig geübte Amputation der Vaginalportion hat auch ähnliche
Narbenbildungen am Os externum zur Folge gehabt.
Weiter wären zu nennen Narben, entstanden nach lang dauernden
Aetzungen des Cervicalcanales und äusseren Muttermundes, sowie nach ulce-
rösen Processen im Wochenbett oder bei syphilitischen Affectionen.
Die fibröse Hypertrophie ist eine Folge chronisch entzündlicher Processe
an der Vaginalportion, wie solche bei catarrhalischen Affectionen der Cervix-
mucosa häufig beobachtet werden.
Eine besondere Form der Rigidität bildet die Stenose der äusseren
Ring fasern des Os externum Erstgebärender, ein Zustand, der mit dem
Namen Coiigliitinatio oriöcii exterui bezeichnet wird. Der Name rührt her
von der früher allgemein herrschenden Ansicht, dass durch adhäsive Entzün-
dung bei Endometritis colli, oder durch eingedickte epitheliale Massen, eine
Verklebung des Orificium externum zu Stande kommen könne. Gegenwärtig
neigt man mehr der Ansicht zu, dass derlei Verklebungen thatsächlich nur
auf Täuschung beruht haben, indem bei genauer Einstellung immer das wenn
auch ganz winzig kleine Orificium nachzuweisen ist. In den meisten Fällen sieht
man aus dem Orificium einen kleinen Schleimpfropf herausragen und, wo dies
nicht der Fall ist, gibt eine dünne Knopfsonde den Aufschluss, dass das nach-
gewiesene Grübchen auf unblutige Art durchgängig ist.
Zu den selteneren Ursachen der Rigidität gehören Induration in Folge
carcinomatöser oder syphilitischer Affectionen.
*) Vergl. Artikel ,.Embryotomie^ , pag. 210.
46*
724 RIGIDITÄT DES ÄUSSEREN MUTTERMUNDES.
Geburts Verl auf. Ist das Hindernis nur auf den äusseren Mutter-
mund beschränkt' geblieben, dann entfaltet sich das Collum in ganz normaler
Weise. Erst wenn das Ei, beziehungsweise der vorliegende Fruchttheil gegen
das Orificium externum anzudrängen beginnt, kommt es zu einer Geburtsver-
zögerung, in manchen Fällen, wenn nicht rechtzeitige Abhilfe geschaffen
wurde, auch zu schwereren Complicationen.
Die, in Folge der Geburt gesetzte seröse Transsudation kann wohl mit-
unter eine solche Erweichung der pathologisch veränderten Gewebe bewirken,
dass dieselben dem auf sie ausgeübten Druck, wenn auch langsam, nachgeben,
so dass schliesslich eine spontane Geburt erfolgt. Andererseits muss aber
hervorgehoben werden, dass trotz kräftiger Wehen und langer Geburtsdauer,
der Muttermund in seiner ursprünglichen Grösse verbleibt, während über dem-
selben die Collumwand eine Dehnung bis zur Papierdünne erlangen ' kann
und falls das Orificium weit nach rückwärts steht und die Spannung in Folge
dessen namentlich die vordere Cervicalwand betrifft, Durchreissungen der-
selben oder ein vollständiges Abreissen des Cervix zu beobachteten Vorkomm-
nissen gehört.
Handelt es sich um eine fibröse Hypertrophie, dann erweitert sich das
Orificium ungefähr auf Thalergrösse, um bei Fortdauer auch kräftiger Wehen,
auf dieser Weite zu verbleiben. Dabei ist der Muttermundssaum straff gespannt
und verdickt, sein Gewebe durch den aufdrängenden Fruchttheil (meist Kopf)
anämisirt. Gewöhnlich erfolgt ein frühzeitiger Blasensprung.
Bei der Conglutinatio orificii wird der gespannte Cervix tief auf
den Beckenboden herabgetrieben und hat oft zu der Täuschung geführt, dass
es sich um die gespannte Fruchtblase handle. Vor dieser Täuschung wird
man bewahrt, wenn man mit dem touchirenden Finger hoch hinaufgeht und
eine Continuität zwischen dem fraglichen Theil und der Vaginalwand findet.
Therapie. Die Hilfeleistung ist meist verschieden, je nach dem, um
welche Art der pathologischen Veränderung es sich handelt.
Narbige Stenosen können, wenn dieselben schon in der Schwanger-
schaft bemerkt wurden, oft zu der Erwägung führen, ob nicht die Einleitung
einer künstlichen Frühgeburt am Platze sei; jedenfalls ist es angezeigt, sobald
die Geburt im Gang ist, eine Zeitlang zuzuwarten, ob nicht eine Spontandeh-
nung erfolgt. Geschieht dies nicht, dann muss durch Einschnitte an jenen
Stellen, wo die Spannung am grössten ist, nachgeholfen werden.
Bei der fibrösen Hypertrophie, ist es angezeigt, bei Zeiten rechts
und links vorne, eventuell auch rückwärts nach vorheriger Einstellung des
Operationsfeldes, mit einer SiEBOLD'schen Scheere oder mittelst Knopfmesser
ungefähr 1 cm weit hinaufreichende Incisionen zu machen. Während man
auf diese Weise die Geburt einem rascheren Ende entgegenführt, eventuell
mit dem Forceps nachhelfen kann und ein lebendes Kind gewinnt, lehrt die
Erfahrung, dass beim Zögern die meisten Kinder zu Grunde gehen und erst
nachdem die Frau fiebert, die Geburt durch Perforation beendigt werden muss.
Bei der Conglutinatio orificii genüget meist die Durchstossung
desselben mit dem Finger, eventuell das Anbringen mehrerer kleiner Inci-
sionen an dem zarten Orificialsaum, worauf bei Gegenwart entsprechender
Wehen die Geburt oft überraschend schnell erfolgt.
Bei carcinomatöser oder syphilitischer Induration verhalte
man sich soviel als möglich zuwartend, da eine blutige Erweiterung un-
berechenbare Dimensionen der Verletzung zur Folge haben kann, sei aber
auch auf der Hut, hinsichtlich eventueller, nach der Geburt zu gewärtigender
Blutungen, w^elche oft, wenn die Tamponade zu keinem Ziele führt, eine Naht
der eingeschnittenen, beziehungsweise weiter gerissenen oder zerrissenen
Geburtstheile nöthig erscheinen lässt. piskacek.
RIGIDITÄT DER SCHEIDE UND VULVA. — RUPTUR DER SYMPHYSEN. 725
Rigidität des ganzen Cervix mit melir- oder mindergracligcr Stenose des Cer-
vicalcanales kann durch verschiedene Ursachen bedingt sein: Carcinomatöse Degene-
ration, Narbenbildung nach Verätzungen oder Operation (Amputatio colli etc.j, schwere
und langandauernde Entzündungen, die sich auf der Cervicalschleimhaut abgc.'Spielt haben.
Diese Cervix-Ptigidität und Stenose zeigt sich als Geburtshindernis, indem die Eröffnung
des Cervicalcanales schwierig vor sich geht und oft trotz kräftiger Wehen vollkommen
unmöglich ist. Incisionen nützen nichts, wenn die engen Partien oberhalb des Bereiches
der Vaginalportion liegen. Die Indication der Sectio caesarea kommt in solchen Fällen
vorwiegend in Fras;e.
der Scheide und Vuiva findet sich bei alten Primiparis
und verzögert oft bedeutend den Entbindungsact. Zunächst verhalte man sich
solange expectativ, bis eine Indication zur Beendigung der Geburt eintritt.
Steht der Kopf noch über dem unteren Scheidendrittel, so nehme man nach
DüHESSEN Scheidendammincisionen vor, Einschnitte, bei welchen Con-
strictor eunni und Levator ani gleichzeitig durchtrennt werden. Diese Inci-
sionen werden mit der SiEBOLD'schen Scheere gemacht, circa 4 cm lang und
3 cm tief. Die Schnittrichtung liegt zwischen Anus und Tuber ischii. Oft ge-
nügt auch nur eine einseitige Incision von etwas grösserer Länge (5 — Gcw).
Der tiefer tretende Kindestheil tamponirt provisorisch die blutenden Wunden,
welche nach der Geburt der Placenta vernäht werden. Ein streng antisep-
tisches Vorgehen ist selbstverständliche Bedingung der Operation.
Verengerungen der Scheide (Narben, Verwachsungen etc.), über
deren Aetiologie in dem betreifenden Abschnitt des Artikels „Va(/ina"
nachgelesen werden möge, geben oft die schwersten Geburtshindernisse ab, so
dass bei dem Vorsatze, das Kind lebend zu Tage zu fördern, der Kaiserschnitt
nothwendig wird und ob dieser Indication auch schon wiederholt ausgeführt
wurde, andernfalls aber nur die Extraction der perforirten Frucht übrig bleibt.
Narbige Stenosen der Vulva und Verengerungen der Vulva
durch bei früherem Anlasse künstlich construirte Dammbildung
fordern oft gleichfalls ein operatives Eingreifen,") um den Austritt des Kindes
zu ermöglichen.
Atresia hymenalis bildet bei der Geburt ein Hindernis, wenn die
Schamspalte sich auszudehnen beginnt und die vordringende Fruchtblase die
widerstandsfähige Hymenalmembran nach vorne stülpt. Ahlfeed hat einen
Fall beschrieben und abgebildet, wo bei einer Gebärenden, die schon durch
mehrere Stunden bemüht war, durch kräftige Anstrengungen der Bauchpresse
das atretische Hymen zu dehnen, die Fruchtblase stielförmig durch die kleine
Oeffnung der sonst vollkommen starren Hymenalmembran durchgetreten war.
In solchen Fällen wird deshalb Sprengung der Fruchtblase und Anlegung von.
tiefen Einschnitten ins Hymen den Geburtseintritt sofort ermöglichen Ist ein
Hymenalbalken, der sich quer über den Introitus spannt, ein Hindernis, so
genügt ein Scheerenschlag, um freie Bahn zu schaffen. c. r.
Iw der Symphysen. Die Zerreissung eines oder mehrerer Sym-
physengelenke der Beckenknochen ist ein relativ seltenes Ereignis. Bis zum
Jahre 1878 sind nach Ahlfeld gerade 100 Fälle von Zerreissung der
Beckensymphysen in der Literatur verzeichnet. Bis zum Jahre 1888 sind
nach ScHAUTA zwölf Fälle hinzugekommen; in der Zeit von 1888—1894 wer-
den über fünfzehn Fällen von Symphysenruptur berichtet. Die überwiegende
Mehrzahl dieser Beckengelenksrupturen betrifit die Symphysis ossiiim puUs, viel
seltener ist die Lockerung oder Zerreissung der Symphysis sacroiliaca. Gleich-
zeitige Ruptur beider Gelenke kommt vor, ist aber keineswegs Regel.
*) üeber die Indicationen und Technik der Episiotomie vergleiche Artikel „Damm-
schutz", pag. 192.
726 RUPTUR DER SYMPHYSEN.
Was die IJrsachen von Symphysenruptiiren anlangt, so muss zunächst
darauf aufmerksam gemacht werden, dass eine gewisse erhöhte Beweglichkeit
der Symphysenenden zu einander, also eine Art „physiologische Lockerung der
Gelenksapparate" bei fast jeder Schwängern zu beobachten ist. Nach R. v.
Braun's Untersuchungen ist die Erscheinung am ausgeprägtesten bei jungen
Mehrgebärenden, geringer bei alten Mehrgebärenden und jungen Erstgebärenden,
am geringsten bei alten Erstgebärenden. Der Grad der Lockerung geht somit
ziemlich parallel -mit jener der weichen Geburtswege, deren Eigidität bei alten
Primiparis bekanntlich oft ein wesentliches Geburtshindernis bildet. Wenn
nun diese physiologische Symphysenlockerung einen gewissen Grad über-
schreitet, so wird sie pathologisch, wobei als Maass nicht etwa die Distanz
der Symphysenenden, sondern die in jedem Falle sich zeigenden Beschwerden
gelten müssen (R. v. Braun). In einem Falle Gmelin's betrug der Abstand
der beiden Schambeinenden von einander 1^1^ cm, zwischen ihnen befand sich
„ein mit gelbem Serum gefüllter Beutel." Hochgradige Auflockerung der
Gelenke constatirte Gusserow bei einer Graviden, bei der infolgedessen abso-
lute Unfähigkeit zum Gehen bestand. Nach erfolgter Geburt gewann das
Becken seine frühere Festigkeit wieder.
Die Auflockerung der Symphyse bildet ein praedisponirendes, wenn auch
nicht immer nothwendig vorhandenes Moment für die Ruptur. Viel häufiger
sind Veränderungen der Beckenknochen als Ursachen der Zerreissung
anzusehen. Jene Beckenformen, bei denen der quere Beckeneingangsdurch-
messer bedeutend verkürzt ist, geben am meisten Veranlassung hiezu: es sind
dies die allgemein verengten Becken und die osteomalacischen
Becken. Beim rachitischen Becken sind die Rupturen viel seltener, was
hauptsächlich auf Rechnung des festen Baues der Gelenke, die gerade bei
rachitischen Becken sich findet, zu setzen ist. Caries und Sarcome der
Beckenknochen bieten selbstverständlich eine Begünstigung zur Ruptur, wie
dies die Fälle Hüter's und Scharf's zeigen.
Ein weiteres Moment für die Zerreissung der Symphyse bildet die „all-
zu energisch wirkende Kraft bei der Austreibung der Frucht."
Am häufigsten ist es der Kopf, der eine Keilwirkung entfaltet, in den Fällen
von DüHRSSEN-AscHENBACH uud ZwEiFEL warcu es die Schulter einer
abnorm stark entwickelten Frucht (über 5 Jcg schwer), welche die Ruptur,
nachdem der Kopf schon mittels Forceps extrahirt war, veranlassten.
Das bedeutungsvollste Moment für die Entstehung der Beckendistorsionen
bildet die Zangenextraction. Am häufigsten geschieht dies dann, wenn
der Kopf zur Zeit der Anlegung der Zange noch quer im kleinen Becken
stand, das Hinterhaupt dem Kreuzbein zugewendet. Wird der Kopf in dieser
Stellung durch den Beckenausgang gezogen, wird der Kopf allzusehr gegen
den Schambogen gerichtet oder die Elevation der Zange zu zeitig oder zu
forcirt ausgeführt, so wirkt der Kopf als Keil und treibt die beiden Scham-
beine auseinander (Ahlb'eld).
Martinelli machte darauf aufmerksam, dass auch eine abnorme Combination
gleichzeitiger Muskelcontraction die Veranlassung zur Symphysenruptur geben
könne. Wenn nämlich während der Geburt die MuscuU recti et obliqui abdominis einerseits
und die Adductoren des Schenkels anderseits in Contraction versetzt werden, so kann
durch diese vereinte Muskelwirkung eine Ruptur der Symphyse eintreten.
Die Symptome der Symphysenruptur sind charakteristisch genug, um
bei einiger Aufmerksamkeit und Untersuchung die Diagnose zu stellen.
Häufig haben die Frauen im Moment der Ruptur „das Gefühl des Zerreissens".
Ein hörbarer Krach signalisirt oft direct das Ereignis. Die Schmerzen treten
plötzlich ein, massigen sich später etAvas, sind aber lange anhaltend. Patho-
gnomonisch ist in manchen Fällen die Stellung der Füsse: die Oberschenkel
sind nach aussen rotirt. Bei höheren Graden von Verletzungen kommt es zu
Blasenstörungen (unwillkürlicher Harnabgang, Schmerzen beim Urinlassen etc.).
RUPTUREN UND USUREN DES UTERUS. 727
Die manuelle Untersuchung der Gelenke liefert endlich die directen
Beweise für die eingetretene liuptur. Nach Anr.FEf;D hat man hicbei folgender-
maassen vorzugehen: „Man lege die Daumen auf die .Schamfuge, so dass die
Daumenspitzen über der Schamfugenverbindung zu liegen kommen und drücke
abwechselnd mit dem rechten und dem linken Daumen mit der Kichtung nach
den Oberschenkeln hin." Derart prüft man mit einfacher externer Unter-
suchung auf „abnorme Beweglichkeit und Druckschmerzhaftigkeit," indem die
innere Untersuchung (per vaginam) oft ganz überflüssig ist und nur zur Be-
stättigung der Diagnose in zweifelhaften Fällen gemacht zu werden braucht.
Lieg der Verdacht einer Ruptur der Hüft-Kreuzbeinfuge vor, so
lasse man die Wöchnerin auf die Seite legen und drückt die Spina ilei in die
gegenseitige Richtung, um die beiden Cardinalsymptome der Symphysen-
trennung (abnorme Beweglichkeit und Druckschmerz) constatiren zu können.
Selten kommt Ruptur der Symphysen im Puerperium zu Stande.
Man sah solche bei Frauen, die frühzeitig das Bett verliessen und beim ersten
Aufstehen die Zeichen der Symphysenzerreissung darboten. Für solche Fälle
ist eine gewisse Diastase wohl bereits früher (i. e. intra partum) zu Stande ge-
kommen und hat das Moment des Aufstehens und Gehens nur die Veran-
lassung zur declarirten Zerreissung gegeben. Einen typischen Fall dieser Art
beschreibt Galvagni: Die Ruptur trat in dem Moment ein, als die Wöchnerin
zwei Tage post partum vom Bette auf einen Schemel stieg, um Urin zu lassen.
Eine ernste Complication ist die Vereiterung der rupturirten
Symphyse, deren Entstehung durch eine nachträgliche Infection in das
geöffnete Gelenk zu erklären ist. Eine derartige „Symphysenentzündung und
Vereiterung" kann auch metastatisch erfolgen und gehört in die Reihe der
pyaemischen Gelenksaffectionen durch puerperale Infection. Die Lockerung,
resp. Trennung der Gelenksenden erfolgt dann zuweilen secundär, gehört aber
streng genommen nicht zu den „Rupturen", da hiemit ja immer der Begriff
der gewaltsamen und plötzlichen Entstehung verbunden ist.
Die Prognose der einfachen Symphysenruptur ist günstig, nur bei der
eben besprochene Complication der nachträglichen Entzündung, resp. Verei-
terung wird sie ernst. Dühessen meint auch in solchen Fällen eine gute
Vorhersage machen zu können, wenn die Eiterung eine local beschränkte und
frühzeitig dagegen eingeschritten wird.
Die Therapie der Symphysem'uptur bezweckt eine Immobilirung der
betroffenen Gelenke, was am einfachsten durch einen gut angelegten Gyps-
oder blauen Bin den- Verband um das Becken erreicht wird. Statt dessen schlug
Maetin die Application einer abnehmbaren federnden Gurtes vor, der auch in
einigen Fällen Anwendung fand. Auf etwaige complicirende Verletzungen,
namentlich die Läsion der Blase ist stets zu achten und sowohl gegen das
Symptom des Harnträufeins als auch der Harm^etention entsprechend vorzu-
gehen. Bei constatirter Symphysenvereiterung ist Incision möglichst frühzeitig
vorzunehmen. Bei Symphysenruptur, die sofort nach Eintritt constatirt wird,
hat DüHRSSEN Anlegen einer Naht vorgeschlagen, c. e.
Rupturen und Usuren des Uterus. Unter Ruptur des Uterus
versteht man Continuitätstrennungen, welche im Bereiche des Corpus und
Cervix uteri während der Gebmt auftreten und mit dem Gebm'tsacte selbst
in ursächlichem Zusammenhange stehen. Fälle von wahrer Ruptur des Uterus
während der Schw^angerschaft kommen kaum je vor. Durch die Art der Ent-
stehung von den Rupturen wesentlich zu unterscheiden sind die Usuren
des Uterus, welche ebenfalls als ein Geburtstrauma aufzufassen sind. Die
Rupturen des Uterus müssen wir zunächst in spontane und in artificielle
oder violente eintheilen. Bandl ist es, der vor nunmehr fast 20 Jahren die
Lehre von der Mechanik der Uterusruptur auf wissenschaftliche Basis gestellt;
728 RUPTUREN UND USÜREN DES UTERUS.
er wies nacli, dass es die eigentliümlichen anatomischen Verlicältnisse am
Corpus und Cervix uteri seien, welche bei vorhandenen disponirenden Momen-
ten den Eintritt der Ruptur begünstigen. Wir wissen ja, dass das Corpus
uteri nicht dieselbe Bauart zeigt wie der Cervix, dass während bei Erstereni
die musculösen Elemente den Hauptantheil der Gewebe darstellen, die Muskel-
fasern im Bereiche des Cervix weiter in den Hintergrund treten gegenüber
den elastischen Fasern. Das prägt sich auch bei jeder normalen Geburt aus;
während die Wandung des Uteruskörpers bei der Geburt active Contractionen
zeigt, finden wir an der Wandung des Cervix passive Dehnung, ja die Con-
tractionen der Muskelelemente des Uteruskörpers haben die Erweiterung des
Cervix nicht blos auf mechanischem Wege zur Folge, dadurch, dass der
Inhalt der Uterushöhle durch die sich contrahirenden Uterusmuskeln unter
einen ausserordentlich erhöhten Druck gestellt, nach der Gegend des gering-
sten Widerstandes auszuweichen versucht, gegen den Cervix vordringt und
denselben somit allmählich dilatirt ; vielmehr reichen die Contractionen des Ute-
rus allein schon hin, eine Erweiterung des Cervix im gewissen Sinne zu Stande
kommen zu lassen, wie wir dies in Fällen von Extrauterin-Schwangerschaft
finden, wo am Schlüsse der Schwangerschaft Contractionen des Uterus auf-
treten, welche eine Erweiterung des Cervicalcanales soweit zur Folge haben,
dass der untersuchende Finger bequem in die leöre Uterushöhle eindringen
kann.
Wir müssen demgemäss annehmen, dass bei der normalen Geburtsthätig-
keit jede Contraction des Uterusmuskels zur Entfaltung des Collum uteri beiträgt;
hiebei erfolgt eine Spannung im Sinne der queren wie der sagittalen Rich-
tung, mit anderen Worten, es wird sowohl das Lumen des Cervicalcanales
grösser, als auch seine Länge bei Andauer der Geburt zunimmt durch die
stärkere Längsspannung der Gewebselemente. Es scheint aber nach den
neuesten Untersuchungen zumindest als Avahrscheinlich, dass eine Art Ueber-
gang in der Texturverschiedenheit zwischen Corpus und Cervix uteri in einem
Abschnitte sich findet, welcher den untersten Antheil des Corpus darstellend
und bis zur Höhe des Orificium internum reichend als unteres Uterin-
segment bezeichnet wird, so dass der Hauptantheil an jenem Stücke des
Geburtsschlauches, welches vornehmlich der Dehnung und Entfaltung unter-
worfen ist, dem unteren Uterinsegmente zukäme im Widerspruch mit der
Ansicht anderer Autoren, welche das Vorhandensein eines unteren Uterin-
segmentes leugnen und annehmen, dass der Cervix uteri allein an den erwähn-
ten Vorgängen sich betheilige. Thatsache ist es, dass die Grenze des activ
contrahirten Uteruskörpers gegenüber dem passiv gedehnten Gewebe des unteren
Uterinsegmentes und des Cervix einer Stelle entspricht, welche an der Aussen-
seite des Uterus mit der Grenze der lockeren Anheftung des Peritoneums
correspondirt. Würde man den unter dieser Bogenlinie befindlichen Antheil
noch dem Cervix zurechnen, so müsste die erwähnte Grenzlinie im Innern
des Uterus, dem Orificium uterinum internum entsprechen; rechnen wir jedoch
den erwähnten Uterusabschnitt dem Corpus zu, indem wir es als unteres
Uterinsegment bezeichnen, so muss die erwähnte Grenze, welche sich an dem
frisch entbundenen contrahirten Uterus als wulstiger Vorsprung an der Innen-
fläche repräsentirt, mit Schröder als ein Contractionsring bezeichnet werden,
•welcher um die Höhe des unteren Uterinsegmentes über dem inneren Mutter-
munde gelegen wäre. Wenn sich nun während der Geburtsthätigkeit dem
Austritte der Frucht im Bereiche des Beckencanales ein Hindernis entgegen-
stellt, welches durch die andauernde Uterusmuskelthätigkeit nicht überwunden
werden kann, so wird bei weiterer Fortdauer der Contractionen des Uterus
die Folge die sein, dass der sich immer mehr contrahirende Uteruskörper sich
über den Fruchtkörper zu retrahiren sucht, ihn aus seiner Höhle ausstösst,
ohne dass dabei der Fruchtkörper nach abwärts zu in den Beckencanal irgend
RUPTUREN UND USüREN DES UTERUS. 729
•welche Fortschritte machen könnte. Die Folge dessen ist, dass die Wandung
des unteren Uterinsegmentes und des Ccrvix einer ausserordentlichen Spannung
unterworfen wird, welche bei jeder Wehe sowohl in querer wie in sagittaler
Bichtung gesteigert wird. In Consequenz dessen muss die unter solcher
Spannung stehende Wand eine wesentliche Abnahme ihres Dickendurch-
messers erfahren, und wir finden unter solchen Umständen den Fruchtkörper
aus der Uterushöhle allerdings ausgetreten, jedoch in der Höhle des papier-
dünnen unteren Uterinsegmentes und des Cervicalcanales liegend, so dass
man die einzelnen Fruchttheile wie unmittelbar unter der Bauchdecke liegend
palpiren kann. Der Uteruskörper stellt dabei eine harte, stark contrahiite
Kugelkappe dar, die hoch oben dem Fruchtkörper aufsitzt. Die Grenze zwischen
dem stark contrahirten und dicken Mantel des Uteruskörpers und der in die
Länge gezogenen, ausserordentlich verdünnten Wandung des unteren Uterin-
segmentes stellt an der Aussenseite des Uterus eine Furche dar, welche durch
die Bauchdecken deutlich sichtbar quer oder schräg über die vordere Bauch-
wand zu verfolgen ist, an der Innenfläche des Uterus dem erwähnten Con-
tractionsring entspricht und als BANDL'sche Furche bezeichnet wird. Je höher
oben gegen den Nabel oder oberhalb des Nabels diese Furche verläuft, umso
stärker muss die Dehnung und Entfaltung des unteren Uterinsegmentes sein,
umsomehr muss sich der Uteruskörper retrahirt haben. Es ist daher das
Auftreten der BANDL'schen Furche eines der wichtigsten Symptome, welche
uns die Gefahr des Eintrittes einer Ruptur anzeigen und uns zwingen, durch
rasches und zielbewusstes Handeln die Entbindung in einer Weise zu leiten,
dass der gefürchtete Eintritt der Uterusruptur vermieden werde, denn es
bedarf nur noch einer kleinen Steigerung der fortdauernden Contraction des
Uterus, und die nächste Folge wird die sein, dass der massive Uteruskörper
sich von dem verdünnten unteren Uterinsegmente abtrennt und somit die
Uterus-Ruptur perfect wird.
In solchen Fällen ist in der Regel der Riss ein querer und verläuft in
der Höhe des Contractionsringes; der Riss kann dabei in einer solchen Aus-
dehnung erfolgen, dass der Uteruskörper blos an einer handbreiten Brücke
mit dem übrigen schlaffen Antheile zusammenhängt. Die Gefahr der Ruptur
des Uterus wird nun ganz besonders begünstigt, w^enn das Geburtshindernis
abgegeben wird durch eine fehlerhafte Fruchtlage, wie sie insbesonders die
vernachlässigte oder eingekeilte Schulterlage darstellt. Denn in diesen Fällen
kommt zu der Längsspannung des unteren Uterinsegmentes noch die ausser-
ordentliche durch die Fruchtlage bedingte Querspannung hinzu; der die eine
Wand ausserordentlich stark vorbuchtende kindliche Schädel bewerkstelligt an
dieser eine immer stärkere werdende Verdünnung der Wand, und die Ruptur
des Uterus erfolgt unter diesen begünstigenden Umständen in der Weise,
dass entw^eder blos ein Längsriss an der Stelle entsteht, wo sich der kindliche
Schädel befunden oder aber dieser Längriss combinirt erscheint mit dem Quer-
risse in der Höhe des Contractionsringes. Die prädisponirenden Momente für
die Entstehung der Uterusruptur sind zunächst gelegen in Veränderungen
der Uteruswandung selbst infolge von traumatischen Verletzungen bei ü'üherer
Gelegenheit acquirirt, geringerer Resistenz infolge von Narbenbilduugen an
Stellen ehemaliger Abscesse, Verdünnung der Uteruswandung infolge Ein-
lagerung multipler Fibromknoten und schliesslich Schlaffheit des Gewebes im
Bereiche des unteren Uterinsegmentes und Cervix bei gleichzeitiger H^-per-
trophie der Muskelwandung des Corpus uteri, Verhältnisse, wie wir sie bei
Frauen antreffen, die bereits zahlreiche schwere Entbindungen überstanden
haben. Dazu kommen die verschiedensten Hindernisse, w^elche sich der Aus-
treibung der Frucht entgegenstellen, seien sie gegeben durch abnorme Grösse
der Frucht oder einzelner Fruchttheile (Hydrocephalus, Steissgeschwülste etc.),
Missbildungen, fehlerhafte Einstellungen des kindlichen Schädels in Stirn-
780 RUPTUREN UND USUREN DES UTERUS.
Gesichtslage, Vordersclieitelbein-, Hinterscheitelbeinstellung, Ohrlage oder
schliesslich bei Querlage, wenn infolge des Wasserabflusses die vorliegende
Schulter in den Beckeneingang hinuntergetrieben und daselbst eingekeilt
wurde, ehe die Wendung auf den Fuss ausgeführt worden ist. Am häuflgsten
linden wir ferner Verengerungen des Beckens entweder allein oder in Com-
bination mit einem der früher erwähnten Momente.
Auffallend ist es, dass eine grosse Anzahl spontaner Rupturen des Ute-
rus bei Frauen beobachtet wird, welche bereits zahlreiche Geburten über-
standen, und bei denen man nur eine massige Verengerung des Beckens con-
statiren kann, ja es gibt Fälle, in denen die Ruptur des Uterus eintritt, ob-
wohl die erste und zweite Geburt spontan verlaufen, die nächsten Kinder
mit der Zange und Wendung entbunden wurden und bei der forschreitenden
Zahl der Geburten die Hindernisse immer grössere wurden, so dass ein oder
das andere Kind auch perforirt werden musste, bis schliesslich bei der 10.
oder 12. Geburt die Ruptur des Uterus eintrat. Es kann da in solchen
Fällen nicht die Grösse des räumlichen Missverhältnisses allein sein, die zur
Uterusruptur führt, sonst hätte wohl die Ruptur schon bei der ersten Geburt
eintreten müssen, wenn wir auch zugeben müssen, dass bei der steigenden
Anzahl der Geburten ein vorhandenes, räumliches Missverhältnis in der Regel
zu immer schwereren Ereignissen führt deshalb, weil erfahrungsgemäss die
Kinder wiederholter Schwangerschaft immer grösser, ihre Schädel immer
härter und unnachgiebiger werden. Es steigert sich daher die Grösse des
räumlichen Missverhältnisses von Geburt zu Geburt; dabei treten aber all-
mählig Veränderungen in der Bauart des Uterus ein, welche die Disposition
für die Entstehung der Uterusruptur abgeben. Die ersten Geburten hatten
infolge eines wenn auch geringen räumlichen Missverhältnisses eine erhöhte
Muskelarbeit des Uterus zur Folge, die sich in einer bleibenden Hypertro-
phia der Muskelelemente äussert, wobei das untere Uterinsegment und der
Cervix infolge der jedesmaligen Dehnung eine grössere Schlaffheit bewahren.
Je mehr Geburten nun folgen, um so mehr steigert sich dieses Missverhält-
nis, der Uteruskörper erscheint , hypertrophisch, das untere Uterinsegment
und der Cervix immer schlaffer, die Folge ist dann, dass bei Beginn jener
unglückseligen Geburt, in deren Verlauf die Ruptur eintrat, schon bei den
ersten Wehen das untere Uterinsegment und das Collum eine Entfaltung er-
fahren, deren Steigerung im Verlaufe der Geburt ohne schwere Gefahren kaum
mehr denkbar ist, und dennoch muss diese Steigerung eintreten, da ja das
räumliche Missverhältnis wieder ein grösseres geworden ist; und ist dann zu-
fällig die Einstellung des grossen, harten, kindlichen Schädels vielleicht keine
ganz günstige, so wird unter den schon oben erwähnten Verhältnissen die
Uterusruptur eintreten. Wir finden in solchen Fällen am Secirtische die
Wandung des Uterusmuskels sehr verdickt, oft 6—ß cm im Durchmesser,
während die Wandung des unteren Uterinsegmentes und des Cervix kaum
mehrere Millimeter im Dickendurchmesser besitzt. Je nachdem ob bei einer
solchen Ruptur sämmtliche Schichten der Wandung betroffen sind, oder ob
blos die Wandungen bis auf die Serosa vom Risse durchsetzt sind, theilen
wir die Rupturen ein in complete und incomplete, im ersteren Falle ist
die Ruptur eine penetrirende, es entsteht eine freie Communication des
Geburtschlauches mit der Peritonealhöhle, durch welche die Frucht oder die
Placenta in die freie Bauchhöhle austreten, im letzteren Falle scheidet oft
blos nur die dünne Schichte des weit abgehobenen Peritoneum _ den Frucht-
körper von den Därmen und durch eine ungeschickte Manipulation kann die
bisher incomplete Ruptur zu einer completen, penetrirenden gemacht werden.
Die artificielle Ruptur des Uterus entsteht durch irrationelle ärztliche Ein-
griffe und wird umso leichter entstehen, wenn prädisponirende Momente für
den Eintritt der Uterusruptur vorhanden sind.
RUPTUREN UND USUREN DES UTERUS. 731
Die meisten artificiellen Ituptnren des Uterus kommen zu Stande, bei
ungeschickt ausgeführter Wendung. Wir wissen, dass in solchen
Fällen von Dehnung das untere Uterinsegment und das Collum derart gespannt
sind, dass die durch das Einführen der Hand des Operateurs gesteigerte
Spannung bereits den Eintritt der liuptur herbeiführen kann, und so ist es
klar, dass in einem solchen Falle jeder Eingriff verboten ist, welcher etwas
Anderes erzielt als eine momentane Entlastung der stark verdünnten Wandung
des unteren Uterinsegmentes und des Collum.
Die Verletzungen, welche durch die Entstehung einer Uterusruptur
verursacht werden, sind verschieden je nach dem Sitze, der Form und der
Grösse des entstandenen Risses. So finden wir in einzelnen Fällen von in-
completer Ruptur nicht einmal besonders heftige Blutungen auftreten, so dass
die stattgehabte Verletzung ohne irgend welche besondere Folgeerscheinungen
verläuft. In anderen Fällen kommt es jedoch bei incompleten Rupturen zu
tödtlichen Blutungen, wenn grössere Gefässe in den Riss mit einbezogen
sind, oder es bilden sich grosse, sich weit verbreitende subperitoneale Hä-
matome unter dem weit abgehobenen Peritoneum des Ligamentum latum.
Die Hauptgefahr für die Kranke liegt jedoch nicht in der Blutung aus dem
Risse, sondern vielmehr in der Infection der peritonealen Höhle. Von dem
aseptischen Verlaufe der Geburt hängt in der That der weitere Wundverlauf
in der Regel ab. Ist die Ruptur schon vor der Entbindung constatirt, so
wird die Wahl des vorzunehmenden geburtshilflichen Eingriffes beeinflusst
werden von der Fruchtlage, von der Grösse des räumlichen Missverhältnisses
und von dem Verhältnisse des Fruchtkörpers zu der Rissstelle. So werden
wir bei einer eingekeilten Schulterlage einzig und allein an die Decapitation
zu denken haben, während bei einer Schädellage die Zange, Craniotomie oder
Sectio caesarea je nach den individuellen Verhältnissen in Frage kommen
wird, stets ist jedoch die Wendung contraindicirt, wenn es sich um eine ein-
getretene oder auch nur drohende Ruptur des Uterus handelt. Ist die Frucht
durch die Rissstelle vollständig oder auch nur theilweise in die Bauchhöhle
ausgetreten, so würden wir eine Entbindung per vias naturales nicht em-
pfehlen, da durch die vorzunehmende Manipulation und das Zurückziehen des
Rumpfes durch die Rissstelle in den Geburtsschlauch hinein der Riss er-
weitert und die Wundverhältnisse ungünstiger gestaltet werden. Es ist daher
in solchen Fällen am zweckmässigsten, die Laparotomie auszuführen, das
Kind durch die Bauchwand zu entwickeln, und je nach dem Grade und Sitze
der Verletzungen entweder die Wundstelle vollständig zu vernähen oder aber,
wenn nothwendig, den Uterus zu entfernen durch die supravaginale Ampu-
tation mit extra- oder retroperitonealer Stumpfversorgung. War die Entbin-
dung auf dem natürlichen Wege erfolgt, so wenden wir auch bei completen
Rissen, wenn nicht eine abundante Blutung uns zur Vornahme der Laparo-
tomie zwingen würde, die Tamponade und Drainage des Risses gegen die
Vagina hin an. Hiebei wird zunächst die Uterushöhle tamponirt, der Tampon
zur Scheide herausgeleitet und nunmehr ein drainirender Gazestreifen von
der Vulva aus locker in das Wundbett gestopft. In solchen Fällen hat die
Laparotomie keinen besonderen Zweck, denn ist die Blutung keine zu starke,
so wird die Heilung eintreten, solange die Aseptik nicht gestört ist. Die
Verhältnisse liegen daher für die Tamponade ebenso günstig wie für die
Ausführung der Laparotomie. Der tamponirte Uterus wird durch einen Com-
pressivverband nach abwärts gedrängt, und daher die zwei Risswundränder ein-
ander näher gebracht. Nach Verlauf von zwei Tagen kann man die Tampons
allmählig entfernen und beginnt vom achten Tage an mit Ausspülung unter
massigem Drucke. Je weiter die Kenntnisse in der Geburtshilfe Verbreitung
finden, um so seltener werden wir in die Lage kommen, eine Uterusruptur
732 SALPINGITIS.
ZU constatiren, weil durch sorgfältige und vorschriftsmässige Beobachtung
der Gebärenden oft genug der Eintritt der Ruptur verhindert werden kann.
Die Usur des Uterus entsteht direct durch lang andauernden Druck,
welchem die Cervixwand durch harte Fruchttheile gegen den unnachgiebigen
knöchernen Beckenring ausgesetzt ist. So finden wir Usuren bei Erstgebären-
den und hochgradig verengten Becken eintreten, wenn nicht rechtzeitig die
Entbindung auf kunstgemässe Weise vollzogen wird. Wenn bei verstrichenem
Muttermund der kindliche Schädel noch immer im Beckeneingange eingekeilt
oder mit einem kleinen Segmente in denselben eingepresst ist, so wird es
allmählig zur Durchreibung der Cervixwand kommen insoweit, als die vor-
dere Wand gegen die Symphyse oder die hintere Wand gegen das Promon-
torium gepresst wird. Eine derartige Usur entsteht demgemäss nicht durch
die Eigenthätigkeit der Uterusmusculatur, sondern kommt mechanisch durch
den lang andauernden Druck zu Stande, ihr Sitz ist auch demgemäss ein
anderer wie bei der Ruptur. Wir finden sie entweder blos an der vorderen
oder hinteren Cervixwand, sie entspricht nicht der Höhe des Contractions-
ringes, sondern findet sich im Bereiche der Cervixwandung entsprechend der
Höhe der knöchernen Beckenwand. Auch hier kommt es in der Regel zur
Communication mit der freien Bauchhöhle, und sind Verletzungen infolge
der Mitbetheiligung der Blase und des ungünstigen Sitzes der Verletzungen
oft von bedrohlicheren Folgen begleitet wie bei Ruptur des Uterus. Wenn
demgemäss durch die Vervollkommnung der Antiseptik und der Aseptik die
Heilungserfolge nach einer Ruptur oder Usur des Uterus wesentlich besser
geworden sind als sie je waren, so muss andererseits dennoch unser Haupt-
augenmerk darauf gerichtet sein, das Zustandekommen einer Uterusruptur
oder Usur zu verhüten, und das wird bei sorgfältiger Beobachtung des Geburts-
falles leicht möglich sein. k. a. herzfeld.
Salpingitis. Unter Salpingitis versteht man die Entzündung der Ei-
leiter. Für die primären entzündlichen Erkrankungen der Tube haben wir
fast gar keine Anhaltspunkte; wir sehen die Salpingitis vielmehr als
Folge von uterinen oder ovarialen oder peritonealen Affec-
tionen auftreten.
Vom Peritoneum her beginnt die Erkrankung einmal bei acuten In-
fectionsk rank helfen, wie Scharlach. So treffen wir gar nicht selten
bei Erwachsenen auf Residuen einer alten Salpingitis oder Perisalpingitis. Die
Patienten sind erstaunt, wenn man sie demgemäss ausforscht. Erst auf Be-
fragen der Eltern erfährt man dann, dass sich in der Kindheit im Anschluss
an Scarlatina eine „Unterleibsentzündung" entwickelt hatte.
Bei Typhus wandern die Streptococcen wahrscheinlich von den Darm-
geschwüren, die ja theilweise tief die Intestinal wand zerfressen, über.
Nicht selten findet man auch bei circumscripten oder allgemeinen
Peritonitiden, wenn sie nicht zum Verschluss des Ostium abdominale geführt
haben, die Tubenschleimhaut des abdominalen Endes entzündet.
Unstreitig aber bilden die Entzündungen des Uterus die Hauptquelle
für die Entzündungen der Eileiter. Jedenfalls finden wir in der Regel die Tuben
nicht allein erkrankt, sondern die benachbarten Genitalorgane zeigen die ana-
logen pathologisch-anatomischen Veränderungen. Für den Uterus hat A. Martin
nachgewiesen, dass unter 287 Fällen von tubarer Erkrankung bei mehr als
2/3 die Schleimhaut, das Parenchym oder das Perimetrium pathologisch
afficirt war.
Der Weg, auf welchem die Entzündung von der Gebärmutter aus nach
den Tuben fortschreitet, kann ein zweifacher sein. In der Regel wird sich
die Infection — von Schröder wurde das als einzige Möglichkeit hingestellt
SCHWANGERSCHAFT. 733
— wohl per continuitatem auf dem Wege der Mucosa entfalten,
mag es sich mm um eine specifische oder um eine andere Infection handeln.
Andererseits betheiligen sich auch die Lymphbahnen an der Fort-
leitung der Entzündungsstoffe und zwar besonders bei bestehender Metritis.
Oft aber werden wohl auch beide Wege zusammen eingeschlagen werden.
Fast in der Hälfte der Fälle tritt die Salpingitis beiderseitig auf; unter den
einseitigen prävalirt die linke Seite. Bei beiderseitigem Bestehen der Erkran-
kung braucht die Art derselben nicht die gleiche zu sein. Wir finden viel-
mehr oft auf der einen Seite einen blutigen oder serösen Tubeninhalt, während
die andere Tube mehr weniger mit Eiter gefüllt ist.
Wie schon gesagt, haben vorzugsweise infectiöse Processe das Zustande-
kommen einer Salpingitis hervorgerufen. Am häufigsten trifft das von der
Gon^orrhoe ein. Und auf der Basis dieser Infection kommen fast alle bis
jetzt bekannten und beschriebenen Formen der pathologisch-anatomischen Er-
krankungen der Tuben vor, wie die Salpingitis catarrhalis und Sal-
pingitis purulenta mit den verschiedensten speciellen Unterarten. (Vergl.
die Artikel Gonorrhoe der weiblichen Genitalien''^ (Absatz VIII.: Salpingitis
gonorrhoica) und Artikel „Ädnexentumor").
Von anderen bis jetzt bekannten Keimen, welche zu einer Salpingitis
führen, sind noch der Tuberkelbacillus (vergl. Artikel ,,Tuberculose der weihl.
Genitalien"), der Streptococcus, der FßÄNKEL'sche Pneumonie-Kapsel-
coccus (Zweifel) und in einem Falle von Zemann auch der Strahlenpilz
Actin omyces im Tubeneiter nachgewiesen worden.
Zw^EiPEL fand in Fällen, wo nur der Streptococcus anwesend war,
den Eiter an Farbe und Consistenz ganz verschieden von dem gewöhnlich
bei gonorrhoischer Salpingitis auftretenden und zwar gelb und dick-
flüssig. Aber auch das mikroskopische Bild des Tubendurch-
schnittes war ein anderes. Die Falten der Schleimhaut springen unver-
sehrt in die Höiilung vor. An keiner Stelle war trotz starkzelliger Infiltration
der Falte das Epithel geschwunden, wie man das bei der gonorrhoischen Ent-
zündung sieht. Dagegen waren eine grosse Menge kleiner Abscesse regellos
zerstreut zwischen den einzelnen Muskelschichten der Tubenwandung vor-
handen.
Zv^^EiFEL nennt diese Form Salpingitis interstitialis disse-
minata und hat 3 solcher einschlägiger Fälle beobachtet. Darunter war auch
eine Virgo intacta, die vier Jahre vorher Typhus durchgemacht hatte und
von dieser Zeit ihre Beschwerden her datirte.
Ueber Symptome, Verlauf, Diagnose und Therapie vide die
Artikel „Gonorrhoe" resp. „Tubercidose der weibl. Genitalien^'- und ,^Adnexe7i-
tumor. "
BODEXSTEIN.
Schwangerschaft. (Symptome und Diagnose). Durch eine Schwanger-
schaft werden vom Moment der Befruchtung des Eies bis zur Ausstossung der
Frucht in den Genitalien sowohl wie auch im gesammten Organismus eine
grosse Eeihe von Veränderungen ausgelöst. Soweit dieselben der Schwanger-
schaft eigenthümlich sind, finden sie als „Schwangerschaftszeichen"
diagnostische Verwerthung. Ein Theil dieser Veränderungen kommt der Frau
selbst zum Bewusstsein, „subjective Schwangerschaftserscheinun-
gen;" ein anderer Theil derselben kann nm^ durch eine schulgerechte Unter-
suchung nachgewiesen werden „objective Schwangerschaftserschei-
nungen."
Bezüglich der diagnostischen Werthigkeit der einzelnen Erscheinungen
unterscheidet man 1. muthmaassliche, 2. wahrscheinliche, 3. sichere
Zeichen.
734 SCHWANGERSCHAFT.
Zu den mut hm aas suchen Zeichen gehören diejenigen Verän-
derungen, welche auf reflectorischem Wege als der Ausdruck veränderter Ner-
venthätigkeit sich äussern, wie Uebelkeit, Erbrechen, Schwindel, Kopf- und
Zahnschmerzen, Ziehen in den Brüsten, Pigmentationen; oder welche mecha-
nisch, durch den Druck des vergrösserten Uterus erregt werden, wie Urin-
beschwerden, Varices u. a. Da dieselben vornehmlich subjective Erscheinun-
gen sind, keineswegs constant auftreten, durch andere Störungen oder Erkran-
kungen ebenso hervorgerufen werden können, so haben sie, namentlich wenn
nur vereinzelt zur Beobachtung kommend, nur einen sehr beschränkten, diag-
nostischen Werth. Nur insoferne diese Zeichen zu allererst die Vermuthung
einer vor Kurzem erfolgten Conception wachrufen, kommt ihnen namentlich
bei Mehrgebärenden, die ihren Zustand aus eigenen früheren Erfahrungen zu
beurtheilen verstehen, eine gewisse diagnostische Bedeutung zu. Es giebt
Frauen, welche wenige Tage nach der Conception aus diesen Zeichen mit
Bestimmtheit den Beginn einer neuen Schwangerschaft erkennen. In zweifel-
haften Fällen gelten sie als werthlos, namentlich dann, wenn der sehnliche
Wunsch nach Schwangerschaft diese mit Spannung erwarteten Zeichen auslöst.
Die unsicheren Schwangerschaftszeichen sind:
1. Das Ausbleiben der Menstruation.
2. Verfärbung und Auflockerung der Vulva und Vagina.
3. Vergrösserung und iveiche Consistenz des Uterus {supravaginale Auf-
lockerung, Hegar.)
4. Utering eräuscM.
5. Grösserwerden der Brüste und Auftreten von Colostrum.
6. Pigmentation der Linea alba und des Warzenhofes (secundäre Areola).
7. Auftreten von Striae am Abdomen, Oberschenkel., eventuell Brüsten.
In ihrer Combination deuten diese Zeichen mit allergrösster Wahrschein-
lichkeit auf eine Schwangerschaft hin, zumal ja die meisten derselben objectiv
nachweisbar sind. Sie haben für Primigravidae eine grössere Bedeutung als
für Plurigravidae, da ein Theil derselben längere Zeit nach Ablauf einer
Schwangerschaft persistiren kann.
1. Das Ausbleiben der Menstruation ist das Signal für stattgehabte Con-
ception. Bei Frauen im geschlechtsreifen Alter und im Geschlechtsverkehr
ist dieses Symptom äusserst zuverlässig, sofern dieselben gesund sind und in der
vorangegangenen Zeit regelmässig menstruirt waren. Dabei ist aber folgendes
zu beachten.
a. Es kann Schwangerschaft bestehen, ohne dass die Periode ausgeblieben
ist. Nicht selten tritt die Menstruation ein oder mehrere Male in der
Schwangerschaft auf, manchmal besteht sogar bis zum Ende der Gravidität
regelmässige Periode.
b. Es kann eine Frau in der Pubertät oder z. B. nach einer Lactations-
periode gravida werden, ohne dass sie je oder in der letzten Zeit menstruirt
gewesen wäre, dann fehlt natürlich ebenfalls dieses Schwangerschafts-
zeichen.
c. Bei jungen Mädchen sowohl wie bei Frauen kann die Periode patho-
logischer Weise aus mancherlei anderen Gründen ausbleiben. Von Krank-
heiten seien als typisch in dieser Beziehung genannt: Chlorose, Anämie,
Adipositas, ausserdem irgend welche acute oder chronische Erkrankungen, wie
Typhus, Pneumonie, Tuberkulose, Carcinom, Kystom. Endlich vermögen psy-
chische Affecte eine Suppresio mensium zu veranlassen, Schreck, Trauer,
eingebildete bez. gefürchtete Schwangerschaft.
Bei Verwerthung des Ausbleibens der Menstruation als Schwanger-
schaftszeichen ist somit Vorsicht geboten. Unter Berücksichtigung dieser Um-
stände bleibt aber dieses Zeichen eines der frühesten und werthvollsten.
SCHWANGERSCHAFT. 735
2. Verfärbung und Auflockerung- der Vulva und Vagina ist Folge des
durch Schwangerschaft erregten beträchtlichen Aftiuxus von Jilut und weiterhin
e-iner Stauungshyperaeinie. Die vermehrte Succulenz ruft eine Quellung der
Schleimhaut hervor, die Gefässe, namentlich Venen, sind erweitert, strotzend
gefüllt, das Blut Kohlensäureüberladon, daher die „bläuliche" Verfärbung.
Dies Zeichen ist erst in der 2. Hälfte der Schwangerschaft prägnant.
3. Vergrösserung und weiche Consistenz des Uterus wird erst vom Ende
des 2. oder Anfang des 3. Schwangerschaftsmonats ab wahrnehmbar. Wich-
tiger als die ja an sich individuell sehr schwankende Grösse des Uterus, ist
die Beachtung der Consistenz, da die der Schwangerschaft eigene Weichheit
des Organes bei Tumorenbildung nicht vorkommt. Als besonders verwerthbar
gilt auch Consistenzwechsel, indem der Uterus auf den Reiz der palpirenden
Hand mit einer leichten Contraction antwortet. Als ein frühzeitiges und
werthvolles Zeichen ist ferner von Hegar die Zusammendrückbarkeit des unteren
Uterinsegmentes erkannt worden. "'•)
Durch combinirte Untersuchung kann man eine hochgradige Verdünnung
des unteren Theiles des Uterus, soweit derselbe noch nicht vom Ei einge-
nommen ist und dicht über dem Ansatz des Scheidegewölbes liegt, fühlen. In
der späteren Zeit der Schwangerschaft gibt die Grösse des Uterus zugleich
einen Anhaltspunkt für die Zeitbestimmung.
4. Uteringeräusche sind in den grösseren Gefässtämmen entstehende
sausende Blutgeräusche, w^elche bei Auscultation des Abdomens mit dem Ste-
thoscop leicht wahrnehmbar sind.
5. Grösserwerden der Brüste und Auftreten von Colostrum ist bei Nulli-
parae ein äusserst werthvolles, wenn auch sogar hier nicht ganz zuverlässiges
Zeichen, da auch durch Tumoren Entwicklung von Uterus z. B. bei Fibroiden
eine Secretion der Brustdrüse erregt werden kann. Bei Frauen, die geboren
haben, ist das Zeichen fast ganz werthlos, da nach einer Geburt Jahre, ja sogar
Jahrzehnte lang die Drüse fortsecerniren kann.
6. Pigmentation der linea alba und des Warzenhofes wird besonders bei
Brünetten, zu Pigmentablagerungen sehr disponirten Individuen so hochgradig,
dass das Zeichen ein sehr in die Augen springendes wird.
8. Striae gravidarum sind die Folge von Ueberdehnung der Haut, hier
veranlasst durch den rasch wachsenden Uterus, starke Fettablagerung und
rasche Hypertrophie der Mamma. Sie sind als Schw^angerschaftszeichen nicht
sehr verwerthbar, besonders da sie erst in der 2. Hälfte auftreten.
Im Gegensatz zu diesen wahrscheinlichen und unsicheren Schwanger-
schaftszeichen stehen nun die sicheren Zeichen, welche allerdings den
Vorzug haben, dass sie bei richtiger Erkenntnis eine Schw^angerschaft mit
Gewissheit anzeigen, aber doch die ersten Zeichen deshalb nicht in ihrer abso-
luten Werthigkeit herabzusetzen vermögen, weil sie erst in der 2. Hälfte der
Schwangerschaft auftreten, also zu einer Zeit, wo der Arzt meist nicht zu der
Entscheidung herangezogen zu werden pflegt, ob Schwangerschaft vorliegt oder
nicht. Diese sicheren Zeichen dienen weniger als Grundlage zu der Diagnose
ob die Frau überhaupt schwanger ist oder nicht, als vielmehr zu der Difieren-
tialdiagnose zwischen Schwangerschaft und Tumorbildung. Hiezu sind sie ge-
radezu in jedem Falle unentbehrlich, um verderbliche und folgenschwere dia-
gnostische und therapeutische Irrthümer vermeiden zu helfen. Die sicheren
Schwangerschaftszeichen sind die Lebensäusserungen der Frucht. Zum Theil
sind sie der Mutter und dem Untersuchenden wahrnehmbar, wie die
Kindesbewegungen, zum Theil können sie nur durch eine sorgsame, geschulte
Untersuchung nachgewiesen w^erden, das sind die kindlichen Herztöne. Da
*) cf. Sonntag. Das HEGAR'sclie SchwaHgerschaftszeichen Samml. Klin. Vortr. Xr.
736 SCHWANGERSCHAFTS- UND GEBÜRTSCOMPLICATIONEN.
hiebei Täusdiungen keineswegs ausgeschlossen sind, haben auch diese Zeichen
keinen absoluten, sondern nur relativen Werth, sie stehen im Verhältnis zu
der Sicherheit der Untersuchungstechnik.
Die Kindsbewegungen pflegen der Mutter um die 20. Woche wahr-
nehmbar zu werden, Mehrgeschwängerte, welche dieses Gefühl zu deuten
wissen, werden die Bewegungen des Fötus früher gewahr als Erstgebärende.
Olshausen hat darauf^ aufmerksam gemacht, dass man die kindlichen
Bewegungen höreü kann, bevor sie gefühlt werden.
Auch das Fühlen von kleinen Theilen der Frucht zählt zu den sicheren
Zeichen, hier ist aber mehr noch als beim Nachweis der Bewegungen oder
der Herztöne ein Irrthum des Untersuchungsbefundes möglich, da kleine Fi-
broide, oder Carcinom-Knollen im Ascites manchmal ganz ähnliche Tast-
befunde erzeugen.
Dass man durch Auscultation des Abdomens der Mutter vom 5. Monat
ab die kindlichen Herztöne wahrnehmen kann, wurde im Jahre 1878 von dem
Genfer Arzt Major entdeckt; auf die Bedeutung dieses Befundes für die
Diagnostik hat Lejumeau de Kergaradec 1821 hingewiesen. Wird M^ährend
der Auscultation die Pulsfrequenz der Mutter und des Untersuchenden con-
trollirt, so sind Täuschungen bei zuverlässiger Unsersuchug sicher ausge-
schlossen.
Bei todten Kindern ist von diesen sicheren Zeichen natürlich nur der
Tastbefund von kleinen Theilen vorhanden, so dass auch hier die Beachtung
der anderen Schwangerschaftszeichen in den Vordergrund tritt.
Die Diagnose, ob Schwangerschaft vorliegt oder nicht, unterliegt vom
3. Monate ab auf Grund der mannigfachen charakteristischen Schwanger-
schaftszeichen in der Regel keinen Schwierigkeiten.
Eine vollständige Schwangerschaftsdiagnose hat folgende Punkte in sich
zu fassen:
1. Oh die Frau eine Erst- oder Mehrgebärende ist.
2. In ivelcher Zeit der Schwangerschaft sich die Frau hefindet.
3. Oh das Kind lebt.
4. Welche Lage das Kind einnimmt.
5. Welche Beschaffenheit der Geburtscanal hat.
6. (suh ßnem graviditatis). Welche ungefähre Grösse das Kind hat.
Zur Feststellung dieser Punkte sei auf den Artikel ^Untersuchung in
der Geburtshilfe'' hingewiesen. döderlein.
Schwangerschafts- und Geburtscomplicationen. Bringt schon die
Fortpflanzungsperiode des Weibes eine mächtige Umwälzung in einzelnen physio-
logischen Functionen, sowie besonders im ganzen Wesen des Weibes hervor,
so ist es eine bekannte Thatsache, dass Störungen in Organen, welche sonst
gar nicht das Genitale des Weibes beeinflussen, während der Fortpflanzungs-
periode ernste Complicationen hervorrufen."") Andererseits gibt es pathologische
Zustände, die nur in der Schwangerschaft und Geburt ihren Grund haben.
Von allen diesen soll im Nachfolgenden nicht die Piede sein.
Wir wollen nur jene wesentlich in Betracht kommenden Complica-
tionen der Schwangerschaft und Geburt zusammenfassen, die von den
Genitalien oder deren Nachbarschaft ausgehen und ausserdem
einer Complication Erwähnung thun, die wohl ihren Grund in Organerkran-
kungen hat, deren Begleiterscheinung aber, in Folge bestehender Circulations-
störung, die Schwangerschaft und die Geburt beeinflusst.
Nach dieser Darlegung können Schwangerschafts- und Geburtscomplica-
tionen entstehen:
1. durch entzündliche Processe,
2. durch Lageanomalien des graviden Uterus,
*) Vergl. Artikel „Interne Krankheiten ivälirend der Gravidität," pag. 437 u. ff.
SCHWANGERSCHAFTS- UND GEBURTSCOMPLICATIONEN. 737
3. durch Jumoren,
4. durch Narben^
5. durch eine extrauterine Schwangerschaft.^
6. durch Bildungsfehler des Genitcdes,
7. durch den Ascites.
1, Entzündliche Zustände.
Endometritis. Diese kommt als Complication der Schwangerschaft liäufig vor.
Entweder kann es sich dabei um eine von früher her bestehende oder um eine nach
der Conception erworbene Endometritis handeln, (y. „Endometritis", pag. 211.)
Ersteres ist der häufigere Fall. Diese durch die Schwangerschaft gesteigerte
Hyperplasie des Endometriums wird mit dem Namen Endometritis deciduae be-
zeichnet. "Wenn zwar dabei die Schwangerschaft ihr normales Ende erreichen kann,
kommt es dennoch in Folge dieser Erkrankung zu häufigen Unterbrechungen, da
die Haftfläche des Eies einerseits häufig verkleinert ist, andererseits der mit dem Ei
zusammenhängende Theil der Decidua das Ei nur mangelhaft mit Blut versorgen
kann. In höheren Graden der Endometritis deciduae haftet solchermaassen das
Ei polypenartig der Innenfläche des Uterus an.
Wegen der stärkeren Secretion des Endometriums kommt es zu wässerigen
Ausscheidungen aus der Scheide während der Schwangerschaft. Entweder sickert
continuirlich eine wässerige Flüssigkeit aus, oder sie kommt in kurzen Zeitabschnitten
stossweise zum Vorschein, Letzteres ist der Fall, wenn sich die Flüssigkeit ent-
weder zwischen der Decidua vera und reflexa oder zwischen der Reflexa und dem
Chorion angesammelt hat und durch Abhebung der Schichten bis zum Orif. intemum
vorgedrungen ist. Nach der vollständigen Entleerung eines in dieser Weise ent-
standenen Sackes kann es wieder zu einer Verklebung der Schichte in der Nähe
des Orif. internum kommen, worauf dann nach einiger Zeit sich die Flüssigkeit
wieder im Stoss entleert. Solche Säcke können auch schleimige Massen enthalten.,
die in ähnlicher Weise von Zeit zu Zeit ausgeschieden werden. Begünstigt wird dieser
Ausfluss durch den Umstand, dass es zur Bildung des Schleimpfropfes im Cervical-
canal wegen des Bestehens der Endometritis entweder gar nicht gekommen, oder, dass
dieser Schleimpfropf vorzeitig abgegangen ist. Man nennt das ganze Bild Hydror-
rhoea gravidarum, (s. d.)
Beim längeren Bestehen der Endometritis deciduae pflanzt sich der Entzün-
dungsprocess auf die Placenta über und führt zur Obliteration, entweder einzelner
Cotyledonen, oder des Placeutarrandes. Dadurch wird die Respirationsfläche der
Placenta wesentlich vermindert und das Absterben der Frucht umso leichter ermög-
licht. An der ausgestossenen Placenta sieht man dann sehnige Flecke und Knoten
und der Rand der Placenta stellt einen sehnigen Ring dar (Placenta marginata).
, Beim Bestehen der Endometritis ist das Uteruscavum immer vergrössert und
es erklärt sich daraus, dass, wenn Conception erfolgt, und das befruchtete Ei in das
Cavum uteri gelangt ist, die Anheftung des Ersteren im unteren Uterinabschnitt und
das Zustandekommen der Placenta praevia (s. d.) zu häufigen Vorkommnissen
gehört.
Das Uebergreifen des Entzünduugsprocesses auf die Placenta kann die weitere
Folge nach sich ziehen, dass es zu stärkeren Verwachsungen mit dem Uterus kommt,
was wieder Störungen in der Nachgeburtsperiode verursacht, insbesondere wegen
der erneuerten Loslösung der Placenta und wegen Zurückbleiben von Placentar-
stücken Veranlassung zu Blutungen geben kann.
Primäre Erkranliungen des Endometriums während der Schwangerschaft können
entstehen durch eine Infection von aussen; häufiger aber bildet Lues, sowie Morbus-
Brightii die Grundlage derselben. Insbesondere bei Gegenw^art des letzteren findet
man dann häufig in der Placenta Infarcte.
Das Verhalten bei der Endometritis deciduae während der Schwangerschaft ist
exspectativ.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 47
738 SCHWANGERSCHAFTS- UND GEBURTSCOMPLICATIONEN.
Parametritis. Wenn auch das Bestehen einer Beckenzellgewehsentzüudung,
oder das Vorhandensem von deren Producten, die Conception erschwert, so ist den-
noch der Eintritt der Conception dabei ein häufiges Vorkommnis. Es hängt aber
letzteres vom Grade der bestehenden Parametritis ab. Ist die Ausbreitung der
Exsudatmassen keine grosse, dann trägt im Gegentheil die Schwangerschaftscongestion
vielfacli zum Verschwinden der Exsudate bei, so dass erstere einen ungestörten Ver-
lauf nehmen kann und bei einer nach beendigtem Wochenbett vorgenommenen Unter-
suchung kerne Exsudate nachgewiesen werden können. Anders verhält es sich,
wenn Schwangerschaft eingetreten ist und die Exsudate in einer erheblichen Menge
vorhanden sind. Ganz abgesehen von der Möglichkeit der Entstehung einer extra-
uterinen Gravidität bei einem solchen Verhalten, gehören Störungen im Verlaute der
intrauterinen Schwangerschaft und der Geburt zu häufigen Vorkommnissen. Unter
ersteren- sei erwähnt die Neigung zum Abortus, welcher, wenn Conception rasch
hintereinander erfolgt, ohne dass die Exsudate resorbirt worden wären, zu einem
habituellen Abortus werden kann. Dabei sind Blutungen im Wochenbett wegen
der mangelhaften Contractionsfähigkeit des Uterus an der Tagesordnung. Hat die
Gravidität trotz des Bestehens ausgebreiteter Exsudatmassen ihren Fortgang genommen,
dann stehen während der Geburt allerlei Ueberraschungen bevor, welche seitens
der schwieligen Massen, die oft, wie im Wege stehende Tumoren wirken, bereitet
werden können.
Die Hilfeleistung richtet sich nach dem Grade des Geburtshindernisses und
kann ein solches bis in einem Maasse vorhanden sein, dass die Sectio caesarea in
Frage kommt und thatsächlich auch bereits wegen Beckenexsudaten ausgeführt werden
musste (Beeisky, Müllek).
Peritonitis. Eine allgemeine Peritonitis kommt während der Schwangerschaft
selten zur Beobachtung. Häufiger sind die circumscripten Peritonitiden. Ob es sich
nun um diese oder jene handelt, manifestiren sich die Symptome bei bestehender
Gravidität in einem erhöhten Maasse und kommt es zu um so grösseren Beschwerden,
je weiter die Schwangerschaft fortgeschritten ist. Insbesondere ist es neben der grossen
Schmerzhaftigkeit im Unterleib, der Meteorismus, welcher in Combination mit dem
vergrösserten Uterus, zu einem bedeutenden Hochstand des Zwerchfells führt und
eine bedrohliche Kurzathmigkeit mit Cyanose zur Folge hat.
Die in der Schwangerschaft entstehende Peritonitis kann entweder genuinen
Ursprunges sein oder als Folge einer inneren Incarceration von Darmschlingen
auftreten. Die Differentialdiagnose ist durch die Complication der Schwangerschaft
sehr erschwert, nachdem die Symptome beider häufig meist unter demselben Bilde
verlaufen. Dass die Prognose bei einer durch nicht diagnosticirte Incarceration ent-
standenen Peritonitis viel schlimmer ist als wie bei der genuinen, ist selbstverständlich.
Im Ganzen ist die Prognose sehr schlimm.
Auf den Verlauf der Schwangerschaft übt die Peritonitis störenden Einfluss
dadurch aus, dass bei länger dauerndem hohen Fieber die Frucht an Wärmestauung
abstirbt, was die nächste Ursache zur Unterbrechung der Schwangerschaft werden
kann; aber auch der durch den entzündlichen Process des peritonealen Ueberzuges
des Uterus auf letzteren ausgeübter Heiz kann Contractionen und einen Abortus,
beziehungsweise Frühgeburt veranlassen. Uebergrosse Schmerzhaftigkeit während der
Contractionen, protrahirter Geburtsverlauf, sowie schwere Blutungen in der Nach-
geburtsperiode und im Wochenbette steigern die Complicationen einer solchen Geburt.
Ist die Frucht nicht abgestorben und hat die Schwangerschaft einen ungestörten
Fortgang genommen, dann stehen nach geheilter Peritonitis sowohl während der
Schwangerschaft, als auch während der Geburt allerlei Beschwerden und Störungen
bevor, welche in den Adhäsionen, sowie etwaigen Exsudaten ihren Grund haben.
Die Therapie unterscheidet sich in gar nichts von jener, wenn Peritonitis ohne
Gravidität besteht. Auch die Einleitung der Frühgeburt während der Peritonitis ist
nicht angezeigt. Hingegen können die Producte der Peritonitis, nach dem dieselbe
abgelaufen ist, während der Geburt Hindernisse bereiten und zu allerlei operativen
SCHWANGERSCHAFTS- UND GEBURTSCOMPLICATIONEN. 739
geburtshilflichen Eingriffen Veranlassung geben. Bei siclier erkannter innerer In-
carceration ist durch Laparotomie die nötliige chirurgische Hilfe zu leisten.
Gonorrhoische Salpingitis. Erkrankungen der Tuben entzündlicher Natur setzen
ohnehin die Conceptionsfähigkeit herab, da, wo diese eintritt, braucht die Schwanger-
schaft im weiteren Verlaufe nicht alteriert zu werden.
Ein eitriger Catarrh der Tuben kann während der ganzen Scliwangerschaft
latent bestehen, auch bei der Geburt werden relativ wenig Störungen von dieser
Seite beobachtet, wenn man bedenkt, in welcher erschreckenden Anzahl die gonor-
rhoische Infection der Tuben anzutreffen ist. Hingegen müssen viele Fälle von puer-
peraler Peritonitis, sowie exsudative Processe des Pararaetriums auf eine Infection
des Peritoneums, beziehungsweise des Beckenbindegewebes während der Geburt in
einen Causalnexus mit einer gonorrhoischen Salpingitis gebracht werden, insofern als
es nachgewiesen ist, dass durch die Contractionen des Uterus einerseits und durch
Manipulationen während der Nachgeburtsperiode andererseits, der Tubeninhalt in
die Peritonealhöhle ausgepresst werden kann, und selbst durch die Wandungen der
Tuben die Gonococcen in das Parametrium im Laufe der Zeit gelangen können.*)
3. Lageanomalien des graviden Uterus.
Unter diesen haben die Retroflexio und Retroversio uteri gravidi die meiste
Bedeutung, insofern als dieselben wegen des häufigen Vorkommens des nicht graviden
retroflectirten oder retrovertirten Uterus zu nicht seltenen Vorkommnissen gehören
und schwere Schwangerschafts- und Geburtscomplicationen veranlassen können. That-
sächlich aber sind die Fälle häufiger als sie beobachtet werden. Meist sind es erst
die belästigenden Symptome, welche die Kranken veranlassen, ärztliche Hilfe in An-
spruch zu nehmen, wobei die Anomalie entdeckt wird. Solange der Uterus klein ist,
pflegen keine Störungen aufzutreten ; erst vom Ende des dritten Monates an, wenn
das Corpus uteri die ganze Beckenhöhle einnimmt und der Cervix die Harnröhre
gegen die Symphyse drängt, stellen sich Störungen seitens des Mastdarms und der
Blase ein. Der Stuhlgang wird erschwert, der Koth bandförmig entleert und in
höheren Graden von Retroflexion bildet sich ein starker Meteorismus aus. Viel
schlimmer sind die Druckerscheinungen auf die Urethra. Während eine Zeitlang die
Blase mühsam noch entleert werden kann, wird später die Entleerung nur tropfen-
weise, unter grosser Anstrengung möglich und schliesslich kommt es zu einer voll-
ständigen Harnverhaltung, so dass sich mehrere Liter Urin in der Harnblase an-
sammeln können.
Die Diagnose der Retroflexio oder Retroversio uteri gravidi ist nicht schwer,
wenn man die anamnestischen Momente berücksichtigt und eine genaue bimanuelle
Untersuchung vornimmt.
Hinsichtlich des Verlaufes und der Therapie muss gesagt werden, dass die
Retroversionen mitunter grössere Beschwerden verursachten und schwerer zu beheben
sind als die Retroflexionen. Daran ist der Umstand Schuld, dass bei einer Retroversion
der Uterus ohne eine besondere Spannung in seinen Wandungen nach rückwärts ge-
lagert ist, während bei einer Retroflexion die Spannung der vorderen Uteruswand
das therapeutische Vorgehen wesentlich erleichtert und die oft spontanen Aufrich-
tungen des Uterus erklärlich macht.
Ist der Uterus in der Excavatio sacri nicht eingekeilt, dann begegnet die
manuelle Aufrichtung desselben von der hinteren Vaginalwand oder vom Rectum. aus
keinen Schwierigkeiten, wenn die Blase vorher entleert wurde. Erleichtert wird diese
Manipulation, wenn die Aufi'ichtung in der Knieellenbogenlage vorgenommen wird,
wobei beim Eindringen von Luft in die Vagina der Atmosphärendruck mitwii'kt. Ein
in dieser Weise bis über das Promontorium hinaufgeschobener Uterus sinkt nicht
mehr zurück, wenn in die Vagina ein passendes Hebelpessar eingeführt wird. Sollte
*) Vergleiche den betreffenden Abschnitt im Artikel „Gonnoorhoe der iceiblichen
Genitalien^', pag. 310.
47*
740 SCHWANGERSCHAFTS- UND GEBURTSCOMPLICATIONEN.
dennoch eine Retroflexion oder -version sich neuerdings eingestellt haben, dann muss
die beschriebene Manipulation wieder vorgenommen werden und der Zweck mittelst
Jodoformgazetampous angestrebt werden.
Wenn der aufgerichtete Uterus eine Grösse erreicht hat, die das Zurücksinken
nicht mehr möglich erscheinen lässt, dann ist sowohl ein Pessar als auch die Tam-
ponade entbehiiich. Die weitere Gravidität nimmt einen ungestörten Verlauf.
Hingegen verursachen die eingeklemmten retroflectirten und retrovertirten
graviden Uteri, wenn die Aufrichtung nicht möglich ist, allerlei ernste Beschwerden,
Zunächst seitens der gefüllten Blase! Ganz abgesehen von den unerträg-
lichen Schmerzen, kann es zu Gangrän und einer Abhebung der Blasenschleimhaut
kommen, die dann in Fetzen oder im Ganzen ausgeschieden wird. Durch die blosliegende
Muscularis ist die Möglichkeit einer urämischen Intoxication gegeben. Bei einer
bis auf das Aeusserste gestiegenen Spannung der Blasenwand, ist eine Spontanruptur
der Blase nicht ausgeschlossen, insbesondere wenn auf die gefüllte Blase eine äussere
Kraft plötzlich einwirkt. Durch Cocceninvasion kann Cystitis erzeugt werden, was
insbesondere durch die Manipulation mit dem Catheter begünstigt wird. Auch sep-
tische Infectionen von der Blase ausgehend, sind dabei beobachtet worden.
Yon Seite des Uterus kann es durch die gestörten Circulationsverhältnisse zu
Haemorrhagien aus der Decidua kommen und damit der Abortus vorbereitet werden,
welches Ereigniss eigentlich als ein günstiges Omen für den weiteren Verlauf zu
betrachten ist, insofern als nach der Entleerung des Uterus das weitere therapeu-
tische Vorgehen erleichtert wird. Seitens der Vagina sind Rupturen und Gangrän
beobachtet worden.
Als äusserstes Mittel wird, wenn die Reposition nicht gelingt und behufs Ein-
leitung des künstlichen Abortus eine Bougie in den Uterus nicht eingeführt werden
kann, die Function des Eies von der hinteren Vaginalwand empfohlen.
Die Prognose hängt von der Schwere des Falles und von der Art der an-
gewendeten Hilfeleistung ab.
Hinsichtlich der Anteversio oder Änteflexio uteri gravidi als Schwangerschafts-
complication wäre zu erwähnen, dass im Falle perimetritische Adhaesionen an der
vorderen Uteruswand im Beginn der Schwangerschaft die Aufrichtung des Uterus
nicht gestatten, ein häufiger Harndrang die Kranken belästigt. Ist die Schwanger-
schaft weit vorgeschritten, dann kann sich beim Vorhandensein emer Diastase der
Recti oder allgemein schlaffen Bauchdecken eine Anteflexion herausbilden, welche
mit dem Ausdrucke Hängebauch bezeichnet wird, wobei in den höchsten Graden
der Uterus mit dem Fundus bis zu den Knieen herabreichen kann*). Ist dieser Zu-
stand an und für sich in der Schwangerschaft im höchsten Grade lästig, so gibt er
während der Geburt zu allerlei Regelwidrigkeiten Veranlassung, von welchen wir
hier den vorzeitigen Blasensprung, den Vorfall des Armes oder der Nabelschnur
und die Vorderscheitelbeineinstellung hervorheben.
Therapeutis ch sei zu erwähnen, dass sowohl in der Schwangerschaft, als auch
während der Geburt vor Allem der Uterus aufzurichten und in der aufgerichteten
Lage zu erhalten sei. Die übrigen geburtshilflichen Hilfeleistungen richten sich
nach dem vorliegenden Falle, wobei zu bemerken ist, dass die mit einem engen
Becken complicirte Änteflexio uteri gravidi die Prognose verschlimmert.
Von den weiteren Lageanomalien sei noch der Descensus und Prolapsus uteri
gravidi erwähnt. Der letztere bildet sich erst nach erfolgter Conception aus und
handelt es sich dabei immer um eine Elongatio colli supravaginalis.
Die Beschwerden beim Descensus uteri gravidi gleichen im Beginne der
Schwangerschaft jenen des nicht graviden descendirten Uterus, welchen durch ein
Pessar begegnet werden kann. Hingegen erheischt der complete oder incomplete
Prolaps des graviden Uterus eine erhöhte Aufmerksamkeit. Wenn auch Incar-
cerationen im Beginne der Schwangerschaft selten vorkommen, so muss die bei einem
*) Vid. Artikel „Hängebauch'^ pag. 339.
SCHWANGERSCHAFTS- UND GEBURTSCOMPLICATIONEN. 741
jeden Prolaps sich ausbildende CoUumelongation um so ernster genommen worden,
als bei der Geburt daraus oft die schwersten Complicatioiien resultiren. Der Cervix-
canal kann oft eine Länge von 10 cm und darüber erreichen und das Eintreten
des vorliegenden Fruchttheils in demselben oft unmöglich gemacht werden, so, dass
sogar die Sectio caesarea in Frage kommen kann. So schwer diese Complication
bei der Geburt in die Waagschale fällt, so leicht ist die Hilfeleistung beim Fehlen
einer Incarceration während der Schwangerschaft, da durch Messungen nachgewiesen
wurde, dass das Zurückschieben des prolabirten Uterus, beziehungsweise der prola-
birten Yagiualportion allein, eine bedeutende Verkürzung des elongirt gewesenen
Collums sofort zur Folge hat. Wenn dann der Uterus durch ein passendes Pessar
vor einem abermaligen Herabsteigen aufgehalten wird, dann kann die Schwanger-
schaft einen ungestörten Verlauf nehmen und auch die Geburt bringt keine Ueber-
raschung.
3. Tumoren.
Die Schwangerschaft und Geburt können vom Uterus oder seinen Adnexen,
ferner von den Beckenknochen, dem Mastdarm, den Bauchdecken, den Nieren, der
Leber und der Milz ausgehende Tumoren compliciren. Auch ein in der Blase ent-
lialtener Blasenstein ist im Stande ernstere Geburtscomplicationen hervorzurufen.
Ferner sei erwähnt, dass auch in grösserer Menge angestaute feste Kothmassen dem
andrängenden Fruchttheil hinderlich im Wege sein können.
Fibrome des Uterus. Je nach dem Sitz derselben pflegt die Complication
durch diese eine grössere oder mindere zu sein. Subperitoneal liegende Fibrome
pflegen keine Störungen hervorzurufen, wenn sie sich am oberen Abschnitt des Uterus
befinden. Interstitielle und submucöse Fibrome bedingen ernste Gefahren.
Gehören schon während der Schwangerschaft häufig vorkommende Blutungen,
welchen, der Abortus zu folgen pflegt, zu gewöhnlichen Vorkommnissen bei Gegen-
wart interstitieller und submucöser Fibrome, so sind, wenn die Schwangerschaft
nicht unterbrochen wurde, diese je nach der Grösse derselben ein ernstes Geburts-
hindernis, während in der Nachgeburtsperiode und nach der Geburt heftige Blutungen
dann eintreten, wenn die Placenta, speciell bei interstitiellen Fibromen an jener
Stelle gesessen ist, wo der Tumor liegt.
Die Diagnose ist je nach dem Sitze des Tumors leicht oder schwer. Während
der Schwangerschaft pflegen die Tumoren an Grösse beträchtlich zuzunehmen.
,^ Hinsichtlich der Therapie sei zunächst erwähnt, dass, wenn nicht heftige Blutun-
gen zu einem activen Vorgehen auffordern, in der Schwangersehaft ein zuwartendes
Verhalten zu beobachten sei, jene Fälle ausgenommen, wo es sich um eine subperitone-
ales im Becken liegendes Fibrom handelt. Da bei einem solchen Fibrom durch
die Schwangerschaftscongestion leicht eine^ Incarceration des Tumors im Becken ent-
stehen könnte, muss bei Zeiten dafür gesorgt werden, denselben aus dem kleinen
Becken emporzuheben, was in der Knieellbogenlage leichter möglich ist. Aehnliche
Eepositionsversuche müssen auch während der Geburt vorgenommen werden. Gelingt
die Reposition nicht, so sei hier gleich bemerkt, dass bei Fibromen mittlerer Grösse
die Compression derselben durch den andrängenden Fruchttheil in einem oft so über-
raschendem Grade zustande kommen kann, dass die Geburt spontan erfolgt oder
durch verkleinernde geburtshilfliche Operationen beendigt werden kann. Dabei ge-
hören Spontanrepositionen des im Wege gelagert gewesenen Fibroms zu nicht seltenen
Vorkommnissen. Am leichtesten wird Hilfe geschaffen bei submucösen, poh'pös in
den Cervix oder in die Vagina hineinragenden Fibromen. Eine typische Abtra-
gung solcher macht die Geburtswege frei. Auch die von den Muttermundslippen
ausgehenden Fibrome lassen sich durch Spaltung der Capsel und Ausschälung des
Tumors in typischer Weise leicht entfernen.
Da, wo das Fibrom eine grosse Ausdehnung besitzt und keine Aussicht auf
Freimachen der Gcburswcgo durch vaginale Eingriffe besteht, tritt die Laparotomie
aus doppeltem Grunde in ihre Rechte : erstens als entbindende Operation und
742 SCHWANGERSCHAFTS- UND GEBÜRTSCOMPLICATIONEN.
zweitens als Kadicaloperation bei Fibromen. HinsicLtlich der letzteren gelten die
für die Therapie der Fibrome maassgebenden Grundsätze ; hinsichtlich der ersteren
sei hier bemerkt, dass da, wo ohne Vorhandensein der Schwangerschaft bei der
Myomotomie die supravaginale Amputation des Uterus indicirt erscheint, als entbin-
dende Operation die PoKEo'sche Kaiserschnittinethode zu wählen sei.
Inbezug auf die Fruchtlagen bei Complication der Schwangerschaft mit Fi-
bromen sei bemerkt, dass Querlagen und Beckenendlagen zu häufigen Vorkommnissen
gehören. Toloczinow fand bei 48 Fällen 25 Mal die Kopflage, 13 Mal eine Becken-
endlage und 10 Mal eine Querlage.
Ovarialtumoren. In der Schwangerschaft entsteht durch dieselben eine Störung,
wenn der Ovarialtumor zu gross ist oder im Becken gelagert ist. Im ersteren
Falle kann durch den Druck des Ovarialtumors auf den Uterus, Abortus hervor-
gerufen werden, ferner wegen mangelhafter Blutversorgung die Frucht absterben
und eine Frühgeburt nachfolgen; im letzteren Falle können sich Störungen seitens
des Mastdarms und der Blase einstellen oder Incarceration des Tumors ent-
stehen.
Der Sitz des Tumors ist entweder seitlich vom Uterus (der häufigste Fall),
hinter demselben oder unterhalb des Uterus, am seltensten vor dem Uterus. Uebt
der Ovarialtumor einerseits auf den Uterus einen Einfluss aus, so äussert sich der
Einfluss des graviden Uterus auf den Ovarialtumor in einem viel höheren Maasse als dies
bei Fibromen der Fall ist. Kann schon durch den Druck eines hochschwangeren
Uterus eine Berstung der Ctjste erfolgen, so ist dieses Ereignis um so leichter
möglich, wenn eine Stieltorsion erfolgt ist. Je nachdem der Inhalt der Cyste be-
schaffen war und je nachdem der Cysteninhalt sich intra- oder extraperitoneal er-
gossen hat, ist die Prognose verschieden. Bei parovarialen oder colloiden Cj'sten
bedeutet die Berstung der Wandung und Erguss des Cysteninhaltes auch in das Peri-
tonialcavum nicht viel, im Gegentheil durch das Verschwinden des Cystentumors
hört auch die durch denselben bedingte Schwangerschaftscomplication auf. Anders
verhält es sich, wenn der Cysteninhalt Eiter oder Jauche war und der Erguss intra-
peritoneal erfolgt ist ; letalverlaufende Peritonitiden sind die unmittelbare Folge.
Nebst den durch die Berstung erfolgten Complicationen können Stieltorsionen
auch Gangrän der Cystemvandung zur Folge haben. Auch Berstungen von Blut-
gefässen mit intercystösen Blutungen können sich einstellen. Die letzteren erreichen
oft einen Grad, dass Verblutung erfolgen kann.
Nicht unerwähnt seien hier auch die durch das Vorhandensein einer Cyste
bedingten Darmincarcerationen mit ihren Folgen.
Bei der Geburt sind insbesondere jene Ovarialtumoren von Bedeutung, welche
sich im Becken befinden. Sie bilden dann ein räumliches Missverhältnis, das zur
Entstehung von Uterusrupturen, oder Zerreissungen des Scheidengewölbes Veranlas-
sung geben kann. Spontanreposition des Tumors nach vorheriger Abspaltung desselben
oder Rupturen der Cystenwandung gehören nicht zu Seltenheiten. Hingegen kann
durch die nach dem Austreten der Frucht plötzlich erfolgte Raumvergrösserung im
Abdomen wieder eine Veranlassung zu einer Stieltorsion gegeben werden, während
andererseits durch das Herabsinken eines bis dahin oberhalb des Beckeneingangs
gewesenen Ovarialtumors in das kleine Becken die Placentarperiode eine Störung
erfahren kann.
Im Wochenbett kommen Störungen vor, wenn sich eine Stieltorsion heraus-
gebildet hat, andererseits kann ein im Becken befindlicher Tumor eine Lochiometra
bedingen.*)
Die Diagnose der Ovarialtumoren während der Schwangerschaft ist nicht
schwer, wenn der Tumor grösser ist, hingegen entziehen sich oft kleinere Tumoren,
oder solche, die hinter dem Uterus liegen, der Beobachtung. Dass der Ovarial-
tumor die Schwangerschaft complicirt hat, wird aber auch oft erst bei einer wegen
*) Vergl. Artikel ..LoeJiien", pag. 499.
SCHWANGERSCHAFTS- UND GEBURTSCOMPLICATIONEN. 743
einer Ovarialcyste vorgenommene Laparotomie diagnosticirt, woljci Schwangerschaft
entdeckt wird.
Hinsichtlich der Therapie während der Schwangerschaft stciht die Laparotomie
oben an. Sie ist schon wegen der Cyste allein das Hauptverfahren und soll da,
wo zur Vornahme von Laparotomien Vorsorge getroffen ist, schon prophylactisch
während der Schwangerschaft ausgeführt werden. In zweiter Linie kommt die
Function in Frage, und zwar solche durch die Bauchdecken oder durch die Vagina
und erst in dritter Linie muss die künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft
in Betracht gezogen werden.
"Während der Geburt muss bei kleinen im Becken liegenden Tumoren immer
der Versuch einer manuellen Reposition entweder von der Vagina oder vom Rectum
aus in der Knieellenbogenlage vorgenommen werden. Gelingt die Reposition nicht,
dann muss derselben die Function oder ein diagnostischer Punctionsversuch folgen.
Hier sei gleich erwähnt, dass im Becken befindliche durch den andrängenden Frucht-
theil einem starken Druck ausgesetzte cystische Tumoren das Vorhandensein eines
soliden Tumors vortäuschen können, weshalb unter allen Umständen ein Punctions-
versuch gemacht werden muss, welcher bei Wahrung aller Regeln der Antiseptik und
Aseptik als ganz gefahrlos zu betrachten ist. Wurde die cystische Natur des Tumors
durch die Function erkannt, hatte sich aber gleichzeitig dabei herausgestellt, dass der
Tumor vielkämmerig sei, dann empfiehlt es sich an jener Stelle, wo die Function
versucht wurde, eine Incision zu machen. Dabei kann der Vorschlag berücksichtigt
werden, dass vor einem tieferen Eingehen in die Cystenräume die Cystenwandung
mit der Vaginalwunde jederseits vernäht werde.
Bei Cj^sten, die von der Vagina leicht zugänglich sind, kann auch die Mög-
lichkeit einer vaginalen Ovariotomie in Betracht gezogen werden.
Ist durch die Function das Vorhandensein eines soliden Tumors erwiesen
worden, dann stehe man von einer Incision ab und gehe so vor, wie bei Fibromen
dargelegt ^urde.
Die geburtshilflichen Operationen richten sich je nach dem vorliegenden Fall,
am häufigsten kommt es zu einer Kraniotomie. Wendungen geben schlechte Resul-
tate. Man halte aber hinsichtlich der geburtshilflichen Operation an dem Grundsatz
fest, nie roh vorzugehen und lieber da, wo ausgebreitete Verletzungen durch eine
vaginale Entbindung voraus zu sehen sind, eine Laparotomie und Sectio caesarea
auszuführen, welche, unter günstigen Bedingungen vorgenommen, noch immer eine
bessere Prognose gibt, als wie andere roh angestellte Entbindungsversuche. Auch
das kindliche Leben kann durch die Laparotomie gerettet werden.
Es wird sich bei so mancher, zu diesem Zweck vorgenommenen Laparotomie
herausstellen, dass man mit der blossen Entfernung des Tumors sein Auskommen
findet und hierauf die Austreibung der Frucht auf dem natürlichem Wege den
Uteruscontractionen überlassen werden kann.*)
Von anderen die Schwangerschaft und die Geburt complicirenden Tumoren
seien hier die Bauchäeckentumoren genannt und von diesen die von den Fascien aus-
gehenden Fibrome hervorgehoben, welche mitunter den Beckeneingang derart über-
dachen können, dass die Sectio caesarea in Frage kommt und auch thatsächlich aus-
geführt werden musste. (Eheendoefer u. A.).
Ferner bilden den Gegenstand einer Schwangerschafts- und Geburtscomplication
ab und zu, die vom präperitonealen Fett ausgehenden Lipome^ ferner Nierensar-
come, Echinococcus der Leber, eine luxirte zum Beckeneingang herabgelangte leu-
kämische Milz, Hämatocele retrouterina etc.
Relativ häufiger werden in der Blase befindliche Steine als ein Schwangerschaft-
und Geburtshindernis gemeldet. Gelingt die Reposition über den Beckeneingang
nicht, dann kann in der Schwangerschaft die Litholapaxie in Frage kommen, wähi'end
*) „Carchiom der Scheide" und „Carcinom des Uterus" als Schwangerschafis- und Ge-
burtscomplication vide pag. 142, bezw. 146.
744 SCHWANGERSCHAFTS- UND GEBUETSCOMPLICATIONEN.
in der Geburt eventuell durch die Entfernung des Steines durch den Blasenschnitt
mit nachfolgender Blasennaht, angestrebt werden muss.
4. Narben.
Dazu gehören Narben von geheilten, conservativ behandelten Kaiserschnitten
Narben nach geheilten Uterusrupturen, Narben und narbige Stenosen der Vagina-,
mit ausgebreiteten Narben complicirte Blasencervix- und Blasenvaginalfisteln.
Das Verhalten ' der Kaiserschnittnarben nach Anwendung der alten Methode
(ohne Uterusnaht) bei nachfolgender Schwangerschaft hat Kkukenberg genau verfolgt.
In der Literatur fand Kkukenbeeg 13 Fälle, wo die Ruptur im Bereiche der alten
Kaiserschnittnarbe entstanden war und zum vollständigen Austritte des Fötus aus
dem Uterus in die Bauchhöhle führte. Die Ruptur erfolgte ausnahmslos schon in
der nächsten Gravidität, respective Geburt und wiederholte sich noch in zwei Fällen
der folgenden Schwangerschaft. In vier Fällen erfolgte die Ruptur in der zweiten
Hälfte der Gravidität, in neun Fällen während der Geburt. Ausserdem fand Kkuken-
berg fünf Fälle, wobei keine völlige Zerreissung der Narbe erfolgte, sondern wo
sie nur massig auseinander wich, so dass der Fötus im Uterus blieb. Winckel sen.
beobachtete von vier Frauen, welche nach dem ersten Kaiserschnitte wieder gravid
wurden, bei zweien eine Uterusruptur und wiederholte sich bei einer derselben die
Ruptur noch einmal. Kkukenbeeg hält Divertikel der Uteruswandung, deren Ent-
stehung durch Anwachsung der Uterusnarbe an die Bauchdecken begünstigt wird,
für prädisponireud für die Ruptur.
Die SÄNGEK'sche Kaiserschnittmethode, bei welcher eine exacte Uterusnaht an-
gelegt wird, hat diese von Kkukenbekg erwähnte Prädisposition wesentlich herabgesetzt.
Trotzdem aber sprechen einerseits die bei nachfolgenden Kaiserschnitten gemachten
Wahrnehmungen, anderseits jene Beobachtungen, dass trotz der exacten Uterusnaht
bei nachfolgenden, den Naturkräften überlassenen Geburten oder per vias natu-
rales in Angriff genommenen und beendigten Entbindungen, sowohl die Prädisposi-
tion zu Rupturen besteht, als auch Rupturen erfolgt sind. Aus der Literatur ist
ersichtlich, dass mau die Uterusuaht des letzten Kaiserschnittes während der Wehe
durch die ganz dünnen Bauchdecken in „äusserster Verdünnung" mit den
verschiedenen Nahteinschnitten und dazwischen liegenden Vorbuchtungen beobachten
und die Silberdrähte deutlich fühlen konnte. Die letzteren ragten, wie man sich
während des zweiten Kaiserschnittes überzeugen konnte, mit ihren Enden in die
Gebärmutterhöhle hinein. Dass aus einer „äussersten Verdünnung", wenn nicht bald
die Uteruswandung künstlich entspannt wird, eine Ruptur entsteht, ist wahrscheinlich.
Birnbaum berichtet über eine Frau, an welcher fünfmal der alte Kaiserschnitt
ausgeführt wurde. Es wurde, wenn auch nicht wie heute, der Uterus genäht.
Jedesmal sah man am unteren Ende der Narbe eine mit Blut gefüllte blasige Ab-
hebung des Peritoneums (subperitoneales Hämatom) als erste Andeutung einer bevor-
stehenden Zerreissung im Bereiche der alten Narbe.
In einem vom uns beobachtem Falle von conservativen Kaiserschnitt, wo bei
der darauf folgenden Schwangerschaft die künstliche Frühgeburt eingeleitet wurde im
Verlaufe der Geburt aber die Wendung ausgeführt werden musste, konnte eine Ruptur
der alten Narbe constatirt werden. Dabei hat es sich herausgestellt, dass die Narbe
durch eine bandförmige Adhaesion an die Bauchdecken fixirt war. Aus all dem Ge-
sagten wird das therapeutische Handeln dahin zu richten sein, durch rechtzeitige
Inangriffnahme eines neuerlichen Kaiserschnittes die Berstung der alten Narbe zu
verhindern.
So wie mit den Kaiserschnittnarben verhält sich ähnlich mit den Narben nach
geheilten TJterusrtipturen. So berichtet Rosifi über eine Frau, bei welcher viermal
die Ruptur erfolgte mit Austritt der Frucht in die Bauchhöhle. Albeets behandelte
eine complete Ruptur bei einer Frau mit engem Becken, bei welcher früher bereits
eine incomplete Ruptur entstanden war. Wenzel beschrieb zwei Fälle, wo sich
die Ruptur wiederholte und wollen wir bei einem dieser Fälle hervorheben, dass das
SCHWANGERSCIIAFTS- UND GEBUßTSCOMPLICATIONEN. 745
vorgefallene Omentum in den Riss einheilte und zum Tlieil gangränescirte, worauf
dann bei der nächsten Gehurt an dieser Stelle neuerlich eine Ruptur entstand.
Sehr interessant ist der von C. Breus mitgetheilte Fall, welcher illustrirt,
dass nicht alle Uterusrupturen in der Weise ausheilen, dass eine Continuität der
Muskelsubstanz hergestellt wird, sondern, dass an Stelle der Ruptur ein Spalt
persistiren kann, der zu einem gegen die Peritonealhöhle abgeschlossenen Cavum
zwischen den Blättern des Lig. lat. führt. Auch Rokitansky (Lehrbuch der path.
Anatomie, 1861) sah solche persistirende Defecte der Uteruswandung nach Rupturen.
Hingegen wurden von Bandl, Rakin und Lederer u. A. Fälle bekannt, wo die
Frauen bei neuerlichen Geburten ohne Uterusruptur niederkamen. In dem von Bandl
beschriebenen mit einem engen Becken cemplicirten Falle wurde die künstliche Früh-
geburt eingeleitet. Breus hat auch aufmerksam gemacht, das Oertlichkeit, Grösse
des Risses, Dauer und Ausdehnung der Extravasation, sowie verschiedene andere
Complicationen auf die Art der Ausheilung der Rupturen einen Einfluss üben.
Es scheint, als ob jene Fälle, wo der Riss sass und mit einer weiten Abhebung
des Peritoneums, sowie einem weiten Auseinandergehen der Blätter des Lig. lat.
verbunden war, für die Entstehung einer neuerlichen Ruptur disponiren möchten.
Ferner auch jene Fälle, wobei das vorgefallene und in die Wunde eingeheilte Omen-
tum eine solide Verwachsung der Rissränder verhinderte. Auch ist die Annahme
nicht von der Hand zu weisen, dass das enge Becken, welches bei der Austreibung
der Frucht eine grössere Anforderung auf die Leistung des Corpus uteri stellt, eine
Wiederholung der Cervixrupturen begünstigt.
Bandl schlug vor, bei einer neuerlichen Gravidität die künstliche Frühgeburt
einzuleiten. Wir glauben, die Prophylaxis bei solchen Fällen dahin zusammenfassen
zu dürfen, dass bei Verhältnissen, wie sie oben geschildert sind, die künstliche
Frühgeburt einzuleiten, während bei normalem Becken zuzuwarten w"äre. Jedenfalls
ist sowohl während der Gravidität, als auch insbesondere während der Geburt die
grösste Vorsicht dringend geboten.
Nach Verletzungen der Vagina bei Geburten, ferner bei Anwendung starker
Aetzmittel auf die Schleimhaut, sowie nach einer diphtheritischen Erkrankung der
Vaginalschleimhaut und nach gangränösen Processen im Wochenbett, können narbige
Stenosen der Vagina entstehen und sind die hochsitzenden mit einer Stenose des
Cervicalcanals, die tiefsitzenden mit einer Stenose der Vulva meist combinirt. Je
nach dem Grade der Verengerung verursachen sie ein grösseres oder kleineres
Geburtshindernis. Breitbasige Narben können die schwersten Geburtscomplicationen
veranlassen.
Das therapeutische Handeln wird einerseits vom Sitz der Stenose, anderer-
seits von deren Grad abhängen. Bei tiefsitzenden wird von der Einleitung einer
künstlichen Frühgeburt viel zu erhoffen sein und kann, wenn der andrängende Frucht-
theil die stenosirte Partie nicht selbst erweitert, durch Incisionen nachgeholfen
werden. Bei hochsitzenden narbigen Stenosen kann zu diesen Eingriffen nur bei
Vorhandensein nicht zu dicker Narbenmassen angerathen werden. Auch würde es
sich empfehlen schon während der Schwangerschaft die Dilatation der stenosirten
Stelle anzustreben; da, wo dies nicht geht, ist es rathsam lieber die Schwangerschaft
nicht zu stören und im Beginn der Wehen genau zu beobachten, ob nicht jetzt die
Dilatation vor sich gehe. Doch warte man nicht gar zu laug, sondern entschliesse sich
lieber zum Kaiserschnitt, der in vielen Fällen der einzige Ausweg ist. Je früher man
den Eingriff unternimmt, umsomehr Aussicht hat man, sowohl das mütterliche als auch
das kindliche Leben zu erhalten. Bei Kaiserschnitten, welche durch hochsitzende
narbige Stenosen indicirt sind, ist nur die PoEEo'sche Methode zu wählen, da selbst
in jenen Fällen, wo die stenosirte Stelle eine deutliche Lücke gebildet hat, bei
einem conservativen Kaiserschnitt, wenn sonst alles glatt verlauft, imbehebbare
Lochiometra die unausbleibliche Folge ist.
Einen Fall von hochgradiger narbiger Vaginalstenose in Combination mit einer
«ervixstenose bei einer Gebärenden haben auch wir in jüngster Zeit zu beobachten
746 SCHWANGERSCHAFTS- UND GEBURTSCOMPLICATIONEN.
Gelegeulieit gehabt. Alle per vaginam angestellten Versuche, die stenosirte Stelle zu
dilatiren blieben erfolglos und auch trotz kräftiger Wehen hat sich die stenosirte
Stelle nicht dilatiren lassen, während darüber die CoUumdehnung immer bedrohlicher
wurde. Auch wir haben die Geburt durch die PoEKo'sche Operation beendigt und
können sowohl für die Mutter als auch das Kind einen günstigen Ausgang ver-
zeichnen.
Xarben, die in Combination mit Blasenscheidenfisteln vorkommen, haben nur
dann eine Bedeutung, wenn durch die Narben eine Verziehuug der Vagina ent-
standen ist und die Narben sich sehuenartig gegen das Vaginallumen vordrängen.
Incisionen je nach Bedarf angebracht, stellen die für die Geburt nöthigen räum-
lichen Verhältnisse her.
5. Extrauterine Schwangerschaft.
Fälle, wo die intrauterine Gravidität gleichzeitig mit einer extrauterinen com-
binirt ist, also Zwillingsschwangerschaft dieser Art, stehen nicht mehr in der Be-
obachtung vereinzelt da. Die Literatur weist bis zum Jahre 1890 44 Fälle auf. Aus
der Beschreibung dieser Fälle ist zu entnehmen, dass das Zustandekommen dieser
Zwillingsschwangerschaft auf einer Superfoetation beruht, wobei aus einer Ovulations-
periode ein befruchtetes Eichen sich in der Tube festgesetzt hat, während ein befruch-
tetes Eichen aus einer andern Ovulationsperiode sich intrauteiiu zu entwickeln
beginnt. Hinsichtlich des sich ektopisch entwickelnden Eichens, wird als dessen Sitz in
der Literatur nur die Tuba genannt und von dieser, wie es bei den Tubenschwanger-
schaften in der überwiegenden Mehrzahl der Fall ist, die linke. Uebereinstimmender
Weise erfolgt zunächst die Schwängerung der Tuba und erst secundär in einer der
nächsten Ovulationsperioden jene des Uterus, so dass der tubare Zwilling immer
der ältere ist.
Der Verlauf der Schwangerschaft ist selten so, dass beide Früchte zur Reife
gelangen. Beeinflusst durch den extrauterinen Fruchtsack, können sich in einer
beliebigen Schwangerschaft Contractionen des Uterus einstellen, mit welchen das
intrauterine Ei ausgeschieden wird. Vielleicht trägt zur vorzeitigen Unterbrechung
der intrauterinen Gravidität auch der Umstand bei, dass es zu einem vorzeitigen
Absterben der intrauterinen Frucht kommt. Wenigstens ist aus den 44 aus der
Literatur bekannten Fällen ersichtlich, dass von den intrauterinen Früchten nur
7 lebend geboren wurden. Ob es mit dem Absterben des uterinen Zwillings gleich-
zeitig auch beim extrauterinen ebenso häutig zum Absterben kommt, konnte bis jetzt
nicht ermittelt werden, da diese Art der Zwillingsschwangerschaft primär erst einmal
zuverlässig diagnosticirt wurde, während nur ein Theil der übrigen Fälle als solche
erst nach der Geburt des intrauterinen Zwillings erkannt wurde. Dass der tubare
Zwilling nach der Geburt des intrauterinen, auch wenn letzterer schon vor längerer
Zeit abgestorben war, fortleben kann, ist aus der Beobachtung erwiesen.
Trotz der Thatsache, dass während der Contractionen des Uterus die gravide
Tuba mit dem Eisack bersten und die Frucht in die Bauchhöhle austreten kann,
worauf dann ein secundärer Fruchtsack, bestehend aus Pseudomembranen, Darm-
wandungen und Netz sich entwickelt, kann die Frucht weiter fortleben, wenn der
Tubarriss an einer Stelle erfolgt ist, wo keine namhaften Blutgefässe liegen und
wenn er nicht in dem Bereich der Placenta zu liegen kam. Dass die Lebens-
bedingungen nicht so sind, wie zur Zeit als noch das Ei intact gewesen ist, erhellt
daraus, dass von den tubaren Zwillingen keiner lebend gewonnen wurde.
Die Diagnose dieser Anomalie ist selbstverständlich sehr schwer zu stellen.
Wie schon erwähnt, wurde nur ein einziger Fall primär diagnosticirt. In einer An-
zahl der Fälle halfen die Schwangeren selbst die Diagnose stellen, indem sie nach
der Geburt des intrauterinen Zwillings die Angabe machten, dass sie Fruchtbewe-
gungen weiter verspüren. Dann ist die Sicherstellung der Diagnose nicht schwer,
wenn man eine gründliche Untersuchung vornimmt, wobei auf die Benützung des
Stethoskopes nicht zu vergessen ist. Dass nach dem Absterben der Frucht Ver-
SCIIWANGERSCHAFTS- UND GEBURTSCOMPLICATIONEN. 747
weclisluügen mit Ovarialgeschwülsten oder Uterustumoren vorkommen können, liegt
auf der Hand.
Die Therapie muss vom Standpunkte der extrauterinen Schwangerschaft auf-
gefasst werden. Hier sei nur erwähnt, dass von 19 Müttern, welche nicht operirt
wurden, 11 starben,
6. Bildungsfehler der Genitalien.
Uterus hicornis. Den Doppelmissbildungen des Uterus*) kommt man dann am
leichtesten anf die Spur, wenn bei der Untersuchung eine Verdoppelung der Scheide
constatirt wird, es liegt dann die Vermuthung nahe, dass auch der Uterus eine
Störung in der embryonalen Entwicklung erfahren hat. Dass bei den Verdoppelungen
des Genitales auch Gravidität eintreten könne, liegt auf der Hand und existirt in
der Literatur bereits eine grosse Beobachtungsreihe. Je nach der Art der Missbildung
des Uterus wird die Diagnose dieser Complication in der Schwangerschaft und während
der Geburt verschieden schwer sein. Auch die Schwere der Schwangerschafts- und
Geburtscomplication bei Verdoppelung der inneren Genitalien hängt von der Art der
Missbildung ab. Bei Verdoppelungen des Uterus, sind verschiedene Unterarten
möglich; zunächst die volle DupUcität, bei welcher auch zwei Vaginen anzutreffen
sind. Es kann entweder ein Uterus geschwängert werden oder beide Uteri. Durch
die doppelte Vagina aufmerksam gemacht, ist die Diagnose nicht schwer. Man findet
den geschwängerten Uterus entsprechend verlagert und vergrössert und den leeren
Uterus diesem seitlich aufsitzend. Durch eine Sondenuntersuchung lässt sich nach-
weisen, dass eben der zweite Uterus leer ist.
Sind beide Uteri geschwängert und die Schwangerschaft etwas vorgeschritten,
dann ermöglicht der tiefe Einschnitt zwischen den beiden Uteruskörpern die Diagnose
und schliesst die Vermuthung, dass es sich um einen Uterus arcuatus handle, aus,
nachdem bei letzterem nicht eine Trennung der Uteruskcrper, sondern nur eine Ver-
tiefung im Bereiche des Grundes handelt, welche die Andeutung der Zweitheilung
hervorbringt. — Bei der Schwangerschaft nur eines Uterus pflegen keine Störungen
zu entstehen. Sind beide Uteri gravid, dann kann das Ei des einen durch jenes des
andern im Wachsen beeinflusst werden und eine vorzeitige Unterbrechung der
Schwangerschaft einer oder beider Seiten die Folge sein. Auch liegt es nahe, dass
bei der Geburt Complicationen seitens der Früchte entstehen können, wenn die
Schwangerschaft bereits weit fortgeschritten war.
Handelt es sich um einen Uterus duplex septus, dann sind hinsichtlich der
Schwängerung desselben ähnliche Arten möglich, wie bei vollkommen Getrenntsein der
Uteri. Hinsichtlich des Verlaufes der Schwangerschaft sei aber erwähnt, dass Abortus
zu häufigen Vorkommnissen gehört und die Zerreissung der Scheidewand während
der Geburt verbunden mit starken Blutungen vorkommen kann.
Handelt es sich um eine vollkommene Trennung der Uteri oder um einen
Uterus duplex septus, dann kommt es immer im leergebliebenen Uterus während der
Schwangerschaft zur Bildung einer Decidua, die sich im Wochenbette exfoliirt und
ausgestossen wird.
Der Uterus hicornis arcuatus ist aus der Form nicht schwer zu erkennen. Bei
demselben kann es auffallen, dass die eine Hälfte weich, die andere härter ist, wenn
das Fruchtwasser nach einer Hälfte verdrängt ist, während sich in der anderen der
Steiss oder der Kopf der Frucht befindet. Bei der Geburt ist die Frucht meist in
einer Querlage.
Uterus unicornis. Ist ein Uterushorn rudimentär geblieben, während das andere
zu einer vollen Entwicklung gelangt ist, handelt es sich also um einen Uterus uni-
cornis und wird das entwickelte Hörn geschwängert, dann kann aus der Gestalt und
Lage des schwangeren Uterus auf diese Anomalie geschlossen werden. Die Schwanger^
Schaft und auch die Geburt braucht dabei keine nennenswerthen Störungen zu er-
*) Vergl. „Bildiüigsanomalien der weiblichen Sexualorgane" , ]}ag. 101. u. ff.
748 SELBSTENTWICKELUNG UND SELBSTWENDUNG.
fallreu. Anders yerliält es sich, wenn das rudimentäre Hörn geschwängert wurde;
zufolge der schwachen Entwicklung der Wandungen derselben kommt es zu häufigen
Berstungen. Bleibt diese aus und entwickelt sich das Ei im rudimentären Hörn
weiter, dann ist die Diagnose ungemein schwer zu stellen und wird meistens eine
Tubeugravidität angenommen. Für die Therapie ist dies auch gleichwerthig, nachdem
bei einer Schwangerschaft im rudimentären Hörn die Exstirpation des Fruchthalters
gerade so wie bei einer Tubengravidität angezeigt erscheint.
Von den häufigsten Missbildungen der Scheide wären jene zu nennen, wo ent-
tceder das ganze Scheidenrohr oder ein Theil desselben durch eine gerade von vorne
nach rüchvärts gerichtete Wand getrennt ist. Bei vollständiger Wand sind zwei Va-
ginen anzutreifen und selbstverständlich auch zwei Vaginalportionen und zwei Hymen.
Zwei vollständig getrennte Hjanen findet mau auch, wenn die Scheidewand den unteren
Antheil des Scheidenrohres einnimmt, während im oberen Autheil eine Communication
beider Vaginen besteht. Es kann aber auch eine von den Vaginen in dem Sinne
rudimentär entwickelt sein, dass nur der obere Antheil der Vagina besteht und seitlich
von der vollkommen entwickelten Vagina einen Abschluss findet. Wenn diese rudi-
mentäre Vagina mit einem dazu gehörigen Uterus communicirt, dann muss sich das
Menstrualblut in der einen Vaginalhälfte ansammeln und einen Tumor bilden, welcher
unter dem Namen Haematokolpos lateralis bekannt ist. Es braucht nicht erst er-
wähnt zu werden, dass wenn die freie Seite geschwängert wurde, während der Ge-
burt Complicationen seitens des erwähnten Tumors resultiren können, die in operativer
Weise beseitigt werden müssen.
Die ganze Vagina durchsetzende Septa erzeugen gewöhnlich keine Geburts-
complicationen bis auf den Umstand, dass das Septum während der Geburt zerreissen
kann. Septa, die nur den unteren Abschnitt der Vagina einnehmen, verhalten sich
ebenso, wie die eben erwähnten, wenn der andrängende Fruchttheil das Septum nach
der Seite geschoben hat; geschieht letzteres nicht, dann kann sich der Fruchttheil
am oberen Kande des Septums anstemmen und das weitere Vorrücken verhindern,
wie wir in einem Falle zu beobachten Gelegenheit gehabt haben. Durch eine partien-
weise doppelte Unterbindung des Septums und der Trennung der dazwischen liegenden
Theile wird das Geburtshindernis beseitigt.
7. Ascites.
Als Complication der Schwangerschaft kommt der Ascites selten vor und ist
dann immer als Begleiterscheinung irgend eines anderen Grundleidens, insbesondere
von Herzfehlern anzusehen. Seltener trifft man bei Morbus Brightii während der
Schwangerschaft trotz anderweitiger bedeutender Transsudationen einen Ascites an.
Auch Beckenexsudate werden, wenn sie Stauung hervorrufen als Ursache von Ascites
genannt.
Geringer Ascites braucht für die Schwangere keine weiteren Belästigungen zu
bedingen, hingegen gibt ein hochgradiger Ascites Veranlassung zur Function. Diese
kann, wenn der Uterus noch nicht sehr ausgedehnt ist, in der Linea alba, bei vor-
schrittener Schwangerschaft an der Seite gemacht werden. Trotz der Entleerung der
ascitischen Flüssigkeit pflegen dennoch Frühgeburten nachzufolgen, was im Grunde
genommen als günstig zu betrachten ist, da nach der Entleerung des Uterus auch
bei schwereren Grundleiden eine Euphorie beobachtet wird. Im Uebrigen hängt die
Prognose von der Art und dem Grade des Grundleidens ab und richtet sich darnach
auch die Therapie.
Als bedenklicher sind jene Fälle aufzufassen, bei welchen der Ascites mit
Hydrops amnii und Hydrocephalus complicirt ist. piskacek.
Selbstentwickelung und Selbstwendung. Unter Seibstwendung ver-
stehen wir eine im Gegensatze zu der vom Geburtshelfer vollzogenen von
den Naturkräften allein vollzogene Wendung („natürliche Wendung" nach
Betschler, versio spontanea) d. h. die Verwandlung einer regelwidrigen Kindes-
lage in eine regelmässige durch alleiniges Wirken der Naturkräfte.
SELBSTENTWICKELUNG UND SELBSTWENDUNG. 749
Bartholinus berichtet aus dem 17. Jahrhundert eine Geburt, wo die vorgefallene
Hand und Schulter bei einer Querlage mit Zangen abgerissen wurden, die Frau sich wei-
terem Operiren widersetzte und in der folgenden Nacht spontan niederkam. Roedkrer be-
schreibt eine Spontanaustreibung der Frucht 2 Stunden, nachdem eine Hebamme bei Nabel-
schnurvorfall einen vorgefallenen Arm so tief als möglich in's Becken herabgezogen hatte.
Nannoni beschrieb 1785 zuerst die Selbstwendung. Velpeau, Peu, de la Motte, Fischet
DE Flechy beobachteten sie in Frankreich. Der Wundarzt Gyon zu Carpentras theilte 1771
der Pariser Akademie einen Fall von Spontanaustreibung der Frucht bei vorgefallenem
Arm mit. Denman beobachtete 1772, 1773, 1774 in England Selbst Wendungen, stellte 30
Fälle zusammen, lenkte die Aufmerksamkeit der Fachgenossen darauf. Denman nimmt an,
dass der Steiss in dem Maasse herabtritt bei Querlagen mit vorliegender Schulter als die
Schulter in die Höhe gedrängt wird, der Körper dreht sich also um eine mediane Axe, die
von vorn nach hinten geht, vom Rücken zur Bauchfläche. Douglas trat gegen die An-
nahme denman's auf, als ob hierbei die Schulter wieder in die Höhe träte: er meint, es
könnte unmöglich die obere Extremität in den sich zusammenziehenden Uterus hinauf-
treten, der Arm und die Schulter kämen vielmehr immer tiefer herab und stemmten sich
gegen die Schamfuge an, während Brust, Bauch, Steiss und Füsse sich über den Damm
entwickelten, ohne dass der Arm und die Schulter sich zurückzogen. Es käme also die
Selbstwendung nach der Ansicht von Douglas, der sich Gooch anschloss, auf einen partus
conduplicato corpore heraus, entgegen der Annahme einer richtigen Wendung mit Drehung
des Kindes um seine antero-posteriore Sagittalaxe nach Denman. Seit Denman wurden
die Fälle von Selbstwendung aufmerksamer beobachtet und alle Fälle, wo Schulter- und
Querlagen spontan sich in Steiss-, Fuss- oder Kopflagen umwandelten mit einbezogen.
Ficker beschrieb eine spontane Wendung auf den Kopf bei vorgefallenem Fuss einer todt-
faulen Frucht 1797, Vogler eine Selbstwendung auf den Kopf bei vorgefallener Hand.
Münster, Henschel, Schmitt sahen ähnliche Fälle, Boer, Rowland. Rau, Stein, E. v.
Siebold, Bigelow, Busch, Wiedemann, Fleürant beobachteten Selbstwendungen auf den
Steiss bei vorliegender oberer Extremität.
BüscH unterschied 3 Arten von Selbstwendung: 1. Bei stehender Blase,
indem es mit oder ohne Hilfe einer entsprechenden Lagerung der Frau den
Naturkräften gelingt, den vorliegenden, leicht seitlich abgewichenen Kopf
oder Stirn gerade zu stellen, auf den Beckeneingang zu bringen, also eine
regelwidrige Lage in eine regelrechte zu bringen. Wollte man jedoch diese
Fälle als Selbstwendung bezeichnen, so w^äre die Selbstwendung ein ungemein
häufiger Vorgang, sagte Scheoeder mit Recht. Am leichtesten gelingt diese
Art Selbstwendung im Anfange der Wehen, so lange diese noch schwach sind,
da der vorliegende Theil nicht sofort fest eingepresst wird.
2. Die zweite Art der Selbstwendung nach Abfluss des Fruchtwassers ist
bedingt in dem Herabtreten des höher liegenden Körperendes, während das
ursprünglich tiefer liegende zurücktritt, in die Höhe geht, eine richtige Wen-
dung — Drehung um die antero-posteriore sagittale Medianaxe des Körpers
vollzogen wird.
Das Eigenthümliche dieser Art der Selbstwendung ist, dass der vor-
liegende oder vorgefallene Kindestheil sich zurückzieht und dafür der Kopf
oder der Steiss in das kleine Becken eintritt. Tritt der Kopf ein, so macht
das Kind in der Gebärmutter mit seiner Längsaxe eine geringe Drehung,
indem es nur aus der schiefen Richtung in eine perpendiculäre übergeht,
so in den nicht seltenen Fällen, wo der vorgefallene Arm liegen bleibt und
der Kopf neben ihm herabtritt. Wird der Steiss herabgetrieben, so beschreibt
das Kind bei vorliegender oberer Extremität mit seiner Längsaxe den grösseren
Theil eines Kreises und wenn hier der Arm vorgefallen war, so zieht er sich
in der Regel zurück, es sei denn der Foetus sehr klein, weich und leicht
compressibel. Hierbei wird das Kind, also bei Selbstweudung auf den Steiss, meist
todt geboren, während bei Selbstwendung auf den Kopf bei nicht allzu starken
Wehen die Geburt eines lebenden Kindes öfters beobachtet wurde. Nachdem
die vorliegende Schulter bereits tief in den Beckeneingaug hineingepresst
ist, findet hier die Selbstwendung nach ScHRorDSR nur ausserordentlich selten
noch statt. Aber selbst wenn der Kopf etwas in die Höhe, der Steiss, indem
die Schulter das kleine Becken wieder verlässt, tiefer tritt, kann in der
Regel die Geburt nicht durch die Naturkräfte bewirkt werden nach Schroeder
750 SELBSTENTWICKELUNG UND SELBSTWENDUNG.
ausser bei kleinem, unreifem Kinde (Zweiter Zwilling) und in dem Querdurch-
messer wenigstens weitem Becken. Erleichtert wird dieser Vorgang durch
Weichheit und Compressibilität des Kindes, besonders also bei todtfaulen
macerirten Früchten. Nach Schroeder ist der Mechanismus dabei fol-
gender: Durch die kräftigen Wehen wird die Schulter immer tiefer in
das Becken hineingepresst und dreht sich als vorausgehender Theil nach
vorn. Sie tritt, während der Kopf im grossen Becken liegt, unter die Sym-
physe; die Längsaxe des Kindes ist dabei dermaassen gekrümmt, dass Kopf
und Steiss dicht an einander liegen. Durch kräftige Wehen wird nun der
ganze Rumpf des Kindes an der Schulter vorbeigetrieben, so dass erst die
gleichnamige Seite der Brust, dann das Becken und dann die Beine geboren
werden und der Kopf zuletzt kommt.
3. Die dritte Art der Selbstwendung, genauer gesagt Selbstentwicklung
(evolutio spontanea) ist nach Busch der partus conduplicato corpore
spontane gewaltsame Austreibung des fehlerhaft gelagerten Kindes, das doppelt
zusammengelegt geboren wird. Diese Art Selbstentwicklung kommt nach
Wasserabfluss bei Schulter- und Seitenbrustlagen vor und zwar bei denjenigen
Unterarten dieser Lagen, in welchem der Kopf des Kindes vorn über einem
der horizontalen Schambeinäste steht, dass untere Rumpfende aber nach
hinten in einer der Kreuzdarmbeinaushöhlungen gelagert ist. Die vorliegende
Schulter wird immer tiefer in das kleine Becken herabgetrieben und stemmt
sich endlich fest hinter der Schambeinfuge an, während das Acromion äusser-
lich sichtbar wird.
Indem die weitere Geburt der Schulter nun durch den hochstehenden
Kopf verhindert wird, wird der übrige Theil des Kindeskörpers an der hin-
teren Wand des kleinen Beckens herabgepresst, und so tritt zuerst, gewöhnlich
mehr mit der einen Seite des Körpers, der Thorax, dann der Bauch, der
Steiss und die unteren Extremitäten herab. Erst nachdem diese Theile her-
vorgetreten sind unter kugliger Vorwölbung des Dammes, folgen die zurück-
gehaltene obere Extremität und der Kopf, die nunmehr nach der vorausgegan-
genen gewaltsamen Ausdehnung der Scheide leicht geboren werden; viel
seltener entwickelt sich der Thorax statt mit der Seite, mit dem Rücken vor-
aus. Begünstigend für diese Spontanevolution: starke Wehen, weites Becken,
kleines Kind (Zwilling), todtfaules Kind. Jedoch sind auch, wenngleich in
seltenen Fällen, lebende Kinder so geboren worden und zwar war ist es meist
der zweite Zwilling, der lebend so geboren wurde, nachdem der erste durch
Dehnung der Geburtswege bereits Bahn geschaffen. Die für das Leben des
Kindes gefährliche Zusammenlegung (Conduplication des Körpers) dauerte
nur momentan. So war es in den Fällen von Ricker, Vezin, Betschler,
wo stets ein zweiter Zwilling conduplicato corpore lebend geboren worden.
Hayx unterschied 5 Arten von Selbstwendung, Betschler wollte die Geburt
conduplicato corpore ganz trennen von den sogenannten Selbstwendungen. Die
Prognose der Selbstwendung ist bei der ersten Art der Eintheilung von Busch
gut, bei der zweiten sehr zweifelhaft, fast immer für das Kind tödtlich, da
nur kleine unreife Kinder, die bald nach der Geburt an Lebensschwäche
sterben, das Becken so passiren können. Ausnahmsweise kann jedoch ein
Kind diesen Geburtsmechanismus überleben, so z. B. in dem Falle von Kuhn,
wo ein Kind von 17V2 Zoll Länge und 4^2 U Gewicht durch Selbstentwick-
lung geboren am Leben blieb. Schlimmer ist die Prognose bei Combination
mit engem Becken für Mutter und Kind, so manche Frau ist der Sepsis er-
legen, (Uterusrupturen u. s. w^), viele Frauen sind durch die Geburt dauernd geschä-
digt worden. Ich hatte in meiner Klinik im Evangelischen Hospital
in Warschau eine 30-jährige Frau im Behandlung wegen post partum acqui-
rirter ausgedehnter Scheidenatresie. Kind in Querlage mit vorliegender Hand,
die Hebamme zog die Hand bis vor die Vulva herab, ein Arzt exarticulirte
Busch
6.180
2
Spaeth
12.523
5
Kuhn
17.375
9
Klein WÄCHTER
3.345
5
SELBSTENTWICKELUNG UND SELBSTWENDUNG. 751
den Arm, am nächsten Tage den zweiten Arm, dann 1)1 ieb er fort, 3 Tage später
Spontanaustreibung des Kindes nacli Selbstwendung, G wöclientliclies Kranken-
lager mit ausgedehnter vollständiger Scheidenatresie.
Eine gute Bearbeitung hat 1871 die Selbstentwicklung durch Klein-
wächter gefunden, der nach seinen Beobachtungen die Selbstentwicklung für
ein nicht so überaus seltenes Ereignis hält, als gemeinhin angenommen wird.
Sie wird häufiger beobachtet in Anstalten, die dem abwartenden Princip hul-
digen und nicht sofort operativ angreifen.
Kieker fand auf 220.000 Geburten 10 Selbstwendungen = 0-004 7o
= 0-03«/o
--= 0-037o
= 0-05%
--= 0-057o
Während seiner 2-jährigen Assistentendienste fand er auf 32 Quer-
lagen 6 mal spontane Austreibung 1 mal durch Selbstwendung, 5 mal durch
Selbstentwicklung, also Spontangeburt, in 18, 75 7o ^on Querlagen u. zw. 3 mal
Selbstwendung im Beckenausgange — nachdem der Steiss über den Damm getre-
ten, folgte der Kopf mit allen 4 Extremitäten zugleich — und 2 mal Durch-
treten conduplicato corpore. Infolge seiner Erfahrungen tritt Kleinwächter
gegen die Naegeli'sche Lehre auf, im gegebenen Falle operativ auf jeden Fall
anzugreifen schon der Mutter wegen, und will bei normalem Becken, nach
Wasserabfluss, bei Unmöglichkeit der Wendung, kleiner nicht ausgetragener
Frucht, stärkere Wehen abwarten statt sofort zur Embryotomie zu greifen.
In seiner eigenen Praxis beobachtete Kleinwächter (1889) auf 8000
Geburten die Selbstwendung einmal. Lebend geboren wurde die Frucht in
den Fällen von Thedenas, Stanley, Haynes, Taylor, in den Fällen von
Thedenas, Genenil war der Uterus zweihörnig. Seit 1879 beobachteten auch
noch Underhill, Cordes, Murphy und Hine Selbstwendung. Die Selbst-
entwicklung ist viel häufiger, d. h. also eine Selbstwendung erst im Becken-
ausgange, während die Selbstwendung sensu strictiori im grossen Becken ein
Aufwärtstreten des vorliegenden Theiles in sich schliesst. Spieoelberg er-
wähnt 14 Fälle von Selbstentwicklung lebender Kinder, Kleinwächter hat
3 mal Selbstentwicklung einer lebenden Frucht erlebt. Auf 8000 Geburten
sah Kleinwächter 10 mal Selbstentwicklung also 0"127o- In 3 von 10 Fällen
betraf die Selbstentwicklung einen zweiten Zwilling sowie in den Fällen von
Delmas, Vezin, Betschler, Hinterberger, Baudelocque, Kerring, Leopold,
Velpeau, Deligny, Nelson.
Bei Spontanevolution conduplicato corpore ist nach Kleinwächter noch
niemals ein lebendes Kind geboren worden, ich möchte sagen ein lebendes,
lebensfähiges Kind geboren worden.
Während Kleinwächter unter den angegebenen Umständen bei unmög-
licher Wendung, genügend weitem Becken, kräftigen Wichen, kleinem unaus-
getragenen Kinde die Selbstentwicklung ab^varten will im Interesse der Mutter,
empfiehlt die Mehrzahl der Fachgenossen ein actives Vorgehen, eine schonend
ausgeführte Embryotomie oder wenigstens eine Beförderung der Selbstent-
wicklung durch geeignetes Ziehen am Arm, resp. am Beckenende, eventuell auch
Decapitation, Excenteration etc., indem man dann die Frucht nach dem Modus
der Selbstwendung oder der Selbstentwicklung extrahirt. Chiara wollte um
durch Zug die Selbstentwicklung zu unterstützen, am Arme ziehen oder einen
Haken in die Kippen einsetzen. Busch macht auf eine Bedingung für das
erlaubte Abwarten der Selbstwendung aufmerksam, es müsse der Kopf des
Kindes nach vorn über einem der horizontalen Schambeinäste, der Steiss aber
nach hinten in einer der Kreuzdarmbeinaushöhlungen gelagert sein, da nur
unter solchen Umständen, nie aber bei entgegengesetzter Lage jener Kindes-
theile die Selbstwendung erfolgt. franz neügebaüer.
752 STERILITÄT.
Sterilität. Während früher die Schuld der Unfruchtbarkeit einer Ehe
so gut wie immer der Frau beigemessen wurde, hat sich in dem letzten Jahr-
zehnt mehr und mehr die Erkenntnis Bahn gebrochen, dass jene sehr häufig
auch an dem Mann liegt. Fehling ist sogar auf Grund von ihm angestellter
Sperma-Untersuchungen zu der Ueberzeugung gekommen, dass die Ursache
steriler Ehen in fast der Hälfte der Fälle bei dem Manne zu suchen ist.
