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Full text of "Bibliothek der gesammten medicinischen Wissenschaften für praktische Aerzte und Specialärzte"

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in  2010  with  funding  from 

Open  Knowledge  Commons 


http://www.archive.org/details/bibliothekderges04dras 


BIBLIOTHEK 

DER  GESAMMTEN 

MEDICINISCHES  WISSENSCHAFTEN 

PÜK 

PRAKTISCHE  AERZTE  UND  SPECIALAERZTE. 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

HOFRATH  PROF.  DR.  A.  DRÄSCHE  IN  WIEN 

unter  mitwirkung  der  herren 

Prof.  Arnold,  Prof.  Babes,  Dr.  W.  Balser,  Doc.  Baumert,  Dr.  Beckh,  Prof.  Bergmeister, 
DoG.  Bernheimer,  0.  A.  Dr.  Biedert,  Prof.  Birnbacher,  weil.  Prof.  Birnbaum,  Dr.  J.  Boas, 
Prof.  Böke,  Doc.  Brandl,  Prof.  Brandt,  Prof.  G.  Braun,  Doc.  E.  v.  Braun,  Rkdact.  A. 
Brestowski,  Dr.  J.  H.  Brik,  Doc.  Brunner,  Prof.  v.  Buchka,  Prof.  Bürkn'er,  Ass.  Buzzi, 
Prof.  Chiari,  Doc.  Chvostek,  Prof.  Claus,  Doc.  R.  Cohn,  Prof.  Czermak,  Prof.  Dittrich, 
Prof.  Döderlein,  Doc.  Dreser,  Prof.  Droysen,  Prof.  v.  Dühring,  Prof.  Dührssen,  Dr.  O.A. Dr. 
Eichhoff,  Prof.  Elischer,  Prof.  Emmert,  Prof.  Escherich,  Prof.  Finger,  Prof.  Foltanek, 
Prof.  v.  Fodor,  Dr.  E.  Freund,  Prim.  v.  Frisch,  0.  St.  A.  Frölich,  Prof.  Frommel, 
Prof.  G.  Gärtner,  Doc.  Gärtner,  Doc.  Geigel,  Prof.  Geppert,  Prof.  G.  Goldschmiedt,  Doc. 
Gottlieb,  Dr.  Graefe,  Prof.  Hammarsten,  Prof.  Harnack,  Doc.  Heinz,  Doc.  Herzfeld,  Doc. 
Hess,  Dr.  Higier,  Doc.  Hilbert,  Prof.  Hochenegg,  Prof.  K.  B.  Hofmann,  Prof.  Hofmokl, 
Doc.  V.  Hüttenbrenner,  Prim.  Jadassohn,  Doc.  Jaquet,  Prof.  Jändrassik,  Dr.  Jessner, 
Doc.  Irsai,  Doc.  Kaufmann,  Prof.  Kirn,  Doc.  Klein,  Prof.  Klug,  0.  A.  könig,  Prof. 
Kohlschütter,  Doc.  Kopp,  Prof.  Kossel,  Doc.  Koväcs,  Prof.  Kratter,  Prof.  F.  Kraus, 
Dr.  A  Krüche,  Prof.  Kuhn,  Dr.  Ed.  Kurz,  Dr.  Kwisda,  Prof.  E.  Lang,  Doc.  Lassar- 
CoHN,  Prof.  Lesshaft,  Prof.  Lieeermann,  Doc.  v.  Limbeck,  Prof.  Litten,  Doc.  Loos,  Dr. 
Mandl,  Prof.  Maydl,  Prof.  Messerer,  Doc.  R.  Meyer.  Dr.  Mintz,  Prof.  Mosso,  Doc. 
Naumann,  Prof.  Neumann,  Prim.  Neugebauer,  Prof.  Neusser,  Prof.  Nevinny,  Prof. 
Obalinski,  Dr.  Freiherr  v.  Oefele,  Doc.  Ortner,  Prim.  Doc.  Pal,  Dr.  C.  Pariser,  Doc. 
Pavinski.  Prof.  Penzoldt,  Prof.  Piskacek,  Doc.  J.  Pohl,  Prof.  Pott,  0.  A.  Dr.  Prior,  Doc. 
Redlich,  Dr.  C.  Reuter,  Doc.  Riffel,  Dr.  Ritsert,  Prof.  Röhmann,  Dr.  Rosin,  Dr.  Schäffer- 
Stuckert,  Prof.  Schauta,  Prof.  Schimper,  Prof.  Schnabel,  Dr.  Schubert,  Doc.  Schustler, 
Prof.  Schweninger,  Doc.  Seydel,  Dr.  P.  Siedler,  Doc.  Silex,  Prof.  Singer,  Doc.  v.  So- 
bieranski,  Prof.  Sommer,  Dr.  Sperling,  Prof.  Steinbrügge,  Prof.  S.  Stern,  Doc.  R. 
Stern,  Prof.  S.  Stricker,  Prof.  Tappeiner,  weil.  Prof.  Uffelmann,  Doc.  v.  Vajda, 
Prof.  H.  Vierordt,  Prof.  v.  Wagner,  Doc.  Walser,  Dr.  Jul.  Weiss,  Dr.  R.  Wichmann, 
Prof.  Wiesner,  Doc.  Will.  Winkler,  Prof.  Witzel,  Doc.  Wolters,  Prof.  Zander, 
Prosector  Zemann,  Dr.  Th.  Joh.  Zerner,    Prof.  Zuntz. 

REDIGIRT  VON 

DR.  JUL.  WEISS  UND  A.  BRESTOWSKI. 


KARL  PROCHASKA 

WIEN  K.  UND  K.  HOF-  &  VERLAGSBUCHHANDLUNG         LEIPZIG 

I.    KUMPFGASSB   7.  '  TESCHEN    IN    SCHLESIEN.  KÖNIGSSTRASSE    9/11. 

1895. 


GEBUKTSHILFE 


UND 


GYNAEKOLOGIE 


MIT  BEITRAGEN  VON: 

Prof.  Dr,  F.  Birnbauai,  G-iessen.  —  Dr,  Beckh,  Nürnberg.  —  Dr.  0.  Boden- 
stein, Berlin.  —  Prof.  Brandt,  Klausenbürg.  —  Hofr.  Gustav  Braun, 
Wien.  —  Doc.  Dr.  Eg.  v.  Braun-Fernwald^  Wien.  —  Prof.  Döderlein, 
Leipzig.  —  Prof.  Dr.  Droysen,  Göttingen.  —  Doc.  Dr.  Dührssbn,  Berlin.  — 
Doc.  Dr.  Elischer,  Budapest.  —  Prof,  Dr.  Foltanek,  Wien.  —  Prof.  Dr. 
Trommel,  Erlangen.  —  Doc.  Dr.  Gärtner,  Heidelberg.  — •  Dr.  Graefe, 
Halle  a/S.  —  Doc.  Dr.  K.  A.  Herzfeld,  Wien.  —  Dr.  S.  Jessner,  Königs- 
berg i.  Pr.  —  Doc.  Dr.  Gust.  Klein,  München.  —  Dr.  Ed.  Kurz,  Florenz. 
—  Dr.  A.  Littauer,  Leipzig.  —  Dr.  Ludw.  Mandl,  Wien.  —  Prim.  v. 
Neugebaüer,  Warschau.  —  Prof.  Dr.  Obalinski,  Krakau.  —  Dr.  E.  G. 
Orthmann,  Berlin.  —  Prof.  Dr.  Piskäuek,  Linz.  —  Prof.  Dr.  Pott,  Halle 
a/S.  —  Prof.  F.  Schauta,  Wien.  —    Prof.  R.  Sommer,  Giessbn.   —  Prosbct. 

A.   Zemann,  Wien. 

eedigirt  von 
Dr.    JUL.    weiss. 


KARL  PROCHASKA 

WIEN  K.  UND  K.  HOF-  &  VERLAGSBUCHHANDLUNG  LEIPZIG 

i.  ktjmpfgasse  7.  TESCHEN  IN  SCHLESIEN.  königsstbasse  911. 

1895 


EINLEITUNG. 


Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynäkolog 


Die  Anatomie  der  weiblichen  Sexualorgane. 

Der  weibliche  Geschlechtstract  besteht  aus  den  äusseren  Geschlechts- 
Üieilen  (die  Scham),  aus  den  inneren  Geschlechtstheilen  (die  Scheide,  die  Gebär- 
mutter, die  Eileiter,  die  Keimdrüsen  [Eierstöcken^)  und  der  Brustdrüse.  Die 
Harnblase,  die  Harnröhre  und  der  unterste  Theil  des  Mastdarmes  stehen 
jedoch  mit  den  einzehien  Organen  des  Geschlechtstractes  in  so  innigem 
anatomischen  Zusammenhange,  dass  sie  ebenso  wie  das  Mittelfleisch  (Perl- 
naeum)  an  dieser  Stelle  besprochen  werden  mögen,  umsomehr,  als  die  topogra- 
phischen Verhältnisse  der  weiblichen  Sexualorgane  nur  dadurch  im  vollen 
Umfange  beleuchtet  werden  können. 

Die  der  vorderen  Wand  der  Symphyse  entsprechende  unterste  Partie 
der  Bauchhaut  stellt,  seitlich  begrenzt  von  den  Inguinal-  und  Cruralfalten, 
mit  einem  derben  Fettpolster  versehen  und  von  dem  Zeitpunkte  der  Pubertät 
angefangen  mit  Haaren  besetzt,  den  Schamberg  (Mons  Venerls)  dar.  Ein 
Weniges  oberhalb  der  unteren  Begrenzung  der  Symphyse  theilt  sich  die 
Haut  des  Mons  Veneris  in  zwei  mit  Fettpolster  versehene,  behaarte  Dupli- 
caturen,  die  grossen  Schamlippen,  die  sich,  einen  Spalt  {Rlma  pudendalls) 
begrenzend,  nach  abwärts  zu  wieder  flach  vereinigen,  um  in  die  Cutis  des 
Perinaeums  überzugehen.  Bei  Multiparis  oder  bei' Individuen,  welche  dem 
Geschlechtsgenusse  fröhnen,  verwandeln  sich  die  grossen  Schamlippen  in 
welke,  scdilatfe  Hautfalten,  welche  die  früher  in  der  Rima  verschlossenen 
Gebilde  nunmehr  frei  zu  Tage  treten  lassen.  Es  werden  dann  zwei  weitere, 
viel  zarter  gebildete  Falten  sichtbar,  die  an  ihrer  Aussenfläch«  den  Cha- 
rakter der  Cutis  tragen,  an  ihrer  Innenfläche  jedoch  einen  Schleimhaut- 
überzug besitzen.  Diese  Falten  {die  Meinen  Schamllppeyi)  theilen  sich  nach 
oben  in  je  zwei  Fortsätze,  welche  derart  zur  Vereinigung  kommen,  dass 
die  beiderseitigen  oberen  Fortsätze  die  Clltorls,  das  weibliche  W^ollust- 
organ ,  nach  oben  zu  überkleiden  {Praeputhmi  cUtorldls),  während  die 
beiden  unteren  Duplicaturen,  an  der  unteren  Fläche  des  Clitorisschaftes 
sich  vereinigend,  das  Eremditm  cJltorldls  darstellen.  Nach  abwärts  zu  sind 
die  kleinen  Schamlippen  durch  eine  zarte,  nach  oben  concav  gebildete 
Schleimhautfalte  (Fremdum  lablorum)  vereinigt  und  begrenzen  so  den  Vor- 
hof ( Vestibiilwn),  in  welchen  die  Scheide  mit  dem  Ostium  vaginale  und  die 
Harnröhre  mit  dem  Orificium  urethrae  ausmünden.  Schon  während  der 
ersten  Schwangerschaft  klafi't  die  Elnia  pudendalls  einigermassen  und  lässt 
die  eben  erwähnten  Gebilde  sichtbar  werden,  welche  dann  später  nach 
fortgesetztem  Coitus  unter  dem  steten  Einflüsse  der  atmosphärischen  Luft 
und  der  mechanischen  Reize  im  Bereiche  der  kleinen  Schamlippen  immer 
mehr  den  Schleimhautcharakter  verlieren.  Zu  beiden  Seiten  des  Orificium 
vaginale  münden  mit  zwei  punktförmigen  Oeffnungen  die  Ausführuugsgänge 
der  zeitlich  ge\a:geYten  BarfJioIlni'scheH  Drüsen  in  den  Vorhof  aus.  Das  Orifi- 
cium oaglncde    ist   bei   jungfräulichen   Individuen    durch    eine  Schleimhaut- 

1* 


4  EINLEITUNG. 

falte  begrenzt,  die.  von  unten  her  entsi)rint>en(l.  mit  einem  concaven  freien 
Rande  den  Sclieideneingang  mehr  weniger  circuhlr  umkreist  und  je  nach 
meiner  Form  als  Hi/tHcn  ajinnJaris,  ■^emilunaviPi,  finihriafus  etc.  benannt  wird. 
In  einzelnen  Fällen  stellt  die  Hymenalmembran  eine  ziemlich  tieischige 
imi)erforirte  Mendjran  dar,  die  dann  den  Scheideneingang  vollständig  ver- 
schliesst  [Hi/meu  mijjerforafns)  und  durch  diesen  Verschluss  [Atrenia  vaginae 
Jii/menalis)  mannigfache  Beschwerden  mit  dem  Beginne  des  Geschlechts- 
lebens iuvolvirt.  Nach  ausgeübtem  Coitus  reisst  der  Hymenalring  an 
mehreren  Stellen  ein.  doch  kommt  es  daselbst  rasch  zu  Narbenbildungen, 
so  dass  der  Hymen  mehr  weniger  vollständig  bis  zur  ersten  Geburt  er- 
halten bleibt. 

Das  Orificium  vaginale  führt  in  die  Scheide.  Diese  stellt  bei 
Erwachsenen  einen  ungefähr  8  cm  langen  Canal  dar,  dessen  Wände  mit 
einer  ziemlich  derben,  mit  geschichtetem  Plattenepithel  versehenen  Schleim- 
haut bekleidet  sind.  In  die  Schichten  der  glatten  Muskulatur  der  Scheiden- 
wand  mischen  sich  Fasern  des  Muse,  levator  ani  und  im  unteren  Abschnitte 
Fasern  der  Dammmuskulatur,  während  die  venösen  Plexus  der  Bulbi  die 
Seitemvände  im  unteren  Abschnitte  umgeben.  Die  vordere  Scheidenwand  ist 
mit  der  Harnröhre  und  dem  Blasengrunde  durch  eine  massig  dicke  Binde- 
gewebsschichte  {Scptum  vesico-,  resp.  urethro- vaginale)  in  innigem  Zusammen- 
hange, während  die  hintere  Scheidenwand  mit  der  vorderen  Mastdarm  wand  durch 
das  Sepfum.  recfovag/nale  verbunden  ist.  Entsprechend  dem,  dass  der  unterste 
Mastdarmabschnitt,  die  Kreuzsteissbeiuspitze  umkreisend,  an  der  Stelle  eine 
nach  vorne  convexe  Yerlaufsrichtung  besitzt,  um  dann  nach  hinten  auszuweichen, 
nimmt  das  Septum  rectovaginale  von  oben  nach  unten  an  Dicke  mächtig  zu,  um 
im  mitersten  Theile  direct  in  das  Perinaeum  überzugehen.  Die  Schleimhaut 
der  Scheide  besitzt  vorne  und  rückwärts  aus  horizontal  verlaufenden  Fältchen 
zusammengesetzte  Leisten,  die  man  als  Cohimnae  ruganim  bezeichnet.  In 
das  obere  Lumen  der  Scheide  ist  der  Uterus  mit  der  Portio  eingepüanzt, 
jedoch  so,  dass  diese  Einpflanzungsstelle  nicht  in  der  Fortsetzung  der  Ver- 
laufsrichtung der  Scheide,  sondern  vielmehr  an  der  vorderen  Wand  der- 
selben sich  befindet,  so  dass  das  Scheidenrohr  wie  ein,  an  seinem  oberen 
Ende  schräg  abgestutzter  Canal  imponirt.  Der  Ansatz  der  Scheidenwand  am 
Uterus  erfolgt  so,  dass  die  Scheide  sich  oben  gleichsam  umstülpt,  um  die 
untere  Bekleidung  der  Portio  zu  bilden,  so  dass  am  äusseren  Muttermunde 
sich  die  scharte  Grenze  zwischen  Cervical-  und  Vaginalschleimhaut  befindet. 
Durch  diese  Umstülpuug  der  Scheide  auf  die  Portio  entsteht  daselbst  eine 
Piinne.  die  man  als  Scheidengewölbe  {Fornix  vaginae)  bezeichnet.  Nachdem 
nun  der  Uterus  gleichsam  in  die  vordere  Scheidenwand  eingepflanzt  ist, 
erscheint  das  vordere  Scheidengewölbe  ausserordentlich  seicht,  während  das 
hintere  Scheidengewölbe  wesentlich  tiefer  gestaltet  ist.  Im  Zustande  des 
Leerseins  legt  sich  die  vordere  Scheidenwand  derart  an  die  hintere  AVand, 
dass  der  Durchschnitt  durch  die  leere  Scheide  ungefähr  die  Figur  eines 
H  hat.  Entsprechend  dem,  dass  die  Verlaufsrichtung  der  Scheide  von 
vorne  unten  nach  hinten  oben  in  schwach  nach  oben  concav  gekrümmtem 
Bogen  sich  befindet,  muss  im  Stehen  die  vordere  Scheidenwand  zugleich 
die  obere  werden,  das  heisst,  auf  der  hinteren  unteren  Scheidenwand 
gleichsam  aufruhen.  Zu  erwähnen  ist  noch,  dass  die  Scheidenschleimhaut 
keine  eigenen  Drüsen  besitzt,  die  Befeuchtung  daher  durch  das  Secret  der 
Uterushöhle,  beziehungsweise  des  Cervicalcanales  erfolgt. 

Der  Uterus  des  virginalen  Individuums  besitzt  eine  annähernd  birn- 
förmige  Gestalt,  w^obei  jedoch  der  Längendurchmesser  und  der  Breiten- 
durchmesser den  Dickendurchmesser  beträchtlich  übertrifft.  Nach  oben  zu 
abgerundet  (am  Fundus  uteri),  gehen  seine  seitlichen  Contouren  in  schlanker 


EINLP]ITU^^G.  5 

Biegung  herab,  so  dass  er  sich  nach  abwärts  beträchtlich  verschmälert, 
um  in  einen  3  cm  langen  Zapfen  überzugehen,  welchen  man  als  Cervix  zum 
Unterschied  von  dem  oberen  breiteren  Antheil,  dem  (-orpus  uteri,  bezeichnet. 
Die  vordere  Fläche  des  Uterus,  welche  der  Tdase  zugt.'kehrt  ist,  ist  nahezu 
plan,  während  die  hintere  Fläche  nach  hinten  zu  leicht  convex  gebuchtet 
erscheint.  Der  Fundus  uteri  geht  dort,  wo  die  seitlichen  Kanten  an  die 
obere  Begrenzung  heranreichen,  in  die  Tubenansätze  iiber,  unterhalb  deren 
Einmündung  das  Uf/aim^itum  rotundiim  in  der  Richtung  nach  vorne  sich 
ansetzt.  Zwischen  Tube  und  ligamentum  rotunduni,  in  der  Jlichtung  nach 
hinten  und  unten,  entspringt  das  derbe,  1 V2  cm  lange  lif/amenfitm  onarlcam,. 
Die  Substanz  des  Uterus  besteht  vornehmlicli  aus  glatten  Muskelfasern, 
welche  in  mehrfachen  Schichten  den  Uterus  in  Form  von  Längs-  und 
Querfasern,  jedoch  wohl  auch  in  beiden  Richtungen  diagonal  durchsetzen. 
Im  Cervixantheil  treten  die  Muskelelemente  viel  mehr  in  den  Hintergrund 
gegenüber  den  elastischen  Fasern,  welche  im  Stroma  überwiegen.  Auf  dem 
Durchschnitt  der  Wandung  bemerkt  man  zahlreiche  Lumina  von  Arterien 
und  Venen,  welche  den  Uterus  allenthalben  netzartig  durchziehen.  Die 
Uteruswand  begrenzt  eine  Höhlung,  das  Cariim  uteri,  das  allerdings  unter 
normalen  Verhältnissen  blos  als  frontal  gestellter  Spalt  auf  dem  Durch- 
schnitt erscheint,  indem  die  vordere  Wand  der  hinteren  innig  anliegt.  Am 
frontalen  Durchschnitt  stellt  die  Begrenzung  des  Uteruscavums  ein  sphä- 
risches Dreieck  dar,  dessen  Winkel  oben  nach  rechts  und  links  in  die 
uterinen  Mündungen  der  Tuben  übergehen,  und  das  sich  nach  abwärts  zu 
mit  einer  stark  verengten  Partie  in  den  Cervixcanal  fortsetzt.  Diese  Partie 
bezeichnet  man  als  Orißcium  uterinum  internum.  Es  stellt  die  anatomische 
Grenze  dar  zwischen  Corpus  uteri  und  Cervix.  Im  Bereich  des  Cervix  ver- 
läuft nun  die  Fortsetzung  der  Uterushöhle  als  Cervicalcanal  bis  an 
das  Örificium  uterinum  externum,  ein  kleines,  glatt  umrandetes  Grübchen 
an  der  Portio,  durch  welches  der  Cervicalcanal  n;iit  dem  Scheidenlumen 
eommunicirt.  Die  Auskleidung  der  Uterushöhle  und  des  Cervicalcanales 
wird  gebildet  durch  die  Mucosa  uteri,  resp.  cervicis,  w^elche  sich  am  äusseren 
Muttermund  gegen  die  mit  stark  geschichtetem  Pflasterepithel  versehene 
Scheiden^chleimhaut,  welche  die  untere  Fläche  der  Portio  überkleidet, 
^scharf  abgrenzt.  Die  Mucosa  uteri  besitzt  in  Folge  eines  wohlgegliederteii 
Cylinder-Flimmerepithels  ein  sammtartiges  Aussehen.  Am  mikroskopischen 
Durchschnitt  finden  wir  das  Epithel  der  Schleimhaut  sich  in  zahlreiche 
schlauchförmige  Drüsen  fortsetzen,  Avelche  als  Utriculardrüsen  ein  seröses 
Secret  liefern.  Die  Mucosa  cervicis  besitzt  kein  Flimmerepithel  und  sind 
an  ihr  die  Cylinderzellen  viel  niedriger,  den  Charakter  des  cubischeii 
Epithels  darstellend.  Die  Drüsenschläuche  der  Cervixmucosa  sind  seichter, 
jedoch  weiter  als  in  der  Uterushöhle  und  liefern  jenes  glasige  Secret,  welches, 
aus  dem  äusseren  Muttermund  austretend,  die  Scheidenwand  befeuchtet. 
Die  Schleimhaut  des  Cervicalcanals  ist  insbesonders  beim  Kinde  und  beim 
virginalen  Individuum  in  zahlreiche,  giebelartig  gegeneinander  gestellte 
Falten  gelegt,  die  mau  als  plicae  pcdmatcte  bezeichnet.  An  jenen  oberen 
seitlichen  Winkeln,  an  welchen  die  uterinen  Tubenenden  einmünden  (Uterus- 
höHier),  geht  die  Mucosa  uteri  in  die  Tubenschleimhaut  direct  über.  Die 
Länge  der  normalen  Uterushöhle  des  virginalen  erwachsenen  ^lädchens 
beträgt  ungefähr  lern,  wovon  3cm  auf  den  Cervicalcanal  entfallen.  Doch 
müssen  wir  bemerken,  dass  der  Uterus  erst  mit  dem  vollendeten  20.  Lebens- 
jahre in  der  Regel  seine  volle  Entwicklung  erlangt  hat.  Der  Uterus  ist 
zwischen  die  Blase  und  das  Rectum  derartig  eingelagert,  dass  er  in  der 
Regel  mit  einer  leichten  Abweichung  seines  Fundus  nach  rechts,  mit  seiner 
Längsaxe  in   sagittaler  Richtung  verlaufend   in   die   vordere  Scheideuwand 


6  EINLEITUNG. 

eingepflanzt  erscheint  und  mit  einem  ungefähr  V-f^  cm  langen  Zapfen  in 
das  Scheidengewölbe  selbst  hineinragt  (porfio  ra(/l}HiJls  cerrlcis).  Indem  auf 
diese  Weise  die  vordere  Scheidenwand  am  Cervix  nicht  so  hoch  hinaufragt 
wie  die  hintere  Scheidenwand,  kann  man  den  ganzen  Cervix  zweckmässig  in  drei 
Abschnitte  theilen:  a)  pars  infracaginaJis  cervicis,  jener  Theil  der  Portio, 
welcher  unterhalb  des  Ansatzes  der  vorderen  Scheidenwand  liegt,  h)  pars 
media  cerr/cis,  jeuer  Antheil,  welcher  zwischen  dem  Ansatz  der  vorderen 
und  der  hinteren  Scheidenwand  gelegen  ist,  und  c)  pars  supro,vaginalis  cer- 
vicis, gelegen  zwischen  dem  Ansatz  der  hinteren  Scheidenwand  und  dem 
Orificium  uterin  um  internum.  Die  normale  Stellung  des  Uterus  gegenüber 
der  Scheide  ist  nun  die,  dass  die  Längsaxe  des  Uterus  mit  der  der  Scheide  einen 
nach  vorne  oftenen  Winkel  darstellt,  wobei  die  Portio  in  der  Höhe  einer  Linie 
steht,  welche  die  beiden  Spinae  ossis  ischii  mit  einander  verbindet.  Der  Uterus 
selbst  ist  bei  normaler  Stellung  nicht  gerade  gestreckt,  sondern  bildet  viel- 
mehr mit  seinem  Corpus  gegenüber  dem  Cervix  einen  nach  vorne  offenen 
Winkel,  dessen  Spitze  in  der  Gegend  des  Orificium  internum  zu  suchen 
wäre,  so  dass  die  vordere  plane  Fläche  des  Uteruskörpers  der  hinteren 
Blasenwand  aufliegt,  während  die  hintere  Fläche  des  Uteruskörpers  zugleich 
auch  nach  oben  zu  gerichtet  ist.  Die  W^andung  des  Cervix  ist  nach  vorn 
zu  vom  Ansatz  der  vorderen  Scheidenwand  angefangen  bis  zur  Gegend 
des  inneren  Muttermundes  durch  ein  lockeres  Bindegewebe,  welches  als 
die  Fortsetzung  des  Septum  vesicovaginale  erscheint,  mit  der  hinteren 
Blasenwand  in  loser  Verbindung.  Der  übrige  Theil  der  vorderen  Fläche 
und  die  ganze  hintere  Fläche  des  Uterus  bis  zum  Ansatz  der  hinteren 
Scheidenwand  ragt  frei  in  die  Bauchhöhle  und  ist  mit  einem  serösen  Ueber- 
zug  bekleidet,  welchen  das  Peritoneum  der  Beckenhöhle  liefert.  Dieser 
seröse  Ueberzug  steht  durch  ein  mehr  weniger  straffes  subseröses  Stratum 
mit  dem  Gewebe  des  Uteruskörpers  in  Zusammenhang.  Es  ist  somit  der 
Uteruskörper  an  seiner  vorderen  Wand  bloss  von  der  Höhe  des  inneren 
Muttermundes  bis  zum  Fundus,  an  seiner  Hinterwand  aber  vollständig  bis 
zur  Kuppe  des  hinteren  Scheidengewölbes  herab  vom  Peritoneum  bekleidet. 
Seitlich  an  den  Uteruskanten  legt  sich  nun  jenes  parietale  Blatt,  das  die 
vordere  Bekleidung  des  Uterus  darstellt,  und  das  Blatt  der  hinteren  Fläche, 
nur  durch  lockeres  Bindegewebe  und  eingelagerte  Gefässstämme,  Nerven- 
plexus und  Lymphknoten  von  einander  getrennt,  derartig  aneinander,  dass 
dadurch  eine  peritoneale  Duplicatur  entsteht,  welche  man  als  das  ligamenfum 
Jatum  bezeichnet.  Der  Raum  zwischen  den  beiden  Blättern  desselben  wird 
als  das  Parametrium  bezeichnet,  in  dessen  lockerem  Bindegewebe  die 
Gefässe  an  die  Uteruskante  herantreten,  resp.  von  ihr  abgehen  können. 
Es  ragen  daher  die  Uteruskanten  in  die  Parametrien  hinein.  Der  peritone- 
ale I^eberzug  des  Uterus  selbst  wird  mitunter  auch  als  Perimetrium 
bezeichnet,  zum  Unterschied  von  der  mucösen  Auskleidung  der  Uterus- 
höhle, die  man  Endometrium  heisst. 

Von  den  Uterushörnern  ab  gehen  die  Tube  n.  Dieselben  entspringen 
mit  ihrem  uterinen  Ende  {Isthmus  tnbae)  in  den  seitlichen  oberen  Winkeln 
der  Uterushöhle,  ziehen  in  frontaler  Richtung  mit  leichter  Tendenz  nach 
hinten  gegen  die  seitliche  Beckenwand  und  stellen  drehrunde  Stränge  dar, 
welche  nach  aussen  zu  sich  verbreiternd  in  frans enförmige  Ausläufer  über- 
gehen {Fimhriae:  Morsus  diaboli),  an  welcher  Stelle  der  Tubencanal  frei 
in  die  Bauchhöhle  ausmündet.  Der  letzte  Ausläufer  dieser  Fimbrien  zieht 
an  das  Ovarium  und  wird  bezeichnet  als  h'gcmientnm  infundilmlo-ovoricum. 
Es  muss  demgemäss  ein  Theil  des  Tubencanals  vom  uterinen  Ende  ab  die 
Wandung  des  Uterus  durchziehen,  so  dass  erst  vom  Uterushorn  angefangen 
die  Tube  eigene  Wandungen  erhält.     Diese   W^andung   besteht   aus   einem 


EINLEITUNG.  7 

Stronia  von  Bindegewebe,  in  welches  zahlreiclie  glatte  Muskelfanern  in  Form 
von  Längs-  und  Ringsmuskulatur  eingelagert  sind,  besitzt  vorne,  oben  und 
rückwärts  peritonealen  Ueberzug,  der  von  der  über  die  Tube  sich  hinüber- 
schlagenden Peritonealduplicatur  des  ligamentum  latum  geliefert  wird.  Es 
muss  somit  die  untere  Wand  der  Tube,  sowie  die  IJteruskanten  in  das 
Parametrium  hineinragen,  während  die  seitliche  Begrenzung  der  I'eritoneal- 
duplicatur  nach  oben  zu  an  den  Fimbrienenden  stattfindet,  an  welclier  Stelle 
die  Schleimhaut  der  Tube  an  den  peritonealen  Ueberzug  angrenzt,  so  dass 
der  Tubencanal  an  dieser  Stelle  mit  dem  (Mium  ahdominale  tubae  (Infun- 
dibulum)  in  die  freie  Bauchhöhle  einmündet.  Durch  die  ganze  Länge  der 
Tube  verläuft  der  Tubencanal  vom  Ostium  uterinum  bis  zum  Ostium  abdo- 
minale. Am  Ostium  uterinum  wesentlich  verengt  (Mimm  tuhae),  verläuft 
der  Tubencanal  dann  in  gleichmässiger  Weite  nach  aussen  zu,  daselbst 
allmählich  sich  verbreiternd  (Ampulle)  bis  zum  Infundibulum.  Die  S  c h  1  e im- 
haut,  welche  am  Durchschnitte  sternförmig  in  Falten  gelegt  erscheint, 
zeigt  einen  ähnlichen  Bau  wie  die  des  Vas  deferens  und  ist  mit  schön 
geordnetem  Cylinder-Flimmerepithel  ausgestattet,  deren  Cilien  ziemlich  lang 
und  in  lebhafter  Bewegung  begriifen  sind. 

Die  Tuben  bilden  sich  aus  dem  paarig  bleibenden  Antheil  der  aus  den  jiüLLEK'schen 
Gängen  hervorgegangenen  Kanäle.  Die  wüLLEK'schen  Gänge  führen  beim  weiblichen  Em- 
bryo von  der  Gegend  der  Urniere  bis  zum  Sinus  urogenitalis  herab  und  legen  sich  in 
ihrem  unteren  Antheil  aneinander,  so  dass  sie  durch  Einschmelzung  ihres  Septums  im 
unteren  Abschnitte  sich  zu  einem  unpaarigen  Tracte  vereinigen,  während  die  oberen  An- 
theile,  getrennt  verlaufend,  paarig  bleiben.  Aus  diesen  paarigen  Antheilen  gehen  die 
Tuben  hervor,  während  sich  der  unpaarige  Theil  in  den  Uterus  und  die  Scheide 
differenzirt.  Durch  das  Erhaltenbleiben  der  paarigen  Theile  auf  eine  weitere  Strecke, 
als  es  der  Norm  entspricht,  kommt  es  zu  den  verschiedenen  Entwicklungsanomalien 
des  Uterus  und  der  Scheide,  über  welche  an  anderer  Stelle  berichtet  wird.  Die  Tuben 
führen  als  Eileiter  das  Product  der  weiblichen  Keimdrüse  zum  Uterus. 

Die  weibliche  Keimdrüse,  das  Ovarium,  stellt  beiderseits  einen  bis 
zu  Nussgrösse  anwachsenden,  ovalen,  in  der  Pachtung  von  oben  nach  unten 
etwas  plattgedrückten  Körper  dar,  der  bei  jugendlichen  Individuen  viel 
mehr  in  die  Länge  gestreckt,  walzenförmig  erscheint,  mit  dem  grösseren 
Antheil  seiner  Oberfläche  in  die  freie  Bauchhöhle,  mit  einem  kleineren 
Theile  in  den  Raum  des  Parametriums  hineinragt.  Bis  zur  Pubertätsperiode 
von  glatter  Beschaffenheit  wird  die  Oberfläche  während  des  Geschlechts- 
lebens mehr  weniger  narbig  verändert  und  bekommt  ein  höckeriges  Aus- 
sehen, das  erst  mit  der  senilen  Livolution  allmählich  schwindet.  Indem  das 
Ovarium  in  die  hintere  Platte  des  ligamentum  latum  eingepflanzt  ist,  ragt 
ein  Theil  des  Eierstockes  in  die  freie  Bauchhöhle  und  ist  nur  von  der 
Rückseite  des  ligamentum  latum  her  sichtbar.  An  diesem  Oberflächentheil 
besitzt  das  Ovarium  ein  Epithel,  welches,  dem  cubischen  ähnlich,  als  Keim- 
epithel bezeichnet  wird.  Die  Partie,  w^elche  dem  Ansatz  des  Peritoneums 
am  Ovarium  entspricht,  bezeichnet  man  als  Hilns  orarii.  An  dieser  Stelle 
treten  die  Gefässe  in  das  Ovarium  ein.  Am  Durchschnitt  unterscheidet 
man  am  Ovarium  eine  Rindenschichte  und  eine  Markschichte,  deren  binde- 
gewebiges Stroma  durchsetzt  ist  von  folliculären  Räumen,  welche  gegen 
die  Aussenfläche  der  Rindenschichte  zu  an  Grösse  zunehmen  und  die  rei- 
fenden GRAAP'schen  Follikel  darstellen.  Das  Ovarium  ist  durch  das  liga- 
mentum ovaricum  proprium  mit  dem  Uterus,  durch  die  Fimbria  ovarica  mit 
dem  abdominellen  Ende  der  Tube  und  durch  jenen  Theil  der  Peritoneal- 
duplicatur, welche  zwischen  Uterushorn  und  Tube  einerseits,  ligamentum 
ovaricum,  Ovarium  und  Fimbria  ovarica  andererseits  ausgespannt  ist,  mit 
der  Tube  selbst  in  A'erbindung.  Dieser  Theil  des  Ligaments,  auch  Mes- 
orarium  oder  Ala  vespertilionis  genannt,  birgt  ein  aus  parallel  mit  einander 
verlaufenden   gangförmigen  Strängen   bestehendes  Organ,    das  Parovarium. 


8  EINLEITUNG. 

Die  topographische  Lagerung  der  eben  erwähnten  Organe  ist 
bedingt  durch  die  Eauniverhältnisse,  wie  sie  die  anderen  Organe  der  Becken- 
höhle darbieten,  die  mit  ihrem  stets  sich  ändernden  Fülhmgsgrade  mass- 
gebend sind  für  die  Stellung  der  inneren  Theile  des  Geschlechtstractus. 
Diese  Organe  sind  die  Blase  und  das  Rectum.  Die  Blase  ist  im  unteren 
Theile  des  Grundes,  resp.  ihrer  hinteren  Wand,  mit  der  vorderen  Cervix- 
und  der  vorderen  Scheidenwand  durch  mehr  weniger  lockeres  Bindegewebe 
in  Verbindung.  Infolge  dessen  ist  der  Uterus  gezwungen,  bei  sich  stei- 
gerndem Füllungsgrade  der  Blase  nach  rückwärts  zu  auszuweichen,  während 
andererseits  Lageveränderungen  des  Uterus  oder  Wachsthumsveränderungen 
desselben  Lageveränderungen  der  Blase  zur  Folge  haben  können.  Das 
Rectum  zieht  in  seinem  Beckenantheil  an  der  concaven  Fläche  des  Kreuzbeins 
herunter,  bietet  daher  der  hinteren  Wand  des  Uterus  eine  concave  Fläche  dar, 
um  dann,  an  der  Kreuz-Steissbeinspitze  angelangt,  in  ziemlich  scharfem  Bogen 
um  dieselbe  herumzukreisen  und  am  Anus  auszumünden,'  so  dass  die  der 
hinteren  Scheidenwand  zugewendete  Mastdarmfläche  nach  vorn  convex 
gekrümmt  ist,  oder  mit  anderen  Worten,  jene  Schichte  von  Bindegewebe, 
welche  Mastdarm  und  Scheide  verbindet  (Septum  recto-üaginale)  nimmt  von 
oben  nach  unten  an  Dicke  mächtig  zu,  um  nach  abwärts  zu  direct  in  das 
Perinaeum  überzugehen.  Nachdem  der  Uterus  mit  seinem  Körper  in  der 
Regel  leicht  nach  rechts  von  der  Medianlinie  ausweicht,  sehen  wir  den 
Mastdarm  etwas  mehr  nach  links  gelagert  herunterziehen,  und  wird  die 
Ausbuchtung  des  Rectums  nach  links  durch  die  Anlage  der  Plica  transver- 
salis  des  Rectums  noch  wesentlich  begünstigt.  Die  Blase  und  das  Rectum 
stehen  mit  dem  Uterus  und  seinen  Adnexis  noch  in  näherem  Contact  durch 
den  gemeinsamen  peritonealen  Ueberzug,  den  diese  3  Tracte  von  Seiten 
des  Beckenperitoneums  bekommen.  Das  parietale  Blatt  des  die  vordere 
Bauchwand  bekleidenden  Peritoneums  zieht  von  dem  Scheitel  der  Blase, 
dem  Urachus  folgend  und  sich  von  der  vorderen  Bauchwand  entfernend, 
auf  die  hintere  Fläche  der  Blase,  diese  und  ihre  seitlichen  Ränder  über- 
ziehend bis  nahe  zum  Trigonum  Lieutaudii  herab.  Dadurch  erscheint  die 
der  hinteren  Symphysenwand  anliegende  vordere  Fläche  der  Blase  frei  von 
Peritoneum.  Li  der  Höhe  des  Oriiicium  uterinum  intenium  schlägt  sich  das 
Peritoneum  von  der  Blase  weg  auf  die  vordere  Fläche  des  Uterus,  bekleidet 
diese,  wie  den  Fundus  und  überzieht  die  ganze  hintere  Fläche  des  Uterus  bis 
zur  Scheidenkuppe  herunter,  um  von  da  aus  in  der  Höhe  der  Plica  transversalis 
auf  die  vordere  Mastdarmwand  übergehend  allmälig  auch  die  seitlichen  Partien 
des  Rectums  zu  bekleiden  und  in  das  parietale  Peritoneum  der  hinteren  Bauch- 
wand überzugehen.  Indem  die  Adnexa  dös  Uterus  von  demselben  in  frontaler 
Richtung  gegen  die  seitliche  Beckenwand  hinziehen,  müssen  auf  diese  Weise 
frontalgestellte  Peritonealduplicaturen  entstehen,  die  vom  Uterus  weg  an  die 
seitliche  Beckenwand  ziehen,  die  Tube  und  einen  Theil  des  Ovariums  be- 
kleiden und  nur  das  Ostium  abdominale  tubae  freilassend  seitlich  gegen  das 
Mesenterium  des  Darmes  (rechts  bis  an  das  Mesenteriolum  des  Processus 
vermiformis,  links  bis  an  das  Mesenterium  der  Flexur)  ziehend,  an  dieser 
Stelle  das  Ligamentuni  infundihulo-pehicimi  darstellen,  in  dessen  Falte  die 
Aiieria  spermatica  interna  vom  Retroperitonealraum  herkommend  in  die  Plat- 
ten des  Ligaments  eintritt.  Der  Uterus  und  die  beiden  ligamenta  lata  stellen 
auf  diese  Weise  eine  Scheidewand  dar  zwischen  den  beiden  Ausbuchtungen, 
in  welche  die  untere  Partie  der  Peritonealhöhle  dadurch  getheilt  wird,  Die 
vordere  bezeichnet  man  als  Cainim  utero- oesicale,  die  hintere  als  Cavum 
ntero-redaJe.  Li  dieses  letztere  sieht  die  freie  Fläche  des  Ovariums  hinein ; 
entsprechend  der  Scheidenkuppe  bildet  da  das  Peritoneum  einen  nach  unten 
abgestumpften  Recessus,  der  nach  oben  durch  zwei  halbmondförmige,  an  der 


EINLEITUNG.  9 

Seite  concav  vorspringende  und  mit  Peritoneuni  bekleidete  Falten  (Doiu/las'srhe 
Falten,  lUjamenta  sacro-iderina),  in  denen  reichlich  glatte  Muskelfasern  zu 
linden  sind,  begrenzt  wird.  Diesen  Ilecessus  bezeichen  wir  auch  als  (Jai-um 
Dougkm.  Indem  die  vordere  IJteruswand  der  Blase  anliegt,  finden  wir 
nur  selten  das  Cavum  vesico-uterinum  als  wirklichen  Hohlraum  bestehen, 
während  in  der  Regel  bei  Leersein  des  Rectum  das  Cavum  utero-rectale 
durch  herabsinkende  Darmschlingen  ausgefüllt  erscheint.  An  der  Innen- 
fläche des  foramen  obturatum  liegen  normaler  Weise  die  Ovarien. 

Was  das  topographis  ch  e  Verhältnis  der  G  efä  ss  e  anbelangt, 
so  müssen  wir  zunächst  erwähnen,  dass  zum  Uterus  das  Blut  auf  dem  Wege 
von  zwei  Gefässen  hingelangt:  das  eine,  wesentlich  grössere,  die  Arteria 
itterina,  welche  als  ein  Ast  der  Hypogastrica  von  dieser  an  der  seitlichen 
Beckenwand  entspringt,  zwischen  den  beiden  Platten  des  ligamentum  latum 
in  der  Höhe  des  seitlichen  Ansatzes  der  Scheidenwand  und  der  Portio  in 
horizontaler  Richtung  verläuft  und  in  der  Nähe  der  Scheidenwandung  einen 
dünneren  Ast  nach  abwärts  sendet,  der  sich  in  die  Vaginales  superiores  et 
posteriores  auflöst,  während  der  Hauptstamm  den  Cervix  zu  erreichen  sucht, 
um  dann,  in  einem  rechten  Winkel  nach  aufwärts  umbiegend,  an  der  Kante 
des  Uterus  in  zahlreichen  serpentinenartigen  Windungen  emporzuklimmen  und 
Gefässe  in  die  Wandungen  des  Cervix  und  das  Corpus  uteri  entsendend, 
nach  oben  zu  gegen  das  Uterushorn  immer  mehr  sich  zu  verjüngen.  Da- 
selbst stehen  die  Endäste  dieses  Bezirkes  in  anastomotischem  Zusammenhang 
mit  den  Endästen  des  zweiten  grossen  Gefässes  des  Geschlechtsapparates, 
das  von  der  Arteria  renalis,  mitunter  auch  in  der  Höhe  des  Abgangs  dieser 
Arterie  directvon  der  Aorta  entspringend,  retroperitoneal  entlang  dem  Ureter 
herabzieht  und  in  dem  Ligamentum  infundibulo-pelvicum  gegen  das  Tuben- 
ende zu  diUM^igi  {Arteria  spermatica  interna).  Diese  Arterie  gibt  zunächst 
Aeste  ab  an  das  Ovarium  und  verläuft  dann  im  Mesovarium  mit  der  Tube 
parallel,  an  derselben  die  Arteria  tuharia  darstellend,  ein  Analogen  zu  der 
Arteria  deferentialis  des  Mannes. 

Die  venösen  Gefässe  des  Uterus  sammeln  sich  in  Venenplexus, 
welche  zum  Theil  durch  die  Vena  hijpogastrica,  zum  Theil  durch  den  Tlexios 
pampimformis  gegen  die  Vena  spermatica  interna   hin  ihr  Blut  entsenden. 

Zur  Arteria  uterina  tritt  der  Ureter  in  ein  bestimmtes  Verhältnis, 
Vom  Nierenbecken  herabziehend  kreuzt  er  an  der  Linea  innominata  die 
Arteria  iliaca  externa  und  zieht  am  Grunde  des  Parametriums,  von  hinten 
aussen  nach  vorne  innen  und  unten  gerichtet,  und  mit  der  hinteren  Wand 
die  Arteria  uterina  kreuzend,  in  der  Höhe  der  Portio  vaginalis  gegen  das 
Septum  vesico-vaginale,  um  daselbst  entsprechend  dem  oberen  Rande  des 
trigonum  Lieutaudii  die  Blasenwand  zu  erreichen. 

Der  Raum,  welchen  wir  als  die  Beckenhöhle  im  engeren  Sinne  bezeichnen,  erhält 
seinen  Abschluss  durch  den  Beckenboden.  Ueber  die  innere  Fläche  der  das  Foramen 
obturatorinm  abschliessenden  Membrana  obturatoria  zieht  vom  Canalis  obturatorius  ange- 
fangen ein  sehniger  Streifen  zur  Spina  ossis  ischii  und  von  da  längs  des  Ligamentum 
spinoso-sacrum  bis  zur  Kreuzbeinspitze,  den  man  als  Arcus  teiidinexs  bezeichnet.  Von 
diesem  sehnigen  Streifen  bezieht  beiderseits  je  ein  Muskel  seine  Fasern,  welche  in  ihrer 
Richtung  nach  vorne  unten  und  innen  convergiren,  so  dass  die  beiden  an  ihrer  nedialen 
Pläche  mit  einander  durch  einen  von  der  Steissbeinspitze  nach  vorn  gegen  den  Mastdarm 
ziehenden  Muskel  (Musculus  recfo-coccygeus)  mit  einander  verbunden  einen  Trichter  dar- 
stellen, der  nach  vorn  und  unten  offen  ist.  In  dem  rückwärtigen  Antheil  dieses  Trichters 
ist  das  absteigende  Stück  des  Mastdarms  derartig  aufgenommen,  dass  die  unteren  Faser- 
antheile  sich  parallel  an  die  seitliche  und  hintere  Wand  des  Rectums  anlegen,  parallel 
mit  derselben  hinunterziehen  und  wohl  auch  Muskelfasern  direct  an  die  Wandung  sowie 
an  das  Septnm  recto-vaginale  abgeben,  wie  auch  Fasern  des  Muskels,  der  auf  seinem 
Wege  die  seitlichen  Wände  der  Scheide  diagonal  kreuzt,  zur  Scheidenwand  selbst  gehen. 
Das  unterste  Ende  des  Rectums  ist  von  einem  Ringmuskel  umschlossen  ( Muse,  sphiucter 
ani  externus),  in  den  die  Levatorfasern  übergehen,   wie   auch    der    Sphincter   nach  rück- 


10  EINLEITUNG. 

wärts  mit  dem  Muse    recto-coccygeus   in   Verbindung   tritt.    Auf   diese   Weise   stellt  der 
Levator  ani  einen  theilweisen  Abschluss   des  Beckens   nach   unten  zu  dar  und  wird  des- 
halb auch  Diaphrafiwa  pelveott  genannt.     Indem  er  jedoch   seine    Ansatzfasern    nicht  von 
der  unteren  Begrenzung  des  Beckens,   d.  h.   den    knöchernen   Begrenzungen  des  Becken- 
ausgangs   bezieht,    sondern    vielmehr   höher   oben,    an    der    Innenwand    des   knöchernen 
Beckens   sich  ansetzt,  muss  ein  Theil  jenes  Raumes,  den  M'ir   als   das  kleine  Becken  be- 
zeichnen, von  der  Beckenhöhle   abgeschlossen   werden.     Dieser   Raum   stellt  rechts    und 
links  eine   dreieckige  Nische  dar,   die  man   als   die   Fossa  ischio-rectaUs   bezeichnet.     Sie 
wird  oben  und  innen  von  der  unteren  Fläche  des  Levator  ani,  nach  aussen  von  der  me- 
dialen Fläche  des  Sitzbeins  und  der  unteren  Partie  der  Membr.  obturatoria  begrenzt  und 
communicirt  nach  unten  direct  mit  dem   Fettgewebe   der   Glutäalgegend.   welche-i   in   die 
Fossa  ischio-rectalis  eindringend  dieselbe  ausfüllt  und  den   durch  sie  ziehenden  Gefässen 
ein  Stützlager  verleiht.     Nachdem  der  Levator   ferner   vom    Ligamentum    spinoso-sacrum 
seine  Fasern  bezieht,  und  dieses  Ligament  die  Grenzwand  zwischen  dem  Foramen  ischia- 
dicum  maiu*  und  dem  For.  ischiad.  minus   darstellt,   muss  das  Foram.  ischiad.  maius  an 
die  obere  Fläche  des  Levator  ani,  somit  in  die  Becl-enhöhle  führen,  während  das  Foramen 
ischiadicum  minus  an  die  untere  Fläche  des  Levator,  folglich  in  die  Fossa  ischio-rectalis 
führt.     Diesen  Weg  benützen  auch   die   Gefässe,   welche   durch   das  For.  ischiad.   maius 
aus  der  Bauchhöhle  austreten,  um  das  Ligam.  spinoso-sacrum  herumziehen  und  durch  das 
For.  ischiadicum  minus  wieder  in  die  Fossa  ischio-rectalis   gelangen.     Aber   noch  immer 
ist  es  der  vordere  Antheil  des  Beckenausgangs   u.   zw.   speciell   der   im   Schambogen  ge- 
legene Theil,  der  eines  musculösen  Abschlusses  noch   bedarf,   und   dieser   wird   geliefert 
durch  einen  unpaarigen  Muskel,  der  quer  von  einem  Schambeinast   zu   dem   der  anderen 
Seite  herüberzieht,  nach  vorne  an  das  Ligam.  arcuatum,  mit  seinen  hintersten  Fasern  je- 
doch an  die   vorderen   Bündel   des   Levator    ani  angrenzt.     Dieser    Muskel   heisst   Muse 
fransfersHsj)erinei  lirofwidus.     Nachdem   er  sich  an    der  Bildung  des  Beckenbodens  be- 
theiligt, heisst  er  auch  Diaphragma  pelveos   accessorium,   und   da   er   durch    die    Urethra 
und    Vagina    durchbrochen,    zum   Urogenitalapparat   in    nähere    Beziehungen    tritt,    auch 
Diaphragma    nrogenitale.     Beim    männlichen  Geschlechte    liegt    auf    diesem    Muskel  der 
Bulbus  des  Corpus  cavernosum  urethrae  auf;  der  Bulbus  selbst  ist  bekleidet  durch  einen 
zAviegefiederten  Muskel,  den  Muse,  bulbocavernosus.  Vom  Becken  herab  tritt  die  Urethra, 
in  welche  die  Ausführungsgänge  der  Samenbläschen    und    des   Vas   deferens   einmünden, 
durch  den  Muse,  transversus   perinei  hindurch,   um   in   das  Corpus   cavernosum   urethrae 
einzudringen.     Beim   weiblichen   Geschleehte,   bei   dem  die  Ausführnngsgänge   des   Harn- 
und  Geschlechtsapparates  getrennt  ausmünden,  nnden  wir   demgemäss    den  Muskel  durch 
zwei  Oeffnungen  durchbrochen,  die  Harnröhre  und  die  Seheide,  und  demgemäss  auch  den 
Bulbus  der  Clitoris,  deren  Sehenkel    am    Schambeinast   haften    (corpora  cavernosa  clido- 
ridis)  und  die  sich  am  Symphysenwinkel   zum    Schaft   der    Clitoris    und   vorn   zur   Glans 
clitoridis    vereinigen,    getheilt,    so    dass    seine   Plexus    die    seitliehen    Wandungen    der 
Scheide  umgtben.     Der  dem  Muse,  bulbo-eavernosus  des  Mannes   entsprechende   Muskel 
ist  ebenfalls  in  zwei  Schleifen   getrennt,   welche  sphineterartig   die   Scheidenöffnung   um- 
geben  (Muse,  constrictor   cunni)  und  mit  den  Fasern  des  Sphincter  ani   externus  derart 
in  Zusammenhang    stehen,    dass    diese  Muskelfasern    in   Form   von   Aehtertouren     beide 
Oeffnungen  beherrschen.     Diese   eben   erwähnten   Beckenausgangsmuskeln   sind   an   ihrer 
unteren  Fläche    von    der  Fascia  perinei  propria    bekleidet,    welche    ein    oberflächliches 
Blatt  über  die  zu  beiden  Seiten  der  am  Beckenboden  ausmündenden  Kanäle  entstehenden 
Nischen,  welche  durch   Fett  ausgefüllt  werden,   hinübersendet.     Auf   diese   Weise   steht 
das  Fettgewebe  und  das  subcutane  Bindegewebe  der  Glutäalgegend  in  directer  Verbindung 
mit  den  entsprechenden  Gewebspartien  der  Fossa  ischio-rectalis   und  des  Perinaeums,  so 
dass  auf  diesem  Wege   der   Zusammenhang  mit   dem    Beckenbindegewebe  hergestellt  ist, 
und  sich  erklären  lässt,  wie  von  scheinbar  einfachen  bei  der  Geburt  entstehenden  Wun- 
den des  Dammes  tödlich  verlaufende  Phlegmonen  des  Beckenzellgewebes  sich  entwickeln. 
Das  Fettgewebe  ist  durchsetzt  von  zahlreichen   Gefässen,   welche  theils   als   Muskeläste, 
theils  jedoch   zu   den   Wandungen   der   entsprechenden   Organe   und   schliesslich  zu  dem 
Sehwellkörper  des  Genitaltractes  hinziehen.     Die    arteriellen    Gefässe    stammen    von  der 
Arteria  pudenda  communis,  welche  nach  rückwärts  zu  Aeste  entsendet  {A.  haemorrhotdaJes 
inferiores),    gegen  die  Mitte  zu  (A.  perineales  superficiales    und    vaginales    externae)  und 
nach  vorne  zu  die  Art.  dorsalis  und  profunda  clitoridis.  Dementsprechend  sammeln  sich 
die  venösen  Gefässe  zu  Plexus,  welche  im  Plexus  pudendus  communis  durch  das  Foram. 
ischiad.  minus  abziehen.     Die    Nervenfasern  stammen  vom  Nerr.  pudendus  coninmnis  und 
anastomosiren  mit  den  Hautästen  der  an   der   Innenfläche    des    Oberschenkels    sieh    ver- 
theilenden  Fasern. 

Sowie  der  Eintritt  der  Gesclilechtsfunction  und  das  langsam 
sich  entwickelnde  Climacterium  bedeutende  Veränderungen  nicht 
blos  speciell  im  Genitaltractus,  sondern  in  dem  ganzen  Organismus  be- 
dingen, so  sind  es  aucii  ganz  ausserordentlich  wichtige  Vorgänge,  die  sich 


EINLEITUNG.  U 

von  dem  Beginn  einer  Coneeption  während  der  ganzen  »Schwangerschaft, 
während  der  Geburt  und  während  des  Wüchenljettes  am  Genitaltract  ab- 
spielen. Diese  Veränderungen  beziehen  sich  zunächst  während  der 
Schwangerschaft  auf  den  Uterus  und  die  Pirustdrüsen,  und  nur  von 
diesen  beiden  letzteren  wollen  wir  an  dieser  Stelle  sprechen. 

Die  Brustdrüse  stellt  bis  zum  Eintritt  der  ersten  Schwangerschaft 
ein  drüsiges  Organ  dar,  welches  bezüglich  seiner  Entwicklung  sicli  nicht 
wesentlich  von  jenem  Stadium  untersclieidet,  in  welchem  es  sich  Ijis  zur 
Pubertät  befunden,  d.  h.  das  Drüsengewebe  tritt  weit  zurück  gegenüber 
dem  Fettgewebe,  das  die  Hauptmasse  der  Brust  darstellt.  Die  Acini  der 
Brustdrüse  sind  in  spärlicher  Zahl  vorhanden  und  vereinigen  sich  zu  Aus- 
führungsgängen, welche  an  der  Brustwarze  ausmünden.  Mit  dem  Beginn 
der  Schwangerschaft  kommt  es  zu  einer  Proliferation  des  Drüsengewebes 
und  des  interacinösen  Bindegewebes,  und  diese  Proliferation  hat  zur  Folge 
eine  Zunahme  der  Grösse  und  der  Ptesistenz  der  Brust.  Dabei  wird  die 
Brustwarze  in  der  Regel  leicht  oedematös  und  ebenso  wie  die  Warzenhöfe, 
an  welchen  die  deutlich  geschwellten  MoNTGOMMEuy'schen  Papillen  sichtbar 
werden,  dunkel  pigmentirt.  Auf  concentrischen  Druck  entleert  sich  auch 
aus  der  Brustdrüse  in  den  ersten  Monaten  der  Schwangerschaft  colostrum- 
ähnliche  Flüssigkeit,  während  durch  die  ganze  Zeit  der  Schwangerschaft 
durch  fortgesetzte  Proliferation  des  Drüsengewebes  die  Brust  sich  zu  der 
Function  der  Milchbeschaffung  vorbereitet. 

Die  Veränderungen,  die  wir  bei  eintretender  Schwangerschaft  am 
Uterus  wahrnehmen,  beziehen  sich  zunächst  auf  den  Inhalt,  den  die  Uterus- 
höhle bekommt,  auf  die  Veränderungen  an  der  Schleimhaut  und  die  Ver- 
änderungen am  Stroma  des  Uterus.  Das  befruchtete  Eichen  gelangt  in  die 
Uterushöhle  und  bleibt  an  irgend  einer  Falte  der  geschwellten  Schleimhaut 
haften.  Diese  Schleimhaut  gestaltet  sich  allmählich,  indem  das  Epithel  sich 
in  ein  mehrschichtiges  Zellenstratum  verwandelt,  und  allmählich  auch 
die  Drüsenschicht  zugrunde  geht,  in  die  Decidua  um.  Jene  Falten  der 
Decidua  nun,  an  welchen  das  Eichen  haften  geblieben,  um  wuchern  durch 
Proliferation  das  ganze  Ei,  ihm  eine  neue  Hülle  gebend  (Decidua  reßexa), 
während  jene  Partie  der  zur  Decidua  vera  umgestalteten  Uterusmucosa.  an 
welcher  das  Ei  direct  anliegt,  als  Deckina  serotina  benannt,  jene  Stelle  ab- 
gibt, an  welcher  später  die  Chorionzotten  hineinwuchern,  und  auf  diese 
Weise  die  erste  Anlage  der  Placenta  darstellt.  Wächst  somit  der  Uterus 
einerseits  dadurch,  dass  er  einen  Inhalt  bekommt,  und  dieser  Inhalt  selbst  stetig 
fortwächst,  so  besitzt  der  Uterus  andererseits  auch  während  der  Schwanger- 
schaft ein  eigenes  W^achsthum.  Dieses  ist  bedingt  durch  die  Proliferation 
seiner  sämmtlichen  Gewebselemente.  So  finden  wir  die  Musculatur  stark 
hyperplastisch,  ebenso  die  bindegewebigen  Elemente,  die  nervösen  Elemente, 
die  Wandelemente  der  Gefässe,  so  dass  die  Gefässlumina  auf  das  Doppelte 
und  Dreifache  erweitert  sind,  die  Gefässramification  eine  innigere,  eng- 
maschige wird,  das  Peritoneum  in  ausserordentlichem  Masse  entfaltet,  so 
dass  es  hinreicht,  den  grossen  schwangeren  Uterus  zu  bekleiden,  und  ganz 
dieselben  Wachsthumsveränderungen  finden  wir,  wenn  auch  nicht  in  dem- 
selben Masse,  an  dem  leeren  Uterus  bei  einer  Extrauterinschwangerschaft. 
so  dass  es  nicht  blos  der  Inhalt  des  Uterus,  sondern  der  durch  die  einge- 
tretene Schwangerschaft  abgegebene  Reiz  ist,  welcher  die  hyperplastischen 
Veränderungen  am  Uterus  hervorzurufen  im  Stande  ist.  Infolge  des 
grösseren  Saftreichthums  bekommt  dabei  der  Uterus  eine  eigenthümlich 
teigig  weiche  Consistenz,  die  ihm  typisch  ist.  Auch  sein  Wachsthum  bis 
zum  Ende  der  Schwangerschaft  ist  ein  typisches,  hängt  jedoch  mit  dem 
Wachsthum  der  Frucht  so  innig  zusammen,  dass  die  Besclireibung  desselben 


12  EINLEITUNG. 

wohl  einer  anderen  Stelle  vorbehalten  werden  miiss.  Eine  weitere  Ver- 
änderung während  der  Schwangerschaft  finden  wir  am  Cervix  uteri.  Es  ist 
insbesonders  der  supravaginale  Antheil  des  Cervix,  der  während  der  Schwan- 
gerschaft so  ausserordentlich  aufgelockert  und  comprimirbar  erscheint,  dass 
daraufhin  direct  ein  werthvolles  Merkmal  der  Schwangerschaft  von  Hegar 
basirt  wurde.  Auch  die  Schleimhaut  der  Portio,  sowie  der  Scheidenwand 
ist  allenthalben  aufgelockert,  serös  durchfeuchtet  und  ebenso  wie  die 
Schleimhaut  des  Yestibulum  livid  verfärbt  infolge  der  stärkeren  Hyperämie 
der  Beckenorgane.  Dass  durch  das  stetige  Anwachsen  des  schwangeren 
Uterus  eine  constante  Aenderung  der  topographischen  Verhältnisse  der 
Beckenorgane  stattfindet,  ist  klar,  und  insbesondere  sind  es  die  peritonealen 
Verhältnisse,  welche  sich  je  nach  der  Grösse  des  Uterus,  derselben  sich 
anpassend,  ändern  müssen.  k.  a.  iierzfeld. 


Abnabeln.  Unmittelbar  nach  der  Ausstossung  der  Frucht  l)efindet 
sich  dieselbe  in  der  Nähe  der  äusseren  Geschlechtstheile,  bei  Kückenlage 
der  Gebärenden  zwischen  den  Schenkeln  der  Mutter.  Nun  kommt  die  Zeit 
der  Abnabelung  des  Kindes  sehr  in  Betracht. 

In  neuerer  Zeit  wurde  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  die  Menge 
des  Blutes,  welches  im  abgenabelten  Kindeskörper  enthalten  ist,  grossen 
Schwankungen  unterliegt,  die  vorzugsweise  von  der  Zeit  der  Abnabelung 
abhängen.  Es  liegen  die  Verhältnisse  nach  der  Geburt  des  Kindes  so,  dass 
das  gesammte  Blut,  welches  vom  Herzen  der  Frucht  in  Umlauf  gesetzt 
wird,  nicht  blos  im  Körper  des  Kindes,  sondern  auch  in  der  Nabelschnur 
und  in  dem  mächtigen  von  Blut  strotzenden  Fruchtkuchen  sich  befindet. 
Die  Gesammtmenge,  die  im  Kindeskörper  und  Fruchtkuchen  enthalten  ist, 
kommt  nicht  dem  abgenabelten  Kinde  zu,  da,  wenn  ein  so  blutreiches  Organ, 
wie  die  Placenta,  aus  dem  kindlichen  Kreislauf,  ausgeschaltet  wird,  wenn 
also  eine  so  grosse  Zahl  von  Blutgefässen  wegfällt,  auch  die  entsprechende 
Blutmenge  ausfallen  kann.  Mau  kann  also  eine  gewisse  Menge  Blut  zur  Zeit 
der  Abnabelung  in  der  Placenta  lassen,  ohne  befürchten  zu  müssen,  dass 
man  dem  Kinde  Blut,  welches  ihm  eigentlich  zukommt,  entzieht.  Der 
Blutgehalt  der  Placenta  wechselt  aber  sehr  verschieden,  so  dass  ihre  Gefässe 
unter  Umständen  einen  sehr  grossen  Theil  des  foetalen  Blutes,  in  anderen 
Fällen  nur  eine  geringe  Menge  von  demselben  enthalten  können.  Daher  ist 
es  für  die  Frucht  nicht  gieichgiltig,  ob  die  Abnabelung  zu  einer  Zeit  vor- 
genommen wird,  in  der  fast  das  sämmtliche  Blut  im  Fruchtkörper  oder  in 
der  ein  grosser  Theil  desselben  in  der  Placenta  ist.  Letzteres  ist  besonders 
der  Fall,  wenn  der  Inhalt  des  Uterus  unter  einem  sehr  geringen  Druck 
steht,  wodurch  das  kindliche  Blut  reichlich  nach  der  Placenta  abfliesst.  Am 
Avenigsten  Blut  verliert  daher  die  Frucht,  wenn  durch  energische  Uterus- 
contractionen  das  Blut  der  Placenta  dem  Kinde  zugeführt  wird.  Je  länger 
man  also  mit  der  Abnabelung  wartet,  desto  mehr  Blut  wird  im  Allgemeinen 
der  Frucht  zugewendet  und  man  kann,  wenn  darauf  geachtet  wird,  durch 
künstliches  Hineinpressen  des  Placentarblutes  in  die  Frucht  vor  der 
Abnabelung  dem  Kinde  eine  grosse  Menge  Blutes  mitgeben.  Nach  Wägungen 
hat  sich  gezeigt,  dass  der  GeAvichtsverlust,  den  neugeborene  Kinder  in  den 
ersten  Lebenstagen  regelmässig  erleiden,  geringer  ist  und  eher  aufhört, 
wenn  vor  der  Abnabelung  das  Placentarblut  in  das  Kind  hineingedrückt  wird. 
Die  Abnabelung  soll  daher  bei  einer  regelmässigen  Geburt,  wenn  die  Frucht 
lebt,  nicht  scheintodt  oder  todt  geboren  wurde  und  keine  gefährlichen  Coni- 
plicationen  sich  eingestellt  haben,  welche  die  möglichst  rasche  Beendigung 
der  Geburt  erheischen,  erst  dann  vorgenommen  werden,  bis  die  Puls a- 
tion  des  Nabelstranges  aufgehört  hat. 

Das  Abnabeln  geschieht  in  folgender  Weise:  Man  schlingt  ein 
20  on  langes  und  0-5  cm  breites,  früher  desiuficirtes  Fadenbändchen,  bei- 
läufig 5 — 6  cm  vom  Nabelring  des  Kindes  entfernt  um  die  Schnur,  fasst 
die  beiden  Enden  des  Fadenbändchen,  nachdem  man  einen  einfachen  Knoten 


14  ABORTUS  (spontan). 

geiiiailit  hat.  mit  der  entsprechenden  Hand,  hält  mit  Daumen  und  Zeige- 
hnger  der  linken  Hand  das  eine,  mit  dem  Daumen  und  Zeigefinger  der 
rechten  Hand  das  andere  Ende  des  Fadenbändchens  und  zieht  den  Knoten, 
indem  man  die  Ulnarränder  beider  Hände  gegeneinander  presst,  kräftig  zu ; 
dadurch  wird  verhütet,  dass  bei  einem  zufälligen  Zerreissen  des  Bändchens 
eine  Zerrung  des  zum  Nabel  des  Kindes  hinlaufenden  Stückes  des  Nabel- 
stranges erfolgt  oder  gar  das  Ausreissen  des  Nabelstranges  aus  der  Ein- 
pflanzungsstelle bewirkt  wird.  Nachdem  man  sich  überzeugt  hat,  dass  der 
Knoten  hinreichend  die  Gefässe  comprimirt,  werden  die  Enden  nochmals 
um  die  Schnur  in  entgegengesetzter  Richtung  geführt  und  ein  zweiter  Knoten 
angelegt.  Beiläufig  4 — 5  cm  weiter  gegen  die  Placenta  hin  soll  eine  zweite 
Ligatur  angelegt  Averden  und  zwischen  beiden  die  Durchschneidung  mit  der 
desinflcirteu  Scheere  erfolgen.  Dabei  hat  man  darauf  zu  achten,  dass  un- 
nöthige  Verunreinigung  der  Umgebung  durch  das  aus  den  Nabelgefässen 
spritzende  Blut,  sowie  Verletzungen  der  Extremitäten  des  Kindes  und  der 
mütterlichen  Weichtheile  vermieden  werden,  was  am  leichtesten  auszuführen 
ist,  wenn  innerhalb  der  linken  Hohlhand  mit  einem  Scheerenschlag  die 
Durchschneidung  erfolgt.  Die  nach  dem  Kinde  hin  liegende  Ligatur  ist 
durchaus  nothwendig,  da  gefährliche  Blutungen  nicht  blos  aus  ununter- 
bundenen,  sondern  selbst  aus  schlecht  unterbundenen  besonders  sulzreichen 
Nabelsträngen  vorkommen;  die  Ligatur  nach  der  Placenta  hin  ist  dann  tiber- 
flüssig, wenn  dieselbe  bei  der  Durchschneidung   etwa  schon  geboren  wäre. 

Ist  die  Placenta  noch  in  der  Uterushöhle,  dann  ist  die  doppelte  Unter- 
bindung sehr  zu  empfehlen,  weil  dadurch  die  strotzend  mit  Blut  gefüllte 
Placenta  sich  leichter  löst. 

Bei  etwaiger  Anwesenheit  einer  zweiten  Frucht  in  der  Gebär- 
mutterhöhle ist  es  auch  möglich,  dass  aus  dem  durchschnittenen,  aber  nicht 
unterbundenen  Ende  des  Nabelstranges  des  ersten  Zwillingskindes  zu  viel 
Blut  abfliesst  und  somit  das  zweite  Zwillingskind  in  Verblutungsgefahr 
kommen  kann. 

Man  kann  auch  die  Nabelschnur  auf  eine  von  einem  20  cm  langen 
Kautschuk  oder  Drainband  gebildete  Schlinge  legen,  die  Enden  der  letzteren 
über  der  Nabelschnur  durch  die  Oese  der  Schlinge  schieben,  nach  ver- 
schiedenen Richtungen  hin  kräftig  anziehen  und  fest  knoten.  Der  unter- 
bundene Nabelstrangrest  wird  mit  sterilisirter  Verbandwatte  eingepackt  und 
mittelst  der  Bauchbinde  lose  über  der  linken  Seite  des  Nabels  befestigt. 
Die  Watte  hält  die  bacteriellen  Keime  der  Luft  ab  und  verhindert  die 
Verschiebung  des  Nabelschnurrestes.  gustav  BRArN. 

Abortus  (spontan).  Die  Schwangerschaft  kann  zu  jeder  Zeit  ihres 
Bestehens  aus  den  mannigfachsten  Ursachen  eine  Unterbrechung  erleiden. 
Li  den  ersten  zwei  Dritteln  der  Schwangerschaft,  bevor  der  Fötus  lebens- 
fähig ist,  bis  zur  26.  bis  28.  Woche  bezeichnet  mau  dies  als  Abort,  Miss- 
fall, Fehlgeburt,  fausse  couche,  während  die  Ausstossung  einer  zwar  noch 
nicht  reifen,  aber  doch  schon  lebensfähigen  Frucht,  Frühgeburt  genannt 
wird.  Man  kann  auch  unterscheiden  zwischen  Abort  oder  Missfall  und  Fehl- 
geburt, und  bezeichnet  als  ersteres  die  Ausstossung  des  Eies  vor  vollendeter 
Bildung  der  Placenta,  also  vom  Anfang  bis  zur  14.  bis  16.  Woche,  als 
letzteres,  als  Fehlgeburt,  die  Geburt  zwischen  der  16.  und  26.  bis  28.  Woche. 
Es  hat  diese  Eintheilung  eine  gewisse  Berechtigung  sowohl  in  Bezug  auf 
die  Entwicklungsstadien  der  Frucht  und  ihrer  Anhangstheile,  als  auch  in 
praktischer  Beziehung.  Es  ist  aber  natürlich,  dass  eine  genaue  Abgrenzung 
zwischen  Abort  im  engeren  Sinne  und  Fehlgeburt  ebenso  wenig  stricte 
durchzuführen  ist,  als  zwischen  Fehlgeburt  und  Frühgeburt,  da  die  normale 


ABORTUS  (spontan).  15 

Entwicklung  der  Frucht,  resp.  des  Eies  einerseits  und  des  Uterus  anderer- 
seits vom  ersten  Anfange  der  Scliwangerschaft  bis  zum  P]nde  eine  stetige, 
nicht  ruckweise  fortsclireitende  und  dal)ei  durchaus  nicht  bei  allen  Schwan- 
geren gleichmässige  ist.  In  so  scharf  begrenzte  Formen  lässt  sicli  die  Natur 
nicht  bannen. 

In  den  ersten  vier  Monaten  ist  der  Uterus  für  eine  eigentliche  Ge- 
burtsthätigkeit  noch  wenig  vorbereitet,  der  Fötus  in  seinen  einzelnen  Theilen 
noch  kaum  entwickelt,  eine  Placenta  erst  gegen  Ende  dieser  Periode  vor- 
handen und  dadurch  die  Verbindung  des  ganzen  Eies  mit  dem  Uterus  eine 
viel  losere,  als  später,  weshalb  auch  eine  zu  dieser  Zeit  aus  irgend  einer 
Ursache  veranlasste  Losstossung  des  Eies  wesentlich  anders  verläuft,  als 
bei  weiter  vorgeschrittener  Entwicklung.  Dies  der  Grund,  weshalb  Viele 
den  Vorgang  dieser  Periode  speciell  als  Abort  bezeichnen  im  Gegensatz 
zur  Fehlgeburt  (zwischen  der  16.  und  26.  Woche),  welche  sich  in  ihren 
Erscheinungen  scbon  mehr  der  rechtzeitigen  Geburt  nähert;  noch  mehr  die 
Frühgeburt. 

Aetiologie.  Abgesehen  von  äusseren,  plötzlich  wirkenden  Einflüssen, 
welche  das  ganz  gesunde  Ei  treffen  und  seine  Losstossung  sans  praeparation 
bewirken  können,  wird  der  Abort  in  den  bei  Weitem  meisten  Fällen  ein- 
geleitet durch  krankhafte  Veränderungen  des  Eies  selbst,  oder  durch  patho- 
logische Zustände  der  Mutter.  Es  wird  hierdurch  eine  Disposition  gegeben, 
welche  für  sich  allein  genügt  oder  nur  eines  geringen  Anstosses  bedarf, 
um  den  Abort  früher  oder  später  zur  vollendeten  Thatsache  zu  machen. 
Hiernach  haben  wir  zu  unterscheiden  zwischen  prädisponir enden  oder 
vorbereitenden  und  directen  oder  Gelegenheits-Ursachen  des 
Abortes,  welche  wohl  auseinanderzuhalten  sind,  in  vielen  Fällen  jedoch 
einander  ergänzen. 

Die  Gelegenheitsursachen  wirken  fast  ausschliesslich  von  der  Mutter 
aus,  die  vorbereitenden  dagegen  sowohl  von  der  Mutter,  als  von  der  Frucht. 
Die  vorbereitenden  Ursachen  von  Seiten  der  Frucht  sind  ausser 
Erkrankungen  der  Eihüllen,  speciell  des  Chorions,  wesentlich  das  vorzeitige 
Absterben  des  Fötus.  Dieses  aber  wird  bedingt  durch  Missbildungen  des 
Fötus  oder  einzelner  Theile  desselben,  durch  mangelhafte  Ernährung  in 
Folge  gestörter  oder  schlechter  Nahrungszufuhr,  durch  Torsion  oder  sonstige 
Fehler  der  Nabelschnur,  durch  Verwachsungen  und  dergl.,  sowie  auch  durch 
Entartungen  der  Decidua.  Ob  auch  durch  selbstständige  acute  Erkrankungen 
—  als  solche  Averden  angeführt:  Entzündungen,  Exantheme,  Afterbildungeu, 
Krankheiten  der  Adnexa,  Dyskrasien  —  der  Fötus  absterben  kann,  ist 
immerhin  zweifelhaft,  besonders  in  so  früher  Zeit.  In  Bezug  auf  letztere 
ist  aber  nicht  abzusprechen,  dass  dem  Keim  resp.  Ei  durch  den  zeugenden 
Vater  eine  Schädlichkeit,  ein  Virus  (z.  B.  Si/phiJis)  mitgetheilt  werden  kann, 
Avelche  die  Entwicklung  desselben  stört  und  früher  oder  später  zum  Ab- 
sterben führt. 

Die  nächste  Folge  des  Ab  Sterbens  des  Fötus  ist  Aufhören 
seiner  Blutbewegung,  dadurch  verminderter  Turgor  des  ganzen  Eies  und 
verminderter  Inhaltsdruck  des  Uterus,  wodurch  letzterer  zu  Contractionen 
angeregt  wird,  und  zwar  umso  leichter,  je  mehr  er  bereits  in  der  Schwanger- 
schaftsentwicklung vorangegangen  ist.  Durch  das  Absterben  des  Fötus  werden 
in  erster  Linie  auch  die  fötalen  Eihüllen  in  ihrer  Weiterentwicklung  secun- 
där  gehemmt,  wie  auch  auf  der  anderen  Seite  wdeder  eine  primäre  Ent- 
artung besonders  des  Chorions  {Mijxom  und  dergl.)  einen  deletären  Einfluss 
auf  den  Fötus  ausübt,  sein  Absterben  bewirkt,  eine  Wechselwirkung,  welche 
sich  besonders  in  den  ersten  Monaten  der  Schwangerschaft  geltend  macht. 
Die    durch   den   Tod   des  Fötus   bewirkte  Verringerung   des  Eivolums  und 


16  ABORTUS  (spontan). 

der  dadurch  veränderte  Iiilialtsdruck  des  Uterus  veranlasst  Zerrungen  und 
Reibungen  der  EioberfliUdie  an  der  Utcruswand.  Hierdurch  wird  eine  Tren- 
nung der  welken  Chorionzotten  oder  später  des  fötalen  Theiles  der  Placenta 
von  der  Decidua,  sei  es  ini  Gesammtumfang  des  Eies  in  den  ersten  Monaten 
oder  später  nur  im  placentaren  Theile  derselben  herbeigeführt  mit  Zer- 
reissung  der  mütterlichen  Blutgefässe  an  dieser  Stelle,  wodurch  jetzt  ein 
Bluterguss  zwischen  Ei  und  Uteruswand  erfolgt.  Dieser  letztere  reizt  wieder 
zu  Contractionen.  welche  eine  weitere  Trennung  der  EihüUen  vom  Uterus 
und  damit  weitere  Blutungen,  vermehrte  Contractionen  u.  s.  w.  in  fort- 
■\virkendem  circulus  vitiosus  veranlassen.  Diese  Veränderungen  des  Eies 
bilden  die  häufigste  Veranlassung  zum  Abort,  sie  führen  aber  selten  den 
sofortigen  Eintritt  desselben  herbei.  Sehr  bald  macht  sich  dabei  eine  fehler- 
hafte Mitwirkung  von  Seiten  der  Mutter  geltend. 

Es  kann  aber  auch  die  erste  Disposition  zum  Abort  von  der  Mutter 
ausgehen  durch  die  verschiedensten  pathologischen  Z  us fände  der- 
selben, seien  es  örtliche  oder  allgemeine.  Hierzu  gehöven  Lar/efehler 
des  Uterus,  besonders  Ketroflexionen  und  Prolapsus,  aber  auch  Anteflexionen, 
allgemeine  oder  partielle  Rigidität  desselben  von  Haus  aus  oder  durch 
KarbenbikUmgen,  Verwachsimgen  mit  Nachbarorganen,  in  die  Uteruswaudung 
eingelagerte  Fibrome,  Mf/ome  und  dergl.,  und  besonders  Carchwm.  Aehnlich 
können  Tumoren  benachbarter  Organe  durch  Raumbeschränkung  wirken. 
Auch  scheint  manchmal  in  Folge  schwacher  Entwicklung  des  Uterus  oder 
seines  Fasergewebes  demselben  die  Fähigkeit  zu  fehlen,  das  Ei  genügend 
zu  entwickeln,  ebenso  bei  Verkümmerung  (uterus  unicornis  oder  bicornis 
mit  verkümmertem  einem  Hörn).  Von  Erkrankungen  des  Uterus  gibt  be- 
sonders häufig  MetrHis  chron.  und  acuta,  Endometritis  Disposition  zum  Abort. 
Wie  schon  erwähnt,  können  auch  Erlranhiuf/en  der  Decidua  Abort  veran- 
lassen, sei  es,  dass  dadurch  in  erster  Linie  der  Fötus  abstirbt,  sei  es,  dass 
zuerst  Blutergüsse  zwischen  die  Eihäute  entstehen  mit  den  sich  daran 
knüpfenden  Folgen. 

Eine  grosse  Rolle  sowohl  bei  der  Entstehung  als  auch  im  weiteren 
Verlaufe  des  Abortes  spielen  Hyperaemie  und  Anaemie,  sowohl  allgemeine, 
als  locale,  besonders  letztere  und  können  diese  ebensowohl  die  Disposition 
zum  Abort  begründen,  als  auch  denselben  direct  bewirken.  Allgemeine 
Anaemie  der  Mutter  von  Haus  aus  oder  durch  Mangel,  schlechte  Ernährung, 
vorausgegangene  erschöpfende  Krankheiten,  Dyskrasieu,  heftige  Blutverluste 
veranlasst,  kann  das  Absterben  des  Fötus  und  dadurch  den  Abort  herbei- 
führen, ebenso  auch  locale  Anaemie  des  Uterus,  veranlasst  durch  Behinde- 
rung der  Blutzufuhr  in  Folge  Compression  der  zuführenden  Gefässe,  Die 
Compression  wird  allerdings  häufiger  passive  Hyperaemie  durch  venöse 
Stauung  verursachen. 

Treten  Verhältnisse  ein,  welche  die  physiologische  Hi/peraemie  des 
schwangeren  Uterus  zu  einer  pathologischen  steigern,  dann  kann  es  leicht 
durch  den  verstärkten  Inhaltsdruck  zu  einer  Zerreissung  der  äusserst  zarten 
neugebildeten  Decidual-  oder  später  Utero-Placentargefässe  und  damit  zu 
einem  mehr  minder  starken  Bluterguss  kommen,  welcher  entweder  unmittel- 
bar, wenn  er  sehr  stark  ist,  oder  allmälig  den  Abort  herbeiführt.  Möglich 
ist  auch,  dass  die  pathologische  Hyperaemie  des  Uterus  primär  durch  Nerven- 
reiz Contractionen  anregt,  und  durch  diese  eine  Loslösung  der  Decidua  und 
dann  erst  secundär  Blutungen  veranlasst  werden.  Eine  pathologische  Hyper- 
aemie des  schwangeren  Uterus  kann  entstehen  durch  allgemeine  Plethora, 
durch  heftiges  Fieber  bei  Entzündungen  auch  entfernter  Organe,  durch 
heftige  Erregungen  und  Blutwallungen  —  Orgasmus  —  in  Folge  starker 
Erregung   der  Sinnlichkeit,  Genuss  starker,  erhitzender  Getränke,   heisser, 


ABORTUS  (spontan).  17 

allgemeiner  Bäder  und  Fiissbäder,  noch  mehr  aber  durch  alles,  was  eine 
vermehrte  Congestion  nach  den  Beckenorganen  bewirkt,  so  Entzündung  des 
Uterus,  der  Blase,  des  Mastdarms,  zu  heftiger,  ungestümer  oder  zu  häufiger 
Coitus,  Reizung  des  Darmcanals  durch  scharfe  Arzneimittel,  wie  dadurch 
besonders  auch  die  Wirkung  mancher  sogenannter  Abortiva  zu  erklären  sein 
möchte.  Ebenso  wie  Congestionen  erregende  wirken  auch  Blutstauungen  in 
den  Genitalien  veranlassende  Momente  —  passive  Hyperaemie  —  wie 
Lungen-,  Leber-,  Herzkrankheiten,  Lagefehler  des  Uterus  und  dergi.  ^'er- 
mehrt  wird  dieser  deletaere  Einfluss  der  Hyperaemie  durch  alle  Art  Er- 
schütterungen des  Körpers,  so  durch  Fall,  Springen,  Tanzen,  Falii'en  auf 
holperigen  Wegen,  heftiges  Niesen,  Husten,  sowie  durch  Stösse  auf  den 
Unterleib,  welche  Erschütterungen  auch  ohne  pathologische  Hyperaemie 
Zerreissung  der  Blutgefässe,  selbst  der  Eihüllen  bewirken  können. 

Auch  vom  Nervensjjstem  aus  kann  Veranlassung  zum  Abort  gegeben 
werden,  sei  es,  dass  eine  directe  Pteizung  der  Uterusnerven  Contractionen 
auslöst,  wie  z.  B.  durch  Frictionen  des  Uterus  von  den  Bauchdecken  aus, 
durch  ungestüme  Palpationen  des  Unterleibes,  resp.  des  Uterus,  durch  un- 
vorsichtiges Touchiren  des  Genitaltractus,  besonders  des  Muttermundes; 
sei  es,  dass  auf  reflectorischem  Wege,  durch  Reizung  anderer,  mit  dem 
Uterus  in  Connex  stehender  Nervenbahnen,  so  durch  Reizungen  der  Brüste, 
der  Vulva  oder  der  Scheide. 

Hierher  gehört  wohl  auch  eine  bei  manchen  Frauen  zu  beobachtende 
erhöhte  Reizbarkeit  des  Gesmmntorganismus,  die  es  bewirkt,  dass  der  ge- 
ringste äussere  Anlass,  die  geringste,  selbst  freudige  Aufregung  den  Uterus 
zu  vorzeitigen  Contractionen  anregt.  Nicht  zu  bezweifeln  ist  schliesslich, 
dass  auch  heftiger  Schreck,  grosse  Aufregung,  Zorn  und  andere  psychische 
Alterationen  einen  Abort  zu  veranlassen  im  Stande  sind,  durch  allgemeine 
Nervenerregung  oder  durch  die  mit  der  Aufregung  so  oft  verbundene 
stürmische  Blutbewegung  (Herzklopfen!)  selbst  bei  vorher  gesundesten, 
normalsten  Verhältnissen.  Dass  hierdurch,  wie  manche  annehmen  (Scaxzoni), 
der  Fötus  direct  getödtet  werden  kann  und  dadurch  der  Abort  entsteht, 
ist  wohl  nicht  wahrscheinlich. 

Symptome.  Je  nach  der  Zeit  des  Auftretens  und  nach  der  ein- 
wirkenden Ursache  werden  die  Erscheinungen  des  Abortes  verschiedene 
sein.  Charakteristisch  dafür  sind  Blutungen,  Contractionen  des  Uterus  und 
allmälige  Eröffnung  des  Muttermundes,  welche  aber  in  ihrem  gegenseitigen 
Verhalten  zu  einander  grosse  Verschiedenheiten  zeigen.  Während  in  den 
ersten  Monaten  die  Blutungen  vorherrschen,  gleichen  später  die  Erscheinungen 
des  Abortes  und  der  Fehlgeburt  umso  mehr  denen  der  normalen  Geburt, 
je  weiter  die  Schwangerschaft  bereits  vorgerückt  ist.  In  der  allerersten 
Zeit  gleicht  der  Abort  oft  nur  einer  etwas  lange  zurückgehaltenen  und 
darum  vielleicht  etwas  verstärkten  Menstruation.  Der  Beginn  der  Blutung 
ist  verschieden,  bald  ganz  leise,  nur  tropfenweise,  in  anderen  Fällen  gleich 
von  vornherein  sehr  heftig.  Gar  viele  Frauen  abortiren  in  den  ersten 
zwei  Monaten  der  Schwangerschaft,  ohne  sich  nur  bewusst  oder  überzeugt 
zu  sein,  dass  sie  überhaupt  schwanger  sind.  Es  treten  etwas  heftigere  cata- 
meniale  Beschwerden  ein,  als  gewöhnlich,  der  Blutfluss  wird  ungewöhnlich 
stark  (was  der  Laie  als  Folge  der  zu  langen  Retention  betrachtet),  oft  mit 
Coagulis,  in  welche  eingehüllt  gelegentlich  das  ganze  Ei  unbemerkt  abgehen 
kann,  wiederholt  sich  wohl  einigemal  mit  vermehrtem  Drängen,  Druckbe- 
schwerden —  und  die  Sache  ist  abgethan.  Aber  nicht  immer  geht  es  so 
glatt  ab  und  besonders  nicht  nach  der  achten  bis  zehnten  Woche. 
Auch  jetzt  noch  fehlen  mitunter  besondere  Vorboten,  meist  aber  gehen 
dem  Eintritt  des  Abortes  Erscheinungen  voraus,  welche  darauf  aufmerksam 

Bibl    n-.ed.  Wissenschaften.  I.  Cieburtshilfe  und  Gj-näkologie.  2 


18  ABORTUS  (spoutan). 

machen,  dass  etwas  Ungewöhnliches  vorgehe.  Diese  Erscheinungen,  bedingt 
durch  den  vorzeitigen  Fruchttod,  den  allmäligen  Bhiterguss  in  die  Uterus- 
höhle, die  vorzeitigen,  noch  schwachen  Contractionen  oder  die  den  Abort 
bewirkenden  Krankheitszustände,  sind :  allgemeines  Unbehagen,  Frösteln, 
Fiebererscheinungen,  Gefühl  von  Schwere  oder  eines  fremden  Körpers  im 
Unterleib,  Kältegefühl  im  Leib,  häufiger  Harndrang,  vermehrter  Schleimabgang 
u.  s.  w.,  bis  zuletzt  als  deutlichere  Aborterscheinungen  dumpfe 
Schmerzen  im  Kreuz,  oft  in  die  Schenkel  ausstrahlend  und  Blutabgang  auf- 
treten, bald  beide  gleichzeitig,  bald  das  eine  oder  das  andere  zuerst,  je 
nachdem  die  Trennung  der  Eihäute  primär  oder  secundär,  je  nach  der 
causa  movens. 

Während  in  den  ersten  zwei  auch  drei  Monaten  beim  spontanen  Abort 
das  Ei  unter  allmäliger  Erweiterung  des  Cervicalcanales  und  Eröffnung  des 
Muttermundes  meist  unverletzt  abgeht,  ist  ein  solch  relativ  günstiger  Verlauf 
nach  Ablauf  der  zwölften  Seh wangerschaftswoche  seltener  zu 
beobachten.  Häufig  bersten  die  Eihäute  schon  vor  Eröffnung  des  Muttermundes, 
und  dann  dauert  es  längere  Zeit  unter  zunehmendem  Drängen  und  stärker 
werdenden  Blutungen,  bis  zuerst  der  Fötus  nach  aussen  tritt  unter  Zurück- 
lassung der  Eihäute  und  Placenta,  oder  der  Fötus  wird,  wenn  der  Mutter- 
mund durch  das  vordrängende  Ei  schon  etwas  eröffnet  war,  unter  einer 
etwas  stärkeren  Contraction  bei  dem  Bersten  der  Blase  gleich  nach  aussen 
gedrängt  mit  einem  Theil  oder  ganz  ohne  Eihäute  und  nun  tritt  eine  vorüber- 
gehende Pause  in  den  Contractionen  ein,  selbst  die  Blutung  sistirt  mitunter, 
meist  aber  lässt  sie  nur  etwas  nach,  ohne  ganz  aufzuhören,  oder  sie  wird 
selbst  noch  heftiger,  wie  vordem.  Die  weichen  zarten  Eihäute  und  Placenta 
reizen  den  noch  nicht  genügend  entwickelten  Uterus  nur  wenig  zu  Con- 
tractionen, hindern  aber  auch  eine  zur  Verschliessung  der  durchrissenen 
Gefässe  genügende  Zusammenziehung,  und  so  dauert  die  Blutung  fort,  be- 
sonders wenn  durch  den  ersten  Insult  die  Decidiia,  bezw.  die  Placenta 
nicht  vollständig  getrennt  oder  die  Decidua  zerrissen  worden  war.  Die 
Ausgänge  sind  jetzt  verschieden.  Die  Blutung  hält  mit  zeitweiligen  Ver- 
stärkungen an,  bis  nach  und  nach  alle  Eihaut-  und  Placentartheile  stück- 
weise ausgestossen  sind.  In  anderen  Fällen  kehrt  die  Blutung  erst  nach 
Tagen  oder  selbst  Wochen,  während  welcher  sich  die  Frau  verhältnissmässig 
wohl  fühlt,  wieder,  oft  sehr  heftig;  der  inzwischen  verschlossen  gewesene 
oder  durch  ein  Coagulum  obturirte  Muttermund  eröffnet  sich  wieder  und 
unter  heftigen  Schmerzen  wird  der  Rest  der  Anhangstheile  oder  nur  ein 
Theil  derselben  ausgestossen.  In  letzterem  Falle  wiederholt  sich  der  Vor- 
gang nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  wieder,  bis  endlich  alles  ausgestossen, 
der  Uterus  vollständig  entleert  ist. 

Bei  der  ersten  Lostrennung  der  Decidua  kann  sich  das  Blut,  wenn 
der  Erguss  sehr  stark  war,  aber  nicht  nach  aussen  treten  konnte,  in  das 
Ei,  zwischen  Chorion  und  Amnion,  selbst  in  die  Amnionhöhle  einen  Weg 
bahnen  und  dann  Veranlassung  zur  Bildung  der  sogenannten  2?!«/'-  oder 
Fle/schnolen  geben,  durch  welche  der  Fötus  meist  gestört  wird.  Die  zurück- 
gebliebenen Theile  des  Eies  können  aber  auch  in  Fäulniss  übergehen,  be- 
sonders dann,  wenn  entweder  beim  Abgange  des  Fötus  oder  später  eines 
Theiles  der  Adnexa  oder  bei  Versuchen  zur  Entfernung  derselben  oder 
selbst  bei  blossem  Untersuchen  Luft  eingetreten  war.  In  dieser  fauligen 
Zersetzung  liegt  für  die  Frau  die  grosse  Gefahr  einer  septischen  Infection. 
Weit  häufiger  allerdings  werden  die  in  Zersetzung  übergegangenen  Theile 
allmälig  nach  aussen  entleert,  ohne  solche  schlimme  Folgen  nach  sich  zu 
ziehen.  Zu  bemerken  ist,  dass  auch  der  Fötus  selbst  im  Uterus  zurück- 
gehalten  werden  kann,   manchmal,   besonders  bei  Luftabschluss,   ohne  sich 


ABORTUS  (spontan).  19 

wesentlich  zu  verändern,  in  anderen  Fällen  ^eht  er  ebenfalls  in  faulige 
Zersetzung  über,  wobei  mitunter  ganz  abnorme  Wege  zum  Abgang  beob- 
achtet worden  sind,  so  durch  die  Blase,  die  Bauchdecken  u.  s.  w.  Von 
den  Eitheilen  können  aber  auch  einzelne  Partikel,  besonders  an  der  Placen- 
tarstelle  ganz  zurückbleiben,  sich  allmälig  organisiren  und  zur  Bildung  soge- 
nannter fibrinoider  Polypen  oder  Placenfarpoh/pen  Veranlassung  geben  mit 
fortdauernder  Reizung  zu  Blutungen. 

Durch  diese  zuletzt  geschilderten  Vorgänge  können  die  I'atientinnen 
ausserordentlich  herunterkommen,  sei  es  durch  die  fortdauernd  unterhal- 
tenen Blutungen,  sei  es  durch  anhaltendes,  besonders  bei  der  Zersetzung 
auftretendes  Fieber.  Es  kann  selbst,  zumal  bei  den  Polypen,  zum  Tode  durcli 
Verblutung  kommen,  wenn  nicht  für  die  Entfernung  derselben  gesorgt  mrd. 

Ist  der  ganze  Process  vorüber,  die  Ausstossung  des  p]ies  und 
aller  Adnexa  vollendet,  dann  hört  vor  Allem  die  Blutung  vollständig 
auf,  abgesehen  von  Lochien  ähnlichen  Absonderungen,  und  der  Uterus 
bildet  sich  im  günstigen  Falle  wie  im  Normalwochenbett  zurück.  Nach 
Abort  in  den  ersten  Monaten  erfolgt  aber  die  Pt  ü  c  k  b  i  1  d  u  n  g  relativ  lang- 
samer, als  später,  da  dem  Uterus  bei  der  noch  geringen  Entwicklung  der 
Muskelfaser  die  nöthige  Contractionskraft  fehlt,  welche  den  reifen  Uterus 
so  prompt  zurückbilden  hilft.  Und  diese  mangelhafte  Rückbildung  wird 
oft  noch  merklich  verlangsamt,  selbst  ganz  hintangehalten,  je  nach  den  Ur- 
sachen, welche  den  Abort  veranlasst  hatten.  War  dieser  begründet  in 
primären  Erkrankungen,  Lage-  und  Bildungsfehlern  des  Uterus  u.  dgl., 
dann  verzögern  diese  auch  wieder  die  normale  Rückbildung.  Hierzu  kom- 
men oft  noch  Insulte  bei  der  Behandlung,  besonders  bei  gewaltsamer  Ent- 
fernung zurückgebliebener  Eihautreste,  mangelhafte  Pflege  und,  was  wir  so 
häufig  beobachten,  eine  Nichtbeachtung  des  Umstandes,  dass  nach  Abort 
so  gut  Wochenzustand  vorhanden  ist,  als  nach  rechtzeitiger  Geburt.  Ab- 
gesehen davon,  dass  die  vorher  schon  bestandenen  fehlerhaften  Zustände 
durch  das  fehlerhafte  Verhalten  nicht  gebessert  oder  gehoben  werden, 
treten  jetzt  oft  neue  Erkrankungen  hinzu,  besonders  Para-  und  Perimetritis, 
Erschlaffungszustände,  chronischer  Katarrh,  Infarkt,  Verdichtungen  und 
Schrumpfungen  des  Beckenzellgewebes,  Texturerkrankungen  des  Uterus, 
Lagefehler  u.  dgl.  Haben  solche  Zustände  schon  vorher  bestanden  oder 
sind  sie  erst  nach  und  in  Folge  des  Abortus  aufgetreten,  dann  kann  es 
bei  der  nächsten  Coneeption  sehr  leicht  abermals  zum  Abort  kommen, 
häufig  zu  derselben  Schwangerschaftszeit  wie  bei  dem  vorhergehenden,  und 
erklären  sich  auf  diese  Weise  die  meisten  Fälle  des  sogenannten  habi- 
tuellen Abortus,  d.  h.  der  Neigung  mancher  Frauen,  nach  jeder  oder 
fast  jeder  neuen  Coneeption  wieder  zu  abortiren.  Es  kann  aber  diese 
Neigung  auch  in  organischen  Fehlern  des  Genitalapparates,  in  nicht  ge- 
tilgten Dyskrasien,  die  ein  frühzeitiges  Absterben  des  Fötus  bedingen,  oder 
auch  in  der  früher  erwähnten  erhöhten  Sensibilität  oder  individuellen  Reiz- 
barkeit, welche  den  Uterus,  resp.  das  Ei  nur  zu  einem  gewissen  Grade 
der  Entwicklung  kommen  lässt,  begründet  sein,  wenn  auch  sicher  ist,  dass 
gar  manchesmal,  wo  bei  mangelhafter  Nachforschung  diese  erhöhte  Reiz- 
barkeit als  einziger  plausibler  Grund  angegeben  oder  angenommen  war, 
bei  genauer  Untersuchung  ein  fassbares  Grundleiden  als  Ursache  sich  her- 
ausgestellt hätte,  wenn  nicht  gar  strafbare  Manipiüationen  irgend  welcher  Art. 
Wer  kann  immer  hinter  die  Gardinen  sehen! 

Von  manchen  Autoren  wird  auch  angegeben,  dass  mitunter  Frauen 
Früchte  desselben  Geschlechtes,  Knaben  oder  Mädchen,  nicht  austragen, 
die  des  anderen'  Geschlechtes  aber  zur  Reife  bringen.  Was  Wahres  daran, 
was  der  Grund,  ist  schwer  zu  sagen. 

2* 


20  ABORTUS  (spontan). 

Ueber  die  Frequenz  des  Abortus  lässt  sich  ein  genauer  statistischer 
Nachweis  nicht  liefern.  Die  Zahlenangaben  darüber  sind  ausserordentlich 
verschieden.  Besonders  über  den  Abort  in  den  ersten  zwei  Monaten  ist 
eine  bestimmte  Zahlenangabe  nicht  zu  geben,  da  viele  Frauen  und  Mäd- 
chen bei  solchem  gar  keine  ärztliche  oder  hebammliche  Hilfe  nachsuchen 
aus  den  verschiedensten  Gründen.  Gewiss  ist,  dass  in  dieser  Zeit  der 
Abort  ausserordentlich  häufig  vorkommt.  Abgesehen  von  dieser  Zeit,  be- 
obachten wir  die  meisten  Aborte  zwischen  der  10. — 16.  Woche.  Die  Neigung 
zum  Abort  ist  viel  häufiger,  als  die  zu  einer  Fehlgeburt  nach  dem  vierten 
Monat.  Es  ist  dies  darin  begründet,  dass  die  Eihüllen,  Decidua  und  Chorion 
zu  dieser  kritischen  Zeit  viel  blutreicher  als  vorher,  die  neugebildeten 
Gefässe  aber  viel  zarter  und  weniger  widerstandsfähig  sind,  und  das  ganze 
Ei  noch  viel  lockerer  eingebettet  ist  als  nach  vollkommener  Bildung  der  Pla- 
centa.  Aus  diesem  Unterschiede  erklärt  sich  auch  die  Berechtigung  der 
Unterscheidung  zwischen  Abort  und  Fehlgeburt.  Man  rechnet,  dass  auf 
acht  bis  zehn  rechtzeitige  Geburten  ein  Abort  kommt.  In  Anbetracht  der 
häufigen  unerkannt  erfolgten  Aborte  der  ersten  zwei  Monate  ist  dies  viel- 
leicht zu  wenig  und  rechnen  deshalb  manche  das  Verhältnis  selbst  wie  fünf 
zu  eins.  Bei  Multiparen  ist  der  Abort  häufiger,  als  bei  Primiparen.  Mit- 
unter hat  man  ein  gruppenweises,  fast  epidemisches  Auftreten  des  Abortus 
beobachtet  (ähnlich  bei  Thieren),  was  bisweilen  in  erkennbaren  Ursachen, 
wie  Schreckenszeiten,  Hungersnöthen,  epidemischen  anderweitigen  Erkran- 
kungen (Kriebelkrankheit,  Influenza  u.  s.  w.)  seinen  Grund  hat,  jedoch  auch 
ohne  solche  nachweisbare  Ursachen  vorgekommen  sein  soll. 

Die  Diagnose  des  drohenden  Abortus  ist  leicht,  wenn  bei  nach- 
gewiesener oder  wenigstens  ziemlich  sicher  vermutheter  Schwangerschaft 
mehr  minder  starke  Uterinalblutungen  und  deutliche  Contractionen  des 
Uterus  auftreten  und  noch  mehr,  wenn  der  untersuchende  Finger  beginnende 
Eröffnung  des  Muttermundes  oder  gar  das  Ei  in  demselben  fühlt.  Blutungen 
allein,  ohne  Contractionen,  ohne  Erötfnung  des  Muttermundes,  können  ein 
Zeichen  von  drohendem  oder  beginnendem  Abortus  sein;  es  ist  aber  auch 
möglich,  dass  es  sich  um  eine  unregelmässig  auftretende  Menstruation  han- 
delt, welche  zwar  von  Vielen  geleugnet  wird,  aber  doch  entschieden  vor- 
kommt, besonders  in  den  ersten  Monaten,  selbst  auch,  wenn  zwar  selten, 
bis  gegen  Ende  der  Schwangerschaft.  Auch  können,  abgesehen  von  Blu- 
tungen aus  der  Scheide,  aus  geborstenen  Thromben  (was  allerdings  meist 
erst  gegen  Ende  der  Schwangerschaft  vorkommt),  aus  dem  unteren  Theile 
des  Uterus,  besonders  aus  dem  Cervikalcanal  Blutungen  kommen,  die  nicht 
auf  Loslösung  des  Eies  hinwirken,  aber  diese  sind,  wie  auch  die  Men- 
struation in  der  Schwangerschaft,  selten,  und  man  wird  immer  gut  thun.  auch 
Avenn  keine  Contractionen  vorhanden  sind,  jede  Blutung  aus  dem  Uterus  bei 
sicher  constatirter,  selbst  auch  bei  zweifelhafter  Schwangerschaft  als  ver- 
dächtig anzusehen.  Fühlt  man  die  Spitze  des  Eies  im  sich  eröffnenden 
Muttermund,  so  kann  die  Verwechslung  mit  einem  Polypen  mitunter 
Schwierigkeiten  machen,  doch  ist  derselbe  resistenter,  als  das  uneröffnete 
Ej,  oft  auch  höckerig.  Nach  unbemerktem  Abgange  des  Fötus  kann  aber, 
wenn  Schwangerschaft  noch  nicht  constatirt  war,  die  sich  vordrängende 
Placenta  oder  ein  mit  Blutgerinseln  überdeckter  Eihautklumpen  eine  Unter- 
scheidung von  einem  Polypen  sehr  schwer  machen.  Schwierig  ist  auch  oft 
und  kann  nur  durch  mehrfache  Untersuchung  constatirt  werden,  ob  das  Ei 
schon  abgegangen  ist  oder  nicht,  oder  ob  noch  einzelne  Theile  desselben 
vorhanden  sind,  zumal  sich  oft  nach  Abgang  einzelner  Theile  oder  nach 
stärkeren  Blutungen  der  Muttermund  wieder  schliesst,  und  eine  oft  über 
Tage  und  Wochen  sich  erstreckende  Pause  entsteht.     Bei  schlaffen  Bauch- 


ABORTUS  (spontan).  21 

decken  hilft  oft  bimanuelle  Untersuchung,  vielleicht  unterstützt  durch  Ex- 
ploratio  per  anum,  selbst  in  den  ersten  Monaten;  nach  dem  dritten  Monat 
auch  bei  strafferen  Bauchdecken.  Eine  allenfallsige  Untersuchung  mit  der 
Sonde  ist  zu  perhorresciren,  so  lange  man  nicht  sicher  weiss,  dass  der 
Fötus  wirklich  abgegangen  ist.  Die  Diagnose  des  Lel)ens  oder  Todes  des 
Fötus  ist  in  der  ersten  Zeit  der  Schwangerschaft  nicht  möglich,  zu  ver- 
muthen  ist  aber  der  Tod  aus  den  diesem  Ereignis  oft  anhaftenden  früher 
erwähnten  Allgemeinerscheinungen. 

Nach  dem  bei  Schilderung  des  Verlaufes  bereits  Angegebenen  ist  in 
Betreff  der  Prognose  kaum  noch  etwas  hinzuzufügen.  So  lange  die  Blu- 
tungen und  Contractionen  nicht  sehr  heftig  sind,  darf  man  die  Hoffnung 
nicht  aufgeben,  dass  es  gelingen  könnte,  den  Abort  zu  sistiren,  das  Leben 
des  Kindes  zu  erhalten.  Erst  Abgang  des  Liquor  amnii  oder  gar  einzelner 
Eihauttheile  schliesst  diese  Hoffnung  aus.  Im  Allgemeinen  muss  man  daran 
festhalten,  dass  jeder,  auch  der  scheinbar  leichteste  Abort  nicht  gleich- 
giltig  zu  nehmen  ist.  Ist  auch  der  Tod  der  Schwangeren  durch  acute 
Verblutung  oder  durch  nachfolgende  Entzündungen  oder  durch  Sepsis  nur 
selten  die  Folge,  so  können  doch,  besonders  bei  unvorsichtigem  Verhalten, 
oder  nach  sehr  starken  anhaltenden  oder  oft  wiederholten  Blutungen  aller- 
lei Nachkrankheiten,  wie  oben  angegeben,  entstehen,  die  der  Betreffenden 
unter  Umständen  zeitlebens  nachhängen  und  ihr  das  Leben  verbittern. 

Die  Therapie  hat  verschiedene  Aufgaben  zu  erfüllen.  Abgesehen 
von  den  allgemeinen  diätetischen  und  sonstigen  Massregeln,  welche  wir 
jeder,  auch  gesunden  und  kräftigen  Frau  geben,  sobald  Schw^angerschaft 
eingetreten  ist,  haben  wir  bei  solchen,  die  schon  ein-  oder  mehrmals  abortirt 
haben,  in  prophylactischer  Beziehung  in  erster  Linie  die  Prädisposition  nach 
der  für  den  jeweiligen  Fall  gebotenen  speciellen  Behandlungsweise  zu  tilgen, 
soweit  dies  in  unserer  Macht  liegt.  Bei  solchen,  welche  noch  nicht  ge- 
boren, wenigstens  noch  nicht  abortirt  haben,  ist  keine  Veranlassung,  pro- 
phylactisch  einzugreifen,  wenn  nicht  ganz  besondere  Verhältnisse  vorliegen. 
Bei  den  von  der  Mutter  ausgehenden  Prädispositionen  werden  war  mit  un- 
seren Versuchen  mehr  Glück  haben  als  bei  solchen  von  Seiten  des  Fötus. 
Gegen  Bildungsfehler  des  Fötus  und  der  Eihäute,  Nabelschnur  und  Pla- 
centa  sind  wir  natürlich  um  so  mehr  völlig  machtlos,  als  wir  ja  zuvor  gar 
keine  Ahnung  davon  haben.  Das  vorzeitige  Absterben  des  Fötus  aus  inneren 
Ursachen  werden  wir  vergeblich  zu  bekämpfen  suchen,  höchstens  können 
wir  eine  Dyskrasie  der  Mutter  oder  des  zeugenden  Vaters  zum  Gegenstand 
der  Behandlung  machen,  sobald  wir  eine  solche  als  Ursache  des  habituellen 
Abortus  erkannt  haben. 

Erfolgreicher  können  wir  gegen  die  von  der  Mutter  ausgehenden 
P  r  ä  d  i  s  p  0  s  i  t  i  0  n  e  n  a  n  k  ä  m  p  f  e  n,  wenn  auch  durchaus  nicht  immer.  Wenn 
es  uns  gelingt,  eine  universelle  oder  locale  Plethora  oder  Anämie,  Erkrank- 
ungen oder  Lagefehler  des  Uterus  oder  der  Nachbartheile,  Allgemein- 
erkrankungen, Nervosität  u.  dgl.  rechtzeitig  zu  beseitigen,  so  wird  damit  auch 
ein  Abort  hintangehalten  werden  können,  und  umso  leichter  wird  es  uns 
dann  sein,  den  Gefahren  der  mannigfachen  Gelegenheitsursachen  zu  be- 
gegnen. Da  es  eine  bekannte  Thatsache  ist,  dass  viele  Aborte  besonders 
in  den  ersten  Monaten  in  der  Zeit  auftreten,  wo  eine  Frau,  wenn  sie  nicht 
concipirt  hätte,  menstruirt  haben  würde,  so  müssen  wir  unser  Augenmerk 
darauf  richten,  dass  die  Betreffenden  zu  dieser  Zeit,  sowie  zu  den  Zeiten, 
wo  vordem  schon  ein-  oder  mehrmals  Abort  stattgefunden  hat,  sich  beson- 
ders vorsichtig  verhalten,  alles  vermeiden,  was  eine  stärkere  geschlechtliche 
oder  sonstige  Aufregung,  Blutwallungen,  Körpererschütterungen  oder  der- 
gleichen hervorrufen  könnte.  Wenn  nöthig,  lässt  man  die  Frau  einige  Tage 


22  ABORTUS  (spontan). 

iu  ruhiger  Rückenlage  das  Bett  hüten,  und  dies  besonders  im  dritten  und 
vierten  Monat,  den  gefährlichsten  Abortzeiten.  Bei  Neigung  zu  habituellem 
Abort  kann  selbst  ein  Wochen  und  Monate  langes  Liegen  im  Bette  erfor- 
derlich werden. 

Kommt  es  nun  trotz  aller  dieser  Massregeln  oder  unvorhergesehen, 
ohne  solche  zu  den  Erscheinungen  des  drohenden  Abortus,  dann  haben  wir 
in  erster  Linie,  wenn  möglich,  das  Zustandekommen  desselben  zu  ver- 
hindern, den  Abort  zu  sistiren,  dann  aber,  wenn  dies  nicht  möglich, 
nicht  gelingt  und  dadurch  ernste  Gefahren  entstehen,  denselben  thunlichst 
zu  beschleunigen. 

Da  die  wesentlichsten  Factoren  des  Abortus  in  vorzeitigen  Contrac- 
tionen  und  in  Blutungen  bestehen,  so  muss  sich  behufs  Sistirung  des- 
selben unser  Augenmerk  auch  wesentlich  auf  diese  richten.  Vor  allem  ist 
ein  absolut  ruhiges  Verhalten  zu  emi)fehlei\, HinfanJiaUiittg  aller  SchädUchkeiten, 
massige,  blande  Diät  (nur  bei  Anämie  mehr  kräftige,  aber  nicht  reizende 
Kost),  kühlende,  säuerliche  Getränke  (Äc.  Halleri,  Ac.  pltosphor.  In  Zucker- 
irasser  oder  verdünnten  Fruchtsäften),  Verhütung  von  Obstipation  (durch  Ohst, 
leichte  Äbfiihrmittel,  nicht  durch  Ch/sma)  sowie  Vermeidung  jeglicher  Auf- 
regung. Machen  sich  Contractionen  bemerklich,  dann  sind  Narkotika  am 
Platz,  besonders  die  Opiate  in  nicht  zu  bescheidenen  Gaben  —  Tincf. 
Opii  10  bis  15  Tropfen  mehrmals  wiederholt,  Morphium  innerlich  und  sub- 
cutan — ,  ferner  warme  Tücher  auf  den  Unterleib  oder  selbst  warme  Um- 
schläge. Sind  keine  Blutungen  vorhanden,  dann  empfiehlt  sich  sehr  ein 
warmes  Bad,  nach  Umständen  wiederholt.  Treten  geringe  Blutungen  auf, 
dann  ist  gegen  dieselben  vorerst  gar  nichts  weiteres  anzuwenden.  Werden 
sie  aber  profuser  oder  treten  sie  gleich  heftig  auf,  dann  t  a  m  p  o  n  i  r  e 
man  sofort,  und  zwar  am  besten  mit  trockener,  womöglich  aseptischer 
Verbandwatte.  Die  früher  vielfach  empfohlene  Anfeuchtuug  des  Tampons 
mit  Eisenchlorid-,  Alaun-,  Essig-  oder  ähnlichen  stiptischen  Lösungen  ist  nicht 
zweckmässig,  da  trockene  V»^atte  viel  besser  das  Blut  aufnimmt  und  zur 
Coagulation  bringt,  wodurch  weitere  Blutungen  am  ehesten  sistirt  werden, 
andererseits  die  stiptischen  Flüssigkeiten  sehr  leicht  die  Genitalschleimhaut 
stark  reizen. 

Es  ist  nicht  nöthig  und  nicht  zweckmässig,  die  ganze  Scheide  mit 
Wattekugeln  auszufüllen,  sondern  nur  das  Scheidengewölbe  und  die  nächste 
Umgebung  der  Vaginalportion.  Eine  zu  starke  Anftillung  der  Scheide  ist 
schmerzhaft,  belästigt  durch  Druck  auf  die  Blase  und  den  Mastdarm  und 
reizt  leicht  zu  vermehrten  Contractionen,  was  durch  massige  Ausfüllung 
des  oberen  Theiles  der  Scheide  vermieden  wird.  Es  genügt  aber  letztere 
meist  vollkommen,  wenigstens  eine  Zeit  lang  zur  Blutstillung,  wenn  nur 
die  ersten  Wattekugeln  gut  und  fest  an  den  Muttermund  angelegt  werden, 
womöglich  in  den  Muttermund  hinein.  Am  besten  applicirt  man  den  Tampon 
mittelst  eines  Speculum.  Nach  Application  des  Tampon  gibt  man  innerlich 
noch  eine  kräftige  Dosis  Opnum,  vielleicht  auch  etwas  Hi/drastis,  oder  Eisen- 
chlorid, Ac.  Halleri,  Tc.  Rafanliiae  u.  dergl.,  legt  ein  reines  Stopftuch  vor 
und  wartet  ruhig  ab. 

Kommt  es  nicht  zu  neuer  Blutung,  dann  kann  man  diesen  ersten 
Tampon  18  bis  24  Stunden  liegen  lassen,  danach  muss  er  aber  vorsichtig 
entfernt  werden,  da  das  in  demselben  angesammelte  Blut  durch  die  Körper- 
wärme sehr  zur  Zersetzung  neigt,  der  Tampon  übelriechend  wird.  Die 
Entfernung  gelingt  leicht  durch  1  oder  2  in  die  Vagina  eingeführte  Finger 
—  auch  ohne  dass  man  an  die  oberste  oder  an  sämmtliche  Wattekugeln 
Fäden  zum  Herausziehen  befestigt  hat  — ,  welche  die  Kugeln  einzeln  unter 
sich    herausdrücken.    Man    kann    sich    dazu  auch    einer  langen  Kornzange 


ABORTUS  (spontan).  23 

oder  dünnen  Polypenzange  bedienen,  indem  man  2  Finger  der  einen  Hund 
bis  an  den  Tampon  führt  und  auf  denselben  die  mit  der  freien  Hand  gefasste 
Zange  wiederholt  leitet,  bis  alle  einzelnen  Kugeln  entfernt  sind.  Findet 
man  jetzt  den  vorher  vielleicht  schon  ziemlicli  geöffneten  Muttermund, 
in  welchen  unter  Umständen  selbst  die  Spitze  des  Eies  zu  fülilen  war, 
wieder  geschlossen  und  kein  Blut  aus  demselben  ausfliessend,  dann  macht 
man  eine  leichte  lauwarme  desinficirende  Ausspülung,  gil)t  frisches  Stopf- 
tuch und  empfiehlt  strengstens  ruhiges  Verhalten  in  Jlückenlage  für  einige 
Tage.  Auch  wenn  kein  Blut  mehr  kommt  und  im  günstigsten  Falle  der 
Zweck  erreicht  ist,  darf  die  Patientin  vor  8  Tagen  das  Bett  nicht  verlassen. 
Leichte,  ncährende,  nicht  erhitzende  Kost,  kühlende,  beruhigende  Getränke 
(sehr  zweckmässig  viel  Milch,  wo  sie  angenommen  und  vertragen  wird), 
kleine  Gaben  Opium  und  H  hi^  4  Mal  täglich  HfidraMii^  canad,  je  15  hif< 
20   Tropfen. 

Tritt  aber  wieder  Blutung  ein,  oder  zeigte  sich  dasselbe  schon  bei  Phit- 
fernung  des  Tampons  oder  gar  schon,  was  bei  stärkerer  Lostrennung 
des  Eies  der  Fall  sein  kann,  bei  noch  einliegendem  Tampon,  dann  muss 
man  nach  zuvoriger  reinigender  und  desinficirender  Ausspülung  der  Sclieide 
die  Tamponade  der  Scheide  wiederholen,  bezw.  erneuern.  Oft  finden  wir 
bei  Entfernung  des  ersten  (oder  auch  späteren)  Tampons  das  Ei  im  untersten 
Uterusabschnitt,  vielleicht  selbst  schon  ganz  oder  zum  grösseren  Theil  in 
der  Scheide  liegen.  Ist  letzteres  der  Fall,  dann  ist  die  Entfernung  mittelst 
1  oder  2  über  das  Ei  hinaufgeführte  Finger,  welche  dasselbe  nun  nach 
abwärts  drängen,  leicht  und  gefahrlos,  und  nach  Entfernung  desselben  ein 
weiterer  Tampon  nicht  mehr  notlwendig.  Ist  aber  das  Ei  erst  zur  Hälfte 
oder  noch  weniger  in  der  Scheide,  dann  ist  die  Entfernung  schwieriger 
und  liegt  die  Gefahr  nahe,  dass  dasselbe  beim  Versuch  der  Entfernung, 
besonders  wenn  dies  durch  Zug  von  unten  geschieht  (was  man  nie  thun 
soll!),  berstet  und  ein  Theil  der  Eihäute  zurückbleibt.  Diesem  begegnet 
man  am  besten  durch  abermalige  Tampouade,  durch  welche  am  besten  die 
Blutung  verhütet  und  die  weitere  Herabbeförderung  des  Eies  bewirkt 
wird.  Um,  da  sich  das  vorher  eingeschlagene  Verfahren  zur  Sistirung  des 
Abortus  nicht  von  Erfolg  gezeigt  hat  —  und  ein  anderes  zur  Sistirung  gibt 
es  nicht'—  jetzt  den  Abort  nach  Möglichkeit  zu  beschleunigen,  das 
Ei  zu  entfernen,  muss  der  Tampon  mit  starker  Ausfüllung  der  Scheide 
applicirt  w^erden,  um  womöglich  kräftigere  Wehen  zu  erregen,  und  könnte 
man  hiezu  auch  den  stark  aufzutreibenden  Kolpeunjnter  verwenden,  doch 
verdient  er  keinen  Vorzug  vor  einem  kräftigen  Wattetampon.  Ausserdem 
gibt  man  jetzt  SecaJe  cormUum  in  kräftigen  Dosen,  entweder  innerlich  oder 
subcutan  oder  durch  Clysma.  Fevner  sind  heisse  Irrigationen  der  Scheide,  bezw. 
des  Uterus  und  kalte'  Umschläge  auf  die  Unterbauchgegend  —  am  besten 
mittelst  Gummiblase  —  am  Platze,  aber  nicht,  wie  auch  das  Seeale,  bevor 
es  sich  um  Beschleunigung  des  Abortus  handelt,  was  leider  oft  verfehlt 
wird.  Ebenso  verfahren  wir,  wenn  der  Fötus  ohne  oder  mit  einem  Theil 
seiner  Adnexa  bereits  abgegangen  ist,  die  fortdauernden  oder  in  Intervallen 
auftretenden  Blutungen  uns  aber  belehren,  dass  noch  Theile  des  Eies  im 
Uterus  zurück  sind"  und  der  wenig  geöffnete  oder  wieder  geschlossene 
Muttermund  das  Eindringen  eines  oder  zweier  Finger  zu  ihrer  Entfernung 
nicht  gestattet.  Im  günstigsten  Falle  wird  man,  wie  oben  bemerkt,  einige 
Stunden  nach  Anlegung  des  Tampons,  nachdem  die  Frau  ein  stärkeres 
Abwärtsdrängen  verspürt  hat,  die  nunmehr  gelösten  Theile  im  Muttermund 
oder  im  obersten  Theile  der  Scheide  finden,  womit  dann  auch  die  Blut- 
ungen aufhören.  Ist  dies  aber  nicht  der  Fall  oder  dauert  trotz  des  Tampon 
die  Blutung   in   bedenklicher  Weise   fort,    dann  muss   zur   sofortigen   Ent- 


24  ABORTUS  (spontan). 

lernung  des  Eies  oder  seiner  Reste  geschritten  werden.  Zeigt  sich  dabei 
der  Muttermund  geschlossen  oder  wenig  geöffnet,  so  versuche  man  es 
immerhin,  ob  man  nicht  manuell  zum  Ziele  kommt,  indem  man  vorsichtig 
bohrend  erst  einen,  und  wenn  dies  gelingt,  einen  zweiten  Finger  in 
denselben  einführt,  während  die  aussen  befindliche  Hand  bei  nicht  zu 
straffen,  empfindlichen  Bauchdecken  versucht,  durch  kräftigen  Druck  von 
aussen  den  Uterus  dem  einzuführenden  Finger  entgegenzubringen,  ihn 
gleichsam  über  denselben  stülpt.  Manchmal  gibt  der  Muttermund  über- 
raschend gut  nach,  und  gelingt  das  Einführen  der  Finger  ohne  be- 
sondere Schwierigkeiten.  Dieselben  betasten  nun  die  ganze  Innenfläche 
des  Uterus  und  entfernen  alle  noch  anhaftenden  Eitheile  durch  Druck 
nach  unten. 