Referent zweifelt nicht daran, dass, wenn erst bei jeder unfruchtbaren Ehe
nicht nur die Frau, sondern auch das Sperma des Mannes untersucht wird,
diese Ziffer sich als nicht zu hoch gegriffen herausstellen wird. Leider
scheuen nicht nur viele Ehemänner — und diese aus naheliegenden Gründen
— eine solche Untersuchung, sondern auch viele Aerzte tragen Bedenken,
jenen sie zuzumuthen. Ueberlegt man aber, wie viele Frauen grundlos unter
dem Gedanken, unfruchtbar zu sein, psychisch schwer leiden, wie viele sich
infolgedessen immer wieder und wieder einer nutzlosen gynäkologischen Be-
handlung unterwerfen, so muss sich uns die Ueberzeugung aufdrängen, dass
es die Pflicht des Arztes ist, die Behandlung einer sterilen Frau zu verweigern,
ehe er nicht den Samen des Mannes untersucht hat, es sei denn, dass er bei
der ersteren pathologische Zustände der Sexualorgane findet, welche an sich
eine Behandlung erfordern. Manche unglückliche Ehe kann dadurch mit einem
Schlag zu einer glücklichen gemacht werden, dass dem Ehemann, welcher
seine Frau wegen der mangelnden Nachkommenschaft peinigt, ad oculos
demonstrirt wird, dass nur er selbst die Schuld hieran trage.
Die Sterilität des Mannes ist entweder eine Folge einer Impoten-
tia coeundi, der Unfähigkeit, die Begattung derart zu vollziehen, dass durch
sie eine Befruchtung des Weibes ermöglicht wird, oder einer impotentia gene-
randi, bei welcher überhaupt kein Sperma in die weiblichen Genitalien
ejaculirt wird (Äspermatismus) oder dasselbe ausserordentlich wenig (Oligozoo-
spermie), häufiger gar keine Spermatozoon (Azoospermie) enthält. Wahrschein-
lich kommen auch Fälle vor, in welchen zwar Spermatozoon gebildet werden,
ihre Lebensfähigkeit aber eine sehr geringe ist.
Die Ursachen der weiblichen Sterilität sind weit mannigfachere.
In jedem Abschnitt des Genitaltractus können sich Conceptionshindernisse fin-
den. Zunächst wird ein solches gar nicht selten durch ein zu festes, oder
mit einem, bezw. mehreren, zu kleinen Oeffnungen versehenes
Hymen abgegeben. Die Zerreissung desselben auf natürlichem Weg wird noch
dadurch erschwert, dass die fortgesetzten Cohabitationsversuche bald zu einer
örtlichen Entzündung führen, welche jene ausserordentlich schmerzhaft macht.
Die Behandlung besteht in gewaltsamer Durchtrennung bezw. Ausschneidung
des Hymen in Narkose.
Dass ein völliger Mangel der Scheide oder des Uterus oder ein
blindsackförmiges Enden der ersteren absolute Sterilität bedingt,
liegtauf der Hand. Bei abnormer Enge, welche in der Regel durch fort-
gesetzten geschlechtlichen Verkehr verschwindet, ist dies nicht der Fall. Da
sie aber sehr oft mit einer mangelhaften Entwicklung der übrigen Sexualor-
gane Hand in Hand geht, so ist auch bei ihr Unfruchtbarkeit nicht selten.
Abgesehen davon, dass eine zu enge Scheide die Immissio penis behin-
dert, kann sie ebenso wie erhebliche Kürze oder auch Weite derselben auch
noch dadurch das Zustandekommen einer Empfängnis erschweren, dass der
Samen nicht zurückgehalten wird, sondern unmittelbar post coitum wieder
nach aussen abfliesst. Um dies zu verhindern, soll die Frau während
der Cohibatation Beckenhochlagerung einnehmen und auch noch län-
gere Zeit nach der Begattung in derselben verbleiben. Denn es ist weniger
wichtig, dass der Samen während des Coitus selbst in eine vorübergehende
Berührung mit der Portio, bezw. dem Muttermund kommt, als dass er nach
demselben jene noch benetzt.
STERILITÄT. 753
Ein meist nur vorübergehendes Conceptionshindernis entsteht durch
Vaginismus. (Ueber Ursachen und Behandlung desselben s. „VaginiHmus'%
Von manchen Autoren wird eine zu saure lieaction des Vaginal-
schleims als Sterilitätsursache angenommen. Auffallend ist es, dass bei
manchen Frauen die in der Scheide befindlichen Spermatozoen sehr schnell
ihre Beweglichkeit verlieren. Es kann die abnorme Beschaffenheit des Vagi-
nalsecretes allein daran die Schuld tragen. Möglich ist es aber auch, dass
gerade die Spermatozoen des betreffenden Mannes eine geringe Wider-
standskraft gegen saure Flüssigkeiten besitzen und infolgedessen
schon durch normal reagirendes Vaginalsecret geschädigt werden. Wie dem
auch sei, ein Versuch mit Scheidenausspülungen mit alkalischen
Flüssigkeiten z.B. Natr. bicarb., Natr. chlor, aa 72"/o f^tler Natr. jjhosphor.
6''/o (Fehling) oder letztere Lösung unter Zusatz eines Eiweisses (chaeikee)
ist in solchen Fällen anzurathen.
Enge des äusseren Muttermundes kann unzweifelhaft ein Con-
ceptionshindernis abgeben, allerdings seltener direct, als indirect, indem sich
hinter demselben in dem erweiterten Cervicalcanal ein zäher Schleimpfropf
festsetzt, welcher den Spermatozoen den Weg verlegt. Sehr empfehlenswerth
ist hier ein von Fritsch angegebener, kleiner, operativer Eingriff. Nachdem
die Portio mit einer MuzEux'schen Zange gefasst und im Binnenspeculum
eingestellt ist, wird der Muttermund mittelst eines in ihn eingeführten, spitzen
Messers durch vier oder mehr Schnitte radiär gespalten, dann Jodoformgaze
zur Stillung der Blutung fest eingestopft und diese durch Tamponade der Scheide
lixirt. Am folgenden Tag wird die Gaze entfernt und die durch die Incis-
sionen geschaffenen Zipfel mit dem Paquelin abgebrannt, so dass ein Trichter
entsteht. Nach Vernarbung der Wundflächen hat sich ein Muttermund von
normaler Beschaffenheit gebildet. Letzteres ist nach bilateraler Discission
nicht der Fall, wenn sie genügend tief gemacht wird.
Eine noch grössere Bedeutung wie der Stenose des äusseren Mutter-
mundes maass man früher der des inneren (bezw. des ganzen Cervical-
canales) bei. Eine gleichmässige, hochgradige Verengerung des Cervicalcanales
ist überhaupt ausserordentlich selten; eine solche des Innern Muttermundes
wird oft durch eine starke Anteflexion des Corpus vorgetäuscht. Giebt man
der Sonde eine stärkere Krümmung und senkt ihren Griff mehr nach dem
Damm zu, so gleitet sie in solchen Fällen plötzlich und ohne nennenswerthen
Widerstand in die Uterushöhle.
Eine Zeit lang wurden die wirklichen und die vermeintlichen Stenosen
des inneren Muttermundes^') mit Vorliebe durch Discission mittelst eines
sogenannten Metrotoms (gedeckt einzuführendes und dann zu öffnendes Messer)
behandelt. Man ist davon wieder zurückgekommen. Wenn sich früher an
den Eingriff nicht selten Parametritiden anschlössen, so würden sich dieselben
heute bei strenger Anti-, bezw. Asepsis verhüten lassen. Dem Verfahren
haftet aber nach wie vor ein anderer Mangel an, nämlich die Neigung der
Einschnitte wieder zu verwachsen. Um dies zu verhüten, ist zum mindesten
nothw^endig, dieselben lange Zeit durch fortgesetzte, energische Jodoformgaze-
tamponade auseinanderzuhalten.
Der blutigen Erweiterung ist entschieden die unblutige, sei es
mittelst HEGAR'scher, FRiTScn'scher oder anderer Diktatoren oder Laminaria
(am besten in Jodoformäther aufbewahrter) und nachfolgende Jodoformgaze-
tamponade sowohl des Cavum uteri wie des Cervicalcanales vorzuziehen. Da
in den fraglichen Fällen sich ohne Zweifel in Folge von chronischer Secret-
stauung sehr oft katarrhalisch-endometritische Processe entwickelt haben, so
*) Vergl. die Artikel „Cervixstenose'^ tind „Portiooperationen,"
ßibl. med. Wiessenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie
754 STERILITÄT.
erfüllt die letztere durch Weiterhaltung des ganzen Uteruscanales sowie eine
fortgesetzte Drainage desselben eine doppelte Indication.
Erschwert scheint die Conception auch bei rüssel förmiger Gestalt
der Portio (Col tapioroide) zu sein, welche oft noch durch Stenose des äusseren
Muttermundes complicirt ist. Man spaltet hier den letzteren bilateral, excidirt
aus jeder Lippe einen Keil, vereinigt die dadurch geschaffenen Wundflächen
vorn und hinten und schliesst die Seitenschnitte.
Bei manchen. Frauen ist bei starker Anteflexio die Portio vaginalis,
so gestellt, dass sie bezw. der Muttermund ganz nach vorn sieht. Führt man
den Finger in die Vagina, so gleitet er sofort unter die letztere. Ein gleiches
wird bei dem Coitus mit dem Penis der Fall sein. Infolgedessen wird der
in das weite hintere Scheidengewölbe ejaculirte Samen kaum mit dem Mutter-
mund in Berührung kommen. In solchen Fällen soll der Mann die Eichel
während der Ejaculation im vordem Theil der Scheide belassen, um so einen
Contact des Samens mit dem letzteren zu ermöglichen. Da hier meist die
vordere Scheidenwand sehr kurz und straff ist, würde es sich vielleicht
empfehlen, dieselbe an der vorderen Lippe wie bei der vaginalen Totalexstir-
pation quer zu durchtrennen, die Blase einige cm hoch abzulösen und dann
den queren Schnitt longitudinal zu vereinigen, um so eine Ablenkung der Portio
nach hinten zu bewirken.
Auch die Rückwärtslagerungen des Uterus können Sterilität
bedingen, wenn auch keineswegs so oft, wie vielfach angenommen wird. Man
darf nicht vergessen, wie viele virginelle Retroflexionen, da sie keine Be-
schwerden verursachen, nicht in ärztliche Behandlung kommen. Wenn die
betreffenden Frauen nach ihrer Verheiratung concipiren, so reponirt sich ent-
weder der wachsende Uterus spontan oder er fängt an nun Beschwerden zu
machen, welche zu einer Untersuchung und damit erst zur Erkennung des
Leidens Veranlassung geben. Direct conceptionbehindernd wirkt die Retroflexio
oder Retroversio uteri nur dann, wenn die Portio vaginalis ganz nach vorn
und oben sieht, so da-ss auch hier, wie in den oben beschriebenen Fällen das
Sperma gar nicht oder kaum mit dem Muttermund in Berührung kommt oder,
wenn die Lageveränderung zu chronischer Metritis und Endometritis geführt
hat. In dem einen wie dem anderen Fall ist eine Beseitigung der Lage-
veränderung die nächste Aufgabe der Behandlung. Wird der Uterus durch
ein Pessar in richtiger Lage erhalten, so schwindet oft die Schwellung
des ganzen Organs sowie des Endometrium schnell von selbst. Wenn
nicht, so sind auch jene Veränderungen, wie in den Fällen, wo sie bei nor-
maler Lage der Gebärmutter die Ursache der Sterilität zu sein scheinen, zu
beseitigen (s. die Artikel „Retroflexio, Metritis, Endometritis").
Auch des auf die Cervixschleimhaut beschränkten Catarrhs
ist zu gedenken.") Seine Entstehung ist besonders bei Nulliparen sehr oft auf
gonorrhoische Infection zurückzuführen. Wie ausserordentlich häufig
dieselbe Frauen steril macht, darüber hat auch erst die neuere Zeit Aufklärung
geschafft. Leider ist nicht nur das Secret einer frischen Gonorrhoe,
sondern auch das einer chronischen, der sogenannten latenten
gefahrbringend, in mancher Beziehung das letztere sogar in noch höherem
Grade wie das erstere. Es ist von vornherein erklärlich, dass ein mit einem
frischen Tripper behafteter Mann sich viel eher des geschlechtlichen Umganges
enthalten wird, me ein an einer chronischen Gonorrhoe leidender. Ist doch
leider der Glaube ein immer noch sehr verbreiteter, dass das spärliche Secret
des letzteren nicht mehr ansteckend sei. Und in sehr vielen Fällen latenter
Gonorrhoe ahnen thatsächlich die Patienten nicht, dass sie an einer solchen
*) Vergl. Artikel „Cervixcatarrh'-' und „Gonorrhoe der weiblichen Genitalien.^'
STERILITÄT. 755
leiden. Wird sie auf die weiblichen Sexualorgane übertragen, so hat sie meist
zunächst keiner nennenswerthen Erscheinungen zur P'olge, während die Infection
mit einem frischen Tripper in der Kegel derartige Beschwerden verursacht,
dass die Frauen durch sie veranlasst werden, den Arzt zu consultiren. Hier
wird dann, wenn auch nicht immer, so doch oft dem Weitergreifen der Er-
krankung durch geeignete therapeutische Maassnahmen und vor Allem durch
Inhibirung des geschlechtlichen Verkehrs bis zur völligen Heilung sowohl des
Mannes wie der Frau Einhalt gethan. In den Fällen latenter Gonorrhoe
dagegen geschieht dies nicht. Aerztliche Hilfe wird oft erst wegen der bereits
jahrelang bestehenden Sterilität oder dann nachgesucht, wenn nach dem Fort-
schreiten der Gonorrhoe auf die Tuben und die Ovarien allmälig die örtlichen
Beschwerden anhaltende und sehr quälende geworden sind und auch das
Allgemeinbefinden in hohem Grad gelitten hat. Dann aber sind die in den
Sexualorganen gesetzten Veränderungen meist schon derartige, dass weder eine
gänzliche Hebung der örtlichen Beschwerden, noch eine völlige Wiederher-
stellung der Functionsfähigkeit und damit eine Beseitigung der Sterilität zu
erwarten ist. In erster Linie gilt dies von den Uterusanhängen. In Folge
perimetritischer Processe kommt es zur Verlagerung derselben und zur Bildung
von Verwachsungen, sowohl unter einander wie mit der Umgebung. In manchen
Fällen schliesst sich an den Katarrh der Tubenschleimhaut einer Hypertrophie
der Wandungen an; man fühlt die Eileiter bei combinirter Untersuchung als
bleistiftdicke, empfindliche Stränge. In anderen führt der Verschluss ihres
Lumen an zwei oder mehreren Stellen zu Secretretention; es bildet sich
Hydro- oder Pyosalpinx.
Doch ist es nicht nur die gonorrhoische Infection, welche die genannten
pathologischen Adnex-Veränderungen und durch sie Sterilität zur Folge hat,
auch die während eines Partus, bezw. Aborts oder bei gynäkologischen Ein-
griffen gesetzten Infectionen können in derselben Weise wirken.
Gelingt es auch einer sorgfältigen, oft sehr mühevollen und langwierigen
Behandlung (siehe die Artikel: „Perimstrüis, Oophoritis, Salpingitis'^) die
Folgen der einen oder der andern Infection bis zu einem gewissen Grad rück-
gängig zu machen, die Verwachsungen zu lösen, den Anhängen ihre normale
Lage wieder zu geben, den Inhalt der Tubensäcke auf dem Wege der KesoiTD-
tion oder durch operative Eingriffe zu entleeren, so werden dadurch die Be-
schwerden der Kranken wesentlich gemildert, ja vielleicht beseitigt, die Ste-
rilität aber nur ausserordentlich selten gehoben. Es hat dies seinen Grund
wohl darin, dass in solchen Fällen entweder die Tubenschleimhaut derart
verändert ist, dass das Ovulum durch sie nicht mehr fortbewegt werden kann
oder das Lumen an einer oder mehreren Stellen verschlossen bleibt. — Nach
acuter sowie chronischer Oophoritis können auch die sämmtlichen
Follikel zu Grunde gehen und dadurch eine Befruchtung unmöglich gemacht
werden. Ein Gleiches ist natürlich der Fall bei Hypoplasie der Ovarien, so-
fern sich in denselben überhaupt keine Follikel entwickelt haben. Meist ist
dieselbe mit einer solchen des Uterus {Uterus foetalis, infantilis) verbunden.
Handelt es sich hier um Entwicklungshemmungen, so kommen auf der anderen
Seite auch erworbene Atrophien sowohl der Ovarien wie des Uterus beson-
ders im Anschluss an das Puerperium, zu lange fortgesetztes Stillen, aber auch
ohne nachweisbare Ursachen vor. Bei noch nicht zu sehr veralteten Fällen
bietet die Behandlung, bestehend in häufigem Sondiren, besser Einlegen einer
FEHLiNG^'schen Glasröhre in den Uterus, warmen Sitzbädern und Ausspülungen,
regelmässigem, geschlechtlichen Verkehr, innerlichen Gebrauch von Eisen und
roborirender Diät Aussicht auf Erfolg. Selbst in der Entwicldung zurück-
gebliebene Uteri vergrössern sich unter der Einwirkung einer solchen manch-
mal und Schwangerschaft tritt ein.
48*
756 STERILITÄT.
Von den Erkrankungen der weibliehen Sexualorgane, welche Ursachen
der Sterilitcät sein können, sind nur noch die Neubildungen zu erwähnen.
Sie alle, das Sarcom und Carcinom des Uteruskörpers und die Tuberculose
der Eileiter vielleicht ausgenommen, sind kein absolutes Conceptionshindernis.
Sind doch Fälle genug bekannt, wo bei Polypen, bei Fibromyombildung, bei Car-
cinom des Cervix, bei Fibromen des Corpus uteri sowohl submucösen, inter-
stitiellen wie subserösen, bei Ovarialtumoren der verschiedensten Art Schwanger-
schaft eingetreten ist. Die Mehrzahl dieser Neubildungen verlangen schon
aus anderen Gründen, nicht nur der vielleicht durch sie bedingten Sterilität
halber ihre Entfernung bezw. Behandlung auf operativem Weg. Ob die Un-
fruchtbarkeit allerdings durch diese gehoben wird, ist meist mehr als fraglich,
ganz abgesehen von den Fällen, in welchen jene durch Aufhebung der Func-
tionsfähigkeit der Genitalorgane z. B. bei Totalexstirpation oder supravaginaler
Amputation des Uterus, bei doppelseitiger Ovariotomie oder Castration zu einer
absoluten gemacht wird.
Der Einfluss constitutioneller Krankheiten auf die Fruchtbarkeit
der Frau ist früher entschieden überschätzt worden. Dass tuberculose,
dass syphilitische Frauen concipiren, erlebt man alle Tage. Nur in
ganz schweren, weit vorgeschrittenen Fällen beider Erkrankungen pflegt eine
Conception nicht mehr einzutreten, aber auch die Gelegenheit zu einer
solchen meist zu fehlen.
Die Chlorose wird häufig als Sterilitätsursache angesehen. Die bei
ihr nicht seltene, zeitweilige Amenorrhoe macht es wahrscheinlich, dass die
Ovulation vorübergehend stockt. Damit würde das Ausbleiben einer Empfängnis
erklärt sein. Nicht vergessen darf man aber, dass hartnäckige schwere Chlo-
rose gar nicht selten mit der schon erwähnten Hypoplasie der Ovarien und
des Uterus verbunden ist.
Einen unzweifelhaft ungünstigen Einfluss auf die Zeugungsfähigkeit des
Weibes hat die Fettsucht, zumal wenn sie sich schnell entwickelt. Ist sie
hochgradig, so kann sie die regelrechte Ausführung des Coitus und damit das
Eindringen des Sperma in die höher gelegenen Partien der Scheide behin-
dern. Häufiger noch ist die Ursache der Unfruchtbarkeit in Störungen der
Ovulation bezw. Menstruation zu suchen. Denn sehr oft klagen fettsüchtige
Frauen über postponirende, sehr spärliche Menses oder völlige Amenorrhoe.
Diätetische Entfettungscuren oder der Gebrauch einer Marienbader Cur sind
hier zu empfehlen und führen auch hie und da zum Ziel.
Die Diagnose der Sterilität wird in der Eegel dem Arzt durch die
Patienten selbst mitgebracht. Verheimlichen sie den eigentlichen Grund, wes-
wegen sie ärztlichen Rath nachsuchen, so wird die Anamnese sofort die
nöthigen Aufschlüsse geben. Erhebliche Schwierigkeiten aber kann die Dia-
gnose der Sterilitätsursachen machen. Nur eine sehr sorgfältige Untersuchung
nöthigenfalls in Narkose z. B. bei der Möglichkeit von Adnexerkrankungen,
kann davor schützen, dass man jene nicht in unwesentlichen Veränderungen
sucht, während man das Wesentliche übersieht. — Dass man in Fällen, bei
welchen sich bei der Frau Ursachen der Unfruchtbarkeit mit Sicherheit nicht
nachweisen lassen, stets den Samen des Mannes untersuchen soll, wurde bereits
Eingangs erwähnt. Entweder lässt man in den Morgenstunden cohabitiren
und entnimmt nicht zu lange nachher Vaginal- und Cervixsecret zur mikro-
skopischen Prüfung oder der Mann benutzt ein Condom, streift dieses vorsichtig
ab und überbringt es baldmöglichst dem Arzt. Dieser letztere Weg ist für
Samenuntersuchungen entschieden der sicherere. Der erstere hat nur den
Vorzug, dass er unter Umständen darüber Aufschluss gibt, ob das Vaginal-
secret die Spermatozoen sehr schnell zum Absterben bringt. Eine sorgfältige
Untersuchung des Mannes ist auch in den Fällen geboten, in welchen die
Frau Anzeichen einer gonorrhoischen Infection bietet, zumal wenn sich Gono-
STERILITÄT. 757
coccen nicht ohne Weiteres in ihren Secrcten nachweisen lassen. Findet
man bei ihm die Residuen eines alten Trippers, so ist dadurch die Diagnose
bezüglich der Erkrankung der Frau sichergestellt. Aber auch noch in
anderer Hinsicht ist es von Wichtigkeit, festzustellen, ob der Mann gonor-
rhoisch erkrankt ist. Ist dies der Fall, so wird die Behandlung der Frau
entweder überhaupt erfolglos sein oder sie wird, wenn die Gatten während
der Dauer der Behandlung den geschlechtlichen Verkehr mieden, nach Auf-
nahme desselben sehr bald wieder erkranken.
Die Prognose der Sterilität ist, wenn sogenannte psychische Impotenz
des Mannes die Ursache ist, günstig zu stellen, ungünstig bei Aspermatismus
und Azoospermie, obwohl auch hier in jüngster Zeit angestellte therapeutische
Versuche die Aussicht eröffnet haben, dass, wenn auch nur in einzelnen
Fällen die normale Beschaffenheit des Sperma wieder herzustellen ist
Ungleich günstiger ist jedenfalls die Prognose bei derweiblichen
Sterilität, abgesehen von den Fällen, wo Defecte oder hochgradige Ent-
wicklungshemmungen der Sexualorgane oder schwere, zumal auf gonorrhoischer
Basis beruhende Adnexerkrankungen die Schuld tragen. Trotzdem ist es
rathsam, mit seinen Versprechungen bezüglich des Erfolges einer Behandlung
vorsichtig zu sein. Denn nicht selten bleibt derselbe auch da aus, wo man
eine sichere Ursache der Sterilität gefunden zu haben glaubt und diese
beseitigt.
Die Therapie richtet sich nach den verschiedenen der Unfruchtbarkeit
u Grunde liegenden Erkrankungen, zum Theil ist sie bereits im Vorhergehenden
kurz skizzirt, zum Theil muss sie in den jene behandelnden Capiteln eingesehen
werden.
Wenn es im Allgemeinen Aufgabe des Arztes ist, die Ursachen der Sterilität
der Frau zu beseitigen, so können doch auf der andern Seite Verhältnisse eintreten,
welche es wünschenswerth machen, eine Conception zu verhindern. {Facul-
tative Sterilität.) Diese sind entweder socialer oder gesundheitlicher Natur. Es
liegt auf der Hand, dass ein zu grosser Kindersegen für manche Familie mit
beschränkten Einnahmen verhängnisvoll werden kann. Gerade der Arzt hat
oft genug Gelegenheit diesbezügliche Beobachtungen zu machen. Und ebenso
ist er oft in die Lage versetzt, mit Piücksicht auf das körperliche Wohlergehen
einer Frau vor erneuter Schwangerschaft w^arnen zu müssen. Gibt es doch
thatsächlich Frauen, welche mit jeder Schwangerschaft, jedem Wochenbett in
ihrer Ernährung zurückkommen und zwar nicht nur verblühen, — denn dies
würde nicht maassgebend sein — sondern derart entkräftet werden, dass sie
ihre Pflichten als Gattin und Mutter nicht mehr in vollem Maasse erfüllen
können, ganz zu schweigen von solchen, welche an einem Herzfehler leiden,
welche tuberculös sind, bei denen eine Nephritis oder Diabetes besteht.
Natürlich wurde und wird auch noch heute von Manchen der Standpunkt
vertreten, dass, wenn aus einem oder dem anderen Grund eine Conception
verhütet werden müsse, der geschlechtliche Verkehr zu unterbleiben habe.
Gewiss eine ideale Forderung, welche aber selbst von sehr willensstarken
Leuten gelegentlich nicht eingehalten wird! Und das Schlimme ist hier, dass
selbst eine einmalige Ausserachtsetzung des Verbotes sehr oft nicht ohne
Folgen bleibt. Ausserdem liegt darin etwas entschieden den natüiiichen Ver-
hältnissen Widersprechendes, wenn, zumal gesunde Eheleute, zwischen denen eine
innige Zuneigung besteht, auf jedes geschlechtliche Zusammenleben verzichten.
Ueber diese Fragen ist schon viel discutirt, viel geschrieben worden, ein
Gleiches wird auch noch in Zukunft geschehen, ohne dass an der Thatsache
etwas geändert wird, dass von den Aerzten anticonceptionelle Mittel ge-
fordert werden und von ihnen auch gewährt w^erden müssen. Von Alters her hat
es solche gegeben. Der sogenannte Coitus interruptus, das Zm'ückziehen des
Membrum virile aus der Scheide vor Eintritt der Ejaculatio seminis wird schon
758 . STEEILITÄT.
in der Bibel (Genesis 38, 7 — 10 V.) erwähnt. Noch heute ist er eines der weit-
verbreitetsten und meist angewandten Präventivmittel. Ihm haften zwei Uebel-
stände an; einerseits kann es passiren, dass etwas Samen in den Introitus
gelangt und dadurch doch ausnahmsw^eise eine Befruchtung zu Stande kommt;
andererseits scheint diese Art des geschlechtlichen Verkehrs, wenn er längere
Zeit geübt ward, sowohl für den Mann wie die Frau nicht ohne schädliche
Einwirkung zu sein. Bei dem ersteren sind mancherlei nervöse Erscheinungen
beobachtet worden; bei der letzteren ebensolche neben chronischer HjqDerämie
des Uterus und Oophoritis. Aus dem einen wie dem anderen Grund ist der Coitus
interruptus zu widerrathen, ganz abgesehen davon, dass er häufig beiden Ehe-
leuten nicht die volle geschlechtliche Befriedigung bringt. Um letztere zu
ermöglichen, und doch eine Empfängnis zu verhüten, sind eine ganze Reihe
Mittel angegeben, welche aber doch zum grössten Theil als unsicher in ihrer
Wirkung zu bezeichnen sind. So vaginale Ausspülungen mit einen oder mehreren
Litern reinen Wassers oder verschiedener Lösungen (Zinc. sulf., Cupr. sulf.,
Alaun, Chin. mur. etc.) unmittelbar post coitum, eventuell auch vor demselben.
Thatsächlich verhindern sie oft lange Zeit eine Conception, bis schliesslich
doch eine solche erfolgt. Ihr Zustandekommen ist wohl darauf zurück-
zuführen, dass gelegentlich Sperma direct in den Cervicalcanal ejaculirt wird
oder Spermatozoen in denselben eingewandert sind, ehe die vaginale Injection
vorgenommen ist. Der gleiche Mangel, d. h. die Möglichkeit der directen
Ejaculation von Sperma in den Muttermund, bezw. der Aufnahme von Sperma-
tozoen in dem wahrscheinlich inter coitum aus dem Os externum heraustretenden
Schleimstrang haftet den neuerdings angepriesenen Vaginalsuppositorien
(Cacaobutter mit Chinin und anderen Chemiealien) an. Als unsicher sind auch
die in die Scheide einzuführenden mit spermatödtenden Mitteln getränkten
Schwämmchen oder Tampons zu bezeichnen. Erstens werden sie häufig nicht
an den Muttermund gebracht oder sie verschieben sich während des Coitus
und gestatten dem Samen den Eintritt in den Cervix.
Von Capellmann stammt der Rath, zur Verhütung der Conception nur
vom 15. Tag nach Beginn der Menstruation bis zum 4. Tag vor Beginn der
folgenden den Coitus auszuüben. Er geht von der Annahme aus, dass in
diesem Zeitraum der Samen kein befruchtungsfähiges Ei vorfinde. Eine gewisse
Wirksamkeit scheint die Einhaltung dieser Abstinenzzeit thatsächlich zu
besitzen, keineswegs aber eine sichere. Es erklärt sich dies daraus, dass
wohl in der Regel Ovulation und Menstruation annähernd zusammenfallen,
erstere aber gelegentlich auch unabhängig von der letzteren erfolgen kann.
Eine sehr weite Verbreitung haben in den letzten Jahren die men-
SESTGA'schen Ocdusivpessare*) kugel- oder hutförmige, in ihrem Rand eine Uhr-
feder tragende Gummikappen verschiedener Grösse gefunden. Sie werden so
hoch in die Scheide geschoben, bis sie über der Portio vaginalis liegen und
den oberen Theil der Scheide vollständig abschliessen. Richtig eingeführt
werden sie ohne Zweifel eine Conception verhindern. Aber gerade in der
Einführung liegt die Unsicherheit ihrer Wirkung. Wird jene von der Fran
selbst besorgt, so ist es auch bei Benützung des von Mensinga angegebenen
Einführungsstabes leicht möglich, dass das Pessar die Vagina nicht völlig
abschliesst. Der Einführung seitens des Mannes ante coitum werden sich
feinfühlige Frauen mit Recht widersetzen und, auch wenn sie dieselbe gestattet,
ist es fraglich, ob der Laie dem Pessar die richtige Lage gibt. Mensinga lässt
es während der ganzen intermenstruellen Zeit liegen. Auch wenn dies
geschieht, müsste jedesmal ante coitum untersucht werden, ob es sich nicht
verschoben habe. Ausserdem hat das Liegenlassen den Nachtheil, dass sich
hinter dem Pessar die Vaginal- und Uterussecrete ansammeln, bei Katarrh
*) Vid. Fig. 99, pag. 426.
STIRNLAGEN. 759
gewiss nicht gleichgiltig. Ferner klagen viele Frauen über das Eintreten
übelriechenden Ausflusses trotz regelmässiger Ausspülungen. Schliesslich
entstehen auch ab und zu mehr minder tiefe Druckmarken in der Scheiden-
schleimhaut. Aus allen angeführten Gründen ist auch in dem Pessarium
occlusivum kein ideales anticonceptionelles Mittel zu sehen.
Am empfehlenswerthesten ist es noch immer, den Mann ein Condom
benützen zu lassen, zumal der Frau dadurch alle Manipulationen an ihren
Genitalien vor oder nach dem Beischlaf erspart werden. Sind sie aus gutem
Gummi gefertigt, so ist ein Platzen während des Gebrauches ausgeschlossen.
Deswegen sind sie den aus Fischblase hergestellten vorzuziehen. Die letzteren
haben den Vortheil, dass sie kaum gefühlsstürend sind, was sich bei starken
Gummicondoms bemerkbar macht. gkaefe.
Stirnlagesi. Wenn sich im ersten Acte des Geburtsmechanismus das
Kinn noch mehr von der Brust entfernt, wie es bei der Vorderscheitelbein-
lage geschieht, so entsteht eine Stirnlage*). Die Stirnlage ist demnach
also, wenn wir hier nur den Geburtsmechanismus gelten lassen, ein Zwischen-
glied von Hinterhauptslage und Gesichtslage. Doch müssen wir die Stirnlage
streng von der Stirneinstellung unterscheiden. Letztere wird bei sehr
beweglichem Kopfe oberhalb eines verengten Beckens gewiss häufig zur Beob-
achtung kommen, während wir unter Stirnlage xat' s^o/tjv nur denjenigen
Zeitpunkt der Geburt verstehen dürfen, wenn der Kopf bereits mit einer
grösseren Peripherie im Becken steht, wobei die Stirn den
tiefsten Punkt des kindlichen Schädels bildet und die Mitte
der Stirnnaht in der Führungslinie steht.
Zum Durchtritt kommt später — falls das überhaupt möglich ist — der
grösste Kopfdurchmesser. Wegen der ausserordentlichen Gefahr und Schwie-
rigkeit dieses Vorganges hat man die Stirnlage als „Querlagen des
Kopfes" bezeichnet.
Das Vorkommen dieser Lageanomalie ist zum Glück ein ausser-
ordentlich seltenes, da für gewöhnlich noch im ferneren Verlaufe der Geburt
je nach der weiteren Drehung des Kopfes eine Gesichts- oder Schädellage
erfolgt. Sie kommt auch mit relativer Häufigkeit bei kleinen Früchten vor.
So fand Spiegelbebg die Stirnlage unter 18 Fällen bei 2 Frühgeborenen von je
28 — 30 Wochen, einmal gleichzeitig bei beiden Zwillingskindern, einmal beim
ersten Zwillinge.
Aetiologie: Das Zustandekommen der Stirnlagen findet seine Haupt-
ursachen im grossen und ganzen aus denselben Gründen, wie das bei der
Vorderscheitelbeineinstellung geschieht. (Vergl. auch die Artikel ^^Vorder-
scheitelbeinlagen, " „ Fruclitlagen, " „ Gesichtslagen " ) .
Diagnose. Wir erkennen die Stirnlagen daran, dass man zuerst einen
harten, runden Kopftheil als vorliegend tastet. An tiefster Stelle fühlt
man ein Tuber frontale. Nach der einen Seite ist der margo supra-
orbitalis, nach der andern das hintere Ende der grossen Fontanelle
zu fühlen. Die Stirnnaht liegt im queren oder schrägen Durchmesser. Ganz
sicher wird die Diagnose, wenn man bei tiefer eindringendem Finger auch
noch die oberen Augenhöhlenränder mit der dazwischenliegenden Xasenwurzel
berühren kann.
Dem tiefliegendsten Punkte entsprechend bildet sich die Kopf ge-
schwul st auf der Stirn in der Umgebung des betreffenden tuber frontale.
Ausgang und Prognose: Ist das Verhältnis von Kopf und Becken
ein solches, dass eine spontane Geburt noch erfolgen kann, so ist der Me-
*) Vergl. Artikel „Fruchtlagen,'' pag. 260.
760 STIRNLAGEN.
clianismus beim Austritt des Schädels aus dem Becken folgender: In der
Schamspalte erscheint zuerst die Stirn, dann folgen die Augen. Nun stemmt
sich der Oberkiefer fest gegen den Schambogen und das Hinterhaupt wird
über den Damm gewälzt. Zuletzt und zwar erst nach der Geburt der ganzen
Schädelwölbung werden Oberkiefer, Mund und Kinn unter dem Schambogen
geboren.
Aus dem Umstände, dass bei dem Austritt des Kopfes der mento-
occipitale (13'5 cm), also der grösste Durchmesser des kindlichen Schädels
den Beckenausgang (11 an) passiren muss, geht am besten die Schwierigkeit
und die Gefahr dieses Geburtsvorganges hervor; ebenso dass hierbei sehr
häufig Geburtsstörungen eintreten müssen. Für eine spontane Geburt in
Stirnlage sind vor allem die kräftigsten Wehen und grösstmöglichste Configura-
tionsfähigkeit der Schädelknochen unbedingt nothwendig.
Der Kopf eines so geborenen Kindes bietet einen geradezu monströsen
Anblick dar. Er erscheint sehr hoch, das platte Gesicht wird durch die fast
gerade, steil aufsteigende Stirn, welche meist eine sehr starke Kopfgeschwulst
hat, sehr lang und hoch. Dazu kommen dann noch die blauroth verfärbte
Umgebung des einen Auges mit der StirngescIiwuJst^ Sugillationen und Becken-
drucknarben am Gesicht. Von der grossen Fontanelle fällt der Schädel
ziemlich steil nach hinten ab. Treffend wurde ein solcher Kopf mit einem
Dreieck verglichen, dessen Winkel von Stirne, Hinterhaupt und Kinn gebildet
werden.
Allein trotz der guter Bedingungen für eine solche spontane Geburt
wird doch das Ende derselben lange hinausgezogen und mit der Länge der
Zeit wachsen hier auch die Gefahren für die Weichtheile der Mutter. Solange
der Kopf im Becken vorwärts rückt, bedroht er die anliegenden Weichtheile
mit Druckgangrän (Fistelbildungen), beim Austritt rupturirt das Perineum bei
der kolossalen Ausdehnung desselben auch bei kräftigstem Dammschutz. Das
Kind stirbt meist entweder vor der Geburt infolge der langdauernden Aus-
treibungsperiode oder bald nach derselben auch infolge der erlittenen Schädel-
compression.
Therapie: Aus obigen Gründen wird man jedenfalls versuchen, die
Stirnlage in eine andere Fruchtlage umzuändern. Bevor man bezüglich des
weiteren Handelns einen Entschluss fasst, sollte man sich gerade hier erst
über 2 Punkte klar sein: 1. Lebt das Kind? 2. Steht der Kopf fest oder ist
er noch beweglich?
Bei todtem Kinde führt die Perforation am 'schnellsten und für die
Mutter am schonendsten zum Ziele. Ist der Kopf noch beweglich, so haben
wir quoad vitam et valetudinem für Mutter und Kind die besten Chancen
durch Wendung und Extraction. Natürlich ist stets vorausgesetzt, dass die
Geburt beendet werden muss, resp. dass die Bedingungen für solche Eingriffe
(verstrichener Muttermund etc.) erfüllt sind. Ebenso bedarf es wohl kaum
der weiteren Ausführung, dass im Falle einer Frühgeburt wir uns abwartend
verhalten werden.
Ist die Wendung nicht mehr ausführbar, so versucht man aus der
Stirn läge eine Kopflage herzustellen, indem — wie es schon Hildebrand
angegeben hat — ein Druck nach dem Gesicht zu ausgeübt wird; oder man
drückt nach dem Hinterhaupt zu, um eine Gesichtslage zu erwirken.
Durch entsprechenden Gegendruck auf den Körper oder den Kopf des Kindes
von aussen her, sucht man die Umwandlung leichter zu ermöglichen. Doch
wird dieses Verfahren nur dann gelingen, wenn es während der Wehen
ausgeübt wird.
Im allgemeinen werden aber alle diese Versuche mehr auf die Thätigkeit
in den Kliniken beschränkt bleiben. In der Praxis kommen wir in diesen
Fällen meist in die Lage, die Geburt möglichst schnell beenden zu müssen.
SPÄTGEBURT. 761
Ist alsdann bei lebendem Kinde eine Wendung nicht mehr zu machen, gelingt
auch ein etwaiger Umwandlungsversuch nicht, so tritt, falls ein Abwarten der
spontanen Entbindung nicht mehr verantwortet werden kann, die Zange in
ihre Kechte. Nach Anlegung der Löffel zieht man zuerst nach unten, bis der
Unterkiefer sich unter die Symphyse stemmt. Dann wird der Zangengriff
gehoben und nachher das Hinterhaupt über den iJamm gebracht.
Ist der Zangenzug erfolglos, so Perforation auch des lebenden Kindes.
BODENSTEIN.
Spätgeburt. Unter Partus serotinus, verspäteter, überzeitiger Geburt
{Naissance tardive, retardie, Backward-birth) versteht man eine Geburt eines
lebenden oder frischtodten Kindes nach einer abnorm langen Schwangerschafts-
dauer. Wenn im Allgemeinen die normale Dauer der Schwangerschaft beim
Weibe auf 40 Wochen = 280 Tage bestimmt wird, so kommen doch Fälle
von einige Tage längerer Dauer der Schwangerschaft oft genug vor. Die
Fälle jedoch, wo von dem Beginn der Schwangerschaft bis zur Geburt des
lebenden Kindes, resp. frischtodten Kindes bis 300 Tage und mehr verflossen
sind, sind selten (überreifes, übertragenes Kind). Schon frühere Autoren wie
Louis, Bouvart, Metzger, Rehmer haben das Vorkommen von Spätgeburten
absolut geleugnet und die als Spätgeburten bezeichneten Fälle auf absicht-
liche oder zufällige, falsche Deutung zurückgeführt, andere wieder wie J. Bürns
sehen in einem verfrühten oder verspäteten Eintreten der Geburt des reifen
Kindes nichts Ausserordentliches, da der Zeitpunkt der Geburt nicht bestimmt
sei, sondern die Geburt vor sich gehe, sobald die Frucht ausgebildet sei. Das
Wahre liegt in der Mitte. Spätgeburten bei Thieren, wo der Termin der Coha-
bitation, die zur Schwängeruög führte, genau festgestellt war, sind mehrfach
erhärtet worden, wie z. B. von Wagner, Heister, Wildberg, Harvey, Lerot,
Namentlich gelten für die Schwankungen im Geburtstermine als belegend die
von Tessier an Kühen gemachten Erfahrungen. Die Kuh trägt — am ähnlich-
sten dem menschlichen Weibe — ihre Schwangerschaft 9 Sonnenmonate. Tessier
fand, dass von 160 Kühen 14 zwischen dem 240. und 266. Tage, 3 am 270.,
50 zwischen dem 270. und 280., 68 zwischen dem 280. und 290., 20 am 300.
und 5 am 305. Tage kalbten, so dass zwischen den äussersten Schwangerschafts-
grenzen Schwankungen von 1 bis zum 67. Tage lagen. Stellt die Mehrzahl
der Geburten, die zwischen dem 270. und 290. Tage nach der Empfängnis
stattfanden, die Regel dar, so sind jene 25 am 300. und am 308. Tage erfolgten
Geburten als Spätgeburten zu bezeichnen. Aehnliche Beobachtungen sind am
menschlichen Weibe wiederholt gemacht und wenn auch lange nicht alle
unzweifelhaft sind, sachgemäss und wahr geschildert, so gibt es doch unzweifel-
haft feststehende Beobachtungen von Spätgeburten beim Menschen. Aus-
geschlossen sind dabei selbstverständlich Zurückhaltungen einer abgestorbenen
Frucht in utero — missed labour — die sich ganz einfach erklären lassen als
Analogen der Zurückhaltung extrauteriner Früchte. Wie so oft nach Ab-
sterben der Frucht, das Ei in toto sich noch einige Zeit fort entwickeln kann
■ — missed abortion, bis es schliesslich zu seiner Ausstossung kommt, so kommt
Retention abgestorbener Früchte nach dem normalen Termin des Schwauger-
schaftsendes auch vor. Hier aber handelt es sich nur um diejenigen Fälle,
wo entweder eine lebende oder frischtodte Frucht geboren wird. Glaubhafte
Beobachtungen haben schon OsiANDER,d'OuTREPONT,undv. Siebold, Schneider.
Henke, Lobstein und Andere in früherer Zeit beigebracht. Der Arzt Fodere
beobachtete bei seiner eigenen Gattin 2mal Spätgeburt, einmal 40 Tage nach
dem regelmässigen Schwangerschaftsende, das zweite Mal auch erst, nachdem
die Schwangerschaft lOVg Sonnenmonate gedauert hatte. Beide Male sollen
nach Ablauf der 9 Sonnenmonate falsche Wehen und Abgang seröser Flüssig-
keit beobachtet sein. Dr. Klein und der Geburtshelfer Sabini beobachteten
762 SPÄTGEBURT.
jeder bei ihrer Frau Uebertragung der Frucht von je einem Kalendermonat.
MoxTGOMERY berichtete eine Spätgeburt, Riglek's Fall soll nach Schröder
sehr überzeugend sein: 4 Wochen nach dem erwarteten Termin wurde ein
19V2 Zoll langer und 10 74 Pfund schwerer todter Knabe mit stark entwickel-
ten Haaren und Nägeln geboren. Die spontan ausgestossene Placenta wog
über 3 Pfund und war mit Kalksalzen wie übersäet. Fruchtwasser fehlte fast
vollständig. (Bond gab nach Schröder an, dass bei Spätgeburten zwischen
Bauchdecken und Nabelschnurscheide ein rother Ring von 1 — 2 Linien Breite
sich finde). Beim Kaninchen wurden Schwankungen im Geburtstermin zwischen
dem 27. und 35. Tage der Schwangerschaft beobachtet, beim Schwein, dessen
Schwangerschaft normal 120 Tage dauert, Schwankungen vom 109. — 138. Tage,
beim Schaf (154) zwischen 146. bis 158. Tage, bei der Kuh (285 Tage) zwischen
den 240. bis 320. Tage, beim Pferde (340) vom 287. bis 419. Tage. Schlichting
berechnete auf 456 Frauen mit festgestelltem Conceptionstermin die mittlere
Schwangerschaftsdauer des Weibes auf 269.5 Tage. Die Grenzen schwankten
zwischen 240 und 334 Tagen. Veit constatirte Differonzen in der Schwanger-
schaftsdauer derselben Frau 7mal unter 10 Tagen, 4mal unter 10 — 20 Tagen
7mal unter 20 — 40 Tagen, 2mal über 40, Imal sogar 64 Tage. Nimmt man
nach V. Winckel an, dass das Ei der zuletzt dagewesenen Menstruation
befruchtet worden ist und rechnet von dem ersten Tage derselben an, so fand
Mattei als mittlere Dauer der Schwangerschaft 265 Tage
ScHLiCHTiNG in 440 Fällen 273-1 „
Matthews Duncan 278 „
Wacht (junior) . 279*87 „
LöwENHARDT- Ahlfeld (166 Fälle) ... . 281-6 „
Löwejsthardt nach Hecker 284-5 Tage.
Alle diese Beobachteter constatirten zugleich Schwankungen von min-
destens 30 — 35 Tagen nach oben oder unten von 280 Tagen (J. Veit).
V. Winckel fand auf 5010 Schwangerschaften 70mal Schwangerschaft von
über 300tägiger Dauer, 47mal dauerte die Schwangerschaft über 302 Tage,
es kamen diese 117 Beobachtungen von Spätgeburt auf die Zahl von 1700
Frauen, bei denen der Conceptionstermin festgestellt werden konnte; darnach
berechnet v. Winckel auf Grund seiner Erfahrungen die Häufigkeit der
Spätgeburten (über 300 Tage) auf 6-87o, berechnet die mittlere Dauer der
Schwangerschaft auf 280 Tage, betrachtet Schwankungen in der Dauer der
normalen Schwangerschaft zwischen 240 bis zu 320 Tagen und vielleicht noch
weiter hinaus als erwiesen. Ludvs^ig und Haller lassen die Möglichkeit einer
Uebertragung des Kindes von einem Monat, Hebenstreit von 2 Monaten zu,
Alberti, Teichmeyer, Buettner, Osiander von 3 Monaten, Mende bis zum
308. Tage. Die Möglichkeit einer Dauer der Schwangerschaft um
eine Menstruationsepoche länger, also von 320 Tagen ist nicht
von der Hand zu weisen.
Welches Kriterium in der Beurtheilung der Wahrheit einer Spätgeburt geben
Grösse und Entwicklungsgrad, Gewicht des Kindes, Placenta etc.? Eine über-
mässige Entwicklung, Kleinheit der Fontanellen, geschlossene Nähte, Gewicht bis
zu 14 Pfund u. s. w. sprechen, wo sie constatirt werden, zu Gunsten der Annahme
einer Spätgeburt, das Fehlen dieser Bedingungen schliesst jedoch eine statt-
gehabte Spätgeburt keineswegs aus, da alle diese Bedingungen sich bei zu
frühgeborenen Kindern finden können, andererseits bei den stärksten Kindern
z. B. auffallend Vv^eite Nähte und grosse Fontanellen gefunden werden. Per-
sönlich habe ich bei einer übertragenen Schwangerschaft ein lebendes Kind von
14 Pfund russischen Gewichtes mit der Zange entwickelt, und ein sub partu
wegen Dystokie durch übermässige Grösse (16 ^) abgestorbenes Kind in
der Warschauer Klinik gesehen.
SPASMUS ORIFICII INTERNI. 763
Die grösste Wichtigkeit hat die Frage der Spätgeburt für die ge-
richtliche Medicin. Wie lange Zeit kann in maximo von der
Schwängerung bis zur Geburt verstreichen? Gemäss den verschiedenen
Ansichten der Geburtshelfer haben auch die Gesetzgeber verschiedener Zeiten
den äussersten Termin der Möglichkeit einer Spätgeburt verschieden bestimmt.
Das römische Recht lässt nur für den 10. Monat Spätgeburten zu, der Codex
Justinianus erklärt den partum undecimestrem für impiissimum et mirabilem.
Der Code Napoleon sagt, dass die eheliche Geburt eines Kindes, welches
300 Tage nach aufgelöster Ehe geboren worden, bestritten werden dürfe, gibt
also bis zum Ablauf der 300 Tage die Rechtmässigkeit des Kindes zu. Das
Allgemeine bürgerl. Gesetzbuch für 0 es ter reich erklärt Kinder, die nach
geschlossener Ehe im zehnten Monat entweder nach dem Tode des
Ehemannes, oder nach gänzlicher Auflösung des ehelichen Bun-
des von der Gattin geboren werden, unbedingt für ehelich, die nach dem
zehnten Monat geborenen unterwirft es der Untersuchung der Sachverstän-
digen. Das Allgemeine Gesetzbuch für die Preussischen Staaten. (Preuss.
Allg. Landrecht. Th. IL Titel 2 §. 19) sagt: „Ein Kind, welches bis zum
302. Tage nach dem Tode des Ehemannes geboren worden, wird
für das eheliche Kind desselben geachtet," dagegen lässt es
für uneheliche Geburten eine Verspätung der Niederkunft nur bis zum
285. Tage zu. Von med. Facultäten sind (ob mit Recht?) verschiedene
Gutachten abgegeben, die Facultät in Halle hat eine Spätgeburt nach 11 Mo-
naten und 15 Tagen, die in Giessen nach 12 Monaten, die Helmstädter nach
13 Monaten, die Ingolstädter nach 1 Jahr und 8 Tagen, die Leipziger nach
] Jahr und 13 Tagen nach dem Tode des Ehemanns als rechtmässig erwiesen
anerkannt. Das Preussische Civilgesetzbuch, Art. 315 sagt: „Die eheliche
Geburt eines Kindes, welches 300 Tage nach Auflösung der Ehe geboren ist,
kann bestritten werden." Das Preussische Gesetz vom 24, April 1854 §. 15
lautet: „AI s Erzeuger eines unehelichen Kindes ist Der-
jenige anzusehen, welcher mit der Mutter innerhalb des
Zeitraumes vom 285. bis 310 Tage vorder Entbindung den
Beischlaf vollzogen hat. Auch bei einer kürzeren Zwischenzeit ist
die Annahme begründet, wenn die Beschaffenheit der Frucht nach dem ürtheil
der Sachverständigen, mit der Zeit des Beischlafes übereinstimmt." Der
Entwurf des neuen deutschen Civilgesetzes hat in den §§. 1467 und
1572 eine „Empfängniszeit" bezw. Schwangerschaftsdauer gesetzlich statuirt;
und zwar die Zeit zwischen dem 180. und 300. Tage nach dem bewiesenen Coitus
als Geburtszeit eines lebensfähigen Kindes festgesetzt. Da nun Uebertragungen vor-
kommen, müsste nach H. Fritsch die Zeitdauer, wenigstens bei Post-
humis auf 324 — 336 Tage verlängert werden. Andererseits würde eine solche
Bestimmung der „Verlängerung der Empfängniszeit" manchen Uebergriff und
Betrug, ungerechtfertigte Ansprüche einer von einem anderen Manne Geschwän-
gerten auf Alimente etc. zur Folge haben. Den längsten Termin lässt die
gerichtliche Medicin für das nach dem Tode des Vaters geborene Kind, den
Posthumus gelten; namentlich für Fälle, wo der Gatte durch einen Unglücks-
fall plötzlich um das Leben gekommen, ist diese Bestimmung sehr humane
um jede Möglichkeit einer Ungerechtigkeit durch einen langen Termin auszu-
schliessen, wie Fritsch sich ausdrückt, — denn bei längerem Siechthume
wird der Ehemann nicht in der Lage sein, kurz vor dem Tode den Beischlaf
zu vollziehen. xeugebauee.
Spasmus orificii interni. Ob partielle, ringförmige Contractionen im
Bereiche gewisser Abschnitte des Uterus bei der Geburt vorkommen oder
nur dafür gehalten werden, ist eine bis jetzt noch nicht gehörig erledigte
Frage. Thatsächlich werden aber spastische ringförmige Contractionen des Orif.
764 SPASMUS ORIFICII INTERNI.
intern, und extern, als auch in der Nähe der uterinen Mündungen der Tuben
beschrieben.
Es scheint jedoch die richtige Ansicht jene zu sein, dass die sogenannte
spastische Contraction eines bestimmten Theiles nicht bestehe, sondern, dass
sich der Uterus im Ganzen contrahire, wobei auch jener Theil mit contrahirt
ist, von dem man glaubt, dass er allein contrahirt sei.
Der Uterus hat während der Geburt zwei von einander physiologisch
getrennte Abschnitte. Der eine derselben hat eine active, der zweite eine
passive Eolle. Diese zwei Abschnitte grenzen sich am sogenannten Contrac-
tionsringe ab. Oberhalb desselben contrahirt sich das Gewebe während der
Wehen, indessen die unterhalb des Contractionsringes gelegene Zone beim
Fortschreiten der Geburt eine Dehnung erfährt, die beim Vorhandensein
räumlicher Missverhältnisse um so deutlicher in Erscheinung tritt.
Insolange die Wehen ihren normalen Charakter beibehalten, und auch
weder seitens der weichen, noch der harten Geburtswege, noch der Frucht-
lage und der Fruchtentwickelung eine Abnormität besteht, fällt eine ring-
förmige Zusammenziehung des Contractionsringes nicht so leicht auf. Anders
verhält es sich bei den Krampfwehen und namentlich dann, wenn es sich um
einen Tetanus uteri handelt.
Beim letzteren ist der ganze contractile Theil zusammengezogen und das
untere Uterinsegment mit der Cervixwandung setzt sich von diesem ab. War
das untere Uterinsegment noch wenig entfaltet oder, wenn die Entfaltung des-
selben eine Störung erfahren hat, dann sitzt der Contractionsring scheinbar
dem schlaffen Cervix auf und imponirt so, als wäre ersterer das Orificum in-
ternum. Ein ähnlicher Befund lässt sich beim Tetanus uteri constatiren,
wenn nach dem Austritte der Frucht das früher entfaltet gewesene untere
Uterinsegment collabirt ist. Dieser sogenannte Spasmus orificii interni deckt
sich daher mit dem Begriffe der Krampfwehen und des Tetanus uteri*).
Bildet sich ein solches Verhalten bei noch nicht gesprungener Blase
heraus, dann kann letztere polypenartig beim Orificium externum herausragen
(Valenta). Meist aber hat man es mit der gesprungenen Blase zu thun.
Die beschriebene Contraction kann sich, wenn die Bedingungen für die
Entstehung derselben gegeben sind, in jeder Geburtsperiode ausbilden.
In der ersten Geburtsperiode kann man sie häufig bei Abortus beob-
achten; ferner bei Schulterlagen. Bei letzteren umspannt der Contractionsring
die in das Becken eingetretene Schulter. In der zweiten Geburtsperiode
legt sich bei vorangehendem Kopfe der Contractionsring um den Thorax, bei
Steisslagen um den Hals des nachfolgenden Kopfes. In der dritten Geburts-
periode schliesst sich der Contractionsring derart, dass er selbst für den
Finger undurchgängig erscheint. Man spricht dann von einer Incarceratio 'placentae.
Die Ursachen zur Entstehung des sogenannten Spasmus sind: häufiges
und langdauerndes Untersuchen, ungeschickte Wendungsversuche oder sonstige
intrauterine, geburtshilfliche Eingriffe, bei Steisslagen zur Unzeit angestellte
Extractionsversuche, in der dritten Geburtsperiode das Ziehen an der heraus-
hängenden Nabelschnur, übertriebene Massage des Uterus, Verabreichen von
Ergotin während der Geburt, Abusus in w^armen Bädern oder warmen Schei-
denirrigationen etc.
Die Geburtsbeendigung, sowie die sonstige Therapie richtet sich nach
dem vorliegenden Fall. Die erste Bedingung ist aber, zunächst den Uterus
in Ptuhe zu lassen. Man vermeide daher jede Untersuchung und jeden forcier-
ten Entbindungsversuch. Der Uterus erholt sich dann oft auftallend so,
dass die Geburtsbeendigung nach dem Aufliören des Spasmus keinen w^eiteren
Schwierigkeiten begegnet.
*] Vergl. auch die beiden Artikel ^Tetanus uteri" und „Wehen".
SÜPERFÖCUNDATION. 765
Bei hartnäckigen Formen kann mit Morphium subcutan (0 01 — 0 03 pro
dosi), oder durch Chlor oformnarcose nachgeholfen werden. Jedenfalls muss in
letzterer bei Schulterlagen ein Wendungsversuch gemacht werden, bevor man
an die Decapitation geht.
Wegen der durch die Contraction des Uterus bedingten Circulations-
störung sind die meisten Kinder bei einem solchen Verhalten in Lebens-
gefahr, viele sterben während der Geburt ab. Ist die Frucht in einer Steiss-
lage gewesen und während der Extractionsversuche abgestorben, dann mühe
man sich mit der weiteren Extraction nicht ab und warte bis der Spasmus
nachgelassen oder aufgehört hat. Man wird sehen, dass so manches Kind
spontan ausgestossen wird, wo trotz grosser Kraftanwendung die Extraction
nicht gelingen konnte. Ebenso zuwartend verhalte man sich beim Spasmus
in der dritten Geburtsperiode und Incarceratio placentae. Nur muss sorg-
fältig darauf gesehen werden, dass in den Uterus keine Luft gelange und die
Bedingungen zur Entstehung der Fäulnis hintangehalten werden. Bei dieser
Vorsicht kann die Placenta auch längere Zeit im Uterus verweilen, ohne
einen schädlichen Einfluss auf das Befinden der Mutter auszuüben. Oft
wird sie dann spontan aus dem Uterus ausgestossen. Hingegen sind auch
Fälle bekannt, dass bei einer spastischen Contraction alle Versuche, die Pla-
centa auf natürlichem Wege zu entfernen, missglückt sind und die Patientin
schliesslich, ohne dass die Placenta entfernt werden konnte, einer septischen
Infection erlegen ist. piskacek
SupGrfÖCUndätion, Superfötation, Superimprägnation, JJeherschwängerung,
Ueher fruchtung ^ Nachempfängnis beruht darauf, dass eine bereits schv/an-
gere Frau durch einen abermaligen Coitus einer zweiten Schwängerung
unterliegt, es handelt sich also dabei um zeitlich getrennte Befruchtung
zweier Eier. Gehören dieselben einer und derselben Ovulationsperiode an,
so sollte eine Ueberschwängerung, superföcundatio vorliegen, gehörte
aber das später befruchtete Ei einer späteren Ovulationsperiode an, so sollte
eine Ueberfruchtung superfötatio vorliegen. Beide lateinischen Be-
zeichnungen sind gleich schauderhaft, sind aber so eingebürgert, dass sie uns
überleben werden. Besser ist die deutsche Bezeichnung Nachempfängnis
und zwar frühe, sobald es sich um zeitlich von der Befruchtung des einen
Eies getrennte Befruchtung eines zweiten derselben Ovulationsperiode ange-
hörigen Eies durch zwei zu verschiedenen Zeiten von einem und demselben
oder von zwei verschiedenen Männern ausgeführte Cohabitationen handelt, und
späte Nachempfängnis, sobald das später befruchtete Ei einer späteren
Ovulationsperiode angehörte.
Kann eine bereits schwangere Frau im Laufe dieser Schwangerschaft ein
zweites Mal concipiren? Bei bereit» vorhandener Extrauterinschwangerschaft
kann eine uterine, ja auch eine zweite intrauterine Schwangerschaft erfolgen,
da der Weg, welcher den männlichen Samen zu dem zu befruchtenden Eie
leitet, durch Uterus und eine oder beide Tuben offen ist. Diese Fälle werden
darum von Manchen als falsche Uebe r seh w^ängerung, super foecundatio,
foetatio spuria angesehen und aus der Betrachtung ausgeschieden. Kann bei
doppelter Uterushöhle, nachdem in der einen Schwangerschaft bereits besteht, eine
Schwangerschaft in der andern Uterushöhle entstehen? Ein triftiger Grund
zur Verneinung liegt nicht vor, wenn auch Osiander behauptet hat, gerade
bei doppelter Gebärmutter kämen keine Ueberfruchtungen vor. Eisen:maxn
fand bei der Section einer Frau, die 139 Tage nach der Geburt eines Knaben
ein Mädchen gebar und w^o er einem Uterus bifidus vorausgesetzt hatte, diese
Annahme nicht bestätigt. Steinthal theilte jedoch einen Fall mit, in dem
eine zum 7. Male Schwangere im 5. Monate abortii-te und zwar eine 872 und
eine 31/2 Zoll lange Frucht. Es fand sich ein Uterus bilocularis, bei ein-
766 SüPERFÖCUNDATION.
facher Scheide. Es ist dieser Fall einzigstehend. Die verschiedene Ent-
wicklung der beiden Fötus im STEiNTHAL'schen Falle kann aber sehr wohl
auf einer gewöhnlichen Zwillingsschwangerschaft beruhen, wo infolge un-
gleicher Vertheilung des Nährmateriales und Raumbeschränkung der eine
Fötus früher abstarb als der andere. Bei Thieren mit normaler Zwei-
theilung des Uterus ist eine solche Ueberfruchtung sehr häufig, ja
regelmässig : es sind Fälle bekannt, wo Katzen, die mit verschiedenfarbigen
Katern rammeln, verschiedenfarbige Junge werfen ; eine Hündin, die zur
selben Brunstzeit mit verschiedenen Racen angehörigen Hunden gestellt
wird, wirft verschiedenen Racen angehörige Bastarde.
Es lässt sich gegen die Möglichkeit einer Nachempfängnis wenigstens
einer frühen, ausnahmsweise einer späten, bei doppelter Uterushöhle kein
stichhaltiger Grund anführen, aber wenn eine derartige Ueberschwängerung
auch vorkommen kann, so dürfte dies ein höchst seltenes Ereignis sein, da
doch eine doppelte Uterushöhle nichts weniger als häufig ist, während ana-
tomisch erhärtete oder klinisch bewiesene Fälle von gleichzeitiger Schwanger-
schaft in beiden Uterushöhlen bis jetzt nicht vorliegen.
Ganz anders liegt die Sache bei einfacher Uterushöhle und ist über die
Frage der Nachempfängnis bei einfacher Uterushöhle viel gestritten worden.
Bedingungen für die Ueberschwängerung sind erstens Ausscheidung
reifer befruchtungsfähiger Eier während der Schwangerschaft, a) aus der-
selben, b) aus einer späteren Ovulationsperiode. Spiegelbeeg, der behauptet,
es sei noch niemals das Fortbestehen der Ovulation während der Schwanger-
schaft beobachtet worden, leugnet also consequenter Weise die Möglichkeit
einer späten Nachempfängnis, — es sei eine physiologische Unmög-
lichkeit.
Auch KLEiNWÄCHTEß betont als feststehend das Sistiren der Ovulation
nach stattgehabter Schwängerung, man habe bei zahlreichen Sectionen von
Schwangeren oder Wöchnerinnen noch nie einen frisch geborstenen GßAAF'schen
Follikel angetrofien, und wenn Slawjansky, Negei und Parona bei drei
Sectionen Schwangerer Follikel in verschiedenen Stadien der Entwicklung an-
trafen, so liefere das noch keinen Beweis, dass diese Ovulation während der
Schwangerschaft stattgefunden habe, denn kein Follikel war geborsten und
diese Entwicklungsgrade jener Follikel konnten noch aus der Zeit persistiren,
wo die Frau noch nicht schwanger war. Schröder dagegen sagt: „Wenn
man aber, wofür Manches spricht, annimmt, dass auch ausserhalb einer Men-
struationsperiode Ausstössung von Eiern aus dem Ovarium statthaben kann",
so liesse sich a priori nichts gegen die Möglichkeit einer Nachempfängnis ein-
wenden, so lange bei vorhandener Schwangerschaft noch die Möglichkeit eines
Contactes zwischen Sperma und dem später ausgeschiedenen Eichen existirt.
Früher wurde auch angenommmen, dass sofort nach erfolgter Schwängerung
der Zustand des Uterus sich so verändere, dass er seine specifische Reiz-
barkeit für die Conception verliere, der Muttermund sich schliesse, Wucherung der
Uterusschleimhaut auftrete etc., so dass das Sperma nicht mehr eindringen könne,
auch der die Cervix verstopfende Schleimpfropf sei ein Hindernis, vollends aber
seien die Tuben nicht mehr passirbar, die Flimmerbewegung habe aufgehört,
die Tube könne nicht mehr mit ihrer Bauchöffnung das Ovarium umfassen
u. s. w., Gründe, die sämmtlich als hinfällig sich erwiesen haben. Bis zum
3. Monat kann gelegentlich ein Ei durch die Tuben in den Uterus, das Sperma
zu dem Ei gelangen, ja der Schleimpfropf in der Cervix soll sogar nach
Burdach als ein Leiter für das Sperma dienen. Diese Viabilität des Weges
für das Sperma bis zum Ei ist die zweite Bedingung. Faktisch unmöglich
wird ein Zusammentreffen eines später in den Uterus gelangenden Eies mit
dem Sperma erst von der 12. Woche an, sobald Decidua vera und reflexa mit
einander verwachsen. Bezüglich der späten Nachempfängnis nehmen wir dem-
SUPEßFÖCüNDATION. 767
gemäs heute an: Existirt eine während der Schwangerschaft fortdauernde Ovu-
lation, so muss auch die Möglichkeit einer späten Nachcmpfängnis bis zur
12. Woche spätestens theoretisch ancrl{:annt werden, bewiesen ist aber vor-
läufig eine während der Schwangerschaft fortdauernde Ovulation nicht, somit
also die Frage nach der Mijglichlieit einer späten Nachcmpfängnis bis jetzt
eine offene. Alle Fachgenossen, welche ein Sistiren der Ovulation während
der Schwangerschaft annehmen, müssen somit consequenter Weise die Mög-
lichkeit einer späten Nachempfängnis in Abrede stellen.
Wie steht es mit der Möglichkeit der sogenannten frühen Nachempfängnis
d. h. der Befruchtung eines zweiten aus derselben Ovulationsperiode stam-
menden Eies durch einen von dem ersten befruchtenden Beischlafe zeitlich ge-
rennten zweiten Beischlaf mit demselben oder einem anderen Manne?
Bei Thieren ist die frühe Nachempfängnis (Supcrföcundation, Ueber-
tschwängerung) sicher nachgewiesen. Stuten, die innerhall) einer Brunstperiode
von einem Hengst und einem Esel belegt sind, werfen gleichzeitig Pferd- und
Maulthierfüllen. Per analogiam übertrug man die Möglichkeit auf den
Menschen und stützte sich u. a. auf die Beobachtung, dass eine Negerin, die
binnen einer Ovulationsperiode in kurzem zeitlichen Abstände mit einem
Schwarzen und einem Weissen cohabitirte, verschiedenfarbige Kinder gebar;
dieser Beweis erscheint jedoch hinfällig, da bei Eacenkreuzung das Kind ein-
mal mehr dem Vater, einmal mehr der Mutter ähnelt und eine Negerin nach
Befruchtung durch einen Weissen das eine Mal ein schwarzes, das andere Mal
ein weisses Kind erfahrungsgemäss gebären kann, ebenso das Kind eines
Negers und einer weissen Gattin ein weisses sein kann. Es handelt sich bei
der Nachempfängnis um Zwillinge aus Eiern die durch zeitlich getrennten
Beischlaf befruchtet sind. Da eine Ausscheidung mehrerer Eier zugleich vor-
kommt, so ist auch gegen die Möglichkeit einer zeitlich getrennten Schwän-
gerung des einen und andern Eies aus derselben Ovulationsperiode theoretisch
nichts einzuwenden, — selbstverständlich ist aber die Möglichkeit dieser frühen
Nachempfängnis ebenso wie die der vielmehr fraglichen späten Nachempfängnis
gebunden an den Termin der ersten 3 Monate der Schwangerschaft, denn
nach Verwachsung der Decidua vera und reflexa ist der Weg, der zu einem
Contact zwischen Ei und Sperma führen kann, gesperrt.
In früheren Zeiten, wo die Frage vielfach bearbeitet wurde, stützten sich
die Vertheidiger der sogenannten Nachempfängnis in ihrer Beweisführung
ausser auf die Analogie bei anderen Säugethieren hauptsächlich auf 3 Punkte:
1. Während der Schwangerschaft zuweilen andauernde (wenigstens in
den ersten 3 Monaten) Menstruation und Ovulation,
2. auf die gleichzeitige Geburt von Zwillingen, Drillingen, die einen
verschiedenen Grad der Entwicklung nachwiesen;
3. auf die Geburt von Zwillingen in zeitlich weit aus einander liegenden
Zeitpunkten, so dass ein Kind 1, 2, 3 bis 6 Monate nach der Geburt des
anderen zur Welt kam. (Baetholin sah gar einen Zwischenraum zwischen der
Geburt des ersten und zweiten Zwillinges vom 31. Juli bis 9. Februar),
Bezüglich der während der Schwangerschaft persistirenden Menstruation,
resp. Ovulation ist schon erwähnt, dass eine fortdauernde Ovulation bis jetzt nicht
erwiesen ist, eine in den !Brsten Monaten der Schwangerschaft auftretende
Menstruation aber stark angezweifelt *wird, indem die Blutung atj^Disch und
durch pathologische Processe bedingt sein soll. Der zweite Grund, die
gleichzeitige Geburt von Zwillingen und Drillingen, welche verschiedene Grade
der Entwicklung aufweisen, so dass z. B. die eine Frucht lebend ausgetragen zur
Welt kommt, die andere unreif oder abgestorben, so finden derartige häufig
zu beobachtende Facta nach den heutigen Ansichten eine viel einfachere Er-
klärung in dem Absterben der einen Frucht infolge von Beeinträchtigung seiner
Ernährung, seines Kreislaufes durch den andern Zwilling u, s. w^, die im
768 SÜPERFÖCUNDATION.
Extrem zu der Bildung des sog. Foetus painjracaeus führt, als dass wir gezwungen
wären, hier an Nachempfängnis zu denken. Jede Zwillingsgeburt liefert uns
ein Beispiel der ungleichmässigen Entwicklung der Früchte, Schröder citirt
als Beispiele extremer Art die Beobachtungen von Schultze, der neben einem fast
ausgetragenen Kinde einen dem Anschein nach 6wöchentlichen, frischen Embryo
in einem gesonderten Ei fand, Meissner, sah Zwillinge, von denen der eine
2 und 4 Unzen v,'og und circa 1472 Zoll lang war, der andere aber vollkommen
ausgetragen unter der Geburt starb, [gemeinschaftliches Chorion !] C. Martin sah
lebend geborene Drillinge von 344 und 920 Gramm Gewicht bei 26
und 34 cwi Länge, D'Oütrepont eine 19 Zoll lange und eine 5V2 Zoll lange
Zwillingsfrucht, Klybeninnek sah die Geburt eines 472 monatlichen, Lebens-
zeichen gebenden Kindes, Tags darauf wurde ein seit einigen Tagen
abgestorbenes, grosses Kind geboren, dann die beiden gemeinsamen Nach-
geburten, darauf ein drittes ausgetragenes Kind. Bock sah die Geburt von
Drillingen aus drei Eier stammend (eine ISzöllige Frucht und 2 ganz frische
4-, resp. ömonatliche Früchte),
Was nun die Geburt von Zwillingen in zeitlich weit auseinanderliegenden
Zeitpunkten betrifft, so sind einmal viele der einschlägigen beschriebenen
Fälle, was die Genauigkeit der Beobachtung betrifft, nicht über jeden
Zweifel erhaben, andererseits gehören fast sämmtliche Fälle älteren Zeiten
an und werden desto seltener, je näher man zur Gegenwart herabsteigt, wie
Kleinwächter sagt. Diese älteren Beobachtungen halten nach Kussmaul
und Schultze eine strenge Kritik kaum aus.
Endlich kommt noch ein Factor dazu, der eine Erklärung auch dieser
Fälle ohne Heranziehung der Hypothese einer Nachempfängnis ermöglicht;
nämlich die Beobachtung eines gewissen physiologischen Stillstandes in der
Entwicklung des Samens (resp. Eies), nicht nur in der Pflanzenwelt, sondern
auch in der Thierwelt. Bergmann macht auf die Beobachtungen Ziegler's
und Bischoff's aufmerksam, nach denen die Brunst, Begattung und Be-
fruchtung des Kehes Ende Juli und August erfolgt. Das Ei macht die Fur-
chung durch und gelangt noch in seiner ursprünglichen Grösse (kaum 7i2"0
in den Uterus. Hier verweilt jetzt das Ei, ohne sich irgendwie zu ver-
ändern 472 Monate bis nach Mitte December. Es ist bis dahin sehr schwer
zu entdecken, und auch der Uterus geht nicht die geringsten Veränderungen
ein. Erst nach Mitte December beginnt das Ei sich schnell zu entwickeln
und die Ausbildung schreitet in der gewöhnlichen Weise fort, so dass 40
Wochen nach der Befruchtung die Geburt erfolgt. Es wäre hiernach wohl
denkbar, sagt Schröder, dass ausnahmsweise die Entwicklung einer Frucht
eine hemmende Ursache für die Entwicklung einer Nebenfrucht werden könnte,
so dass die letztere erst nach Ausstossung der ersteren sich weiter zu ent-
wickeln vermöchte, man kann also erstens, weil, wie die Erfahrung lehrt,
Zwillingsfrüchte niciit immer zur selben Zeit ausgestossen werden müssen,
weiters, weil es denkbar ist, dass nachdem die eine gut entwickelte Zwillings-
frucht geboren, die andere in der Entwicklung zurückgebliebene einstweilen
zurückgehalten und erst nach Monaten, nachdem sie sich gehörig ausgebildet,
ebenfalls ausgestossen wird, recht gut eine Erklärung für die zeitlich weit
auseinanderliegenden Termine der Geburt von Zwillingen finden, ohne die
Hypothese der Nachempfängnis für diese Fälle anzuziehen.
Dass eine frühe Nachempfängnis bis zur 12. Schwangerschaftswoche möglich
ist, lässt sich theoretisch nicht widerlegen, ebensowenig bis zu dem gleichen
Termin die Möglichkeit einer sogenannten späten Nachempfängnis, falls
eine Fortdauer der Ovulation in der Schwangerschaft nach-
zuweisen wäre, was jedoch bis jetzt noch nicht gelungen ist.
neugebauer.
SYMPIIYSEOTOMIE.
769
Symphyseotomie (Schamfur/enschnitt, sedion puhienne, puhiofomie, pel-
veotomie, ciecie tonoive.) Bei räumlichem Missverhältriis zwisfhcn Frucht
und Becken wird die lür Mutter und Kind f,^elilhrliche Entbindung
durch künstliche Frühgeburt oder durch Kaiserschnitt am Schwangerschafts-
ende umgangen. Bis zu einem gewissen Grade dieses Missverhältnisses kann
die Geburt durch Zange, resp. Wendung und Extraction per vias naturales
erledigt werden, darüber hinaus jedoch ist eine Geburt auf diesem Wege nur
möglich, wenn man die Frucht verkleinert (Embryotomie, Perforation) oder
aber den Beckenring erweitert. Letzteres geschieht durch Spaltung der Scham-
fuge. Jederzeit sind spontane Symphysenrupturen vorgekommen und dar-
nach unmöglich scheinende Entbindungen per vias naturales beendigt worden.
Es ist daher zu verwundern, dass der Vorschlag der künstlichen Schamfugen-
trennung nicht eher gemacht wurde als 1768.
Thatsächlich ist die Idee*) viel älter als allgemein angenommen wird, denn bereits
1585 (nach Winckel 1654, nach Charpentier 1655) hat der französische Arzt, Jean Claude
DE LA CouRVEE in Warschau sub partu beim plötzlichen Tode der Kreissenden in mortua
die Symphyseotomie ausgeführt, um schnell das Kind extrahiren zu können, 1766 hat
unter ähnlichen Bedingungen Plenck in Deutschland den Schamfugenschnitt in mortua
ausgeführt. Eine gewisse physiologische Lockerung der Beckengelenke bei Schwangeren
und Gebärenden war schon Hippokrates bekannt, ja es wurde von ihm sogar ein Ausein-
anderweichen der Schambeine sub partu angenommen, wie dies neuerdings bei manchen
Thieren z. B. beim Igel constatirt wurde; auch Avigenna erwähnte ein physiologisches Klaffen
der Gelenke sub partu. Dass man im Alterthum kleinen Mädchen prophylaktisch die
Schamfuge spaltete, um spätere Geburten zu erleichtern, ist Legende. Die Griechen hielten
die Schamfuge für ein richtiges, der Bewegung fähiges Gelenk. Vesal trat gegen diese
Anschauung auf und erklärte die Symphyse für eine einfache Synchondrose. Jacques d'
Amboise war der Erste, der schon 1519 an der Leiche einer wenige Tage port partum
wegen Kindesmord hingerichteten Wöchnerin in einer öffentlichen Vorlesung die Beweg-
lichkeit der Beckengelenke, namentlich der Schamfuge (Auseinanderweichen um einige
Linien) demonstrirte. Er bewies schon damals, dass es keine krankhafte Anomahe, sondern,
eine normale Erscheinung sei, weil die Frau sich stets zuvor gesund gefühlt habe, — und
zeigte, dasS; wenn man einen Oberschenkel erhob, auch auf der anderen Seite das Scham-
bein in die Höhe stieg. Severikus Pinaeus, der zugegen war, gewann der Frage grosses
Interesse ab und wollte künstlich bei Gebärenden eine Auflockerung der Symphyse her-
vorrufen durch Kataplasmen, Oeleinreibungen, Sitzbäder. Er will sub partu die Beine auf
den Unterleib beugen und dadurch die Symphyse spreizen, mit jeder Wehe trete dann das
Kind tiefer herab. Ja, er geht noch weiter und sagt schliesslich, freilich nicht ohne eine
gewisse Scheu, man könne sogar die Schamfuge durchschneiden und beruft
sich dabei auf Galen's Ansicht, dass der Inhalt mehr bedeute als das Gefäss, dass man
letzteres zu Gunsten des Inhaltes erweitern, ja durchschneiden dürfe. Trotz Galen's Auto-
rität trat erst Jacques d' Amboise mit Interesse dieser Frage entgegen, in der Folge be-
schäftigten sich damit Silvius, Riviere, Fernet, Deleurye, PuIOLAn, die sich den Anschauun-
gen des Pinaeus anschlössen. Duverney demonstrirte in seinen Vorlesungen im Jardin du
Eoi das Becken einer Puerpera, bei der durch die alleinigen Kräfte der Natur sub partu die
Schamfuge zum Klaffen gelangt war. Auch Morgagni theilte die Ansicht des Pinaeus.
Dennoch vergingen 2 Jahrhunderte, ehe der in der Theorie längst keimende Vorschlag
durch Jeans R6ne Sigault, zur praktischen Ausführung gelangte. Schon als Student der
Medicin trat er für die Schamfugenspaltung ein und muss er daher als intellectueller
Erfinder dieser Operation anerkannt werden. Sein, 1768 der Pariser Akademie gemachter
Vorschlag wurde durch den Secretär Louis dem holländischen Arzte Peter Camper mit-
getheilt, der sofort an einer Sau experimentell den Schamfugenschnitt ausführte, die sich
dann beim Saugen, Fressen u. s. w. wenig behelligt zeigte und nach 14 Tagen geheilt war
*) Die Literatur der Symphyseotomie ist schon im Beginn ihrer Geschichte
sehr reich gewesen, ist aber besonders neuerdings so sehr angewachsen, dass derselben in
vorstehendem Aufsatze nicht anders, als soferne sie Interesse für den ärztlichen Prak-
tiker hat, gedacht werden konnte. Ich verweise deshalb auf meine 1893 in Verlage von
Otto WiGAND in Leipzig erschienene Arbeit, resp. deren ersten Theil: „Ueber die Reha-
bilitation der Schamfugentrennung oder Symphyseotomie durch die
geburtshilfliche Schule zu Neapel. (L Theil: Die Geschichte des Scham-
fugenschnittes und die bisherige Casuistik von 437 Operationen von 1777
bis Ende Juni 1893), wo ich die gesammte Literatur bis Ende Juni 1893 zusammen-
gestellt habe. Sämmtliche seither erschienenen Veröffentlichungen finden sich in dem
zweiten Theile meiner Arbeit, welche demnächst erscheinen wird.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 49
770 SYMPHYSEOTOMIE.
Camper stimmte begeistert Sigault's Vorschlage bei. 1773 erprobte A. Le Roy die Trag-
weite des Schamfugenschnittes auf die Erweiterung der Beckenmaasse an weiblichen Leichen
und fand bei einer Puerperalleiche ein Auseinanderweichen der Schambeine bis auf 6-77 cm
bei Männerleichen auf 0*45— 0'68 cm bei Leichen von Frauen ausserhalb des Puerperium
0'61— 0'9 cm. Am 2. October 1777 nachts fand sich für Sigault die längst erwünschte Ge-
legenheit zum ersten Male an der Lebenden die Symphyseotomie auszuführen. Die 39-jährige
Soldatenfrau Souchot hatte 4 schwere Entbindungen hinter sich und — kein lebendes Kind !
Als einzige Hoffnung blieb ihr der Kaiserschnitt. Diesen wollte Sigault durch Symphyse-
otomie umgehen und es gelang ihm! Die Frau, die von Camper's Versuchen an der Sau
gehört hatte, ging auf Sigault's Vorschlag ein und zupfte selbst die Charpie für die ihr
bevorstehende Operation. Wenn sie auch nach der Operation eine Zeit lang schlecht ging
und an Harnincontinenz litt, so war doch das ihr gegebene Versprechen eines
lebenden Kindes erfüllt. Es liegt auf der Hand, dass dieses Factum ein kolossales
Aufsehen erregen musste. Das gesammte Pariser Publicum war so interessirt für die Sache,
dass sogar die Mode davon Profit zog und Herrenkrawatten, Hüte ä la Symphyse im Handel
erschienen. — Uebertriebener Enthusiasmus von der einen Seite, übertriebene Skepsis von
der anderen oft mit rein persönlichen gehässigen Invectiven gepaart, führte zu einem er-
bitterten Streite, der sich Jahre lang hinzog und in den beiden Lagern der Cäsarianisten
und Symphysiotomisten seinen Ausdruck fand. Die Akademie that das Ihre und Hess
Sigault und Le Roy, der ihm bei der Operation half, zu Ehren eine besondere Medaille
prägen. Der schlimmste weit gewichtigste Gegner Sigault's war J. L. Baudeloque, der
durch Leichenexperimente nachzuweisen suchte, dass die durch Schaamfugenschnitt ge-
wonnene Erweiterung der Beckenmaasse eine ungenügende sei; es erfolge Ruptur der
hinteren Gelenke bei jeder bedeutenderen Diastase; Lebensgefahr, Hinken, Läsionen der
Harnblase, Vereiterungen der Gelenke und Knochen wurden ins Feld geführt und — haupt-
sächlich Dank dem Eifer und der Autorität Baudelocque's wurde schon nach wenigen
Jahren die Symphyseotomie in Frankreich, ihrer Wiege, proscribirt. Während anfangs viel
operirt wurde und oft genug mit für jene Zeit überraschend gutem Erfolge, waren jedoch
die Misserfolge in jener vorantiseptischen Zeit sehr zahlreich, die Operation wurde in
Frankreich verlassen und nach 1810 überhaupt nur noch 8 Mal bis zur Neuzeit ausgeführt.
In Paris hatte der italienische Student Domenico Ferrara der Sache ein Interesse abge-
wonnen und brachte die französische Idee nach Italien, wo er als Erster und zwar mit
Glück für die Mutter operirte (1787). Während in Holland, Belgien, Deutschland (in Eng-
land und in Spanien je 2 und 1 Mal ausgeführt) die Symphyseotomie nach wenigen Ver-
suchen ebenso scheiterte wie im Mutterlande und es so weit kam, dass sie allmälig als
obsolet u s. w. bezeichnet und in den Lehrbüchern der 80ger Jahre nur noch des histo-
rischen Interesses wegen oder gar nicht erwähnt wurde, hat sie, in Italien als „il done
di cielo" begrüsst, einen warmen Empfang gefunden und ist, wenn auch zeitweilig sel-
tener ausgeführt, dennoch stets mit geburtshilflichem Bürgerrecht ausgesta,ttet geblieben ;
so hat sich hauptsächlich Dank seinem Pflegevater Morisani das von der französischen Mutter
verstossene Kind zur Reife entwickelt und heute seine berechtigte und allgemein
anerkannte Stellung erworben. — Zu Ende des vorigen Jahrhunderts war es in Paris soweit
gekommen, dass der Arzt, der eine Symphyseotomie mit Unglück ausführte, Bekanntschaft
mit dem Strafrichter machte. Sigault, des Rechten sich bewusst, schrieb 1776: „Le
temps et le succes me vengeront peut-etre"; er hat Recht behalten und konnte
keine glänzendere Genugthuung erhalten, als dass die heutige moderne Resurrection der
einst von Baudelocque geächteten Symphyseotomie gerade von der ihm zu Ehren benann-
ten Clinique Baudelocque in Paris ausgehen musste, wo Pinard mit Enthusiasmus dem
Vorgange Morisani's folgend binnen 2 Jahren 38 Symphyseotomien zum Theil selbst aus-
führte, zum Theil von seinen Assistenten ausführen Hess und dabei nur 2 Mütter verlor.
Es wurden nach meiner Statistik von Jahre 1777 bis 1860, die ich 1893 veröffentlichte, und der
ich heute einen von Gelauff operirten Fall hinzufügen könnte im Ganzen 136 Symphyse-
otomien mit Geburt von 137 Kindern ausgeführt. 3mal wurde die begonnene Symphyse-
otomie nicht durchgeführt, der Kaiserschnitt folgte, 30mal ist das Schicksal des Kindes nicht
angegeben. Auf 104 Kinder waren 13 vor der Operation abgestorben, 1 todtfaul, 30 sub partii
abgestorben, 16 bald nach Geburt gestorben, 34 am Leben erhalten, zusammen 50 Kinder
lebend geboren. Von 104 (resp. 90) mit Symphyseotomie geborenen Kindern überlebten
nur 34. Das Schicksal der Mütter ist 25mal nicht angegeben, 3mal Kaiserschnitt hinzu-
gefügt, bleiben 108 von 136 Operationen zu berücksichtigen: 39 Frauen starben, davon
2 unentbunden. 69 Mütter genasen (36-lo/o SterbHchkeit). Auf 104 Kinder bei 103 Ope-
rationen betrug die Zahl der Todtgeborenen 44*4''/o, einschliesslich der binnen 3 Tage ge-
storbenen 16 Kinder 62-2''/o. — Von 136 Operationen von 1777 bis 1860 kommen auf Frank-
reich 46 (29 auf Pa.ris), 56 auf Italien (24 auf Neapel, 7 auf Mailand), 15 auf Holland, 8 auf
Deutschland, 7 auf Belgien, 2 auf England, 1 auf Spanien, 1 auf die Küste von Afrika.
In Frankreich operirte Sigault 6mal, Le Roy 5mal, Dubois 4mal, Beclard, Lauverjat, De
Mathiis, Dufay, Mansüy, Vermandois je 2mal, Baudelocque (der Neffe), Bonnard, Cliet,
Desmarest, Despres de Menmeurs, Verdier-Duclos, Duret, Dussausoi, Fourcault und
Duiraux, m. g. in Battigny, Giraud, x in Yvors, Lambron, Lescarde und Retz, Maslien-
rat-Laguem.\rd, Ozanam, Petit, Riollay, Roussel de Vauzerme, m. v. in Paris je einmal.
SYMPIIYSEOTOMIE. 771
In Italien operirte Galbiati 18mal, Assalini 4mal, Gianni 3mal, Jaccolucci 3mal,
Beluzzi und Cacciopuli je 2mal, Amantka, Asdiiubali, Baixentani, BALocciir, Carbonai,
Cattolica, Chianflone, Ferrara, Flejajmi, Giovannetti, Inkssi, Lavagnino, Malacabne,
Mancini, Marescotti, Monerni. Nannoni, Palasciano, Palleta, Penza, Persone, Petrijnto
de PbENzis, Rispou je einma.l.
In Deutschland operirte Mükinna 2mal, Breit, Dammann, Güerard, Metzger,
Nagel und von Siebold je 2mal. In Holland operirten von Münster 6mal, van Damen
3mal, BoLsiüs, Brodthlag, Gelauff, Groshans, de Man, Prillewitz und van Wy je Imal.
In Belgien: De cambon 6mal, Stock Imal,
In Spanien: Delando Imal.
In England: Welchmann und Bakker je Imal.
In Afrika: der russische Marinearzt Löffler Imal.
Für den Zeitraum von 1866 bis 1880 hat Morisani 50 Operationen zusammengestellt,
sämmtlich in Neapel von ihm und seinen Schülern ausgeführt. 41 Mütter gerettet, 9 ge-
storben (IS^/o), 41 Kinder gerettet, 9 todt geboren (18%). Für den Zeitraum von 1880 bis
1886 hat Morisani 18 Operationen, gleichfalls sämmtlich neapolitanisciie, zusammengestellt.
10 Mütter genesen, 8 gestorben (38-88o/„), 13 Kinder gerettet, 5 todtgeboren (27-77o). Fasse
ich meine Statistik von 136 Fällen von 1777—1860 mit denen Morisani's von 1866— 188G
zusammen, so fehlen für 28 Operationen Details; auf 176 von diesen 204 Operationen
starben 56 Mütter (31-87o)j 33mal für die 205 (einmal Zwillinge) geborenen Kinder fehlen
Angaben. Auf 172 Kinder 84 todt = 48*8% (theils todtgeboren, theils innerhalb 3 Tagen
gestofben).
Morisani, der moderne Apostel des Schamfugenschnittes, der von 1860 an zu wieder-
holten Malen für seine Ueberzeugung eintrat und auf mehreren ärztlichen Congressen seine
Ansichten proclamirte, hat es Dank der vortrefflichen P^esultate seiner letzten Statistik von
1887 an soweit gebracht, endlich das Interesse für sein Pflegekind in weiteren Kreisen
wachzurufen und schickte seinen Assistenten Spinelli zu dem Zweck einer Demonstration
der Operation nach Paris. Vom 7 December 1891 an gewann Morisani in Pinard einen
begeisterten Anhänger, später auch in Charpentier, der in Neapel der Frage näher trat.
Der Anfang war gemacht. Während die meisten Operateure zum Theil
in alten Vorurtheilen befangen nur mit Scheu und einem gewissen Widerwillen
wie Franck an die Operation gingen, wurde sehr bald zu viel operirt, die
Symphyseotomie war eben in das experimentelle Stadium getreten.
Ich habe von 1887 bis Ende December 1893, also für die
7 Jahre 278 Symphyseotomien zusammengestellt, 247 Mütter ge-
nasen, 31 starben (irP/o), die Sterblichkeit der Kinder betrug
19%. 4mal Loos des Kindes nicht angegeben, 8mal Operation bei schon vor-
her todtem Kinde; auf 266 Operationen bei lebendem Kinde wurden 253
Kinder lebend geboren, 13 waren sub partu abgestorben, 38 starben inner-
halb der ersten Tage, es gingen also von 266 während der Operation noch
lebender Kinder 51 (= 197o) trotz der Operation, zu Grunde.
Morisani gab im Congress zu Rom (März 1894) als Gesammtzahl der
Operationen 1887—1893 = 241 an und ll^/o Sterblichkeit für die Mütter, 12^'o)
für die Kinder. Meine Statistik von 278 Operationen ergibt also für die
Mütter einen ähnlichen Procentsatz, für die Kinder aber einen viel grösseren,
beinahe Yö aller Kinder und beinahe Vg aller Mütter gingen zu Grunde. Da
13 von den 266 vor der Operation noch lebenden Kindern (also 5%) sub
partu abstarben, so wurden nur 253 lebend geboren, von denen jedoch 38 den
Folgen der protrahirten Geburt oder dabei davongetragenen Verletzungen bald
erlagen (also 157o), so ergibt sich aus meiner Zusammenstellung cca. 197o
kindlicher Sterblichkeit.
Auf diese 278 Operationen fehlen bezüglich der Kindeslage 20mal die
Angaben; auf die übrig bleibenden 258 Geburten kommt 245mal Schädellage
[mehrmals dabei Wendung auf den Fuss gemacht] 5mal Steiss resp. Fusslage,
8mal Quer-Schieflage. Geburt: 15mal spontan, 2mal durch Kitgen"s Handgriff,
2mal durch IvRiSTELLER'-sche Expression unterstützt = 19; Extraction an den
Füssen bei Fuss-Steisslage 5mal, nach Wendung auf den Fuss 23mal [dabei
2 mal Zange an den nachfolgenden Kopf], zusammen 19 -J- 28 = 47: 5mal
wurde trotz Symphyseotomie die Perforation und Basiotrypsie gemacht, 199mai
49*
772 SYMPHYSEOTOMIE.
Zangenextraction des vorausgehenden, Imal des nach Decapitation zurückge-
bliebenen Kopfes; für 26 fehlen Angaben über Art und Beendung der Geburt.
Auf die 253 Geburten wurde also nur 19mal die Spontanaustreibung ab-
gewartet und zwar mit sehr gutem Resultat für Mütter und Kinder.
Ergebnis der 278 Symphyseotomien (einschliesslich einer FARABEUF'schen
unilateralen Ischiopubiotomie) von 1887 — 1893.
A. Bezüglich der Mütter.
Operationen Mutter genesen gestorben
Frankreich 73 62 11 lö^/^
Italien 52 50 2 3-8°/o
Deutschland .... 48 44 4 8-3°/o
Oesterreich-Ungarn .37 30 7 19% .
Amerika 40 36 4 lO«/«
Russland 14 12 2 14-20/„
England und Ostindien 4 4 0 .O^o
Holland 2 1 1 50«/o
Belgien 2 2 0 0«/o
Dänemark 1 1 0 O«/«
Rumänien 1 1 0 O^/o
Schweden 1 1 0 0%
Schweiz .... 3 3 0 07o
278 27 31 112«/o
B. Bezüglich des Kindes.
ö ö . ^ - -ö -2 ö fi
S :f^ -Sä ^-^ gg .o :S 1^ Si-^
O
bC m .üi
Frankreich 73 3 5 2 63 15 48 17 26%
Italien 52 0 1 3 48 3 45 6 11-7%
Deutschland 48 0 1 4 43 5 38 9 19%
Oesterreich-Ungarn ... 37 0 0 0 37 4 53 4 IM 7^
Amerika 40 0 0 4 36 5 31 9 22-5%
Russland ...... 14 0 0 0 14 4 10 4 287o
England und Ostindien .41 10 20 20 07^
Holland 2 0 0 0 2 0 2 0 0%
Belgien . ' 2 0 0 0 2 0 2 0 0%
Dänemark 10 0 0 10 10 0°/,
Rumänien 10 0 0 1 0 1 0 07,
Schweden 10 0 0 10 10 0%
Schweiz 3 0 10 3 2 12 666%
278 4 8 13 251 37 214 51 197o
Eine Zusammenstellung von 278 Operationen von 1887 bis Ende 1893
ergiebt eine mütterliche Sterblichkeit von 11,1%, immerhin aber ist dieses Sterb-
lichkeitsprocent ein ganz anderes als in der vorantiseptischen Zeit, zweitens
wird auch diese Sterblichkeitszifler noch bedeutend abnehmen bei grösserer
Uebung und Erfahrung der Operateure und strengerer Berücksichtigung der
Indicationen, die erst im Reifen begriffen sind. Der beste Beweis hierfür
sind die Resultate einzelner Operateure besonders der Italiener, dann Pinakd's,
Zweifel's, Schauta's, Rubeska's. — Die heutige Statistik ergiebt also 11,1%
Sterblichkeit der Mütter und 197o für die Kinder.
Es erscheint räthselhaft, dass eine Operation, die vor 100 Jahren eine
Zeitlang grossen Enthusiasmus weckte und später absolut in Verruf kam, nun
SYMPHYSEOTOMIE. 773
wieder in Aufschwung kommt. Der Grund des BAUDELOCQUE'schen Anathema
waren einmal theoretisdie Einwürfe: der Beckenring lasse sich nicht genügend
erweitern ohne Sprengung der hinteren Beckengelenke, die grosse Sterblichkeit
für Mutter und Kind, endlich dauernde Schädigung der Gesundheit der Mutter
(unsicherer Gang, Arbeitsunfähigkeit, Knochen- und Gelenkvereiterungen,
Abscesse, Harnincontinenz, Vorfall der Gebärmutter und Scheide u. s. w.).
Ausser den zum Theil berechtigten Einwürfen trug aber zur Zeit Baudelocque's
schon viel der Brodneid der Aerzte dazu bei, Sigalts Operation nicht aner-
kennen zu wollen, später aber namentlich überkommene Vorurtheile und das
jurare in verba magistri. Als Morisaxi vom Jahre ISSG an immer und
immer wieder versuchte, der Symphyseotomie zu ihrem Ptechte zu verhelfen,
scheiterten seine Bemühungen immer aufs Neue an theoretischen Bedenken und
blinden Vorurtheilen selbst der hervorragendsten Zeitgenossen, von letzteren
heute offenherzig eingestanden. — Die Symphyseotomie sei eine zerstörende
Operation, die Frau werde im günstigsten Falle zum Krüppel, der moderne
Kaiserschnitt bei relativer Anzeige und die künstliche Frühgeburt würden die
Symphyseotomie nicht aufkommen lassen, auch sei die Letalität für die
Mütter grösser als bei der Kraniotomie ! Hauptbedenken blieb aber die Angst
vor Platzen der hinteren Beckengelenke, Tod in der Folge oder bleibende
Schädigung, Gefährlichkeit der Gelenksverletzungen. Letztere Bedenken sind
Dank der experimentellen Arbeiten Ahlfeld's in neuerer Zeit Walcher's,
Klein's, Pinard's zerstreut, zweitens angesichts der glänzenden Resultate der
neueren Symphyseotomien, mit nach 3 bis 4 Wochen angeblich normalem
Gehvermögen fast hinfällig geworden. Die Hauptgefahr für die Mütter sieht
der Fachmann heute bei strenger Antisepsis — nicht in den Gelenkverletzungen,
sondern in der Gefahr: 1. der Blutungen, die in zwei Fällen bis 1893 und
1 mal im Jahre 1894 fast auf dem Operationstische tödtlich wurden, 2. in
ausgedehnten Weichtheilrissen namentlich bei Erstgebärenden. Trotz aller
Antisepsis und Asepsis, aller modernen Technik etc., geht heute noch jede 9.
der operirten Frauen zum Hades ein, bei ll'P SterlDlichkeit der allgemeinen
Statistik, einer Sterblichkeit die drei mal grösser ist als die der Italiener.
Dieser Umstand könnte leicht einen neuen Umschwung zu Ungunsten der
Symphyseotomie hervorrufen, andererseits wirft sich die Frage auf, warum
haben die Italiener eine so viel geringere Sterblichkeit, und so unverhältnis-
mässig weniger Complicationen mit ausgedehnten Weichtheilrissen und Gelenk-
platzen zu verzeichnen? Offenbar arbeiten sie mit mehr Erfahrung und folgen
präciseren durch Morisanis Schule erhärteten Indicationen, deren manche der
neuerdings ausserhalb Italiens gemachten Operationen zuwiderlaufen. —
Morisani sprach seine Kritik in dieser Beziehung sehr offen in Rom aus.
Während Pinard und Zweifel der Symphyseotomie eine Zukunft pro-
phezeien und sie für eine Operation erklären, die bestimmt ist, Gemeingut
aller praktischen Aerzte zu werden, haben die Ergebnisse des fran-
zösischen und des deutschen Gynäkologen-Congresses 1893, die Verhandlungen
der wiener geb. gyn. Gesellschaft und des römischen Congresses von 1894
diesen Enthusiasmus sehr gedämpft. Es scheint heute, dass der Standpunkt
Morisani's, den auch Chrobak theilt, bezüglich der Indicationen allgemein
angenommen werden wird. Die Mehrzahl der deutschen Geburtshelfer verhält
sich heute noch abwartend und skeptisch und verlangt, die Symphyseotomie
solle vorläufig nur in der Klinik gemacht werden, letzteres mit Recht. Einmal
muss der Geburtshelfer, der eine Symphyseotomie unternimmt, gründlich
chirurgisch vorgebildet sein und arterielle Blutungen nicht durch Tamponnade
stillen wollen, wenn er es nicht riskiren will, den Verlust eines oder zweier
Menschenleben auf sein Gewissen zu laden, — zweitens verlangt die oft für*
die Operirte qualvolle Nachbehandlung ein geschultes Personal. Die meisten
Operationen in der Privatpraxis sind in Amerika gemacht, nur w-enige auf
774 SYMPHYSEOTOMIE.
europäischem Boden. — Die Technik der Operation ist in glatt verlaufenden
Fällen eine sehr einfache, die Operation am häutigsten in der erhöhten Steiss-
rückenlage an der Tischkante bei ventralwärts gebeugten Schenkeln, ferner in
absoluter horizontaler Rückenlage oder in halber Rückenlage mit (nach Walcher)
herabhärgenden Schenkeln gemacht. Zwei Assistenten, um die Beine zu fixiren,
sind unerlässlich, ein dritter zur Narcose, also vier Aerzte sind wünschens-
werth und Avomöglich ein fünfter, falls der Operateur sich nur mit der Syms
phj'Seotomie befassen und nicht selbst die weitere Geburt beendigen will, \va-
Viele vorziehen, im Falle die Geburt nicht spontan erfolgen sollte. Personal
wird also nicht weniger verlangt als beim Kaiserschnitt, ja eher mehr und
zwar Assistenten, welche nicht ein Bein fallen lassen, wie es zweimal vor-
gekommen ist, was zum Platzen eines lleosacralgelenkes führte, das sonst nicht
erfolgt wäre. Eine kleine Unachtsamkeit kann hier die schwersten Folgen
haben. Selbstverständlich wird nur mit Narcose operirt. Nach der gehörigen
antiseptischen Säuberung und Rasiren der Pubes tritt nach Novi's Vorgange
der Operateur zwischen die Schenkel der Frau, die leicht gespreizt und ge-
streckt gehalten werden, nachdem das Gesäss bis an den Tischrand ge-
zogen ist, spaltet dann mit einem etwa 3 cm langen Querschnitt dicht ober-
halb des oberen Symphysenrandes die Weichtheile, der Finger dringt in die
Wunde ein zwischen die recti abdominis, die, falls nöthig, an der Insertions-
stelle etwas eingekerbt werden, und sucht die Vertiefung am oberen Pol der
Schamfuge auf, deren Aufsuchung erleichtert wird durch alternirendes Beugen
und Strecken der Beine. Sobald der Finger die richtige Stelle entdeckt hat,
dringt der Finger nach Blosslegung des oberen Schamfugenrandes, in das
retrosymphysäre Zellgewebe ein und löst die Weichtheile von der hinteren
Symphysenfläche ab. Zuweilen ward das Eindringen des Fingers sehr erschwert
durch den in den Beckeneingang sich bereits einpressenden Schädel. Der
Finger sucht sich nun den Weg zu bahnen bis zum Schambogenscheitel.
Dann wird nach Morisani ein starkes sichelförmig gekrümmtes, an der con-
caven Seite schneidendes Messer (galbiati's Falcetta), das am Ende ge-
knöpft ist, von oben unter dem Geleit des Fingers so weit und tief hinter die
Schamfuge eingeführt, bis der Knopf des Messers in den Schambogenscheitel
zu liegen kommt, indem das bisher flach (frontal) gehaltene Messer jetzt mit
der Schneide nach vorn gerichtet wird, wird mit einem kräftigen Messer-
zuge der Schamknorpel von unten nach oben, von hinten nach vorn ge-
spalten. Die Meisten suchen durch einen vorher in die Blase eingeführten
männlichen Katheter die Harnröhre herabzudrängen, um sie nicht zu verletzen.
Die Mehrzahl der Operateure beginnt jedoch heute mit einem sagittalen
medianen Längsschnitt von 6 — 8 cm, der etwa 3 cm oberhalb der Schamfuge
beginnend die Weichtheile bis auf den Knorpel schichtenweise oder mit einem
Zuge durchschneidet, wobei der Schnitt oberhalb der Clitoris etwas zur Seite
abweichen soll, um unnütze Verletzungen derselben zu meiden. Etwaige Varices
können dabei unangenehme Blutungen veranlassen, wie es einmal in Neapel
vorkam. Ob man mit Galbiati's Falcetta operirt oder mit Spinelli's ori-
ginell ersonnener, auf die Höhe der Symphyse vorher eingestellter Guillotine»
oder einem gewöhnlichen starken Skalpell ist ganz gleichgiltig, ebenso ob
man von oben nach unten, von hinten nach vorne schneidet oder umgekehrt.
Der geübte Operateur wird mit einen einfachen Bistouri seinen Zweck er-
reichen, nur darf es nicht zu dickbauchig sein — je mehr das Messer die
Schambeine oben auseinanderdrängt, desto mehr werden sie durch das
Messer unten zusammengepresst — und nicht zu dünn, sonst bricht es leicht.
Pinard beginnt die Operation bei gestreckter Längslage der Frau nahe am
Bettrande, stellt sich dicht neben dem Bette an der rechten Seite auf und
schneidet von oben nach unten und vorn nach hinten zu nach dem Längs-
hautschnitt den Knorpel durch, nachdem vorher der Zeigefinger der linken
SYMPHYSEOTOMIE. 775
Hand an der hinteren Symphysenflüche bis zum Schamwinkel heraljgeglitteu
ist. Zuletzt durchschneidet er das Lig. arcuatum inferius und betrachtet die
Operation nicht eher als vollendet, bis nicht der Finger zwanglos zwischen
den beiden Schambeinen durchgeführt werden liann. Dann versucht er noch
durch vorsichtige Schenkelabduction sich von der Bewegliclikeit der Ossa ilci
zu überzeugen, ob Alles durchschnitten ist, was durchtrennt werden
muss, damit der Schädel des Kindes nicht auf einen Widerstand trifft, den es
noch zu überwinden hätte auf Kosten seiner Integrität. Dann legt er einen
einfachen Verband an und wird wieder Geburtshelfer. Etwaige Blutungen
werden durch directe Ligatur, Umstechungen, meist durch einfache Gazetam-
ponade gestillt.
Carjbonai führt nur einen 3 cm langen Querschnitt durch die Weich-
theile oberhalb der Schamfuge aus, führt dann durch die Wunde ein schmales,
gerades, gestieltes Messer subcutan längs der vorderen Schamfugenfiäche
herabgleitend ein, wendet dann flach liegend, die Schneide gegen den Knorpel
und durchtrennt ihn mit sägenden Zügen, meist durchschneidet er dabei das
Lig. arcuatum inferius.
PicciNiNi legte erst einen Schnitt oberhalb der Clitoris an und durch-
trennte mit einem Schnitt von unten nach oben die Weichtheile, durchschnitt
dann erst den Knorpel von vorn nach hinten zu wie Carbonai, aber von oben
nach unten zu. Die Italiener führen den Schnitt meist, aber nicht ausnahmslos
von hinten nach vorn und von unten nach oben und zwar operiren sie ohne
die m. recti abdominis vorher einzukerben, ohne die Clitoris und die Gefässe
abzulösen und legen das Hauptgewicht auf digitale, stumpfe Ablösung des
retrosymphysären Zellgewebes, die aber nicht zu weit getrieben werden darf,
wegen mehrfach darnach beobachteter Taschenbildung, Bluterguss und
Jauchung. Grosses Interesse hätte eine subcutane Durchführung der Symphy-
seotomie für sich, wie sie ja schon früher vorgeschlagen wurde und die sich
auch durchführen Hesse. Der Zweck der Operation ist ja nur den Knorpel
zu durchschneiden, dann fielen die Nähte ganz fort und die Gefahr der aus-
gedehnten Weichtheilrisse wäre jedenfalls geringer. In nicht gar zu seltenen
Fällen hat der Operateur grosse Schwierigkeiten gehabt den Knorpel zu treffen
und mehrfach an den Schambeinknochen herumgesäbelt, weil die Symphyse
verfehlt worden war, was ab und zu in etwas schrägem Verlauf oder nicht
ganz medianer Lage der Symphyse seine Erklärung fand; schliesslich nach
langem Suchen wurde der Knorpel getroffen — oder auch nicht ! Es wurde
dann eine Verknöcherung irrthümlich angenommen, die bei Frauen unter
50 Jahren colossal selten ist, und zur Kettensäge gegriffen oder Hammer und
Meissel Mac Ewen's, oder aber der Operateur gab nach unvollendetem
Schnitt das Suchen auf und unternahm entweder eine andere geburtshilflichen
Operation (Embryotomie) oder legte die Zange an und — sprengte durch die
blinde Kraft der Zange nicht nur die angeschnittene Symphyse, sondern auch
die hinteren Gelenke, wovon er sich bei der krachend erfolgten Extraction
des Kindes und der Nekropsie der Mutter zu überzeugen Gelegenheit hatte.
Es ist auch vorgekommen, dass nach Durchschneidung des oberen Theiles
der Schamfuge der Eintritt und Durchtritt des Kopfes so rapid erfolgte, dass
der Operateur nicht dazu kam, seine Symphyseotomie durchzuführen (Fall von
Müller und van Noorden) [bei künstlicher Frühgeburt in der 32. W^oche bei
einer V-para asphyct., nicht belebtes Kind, Fieber, ausgedehnte Weichtheil-
risse, Vesico- Vaginalfistel]. Manchmal brach das Messer, in anderen Fällen
klemmte sich die Kettensäge ein oder der Operateur hatte keine solche vor-
bereitet und sass da mit seinem Talent! Solche im Entstehen abortirte Sym-
physeotomien sind mehrere verzeichnet.
Gleich nach vollendetem Knorpelschnitt beim Durchschneiden des Lig.
arcuatum inferius fühlt man meist ein plötzliches Nachgeben des Widerstandes
776 SYxMPHYSEOTOMIE.
und hört eine Art charakteristisches Geräusch. Sofort, aber nicht immer,
was auf unvollkommene Durchschneidung des Ligamentes hinweist oder bei
Ileosacralankylose, — woran man immer denken soll, um sich darnach zu
richten, — weichen meist die Knochenenden Yg — 1 cm auseinander, oft aber
nur auf wenige Millimeter.
Nach vollendetem provisorischen Verbände wird die Frau in die
WALCHER'sche Hängelage gebracht, das heisst, so an der Tischkante gelagert,
dass die so weit als nöthig gespreizten Schenkel in herabhängender Stellung
von den Assistenten gehalten werden, falls man sofort die Extraction des
Kindes folgen lassen will. Viele lassen um einer übermässigen Diastase der
Symphyse vorzubeugen, von aussen her einen Gegendruck gegen die Trochan-
tereugegend ausüben. Folgt man Galbiati's Grundsätzen, die auch Zaveifel
vertritt und überlässt, was theoretisch sehr wichtig ist, die weitere Geburt
unter dauernder Controlle der Herztöne den Kräften der Natur — das vom
engen Becken an sich gesetzte Hindernis und daraus entspringende, die
Geburt autlialtende Missverständnis ist ja mit beendigtem Schnitt theoretisch
als beseitigt anzusehen — so wird man nach vollendeter Symphyseotomie jedes
Spreizen der Beine streng vermeiden und die Kreissende in Längslage mit
geschlossenen und genau überwachten Schenkeln ins Bett legen; 15 mal hat
man in der neueren Kasuistik mit bestem Erfolge diesen Grundsatz Galbiati's
befolgt, zuweilen nach längerem Zuwarten, so wie sich eine dem Kinde
drohende Gefahr verrieth, doch hinterher die Extraction mit der Zange folgen
lassen. Andere operirten bei gespreizten und ventralwärts flectirten Ober-
schenkeln. Bequemer für den Operateur ist dies, ob aber richtig, ist fraglich?
Während also Ga^biati die Erweiterung des durchschnittenen Beckenringes im
Princip dem vordi'ängenden Kopfe überlassen will, geht Pinaed von einem
entgegengesetzten Standpunkte aus und will womöglich nicht zur Extraction
schreiten, bevor nicht die genügende Diastase gesichert ist. Statt des von
den Meisten angewandten Aussendruckes gegen die Trochanteren, haben
manche provisorisch einen Gypsverband, EssMARcn'schen Schlauch, Gummi-
bänder, Flanellbinden etc. vor der Extraction angelegt (!) Dieser angebliche
Schutz rutschte hin und her und störte. Koffer construirte einen
an dem Tische zu befestigenden voluminösen Apparat aus Metall zur Bitro-
chanteralcompression mit concaven Blechrinnen für den oberen Theil der
Schenkel. Freund jun. schlug zum Schutz der Weichtheile beim Schnitt
einen blechernen Hebel vor, wie ihn die Damen zum Anziehen der Schuhe
benützen. Schauta meint recht treffend, die Idee sei ganz schön, aber das
Instrument zu gross, dass man erst den Schamfugenschnitt ausführen müsse,
um diese Schutzplatte einführen zu können.
Ideal erscheint die Idee der subcutanen Symphyseotomie ähnlich wie
die Achillessehne z. B. durchschnitten wird. Im gegebenen Falle liesse sich ja die
Schnittwunde durch nach vollendeter Blutstillung sofort vorgenommenen Naht-
verschluss der Weichtheile in toto schliessen, die Verhältnisse werden dann
einer subcutan ausgeführten Symphyseotomie analog, auch könnte man zum
Schnitt die galvanokaustische Schlinge subcutan durchgeführt benutzen. Die
Adaptation der Schambeinenden wäre damit durchaus nicht ausgeschlossen,
wie die reiche Casuistik spontaner Symphysenrupturen mit rascher Heilung
beweist. Jedenfalls würde damit die Gefahr der Weichtheilrisse und auch
theilweise der Infection während der folgenden geburtshilflichen Manipulationen
vermindert. Ich Avürde im gegebenen Falle den Versuch für rationell halten,
dabei aber selbstverständlich auch die Weichtheile vernähen, ohne den Knorpel
mitzufassen.
Nach vollendeter Geburt wird die Wunde nach allgemeinen chirurgischen
Grundsätzen vernäht und zwar wird nur die Weichtheilnaht nach dem Vorgange
MoRiSANi's gemacht, indem die tiefen Nähte den Knorpel und Periost der
SYMPHYSEOTOMIE.
777
Schambeinenden mitzufassen suclien. Einzelne nähen etagenweise mit vei-
seakten Nähten, Andere ohne versenkte Nähte. Manche suchen in den Nähten
die Ursache des bis jetzt unerklärt gebliebenen leichten Fiebers, das sich in
den meisten neueren Fällen von Symphyseotomie zwischen dem 5. und 8. Tage
einstellte. Einmal wurde die Wunde offen gelassen und erst nach einigen Tagen
eine Secundärnaht gemacht. Viele benutzen eine Drainage des retrosym-
physären Zellgewebsraumes mit Jodoformgaze, die zum unteren Wundwinkel
herausgeleitet wird. Andere schliessen die ganze Wunde. Turetta in Messina
schlug zuerst die Knochennaht vor. Zuerst ausgeführt hat sie Sciiauta zumeist
mit gutem Erfolge mittelst Drillbohrer und Draht; ihm folgte in seinen früheren
Operationen Zweifel; Ciirobak schlug einen Stahlstift (beide zu einander
convergirend schräg) in jedes Schambein ein und brachte dann eine Achtertour
von Silberdraht um die Stifte an, die nach Lockerung am 8. — 12. Tage entfernt
wurden. Die PiNARD'sche Schule wendet gleich der MoRiSANi'schen keine
Knochennaht an, dieselbe macht zuweilen Schwierigkeiten und verlängert ohne
besonderen Nutzen zu bringen die Operationsdauer. Die praktische Erfahrung
spricht für die typischen Fälle gegen die Nothwendigkeit der Knochen-
nah t. Fritsch räth theoretisch ein Liegenlassen von mindestens drei Monaten
Dauer, damit die Narbe sich nicht dehne. Ich würde dieselbe nur dann zu
Hilfe ziehen, wenn eines der hinteren Beckengelenke geplatzt ist, was sich
durch die auffallende Steigerung der Beweglichkeit des betreffenden Hüftbeines
verräth, abgesehen von dem beim Platzen gehörten Krach, so lange aber die
hinteren Gelenke ganz sind, federn die Schambeine und treten spontan in
Contact, der gesichert wird durch Innenrotation der Fussspitzen bei gestreckten
Beinen, weshalb Fritsch vorschlug, am unteren Bettrande ein Brett anzu-
bringen mit in entsprechender Stellung fixirten Schuhen, in die die Füsse
gleich nach beendigtem definitivem Verbände geschoben werden sollen. Manche
legen auf die Wunde einen gewöhnlichen Gaze- und Watteverband, Mullgaze-
Dindentouren um das Becken, blaue Gypsbinden, Flanellbinden, gepolsterte
Gürtel, Heftpflasterstreifentouren u. s. w. Wegen häufiger Harndurchnässung
sind die amobilen Verbände nicht sehr brauchbar, viele Frauen vertragen
überhaupt keine Binde, schnallten sie sofort los oder lockerten sie, auch
Decubitus auf den Trochanteren wurde beobachtet. Vollends sind die com-
^pendiösen Verbände störend, falls z. B. Uterus- oder Scheidenspülungen noth-
wendig werden Man hat verschiedene Vorrichtungen ersonnen zur Immo-
bilisirung und Sicherung
des Contactes, eine Doppel-
rinne nach Art einer
BoNNET'schen Drahthose,
Pinard hat ein speciell ein-
gerichtetes Bett für Sym-
physeotomirte, Gueniot
hat den hier abgebildeten
Contentionsgürtel ange-
geben, Krassowski eine
hölzerne Vorrichtung, v.
Ott eine eigene Vor-
richtung, andere wenden
MARTiN'sche Gummibinden
und den EssMARcn'schen
Schlauch an, wieder Andere ^^s- 1- aujSNioT's Gun.
lagern die Frau zwischen zwei Sandsäcken. Morisaxi, der die besten
Resultate mit seinem denkbar einfachsten Vorgehen hat, hält alle
diese Fixationsvorrichtungen für überflüssig. Ist Contact bei dem
Wundverschluss erzielt, so sind die Vorrichtungen nicht nöthig,
778 SYMPHYSEOTOMIE.
ist keiner da, so werden sie ihn nicht erzwingen, einfache Mull-
bindentouren genügen. Koffer demons-trirte in Breslau einen bitrochan-
teralen Compressor, der jedoch schwerlich praktische Anwendung linden wird.
So lange die Beine gespreizt gehalten werden, ist auch mit seitlicher Com-
pression von aussen der Contact nur schwer zu erreichen, bei Schenkel-
streckung und Innenrotation der Fusspitzen macht er sich ganz von selbst.
Die Resultate der bisher mit Knochennaht behandelten
Fälle waren in nichts bessere als die Ergebnisse ohne Knochen-
naht behandelter Fälle.
Die Nachbehandlungin glatten Fällen ist eine höchst einfache, Binden-
touren, Bettruhe, Katheter u. s. w., kann aber höchst unangenehm werden,
namentlich, wenn es zur Vereiterung der Symphyse oder der hinteren Becken-
gelenke mit Pyämie, Abscessen etc., Peritonitis nach Verjauchung retrosym-
physärer Blutergüsse kommt, die dann Metastasen in der Lunge oder nach
langem Siechthum den Tod herbeiführen. Ebenso unangenehm sind die ver-
hältnissmässig häufig beobachteten Phlegmasien, Phlebothrombosen, die nach
3 — 4 Wochen schliesslich den Tod durch Embolie der Lungenarterie nach fast
plötzlich aufgetretener Dyspnoe herbeiführten wie im 4. Falle Leopold's und
anderen. — Endlich wird auch die Nachhandlung oft erschwert durch atonische
Uterusblutungen, die hinterher zur Uterustamponade führten, und den überaus
zahlreichen Weichtheilrissen, die sich zuweilen von der Cervix aus bis an die
Harnröhren- und Scheidenöffnung erstreckten. Oft sind mehrfache Risse
beobachtet worden, die mit der Symphysenwunde communicirten, man sah Clitoris
und Urethra abgerissen vom Schambogen etc. Zweifel nähte anfangs jeden
solchen Riss, um der Retention in Taschenbildung vorzubeugen, jetzt will er
nur tamponiren. Ausgedehnte Dammrisse, Cervicalrisse sind mehrfach
beobachtet, hier hängt die Complication der Nachbehandlung hauptsächlich
davon ab, ob Infection erfolgte oder nicht, die intrauterinen Manipu-
lationen nach der Symphyseotomie sind oft für die Operirte sehr schmerzhaft.
Auch die oft beobachtete Harnincontinenz sei es infolge von Harnfisteln durch
Riss oder auch zufällige Verletzungen durch die Nadel bei Umstechung blu-
tender Partien an der Harnröhre machen den Kranken und dem Arzte oft
viel zu schaffen, ebenso die Incontinenz infolge der mehrfach beobachteten
Lähmung des sphincter vesicae, die schon zweimal in der Folge eine Operation
nach Gersunv's Vorgange erforderte. Die Harnfisteln wurden gesondert operirt
nach Convalescenz von der Symphyseotomie, so lange musste die Kranke es
sich gefallen lassen nass zu liegen in dem zersetzten Urin.
Die unangenehmsten Complicationen der Operation sind:
1. wenn der Operateur die Schamfuge nicht finden kann, weil er
am unrichtigen Orte suchte, ohne den Fingerzeig zu berücksichtigen, mit Hilfe
des am oberen Schamfugenrande aufgelegten Fingers zu suchen, während das
eine Bein abwechselnd gebeugt und gestreckt wird, wenn statt in den
Knorpel in den Knochen eingeschnitten wird, das Messer zu dickbauchig sich
in der oberen Hälfte des Knorpels einklemmt oder gar weil es zu dünn ist,
bricht, die Kettensäge sich einklemmt, reisst etc. — Alles das ist vorgekommen.
Es kann dann passiren, dass der Operateur schliesslich im Schweisse seines
Angesichtes von der unvollendet gebliebenen Symphyseotomie, nachdem an
mehreren Stellen der Knochen ausgesäbelt ist. Abstand nimmt, und nach
dieser überflüssigen Verletzung der Frau, doch noch zur Embryotomie greift.
Von dem Gedanken ausgehend, dass beim platten Becken die Hauptstrictur
im Beckeneingange liegt und es daher genügen müsse, den oberen Theil der
Symphyse zu durchschneiden und um das Ligamentum arcuatum zu schonen,
schlug Leopold eine partielle Symphyseotomie vor, die nach Farabeuf
auf theoretisch falschen Voraussetzungen beruht. Wer dem Plane folgte, hatte
dann statt einer glatten Schnittwunde im unteren Theil der Symphyse, den er
SYMPHYSEOTOMIE. 779
schonen wollte, eine gerissene Wunde, indem während der Extraction der
Kopf den Rest zersprengte, sowie das Ligament, arcuatum inferius und häufig
auch die hinteren Gelenke, so dass es infolge dieser unvollständigen Durch-
schneidung zum Schlotterbecken kam, wie im Falle Kjjassowski's, Baum's
u. a. Leopold war schon von seinem Vorschlage zurückgekommen, als nach
ihm noch andere Operateure Lehrgeld zahlten.
2. Platzen die hinteren Beckengelenke bei einer übermässigen Diastase
der Symphyse (über 6cm hinaus) oder bei ungenügender infolge von
Nichtdurchtrennung des Ligament, arcuatum inferius, das deshalb
oft hinterher doch noch durchschnitten werden musste. Dieses Tlatzen ist
auch zweimal beobachtet worden, als einer der Assistenten das von ihm ge-
haltene Bein zufällig fallen Hess (Cave!). Die Folgen einer solchen Ileosacral-
ruptur sind glücklicherweise, wo es nicht zur Eiterung kommt, nicht immer
so deletäre als gemeinhin früher angenommen wurde, immerhin liefern in
der Casuistik gerade diese Fälle einen hohen Mortalitätprocentsatz, vielleicht weil
dabei meist auch anderweitige ausgedehnte Weichtheilrisse stattfinden und der
Infectionsgefahr Thor und Thür sperrweit geöffnet waren. Vereiterungen der
hinteren Gelenke brechen schliesslich ins Becken oder nach aussen durch und
können ausheilen, haben aber oft Siechthum und Tod gebracht.
3. Fatal ist die Complication, wenn man, ohne es zu ahnen, auf ein
Becken mit Ileosacralankylose trijfft oder aber auf Ankylosirung infolge von
Synostose von sacral assimilirten Querfortsätzen des letzten Lendenwirbels mit
einem oder beiden Hüftbeinen, einer durchaus nicht seltenen Beckenvariante.
Schrägverengte Becken werden aus dem Gebiete der Symphyseotomie ge-
strichen und tritt die unilaterale Ichio-pubiotomie auf der verengten Becken-
seite an ihre Stelle.
4. Schwerwiegende Folgen hat der Beginn der Extraction des Kindes
vor genügender Erweiterung (bei Erstgebärenden), resp. Erweiterungsfähigkeit
(bei Mehrgebärenden) des Muttermundes und unnachgiebigen Weichtheilen,
welche zuweilen den für die Prognose des Kindes aus der Symphyseotomie
resultirenden Vortheil wieder aufheben durch protrahirte Geburt. Andererseits
aber führt die ungenügende Vorbereitung der Weichtheile, wenn die Extraction
trotzdem forcirt wird zu den unheilvollsten Weichtheilrissen, die wiederum
trotz Ligaturen, Umstechungen, Tamponnade etc. schon dreimal den Verblu-
tungstod der Operirten fast auf dem Operationstisch oder binnen kurzer Frist
veranlassten. Zweimal fanden sub vita unbemerkt gebliebene retrosymphysäre
Blutansammlungen nach Schluss der Wundnaht noch statt, — eine haematoma
retroperitoneale, — die einen tödtlichen septischen Verlauf nahmen, me im
ersten Todesfalle Pinaed's. Auch die angeblich ex atonia uteri stammenden
Blutungen dürften vielleicht rein traumatischen Cervixläsionen ihren Ursprung
verdankt haben. Teeub, Tellier und Onufejew (1894 in Warschau)
verloren ihre Operirten durch Verblutung.
Erw^ähnt sei endlich eine Complication sub operatioue : das Dazwischen-
drängen der Blase zwischen die Schambeinenden. Steckt man die Hand
hinter die Symphyse, um sich davor zu schützen, so begiebt man sich theil-
weise der durch Symphyseotomie erzielten Ptaumvergrösseruug. Gegen die
Weichtheilrisse sind mehrfach Collumincisionen, auch Scheideneinschnitte im
Eingange gemacht worden, Episiotomien, die hier sehr am Platze sind. Die
Hauptquelle der Weichtheilrisse bei ungenügender Vorbereitung, — sie be-
treffen hauptsächlich die vordere Wand, — sah man in der mangelnden Sus-
pension am Knochen, im Mangel der knöchernen Stütze für die Weichtheile.
Die retrosymphysäre Ablösung der Weichtheile bringt es mit sich, dass während
der Extraction des noch in der Cervix stehenden Kopfes die Weichtheile mit
herabgezogen, gezerrt werden und dabei Abreissungen der Clitoris, Durch-
reissungen ihrer Corpora cavernosa, Abreissungen der Harm'öhre erfolgen.
780 SYMPHYSEOTOMIE.
Die Weiclitheile reissen entweder bei übermässiger Längszerrung oder Aiis-
ziehung in die Breite und der Ideinste Einriss einer Stelle führt momentan
zu einem weitgehenden Riss, so weit reichend, wie die Weichtheile über-
mässig gespannt waren, ähnlich wie der Commis im Seidenwaarengeschäft das
Stück von der Rolle ohne Messer trennt. Schaüta hält die flach auf die vor-
dere Weichtheilwand des Genitaltractus von aussen aufgelegte Hand für den
besten Weichtheilschutz, die Hand soll auch die Weichtheile zurückstreifen
über den vordringenden Kindestheil. Einzelne warnen vor allzuweit gehender
Ablösung der retrosymphysären Weichtheile, Blase und Bänder. Man soll
deshalb ja nicht extrahiren vor genügender Vorbereitung der
Weichtheile, namentlich bei Erstgebärenden und lieber etwas
zuwarten, an den LEOPOLD'schen Rath denken, möglichst lange
die Fruclitblase zu erhalten, eventuell durch den Kolpeurynter
zu ersetzen, und überhaupt die Symphyseotomie nicht vor
Eröffnung der Weichtheile ausführen.
Die nächst der Verblutungsgefahr, die ein gewiegter Operateur meist
beherrschen wird, schlimmste ist die der Sepsis, wie bei jedem und
chirurgischen geburtshilllichem Eingriffe überhaupt. Hier gelten die
strengen, allgemein giltigen Cautelen. Wer vorsichtig ist, wird eine
inficirte Kreissende nicht noch neuen Verletzungen aussetzen und hier auf
die Symphyseotomie verzichten mit Opferung des Kindes, ebenso wenig
wie er an Inficirten den Kaiserschnitt vornehmen wird ; so stehen
MoRiSANi, Leopold, Pinard zur Sache, Feitsch dagegen meint, die Infection
sei vom Genitalschlauch ausgegangen, man könne daher die Symphyseotomie-
wunde infectionsfrei erhalten, sieht also in bereits stattgehabter Infection der
Kreisenden keine Gegenanzeige gegen die Symphyseotomie, um doch das Kind
zu retten! — Die weitaus meisten Symphyseotomirten fieberten trotz aller
Asepsis und Antisepsis im. Wochenbett leicht einige Tage lang. W^aren sie
von der Operation oder sub operatione oder nach der Operation inficirt
und woher?
Bei typisch verlaufenden Fällen fand meist prima reunio der Wunde
statt. Die Nähte wurden am 8. bis 10. Tage entfernt, am 15. bis 30. Tage
ging die Frau wieder herum. Binnen drei Wochen erfolgte eine genügende
bindegewebige Consolidation und das Gehvermögen zeigte sich ungestört.
Dabei hinterblieb zuweilen eine geringe Diastase am oberen Schamfugenrande
und eine noch nach Monaten oft constatirte geringe Beweglichkeit zwischen den
Schambeinen. In anderen seltenen Fällen kam es zum Schlottergelenk,
welches jedoch den Gang auch nicht immer bedeutend erschwerte, es sind
jedoch auch Fälle von totalem Auseinandergehen der Wundnaht, Vereiterung
der Symphyse beobachtet worden, die tödtlich endigte wie in einem Falle
Frank's. In anderen Fällen blieb die Eiterung beschränkt, es trat unter Aus-
scheidung von Sequestern Heilung mit Fistelbildungen ein. Solche Compli-
cationen haben mitunter die Mutter selbst, ohne den Preis eines lebenden
Kindes erlangt zu haben, für 3—4 Monate an die Klinik gefesselt.
Was die Heilung des Knorpelschnittes betrifft, so mag es wohl auf Selbst-
täuschung beruhen, wenn einzelne Operateure von Ausheilung mit „solidem
wuchernden Callus" erzählen, da eine Knorpelwunde keinen Callus liefert,
oder es war der Knochen neben dem Knorpel verletzt. Die Thierexperimente
von Rubeska und Andern ergeben durchweg nur eine bindegewebige Verheilung,
«s entsteht ein fibröses Band zwischen den Antheilen des zerschnittenen Knor-
pels, es hinterbleibt regelmässig eine geringe Diastase und eine gewisse Be-
weglichkeit in der Symphyse, die in verschiedenem Grade ausgesprochen ist —
einmal kaum bemerkt, stört sie den Gang der Frau nicht — in anderen Fällen
giebt es ein Schlottergelenk mit oder ohne Verurtheilung zum Stock. Gerade
Dank dieser, so oft fälschlich angegebenen, festen Ausheilung, die de facto
SYMPHYSEOTOMIE.
781
Iveine feste, sondern eine lockere Vereinipjun^ giebt, sind nach Symphyseo-
tomiegeburt nachfolgende Entbindungen öfters spontan verlaufen. Bu.mm fand
bei seinen Thierversuchen theils Ausheilung mit neugebildetem Faserknorpel —
bei der mikroskopischen Untersuchung war kaum die Narbe zu erkennen; bei
unvollständiger Adaptation finde nur eine bindcgcwebartige Ausheilung statt,
bei ersterer erlange das Becken die frühere Festigkeit wieder, bei letzterer
nicht. Bei Messungen, die man Monate nach der Symphyseotomie ausführte,
fand man meist gar keine oder nur eine sehr geringe Vergrösserung der
Beckenmaasse. Der Wunsch, der Symphyseotomie einen Einfluss auch für
rig. 2a. Beckeneingang vor der Spaltung der Scliamfiige. ^^^^ 2^_ Beckeneingaiig nach der Spaltung der Schamfnge.
Fig. 3a. Beokenatisgang vor der Spaltung der Schamfuge. Fig 3b. Beckenausgang nach, der Spaltung der Schamfuge.
spätere Entbindungen zu sichern, d. h. die Eaumvergrösserung des Beckens
dauernd zu machen, hat Einzelne veranlasst zu verschiedenen osteoplastischen
Versuchen meist mit Einpflanzung von aus den Schambeinen mit partieller
Kesection entnommenen Knochenstücken zwischen die Schamfugenwimden,
die nach der Diastase zu umgeklappt werden. Der Erste, der an der lebenden
Frau mit Erfolg diese bleibende Erweiterung des Beckeminges ausführte, war
Feank in Köln (bei seiner 3. Symphyseotomie); Phäxomenoff und Koczotkow
in Kazan haben ähnliche Vorschläge gemacht zur Einpflanzung di'eieckiger
oder rechteckiger aus den Schambeinenden entnommener Fragmente in die
Diastase {„aiitoplastie par glissement"). Ddia^t? experimentirte an Thieren,
suchte bei Hunden und Kaninchen Rippenstücke einzupflanzen; nur
an Kaninchen glückte es, beim Hunde nicht. Der Vorwui'f des krüppelhaften
Ganges findet in den Ergebnissen der modernen Symphyseotomie keine Be-
782 SYMPHYSEOTOMIE.
gründung, andererseits wird er auch entkräftet durch zahlreiche Beobachtungen
gut ausgeheilter spontaner Symphysenrupturen auch durch viele Beobachtungen
völlig sicheren Ganges bei angeborenem Spaltbecken.
Eine hochinteressante Beobachtung von fracturärer Spaltung des Becken-
ringes mit syndesmotischer Ausheilung und völlig sicherem Gange habe ich
persönlich beschrieben (Centralbl. für Gyn. 1892 Nr. 17). Ueber die in der
älteren Literatur qft angeschuldigten Vorfälle des Uterus und der Scheide
nach S3^mphyseotomie ist in der neueren Casuistik bis jetzt weniger verlautet
als zu erwarten steht.
Der Zweck der Schamfugenspaltung ist Auseinanderweichen der
Schambeine, wodurch die Peripherie der linea innominata eine grössere, das
Lumen des Beckeneinganges erweitert wird. De facto hört die Conjungata -vera
auf in Betracht zu kommen, da zwischen den Schambeinen eine Lücke entsteht.
Statt der Conjungata vera kommen jetzt die Abstände eines jeden Scham-
beinendes von Promontorium, die Divergenz conjugaten in Frage,
zwischen die auseinandergewichenen Schambeinendeu drängt sich ein Segment
des Schädels ein, wodurch der Raumgewinn noch etwas vergrössert wird.
Beifolgende Zeichnungen stellen nach Charpentier den Beckenein- und -aus-
gang vor und nach der Symphyseotomie dar.
Die Vergrösserung des Beckens erfolgt nicht nur im Beckeneingange,
sondern im ganzen Becken, erstreckt sich auf sämmtliche Maasse und 'erfolgt
nicht nur durch die Diastase der Schambeine, deren Enden ein Stück Kreis-
bewegung nach aussen vollziehen mit dem Radius des Abstandes vom Centrum
des Ileosacralgelenkes vom Schambeinrande, sondern auch durch eine nach
Lockerung der Ileosacralgelenke erfolgende Drehung des Sacrum, resp. der
Hüftbeine die schräg verlaufende Axe eines jeden Ileosacralgelenkes. Es findet
also im Ileosacralgelenke eine doppelte Drehung statt, um eine vertikale und
um eine schräg verlaufende Axe. Wird das Kreuzbein fixirt, so vollziehen
die Hüftbeine beide Bewegungen, ist das Kreuzbein bei den Experimenten an
der Leiche nicht fixirt worden, so sinkt infolge der Drehung der Hüftbeine
das Promontorium nach vorn herab, während die vorderen Hültbeinenden sich
etwas erheben. Baudelocque, dessen Anathema hauptsächlich die Sigault"-
sche Operation seiner Zeit stürzte, motivirte seinen Einspruch durch 2 Argu-
mente: Eine genügende Erweiterung des Beckenringes sei an die conditio
sine qua non der irreparablen Verletzungen, d. h. Sprengung der Ileosacral-
gelenke gebunden, eine geringere Diastase der Symphyse gebe nicht genug
Raumgewinn, um das Kind lebend zu extrahiren, die Operation sei nicht nur
verstümmelnd und lebensgefährlich deshalb, sondern nutzlos; man schwur in
verba magistri. So ging ein Jahrhundert beinahe über die Frage hinweg
fast mit Stillschweigen bis auf einige wenige Autoren, die Baudelocque's
Vorurtheile objectiv beurtheilten und anderer Ansicht waren. Neuerdings
sind schon von Ahlfeld's Experimenten an, namentlich seit 1892 zahlreiche
Leichenversuche von Pinard, Wehle, Dödrlein, Schwarz, Zweifel und
vielen Anderen, auch von mir an puerperalen und nicht puerperalen Leichen
gemacht worden, welche mehr Licht in die Sache gebracht haben.
Die Grundlage zu allen diesen neuen Forschungen bilden die Untersuchungen des
Ileosacralgelenkes von Megkel, Barkow, Kölliker, Luschka und H. v. Meyer die nach-
wiesen, dass die sogenannte Synchondrosis sacroiliacca ein wahres Gelenk sei. Auf der
damit verbundenen Erhärtung einer physiologischen Beweglichkeit fussten dann die hoch-
interessanten Versuche Walcher's, der eine Vergrösserung der Conj. vera des normalen
Beckens bei herabhängenden Schenkeln der horizontal gelagerten Frau nachwies, Klein's,
Tejodoroff's und Andere. Bei 4; cm Diastase der Schaambeine spreizen sich die Ileosacral-
gelenke an ihrer vorderen Fuge etwas unter Anspannung der Ligamente ileosacralia anteriora,,
bei 6 cm betragt das vordere Klaffen derselben Querüngerbreite unter Abhebung der Ge-
lenkbänder vom Hüftbeine oder Lockerung ihrer Insertion (Dehiscenz, Dehnung, Einreissen),
bei Diastase über 6— 7 cm kommt es zum Platzen der Gelenkbänder vorn, offenem Klaffen
SYMPHYSEOTOMIE 783
des Gelenkes vorn, Bluterguss und anderen Folgen, während die straffen hinteren Bänder
unverletzt bleiben. Bei Schwangeren und Gebärenden ist die Dehnbarkeit dieser Bänder
viel grösser als bei nicht Schwangeren. Dödehlein constatirte bei seinen Versuchen stets
eine asymmetrische Vergrösserung der Beckenmaasse, indem die Maasse von links hinten
nach rechts vorn die Maasse von links vorn nach rechts hinten übertrafen. Das rechte
Hüftbein machte eine ausgiebigere Rotation, was Dödkrlkin durch grössere physiologische
Beweglichkeit des rechten Hüftgelenkes erklärt. Interessant ist, dass Fritscii und Andere
auch bei Leichenversuchen in ganz auffallend häufiger Weise ein Platzen des Bandapparates
immer am rechten Ileosacralgelenk vorherrschend fanden. Die Drehung des Hüftbeins am
Kreuzbein findet um eine schräge, von aussen oben nach innen unten verlaufende, Axe
statt, es müssen also nach der Symphyseotomie die Schamfugenenden in die Höhe steigen,
im Verhältnis zum Promontorium, welche Stellung sie auch bleibend einnehmen beim
Becken mit angeborenem Symphysenspalt. — Wehle beobachtete bei seinen Versuchen ein
Abwärtssteigen der vorderen llüftsbeinenden, weil er das Kreuzbein durch Schrauben an
einem Pfosten fixirt hatte. Döderlein berechnete bei seinen Experimenten den Piaumza-
wachs der Fläche nach, z. B. fand er die Beckeneingangsebene von 155 cm"^ in einem Falle
bei 6 cm Diastase um 50cm''' vergrössert. Mittelst Polarplanimeter hatte er den Flächen-
inhalt in einzelnen Ebenen des Beckencanales berechnet, im zweiten Falle bei 8 cm Diastase
66 cm Raumzuwachs im Beckeneingange, in der Beckenenge ebenfalls 66 cm'*. Auch hat
Döderlein graphisch durch Curven die Excursionsweite der einzelnen Punkte eines jeden
Hüftbeins, d. h. der vorderen Endpunkte der verschiedenen Beckendurchmesser bestimmt.
Wenn das Promontorium nach vorn und herab sinkt gegen die vorderen "Schambeinenden,
so treten eo ipso letztere gegen das Promontorium zu in die Höhe. Die Experimente
Döderlein's bestätigten die treffenden Angaben, welche schon 1807 Vrolik gemacht hatte,
der der Behauptung van Wy's (1804) entgegentrat, es fände ein Zurücktreten des Promon-
toriums nach hinten statt. Schon Baüdelocqe hatte übrigens das Nach-Vorn und Herab-
treten des Promontoriums bemerkt und notirt. Der Widerspruch zwischen den entgegen-
gesetzten Angaben verschiedener Autoren, das Promontorium sinke nach vorn herab, es
trete nach hinten (Schauta), dürfte seine Erklärung in verschiedener Art und Weise der
Lagerung der Leiche, Fixation oder Nichtfixation des Kreuzbeines etc. finden. Abgeschlossen
sind diese Untersuchungen noch nicht. Die Erweiterung der Conjugata vera wird allge-
mein auf 2mm für jeden Centimeter Diastase der Schamfuge angegeben, also beträgt sie
bei 8cm Diastase 15 — 16 mm Verlängerung, wozu noch ein weiterer Raumgewinn von b—6m?n
dadurch dazu kommt, dass der Kindeskopf mit einem Segment in die Diastase sich ein-
drängt, wodurch der biparietale Durchmesser also relativ 5 — 6?Km weniger Raum im Becken
in Anspruch nimmt. Der Raumzuwachs der die Conjugata vera vertretenden Linie wächst
also nicht ganz proportional der zunehmenden Diastase, sondern mehr bei den 5. — 8. C7n
Diastase als bei erstem bis vierten. Die Erweiterung des Beckens erstreckt sich auf sämmt-
liche Beckenmaasse, nur nehmen die Ausgangsmaasse weniger zu, selbstverständlich wach-
sen auch die Quermaasse und zwar sehr bedeutend, weniger die Schrägmaasse, was ja leicht
verständlich ist, es entfernen sich beide Endpunkte der Quermaasse von ihrer früheren
Lage nach aussen fast gleichmässig, bei den Endpunkten der Schrägmaasse aber machen
die hinteren Endpunkte der Schrägmaasse eine geringere Excursion nach aussen als die
vorderen. Die Details dieser noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen können hier nicht
erörtert werden, ebensowenig sei hier der Geburtsmechanismus im künstlich gespaltenen
Becken, der ein wesentlich abweichender ist, besprochen, der auch noch nicht endgiltig
festgestellt ist trotz den Untersu.chungen Fochier's. Chiarleoni sah sich veranlasst, eine
besondere Zange nach Symphyseotomie anwendbar anzugeben. Wichtig ist, dass bei der
Zangenextraction die Zange nicht wie sonst zum Schluss erhoben werden darf, um nicht
die Weichtheile desto mehr zu gefährden. In der bisherigen Kasuistik ist sehr häufig die
Achsenzugzange mit bestem Erfolg verwandt worden.
Wehle (siehe Fig. 4), der durch Schrauben-
ßxation des Kreuzbeines bei seinen Experimenten
^ie Bewegung desselben nach vorn und unten
ausschloss, giebt ein Nachabwärtstreten der vor-
deren Schambeinenden an und illustrirt den
Zuwachs, der die Conjugata vera vertretenden
Linien folgendermaassen : Auf einer Linie, welche
auf der Ebene des Becken einganges a Si senk-
recht steht, ist von S^ nach SU die spontane
Senkung auf 2 cjn, von S^ nach S™ das künst-
liche Herabdrücken (durch Wehendruck oder Zug
der extrahirenden Zange) um 0"5 chj abgetragen.
S der vordere Endpunkt der Conjugata vera
hat also den Weg SS^ gemacht (Componenten
SSii und SS'H). Die Conjugata vera PSi ist also ^ig- *• Schraubentixation nacii -^ehle.
durch die Schambeintrennung nicht um das Stück SSl, sondern um das Stück
SSiJ^i verlängert.
784
SYMPHYSEOTOMIE.
Pig. 5. Die Kaumgewinnung durch Sympbyseotomie.
PiNARD (s. Fig. 5) giebt folgende schematische Zeichnung des Puiumgewinnes nach
Symphyseotomie bei einem platten Becken von 6 cm Conjngata vera (vorheriges Flächen-
maass grau, nach Sym-
physeotomie weiss). Bei
Diastase von 6 cmj wies
die (6 cm) Conjugata
Vera 84 cm also einen
Zusatz von 24 7nm auf.
Flächenumfang der
grauen Sphäre 113, der
weissen 310, also fast
Smal so gross. Bei
einem massig verengten
Becken mit gata Conju
vera 8 cm wuchs die-
selbe bei Diastase von
6 cm auf 9"8 c?n. Also
80 : 98 mm Flächenum-
fang der grauen Fläche
(vor der Symphyseo-
tomie) zur weissen
(nach Symphyseotomie)
wie267:488, also Fläche
fast doppelt so gross
geworden. Ein Kind von
3000 g wird also im
Verhältnis zu dem erweiterten Becken
kleiner sein als ein Kind von 2000 ff
in Verhältnis zu demselben Becken
vor der Symphyseotomie.
Farabeuf (siehe Fig. 6 a-f) stellte
den Raumzuwachs nach Symphyseo-
tomie schematisch dar für Becken
von 5, 6, 7, 8, 9, 10 cm Conjugata
vera. Die graue Fläche stellt einen
im Beckeneingange gelagerten Kreis
vor bei der Conjugata vera als
Durchmesser vor der Symphyseo-
tomie. Bei jedem Experiment sind
die weiss vorgestellten Kreise der
Erweiterung angegeben für die
Diastase von 5, von 6 und von 7 c?«
zwischen den Schambeinen.
Farabeuf wies zuerst nach, dass
die Zunahme des Grössenzuwachses
der Conjungata vera eine nicht der
Zunahme der Diastase proportionale
ist, sondern eine im Verhältnis zur
Zunahme der Diastase steigend
grössere; während bei Diastase von
3 an der Zuwachs 8 mm betrug, so
betrug er bei 6 cm 20 mtn, der Zu-
wachs für 4 — 6 cm Diastase betrug
nicht 8 mm, sondern 12 ?wm.
Farabeuf verlangt, man solle
vor Beginn der Extraction die Diastase
manuell auf 6 cm bringen und hat
einen zur Messung der Diastase be-
stimmten Tasterzirkel angegeben und
einen „ecarteur interpubien"
mit Schraube, dessen Wirkung darin
besteht, dass er durch Auseinander-
treibung der Schamfugenenden die
Ileosacralgelenke zu einem gewissen
Grade von Klaffen am vorderen
, ^„ , . . ^ , Randebringt, was er „symphyseo-
' durcii feympluyseotomie für Becken ■, • „ j „,, i^l ^n ■nonnf
9, 10 cm Conjugata vera. clasiodouble nennt.
'- 6 .i
- ' 7 .
SYMPHYSEOTOMIE. 785
Was die Indicationen anbelangt, sagt Ci-monAK, so gebe es fast
keine geburtshilfliche Operation, bei der die Sy inphyseotomie
nicht zur Anwendung kommen könne und darin liege die grosse
Gefahr. Heute, wo die Symphyseotomie sich noch in experimentellem Stadium
befindet, ist sie oft genug ohne stricte Indication ausgeführt worden, was
auch schon zu Polemik der unerquicklichsten Art geführt hat. Die moderne
Symphyseotomie hat schon manches Menschenleben dahingerafft, wo die
Operation nicht unumgänglich nothwendig war. Morisani nennt ganz offen
eine Reihe von Operationen in seiner Statistik mit Namensnennung der
Operateure: „ingiustificabile" und hat Recht.
Ich würde dem Operateur die Frage vorlegen, ehe er zum Messer greift:
„Würden sie unter den gleichen Verhältnissen bei Ihrer Frau
die Symphyseotomie ausführen lassen?" Eine Operation für die
Privatpraxis ist die Symphyseotomie heute nicht und wird es kaum je werden
— das wird durch die namentlich in Amerika in der Privatpraxis vollzogenen
Operationen nicht widerlegt.
Die Symphyseotomie erfordert viel und geübte Assistenz, eine erfahrene
Nachbehandlung und ist durchaus nicht eine so einfache und gefahrlose Operation,
wie sie von Enthusiasten geschildert wird, erlebt doch dabei auch der geüb-
teste Operateur verschiedene Ueberraschungen wie Treüb oder wie Pixard bei
der Nekropsie nach der 20. Operation in der Clinique Baudelocque. Und was
Morisani, Zweifel, Pinard und Schauta mit geübter Hand glatt von statten
geht, hat auch Andere mit fortgerissen, fünf Frauen sind einfach verblutet,
mehrmals konnte der Operateur die Symphyse nicht finden, sägte dann im
Schweisse seines Angesichtes hier und da an dem Knochen herum, mit Messer,
Meissel, Säge hantirend — unter dem Verwände einer unvorhergesehenen
Verknöcherung der Symphyse liess er dann von seinem Plane ab und machte
nach unvollendet gebliebener Symphyseotomie die Basiotrypsie, Perforation etc.
Oft wurde operirt, wo des Kindes Lebensfähigkeit schon weniger als fraglich
war, ja oft bei todtem Kinde nach mehrtägiger Geburtsdauer nach Wasser-
abfluss. Dergleichen Erfahrungen haben allmälig gewisse Indicationen ge-
zeitigt, die freilich heute noch lange nicht feststehen und allseitig acceptirt
sind, sondern zum Theil bestritten werden. So verwerfen Viele gleich
Leopold absolut die Symphyseotomie bei Erstgebärenden, während Morisani
und Fritsch z. B. keinen triftigen Grund dazu finden, sobald die Weichtheile
genügend vorbereitet sind oder schon erweitert. Die Hauptgefahr der Operation
liegt aber notorisch in der Weichtheilverletzung und diese ist und bleibt einmal
bei Erstgebärenden am grössten, das wird doch niemand bestreiten!
Viele wollen die Symphyseotomie noch da unternehmen, wo sie vom
Kaiserschnitt wegen schon bestehender Infection Abstand nehmen. Andere
verlangen mit Recht für die Symphyseotomie die gleiche Freiheit von Infection
und betrachten das Gegentheil als Gegenanzeige. Die Meisten verwerfen mit
Recht strict die Symphyseotomie bei todtem Kinde, sobald irgend eine Mög-
lichkeit der Embryotomie und Extraction vorliegt, die ja bei dem modernen
Instrumentarium selbst da noch sich ausführen lässt, wo man früher nothge-
drungen zum Kaiserschnitt greifen musste. — Wo aber füi' die Ausiuhi'ung der Em-
bryotomie am todten Kinde zu wenig Raum ist, in solchen Ausnahmsfällen wird die
Symphyseotomie mit günstigeren Chancen als der Kaiserschnitt ausgeführt
werden.
Die Operation soll bei Erstgebärenden nicht vor voller Er-
weiter ung des Muttermundes, bei Mehrgebär enden nicht vor Er Wei-
terungsfähigkeit gemacht werden, ebensowenig bei protrahirten
verschleppten Entbindungen nach Vorausgehen zahlreicher
anderer Entbindungs-, namentlich forcirter Zangenversuche, weil
meist das Leben eines solchen Kindes schon zu stark compromittirt ist und
Bibl. med. Wissenscliaften. I. G-eburtahilfe und Gynäkologie. oO
786 SYMPHYSEOTOMIE.
im günstigsten Falle das Kind seine Geburt nur um Stunden oder Tage
überlebt. Namentlich hat man in der Statistik der todtgeborenen oder bald
p. partum verstorbenen Kinder oft Schädelimpressionen, Fracturen und menin-
geale Blutergüsse angegeben und dieselben auf vorhergehende forcirte Zangen-
versuche bezogen. Einzelne verlangen, man soll ebenso wie vor dem Kaiser-
schnitt auch vor der Symphyseotomie keinerlei andere Entbindungsversuche
vorausgehen lassen, die, wenn einmal an der Mutter operirt werden soll zu
Gunsten des Kindes, die Prognose für das Kind nur verschlechtern; Andere
aber rathen stets eine vorsichtig ausgeführte Versuchszange (Moeisani bis
Conjugata vera von Sl milL); falls der Kopf nicht folgt, lassen sie die
2ange in situ liegen, spalten die Schamfuge und vollenden dann die Extrac-
tion, oder lassen sie durch einen anderen Arzt vollenden.
Galbiati's Grundsätzen folgend überlassen manche Operateure nach
vollendeter Symphyseotomie die Austreibung des Kindes der Natur, wobei
Kind und Mutter in gewöhnlichen Verhältnissen gewiss weniger Gefahr laufen,
soweit dieselbe nur vom Gebärprocesse abhängt. Theoretisch ist ja das
richtig, der Zweck der Symphyseotomie war, das räumliche Miss-
verhältnis zu beseitigen, das Becken zu erweitern resp. erwei-
terungsfähig zu machen. Mit Vollendung der Symphyseotomie
ist bei erwiesener Beweglichkeit der Hüftbeine dieser Zweck
erreicht und die sofortige Extraction des Kindes theoretisch
nur dann zu verlangen, sowie allarmirende Symptome auf-
treten. Viele haben also — und zwar mit meist gutem Erfolge — nach der
Operation den weiteren Verlauf 6—8, 12—24 Stunden abgewartet und spontane
Geburt erfolgen sehen. Auch Zweifel hatte auf diesem Wege gute Resultate
zu verzeichnen. Man darf diesen Weg mit vollem Recht betreten
in der Klinik, jedoch hat die Sache auch ihre Bedenken. Einmal
bezüglich dessen, dass die Infectionschancen grössere werden bei längerer
Dauer der Geburt, besonders aber, dass es mit den Begriffen der Humanität
sich schlecht verträgt, die Frau stundenlang mit gestaltener Symphyse liegen
zu lassen, schliesslich werden die Angehörigen kaum ein weiteres Zuwarten
gestatten. Hier hängt eben Alles von der individuellen Denkungsart des
Arztes ab. Gut, w^enn nach längerem Zuwarten die Geburt eines lebenden
Kindes spontan erfolgt, wenn aber nach 12 Stunden schliesslich doch noch die
Zange nothwendig wird, ein asphyktisches Kind nach zwei Stunden zu Grunde
geht, dann wird der Arzt sich Vorwürfe machen deshalb, weil er nicht sofort
extrahirte. Will man also abwarten, so darf der Operateur die
Operirte nicht verlassen, muss stündlich die Herztöne, Meconium-
abgang etc. überwachen, und zu sofortigem Eingreifen allzeit
bereit sein. In der Praxis stösst aber dieses theoretisch gerechtfertigte
Zuwarten auf Schwierigkeiten.
Bezüglich der Indication stehen sich heute noch die widersprechendsten
Ansichten verschiedener Autoritäten ziemlich schrofi gegenüber. Ursprünglich
war die Symphyseotomie zur Vermeidung des mit grosser Sterb-
lichkeit verbundenen Kaiserschnittes vorgeschlagen worden. Diese
Indication bei lebendem Kinde wird heute als gefallen betrachtet bei einem
Becken unter 6-7—6 cm Conjungata vera.
1. Symphyseotomie — Kaiserschnitt bei lebendem, bei todtem
Kinde:
Symphyseotomie und Kaiserschnitt bei absoluter Indication bei lebendem
Kinde schliessen einander aus, die Symphyseotomie unter 6*6 c?w conjugata
vera hat dann keine Berechtigung mehr. Anders bei todtem Kinde oder
wahrscheinlich schon absterbendem (infolge protrahirter Geburt). Hier ist es
unmenschlich, wo durch eine minder gefährliche Operation das mütterliche Leben
zu retten ist. den Mutterleib zu öffnen, um daraus einen Cadaver herauszu-
SYMPHYSEOTOMIE. 787
holen. Sclion 1867 trat Jaccolucci, neuerdings Caruso für die Com-
bination der Symphyseotomie mit der Embryotomie am todten
Kinde ein, letztere wurde durch den mit der Symphyseotomie verbundenen
Kaumgewinn selbst da noch ermöglicht, wo sie ohne Symphyseotomie trotz
der vorzüglichen modernen Instrumente (Basiotrib, Kranioklast etc.) nicht
mehr oder wenigstens nur als für die Mutter oft lädirende Operation ausführbar
gewesen wäre. Fochier führte zweimal die Symphyseotomie bei Schulterlage
des todten Kindes aus. Pinard und Morisani billigten diese Indication als
eine ausnahmsweise für die Fälle, wo die Ausführbarkeit der Embryotomie eine
Erweiterung des Beckenringes um einige Centimeter erheischte. Die Combi nation
der Symphyseotomie mit Embryotomie am todten Kinde sei weniger gefährlich
als der Kaiserschnitt oder die Porro-Operation, ganz besonders, wo die Kreissende
nicht mehr absolut infectionsfrei und bei noch frischen Kräften sei. Novi,
Morisani, Carbonelli und Andere haben unter dieser Indication operirt in
Fällen, wo zur Einführung des Basiotribes oder des Kranioklasts kein Platz war.
Andere wollen bei stattgehabter Infection ebensowenig die Symphyseo-
tomie erlauben wie den Kaiserschnitt, so soll also dann die Frau unentbunden
bleiben? Somit wird also wohl auch bei absoluter Indication zum
Kaiserschnitt bei todtemoder imAbsterben begriffenen Kinde
die Symphyseotomie mit nachfolgender Embryotomie das Vor-
recht behalten; der Kaiserschnitt daher in Zukunft auf die
absolute Indication bei lebendem Kinde bei gesunder Mutter
beschränkt bleiben, während bei relativer Indication zum
Kaiserschnitt und lebendem Kinde die Symphyseotomie zu
machen ist. Die grösste Einschränkung w^ird also durch die
Symphyseotomie der Kaiserschnitt bei relativer Anzeige bei
lebendem Kinde erfahren und eine bedeutende der Kaiser-
schnitt bei absoluter Indication bei todtem Kinde.
IL Symphyseotomie — künstliche Frühgeburt: Leopold, ein
warmer Anhänger der künstlichen Frühgeburt, nimmt auf Grund seiner Sta-
tistik folgendermaassen Stellung zum engen Becken:
Conjugata vera bis minimum l^j^ und 7 cm künstliche Frühgeburt;
w^enn schon am Ende der Schwangerschaft so Wendung und Extraction.
' Conjugata ve ra bis 6 cm Perforation des lebenden Kindes, Kaiserschnitt
bei relativer Anzeige, Symphyseotomie.
Conjugata vera unter 6cm: Absolute Anzeige zum Kaiserschnitt.
Leopold verlor vom 1. Sept. 1881 bis Juli 1892 infolge von Infection
nach künstlicher Frühgeburt 1-2% der Mütter und rettete 63-4''/o der Kinder
„ Wendung u. Extraction 0-9 % » „ « „ 66-67o »
„ Perforation l-67o „ „ „ „ 0-0»/o
„ Kaiserschnitt 4-1% „ „ „ „ 84-0— 95-3 7o„
„ Symphyseotomie 1-7 % „ „ „ „ 89-4''/o
er verlor also bei künstlicher Frühgeburt l"27o5 bei Symphyseotomie l'77o
der Mütter und rettete 63-47(, uud 89-4% der Kinder.
Wie 1893 so trat auch 1894 in Rom Leopold zu Gunsten der künstlichen
Frühgeburt bei Mehrgebärenden und Conjugata vera bis zu 7 cm auf.
Pinard, der vor 2 Jahren noch ein w^armer Anhänger der künstlichen
Frühgeburt war, gab in Rom 1894 an:
auf 38 Symphyseotomien von 1892 und 1893: 36 Frauen gerettet, 2 verloren
34 Kinder „ 4 „
„ 64 künstliche Frühgeburten: 62 Frauen „ 2 „
30 Kinder ,, 34 „
Zusammen also bei Symphyseotomie 70 Menschenleben erhalten, 6 verloren
5, „ „ künstl. Frühgeburt 92 ,, „ 36 ,,
50*
788 SYMPHYSEOTOMIE.
und will in Zukunft die künstliche Frühgeburt durch die Symphyseotomie am
Schwangerschaftsende ersetzen.
Bringt man die grosse Kindersterblichkeit im Laufe des 1. Lebensjahres
nach künstlicher Frühgeburt in Eechnung, so verliert die künstliche Frühgeburt
ungemein viel von dem ihr von Vielen gezollten Rufe, es hängt aber hier der
Nutzen der künstlichen Frühgeburt hauptsächlich von dem Schwangerschafts-
termin ab. Zwfjfel's Vertrauen zur künstlichen Frühgeburt ist ebenfalls
stark erschüttert, da er bezüglich der Lebensdauer solcher Kinder trostlose
Resultate hatte. Nur ein einziges Kind der mit künstlicher Früh-
geburt geborenen Kinder lebte noch am Schluss eines Jahres,
alle anderen waren an Lebensschwäche, Tabes mesaraica, Verdauungskrank-
heiten etc. zu Grunde gegangen und zwar gilt das bezüglich der künstlichen
Frühgeburt vor der 36. Woche. Morisani steht ebenso zur künstlichen Früh-
geburt, da die im 7. Monat oder der ersten Hälfte des 8. Geborenen fast stets
bald zu Grunde gehen, besser sei die Prognose für die am Ende des 8. Mo-
nates geborenen Kinder. Für die Becken von 70 — 81 mm Conjugata vera,
wo Frühgeburt im 7. Monat oder der ersten Hälfte des 8. indicirt wäre, will
Morisani statt dessen die Symphyseotomie am Schwangerschaftsende machen
und nur dann zur künstlichen Frühgeburt greifen, wo eine in der ersten oder
zweiten Woche des 9. Monates eingeleitete Frühgeburt zur Compensation der
räumlichen Missverhältnisse genüge, hier also nicht Symphyseotomie, sondern
künstli'che Frühgeburt.
FßiTSCH hingegen, der ein warmer Anhänger der künstlichen Frühgeburt
ist, schreibt 1894: „Den richtigen Zeitpunkt für die künstliche Frühgeburt
verstreichen zu lassen, halte ich einfach für eine Gewissenlosigkeit und einen
Fehler." Schroffer können, wie wir sehen, die Gegensätze in den Ansichten
nicht sein.
Jaccolucci schlug 1867 auch bei lebendem Kinde die Combination der
künstlichen Frühgeburt mit Symphyseotomie statt Kaiserschnitt vor; Novi hat
2mal, Morisani Imal diesen Vorschlag befolgt. Andere haben die Symphyseo-
tomie bei spontaner Frühgeburt ausgeführt wie Lepage. Heute verA\irft
Morisani diese Comb.ination einmal wegen der schlechten Lebensaussichten
vor der 2. Hälfte des 9. Monates geborener Kinder, zweitens angesichts der
im Verhältnis zu 1867 heute so bedeutend verringerten Sterblichkeit der
Mütter nach Kaiserschnitt. Nur ausnahmsweise wie im Falle seiner Operirten
AiELLO hat Morisani diese Combination benützt, sonst aber würde er sie nur
billigen bei spontaner Frühgeburt, wenn die Conjugata vera nur wenig geringer
ist, als sie als Minimalgrenze für die Symphyseotomie angenommen ist (also
67 mm).
HL Symphyseotomie — Embryotomie am lebenden Kinde —
Perforation.
Pinard verlangt, die Embryotomie am lebenden Kinde, den
Kindsmord, als ein unmenschliches Verfahren ein für allemal
aus der Zahl der geburtshilflichen Operationen zu streichen
und durch die Symphyseotomie zu ersetzen.
Leopold will, falls für eine künstliche Frühgeburt der Termin schon ver-
strichen ist, bei platten Becken bis 7 cm und allgemein verengtem bis 7V2 om
Conjugata vera bei Mehrgebärenden die Spontangeburt abwarten unter streng-
ster Schonung der Fruchtblase und Ersatz der vorzeitig gesprungenen durch
den Kolpeurynter bis zur vollen Erweiterung des Muttermundes, falls aber
auch dann Spontangeburt nicht eintritt, hofft er durch Wendung und Extrac-
tion doch noch ein mittelgrosses, reifes Kind lebend zu entwickeln; die Per-
foration discutirt Leopold erst bei Becken von 7-5 — 6 cm Conjugata vera,
sie ergibt nach ihm 4— 57o mütterliche Sterblichkeit, die Symphyseotomie
SYMPHYSEOTOMIE. 789
12705 flßr Kaiserschnitt bei relativer Anzeige IS^/o- Bei bereits oder wahr-
scheinlich absterbendem Kinde will er unter allen Umständen die Perforation
erhalten wissen, und lieber einmal zu viel als einmal zu wenig perforiren,
weil der Preis für ein in seiner Erhaltung fragliches Kindesleben bei Sym-
physeotomie (mit 12*'/o mütterlicher Sterblichkeit) zu hoch ist.
Leopold betrachtet als der Symphyseotomie gehörig nur die kleine
Gruppe der Becken mit Conjugata vera von 7 '4 — G cw bei absolut gesunder
Mutter und lebensfähigem, nicht schon beschädigtem Kinde, hier allein
sei die Symphyseotomie berechtigt und gebe gleich gute Ptesul-
tate wie der Kaiserschnitt bei relativer Anzeige für die Kinder,
für die Mütter aber bessere, jedoch verlangt er auch hier noch die ge-
wichtige Einschränkung, die Symphyseotomie solle nicht in der Privatpraxis,
gondern nur in der Klinik gemacht werden, also nicht vom praktischen
Arzte! Dieser solle weiterhin in solchen Fällen mit gutem Gewissen
das Kind der Mutter opfern. Morisani stimmt damit nicht überein, da nach
seiner Ansicht das Sterblichkeitsprocent der Mütter trotz der besten Instru-
mente und Technik bei der Perforation doch ziemlich bedeutend sei, da über-
dies dabei 100°/o der Kinder zu Grunde gehen, zieht er die Symphyseotomie
vor. Zweifel hatte bei der Perforation 3% todte Mütter und 100°/o todte
Kinder, bei der Symphyseotomie aber hatte er persönlich auf 23 Operationen
bis jetzt 07o Sterblichkeit der Mütter und nur 2 todte Kinder (S'T^o)- Es
ist also nach seinen Ergebnissen natürlich, dass Zweip^el das Gebiet der
Perforation des lebenden Kindes weit mehr einschränkt als Leopold es will,
umsomehr als Zweifel der Ansicht huldigt, die Symphyseotomie sei
mehr noch als der Kaiserschnitt berufen, Allgemeingut derAerzte
zu werden, während Leopold und gleich ihm die Wiener Schule den Satz
aufstellt, „die Symphyseotomie sei keinesfalls berufen über Stadt
und Land zu ziehen."
IV. Symphyseotomie— prophylaktische Wendung und Extrac-
tion. Hauptvertreter der prophylaktischen Wendung und Extraction gegen-
über der Symphyseotomie bei Mehrgebärenden ist Leopold bei Beckenenge
von 9 — 7 cm conjugata vera, wobei er wie auch sonst beeonderen Werth auf
möglichst lange Erhaltung der Fruchtblase legt oder Kolpeurynter statt derselben
anwendet. In der Dresdener Klinik wurden bei 25 Wendungen und Extractionen
bei Conjugata vera von 7 — 8 cm beinahe 907o grosse, kräftige, lebende Kinder
zur Welt gebracht, ntb. bei volleröffnetem Muttermund und herabhängenden
Beinen der Gebärenden. Leopold vollzieht also bei Mehrgebärerdea bei platten
Becken bis zu 7 cm conjugata vera, bei allgemein verengten Becken bis 7Y2 cm
die Wendung und Extraction. Zweifel hatte bei Wendung und Extraction
07o Sterblichkeit der Mütter bei 297o Sterblichkeit der Kinder, will daher die
prophylaktische Wendung beschränken auf Becken von 9'5 — 8-5 cm Conjugata
vera, umsomehr als nach Wendung bei noch engeren Becken oft doch noch
Perforation des nachfolgenden Kopfes nothwendig wird. Persönlich empfiehlt
er für Fälle, wo die Wendung ausgeführt ist, die Extraction aber
sich als unmöglich erweist, als lebensrettend für Mutter und
Kind eine schnell ausgeführte Symphyseotomie. Morisani, der
schon bei normalem Becken die Kindersterblichkeit bei Wendung und Extrac-
tion für gross hält, schliesst sich Zweifel an (297o Kindersterblichkeit) und
hält um so weniger von der Wendung bei mittleren Graden der Beckenenge
ausser bei schrägverengten Becken.
V. Symphyseotomi e — h oheZange: Zweifel hatte bei hoher Zange
0^0 Sterblichkeit der Mütter und 7-8o/o (5 von 68) des Kindes bei engen
Becken, und betrachtet den Versuch mit der hohen Zange für erlaubt, —
scheiterte derselbe, so ist die Symphyseotomie ausgeführt worden. Es ist
790 SYMPHYSEOTOMIE.
aber nicht zu verschweigen, dass bei vielen Symphyseotomien, wo ein Kind
mit fracturirtem Schädel todtgeboren wurde oder bald zu Grunde ging, der
Tod gerade dem vorausgegangenen Versuche der hohen Zange zugeschrieben
wurde. Die Zange leistet im gegebenen Falle viel — aber auf Kosten der
Integrität des Kinderschädels. Nach Moeisani ist die Zange in diesem Falle
bei Becken von 85 — 84: mm Conjugata vera nicht mehr ein „Instrument
de vie", sondern „de m ort" und bedeutet soviel als eine „Kephalotrypsie
masquee" mit dem Unterschiede, dass eine richtige Kephalotrypsie für die
Mutter weniger gefährlich wird. Moeisani verwirft also hier die hohe Zange
zu Gunsten der Symphyseotomie bei Becken mit Conjugata vera unter 8'8 cm
und geht wohl damit etwas zu weit, — zuweilen und zwar nicht so selten
wurde in Fällen, wo nach seinen Principien schon Alles zur Symphyseotomie
vorbereitet war, bei einem gleichwohl vorausgeschickten Zangenversuche
schliesslich doch ein lebendes, reifes Kind extrahirt. Im Allgemeinen aber
ist der Einspruch gegen die hohe Zange bei engen Becken ganz gerechtfertigt:
ein Kind extrahirt man schon, aber lange lebt es meist nicht
mit seinem zerbrochenen Schädel; Leopold fasste in Rom 1894 seine
Anschauungen in 3 Thesen zusammen:
I. These: Keine Symphyseotomie bei Erstgebärenden bei
Becken von 11 — lern Conjugata vera, sondern Blase erhalten, wenn ge-
platzt Kolpeurynter, eventuell später Zange und Weichtheilincisionen! Bei
Mehrgebärenden bei einer Conjugata vera bis zu 7 cm.
a) wenn der Termin noch nicht verstrichen ist, Frühgeburt, aber nicht
vor 34 Wochen!
b) bei ausgetragenem lebenden Kinde: bei Conjugata vera von 11 — 9 cm
abwarten, 9 — 7 an Wendung und Extraction, selten hohe Zange! Auch hier
so lange als möglich Blase erhalten!
Walchee's Hängelage [lO^o lebender Kinder bei 25 Wendungen in
Dresden erzielt.]
IL These: Bei Beckenenge bis zu 7 cm Conjugata vera bei Mehrgebä-
renden künstliche Frühgeburt, wenn aber ausgetragen, so bei platten Becken
bis zu 7 cm und bei allgemein verengtem bis 7^2 cm Conjugata vera durch
Wendung und Extraction lebendes Kind.
Bei Conjugata vera von 7-5—6 cm spontane Geburt eines lebenden
reifen Kindes ausgeschlossen:
Perforation (4— ö"/» mütterliche Sterblichkeit) Symphyseotomie
(127o) Kaiserschnitt (15— 20''/o), bei abgestorbenem Kinde selbstverständ-
lich Embryotomie und nicht Symphyseotomie; bei absterbendem oder
schon fast todtem Kinde Preis zu hoch, hier Perforation am Platze! Bei
lebensfrischem Kinde, sobald die Mutter irgendwie krank oder gefährdet ist,
lieber dieses lebensfrische Kind opfern und perforiren!
Es blieben also nach Leopold nur Fälle von Conjugata vera 7*5 — 6 c;»
übrig. Bei lebendem Kinde und ganz gesunder Mutter zur Wahl zwischen
Symphyseotomie, die für das Kind ein gleich gutes, für die Mutter ein besseres
Resultat gibt, auch Kaiserschnitt bei relativer Anzeige. Unterhalb 6 cm Con-
jugata vera nur Kaiserschnitt. Bedingungen zur Symphyseotomie:
Infectionsfreiheit der Mutter, Sicherheit, dass keine Schräg-
verengerung des Beckens vorliegt oder gar Ankylose eines Ileo-
sacralgelenkes, — genügende Oeffnung und gute Herztöne. Nach
der Operation WALCHER'sche Hängelage und nicht abwarten, sondern Zange!
Für den praktischen Arzt ist die Symphyseotomie eine grosse
und gefährliche Operation, für die Klinik eine grossartige Er-
rungenschaft, in einzelnen wenigen Fällen die allein richtige
Operation.
SYMPHYSEOTOMIE.
791
III. These. Bei Conjugata vera von 7*5 — G cm ist die Perforation des
lebenden Kindes in der Klinik zu ersetzen durch Symphyseotomie. In der
Klinik können sich ab und zu specielle Indicationen einstellen, Eklampsie,
drohende Uterusruptur, hintere Scheitelbeineinstellung, feststehende Gesichts-
lage mit nach hinten gerichtetem Kinn, zu grosses Kind bei normalem Becken etc.
Als Grenze für das Gebiet der Symphyseotomie gibt Leopold eine Con-
iugata vera von 8*5 — 6'7 cm an; neuerdings hat man gegen Morisani's War-
nung die untere Grenze bis auf 6 cm verschoben, andererseits ist nach
MoRiSANi die Operation unter Umständen auch bei Conjugata vera von 9 — 9"5 cm
indicirt bei zu grossem Kinde oder wenn der Kopf nicht in den Beckeneingang
eintritt. Die Grenzen sind also dehnbar.
Als Indication kann sowohl Beckenverengerung durch Difformität gelten
als auch durch para- oder periuterine oder pelvine Tumoren und sind bei
derartigen Anzeigen schon mehrere Operationen gemacht worden, (Rein); auch
angesichts beabsichtigter Geburtsbeschleunigung bei Eklampsie, drohender Uter-
usruptur mit Hochstand des Contractionsringes ist operirt worden. Sciiwartz hat
einmal operirt behufs Extraction des nach Decapitation zurückgebliebenen Kopfes.
Die Beckenverengerungen waren bei weitem am häufigsten rachi-
tischen Ursprunges und zwar waren es meist platte Becken, el enso auch
allgemein verengte, ungleichmässig verengte, osteomalacische, ein Zwergbecken,
drei spondyloliosthetische, ein Luxationsb ecken darunter, sowie ein durch
Kyphoskoliosis, mehrere durch Beckenexostosen verengte, endlich ein soge-
nanntes kyphotisches Trichterbecken.
Zu verschiedenen Zeiten sind verschiedene Modificationen der Operation
vorgeschlagen worden, die erwähnt werden müssen, so die öfters vorgeschlagenen
Versuche einer subcutanen Ausführung der Symphyseotomie, die Versuche
statt der Durchschneidung des Knorpels rechts und links davon die knöcherne
Beckenwand zu durchsägen, also eine mobile Barriere in der vorderen Becken-
wand zu schaffen, ebenso der Vorschlag der präventiven Symphyseotomie von
Olliee, der übrigens nie zur praktischen Ausführung gelangte. Diese Vor-
schläge haben heute mehr historisches Interesse.
Farabeuf hatte die anzuerkennende Idee für das schräg verengte Becken mit Ileo-
sacralankylose auf der verengten Seite eine unilaterale Durchsägung der vorderen Becken-
wand: „IscMopubiotomie" vorzuschlagen, welchen Vorschlag kurz darauf Penard mit
glücklichem Ausgange für die Frau Tremoulet und ihr Kind ausführte am 9. November 1892,
Fig. 7 stellt die der Ope- ""•
ration zu Grunde liegende
Idee ikonographisch dar.
An die Veröffentlichung
dieser FARABEUP'schen
Operation durch Pinard
schloss sich ein Prioritäts-
.streit für einen früheren
Üperaiiuusvort,t.iiia^ von
Stoltz in Strassburg an,
der jedoch der Berechtigung
entbehrt, insofern als der
FARABEUP'schen Operation
eine andere, durchaus
eigenartige Idee zu Grunde
liegt, als den von gegne-
rischer Seite angeführten
Operationsvorschlägen
älteren Datums, wie das
Varnier (Annales de
Gynecol. et d'Obst. Fevriet
1893) dargethan hat. Da-
selbst finden sich auch ^ IscMopubiotomie nach FAEABEUF.
Details des Streites.
Dem Märzheft desselben Journals sei eine Zeichnung aus dem Aufsatze: .Historique
de la Pelvitomie" entnommen, welche die früheren Modificationen der SiGAULx'schen Sym-
792
SYMPHYSEOTOMIE.
physeotomie darstellen soll (aus Farabeuf's „Fragments sur les pelvitomies';). Die
Zeiclinun<^en Fis;. 8 stellen die Symphyseotomien von Sigault 177^ und gleichzeitig die
° mediane und juxtamediane
Pelvitomie mittelst Säge
von V. Siebold (1778),
AiTKEN (1785), Champion,
Imbert, Petrequin, Pitois,
Stoltz dar.
Was nun die ent-
fernten Kes,ultate
der Sympliyseo-
tomie anbetrifft, so
wird erst die Zeit Ge-
legenheit geben, . die
verschiedenen sich auf-
drängenden Fragen zu
beantworten.
Wird das Becken
nach der Symphy-
seotomie blei-
bendweiter? Wo kein
Schlottergelenk mit Di-
astase zur Entwicklung
gelangte, nicht, wohl
GALBiATi's Pelvitomie. PITOIS' Bipubiotomie. aber behält das Becken
pig. 8. X— IV. Vier Arten der Peiviotomie. eine grösscre Beweg-
lichkeit in seinen Gelenken, die namentlich bei der physiologischen Zunahme
der Beweglichkeit in der Schwangerschaft bei einer nächsten Geburt eine spontane
Vergrösserung des Beckenlumens ermöglicht.
Es sind thatsächlich Fälle bekannt, wo nach Symphyseotomie bei einer
vorausgehenden Entbindung bei der nächsten spontan ein lebendes ausgetragenes
Kind geboren wurde oder nach Wendung extrahirt wurde, der letzte Fall
dieser Art betrifit die 3. der von FßiTSCHnoch in Breslau am 18. Februar 1893
operirten Frauen (C. vera 8-5 cm). Dieselbe Frau wurde am 12. Februar 1894
wieder in der Breslauer Frauenklinik jetzt von Küstner entbunden bei massiger
Verschiebbarkeit der Schambeinenden. Zwillinge von 2200 und 2400 Gramm, jeder
nach Wendung extrahirt; die Extraction des Kopfes vom zweiten machte Schwierig-
keiten (Prager Handgriff in der WALCHER'schen Hängelage). Namentlich in der
älteren Kasuistik von 1777—1860 sind mehrere solche Fälle beschrieben. Die
Gegner der Operation zogen daraus eine neue Waffe gegen die Symphyseotomie, die
Natur habe hier bewiesen, dass die Symphyseotomie bei der vorigen Ent-
bindung überflüssig gewesen sei und dass jede Geburt eines lebenden Kindes
somit nicht der Operation zu verdanken sei, das Kind wäre auch ohne Ope-
ration spontan lebend geboren worden. — Das Gangvermögen und die Festig-
keit, der Halt des Beckens ist nach den neuesten Erfahrungen in glatt ab-
laufenden Fällen meist schon nach 15—30 Tagen wieder normal, jedoch gibt
es zahlreiche Ausnahmen, die namentlich die Fälle mit Läsion der hinteren
Beckengelenke einerseits und Vereiterung der Symphysenknorpel-Wunde
andererseits, die zu Schlottergelenken führt, betreffen. Mehrere Operirte
gingen schon am 12— 15. Tage wieder einher, eine der von Fritsch operirten
Frauen verliess gar in der ersten Nacht schon das Bett und ging zur Wasser-
leitung, um ihren Durst zu löschen, ging dann wieder zurück und legte sich
ohne fremde Hilfe zu Bett, als ob sie gar nicht operirt wäre. Zahlreich sind
die Angaben, dass die Frauen schon nach zwei Wochen aus der Klinik nach
Hause gingen, ihr Kind auf dem Arm, dass sie nach einem' Monat schon in
gewohnter Weise ihrer Wirthschaft oblagen, Treppen stiegen, Feldarbeiten
SYMPHYSEOTOMIE. 793
verrichteten etc. Fereara's Operirte (1787) fungirte noch 1807 als Zeitung.s-
austrägerin ! Es fehlt aber auch nicht an Krücken und .Stöcken in der Kasuistik,
Lähmungserscheinungen in den Beinen in der ersten Zeit, starken Schmerzen
in den untern Extremitäten und den Becken. Eine Gangspur hei durch Sym-
physeotomie gespaltenem Becken habe ich bis jetzt noch nicht erlangen können,
der Gang wird meist als normal bezeichnet ohne seitliche vermehrte Oscilla-
tionen des Rumpfes. Dass beim angeborenen Symphysenspalt der Gang absolut
unbehelligt sein kann, ja auch bei nach Beckenfractur ohne knöcherne Con-
solidation ausgeheilter Spaltung des vorderen Beckenringes, habe ich persön-
lich beobachtet und seinerzeit beschrieben (Wilhelmine Greger). Bei der von
Baumm operirten Frau stiegen beim Gehen die beiden Schambeine alternirend
aneinander auf und ab wie bei Wilhelmine Greger, es lag eine Syndesmose in
der Diastase vor; wenn die Diastase gering ist, kann es zur Pseudoathrosen-
bildung im durchschnittenen Knorpel kommen. Zahlreiche Fälle von Harn-
incontinenz folgten früher, aber auch heute noch der Operation und zwar bald
nur wenige Tage dauernd oder auch Monate lang und länger zwar auf Grund
von Lähmung des sphincter vesicae, weshalb in Wien schon zweimal
die GEKSUNY'sche Operation dagegen ausgeführt wurde. Meist aber ist das
Harnträufeln durch Fisteln verursacht, die so ziemlich an jeder Stelle der
Harnröhre beobachtet werden; verhältnismässig oft ereigneten sich ausgedehnte
Harnröhren- und Blasenscheidenwandrisse, die dann mit Hinterlassung einer
Fistel partiell spontan heilten. Es sind aber auch Fisteln instrumentellen
Ursprunges beobachtet worden, so wie endlich Harnfistelbildung durch Um-
stechungsnähte blutender Stellen, wo diese Naht zufällig ein Stück der Blasen-
wand mitfasste, so erklärt wenigstens Feitsch die Fistelbildung in seinem
Falle. Das Kriterium für die Aetiologie der Fistelbildung ergibt nicht nur
der Sitz und die Form der Fistel, sondern sehr wesentlich auch das Moment,
wann der Harnfluss begann, ob sofort p. partum oder erst nach 6 — 8 Tagen
u. s. w. Die Fisteln werden dann meist in der Folge operativ geschlossen.
Ln Gegensatz zu den Spontangeburten nach vorausgegangener Symphyseo-
tomie haben in der Kasuistik von 1777 — 1860: 6 Frauen (später eine) zwei-
mal die Symphyseotomie, auch das zweite Mal glücklich durchgemacht. Morisaxi
hat bei mehreren Frauen zweimal operirt. Weiters sind aber wieder
Fälle von Symphyseotomie bekannt, bei Frauen, die vorher spontan glücklich
geboren hatten.
Es sind mehrere Fälle von unbeendigt gebliebener Symphy-
seotomie beschrieben, wo aus irgend einem Grunde die Durchführung der Ope-
ration scheiterte und schliesslich doch zum Kaiserschnitt oder Embryotomie ge-
griffen wurde, hieher gehören auch die nach Leopold's heute zurückgezogenem
Vorschlage angeführten partiellen Durchschneidungen des Knorpels, d. h. seiner
oberen Hälfte, wo dann entweder hinterher der Piest des Knorpels und das den
Kopf aufhaltende straffgespannte Ligamentum arcuatum inferius durchschnitten
werden musste oder aber mit einem Krach und Riss bis in die Weichtheile
des Genitalschlauches hinein platzte, wobei diese Keilwirkung des gewaltsam
mit der Zange extrahirten Kopfes oft gleichzeitig auch eines oder beide Ileo-
sacralgelenke mit einem Krach und plötzlich leicht gewordener Zangen extrac-
tion sprengte.
Zwei Frauen sind trotz der Symphyseotomie unentbunden
gestorben. Werfen wir einen Blick auf die Leichentafel der Symphyseo-
tomie, auf die 31 mütterlichen Todesfälle von 1887 bis 1893, so sind die
verschiedenartigsten Todesursachen von Enthusiasten angezogen worden, um
nur nicht den Credit der Symphyseotomie zu belasten.
Im Gegentheil, wer die Symphyseotomie unternimmt, soll alle die Ge-
fahren kennen, denen die Frau ausgesetzt wird und die unglücklich verlaufenen
Fälle genau studiren. „Hie est, ubi mors succurrere gaudet vitael"
794 SYMPHYSEOTOMIE.
MoRisANi bezog in März 1894 im Anschluss an Varnier nur zwei der ihm zur Zeit
bekannten 28 Todesfälle direct auf die Operation (Tod durch Verblutung) und lässt
für 11 weitere Fälle einen Zusammenhang zwischen Operation und dem Tode gelten, durch
vor oder während der Operation stattgehabte Infection, in den übrigen 15 Fällen sei der
Tod erfolgt ganz unabhängig von der Operation. Der Enthusiasmus für die Sym-
physeotomie führt meines Erachtens Varnier und Pinard zu weit, denn kann man mit
outem Gewissen in den zwei Fällen, wo der Tod durch Embolie der Arterie pulmonalis
nach Phlegmasia alba eintrat, den Causalnexus zwischen letzterer und der Symphyseotomie
ausschliessen? Doch sicher nicht, der Causalnexus ist sogar mehr als wahrscheinlich. —
Ebensowenig kann ich ausnahmslos für jeden einzelnen der übrigen Todesfälle eine solche
Deutun«^ ohne Vorbehalt acceptiren. Lässt sich z. B. der Causalnexus zwischen der Sym-
physeotomie und dem tödtlich gewordenen Darmverschluss in dem 2. Todesfalle der
PiNARD'schen Kasuistik bestimmt ausschliessen ?
Meine Statistik ergiebt auf 278 Operationen von 1887 bis Ende 1893 31 mal Tod der
Mutter und zwar starben:
8 Frauen an Verblutung (2 Stunden und ^j^ Stunde nach der Operation in den Fällen
von TELLIER UUd TrEUb).
1 Frau an Uterus und — Blasenruptur, Tod nach 12 Stunden (Lusk).
1 Frauan vorausgegangenen Collumperforation in die DouGLAs'sche Tasche durch die
im geraden Durchmesser vor der Symphyseotomie mehrfach angelegte hohe Zange (7 Zangen-
anlegungen!) Scheidenrisse bis zur Symphysenwunde, Tod nach 22 Stunden (Porak).
2 infolge von Embolie der Lungenarterie nach Phlegmasia (Maygrie's Operirte starb
am 21. Tage, Leopold's 4. Operirte in der 4 Woche).
1 an Darmvers chliiss (Pinard).
1 an Perforation eines acuten ulcus ventriculi und Phlegmone des Beckenzellgewebes
am 5. Tage (Pt. v. Braun).
2 an Eklampsie bei Nephritis (Kaschkaroff's Operirte am 10. Tage, Olshausen's
Operirte in Coma nach dem 6. Anfalle).
2 angeblich an Cor adiposum (?) und Chloroformwirkung (?) (Törngren's Operirte
starb am 2. Tage, Egkstein's am 11. Tage). .,.^.^ ,^..
•i an Pneumonie: 1 mal an hypostatischer Pneumonie bei Sepsis (Franks Operirte
starb am 22. Tage).
1 mal nach 2 Tagen nach Beginn einer am 10. Tage nach der Operation
aufgetretenen Pneumonie (Eustache).
1 mal an Pneumonie, für welche specifische Pneumococcen als Ursache
nachgewiesen wurden (Ribemont, — Dessaignes: Tod am 12. Tage».
1 mal angeblich an nicht septischer Pneumonie (Davis: Tod am 4. Tage.)
1 Frau an septischer Metrophlebitis (Martino: Tod am 12. Tage).
1 an eitriger Pelveoperitonitis (Schwarz: Tod am 8. Tage).
1 an septischer Peritonitis (Kreider: Tod am 12. Tage).
1 an Septicaemie mit U Iceration mit diphtheritischem Belage im Dickdarm
(Puech: Tod am 9. Tage).
1 an Pyoseptikaemie mit metastatischen Pleuraabscessen (E. v. Braun)
Tod am 34. Tage).
1 an Sepsis mit Verjauchung eines Blutextravasates im'Cavum Retzii und
Nachweis von Staphylococcen (Pinard: Tod am 9. Tage).
1 an septischer ulceröser Phlegmone der Beckenzellgewebe und Marasmus
(R. V. Braun: Tod am 9. Tage).
1 an Vereiterung des geplatzten rechten Ileosacralgelenkes mit multiplen
Abscessen in der Lunge (Koffer).
1 an septischer Endometritis, Thrombophlebitis purulenta (Werthheim). _
1 an Endometritis purulenta, Ruptura urethrae, vaginae, cervicis uteri,
Septicaemie, Anaemie und Ruptur beider Ileosacralgelenke (^Chrobak :
Tod nach 20^2 Stunden).
4 mal ist einfach nur Septicaemie als Todesursache angegeben (Olivieri,
Ribemont-Dessaignes [inficirt in die Klinik eingetreten] (Tod am
15. Tage), Broomall: Tod am 12. Tage),
i an Sepsis nach brandigem Sphacelus der Vulva und Vagina (Porak:
Tod am 5. Tage.
Die Tabelle zeigt also, dass zwei Frauen infolge von Nephritis und
Eklampsie starben, zwei an Verblutung infolge der Operation, 1 an Uterus-
und Blasenruptur von 31, also 26 an Sepsis bei den mannigfaltigsten Ver-
letzungen des Uterus, der Scheide, Blase, Vulva, Darm, Peritoneum und
theilweise der Beckengelenke, in mehreren Fällen kam es zu metastatischer
Pneumonie, Pleuritis mit Abscessen, zu Peritonitis, ausgedehnten Phlebitiden
mit eitriger Zersetzung, Embolie der Arteria pulmonalis, Infarcten etc. Varnier
SYMPHYSEOTOMIE. 795
hat Recht, wenn er behauptet, die septischen Todesfälle kämen nicht auf
Rechnung der antiseptisch ausgeführten Symphyseotomie, sondern nur auf
Rechnung der Infection.
Das ist doch aber schliesslich nur eine Phrase, denn die Ilauptgefahr
für die Frau nächst der eines sofortigen Verblutungstodes ist ja eben nur die
Infection (wenn die Frau sonst frei war von tödtlichen Constitutionskrank-
heiten, Herzfehler, Tuberculose etc). Schliesslich würde uns eine Rechnung des
Lethalitätsprocentes der Symphyseotomie nach solchen Principien dazu führen,
in der Symphyseotomie einen leichten und ungefährlichen Eingriff zu sehen,
was sich mit der unumstösslichen Thatsache nicht verträgt, dass
bisher auf 8 gerettete Mütter stets eine begraben wurde, also
jede 9. Frau starb!
Der Hauptfeind der Operation ist selbstverständlich die Sepsis, deren Eintritt
nur erleichtert, deren Bekämpfung nur erschwert wird durch ausgedehnte
Weich th eilrisse, Taschenbildung etc. Die Infectionsgefahr wächst mit der Anzahl
und Grösse der Verletzungen, den zeitraubenden therapeutischen Manipulationen,
wobei ein bedeutender Blutverlust das Loos der Operirten noch verschlechtert.
Die Gelenksverletzungen an und für sich geben ohne stattgehabte Infection
durchaus nicht die ihnen früher zugesprochene schlimme Prognose. Die
meiste Gefahr sub ipsa operatione bringt natürlich eine ungestillte Blutung
mit sich. — Es soll nur Derjenige zur Symphyseotomie greifen, der die Ope-
ration gründlich an der Leiche studirt hat, mit den anatomischen Verhältnissen
gut vertraut ist, der womöglich Symphyseotomien hat ausführen sehen, der
in der Lage ist, einer septischen Infection am vollkommensten vorzubeugen
und mit der Sachkenntnis und den Mitteln ausgerüstet ist, einer unerwarteten
Blutung gegenüber das Feld zu behaupten. Erfahrung macht wie überall
den Meister! Die Symphyseotomie ist aber bisher keine Operation für den
praktischen Arzt in der Privatpraxis. Damit ist das Gebiet der Symphyseo-
tomie gegenwärtig noch an die ad hoc eingerichteten geburtshilflichen
Kliniken und Anstalten gebunden.
Die Sterblichkeit der Kinder (19%) war zumeist darin begründet,
dass zu spät operirt wurde, nach protrahirter Geburt, oft 2 — 3 Tage nach
Wasserabgang, nach Vorausgehen der verschiedensten anderen, oft forcirten
Entbindungsversuche, namentlich forcirten Zangen versuchen. In einzelnen,
verschwindend wenigen Fällen war der Tod des Kindes ganz unabhängig von
der Operation (1 mal Missbildung, 1 mal Syphilis, Abreissen der Nabel-
schnur etc.). Die Statistik erweist eine besonders grosse Anzahl asphyktisch
geborener Kinder, von denen die grosse Mehrzahl belebt wurde. Bei den
todtgeborenen oder bald verstorbenen wurden meist Schädelverletzungen,
intracranielle Blutergüsse, Fracturen, Impressionen der Schädelknochen,
Lungenatelektase etc. nachgewiesen.
Es sei nun noch erwähnt, dass auch für rein chirurgische Zwecke neuerdings
die Symphyseotomie zur Anwendung gelangte. Albarran in Paris führte zuerst die Sym-
physeotomie mit Glück beim Manne aus zur Erleichterung der Extirpation eines Blasen-
tumors (Mercredi medical, 25 Janvier 1893 — Acad. de med. de Paris 16. II. und 20. III. 1893
— siehe auch: Gallet — Duplessis: „De la symphyseotomie chez Thomme". These Paris 1893)
Wickhoff studirte die Symphyseotomie an der männlichen Leiche (\Yiener klin.
Wochenschrift 1893 Nr. 11). Schauta wandte zuerst die Symphyseotomie behufs der
Erleichterung einer wegen Narbenadhärenz eines Fistelrandes an einem der absteigenden
Schambeinäste sehr erschwerten Blasenscheidenfisteloperation an. Er erreichte kaum 1 cm
Diastase der Schambeine, so dass er nicht den erwarteten Nutzen aus dieser Hilfsoperation
ziehen konnte, doch gelang es ihm, dann den Fistelrand vom Knochen abzulösen und später
auch die Fistel zu heilen. Zweifel (Centralblatt f. Gyn. 1894; Nr. 1 S. 22) führte zuerst
in Deutschland 1893 die Symphyseotomie zur Erleichterung der Extirpation eines Blasen-
und Harnröhrenkrebses aus und erreichte dabei eine Diastase von 4 cm. Nach vollendeter
Operation Knochennaht der Symphyse mittelst Drillbohrer. Die ganze Operation war sehr
schwierig, complicirt und sehr blutig, gab aber ein zufriedenstellendes Resultat.
FEANZ L. XEUGEBAUEE.
796 SYPHILIS DES NEUGEBORENEN-
Syphilis des Neugeborenen. Die in utero erworbene Syphilis ist
eine "> iel verderblichere Krankheit wie die durch directe Infection entstandene,
denn sie bedingt häufig das Absterben der Früchte und rafft viele Kinder in
der ersten Lebenszeit dahin. Die pathologisch-anatomische Untersuchung er-
giebt zwar, dass bei den hereditär syphilitischen Früchten die Krankheitser-
scheinungen ebenso wie beim erwachsenen Luetischen entweder durch ent-
zündlich und hyperplastische Processe oder durch Syphilombildung bedingt
sind, aber dennoch ist das Krankheitsbild in vielen Punkten von dem gewöhn-
lichen Befund bei Syphilis verschieden. Da das fötale Gewebe dem Syphilis-
gift einen verhältnismässig geringeren Widerstand entgegensetzen kann, finden
wir in den Organen der Früchte viel hochgradigere Veränderungen und be-
merken bereits bei wenige Monate alten Föten Krankheitsbilder, welche sonst
den Spätformen schwerer Infectionsfälle entsprechen. Des Weiteren bewirkt
beim Fötus dort, wo die Infection durch das Nabelvenenblut erfolgt, die an-
dersgeartete Blutvertheilung, dass sich das Syphilisgift in Organen festsetzt
(Leber, Lunge), welche sonst viel seltener Krankheitsherde enthalten; der fö-
talen Syphilis ausschliesslich zugehörende Befunde erhalten wir dort, wo Ge-
webe erkrankt sind (Knochen), die im erwachsenen Körper andersartig be-
schaffen sind.
Da zur Entwickelung der syphilitischen Krankheitserscheinungen eine
geraume Zeit erforderlich ist, so ist es unmöglich, an Früchten aus den ersten
Schwangerschaftsmonaten zu erkennen, ob sie syphilitisch sind oder nicht.
Die zuerst bemerkbaren Veränderungen, welche die Lues hervorruft, beziehen
sich auf das Gewicht der Milz; während bei einem Fötus unter 1000 ^r die
Milz ca. Veoo des Körpergewichtes wiegt, betragen diese Zahlen bei syphili-
tischen, nicht macerirten, resp. macerirten, Früchten V210 und Vsoo! der Ge-
wichtsunterschied zwischen gesunder und syphilitischer Leber gewinnt erst in
späteren Monaten grosse Bedeutung, bei frischtodten Föten unter 2000 gr
steigen die Zahlen von V21 ^uf Viö^ bei macerirten sogar von 1/46 auf ^/gs-
Am Ende der ersten Schwangerschaftshälfte begegnen wir ausserdem
noch der charakteristischen Osteochondritis syphilitica sowie den Erkrankun-
gen der Nabelschnurgefässe. Letztere Affection wird im 5. — 7. Schwanger-
schaftsmonat in ^/4 der Fälle angetroffen; da sie aber in hochgradigen Fällen
das Absterben der Frucht bedingt, so wird sie gegen Ende der Schwanger-
schaft bedeutend seltener. Auch die anderen Organe sind bei Früchten vor
und nach dem 8. Monat nicht in gleicher Häufigkeit erkrankt; ordnet man
in dieser Hinsicht die Fälle von Mewis, so erhält man folgende Tabelle.
33 Früchte 5—7 Monate alt 120 Früchte 8—1 Monate alt
Erkranktes Organ: Nabelschnur 76Vo 22%0
Knochen 64"/o 627o
Milz 52% 837o
Leber 4870 65%
Nebenniere 2 Fälle 237o
Lunge 1 Fall 147o
Pankreas 1 „ 3l7o
Haut (bei nicht macerirten Früchten) 50^/0
Aus der obigen Zusammenstellung erhellt, dass bei Syphilis der Frucht
keineswegs am selben Individuum alle Organe die charakteristischen Zeichen
dieser Krankheit darbieten; manchmal stösst sogar, besonders wenn durch
Maceration der Organe die Gewebsconturen verschwommen sind, die Diagnose
auf grosse Schwierigkeiten. Die Maceration an sich ist kein Zeichen der
Syphilis, denn, wenn es auch richtig ist, dass bei der grossen Mehrzahl der
macerirten Früchte Symptome von Lues gefunden werden, so unterliegen doch
auch in utero abgestorbene Früchte gesunder Eltern der nämlichen Um-
SYPHILIS DES NEUGEBORENEN. 797
Wandlung; diejenigen Merkmale, welche am längsten dem Macerationsprocess
widerstehen, sind die Knochenaffection und das vergrösserte Gewicht von
Leber und Milz.
Die lebendgeborenen, resp. frischtodten Früchte syphilitischer Eltern sind
in der Regel in der Entwickelung zurückgeblieben; die trockene, graugelb-
liche Haut, welche des Unterhautfettgewebes fast gänzlich entbehrt, ist in
greisenhafte Falten gelegt. In Folge der Sprödigkeit der Haut zeigen sicli
an den Beugestellen der Gelenke und dort, wo Haut in Schleimhaut übergeht,
Risse und Schrunden. An Handteller und Fusssohle ist jedoch die Haut
auffallend zart, glatt und glänzend; hier ist auch der Lieblingssitz des für
hereditäre Syphilis charakteristischen Exanthems.
Das bullöse Syphilid, welches bei acquirirter Lues ausserordentlich
selten beobachtet wird, ist die Hautaflection, welche syphilitische Kinder am
häufigsten mit auf die Welt bringen; in der ersten Lebenswoche kommt der
Pemphigus noch öfters bei anscheinend gesund geborenen Kindern zum Aus-
bruch, fast nie nach der zweiten Woche, je später er sich einstellt, um so
günstiger ist die Prognose quoad vitam. Die mit Eiter gefüllten erbsengrossen
und grösseren Blasen confluiren nicht selten; platzt dann die Epidermisdecke
und tritt dadurch das nässende rothe Corium zu Tage, so sehen bisweilen
grössere Hautpartien wie geschunden aus; hierdurch und durch die für
syphilitische Exantheme eigenthümliche symmetrische Anordnung, sowie durch
die erwähnte Vorliebe für die sonst selten befallenen Handteller und Fuss-
solilen, unterscheidet sich der syphilitische von dem nicht syphilitischen
Pemphigus der Neugeborenen.
Das maculöse und papulöse Syphilid ist in den ersten Lebens-
tagen entschieden viel seltener als das bullöse, doch kommen öfter solche
HautaiEfectionen zusammen mit Pemphigus palmaris et plantaris vor. Das
maculöse Exanthem unterscheidet sich von der Roseola Erwachsener dadurch,
dass es statt lebhaft roth, schmutzig braun ist und das sonst meist freiblei-
oende Gesicht bedeckt, welches auch von dem papulösen Ausschlag nicht
verschont wird. Der tertiären Periode angehörige Erscheinungen werden auf
der Haut in den ersten Lebenstagen nicht beobachtet.
Erkrankungen der Schleimhäute spielen beim Neugeborenen ab-
gesehen von der Coryza syphilitica, welche bisweilen in der ersten Lebenszeit
schon so heftig ist, dass sie am Saugen hindert, eine untergeordnete Rolle;
bemerkenswerth ist jedoch, dass die bei Erwachsenen seltene .Danws^/p/wY^'s bei
der Section syphilitischer Neugeborener hin und wieder angetroflen wird.
Ausser speckigen Geschwüren mit infiltrirten Rändern, welche einzeln aber
auch in grosser Anzahl im Dünndarm auftreten, kommen diffuse Infiltrationen
der Darmwand vor; es mag dahingestellt bleiben, ob solche Affectionen mit
der öfters bei syphilitischen Kindern beobachteten Verstopfung in Zusammen-
hang zu bringen sind.
Eine Form der Syphilis, die ausschliesslich dem Neugeborenen zukommt,
ist die Syphilis des Nabe Ist rang es. Bei vielen, namentlich macerirten
Früchten hat eine gummöse Wucherung der Nabelvene (hauptsächlich der In-
tima) zu diffusen Verdichtungen der Gefässwandungeu oder auch zu ringför-
miger Stenosirung geführt; weiteren Untersuchungen ist es noch vorbehalten,
die Beziehungen der manchmal vorkommenden Periarteriitis zur Syphilis
sicherzustellen. Von Wichtigkeit ist die Syphilis der Nabelgefässe in klinischer
Beziehung, da die s, g. idiopathische Nabelblutung öfters Kinder betrifit,
deren Section die Merkmale der Syphilis erkennen lässt. Auf einer Erkran-
kung der kleinen und kleinsten Gefässe beruht auch wahrscheinlich die recht
seltene Syphilis hämorrhagica; bei dieser Krankheitsform, welche meist früh-
798 SYPHILIS DES NEUGEBORENEN.
geborne, frisclitodte oder höchstens wenige Tage lebende Früchte betrifft, findet
man neben den Zeichen heftiger Syphilis zahlreiche Blutungen in der Haut
auf den Schleimhäuten und in den inneren Organen.
Specifisch für hereditäre Syphilis ist die Koche n erkrank ung in der
Ossicationszone; am häufigsten und ausgesprochensten erscheint diese
Affection an der unteren Epiphysengrenze des Femui-, an welcher Stelle nor-
maler Weise der Knochenbildungsprocess am energischesten vor sich geht.
Durchschneidet man einen Röhrenknochen eines neugeborenen Kindes, so
findet man zwischen Diaphysen-Knochen und Epiphysen-Knorpel eine feine
bläulichweise Linie, welche deutlich sichtbar wird, wenn man den Knochen
längere Zeit in Wasser legt (Gueein'sche Linie); bei macerirten, nicht syphi-
litischen Früchten kann diese Schicht ^/^ bis V2 '>n'>'^ Dicke erreichen. Nach
Wegener besteht nun die Osteochondritis syphilitica darin, dass die Wucherung
der Knorpelzellen das physiologische Mass überschreitet, während gleichzeitig
die Umwandlung der verkalkten Knorpelsubstanz in Knochen verzögert ist.
Im ersten Stadium des Krankheitsprocesses ist die Gueein'sche Linie bis auf
2 mm verbreitert, weisslichroth gefärbt und gezackt, im weiteren Verlauf
wird diese Schicht immer dicker und in Folge vorspringender Zacken un-
regelmässiger begrenzt; in hochgradigen Fällen kommt es zur Lockerung, so-
gar Abtrennung zwischen Epi- und Diaphyse als Folge einer durch ungünstige
Circulationsverhältnisse eintretenden Nekrobiose.
Während beim Erwachsenen Syphilis der L u n g e nur selten beobach-
tet wird, ist diese Erkrankung für den Neugeborenen von grosser Bedeutung;
ein beträchtlicher Theil der syphilitischen Kinder geht zu Grunde, weil in
Folge von ausgebreiteter Lungensyphilis dieses Organ zum Athmen ungeeignet
geworden ist. Bei hochgradiger Erkrankung ist das Volumen vergrössert,
Rippeneindrücke zeichnen sich auf der blassrothen, zum Theil weissen Ober-
fläche ab (weisse Hepatisation); auf dem Durchschnitt ist das Gewebe blass, derb,
luftleer. Das Mikroskop lässt Wucherung des Bindegewebes, einmal mehr
des interal volaren, das andermal mehr des interlobulären erkennen. Gummöse
Knoten treten seltener und meist nicht sehr zahlreich in der Lunge auf, sie
werden am häufigsten im unteren Lappen, oft in der Nähe der Pleura ge-
funden; die Syphilome sind meist nicht grösser als eine Erbse und zeigen auf
dem Durchschnitt einen gelblichen Kern, bisweilen erreichen sie Wallnuss-
grösse und gehen im Inneren in käsigen Zerfall über.
Eines der constantesten Zeichen für angeborene Syphilis ist, wie bereits
erwähnt, die Erkrankung der Leber; in ihrem geringsten Grad besteht
diese Affection in einer Wucherung des periportalen Bindegewebes. Ist die
Leber stärker ergriffen, so ist sie bedeutend vergrössert, von derb elastischer
Consistenz, mattbraun bis gelb gefärbt; auf der Schnittfläche sind die Con-
turen je nach Intensität der Erkrankung mehr oder weniger verwischt. Die
mikroskopische Untersuchung ergibt, dass es sich um hochgradige Wucherung
des Bindegewebes, namentlich in der Umgebung der Gefässe handelt. Mit
dieser Hyperplasie zusammen, aber auch allein, kommt es durch insulare Wu-
cherung zur Bildung grauer oder gelblicher, feiner bis stecknadelkopfgrosser,
miliarer Knötchen, aus denen bisweilen durch Confluenz grössere Gummaknoten
entstehen. Beschränkt sich die gummöse Wucherung auf das die Pfortader
und die grossen Gallengänge begleitende Bindegewebe, so sehen wir die für
die Neugeborenen charakteristische Peripylephlebitis syphilitica; vom Leber-
hilus aus ragen dicke weisse Schwielen ins Innere, welche die Pfortader und
Gallengänge so hochgradig verengen können, dass Ascites, respective Icterus
entsteht.
Noch häufiger wie die Vergrösserung der Leber ist bei syphilitischen
Früchten die Volumszunahme der Milz.
SYPHILIS DER SCHWANGERSCHAFT. 799
Bei gesunden todtgeborenen Früchten über 2500^ ist das Milzgew. V320 des
„ frischtodten syphil. „ „ „ „ „ „ Vin >
„ macerirten nicht syphilit. „ „ „ „ „ „ Vöac >
„ )) sypnil. „ „ „ „ „ „ /]^24 )
BiRCH - HiRSCHFELD hat sogar bei einer todtfaulen Frucht aus dem 9.
Monat ein Milzgewicht von 40 g constatirt, während das Normalgewicht 9 g
beträgt. Makroskopisch bietet der Milztumor keine besonderen Erkennungs-
zeichen, nur beträchtliche Consistenzvermehrung ist zu bemerken, Gummata
kommen nicht vor; die mikroskopische Untersuchung ergibt, dass es sich
hauptsächlich um Hyperplasie des Milzstromas handelt. Bei den übrigen
Organen können wir uns kurz fassen:
In den Nebennieren sehen wir ziemlich oft diffuse fibröse Hypertrophie,
daneben bisweilen Gummata auftreten. In der Bauchspeicheldrüse kommen
Syphilome nur ausserordentlich selten, dagegen hochgradige Wucherung des
interstitiellen Gewebes recht häufig vor; meist ist der Kopf der Drüse, welcher
hierdurch beträchtlich vergrössert wird, Hauptsitz der Krankheit. — Die Thy-
mus ist manchmal stark vergrössert, mit kleinen Gummaknoten durchsetzt,
welche in Folge von Erweichung das Aussehen von Abscesshöhlen erhalten
können. — Kleine bis erbsengrosse Syphilomknoten kommen auch in der
Thyreoidea vor. — Hodensyphilis analog der Erkrankung Erwachsener wird
hin und wieder beobachtet. Erwähnen wir noch, dass die Mesenterialdrüsen
häufig, die übrigen Lymphdrüsen bisweilen angeschwollen sind, so bleibt nur
noch zu berichten, dass in einzelnen Fällen Syphilis im Gehirn, Herz, Magen,
Peritoneum, in der Niere und Brustdrüse des Neugeborenen beschrieben
worden ist.
LITTAÜER-DÖDERLEIN.
Syphilis der Schwangerschaft. Unter den Folgen der syphilitischen
Infection ist keine in socialer Beziehung von solcher Wichtigkeit wie der Ein-
fluss dieser Erkrankung auf die Fortpflanzung. Syphilis zerstört nicht allein
das Individuum, sondern auch das Geschlecht. Eigenthümlich ist hierbei, dass
nicht Unfruchtbarkeit im Sinne der Conceptionsbehinderung bedingt wd,
sondern dass die seitens des männlichen oder weiblichen Erzeugers auf das Ei
übertragene Syphilis die Ausbildung gesunder, lebensfähiger Früchte hindert.
Es veranlasst die Syphilis also nicht Sterilität durch Störung der Befruchtungs-
möglichkeit, wie dies z. B. bei der gonorrhoischen Infection bei beiden Ge-
schlechtern der Fall ist, sondern sie führt gewöhnlich zu Sterilität durch In-
fertilität. Nur in den Fällen, in welchen der Mann durch Hodensyphilis seine
Zeugungskraft eingebüsst hat oder wo bei der Frau etwa durch syphilitische
Stricturen der Scheide oder der Cervix der Cohabitations- oder Couceptions-
mechanismus gestört ist, kann Syphilis zu Sterilität im eigentlichen Sinne führen.
DerEinfluss der Syphilis auf die vorzeitige Unterbrechung
der Gravidität ist ein ganz enormer. Kassowitz sah bei 330 Gebuiteu
in 2/5 der Fälle Abort oder Frühgeburt eintreten; Mewis hat nach dem Ma-
terial der Berliner Frauenklinik herausgefunden, dass bei syphilitischen Frauen
in 33% der Fälle Abort, in 3 6^0 Frühgeburt erfolgt. Bedenkt man, dass bei
vielen Aborten in den ersten Schwangerschaftsmonaten keine ärztliche Hilfe
verlangt wird, so ist es entschieden noch zu niedrig gerechnet, wenn man an-
nimmt, dass in % der Fälle die Gravidität vorzeitig unterbrochen wird; unter
den übrigbleibenden % befindet sich noch eine grosse Anzahl todtgeborener
oder lebensunfähiger Kinder.
Den richtigen Eindruck von der verheerenden Wirkung der Syphilis erhält
man erst dann, wenn man bei der statistischen Zusammenstellung specifisch
behandelte von den nicht behandelten Fällen trennt, wie es Etienne gethan hat:
800
SYPHILIS DER SCHWANGERSCHAFT.
17 CIO • 1,+ 1.^-ko^ Von 15 vor (5) oder
delten Frauen gchwngsch.beh.Fr
haben abortirt
sind frühzeitig niedergekommen
mit todter Frucht
mit lebend. Frucht
0
sind frühzeitig niedergekommen
mit todter Frucht
mit lebend. Frucht
12
Die Zahlen sind zwar niclit gross, doch sprechen sie deutlich.
Als charakteristisches Zeichen für S'yphilis gilt, dass, falls nach
einer Fehlgeburt abermals Schwangerschaft eintritt, auch diese wieder vor-
zeitig unterbrochen wird, jedoch bei einem späteren Entwicklungsstadium der
Frucht. Stellen sich später rechtzeitig geborene Kinder ein, so ist das fol-
gende immer schwächer afficirt als das vorhergehende; auf todtgeborene und
lebensunfähige Kinder folgen immer weniger syphilitisch kranke bis schliesslich
Kinder geboren werden, die gesund sind und bleiben. Mit dem Erlöschen der
Ansteckungsfähigkeit erlischt auch die Vererbungsfähigkeit der Syphilis, aber
während beim Manne diese Regel nur selten Ausnahmen zulässt, kommt es
noch oft vor, dass tertiär syphilitische Frauen Kinder gebären, welche früher
oder später der ererbten Krankheit verfallen. So wie die Zeit die Gefahr der
Syphilisvererbung mindert, thut es auch eine richtig geleitete Behandlung;
nach einer schwier syphilitisch kranken Frucht kann ein vollkommen gesundes
Kind gezeugt werden, wenn sich inzwischen die Eltern einer Quecksilbercur
unterzogen haben.
Etwas eingehender müssen wir noch die Fälle betrachten, in denen eine
zur Zeit der Conception gesunde Mutter eine syphilitische Frucht erzeugt.
Trotz genauester Untersuchung und lang fortgesetzter Beobachtung lässt sich
nicht gar so selten keinerlei Zeichen von Syphilis an solchen Frauen entdecken;
dass aber die Mütter syphilitischer Kinder auch in diesem Fall nicht für gesund
erklärt werden können, wird dadurch bewiesen, dass das Säugen ihrer oder
anderer luetischer Kinder ebensowenig wie eine Impfung mit virulentem
syphilitischem Gift specifische Krankheitserscheinungen hervorruft. Ob nun die
Mutter von Seiten der Frucht durch die Placenta hindurch inficirt worden ist
und dieser Infectionsmodus einen abnorm leichten Verlauf bedingt, oder ob eine
durch Stoffaustausch zwischen Foetus und Mutter erfolgte Immunisirung vor-
liegt, mag dahingestellt bleiben. Das Schicksal der Frucht hängt unter diesen
Umständen allein vom Alter und der Schwere der väterlichen Erkrankung ab.
Wenn aber auch Vater und Mutter bei der Zeugung gesund waren, so
kann doch noch die Frucht syphilitisch erkranken, falls sich die Mutter nach
erfolgter Befruchtung noch inficirt; in je früherer Schwangerschaftszeit die
Ansteckung erfolgt, um so schwerer wird die Frucht erkranken, je später die
Mutter die Lues acquirirt, um so günstigere Aussicht hat das Kind, von der
Syphilis verschont zu bleiben. Ein besonderes Missgeschick gehört dazu, wenn
sich das Neugeborene, wie einmal beobachtet, am mütterlichen Primäraffect
inficirt.
Die eben dargelegte Auffassung, welche annimmt, dass die Placenta für
das Syphilisgift durchlässig ist, hat nicht wenige und dabei manche
SYPHILIS DER SCHWANGERSCHAFT. 801
hervorragende Gegner gefunden. Nach deren Ansicht wird die Syphilis der
Frucht nur bei der Conception durch Ei oder Sperraa zugetragen; blieb das
Ovulum bei der Befruchtung gesund, ■so wird es auch durch eine während der
Tragzeit der Mutter erworbene Syphilis nicht inficirt, ebensowenig inficirt eine
syphilitische Frucht die Mutter während des intrauterinen Lebens.
Unrichtige Beobachtungen und fehlerhafte Schlussfolgerungen werfen die
Verfechter der beiden Theorien sich gegenseitig vor.
Es will uns nicht richtig erscheinen, die Placenta als eine Schutzmauer
gegen Syphilis zu betrachten; für Gase und eine Pteihe löslicher Substanzen
ist der Beweis der Durchlässigkeit geliefert, auch dieselben Bakterienarten sind
mehrfach in mütterlichen, placentaren und fötalen Geweben gefunden worden,
sogar für Malaria will Rollock den Uebergang sichergestellt haben und das
unbekannte Virus der Syphilis sollte die Placenta nicht durchdringen können.
Es muss freilich zugegeben werden, dass noch nicht bewiesen ist, dass die
normale Placenta für corpusculäre Elemente durchgängig ist, es muss weiter
zugegeben werden, dass die Verfechter der Permeabilitäts-Theorie für ihre Be-
hauptung bisher keine pathologisch-anatomischen Beweise haben beibringen
können, aber die pathologische Anatomie der Placenta liegt überhaupt noch
etwas im Argen.
Die Placenta syphilitischer Früchte ist verhältnissmässig grösser
und schwerer als der normale Mutterkuchen, was besonders bei der meist
unter der Norm bleibenden Entwicklung der Früchte auffällt; das Gewebe ist
weniger intensivroth gefärbt, zeigt einen blassgrauen Schimmer; die Coty-
ledonenzeichnung ist mehr weniger verschwommen, auch die Schnittfläche ho-
mogener als gewöhnlich. Amnion und Chorion sind ab und zu durch Einla-
gerung feinkörniger Massen verdickt und» getrübt, stellenweise miteinander
verklebt. Oefters finden sich im Placentargewebe Syphilitischer zahlreiche
kleine bis bohnengrosse Knötchen eingesprengt, welche viel Aehnlichkeit mit
dem weissen Infarct der Placenta haben. Nach den Einen (z. B. Küstner)
sind sie charakteristisch für Syphilis, sie unterscheiden sich von der erwähnten
Affection dadurch, dass sie verhältnismässig kleiner sind, dass sie auf dem
Durchschnitt weniger weiss erscheinen und meist an der uterinen Fläche vor-
gefunden werden, während die fötale der Lieblingssitz für den Infarct ist.
Andere geben zwar zu, dass Fibrinbildungen in den Placenten Syphilitischer
häufiger als gewöhnlich vorkommen, erklären aber die erwähnten Knötchen
als ebensowenig specifisch für Lues wie die oft beobachtete fettige Degene-
ration. Für die vermehrte Fibrinausscheidung will Peinzing eine Erkrankung
der Placentargefässe in Analogia der endarteriitischen Processe bei Hirnlues
verantwortlich machen.
Als echt syphilitische Veränderung gilt die zuerst von Viechow beschrie-
bene Endometritis placentaris gummosa^ welche jedoch recht selten beobachtet
wird. Diese Erkrankungsform betrifft nur mütterliches Gewebe, sie geht hervor
aus einer gummösen Wucherung der 'Serotina. Die in das Gewebe der Coty-
ledonen sich versenkenden Knoten bestehen aus einer weissgrauen, festen,
fibrösen Schale und einer gelblichen, w^eicheren Mittelmasse.
Von grösserer Wichtigkeit ist die deformirende Granulationszellwucherung
der Placentarzotten (E. Fraenkel) deren Nachweis für die meisten Pathologen
und Geburtshelfer (Ausnahme z. B. J. Veit) die Diagnose Syphilis sicherstellt.
Die Zotten sind geschw^ollen, von plumper Gestalt, dicht aneinander gedrängt;
das Zottenepithel ist zum Theil zerstört, an anderen Stellen lässt sich eine
Proliferation des Epithels erkennen. Der Zottem-aum ist mit kleinen bis
mittelgrossen Zellen angefüllt, welche aus den Gefässen stammen; wo diese
Zellwucherungen besonders stark sind, können dadurch Gefässe comprimirt
werden, so weit, dass sie ganz unw^egsam w'erden. Wenn die Verödung der
Zottenräume in grösserer Verbreitung vorkommt, so ist Fruchttod die Folge.
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynäkologie. '^'-
802 SYPHILIS DER SCHWANGERSCHAFT.
Hat trotz bestehender Syphilis die Schwangerschaft ihr normales Ende
erreicht, so verläuft, falls nicht luetische Affectionen der Geschlechtstheile ein
Hinderniss abgeben, die Geburt ungestört. Ausgebreitete Induration um den
Primäraffect, ödematöse Schwellung der grossen Labien, syphilitische Narben,
können zu heftigen Verletzungen und starken Blutungen Anlass geben, wenn
nicht durch Incisionen geholfen wird. Luetische Erkrankungen der Scheide
disponiren ebenfalls zu Verwundungen in Folge der Elasticitätsverminderung;
bei der seltenen perivaginitis syphilitica ist sogar die Scheide in ein dick-
wandiges starres Eohr verwandelt (Biech-Hirschfeld).
Die Hauptstörungen der Geburten Syphilitischer gehen aber
von der Portio vaginalis uteri aus. Weniger das syphilitische Geschwür der
Portio, als die nach erfolgter Heilung zurückbleibende, manchmal sehr beträcht-
liche Narbe wird zum Geburtshinderniss. Bisweilen mag auch eine Spätform
der Syphilis, wie bei einer Patientin von Mesnard der Entfaltung des Mutter-
mundes hinderlich sein; vielfach aber documentirt sich bei Syphilitischen eine
Rigidität der Portio, ohne dass ein localer Krankheitsherd an dieser Stelle nach-
zuweisen wäre. Die häufige Starre des Cervicalgewebes erklärt auch, dass
Sigmund bei Luetischen verhältnismässig oft Cervixrisse constatiren konnte.
Gelingt es der Kraft der Wehen nicht den Widerstand des indurirten Gewebes
zu überwinden, so wird Kunsthilfe nöthig; selbst tiefe Incisionen genügen nicht
immer, Wendung (Pütegnat) oder Zange {Putegnat, Martinetti, Mesnard, Blanc)
kann erforderlich w^erden.
Die erwähnten Geburtstraumata sind auch die Hauptursache davon,
dass Fieber im Wochenbett Syphilitischer recht häufig ist, auch bilden
Wunden im syphilitischen Gewebe eine um so grössere Gefahr, weil
sie eine geringe Heilungstendenz haben, ein Umstand, der selbst bei grösseren
Weichtheilsverletzungen Anlass gibt von der Wundnaht Abstand zu nehmen;
finden sich nun noch an den Genitalien eiternde Geschwüre oder nässende
Papeln, so ist reichlich Gelegenheit zu einer Infection gegeben.
Das Fieber syphilitischer Wöchnerinnen ist nicht auf andere Weise
zu erklären wie Temperatursteigerungen in sonstigen Fällen; für ein specifisches
Wochenbettfieber, von dem Mewis redet, gibt es keine Anhaltspunkte. Die
Puerperalaffectionen verlaufen meist leicht; verhältnismässig häufig sind, wohl
in Folge von Cervixverletzungen, Parametritiden. An Sepsis starb von 625
syphilitischen Wöchnerinnen des Hopital Loucrine Pastal nur eine, welche in-
ficirt ins Krankenhaus gebracht war.
Der Verlauf der Syphilis in der Schwangerschaft zeigt einige
Abweichungen vom Normalen, weil die vermehrte Fluxion nach den Genitalien
diese Gewebe blut- und saftreicher macht, sie auflockert und anschwellen lässt.
Der Primärajffect erscheint intensiver gefärbt, secernirt reichlicher, ruft grössere
Gewebsdefecte hervor und zeigt eine geringere Heilungstendenz; ausserdem
zeichnen sich, in Folge der vermehrten Absonderung der Genitalien die breiten
Condylome durch starke Entwicklung aus.
Ein weiterer Einfluss der Schwangerschaft auf den Krankheits verlauf wird
von vielen geleugnet: nach anderen aber (Augagneur) ist das Eruptionsfieber
von besonderer Intensität und Hartnäckigkeit, und das universelle Exanthem
sehr ausgebreitet und stark pigmentirt. Augagneur betrachtet auch bei solchen,
welche ante graviditatem inficirt wurden, die Schwangerschaft als Gelegenheits-
ursache für Syphilisrecidive.
Was die Therapie anbetrifft, so ist die Allgemeinbehandlung mit Queck-
silber in der Schwangerschaft nicht nur gestattet, sondern sowohl im Interesse
von Mutter als Kind dringend erforderlich; wir brauchen diesbezüglich nur auf
die Statistik von Etienne und das über Geburt und Wochenbett Syphilitischer
Gesagte zurückzuweisen. Bei der localen Behandlung ist wegen der in der
Schwangerschaft gesteigerten Aufsaugungsfähigkeit der Genitalien Vorsicht
TETANUS UTERI. 803
beim Gebrauch des Sublimats erforderlich; erschwert wird die Tjohandlunj^ durch
die überreichliche Secretion. Seihst einer energischen Therapie leisten aber
die localen Krankheitserscheinungen in der Gravidität bisweilen Widerstand,
während sie im Wochenbett entsprechend der gesteigerten Ilesorptionsthätigkeit
manchmal ohne jede Behandlung verschwinden. littauer-döderlein.
Tetanus uteri. Unter diesem Namen versteht man einen tonischen
Contractionszustand des Uterus. Der Uterus ist andauernd bretthart, liegt
dem Kind fest an, so dass ein Eindringen der Hand zwischen Kind und
Uterus unmöglich ist. Ein Wechsel zwischen Contraction und Erschlaffung
fehlt vollständig, die Kreissenden haben andauernd heftige Schmerzen. Die
Ursachen des Tetanus sind folgende: Unüberwindliche Widerstände (enges
Becken, Querlage, Hydrocephalus), missglückte Entbindungsversuche, rohe und
häufige manuelleDehnungen des Muttermundes, Seeale. Da ein Musl^el bei an-
dauernder Contraction keine Arbeit mehr leistet, so steht die Geburt still. In-
folge dessen kommt es auch nicht zur Uterusruptur, falls nicht etwa vor Ausbil-
dung des Tetanus schon eine stärkere Ausziehung des unteren Uterin Segmentes
bestand. Sehr häufig stirbt dagegen die Kreissende, selbst nach glücklicher Entbin-
dung an Sepsis, für deren Entstehung die aetiologischen Vorbedingungen des
Tetanus ebenfalls günstige sind, insofern die zum Tetanus führenden schweren
Geburten häufige interne Explorationen veranlassen. Auch für die Kinder ist
der Tetanus uteri sehr ungünstig, weil die Kinder infolge der Beschränkung der
Sauerstoffzufuhr zur Placenta in der Regel an Asphyxie zu Grunde gehen.
Ein wirklicher Tetanus uteri wird durch Chloroformnarcose nicht beseitigt,
ebensowenig hat Verfasser diesen Erfolg nach den von Feänkel empfohlenen
combinirten Injectionen von Morphium- 0-01— 0' 03 und Atropin 0-001 ein-
treten sehen.
Verfasser hält daher die Anwendung von verschiedenen narcotischen
Mitteln bei Tetanus uteri für contraindicirt, da sie den Tetanus doch nicht
beseitigen und die schon geschwächte Kreissende durch die Möglichkeit einer
fettigen Degeneration lebenswichtiger Organe in Lebensgefahr bringen. Es ist
daher bei Tetanus uteri nur eine kurze Narcose zum Zweck der schleumigen
Entbindung als rationell zu bezeichnen: denn ohne Entbindung geht die
Kreissende, falls nicht Uterusruptur erfolgt, an Sepsis zu Grunde.
Die entbindende Operation kann niemals in der Wendung bestehen.
Denn wenn wirklich die operirende Hand bis zu den Füssen gelangt, so ist
eine Umdrehung wegen fester Umschnürung der Frucht unmöglich, höchstens
kann es bei einem forcirten Wendungsversuch zur Uterusruptur oder zur
Abreissung des Uterus von der Scheide kommen (perforirende Scheidenruptur,
Kolpaporrhexis). Handelt es sich um eine Querlage, so ist bei todter Frucht
die Zerstückelung des Kindes indicirt. Dieselbe kann, weil bei Tetanus uteri
der vorliegende Theil manchmal sehr hoch steht, und der Cervix nur mangel-
haft entfaltet ist, recht schwierig sein, so dass unter diesen Umständen Ver-
fasser bei lebendem Kind und unter günstigen äusseren Verhältnissen (genü-
gende Assistenz, Möglichkeit des Transportes in eine Klinik) den Kaiserschnitt
für die technisch einfachere Operation hält.
Liegt der Schädel vor und steht er im Becken, bezw. lässt er sich in
das Becken hineindrücken, so ist bei lebendem Kind die Zangenextraction
indicirt. Ist das Kind todt, so ist die Perforation in all den Fällen vorzu-
nehmen, wo die Zange schwierig erscheint, ferner in allen Fällen, wo dei'
Schädel über dem Becken steht, mag das Kind leben oder nicht. Wenn ausser
dem Tetanus auch Erscheinungen von Sepsis, bezw. Sapriämie vorhanden sind wie
Fieber, übelriechender Ausfluss, Tympania uteri, so ist nach der Extraction
des Kindes auch die Placenta bald zu exprimiren, um dann den Uterus mit
mehreren Litern einer l"/oigen Lysol- oder S^oigen Carbolsäurelösung aus-
51*
804 THROMBUS VAGINAE ET VULVAE.
zuspülen. Misslingt der CuEDE'sche Handgriff, so ist die Uterusspülung sofort
auszuführen, die Placenta manuell zu lösen und der Uterus nochmals auszu-
spülen. DÜHRSSEN.
Thrombus Vaginae et vulvae. (Aneurysma spurium, besser gesagt,
Haematoma, respective Haematoma dissecans vulvae et vaginae.) Unter diesem
Namen versteht man eine in der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle
sub partu oder sehr bald nach Ausstossung des Kindes entstehenden Blut-
ergiessung in das perivaginale also die Scheide umgebende Zellgewebsparenchym,
sowie in die subcutanen Zellgewebsschichten der Vulva und des benachbarten
Dammes. Derartige Apoplexien zu parenchymatösen, submucösen und subcu-
tanen Blutergüssen führend, sind die Folge submucöser und subcutaner Blut-
gefässzerreissung, Angiorrhexis. Entweder plötzlich entstehend durch einen
heftigen traumatischen Insult auf vorher intactes Gewebe oder schon vor-
bereitet durch vorausgegangene langandauernde Compression, Zerrung, Quet-
schung der Gewebe, die zur Drucknekrose führen kann und damit leicht zu
einer Gefässläsion. Diese Blutergüsse sind in der weitaus grössten Mehrzahl
venöser Natur und liegt eine gewisse Prädisposition in der Stauungshyperämie
sub graviditate, namentlich sub partu, denn wenn auch die äussere Wand-
schicht der Venen eine Verdickung erfahren hat, so befindet sich die Media
in einem Zustande der Atrophie. Es ist verständlich wie es gelegentlich bei
präcipitirtem Vorrücken des Kopfes, Sturzgeburten, schweren Geburten bei
räumlichem Miss Verhältnis zu derartigen Blutgefässusureu, Quetschungen und
Zerreissungen kommen kann.
Erfolgt die Gefässzerreissung ohne eine gleichzeitige äussere Wunde, so
wird ein intraparenchymatöser Bluterguss entstehen, ist aber gleichzeitig eine
äussere Wunde gesetzt in die Schleimhaut oder den äusseren Hautbedeckungen,
welche mit der Gefässzerreissung in Verbindung steht, also correspondirt, so
wird eine Blutung nach aussen erfolgen. Bei momentan wirkenden, stärkeren
traumatischen Insulten wird sofort eine völlige Gefässzerreissung und Blutung
entstehen, falls aber der traumatische Insult nur eine Druckusur setzte, die
erst später zur Nekrose des Gefässes führte oder bei einem neuen nachfol-
genden Trauma, so wird die Lücke in der Gefässwand und Blutung natürlich
erst später entstehen. Davon also hängt es also ab, wenn einmal die Blutge-
schwulst sofort während der Geburt entsteht, ein andermal erst einige Stunden
später. Selbstverständlich können solche Blutungen an jeder Stelle des Ge-
nitaltractus stattfinden, welche traumatischen Einflüssen ausgesetzt ist, die in
dieser Weise durch Abscheuerung, Quetschung etc. wirken können.
Sowie die periuterinen Blutergüsse bei Perforation des Peritoneum also
bei einer perforirenden Uterusruptur entstehen, sowie die subserösen Blut-
ergüsse entstehen bei inkompleten Rupturen ohne Perforation des Peritoneum,
ebenso ist ein weites Feld für allerhand perivaginale, subraucöse, und vulväre,
subcutane, parenchymatöse Verletzungen und Blutungen sub partu gegeben.
Je nach dem Sitze solcher Blutergüsse ist die Bezeichnung eine verschiedene.
Zu dem Hämatoma vaginae gehören unter anderen auch Blutergüsse, welche
hoch hinauf in das grosse Becken, ja bis in die Nierengegend hinauf, bis zur
Nabelhöhe etc. das Bauchfell ablösen, Cazeaux beschrieb z. B. einen solchen
Bluterguss, der vorn bis zur Nabelhöhe das Peritoneum parietale abgelöst
hatte, hinten bis in das eine Hypochondrium hinaufreichte. Streng genommen
ist die Nomenclatur nicht ganz richtig, solche Fälle als Hämatoma vaginae
et vulvae zu rubriciren, ein Kriterium könnte sich wohl daraus ergeben, wo
das zerrissene Gefäss sich befand, von wo die Blutung ausging, aber wie oft
gelingt es denn spCciell bei so grossen Blutergüssen selbst bei einer Nekropsie
die Quelle der Blutung auch vdrklich festzustellen? Die Bezeichnung muss
also cum grano salis aufgefasst werden! Hugenberger wollte in- und ausser-
THROMBUS VAGINAE ET VULVAE. 805
halb des Beckens liegende Blutergüsse unterscheiden, eine Eintheilung, die sich
jedoch nicht halten liess, da der Blutcrguss sich einmal nacl) oben, ein ander-
mal mehr nach unten gegen den Beckonausgang hin ausbreitete. Gewöhnlich
ragen grosse Thromben in den Beckenausgang hinein aber niclit immer.
V. WiNCKEL wollte deshalb Blutungen oberhalb und unterhalb des Diaphragma
pelvis auseinanderhalten, weil dieses Diaphragma für gewöhnlich diesen Blut-
ergüssen eine Grenze setze , falls nicht auch in diesem Diaphragma
durch Verletzung Gewebslücken, Spalten etc. entstanden seien. Kach
König's und Schlesinger's Injectionsuntersuchungen setzen jedoch die Becken-
fascien der Ausbreitung eines Hämatomes kein wesentliches Hindernis ent-
gegen. Es gibt thatsächlich Fälle, wo es absolut nicht gelingt, das zerrissene
Gefäss aufzufinden, also die Quelle der Blutung festzustellen, wo also von einer
derartigen Classificirung nicht die Rede sein kann. Nichtsdestoweniger hat
die Bezeichnung Hämatoma vaginae et vulvae ihre klinische Berechtigung,
weil thatsächlich häufig eine Lokali sation dieser Blutung gerade um die Va-
gina und Vulva herum auch bei tiefer entstandenen Blutungen stattfindet.
Tritt der Schädel bei stürmischen Wehen rasch herab und schiebt so die ihm
eng anliegende Schleimhaut der Scheide mit herab, zieht sie mit sich, so er-
klärt sich aus dieser forcirten und übertriebenen Verschiebung der aufein-
ander liegenden Weichtheilschichten an einander eine übertriebene Längs-
spannung, die leicht zur Zerreissung gesteigert werden kann oder aber zu einer
Drucknekrose führt, wenn der Zustand dieser übertriebenen Längsspannung
sehr lange andauert, umsomehr als auch eine Compression der betreffenden
Weichtheile gleichzeitig statt hat. Communicirt die Höhle des Blutergusses
mit einer oberflächlichen Haut- respective Schleimhautwunde, so ergiebt sich
natürlich zugleich eine Blutung nach aussen, die sehr rasch den Tod dmxh
Verblutung herbeiführen kann; bei bedeutender Verschiebung der Weichtheile
an einander kann jedoch diese Blutung nach aussen unterbleiben, trotzdem
ursprünglich Communication der Wunden da war. Halliday Ceom führte
als eine Prädisposition den Venter propendens an bei verringerter oder stark
vermehrter Beckenneigung mit Diastase der geraden Bauchmuskeln u. s. w.
Da hier die gefüllte Gebärmutter über den Schamfugenrand nach vorn über-
hängt, so kommt die ganze Schwere des gefüllten Fruchthalters zur Geltung
als Kraft, welche das hintere Scheidengewölbe respective die hintere Scheiden-
wand ad maximum in die Länge auszieht und verdünnt. Gerade so wie unter
diesen Bedingungen besonders leicht eine Kolpoahorrhexis Hugenberger's zu
Stande kommen kann, wie ich sie kürzlich erst bei einer kyphotischen
Multipara sah, wo alle diese Bedingungen erfüllt waren. (Die Frau war
etwa 12 Stunden nach erfolgter querer Abreissung der Scheide im hinteren
Scheidengewölbe in das Gebärasyl des Dr. Bieganski in Warschau gebracht
worden, wo das Kind nach Perforation und Kranioklasie extrahirt wurde. Die ster-
bende Frau wurde zu mir in die Klinik gebracht und entschloss ich mich,
da mir eine einfache Tamponade wegen nicht ausgeschlossener vorherigen
Infectionsgefahr nicht am Platze schien, andererseits, weil an eine Nahtverei-
nigung der zerfetzten Ränder auch nicht gedacht werden konnte, dazu, schnell
den gesammten Uterus per vaginam zu entfernen. Leider handelte es sich
um eine Moribunda ohne Puls, so dass trotz regelrechten Verschlusses der
Blutungsquellen und Analepticis jeder Art (zu einer Kochsalzinfusion blieb kaum
die Zeit) die Frau schon 2/4 Stunden, nachdem man sie gebracht hatte, starb;
die technisch auffallend leichte Operation der vaginalen Exstirpation des puer-
peralen Uterus hatte kaum mehr als 20 — 25 Minuten gedauert. Wenn nun
eine solche Gewalt sogar eine Kolpoaporrhexis zu Wege bringen kann bei einer
entkräfteten Multipara unter den angegebenen Bedingungen, um wie viel
leichter kann ein geringerer Grad dieser Verletzung eintreten, ein submucöses
Einreissen . der hinteren Scheidenwand, w^elches zur Bildungeines Hämatoma
806 THROMBUS VAGINAE ET VULVAE.
vaginae oberhalb des Diaphragma pelvis führt und zwar geschieht hier die
Gefässzerreissung noch unterhalb des noch hoch stehenden Kopfes, also ohne
das eigentliche Geburtstrauma im engeren Sinn des Wortes, Einzelne Autoren
legen aetiologisch vielen Werth auf eine Prädisposition durch Varices, die
grosse Mehrzahl der Beobachter ist aber direct entgegengesetzter Ansicht und
behauptet, gerade mit Varices behaftete Frauen unterliegen höchst selten der
uns beschäftigenden Erkrankung; auch prädisponirende Phlebtitiden hat man
niemals konstatirt.- Scheöder und Andere suchen ein prädisponirendes Moment
in vorausgegangenen Geburten, wonach also das Leiden häufiger bei Mehr-
gebärenden auftreten müsste. Diesen Angaben stehen aber entgegengesetzte
gegenüber, wonach gerade Erstgebärende häufiger erkranken sollen.
V. WiNCKEL gab ein Verhältnis von 12 Erstgebärenden auf 18 Mehrgebärende an,
Mc. Clintock von 13 Erstgebärenden auf 12 Mehrgebärende, zusammenkämen hier 25 Erst-
gebärende auf 30 Mehrgebärende ; de facto kommt aber diese Geburtscomplication bei Erst-
gebärenden häufiger vor wegen der weniger nachgiebigen Weichtheile! Johnston und Sin-
CLAiRS sahen auf IST^S Geburten 3 solche Erkrankungen, Dubois in Paris auf 1400 Geburten
ebenfalls nur drei Fälle, also ein ähnliches Frequenzverhältnis, v. Scanzqni sah persönlich
15 Fälle, Mc. Clintock sogar 25 Fälle. Spiegelberg sah auf 3000 Geburten in der Klinik
binnen 10 Jahren nur drei Fälle, in der Poliklinik mehr; in Wien wurden auf 33291 Ge-
burten 18 Fälle beobachtet, Hugenberger zählte auf 14000 von ihm beobachtete Geburten
11 Fälle, Wucher fand auf 6000 Geburten binnen zwei Jahren in Spaeth's Klinik absolvirt
4 Fälle (bei zwei Erstgebärenden und zwei Mehrgebärenden.) Coulhon giebt die
Häufigkeit als 1 Fall auf 5000 Geburten an (er führte die Entstehung des vulvo-vaginalen
Thrombus wohl irrthümlich auf eine in der Schwangerschaft entstandene Leukocytämie
zurück.) Bossi zählte auf 5060 Geburten nur zwei Fälle, v. Winckel zählt im Allgemeinen
auf 1600 Geburten einen Fall, persönlich sah er 6 Fälle von Hämatoma vulvae. Sehr auf-
fallend ist die Angabe verschiedener Autoren, dass diese Hämatome besonders häufig bei
Zwillingsgeburten auftreten sollen zwischen der Austreibung des ersten und zweiten Kindes,
wie das z. B. Frau Sasonoff aus Petersburg beschrieb (1884), welche 85 Fälle von Thrombus
vaginae et vulvae zusammenstellte und die Frequenz von 1: 2375 Geburten angab. Der
Tumor wurde hier nach Austreibung des zweiten Kindes noch grösser und platzte nach
8 Tagen nahe dem Schambogenscheitel. Frau S. fand allerdings nur 5 ähnliche Fälle, von
denen 4 tödlich endigten. Bei dieser Gelegenheit spricht sich Frau Sasonoff gegen die
Incision des Tumors nach der Geburt des ersten Zwillinges aus und räth den zweiten so
rasch als möglich zu extrahiren.
Sitz des Blutergusses ist meist eine grosse Schamlefze, selten eine
der kleinen oder aber das perivaginale Zellgewebe, wo jedoch der Bluterguss
meist in der Folge sich in die Schamlefze fortsetzt. Dill (1886) sah ein
kindskopfgrosses Haematoma labii minoris nach Austreibung des Kindes
bei einer Erstgebärenden rechterseits entstehen mit Ecchymosen auf der Bauch-
haut und an der Haut des Schenkels bis zum Knie herab. Es gibt freilich
auch Formen von Hämatomen, welche oberhalb des Diaphragma pelvis
auf ihren ursprünglichen Ausbreitungsbezirk auch beschränkt bleiben. Oft
aber breitet sich der Bluterguss nach dem Damm und After zu aus, Barnes
sah sogar ein solches Hämatom an Clitoris und Urethra, meist aber findet sich
der Sitz in der einen grossen Schamlippe und breitet sich von hier aus nach
oben und nach unten zu längs der Zellgewebsräume aus. Zuweilen setzt sich
der Bluterguss der einen Seite auf die andere per continuitatem fort, sehr
selten ist die Coincidenz solcher Blutergüsse auf der rechten und linken Seite,
in dem sie gleichzeitig aber unabhängig von einander entstanden sind. Der
Bluterguss entsteht viel häufiger primär im Zellgewebe der Vulva als im peri-
vaginalen, kommt jedoch auch hier oft genug primär vor, anderemale betrifft
das Hämatom die Hymenaireste, zuweilen allein den Damm, es sind auch
Fälle beobachtet worden, wo eine Art gestielten Tumors an der einen Scheiden-
wand sich vorfand, der sich später als sogenanntes Scheidenhämatom entpuppte.
(So beschrieb z. B. Auvard ein gestieltes Scheidenhämatom der hinteren
Scheidenwand aufsitzend und bis vor die Vulva heraushängend bei einer
8 Monate schwangeren Frau. Die Geschwulst stiess sich binnen kurzer Zeit
bei abwartender Behandlung brandig ab; in einem anderen Falle beschrieb
THROMBUS VAGINAE ET VULVAE. 807
AüVARD bei einer 32-jährigeii IV. para einen Tumor, der nach Austreibung
des Kindes vor die Vulva trat, die Geschwulst ging aber von der vorderen
Muttermundslippe aus; nach dem Blascnsprunge, dem wegen placenta praevia
lateralis eine profuse Blutung folgte, entstand zwischen Kopf und hinterer
Symphysenwand ein weicher wallnussgrosser Tumor. Der im Wochenbett resor-
birte Tumor wurde von Auvard für ein Hämatom der vorderen Muttermunds-
lippe erklärt, konnte jedoch auch wohl einfach in einer ödematösen Anschwel-
lung der vorderen Muttermundslippe bestehen. Auvakd macht darauf auf-
merksam, dass bei Thrombus vaginae die Hämorrhagie immer in der Columna
rugarum selbst stattfinde, wobei vielleicht ein unvollkommenes Verschwinden
der Scheidewand der MüLLER'schen Gänge eine ätiologische Holle spiele.
Aehnliche Angaben sind bisher von anderer Seite nicht gemacht worden bis
auf eine Beobachtung von Budin (1887) der ein gestieltes von der columna
rugarum der hinteren Scheidenwand ausgehendes hühnereigrosses Hämatom
beschrieb, das ohne irgend eine nachweisbare Ursache im 8. Monate der
Schwangerschaft entstanden war; es entsprang unter der Schleimhaut und Hess
das Septum rectovaginale intact. Aehnliche Beobachtungen von gestielten
Scheidenhämatomen namentlich in der Schwangerschaft gibt es in der Lite-
ratur nur einige wenige! Auch Fleischmann und Reich haben unter Anderen
gestielte Hämatome beschrieben. Braun und Mc. Clintock sahen niemals Hä-
matome bei mit Varices behafteten Frauen, jedoch sind, wenn auch spärlich
doch einige Fälle von Coincidenz mit Varices beschrieben worden. Ein ätio-
logischer Zusammenhang ist jedoch nicht erwiesen und nur von wenigen Au-
toren vermuthet. Am Damm ergiesst sich das Blut zwischen die Fascia super-
ficialis und media, in der Scheide in das submucöse und perivaginale Gewebe,
in den Fällen von Cazeaux, Hugenberger und v. Winckel blieb es nicht bei
einem Bluterguss im Zellgewebe unterhalb des Diaphragma pelvis, sondern
derselbe erstreckte sich die Scheide entlang bis zu dem periuterinen Zell-
gewebe und setzte sich subperitoneal an der hinteren und vorderen Wand der
Bauchhöhle fort. Da der Bluterguss sich nach allen Richtungen hin aus-
breiten kann, ist es oft unmöglich das zerrissene Blutgefäss selbst sub necrop-
sia aufzufinden, geschweige denn dass dies an der Lebenden stets gelingen sollte.
Mackintosh in Glasgow sah 1881 ein solches falsches Aneurysma einer Schaam-
lippe bei einer Erstgebärenden 2 Stunden post partum entstehen; da dasselbe
an Grösse zunahm, schnitt er es ein, entleerte anderthalb Liter flüssiges Blut
und fand das zerrissene Gefäss auf und unterband es, die Frau genas.
Auch Rau fand in einer solchen Wundhöhle nach Ausräumung des Blutes
das zerrissene Gefäss,
Grosse perivaginale Blutergüsse senken sich regelmässig nachdem
Beckenausgange zu; v. Winckel schreibt wie schon gesagt, diese Aus
breitung einer Lockerung oder präxistirenden Lücken im Diaphragma
pelvis zu oder einer im Verlauf der Krankheit bei Abscedirung auftreten-
den eitrigen Perforation der betreffende Fascie. Diese Blutergüsse ent-
stehen in 867o der Fälle bei spontanen Geburten, w^o also jede trauma-
tische Einwirkung instrumenteller oder manueller Eingriffe ausgeschlossen ist
und zwar entsteht die Erkrankung meist so plötzlich, unerwartet und über-
raschend, dass von einer Prophylaxe füglich nicht gesprochen werden kann,
höchstens auf dem Papier! Schnelle Beendigung der Geburt eventuell unter
Chloroform wird am Platze sein, sobald man Grund hat einen Thrombus
dieser Art zu befürchten. Ausser den erwähnten spontanen Gebui'tstraumen
verzeichnet die Literatur eine Beobachtung von Engelmann (1885), w^o ein
haematoma labii majoris sub partu durch eine Inguinalhernie veranlasst
wurde. Es handelte sich um eine o4jährige 10-para mit doppelseitigem Leisten-
bruche, der bei den früheren Geburten, selbst bei einer Zangengeburt von
einem Bruchbande zurückgehalten, nicht die geringsten Störungen veranlasst
SOS THROMBUS VAGINAE ET VULVAE.
hatte. Varices am linken Bein. Geburt spontan und Bruch leicht zurück-
gehalten, sowie aber der Kopf im Durchschneiden war, trat der linksseitige
Leistenbruch plötzlich heraus und tief herab. Eine halbe Stunde post partum
glich das linke Labium einer 7 Centimeter dicken Geschwulst prall gespannt
mit glänzender, dunkelblaurother Haut bedeckt — diese Geschwulst zog sich
wurstförmig bis zum Leistenring hin. Dem Gefühle nach sprach die Con-
sistenz für Darminhalt, so dass Engelmann annahm bei dem Pressen sei der
Bruch so tief herabgetreten. Taxis wurde versucht, die Reposition gelang auch
theilweise, plötzlich jedoch war die Hand blutig, — ein haematoma labii
wurde erkannt; starke Blutung aus einem Hauteinrisse. Die Wunde wurde
zuerst mit den Fingern zugepresst und die Reposition vollendet, wobei ein
neuer Hauteinriss erfolgte. Grosse Blutklumpen und flüssiges Blut entleert,
wodurch die Geschwulst zusammensank, Ausspülung, fest angelegter Subli-
mat druck verband, Genesung. (Einzelne Autoren warnen vor Compression
gegen die Knochen der vorderen Beckenwand).
Waeszawski sah bei einer 22 jährigen Erstgebärenden am 11. Tage
post partum eine plötzliche Erkrankung mit Fieber und Bauchschmerzen; ein
Arzt machte eine Uterusausspüllung, eine Stunde darauf Ohnmacht, Anämie,
grosse plötzlich entstandene Anschwellung der rechten grossen Schamlefze und
des Dammes: Endometritis puer peralis und hämatoma vaginae et vulvae am 11.
Tage post partum entstanden. Am 13. Tage bei -f- 40'^, C. platzte das Häm atoma
an der Innenseite des Labium. Zahnfleischblutungen treten gleichzeitig auf. Nach
Wochen wurde dieselbe Frau wieder in das Spital gebracht nach einer neuen vor
einer Woche erfolgten Blutung, fieberhafter Zustand mit zalhreichen
Petechien — nach zwei Monaten ganz geheilt entlassen. Es handelte
sich um einen Morbus maculosus Werl hoff ii als Ursache des
Thrombus. Loviot sah einen apfelsinengrossen Thrombus vaginae nach
dem Blasensprunge entstehen rechts vorn in der Scheide, welcher
deutlich pulsirte. Der Tumor verkleinerte sich allmählig im Wochenbette.
Nach drei und einer halben Woche plötzlich Lungenembolie und Pleuro-
pneumonie, wahrscheinlich von jenem Thrombus ausgehend. Genesung. Der
Tumor war 70 Tage post partum ganz resorbirt. Hier war die Ursache Hämo-
philie; beide Grosseltern, Vater und zwei Brüder waren an Verblutung
gestorben, zwei Schwestern verschont. Freund sah sub partu nach seiner
ersten Symphyseotomie nach Anwendung des Ritgen' sehen Handgriffes zur
Beendigung der spontanen Austreibung ein Hämatom der rechten Schamlefze
entstehen (gleichzeitig Hämaturie).
Häufig ist namentlich bei Entstehung des Hämatoms in der Schwanger-
schaft ein Trauma direct nachgewiesen, Sturz, Fall, Eindringen
von Fremdkörpern, Quetschungen etc. So sah Bastaki in Jassy ein
Hämatom entstehen bei einer im 1. Monate schwangeren Frau nach
einem Aufschlagen mit dem Gesäss gegen einen' scharfen Rand. Starke
Blutung, 24 Stunden später Anschwellung der Geschlechtstheile, kinds-
kopfgrosser blauschwarzer Tumor an den Genitalien mit einer klein-
fingergrossen blutenden Wunde an der Innenseite. Nach Reinigung, Aus-
spülung und Tamponade folgte Heilung und kein Abort ! Chunn in Baltimore
beschrieb ein traumatisches Hämatom in der rechten Schamlefze bei einer
20jährigen Nullipara nach einem Aufschlagen auf die scharfe Kante eines
Stuhles, — apfelgrosse sehr schmerzhafte Geschwulst, Incision, Entleerung,
Tanninlösung, Heilung.
Auch Fruitnight sah zwei Fälle von Thrombus vulvae nach Trauma
bei nicht schwangeren Personen. Im Ganzen sind jedoch die Fälle von
Hämatoma vulvae et vaginae ausserhalb der Schwangerschaft und Geburt selten
und stets traumatischen Ursprunges, meist mit äusseren Verletzungen ver-
THROMBUS VAGINAE ET VULVAE. ^09
bunden, aber nicht immer, ja manche Paravaginitis dissecans abscedens^ verdankt
vielleicht ihren Ursprung einem traumatischen Hämatom der Scheidenwand.
Gänzlich abzutrennen von diesen Hämatomen sind natürlich die
thrombosirten Varices, geplatzte Varices, die eventuell schon bei
Schwangeren den Tod durch Verblutung veranlasst haben wie in dem P'alle von
Nahmmacher (1890).