Zeigt  sich  aber  der  Muttermund  und  Halscanal  zu  rigid  und 
unnachgiebig,  dann  müssen  dieselben  durch  Pressschwamm  erweitert 
werden,  welcher,  gut  eingeführt,  auch  die  Blutung  vorzüglich  stillt,  kein 
Blut  nach  aussen  lässt.  Eine  etwa  nachtheilige  innere  Blutung  haben  wir 
in  den  ersten  4  Schwangerschaftsmonaten  bei  der  geringen  räumlichen 
Entwicklung  des  Uterus  dabei  nicht  zu  fürchten,  wenn  nicht  die  Frau 
durch  vorhergehende  colossale  Blutungen  schon  hochgradig  anämisch  gewor- 
den ist.  Das  Bedenkliche  bei  Anwendung  des  Pressschwammes  ist  nur, 
dass  er  die  Schleimhäute  sehr  reizt  und  leicht  zum  Vermittler  einer  Infection 
wird.  Er  darf  deshalb  nur  einige  Stunden  liegen  bleiben,  welche  aber  auch 
genügen,  um  die  nöthige  Erweiterung  zu  bewirken.  Bei  seiner  Entfernung 
niuss  sofort  desinficirend  ausgespült  werden,  damit  nicht  der  gleich  ein- 
zuführende Finger  das  durch  den  Pressschwamm  zersetzte  Blut  und  Cer- 
vicalsecret  allenfalls  in  den  Uterus  hinauftrage.  In  den  späteren  Monaten 
ist  eine  Anwendung  des  Pressschwammes  nicht  zulässig  wegen  der  Gefahr 
einer  zu  copiösen  Blutansammlung  in  der  jetzt  viel  weiteren  Uterushöhle. 
Die  von  mancher  Seite  empfohlenen  besonderen  Zangen  oder  dergleichen 
zur  Entfernung  der  Nachgeburts-,  resp.  Eihautreste  sind  nicht  nöthig  und 
auch  nicht  empfehlenswerth,  da  sie  an  den  weichen  Eihautresten  doch 
keinen  rechten  Halt  finden  und  dieselben  leicht  zerreissen,  wiv  aber 
wünschen  müssen,  die  Reste  in  toto  zu  entfernen.  Höning  hat  den  Rath 
gegeben,  die  Placentar-  oder  Eihautreste  durch  Expression  zu  entfernen, 
ein  Verfahren,  das  bei  genügend  schlaffen  Bauchdecken  oft  zum  Ziele 
führt.  Man  bringt  zu  dem  Zwecke  2  Finger  der  einen  Hand  in  das  Schei- 
dengewölbe —  bei  Anteversio  in  das  vordere,  bei  Retroversio  in  das 
hintere,  —  möglichst  hoch  hinauf  und  drückt  sie  an  das  corpus  uteri  an, 
während  die  aussen  befindliche  Hand  nach  Art  des  CEEDE'schen  Hand- 
griffes den  Fundus  kräftig  zusammenfasst  und  so  der  Uterusinhalt  bimanuell 
herausgepresst  wird.  Führt  dies  oder  das  vorher  angegebene  Einführen 
der  Finger  in  den  Uterus  nicht  zum  Ziel  oder  zeigt  trotz  scheinbar  voll- 
ständiger Entfernung  des  Eies  noch  andauernde  Blutung  an,  dass  nocli 
etwas  in  dem  Uterus  zurückgeblieben  ist,  was  besonders  gern  am  Placentar- 
sitz  vorkommt,  dann  verdient  die  Anirmdung  der  Cureffe  zur  vollständigen 
Beinigung  der  Uterusinnenfläche  den  meisten  Vorzug. 

Ist  die  Frau  zur  Zeit,  wann  sich  die  Nothwendigkeit  zur  Abort-Been- 
digung ergibt,  durch  den  vorausgegangenen  Blutverlust  u.  s.  w.  schon  sehr 
angegriffen,  dann  muss  man  ihr  zu  Hilfe  kommen  durch  Verabreichung 
starker  Fleischbrülie,  Kaffee,  Wein,  Cognac,  Aether,  wohl  auch  starker  Dosen 
Chinin  neben  Seeale  und  empfiehlt  sich  deren  Verabreichung  schon  vor 
der  Vornahme  eingreifenderer  Operationen. 

Wenn  Alles  glücklich  aus  dem  Uterus  entfernt  ist,  so  tritt  die  Frau 
in    den  Zustand    der  Wöchnerin    und   ist   die   fernere   Behaudluns;   diesem 


ABORTUS  (künstlich).  25 

Zustande  anzupassen.  Dabei  muss  man  zugleich  darauf  bedacht  sein,  etwaige 
für  den  Abort  prädisponirende  krankhafte  Anlagen  zu  beseitigen. 

Je  schwerer  der  Abort  war,  umsomehr  muss  sich  die  Frau  lange 
Zeit  schonen  und  ist  besonders  darauf  hinzuwirken,  dass  aller  und  jeder 
geschlechtliche  Umgang  für  längere  Zeit  gemieden  wird.  iurnhaum. 

Abortus  (kilnsfJIcli).  Die  künstlich  bewirkte  Felilgcljurt  bezweckt  im 
Interesse  der  Gesundheit  und  der  Erhaltung  der  Mutter  die 
Ausstossung  der  Frucht  in  den  ersten  28  Wochen  der  Schwangerschaft, 
also  zu  einer  Zeit,  wo  dieselbe  unfähig  ist,  ausserhalb  des  Uterus  weiter 
zu  leben. 

Die  eigenthümliche  Stellung  des  künstlichen  Abortus  unter  den 
geburtshilflichen  Operationen  ist  dadurch  gegeben,  dass  nur  der  Arzt  unter 
gewissen  wissenschaftlich  zu  begründenden  Umständen  berechtigt  ist,  das 
Leben  einer  Frucht  zu  zerstören.  Jahrhunderte  lang  galt  der  künstliche 
Abortus  für  ein  Verfahren,  welches  überhaupt  nicht  unter  die  zulässigen 
geburtshilflichen  Operationen  gerechnet  wurde,  bis  es  zu  Ende  des  letzten 
Jahrhunderts  zuerst  wieder  von  England  aus  empfohlen  wurde,  um  sich  erst 
allmälig  Bahn  zu  brechen.  Es  ist  dies  um  so  leichter  verständlich,  als 
die  vorantiseptische  Zeit  mit  ihren  Gefahren  bei  der  Einleitung  des  künst- 
lichen Abortus  noch  nicht  so  weit  hinter  uns  liegt.  Erst  durch  die  genaue 
Kenntnis  der  Antisepsis  ward  es  möglich  bei  der  Einleitung  des  künstlichen 
Abortus,  günstige  Resultate  für  die  Erhaltung  des  mütterlichen  Lebens  zu 
bekommen. 

Unter  den  Indicationen  für  den  künstlichen  Abort  spielt  von  jeher 
das  unstillbare  Erbrechen  Schwangerer  eine  Rolle.  So  häufig  das 
Erbrechen  in  der  Schwangerschaft  ist,  so  selten  sind  die  Fälle  von  soge- 
nanntem unstillbaren  Erbrechen ;  wir  setzen  voraus,  dass  vorher  alle  thera- 
peutischen und  andere  Massnahmen  dagegen  ergriffen  worden  sind,  ehe 
man  zum  Abortus  greift.  Hört  trotz  aller  Mittel  das  Erbrechen  nicht  auf, 
nimmt  die  Schwangere  dadurch  immer  mehr  ab,  dann  ist  der  Zeitpunkt  der 
Einleitung  des  künstlichen  Abortus  gekommen. 

Eine  weitere,  aber  ziemlich  seltene  Indication  wird  gegeben  durch 
Einklemmung  des  retrof  le  ctirten  schwangeren  Uterus,  wenn 
es  auch  in  den  meisten  derartigen  Fällen  gelingt,  durch  Reposition  die 
Beschwerden  zu  beheben  und  dadurch  der  Abortus  unnöthig  wird, 

Nächstdem  geben  Nierenerkrankungen,  selten  die  acute  poren- 
cliymatöse  Nephriüs,  als  vielmehr  die  chronische,  in  der  Schwangerschaft  ge- 
steigerte Nephritis  die  Indication  für  den  Abortus.  Weiterhin  kann  auch 
durch  eine  rasch  sich  entwickelnde  Psychose  eine  Indication  dazu  gege- 
ben sein. 

Eine  wesentlich  andere  Indication  für  den  Abortus  bieten  die  Fälle 
h  0  c  h  g  r  a  dj  g  e  r  R  a  u  m  b  e  s  c  h  r  ä  n  k  u  n  g  des  Beckens,  durch 
Beckenenge,  durch  Tumoren,  wie  Myome  des  Uterus,  eventuell  alte  starre 
Exsudate.  In  diesen  Fällen  ist  das  Leben  der  Mutter  nicht  durch  die 
Schwangerschaft  als  solche  bedroht,  wie  in  den  bisherigen  Fällen.  Die 
Lebensgefahr  für  die  Mutter  liegt  in  der  Geburt  selbst.  Es  handelt  sich 
hier  um  so  hochgradige  Verengerungen  des  Beckens  (conjugata  vera  unter  6  cm), 
bei  denen  mit  Sicherheit  anzunehmen  ist,  dass  ein  reifes  oder  selbst  früh- 
reifes Kind  nicht  durch  die  enge  Stelle  hindurch  gebracht  werden  kann. 
Wir  sind  ferner  berechtigt,  bei  engen  Becken  den  künstlichen  Abortus  ein- 
zuleiten, wenn  die  Mutter  den  am  Ende  ihrer  Schwangerschaft  zu  füh- 
renden Kaiserschnitt  verwirft  und  im  Interesse  ihrer  Selbsterhaltung  den 
Abortus  vorzieht.  Freilich  wird  durch  die  grosse  Verbesserung  der  Technik 


26  ACCÜUCHEMENT  FORCE. 

in  der  Ausführimg  der  Sectio  caesarea  ein  räumliches  Missverhältnis  des  Becken- 
raumes nicht  immer  eine  Indication  zur  Einleitung  des  künstlichen  Abortus 
geben.  Neben  absoluter  Beckenenge  können  irrei)onible  Tumoren  ituierhalh  des 
Beckem,  besonders  die  retrocervicalen  Myome  oder  die  doch  ziemlich  sel- 
tenen Tumoren  der  Beckenknochen  die  Indication  abgeben.  Bei  dem  treff- 
lichen Erfolg  der  Ovariotomie  in  der  Schwangerschaft  sind  Ovarialtumoren 
als  Indication  für  dön  künstlichen  Abort  zu  streichen.  Selten  wird  hoch- 
gradiger Hj/dranm/os  oder  enormes  Wachsthum  des  Uterus  bei  BJasenmole 
den  Anlass  zum  künstlichen  Abort  geben,  da  meistens  in  diesen  Fällen  die 
Geburt  spontan  eintritt.  Doch  kann  besonders  durch  Hydramnios  eine  so 
abnorme  Auftreibung  des  Leibes  mit  Hochstellung  des  Zwerchfelles  entstehen, 
dass  die  Einleitung  des  Abortus  mdicatio  vifali^  wird. 

Was  die  Zeit  anbelangt,  so  ist  es  natürlich,  dass  bei  den  durch  un- 
stillbares Erbrechen,  Einklemmung  des  Uterus,  Nieren-,  Lungen-,  Herzkrank- 
heiten gegebenen  Indicationen  der  Abortus  erst  dann  eingeleitet  werden  muss, 
sobald  die  Symptome  eine  gefahrdrohende  Höhe  erreicht  haben.  Bei  ab- 
soluter oder  relativer  Beckenverengerung  wird,  sobald  die  Mutter  sich  ent- 
schieden hat,  den  Kaiserschnitt  nicht  zuzulassen,  der  Abortus  am  besten  im 
o.  oder  4.  Schwangerschaftsmonate  gemacht. 

Das  Verfahren  zur  Erregung  der  künstlichen  Frühgeburt  soll  den 
Vorgang  nachahmen,  wie  in  der  frühen  Schwangerschaftszeit  das  Ei  spontan 
ausgestossen  wird.  Bei  glatt  verlaufenden  Fällen  von  künstlichem  Abortus 
soll  das  Ei  in  toto  ausgestossen  werden.  Die  Aufgabe  der  Therapie  ist 
namentlich,  den  Gefahren  des  spontanen  Zerfalles  auszuweichen  und  zu  ver- 
hindern, dass  sich  der  Abortus  zu  lange  hinziehe.  Was  die  sicherste  Me- 
thode zur  Einleitung  des  künstlichen  Abortus  anbelangt,  so  wurden  durch 
folgendes  Verfahren  die  raschesten  Erfolge  erzielt.  Zuerst  wird  die  Pati- 
entin in  die  Siais'sche  Seitenlage  gebracht,  ein  Betractor  perinei  eingeführt, 
die  vordere  Muttermundslippe  mit  einer  BozEMAN'schen  Hackenzange  gefasst 
und  vorerst  die  Scheide  entweder  mit  einer  5proc.  Garbollösung  oder  mit 
einer  Voo  Thymollösung  sehr  gut  ausgespült.  Nachträglich  wird  ein  Cathe- 
ter  ä  double  courant  in  den  Cervix  eingeführt  und  so  der  Gervix  mit  einer 
Desiufectionslösung  gereinigt.  Weiterhin  werden  HEGAß'sche  Stifte  in  den 
Cervix  eingeführt,  auf  diese  Weise  derselbe  dilatirt  und  die  mit  einem 
zugespitzten  Federkiel  versehene  Sonde  in  die  Uterushöhle  eingeführt  und 
die  Eihäute  eröffnet.  Hierauf  wird  die  Scheide  mit  Jodoformgaze  fest 
tamponirt.  In  den  meisten  Fällen,  wo  auf  diese  Weise  der  künstliche 
Abortus  vorgenommen  wurde,  tritt  in  den  nächsten  24  Stunden  Wehenthä- 
tigkeit  ein.  Bei  Beginn  derselben  wird  die  eingeführte  Jodoformgaze  ent- 
fernt und  der  Abortus  geht  vor  sich.  Dieses  Verfahren  bietet  den  beson- 
deren Vortheil,  dass  ein  einmaliger  Eingriff  genügt,  dass  bei  dem  Gebrauche 
der  strengen  Antisepsis  keine  Gefahr  für  das  mütterliche  Leben  eintritt! 
Von  vielen  Autoren  wird  zur  Einleitung  des  künstlichen  Abortus  das  Ein- 
legen der  elastischen  Bougie  in  den  Cervix  empfohlen.  Ich  halte  dieses 
Verfahren  gerade  für  die  Privatpraxis  für  weniger  vortheilhaft,  nachdem 
öfters  ein  häufigeres  Einlegen  der  Bougie  nothwendig  werden  kann  und  man 
dabei  immer  Gefahr  läuft,  eine  Infection  hervorzurufen.        eci.  v.  braun. 

AcCOUChement  force  {(jen-aUsame  Entbimlung).  Die  gewaltsame  Ent- 
bindung gilt  heute  nur  noch  in  wenigen  Fällen  für  allgemein  zulässig:  bei 
plötzlichem  Tod  der  Mutter,  acutem  Lungen-Oedem  und  drohender  Herz- 
paralyse. KiLiAN  definirte  die  gewaltsame  Entbindung  als  „eine 
Eeihe  aufeinander  folgender  geburtshilflicher  Operationen,  durch  welche  man 
bei   unlängst   begonnener  Geburt   und   noch  wenig   eröffnetem  Muttermund 


ACCOUCHEMENT  FORCE.  27 

eine  vollständige  Entfernung  des  gesammten  Eies  aus  der  Gebärmutter- 
höhle beabsichtigt".  ScMRr>i)KR  versteht  darunter  „die  bei  gar  nicht  oder 
wenig  erweitertem  Muttermunde  durch  Wendung  und  nachfolgende  Extraction 
vorgenommene  gewaltsame  Entbindung". 

Indication.  Die  ()i»eration  galt  früher  als  angezeigt:  bei  lebens- 
gefährlichen Blutungen  durch  Placenta  praevia  ;  bei  anderen  lebens))edro- 
henden  Zuständen  Schwangerer  und  Kreissender,  wie  P^clampsie;  ferner 
bei  Lebensgefahr  für  das  Kind. 

Die  schon  erwähnte  Anzeige  dieses  Eingriffs :  plötzlicher  Tod  der 
Mutter,  gilt  auch  nur  für  den  Fall,  dass  man  hoffen  kann,  das  Kind 
schneller  so,  als  durch  den  Kaiserschnitt  zu  Tage  zu  fördern.  Man  wird 
also  Fehling  Recht  geben,  wenn  er  bei  noch  nicht  markstückgrossem 
Muttermunde  und  bei  engem  Becken  den  Kaiserschnitt  vorzieht. 

Bis  in  die  neuere  Zeit  galt  die  Operation  noch  bei  lebensgefährlichen 
Blutungen  durch  Placenta  praevia  für  angezeigt.  Wir  besitzen  aber  jetzt 
eine  viel  ungefährlichere  und  erfolgreichere  Art  der  Behandlung,  das  von 
Martin  und  Hofmeier  empfohlene  Verfahren  :  frühzeitige  combinirte  Wen- 
dung nach  Braxton-Hicks,  vor-  oder  nachheriges  Sprengen  der  Eiblase, 
Herabholen  eines  Fusses  und  langsames  Durchziehen  des  Kindes  durch  den 
Cervix  nach  Massgabe  der  sich  vollziehenden  Eröffnung  des  letzteren.  Die 
gewaltsame  Entbindung  ist  dadurch  vollständig  entbehrlich  geworden,  und 
nur  ein  Teil  dieser  Operation  (die  künstliche  Erweiterung  des  Cervix  bis 
zum  Durchbringen  einiger  Finger  und  Herabholen  eines  kindlichen  Fusses) 
vsdrd  noch  ausgeübt. 

Bei  Eclampsie  gilt  sie  heute  nicht  nur  für  entbehrlich,  sondern 
vielmehr  geradezu  für  gefährlich;  sie  bringt  der  ohnedies  schwer  kranken 
Mutter  und  dem  bedrohten  Kinde  zu  den  vorhandenen  Gefahren  nur  noch 
neue.  Die  jetzt  übliche  Behandlung  ist  für  Mutter  und  Kind  erfolgreicher: 
Anregung  der  Schweiss-Absonderung  durch  30«  R.  warme  Bäder,  Einwicklung 
in  feuchte  Leintücher;  während  des  Anfalles  Einathmung  von  Chloroform; 
in  der  Zwischenzeit  grosse  Morphium-Gaben  innerlich,  als  Klysma  oder 
subcutan,  und  zwar  bis  zu  0-2  täglich  (nach  G.  Veit)  ;  oder  endlich  Chloral- 
hydrat  innerlich. 

Bei  plötzlichem  L u  n  g  e  n  -  0  e  d  e  m  und  drohender  H  e  r  z  -  P  a  r  a  1  y  s  e. 
welche  überdies  selten  Veranlassung  zur  Operation  geben,  wird  der  Eingriff" 
auch  nur  dann  nützen,  wenn  der  Muttermund  für  eine  rasche  Entbindung 
weit  und  nachgiebig  genug  ist ;  dann  handelt  es  sich  aber  nicht  mehr  um 
gewaltsame  Entbindung  im  engeren  Sinne. 

Vorbedingung  der  Operation  ist  es,  dass  der  Cervix  schon  aufge- 
lockert und  etwas  eröffnet  ist,  dass  also  der  zweite  Geburtsabschnitt  schon 
begonnen  hat. 

Ausführung.  Winckel  bezeichnet  als  gewaltsame  Entbindung  nur  3 
Operationen:  manuelle  oder  blutige  Erweiterung  des  Cervicalcanals  und 
combinirte  Wendung  mit  sofortiger  Extraction  des  Kindes.  Die  künst- 
liche Erweiterung  des  Cervix  wird  in  diesem  Falle  nicht  durch  Quell- 
mittel zu  versuchen  sein,  da  diese  zu  langsam  wirken,  sondern 

a)  mit  den  Fingern:  man  führt  erst  einen,  dann  2,  dann  3,  4  Finger  ein 
und  schiebt  die  ganze  Hand  drehend  langsam  hinein,  während  die  andere  Hand 
von  aussen  den  Fundus  uteri  fixirt;  Martin  hält  bei  Placenta  praevia  diese 
Methode  auch  dann  für  ausführbar,  wenn  der  Cervix  noch  gar  nicht  erwei- 
tert ist,  da  hier  Cervix  und  unteres  Segment  ohnedies  stark  aufgelockert 
sind.  Da  aber  die  sofortige  Extraction  des  Kindes  hier  nicht  angeschlossen 
wird,  handelt  es  sich  auch  nicht  um  „gewaltsame  Entbindung",  sondern  nur 
um  die  erste  Hälfte  dieses  Einorifts,  nämlich  um  Erweiterung  des  Cervix ; 


28  ADNEXENTUMOR. 

h)  (liiroh  radiäre  Inrisloneti,  am  besten  mittelst  einer  Scheere  mit 
stumpfen  Enden.  Ein  Weiterreissen  der  Schnitte  erfolgt  dabei  selten  und 
gewöhnlich  nicht  in  gefährlicher  Weise.  Nach  der  Entbindung  ist  Ver- 
einigung der  Wundflächen  durch  die  Naht  wünschenswert,  aber  nicht  un- 
bedingt erforderlich,  ja  in  der  Land-  und  Armen-Praxis  auch  technisch 
kaum  ausführbar,  da  die  hiezu  nöthige  Assistenz  fehlt. 

(■)  durch  lierahgeJioUe  kleine  Theile  des  Kindes  (fast  stets  zuerst  ein 
Fuss).  Aber  der  betreffende  Kindestheil  Avird  dabei  hauptsächlich  zur  Tam- 
ponade und  nur  in  ganz  geringem  Masse  zur  Erweiterung  des  Cervix  be- 
nützt; man  soll  vielncehr  nur  so  stark  und  so  oft  am  herabgeholten  Kindes- 
theile  ziehen,  dass  er  gerade  den  Cervix  ausfüllt.  Eine  Uebereilung,  also 
eine  wirkliche  rasche  und  künstliche  Erweiterung  desselben  würde  für  Mut- 
ter und  Kind  nur  gefährlich  sein. 

Peinliche  Ausübung  der  subjectiven  und  objectiven  Anti-  und  Asepsis 
ist  bei  allen  3  Methoden  natürlich  Pflicht  (vide :  „Antisepsis  in  der  Ge- 
hurfshilfy).  gustav  kleix. 

Adnexentumor.  wir  verstehen  darunter  die  durch  chronisch  ent- 
zündliche Atfectionen  entstandenen  Geschwulstformen  der  U  t  e  r  u  s  a  n  h  ä  n  g  e. 
Die  Grösse,  Form  und  Lagerung  derselben  hängt  ab  von  der  Art  der  Ent- 
stehung, von  dem  Grade  der  Erkrankung,  von  der  Mitbetheiligung  der  um- 
gebenden Orgaue  u.  s.  w.  Was  zunächst  die  Entstehung  dieser  Tumoren 
anbelangt,  so  spielt  dabei  die  Infection  wohl  die  wichtigste  Rolle,  und 
zwar  kann  diese  Infection  entweder  durch  gonorrhoisches  Secret  oder 
durch  septisches  Virus  veranlasst  sein.  Dieses  septische  Virus  kann 
nun  entweder  beim  nicht  schwangeren  Uterus  durch  Manipulationen  mit 
unreinen  Instrumenten,  als  Sonden,  Katheter  etc.  und  eventuelle  Ueberwan- 
deruug,  oder  aber  während  der  Geburt  oder  im  Puerperium  durch  Infection  von 
aussen  eingedrungen  sein.  Beiweitem  am  häufigsten  kommt  als  ätiologisches 
Moment  die  jmerperale  und  die  gonorrhoische  Infection  zur  Beobachtung. 

Was  zunächst  die  durch  gonorrhoische  Infection  bedingten  Ver- 
änderungen der  Adnexe  anbelangt,  so  ist  es  eine  bekannte  Thatsache,  dass 
die  latente  chronische  Gonorrhoe  des  Weibes,  den  Schleimhauttract  des  Cer- 
vicalcanals  und  der  Uterushöhle  befällt  und  von  da  aus  auf  dem  Wege  des 
Schleimhautzuges  der  Tube  diese  selbst,  die  Ovarien  und  das  Beckenbauch- 
fell in  Mitleidenschaft  zieht,  während  die  acute  Form  sich  in  der  Piegel  in 
der  Urethra,  am  äusseren  Genitale  und  in  der  Scheide  abspielt.  In  leich- 
teren Graden  der  Erkrankung  kommt  es  dann  einfach  zur  cafarrhali sehen 
Salpingitis  mit  leichter  Schwellung  der  Schleimhaut  und  der  Wandung,  so 
dass  die  Tube  bei  der  bimanuellen  Untersuchung  sich  wohl  als  verdickt 
und  geschlängelt  erweist,  ohne  dass  man  dabei  vom  Vorhandensein  eines 
Adnexentumors  sprechen  kann.  Erst  wenn  es  durch  Mitbetheiligung  des 
Peritonealüberzuges  und  durch  entzündliche  Verlöthung  des  abdominellen 
Endes  der  Tuben  zur  Ansammlung  von  Secreten  verschiedener  Art  in  den 
Tuben  gekommen,  wenn  infolge  der  pelveoperitonitischen  Atfection  die  Tube 
und  das  mitbetheiligte  Ovarium  mit  einander  durch  Pseudomembranen  ver- 
wachsen, durch  neugebildete  entzündliche  Adhäsionen  verlagert  und  an  die 
Umgebung  fixirt  einen  schier  unentwirrbaren  Knäuel  darstellen,  aus  wel- 
chem erst  nach  der  Exstirpation  die  einzelnen  Organe  sich  difterenziren 
lassen,  kann  man  von  einem  Tumor  der  Adnexe  im  wahren  Sinne  des  Wor- 
tes sprechen.  Dabei  muss  nicht  nothwendigerweise  die  Tube  einen  weiten 
Sack  darstellen.  Oft  genug  kommt  es  unter  dem  Einfluss  der  Infection 
vornehmlich  zu  einer  entzündlichen  Erkrankung  der  Wandelemente  der 
Tube.     Die  Tube  wird  zu  Fingerdicke  verändert  durch  pseudomembranöse 


ADNEXENTUMOR  20 

Autia^erungen,  durch  entzündliclie  Infiltration  ilirer  starren  Wände,  oiine 
dass  ihr  Lumen  in  einem  Verhältnis  zur  Grösse  des  Tumors  steht.  In 
anderen  Fällen  kommt  es  zu  Geschwulsthildung  dadurcli,  dass  die  sonst 
ziemlich  gestreckt  verlaufende  Tube  in  ihrem  Verlauf  an  irgend  einer  Stelle 
geknickt  oder  auch  aufgerollt  erscheint,  blos  am  abdominalen  Ende,  in 
anderen  Fällen  wieder  am  uterinen  Ende  kolbig  aufgetrieben,  im  weiteren 
Verlaufe  das  Ovarium  umkreist,  blos  an  einzelnen  Stellen  eine  namhafte 
Erweiterung  und  A'erdickung  erfährt  und  dadurch  zur  Geschwulstl)ildung 
Veranlassung  gibt.  Dabei  kann  ein  solcher  Tumor  von  Nussgrösse  bis  weit 
über  Mannsfaustgrösse  erreichen.  Die  Consistenz  des  Tumors  kann  eme 
verschiedene  sein  je  nach  der  Dicke  der  Wandung  und  je  nach  seiner  Zu- 
sammensetzung ;  in  einzelnen  Fällen  derb,  hart,  wenn  hauptsächlich  die 
stark  intiltrirten  Gewebsmassen  den  Tumor  darstellen,  finden  wir  häufig 
die  ausgeprägteste  Fluctuation,  wenn  der  Tumor  durch  grosse  Flüssigkeits- 
ansammlung in  seiner  Wandung  verdünnt  ist.  Aber  auch  bei  solchen  Flüs- 
sigkeitsansammlungen, insbesondere  wenn  es  sich  um  alten  Eiter  handelt, 
kann  mitunter  die  Hypertrophie  der  Sackwandung  eine  so  hochgradige  wer- 
den, dass  sich  Fluctuation  nicht  nachweisen  lässt.  Hatten  wir  oben  erwähnt, 
dass  in  sehr  vielen  Fällen  ein  Adnexentumor  vorhanden  sein  kann,  ohne 
dass  es  sich  speciell  um  Ansammlung  von  Flüssigkeit  handelt,  so  kommt 
es  andererseits  oft  zur  Ausbildung  von  wahren  Sckken  in  den  Tuben  oder 
Ahscessen  in  den  Ovarien.  Den  Inhalt  dieser  Säcke  bildet  dann  das  nor- 
male, aber  gestaute  Secret  der  Tube  {Hi/drosalima'),  welches  die  am  ab- 
dominalen Ende  verschlossene  Tube  zu  einem  grossen  Sack  umgestalten 
kann.  Durch  eine  eigenthümliche,  auf  entzündlicher  Grundlage  entstehende 
Communication,  wobei  die  Fimbrienenden  in  das  Innere  eines  cystischen 
Ovarfollikels  hineingeschlagen  erscheinen,  kommen  cystische  Säcke  zustande, 
deren  Wandung  von  der  clirect  in  das  Ovarium  übergehenden  Tube  und 
dem  Ovarium  gebildet  wird  (Tuho-Oüarialci/ste).  Oder  es  kommt  zur  An- 
sammlung von  Blut  in  die  weit  dilatirte.  am  Fimbrienende  verschlossene 
Tube  (Haematosalpina).  Am  häufigsten  sind  jedoch  derartige  Tubensäcke 
erfüllt  von  bald  mehr  dünnflüssigem,  bald  mehr  eingedicktem,  bröckligem 
Eiter,  in  dem  sich  mitunter  nekrotische  Fetzen,  von  der  Abscesswand  her- 
stammend, vorfinden.  Wir  sprechen  dann  von  einem  Pi/osalpinx.  In  gleicher 
Weise  kommt  es  auch  am  Ovarium  zu  Veränderungen  infolge  der  chronisch 
entzündlichen  Erkrankung.  Betrifft  diese  Erkrankung  zunächst  die  Albuginea 
des  Ovariums,  so  ist  in  Folge  der  Verdickung  der  Membran  das  Platzen  der 
gereiften  GiiAAF'schen  Follikel  wesentlich  erschwert.  Wir  sehen  am  Durch- 
schnitt eines  solchen  mit  dicker  Wandung  versehenen  Ovariums  das  ganze 
Stroma  durchsetzt  von  einer  Unzahl  kleiner  cystisch  degenerirter  Follikel, 
welche  das  bindgewebige  Stroma  mitunter  vollständig  verdrängen  (klein- 
ctjstische  Degeneration  des  Ovariums).  In  anderen  Fällen  kommt  es  zur  grös- 
seren cystischen  Erweiterung  einzelner  Follikel,  welche  mitunter  auch  mit 
Blut  oder  wenigstens  mit  haemorrhagisch-seröser  Flüssigkeit  erfüllt  sind. 
Dabei  finden  wir  manchmal  das  Ovarium  auf  das  Zwei-  und  Dreifache  ver- 
grössert,  in  derbe  Pseudomembranen  eingelagert  und  oft  genug  in  seinem 
Stroma  bis  nussgrosse  Abscesshöhlen  mit  dicker  Wandung,  erfüllt  von  coc- 
cenhaltigem  Eiter.  Auf  gonorrhoischer  Grundlage  ruhend,  kommen  der- 
artige Adnexentumoren  in  der  Regel  auf  beiden  Seiten  vor.  selten  ohne 
Mitbetheiligung  des  Beckenbauchfells,  so  dass  Lage  Veränderungen 
und  Fixationen  des  Uterus  sowie  Adhäsionen  der  Därme,  Verlage- 
rungen des  Blasenscheitels  etc.  zu  den  gewöhnlichen  Erscheinungen  gehören. 
Im  Secrete  der-  Tuben  sowie  im  Eiter  der  Ovarialabscesse  gelingt  es  oft 
genug,  wenn  auch  nicht  immer,  Gonococcen  nachzuweisen,    sowie    auch    in 


30  ADNEXENTUMOR. 

der  Tubeiiwaiidung  selbst  zuerst  von  Wertheim,  dann  von  Anderen  Gono- 
coccen  nachgewiesen  wurden. 

In  der  grössten  Anzahl  der  Fälle  von  auf  gonorrhoischer  Grundlage  entstandenen 
Adnexentumoren  mit  Eiterbildung  kann  man  nicht  blos  durch  die  mikroskopische  Unter- 
suchung, sondern  auch  durch  Reinzuclit  nachweisen,  dass  blos  Gonococcen  vorhanden 
sind,  und  die  Fälle,-  in  welchen  neben  Gonococcen  Staphylo-  und  Streptococcen  gefunden 
werden  können,  demgemäss  nicht  zur  Regel  gehören,  und  somit  jene  Lehre  hinfällig  ist, 
welche  annimmt,  dass  derartige  Adnexentumoren  nicht  durch  gonorrhoische  In- 
fection  allein,  sondern  nur  durch  Mischinfection  zu  Stande  kommen  können. 

Auf  septischer  Grundlage  entwickeln  sich  derartige  Tumoren  in 
der  Regel  blos  einseitig.  Hierbei  kommt  es  zu  stärkerer  Tumorenbildung 
als  bei  gonorrhoisch  erkrankten  Adnexen.  Es  stellt  die  Tube  dann  in  der 
Regel  einen  dickwandigen,  in  seiner  Structur  veränderten  Sack  dar,  welcher  von 
dünnflüssigem  oder  auch  bröckeligem  Eiter  erfüllt  ist,  in  welchem  sich 
Staphylococcen  und  Streptococcen  nachweisen  lassen.  Aber  ebenso  wie  bei 
durch  Gonorrhoe  entstandenen  Adnexentumoren  ist  man  auch  in  diesen  Fäl- 
len öfters  nicht  im  Stande,  aus  dem  scheinbar  sterilen  Eiter  irgend  welche 
Coccenzuchten  anzufertigen. 

Die  anatomische  Lagerung  solcher  Adnexentumoren  ist  nun  eine  ziemlich  ty- 
pische. Zu  beiden  Seiten  des  Uterus  in  der  Regel  sich  entwickelnd,  linden  wir  sie  bei 
Zunahme  der  Grösse  längs  der  Kanten  des  Uterus  demselben  innig  angelagert,  bis  an  die 
seitliche  Beckenwand  reichend  und  in  ausserordentlich  zahlreichen  Fällen  nacli  hinten  zu 
ziehend,  der  hinteren  Wand  des  Uterus  anliegend,  mit  dieser  und  dem  Peritoneum  des 
Douglas'schen  Raumes  innig  verwachsen.  Oft  sind  die  beiderseitigen  Adnexentumoren 
so  symmetrisch  gelagert,  dass  man  rechts  und  links  bis  in  den  Douglas  nach  hinten  zie- 
hende, den  Uterus  hufeisenförmig  umkreisende  Tumoren  constatiren  kann,  welche  rück- 
wärts in  der  Medianlinie  eine  Furche  zwischen  sich  entstehen  lassen,  durch  welche  das 
Rectum  herabzieht.  Grössere  Tumoren  überragen  in  der  Regel  den  Beckeneingang,  die 
Beekenbucht  dabei  ausfüllend.  In  seltenen  Fällen  findet  man  die  veränderten  Adnexen 
vor  dem  Uterus  gelagert.  Durch  feste  Verwachsungen  mit  dem  Netze  und  mit  verschie- 
denen Darmschlingen  kann  die  Grösse  des  Adnexentumors  scheinbar  auf  das  Doppelte 
seines  eigenen  Volums  heranwachsen.  Derartige  zu  Tumoren  verbackene  Netz-  und  Darm- 
partien, die  dann  in  der  Plica  vesico-uterina  liegen,  kommen  insbesonders  vor  bei  durch 
Tuberctdose  der  Tuben  und  des  BecJcenbauchfells  entstandenen  entzündlichen  Affectionen. 
Ganz  typisch  ist  in  der  Regel  die  Lagerung  der  Adnexentumoren  im  Verhältnis  zum  liga- 
mentum  latum.  Gewöhnlich  erscheinen  die  Adnexe  derartig  verlagert,  dass  ihre  normal 
hintere  und  untere  Fläche  nach  vorne  gerichtet  ist  und  dann,  mit  dem  rückwärtigen  Blatte 
des  ligamentum  latum  verwachsend,  einen  interligamentären  Sitz  des  Tumors  vortäuscht, 
wie  wenn  der  Tumor  sich  zwischen  den  beiden  Platten  des  ligamentum  latum,  also  pa- 
rametran  entwickelt  hätte.  Das  ist  wohl"  auch  der  Grund,  warum  in  früherer  Zeit  der- 
artige Tumoren  so  häufig  mit  parametritischen  Exsudaten  verwechselt  wurden,  welche, 
wie  begreiflich,  jeder  Therapie  trotzten  und  die  Kranken  langjährigem  Siechthura  ausätz- 
ten. Aber  gerade  für  die  zweckmässige  Behandlung  der  Tumoren  bei  vorzunehmenden 
Operationen  ist  es  noth wendig,  diese  anatomischen  Thatsachen  festzuhalten.  Von  der 
üeberzeugung  einer  derartigen  Anordnung  durchdrungen,  wird  man  nicht  in  den  Fehler 
verfallen,  einen  solchen  Tumor  als  einen  interligamentär  entwickelten  aufzufassen,  und, 
von  diesem  Irrthum  befangen,  das  Ligament  spalten,  um  den  Tumor  auszulösen.  Man 
kommt  dabei  leicht  an  die  grossen  uterinen  und  retroperitonealen  Gefässe  sowie  an  den 
Ureter,  eröffnet  das  Beckenbindegewebe  in  weitem  Umfang,  ohne  dass  es  gelingt,  in  eine 
Schichte  zu  gerathen,  in  welcher  die  Auslösung  des  Tumors  in  ähnlicher  Weise  erfolgen 
könnte,  wie  bei  wirklich  interligamentär  entwickelten  Tumoren. 

Was  nun  die  Symptome  a n  1  a n  g  t,  welche  derartige  Adnexentumoren 
bieten,  so  sind  es  zunächst  Erscheinungen  der  Perimetritis,  resp.  Pelveo- 
peritonitis,  die  in  der  Regel  die  hervorstechendsten  sind :  heftige  Schmerzen 
in  der  Unterbauchgegend,  im  Kreuz,  die  gegen  den  Rücken  und  die  Ex- 
tremitäten ausstrahlen,  die  Patientin  oft  genug  arbeitsunfähig  machen  oder 
ihr  wenigstens  den  Lebensgenuss  verbittern  und  zur  Zeit  der  Menstruation 
sich  bis  ins  Unerträgliche  steigern.  Die  Menstruation  wird  dabei  unregel- 
mässig, profus,  alle  3  Wochen  wiederkehrend,  8 — 10  Tage  dauernd,  so 
dass  nur  ein  kurzes  Intervall  zwischen  zwei  aufeinanderfolgenden  Epochen 
schweren  Leidens  zur  Beobachtung  gelaugt.  Doch  auch  diese  Intervalle 
sind  nicht  schmerzfrei  und  werden  oft  genug  getrübt  durch  atypische,  die 


ADNEXENTUMOR.  31 

Patientin  scliwer  schädigende  Blutungen  aus  dem  Uterus.  Die  Obstipation 
ist  häufig  eine  anhaltende,  die  Stuhlabsetzung  mit  Schmerzen  verbunden, 
ebenso  wie  die  Harnentleerung.  Die  Ausübung  des  (Joitus  erscheint  nahezu 
unmöglich  gemacht  durch  die  ausserordentliche  ICmpfindlichkeit  der  ganzen 
Unterbauchgegend.  Dabei  kommt  es  oft  zu  exquisiten  peritonitischen  p]r- 
scheinungen,  wie  Meteorismus,  P]rbrechen,  acuter  Schmerzhaftigkeit,  Fieber. 
Bei  entsprechender  Therapie  gehen  die  acuten  Erscheinungen  für  einige  Zeit 
zurück,  um  allmälig  wieder  den  alten  Beschwerden  Platz  zu  machen,  bis 
ein  neuer  Nachschub  die  Patientin  aufs  Neue  ans  Bett  fesselt. 

Bei  der  Untersuchung  finden  wir  in  solchen  Fällen,  wo  gonor- 
rhoische Infection  das  ätiologische  Moment  abgegeben,  fast  stets  eine 
örethralhlenorrhoe.  Wir  fühlen  des  ferneren  zu  beiden  Seiten  des 
Uterus  verschieden  grosse  Tumoren,  in  welche  wir  ganz  deutlich  die 
am  Uterushorn  verdickten,  nach  aussen  allmählich  anschwellenden  Tuben 
übergehen  finden.  Allerdings  ist  es  mitunter,  insbesondere,  wenn  es  sich 
um  die  Feststellung  der  Nothwendigkeit  eines  operativen  Eingriffes  handelt, 
unbedingt  geboten,  die  Untersuchung  in  der  Narcose  zur  Feststellung  des 
Befundes  vorzunehmen,  da  mitunter  die  Spannung  der  Bauchdecken  und 
die  Schmerzhaftigkeit  der  Umgebung  eine  genauere  Untersuchung  unmöglich 
macht.  In  ähnlicher  Weise  gelagert,  kommen  manchmal  durch  Extrauterin- 
sclumng  er  schaß  veränderte  Adnexa  vor. 

Entsprechend  dem,  dass  die  Extrauteringravidität  so  häufig  bedingt 
ist  durch  vorhergegangene  chronisch  entzündliche  Affectionen,  ohne  dass 
es  zur  vollkommenen  Functionsuntüchtigkeit  der  Adnexe  gekommen,  ist  es 
klar,  dass  in  solchen  Fällen,  insbesondere  bei  frühzeitig  erkannter  Extrau- 
terinschwangerschaft  die  anatomischen  Verhältnisse  des  Tumors  sich  nur 
bei  sorgfältigster  Untersuchung  differentiell  von  denen  rein  chronisch  ent- 
zündlicher Adnexentumoren  unterscheiden  lassen.  Sehr  häufig,  wenn  eine 
frischere  Eiterung,  Resorption  des  Eiters  vorhanden  ist,  kommt  es  bei  den 
Patientinnen  zu  abendlichen  Temperatursteigerungen  bis  zu  39'^  und 
darüber,  sowohl  dann,  wenn  die  Eiterung  nur  durch  gonorrhoisches  Virus 
wie  auch  dann,  wenn  sie  durch  Staphylo-,  resp.  Streptococcen  oder  Misch- 
infection  zustande  gekommen.  Erwähnen  müssen  wir  noch,  wie  häufig  die 
Sterilität  im  Gefolge  derartiger  Adnexentumoren  vorkommt,  bedingt  sowohl 
durch  die  Functionsuntüchtigkeit  der  veränderten  Organe  wie  durch  die 
Erkrankung  des  Schleimhauttractes  des  Genitales.  Wenn  trotzdem  eine 
Conception  zu  Stande  kommt,  so  ist  Disposition  zum  Abortus  bei  normaler 
Schwangerschaft  oder  zur  Entstehung  einer  Extrauteringraoidität  gegeben. 
Kommt  es  zu  einer  normalen  Schwangerschaft  mit  Austragung  der  Frucht, 
so  können  sich  an  das  Puerperium  schwere  puerperale  Erkrankungen  an- 
schliessen. 

Aus  dem  Vorhergesagten  geht  hervor,  dass  man  bei  Klagen  über  Sterilität  der 
Ehe  sich  natürlich  zunächst  von  der  Functionstüchtigkeit  des  Sperma  virile  überzeugen  muss, 
eheman  der  Frau  die  Schuld  des  Uebels  beimisst.  Aber  auch  dann  noch  haben  wir  kein 
Recht,  ohneweiters  durch  operative  Eingriffe,  welche  eine  Erweiterung  des  Gervicalcanals 
bedingen  und  in  früherer  Zeit  so  häufig  vorgenommen  wurden,  in  der  Voraussetzung,  dass 
stets  mechanische  Hindernisse,  wie  Anteflexio  uteri  und  Stenosirung  des  Orificium  die 
Ursache  der  Sterilität  abgäben,  eine  Beseitigung  der  Conceptionshindernisse  herbeiführen 
zu  wollen,  wenn  wir  nicht  uns  vorher  überzeugt  haben,  ob  nicht  Erkrankungen  der  Uterus- 
schleimhaut und  der  Adnexa  gonorrhoischen  Ursprungs  als  die  wahre  Ursache  der  Steri- 
lität aufzufassen  sind.  Dadurch  wird  manche  junge  Frau  von  dem  unnöthigen  und  in 
solchen  Fällen  mitunter  nicht  ganz  ungefährlichen  Eingriffe  und  einer  neuerlichen  Täu- 
schung ihrer  Hoffnungen  bewahrt  bleiben. 

Was  den  Ausgang  der  Erkrankung  anbetrifft,  so  kommt  es  in  sel- 
teneren günstigen  Fällen  bei  Abscessbildung  zum  Durchhnich  des  Eiters 
gegen  den  Cervix,  die  Scheide,  den  Darm  oder  die  Blase,  manchmal  jedoch  zur 


32  ADNEXENTUMOR. 

Perforation  in  das  Peritoneum  mit  nachfolgendem  raschen  Exitus  letalis. 
In  vielen  anderen  Fallen  kommt  es  in  Folge  der  durch  die  andauernde 
Eiterresorption  sich  entwickelnden  schleichenden  Fi/aemie  sowie  durch  die. 
in  Folge  der  schwächenden  andauernden  Blutungen  sich  entwickelnde 
Anaeinie   zu  einer  allgemeinen  Cachexie,  welche  zum  Ende  führt. 

Was  nun  die  Behandlung  anbelangt,  so  können  wir  zwei  Methoden 
unterscheiden:  Die,  welche  auf  eine  radicale  Heilung  abzielt,  und  jene, 
welche  sich  mit  einer  palliativen  Besserung  der  lästigen  Symptome 
begnügt. 

Die  radicale  Heilung  kann  nur  bestehen  in  der  Entfernung  jener 
Factoren,  welche  die  sich  stets  erneuernden  Recidiven  verursachen ;  wäh- 
rend wir  gleichzeitig  durch  desinficirende  Ausspülungen  der  Scheide  und 
des  Cervicalcauals  dafür  Sorge  tragen,  dass  die  localen  Affectionen  wo- 
möglich beseitigt  Averden,  kann  bei  gonorrhoischen  Adnexentumoren,  bei 
welchen  mit  Wahrscheinlichkeit  eitriger  Inhalt  in  den  Tuben  oder  eventuell 
in  den  Ovarien  vermuthet  werden  kann,  oder  bei  Hydrosalpinx  und  Hae- 
matosalpinx  die  Heilung  blos  in  der  vollständigen  Entfernung  der  erkrankten 
Adnexa  gesehen  werden.  Es  ist  klar,  dass  man  sich  nicht  ohne  weiters 
zu  dem  EingriiEfe,  der  doch  nur  j9er  laparatomiam  ausgeführt  w^erderi 
kann,  entschliessen  wird,  sondern  erst  bis  man  zur  Ueberzeugung  ge- 
kommen ist,  dass  auf  eine  andere  Weise  eine  Heilung  oder  wenigstens  eine 
dauernde  Besserung  nicht  zu  erzielen  ist.  Man  wird  daher  in  vielen  Fällen 
die  weiter  unten  beschriebenen  Methoden  der  palliativen  Behandlung  vor- 
ausschicken müssen  und  nur  in  jenen  Fällen,  wo  mit  Sicherheit  angenommen 
Averden  kann,  dass  Eiter  vorhanden  ist,  und  nur  da,  wo  das  Leiden  voll- 
ständige Arbeitsunfähigkeit  und  Unmöglichkeit  des  Lebensgenusses  und  der 
Erfüllung  der  ehelichen  Pflichten  verursacht,  oder  bei  Unmöglichkeit,  die 
andauernden  Blutungen  auf  andere  Weise  zu  stillen,  sich  zur  operativen 
Entfernung  der  Adnexa  entschliessen,  das  allerdings  umso  eher,  je  mehr 
wir  uns  von  der  bereits  eingetretenen  Function  sunt  üchtigkeit  der 
erwähnten  Organe  Ueberzeugung  verschafft  haben.  Handelt  es  sich  um 
Adnexentumoren,  bei  welchen  ein  Pyosalpinx  auf  Grundlage  einer  puer- 
peralen Infection  mehr  als  wahrscheinlich  ist,  so  ist  die  Indication  der  Ei- 
terentleerung eine  dringende.  Diese  Entleerung  kann  nun  versucht  werden 
durch  I  n  c  i  s  i  0  n  von  der  Scheide  aus  mit  Einnähung  der  Sackränder  an 
die  Scheidenwunde  und  Drainage  des  Eitersackes  oder  durch  die  Lapa- 
rotomie. Kann  man  dabei  die  Wahrscheinlichkeit  septischer  Infection 
der  Bauchhöhle  durch  einen  eventuell  ausfliessenden,  an  Staphylo-  oder 
Streptococcen  reichen  Eiter  nicht  verhüten,  so  wäre  eine  zweizeitige  Operation  in 
der  W^eise  geboten,  dass  man  nach  gemachtem  Bauchschnitte  das  Bauchfell 
an  die  Sackwand  annäht  und  erst  nach  einigen  Tagen,  wenn  man  annehmen 
kann,  dass  die  Yerlöthung  des  Bauchfells  bereits  zu  Stande  gekommen,  den 
Sack  an  seiner  freiliegenden  Wand  eröffnet,  den  Eiter  abfliessen  lässt  und 
den  Sack  nach  aussen  drainirt.  In  Fällen  von  kleinen  Tumoren,  bei  welchen 
die  nähere  Inspection  nach  gemachter  Laparotomie  ergibt,  dass  ihre  Ent- 
fernung möglich  ist,  ohne  dass  die  Gefahr  des  Austrittes  von  Eiter  in  die 
Bauchhöhle  eine  eminente  ist,  wird  die  vollständige  Entfernung  des  Tumors 
in  gleicher  Weise  versucht  werden  wie  bei  den  Adnexentumoren  auf  gonor- 
rhoischer Grundlage. 

Die  T  e  c  h  n  i k  d  e  r  A  d  n  e  X  e n  0  p  e  r  a  t  i  0  n  ist,  wioAvohl  eine  junge,  doch 
schon  eine  ziemlich  ausgebildete;  insbesonders  die  Anwendung  der  Beckeu- 
hochlagerung  ist  bei  der  Ausführung  der  Adnexenoperation  von  grossem 
Yortheile  für  die  Erleichterung  und  Exactheit  der  Operation.  Nachdem  mau 
in  Narcose  bei  massig  hochgelagertem   Becken   die   Bauchdecken   gespaltet 


ADNEXKNTUMOR.  33 

hat,  sieht  man  sofort,  ob  Därme  an   den   iieckenorganen    stärker   adliärent 
sind  oder  niclit,  da  schon  bei  der  Laj^ernng  der  Patientin    die    Därme  von 
vornherein  das  llestreben  haben,  gegen    die    Ilöbluiig    des  Zwercbfells    zu 
sinken,  in  dem  Momente  aber,  wo  das  IJauchfVdl  eröffnet  wird,  in  der  Ite- 
gel  aber  vollständig  von  der  Gegend  des  Beckens  heruntergleiten  und  wäh- 
rend der   ganzen    Operation    nicht    in    den    Pjereich    des    Ojterationsfeldes 
gelangen.  Sind  Adhäsionen  vorhanden,  so  bleil)t  an  diesen  Stellen  natürlich 
das  Netz,  resp.  der  Darm  im  Kereich  des  I>eckeneingangs.  die  Adhäsionen 
sind  uns  aber  so  deutlich  zugänglich  gemacht,  dass  wir  sie  leicht  und  ohne 
Gefahr  für  den  Darm    unter    der    Controle    des    Auges    mit    den    Fingern 
stumpf  lösen  können;  jede    eventuell    entstehende    Verletzung   der    Serosa 
wird  sofort  sichtbar,  und    kann    der    Defect    durch    exacte    Vernähung  be- 
seitigt werden.     Sind  die  Adhäsionen    gelöst,    so    gelangt    der   Uterus  und 
die  Adnexe   in    Sicht.     Die  Grösse,    Form    und    Lage    des   Uterus  werden 
sofort  kenntlich,  ebenso  die  Art  der  Lagerung   der  Adnexa  und  ihre  Fixa- 
tion an  die  Umgebung,  und  man  kann  in  zielbewusster  Weise  an  die  typische. 
Lösung  der  Adnexa  und  ihre  Abtrennung  in  folgender  Weise  gehen.  Indem 
man  zunächst  die  stumpfe  Ablösung    des    unteren  Tubenendes    von   seiner 
Fixation  an  der  hinteren  Uteruswandung  oder  am  Douglas   und   an  Darm- 
schlingen besorgt,  geht  man  mit  der  flachen  Hand  an   der  Rückfläche   des 
Tumors  hinan,    so  dass  man,  die   Fingerspitzen    nach    vorn    gerichtet,    die 
untere  Kuppe  des  Tumors  erreicht  und  nun  mit  den  Fingerspitzen  zwischen 
den  Tumor  und    das    hintere    Blatt   des    Ligaments,    dort,    wo    die   beiden 
Flächen  in  der  Regel  innig  miteinander  verwachsen  sind,  hinanstrebt    und 
auf  diese  Weise  das  ganze  Ligament  mit  den    Adnexen    zu   entrollen  ver- 
sucht, was   gewöhnlich   vollständig   leicht   geschieht.     Dadurch   werden  die 
Adnexa  und  das  Ligament  in  ihre  normale  anatomische  Lage  gebracht,  das 
Peritoneum  in  der  Regel  intact  erhalten  und  ein  breiter  Stiel  zur  exacten 
Abbindung  geschaffen,     Mittels  einer  armirten  DESCHAMP'schen  Nadel  wird 
nun  das  Ligament  vom  uterinen  Ende  der  Tube  angefangen   bis  zum  liga- 
mentum     infundibulo-pelvicum     durch     eine    fortlaufende    Seidenligatur    in 
3  Partien  unterbunden,  hierauf  die  Adnexa    mit    der    Scheere   abgetragen, 
etwa  am  Stumpfe  sichtbare  grössere  Gefässlumina  isolirt  gefasst  und  ligirt. 
Ist  derselbe  Vorgang  auch  auf  der  anderen   Seite   in   gleicher  W^eise  voll- 
zogen, so  befindet  sich  in  der  Regel  der  Uterus  in  Mittelstellung,  zu  beiden 
Seiten  die  Stümpfe  der  abgetragenen  Adnexa.    Besteht  dabei  eine  Tendenz 
zu  weiteren  Lageveränderungen  des  Uterus,   so  wird   der  Uteruskörper  an 
die  vordere  Bauchwand    durch    Seidensuturen    fixirt.     Nun    kann  man  den 
ganzen  Douc4LAs'schen  Raum,  der  früher  durch  die   Tumoren  und  die  Ad- 
häsionen unzugänglich  war,   übersehen.     Man   sieht   eventuelle    Blutpunkte, 
kann  die  Blutung  durch  Umstechung,  wenn  nöthig,  zum  Stillstand  bringen, 
kurzum,  die  Operation  ist  bei  Anwendung  der  Beckenhochlagerung  eine  so 
leichte  und  exacte,    dass    man    sich    wohl    wundern    muss.  dass  sich  diese 
Errungenschaft  der  modernen  Chirurgie  nicht  noch  mehr  eingebürgert  hat, 
als  es  derzeit  der  Fall  ist.     Nun  wird  die  Bauchdecke  in  typischer  Weise 
geschlossen,  der  Verband    angelegt;    die    Fäden    werden   am  8.  Tage  ent- 
fernt, am   14.  Tage  kann  die  Patientin  das  Bett  in  der  Regel  geheilt  ver- 
lassen.    Allerdings  kommt  es,  insbesondere   wenn   von  Seiten   der  Uterus- 
schleimhaut neue  gonorrhoische   Infectionsstotfe    zum   Tubenende  gelangen, 
hie  und  da  zur  Bildung  leichter  Sfumpfe.rsxdaJe.  doch  machen  diese,  in  ent- 
sprechender Weise  behandelt,  keine  Beschwerden.     In  den  Fällen,  wo  die 
Erkrankung  sich  auf  den    zum    Theil   in    der    l'terussubstanz    befindlichen 
Isthmus  der  Tube  erstreckt,  ist  ausser  der  eben  beschriebenen  Abbindung 
und  Abtragung  der  Adnexa    noch    die    keilförmige    Excision    des    uterinen 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  1.  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  3 


34  ANTISEPSIS  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

Endes  der  Tube  aus  dem  I^terushoni  erforderlich,  worauf  eine  exaete  Naht 
der  Musiuhvris  uteri  die  Wundflächen  zur  Vereinigung  bringt. 

In  den  Fällen,  wo  wir  die  Operation  nicht  als  dringend  indicirt 
erachten,  oder  in  denen  die  Operation  verweigert  wird  oder  wir  selbst, 
um  zu  einer  sicheren  Indicationsstellung  zu  gelangen,  versuchen,  auf  nicht 
operativem  Wege  eine  Besserung  zu  erzielen,  sind  die  folgenden  Wege 
einzuschlagen,  wobei  wir  uns  jedoch  vor  Augen  halten  müssen,  dass  diese 
Therapie  nur  die  Behebung  einiger  Krankheitserscheinungen,  nicht  aber 
die  Heilung  zur  Folge  haben  kann,  in  Fällen  jedoch,  wo  es  sich  um  Eite- 
rungen handelt,  nicht  blos  keine  Besserung  bringt,  sondern  oft  sogar  neue 
Nachschübe  und  Verschlimmerungen  herbeiführen  kann.  In  jenen  Fällen 
von  Adnexenschwellungen,  in  welchen  keine  besondere  Fonnveränderung 
der  Tuben  und  der  Ovarien  vorhanden  ist,  in  denen  es  sich  vielmehr  um 
perimetrische  Verlagerungen  und  Verwachsungen  handelt,  in  der  Regel 
gleichzeitig  einhergehend  mit  Verlagerungen  des  Uterus,  kann  die  Massage, 
wie  sie  Thure  Bkandt  eingeführt  hat,  ganz  Ausgezeichnetes  leisten,  und 
verweisen  wir  auf  den  diesbezüglichen  Artikel.  Wirksam  unterstützt  wird 
diese  Massagecur  durch  lauwarme  Vaginaldouchen,  lauwarme  Sitzbäder  mit 
einer  Temperatur  von  28"^  Reaumur,  wobei  Zusätze  von  Moorextract,  Dar- 
kauer  Jodsalz,  Mutterlaugensalz,  Soole  etc.  die  Wirkung  des  Bades  wesent- 
lich erhöhen.  Handelt  es  sich  um  vermögende  Patienten,  so  kann  eine 
Bade  cur  (Franzensbad,  Elster,  Pyrawath  etc.)  eine  ganz  bedeutende 
Besserung  herbeiführen.  In  allen  Fällen  ist  jedoch  die  Ruhigstellung 
des  Genitales  von  grossem  Werth.  Entzündliche  schmerzhafte  Schwel- 
lungen werden  wirksam  durch  Einlagen  von  in  öproc.  Ichthijok/bjcerinlösimg 
getauchten  Tampons  beseitigt.  Sind  Blutungen  das  hervorstechendste  Symp- 
tom und  kann  sich  die  Patientin  zu  einem  operativen  Eingriff  nicht  ent- 
schliessen  oder  halten  wir  ihn  nicht  für  dringend  geboten,  so  versuchen 
wir  durch  Hi/dmstis  canadensis  (3mal  täglich  je  20  Tropfen)  oder  durch 
Ergoün  eine  Besserung  zu  erzielen.  Das  Ergotin  wird  in  folgender  Weise 
verordnet:  Bp.  Ergotin.  ö'O,  Aqu.  destill.  3'yO,  GUjcerin.  pur.  10-0,  Äcid. 
saUcglic.  0-1.  Seine  Anwendung  geschieht  wie  folgt:  Ein  Kaffeelöffel  des 
genannten  Mittels  wird  mit  zwei  Esslöffeln  warmen  Wassers  in  eine  kleine 
Ballonspritze  mit  Afteransatz  gefüllt  und  nun  der  Inhalt  des  Ballons  in  den 
Mastdarm  gespritzt.  Diese  Einspritzung  soll  nur  während  der  Dauer  der 
Blutung,  und  zwar  je  einmal  im  Tage  gemacht  werden.  Zu  beobachten  ist 
dabei,  dass  diese  Ergotinklysmen  nur  nach  vorhergehender  Entleerung  des 
Darmes  einen  Nutzen  haben  können,  da  sie  sonst  zum  Stuhlgang  reizen 
und  mit  den  Faeces  sofort  abgehen,  anstatt  der  Resorption  zugeführt  zu 
werden.  Des  Ferneren  trachten  wir,  durch  Irrigationen  täglich  normalen 
Stuhlgang  herbeizuführen,  weil  einerseits  bei  derartigen  chronisch  entzünd- 
lichen Erkrankungen  in  der  Regel  Obstipation  besteht,  und  andererseits 
jeder  schwerere  Stuhlgang  mit  einer  Steigerung  der  Schmerzen  verbunden  ist. 

K.  A.  HERZFELD. 

Antisepsis  in  der  Geburtshilfe. 

Referent:  Doc.  Dr.  K.  A.  Herzfeld  (Wien). 

Correferent:  Doc.  Dr.  Gustav  Klein  (München). 
Referat ;  Die  erschreckende  Mortalität,  die  vor  wenigen  Jahrzehnten 
noch  sowohl  in  den  öffentlichen  Gebärhäusern  wie  in  der  Privatpraxis  während 
des  Wochenbettes  zur  Beobachtung  kam,  hat  in  ganz  ausserordentlicher 
Weise  abgenommen,  seitdem  wir  aus  den  Lehren  Philipp  Ignaz  Semmel- 
weis' die  richtigen  Schlüsse  gezogen  und  die  Prineipien-  der  Antiseptik 
und  Aseptik  auch  in  der  Geburtshilfe  zur  vollen  Geltung  gebracht  haben. 
Es  ist  ein  imponirender  Erfolg,    wenn   man  bedenkt,    dass    noch   zur   Zeit 


ANTISEPSIS  IN  DER  GEBURTSHILFE.  Z!) 

Semmelvvkis'  in  öffentlichen  («ebiliiiiiusern  von  100  Wöchnerinnen  6  bis  10 
zu  Grunde  gingen,  wahrend  derzeit  die  Mortalität  auf  höchstens  3  von  1000 
gefallen  ist,  ja  an  einzelnen  Anstalten  noch  viel  bessere  Hesultate  erzielt 
werden  konnten.  Doch  nicht  das  Mortalitätspercent  allein  ist  es,  das  so 
sehr  gesunken  ist,  denn  die  Todesfälle  an  Wochenbetttieb(!r  koirunen  nicht 
deshalb  seltener  zur  Jieobachtung,  weil  wir  gelernt  haben,  die  Wochenbett- 
erkrankungen besser  oder  anders  zu  l)chandeln,  als  es  unsere  Vorfahren 
verstanden,  sondern  deshalb,  weil  wir  gelernt  haben,  die  Ursachen  der 
Wochenbetterkrankungen  zu  erkennen  und  dadurch  die  Mittel  kennen  zu 
lernen,  um  die  Erkrankungen  zu  verhüten.  Und  die  Folge  dessen  ist,  dass 
auch  die  iMoroiditätsstatlstik  eine  wesentlich  bessere  geworden,  wenn  anders 
wir  auch  bedenken  müssen,  dass  Statistiken  aus  vorantiseptischer  Zeit  und 
der  Jetztzeit  über  dieses  Thema  nicht  als  gleichwerthig  miteinander  ver- 
glichen werden  dürfen,  indem  wir  derzeit  gar  viele  Erscheinungen  während 
des  Wochenbettes  als  krankhaft  und  speciell  als  durch  Infection  verursacht 
ansehen,  die  früher  als  normaler  Weise  zum  AVochenbett  gehörig  dement- 
sprechend in  die  Morbiditätsstatistik  gar  nicht  aufgenommen  wurden. 

Es  war  in  den  40er  Jahren,  als  Semmelwp:i.s,  der  damals  Assistent 
an  Klein's  ärztlicher  Klinik  für  Geburtshilfe  in  Wien  wirkte,  mit  seinen 
Lehren  auftrat,  die  dahin  lauteten,  dass  das  Wochenbettfieber  eine  Wund- 
krankheit sei,  die  entstehe  durch  Einbringung  von  zersetzten  thierischen 
Stoffen  in  das  Innere  des  weiblichen  (Jeburtscanals,  und  dass  es  auch  Fälle 
gebe,  wo  das  Kindbettfieber  nicht  durch  Infection  von  aussen,  sondern 
durch  Resorption  von  im  Innern  des  mütterlichen  Organismus  erzeugten 
fauligen  und  zersetzten  organischen  Bestandtheilen  hervorgerufen  werde. 
Er  selbst  spricht  demgemäss  von  der  Infection  von  aussen  und  der 
sog.  Selbstinf  e  ction.  Den  Geburtshelfern  der  damaligen  Zeit  -war  es 
nicht  recht,  zu  hören,  dass  sie  selbst  Schuld  trügen  an  den  schlechten 
Verhältnissen  ihrer  Anstalten,  und  so  kann  es  nicht  Wunder  nehmen,  dass 
den  Lehren  Semmelweis'  durch  lange  Zeit  hindurch  von  Seiten  der  Geburts- 
helfer Widerstand  entgegengesetzt  wurde,  obwohl  diese  Arbeiten  epoche- 
machend zugleich  den  Boden  vorbereitet  haben  für  die  umwälzenden  Lehren 
Joseph  Listek's. 

Als  nun  allmälig  die  Befunde  der  mikroskopischen  und  bacte- 
rio  legi  sehen  Untersuchungen  bekannt  wurden,  als  Mayerhofer  im  Jahre 
1 865  das  erste  Mal  in  dem  Lochialsecret  Puerperalerkrankter  typische 
„Vibrionen"  nachwies,  als  dann  durch  Klebs,  Rindfleisch  und  Virchow 
diese  Befunde  bestätigt  und  erweitert  wurden  und  durch  Pasteur  und 
Robert  Koch  die  moderne  Bacteriologie  geschaffen  war,  welche  uns  nicht 
blos  mit  der  Morphologie,  sondern  auch  mit  der  Biologie  der  Microorga- 
nismen bekannt  machte,  da  erhielten  die  Lehren  Semmelweis'  ihre  sichere 
fundamentale  Begründung  in  den  leicht  zu  erbringenden  Thatsacheu.  und 
so  wurde  die  Erkenntnis,  dass  die  puerperalen  Erkrankungen  nur  durch 
Infection  zu  Stande  kommen,  zum  Dogma  der  modernen  Geburtshelfer  und 
begründete  somit  die  Nothw^endigkeit  der  Einführung  jener  Massregelu, 
wie  sie  sich  auf  Grundlage  der  LiSTER'schen  Principien  allmälig  entwickelt 
hatten.  Wir  wissen  somit,  dass  unsere  Hauptkraft  gegenüber  dem  verhee- 
renden Gespenste  des  Puerperalprocesses  in  der  Prophylaxe  gelegen  ist, 
und  von  dem  Momente  angefangen,  ^vo  wir  zur  Untersuchung  einer  Schw^an- 
geren  berufen  sind  oder  an  das  Geburtsbett  treten,  haben  diese  Grundsätze 
unser  Handeln  zu  beherrschen,  und  werden,  zur  vollen  Durchführung 
gebracht,  stets  von  Erfolg  gekrönt  sein. 

Wir  Avollen  alle  die  Wandlungen  übergehen ,  welche  die  Art  der 
Desinfe  ction  unserer  Hände  im  Laufe   der  letzten  zwei  Decennien 

3* 


30  ANTISEPSIS  IK  DER  GEBUKTSHILFE. 

diii'cligeiiiai'ht.  Ausgeliend  von  der  Thatsaclie,  dass  alle  mit  dem  weiblicheu 
Genitale  in  Berührung  kommenden  Gegenstände  Träger  infectiöser  Micro- 
organismen  sein  können,  musste  man  bald  au  die  Abtödtung  der  an  der 
Hand .  an  den  eingefiilirteii  I  n  s  t  r  u  m  e  n  t  e  n  und  an  den  anderen 
Gebrauchsgegenständen  eventuell  haftenden  Microorganismen  denken,  da  man 
von  der  Thatsache  durchdrungen  war,  dass  nicht  die  Luft,  sondern  die 
Contadinfedion  bei  der  Entstehung  von  Puerperalerkrankungen  die  Haupt- 
rolle spielt.  Nun  ist  es  schwer,  zur  Desinfection  der  Hände  jene  Mittel  in 
Anwendung  zu  bringen,  welche  die  bei  der  Infection  in  Frage  kommenden 
Microorganismen  (Sfapln/Iococcen,  Streptococcen,  Saproplu/ten  etc.)  sicher  abzu- 
tödten  im  Stande  sind,  nachdem  diese  INIittel  ohne  Gefahr  von  Seiten  des 
menschlichen  Körpers  kaum  benutzt  werden  können.  Und  so  begnügen  wir 
uns  oft  in  einer  ganzen  Reihe  von  Fällen  damit,  die  Wirksamkeit  der 
Microorganismen  und  ihre  Fortptianzungsfähigkeit  herabzusetzen,  mit  dem 
Bewusstsein,  die  vollständige  Keimfreiheit  der  mit  dem  Genitale  in  Berüh- 
rung kommenden  Gegenstände  nicht  hergestellt  zu  haben.  Allerdings  werden 
wir  unseren  Principien  am  ehesten  gerecht  werden,  wenn  wir  die  Berüh- 
rung der  erwähnten  Gegenstände  und  Körpertheile  mit  pathogenen  Micro- 
organismen zu  verhüten  trachten,  d.  h.,  wenn  wir  sie  aseptisch  zu  erhalten 
vermögen,  Bas  sind  wir  aber,  durch  die  Natur  der  Sache  bedingt,  nur  in 
geringem  Masse  befähigt,  und  so  müssen  wir,  von  dem  Bewusstsein  durch- 
drungen, in  die  Aseptik  der  Hände,  der  weiblichen  Geschlechtstheile  etc. 
nur  geringes  Vertrauen  setzen  zu  können,  trachten,  die  eventuell  vorhan- 
denen Keime  wenn  auch  nicht  zu  tödten,  so  doch  in  ihrer  Wirksamkeit 
zu  beschränken,  d.  h.  die  in  Frage  kommenden  Organe  und  Gegenstände 
zu  desinficiren. 

In  der  Geburtshilfe  wurden  der  Reihe  nach  das  Chlonrasser,  der  Chlor- 
kalk, das  ühermamjansuure  Kali,  die  SaUci/lsäare,  die  Borsäure,  die  Carhol- 
säiire,  das  Thijntol,  das  Creolin,  das  Suhllmat  und  in  letzter  Zeit  das  Liisol 
zur  Anwendung  gebracht.  Von  diesen  Mitteln  sind  derzeit  vorwiegend  blos 
die  Carbolsäure,  das  Sublimat  und  das  Lysol  in  weiterer  Verwendung,  die 
Carbolsäure  hauptsächlich  dadurch,  dass  sie  nach  den  Hebammeninstruc- 
tionen  sowohl  in  Oesterreich  wie  in  Deutschland  von  den  Hebammen  in 
Anwendung  gezogen  Averden  muss.  Nun  wissen  wir  aber,  dass  selbst  die 
5  o/o  i  g  e  C  a  r  b  0 1  s  ä  u  r  e  1  ö  s  u  n  g  nur  einen  relativ  geringen  Einfluss  auf 
die  Behinderung  der  Lebensthätigkeit  der  in  Frage  kommenden  pathogenen 
Microorganismen  besitzt  und  schon  in  dieser  Lösung  für  längere  Dauer 
sowohl  der  Epidermis  der  Hände  als  insbesonders  dem  Schleimhauttracte 
des  Geschlechtsapparates  unzuträglich  ist.  Und  so  werden  wir  von  vorn- 
herein der  Wirkung  der  Carbolsäurelösung  wenig  Vertrauen  entgegenbringen, 
umsomehr  als  wir  wissen,  dass  die  Hebammen  geneigt  sind,  viel  eher  einen 
geringeren  Concentrationsgrad  zu  bereiten,  als  es  die  Vorschrift  verlangt 
und  demgemäss  von  einer  eigentlichen  Desinfection  nur  in  beschränktem  Masse 
die  Bede  sein  kann.  Hingegen  hat  sich  das  Sublimat  als  ein  souveränes 
Desinfectionsmittel  unter  den  Aerzten  bald  allgemeine,  ja  enthusiastische 
Anerkennung  verschatt't.  Wegen  der  Gefährlichkeit  des  Mittels  sind  wir 
allerdings  nicht  in  die  Lage  versetzt,  dasselbe  den  ungebildeten  Hebammen 
ohneweiters  zur  Verfügung  zu  stellen,  und  so  hat  die  Desinfection  mit 
Sublimat  noch  nicht  jene  Verbreitung  gefunden,  wie  sie  eigentlich  im  Inter- 
esse der  Sache  bisher  zu  wünschen  gewesen  wäre.  Wir  wissen,  dass 
öublimat  auch  schon  in  einer  Lösung  von  1 :  10.000  eine  hemmende  Wirkung 
auf  die  Lebensthätigkeit  pathogener  Microorganismen  auszuüben  im  Stande 
ist  und  in  einer  Concentration  von  1 :  1000,  wie  wir  sie  verwenden,  ganz 
ausgezeichnete  Dienste  leistet. 


ANTISEPSIS  IN  DER  GEBURTSHILFE.  37 

Die  Sul)limatlösiing  ist  leicht  zu  bereiten,  indem  wir  i'astillen,  die  entwedei-  zu 
gleichen  Tlieilon  aus  je  1  //  Ifydrary.  bwhlorat.  corro.iiv.  und  Nutr.  chlorat.  bestehen, 
oder  Pastillen  von  1  ij  Hjidrurd.  hicMor.  corroyiiv.  auf  5  f/  Acid.  tartaric.  in  Wasser 
lösen,  so  dass  eine  Pastille  auf  einen  Liter  Wasser  zur  Verwendung  kommt.  Wegen  der 
Gefährlichkeit  dieser  Lösungen  und  wegen  der  FarbJosigkeit  dersellten  ist  es  dringend 
geboten,  zur  Kenntlichmachung  die  Lösung  durcli  irgend  einen  den  Piistillen  beigegelienen 
Farbstoff  zu  tingiren. 

Aber  ii\\c\\  das  oinfnche  PMiitauchon  unserer  mit  Microor^anismeii  aller 
Art  l)ehai'teten  Hiinde  in  eine  stiUi<ere  Subliinatl/isiiiiji;  ist  nicht  im  Stande, 
die  Keimfreiheit  der  Hände  herl)eiziiführe]i,  wenn  dieser  Desinfection  niciit 
die  gründlichste  mechanische  Reinigung  der  Hände  und  Nägcd  vor- 
ausgegangen ist.  Ja  gerade  dieser  ziell)ewussten  mechanischen  ri,eiiiigung 
müssen  wir  bei  der  Desinfection  die  Haui)trolle  zuweisen.  Die  an  der 
Cutisoberfläche  in  den  Poren  der  Haut  angesammelten  Fettschichten  ver- 
hindern eine  gründliche  Einwirkung  der  Desinfectionslösung,  und  es  ist 
demgemäss  dringend  geboten,  der  Desinfection  der  Hände  mit  einem  chemi- 
schen Mittel  die  mechanische  Reinigung  derselben  mit  Seife,  Bürste  und 
warmem  Wasser  vorauszusenden.  Erst  dann,  wenn  diese  Reinigung  gründlicli 
vollbracht,  die  Nagelf älze  und  Unternagelräume  gründlich  von  jedem 
Schmutz  befreit  sind,  wird  die  Einwirkung  eines  chemischen  Desinficiens  von 
Werth  sein,  und  nehmen  wir  dieselbe  in  der  Regel  entweder  direct  mit 
Sublimatlösung  oder  nach  Fürbkinger  zunächst  mit  absolutem  Alkohol 
und  erst  in  weiterer  Folge  mit  Sublimat  vor. 

Angesichts  der  Thatsache,  dass  das  Sublimat  zur  internen  Desinfection 
des  weiblichen  Geburtsschlauches  sich  kaum  eignet,  und  dasselbe  in  die 
Hebammenpraxis  nur  schwer  einführbar  ist,  andererseits  die  derzeit  von  den 
Hebammen  angewendeten  Desinfectionsmittel  nur  einen  sehr  geringen  Grad  von 
Verwerthbarkeit  besitzen,  ist  die  Einführung  des  Lysols  in  die  (yehurtshilfe 
mit  grosser  Freude  zu  begrüssen.  Indem  das  Lysol  eine  Verbindung  von 
Seifen  mit  Phenolen  darstellt,  kann  es  sofort  auch  zur  mechanischen  Reini- 
gung der  Hände  verwendet  werden,  was  insbesondere  in  der  Hebammen- 
praxis von  grossem  Werth  ist.  Eine  2o/(jige  Lysollösung  kann  in  ihrer 
Wirkung  mindestens  einer  5%igen  Carbollösung  gleichgesetzt  werden,  und 
wir  können  daher  durch  sorgfältige  mechanische  Waschungen  mit  Lysol- 
lösung gewiss  eine  gründlichere  Reinigung  der  Hände  unserer  Hebammen 
erzielen  als  dies  mit  den  bisher  gebräuchlichen  Desinfectionsmitteln  der 
Fall  ist. 

Haben  wir  unsere  Hände,  wie  oben  beschrieben,  gründlichst  gereinigt, 
betrachten  wir  sie  daher  als  aseptisch,  so  müssen  wir  auch  trachten,  die 
Aseptik  der  Hände  so  lange  zu  bewahren,  als  die  Berührung  des  Genital- 
tractes  mit  denselben  dauert.  Wir  sollen  daher  mit  der  vom  Desinficiens 
triefenden  Hand  keinen  Gegenstand,  keine  Wäschestücke  oder  dergleichen 
berühren,  sondern  mit  nassen  Händen  die  Lhitersuchung.  respective  den 
operativen  Eingriff  vornehmen.  Dennoch  ist  es  möglich,  dass  bei  einer  mit 
derartig  desinficirten,  sicher  reinen  Händen  untersuchten  Frau  ein  Puer- 
peralprocess  sich  entwickelt.  Solche  Fälle  hat  man  in  früherer  Zeit  einer 
sogenannten  Selbstinf  e  ction  zugeschrieben,  d.  h..  man  nahm  an.  dass 
im  Innern  des  mütterlichen  Organismus  sich  pathogene  Organismen  bilden, 
durch  deren  Resorption  eine  Puerperalerkrankung  zu  Stande  kommt.  Dit?ser 
Begriff  einer  Selbstinfection  hat  in  den  Reihen  der  Geburtshelfer  eine 
grosse  Verwirrung  herbeigeführt,  und  es  ist  begreiflich,  dass  jeder  Arzt 
bestrebt  sein  wird,  jede  ihm  vorgekommene  Infection  als  Autoinfection  der 
Patientin  zu  betrachten.  So  stehen  nun  die  Verhältnisse  nicht.  Wir  sind 
vielmehr  im  Stande,  auch  mit  vollständig  desinficirten  Händen  untersuchend, 
eine  Frau  zu  inficiren,  wenn  wir  an  ihren  äusseren  Geschlechtstheilen.  an 


38  ANTISEPSIS  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

den  Sclianihaaren  oder  an  den  Sclieidenwänden  liaftende  pathogene  Micro- 
organismen in  das  Innere  des  Cervicalcanals  bringen  oder  aber  an  die 
während  der  Geburt  gesetzten  Verletzungen,  von  wo  aus  sie  die  verderb- 
liche Invasion  des  nuitterlichen  Organismus  beginnen.  Die  bacteriologischen 
Arbeiten  von  Steffeck,  Dödeklein.  Winter  haben,  wenn  auch  mit  ver- 
schiedenen Schlussfolgerungen,  ergeben,  dass  in  den  Scheidensecreten  auch 
gesunder  Schwangerer  sich  pathogene  Microorganismen  vorfinden  können; 
wenn  auch  bei  normaler  Schleimhaut  und  bei  normaler  Reaction  des  Vaginal- 
secretes  unschädlich,  können  die  somit  schon  vorhandenen  Microorganismen 
eine  tödtliche  Elrkrankung  herbeiführen,  wenn  die  chemische  Beschatfenheit 
des  Yaginalsecretes  in  einer  für  die  Fortentwicklung  pathogener  Micro- 
organismen günstigen  AVeise  sich  verändert,  oder  wenn  unter  dem  Einflüsse 
des  Geburtstraumas  die  schützende  Hülle  der  Schleimhaut  an  vielen  Stellen 
durchbrochen  eine  grosse  Eeihe  von  Infectionspforten  aufweist,  durch 
^velche  die  Infection  stattfinden  kann.  Aber  eine  solche  Infection  darf  man 
nicht  Selbstinfection  nennen,  denn  diese  Organismen  sind  wohl  nicht  in 
der  Puerpera  durch  physiologische  oder  pathologische  Processe  derselben 
entstanden,  sondern  sie  sind  eben  früher  in  das  innere  Genitale  von  aussen 
eingeführt  worden,  sei  es  bei  Untersuchungen  während  der  Schwangerschaft, 
oder  bei  IManipulationen  am  äusseren  Genitale  mit  natürlich  nicht  desinfi- 
cirten  Händen,  oder  schliesslich  beim  Coitus,  der  ja  oft  genug  bis  gegen 
das  Ende  der  Schwangerschaft  hin  ausgeführt  wird. 

Die  S  c  h  1  u  s  s  f  0 1  g  e  r  u  n  g  e  n,  die  wir  aus  dem  Vorhergesagten  zu 
ziehen  haben,  müssen  uns  daher  lehren,  dass  auch  die  gründlichste  Des- 
infection  unserer  Hände  die  vollständig  sichere  Proi)hylaxis  gegen  Wochen- 
l)etterkrankungen  nicht  zu  garantiren  vermag,  wenn  nicht  vorher  das 
uns  zugängliche  Genitale  vollständig  keimfrei  gemacht 
worden;  kein  Chirurg  wird  bei  Wahrung  der  antiseptischeu  und  aseptischen 
Cautelen  eine  Operation  vollführen,  ohne  dass  er  auch  das  Operationsfeld 
versucht  hat,  ebenso  keimfrei  zu  machen  wde  seine  Hände,  sein  Instrument, 
die  Seide,  die  Tupfer,  die  Verbandstoffe  u.  s.  w.  Die  nächste  Consequenz 
daraus  muss  demgemäss  die  sein,  dass  unsere  antiseptisch  en  Mass- 
regeln sich  nicht  blos  auf  unsere  Hände,  sondern  auch  auf  den  Ge- 
burtsschlauch der  Gebärenden  erstrecken  müssen.  Vorbereitet 
wdrd  die  Reinigung  des  Genitales  zunächst  durch  häufig  zu  wiederholende 
lauwarme  Reinigungsbäder  während  der  Schwangerschaft  und  unmittelbar 
vor  der  Geburt.  In  demselben  Moment,  wo  die  Geburt  manifest  beginnt, 
wird  die  sorgfältigste  Reinigung  der  äusseren  Geschlechtstheile  durch  Waschen 
derselben  mit  Seife,  Bürste  und  warmem  Wasser  vorgenommen:  hierauf 
spülen  wir  das  äussere  Genitale  mit  einem  Desinficiens,  Carhol,  Sublimat 
oder  Li/soJ  ab  und  nehmen  eine  prophylactis  che  Ausspülung  der 
Scheide  mit  einer  wirksam  desinficirenden  Flüssigkeit  vor.  Nach  dem, 
was  im  Vorhergehenden  gesagt  ist,  können  wir  von  vornherein  eine  Vagina 
nicht  immer  als  sicher  aseptisch  betrachten,  insbesondere  dann  nicht,  wenn 
vor  uns  von  anderen  Personen  bereits  eine  Untersuchung  vorgenommen 
wurde,  und  mv  über  die  Art  der  Beobachtung  der  Antiseptik  bei  diesem 
Eingriffe  nicht  orientirt  sind.  Zu  diesem  Zwecke  wird  eine  Ausspülung 
der  Scheide  gemacht.  Nun  dürfen  wir  Sublimat,  das  wirksamste  aller  Des- 
infectionsmittel.  nicht  zur  Anwendung  bringen.  Es  sind  bereits  mehrfache 
Todesfälle  infolge  von  Intoxicationen,  welche  nach  intravaginalen  und  intra- 
uterinen Ausspülungen  Schwangerer,  Gebärender  und  Wöchnerinnen  ent- 
standen sind,  verzeichnet  worden.  Da  wir  ja  wissen,  wie  ausseror- 
dentlich rasch  das  Sublimat  in  den  menschlichen  Köri»er  übergeht  und  dass 
wir,   die   wir   unsere   Hände    mit  Sublimat  desinficiren,   in  der  Regel  ganz 


ANTISEPSIS  IN  DER  GEBURTSHILFE.  39 

kleine  Mengen  von  Quecksilber  im  Harn  entleeren,  so  können  wir  uns 
vorstellen,  dass  bei  der  raschen  Kesorption  des  Quecksilbers  von  Seiten 
der  durch  die  Schwangerschaft  noch  resor])ti()nsfähiger  geinafhten  Weich- 
tlieile  es  vorkommen  kann,  dass  infolge  der  während  d(;r  Sfliwangerschaft 
sich  öfters  einstellenden  Veränderungen  des  Nierenpansncliyins  sich  eine 
Störung  der  Ausscheidung  der  resorbirten  Stoffe  entwickelt,  wodurcli  eben 
Intoxicationen  hervorgerufen  werden  können.  Es  bleibt  demgemäss  derzeit 
blos  das  Carhol  und  das  Lißo'l^  cn^ferc^  in  ^'riproc.,  lafztereff  in  1  procf^nfit/er 
Lösutxj,  für  die  vaginalen  Bespülungen  übrig,  doch  würden  wir,  wie  schon 
aus  dem  Vorhergesagten  hervorgellt,  der  Lysollösung  den  Vorzug  geben. 
Erwähnen  wollen  wir  noch,  dass  die  Lysollösung  mit  frisch  gekochtem 
Wasser  hergestellt  werden  muss,  da  sonst  bei  Anwendung  eines  sogenannten 
.,harten  Wassers"  die  Kalksalze  herausfallen,  die  Lösung  trül)e  und  mit 
Bröckeln  vermischt  erscheint. 

Diese  prophylac tische  Desinf  e  ction,  welche  vor  der  ersten 
Untersuchung  und  vor  einem  eventuellen  operativen  Eingriff  vorzunehmen 
ist,  muss  auf  das  Sorgfältigste  gemacht  werden,  d.  h.  aus  einem  Irrigator 
wird  die  Lösung  mittels  eines  Glasmutterrohres,  das  bei  strömender  Flüssig- 
keit unter  der  Leitung  von  zwei  Fingern  eingeführt  wird,  in  die  Vagina 
gebracht  und  daselbst  mittels  der  die  Scheidenwände  reibenden  Finger  zur 
mechanischen  Pieinigung  verwendet.  Das  Mutterrohr  muss  ebenso  rein  sein 
wie  unsere  Finger  und  unsere  anderen  geburtshilflichen  Instrumente.  Es 
ist  daher  unbedingt  nothwendig,  dass  das  Mutterrohr  vor  dem  Gebrauch 
durch  mindestens  eine  Viertelstunde  in  siedendem  Wasser  ausgekocht  und 
während  der  ganzen  Zeit,  wo  sein  Gebrauch  eventuell  nothwendig  werden 
dürfte,  in  einer  Sublimat-  oder  Lysollösung  aufbewahrt  wird.  Demgemäss 
ist  auch  zu  verlangen,  dass  jede  Gebärende  ihr  eigenes  Mutterrohr  besitzt. 
Bei  der  Billigkeit  der  Glasmutterrohre  (Form  nach  Beeisky)  ist  dies  wohl 
zu  erzielen.  Benützt  eine  Hebamme  ihr  eigenes  Mutterrohr  zur  Ausspülung 
der  Vaginen  verschiedener  Gebärender,  ohne  dasselbe  vor  und  nach  jedem 
Gebrauch  auf  das  Sorgfältigste  zu  desinficiren,  so  wird  es  an  die  Stelle 
des  aus  der  Hebammentasche  gesetzlich  verbannten  Badeschwammes  treten, 
der  in  vorantiseptischer  Zeit  so  entsetzlichen  Schaden  angerichtet.  Eine 
Desinfection,  bei  welcher  die  Regeln  der  Antiseptik  nicht  befolgt  werden, 
ist  blos  eine  Scheindesinfe ction;  ja,  es  kann  durch  eine  solche  Scheindes- 
infection  mit  einem  inficirten  Mutterrohr  viel  mehr  geschadet  Averden.  als 
wenn  die  Desinfection  überhaupt  unterblieben  wäre. 

Als  eine  weitere  Folge  der  antiseptischen,  resp.  aseptischen  Behand- 
lung der  Geburt  haben  wir  die  E  i  n  s  c  h  r ä n  k  u  n  g  der  inneren  Unter- 
suchung zu  verstehen.  Durch  sorgfältigste  Ausbildung  der  äusseren  Unter- 
suchung, werden  wir  im  Stande  sein,  uns  von  vornherein  vor  der  inneren 
L'ntersuchung  ein  genaues  Bild  über  die  Verhältnisse  zu  verschalfen.  L^nd 
in  der  Regel  wird  unter  normalen  Verhältnissen  eine  einzige  innere  Unter- 
suchung unter  der  Wahrung  aller  Cautelen  der  Aseptik  ausgeführt,  genügen, 
um  uns  die  Prognose  der  Geburt  von  vornherein  stellen  zu  lassen.  Je 
seltener  wir  untersuchen,  umso  geringer  werden  die  Gelegenheiten  zur  Ein- 
bringung von  Infectionsstoffen,  und  von  diesem  Standpunkte  aus  ist  das 
Bestreben  vieler  Geburtshelfer  zu  beurtheilen.  die  innere  L^ntersuchung 
vollständig  durch  die  äussere  ersetzen  zu  lassen.  Sollte  jedoch  im  Verlaufe 
der  Geburt  infolge  der  sich  einstellenden  Anzeichen  einer  Abnormität  oder 
eines  pathologischen  Verhaltens  eine  weitere  Untersuchung  nothwendig 
werden,  so  ist  es  geboten,  vor  dieser  Untersuchung  das  äussere  Genitale 
wieder  geradeso  zu  desinficiren  wie  vor  der  ersten  L^ntersuchung.  wie  ^nr 
ja  auch  unsere  Hände  vor  jeder  erneuten  Untersuchung  in  derselben  Weise 


40  ANTISEPSIS  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

(lesinlicireii  müssen.  Es  ist  das  äusserst  nothweudig,  denn  die  aus  dem 
Genitale  ausiiiessenden  Secrete,  welche  an  den  St'hamhaaren  halten  bleiben, 
zum  Theil  eintrocknen,  geben,  unter  dem  Eintluss  der  atmosphärischen 
Luft  sich  zersetzend,  pathogenen  Mikroorganismen  einen  ausserordentlich 
günstigen  Nährboden  ab,  und  kann  von  da  aus  die  Infection  des  Genitales 
auf  das  Leichteste  erfolgen.  Ist  ein  Arzt  von  vornherein  zur  Leitung  der 
Geburt  berufen,  so  ist  es  am  zweckmässigsten,  die  Hebamme  überhaupt 
nicht  untersuchen  zu  lassen,  sondern  selbst  die  einmalige,  eventuell  eine 
weitere  Untersuchung  vorzunehmen.  Durch  die  sorgfältigste  Beobachtung 
der  aus  der  äusseren  ITntersuchuiig  sich  ergebenden  Symptome  werden  wir 
über  das  Fortschreiten  und  das  Verhalten  der  Geburtsthätigkeit  bezüglicli 
der  Norm  genügenden  Aufschluss  erhalten.  In  gleicher  Weise  wird  die 
Desinfection  des  Genitales  vor  jedem  operativen  Eingriff  vorgenommen 
werden  müssen. 

Eine  andere  Frage  ist  die:  Soll  nach  der  Geburt  oder  nach  einer 
künstlichen  Entbindung  die  Uterushöhle  und  Vagina  desinficirt  wer  den 
oder  nicht?  Bei  normalen  Geburten  und  bei  künstlichen  Entbindungen, 
bei  welchen  die  Temperatur  vor  der  Entbindung  eine  normale  war  und 
kein  Grund  vorliegt,  eine  bestehende  Infection  anzunehmen,  hat  die  Des- 
infection df^r  Uterushöhle  und  der  Scheide  keinen  Zweck.  Im  Gegentheil, 
nach  der  Geburt,  wo  Scheide,  Cervicalcanal  und  Uterushöhle  ein  einziges 
grosses,  allenthalben  mit  defecter  Schleimhaut  ausgekleidetes  Cavum  dar- 
stellen, ist  die  Gefahr  der  Infection  eine  so  imminente,  dass  der  vollstän- 
dige Abschluss  des  Genitales  nach  aussen  hin  das  Wlinschenswertheste  wäre^ 
und  demgemäss  jede  Gelegenheit  vermieden  werden  muss,  wodurch  ein 
directer  Contact  mit  der  Aussenwelt  durch  irgend  welche  Manipulationen 
erleichtert  wird.  Wir  perhorresciren  daher  bei  normalen  Fällen  die  Aus- 
spülungen post  partum  gerade  so,  wie  wir  bei  normalem  Wochenbett  keine 
Ausspülungen  der  Scheide  machen,  weil  wir  in  einem  solchen  Falle  gerade- 
zu fürchten  müssten,  von  den  äusseren  Genitalien  her  pathogene  Keime 
durch  den  Flüssigkeitsstrahl  in  die  Höhe,  gegen  die  Scheide  und  den  Uterus 
zu  befördern.  Dagegen  muss  nach  der  Geburt  das  äussere  Genitale  sorg- 
fältigst abgespült  und  desinficirt  und  durch  aseptische  Vorlagen  gegenüber 
der  Umgebung  geschützt  werden. 

Was  die  Behandlung  der  Instrumente  anbelangt,  so  sind  wir 
da  allerdings  in  die  Lage  versetzt,  die  Principien  der  Aseptik  voll  und 
ganz  an  Stelle  der  Antiseptik  treten  zu  lassen;  die  Desinfection  der  In- 
strumente in  Carbollösung,  Thymollösung,  Sublimat  und  Lysol  so  wirksam 
sie  auch  immer  sein  mag,  kann  nicht  concurriren  mit  der  Methode  der 
Sterilisirung  der  Instrumente  durch  das  Auskochen  in  W a s s e r,  weil 
wir  Avissen,  dass  auf  diesem  Wege  pathogene  Mikroorganismen  mit  Sicher- 
heit vollständig  vernichtet  werden.  Ein  Topf  mit  siedend  heissem  Wasser 
ist  in  jedem  Hause  bald  beschafft.  Wir  lassen  die  Instrumente  durch 
mindestens  10  Minuten  in  siedendem  Wasser  kochen  und  können  sie  dann 
als  keimfrei  ruhig  verwenden.  Durch  die  Apparate,  wie  sie  Schimmelbusch 
in  Berlin  angegeben,  sind  wir  im  Stande,  auch  die  Nähseide  zu  sterilisiren, 
und  zwar  in  strömendem  Dampf.  Dort,  wo  man  nicht  in  der  Lage  ist,  das 
Sterilisationsverfahren  der  Seide  durchzuführen,  muss  die  Seide,  nachdem 
sie  vorher  durch  Kochen  in  Wasser  vom  Wachs  befreit  ist,  in  5proc.  Carbol- 
lösung gebracht  werden,  wird  in  dieser  Lösung  dutch  eine  Stunde  hindurch 
gekocht,  aufgespult  und  nun  in  einem  Glasgefäss  in  einer  Sublimatlösung  von 
IVoo  aufbewahrt.  Es  ist  speciell  dem  Nahtmateriale  eine  grosse  Bedeutung 
beizumessen,  und  es  soll  dasselbe,  wenn  es  durch  lange  Zeit  nicht  gebraucht 
worden,  entweder  hie  und  da  ausgewechselt  oder  frisch  überkocht  werden. 


ANTISEPSIS  IN  DER  GERUin^SIIILEK.  41 

Was  die  mit  dem  Genitale  der  Gebärenden  und  Wöclmerinnen  in 
Berührung  kommenden  W  ä  s  c li  e  s  t  ü  c  k  e  und  Verbandstoffe  anbelangt, 
so  wiire  es  wohl  das  Ideal  der-  Desinfection,  die  Sterilisation  dieser  Stoffe 
durchführen  zu  können;  doch  scheitern  wir  in  diesem  Bestreben  an  der 
physischen  Unmöglichkeit.  Wir  begnügen  uns  daluir  mit  dem  Vorlegen  von 
Jodoformgaze  und  aseptischer  Watte.  Bei  einem  jeden  einzelnen  Kingriff', 
so  unbedeutend  er  auch  sei,  soll  aber  gerade  in  Bezug  auf  die  Xothwendig- 
keit  der  l^rophylaxe  in  der  Geburtshilfe  unser  obiger  Grundsatz  sein: 
Primnin  non  noccre.  '^'- ■^-  iii'"'H/'i'i''i'n. 

Correferat.  Ueber  die  Nothwendigkeit  und  den  Werth  der  Antisepsis 
in  der  Geburtshilfe  lässt  sich  naturgemäss  nur  dadurch  ein  Urtheil  gewinnen, 
dass  man  die  Ursache  des  Wochenbettiiebers  klarlegt. 

Der  geniale  Semmelwels  hatte  —  unter  dem  heftigsten  und  leider 
unerhört  masslosen  Widerspruche  fast  aller  seiner  Zeitgenossen  —  1847 
die  Behauptung  aufgestellt,  die  Ursache  des  Kindbettfiebers  sei  Leichengift. 
Zu  dieser  Anschauung  war  er  durch  die  Beobachtung  gelangt,  dass  der 
Verlauf  der  septischen  Infection  eines  ihm  befreundeten  Pathologen  weit- 
gehend dem  Verlauf  des  Wochenbettfiebers  glich.  —  1861  erweiterte  er 
diese  Anschauung  in  seinem  grundlegenden  Buche:  „Die  Aetiologie,  der 
Begriff  und  die  Prophylaxis  des  Kindbettfiebers"  dahin,  dass  jeder  Fall  von 
Kindbettfieber  als  Resorptionsfieber  zu  betrachten  sei,  indem  ein  zersetz- 
te r  t  h  i  e  r  i  s  c  h  -  o  r  g  a  n  i  s  c  h  e  r  S  t  o  f  f  aufgenommen  werde.  Dieser  könne 
entweder  von  aussen  eingeführt  werden,  z.  B.  durch  die  Hände  eines  Geburts- 
helfers, der  vorher  Leichentheile  berührt  hatte,  oder  durch  Aufnahme  zer- 
setzter Stoffe,  die  sich  im  Körper  selbst  bildeten:  Selbstinfection.  Der 
natürlichen  Forderung,  dass  vor  Allem  die  Hände  und  Instrumente  des 
Geburtshelfers  vollkommen  rein  sein  müssen,  suchte  er  durch  Waschungen 
mit  Chlorwasser  gerecht  zu  werden. 

Seine  Theorie  wurde  mit  Spott  und  Hohn  aufgenommen  und  der  krank- 
haft gereizte  Ton  des  „Offenen  Briefes  an  sämmtliche  Professoren  der 
Geburtshilfe",  1862  (in  welchem  er  sich  z.  B.  an  Scanzoni  mit  den  Wor- 
ten wendet:  „Herr  Hofrath,  Sie  sind  ein  Mörder!")  erklärt  sich  daraus. 
Erst  einer  späteren  Zeit  war  es  vorbehalten,  die  Wichtigkeit  der  Theorie 
des  unglücklichen  Semmelwels  (er  starb  im  Irrenhause)  zu  erkennen.  Auf 
Grund  anderer  Gesichtspunkte  hat  bekanntlicli  Ulster  gelehrt,  die  Wund- 
infectionskrankheiten  zu  vermeiden,  und  von  ihm  hat  die  Geburtshilfe  das 
antiseptische  Verfahren  erst  entlehnt;  Blschoff  führte  dasselbe  als  erster 
1868  in  -der  Basier-Klinik  ein  und  wendete  seit  1876  die  LiSTER'sche  Me- 
thode in  voller  Strenge  an.  Ergänzt  und  theilweise  geändert  wurde  Semmel- 
weis' Anschauung  durch  die  Entdeckung  pflanzlicher  Parasiten  als 
Ursache  des  Wochenbettfiebers. 

Schon  1865  hatte  MAYEraioFEK  im  peritonitischen  Exsudat  einer  an  Wochenbettfieber 
gestorbenen  Frau  Streptococcen  gesehen  und  beschrieben ;  Rixdfleiscii  hatte  in  Herz- 
Abscessen  bei  Puerperalfieber  Bacterien  gefunden;  18^9  sahen  Coze  und  Feltz  im  Blute 
piierperalkianker  Frauen  Streptococcen  und  machten  Thierversuche  mit  solchem  Blut; 
Recklixghausen  fand  diese  IMikroorganismen  im  Eiter,  Walpeyer  in  parametritischen 
Abscessen;  Pasteuk  züchtete  1880  zum" ersten  Male  Streptococcen  in  Bouillon  rein,  Dolerix 
und  pRÄNKEL  machten  Thierversuche  mit  solchen  Reinculturen.  Sobald  also  die  That- 
sache  festgestellt  war,  dass  auch  eine  Reihe  von  Wundkrankheiten:  Eiterung,  Sepsis, 
Pyämie,  Erysipel  auf  dem.  Eindringen  von  pflanzlichen  Parasiten  beruhen,  war  die  Gleich- 
heit dieser  Processe  mit  gewissen  puerperalen  Erkrankungen  dargethan,  das  Puerperal- 
Fieber  als  eine  Wun  d  krankh  e  i  t  erkannt.  1883  fandei.  Lomek  und  Jovaxoyic,  die 
in  ScmiüDEii's  Klinik  arbeiteten,  dass  die  in  Pemphigus-Blasen  einer  kranken  Wöchnerin 
gefundenen  Streptococcen  für  Thiere  pathogen  seien.  Winckel  vertrat  später  auf  Grund  des 
gleichen  Bacterienbefundes  die  Ansicht,  dass  Erysipel  und  gewisse  Formen  der  ^Yochen- 
bett-Infection  einander  ätiologisch  gleichwerthig  seien,  und  er  sprach  deslialb  von  einem 


42  ANTISEPSIS  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

„inneren  Erysipel",  ein  Ausdruck,  den  auch  Virchow  schon  früher  für  gewisse  Formen 
des  Kindbettliebers  eingeführt  hatte.  Thatsächlich  ist  es  bisher  auch  nicht  möglich  ge- 
wesen, durchgreifende  Unterschiede  zwischen  dem  Streptococcus  des  Erysipels  und  des 
Wochenbetttiebers  zu  finden,  und  gerade  die  schwersten  Formen  dieser  furchtbaren  Krank- 
heit werden  durch  den  Ketten-Coccus  erzeugt.  Ausser  ihm  sind  die  verschiedenen  Arten 
des  eitererregenden  Traubencoccus  —  Sfaphi/lococcus  pi/of/ene»  aureus,  albus  tmd  citrexs  — 
sowie  vielleicht  einige  andere  Bacterien  Ursache  des  Wochenbettfiebers,  wenn  auch  nicht 
der  schwersten  Formen  desselben.  Nach  Weetheim's  schönen  Untersuchungen  ist  es  nicht 
auszuschliessen,  dass  auch  der  GonocorcKs  wirkliche  Eiterung  und  Bindegewehsentzündung 
(Phlegmone)  verursachen  kann;  nach  Haitser's  Befund  kann  der  Proteus  im  Verein  mit 
Streptococcen  äusserst  gefährliche  Phlegmonen  erzeugen  ;  und  endlich  hat  Reickel  einen 
Bacillus  als  gelegentlichen  Erreger  der  Peritonitis  dui-ch  das  Reagensglas  und  das  Thier- 
Experiment  nachgewiesen. 

Die  Acten  über  die  A  e  t  i  o  1  o  g  i  e  der  Wu  n  d  k  r  a  ii  k  h  e  i  te  n,  also  auch 
des  AV  0  c  h  e  n  l)  e  1 1  f  i  e  b  e  r  s  sind  demnach  keineswegs  geschlossen.  Wohl 
aber  steht  die  grundlegende  Thatsache  fest :  olnie  Bacterien  hem  Wochen- 
beUfieher.  Im  Vorhinein  mag  bemerkt  werden,  dass  Fieber  im  Wochen- 
bett und  Wo  chenbettfieber  nicht  identisch  sind.  Eine  Wöchnerin 
kann  an  Pneumonie  erkranken  und  fiebern,  sie  hat  aber  deshalb  noch  kein 
Wochenbettfieber.  Wir  werden  also  definiren  müssen :  Wochenbettfieber  ist 
eine  von  den  Genitalien  während  oder  nach  der  Geburt  ausgehende  Wund- 
infection.  Ferner  kann  im  Wochenbett  auch  durch  nicht  pathogene,  sondern 
einfache  Fäulnis-Mikroorganismen  Fieber  erzeugt  werden;  z.  B.  durch  die 
Resorption  von  Fäulnisproducten  bei  Lochiometra,  falls  die  zurückgehalteneu 
Lochien  durch  Fäulnispilze  zersetzt  werden;  für  diesen  Zustand  hat  mau 
im  Gegensatz  zur  Sepfil'ämie  und  Pi/ämie,  die  von  pathogenen  Bacterien 
ausgeht,  die  Bezeichnung  Saprämte  (TaTöpöc-faul)  eingeführt.  Ob  man  die 
Saprämie  als  Wochenbettfieber  im  engeren  Sinne  gelten  lassen  will  oder 
nicht,  ist  wohl  nur  Wortstreit. 

Waren  somit  die  Erreger  des  Wochenbettfiebers  in  gewissen  patho- 
genen Bacterien  erkannt,  so  musste  man  ihnen  zu  Leibe  gehen,  wo  man  sie 
fand :  an  den  Händen  und  Instrumenten  des  Arztes  und  der  Hebamme ;.. 
an  und  in  den  Genitalien  der  Kreissenden  u.  s.  w.  Damit  erhielt  die  Anti- 
sepsis ihre  wichtigste  Begründung.  Der  Operateur,  dessen  Instrumente, 
die  Genitalien  der  Parturiens  troffen  bald  von  Carbol;  nach  der  Entbindung 
wurde  der  Uterus  mit  mehreren  Litern  l%o  Sublimatlösung  durchspült: 
es  konnte  nicht  ausbleiben,  dass  schwere  Vergiftungen,  mehrfach  sogar  mit 
tödtlichem  Ausgange  eintraten.  Es  wurde  also  die  gegentheilige  Parole  aus- 
gegeben, die  Kreissende,  wenn  irgend  möglich,  gar  nicht,  zu  berühren; 
Leopold  drang  mit  Eecht  darauf,  die  innere  Untersuchung  nach  Kräften 
einzuschränken  und  die  äussere  umso  mehr  auszubilden.  Und  trotzdem 
erkrankten,  ja  starben  solche  „unberührte"  Kreissende!  Also  gab  es  doch 
eine  Selbstinfection? 

Während  nun  über  die  Möglichkeit  der  „Aussen-Infection"  alle 
Autoren  einig  waren,  gingen  sie  über  die  der  „Selbstinfection"  umso 
mehr  auseinander.  Die  Ausseninfection  ist  zu  vermeiden  durch  Desinfection 
der  Hände  und  Arme  des  Untersuchenden,  aller  benützten  Instrumente,  der 
Bett-  und  Leibwäsche  der  Kreissenden;  daran  zweifelte  niemand,  und  die 
entsprechenden  Massnahmen  (s.  u.)  wurden  bald  Gemeingut  fast  aller  Aerzte 
und  der  einsichtsvollen  Hebammen.  Allerdings  muss  offen  gestanden  werden, 
dass  unbegreiflicher  Weise  eine  geringe  Zahl  von  Aerzten  und  ein  —  leider 
recht  grosser  —  Bruchtheil  der  Hebammen  von  dem  Werthe  der  subjectiven 
Antiseptik  des  Geburtshelfers,  der  Pteinhaltung  und  Reinmachung  des  eigenen 
Körpers,  nichts  weniger  als  durchdrungen  ist.  (lieber  die  den  Hebammen 
einiger  Staaten  vorgeschriebene  Antiseptik  s.  u ). 

Die  schwierige  Frage  der  „Selbstinfection''   erfuhr  erst  Klärung  durch 


ANTISEPSIS  IN   DER  GEBUüTSiriLKE.  43 

die  eingehenden  Untersuchungen  von  Kkiiukk,  VVini'KF?,  .Sikffk(jk.  I)öi>Ki:- 
LEiN  u.  A.  Man  wird  am  besten  tliiin,  mit  Kaltknuach  und  Stkkfkck 
so  zu  definiren  :  „Selbstint'ection  ist  Infection  der  Kroissoiiden  od(;r  Wöch- 
nerin durcJi  jene  Bacterien,  die  schon  v(»r  der  Gehurt  und  vor  einer  etwaigen 
inneren  Untersucliung  und  Beliandlung  in  den  (ienitalien  deponirt  waren." 
Der  Wege,  auf  weU-hen  sie  liineingelangen  können,  sind  ja  genug:  durch 
Cohabitation.  Ausspühmgen,  Masturbation,  nKudianiscli  durcli  die  Wäsclie ; 
die  Nälie  des  Anus  begünstigt  ein  soh'lies  Kindring(!n.  Ks  frug  sich  nun, 
ob  denn  tliatsi'icldicli  in  den  (Ienitalien  sogenannter  ,. gesunder''  Scliwangerer 
und  Kreissender  patliogene  Organismen  vorkommen.  Die  Frage  wurde  durcli 
die  neuesten  Untersucliungen  mit  „ja"  beantwortet. 

Kkiiker  brachte  1886  Scheidensecret  Schwangerer  unter  die  Kückenliaut  von  Ka- 
ninchen; in  20  Proc.  der  Fälle  entstanden  Ahscesse  und  jauchende  Phlegmonen.  Wi.vtkü 
fand  milcroskoi^isch  bei  Schwangeren  und  Nichtschwangeren  in  50  Proc.  der  Fälle  patho- 
gene  Organismen  im  Cervix,  (Der  innere  Muttermund  bildet  meist  die  Grenze  für  die 
Flora  des  Genitalschlauchs.  Die  gesunde  Schleimhaut  des  Uteruskörpers  ist  nach  Wixtkii 
bacterienfrei.)  Stkffeck  fand  in  41  Proc.  der  untersuchten  Schwangeren  j)athogene  Mi- 
kroben im  Genitaltractus  ;  er  wies  sie  nicht  nur  mikroskopisch  und  durch  die  Cultur  im 
Keagensglase,  sondern  auch  einwandfrei  durch  das  Thierexperiment  nach.  DöoEiir.EiN' 
fand  in  45  Proc.  der  Fälle  pathogene  Mikroorganismen.  Für  die  Praxis  und  besonders 
für  gerichtliche  Beurtheilung  ergibt  sich  daraus  eine  sehr  wichtige  Folgerung: 
In  Fällen  mit  schlechtem  Ausgange  braucht  durchaus  nicht  stets  der  Arzt  oder  die  Heb- 
amme der  schuldtragende  Theil  zu  sein;  dass  andererseits  diese  Erkenntnis  Niemanden 
von  der  Pflicht  entbindet,  umso  peinlicher  subjective  Antisepsis  zu  treiben,  ist  selbstver- 
ständlich. Der  Richter  wird  aber  nicht  nach  dem  schlechten  Ausgange,  sondern  nur 
nach  dem  urtheilen  dürfen,  was  Arzt  oder  Hebamme  gethan  bez.  unterlassen 
haben. 

War  die  Sachkage  durcli  die  oben  gegebene  Definition,  durch  mikro- 
skopische, culturelle  und  experimentelle  Untersuchung  schon  fast  geklärt, 
so  erwies  es  sich  noch  des  Weiteren  als  nöthig,  die  Bezeichnung  „gesunde 
Schwangere"  einzuschränken.  Denn  Steffeck  betont  mit  Hecht,  class  eine 
Frau  gesund  sein,  im  Genitalschlauch  aber  schon  pathogene  Bacterien 
beherbergen  kann,  die  später  vielleicht  zu  tödtlicher  Wochenbett-Frkran- 
kung  führen.  Dödeklein  stellt  deshalb  die  besseren  Bezeichnungen  ,. nor- 
males, und  pathologisches  Secret"  auf. 

Das  „normale  Scheidensecret"  ist  krümlig,  weisslich,  intensiv 
sauer  (Lakmuspapier-Probe)  und  enthält  fast  nur  eine  Bacterienart :  die 
milchsäurebildenden  Scheidenbacillen.  gelegentlich  auch  den  Hefeitilz,  Moitiha 
Candida,  si/n.  Oldlnm  albicans.  Durch  die  Bildung  von  IMilchsäure  wirken 
die  Scheidenbacillen  der  Entwicklung  pathogener  Staphylo-  und  Strepto- 
coccen bis  zu  einem  gewissen  Grade  entgegen,  da  diese  in  schwach  alka- 
lischen Nährböden  besser  gedeihen,  als  in  saueren. 

Das  ,, p  a  t h  0 1 0  g  i  s  c  h  e  S  e  c  r  e  t"  ist  gelblich  bis  gelblich-grün,  rahm- 
ähnlich, von  schwach  saurer  bis  alkalischer  Beactiou  und  enthält  die  ver- 
schiedensten Mikroorganismen :  Stäbchen,  Diplo-,  Staphylo-  und  Strepto- 
coccen u.  s.  w. 

Schon  vor  den  geschilderten  Untersuchungen  hatte  Steffeck  gezeigt, 
dass  sich  durch  Auswischen  der  Scheide  und  des  Cervix  mittelst  der  Finger 
unter  gleichzeitigem  Einströmen  von  1 — 0*57ö  Sublimat  die  Scheide  für 
einige  Stunden  fast  bacterienfrei  machen  lasse :  allerdings  muss  bei  längeren 
Geburten  öfters  die  Ausspülung  (wenn  auch  nicht  die  Wischung)  wieder- 
holt werden,  da  eine  vollständige  Sterilisation  des  Geuitalschlauches  nicht 
möglich  ist  und  die  zurückgebliebenen  lebensfähigen  Bacterien  sieh  rasch 
wieder  vermehren.  Bei  diesem  Verfahren  sind  auch  thatsächlich  die  Ergeb- 
nisse der  von  Hofmeier  geleiteten  Würzburger  Klinik  die  besten  über- 
haupt je  erreichten:  0"l'^/o  Mortalität  an  puerperaler  Infection.  Wie  nieder 
diese  Zahl  ist,  lässt  sich  besonders  dann  ermessen,  wenn  man  erwägt,  dass 


44  ANTISEPSIS  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

einerseits  in  der  vorantiseptisclien  Zeit  Endemien  von  300/o  Mortalität  vor- 
kamen, und  dass  andererseits  das  Würzburger  ^Material  durch  Studenten 
undHebammenscliülerinnen  ausserordentlich  in  Anspruch  genommenwird.  Die 
Würzburiier  Vorschriften  für  Handhabunü;  der  Antiseptik  sind  folgende: 

A.  Subjective  Reinigung*  der  Untersuchenden. 

Reinigung  der  Hände  und  Arme  mit  warmem  Wasser,  Seife,  Bürste, 
Nagelreiniger.  Abspülen  der  Hände  mit  reinem  Wasser.  Bürsten  mindestens 

1  Minute  in  Siihl/itiaf  1  %f,.  Einfettung  mit  Vaseline ;  V  a  s  e  1  i  n  e  lässt  sich  durch 
Einbringen  in  kochendes  Wasser  oder  strömenden  Dampf  sterilisiren  und 
sie  ist  dann  selbstredend  ungefährlich;  andererseits  erleichtert  sie  dem 
Exploranten  und  der  Kreissenden  gewiss  die  Untersuchung.  Carbol-Oel  ist 
unzweckmässig,  da  Carbol  in  dieser  Form  fast  unwirksam  ist.  —  Studenten 
dürfen  24  Stunden  lang  vorher  nicht  mit  infectiösem  Material  in  Berührung 
gekommen  sein,  müssen  in  reiner  Wäsche  erscheinen,  vor  dem  Betreten 
des  Kreissesaais  den  Bock  ablegen  und  dafür  eine  ärmellose  leinene  Jacke 
anziehen.  Für  den  gewissenhaften,  in  der  Technik  der  subjectiven  Desin- 
fection  geiibten  Arzt  ist  eine  Carenz-Zeit  (Enthaltung  von  der  Berufsthätig- 
keit)  nach  Behandlung  infectiöser  Krankheiten  weder  erforderlich,  noch 
überhaupt  stets  durchführbar. 

B.  Desinfection  der  Instrumente. 

Vor  dem  Gebrauche  Einlegen  in  5%  Cavhol,  nach  dem  Gebrauch 
Auskochen  bezw.  Einlegen  in  5o/o  Cavhol  oder  l%o  Siihllmnt  (Gummi- 
schläuche etc.). 

C.  Objective  Desinfection  der  Kreissenden. 

Bei  Beginn  der  Geburt:  Wenn  thunlich,  ein  Vollbad,  Abseifen 
der  Genitalien  ohne  Rasieren  ;  äussere  Abspülung  mit  0-57oo  Sublimat.  — 
Scheide,  beziehungsweise  auch  Cervix  mittelst  der  Finger  unter  strömen- 
dem O-oo^o  Suhliniaf,  circa  1  Liter,  ausgewischt.  —  Im  Verlaufe  der 
Geburt:  Nach  jeder  Untersuchung  Ausspülung  (nicht  Wischung)  mit  einem 
Liter  O-ö^/qo  Suhlimaf-,  beziehungsweise  dasselbe  alle  drei  bis  vier  Stunden, 
wenn  nicht  untersucht  wird.  —  Vor  Operationen:  Auswaschung  von 
Scheide  und  Cervix  mit  37o  Carbol,  da  Sublimat  die  Scheide  zu  derb  und 
unnachgiebig  macht.  Auf  diese  Vorbereitung  vor  operativen  Eingriffen 
verzichten  auch  jene  Geburtshelfer  kaum,  die  eine  weniger  active  Anti- 
septik  vorziehen.  —  Nach  Operationen  werden  Scheide  und  Uterus  (letzterer 
nur  bei  intrauterinen  Eingriffen)  mit  37o  Ccirbol  ausgespült.  Soweit  handelt 
es  sich  also  um  prophylaktische  D  e  si  n  f  e  c  t  i  o  n.  Nur  bei  einge- 
tretener Lifection  wird  der  Uterus  möglichst  bald  mit  57n  Carbol  —   1  bis 

2  Liter  —  ausgespült,  da  hier  alles  auf  eine  frühzeitige  und  gründliche 
Vernichtung  der  Keime  ankommt,  bevor  sie  tiefer  in's  Gewebe  eindringen. 
Ist  letzteres  schon  geschehen,  und  dies  tritt  sehr  früh  ein,  so  ist  eine 
Ausspülung  fast  nutzlos,  da  sie  höchstens  mechanisch  reinigend  wirkt. 
Kranke  Wöchnerinnen  werden  isolirt;  Leib-  und  Bettwäsche  puerperal- 
fiebernder  Frauen  muss  in  strömendem  Dampf  sterilisirt,  oder  —  wo  dies 
nicht  möglich  ist  —  ausgekocht,  oder  besser  zu  aller  Vorsicht  nicht  mehr 
für  Kreissende  oder  Wöchnerinnen  benutzt  werden,  da  grosse  Wäsche- 
ballen durch  Auskochen  nur  schwer  sterilisirt  werden  können. 

Bei  dieser  Behandlung  ist  der  Nachdruck  auf  zwei  Punkte  gelegt: 
Peinliche  Durchführung  der  i^uhjedhen  Asepsii^  (Keimfreiheit  der  Arme  und 
Hände  des  Untersuclienden  sowie  der  Instrumente)  und  thunlichste  Reinigung 
des  Genitalschlauches  vor  der  Geburt,  also  objectiiie  prophi/laäische  Antmpsis, 


AKTISEPSIS  IN  DKU  GEBURT.SlIir.FK.  45 

Der  zweite  Theil  dicsei-  Metliode  ^elit  von  der  Tliatsaclie  aus,  dass 
es  eine  Selbst-Infection  ^ibt;  und  sowohl  die  f^escliilderten  l)acteriolo^is('hen 
Untersuchungen,  als  die  Resultate  der  Wiirzl)ur^(M'  und  anderer  fioburts- 
hiltlichen    Anstalten    haben  den  Vertretern   der  Scdbst-Inf'cction :  y\iiLi-i;Li>. 

KaLTENKACMI,    liOMKI,',     WiNTKK,    IIoKMKtKI,',    KlOIlliKI,',    StKI'FI';(  ;K,     DrtDKULKJN 

u.  A.  Recht  gegeben.  Sie  schlägt  auch  zwei  Fliegen  mit  einem  Schlag,  denn 
sie  vermeidet  oder  verringert  doch  die  Möglichkeit  einer  intra  partum  zu 
erwerbenden  0})hthalmoblenorrhoe  des  Kindes  und  macht  so  die  Cu-kDiVsche 
Anwendung  des  Arg.  nitr.  entlxdirlich. 

Und  trotzdem  ist  zuzugeben,  dass  die  ideale  Behandlung  niciit  in  der 
Antisepsis,  sondern  in  der  Asepsis  besteht.  Vor  Allem  aus  drei 
Gründen:  1.  Die  Anwendung  aller  wirksamen  Antiseptica  ist  gefährlich, 
denn  sie  sind  ausnahmslos  Gifte:  vom  Sublimat  und  Carbol  ist  dies  hin- 
reicbend  bekannt;  Sublimat  soll  deshalb  bei  Wöchnerinnen,  sowie  bei 
bestehender  Nephritis,  Enteritis  oder  Anämie  nicht  intrauterin  ange- 
wendet werden;  intravaginal  ist  es  weniger  gefährlich,  da  auch  die  auf- 
gelockerte Scheide  der  Kreissenden  oder  Wöchnerin  nur  in  viel  geringerem 
Grade  resorbirt.  Man  hat  nach  ungiftigen  Antisepticis  gesucht:  Craolin, 
Lijsol  und  RoUerin  sollten  ganz  oder  fast  ungiftig  sein.  Nun  habe  ich  aber 
z.  B.  selbst  die  Obduction  einer  an  Carbolvergiftung  nach  Creolin-Anwen- 
dung  gestorbenen  Frau  gemacht  —  und  dieser  (von  Rosix  veröffentlichte^ 
Fall  steht  nicht  vereinzelt  da  —  auch  ist  keine  hinreichende  Gewähr  vor- 
handen, dass  das  fabriksmässig  hergestellte  Lyso?  und  CreoJin  stets  von  gleicher 
Beschaffenheit  sein  wird.  Die  „  chemischen  Analysen"  sind  ja  noch  keine  Angaben 
über  die  Art  der  Herstellung;  und  überdies  ist  erst  jüngst  der  Vorwurf  ungleich- 
artiger Beschaffenheit  dem  einen  der  genanntenMittel  öffentlich  gemacht  worden. 
Auch  das  BoUerin  ist  wohl  ebenfalls  nicht  ungiftig.  2.  Carbol  und  Sublimat  machen 
den  Genitalschlauch  derb,  weniger  nachgiebig ;  dies  ist  sowohl  für  den  spontanen 
Durchtritt  des  Kindes  als  für  operative  Eingriffe  nachtheilig;  auch  wird 
die  rigide  Scheide  beim  Auswischen  zweifellos  oberflächliche  Verletzungen 
erleiden  können.  Gerade  diesen  Uebelstand  sollen  Creolin  und  Lysol  ver- 
meiden und  sie  erhalten  thatsächlich  die  Genitalien  geschmeidig ;  aber  die 
genannten  Einwände  gelten  auch  hier.  Ob  das  in  jüngster  Zeit  empfohlene 
Seifen- Carhol  seinem  Zwecke  entspricht,  muss  erst  abgewartet  werden. 
3.  Der  wichtigste  Einwand  gegen  die  Antisepsis  ist  wohl  der.  dass  sie 
gegen  Bacterien  auch  da  zu  Felde  zieht,  wo  es  unnöthig  wäre,  also  bei 
Kreissenden  mit  „normalem  Secret".  Eine  „Asepsis"  im  chirurgischen 
Sinne  wird  allerdings  in  der  Geburtshilfe  in  absehbarer  Zeit  nicht  möglich 
sein;  denn  die  bacterielle  Flora  und  deren  Vernichtung  verhält  sich  Inder 
Scheide  und  im  Cervix  doch  anders  als  z.  B.  an  der  Haut  des  Armes  oder 
der  Mamma.  Die  Scheide  enthält  viel  öfter,  als  die  Aussenhaut,  pathogene 
Bacterien,  und  wir  kennen  noch  keine  ^fethode,  diese  an  Grt  und  Stelle 
zu  vernichten.  Aber  Döderlein's  Untersuchungen  helfen  diese  Schwierig- 
keit überwinden. 