Der zur Bildung eines Hämatoma vaginae resp. vulvae führende Blut-
erguss ist die Folge einer traumatisch begründeten Gefässzerreissung oder
auch Druckläsion, welche nach kurzer Zeit schon eine Nekrose und damit
die Gefässläsion setzt. Derartige Verletzungen entstehen gewöhnlich sub
partu in der Austreibungsperiode, können jedoch schon vor vollendeter Aus-
treibung sich kundgeben oder aber gleich nach Austritt des Kindes oder noch
später. Die Gebärende empfindet zunächst einen starken bohrenden, stechen-
den Schmerz in der Schamgegend, alsbald darauf entsteht eine Anschwellung
der einen Seite der Vulva resp. zugleich auch des Dammes, welche sehr selten
schnell an Grösse zunimmt — die Hautdecken werden dunkelblau wie mit
Blut unterlaufen aussehend, der Tumor ist stets prall gespannt, elastisch, stark
fluctuirend ; im weiteren Verlaufe mindern sich bei passender Behandlung die
Schmerzen, die Spannung lässt nach, der Bluterguss wird allmählig resorbirt
und schwindet, wenn auch langsam, vollständig. In anderen Fällen jedoch
bleibt es nicht bei der submucösen resp. subcutanen Gefässzerreissung, sondern
auch die stark gespannten Weichtheile reissen ein, wobei es sobald die Gefäss-
wunde und die Aussenwunde einander decken, also mit einander communi-
ciren, zu einer starken Blutung nach aussen kommen kann, die binnen kurzem
unter dem Bilde der foudroyanten Anämie die Frau dahinrafft. (Fälle von
JosENHANS, Seulen). Der plötzliche durch nichts zu erklärende Schmerz,
der binnen kurzer Zeit erscheinende und schnell wachsende Tumor an der
Vagina, Vulva, Damm mit charakteristischer Consistenz, Ausbreitungsgebiet,
Aussehen etc. bei dem gleichzeitigen Bilde der acuten Anämie ohne nach-
weisbare Uteruserschlaöung, Blutung nach aussen oder in die Bauchhöhle
hinein, ohne nachweisbare Uterusruptur, Scheidenruptur in das Bauchfell
hinein etc. lassen die Diagnose fast immer leicht stellen um so leichter natür-
lich, wenn zugleich ein äusserer Riss der Weichtheile erfolgt ist und Blutung
direct nach aussen. Es kann aber wie gesagt auch bei Verschiebung der ein-
zelnen Weichtheillagen gegen einander eine äussere Verletzung gleichzeitig
mit der Gefässzerreissung stattgefunden haben und es kommt trotzdem nicht
zu einer Blutung nach aussen, sondern zur Bildung eines submucösen oder
subcutanen Blutergusses. Dieser Tumor kann hinterher durch Nachblutung
noch zunehmen, nach Stunden und Tagen noch platzen, durch neue Blutungen
abermals zunehmen etc. oder auch durch sein Platzen nach Stunden oder
Tagen noch den Verblutungstod herbeiführen. Haase, Bau, d'OuTEEPONT und
Dewees sahen neue Blutfüllung des schon einmal durch Platzen resp. frühere
Incision entleerten Hämatomes. Cazeaux, Lubanski, Beoers, Seulex, Josex-
HANS, C. Braun und Andere th eilten Todesfälle durch Verblutung mit. Die
Kuptur erfolgt wenn nicht sofort während der Entstehung des Hämatoms ent-
weder bald durch Zerreissung oder erst nach einigen Tagen meist auf Grund
eines Brandigwerden der Weichtheile, gangränöser Perforation, im Allgemeinen
ist aber eine bei irgend welchen Anstrengungen zum Beispiel in späterer
Zeit des Wochenbettes noch erfolgende Ruptur eine grosse Seltenheit, nur
Helfer beschrieb eine erst am 21. Tage erfolgte Ruptur. Ebenso selten
findet eine Ruptur schon in der Schw^angerschaft statt, doch hat C. Braux
einen Fall von Ruptur in der letzten Zeit der Schwangerschaft mitgetheilt —
meist beginnt die Ruptur erst bei Durchtritt des Schädels, also sehr bald nach
der Entstehung des Tumors. Trotz momentan eintretender hochgradigster
Anämie mit Ohnmächten, Collaps etc. tritt der Tod bei einem nicht zum
810 THROMBUS VAGINAE ET VULVAE.
Platzen kommenden frischen Hämatom durch Verblutung in das Zellgewebe
hinein niemals ein, wohl aber kann selbst dieses geschlossen bleibende Häm-
atom, namentlich wenn es sehr gross ist, durch Vereiterung, Gangrän, Septi-
cämie, Pyämie, schon vorher durch Embolie deletäre Wirkung erlangen, im
günstigsten Falle eine lange Convalescenzperiode bedingen, sobald es zu der-
artigen Complicationen kommt; ja auch die Kesorption eines uncomplicirten
Hämatoms kann sich wochenlang hi-nziehen und gelegentlich noch eine Com-
plication hinzutreten, die man längst zu fürchten aufgehört hatte. Geringe
Tumoren werden meist resorbirt oder eingedickt, eingekapselt, organisirt, so
dass für die Zukunft nur eine schwielige Verhärtung nachbleibt, oft aber über-
haupt keine Spur hinterbleibt. Hecker, Nussee, Kretzschmar und v. Winckel
sahen glatt verlaufende Entbindungen bei Frauen, welche bei einer voraus
gegangenen Entbindung dieses Leiden durchgemacht hatten, ohne jetzt irgend
welche Narbenspuren nachweisen zu können. In anderen Fällen kommt es,
wie gesagt, leider zu septischen Infectionen mit all deren Gefahren. C. Braun
und LuBANSKi verloren jeder eine Wöchnerin nach gangränösem Zerfall des
Thrombus an Sepsis (Broers soll Typhus als Todesursache angegeben haben?)
In wieder anderen Fällen kommt es zur Abscedirung und Eiterentleerung
nach aussen oder in den Mastdarm, durch die Schamlefzenwand, durch den
Damm etc. mannigfaltigen Fistelbildungen bis schliesslich die Abscesshöhle
vernarbt, was zuweilen Wochen oder Monate dauert. d'OuTREPONT sah z. B.
eine Dammfistel nach vereitertem Hämatom entstehen.
Bezüglich der Entstehung des Hämatoms bei Zwillingsgeburten nach
Austreibung des ersten Kindes wird gerathen eventuell unter Chloroform die
Geburt des zweiten zu beschleunigen, aber davor gewarnt behufs leichterer
Extraction des zweiten Kindes den Tumor einzuschneiden, was eine gefähr-
liche Blutung setzen könne, nur Spiegelberg räth eventuell eine Incision
und Entleerung des Tumors, falls derselbe der Austreibung des Kindes sei es
des ersten oder zweiten ein Hindernis entgegensetzt; sollte spontan nach der
Austreibung des ersten Kindes Buptur eingetreten sein, so heisst es schnell
das zweite Kind extrahiren, da die Blutung erst aufhören kann und wird,
wenn die durch den Fruchtdruck verursachte Stauung behoben ist.
Bezüglich Erschwerung der Nachgeburtsperiode erwähne ich die Be-
obachtung Vincent's, dem ein Scheidehämatom Schwierigkeiten bei Entfernung der
Placenta machte, was ja leicht verständlich ist, indem das Scheidenlumen fast ganz
von der durch den submucösen Bluterguss vorgedrängten Scheidenwand verschlos
sen werden kann. Coulhon sah unter solchen Umständen sogar Ischurie durch
Harnretention und zugleich Lochialretention bei einer Erstgebärenden, die
spontan geboren hatte. 4. Stunden post partum plötzlich perivaginaler Blut-
erguss und Hämatom des einen Labium majus, nach wenigen Tagen Tumor
kindskopfgross, Urin- und Lochialretention, dabei +39^ C. Temperatur bei
120 Pulsschlägen. Coui-hon sah die Frau am dritten Wochenbettstage und
entleerte durch eine Incision IV2 Liter geronnenes Blut. Es folgte Gaugraen,
Septicämie, nach 5 Tagen eine medicamentöse Carbolintoxication und schliess-
lich am 22. Tage Genesung.
Intra vaginal begrenzte Hämatome könne leicht übersehen werden, da
doch nicht jede Vagina post partum mit dem Finger untersucht wird ! Hier
werden die acute Anämie, die Schmerzen eventuell einen Verdacht rechtzeitig
wachrufen und eine Untersuchung veranlassen. Es wäre noch zu erwähnen,
dass die Piuptur zuweilen schon in der Schwangerschaft vorbereitet ist und
im Beginn der zweiten Geburtsperiode erfolgt, durch die Tamponade durch
den vorrückenden Kindestheil aber momentan die Blutung unterdrückt oder
auch maskirt wird; sowie die Compression mit Austritt des Kindes aufgehört
hat, melden sich Blutung oder Tumor; selten tritt der Tumor erst später als
THROMBUS VAGINAE ET VULVAE. 811
in den ersten Stunden und Tagen post partum, auf — irgend eine brüske Be-
wegung, ein Drängen, Pressen beim Stuhlgange, ein brüskes Aufsetzen im
Bett etc. kann eine neue Blutung veranlassen oder auch die Ruptur herbei-
führen. Es liegt in der anatomischen Beschaffenheit der Gefässwände die
Ursache, warum diese Hämatome fast immer venöser Natur sind — wegen
der grösseren Widerstandsfähigkeit der Arterienwand!
Was nun die Prognose anbetrifft, so gehen die Ansichten früherer Autoren
weit auseinander mit denen der Zeitgenossen. Es wird zwar der Thrombus vaginae
et vulvae wegen unmittelbarer Verblutungsgefahr, ferner wegen der Möglichkeit
septischer Infection, drittens der eventuell langwierigen mit Eiterungen, denFolgen
der hochgradigen Anämie etc. verbundenen Convalescenz, embolischen Gefahren
u. s. w. immer noch als ein ernstes und gefährliches Leiden angesehen werden,
jedoch hat auch hier die Asepsis und Antisepsis sowie ein rechtzeitiges ziel-
bewusstes chirurgisches Eingreifen die einstige Sterblichkeitsziffer stark herab-
gedrückt. Freilich gehört von Seiten des Arztes ein entschlossenes Vorgehen
ohne zu warten bis es zum Handeln zu spät ist, dazu. Deneux, der 1835
eine Monographie herausgab, fand 22 Todesfälle auf 60 Erkrankungen!!
GiRAED fand auf 120 der französischen Literatur entnommene Fälle nur 24-
mal tödtlichen Ausgang, aber auch seine Ergebnisse geben keinen genauen
Aufschluss, da Complicationen mit eingezählt sind! v. Scanzoni verlor von
15 Erkrankten nur eine und zwar an Puerperalfieber, Balkee verlor von 13
im Spital Entbundenen zwei an Puerperalfieber, von 9 Wöchnerinnen in der
Privatpraxis dagegen keine einzige. Hugenbergee sah auf 1 1 Fälle 4mal tödtlichen
Ausgang! Blot auf 19 Fälle 5mal Tod also über 20°/o Letalität, v. Winckel
fand auf 50 Fälle 6mal tödtlichen Ausgang also 12**/o (von jenen 6 Todes-
fällen heisst es, dreimal war Verblutung die Todesursache !) 40/0 der Fälle
heilten nach v. Winckel mit Fistelbildungen. Im Allgemeinen wird heute
nach den Angaben v. Winckel's eine Sterblichkeitsziffer von 12''/o angenommen
für die Erkrankung an Thrombus vaginae et vulvae. Die Prognose der sub-
peritonealen Blutergüsse für Wöchnerinnen ist nicht so gut wie für die intra-
peritonealen Blutergüsse nicht Schwangerer, weil bei den Puerperae durch
Anwesenheit zahlreicher nekrotischer Gewebsfetzen u. s. w. eine Quelle für
Infection, putriden Zerfall etc. gegeben ist; immerhin ist die Prognose heute
nicht mehr so schlimm zu stellen, wie noch vor 15 Jahren. Chaintee, der
seine drei Fälle bei antiseptischer Behandlung gut verlaufen sah, hält über-
haupt die Erkrankung für eine unschuldige; immerhin muss man daran denken,
dass sub puerperio die Infectionsgefahr stets vorhanden ist, ja gerade hier
wegen der zahlreichen Verletzungen, und Extraviasate eine grössere ist als bei
normalen Geburten. Dazu kommt eventuelle Erschwerung des Lochialabflusses,
Nothwendigkeit therapeutischer intravaginaler Manipulationen, ferner die Anä-
mie und Entkräftung der Frau, welche eventuell für die Prognose nicht gleich-
giltig bleibt, auch ist eine prompte Desinfection der zuweilen buchtigen Wund-
höhlen eines geplatzten Hämatomes nicht immer leicht durchführbar. Von
einer Prophylaxe ist leider nicht viel zu erwarten, es sei denn, dass man schon
vor der Austreibung des Kindes sichere diagnostische Anzeichen eines be-
ginnenden Hämatomes findet, was ja mitunter vorkommen kann. Was nun
die Behandlung anbetrifft, so gilt es bei einem unter der Geburt entstehenden
Hämatome zunächst die Geburt schnell zu beendigen. Ist das Hämatom erst
sub partu entstanden und alsbald geplatzt, so gilt es hier zunächst der Blutung
einen Halt zu gebieten ! Kälte, Compression mit der Hand, Umstechungs-
nähte werden eventuell in ihr Recht treten nächst Analepticis, Kochsalz-
infusion in der sog. physiologischen Lösung, sei es intravenös, subcutan oder
auch nur im Clysma. Es hängt hier das Vorgehen von dem Stadium der
Anämie ab und davon, was sich in den gegebenen Verhältnissen am schnellsten
durchführen lässt.
812 TUBENERKRANKUNGEN.
Früher griff man bei rupturirten Hämatomen zu Wattebäusclien mit
Eisenchloridlösung die nach unseren heutigen Begriffen für frische Wunden
ein Gift ist, indem sie langwierige Eiterungen veranlasst u. s. w., besonders
warnt Vincent davor, während Spiegelberg dieselbe noch 1878 empfahl. Sehr
wichtig ist natürlich ein aseptisches Vorgehen, das als selbstverständlich eigent-
lich nicht mehr speciell erwähnt zu werden brauchte. Ist es bei dem Hämatom
nicht zum Platzen gekommen, so wartet man zunächst am besten die ersten
Wochenbettstage ab — sobald irgend ein Anzeichen für drohende Ruptur spricht
geschweige denn beginnende Gangrän der Haut und Schleimhaut sich meldet,
oder sobald das Hämatom eine solche Grösse hat, dass auf Resorption füglich nicht
gerechnet werden kann, sobald Ausgang in Eiterung, Gangrän zu befürchten
ist, sofort Einschnitt und Behandlung nach rein chirurgischen Grundsätzen.
So lange kein absolut zum Einschneiden zwingender Grund
vorliegt, unbedingt die ersten Wochenbettstage abwarten!
Mit jedem Tage des Zuwartens mindert sich die Gefahr einer Nach
blutung nach Incision. Bei noch andauernder Blutung wird allge-
mein ^er Kälte die grösste Bedeutung zugeschrieben: Eisblase auf
den Leib, Kolpeurynter mit Eiswasser in die Scheide, Eisblase auf
den Damm, dabei larga manu Narcotica um die heftigen Schmerzen zu mildern,
der Kranken Schlaf zu verschaffen, eventuell Compression des Tumors durch
die Eisblase. Das Eis soll auch die Thrombosirung des zerrissenen Gefässes
befördern. Kleine, sogar bis faustgrosse Tumoren resorbiren sich bei passen-
der Behandlung durch Ruhe, Bleivv'asserumschläge mit Zusatz von 15 Tropfen
Tincturae Opii auf ein Liter Bleiwasser, Fomentationen etc. Hügenberger
wollte bei jedem Hämatom einschneiden und den Tumor entleeren, heute
sind die meisten Fachgenossen gleich v. Winckel für das Abwarten; Ein-
schneiden erst, sobald die Schmerzen ganz unverhältnismässig zunehmen, die Haut
dunkel sich verfärbt, Durchbruch droht, — ebenso, wo wegen der Grösse des Er-
gusses Resorption ausgeschlossen erscheint, wo aber immerhin noch mit der
Eröffnung besser gev^artet wird bis die ersten drei bis vier Wochenbettstage
vorüber sind; bei kleinem Erguss, nicht drohender Ruptur, fehlender Haut-
verfärbung, resp. Schleimhautverfärbung besser zuwarten! Wird ein Einschnitt
nöthig, so wählt man dazu die am meisten vorgewölbte und am tiefsten ge-
lagerte Stelle des Tumors, beim grossen Labium die Innenseite; im Uebrigen
sind die Verhältnisse des einzelnen Falles maassgebend.
FR. NEUGEBAUER.
Tubenerkrankungen. Die Tuben entwickeln sich aus den oberen
Antheilen der MtJLLER'schen Gänge, während die unteren Antheile in der
8. Woche des Embryonallebens mit einander zu Uterus und Scheide ver-
schmelzen. Die Anatomie der Tuben ist in der Einleitung zu diesem
Bande (pg. 6.) eingehend behandelt worden und möge hier nur noch ergänzend
hinzugefügt werden, dass die Länge der Tuben beim geschlechtsreifen Weibe
8— 9V2 cm beträgt, dass ihr Weg durch das obere Bereich des breiten Mutter-
bandes gegen die laterale Beckenwand hin zieht und ihr Endabschnitt sich
etwas nach abwärts gegen das Trompetenende des Eierstockes krümmt.
HouLTAiN ist der Ansicht, dass die Bezeichnung Tube oder Salpinx eine ganz falsche
Vorstellung von der Gestalt des Organes hervorrufen. Es gleiche nicht so sehr einer Trom-
pete als einem zusammengefalteten Regenschirm ohne Griff.
Der Verlauf der Tube ist ein unmerklich wellig gekrümmter. Ab-
norme starke Windungen und winklige Abknickungen kommen zuweilen an-
geboren vor, wie ja auch die foetalen Tuben Pferde, beim Schwein, Hund,
Schaf und Menschen spiralig gewunden sind (Freund, B. Robinson, Whitridge).
Derartige abnorme Biegungen können aber auch durch pathologische Processe
zustande kommen, sie sind dann durch eine Subinvolution der longitudinalen
Muskelfasern bedingt.
TÜBENERKRANKÜNGEN. 813
Frauen mit solchen, winklig geknickten Taben leiden häufig an Tubenkoliken, da die
monatliche Tubenperistaltik gestört ist und andererseits die Krümmungen auch ein Hin-
dernis für die Weiterbewegung des Eies gegen den Uteras bin bilden, demnach auch die
Ursache von Sterilität abgeben können.
Der histologische Bau der Tuben gleicht dem der meisten schlauch-
förmigen Eingeweidebestandtheile: Peritoneum, Muscularis, Submucosa, Mucosa.
Die Schleimhaut trägt Längs- und Querfalten. Hennig's Schilderung über
das Vorhandensein von Drüsen in der Tubenschleimhaut fand keine allgemeine
Anerkennung. Das verkleidende Epithel ist nach Hennio mehrschichtig, nach
PIenle und Okthmann einschichtig. Die Wimpern, welche die Flimmer-
zellen der Schleimhaut tragen, sind sehr lang, länger als die sie tragenden
Zellen, erzeugen einen vom Ostium abdominale gegen das Ostium uterinum
gerichteten Strom und dienen so zur Fortbewegung der Ovula. Milroy hat
an den Fimbrien des Tubarostiums Drüsen beschrieben, die einen klebrigen
Stoff absondern und durch diese Secretion die Fixation der Fimbrienenden
an den aus dem Ovarium ausgestossenen Ovulum unterstützen.
In der Schwangerschaft gehen in den Tuben beträchtliche Ver-
änderungen vor: das Bindegewebe wird blutreicher, succullenter und nimmt
etwas an Masse zu. Die Muskulatur hypertrophirt, ähnlich wie die Uterus-
muskulatur, nur in geringerem Grade. Im Puerperium bilden sich alle diese
Veränderungen wieder zurück. (H. Thompson). Welche Metamorphose die
Tube bei der Festsetzung eines Ovulums innerhalb ihres Bereiches eingeht,
und inwieferne die Tubargravidität pathologische Störungen veranlasst, findet
in den Aufsätzen „ExtrauterinscJiwangerschaft" (pag. 234) beziehungsweise
„Schwang er Schafts- und Gehurtscomplicationen'-'' (pag. 746) Besprechung.
Die Erkrankungen der Tuben sind ungemein häufig. Processe
geringeren Grades bleiben unserer Diagnose oft verborgen, doch zeigen na-
mentlich die Sectionsbefunde, wie häufig die Erkrankungen der Tuben vor-
kommen. So fand v. Winkel unter 500 Frauenleichnamen 205 mal patho-
logische Veränderungen an den Eileitern.
Von den Bildungsanomalien seien zunächst jene erwähnt welche
durch Abnormitäten in der Vereinigung der MüLLEK'schen Gänge zustande
kommen, jene Formen, welche beim Uterus didelphys, hicornis und hilocularis
sich vorfinden und jene, welche bei einseitiger und doppelseitiger Entwicklungs-
hemmung der MüLLEK'schen Gänge gefunden werden (vgl. Artikel „Bildungs-
anomalien der weihlichen Sexualorgane pg. 101 u. ff.). Hieran reihen sich jene
seltenen Befunde von ungleiche Länge der beiderseitigen Eileiter,
welche v. Winckel 25 mal unter 500 Frauenleichen fand. Abnormitäten
der Tubarostien kommen dadurch Zustande, dass herniöse Ausbuchtungen
am äusseren Ende der Tuba (Tuharhernien) an ihrer Kuppe einen Schlitz
tragen und derart gleichsam ein zweites Ostium darstellen. Vollkommen aus-
gebildete, mit Fransen versehene abdominale Tubarostien wurden wiederholt
beschrieben. Haultain erwähnt einer Tube, die äusserlich völlig einer nor-
malen gleichend auf dem Querschnitte 2 Lumina aufwies. Die Beschaffenheit
des Tubarostiums wird nicht erwähnt. Als Tubardivertikei werden Aus-
stülpungen der Tubenwandung bezeichnet, die wie die Tube mit einfacher
Cylinderepithel ausgekleidet sind und in einzelnen Fällen die geeignete Ver-
anlassung zur Tubar Schwangerschaft abgeben.
Die Anomalien in der Lage der Tuben sind von den Bildungs-
fehlern des Uterus und der Ovarien abhängig. Bei Ovarialhemien ist meist
nicht nur das Ovarium, sondern auch der grösste Theil der Tube in den Leisten-
ring hinabgezogen. Ebenso begreiflich erscheint es, dass auch die erworbenen
Lageveränderungen des Uterus und der Ovarien von gleichzeitigen Verände-
rungen in der Lage der Eileiter begleitet sind. Bei Ovarialcysten und Myomen
des Uterus werden die Tuben mit der Entwicklung der Geschwülste gezerrt
814 TUBENERKRANKÜNGEN.
und erleiden dabei selbst hyperplastische Veränderungen. Endlich sind es die
perimetritischen Adhaesionen, welche die Tuben verziehen, und häufig auch
durch gleichzeitige Abknickung des Lumens zu Stauung von Flüssigkeit in
demselben Veranlassung bieten.
Praktisch wichtig ist das Capitel von den Blutungen der Tuben,
kleinere Blutergüsse {Apoplexia tubarum) finden sich zuweilen an Leichen von
Personen, die an schweren Infectionsprocessen {Cholera^ Variola, Puerperal-
jjrocessßw) oder an" Bluterkrankungen, die mit allgemeiner haemorrhagischer
Diathese einhergehen, gestorben sind. Nach RoiaxANSKY kann es auch zu
Blutungen in die Tuben kommen, wenn schwere allgemeine Circulationsstö-
rungen mit Blutstasen bestehen.
Kleinere Blutergüsse gehen selbstverständlich symptomenlos vorüber.
Ernster Natur sind namentlich jene Blutungen „denen eine beginnende
Tubargravidität zugrunde liegt. Bei Verschluss eines oder beider Tubarostien
kommt es zu Blutansammlungen innerhalb der Tube (Haematosalpinx). Die
Veranlassung hiefür liegt in denselben Ursachen, welche für die Entstehung
der Haematometra und HaematoMpos (vid. pag. 336) angeführt werden. Je
höher im Uterovaginalschlauch die Atresie sitzt, desto eher kommt es zur
Bildung von Haematosalpinx. Das in dem Tubensacke enthaltene Blut hat sich
aber nicht allein durch Rückstauung aus dem Uterus angesammelt, sondern
stammt auch von der Schleimhaut der Tube selbst ab, da bei dem menstrualen
Processe auch die Tubarschleimhaut Blut absondert.
In 3 Fällen von Haematosalpins und Hämatomstra, die von Landau und Rheinstein
macro- und microscopisch genau untersucht warden, lieferten auch die anatomisch-histo-
lof^ischen Bilder den stricten Nachweis, dass die Tabe thatsächlich menstruirt hat und nicht
vom Uterus her mit Blut gefüllt wurde (Archiv, f. Gynack. Bd. XLII. H. 2.)
Bezüglich der Erscheinungen, welche das Vorhandensein der Haemato-
salpinx hervorrufen und bezüglich der Erwägungen, welche die Therapie zu
bestimmen haben, sei auf den Artikel „Haematometra und Haematokolpos'' ver-
wiesen.
HaemorrhagischeTubennecrose (lubeninfarct) kommt durch Stran-
gulation und Torsionen einzelner Tubenpartien zu Stande. Häufig geschieht
dies bei Stieltorsion von Ovarialcysten, wenn die Tube in den Drehungs-
wirtel hinein gezogen wird. Selten kann die strangulirende Wirkung von Ad-
haesionen haemorrhagische Tubennecrose erzeugen (Sänger).
Die Entzündung der Eileiter kann nur auf die Schleimhaut be-
schränkt sein {Catarrh. tubarum, nach E. G. Orthmann Salpingit. catarrhalis
Simplex), oder sie ergreift alle Schichten des Organs {Salpingitis a) diffusa s.
interstitialis catarrhalis b) purulenta). Der Katarrh der Tuben ist eine seltene
Erkrankung, meist der abgeschwächte Effect eines pathologischen Agens, welches
die benachbarten Organe (Uterus, Ovarium) oder den Gesammtorganismus
(Allgemeininfection) betroffen hat. Die Salpingitis hingegen ist das Product
eines Processes, der sich als Aeusserung eines den ganzen Genitalschlauch
ergriffenen Infectes (Puerperalinfection, Gonorrhoe, Tuberculose, Actinomykose)
entwickelt. Die Sypmptomatologie, Diagnose und Therapie der Tubenentzün-
dungen sind in den Artikeln „Adnexentumor'' (pag. 28'), „Gonnorrhoe der weib-
lichen Genitalien'' (pag. 310) und „Salpingitis'' (pag. 735.) abgehandelt.
Ist infolge von Entzündungen der Tuben partielle Peritonitis in der Um-
gebung der Ostien entstanden, so kann es zum vollständigen Verschluss dieser
letzteren kommen. Hiedurch stockt der Abfluss des unter pathologischen Ver-
hältnissen vermehrten Secretes und es kommt zu Ausbuchtungen der Tuben-
wand, wodurch die Eileiter bald ein rosenkranzförmiges, bald ein sackartiges
Aussehen erhalten. Diese pathologischen Erweiterungen enthalten bei ein-
fachen katarrhalischen Entzündungen dickes schleimiges Secret {Hydrosalpinx),
bei schweren eitrigen, namentlich gonorrhoischen Processen dicken mit Fibrin-
TUBENEllKRANKUNGEN. 815
flocken untermengten Eiter {Pyosulpinx) oder l)ci g]eic?)zeitigen Zerreissungen
von Schleimhautgefässen eingedicktes Jjlut (Jkiematosalpinx). Diese Erwei-
terungen der Eileiter mit pathologischem Inhalt können oft ganz bedeutende
Ausdehnung erhalten, tauben- bis hühnereigrossc Anschwellungen sind nicht
selten, aber selbst Kindskopfgrosse kommen vor. Liese Tubengeschwülste ent-
wickeln sich, trotzdem das ostium uterinum offen ist; denn das Lumen der-
selben ist meist derart verengt, dass durch die mit dem krankhaften Processe
einhergehende Schwellung der Schleimhaut ein Abfiuss des angesammelten
Secretes unmöglich ist. Loch kommt es andererseits vor, dass der Inhalt der
Tubensäcke von Zeit zu Zeit in den Uterus entleert wird, man nennt diese
Erscheinung Hydrops tuhae profluens.
Price hat darauf aufmerksam gemacht, dass Tubenerkrankungen dieUrsache
von Darmverschluss und hiedurch bedingte Einklemraungserscheinungen abgeben
können. Die Adhaesionen zwischen Tuben und einzelnen Darmschlingen sind selir häufig,
wie sich Price wiederholt bei Tubenoperationen überzeugen konnte. Wahrscheinlich ver-
anlassen diese Verwachsungen colikartige Schmerzen, die in Begleitung von Tubenerkran-
kungen auftreten, also nicht immer in der Erkrankung der Tube selbst, sondern in der
secundären Laesion des Darmes (Knickung, Zerrung, Veranlassung zur Antiperistaltik, vor-
übergehende Occlusion) begründet aind.
Lie Geschwülste der Tuben sind selten, so finden sich den Uterus-
fibroiden ähnlich gebaute Geschwülste: Fibrome der Tuben (v. pag. 2.52). Sehr
selten sind Lipome, die im äusseren Lrittheile als bohnen- bis wallnussgrosse
Geschwülste sich vorfinden. Zuweilen sieht man polypenförmige Papillome,
die bei chronischem Tubenkatarrh sich entwickeln, ohne ein die Grenzen der
Eileiter wesentlich überschreitendes Wachsthum darzubieten. Von den cysti-
schen Geschwülsten am häufigsten ist die von Moegagni entdeckte gestielte
Hydatide. Es ist der Rest des obersten Ende des MtJLLER'schen Fadens und
stellt ein erbsengrosses Bläschen mit einem 2 cm langen Stiele dar. Nur
selten wächst dieses Gebilde abnorm bis zur Wallnussgrosse.
Neben diesem typischen Gebilde kommen noch weitere ähnlichen geformte
Cystchen an der Aussenfläche der Eileiter vor {äussere Tuben- Cysten). Noch seltener
sind die von der Innenfläche der Tuben nach auswärts wachsenden cystischen
Neoplasmen {innere Tubencysten). Bezüglich des Carcinoms der Eileiter sei auf
den Artikel ,,Carcinom der tveiblichen Sexualorgane'-'' pag. 153 verwiesen.
Eine ausführliche Uebersicht über die gegenwärtige Kenntnis von den
Neubildungen der Tuben hat Saenger in einem in November 1894 in der
Gesellschaft der Geburtshilf ein Leipzig gehaltenen Vortrage gegeben: Saenger
theilt die Tubengeschwülste ein, jenachdem sie von der Schleimhaut, der Mus-
cularis und der peritonealen Hülle der Tube aus ihren Ursprung nehmen.
Am zahlreichsten und mannigfaltigsten sind diejenigen der Schleimhaut: Pa-
pillome, Sarkome, Carcinome. Las Tuhencarcinom kommt sicherlich primär
vor; bisher kennt man 15 Fälle, darunter 2 von einem Beobachter, Zweifel,
Knauer erwähnt 16 Fälle, die bisher als primäre Tubencarcinome beschrieben worden,
indem er wohl den seiner Zeit von Sänger demonstrirten Fall hinzurechnet, und beschreibt
selbst ein Carcinom der rechtseitigen Tube bei gleichzeitiger Tubovarialcyste linkerseits.
Seltener sind die Sarkome, die auch, von der Schleimhaut ausgehen, da-
gegen entwickeln sich die Myome der Tuben von der Muscularis tubae aus;
sie sind ebenso selten wie die des Lärmes. Lie gleichfalls seltenen Lipome
entstammen unzweifelhaft dem fetthaltigen paratubaren Bindegewebe.
Betreffs der Tuberkulose der Eileiter sei auf den Aufsatz „luberculose
der weiblichen Genitalien" verwiesen.
Syphilis der Tuben kann im Anschluss an eine syphilitische Endo-
metritis auftreten, ist aber im Allgemeinen selten (J. Neumann). Ueber einen
Fall von gummöser Salpingitis berichteten Bouchard und Lepine: beide Tuben
zeigten den Umfang eines Zeigefingers, nach der Incision fanden sich di-ei
haselnussgrosse, röthliche, weiche Gummata in jeder Tube vor. c. e.
816 TÜBERCULOSE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
Tuberkulose der weiblichen Genitalien. Historisches: Die ersten
Arbeiten über Tuberkulose der weiblichen Genitalien kamen 1831 aus Frank-
reich. Louis, Kaynaud und besonders Bkouardel brachten schon pathologisch-
anatomische Beobachtungen, allerdings noch vorwiegend makroskopischer
Natur. In Deutschland erschien als erstes ausführliches Werk darüber die
Erlanger Dissertation von Geil. An die später erschienenen Arbeiten knüpfen
sich dann Namen wie Hegar, Wiedow, Cohnheim, Weigert, Cornil, Williams
und andere mehr. Mit den Jahren steigt die Zahl der Veröffentlichungen aus
allen Ländern. Der Werth der einzelnen hat begreiflicher Weise seit der
Entdeckung des Tuberkelbacillus an Sicherheit und Vollständigkeit zuge-
nommen.
Aetiologie und Pathogenese: Die primäre Tuberkulose des weib-
lichen Genitaltractus ist ein so seltenes Vorkommnis, das es selbst noch in
jüngster Zeit von einzelnen Autoren ganz geläugnet wird z. B. von Neiberg.
Nach den bisherigen Erfahrungen aber dürfen wir wohl mit ziemlicher Be-
stimmtheit auch beim Weibe eine primäre Genitaltuberkulose annehmen,
deren Infection dann auf dreierlei Art und Weise erfolgen kann.
1. Durch den Coitus mit einem tuberkulösen Manne.
2. Durch den untersuchenden Finger des Arztes, der Hebamme, durch
Instrumente, Mutterspritzen etc. besonders bei Kreissenden und Wöchnerinnen.
3. Durch Selbstinfection und zwar so, dass die Infection durch diejenigen
Bacillen erfolgt, welche den Körper bereits verlassen haben und dann wieder
das Individuum inficiren. Also durch Wäsche, Closets, Badewasser, Faeces
u. s. w.
Cohnheim war der erste, welcher auf die Möglichkeit einer Uebertragung
der Tuberkulose durch den geschlechtlichen Umgang aufmerksam machte.
Um nun diese directe primäre Infection auch experimentell festzustellen, haben
Cornil und ebenso Dobroronski Culturen von Tuberkelbacillen in die unver-
letzte Vagina von Kaninchen gespritzt und darnach eine typische Genital-
tuberkulose entstehen sehen. Gleiche Versuche von Oncarani und Williams
fielen dagegen negativ aus. Derville hat acht Fälle von Genitaltuberkulose
beim Weibe veröffentlicht, wo 5 der betreffenden Gatten harte Knoten in der
Epididymis und den Testikeln hatten. Leider wies er nicht nach, sondern
nimmt es nur an, dass hier wirklich Tuberkulose bei den Männern vorhanden
war. Von Jani ist nachgewiesen worden, dass bei Phthisikern innerhalb der
Drüsencanälchen des Hodens und in dem Nebenhoden Tuberkelbacillen, wenn
auch in geringer Anzahl, vorhanden sind. Er untersuchte ferner unter Be-
zugnahme darauf, dass nach Weigert die Prostata gar nicht so selten von
infectiösen Stoffen als Ablagerungsstätte benutzt wird, dieses Organ ebenfalls
auf Tuberkelbacillen. Bei Miliartuberkulose fand sich eine Unmenge vor.
Dieser auffallend reiche Bacillengehalt liess die Annahme als möglich erscheinen,
dass auch die geringen Mengen von Tuberkelbacillen, welche bei der chronischen
Phthise im Blute circuliren, in gleicher Weise in der Prostata gewissermassen
„abgefangen" würden. Und in That waren bei 4 von 6 dieser Fälle Tuberkel-
bacillen in der Prostata vorhanden. Einmal glückte deren Nachweis auch im
Secret der letzteren.
Für unsere Betrachtung ist dabei besonders hervorzuheben, dass im
Hoden, wie in der Prostata weder in der Umgebung noch an anderen Stellen
auch nur die Spur einer pathologischen Gewebsveränderung zu constatiren
war. Es waren also noch vollständig functionsfähige Organe. Damit dürfte
dann wohl bei der bekannt häufigen tuberkulösen Affection des Hodens
und Nebenhodens kein Zweifel obliegen, dass die Infectionserreger auch
in die Vagina ejaculirt werden können. Noch sicherer allerdings wird
das der Fall sein, wenn auch die männliche Harnröhre tuberkulös afticirt ist,
TÜBERÜLKOSE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 817
eine Thatsache, welche erst seit kurzern mehr die Aufmerksamkeit erregt hat
und zuerst von AiiiiENS in den BiiUNs'schen lieiträgen zur klinischen Chirurgie
B. VIII. ausführlich behandelt wurde.
Wenn es nach dem vorigen auch noch keine ganz sicher beobachteten
Thatsachen dafür giebt, dass der Coitus eventuell tuberkulös ansteckend wird,
so lässt doch die theoretische Erwägung bestimmt die Möglichkeit zu. Eben-
sowenig sprechen die bis jetzt bekannten Beobachtungen gegen eine solche.
An dem starken Plattenepithel der gesunden Vulva und Vagina finden
die Tuberkelbacillen, gleich den andern Infectionserregern einen ungünstigen
Boden zum Ansiedeln und ihre Weiterentwicklung. Dadurch ist wohl auch
das seltene Vorkommen der Tuberkulose hier zu erklären. Von grösserer
Gefahr für die locale Infection sollten die in den Uterus gelangten Tuberkel-
bacillen sein. Aber auch in der Gebärmutter scheint für gewöhnlich die An-
siedelung derselben erschwert zu sein. Ob die Uterusmucosa ebenfalls zu
resistent für dieselben, ob der Flimmerstrom die Ablagerung verhindert oder
die Menstruation die Bacillen herausschwemmt, ob alle 3 Momente zusammen-
wirken, wir wissen es nicht. Die ausserordentliche Seltenheit der primären
Gebärmuttertuberkulose beweist hinreichend, dass im Uterus keine günstigen
Bedingungen für die primäre Arbeit der Tuberkelbacillen vorhanden sind.
Anders verhält es sich mit den Tuben. In den Buchten der dort be-
findlichen zarten Schleimhaut finden die Bacillen ein ruhiges, ungestörtes Ver-
weilen und die besten Bedingungen für ihre Ansiedlung und Weitergedeihen.
Es braucht wohl kaum hinzugefügt zu werden, dass analog den primären
Tuberkulosen an allen anderen Körperregionen die Traumen und Verletzungen
aller Art — als loci minoris resistentiae — für das Eindringen des Tuberkel-
bacillus zuvörderst prädisponirend einwirken.
Daher spielt, was von allen Autoren zugestanden wird, das Puerperium
— auch das nach Abort — eine unläugbare Rolle sowohl bei der primären
als secundären Infection der Genital-Tuberkulose. In dieser Zeit sind durch
den Blutreichthum und die Auflockerung der Gewebe, die zahlreichen Epithel-
verluste, kleinen Einrisse etc. alle für eine Infection günstigen Vorbedingungen
in wirksamster Weise erfüllt. Jede beliebige andere Infection — septische
oder gonorrhoische — ebnet und begünstigt dann noch obenein die bacilläre
Ansteckung. Der Finger des untersuchenden Arztes oder der Hebamme, die
Einführung geburtshilflicher Instrumente, der Gebrauch von Mutterspritzen
bringen den Infectionsstoff leicht von aussen in die Genitalien, ebenso wie
die Selbstinfection durch Bacillen des eigenen Körpers mittels Wäsche, Unter-
schieber, Badewasser u. s. w. am ehesten in dem Wochenbette sich abspielen
wird. Herrgott fand sogar das Fruchtwasser Phthisischer infectiös. Versuchs-
weise wurde solches in die Peritonealhöhle eines Meerschweinchens gebracht,
worauf typische Tuberkulose mit zahlreichen Bacillen eintrat.
Schon das Ende einer Gravidität bietet der Entwicklung des Tuberkel-
bacillus, — sei er durch Coitus oder auf andere Weise hineingelangt — in
den Genitalien einen günstigen Boden. Ist doch in jüngster Zeit für das
Auftreten der ascendirenden Gonorrhoe oder einer Puerperalinfection öfters
mit Recht der Coitus am letzten Ende der Schwangerschaft beschuldigt worden.
Analog dem Vorgange der Infection bei diesen Kranlvheiten könnte wohl auch
für die Genitaltuberkulose der geschlechtliche Verkehr kurz vor der Entbindung
als mögliches ätiologisches Moment dienen.
Ungleich häufiger als die primäre finden wir die secundäre Tuberkulose
der weiblichen Genitalien d. h. die im Verlauf der tuberkulösen Entartung
eines anderen Organes auftretende Tuberkulose des Sexualapparates. Hier sind
ebenfalls 3 Infectionswege ätiologisch möglich.
1. Die Infection durch die Blutbahn.
2. Die Infection vom Peritoneujn her.
Bibl. med. Wissenschaften /. Geburtshilfe und Gynaekologie. 5J
818 TUBERKULOSE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
3. Die Infedion von anderen benachbarten Organen her. Hierzu sind
auch die tuberkulösen Fistelgänge, welche in den Genitaltractus münden, zu
rechnen.
In der Thatsache, dass die Tuberkulose in der grössten Mehrzahl der
Fälle durch die Blutcirculation auf den Genitalapparat verschleppt wird und
zwar meist speciell von den Lungen aus, liegt auch offenbar der schwächste
Punkt in den Publicationen, welche eine primäre Genitaltuberkulose beweisen
wollen. Man dürfte demnach eigentlich — um ganz sicher zu gehen — erst
dann die Diagnose auf diese stellen, wenn bestimmt jede Spur einer tuberku-
lösen Lungenspitzenaffection ausgeschlossen werden könnte, ein Befund der im
Anfangsstadium in vivo oft gar nicht zu ermitteln ist. Häufig ist selbst post
mortem gar nicht mehr zu ergründen, ob die Infection durch die Blutbahn erfolgt
ist oder vom Peritoneum her seinen Weg genommen hat.
Letzteres kann auf zweierlei Weise vor sich gehen. Einmal geschieht
dann die tuberkulöse Ueberimpfung in Fällen von Darmtuberkulose mit Be-
theiligung der Beckenlymphdrüsen und zwar allmähiig per contagium oder per
propagationem auf dem Wege der Lymphgefässe. Oder die Bacillen können,
analog dem von Pinner auf das Peritoneum gebrachten Kohlenstaub, resp.
wie das weibliche Ei durch den Fimbrienstrom des Tubenostiums bis in den
Uterus und weiter fortgerissen werden. Und wirklich sind von Jans in einem
Falle von Lungen- und Darmtuberkulose zahlreiche Bacillen in den noch ganz
gesunden Tuben gefunden worden.
Ueber die Häufigkeit der Tuberkulose der weiblichen Genitalien stehen
entsprechend der verhältnismässig kurzen Zeit ihrer genauen Kenntnis und
Beobachtung noch zu wenig statistisch verwertbare Zahlen zur Verfügung.
Die sich aber gerade letzthin ausserordentlich häufenden Litterat urangaben
aus allen Ländern lassen darauf schliessen, dass dieses Leiden thatsächlich
weiter verbreitet ist, als bisher allgemein angenommen wurde. Und darum
will ich auch auf die der Zeit nach weit zurückliegenden Procentzahlen von
Namias und Feerihs aus den fünfziger und sechziger Jahren gar nicht mehr
Bezug nehmen. Am eingehendsten hat Williams (1892) darüber Unter-
suchungen angestellt. Bei 169 Coeliotomien, welche aus den verschiedensten
Ursachen, einschliesslich Pyosalpinx, Perisalpingooophoritis, Myome etc. etc.,
von diesem Autor ausgeführt wurden, hat er in allen hierbei gewonnenen
Präparaten sowohl makroskopisch als mikroskopisch auf Tuberkulose gefahndet
und 4.75 7o ^^s tuberkulös befunden. In den 6 Fällen zeigte sich, wo makros-
kopisch überhaupt kein Zeichen dafür sprach, erst mikroskopisch die tuberkulöse
Natur der Erkrankung. Diese letztere Reihe nannte er „unerwartete Tuber-
kulose" {insuspeded tuberculosis). Unter 96 wegen sogenannter chronischer
Entzündungen exstirpirter Adnexe waren 8"27o tuberkulös. Also jeder 12. Fall
von Coeliotomie wegen chronisch entzündlicher Affection der Adnexe war ein
tuberkulöser. Nur in 2 Fällen konnte Williams klinisch auch an anderen Organen
die Tuberkulose nachweisen, so dass er die anderen Fälle als wirklich primäre
tuberkulöse Genitalerkrankung hinzustellen, gich berechtigt fühlt.
Die Tuberkulose der weiblichen Genitalien ist in jedem Lebensalter
beobachtet worden. So veröffentlichte Brouardel das Vorkommnis bei einem
20 Wochen alten Kinde, Krzywicki bei einer Frau von 83 Jahren. Die
meisten Beobachtungen stammen allerdings aus der Zeit des häufigsten Ge-
schlechtsverkehrs, aus der Zeit vom 20—40. Jahre, während auch wiederum
Virgines in diesem Alter ebensowenig verschont geblieben sind.
Gewöhnlich werden die secundären Tuberkulosefälle an den weiblichen
Genitalien erst zufällig bei den Autopsien gefunden, indem der Primärheerd
die von den Geschlechtstheilen ausgehenden Symptome maskirt. Ebenso ist
auch bei den selteneren Fällen von primärer Genitaltuberkulose die Diagnose
TUBERKULOSE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 819
wegen der wenig oder gar nicht ausgesprochenen speciellen Symptome dafür
erst bei resp. nach der Operation oder bei der Autopsie gestellt worden.
Wir wollen nun, unter Beobachtung der anatomischen Keihenfolge eine
specielle Betrachtung der einzelnen Organe folgen lassen.
I. Tuberkulose der Vulva, Vagina und der Cervix.
Obgleich die Tuberkulose der Genitalien im Verlaufe von allgemeiner Tuber-
kulose kein so seltenes Ereignis bildet, so gehört doch die Tuberkulose der Portio
vaginalis, der Vagina und besonders der Vulva zu den Seltenheiten.
Der Vollständigkeit wegen will ich hier auch den Lupus der Vulva
erwähnen ; ob diese Erkrankung auch die Vagina befällt, konnte ich aus der mir
zuständigen Litteratur nicht eruiren. An der Vulva tritt der Lupus in gleicher
Weise wie an anderen von ihm befallenen Hautpartien auf. Durch die von ihm
bewirkten Substanzverluste und das sich dann bildende Narbengewebe kann er —
falls seine Ausbreitung in deren nächste Nähe fällt — die Urethra stenosiren oder
verlagern, (Hermann, Viatte).
Die tuberkulösen Geschwüre sind bislang noch weniger als der Lupus zur
Beobachtung gekommen. Der erste auf Tuberkelbacillen untersuchte Fall rührt von
Chiari (1886) her. Zwei Jahre später veröffentlichte Zweigbaum ebenfalls einen
und konnte ausser dem von Chiari nur noch einen weiteren heranziehen, der aber
nicht auf Tuberkelbacillen untersucht war.
Die 32 Jahre alte Patientin Zweigbaums war an Lungen- und Darmtuber-
kulose zu Grunde gegangen. Auch in der Vagina fand sich ein Geschwür und die
blumenkohlartig veränderte Portio war ebenfalls mit solchen bedeckt. Das Aussehen
der Geschwürsflächen war grau, speckig belegt, umgeben von einem harten, erhabenen,
unregelmässigen Rande. In einem kleinen, bei Lebzeiten excidirten Stücke des
Vulvargeschwüres wurden eine grosse Menge Tuberkelbacillen nachgewiesen.
Die Schilderung des Befundes bei dem einzigen bis jetzt beobachteten Falle
von primärem isolirtem tuberkulösem Vaginalgeschwür (Biekfreund) ist dem
vorigen ganz ähnlich.
Bei acuter Tuberkulose wird man an der Vulva, Vagina und Cervix auch
Miliartuberkeln finden.
Die tuberkulösen Vaginal fisteln können Vesico-Urethro- oder Rectovaginal-
fisteln sein und unterscheiden sich durch kein charakteristisches Merkmal von den
gewöhnlichen Fisteln dieser Regionen. Nur die Gegenwart von Bacillen oder Tuber-
keln in der Umgebung ihrer Oeffnung lässt ihre wahre Natur mit Sicherheit
erkennen. Gleich den vorigen Beobachtungen sind auch diejenigen über isolirte
Cervixtuberkulose sehr selten, Veit fand dabei die Portio vaginahs einem Carcinom
sehr ähnelnd, jedoch erschien die Oberfläche mehr durchscheinend, bläschenförmig,
so dass er schon an Sarcombildung dachte.
CoRNiii beschreibt einen Fall, wo Peak die Hysterectomie ausgeführt hatte
wegen des verdächtigen makroskopischen Befundes an der Portio. Dieselbe war
hypertrophisch verhärtet, mit unförmlichen Wucherungen besetzt und schwamm
gewissermaassen in einer gelblichen, dick schleimigen, krümligen Flüssigkeit, wes-
halb Carcinom befürchtet wurde. Mikroskopisch fand man an dem exstirpirten Organ
dip Drüsenschläuche erweitert, das Bindegewebe mit kleinen Zellen überfüllt, da-
zwischen die für Tuberkulose charakteristischen, grossen Riesenzellen. Die tuber-
kulösen Bildungen an der Vaginalschleimhaut hatten das nämliche Aussehen, wie
die Tuberkel an der Pharynxschleimhaut. Tuberkelbacillen wurden nicht gefunden.
Dagegen brachte üeberimpfung auf Meerschweinchen eine bacilläre Tuberkulose
hervor.
Pozzi macht noch darauf aufmerksam, dass zwischen den Veränderungen der
tuberkulösen Cervixhöhle und denjenigen der tuberkulösen Tubenschleimhaut die
grösste Uebereinstimmung gefunden wird: Gleicher Sitz der Riesenzellen auf der
820 TUBERKULOSE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
Spitze der Falten und Zotten oder in deren Bindegewebe, gleiche entzündliclie Er-
scheinungen, gleiche Schleimabsonderuug, gleiche Veränderungen der Epithelial-
z eilen.
Diagnose. Nach obigem sind die tuberkulösen Geschwüre an dieser Stelle
also nicht von denen anderen Ursprungs zu unterscheiden. Als einziges charak-
teristisches Merkmal könnte man höchstens ihr chronisches Auftreten und ihre ewige
Tendenz zur Heilung und zum Recidiv hinstellen. Diflferentialdiagnostisch wird
besonders Syphilis in Betracht kommen, welche beim Bestehenbleiben des Geschwüres
nach eing-eleiteter Quecksilberbehandlung sofort anszuschliessen ist. Alsdann kämen
noch Vaginitis granulosa, Herpes, Ulcus molle und Carcinom resp. Sarcom in Be-
tracht. Die Entscheidung wird meistens nur das Mikroskop stellen können.
Therapie: Die Behandlung ist bei sehr weit fortgeschrittener tuberkulöser
AUgemeinerkrankung eine palliative. Erlaubt der Zustand der Patienten aber noch
ein energisches Vorgehen, so wird bei den Geschwüren der Vulva und Vagina —
besonders bei den etwaigen primären — Paquelin und Messer nach den Grundsätzen
der Chirurgie bei andern tuberkulös erkrankten Körperpartien angewandt werden
müssen. Bei der Tuberkulose der Cervix dürften dieselben Indicationen für eine
Operation maassgebend sein, wie bei dem Carcinom der Portio vaginalis, resp. der
Cervix uteri.
II. Tuberkulose des Uterus.
Im Uterus wird die Tuberkulose fast immer als eine secundäre, von den Tuben
her inficirt, gefunden. Nach Pozzi wird dieselbe — in etwas theoretischer Weise
— in drei Formen geschieden.
1. Eine klinisch wenig interessante und seltene acut miliare Form als
Begleiterscheinung einer allgemeinen tuberkulösen Infection des ganzen Organismus
und mit vorwiegend allgemeinen Symptomen.
2. Eine ebenfalls seltene, schleichend verlaufende und exquisit chronische
interstitielle Form, welche unmöglich diagnosticirt werden, die sich aber plötz-
lich durch irgend einen schweren Zufall z. B. Buptura uteri, durch Behinderung des
Geburtsactes etc. manifestiren kann
3. Eine ulceröse Form, die häufigste und zugleich wichtigste.
Immer wurde die Uterustuberculose erst auf dem Sectionstische erkannt und
auch dann noch in einem sehr vorgeschritten Stadium. Das Cavum ist mit tuber-
culösem Detritus angefüllt, das ganze Organ vergrössert, die Schleimhaut des
Epithels beraubt und die tuberculöse Infiltration mehr weniger stark in die Tiefe
gedrungen. Gewöhnlich bleibt der Process genau am oberen Ende der Cervix,
welche intact bleibt, stehen; ein scharf begrenztes Geschwür, wie mit dem Loch-
meissel herausgestochen, kann die Grenze bezeichnen.
Von einer primären Uterustuberkulose verlautet meines "Wissens in der
Litteratur nichts. Ueber das Initialstadium dieses Leidens ist aus letzter Zeit
(1894) nur ein Fall bekannt geworden, der auch nur zufällig entdeckt wurde.
Nassauer beschreibt in seiner Dissertation einen von Hofmeier wegen Cancroid
der Portio exstirpirten Uterus: 2 cm oberhalb des inneren Muttermundes — die
krebsige Infiltration war ganz auf die Cervix beschränkt geblieben — erhob sich
a-us der sonst völlig normal aussehenden Schleimhaut ein kirschkerugrosser markiger
Knoten von röthlich weisser Farbe; oberhalb desselben ein zweites, gleichartiges
Knötchen. In der unmittelbarsten Umgebung dieser beiden Knötchen, die makro-
skopisch als gleichzeitiges primäres Uteruscarcinom angesprochen wurden, fanden
sich mikroskopisch unter intacten Oberflächenepithel Tuberkeln. Die Knötchen selber
waren in Eetentionscystchen umgewandelte Drüsen. Schon bei schwacher Vergrösse-
rung sah man Riesenzellen.
Das Epithel der Drüsen hat zum Theil normale Cylindergestalt, oder ist
durch den Druck des Secretes abgeplattet. Es ist in lebhafter Vermehrung be-
griffen. Zunächst hat man so den Befund eines typischen schleimig-eitrigen Catarrhs.
Aber im weiteren handelt es sich einerseits um einen Process, der vollkommen in
TUBERKULOSE DER WEIBLICHEN GENITALIEN. 821
Analogie zu setzen ist mit der Desquarnationspneumonio, wie wir sie bei fortschreiten-
der Tuberculose der Lungen finden. Denn das Epithel wird hier nicht necrotisch,
sondern verliert seine typische Cylinderform. Die Zellen werden rundlich polygonal,
polymorph; die Kerne grösser, mehr als sonst bläschenförmig. Des öftei'cn treten
2 oder mehr in einer Zelle auf. Statt regelmässig in einer Reihe sind die Zellen
ganz unregelmässig an und übereinander geordnet und in mehrere Schichten gehäuft,
deren innerste vielfach fortwährend abgestossen wird. Andererseits handelt es
sich hier um directe Umwandlung der wuchernden Drüsenepithelien in
epitheloide Elemente im Sinne der Tuberkulosenlehre. Ein Vorgang, wie
ihn Rindfleisch für die Leberzellen, sowie an den Gehirnarterien con-
statiren konnte. Es kommt nämlich nicht immer zur Abstossung des Epithels. Dann
bleiben die neugebildeten Zellen in festem Zusammenhang mit dem Mutterboden
und kleiden in 4 — lOfacher Schicht die Drüsenwandung aus, entweder gleichmässig
ringsherum oder in einzelnen soliden Erhebungen ins Lumen vorspringend. So wurde
streckenweise das Lumen der Drüse verschlossen und in einen soliden Tuberkel um-
gewandelt. Derart veränderte Drüsen fand man auch innerhalb ganz intacten, inter-
glaudulären Gewebes, so dass man thatsächlich von einem Fortschreiten der Tuber-
kulose längs des Epithels sprechen kann.
Es konnte auch die Entwicklung echter Riesenzellen direct aus den Epithelien
beobachtet werden. Einmal ragte eine Riesenzelle förmlich gestielt, wie ein Polyp
im Epithel W'urzelnd, frei ins Lumen hinein.
Tuberkelbacillen fanden sich ebenfalls vor und zwar meist 1 — 2 Bacillen neben-
einander in den Riesenzellen sowohl bindegewebiger wie epithelialer Abkunft.
In den vorgeschrittenen Fällen von Uterustuberkulose kommen die Bacillen nur
selten zur Beobachtung; wahrscheinlich weil die Processe schon zu alten Datums sind.
Diagnose. Die Symptome werden sich begreiflicher Weise anfänglich mit
denjenigen anderer Uterinleiden decken ganz analog wie beim beginnenden Corpus-
carcinom. Ii'gend ein charakteristisches Merkmal, um auf primäre Uterustuberkulose
im Initialstadium zu fahnden, ist uns bis jetzt nicht gegeben. Bei sehr chronischen
Metro-Endometritiden allerdings sollte man nach dem jetzigen Standpunkte unseres
Wissens eine mikroskopische Untersuchung resp. einen Impfungsversuch an Meer-
schweinchen nicht mehr unterlassen, besonders wenn bald Recidive des Leidens ein-
treten.
Anders verhält es sich mit der Diagnose, wenn bei einem bestehenden Uterinleiden
zu, gleicher Zeit auch andere Symptome auf einen tuberkulösen Herd im Organismus
schliessen lassen. Ich will nur auf bekannten Zeichen, wie Husten, Auswurf, Appetit-
losigkeit, Nachtschweisse, Abmagerung, Drüsenschwellungen etc. hinweisen. Alsdann
wird sich ein Probecurettement mit nachheriger Untersuchung der Mucosa auf Tuber-
culose von selbst verstehen.
Besonders wichtig ist plötzliches Eintreten einer Amennorrhoe, die oft als das
erste Zeichen der beginnenden Phthise angesehen werden muss. Die Beobachtungen
Williams bezüglich der Menstruation sind folgende. Er fand bei 8 seiner Tuber-
culosefälle, dass 4 überhaupt nicht menstruirt hatten, 2 hatten sogar Menorrhagieen,
1 war sehr gering menstruirt und nur 1 litt an Amennorrhoe.
Therapie. Wenn es der Zustand der Patientin noch erlaubt, Exstirpation
der Gebärmutter per vaginam oder die FßEUND'sche Operation.
IIL Tuberculose der Ovarien und Tuben.
Während wiederum die primäre Tuberkulose der Eierstöcke zu den grössten
Seltenheiten gehört, werden die Tuben am leichtesten und in der allergrössten Mehr-
zahl der Fälle primär ergriffen. Sie bilden dann die weitere Infectionsquelle für
die Genitaltuberkulose.
Einige wenige Fälle von erwähnter, isolirter Eierstockstuberkulose sind nicht
ganz beweisend. Heibekg behauptet sogar, dass die Ovarien überhaupt nie von
Anfang an ergriffen, sondern stets von den Tuben her inficii't w^erden. In einem
822 TUBERKULOSE DER WEIBLICHEN GENITALIEN.
Falle von Jacobs finde ich aus der Beschreibung des Präparates auch nicht die An-
nahme, dass eine primäre Ovarialtuberculose vorliege, bestätigt. Die tuberkulösen
Bildungen im Ovarium finden sich — wenn sie nicht schon ganz destruirend gewirkt
haben — gewöhnlich in Form einzelner, etwa erbsengrosser Knoten, welche in
manchen Fällen nachweislich aus Follikeln hervorgehen. Einmal wurden nach Klees
auch miliare Tuberkeln im Stroma nachgewiesen.
Die Art und Weise des Fortschreitens der Tuberculose von den Tuben aus
nach aussen hin, nach der Vagina und Vulva zu, dürfen wir uns ebenso vorstellen,
wie dieser Process bei der secundären Tuberculose des Kehlkopfes vor sich geht.
Hier dringen die Bacillen über die gesunde Kehlkopfmucosa in die Lungen, wo sie
alle für sie günstigen Bedingungen finden. Ist nun der Kehlkopf durch die Erkran-
kung der Lungen in seiner Widerstandsfähigkeit alterirt, so inficirt das tuberculose
Sputum rückwärts die Mucosa desselben. Im Genitaltractus wird der aus den Tuben
in den Uterus und weiter fliessende Eiter eine arrodirte Stelle oder sonst einen
locus minoris resistentiae tuberculös inficiren.
Im primären Stadium werden die Tuben durch die Anhäufung der tuberculösen
Zerfallsmassen in gewundene und gegen die peritoneale Oeffnung kolbig anschwellende
Stränge verwandelt, die vermöge ihrer Schwere in den DouGLAs'schen Raum herab-
sinken. Der Process geht von der Schleimhaut aus und zuerst in derselben vor
sich. Es dauert relativ lange, bis derselbe auf das Peritoneum übertragen wird.
Spaltet man eine solche Tube der Länge nach, so sieht man ein dilatirtes
Lumen, entdeckt in ihrer verdickten Wandung meist schon makroskopisch sichtbare
Tuberkelhäufchen. Unter dem Mikroskop erscheinen hypertrophische, vielfach ver-
ästelte Vegetationen, Zotten und Falten, deren Oberfläche mit cylindrischem Flimmer-
epithel bedeckt ist. An einzelnen Stellen finden sich die Epithelialzelleu in schlei-
miger und körniger Umwandlung begriffen oder aber frei im Schleime, in Gesell-
schaft von einigen Eiterkügelchen. Ausser Riesenzellen, Tuberkeln in den Zotten
kann man auch mehr oder minder grössere Knötchen mit Riesenzellen auch in der
fibro-musculären Eileiterwand finden (Pozzi). Tuberkelbacillen sind — allerdings in
geringer Zahl — von Okthmann, Werth und Anderen nachgewiesen worden.
Im weiteren Verlaufe bilden sich Eitersäcke aus den Tuben, die ebenso wie
diejenigen anderer purulenter Salpingitiden beträchtliche Dimensionen erreichen können
und zu allen möglichen Verwachsungen mit den Nachbarorgan führen.
Diagnose: Die Diagnose einer Tubentuberkulose, besonders diejenige einer
primären im Initialstadium, einzig und allein durch die Palpation festzustellen, gehört
wohl noch in das Reich der Unmöglichkeit. Möglich wird die Diagnose erst bei
gleichzeitigem Bestehen einer tuberculösen Peritonitis resp. tuberkulösen Affectionen
an anderen Organen.
Edebohxs punktirte einige Male per vaginam auf Tuberkulose verdächtige
Eitertubensäcke und war dadurch wenigstens in einem Falle imstande aus dem
Funde von Tuberkelbacillen schon vor der Operation eine positive Diagnose zu stellen,
Therapie. Je nach dem Befinden der Patienten eine möglichst radicale Ent-
fernung der erkrankten Gewebe und Organe. Elliot lässt auch eine tuberculose
Peritonitis nach Berstung des Tubensackes nicht als Gegenindication für die Coelio-
tomie gelten, da gerade diese einen günstigen Einfluss auf jene ausübt.
Ueberhaupt sollten bei Operationen wegen tuberculöser Peritonitis stets die
Tuben untersucht werden, ob dieselben nicht der Ausgangspunkt der Erkrankung
sind, und dann entfernt werden. In diesem Sinne hat auch Sängee in einem Falle
Heilung erzielt.
Selbst Spätoperationen sind nach den Berichten von Hegae und Teebillon
vom besten Einflüsse auf das Befinden der Kranken gewesen. So machte Sachs au
einer decrepiden, hereditär tuberkulös behafteten Person die Eröffnung des Douglas
mit nachheriger Drainage wegen eines voraussichtlichen tuberculösen Beckenabscesses.-
Die Patientin genas.
TYMPANIA UTERI. 823
Prognose: Die Prognose ist immer ernst. Denn obgleich die primäre
Genitaltuberkulose nicht direct zum Tode führt, so ist doch stets — auch
bei den Aftectionen der Vulva und Vagina — ein Uebergreifen resp. eine
Metastasirung auf andere Organe und vor allem eine plötzlich ausbrechende
Miliartuberkulose zu befürchten. Beschränkt sich der Process auf Tube und
Ovarium, indem eine Absackung des Eiters stattgefunden hat, so ist dennoch
allgemeiner Marasmus oder beim Platzen des Sackes allgemeine Peritonitis
die Folge.
Bei den secundären Fällen von Genitaltuberculose summiren sich noch
die Gefahren des primären Infectionsheerdes hinzu. bodenstein.
Tympänia. uteri, unter Tympania, Tympanites uteri oder Physometra
versteht man eine Ansammlung von Luft oder Gas im schwangeren Uterus.
Aetiologie: In ätiologischer Beziehung kann man zwei Formen der
Tympania uteri unterscheiden, eine exogene und eine endogene; die erstere
ist an und für sich die bei weitem weniger gefährliche; gefährlich wird die-
selbe nur dann, wenn die Luft gleichzeitig in die Uterusgefässe eindringt,
da in Folge dessen ein sofortiger Tod eintreten kann. Die exogene
Form der Tympania uteri kommt zu Stande durch einen directen Lufteintritt
von aussen durch die Vagina in die Uterushöhle; dieser Fall kann eintreten
einerseits auf spontane Weise durch Lageveränderungen der Schwangeren,
wenn der intra- abdominale Druck ein negativer wird, also namentlich beim
Einnehmen der Knie-EUenbogenlage, oder auch bei Seitenlage mit erhöhtem
Becken, andererseits kann die Luft beim einfachen Untersuchen, bei Scheiden-
ausspülungen, bei operativen Eingriffen, namentlich beim Eingehen mit der
Hand in den Uterus zur Vornahme der Wendung eindringen.
Die zweite, endogene Form entsteht durch Zersetzung des Fruchtwassers
und hierdurch bedingte Bildung von Gasen, wobei eine Mitwirkung nicht
nur von Fäulnisbacterien, sondern auch von anderweitigen gasbildenden Mikro-
organismen wohl stets im Spiele ist. Die meisten Autoren nahmen bis vor
Kurzem an, dass gleichzeitig mit der Luft auch zahlreiche in ihr enthaltende
Fäulnis erregende Bacterien in den Uterus eingeführt wurden und so die
Tympanie verursachten; so behauptet Staude und viele andere mit ihm, dass
nur der Luftzutritt von Aussen als Hauptursache der Tympania uteri anzu-
nehmen ist, da er die Luft für den wesentlichsten Fäulniserreger hält. Geb-
HAED kommt dagegen auf Grund eingehender Untersuchungen zu dem Schluss,
dass die in den Uterus eingedrungenen Fäulniserreger in den seltensten
Fällen aus der atmosphärischen Luft stammen, dass sie vielmehr in erster
Linie aus der Scheide durch Instrumente oder den untersuchenden Finger
verschleppt werden; er hält deshalb das Eindringen von Luft in den uterus
nicht für nothwendig zum Zustandekommen der Tympania. Weiterhin ist
es Gebhaed gelungen, in 6 Fällen von Tympanie uteri das Baderium
coli commune nachzuweisen, welches er in Folge seiner gasbildenden Eigen-
schaften für die Entstehung derselben verantwortlich macht; er hebt
allerdings hierbei hervor, dass das Bacterium coli commune durchaus nicht
der alleinige Erreger der Tympanie zu sein braucht, sondern dass hiezu
schliesslich jeder gasbildende Mikroorganismus im Stande ist; das häufige
Vorkommen des Bacterium coli rührt wohl daher, dass dasselbe fast stets
in dem Darminhalte vorhanden ist und deshalb namentlich bei langdauernder
Geburt hinreichend Gelegenheit hat, in die Scheide und weiter in den Uterus
zu gelangen. Für die Gefährlichkeit des Bacterium coli commune spricht
ausserdem die Thatsache, dass in der letzten Zeit verschiedene Fälle bekannt
geworden sind — so von Ahlfeld undEiSEXHAET — , in denen dieser Miki'oor-
ganismus als Hauptursache einer heftigen puerperalen Infection anzusehen war.
824 UNTERSUCHUNG IN DER GEBURTSHILFE.
Pathologische Anatomie: Die Veränderungen, welche man bei an
Tympania uteri, resp. an den im Gefolge derselben auftretenden septischen
Processen Gestorbenen vorfindet, stimmen mit denjenigen, welche Avir bei an Puer-
peralfieber zu Grunde gegangenen finden, vollkommen überein, mit dem Unter-
schied, dass es oftmals noch gelingt, eine mehr oder weniger grosse Menge Luft
resp. stinkender Gase in der Uterushöhle unmittelbar nach dem Tode nachzuweisen.
Hennig hat einen derartigen Fall beschrieben, wo nach Einlegung eines elas-
tischen Katheters zur Einleitung der Frühgeburt bei einer Osteomalacischen
eine Physometra entstand. Die Frau starb unentbunden; bei dem gleich
darauf ausgeführten Kaiserschnitt entwich nicht nur viel stinkende Luft aus
der geöffneten Bauchhöhle, sondern auch aus der Gebärmutter, an welcher
schon während des Lebens eine deutliche Tympanie nachzuweisen gewesen war.
Symptome und Verlauf: Das Eindringen von Luft in den Uterus
kann im ungünstigsten Falle, wie bereits erwähnt, den sofortigen Tod zur
Folge haben, wenn dieselbe nämlich einen Weg in offene Gefässbahnen findet
und so bis in's Herz gelangt (Olshausen, Keamek u. a.)
In den meisten Fällen bieten die an Tympania uteri erkrankten Frauen
ganz das Bild von Septischen; es tritt Schüttelfrost ein, hohes Fieber und
die bekannten schweren Allgemeinerscheinungen; das Abdomen ist ausser-
gewöhnlich stark aufgetrieben und über dem Uterus deutlicher tympanitischer
Schall nachzuweisen. Der Uterus kann sich schliesslich in Folge der Gas-
ansammlung bis zum Zwerchfell ausdehnen und so starke dyspnoische Be-
schwerden hervorrufen; hiezu kommt noch, dass das abfliessende Fruchtwasser
sich durch einen äusserst Übeln Geruch, sowie durch trübe missfarbige Be-
schaffenheit auszeichnet; bei der Entleerung des Uterus entweichen oft noch
intensiv stinkende Gase. Die Frucht ist meist bereits in Fäulnis über-
gegangen; jedoch sind auch Fälle beobachtet worden, wo trotz alledem noch
lebende Kinder entwickelt worden sind. Bei beginnender Tympanie kommt
meist die Wehenthätigkeit zum Stillstand.
Bleibt die Zersetzung auf den Uterus beschränkt, so können sich die
septischen Erscheinungen allmälig zurückbilden; anderenfalls treten alsbald
die Symptome einer schw^eren Allgemein-Infection auf in Gestalt einer acuten
septischen Peritonitis oder ausgedehnter pyämischer Processe, welche in der
Regel bald zum Tode führen.
Diagnose: Das wichtigste Zeichen zum Nachweis der Tympania uteri
ist der tympanitische Percussionsschall, namentlich in der Gegend des Fundus
uteri; und ausserdem noch das zuweilen mit Gasblasen gemischte, intensiv stin-
kende Fruchtwasser.
Prognose: Die Prognose ist immerhin als eine ernste aufzufassen,
einerseits wegen der Gefahr eines Eindringens der Luft in die Uterus-Gefässe,
andererseits wegen der Gefahr einer allgemeinen septischen Infection.
Therapie: Die Therapie gipfelt in der Forderung, den Uterus möglichst
schnell zu entleeren; bei hinreichend erweitertem Muttermund: Wendung oder
Perforation und Extraction mittelst des Kranioklasten, wenn keine Herztöne
mehr hörbar sind; bei mangelhaft erweitertem Muttermund: manuelle Dila-
tation oder tiefe Licisionen in den Muttermund. Nach sorgfältiger Entleerung
des Uterus ist eine möglichst gründliche, wiederholte Desinfection der ganzen
Uterushöhle vorzunehmen und je nach dem Stande des Allgemeinbefindens
sind die nöthigen Anordnungen (Alkoholtherapie etc.) zu treffen.
E. G. ORTHMANN.
Untersuchung in der Geburtshilfe. Der geburtshilflichen Unter-
suchung hat die Erhebung einer Anamnese vorauszugehen; sie gibt uns An-
haltspunkte zur Erkennung der Schwangerschaft, sie klärt uns über den Ver-
kauf vorangegangener Geburten auf und weist uns auf für den Gebur tsverlauf
UNTERSUCHUNG IN DER GEBURTSHILFE. 825
wichtige Erkrankungen (Rachitis, Nieren- und Iler/lcidcn u. s. w.) hin. Die
Schwangere und, wenn nicht sofortiges Eingreifen erforderlich, auch die Ge-
bärende ist genau zu untersuchen; schon aus Gestalt und Gang lassen sich
bisweilen wichtige Schlüsse auf die Becken])eschaftenheit ziehen; von der Con-
stitution, von dem Vorhandensein organischer Leiden kann unser Handeln als
Geburtshelfer sehr beeinÜusst werden.
Die geburtshilfliche Untersuchung soll Auskunft geben über folgende
Fragen:
1. Oh Schwangerschaft vorhanden ist oder nicht; oh das Ei sich in der
Gebärmutter entwickelt hat; oh erste oder wiederholte Schwangerschaft vorliegt;
welcher Zeitpunkt der Schwangerschaft erreicht ist.
2. Ob die Frucht lebt; wie gross sie sei, wie Lage und Haltung der Frucht
sei, ob mehrere Früchte vorhanden sind, ob Bildungsanomalien vorliegen.
3. Wie die Geburtsivege beschaffen sind;
Während des Kreissens soll des weiteren beobachtet werden:
4. Wie der vorangehende Kindestheil sich ins Becken einstellt.
Ausserdem soll es uns die geburtshilfliche Untersuchung ermöglichen,
den Verlauf der Geburt zu verfolgen und Abweichungen von der Norm zu
erkennen.
Die Methoden, welche uns zur Verfügung stehen, müssen streng in
Hinblick darauf geschieden werden, ob dabei eine Berührung der inneren Ge-
nitalien erfolgt oder nicht. Nachdem die Hoffnungen, welche wir während der
Herrschaft der Antisepsis gehegt hatten, sich nicht erfüllt haben, sind wir in
die Aera der Asepsis eingetreten'^"). Die logische Folge davon ist, dass die
Forderung erhoben wird, bei der Gebärenden die Vaginaluntersuchung nur
dann auszuführen, wenn durch Unterlassung derselben Mutter oder Kind in
Gefahr gerathen könnten. Je mehr man lernt, die einzelnen Versuchsrae-
-thoden zu gebrauchen, um so mehr wird man einsehen, dass die Untersuchung
per vaginam in vielen Fällen ganz entbehrlich ist.
I. Die äussere Untersuchung.
Wieweit dielnspection für die Schwangerschaftsdiagnose verwerthbar
ist, wurde bereits besprochen**); auch für die Beurth eilung der Schwanger-
schaftszeit kann sie Bedeutung gewinnen dadurch, dass in Fällen, wo der
Untersucher zwischen 8. und 10. Monat schwankt, die glatte Beschaffenheit
des Nabels für ersteren Termin, die blasenförmige Hervorwölbung für letzteren
spricht. Wichtige Aufschlüsse gewährt die Besichtigung, wenn nach voraus-
gegangener Schwangerschaft zu forschen ist; hier hat man zuerst auf feine,
weisse, alte Narben neben den frischen, glatten, bläulichrothen Schwanger-
schaftsstreifen in Brust- und Bauchhaut zu achten; bei Vielgeschwängerten
sind bisweilen die Bauchdecken und die Aponeurose der Becti so dünn, dass
man die Contouren der Gebärmutter hindurchsehen kann. Sichere x\uskunft
über diese Frage gewährt die Besichtigung des Frenulums und der Hymenal-
reste, da bei einer Geburt durch den vorangehenden Kopf Einrisse in die
hintere Commissur der Schamlippen entstehen und die Hymenalbasis fast stets
■derartige Defecte erleidet, dass nur noch kleine Wärzchen von pyramidaler
Form (Carunculae myrtiformes) an das ehemalige Hymen erinnern. Bei Früh-
geburt und kleiner Frucht können diese Zeichen ausbleiben, nach durchge-
machten Operationen können sie ehemalige Schwangerschaft vortäuschen.
Für die Geburt selbst kann die Besichtigung von grosser Bedeutung
werden; Querlage der Frucht, ungünstige Einstellung bei Gesichtslage, Hinter-
*) Vergl. Artikel ^Antisepsis in der Geburtshilfe," pag. 31 u. ff.
**) Vergl. Artikel „Schivangerschaß,'^ pag. 733.
826 ' UNTERSUCHUNG IN DER GEBURTSHILFE.
Scheitelbeineinstellung (s. u.) markiren sich häufig schon für den Gesichtssinn;
Abweichungen der Gebärmutter von der Normallage, besonders Hängebaucb
werden durch Besichtigung meist besser erkannt als durch Betastung.
Die Percussion ist von untergeordnetem Werth; nur bei der Unter-
scheidung von wahrer und falscher SchM'angerschaft, bei der Diagnose der
Tympanites uteri und in den Ausnahmefällen, wo die Contouren des Uterus
(z. B. wegen hochgradiger Fettleibigkeit) nicht palpabel sind, gewinnt sie Be-
deutung.
Die Mensurati on gewährt uns, abgesehen von der Beckenmessung")
keine wichtigen Aufschlüsse. Der Umfang des Leibes ist nicht nur von der
Beschaffenheit der Frucht, sondern auch von der Menge des Fruchtwassers,
der Blähung der Eingeweide, dem Fettreichthum der Bauchdecken u. s. w.
abhängig; einen grossen Leibesumfang erkennen wir durch die Besichtigung
ebenso gut wie durch die Messung, die sonstigen Kesultate, welche wir durch
Benützung des Bandmasses erhalten sind ganz unsicher. Erwähnung bedarf
die Fruchtachsenmessung nach Ahlfeld. Da bei intrauteriner Haltung der
Frucht die Kopf-Steisslänge des Kindes annähernd die Hälfte der ganzen Kindes-
länge beträgt, benutzt Ahlfeld dieses Maass zur Bestimmung des Fruchtalters.
Wenn der Kopf, wie bei Mehrgeschwängerten gewöhnlich, auf dem vorderen
Beckenrand steht, setzt man den einen Knopf des Tasterzirkels oberhalb des
Steissesauf, den anderen an den oberen Symphysenrand; (- ^-
gibt die Monatszahl der Frucht an. Bei leicht beweglichem Kopf, oder w^enn
der Kopf wie meist bei Erstgebärenden bereits ins Becken eingetreten ist,""*)
kann die Methode nicht angewendet werden, aber auch in den anderen Fällen
wird ihr Werth vielfach bestritten.
Die Auscultation hat in der Geburtshilfe erst 1822 durch Lejüme au
DE Kergekadec Bedeutung gewonnen, welcher in seiner Abhandlung über die
Auscultation Schwangerer feststellte, dass man den kindlichen Herzschlag
hören könne.*"^ "") Die übrigen Phänomene, welche wir durch unser Ohr wahr-
nehmen können, sind das Placentargeräusch, das Nabelschnurgeräusch und
das Schwirren der kleinen Theile.
Die Auscultation ergibt die sichersten Kesultate beim" Auflegen des
Ohres auf den blossen Leib, doch wird bei lauten Herztönen das Hemd oder
ein über den Leib gebreitetes Handtuch nicht störend sein ; an manchen Stellen
kann auch das Stethoskop mit Vortheil angewendet werden.
Das Hören der Herztöne zeigt das Leben der Frucht an, aus dem Nicht-
hören der Herztöne allein aber darf nicht auf Fruchttod geschlossen werden.
Erstens wird die Auscultation dem Mindergeübten und Ungeduldigen manchmal
dort misslingen, wo ein Anderer ein besseres Resultat erhält, dann kommt es
auch, wenn schon sehr selten vor, dass der zwischen Herz und Ohr einge-
schaltete Leitungswiderstand noch am Ende der Schwangerschaft so gross
ist, dass sich der Schall nicht bis zum Beobachter fortpflanzen kann [am
ungünstigsten für die Auscultation ist die Lage: Rücken w^eit nach hinten,
rechte Seite nach vorn, IV. Schädellage], drittens können durch lautes Pla-
centargeräusch oder durch Darmgurren die Herztöne ganz verdeckt werden;
während der Wehen sind die Herztöne nicht gut zu hören. Die Zahl der
kindlichen Herztöne in der Minute beträgt am Ende der Schwangerschaft
130 — 144, doch kommen auch unter nicht pathologischen Verhältnissen
*) Vergl. Artikel „Beclcenmessuncf" pag. 98.
**) In solchen Fällen führt Ahlfeld den einen Arm des Tasterzirkels in die Vagina
ein tind setzt ihn am untersten Punkt des Schädels an.
***) Major hatte das Herzgeräusch bereits einige Jahre früher beschrieben, ohne es
richtig zu deuten.
UNTERSUCHUNG IN DER GEBURTSHILFE. 827
Schwankungen zwischen 110 und 15G vor. Gleiclizeitiges Fühlen des über
dem Abdomen hörbaren und des an der Kadialis fühlbaren Pulses (in zweifel-
haften Fällen durch zwei Beobachter) schützt in der Kegel vor Verwechslung
von kindlichem und mütterlichem Herzschlag, doch können Irrthümer vor-
kommen bei hochgradig aufgeregten Frauen (Aufklärung eventuell in Narkose)
bei fiebernden Kreissenden, ausnahmsweise auch bei abnorm niederem Foetalpuls.
Aus der Häufigkeit der Herzschläge glaubte Frankeniiauser auf das
Geschlecht der Frucht schliessen zu können; mag es auch richtig sein, dass
die Herzthätigkeit bei Mädchen etwas rascher ist als bei Knaben, so ist das
doch nur für grosse Zahlen wahr, für den Einzelfall können diese Beobach-
tungen nicht benützt werden, da die Frequenz der Herztöne noch von vielen
anderen Umständen als dem Geschlecht allein abhängig ist.
Werden die Herztöne an zwei verschiedenen Stellen gut gehört, welche
durch eine Zone getrennt sind, an der das Geräusch gar nicht oder nur un-
deutlich vernommen wird, so entsteht Verdacht auf Zivillingsschivangerschaft;
das Vorhandensein einer Doppelbefruchtung wird aber durch die Auscultation
erst dann sicher erwiesen, wenn an den betreffenden Stellen die Zahl der
Herzschläge verschieden gross ist, doch ist gleichzeitige Beobachtung durch
zwei zuverlässige Personen erforderlich und auch dann noch bei geringer
Difierenzzahl Vorsicht in der Beurtheilung angebracht.
Da an der Stelle, wo Herz des Kindes und Ohr des Beobachters möglichst
nahe bei einander sind, die Herztöne am besten gehört werden, bietet uns der Ort
der deutlichsten Wahrnehmung ein gewichtiges Criterium für die Lage der
Frucht. Bei Längslagen sind die Herztöne am besten an der Seite zu hören,
wo sich der Bücken befindet, bei Querlagen am deutlichsten über dem Fundus
uteri; ist der vorangehende Theil bereits ins Becken eingetreten, so sind bei
Schädellage die Herztöne unterhalb, bei Steisslage oberhalb des Nabels zu
hören. Auf Stirn- und Gesichtslagen deutet der Auscultationsbefund hin; da in
diesen Fällen die vordere Thoraxwand den Bauchdecken näher liegt als der
Rücken, werden die Herztöne an der Seite, an welcher die kleinen Theile zu
fühlen sind, am deutlichsten wahrgenommen.
Während der Geburt ist die oftmalige Beobachtung der Herztöne von
allergrösster Wichtigkeit, da andauerndes Sinken und Steigen des Pulses
ausserhalb der Normalgrenzen, sowie bleibende Unregelmässigkeit der Schlag-
folge Gefahr für das kindliche Leben anzeigen. Für die Beobachtung des
Geburtsverlaufes ist es von besonderem Werth, dass das Tiefertreten des
vorangehenden Kindestheiles durch Hinuntersteigen des Auscultationsoptimums
kenntlich gemacht wird; auch seitliche Verschiebung des Hörcentrums giebt
Aufschluss über den Geburtsmechanismus.
Die wichtigste Untersuchungsraethode ist die Palpation des Abdo-
mens. Es ist ein Verdienst von Crede immer wieder die Bedeutung dieses
Verfahrens hervorgehoben zu haben; zwar ist die Befühlung des Leibes keine
Errungenschaft der Neuzeit, doch konnte die Palpation so lange nicht den ihr
gebührenden Platz einnehmen, als die Methode noch mangelhaft war. Die
Lehren Credes sind in den letzten Jahren von Leopold eifrig vertreten und
auch erweitert worden.
Die zu untersuchende Frau soll wagerecht auf dem Bette liegen, unter
den Kopf ist ein kleines Kissen zu legen; bei straffen Bauchdecken kann es
vorth eilhaft sein, die Beine anziehen zu lassen; der Leib ist am besten un-
bedeckt. Der willkürlichen Spannung der Bauchdecken wird durch Ablenkung
der Aufmerksamkeit und durch Ermahnung zu ruhigem Athmen begegnet, ist
bei heftiger Unruhe die Spannung zu gross oder kann wegen hochgradiger
Schmerzhaftigkeit nicht genau genug palpirt werden, so kann eine Morphium-
injection oder die Einathmung einiger Tropfen Chloroform den Widerstand
überwinden.
828
UNTERSUCHUNG IN DER GEBURTSHILFE.
Der Untersucher setzt sich so an die Seite der Frau hin, dass er sie
anschaut; der Gang der Untersuchung ist nach Leopold*) folgender;
I. Griff, (cf. Fig. 1):
Beide Hände werden mit
ihren Fingerspitzen anei-
nander geschoben, dann
die Handflächen quer über
die Bauchdecken der Frau
gelegt; hierauf gleitet man
mit den Handflächen über
die schwangere Gebär-
mutter nach oben bis zur
Herzgrube.
H. Griff, (cf. Fig. 2):
Von der Herzgrube gleiten
die beiden Hände — aus-
gestreckt, mit aneinander-
gelegten Fingern — nach
der Seite des Bauches und
legen sich flach an die
Längsseite der Gebär-
mutter.
Durch den 1. Grift
diagnosticiren wir in der
Schwangerschaft das Alter
der Frucht :
Der Stand des Fundus
uteri ist in den einzelnen
Schwangerschaftsmonaten
folgender :
Gegen Ende des IV.
Monates gerade über der
Symphyse.
Gegen Ende des V. Mo-
nates etwas über der
Mitte zwischen Sym-
physe und Nabel.
Gegen Ende des VL Mo-
nates in der Nabelge-
gend.
Gegen Ende des VH. Mo-
nates steht der Fundus
uteri 2 — 3 Quer-Finger
über dem Nabel.
ipig. 1. Aeussere TJntersuchung. I. Griff (IiEOPOLd.)
Pig. 2. Aeussere Untersuchung. II. Griff. (LeopoiiD).
Gegen Ende des VHL Monates 3 Finger unter dem Rippenrand.
Gegen Ende des IX. Monates am Rippenrand.
Gegen Ende des X. Monates wieder 2—3 Finger unter dem Rippenrand.
Während der Geburt orientirt der 1. Griff über die Grösse der Gebär-
mutter (Grösse der Frucht), darüber ob die Gebärmutter in die Breite aus-
gedehnt ist (Anzeichen für Querlage) und wie der Kindestheil beschaffen ist,
welcher im Fundus uteri liegt. Der 2. Griff soll bei Längslage der Frucht
*) Leopold und Spoerlin. Die Leitung der regelmässigen Geburt nur durch äussere
Untersuchung. Archiv f. Gi/n. Bd. XIV. Die folgenden i Bilder sind hieraus entnommen.
UNTERSUCHUNG IN DER GEBURTSHILFE.
829
Aufschluss darüber geben, welche Seite vom lUicken der Frucht ausgefüllt
wird, bei Querlage, an welcher Seite der Kopf zu fühlen ist.
Der Bücken der Frucht macht sich als ein mehr weniger deutlich fühlbarer,
langer und breiter, walzenförmiger, dabei resistenter Körper geltend. Manchmal
kann man auf die Lage des Rückens nur dadurch schliessen, dass der einen
Hand auf der entsprechenden ganzen Seite ein grösserer Widerstand begegnet
wie der anderen Hand; wird in zweifelhaften Fällen durcli Auflegen der Hand
auf die Nabelgegend ein massiger Druck auf den Uterusinhalt ausgeübt, so
wird der Rücken der Frucht, da er den Bauchdecken der Mutter genähert
wird, deutlicher palpabel.
Auf der dem Rücken gegenüberliegenden Seite wird man meist in der
Schwangerschaft, nicht ebenso sicher während der Geburt kleine Theile unter
der untersuchenden Hand fühlen, durch Grösse, Verschieblichkeit auch spon-
tane Ortsveränderung als kindliche Extremitäten charakterisirt. In der
Mitte des Leibes fühlt man die kleinen Theile bei Querlage mit nach vorn
gerichtetem Bauch; sind auf der einen Seite kleine Theile in einem grösseren
Convolut zu fühlen, während der Rücken nicht deutlich abtastbar ist, so ist
Vorderhauptslage zu vermuthen, bei Stirn- oder Gesichtslage sind sie auffallend
deutlich, manchmal wie direct unter der Bauchhaut liegend zu fühlen; liegt
tiefer Querstand vor, so kann Arm und Schulter der einen Seite über der Sym-
physe gefühlt werden.
Kopf und Steiss UTiterscheiden sich
vom Rücken dadurch, dass sie nicht
als walzenförmige, wenig verschiebbare
■Körper, sondern als bewegliche Kugel-
segmente zu fühlen sind; da der Kopf,
mit dem übrigen Körper durch den Hals
verbunden, leicht beweglich ist, so ver-
schwindet er, wenn ein kurzer Stoss gege^i
ihn ausgeübt wird, schnell, um rasch
wieder an seinen Platz zurückzukehren,
der mit dem Rücken fest verbundene Steiss
„ballottirt" nicht. In zweifelhaften Fällen
kann zur Differentialdiagnose noch heran-
gezogen werden, dass an der Stelle, w'o
der harte Kopf der Bauchwand anliegt,
der Druck der untersuchenden Hand die
meisten Schmerzen bereitet, dass die
kleinen Theile näher dem Steiss als dem
Kopf zu liegen und dass bisweilen an den
Kopfknochen ein als Pergamentknittern
bezeichnetes Phänomen wahrnehmbar ist.
Nicht unerwähnt darf gelassen werden,
dass dann, wenn 2 Rücken, 2 Köpfe oder, j,
an von einander weit entfernten Stellen,
kleine Theile zu fühlen sind, an Doppelbildung zu denken ist.
In letzter Zeit ist auch der Palpation der Tuben und der runden Mutter-
bänder Bedeutung beigelegt worden; besonders deutlich werden sie (bisweilen auch die
Ovarien) bei Vielgebärenden mit dünnen "auchdecken wahrnehmbar. Der Verlauf der Tuben
zeigt den Sitz der Flacenta an ; Leopold fand bei 38 Fällen von Kaiserschnitt .36mal bestä-
tigt, dass bei Placentarinsertion an der hintere:\ Uteruswand die Tuben in spitzem Winkel
nach der Symphyse zu verlaufen, während sie bei Sitz der Flacenta an der vorderen Fläche
annähernd parallel der Längsachse des Körpers an den Seitenkanten der Gebärmutter zu
fühlen sind. Für die Differentialdiagnose zwischen uteriner und estrauteriner Schwanger-
schaft ist es wichtig zu wissen, dass der eventuell erkennbare Abgang der Gebärmutter-
anhänge vom Fruchtsack den Sitz des Eies sicher anzeigt.
Aeussere Untersucliung. III. Griff (Leopold).
830
UNTERSUCHUNG IN DER GEBURTSHILFE.
Zur Diagnose des vorangehenden Kindestlieiles, wenn derselbe noch über
oder gerade im Beckeneingang steht, dient der
III Griff: (cf. Fig. 3.) Der Daumen wird durch Spreizen der Hand soweit
wie möglich vom Mittelfinger entfernt, dann diingt die Hand nahe über dem
Beckeneingang ein und sucht den vorangehenden Kindestheil zwischen Daumen
und Mittelfinger zu fassen.
Der Köpf fühlt sich als eine harte Kugel an, die sich, wenn noch Hoch-
stand vorhanden ist, wie ein Ball hin und her bewogen lässt; der Steiss ist
weniger beweglich, unebener, dabei weicher. Bei undeutlichem Tastbefund ist
die Harnblase zu entleeren.
Ist entschieden, dass Längslage vorliegt und dass der Kopf vorangeht,
so ist weiter danach zu forschen, wie sich der Kopf ins Becken eingestellt
hat, respective in welcher Beckenebene er sich befindet: Anhaltspunkte für
diese Fragen gewährt die Palpation von Hinterhaupt und Stirn; letztere ist
ein deutlich fühlbarer, scharf hervorspringender, harter Höcker, ersteres ist
weniger hart, springt nicht so vor und ist weniger gewölbt.
Am Anfang der Entbindung
kann bei Mehrgebärenden Stirn
und Hinterhaupt mit dem 3. Griff
gleich gut gefühlt werden,
während bei Erstgeschwängerten
der Kopf bereits im letzten Monat
ante partum so weit ins Becken
eingetreten ist, dass mit diesem
Griff nur noch die Stirn gut zu
palpiren ist; steht also der Kopf
bei Erstgebärenden am Beginn
der Geburt noch hoch oder bleibt
er bei Mehrgebärenden trotz
guter Wehen über dem Becken
stehen, so liegt ein Hinderniss
entweder von der mütte: liehen
(z. B. enges Becken, Tumoren)
oder von der kindlichen Seite
(ungünstige Einstellung, abnorm
grosser Kopf u. s. w.) vor.
Für die Fälle, in denen der
3. Griff nicht genügende Klarheit
Pig. 4. Aeussere Untersucliung. IV. Griff (Leopold). VerSChafft, daUU Steht UOCh ClU
weiterer Griff zur Beobachtung des Geburtsverlaufes zur Verfügung.
Beim IV. Griff {cf. Fig. 4.) stellt sich der Untersucher so an die
Seite der Frau, dass er ihr den Rücken zukehrt; dann dringt er mit den
Fingerspitzen beider Hände oberhalb der Weichen unter vorsichtigem Tasten
in das Becken ein, bis die Finger auf den Kopf stossen. Kann man durch
das Befühlen noch nicht sicher unterscheiden, welche Seite des Schädels der
Stirn, welche dem Hinterhaupt entspricht, so bewegt man die Hände langsam
und leicht über den unterliegenden Theil hinstreichend, nach aufwärts; die
Stirn erkennt man daran, dass der vorspringende Theil nach oben hin plötzlich
aufhört — das Gesicht ist nicht zu fühlen — während der Hinterhauptshöcker
allmälig in den weniger resistenten, aber doch palpablen Nacken übergeht.
Bei normaler Kopfhaltung der Frucht steht, wenn der Kopf ins Becken
eintritt, der Hinterhauptshöcker etwas tiefer als die der Stirn entsprechende
Resistenz; dies ändert sich bei Vorderhauptslage insofern, als dann die
beiden Prominenzen gleich hoch, der Stirnhöcker sogar auch etwas tiefer zu
fühlen ist. Ist das Kinn von der Brust abgewichen, so ist bei Betastung der
UNTERSUCHUNG IN DER GEBURTSHILFE. 831
Stirn diese weniger deutlich i'ülilhar; beim höchsten Grad dieser Anomalie,
der Gesichtslage, ist selbst bei tiefem Eindringen der Hand ins Becken von
der Stirn gar nichts zu fühlen, während das Hinterhaupt auffallend deutlich
als ein grosser harter Theil sich vom Rumpf absetzt; die ungünstige Ein-
stellung bei Gesichtslage macht sich besonders dadurch kenntlich, dass oberhalb
des sich über die Symphyse vorwölbenden Hinterhauptes eine Einbuchtung
zu fühlen, wohl auch zu sehen ist. Auch die Ilinterscheitelbeineinstellung
kann durch ausschliesslich äussere Untersuchung erkannt werden, da bei dieser
Anomalie sich der Kopf über der Symphyse wie eine Kugel vordrängt und
mit dem Rumpf einen deutlich wahrnehmbaren Winkel bildet.
Ist Beckenverengerung vorhanden, was aus „Beckenmessung" und „Iloch-
stand des Kopfes trotz guter Wehen" geschlossen werden kann, so gibt die
äussere Untersuchung auch näheren Aufschluss über die Beckenbeschaffenheit,
da bei allgemein verengtem Becken das Hinterhaupt durch die Wehen abnorm
tief gepresst wird, während man beim platten Becken im Beckeneingang beide
Kopfhöcker gleichhoch, das Hinterhaupt eher noch höher fühlen wird.
Auch der Verlauf der Geburt kann durch äussere Handgriffe verfolgt
werden; normale Beckenverhältnisse und regelrechte Kopfeinstellung voraus-
gesetzt, haben wir für die räumlichen Beziehungen zwischen Becken und
Schädel folgende Anhaltspunkte (Leopold):
Kopf mit kleinem Segment ins Becken eingetreten — Hinterhaupt und
Vorderhaupt stehen oberhalb der Schambeinäste, sind mit 3. Griff gleich gut
zu fühlen.
Kopf im Beckeneingang — Hinterhaupt steht tiefer wie Vorderhaupt;
werden beim 3. Griff die Finger parallel gehalten, so ist über der Symphyse
nur die Stirn zu fühlen. (Regel bei Erstgebärenden schon im X. Monat).
Kopf tief im Beckeneingang — Kopf für den 3. Griff nicht mehr zu
fühlen; bei abwärts gerichteten Fingerspitzen kann der Stirnvorsprung noch
gefühlt werden.
Kopf in Beckenmitte — Mit dem 4. Griff gelingt es auf der einen Seite
die Stirn auf der anderen den flachen, weniger resistenten Nacken zu palpiren.
Kopf unterhalb der Beckenmitte — Kopf weder durch 3. noch 4. Griff
zu fühlen. Ist der Kopf von oben nicht mehr zu fühlen, so ist er oftmals
schon bei Auseinanderziehen der Schamlippen während der Wehe zu sehen;
mehr aber als die Besichtigung leistet jetzt „Die äussere Untersuchung
von der hinteren Wand des Beckens aus".
Veit gibt an, dass unter normalen Verhältnissen beim Beginn der Press-
wehen — wodurch die völlige Erweiterung des Muttermundes angezeigt würde —
der vorangehende Kopf neben dem Kreuzbein in der Incisura ischiadica major
während der Wehe fühlbar werde. Die Untersuchung wird in Seitenlage vor-
genommen. Der Kopf ist in der Incisur zu fühlen^ nach welcher das Hinter-
haupt gerichtet ist; von hier aus lässt sich andauernd das Fortschreiten des
Kopfes verfolgen, welcher nach und nach seitlich vom Steissbein, dann auf
dem Hinterdamm und weiter von Damm aus tastbar wird.
•X-
Wir haben nun die Frage zu erörtern, wie weit ist es möglich,
eine Geburt nur durch äussere Untersuchung zu leiten?
Dass dies überhaupt möglich, dafür braucht es wenig Worte; früher
kamen fast alle Frauen nieder, ohne innerlich untersucht zu werden und jetzt
noch werden ausserhalb der sogenannten civilisirten Länder die Kinder ohne
jeden kunstverständigen Beistand geboren. Auch in geburtshilflichen Kliniken
wurden bereits in den letzten Jahrzehnten bei herrschenden Puerperalfieber-
epidemien sämmtliche Entbindungen, die nicht dringend ein Eingreifen er-
forderten, ausschliesslich mittelst der äusseren Untersuchungsmethoden über-
wacht.
832 UNTERSUCHUNG IN DER GEBURTSHILFE.
Neuerdings hat Leopold bei 1000 Geburten nur die äusseren Methoden,
angewendet und ist dabei zu dem Resultat gekommen, dass bei weit über der
Hälfte aller Entbindungen jede innere Untersuchung unnöthig sei und darum,
als ein nicht ungefährliches Mittel, nur anzuwenden sei, erstens, wenn der
Hilfeleistende sich mit der äusseren Untersuchung nicht zurecht gefunden habe,
zweitens wenn die Geburt eine regelwidrige sei.
Ad 1."") Undeutliche Befunde können bedingt sein durch:
A. Anomalien von Seiten der Mutter.
a) Uehermässige Empfindlichkeit. (Lagerung, Suggestion, Narcotica)
h) Uehermässige Fettan Sammlung
c) Oedeme
B. Anomalien des Uterusinhaltes:
a) hei Hydramnios "
h) hei ahgestorhener Frucht
c) hei wasserleerem Uterus nach langem Kreissen
d) hei Tetanus uteri
e) hei Missbildungen {auch Zwillingsschwangerschaft).
Ausser diesen Fällen, in denen eine Diagnose durch äussere Untersuchung
bisweilen unmöglich ist, müssen wir noch die Falsch-Diagnosen berücksichtigen.
Leider ist in dieser Beziehung die LEOPOLD'sche Statistik nicht zu verwenden;
er berichtet über 1000 Geburten, welche nur unter Anwendung äusserer
Untersuchungen geleitet wurden, erwähnt aber nicht, wie oft man bei Ent-
bindungen, an welche mit der Absicht herangetreten wurde, ohne innere
Berührung auszukommen, genöthigt war, von diesem Vorhaben Abstand zu
nehmen. Unter diesen Fällen würde wohl manch' diagnostischer LTthum
gefunden werden. Ohne Berücksichtigung solcher Geburten wurden dennoch
an der LEOPOLD'schen Klinik, an welcher diese Methode penibel ausgeübt
wird, wo Schülerinnen, Hebammen, Volontaire und Assistenten jeden Fall unter-
suchen, immer noch in 5% der Fälle diagnostische Fehler begangen. Wie
hoch möchte sich da wohl diese Zahl in der Praxis, speciell in der Hebammen-
praxis belaufen? Besonders ein Umstand muss zu Bedenken Anlass geben;
während Leopold bei Besprechung des Palpationsbefundes bei Gesichtslage
bemerkt „wer in einem solchen Fall überhaupt an die Möglichkeit einer
Gesichtslage denkt, kann hieraus ohne Schwierigkeit die richtige Diagnose
machen" gibt er an anderer Stelle zu, dass alle 6 Gesichtslagen unter den
1000 Fällen nicht erkannt worden sind; auch 2 Beckenendlagen wurden nicht
diagnosticirt unter 12 Fällen.
Soll nun, wenn die äussere Untersuchung kein sicheres Resultat ergibt,
innerlich untersucht werden?
Was die Hebamme anbetrifft, so wäre es sehr erstrebenswert, dass
sie angewiesen würde, zu diesem Zweck nicht innerlich zu untersuchen,
sondern stets dann, wenn Betastung und Behorchung keine sichere
Diagnose gestatten, zum Arzt zu schicken; doch ist bei der jetzigen
Ausbildung der Hebamme und bei den in manchen Gegenden vorhandenen
Schwierigkeiten, ärztliche Hilfe zu erlangen, an die Erfüllung dieses Wunsches
zur Zeit nicht zu denken. Der Arzt muss zu einem sicheren Resultat ge-
langen; in vielen Fällen, wo die Hebamme scheitert, wird er die Diagnose
stellen können; andere Male wird er bei abwartendem Verfahren zum Ziel
gelangen; keinesfalls aber darf er die Gebärende verlassen, ohne sich über die
Geburtsverhältnisse klar geworden zu sein.
Ad 2. Bei allen regelwidrigen Geburten ist es erforderlich, per vaginam
zu untersuchen, wenn man durch die innere Untersuchung Aufschluss über
Verhältnisse erwarten kann, welche durch die äussere Untersuchung nicht
*) cf. Strassmann: Anleitung zur aseptischen Gehurtshilfe.
UNTERSUCHUNG IN DER GEBURTSHILFE. 833
mit Sicherheit oder überhaupt nicht festzustellen sind, deren Kenntnis aber
für die Beurtheilung des betreffenden Falles und für seine weitere Behandlung
von Wichtigkeit ist (LEoroLo). Bemerkt mag hierbei werden, dass die Diagnose
„enges Becken" an sich noch keine innere Untersuchung erfordert; in Dresden
sind 168 Frauen mit conj. ext. unter 18,5 cm, sogar Frauen mit Conj. diago-
nalis IOV2 und 9^4 cm innerlich nicht berührt worden.
Bei ernsthaften Störungen im Allgemeinbefinden der Mutter (Eklampsie,
Lungenoedem, hohem Fieber u. s. w.), bei Gefahr fürs kindliche Leben, bei
regelwidriger Lage, überhaupt stets dann, wenn die Hebamme an und für
sich verpiiichtet ist, ärztliche Hilfe herbeizurufen, sollte sie die innere Unter-
suchung dem Arzt überlassen.
Hat die Hebamme durch äussere Untersuchung Querlage ausgeschlossen
und bemerkt sie einen regelmässigen Fortgang der Geburt, so liegt, bevor
die Blase gesprungen ist, kein Anlass zu einer inneren Untersuchung vor;
würden die Hebammen daran gewöhnt, bei normalen Entbindungen erst nach
erfolgtem Blasensprung zu untersuchen, so würde die Untersuchung leichter,
daher auch kürzer und vor allem, wenn der Muttermund verstrichen ist,
weniger gefährlich sein; gleichzeitig würde hierdurch dem beliebten Unfug
der vorzeitigen Blasensprengung vorgebeugt werden.
Ist die Blase gesprungen, so muss, wenn nicht die Geburt als nahe
bevorstehend zu erkennen ist, von der Hebamme innerlich untersucht werden,
erstens zur Controlle der Diagnose, zweitens um zu erkennen, ob die Nabel-
schnur vorgefallen ist oder eine Hand neben dem Kopf liegt.
1. Wenn auch die Hebammen nur in völlig klarliegenden Fällen auf
die innere Untersuchung verzichteten, so würden Selbsttäuschungen doch sicher
noch mit unterlaufen. Ist einmal Querlage nicht erkannt worden, so ist das
Unglück, wenn direct nach dem Blasensprung untersucht wird, meist noch
aufzuhalten; häufiger könnte Steisslage verkannt w^erden (2mal bei Leopold).
Würde in einem solchen Fall ein Kind todtgeboren, weil in Folge verfehlter
Diagnose die Herbeiholung eines Geburtshelfers verabsäumt worden wäre, so
hätte sich die Hebamme eine grobe Pfiichtvernachlässigung zu Schulden
kommen lassen.
2o Der Vorfall der Nabelschnur kann ohne innere Untersuchung nicht
erkannt werden; wäre ein Arzt bei der Geburt zugegen, so würde ihn bei
regelmässiger Beobachtung der Herztöne die Verschlechterung des Pulses in
solchem Fall zur inneren Untersuchung und nachfolgenden Hilfeleistung ver-
anlassen; wenn aber die Hebamme hierbei erst dann zum Geburtshelfer schicken
kann, wenn die Circulationsstörungen für sie hörbar werden, dann wird wohl
recht oft das kindliche Leben verloren sein.
Fast vollkommen im Unklaren lässt uns die äussere Untersuchung über
die Beschaffenheit und Weite des Muttermundes (s. 0.); wir sind in
Folge dessen nicht im Stande zu entscheiden, ob wir die Frauen vom vor-
zeitigen Pressen (Cervixruptur) zurückhalten sollen, oder ob wir sie bei ti'äger
Bauchpresse zu energischer Mitarbeit aufzumuntern haben. Auch über die
Entstehung und das Wachsen einer Kopfgeschwulst w^erden wir ohne innere
Untersuchung nicht genügend aufgeklärt; Kopfgeschwulst könnten wir nur
dann diagnosticiren, wenn in der Wehe der Kopf sichtbar wird, während die
Palpation von der hinteren Beckenwand aus erkennen lässt, dass der Schädel
noch nicht den Beckenboden erreicht hat.
Die eben berührten Mängel der ausschliesslich äusseren Untersuchung
werden zum grossen Theil paralysirt, wenn noch die Untersuchung per rectum
hinzukommt. Da diese Methode in der Gynäkologie Bürgerrecht erworben
hat und da weiter vielfach bei Herausbeförderung des Kopfes ins Kectum
mit dem Finger eingegangen wird, lag es nahe dieses Verfahren für die Dia-
gnose der Lage und zur Orientirung über den Geburtsverlauf heranzuziehen.
Bibl. med. Wisseii:chaffcen. I. Geburtshilfe und G-ynäkolosie. Oo
834 UNTERSUCHUNG IN DER GEBURTSHILFE.
Die Untersuchung der Gebärenden per rectum ist zuerst an
der Leipziger Klinik methodisch geprüft worden; Keönig") hat daselbst in einer
Serie von 215 Fällen sämmtliche Gebärende äusserlich und per rectum unter-
suchen lassen und eine Vaginaluntersuchung nur vorgenommen bei bestimmter
Indication. Es ist ihm gelungen bei OO^/o der Kreissenden jegliche Berührung
der inneren Genitalien fernzuhalten, ein Resultat, welches sogar in der Strass •
burger Klinik noch übertroffen wurde.
Keönig berichtet, dass jede Hebammenschülerin nach 2Y3 monatlichem
Unterricht im Stande gewesen sei, per rectum zu fühlen:
1. Oh €171 Kindestheil ins Becken eingetreten sei.
Fühlt sie bei Erstgebärenden im Anfang der Geburt nicht den Kopf
oder tritt er bei Mehrgebärenden trotz kräftiger Wehen nicht ins Becken ein,
so soll die Hebamme, da der Geburtsverlauf regelwidrig sei, zum Arzt schicken.
(Enges Becken, Querlage u. s. w.)
2. Oh der vorangehende Theil der Kopf sei.
Die Fontanellen sind per rectum nicht zu diagnosticiren, so dass die
Hebamme den Kopf nur an den Nähten erkennen kann; sind Nähte nicht mit
Sicherheit zu fühlen, so soll pervaginam untersucht werden.
3. Wie weit der Muttermund sei.
Bei Mehrgebärenden gelingt es gut, die Weite des Muttermundes fest-
zustellen, bei Erstgebärenden kommen jedoch häufig Irrthümer vor, wenn die
Portio verstrichen ist; darum soll bei Erstgebärenden, falls die Presswehen
länger als 2 Stunden dauern, innerlich untersucht werden, wenn der Rectal-
befund unzulänglich ist.
Darüber, ob man eine etwa vorgefallene Nabelschnur fühlen kann, be-
richtet Krökig nichts.
RiEss (Strassburg),'"*) welcher mit dem blossen Finger ins Rectum eingeht,
• — Krönig zieht einen Condom über den Finger — erhält noch viel genauere
Untersuchungsbefunde. Er fühlt bereits bei ca. fünfmarkstückgrossem Mutter-
mund durch diesen hindurch sowohl Nähte als Fontanellen so deutlich, dass
er kleine und grosse Fontanelle unterscheiden kann. Die verschiedenen Ein-
stellungen des Kopfes sind mit voller Sicherheit zu erkennen; Vorfall kleiner
Theile kann nicht unbemerkt bleiben, sogar der Fuss kann von der Hand
unterschieden werden. Nabelschnurvorfall hat Puess zwar nicht beobachtet,
doch hält er die Diagnose dieser Anomalie für leicht, da er post partum die
in der Vagina befindliche Nabelschnur gut fühlen konnte und bei um den
Hals geschlungener Nabelschnur nicht nur diese abtasten, sondern auch ihr
Pulsiren constatiren konnte. Das einzige, worüber man manchmal keine volle
Klarheit erlange, sei die Weite des Muttermundes bei Erstgebärenden, speciell
solange die Blase noch steht.
Auf Grund seiner Beobachtungen kommt Riess zu dem Resultat, dass
eine normale Geburt in allen ihren Stadien als normal vom Mastdarm aus
erkannt werden könne; da die Hebamme nur normale Geburten leiten soll,
so habe sie zum Arzt zu schicken, so wie sie Abweichungen von der Norm
bemerke. Die vaginale Untersuchung sei demnach für die Hebamme unnöthig
und müsse ihr als gefährlich ganz verboten werden.
Man muss zugestehen, dass Riess der consequentere ist, denn es ist
gewiss, dass, wenn man den Hebammen gestattet, in den von Keönig er-
wähnten Ausnahmefällen per vaginam zu untersuchen, sie sich dann
in der Praxis recht oft mit der Diagnose per rectum nicht abquälen werden,
sondern es vorziehen werden, von der gewährten Erlaubnis, den Finger in die
Scheide einzuführen, Gebrauch zu machen.
*) Centralblatt f. Gynaekologie 189^ Nr. 10.
**) Centralblatt f. Gynaekologie 1894 Nr. 17.
UNTEBSUCI-IUNG IN DER GEBURTSHILFE. 835
In der Klinik sind solche Versuche leicht auszuführen; auch da, wo
ärztliche Hilfe schnell zu schaffen ist, mag die Hebamme mit äusserer und
rectaler Untersuchung wohl auskommen können. Anders liegen die Verhält-
nisse auf dem Lande; hier muss die Hebamme, wenn die äussere Unter-
suchung keine genügende Klarheit ergibt, sich sofort darüber entscheiden, ob
eine solche Geburtsstörung vorliegt, dass der Arzt herbeigeholt werden muss.
Für diesen Zweck ist die Methode die beste, welche die sichersten Resultate
ergibt und dass die vaginale Untersuchung, bei welcher der Finger direct
die in Betracht kommenden Gebilde berührt, einen sichereren Befund gewährt,
wie die Palpation mit einem von (Riess) oder zwei (Krönici) Membranen
umhüllten Finger, leuchtet ein.
Der Hebamme, welche bei Rectaluntersuchung sich nicht genügend hat
orientiren können, zu erlauben, vaginal zu untersuchen, geht nicht an, dazu
ist das Bacterium coli doch nicht harmlos genug; es ist schon mehrfach als
Eitererreger erkannt, bei Tympanites uteri gefunden und auch von Kraxig
selbst in einigen Fällen von Wochenbettsfieber (wenn auch leichten Grades)
als alleinige Krankheitsursache bezeichnet worden. Wird gegen dieses Be-
denken eingewendet, dass die Erfahrung der Geburtshelfer dafür spräche, dass
das Eingehen ins Rectum (Ritgen'scher, Olshausen'scher Handgriff) keine
Schädigung der Gebärenden herbeiführe, so muss beachtet werden, dass nach
Anwendung dieser Expressionsmethode meist kein Anlass vorhanden ist, den
Finger in die Scheide einzuführen. Wenn aber die Hebamme bei Rectal-
untersuchung sich nicht genügende Klarheit verschafft hat, würde sie nicht
nur mit ihren Fingern in der Scheide herumtasten, sondern auch, falls die
Desiufection mangelhaft wäre. Keime in den unteren Gebärmutterabschnitt
verschleppen können. Der Vorschlag Krönigs, zur Vermeidung der Beschmu-
tzung einen Condom über den Finger zu ziehen, ist theoretisch gut; in der
Praxis wird sich aber beim Ab- und wieder Anstreifen desselben ein Rein-
halten der Hände nicht erzielen lassen. Wie schwer es ist, einen einmal
mit Koth beschmierten Finger wieder zu reinigen, das sehen wir daran, wie
hartnäckig der Faecalgeruch haften bleibt; der Arzt muss sich desinficiren
können, bei der Hebamme dürfen wir uns in dieser Beziehung nicht in Sicher-
heit wiegen.
IL Die innere Untersuchung")
der Kreissenden muss unter Beobachtung aller Regeln der Antisepsis
und Asepsis geschehen. Hiezu gehört 1. Desinfection der Hände, 2. Reinigung
der äusseren Genitalien, 3. Beobachtung der Vorschrift, dass nach erfolgter
Desinfection Finger und Vulva nicht mit undesinficirten Gegenständen (Hand-
tuch, Hemd, Unterlage, Körperoberfläche in Berührung kommen. Da es schwer
angeht die äusseren Genitalien einer nicht narkotisirten Frau sicher keimfrei
zu machen, so ist es nothwendig, die Untersuchung so auszuführen, dass eine
Berührung dieser Theile beim Eingehen der Finger in die Vagina vermieden
wird. Es ist nicht mehr erlaubt, wie es die Geburtshelfer früher thaten, zur
Schonung des Schamgefühls unter der Bettdecke zu untersuchen; die Rück-
sicht auf das Empfinden der Patientin muss in den Hintergrund treten, wenn
es sich um ihre Gesundheit handelt; wenn der Arzt nicht roh und rücksichts-
los, sondern mit Takt und Energie vorgeht, wird er auch so das Schamgefühl
kaum verletzen.
Am geeignetsten zur Untersuchung ist die Lagerung im Querbett, doch
gelingt es auch in gerader Lage, bei gebeugten Knieen, eventuell nach
Unterschieben eines Kissens unters Kreuz, die Vulva für Augen und Finger
*) Ueber die bimaniielle Untersuciiung, soweit sie für die Schwangerschaftsdiagnose
vrichtig ist. cf. Artikel „Schivangcrsclicift" , pag. 733.
US*
836 UNTERSUCHUNG IN DER GEBURTSHILFE.
gut zugänglich zu machen. Die Besichtigung der äusseren Genitalien ist
auch im eigenen Interesse des Untersuchers nothwendig, wenn er sich vor
der Gefahr einer syphilitischen Infection schützen will; in solchem Fall thut
der Geburtshelfer gut, seine Finger dick mit einer aseptischen Salbe, wie
Borocjlycennlanolin zu bestreichen; sonst ist es so gut wie stets unnöthig und
auch nicht angebracht, die Finger einzufetten, da jede Manipulation nach
erfolgter Desinfection, dieselbe wieder gefährden kann.
Während mit der einen Hand die Vulva so entfaltet wird, dass der
Scheideneingang sichtbar gemacht wird, führt man den touchirenden Finger unter
Vermeidung jeder Berührung der äusseren Genitalien in die Scheide ein; in
vielen Fällen genügt es, den Zeigefinger allein zur Untersuchung zu benützen,
manche ziehen es vor, mit Zeige- und Mittelfinger, was meist möglich, zu
untersuchen. Macht sich nach Einführung des einen Fingers ein Nachunter-
suchen mit 2 Fingern oder der halben Hand nöthig, so ist selbstverständ-
lich nochmalige Desinfection erforderlich. Nach erfolgter Untersuchung eine
Ausspülung vorzunehmen, ist nicht nur unnöthig, sondern kann sogar schäd-
lich werden, indem etwa in der Scheide deponirte Keime in den Uterus hin-
aufgespült werden können.
Bei Untersuchung der nicht kreissenden Schwangeren dürfen die erwähn-
ten Vorsichtsmaassregeln auch nicht ausser Acht gelassen werden, denn erstens
kann bald nach erfolgter Untersuchung Geburt oder Frühgeburt eintreten und
dann ist das Einimpfen von Keimen in die Vagina nicht unbedenklich. Wenn
auch bei normalem Scheidensecret die eingeführten Krankheitserreger nach
Stunden bis Tagen wieder eliminirt werden, so ist dies doch nicht so sicher bei
Schwangeren mit dem pathologischen Secret (Döderlein) zu erwarten. Eine
Untersuchung in der Schwangerschaft sollte, besonders bei Erstgebärenden,
wenn irgend möglich vorgenommen werden, um zu erkennen, ob einem nor-
malen Geburts verlauf Hindernisse im Wege stehen.
Die innere Untersuchung soll über folgende Punkte Aufschluss geben:
a) ßeschafenheit des Dammes, Weite der Scheide, Consistenz der Scheiden-
schleimhaut (Vaginitis granulosa).
h) Grösse der Beckenmaasse (Tumoren im Becken).
c) Beschaffenheit der Portio vaginalis und des Muttermundes.
1. Das Eindringen des Fingers in den noch nicht eröffneten Cervical-
canal, wodurch der schützende Schleimpropf zerstört wird und Mikroorganis-
men (spec. Gonococcen) in höher gelegene Partien der Gebärmutter verschleppt
werden könnten, soll unterlassen werden.
2. Von Wichtigkeit ist es, bei der Schwangerenuntersuchung auf Cervix-
risse und Muttermundsnarben als Kennzeichen einer überstandenen Geburt
zu achten (über etwa vorausgegangene Operationen gibt die Anamnese Auf-
schluss),
Während der Entbindung erfahren wir durch die Vaginaluntersuchung,
wie weit der Muttermund ist, und wie seine Ränder beschaffen sind, ob die
Blase noch vorhanden ist, und ob etwa vorliegende Nachgeburt, kleine Theile
oder die Nabelschnur im Bereich des Muttermundes zu fühlen sind.
d) oh ein Theil der Frucht ins Becken eingetreten ist, resp. ivelches der
vorangehende Theil ist. (Ueber Steisslage cf. „Beckenendlagen'-'- pag. 84.)
Gleichmässige Rundung und Härte des vorangehenden Theiles, manchmal
Pergamentknittern, bei hohem Stand auch Ballotement lassen auf Schädel-
lage schliessen; absolute Gewissheit gewährt das Fühlen von Nähten und Fon-
tanellen.
e) Wie die räumlichen Beziehungen des vorangehenden Theiles zum
Becken sind.
Bei der inneren Untersuchung ist man leicht wie bei der äusseren Täu-
schungen darüber ausgesetzt, wie tief der Kopf mit seinem grössten Durch-
UNTERSUCHUNG IN DER GEBURTSHILFE. 837
tnesser ins Becken eingetreten ist; namentlich wenn bei Beckenverengerung
Verschiebungen der Schiidelknochen stattgefunden haben, ghiubt der Touchirende
manchmal schon einen tiefen Stand diagnosticiren zu können, während die
von aussen fühlende Hand noch sicher constatiren kann, dass sich ein Theil
des Kopfes über dem kleinen Becken befindet. Aus der Leichtigkeit, mit
welcher man an den vorliegenden Theil gelangt, kann nicht geschlossen werden,
wie weit derselbe ins Becken eingetreten ist; abgesehen davon, dass eine Kopf-
geschwulst Tiefstand vortäuschen kann, muss beachtet werden, dass das eine
Becken niedrig, das andere hoch, mehr dem männlichen Typus sich nähernd,
gestaltet sein kann. Zur sicheren Orientirung sind feste Anhaltspunkte erfor-
derlich; dies sind die hintere Symphysenwand, das Promontorium, die Spinae
und Tubera ischii. Ist das Promontorium weder mit gestrecktem, noch mit
gekrümmtem Finger zu fühlen, so geben die Spinae ischii den besten Anhalt;
befindet sich der grösste Umfang des Schädels noch über dem Beckeneingang,
so kann man zwischen Leitstelle des Kopfes und Sitzbeinstachel gut zwei
Querfinger legen; ist die Leitstelle in der Höhe der Spinae, so steht der
grösste Umfang des Schädels in der Beckenweite; bei tiefstehendem Kopf ist
von der Spina nichts mehr zu fühlen (Zweifel).
Entschieden überlegen ist die innere Untersuchung der äusseren, wenn
es sich darum handelt, die Richtung, resp. Stellung des Schädels zu bestimmen;
zur Orientirung dienen in erster Linie die Nähte und Fontanellen. (Vergl. Artikel
„Nähte" pag. 550).
Die grosse Fontanelle ist leichter zu fühlen wie die kleine, welche keine
eigentliche Knochenlücke darstellt; am sichersten werden sie voneinander dadurch
unterschieden, dass von ersterer 4 Nähte annähernd senkrecht, von letzterer
3 Suturen in stumpfen Winkeln von einander abgehen. Die vordere, schwer
durchfühlbare Seitenfontanelle wird zu Irrthümern keinen Anlass geben, die
hintere ist durch ihre unregelmässige Gestalt und die Nähe des Ohres cha-
rakterisirt.
Die Pfeilnaht ist daran kenntlich, dass sie grosse und kleine Fontanelle
verbindet; sie kann in manchen Fällen, besonders in der Eröffnungsperiode
mit Stirn- oder Lambdanaht verwechselt w^erden, vor welchem Irrthum man
jedoch durch Beachtung folgender Punkte geschützt wird. Die Stirnnaht ist
dadurch charakterisirt, dass der ihr entsprechende Zipfel der grossen Fonta-
nelle spitzwinkelig, der der Pfeilnaht zugehörige stumpfwinkelig ist; die Lam-
bdanaht verläuft mehr im Bogen, die Pfeilnaht gestreckter; der von den
Lambdanähten eingeschlossene AVinkel ist kleiner, wie der von einer Lambda-
naht mit der Pfeilnaht gebildete; die an der Pfeilnaht gelegenen Knochen-
theile fühlen sich häufig an umschriebenen Partien weicher an, als die angi'en-
zenden Knochentheile an anderen Stellen. (Ueber Diagnose der Gesichtslage
cf. ^Gesichtslagen^\ pag. 287).
Ist es (z. B. in Folge grosser Kopfgeschwulst) unmöglich, durch Betastung
der Nähte und Fontanellen zur Klarheit zu kommen, so müssen andere Punkte
wie die Tubera parietalia, die Hinterhauptsschuppe, die Nasenwurzel, ein zu
fühlendes Ohr zur Orientirung herangezogen werden; das Eingehen mit der
halben oder ganzen Hand, eventuell unter zu Hilfenahme der Narkose, kann
erforderlich werden.
Unter normalen Verhältnissen findet man beim Eintritt des Kopfes ins
Becken die Pfeilnaht in der Pachtung des- queren Durchmessers, gleichweit
von Promontorium und Symphyse entfernt, verlaufen. Sehr häufig kommen
Abweichungen hiervon vor, indem die Richtung der Pfeilnaht sich mehr einem
schrägen Durchmesser nähert, oder diese Naht, in Folge seitlicher Neigung
838
UNTERSUCHUNG IN DER GEBURTSHILFE.
Fig. 5. Befund bei pathologischem Einstellungsmechanismus.
Vordere ScheitelbeinsteUung aus Döderlein, Leitfaden für den
geburtshilflichen Operationskurs II. Auflage. Leipzig 1895.
des Kopfes, zum Promontorium zu verschoben wird. (Nägele'sche OhUqiiitäf;
Vordere Scheitelbeineinstellung cf. Fig 5.)
Diese Anomalie kann beim
glatten Becken so hochgradig
werden, dass der touchirende
Finger Schwierigkeiten hat, die
in der Nähe des Promontoriums
verlaufende Pfeilnaht zu erreichen;
der Scheitelbeinhöcker ist nicht
mehr wie gewöhnlich an der Sym-
physe zu fühlen, sondern hat sich
der Beckenmitte genähert, manch-
mal soweit, dass das Ohr der vor-
deren Seite tastbar wird.
Dreht sich der Kopf im entge-
gengesetzten Sinn um seine Fron-
troocipitalachse, was selten ge-
schieht, so rückt die Pfeilnaht von
der Beckenmitte nach der Symphyse
zu (Litzmann 'sehe Obliquität); vor-
angehender Theil wird das hintere
Scheitelbein (Hintere Scheitel-
beineinstellung), bei hoch-
gradiger Abweichung kann sogar
das Ohr innerhalb des Mutter-
mundes zu lühlen sein {OJirlage).
Beim Eintritt des Kopfes ins
Becken verläuft die Pfeilnaht
so, dass kleine und grosse Fonta-
nelle gleich hoch stehen, doch
kommt schon unter der Einwir-
kung der ersten kräftigen Wehen
eine Drehung des Kopfes um seinen
biparietalen Durchmesserzu Stande
derart, dass die kleine Fontanelle
tiefer tritt. Dann haben wir z. B.
bei erster Schädellage folgenden
Befund {cf. Fig. 6): die Pfeilnaht
verläuft quer oder mehr weniger
schräg; tastet man die Pfeilnaht
nach der linken Körperseite hin
ab, so gelangt man an die kleine
Fontanelle, w^elche meist etwas nach
vorn gerichtet ist; die auf der
rechten Seite befindliche grosse
Fontanelle ist für den Finger, weil
hochstehend und oft nach hinten
gerichtet, schwer zu erreichen.
Die Drehung des Kopfes um
den biparietalen Durchmesser wird
verstärkt, d. h. die kleine Fonta-
nelle tritt abnorm tief, wenn sich
dem Schädel ein gleichmässig auf ihn einwirkender Widerstand entgegensetzt;
beim allgemein verengten Becken macht sich der Tiefstand der kleinen Fonta-
Fig. 6.
Befund bei normalem Einstellungsmechanismus.
I. Schädellage. Aus Dödeklein 1. c.
UNTERSUCHUNG IN DEll GEBURTSniT/FK.
839
Fig. 7. Befund bei pathologibchem Binstellungsmecha-
nismus. Hinterhauptbein-Stellung aus Dödeelein 1- c.
nelle (Hintcrliauptsbein-Stollung {cf. Fi;/. 7) schon boiin pjntritt ins
kleine Becken geltend. Den entgegengesetzten Zustand, Tiefstand der grossen
Fontanelle finden wir vorwiegend beim geradverengten Becken, in ausgesprochenen
Fällen ist die grosse Fontanelle
in der Führungslinie zu fühlen.
Diese Scheitelstellung bildet
den Ueb ergang zur Stirnlage,
welche im Beckeneingang unter
abnormen Verhältnissen ziemlich
oft gefunden wird ; hierbei stösst der
untersuchende Finger zuerst auf
die Stirnnaht, in deren Verfolgung
er auf der einen Seite zur grossen
Fontanelle, auf der anderen Seite
manchmal bis zur Nasenwurzel
und Orbitalrand gelangen kann.
Diese fehlerhaften Einstellun-
gen des Kopfes finden sich im
späteren Geburtsverlauf seltener,
da sie unter Einwirkung einiger
kräftiger Wehen häufig in Normal-
haltung übergehen.
Steht der Kopf auf dem Becken-
boden, so ist die kleine Fontanelle
nach vorn gedreht in der Nähe
des Foramen obturatorium zu
fühlen, meist kann man auch die
in der Gegend der entgegen-
gesetzten xirticulatio sacroiliaca
befindliche grosse Fontanelle ab-
tasten. Gelangt der Kopf an
den Beckenausgang, so verläuft
die Pfeilnaht annähernd im sagit-
talen Durchmesser; die kleine
Fontanelle, welche sich der Sym-
physe weiter genähert hat, wird
zuerst in der Schamspalte fühl-
und sichtbar.
Abweichungen von diesem Ge-
burtsverlauf treten ein, wenn die
kleine Fontanelle nicht die Führung
übernimmt; bleiben die Fontanellen
gleich hoch, so unterbleibt auch
die Drehung der Pfeilnaht nach
vorn; noch auf dem Beckenboden
verläuft sie annähernd quer.
(Tiefer Querstand c/. -FY^. 8)
Bleibt bis zuletzt die grosse Fon-
tanelle tiefstehend, so dreht sie
sich immer mehr nach vorn, der
Kopf tritt dann mit dem Hinter-
haupt nach rückwärts in Vorder-
scheitellage aus.
Zu berücksichtigen sind noch die Stirnlagen; nicht gar selten gehen die-
selben dadurch, dass die kleine Fontanelle immer tiefer tritt, in Hmterhaupts-
Befund bei tiefem Querstand der PfeilnaM,
DÖDEBIiEIN 1. C.
.■840
UNTERSUCHUNG IN DER GYNAEKOLOGIE.
Fig 9. Befund bei Btirmage aus UöDERiiEiN 1. c.