In  zahlreichen  Fällen  ist  das  Scheidensecret  ausgesprochen  „patho- 
logisch":  gelblichgrün,  übelriechend,  mit  Gasblasen  durchsetzt;  es  finden 
sich  Ulcera  oder  Condylome  an  Vulva  und  Scheide ;  die  letztere  ist  fleckig 
geröthet;  die  Anamnese  der  Kreissenden,  vielleicht  auch  des  Schwängerers 
bildet  Anhaltspunkte  für  den  Verdacht  einer  sexuellen  Infection;  kurz, 
wir  werden  mit  Recht  die  ausgedehnteste  Desiufection  des  Genitat- 
schlauchs  vornehmen,  —  In  anderen  Fällen  fehlt  jeder  Verdacht:  es  finden 
sich  keine  pathologischen  Zustände  der  Genitalien,  der  Scheideninhalt  ist 
krümeliger  oder  doch  dickflüssiger,  weisser  Schleim  von  dem  bekannten 
faden,    aber    nicht    stinkenden    Geruch.    Wir   werden    keine   Veranlassung 


46  ANTISEPSIS  IN  DER  GEBUETSIIILFE. 

haben.  Scheide  und  Cervix  propliylactisch  zu  desintieiren,  werden  aber 
vorsiclitshalber  die  innere  Untersuchunj^'  einschränken,  wenn  nicht  ganz 
vermeiden.  In  jenen  Fällen,  in  welchen  Anamnese  und  objective  Unter- 
suchung kein  sicheres  Bild  geben,  wird  man  lieber  prophylactisch  desin- 
ficiren,  als  die  Möglichkeit  einer  Infection  abwarten.  In  der  Privat-Praxis 
stellen  sich  diese  Verhältnisse  auch  meist  viel  einfacher,  als  in  Kliniken, 
deren  Material  oft  über  Gebühr  in  Anspruch  genommen  werden  muss ;  hier 
sind  prophylactische  Auswischungen  etc,  schon  aus  dem  Grunde  geboten, 
weil  eine  viel  grössere  Zahl  von  IJntersuchern  vorhanden  ist,  die  überdies 
in  der  Tecbnik  der  Desinfection  erst  zu  unterrichten  sind.  In  der  Privat- 
praxis empfiehlt  sich  also  in  verdächtigen  Fällen  oder  bei  sicher  patholo- 
gischen Zuständen  ein  actives  Verfahren,  Avie  es  aus  der  Würzburger 
Klinik  geschildert  wurde ;  Aenderungen  desselben,  wie  Benützung  schwä- 
cherer Lösungen,  anderer  Antiseptica  u,  s.  w,  sind  dem  wohlbegründeten 
Ermessen  des  Einzelnen  selbstredend  überlassen;  in  ganz  unverdächtigen 
Fällen  dagegen  wird  man  auf  die  Antisepsis  verzichten  können  und 
Asepsis  insofern  anstreben,  als  man  xVntiseptica  vermeidet,  da  ja  Erreger 
der  Sepsis   nicht  vorhanden  sind. 

Für  die  Hebammen  bestehen  in  Deutschland  keine  einheitlichen  Vorschriften. 
Aus  diesem  Grunde  und  wegen  der  dadurch  bedingten  Unsicherheit  in  Handhabung  der 
Antisepsis  begreift  man  die  gegen  Verwendung  der  Hebammen  gerichtete  Bewegung  in 
Frankfurt  a.  M,  und  an  anderen  Orten;  in  Holland  ist  fast  bei  allen  Geburten  ein  Arzt 
zugegen.  In  Deutschland  und  Oesterreich  wäre  dies  z.  Z.  weder  durchführbar,  noch  er- 
strebenswerth.  Man  wird  lieber  darauf  bedacht  sein  müssen,  die  Hebammen  1.  gründlich 
auszubilden,  sie  2.  auf  peinliche  Beobachtung  genauer  „Vorschriften  zur  Verhütung  des 
Kindbettfiebers"  zu  verpflichten,  und  3.  ihre  Einnahmen  durch  Erhöhung  der  Taxen,  Ge- 
währung von  Gemeinde-  oder  Kreiszuschüssen  und  freie  Lieferung  von  Carbolsäure  für 
die  Armenpraxis  so  zu  gestalten,  dass  sie  den  Anforderungen  der  Anti-  u.  Asepsis  auch 
wirklich  gerecht  werden  können. 

Zu  1.  Eine  Zeit  von  4  Monaten  (Bayern)  genügt  unbedingt  nicht,  um  in  allen 
Fällen  die  oft  sehr  wenig  vorgebildeten  Schülerinnen  für  den  so  schwierigen  Beruf  zu 
erziehen;  in  Italien  und  Holland  ist  die  Unterrichtsdauer  2  Jahre. 

Zu  2.  Die  besten  Vorschriften  für  Hebammen  dürften  in  Deutschland  z.  Z. 
Sachsen  (das  sich  auch  des  besten  Hebammenlehrbuchs,  nämlich  des  von  Credk- 
Winckel-Leopoli»,  erfreut)  und  Preussen  besitzen.  Beide  Staaten  schreiben  für  die 
subjective  Desinfection  Carbol  (2  hezir.  S"j^^  für  Desinfection  der  Instrumente 
5  hezw.  .3^5  Carbol  oder  Auskochen,  für  objective  Desinfection  (also  der  Kreissen- 
den) äusserliches  Abseifen  und  (nur  in  Sachsen)  2"/^,  Scheidenspülung  vor.  Mit  Recht 
sehen  die  Vorschriften  beider  Staaten  von  einer  ausgedehnten  Anwendung  der  Scheiden- 
spülung durch  die  Hebammen  ab ;  es  ist  Sache  des  Arztes,  hier  im  Einzelfalle  Anwei- 
sungen zu  geben  —  allerdings  ist  dabei  vorausgesetzt,  dass  Aerzte  häutiger  als  bisher 
auch  zu  sogenannten  normalen  Geburten  beigezogen  werden.  Das  Verhalten  der  Heb- 
ammen bei  Einti'itt  von  Kindbettlieber  ist  genau  vorgeschrieben;  es  besteht  Anzeige- 
pflicht und  in  Preussen  bedingte,  in  Sachsen  unbedingte  (ötägige)  Carenz-Zeit,  d.  h.  Ent- 
haltung von  Ausübung  des  Berufs.  In  Bayern  ist  zwar  eine  „Dienstanweisung  für  die 
Hebammen"  1892  erschienen,  aber  dieselbe  ist  leider  nur  als  Anhang  dem  Lehrbuch  bei- 
gegeben und  im  Letzteren  selbst  fehlen  fast  alle  nöthigen  Vorschriften;  endlich  ist  die 
Antisepsis  im  Einzelfalle  „nach  Massgabe  des  im  Unterrichte  Gelehrten"  zu  handhaben, 
d.  h.  je  nach  der  Hebammenschule  wieder  verschieden. 

Die  Anti-  und  Asepsis  wird  älteren  Hebammen  übrigens  kaum  durch  „Anweisungen" 
beizubringen  sein  und  Wiederholungscurse  stehen  meist  nur  auf  dem  Papier.  Auf  diesem 
Gebiete  bleibt  für  die  Mehrzahl  der  Staaten  noch  sehr  viel  zu  thun  übrig.  Dass  die  oft 
aufgetauchte  Forderung  nach  unentgeltlicher  Abgabe  von  Carbolsäure  voll  begründet  ist, 
bedarf  für  den  praktischen  Arzt  kaum  des  Nachweises. 

Ein  zweifellos  sehr  grosser  Misstand  für  Arzt  und  Hebamme  liegt  in 
der  A  e  t  z-  und  G  i  f  t  w  i  r  k  u  n  g  der  beiden  meistgel)rauchten  Antiseptica  : 
Carbol  und  Sublimat.  —  Die  Aetzwirkung  auf  die  Haut  der  Hände  und 
Arme  kann  so  heftig  sein,  dass  der  gewissenhafte  (jeburtshelfer  thatsäch- 
lich  seine  Haut  wechselt.  Erst  in  jüngster  Zeit  ist  man  auch  darauf  auf- 
merksam geworden,  dass  hartnäckige  und  äusserst  lästige  Ec- 
zeme  der  übrigen  Körperhaut  (Gesicht,  Kopf,  Brust,  Rücken)  durch  Sublimat 


ANTISEPSIS  UND  ASEPSIS  IN  DER  OPERATIVP^N  .GYNÄKOLOGIE.  47 

entstehen  können.  Albert  hat  jüngst  wieder  die  bekannte  schädliche  Ein- 
wirkung auf  die  Nieren  hervorgehoben,  die  sich  bei  vielen  Chirurgen 
und  Geburtshelfern  geltend  macht.  Gewiss  ist  es  auch  aus  diesem  Grunde 
wünschenswerth,  theils  andere  Antisejjtica  zu  besitzen,  theils  die  Antisepsis 
durch  die  Asepsis  zu  ersetzen.  JMsher  ist  dies  in  der  Geburtshilfe  nur 
theilweise  möglich;  will  man  Creolin  und  Lysol  vermeiden,  so  könnte  zur 
subjectiven  Desinfection  ja  noch  SaUci/lsäiire,  Kalium  lujpi'rinorKj.  u.  s.  w.  ver- 
wendet werden.  Gegen  das  sehr  lästige  Rauh-  und  Rissigwerden  der  Hände 
hat  man  verschiedene  Fette  und  Salben  empfohlen.  Sie  sind  wegen  des  dadurch 
bedingten  „Schmierigwerdens"  nicht  gerade  angenehm:  besser  bewährt  sich 
bei  Manchen  der  Vorschlag  Unna's,  bei  der  letzten  Waschung  nach  jeder 
Untersuchung  oder  Operation  den  Selfensclumm  (neutrale  oder  überfettete, 
reine  Fettseifen,  keine  Wasserglasseife !)  nicht  ganz  abzuspülen,  sondern  einen 
Rest  desselben  in  den  Händen  zu  verreiben.  (u^stav  klp:in. 

Antisepsis  und   Asepsis   in    der   operativen    Gynäkologie. 

Bei  gynäkologischen  Operationen  ist  selbstredend  das  Verfahren  der  Anti- 
bezw.  Asepsis  in  den  Grundzügen  das  gleiche,  wie  bei  anderen  Operationen. 
Eine  gesonderte  Besprechung  verdient  aber  1.  die  Anti-  be zw.  Asepsis 
bei  Lapurofoiuien^  da  gerade  hier  die  Rücksicht  auf  das  Peritoneum  die 
Operationsmethoden  beeinflusst  und  Besonderheiten  der  Technik  gezeitigt 
hat,  und  2,  die  Frage  der  Antisepsis  bei  Operationen  con  der  Scheide 
aus,  da  es  bis  jetzt  noch  nicht  möglich  ist,  hier  eine  vollkommene  Asepsis 
durchzuführen.  Dem  Wortlaute  nach  kann  Antisepsis  als  „Vernichtung"  und 
Asepsis  als  „Fernhaltung"  von  Erregern  der  Wundinfection  übersetzt  werden. 
Man  treibt  Antisepsis,  indem  man  in  iuficirten  Wunden  die  pathogenen 
Keime  zu  vernichten  sucht,  und  übt  Asepsis,  indem  man  es  verhütet,  dass 
in  frische  Wunden  und  Körperhöhlen  pathogene  Keime  hineingelangen. 
In  Wirklichkeit  legt  man  aber  heute  dem  Worte  Asepsis  noch  einen  anderen, 
praktisch  sehr  wichtigen  Gedanken  zu  Grunde:  Vermeidung  chemischer 
Desiniicientien  in  reinen  Wunden  und  Körperhöhlen.  Lister  war  von  der 
Ansicht  ausgegangen,  der  Sitz  der  Keime  sei  primär  die  Luft,  erst  secundär 
die  organische  Materie;  die  „ Luftin fection"  (Lifection  der  Wunden  durch 
Keime  aus  der  Luft)  wollte  er  durch  den  Carbolspray  und  durch  Auflegung 
carbolgetränkter  Verbandstoffe  auf  die  Wunden  vermeiden.  Nachdem  man 
in  den  letzten  Jahren  aber  erkannt  hatte,  dass  die  Luftinfection  Avenig  oder 
gar  nicht  von  Bedeutung  sei,  umso  mehr  aber  die  „Contactinfection"  (In- 
fection  durch  Berührung  der  Wunden  mit  schmutzigen  Händen,  Instru- 
menten, Tüchern,  dem  Erdboden  etc.),  konnten  Spray  und  Carbolcompressen 
•bei  reinen  Wunden  weggelassen  werden.  Man  that  dies  umso  lieber,  als 
man  die  schädliche  Wirkung  chemischer  Desinflcientien  (Carbol,  SiibUmat  etc.) 
kennen  gelernt  hatte ;  denn  a)  diese  Mittel  verzögern  und  erschweren  durch 
ihre  Aetzwirkung  die  primäre  Verklebung  frischer  Wunden ;  h)  sie  zerstören 
das  Peritoneal-Epithel  u.  s.  w.  und  machen  es  untauglich,  seine  wichtigen 
Functionen  auszuüben  (Verhütung  von  Verklebung  der  Baucheingeweide, 
Resor]»tion  von  Ex-  und  Transsudaten,  Verdauung  von  etwa  bei  der  Opera- 
tion hineingelangten  Bacterien);  <■)  sie  sind  Gifte,  die  den  Gesammtorga- 
nismus  schädigen,  und  zwar  nicht  nur  den  des  Kranken,  sondern  auch  d) 
des  Heilpersonals.  Auch  die  Drainage  konnte  bei  frischgesetzteu  Wunden 
wegfallen,  da  diese  keimfrei  sind.  Die  chemischen  Desiniicientien  ersetzte 
man  soweit  als  möglich  durch  Anwendung  der  Hitze:  trockene  Hitze^ 
kochendes  Wasser,  strömenden  Wasserdanipf.  Ganz  können  wir  die  chemischen 
Desinflcientien  noch  nicht  entbehren  bei  Sterilisation  am  Operateur  und 
am    Kranken    selbst    (Desinfection    der    Hände,    Arme,    des    Operations- 


48  ANTISEPSIS  UND  ASEPSIS  L\  DER  OPERATIVEN  GYNÄKOLOGIE. 

leides)  und  der  Instrumente,  welche  hohe  Temperaturen  nicht  ertragen 
(Thermometer.  Gummi).  Die  Antisepsis  besteht  zu  Recht  bei  schon  vor- 
handener Infection.   Die  Asepsis  ist  bei  frischen,  reinen  Wunden  anzuwenden. 

Grundziig-e  der  Asepsis.  Sterilisation  der  Instrumente,  des  Naht-  und 
Yer])andmaterials  durch  Hitze,  nur  im  Nothfalle  durch  chemische  Desinfi- 
eientien;  Fernhaltung  der  letzteren  von  frischen,  nicht  inficirten  Wunden, 
also  Berieselung  der  Wunden  mit  iudiiferenten  Flüssigkeiten,  Ausdrücken  der 
Schwämme  etc.  in  solchen;  Verbinden  mit  sterilen  Stoffen ;  keine  Drainage, 
kein  Carbolspray.  keine  Carbolcompressen.  Die  Sterilisation  der  Hände 
und  Arme  des  Operateurs,  sowie  des  Operationsfeldes  wird  allerdings  auch 
jetzt  noch  mit  Hilfe  chemischer  Mittel  geschehen  müssen;  man  wird  aber 
einen  Ueberschuss  der  letzteren  durch  Abspülen  mit  sterilem  Wasser  entfernen. 

Im  Einzelnen  stellt  sich  das  Verfahren  folgendermassen : 

1.  Nalitmaterial.  Seide:  Sterilisation  in  strömendem  Wasserdampf, 
Aufbewahren  in  keimdichten  Kästen ;  erfordert  Apparate,  die  zur  Zeit  nur  gut 
dotirten  Anstalten  zur  Verfügung  stehen.  Deshalb  wird  von  vielen  die  Seide 
durch  V2  Stunde  langes  Kochen  in  5  Proc.  Carbol  sterilisirt  und  auchinoProc. 
Carbol  aufbewahrt.  Mit  der  Zeit  wird  sie  dabei  brüchig ;  also  erneuern.  C  a  t  g  u  t : 
Noch  immer  die  cruxmedicorum  quoad  desinfedioiiem.  PiEverdin  und  Benckiser 
sterilisirenes  durch  4  Stunden  langes  Einlegen  in  denHeissluftschrankbei  140"  C 
oder  V2  Stunde  bei  ISO^C. ;  vorher  gründlich  entwässern  durch  längere  Erwär- 
mung auf  60 — 800  oder  durch  Einlegen  jjj  absoluten  Alkohol ;  Benckiser  legt  es 
in  kleineren  Portionen  in  verschlossene  Briefcouverts  und  so  in  den  Heissluft- 
schrank,  damit  später  nur  das  herausgenommen  zu  werden  braucht,  was  eben 
benöthigt  wird.  Thiersch,  Kocher  u.  A.  benützen  Oleum  lignl  Junlperi.  Die 
ScHRÖDER'sche  Schule  bringt  das  Catgut  24  Stunden  in  Juniperus-Oel,  dann 
24  Stunden  in  Glijcerin  und  bewahrt  es  in  absolutem  Alkoliol  mit  Zusatz  von  etwas 
Ol.  Junip.  auf.  An  der  KALTENBAcn'schen  Klinik  kommt  das  Catgut  24  Stunden 
in  ahsol.  Alkohol,  24  Stunden  in  Aether  sidf.  behufs  Entfettung  und  Entwässe- 
rung, 3  Stunden  bei  140°  C.  in  den  Heissln  ff  schrank  (die  Temperatur  nicht 
überschreiten:  das  Catgut  mit  Watte  oder  Gaze  bedecken)  und  wird  dann 
in  ^nhlimat-Ällohol  1  :  1000  mit  Zusatz  von  50  //  Ghjcerm  aufbewahrt.  — 
DöDERLEiN  härtet  das  Catgut  in  Chromsäur elösnng  1  :  10.000,  in  welcher  es 
10 — 12  Minuten  bleibt;  dann  langsames  Austrocknen  und  Desinfection  im 
Heissluftschranh;  trockene  Aufbewahrung  nach  Benckiser  (in  Briefcouverts, 
Pergamentpapier  oder  Gläsern  mit  Watteverschluss,  in  welchen  es  sterilisirt 
wurde).  Chromsäurecatgut  ist  schwer  resorbirbar,  also  für  Naht  geeignet. 
Für  den  praktischen  Arzt  ist  das  geschilderte  Verfahren  der  ScriRÖDER'schen 
Schule  (HoFMEiP]R)  das  einfachste.  Fil  de  Flore  nee  (aus  dem  Spinu- 
organ  der  Seidenraupen  bereitet)  und  S i  1  b e r d r a h t,  sowie  versilberter 
Kupferdraht  werden  im  Trockenschrank,  der  Draht  auch  durch  kurzes 
Glühen  sterilisirt.    Aufbewahren  in  ahsol.  Alkohol. 

2.  Verband -Material.  Sterilisation  in  strömendem  Wasserdampf 
(über  die  Apparate  dazu  und  deren  Verwendung  in  der  Praxis  s.  u.)  oder 
durch   '/2  Stunde  langes  Auskochen. 

3.  Tnpfmaterial.  Gaze-Compre  ssen  werden  in  strömendem 
Wasserdampf  oder  kochendem  Wasser  sterilisirt.  Schwämme:  Die 
ScHRÖDER'sche  Schule  benützt  ohne  Nachtheil  auch  bei  Laparotomien 
Schwämme,  die  folgendermassen  vorbereitet  sind :  Ausklopfen  mit  spanischem 
Rohr,  um  den  Sand  zu  entfernen ;  Auskneten  mit  der  Hand  in  lauwarmem,  oft 
gewechseltem  Wasser,  in  1  proc.  Sodalösung  mit  etwas  Seifenzusatz  aufs  Feuer 
gesetzt,  bis  das  Wasser  fast  zu  kochen  anfängt;  dann  Ausspülen  in  abge- 
kochtem Wasser  und  Aufbewahren  in  5  proc.  Carbol;  nie  in  Sublimat 
bringen,    da   sie   darin   schwarz   und   hart  werden.    Nach    Schimmelbusch: 


ANTISEPSIS  UND  ASEPSIS  IN  DEPt  OPERATIVEN  GYNAEKOLOGIE.  45 

Ausklopfen,  Wässern  und  Auskneten.  Einlegen  in  2-proc.  Soda-Lauge,  die 
eben  kochend  vom  Herde  weggenommen  wurde;  darin  V2  Stunde  liegen 
lassen;  Einlegen  in  sterilisirtes  Wasser;  Aut})cwaliren  in  V2V0  Sublimat. 

Ohne  Zweifel  ist  die  Uesinfcction  in  strömendem  Wasserdampf  an  den  Besitz  tadel- 
loser Apparate  gebunden.  Den  ScniMMELRUscii'schen  Apparaten  wirft  Koiihtjkck  scliwere 
Fehler  der  Constraction  vor,  ganz  ])esondcrs  den,  dass  der  Jrmenrauin  nicht  luftleer  ge- 
macht werde,  so  dass  der  Dampf  nicht  in  alle  Theile  der  eingebrachten  Gegenstände 
komme.  Wenn  nun  aucli  die  RoiiRBECK'schen  Apparate  allen  Anfofderuiigen  genügen, 
können  sie  doch  des  Preises  halber  nicht  von  jedem  Arzt  oder  jeder  kleinen  Anstalt, 
Gemeinde  etc.  beschafft  werden.  Das  Gleiche  gilt  für  Heissluftsterilisation,  die  auch  der 
Wärmeregulirung  wegen,  wie  trotz  Thermo-Regulatoren  viele  zu  ihrem  Aerger  erfahren 
haben  dürften,  in  der  Praxis  oft  erhebliche  Schwierigkeiten  machen.  In  der  schweren 
Handhabung  und  den  hohen  Kosten  hegt  zur  Zeit  das  grösstc  Hindernis  für  allgemeine 
Anwendung  dieser  Apparate;  einfacher  ist  die  Benützung  kochenden  Wassers  für  Instru- 
mente (s.  u.),  Naht,  Seide  und  Verbandstoffe;  für  die  letzteren  entsteht  allerdings  sofort 
wieder  die  Schwierigkeit  des  Trocknens  ohne  neue  Beschmutzung.  Aus  diesen  Gründen 
wird  der  Arzt  oft  genug  noch  auf  die  Desinfection  mit  chemischen  Mitteln  zurückgreifen 
müssen;  er  muss  nur  thunlichst  darauf  bedacht  sein,  die  chemischen  Desinficientien  nicht 
oder  nur  in  geringen  Mengen  auf  die  Wunden  zu  bringen;  er  wird  also  z.  B.  die  in 
Carbol  desinficirten  Tupfer  vor  der  Benützung  in  sterilem  Wasser  ausdrücken.  Den  ge- 
schilderten Schwierigkeiten  begegnet  erfolgreich  Dührssen  durch  seine  Verbandstoffe,  die 
er  sterilisirt  und  keimdicht  verpackt  in  den  Handel  bringen  lässt. 

4.  Instrumente.  V2  Stunde  langes  Auskochen  in  Wasser  oder  nach 
Schimmelbusch  in  1-proc.  Sodalösung,  um  das  Schwarzwerden  und  Rosten 
zu  verringern;  Gummischläuche,  Thermometer,  Bougies  etc.  müssen  in  l^/oo 
Sublimat,  beziehungsweise  5-proc.  Carbol  desinficirt  werden.  Messer  und 
Sc  beeren  vertragen  weder  langes  Liegen  in  .5-proc.  Carbol,  noch  das 
Auskochen,  ohne  an  Schärfe  zu  verlieren;  feinere  Scheeren  (Fistel- 
scheeren)  und  ebenso  Messer  werden  am  besten  nach  Gebrauch  bei  sep- 
tischen oder  verdächtigen  Wunden  ausgekocht,  frisch  geschliffen  und  vor 
dem  Gebrauch  nur  kräftig  mit  Watte  abgerieben,  die  in  5-proc.  Carbol 
getaucht  war.  Alle  Instrumente  sollen  glatt,  ohne  Winkel  (Schmutzfänger)  und 
thunlichst  ganz  aus  Metall  sein. 

5.  Desinfection  der  Körper-Oberfläche.  Desinfection  der  Hände 
und  Arme  des  Operateurs  und  des  Operationsfeldes,  wenn  dieses  mit  Ober- 
haut bedeckt  ist  (Desinfection  der  Schleimhäute  s.  u.  bei  „Operationen 
von  der  Scheide  aus").  Nach  Kümmer  und  Fürbringer:  ä)  Gründliches 
Waschen  und  Bürsten  mit  Seife  und  warmem  Wasser;  B)  Abtrocknen; 
Nagelfalz  und  Unternagelraum  mechanisch  ausräumen  mit  Nagelreiniger; 
6')  V2 — 1  Minute  langes  Waschen  mit  80-proc.  Alkohol;  D)  Waschen  mit 
0-5 — l^/oo  Sublimat.  Neuber  verwirft  Bürsten  und  benützt  Holzwolle,  die 
nach  dem  Gebrauch  fortgeworfen  wird.  Bürsten  werden  am  besten  dauernd 
in  l%o  Sublimat  aufbewahrt.  Behaarte  Körperstellen  (Vulva)  stets  zu  rasiren, 
wenn  daran  operirt  wird;  auch  nur  mit  Lanugo  bedeckte  Haut  (Bauchhaut) 
wird  vortheilhaft  dick  eingeseift  und  rasirt,  da  die  obersten  Epithellagen  sammt 
dem  Schmutz  dadurch  abgeschabt  werden. 

6.  Berieseln  der  AVunden.  Bei  frischgesetzten  Wuu.den  nimmt  man 
zum  Rieseln  am  besten  0-7-proc.  abgekochte  (sterile)  Kochsalzlösung,  oder  — 
falls  diese  nicht  rasch  genug  zu  beschaffen  ist  —  einfach  abgekochtes  Wasser. 
Landerer's  „trockene  Operationen"  vermeiden  jedes  Berieseln,  bedingen 
aber  ganz  besonders  sorgfältige  Blutstillung  durch  Unterbindung,  Torsion 
kleinerer  Gefäss-Enden  und  temporäre  Compression  mit  steriler  Gaze. 

Asepsis  bei  Laparotomien.  Desinfection  der  Bauchhaut  nach  Für- 
bringer.  Das  Peritoneal-Epithel  muss  thunlichst  unverletzt 
bleiben,  soll  also  weder  mechanisch  noch  chemisch  imnöthig  insultirt  werden. 
Deshalb:  chemische  Desinficientien  nicht  in  die  Bauchhöhle  bringen  („Toilette 
des  Peritoneum"  nur  durch  Austupfen  mit  Schwämmen  oder  Tupfern,  die 
sterilisirt^  und  in  sterilem  Wasser  ausgedrückt  sind) ;  rasches  Operiren,  wenig 
Assistenz,  kleines  Instrumentarium,    um    das   Hineingelangen  von  Keimen  in 

Eibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  J= 


50  ANTISEPSIS  UND  ASEPSIS  IN   DER  OPERATIVEN  GYN  AEROLOGIE 

die  Bauchliölile  zu  vermeiden  ;  Därme  braucht  man  bei  gynäkologischen  Lapa- 
rotomien meist  nicht  „auszupacken",  wenn  man  sie  mit  sterilen  Schwämmen 
und  Gazetüchern  oder  durch  die  TEENDELENBUEG'sche  Hochlagerung  zurück- 
hält; sorgfältige  Blutstillung  und  Bauchnaht.  Sowohl  sterile  Seide  als  Catgut 
kann  zu  versenkter  Xaht  anstandslos  benützt  werden.  Allzu  energische  Toilette 
des  Peritoneum  kann  mehr  schaden  als  nützen,  weil  das  Epithel  dabei  zerstört 
wird  und  z.  B.  die  Entfernung  aller  colloiden  Massen  nach  dem  Platzen  einer 
Ovarialcyste  einerseits  technisch  gar  nicht  möglich,  andrerseits  unnöthig  ist; 
denn  Cysten-Inhalt,  Ascites-Flüssigkeit  und  Blut  ist  an  sich  nicht  infectiös, 
da  keimfrei.  Eine  Ausnahme  erleiden  diese  Angaben  bei  dem  Vorhandensein 
von  Eiter  oder  entzündlichen  bezw.  Jauchungs-Vorgängen  (Pyosalpinx,  Ova- 
rialabscesse,  verjauchende  Myome  etc.) ;  dann  kann  es  natürlich  nöthig  werden, 
antiseptisch  zu  verfahren,  d.  h.  die  inficirten  Stellen  mit  (nicht  zu  nassen) 
Carbolschwämmen  auszuwischen,  die  Bauchhöhle  prophylactisch  durch  die 
Bauchwunde  hindurch  mit  Glasdrains  oder  Jodoform-Gazestreifen,  oder  nach 
der  Scheide  zu  mit  den  letzteren  oder  mit  Gummischlauch  (T-Rolir)  zu  drai- 
niren.  Zum  Durchschneiden  verdächtiger  Stellen,  wie  der  Tube  bei  Salping- 
ectomie,  oder  zur  Eröffnung  der  Uterushöhle  bei  Myomotoraie  benützt  man 
den  Paquelin,  verschorft  mit  ihm  die  betreffenden  Lumina  tüchtig  und  wischt 
sie  noch  mit  kleinen  Schwämmen  aus,  die  in  l^oo  Sublimat  getaucht  sind ; 
dann  gutes  Uebernähen  der  Stümpfe,  die  so  versenkt  werden  können.  Die 
Anhänger  dieser  „intraperitonealen  Stumpfbehandlung"  werden  in  letzter  Zeit 
wieder  zahlreicher,  als  die  der  „extraperitonealen,"  der  Einnähung  des  Stumpfes 
in  die  Bauchwunde;  die  letztere  Methode  ist  z.  Z.  allerdings  bei  vorhandener 
Infection  wohl  noch  besser.  Wo  mit  Wahrscheinlichkeit  inficirte  Stellen  bei 
der  Operation  getroffen  werden  (Ovarialabscess,  verjauchte  Myome)  näht  man 
mit  Vortheil  den  Tumor  unterhalb  der  abzutragenden  Partie  mit  Tabaks- 
beutelnaht rings  an  das  Peritoneum  im  unteren  Wundwinkel  des  Bauch- 
schnittes fest,  schliesst  den  oberen  Theil  desselben  durch  Nähte  und  trägt 
dann  erst  den  Tumor  ausserhalb  der  Bauchhöhle  ab,  was  in  einer  Operation 
oder  in  zwei  Zeiten  geschehen  kann.  Vor  Myomotomien  auch  stets  Scheide 
und  Uterushöhle  gründlich  reinigen. 

Verfahren  bei  Operationen  von  der  Scheide  ans.  Rasiren  der  Pubes; 
Abseifen  der  Vulva,  Abwischen  mit  l"/oo  Sublimat.  Die  Scheide  wird  gründlich 
ausgeseift  und  dann  unter  strömenden  37o  Carbol  mit  den  Fingern  energisch 
ausgewischt,  um  auch  die  Faltenbuchten  zu  reinigen.  Sublimat  macht  die 
Scheide  rigid  und  erschwert  die  nachfolgende  Operation.  Am  besten  wird 
man  bei  Eingriffen  an  der  Scheide  oder  Portio  dieses  Verfahren  zweimal  an- 
wenden: am  Tage  vor  und  unmittelbar  vor  der  Operation,  und  kann  inzwischen 
in  die  Scheide  etwas  Jodoformgaze  einlegen.  —  Der  Cervix  wird  mit  l^/oo  Sub- 
limat mittelst  PLAYFAiR'scher  (gerauhter  Aluminium-)  Sonden  ausgewischt. 
Ausspülungen  des  Uterus  und  eventuell  nachfolgendes  Einspritzen  von  10% 
alkoholischer  Carbollösung  (nach  Hofmeier  s.  u.)  ist  nur  dann  nöthig,  wenn 
am  Corpus  operirt  wird  oder  entzündliche,  beziehungsweise  Jauchungs-  oder 
Eiterungsvorgänge  im  Uteruskörper  vorhanden  sind. 

Vor  Abrasio  mucosae  stets  peinliche  Reinigung  der  Scheide  mit  Seife 
und  Carbol,  sowie  Uterusspülung. 

Bei  partieller  oder  Total-Exstirpation  des  Uterus  wegen  Car- 
cinom  ist  ausser  dem  geschilderten  Verfahren  noch  thunlichste  Entfernung 
jauchender  Massen  nöthig  und  darauf  zu  achten,  dass  nach  Eröffnung  des 
Peritoneum  kein  infectiöses  Material  dorthinein  gelangt;  deshalb  bei  Portio- 
Cancroid  einige  Tage  vor  der  radicalen  Operation  Ausräumen  der  jauchenden 
Massen  mit  scharfem  Löffel,  Verschorfen  der  Wundfiäche  mit  Paquelin  oder 
Ferrum  candens.  Bei  jauchendem,  aber  nicht  nach  der  Portio  hin  durch- 
gebrochenem Cervix-Carcinom  sowie  bei  Corpus-Carcinom  kann  man  die  Portio 


APNOE  DES  KINDES.  51 

zunähen  oder  (nacli  Hofmeiior)  zubinden,  damit  während  der  Operation  nichts 
in  die  Bauchhölile  kommt.  Letztere  wird  sofort  nach  Eröffnung  am  besten 
durch  an  Fäden  befestigte  Schwämme,  die  man  einführt,  gegen  die  Scheide 
hin  abgeschlossen. 

Bei  Myom-Operationen  von  der  Sclieide  aus  ebenfalls  gründliche 
Reinigung  der  Scheide;  bei  Jauchung  reicliliche  Uterusspülung  mit  3 — o^'/o 
Carbol,  eventuell  auch  mit  BßAUN'scher  Spritze.  Injection  von  10  cm^  P/^ 
Carbol  in  den  Uterus  {Acid.  carbol.  liquef.  10-(),  Aq.  dest.  4()-0,  Alkoh. 
absol  50-0). 

Eine  wirkliche  Sterilisation  der  Scheide  ist  nicht  möglich,  noch  weniger 
ein  Keimfreimachen  jauchender  Geschwulsthöhlen.  Man  muss  sich  mit  thun- 
lichster  Reinigung  begnügen  und  bei  vorhandener  Infection  am  Schlüsse  des 
Eingriffs  das  ganze  Operationsfeld  nochmals  mit  P/oo  Sublimat  auswischen; 
sowie  dafür  sorgen,  dass  die  Bauchhöhle  nicht  inficirt  wird.  Das  geschilderte 
Verfahren,  wie  es  unter  Hofmeiee  in  der  Würzburger  Frauenklinik  geübt 
wird,  genügt  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle. 

Einige  Punkte,  die  oben  nicht  berührt  wurden,  sind  von  untergeordneter 
Bedeutung;  so  die  Benützung  getrennter  Räume  für  einfache,  für  septische 
Operationen  und  für  Laparotomien,  Diese  Trennung  ist  —  wo  durchführbar 
—  angenehm,  aber  weder  unbedingt  nöthig  noch  überall  möglich.  Fritscii 
hat  seinerzeit  in  demselben  Raum,  in  welchem  die  poliklinische  Sprechstunde 
abgehalten  wurde,  laparotomirt,  und  seine  Ergebnisse  waren  ebensogut,  wie 
die  anderer  Operateure.  Ueberdies  ist  sicher  die  Vereinfachung  der  Methodik 
dringend  nöthig,  wenn  sie  Gemeingut  aller  Aerzte  werden  soll. 

GUST.   KLEIN. 

Apnoe  des  Kindes.  So  lange  das  im  Uterus  befindliche  oder  neu- 
geborene Kind  hinlänglich  mit  Sauerstoff  versorgt  ist,  hat  es  kein  Bedürfnis 
zu  athmen,  es  befindet  sich  im  Zustande  der  Apnoe  (a  privativum  und  tj  ■kvo^ 
der  Athem).  Der  Zustand  der  Apnoe  setzt  daher  eine  intacte  oder  nur  un- 
merkliche und  vorübergehend  gestörte  Placentar-Athmung,  einen  unbehinderten 
oder  nur  vorübergehend  gestörten  fötalen  Blutkreislauf,  aber  auch  eine  volle 
Integrität  der  lebenswichtigen  Organe  des  Kindes  voraus. 

Die  Apnoe  des  Kindes  ist  ein  physiologischer  Zustand,  er 
gehört  zur  Physiologie  der  intrauterin  lebenden  Frucht  und  hört  physiologisch 
mit  dem  extrauterin  geschehenen  ersten  Athemzuge  des  Neugeborenen  auf. 
Ist  die  Sauerstoffverarmung  des  Blutes  beim  Durchtritte  des  Kopfes  durch  den 
Beckencanal  nicht  soweit  vorgeschritten,  dass  das  Athemcentrum  zur  Auslösung 
des  ersten  Athemzuges,  unmittelbar  nach  dem  Austritte  des  GesichteS;  oder 
nach  der  Geburt  der  Frucht,  gereizt  wird,  dann  bleibt  das  Neugeborene  eine 
Zeitlang  apnoisch  und  zwar  umso  länger,  je  länger  die  placentare  Athmung 
fortdauert.  Der  Austritt  des  Kopfes  in  der  Wehenpause  begünstigt  die  Apnoe. 
Man  kann  solchermassen  die  Beobachtung  machen,  dass  das  Neugeborene,  bei 
vollkommen  intacter  Herzthätigkeit,  oft  minutenlang  daliegt,  bevor  es  den 
«rsten  Athemzug  ausführt  und  zu  schreien  begonnen  hat. 

Gewöhnlich  hört  die  Apnoe  des  Kindes  mit  dem  Austritte  des  Kopfes 
auf,  nachdem  bis  dahin,  durch  die  Verkleinerung  des  Uterus,  die  Respirations- 
fläche wegen  der  theilweisen  Ablösung  der  Placenta,  soweit  verkleinert  wurde, 
dass  inzwischen  Sauerstoffmangel  eingetreten  ist. 

Wenn  beim  Durchtritte  des  Gesichtes  durch  die  Schamspalte,  feinblasiger 
Schaum  aus  den  Nasenlöchern  des  Fötus  und  lufthaltiger  Schleim  aus  dem 
Munde  hervorquillt,  während  gleichzeitig  an  den  Nasenflügeln  und  an  den  Lippen 
eine  deutliche  Bewegung  wahrnehmbar  ist,  dann  hat  der  Foetus  Athmungs- 
versuche  ausgeführt,  so  lange  der  Kopf  noch  im  Becken  war  und  es  hat  zu 
dieser  Zeit  schon  Sauerstoffmangel  bestanden. 


52  ASPHYXIE  DES  NEUGEBORENEN. 

Oberflächliche  Athembewegnngen  führt  der  apnoische  Fötus  nach  den  Un- 
tersuchungen Ahlfeld's  schon  intrauterin  aus,  ohne  dass  Sauerstoffmangel  besteht.  Diese 
Bewegungen  lassen  nach  Ahlfeld,  den  Ehythmus  und  Typus  der  Athmung  erkennen  und 
können  aii  den  Bauchdecken  der  Schwangeren  beobachtet  werden,  Ahlfeld  hat  diese  Be- 
wegungen graphisch  dargestellt.  Nach  Weber  beträgt  die  Frequenz  der  extrauterinen 
Athembewegungen  58  in  der  Minute.  Für  die  intrauterinen  Athembewegungen  hat  Ahlfeld 
ein  Mittel  von  61  gefunden.  Und  geradeso  wie  bei  Extremitäten-  und  Rumpfbewegungen, 
beim  Neugeborenen  die  ruhige  Athumng  unterbrochen  wird,  hören  die  intrauterinen  Athem- 
bewegungen auf,  wenn  der  Fötus   anderweitige    Bewegungen  ausführt. 

D^er  erste  Atliemzug  ist  nur  ein  gradueller  Unterschied  jener  ober- 
liächliclien  Bewegungen  des  apnoischen  Fötus,  die  von  den  Respirationsmus- 
keln,  auch  ohne  Sauerstoffmangel,  ausgeführt  werden  und  als  eine  blosse,  un- 
willkürliche Bethätigung  derselben  anzusehen  sind.  piskacek. 

Asphyxie  des  Neugeborenen.  Unter  diesem  Ausdrucke  verstehen 
wir  jenen  Zustand  des  Neugeborenen,  wobei  die  Athmung  gar  nicht  oder  nur 
unvollkommen  sich  eingestellt  hat,  während  gleichfalls  die  Herzthätigkeit 
herabgesetzt  erscheint. 

Es  bezeichnet  der  Ausdruck  „Asphyxie"  daher  nicht  jenen  Zustand,  der  aus  der 
Uebersetzung  des  Wortes  resultirt ;  denn  6.  privativum  und  rj  acpu^t;,  der  Puls,  bedeutet 
Pulslosigkeit.  Für  den  Scheintod  wäre  die  Bezeichnung  Dyssphyxie  (o-J;  acpü^t?)  mehr  am  Platze. 

Ursachen.  Die  Asphyxie  wird  durch  Sauerstoffmangel  bedingt. 
Es  kann  daher  das  Kind  bereits  intrauterin  asphyktisch  werden,  ja  in  den 
meisten  Fällen  ist  gerade  dies  der  Fall.  Der  Gasaustausch  beim  ungeborenen 
Kinde  vollzieht  sich  geradeso  wie  beim  abgenabelten,  nur  ist  das  Medium,  in 
welchem  sich  dieser  Vorgang  abspielt,  ein  anderes,  sowie  die  Organe,  die  dies 
zu  vermitteln  haben.  Durch  die  Nabelvene  wird  dem  Fötus  sauerstoftliältiges 
Blut  zugeführt,  durch  die  Nabelarterien  das  kohlensäurehältige  Blut  zur  Pla- 
centa  zurückgeführt.  Der  Gasaustausch  geschieht  an  der  Placentarinsertions- 
stelle.  Indem  das  arterielle  Blut  der  Mutter  die  Quelle  für  den  Sauerstoff 
der  Frucht  abgibt,  können  bereits  Störungen  in  der  Oxydation  des  mütter- 
lichen Blutes  eine  Ursache  zur  Entstehung  der  Asphyxie  beim  Fötus  ab- 
geben. Wenn  die  Mutter  in  ein  irrespirables,  gasförmiges  Medium  geräth, 
tritt  beim  Kinde  Sauerstofimangel  ein,  ja  es  kann  sich,  wie  bei  Kohlenoxyd- 
gas,  selbst  dieses  dem  kindlichen  Blute  mittheilen.  Dass  bei  Chloroform- 
narcosen  Schwangerer  die  Placentarathmung  beeinflusst  werden  kann,  ist  eine 
bekannte  Thatsache,  ebenso  auch,  dass  bei  langdauernden  Narcosen  der 
Schwangeren  der  Fötus  oft  comatös  zugrunde  geht. 

Ob  die  Menge  des  verbrauchten  Sauerstoffes  eine  geringe  oder  grosse 
ist,  gehen  die  Meinungen  noch  auseinander ;  jedenfalls  ist  aber  der  Verbrauch 
ein  rascher.  Die  Erfahrung  lehrt,  dass  eine  länger  als  10  Minuten  währende 
Unterbrechung  der  Placentarathmung  den  Fötus  tödtet ;  in  vielen  Fällen 
schon  früher. 

Eine  Behinderung  des  Gasaustausches  wird  auch  erzeugt,  wenn  die  placen- 
tare  Piespirationsfläche  verkleinert  wird,  wie  dies  bei  vorzeitiger  Lostrennung 
des  Mutterkuchens  der  Fall  ist.  Der  Entgang  an  Sauerstoff  wird  dabei  durch 
die  damit  unvermeidlich  verbundene  Blutung  vermehrt. 

Eine  häufige  Ursache  der  Stockung  der  Placentarathmung  bildet  die 
Unterbrechung  des  fötalen  Blutkreislaufes  durch  Nabelschnurdruck.  Es 
kann  sich  dabei  um  den  Vorfall  der  Nabelschnur  neben  dem  Kopf,  um  eine 
Compression  derselben  bei  schwierigen  und  verzögerten  Extractionen  am 
Beckenende,  oder  um  Compressionen  der  Nabelschnur  durch  zu  starke  An- 
spannung derselben  bei  Umschlingungen  um  den  Hals,  oder  um  das  sogenannte 
Pteiten  der  Frucht  auf  der  Nabelschnur  handeln.  Alle  diese  Momente  können 
auf  die  Dauer  den  fötalen  Kreislauf  derart  beeinflussen,  dass  dem  Fötus 
nicht  die  hinlängliche  Sauerstoffmenge  zugeführt  wird  und  dass  endlich 
Athemnoth  und  Asphyxie  eintritt. 


ASPHYXIE  DES  NEUGEBORENEN.  53 

Bei  langdauernden  Geburten  kommt  es  gleichfalls  zu  Aspliyxien,  nachdem 
durch  die  Uteruscontractionen  die  Placcntaratlimung  Störungen  erfahren  hat. 
Aber  auch  bei  kurzdauernden  Geburten  werden  oft  Aspliyxien  beobachtet, 
wenn  die  Wehen  stürmisch  aufeinander  gefolgt  sind,  so  dass  in  den  kurzen 
Wehenpausen  der  Ueberscliuss  an  Kohlensäure  gegen  neuen  Sauerstoff  nicht 
umgetauscht  werden  konnte. 

Sectionsbefund.  Wenn  man  Kinder,  die  an  den  Folgen  der  Aspliyxie  zugrunde 
gingen,  einer  Autopsie  unterzieht,  präsentirt  sich  das  Bild  des  Erstickungstodes. 
Bei  todt-  oder  sterbend  geborenen  Kinctern,  gesellen  sich  noch  Nachweise  des  Ertrinkungs- 
todes hinzu,  die  aber  bei  in  Gesichtslagen  geborenen  Kindern  auch  fehlen  können.  Die 
Lungen  sind  mit  dunklem  Blut  überfüllt,  unter  der  Pleura  visceralis  und  aucli 
costalis  findet  man  zahlreiche  Ecchymosen.  Auch  unter  dem  Peri-  und  Endocai'd  .sind 
solche  häufig  zu  beobachten.  Ferner  sieht  man  venöse  Stauungen  auch  in  entfernter 
liegenden  Organen,  sowie  häufig  Blutaustritte  an  der  GehirnoberftäcJie  und  an  der  Ge- 
hirnbasis. In  den  Luftwegen  können  sich  aspirirte  Massen,  als  Fruchtwasser,  Meconiumxjar- 
tikelchen    mit  Wollhaaren,  Vernix   caseosa,   Blut,   bisweilen  zäher  Genitalschleim  vorfinden. 

Diagnose,  Diese  ist  nicht  schwer  zu  stellen,  wenn  das  Kind  ganz 
oder  zum  Theil  geboren  ist.  Für  das  Verhalten  des  Geburtsarztes  ist  es 
aber  von  Wichtigkeit,  schon  die  intrauterine  Asphyxie  richtig  und  zu  rechter 
Zeit  erkannt  zu  haben. 

Wenn  die  Bewegungen  der  Frucht  bis  zur  eingetretenen  Störung  in  der 
Placentarathmung,  von  der  Mutter  lebhaft  verspürt  wurden,  wird  zunächst 
der  Nachlass  oder  das  Aufliören  dieser  Wahrnehmung,  schon  der  Mutter 
selbst,  sofern  sie  sich  einigermassen  mit  ihrem  Zustande  befasst,  auffallen. 
Der  objective  Befund  wird  aber  für  die  Diagnose  ausschlaggebend  sein. 

Mit  jeder  Wehe  tritt  eine  Verlangsamung  der  kindlichen  Herztöne  ein, 
doch  stellt  sich  die  normale  Frequenz  in  der  Wehenpause  vollkommen  her, 
wenn  keine  Störung  im  fötalen  Kreislauf  eingetreten  ist,  Geräth  das  Kind 
in  Lebensgefahr,  dann  erheben  sich  die  Herztöne  in  der  Wehenpause  nicht 
zu  ihrer  normalen  Frequenzhöhe,  was  auf  Hirndruck  oder  auf  eine  bedeutende 
Venosität  des  Blutes  zurückschliessen  lässt.  Durch  letztere  wird  das  Athem- 
centrum,  beziehungsweise  der  Vagusursprung  gereizt  und  Athembewegungen 
ausgelöst.  War  die  Störung  eine  vorübergehende,  dann  stellen  sich  normale 
Verhältnisse  nach  Wegfall  der  ersteren  ein. 

Bei  Fortbestehen  der  Lebensgefahr,  gesellt  sich  zur  Verlangsamung  der 
Herztöne,  eine  Unregelmässigkeit  derselben,  im  weiteren  Verlaufe  hört  man 
statt  des  Doppelschlages  nur  einen  dumpfen  Ton.  Der  Dicrotismus  hat  auf- 
gehört. Bei  der  Verlangsamung  der  kindlichen  Herztöne  ist  gehörig  darauf  zu 
achten,  dass  dieselben  nicht  mit  den  mütterlichen  verwechselt  werden. 
Namentlich  wenn  die  mütterlichen  Herztöne  etwas  beschleunigt  sind,  kommen 
solche  Verwechslungen  oft  vor.     Der  Radialpuls  gibt  hier  Aufschluss. 

Dem  Tode  des  Kindes  geht  in  vielen  Fällen  ein  plötzliches  Ansteigen 
der  Herzschlagfrequenz  voran,  was  für  die  Frucht  immer  bedenklich  ist,  da 
diese  Erscheinung  auf  eine  Vaguslähmung  zurückzuführen  ist. 

Ist  die  Fruchtblase  geöffnet,  dann  kann  man  in  vielen  Fällen  die 
Asphyxie  aus  dem  raissfärbigen  Fruchtwasser  diagnosticiren;  denn  schon  im 
Beginne  der  Asphyxie  wird  durch  die  Athembewegungen  manchmal  das  Me- 
conium  aus  dem  Rectum  herausgepresst,  in  vorgeschrittenen  Stadien  der 
Asphyxie  gelangt  dasselbe  in  Folge  Lähmung  des  Spliincter  ani  in  das  Frucht- 
wasser. Ist  indessen  die  Asphyxie  behoben,  dann  hat  das  Missfärbigsein  des 
Fruchtwassers  ebensowenig  eine  Giltigkeit  für  die  Diagnose  der  Asph}^ie,  wie 
bei  Beckenendlagen,  wo  beim  Tiefertritt  des  Steisses  in  das  mütterliche  Becken, 
das  Meconium  mechanisch  während  der  Wehen  ausgepresst  wird.  Dass  für 
den  Fötus  grosse  Gefahr  im  Verzuge  ist,  erkennt  man  oft  an  den  kurz  vor 
dem  Tode  auftretenden  terminalen  Zuckungen,  die  durch  die  Bauchdecken 
deutlich  zu  erkennen    sind.     Noch    deutlicher   kann   man    solche    Zuckungen 


54  ASPHYXIE  DES  NEUGEBORENEN. 

fühlen,  wenn  man  behufs  Wendung  eines  bereits  asphyktischen  Kindes,  die 
Hand  im  Uterus  hat. 

Bei  der  Asphyxie  der  Neugeborenen  ist  es  gut,  zwei  Stadien  zu  unter- 
scheiden, und  zwar  das  der  geringen  und  jenes  der  tiefen  Asphyxie. 
Diese  Unterscheidung  ist  wichtig  und  von  grosser  Bedeutung  für  die  Stellung 
der  Prognose  und  Therapie.  Auch  ist  der  Unterschied  beider  Stadien,  klinisch 
sehr  in  die  Augen  springend. 

Ein  nur  gering  asphyktisches  Kind  sieht  blauroth  aus,  die  Haut- 
decken sind  warm,  prall  gespannt,  die  Herzthätigkeit  regelmässig,  oft  kaum 
unter  der  Norm  stehend,  so,  dass  das  Bild  nahezu  einer  Apnoe  gleicht.  Der 
Muskeltonus  ist  erhalten.  Wenn  man  einem  solchen  Kinde  eine  Zehe  drückt, 
oder  an  der  Fusssohle  eine  Streichbewegung  ausführt,  wird  das  Bein  angezogen. 
Die  Berührung  des  Mundes  löst  eine  Contraction  des  Sphincter  oris  aus.  Ist 
das  Kind  nicht  abgenabelt,  dann  pulsiren  auch  die  Nabelschnurgefässe  kräftig.. 
Weil  das  Kind  wie  apoplectisch  aussieht,  haben  die  alten  Autoren  diesen  Grad 
der  Asphyxie  auch  die  Asphyxia  apoplectica  und  wegen  der  blaurothen  Ver- 
färbung der  Haut  auch  Asphyxia  livida  genannt. 

Ganz  anders  das  Bild  der  tiefen  Asphyxie.  Die  Herzthätigkeit 
ist  bedeutend  herabgesetzt,  der  Herzschlag  in  sehr  vorgeschrittenen  Stadien 
unregelmässig,  die  Hautdecken  blass,  schlaff,  kalt,  die  Extremitäten  ausgestreckt, 
nur  dem  Eigengewichte  unterworfen,  da  der  Muskeltonus  aufgehört  hat.  Der 
Unterkiefer  hängt  herab,  der  Kopf  legt  sich  beim  Erheben  des  Halses  haltlos 
zur  Seite.  Die  Analöffnung  klafft.  Tritt  Vaguserschlaflung  ein,  dann  hebt 
sich  die  Herzthätigkeit  scheinbar,  um  bald  ganz  aufzuhören.  Während  der 
tiefen  Asphyxie  sind  die  Athembewegungen  nur  oberflächlich,  schnappend. 
Meist  ist  die  Bewegung  nur  der  Effect  der  Zwerchfellcontraction. 

Prognose  und  Therapie.  Die  Prognose  hängt  einerseits  vom  Grade 
der  Asphyxie,  aber  auch  von  dem  Umstände  ab,  ob  die  Luftwege  des  Kindes 
aspirirte  Massen  enthalten  oder  nicht.  Eine  Struma  verschlimmert  die  Pro- 
gnose. 

Ein  göring  asphyktisches  Kind  wird  sich  ohne  weiteres  Hinzuthun  bald 
erholen,  wenn  die  Luftwege  frei  sind,  während  bei  Verlegung  der  Luftwege 
und  Uebersehen  dieses  Umstandes  bald  tiefe  Asphyxie  sich  einstellt,  die  oft 
ganz  erfolglos  bekämpft  wird. 

Zeigt  das  Kind  gleich  nach  der  Geburt  keine  Reactionen,  befindet  es  sich 
im  Zustande  der  tiefen  Asphyxie,  dann  ist  die  Prognose  schlecht.  Nichts- 
destoweniger müssen  die  Wiederbelebungsversuche  so  lange  fortgesetzt  werden, 
als  noch  ein  Schein  der  Möglichkeit  besteht,  das  Kind  zu  beleben,  denn  die 
Erfahrung  lehrt,  dass  oft  in  ganz  aussichtslos  erschienenen  Fällen  günstige 
Resultate  erzielt  wurden. 

Ist  die  Geburt  eines  asphyktischen  Kindes  zu  erwarten,  dann  müssen 
schon  im  Vorhinein  Anstalten  getroffen  werden,  dass  nach  der  Geburt  des 
Kindes,  alles  zu  Wiederbelebungsversuchen  Nöthige  zur  Hand  sei.  Eine  Wanne 
mit  warmem  Wasser  (30°  R.),  ein  Schaffei  mit  kaltem  Wasser,  eine  hinlängliche 
Anzahl  gewärmter  Leintücher,  ein  Tisch  mit  einem  harten  Kissen,  ein  Ballon- 
katheter, in  Ermangelung  dessen  ein  3  mm  dicker,  biegsamer,  englischer  Ka- 
theter. Ebenso  muss  die  Hebamme  die  Nabelschnurscheere  und  zwei  Nabel- 
schnurbändchen  bereit  halten. 

Sobald  das  Kind  ausgetreten  ist,  wird  die  Mundhöhle,  sowie  die  Nase 
vom  Schleim  und  den  anderen  dahingelangten  Massen  gründlich  befreit.  Pul- 
sirt  die  Nabelschnur  kräftig,  dann  wartet  man  zu  und  beobachtet  das  Kind. 
Namentlich  in  jenen  Fällen,  wo  das  Kind  blass  aussieht,  wäre  eine  übereilte 
Unterbindung  der  pulsirenden  Nabelschnur  ein  Fehler. 

So  lange  sich  das  Kind  an  der  Nabelschnur  befindet,  kann  man  einige 
kurze  Schläge  auf  den  Rücken  ausführen.    Auch  ein  massiges  Bespritzen  des 


ASPHYXIE  DES  NEUGEBORENEN.  55 

Kindes  mit  kaltem  Wasser  kann  hier  von  Nutzen  sein.  Man  miiss  liier  auch 
darauf  achten,  dass  der  Mund  nicht  zu  nahe  an  das  auf  dem  Leintuch  befind- 
liche Fruchtwasser  und  Blut  komme. 

Hat  die  Pulsation  l)edeutend  nachgelassen,  ohne  dass  der  erste  Athem- 
zug  erfolgt  ist,  dann  muss  das  Kind  abgenabelt,  in  ein  warmes  Leintucli  ein- 
gehüllt und  bald  mit  weiteren  Belebungsversuchen  begonnen  werden. 
Zunächst  hebt  man  das  Kind  an  den  Füssen  so  in  die  Höhe,  dass  der 
Kopf  senkrecht  nach  abwärts  gerichtet  ist  und  lässt  es  eine  Zeitlang  in  dieser 
Lage.  Es  pflegen  da  oft  ziemlich  beträchtliche  Massen  aus  der  Trachea  und 
dem  Munde  auszufliessen,  die  früher  beim  blossen  Auswischen  des  Mundes 
nicht  herausbbef ordert  werden  konnten.  Ein  vorheriges  Emporlieben  des  Kehl- 
deckels ist  sehr  von  Nutzen.  Im  weiteren  Verlaufe  müssen  die  Belebungs- 
versuche mit  Pausen  abwechseln.  Während  der  letzteren  wird  das  Kind  in 
warme  Leintücher  gehüllt  oder  es  kommt  in  warmes  Wasser. 

Nachdem  es  erwiesen  ist,  dass  der  erste  Athemzug  nicht  durch  Kälte- 
wirkung reflectorisch  erregt  wird,  sondern  in  Folge  von  Sauerstoffmangel,  ist 
nicht  genug  vor  förmlichen  Uebergiessungen  des  asphyktischen  Kindes  mit 
kaltem  Wasser  zu  warnen.  Es  verliert  damit  das  Kind  nur  die  ihm  so  nöthge 
Eigenwärme. 

Hinsichtlich  der  verschiedenen  Wiederbelebungsmethoden  muss  hervor- 
gehoben werden,  dass  die  ScHULTZE'schen  Schwingungen  in  erste  Pieihe  zu 
stellen  sind.  Sie  entsprechen  am  Vollkommensten,  in  Hinsicht  der  Inspiration, 
dem  Mechanismus  der  Athmung  und  haben  auch  den  Vortheil,  dass  bei  Aus- 
übung derselben,  die  etwa  in  der  Trachea  und  im  Larynx  befindlichen,  aspi- 
rirten  Massen   während  der  Schwingungen  nach  Aussen  gelangen  können. 

Wenn  man  den  ScHULTZE'sclien  Schwingungen  zum  Vorwurf  macht,  dass  es  dabei 
zu  Leberrupturen  oder  zu  Blutungen  unter  den  peritonealen  Ueberzug  der  Leber  gekom- 
men ist,  so  muss  darauf  erwidert  werden,  dass  entweder  die  Blutung  in  Folge  der  durch 
die  Asphyxie  bedingten  venösen  Hyperämie,  aprioristisch  vorhanden  war,  oder  dass  die 
Schwingungen  nicht  sachgemäss  und  gewiss  mit  roher  Gewalt  ausgeführt  wurden.  Auch 
muss  hier  betont  werden,  dass  bei  Clavicularfracturen  von  ScHULTZE'schen  Schwingungen 
abzustehen  ist.  Die  Befürchtung,  das  Kind  könnte  beim  Schwingen  den  Händen  des  Ope- 
rateurs entrutschen,  entfällt,  wenn  die  Hände  des  letzteren  trocken  sind  iind  das  Kind 
vor  dem  Erfassen  mit  einem  trockenen  Tuche  abgewischt  wird. 

Das  Kind  w^ird  nun  so  erfasst,  dass  dessen  Kücken  dem  Operateur  zu- 
gewendet ist.  Die  Zeigefinger  kommen  in  die  Achselhöhlen,  die  Daumen  vor 
die  Brust  des  Kindes,  die  übrigen  Finger  auf  den  Rücken.  Damit  der  Kopf 
nicht  nach  vorn  überhänge,  in  welchem  Falle  das  Eindringen  der  Luft  be- 
deutend erschwert  wäre,  muss  derselbe  vom  Operateur  zwischen  dessen  Hand- 
wurzeln festgehalten  werden.  —  Beim  Schwingen  hält  der  Operateur  die  Beine 
etwas  gespreizt  von  einander.  —  Bei  der  ersten  Schwingung  nach  aufwärts, 
die  langsam  auszuführen  ist,  fällt  die  Brust  des  Kindes  auf  die  Daumen  des 
Operateurs,  in  der  Brust-  und  Lendenwirbelsäule  erfolgt  eine  Beugung,  der 
Bauchraum  des  Kindes  wird  verkleinert,  das  Zwerchfell  nach  aufwärts  gedrängt 
und  den  Lungen  genähert.  Diese  erste  Schwingung  nach  aufwärts  bedeutet 
eine  Verkleinerung  des  Thoraxraumes.  —  Wird  nun  das  Kind  nach  abwärts 
geschwungen,  dann  entsteht  in  der  Trachea  ein  negativer  Druck  und  zum 
Ausgleich  desselben  wird,  wenn  die  Luftwege  frei  sind,  in  dieselben  Luft  ein- 
strömen, was  oft  mit  einem  hörbaren  Geräusche  geschieht.  —  In  solcher- 
weise wird  das  Kind  zunächst  ungefähr  lOmal  auf-  und  abgeschwungen  und 
kommt  dann  in  w^armes  Wasser  und  warme  Tücher.  Ist  die  Respiration  nicht 
vollends  in  Gang,  dann  muss  die  Manipulation  wiederholt  werden. 

Andere,  insbesondere  für  geringe  Grade  passende  Methoden,  wären  jene  von  ]\Ursh^ll- 
Hall  (1857),  Silvester  (1858),  Pacini  (1867  und  1868),  Bain  (1868)  und  Lahs  (;i889l  von 
welchen  wir  hier  die  ersten  zwei  hervorheben. 

Nach  Marshall-Hall  legt  man  das  asphyktische  Kind  mit  seiner  Yorderfläche  auf 
eine  Unterlage  und  schiebt  unter  die  Stirn  beide  A'orderarme.  Nach  einigen  Secunden  legt 
man  den  Körper  auf  die  Seite,  dann  wieder  auf  die  Bauchfläche  und  wiederholt  diese  Ma- 


56  ATONIA  UTERI. 

nipulation  etwa  15mal  in  der  Minute.  Die  Seitenlagerung  soll  zur  Förderung  der  Inspi- 
ration, die  Brust-Bauchlagerung  zur  Exspiration  dienen  Während  der  Brust-Bauchlagerung 
soll  ein  Druck  auf  den  Tliorax  ausgeübt  werden.  Beim  '  SiLVESTER'schen  Verfahren  liegt 
das  asphyktische  Kind  auf  dem  Rücken.  Die  Zunge  wird  vorgezogen  und  nach  vorne  ge- 
halten. Beliufs  Inspiration  werden  die  Arme  gestreckt  und  bis  zum  Kopf  hinaufgehoben, 
zum  Zweck  der  Exspiration  wieder  gesenkt  und  an  die  Rippenbögen  angedrückt. 

Wenn  bei  Anwendung  einer  dieser  Methoden  die  Asphyxie  zunimmt,  oder 
durch  ScHULTZEsche  Schwingungen  bei  tiefer  Asphyxie  nichts  ausgerichtet 
wird,  dann  soll  als  ultima  ratio,  Lufteinb lasung  mit  dem  G.  BRAUN'schen 
Ballonkatheter,  oder  mit  einem  biegsamen  englischen  Katheter  (Stempel- 
^NiANx),  vorgenommen  werden,  nachdem  vorher  die  Luftwege  von  etwa  aspi- 
rirten  Massen  thunlichst  befreit  wurden. 