■lagen über, bleibt aber die Stirn vorangehender Tlieil, so rückt der Kopf mit
querstehender Stirnnalit bis auf den Beckenboden, woselbst sich diese Naht in
einen schrägen Durchmesser stellt; beim Touchiren ist die ganze Stirn mit
Nasenwurzel und grosser Fontanelle zu fühlen (cf. Fig. 9.). Wie durch
Beugung des Halses aus der Stirn-
lage Hinterhauptslage wird, so
entwickelt sich durch vermehrte
Streckung Gesichtslage; bei
der Gesichtslage dient an Stelle
der Pfeilnaht zur Orientirung die
durch Kinn und Nase markirte
Verlängerung der Stirnnaht (Ge-
sichtslinie). Entprechend der Sen-
kung der kleinen Fontanelle bei
Hinterhauptslage, erfolgt bei Ge-
sichtslage im Weiterschreiten der
Entbindung ein Tiefertreten des
Kinnes; dreht sich dieses nach
vorn, so steht am Ende der Geburt,
bei annähernd sagittalem Verlauf
der Gesichtslinie, das Kinn unter-
halb der Symphyse; dreht sich
das Kinn nach hinten, so kommt
es in die Gegend der einen Sym-
physis sacroiliaca.
Fassen wir zum Schluss unsere Ansichten über die Untersuchungs-
methoden zusammen:
1. In Kliniken und Gebäranstalten, wo die Kreissenden andauernd
unter ärztlicher, stets hilfsbereiter Aufsicht stehen, würde es im Interesse
der Gebärenden, — wenn auch nicht der Lernenden — liegen, die innere Unter-
suchung nur dann vorzunehmen, wenn eine besondere Indication dazu vor-
handen ist, sei es, dass es die sichere Diagnosenstellung erfordert, sei es,
dass Störungen des Geburtsverlaufes vorliegen oder dass es im Interesse von
Mutter oder Kind nöthig wird festzustellen, ob und wie die Geburt beendet
werden kann.
2. Wenn auch der Arzt, welcher eine Gebärende „andauernd" beobachtet
und die kindlichen Herztöne sorgfältig controllirt, fähig ist, eine normal ver-
laufende Entbindung ohne Anwendung von Vaginaluntersuchung zu leiten, so
gibt doch die Combination von innerer und äusserer Untersuchung ein kla-
reres Bild über den Geburtsverlauf. Eine Untersuchung im Anfang der Geburt,
eine v^eitere nach erfolgtem Blasensprung wird in der Hegel genügen und
weiteres Eingehen nur bei besonderem Anlass nöthig werden. Da der Arzt im
Stande sein muss, die Uebertragung von Krankheitserregern auf die Gebä-
rende zu vermeiden, Verstössen wir mit der Zulassung der Vaginaluntersuchung
nicht gegen die Regeln der Asepsis,
3. Den Hebammen die innere Untersuchung ganz zu verbieten, wäre
zwar erstrebenswert, ist aber zur Zeit unmöglich; ob es gelingen wird, durch
Anwendung der Rectaluntersuchung dieses Ziel zu erreichen, muss die Zukunft
lehren. A. Littauer.
Untersuchung in der Gynaekologie. Die moderne Gynaekologie hat
durch Vervollkommnung der Diagnose ganz ausserordentliche Fortschritte ge-
macht, die sie zum grossen Theile der Vervollkommnung der Untersuchungs-
methoden verdankt. Während früher dem untersuchenden Arzte nur grössere
Geschwülste des Abdomens und der Beckenhöhle, des Ferneren Veränderungen
UNTERSUCHUNa IN DER GYNAEKÜLOGIE. 841
an der Portio vaginalis, am Scheidengewölbe und in der Scheide oder am
äusseren Genitale zugänglich waren, sind wir derzeit im Stande, sämmtliche
Organe des Beckens abzutasten, auf ihre normale anatomische Form, Lage-
rung und Grösse zu prüfen, die Beweglichkeit der einzelnen (Jrgane und ihr
Verhältnis zu einander wie zu denen der Bauchhöhle festzustellen und aucli
die Innenhöhlen des Uterus und der Blase bezüglich ihres Inhaltes und der
Beschaffenheit der auskleidenden Schleimhäute zu controliren; wie bei jeder
anderen medicinischen Untersuchung soll der eigentlichen physikalischen
Untersuchung stets die Aufnahme der An am n'ese vorangehen. Man wird,
wenn man die Anamnese angehört, von Vorne herein mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit nach einer bestimmten Erkrankungsform zu suchen haben,
und die gefundenen pathologisch-anatomischen Veränderungen in Einklang zu
bringen trachten mit den angegebenen Symptomen und dadurch gezwungen
sein, die Diagnose auf das Sorgfältigste zu stellen.
Der eigentlichen Untersuchung geht nach Aufnahme der Anamnese die
Inspection zuvor, welche Grösse und Form des Abdomens, der Beschaff'enheit
des äusseren Genitales, der grossen und kleinen Schamlippen, der Urethra und
des Vestibulum zu berücksichtigen hat. Soll aber die gynaekologische Unter-
suchung eioe vollständige sein, so darf man sich auf die Untersuchung der Geni-
talorgane allein nicht beschränken, die Wechselbeziehungen zwischen den Organen,
welche der Geschlechtsfunction vorstehen, und den übrigen Organen des Körpers
sind so verschieden, dass die Berücksichtigung des Gesammtzustandes der Kran-
ken von ausserordentlicher Bedeutung ist,"^') und wir uns demgemäss von dem
Zustande auch entfernterer Organe oft zu überzeugen haben. Immerhin wird
unser Hauptinteresse sich auf die Organe des Bauches und Beckens und der
äusseren Geschlechtstheile beziehen. Wir werden hiebei durch die Inspection
über einzelne Dinge bereits wichtigen Aufschluss bekommen, so bezüglich der
Ausdehnung der Bauchdecken, der Form und Lagerung eines Tumor, dem
Grade des Fettgehaltes, der Beschaffenheit der Bauchdecken selbst, der Form
des Beckens u. s. w.
Der Inspection folgt die Percussion des Abdomens. Sie wird uns
über den Füllungsgrad der Därme, über einen der Norm nicht entsprechenden
Inhalt der Bauchhöhle orientiren, dabei werden die Percussionsgrenzen uns
darüber aufl^lären, ob es sich um einen abgesackten Tumor oder eine An-
sammlung freier Flüssigkeit in der Bauchhöhle handelt oder nicht, sie wird
uns lerner darüber Aufschluss geben, ob ein eventuell vorhandener Tumor von
Darmschlingen bedeckt sei oder nicht u. s. w. Die hierauf vorzunehmende
Palpation wird in der Weise ausgeübt, dass die auf die Bauchdeckenfläche
nebeneinander aufgelegten Hände die Resistenz prüfen, auf diese Weise einen
abnormen Inhalt der Bauchhöhle mit Sicherheit nachweisen, die Grösse, Form
und Resistenz, Consistenz und Beweglichkeit eines eventuell vorhandenen
Tumors bestimmen helfen. Durch die Palpation wird es uns ferner möglich
sein, zu erkennen, ob ein nachweisbarer Tumor den Bauchdecken oder den
Organen des Bauches oder der Beckenhöhle angehört.
Die eigentliche Untersuchung der Beckenorgane ist nun zunächst möglich
durch die digitale Untersuchung von einem der Hohlorgane des Beckens
aus. Ehe wir jedoch an eine solche digitale Untersuchung gehen, ist es zu-
nächst nothwendig, einige Vorbereitungen zu treffen. Sie beziehen sich auf
die Desinfection der eigenen Hand und des äusseren Genitales, soll doch jede
vaginale Untersuchung mit antiseptischen Cautelen vorgenommen werden,
ähnlich wie bei einer schwangeren oder gebärenden Frau. Des Ferneren ist
es nothwendig, dafür zu sorgen, dass die Untersuchung bei leerer Blase und
bei wo möglich entleertem Darme vorgenommen werde. Wissen wir doch,
^) Vergl. Artikel „Interne Kranhheiten tvährend der Gravidität," pag. 43 i
842 UNTERSUCHUNG IN DER GYNAEKOLOGIE.
wie grossen Lageveränderungen der Uterus infolge der Verschiedenheit des
Füllungsgrades der Blase und des Mastdarmes ausgesetzt ist. Wir werden
daher eine richtige Vorstellung von den Lageverhcältnissen des Uterus nur
bei entleerter Blase bekommen, während andererseits bei stärkerem Füllungs-
grade des Darmes die Spannung der Bauchdecken eine so beträchtliche ist,
dass eine sorgfältige gynaekologische Untersuchung nahezu unmöglich gemacht
wird. Von grosser Bedeutung ist ferner die Lagerung der Kranken zum
Zwecke der Untersuchung. Soll dieselbe einen sicheren Erfolg haben, so ist
es nothwendig, dass die Kranke alle beengenden Kleidungsstücke ablege; die
Untersuchurig einer durch das anliegende Corset stark geschnürten Frau kann
keinen Erfolg haben, wenn wir bedenken, unter welcher Spannung dadurch
die Organe der Bauchhöhle gesetzt werden. Wir müssen daher darauf drin-
gen, dass die Kranke das Mieder ablege, die Unterkleider öffne, so dass der
Leib durch keine Umschnürung beengt werde. Die Untersuchung erfolgt
entweder am Divan, im Bette oder auf dem gynaekologischen Untersuchungs-
stuhle; die letztere Art der Untersuchung ist nur in der Sprechstunde mög-
lich, während bei der Consultation im Hause der Kranken die Untersuchung
im Bette oder auch am Divan vorgenommen werden muss. Hiebei soll der
Kopf massig erhöht sein, die Beine werden gestreckt gehalten während der
Inspection, Percussion und Palpation des Abdomens, sie müssen jedoch im
Hüft- und Kniegelenk gebeugt, aufgestellt und abducirt werden in dem Mo-
mente, wo die innere Untersuchung beginnt, wobei die Kranke an den Band
des Untersuchungsbettes gerückt wird. Viel zweckmässiger ist die Unter-
suchung auf dem gynaekologischen Tische, weil wir dann der Digitalunter-
suchung viel zweckmässiger die Spiegel- und eventuell die Sondenuntersuchung
nachfolgen lassen können; dabei ist es in der Begel genügend die gewöhnliche
Rückenlage mit aufgestellten und abducirten Beinen einnehmen zu lassen, in
anderen Fällen wird die erhöhte Steiss-Rückenlage, in speciellen Fällen die
Knie-Ellhogenlage oder schliesslich die Beckenhochlagerung von Vortheil sein.
Die Digitaluntersuchung soll stets bimanuell vorgenommen werden.
Ohne palpatorische Mitwirkung der zweiten Hand von den Bauchdecken aus kann
der in die Scheide eingeführte Finger blos über die Beschaffenheit der Schei-
denwände, der Portio vaginalis und des äusseren Muttermundes Aufschluss
geben; die Grösse, die Form, die Consistenz des Uterus, die Beschaffenheit
der Adnexe, der Parametrien, die Lageverhältnisse der Beckenorgane zu ein-
ander, kann nur auf dem Wege bimanueller Untersuchung ermittelt werden,
wobei 1—2 Finger von einem Hohlorgane aus untersuchen, während die andere
Hand durch Palpation von den Bauchdecken aus die bezüglichen Organe dem
untersuchenden Finger näher bringt. Dabei können verschiedene Combinationen
des einzuschlagenden Weges in Frage kommen. Am gev^öhnlichsten und in
der Regel ausreichend ist die Untersuchung von der Vagina aus unter Bei-
hilfe der von den Bauchdecken palpirenden Hand, In anderen Fällen ist es
nothwendig mit dem Finger vom Mastdarme aus zu untersuchen, während die
andere Hand auf die Bauchdecken aufgelegt wird, oder wir sind schliesslich
gezwungen, mit dem einen Finger in die Blase zu dringen und unter Beihilfe
der von aussen palpirenden Hand unsere Diagnose zu stellen. Schliesslich
wird es in einzelnen Fällen nothwendig, von zwei Hohlorganen aus gleich-
zeitig die Untersuchung vorzunehmen, entweder von der Blase und der Vagina
aus, oder von der Vagina und dem Rectum aus, oder schliesslich von der Blase
und dem Rectum gleichzeitig ausgehend.
Wir wollen zunächst den gewöhnlichen Fall der bimanuellen Unter-
suchung von der Scheide und der Bauchdecke aus annehmen. Es ist
bisweilen nicht ganz gleichgiltig, ob man die linke oder die rechte Hand zur
Vaginaluntersuchung benützt; es ist allerdings zweckmässiger, die linke Hand
zur vaginalen Untersuchung und die in der Regel kräftigere rechte Hand zu
UNTERSUCHUNG IN DER «YNAEKOLOGIE. 843
der, einige Kraftentfaltung erfordernden ralpation von der Bauchdecke aus zu
benützen, wenn hiebei eine individuelle Disposition auch eine Holle spielen
mag. Wollen wir jedoch die Adnexe, die Iieckcnl)uchten, die Beckenwände
genau abtasten, so müssen wir erwägen, dass wir mit der linken Hand die
linke Beckenhälfte, mit der rechten Hand die rechte Beckenhälfte viel genauer
prüfen können und es demgemäss im Laufe der Untersuchung in speciellen
Fällen zweckdienlich werden wird, die untersuchende Hand zu wechseln.
Der explorirende Finger — es soll womöglich blos mit einem Finger unter-
sucht werden — ist der Zeigefinger; seiner Einführung geht zunächst die
genaue Inspection des äusseren Genitales voraus, da pathologische
Veränderungen der Beschaffenheit der Clitoris und der Schleimhäute des äusseren
Genitale und des Vestibulum, Formveränderungen, Condylome, Ulcera, Narben-
bildungen, Defecte etc. für die Diagnose von Bedeutung sind. Veränderungen an
der Harnröhrenmündung, Röthung der Ausführungsgänge der Bartolinischen
Drüsen, Abscesse und Cystenbildungen an diesen, die Form eines erhaltenen
Hymenairinges oder der vorhandene liest desselben müssen unserer Beobachtung
zugänglich sein. Hiebei muss sofort durch den auf den Urethralwulst auf-
gelegten und die Urethra bis zur Urethramündung ausstreifenden Finger das
Secret der Urethra auf seinen Eitergehalt geprüft werden. Dem aufmerksamen
Auge des Gynaekologen wird es auch nicht entgehen, ob das Vestibulum stark
klaffend ist oder niclit, ob die vordere oder hintere Scheidewand oder beide
Wände der Scheide in das Vestibulum prolabiren oder nicht. Der unter-
suchende Zeigefinger wird nun in der Art eingeführt, dass die tastende Finger-
beere gegen die vordere Scheidewand zu sieht, der Daumen der entsprechen-
den Hand stark abducirt ist, während die übrigen drei Finger entweder ein-
gezogen oder gestreckt auf den Damm aufgelegt werden und denselben leicht
in die Höhe schiebend auf diese Weise gestatten, dass der untersuchende
Finger weiter hinauf vordringe. Hiebei wird der untersuchende Finger über
die Weite, die Länge der Scheide, die Beschaffenheit der Schleimhäute und
das Vorhandensein der normalen Scheidenfalten sich orientiren können. Ist
nun der untersuchende Finger bis zur Höhe der Portio vaginalis, längs der
vorderen Scheidewand vordringend, gelangt, so wird die zweite Hand auf die
Bauchdecke aufgelegt und nun versucht, die einzelnen zu untersuchenden
Organe dem von der Scheide aus explorirenden Finger näher zu bringen.
Hiebei darf der von der palpirenden Hand ausgeübte Druck kein zu plötz-
licher und brüsker sein, weil sonst die Kranke reflectorisch die Bauchdecken
spannt und dadurch die bimanuelle Untersuchung vollständig illusorisch macht,
vielmehr wird die sanft aufgelegte Hand durch leicht rotirende Bewegung nach
Art der Massagebewegung den Widerstand der Bauchdecken allmählich über-
winden, ohne dass der Druck von Seiten der Kranken unangenehm empfunden
würde. Allerdings muss man hiebei mit der Intelligenz und dem guten Willen
der Kranken rechnen, welche im Stande sind, die Vornahme der Untersuchung
wesentlich zu fördern. Der von der Scheide aus untersuchende Finger wird
dabei zunächst die Lage der Portio eruiren; der normale Stand der Portio
vaginalis entspricht dem Halbirungspunkte einer Linie, welche die beiden Spinae
ossis ischii mit einander verbindet; wir werden somit in der Lage sein, zu
constatiren, ob die Portio ober oder unter dieser Linie steht, mit einem Worte,
ob der Uterus elevirt oder descendirt erscheint. In anderen Fällen werden wir
Abweichungen der Portio gegen die linke oder rechte Beckenhälfte finden, ent-
weder in Form einer frontalen Verschiebung, wenn der ganze Uterus nach
der einen oder anderen Seite hin verschoben ist, oder in Form der Drehung
dann, wenn blos das Corpus uteri nach der einen oder anderen Seite hin
gezogen ist, während die Portio nach der entgegengesetzten Seite hin ab-
weicht. Die Portio kann auch nach vorne verlagert sein bei einer Retroflexio
oder Ptetroversio, oder wenn der ganze Uterus durch einen rückwärts ge-
844 UNTERSUCHUNG IN DER GYNAEKOLOGIE.
legenen Tumor gegen die vordere Beckenwand gepresst wird. Wir werden
die Portio rückwärts finden bei einer Anteversio oder bei einem grösseren,
vor dem Uterus gelegenen Tumor. Dabei ist die Form der Portio von Be-
deutung: die conisclie Form, wie wir sie beim Uterus einer Nullipara finden,
wulstig und li3'-pertrophiscli wie bei einer Multipara, kolbig aufgetrieben,
riisselartig oder in einen grossen Tumor verwandelt wie beim Bluuienkohl-
gewächs oder zerklüftet und nahezu fehlend wie beim zerfallenen Carcinome
der Portio und des Cervix. Dabei ist die Consistenz eine verschiedene : Von
der normalen derben Consistenz einerseits bis zur Auflockerung bei einer Ge-
bärenden, bis zur derben Infiltration beim chronischen Infarcte des Uterus
und der Knorpelhärte des Scirrhus andererseits, finden wir verschiedene Va-
rianten. Der äussere Muttermund, eng und rund bei einer Nullipara, spalt-
förmig bis in das eine oder in beide Scheidengewölbe reichend nach wieder-
holten Geburten. Hierauf bringt man den Finger vor die Portio in das vor-
dere Scheidengewölbe; die von aussen palpirende Hand ist nun im Stande,
den Fundus uteri dem touchirenden Finger näher zu bringen. Unter nor-
malen Umständen findet man auf diese Weise an der vorderen Wand das nach
vorne geneigte Corpus uteri, welches auf diese Weise zwischen den beiden
untersuchenden Händen soweit gefühlt wird, dass seine Grösse, seine ober-
flächliche Beschafienheit, seine Consistenz und seine Form genau geprüft und
erkannt werden kann. Hiebei fühlt man ganz deutlich den Winkel, welchen
unter normalen Umständen der anteflectirte Uterus mit seinem Körper gegen-
über dem Cervix bildet, w^obei der Scheitel des Winkels in der Höhe des
inneren Muttermundes liegt, während die Schenkel nach vorne divergiren.
Liegt der Uterus nicht entsprechend seiner normalen Lage, so wird das so-
fort dadurch constatirt, dass der im vorderen Scheidegewölbe liegende Finger
beim Herabdrücken der Bauchdecken durch die palpirende Hand die Finger
dieser Hand fühlt, wodurch das Fehlen des Corpus uteri an seiner normalen
Lage constatirt wird. Gehen wir in solchen Fällen mit dem touchirenden Finger
in das hintere Scheidengewölbe ein, so fühlen wir oft genug das Corpus
uteri hinten gegen das Rectum zu gewendet, so dass der früher erwähnte
Knickungswinkel zwischen Corpus und Cervix uteri nunmehr nach hinten zu
sieht (Retroflexio uteri). Je nach der Grösse des Winkels werden wir dann von
einer stumpf- oder spitzwinkligen Anteflexio, resp. Retroflexio uteri zu sprechen
haben. Dabei wird stets auch gleich die freie Beweglichkeit des Uterus geprüft,
und im Falle der Behinderung derselben das Maass der Fixation bestimmt. In
anderen Fällen findet man, dass der Uterus in toto um seine quere Axe ent-
weder nach vorne oder nach hinten gedreht ist, wobei die Portio entweder
nach hinten oder nach vorne ausweicht, Anteversio, resp. Retroversio uteri.
In anderen Fällen wiederum werden wir durch diese combinirte Untersuchung
finden, dass sowohl das vordere wie das hintere Scheidengewölbe leer ist,
vielmehr der Uteruskörper von der Medianlinie nach rechts oder links ab-
gewichen erscheint; je nachdem, ob dies unter lateraler Knickung über die
Kante geschieht oder die Drehung des ganzen Uterus mit Ausweichen der
Portio nach der entgegengesetzten Seite erfolgt, sprechen wir dann von einer
Lateroflexion oder Lateroversion des Uterus, wobei wieder auf die Beweglich-
keit des verlagerten Uterus genau geachtet werden muss. Durch die bimanuelle
Untersuchung sind wir des Ferneren in der Lage, nachzuweisen, ob die Para-
metrien frei sind oder nicht. Im ersteren Falle wird der palpirenden Hand
beim Versuche, dem explorirenden Finger näher zu kommen, sich kein Wider-
stand entgegensetzen, im anderen Falle werden wir entweder durch eine
stärkere Druckempfindlichkeit oder durch das Vorhandensein eines verschieden
stark resistenten Tumors mit mehr weniger präcisen Grenzen daran verhindert
werden. Findet sich dabei eine Resistenz, welche von der Uteruskante her
gegen die Beckenwand sich verbreiternd und diffus an derselben sich ver-
UNTERSUCHUNG IN DER GYNAEKOLOGIE. 845,
lierend vorhanden ist, dann müssen wir an eine parametrane Infiltration donken
In anderen Paulen werden wir in der Lage sein, die geschwellte oder zu einem
Tumor umgewandelte Tube zu constatiren und die Vergrösserung und grössere
Druckempfindlichkeit des Ovariums nachzuweisen. In solchen Fällen chronischer
Entzündung der Adnexe werden wir hiebei die verschiedensten Lageveränderungen
der Organe nachzuweisen im Stande sein. In einzelnen schwierigen Fällen
wird zur Stellung der Differentialdiagnose die Einleitung der Narkose un-
erlässlich erscheinen; in anderen Fällen wird die Grösse des Uterus uns
zwingen, die Diöerentialdiagnose zu machen zwischen Fibrom und Gravidität,
und da werden es die speciellen Consistenzverhältnisse im Zusammenhange
mit den anamnestischen Daten und Symptomen sein, welche uns die Ditfe-
rentialdiagnose stellen lassen. Die Art der Verlagerung und Fixation des
Uterus wird uns erkennen lassen, ob ein vorhandenes Fibrom oder ein vor-
handener Ovarialtumor interligamentär entwickelt sei oder nicht. Bisweilen
wird es wichtig sein, zu diagnosticiren, ob ein vor oder hinter dem Uterus
gelegener Tumor der Blase oder dem Ptectum angehöre oder auf diese Or-
gane übergegriffen habe. Man wird dann gezwungen sein, der vaginalen Unter-
suchung die von der Blase oder vom Rectum aus folgen zu lassen.
Die Untersuchung durch die Blase kann entweder durch sonden-
artige Instrumente oder durch den Finger geschehen, doch müsste dieser
letzteren Art der Untersuchung die Dilatation der Urethra unbedingt vorangehen.
Die digitale Untersuchung vom Rectum aus ist nicht zu schwer;
sie soll vorgenommen werden in allen Fällen von retrouterin gelegenen Tu-
moren, in allen Fällen von Tumorenbildung unter Mitbetheiligung des Septum
rectovaginale, in allen Fällen von stärkerem Prolaps der hinteren Scheiden-
wand, um zu constatiren, ob ein Divertikel des Rectum in den Vorfall mit
einbegriffen sei {Redokele vaginalis) und ferner in allen Fällen von Carcinoma
uteri, weil durch diese Untersuchsmethode sich am besten nachweisen lässt,
ob das Beckenbindegewebe von der carcinomatösen Infiltration bereits ergrifien
sei, welcher Umstand uns das Vorhandensein einer Contraindication gegen
die totale Exstirpation des Uterus zum Zwecke der Radicaloperation des Car-
cinoms abgeben wird.
Die Untersuchung durch das Rectum wird des Ferneren in solchen
Fällen die vaginale Untersuchung ersetzen müssen, wo ein vorhandenes Hymen
oder ein atreti scher Verschluss des Vaginallumens die vaginale Untersuchung
unmöglich macht, des Ferneren in solchen Fällen, wo bei Defect der Vagina
constatirt werden soll, wie weit die Defectbildung reicht, und w-elche Theile
der inneren Genitalorgane zur Entwicklung gekommen seien.
In sehr vielen Fällen genügt nun diese Art der Untersuchung nicht,
sondern halten wir es für nothwendig, die Scheidenwände, die Portio und
den Muttermund zu inspiciren, sei es dass wir uns über Defecte an der
Scheidenwand, über Veränderungen in der Schleimhautoberfläche der Portio,
Formveränderungen des Uterus und die Secretbeschaftenheit des Uterus näher
Orientiren wollen. Dies kann nur durch die Spiegeluntersuchung ge-
schehen, welche allerdings gleich zum Zw^ecke des gynäkologischen Hei-
lungsverfahrens dient. In der Regel werden zum Zwecke der Diagnose
die Röhrenspecula und das Cusco'sche Blattspeculuni verw'endet, da zum Ge-
brauche eines Rinnenspiegels und der dazu gehörigen Spatel Assistenz noth-
wendig ist, die man nicht immer zur Verfügung hat. (Unnötig wird dieselbe
blos beim Gebrauch der Neugebauer — SAENGER'schen Spateln.) Beim Ein-
führen des Speculums hat man dabei die Inspection der am oberen Lumen des
Speculums allmählich sich entfaltenden Scheidenwände vorzunehmen.*)
*) Vid. die Fig. 7—28 im Artikel „Instrumentarium zur Gynäkologit", pag. 397 — 400.
846 UNTERSUCHUNG IN DER GYNAEKOLOGIE.
Zur vollständigen Klarstellung der Diagnose ist es häufig nothwendig,
die Grösse und Weite der Uterushöhle, ihren Inhalt, ihre Lagerung im Ver-
hältnisse zu in die Wand des Uterus eingelagerten Tumoren und die Schleim-
liautoberfläche des Uteruskörpers zu prüfen. Dies geschieht durch die Son-
denunter suchung; A'Or jeder Sondirung des Uterus soll stets nach sorg-
fältigster Aufnahme der Anamnese die Kranke nach dem Zeitpunkte der letzten
Menstruation gefragt werden, und auch schon bei der geringsten Wahrschein-
lichkeit einer vorhandenen Schwangerschaft die Sondirung unterlassen werden.
Des Ferneren muss speciell die Sondirung des Uterus unter aseptischen Cautelen
vorgenommen werden, da sonst leicht infectiöse Keime an die Uterusschleim-
haut gebracht werden. Es ist daher der Modus, wie er manchenorts ausgeübt
wird, die Sonde {Fig. 29 und 30, pag. 403) einfach längs des in die Scheide
eingeführten Fingers ohne Controlle des Auges in die Uterushöhle zu bringen
strengstens zu widerrathen; vielmehr soll dies stets nach Freilegung der Portio
durch Specula, wozu sich allerdings die langen Röhrenspecula nicht eignen,
und nach vorhergegangener Desinfection der Scheide und der Portio vor-
genommen werden. Mit dem Cusco'schen Speculum lässt sich diese Mani-
pulation leicht vollziehen, sonst müsste man nach Einführung eines kurzen
BANDEL'schen Speculums die Portio mit einem Häckchen fassen oder her-
imterziehen, will man nicht das von Saenger neuerdings beschriebene Neu-
GEBAUEK'sche Spcculum verwenden. Mit der Sonde prüft man die Länge der
Uterushöhle, ihre Weite wird durch die freie Beweglichkeit der Sonde be-
stimmt, ihre Lagerung durch die Richtung, gegen welche die Sonde vordringt;
wenn z. B. bei Vorhandensein eines Fibroma uteri die Sonde nach hinten zu
ausweicht und man mit Sicherheit annehmen kann, dass der Tumor vor der
Sonde liegt, so folgt daraus der Schluss, dass der Tumor in der vorderen
Wand des Uterus entwickelt sei. Durch die Sondirung des Uterus werden
wir z. B. in der Lage sein zu constatiren, ob ein retrouterin gelegener,
dem Uterus angehöriger Tumor der retroflectirte Uteruskörper sei oder
ob nicht vielmehr dem anteflectirten Uterus ein Tumor in seiner hinteren
Wand opponirt sei. Während bei normaler Beschaffenheit der Uterus-Schleim-
häute die Oberfläche derselben glatt, sammtartig und unempfindlich ist, werden
wir durch die Sondirung bei kranker Mucosa die acute Endometritis an der
Empfindlichkeit des Endometriums, die hypertrophische Endometritis an den
Rauhigkeiten erkennen, über welche die Uterussonde gleitet. Vorhandene
Abortusreste, Placentar- und Fibrompolypen und vorgeschrittene Corpuscar-
cinome werden wir durch die Sondirung zu erkennen in der Lage sein.
In sehr häufigen Fällen ist es nun nothwendig, die Difterentialdiagnose
zu stellen, ob eine vorhandene Erkrankung der Uterusmucosa entzündlichen
Ursprunges sei oder einer Neubildung entspreche; dann genügen die bisherigen
Untersuchungsmethoden zur Feststellung der Diagnose nicht, dann ist es noth-
wendig, dass wir durch das Mikroskop die feinere Bauart der Mucosa
uteri ermitteln, welche wir zu diesem Zwecke durch das Curettement in ein-
zelnen Stücken herausbefördern. Es ist daher die Excochleatio mucosae uteri
in zahlreichen Fällen ein wichtiger, diagnostischer Behelf, wobei sie allerdings
in ebenso zahlreichen Fällen zugleich den therapeutischen Eingriff darstellt.
Eine diagnostische Excochleation muss unter denselben antiseptischen Cautelen
und mit derselben Exactheit ausgeführt werden wie der gleiche therapeutische
Eingriff", da ja derselbe in den Fällen, wo die mikroskopische Untersuchung
das Vorhandensein einer entzündlichen Endometritis kund gibt, zugleich auch
die volle Therapie darstellen muss. Das ausgeschabte Gewebe wird dann
nach Herstellung von Mikrotompräparaten und der üblichen Färbung unter
dem Mikroskope aufs Genaueste geprüft. Schliesslich wird es in einzelnen
Fällen nothwendig, die Uterushöhle direct auszutasten, um, die Diagnose voll-
ständig sicher zu stellen. In diesen Fällen müsste die Dilatation des Cervix
URETIIRA-KRANKIIEITEN DES WEIBES. 847
mit den HEGAR'sclicn Stiften vorgenommen werden, wie .sie in dem betreffen-
den Capitel beschrieben ist (V. par/. 200 u. 453). Die weitere Entwicklung,
welche die Bacteriologie in unseren Tagen zeigt, und die Bedeutung, welche sie
für die richtige Erkennung mancher Krankheitsionnen des weiblichenGeschlcchts-
apparates erlangt, weist auch der bacteriologischen Untersuchung der
Secrete des Uterus, des Cervix, der Vagina und Urethra in der gynaekologi schon
Diagnostik für die Zukunft einen hervorragenden Platz an.
K. A. IIEUZFELD.
Urethra-Krankheiten des Weibes. Der Umstand, dass die Affec-
tionen an der Harnröhre häufig mit solchen des weiblichen Genitalapparates
in enger Beziehung stehen, rechtfertigt ein gesondertes Besprechen der weib-
lichen Urethralerkrankungen in der Frauenheilkunde, So sehen wir z. B.
nach schweren, aber auch gar nicht selten nach ganz normalen Geburten
eine Ischurie auftreten, die durch eine Knickung der Harnröhre ent-
standen. Einfacher Katheterismus — Nelaton, resp. starrer Katheter — be-
seitigen dieselbe. Durch die Geburt erfährt auch die Harnröhre eine Er-
weiterung. Hart fand durch Messungen, dass am 10. Tage des Wochen-
bettes ihre Weite noch um 1 mm mehr beträgt als am Ende der Schwanger-
schaft. Bekannt ist die vollständige Harnverhaltungbei Retrover-
sio uteri gravidi. Aber auch bei der Retroversion der nicht schwan-
geren Gebärmutter zieht, resp. drückt die dann hoch und vorne stehende
Cervix auf die Urethra und veranlasst häufigen Urindrang.
I. Blldungsfehler.
Von der 10. Foetal- Woche ab tritt das zwischen Blase und Geschlechtsstrang
befindliche Septiim tiefer, und mit diesem Herabwachsen des Septums wird auch die
Blasenöffnung, die Ausmündung der Allantois in den sinus urogenitalis zu der spä-
teren Urethra ausgezogen. Je nachdem nun dieser Vorgang eine Hemmung erfährt,
werden sich viele Missbildungen der Urethra erklären. Die weibliche Harnröhre
selbst entspricht beim Manne dem Theil der Urethra, der zwischen Orificium inter-
num und der Einmündungsstelle der ductus ejaculatorii liegt. Dieser Abschnitt der
Harnröhre ist eng mit der Entwicklung der Harnblase verbunden und wird durch
das Hinaufrücken der Uretermündungen gebildet (Nagel).
Ausser 1. dem vollständigen Mangel der Harnröhre mit der oberen
Oeffnung der Urachusmündung am Nabel sind zuvörderst die ebenfalls sehr seltenen,
der Hypospadie und Epispadie beim Manne entsprechenden Bildungshemmungen zu
erwähnen.
2. Bei der Hypospadie ist, soweit es die Literatur ausweist, der Defect
der unteren Urethralwand nie soweit ausgedehnt, dass durch ihn auch der Sphincter
vesicae gespalten wird. Gewöhnlich ist hierbei auch die Coutinenz der Blase
erhalten, und ein operatives Einschreiten wird meist erst dann erforderlich, wenn
wie in dem Falle von Lebedeff infolge Eindringens des Penis in die Blase spon-
taner Urinabgang eintritt, während vorher der aus der Vagina entleerte Urin —
bei bestehender Continentia vesicae — die Aufmerksamkeit der Frau nicht erregt
hatte. Vielleicht beruht übrigens auch auf diesem Umstände der Symptomlosigkeit
die ausserordentliche Seltenheit der Beobachtung, Doch gibt es auch einige Fälle,
wo selbst ohne Affection des Sphincter bei Hypospadie eine Incoutinenz vorhanden
ist. Bitner führt diese Incontinenz auf die Entwicklung und Contractionsfähigkeit des
Muse, bulbocavernosus zurück. Er empfiehlt daher die unmittelbare Vereinigung,
auch bei Hypospadie ohne Incontinenz, da letztere sich unter dem Einfluss von
Schädlichkeiten (Coitus, Masturbatio) leicht entwickeln kann.
Therapie. Nach der Beschaffenheit des Defectes richtet sich die Ausführung
der Operation. Lebedeff machte, da die vordere Urethralwand vorhanden war,
durch Anfrischuug und Naht aus der Ilalbrinue ein geschlossenes Bohr. Schkoedek
848 URETHRÄ-KRANKHEITEN DES WEIBES.
und Pawlik verkleinerten, je nachdem die Oeffnung in der Blase dieselbe durch seit-
liche Excision keilförmiger Stückchen und suchten durch allmähliches Ausziehen der
hintern Blasenwand eine Art Harnröhre zu schaffen. Beide xiutoren gingen von der
Ansicht aus, dass zur Herstellung einer normalen Continenz ausser einem functions-
lahigen Sphincter auch eine möglichst fest aneinanderliegende Harnröhre gehöre.:
3. Häufiger wird die Epispadie beobachtet. Fälle, bei denen nur das
untere Viertel, resp. Drittel der Harnröhre nach oben geöffnet ist, verlaufen symp-
tomlos. Ich sah einen solchen einschlägigen in der SÄNGER'schen Klinik, wo die
Patientin wegen congenitaler Atresie der Scheide Hilfe gesucht hatte. Bei tiefer-
gehenden Defecten der Urethra tritt In continenz ein. Schroeder frischte zur
Heilung solcher Epispadieen längsoval an und bildete durch die Naht so eine neue
vordere Urethral wand. In seinen 4 Fällen erreichte er, dass der Urin wenigstens
für Stunden zurückgehalten werden konnte.
Gleichen Erfolg hatte Aujffret bei einem 19jährigen Mädchen. Die Harnröhre
bestand nur aus einem 10 — 12 mm langen linearen Spalt, nur die untere Lippe der
Urethralmündung war erkennbar und darüber bildete die Schleimhaut eine rothe vor-;
springende Partie. Wegen der gleichzeitigen Incontinenz bildete Auffret aus den
seitlichen oberen Partien der kleinen und grossen Labien zwei dreieckige Lappen,
die er vernähte.
Nöthigenfalls sind auch mehrere aufeinanderfolgende Plastiken zu machen, um
eine möglichst functionsfähige Harnröhre herzustellen. So bildete Himmelfarb
zuerst ein Orificium extern, und den vordem Theil der Urethra, Dann mitteist eines
Vaginalschleimhautstückes aus der Nähe des Blasenhalses, den obern Theil. Zuletzt
wurde durch Excision eines Kegelmantels an der vordem Umrandung der Harnröhre
diese mehr abgebogen und das Orific. extern, mehr nach oben verlegt.
Sind bei den Epispadien der Urethra zugleich tiefer gehende Bauchspalten
vorhanden, so findet dieselbe chirurgische Behandlung statt, wie sie für die Opera-
tionen beim männlichen Geschlecht maassgebend sind.
4. Eine Duplicität der weiblichen Harnröhre ist 2 mal beobachtet
worden. Fürst fand eine solche an der Leiche, wo 0'3 cm hinter dem orificium extern,
ureth. die Harnröhre gabiig durch ein feines Septum getheilt wurde. Schauta sah
diese Hemmungsbildung in vivo. Die Urethra besass 2 Mündungen. Die zweite führte
9 mm höher als die normale in das Vestibulum.
5. Der Vollständigkeit wegen möchte ich noch den Fall von SiMOisr hier an-
führen, wo eine doppelte Vagina beiderseits in die stark erweiterte Urethra ein-
mündete. Die bestehende Incontinenz wurde dadurch gehoben, dass die dicht dem Rectum
anliegende Blase vom Darm abgelöst wurde und beide Vaginen zu einer vereinigt
wurden.
6. Die Atresia ureth rae — von dem Defecte der Urethra wohl zu
unterscheiden — ist wohl in der Mehrzahl aller Fälle auf entzündliche, intra-
uterine Vorgänge zurückzuführen. Die Atresie kann sich auf den oberen oder unteren
Abschnitt beschränken, aber auch die ganze Länge der Harnröhre einnehmen. Diese
Früchte werden entweder todt geboren oder sterben bald nach der Geburt, wenn
sich nicht ausnahmsweise noch in utero der Urachus geöffnet hat, und von hier aus
die Urinentleerung erfolgt. In der Literatur sind 2 Fälle bekannt, wo dadurch,
dass in der Ptichtung der nicht vorhandenen Urethra ein Troikart bis in die Blase
gestossen wurde und dieser Kanal wegsam erhalten wurde, die Operation insoweit
glückte, dass der Urin durch denselben abfloss. Ueber eine spätere Continenz der
Blase verlautet nichts. Die Fälle stammen aus dem 16. Jahrhundert, resp. aus
dem Jahre 1868.
II. Veränderungen des Lumens.
Abgesehen von Knickungen nach der Geburt oder bei stark ausgebildeter
Cystokele vaginalis, sowie Retroversio uteri gravidi kann die Urethra auch durch die ver-
schiedenen Tumoren in der Nachbarschaft dislocirt, resp. verlegt werden. Eine
URETHRA-KRANKHEITEN DES WEIBES.
^49
Knickung, die durcli den Katheter wieder ausgeglichen werden inusste, sali ich auch
einmal infolge einer Scheidentaraponade eintreten. Doch wichtiger als diese Vorgänge
ganz secundärer Natur sind
1. die Dilatation: a) Eine allgemeine gleichmässigc Erweiterung des
Urethrallumens findet man ziemlich häufig iin Alter als Zeichen der Altersatrophie
und bei Frauen, welche viel und schnell hintereinander geboren haben. Das Puerperium
wurde nicht schonend ausgehalten und ebenso wie die Vagina sind auch die Urethral-
wände schlaff. Das Orificium ist weit geöffnet. In der grüssten Mehrzahl macht
diese Erweiterung keine Störungen, da der Sphincter vesicae seine Schlussfähigkeit
behalten hat. Dieses geschieht auch, wenn infolge einer Atresie oder hochgradiger
Stenose der Vagina unbeabsichtigt die Urethra zum Coitus gemissbraucht wurde.
Eine Thatsache, die häufig in der Literatur mitgetheilt wird. Incontinentia urinae
tritt meist nur dann auf, wenn durch den I'enis der Sphincter lädirt oder gedehnt wird.
Sonst wird nur vorübergehend Dys- oder Strangurie beobachtet. Einen einschlägigen
Fall konnte ich vor kurzem beobachten. Die 4^/2 Jahre verheiratete Frau
bekam plötzlich Urinbeschwerden. Diesetwegen und, weil sie keine Kinder hatte,
suchte sie Hilfe. Das Orificium extern, ureth. klaffte als ein 2 cm langer Spalt
weit auseinander. Die Harnröhre war gewissermaassen nach vorne vorgezogen und
die hintere Wand hing sackförmig zum Introitus vaginae herab. Letztere, nur durch
einen sehr niedrigen Damm vom Anus getrennt, lag nach hinten zu und hatte ein
ein starres, ringförmiges für den Zeigefinger schwer durchgängiges Hymen. Als ich
die Eheleute auf die Anomalie im Geschlechtsverkehr aufmerksam machte und ihnen
die Therapie vorschlug wurde dieselbe von Seiten des Mannes mit den Worten ver-
weigert: „Es geht ja auch so!"
In letzter Zeit wurde von Bakee ein Fall von urethraler Incontinenz und
abnormer Weite der Harnröhre congenitalen Ursprungs beschrieben. Die Ur-
sache sucht er in mangelhafter Entwicklung bei Trennung der Harnwege von der
Vagina im Sinus urogenitalis. Das Bindegewebe war rareficirt, so dass das Septum
urethro-vaginale in dünn erschien, wie sonst die Vaginalschleimhaut allein. Ziemlich
derselbe Befund war in meinem Falle und deshalb scheint es mir nicht ganz sicher,
dass diese Dilatation wirklich rein congenitalen Ursprungs war.
Gegen die Incontinenz kann man zuerst Massage und Elektricität des Sphincter
versuchen. Sonst muss operativ eingeschritten werden. Je nach Ausbildung der
Dilatation ist die einfache Verengerung der Harnröhre angezeigt durch mehr weniger
ausgedehnte Keilexcision mit oder ohne Schonung der Urethralschleimhaut. Auch
aus dem Sphincter und der Blase sind zur Heilung der Incontinenz Stücke excidirt
worden (B. S. Schulze).
Gersuny präparirte die Urethra frei, drehte sie, um spiralige Längsfalten zu
erzeugen bis 1^4 um die Längsachse und nähte den Urethralcanal in dieser neuen
Lage wieder ein.
1. Das Paradigma einer partiellen Dilatation ist die Urethrocele,
das Diverticulum urethrae, und besteht in der sackartigen Ausbuchtung eines
Theiles der hintern Urethralwand nach der Scheide zu. Als ätiologische Momente
werden einmal starke Phlebectasien der Urethralmündung angegeben, wodurch die
Harnröhre dicht am Orificium ausgezerrt und erschlafft wurde, dann Verletzungen
durch Geburten, indem entvr'eder bei intact bleibender Vaginalwaud nui* die Urethra-
schleimhaut zerreist (Piedpeemier), oder ein Theil der Muscularis durcli
Quetschung gelähmt wird (Heyder). Auch durch festgeklemmte Steinpartikel wurde
infolge ihres Wachsthums die Entstehung eines Divertikels beobachtet, ebenso wie
ein Scheidenfibrom eine Urethrocele nach sich zog.
Für die Diagnose bestimmend ist, dass sich eine von normaler Scheiden-
schleimhaut bekleidete Geschwulst durch Fingerdruck entleeren lässt, indem der
mehr weniger blutige oder mit Eiter vermengte Urin aus dem Orificium ureth.
herausspritzt und man bei genauerer Palpation auch eine Art von Bruclmng Inder
Urethra findet, resp. dass man mit dem Katheter in den Sack gelangt.
Bibl. med. Wiessenschaften I. Geburtshilfe und Gynaekologie ö*
850 ÜRETHRA-KRANKHEITEN DES WEIBES.
Die einfachste Therapie ist die vom Sänger ausgeführte Operation. Ohne
Verletzung des Sackes wurde genau wie bei Kolporrhaphia anterior ein
ovales Stück Scheidenschleimhaut excidirt, doch so, dass die Auffrischung überall die
Sackgrenze breit überragte. Dann wurde die Wunde wieder vernäht.
2, Stenosen: Von einigen englischen und französischen Autoren werden
auch congenitale Verengerungen der Urethra angenommen. Gewöhnlich werden
sie nach Verletzungen bei schweren Geburten beobachtet oder sie sind als Stricturen
meistentheils gonorrhoischen Ursprungs. In 2 Fällen ist von Otis gichtische Diathese
als Aetiologie angeführt, indem durch den Reiz dieses anomalen Harnes an einer
Stelle eine schleichende Entzündung mit nachfolgender Strictur entstand. Ebenfalls
sehr selten sind sie Folge von Syphilis oder von Lupus, während sie wiederum
öfter entstehen, wenn durch langjährig bestehende Vesico-Vaginalfisteln die Urethra
ausser Thätigkeit gesetzt wurde.
LouBEAu gibt einen Fall bekannt, wo eine hochgradige Narbenstrictur hervor-
gerufen wurde durch die frühere Operation eines Harnröhrenpolypen mit nachfolgen-
der Kauterisation. Ueberhaupt ist in letzter Zeit den Harnröhrenstricturen
mehr Aufmerksamkeit geschenkt worden. Die Symptome derselben, welche ganz
denen bei Stricturen der männlichen Harnröhre analog sind, wurden beim Weibe
auf Reizungen der Blase zurückgeführt. Schmerzen beim Uriniren, Brennen, Harn-
drang, gelegentlich bemerkte geringere Abgänge von Blut und Eiter Hessen einen
Blasenstein argwöhnen. Dass aber alle diese Erscheinungen von dem Bestehen einer
Harnröhrenstrictur abhängen, beweist deren völliges Schwinden nach der Behandlung
der Strictur. Die Therapie besteht wie beim Manne in allmählicher Dilatation.
3. Den Prolaps der Urethralschleimhaut können wir ebenfalls als eine
Anomalie des Lumens ansehen. Er kommt bei Kindern und Greisinnen am häufigsten
vor und stellt sich als eine mehr weniger grosse, rothe, rosettenartig über dem introitus
vaginae liegende Geschwulst dar. Ist der Prolaps nur ein partieller, so
sieht man die Harnröhrenraündung als eine d eilen artige Einbuchtung, welche bei
totalem Prolaps meist fehlt, besonders, wenn Entzündungserscheinungen an der
prolabirten Schleimhaut aufgetreten sind. Misslingen Repositionsversuche mit dem
Finger, so wird die Diagnose erst dann gesichert, wenn man mit dem Katheter
in die Blase gelangen kann. Aetiologisch wirkt bei Kindern der trichterförmige
Uebergang der Blase in die Urethra mit, bei alten Frauen löst sich die Mucosa
infolge der senilen Gewebsatrophie von der Unterlage ab. Ferner begünstigen poly-
pöse Wucherungen durch ihren Zug die Entstehung. Ich sah einen solchen Fall,
wo bei starkem Husten plötzlich aus der Harnröhre „etwas" herausgeschleudert
worden sein soll. Es befand sich ein bohnengrosser Polyp vor dem Orificium. Dieser
hatte ein circa 2 cm langes Stück der hintern Urethralwand mit hervorgewölbt. Nach
Abtragung des Tumors zog sich der Prolaps innerhalb einiger Tage spontan zurück
und ist nicht recidivirt.
Die Therapie des urethralen Prolapses richtet sich nach der Aetiologie, seinem
Bestehen und den Veränderungen infolge des letzteren. Ist die Mucosa lädirt, so
müssen die Excoriationen etc. etc. vor der Reposition erst geheilt werden. Dann
wird eventuell nach Excision von Stücken aus der Mucosa diese reponirt und
uöthigenfalls auch das Orificium extern, resp. die ganze Urethra nach Bedarf ver-
kleinert, um die reponirte Schleimhaut auch dauernd in situ zurückzuhalten. Gelingt
die Reposition nicht, so muss der ganze Prolaps abgetragen werden.
III. Urethritis.
Von den Entzündungen der weiblichen Harnröhre wird am häufigsten beobachtet.
1. die Urethritis gonorrhoica. (S. Artikel: ,, Gonorrhoe der weiblichen
Genitalien'^.
2. als Folge- und Begleiterscheinung von acuten Infectionskrankheiten,
wie Masern, Scharlach, Diphtherie, Typhus.
3. Durch Masturbation.
URETHRA-KRANKIIEITEN DES WEIBES. 851
4. als Folge von Entzünduiigsvorgängcn benachbarter Organe, in
erster Linie bei Krankheiten der Blase und Niere, wenn eitriger, animoniakalischer
oder an Harnsalzen reicher Urin durcli die Harnröhre al)fliesst. In diesen Fällen
bildet sich auch ebenso wie bei Gonorrhoe und den naclihor zu beschreibenden Ca-
runkeln eine Periurethritis aus, welche dem ganzen Verlauf der Urethra entlang geht
und diese als einen starren, oftmals sehr schmerzhaften Strang von der Vagina aus
palpiren lässt.
Die Therapie richtet sich nach der Actiologie.
5. Syphilitische, tuberkulöse, lupöse Geschwüre und das von Landau
beschriebene Ulcus rodens, das wahrscheinlich auch luetischen Ursprungs ist.
IV. Fremdkörper in der Urethra.
1. Urethralsteine. In den letzten Jahren wird das Vorkommen von Con-
crementen in der Harnröhre öfter mitgetheilt. Die Bildung derselben wird wahr-
scheinlich durch das Bestehen der sinuösen Krypten, die fälschlich als Drüsen
beschrieben worden sind (Loumeau), begünstigt. Nach Girand entstehen sie auch
dadurch, dass sich in einem Divertikel (Urethrocele) Harnconcremente nieder-
schlagen oder dass Steinbildung am Neoplasma eintritt. (Winckel),
2. Von aussen hineingelangte und steckengebliebene Fremdkörper sind
theils zu therapeutischen Zwecken, theils zur Ausübung der Onanie eingeführte In-
strumente oder Gegenstände. Sie bringen dieselben Eeizerscheinungen hervor, wie
Fremdkörper in der Blase und geben auch Veranlassung zur Bildung von Urethral-
steinen. Katheterstücke, Nadeln, Steinpartikel, Theile eines Strohhalmes etc. etc.
sind aus der Urethra entfernt worden.
3. Leicht erklärlich ist das Steckenbleiben von Fremdkörpern, die aus dem
Innern des Körpers durch die Urethra hindurch ihren Weg nach aussen nehmen
wollen. Nieren und Blasenconcremente, auch losgelöste Stücke eines Blasenpapilloms,
ebenso Knochenstücke, Haare etc. von einem nach der Blase durchgebrochenen
Fruchtsack, resp. einer Dermoidcyste.
Die Diagnose ist durch die bequeme Abtastung der weiblichen Urethra per
vaginam sehr erleichtert.
Die Entfernung wird man zuerst mit passenden Greifinstrumenten, Korn
7;ange und Pincette, versuchen, nöthigenfalls nach vorausgeschickter Dilatation der
Harnröhre. Die ControUirung des Sitzes vom Fremdkörper und des in die Urethra
eingeführten Instrumentes von der Scheide aus erleichtert solche Manipulationen
natürlich sehr. Nach erfolglosen Versuchen dieser Art führt die Eröffnung der
Urethra von der Vagina aus bestimmt zum Ziel. Jedenfalls ist besonders nach Ent-
fernung eines Urethrasteines die Exploration der Blase indicirt, um sich zu ver-
gewissern, ob nicht darin ebenfalls noch ein Concrement vorhanden ist.
V. Verletzungen der Urethra.
Directe Verletzungen von aussen her durch Sturz oder Fall kommen bei der
versteckten Lage der Harnröhre selten zur Beobachtung. In der Literatur konnte
ich nur 3 finden. Borakowski sah bei einer Gravida durch Sturz auf ein Ge-
länder die Urethra von ihrer Anheftung an der Symphyse losgerissen, KLEixvrÄCHTER
einen Fall, wo Verletzungen der Urethra durch Strohhalme zustande kamen, indem
die Frau auf eine Garbe fiel. Neugebauer beschreibt einen Fall, wo es ausser
anderen Verletzungen zum Abreissen der Urethra vom Schambogen kam.
Bei stürmischen Coitusversuchen, besonders wenn der Introitus vaginae durch
irgend eine Anomalie nicht zugänglich ist, können ebenfalls Verletzungen entstehen.
Tessipow erzählte einen einschlägigen Fall, wo der berauschte Gatte in der Braut-
nacht einen 2 cm langen Riss der Urethra zustande brachte.
Am häufigsten werden aber Verletzungen der Harnröhre durch, resp. nach
schweren und besonders nach instrumeutellen Entbindungen beobachtet. Sie äussern
852 URETHRA-KEANKHEITEN DES WEIBES.
sich dann als mehr weniger ausgedehnte Urethrovaginalfisteln, resp. als Vesico-urethro-
vaginalfisteln. Es kann dabei auch die Urethra am Blasenhalse abgerissen werden
(Bunge).
Falls der Sphiucter vesicae nicht in Mitleidenschaft gezogen ist, bestehen die
Störungen nicht in Incontinentia urinae, sondern mehr dadurch, dass der Urin nicht
mehr im Strahl entleert wird. Er spritzt dann allerseits aus der Vagina heraus, so
dass die betreffende Frau die Flüssigkeit nicht abfangen kann und an den Schenkeln
und Unterkleidern benässt wird.
Einfache Verletzungen, welche nur in einem Kiss bestehen, sollen sofort genäht
werden. Später bedarf es ausgedehnter, plastischer Operationen.
VI. Neiibikluiigen der Urethra.
Die Neubildungen an der Urethra kommen häufiger beim Weibe vor, als beim
Manne.
1. Condylome. Als häutiges Vorkommnis bei Gonorrhoe entstehen sie durch
die Reizwirkung des gonorrhoischen Secretes besonders um die Urethralöftnung herum
und wachsen auch theilweise in diese hinein. Je reinlicher das betreffende Individuum
seine äusseren Genitalien hält, um so geringer ist die Entwicklung der kleinen,
bald gestielt, bald auch mehr breit aufsitzenden, nicht schmerzhaften Wucherungen.
Ihre beste Behandlung geschieht mit der Scheere und Betupfung der kleinen Wund-
fläche mit dem Argentumstift. Manchmal kommen allerdings besonders an der
Urethralmündung nach der Abtragung verhältnismässig stärkere Blutungen vor. Mit
einer Umstechung wäre derselben sofort abzuhelfen. Doch stehen sie auch auf Com-
pressiou mit einem Wattebausch. Man lässt diesen von den Patienten dadurch
selbst andrücken, dass sie ein Bein über das andere schlagen.
2. Für den Praktiker besonders wichtig sind die Gar unk ein, welche nach
den spitzen Condylomen wohl die häufigsten Neubildungen der Urethra nnd am
Orificium sind, Sie bestehen aus kleinen, weichen, hochrothen Excrescenzenzen —
ausnahmsweise bis zur Dicke eines Daumens - — , sie sitzen öfters dicht gedrängt
breitbasig an der Urethralmündung und ragen auch zuweilen ziemlich weit aus der-
selben hervor. Ihrer Form und dem Aussehen nach möchte man sie dann mit an-
gerissenen Himmbeeren verglichen. Infolge ihres Gefässreichthums bluten die Ca-
runlieln ziemlich leicht, neigen bald zur Ehagadenbildung und sind, besonders wenn
der Urin über sie wegfliesst, ausserordentlich schmerzhaft. Einige Male beobachtete
ich auch eine enorm starke Secretion, wegen welcher gerade die Patientinnen Hilfe
suchten. Sie glaubten an Leukorrhoe zu leiden. Es waren das Frauen in den vierziger
Jahren. In diesem Alter ist auch das Vorkommen der Carunkeln am häufigsten.
Betreffs der Aetiologie ist nichts Bestimmtes zu verzeichnen. In ihrem anato-
mischen Bau unterscheiden sie sich von den Teleangiectasien, dass die Gefässe keine
verdickte Wandung besitzen und auch nicht ectatisch sind (Klein wächtee). In
einzelnen Fällen wuchern die Carunkeln bis tief in die Urethra hinein. Ich
sah zweimal eine fingerdicke, kolbige, harte Schwellung des äusseren Theiles
der Urethra dabei, so dass anfangs an eine maligne Neubildung gedacht wurde und
zur Sicherung der Diagnose das Mikroskop befragt werden musste. Excision und
Paquelin helfen am schnellsten und sichersten. Einmal gelang es mir auch, da jeder
Eingriff verweigert wurde, durch Aetzungen mit reiner Carbolsäure, die im Gegensatz
zu Argent. nitr. hier fast schmerzlos wirkt, der Neubildung Herr zu werden. Wenn
sie vereinzelt und gestielt auftreten, so machen sie den Eindruck kleiner Po-
lypen. Ihre Grundmasse besteht aus weichem Schleim- oder Bindegewebe mit nur
vereinzelten Drüsen. In der grössten Mehrzahl der Fälle sind sie symptomlos, doch
erzeugen sie auch nach allen Eichtungen hin ausstrahlende Schmerzen, welche, wenn
sie durch Berührung exacerbiren, sogar Vaginismus vortäuschen können. Mit einem
Scheerenschlag sind sie. entfernt.
3. Die Varicec, Haemorrhoiden, deren Aussehen demjenigen an anderen
Organen entspricht, sind dadurch wichtig, dass sie beim Katheterisiren zu heftigen
UTEEüS. 853
Blutungen Veranlassung geben und, falls ihr Sitz sich innerhalb der Urethra befindet,
eine Blasenblutung vortäuschen können. Winckel beschreibt einen Fall, wo ein
Varix beim Heben einer Last si^ontan barst; ohne dass die ihn überziehende Schleim-
haut mit zerriss. Es entstand durch die Blutung in das Gewebe eine .haselnuss-
grosse Geschwulst, ein Haematoma polyposum urethrae.
Auch Angiome, Teleangiectasien sind am Orificium externum beobachtet worden.
Die Therapie besteht in Umstechung, Paquelin, Thermokauter, Abbindung. Bei
Blutungen eines in der Urethra befindlichen Varix kann man auch von der Vagina
aus Compression anwenden.
4. Fibrome, Fibromyome, Papillome kommen nur vereinzelt hier vor
ebenso ist nur einmal ein Myxadenom beschrieben worden. Die Therapie besteht
in der Abtragung, eventuell mit nachheriger Vernähung des Mutterbodens.
5. Lupus und Tuberkulose, vergl. Artikel „Tuberkulose der iveihlichen
{jrenitaUen''^ .
6. Maligne Neubildungen.
a) Carcinom. Man muss zwischen urethralen und periurethralen
Carcinomen unterscheiden. Letztere sind zu den Vulvacarcinomen zu rechnen (Dietzer,
Veit) und gemäss ihrer Entwicklung in 3 Stadien zu theilen. Im ersten dringt der
Krebsknoten im periurethralen Gewebe nicht über die halbe Länge der Hai-nröhre
in die Tiefe; im zweiten erreicht die Geschwulst die Beckenfascie und den Blasen-
hals; und im dritten werden Symphyse und Schambeinäste überschritten. Das
dritte Stadium ist nicht mehr operabel.
Das Vorkommen eines primären urethralen Carcinoms ist kaum in einem
Dutzend der Fälle sicher gestellt. Das Alter der Patienten war stets ein ziemlich
hohes, meist sind 60-ger Jahre angegeben. Das Carcinom nimmt seinen Anfang im
Urethralgewebe an der Mündung der Urethra als rundlicher, harter Knoten, der
weiterhin rings die ganze Harnröhrenschleimhaut ergreift und sich gewöhnlich nach
vorne stärker entwickelt. Die Ausbreitung scheint meistens langsam vor sich zu
gehen.
Die Therapie besteht in möglichst weitgehender Exstirpatiou, nöthigenfalls
mit Zuhilfenahme der Symphyseotomie (Zweifel). Muss die ganze Harnröhre ent-
fernt werden, so ist nachher die Anlegung einer Blasenbauchdeckenfistel, am besten
einer extraperitonealen, nothwendig.
h) Sarcom. Es sind bisher nur 2 einschlägige Fälle beobachtet worden.
■Der erste von Beigel war ein wallnussgrosser, aus 3 Lappen bestehender Tumor,
der vor dem äusseren Saume der Urethralmündung sass. Ob er nach der Exstir-
pation recidivirte, ist nicht angegeben. Der von Eheendorfer operirte Fall war
bis zur 4. Woche recidivfrei. Die Geschwulst bestand aus mehreren, lebhaft in-
jicirten, theils rundlichen, theils hahnenk ammartigen Wülsten. Das Ganze hing an
einem Stiel, der durch die ganze Umrandung der Harnröhre gebildet wurde. Die
Geschwulst secernirte stark und neigte besonders durch die Cohabitation zu Blu-
tungen. Die Therapie bestand in der Exstirpatiou und darauffolgender Vernähung
der Urethralmucosa mit der vulvären Schleimhaut. bodeiststetn'.
UtßrUS. Uterus (die Gebärmutter, Mutter oder FrucUhalter) nimmt den
oberen Theil des kleinen Beckens ein und liat die Gestalt einer Birne, deren
Vorderfläclie abgeplattet und deren Seitenflächen in 2 stumpfwinklige Kanten
verändert sind. Die Länge des Uterus beträgt bei erwachsenen, niclit graviden
Frauen 50 — 70 mm, seine Dicke im Bereiche des Körpers 18 — 30 mm.
Bezüglich aller jener Bezeichnungen, welche die Anatomie den einzelnen
Theilen der Gebärmutter zuerkannt hat, sei auf die Einleitung zu diesem
Bande verwiesen (pag. 4 — 6). Der Uterus entsteht aus dem oberen Antheile
jenes Schlauches, der durch die Vereinigung der MüLLER'schen Gänge ent-
standen ist. Von dieser Zeit an erfährt der Uterus bis zur Zeit der Pubertät
eine allmähliche Veränderung seiner. Gestalt und Form, die gleichzeitig mit
854 . UTERUS.
seinem Wachsthume einliergeht. Im 3. Monate der Gravidität zeigt die
foetale Gebärmutter bereits die Differenzirung eines Halses und Körpers.
Im frühesten Kindesalter besteht der Gebärmutterkörper aus den vereinigten,
trichterförmig erweiterten uterinen Tubenantheilen. Er zeigt eine von vorne
nach hinten abgeplattete Höhle von beinahe dreieckiger Form. Ein Fundus
ist noch nicht ausgebildet, dagegen sieht man in der Mittellinie eine Ein-
kerbung, welche auf das foetale, bicorne Stadium hindeutet. Erst ungefähr
um das 15. Lebensjahr bildet sich der eigentliche Fundus, die Gebärmutter
hat die Zeit ihrer Functionsfähigkeit erreicht.
Die Histologie liefert uns von dem ausgebildeten, nicht graviden
Uterus folgende Beschreibung: Die Uterussubstanz ist eine compacte Gewebs-
masse, die einer Durchflechtung von Muskelbalken und Bindegewebe ihre
Festigkeit verdankt. In Schnitten findet man Längs-, Quer- und Schrägschnitte
von Muskelbündel, welche durch lockeres, zahlreiche Gefässdurchschnitte ent-
haltendes Bindegewebe getrennt sind. Man unterscheidet 3 Muskellagen,
eine innere mit circulär-, eine mittlere mit longitudinal- und eine äussere
mit unregelmässig verlaufenden Fasern.
Die Schleimhaut des Uteruskörpers besitzt innerhalb eines Grundgewebes
zahlreiche geschlängelte Drüsenschläuche, welche von einem Flimmerepithel
ausgekleidet sind. In der Cervix bildet die Schleimhaut Falten und enthält
schlauchförmige, mit Cylinderepithel ausgekleidete Schleimdrüsen. Die untersten
Theile der Cervix tragen ein geschichtetes Pflasterepithel.
Die Gefässe der Schleimhaut sind zahlreich und bilden dichte Capil-
laren- und Venennetze. Grössere Stämme finden sich in den äusseren und
mittleren Muskellagen. Die Nervenverzweigungen sind in den Muskulatur
leicht zu verfolgen, ihre Endigungen in der Mucosa sind unbekannt.
Die Bildungsanomalien des Uterus lassen sich in folgendes
Schema bringen:
Die MüLLER'schen Gänge:
a) fehlen vollständig (vollständiger Mangel des Uterus),
b) sind frühzeitig atrophirt (Rudimentäre Bildung des Uterus),
c) auf einer Seite fehlend oder unvollständig ausgebildet {Uterus uni-
cornis),
d) sind gar nicht oder mangelhaft mit einander vereint und zwar:
a) gar nicht mit einander verschmolzen {Uterus duplex separatus
s. didelphys.)
ß) nur in ihrem unter Antheil verbunden {Uterus Ucornis),
7) mit einander verschmolzen, aber die Scheidewand erhalten
{Uterus septus).
Ausführlich sind die Entwicklungstörungen des Uterus in dem Artikel
„ Bildung sanomidien der weiblichen Sexualorgane" {pag. 101) abgehandelt,
während ihre Bedeutung als Schwangerschafts- und Gehurtscomplication in
dem letztgenannten Titel tragenden Aufsatz beschrieben ist.
Die Atrophie des Uterus kann zunächst eine primäre i. e. an-
geborene sein, der Uterus bleibt in jener Form und Gestalt bestehen, welche
er vor der Zeit der Pubertätsperiode besessen. Dieser Uterus infantilis ist
durch das Missverhältnis zwischen Corpus und Cervix charakterisirt, indem
ersterer nur ein Drittel der gesammten Länge beträgt und seine Wand
schwach entwickelt st, während der Cervix eine dicke Muscularis besitzt.
Infantil ist wohl auch jene Uterusform, die man bei Chlorose findet; die zur
Zeit des Pubertätsalters erwartete Entwicklung bleibt aus. Die senile Atrophie
ist eine Theilerscheinung jenes regressiven Processes, der die weiblichen
Genitalien zur Zeit der Menopause befällt. Der Uterus ist klein, schlaff, die
Wände dünn, die Vaginalportion fast vollkommen verschwunden. Eine weitere
Form der Atrophie ist die puerperale, indem eine weitgehende Rückbildung
UTERUS. ßoo
(fettige Degeneration) der Muskelfasern stattfindet, ohne dass sich hiefür
neue Muskelfasern anbilden. Ein mehr weniger ausgesprochener Zustand der
Atrophie gehört nach Schröder zu den regelmässigen r.egleiterscheinungen
der Lactation, macht aber sofort Halt, wenn die Lactationsperiode vorüber
ist. Pathologisch wird die Atrophie erst dann, wenn sie noch weiter an-
dauert, so dass die Uteruswände schlaff und dünnwandig bleiben und zu den
mannigfachsten Beschwerden, namentlich auch psychischer Qualität, Veran-
lassung geben.
Puerperalprocesse können selbstverständlich das Zustandekommen einer
derartigen Atrophie wesentlich fördern und verschlimmern jedenfalls die
Prognose einer eventuellen Regeneration. Ein Hauptsymptom der Atrophie
ist die Amenorrhoe und sei diesbezüglich sowie auch betreffs der Therapie
auf den Artikel „Menstruation" (pag. 526) und auf den Aufsatz „Sterilität"
(pag. 752) verwiesen.
Die Hypertrophie des Uterus in Form einer gleichmässigen
Grössenzunahme sämmtlicher Gewebsbestandtheile findet sich während der
Gravidität, bei Haematometra und bei Myomen. Eine Hyperplasie des Binde-
gewebes allein findet sich als Folgezustand von Entzündungsprocessen und
bildet das anatomische Substrat der chronischen Metritis. Aus welcher
Ursache immer ein abnormer Zufluss von Ernährungsmaterial zum Uterus-
gewebe stattfindet, sei es dass Geschwulstbildung denselben veranlasst, sei es
dass häufige Congestionen (active Hyperaemien) oder Stauungszustände die
Ursache hiefür abgeben, immer ist die Folge diffuse Bindegewebswucherung
und hiedurch allgemeine Volumenzunahme des Uterus (Hyperplasie bei Mere-
trices, bei Coitus reservatus, bei Prolaps und Lageveränderungen, bei Herz-
und Lungenleiden). Klinisch lässt sich der durch die Hypertrophie bedingte
Zustand von jenem durch chronische Entzündung veranlassten kaum unter-
scheiden.
Hypertrophie der Cervix betrifft entweder nur die Vaginalportion,
oder auch die beiden oberen Antheile der Cervix. Letztere ist nur secundär
durch Vaginalprolaps bedingt (v. ,,ProIa/ps'' mit der zugehörigen Figuren pag. 682)
Die Hypertrophie der Portio vaginalis, gleichmässige abnorme
Verdickung und Verlängerung der Vaginalportion („penisartig") kommt merk-
würdiger Weise bei Nulliparen vor und wird aetiologisch auf den Reiz ona-
nistischer Proceduren, ebenso wie die Hypertrophie der Clitoris und Nymphen,
zurückgeführt. Bezüglich der Operation dieser Anomalie vergl. „Portioope-
rationen" pag. 675.
Die Entzündungen des Uterus können das Uterusgewebe allein be-
treffen (v. „Metritis^' pag. 529), können sich ferner auf dem ganzen Schleim-
hautgebiete der Gebärmutterhöhle ausbreiten (v. „Endometritis" pag. 211)
oder sich nur auf der Schleimhaut des Cervixcanales etabliren (v. .^Cervix-
Jcatarrh'^ pag. 159). Sehr häufig pflegt der von aussen her eingedrungene
oder von der Blutbahn aus abgelagerte Entzündungsreiz Schleimhaut, Uterus-
substanz und umkleidende Hülle (Peritoneum) gleichzeitig zu ergreifen und
wir localisiren dann nur da oder dort je nach den ausgesprochendsten Symp-
tomen. Eine schwere Complication bilden die Entzündungen der Gebärmutter
bei eintretender Schwangerschaft, zumal sie oft das Eintreten derselben über-
haupt hindern oder zum Abortus Veranlassung geben (v. .^Schicangerschafts-
und Geburtscomplicationen'-^ pag. 737).
Seitdem B. S. Schultze durch unermüdliche Untersuchungen die normal
anteflectirte Lage des Uterus nachgewiesen hat, hat man auch mehr Klarheit
über die Lageveränderungen des Organes erlangt. Peritoneum und Binde-
gewebe bilden die Fixation für die normale Position des Uterus, wie dies in
dem Aufsatze „Anatomie der weihlichen Sexualorgane" (pag. 6) und in dem
Artikel „Parametritis^^ (pag. 607) genau beschrieben wurde. Lockerung dieser
856
UTERUS.
Fi". 1. Sc-lioraatisclier rrontalschnitt durch das weibliche Becken.
a, cavum peritoneale; b, cavum siibperitoneale
rectale. «, Uterus ; v, vagina ; p^ Peritoneum :
rator internus ; l a, m. levator ani.
Parametrium ; c, cavum ischio-
j p, m. ileo— psoas ; oi, m. obtu-
Fixationsmittel einerseits und exsudative oder solide Tumoren andererseits,
die sich in der Nachbarschaft oder im Uterus selbst entwickeln, bedingen die
mannigfachsten Lageveränderungen. Eine topographische Uebersicht über
das ganze Gebiet liefern beistehende Illustrationen.
Die Lage-
^"^-■^ - Veränderungen
der Gebärmut-
ter bilden als ^n-
teversio, Änte-
fiexio, Antepo-
sitio, wie als
Befroversio, Be-
troflexio, und Be-
tropositio die Ver-
anlassungzu einer
Reihe verschie-
denartiger Be^
schwerden (v.
„ Uteruslageano-
mallen" ])?ig. 860),
indem namentlich
die Retrcäexio
eine besonders
ernste Bedeutung
beim Eintreten
einer Gravidität
erlangt (v. pag.
739).
Eine selbstän-
dige Lageverän-
derung des Uterus
nach unten (;;Pro-
lapsiis et Descensus
«<feri") kommt un-
abhängig vom
Scheidenvorfall
sehr selten vor,
und ist deshalb
gem.einsam mit
diesem in den
Aufsätzen ,^Pro-
laps" (pag G80)
und „Prolaps-
operationen" (pag.
683) abgehandelt.
Da die Inversion
der Gebärmutter hauptsächlich im Anschlüsse an den Gebäract vorkommt, und
daher wesentlich geburtshilfliches, wenig gynaekologisches Interesse (Inversion
bei Myomen) besitzt, so ist die „Inversio uteri" in einem selbständigen Aufsatz
(pag. 454) abgehandelt. Die Elevation des Uterus d. h. die abnorm hohe Lage
der Gebärmutter, tritt ein, wenn eine unterhalb desselben sich entwickelnde
Geschwulst ihn hinaufdrängt oder den Adnexen und den Parametrien ange-
hörige Tumoren oder peritonitische Verwachsungen ihn in die Höhe ziehen.
Bezüglich der Häufigkeit des Vorkommens von Geschwülsten wird
der Uterus kaum von irgend einem anderen Organ übertroffen. Die Neoplas-
rig. 2. Schematischer Querschnitt durch das weibliche Becken.
u, Uterus; v, veslca; r, rectum. 1, 2, 3 Parametrane Bindegewebsspalten ;
1 Bindegewebsspalte des lig. rotundum, 2 des lig. latum, 3 des lig. saerto-uteri-
num Douglasii; 4 paravesioaler Raum.
UTEJIUS. 857
men der Gebärmutter theilt man in solclic, die von der Sclileimliaut aus-
gehen, und solche die von dem übrij^cn Gewebe ihren Ursprung- nehmen.
Zur ersten Gruppe rechnet man die Schksimhautpolypen als benigne, und die
Carcinome als maligne Neoplasmen; rück sichtlich der Malignität unbestimmt
tsind die Adenome und Papillome. Zur zweiten Gruppe gehören die P'ibromyome
und Myxome als gutartige, und die Sarkome als bösartige Geschwülste.
Die Aetiologie, die Symptomatologie, die pathologische Anatomie,
Diagnostik und Prognose der Fibromyome des Uterus sind in dem Artikel
^^Fibrom,Fibroinyome,]\Iyom" (pag. 241u. fit".) behandelt worden. Die operativen Me-
thoden zur Entfernung der Uterusmyome wurden in den beiden Aufsätzen ,^Lapa-
rohysterotomie — Laparoniyotomie" (pag. 490) und „Myotomie" (pag. 582) be-
sprochen. Inwiefern die Fibromyome Schwangerschaft und Geburt compliciren, ist
in dem Artikel „Schwangerschafts- und Geburtscomplicationen" dargestellt.
Von den Myomen getrennt werden die Cystofibrome, eine Ptcihe von
Uterusgeschwülsten, die histologisch keineswegs zusammengehören und nur
dadurch gemeinschaftlich charakterisirt sind, dass in ihrem Stroma eine An-
sammlung von Flüssigkeit stattgefunden hat.
In der Literatur finden sich unter diesem Namen zunächst Myxomyone
beschrieben, Neoplasmen, die histologisch die Beschaffenheit der Myxome dar-
bieten, ferner lymphangiectatische Myome {Fibroma lymangiectodes), die durch
pathologische Wucherungen von Lymphgefässen innerhalb des Myomgewebes
entstanden sind, endlich ursprünglich normal gebildete Fibromyome, in denen
durch degenerative Processe eine Erweichung, Verflüssigung, eine Höhlen-
oder Cystenbildung zustande gekommen. Die Symptomatologie, Diagnose, The-
rapie ist selbsverständlich wie die der Fibromyome, Wegen ihrer cystenartigen
Beschaffenheit haben sie manchmal Anlass zu Verwechslungen mit Ovarial-
kystomen gegeben.
Trotzdem es sicher nachgewiesen ist, dass die so häufigen Fibromyome
sich in Sarkome umwandeln können, sind die Uterussarkome doch relativ
selten, jedenfalls bedeutend seltener als die Myome. Ein Uterussarkom kann
sich aber auch primär als solches entwickeln und zwar ebenso wie das reine
Myom, submucös, subserös und interstitiell.
Die Sarkombildung geht gewöhnlich vom submucösen Bindegewebe der
Uterushöhle aus, indem sich unter üppiger Neubildung von kleinen Ptundzellen
eine lappige Geschwulst bildet, die gegen die Uterushöhle zu wuchert. Viel
seltener entwickeln sich Sarkome von der Portio aus; sie haben ein papilläres
Aussehen und sind durch ihre besondere Malignität und Neigung zur Recidive
ausgezeichnet. Im Laufe ihres Wachsthumes erleiden sie eine eigenthümliche
hydropische Beschaffenheit; solche Fälle von papillären hydi'opischen Cervix-
sarkomen sind von SpiEGELBEßG, Winkler, Schroeder und Kuhnert be-
schrieben worden. Eine derartige papilläre Geschwulst mit reichlicher Ent-
wicklung von Knorpelgewebe hat Thiede als Fibroma papilläre carti-
laginescens bezeichnet. Einer Statistik Güsserow's zufolge kamen von 73
Fällen, die er aus der Literatur zusammenstellen konnte, die Mehrzahl, nämlich
28 zwischen dem 40. bis 49. Lebensjahre, also zur Zeit des Klimakteriums vor.
Die Symptome, welche die Fibrosarcome hervorrufen sind dieselben wie die
der Myome (Schmerzen, Blutungen, Fluor), häufig macht erst die Recidive
darauf aufmerksam, dass es sich nicht um ein Fibrom, sondern um ein Sar-
kom handle. Diagnostisch am schwierigsten sind jene Sarkome, wo die Uterus-
substanz diffus sarkomatös degenerirt ist, also äusserlich kein distincter Tumor
nachweisbar, der Uterus nur in toto vergrössert und schwerbeweglich erscheint.
Erst wenn der Zerfall der sarkomatöseu Wucherung eintritt und ein foetöder
Ausfluss sich zeigt, wird man auf die Malignität aufmerksam. Ein diflerential-
diagnostischer Moment zwischen Fibrom und Fibrosarkom bildet immer das
Verhältnis zwischen Lebensalter und Wachsthum, d. h. ist die Geschwulst
858 UTEEÜSBLUTUNGEN.
.erst während des Klimakteriums entstanden oder macht sie während der
klimakterischen Lebensperiode besondere Fortschritte, so spricht das immer
für Sarkom, da die Fibrome sich meist früher entwickeln und während des
Klimakteriums innehalten. Bezüglich der Therapie des Uterussarkomes gelten
selbstverständlich alle jene Grundsätze, die für die Behandlung der malignen
Neubildungen überhaupt Geltung haben.
Von der Uterusschleimhaut gehen manchmal Wucherungen aus, die vor-
zugsweise aus neugebildeten Drüsen bestehen und die man daher als Adenome
bezeichnet. Sie kommen in zweierlei Formen vor, als diffuses Adenom, adeno-
matöse Degeneration der Schleimhaut, die häufig nur den Beginn einer atypi-
schen Wucherung (Carcinom) bildet oder in Form wohl ausgebildeter Poli/pen,
die aus langgestreckten, durch Bindegewebe zusammengehaltenen Drüsen-
schläuchen bestehen und zuweilen auch einen derben, fibrösen Stiel besitzen. *)
Die Diagnose des diffusen Adenoms der Schleimhaut wird hauptsächlich durch
hartnäckige, uterine Blutungen erweckt. „Stehen die Kranken in höheren
Jahren," sagt Schroeder, haben sich die Blutungen allmählich ohne nach-
weisbare Ursache entwickelt, fehlt ein stärkerer Ausfluss, so wird es umso
wahrscheinlicher, dass es sich um adenomatöse Zustände der Schleimhaut
handelt.'' Hat man durch mikroskopische Untersuchung eines mit der Curette
geholten Schleimhautstückes die Diagnose gesichert, so wird man wohl unver-
züglich an die Totalexstirpation des Uterus schreiten müssen.
Die häufigste aller Uterusneubildungen, das üteruscarcinom, ist nach
seinen 3 von Euge und Veit unterschiedenen Formen, Portio-, Cervix- und
Corjmscarcinom auf pag. 142 — 153 ausführlich besprochen.
Bezüglich der Tuberculose der Gebärmutter, sei auf den Artikel
^Tuhercidose der iveihlichen Sexualorgane (pag. 816) verwiesen.
Die Syphilis des Uterus ist selten. (Gummen an der Vaginalportion,
Endometritis und Metritis syi^hilitica). c. E.
UterUSblutungen. {Metrorrhagien). Es gibt physiologische und
pathologische Uterusblutungen. Die physiologischen haben bereits in dem
Artikel ,^ Menstruation" (v. pag. 525j ihre Besprechung gefunden, ebenda auch ihr
zu starkes, zu langes, in zu kurzen Zwischenräumen erfolgendes Auftreten,
die sogenannten Menorrhagien. Im Gegensatz zu den letzteren bezeichnet
man die zwischen zwei menstruellen Perioden auftretenden oder überhaupt
nicht oder nur auf ganz kurze Zeit aussetzenden Uterusblutungen als Metrorr-
hagien.
Die Ursache der Metrorrhagien ist meist in einer örtlichen Erkrankung,
der Sexualorgane zu suchen. In seltenen Fällen begegnen wir ihnen bei
anderweitigen Organerkrankungen, bei Herzfehlern, Morbus Brightii, Schrumpf-
niere, bei welchen es weit häufiger zu Menorrhagien kommt. Dagegen werden
sie ziemlich oft bei manchen der acuten Infectionskrankheiten, so bei Cholera,
Pocken, Scharlach, vor Allem aber bei Influenza beobachtet.
In der Mehrzahl der Fälle sind Metrorrhagien, wie schon gesagt, ein
Symptom einer Erkrankung in einem Gebiet der Sexualorgane. Wir finden
sie als ein solches bei cervicalen (sowohl Schleim- wie fibrösen) Polypen, bei
Myomen beziehungsweise Fibromyomen und zwar in erster Linie bei submuoösen
und interstitiellen, seltener bei subserösen, bei acuter, besonders aber chro-
nischer Endometritis, bei Erosionen der Portio vaginalis (hier meist nur in
Folge von Traumen, besonders beim beziehungsweise, nach dem Coitus) bei
Prolaps des Uterus, bei Adnextumoren, häufiger bei tubaren als ovariellen, bei
para- und perimetritischen Exsudaten, bei Haematocelen, vor Allem aber bei
dem Carcinom des Uterus, sowohl dem des Cervix wie dem des Corpus. Auf
*) Vgl. Artikel ^Polypen des Uterus"- pag. 674;.
UTERUSBLUTUNGEN. 859
diese verschiedenen Erkrankungen an dieser Stelle einzugehen erübrigt sich,
da sie alle in besonderen Artikeln bereits ihre Besprechung gefunden haben
und somit auf diese verwiesen werden kann.
Sollten schon bei Frauen, welche sich in dem Lebensabschnitt der Ge-
schlechtsthätigkeit befinden, Metrorrhagien stets den Verdacht auf eine Affection
der Sexualorgane erwecken, so gilt dies noch vielmehr bei solchen, welche das
Klimacteriuro. hinter sich haben, bei welchen die Menses schon seit längerer
Zeit ausgeblieben sind. Sehr häufig werden sie hier nicht nur von den Frauen
selbst, sondern auch von Aerzten für die wieder eingetretene Menstruation
angesehen. Und thatsächlich kann es sich um dieselbe handeln, worauf
Neumann (Monatsschrift für Geburtsh, und Gyn. 1895. He/t. 2 und Cen-
tralhlatt für Gyn. 1895 Nr. 3) hingewiesen hat. Selbst nach jahrelanger Pause
ist eine Wiederkehr der Menses, ja einer Conception in postklimakterischer
Zeit beobachtet worden. Man darf aber nicht vergessen, dass es sich bei der-
artigen Vorkommnissen nicht um die Regel, sondern um Ausnahmen, noch
dazu sehr seltene Ausnahmen handelt. Daher ist es unabweisbare Pflicht
des Arztes, Frauen in vorgerückterem Lebensalter, bei welchen nach längerer
Cessation der Menses uterine Blutungen eintreten, einer sorgfältigen Unter-
suchung zu unterwerfen.
Neumann (1. c.) hat ein Material von 500 Fällen postklimakterischer
Blutungen bezüglich der Aetiologie derselben gesichtet. Er fand, dass in
0,8% ein Uterusmyom oder eine Ovarialcyste, in l**/o Kolpitis senilis und senile
Veränderungen der Genitalien, in l,67o Schleimhautpolypen des Uterus, in
3,6% Carcinoma corporis uteri, in 4,87o Prolaps der Vagina oder des Uterus,
in 207o Carcinoma port. vag. uteri das ursächliche Moment abgeben. In
manchen, sonst nicht erklärlichen Fällen scheinen die Blutungen nur auf vaso-
motorischen Störungen zu beruhen.
Eine gewisse semiotische Bedeutung kommt der Art des Auftretens der
Blutungen zu. Bei Prolaps und Kolpitis senilis sind sie nur geringfügig;
meist machen sich nur Blutspuren in der Wäsche bemerklich. Manche der
an Kolpitis senilis leidenden Frauen klagen über Blutabgang nach dem ge-
wöhnlich schmerzhaftem Coitus.
Uterusmyome machen, wenn erst die Menopause eingetreten ist, in
der Regel keine Erscheinungen, da sie sich zudem meist zurückbilden, be-
ziehungsweise verkalken. In seltenen Fällen führen sie aber, nachdem die
Menses bereits seit Jahren verschwunden waren, doch noch zu Blutungen.
Diese sind meist nicht auffallende, können aber recht profus auftreten, wie
Referent in einem I'all von submucösem Myom, welches er später enucleirte,
beobachtete.
Bei Schleimhautpolypen sollen die Metrorrhagien nach Neumann periodisch
wiederkehren und manchmal recht starke sein. Referent fand sie in mehreren
Fällen im Gegentheil schwach und mit ganz kurzen Unterbrechungen von
wenigen Stunden oder Tagen auftretend.
Anhaltende, starke, die Patienten schwächende Blutungen müssen bei
Frauen, welche das Klimacterium hinter sich haben, stets den Verdacht auf
ein Uterus- carcinom erwecken und zwar, findet sich kein solches der Portio,
auf ein solches des Corpus uteri.
Um im letzteren Falle die Differentialdiagnose zwischen Myom be-
ziehungsweise Polyp des Uterus und Corpuscarcinom mit voller Sicherheit zu
stellen, empfiehlt es sich, sich nicht mit einem Probecuretiement und nach-
folgender Untersuchung entfernter Schleimhautstückchen zu begnügen, sondern
mittels (in Jodoform-Äther aufbewahrter) Laminariastifte das Cavum uteri zu
eröffnen und mit dem Finger auszutasten.
Die Behandlung der erwähnten verschiedenen Ursachen der Metrorr-
hagien findet sich in den betreffenden Artikeln besprochen. Hier sei nur noch
860 ÜTERUSLAGEANOMALIEN.
einmal betont, was leider von vielen practischen Aerzten auch heute noch
nicht als geboten erachtet wird, dass U t e ru s b 1 u t u n g e n nie sympto-
matisch behandelt werden dürfen, sondern dass man stets durch sorgfältige
Untersuchung ihre Ursache feststellen und dann diese angreifen soll.
GRAEFE
Uteruslageanomalien, in dem Capitel „Anatomie der weiblichen Ge-
schlechtsorgane'^ haben wir die normale Lage des Uterus und seine Be-
ziehungen zu den Nachbarorganen ausführlich geschildert. Anomalien in der
Lage des Uterus kommen nun bei dem Umstände, dass nirgends feste Auf-
hängebänder den Uterus unter normalen Umständen fixiren und eine Reihe
von das Zustandekommen von Lageveränderungen begünstigenden Momenten
stets vorhanden sind, ausserordentlich häufig vor. Allerdings werden zu den
Lageveränderungen der Einfachheit halber auch Zustände des Uterus gemein-
hin gerechnet, die man eigentlich im wahren Sinne des Wortes als Form-
veränderungen zu bezeichnen hätte.
Wir können die Lageveränderungen des Uterus zweckmässig ein-
th eilen in Flexionen, welche ein der Norm nicht entsprechendes
Verhältnis des Corpus uteri zum Cervix uteri bedeuten. Sie sind dem-
gemäss, wie eben erwähnt, eigentlich Formveränderungen des Uterus.
Unter normalen Verhältnissen bildet ja die Axe des Corpus und des Cervix
uteri mit einander einen nach vorne offenen, stumpfen Winkel, dessen Spitze
gegen das orificium uteri internum fällt. Entsprechend dieser normalen Flexion
sieht die vordere Fläche des Uterus zugleich auch etwas nach abwärts, während
die hintere Fläche des Uterus gleichzeitig nach oben zu gekehrt erscheint. Ist
nun dieser Anteflexionswinkel ein rechter oder gar ein spitzer, so bezeichnen
wir diesen Zustand als pathologische Anteflexio uteri. In andern Fällen
finden wir wieder, dass der Uteruskörper mit seinem Fundus nicht nach vorne
oben, sondern nach hinten unten gerichtet ist, so dass das Corpus mit dem
Cervix einen nach hinten zu geöffneten Winkel bildet — ein Zustand, den
wir alsRetroflexio uteri zu bezeichnen haben werden. Desgleichen kommen
Deviationen nach der Seite hin vor, welche den Uteruskörper allein betreffen,
bei normaler Stellung des Cervix, so dass wir dann von Lateroflexionen
und zwar speciell von Dextroflexion, wenn der Uterus nach rechts, von
Sinistroflexion, wenn der Uterus nach links gekehrt ist, sprechen
werden.
Eine andere Art der Lageveränderungen bilden die Ver s i o nen des Uterus,
bei welchen nicht blos der Uteruskörper als solcher, sondern der ganze Ute-
rus gegenüber den Nachbarorganen andere Lagebeziehungen eingeht. Während
bei Flexionen die Lage der Portio vaginalis nur wenig verändert ist, muss
dieselbe bei Versionen nach der entgegengesetzten Richtung hin ausweichen,
als der Uteruskörper sich bewegt hat. Wir werden es daher als eine Ante-
version zu bezeichnen haben, wenn der Uteruskörper nach vorne zu über-
fällt, so dass seine vordere Fläche direct abwärts sieht, während die Portio
vaginalis nach hinten zu gegen die Kreuzbeinhöhlung gerichtet erscheint.
Dabei kann bei dieser Anteversion die normale Anteflexion bestehen oder
auch aufgehoben sein, so dass dann der Uterus nahezu gestreckt verläuft.
Im anderen Falle finden wir wieder den Uterus nach hinten zu umgekippt,
so dass er mit seinem Fundus in der Kreuzbeinhöhlung oder gar im
DouGLAs'schen Räume sich befindet, während die Portio, nach der entgegen-
gesetzten Richtung ausweichend, mit dem Orificium entweder nach vorne oder,
im extremen Falle, nach vorne oben gewendet ist — Retroversio uteri.
In gleicher Weise finden wir Lateroversionen zustande kommen, wenn
der Uteruskörper nach der einen oder anderen Seite hin ausweicht, während
die Portio einer entgegengesetzten Richtung folgt.
UTERUSLAGEANOMALIEN. 861
Eine andere Lageveränderun^, oft nur einen geringeren Grad der
Yersion darstellend, bilden die Antepositio und die Ketropositio uteri,
wobei der Uterus parallel zu seiner normalen Lage entweder nach vorne
gegen die hintere Symphysenwand oder nach hinten gegen die vordere Mast-
darmwand gerückt erscheint. Erwähnen wir noch die Lageveränderung des
Uterus in der sagittalen Richtung, so müssen wir sagen, dass der Uterus
entweder seine normale Stellung in der Kichtung nach unten verändert
(Descensus uteri) oder aber, dass er in der sagittalen Ebene weiter nach
oben verrückt erscheint, als es der Norm entspricht (Elevatio uteri).
Eine ganz ausserordentlich selten vorkommende Lageveränderung des Uterus
stellt die Inversion dar, bei welcher der Uterus vollständig umgestülpt,
seine Innenfläche nach aussen gewendet erscheint. Wir wollen nun die ein-
zelnen Arten der Lageveränderungen bezüglich ihrer Aetiologie, Symp-
tomatologie und Therapie besprechen.
Die Anteflexio uteri, bei welcher der normalerweise stumpfe Winkel
zwischen der Axe des Corpus und Cervix uteri um ein Bedeutendes spitzer ge-
worden ist, kommt häufig als angeborener Zustand vor. Infolge einer mangel-
haften Entwickelung des Uterus finden Avir diesen Zustand mitunter combinirt
mit ausserordentlicher Verkleinerung des Uterus und Enge des Orificium uteri
externum mit leichter Verlängerung der Portio combinirt; ferner kommt die
spitzwinkelige Anteflexion zustande bei entzündlichen Processen, welche
sich an der vorderen Wand des Cervix, respective des serösen Ueberzuges in
der Plica vesicouterina abspielen oder schliesslich kann eine straffe Adhäsion,
welche bandartig von der Höhe des Orificium internum hinten von der rück-
wärtigen Wand des Cervix gegen das Kreuzbein oder das Rectum zieht, den
Uterus so nach vorne winkelig abknicken, dass dadurch eine spitzwinkelige
Anteflexio uteri zustande kommt. Die Erscheinungen, welche die Anteflexio
(die pathologische Anteflexio) uteri macht, sind nun zunächst, abgesehen von
vereinzelt auftretenden Druckerscheinungen von selten der Blase, der Sympto-
mencomplex der Dysmenorrhoe. In solchen Fällen, wo der Zustand ein
angeborener ist, werden wir demgemäss diese dysmenorrhoischen Beschwerden
vom ersten Erscheinen der Menstruation an vorfinden. Sie äussern sich in
häufig kolikartigen Schmerzen, welche in der Regel vor dem Beginne der
Blutung auftreten und während des Blutablaufes ein- oder das anderemal
wiederkehren. Diese Contractionen des Uterus (sie verursachen diese Koliken)
sind bedingt entweder dadurch, dass infolge der starken Abknickung das Ori-
ficium uteri internum ein Passagehindernis für das Menstualblut ist, das
sich in der Uterushöhle ansammelt, dieselbe erweitert und somit einen Reiz
für die Auslösung von Uteruscontractionen abgibt, welche die Austreibung
des angesammelten Blutes zur Folge haben.
Andere Autoren, darunter insbesondere Fritsch, behaupten jedoch, dass
diese kolikartigen Schmerzen schon zu einer Zeit auftreten, da in der Uterus-
höhle, wie eine vorgenommene Sondirung oft beweisen kann, noch kein Tropfen
Blutes angesammelt ist, daher der Schluss erlaubt ist, dass es nicht die ka-
sammelung des Blutes, sondern dass die durch die Raumbeschränkung in einem
solchen Uterus in dem durch die Menstruationscongestion bedingten An-
schwellen behinderte Schleimhaut es ist, welche den Reiz für die Auslösung
dieser wehenartigen Schmerzen abgibt. Immerhin finden wir bei der Son-
dirung manchmal infolge der Abknickung an der Stelle des Orificium uteri
internum ein wahres Passagehindernis vor, w^elches eben uns auch nebstbei
eine allerdings nur kurze Zeit andauernde Behinderung des Blutabflusses er-
klären könnte.
Eine weitere Erscheinung im Symptomencomplexe der Dysmenorrhoe ist
das häufige Vorkommen der Sterilität, bei solcher angeborener, patholo-
gischer Anteflexion. Man stellte sich in früherer Zeit in solchen Fällen von
862 UTERÜSLAGEANOMALIEN.
Sterilität stets vor, es handle sich am Orificium internum auch um ein Passage-
hindernis tür das Eindringen des Sperma virile und trachtete daher in solchen
Fällen stets, durch Erweiterung des Orificium internum dieses Hindernis für
die Conception zu beseitigen. Ferner schliesst sich an solche Fälle von Dys-
menorrhoe sehr häufig ein starker Fluor albus an, der einerseits bedingt sein
kann durch die Chlorose, mit welcher häufig derartige Entwicklungsanomalien
verbunden sind oder aber es kommt infolgeades lange andauernden Reizes,
welchem die Uterusmucosa w^ährend der Menstruationszeit und durch den be-
hinderten Abfluss des normalen Uterinsecretes ausgesetzt ist, zu einem so-
genannten Stauungskatarrhe.
Die Diagnose der Anteflexio uteri kann durch die Untersuchung leicht
gemacht werden, indem man bei der bimanuellen Untersuchung einen stär-
keren Knickungswinkel nachweisen kann. Allerdings ist diese Diagnose er-
schwert, durch den Umstand, dass wir, indem es sich um einen angeborenen
Zustand handelt, häufig genug gezwungen sein werden, die Diagnose an vir-
ginalen Individuen zu stellen, bei welchen die vaginale Untersuchung ent-
weder unmöglich oder nicht gestattet ist, so dass wir dann per rectum und
vom Abdomen aus die Untersuchung vornehmen müssen. Wäre die vaginale
Untersuchung durchführbar, so käme man im vorderen Scheidengewölbe an
den Scheitel des spitzen Knickungswinkels, und eine vorgenommene Son-
dirung des Uterus würde erweisen, dass wir nur bei starker künstlicher
Krümmung der Sonde nach vorne im Stande sind, das Orificium uteri inter-
num zu passiren, um mit dem Sondenknopf in die Uterushöhle zu gelangen.
Was die Prognose dieses Zustandes anbelangt, so müssen wir sagen, dass der
Zustand ausser den erwähnten dysmenorrhoischen Schmerzen und dem ver-
mehrten Katarrhe und eventuell der Sterilität keine Folgen nach sich zu
ziehen in der Lage ist. Aber gerade dieser Symptomencomplex ist so lästig,
dass die Hilfe des Gynaekologen sehr häufig in Anspruch genommen wird. Es
kommen allerdings Spontanheilungen vor, in solchen Fällen, wo es dennoch
zu einer Conception gekommen ist, somit die dysmenorrhoischen Schmerzen
selbstverständlich mit dem Ausbleiben der Menses sistiren und dann post
partum nicht mehr wiederkehren, indem infolge der durch die Geburt be-
dingten Erweiterung der Uterushöhle alle Ursachen des Auftretens der Dysme-
norrhoe verschwinden. Wir dürfen daher nicht jede Sterilität auf eine zu-
fällig vorhandene stärkere Anteflexio uteri beziehen.
In früherer Zeit, wo man Sterilität der Ehe stets nur mit Passagehin-
dernissen am orificium externum und internum in Verbindung brachte, musste
man nothwendigerweise die Heilung des Zustandes in einer blutigen Erwei-
terung des orificium externum und internum suchen. Heute aber wissen wdr,
dass in einer überaus grossen Anzahl von Fällen die Gonorrhoe des
Mannes ein wichtiges aetiologisches Moment in der Frage der Sterilität ist,
sei es, dass durch die abgelaufene Gonorrhoe des Sperma virile untüchtig
geworden ist, sei es, dass bei Funktionstüchtigkeit des Sperma virile in dem
durch die männliche Gonorrhoe inficirten weiblichen Genitale sich solche Ver-
änderungen {Endometritis, Salpingitis, Oophoritis, Perimetritis) entwickelt
haben, dass das Zustandekommen einer Schwangerschaft auf diese Weise
unmöglich gemacht erscheint. Man wird demgemäss alle diese Fälle auszu-
scheiden haben, will man wissen, ob eine vorhandene Sterilität bedingt ist
durch eine gleichzeitig constatirte Anteflexio uteri oder nicht. Den ganzen
Symptomencomplex kann man beseitigen entweder durch regelmässig vor der
Menstruation vorzunehmende Sondirung der Uterushöhle oder durch stumpfe
Dilatation des Cervicalkanales und des Orificium uteri internum mittels der
HEGAR'schen Dilatatorien oder durch eine blutige, hoch hinauf reichende Dis-
cissio cervicis. Doch sind das ja alles Eingrifie, zu denen man sich bei
virginalen Individuen wird schwer entschliessen können und wir sind daher
UTERUSLAGEANOMALIEN. 863
in solchen Fällen blos auf die symptomatische Behandlung angewiesen, indem
wir einerseits bei chlorotischen Individuen durch entsprechende Kegime-Ein-
leitung, andererseits bei ausserordentlich heftigen dysmenorrhoischen Beschwer-
den eventuell mit leichten Dosen von Morphin oder Cocain Linderung ver-
schaffen und über die häufigen Krampfanfälle hinüberhelfen, was durch die
Application warmer Ueberschläge auf das Abdomen in der Kegel leicht möglich
ist. In solchen Fällen von Antefiexion, wo irgendwie entzündliche Processe
bereits abgelaufen sind und zu Adhaesionsbildung geführt haben, welche als
Veranlassung der Anteflexio uteri anzusehen sind, muss sich selbstverständlich
unser therapeutisches Verfahren gegen diese Entzündungsreste kehren und
wir trachten durch Balneotherapie, und eventuell durch Massage die Fixationen
zu lösen und dadurch die Möglichkeit der Wiederherstellung der normalen
Form des Uterus zu schaffen.
Wenn auch die Retroflexio uteri gleichwie die Anteflexio uteri an-
geboren sein kann, so ist sie bei Weitem häufiger als die Anteflexio uteri
ein erworbener Zustand. Bei der Retroflexio uteri bildet der Uteruskörper
mit dem Cervix einen nach hinten zu offenen Winkel. Der Uteruskörper
muss daher gegen den Cervix nach hinten zu umgekippt erscheinen. Bei
Weitem am häufigsten finden wir diesen Zustand erworben und zwar entweder
im Anschlüsse an ein Puerperium oder bei stärkerer Belastung des unteren
Abschnittes der Beckenorgane oder schliesslich im Anschlüsse an entzündliche
Processe, welche sich am Beckenbauchfelle abspielen. Wir wissen, wie sehr
auch die normale Lage des Uterus unter normalen Verhältnissen einem
Wechsel unterworfen ist, bei dem stets wechselnden Füllungsgrade der Nach-
barorgane: der Blase, des Rectums und der übrigen Theile des Darmes. Ins-
besondere ist es eine habituell stark gefüllte Blase, welche den Uteruskörper
aus seiner normalen Position nach hinten zu bringen muss. Die Folge dessen
ist, dass der Uterusfundus, der bei normaler Anteflexio uteri nach oben, aber
zugleich auch nach vorne gerichtet ist, unter solchen Umständen direct nach
oben oder auch nach oben und hinten zu sehen muss. Wenn eine stark und
durch lange Zeit angefüllte Blase den Uteruskörper in der Weise verdrängt,
so wird der auf den Uterus auflastende abdominelle Druck, der bei stärkerem
Füllungsgrade des Darmes, wie ihn die bei weiblichen Individuen so häufig
vorkommende habituelle Obstipation schafft, dann aus der Retroposition des
Uterus mit der Zeit eine Retroflexion oder eine Retroversion gestalten müssen
— des Ferneren kommt das Belastungsmoment bei der Entstehung der Retro-
flexion in Frage im Verlaufe des Puerperiums, dann, wenn bei Vorhandensein
eines massiven Uteruskörpers der Cervix infolge der Geburt schlaff bleibt,
sich schlecht involvirt und dem Gesetze der Schwere folgend der Uteruskörper
nach hinten zu übersinkt. Allmälig gelangt der schwere Uteruskörper hiebei
in die Kreuzbeinhöhlung, welche Lageveränderung durch die in den ersten
Tagen des Wochenbettes so häufig vorkommende stärkere Füllung der Blase
begünstigt wird und verharrt dann nach Beendigung des Involutionsprocesses
in dieser Stellung, wenn infolge der ungleichen Belastung die hintere Cervix-
wand mit der vorderen Cervixwand in der Involution nicht gleichen Schritt
hält, wobei das Zustandekommen der Retroflexion umsomehr erleichtert wird,
wenn im Anschlüsse an das Puerperium die Erschlaffungszustände jener Organ-
theile sich geltend machen, ^velche sonst die normale Lage des Uterus garan-
tiren, dass heisst, wenn infolge der Erschlaffung der hinteren Scheidenwand
und des Beckenbodens wie des Beckenbauchfells der Uterus leicht descendirt,
da ja erfahrungsgemäss ein Descensus uteri ausserordentlich häufig mit Retro-
flexions- und Retroversionsstellung des Uterus combinirt ist. In all diesen
Fällen wird jedoch der Uteruskörper trotz seiner veränderten Position be-
weglich sein, in seiner Zwangslage nirgends durch Adhaesionen fixirt, so dass
einer Aufrichtung durch kunstgerechte Handgriffe keine grossen Hindernisse
864 , UTERUSLAGEANOMALIEN.
sich entgegenstellen können. Die grosse Anzahl der Fälle jedoch, in welchen
ein retroflectirter Uterus an die Umgebung ringsum tix.irt erscheint, verdankt
aetiologisch ihren Ursprung Entzündungsprocessen, welche am Uterus oder
seiner Umgebung sich abspielen, wobei der puerperalen und gonorrhoischen
Intection eine grosse Rolle zukommt, sei es, dass es sich um reine Pelveo-
Peritonitiden mit flächenhafter Adhaesionsbildung, sei es, dass es sich um fort-
gesetzte Entzündungen vom Endometrium, der Tubenmucosa und dem Ova-
rium her handelt, " nach welchen es entweder zu breiter flächenhafter und
straffer Adhaesion des Uteruskörpers an Kectum und Beckenbodenperitoneum
und an einzelne Dünndarmpartieen kommt oder es bilden sich zeltartige
Pseudomembranen von wechselnder Dicke und Breite und Länge, welche
den Uteruskörper in Retroflexionsstellung erhalten. Des Weiteren kann es
vorkommen, dass durch straffe Adhaesionen zwischen der hinteren Wand des
Uteruskörpers und der hinteren Wand des Cervix eine starre spitzwinkelige
Pietroflexio uteri entsteht. Wir können daher zweckmässig von der Retro-
flexio uteri mobilis und der Retroflexio uteri fixata sprechen, welche Zustände
sowohl in ihrer Prognose wie, was die Therapie anbelangt, verschieden auf-
gefasst werdene müssen. Die Symptome, welche die Retroflexion darbietet,
hängen in ihr r Schwere von dem Grade der Retroflexion und von dem Um-
stände ab, ob es sich um eine einfache bewegliche nicht complicirte oder
aber um eine fixirte, als Theilerscheinung eines Entzündungsprocesses auf-
tretende Retroflexion handelt. Das hervorstechendste Symptom sind die Kreuz-
schmerzen, über welche derartige kranke Frauen in der Regel klagen. Die
Schmerzen sind ausserordentlich heftig, insbesonders bei Lageveränderungen,
nach langem Sitzen oder langem Stehen, mitunter ausstrahlend gegen die
unteren Extremitäten und gegen den Mastdarm. Dabei steigern sich diese
Schmerzen in der Regel zur Zeit der Menstruation. Diese ist viel reichlicher,
als es der Norm entspricht, mitunter ausserordentlich profus, dauert häufig
6 — 8 Tage und noch länger an und tritt anteponirend nach dem Verlaufe
von di'ei Wochen, ja mitunter auch schon nach 14 Tagen wieder ein. Diese
lästigen und schwächenden Blutungen sind es, welche häufig genug die kranken
Frauen dem Gynaekologen zuführen. Diese Blutungen sind bedingt durch die
stärkere Hyperaemie, in welcher sich der Uterus bei hochgradiger Retroflexion
andauernd befindet. Die Hyperaemie ist bedingt durch eine Torsion der beiden
frontal vom Uterusfundus zur seitlichen Beckenwand laufenden Peritoneal-
duplicaturen des ligamentum latum, wie sie bei starker Retroflexion und Retro-
version vorkommt, wodurch der venöse Abfluss wesentlich gehindert wird.
Das Organ befindet sich demgemäss im Zustande der constanten venösen
Hyperaemie, erscheint grösser, oedematöser und nach längerem Bestände derber
als es der Norm entspricht. Die Hyperaemie der Schleimhaut, die sich daraus
ergibt, veranlasst die profusen, mitunter auch unregelmässigen Blutungen
und den in der Regel sich anreihenden stärkeren Ausfluss. Bei langem Be-
stände der hyperaemischen Zustände kommt es zu einer Art von bindegewe-
biger Induration des Uterusgewebes, welche durch vermehrte Volumszunahme
die Druckerscheinungen (Kreuzschmerzen etc.) wesentlich steigert. Dabei besteht
in der Regel Stuhlverstopfung, sei es als Folge der Retroflexion oder aber
als ein die Retroflexion begleitendes, ja, sie verursachendes Moment, wobei
die Bildung von Hämorrhoidealknoten eine ausserordentlich häufig zu beobach-
tende Complication bei bestehender Retroflexio uteri darstellt. Selbstverständ-
lich werden bei fixirter Retroflexion uteri, welche die Folge von im Bereiche
der Beckenorgane sich abspielenden Entzündungsprocessen sind, die Symptome
in einem Grade und in einer Combination auftreten, welche dem Stadium
und der Intensität des Entzündungsprocesses entsprechen.
Hat die Retroflexio uteri an und für sich schon ausserordentlich lästige
Symptome im Gefolge, so wird der Zustand ganz besonders complicirt durch
UTERUSLAGEANOMALIEN. 865
den eventuellen Eintritt einer Schwanf^crschaft in einem retroHectirten Uterus.
Bei beweglicher Retroticxion kann man allerdings häufig beobachten, dass der
rasch wachsende Uterus im Verlaufe des dritten iSchwangerschaftsmonates
gegen den Beckenausgang zu und darüber hinaus sich entwickelt, wodurch
bei gleichzeitiger Zunahme der Succulenz der Gewebe der Uterus sich spontan
aufrichtet. Findet diese Aufrichtung nicht statt, oder ist sie behindert durch
Fixation des Uteruskörpers, so kommt es zu ausserordentlichen Druckerschei-
nungen, welche die Folge der Behinderung in der freien Wachsthumsent-
wicklung des Uterus durch Organe des Beckens und den knöchernen Becken-
ring darstellen müssen. Es kommt hiebei zu Incarcerationserscheinungen von
Seiten der Blase und des Rectum wie des Uterus und die bekannten Erschei-
nungen der Ischuria paradoxa etc., wie sie in dem Capitel „Bchwjngerschafts-
und GeburtscompUcationen, fag. 739^ beschriel)en sind, treten ein.
Die Diagnose der Betroflexion ist leicht zu stellen. Bei der bima-
nuellen Untersuchung finden wir das vordere Scheidengewölbe leer, den Uterus-
körper nicht an seiner normalen Stelle. Gehen wir mit dem touchirenden
Finger in das hintere Scheidengewölbe, während die von den Bauchdecken her
palpirende Hand versucht, den Uteruskörper hinabzudrängen, so sind wir im-
stande, den nach hinten zu offenen Flexionswinkel des Uteruskörpers zu er-
kennen. Ist dabei der Uterus, wie es häufig der Fall ist, insbesonders bei
mangelhafter Involution des Uterus oder bei stärkerer Hyperaemie des Organs
und bindegewebiger Induration, ausserordentlich gross, so ist oft die Differen-
tialdiagnose nothwendig, ob es sich um einen, dem Uterus in seiner Wandung
hinten apponirten Tumor oder um den retroflectirten Uterus handelt. Die
Differentialdiagnose kann dann nur durch die rectale Untersuchung und die
Sondenuntersuchung des Uterus festgestellt w^erden. Dringt die eingeführte
Sonde mit ihrer Krümmung nach hinten gegen den durch die Untersuchung
festgestellten Körper ein, so ist es gar kein Zweifel, dass es sich um eine
Retroflexio uteri handelt. Wir dürfen uns jedoch bei der bimanuellen Unter-
suchung nicht damit begnügen, die Diagnose Retroflexio uteri zu stellen, sondern
müssen gleichzeitig feststellen, ob der Uterusfrei beweglich ist oder nicht, und,
w^enn beweglich, ob die Adnexe des Uterus frei sind oder nicht und
ob Residuen entzündlicher Processe nachweisbar sind oder nicht. Bei ein-
facher, nicht fixirter Retroflexio uteri werden die lästigen Symptome behoben
durch die Aufrichtung des Uterus und die Fixation des Uterus in normaler
Anteflexio- Versionsstellung. Die Aufrichtung eines retroflectirten, nicht fixirten
Uterus kann nur durch straffe Bauchdecken, starken Füllungsgrad der Därme,
und Adipositas erschwert werden.
Es gibt verschiedene Methoden der Aufrichtung der beweg-
lichen Retroflexio uteri. Die gangbarste Methode ist wohl die,
bei welcher man mit zAvei Fingern in das hintere Scheidengewölbe vor-
dringt, von da aus den Uterusfundus zu heben versucht, während die auf die
Bauchdecken hackenförmig aufgesetzten Finger durch allmäliges Eindi'ücken
derselben zum Uterustundus gelangen und von da durch die Bauchdecken hin-
durch den Uterusfundus fassend, denselben nach vorne zu heben versuchen,
während gleichzeitig in dem Momente, wo der Uteruskörper aus dem Dou-
glas-schen Räume infolge seiner Aufrichtung verschwindet, die im hinteren
Scheidegewölbe liegenden zwei Finger, an die vordere Lippe der Portio ge-
bracht, dieselbe nach hinten zu drängen. Nunmehr kann man sich leicht
überzeugen, dass die normale Stellung des Uterus hergestellt ist. In ein-
zelnen Fällen Avird man zur Aufrichtung den rectalen Weg anstatt des vagi-
nalen oder den rectalen und vaginalen Weg benützen müssen. Wesentlich
erleichtert wird die Aulgabe, zum Uterusfundus zu gelangen, um ihn aus der
Excavatio utero-rectalis herausheben zu können, wenn man die Portio vaginalis
mit einer Kugelzange an ihrer vorderen Lippe fasst, durch starkes Anziehen
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynäkologie. 00
866 UTERUSLAGEANOMALIEN.
an derselben den Uterus streckt und weiter nach unten bringt. In dem Mo-
mente, wo der Uterusfundus nach vorne zu ausweicht, müsste die Portio durch
Verschieben des oberen Endes der Kugelzange nach oben und hinten in die
Kreuzbeinhöhlung gebracht und nunmehr die Kugelzange abgenommen werden.
Ganz ausgezeichnet eignet sich für die Aufrichtung der beweglichen Retro-
flexio uteri die Knie-Ellenbogenlage, wobei man einen Retractor perinei ein-
führt und damit das Perineum stark hebt. Die sich somit plötzlich erwei-
ternde Vagina lüUt sich mit Luft und die Veränderung der Druckverhältnisse
in der Scheide wie in der Bauchhöhle in Combination mit der Knie-Ellen-
bogenlage reichen in zahlreichen Fällen hin, dass sich der Uterus spontan
wieder aufrichtet. In einzelnen Lehrbüchern wird empfohlen, eine bewegliche
Retroflexio uteri in der Weise aufzurichten, dass man unter Wahrung anti-
septischer Cautelen die Sonde in die Uterushöhle mit nach hinten gekehrter
Krümmung einführt und dann durch Drehung der Sonde den Uterus auf-
zurichten versucht. Wenn auch diese Manipulation, von der kundigen Hand
eines Fachmannes ausgeführt, in der Regel zum Ziele führt, ohne irgend einen
Nachtheil zu stiften, so kann doch bei etwa bestehender Fixation des Uterus,
w^elche vielleicht der genauesten Untersuchung entgangen ist, eine Perfo-
ration einer vielleicht etwas mürben Uteruswandung dadurch herbeigeführt
werden. Bei straffer Bauchdecke, starkem Füllungsgrade des Darms oder
grosser Empfindlichkeit kann mitunter die Aufrichtung des Uterus so wie bei
den Fällen fixirter Retroflexio uteri blos in der Narkose vollzogen werden.
Mit der Aufrichtung des Uterus und der Fixirung des Uterus in seiner nor-
malen Lage sind in der Regel alle die lästigen Symptome beseitigt, welche
im Gefolge der Retroflexion auftreten. Aber diese Aufrichtung ist ganz ausser-
ordentlich erschwert bei fixirtem Uterus, umsomehr, wenn es sich darum han-
delt, etwa noch bestehende Entzündungserscheinungen vorher zum Schwinden
zu bringen.
Handelt es sich um eine fixirte Retroflexio uteri, so wird man
zunächst nur dann an die Lösung der Adhaesionen auf nicht operativem Wege
zum Zwecke der Aufrichtung des Uterus schreiten dürfen, wenn acute Ent-
zündungserscheinungen oder schwere Veränderungen an den Tuben und Ova-
rien oder das Vorhandensein von Eiteransammelungen in diesen Organen mit
Sicherheit ausgeschlossen werden können. Ist dies nicht der Fall, so wird es
unsere Hauptaufgabe sein, nicht so sehr die Retroflexio uteri, welche nur
eine Theilerscheinung des ganzen Erkrankungsprocesses darstellt, als vielmehr
diesen selbst der Beliandlung zuzuführen. Fehlen jedoch die acuten entzünd-
lichen Erscheinungen, sind schwerere Deformitäten an den Adnexen nicht vor-
handen und ist das Vorhandensein von Eiter mit Wahrscheinlichkeit auszu-
schliessen, dann kann die Lösung der Adhaesionen zum Zwecke der Aufrichtung
des Uterus auf zweifachem Wege erfolgen: auf blutigem und auf unblutigem
Wege. Was diesen letzteren anbelangt, so gibt es wieder zwei Methoden:
die eine der forcirten Lösung der Adhaesionen und Aufrichtung des Uterus in
der Narkose und der zweite Weg, der der allmäligen Lösung der Adhaesionen
und Aufrichtung des Uterus durch Massage in Verbindung mit andern thera-
peutischen Maassregeln. Man kann daher bei fixirter Retroflexio uteri, wenn
schwerere Entzündungserscheinungen oder Veränderungen der Adnexe fehlen,
in tiefer Narkose durch bimanuelle Handgriffe den Uterus gewaltsam, jedoch
stets vorsichtig aus seinen Adhaesionen loslösen, ihn somit aufrichten und
durch ein Pessarium fixiren; oder aber man wählt den langsameren und
schonenderen Weg der Loslösung des Uterus durch die Massage*) nach
Thure Brandt, indem man dieselbe gleichzeitig durch Bäder, Ausspülungen,
Application von Ichthyol- Glycerin etc. unterstützt. Jedenfalls muss der aus
*) Vergl. Artikel ^Massage in der Gynaekologie'* p. 514.
UTERUSLAGEANOMALIEN. 867
seinen Fixirungen gelöste Uterus, ebenso wie der in beweglicher Ketroflexion
befindliche Uterus nach seiner Aulrichtung durcli ein l'essarium gestützt wer-
den und zwar sind es die HoDGE-ressarien, die Pessarien von Thomas und
die Achter-Pessarien von Schultze, die hiebei in lictracht kommen.'^'; Ihr
Princip beruht vornehmlich auf einer Ausspannung der hinteren Scheidenwand
und des hinteren Scheidengewölbes, wodurch die Portio nach hinten zu ge-
drängt erscheint. Mit der Aufrichtung des Uterus und der Einführung des
Pessariums, wenn dasselbe gut gewählt ist und nirgends drückt, werden bei
Fehlen irgendwelcher Entzündungserscheinungen die Symptome, welche die
Ketroflexion gemacht, in der Regel plötzlich verschwinden. An Stelle der
Pessarbehandlung kann auch bei beweglicher Ptctroflexion die operative Be-
handlung treten entweder durch die ALEXANDER'sche Operation, welche in
einer Verkürzung des ligamentum rotundum besteht (nicht üblich) oder die
vaginale Fixation des Uterus (Methoden von Schückixg, Mackexrodt
und Dürhssen) oder man macht die Ventrofixation, bei welcher nach ?>-
Öffnung der Bauchhöhle der Uterusfundus an der vorderen Bauchwand angenäht
wird. Dieser Weg der operativen Behandlung der Ptetroflexio uteri wird
jedenfalls der sicherste und rationellste sein, wenn die Ptetroflexion l^egleitet
oder richtiger verursacht ist durch schwere Erkrankungen am Pelveo-Peri-
toneum, welche in der Regel nicht ohne schwerere Veränderungen an den
Adnexen einhergehen, so dass in solchen Fällen oft genug die Ventrofixation
als zweiter Act der vorzunehmenden Adnexenexstirpation erscheinen wird.
Viel seltener sind und weniger Beschwerden machen die Latero-
flexionen, bei denen der Uteruskörper gegen den Cervix nach der Seitenkante
geknickt ist. Sie kommen in der Regel vor, ebenso wie Torsionen des Uterus,
bei denen der Uteruskörper gegen den Cervix wäe mit einer Spiralen Windung
nm seine sagittale Axe gedreht erscheint, am häufigsten bei einseitiger oder
jedenfalls einerseits überwiegender Erkrankung der Adnexe oder Infiltration
der Ligamente. Je nach der Art und dem Grade der sie bedingenden Ent-
zündung wird eventuell die Exstirpation der erkrankten Organe oder auch
blos die Massage im Stande sein, Heilung zu bringen.
Unter Ante- und Retroversio uteri versteht man jenen Zustand, bei
welchem der Uterus in toto eine Verlagerung erfährt, wobei der Uteruskörper
nach der einen, die Portio nach der anderen Seite hin ausweicht. Fällt der
Uteruskörper nach vorne über (Anteversio uteri), so sieht die Portio
gegen die Kreuzbeinhöhlung, während bei einer Retroversion der Uterus-
körper in der Kreuzbeinhöhlung sich befindet, die Portio vaginalis der Sym-
physe genähert erscheint. Auch hier müssen wir zwischen beweglicher
und fixirter Ante- und Retroversio uteri unterscheiden. Die ätiologischen
Momente sind dieselben wie bei den Flexionen, nur dass viel häufiger Infil-
tration und Fixation an den Ligamenten, insbesondere an den Ligamentis
sacro-uterinis die Version bedingen. Auch in diesen Fällen von Lageverän-
derungen des Uterus wird die Massage in der Regel derartige, die Version
bedingende Zustände zu beseitigen in der Lage sein, worauf dann die An-
legung eines ringförmigen Pessariums, eventuell mit excentrischer OeÖnung
bei Anteversion, und die Anlegung eines Pessariums nach Hodge, Thomas
oder Schultze bei Retroversion Heilung bringen wird.
Die Elevation des Uterus ist in der Regel Folge von Verdi'ängung
des Uterus in der Richtung nach oben durch Tumoren, welche in der hin-
teren Collumwand, im hinteren Scheidengewölbe, im Douglas oder im Septum
recto-vaginale sich entwickeln und bei weiterem Wachsthum die Beckenhöhle
vollständig ausfüllend, den Uteruskörper nach oben zu verdrängen. Insbe-
*) VergL „Pessarien" pag. 631 und die einsclilägigen Figuren auf pag. 425 und i26.
55*
868 UTERUSLAGEANOMALIEN.
sondere aber sind es die interligamentös entwickelten Tumoren, Avelche die
Verschiebung des Uterus in dieser Richtung nach sich ziehen.
Der Descensus uteri, das heisst das Herabgleiten des Uterus in tiefere
Ebenen des Beckens, ist in der Regel begleitet und oft bedingt durch den
Prolaps der Scheide. In hochgradigen Fällen, bei vollständiger Inversion der
vorderen und hinteren Scheidenwand kann dabei der Uterus die Beckenhöhle
passirend, aus dem Becken austretend und von dem Beutel der invertirten
Scheidenwände umgeben, vollständig ausgetreten sein (totaler Prolaps des
Uterus). Dass Erschlaffungszustände des Beckenbauchfells im Anschlüsse
an das Puerperium oder, bei schlechten trophischen Verhältnissen, gesteigerter
Abdominaldruck häufig die erste Veranlassung abgeben, liegt auf der Hand.
Dennoch wird in solchen Fällen der Descensus uteri nur ein massiger sein,
solange der Beckenboden und somit die hintere Scheidenwand sich als suffi-
cient erAveisen. Bei Aufrechtstellung der Frau verläuft die vordere und die
hintere Scheidenwand parallel miteinander, nahezu horizontal, nur wenig nach
oben hinten aufsteigend. Die leeren Scheidenwände berühren sich demgemäss,
so dass die vordere Scheidenwand auf der hinteren Scheidenwand, welche ihre
Stütze am Beckenboden findet, ruht. Es muss demgemäss die normale Be-
schaffenheit des Beckenbodens und der hinteren Scheidenwand in Verbindung
mit den verschiedenen Druckverhältnissen sein, welche den Uterus am Her-
untergleiten verhindert. Bei Schlaffheit des Beckenbodens infolge trophischer
Störungen oder bei narbigen Verziehungen am Perineum, bei Defecten des
Perineums infolge traumatischer Zerstörungen (Geburtstrauma, Combustionen,
mechanische Verletzungen) wird nun diese Stütze defect erscheinen und es
kann bei gesteigertem Abdominaldrucke, insbesondere bei bestehender Er-
schlaffung der Bauchdecken und des Bauchfells ein Descensus leicht zustande
kommen.
Bei stärkerem Descensus, wobei der Uterusfundus in tiefere Becken-
ebenen herabgerückt erscheint, ist diese Lageveränderung häufig combinirt mit
einer Retroversionsstellung des Uterus. Normalerweise befindet sich die Portio
vaginalis in der Höhe einer Linie, welche die beiden Spinae ossis ischii mit
einander verbindet, und es wird daher leicht zu constatiren sein, ob die Portio
tiefer steht, als es der Norm entspricht, oder nicht. Jedenfalls aber müsste
bei Tieferstehen der Portio ausgeschlossen werden, dass die Ursache für diesen
Zustand in einer Elongation des Cervix besteht, welche bei normal hohem
Stande des Uterusfundus durch Tiefertreten des Orificium externum den Zu-
stand eines Descensus vortäuschen kann. Darüber wird die Sondirung der
Uterushöhle und die bimanuelle Untersuchung uns Aufklärung verschaffen
können. Bei geringfügigem oder auch stärkerem Descensus uteri werden wir
oft genug, wenn nur der Beckenboden soweit suöicient ist, durch die An-
legung eines ringförmigen Pessars nach Hodge oder Schatz die Beschwerden,,
welche in dem Gefühle des häufigen Drängens und Zerrens nach unten,
Schmerzen in den Seiten, welche gegen die Beine ausstrahlen, Behinderung
des Gehens und Beschwerden bei langem Stehen gefunden werden, beheben
können. Ist jedoch der Beckenboden defect, dann kann das Pessar, welches
den Zweck hat, durch Ausspannung des Scheidengewölbes die Scheide und
somit den Uterus in der normalen Lage zu erhalten, keine genügende Stütze
finden und wir sind dann gezwungen, um die Steigerung der Symptome und
das Zustandekommen eines wahren Prolapses des Uterus zu verhindern, auf
operativem Wege den Stützapparat zu verbessern {Kolporrhaphie, Perineo-
rrJiaphie). Handelt es sich blos um trophische Störungen am Perineum, so wird
die Massage nach Thure Brandt in Verbindung mit gymnastischen Bewe-
gungen und Faradisation des Levator ani bei fortgesetzter Dauer vielleicht ei-
nigen Erfolg haben, Avelchen wir uns in der Regel nicht versprechen können,
wenn wir die Heilung des Descensus durch Ausführung der Ventrofixation
VAGINA. 869
allein versuchen wollen. Bei vollständigem Austreten des Uterus aus der
Beckenhöhle ist wohl die Totalexstirpation des Uterus der radicalste
Eingrift', der bei der günstigen Lagerung des Organs einen verliältnisraässig
leichten und ungefährlichen Eingriff darstellt.
Eine andere Lageveränderung des Uterus ist die, wobei der Uterus voll-
ständig umgestülpt erscheint, so dass seine mit Mucosa bekleidete Innenfläche
nach aussen gekehrt ist: Tnversio uteri, ein Zustand, der allerdings nur
selten zur Beobachtung kommt und dann in der PtCgel unmittelbar nach der
Geburt sich einstellt, so dass man, wenn von Inversio uteri gesprochen wird,
in der Regel nur den puerperalen, frisch entbundenen Uterus hiebei im Auge
hat. Bezüglich der Gefahren, welche dieser Zustand im Gefolge hat und
betreffs der Therapie sei auf den ausführlichen Aufsatz „Inversio uteri* (pag.
454) verwiesen.
Bei Vorhandensein einer Inversio uteri eines nicht puerperalen
Uterus muss man stets die Differentialdiagnose machen zwischen Inversio
uteri und Fibroma uteri polyposum, da ein in den Cervixcanal geborenes
Fundusmyom ähnliche Symptome macht und ähnliche diagnostische Merk-
male aufweist wie ein invertirter Uterus oder aber in Fällen, wo der
Uterus zur Selbstenucleation des Myoms häufige Contractionen aufweist,
dadurch auch eine Inversion seiner Wandungen zustandebringen kann,
der Zustand Myoma et Inversio uteri demgemäss combinirt vorkommen
kann. Die Diagnose wird in solchen Fällen, wo man bei der Spiegelunter-
suchung die Tubenlumina an der glänzend rothen, sammtartigen Oberfläche
des in der Scheide liegenden Tumors nachweisen kann, nicht schwer sein.
Des Ferneren wird die bimanuelle Untersuchung bei der Inversio uteri nach-
weisen können, dass der Fundus an seiner normalen Stelle sich nicht be-
findet, vielmehr da selbst der Inversionstrichter deutlich nachgewiesen werden
kann. Wenn andererseits die neben dem fraglichen Tumor in den Cervixcanal
eingeschobene Sonde den Tumor umkreisend nachweisen wird, dass in der
Höhe des Orificium internum die Höhlung des Uterus ein Ende nimmt und
die Wand umgeschlagen erscheint, dann ist wohl die Diagnose: Inversio uteri
unzweifelhaft geworden. Die Totalexstirpation des Uterus wird dann radicale
Heilung bringen. k. a. herzfeld.
Vagina. Zwischen der 12. und 16. Woche des Foetallebens tritt die
Trennung des aus der Verschmelzung der MtiLLEß'schen Gänge entstandenen
Genitalschlauches in Uterus und Scheide ein. In der 17. bis 19. Woche
schreitet das Längswachsthum der Vagina derart fort, dass die früher glatte
Wand zahlreiche Falten erhält. Das Hymen, als Abschluss der Scheide, ent-
wickelt sich erst in der 19. Woche. Bei neugeborenen Mädchen bildet die
Vagina einen relativ weiten und langen Schlauch mit stark entwickelten
Papillen. Bei erwachsenen Jungfrauen hat die Scheide eine Weite vorn von
70 — 80, hinten von 80— 100 mm. Die makroskopische Anatomie der
Scheide ist in der Einleitung zu diesem Bande (pag. 4) dargestellt und er-
übrigt es nur die mikroskopische Beschaffenheit kurz zu schildern.
An Durchschnitten unterscheidet man eine Schleimhautschichte (Mucosa),
eine musculäre Schichte mit einer Lage circulärer und einer peripher davon
gelegenen longitudinaler Muskelfasern, eine fetthaltige submusculäre Schichte
und schliesslich eine bindegewebige Umhüllungsschichte, welche die gröberen
Gefäss- und Nervenverzweigungen trägt. Die Schleimhaut trägt zahlreiche
Papillen und ist von einem mehrfach geschichteten Pflasterepithel überzogen.
V. Preuschen beschrieb im oberen Scbeidenabsclmitte kolbige, mit Flimmerepithel aus-
gekleidete Drüsen; Löwenstein, Toldt, Chiari beschrieben LymphfoUikeln ähnliche Einla-
gerungen in die Schleimhaut.
870 VAGINA.
Der Blut zu flu SS zur Scheide erfolgt durch die an der Hinterwand
derselben verlaufenden Arteriae vaginales, die nach Gussenbauer als Aeste
der A. haemorrhoidalis media gelten müssen, die Nerven stammen vom plexus
pudendus des Sympathicusgeiiechtes.
Innerhalb normaler Grenzen zeigt die Vagina der Erwachsenen bedeu-
tende Verschiedenheiten rücksichtlich ihrer Form, Lage, Beschaffenheit ihrer
Wandungen, die nicht nur von dem Geschlechtsleben, den Lebensaltern und
der individuellen Constitution abhängig sind, sondern häufig auch von ver-
schiedenen Abnormitäten in der Lage und Beschaffenheit der Gebärmutter
abhängen.
Die Bildungsfehler der Vagina sind zusammen mit denen des
Uterus in dem Aufsatze „Büdunc/sanomaUen" (pag. 101 u. ff.) besprochen.
Gewisse Bildungsfehler der Scheide hängen mit Bildungsanomalien der Harn-
röhre zusammen und sei diesbezüglich auf [den Artikel „ Urethrakrankheiten.
des Weihes'^ verwiesen. Inwiefern die Bildungsfehler der Vagina Störungen
für den Eintritt und Verlauf einer Gravidität bilden können, ist in dem Ar-
tikel ^^Schumngerschafts- und GehurtscompUcationen (pag. 748) dargestellt. Die
Folgen der Vaginalatresien zeigen sich erst dann, wenn zur Zeit der Puber-
tät eine regelmässige menstruale Blutung sich einstellt, resp. ausbleibt. Eine
Blutansammlung ohne Möglichkeit des normalen Abflusses bedingt die Ent-
wicklung der HaematoJwlpos (v. pag. 336). Bei halbseitiger Atresie mit
doppelseitigem Genitalrohr kommt es zu einseitiger Entwicklung der men-
strunlen Blutstauung {Haematokolpos lateralis) und es zeigen sich Molimina ex
retentione neben regelmässsig fliessenden Menses. Durch infectiöse Einflüsse
kann sich aus einer Haematokolpos lateralis eine Pyokolpos lateralis entwickeln.
Eine weniger ernste Bedeutung als die Atresien haben die angebore-
nen Stenosen der Scheide; sie bilden häufig Begattungs- und Geburts-
hindernisse. Im Gegensatze zu den Atresien fehlt hier der Befund von men-
strualen Blutstauungstumoren, obwohl das Fehlen derselben nicht dazu aus-
reicht die Atresie auszuschliessen, und muss bei bedeutenden Verengerungen
immer die Sonde den Nachweis des Lumens liefern.
Die erworbenen] Atresien und Stenosen werden durch Narben-
schrumpfungen veranlasst, solche entstehen auf der Basis entzündlicher und
geschwüriger Processe, diese wieder werden veranlasst durch traumatische
Insulte, die das betreffende Individuum gelegentlich einmal erlitten hat oder
die während des Entbindungsactes spontan oder durch Kunsthilfe veranlasst
w^urden. Einen weiteren Anlass bilden Fremdkörper, zu welchen auch
Pessarien gehören, schliesslich zählt man hieher Veraetzungen, diphtheritische
Processe im Verlaufe von Infectionen (Cholera, Typhus, Erysipel, Variola)
und endlich ausgebreitete syphilitische Ulcerationen. Nicht unerwähnt darf
ferner gelassen werden, dass besondere Entzündungen der Scheide zu nar-
bigen A'^erwachsungen führen können, so die von Simpson bei Kindern be-
schriebene Vaginitis adhaesiva und die von Hildebeand beschriebene ulce-
röse Form der Vaginitis iDei Erwachsenen.
Die pathologischen Lageveränderungen der Scheide beruhen
sämmtlich auf mehr weniger bedeutende Einstülpungen der Wandung gegen
das Scheidenlumen. Hiedurch entsteht die Senkung (descensus) oder der Vor-
fall (prolapsus), je nachdem die Vorstülpung innerhalb der Schamspalte ver-
borgen bleibt oder aus derselben hervorragt. Die Aetiologie und Symptoma-
tologie des Scheidenprolapses und die Behandlung desselben ist in den Ar-
tikeln „ProlajJs'^ (pag. 680), „Pessarien'' (pag. 631) und „Prolapsoyerationen'-''
(pag. 683) ausführlich dargestellt.
Rupturen der Scheide kommen durch von aussen einwirkenden
Traumen (Sturz auf die Genitalien, Fremdkörper etc.) zu Stande. Rohe Coitus-
versuche, Manipulationen bei Schändungsversuchen, ärztliche und Hebammen-
VAGINA. 871
Instrumente können schwere Continuitätstrennungen der Scheidenwände er-
zeugen. Bei pathologischen Veränderungen (seniler Schrumpfung, Stenosen
etc.) ist die Möglichkeit von Vagina-Verletzungen eine Ijcdeutend grössere,
als bei normaler Wandung. Unter der Geburt ereignen sich Vaginalrupturen,
wenn ein Missverhältnis zwischen Grösse des vorliegenden Kindestheiles und
des Vaginalrohres besteht. Kisse im Scheidengewölbe schliessen sich an
Cervixrupturen an. Die circulare Abtrennung der Vagina vom Uterus wird
Kolpaporrhexis bezeichnet. Hagenbekger konnte 40 Fälle dieser Art der
Scheidenverletzung in der Literatur finden, bezüglich der Symptomatologie,
Prognose und Therapie der Scheidenrupturen gelten dieselben Elrfahrungen
und Principien, wie für die Rupturen des Uterus (s. d.). Die Haeraatome
der Scheide sind in dem Aufsatze „Thrombus vaginae et vulvae^'- ausführ-
lich behandelt.
Die entzündlichen Erkrankungen der Vagina betreffen haupt-
sächlich die Schleimhautschichte (Vaginitis), seltener sind auch die tieferen
Schichten der Scheiden wandung mitbetheiligt, oder es dringt die Entzündung
gar bis in die äusseren bindegewebigen Lagen (s. o. „Histologie") vor. (Peri-
vaginitis). Sämmtliche Formen der Scheidenentzündung behandelt der Ar-
tikel ^.Kolpitis'-'- (p. 474), die häufigste und wichtigste derselben der Ab-
schnitt „Kolpitis gonorrhoica" im Aufsatze „GonnorrJioe der weiblichen Geni-
talien."' (pag. 304.)
Fremdkörper der Scheide bilden ein fortlaufendes Capitel in der
gynaekologischen Casuistik. Büchsen, Zwirnspulen, Nadeln, Geldbörsen, Steine
etc. etc. wurden in der Vagina gefunden. Ascariden gelangen häufig vom
Mastdarm aus in die Scheide. Waldenström fand einen Regenwurm, Schröder
einen Maikäfer. Von Hysterischen wird speciell behauptet, dass sie sich in
der Absicht Aufsehen zu erregen Thiere (Käfer, Würmer) in die Vagina ein-
führen. Zufälle, Spiel (bei Kindern), onanistische Zwecke sind meist die
Ursachen des Befundes von Fremdkörpern. Das Eindringen in die Scheide
erzeugt oft direct Verletzungen, fehlen auch diese, so kommt es zu catarrha-
lischen Processen, zu Harnbeschwerden und Menstruationsstörungen.
Darmfisteln der Scheide kommen meistens als Mastdarmscheiden-
ßsteJn (vid. pag. 520) vor. Viel seltener kommt eine Communication der
Scheide mit anderen Darmabschnitten zu Stande. Im letztgenannten Falle
sind es hauptsächlich im Douglas lagernde Heumschlingen, welche mit der
Scheide in Verbindung kommen {Dünndarmscheidenfisteln). Wird hiebei dui'ch
die Fistel die Continuität des Darmrohres völlig unterbrochen, dann entleert
sich der gesammte Darminhalt durch die Fistel in die Vagina, es besteht
ein Anus praeternaturalis vaginalis.
Von den Neubildungen der Scheide gehören die Cysten zu den
seltenen Tumoren. Sie variiren in ihrer Grösse von der einer Erbse bis zu
der eines Kindskopfes. Ihr Inhalt ist serös, schleimig oder blutig. Der
Ausgangspunkt der Vaginalcysten sind Reste der MüLLER'schen und Wollf-
schen Gänge, die von Preuschen beschriebenen Vaginaldrüsen (s. o. „Histo-
logie der Vagina"), oder dilatirte Lymphgefässe (Lymphcysten).
Verneuil beschrieb die Entwicklung eines „serösen Sclileimbeutels" in dem lasen
Gewebe zwischen Rectum und Vagina, Hygroma rectovaginale, eine Geschwulst die von den
Vaginalcysten zu trennen ist. Schultz hat in einer Arbeit über die Echinococcen der
weiblichen Genitalien darauf aufmerksam gemacht, dass EcMnococcusblasen zwischen
Vagina und Harnblase und zwischen Vagina und Rectum sich entwickeln können. Dieselben
müssen auch von den Vaginalcysten unterschieden werden.
Nur grössere Vaginalcysten verursachen durch mechanische und die
Vaginalschleimhaut reizende Einflüsse besondere Beschw^erden. Zur Behand-
lung genügt oft die einfache Punktion, radical hilft die Exstirpation,
Die Fibrome und fibrösen Polypen der Scheide sind in dem Ai'tikel
„Fibrom^ P'ibromyom, Myom'' (pag. 241) abgehandelt, Eine seltene Geschwulst-
872 VAGINISMÜS.
form ist das Myoma striocellulare s. Rahdomyoma myxomatodes. Ein Praeparat
von einem solchen Falle befindet sich in der Prager pathologisch-anatomi-
schen Sammlung und ist von Klees genau studirt und beschrieben worden.
Es enthält verschiedene Entwicklungsformen quergestreifter Muskelfasern ein-
gebettet in myxomatöses Gewebe.
Papillome der Seheide kommen von der Grösse einzelner Papillarhyper-
plasien bis zu hühnereigrossen Tumoren vor.
Lipome entwickeln sich sehr selten im Septum rectovaginale.
Sarkome kommen nach Säkger primär vor, besonders relativ häufig im
frühesten Kindesalter und sind sehr malign. Das Carcinom der Scheide ist im
Aufsatze ^^Carcinom der weiblichen Sexualorgane'-^ (pag. 136) beschrieben.
Bezüglich der ,,Tubercidose der Scheide'^ sei auf den Artikel „Tubercidose
der iveiblichen Genitalien^'' verwiesen.
Die Syphilis der Scheide gehört ganz in das Gebiet des Syphilidologen
und ist in der betreffenden Specialdisciplin dieses Sammelwerkes behandelt,
Noma der Scheide kommt neben Noma der Wange (wahrscheinlich durch
Uebertragung) vor. Eine Seltenheit ist das Ulcus rotundum simplex vaginae,
ein kreisrundes, scharf abgegrenztes Geschwür, das nach Zahn's Unter-
suchungen dem runden Magengeschwür gleich zu stellen ist und der localen
Behinderung des arteriellen Blutzuflusses bei gleichzeitiger Unmöglichkeit
eines collateralen Kreislaufes seine Entstehung verdankt. c. e.
YaginismUS. Wenn die Vagina dermaassen hyperaesthetisch ist, dass die
blosse Berührung ihres Einganges unter lebhaftem Schmerz zu krampfhafter
Contraction der sie umgebenden oder der benachbarten Beckenmusculatur führt,
so nennt man dieses Krankheitsbild Vaginismus. (Sims). Es gehört zu den
häufigeren Vorkommnissen in der Praxis und ist meist traumatischen
Ursprunges (Traumatische Neurose).
Erfolgt die Immissio penis nicht vollständig, so kann ein derbes, resi-
stentes Hymen, besonders wenn es eine grössere Oeffnung besitzt, dem ein-
dringenden Gliede einen grössern Widerstand entgegensetzen; dabei erfolgt
dann die Zerreissung der Membran nicht, sondern es kommt zu einer Deh-
nung der letzteren mit oberflächlicher Abschürfung des Epithels am Hymenal-
saume. Die weitere Folge ist — besonders bei wiederholtem Coitus — eine
intensive Röthung der Membran, der Schleimhautpartieen des Vorhofes, reich-
liche Secretion auf derselben, endlich Entzündung, Empfindlichkeit und
Schmerz beim Berühren.
Diese Erscheinungen treten aber auch am eingerissenen Hymen
auf, wenn die Ränder der carunculae myrtiformes nicht vernarben, sondern —
wie dies auf Hochzeitsreisen gewöhnlich der Fall — durch mangelhafte Rein-
haltung, wohl auch durch häufigem geschlechtlichen Umgang, mit kleinen Ge-
schwüren besetzt werden.
Eine weitere Ursache für den Vaginismus findet sich, wenn bei stark
nach vorn gerichteter, enger Scheide und hohem Damme der Penis statt in
die Vagina einzudringen auf die Urethralmündung aufdrückt, sie nach
abwärts zieht, um] im Vorhofe aufgehalten zu bleiben. Hiebei treten die oben
erwähnten Erscheinungen an der Urethra und der F o s s a n a v i c u 1 a r i s auf.
Je öfter nun, bei der ohnehin schon empfindlichen Frau, und durch
ihren Widerstand erschwert fruchtlose Cohabitations- Versuche angestellt wer-
den, um so weiter dehnt sich das Gebiet der sich krampfhaft contrahirenden
Muskeln aus, so dass die mm. transversus perinei und levator ani in
tonischer Zusammenziehung verharren. Damit wird die allgemeine Sensibilität
der Frau derart gesteigert, dass sie unter lautem Schreien schon bei der Zu-
muthung den Coitus auszuüben — in Reflexkrämpfe verfällt.
VAGINISMUS. 873
Die gleichen Symptome findet der untersuchende Arzt, wenn er die
Vagina berührt. In der That sind es zumeist Neuverniältc, die dieser Zu-
stände wegen ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, obsclion man Vaginismus
ausgesprochenster Art auch bei Virginibus intactis als Ausfluss von Neu-
rasthenie findet. Bei letzteren wird es der vorsichtig und taktvoll ausgeführten
Untersuchung zumeist gelingen, Masturbation zu constatiren.
Endlich gibt die Infection bei acuter Gonorrhoe — mit und ohne
Laesion des Hymen — im Anfangsstadium den gleichen Symptomencomplex.
Wird das Leiden nicht zu Anfang behoben, so steigert sich die Nervo-
sität der Frauen ins Maasslose, und, da sie zumeist an »Schlallosigkeit und
Appetitmangel leiden, kommen sie in der Ernährung rasch herunter, wonach
dann die psychische Verstimmung leicht bis zu Melancholie ausartet.
Die Prognose des Leidens lautet — selbst für gonorrhoische Fälle
— meist günstig. Der von den jungen Ehegatten oft gefürchteten Sterilität
folgt nach Ausheilung des Zustandes gewönlich rasch Conception.
Es kann aber Vaginismus auch in der Schwangerschaft und im Wochen-
bette vorkommen. Wir fanden ihn bei einer rhachitischen Primigravida
mit unverletztem Hymen (!) in ausgesprochenster Form. Die Geburt
(Zwillinge) erfolgte vorzeitig.
Bei der Behandlung des Vaginismus fällt dem Hausarzte mehr als
dem Specialisten in prophylaktischer Beziehung eine grosse Aufgabe
zu; es obliegt ihm das junge Ehepaar sowohl vor Excessen zu warnen, als
auch auf die Reinhaltung besonders der weiblichen Genitalien hinzuwirken.
Ist das Uebel einmal aufgetreten, so beginnt man mit einer gründlichen
Inspection der Vagina. Gonorhoe und Blenorrhoe erfordern specielle
Behandlung. Bei Vulvitis traumatica wird vollständige Abstinenz vom Coitus
und dessen Versuchen verordnet. Daneben empfehlen sich gegen die Schwel-
lung und Röthung der Theile Bähungen mit Aqua Goulardi, schwachen
Alumnol-, Lysol-, oder Creolinlösungen.
Ist jedoch das Hymen ungemein empfindlich, so führt das abwartende
Regime ebensowenig zum Ziele, als die von Einigen vorgeschlagene, stets
äusserst schmerzhafte und missliche dilatatorische Einführung von
konischen Röhren (Milchglasspecula), Der Rath, letztere stundenlang
liegen zu lassen, wird wohl kaum befolgt werden.
Bessere Erfolge gibt die brüske Erweiterung des untern Vaginal-
theiles durch die eingesetzten Daumen (Zerreissung des Hymens), ist
aber geradezu ein barbarischer Vorgang, wenn man die Empfindlichkeit der
Partieen in Anschlag bringt.
Der galvanische Strom wird nach dem Vorgange Lomer's ebenfalls gegen
das Leiden wirksam gefunden.
Am raschesten erzielt man die Heilung durch Excision des
Hymen. Hiezu ist wegen der Schmerzhaftigkeit wohl zumeist eine tiefe Narkose
erwünscht. Nachdem die Kranke in Steinschnittlage gebracht ist, werden die
Schamtheile gründlich ab- und ausgespült; dann fasst man den obern Rand
des Hymen mit der Pincette und schneidet, unter Spannung der Membran,
an der Basis sowohl aussen als innen entlang des ganzen Ringes ein.
Die derart vorgezeichneten Partieen können nun mit zwei Scheerenschlägen
abgetragen werden, wonach die Vernähung der glatten Wundränder mittelst
dünner Catguttfäden ausgeführt wird. Wir legen grosses Gewicht auf die
scharfe Umschneidung, weil nur bei diesen (nicht gequetschten) Rändern
die Heilung sozusagen ohne Narbe erfolgt; wobei es gleichgiltig ist, ob die
continuirliche oder die Knopfnaht angewendet wird, da die Fäden kaum je
entfernt zu werden brauchen. Nun wird die Wunde mit Dermatol eingestäubt
und durch einige Tage (3 — 4) Ruhe anempfohlen, während w^elcher Zeit auch
die Heilung vollständig zu sein pflegt.
874 VAGINOFLXATIO - VENTROFIXATIO UTERI.
Von einigen Autoren wird nach diesem Eingriffe noch eine regehnässige
Dilatation des Yaginalrohres empfohlen.
Xachdem uns jedoch diese Methode in einigen, wenigen Fällen sehr
unangenehme Erfahrungen sogar Verschlimmerung des Zustandes gebracht,
verbinden wir nunmehr die Excision mit einer kleinen Dur cht rennung
der Schliessmuskeln der Scheide (im gewissen Sinne Sphinkterotomie)
dort, w^o es sich um intensivere Krampfzustände handelt, indem wir zwischen
die beiden Schnitte, gegen den Damm zu in schiefer Richtung also eigentlich
subcutan die Bündel des zum Constrictor cunni ziehenden Sphinkter ani durch-
trennen. Die Stelle wird ebenso wie etwaig spritzende Gefässchen des Hymen
durch die Naht geschlossen. Heilung in einer Woche. Karunkeln der Harn-
röhre, Geschwüre an denen der Vulva werden gleichfalls excidirt.
Wurde bei den vergeblichen Versuchen zur Jmmissio die Harnröhre über-
mässig dilatirt, so ist dagegen chirurgisch vorzugehen.
Die Behebung der Folgezustände von Vaginismus, oft erheblichen Zeit-
aufwand beanspruchend, decken sich mit der Behandlung der Neurasthenie;
vorzüglich wirkt roborirende Diät, Ruhe und kühle Fluss- oder Seebäder.
ELISCHEE.
Vaginofixatio-VentrofixatiO uteri. Die operativen Verfahren zur
Heilung der Retroflexio und Retroversio uteri, sowie jener Uterusprolapse, bei
denen das Zurückhalten des Vorfalles nur durch die Fixation des Uterus
möglich erscheint, sind folgende: 1. die Alex ander' sehe Operation; 2. die Ven-
troßxatio uteri, 3. die vaginale Fixation des Uterus.
Die Alexandee's c h e Operation besteht in der Verkürzung der
aus dem Leistencanal hervorgezogenen Ligamenta rotunda. Die Technik
dieser Operation ist im Aufsatze j^Prolapsoperationen'' (pag. 691) ausführlich
beschrieben, sie hat in Deutschland viel weniger Beachtung gefunden als in
anderen Ländern; nach P. MtjLLER in Bern ist das Resultat der Operation,
Fixation des Uterus nach vorne, ganz zufriedenstellend. Als Nachtheile wären
nur das Zurückbleiben von Narben an der äusseren Bedeckung und die oft
ziemlich bedeutenden Schwierigkeiten bei der Aufsuchung der Ligamenta ro-
tunda zu erwähnen.
Die Ventrofixation des Uterus besteht in einer Laparatomie und
in der Vernähung des Uteruskörpers oder seiner Seitenbänder mit der vor-
deren Bauchwand.
Herzfeld beschreibt die Technik der Operation folgendermaassen.
In Beckenhochlagerung wird nach gemachten Bauchschnitte der Uterus aus
seinen Adhäsionen entweder stumpf oder mit der Scheere lospräparirt, worauf
der Assistent den Uterus mit den Finger fasst und in die Höhe zieht. Die
ventrale Fixation wird nun vorgenommen entweder durch die mediane die
vordere Wand des Uteruskörpers fassende Naht oder durch zwei seitliche die
Hörner des Uterus fassende Nähte und zwar in der Weise, dass die Naht am
Uterus das Ligamentum rotundum uteri umgreift und hiebei von der Substanz
der vorderen Uteruswand noch genügende Partien mitnimmt. Die Tube in
die Ligatur mitzunehmen muss vermieden werden. Die Naht selbst wird in
der Weise gemacht, dass zunächst im unteren Wundwinkel des Bauchschnittes
die tieferen Schichten der Bauchdecke nevertirt werden und hierauf dass Peri-
toneum und die Muskelfascie der vorderen Bauchwand 1 — 1 7 2^"^ vom Schnitt-
rande entfernt, entsprechend dem unteren Winkel der Bauchwunde, in der
Richtung von der Symphyse nach aufwärts durchstochen wird, so dass die
Nadel wieder am Peritoneum parietale zum Vorscheine kommt. Nunmehr
wird mit derselben Nadel der Faden durch den Uterus in der Weise durch-
gestochen, dass die Nadel in der Substanz des Muskels von oben nach unten
geführt wird. Ist auch auf der zweiten Seite der Faden in derselben Weise
VERGIE'TUNGEN SCHWANGERER. 875
angelegt worden, so wird unter Anspannung der beiderseitigen Fäden der
Uterus elevirt und in den unteren Wundwinkel gepresst. Hierauf knotet man
die beiderseitigen Fäden, indem darauf gerechnet werden muss, dass der freie
Peritonealwundrand nicht mitgefasst werde.
Die Technik der Ventrofixation ist wie ersichtlich eine ganz ein-
fache, jedenfalls eine einfachere als die der ALEXANDioii'schen Operation und
der Vaginofixation. Die Nachtheile der Operation liegen nicht in der Gefähr-
lichkeit einer Laparatomie an und für sich (Infectionsgefahr), als vielmehr in
der Möglichkeit der Adhäsionsbildung mit ihren Folgen und in der späteren
Bildung von Bauchbrüchen.
Die Vaginofixation wird gegenwärtig als das zweckmässigste Ver-
fahren unter den 3 genannten Operationsmethoden gehalten. Die Idee für
diese Operation ist ursprünglich von Sänger angegeben worden, später aber
hauptsächlich durch DtJHRSSEN's Verfahren zur allgemeinen Anerkennung
gelangt.
DüHRSSEN beschreibt die Technik der Operation wie folgt. Man
eröffne das vordere Scheidengewölbe, dränge die Plica vesico-uterina stumpf
in die Höhe. Nachdem man hierauf mittels einer dicken Uterussonde den
Uterusfundus nach vorne gedrängt, lege man 3 — 4 provisorische Fadenzügel
quer durch die vordere Uteruswand, bis der oberste Zügel dicht unter der
fühlbaren Sondenspitze den Fundus durchsetzt. Nunmehr wird der Fundus
durch diesen Zügel in die Laquearwunde heruntergezogen uud durch 3 Chrom-
Catgutnähte mit der vorderen Vaginalwand vernäht. — Müller räth vor
Beginn der Operation wegen der meist gleichzeitig vorhandenen Endometritis
eine Auskratzung der Uterushöhle und eine Ausspülung mit 50 % Carbolsäure-
lösung vorzunehmen.
Durch diese Operation wird eine Dauerheilung der Retroflexio,
resp. der Retroversio ohne Störung in der Conception und
Gestation erzielt.
In jenen Fällen, wo gleichzeitig eine Adnexenoperation indicirt er-
scheint, empfiehlt Dührssen die Eröffnung des Peritoneums von der Vagina
aus und die Entfernung der Adnexe, woran erst die Vaginofixation ange-
schlossen wird. Dieses Operationsverfahren ist eine vaginale Lapara-
tomie {v. pag. 535.) c. r.
Vergiftungen Schwangerer. Vergiftungserscheinungen können im
Graviditätszustande auftreten, wenn ein Gift absichtlich (suicidii causa) oder
zufällig (durch besondere Versehen) eingenommen wurde. Die Symptomato-
logie und Prognose dieser Vergiftungen ist selbstverständlich dieselbe, wie die
bei anderen Individuen. Nur mit Rücksicht darauf, als das Gift den Foetus
schädigen kann, durch Anregungen von Wehencontractionen oder durch
Affection der Uterusschleimhaut eine Fehlgeburt herbeizuführen vermag,
haben diese Intoxicationen Interesse für den Gynaekologen. Hievon sind
jene Fälle von strafgerichtlicher Bedeutung, in denen das Gift in der Inten-
tion einen Abortus herbeizuführen genommen wurde.
Experimentelle Untersuchungen haben ergeben, dass es zahlreiche Gifte gibt, welche
auf den nicht schwangeren Uterus so gut wie gar nicht einwirken, auf den schwangeren
aber umso intensiver, je näher das Thier dem Ende der Geburt ist (Kobert).
Um die Wirkung verschiedener Gifte auf den Uterus zu
studieren, wurden Versuche am freigelegten Uterus des im Kochsalzbade be-
findlichen Thieres ausgeführt. (A. Röhrig, Basch Hoffmann u. a.\
Wenn man nach subcutaner oder intravenöser Injectiou des Giftes Uterus-
bewegungen auftreten sieht, so handelt es sich um Reizung des Lenden-
markscentrums, der Uterusganglien oder der Utejusmusculatur. Wenn das
876 YEKGIFTÜNGEN SCHWANGERER.
Gift auch noch nach Ausbohrung des Lendenmarkes mit dem Glüheisen Uterus-
contractionen hervorruft, so liegt der Angriffspunkt der Reizwirkung
im Uterus selbst.
KoBERT hat den Weg angegeben, auf dem es in Zukunft vielleicht möglich sein
wird, genauere Kenntnisse über die Einwirkung gewisser Gifte auf den Uterus zu erhalten.
Man bediene sich bei derartigen Experimenten des von C. Jakob y construirten Haemati-
sators, eines Apparates zur Durchblutung isolirt überlebender Organe. Zunächst eruire
man, ob der Uterus, der gravide und der nicht gravide, sich überhaupt zusammenzieht. Ist
dies der Fall, so wähle man zu weiteren Versuchen das ganglienfreie Hörn eines Kaninchen-
oder Kuhuterus. Tritt hiebei wehenartige Contraction des Organstückes ein, so handelt
es sich um ein Gift, welches die glatte Musculatur direct reizt. Bleibt hingegegen
dieses Hörn ohne Bewegung, während der ganze Uterus in Contraction geräth,
so handelt es sich um ein Gift, welches das an der Vorderwand der Vagina ge-
legene Uterusganglion von Dembo in specifischer Weise reizt. Tritt gar keine Bewegung
in beiden Fällen ein und findet bei Einverleibung in das ganze Thier Abortus statt,
so handelt es sich um ein Gift, welches das im Lendenmark gelegene Uteruscentrum reizt.
Vergiftungen Schwangerer können weiters durch die Einnahme von
Medicamenten, die wegen Erkrankungen irgend welcher Art verordnet
wurden, zu Stande kommen. Die Möglichkeit einer Schädigung des Foetus muss
der Arzt, der einer Graviden ein stark wirkendes Arzneigift verschreibt, sich immer
vor Augen halten. Je empfindlicher das weibliche Individuum seiner Constitution
nach ist, desto grössere Vorsicht ist am Platze. Ebenso gefährlich wie die interne
Einnahme von Arzneigiften, kann auch die externe Application von Salben,
Klysmen, Suppositorien, Irrigationen werden, eine Thatsache, die auch im
Allgemeinen viel zu wenig gewürdigt wird. Bei der heutzutage in Mode ge-
kommenen Art, wie Aerzte, gegen geringfügige Kopfschmerzen die mit toxi-
schen Eigenschaften begabten Nervina (Antipyrin, Antifebrin etc.) leichthin
verordnen, bei „etwas Magendrücken" Belladonna und Canabis indica nelimen
lassen, gegen vorübergehende Schlaflosigkeit gleich mit dem schweren Ge-
schütz der Hypnotica (Chloral, Amylenhydrat, Trional etc.) anrücken, endlich
insbesondere mit dem Morphin ziemlich freigebig verfahren, muss ganz be-
sonders betont werden, dass namentlich bei Graviden, wo oft der Schwan-
gerschaftszustand als solcher die Ursache eines oder des andern der genannten
Symptome bildet, diaetetische und hydrotherapeutische Maassregeln
in erster Linie Verwendung finden sollen und nur, wo diese versagen, Arznei-
gifte vorsichtig gebraucht werden dürfen.
Die Frage, welche Arzneigifte den placentaren Kreislauf leicht passiren und
derart den Foetus schädigen können, ist noch nicht eingehend genug studirt.
Immerhin ist der Uebergang einer Reihe von medicamentösen Substanzen
auf die Frucht mit Sicherheit erwiesen.
Intoxicationsgefahren für die Schwangeren werden ferner durch jene
Agentia herbeigeführt, die als Antiseptica in der chirurgischen und ge-
burtshilflichen Therapie gebraucht werden. So sind jene Fälle berücksichtigens-
werth, wo es nothwendig ist bei Graviden chirurgische Eingriffe vorzunehmen,
die das Genitale zwar nicht direct betreffen, aber dennoch aus besonderen
Indicationen an irgend einem Körpertheil vorgenommen werden müssen.
Nach den strengen Principien der modernen Chirurgie sind wir gezwungen
den Körper der Graviden mit Giften in Berührung zu bringen, deren Resorp-
tion, wenn auch nicht auf den mütterlichen, so doch auf den kindlichen Or-
ganismus von unheilvollen Einflüsse zu sein vermag. Bei Operationen,
die an graviden Frauen ausgeführt werden müssen — die Frage, ob der
chirurgische Eingriff unbedingt indicirt und nicht bis nach Ablauf der
Gravidität durch eine andere Art der Therapie ersetzt werden kann, muss vorher
stricte beantwortet sein — wird es die Aufgabe des Operateurs sein, womöglich
„aseptisch" statt „antiseptisch" zu verfahren und von den Antiseptica jene an-
zuwenden, denen der geringste Grad der Giftigkeit zukommt. Dasselbe gilt
selbstverständlich für die Behandlung der Erkrankungen der weiblichen Geni-
VERGIFTUNGEN SCIIWANGERRR. 877
talien z. B. der gonorrhoischen Affection l)ei Graviden, soforiic stark giftige
antiseptische Lösungen als therapcutisclio Agentien üblich sind.
In der geburtshilfliclien Therapie droht die Gefahr der Intoxica-
tion post partum, wenn Uterus oder Scheidenausspülungen aus irgend welchen
Gründen nothwendig sind. In den Bestrebungen Antiseptica von mögliclist
geringen toxischen Nebenwirkungen zu gebrauchen, hat das Sublimat dem
Creolin und Thymol und in neuester Zeit dem Lysol Platz machen müssen.
Welche Principien hinsichtlich des Gebrauches von Antiseptica in der
Geburtshilfe in Deutschland und Oesterreich gegenwärtig Geltung haben, ist
in den beiden Theilen des Aufsatzes y,Äntisepsis in der Geburtshilfe'-^ aus-
führlich dargelegt (vid. pag. 34. und pag. 41).
Im Nachfolgenden sei über den Einlluss der wichtigsten Arzneistoffe auf
den Graviditätszustand berichtet, soferne über diese Frage im Einzelnen be-
sondere Beobachtungen vorliegen.
Aetherisclie Oele sind während des Scliwangerschaftszustandes jedenfalls mit
besonderer Vorsicht zu verordnen, da sie erwiesenermaassen abortive Eigenschaften
besitzen. Der Repräsentant dieser Stoffe bildet das Ol. Sabinne, das ätherische Gel
des Juniperus Sabina, seit der ältesten Zeit im Rufe und Gebrauche eines Aljorti-
vums. Das Gleiche gilt vom Ol. Thuyae, Ol. succini, Ol. terehinthinae u. a. In
England ist als Volksabortivum unter dem Namen Pennyorayl ein Kraut Poley,
Mentha Pulegium L. (Labiatae) in Gebrauch dessen wirksamer Bestandtheil ein
ätherisches Oel Ol. Pulegli bildet. Maechall sah bei einer Graviden nach Einnahme
dieses Oeles schweren Collaps und Abortus eintreten.
Alcohol kann in Form von Bier und leichter VVeinsorten graviden Frauen
gestattet werden, dagegen sind „andere Formen der Alcoholeinnahme" entschieden
zu meiden.
Die Frage ob stillende Frauen Alkohol zu sich nehmen dürfen erscheint
deshalb wichtig, weil die mit der Milch elimenirte Alkoholmenge direct schädlich
auf den Gesundheitszustand des Säuglings einzuwirken vermag. Die von Klingemanx
unter Binz angestellten Untersuchungen an Thieren (Ziegen) und stillenden Frauen
ergaben, dass nach massigem Alkoholgenuss überhaupt kein Alkohol in der Milch
nachzuweisen ist und selbst bei bedeutender Aufnahme von Alkohol geht nur eine
geringe Quantität, bis höchstens O-ö^/o des aufgenommenen Quantums in die
Milch über.
' Gleichzeitig zeigte sich aber, dass nach reichlichem Alkoholgenuss der Nähr-
werth der Milch abnimmt, in dem das Verhältnis zwischen Eiweiss und Fett sich
verändert. Amylalkohol, wie er in schlechten Branntwein vorkommt, wirkt ent-
schieden schädlich, wie z. ß. ein Fall Demme's beweist, in dem ein Kind heftige
Convulsionen bekam, nachdem die Amme reichlich Schnaps getrunken hatte. Dezime
folgert daraus das praktische Gebot, Stillende nur massige Quantitäten von alkoholischen
Getränken (aber jedenfalls keinen Branntwein) trinken zu lassen.
Aloe in grossen Dosen wird als Abortivmittel gebraucht, als stark wh'kendes
Drasticum ist es ärztlicherseits während der Schwangerschaft nicht zu verordnen.
Dasselbe gilt von allen jenen Abführmitteln, die der Aloe an Wirkungsintensität an
die Seite zu stellen sind. Man warne stets vor dem Gebrauch der als Specialitäten
verkäuflichen „Blutreinigungs-, Entfettungs-, etc. pillen".
Ammoniak. Es sind Fälle bekannt, aus denen abortive Eigenschaften des
Ammoniak zu erschliessen sind. Nach Röhrig's experimentellen Untersuchungen
wirkt das freie Ammoniak auf Uterusmusculatur und Uterusganglien stark reizend.
Arsenik soll während der Gravidität womöglich nicht verwendet werden,
zumalja nur schwere Anaemien und chronische Hautaffectionen eine besondere Indi-
cation für die Arseneinnahme abgeben und in diesen Fällen während der Zeit der
Gravidität wohl durch andere Arzueistoff'e ersetzt werden kann. Rebee berichtete
über einen Fall, in dem Arsen in abortiver Absicht genommen wurde, es erfolgte
letaler Ausgang ohne vorherige Ausstossung des Kindes.
878 VERGIFTUNGEN SCHWANGERER.
Belladonna. In einem Falle von Atropinvergiftung wurde die im 5. Monate
bestehende Gravidität nicht unterbrochen.
Benzoesäiu'e. Von diesem Arzneistofl" ist es direct nachgewisen, dass er vom
mütterlichen Organismus aus durch die Placenta in die Frucht übergehen könne.
Blei. Die chronische Bleivergiftung wirkt auf den Schwangerschaftszustand
eminent schädlich. Aborte sind bei mit Blei hautirenden Arbeiterinnen sehr häufig.
Nach C. Paul kamen bei 81 Frauen mit 123 Schwangerschaften 64 Aborte und 6 Früh-
geburten vor. Sehr häufig wurden auch Todtengeburten beobachtet und selbst unter
den lebend geborenen Kindern herrscht in den ersten Lebensjahren ein bedeutendes
MortalitätsiDcrcent.
Caspee berichtet über einen Fall von acuter Bleivergiftung, in der nach zwei
Tagen Frühgeburt und später letaler Ausgang erfolgte.
Cantliariden stehen nicht nur im Rufe eines Aphrodisiacums, sondern auch
in dem eines Abortivums. Sie besitzen aber selbst in toxischen Gaben keine directe
Wirkung auf den Uterus und führten in den beschriebenen Fällen wohl nur durch
hochgradige Irritation der Gedärme und der damit verbundenen Blutcongestion den
Abortus herbei.
Carbolsäure. Die Casuistik der Carbolsäurevergiftungen nach geburtshilflicher
Anwendung ist sehr reichhaltig. Küstner, Fhitsch, Olshausen, Kbuckenberg
u. A. haben hiezu publicistisches Material geliefert.
Nach Ausspülen der Uterushöhle mit Carbolsäure beobachtete man plötzlichen
Collaps. Später kam es zu Delirien, Ohrensausen, Pupillenverengerung, profusen
Schweissen und letalem Exitus.
Keuckenbeeg sah Haemoglobinaemie und Haemoglobinurie nach intraute-
riner Ausspülung einer 3°/o Carbolsäurelösung in der Quantität von 2 '7 Liter.
Chinin wird als wehenbeförderndes Mittel angesehen. In Amerika soll das
Chinin nach Boenbcken als criminelles Abortivmittel gebräuchlich sein. Nach
Pollax kommen in Malariagegenden in Folge Einnahme grosser Chinindosen Aborte
häufig vor. Dagegen berichtet v. Goth, dass er bei 46 wegen Malaria behandelten
Schwangeren vom Chinin keinen Schaden für die Frucht beobachten konnte.
Chloroform. Bei der Häufigkeit, mit der in der Gegenwart Narcosen bei Schwan-
geren und Gebärenden vorgenommen werden, scheint die Berechtigung zu bestehen,
das Chloroform, in massigen Gaben angewandt, als für Schwangere ungefährlich,
resp. ebenso gefährlich wie für andere Individuen zu bezeichnen. Ebenso ist es für
den Foetus in den geringen Mengen, in den es nach Zweifel erwiesenermaassen
übergeht, ohne Bedeutung.
Digitalis ist Schwangeren jedenfalls nur mit Vorsicht zu verordnen, da Fälle
bekannt sind, in denen selbst nach geringen Dosen Abortus, resp. Frühgehurt eintrat.
Kampher. Die Kampherarten stehen chemisch und toxisch den ätherischen
Oelen nahe. Demzufolge ist auch ihr Gebrauch als Abortivmittel erklärlich. Kubt
berichtet über einen Fall, in dem ein V. para Kampher zur Herbeiführung eines crimi-
nellen Abortus eingenommen hatte, worauf Tobsuchtsanfälle und Convulsionen auftraten,
aber bald wieder vorübergingen, ohne dass die Gravidität unterbrochen wurde. Der
Tanacetkampher, ein dem gewöhnlichen Kampher isomerer Stoff, ist der wirk-
same Bestandtheil des als Volksabortivumviel gebrauchten Rainfarns, Tmiacetum vulgare.
Kohlenoxyd. Lässt man nach Fehling trächtige Thiere Kohlenoxyd ein-
athmen, so kann man dasselbe im foetalen Blute nachweisen, v. Hofmann und Ludw^ig
konnte diese experimentelle Beobachtung nicht bestätigen. Falk fand bei einer an
CO-Vergiftung verstorbenen Schwangeren wohl im mütterlichen, aber nicht im fötalen
Blute CO. In den Fällen, in denen der Foetus bei erhaltenen Leben der Mutter
ausgestossen wurde, scheint der Tod der Frucht blos durch Ei-stickung, nicht durch
üebergang des Gases in den foetalen Kreislauf erfolgt zu sein.
Morphin. Dieses unentbehrlichste aller Arzneimittel muss während der
Schwangerschaft jedenfalls mit Vorsicht angewandt werden. Kleine Dosen haben
keine Wirkung auf die Gravidität. Nach grösseren Gaben tritt Abortus ein. Nach
VERGIFTUNGEN SCHWANGE HEU. 879
V. Hofmann dürfte die durch Gefässlähmung bedingte Jioliinderung des foetalen Gas-
austausches die Ursache hiefür abgeben. Ein dirccter (lebergang des Morphins in
den Fötus ist nach Waltek's Thierexperiruenten niclit anzunelnnen.
Nicotin. Chronische Nicotinintoxication soll Veranlassung zu Abortus geben,
nach KoBERT auch die acute Intoxication.
Lysol. Das Lysol wird gegenwärtig wohl am häufigsten von allen Antisepticis
in der geburtshilflichen Praxis verwendet. Allgemein wird seine relative „Ungiftig-
tigkeit" gegenüber anderen Desinficientien hervorgehoben. Vergleichende Versuche
zwischen der Anwendung von Carbol- und Lysollösungen sprechen entschieden zu
Gunsten der letzteren. Pelzek konnte durch uterine Ausspülungen mit 2'% Lysol-
lösungen in 707o der Fälle Abfall des Fiebers bis zur Norm erzielen, während dies
nur in 5 3' 3 3^0 mittels 3% Carbol gelang.
RossA sah nach einem 1% Lysolsitzbad bei einer Graviden eine Urticaria, nach
1% Vaginalausspülungen bei einer anderen Schwangeren ein Lysoleczem regel-
mässig auftreten.
Pilocarpin hat entschieden wehenerregende Eigenschaften, da es ja selbst
von Geburtshelfern als medicamentöses Abortivum empfohlen wird. Vergleiche hier-
über den Aufsatz ,, Frühgeburt (künstlich)'', pag. 277.
Phosphor gilt unerklärlicher Weise im Volke als Abortivmittel. Eine grosse
Anzahl von Phosphorvergiftungen kommt in der Absicht, mit der Einnahme von
Phosphor Abortus hervorzurufen, vor. Dass bei Phosphorvergifteten im Graviditäts-
zustande Abortus eintritt, erklärt sich aus der deletären Wirkung des Phosphors,
die zu Hämorrhagien in allen Organe Veranlassung gibt, eine directe Einwirkung
des Phosphors auf die Gebärmutter besteht nicht. Wenn es zur Fehlgeburt kommt,
dann haben sich auch meistenstheils anderweitige irreparable Folgen der Intoxica-
tionen eingestellt und die Vergifteten sind meistentheils verloren. Es kann aber
auch der Tod noch früher eintreten, bevor die Ausstossuug der Frucht stattfindet.
Quecksilber. Von diesem Arzneistoff wird behauptet, dass sowohl die acute
als auch die chronische Intoxication Abortus veranlassen kann. Selbst die Inunctions-
curen bei Syphilitischen werden als für die Frucht gefährlich erklärt. Demgegenüber
äussern sich die Syphilidologen vollkommen ablehnend, v. Siegmund betont, dass
Schmiercuren bei luetischen Frauen ohne Schaden für die Frucht vorgenommen werden
können und Fehlgeburten nicht wegen, sondern trotz der Schmiercur vorkommen.
Nach F. Weber, der 129 Gravide antiluetisch behandelte, kamen von 35 mittels
Inunctionen behandelten keine einzige frühzeitig nieder, während bei anderen Me-
thoden 15 — 36*^/0 abortirten.
Salicylsänre. Ein sicherer Einfluss der Salicylsäure auf die Gebärmutter ist
nicht erwiesen, trotzdem einzelne Beobachtungen und die Ergebnisse einzelner Thier-
experimente dafür sprechen. Binz hat die praktisch wichtige Frage über die Wir-
kung des Salicyls auf die Gebärmutter ausführlich studirt (Berl. Hin. Wochenschrift
Nr. 41. 1893) und kommt zu dem Schlüsse, dass das Salicyl, wenn es wegen Eheu-
matismus angezeigt erscheint, nur mit Vorsicht da zu geben ist, wo Neigung zu
Fehl- oder Frühgeburt besteht. Dieselbe Regel lässt sich wohl auf alle Derivate
des Salicyls übertragen (Salipyrin, Salol etc.j.
Seeale cornutum ist insoferne ein „wahres Abortivmittel, als ihm direct
contractionserregende Wirkung auf den Uterus zugeschrieben werden kann". Die
Ursache, warum dieses Mittel relativ wenig zu criminellen Absichten gebraucht wii'd.
liegt w^ohl darin, dass dasselbe dem Publicum durch Handverkauf nicht zugänglich
und von den berufsmässigen Abtreiberinnen vielleicht wegen seiner bekannten giftigen
■Eigenschaften gefürchtet wird. Immerhin sind eine Reihe von Fällen bekannt, in
denen Seeale als Abortivmittel gebraucht wurde. Von Taylor, Otto u. a. wird berichtet,
dass selbst grosse Dosen wohl den Tod, aber nicht den gewünschten Abortus her-
beiführten. Hiemit stimmen die Erfahrungen der Geburtshelfer überein, demzufolge
*) Vgl. „Si/philis der Schwangerschaft^ , pag. 802,
880 VERLETZUNGEN DES KINDES.
die "Wirkung der Seeale auf den Uterus niclit als eine „absolut sichere" bezeichnet
werden darf, Bei der chronischen Intoxication (Kriehelkrankheit) kommen habituelle
Aborte vor.
Sublimat. Sublimatintoxicationen bei Schwangern, Kreissenden, und Wöchne-
rinnen sind in der Literatur zahlreich besclirieben. In allen diesen Fällen handelte
es sich um die Anwendung gi'osser Mengen, 1 — 6 und noch mehr Liter concentrirter
Sublimatlösungen, von denen ein Theil durch Stagnation zurückblieb und sowohl von
offenen Stellen als auch von der intacteu Schleimhaut aus zur Resorption kam.
Die überwiegende Mehrzahl der Geburtshelfer (die Deutschen schon seit einigen
Jahren, die Franzosen erst in letzter Zeit) wenden das Sublimat überhaupt nicht
mehr au und warnen vor dessen Application. Bemerkenswert!! ist ein Fall von
ScECRADEE, in dem schwere Sublimatintoxication nach Einführung einer längeren
Zeit in Sublimatlösung (1:1000) gelegenen Bougies behufs Einleitung der Frühgeburt
eintrat. Jul. Weiss.
Verletzungen des Kindes. Die Verletzungen, weiche das Kind in
manchen Fällen während der Geburt erleidet, können ihre Ursachen in
Beckenahnormitäten, in einem fehlerhaften Geburtsmechanismus und opera-
tiven Eingriffen haben. Manche sind so charakteristisch, dass man aus ihnen
sofort auf die Art ihrer Entstehung schliessen kann. Während viele so
geringfügig sind, dass sie überhaupt keine Erscheinungen hervorrufen, ge-
fährden, ja vernichten andere das Leben des Kindes.
Verletzungen der Kopfhaut werden sehr häuüg beobachtet, wenn
der Kopf durch ein enges Becken gegangen ist, in der Eegel aber nur dann,
wenn das Kind in Schädellage geboren ist. Es hat dies seinen Grund darin,
dass ein längerer Druck einwirken muss, um jene Verletzungen, Druck-
marken genannt, hervorzubringen; der kurze Druck, welchen der nachfolgende
Kopf bei dem Durchziehen durch die verengte Stelle erleidet, reicht hierzu in
der Eegel nicht aus. Während es sich meist um einfache Hautröthung, um
Sugillationen handelt, kann die Haut bei sehr lange einwirkendem Druck in
grösserer oder geringerer Ausdehnung nekrotisch werden.
Gewöhnlich ist es das Promontorium, durch dessen Einwirkung jene
Druckmarken entstehen. Doch können auch die vorderen Beckenpartien solche
an den ersteren entgegengesetzten Partien des kindlichen Schädels herbei-
führen. Entweder finden sich nur Druckpunkte und zwar mehrere dann, wenn
der Kopf seine Stellung auf dem Beckeneingang änderte, oder Druck-
streifen, w^enn das Promontorium auf den an ihm vorbeirückenden Schädel
nicht an einer Stelle, sondern in fortlaufender Linie einen Druck ausübte.
Die Druckstreifen verlaufen gewöhnlich vom vorderen, oberen Winkel des
Scheitelbeines der Kreuznaht annähernd parallel nach der Gegend des Ohres
zu und setzen sich manchmal hier in einem stumpfen Winkel auf das Ge-
sicht fort.
Beim platten Becken finden sich auch wohl zwei einander parallele
Streifen. Entweder verdankt der eine derselben einem falschen Promontorium
seine Entstehung oder der Kopf erlitt durch Aenderung seiner Stellung auf
dem Beckeneingang an zwei Stellen einen Druck.
Einer Behandlung bedürfen die Druckmarken nur dann, wenn sie ne-
krotisch werden. Unter Verbänden mit Ichtyolsalbe, Jodoformgaze, Dermatol
u. s. w. heilen sie stets, wenn auch oft langsam.
In der Regel gleichfalls belanglos ist das Kephalhaematoma, die
K 0 p f b 1 u t g e s c h w u 1 s t, " ) ein Bluterguss zwischen Pericranium und Schädel-
knochen. In Folge der festen Anheftung des ersteren an den Rändern der
einzelnen Schädelknochen überschreitet der Bluterguss nie die Grenzen des
*) Vergl. Artikel „GeburtsgescJiiviilst," pag. 284.
VERLETZUNGEN DES KINDES. 881
Knochens, auf welchem er entstanden ist. Am liilofigsten kommen Kephal-
haematome auf den Scheitelbeinen vor. Sie können auf verschifidene Weise
entstehen. In manchen Fällen sind sie die Folge von Schädelfracturen, be-
ziehungsweise Fissuren; in anderen die des J)ruck(5S der mütterlichen Geburts-
wege. Nach Fritsch weicht in dem Augenblick, in welchem die Wehe aufhört,
der Schädel zurück, während das Pericranium von dem eng anliegenden
Genitalcanal festgehalten wird, hiedurch reissen die kleinen Gefässchen, welche
vom Periost zum Knochen gehen. Auch die intrauterine Asphyxie mit der
aus ihr resultirenden passiven Hyperaemie der Schädelde(;ke wird als ätiolo-
gisches Moment angesehen.
Häufig wächst der Bluterguss noch in den ersten Stunden, auch wohl
Tagen nach der Geburt. Später bildet sich an seiner Peripherie eine ring-
förmige Leiste, welche bald Knochenhärte annimmt. Thatsächlich ist sie Folge
eines periostalen Entzündungsprocesses. Der Bluterguss ist dunkel, dicklich.
In der Regel tritt spontane, wenn auch langsame Picsorption ein. In neuerer
Zeit hat man die Heilung durch Aspiration oder Incision mit nachfolgender
Anlegung eines Druckverbandes beschleunigt. Kommt es zur Vereiterung des
Blutergusses, so ist baldige Spaltung des Abscesses geboten.
Bedingen die Kephalhaematome keine Gefahr für das kindliche Leben,
so ist dies anders mit den sich innerhalb des Schädels bildenden
Blutergüssen. Nicht selten finden sich solche als Complicatiouen eines
Kephalhaematoms, sei es in Folge oder ohne eine Knochenverletzung. Sie
kommen keineswegs nur, wie man annehmen sollte, nach sehr schweren,
spontan verlaufenen oder auf operativem Weg beendeten Geburten vor. Grosse
Blutergüsse, wie sie in Folge Zerreissungen des Sinus transversus und longi-
tudinalis bei Nahttrennungen entstehen, führen immer zum Tod des
Kindes. Aber auch kleinere können in gleicher Weise wirken, zumal wenn
sie sich an der Schädelbasis bilden. Wenn bei allen während oder bald nach
der Geburt gestorbenen Kindern die Schädelsection gemacht würde, so würde
ohne Zweifel bei den meisten die Todesursache in solchen intracraniellen Blut-
ergüssen gefunden werden. In neuester Zeit hat von Peeuschen die letzteren
auch für das Auftreten von M e 1 a e n a neonatorum verantwortlich gemacht.
Die schon erwähnten Schädelfissuren und Fracturen können
ebenso wie die Impressionen sowohl in Folge spontaner wie operativ be-
endeter Geburten (Zange, Extraction des nachfolgenden Kopfes) entstehen.
Im ersteren Fall handelt es sich, von seltenen Ausnahmen abgesehen, um
Geburten bei verengtem, insbesondere plattem Becken. Man unterscheidet
rinnen- und löffel-(trichter-)förmige Impressionen. Die flacheren,
rinnenförmigen finden sich meist an dem die Sutura coronalis begrenzenden
Scheitelbeinrand; die tiefen, löffeiförmigen, je nach der Stellung des Kopfes
bei seinem Eintritt in das Becken, entweder auf dem Stirnbein oder dem
Scheitelbein zwischen Tuber, grosser Fontanelle" und Sutura coronalis.
In der Mehrzahl der Fälle rühren die Impressionen vom Promontorium
her. Sehr selten danken sie ihre Entstehung dem Druck der fest ange-
legten Zange und zwar haben sie dann meist ihren Sitz auf dem Stirnbein.
Die Prognose ist keine so ungünstige, w^ie vielfach angenommen wii'd.
Zwar geht ein grosser Theil der Kinder zu Grunde, nicht an der Schädel-
verletzung, auch nicht etwa an durch diese direct bedingten Störungen des
Centralnervensystems, sondern durch die bereits besprochenen Gehirnblutungen.
Bei Anderen dagegen haben die Impressionen Erscheinungen irgend welcher
Art überhaupt nicht zur Folge; bei manchen verschwindet der Eindruck all-
mälig, bei vielen wird er wohl etwas flacher, bleibt aber doch dauernd er-
halten. Besonders ist dies bei den auf dem Stirnbein sich findenden Im-
pressionen der Fall.
Bibl. med. Wissenschaften I, Geburtshilfe und Gynaekologie. OD
882 VERLETZUNGEN DES KINDES.
Oft sind die Impressionen durch kleine Fissuren und Fracturen com-
plicirt, welche bedeutungslos sind. Dagegen kommen Brüche und Nahtzer-
reissungen vor, welche durch intracranielle Blutergüsse, durch Anreissen eines
Sinus den Tod des Kindes herbeiführen. Letztere Complication ist bei Tren-
nung des Scheitel- und Schläfenbeines in der Sutura squamosa nicht selten,
welche zwar auch bei Extraction des vorausgehenden, häufiger noch bei der
des nachfolgenden Körpers durch den verengten Beckeneingang beobachtet wird.
Noch bedenklicher ist die Lösung der Partes condyloideae vom
Hinterhauptbeine, welche gieichfalls ihr Zustandekommen öfter der Ex-
traction des nachfolgenden als des vorangehenden Kopfes dankt. Hier wird
entweder das Hinterhaupt durch den directen Zug der Zange von den Gelenk-
theilen abgerissen oder dasselbe wird von den Seiten her derart comprimirt,
dass es sich von den Partes condyloideae trennen muss und dann zuweilen
unter sie geschoben wird. Tödtlich wirkt diese Verletzung meist durch die
sichanschliessende Blutung, in manchen Fällen durch die Compression der Medulla.
Auch ein Bruch des Nasenbeines ist wiederholt beobachtet worden,
sowohl nach spontaner als besonders mit der Zange beendeter Geburt. Ueber-
haupt ist die letztere Ursache mancherlei Verletzungen des Gesichtes. Schon
nach leichten Zangenextractionen beobachtet man nicht selten von den Bändern
der Löffel herrührende Druckmarken, bei schweren nicht minder tiefe Druck-
usuren an der Haut des Schädels oder Gesichtes. Auch Zerquetschungen
eines Augenlides kommen vor. Ferner ist die Zange oft Ursache einer aus-
gesprochenen Facialisparese, welche von einem Druck auf den Nerven
bei seinem Austritt aus dem Foramen stylo-mastoideum herrührt. In der
Mehrzahl der Fälle verschwindet sie nach wenigen Tagen, spätestens Wochen.
Wenn nicht, ist Faradisation am Platz.
Ausnahmsweise ist eine Facialislähmung centralen Ursprungs. Sie hat
dann ebenso wie Lähmungen anderer motorischer Gesichtsnerven (Oculomo-
torius, Trochlearis, Abducens) ihren Grund in Blutungen an der Gehirnbasis.
Die Prognose für das kindliche Leben ist hier eine sehr schlechte.
Schliesslich sind als, wenn auch seltene Verletzungen am Kopfe des
Kindes solche zu erwähnen, welche durch Anwendung des VEiT-SMELiE'schen
Handgriffes im Mund, bezw. am Kiefer entstehen, Einreissen an den
Mundwinkeln, Quetschungen der Zunge, Fracturen des Unterkiefers. Natürlich
werden sie nur dann zu Stande kommen, wenn die Extractionsversuche mit
zu grosser Kraft und mit Ungeschick ausgeführt werden.
Am Hals kommt es nicht selten zu subcutanen Gewebszerreissungen und
Blutergüssen, besonders solchen in der Scheide 'des M. sternocleidomastoideus
(Haematoma m. sternocleidomastoidei). Sie entstehen nicht nur
nach Extractionen am vorangehenden oder nachfolgenden Kopf, sondern
auch bei spontan verlaufenden Geburten. Im letzteren Fall sind sie klein
und meist auf den Sternocleidomastoideus beschränkt.
In der Kegel danken diese Verletzungen ihre Entstehung einer zu
starken Dehnung der betreffenden Theile entweder in Folge directer Zug-
wirkung oder, was zumal bei den Haematomen des Sternocleidomastoideus der
Fall ist, einer übermässigen Drehung des Kopfes.
Gewöhnlich tritt in den fraglichen Fällen innerhalb einiger Wochen eine
vollständige Resorption des Blutergusses ein, ohne irgend eine dauernde
Störung zu hinterlassen. Doch kann sich bei ausgedehnten Zerreissungen durch
Narbenbildung ein Caput obstipum ausbilden.
Zerreissungen derWirbelsäule kommen heutzutage relativ selten
vor, am häufigsten noch solche der Halswirbelsäule (mit Abtrennung des
Kopfes) gelegentlich der Extraction am Steiss oder den Füssen bei unge-
nügend erweitertem Muttermund, bezw. Cervix, zumal wenn es sich um ein
abgestorbenes oder macerirtes Kind handelt.
VERLETZUNGEN DES KINDES. 883
Bei schweren Extractionen kann es zu Blutungen i n die Peritoneal-,
seltener in die Pleurahöhle, auch zur Bilduufi^ von subperi tonealen
Haematomen der Leber kommen. Doch sind letztere wahrscheinlich nicht
so oft traumatischen Ursprungs als Folgen der hochgradigen Stauungshyperämie,
welche sich in dem Organ asphyktisch gestorbener Neugeborener findet. Auch
ein Fall von Milzruptur (Ballantyne) und eine Nierenruptur mit retroperi-
tonealer Blutung (Smith) ist beobachtet worden.
Zerreissungen der Nabelschnur während der (ieburt kommen
entweder bei Insertio velamentosa oder relativer (Umschlingungen j oder ab-
soluter Kürze des Stranges vor. Zerreisst der letztere noch vor der Geburt des
Kindes, bezw. des Kopfes, so kann das Leben desselben durch die aus den ver-
letzten Gelassen eintretende Blutung gefährdet werden. Die bei Sturzgeburten
ziemlich häufige Zerreissung der Nabelschnur führt verhältnismässig selten den
Tod des Kindes herbei.
Unter den Verletzungen der Extremitäten ist dicFractur des
Schlüsselbeines diejenige, welche am häufigsten vorkommt. Sie kann
durch directe oder indirecte Gewalteinwirkung entstehen, durch directe, wenn
vor der Armlösung die Schulter stark heruntergedrückt wird oder bei der
Extraction des Kopfes durch Druck der über den Nacken gehakten Finger auf
den Knochen; durch indirecte, wenn die zur Armlösung in das Becken ein-
geführte Hand, um neben der Schulterbreite Platz zu finden, diese so stark
comprimiren muss, dass das Schlüsselbein einknickt. In diesem Fall findet
sich die Fracturstelle an der Grenze des mittleren und äusseren Drittels, an
der medialen Seite des Ligamentum coraco-claviculare, im ersteren mehr in
der Mitte.
Die Behandlung besteht in Fixation des betreffenden Armes durch ein
dreieckiges Tuch, besser durch einen SAYKE'schen Heftpflasterverband, welcher
beim Baden des Kindes liegen bleiben kann. ■
Wie der Bruch des Schlüsselbeines kann auch die Trennung seiner Dia-
physe von der sternalen Epiphyse in der beschriebenen Weise auf indirectem
Weg entstehen. Auch eine übermässige Spannung des Sternocleidomastoideus
kann diese Folge haben.
Eine andere, gleichfalls häufig vorkommende Verletzung ist die Fra ctur
des Humerus, beziehungsweise die Trennung seiner oberen Epiphyse von
der Diaphyse. Beide kommen ausschliesslich bei der Armlösung zu Stande
und zwar erstere bei regelrechter Armlösung am Gesicht vorbei durch direc-
ten Druck des Fingers. Erklärlicherweise erfolgt sie leichter, wenn die
Lösung nur mit einem Finger als mit 2 oder 4 Fingern bewerkstelligt wird.
Zur oberen Epiphysentrennung kommt es besonders häufig bei Lösung des
in den Nacken geschlagenen Armes, aber auch bei Extraction des Kindes mit
dem in die Achsel eingehakten Finger bei Kopflage. Gewöhnlich reisst das
Periost ein und die Diaphyse tritt durch den Riss. Verwechslungen mit Luxa-
tionen des Humerus können hier leicht vorkommen und sind ohne Zweifel vorge-
kommen. Denn jene sind ausserordentlich selten; möglich sogar, dass es sich
stets in den Fällen, in welchen sie angeblich beobachtet worden sind, um Ver-
wechslungen mit den fraglichen Epiphysentrennungen gehandelt hat. Als charak-
teristisch für die letztere bezeichnet Küstner entschiedene, manchmal starke
Einwärtsrotation des Humerus mit consecutiver Hyperpronation des Unter-
armes. Die Einwärtsrotation ist Folge der Wirkung des an der Diaphyse
inserirenden Pectoralis major, Latissimus dorsi und Teres major. In difi:eren-
tial-diagnostischer Hinsicht beachtenswerth ist auch das Fehlen einer Ab-
fiachung der Schulter. Ist es zu einer Dislocation des Diaphysenendes nicht
gekommen, so lässt sich weiche Crepitation nachweisen.
Erwähnt muss noch werden, dass nach den beschriebenen Humerusver-
letzungen sehr häufig Lähmungen der betreÖenden Extremität beobachtet
56*
884 VERLETZUNGEN SCHWANGERER.
werden. Man hat sie auf Nervenläsionen zurückgeführt, so Seligmüller auf
die des N. suprascapularis, Erb auf die des Plexus braehialis am sogenannten
ERß'schen Punkt (oberhalb des Schlüsselbeines). Mit Recht bezweifelt KtiSTNER
(in dem sehr lesenswerthen Abschnitt über die Verletzungen des Kindes bei
der Geburt (in ]\Iüllers Handbuch der Geburtshilfe) die Richtigkeit dieser
Erklärungen und spricht die muthmasslichen Nervenlähmungen als schlecht-
geheilte, epiphysäre Diaphysenfracturen an.
Die Behandlung der letzteren hat die Aufgabe, nach Einrichtung des
Bruches, welche auf Anziehen des Armes in der Regel leicht erfolgt, den-
selben so zu fixiren, dass die Diaphyse, ebenso wie es die Epiphyse bereits
ist, nach auswärts rotirt wird. KtJSTNER empfiehlt zu diesem Zweck den
Unterarm in starker Supination, ganz spitzwinklig flectirt an den verletzten
Humerus zu bandagiren, so dass die Hand auf die verletzte Schulter zu liegen
kommt und Ober- und Unterarm mit Unterschiebung eines Achselkissens an den
Thorax zu fixiren. Bei einfacher Humerusfractur genügt Fixation des zuvor
unterpolsterten Armes in rechtwinkliger Stellung am Thorax.
In seltenen Fällen sind Fracturen und Epiphysentrennungen an der
Scapula beobachtet worden, meist auch nach schweren Armlösungen.
Eine Trennung der Articularis sacroiliaca hat Rüge in 3 Fällen nach
schweren Extractionen am Steiss oder den Füssen gefunden. Weichtheilver-
letzungen an der Hüftbeuge oder Oberschenkel, meist nur in oberflächlichen Haut-
abschürfungen bestehend, entstehen bei Extractionen unter Anwendung des
Hakens oder der Schlinge. Weit seltener wie die Fracturen der Oberextremitäten
sind die der unteren. Auch der Bruch des Femur kommt in Folge instrumen-
teller Extractionsversuche, aber auch einfacher Anwendung des Fingers bei
Beckenendlagen dann zu Stande, wenn der letztere, beziehungsweise Haken
oder Schlinge nicht genau in der Hüftbeuge bleiben, sondern auf den Ober-
schenkel gleiten; dieser bricht dann im oberen Drittel. Da eine Behandlung
mittels Extension bei Neugeborenen nicht möglich ist, so folgt man am besten
dem Vorschlag Credes und fixirt den Oberschenkel durch ein durch die Knie-
kehle geführtes Tuch, besser einen Heftpflasterstreifen am Rumpf während
zweier Wochen.
Auch Fracturen und Epiphysenlösungen an den Unterschenkeln kommen,
wenn auch selten, vor. Sie kommen durch drehende Bewegungen oder Druck,
vielleicht also schon bei dem Versuch, den Fuss bei Wendungen herabzuholen,
zu Stande. Graefe.
Verletzungen Schwangerer, wie bereits an jener steile, wo von
dem Einflüsse der Gehirnkrankheiten die Rede war, hervorgehoben wurde,
pflegen Hirnaffectionen mit Ausnahmen umfangreicher Hämorrhagien keinen
Einfluss auf den Verlauf der Schwangerschaft auszuüben. Das Gleiche gilt
merkwürdiger Weise auch von den schweren Hirn- und Schädelver-
letzungen.
Verletzungen des Halses, des Thorax und der Brustorgane
stören die Gravidität nur insoferne als sie überhaupt einen lebensgefährlichen
Charakter besitzen.
Fracturen der Beckenknochen sind wiederholt beobachtet
worden, in solchen Fällen kann das Trauma als solches sofort Abortus
oder Absterben des Foetus und später erfolgende Todtgeburt veranlassen. Durch
die Heilung von Beckenfracturen kann eine bedeutende Misstaltung des
Beckens eintreten, welche später ein Geburtshindernis vorstellt. Otto be-
schreibt einen Fall, wo durch ein Trauma beide Oberschenkelköpfe durch die
fracturirten Pfannenböden in das Becken vortraten und derart ein schweres
VERLETZUNGEN SCHWANGERER. 885
Geburtshindernis bildeten, die llupturen der Beckensymphysen haben ein spe-
cielles geburtsliilfliches Interesse und sind deshalb in einem eigenen Aufsatze
abgehandelt, {v. pag. 725.)
Bezüglich der während der Gravidität zugefügten abdominalen Ver-
letzungen existirt eine reiche Casuistik. Contusionen des Abdomens können
zur Unterbrechung der Gravidität führen, v^enngleich auch oft ziemlich be-
deutende Traumen ohne Schaden vertragen werden, wie dies jene Fälle be-
weisen, wo derartige Quetschungen des Bauches aus crimineller Absicht zur Herbei-
führung des Abortus zugefügt wurden. Es kommt feriicr vor, dass die Mutter
durch das Trauma keinerlei Verletzung erleidet, während der Foetus hievon
betroffen wird. Dies zeigt sich an den Früchten, indem dieselben an ver-
schiedenen Stellen geheilte oder in Heilung begriffene Fracturen aufweisen.
Jene Traumen, welche die Eröffnung der Bauchhöhle veranlassen, haben selbst-
verständlich stets eine ernste Prognose; wird auch der Uterus nicht lädirt,
so tritt meist Frühgeburt ein, abgesehen davon, dass die Schwangere durch
die Wunde selbst aufs Höchste gefährdet erscheint. Ist die Gebärmutter selbst
betroffen, wie dies bei Gravidität in den späteren Monaten der Fall ist, dann
tritt auch bald die Ausstossung der Frucht ein, und wenn die Wunde gross
genug, so kann der Foetus durch diese austreten.
Verletzungen der Extremitäten haben keinerlei directen Einfluss
auf den Graviditätszustand und bedrohen denselben nur insofern, als sie das
Individuum überhaupt gefährden.
Bei allen Arten von Verletzungen kann Abortus, respective Frühgeburt
eintreten durch die Einwirkung des Shokes, welches das Trauma mit
sich bringt. Freilich spielt die Individualität dabei ein grosse Rolle. Von Seiten
der Frauen selbst werden sehr häufig Traumen als Ursachen von Fehlgeburten
angegeben. Hieher gehört das Fallen über einen Gegenstand, das Anschlagen,
das Heben oder Tragen schwerer Lasten u. s. w. Nicht in allen diesen Fällen
ist wirklich das angegebene Trauma die Ursache des Abortus; wie hei anderen
Krankheiten zeigt sich auch hier das Bestreben der Laien, in äusseren
Momenten den Grund eines pathologischen Zustandes zu suchen, während
doch bedeutungsvolle innere Ursachen vorhanden sind, nach denen zu fahnden
die Pflicht des Arztes ist.
Da die Geschwülste als Anomalie der Gravidität in A&ra. kriikoi Schicangerschafts- U7ifl
Gehurt scomplicalionen^ (pag. 741) Besprechung fanden, wollen wir von den übrigen cliiriu"-
gisclien Krankheiten nur zwei besprechen : Die Struma und d i e H e r n i e n. Es ist fest-
gestellt, dass eine früher normale Schilddrüse während der Schwangerschaft hypertrophirt
(H. W. Freund). Ein derartiger Kropf kann dauernd bestehen bleiben oder auch nach der
Geburt wieder verschwinden, um in späteren Schwangerschaften aufs Neue aufzutreten.
Ist bereits von früher her eine Struma vorhanden, so wird dieselbe demzufolge durch die
Gravidität vergrössert, zuweilen erfahren diese Kröpfe einen derartigen Umfang, dass sie
die unangenehmsten, selbst bedrohlichsten Erscheinungen hervorrufen, ja selbst zur Unter-
brechung der Schwangerschaft Veranlassung gegeben haben. Während des Geburtsactes
findet in der infolge der Wehenthätigkeit hervorgerufenen Blutstauung in der oberen Körper-
hälfte ein bedeutendes Anschwellen der Struma statt und erzeugen oft intra partum be-
drohliche Respirationsstörungen. Es sind Fälle bekannt, wo selbst der letale Ausgang
stattfand. Zu einer Exstirpation der Struma während der Gravidität wird man sich wohl
schwer entschliessen können, obwohl solche Operationen stattfanden. Bei Vorhandensein
drohender Erscheinungen während der Gravidität wird die Indication der künstlichen Früh-
geburt oder die Sectio caesarea in Frage kommen, theoretisch wäre die letzgenannte Ope-
ration vorzuziehen, da ja auch der Gebäract bei künstlicher Frühgeburt die vorhandenen
Gefahren von Seite der Struma steigert. Zur Beseitigung drohender Beschwerden während
der Geburt heisst es den Gebäract schnell vollenden, also eventuell durch Kunsthilfe unter-
stützen, in manchen Fällen wird die Tracheotomie nicht zu umgehen sein (P. Müller).
Für die Entstehung von Hernien bildet die Gravidität eines der wichtigsten
praedisponirenden Momente (Dehnung der Bauchwand, Erschlaffung der Bauchdecken und
hiedurch bedingte Erweiterung aller natürlichen Lücken). Während der Gravidität kommt
es selten zu Hernien, da der wachsende Uterus die Gedärme von den Bruchpforten weg-
drängt. Nur dann, wenn der schwangere Uterus stark nach der Seite abweicht, werden
einzelne Darmpartien oft direct in die erweiterten Bruchpforten hineingepresst. Viel häufiger
886 VORDERSCHEITELLAGEN.
entstehen die Brüche erst im Wochenbette oder noch später unter dem besonderen Ein-
flüsse specieller Ursachen. — Die Behandlung der während der Gravidität entstandenen
oder von früher her bestandenen Hernien ist dieselbe wie die der Hernien überhaupt. Um
Incarcerationen zu verhüten, müssen Bruchbänder getragen werden. In einem geringen
Bruchtheile jener Fälle, wo die Herniotomie nothwendig war, erlitt die Schwangerschaft
eine Unterbrechung, in der überwiegenden Mehrzahl erreichte sie ihr normales Ende.
Vorderscheitellagen. Die Vorderscheitelbeineinstellung'-)
ist eine Geburtsaiiojiialie, die darin besteht, dass nicht wie bei normaler Ge-
burt sich im ersten Act des Gebiirtsmechanismus das Kinn der Brust nähert,
sondern sich vielmehr von derselben ^entfernt, so dass die grosse Fon-
tanelle, die Gegend des Scheitels, zum tiefstehendsten Punkte des Kopfes
wird. Es kann nun der Kopf in dieser Stellung geboren oder in der Becken-
höhle noch das Hinterhaupt sich nach vorne wenden. Dieses ist in der Regel
der Fall und wird stets eintreten, wenn der Schädel bei seiner Progressiv-
bewegung von allen Seiten des Beckens einen gleichmässigen Druck erfährt,
das Hinterhaupt nirgends durch irgend welche Anomalie zurückgehalten wird.
Aetiologie: Das Zustandekommen dieser Geburts- Anomalie hat nicht
in allen Fällen eine genügende Erklärung finden können. Als hauptsächliche
Grundursachen sind anzusehen:
1. Gering ausgebildetes plattes Becken, wenn die Conjugata
nicht ganz die normale Weite hat. Hier ist der Widerstand, welchen der
Kopf in dem Beckeneingange findet, näher zum Hinterhaupte gelegen und hält
diesen zurück.
2. Sehr kleiner Kopf und weite Geburtswege; wenn also die
Widerstände fehlen, wie bei Frühgeburten und Zwillingen.
3. Grosser Kopf; besonders bei stark entwickeltem breiten Hinter-
haupt oder schmaler Stirn. (Nach Böehr auch bei Hydrocephalus). Alsdann
wird der gleiche Widerstand im Becken, auf den verlängerten hintern Hebel-
arm eine stärkere Wirkung ausüben können.
Als weitere aetiologische Momente werden genannt:
4. Erschlaffung des Uterus und der Bauchdecken. Hänge-
bauch.
5. Uebermässige Beckenneigung und Straffheit der Bauch-
decken.
6. Wenig Fruchtwasser, resp. geringe Beweglichkeit des
Kindes.
7. Litzmann sah diese Abnormität einmal bei bis zur Nabelhöhe gefüllter
Harnblase nach dem Abgang des Fruchtwassers entstehen und nach Entleerung
der Harnblase wieder verschwinden.
8. Allgemein verengtes Becken (3 X von Biddek beobachtet).
9. Geringe Unregelmässigkeiten der seitlichen Becken-
wand.
10. Auch länger fortgesetzte unrichtige Lagerung der Frau
und zwar\auf der dem Vorderhaupte der Frucht entsprechenden Seite; oder
unglückliche Versuche mit der Zange, namentlich fehlerhafte Zugrichtung
sind im Verein mit sehr kräftigen, rasch aufeinanderfolgenden Wehen die
directen Ursachen dieser fehlerhaften Stellung des Kindes gewesen. '
Was die Häufigkeit dieser Vorderscheitellagen betrifft, so wird sie
nach Spiegelberg in 1 — 2^0 aller Schädellagen beobachtet, so zwar dass
der Austritt in der 3. Lage doppelt so häufig ist als in der 4., wie ja auch
der Eintritt mit nach hinten rechts stehendem Hinterhaupte viel häufiger
vorkommt, als der mit hinten links stehenden.
*) Vergl. „ Fruchtlagen ", pag. 260.
VORDERSCHEITELLAGEN. 887
Diagnose: Durch die innere Untersuchung erkennen wir die Vorder-
scheitelbeineinstellung daran, dass der palpirendc Finger die Vorderscheitel-
tläche mit der grossen Fontanelle nach unten gekehrt und fast in der Mitte
stehend zuerst fühlt, während die kleine Fontanelle nicht erreichbar ist. Bei
nachgiebigen Weichtheilen erreicht man dann nach vorne zu au(;h wohl die
Stirnhöcker und den Nasengrund. Doch gibt es auch Fälle dieser Art, wo
grosse und kleine Fontanelle ziemlich auf gleicher Höhe palpirt werden können.
Vergl. auch den Aufsatz ^^Untersuchung in der Gehurtshüfe" .
Bei der äusseren Untersuchung kann man den Kopf, solange er noch
in normaler Haltung auf dem äussern Schambeinrande ruht, hier äusserlich
vorspringend fühlen. Später entzieht er sich mehr und mehr der Betastung,
doch nur insofern als der vor der Schambeinwand hervorragende Theil des
Kopfes allmählich verschwindet. Der andere Theil des Kopfes bleibt noch
lange stehen und zu fühlen.
Ist nun infolge protrahirter Geburt eine grosse Kopfgeschwulst entstan-
den, welche ihren Sitz entsprechend dem tiefen Stande des Vorderhauptes auf
dem vordem obern Winkel von Scheitel- und Stirnbein, sogar auf der Stirn-
fontanelle selber hat, so wird die Untersuchung ausserordentlich schwierig
werden. Und gewöhnlich kommt man gerade in der Praxis zu solchen Fällen,
wo durch die überall vorquellende Kopfgeschwaüst keine Abtastung des darun-
ter liegenden Schädels und seiner Nähte möglich wird. Zuvörderst fällt dann
für die Diagnose ins Gewicht, dass trotz kräftigster Wehen die Geburt gar
nicht weiter geht. Ferner gibt auch manchmal das genaue Abtasten des
Kopfrandes durch das Auffinden eines Tuber parietale Aufschluss. In vielen
dieser Fälle aber gibt uns erst das kindliche Ohr die positive Diagnose.
LoMER gebührt das Verdienst, darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass
man durch die Betastung des kindlichen Ohres sich schnell darüber orien-
tiren kann, wo das Gesicht liegt. Es kommt also in zweifelhaften Fällen
darauf an, ob man das Ohr auch wirklich erreichen kann. Gelingt das nicht
durch die gewöhnliche Untersuchung mittelst 1 oder 2 Finger, so führt man
die halbe resp. ganze Hand (eventuell in Narcose) ein und kommt dann wohl
stets zum Ziel.
Ausgang und Prognose: Die Vorderscheitelbeineinstellung wird
naturgemäss oft im Anfang der Geburt übersehen werden, besonders wenn im
weitern Verlauf eine Correction dieses anormalen Vorganges durch die Geburts-
kräfte stattfindet. Die Drehung zur normalen Kopfstellung kann in jeder
Ebene derJBeckenhöhle vor sich gehen, in und über dem Beckenausgange
noch erfolgen^je nach der Beschafienheit des Beckens, resp. des kindlichen
Schädels manchiiial ganz unerwartet und schnell, bisweilen sehr langsam. Im
besondern geschieht das letztere, wenn die Correction erst im Beckenausgang
geschieht, weil dann der Schädel schon gewöhnlich eine der ungewöhnlichen
Schädelstellung entsprechende Configuration erlitten hat.
Bei dem Tiefstande des Kopfes hat sich der Uterus bereits verkleinert
und die aus diesem Grunde drohende Asphyxie des Kindes bedarf relativ
häufig des Eintretens der Kunsthilfe, auch wenn der endliche Verlauf der
Geburt in normaler Kopflage vor sich geht. Ist letzteres nicht der Fall, so
ist der Mechanismus beim Austritt des Schädels aus dem Becken folgender.
Unter die Symphyse treten allmählich die nach vorne liegende Stirnbeine
hervor, wobei dann die grosse Fontanelle genau diejenige Stelle einnimmt,
welche die kleine bei der Hinterhauptslage inne hat. Nachdem die Stirn so
bis zur Hälfte geboren ist, gebraucht die Gegend der Tubera den untern
Symphysenrand als Hypomochliou und das Hinterhaupt wälzt sich über den
Damm. Dann folgt das Gesicht unter dem Schambogen.
Aus dem Umstände, dass der ganze frontooccipitale Durchmesser des
Kopfes (11 cm) in den geraden Durchmesser des Beckenausgauges (10-5 — llcy;^
888 WACHSTüMSSTÖßüNGEN UND MISSBILDUNGEN.
fällt, lassen sich die enormen Schwierigkeiten dieses Geburtsvorgang-es am
besten ermessen. Mit der Grösse des Kopfes und der Härte seiner Knochen
steigert sich das Missverhältnis noch mehr, das nur durch starke, rasch auf-
einanderfolgende und ausdauernde Wehen im günstigsten Falle überwunden
werden kann.
Durch die lang protahirte Geburt besteht in der drohenden Asphyxie
die Hauptgefahr für das kindliche Leben. Der andauernde Druck, den der
Kopf zu erleiden hat, bewirkt ferner eine Verschiebung der flachen Schädel-
knochen, wodurch auch Zerreissungen der Sinus beobachtet worden sind.
Aber auch die Gefahren für die Mutter dürfen bei diesen Geburten nicht
unterschätzt werden, wenn auch quoad vitam nur dann zu fürchten ist, wenn durch
Ausbleiben der Hilfe die Kreissende unentbunden an Erschöpfung zu Grunde geht.
Die mütterlichen Weichtheile leiden infolge des Missverhältnisses .zwi-
schen Schädel und Beckenausgang stark bei der verzögerten Geburt. Druck-
gangrän, Fisteln nach Blase und Mastdarm, verschieden weitgehende Damm-
und Scheidenrisse sind die gewöhnlichen Endergebnisse, falls nicht rechtzeitig
eingeschritten wird.
Von 31 Vorderscheitellagen musste v. Winckel 13 künstlich beenden,
5 Kinder unterlagen und 1 Mutter starb.
Therapie. Da sowohl Mutter als Kind durch die lange und erschwerte
Austreibung stark gefährdet sind, ist die Kunsthilfe häufig indicirt. Die
Zange räth Scheoeder mit Recht in solchen Fällen nur in wirklicher jSToth
zu appliciren, weil die Zangenoperation hierbei besonders schwierig ist und
leichter noch als sonst durch sie geschadet werden kann. Es gelingt auch
öfter während der Wehen das nach vorn gelegene Scheitelbein allmählich
hinter die Schamfuge zurückzupressen. Bei Wehenschwäche suche man daher
das Auftreten derselben möglichst zu fördern. Güandin empfiehlt neuerdings,
wenn die Drehung des Hinterhauptes ausbleibt und die Erschöpfung des Uterus
zur Beendigung drängt, mit der ganzen Hand einzugehen und dann das Hinter-
haupt nach vorne zu drehen. Die Drehung durch die Hand ist jedenfalls
sicherer und schonender als mit Zange; doch ist dabei zu bemerken, dass ein
wirklicher Erfolg nur dann eintreten wird, wenn die Ptectifications versuche bei
schon feststellendem Kopfe vorgenommen werden. Nur mit der Zange
diese vorzunehmen muss strengstens verpönt werden. Gewöhnlich wird das
combinirte Verfahren zum Ziele führen. Bei vergeblichen Bemühungen bleibt
nur die Perforation übrig.
Steht der Kopf in Vorderscheitelbeineinstellung noch nicht fest im
Beckeueingang und ist durch den ganzen Status ein Eingreifen indicirt, so
wird die Wendung und Extraction wohl die besten Resultate geben.
Bodenstein.
WachsthumSStÖrungen und WliSSbildungen. Der menschliche Or-
ganismus kann bereits zur Zeit seiner Entwicklung und zwar in den ersten
Anfängen derselben innerhalb des Uterus geschädigt werden. Diese Schädi-
gungen des werdenden Organismus lassen ihre Spuren zurück, indem an einem
solchen Organismus im Ganzen oder in seinen Theilen Abweichungen des
anatomischen Baues vom normalen Typus erkennbar sind, es finden sich Ent-
wickln n g s f e h l e r. Wenn sie unbedeutend sind, keine Functionsstörungen
verursachen, so nennt man sie Natur spiele, Lusus naturae, Varietäten,
Anomalien. Sind sehr bedeutende Gestaltabnormitäten vorhanden, so werden
sie Monstra, Missgeburten genannt.
Unter Missbildungen kurzweg verstellt man die ursprünglichen und
damit angeborenen Älissbildungen, Vitia congenita, das sind Anomalien des
Gesammtorganismus oder einzelner Theile desselben, welche in Störungen der
embryonalen Entwicklung begründet sind.
WACHSTÜMSSTÖRUNGEN UND MISSBILDUNGEN. 889
Der menschliche Organismus entsteht aus dem Ei, einer einfachen Zelhj mit einem
Kern. Bei der Befruclitung dringt in das weibliclie Ei ein männlicher Samenfaden und
zwar bei normaler Befruchtung nur ein einziger.
Der Kopf dieses Samenfadens wandelt sicJi zum Samenkern um. Eikern und Samen-
kern wandern auf einander zu und verschmelzen zu dem Furchungskern. Es beruht also
die Befruchtung auf der Verschmelzung zweier geschlechtlich differenzirter Zellkerne. Diese
enthalten die befruchtende Kernsubstanz. Nach der Befruclitung folgt der sogenannte
Furchungsprocess, bei welchem sich die Eizelle in immer zahlreicher werdende Zellen
theilt. Diese Zellen differenziren sich späterhin und beginnen .sich zu gruppiren [IIkktwio].
Die Eizelle und die Samenzelle sind einfache Zellen, aber sie tragen eine gesetz-
mässige Organisation in sich.
Die Befruchtung, die Furchung, die Differenzirung im Ei, die spätere Anordnung der
differenzirten Zellen und Zellgruppen sind Vorgänge, welche nach ganz bestimmten Gesetzen
vor sich gehen. Sie erfolgen vermöge gewisser, den Zellen innewohnenden, ererbten Eigen-
schaften; sie setzen aber auch gewisse äussere Bedingungen voraus, damit die ganze Reihe
von Vorgängen bis zur vollendeten Entwicklung eines neuen Individuums führt.
Dadurch, dass sich nach jeder Befruchtung dieselbe Ptcihe von Vor-
gängen typisch wiederholt, ist die Erhaltung der Art gesichert. In einem
gewissen Grade gehen auch individuelle Eigenschaften der Erzeuger auf das
Kind über. Diese Uebertragung der Eigenschaften von den Erzeugern auf
den Keim nennen wir Vererbung im weitesten Sinne. Es zeigt aber das
neue Individuum nie völlig die individuellen Eigenschaften der Eltern; es
trägt wohl die allgemeinen Eigenschaften des Typus, aber als Individuum
unterscheidet es sich doch immer durch gewisse nur ihm allein zukommende
Eigenschaften von allen anderen Individuen seines Typus, seiner Gattung und
seiner Art.
Es ist also unzweifelhaft, dass bei jeder Befruchtung, bei jeder Entwick-
lung eines neuen Keimes sich Factoren geltend machen, durch deren Ein-
wirkung dem neuen Keime diese individuellen, ihn von den anderen Indivi-
duen seines Typus unterscheidenden Eigenschaften aufgeprägt werden. Inner-
halb der von uns als normal bezeichneten Grenzen finden war demnach schon
stetig Variationen in der Entwicklung des Keimes. Die uns unbekannten
Factoren können aber die Keimentwicklung so w^eit beeinflussen und abändern,
dass in einer Eeihe von Generationen scheinbar ganz spontan ein Glied er-
-sclreint, welches wegen seiner vom Typus wesentlich abweichenden Merkmale
als atypisch, als abnorm, pathologisch bezeichnet werden muss. Man
führt eine solche Erscheinung auf eine primäre Keim es Variation zurück.
Hiemit sagen wir, dass wir die Ursachen für die Entstehung solcher atypischen
Bildungen des Keimes in Anomalien der im Samen- und Eikern enthaltenen
männlichen und weiblichen Kernsubstanzen annehmen müssen.
Solche anscheinend primär auftretende Missbildungen können, insbeson-
dere dann, wenn sie die Lebensfähigkeit des Individuums oder die Function
seiner Organe nicht wesentlich beeinträchtigen, als individuelle Merkmale auf
den Keim übertragen werden, sie können vererbt werden. Wir beobachten
dies bei den Pigmentmälern, bei überzähligen Fingern und Zehen und
Brustwarzen, auch bei Hasenscharten, Hypospadien.
Als classisches Beispiel sei der von s. y. meckel citirte Fall hier angeführt: .In
der Maltesischen Familie mit sechs Fingern hatte Gratio Kalleja, der Vater, überall sechs
Finger und sechs Zehen, die alle beweglich waren. Von seinen vier Kindern hatte Sal-
vator, der älteste, Finger und Zehen wie der Vater gebildet. Bei Georg, Andreas und der
Tochter Maria waren sie der Zahl nach normal, nur bei Georg und der Tochter etwas
difform. Salvator hatte drei Söhne und eine Tochter, von denen zwei Söhne und die
Tochter alle sechs Finger und sechs Zehen hatten. Georg hatte drei Töchter und einen
Sohn. Unter diesen hatte die erste und die zweite Tochter zwölf Finger und zwölf Zehen.
die dritte Tochter zwölf Finger, aber nur an dem einen Fuss sechs Zehen, der Sohn war
normal. Andreas hatte blos regelmässig gebildete Kinder. Das Mädchen hatte zwei Söhne
und zwei Töchter, von denen nur ein Sohn an einem Fuss sechs Zehen hatte."
An diesem Beispiele ist ersichtlich, dass die Ursache für die Entstehung dieser Miss-
bildung an Händen und Füssen in einer abnormen Organisation des Samen- oder Eikernes
gelegen, und dass diese abnorme Organisation auch auf den Samen- oder Eikern der Nach-
Icommenschaft übertragbar war.
890 WACHSTÜMSSTÖßUNGEN UND MISSBILDUNGEN.
Insoferne wir bei der p r i m ä r e n K e i m e s v a r i a t i o n und bei der V e r-
erbiing die Ursachen für die Entstehung von Missbildungen in der abnor-
men Organisation von Samen- oder Eikern oder beider annehmen müssen,
bezeichnen wir die primäre Keimesvariat ion und die Vererbung als
innere Ursachen der Entstehung von Missbildungen. ,
Für eine, wenn auch nicht sehr grosse Reihe von Missbildungen, konnte
theils durch die anatomische Untersuchung, theils durch das Experiment die
Ursache nachgewiesen werden in Schädlichkeiten, welche, ausserhalb des
Keimes liegend, den normal angelegten Keim in seiner Entwicklung störten.
Solche äussere Ursachen sind für die Entstehung von Missbildungen von
weit grösserer Bedeutung als die vorerwähnten, inneren Ursachen, da durch
sie vielfach die hochgradigsten und complicirtesten Bildungsanomalien bedingt
werden. Erschütterungen des Uterus können die Keimanlage unmittel-
bar schädigen oder auch, und das viel mehr, dadurch nachtheilig werden, dass
sie Entzündung des Uterus und der Eihäute, Blutungen in letztere im Ge-
folge haben, wodurch die Entwicklung des Embryo beeinträchtigt wird.
Raum enge der Uterushöhle oder der Eihäute macht sich durch abnor-
men Druck auf den Embryo geltend und führt zu Verbildung und Verküm-
merung besonders der Extremitäten: Klump- und Plattfüsse, Defecte der
Rippen.
Anomalien der Eihäute besonders des Amnions erzeugen die
mannigfachsten Missbildungen. Das Amnion umhüllt als Sack den Embryo
und ist anfangs nur durch eine geringe Menge von Flüssigkeit von ihm
getrennt. Ist das Amnion zu enge, so kann der Druck allein Hemmnisse für
die Entwicklung abgeben. Häufiger jedoch geben Verwachsungen des Amnion
mit der Oberfläche des Embryo Anlass zu Missbildungen. Die Missbildungeß
kommen zustande dadurch, dass unmittelbar an Ort und Stelle der Verwach-
sung eine Wachsthumsbehinderung eintritt, oder dass auch nach der Ver-
wachsung durch Druck, Zug und Zerrung Verlagerung entfernterer Partien
hervorgerufen wird. Am leichtesten verwächst das Amnion mit den am
meisten vorragenden Punkten des Embryo z. B. mit dem Kopfende. Bisweilen
kommen ganz umschriebene Verwachsungen und dann häufig mehrfach vor.
In solchen Fällen wird das Amnion in Form von Fäden „amniotische Fäden^'
ausgezogen, welche an den betreffenden Stellen der Oberfläche durch Zerrung
Gestaltanomalien hervorrufen oder durch Umschnürung, Verkümmerung oder
sogar völlige Amputation von Fingern und Zehen und ganzer Extremitäten
herbeiführen können.
Erkrankungen des Uterus und der Placenta können die Ent-
stehung von Missbildungen begünstigen, besonders wenn die Blutzufuhr und
damit die Ernährung des Embryo alterirt wird.
Ob abnorme Temperaturen von Wirksamkeit sein können, z. B.
bei fieberhaften Erkrankungen, ist nicht erwiesen. Desgleichen ist der Ein-
fluss heftiger psychischer Affecte, das „Versehen der Mutter" als
unmittelbare Ursache für das Entstehen von Missbildungen nicht sichergestellt.
Foetale Erkrankungen in gleicher Art, wie wir sie am ausgebildeten
Organismus extrauterin finden, besonders Entzündungen mit ihren Begleit-
erscheinungen und Folgeveränderungen können die Entwicklung der Organe
erheblich beeinträchtigen, aber auch bereits angelegte und selbst ziemlich
entwickelte Organe wieder zerstören. So können Ostien und Canäle verengert
oder vollständig verschlossen werden. Auch können einfache, regressive Meta-
morphosen einzelner Zellgruppen in den frühesten Stadien der Entwicklung
beträchtliche Anomalien des Embryo veranlassen.
Nach unseren gegenwärtigen Kenntnissen der normalen Entwicklung ist es uns noch
nicht möglich in jedem Falle feststellen zu können, zu welcher Zeit und in welcher Art
eine Störung in der Entwicklung eingetreten sein muss, um eine bestimmte Missbilduns
WACHSTÜMSSTÖEUNGEN UND MISSBILDUNOEN. 891
hervorzurufen, zumal wir ja in den weitaus meisten Fällen auch die wirkenden Ursachen
nicht kennen. Es steht aber fest, dass je frülier Schädlichkeiten auf den Keim einwirken,
die Störungen in der Entwicklung um so bedeutsamer und auffällit<er sein werden. Wenn
z. B. bei beginnender Differenzirung im Keim einige Zellen zu Grunde gehen, so kann
damit die Entwicklung eines ganzen Systems des Organismus ausfallen und damit die Ent-
wicklung des Gesammtorganismus in Mitleidenschaft gezogen werden.
DieEintheiliingderMissbildungen bietet grosse Schwierigkeiten
und ist in exacter Weise wohl niclit möglich, weil es nach unseren gegen-
wärtigen Kenntnissen sowohl der Anatomie als auch der Aetiologie und Ge-
nese der Missbildungen an einem durchgreifend ausführbaren Eintheilungs-
principe fehlt.
Die Mehrzahl der Missbildungen sind Bildungshemmungen in mechani-
schem Sinne. Durch die Zusammenfassung aller Hemmungsmissbil-
dungen an einem Individuum, Monstra per defectum, stellen wir die
1. Gruppe von Missbildungen auf. Als weitere Gruppen folgen:
1. Älissbildungen durch excedirendes Wachsthura, Monstra
per excessum.
3. Missbildungen durch Lageveränderung innerer Organe,
Monstra per fabricam alineam.
4. Missbildungen durch Vermischung der Geschlechts-
charaktere, Zwitterbildungen, Hermapliroditismus .
5. Doppelmissbildungen, Monstra duplicia.
I. Hemmuiigsmissbilclungen.
Die Hemmung der Entwicklung kann die Gesammtanlage betrefien oder
sie betrifft nur einzelne Theile derselben.
Ist die Schädlichkeit sehr bedeutend, so wird der Keim entweder ganz
zerstört oder seine Entwicklung erreicht einen gewissen Grad und er geht
dann zu Grunde. Der abgestorbene Embryo wird in der Regel ziemlich bald
sammt den Eihäuten ausgestossen {Abortus); verweilt er jedoch noch längere
Zeit im Uteruv so wird er regressive Veränderungen eingehen und kann
schliesslich gänzlich resorbirt werden. Durch den Abortus wird dann der
leere Eihautsack ausgestossen (taubes Ei), Das Lithopädion ist ein ziemlich
ausgebildeter Fötus, welcher lange Zeit abgestorben im mütterlichen Organis-
mus getragen wird, wie dies bei Extrauteringraviditäten geschieht, und im
Laufe der Zeit verschiedene Veränderungen eingeht, indem er entweder all-
mälig von einer fibrösen Kapsel umhüllt und in eine fettigbreiige Masse
umgewandelt wird oder aber durch Ablagerung von Kalksalzen in ein wirk-
liches „ Steinkind^'' umgestaltet wird.
Zu den die Gesammtanlage betreffenden Hemmungsbildungen gehört
auch die Zwergbildung (Mikrosomie^ Nanosomie, Nanus).
Trifft die Schädlichkeit nur einzelne Theile der Gesammtanlage, so wird
der betreffende Theil des Organismus entweder überhaupt nicht zur Ent-
wicklung kommen und vollständig fehlen {Ägenesie, Aplasie, Defed) oder er
wird sich nur unvollständig, kümmerlich entwickeln, im Wachsthum zurück-
bleiben {Hijpoplasie). Die Zwergbildung wäre darnach eine Hypoplasie der
Gesammtanlage. Es kann aber auch ein bereits ziemlich entwickeltes Organ
durch Atrophie sich wieder zurückbilden.
Die Spaltung und Verdopplung kommt dadurch zu Stande, dass
doppelt angelegte, zur Vereinigung bestimmte Organe oder Gebilde in ihrer
Vereinigung gehemmt werden. So entstehen durch mangelhaftes Wachsthum
der llumpfwand Bauchspalten oder 'durch Behinderung der Vereinigung der
doppelten Anlage des Uterus die verschiedenen Grade der Verdoppelung des
Uterus und der Vagina.
Sind zwei Organe symmetrisch angelegt, so kann es, wenn die Anlagen
dicht aneinanderliegen, zur Verschmelzung der Organe kommen. Ein nicht
892 WACHSTUMSSTÖRUNGEN UND MISSBILDUNGEN.
seltenes Beispiel liiefür ist die Hufeisenniere. Es können aber auch Gebilde
verschmelzen, welche nicht symmetrisch gelagert sind z. B. die Finger
einer Hand.
Die einzelnen Formen der Hemmungsmissbildungen.
1. Missbildungen des ganzen Körpers.
Acardie, Acardiacus. Hochgradige Missbildung des ganzen Rumpfes,
der Extremitäten und des Kopfes bis zu völliger Unkenntlichkeit der Menschen-
gestalt. Vollständiger Defect des Herzens oder nur rudimentäre Entwicklung
desselben. Kommt immer bei Zwillingsschwangerschaft vor. Brusteingeweide
fehlen gewöhnlich gänzlich, bisweilen auch Leber, Milz, Pancreas. Manchmal
ist nur der Kopf allein vorhanden oder es wird ein unförmlicher Klumpen
geboren.
Unterarten des Acardius sind: A. Amorphus, gestaltloser Klumpen;
a. Acephalus, Defect des Kopfes, rudimentärer Thorax; untere Körper-
hälfte mehr oder weniger ausgebildet;
h. Aconnus, nur der Kopf mehr oder weniger entwickelt, alles andere
rudimentär oder fehlend.
2. Mangelhafter Verschluss der Cerebrospinalhöhle; Hem-
mungsmissbildungen am Kopfe und am Rücken.
Crcmio-RhachiscMsis, AnencephaUe, Acranie, HemicepJialie. Diese Miss-
bildungen gehören zu den häufigsten und werden auch als Katzenköpfe oder
Krötenköpfe bezeichnet. Schädeldach vollständig fehlend; auf der Schädel-
basis an Stelle des Gehirnes stark vascularisirtes Bindegewebe, bisweilen mit
Hirnresten. Behaarte Kopfhaut ganz fehlend oder als schmaler Streifen am
Rande der Schädelbasis sich absetzend. Stark vortretende Glotzaugen, Gesicht
mit Mund und Kiefern kräftig entwickelt, Nasen- und Stirngegend völlig
zurückgeschoben und abgeplattet. Foramen occipitale magnum in Folge De-
fectes der Hinterhauptschuppe nicht geschlossen, oft auch noch die 4 — 5
obersten Halswirbel offen.
Acranie mit Exenceplicdie^ wenn bei einer wie oben gestalteten Missbil-
dung grössere Antheile von Gehirn vorhanden sind.
Hemicranie: vollständig geschlossene Halswirbel, Hinterhauptsschuppe
und Stirnbein rudimentär entwickelt, beide meist gegen die Schädelbasis ge-
neigt. Das Gehirn mehr entwickelt, bisweilen bis zur Anlage von Windungen.
Die Hirnnerven fast immer vollständig nachweisbar.
Die zu diesen Gruppen gehörigen Missbildungen sind meist ausgetragene,
sehr kräftig entwickelte Kinder, welche bisweilen auch noch andere Bildungs-
fehler (Hasenscharte, Gaumenspalte) zeigen. Ihre Lebensdauer beträgt einige
Stunden bis zu mehreren Tagen.
Die Defecte an den Knochen des Hirnschädels finden sich bisweilen nur
an bestimmten, umschriebenen Stellen, über der Nasenwurzel, an der kleinen
Fontanelle, an den Seitenfontanellen (Ossificationsdefecte, Verwachsungen mit
dem Amnion). Aus diesen kann der Schädelinhalt hervorgedrängt werden,
Ilernia cerebri, Kephalocele. Bildet nur Arachnoidea und Pia die Wand des
mit Serum gefüllten Sackes, dann bezeichnen wir sie als Meningocele\ als
Enceplialocele, wenn Gehirn allein prolabirt, als Hydrencephalocele^ wenn zu-
gleich ein Hirnventrikel in den prolabirten Theil sich erstreckt.
Nach der Lage wird die Cephalocele als anterior, posterior oder late-
ralis bezeichnet. Die Hirnbrüche sind meist klein, können sich aber nach
der Geburt enorm vergrössern.
Auf mangelhafter Entwicklung der vorderen Hirnblase und der beiden
Augenblasen und der Ringnerven beruht die Entstehung der
Cyclopie oder Synophthalmie und Arkinencephalie: In der Nasenwurzel-
gegend eine einfache Orbitalhöhle. Bulbus fehlend oder in verschiedenem
Grade entwickelt oder zwei Bulbi dicht nebeneinander gelagert. Zwischen
WACHSTUMSSTÜRÜNGEN UND MISSBILDUNOEN. 893
diesen drei Graden viele Uebergänge. Nase vollständig fehlend oder ober der
Orbita bis zu einem oft recht langen rüsselförrnigen Fortsatz entwickelt.
Hydrencephalie ist die Ansammlung von Flüssigkeit in den liirnven-
trikeln, welche so weit gehen kann, dass die Hemisphären grosse, ]nit Wasser
gefüllte Blasen darstellen und secundäre Defectbildungen in den Knochen des
Schädels entstehen.
Mikrocephalie ist die mangelhafte Entwicklung des Schädels und des
Gehirnes in der Art, dass die Schädelhöhle wohl vollständig geschlossen wird,
dass aber Gehirn und Schädel im Wachsthum merklich zurückbleiben.
Der Wirbelcanal entsteht dadurch, dass die symmetrischen Anlagen der
Wirbelsäule sich zu einem Rohre schliessen. Tritt diese Vereinigung zu
einem Rohre gar nicht oder nur stellenweise ein, so entstehen die verschie-
denen Grade von Rhachischisis.
Bkachischisis totalis, Holorachischisis. Vollständiges Offenbleiben des
Wirbelcanales, Defect des Rückenmarkes, Rudimente der Meningen.
Bkachischisis partialis, Merorhachischisis, Spina bifida. Letztere Bezeich-
nung wird für jene Fälle gewählt, bei denen an Stelle des Defectes der
Wirbelbögen eine sackförmige Geschwulst sich findet. Die Geschwulst ist meist
von dünner Haut überkleidet. Sie ist eine Hijdromeningocele, wenn sie blos
aus den durch Flüssigkeit vorgewölbten Rückenmarkshäuten besteht {Hydro-
rliachis externa) oder eine Myelomeningocele, wenn gleichzeitig auch das Rücken-
mark nach aussen gedrängt wird. Die Ausstülpung einer solchen Meningocele
findet sich am häufigsten am Kreuzbein oder am Hiatus sacralis, bisweilen
auch am Halstheile, selten am Brusttheile der Wirbelsäule.
3. Hemmungsmissbildungen des Gesichtes und Halses.
Die Theile, welche die Mundhöhle begrenzen, gehen hervor aus dem
ersten Kiemenbogen und dem Stirnfortsatz; ersterer ist eine symmetrische
Anlage und begrenzt die primitive Mundhöhle von unten; letzterer entwickelt
sich als unpaarer Fortsatz in der Sagittallinie von oben gegen die Mund-
höhle. Der erste Kiemenbogen bildet zwei Fortsätze, einen kürzeren oberen
und einen längeren unteren. Der untere vereinigt sich mit dem der Gegen-
seite zum Unterkiefer. Aus dem oberen Fortsatze, der sich an die Unter-
fläche des Vorderkopfes anlegt, entwickelt sich aus dem vorderen Abschnitte
der Oberkiefer, während aus dem hinteren Abschnitte die Gehörknöchelchen,
die Processus pterygoidei und die Gaumenbeine entstehen. Die Oberkiefer-
fortsätze vereinigen sich nicht, sondern es bleibt zwischen ihnen ein w^eiter
Raum. In diesen wächst von oben herein der Stirnfortsatz mit seinen seit-
lichen Nasenfortsätzen, aus welchem ersteren der Vomer und das die vier
Schneidezähne tragende Os intermaxillare entstehen, während aus den beiden
letzteren die Siebbeinlabyrinthe, das knorpelige Dach und die Seitentheile
des vorderen Abschnittes der Nasenhöhle hervorgehen. Diese Knochen treten
mit den Oberkieferfortsätzen und ihrer Bedeckung ungefähr in der Mitte des
dritten Fötalmonates in Verbindung.
Bleibt nun diese Verbindung ganz oder theilweise, einseitig oder beider-
seitig aus, so entstehen jene Spaltbildungen, welche man als Cheilo-,
Gnatho-, Palato-Schisis bezeichnet.
Cheiloschisis, labium leporinum, einfache Hasenscharte, ein von Lippeu-
scMeimhaut umsäumter Spalt in der Oberlippe über dem inneren Rande der
Eckzahnalveole. Meist linkerseits, manchmal auch beiderseitig, bisweilen bis
in das Nasenloch hineinreichend.
Palatoschisis, Gaumenspalte. Spalte im weichen oder im harten und
weichen Gaumen, einseitig oder beiderseitig; dadurch bedingte Communication
zwischen Mund- und Nasenhöhle.
Cheilognathopalatoschisis, Wolfsrachen. Ein weit klaffender medianer
Spalt in der Decke der Mundhöhle sagittal vom meist verkümmerten Vomer
894 WACHSTÜMSSTÖEUNGEN UND MISSBILDUNGEN.
durchsetzt. Zwisclienkiefer mit den Oberkieferfortsätzen nicht vereinigt,
frei, oft weit vorragend, häutig nur zwei Schneidezähne tragend. Die Spaltung
bisweilen auch auf weichen Gaumen und Uvula sich fortsetzend.
ProsoposcMsis, Gesichtsspalte, zustandekommend durch das Ausbleiben
der Vereinigung zwischen Oberkieferfortsatz und Stirnfortsatz, vom Ober-
lippensaum nach aussen, von der Nase in die Nasenhöhle ziehend.
Aprosojne, völliges Ausbleiben der Gesichtsbildung durch mangelhafte
Entwicklung der Oberkieferfortsätze und des Stirnfortsatzes.
Brackygnathie, starkes Zurücktreten des Unterkiefers durch mangelhafte
Entwicklung des Unterkieferfortsatzes.
AgnatUe, völliger Mangel des Unterkiefers, sehr kleine Mundöffnung.
Sijnoüe, eine Agnathie, bei welcher die Ohren in der Medianlinie an-
einandertreten oder verwachsen.
Die Anomalien der Grösse der Mundspalte als Makrostomie, Mikrostomie,
Atresia oris und Distomie sind selten.
Fistula colli congenita, partielle Persistenz der äusseren Kiemenfurchen
in Form einer kleinen Oeffnung 1 — 3 cm ober dem Sternoclaviculargelenk,
meist rechts, bisweilen symmetrisch beiderseitig, oder in der Medianlinie.
Diese Oeffnung führt in einen Blindsack oder in einen längeren Canal,
welcher von Schleimhaut ausgekleidet bisweilen bis in die Trachea, den
Larynx, Pharynx oder gegen das grosse Zungenbeinhorn führt.
Die als Hydrocele colli congenita beschriebene Cystenbildung, ferner die
am Halse vorkommenden Atherome und Dermoide sind mit obenangeführter
Missbildung in Zusammenhang zu bringen.
4. Mangelhafter Verschluss der Pleuro-Peritonealhöhle.
Fissura sterni, totale oder partielle Spaltung des Brustbeines, bisweilen
mit Defect der Haut und der Rippen verbunden.
Ektopia cordis, Spaltung des Brustbeines mit Vorfall des Herzens mit
oder ohne Herzbeutel.
Fissura abdominalis completa, Gastroschisis, Offenbleiben der Bauchhöhle,
durch mangelhafte Entwicklung der Bauchdecken, welche in das Amnion über-
gehen. Vorlagerung der Eingeweide {Eventratio) in einen Sack, welcher aus
Peritoneum und Amnion, bisweilen aus Amnion allein besteht. Nabelstrang
manchmal fehlend, die Nabelgefässe getrennt zur Placenta verlaufend. Häufig
mit Thoracoschisis combinirt.
Nur graduell unterschieden von ersterer ist die Hernia funiculi umbili-
calis congenita, bei welcher der Defect der Bauchdecken nur die Umgebung
des Nabels betrifft. Bisweilen prolabiren die Eingeweide zum Theil in das
Anfangsstück des Nabels.
Erstreckt sich die Spaltung nur auf den unteren Theil der Bauchwand,
so kommt es zu einer Ektopia vesicae urinariae, wobei die vordere Blasen-
wand gleichfalls gespalten ist, während die hintere Blasenwand durch den
Druck der Eingeweide als Wulst aus dem Spalte hervorgetrieben wird (Jn-
versio vesicae urinariae).
Eine tiefgreifende Spaltung ist die Fissura abdominalis vesico-genitalis^
Diastase der Schambeine, vollständig gespaltene Harnblase mit widernatür-
lichem After dazwischen, vollständiges Fehlen des Colon; Prolaps des Coecums
und Dünndarmes, Rectum fast stets vorhanden, vollständige Spaltung der Ge-
nitalien.
Das Diverticulum Meckeli, als handschuhfingerförmiger Anhang am Ileum
circa 60^ — 100 cm von der Ileo-coecalklappe entfernt vorkommend, ist der
Rest des Anfangstheiles des Ductus omphalo-mesaraicus.
5. Hemmungsmissbildungen am äusseren Genitale und am
Anus.
WACHSTUMSSTÖRUNGEN UND MISSBILDUNGEN. 895
Vollständiger Mangel des äusseren Genitales kommt nur bei anderweitigen
Missbildungen des Abdomens und der inneren Genitalien vor.
Partielle oder totale Spaltung des Penis ist selten.
Rudimentäre Entwicklung des Penis meist mit llypospadie verbunden.
liypospadie, Verlagerung des Orificium urethrae an die Unterseite der
Glans oder des Penis oder an die Wurzel des Penis oder hinter das Scrotum
auf das Perineum.
Epispadie, Ausmündung der Harnröhre nach oben, auf der Glans oder
auf dem Rücken des Penis.
Bei weiblichen Individuen ist Epispadie mit Spaltung der Bauch- und
Blasenwand verbunden. Bei Hypospadie mündet die Harnröhre in die Scheide.
Defect der Harnröhr, Atresie derselben kommt bei männlichen und
weiblichen Individuen vor.
Abnorme Enge der Urethra wird bisweilen als congenitale Missbildung
beobachtet.
Atresia ani, vollständiges Fehlen der Afteröffnung; das Endstück des
Rectums mündet in den Blasengrund oder Blasenhals, Atresia ani vesicalis —
oder in die Harnröhre Atresia ani urethralis — oder an der Ansatzstelle des
Hymens, Atresia ani vaginalis. Es kann das Rectum aber überhaupt blind
enden, ohne jede Verbindung nach aussen, wobei es meist mangelhaft ent-
wickelt ist, Atresia ani simplex.
Kloakenbildung, ÄllantoisUoake, nennen wir einen Zustand, bei welchem
Ureteren, Geschlechtsgänge und Ileum nebeneinander ausmünden. Meist ist
Bauch- und Blasenspalte, bisweilen auch Dickdarmdefect damit combinirt.
6. Hemmungsmissbildungen der Extremitäten.
Die Defectbildungen der Extremitäten beruhen theils auf mangelhafter
Anlage, theils auf mangelhafter Wachsthumenergie der vorhandenen Anlage,
theils auf B^nderung des Wachsthums oder Verstümmelung der bereits in
Entwicklung begriffenen Extremitäten oder ihrer Theile. Letzteres pflegt durch
Abschnürung der Extremitäten durch Eihautstränge oder durch die Nabel-
schnur zu geschehen. Die wichtigsten Formen sind:
Amelus, vollständiges Fehlen der Extremitäten, meist bei wohlausgebil-
detem Rumpfe.
Peromelus, die Extemitäten sehr verkümmert.
Phocomelus, Defect der Arme und Beine; die Hände und Füsse sitzen
unmittelbar der Schulter und dem Becken auf.
Mikromelus, abnorme Kleinheit der Extremitäten (Mikrobrächius, Mikropus).
Abrachius, Apus, Defect der oberen oder der unteren Extremitäten.
Monobrachius, Monoptus, Defect der einen oberen oder unteren Extre-
mität.
SgmjMS, Sirenenbildung, Verschmelzung der unteren Extremitäten in
ganzer Ausdehnung, so dass die Füsse noch vorhanden sind, S. dipus, oder
dass nur ein Fuss vorhanden ist, S. tnonopus, oder dass die Füsse vollständig
fehlen und entweder noch einzelne Zehen angedeutet sind, oder dass an
Stelle der unteren Extremitäten ein spitzzulaufender Stumpf sich findet,
S. apus. Meist auch Defectbildungen am Becken und den Beckenorganen.
AcJiirus, Apus und Perochirus, Peropus, vollständiger Mangel oder Ver-
kümmerung einer Hand oder eines Fusses.
Perodactylie, Mangel oder Verkümmerung der Finger und Zehen.
Syndactijlie, Verschmelzung der Finger oder Zehen.
II. Missbilduiigeii durch excedireude Entwicldimg.
Die hieher gehörenden Missbildungeu sind darauf zurückzuführen, dass
aus inneren Ursachen die Masse und Wachsthumsenergie des fötalen Bildungs-
materiales eine abnorm grosse ist. Diese Anomalie betrifft den ganzen
896 WACIISTUMSSTÖRUNGEN UND MISSBILDUNGEN.
Körper oder einzelne Theile desselben. Betrifft sie den ganzen Körper, so
sprechen "wir von allgemeinem Riesen wuchs {Gigantismus, Makrosomie).
Der Riesenwuchs tritt entweder schon intrauterin auf, wobei es zur Production
eines abnorm grossen Fötus kommt, dessen Körpergewicht bis zu 10 Kilo
erreichen kann, oder er beginnt, was häufiger vorkommt, in den Kinderjahren
und ist meist vor dem 21. Lebensjahre beendet.
Partieller Riesenwuchs findet sich auf eine ganze Körperhälfte
oder häufiger auf einzelne Extremitäten oder deren Theile beschränkt. Bis-
weilen nimmt die Masse der die einzelnen Körpertheile zusammensetzenden
Gewebe in ungleichem Maasse zu; es überwuchert z. B. das Fettgewebe, oder
es entwickelt sich eine abnorm reichliche Vascularisation. Diese abnorme
Wucherung einzelner Gewebsarten bildet den Uebergang zu den congenitalen
Geschwülsten.
Die fötale Hyperplasie und die abnorm grosse Wachsthumsenergie
äussert sich weiterhin in einer U eberzahl von Organen, T heilen des
Skeletes und des Muskelsystems oder in einer abnorm früh-
zeitigen Entwicklung derselben. Letzteres wird am häufigsten am
Genitalapparat beobachtet. Zu den ersteren Formen der Missbildungen ge-
hören: die Pohjdactylie, Vermehrung der Zahl der Finger und Zehen; die
Polymastie, überzählige Brustdrüsen, bei Männern und Weibern vorkommend,
häufig mit Verlagerung der überzähligen Brustdrüsen in entfernte Körper-
regionen z. B. in die Inguinalgegend verbunden; die Polythelie, Ueberzahl der
Brustwarzen; Ueberzahl der Wirbel, der Rippen, der Zähne. Ferner sei hier
auf das Vorkommen der Nebenmilzen, auf die Verdoppelung der Ureteren
u. s. w. hingewiesen.
III. 3Iissl)ildungen durch Lageveränderung der inneren Organe.
Situs visceriim transversus. Die Brust- und Baucheingeweide sind der-
artig umgelagert, dass ihre Lage das Spiegelbild des normalen Situs darstellt,
dass demnach alle Organe, welche rechts zu liegen ptiegen, nach links zu
liegen kommen und umgekehrt. Diese Lageanomalie kann sich auch auf die
Brust- oder Bauchorgane allein beschränken. Sie findet sich bei Doppelmiss-
bildungen, aber auch bei sonst wohlgebildeten Einzelindividuen, bei Männern
häufiger als bei Weibern.
LTnter den Lageveränderungen einzelner Organe ist zu erwähnen die
Ektopia testis als vollständige Retentio test.is (Kryptorclmmus) ^ als Ekt.
inguinalis, Ekt. pubica, je nachdem der Hoden innerhalb der Bauchhöhle, inner-
halb des Leistencanales oder unmittelbar vor demselben gelagert ist. Andere
Dislocationen des Hodens sind sehr selten. {Ekt. cruro-scrotalis pemiealis, cruralis).
Dystopia renis: Anomale Lage der Niere als Tieferlagerung derselben,
als Verlagerung derselben im Becken oder vor der Wirbelsäule meist vor dem
Promontorium. Lagern beide Nieren zur Zeit ihrer ersten Entwicklung dicht
aneinander, so verschmelzen sie zur Hufeisenniere, oder wenn sie an beiden
Polen zusammentreten zur kuchenförmigen Niere.
Auch die die Gelenke constituirenden Knochen und Knochenenden zeigen
congenitale Lageanomalien. Von besonderem Interesse ist die
Luxatio coxae. congenita meist beiderseitig, häufiger bei Mädchen, in der
Regel eine Luxatio iliaca.
An den Füssen beobachten wir nicht selten den angeborenen Klumpfuss
Pes equinovarus, auch den Pes calcaneus und Pes valgus.
IV. 3Iis8bildnngen durch Vermischung der Geschlechtscharaktere
(Zwitterbildungen).
Es sei zunächst darauf hingewiesen, dass der Genitalapparat im Embryo
aus drei Anlagen hervorgeht. Diese sind getrennt für die Geschlechtsdrüsen,
WACHSTUMSSTÖRUNGEN UND MISSBILDUNGEN. 897
für die Geschlechtsgänge und für die äusseren Genitalien vorhanden und
linden sich als solche in jedem Embryo.
Die Geschlechtsdrüse entwickelt sich an der medialen vorderen Seite
der Urnierc oder des WoLFF'schen Körpers. Zugleich mit der Geschlechts-
drüse entsteht der zum Sinus urogenitalis führende MüLLKii'sche Gang, welcher
neben dem gleichfalls in den Sinus urogenitalis mündenden Woi.FF'schen
Gang zu liegen kommt. Zu dieser Zeit besteht noch keine Differenzirung des
Geschlechtes. Gegen Ende des zweiten Monates findet die Differenzirung statt.
Aus der Geschlechtsdrüse entwickelt sich der Hode oder der Eierstock.
Entwickelt sich ein Hode, dann verschwindet der MüLLEii'sche Gang.
An der Zusamraenflussstelle beider MüLLEii'schen Gänge bleibt die Vesicula
prostatica {Uterus masculinus) als Rest derselben übrig. Der WoLFF"sche
Gang wird zum Vas deferens und der WoLFF'sche Körper theilweise zum
Kopfe des Nebenhodens.
Beim weiblichen Geschlecht entsteht aus der Geschlechtsdrüse das Ova-
riura. Die MüLLEE'schen Gänge legen sich in ihrem unteren Theile an ein-
ander, werden dort dickwandiger und wandeln sich nach dem Schwinden ihrer
Scheidewand in Uterus und Vagina um, die WoLFF'schen Gänge kommen
dagegen gar nicht zur Entwicklung.
Das ausser eGenitale geht aus dem Geschlechtshöcker hervor, welcher in
der sechsten Woche als kleiner Wulst vor der Kloake entsteht. An den AVulst
legen sich zwei Falten seitlich an, die Geschlechtsfalten. Später wird der
Wulst zu einem deutlichen Höcker, der an seiner unteren Fläche eine sagittal-
gestellte Furche erhält, die Geschlechtsfurche.
Bei männlichen Individuen schliesst sich die Geschlechtsfurche zu einem
Rohr, der Geschlechtshöcker wird zum Penis, während sich die Genitalfalten
zum Scrotum vereinigen.
Bei weibMchen Individuen bleibt die Vereinigung der Geschlechtsfurche
und der Geschlechtsfalten aus. Der Geschlechtshöcker wird zur Clitoris, die
Geschlechtsfalten zu den grossen Labien, während aus den Rändern der Genital-
furche die kleinen Labien hervorgehen.
Die Störungen der Entwicklung des Genitalapparates können dahin
gehen, dass Zustände entstehen, bei welchen der durch die Verschiedenheit
der Genitalorgane bedingte differentielle Geschlechtstypus nicht rein vor-
handen ist, dass also der Genitalapparat desselben Individuums charakteristische
Theile sowohl des männlichen als auch des weiblichen Genitales enthält. Einen
solchen Zustand bezeichnet man als liermaphroditismus, Zwitterbildung.
Man trennt jedoch den echten Hermaphroditismus vom falschen und bezeichnet
als Hermaphroditismus verus nur jene Missbildung, bei welcher in einem und
demselben Individuum männliche und weibliche Geschlechtsdrüsen vorhanden
sind. Besteht dagegen nur eine Mischung männlicher und weiblicher Ge-
schlechtsgänge mit andersgeschlechtlichen äusseren Genitalien oder eine
Mischung männlicher und weiblicher Geschlechtsgänge allein, während die
Geschlechtsdrüsen nur einem bestimmten Geschlechtstypus angehören, so
bezeichnet man einen solchen Zustand als Hermaphroditismus spurius oder
Pseudohermaphroditismus.
Man unterscheidet drei Formen des Hermaphroditismus vei'us:
1. H. V. Ulateralis, beiderseits je ein Hoden und ein Eierstock. Bisher
nur ein Fall (Heppner) beobachtet.
2. H. V. vnilateralis, auf einer Seite eine Geschlechtsdrüse, auf der andern
zwei differente Geschlechtsdrüsen. Beim Menschen noch nicht sichergestellt.
3. H V. lateralis oder alternans, auf der einen Seite ein Hode, auf der
anderen ein Eierstock. Die zugehörigen Geschlechtsgänge sämmtlich_ vor-
handen oder zum Theile fehlend, äussere Genitalien theils den männlichen,
theils den weiblichen Typus tragend. Beim Menschen mehrfach beobachtet.
Bibl. med. Wissenschaften I. , Geburtshilfe und Gynaekologie, 0'
898 WACHSTÜMSSTÖKUNGEN UND MISSBILDUNGEN.
Der Fseudohermapliroditismiis, auch als Hermaphroditismus transversalis
bezeichnet, \Yird zunächst eingetheilt in einen männlichen und weiblichen,
nach dem Charakter der Geschlechtsdrüsen; und jede dieser zwei Arten kann
unterschieden werden in einen internen, externen und completen. Der
Pseudohermaphroditismus masculinus ist in seinen ausgesprochenen Formen
bei Aveitem häuttger als der weibliche:
Fseudo-H. niasc. internus, äusseres Genitale von männlichem Charakter,
Hoden, Vasa deferentia, Prostata vorhanden, nebstbei vaginaartige Vesicula
seminalis, mehr oder weniger ausgebildeter Üteius, auch bisweilen Tuben.
Pseudo-H. masc. externus, äusseres Genitale dem weiblichen in verschie-
denem Grade ähnlich gebildet. Bei diesem auch der übrige Körper häufig
von ausgesprochen weiblichem Habitus, deshalb eine Verwechslung des Ge-
schlechtes in diesen Fällen leicht möglich.
Pseiido-H. masc. comi)letus, bei mehr oder weniger vollständiger Aus-
bildung von Scheide, Uterus und Tuben oder bei rudimentärer Entwicklung
derselben das äussere Genitale mehr oder weniger nach weiblichem Typus
gebildet.
Während bei echtem Hermaphroditismus häufig im Gesammtbau des
Körpers neben der dem weiblichen Typus eigenthümlichen Rundung der Formen,
der Bildung des Nackens, der Entwicklung der Brüste, auch der den männ-
lichen Typus charakterisirende Bartwuchs, der stark entwickelte Kehlkopf, die
schärfer ausgeprägte Gesichtsbildung, also männliche und weibliche Eigen-
schaften gemischt hervortreten, entspricht beim Hermaphroditismus spurius
der Habitus des Körpers nicht immer dem Geschlechte der Keimdrüsen.
V. Doppelmissbildimgen, Monstra duplicia.
Unter Doppelmissbildungen versteht man jene Missbildungen, bei
welchen sich zwei Individuen entwickeln, die in grösserer oder geringerer
Ausdehnung mit einander im Zusammenhange stehen und dadurch einen
Gesammtorganismus constituiren, wobei es in der Regel an der Stelle des
Zusammenhanges zu einer Beeinträchtigung der Entwicklung kommt.