Jedermann,  der  viele  Asphyxien,  mit  allen  möglichen  Methoden  zu  be- 
kämpfen gehabt  hat,  weiss,  dass  man  mit  dem  Ballonkatheter  Kinder  beleben 
kann,  wo  mit  keiner  anderen  Methode  etwas  auszurichten  gewesen  wäre.  Doch 
muss  diese  Methode  an  einer  Kindesleiche  gründlich  geübt  sein,  bevor  sie  an 
einem  asphyktischen  Kinde  Anwendung  findet.  Auch  wäre  es  ganz  verfehlt, 
sofort  zum  Ballonkatheter  zu  greifen. 

Schon  die  Einführung  des  Katheters  erfordert  einige  Uebung.  Der 
Hals  des  asphyktischen  Kindes  wird  durch  Unterlegen  einer  Rolle  überstreckt,  mit 
dem  Zeigefinger  einer  Hand  der  Kehldeckel  aufgehoben  und  mit  der  anderen 
Hand  der  Katheter  (nachdem  vorerst  der  Ballon  herabgenommen  wurde),  vor- 
sichtig, bis  nahe  der  Bifurcation  der  Trachea  vorgeschoben.  Man  muss  es 
vermeiden,  den  Katheter  in  den  Oesophagus  einzuführen,  oder  mit  der  Ka- 
theterspitze falsche  Wege  zu  bohren. 

Der  Ballonkatheter  ist  so  construirt,  dass  man  mit  demselben  zunächst  die  aspi- 
rirten  Massen  entfernen,  hierauf  die  Athmung  in  Gang  bringen  kann.*) 

Hat  man  keinen  Ballonkatheter  und  auch  sonst  nicht  einen  passenden 
Katheter  zur  Hand,  so  kann  die  Einblasung  von  Mund  zu  Mund  ge- 
schehen, nachdem  man  vorher  vor  den  Mund  des  Kindes  ein  flach  ausgebreitetes 
Stück  Leinwand  gelegt  hat. 

Ist  es  gelungen  ein  tief  asphyktisches  Kind  wieder  zu  beleben,  dann 
muss  diesem  in  den  nächsten  Tagen  eine  besondere  Aufmerksamkeit 
zugewendet  werden,  die  insbesondere  darin  besteht,  dasselbe  vor  Wärmever- 
lusten zu  bewahren.  Ein  schwächliches  Kind  soll  zu  diesem  Zwecke  auch 
noch  womöglich  in  Watte  gewickelt  werden.  piskaöek. 

Atonia  uteri.  Zu  jeder  Zeit  der  Geburt  kann  es  vorkommen,  dass  die 
Contractionen  des  Uterus  nicht  die  jeweilig  nöthige  Stärke  besitzen,  welchen 
Zustand  man  im  Allgemeinen  als  Wehenschwäche  bezeichnet.  Besitzt  der  Uterus 
nach  Ausschluss  des  Kindes  nicht  die  nöthige  Energie,  um  die  Ablösung  der 
Placenta  zu  vollenden  und  die  nach  deren  theilweiser  oder  vollständiger  Ab- 
lösung durchrissenen  Blutgefässe  zu  comprimiren,  fehlt  die  sogenannte  „tonische 
Eetraction",  so  nennt  man  diesen  Zustand  Atonie  des  Uterus.  Diese  gibt 
sich  dadurch  zu  erkennen,  dass  der  Uterus,  auch  wenn  er  bei  Ausschluss  des 
Kindes  sich  stark  contrahirte,  alsbald  wieder  erschlafft,  die  bei  Ausschluss 
des  Kindes  erlangte  neue  Faserordnung  nicht  beibehält  und  nicht  die  geringste 
Neigung  zeigt,  sich  zu  contrahiren,  Avodurch  einestheils  die  Placenta  nicht 
nach  aussen  (wenigstens  in  die  Scheide)  entleert  wird,  anderentheils  eine  mehr 
oder  weniger  starke,  oft  sehr  profuse  Blutung  entsteht.  Der  Uterus  fühlt  sich 
äusserlich  durch  die  Bauchdecken  nicht  als  harte,  feste  Kugel,  wie  bei  dem 
normalen  Verlaufe,  sondern  als  weicher,  schlaffer,  oft  sehr  grosser  Körper  an. 
In  extremen  Fällen  lassen  sich  selbst  gar  keine  Contouren  desselben  abtasten. 


'*')  Vergl.    den    Artikel    „Instrumentarium    in    der    Geburtshilfe"     mit     der    daselbst 
befindlichen  Abbildung. 


ATONIA  UTERI.  57 

Meistens  erstreckt  sich  die  Ersclilaffung  auf  den  ganzen  Uterus,  mitunter  nur 
auf  den  Körper  bei  normalem  oder  selbst  krampfhaft  contraliirtem  iimerem 
Muttermund,  sehr  selten  nur  auf  die  Placentarstelle.  Kiitwcider  tritt  die  Er- 
schlaffung sofort  ein,  oft  erst  nach  einiger  Zeit,  manclimal  nach  einigen  ver- 
geblichen Versuchen  zur  Contraction.  Ist  dabei  der  innere  Muttermund  durch 
die  vorgelagerte  Placenta  oder  ein  Coagulum  oder  in  seltenen  Fällen  durch 
Krampf  verschlossen,  so  ergiesst  sich  das  Blut  aus  den  durciirissenen  Utero- 
Placentargefässen  in  die  Uterushöhle,  es  kommt  zu  einer  inneren  Blutung, 
durch  welche  der  Uterus  mehr  und  mehr  ausgedehnt  wird.  Bei  offen(;n  ^^'ege^ 
dagegen  ergiesst  sich  das  Blut  bald  mehr,  1)ald  minder  stai'k  nacli  aussen,  oft 
in  so  enormen  Mengen,  dass  die  Entbundene  förmlich  im  Blute  schwimmt,  die 
Unterlagen,  das  Bett  durchtränkt  werden,  und  bisweilen  der  Tod  schon  binnen 
kurzer  Zeit  eintritt.  Je  nach  der  Stärke  des  Blutverlustes  machen  sich  l)ald 
früher,  bald  später  die  Allgemeinerscheinungen  der  Verblutung  l)emerklich. 
als  Druck  in  der  Herzgrube,  Flimmern  und  Schwarzwerden  vor  den  Augen, 
Schwindel,  Ohrensausen,  Gähnen,  Seufzen,  Brustbeklemmung,  kleiner  bis  faden- 
förmiger, sehr  fre'quenter  Puls,  Blässe  des  Gesichts,  Kälte  der  Haut,  besonders 
am  Kopf  und  den  Extremitäten,  allgemeiner  Collaps,  kalter  Schweiss,  Ohn- 
macht, zuletzt  Pulslosigkeit,  Athemnoth,  Zuckungen  — •  Exitus. 

Hervorgerufen  wird  die  Atonie  in  erster  Linie  durch  vollständigen 
Kraftverbrauch  bei  langdauernden  schwierigen  und  besonders  schmerzhaften 
Geburten,  sei  es,  dass  ein  unüberwindlicher  Widerstand  die  anfangs  normale 
Kraft  erschöpfte,  sei  es,  dass  von  Haus  aus  nicht  genügende  Kraft  vorhanden 
war  selbst  zur  Ueberwindung  eines  nicht  übermässigen  Widerstandes.  Letzteres 
beobachten  wir  besonders  bei  allgemeinen  Schwächezuständen  nach  erschöpfenden 
Krankheiten,  zu  rasch  aufeinanderfolgenden  häufigen  Geburten  und  Aborten 
oder  in  Folge  hochgradiger  allgemeiner  Plethora;  bei  übermässiger  Ausdehnung 
des  Uterus  durch  Zwillinge,  Hydramnios  u.  dgi.;  ferner  bei  fehlerhafter  Bildung 
des  Uterus  von  Haus  aus  oder  in  Folge  mangelhafter  Rückbildung,  durch 
Narbenbildungen,  eingelagerte  Geschwülste,  Lagefehler,  Adhäsionen  mit  ])e- 
nachbarten  Organen  nach  früheren  Entzündungen;  auch  bei  Beeinträchtigung 
der  Uterusthätigkeit  durch  Ueberausdehnung  benachbarter  Orgaue  (Blase, 
Mastdarm)  oder  Fremdbildungen  (Ovarialtumoren  u.  dgl.)  oder  durch  Rup- 
turen und  Wunden,  bei  welchen  auch  eine,  oft  starke  Blutung  aus  den  dem 
Placentarsitz  nicht  angehörenden  Gefässen  der  Uteruswand  eintreten  kann, 
besonders  wenn  die  Verletzung  die  Seitenränder  des  Uterus,  wo  die  grossen 
Gefässe  verlaufen,  betrifft.  Es  ist  aber  auch  Atonie  eine  nicht  seltene  Folge 
von  überstürzten  Geburten  (durch  Krampf,  äussere  Gewaltthätigkeit)  oder 
übereilte  Entleerung  des  Uterus  durch  Zange,  Wendung  und  Extraction.  be- 
sonders wenn  derselbe  vorher  sehr  stark  ausgedehnt  war,  wie  bei  Zwillingen. 
Hydramnios,  Monstrositäten.  Bei  der  Spontanüberstürzung  oder  der  übereilten 
künstlichen  Entleerung  gewinnt  der  Uterus  nicht  Zeit,  der  zu  einer  erspriess- 
lichen  dauernden  Contraction,  der  tonischen  Retraction,  nothwendigen  neuen 
Faseranordnung  sich  anzubequemen;  die  eben  erst  in  grösserem  L'^mfange 
durchrissenen  Utero-Placentargefässe  werden  nicht  geschlossen,  es  kommt  zu 
einem  sofortigen  starken  Bluterguss,  förmlichen  Blutsturz,  der  nun  seinerseits 
wieder  durch  die  plötzliche  Schwächung  des  Gesammtorganismus  besonders 
der  Centren,  die  Innervation  hochgradig  t)eeinträchtigt,  eine  neue  LTrsache  der 
Atonie. 

Eine  solche  Störung  der  Innervation  kann  aber  auch  hervorgerufen 
werden  durch  gewaltsame  psychische  Momente,  heftigen  Schreck  u.  dgl.,  was 
Manche  allerdings,  wohl  aber  mit  Unrecht  leugnen.  Eine  Atonie  soll  sich 
auch  im  Verlauf  der  Nachgeburtszeit  und  kurz  danach  entwickeln  können, 
wenn  einzelne  der  durchrissenen  Gefässe  abnormer  Weise  so  weit  sind,  dass 
die  sonst  normale  Contraction  des  Uterus  sie  nicht  vollständig  zu  schliessen 


58  ATONIA  UTERI. 

vermag,  so  dass  ständiger  Bluterguss  erfolgt,  der  schliesslicli  allgemeine 
►Schwäche  und  dadurch  Atonie  des  Uterus  bewirkt,  ein  Umstand,  auf  den  zu- 
erst Kiwiscn  aufmerksam  gemacht  hat.  Eine  Lähmung  der  Placentarstelle, 
bei  welcher  eben  diese  Stelle  durch  die  feste  Contraction  der  übrigen  Uterus- 
musculatur  oft  bauchig  oder  hutpilzförmig  in  die  Uterushöhle  vorgewölbt  wird, 
wodurch  die  durchrissenen  Gelasse  noch  weiter  klaffen,  führt  zu  sehr  perni- 
ciösen  Blutungen,  zumal  dann,  wenn  es  durch  incarcerationsähnliche  Um- 
schnürung zu  venöser  Stauung  kommt,  ähnlich  wie  bei  Incarceration  des  in- 
vertirten  Uterus  im  Muttermund. 

Die  Diagnose  der  Atonie  ist  bei  einiger  Aufmerksamkeit  nicht  schwer 
zu  stellen,  schwieriger  in  manchen  Fällen  die  Diagnose  der  Ursachen.  Bei 
normalem  Verlauf  der  Nachgeburtszeit  zeigt  sich  der  Uterus  alsbald  nach  Aus- 
schluss des  Kindes  als  eine  faust-  bis  kindskopf grosse  (letzteres  wenn  die  Pta- 
centa  noch  nicht  gelöst  ist)  harte  Kugel  über  der  Symphyse,  welche  wohl  vor- 
übergehend etwas  weicher,  elastischer  wird,  aber  doch  immer  gespannt  bleibt 
und  sehr  bald  wieder  feste  Contouren  annimmt,  oft  unter  deutlichen  Sclimerz- 
empfindungen  seitens  der  Entbundenen  und  mitunter  leichtem  Blutabgang. 
Thut  sie  dies  nicht,  wird  der  Uterus  im  Gegentheil  immer  weicher  und  schlaffer 
und  dabei  grösser,  oft  bis  weit  über  den  Nabel  reichend,  so  haben  wir  es  mit 
Atonie  zu  thun,  auch  wenn  noch  keine  Blutung  nach  aussen  erfolgt  ist. 
Blutung  allein  ohne  äusserlich  fühlbare  Erschlaffung  ist  noch  nicht  Atonie, 
aber  kann  dazu  führen  und  ist  ein  Vorkommnis,  das  eine  genaue  Unter- 
suchung nach  der  Quelle  der  Blutung  erheischt,  da  ja  auch  Blutungen  aus 
durchrissenen  Gefässen  der  Vulva,  Clitoris,  Vagina  (geborstener  Thrombus) 
oder  der  Vaginalportion  sehr  gefährlich  werden  können.  Fühlen  wir  den 
Uterus  gut  contrahirt,  aber  nicht  als  vollkommen  runde  Kugel,  sondern  an 
irgend  einer  Stelle  mehr  oder  minder  eingezogen  oder  vertieft  und  fliesst  dabei 
Blut  nach  aussen,  so  haben  wir  es  mit  der  sehr  seltenen  Atonie  der  Placentar- 
stelle zu  thun.  Bei  fehlerhafter  Bildung  des  Uterus,  besonders  Uterus  uni- 
cornis  oder  bicornis  mit  verkümmertem  Nebenhorn  oder  vollständigem  Uterus 
bicornis  fühlen  wir  auch  den  contrahirten  Uterus  nicht  als  runde  Kugel, 
sondern  höckerig,  unregelmässig,  aber  keine  wesentliche  Blutung  dabei,  wenn 
nicht  Atonie  vorhanden  ist. 

Die  Atonie  des  Uterus  ist  immer  eine  hochbedenkliche  Affection,  welche 
unsere  ganz  besondere  Aufmerksamkeit  erfordert  und  ist  deshalb  auch  die 
Prognose  immer  nur  bedingt  zu  stellen.  Hochgradige  Anämie  kann  binnen 
Kurzem  zum  Tode  führen,  in  anderen  Fällen  durch  den  starken  Blutverlust 
langes  Siechthum,  selbst  nachträglich  noch  durch  lentescirendes  Fieber  u.  dgl. 
den  Tod  zur  Folge  haben.  Nicht  selten  beobachtet  man  nach  Atonie  als  Nach- 
krankheiten Metritis,  Endometritis,  Parametritis,  Venenthrombose,  Venenent- 
zündung und  Phlegmasie  der  unteren  Extremitäten,  zum  Theil  vielleicht  Folgen 
der  Behandlung.  Durch  rechtzeitige  und  richtig  geleitete  Behandlung  wird 
es  uns  in  den  meisten  Fällen  gelingen,  die  Sache  zu  einem  guten  Ende  zu 
führen.  Es  ist  erstaunlich,  wie  viel  Blut  oft  Frauen  in  dieser  Lage  verlieren 
können,  wie  rasch  sie  sich  von  colossalem  Blutverlust  erholen.  Selbst  wenn  es 
schon  zu  tiefer  Ohnmacht  gekommen,  ist  ein  günstiger  Ausgang  noch  nicht 
ausgeschlossen.  Man  darf  aber  auf  diese  günstigen  Umstände  nicht  rechnen 
und  muss  alle  Kraft  daran  setzen,  den  Gefahren  zu  begegnen. 

Ein  Haupterfordernis  für  eine  erfolgreiche  Behandlung  ist,  dass  man 
sich  von  den  erschütternden  Gefahren  des  Momentes  nicht  überwältigen  lässt, 
völlige  Ruhe  und  Kaltblütigkeit  bewahrt,  wenn  auch  das  Blut  in  Strömen 
fliesst,  und  nicht  in  stürmischem,  dadurch  oft  verkehrtem  Eingreifen  sein  Heil 
versucht.  In  prophylaktischer  Beziehung  wird  man  durch  geeignete  Berück- 
sichtigung der  Ursachen,  die  allenfalls  Atonie  herbeiführen  könnten,  schon 
während  des  Verlaufs    der  Geburt,  unter   Umständen  schon   vorher  in  vielen 


ATONIA  UTERI.  59 

Fällen  mit  Erfolg  wirken  können,  soweit  solche  Ursaclien  sich  entfernen  oder 
vermeiden  lassen,  und  wird  sich  das  Geeignete  bei  gehöriger  Berücksichtigung 
der  oben  angeführten  Ursachen  jeweils  schon  von  selbst  ergeben.  Was  das 
operative  Eingreifen  anlangt,  so  hüte  man  sich  besonders  vor  zu  raschen  und 
zu  stürmischen  Entleerungen  des  Uterus.  Lie  taugen  nie  etwas !  Ein  Ilauitt- 
punkt  der  Prophylaxe  ist  der,  dass  man  es  sich  in  jedem,  auch  dem  schein- 
bar leichtesten  Geburtsfalle,  angelegen  sein  lässt,  sofort  nach  Ausschluss  des 
Kindes  den  Uterus  zu  überwachen.  Eine  Unterlassungssünde  in  dieser  Be- 
ziehung könnte  sich  schwer  rächen.  In  dieser  Ueberwachung,  bethätigt  durch 
vorsichtiges  Palpiren  und,  wenn  sich  etwas  Contractions-Nachlass  zeigt,  durch 
sanftes  Reiben  des  Uterusgrundes  und  Körpers  von  den  Bauclidecken  aus,  ist 
zugleich  schon  der  Anfang  der  Behandlung  gegeben  und  genügt  dies  auch  in 
leichten  Fällen.  Ist  die  Placenta  noch  nicht  gelöst,  so  muss  man  mit  den 
allmälig  zu  verstärkenden  Frictionen  so  lange  fortfahren,  bis  es  gelingt,  durch 
den  Crede'schen  Handgriff  die  Lösung  zu  bewerkstelligen  und  den  Uterus 
vollständig  zu  entleeren.  Unterstützen  können  wir  diesen  Handgriff"  durch  kalte 
oder  noch  besser  heisse  (40—45^  C.)  Irrigationen  der  Scheide,  welche,  beson- 
ders letztere,  sehr  geeignet  sind,  einen  kräftigen  Beiz  zu  Contractionen  zu 
geben  und  zugleich  die  Blutungen  zu  stillen.  Ausserdem  gibt  man  Seeale, 
innerlich  oder  subcutan  in  grossen  Gaben  und,  wenn  es  die  Umstände  er- 
heischen, Analeptika,  bei  deren  Anwendung  man  jedoch  sehr  vorsichtig  zu 
Werke  gehen  muss,  um  nicht  zu  heftige  Erregung,  welche  wieder  schaden 
würde,  und  allenfalls  eine  Ueberladung  des  Magens  und.  dadurch  Erbrechen 
hervorzurufen.  Zweckmässig  ist  es  mit  diesen  innerlichen  Mitteln  schon  bei 
der  Austreibung  des  Kindes,  besonders  bei  künstlicher  Entfernung  zu  beginnen, 
wenn  aus  dem  vorhergehenden  Geburtsverlauf  schon  zu  fürchten  ist,  dass  es 
zu  Atonie  kommen  könnte.  Ist  zu  der  Zeit,  wenn  man  mit  den  Frictionen 
und  der  Expression  der  Placenta  beginnt,  der  Uterus  schon  sehr  ausgedehnt, 
wozu  man  es,  wenn  man  rechtzeitig  vorhanden  ist,  nicht  kommen  lassen  darf, 
dann  werden,  bevor  die  Placenta  nach  aussen  tritt,  durch  die  Compression 
grössere  Mengen  geronnenes  und  flüssiges  Blut  hervorquellen,  w^as  nicht  er- 
schrecken darf.  Die  angegebenen  Mittel,  richtig  angewendet,  werden  in  den 
bei  weitem  meisten  Fällen  genügen,  einem  weiteren  Umsichgreifen  der  Atonie 
zu  begegnen.  Ist  die  Placenta  und  die  noch  nachfolgenden  Blutgerinsel  ent- 
fernt, muss  es  die  Hauptsorge  sein,  den  Uterus  durch  längere  Zeit  zu  über- 
wachen und  am  Wiedererschlaffen  zu  verhindern. 

Gelingt  es  trotz  methodisch  angewandtem  Crede'schen  Handgriffe  nicht, 
die  Placenta  zu  entfernen,  so  deutet  das  auf  die  selten  vorkommende  wirkliche 
Verwachsung  der  Placenta  —  das  Gespenst  der  Verwachsung  ist  durch  den 
Crede'schen  Handgriff  sehr  in  den  Hintergrund  gedrängt  —  oder  auf  Krampf 
des  Isthmus,  und  nöthigt  uns  beides,  ungesäumt  zur  Entfernung  der  Placenta 
durch  innere  Handgriffe  zu  schreiten.  Den  Krampf  des  Isthmus  überwinden 
wir  meist  mit  einiger  Geduld  durch  die  konisch  zusammengelegten  Finger  der 
w^olil  eingeölten  und  gut  desinficirten  einen  Hand,  die  allmälig  leicht  drehend 
und  bohrend  vorgeschoben  wird  während  die  aussen  befindliche  Hand  einen 
energischen  Gegendruck  ausübt.  Unterstützt  wird  dieses  Vorgehen  dm'ch 
Verabreichung  von  Opium  innerlich  oder  subcutane  Morphiuminjection  (0"02 
bis  0-03  g). 

Bei  Verwachsung  oder  zu  fester  Adhärenz  der  Placenta  dringt  die  eine 
Hand  unter  Leitung  der  Nabelschnur  —  ohne  Zug  daran!  —  bis  zur  Placenta 
vor  und  sucht  wo  möglich  innerhalb  der  Eihäute  bis  an  den  oberen  Rand 
derselben  zu  kommen,  um  sie  von  da  aus  mit  der  mit  den  Eihäuten  bedeckten 
Hand  (Hildebrand)  allmälig  loszuschälen  und  in  der  Hohlhand  nach  unten 
zu  drücken,  wobei  jetzt  ein  leichter  Zug  an  der  Nabelschnur  mithelfen  kann. 
Die   äussere  Hand  überwacht  den  Uterus   und  comprimirt  nach  Umständen. 


60  ATONIA  UTERI. 

Wenn  nach  Entfernung  der  Placenta  sich  die  Atonie  wieder  oder  jetzt 
erst  bemerklich  maclit  und  trotz  energischer  Anwendung  obengenannter  Mittel 
nicht  weichen  will,  muss  man  versuchen,  durch  himanuelle  Cotnpression  oder 
durch  bimanuelle  Friction  des  Uterus  die  Muskelfasern  zur  dauernden  Zu- 
sammenziehung und  durch  adstringirende  Irrigationen  in  die  Uterushöhle  die 
blutenden  Gefässe  zur  Thrombose  und  die  Blutung  dadurch  zum  Stehen  zu 
bringen.  Zu  den  Irrigationen  eignet  sich  am  besten  Eisenchlorid  in  Ver- 
dünnung 1 :40 — 50  (stark  weingelb),  auch  Alaun  oder  Essig  in  entsprechender 
Verdünnung,  lauwarm  bis  heiss.  Hat  man  diese  Mittel  nicht  zur  Hand,  dann 
Heisswasser-Irrigationen. 

Die  bimanuelle  Compression  führt  man  nach  Fassbender  aus,  indem  man 
die  eine  Hand  möglichst  hoch  in  das  hintere  Scheidengewölbe  heraufluhrt 
an  die  hintere  Wand  des  Uterus  und  mit  der  anderen  durch  die  Bauchdecken 
über  der  Symphyse  von  vorn  einen  Druck  auf  den  Uterus  ausübt  und  so 
beide  Uteruswandungen  gegeneinander  drückt  und  knetet,  während  Schröder 
empfiehlt,  die  innere  Hand  möglichst  hoch  im  vorderen  Scheidengewölbe 
hinaufzuführen  und  mit  der  aussen  befindlichen  den  Fundus  ut.  durch  die 
Bauchdecken  von  hinten  zu  umfassen  und  so  denselben  Doppeldruck  auszu- 
üben, was  jedoch  nur  bei  schlaffen  Bauchdecken  gelingt. 

Hilft  auch  dies  nicht,  dann  führt  man  die  eine  Hand  in  die  Uterushöhle 
und  reibt  damit  die  Innenfläche  derselben,  wobei  zugleich  auch  noch  etwa 
anhaftende  Placenta-  oder  Decidua-Reste  entfernt  werden,  während  die  andere 
Hand  den  Uterus  von  aussen  kräftig  knetet.  Man  setzt  dies  so  lange  fort, 
bis  kräftige  Contractionen  nöthigen,  die  innen  befindliche  Hand  herauszuziehen. 

Blutet  es  trotz  alledem  noch  fort,  dann  soll  man  nach  dem  Vorschlag 
von  Wynn  Williams  mittelst  eines  Schwammes  (oder  vielleicht  besser  eines 
grossen  Wattepfropfes)  die  Innenfläche  des  Uterus  mit  einer  stärkeren  Eisen- 
Chloridlösung  (am  geeignetsten  1:20,  nicht  stärker,  wie  W.  Williams  angibt) 
direct  touchiren,  was  sich  besonders  bei  Blutungen  aus  der  atonischen  Pla- 
centarstelle  empfehlen  möchte.  Bei  dieser  letzteren  Art  Blutung  aus  partieller 
Atonie  oder  bei  fortdauernder  Blutung  in  Folge  von  Ueberweite  eines  oder 
mehrerer  durchrissener  Utero-Placentargefässe  oder  von  abnormen  Anastomosen 
derselben  (relative  Atonie)  würde  als  ultimum  refugium  die  Tamponade  der 
Uterushöhle  mit  in  Eisenchloridlösung  (1:40)  getauchten  Wattepfropfen  zu  ver- 
suchen und  gestattet  sein.  Bei  allgemeiner  Atonie  ist  dagegen  die  Uterus- 
und  auch  die  Scheidentamponade  zu  verwerfen,  da  erstere  das  Contractions- 
bestreben  des  Uterus  verhindert,  letztere  eine  innere  Verblutung  begünstigt. 
Von  der  von  manchen  Seiten  für  verzweifelte  Fälle  vorgeschlagenen  Trans- 
fusion ist  man  wieder  abgekommen. 

Selbstverständlich  muss  mit  diesen  örtlichen  Medicationen  eine  geeignete 
innerliche  Behandlung  Hand  in  Hand  gehen,  aber  vorsichtig,  nicht  stürmisch. 
Kommt  es  zu  Ohnmächten,  Pulslosigkeit,  droht  Exitus,  dann  leisten  subcutane 
Injectionen  von  Äether  sulfuricus  oder  Kampheröl,  drei,  vier  Spritzen  voll  und 
mehr  in  viertelstündigen  Pausen,  oft  überraschende  Dienste. 

Hat  man  es  endlich  glücklich  erreicht,  die  Atonie  zu  überwinden,  den 
Uterus  zu  guter  Contraction  zu  bringen,  dann  bedarf  er  noch  längere  Zeit 
der  strengsten  Ueberwachung  durch  die  aufgelegte  Hand.  Erst  wenn  er  ein 
bis  zwei  Stunden  sich  dauernd  contrahirt  zeigt,  darf  man  es  wagen,  die  con- 
trolirende  Hand  mit  einem  Sandsack  oder  festen  Compressen  zu  vertauschen, 
muss  aber  dabei  häufig  mit  der  Hand  Nachcontrole  üben.  Sehr  ist  darauf 
zu  sehen,  dass  die  Entbundene  strengstens  in  horizontaler  Kückenlage  ver- 
harrt. Bei  etwaigem  Bedarf  ist  der  Urin  vorsichtig  mittelst  Katheter  zu  ent- 
leeren. 


BARTHOLINITIS  UND  BARTHOLINISCHER  ABSCESS.  -  BECKEN  ANOMALIEN.  61 

Die  Nachbehandlung  besteht  vorzugsweise  in  Hebung  der  gesunkenen 
Kräfte,  Beseitigung  der  Anämie,  Fernhaltung  aller  Schädlichkeiten  vom  Geni- 
talapparate und  geeigneter  Behandlung  allenfallsiger  Nachkrankheiten. 

I5IKNIJAUM. 

Bartholinitis  und  Bartholinischer  Abscess.    in   der  Hegel  hat 

die  Bartholini  sehe  Drüse  beim  weiblichen  Geschlecht  Bohnenform  und 
Bohnengrösse  d.  i.  15 — 20  mm  Länge.  Sie  liegt  mit  der  Längenachse  in  der 
Längsrichtung  der  grossen  Schamlippe,  aber  sie  liegt  recht  versteckt  in 
der  Tiefe.  Sie  ist  besonders  bei  ziemlich  mageren  Frauen  im  unteren  Theil 
der  grossen  Schamlippen  durchzufühlen  und  man  findet  sie  am  raschesten, 
wenn  man  den  hinteren  Theil  der  grossen  Schamlippen  zwischen  Daumen 
und  Zeigefinger  nimmt. 

Die  CowPEii'sche  Drüse  liegt  der  Fossa  navicularis  entsprechend  dicht  vor 
dem  aufsteigenden  Schambeinast.  Bei  Frauen,  welche  geboren  hal)en  und 
deren  Hymen  nur  noch  in  warzenförmigen  Resten  übergeblieben,  ist  der  Aus- 
führungsgang  gewöhnlich  leicht  zu  finden,  da  er  auf  der  Aussenseite  eines 
solchen  Wärzchens  liegt.  Erkrankungen  dieser  Drüse  kommen  beim  weibli- 
chen Geschlechte  unter  gewissen  Umständen  recht  häufig  vor.  Wir  meinen 
aber,  dass  diese  Umstände  hauptsächlich  in  der  Verbreitung  der  Gonorrhoe 
liegen  und  dass,  wo  diese  ausgeschlossen,  eine  Erkrankung  dieser  Gebilde 
zu  den   Seltenheiten  gehört. 

Jede  Verbreitung  einer  Entzündung  in  der  Nähe  des  Ausführungsganges 
und  in  denselben  hinein,  bringt  auch  eine  Schwellung  der  Schleimhaut  zu 
Stande,  die  das  Secret  staut.  Durch  Vulvitis,  insbesondere  durch  die  gonor- 
rhoische, durch  spitze  Condylome,  entsteht  Schwellung  der  Schleimhaut,  Ver- 
engerung und  Verklebung  des  Canals.  Die  Geschwülste  erreichen  Tauben- 
bis  Hühnereigrösse,  hindern  hauptsächlich  im  Sitzen,  beim  Aufstehen,  bei 
der  Cohabitation  oder  werden  durch  den  mechanischen  Beiz  auch  empfindlich. 
Eine  lange  Dauer  der  Retention  muss  eine  Stauung  nach  rückw^ärts  bedingen, 
also  die  Sammelcanäle  der  Drüse  erweitern.  Aber  es  entsteht  natürlich  auch 
eine  starke  Dehnung  des  Ausführungsganges,  die  gelegentlich  dem  gestauten 
Secret  Bahn  macht  und  zum  Abfliessen  desselben  führt. 

Am  häufigsten  kommt  diese  Entzündung  des  Ausführungsganges  als  Ver- 
breitung eines  gonorrhoischen  Katarrhes  vor.  Gerade  bei  der  hartnäckigen 
Gonorrhoe  mit  immer  sich  wiederholenden  Recidiven  ist  die  Entzündung  dieses 
Ganges,  w^o  das  verklebte  Secret  zu  immer  neuer  Regeneration  des  gonorrhoi- 
schen Virus  führen  kann,  die  Quelle  der  Recidive. 

Die  Behandlung  muss  darauf  gerichtet  werden,  die  Stauungen  und 
die  davon  ausgehenden  Recidiven  zu  vermeiden.  Ist  dabei  der  Ausführuugs- 
gang  verstopft,  empfiehlt  es  sich  wohl  am  besten  den  Abscess  unter  antisep- 
tischen Cautelen  in  gehöriger  Weise  zu  spalten  und  die  Wundöffnung  mit 
Jodoformgaze  zu  drainiren.  v.  beaux-feenwald. 

Beckenanomalien.  Eintheilung.  Wir  theilen  am  besten  die  anomalen 
Becken  nach  ihrer  Entstehungsweise  ein  :  1.  Anomalien  des  Beckens  in  Folge  von 
EntiüicMungs felllern.  2.  Beckenanomalien  in  Folge  von  Erkrankungen  der  Becken- 
knochen. 3.  Anomalien  der  Verbindung  der  Beckenknochen  unter  einander.  4. 
Anomalien  des  Beckens  durch  Krankheiten  der  belastenden  Skelettheile.  5.  Beckena- 
nomalien durch  Krankheiten  der  belasteten  Skelettheile. 

Einfluss  des  engen  Beckens  auf  die  Schwangerschaft.  Beim 
engen  Becken  werden  gewisse  Lage  Veränderungen  des  Uterus  häufiger 
beobachtet  als  beim  normalen;  ferner  kommt  beim  engen  Becken  auch  eine 
grössere  Beweglichkeit  des  Uterus  im  Bauchraume  zur  Beobachtung.  Von  den 


62 .  BECKENANOMALIEN. 

Lageveränderuiigen  des  Uterus  im  engeren  Sinne  stellt  die  Retroflexio  und 
Eetroversio  uteri  in  den  ersten  Monaten  der  Schwangerschaft  in  einzelnen 
Fällen  mit  der  Beckenenge  in  Zusammenhang.  Die  häufigste  Wirkung  des 
engen  Beckens  besteht  aber  in  der  Ausbildung  der  Anteversio  und  Anteflexio 
uteri,  des  sogenannten  Hängebauches.  Bei  gewissen  Beckenanomalien  finden  sich 
ziemlich  constant  Gestalts  Veränderungen  des  Uterus;  allbekannt  ist 
endlich  der  Einfluss  des  engen  Beckens  auf  die  Lage  und  Haltung  der  Frucht. 

Die  D  au  er  der  Geburt  wird  von  dem  engen  Becken  nicht  in  jedem  Falle 
beeinflusst;  allerdings  ist  dabei  immer  eine  viel  grössere  Wehenanstrengung 
erforderlich  als  bei  normalem  Becken.  Man  ist  seit  langer  Zeit  gewohnt,  bei 
allgemein  gleichmässig  verengtem  Becken  eine  schwache  Wehenthätigkeit,  bei 
ungleichmässig  verengtem  und  plattem  Becken  eine  ungewöhnliche  Energie 
der  Wehenthätigkeit  zu  erwarten.  Doch  müssen  wir  Litzmann  Recht  geben. 
der  den  Einfluss  der  Form  des  engen  Beckens  auf  die  Wehenthätigkeit  leugnet. 

Einen  weiteren  Einfluss  des  Beckens  auf  die  Geburt  kennen  wir  in  der 
Aenderung  des  Geburtsmechanismus.  In  vielen  Fällen  wird  sich  dies 
schon  in  einem  verzögerten  Eintritt  des  Kopfes  geltend  machen.  Eine  ganz 
gewöhnliche  Folge  dessen  ist  ein  vorzeitiger  Blasensprung.  Auch  die  Art  der 
Erweiterung  des  Muttermundes  erleidet  mitunter  beim  engen  Becken  wesent- 
liche Störungen. 

Folgen  des  engen  Beckens  für  die  Gebärende.  Als  solche 
können  sich  Quetschungen  und  Zerreissungen  des  Geburtscanais  ereignen. 
Der  auf  die  Geburtswege  ausgeübte  Druck  kann  entweder  gleichmässig  die 
gesammte  Peripherie  betreffen  oder  er  ist  ein  partieller,  bloss  von  dem  ge- 
wöhnlich stärker  vorspringenden  Promontorium  ausgehender.  Sehr  selten, 
und  zwar  nur  bei  besonders  hohem  Stande  des  Cervix  oder  bei  frühzeitigem 
Verstreichen  des  Muttermundes  über  den  hochstehenden  Kopf  werden  sich 
Druckspuren  seitens  des  Promontoriums  an  der  hinteren  Scheidenwand  nach- 
weisen lassen.  Auch  entsprechend  der  Symphyse  finden  sich  solche,  in  der 
Regel  am  Cervix,  sehr  selten  seitens  der  Linea  terminalis.  Bei  sehr  langem 
und  intensivem  Druck  seitens  des  Kopfes  auf  die  Wand  der  Beckenhöhle 
kommen  auch  Druckwirkungen  der  mitunter  stark  gegen  die  Beckenhöhle 
vorspringenden  Spinae  ischii  zu  Stande. 

Als  Folgen  des  engen  Beckens  für  die  Gebärende  sind  auch  Zerreissungen 
des  Geburtscanais,  die  Colporrhexis  und  die  perforirende  Uterusruptur  zu 
nennen,  sowie  die  allerdings  sehr  selten  zu  beobachtende  Ruptur  der  Becken- 
symphysen. 

Eine  weitere  Folge  des  engen  Beckens  bei  langer  Geburtsdauer  ist  Er- 
schöpfung wegen  der  langdauernden  Muskelanstrengung  und  eine  gegenüber 
normalen  Geburten  bedeutend  vermehrte  Gefahr  der  Infection  der  Gebärenden. 

Ob  in  der  Beckenenge  ein  prädisponirendes  Moment  für  den  Ausbrucli  der  Eclampsia 
gegeben  ist,  mag  noch  dahingestellt  bleiben. 

Folgen  des  engen  Beckens  für  die  Frucht.  Dieselben  zeigen 
sich  in  Bezug  auf  den  Gesammtorganismus  der  Frucht  als  Störungen  der 
Placentarrespiration,  da  in  Folge  der  langen  Geburtsdauer  und  intensiven 
Wehenthätigkeit,  sowie  des  frühzeitigen  Blasensprunges  mit  fast  völligem 
Abfluss  des  Fruchtwassers  ein  langdauernder  und  sich  oft  wiederholender 
Verschluss  der  Uteroplacentargefässe  eintritt. 

Unter  den  directen,  sichtbaren  Folgen  des  engen  Beckens  für  die  Frucht 
ist  es  zunächst  die  Bildung  der  Kopfgeschwulst,  welche  Erwähnung 
verdient.  Circumscripte  Druckstellen  am  Schädel  rühren  meistens  vom  Pro- 
montorium her  ;  sie  finden  sich  demgemäss  also  meistens  auf  dem  nach  hinten 
gelegenen  Scheitelbeine  oder  Stirnbeine  und  stellen  rundliche  oder  ovale 
röthliche  Flecken  mit  verwischten  Rändern  oder  längliche  schmale  Streifen 
auf  der  Haut  vor.     Die  Knochen  des  Schädels  erfahren  ebenfalls  meist  durch 


BECKENANOMALIEN.  63 

das  Promontorium  eine  Abflachung.  Eine  stärkere  iJiegung  findet  sicli  in  der 
Eegel  an  demjenigen  Scliädelantheil,  der  gegen  die  Sympiiyse  gelegen  war, 
meist  also  an  dem  nach  vorn  gelegenen  Scheitelbein.  Die  sogenannten  rinnen- 
lormigen  Einbiegungen  finden  sich  an  den  Iländern  der  .Schä(]elkno('hen  nahe 
und  parallel  der  Nahtlinie.  Sehr  selten  sind  die  sogenannten  tri chterfönn igen 
oder  löffeiförmigen  Eindrücke  der  Schädelknochen;  auch  sie  finden  sich  als 
vom  Promontorium  herrührend  an  dem  nach  hinten  gelegenen  Scheitel])ein. 
Bei  der  gewaltsamen  Entstehung  solcher  P^indrücke  kommt  es  wohl  auch  mit- 
unter zu  Brüchen  und  Fissuren  der  betreffenden  Schädelknochen.  Sehr  ge- 
wöhnliche und  häufige  Druckwirkungen  des  engen  I>eckens  auf  den  Schädel 
bestehen  in  Verschiebung  der  Schädelknochen  in  ihren  Nähten,  sogar  der 
Schädelhälften. 

Rupturen  der  Wirbelsäule  kommen  mitunter  bei  nachfolgendem 
Kopfe  vor,  wenn  derselbe  mit  grosser  Kraft  über  den  Beckeneingang  hinweg- 
gezogen werden  muss;  unter  denselben  Verhältnissen  beobachtete  Schröder 
eine  Abtrennung  der  Epiphysen  der  Hinterhauptschuppe. 

I.  Gruppe.  Entwicklungsfehler  des  Beckens. 

1.  Das  allgemein  gleichmässig  verengte  Becken. 
Es  ist  dies  ein  Becken,  das  mehr-weniger  die  Form  des  normalen  Beckens 
nachahmt,  ohne  dabei  dessen  Grösse  zu  erreichen ;  besonders  sind  bei  dieser  Becken- 
form irgend  welche  Verbiegungen  oder  Verunstaltungen  der  Knochen  ausgeschlossen. 
In  idealer  Form  würde  also  dieses  Becken  ein  normalgeformtes  weibliches  Becken 
in  verkleinertem  Massstabe  darstellen.  Doch  kommen  bei  dieser  Beckenform  ebenso 
wie  beim  normalen  Becken  Verschiedenheiten  innerhalb  gewisser  Grenzen  vor,  indem 
in  einzelnen  Theilen  des  Beckens  ein  Stehenbleiben  auf  der  Stufe  kindlicher  Ent- 
wicklung beobachtet  wird.  Wir  unterscheiden  3  Gruppen,  das  sogenannte  verjüngte 
Becken,  das  sogenannte  männlich  starke  Becken  und  das  sogenannte  Zwergbecken. 

Das  allgemein'  gleichmässig  verengte  Becken,  dessen  Vorkommen  im  Allgemeinen  für 
ein  seltenes  gehalten  wird,  wird  in  manchen  Gegenden  in  einer  grossen  Häufigkeit  ange- 
troffen. Zu  diesen  Gegenden  gehört  nach  Müller  die  Schweiz,  besonders  die  Gegend  von  Bern. 

Zur  Diagnose  das  allgemein  gleichmässig  verengten  Beckens,  das  seine  Ur- 
sache in  mangelhafter  Entwicklung  des  ganzen  Skelettes  oder  des  Beckens  allein 
findet,'  muss  zunächst  überstandene  Bhachitis  sowohl  anamnestisch  als  objectiv  mit 
Bestimmtheit  ausgeschlossen  werden.  Die  Darmbeinschaufeln  liegen  weniger  flach 
und  weisen  eine  grössere  Differenz  in  den  Entfernungen  der  Spinae  und  Cristae  auf, 
das  Kreuzbein  ist  weniger  zwischen  die  Hüftbeine  vorgerückt  und  die  Spinae  poste- 
riores superiores  weiter  von  einander  entfernt. 

Durch  die  innere  Untersuchung  kann  zunächst  eine  massige  Verkürzung 
der  Diagonalconjugata*)  constatirt  werden.  Die  Grösse  des  Abzuges,  den  die  Dia- 
gonalconjugata  erfahren  muss,  um  die  Conjugata  vera  zu  ergeben,  schwankt  von 
2'9 — 1*0  cm.  Bei  der  Unvollkommenheit  der  bisherigen  Messungsmethoden  empfiehlt 
sich  zur  Diagnose  dieser  Beckenform  die  innere  Messung  nach  Wellexbkrgh- 
Skutsch.  Ueber  den  Grad  der  Beckenvereugerung  beim  allgemein  gleichmässig  ver- 
engten Becken  besteht  die  Ansicht,  dass  die  Conjugata  vera  höchst  selten  unter 
^'^l^an  herabsinke  und  dass  ein  allgemein  gleichmässig  verengtes  Becken  unter  8  c?» 
überhaupt  nicht  existire.  Bei  Zwergbecken  kommen  jedoch  viel  höhere  Grade  der 
Verengung  vor. 

In  einer  sehr  charakteristischen  Weise  erfolgt  während  der  Geburt  der  Durch- 
tritt des  Schädels.  Schon  beim  Eintritt  des  Schädels  steht  das  Hinterhaupt 
tiefer  als  bei  normalem  Becken  und  der  Kopf  nimmt  in  stärkerer  Flexion  bei  sonst 
normalem  Mechanismus  seinen  Weg  durch  die  Beckenhöhle.  Man  wird  den  Tiefstand 


*)  Vergl.  ..Becl-enmessung'-^  (Friedr.  Schauta)  ds.  Bd.  der  „Bibliothek". 


64  BECKENANOMALIEN. 

tles  Hinterhauptes  daraus  erkeiiüeu,  dass  die  kleine  Fontanelle  tiefer  stellt  und  leichter 
erreichbar  ist  als  die  grosse  Fontanelle  und  ebenso  auch  der  Medianlinie  mehr  ge- 
nähert ist,  während  in  demselben  Masse  die  Entfernung  der  grossen  Fontanelle  von 
der  Medianlinie  zunimmt. 

Einfluss  auf  Mutter  und  Kind.  Die  Folgen  der  Geburt  bei  dieser 
Beckenform  bestehen  für  die  Mutter  hauptsächlich  in  mehr-weniger  intensiven  Quet- 
schungen der  Beckenweichtheile  im  ganzen  Umfange  des  Beckenringes.  Isolirte 
Druckwirkungen  seitens  des  Promontoriums  und  der  Symphyse  werden  selten  be- 
obachtet. 

Auffallend  gross  ist  die  Frequenz  der  Eclampsia  parturientium  bei  allgemein  gleich" 
massig  verengtem  Becken. 

Am  Kopfe  des  Kindes  wird  sich  bei  der  frühen  Fixirung  und  der  langen 
Dauer  der  Geburt  eine  sehr  bedeutende  Kopfgeschwulst  mit  dem  Sitz  über  dem 
Hinterhauptbein  ausbilden  müssen.  Begrenzte  Druckstellen  der  Kopfhaut  kommen 
wegen  der  gleichen  Vertheilung  des  Widerstandes  hier  seltener  zur  Beobachtung. 

Für  den  Geburtshelfer  handelt  es  sich  zunächst  darum,  den  bei  der  Geburt 
vorliegenden  Kopf  in  die  für  seinen  Durchtritt  günstigsten  Bedingungen  zu  versetzen, 
d.  1.  die  Hinterhauptlage  herzustellen  ;  dies  geschieht  durch  entsprechende  Seiten- 
lagerung der  Gebärenden.  Bei  genügender  Weite  des  Muttermundes  soll  man,  wenn 
die  W^ehenthätigkeit  an  Wirksamkeit  abnimmt,  nicht  zu  lange  mit  der  Zangenextrac- 
tion  zögern.  Gelingt  dieselbe  nicht,  und  ist  die  für  die  Sectio  caesarea  günstige 
Zeit  bereits  vorüber,  dann  muss  die  Perforation  ausgeführt  werden.  Bei  den  höheren 
Graden  der  Beckenverengerung  wird  selten  die  Frühgeburt  oder  Sectio  caesarea  aus- 
geführt w'erden,  sondern  meist  die  Symphysiotomie  in  Betracht  kommen. 

2.  Das  einfach  platte,  nicht  rhachitische  Becken. 

Mit  dem  Namen  des  einfach  platten  Beckens  bezeichnen  wir  eine  Beckenform, 
welche  nur  in  der  Conjugata  eine  Verkürzung  aufweist,  während  die  queren  und 
schrägen  Durchmesser  normal  erscheinen,  ja  selbst  grösser  sind  als  am  normalen 
Becken.  Bei  dem  einfach  platten  und  nicht  rhachitischen  Becken  ist  die  Conjugata 
des  Eingangs  der  am  meisten  verkürzte  Durchmesser,  doch  auch  die  geraden  Durch- 
messer der  Höhle  und  des  Ausgangs  sind  kürzer,  wenn  auch  nicht  in  dem  Grade 
verkürzt  als  die  Conjugata  des  Eingangs.  Es  ergiebt  sich  demnach,  dass  bei  dieser 
Beckenform  das  Kreuzbein  in  toto  ohne  wesentliche  Drehung  um  seine  Queraxe 
nach  vorne  gerückt  ist,  zum  Unterschiede  von  dem  einfach  platten,  rhachitischen 
Becken. 

Xach  der  übereinstimmenden  Ansicht  aller  Autoren  muss  das  einfach  platte, 
nicht  rhachitische  Becken  als  die  häufigste  Beckenform  angesehen  werden ;  zur 
Diagnose  desselben  ist  es  nothwendig,  Ehachitismus  mit  Bestimmtheit  ausschliessen 
zu  können. 

Einfluss  auf  die  Schwangerschaft  und  Geburt.  Charakteristisch 
ist  bei  dieser  Beckenform  zunächst  der  Eintritt  des  Kopfes  mit  der  Pfeilnaht 
im  Querdurchmesser.  In  dieser  Stellung  bewegt  sich  der  Schädel  bei  geringem 
räumlichem  Missverhältnis  durch  die  oberen  Beckenabschnitte  herab,  um  dann  am 
Beckenboden  nicht  selten  sehr  lange  im  Querstande  zu  verharren. 

Ist  das  Missverhältnis  zwischen  Kopf  und  Conjugata  etwas  grösser,  so  dass 
derselbe  nicht  ohne  weiters  ins  Becken  eintreten  kann,  so  tritt  das  Vorderhaupt 
tiefer  und  in  die  Medianlinie.  Selten  tritt  das  Vorderhaupt  so  weit  herab,  und 
weicht  das  Hinterhaupt  so  stark  nach  der  Seite  und  oben  aus,  dass  man  von  einer 
Stirulage  sprechen  kann. 

Für  das  einfach  platte  Becken  ist  ferner  charakteristisch,  dass  bei  demselben 
die  beiden  Schädelhälften  nicht  gleichmässig  ins  Becken  eintreten  wie  beim  allgemein 
gleichmässig  verengten  Becken,  sondern  gewöhnlich  die  eine  Hälfte  früher,  die  andere 
später.     Ist  die  nach  vorn  gelegene  Schädelhälfte  die  früher  eintretende,  so  spricht 


BECKENANOMALIEN.  65 

man  von  einer  vorderen  Scheitelbein-  oder  auch  vorderen  Stirnbeinlage,  im  entgegen- 
gesetzten Falle  von  einer  hinteren  Scheitclbeinlage. 

In  Folge  der  mechanischen  Schwierigkeiten,  welche  der  Kopf  als  vorausgehender  bei 
dieser  Beckenform  erführt,  finden  wir  verschiedenartige  Verilnderuiigen  und  Druckwirkungen 
an  der  Kopfhaut  und  den  Schädelknoclien.  Die  gewölinliclisten  Druckstellen  seitens  des 
Promontoriums  finden  sich  auf  dem  nach  hinten  gelegenen  Scheitelbeine  in  Form,  eines 
rothen  Streifens  längs  der  Coronarnaht  gegen  die  Schläfe  oder  das  Jochbein  herabziehend. 

Th'erapie.  Da  die  Conjugata  beim  einfach  platten  Becken  gewöhnlich  niclit 
unter  8  cm  herabsinkt,  so  dürfte  der  Kaiserschnitt  bei  dieser  Beckenform  nicht  in 
Betracht  kommen.  Die  Wendung  erscheint  als  die  beim  einfach  platten  Becken 
vorzüglich  indicirte  Therapie.  Die  Zange  wird  bei  dieser  Beckenform 
nicht  selten  indicirt  sein,  nach  Ueberwindung  des  Hindernisses  am  Beckeneingange, 
bei  Erlahmung  der  Wehenthätigkeit  oder  tiefem  Querstand.  Bei  hohem  Kopfstand 
könnte  es  sich  bei  Conjugata  über  8^/2  cm  nur  um  einen  Zangenversuch  handeln, 
da  gerade  bei  i^latten  Becken  die  Zange  nicht  als  das  zur  Ueberwindung  des  räum- 
lichen Missverhältnisses  geeignete  Instrument  erscheint.  Die  Kraniotomie  wird  bei 
todtem  Kinde  und  räumlichem  Missverhältnisse  in  Betracht  kommen  ;  bei  lebendem 
Kinde  die  Symphyseotomie. 

3.  Das  allgemein  verengte  platte  (nicht  rhachitische)  Becken. 

Dieses  Becken  wird  charakterisirt  durch  eine  Verkürzung  seiner  sämmtlichen 
Durchmesser,  wobei  jedoch  die  der  geraden  Durchmesser  besonders  am  Eingange 
überwiegt.  Nach  dem  Ausgange  zu  wird  das  Becken  entweder  weiter  oder  die 
Verengung  hält  durch  den  ganzen  Beckencanal  hindurch  an.  Das  allgemein  verengte 
platte  Becken  nicht  rhachitischen  Ursprungs  scheint  sehr  selten  zu  sein.  Verwechs- 
lungen mit  dem  allgemein  gleichmässig  verengten  Becken  und  mit  dem  einfach 
platten  Becken  werden,  wenn  man  nur  die  allgemeine  Verengerung  und  das  Ueber- 
wiegen  derselben  in  der  Richtung  der  Conjugata  constatirt  hat,  doch  unvermeidlich 
sein;  nur  von  einer  ganz  exacten  Messung  auch  der  Querdurchmesser  des  Beckens 
nach  dem  Princip  von  Wellenbekgh-Skutsch  kann  eine  grössere  Sicherheit  in  der 
Diagnose  dieser  Beckenform  erwartet  werden. 

Bezüglich  des  Geburtsverlaufes,  der  Prognose  und  der  Therapie  bei  dieser 
Beckenform  gilt  dasselbe,  was  von  den  leichteren  Graden  derselben  Form  des  rhachi- 
tischen Beckens  gesagt  werden  wird. 

4.  Das  trichterförmig  enge  Becken. 
Unter  der  Bezeichnung  Trichterbecken  verstehen  wir  ein  im  Eingange  normal 
weites  oder  nur  wenig  verengtes  Becken,  dessen  Wände  durch  starke  Convergenz 
gegen  den  Ausgang  eine  im  Verhältnis  zur  Weite  des  Eingangs  anfallende  Veren- 
gung des  Ausgangs  verursachen.  Beim  trichterförmig  verengten  Becken  finden  wir 
die  Verengung  entweder  nur  in  querer  Richtung  des  Ausgangs,  oder  nur  in  gerader 
Richtung,  oder  aber  in  beiden  Richtungen.  Wir  fassen  das  Trichterbecken  auf  als 
das  Resultat  einer  ursprünglich  abnormen  Bildung  (abnorme  Höhe  des  kleinen  Be- 
ckens), wodurch  das  Promontorium  hochgestellt  und  nach  hinten  gerückt  wird,  und 
der  Einwirkung  der  Rumpflast,  welche  mit  Rücksicht  auf  den  Hochstand  des  Pro- 
montoriums in  ähnlicher  Weise  erfolgt  wie  beim  kyphotischen  Becken. 

Gewöhnlich  leitet  das  Resultat  der  Palpation  die  Aufmerksamlceit  auf  bestehende 
Verengerung  des  Ausgangs.  Die  bestimmte  Diagnose  des  Trichterbeckens  kann 
aber  nur  auf  Grund  einer  genauen  inneren  und  äusseren  Messung  des  Ausgangs  mit 
Berücksichtigung  der  Grössenverhältnisse  des  Beckeneingangs  gestellt  werden. 

Bei  der  Geburt  wird  der  Kopf  an  der  normalen  Drehung  dadurch  gehindert, 
dass  das  eine  Ende  des  Kopfhebels  zwischen  Tuber  und  Spina  ischii  wie  in  eine 
Zwinge  eingeklemmt  wird.  Quer-  und  S  c  h  r  ä g  s  t  a  n  d  des  Kopfes  am  Becken- 
ausgang gehört  zu  den  häufigeren  Ereignissen  beim  Trichterbecken.  Xicht  selten 
ist  auch  sowohl  bei  Vorder-  als  bei  Hinterscheitellage  eine  verkehrte  Drehung  des 
Kopfes.  Dazu  kommt  noch  eine  auch  bei  Erstgebärenden  schon  zu  beobachtende 
Insufficienz  der  AVehenthätigkeit. 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshüfe  und  Gynaekologie.  O 


66 


BECKENANOMALIEN. 


Die  Prognose  der  Geburt  ist  bei  dieser  Beclienform  im  Allgemeinen  nicht 
günstig.  Besonders  die  tieferen  Partien  der  Scheide  und  des  Introitus  werden  eine 
starke  Quetschung  erfahren  müssen,  welche  in  einzelnen  Fällen  bis  zur  Durchreibung 
der  "NVeichtheile  an  den  absteigenden  Schambeinästen  geführt  hat;  ausserdem  wird 
es  zur  Bildung  von  Harnröhren-  und  Blasenscheidenfisteln  wegen  des  lauge  dauernden 
Druckes  des  Kopfes  gegen  die  Schamfuge  kommen  können. 

Therapie.'  In  den  leichtesten  Fällen  wird  die  Geburt  spontan  erfolgen. 
Bildet  jedoch  das  mechanische  Hindernis  in  erster  Linie  die  Indication  zur  Zangen- 
operatiou,  dann  muss  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  ganz  besonders  vor  allzu 
lauger  Dauer  der  Zangenversuche  und  vor  übermässiger  Kraft anwendung  gewarnt 
werden.  Gerade  beim  Trichterbecken  entstehen  in  Folge  von  Zangenextraction  oft 
schwere  und  umfangreiche  Zerreissungen  der  Scheide,  mitunter  erfolgt  auch  Zerreis- 
sung  der  Beckengelenke,  wobei  die  seitlichen  Beckenwände  geradezu  als  Hebelarme 
zu  betrachten  sind.  Mit  Rücksicht  auf  diese  trüben  Erfahrungen  bei  Zaugenoperationen 
tritt  leider  gerade  bei  dieser  Beckeuform  verhältnismässig  oft  die  Nothwendigkeit 
der  Perforation  des  lebenden  Kindes  ein,  die  in  neuerer  Zeit  durch  die  Sym- 
physeotomie  umgangen  werden  könnte. 

5.  Das  durch  mangelhafte  Entwicklung  eines  Kreuzbeinflügels 
schrägverengte  Becken  (Nägele). 

Kg    1. 

Die  in  Rede  ste- 
hende Beckenform  zeich- 
net sich  durch  folgende 
Charaktere     aus:      Der 

Kreuzbeinflügel  einer 
Seite  fehlt  oder  ist  man- 
gelhaft entwickelt.  Die 
Foramina  sacralia  ante- 
riora  derselben  Seite  sind 
eng.  Ebenso  findet  sich 
in  der  überwiegenden 
Mehrzahl  der  Fälle  auf 
derselben  Seite  eine  voll- 
ständig knöcherne  Ver- 
schmelzung des  Kreuz- 
beins mit  dem  Hüftbeine. 
Das  Hüftbein  auf  Seite 
der  Ankylose  ist  am 
Kreuzbein  nach  rückwärts 
und  aufwärts  verschoben 
und  gleichzeitig  von  der 
Es    steht     steiler,    ist    stärker  abgeflacht, 


Durch  mangelhafte  Entwicklung  des  Kreuzbeinflügels  der  rechten  Seite 
schräg  verengtes  Becken.     (Nägele.) 


Pfanne  her  nach  einwärts  gedrängt 
und  verläuft  gestreckter  als  das  der.  anderen  Seite.  Mit  dem  Hüftbein  ist  auch  der 
Sitzbeinhöcker  nach  aufwärts,  rückwärts  inid  einwärts  gewichen,  deshalb  dem  Kreuz- 
bein genähert  und  die  Incisura  ischiadica  verengt.  Die  Schambeinfuge  ist  nach  der 
gesunden  Seite  hinübergeschoben,  die  Mündung  des  Schambogens  öifnet  sich  nicht 
gerade  nach  vorne,  sondern  mehr  nach  der  Seite  des  Kreuzbeindefectes.  Das  Kreuz- 
bein ist  gegen  die  synostosirte  Seite  hin  verschoben,  seine  vordere  Fläche  derselben 
Seite  mehr  oder  weniger  zugekehrt.  Die  Linea  terminalis  verläuft  flacher,  bei 
höheren  Graden  der  Verschiebung  fast  gerade,  während  die  der  anderen  Seite,  be- 
sonders in  ihrer  vorderen  Hälfte,  stärker  gebogen  ist  als  selbst  am  normalen  Becken. 
Das  Becken  ist  somit  schräg  verengt,  der  kürzere,  schräge  Durchmesser  ist  der- 
jenige, der  von  der  Synchondrose  der  gesunden  zum  Tuberculum  ileo-pectineum  der 
kranken  Seite  gezogen  wird.  Der  Beckeneingang  hat  die  Form  eines  schrägliegen- 
den Ovals,  mit  dem    schmalen  Pol    nahe    der    Synostose,    mit    dem   breiten  Pol  am 


BECKENANOMALIEN. 


67 


horizontalen  Schambeinaste  der  gesunden  Seite.  Die  Entfernung  des  Promontorium 
von  dem  Pfannengrundo,  sowie  der  Abstand  der  Kreuzljcinspitzc  von  der  Spina  ischii 
ist  auf  Seite  der  Anliylose  verkürzt,  ebenso  die  Distanz  vom  Tul)er  ischii  der  an- 
kylosirten  Seite  zur  Spina  post.  sup.  der  andern,  ferner  die  Kntf(!rnung  vom  Lorn- 
fortsatze  des  letzten  Lendenwirbels  und  der  Spina  ant.  sup.  der  ankylosirten  Seite, 
endlich  der  Abstand  des  unteren  Randes  der  Symphysis  pubis  von  der  Spina  post. 
sup.  der  gesunden  Seite  kürzer  als  die  gleiche  Linie  der  anderen  Seite.  Die  Wände 
der  Beckenhöhle  convergiren  nach  unten,  die  Hüftbeinpfanne  auf  der  Seite  des  Kreuz- 
beindefectes  sieht  mehr  nach  vorne,  die  der  anderen  fast  vollständig  nach  aussen. 

Bezüglich  der  Entstehung  des  NÄGELE'schen  Beckens  dreht  sich  der  Streit  bis 
jetzt  um  die  Frage,  ob  die  Synostose  das  Primäre  oder  Secundäre  sei.  Auf  diesen  beiden 
Wegen  können  zweifellos  schrägverengte  Becken  entstehen,  doch  werden  verschiedene 
Beckenfonnen  das  Besultat  sein  müssen.  Wir  wollen  diese  verschiedenen  Beckenformen 
auch  gesondert  betrachten,  werden  die  aus  primärer  Ankylose  entstandenen  in  einem  spä- 
teren Abschnitte  schildern,  und  beschreiben  hier  unter  dem  Namen  NÄOELE'sches  Becken 
nur  diejenigen  Formen,  bei  denen  die  Synostose  zweifellos  secundär  aufgetreten. 

Anamnestisch  ist  für  das  Nägele' sehe  Becken  charakteristisch,    dass  in  keinem 

Falle  Einwirkung    äusserer  Schädlichkeit  wie  Fall,  Schlag,    Stoss,    ermittelt  werden 

konnte;    dass   nie  Schmerzen    in   der  Becken-    oder    Lendengegend    vorausgegangen 

waren;  dass  nie  auffallendes  Hinken  bemerkt  wurde. 

Nägele  empfahl  die  Messung  folgender  Distanzen  zur  Erkenntnis  der  von  ihm  zuerst 
beschriebenen  Beckenform: 

1.  Entfernung  des  Tuber  ischii  einer  Seite  von  der  Spina  post.  sup.  der  anderen. 
2.  Von  der  Spina  ant.  sup.  eines  Hüftbeins  zur  Spina  post.  sup.  des  anderen.  3.  Vom  Pro- 
cessus spinosus  des  letzten  Lendenwirbels  zur  Spina  ant.  sup.  beider  Hüftbeine.  4.  Vom 
Trochanter  maior  der  einen  Seite  zur  Spina  post.  sup.  der  anderen.  5.  Vom  unteren  Pande 
der  Symphyse  zur  Spina  post.  sup. 

Die  Regel,  dass  die  engständige  Einstellung  des  Kopfes  nicht  günstig  sei,  aus- 
genommen für  die  Zangenoperation,  findet  bei  sehr  starker  Abkuickuug  der  Linea 
terminalis  an  der  Sj'^nostose  und  dadurch  bedingter  hochgradiger  Verkürzung  der 
Distantia  sacrocotyloidea  derselben  Seite  eine  Ausnahme.  Es  fällt  nämlich  dann  der 
Eaum  vor  der  Synostose  für  den  Geburtsmechanismus  vollständig  weg,  und  das 
Becken  bietet  dem  Vorderhaupte  auf  Seite  der  Synchoudrose  mehr  Raum.  In 
diesen  Fällen  tritt  der  Kopf  leichter  im  kürzeren  schrägen  Durchmesser  ein.  Der 
Schädel  wird  nur  durch  den  Mechanismus  ein-,  resp.  durchtreten  können,  der  der 
regelmässige  bei  allgemein  gleich- 
massig  verengten  Becken  ist,  das 
ist  in  Hinterhauptsstellung. 

Die  Therapie  beschränkt 
sich  in  den  Fällen  von  eigentlich 
Nägele' schem  Becken  auf  die 
künstliche  Frühgeburt, 
Perforation  und  Sectio  cae- 
sarea. 

Hieran  reihen  sich  weiter  als 
seltenere  Beckenformen: 

a)  Durch  mangelhafte  oder 
fehlende  Enticicldiing  heider  Kreuz- 
heinflügel  qiiei'  rereiigies  Becken  (Ro- 
bert). Als  wahrscheinlichste  erste 
Veranlassung  zu  dieser  Beckenform 
erklärte  Robert  das  ursprüngliche 
Fehlen  der  Knochenkerne  beider 
Kreuzbeinflügel,  wobei  die  Bogen- 
kerne  vicariirend  die  Seitentheile 
theilweise  ersetzt  haben. 

Die  Prognose  für  Mutter  und 
Kind  fällt  zusammen  mit  der  Prog- 
nose des  Kaiserschnittes. 


Durch  mangelliafte  Entwicklung  beider  Kreuzbeinflügel  q[uer 
verengtes  Becken  (RoBEKi'sclies  Becken.). 


68 


BECKENANOMALIEN. 


h)  Das  zu  iceife  Becken.  —  Dasselbe  kommt  als  allgemein  und  als  theilweise  zu 
weites  Becken  vor.  Beide  diese  Formen  finden  sich  sowohl  bei  allgemein  übermässiger 
Entwicklung  des  Skeletes,  Eiesenwuchs,  als  auch  bei  gewöhnlicher  Entwicklung  der  übrigen 
Skelettheile.  Die  Diagnose  des  allgemein  zu  weiten  Beckens  basirt  auf  der  Vergrösserung 
der  sämmtlichen  äusseren  und  inneren  Beckenmasse,  die  des  weit  trichterförmigen  Beckens 
auf  der  Vergrösserung  der  Masse  des  Einganges,  bei  normalen  Durchmessern  des  Ausganges. 
Die  Prognose  der  Geburt  bei  allgemeiner  Erweiterung  muss  als  günstig  bezeichnet  werden. 
Die  Theraxiie  wird  sich  darauf  zii  beschränken  haben,  den  allzu  raschen  Durchtritt  des 
Kopfes  behufs  Hintanhaltung  von  Verletzungen  der  weichen  Geburtswege  zu  verliindern. 

c>  Das  Becken  mit  angehorenem  Sijmplijjsenspalt.  Das  gespaltene  Becken  entsteht 
durch  einen  angeborenen  Defect  der  Symphysis  oss.  pub.,  und  zwar  meist  combinirt  mit 
Blasenspalte.  Da  aus  begreiflichen  Gründen  Schwangerschaft  in  solchen  Fällen  nur  selten 
eintritt,  so  finden  sich  in  der  Literatur  nur  6  Fälle  von  Geburten  bei  dieser  Beckenform. 
Das  Becken  zeigt  eine  starke  Querspannung,  und  zwar  sowohl  im  Eingange  als  auch  in  der 
Höhle  und  im  Ausgange.  Trotz  des  Vortretens  des  Promontoriums  hat  clas  Becken  wegen 
des  Fehlens  eines  grossen  Theiles  der  vorderen  Beckenwand  die  Charaktere  eines  allgemein 
weiten  Beckens.  In  keinem  Falle  ergaben  sich  aus  der  Beckenanomalie  Schwierigkeiten 
bei  der  Geburt.  Durch  das  Fehlen  eines  so  beträchthchen  Theiles  des  vorderen  Becken- 
ringes hatte  das  Becken  aufgehört,  Geburtscaiial  zu  sein.  Ein  regelmässiges  Ereignis  beim 
Spaltbecken  scheint  Vorfall  des  Uterus  nach  der  Geburt  zu  sein. 

II.  Gruppe.  Beckenanomalien  infolge  von  Erki'ankungen  der  Beckenkiioehen. 

1.  Die  rliacliitisclien  Beckenformen. 
Wir  können  die  bei  Rhachitis  häufiger  vorkommenden  Beckenformen  in  folgende 
Unterabtlieilungen  bringen:  a)  Das  einfach  platte    rhachitische  Becken,     b)  Das   all- 
gemein verengte,   platte   rhachitische  Becken,     c)  Das  allgemein  gleichmässig  verengte 
rhachitische    Becken,     cl)    Das    in    sich  zusammengeknickte     {pseudo-osteomalacische) 

rhachitische  Becken. 

a)  Das  einfach 
platte  rhachi- 
tische Becken. 
Diese  Beckenform 
besitzt  im  Allge- 
meinen die  Charak- 
tere derselben  Bec- 
keuform  nicht  rha- 

chitischen  Ur- 
sprungs, zeigt  also 
bei  Verkürzung  in 
der  Richtung  der 
Conjugata  normale, 
ja  selbst  überuor- 
male  Querdurch- 
messer. Im  Ein- 
zelneu weicht  sie 
j  edoch  von  der  nicht 
rhachitischen  Bec- 
kenform in  wesent- 
lichen Punkten  ab. 
AVir  erwähnen 
zunächst  die  starke 
Neigung  bei  sehr 
starker  Lordose  der 

Einiacli  plattes  rhachitisches  Becken.  t         i  •   i     i    ..    t 

Leudenwirbelsaule. 
Das  Promontorium  steht  beim  rhachitischen  Becken  verhältnismässig  tiefer  als  beim 
nicht  rhachitischen  Becken  der  gleichen  Form,  so  zwar,  dass  es  nur  mehr  wenig 
über  die  Beckeueingangsebene  zu  liegen  kommt.  Das  Kreuzbein  ist  nach  abwärts 
und  vorwärts  getreten,  jedoch  stärker  mit  seiner  oberen  Hälfte  als  mit  seiner  un- 
teren.    Daraus    und    aus    dem    Tiefstande    das    Promontorium    in    A^erbindung    mit 


BECKENANOMALIEN. 


69 


der  starken  Lordose  ergeben  sich  die  weiteren  Verhältnisse.  Der  Winkel,  den  die 
Conjugata  mit  der  Lendenwirbelsäule  bildet,  ist  kleiner,  der  mit  der  oberen 
Kreuzbeinhälfte  grösser  als  im  normalen  liwken,  der  Winkel  jedoch,  den  das  Kreuz- 
bein mit  dem  letzton  Lendenwirbel  bildet,  ist  nicht,  wie  man  aus  der  ab-  und  vor- 
wärtsgerückten Lage  der  oberen  Kreuzbeinhälfto  schlicssen  kömite,  kleiner,  sondern 
wegen  der  gleichzeitigen  Lordose  der  Lendenwirbelsäule  durchschnittlich  selbst  grösser 
als  normal.  Wegen  des  Zurücktretens  des  Kreuzbeines  in  seiner  unteren  Hälfte  und 
der  gleichzeitig  bestehenden  geringeren  Neigung  der  Symphyse  werden  die  geraden 
Durchmesser  vom  Eingange  zum  Ausgange  allmälich  immer  grösser,  um  erst  im 
Ausgange  selbst  durch  scharfe  Abknickung  der  untersten  Kreuzbeinwirl)el  wieder 
eine  geringe  Beschränkung  zu  erfahren.  Die  Spinae  posteriores  sujieriores  übei-ragen 
wegen  des  Nachvornegetretenseins  der  oberen  Kreuzbeinhälfte  die  hintere  Kreuzljein- 
iiäche  stärker,  während  ihre  Entfernung  sich  verringert. 

&)  Das  allgemein  ver-  Kg- 4- 

engte,  platte  rhachiti- 
sche  Becken  hat  mit  dem 
eben  beschriebenen  die  sämmt- 
lichen  Merkmale  des  rhachiti- 
scheu  Beckens  gemein,  unter- 
scheidet sich  jedoch  von  dem- 
selben in  einigen  Punkten.  Die 
Breite  des  Kreuzbeines,  welche 
beim  einfach  platten  Becken 
nicht  hinter  der  des  normalen 
zurücksteht,  ist  beim  allgemein 
verengten  platten  Becken  etwas 
geringer. 

c)  Das  allgemein 
gleichmässig  verengte 
rhachitischeBecken.  Wie 
aus  den  beschriebenen  Fällen 
mit  Bestimmtheit  hervorgeht, 
werden  bei  Rhachitismus  allge- 
mein gleichmässig  verengte 
Becken  beobachtet,  deren  Form- 
verhältnisse  jedoch  wesentlich 
von  einander  abweichen  und 
kein  einheitlich  übersichtliches 
Bild  von  dieser  Beckenform 
geben  können. 

dj  Das  in  sich  zu- 
sammengeknickte (pseu- 
d 0 - 0 s t e 0 m a  1  a c i s c h e)  Bec- 
ken stimmt  in  den  wesent- 
lichen Punkten  mit  der  Form 
des  osteomalacischen  Beckens 
überein. 

Die  Diagnose  rhachitischer  Beckeuformen  fusst  zunächst  auf  dem  Nachweise 
überstandener  Ehachitis  aus  der  Anamnese,  sowie  aus  Veränderungen  des  übrigen 
Körperskeletes.  Bei  der  äusseren  Beckeumessung  ergibt  sich  zunächst  eine  mehr- 
weniger starke  Verkürzung  des  Maasses  der  Conjugata  etc.,  relative,  ja  selbst  ab- 
solute Vergrösserung  .des  Maasses  der  Spinae  bei  massiger  Verkürzung  der  Distanz 
der  Cristae.  Gerade  die  Verringerung  des  Unterschiedes  dieser  beiden  Quermaasse 
ist  ganz  constant  und  ausserordentlich  charakteristisch  für  vorausgegangene  Ehachitis. 


AUgemein  verengtes,  plattes  rhachitisches  Becken. 
Kg.  5. 


Pseudo-osteomalacisclies  rhacliitisclies  Becken. 


70 


BECKENANOMALIEN. 


Bezüglich  des  Einflusses  auf  Schwangerschaft  und  Geburt  kann, 
da  die  diesbezüglichen  Yerhältnisse  des  einfach  platten  und  des  allgemein  gleich- 
massig  verengten  Beckens  sich  nicht  wesentlich  unterscheiden  von  denen  derselben 
Beckenform  nicht  rhachitischen  Ursprungs,  auf  das  bei  Besprechung  jener  Becken- 
formen schon  früher  Gesagte  verwiesen  werden.  Es  erübrigt  an  dieser  Stelle  nur 
noch  die  Besprechung  des  Schwangerschafts-  und  Geburtsverlaufes  beim  allgemein 
verengten,  platten  rhachitischen  Becken.  Der  Einfluss  dieser  Beckeuform  wird  sich 
gewissermassen  combiiiiren  aus  dem  des  einfach  platten  und  dem  des  allgemein  gleich- 
massig  verengten  Beckens.  Verhältnismässig  häufig  kommt  bei  dieser  Beckenfoi'm  die 
Hinterscheitelbeinlage  zur  Beobachtung.  Charakteristisch  ist  ferner  nach  Michaelis 
in  den  tieferen  Aperturen  die  späte  Rotation  des  Kopfes,  oder  die  unvollkommene 
Rotation  um  seinen  senkrechten  Durchmesser. 

In  den  leichteren  Graden  der  Verengerung  wird  beim  allgemein  verengten, 
platten  rhachitischen  Becken  die  künstliche  Einleitung  der  Frühgeburt  und  die  Zange, 
in  den  höheren  Graden  die  Perforation  und  die  Sectio  caesarea  in  Frage  kommen 
können. 

2.  Die  osteomalacischen  Beckenformeu. 

^^s  ö.  diq   Eigenthümlichkeiten,    welche    allen 

diesen  Becken  gemeinsam  sind,  sind  folgende: 

Das    Kreuzbein    ist    schmal,    und    zwar    sind 

nicht    nur    die    Wirbelkörper,    sondern    auch 

die    Flügel,    besonders     aber     die    letzteren 

schmäler  als  am  normalen  Becken.  Die  directe 

Entfernung  des  Promontorium  von  der  Kreuz- 

I  beinspitze    ist   gewöhnlich    durch  Abknickung 

des    Kreuzbeines   verringert,    in  vielen  Fällen 

auf   ein  Minimum.     Das   Promontorium  steht 

sehr  tief,    häufig    weit  unter    der  Ebene  des 

,  .j^„,         Beckeneinganges.    Mit  dem  Promontorium  ist 

f""'"^'^    I  C^i"  lä^W  M^    {       ^'     "^  ^  häufig    der  5.,    oft  auch  der  4.  Lendenwirbel 

theilweise  ins  Becken  eingetreten  und  liegt 
unterhalb  der  Ebene  des  Beckenringes.  Die 
obere  Kreuzbeinhälfte  ist  stark  geneigt,  liegt 
manchmal  selbst  horizontal.  Die  Körper  des 
Kreuzbeines  sind  ähnlich  wie  am  rhachitischen 
Becken  stärker  vorwärts  getrieben  als  die 
Flügel;  letztere  sind  geknickt  und  gefaltet 
und  zwar  verläuft  die  Faltung  vom  Körper  des  Kreuzbeines  zur  Synchondrose  als 
Ausdruck  des  Nachabwärts-  und  Vorwärtsgeschobenseins  des  ersten  Kreuzwirbelkörpers. 
Mitunter  aber  ist  zweifellos  auch  das  ganze  Kreuzbein  nach  abwärts-  und  vorwärts- 
geschoben. Die  hintere  Kreuzbeinfläche  ist  verhältnismässig  abgeplattet,  indem  sie  die 
normalen  Vorsprünge  in  geringerem  Grade  zeigt.  Die  Darmbeinschaufeln  sind  klei- 
ner als  am  normalen  Becken  und  zeigen  eine  von  der  vorderen  Fläche  des  Ileosacral- 
gelenkes  zum  vorderen  Antheile  der  Crista  oder  zu  dem  Räume  zwischen  Spina  ant. 
sup.  und  Spina  ant.  inferior  verlaufende  charakteristische  Furche,  als  Zeichen  der  Ab- 
knickung der  über  und  unter  dieser  Furche  gelegenen  Abschnitte  des  Darmbeines 
gegeneinander.  An  den  Schambeinen  sind  zunächst  die  Schenkel  der  den  unteren 
Beckenhalbring  bildenden  horizontalen  Aeste  kürzer;  sie  verlaufen  gegen  die  Symphyse 
hin  schnabelförmig  convergirend  oder  selbst  parallel  und  lassen  in  hohen  Graden  der 
Misstaltung  nur  einen  schmalen,  spaltförmigen  Raum  zwischen  sich.  Die  Knickung 
der  horizontalen  Schambeinäste  findet  sich  etwas  vor  dem  Tuberculum  ileopectineum 
in  einer  Senkrechten  mit  der  vorderen  Umrandung  der  Pfannen.  Die  Symphyse  steht 
häufig  extramedian,  dem  Promontorium  nicht  gerade  gegenüber.  Die  Sitzbeinäste 
sind    von    allen  Beckenknochen    verhältnismässig  am  meisten  genähert,    so    dass  die 


Osteomalacisches  Becken. 


BECKENANOMAI>IEN.  71 

engste  Stelle  des  Beckenausgaiiges  an  der  Synostosis  pubo-ifichiadica  sich  findet.  Der 
Scliambogen  ist  melir-weniger  halbkreisförmig.  Dieser  Jialljkreis  wird  nicht  selten 
durch  Convergenz  der  unteren  Antheile  der  absteigenden  Schainbeinäste  gegen  die 
Synostosis  pubo-ischiadica  zum  vollständigen  Kreise  ergänzt.  (Charakteristisch  für  die 
osteomalacischen  Beckenformen  sind  ferner  die  an  denselben  kaum  je  fehlenden, 
mitunter  sehr  hochgradigen  Asymmetrien.  Dieselben  erklären  sich  theils  durch  un- 
gleichmässige  Körperhaltung,  durch  Verkrümmungen  der  Wirbelsäule,  durch  un- 
gleichmässigen  Gebrauch  der  unteren  Extremitäten;  und  endlich  nicht  zum  gei'ingsten 
Theile  durch  Verschiedenheit  des  Grades  der  Erkrankungen  der  einzelnen  Knochen 
des  Beckens. 

3.  Tumoren  der  Beckenknochen. 

Osteom,  Exostose,  Osteophyt.  Die  Exostosen,  entsprechend  ihrer  Ent- 
stehung aus  Ecchondrosen,  finden  sich  dort,  wo  Knorpel  vorhanden  ist,  also  an  den 
Beckengelenken  (Promontorium,  Symphyse,  Synchondrosis  sacro  liaca). 

Eine  eigenthümliche,  geburtshilflich  wichtige  Form  des  Exostosenbeckens  ist 
das  sogenannte  Stachelbecken  (Kilian).  Das  Eigenthümliche  der  Stacheln  (oczavöa)  ist 
ihr  Sitz.  Sie  kommen  immer  an  dem  Punkte  der  Linea  innominata  vor,  wo  Ileum 
und  Os  pubis  zusammenstossen,  also  gerade  über  dem  Mittelpunkte  des  oberen 
Pfannenrandes. 

Das  Enchondrom,  nach  Viechow  eine  heteroplastische  Geschwulstforra, 
stellt  neben  dem  Beckensarcom  wohl  die  häufigste  Neubildung  am  Becken  dar. 
Fibrome  gehen  von  dem  Periost  der  Beckenknochen  aus  und  sitzen  gewöhnlich  an 
der  Crista  ilei.  Von  den  Sarcomen  wurden  Rundzellen-  und  Spindelzellenformen, 
sowie  die  weichen  Medullarsarkome  relativ  häufig  beobachtet.  Carcinom  kommt 
in  den  Knochen  des  Beckens  nie  primär,  sondern  secundär,  und  zwar  durch  Hinein- 
wuchern von  Krebs  der  Beckenorgane,  oder  als  Metastase  vor.  Die  continuirlich 
fortgeleiteten  Carcinome  haben  begreiflicherweise  wenig  geburtshilfliches  Interesse. 
Die  metastatischen  Carcinome  kommen  vor  in  Form  zahlreicher  kleinerer  und  grösserer 
isolirter  Tumoren  oder  als  krebsige  Infiltration,  ausgehend  von  der  Spongiosa. 
Letztere  Form  bringt  durch  allmäliges  Wachsthum  den  Knochen  zum  Schmelzen 
und  erzeugt  eine  der  Osteomalacie  analoge  Rarefaction  oder  Osteoporose  des  Knochens. 
Unter  dem  Drucke  der  Rumpflast  nehmen  solche  Becken  mehr-weniger  die  Gestalt 
osteomalacischer  Becken  an.  Cystenbildung  in  den  Beckenknochen  kommt  bei 
verschiedenen  Neubildungen  (Sarkomen,  Enchondromen)  vor.  Ohne  solche  kommt  es 
zur  Cystenbildung  in  den  Becl'enknochen  bei  Invasion  von  Echinococcus. 

Diagnose.  Die  bis  jetzt  beobachteten  Enchondrome  des  Beckens  gehen  von 
der  Nähe  der  Hüftkreuzbeinfuge  aus.  Für  die  Diagnose  der  Sarcome  ist  maass- 
gebend  rasches  Wachsthum  und  geringe  Consistenz;  die  Fibrome  sind  derb,  glatt,  von 
gleichmässiger  Oberfläche,  und  wachsen  langsam.  An  Carcinom  muss  man  denken 
bei  gleichzeitigem  Bestände  oder  nach  operativer  Entfernung  eines  primären  Carciuoms 
anderer  Körperregionen,  besonders  der  Mamma.  Hydatiden  der  Beckenknocheu  sind 
schwer  zu  diagnosticiren. 

Der  Einfluss  einer  Beckengeschw^ulst  auf  die  Schwangerschaft  und  Gebiu't  ist 
derselbe,  wie  der  von  Beckenverengerungen  desselben  Grades. 

4.  Fracturen  der  Beckenknochen. 

1.  Querbrüche  des  Kreuzbeines  an  der  unteren  Hälfte. 

2.  Am  Darmbein  kommen  Brüche,  besonders  am  vorderen  Antheil  der  Darm- 
beinschaufeln, und  zwar  sowohl  in  verticaler  als  in  transversaler  Richtung  vor. 

3.  Am  Sitzbein  sind  Brüche  selten,  da  dasselbe  durch  Weichtheile  gut  ge- 
schützt ist. 

4.  Am  horizontalen  Schambeinast  kommen  Brüche  in  schiefer  Richtmig  von 
oben  innen,  nach  unten  aussen  zur  Beobachtung.  Diese  Linie  verläuft  in  der  Richtung 
der  stärksten  Krümmung  durchwegs  in  poröser  Knochensubstanz  und  trifft  die 
dünnsten  Stellen  des  Knochens. 


72  BECKENANOMALIEN. 

III.  Gruppe.   Anomalien   der  Verbindung    der  Beckenknochen   untereinander. 

a)  Zu  feste  Verbindung  (Synostose). 

Synostose  der  Symphyse  kommt  nicht  nur  im  höheren  Alter,  sondern  auch  bei 
jungen  Individuen  vor.  Geburtshilfliche  Bedeutung  kommt  dieser  Anomalie  nicht  zu. 
Sehr  selten  bildet  die  Sj'nostose  einer  Hüftkreuzbeinfuge  das  erste  Glied  in  der 
Reihe  der  Veränderungen  am  Becken.  Sie  kann  dann,  wenn  sie  in  'sehr  früher 
Lebenszeit  entstanden  ist,  durch  Behinderung  des  Wachsthums  der  verschmolzenen 
Theile  eine  Asymmetrie  des  Kreuzbeines  herbeiführen.  Kommt  die  Synostose  nach 
vollendeter  Entwicklung  des  Kreuzbeines  zu  Stande,  so  ist  sie  ein  zufälliger  Befund 
und  wird  gewöhnlich  keine  Asymmetrie  des  Beckens  hervorrufen. 

Die  Form  des  Beckens,  welche  bei  primärer  Synostose  entsteht,  ist  dieselbe 
wie  die  des  NÄGELE'schen  Beckens,  doch  mit  dem  Unterschiede,  dass  hier  eine 
grössere  Mannigfaltigkeit  der  Formen  entstehen  kann  als  beim  schräg  verengten 
Becken  in  Folge  von  angeborenem  Kreuzbeinflügeldefect,  da  der  zur  Synostose  die  Ver- 
anlassung gebende  Entzündungsprocess  in  verschiedenen  Altersstufen  eintreten  kann, 
und  demgemäss  der  Grad  der  bis  dahin  erreichten  Entwicklung  des  betreffenden 
Kreuzbeinflügels  für  den  Grad  der  Asymmetrie  massgebend  sein  muss. 

Obwohl  zweifellos  die  meisten  syuostotisch  quer  verengten  Becken  dadurch 
entstehen,  dass  der  Defect  der  Kreuzbeinflügel  (vielleicht  auch  der  ileosacralen  Ge- 
lenlvspalten)  das  Primäre,  die  Synostose  aber  secundär  ist,  so  gibt  es  doch  auch 
Becken,  bei  denen  eine  ähnliche  Form  in  Folge  von  primärer  Synostose  entsteht.  In 
dieser  Weise  hat  sich  z.  B.  das  zweite  EoBERT'sche  Becken  gebildet. 

Kreuz-  und  Steissbein  sind  durch  einen  Faserknorpel  verbunden,  der  nach 
ScHw^EGEL  ohne  Unterschied  des  Geschlechtes  zwischen  dem  30.  und  40.  Lebens- 
jahre ossificirt.  Dafür  bleibt  die  Gelenkverbindung  zwischen  1.  und  2.  Steisswirbel 
länger  erhalten,  so  dass  ein  wesentliches  Hindernis  aus  der  erstgenannten  Ankylose 
sich  nicht  ergibt.  Deshalb  spielt  auch  die  Synostose  zwischen  Kreuz-  und  Steissbein 
in  der  neueren  Literatur  fast  keine  Eolle. 

b)  Lockerung  und  Trennung  der  Becken gelenke. 

Lockerung  der  Beckengelenke  bis  zur  vollkommenen  Trennung  des  Zusammen- 
hanges kommt  in  Folge  von  Vereiterung  der  Gelenke  zu  Stande.  Es  kommen  hier 
hauptsächlich  Eiterungen  in  Folge  von  Infectionen  in  Betracht  und  zwar  entwickelt 
sich  die  Gelenkseiterung  als  ein  rein  pyämischer  Process,  als  metastatische  Ent- 
zündung oder  in  Folge  einer  continuirlich  vorwärtsschreitenden  Beckenphlegmone 
(Hempel).  Eine  Lockerung  des  Symphysengelenlies  kann  auch  die  Folge  einer  ver- 
mehrten Flüssigkeitsansammlung  im  Gelenke  sein.  Auch  durch  entzündliche  Processe 
der  Gelenlvsknorpel  können  Erschlaffungen  der  Beckeugeleuke  zu  Stande  kommen. 

Eine  weitere  Disposition  zur  Zerreissung  der  Beckensymphyse  findet  sich  bei 
der  Osteomalacie  wegen  der  Lockerung  des  Zusammenhanges  zwischen  Knorpel  und 
Knochen.  Auch  Caries  und  Neubildungen  können  die  Gelenlvsverbindung  zum  Theile 
zerstören.  Eine  wichtige  Disposition  zu  Verletzungen  der  Beckengelenlie  bildet  auch 
die  Beckenform.  Hier  wäre  zunächst  das  osteomalacische,  sowie  die  allgemein  ver- 
engten Becken  zu  nennen.  Die  Verletzung  des  Beckens  erfolgt,  nicht  weil  der 
Schädel  an  sich  zu  unnachgiebig  ist,  sondern  weil  abnormer  Weise  der  geringere 
Widerstand  auf  Seite  des  Beckens  liegt.  Ein  sehr  wichtiges,  vielleicht  das  wichtigste 
Moment  beim  Zustandekommen  von  Beckenruptur  bildet  die  zur  Ueberwindung  eines 
grösseren  Hindernisses  angewandte  übermässige  Kraft  bei  der  Extraction  der  Frucht. 

Ist  es  möglich,  Infection  zu  vermeiden,  und  wird  die  Verletzung  gleich  nach 
der  Geburt  erkannt,  so  ist  die  Prognose  der  Zerreissung  der  Beckeugeleuke  eine 
günstige  zu  nennen.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  der  Literatur  scheinen  diese  günstigen 
Verhältnisse  nicht  vorhanden  gewesen  zu  sein,  denn  in  etwa  einem  Drittel  aller  Fälle 
trat  der  Tod  ein  durch  puerperale  Sepsis. 


BECKENANOMALIEN. 


73 


Fig.  7. 


IV.  Gruppe.  Anomalien  de.s  Beckens  infolj^e  von  Anomalien  der  bela.«itenden 

Skelettheile  (Wirbelsäule). 

1.  Die  spondylolisthc tischen  Bocken. 

Mit  dem   Namen    Spondylolisthesis   (von  gttoviIuXo?,  Wirbel   nnd  h)h\i-r<s\^,  das 
Herabgleiten,  öXia&aivo))  bezeichnete  Kilian  im  Jahre   1854  eine  ei''enthümlicbe    bis 
dahin  nicht  genauer  bekannte  Beckenform,  welche  nach  der  Auffassun'^  Kiliax's  ihre 
Entstehmig  einer  Verschiebung  des  letzten  Lendenwirbels  und  der  darüber  sich  auf- 
bauenden Lendenwirbelsäule  über  die  Oberfläche  des   1 .  Kreuzbeinwirbels  nach  vorne 
verdanke.    Durch  die  Untersuchungen  von  Robert,  Lambl  und  Neugebauee  wurde 
jedoch  erwiesen,  dass  es  sich  bei  der  sogenannten  Spondylolisthesis  nicht  um  eine  Ver- 
schiebung des  ganzen    letzten  Lendenwirbels,    sondern    nur    seiner    vorderen  Hälfte 
bestehend  aus  Körper,  Bogenwurzeln 
und  oberen  Gelenksfortsätzen,  handle, 
und  dass  die  hintere  Hälfte  des  letz- 
ten  Lendenwirbels    (untere  Gelenks- 
fortsätze   und    Wirbeldorn)   an  ihrer 
Stelle  bleibe.     Je  nach   dem    Grade 
dieser  Verschiebung  wird  die  untere 
Fläche     des     letzten    Lendenwirbels 
entweder    zum    grössten  Theile    auf 
der  oberen  Fläche  des  1.  Kreuzbein- 
wirbels aufruhen,  oder  dieselbe  befin- 
det   sich  auf  der  im  letzteren  Falle 
abgeschliffenen     oder     abgerundeten 
vorderen    oberen    Kante    des  ersten 
Kreuzbeinwirbels,    oder    endlich    die 
untere    Fläche    des    letzten   Lenden- 
wirbels ruht  auf  der  vorderen  Fläche 
des  ersten,  ja  selbst  zum  Theile  des 
zweiten    Kreuzbeinwirbels    auf.      In 
den  höhereu  Graden  des  Leidens  ist 
die  Kreuzbeinbasis  stark  nach  hinten 
gedrängt,  und  der  Sacralcanal  durch 
die  Belastung  des  Kreuzbeines  in  der 
Eichtung    von    vorne    und    oben  in 
sagittaler     Eichtung     verengt.     Die 
untere   Hälfte    des    Kreuzbeines    ist 
gewöhnlich   gegen    die    obere  Hälfte 
winkelig  nach  vorne  abgeknickt,  welche 
Abknickung  wohl  in  dem  ersten  Stadium  der  Krankheit  entstehen  dürfte.    Die  Darm- 
beine werden   durch    die  Eetropression    der  Kreuzbeinbasis    in    ihren    hinteren    und 
oberen  Autheilen  auseinander  gedrängt,  die  Distanz  der  Spinae  posteriores  superiores 
vermehrt.    Durch  die  aufgehobene   Beckenneigung    werden  die  Ligamenta  ileo-femo- 
ralia  stark  angespannt,    und   rotiren    dadurch  die  Hüftbeine  um   ihre  Sagittalachsen 
in  dem  Sinne,    dass  die    oberhalb    der  Pfanne    gelegenen  Theile    nach    aussen,    die 
unterhalb  gelegenen  Theile  nach  innen  treten.    Daraus  ergibt  sich  eine  Vergrösserung 
der  Quermaasse  des  grossen  Beckens,  eine  geringe  Verminderung  der  Querspannung 
des  Beckeneinganges  und  eine  bedeutende  quere  Vereugenmg  des  Beckeuausganges. 
Endlich  auch  eine  veränderte  Stellung  der  Symphysenflächeu  zu  einander,  indem  "die 
oberen   Bänder    der  Symphysis   ossium  pubis  klaffen,  die  unteren  stark  aufeinander 
gepresst    erscheinen.     Die  Beckenneigung    ist    in    den  höheren  Graden   des  Leidens 
fast  vollständig  aufgehoben. 

Als  Geburtscanal  betrachtet,  stellt  das  spondylolisthetische  Becken  einen  stark 
gekrümmten  Caual  mit  sehr  hoch  liegender  Verengerung  über  dem  Eingänge,  weiter 


Eeclite  Hälfte  der  Lumbosacralpartie  des  Prager 
spondylolisthetisohen  Beckens . 


74 


BECKENANOMALIEN. 


Beckenhölile  und  engem  Beckenausgang  dar.  Die  Verengerung  über  dem  Becken- 
eingange wird  durch  die  den  Beckeneingang  überdacliende  Lendenwirbelsäule  gebildet, 
deren  Xabepunkt  vom  oberen  Sympliysenrande  die  stellvertretende  Conjugata  bildet. 
Dieser  Xabepunkt  liegt  auf  der  Vorderfläcbe  des  2.,  3.  oder  4.  Lendenwirbels,  und 
zwar  umso  höher,  ie  höher  der  Grad  der  Wirbelverschiebung  ist.  Unterhalb  dieser 
engen  Stelle  über  dem  Beckeneingange  kommt  die  relativ  weite  Beckenhöhle,  der 
sogenamite  Zwäschenbeckenraum  Biknbaum's,  und  endlich  der  in  gerader  wie  in 
querer  Richtung  verengte  Beckenausgang. 

Das  Wesen  des  Wirbelglittes  ist  in  der,  in  jedem  Falle  sich  wiederfindenden 
Verlängerung  der  Interarticularportion  des  letzten  Lendenwirbels  zu  suchen.  Das 
Ausbleiben  der  Verschmelzung  zwischen  dem  vorderen  und  hinteren  Knochenkerne 
an  der  Stelle,  wo  wir  später  die  Interarticularportion  finden,  nennt  man  Spondylo- 
lysis  interarticularis.  Dieselbe  gibt  die  Praedisposition  ab,  aus  der  unter  Einwirkung 
der  allmäligen  oder  plötzlichen  stärkeren  Belastung  die  Spondylolisthesis  sich  ent- 
wickelt. Wir  hören  in  der  Anamnese  entweder  von  Sturz  aus  einer  bedeutenden 
Höhe  oder  von  einer  gewaltsamen  Hyperflexion  des  Rumpfes  beim  Aufheben  einer 
schweren  Last  oder  ähnlichem. 

Diagnose.  Charakteristisch  für  die  in  Rede  stehende  Anomalie  ist  der 
Habitus  des  ganzen  Körpers.  Wir  finden  Verkürzung  der  gesammten  Körperhöhe, 
sehr  starke  Lendenlordose,  Herabrücken  des  Thorax  in  das  grosse  Becken,  auffallende 
Hüftenbreite,  breites  Freiliegeu  der  Sacralbasis,  bedeutende  Entfernung  der  Spinae 
post.  sup.,  aufgehobene  Beckenneigung,  so  dass  die  äusseren  Genitalien  mit  ihrer 
Behaarung  gerade  nach  vorne  sehen,  die  Symphyse  aber  noch  über  die  Haargrenze 
des  Mons  Veneris  reicht. 

Alle  diese  Merkmale  hat  das  spondylolisthetische  Becken  mit  dem  lumbosacral- 

kyphotischen  gemeinsam. 
Kg.  8.  Wichtige    Unterschei- 

dungsmerkmale bietet  je- 
doch die  i  n  n  e  r  e  U  n  t  e  r- 
suchung.  Von  dieser 
ist  am  wichtigsten  das 
von  Beeisky  angeführte, 
durch  w^elches  sich  die 
Spondylolisthesis  sicher 
von  der  Lumbosacralky- 
phose  unterscheiden 

lässt.  Da  nämlich  der 
letzte  Lendenwirbel  bei 
Spondylolisthesis  in  höhe- 
ren Graden  des  Leidens 
auf  der  Vorderfläche  des 
Kreuzbeines  liegt,  so  las- 
sen sich  die  Lateralmas- 
sen des  Kreuzbeines  über 
den  einspringenden  Win- 
kel, sowie  zu  beiden  Sei- 
ten des  letzten  Lenden- 
wirbels nach  oben  verfol- 
gen, was  nicht  der  Fall 
sein  kann,  wenn  dieser 
Winkel  wie  bei  Kjqjho- 
sis  durch  den  nicht  dislo- 
cirten  letzten  Lendenwir- 
,     .  „  bei  und  den  ersten  Kreuz- 

Kyphosis  durch  Zerstörung  der  unteren  4  Brust-  und  oberen  ,     .        ■  t     ■,         i  •,  i    ,        •     i 

2  Lendenwirbel.  beuiwirbel  gebildet  Wird. 


BECKENANOMALIEN.  75 

Bei  einer  stellverti^etendcn  Conjugata  zwischen  8  und  9  cm  und  darüber  kann 
'das  normale  Ende  der  Geburt  abgewartet  werden.  Bei  einer  Conjugata  unter 
7^2  <^w*  wird  bei  todtem  Kinde  die  Craniotoinie,  bei  lebendem  der  Kaiserscjmitt  in- 
dicirt  sein. 

2.  Die  Beckenformen  bei  Kyphose. 

Die  Wirkung  der  Kyphose  auf  die  Beckengestalt  hängt  in  erster  Linie  von 
dem  Sitze  des  Knickungswinkels  ab.  Es  können  dabei  Veränderungen  der  Becken- 
gestalt und  seiner  Neigung  vollständig  fehlen,  solche  nur  in  geringem  Grade  vor- 
handen sein,  oder  hochgradige  Gestaltveränderungen  sich  vorfinden.  Sitzt  die  Ky])hose 
sehr  hoch,  so  wird  die  compensirende  Lordose  als  eine  Verstärkung  der  normalen 
lordotischen  Krümmung  der  Lendenwirbelsäule  sich  äussern.  Sitzt  aber  die  Kyphose 
tief,  und  zwar,  wie  es  meist  der  Fall  ist,  am  Uebergange  zwischen  Brust-  und 
Lendenwirbelsäule,  in  letzterer  selbst,  oder  gar  im  Uebergange  der  Lendenwirbelsäule 
in  das  Kreuzbein,  so  werden  bedeutende  Gestaltveränderungen  des  Beckens  die  Folge 
dieser  Wirbelsäulenverkrümmung  sein  müssen.  In  Folge  der  Einwirkung  muss  der 
oberhalb  des  Gibbus  liegende  Theil  des  Rumpfes  nach  vorne  fallen  und  demgemäss, 
wegen  mangelnder  Unterstützung  des  Schwerpunktes,  auch  der  ganze  Körper  nach 
vorne  umfallen.  Soll  nun  trotzdem  der  Körper  in  aufrechter  Stellung  balancirt 
werden,  so  muss,  damit  der  Schwerpunkt  neuerdings  hinter  oder  in  die  Drehungsaxe 
des  Beckens  zu  liegen  kommt,  die  Neigung  des  letzteren  vermindert  oder  ganz  auf- 
gehoben werden,  das  heisst,  der  ganze  Rumpf  in  jener  Drehungsaxe  des  Beckens 
nach  hinten  bewegt  werden.  Die  erste  Folge  der  Kyphose  finden  wir  also  in  einer 
aufgehobenen  oder  verminderten  Neigung  des  Beckens.  Durch  den  in  veränderter 
Richtung  von  dem  oberen  Schenkel  der  Kyphose  auf  den  unteren  Schenkel  derselben 
ausgeübten  Druck  findet  eine  Dislocation  dieses  unteren  Schenkels  nach  hinten  und 
unten  statt,  welche  sich  durch  Zug  auf  das  obere  Ende  des  Kreuzbeines  in  der 
Richtung  nach  hinten  geltend  macht.  Diese  Bewegung  des  oberen  Theiles  des  Kreuz- 
beines nach  hinten  ist  also  eine  weitere  Folge  der  veränderten  Belastungsverhältnisse 
der  Wirbelsäule;  sie  lässt  sich  erkennen  an  dem  Zurückweichen  des  Promontoriums, 
an  der  Streckung  des  ganzen  Kreuzbeines  und  der  Aufhebung  seiner  Krümmung  in 
der  Längenachse.  Aus  demselben  Zuge,  den  die  Lendenwirbelsäule  auf  die  Körper 
des  Kreuzbeines  ausübt,  erklärt  sich  ferner  die  Vermehrung  der  Concavität  des 
Kreuzbeines  in  Querrichtung.  Die  directe  Folge  des  Nachhintenweichens  der  Kreuz- 
beinbasis muss  aber  ein  Nachvornetreten  der  unteren  Theile  des  Kreuzbeines,  ins- 
besondere also  der  Kreuzbeinspitze  sein,  wodurch  die  Conjugata  des  Beckenausganges 
relativ,  im  Verhältnisse  zu  der  des  Einganges  mitunter  auch  absolut  verkürzt  wird. 
Das  Nachhintentreten  des  oberen  Kreuzbeinabschnittes  muss  aber  auch  auf  die  Lage 
der  Hüftbeinknochen  verändernd  einwirken.  Zunächst  werden  die  Ligamenta  ileosa- 
cralia  entspannt  und  dadurch  die  Winli;el  der  S-förmigen  Krümmung  abgeflacht,  dann 
werden  die  nach  hinten  tretenden  oberen  Kreuzbeinabschnitte  die  oberen  Enden  der 
Hüftbeine  auseinandertreiben,  die  Entfernung  der  Spinae  posteriores  superiores  vermin- 
dern und  die  Darmbeinschaufeln  flacher  gegen  den  Horizont  stellen.  In  demselben 
Maasse  aber,  als  die  oberen  Theile  der  Darmbeine  sich  von  der  Mittellinie  entfernen, 
werden  die  unteren  Theile  derselben  mit  den  Sitzbeinen  sich  einander  nähern  und 
dadurch  den  Beckenausgang  auch  in  Querrichtung  verengern.  Je  tiefer  nun  die 
Kyphose  sitzt,  desto  auffallender  müssen  diese  Veränderungen  sein,  nur  mit  dem 
Unterschiede,  dass  bei  LumbosacraUvyphose  in  Folge  von  cariöser  Zerstörung  eines 
oder  mehrerer  Wirbelkörper  auch  Gestaltveränderungen  des  Kreuzbeines,  wie  Sub- 
stanzverluste,   osteophytische  Wucherungen,  zu   Stande  kommen  müssen. 

Da  der  Eingang  des  Beckens  bei  Kyphose,  Pelvis  obtecta  natürlich  ausgenom- 
men, selten  ein  Hindernis  bereitet,  so  handelt  es  sich  hier  nur  um  die  Ueberwindung 
des  Hindernisses  am  Beckeuausgange.  In  leichteren  Graden  der  Verengerung  und 
bei  kräftigen  Wehen  wird  die  Geburt  wohl  gew'öhnlich  spontan  erfolgen.  Freilich 
werden  gerade  am  Ausgange,  wie  bekannt,  die  Wehen  nicht  selten  insuölcient  und 
es  kann  nothw endig    werden,    theils    wegen  Wehenschwäche,    theils  auch  wegen  des 


76 


BECKENANOMALIEN. 


Lesteliendeu  Hindernisses  die  Zange  am  Ausgange  zu  appliciren.  Es  darf  nun  hierbei 
nur  massige  Kraft  augewendet  werden,  ferner  darf  die  Zange  keine  Anwendung  fiuden- 
bei  höheren  Graden  der  Verengerung.  Als  unterste  Grenze  für  die  Zangenoperation 
ist  ein  Querdurchmesser  von  8  cm  anzusehen.  Unter  8  cm  Icönnte  nur  ein  schonender 
und  A'orsichtiger  Zangenversuch  gestattet  sein;  führt  derselbe  aber  nicht  zum  Ziele, 
dann  ist  bei  todtem  Kinde  die  Perforation,  bei  lebendem  Kinde  der  Kaiserschnitt 
oder  die  Symphyseotomie  auszuführen. 

3.  Die  Beckeuformen  bei  Skoliose. 

Nach  Rokitansky  ist  das  Becken  bei  Skoliose  coustant  schief  und  asym- 
metrisch; der  Grad  der  Asymmetrie  ist  jedoch  sehr  verschieden,  so  dass  alle  Ueber- 
gäuge  von  den  unbedeutendsten  asymmetrischen  Formen  bis  zu  den  höchsten  Graden 
der  einseitigen  Verlegung  des  Beckencanals  beobachtet  werden.  Die  ersteren  For- 
men findet  man  bei  spät  erworbener  Skoliose    und   bei    geringem  Grade    derselben; 

die  höchsten  Grade  der  Asymmetrie  sieht 
^^^'  ^'  man   in    denjenigen    Fällen,    in  denen  die 

Skoliose  in  früher  Kindheit  erworben  war 
und  ihre  Veränderungen  auf  ein  besonders 
bildsames  Becken  ausüben  konnte.  Wir 
finden  bei  der  gewöhnlichen  Form  der 
Skoliose  im  Brustsegmente,  mit  compen- 
sirender  Krümmung  im  Lendensegmente 
nach  links,  das  Kreuzbein  in  den  unteren 
Schenliel  der  Lendenkrümmung  einbezogen, 
in  Folge  dessen  das  Becken  etwas  schief  ge- 
stellt und  die  in  dem  gewählten  Beispiele 
linke  Beckenhälfte  stärker  belastet  ist  als 
die  andere.  In  Folge  der  Neigung  des 
Kreuzbeins  nach  der  Seite  der  Lenden- 
krümmung sind  der  Flügel  dieser  Seite  und 
die  anliegenden,  zwischen  ihm  und  der 
Pfanne  gelegenen  Theile  des  Hüftbeines 
comprimirt  und  sklerosirt.  Der  compri- 
mirte  Kreuzbeinflügel  ist  schmäler,  seine 
Foramina  sacralia  eng.  Von  hinten  gese- 
hen scheint  jedoch  der  schmälere  Flügel 
gleich  breit,  ja  selbst  breiter  zu  sein  als 
der  andere  in  Folge  der  nach  der  Conca- 
vität  der  Skoliose  erfolgten  Torsion  der 
Dornfortsätze.  Das  Darmbein  ist  auch  hier,  wie  in  den  meisten  Fällen  bei  über- 
wiegend einseitiger  Belastung  nach  aufwärts  verschoben,  und  zwar  durch  Druck  von 
der  Pfanne  her,  welche  ihrerseits  entsprechend  höher  steht  und  sich  mit  ihrem 
Grunde  stark  gegen  die  Beckenhöhle  vorwölbt.  Das  Becken  als  Ganzes  zeigt  schräg 
ovale  Form  mit  bedeutender  Abplattung.  Der  schräge  Durchmesser  auf  Seite  der 
Lendenskoliose  ist  der  längere,  die  Differenz  beträgt  bis  zu  2^/^  cm,  die  Distantia 
sacrocotyloidea  auf  Seite  der  Lendenskoliose  ist  meist  bedeutend  kürzer  als  die  der 
anderen  Seite. 

Die  Entstehung  der  gew'öhnlichen  Form  des  skoliotisch-rhachitischen  Be- 
ckens erklärt  sich  aus  dem  stärkeren  Pfannendrucke  auf  Seite  der  Lendenskoliose, 
durch  welche  das  Kreuzbein  comprimirt,  das  Darmbein  verschoben,  die  Pfannen  selbst 
nach  ein-  und  aufwärts  verdrängt  werden. 

Die  Diagnose  der  Beckenform  bei  Skoliose  beruht  zunächst  auf  der  Ent- 
scheidung über  die  Zeit  und  die  Ursache  des  Entstehens  der  Wirbelsäulenverkrüm- 
mung. Bei  wirklich  vorhandener  Asymmetrie  werden  die  von  Nägele  angegebenen 
äusseren  Schrägmaasse  besonders  bei  grösseren  Differenzen  Verw'erthung  finden  können. 


SkoUose  leichten  Grades. 


BECKENANOMALIEN  77 

Die  Prognose  und  Therapie  beim  skoliotisclicn  iJocken  bewegt  sich  inner- 
halb sehr  weiter  Grenzen.  Bei  nicht  rhachitischer  Skoliose  erfolgt  die  Geburt  meist 
spontan  und  leicht;  bei  rhachitischen  IJecken  kann  die  Geburt  ebenfalls  spontan 
erfolgen,  in  den  stärkeren  Graden  der  Verengerung  wird  jedocli  die  Perforation 
oder  Sectio  caesarea  kaum  zu  vermeiden  sein,  da  die  eine  Hälfte  des  Beckens  zu 
eng  ist,  um  für  den  Geburtsact  überhaupt  verwendet  zu  werden,  währenddem  die 
überbleibende  andere  Hälfte  für  sich  die  Form  eines  hochgradig  allgemein  gleich- 
massig  verengten  Beckens  aufweist.  Es  ist  deshalb  auch  ganz  gleichgiltig,  ob  hiei"bei 
der  Schädel  mit  dem  Hinterhaupte  der  weiteren  oder  der  engeren  Beckenhälfte  zu- 
gekehrt eintritt. 

4.  Die  Beckenformen  bei  Kyphoskoliose. 

Die  häufigste  Form  der  Kyphoskoliose  ist  die  lumbodorsale.  Am  Uebergange 
des  Brust-  und  Lendensegmentes  findet  sich  der  Höcker,  und  zwar  meist  nach  links 
und  hinten  abweichend.  Die  Beckengestalt  bei  dieser  Form  summirt  sich  aus  der 
Beckengestalt  bei  Kyphose  und  der  bei  Skoliose.  Da  nun  aber  die  kyphotische 
Beckengestalt  in  ihren  Einzelheiten  fast  durchgehends  den  diametralen  Gegensatz  der 
rhachitischen  Gestalt  darstellt,  so  entstehen  hier  Beckenformen,  an  denen  der  rhachi- 
tische  Charakter  zum  grössten  Theile  in  das  Gegentheil  verwandelt  erscheint.  Dem- 
gemäss  finden  wir  das  Kreuzbein,  mit  der  Basis  nach  hinten  oben,  mit  der  Spitze 
nach  vorne  gekehrt,  das  Promontorium  verhältnismässig  hochstehend.  Das  Kreuzbein, 
in  der  Regel  etwas  schmäler,  verläuft  fast  gerade  gestreckt,  zeigt  aber  trotz  dieser 
der  Kyphose  zukommenden  Eigenthümlichkeit  doch  das  convexe  Vorspringen  der 
Wirbel  vor  die  Flügel  und  die  Asymmetrie  als  Eigenthümlichkeiteu  seines  rhachitischen 
Ursprunges.  Die  Asymmetrie  ist  dadurch  charakterisirt,  dass  eine  Kreuzbeinhälfte 
comprimirt  und  schmäler,  die  Foramina  sacralia  derselben  Seite  runder  und  niedriger 
erscheinen.  In  der  Regel  ist  die  comprimirte  Kreuzbeinhälfte  diejenige,  welche  der 
Seite  der  Kyphoscoliose  entgegengesetzt  ist.  Das  gilt  jedoch  nur  für  die  gewöhn- 
lichen Formen  der  lumbodorsalen  Kyphoskoliose,  welche  durch  eine  Skoliose  im 
unteren  Lendensegmente  nach  der  entgegengesetzten  Seite  und  leichte  Lordose  com- 
pensirt  wird.  Li  Folge  der  Skoliose  im  Lendensegmente  trifft  der  stärkere  Druck 
die  der  letztgenannten  Skoliose  entsprechende  Beckenhälfte.  Die  betreffende  Beckeu- 
hälfte  wird  durch  diesen  stärkeren  Druck  gehoben,  nach  hinten,  oben  und  innen 
gedrängt,  und  erhält  eine  geringere  Neigung  als  die  andere.  Dabei  sind  aber  die 
Seitenwandbeine  unter  der  Wirkung  der  Kyphose  um  ihren  sagittalen  Durchmesser 
so  gedreht,  dass  sie  nach  oben  stark  klaffen,  nach  unten  zu  in  den  Sitzbeinen  ein- 
ander stark  genähert  sind.  Auch  sind  die  Darmbeine  in  der  Linea  terminalis  etwas 
verlängert.  Die  Schamfuge  wird  unter  dem  Einflüsse  der  stärkeren  Belastung  einer 
Beckenhälfte  nach  der  entgegengesetzten  verdrängt.  Der  Tuber  ischii  der  compri- 
mirten  Seite  ist  auch  hier  in  der  Regel  nach  aussen  gewälzt,  er  kann  jedoch  aus 
demselben  Grunde  wie  beim  skoliotischen  Becken  auch  nach  innen  verdrängt  sein. 
Demgemäss  hat  das  kyphoskoliotisch-rhachitische  Becken  folgende  Charaktere: 

Die  Conjugata  vera  ist  relativ  gegenüber  dem  Skoliosenbecken  vergrössert, 
mitunter  sogar  absolut  grösser  als  normal.  Der  gerade  Durchmesser  des  Ausganges 
ist  relativ  zu  dem  des  Einganges,  aber  auch  absolut  im  Verhältnis  zum  normalen 
Becken  verkürzt.  Das  Kreuzbein  ist  gestreckt  und  in  die  Länge  gezogen,  die 
Spinae  ant.  sind  weit  von  einander  entfernt,  ebenso  ist  der  vordere  Querdurchmesser 
des  Einganges  relativ  gross.  Der  Querdurchmesser  des  Ausganges  ist  absolut  kleiner, 
meist  sogar  beträchtlich  verkürzt.  Am  Eingange  des  Beckens  ist  der  grosse  Quer- 
durchmesser immer  noch  der  grösste  trotz  der  Verlängerung  der  Conjugata,  verläuft 
jedoch  ganz  wie  beim  rhachitischen  Becken  sehr  nahe  dem  Kreuzbein,  entgegengesetzt 
dem  Verhalten  beim  normalen  und  beim  kyphotischen  Becken.  Da  ferner  der  vor- 
dere Querdurchmesser  sehr  nahe  der  Schamfuge  liegt,  so  liegen  vorderer  imd  hin- 
terer Querdurchmesser  sehr  weit  aus  einander. 


78 


BECKENANOMALIEN. 


Bezüglicli  der  Prognose  und  Therapie  muss  auf  das  beim  k3'i)liotisclien 
Becken  und  beim  skoliotisch-rbacbitiscben  Becken  Gesagte  verwiesen  werden.  In  der 
Regel  geben  diese  Becken,  wenn  sie  rhacbitiscben  Ursprunges  sind,  die  Indication  zur 
Perforation  oder  Sectio  caesarea.  Nur  in  den  leicbteren  Graden  ist  die  Prognose 
für  die  Geburt  günstiger  und  kann  sogar  auf  spontanen  Geburtsverlauf  gerechnet 
werden. 

5.  D  i  e     Beckenformen     bei     symmetrischer     und     asymmetrischer 
Assimilation  (Schaltwirbelbildung,  Spondyloparembole). 

Yon  den  sämmtlichen  Wirbeln  ist  der  5.  Lendenwirbel  den  grössten  individuellen 
Schwanlvungen  unterworfen.  Wir  finden  an  ihm  alle  Uebergänge  von  der  Form  eines 
rein  lumbalen  zu  der  eines  vollkommen  sacralen  Wirbels. 

Beginnen  wir  zunächst  mit  den  leichter  verständlichen  und  besser  bekannten 
Fällen  von  asymmetrischer  Assimilation.  Der  asymmetrisch  entwickelte  Wirbel  kann 
hierbei  der  letzte  Lendenwirbel  oder  noch  häufiger  der  erste  Kreuzbeinwirbel  sein. 
Die  Asymmetrie  besteht  darin,  dass  auf  einer  Seite  ein  Flügel  mehr  oder  weniger 
volllvommen  entwickelt  ist,  derselbe  aber  auf  der  anderen  Seite  fehlt  oder  weit 
schwächer    entwickelt    erscheint.     Der    besser    entwickelte    Flügel    tritt    in   Contact 

seitlich  mit  dem  Darmbeine, 
^'^-  ^°-  nach  unten  mit  dem  Flügel 

des  nächsten  Sacralwirbels 
und  ist  daselbst  knöchern 
mit  dem  anliegenden  Kno- 
chen verschmolzen  oder 
durch  eine  Knorpelfuge  von 
ihm  getrennt. 

Auf  der  Seite  der 
mangelhaften  Entwicklung 
des  Flügel  kann  ein  vollkom- 
mener oder  theilweiser  Er- 
satz von  dem  Flügel  des 
nächsten  Sacralwirbels  gebil- 
det werden  dadurch,  dass 
letzterer  stärker  entwickelt 
ist  und  ersterem  gewisser- 
massen  entgegenwächst.  Das 
Becken  bleibt  in  solchen 
Fällen  symmetrisch.  Fehlt 
aber  ein  solcher  Ersatz  und 
besteht  eine  zweifellose  Un- 
gleichheit in  der  Vertheilung 
der  Seitenmassen  des  be- 
treifenden Wirbels,  dann 
sinlit  der  Wirbelkörper  nach 
der  minder  entwickelten 
Seite  herab,  da  er  auf  dieser  Seite  mangelhaft  unterstützt  wird  und  es  entwickelt 
sich  eine  nach  derselben  Seite  convexe  Skohose  der  Lendensäule.  Durch  dieses  ge- 
änderte Verhältnis  in  der  Uebertragung  der  Rumpflast  wird  die  Seite  der  geringeren 
Entwicklung  einem  stärkeren  Drucke  ausgesetzt,  der  sich  in  Abplattung  der  be- 
treffenden Beckeuhälfte  von  der  Pfanne  aus,  in  Verschiebung  des  Darmbeines  nach 
hinten  oben,  der  Symphyse  nach  der  entgegengesetzten  Seite  äussert.  Die  Ver- 
änderungen werden  also  hier  kurz  gesagt  dieselben  sein  wie  bei  primärer  Skoliose. 
Nur  ist  hier  die  Skoliose  nicht  primär,  sondern  secundär  in  Folge  der  mangelhaften 
Unterstützung  des  asymmetrischen  Wirbels  auf  Seite  der  mangelhaften  Entwicklung. 
Der  Entstehungsmechanismus  dieser  Becken  ist  von  Hohl  und   neuestens   besonders 


AsjTnmetrisclies  Assimilationsbecken. 


BECKEN  ANOMALIEN. 


79 


von  H.  V.  Meyek  aufgedeckt  worden.  Natürlich  werden  die  Verschiebungen  der 
beiden  Beckenhälften  umso  auffallender  sein,  je  weicher  und  bildsamer  das  Becken 
zur  Zeit  der  ersten  Belastung  war. 

Wesentlich  com- 
lilicirter      ist     die  ^*»-  ^^• 

Sachlage  bei  sym- 
metrisch e  n  A  s- 

similationen. 

Zunächst  ist  schon 

die  Deutung  eines 

überzähligen 

Kreuzbeinwirbels 
schwierig,  ja  un- 
möglich, wenn  nicht 
die  ganze  Wirbel- 
säule vorliegt.  Han- 
delt es  sich  um  ein 
Kreuzbein  von  6 
Wirbeln,    so  kann 

der  überzählige 
Wirbel  in  der  Ge- 
sammtreihe  der  24. 
(obere  Assimila- 
tion) oder  der  30. 
(untere  Assimila- 
tion) sein.  Für  die 

erstere     spricht 
Hochstand  des  Pro- 
montoriums    über 

der  Beckeneingangsebene,  sowie  Persistiren  der  Bandscheibe  zwischen  dem  ersten 
und  zweiten  Wirbel,  für  letztere  das  Vorhandensein  der  Cornua  coccygea  an  dem 
letzten  mit  dem  Kreuzbein  verschmolzenen  Wirbel.  Auf  die  Gestaltung  des 
Beckens  haben  diese  Anomalien  nur  dann  Einfluss,  wenn  hierbei  das  Promontorium 
hoch  steht,  der  Promontoriumwinkel  aber  wenig  entwickelt  ist.  Eine  wesentliche 
Störung  in  der  Haltung  der  I^endenwirbelsäule  wird  das  Resultat  einer  solchen 
Anomalie  sein;  die  Lendenwirbelsäule  wird  ihre  normale  Krümmung  nicht  mehi* 
besitzen,  sie  wird  einen  zusammen  mit  dem  Kreuzbein  mehr  gestreckten  Verlauf  neh- 
men. Bei  normaler  Beckenneigung  würde  nun  aber  eine  derart  gestreckte  Len- 
densäule den  Schwerpunkt  des  Rumpfes  weiter  nach  vorne  tragen  als  dies  die  nor- 
malen Gleichgewichtsverhältnisse  gestatten  und  der  Rumpf  müsste  nothwendig  nach 
vorne  überfallen.  Diese  Störung  des  Gleichgewichtes  wird  in  der  Art  compensirt, 
dass  die  Beckenneigung  bedeutend  verringert  und  das  so  entstandene  Plus  an  Com- 
pensation  durch  leichtes  Vorwärtsneigen  des  Oberkörpers  ausgeglichen  wird.  Der 
kyphotische  Charakter  dieses  Beckens  ist  an  der  Sagittal-  und  der  Horizontalprojec- 
tion  deutlich  erkennbar. 


Symmetrisclies  Assimilationsbecken. 


V.  Gruppe,    ßeckenanomalien    in  Folge     von    Krankheiten     der     belasteten 
Skelettlieile  (untere  Extremitäten). 

1.  Die  Beckenformen  bei  Coxalgie. 

Die  Formveränderungen  des  Beckens  bei  Coxalgie,  wenn  dieselbe  einseitig  auf- 
tritt, sind  leicht  zu  verstehen,  wenn  man  bedenkt,  dass  wegen  des  schmerzhaften 
Gelenksleidens  die  Körperlast  fast  ausschliesslich  auf  die  andere  (gesunde)  Seite 
übertragen  wird.  Nicht  die  Coxalgie  als  solche,  sondern  nur  die  veränderten  Be- 
lastunesverhältnisse  des  Beckens  bringen  die  Difformität  zustande. 


80 


BECKENANOMALIEN. 