Die Entstehung der Doppelmissbildung ist noch nicht vollständig klar-
gestellt. Die Schwierigkeit liegt darin, dass, die Anlage der Doppelmissbil-
dungen zweifellos in den allerersten Anfängen der Entwicklung des Eies zu
suchen ist, dass diese Stadien der Entwicklung der Untersuchung fast gar
nicht zugänglich sind, und dass auch das Experiment in dieser Hinsicht nur
unzulängliches leistet. Immerhin hat das sorgfältige Studium der Missbildungen
selbst im Vereine mit den Erfahrungen der Embryologie eine gewisse Klärung
der Anschauungen herbeigeführt.
Nach erfolgter Befruchtung des Eies und nach dem Furchungsprocesse
bildet sich die Keimblase. In der Wand dieser entsteht der Fruchthof {Area
germinativa) oder der Embryonalfieck {Area emhryonalis, Kölliker). An dem
hinteren Ende des Embryonalfleckes entwickelt sich allmälig der Primitiv-
streifen, vor welchem späterhin die Rückenfurche entsteht. Diese Anlage
stellt gleichsam die Axe dar, längs welcher sich die verschiedenen Körper-
theile des Embryo entwickeln.
Theoretisch lässt sich nun annehmen, dass in der Wand der Keimblase
zwei Embryonalflecke entstehen. Diese stossen bei ihrer Vergrösserung an-
einander, an der Berührungsstelle fliessen sie mehr oder weniger ineinander.
Während die lateral liegenden Antheile der beiden Embryonalflecken sich
ungehemmt entfalten können, wird an der Verschmelzungsstelle in verschie-
denem Grade eine Hemmung der Entwicklung eintreten (Verwachsungstheorie).
Es ist aber auch denkbar, dass innerhalb desselben Embryonalfleckes zwei
Primitivstreifen und dem entsprechend zwei Primitivfurchen entstehen, die
getrennt bleiben oder mit einander verschmelzen (Spaltungstheorie). Es wäre
WACHSTÜM.SSTÖRUNGEN UND MISSBILDUNGEN. 899
aber auch möglich, dass in einem Embryonalfleck ein Primitivstreifen ent-
steht, dass sich aber die Rückenfurche der ganzen Länge nach oder theil-
weise doppelt entwickelt.
In allen diesen Fällen wird vorausgesetzt, dass diese Missbildungen aus
einem Ei und einer Keimblase hervorgehen, dass also von vornherein eine
einfache Anlage besteht. Erst zur Zeit der Bildung des Embryonalflcckes oder
erst zur Zeit der Entstehung des Primitivstreifens und der Primitivfurche
tritt die Verdopplung auf. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass nach Ver-
dopplung der Anlagen nachträglich wieder eine Verschmelzung derselben er-
folgen kann.
Es darf jedoch die sogenannte Verwachsungstheorie nicht in dem Sinne
angenommen werden, dass die Verwachsung zwischen zwei schon ausgebildeten
Früchten zu Stande kommt und dass durch die Verwachsung schon ausgebil-
dete Organe und Ivörpertheile zu Grunde gehen.
Die Trennung der Doppelmissbildungen beginnt entweder am oberen
Körperende (Katadidtjma) oder am unteren (Anadidyma) und geht nach der
Längsaxe verschieden tief; oder aber die beiden Individuen sind oben und
unten getrennt und hängen in der Mitte in grösserer oder geringerer Aus-
dehnung zusammen (Anakatadidyma).
1. Katadidyma. (Duplicitaa anterior).
Die Spaltung am Kopfende beginnend kann bis an das Becken hinab-
reichen.
Diprosopus, Gesicht mehr oder weniger verdoppelt als Diprosopus
diophthalmus, triophtalmus^ Tetrophthalmus, diotus.
Dicephalus, Verdoppelung des Kopfes und des oberen Theiles der
Wirbelsäule Sils-J)icephalus dibrachius, tribrachius, tetrabrachius, tripus.
Ischiopagus, Verdopplung des Kopfes und Stammes bis an das Becken,
die Körperaxen stehen unter einem stumpfen Winkel zu einander, die vier
unteren Extremitäten stehen je zwei und zwei in einem rechten Winkel nach
den Seiten ab. After und Genitalien gemeinschaftlich oder getrennt.
Pygopagus, zwei vollkommen getrennte Körper, die hinten am Kreuz-
oder Steissbein zusammenhängen. After und Geschlechtsapparat zum Theil
gemeinschaftlich. Bisweilen vollkommen lebensfähige Missbildungen (die
ungarischen Schwestern Helena und Judith, die amerikanischen Schwestern
Christie und Millie, die böhmischen Schwestern Rosalia und Josefa).
Die sacralen Teratome, die bisweilen äusserst complicirt in der Zu-
sammensetzung verschiedenartigster Gewebe sind, können als rudimentäre
Pygopagi parasitici angesehen werden.
2. Anadidyma (Duplicitas posterior).
Die Spaltung am untersten Ende der Wirbelsäule beginnend, bisweilen
bis an den Kopf reichend.
Dipygus, Kopf, Hals, Brust einfach, die Bäuche und der hintere Theil
des Körpers getrennt, zwei oder vier obere, immer vier untere Extremitäten.
Beim Menschen sehr selten.
Synceplialus, Dihypogastricus, untere Körperhälften bis an den Nabel
getrennt, Nabel gemeinsam, obere Körperhälften und Köpfe mehr oder weniger
mit einander verschmolzen. Vier obere, vier untere Extremitäten. Innere
Organe theils einfach, theils doppelt.
S. symmetros, Janiceps, der Kopf vollständig verdoppelt, so dass ein
Gesicht nach vorn, das andere nach hinten steht.
S. asymmetros, ein Gesicht vollständig entwickelt, das andere mangelhaft
{Iniops) oder gar nicht.
57*
900 WEHEN.
Craniopagus, am Kopfe vereinigte Zwillingsmissbildung; die Körper in
einer Axe, mit den Fussenden von einander abgewendet liegend, mit den
Scheiteln zusammenstossend. Die Zwillinge sind vollständig oder von dem
einen ist blos der Kopf entwickelt {Craniopagus parasiticus).
3. Anakatadidyma.
An Brust und Bauch in Zusammenhang stehende Zwillingsmissbildungen;
obere und untere Körperenden getrennt, manchmal auch theilweise ver-
schmolzen.
Thoracopagus, zwei getrennte Körper, an Brust und Oberbauch vorn
oder mehr seitlich verbunden, die beiden medianen oberen Extremitäten
können auch verschmolzen sein {Th. trihrachius).
Xiphopagus, die Verwachsung betrifft nur die Schwertfortsätze ' (die
siamesischen Zwillinge) und die Oberbauchgegend {Omphalopagus).
Einer der Zwillinge kann in der Entwicklung zurückbleiben und stellt
einen rudimentären Anhang am Thorax oder am Epigastrium des andern dar
{Epigastrius) — Ihoracopagus parasiticus. Die Entwicklung des Parasiten
kann auch subcutan im Epigastrium oder als Inclusio foetalis, Foetus in foetu,
Engastrius in Form eines Einschlusses in der Bauchhöhle erfolgen.
Bachipagus, an der unteren Brust- und Lendenwirbelsäule verschmolzene
Zwillingsmissbildung, sehr selten.
Prosopotho7~acopagus, die Köpfe nur oberflächlich an der Seite vereinigt,
gemeinschaftlicher Unterkiefer, Hals, Brust und Bauch bis an den Nabel ver-
schmolzen, Becken getrennt, vier obere, vier untere Extremitäten.
EpignatJius, parasitischer Thoracopagus, als rudimentärer Kopf oder als
unförmliche, polypöse Masse an der Schädelbasis des Autositen fixirt und aus
der Mundöflnung desselben heraushängend.
Drillingsmissbildungen entstehen nach denselben Principien wie
die Doppelmissbildungen, sind jedoch sehr selten. zemann.
Wehen. Man versteht unter „Wehen" die, dem Einflüsse des Willens
entzogenen und von Schmerzen begleiteten Zusammenziehungen der Gebär-
mutter zum Zwecke der Herausbeförderung der Frucht aus ihrer Höhle; und
man spricht von „Wehenthätigkeit", wenn die Gebärmutter mit Unter-
stützung der Bauchpresse die der Ausstossung der Frucht sich entgegen-
stemmenden Widerstände überwindet. Die Wehenthätigkeit ist eine regel-
mässige, wenn das Verhältnis zwischen der austreibenden Kraft und dem
Widerstände ein normales ist; im entgegengesetzten Falle wird sie regel-
widrig. Die Aufgabe der Wehen ist somit, die weichen Geburtswege zu-
mindest auf etwa 32 cm Ringumfang zu erweitern, was durch die Muskelarbeit
in den oberen Abschnitten der Gebärmutter erfolgt, ferner die Verbindungen
zwischen Ei und Mutter (Eihüllen) zu lösen und endlich das gelöste Ei gegen
den Ort des geringsten Widerstandes zu drängen. Bei letzterem Vorgange
wird mittelst der Loslösung des Eies ein steter Reiz für neue Wehen gesetzt
(Selbsteuerung der Wehenthätigkeit), welche die Sprengung der
Fruchtblase im auseinandergedehnten Muttermunde erfolgen lassen.
Die Centren durch deren Reizung Uteruscontractionen ausgelöst werden,
liegen beim Menschen in der Medulla oblongata und dem Lendenmarke, sie
können durch verschiedene Mittel in Erregungszustand versetzt werden; so
durch wechselnde Körpertemperatur, toxische Reize, Stauung venösen Blutes,
ebenso durch Blutmangel, endlich durch Gemüthsbewegungen, es können aber
nach einzelnen Erfahrungen Uteruscontractionen auch unabhängig von den
cerebro-spinalen Centren ausgelöst werden. (Kaltenbach). Die Wehen über-
greifen die ganze Gebärmutter in sehr kurzer Zeit, die Contraction erfolgt
in peristaltischer Art und nimmt einen typischen Verlauf, welcher einer Zeit-
WEHEN. 901
dauer von Va — IV2 Minuten entspriclit, der dann eine Ruhezeit folgt: „Wehen-
pause". Anfänglich sind diese Intervalle recht lange anhaltende, später
kürzen sie sich, um schliesslich selbst bei normalen Verhältnissen verschwin-
dend klein zu werden.
Die Intensität der Wehe ist am Anfange gering, wächst ver-
hältnismässig langsam an (Stadium incrementi), um sich dann eine kurze Zeit
auf der Höhe zu halten, (Stadium acmes) und rasch — jedoch oft in mehr
minder beträchtlichen Nachschüben abzufallen (Stadium decrementi). (Wehe n-
curve von Schatz).
Die Wehenpause dient zur Erholung der Musculatur des Organes. Die oben
geschilderten Contractionen werden von eigenthüralichen Schmerzen begleitet;
Geburten ohne Wehenschmerz gehören zu den grössten Seltenheiten. Die
schmerzhaften Gefühle beginnen als kurze, lancinirende Schmerzen im Bauche,
machen sich als Ziehen im Kreuze stabiler, um von da auf das ganze
Becken und die Schenkel auszustrahlen. Heftiger werden sie mit dem Herab-
treten der Frucht, wo sie als Druck auf den Mastdarm, noch mehr als Span-
nung der äusseren Genitalien allmälig in das sogenannte „Drängen" über-
gehen, und dabei oft einen so hohen Grad erreichen, dass die Kreisende selbst un-
zurechnungsfähig wird. Diese Schmerzen sind jedoch stets von kürzerer Dauer
als die Contractionen der Uterusmusculatur selbst. Man leitet sie, von den-
jenigen abgesehen, welche durch Zerrung oder Berstung der weichen Gewebe
gesetzt werden, von Hyperaemie des Sacralgeflechtes, und solcher im Lenden-
marke, wohl auch von Druckerscheinungen auf die Nervenendigungen des
Uterus ab.
Je nach der Zeit des Auftretens unterscheidet man mehrere Arten
der Wehen." ) Schon während der Schwangerschaft, besonders in den letzten
Wochen beobachtet man einzelne kurze, typische Contractionen des
Uterus, es sind die „Vorwehen", (dolores i^raesagientes). Bei Mehr-
gebärenden weniger, werden eben diese Wehen von Erstgebärenden sehr
schmerzlicl/ empfunden, sie gehen als „vorbereitende Wehen", (dolores
praeparantes) in ein recht unangenehmes, häufig auf den ganzen Unterleib
erstrecktes „Kneifen" über. Sie werden an den ziemlich regelmässigen
Intervallen, an der längeren Dauer und daran erkannt, dass sich der Uterus
gegen die Bauchwand erhebt („stemmt"), sein Längen- und Tiefendurch-
messer zunimmt, und erfüllen den Zweck die Blase einzustellen und den ^lutter-
mund zu erweitern.
Auf diese folgen die „austreibenden Wehen" (dolores ad partum).
Mit langandauerndem Stadium der Akme, und kurzen Pausen entwickelt hier die
Bauchpresse ihre Mitaction. Diese Art der Wehen ist sehr schmerzhaft,
die Kindestheile rücken in die Scheide, drücken nicht nur den ^Mastdarm, sondern
quetschen den plexus sacralis, wodurch die Gebärende derartige Schmerzen er-
leidet, dass sie erschüttert wird. Daher der Name „S chüttel wehen"
(dolores conquassantes), unter welchen der Austritt des Kindes erfolgt. Nach
diesem folgt eine Ruhepause, bis mit einigen neueren Contractionen die Nach-
geburt ausgestossen wird (dolores ad secimdinas). Die Zusammenziehung der
Gebärmutter auf das Normale wird dann durch die „N a ch w e h en" {dolores post
partum) bewerkstelligt. Bei Erstgebärenden sind die Nachwehen ganz schmerz-
frei, hingegen bei Mehrgebärenden schmerzhaft, und dies um so mehr, je
kürzer die Geburt dauerte. Es ist bereits erwähnt, dass zur Wehenthätigkeit
die Action der Bauchpresse nicht entrathen werden könne. Sie ist eine sehr
mächtige Unterstützung für den Geburtsact, und wirkt durch Zusammenziehung
sowohl der Bauch- als auch der Stammmuskeln, am meisten jedoch durch
das herabsteigende Zwerchfell in der Weise, dass die ganze Bauchhöhle ver-
") Vergl. Artikel „Entbindung^, pag. 226 u. ff.
902 WEHEN.
kleinert wird. Indem der vordringende Kindestheil die Contraction der Bauch-
presse auf reflectorischem Wege wachruft, erfolgt diese ruckweise, und wird
in ihrer Wirkung verstärkt, wenn die Kreisende durch Anstemmen der Füsse
und Hände den Stamm fixirt, die Glottis schliesst, nachdem sie durch rasche
und tiefe Inspirationen das Zwerchfell herabgedrängt hat: „Mitpressen".
Erfolgt dies während der Wehe, so nennt man es „Verarbeiten der
Wehe;" dieAction der Bauchpresse in wehenlreien Intervallen ist jedoch
ein unnützer Kräfteverbrauch.
Durch die ebenerwähnte Muskelarbeit muss sowohl der intrauterine
als intraabdominale Druck eine erhebliche Steigerung erfahren. Nach Schatzes
Versuchen steigt ersterer bis auf 160 mm Hg\ die Kraft, mit welcher die
Fruchtblase gesprengt wird, hängt jedoch auch von letzterer ab und wird mit
2 — 17 kg und höher angegeben (Schatz, Duncan, Ribemont). Auf die Zunahme
der Pulsfrequenz während der Wehen machten E. Martin und Maurer
aufmerksam; wir verdanken weiters v. Winckel die Beobachtung, dass die
Respirationsfrequenz während der Wehen pausen eine Zunahme auf-
weist, hingegen in der Wehe selbst abnimmt. Nach einigen Beobachtern soll
auch die Temperatur constant eine Steigerung erleiden.
Von den Veränderungen an den äusseren Genitalien und dem Muttermunde
absehend, ebenso denen, die durch die Aenderung der Lage und Configuration des
vorliegenden Kindestheiles erfolgt, kann die Diagnose der Wehen aus der
periodisch wiederkehrenden Erhärtung des Uterus, der Aufstellung seines
Fundus {Aufbäumen) und den früher beschriebenen Schmerzempfindungen
gestellt werden. Die Intensität der Wehen hingegen ist eine, oft an ein und
derselben Person bei verschiedenen Geburten sehr wechselnde, und steht weder
mit der Constitution noch mit dem Alter der betreffenden Kreissenden im
Zusammenhange.
Wir wollen nun die Anomalien der Wehenthätigkeit besprechen.
Stellen sich die Wehen im Verlaufe blos in langen Pausen ein, so be-
nennt man sie als „träge Wehen"; sie verzögern wohl den Geburtsgang,
sind aber bei genügender Energie noch nicht als krankhaft zu bezeichnen;
zu solchen werden die Wehen erst, wenn sie zu schwach, zu stark oder
krampfhaft sind.
Schwache Wehen sind die, die bei kurzer Dauer in längeren Pausen
und mit geringer Kraft auftreten. Der Wehenschmerz ist dabei entweder
gering oder er kann gänzlich fehlen. Die Geburt wird nicht vorwärts ge-
bracht: Wehenschw^äche.
Verfolgt man die Ursachen dieses Zustandes, so liegen sie entweder
ausserhalb der Gebärmutter (indirecte Wehenschwäche) wo der
ganze mütterliche Organismus und damit auch die Gebärmutter geschwächt,
heruntergekommen ist. Hieher zu zählen sind die acuten und chronischen
Infectionskrankheiten, vor allem die Tuberculose, ungenügende Blutbereitung
(Chloroanaemie), mangelhafte Ernährung (Hyperemesis gravidarum). Ebenso
wirken auf die Wehenthätigkeit alle jene Zustände lähmend, durch welche
das kräftigste Unterstützungsmittel derselben, die Bauchpresseaction ausge-
schaltet wird und der Bauchhöhlenraum nicht verringert werden kann; so
Gasansammlung im Intestinaltracte, Stauung des Harns in der Blase, Aus-
einanderweichen der Bauchmusculatur bei Hernien u. s. w. (Wir haben
übrigens nach Laparotomieen die Bauchpresse trotz der grossen Narbe
regelmässig functioniren gesehen). Nach Einigen erzeugen psychische Ein-
drücke ebenfalls Wehenschwäche; die Erfahrung lehrt jedoch — sowohl
bei civilisirten als auch Naturvölkern (Engelmaxn) — meist das Gegentheil.
Die directe Wehenschwäche wird eintreten, wenn die Musculatur des
Uterus selbst entweder zu schwach entwickelt oder krankhaft verändert ist.
WEHEN. 903
Zu ersterer Ursache zählen wir in erster Reihe den kindliclien Uterus, el)en-
so die rudimentären Bildungen. Zu letzteren Mangel an Ernährung oder
fehlerhafte Innervation (Winckel), wie solche bei sehr kindlichen Indivi-
duen oder aber bei alten Erstgebärenden sich einstellen. Die mit den i^age-
veränderungen der Gebärmutter eintretenden Muskelveränderungen (Metritis
ehr.), die mangelhafte Rückbildung bei rasch folgenden Geburten (Hubinvolution),
kommt hiebei ebenso in Anbetracht als etwaige Neubildungen im Uterus selbst;
abgesehen davon, dass diese auf die Ernährung des Organes, resp. Schwächung
desselben durch consecutive Metrorrhagieen von Einfluss sind. Schliesslich
müssen Narbenbildungen, Verwachsungen des Muttermundes, wie auch eine
übermässige Ausdehnung des Uterus durch Hydramnion, endlich die ungewöhn-
liche Festigkeit der Fruchtblase ebenfalls zur Erlahmung der Wehenthätigkeit
führen. Letzteres tritt jedoch öfters infolge Unkenntnis des Geburtsvorganges
auf. Wir sehen die Kreissende durch mehr minder „fachgemässen" Zuspruch
angeleitet ihre Kräfte zu einer Zeit aufzubrauchen, wo ein Verarbeiten (s. o.)
nicht mehr oder noch gar nicht am Platze ist, am häufigsten bei Hindernissen
seitens des Beckens, wobei die reflectorische Thätigkeit der Wehe in Wegfall
kommt (Kaltenbach).
Beide Arten der Wehenschwäche haben Gefahren für die Mutter und
für das Kind im Gefolge. Die grosse körperliche, zumeist verfrühte An-
strengung reducirt die Körperkräfte der Kreissenden auf ein Minimum; gesellt
sich noch vorzeitiger Wasserabfluss dazu, so kann der Rest des Fruchtwassers
— meist durch vieles Untersuchen — mit Keimen inficirt werden und sich
zersetzen. Dem Kinde erwächst durch die Behinderung des placentaren Kreiss-
laufes Schaden, es wird asphyktisch. Selbst nach erfolgter Ausstossung des
Kindes kann die Wehenschwäche durch die Blutungen post partum gefährlich
werden, s. Atonie des Uterus.
Aus dem Gesagten kann man sowohl die Diagnose als auch die Pro-
gnose für/äie Wehenschwäche leicht ableiten.
Für die Behandlung gilt als einzig maassgebend der jeweilige Zustand
der Frucht blase. So lange die Blase steht, hat der Arzt die Patientin
und Umgebung (!) zu beruhigen, zur Geduld zu ermahnen und solche selbst
in ausreichendstem Maasse in Anwendung zu bringen, die Blase zu schonen
und ja nicht eher zu sprengen bis der Muttermund nicht mindest für zwei
Querfinger durchgängig ist und die Kindestheile nicht fest ihm anliegen.
Nach dem Blasensprunge ist vorerst die Dehnung des Collum abzu-
warten, eventuell diese durch w^arme Scheiden-Douchen, Bäder in toto anzu-
regen. Blutungen in der Geburt machen eine Scheidentamponade (feuchte,
sterile Watte oder Gaze, nicht trockene Watte!) nöthig. Die Darreichung
von Mutterkornpräparaten ist überhaupt zu unterlassen; man erzielt damit
nur die entgegengesetzte Wirkung, und schädigt Mutter und Kind.
Ebensowenig sind wir, mit Rücksicht auf die Infectionsgefahr für das
Einlegen elastischer Instrumente oder die gewaltsame Dehnung der Cervix.
Dass eine überfüllte Blase entleert, der Gasansammlung im Bauche durch
einen aromatischen, lauen Einlauf entgegengearbeitet werden müsse, ebenso
dass man bei fieberhaften Erkrankungen und grossen Schmerzen mit dem ge-
eigneten Mittel vorzugehen habe, ergiebt sich von selbst.
Stillt das planmässige, ausdauernde und kräftige Massiren des entbun-
denen Uterus die infolge Wehenschwäche aufgetretene Blutung nicht, so
greife man zur Uterustamponade nach Dühessex mit Jodoformgaze,
welchem Verfahren wir ganz ausgezeichnete Erfolge verdanken.
Zu starke Wehen sind diejenigen, wo die Pausen innerhalb der Con-
tractionen so kurz ausfallen, dass letztere in einander überzugreifen scheinen,
w^obei ihre Energie den Wehenschmerz bis ins Unerträgliche steigert. Die
904 WEHEN.
Kranke nimmt hiebei, um dem qualvollen Zustande ein rascheres Ende zu be-
reiten, tiefste Inspirationen und drängt auf das kräftigste mit, wodurch es dann
zur Schwellung der Venen am Halse, wohl auch zu Brust- und Nacken-
hautemphysem kommen mag. Meist wird auch über einen sehr heftigen,
stechenden Schmerz in der Gebärmutter geklagt. Besteht unter sothanen
Verhältnissen eine erhebliche Behinderung seitens des Beckens oder des Kindes
nicht, so wird letzteres während eines solchen „Wehensturmes" aus den
Genitalien hinausgestossen : „Sturzgeburt"""), (partus praecipitatus).
Die Ursachen dafür liegen wie bei der Wehenschwäche entweder direct
im Organe selbst, u. zw. in partieller Hypertrophie der Musculatur (Cazeaux)
oder in entzündlichen Processen derselben; oder sie sind indirecter Art.
Zu diesen zählen die durch mangelhafte Entwickelung, fehlerhaftes Becken
gesetzten Uebelstände, zumeist aber der durch wiederholte (unnöthige!)' Un-
tersuchung hervorgerufene Reiz. Dass psychische Eindrücke, Angst und
Furcht, so das Eintreten des Arztes und Vorbereitungen zu einem instrumen-
tellen Eingriffe, die Wehenthätigkeit in's Uebermaass steigern können, ist er-
fahrungsgemäss bekannt. Sturzgeburten in eklamptischen Anfällen haben wir
wiederholt beobachtet.
Der Wehensturm pflegt sich öfter bei Mehrgebärenden einzustellen, nach
WiNCKEL käme er überhaupt beinahe der Hälfte aller Kreissenden zu. Den
oben erwähnten fixen Schmerz in der Gebärmutter bei zu starken Wehen
leitet WiGAND und Winckel aus der zu kurz gerathenen Nabelschnur ab.
Von Bedeutung in forensischer Beziehung ist der Wehensturm und die
Sturzgeburt; letztere insbesonders mit Rücksicht auf die dabei gesetzten Ver-
letzungen der Mutter und des Kindes. Bei ersterer erfolgt ein mehr minder
ausgiebiger Dammriss, doch kann es auch zum Prolapsus und Inversion
kommen; oder der übermässig angestrengte und gespannte Uterus in Atonie
verfallen, (v. Artikel „Atonia uteri'\ pag. 56).
Diese und die gesetzten Puerperalgeschwüre bergen grosse Gefahren,
während dem Kinde eine Verblutung durch Zerreissung der Nabelschnur bei
dem (oft beabsichtigten) Sturze droht.
Die Therapie des Wehensturmes hat vor allem auf die Beruhigung der
Kreissenden zu wirken; lässt das Drängen trotz Zuspruches und geeigneter
Lagerung nicht nach, so ist Opium per anum oder Morphium hypodermatisch
angezeigt, nöthigenfalls schafft eine leichte (stets mit Assistenz ausgeführte)
Chloroform-Narkose rasche Hilfe. Man vermeide jeden Eingriff und sorge
erst bei Vortritt des Kindes für Dammschutz, wie man sich nach der rapiden
Entbindung eine genaue Ueberwachung der Uteruscontraction angelegen
sein lasse.
Krampfhafte Wehen sind diejenigen, wenn bei erhöhtem Schmerze
und Temperatur die Musculatur des Uterus theilweise oder auch in toto in
Contraction gelangt, ohne dass dabei die nöthigen Pausen auftreten. Solche
Wehen sind ganz ohne Energie, der Geburtsverlauf gehemmt.
Die krampfartigen th eilweisen Contractionen kommen am Orificium
internum, auch wohl an den Tubenwinkeln vor, entwickeln sich zumeist in
dem spätem Geburtsverlaufe und werden Trismus uteri, auch spastische
Strictur genannt;. diese Namen erhielten sie daher, weil sie die Nachgeburt,
aber ebenso auch den Kopf und Hals des Kindes umschnürt halten können.
Besteht hingegen die Contraction anhaltend über das ganze Organ
verbreitet, sind die Wehenpausen nicht nachweislich, so kommt die tonische
Krampfwehe zu Stande, auch Tetanus uteri genannt, (s. Artikel: „Te-
tanus uteri'-'' pag. 803).
*=) Vergl. Artikel „Partus praecipitatiis" pag. 618.
WENDUNG. 905
Von beiden ist der Trismus die häufigere, auch günstigere Forin; ihre
Entstehungsursachen sind so ziemlich die gleichen; beiden fallen die gleichen
Gefahren für Mutter und Ivind (Uterusruptur und As])hyx)ej zur Last, wie
auch ihre Therapie sich deckt.
Den „Nach wehen", richtiger „Nachgebu rtsweh en" kommt weder
eine pathologische Bedeutung, noch irgend ein besonderes therapeutisches
Verfahren zu. elischkk.
Wendung: Unter Wendung verstehen wir jenen geburtshilflichen
Eingriff, welcher zum Zwecke hat, eine vorhandene Fruchtlage in eine für
den betreffenden Geburtsfall günstigere Fruchtlage umzuwandeln. Sie wird
daher in solchen Fällen vorgenommen, wo eine Fruchtlage besteht, in der die
Geburt unmöglich ist oder in solchen Fällen, wo die vorhandene Fruchtlage
im Interesse des mütterlichen und kindlichen Lebens weniger günstig für den
betreffenden Fall erscheint als eine zweite erst herzustellende Fruchtlage. Je
nachdem wir die vorhandene Fruchtlage in eine Schädel- oder Beckenendlage
verwandeln, sprechen wir von einer Wendung auf den Kopf und von
einer Wendungauf dasBeckenende. Die Wendung auf den Kopf kann
ausgeführt werden bei Querlagen, Schräglagen und Becken-Endlagen, die Wen-
dung auf das Beckenende bei Quer-, Schräg- und Kopflagen. Abgesehen von
dieser eben erwähnten Eintheilung der Wendung müssen wir nach der Art
der in Verwendung kommenden Methode für das Capitel Wendung noch fol-
gende Unterabtheilungen aufstellen:
a) Wendung durch äussere Handgriffe, h) Wendung durch Lageveränderung,
c) innere Wendung (W. durch innere Handgriffe) d) Comhinirte Wendung (W.
durch innere und äussere Handgriffe).
I. Die Wendung auf den Kopf: Die Wendung auf den Kopf wird
nur in seltenen und ganz bestimmten Fällen zur Ausführung kommen; wir
haben in defr Regel keine Veranlassung eine vorhandene Becken-Endlage in
eine Schädellage zu verwandeln, und wie aus dem Nachfolgenden hervorgehen
wird, ist es auch bei Querlagen zweckmässiger, die Wendung auf das Becken-
ende vorzunehmen, so dass für die Wendung auf den Kopf fast nur jene Fälle
übrig bleiben, bei welchen nur ein geringer Grad von Schräglage besteht, d. h.
der kindliche Schädel gegen den einen oder anderen Darmbeinteller abgewichen
ist. Wir müssen ja bedenken, dass nach einer Wendung auf den Kopf sich
der weitere Geburtsverlauf ebenso gestalten muss wie bei primären Schädel-
lagen, d. h. die Beschleunigung der Geburt durch operative Eingriffe ist bei
Schädellagen an eine Reihe von Bedingungen geknüpft, welche erst im weiteren
Verlaufe der Geburtsthätigkeit eintreten, während wir unter gleichen Um-
ständen bei Becken-Endlagen viel eher die Möglichkeit haben, den Geburts-
verlauf zu beschleunigen. Wenn der kindliche Schädel nach der einen oder
anderen Seite ausgewichen ist, so werden wir die Wendung auf den Kopf in
den Fällen ausführen, wo nicht die Ursache für das Abweichen des kindlichen
Schädels zugleich ein bedeutendes Hindernis für den Eintritt des Schädels in
den Beckeneingang abgibt, d. h. in den Fällen, wo es sich um ein grösseres
räumliches Missverhältnis handelt, welches das Abweichen des kindlichen
Schädels verursacht, werden wir die speciellen Verhältnisse des einzelnen
Falles wohl zu erwägen haben, um zu erkennen, ob die Wendung auf den Kopf
zweckmässig sei oder nicht. Wenn es sich z. B. um ein platt verengtes
Becken mit einer Conjugata vera nicht viel über S cm handelt, so würden wir in
einem solchem Falle die Wendung auf den Fuss der Wendung auf den Kopf vor-
ziehen, weil wir ja wissen, dass der nachfolgende Kopf den Eingang eines
platt verengten Beckens leichter passirt als der vorangehende Kopf, andererseits
würde ein allgemein verengtes Becken uns bestimmen, die Wendung auf den
Kopf derjenigen auf das Beckenende vorzuziehen. In anderen Fällen ist das
906 WENDUNG.
Abweiclien des kindlichen Schädels bedingt durch eine abnorm grosse Menge
von Fruchtwasser (relatives und absolutes Hydramnios); in solchen Fällen wird
die Vornahme der Wendung auf den Kopf allein nicht genügen, um den
kindlichen Schädel in den Beckeneingang zu leiten und auf diese Weise die
Frucht in Schädellage zu fixiren, sondern man wird zugleich die Ursache für
das Abweichen des Schädels beseitigen durch Eröffnung der Fruchtblase und
Entleerung des Fruchtwassers. Bei Weitem am häufigsten kommt jedoch das
Abweichen des kindlichen Schädels vom Beckeneingange zustande durch
Schlaffheit des Uterus-Gewebes, wie wir das bei Mehrgebärenden so häufig
finden; da ist wohl die Wendung auf den Kopf der zweckmässigste Vorgang.
Die W endung auf den Kopf kann zunächst durch äussere Hand-
griffe vollzogen werden, indem der Geburtshelfer die eine Hand von der
Bauchwand der Mutter her auf den kindlichen Schädel, die andere Hand- auf
den kindlichen Steiss auflegt. Während nun die eine Hand den kindlichen
Schädel herunter gegen den Beckeneingang bringt, schiebt die andere Hand
den Steiss in den Fundus uteri; wird nun der Schädel nicht bald durch die
Wehenthätigkeit im Beckeneingang fixirt, oder ist ein besonderes Hindernis
für sein Eintreten vorhanden, so wird diese Art der Wendung auf den Kopf
sich als vollständig zwecklos erweisen. Bei geringem Grade des Abweichens
des Schädels vom Beckeneingange, wird die Wendung auf den Kopf durch Lage-
veränderung der zweckmässigste Vorgang sein, in der Art, dass man die
Gebärende auf jene Seite legt, gegen welche der kindliche Schädel ausgewichen
ist, d. h. auf die rechte Seite, wenn der Schädel gegen den rechten Dann-
beinteller hin ausweicht, auf die linke Seite, wenn der Schädel zum linken
Darmbeinteller sich hinbewegt. Es sinkt dabei der Fundus uteri mit dem
Steisse nach jener Seite, auf welche wir die Gebärende gelagert, und der kind-
liche Schädel wird dadurch gezwungen, nach der entgegengesetzten Seite, d. h,
gegen den Beckeneingang hin sich zu bewegen, woselbst er durch die bald
kräftiger einsetzenden Wehen fixirt wird. Es ist daher zweckdienlich, die
Gebärende durch längere Zeit die Seitenlage einnehmen zu lassen, damit nicht
die vorher vorhandene Schräglage sich wieder einstelle. Die innere Wendung
auf den Kopf wird in der Regel nicht ausgeführt, viel häufiger die com-
binirte Wendung; sie besteht darin, dass man mit ein bis zwei Fingern
durch den Cervicalcanal bis zum inneren Muttermund vordringt — Bedingung
für die combinirte Wendung ist daher die Durchgängigkeit des Cervicalcanales
und des inneren Muttermundes — und dass man durch die von aussen her
palpirende zweite Hand den kindlichen Schädel dem vom inneren Mutter-
munde aus wirkenden Finger nahe bringt. Dieser Finger versucht nun den
kindlichen Schädel gegen den Beckeneingang concentrisch herabzuleiten,
während die äussere Hand vom Schädel weg gegen den im Fundus liegenden
Steiss geht, durch äussere Handgriffe die Längslage vollständig macht und
nunmehr durch Massage des Fundus W^ehen erregt, welche den kindlichen
Schädel im Beckeneingange fixiren. Zweckmässig ist es hiebei, mit dem im
inneren Muttermunde befindlichen Finger, die Fruchtblase zu sprengen, wenn
nicht irgend welche Contraindicationen den vorzeitigen Wasserabtiuss ver-
bieten.
H. Die Wendung auf das Beckenende: Die Wendung auf das
Beckenende ist je nach dem Fruchttheile, welcher nach der Wendung als der
tiefst liegende erscheint, eine Wendung auf den Steiss, auf das Knie oder auf
den Fuss. Entsprechend dem, dass wir bei Becken-Endlagen die wenigsten
Handhaben zur raschen Beendigung der Geburt bekommen, wenn es sich um
Steisslagen handelt, werden wir wenn möglich die Wendung auf den Steiss
vermeiden, und vielmehr die Wendung auf den Fuss vorziehen. Nachdem
wir nun wieder wissen, dass die einfachen P'^usslagen für das kindliche Leben
viel günstigere Verhältnisse abgeben wie die unvollkommenen Fusslagen, weil
WENDUNG. 907
bei den einfachen Fusslagen der zweite Fuss längs der Bauchfläche der
Frucht hinaufgeschlagen gleichzeitig mit dem Kurnpfe den Muttermund passirt
und somit denselben für den nachfolgenden Kopf viel besser dilatirt, als dies
bei vollkommener Fusslage der Fall sein kann, so macht man die Wendung
auf das Beckenende stets in der Weise, dass man die Wendung aut
einen Fuss ausführt.
Indicatioiien für die Wendung auf den Fuss sind zunächst die fol-
genden: 1. Die Querlage: In Querlage kann eine über den 8. Schwanger-
schaftsmonat hinaus entwickelte Frucht nicht mehr oder nur in den seltensten
Fällen das mütterliche Becken passiren. Wird nicht rechtzeitig die Querlage
durch eine Wendung beseitigt, so wird bei Abfluss des Fruchtwassers die
vorliegende Schulter in den Beckeneingang eintreten und durch die stürmi-
schen Contractionen des Uterus bald im Beckeneingange fixirt werden, fein-
gekeilte Schulterlage, vernachlässigte Querlage). Der Tod der Frucht tritt
bald nach dieser Einklemmung ein, und es erscheinen nun schwere Gefahren
für das mütterliche Leben, wenn nicht rechtzeitig noch Hilfe gebracht wird.
Die Contractionen des Uterus werden in dem Bestreben, den Fruchtkörper
auszutreiben, bald zur Folge haben, dass der Fruchtkörper zwar aus der
Höhle des Corpus uteri nach abwärts getrieben wird; da aber die vorhandene
Schulterlage ein unüberwindliches, räumliches Missverhältnis darstellt, so wird
in weiterer Folge das ausserordentlich stark ausgedehnte untere Uterinsegment
und das verdünnte Collum uteri den Raum abgeben, in welchem sich der
Fruchtkörper nunmehr befindet, wodurch die Gefahr einer Uterusruptur ausser-
ordentlich imminent geworden ist. Wir haben daher die Verpflichtung, bei
jeder Querlage, die uns zur Beobachtung kommt, sobald als möglich die
Wendung auszuführen, falls nicht die schon bestehende Gefahr der Uterus-
rupturHie Vornahme der Wendung verbietet, in welchem Falle die Embryotomie
das geeigneteste Entbindungsverfahren darstellt.
2. Der Vorfall der Nabelschnur oder von Extremitäten neben dem im
Beckeneingange beweglichen Schädel. Dieses Ereignis tritt ein, wenn der
Blasensprung erfolgt bei nicht fixirten Schädel und wird besonders begünstigt
durch das platt verengte Becken; wenn die Nabelschnur neben dem im Becken-
eingange befindlichen Schädel pulslos vorgefallen ist, so entfällt die Noth-
wendigkeit, da ja der Nabelschnurvorfall nur quoad vitam infantis eine In-
dication zur Wendung abgibt, wir daher blos den Vorfall der pulsir enden
Nabelschnur neben den im Beckeneingange beweglichen Schädel als eine In-
dication zur Wendung bezeichnen können, da Repositionsversuche der Nabel-
schnur in der Regel erfolglos sind. Ist eine Hand neben dem im Becken-
eingange beweglichen Schädel vorgefallen, so werden wir bei normalem Becken
die Hand reponiren, bei verengtem Becken jedoch die Wendung vornehmen.
Bei Vorfall eines Fusses neben dem Schädel wird die Wendung unter allen
Umständen indicirt sein.
3. Das platt verengte Becken wird bei Mehrgebärenden eine Indication
zur Wendung vom Kopfe auf den Fuss sein, wenn die Conjugata vera nicht
kleiner ist als 8 cm; ist sie kleiner als 8 cw, so haben wir in der Regel keine
Aussicht mehr, das Kind lebend extrahiren zu können, es sei denn, dass es
sich um einen kleinen und erweichten Schädel handle oder dass wir duiTh
die Symphyseotomie oder Sectio caesarea ein lebendes Kind entwickeln wollten.
4. Excentrische Einstellung des kindlichen Schädels im Beckeneingange.
Wenn der kindliche Schädel in Gesichtslage, Stirnlage, Vorderscheitelbein-
oder Hinterscheitelbeineinstellung im Beckeneingange noch beweglich steht,
insbesondere bei noch intacter Fruchtblase, wird die Wendung auf den Fuss
für die Geburt günstigere Verhältnisse darstellen, als sie sich bei weiter fort-
bestehender eben erwähnten Schädeleinstellung ergeben würden.
908 WENDUNG.
5. Piacent a praevia: So^Yohl bei lateraler als bei totaler Placenta praevia
ist das hervorstechendste und gefahrdrohendste Symptom die Blutung. In
einem solchen Falle müssen wir zwei Indicationen zugleich genügen, einer-
seits die Quelle der Blutung zu verstopfen, andererseits die Geburt möglichst
zu beschleunigen. Diesen beiden Indicationen genügen wir durch die Wendung
auf den Fuss, die zur Folge hat, dass einerseits der herabgezogene Fuss,
resp. Steiss auf die blutende Stelle drückt und dieselbe demgemäss tamponirt,
während andererseits der Fortgang der Geburt dadurch wesentlich beschleunigt
wird. Sollten jedoch die Geburtswege für die Vornahme der Wendung noch
nicht genügend vorbereitet sein, so musste die Tamponade, resp. die Colpeuryse
des Cervicalcanals und der Vagina der Wendung vorausgehen.
Schliesslich kommen noch alle jene Indicationen in Frage, welche auch
für die Zange und die anderen geburtshilflichen Eingriffe gelten, wenn eine
Beschleunigung der Geburt im Interesse der mütterlichen oder kindlichen
Gesundheit erforderlich ist und die Bedingungen für eine rasche Entbindung,
für die Vornahme der Wendung viel eher gegeben sind als für einen anderen
geburtshilflichen Eingriff, d. h. wenn für die rasche Beendigung der Geburt
eine Fusslage zweckdienlicher erscheint als eine andere, vorhanden gewesene
Fruchtlage.
Wie bei jedem geburtshilflichen Eingrifte kann eine vorhandene Indica-
tion uns blos anzeigen, dass Kunsthilfe nothwendig sei; die Wahl des in
Frage kommenden geburtshilflichen Eingritfes hängt jedoch von der Erfüllung
der Bedingungen für die einzelnen geburtshilflichen Operationen ab. Wir
müssen demgemäss, ehe wir über die Ausführung der Wendung sprechen,
die Bedingungen anführen, welche nothwendig erfüllt sein müssen, soll die
Wendung in diesem oder jenem Falle in Frage kommen. Da die Wendung
eine Lageveränderuug der Frucht anstrebt, so ist die Hauptbedingung für
dieselbe die Beweglichkeit der Frucht, es darf kein Fruchttheil so weit
in den Beckeneingang eingetreten sein, dass dadurch eine Fixation der Frucht-
lage erfolgt ist. Die günstigen Bedingungen für die Ausführung der
Wendung sind folgende: 1. Die Frucht muss beweglich sein. 2. Die
Fruchtblase soll noch intact sein, 3. Wenn das Fruchtwasser
bereits abgeflossen ist, so darf dies noch nicht vor so langer
Zeit geschehen sein, dass dadurch die Fixation der Frucht zu-
stande gekommen. 4. Der Muttermund soll wo möglich ver-
strichen sein. 5. Ein absolutes räumliches Missverhältnis muss
fehlen. 6. Eine Dehnung des Collum uteri oder sonst irgend
ein die Gefahr der Uterusruptur anzeigendes Symptom darf
nicht vorhanden sein. In einzelnen Fällen ist es nun nicht möglich, mit
der Vornahme der Wendung zu warten, bis der Muttermund vollständig ver-
strichen ist; dann muss, wenn auch unter schwierigen Verhältnissen, die
Wendung auch bei noch nicht verstrichenem Muttermunde ausgeführt werden,
und für diese wenigen Fälle müssen wir als Axiom aufstellen, dass der
Cervicalcanal für mindestens zwei Finger gut passirbar und dehnbar sei.
Die Wendung wird am zweckmässigsten am Querbette ausgeführt, um auf
diese Weise sofort auch Alles für die nachfolgende nothwendig werdende
Manualhilfe (eventuell Extraction) vorzubereiten. Die Gebärende kann dabei
sich in Rückenlage befinden, während es zweckmässig ist, in jenen Fällen, in
welchen die Wendung vollzogen wird, bei schon vorher stattgehabtem Wasser-
abflüsse die Seitenlage zu wählen, wobei die zu Entbindende auf jene Seite
gelagert wird, gegen welche die kindlichen Füsse gerichtet sind. Wir unter-
scheiden die innere Wendung, bei welcher wir mit der ganzen Hand in
den Muttermund eindringen können, von der combinirten Wendung, das
ist jener, bei welcher nur zwei bis drei Finger eingeführt werden können,
und die äusseren Handgriffe demgemäss die Hauptrolle spielen. (Wendung
WENDUNG.
909
nach Braxton Hicks.) Es ist klar, dass die innere Wendung leichter aus-
führbar und im Interesse des mütterlichen und kindlichen Lebens gelegen
sei, da ja einer Wendung bei verstrichenem Muttermunde die Ausstossung,
resp. Ausziehung der Frucht viel rascher nachfolgen kann, als wenn die
Wendung bei noch engem Muttermunde vollzogen worden ist. Man muss
daher wenn möglich in allen Fällen, in denen eine Wendung indicirt ist, mit
derselben warten, bis der Muttermund verstrichen ist, es sei denn, dass die
Verhältnisse ein solches Zuwarten als unthunlich erscheinen lassen und wir
uns demgemäss aus diesen Rücksichten trotzdem zur combinirten Wendung
entschliessen müssen. So werden wir bei einer Tlacenta praevia wegen der
Blutung das Verstreichen des Muttermundes nicht abwarten, sondern sobald
als möglich die Wendung ausführen müssen. Während wir bei einer (Querlage,
solange die Fruchtblase intact ist, mit der Wendung wo möglich warten, bis
der Muttermund vollständig verstrichen ist, werden wir in dem Momente, wo
die Blase springt, die Wendung auch bei nicht verstrichenem Muttermunde
vorzunehmen trachten, um einen Vorfall der Nabelschnur oder die Einkeilung
der Schulter zu verhindern. Bei leichteren Wendungen ist die Narkose nicht
unbedingt nothwendig, in jenen Fällen jedoch, wo die Wendung schwieriger
durchführbar und schmerzhafter ist, soll die Narkose nicht vermieden werden.
Die innere Wendung
wird in der Weise voll-
zogen, dass man mit
der bis über den Vor-
derarm gut desinficirten
Hand in die Vagina
eingeht, wobei der Dau-
men durch Gegenüber-
stellung zu den anderen
Fingern adducirt, und
dadurch die Hand
schmal gemacht wird,
und, um ein schmerz-
haftes Einstülpen der
Schamhaare und Scham-
lippen zu vermeiden,
die Vulva durch zwei
Finger der anderen
Hand eröffnet wird.
Es ist klar, dass
wie bei jedem anderen
geburtshilflichem Eingriffe auch der Vornahme der Wendung die Entleerung
der Blase und die sorgfältigste Desinfection, welche sich in diesem Falle auch
auf die Bauchdecken der Mutter erstrecken soll, vorangehen müssen. Hiebei
muss darauf geachtet werden, dass die Wahl der eingeführten Hand die rich-
tige sei. d. h. wir gehen zur Wendung mit jener Hand ein, welche der Seite
der Mutter entspricht, gegen welche die kindlichen Füsse gerichtet sind d. h.
bei erster Querlage, bei welcher der Kopf in der linken, die Füsse in der
rechten Uteruswandung sich befinden, wenden wir mit der linken Hand, bei
zweiter Querlage d. h. bei Rechtslage des Kopfes wenden wii' mit der rechten
Hand. Ist die betreffende Hand durch den Scheideneingang hindurch in die
Vagina gelangt, so soll die zweite Hand sofort auf den Fundus uteri auf-
gelegt werden, um zu verhindern, dass die von der Scheide aus vordringende
Hand den ganzen Uterus in die Höhe schiebe und dadurch zwecklos Zerrun-
gen der Weich theile bedinge; andererseits ist es zweckmässig, wenn die von
aussen wirkende Hand die Füsse der Frucht, resp. den Steiss der innen ynr-
Fig. Innere Wendung auf den Fuss, Ergreifen des oberen Fusses bei
dorso-posteriorer Querlage. Aus Dödeklein's Leitfaden 1. c.
910 WENDUNG.
kendeu Hand entgegenbringt und in dem Momente, wo die wendende Hand
den herabzuziehenden Fuss erfasst hat, an den kindlichen Schädel geht und
denselben gegen den Fundus uteri leitet.
Wir nehmen zunächst den einfachsten Fall an, es handle sich
um eine Querlage bei verstrichenem Muttermunde und stehender Frucht-
blase. Die eingeführte Hand gelangt bis an den Muttermund und
stösst auf die Kuppe der sich vorbuchtenden Fruchtblase. Man sprengt
nun die Fruchtbläse, wobei in der Regel eine grössere Menge Frucht-
wassers der Hand entgegenströmt. Da bemerkt man häufig, dass der
Anfänger von diesem Ereignisse überrascht, die Hand aus der Scheide
zurückzieht, was zur Folge hat, dass das ganze Fruchtwasser abfliesst, die
Nabelschnur und Extremitäten vorfallen können, worauf der um einen grossen
Theil seines Inhaltes verkleinerte Uterus sich contrahirt und der weitere Gang
der Wendung wesentlich erschwert wird. Wenn man jedoch im Momente des
Blasensprunges mit der Hand weiter nach aufwärts in das Innere der Eihöhle
vordringt, so wirkt der in der Scheide liegende Vorderarm wie ein Tampon,
die Hauptmenge des Fruchtwassers bleibt erhalten und die Wendung voll-
zieht sich in viel leichterer Weise, indem die Hand direct den herabzuziehen-
den Fuss aufsucht und erfasst. Es ist nun hiebet nicht ganz gleichgiltig,
welcher Fuss erfasst und herabgezogen wird. Wir haben in dem Capitel
„Manucdhüfe und Extraction^' erwähnt, dass der normale Mechanismus bei
der Entwicklung des Rumpfes einer in Becken-Endlage befindlichen Frucht
der sei, dass der Rücken der Frucht sich nach vorne gegen die Symphyse
drehe. Wir müssen demgemäss schon bei der Wendung dafür sorgen, dass
das Zustandekommen dieses normalen Mechanismus nicht gestört w^erde. Zu
diesem Zwecke befolgt man die nachfolgende Regel, welche besagt: wenn wir
die Wendung mit der rechten Hand ausführen müssen, so wird auf den
linken kindlichen Fuss gewendet und umgekehrt. Je nachdem nun, ob der
Rücken des in Querlage befindlichen Kindes gegen die vordere Bauchwand
der Mutter (erste oder dorsoanteriore Stellung) oder gegen die Rückliäche des
Uterus (zweite oder dorsoposteriore Stellung) gerichtet ist, wird der betref-
fende, herabzuziehende Fuss der tiefer gelegene, d. h. dem Beckeneingange
zugewendete, im anderen Falle der obere, zwerchfellwärts gelegene sein. Wir
müssen daher stets bestrebt sein, bei Querlage erster Stellung den unteren
Fuss, bei Querlage zweiter Stellung den oberen Fuss zu ergreifen und herab-
zuziehen, wodurch der normale Mechanismus in günstigster Weise vorbereitet
wird. Wie gelangen wir nun am zweckmässigsten zum erwähnten Fusse?
Die Füsse der Frucht liegen entweder im Kniegelenke gebeugt oder gestreckt
an der Bauchwandung der Frucht, so dass etwa in der Gegend des Schwert-
knorpels das Knie des kindlichen Fusses gefunden wird. Bei erster Stellung
der Frucht gehen wir demgemäss in der Weise vor, dass wir mit der wen-
denden Hand gegen den nach vorne gekehrten Rücken der Frucht vordringen,
unsere Hand nunmehr längs des Rückens gegen den Steiss vorschieben und
entlang der nach abwärts gerichteten Gesässbacke an den unteren Fuss
weitergehen und denselben entweder am Knie oder am zweckmässigsten am
Fusse selbst erfassen. Bei zweiter Stellung würden wir den Rücken der Frucht,
der nunmehr nach rückwärts gekehrt ist, aufsuchen, zum Steisse streben und
längs der oberen Gesässbacke den nach aufwärts gerichteten Fuss ergreifen
und herabziehen. Im Momente des Herabziehens des Fusses wird die von
aussen aufgelegte zweite Hand den kindlichen Schädel in den Fundus uteri
bringen, da erst in diesem Momente die Wendung vollzogen ist. Das einfache
Herabziehen des Fusses genügt nicht, um eine Längslage, Becken-Endlage
herzustellen. Würde nach dem Herabziehen des einen Fusses die weitere
Geburt nicht von statten gehen, weil etwa der zweite Fuss sich am Becken-
eingange anstemmt, so wäre es durch Herabholen des zweiten Fusses noth-
WINCKEL'SCHE KRANKHEIT. Oll
wendig, die Wendung auf beide Füsse in diesem speciellen Falle auszuführen.
Viel schwieriger ist es, wenn die Wendung bei schon abgeflossenem
Fruchtwasser ausgeführt werden muss. In diesen Fällen ist in der Kegel
die Narkose unerlässlich, und erleichtert man sich alle Manipulationen, wenn
man die Gebärende auf die Seite lagert u. zw. bei erster (Querlage auf die
rechte, bei zweiter Querlage auf die linke Seite, während sich der (Operateur
an den Bücken der Gebärenden stellt und die Wendung in typischer Weise
vollzieht.
Die Wendung nach Braxton Hicks ist dadurch erschwert, dass man
von der in die Scheide eingeführten Hand nur zwei Finger durch den inneren
Muttermund durchschieben kann, es muss daher in solchen Fällen die von
aussen wirkende Hand die Plauptarbeit vollziehen, zunächst den kindlichen
Steiss dem inneren Muttermunde nahe bringen, und dann, wenn ein Fuss
ergriffen ist, den kindlichen Schädel in den Fundus hinaufleiten. Bei der
Wendung von dem Kopfe auf den Fuss wird bezüglich der Wahl der wen-
denden Hand die schon früher erwähnte Regel in Anwendung kommen. Dabei
muss die in den Muttermund eindringende Hand zuerst den kindlichen Schädel
in die Höhe und nach jeuer Seite schieben, gegen welche der kindliche liücken
gekehrt ist, dann erst wird der betreffende Fuss vorgezogen. Nachdem bei
einer Wendung vom Kopfe auf den Fuss der kindliche Rumpf einen grösseren
Bogen beschreibt als bei der Wendung aus Querlage, demgemäss das Collum
uteri einer grösseren Spannung ausgesetzt wird als bei Querlagen, muss bei
der Wendung vom Kopfe auf den Fuss die Aufmerksamkeit des Geburtshelfers
in erhöhtem Maasse auf die Intacterhaltung des Cervix gerichtet sein. Wegen
diftser grösseren Spannung wird auch die Wendung vom Kopfe auf den Fuss
lieb^bei Mehrgebärenden als bei Erstgebärenden gemacht.
\ K. A. HEEZFELD.
WinckerSChe Krankheit. {Cyanosis infantiUs icterica lierniciosa cum
haemoglohinuria. — Haemoglohinuria neonatortmi. Icterus afehrilis neonatorum.)
Im Jahre 1879 berichtet Winckel zuerst über eine eigenthümliche, in
der Dresdener Entbindungsanstalt endemisch beobachtete, acute Infections-
ki'ankheit der Neugeborenen, die einen sehr malignen Verlauf nahm. Die-
selbe war vorher niemals beschrieben, jedoch mag mancher Fall früher als
Icterus neonatorum betrachtet worden sein. Die Endemieen müssen aber doch
sehr selten sein, da auch nach der WracKEL'schen Mittheilung niu' sehr
wenige Publikationen über das Leiden erfolgt sind. Saxdxer, Strelitz,
WoLCZYNSKi, Kamen sind als Autoren zu nennen.
Ich folge bei der mit Rücksicht auf die ünbekanntheit der Krankheit
etwas ausführlicher gehaltenen Darstellung in erster Reihe der noch immer
mustergiltigen Darstellung Winckel's, der dem Leiden den Namen Cyanosis
infantilis icterica perniciosa cum haemoglohinuria beilegte.
Symptomatologie: Die gesund geborenen, kräftigen, natürlich oder
künstlich genährten Kinder erkranken am häufigsten am vierten Lebenstage:
jedoch ist der Beginn einerseits noch am 12. Lebenstage, andererseits schon
am ersten Lebenstage beobachtet. Sie werden unruhig, verweigern die Nahrungs-
aufnahme, zeigen eine deutliche Benommenheit des Sensoriums; gleichzeitig
nimmt die Haut eine charakteristische cyanotische Färbung an. Wangen,
Ohren, Extremitäten, besonders auch die Füsse, Rumpf, Rücken erscheinen
blauroth, livide. Nach Wolczynski geht eine leichte icterische Färbung der
cyanotischen voraus, nach Winckel beschränkt sich der Icterus auf Conjunc-
tiva und die Gegend der Nasenwurzel und ist auch hier nur spurweise vor-
handen. Auffallend ist der starke Urin- und Stuhldrang. Der Urin wird
häufig und in kleinen Mengen entleert und ist blass bräunlich, zuweilen auch
dunkelbräunlich; Wolczynski bezeichnet ihn als dunkelviolett bis schwarz
912 WINCKEL'SCHE KRANKHEIT.
und gibt an, dass die Windeln dunkelblaue Flecken bekommen, welche schwer
auswaschbar sind. Die Verfärbung des Urins beruht, wie genaue Untersuchung
ergiebt, auf Haemoglobingehalt. Daneben findet man in ihm etwas Eiweiss,
Blasen- und Merenbeckenepithelien, körnige Cylinder mit Blutkörperchen,
Detritusmassen, harnsauren Ammoniak.
Die Faeces sind ockergelb, zuweilen Meconium-ähnlich; ihre Consistenz
ist normal.
Die Temperatur zeigt keine nennenswerthen Abweichungen, sie
schwankte in den WiNCKEL'schen Fällen zwischen 36'4 und 37"3; nur einmal
fand WiNCKEL 38-1 (Messung im After), Strelitz 38*4. Die Pulsfrequenz
betrug ca. 136. — Das Abdomen ist weich, nicht aufgetrieben, die Leber
etwas vergrössert und nur wenig schmerzempfindlich. — Die Herztöne sind
etwas dumpf, aber sonst normal. — Das Blut tritt, wenn man eine cyano-
tische Hautstelle leicht anschneidet, nur langsam auf Druck aus, ist schwärz-
lich braun und hat die Consistenz des Syrups. Mikroskopisch findet man eine
Vermehrung der farblosen Blutkörperchen, zahlreiche kleine Körnchen. Birch-
HiRSCHFELD sah ausserdem kleine Körperchen mit molecularer Bewegung.
Das Krankheitsbild spielt sich schnell ab; die Kinder verfallen, verlieren
rapide an Körpergewicht, convulsivische Erscheinungen gesellen sich hinzu.
Anfangs sieht man nur kurze clonische Zuckungen an den Extremitäten, die
sich nach Winckel besonders auf die linke Seite erstrecken. Fast constant
findet man starkes Zucken der Augenmuskeln, Strabismus convergens, Rotation
des Augapfels nach innen und unten; dabei ist die Lidspalte weit geöffnet.
Unter allgemeinen Convulsionen tritt dann meistens der Tod ein, nachdem
das Leiden im Durchschnitt 32 Stunden gedauert. Nur sehr selten kommt
es zur Genesung, die Krämpfe hören auf, die Benommenheit schwindet, das
Kind beginnt wieder Nahrung zu nehmen, und es folgt vollkommene Resti-
tutio ad integrum. Wie selten der günstige Ausgang ist, sehen wir aus fol-
genden Zahlen: Winckel sah in einem Monat 23 Kinder erkranken, von
denen 19 starben; ein Kind wurde sicher geheilt, zwei Kinder verliessen die
Anstalt mit deutlichen Krankheitserscheinungen, eins auf dem Wege der
Besserung. Die Mortalität betrug also im günstigsten Falle 82 7o- Wol-
czYNSKi sah 1892 von 6 Kindern alle, 1893 von 6 Kindern 5 sterben.
A'etiologie: Zunächst ist festgestellt, dass die Krankheit mit dem
Geburts verlauf in keiner Weise im Zusammenhange steht. Die Mütter hatten
alle ein normales Wochenbett; besondere Kunsthilfe war nicht angewendet. —
Auch das körperliche Befinden der Kinder konnte keine Veranlassung für die
Erkrankung geben, denn es handelte sich fast durchwegs um normal geborene
und gut gedeihende Neugeborene. — Man hätte auch an eine Vergiftung denken
können, aber, da die Kinder keinerlei Medicament bekommen hatten, ist das
ausgeschlossen. Vor allem kann auch der Gebrauch von Kali chloricum aus-
geschlossen werden, welches ja ähnliche Symptome machen kann.
Das Leiden als eine Carbolintoxication aufzufassen, geht nicht an, trotz-
dem Haemoglobinurie nach Carbolsäurevergiftung beobachtet ist. Allerdings
hatten die Kinder Unterlagen, die nach dem Waschen in 5^0 Carbolsäure-
loesung getaucht und dann getrocknet waren, aber einerseits ist der Gehalt an
Carbolsäure in diesen Tüchern ein minimaler, andererseits hätte man dann
wohl häufiger diesem traurigen Krankheitsbilde begegnen müssen. Die ganze
Gestaltung desselben, das endemische Auftreten deuten mit ziemlicher Sicherheit
auf eine Noxe microbiärer Natur und in dieser Richtung ist die Arbeit von
Kamex von allergrösstem Interesse. Derselbe kam auf Grund eingehen-
den Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass das in seiner schadenbringenden
Wirkung so vielseitige Bacterium coli commune der Urheber des Leidens
ist. Aus Leber, Milz und Nieren der zu Grunde gegangenen Kinder konnte
er diesen Microben in Reincultur züchten. Verimpfte er diese dann durch
ZANGENOPERATIONEN. 913
Fütterung an Mäusen, dann erlagen 7 von 8 geimpften Thieren unter Erschei-
nungen auffallender Apathie, Nahrungsverweigerung, lähmungsartiger Zustände
besonders an den hinteren Extremitäten. Aus den Organen der so getödteten
Thiere konnte er wieder Reinculturen des Bacterium coli commune gewinnen.
Aus dem Blute der erkrankten, noch lebenden Kinder gelang KAiMEx die
Eeinzüchtung nicht. — Kamen und Wolczynski nehmen an, dass die Infec-
tion vom Wasser des Brunnens ausging, der die Landes-Gebäranstalt in Czer-
nowitz versorgt, in welcher sich 1892 und 1893 Epidemieen abspielten. Die
Infection soll erfolgen während der Pteinigung der Mundhöhle. Es gelang
ihnen auch das Bacterium coli commune aus dem Wasser zu züchten. — Man
wird wohl abwarten müssen, ob sich diese Befunde als constant erweisen.
Pathologische Anatom i e: Bei der Obduction zeigt sich zunächst constant
ein normales Verhalten der N ab e Ige fä s s e. — Die Le b er ist stets vergrössert,
ockergelb oder dunkelbraun mit gelben Streifen auf dem Druckschnitte; oft,
aber nicht immer besteht körniger Zerfall. In den erweiterten Capillaren
und thrombosirten Aesten der ven. port. fand Kamen massenhaft kurze Stäb-
chen {Bact. col. commune). Auf der Leberoberfläche sieht man Extravasate. —
Die Gallenwege sind frei. Die Milz ist immer bedeutend vergrössert,
verdickt, derbe und fest. Der Magen ist dilatirt, ballonartig aufgetrieben,
zeigte stellenweise Ecchymosen in Streifenform Letztere b,ind oft in grösster
Menge im Darme unterhalb des Duodenum vorhanden. Die PEVER'schen
Plaques sind durch w^egs geschwollen; in noch viel höherem Masse ausgesprochen
findet man aber eine Schwellung der jNlesenterialdrüsen. Die Serosa des
Darmes ist hyperaemisch; ebenso das Pankreas. — Die Nieren zeigen in
der Corticalis braune, in dem Papillartheil dunkelschwarze Streifen; letztere
fasst BiECH-HiRSCHFELD als durch Haemoglobin bedingt auf, während Kamen
sie als Harnsäureinfarcte bezeichnet. Am Diaphragma, an der Pleura,
am Pericard findet man Ecchymosen, stellenweise sogar starke Blutergüsse.
Das Herzfleisch ist blass, aber nicht verfettet. — Die Lungen fand
WiNCKEL abgesehen von einer Hyperaemie der Bronchien normal. Kamen
sah die Endverzweigungen der Bronchien und einzelne Lungenalveolen mit
Blut erfüllt; in diesem und in den Capillaren fand er Haufen kurzer Stäbchen.
Mamma und Thyreoidea sehen dunkelblauroth, cyanotisch aus. — Das
Gehirn ist oft stark ödematös, seine Ventrikel sind erweitert; starke Hyper-
aemie und einzelne kleine Ecchymosen findet man in allen Theilen des Hirns.
An manchen Stellen, so an der Convexität, ist die Färbung eine deutlich icterische.
Diagnose und Prognose ergeben sich aus dem obigen von selbst.
Therapie: Die Prophylaxe wird, falls es sich bestätigt, dass das
Wasser die Infection vermittelt, erheischen, dass die Mundwaschungen fort-
gelassen oder nur mit sterilem Wasser vorgenommen werden. — Dringend
nothwendig erscheint es zumal in Gebäranstalten jeden Fall sofort strenge zu
isoliren. — Bei ausgebrochener Krankheit wird die Therapie sich auf symp-
tomatisches Eingreifen zu beschränken haben. Vielleicht würde subcutane
Infusion von Kochsalzwasser Erfolg haben. jess:ser.
Zangenoperation. Einen der häufigsten geburtshilflichen Eingrifie
stellt die Extraction des Kopfes mit der Zange dar; sie hat den Zweck, die
Geburt zu beendigen in solchen Fällen, wo sie spontan nicht von statten gehen
kann oder in solchen Fällen, wo die spontane Geburt entweder im Interesse
der mütterlichen Gesundheit oder aber im Interesse des kindlichen Lebens
nicht abzuwarten ist, so dass wir gezwungen sind, die Geburt zu beschleunigen.
Die Indicatioiien fin- die Ausführung der Zangenoperation sind die mannig-
fachsten und decken sich zum Theile mit jenen Indicationen, wie sie auch für
andere geburtshilfliche Eingriffe gelten. Der Piecapitulation halber seien
jedoch hier die wichtigsten erwähnt.
Eibl. med. Wissenschaften I. Geburtshilfe und Gynaekologie. 0"
914 ZANGENOPEEATIONEN.
1. Zunächst die Wehenscliwäclie! Hiebei kommt in der Regel jener
Zustand in Frage, welcher gemeiniglich als relative WehenschAväche be-
zeichnet wird. Man spricht von einer solchen dann, wenn bei Beginn der
Geburt zwar normal kräftige Wehen vorhanden gewesen, im Verlaufe der
Entbindung jedoch die aufgewendeten treibenden Kräfte als nicht hin-
reichend erscheinen, um die dem Austritte des Schädels sich entgegenstellenden
Widerstände zu überwinden. Die treibenden Kräfte bestehen nun aus der
Summe der von dem sich contrahirenden Uterus aufgebrachten Kräfte so wie
der durch die Wirkung der Bauchpresse in Frage kommenden wirksamen
Kräfte. Die Widerstände, die bei der Geburt zu überwinden sind, bestehen
in den anatomischen Baum Verhältnissen des Beckens, sie hängen somit auch
ab von der Grösse und Härte sowie von der mehr oder minder normalen
Stellung des kindlichen Schädels, des Ferneren in den Widerständen, welche
die Weichtheile des mütterlichen Beckens und Beckenbodens liefern. Sind
die Widerstände die normalen, d. h. nicht beträchtlicher als wir es bei einer
ph5'siologischen Geburt zu erwarten haben, so wird bei normalen Triebkräften
die Geburt durch Ueberwindung der Widerstände einen physiologischen Verlauf
nehmen. Dagegen muss der normale Fortgang der Geburt gestört werden,
wenn bei normal grossen Widerständen die Triebkräfte schwächer sind als
sonst, oder wenn bei normalen Triebkräften die Widerstände sich als abnorm
erweisen und demgemäss nicht überwunden werden können. Da nun bei der
Grösse der Triebkräfte sowohl wie der Widerstände eine Reihe von Factoren
interveniren, wird durch die Combination dieser einzelnen verschiedenartigen
Factoren eine grosse Anzahl von Fällen sich ergeben, in welchen ein Miss-
verhältnis zwischen der treibenden Kraft und dem zu überwindenden Wider-
stand sich einstellt, so dass demgemäss die verschiedensten Indicationen unter
dem Titel der Wehenschwäche zusammengefasst werden. So gehören in
dieses Capitel alle jene Zustände, welche eine normale Mitwirkung der Bauch-
presse bei der Geburtsthätigkeit zu verhindern in der Lage sind, bei Indivi-
duen, welche durch chronische Krankheit in ihrem Körperzustande sehr herab-
gekommen sind, bei Frauen, welche infolge schwerer Erkrankung der Athmungs-
und Circulationsorgane nicht im Stande sind, die Bauchpresse in gewöhnlicher
Weise arbeiten zu lassen, da sie die damit verbundene beträchtliche Druck-
steigerung nicht auszuhalten vermögen; schliesslich wird bei Frauen, welche in-
folgeschwerer Erkrankung der Bauch Organe oder desBeckenbauchlelles verhindert
sind, die Bauchmuskeln zu der nothwendigen Mithilfe bei der Geburt heran-
zuziehen, der für den physiologischen Fortgang der Geburt so ausser-
ordentlich nothwendige Factor der Bauchpresse in Wegfall kommen und somit
die Geburtsthätigkeit gestört sein.
Ferner finden wir als Indication zur Beendigung der Geburt eventuell
durch die Zange die Endometritis sub partu septica. Wir verstehen
darunter die schon während der Geburt manifeste Infection der Uterus-Innen-
höhle, welche sich durch Temperatursteigerung wie durch den Abgang von
übelriechendem und missfärbigem Fruchtwasser anzeigt. In einem solchen
Falle sind wir gezwungen, möglichst rasch die Uterushöhle zu entleeren,
eine gründliche Desinfection derselben vorzunehmen, um auf diese Weise den
Process wo möglich zu localisiren.
In anderen Fällen finden wir wieder als Indication das Oedem des
äusseren Muttermundes. Wir verstehen darunter das Anschwellen des
Muttermundwulstes infolge einer venösen Stauung im untersten Bereich des
Cervix, welche zur Folge hat, dass die Oeffnung des durch die Geburtsthätigkeit
bereits erweiterten Muttermundes allmälig bei sich steigerndem Oedeme verengt
Avird. Das Oedem des äusseren Muttermundes kommt zustande, wenn infolge
eines räumlichen Missverhältnisses der kindliche Schädel im Beckeneingange
stecken bleibt und bei Fortdauer der Geburtsthätigkeit derart in den Becken-
ZANÖENOPEUATIONEN. 915
eingang eingestellt wird, dass durch ilm die vordere Cervixwand gegen die
Symphyse, die hintere Cervixwand jedoch gegen das rromontoriuiii gepresst
wird. Die Folge dieses Zustandes sind Circuhitionsstörungeii, die sifli zunächst
in einer Stauung des unteren Cervixantheik^s manifestiren und zu dem (Jedem
des äusseren Muttermundes führen; in weiterer Folge müsste dieser Zustand
zu schweren Ernährungsstörungen an der vorderen und hinteren Cervixwand
führen, so dass Nekrosenbildungen, Blasencervix- und Mastdarmcervixfisteln die
Folge wären. Um diese schweren und gefahrdrohenden Erscheinungen abzu-
w^ehren, ist man demgemäss verpflichtet, das Oedem des äusseren Mutter-
mundes als eine dringende Indication zur Beendigung der Geburt zu be-
zeichnen, und man wird infolge dessen bei gegebenen Bedingungen durch die
Zangenoperation sehr häufig diesen gefahrdrohenden Zustand beseitigen. In
anderen Fällen wird wieder ein solches räumliches Missverhältnis eine stärkere
Dehnung des Collum und des unteren Uterinsegmentes zur Folge haben, so
dass wir im Hinblicke auf die Thatsache, dass diese Erscheinung das wich-
tigste Symptom einer drohenden Ruptur des Uterus bilden, uns beeilen werden,
die Spannung der gefährdeten Weichtheile durch eine rasche Beendigung der
Geburt zu vermindern.
Des Ferneren wird die Beckenenge sehr häufig als Indication für die
Zangenoperation angegeben. Allerdings müssen wir hinzufügen, dass diese
Indication für die Zangenoperation nur mit einer gewissen Reserve zu gelten
hat. Wir wissen nämlich, dass bei zu grossem räumlichen Missverhältnisse
die Anlegung der Zange gefährlich ist, indem einerseits der kindliche Schädel
einer zu starken Compression ausgesetzt ist, welche Blutaustritt in das Gehirn
oder Fracturen der Schädelknochen zur Folge hat, während andererseits
schwere Quetschungen der Weichtheile, ja auch Verletzungen des mütterlichen
Beckengürtels Folge von forcirten Zangenoperationen bei grossem räumlichen
Missverhältnisse sind. Wir werden daher in solchen Fällen stets zu erwägen
haben, ob ein vorhandenes räumliches Missverhältnis noch ein solches sei, bei
dem die Zange ohne Schaden für das Kind und die Mutter zur Ausführung
kommen kann, oder ob wir gezwungen sind, durch Kraniotomie, Symphyseotomie
oder die relativ indicirte Sectio caesarea die Entbindung zu bewerkstelligen.
Dass zur Beurtheilung dieser Factoren nicht blos die Weite und Form der
verschiedenen Beckenebenen, sondern auch die Grösse und die Consistenz so
wie die Art der Einstellung des kindlichen Schädels in Frage kommt, ist
selbstverständlich.
Eine andere Indication für die Zange ist die, welche wir mit dem Xamen
Thrombus vaginae bezeichnen. Wenn der kindliche Schädel bereits in die
tieferen Beckenebenen gelangt, daselbst stecken bleibt, ohne den Beckenausgang
zu passiren, so wird der unterste Abschnitt der Vagina unter höherem Drucke
sich befinden, was zur Folge hat, dass eine starke venöse Hyperaemie eintritt,
welche unter dem fortdauernden Drucke des kindlichen Schädels zu Zer-
reissungen der submucösen Venen und Extravasatbildung im paravaginalen
Bindegewebe führen {Thrombus s. Haematoma vaginae"). Wollen wir nun
weitergehende Quetschungen des Gewebes, welche eventuell zu Nekrosen-
bildungen Anlass geben könnten, vermeiden, so sind wdr verpflichtet, mög-
lichst rasch zu entbinden und zwar wird in solchen Fällen die Zangenoperation
die geeignetste Entbindungsart abgeben. Wir müssen auch, um die erwähnten
schweren Quetschungen der Weichtheile zu verhindern, uns für berechtigt er-
achten in den Fällen, wo der Durchtritt des bereits tief im Becken stehenden
Schädels im Verlaufe von drei Stunden nach dem Verstrichensein des Mutter-
mundes noch nicht vollzogen ist, die Entbindung künstlich zu beenden.
>=) Vergl. auch Artikel „Thrombus vaginae et ridrae^, pag. 801.
58*
916 ZANGENOPERATIONEN.
Eine der häufigsten Indicationen für die Zangenoperation stellt die
Resistenz des Beckenbodens dar. Wir finden in solchen Fällen, wo
nach vorausgegangenen Verwundungen oder Ulcerationen oder Verbrennungen
weitgehende Narbenbildungen am Perineum oder in der Gegend des Scheiden-
einganges sich vorfinden, den Vulvarriug so derb und eng, dass eine normale
Dehnung der Gewebe, wie sie nothwendig ist, wenn der kindliche Schädel
ohne grössere Weichtheilsverletzuugen durchtreten soll, unmöglich erscheint.
Dieselben Erscheinungen finden wir bei dem unnachgiebigen Damme alter
erstgebärender Frauen, bei welchen nicht blos die Erhöhung des Widerstandes
infolge der Resistenz des Beckenbodens, sondern auch die geringere Intensität
der Uteruskraft, wie sie eben bei alten Erstgebärenden vorkommt, die Ver-
zögerung der Geburt verursachen. In solchen Fällen ist die Anlegung der
Zange und Ueberwindung der W^iderstände eventuell durch Ausführung der
Episiotomie vollständig indicirt. Aus demselben Grunde werden wir bei einer
beginnenden centralen Ruptur des Dammes die Zange unter Ausführung einer
Episiotomie anlegen und die Geburt rasch beenden.
Die Eklampsie wird sowie auch die anderen geburtshilflichen Eingriffe
unter gewissen Umständen auch die Zange indiciren, wenn wir auf diese
Weise am raschesten und zweckmässigsten die Geburt werden beenden können.
Aber nicht blos die Rücksicht auf das mütterliche Leben und die mütterliche
Gesundheit zwingt uns zur Ausführung der Zangenoperation, ebenso häufig
wird dieselbe indicirt erscheinen mit Rücksicht auf das kindliche Leben, wenn
die vorhandenen Symptome uns anzeigen, dass das Leben eines in Schädel-
lage befindlichen Kindes, aus welchem Grunde auch immer bedroht sei, und
wir befürchten müssen, dass bei längerer Dauer der Geburt das kindliche
Leben vollständig erlöschen werde, und die Zangenoperation jenen Eingriff
darstellt, durch welchen am raschesten und zweckmässigsten die Geburt be-
endigt werden kann.
Aber das Vorhandensein dieser Indicationen allein berechtigt
uns nur dann die Zange anzulegen, wenn die dazu nothwendigen Be-
dingungen erfüllt sind; würde das nicht der Fall sein, so dürfen wir trotz
der vorhandenen Indication von der Zange keinen Gebrauch machen, sondern
müssten je nach den individuellen Verhältnissen des Geburtsfalles die für
diese geeigneteste Art der künstlichen Entbindung unter den anderen geburts-
hilflichen Eingriffen auszuwählen haben.
Die Bediiigimgeii für die Zangenoperation sind die folgenden: 1. Der
Muttermund soll vollständig verstrichen sein; es ist das eine
Bedingung, welche nothwendig erfüllt sein soll, da ja die Zangenanlegung gar
nichts Anderes bezwecken soll, wie den letzten Theil der Geburt, die Aus-
treibung des kindlichen Schädels zu beschleunigen und erst in dem Momente
in Frage kommen kann, wo nach vollständig abgeschlossener Eröffnungs-
periode auch bei physiologischem Fortgange der Geburt die Austreibung im
Gange wäre. Hie und da allerdings kann man es wagen, wenn der Mutter-
mund bis auf einen ganz schmalen Saum verstrichen ist, die Zange anzulegen,
doch muss in solchen Fällen dann die Extraction langsam und sorgfältig
gemacht werden, um bei den einzelnen Tractionen die Dehnung und Dilatation
des Muttermundes zu vervollständigen; bei nicht verstrichenem Muttermunde
müsste sonst die Ausführung der Zangenoperation zu schweren Cervixrissen
Anlass geben. In einzelnen seltenen Fällen ist allerdings sowohl nach der
Stellung der Indication wie nach den übrigen Verhältnissen die Zangen-
operation als der zweckmässigste Eingriff' zu bezeichnen, und dennoch zögern
wir mit der Ausführung der Operation, da der Muttermund noch nicht ver-
strichen und sein Rand derb und straft' gespannt erscheint. Wenn nun in
einem solchen Falle die Indication zur Entbindung eine dringende ist, dann
werden wir die Erweiterung des Muttermundes auf blutigem Wege vornehmen
ZANGENOPERATIONEN. ' •:> 1 7
durch Incision mit der Scheere und auf diese Weise die für die Zangen-
anlegung nothwendigen Bedingungen der vollständigen Erweiterung des Mutter-
mundes künstlich herstellen.
2. Die Fruchtblase soll gesprungen sein und die Eihäute über
den kindlichen Schädel bereits retrahirt ersclieinen. Wir sollen mit der
Zange blos den kindlichen Schädel fassen und bei eben erst gesi)rungener
Fruchtblase zu verhindern trachten, dass die angelegten Zangenlöffel mit
dem Schädel gleichzeitig auch die Eihäute mitfassen und durch diesen Zug
eine vorzeitige Lösung der Placenta bewerkstelligen, was ein rasches Ab-
sterben der Frucht zur Folge hätte und den Zweck der Zangenoperation
vollständig vereiteln würde.
3. Der kindliche Schädel soll im B ecken kanal fixirt und mit
der grössten Circumferenz den Beckeneingang passirt haben.
Das Anlegen der Zange an den über dem Beckeneingange beweglichen
Schädel ist demgemäss nicht gestattet; abgesehen davon, dass in einem solchen
Falle die Anlegung der Zange ausserordentlichen Schwierigkeiten begegnet,
würde durch die Gefahr des Abgleitens der Zange der Eingriff' sehr complicirt,
ohne dass er zu dem gewünschten Resultate führen würde; andererseits ist
es für den Erfolg der Zangenoperation umso günstiger, je tiefer bereits der
kindliche Schädel in das Becken herabgetreten ist.
Als günstigste Bedingung für die Anlegung der Zange wird der zangen-
rechte Stand des kindlichen Schädels bezeichnet. Der kindliche Schädel steht
zangenrecht, wenn er bereits am Beckenboden rotirt aufruht, dann sind alle
Chancen günstig, denn die früher erwähnten Bedingungen müssen bereits
erfüllt sein, und dem Austritte des kindlichen Schädels durch den Scheiden-
eingang steht dann bei Ausführung der Operation kein Hindernis mehr ent-
gegen. Ja es ist durch den zangenrechten Stand des kindlichen Schädels
von vorn herein die Annahme einer Contraindication gegen die Zange
ausgeschlossen, welche in einem zu grossen räumlichen Missverhältnisse gelegen
wäre. Da nämlich die Zange als ein Zug Instrument, nie aber als ein Druck-
instrument gebraucht werden soll, ist sie bei zu grossem räumlichen Miss-
verhältnisse contraindicirt, da ja ein solches blos auf Kosten des kindlichen
Schädels oder aber der Continuität des Beckengürtels überwunden werden
könnte. Das Vorhandensein eines zu grossen räumlichen Missverhältnisses
können wir aber in dem Momente ausschliessen, da der kindliche Schädel
mit seiner grössten Circumferenz den Beckeneingang passirt hat. Es könnte
sich denn bloss noch um eine stärkere Verengung im Beckenausgange
handeln, welche jedoch als solche leicht erkannt werden kann. Der Aus-
führung der Zangenoperation muss natürlich die Desinfection der Gebärenden
und der Hand des Operateurs vorangehen; die Instrumente werden am besten
keimfrei gestaltet durch Auskochen im siedenden Wasser. Die Lagerung der
Gebärenden ist hiebei entweder in Rückenlage oder in Seitenlage, welch"
letztere vornehmlich von den Engländern propagirt wird. Sicherlich ist es
am zweckmässigsten, das Querbett herzurichten und die Gebärende mit dem
Steiss an den Bettrand herauszurücken.
Die Zaiigeiioperation zerfällt in mehrere Acte: L Anlegen der Zan-
genlöffel. 2. Schliessen der Zange. 3. Extraction mit der Zange. 4. Das Ab-
nehmen der Löffel.
1. Das Aulegen der Zangenlöffel: Die Zange muss derart an den
kindlichen Schädel angelegt werden, dass die Bauart der Zange den anatomi-
schen Verhältnissen des Schädels angepasst wird; die Zange entspricht mit
ihrer Kopfkrümmung dem biparietalen Durchmesser des kindlichen Schädels,
sie muss daher womöglich stets derart angelegt werden, dass der biparietale
Durchmesser des kindlichen Schädels der Kopfkrümmung der Zange ent-
sprechend verläuft. Bei rotirtem Schädel liegt sein biparietaler Durchmesser
918 ZANGENOPERATIONEN.
im queren Durchmesser des Beckenausganges, es muss daher die Zange in
den queren Durchmesser des Beckenausganges gebracht werden in der Weise,
dass die nach der Beckenkrümmung gebogene Zange mit ihrer concaven
Krümmung gegen die vordere Beckenwand sieht, so dass die Zangenspitze
stets gegen jenen Theil des kindlichen Schädels gerichtet ist, welcher un-
mittelbar an die Symphyse zu liegen kommt. Bei einer normal rotirten
Hinterhauptslage stellt diesen Punkt das Hinterhaupt dar, bei Vorderscheitel-
lage und abnorm rotirter Hinterhauptslage die Stirne, bei Stirn- und Gesichts-
lagen das Kinn dar. Der zwischen den gebeugt gehaltenen Füssen der Ge-
bärenden stehende Operateur fasst nun zunächst den linken Löflfel der Zange,
der stets zuerst eingeführt werden muss, weil er das Schloss der Zange trägt.
Hiebei wird der Griff des Löffels mit der linken Hand gei'asst und zwar nach
Art eines Scalpells so, dass der Daumen an die Innenfläche, die andern
4 Finger auf die Aussenfiäche des Griffes aufgesetzt werden; es wird per-
horrescirt, die Zange mit der vollen Faust zu fassen. Der nun so gefasste
Zangenlöffel wird derart gegen die Vulva gehalten, dass der Zangengriti' nach
oben parallel mit der Symphyse und zwar entsprechend der Schenkelbeuge
der Mutter steht, während die Zangenspitze gegen den linken Rand des
Vulvarostium zu strebt. Um nun eine Verletzung der Weichtheile durch den
einzuführenden Zangenlöffel zu verhindern, gehen zwei Finger der rechten
Hand zwischen Schädel und der linken Scheidenwand ein, und längs dieser
Finger gleitet nun der Zangenlöffel in die Scheide, indem der Daumen der
rechten Hand an die untere Rippe des gefensterten Zangenlöffels angelegt,
denselben allmählig einschiebt, während die linke Hand, welche den Zangengriff
hält, denselben langsam in dem Maasse, als der Zangenlöffel in die Scheide
vordringt, längs des rechten Schenkels der Mutter herabgleiten lässt. Nunmehr
wird in der gleichen Weise der rechte Löffel am Griffe von der rechten Hand
gefasst und durch die an die rechte Scheidewand eingeführten zwei Finger
der linken Hand der Zangenlöffel in gleicher Weise eingeschoben. Sind
nunmehr beide Zangenlöffel eingeführt, so erfolgt 2. Das Seh Hessen der
Zange in der Weise, dass je ein Zangengriö' in die volle Hand gefasst wird,
derart dass je ein Daumen auf den Buscii'schen Hacken des Zangengriffes
aufgelegt, an demselben einen leichten Druck nach auswärts und abwärts
ausübt, worauf durch Nähern der Zangengriffe dieselben im Schlosse aneinander
gefügt werden. Das vollständige Schliessen der Zangenlöffel erscheint nun
unmöglich dann, wenn die zwei Zangenlöffel nicht in derselben Ebene an den
Schädel gebracht wurden, sie stehen dann nicht parallel mit einander, man
sagt, die Zangenlöffel haben sich geworfen. Man muss dann, um die
Zange richtig zu appliciren, die Griffe mit je einer Hand fassen, leicht gegen
den Schambogen erheben und kann dann durch Senken der Griffe, wobei der
Daumen den schon oben erwähnten Druck auf den Büscn'schen Haken
ausübt, die früher geworfenen Zangenlöffel nunmehr schliessen. Des Ferneren
kann es unmöglich sein, die Zange vollständig zu schliessen, wenn das ge-
fasste Schädelsegment für die Kopfkrümmung der Zange sich als zu gross
erweist.
Das ist dann der Fall, wenn entweder der kindliche Schädel an und für
sich zu gross ist, oder wenn ein zu grosser Durchmesser des kindlichen
Schädels wegen der Stellung, die der kindliche Schädel im speciellen Falle
einnahm, gefasst w^erden musste (hoher Qu er stand, tiefer Qu er st and
des kindlichen Schädels.) In diesen Fällen ist es nicht möglich, den
biparietalen Durchmesser des kindlichen Schädels zu fassen, wir sind dann
gezwungen, die Zange entweder an den fronto-occipitalen oder schrägen
Durchmesser des kindlichen Schädels anzulegen, und da diese Durchmesser
grösser sind, als es der Koptkrümmung der Zange entspricht, divergiren die
Zangengriffe an ihrem untersten Ende. Es besteht nun die Gefahr, dass bei
ZANGENOPERATIONEN.
919
dem während der Extraction auf die Zanj^^engriffe ausgeübten Drueke in I'olge
dessen eine zu starke Compression des kindlichen .Schädels bewerkstelligt wird,
so, dass man gezwungen ist, um eine solche zu vermeiden, zwischen die diver-
girenden Zangengritte eine mehrfach zusammengelegte Compresse einzulegen,
um auf diese Weise jeden stärkeren Druck auf den kindlichen Schädel zu
verhindern. Das Anlegen der Zange erfolgt bei rotirtem Schädel stets in der
beschriebenen Weise ohne Kücksicht darauf, ob es sich um eine Hinterhaupt-,
Vorderscheitel-, Stirn- oder Gesichtslage handelt, nur müssen wir erwähnen,
dass es bei Anlegen der Zange bei Gesichtslagen noth wendig ist, vor dem
Schliessen der Zangenlöffel die Griffe derselben hoch bis zur Symphyse zu
erheben und hier das Schliessen vorzunehmen, worauf die Gritfe gesenkt wer-
den, und die Extraction beginnen kann. Bei der Extraction des Schädels mit
der Zange müssen wir uns im Interesse der mütterlichen und der kindlichen
Gesundheit bestreben, wo möglich den physiologischen Gelmrtsverlauf nach-
zuahmen. Nachdem wir nun wissen, dass der normale Fortgang der Geburt
hauptsächlich durch den Umstand gefördert wird, dass die einzelnen Wehen
von einander durch gleichmässige Wehenpausen geschieden sind, und dass
1 Jhiitciliauptslage Ans Dödeelein, Leitfaden 1- c.
die Dehnung der Weichtheile gerade durch das Abwechseln der Wehe und
W^ehenpause vollzogen wird, werden wir unsere Kraft in ähnlicher Weise
wirken lassen, dass wir mit der Zange nicht einen constauten dauernden Zug
ausüben lassen, sondern vielmehr denselben in mehrere Etappen abtheilen.
Wir ziehen daher, wie wir sagen, in einzelnen Tractionen, und ahmen dabei
die Wehenthätigkeit insoferne nach, als wir bei jeder Traction mit dem Zuge
allmählig ansteigen bis zu einer gewissen Höhe und dann allmählig mit dem
Zuge wieder nachlassen, um dann eine kleine Pause eintreten zu lassen,
während welcher der kindliche Schädel Zeit hat, sich vom Drucke der Zange
zu erholen. Am zweckmässigsten werden nun die Tractionen in der Weise
wirken, wenn wir sie mit dem Beginne einer Wehe beginnen lassen und in
der Wehenpause mit dem Zuge aufhören, so dass unsere Traction durch die
Thätigkeit des Uterus wirksam unterstützt wird. Der Zug wird nun in der
W^eise ausgeführt, dass wir die geschlossenen Gritfe der Zange mit der linken
Hand derart fassen, dass dabei die Yola manus nach aufwärts sieht, und der
Daumen von der einen, die vier Finger von der anderen Seile her die Grifie
nach oben umfassen. Die rechte Hand fasst nun folgendermaassen an: der
920 ZANGENOPERATIONEN.
z^Yeite und vierte Finger fassen je an einem BuscH'sclien Haken, während
der dritte Finger an dem Schlosse zwischen den beiden Zangenlöft'eln ein-
greift. Bei am Beckenboden aufruhenden Schädel wird die Traction zunächst
solange in horizontaler Kichtung geführt, bis der Führungspunkt des kind-
lichen Schädels unter dem Schambogen erscheint, dann inuss mit der Zange
gehoben werden, auf dass die Austrittsbewegung sich vollziehen könne. Am
zweckmässigsten ist es dabei, nunmehr zur Seite zu treten, mit der rechten
Hand die Zange folgendermaassen zu fassen: während der kleine Finger am
Schlosse zwischen die Zangenlölfel eingreift, umfasst der Daumen einerseits,
die drei Finger andererseits den Zangengritf, welchen nunmehr die linke Hand
verlässt, um auf den Damm aufgelegt den Dammschutz zu besorgen. Wenn
wir nun bedenken, dass auch unter normalen Verhältnissen der Dammschutz
am besten in der Weise ausgeübt wird, dass er das Durchtreten des kind-
lichen Schädels durch den Vulvarring während der Wehenhöhe verhindert
und erst während der Wehenpause den kindlichen Schädel sich entwickeln
lässt, so folgt daraus, dass wir auch bei der Extraction mit der Zange in dem
Momente, wo der kindliche Schädel zum Durchschneiden kommt, während der
Wehenhöhe den Schädel mit der Zange zurückhalten, um ihn während der
Wehenpause allmählig austreten zu lassen, w^obei wir eventuell durch Episi-
otomien eine Zerreissung des Dammes vermeiden werden. Dabei wird jede
Traction horizontal beginnen und durch allmähliges Erheben der Zangengriffe,
wobei wir mit dem Zuge nicht aufhören dürfen, bis zur Symphyse die Aus-
trittsbewegung des Schädels bewerkstelligen, indem bei normal rotirter Hinter-
hauptslage der Xacken, bei Yorderscheitellage die Stirne und bei Gesichts-
lagen der Hals sich an der Symphyse anstemmt. Ist der kindliche Schädel
entwickelt, so wird die Zange abgenommen, in der Weise, dass der Daumen
der rechten Hand zwischen die Zangengriffe eingeht, wodurch die Zangen-
löffel sich im Schlosse wie in einem Charniergelenke öffnen und leicht ent-
fernt werden können. In Fällen, wo beim Durchtritt des kindlichen Schädels
der Damm stark gefährdet erscheint, ist es mitunter zweckdienlich, die Zau-
genlöffel schon abzunehmen, ehe der grösste Umfang des kindlichen Schädels
den Vulvarring passirt und dann den kindlichen Schädel mittelst des Kitc4en'-
schen Handgriffes zu entwickeln.
Etwas anders erfolgt die Anlegung der Zange und die Extraction, wenn
der kindliche Schädel am Beckenbogen noch nicht rotirt aufruht, wenn es
sich also um einen tiefen Querstand handelt; das Hindernis für das
Austreten des kindlichen Schädels bildet dann der Umstand, dass der fronto-
occipitale Durchmesser, resp. bei einer Gesichtslage der Höhendurchmesser des
kindlichen Schädels im queren Durchmesser des Beckenausganges steht, der
für diesen kindlichen Schädeldurchmesser nicht genügend Raum bietet; man
ist daher gezwungen, der Extraction des kindlichen Schädels die Rotation mit
der Zange vorauszuschicken, oder richtiger sie mit derselben zu combiniren.
Entsprechend dem, dass die Zange mit der Kopflalimmung für den queren
Durchmesser des Schädels berechnet ist, und dieser beim tiefen Querstand
im geraden Durchmesser des Beckenausganges steht, müssten wir beim tiefen
Querstand des Schädels demgemäss eigentlich die Zange in den geraden
Durchmesser des Beckenausganges anlegen, da wir beim Anlegen der Zange
in den queren Durchmesser des Beckens die Rotation nicht vollziehen könnten.
Das Anlegen der Zange in den geraden Durchmesser hätte aber zur Folge,
dass der vordere Löffel die Blase gegen die Symphyse, der hintere Löffel den
Mastdarm gegen das Promontorium quetschen würde, und daher legen wir
die Zange in einen schrägen Durchmesser des Beckenausganges in der Weise,
dass dabei die Zangenspitze nach vorne und nach jener Seite gerichtet ist,
wo bei Schädellagen das Hinterhaupt, bei Gesichtslagen das Kinn sich befindet,
d. h. bei tiefem Querstand Schädellage erster Stellung sieht die Zangenspitze
ZANGENOPERATIONEN. 921
nach links vorne, bei zweiter Stellung nach reclits vorne, bei tiefem Quer-
stande Gesichtlage erster Stellung sieht die Zangenspitze nach rechts vorne,
bei zweiter Stellung nach links vorne; stets wird dabei der linke Löffel zuerst
eingeführt, und zwar gelangt derselbe bei tiefci]! Querstande Scliiidelhige erster
Stellung und bei tiefem Querstand Gesichtlage zweiter Stellung nach abwärts,
bei tiefem Querstande Schädellage zweiter Stellung und fjei tiefem (^uerstande
Gesichtslage erster Stellung nach aufwärts. Wenn der linke Löffel nach ab-
wärts gehört, so wird er in der üblichen Weise eingeschoben nur mit der
Tendenz, gegen die Kreuzbeinhöhlung geführt zu werden, wobei, wie schon
erwähnt, die Zangenspitze gegeu den Führungspunkt zu sehen hat. Der obere
Löffel, sei es der rechte oder der linke, wird nicht direct unter die Symphyse
eingeschoben, um Quetschungen der Blase zu vermeiden, vielm(;hr wird er
wie bei der gewöhnlichen Zangenanlegung seitlich in die Scheide eingeschoben
und dann erst unter der Leitung von zwei Fingern der eingeführten Hand
nach vorne unter die Symphyse geschoben, wobei sich umgekehrt der Zangen-
griff nach abwärts bewegt. Das Schliessen der nun im schrägen Durchmesser
liegenden Zange erfolgt in der Weise, dass man die Zangengriöe jener Schen-
kelbeuge der Mutter nähert, gegen welche der Führungspunkt des kindliclien
Schädels gerichtet ist. Bei jeder nun nachfolgenden Traction versucht man
die Rotation des kindlichen Schädels, indem man die Zange in den queren
Durchmesser dreht, wobei der Führungspunkt des Schädels unter die Sym-
physe gelangt. Ist die Rotation vollzogen, dann erfolgt der Austritt des kind-
lichen Schädels in üblicher Weise. In einer je höheren Beckenebene der
kindliche Schädel sich befindet, umsomehr muss der Zug mit der Zange die
Richtung nach abwärts u. zw. durch Senken der Zangengritie einhalten, um
allmählig in die Horizontale, wenn der kindliche Schädel an den Beckenboden
gelangt ist, und dann in den Zug nach aufwärts überzugehen und die Aus-
trittsbewegung zu gestatten.
Ganz speciell gestaltet sich die Anlegung der Zange bei Hochstand
des Schädels. Sie kommt in Frage, wenn bei massigem, räumlichen Miss-
verhältnisse der kindliche Schädel im Beckeneingange mit seiner grössten
Peripherie steht und stehen bleibt, und wenn bei verstrichenem Muttermunde
und gesprungener Blase die Indication eintritt, die Geburt künstlich zu
beenden, um das bedrohte kindliche Leben zu retten; doch lässt sich im Vor-
hinein hiebei oft genug nicht bestimmen, ob das räumliche Missverhältnis ein
solches sei, dass es uns bei massigem Zuge mit der Zange gelingen könne,
den kindlichen Schädel ohne Gefahr für denselben oder für die Weichtheile
und den Beckengürtel der Mutter zu extrahiren. Es muss daher die An-
legung der Zange bei Hochstand des Schädels stets von Vorneherein nur als
ein Entbindungsversuch angesehen werden, durch welchen wir die Acco-
modationsfähigkeit des kindlichen Schädels prüfen, um in dem Momente, wo
wir sehen, dass bei massigem Zuge mit der Zange die Entbindung ohne
Gefährdung des Kindes oder der Mutter auf diesem Wege sich nicht beenden
lasse, sofort von dieser Entbindungsart abzustehen, und zu einem Ein-
griffe überzugehen, welcher entweder die Verkleinerung des kindlichen Schädels
oder die Erweiterung des mütterlichen Beckens zum Zweck hat : Kraniotomie,
Symphyseotomie. Im Allgemeinen kann man eine Conjugata vera von 8 cm
beim plattverengten Becken und von S^lc,cm beim allgemein verengten Becken
als die untere Grenze für die Z a n g e n m ö g 1 i c h k e i t ansehen, doch i st auch das
nicht so einfach nach der Schablone zu bestimmen, da vielmehr das Verhältnis
des kindlichen Schädels zur Weite des Beckens die Indicationsgrenze angeben
wird; die Zange bei Hochstand des Schädels ist keine einfache und leichte
Operation, es gehört viel LTebung, viel Erfahrung dazu, um jene Fälle auszu-
suchen, in denen die Zange bei Hochstand des Schädels indicii't ist und ohne
Gefahr für Mutter und Kind ausgeführt werden kann. Aber auch dann, wenn
922 ZANGENOPERATIONEN.
wir uns zur Anlegung der Zange an den im Beckeneingange hochstellenden
Schädel entschlossen haben, muss unsere Erfahrung uns lehren, dass es
gerathen ist, in dem einen Falle die Extraction mit der Zange zu Ende zu
führen oder aber den Eingriff zu unterbrechen und an seine Stelle einen
anderen treten zu lassen. Während man die gewöhnliche Zangenoperation
auch ganz gut ohne Narkose ausführen kann, lässt sich dieselbe bei der hohen
Zange" nicht leicht vermeiden. Der hochstehende Schädel stellt sich in den
Beckeneingang mit dem frontooccipitalen Durchmesser in den queren Durch-
messer des Beckeneingangs ein; es ist dies der normale Stand des kindlichen
Schädels. Er kann unter normalen Umständen im Beckeneingange gar nicht
anders stehen, denn die Rotation des Schädels vollzieht sich erst in den
tieferen Beckenebenen. Wir haben daher in diesem Falle gar nichts anderes
zu thun, wie den kindlichen Schädel in die tieferen Beckenebenen zu bringen,
in denen er sich dann entsprechend den mechanischen Verhältnissen spontan
rotiren wird, genau so wie bei einer spontanen Entbindung. Wir legen daher
die Zangenlöffel bei Hochstand des kindlichen Schädels in den queren Durch-
messer des Beckeneinganges ein, so dass der eine Zangenlöffel über die Stirn-,
der andere über das kindliche Hinterhaupt hinübergeht. Die Anlegung der
Zange geschieht im Uebrigen nach den oben geltenden Regeln nur mit dem
Unterschiede, dass entsprechend dem Stande des kindlichen Schädels die
Zangenlöftel viel höher hinaufgebracht werden müssen. Auch das Instrument,
das in Frage kommt, ist ein anderes; wir wenden für die hohe Zange die
Axenzugzange von C. Breus vornehmlich an. Soll nämlich der hochstehende
Schädel in die tieferen Regionen des Beckens herabgebracht werden, so muss
man versuchen, zunächst in der Axe jener Beckenebene zu ziehen, in welcher
sich der kindliche Schädel befindet. Bei Hochstand des Schädels wird die
betreffende Axe nahezu senkrecht auf das Perineum stehen, wir sind daher
gezwungen die Zangengriffe möglichst gegen den Damm zu senken, um wo
möglich direct nach abwärts zu ziehen. Das kann in dem Momente geschehen,
wo die BREus'sche Zange durch denZug nach abwärts mit Aufliebung der
Beckenkrümmung zu einer gerade gestreckten wird. Es wird dabei viel Kraft
erspart, die sonst bei Anwendung der gewöhnlichen Schulzange in der Com-
ponente, welche den durch den Widerstand der vorderen Beckenwand paraly-
sirten horizontalen Zug darstellt, verloren geht. AVir werden daher mit der
Axenzugzange unter gleichbleibender Intensität der Zugkraft viel mehr Wir-
kung erzielen als mit der Schulzange. In der That finden wir bei nicht zu
grossen räumlichen Missverhältnissen das Vorrücken des kindlichen Schädels
in die tieferen Beckenebenen nach einigen Tractionen. Je tiefer der kind-
liche Schädel herunterrückt, desto mehr erheben wir die Griffe gegen den
Horizont, um in der betreffenden Richtung zu ziehen, bis wir in dem Me-
mente, wo der kindliche Schädel auf dem Beckenboden angelangt ist, durch
Erheben der Zangengriffe die Austrittsbewegung in derselben Weise von
statten gehen lassen wie bei gewöhnlichen Zangenoperationen. Die Axenzug-
zange, welche abweichend von den französischen Instrumenten gleicher Art,
dem kindlichen Schädel innerhalb ihrer Branchen freie Beweglichkeit gestattet,
lässt daher die durch die Widerstände des Beckens und der Weiclitheile
bedingte innere Rotation des kindlichen Schädels zustande kommen, so das
der Schädel rotirt am Beckenboden anlangt, wobei im Nothfalle die Rotation
durch leichte Drehung mit der Zange vollständig gemacht werden kann.
Bei Hochstand des Gesichtes und der Stirne wird von vorne
herein von der hohen Zange Abstand genommen, da dieselbe für das Kind
ungünstige Resultate und für die Mutter schwere Quetschungen im Gefolge
haben können. Man wird sich daher bei hohem Querstand des Gesichtes viel
eher zur Kraniotomie des lebenden Kindes entschliessen wie bei hohem Quer-
stand des Schädels; jedenfalls müssen wir auch in diesem letzteren Falle,
ZWILLINGS-DRILLINGS-SCHWANGERSCHAFT. 923
wenn auf S — 10 kräftige Tractionen mit der Axenzugzange der kindliche Schädels
nicht weiter vorrückt, von dem weiteren Eritbindungsversuche mit der Zange
Abstand nehmen; und da wir dadurch den Beweis erbracht haben, dass es
nicht möglich ist, den kindlichen Scliäde ohne Gefahr des Lebens des Kindes
durch das mütterliche Becken durchzubriiigen, so wird uns nunmehr die Wahl
zwischen der Symphyseotomie und Kraniotomie des lebenden Kindes l)leiben,
und es ist mehr als Avahrscheinlich, dass wir uns stets für den letzteren Ein-
griff entscheiden werden. «• a. hehzi-eld.
ZwillingS-DrillingS-SchwangerSChaft. Das Vorkommen mehrfacher
Schwangerschaften gehört beim Menschen immerhin zu den selteneren Vor-
kommnissen, während umgekehrt bei den meisten, namentlich kleineren Säuge-
thieren das gleichzeitige Tragen und Werfen mehrerer Früchte zu der Kegel
gehört. Diejenigen grösseren Thierarten, welche wie der Mensch in der
Regel bei jedem Wurf nur 1 Junges zur Welt bringen, (wie z. B. Pferd,
Rind, Elephant, Hirsch, Reh) zeigen ebenso wie der Mensch mehrfache Schwan-
gerschaft als Besonderheit.
Umfangreiche statistische Arbeiten haben die Thatsache ergeben,
dass mit geringen Schwankungen bei allen Völkern und Racen die Zwillings-
Drillings- und Vierlingsgeburten in einer gewissen Gesetzmässigkeit wieder-
kehren. Fünflingsschwangerschaften sind beim Menschen noch zuverlässig
constatirt, aber enorm selten, glaubhafte Beobachtungen über das gleichzeitige
Vorhandensein von mehr als 5 Früchten gibt es nicht. In den Ländern Eu-
ropas ist das Verhältnis der mehrfachen Geburten zu den einfachen fol-
gendes:
Diese wie auch spätere Zahlen sind entnommen aus: Mirabeau, über Drillings-
gehurten, Münchner med. AbJiandl. IV. Theil. 5. Heft.
41,8 9. Italien 1 : 81,6
67,6 10. Oesterreich 1 : 83,5
67,6 11. Schweiz 1 : 84,5
69,2 12. Frankreich 1 : 99,7
73,6 13. Belgien 1 : 101,4
76.4 14. Rumänien 1 : 113,1
76.5 15. Spanien 1 : 113,6
79,4
Im Allgemeinen rechnet man nach der von Wappaeus aus 19 Millionen
Geburten angestellten Berechnung 98,83% Einzelgeburten gegen 1,1 7% ^lehr-
geburten.
Mirabeau gibt für einzelne deutsche Bundesstaaten folgendes Verhältnis
der Zwillinge und Drillinge:
1. Bayern 1 : 59,7 1 : 5479
2. Mecklenburg 1 : 68,9 1 : 6436
3. Württemberg 1 : 86,2 1 : 6464
4. Baden 1 : 89 1 : 6575
5. Preussen 1 : 89 1 : 7820
6. Sachsen 1 : 79 1 : 10000
SiCKEL berechnete folgende Zahlen.
Zwillingsgeburt 1 : 83
Drillingsgeburt 1 : 8077
Vierlingsgeburt 1 : 385499
Mirabeau hat die Durchschnittshäutigkeit der Drillingsgeburt aus 30
Statistiken verschiedener Länder zu 1 : 6558 gefunden. Fünflingsgeburten
fallen ausser Berechnung.
Ausser diesen Häutigkeitszahlen hat die Statistik noch einige inter-
essante, gut erhärtete Thatsachen über mehrfache Schwangerschaften beim
1.
Russland
2.
Finnland
3.
Schweden
4.
Ungarn
5.
Dänemark
6.
Norwegen
7.
Niederlande
8k
Deutschland
924 Z\YILLINGS-DRILLIXGS-SCmYANGEESCHAFT.
]\Iensclieu erbracht. Duncan hat gefunden, dass die meisten Zwillinge von
Frauen im Alter z^Yischen 25 und 29 Jahren geboren werden, während nach
MiRABEAU das Praedilectionsalter für Drillinge etwas höher liegt, nämlich
zwischen 30 — 34 Jahren. Das Durchschnittsalter beträgt für Zwillingsmütter
29,3, für Drillingsmütter 31,4 Jahre; in beiden Fällen liegt dasselbe höher
als das Durchschnittsalter der Mütter überhaupt.
Mit dem Alter und der Zahl der Schwangerschaften nimmt die Wahr-
scheinlichkeit einer mehrfachen Schwangerschaft zu.
Junge Erstgebärende neigen sehr wenig zu mehrfacher Schwangerschaft,
ältere Erstgebärende und Multiparae erzeugen die meisten Zwillinge bez.,
Drillinge.
Entstehung mehrfacher Schwangerschaften.
Es kommen folgende Varianten in Betracht.
1. Es platzen zu gleicher Zeit 2, bez. mehrere Follikel und zwar
entweder in einem Ovarium oder in beiden Ovarien.
Die zusammen in die Tuben einwandernden Eier werden dann zu gleicher
Zeit befruchtet, gelangen gleichzeitig in den Uterus und nisten sich dort ge-
trennt oder nahe bei einander ein. Als seltenes Vorkommnis ist hiebei zu
erwähnen, dass gleichzeizig ein Ei in der Tube, ein anderes in der Uterus-
höhle sich entwickeln kann, gleichzeitige uterine und ektopische, tubare Gra-
vidität.
Ferner ist beobachtet, dass bei doppeltem Uterus jede Uterushälfte
gleichzeitig ein befruchtetes Ei aufgenommen hat.
Stammen Zwillinge aus 2 Follikeln, so sind 2 Corpora lutea vorhanden,
und zwar befinden sich dieselben entweder in einem Ovarium, oder sie sind
auf beide Ovarien vertheilt. Die Eianlage ist völlig doppelt, 2 getrennte oder
aneinandergelagerte Placenten, 2 Eihautsäcke mit je einem Chorion und je
einem Amnion, eventuell auch getrennten Deciduae reflexae. Die Zwischen-
wand der beiden Eihöhlen besteht aus 4 Membranen, 2 Amnien, 2 Chorien,
zwischen letzteren eventuell noch Beste der Decidua reflexa. Nur bei doppelter
Uterushöhle ist auch die Decidua vera doppelt. Das Geschlecht der beiden
Früchte kann in diesen Fällen gleich oder ungleich sein; die Aehnlichkeit der
Zwillingskinder ist hier am wenigsten ausgeprägt.
2. Ein Follikel enthält 2 bez., 3 Eier.
Das Vorkommen mehreiiger Follikel beim Menschen ist nunmehr ana-
tomisch sichergestellt, wie diese Thatsache bei Thieren längst erwiesen war,
so von V. Baer für das Schwein, von Bidder für das Rind; Waldeyer hat
beim Hund häufig Follikel mit mehreren Eiern, „bis zu vier Stück in einem
Follikel gesehen."
Mehreiige Follikel sind beim Menschen früher von Grote, Klob, v.
KöLi;iKER, neuerdings mit unanfechtbarer Gewissheit von Nagel und Klien auf-
gefunden worden. Klien '') hat einen besonders interessanten Befund er-
hoben, insoferne er in einem Ovarium eines Neugeborenen, von w^elchem er
etwa Vs iii Serienschnitte zerlegt hatte, 8 Follikel mit 2 Eiern und 1 Follikel
mit 3 Eiern fand. Er hat damit einen anatomischen Beweis für die klinisch
bestätigte Erfahrung erbracht, dass einzelne Individuen zu mehrfacher Schwan-
gerschaft besonders disponirt sind.
Bei dieser zweiten Entstehungsmöglichkeit mehrfacher Schwangerschaften
findet sich nur 1 Corpus luteum. Die befruchteten Eier, entwickeln sich ganz
so wie im ersten Falle. Getrennte Eianlage, eventuell extra- und intrauterine
Entwicklung, gleiches oder ungleiches Geschlecht.
*) Uebey mehreiige Graafsche Follikel heim Menschen. Münchner med. Ähhandl.
IV. Beihe, 4. Heft.
ZWILLING S-DRILLINOS-SCHWANGERSCIIAFT. 925
Bei Drillingen können hier die 2 Varianten in Frage kommen, dass
entweder ein Follikel 3 Eier enthielt, oder dass gleichzeitig 2 Follikel platzten,
von denen der eine 1 Ei, der andere 2 Eier enthielt.
o. Das Ei eines Follikel enthält 2 bez. 3 Keimbläschen.
Dass es Eier mit mehrfacher Keimanlage, mehreren Keimbläschen geben
muss, ist längst angenommen aus der Thatsache, dass die beiden Zwillings-
fruchtblasen von einem Chorion umschlossen sein können, in welchem Falle
dann die Zwischenwand nur aus 2 Blätter, den beiden Amnien besteht.
Verfasser verfügt über 2 Präparate aus Serienschnitten eines Ovariums
von einen 2-jährigen Mädchens, von denen das eine einen ziemlich weit-
entwickelten Follikel aufweist, dessen Ei 2 ganz gleichgrosse, völlig getrennt
nebeneinander liegende Keimbläschen mit wohlerhaltenem Kerngerüst enthält,
während das andere Präparat einen Primärfollikel mit o ebensolchen Keim-
bläschen aufweist.
(cf. Centralhlatt für Gynaekologie 1S93, Bd. 17 Nr. 7.)
Es ist hiedurch der anatomische Beweis erbracht dafür, das mehrfache
Schwangerschaft aus einem Ei stammen kann. Andererseits zeigt auch dieser
Befund, dass eine individuelle anatomische Disposition zu mehrfacher Schwan-
gerschaft bestehen kann.
PuECH hat bei einer Statistik über 130000 Geburten, worunter 1262 mal
Zwillinge vorkamen, gefunden, dass darunter die Zwillingsschwangerschaft
48 mal zweimal, 3 mal dreimal, 1 mal viermal sich wiederholte.
Es gibt eine ganze Reihe gut beglaubigter Stammbäume, welche die
hereditäre Disposition mehrfacher Schwangerschaft darthun.
Ein Beispiel hiefür ist: (Brit. med. Journ. 1890 1, 541 nach Mirabeau
1. c. p. 16.)
Urgrossmutter — 3 mal Drillinge
I
Grossmutter
/ I \
2 mal Zwillinge | 1 mal Drillinge (7 Kinder)
Mutter — Schwester.
2 mal Zwillinge | 1 mal Drillinge ^1 mal Drillinge
V 12 Kinder 1 7 Kinder
Tochter
10 Einzelgeburten | 2 mal Drillinge
Enkelin
/ \
4 Kinder, 1 mal Drillinge
Diese mit Nachwuchs überaus gesegnete Familie hiess bei den Bekannten
„Tripleas and twins Famili/^^
Aehnliche Beispiele gibt es noch eine ganze Reihe.
Die Entstehung mehrfacher Schwangerschaft aus 1 Ei ist seltener als
die aus mehreren Eiern. Unter 429 Doppelgeburten fanden sich 383 aus
2 Eiern entstanden und nur 46 aus 1 Ei.
In diesem Falle sind die Zwillinge stets gleichen Geschlechtes und zeigen
die weitgehendste Aehnlichkeit.
Als 4. nicht ganz sichergestellte, aber wahrscheinliche Entstehungs-
möglichkeit mehrfacher Schwangerschaft muss endlich noch erwähnt werden,
dass durch Theilung einer einzigen Keimanlage mehrfache Fruchtbildung
denkbar ist. Vielleicht ist diese Entstehung durch eine Eigenthümlichkeit
des männlichen Samens, des das Ei befruchtenden Spermatozoons zu erklären,
oder dadurch, dass in ein Ei gleichzeitig und gleich kräftig 2 Spermatozoen
vordringen.
926 ZWILLINGS-DRILLINGS-SCHWANGERSCHAFT.
Es liegt nahe, darauf namentlich die sogenannten „verwachsenen Zwil-
linge," das sind unvollständig getrennte Doppelbildungen zurückzuführen,
welche durch eine nicht ganz gelungene Spaltung der primär einfachen Keim-
anlage erklärt werden müssen.
Ueber diese Doppelmissbildungen wie auch über diejenigen Abarten mehr-
facher Schwangerschaften, wobei die eine Frucht normal gebildet, die andere
dagegen rudimentär entwickelt ist, Acardiaci, Foetus papyraceus etc. vergl.
Artikel „ Wachstumsstönwgen und Misshüdungen^^
Bei der Erörterung über die Entstehung mehrfacher Schwangerschaften
muss endlich noch die Frage der Nachempfängnis, Superimprae-
gnatio kurz erörtert werden. Hiebei ist zu unterscheiden zwischen Super-
foetatio und Superfoecundatio "").
Nach Kussmaul verstellt man unter Superfoecundatio oder Ueber Schwän-
gerung die nicht ganz gleichzeitig mit der Befruchtung des ersten Eies eintretende Im-
prägnation eines zweiten, aber bei derselben Menstruations- und Ovulationsperiode elimi-
nirten Eies. Die Eier entstammten dann natürlich 2 Follikeln, welche nicht ganz gleich-
zeitig geplatzt, aber doch zusammen gereift sind.
Die Differenz in der Entwickelung der beiden Früchte wäre hier nur eine geringe,
etwa nach Tagen zählende.
Da die Tuben für das Sperma eine Art Receptaculum seminis darstellen und die
wenn überhaupt, dann wohl jedesmal zahlreich vorhandenen Spermatozoen, sich gewiss
mehrere Tage lang in den Tuben lebend und befruchtungsfähig erhalten, so steht der An-
nahme einer Superfoecundatio an sich Nichts im Wege. Stricte Beweise hiefür sind
jedoch nicht erbracht. Das bekannte Argument, dass eine weisse Frau nach Cohabitation
mit einem Weissen und einem Schwarzen Zwillinge und zwar einen Mulatten und einen
Weissen geboren hat, ist nicht stichhaltig, da diese Thatsache recht gut mit der Annahme
vereinbar ist, dass der Samen des Schwarzen allein befruchtet hat. In diesem Falle würde dann
das eine Kind dem Vater, das andere der Mutter „nachgeschlagen" sein. Schultze ver-
langt als Beweis für eine Superfoecundatio, dass eine Weisse nach Cohabitation mit 2
untereinander und von ihr verschiedenen Racen 2 verschiedene Kinder gebären müsse,
von denen jedes die Eigenthümlichkeiten einer der beiden väterlichen Racen aufweise.
Einen derartigen Fall gibt es bisher nicht. Aus der Thierwelt besteht allerdings eine
Analogie. Eine von einem Esel und einem Hengste belegte Stute warf ein Füllen und
einen Maulesel (Mirabeau 1. c. p. 26). Da man hier nicht annehmen kann, dass ein von einem
Eselsspermatozoon befruchtetes Stutenei, auch wenn die Frucht der Mutter nachgeräth,
ein Füllen wird, so muss doch wohl hier jede Samenart zur Geltung gekommen sein.
In welcher Zeitfolge alle männlichen Thiere zugelassen worden waren, ist nicht angege-
ben. Da die Stuten wie die Säugethiere nur zur Zeit der Brunst oder kurz nach einem
Wurf „zulassen," erscheint die Annahme gerechtfertigt, dass das Belegen rasch hinterein-
ander erfolgte.
Im Gegensatze zu der Superfoecundatio wird Superfoetatio oder Ueberfruch-
t u n g definirt als die zu einer späteren Zeit der Schwangerschaft eintretende Befruchtung
eines zweiten Eies, also zu einer Zeit, wo das erste Ei bereits längere Zeit in Utero einge-
nistet und entwickelt ist.
Die Möglichkeit eines derartigen Vorkommnisses wird jetzt allgemein in Abrede ge-
stellt und zwar durch folgende Begründung.
1. Nach erfolgter Conception sistirt für gewöhnlich Menstruation und Ovulation.
Da diese Thatsache allerdings wohl die Regel ist, aber nicht ohne Ausnahme dasteht.
darf sie doch nicht generell gegen die Möglichkeit einer Superfoetatio ins Feld geführt werden,
2. Im 3. Monat der Schwangerschaft erfolgt durch Verwachsen der Decidua vera
mit der Decidua reflexa der Verschluss der Uterushöhle.
Bis zu dieser Zeit aber ist der Weg zu den Tuben für die Spermatozoen offen, bis
dahin wäre also doch Superfoetatio theoretisch denkbar, wenn Ovulation intra graviditatem
stattfand.
Bis zu einem gewissen Termin der Schwangerschaft muss also doch wohl auch die
Annahme der Möglichkeit einer „Ueberfruchtung" statthaft erscheinen. Auch hier würde
auf die oben angedeutete Weise der Beweis zu erbringen sein, wenn die verschiedenen
Cohabitationen zeitlich so weit auseinander liegen, dass nicht mehrere Eier derselben Ovu-
lationsperiode getroffen sein können.
ungleiche Gewichtsverhältnisse der Zwillinge, dass z. B. wie in dem Falle von C.
Martin das eine Kind 344 </ das andere 920 r/, wiegt, oder auch die Geburt ausgetragener
Früchte in einem Zwischenräume von mehreren Monaten hintereinander beweisen keines-
*) Vergl. Artikel „Superfoecundaiion,"- der die im Nachfolgenden erörterten That-
sachen ausführlich bespricht.
ZWILLINGS-DRILLINGS-SCHWANGERSCHAFT. 927
wegs eine Superfoetatio, da die Entwicklung der Früciite bei mehrfacher Scliwangerschaft
nie ganz gleichmässig stattfindet, Entwickelungshemmung der einen Frucht bei ungleich-
massiger Anastomose in gemeinsamer Placcnta häufig vorkommen; andererseits kann die
Ausstossung einer zweiten Frucht ausnahmsweise einmal abnorm rctardirt sein. Wie in-
dolent in dieser Beziehung der Uterus sein kann, zeigen ja die Fälle von missed labour.
Die anatomischen Verhältnisse der Eihildung bei mehrfacher
Schwangerschalt wm^den, soweit dies die Eihäute betrifft, für die verschiedenen
Entwicklungsarten oben bereits angeführt. Hinzugefügt muss dem nocli werden,
dass in seltenen Fällen — nach Ahlfeld 3 mal unter 45 G Zwillingsnach-
geburten — die Zwillinge in einer einzigen Eihöhle liegen.
Wahrscheinlich ist in diesen Fällen die aus den l)eiden aneinander-
gelegten Amnien bestehende Zwischenwand in früher Entwicklungszeit ein-
gerissen oder irgendwie sonst zu Grunde gegangen. Dieses an sich belang-
lose Vorkommnis kann insoferne sehr bedeutungsvoll für die Früchte werden
als deren Nabelschnüre sich miteinander verwickeln und die Kinder an dieser
Complication zu Grunde gehen können.
In diesen Fällen rückt meist die Insertion der Nabelschnüre nahe zu-
sammen; in einigen Fällen ist sogar eine gemeinsame Nabelschnnr gefunden
worden,, welche sich erst in ihrem freien Verlaufe theilte.
Stammen die Zwillinge aus 2 Eiern, so können die Placenten völlig
getrennt sein, oder aber sie sind am Rande miteinander mehr oder weniger
breit verwachsen.
Sind die Zwillinge aus einem Ei entstanden, so bildet sich nur 1 grosse
Placenta; dann ist, wie Schatz nachgewiesen hat, stets ein anastomotischer
Placentarkreislauf zwischen beiden Früchten vorhanden, der ohne Bedeutung
ist, wenn die herüber- und hinübergesandten Blutmengen etwa gleich gross sind.
Gibt der eine Foetus aber dem andern mehr Blut als er von diesem erhält,
so entwickelt sich der andere auf Kosten seines Bruders, der schwer benach-
theiligt wird.
Aus dieser Thatsache, dass neben den beiden Placentarkreissläufen der
zwei Früchte noch ein dritter, gemeinschaftlicher bestehen kann, resultiren
die verschiedenartigsten Folgezustände, welche erst durch die Entdeckung
dieses anastomotischen Blutlaufes eine aetiologische Deutung erfahren konnten.
Es bezieht sich hierauf die oft sehr ungleiche Entwickelung eineiiger
Zwillinge, die Entstehung seltsamer Missbildungen, welche als zweite Früchte
als eine Art von Parasiten durch die Herzthätigkeit der ersten Frucht eine
gewisse Ernährung erfahren durften, wie z. B. die Acardiaci. Es bezieht sich
hierauf ferner das nicht selten beobachtete Vorkommniss von Polyhydramnie
der einen überentwickelten Frucht bei Oligohydramnie des anderen, dürftig
gediehenen Zwillinges.
Praktisch bedeutungsvoll wird die Thatsaclie dieser Anastomosen weiter-
hin dadurch, dass der zweite Zwilling sich nach der Geburt des ersten aus
dem placentaren Ende der durchschnittenen und nicht unterbundenen Nabel-
schnur verbluten kann.
Was die Entwickelung der Früchte selbst anlangt, so ist her-
vorzuheben, dass bei mehrfacher Schwangerschaft die einzelne Frucht kaum
das Vollgewicht eines ausgetragenen Kindes erlangt. Das Durchschnitts-
gewicht der Drillingskinder z. B. ist nach IMirabeau WöCyö gr und zwar
ist dasselbe für Knaben etwas höher als für Mädchen, 204:8 gr gegenüber
1899 ^r. Die Summe der Gewichte aller Foeten übersteigt aber das Durch-
schnittsgewicht des Foetus einer einfachen Schwangerschaft.
Für Drillinge würde die Summe der Durchschnittsgewichte der Foeten
58 69* 5 ^r betragen.
Geht das Gewicht der einzelnen Frucht viel unter 2000^/- herab, so ist
die Lebensfähigkeit eine sehr geringe, ein Umstand, welcher namentlich bei
928 Z^YILLINGS-DRILLINGS-SCHWANGERSCHAFT.
Drillingen oder gar Vierlingen erklärt, warum hier selten alle Früchte post
partum am Leben bleiben, wobei als ungünstiges Moment noch hinzukommt,
dass bei Zwillings- und Drillingsschwangerschaft häutiger Frühgeburt eintritt.
Zwillingsi'rüchte verhalten sich in dieser Beziehung viel günstiger, da bei nur
2 Kindern auf eines immer noch leicht ein Gewicht von 5 — %kg kommen
kann. Wenn die Zwillingsfrüchte ausgetragen sind, so sind sie auch bei
kleinem Gewicht widerstandsfähiger als dies das Kind einer einfachen Schwan-
gerschaft mit dergleichen Gewichtszahl wäre.
Das Geschlecht der Zwillinge ist in 36"47o ungleich, in welchem
Falle sie stets aus 2 Eiern stammen; nächstdem kommen Zwillingsknaben
32-57o5 während Zwillingsmädchen mit STl^o zuletzt stehen. Das Verhältnis
der Knaben zu den Mädchen ist bei Zwillingen 104:100, gegenüber der allge-
meinen Verhältniszahl von 105:100 bei einfacher Schwangerschaft, in beiden
Fällen überwiegt die Knabenproduction.
Bei Drillingen dagegen fand Mirabeau (1. c. p. 35 und 36) umgekehrt
mehr Mädchen als Knaben: unter 105 Drillingskindern waren 56=53*337o
Mädchen gegen 4:9=46-677o Knaben, Verhältnis also 87-5 Knaben zu 100
Mädchen, eine Erfahrung, die auch anderweit gemacht werden konnt^.
In 35 Fällen wurden geboren:
3 :\Iädchen 12mal = 34-297o-
3 Knaben 9mal = 25- 7 P/o-
2 Knaben, 1 Mädchen Smal = 22-867o.
1 Knabe 2 Mädchen 6mal = 17-147o-
Demnach sind:
Gleichgeschlechtlich : Ungleichgeschlechtlich :
Zwillinge (v. Winckel) 63-287o 36-72V0
Drillinge 60 7o 400;'o
Verlauf und Diagnose:
Im Allgemeinen bietet der Verlauf mehrfacher Schwangerschaft an sich
Nichts besonderes. Häufig genug wird auch der Mutter erst nach der Geburt
des ersten Kindes die überraschende Thatsache bekannt, dass gleichzeitig
mehrere Früchte sich entwickelt haben.
Immerhin sind schon aus rein mechanischen Gründen pathologische
Ereignisse in der Schwangerschaft und bei der Geburt mehrfacher Früchte
häufiger als sonst. Die stärkere Ausdehung des Abdomens, welche nicht nur
durch die grössere Fruchtmasse, sondern gelegentlich auch durch Hydramnie
bedenklich werden kann, führt häufiger und frühzeitiger zu Stauungsödemen,
Varicenbildung, sowie durch Belästigung der anderen Bauch- und auch der
Brustorgane zu mancherlei Beschwerden.
Die stärkere Ausdehnung des Uterus ist auch die Veranlassung dafür,
dass bei mehrfacher Schwangerschaft Frühgeburt häufiger ist als sonst. Spie-
GELBEEG Sah bei Zwillingsschwangerschaft unter 89 Fällen 27mal, das ist in
27-57o Frühgeburt eintreten, Eeuss berechnet aus der Würzburger Klinik
26*57o. MiEABEAU fand unter 105 Drillings-Kindern 54 = 51*437o ausge-
tragen gegenüber 51 = 48"577o nicht ausgetragenen, von welch letzteren 29
dem Partus praematurus, 13 dem P. immaturus und 6 dem Abortus der Zeit
nach zugehörten.
Sehr beachtenswerth ist, dass Eklampsie bei mehrfacher Schwangerschaft
beträchtlich häufiger ist als im allgemeinen, eine Thatsache, welche auf
die Aetiologie der Eklampsie ein beachtenswerthes Streiflicht wirft.
Die Diagnose einer mehrfachen Schwangerschaft wird nicht nur seitens
der Frau, sondern auch von der Hebamme und deren Arzt meist erst dann
gestellt, wenn nach der Geburt eines Kindes der Uterus durch seine Grösse
die Anwesenheit noch einer Frucht oder noch mehrerer Früchte verräth.
ZWILLINGS-DPJLLINGS-SCHWANOERSCHAFT. 929
Subjective Zeichen für mehrfache Schwangerschaft sind nicht verwerthbar.
Abnorm starke Auftreibung des Leibes vermag höchstens den Verdacht auf
eine solche zu erregen, kann ja aber auch durch Hydramnie, einfache Monstre-
bildung oder Erkrankung der Mutter, Tumorbildung, Ascites etc. veran-
lasst sein.
Anhaltspunkte für die Diagnose einer Zwillings- oder Drillingsschwanger-
scliaft geben vielmehr nur bestimmte Auscultations- oder Palpations-
befunde.
Als solche Befunde sind zu nennen:
1. An zwei verschiedenen Stellen des Abdomens z. B. links oben und rechts
unten werden ländliche Herztöne gehört. Um annehmen zu dürfen, dass die-
selben von 2 verschiedenen Herzen erzeugt werden, muss die verschiedene
Zeitfolge der vermeintlichen Herzschläge festgestellt werden, was durch gleich-
zeitige Auscultation seitens zweier Untersucher oder durch möglichst rasch
einander folgende Feststellung der betreffenden Frequenzen durch einen Be-
obachter geschehen kann; selbstverständlich muss auch der Herzschlag der
Mutter in Rücksicht gezogen werden. Ein anderes Mittel zur Bestimmung,
ob die an verschiedenen Stellen zu hörenden Herztöne einem Kinde oder
mehreren Früchten zugehören ist, die Verbindungslinie zwischen diesen Aus-
cultationspunkten abzuhorchen. Findet sich zwischen diesen Toncentren eine
Zone, in welcher keine Herztöne gehört werden und von welcher aus nach
den beiden Richtungen hin die Stärke der Doppeltöne gleichmässig anschwillt,
so deutet dies auf Zwillinge; sind aber überall auf dieser Verbindungslinie
Herztöne Avahrnehmbar, so ist eine Fortleitung der Herztöne nur eines Kindes
wahrscheinlich.
2. Es werden mehrere grosse Theile, Köpfe, oder mehrere kleine Theile
gefühlt.
3. Beim Touchiren findet man zwei Blasen im Muttermund oder z. B.
8 Füsse oder zwei rechte, bez. linke Füsse vorliegend.
4. Es werden kindliche Herztöne gehört bei Vorliegen einer macerirten
Frucht.
Alle diese Befunde müssen natürlich kritisch erhoben werden, Täu-
schungen bei der Auscultation sowohl wie bei der Palpation laufen Ungeübten
leicht unter. Mit der Diagnose „Zwillinge" soll man vorsichtig sein, da
Irrungen die Glaubwürdigkeit des Arztes ganz ungerechtfertigter Weise in
den Augen der Laien in Frage stellen.
Geburtsverlauf und Behandlungbei mehrfacher Schwangerschaft :
Spiegelbeeg fand bei 1144 Zwillingspaaren folgende Lagen der Früchte.
Beide in Schädellage 562 mal = 49-l<'/o
1 in Schädellage, 1 in Steisslage 362
Beide in Steisslage 99
1 in Schädellage, 1 in Querlage 71
1 in Steisslage, 1 in „ 46
Beide in Querlage 4
Bei Drillingen constatirte Siebold unter 27 Fällen:
Alle 3 Früchte in Schädellagen, 8 mal
2 „ „ „ die 3. in Beckenendlage 8 mal
1. Schädellage, 2. Beckenendlage, 3. Schädellage 4 mal
1. „ 2. und 3. Beckenendlage 3 mal
1. „ 2. Querlage, 3. Schädellage 1 mal
1. Beckenendlage 2. und 3. Schädellage 2 mal
1. und 3. Beckenendlage 2. „ 1 mal
Es prävaliren also auch bei mehrfacher Schwangerschaft die Schädel-
lagen, das nächsthäufigste bei Zwillingen ist die Combination von Schädellage
Bibl. med. Wissenschaften. I. Geburtshilfe und Gynäkologie. 59
= 31-7%
= 8-67o
= 6-18«/o
= 4-04«/o
= 0-35°/o
930 ZWILLINGS-DRILLINGS-SCHWANGERSCHAFT.
mit Beckenendlage, wobei gewöhnlich das in Kopflage befindliche Kind zuei'st
geboren wird. Sind beide Früchte in Geradlage, so liegen sie häufiger neben
als vor einander.
Werden die Kinder, wie dies die Regel ist, nach einander geboren,
so bietet die Geburt keinerlei Schwierigkeiten, ja sie ist sogar gegenüber der
Geburt bei einfacher Schwangerschaft deshalb günstiger zu prognosticiren,
weil die einzelnen Früchte meist klein sind. So kann es z. B. bei Frauen
mit verengtem Becken 1. oder 2. Grades vorkommen, dass sie spontan lebende
Zwillinge gebären, wo vorher bei einfacher Geburt stets zerstückelnde Opera-
tionen sich nöthig machten, wobei noch zu Gunsten der Kinder mitwirkt, dass
sie auch bei kleinem Gewicht unverhältnismässig lebenskräftig sind.
Unter den anderseits durch die mehrfache Schwangerschaft
eventuell veranlassten Geburtscomplicationen ist in erster Linie
primäre Wehenschwäche zu nennen, welche durch übergrosse Ausdehnung des
Uterus bedingt sein kann. Sodann kommt fehlerhafte Lage des zweiten,
beziehungsweise dritten Kindes in Frage, da nach der Geburt der ersten
Frucht das zweite Kind gewissermassen „umfallen" kann.
Von Bedeutung für das Handeln des Geburtshelfers ist die Frage, in
welchen Zeitabschnitten die Geburt mehrerer Früchte erfolgt, resp. erfolgen soll.
In 70 — 80% der Fälle werden die Früchte in weniger als 1 Stunde
Intervall ausgestossen, ausnahmsweise ist aber die Geburt der 2. Frucht über
Gebür, mehrere Stunden bis Tage, verzögert, auch wenn die Lage derselben keine
abnorme ist. Als eine Merkwürdigkeit verdient hier die Beobachtung erwähnt
zu werden, dass ein Zwillingskind als Abortus ausgestossen worden ist, und
dann die Schwangerschaft mit dem zweiten Kind normal zu Ende ging. Hier
liegt dann eine abnorme Toleranz des Uterus vor.
Es ist eine allzulange Verzögerung der Geburt der zweiten Frucht unter
allen Umständen ursächlich wie in den Folgen pathologisch und sind hier
gewisse Normen festzuhalten. Die diesbezüglichen Verhaltungsmassregeln für
den Geburtshelfer ergeben sich aus der Annahme, dass nach der Geburt des
ersten Kindes die Austreibungsperiode für den zweiten Zwilling beginnt und
dass wie überhaupt eine abnorm lange, zweite Geburtsperiode, namentlich bei
gesprungener Blase die Gefahren einer Infection des Uterusinhaltes mit sich
bringt. Es hat um so weniger Sinn, mit der Entwickeluug der zweiten Frucht
über Gebür zu warten, als ja nicht nur der Muttermund, sondern auch
Scheide und Scheideneingang aufs Beste für den sofortigen Durchtritt einer
Frucht vorbereitet sind.
Wenn wir also auf der einen Seite rathen, bei allzu verzögerter Aus-
stossung der zweiten Frucht die Geburt operativ abzukürzen, so muss doch
andrerseits vor zu eiliger Entleerung des Uterus gerade bei mehr-
facher Schwangerschaft eindringlich gewarnt werden. Selbst-
verständlich soll man im Hinblick auf atonische Blutungen den Uterus wo
möglich allein „fertig werden" lassen, die übergrosse Ausdehnung der Gebär-
mutter erfordert gerade in dieser Beziehung besondere Vorsicht, wozu das
relativ häufige Vorkommen atonischer Nachblutungen, nämlich in S'5°/o, der
Fälle mahnt.
Die Ausstossung der Placenta oder der Placenten erfolgt gewöhnlich erst
nach der Geburt der Kinder, in seltenen Fällen wird nach der Geburt des
ersten Kindes die zugehörige Placenta geboren, also vor Austritt der
zweiten Frucht; als ernstes Ereigniss ist beobachtet, dass vor dem zweiten
Kind beide Placenten ausgestossen werden.
Als ein glücklicherweise selten eintretendes, die Geburt in hohem Masse
complicirendes Vorkommnis ist noch die „Einkeilung der Zwillinge,'-' zu
erwähnen. Es kommt dies zu Stande, wenn beide Kinder zusammen in das
ZWILLINGS-DRILLINGS-SCHWANGERSCHAFT. 931
Becken eintreten. Entweder liegen dann die eineiigen Zwillinge in einer
Amnioshölüe, oder es sind beide Fruchtblasen zusammen gesprungen. Da-
bei sind folgende Varianten beobachtet:
1. Die erste Frucht stellt sich in Fusslage zur Geburt, die zweite befindet
sich in Schädellage. Beim Tieferrücken der ersten Frucht fängt sich die
zweite mit dem Kopfe in den Hals der ersten, so dass die beiden Unterkieler
eingehackt sind.
Die Geburt kann nur so erfolgen, dass zuerst die zweite, in Schädellage
sich einstellende Frucht an der ersten vorbei geboren wird, was natürlich
nur bei äusserst günstigen räumlichen Verhältnissen möglich ist. In anderen
Fällen wurde beobachtet, dass zuerst nur der Kopf der in Schädellage befind-
lichen Frucht geboren wurde, dann der nachfolgende Kopf des ersten, in
Fusslage austretenden Kindes, und zuletzt erst der Körper der zweiten Frucht.
Für die Therapie gilt hier als Regel, wenn ein Kind abgestorben ist, was
wohl in der Regel bei dem Fusslagenkind der Fall sein wird, zuerst dieses
mit Zuhilfenahme der Perforation und Kephalothrypsie oder Kranioklasie zu
holen. Decapitation wird als nutzlos verworfen.
2. Die seltenere Art der „Einkeilung von Zwillingen" ist, dass beide
Kinder gleichzeitig in Kopflage in das Becken eintreten, Avobei dann ein Kopf
wiederum im Halsausschnitt des andern liegt.
Kleinwächter fand von der ersten Art 50 Fälle in der Literatur, von
der letzteren hingegen nur 12 — 14.
Hier soll der tieferstehende Kopf zuerst perforirt werden, dann der höher-
stehende an diesem vorbei mit Forceps entwickelt werden. Findet man ein
Kind bereits abgestorben, so soll dieses perforirt Averden.
3. Als seltenste Art der Einkeilung ist endlich noch diejenige zu erwähnen,
welche bei gleichzeitigen Eintritt beider Früchte in Fusslage möglich ist.
Hier soll zuerst das tieferliegende Fusspaar herabgezogen werden, w^obei aber
zu beachten ist, dass man ein zusammengehöriges Paar erfasst.
DÖDERLEIN.
59"
Sachregister.
A.
Abdominalcysten 105.
Abdominalschwangerschaft
234.
Abdominaltyphus.
— Endometritis bei 212,
225, 439.
— während der Gravidität
439.
— Kolpitis bei 480.
— Oophoritis bei 555.
— Salpingitis bei 732.
— Urethritis bei 850.
Abdominale Verletzungen
885.
Abfall der Nabelschnur 635,
709.
Abfülirmittel bei beginnen-
dem Abortus 22.
— bei Eclampsie 210.
— während der Gravidität
194, 199.
— ■ bei acuter Metritis 530.
Ablösung der Eihäute 271,
277.
Abnabeln 13, 634.
Abnorme Enge der Urethra
895.
Abnormitäten des Eies 279.
Aborterscheinungen 18.
Abortiva 277, 877.
Abortus,liabitueller 19, 225.
— künstlicher 25.
— — Indicationen für 25.
— — Verfahren zum 26.
— spontaner 14.
— — Aetiologie des 15.
— — Diagnose des 20.
— — Frequenz des 20.
— — Prädispositionen zum
21, 31.
— — Prognose des 21.
— — Symptome des 17.
— — Therapie des 21,
125, 170, 179.
Abort tubarer 127. 238.
Abrachius 895.
Abrasio mucosae 50, 452.
Abscesse.
— d. Bartholin' sehen Drüsen
61.
— aus Beckenexsudaten 9 1 .
— der Myome 241.
• — des Ovariums 556, 605.
— der Parametrien 9 1 , 609.
Absterben des Foetus 15,
555.
Abtastung des Blaseninnern
110.
Acardiacus 892.
— acephalus 892.
■ — acormus 892.
— amorphus 891.
Acardie 892.
Accouchement fOrce 26.
Achsenzugzangen 383, 922.
Achter-Pessar 426, 632.
Acranie 892.
— mit Exencephalie 892.
Actinomyces in Tubeneiter
733.
Adenitis periuterina 608.
Adenoma ovarii 154.
Adenomatöse Degeneration
der Uterusschleimhaut
858.
Adenome 136.
— des Cervix 145.
— des Uterus 146, 858.
Adenomyxom des Cervix
145.
Adnexentumor 28, 606, 733,
814.
Adnexenoperation 32.
Adnexitis 315.
Aetherische Oele 877.
Aetiologie (s. auch „Ursa-
chen")
— des Abortus 15.
— der Atonia uteri 57.
Aetiologie der Beckenexsu-
date 92, 607.
— der Blasenmolc 659.
— der Cervixstenosen 163
— der Chorea gravidarum
440.
— der Coccygodynie 168.
— der Cystitis 119.
— der Dammrisse 181.
— der Eclampsie 203, 708.
— der Endometritis 212.
— des Erysipelas puer-
perale 441.
— der Extrauterinschwan-
gerschaft 234.
— der Fruchtlagen 260,
287,370,719,759,886.
— der Frühgeburt 279.
— der Haematokele retro-
uterina 333.
— des Hängebauches 339.
— der Harnfisteln 114, 340.
— des Hydramnios 372.
— der Hyperemesis 377.
— der Inversio uteri 454.
— der Kolpitis 475.
— der Metritis 529.
— der Metrorhagien 858.
— der Myome 243.
— der Nephritis gravidarum
553.
— der Osteomalacie 558.
— der Parämetritis 607.
— der Perimetritis 620.
— der Phlegmasia alba
dolens 448, 646.
— des Placentarinfarctes
658.
— des Puerperalfiebers der
Neugeborenen 709.
■ — der Puerperalinfection
701.
Puerperalpsychosen
der
713.
- der Pyometra
'18.
934
SACHREGISTER.
— der Rupturen des Uterus
728.
— der Salpingitis 732.
— des Scharlachs der Wöch-
uerinen 447.
— der Sterilität 752.
— der Sturzgehurt 618.
— der Tuberkulose d. weibl.
Genitalien 816.
— der Tympania uteri 823.
— der Uro - Genitalfisteln
114, 340.
— der Uteruslageanomalien
861.
— des Vaginismus 872.
■ — der Winckel'schen Krank-
heit 912.
— der Zwillings-Drillings-
schwangerschaft 924.
Aetzmittel 213, 219, 224.
Aetzmittelträger 402.
Aetzwirkg. d. Antiseptica 46.
Aequivalent,epilepisches 715
Aftercanüle 392.
Agalactie 489.
Agenesie 891.
Agnathie 884.
Ala vespertilionis 7.
Alcohol 877.
— -behandlung 136, 656,
708, 713, 824.
— -injectionen 153, 405.
Alcoholismus 714.
Alexander'sche Operation
691, 867, 874.
Allantois 256.
Allantoiskloake 895.
Aloe 877.
Alter der Carcinomkranken
138.
— der Myomkranken 244.
Aluminiumpessare 632.
Aluminiumsonden 323.
Amazie 499,
Amenorrhoe 526, 634.
Amerika, Hebammen in 369.
— Myomoperationen 490.
— Ovariotomien in 571.
— Symphyseotomienm772.
Amerikanisches Silberstäb-
chen 403.
Amme, Ernährung durch die
199.
Ammoniak 877.
Amnionnabel 256.
Amuios 256.
Amniossack 374.
Arapulla tubae 7.
Amputatioaltal48,151,678.
Amputatio colli 532, 675,
685.
Amputation der Portio 162,
675.
Amputation, supravaginale
des Uterus 470.
Anadidyma 898.
Anaemie 526.
— während der Gravidität
439.
— der Mutter 16.
— der Niere 554.
Anakatadidyma 899, 900.
Anatomie
— der Adnexentumoren 30.
— des Beckens 9.
— der Blase 106.
— der Brustdrüse 11.
— des Cervix 682.
— der Frucht 255.
— des Ovariums 7, 603.
— desPlacentarinfarctes658.
— der Scheide 4, 869.
— der weiblichen Sexual-
organe 2.
— der Tuben 6, 812.
— topographische der Ge-
nitalien 575, 856.
— der Vulva 3.
Anencephalie 892.
Aneurysma spurium vagi-
nae et vulvae 804.
Angeklagte, Hebamme als
361.
Anklägerin, Hebamme als
361.
Anlage des Geschlechtscana-
les 101.
— des Ovariums 603.
Anlegen der Zangenlöffel
917.
Anodenbehandlung 324, 327.
Anomalien des Beckens 61.
— der Beckenknochen-Ver-
bindung 72.
— der Eihäute 890.
— der Nabelschnur 538.
- — der Placenta 657.
Ansiedlungsgebiet der Go-
nococcen 296.
Anteflexio uteri 754, 860.
! Anteriexio uteri gravidi 339,
I 740.
Anteflexionsstenose 680.
Antepositio uteri 861, 865.
Auteversio uteri 860, 867,
Anteversio uteri gravidi
339, 740.
Antipyretica 96, 708.
Antisepsis in der Geburts-
hilfe, Referat 34 — • Cor-
referat 41.
— in der operativen Gynae-
kologie 47.
— in der Hebammenpraxis
353, 366, 368.
— prophylactische 44.
Antiseptica 45, 391.
— Wirkungen der Antisep-
tica auf Gravide 877.
Anus praeternaturalis vagi-
nalis 871.
Aplasie 891.
Apnoe des Kindes 51.
Apoplectische Insulte
— während der Gravidität
440.
Apoplexia tubarum 814.
Apoplexien der Placenta
658.
Apostoli'sche Behandlung
245, 321.
Apparate s. „Instrumente"
Apparate, electrische 322.
Application des Katheters
359.
— der Pessarien 633.
Aprosopie 894.
Apus 895.
Area embrjronalis 898.
Area germinativa 898.
Argentum - nitricum - Aetzun-
gen
— der Cervixschleimhaut
219.
— der Vaginalschleimhaut
476.
Arhinencephalie 892.
Arsenik 877.
Arsenwässer gegen Gonorr-
hoe 319.
Arterien des weiblichen Ge-
nitaltractus 9, 10, 854.
Arterienklemmen 411.
Arteriitis umbilicalis 709.
Arzt, Herbeirufung des 360.
SACHREGISTER.
935
AscentlirendeGonorrhoe296.
Ascites 252.
— als Complication der
Gravidität 748.
Asepsis, Grundzüge der 48,
— der Hände 127.
— bei Laparatomien 49.
— subjective 44.
Aspermatismus 752.
Asphyxie des Neugeborenen
52.
Assistenten 369.
Asthenie 440.
Asthma gravidarum 440.
Athelie 499.
Athemzug, erster 52.
Athmungsprocess der Frucht
259.
Atonia uteri 56, 133, 135.
Atresia ani 105, 895,
Atresia ani simplex 895.
— — urogenitalis 105.
— — vaginalis 895.
— — vesicalis 895.
— — vestibularis 105.
— hymenalis 4, 725.
— oris 894.
— tubarum 336, 814.
— uteri 104, 386,
— vaginae 105.
Atresien der Scheide, erwor-
bene 870.
Atrophie der Blasenwand
121,
— der Ovarien 604.
— des Uterus 854,
Aufrichtung der beweglichen
Retroflexio uteri 865.
— der fixirten Retroflexio
uteri 866.
Aufsteigende Uterusdouche
272, 275,
Augenpflege der Neugebo-
renen 637,
Ausbleiben der Menses 734.
Auscultation der Herztöne
85, 826.
Ausführung
— • des Accouchement force
27.
— der Kraniotomie 484.
— der Perforation 484.
— der Perineoplastik 630,
— der Placentarlösung 131,
— der Tamponade 126.
Auskochen der Instrumente
40, 380,
Auskratzung s. „Curette-
ment".
Ausräumung des Uterus
125.
Ausschabung des Uterus
175, 223, 413, 452,
Aeussere Untersuchung 355,
825.
Ausspülungen
— der Blase 116, 122,417.
— der Scheide 38, 306,
308.
— des Uterus 223.
Ausstossung von Fibringe-
rinnsel 221.
Austreibungsperiode 229.
Auswahl der Hebammen 365,
Autoplastie par glissement
781.
Auvard'scher Wärmeapparat
643.
Azoospermie 752.
B.
Bacterien
— des Carcinoms 137,
Bacterieneinwanderung
— Schutzvorichtungen.gegen
706,
Bacterientoxine 439.
Bacterienvirulenz 703.
Bacterienwirkung 703.
Bacteriologie
— der Gonnorrhoe 292.
— des Puerperalfiebers Neu-
geborener 711.
— der Puerperalinfection
701.
Bacterium coli
— bei Endometritis 214.
— bei Puerperalinfection
701.
— bei Tympania uteri 823.
— bei Winckelscher Krank-
heit 912.
Badeorte
— für Gonorrhoische 319.
Bäder für Neugeborene 637.
Bäderbehandlung
— bei graviden Typhuskran-
ken 439.
Ballon für den Kolpeurynter
388.
Bandl'sche Furche 729.
Bandrsches Si)eculura 400.
Barner'sche uterin dilaters
274
Bartholinitis 61, 302.
Bartholin'scher Abscess 61.
Bartholin'sche Drüsen 1,297.
Basiolysis 481.
Basiothrypsie 481.
Basiotrib (nach Tarnier) 385,
Basilyst fnach Simpson) 385.
Batterie 322.
Bau, histologischer
— des Ovariums 603.
— der Tuben 813.
— des Uterus 854.
— der Uterusschleimhaut
249.
— der Vagina 869,
Bauchbinden 431.
Bauchdecken
— Fibrome der 242, 611.
— Phlegmone der 709.
— Tumoren der 743,
Bauchhaut, Desinfection der
45.
Bauchhöhle
— Drainage der 595.
Bauchnähte 600.
Bauchschnitt
— bei Ovariotomie 585.
Bauernhebammen 363.
Becken
— allgemein gleichmässig
verengtes 63.
— allgemein verengt plattes
65, 266, 786, 907.
— einfach plattes 64, 266,
482.
— Kilian'sches 73.
— Naegele'sches 66.
— osteomalacisches70,562.
— pseudo-osteomalacisches
69.
— quer verengtes 67.
— rachitisches 68.
— Robert'sches 67.
— schi'ägverengtes 66.
— spondylolistetisches 73.
— trichterförmiges 65.
— Vergrösserung des 781,
782.
Beckenanomalien 61.
Beckenausgang 99, 781.
Beckenauseangszangen 381.
936
SACHREGISTER.
Beckenbandagen 634.
Beckenbindegewebe
— Echinococcen des 614.
Beckenboden 9.
— Resistenz des 916,
Beckenende, Wendung auf
das 905.
Beckenendlagen 84,, 260,
504.
Beckenenge 61, 266, 370,
482, 786, 907, 915.
— Folgen der 62.
Beckeuexsudate 91, 606,
623.
■ — Aetiologie der 92.
— Diagnose der 95.
— Prognose der 96.
— Therai)ie der 96.
Beckenformen 75.
— bei Coxalgie 79.
— bei Fehlen unterer Ex-
tremitäten 83.
— bei Klumpfuss 83.
— bei Kypboscoliose 77.
— bei Kyi^hose 75.
— bei Luxation des Schen-
kelkopfes 80.
— bei Scoliose 76.
Beckengelenke, Lockerung
der 72.
• — Synostose der 72.
— Trennung der 72.
Beckenhochlagerung
— beim Coitus 752.
— bei gynaekologischer Un-
tersuchung 842.
Beckenhöhle 10.
Beckenlvnochen, Fracturen
der 71, 884.
— Tumoren der 71, 741.
Beckenmesser 381, 394.
Beckenmessung 98.
Beckennerven 204.
Bedingungen für die Wen-
dung 908.
— für Zangenoperationen
916.
Befruchtung 173.
Befugte Hebammen 363.
Behandlung s. „Therapie",
Beinhalter
- — nach Fritsch
— nach Greder
— nach V. Ott
— nach Schauta 430.
Belgien
— Hebammenwesen in 368.
— Mehrgeburten in 923.
— ■ Symphyseotomien in 7 22
Belladonna 878.
Benennung
— der Fibrome 241.
— der Haematokele 332.
— der Krebsgeschwülste
137.
Benzoesäure 878.
Berufsgeheimnis des Arztes
291.
Beschleunigung
I — der Geburt 552, 908.
Bettnässen 124.
Bettruhe 306, 377.
Bewegung
— Schwangerer 194.
Bewegungsspiele 694.
Bildung
— des Corpus luteum 606.
Bildungsanomalien
— der Genitalien 101, 747.
— der äusseren Geschlechts-
theile 105.
— der Ovarien 604.
— der Tuben 813.
— der Urethra 847.
— des Uterus 102, 854.
— der Vagina 104, 870.
Billroths Theorie 137.
Bindegewebe
— Verhalten des Carcinoms
zum 138.
Bindegewebsphlegmone
- — des Schenkels 647.
Blase
— ■ Anatomie der 106.
— Bacterien der 109, 119.
— doppelte 112.
— Fremdkörper der 122.
— gefüllte 740.
— Lagefehler der 113.
— Missbildungen der 111.
— Neubildungen der 117.
— Neurosen der 122.
— Palpation der 109.
— Parasiten der 109.
— Percussion der 109.
— Phj'siologie der 107.
— reizbare 108, 123.
— Ruptur der 117.
— Verletzungen der 150.
Blasenbacterien 119, 120.
Blasencatarrh 119.
Blasencervixfisteln 117,343.
Blasendünndarmfistelu 117.
Blasenentzündung 199.
Blasenheruien 106, 113.
Blasenkrampf 123.
Blasenkrankheiten des Wei-
bes 105,
Blasenlähmung 124.
Blasenmastdarmfisteln 117.
Blasenmole 659.
Blasenreizung 440.
Blasenscheideufisteln ,114,
342, 417.
Blasenschwäche 124.
Blasenspalt 111.
Blasensprung 721.
Blasensteine 123, 440.
Blasentuberculose 122.
Blasenuntersuchung 108.
Blechbüchsen 208.
Blechkästchen für Instru-
mente 394.
Blei 878.
Blennorrhoe 290.
Blennorrhoea vaginae 475.
Blinddarmentzündung 315.
Blumenkohlgewächse 136.
Blut
— Herkunft des, bei Hae-
matokele 333.
Blutalteration
— bei Osteomalacie 560,
564.
— während der Gravidität
439.
Blutentziehungen, locale, 96.
Blutergüsse
— intravaginale 810.
— perivaginale 807.
Blutgefässe der weibl. Ge-
nitalien 9.
— des Ovariums 604.
— der Scheide 870.
— topographischer Verlauf
der 9.
— des Uterus 9.
— der Uterusschleimhaut
854.
Blutige Dilatation 202, 453,
753.
Blutintoxication 201.
Blutkopfgeschwulst 471.
Blutserum 706.
SACHREGISTER
937
Blutstillung
— beim Abortus 125.
— Instrumente zur 412.
— Mittel zur 470.
Blutungen
— aus Cervixrissen 130,
133.
— aus Clitorisrissen 130,
134.
— - beim Curettement 178.
— aus Dammrissen 130,
134.
— Electrotherapie der 329.
— bei Endometritis 221.
— bei Fehlgeburten 127.
— Folgezustände der 135.
— während der Geburt 129.
— in der Geburtshilfe 124.
— in das perivaginale Ge-
webe 130, 135.
■ — bei Inversio uteri 130,
134.
— bei Myomen 247.
— in der Nachgeburtspe-
riode 549.
— in das Ovarialgewebe
605.
- — nach Ovariotomien 601.
— in die Peritonealhöhle
883.
— in die Pleurahöhle 883.
— beimPortiocarcinom 147.
— aus Scheidenrissen 130,
134.
— , während der Schwan-
gerschaft 128.
— späte 135.
— der Tuben 814.
— aus dem Uteruscavum
130.
— beim Uterusearcinom
147, 152.
Blutunterlaufungen
— im Warzenhof 501.
Blutverluste, Delirien nach
717.
Bock zur Beckenhochlage-
rung 430.
Bozeman'sche Fistelscheere
419.
Bozeman-Fritsch' er Katheter
214, 217, 406.
Bösartigkeit, Diagnose der
156.
Brauch der Hindu's 171.
Braun'scher Hacken 386,
387.
Braun'scher Kranioclast 3 8 5 ,
485.
JJraun'sche Spritze 300, 405.
Braun'scher Trepan 387.
Braun'sche Zange 383.
Braxton Hick, Kephalo-
thryptor 385.
Braxton Hick, Wendung
nach 909, 911.
Breisky'sche Gabelsonden
453,
Breisky'scher Kephalothryp-
ter 386.
Breisky'sche Pessare 426.
Breisky'sches Speculum 398.
Breisky'sche Zange 418.
Breus'sches Speculum 402.
Breus'sche Zange 384.
Brom gegen Hyperemesis
369.
Bromkieselguhr zur Des-
odorisation 153.
Brompräparate 378.
Bruch
— der Nabelschnur 542.
— des Nasenbeines 882.
Brüche=:Fracturen s. d.
Brüche=Hernien s. d.
Brust 175.
Brustdrüse 1 1 .
— Entzündung der 501.
Brust- und Baucheingeweide
• — Verlagerung der 695.
Brünninghausen'sche Me-
thode der Frühgeburts-
einleitung 274.
Brünnighausen'sches Schloss
381.
Brüste, in Lactation 486.
— Myomkranker 248.
— Pflege der 195.
— Puerperale Verände-
rungen der 197.
— Reizung der 272.
Bucnemia sparganotica 646.
Budin'sches Uteruskatheter
406.
Busch' scher Kephalothryptor
385, 485.
C.
Cancroid 142.
Canthariden 878.
Caput obstipuni 882.
Caput succedaneum 284,880.
(!arbolinj(;ctioncn, intraute-
rine 222.
Carbolsüure 878.
Carcinom der Blase 118.
Carcinom des Cervix 142,
144.
— Diagnose des 146.
Carcinom des Eierstockes
154.
— Diagnose des 156.
— Pathologische Anatomie
154.
— Symptome des 156.
— Therapie des 157.
Carcinom der Eileiter 153.
— Diagnose des 154.
— Symptome des 154.
— Therapie 154.
Carcinom der weiblichen
Sexualorgane 136.
— Allgemeine Aetiologie
des 137.
— Allgemeine Benennung
des 137.
— Eintheilung des 138.
— Heredität des 138.
— Histologie des 136.
— Prophylaxe des 138.
— Theorien über Entste-
hung des 137.
Carcinom der Scheide 141.
— Diagnose des 141.
• — Pathologische Anatomie
des 141.
— Symptome und Verlauf
des 141.
— Therapie des 141.
Carcinom der Uretlu'a 853.
Carcinom des Uterus 142.
— Behandlung nicht radi-
cal heilbarer 152.
— Diagnose des 146.
— Operationsmethodeu bei
operablen 148.
— Pathologische Anatomie
142.
— Prognose des 148.
— Symi:)tome des 147.
— Therapie des 148.
Carcinom der Vulva 139.
— Diagnose des 139.
— Pathologische Anatomie
des 139.''
938
SACHREGISTER.
Carcinom der Vulva
— Symptome und Verlauf
des 140.
— Therapie des 140,
Carciuomatöse Induration
des äusseren Muttermun-
des 724.
Carcinomatöse Poly.penbil-
dungen 674.
Carunceln der Urethra 852.
Carunculae myrtiformes 825.
Castration 157.
— Indicationen zur 157.
— Technik der 158.
Catarrhus tubarum 814.
Catgut als Nahtmaterial 48.
Cavite de Retzius 611,
Cavum cervico-uterinum
— Dilatation des 452.
Cavum uteri 5.
Cavum utero-vesicale 8.
Centralkanal des Nerven-
systems 255.
Centralruptur 180.
Cerium oxalicum gegen Hy-
peremesis 378.
Cervicitis 307.
Cervikalkanal
— Electrische Behandlung
der Stenosen des 332.
Cervix 5, 101.
— Blutige Dilatation des
202.
— Erweiterung des, durch
Quellmeissel 274.
— Hypertrophie des 855,
— Tuberkulose des 819.
Cervixcarcinom 142.
Cervix-Dilatation M4, 219.
— Instrumente bei 421.
Cervix-Dilatator nach
— Eicbholtz 421.
— Fritsch 421.
— Hegar 421.
— Schröder 421.
Cervixgonorrhoe 307.
— Behandlung der 368.
— Pathologische Anatomie
der 307.
— Symptome der 307
■ — Verlauf der 307.
Cervixkatarrh 159.
— chi'onischer 160.
— Diagnose des chronischen
160.
Cervixkatarrh Formen des
159.
— Pathologische Anatomie
des chronischen 160.
— Prognose des 159, 161.
— Symptome des 159, 160.
— Therapie des 159, 161.
Cervixoperationeu 162.
— Instrumente bei 419.
Cervixpolj'pen 670.
Cervixrisse 162.
— Blutungen aus 130, 133.
Cervixstenose 163.
— Prognose der 164.
— Sj'mptome der 164.
— Therapie der 165.
Cervixtuberkulose 819.
Cheilognathopalatoschisis
893,
Cheiloschisis 893.
Chinin 878.
Chloasma 734.
Chloroform 878.
Chlorzinkätzungen 161,219,
451.
Cholera, Endometritis bei
212, 440.
— während der Gravidität
440.
— Kolpitis bei 475.
— Metritis bei 850.
— Oophoritis bei 555.
— Salpingitis bei 732.
Chorda dorsualis 255.
Chorea
— während der Gravidität
440.
Chorion 256.
— frondosum 256.
— laeve 256.
CieQie tonowe 769.
Circuläre Amputation
— der Portio 685.
Cirkelreibungen 518,
Clitoridectomie 167.
Clitoris 3.
Clitorisrisse
— Blutungen aus 130, 134.
— Therapie der 134,
Cloakeubildung 895,
Cocain gegen Hj'peremesis
378.
Coccobacillus ureae pyogenes
119.
Coccygodyuie 167,
Coccygodynie,Aetiologie der
168.
— Verlauf und Prognose
der 168.
— Therapie der 168.
Coelialgie 568.
Coelom 256.
Cohuheim'sche Theorie 137,
242.
Coitus, Beckenhochlagerung
beim 752
— während der Gravidität
195.
— inter menses 620.
— interruptus 620.
— • a posteriore 172.
CoUector 434.
Collins Speculum 402.
Colostrum 197, 486.
Colpeurynter 388.
— ■ Indicationenzum Gebrau-
che des 169.
Colpeuryse 23, 169, 459.
Columnae rugarum 4.
Compresseur iliaque 569.
Conception 171,
— Verhinderung der 426,
757,
Conceptions-Störungen
— bei chronischer Endo-
metritis 222.
— bei chronischer Metritis
531.
Conceptionstermin 174.
Condom 759.
Conduplicato corpore 211,
750.
Condylome, spitze 300.
— der Urethra 852.
Conglutinatio orificii interui
723.
Conjugata diagonalis 100.
Conjugata externa 98.
— vera 100.
Contactinfection 47.
Contractionsring 728.
Contraindicationen gegen die
intrauterine Auswischung
des Uterus 451.
— gegen die intrauterinen
Injectionen 450,
— gegen die intrauterine
Irrigation 449.
— gegen die gynaekolpgische
Massage 516.
SACHREGISTER.
939
Contraiudicationeu gegeiiAn-
weiidung des constanten
Stromes 326.
— gegen die Zangenanle-
gung 917.
Corpus- Carcinom 142, 145.
Corpus luteum falsum 606.
— — verum 606.
— uteri 5.
Correctur in Längslage 721.
Coryza syphilitica 797.
Cowper'sche Drüse 61.
Coxalgie, Beckenformen bei
79.
Craniopagus 900.
Cranio-Rhachischisis 892.
Crede'sclier Handgriff 59,
134.
Cremaillere 396.
Cristae, Messung der Distanz
der 98.
Cruralhernien, ovariale 604.
Curettement 172, 452.
— bei Endometritis 223.
— Erfolg des 223.
— Indicationen zum 176.
— Technik des 177.
Curetteu 413.
Curette von Martin 413.
Cusco's Speculum 402.
Cyanosis infantilis icterica
perniciosa cum haemoglo-
binuria 911.
Cyclopie 892.
Cylinder von Bozemann 418.
Cylinderepithelkrebs 136.
Cysten, proliferirende des
Ovariums 576.
— der Scheide 871.
— -Zangen 424.
— -nach Nelaton 224.
Cystitis 119
— Aetiologie 119.
— Diagnose 121.
— Prophylaxe 121.
— Therapie 122.
D.
Dänemark
— Mehrgeburten in 923.
— Symphyseotomie in 772.
Damm 105.
— Gefahr für denselben
191.
Dammbildung 626.
Dammnaht 180.
Dammplastik 626.
Dammrisse 180. '
— Behandlung 183.
— Folgen der 1H2.
• — oberflächliche 180.
— tiefe 180.
Dammschutz 185.
Darraadhaesionen 590.
Darmaffectionen 438, 444.
Darmcanal, primitiver 255.
Darmfaserplatte 255.
Darmfisteln der Blase 117.
— bei Perimetritis 622.
— der Scheide 871.
Darmocclusionen 602.
Darmschleimhautverän-
derungen
— bei Melaena neonatorum
522.
Darmtuberculose 447.
Dauer der Menstruation 523.
Dauerei'folge der Carcinom-
operationen 150.
— der Prolapsoperationen
690.
Decapitation 210.
Decidua 11.
Decidua reflexa 11, 257.
Decidua serotina 11, 256.
Decidua vera 257.
Decidualösung 179.
Deciduaretention
— Symptome der 668.
Deciduazellen 220, 256.
Decorticatio myomatis 495.
Defecte 891.
— des Dammes 626.
— der Harnröhre 895.
— der Ovarien 103.
— der Symphysen 68.
— des Uterus 526.
Degeneration, amyloide 625.
— der Chorionzotten 659.
— cystische 659.
— kleincystische Hegar's
557.
Degeneratiouserscheinungen
an Carcinomen 138.
Dehnung, bimanuelle 517.
Depression, psychische
— im Klimacterium 474.
— während der Lactation
717.
— während der Menstrua-
tion 525.
— , bei Oophoritis 557.
— während des l'uerpe-
riuras 717.
Depressor von Marion Sims
389.
Dermatitis pruriginosa 699.
Dermatoneuritis vulvae pruri-
ginosa 698.
Dermoi dcy sten 576.
Descensus uteri 856, 861,
868.
— nach Perineoplastik 626.
Desinfection 706.
— der Genitalien bei Kra-
niotomie 484.
— der Hebammen 46, 355.
— der Hände 37, 355.
— der Instrumente 380.
— objective der Kreissen-
den 44.
Desinfection, prophylactische
39.
— subjective 192.
— bei Vulvitis gonorrhoica
301. .
Desinfections- Vorschriften
für Hebammen 46, 354,
368.
Detrusor vaginae 108.
Deutschland
— Hebammenwesen in 46,
364
— Mehrgeburten in 923.
— Ovariotomie in 572.
— Symphyseotomie in 772.
Dextroflexion des Utenis
860.
Diabetes mellitus 441, 481.
Diaetetik der Schwanger-
schaft 193.
— des Wochenbettes 196.
Diagnostische Excochleation
846.
Diagnose des Abortus 20.
• — der Adenompolypen 673.
■ — der Anteflexio uteri 862.
— der Asphyxia neonato-
rum 53.
— der Atonia uteri 58.
— der Beckenendlagen 85.
— der Beckenexsudate 95.
— der Beckenformen 65,
68, 69, 76.
940
SACHREGISTER.
Diagnose der Beckenkuo-
dientumoren 71.
— der Blaseumole 659.
— der Blasenneubildungen
118.
— derBlasenspaltbildungen
112.
— des Carcinoms der weib-
lichen Sexualorgane 136,
139, 141, 146, 154.
— des Cervixcatarrhs 160.
— der Cervixrisse 134.
- — der Dilatatio urethrae
849.
— der Eclampsie 206.
— der Fruchtlagen 288,
371, 720, 759, 887.
— der Frühgeburt 282.
— der Gonorrhoe der weib-
lichen Genitalien 315.
— der Haematokele retro-
uterina 333.
— der Harnfisteln 115,
341.
— des Hermaphroditismus
104.
— der Inversio uteri 459.
— der Kolpitis gonorrhoica
305.
— der Mastdarmscheiden-
fisteln 520.
— der Metritis 530.
— der Myome 248.
— der Oophoritis 556.
- — der Osteomalacie 565.
— der Ovarialfibrome 252.
— der Ovarialtumoren 581.
— der Parametritis 610.
— der Paraperitonealge-
schwülste 612.
— der Perimetritis 622.
— der Phlegmasia alba do-
lens 653.
— der Placenta praevia 652.
— der Placentarretention
666.
— der fibrösen Polypen
672.
— der Pyometra 718.
— derRetroflexiouteri865.
— der Retroperitonealtu-
moren 615.
-^ der Salpingitis gonorr-
hoica 312.
— der Sarcompolypen 674.
Diagnose der Scheidengan-
gTän 480.
— der Schleimhautpolypen
671.
— der Schwanger-schaft
733.
— der mehrfachen Schwan-
gerschaft 928.
— der Sterilität 756.
— der Symphysenruptur
726.
— der Tuberculose der
weiblichen Genitalien 820
822.
— der Tj'mpania uteri 824.
— der Urethritis 299.
— der Uterusruptur 129.
— der Wehen 902.
Diaphragma pelvis 10.
— accessorium 10.
— urogenitale 10.
Diastase der Schambeine
894.
Dicephalus 899.
— dibrachius 899.
■ — tetrabrachius 899.
— tribrachius 899.
— tripus 899.
Dienstenthebung
— der Hebammen 366.
Digitale Beckenmessung 99.
Digitale Lösung
— von Eihautresten 667.
— von Piacentarresten 667.
Digitale Untersuchung 836,
841.
— vom Rectum aus 834,
845.
Digitalis 96, 878.
Dihypogastricus 899.
Dilateur intrauterine von
Tarnier 277.
Dilatation
— beim spontanen Abortus
24
— beim künstlichen Abortus
26.
— blutige 202, 208, 453.
— des Cavum cervico-ute-
rinum 452.
— des Cervix 164, 219.
— bei Eclampsie 208.
— bei Frühgeburt 272.
— bei Hyperemesis Gravi-
darum 378.
Dilatation
— Instrumente zur 424.
— mechanische 167, 2.08.
— plötzliche 178.
— unblutige 200, 453.
— der Ureteren 144, 147.
— der Urethra 110, 118,
123, 124, 414, 849.
— des Uterus 208.
— beiUterus-carcinoml47.
— der Vena umbilicalis 541.
Dilatationssonden 634.
Dilatatoren der Harnröhre
414.
— von Hegar 201.
Dilatatorium von Ellinger
453.
Diphterie 441.
— der Scheide 475, 478.
Diphteritische Cystitis 121.
Diplococcen bei Gonorrhoe
292.
Diplococcus ureae pyogenes
— bei Cystitis 119.
Diplomsformular für Hebam-
men 348.
Diprosopus 899.
Dipygus 899.
Discissio cervicis 862.
Discission, bilaterale 166,
202, 453.
Disposition
■ — zum Abort 16.
— zu Beckengelenksver-
letzungen 72.
— zum Dammriss 181.
— zu Fissuren der Brust-
warzen 254.
— zum Hängebauch 339.
— zur Hysterie 443.
Distanzen
— des Beckenausganges 9 9 .
— der Cristae 99.
— der Spinae ossium ilei
99.
— der Trochanteren 99.
Distomie 894.
Distomum haematobium 109.
Divergenzconjugaten 782.
Diverticulum Meckelii 894.
Diverticulum urethrae 849.
Divertikelbildung
— d. Blase 113, 121.
— der Tuben 813.
— der Urethra 849.
SACHREGISTER.
941
Dolores conquassantes 230,
901.
— ad partum 901.
— post partum 901.
— praeparantes 901.
— praesagientes 901.
— ad secundinas 231, 901.
Doppelcollector 434.
Doppelmissbildungen 891.
Doppelte Blase 112.
Dotterblase 256, 539.
Douglas 9, 575, 856.
— Verlöthung des 144.
Douglas'sclie Falten
— Anatomie der 9.
Drainage der Peritonealhöhle
— Instrumente zur 424.
Drehungen der Nabelschnur
538.
Drillinge
— Geschlecht der 928.
Drillingsmissbildungen 900.
Drillingsschwangerschaft
923.
Druckgangraen
— durch Pessarien 633.
Druckmarken 880.
Drucknekrose 336.
Druckstellen am Schädel 62,
65.
Druckstreifen 880.
Drüsen, Bartholin'sche 3.
— des Uterus 5.
Drüsencarcinom 136, 139,
143, 144. ■
Drüsengeschwülste
des Ovariums 155.
Ductus arteriosus Botalli 259.
— Thrombose des 451.
Ductus omphalo-entericus
539.
Duplicitas anterior 899.
— posterior 899.
Duplicität der weiblichen
Harnröhre 848.
— der Scheide 102.
Durchtritt
— des Gesichtes 51.
— des Kopfes 51, 63.
— Mechanismus des 504.
Durchschneiden des Kopfes
231.
Durchtrennung der Schliess-
muskel der Scheide 874.
Dünndarmscheidenfisteln
871.
Dysenterie 438, 441.
Dysmenorrhoea membrana-
cea 221, 224, 331.
Dysmenorrhoea stenotica
" 679.
Dysmenorrhoe 164,527,861.
— Behandlung der 528.
— Ursachen der 528.
Dystopia renis 896.
E.
Ecchymoma lymphaticum
646.
Echinococcen im Becken-
bindegewebe 614.
— in der Blase 123.
— d. Dünndarmblasenfisteln
117.
— der Leber als Schwan-
gerschaftscomplication
743.
— der Niere 615.
— im Urin 109.
Ectoderm 255.
Edelmann' scher Galvano-
meter 322, 435.
Eierstöcke 3.
Eierstocksschwangerschaft
240.
Eihäute, Anomalien der 890.
Eihautstich bei künstlicher
Frühgeburt 271, 272.
Eihüllen 257.
Eileiter 3.
Einbiegungen, rinnenförmige
des Kindskopfes 63.
Einblasungen von Mund zu
Mund 56.
Eindrücke, löffeiförmige des
Kindskopfes 63.
Einfluss der Beckenanoma-
lien auf Schwangerschaft
und Frucht 61, 64.
— interner Krankheiten auf
die Gravidität 437.
Einkeilung der Zwillinge
930.
Einkindersterilität 317.
Einleitung 3.
— des künstlichen Abortus
25.
— der künstlichen Früh-
geburt 269.
Einrisse des Fronulums, 183.
Einschränkung der inneren
Untersuchung 39, «32.
Einspritzung von Wasser
zwischen die Eihäute 275.
Einspritzungen s. Injectionen
Eisenbäder 319.
Eiterrctentionen in der Ge-
bärmutterhöhle 717.
Eklampsie 202.
— Accouchcment forco bei
27.
— Aetiologie203, 553, 708.
— Anatomische Befunde
205.
— Diagnose 205.
— Frühgeburtseinleitung
bei 268.
— hämatogene 203.
— Häufigkeit 205.
— Nachkrankheiten 205.
— Prognose 205.
— reflectorische 203.
— Symptome 204.
— Therapie 206.
— Zangenoperation bei 916.
Ektopia cordis 894.
— testis 896.
— — cruralis 896.
— — cruro-scrotalis 896.
— — inguinalis 896.
— — perinealis 896.
pubica 896.
— vesicae urinariae 113,
894.
Ektopische Schwangerschaft
234.
Ektropium cervicis 160.
— der Portiolippen 218.
Ekzema areolae mammae
254.
— papillae mammae 253.
Electrode, active 322, 436.
— inactive 323, 436.
Electroden, "Wirkungen der-
selben 324.
Electrotherapie
— bei Adnexenschwellungen
331.
— bei Amenorrhoe 331.
— bei Dysmenorrhoe 331.
— bei Endometritis 224,
327, 331.
— bei Metritis 331.
— bei Metrorrhagien 332.
942
SACHREGISTER.
Electrotlierapie
— bei Myomen 329, 332.
■ — bei Ovarie 332.
— bei Para-Perimetritis 98,
331.
-^ bei Pruritus vulvae 332.
— bei Stenosen des Cervix
332.
— bei Subinoolutio uteri
332.
— bei Superinvolutio uteri
332.
— bei Yaginismus 332.
Elemente, galvanische 433.
Elevation des Uterus 856,
867.
Elytritis = Kolpitis
Elytrorrhapia anterior 686.
EmbryonalÜeck 898.
Embryotomie 210.
— Ausführung 210.
— Indicationen 210.
Emmenagoga 526.
Emmet'sche Operation 163.
Encephalocele 892.
Enchondrome desBeckensTl.
Eudokolpitis 479.
Endometritis 91, 211, 737.
— post abortum 213, 224.
— durch Aetzmittel 213.
— atrophicans 221.
— Behandlung der 176.
— cervicis 159.
— chronische 217.
— deciduae 737.
— diffuse 200.
— Disposition zum Abort 1 6 .
— durch Eitererreger 212.
• — Electrotherapie bei 224,
327, 331.
— exanthematica 439.
— exfoliativa 221.
— glanduläre 136, 220.
— durch Gonococcen 212.
— gonorrhoische 215, 309.
— haemorrhagica 439.
— durch acute Infections-
krankheiten 212, 225,
439.
— influenzae 439.
— interstitielle 220.
— oophorogene 213.
— puerperale 213.
— putride 214.
— saprogene 214.
Endometritis als Schwanger-
schaftscomplication 737.
Endometritis senilis 221.
— sub partu septica 914.
— septische 213.
— syphilitische 858.
— durch Tuberkelbacillen
212, 224.
— durch Vergiftungen 213.
Endometrium 6, 219.
Endoskop von Pawlik 414.
Engastrius 900.
Enge der Urethra, abnorme
895.
England
— Hebammenwesen in 369.
— Mehrgeburten in 923.
— Ovariotomien in 572.
— S.ymphyseotomien in 772.
Englische Methode der Früh-
geburteinleitung 272.
Entbindung 226.
— gewaltsame 26.
Entenschnabelspeculum 398.
Enthirnung 481.
Entoderm 255.
Entstellung der Krebsge-
schwülste, Theorien über
137.
Entstehung derOsteomalacie.
Theorien über 559.
Entwicklung der Frucht 254.
— der Früchte bei mehr-
facher Schwangerschaft
927.
Entwicklung des nachfolgen-
den Kopfes 508.
Entwicklungsiehler des Be-
ckens 63.
Entwicklungshemmungen
der Müller'schen Gänge
102.
Entwicklungsmodus der Ova-
rialcysten 578.
Enucleation von Myomen
533.
— intraabdominale 490.
— intraperitoneale 494.
Enuresis nocturna 124.
Epigastrius 900.
Epignathus 900.
Epilepsie im Puerperium
717.
Episiotomie 192.
Epispadie 111, 895.
Epithel, in Ovarialtumoren
155.
— der Portio 142.
Epithelialgeschwülste des
Eierstockes 155.
Epithelien der Blase im Urin
109.
Epithelwucherung bei Cer-
vixcarcinom 143.
Epoophoron 616.
Erbrechen, unstillbares 377.
Ergotinin'äparate 131, 277,
527, 528, 879. "
Ernährung durch eine Amme
199.
— des Neugeborenen 640.
— Schwangerer 194.
Eröffnungsperiode 226, 227.
Erosion der Portio 146, 218,
307.
— einfache 160, 675.
— folliculare 160.
— papilläre 160.
Erschütterungen des Uterus
890.
Erweichung, myxomatöse
— der Fibrome 241.
Erweiterung des Cervix, In-
strumente zur 201, 422.
— des Cervix durch Quell-
mittel 201, 274, 453,
660.
Erweiterung des äusseren
Muttermundes 753.
Erysipel der Genitalien 441.
— der Scheide 477.
Erysipelas puerperale inter-
num 441.
Erythema papillae mammae
253.
Eventratio 894.
Eversio vesicae 111.
Excerebratio 481.
Excision der Cervixschleim-
haut 161.
— des Hymens 873.
— der Portio 162.
— — kegelmantelförmige
162.
— — keilförmige 162.
Excochleatio. uteri 452.
Exenteration 210.
Exostosen des Beckens 71.
Expression bei Beckenend-
lagen 90.
SACHREGISTER.
943
Exstirpatio uteri parasacra-
lis 151.
— — perinealis 151.
— — sacralis 151.
— — totalis vaginalis
149, 691.
Exstropliia vesicae 111.
Exsudate s. „Beckenexsu-
date".
Extraction 502, 512.
Extraction des perforirten
Kopfes 485.
Extraperitoneale Stielbe-
liandlung 490, 591.
— Antisepsis bei der 50.
— bei Ovarialtumoren 574.
Extrauterine Myotomie 535.
Extrauterinscliwangerscliaft
234.
— Diagnose 237.
— als Geburtscomplication
746.
— Prognose 239.
— als Schwangerschafts-
complication 746.
— Therapie 239.
— wiederholte 237.
Extremitäten
— Hemmungsmissbildungen
der 895.
■ — Verletzungen der 885.
— Yorfall der 907.
F.
Facialisparese 882.
Facultative Sterilität 757.
Falsches Wasser 229.
Fascia perinei propria 10.
Fehlgeburt 14.
Fetthernien 613.
Fibrinöse Polypen 19.
Fibröse Hypertrophie des
äusseren Muttermundes
723.
Fibroma papilläre cartila-
ginescens 145, 857.
— lymphangiectodes 857.
Fibrome 241.
— der Bauchdecken 242.
— Entstehung der 242.
— der ligamenta lata 253.
— der ligamenta rotunda
252.
— der Ovarien 252.
— der Scheide 242.
Fibrome der Tuben 252.
— der Urethra 853.
— des Uterus 243.
— Veränderungen der 241.
— der Vulva 242.
Fibrosarkome des Uterus
857.
Filaria sanguinis bei Cystitis
109.
Fissura abdominalis completa
894.
— • — vesico-genitalis 894.
— sterni 894.
— vesicae inferior 111.
— — • superior 111.
— vesico-umbilicalis 111.
Fissuren der Mamma 253.
Fistula colli congenita 894.
Fleischmolen 18.
Flexionen des Uterus 860.
Foetale Erkrankungen 890.
Foetus, habituelles Abster-
ben des 267.
— in foetu 900.
- — papyraceus 768.
— Wachsthum des 258.
— Wachsthumsstörungen
des 888.
Follicularcysten 576.
Fontanellen 550, 837.
Fonticuli laterales anteriores
550.
— Iateralesposteriores550.
Fornix vaginae 4.
Fossa ischiorectalis 10.
Fracturen der Beckenkno-
chen 71, 884.
— der Extremitäten 883,
885.
— des Humerus 883.
— der Kiefer 882.
— des Nasenbeines 882.
— des Schädels 881, 884.
— des Schlüsselbeines 883.
Frankreich
— Gynaeko-electrotherapie
in 321.
— • Hebammenwesen in 367.
— Mehrgeburten in 923.
— Myomoperationen in
490, 533.
— Ovariotomien in 572.
Französisches Schloss 383.
Fraueuleiden, Prophylaxe
der 692.
Fremdkörper in der Blase
122.
— der Scheide 871.
Frenulum clitoridis 3.
— Einrisse ins 183.
— ■ hiI)iorum 3.
Frequenz des Abortus 20.
— der Beckenendlagen 84.
— der Gonorrhoe 290.
— der Selbstwendung 751.
Freund'sche Openitioii 151,
821.
Frucht, Stadien der Ent-
wicklung 258.
— -entwicklung 254.
kalter 853.
hof 898.
lagen 260, 827.
— Wachsthumsstörungen
der 888.
— -wasser 288.
Frühgeburt 14.
— künstliche 25.
— — Prognose 270.
Methoden der 271.
— ■ — Indicationen 266.
— spontane
Behandlung 282.
— • — Prognose 282.
— — Symptome und Ver-
lauf 281.
— — Ursachen 279.
Fusslagen 84, 262.
G.
Galactorrhoe 489.
Galactostase 489.
Gallensteine " während der
Gravidität 442.
Galvanometer 322, 435.
GalvanischerStrom,Wirkung
des 323.
Gangraen von Fibromen 241 .
— der Scheide 480.
Gastroschisis 894.
Gebärmutter 3.
Geburt s. „Entbindung."
— bei Eklampsie 205.
— bei Hängebauch 340.
— verschleppte, bei Quer-
lage 722.
Geburtshilfliche Untersu-
chung 824.
944
SACHREGISTER.
Geburtsoomplioationen 736.
Gebiirtscomplicationeu bei
inehrfaclier Schwanger-
schaft 930.
GeburtsKeschwulst 284.
Geburtshilfliche Taschen 390
(Teburtsniechanismus 8 6 ,
229, 233.
Gefässe s. „Bhitgefässe".
Gehirnhyperaemie während
der Gravidität 442.
Gehirntumoren während der
Gravidität 442.
Geistesstörungen im Puer-
perium 717.
Gelenlisrheumatismus wäh-
rend der Gravidität 442.
Genitalien weibliche 3.
— Bilduugsfehler der 747.
— Carcinom der 136.
— Gonorrhoe der 290.
— Pflege der 195.
— Rückbildung der 198.
— Tuberculose der 810.
Geschichte der Gonorrhoe
291.
— der Myomoperationen
490.
- der Ovariotomie 571.
— derSymphyseotomie769.
— der üterusexstirpatio-
nen 151.
Geschlechtsbildung
— Ursachen der 174.
Gesichtslagen261, 287, 840.
— Diagnose der 288.
— Mechanismus der 287.
— Therapie 289.
Gesichtsspalte 894.
(Gewicht eines reifen Neu-
geborenen 638.
— unreifen Neugeborenen
646.
Glückshaube 228.
(xonococcen bei Beckenex-
sudaten 92.
— bei Cervixkatarrh 159.
— bei Cystitis 109.
— bei Endometritis 212,
214, 215.
— Färbungen 292.
— Form 292.
— Giftwirkung der 298.
— - Mischinfection 295.
— bei Parametritis 607.
Gouococcen
— bei Perimetritis 621.
— Vorkommen in den weib-
lichen Genitalien 297.
— Züchtungen 292.
Gonorrhoe
— Bacteriologie der 292.
— der Bartholin'schen Drü-
sen 61, 302.
— Bäderbehandlung der
319.
— des Cervix 159, 307.
— Coniplicationen der 297.
— allgemeine Diagnose 315.
— Formen der 299.
— Frequenz der 297.
— der weiblichen Genita-
lien 290.
— Geschichte der 291.
— • Latenz der 296.
— Metastasen der 297.
— allgemeine Prognose 316.
— Prophylaxe der 298.
— der Scheide 304.
— locale Therapie 318.
— der Vulva 300.
— der Tuben 310.
— der Urethra 299.
— Ursachen der Infection
296.
— des Uterus 307.
— und Wochenbettfieber
295.
Gonorrhoischer Cervixka-
tarrh 159, 307.
Gonorrhoische Endometritis
215, 309.
— Infection 296.
bei Kindern 303.
— Kolpitis 476.
— Metritis 309.
— Oophoritis 314.
— Parametritis 314.
— Perimetritis 314.
Salpingitis 310.
— Urethritis 299.
Gossypium, Extr. fluid. 527.
Graafsche Follikel 603.
Gravidität s. „Schwanger-
schaft".
Gravi ditas abdominalis 234.
— interstitialis 234.
— tubaria 234.
— tubo-abdominalis 234.
Graviditas tubo-ovarica 234.
Grösse des Kindskopfes 269.
Grösserwerden der Brüste
während der Schwanger-
schaft 734.
Grundzüge der Asepsis 48.
Güte der Frauenmilch 487.
Gynaekologische Untersu-
chung 841.
Gynaeko-Electrotherapie
'321.
— Anwendung der 331.
— Apparate zur 434.
Gynatresien 104, 336, 744,
747.
H.
Haematokele retrouterina
236, 332.
Haematokolpos 336.
— lateralis 870.
Heamatometra 104, 336.
Haematoma dissecans 804.
— labii minoris 806.
— musculi sternocleidoma-
stoidei 882.
— polyposum urethrae853.
— vaginae 804.
— vulvae 804.
Haematome der Leber 883.
— der Scheide 871.
Haematosalpinx 29, 336.
Haemophilie während der
Gravidität 442.
— bei Neugeborenen 521.
Haemorrhagische Tuben-
nekrose 814.
Hängebauch 339.
Häufigkeit des Abortus 20.
— der Beckenendlagen 84.
— der Eclampsie 205.
— der Gonorrhoe 319.
— der Kraniotomie 482.
Hallucinatorische Verwirrt-
heit 713.
Haltung der Frucht 720.
Handgriff von Crede 59, 134.
— von Kiwisch 509.
— von Mauriceau 509.
— von Prager 509.
— von Smellie 508.
— vonWiegand-Martin 510.
Handgriffe
— Untersuchung durch
äussere 828.
SACHREGISTER.
945
Handgriffe
— Wendung durch äussere
905.
Hamfisteln 340.
Harnleitercervixfisteln 340.
Harnleitergebärmuttorfisteln
344.
Harnleiterscheidenfisteln
340.
Harnröhre s. „Urethra"
Harnröhrenscheidenfisteln
340.
Harnverhaltung 124.
Hasenscharte 893.
Hautmusk elplatte 255.
Hautpflege Neugeborener
636.
— Schwangerer 195.
Hautthätigkeit 197.
Hebammenwesen
— in Amerika 369.
— in Belgien 368.
— in Deutschland 46, 364.
— in England 369.
— in Frankreich 367.
— in Holland 369.
— in Italien 369.
— in Oesterreich 344.
— in Eussland 369.
— in der Türkei 370.
— in Ungarn 363.
Hegar'sches
Schwangerschaftszeichen
735.
Hegar'sche Untersuchungs-
methode 581.
HeiratenGonorrhoischer3 2 0 .
Hemicranie 892.
Hemicephalie 892.
Hemmungsmissbildungen
891.
Heredität der Carcinome
138.
Hermaphroditismus 104,
891, 897.
— bilateralis 897.
— spurius 897.
— transversalis 898.
— verus alternans 897.
— verus lateralis 897.
- — unilateralis 897.
Hernia cerebri 892.
— funiculi umbilicalis 542.
— ovarica abdominalis 605.
— ovarica ischiadica 605.
Hernien 885.
— Entstehung der — bei
Graviden 885.
Herpes areolae papillae 253.
Herpetisch-vesiculöse Kol-
pitis 475.
Herzfehler 442.
Hilus ovarii 7.
Hinterhauptsbein-Stellung
839.
Hinterscheitelbeineinstellung
370, 838.
Hinterscheitelbeinlagen 370.
Histologie des Ovariums 603,
605.
— der Tuben 813.
— des Uterus 854,
— der Uterusschleimhaut 5,
219.
Histologische Abstammung
der Carcinome 136.
— der Fibrome 241.
— der Ovarialtumoren 576.
Hochstand des Gesichtes 922.
Hochstand des Schädels 921.
— der Stirne 922.
Hohe Amputation 148, 151,
678.
Holorachischisis 893.
Holzessigätzungen 161.
Horizontale Septa der Blase
113.
Hufeisenniere 896.
Hydatide, Morgagnische 101.
815.
Hydramnios 26, 372.
— relatives 264.
Hydrastininin 224.
Hydrastis canadensis 224,
527.
Hydrencephalie 893.
Hydrocele colli congenita894
Hydromeningocele 893.
Hydrometra 337.
Hydrouephrose 144.
Hydroparasalpinges 617.
Hydrops folliculorum Graafii
576.
Hydrops ovariorum proflu-
ens 583.
Hydi'orrhoea uteri gravidi
375.
Hydrosalpinx 29, 814.
Hydrotherapie bei Gonorr-
hoe 319.
Bibl. med, "Wissenschaften I. Geburtshilfe und Gynaekologie.
Hygiene der Sexualorgane
697.
Hygroma rcctovaginale 871.
Hymen 4.
Hymen, Excision des 873.
Hyperacmie der Uterus-
mucosa 213, 227.
Hyperemesis gravidarum
376.
Hypertrophie der Blase 121.
— des Cervix 855.
— des Muttermundes 723.
— der Portio vaginahs 675,
853.
— des Uterus 855.
Hypoplasie 891.
Hypospadie 104, 895.
Hysterectomie 493.
Hysterie 437, 443, 567.
Hysterophore 426, 631.
I,
Ichtyoltherapie 610, 625.
Ichthyosis uteri 221.
Icterus afebrilis neonatorum
911.
— während der Schwanger-
schaft 443.
Impressionen des Schädels
— löffeiförmige 881.
— rinnenförmige 881.
Inactive Electrode 322.
Inclusio foetalis 900.
Incontinentia urinae 847,
848.
Indicationen zum künstlichen
Abortus 25.
— zumAcchouchementforce
27.
— zur Amputatio alta 638.
— zur Amputatio colli 674.
— zur Castration 157, 566.
— zum Curettement 170,
223, 452.
— zur blutigen Dilatation
des Cervix 202.
— zur Dilatation des Uterus
200.
— zur Discission 679.
— zur künstlichen Früh-
geburt 267.
— zu intrauterinen Injec-
tionen 450.
— zu intrauterinen Irri-
gationen 449.
60
946
SACHREGISTER.
Indicationen z. Kraniotomie
482.
— zum Kaiserschnitt 466.
— zur Porro'schen Opera-
tion 470.
— zu Prolapsoperationen
684.
— zurSyniphyseotomie785.
— zur Wendung 907.
— zu Zangenoperationen
913.
Inducirter Strom 325.
Infarctus lactei extremita-
tum 646.
Infection, gonorrhoisclie 296,
303.
— puerperale 701.
— tuberculöse 817.
Infiltrate, periurethrale bei
Urethritis gonorrhoica299
Influenza während der
Schwangerschaft 443.
Infusion mit Kochsalzlösung
135.
— Apparat zur subcutanen
388.
Ingluvin gegen Hypereme-
sis gravidarum 378.
Iniops 899.
Injectionen intrauterine 271,
450.
Injectionsflüssigkeit, Wahl
der 451.
Inneres Kephalhaematom
471, 472.
Innere Untersuchung 355,
835.
Insertion der Nabelschnur
540.
— centrale 540.
— laterale 540.
— marginale 540.
— velamentosa 540.
Inspection 841.
— des äusseren Genitales
843.
— Schwangerer 825.
Instrumentarium für die
Blase des Weibes 414.
— für die Blasenfistel-
Operationen 418.
— f. d. Cervixdilatation 42 1 .
' — für Cervixoperationen
419.
— zur Geburtshilfe 379.
j Instrumentarium z.Gynaeko-
j Electrotherapie 322,433.
— zur Gynäkologie 395.
— für die Harnröhre des
Weibes 414.
— für die Laparotomie 423.
— bei Ovariotomie 585.
— für Portio - Operationen
419.
— für die Uretheren des
Weibes 417.
Instrumentelle Reinversions-
versuche 458.
Insulte, apoplectische wäh-
rend der Schwangerschaft
440.
Interne Krankheiten wäh-
rend der Gravidität 437.
Interpolare Stromwirkung
323.
Interstitielle Myome 246.
— Oophoritis 555.
— Ovarial-Blutungen 605.
— Salpingitis 310.
Intraabdominale Enucleation
der Myome 490, 494.
Intraligamentäre Fibrome
252.
Intraligamentär-subseröse
Ovarialtumoren 574.
Intramurale Myome 246.
Intraparietale Myome 246.
Intraperitoneale Methode der
Stielbehandlung 490, 591.
— Ovarialtumoren 574.
Intrauterine Injectionen 271,
450.
— Irrigation 449.
— Katheterisation 271.
— Therapie 448.
— Uterusauswischung 451.
Intrauterinsp ritze, Wahl der
451.
Intrauterin-Spritzen 404.
Inversio uteri 454, 869.
— — acute 457.
— — nicht puerperale 463.
— — puerperale 455.
Irritable bladder 123.
Irrigationflüssigkeiten, Wahl
der 450.
Irrigationskatheter, Wahl des
450.
Ischiopagus 899.
Ischiopubiotomie 791.
Isthmus tubae 7.
Italien
— Hebaramenweseuin 369.
— Mehrgeburten in 923.
— Symphyseotorjienin 771.
Janiceps 899.
Jodglycerintampons 97, 161,
610.
Jodoformgazetamponade
— der Scheide 126.
— des Uterus 132. "
Jodtincturinjectionen, intra-
uterine 222, 451.
Jodtincturpinselungen 97,
610, 625.
Juxtaperitoneale Stielbe-
handlung, 490, 493.
K.
Kaiserschnitt 465.
— (classisch) 465.
— Indicationen 466, 470.
— Prognose 467, 471.
— Technik 467, 471.
— mit supravaginaler Am-
— putation des Uterus 470.
Kalkeinlagerungen in der
Placenta 657.
Katadidyma 899.
Katarrhalische Cystitis 120.
— Endometritis 211.
— Salpingitis 733, 814.
— Vaginitis 481.
Katheterisation, intraute-
rine 271, 275.
Katheterismus der Harn-
leiter 111.
Kathode 324.
Kegelmantelförmige Exci-
sion der Portio 162.
Keilförmige Excision der
Portio 162, 685.
Keimblätter 255.
Keimdrüsen 3, 101.
Keimepithel 604.
Keimesvariation, primäre
Kephalhaematoma, 471,880
— inneres 472.
— äusseres 472.
Kephalokele 892.
Kephalothrypsie 481.
Kephalothryptoren 395,485.
S/VCHREGISTER.
947
Kephalotrib 385.
Kieferverletzungen 882.
Kind, Scli.ädelfissuren des
881.
— Yerletzungen des 880.
Kinderstube 640.
Kleidung der Frauen 695.
— des Neugeborenen 639.
— der Schwangeren 193.
Klemmen 408.
Klimacterium 473.
— Veränderung der Geni-
talien im 525.
Kloakenbildung 895,
Klysopompes 433.
Knickung der Harnröhre
847.
Knie-Ellenbogenlage 842.
Knielagen 84, 261, 262.
Knochenbrücbe s. „Fractu-
ren".
Knocbenveränderungen bei
Osteomalacie 560.
Knoten der Nabelschnur
540.
— falsche, 540.
— wahre, 540.
Körperpflege der Schwan-
geren 195.
Kohlenelectroden 323, 436.
— Verwendung der 325.
Kohlenoxyd 878.
Kohlensäuredouche 272.
Koilotomies. „Laparatomie"
— Instrumente für die 423.
Kolpaporrhexis 805, 871.
Kolpeurynter 388.
Kolpitis 475.
— chronica 305.
— emphysematosa 475.
— erysipelatöse 475.
— gonorrhoica 304.
— granulosa 305.
— gummosa 479.
— herpetisch- vesikulöse 475.
— bei acuten Infections-
krankheiten 475.
— bei Insulten 475.
— luetische 475.
— papillaris 305.
— senilis 475.
— septische 475.
— tuberkulöse 475.
Kolpokleisis 116, 343.
— rectalis 116.
Kolporrhaphia 686, 868.
Kolporrhapia anterior 686.
— mediana 689.
— posterior 687.
Kopf, Wendung auf 905.
Kopfblutgescliwulst471 ,880.
Kopfende der Frucht 25G.
Kopfgeschwulst 284.
— bei engem Becken 62.
Kopfhaut
— Verletzungen der 880.
Kopf kappe der Frucht 256.
Kopflagen 260.
Krampfwehe, tonische 803,
904.
Krampfwehen 904.
— Narkose bei 552.
Kranioklasie 481.
Kranioklast 385, 485.
Kraniotomie 481,
— Häufigkeit 482.
— Indicationen 482.
— Technik 484.
— des nachfolgenden Kop-
fes 512.
Krankhafte Hyperaemie der
Uterusschleimhaut 227.
Krankheiten, interne wäh-
rend der Gravidät 437.
Kranznaht 550.
Krebscachexie 138.
Krebsgeschwülste, Theorien
der Entstehung 137.
Kreuznagel 395.
Kronennaht 550.
Kryptorchismus 896.
Kugelzange 409.
Kyphose, Beckenformen bei
75.
Kyphoskoliose , Beckenfor-
men bei 77.
Kystoma carcinomatosum
155.
— myxoides glanduläre 155.
— proliferum glanduläre
154, 576.
— proliferum papilläre
154.
Kystoskop 414.
Kystoskopie 110, 416.
Labien 3.
Labium leporinum 893.
Lactation 486.
Länge des Kreuzbeines 98.
Längslage 260.
— Kintheilung 260.
— Entstehung 202.
Lage der Frucht 200, 827.
Lageanomalicn der Ovarien
604.
— der Tuben 813.
— der Urethra 848.
— des Uterus 856, 860.
— des graviden Uterus 739.
Lagefehler der Blase 113.
Lager des neugeborenen
Kindes 639.
Lagerung, anatomische von
Adnexentumoren 230.
Lageveränderungen
— bei Adnexentumoren 29.
— bei Beckenanomalien 6 1 .
— der Ovarien 604.
— derScheide,pathologische
870.
Lambanaht 530, 550, 837,
Laparatomie, Asepsis bei 49.
— bei Extranterinschwan-
gerschaft 239.
— bei Haematokele re-
trouterina 335.
— bei Haematometra 338.
— Instrumente zur 423.
— beim Kaiserschnitt 467.
— beiMyomoperationen490.
— bei Ovarialtumoren 584.
— vaginale 535, 875.
— bei Ventrofixatio uteri
874.
Laparotomietische 429.
Laparohysterotomie 490.
Laparomyomotomie 490.
— supravaginale 491.
Lappenbildung bei Ham-
fisteloperationen 342.
— bei der Perineoplastik
626.
— bei Portiooperationen
163, 675.
— bei Prolapsoperationen
683.
Lappenverschluss 896.
Latente Gonorrhoe 307.
Latenz der Gonococcen 295.
Lateroflexionen des Uterus
860.
Lateroversionen des Uterus
860.
60*
948
SACHREGISTER.
Lebensfähigkeit der Frucht
278.
Leclanche-Elemente 433.
Leibbinden 431, 432.
Leopold'sche Griffe 829.
Leptothrixvaginae475, 477.
Leukaemie während der
Gravidität 443.
Leukocythose während der
Gravidität 440.
Leiücorrhoe imKUmacterium
474.
Levator ani 10.
Lex Heintze 291.
Ligamentum infundibiilo-
ovaricum 6, 575.
— infundibulo-pelvicum 8.
— ovaricum 5.
— rotundum 5.
Ligamenta rotunda
— Tumoren der 613.
— Verkürzung der 691,874.
Linea alba, Pigmentation der
735.
Lipome der Bauchdecken
612.
— des Mesenteriums 614.
— retroperitoneale 615.
— der Scheide 872.
— der Tuben 815.
Liquor ammii 258, 259.
— Bellostii 161.
— folliculi 604, 606.
Lithokelyphopaedion 497.
Lithokeliphos 497.
Lithopaedion 497, 891.
— im engeren Sinne 497.
Lithopaedionbildung 235.
Litzmann'sche Obliquität
838.
Locale Amenorrhoe 526.
Local-Hysterie 567.
Lochia cruenta 197. 498.
— sanguinolenta 498.
— serosa 187, 498.
Lochien 187, 497.
Lochiometra 212, 499.
Lockerung der Beckenge-
lenke 72.
— der Symphyse 726.
Löffeiförmige Impressionen
881.
Lösung der Partes condj'-
loideae 882.
Lösung der Placenta mittelst
der Hand 546.
— von Piacentarresten 667.
Luetische Endometritis 858.
— Kolpitis 475 479.
Luftröhren-Katheter 389.
— Luftinfection 47.
Lungenemphysem während
der Gravidität 444.
Lungenentzündungen beim
Puerperalfieber der Neu-
geborenen 712.
— als Schwangerschafts-
complication 445.
Lupus der Urethra 851.
— der Vulva 819.
Lusus naturae 888.
Luxatio coxae congenita
896.
— Beckenformen bei 81.
Lyniphangiectatische Myome
857.
Lysol 878.
M.
Macula gonorrhoica 302.
Maculöses Syphilid des Neu-
j geborenen 797.
■ Magen- und Darmaffectionen
während der Gravidität
I 444.
I Makrostomie 894.
I Malaria während der Gra-
i vidität 444, 801.
1 Mamma 499.
— Entwicklungsfehler der
I 499.
I — Erkrankungen der 500.
Mammakrankheiten 499.
Mangel des äusseren Geni-
tales, vollständiger 895.
— der Harnröhre 847.
— der Ovarien 604.
• — des Uterus 854.
Mangelhafter Verschluss der
Cerebrospinalhöhle 892.
— der Pleuro-Peritoneal-
höhle 894.
Manie während des Puerpe-
riums 717.
Manualhilfe 502.
— • Ausführung 504.
— Methode 508.
Markschwamm 138.
Marksubstanz des Ovariums
604.
Massage beiBeckenexsudaten
97, 610.
— in der Gynaekologie 514.
— Lagerung bei 515,
— Methoden der 516.
— bei Perimetritis 625.
Mastdarm, Untersuchung
durch den 834, 845.
Mastdarmscheidenfisteln 520
Mastitis 501.
Mastodynie 500.
Masturbation 697, 700,847.
Mechanische Ursachen des
Pruritus vaginae 699.
Mechanismus partus 226,
233.
— der Placentaausstossung
543.
Mehrblättrige Specula 401-
Melaena neonatorum 520»
881.
Melancholie im Klimacte-
rium 474.
— während der Lactation
717.
— während des Puerperi-
ums 717.
Menorrhagien 523."
Menstruation 523.
— Schwangerer 826.
Menstruationsbinden 301.
Menstruationsstörungen 525.
Menthol gegen Hypereme-
sis 378.
Mesenterialgeschwülste 614.
— Lipome 614.
— maligne Tumoren 615.
Mesoderm 255.
Mesosalpinx 616.
Mesovarium 7.
Messung des Beckens 98.
Metallelectroden 323.
Metastasen bei Gonorrhoe
297.
Metastasis lactea cruralis
646.
Methoden der Beckenmes-
sung 99.
— des Dammschutzes 189.
— der künstlichen Früh-
geburt 271.
SACHREGISTER.
949
Methoden der Gynaekoelec-
trotherapie 324.
— der Myomoperationen
490, 532.
— der Perineoplastik 620.
— der Portiooperationen
161, 675.
— der Prolapsoperationen
685.
— der Untersuchung, ge-
burtshilflichen 825.
— der Untersuchung, gynae-
kologischen 841.
— der Uteruscarcinomope-
rationen 148.
Metranoicter 201.
Metritis 91, 529, 855.
— acute 529.
— chronische 310, 530.
— dissecans 705.
— Electrotherapie der 331.
— gonorrhoische 309.
— septische 214.
— syphilitische 858.
Metrophlebitis bei Phlegma-
sia dolens alba 652.
Metrorrhagien 858.
— Electrotherapie bei 329,
333.
— Ursachen der 858.
Mikrocephalie 893.
Mikrococcus flavus ureae
pyogenes 119.
Mikromelus 895.
Miliroorganismus der Kitri-
fication 560.
Mikroskopische Beschaffen-
heit der Scheide 869.
Mikroskopische Untersu-
chung in der Gynaekolo-
gie 846.
— des Urins 109.
Mikrosomie 891.
Mikrostomie 894.
Mikrothelie 499.
Milch 486.
— Einfluss der Menstrua-
tion auf 489.
— Güte der 487.
— Mikroskopische Bestand-
theile der 489.
— Quantität der 489.
Milchfieber 489.
Miliartuberkeln 819.
Milzl)rand während der Gra-
vidität 444.
Milzkrankheiten während
der Gravidität 444.
Mischforiiicn der Eklampsia
uraemica und reflectoria
203.
Mischinfection bei Adnexen-
tumoren 30.
— bei Perimetritis 621.
Missbildungen 832, 888.
— der Blase 111.
— doppelte 898.
— Eintheilung der 891.
— durch Entwicklungshem-
mung 891.
— durch excedirende Ent-
wicklung 895.
— durch Vermischung der
Geschlechtscharaktere
892, 896.
— des ganzen Körpers 892.
— des Kindes, Indication
zur Kraniotomie 483.
— durch Lageveränderun-
gen innerer Organe 891,
896.
— der Scheide 748.
— durch excedirendes
Wachsthum 891.
Missgeburten 888.
Missfall 14.
Mitpressen 902.
Mittelfleisch 3.
Mola hydatitosa destruens in-
terstitialis 659.
Monat der Schwangerschaft
828.
Monilia Candida 43.
Monobrachius 895.
Monopus 895.
Mons Veneris 3.
Monstra 888.
Monstra duplicia 898.
— per defectum 891.
— per excessum 891.
— per fabricam alienam 891.
Montgommery'sche Papillen
11.
Morbillen während der Gra-
vidität 445.
— Endometritis bei 212.
— Kolpitis bei 475.
— Salpingitis bei 732.
— Urethritis bei 850.
Morbus Basedowii während
der Gravidität 445.
Morcellement 673.
Morgagni'sche Hydatide 101
Morphin 878.
Morphiiimnarkose bei Ek-
lampsie 209.
— während des Tetanus
uteri 803.
— zur geburtshilflichen Un-
tersuchung 827.
Morsus diaboli 6.
Mucosa uteri 5, 219.
Multiloculäre Ovarialcystc
154, 155.
Mundpflege beim Neugebo-
renen 638.
Mundverletzungen 882.
Musculus ileo-psoas 856.
— recto-coccygeus 9.
— sphincter externus 9.
— transversus perinei pro
fundus 10.
— obturator internus 856.
Muskelatrophie während der
Gravidität 445.
Muskulatur der Harnblase
107.
Muthmaassliche Zeichen der
Schwangerschaft 734.
Mutterkränze 425, 631.
Muttermund
— Enge des inneren 753.
— Oedem des äusseren 9 14.
— Eigidität des äusseren
723.
— Stenose des inneren 165,
166.
— Weite des äusseren 834.
Mutterrohre 432.
Müller' sehe Gänge 7, 101,
813, 854, 897.
Myelitis während der Gra-
vidität 445.
Mj^elomeningocele 893.
Myoma cavernosum 241.
— cj'sticum 241.
— striocellulare 871.
— teleangiectodes 241.
Myome 241.
— der Blase 118.
— des Cervix 247.
— der Scheide 242.
-^ der Tuben 815.
— des Uterus 243.
950
SACHREGISTER.
Myome der Aetiologie 243.
— Diagnose der 248.
— Häufigkeit der 244.
— interstielle 246.
— mjaomatöse Erweichung
der 241.
— Pathologische Anatomie
der 245.
— submucöse 246.
— subseröse 246.
Myomohysterectomie, totale
493.
Myomoperationen 490, 532.
Myomotomie 490, 532.
— vaginale Methoden 533.
Myotomie 490, 532.
Myrtiforme Carunceln 825.
Mj^Koma chorii fibrosum 659.
Myxom der Chorionzotten
659.
Myxomyome des Uterus
857.
iSIabelarterien 258.
Nabelring 258.
Nabelschnur 538.
— Anomalien 538.
— Bruch 542.
— Druck 52.
— Eepositorium 388.
— Torsionen 54 1.
— Umschlingungen 541.
— Vorfall der 833, 907.
— Zerreisung der 883.
Nabelstrang 257.
Nabelvenen 258.
Nachbehandlung der Damm-
risse 184.
— Ovariotomirter 597.
— bei Prolapsoperationen
689.
Nachempfängnis 765, 926.
Nachgeburt 543.
— Aufbewahrung der 357.
Nachgeburtsperiode 226,
231, 543.
— Behandlung der 543.
— Störungen im Yerlaufe
der 545.
Nachgebui'tswehen 2 3 1 , 90 5 .
Nachwehen 901, 905.
Naegele'sche Becken 66.
Nähte am Kindesschädel
550, 837.
Naegele'sche Obliquität 838.
Nahtmaterial, aseptisches
48.
— bei Perineoplastik 630.
Nanosomie 891.
Nanus 891.
Narben als Geburtshinder-
nis 723, 725, 744.
Narkose in der Geburts-
hilfe 551.
— bei Eklampsie 207. i
— bei Ovariotomie 585. '
Nasenbein, Bruch des 882. |
Naturheilung bei Uterusmy- j
Omen 246. \
Naturspiele 888.
Nebeneierstock 7, 575, 616.
Nekrose bei Fibromen 241.
Nephritis gravidarum 553.
Nerven
— des Ovariums 60.
— der Scheide 870.
— des Uterus 854. 890.
Nervus pudendus communis
10.
Neubildungen der Blase 118,
— der Niere 615, 743
— des Ovariums 576.
— paraperitoneal gelegene
611.
— in der Placenta 559.
— im Ketroperitonealraume
615.
— der Scheide 871.
— der Tuben 815.
— des Uterus 856.
Neugebauer'sches Speculum
400, 846.
Neuralgien Schwangerer445.
Neurosen der Blase 123.
Neurose, traumatische 872.
Nicotin 879.
Niere,Tumoren der 615,743.
Nierenaffecttionen Schwan-
gerer 553.
Noma der Scheide 872.
0.
Oberflächliche Dammrisse
180. I
Objective Desinfection der |
Kreissenden 44, 356. |
Objective Schwangerschafts- j
erscheinungen 733. |
Obliquität 838.
Obstipation, habituelle bei
Perimetritis 621.
— während der Schwanger-
schaft 445.
Occlusiv-Pessare 426, 634,
758.
Oedem der Lungen 444.
— des äusseren Mutter-
mundes 914.
— der Uterusfibrome 241.
Oedema lacteum 646.
— puerperarum 646.
Ohrlage 370, 838.
Oidium albicans 43.
Oleum sabinae 877.
— succini 877.
— terebinthinae 877.
— Thuyae 877.
Oligozoospermie 752.
Oophoritis 555.
— foUiculäre 555.
— gonorrhoica 314.
— interstitielle 555.
— serosa 555.
Oophorogene Endometritis
213.
Operation (-en) bei Accou-
chement force 27.
— der Adnexentumoren 32.
— Alexander'sche 691,874.
— bei Blasencervixfisteln
343.
— der Blasenfistel 417.
— der Blasenscheidenfistela
342, 417.
— bei Castratioü 158.
— bei Cervixkatarrh 161.
— bei Cervixrissen 162,
218.
— bei Cervixstenose 166.
— bei Clitoridectomie 167.
— der Dammrisse 183,626.
— blutiger Dilatation des
Cervix 202, 421.
— der Haematocele retrou-
terina 335.
— der Haematometra 202,
338.
— der Inversio uteri 459»
Operation (-en) bei Lapa-
rohysterotomie 490.
■ — bei totaler Myomohys-
terectomie 493.
—bei Myotomie 51,490,533.
SACHREGISTER.
951
Operation
— bei Perineoplastik 626.
— an Portio und Cervix
419, 675.
— des Prolaps der weibli-
chen Genitalien 683.
— • von der Scheide aus 50.
— desScheidencarcinomsl 42 .
— ■ bei Sectio caesarea 467.
— der Spaltbildungen der
Blase 112.
— der Ureterenfisteln 117,
- — bei Urethrakrankheiten
847,849,850,851, 853.
— der Urinfisteln 115.
— der Uterusamputation
nach Porro 470.
— des Uteruscarcinom 148.
— des Uteruspolypen 673.
— des Vulvacarcinoms 140.
Operationsmethoden bei ope-
rablen Carcinomen der
weiblichen Sexualorgane
148.
Operati onsspecula 399.
Operationstische 427.
Orificium urethrae 3.
— uteri internum, externum
5.
— vaginale 3.
Osteomalacie 558.
— ■ Aetiologie 559.
— Beckenformen bei 70,
562.
— Blutveränderuugen bei
564.
— Diagnose 564.
— Harnveränderungen bei
664.
— Pathologische Anatomie
560.
— Prognose 564.
— Symptome 562.
— Therapie 565.
Ostium
— tubae abdominale 7.
— vaginale 3.
Ovarialcysten 576, 583.
— Berstungen von 588,742.
— Diflferentiadiagnose 249.
— Durchbruch in die Blase
117.
Ovarialtumoren, Allgemein-
erscheinungen der 579.
— Diagnose der 581.
Ovarialtumoren, Pathologi-
sche Anatomie der 576.
— während der Schwanger-
schaft 742.
Ovarie 567.
— Electrotherapie bei 332.
Ovarien, Lageveränderungen
der 604.
Ovarientuberculose 821.
Ovariocystitis 580.
Ovariotomia duplex 596.
Ovariotomie 571.
— Bauchschnitt 585.
— Complicationen bei der
588.
— Geschichte der 571.
— -Nachbehandlung 600.
— Narkose 585.
— ■ Stielbehandlung 591.
— Toilette des Peritoneums
594.
— • von der Yagina aus 597.
— Verlauf nach 597.
— Vorbereitungen zur 584.
Ovarium, Anatomie 575,603.
— Atrophie 604.
— Bildungsfehler 604.
— Blutungen in das 605.
— Carcinom 154.
— Defect 103.
— kleincystische Degenera-
tion 29.
— Fibrome 252.
— Fibromyome 252.
— Histologie 603, 605.
— Topographie 575.
Ovula Nabothi 160, 218.
Ovulation 171, 524, 605.
Oxyuris 699.
P.
Palatoschisis 893.
Palpation
— des Abdomens 827.
— der Blase 109.
— dss Uterus 843.
Papillärer Cervixkatarrh
218.
Papillome der Scheide 872.
— der Tuben 815.
— der Urethra 853.
Paracystitis 121.
Parametritis 91, 606,
— Aetiologie 607.
— clironicaatrophicans608
Parametritis als Geburts-
complication 738.
— Pathologische Anatomie
608.
— Symptome 92, 608.
— gonorrhoica 314.
— posterior 335.
— Therapie 96, 610.
Parametrium 6.
Paraperitoneal tumoren 611.
Parasiten, thierische der
Blase 109.
Parasitischer Thoracopagus
900.
Parese des Facialis 882.
Parovarialcysten 577, 617.
— Entfernung der 618.
Parovarialtumoren 616.
— Diagnose der 617.
Pars infravaginalis cervicis
6, 682.
— media cervicis 6, 682.
— supravaginalis cervicis
6, 682.
Partes condyloideae, Lösung
der vom Hinterhauptbein
882.
Partielle Spaltung des
Penis 895.
Partus conduplicato corpore
750.
Partus praecipitatus 618.
Pathologische Anatomie
— des Carcinoms der weib-
lichen Genitalien 139,
141, 142, 154.
— des Cervixkatarrhs 160.
— der Endometritis 220.
— der Haematokele retrou-
terina 332.
— der Kolpitis 475.
— der Metritis 530.
— der Ovarialtumoren 576.
— der Parametritis 608.
— der Rigidität des äusse-
ren- Muttermundes 723.
— der Uterusmyome 245.
— derWinckel'schenKranlv-
heit 913.
Pathologisches Scheidense-
cret 43.
Penis, rudimentäre Entwick-
lung des 895.
— Stempelwii'kungdes 172.
Percussion d. Abdomens 841.
952
Percussion der Blase 109.
— Schwangerer 826.
Perforation 484.
Perforativ-Trepans 387,
Pericystitis 121.
Perimetritis 91. 620.
— scortorum 294.
— Therapie der 623.
Perimetrium 6.
Perineoplastik 626.
' — Ausführung der 630.
— Methoden der 627.
— ISTahtmaterial bei 630.
Periueorraphie 868.
Perineum 3.
Periophoritis 622.
Peritonealepithel 49.
l'eritonealhöhle, Blutungen
in die 883.
— Drainage der 50, 595.
Peritonitis als Geburtscom-
plication 739.
— gonorrhica 314.
Periurethrale Infiltrate 299.
Perivaginitis dissecans 480.
Peromelus 895.
Pes calcaneus 896.
— equinovarus 896.
— valgus 896.
Pessarien 425, 631.
— Application von 633.
Pfeilnath 550.
Pflege der Augen des Neu-
geborenen 637.
— der Brüste 195.
— der Haut des Neuge-
borenen 636.
■ — des Körpers während
der Schwangerschaft 195.
— des Mundes des Neuge-
bornen 638.
— des Nabels 634. ■
— des Neugeborenen 634.
Phagocytentheorie 705.
Phlebitis umbilicalis 709.
Phlegmasia alba dolens 646,
705.
Phlegmone der Schenkel im
"Wochenbett 646.
Phocomelus 895.
Phosphor 879.
Physometra 337, 823.
Pigmentation der Linea alba
während der Schwanger-
schaft 734.
SACHREGISTER.
[ Pilocarpin 277, 879.
Pincetten 409.
jPiskacek's Katheter 407.
jPlacenta 256.
j — Anomalien und Er-
krankungen der 657.
— Apoplexien der 658,
— Atelectase der 657.
— Entzündungen 658.
— mehrfache 657.
— Neubildungen der 659.
— Oedem der 658.
— Sitz der 829.
— sjqjhilitischerFrüchteSOl.
Placenta praevia 661, 908.
— Blutungen bei 128.
— Diagnose der 662. •
— Symptome 661.
— Therapie 663.
— Ursache der 661.
Placentae succenturiatae
546.
Placentarlösung
— Ausführung der 131.
Placentarpolypen 7 9 .
Piacentarreste 665.
Plattenförmige Specula 398.
Pleurahöhle
— Blutungen in die 883.
Plicae palmatae 5.
Pneumococcus
— bei puerperaler Infection
701.
Pneumonie
— während der Gravidität
445.
Poley 877.
Polydactylie 896.
Polyhydramnie 372.
Polymastie 896.
Polypen des Uterus 136,
669, 858.
— Diagnose der 671, 672,
674.
— Symptome 670, 672.
— Therapie 671, 673,674.
Polypenzangen 409.
Polypöses Cervixmyom 299.
Polythelie 896.
Portiocarcinom 142.
Portio-Operationen 675.
Praeputium clitoridis 3.
Primäre Beckenendlage 504.
— Keimesvariation 889.
Primitiver Darmcanal 255.
Primordialniere 101.
Probetampon 222.
Prognose des Abortus 21.
— der Asphyxie des Neu-
geborenen 54.
— der Atonia uteri 58.
— der Beckenexsudate 96.
— der Blasenmole 660.
— des Carcinoms der weib-
lichen Genitalien 140,
148, 157.
— des Cervixkatarrhes 159.
— der Coccygodynie 168.
— der Cystitis 121.
— der Eklampsie 206.
— der Endometritis 222.
— der Extrauterinschwan-
ger schaff 239.
— der Fruchtlagen 89,289.
271, 722, 759, 888.
— der künstlichen Frühge-
burt 270.
— der spontanen Frühge-
burt 282.
— der Gonorrhoe der weib-
lichen Genitalien 316.
— der Haematokele retro-
uterina 334.
— der Harnfisteln 341.
— des Kaiserschnittes 469,
— der Osteomalacie 564.
— der Perimetritis 623.
— der Phlegmasia alba dolens
654.
— der Placenta praevia6 62.
— der Puerperalpsychosen
716.
— der Querlagen 722.
j — der Sj'mphysenrupturen
! 727.
i — der Urinfisteln 115.
I — der Uterusfibrome 251.
1 — des Vaginismus 873.
! Progressive Paralyse wäh-
I rend desPuerperiums 717.
i Prolaps 680.
1 — der Urethralschleimhaut
I 850.
I — des Uterus 682,856, 868.
I — der Vagina 681.
I Prophylaxe
- gegen die Carcinome der
weiblichen Sexualorgane
138.
- der Frauenleiden 692.
1
SACHREGISTER.
.ji)i}
Prophylaxe
— der Gonorrhoe 298.
— bei Harnfistehi 341.
— der Oophoritis 557.
Prophylactische Desini'ectioii
39.
Prosoposchisis 893.
Prosopothoracopagus 900.
Proteus Hauseri 42, 120,
214.
Pruritus vaginae et vulvae
698.
— — — — Symptome
des 700.
— — — — Therapie des
700.
Pseudo-Hermaphroditismus
897, 898.
— masculinus completus
898.
— — externus 898.
■ — — internus 898.
Pseudomyxome des Perito-
neums 155.
Pubiotomie 769.
Puerperal-Infectiou 701.
Puerperale Inversio uteri
455.
Puerperaler Tetanus 708.
Puerperalfieber des Neu-
geborenen 708.
• — Symptome und Verlauf
711.
— Therapie 712.
Puerperalpsychosen 713.
Putride Endometritis 214.
Pyelitis puerperalis 446.
Pygopagus 899.
Pyogene Bacterien bei Cys-
titis 119.
Pyometra 717.
Pyosalpinx 609.
Q.
<5uecksilber 879.
Quecksilberbehandlung bei
Syphilis Schwangerer 802 .
Quellmeissel 422.
Quellmittel, bei Frühgeburt
274.
Quellstifte 422.
Querdurchmesser desBecken-
ausganges,Bestimmung des
92.
Querlagen 263, 719.
Querlagen
— Diagnose der 720.
— Entstehung der 263.
Querstand, hoher, des kind-
lichen Schädels 918.
— tiefer, des kindlichen
Schädels 839, 918.
R.
Rachischisis partialis 893.
— totalis 893.
Rectaluntersuchung 834,
845.
Reflexerscheinungen bei Ge-
nitalaffectionen 437.
— bei Uteruspolypen 670.
Regressive Veränderungen
der Genitalien 473.
Reifgeborenes Kind, Pflege
des 634.
Reinigung der Untersuchen-
den, subjective 44.
Reinversion 458.
— instrumenteile 458.
Reinzüchtung der Gono-
coccen 293.
Resistenz
— des Beckenbodens 916.
Retentio der Decidua vera
668.
— der Eihäute 667.
— der Placenta 548, 665.
— testis 896.
Rectokele 680.
Retrofixatio verticis vesicae
113.
Retroflexio uteri 856. 860.
— Aufrichtung der beweg-
lichen 865.
— Aufrichtung der fixirten
867.
— Diagnose der 865.
Retroflexio uteri gravidi
739.
— Therapie der 739.
Retroperitouealtumoren 611.
Retropositio uteri 856, 861.
Retroversio uteri 856.
— fixirte 867.
Retroversio uteri gravidi
739.
— Therapie der 739.
Rhabdomyoma myxomatodes
der Scheide 872.
Rhachipagus 900.
Rhagaden der Mammilla 2 5 3 .
Pihcostat 322.
Richelot 410.
Ricsenspeculumnach Fritsch
400.
Riesenwuchs, allgemeiner
895.
— partieller 896.
Rigidität des ganzen Cervix
725.
— des äusseren Mutter-
mundes 723.
Geburtsverlauf 724.
Pathologische Ana-
tomie 723.
— — Therapie der 724.
— der Scheide 725.
Rima pudendalis 3.
Rinnenförmige Impressionen
881.
Röhrenförmige Specula 397.
Rudimentäre Entwicklung
des Penis 895.
— des Uterus 854.
Rückenrinne 255.
Rücken Wülste 255.
Rückfällige Scliwanger-
schaftsniere 545.
Rückwärtslagerungen des
Uterus 754.
Rüsselförmige Gestalt der
Portio 754.
Rupturen der Blase 117.
— der Kystome 580.
— der Scheide 870.
— der Symphyse 725.
— — Prognose der 727.
— — Symptome der 726.
■ — — Therapie der 727.
— — Ursachen 726.
— des Uterus 727.
— der "Wirbelsäule. 63
S.
Sacrale Teratome 899.
Salicylsäure 879.
Salpingitis 28, 732.
— catarrhalis 733.
— gonorrhoica 310.
— purulenta 733.
Saphena,
— primäre Erkrankung der
652.
954
SACHREGISTER.
Sapraemie 42, 704.
Saprogene Endometritis 214.
Saprophyten 214.
Sargdeckelkrystalle 109.
Sarkomatöse Polypen 674.
Sarkome
— der Beckenknochen 71.
— des Ovariums 578.
— der Portio 145.
— der Scheide 872.
— der Tuben 815.
— der Urethra 853.
■ — des Uteruskörpers 146,
857.
Schädel,
— Hochstand des kindlichen
921.
— Querstand 839, 920.
Schädelfissuren des Kindes
881.
Schädellage 261.
Schaltwirbelbildung 78.
Schamfugenschnitt 769.
Schamlippen 3.
Scharlach, Endometritis der
212, 225, 447.
— während der Gravidität
447.
— Kolpitis bei 475.
— Oophoritis bei 555.
— Salpingitis bei 732.
— Urethritis bei 850.
— der Wöchnerinnen 447.
Schatz'scheWehencurve 901
Scheel'sche Methode des
Eihautstiches 272.
Scheide 4.
— Anatomie der 869.
— Atresien der 870.
— Carcinom der 141.
— Darmfisteln der 871.
— Diphtherie der 475,478.
— Entzündung der 871.
— Erysipel der 477.
— Fremdkörper der 871.
— Gangrän der 475, 480.
— Gelasse der 870.
— Haematome der 871.
— Hyperaemie der 475.
— pathologische Lagever-
änderungen der 870.
— Lipome der 872.
— Mikroskopische Beschaf-
fenheit der 869.
Scheide
— Myoma striocellulare der
872.
— Nerven der 870.
— Neubildungen der 871.
— Noma der 872.
— Papillome der 872.
— Rhabdomyoma myxo-
matodes der 872.
— Rigidität der 725.
— Rupturen der 870.
— Sarkome der 872.
— angeborene Stenosen der
870.
— erworbene Stenosen der
870.
— Syphilis der 872.
— Tamponade der 274.
Scheidenblasenschnitt nach
Simon 110.
Scheidenirrigationen 59,476.
Scheidenoperationen,
— Desinfectionsverfahren
bei 50.
Scheideurohre 433.
Scheidensecret, normales,
pathologisches 43.
Scheidenspiegel 397.
Scheidensterilisation 707.
Scheidentamponade,
— Technik der 127.
Scheidenrisse,
Blutungen aus 130, 134.
Scheidewände der Blase 112.
Scheitelbeineinstellung 838.
— hintere 370, 838.
— vordere 886, 839.
Schenkelkopf
— Beckenform bei einseiti-
ger Luxation des 80.
— Beckenform bei doppel-
seitiger Luxation der 82.
Schenkelschwellung, weisse,
schmerzhafte 646.
Schenkelvenen, Thrombose
649.
Schleimhaut der Blase 107.
— der Tub? 7.
— des Uterus 6, 219.
Schleimhautpolypen 218,
669.
— Diagnose 671.
— Symptome 670.
— Therapie 671.
Schleimpolypen 218.
Schlüsselbein
— Fractur des 883.
Schlüsselhacken von Braun
387.
Schrägstand des Kopfes beim
Trichterbecken 65.
Schrumpfung der Uterus-
schleimhaut 221.
Schrunden der Brustwarze
500.
Schüttelwehen 230, 901.
Schultz'sche Schwingungen
55.
Schwammhalter 413.
Schwangere,
— Vergiftungen der 875.
— Verletzungen der 884.
Schwangerschaft
— Behandlung der mehrfa-
chen 929.
— Blutungen in der 125.
— Diaetetik der 193.
— Diagnose der 733,
der mehrfachen 928.
— Einfluss des engen
Beckens auf die 61.
— ektopische 234.
— Entstehung der mehr-
fachen 924.
— extrauterine 746.
— Geburtscomplicationen
736.
bei mehrfacher 930.
— Statistik der mehrfachen
923.
— Symptome der 733.
— Verlauf der mehrfachen
928.
Schwangerschaftscomplica-
tionen 736.
Schwangerschaitsniere 203
553.
— rückfällige 554.
Schwangerschaftsrechnung
nach Naegele 173.
Schwangerschaftsstreifen
825.
Schwanzende 256.
Schwanzkappe 256.
Schwellung der Brustdrüsen
bei Neugeborenen 500.
Schwingungen nach Mars-
hall-Hall 55.
— nach Schultze 55.
— nach Silvester 56.
SACHREGISTER.
955
Scirrhus 138.
Scleröses Placentargewebe
657.
Seeale 59, 131, 277, 527,
528, 879.
Section pubienne 769.
Sectionsbefunde s. „Patho-
logische Anatomie".
Secuüdäre Abdominal-
schwangerschaft 236.
Seide als Nahtmaterial 48.
Seitenfontanellen 550.
Seitenhebel nach Simon 400.
Selbstentwickelung 721, 748
Selbstinfection 35.
Selbststeuerung der Wehen-
thätigkeit 900.
Selbstwendung 721, 748.
Septicaemie 42, 704.
Septische Endometritis 213.
— Kolpitis 475, 476.
Septum rectovaginale 4, 8.
— urethrovaginale 4.
— vesico-vaginale 4.
Setangmeissel 201.
Sexualorgane
— Anatomie der weiblichen
3.
— Bildungsanomalien der
weiblichen 101.
— Carcinom der weiblichen
136.
— Hygiene der 597.
Sichelmesser von Schnitze
388.
Silberstäbchen 403.
Silvester'sche Schwingungen
56.
Simon' sehe Methode
— der Perineoplastik 627.
Simpson's Basilist 385.
— Kranioklast 385.
Sims' Speculum 498.
Sinistroflexion des Uterus
860.
Sinus prostaticus 101.
Sirenenbildung 895.
Situs viseerum transversus
896.
Sitz der Placenta 829.
Skoliose
— Beekenformen bei 76.
Skutsch' Beckenmesser 381.
Sondenuntersucbung 846.
Sondirung d. Harnleiter 111.
Soor der Vagina 477.
Spätgeburt 761.
Spaltbildungen derBlasel 1 1 .
— Aetiologie der 112.
— Symptome der 113.
— Therapie der 112.
Spaltung 891.
Spaltungstheorie 898.
Spasmus orificii interni 763.
Spatelhacken vonUIrich 418.
Speeula 397, 845.
— plattenförmige 398.
— röhrenförmige 397.
Speculum von Breus 402.
— CoUin 402.
— Cusco 402.
— von Neugebauer 400.
— Trellat 402.
— -Verschluss 401.
Sphincter vesicae 107, 847.
Spiegelgalvanometer 435.
Spiegeluntersuehung 845.
Spina bifida 893.
Spinae
— Messung der Distanz der
98.
Spitze Condylome 301, 852.
Spondylolisthesis 73.
— Diagnose 74.
Spondyloparembole 78.
Spontane Geburt bei Quer-
lagen 721.
Spontane Uterusruptur 727.
Spülkannen 432.
Stadium acmes der Wehen
901.
— deerementi der Wehen
901.
— incrementi derWehen 901.
Staphyloeoceen bei Beeken-
exsudaten 92.
— bei Cystitis 109, 119.
— bei Endometritis 212.
— bei Perimetritis 621.
— Puerperalfieber des Neu-
geborenen 711.
— bei Puerperalinfeetion
701.
Statistik der Ovariotomie 573
— der mehrfachen Schwan-
gerschaft 923.
— der Symphyseotomie 770.
Steisslagen 84, 261.
— einfache 262.
— gedoppelte 262. 1
Steinkind 497.
Steiss-Kückenlagc 842.
Stellung der Frucht 84.
Stenosen des ganzen Cer-
vicalkanalcs 165.
— des Cervix 723.
Diagnose 165.
— — Prognose 165
— — Therapie 165.
— des äusseren Mutter-
mundes 163. 733.
— — angeborene 163.
— ■ — erworbene 164.
— — relative 164.
— — vorübergehende 164.
— des inneren Mutter-
mundes 165.
— der Scheide 725, 745.
angeborene 870.
— — erworbene 870.
— der Vulva 725.
Sterilität 31,164,317.752.
— Diagnose 756.
— facultative 697, 756.
— Prognose 757.
— Therapie 757.
— Ursachen 752.
Stiel der Ovarialcyste 578.
Stielbehandlung
— bei Laparohysterotromie
491.
extraperitoneale 491.
intraperitoneale 491.
iuxtaperitoneale 491.
— bei Ovariotomie 591.
intraperitoneale 591.
extraperitoneale 592.
Stielnadel von Deschamps
419.
Stirnlagen 261, 759.
— Aetiologie 759.
— Ausgang und Prognose
759.
— Therapie 760.
Streptococcen bei Becken-
exsudaten 92.
— bei Cystitis 119.
— bei Endometritis 212.
— bei Perimetritis 621.
— bei Puerperalfieber des
Neugeborenen 711.
— bei Puerperalinfeetion
701.
Stricturen der Harnröhre
850.
956
SACHREGISTER.
Stricturen des Uterus 904.
Strom, galvanisclier 323.
— inducirter 325.
Stromweclxsler 435.
StructurderNabelsclinur540.
Struma bei Graviden 885.
Sturzgeburt 904.
Sondeauutersucliuug 846.
Sondirung derHaruleiter 111
Soor der Vagina 477.
Subjectiver Zustaud der
frisch Entbundenen 198.
Sublimat 36, 43, 44, 49,
50, 96, 368, 450, 878.
Submucöses Bindegewebe
107.
Submucöse Myome 247.
— der Blase 107.
— der Vagina 869.
Subseröse Myome 247.
Substanz des Uterus 5.
Superföcundation 765, 926.
Superfoetation 756, 926.
Superimpraegnation 926.
Supravaginale Laparoliyste-
rotomie 491.
Suppurative Cystitis 120.
Symphysen,
— Ruptur der 725.
Symphj-senspalt,
Becken mit angeborenem
68.
Symphyseotomie 769.
— • Geschichte der 769.
— Indicationen 785.
— Statistik der 772.
— subcutane 776.
Symptome des Abortus 17.
— der Adncxentumoren 3 1 .
• — der Blasemnole 659.
— der Blasenneubildungen
118.
■ — der Blasenspaltbildungen
112.
— der Blasensteine 123.
— des Cervixkatarrhs 160,
218.
— der Cystitis 120.
— derDeciduaretention 668.
- — desEileitercarcinomsl54.
— des Eierstockcarcinoms
155.
• — der Ecklampsie 204.
— des Endometritis chronica
221.
Symptome der Endometritis
septica 214.
— der Fibrome der Bauch-
decken 242.
— — der Ovarien 252.
— - — der Scheide 243.
— der spontanen Frühge-
burt 280.
— der Ilaematokele retro-
uterina 334.
— der Krebscachexie 138.
— der Metritis 529.
— der Oophoritis 556.
— der Osteomalacie 562.
— der Ovarialtumoren 479.
— der Parametritis 92,
608.
— der Perimetritis 622.
— der Placenta praevia 661.
— des Puerperalfiebers des
Neugeborenen 711.
— d.Scheidencarcinoms 141.
— derSchwangerschaft733.
— der Stenose des äusseren
Muttermundes 164.
— der Tympauianteri 824.
— der Urinfisteln 114, 340.
— des Uterus carcinomsl 47
— der Uterusmyome 247.
— der Uteruspolypen 670,
674, 857.
— derUterus-sarcome 857.
— des Vaginismus 872.
— der Winckerschen
Krankheit 911.
Sympus 895.
Syncephalus 899.
— asymmetros 899.
• — symmetros 899.
Syn Ophthalmie 892.
Synostose der Beckenkno-
chen 72.
Synothie 894.
Syphilis der Knochen 798.
— der Leber 798.
— der Lunge 798.
— des Nabelstranges 797.
— des Neugeborenen 798.
— der Scheide 872.
— der Schwangeren 799.
— der Schwangerschaft,Zei-
chen der 800.
— der Tuben 815.
— des Uterus 858.
— der Vagina 479.
T.
Tabes während der Gravi-
dität 446.
Tait'sche Methode der Peri-
neoplastik 629.
Tamponade bei spontanem
Abortus 22.
— Ausführung der 126.
— der Scheide 127, 274.
■ — des Uterovaginalcanals
132.
Tarnier'sche Basiotrib 385.
Tasche, geburtshifliche 389.
Tasterzirkel vonCollin-Crede
— von Martin 381. ■
Technik der Adnexen-
operation 32.
— der hohen Amputation
149, 679.
— der Ausräumung des
Uterus 125.
— der Castration 158.
• — der Clitoridectomie 167.
— des Curettement 177.
— der Discission 454, 680.
— der intrauterinen In-
jectionen 451.
— der intrauterinen Irriga-
tionen 449.
— des Kaiserschnittes 467.
— der gynaekologischen
Massage 516.
— der Lösung von Piacen-
tarresten 667.
— der Scheidentamponade
127.
— der Uterustamponade
127.
— der Vaginofixation 875.
— der Ventrofixation des
Uterus 874.
Teratome, sacrale 899.
Tetanie während der Gravi-
dität 446.
Tetanus n. Ovariotomie 603.
— puerperaler 708.
— uteri 803.
Theorien über die Ent-
stehung der Krebsge-
schwülste 137.
Therapie bei spontanem
Abortus 21.
— bei Asphyxie des Neu-
geborenen 55.
SACHREGISTER.
957
Therapie d.Bartholinitis 302.
— bei Eeclienanomalien
65, 67, 78.
— bei Beckenexsudaten 90.
— derBlase-Lagefehler 113.
— der Blasenneubildungen
118.
— ■ der Blasenruptur 118.
— der Blasenspaltbildungen
112..
— Blutungen der Geburts-
hilfe 129.
— des Carcinom der weib-
lichen Sexualorgane 139.
— allgemeine 139.
— — ■ des Eierstockes 137.
der Eileiter 154,
— — ■ der Scheide 141.
— — des Uterus 148.
— — der Vulva 140.
— — des Cervixkatarrhs
159, 161.
— der Cervixstenose 165.
— der Coccygodynie 168.
— der Cystitis 122.
— ■ der Eclampsie 207.
— der Endometritis 213,
216, 218.
— der Extrauterinschwan-
gerschaft 239.
— allgemeine, der Gonorr-
hoe 317.
— der Fibrome der Ova-
rien 252.
-r:- der Haematokele retro-
uterina 335.
— der Hinterscheitelbein-
lagen 370.
— des Hydramnios 374.
— der Hyperemesis gravi-
darum 377.
— intrauterine 448.
— der Inversio uteri 457.
— ■ des Kephalhaematom
472.
— der Kolpitis 307, 476,
480.
— der Metritis 530,
— der Myome 490, 532.
— der Osteomalacie 565.
112.
— der Parametritis 610.
— des Partus praecipitatus
620.
— derPelveoperitonitis 623.
Therapie der Placenta prae-
via 663.
— der l'laccntar- und Ei-
hautrestc 669.
— des Pruritus vaginae et
vulvae 700.
— der Pyometra 719.
— des Spasmus orificii in-
terni 764.
— der Sterilität 757.
— der Stirnlagen 760.
— d. Syraphysenruptur727.
— der Syphilis der Schwan-
gerschaft 803.
— der Urethritis 299.
— der Urinfisteln des Wei-
bes 114.
— der Uteruspolypen 671,
673, 674.
— der Vorderscheitellagen
888.
— der Vulvitis 300.
— des Wehensturmes 904.
— der Winckel' sehen Krank-
heit 913.
Thoracopagus 900.
— tribrachius 900,
■ — parasiticus 900.
Thrombosis placentaris 649.
Thrombosis des plexus pam-
piniformis 649.
— der Schenkelvenen 649.
Thrombus vaginae 130,804,
915.
— vulvae 804.
Tiefstand
■ — ■ abnormer des Ovariums
605.
— des Uterus 861.
Tiemann's Kugelzange 409.
Toilette des Peritoneums
49, 594.
Topographie der Harnblase
106.
— der weiblichen Ge-
schlechtsorgane 8, 575.
Torsionen der Nabelschnur
541.
Totale Myomohysterectomie
493.
Totalexstirpation des Uterus
50.
— vaginale, des Uterus
149.
Traubenmole 659.
Traubenmole Aetiologie 6 5 9 .
— Aussehen 659.
— Prognose 660.
— Therapie 660.
Trennung der Beckenge] enko
72.
Trichterbocken 65.
Trichter Hegar'scho 432.
Trismus uteri 904.
Trochantcren
— Messung der Distanz der
98.
Trocken-Operationen 49.
Troicarts 423.
Tubar- Abort 236.
— Diagnose des 238.
Tubardivertikel 812.
Tuben 6, 101.
— Bildunganomalieu 813.
— Blutungen 813.
— Entwicklung der 7.
— Entzündungen 28, 735,
814.
— Histologie der 813.
— Lagenanomalieu der 813.
— Schleimhaut der 7.
— in der Schwangerschaft
813.
— Syphilis der 815.
— Verlauf der 812.
Tubenerkrankungen 8 12-.
Tubentuberkulose 821.
Tuberkelbacillen 109, 119,
212, 817, 819, 821, 822.
Tuberkulose
— des Cervix 829.
— der weiblichen Genitalien
816.
— während der Gravidität
447.
— der Ovarien 821.
— der Tuben 821.
— des Uterus 820.
— ■ der Vagina 819.
— der Vulva 819.
Tuberkulöse
— Endometritis 224.
— Kolpitis 475.
Tub 0-0 varial- Cysten, 29,577
Tumoren der Adnexe 28.
— der Beckenknocheu 71.
— als Geburtscomplication
741.
— der Ovarien 576.
— paraperitoneale611.
958
SACHREGISTER.
Tumoren, retroperitoneale
615.
— als Schwangerschafts-
comi^lication 741.
Tupelostift 200.
Tupfmaterial 48.
Tympania uteri 823.
— Aetiologie der 823.
— Symptome der 824.
— Therapie der 824.
Tympanites uteri 823.
U.
Ueberdrehung 88.
Ueberfrucbtuug 765, 926.
Ueberscliwängerung 765,
926.
Ulcus rotundum vaginae 94.
Unreifes Kind 641.
Unstillbares Erbrechen 376.
Unterbindung der Art. ute-
rinae 497.
Untersuchung bacteriologi-
sche 847.
— des Beckens 98.
• äussere 98.
— — innere 98.
— bei Beckenendlagen 85.
— bei Beckenexsudaten 93.
— in der Geburtshilfe 824.
— InderGynaekologie 840.
— der Hebammen 833,840.
- — mikroskopische 846.
— des Urins 108.
— — chemisch 108.
mikroskopisch 109.
Untersuchungsmethoden bei
Blasenkrankheiten 108.
Untersuchungstühle 427.
Unvollkommene Fusslage 89.
Urachus 539.
Ureter 9.
Urethra, Atresie der 848.
— Bildungsfehler der 847.
• — Carcinom der 853.
■ — Carunkeln der 852.
— Condylome der 852.
— Dilatation der 849.
— Duplicität der 848.
— Enge der 895.
— Entzündungen der 850.
— Fibromyome der 853.
— Fremdkörper der 851.
— Krankheiten der 847.
— Mangel der 847.
Urethra, Neubildungen der
852. '
— Papillom der 853.
— Stenosen der 850.
— Stricturen der 850.
— Varices der 852.
— Verletzungen der Ure-
thralschleimhaut 851.
Urethral umen 849.
— Prolaps der 850.
Urethritis 299, 850.
Urethrokele 849.
Urinfisteln des Weibes 114,
340.
— Aetiologie 114, 340.
— Diagnose 115, 341.
-^ Prognose 115, 341.
— Symptome 115, 340.
— Therapie 115, 340.
Ursachen (s. auch „Aetiol-o
gie").
der Asphyxie des Neu-
geborenen 52.
— der Geschlechtsbildung
174.
— Entstehung des Hydram-
nios 372.
— der gonorhoischen In-
fection 296.
— für Placenta praevia 661.
— des Pruritus 699.
— der Rückbildung des
Uterus post partum 197.
— von Symphysenrupturen
826.
Urwirbel 255.
Usuren desUterus 727, 732.
Uteringeräusche 734, 735.
Uterinstifte 630, 634.
Uterus 853.
— Adenome 858.
— Anteflexio 860.
— Anteposition 861.
— Anteversionen 860.
— Atonie des 56.
— Ausschabung des 452.
- — Auswischung des 451.
— bicornis 854.
— — arcuatus 747.
bicoUis 102.
— — bilocularis 102.
— — septus 102.
— — unicollis 102.
— bilocularis unicollis 102.
— Descensus 868.
Uterus didelphys 102.
— Dilatation des 200
— duplex separatus 854.
— — septus 747.
— Erschütterungen 890.
— Exstirpation des 149,
j 151.
— Flexionen 860.
I — Inversio des 170, 869.
j— Katarrh 211.
— Lageanomalien 739,
I 860.
! — Latero Versionen 860.
— Myome des 243.
■ — — Aetiolgie 243.
Diagnose 246.
Path. Anatomie 345.
— — Prognose 251.
— — Symptome 247.
— Polypen des 669.
— Prolaps des 868.
— Retroflexion 860.
— Retroposition 861.
— Retroversionen 860.
— Sarkom 146, 857.
— septus 854.
— Sinistroflexion 860.
— Spastische Strictur des
904.
— unicornis 103, 747,854.
— Trismus des 904.
— Tuberkulose 820.
— Yaginofixation des 874.
— Ventrofixation des 874.
— Veränderungen während
der Schwangerschaft 11.
— Versionen 860.
Uterusblutungen 857.
Uteruscarcinom 142.
— Diagnose 146.
— Behandlung nicht radical
heilbarer 152.
— Prognose 148.
— Symptome 147.
— Therapie 148.
Uterusdouche, aufsteigende
275.
Uteruskatheter 405.
— nach Bozemann-Fritsch
406.
— Budin 406.
— Piskacek 406.
— Weinhold 406.
Uterusschleimhaut 219.
SACHREGISTER.
959
Uterussonden 402.
- — nach Schnitze 403.
— nach Simpson und
Schroeder 403.
Utriculus masculinus 101.
V.
Vagina 101, 869.
— Bildungsfehler der 870.
— duplex 102.
— Ovariotomie von der —
aus 597.
Vagina-electroden 823.
Vaginafisteln 114, 343.
— tuberkulöse 819.
Vaginale Laparotomie nach
Dührssen 535.
— Myotomie nach Pean
534".
— Total-Exstirpation 149.
Vaginales, Arteriae superi-
ores et posteriores 9.
Vaginatuberculose 819.
Vaginismus 872.
— Behandlung 873.
— Electrotherapie bei 332.
— Prognose 873.
— Symptome 872.
Vaginitis 474. (s. auch „Kol-
pitis".)
— adhaesiva 870.
— gonorrhoica 204.
— ulceröse Form der 870.
Vaginismus 872.
Vaginofixatio uteri 874.
— Technik der 875.
Varices der Blase 448.
— an den unteren Extre-
mitäten während der Gra-
vidität 448.
— der Urethra 852.
Varietäten 888.
Variola während der Gra-
vidität 448.
Vena amphalo-mesenterica
539.
Venenentzündung während
der Gravidität 448.
Venter propendens 339.
Ventrofixätio uteri 874.
Verarbeiten der Wehe 902.
Verdopplung 891.
Vererbung 888.
Vereiterung der Ovarial-
cysten 580.
Vergröcserung des Uterus
während der Schwanger-
schaft 734, 735.
Verhalten der Gonococccn
zu verschiedenen Geweben
294.
Vergiftungen Schwangerer
875.
Verkalkung der Fibrome 241.
Verkleinerung des perforir-
ten Kopfes 485.
Verletzungen
— abdominale 885.
— der Extremitäten 885.
— am Kiefer 882.
— des Kindes 880.
— der Kopfhaut 880.
— am Munde 882.
— Schwangerer 884.
— nach Uterusruptur 731.
Verschleppte Geburt bei
Querlagen 722.
Versionen des Uterus 860.
Verwach sungsthe orie 898.'
Vestibulum 3.
Vitia congenita 888.
Vorboten der Entbindung
226.
— bei Frühgeburt 281.
Vor der scheitelb eineinstel-
lung 838, 886.
Vorderscheitellagen 261,
839, 886.
— Aetiologie der 886.
— Diagnose der 887.
— Häufigkeit der 886.
— Prognose 887.
— Therapie 888.
Vorfall der Nabelschnur
907.
Vorschriften
für Hebammen 347.
Vorwehen 901.
Vulva
— Carcinom der 139.
— Diagnose 139.
- — Fibrom der 242.
— Pathologische Anatomie
131.
— Prognose 140.
— Eigidität der 725.
■ — Symptome und Verlauf
140.
— Therapie 140.
Vulva-lupus 819.
Vulva-tuberculose 819.
Vulvitis gonorrhoica 300.
— traumatica 873.
W.
Wachsthura der Frucht 258.
— von Ovarialcysten 578.
Wachsthumsstörungen 888.
Wahrscheinliche Zeichen der
Schwangerschaft 733.
Wanderleber 583.
Wandermilz 583.
Wege der Infcctionsverbrei-
tung der Gonorrhoe 295.
Weiche Consistenz des Mut-
termundes 734.
Weinhold's Uteruskatheter
406.
Wendung 905.
— durch äussere Handgriffe
905.
— auf das Beckenende 905.
— nachBraxton Hicks 909.
— Combinirte 722, 905.
— auf den Fuss, Indicati-
onen 907.
Bedingungen 908.
— bei Hinterscheitelbein-
lagen 372.
■ — • innere 905.
Wendung durch innere Hand-
griffe 905.
— auf den Kopf, Indica-
tionen 905.
Methode der 906.
— durch Lageveränderung
905.
Wehen 900.
— austreibende 901.
• — Diagnose der 902.
— krampfhafte 904.
— schwache 902. '
— zu starke 903.
— träge 902.
— Verarbeiten der 902.
— vorbereitende 901.
Wehencurve von Schatz 901.
Wehenthätigkeit,
— regelmässige 900.
— regelwidiüge 900.
— Selbststeuerung der 900.
Wehenpause 901.
Wehenschwäche 902.
— Behandlung der 903.
960
SACHREGISTER.
"Wehenschwäche directe 902.
— indirecte 902.
— relative 914.
Wehenstärke, Bedeutung für
tUe Geburt 618.
Weliensturm 904.
— Therapie des 904.
Winckel'sche Krank]ieit909.
— — Aetiologie der 911.
— Pathologische Anatomie
918.
Symptomatologie 911
— — Therapie 913.
Winckel's Kolpitis gummosa
479.
Wirbelsäule,
— Rupturen der 63.
— Zerreissungen d. 63, 882.
Wirkungen der Antiseptica
auf Gravide 877.
— des elektrischen Stromes
323.
— des inducirten Stromes
325.
Wochenbett,
• — Diaetetik des 196.
Wo ienbettfieber,
— Aetiologie des 42, 701.
— und Gonorhoe 295.
Wolff'sche Körper 101, 897.
Wolfsrachen 893.
X.
Xerosis vaginae 305.
Xiphopagus 900.
Z.
Zange von Museux 409.
— am nachfolgenden Kopfe
511.
Zangen 408.
Zangenextraction als Ursache
V. Symphysenrupturen 726.
Zangenlöffel
— Anlegen der 917.
Zangenoperationen 913.
— Bedingungen 916.
— Indicationen 913.
Zeichen der Schwangerschaft
733.
— muthmaassliche, 733.
— sichere 733.
Zeichen d. Schwangerschaft,
wahrscheinliche 733.
Zeit der Befruchtung 173.
Zerreissungen der Nabel-
schnur 883.
— der Wirbelsäule 882.
Zersetzung der Placenta
549.
Ziegler's follikuläre Hyper-
trophie 557.
Zottengeschwülste der Blase
118.
Zottenkrebs der Blase 118.
Zottentransfusionsbezirke
373.
Zug, Methode des manuellen
508.
Zweifel' s Kephalothrypter
385.
Zweigläserprobe 299.
Zwillinge
— r Einkeilung der 930.
— Geschlecht der 928.
Zwillingsschwangerschaft
827, 923.
Zwitterbildungen 896.
K. u. k. Hofbuclidtuckeiei Karl Procliaska in Teschen.
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