Das  durcli  diese  einseitige  Uebertragung  der  Körperlast  zu  Staude  kommeude 
Becken  ist  ein  schräg  ovales,  das  viele  Aebuliclikeit  hat  mit  dem  NlGELE'scheu, 
sich  aber  doch  iu  einigen  wesentlichen  Punkten  von  letzterem  unterscheidet.  In  Folge 
der  einseitigen  Uebertragung  der  Körperlast  wird  auf  die  gesunde  Pfanne  ein  über- 
wiegender Druck  ausgeübt.  Dieser  einseitige  Druck  auf  die  gesunde  Pfanne  bewirkt, 
dass  das  Hüftbein  derselben  Seite  nach  ein-,  auf-  und  rückwärts  verschoben,  seine 
Neigung  verringert  und  die  Schamfuge  nach  der  anderen  Seite  hinübergedräugt  wird; 
dass  der  horizontale  Schambeiuast  der  gesunden  Seite  höher  steht  und  mehr  gegen 
die  Beckenhöhle  hineinragt,  dass  die  Spinae  anteriores  ossium  ilei  höher  und  weiter 

zurück  liegen;   die 
^ig  12.  Mündung    der    ge- 

sunden Pf  anne  mehr 
nach  vorne,  die  der 
Kranken  mehr  nach 
aussen  sieht;  dass 
der  vordere  Band 
der  Darmbeinplatte 
mehr  nach  innen 
gedrängt,  dadurch 
die  S-förmige  Bie- 
gung der  Crista  ver- 
stärkt, die  directe 

Entfernung  zwi- 
schen Spina  ante- 
rior superior  und 
posterior,  superior 
kleiner  ist,  so  dass 
das  Darmbein  ver- 
kürzt erscheint,  in 
Wirklichkeit  aber 
dieselbe  Länge  hat 
wie  das  der  an- 
deren Seite,  oder 
aber    letzteres    an 

Länge  sogar  übertrifft,  wie  Messungen  längs  des  Darmbeinkammes  mit  Faden  erge- 
ben. Die  Linea  arcuata  des  Darmbeines  scheint  ebenso  verkürzt,  doch  erklärt  sich 
diese  scheinbare  Verkürzung  aus  der  Verschiebung  des  Darmbeines  nach  hinten.  Bei 
der  Verschiebung  des  Hüftbeines  am  Kreuzbein  wird  letzteres  nicht  selten  um 
seine  Längenachse  gedreht  und  zwar  im  Sinne  der  stattfindenden  Bewegung,  so 
dass  die  vordere  Fläche  mehr  der  gesunden  Seite  zugekehrt  erscheint  und  die 
Asymmetrie  der  beiden  Seitenhälften  vorne  stärker  ausgeprägt  ist  als  auf  der 
hinteren  Fläche  des  Kreuzbeines  und  die  Kreuzbeinlöcher  der  gesunden  Seite  vorne 
schmäler  sind  als  hinten. 

2.  Die  Beckenformen  bei  einseitiger  Luxation  des  Schenkel- 
kopfes. 

Die  Becken  mit  einseitiger  Luxation  des  Schenkelkopfes  zeigen  die  mannig- 
fachsten Veränderungen.  Sie  sind  bald  schräg  verengt,  bald  symmetrisch,  bald  auf 
der  gesunden,  bald  auf  der  kranken  Seite  enger.  Das  Kreuzbein  neigt  in  einzelnen 
Fällen  nach  der  kranken,  in  anderen  wieder  nach  der  gesunden  Seite,  so  dass  es 
fast  den  Anschein  haben  könnte,  als  ob  in  diese  Regellosigkeit  keine  Gesetzmässig- 
keit gebracht  werden  könnte,  und  doch  gelingt  dies,  wenn  man,  wie  Leopold  dies 
gethan,  die  jugendlichen  von  den  erwachsenen,  die  Becken  mit  angeborener  von  denen 
mit  erworbener  Luxation,  endlich  die  Becken  vor  und  nach  Gebrauch  der  Extremi- 
täten auseinander  hält. 


Cosalgisches  Becken. 


BECKENANOMALIEN.  81 

Wir  besprechen  vorerst  die  angeborenen  Luxationen.  Dabei  können 
die  unteren  Extremitäten  noch  nicht  gebraucht  worden  sein,  oder  das  Individuum 
hat  sie  gebraucht.  Solange  das  Individuuni  nur  liegt,  wird  zunächst  Atrophie  der 
luxirten  Beclienhälfte  eintreten;  diese  Atrophie  zeigt  sich  in  erster  Linie  an  der 
Pfanne,  dem  Sitzbein  und  dem  Oberschenl<el.  Die  mangelhaft  entwickelte  Pfanne 
hält  die  einzelnen  Theile  der  Heitenbeckenknochen  weniger  kräftig  auseinander. 
Dieselben  nähern  sich,  das  Darmbein  neigt  sich  mehr  nach  vorne.  Ferner  wird 
durch  den  Zug  der  vom  Tuber  ischii  zum  Trochanter  maior  ziehenden  Muskeln  der 
Tuber  ischii  nach  aufwärts  gezogen  und  der  absteigende  Schambeinast  bleibt  ebenso 
wie  der  aufsteigende  Sitzbeinast  in  der  Entwicklung  zurück.  Durch  den  Druck  des 
Schenkelkopfes  auf  die  Aussenfläche  des  Darmbeins  wird  das  letztere  steiler  gestellt. 
Diese  Atrophie  der  luxirten  Beckenhälfte  bedingt  ein  stärkeres  Nachvornetreten 
des  Kreuzbeinflügels  der  betreffenden  Seite,  wobei  jedoch  das  Promontorium  der 
Schamfuge  gegenüber  stehen  bleibt. 

Beginnt  das  Kind  zu  sitzen,  so  fällt  das  Becken  wegen  höheren  Standes  des 
Tuber  ischii  der  kranken  Seite  mehr  auf  diese  und  damit  wird  auch  die  Körperlast 
mehr  auf  diese  übertragen.  In  Folge  dessen  neigt  sich  das  Kreuzbein  auf  diese  Seite 
und  die  Differenz  der  Weite  der  beiden  Beckenhälften  wird  noch  grösser,  zu  Un- 
gunsten der  luxirten  Seite.  Durch  den  stärkeren  Druck  auf  den  Tuber  der  kranken 
Seite  wird  dieser  nach  innen  und  oben  gedrängt.  Der  schräge  Durchmesser  der 
kranken  Seite  wird  dadurch  der  weitere,  der  andere  der  engere. 

Werden  bei  dieser  Beckenform  nun  die  unteren  Extremitäten  gebraucht,  so 
fällt  der  Schwerpunkt,  der  bei  normalem  wie  bei  abnormem  Becken  in  die  Mitte 
der  beide  Schenkelköpfe  verbindenden  Linie  fallen  muss,  nunmehr  mehr  nach  der 
kranken  Seite.  Dadurch  wird  aber  die  Neigung  des  Kreuzbeines  nach  dieser  Seite 
noch  verstärkt,  und  die  hintere  Beckenhälfte  wird  noch  stärker  abgeflacht  als  vor- 
dem. Während  aber  der  Schenkelkopf  der  gesunden  Seite  mit  voller  Kraft  die 
Pfanne  drückt  und  den  vorderen  Beckeneingang  abzuflachen  strebt,  erfährt  auf  der 
luxirten  Seite  die  normale  Pfannengegend  gar  keinen  Druck,  sondern  der  Druck 
wirkt  höher  oben  auf  die  Aussenfläche  des  Darmbeines  ein,  und  gleichzeitig  üben  das 
Ligamentum  ileo  femorale  und  die  Gelenkskapsel,  wie  auch  die  Muskeln  zwischen 
Tuber  und  Trochanter  einen  starken  Zug  auf  den  vorderen  Beckenhalbring  in  der 
Richtung  nach  aussen  und  oben  aus.  Dadurch  wird  die  Beckenhälfte  der  luxirten 
Seite,  die  vor  dem  Gebrauche  der  Extremität  die  engere  war,  nunmehr  die  weitere. 
Die  Schambeinfuge  wird  durch  den  stärkeren  Zug  auf  die  luxirte  Beckenseite  ge- 
zogen, dagegen  streckt  sich  die  Linea  arcuata  auf  der  gesunden  Seite.  Nunmehr 
ist  das  umgekehrte  Verhältnis  der  schrägen  Durchmesser  eingetreten.  Der  der  luxirten 
Seite  angehörige  ist  nun  der  engere   geworden. 

Betrachten  wir  nun  die  Veränderungen,  welche  das  Becken  bei  erworbener 
Luxation  erfährt.  Tritt  die  Luxation  im  jugendlichen  Alter  ein  und  werden  die 
unteren  Extremitäten  nicht  gebraucht,  so  erfolgen  fast  die  gleichen  Veränderungen, 
wie  wir  sie  eben  bei  angeborener  Luxation  vor  Gebrauch  der  Extremitäten  kenneu 
gelernt,  nur  ist  die  Atrophie  weniger  hochgradig.  Tritt  die  Luxation  jedoch  bei 
erwachsenen  Individuen  ein,  ohne  dass  die  unteren  Extremitäten  gebraucht  werden, 
so  wird  die  Beckenhälfte  der  luxirten  Seite  weiter,  da  die  Beckenknochen  dem  steten 
Zuge  des  Ligamentum  ileo-femorale  und  des  Psoas  ausgesetzt  werden.  Die  Stellung 
des  Kreuzbeines  wird  jedoch  nicht  wesentlich  beeinflusst. 

Werden  bei  erworbener  Luxation  die  unteren  Extremitäten  gebraucht,  so  wer- 
den die  Veränderungen  in  der  gleichen  Richtung  erfolgen  bei  jugendlichen  wie  bei 
erwachsenen  Individuen,  nur  natürlich  bei  ersteren  in  viel  höherem  Grade.  Auch 
hier  ergibt  sich  eine  hohe  Aehnlichkeit  mit  den  Veränderungen,  welche  wir  bei  an- 
geborener Luxation  nach  Gebrauch  der  Extremitäten  kennen  gelernt  haben,  doch 
bestehen  nichtsdestoweniger  wesentliche  Unterschiede.  Es  fehlt  hier,  wo  die  Luxa- 
tion erworben  ist,  die  hochgradige,  angeborene  Atrophie  der  luxirten  Beckenhälfte. 
Es  fällt  also  die  Rumpflast  nicht  so    sehr    nach  dieser  Seite   als  vielmehr  nach  der 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  b 


82 


BECKENANOMALIEN. 


gesunden,  weil  ja  doch  diese  Extremität  besser  zum  Gehen  und  Stehen  verwendbar 
ist  als  die  luxirte.  Es  neigt  sich  also  auch  das  Kreuzbein  weit  stärker  nach  der 
gesunden  Seite  und  wird  der  vordere  Beckenhalbring  stärker  abgeflacht,  so  dass 
bedeutendere  Asymmetrie  imd  zweifellose  schräge  Verengerung  die  Folge  sein  muss. 
Der  stärkere  Druck  der  Kürperlast  auf  der  gesunden  Seite  führt  bei  diesen  Becken 
nicht  selten  zu  Ankylose  der  Hüftkreuzbeinfuge  derselben  Seite. 

3.  Die  Beckenformen   bei   doppeltseitiger   Luxation   der 
Schenkelköpfe. 

In  den  Fällen  von  Entwicklung  des  Schenkelkopfes  an  abnormer  Stelle  sind 
die  zum  Schenkel  ziehenden  Muskeln  ebenfalls  anormal  gebildet,  einestheils  kürzer, 
andererseits  länger,  entsj)rechend  der  veränderten  Stellung  des  Schenkelkopfes.  Ein 
abnormer  Zug  durch  diese  Muskeln  auf  das  Becken  wird  also  insolange  nicht  aus- 
geübt werden,  als  der  Druck  der  Körperlast  noch  nicht  auf  das  Becken  einwirkt. 
Solche  Becken  haben  also  gewöhnlich  die  normale  Form  des  fötalen  Beckens. 

Anders  verhalten  sich  die  Becken,  in  denen  thatsächlich  Luxation  stattgefunden. 
Die  für  die  normale  Entwicklungsstätte  des  Schenkelkopfes  in  genügender  Länge 
entwickelten  Muskeln  werden  durch  die  Luxation  theils  zu  kurz,  theils  zu  lang.  Die 


Fig.  13. 


liuxation  beider  Schenkelköpfe  nach  hinten  oben. 

ersten  Veränderungen  wird  dieses  Becken  theils  durch  stärkeren  Zug  seitens  der 
gedehnten,  theils  durch  schwächeren  Zug  seitens  der  erschlafften  Muskeln  erfahren; 
deshalb  wh'd  schon  jetzt  der  Tuber  ischii  nach  aussen-  oben  gezogen,  die  Darmbein- 
platte wegen  des  geringen  Zuges  eine  mehr  steile  Stellung  annehmen. 

Diese  A''eränderungen  werden  sich  also  zu  einer  Zeit  einstellen,  wo  das  Kind  seine 
Extremitäten  noch  gar  nicht  zum  Gehen  oder  Stehen  gebraucht,  also  vor  der  Zeit  der 
Einwirkung  der  Rumpflast. 

Mag  nun  das  Becken  in  dieser  Weise  präformirt  sein  oder  nicht,  immer  sind 
die  Endresultate,  wenn  einmal  die  Körperlast  unter  den  durch  die  Luxation  verän- 
derten Bedingungen  eingewirkt  hat,  dieselben.  Beginnt  das  Kind  zu  sitzen,  so  werden 
die  ersten  Veränderungen,  die  auch  normaler  Weise  das  Fötalbecken  zum  Becken 
des  Erwachsenen  umformen,  damit  beginnen,  dass  das  Kreuzbein  unter  dem  Drucke 
der  Rumpflast  nach  vorne  sinkt.     Nui'  wird  diese  Bewegung  in  viel  höherem  Masse 


BECKENANOMALIEN. 


83 


erfolgen  als  beim  normalen  Becken,  da  bei  letzterem  der  Gegendruck  des  Schonkol- 
kopfes sehr  bald  sich  geltend  macht  und  damit  die  Drehung  der  Darmljoine  um 
eine  Yerticalachse  hemmt,  während  beim  Luxationsbecken  dieser  Gegendruck  fehlt 
oder  doch  wenigstens  nicht  an  normalen  Stellen  vorhanden  ist.  Mit  dem  stärkeren 
Vortreten  des  Kreuzbeines  wird  aber  die  Querspannung  des  Beckens  wegen  des  feh- 
lenden Druckes  an  der  Stelle  der  Pfannen  grösser  werden.  Beginnen  die  Kinder 
zu  stehen  oder  zu  gehen,  dann  wird  ferner  wegen  Verlegung  des  Unterstützungs- 
punktes nach  hinten  (Schenkelknochen)  auch  der  Schwerpunkt  nach  hinten  vorlegt 
werden  müssen,  was  durch  lordotische  Einbiegung  der  Lendenwirbelsäule  und  damit 
durch  stärkere  Beckenneigung  geschieht.  Durch  die  stärkere  Beckenneigung  wird 
der  Angriffspunkt  für  die  Körperlast  auf  das  Kreuzbein  in  dem  Sinne  günstiger, 
dass  die  Basis  des  Kreuzbeines  noch  weiter  nach  vorne  ausweicht,  während  die 
Spitze  durch  den  Zug  der  Ligg.  tuberososacra  seitens  der  nach  vorne  und  aussen 
tretenden  Tubera  ischii  am  Ausweichen  im  entgegengesetzten  Sinne  gehindert  wird. 
Durch  diese  Bewegung  vom  Promontorium  und  Kreuzbeinspitze  in  gleichem  Sinne 
wird  die  Krümmung  des  Kreuzbeins  in  senkrechter  Richtung  gesteigert.  In  demselben 
Masse  wird  aber  wieder  die  Querspannung  des  kleinen  Beckens  vergrössert,  während 
die  nach  aufwärts  dislocirten  Schenkelköpfe  ihre  die  Querspannung  hemmende  Kraft 
nur  auf  das  grosse  Becken  zu  äussern  vermögen,  und  dadurch  die  Darmbeinschaufeln 
sehr  steil  stellen.  Da  ferner  die  Schenkelköpfe  durch  die  neugebildeten  rudimentären 
Pfannen  beiweitem  nicht  so  sicher  an  der  Aussenfläche  der  Darmbeine  gehalten 
werden,  wie  durch  die  normalen  Pfannen,  so  schwebt  das  Becken  an  den  oberen 
Oberschenkelenden  mittels  der  von  diesen  zum  Tuber  ischii  ziehenden  Muskeln  wie 
eine  Wagenkutsche  an  den  Riemen  zwischen  den  Federn  und  es  erfährt  der  Tuber 
ischii  dabei  einen  starken  Zug  nach  aufwärts  und  aussen,  wodurch  der  Ausgang  quer 
erweitert  wird. 

Die  Charaktere  des  Beckens  sind  demnach:  starke  Neigung,  Verengerung  der 
Conjugata  des  Beckeneinganges,  Vergrösserung  des  queren  Durchmessers  des  Einganges, 
sowie  sämmtlicher  Durchmesser  des  Ausganges,  Kürze  des  ganzen  Beckencanales, 
steile  Stellung  der  Darmbeine. 

Die  Geburt  bei  diesen  Beckenformen  verläuft  in  ähnlicher  Weise  wie  bei  plat- 
tem Becken;  die  Verengerung  in  der  Richtung  der  Conjugata  des  Einganges  ist  selten 
bedeutend. 

4.  Die  Beckenformen  bei  Klumpfuss,  bei  Fehlen   oder  Verküm- 
merung einer  oder  beider  unterer  Extremitäten. 

Bei  dem  Becken 
mit  beiderseitigem,  ange- 
borenem Klumpfuss  steht 
das  Promontorium  ausser- 
ordentlich tief,  die  Pfan- 
nengegend und  die  Tu- 
bera ischii  sind  nach  in- 
nen getrieben,  besonders 
stark  die  letzteren,  so 
dass  das  Becken  die 
Trichterform  erhält  urd 
einen  sehr  schmalen  An- 
gulus  pubis  aufweist;  end- 
lich sind  beide  Hüftbeine 
der  Mittellinie  etwas 
genähert. 

Ein  Fall  von  Feh- 
len beider  unterer 
Extremitäten  ist  von 
Holst    bei    einem   40-jäh- 


Fig.  li. 


Beckenform  bei  beiderseitiger  KhimpfussbilduBg. 


6* 


84  BECKENENDLAGEN. 

rigen  Weibe  besclirieben  worden.  Wegen  dieses  Defectes  beider  Extremitäten  konnte 
das  Becken  nur  zum  Sitzen  verwendet  werden  (Sitzbecken).  Das  Becken  (an  der  Lebenden 
nntersucht)  war  stark  abgeplattet,  die  Tnbera  ischii  weit  auseinander  gedrängt  (15  cm), 
die  Cristae  einander  genähert  (20^4  cm),  so  dass  die  Hüftbeine  um  eine  sagittale  Axe  gedreht 
erschienen. 

Das  Fehlen  einer  unteren  Extremität  führt  nur  dann  zur  Verhildung  des 
Beckens,  wenn  .  kein  künstlicher  Ersatz  für  die  Extremität  benützt  wurde.  Auch 
hier  ist  einseitige  Belastung  nothwendig.  Diese  Anomalie  ist  jedoch  sehr  selten, 
und  zwar  erstens  wegen  der  Seltenheit  von  Amputation  unterer  Extremitäten  bei 
weiblichen  Individuen,  zweitens  wegen  der  Seltenheit  des  Eintrittes  von  Schwanger- 
schaft unter  dieser  Voraussetzung. 

FRIEDEICH    SCHAUTA. 

Beckenendlagen  {Unterendlagen)  sind  solche  Lagen,  bei  welchen  sich 
der  Fötus  entweder  mit  dem  Steiss  und  beiden  Füssen  (Steissfersenlage) 
oder  mit  dem  Steiss  allein  (Steisslage)  oder  mit  dem  Steiss  und  einem 
Fuss  (halbe  Steisslage  oder  unvollkommene  Fusslage)  oder  endlich 
mit  beiden  Füssen  allein  (Fusslage)  zur  Geburt  stellt.  Man  hat  auch  als 
Knielage  bezeichnet,  wenn  bei  gestreckter  Haltung  des  Fötus  statt  der  Füsse 
die  Kniee  vorliegen,  doch  ist  dies  nur  transitorisch  und  imterscheidet  sich 
diese  Modification  in  ihrem  Verlaufe  gar  nicht  von  der  Fusslage.  Ueberhaupt 
kann,  so  lange  nur  erst  die  Füsse  allein  oder  die  Kniee  sich  im  Beckencanal 
befinden,  von  einem  geregelten  Geburtsmechanismus  nicht  die  Rede  sein,  da 
diese  Theile  den  Beckencanal  bei  weitem  nicht  ausfüllen,  also  auch  von  dessen 
Wänden  ein  Einfluss  auf  ihre  Fortbewegung  oder  Drehungen  u.  dergl.  nicht 
ausgeübt  wird.  Erst  wenn  das  Becken  des  Fötus  in  das  mütterliche  Becken 
eintritt,  macht  sich  dieser  Einfluss  geltend  und  kommt  es  jetzt  zu  einem  ge- 
regelten Geburtsmechanismus,  welcher  im  wesentlichen  für  die  verschiedenen 
Modificationen  oder  Arten  der  Beckenendlagen  derselbe  ist.  Da  aber  bei  gleichem 
Geburtsmechanismus  der  sonstige  Verlauf  einer  Unterendgeburt,  je  nachdem 
der  Steiss  oder  ein  oder  beide  Füsse  (Kniee)  die  Leitspitze  bilden,  bemerkens- 
werthe  V^erschiedenheiten  zeigt,  auf  welche  wir  später  zurückkommen  werden, 
so  lässt  es  sich  rechtfertigen,  wenn  man  zwischen  Steisslagen,  Fusslagen  und 
halben  Steisslagen  oder  unvollkommenen  Fusslagen  unterscheidet. 

Bei  noch  uneröffnetem  Ei,  zu  Beginn  der  Geburt  hat  der  in  Becken- 
endlage befindliche  Fötus  im  wesentlichen  dieselbe  Haltung,  wie  bei  Ober- 
endlage, sie  ändert  sich  aber  meist  im  Verlaufe  der  Geburt,  indem  selten 
die  Fersen  am  Steiss  liegen  bleiben,  sondern  entweder  beide  Beine  dadmxh, 
dass  sie  durch  den  Rand  des  Beckens  am  Hinunterrücken  gehindert  werden, 
sich  hinaufschlagen  —  Steisslage  —  oder,  indem  der  Steiss  auf  dem 
Becken  hängen  bleibt,  sich  vollkommen  strecken  und  zuerst  nach  unten  treten 
—  Fusslage  —  oder  indem  ein  Bein  am  Steiss  liegen  bleibt  oder  hinauf- 
geschlagen, das  andere  aber  vollkommen  nach  unten  gestreckt  wird  —  un- 
vollkommene Fusslage  oder  halbe  Steisslage.  Wie  bei  Obereudlage 
unterscheiden  wir  auch  bei  Beckenendlage  zwischen  erster  und  zweiter 
Stellung,  je  nachdem  der  Rücken  des  Kindes  der  linken  oder  rechten 
Mutterseite  zugekehrt  ist,  dabei  entweder  gerade  zur  Seite  gerichtet  oder  mehr 
nach  vorn  oder  nach  hinten,  was  von  Manchen  ziu-  Unterscheidung  von 
Unterarten  —  Rücken  vorn:  erste  Unterart,  nach  hinten:  zweite  Unter- 
art —  benutzt  wird,  aber  nicht  nothwendig  ist.  Die  erste  Stellung  ist  un- 
gefähr dreimal  so  häufig,  als  die  zweite. 

Was  die  Frequenz  der  Beckenendlagen  überhaupt  anlangt,  so  berechnet 
Schröder  dieselbe  auf  3-11%  aller  Geburtsfälle.  Bei  ausgetragenen  Kindern  und  einfacher 
Geburt  sind  sie  aber  noch  um  die  Hälfte  seltener,  da  unreife  Früchte  viel  häufiger,  als 
reife  in  Beckenendlage  geboren  werden  und  umsomehr,  je  früher  die  Geburt  erfolgt  und 
besonders,  wenn  es  sich  um  bereits  abgestorbene  Früchte  bandelt.  Worin  das  so  bedeutende 
Ueberwiegen  der  Oberendlagen  gegenüber  den  Beckenendlagen  begründet  ist,  mag  hier  un- 


BECKENENDLAGEN.  85 

erörtert  bleiben,  so  viel  nur  sei  erwähnt,  dass  eine  im  Verhältnis  zum  Fruchtvolum  zu 
grosse  Geräumigkeit  der  Uterushöhle  und  Schlaffheit  ihrer  Wandungen,  welche  dem  Fötus 
eine  grosse  passive  und  active  Beweglichkeit  gestatten,  als  wesentliclio  Ursache  für  Becken- 
endlagen sich  geltend  macht.  Deshalb  beobachten  wir  solche  vorwiegend  bei  Mehrgebärenden, 
bei  Hydramnios,  bei  mehrfachen  Früchten  und  bei  Frühgeburten,  besonders  mit  todtem 
Fötus.  Nach  Zusammenstellungen  von  über  32000  Geburten  durch  Hegar  und  Si'iI':oelbekg 
werden  bei  mehrfachen  Früchten  25"/,,  bei  Frühgeborenen  22-4 "/o  in  Beckenendlugen  ge- 
boren bei  nur  2  bis  2'57o  Beckenendlagen  aller  Früchte  insgesaramt. 

Die  Diagnose  der  Beckenendlage  wird  durch  äussere  und  innere  Unter- 
suchung ermöglicht.  Ist  der  Muttermund  bereits  eröffnet,  die  Blase  gesprungen 
und  der  vorliegende  Kindstheil  tief  stehend,  dann  bieten  sich  der  Erkennung 
der  Lage  durch  die  innere  Untersuchung  kaum  Schwierigkeiten,  wolil  aber, 
wenn  diese  günstigen  Umstände  nicht  vorhanden  sind,  bei  geschlossenem 
Muttermund,  bei  prall  gespannter  Blase  und  hochstehendem  Kindstheil. 

Da  gibt  uns  die  äussere  Untersuchung  viel  bessere,  oft  überraschend 
gute  Resultate,  besonders  die  Palpation,  wenn  die  Bauchdecken  nicht  zu  sehr 
gespannt  oder  zu  empfindlich  sind.  Zu  beachten  ist  bei  der  äusseren  Unter- 
suchung die  Stellung  des  Uterus,  der  gerade  bei  Unterendlagen  sich  oft  sehr 
schief  stehend  findet,  weshalb  man  immer  die  Längslinie  des  Uterus,  nicht  die 
Linea  alba  zur  Beurtheilung  der  Frage,  ob  erste  oder  zweite  Stellung,  benutzen 
muss.  Fühlt  man  den  Kopf,  meist  etwas  seitlich  stehend,  im  Fundus,  dann 
ist  die  Diagnose  der  Lage  gesichert,  und  kann  man  durch  Betastung  des 
Rückens  des  Fötus  günstigen  Falles  auch  die  Stellung  erkennen.  Der  Kopf 
ist  härter,  mehr  rund  und  gleichmässiger  gewölbt,  als  der  Steiss,  dabei  be- 
weglicher als  dieser.  Mitunter  lässt  sich  auch,  wenn  die  Kopfknochen  noch 
nicht  zu  hart,  das  pergamentartige  Knittern  derselben  durch  die  Bauchdecken 
hindurchfühlen.  Zwischen  Kopf  und  Schultern  kann  man  in  vielen  Fällen  eine 
deutliche  Einschnürung  bemerken,  welche  am  Steiss  fehlt.  Der  auf  dem 
Becken  aufsitzende  Steiss  unterscheidet  sich  vom  Kopfe  durch  geringeres  Bal- 
lotement,  durch  geringere  Härte,  mehr  unregelmässige  Form  und  durch  den 
directen,  breiten  Uebergang  in  den  Rumpf. 

Liegt  der  Rücken  nach  vorn,  dann  fühlt  man  kleine  Kindstheile  nur 
undeutlich  und,  weil  mehr  an  ihrer  Anhaftungsstelle  am  Körper  fühlbar, 
weniger  beweglich,  als  bei  Rücken  nach  hinten,  wo  man  öfters  an  den  ver- 
schiedensten Stellen  der  Bauchwand  leicht  bewegliche,  oft  spontan  der  Pal- 
pation ausweichende  kleine  Theile  fühlt.  Die  Unterscheidung  der  Steisslage 
von  Fusslage  durch  blosse  Palpation  ist  selten  möglich  und  nur  ein  Wahr- 
scheinlichkeitsschluss  zulässig,  wenn  der  Steiss  etwas  zur  Seite  gemchen  ist. 

Die  Auscnltation  gibt  kein  ganz  zuverlässiges  Resultat,  besonders  wenn  der 
Rücken  des  Kindes  nach  hinten  liegt.  Steht  der  Steiss  noch  auf  dem  Beckeneingang,  dann 
sind  die  Herztöne  ungefähr  in  Höhe  des  Nabels  der  Mutter  am  besten  zu  hören,  je  tiefer 
aber  der  Steiss  in  das  Becken  selbst  eintritt,  umso  tiefer  rücken  auch  die  Herztöne  und 
sind  in  derselben  Höhe,  wie  bei  Schädellage  mit  auf  dem  Becken  aufstehendem  Kopfe 
zu  hören. 

Bei  gesprungener  und  selbst  bei  noch  stehender  aber  schlaffer 
Blase  und  genügend  erweitertem  Muttermund  können  wir  den  Steiss  deutlich 
abtasten  als  weichen  Theil,  von  welchem  man  nach  hinten  zu  an  die  After- 
öffnung —  von  der  Mundöffnung  zu  unterscheiden  durch  die  Kieferränder 
und  den  Mangel  der  Lippen  —  und  zu  beiden  Seiten  an  die  Tubera  ischii  kommt. 
Ferner  zu  berücksichtigen  die  Steissbeinspitze  und  die  Hinterbackenfalte,  die 
Genitalien,  besonders  das  mitunter  stark  angeschwollene  Scrotum  —  das  mit 
der  prall  gespannten  Blase  verwechselt  werden  kann  —  und  weiter  hinauf 
die  Schenkelbeuge  und  der  Hüftbeinkamm.  Liegt  das  Kreuzbein  mehr 
vor,  werden  wir  die  Genitalien  schwieriger  auffinden,  dafür  aber  die  Dorn- 
fortsätze der  Kreuzbeinwirbel  fühlen.  Die  mitunter  vorkommende  tiefe  gruben- 
förmige  Einziehung  der  Haut  am  unteren  Ende  des  Kreuzbeins  kann  zur  Ver- 
wechslung mit  der   Afteröfi'nung   Veranlassung  geben,  doch  kann  man  in  die 


86  BECKENENDLAGEN. 

Grube  nicht  eindringen,  wie  bei  der  Afteröffniing,  da  die  Haut  auf  dem  Knochen 
direct  aufliegt.  Bei  gesprungener  Blase  und  längerem  Einstehen  des  Steisses 
im  Becken  zeigt  der  vorliegende  Kindestheil  wie  bei  Oberendlage  oft  bedeutende 
Anschwellung,  wodurch  die  Diagnose  der  Stellung,  ja  selbst  der  Lage  —  Ver- 
wechslung mit  angeschwollenem  Gesicht,  Schulter,  selbst  starker  Kopfgeschwulst 
—  sehr  erschwert  werden  kann.  Die  vorliegende  Ferse  kann,  besonders  bei 
noch  wenig  eröffnetem  Muttermunde,  welcher  ein  tiefes  Eindringen  der  unter- 
suchenden Hand  nicht  gestattet,  mit  dem  Ellenbogen,  weniger  leicht  mit  der 
Hand  verwechselt  werden,  doch  stehen  die  beiden  Knöchel  viel  weiter  von 
dem  Calcaneus  entfernt,  als  die  beiden  Condylen  von  dem  Olecranon.  Der 
Fuss  ist  länger  und  schmäler  als  die  Hand,  die  Sohle  hat  einen  convexen 
dünnen  —  den  äusseren  —  und  einen  concaven  wulstigen  —  den  inneren  — 
Band,  während  die  innere  Handfläche  mehr  breit  oder  rundlich  ist  und  zwei 
dicke  convexe  Seitenränder  besitzt.  Bei  Berührung  wird  der  Fuss  oft  zurück- 
gezogen, während  die  Hand  viel  eher  eine  Greifbewegung  macht.  Die  fünf 
Zehen  sind  kürzer,  als  die  Finger,  stehen  in  einer  Reihe  und  ist  die  stärkste 
davon  auch  die  längste,  an  der  einen  Seite  der  Reihe  stehend,  während  bei 
der  Hand  der  dickere  Daumen  kürzer  ist,  als  die  vier  übrigen  Finger  und 
in  Oppositionsstellung  zu  letzteren  sich  befindet.  Das  Knie  unterscheidet 
sich  vom  Ellenbogen  und  auch  der  Schulter  durch  seine  grössere  Breite,  durch 
die,  jedoch  nur  bei  gestrecktem  Fusse  deutlich  abzutastende  Patella  und  durch 
die  Fossa  intercondyloidea  femoris. 

Die  Geburt  verläuft  nach  denselben  allgemeinen  Regeln,  wie  auch  die 
Oberendgeburt.  Mit  der  allmälig  zunehmenden  Contraction  des  Uterus  wird 
der  Kindeskörper  mehr  zusammengedrückt,  der  Kopf  stärker  gebeugt,  die 
Arme  und  die  Schenkel  an  den  Rumpf  angepresst.  Da  der  Beckeneingang 
dmxh  den  Steiss  nicht  ganz  ausgefüllt  wird,  drängt  das  Fruchtwasser  mehr 
nach  unten,  wodurch  entweder  eine  starke  Blase  gebildet  oder  die  Eihäute 
gesprengt  werden.  Mit  einem  allmäligen  Vorrücken  in  der  Längslinie  des 
Kindes,  beziehungsweise  in  der  Richtung  der  Achse  des  Beckencanals, 
bedingt  durch  den  seitens  der  austreibenden  Kräfte  mittelst  der  Wirbelsäule 
auf  das  Becken  ausgeübten  Druck,  geht  eine  Drehung  um  die  Längsachse 
je  nach  der  zu  passirenden  Stelle  des  Beckens  Hand  in  Hand,  indem  der 
Fötus  mit  seinen  grössten  Durchmessern  —  beim  Rumpf  der  quere,  beim 
Kopf  der  sagittale  —  je  in  die  grössten  Durchmesser  des  Beckens  zu  kommen 
strebt.  Demgemäss  wird  der  Steiss  beim  Eintritt  in  das  kleine  Becken  — 
denn  vorher  ist  von  einem  eigentlichen  Geburtsmechanismus  noch  nicht  die 
Rede  —  sich  mit  der  Hüftbreite  in  einen  schrägen  und  zwar  meist  den  linken 
schrägen,  seltener  in  den  queren,  kaum  je  in  den  geraden  Durchmesser  des 
Beckens  einstellen,  meist  mit  dem  Rücken  nach  vorn,  und  verharrt  in  dieser 
Stellung,  resp.  geht  in  dieser  durch  das  Becken  hindurch  bis  nahe  zum 
Beckenausgang.  Dabei  stehen  beide  Hüften  parallel  der  Ebene  des  jeweiligen 
Beckenabschnittes.  Da  der  vordere  Endpunkt  dieser  Ebenen  bei  der  Kürze 
der  vorderen  Beckenwand  im  oberen  Theil  des  Beckens  tiefer,  im  unteren 
aber  höher  steht  als  der  hintere  Endpunkt,  wird  auch  im  Beckeneingang  di& 
nach  vorn  liegende  Hüfte  —  bei  der  ersten  Stellung  (erste  Unterart)  mit 
Rücken  nach  vorn,  die  wir  als  die  häufigste  der  Beschreibung  des  Geburts- 
verlaufs zu  Grunde  legen  wollen,  die  linke  —  anfangs  tiefer  zu  stehen 
scheinen,  als  die  nach  hinten  stehende  rechte,  wenigstens  leichter  zu  erreichen 
sein.  Beide  Hüften  rücken  nun  gleichmässig  nach  unten,  bis  die  nach  vorn 
liegende  am  unteren  Ende  der  Symphyse  angelangt  in  der  Vulva  erscheint, 
während  die  nach  hinten  liegende  jetzt  allmälig  tiefer  zu  stehen  kommt.  Diese 
beschreibt,  entsprechend  der  Länge  und  Form  der  hinteren  Beckenwand  eine 
Kreisbewegung,  deren  Drehpunkt  der  am  unteren  Schossbogenrand  ange- 
presste  Trochanter  der  vorderen  (linken)  Hüfte  bildet.    Durch  den  Widerstand 


BECKENENDLAGEN.  87 

des  Beckenbodens  wird  jetzt  die  links  hinten  stehende  rechte  Hüfte  mehr 
nach  vorn  gedrängt  und  zugleich,  durch  den  Widerstand,  resp.  die  schiefen 
Ebenen  der  Innenwand  des  Sitzknorrens  nach  der  Mitte  des  Beckens  zugeschoben, 
es  erfolgt  eine  Längsachsenrotation,  wodurch  die  I lüftbreite  sich  in  den  geraden 
Durchmesser  des  Beckenausgangs  stellt.  In  dieser  Stellung,  bei  welcher  eine 
leichte  Torsion  des  Bumpfes  stattfindet,  da  die  Schultern  gleichzeitig  schräg 
in  den  Beckeneingang  treten,  erfolgt  unter  starker  Vorwölbung  des  Dammes, 
der  den  Kindestheil  nach  vorn  oben  drängt,  der  Austritt  der  hinteren  ^rechten) 
Hüfte  über  die  hintere  Commissur  der  Labien,  worauf  sofort  die  vordere  (linke) 
Hüfte  vollständig  unter  der  Symphyse  hervorgleitet.  Der  Steiss  tritt  somit 
parallel  zur  Ebene  der  Vulva  aus,  woraus  folgt,  dass,  da  der  Rumpf  in  der 
Ebene  des  Beckeneinganges  steht,  der  Körper  des  Kindes  neben  der  Torsion 
einer  mehr  oder  minder  starke  seitliche  Krümmung  mit  der  Concavität  nach  vorn 
erfahren  muss.  Diese  hört  auf,  sobald  der  Steiss  geboren,  auch  erfolgt  als- 
bald eine  rückläufige  Drehung  des  geborenen  Steisses  um  die  Längsachse,  der 
Querdurchmesser  stellt  sich  jetzt  wieder  in  den  linken  schrägen  Durclimesser 
des  Beckens,  den  Rücken,  resp.  das  Kreuzbein  nach  links  vorn.  Sind  die 
Beine  schon  vorher  geboren  oder  ist  der  Steiss  nicht  sehr  voluminös,  so  ist 
es  möglich,  dass  er  diese  Längsachsenrotation  nicht  vollständig  durchmacht 
und  mehr-minder  im  schrägen  Durchmesser  aus  der  Vulva  austritt.  Aehnliches 
kann  bei  der  Schulter  der  Fall  sein. 

Beim  weiteren  Herunterrücken  des  Rumpfes  und  der  Schultern  beobachten 
wir  wieder  genau  denselben  Vorgang,  wie  bei  Durchgang,  beziehungsweise 
Austreten  der  Hüften,  wir  müssen  uns  nur  an  Stelle  der  Hüften  die  Schultern 
denken.  Die  linke  Schulter  stemmt  sich  schliesslich  an  dem  unteren  Rand 
der  Symphyse  an,  wobei  gewöhnlich  zuerst  der  Ellenbogen  sichtbar  wird  und 
die  Beine,  wenn  sie  vorher  hinaufgeschlagen  waren,  jetzt  frei  werden.  Die 
rechte  Schulter  rotirt  über  die  vordere  Fläche  der  hinteren  Beckenwand  und 
den  Damm,  die  Schulterbreite  tritt  im  geraden  Durchmesser  aus,  Rücken  ge- 
rade nach  links. 

Während  nun  der  Rumpf  des  Kindes  so  im  linken  schrägen  und  später 
im  geraden  Durchmesser  das  Becken  verlässt,  tritt  der  Kopf  im  rechten 
schrägen  Durchmesser,  das  Hinterhaupt  links  vorn,  mitunter  auch  im  queren, 
das  Hinterhaupt  nach  links  in  das  Becken  ein,  und  wird  dabei  der  Nacken 
eine  ähnliche  Torsion  erfahren,  wie  vorher  der  Rumpf.  Durch  die  austreibenden 
Kräfte,  hier  vorzugsweise  die  Bauchpresse,  wird  er  jetzt  noch  stärker  gebeugt, 
als  vorher,  das  Kinn  wird  auf  die  Brust  aufgedrückt,  die  Spitze  des  Hinter- 
hauptes sieht  nach  dem  Fundus  und  macht  das  Hinterhaupt,  beziehungsweise 
der  Kopf  dann  dieselben  Drehungen  um  die  Längsachse,  wie  vorher  Steiss 
und  Rumpf,  es  kommt  das  Hinterhaupt  hinter  die  Symphyse  zu  liegen,  die 
Stirn  in  der  Kreuzbeinhöhlung,  und  wird  zuletzt,  während  die  Basis  des  Hinter- 
hauptes unter  dem  Schossbogen  sich  anstemmt,  unter  noch  stärkerer  Beugung 
des  Kopfes  durch  den  Widerstand  des  Beckenbodens  erst  das  Kinn  und  dann 
die  Stirn  über  den  Damm  nach  vorn  und  aussen  rotirt. 

Bei  der  zweiten  Beckenendlage  ist  der  Vorgang  ganz  derselbe,  nur 
ist,  was  dort  links,  hier  rechts  und  umgekehrt. 

Auf  dem  nach  unten  vorliegenden,  die  Leitspitze  bildenden  Theile  des 
Kindes,  meist  die  eine  Hinterbacke,  oft  mehr  die  Sacralgegend  —  also  bei  der  ersten 
Beckenendlage  anf  der  linken  Hinterbacke  —  bildet  sich  eine  Anschwellnng.  welche,  je 
nachdem  der  Steiss  kürzere  oder  längere  Zeit  eingestanden  hat,  bald  nur  in  einem  leichten, 
rasch  Yerschwindenden  Oedem  ohne  besondere  Färbung,  bald  in  einer  prallen,  stark  promi- 
nirenden,  durch  Blutaustritt  oft  tief  blaurothen  Geschwulst  besteht  mit  allen  Zwi- 
schenstufen, Da  der  Kopf  erst  am  Beckenboden,  wenn  er  bereits  nahezu  im  geraden  Becken- 
durchmesser steht,  eine  stärkere  Compression  erfährt,  wird  diese  vorzugsweise  auf  Ver- 
kürzung des  fronto-occipitalen  und  mento-occipitalen  Durchmessers,  und  auch  etwas,  wenn 
auch   weniger    auf   die    Querdurchmesser    einwirken,    während    der    als    Leitspitze    voran- 


88  BECKENENDLAGEN. 

kommende  Scheitel  von  Druck  frei  bleibt  und  daher  der  senkrechte  Durchmesser  sich  com- 
pensirend  verlängert.  Hierdurch  erhält  der  Kopf  eine  brachycephale  Form,  welche  für 
Beckenendlagen  charakteristisch  ist. 

Yon  dem  eben  betrachteten  gewöhnliclisten  normalen  Verlauf  der  Becken- 
endlagen kommen  mitunter  Abweichungen  vor,  besonders  in  Bezug  auf  die 
Läugsachsenrotation,  veranlasst  durch  Beckenanomalien,  Wehenanomalien  und 
wohl  auch  häufig  durch  zu  frühes,  oft  unmotivirtes  Eingreifen,  resp.  fehler- 
haftes Unterstützen  der  Natur  in  ihren  Bestrebungen  zur  Ausschliessung  des 
Kindes.  Wer  glaubt,  bei  jeder  Beckenendgeburt,  sobald  nur  kaum  der  Steiss 
oder  gar  erst  die  Füsse  geboren  sind,  auch  schon  eingreifen  müssen  —  und 
es  gibt  deren  leider  sehr  viele  —  wird  kaum  je  eine  regelrecht  verlaufende 
Beckenendgeburt  zu  sehen  bekommen,  wird  kaum  wissen,  wie  eigentlich  der 
normale  Geburtsmechanismus  bei  Beckenendlage  ist. 

Eine  sehr  häufige  Abweichung  ist  die,  dass  der  Steiss  mit  nach  hinten  ge- 
wandtem Rücken  in  das  Becken  eintritt  und  zwar  häufiger  mit  dem  Rücken  nach 
rechts  hinten,  als  nach  links,  so  dass  also  auch  hierbei  der  linke  schräge  Durchmesser 
die  Hüftbreite  des  Kindes  aufnimmt.  Im  weiteren  Verlaufe  der  Geburt  beobachten  wir  nun 
folgendes:  1.  Der  Rumpf  geht  in  der  Anfangsstellung,  wie  auch  sonst,  durch  das  Becken, 
am  Ausgang  stellt  er  sich  in  den  geraden  Durchmesser,  den  Rücken  gerade  zur  Seite ;  nach 
Durchtritt  des  Steisses  in  der  bekannten  Weise  erfolgt  eine  weitere  j) regressive,  nicht 
retrograde  Längsachsenrotation,  sogenannte  Ueberdrehung,  so  dass  jetzt  der  Rücken 
nach  vorn  seitlich  kommt  und  die  Geburt  weiter  so  verläuft,  als  sei  von  Anfang  an  der 
Rücken  nach  vorn  gewesen.  Der  Kopf  tritt  dabei  mit  dem  Hinterhaupt  nach  vorn  in 
demselben  schrägen  Durchmesser  in  das  Becken  ein,  wie  vorher  die  Hüftbreite.  Dies  ist 
der  häufigste  Fall.  2.  Seltener  erfolgt  nach  der  ersten  Längsachsenrotation  behufs  Austritt 
des  Steisses  eine  retrograde  Rotation,  so  dass  der  Rücken  wieder  nach  hinten  zu  liegen 
kommt  und  nach  hinten  bleibt  bis  zu  dem,  wieder  im  geraden  Durchmesser  erfolgenden 
Austritt  der  Arme,  beziehungsweise  der  Schulterbreite,  wobei  dann  der  Kopf  im  entgegen- 
gesetzten Durchmesser,  als  anfangs  Steiss  und  später  Schultern,  mit  dem  Hinterhaupt  nach 
hinten  in  das  Becken  eintritt.  Nach  Austritt  der  Schultern  erfolgt  jetzt  entweder  eine  Ueber- 
drehung, indem  sich  der  E,ücken  des  Kindes,  der  im  Augenblick  des  Austrittes  gerade  zur 
Seite  sah,  jetzt  nicht  wieder  nach  hinten,  sondern  nach  vorn  dreht,  durch  Rotation  des 
Hinterhauptes  nach  vorn,  so  dass  schliesslich  der  Kopf  mit  der  Medianlinie  im  geraden 
Durchmesser  des  Beckenausganges,  das  Hinterhaupt  hinter  der  Symphyse,  geboren  wird,  wie 
bei  dem  normalen  Mechanismus.  Oder  3.  in  seltenen  Fällen  erfolgt  auch  nach  Durchtritt 
der  Schultern  die  Hinterhauptsdrehung  des  Kopfes  nach  vorn  nicht,  es  bleibt  das  Hinter- 
haupt nach  hinten  gewandt  und  kann  jetzt  der  Durchtritt  und  Austritt  in  zweierlei  Weise 
erfolgen : 

a)  Durch  den  mehr  auf  den  vorderen  Umfang  des  Kopfes  wirkenden  Druck  der 
Bauchpresse  wird  dieser  noch  mehr  gebeugt,  das  Kinn  fest  auf  die  Brust  aufgedrückt,  und 
tritt  so  das  Gesicht  hinter  der  vorderen  Beckenwand,  anfangs  etwas  mehr  zur  Seite  ge- 
richtet, herab  und  erscheint  zuerst  das  Kinn,  dann  die  untere  Gesichtshälfte  in  der  Vulva, 
im  Moment  des  Austretens  sich  gerade  nach  vorn  drehend.  Die  Stirn  bleibt  hinter  der 
Symphyse  stehen,  die  Gegend  der  Nasenwurzel  stemmt  sich  am  Schoossbogen  fest  als  vor- 
derer Drehpunkt  für  die  Hinterhauptsrotatiou,  indem  dieses  durch  den  Widerstand  des 
Beckenbodens  nach  vorn  gedrängt  unter  allmäliger  Streckung  des  Kopfes  über  die  Vorder- 
fiäche  des  Kreuzbeines  und  Steissbeines,  also  die  Hinterwand  des  Geburtscanais  nach  aussen 
rotirt.  Da  hierbei  der  Kopf  mit  seiner  grössten  Peripherie,  der  Ebene  des  Diameter  fronto- 
occip.,  durch  die  Schamspalte  hindurchtreten  muss  (analog  wie  bei  Vorderscheitellage),  so 
ist  es  klar,  dass  eine  Spontanentwicklung  des  Kopfes  in  dieser  Durchtrittsweise  nur  bei 
sehr  kleinem  Kopfe  oder  bei  sehr  geräumigem  Beckenausgang  möglich  ist. 

h)  Bleibt  bei  Eintritt  des  Kopfes  in  das  Becken  mit  nach  hinten  gewandtem  Hinter- 
haupt durch  irgend  einen  Umstand  das  Kinn  auf  dem  Beckeneingang  hängen,  dann  erfolgt 
jetzt  schon  unter  Drehung  des  Kopfes  um  seine  Querachse  nach  hinten  die  Streckung  des- 
selben, das  Hinterhaupt  tritt  zuerst  tiefer  in  das  Becken,  über  die  Vorderfläche  des  Kreuz- 
beines nach  unten  rotirend,  die  Unterfläche  des  Unterkiefers  liegt  hinter  der  Symphyse,  das 
Gesicht  sieht  nach  oben,  nach  dem  Fundus  zu;  schliesslich  stemmt  sich  der  Winkel  des 
Unterkiefers  am  Schossbogen  fest  ujid  dient,  analog  wie  bei  Gesichtslage,  nunmehr  als 
vorderer  Drehpunkt  für  die  Rotation  des  Hinterhauptes  über  den  Beckenboden,  beziehungs- 
w^eise  den  Damm  nach  vorn  und  aussen.  Aach  diese  Durchtrittsweise  erfordert  sehr  kleinen 
Kopf  oder  geräuuiigen  Beckenausgang,  um  spontan  zu  Stande  kommen  zu  können.  Am  ehesten 
möglich  wäre  sie  noch  bei  Seitenlage  oder  Knieellenbogenlage  der  Kreissenden,  da  der 
geborene  Rumpf  nach  dem  Bauche  der  Mutter  zu  rotiren  muss,  was  bei  Rückenlage  spontan 
nicht  möglich  ist. 


BECKENENDLAGEN.  89 

Diese  verschiedenen  Modificationen  der  Durchtrittsweise  des 
Kindes  bei  Beckencndlage  beobachten  wir  um  so  elier,  je  mehr  der  Fötus  vor 
oder  bei  der  Geburt  seine  ursprüngliche  Haltung  aufgibt,  also  am  seltensten 
bei  Steissfersenlage,  am  häufigsten  l)ei  reiner  Fusslage  und  da  um  so  eher, 
je  mehr  zu  frühzeitige,  unvorsichtige  Extractionsversuche  an  dem  bereits  ge- 
borenen Kunipfe  gemacht  worden  sind.  Im  übrigen  bieten  die  verschiedenen 
Beckenendlagen  den  bemerkenswerthen  Unterschied  in  ihrem  Verlaufe  dar, 
dass  gemeiniglich  bei  reiner  Fusslage  der  Durch-  und  Austritt  des  unteren 
Theiles  des  Körpers  ziemlich  rasch  erfolgt,  mit  der  Geburt  des  oberen  Kumpfes, 
der  Schultern  und  des  Kopfes  aber  mehr  und  mehr  Zögerung  eintritt,  da  für  den 
Durchtritt  dieser  stärksten,  umfangreicheren  Theile  durch  das  wenig  volumi- 
nöse untere  Rumpfende  die  Wege  nicht  vorbereitet  werden,  jeder  nachfolgende 
Theil  vielmehr  sich  selbst  erst  Platz  schaffen  muss.  Bei  Steisslage  dagegen, 
noch  vielmehr  bei  Steissfersenlage  dauert  im  Gegensatz  hierzu  der  Anfang 
des  Durch-  und  Austrittes  meist  sehr  lang,  oft  länger  als  der  des  Kopfes  bei 
Schädellage,  der. Thorax  mit  den  Armen,  die  Schultern  und  der  Kopf  folgen 
aber  dann  verhältnismässig  rasch,  da  der  durch  die  anliegenden  Oberschenkel 
oder  gar  Ober-  und  Unterschenkel  die  Schultern  und  den  Kopf  an  Umfang 
überragende  Steiss  letzteren  den  Weg  geebnet  und  genügend  ausgeweitet  hat. 
Die  unvollkommene  Fusslage  nähert  sich  in  dieser  Beziehung  der  Steiss- 
lage. Bei  beiden  kommt  als  günstig  für  den  Austritt  der  oberen  Rumpfhälfte 
hinzu,  dass  durch  das  Verharren  beider  oder  wenigstens  einer  Unterextremität 
in  der  natürlichen  Haltung  auch  die  Arme  vor  allenfallsigem  Hinaufschlagen 
bewahrt  werden,  also  in  der  natürlichen  Haltung  bleiben  und  hierdurch  wieder- 
um der  Kopf  in  seiner  Haltung  mit  dem  Kinn  auf  der  Brust  gesichert  ward, 
was  beides  für  das  normale  Durchtreten  von  Vortheil  ist,  während  bei  Fuss- 
lagen  es  leicht  vorkommt,  dass  sich  die  Arme  hinaufschlagen  und  der  Kopf 
gestreckt  wird  mit  den  daraus  resultirenden,  die  Geburt  erschwerenden  Folgen. 

Schliesslich  ist  noch  zu  bemerken,  dass  es  bei  Fusslagen  häufiger  zu 
einem  vorzeitigen  Blasensprung  kommt,  als  bei  Steisslagen,  da  die  Füsse  den 
Muttermund  nicht  ausfüllen  und  das  Fruchtwasser  durch  die  Uteruscontrac- 
tionen  an  ihnen  vorbei  nach  unten  gedrängt  wird. 

Prognose.  Die  Beckenendlagen  bieten  an  und  für  sich  für  die  Mutter 
keine  besonderen  Gefahren  und  verhalten  sich  nicht  anders,  als  Oberendlagen. 
Nur  durch  hier  häufiger  nothwendig  w^erdende  operative  Eingriffe  kann  sich 
die  Prognose  etwas  ungünstiger  gestalten.  Anders  verhält  sich  die  Sache  bei 
dem  Kinde.  Durch  Unterbrechung  oder  Aufhören  des  fötalen  Kreislaufes  w'ii'd 
der  Fötus,  sobald  Athemnoth  herantritt,  zu  Inspirationsbewegungen  veranlasst, 
durch  welche  er  fremde  Körper  in  die  Luftwege  einzieht,  und  wird  der  Kopf 
nicht  sehr  bald  geboren  —  höchstens  8  bis  10  Minuten  nach  Unterbrechung 
des  Blutlaufes  ■ — ,  dann  tritt  Asphyxie  und  alsbald  der  Tod  durch  Erstickung 
ein.  Die  Unterbrechung  des  fötalen  Kreislaufes  kann  aber  eintreten  durch 
Druck  der  Nabelschnur  seitens  des  Thorax  oder  Kopfes,  sobald  der  Rumpf 
halbwegs,  wenigstens  bis  zum  Nabel  geboren  ist  und  dies  um  so  eher,  je  we- 
niger die  Nabelschnur  vor  dem  Druck  geschützt  ist,  wie  letzteres,  soweit  es 
den  Thoraxdruck  betrifft,  durch  die  hinaufgeschlagenen  Beine  geschieht,  darum 
leichter  bei  A'-ollkommener  Fusslage,  als  bei  halber  oder  ganzer  Steisslage. 
Die  Communication  des  fötalen  mit  dem  mütterlichen  Blute  hört  aber  auch 
auf,  wenn  die  Placenta  vollständig  losgelöst  ist,  wie  dies  bei  der  zur  Aus- 
treibung des  Kopfes  nothwendigen  starken  Contraction  des  Uterus  unbedingt 
erfolgen  muss.  Je  länger  nun  die  Entwicklung  der  Arme,  Schultern  und  des 
Kopfes  dauert,  umso  grösser  die  Gefahr  für  den  Fötus,  weshalb  auch  reine 
Fusslagen  eine  viel  ungünstigere  Prognose  geben,  als  Steiss- 
lagen. Die  unvollkommene  Fusslage  nähert  sich  in  der  Prognose  mehr  der 
Steisslage,  als  der  Fusslage,    schon   weil   durch   das   hinaufgeschlagene    eine 


90  BECKENENEXSUDATE. 

Bein  die  Nabelschnur  doch  eher  vor  Druck  bewahrt  wird,  vor  allem  aber  durch 
die  günstigere  Vorbereitung  der  Ausgangswege.  Die  Prognose  wird  sich 
im  allgemeinen  um  so  gtinstiger  gestalten,  wenn  durch  rechtzeitig  geleistete 
kunstverständige  Hilfe  den  Gefahren  begegnet  wird. 

Aus  dem  Gesagten  erhellt,  dass  die  Beckenendlagen  einer  noch  sorg- 
sameren Behandlung  und  Ueberwachung  bedürfen,  als  die  Oberendlagen, 
Unsere  erste  Sorge  muss  sein,  die  Fruchtblase  vor  dem  zu  frühen  Springen 
zu  bewahren,  zu  welchem  Zwecke  man    der  Kreissenden    die   Seitenlage  gibt 

—  auf  die  Seite,  nach  welcher  der  Bücken  des  Kindes  hingewendet  ist  — , 
um  das  im  übrigen  streng  zu  verbietende  Mitpressen  seitens  der  Kreissenden 
zu  verhindern  oder  doch  zu  beschränken,  und  sich  ferner  jedes  unnöthigen 
Untersuchens  enthält.  Hat  man  einmal  Lage  und  Stellung  richtig  erkannt, 
so  muss  man,  so  lange  die  Blase  noch  nicht  gesprungen  ist,  sowohl  bei  schon 
beinahe  verstrichenem,  als  bei  noch  wenig  eröffnetem  Muttermund  ruhig  zu- 
warten. Springt  die  Blase,  dann  muss  man  gleich  untersuchen,  ob  nicht  allen- 
falls die  Nabelschnur  mit  vorgefallen  ist,  und  genau  die  Stellung  des  Kindes 
eruiren,  hüte  sich  aber  vor  jedem  Zug  oder  Drehen  an  dem  etwa  zum  Vor- 
liegen gekommenen  Fusse  oder  dem  Steisse,  lässt  aber  die  Kreissende  jetzt 
tüchtig  mitpressen,  zu  welchem  Zwecke  man  derselben  am  besten  die  Rücken- 
lage mit  erhöhtem  Kreuz  gibt,  in  welcher  Lage  man  auch  die  Herztöne  des 
Fötus  am  besten  controliren  kann,  auch  für  etwa  nöthig  werdende  Extraction 
am  besten  schon  vorgesorgt  ist.  Geht  auch  die  Entwicklung  der  unteren 
Körperhälfte  sehr  langsam  vor  sich,  so  lasse  man  sich  doch  ja  nicht  zu  irgend 
einem  Eingriff,  durch  welchen  man  nur  die  nöthige  Längsachsenrotation  des 
Fötus  stören  würde,  verleiten,  so  lange  die  Herztöne  des  Fötus  keine  Gefahr 
für  denselben  indiciren,  da  ja  gerade  eine  langsame  Entwicklung  der  unteren 
Körperhälfte  die  Geburtswege  für  eine  rasche  Entwicklung  der  Schultern  und 
des  Kopfes  am  günstigsten  vorbereitet.  Je  länger  man  mit  dem  Eingreifen 
warten  kann,  umso  günstiger.  Ist  das  Kind  über  den  Nabel  geboren,  dann 
kann  man  an  dem  Nabelstrang,  den  man  etwas  hervorzieht,  controliren,  ob 
Gefahr  für  dasselbe  vorhanden  ist  oder  nicht.  Geht  bei  Steisslage  der  Nabel- 
strang zwischen  den  Beinen  durch,  „reitet  das  Kind  auf  der  Nabelschnur," 
dann  lockere  man  die  Schlinge  und  bringe  sie  über  die  am  bequemsten  sich 
darbietende,  meist  die  nach  vorn  liegende  Hinterbacke  zurück,  beziehungsweise 
hinauf.  Ist  das  Kind  noch  nicht  in  Gefahr,  lässt  man  auch  jetzt  noch  der 
Sache  ihren  Lauf,  lässt  aber  die  Kreissende  tüchtig  mitpressen,  was  man  durch 
einen  kräftigen,  allmälig  sich  steigernden  umfassenden  Druck  auf  den  Fundus 

—  Expression  —  unterstützen  kann.  Den  geborenen  Theil  des  Körpers  um- 
hüllt man  mit  einem  womöglich  gewärmten  Tuche,  weniger  um  das  Kind  vor 
„Erkältung"  zu  hüten,  als  vielmehr  um  den  Reiz  der  äusseren  Luft  auf  die 
feuchte  Körperoberfläche,  welcher  möglicherweise  zu  vorzeitigen  Athembewe- 
gungen  Veranlassung  geben  könnte,  abzuhalten.  Sind  endlich  die  Arme  und 
die  Schultern  geboren,  oder  zeigen  vorher  schon  Veränderungen  des  Fötal- 
pulses Gefahren  für  das  Kind  an,  dann,  aber  auch  erst  dann  ist  es  Zeit 
für  die  rasche  Zutageförderung  des  Kopfes,  beziehungsweise  das  Lösen 
der  Arme  und  Herausbeförderung  der  Schultern  und  des  Kopfes  nach  den  bei 
der  Lehre  der  Extraction  zu  erörternden  Regeln  Sorge  zu  tragen.  Die  Ent- 
wicklung des  Kopfes  kann  günstig  durch  kräftige  Expression  vom  Fundus  aus 
befördert  werden.  birnbaum. 

BeckeneXSUdate.  Die  weiblichen  Beckenorgane  sind  von  einem  mäch- 
tigen theils  derben,  theils  lockeren  Binde-  und  Fettgewebe  umgeben,  welches 
in  erster  Linie  denselben  zur  Stütze  und  Umhüllung  dient,  dann  aber  auch 
den  einzelnen  derselben  die  Fähigkeit  verleiht,  den  durch  ihre  speciellen  Func- 
tionen bedingten  mehr-minder  häufigen,  oft  sehr  bedeutenden  Veränderungen 


BECKENEXSUDATE.  91 

in  Bezug  auf  Ausdehnung  und  Lagerung  und  den  dadurch  hervorgerufenen 
Verschiebungen  ohne  besondere  Benachtheiligung  ihrer  selbst  oder  der  Nacli- 
barorgane  nachgeben  zu  können.  »Soweit  der  Uterus  diroct  vom  Peritonäuiii 
überzogen  wird,  besonders  am  Fundus,  ist  die  Bindcgewebslage  unter  dem- 
selben, das  subseröse  Zellgewebe,  eine  sehr  massige,  das  Peritonäum  fest  auf- 
liegend; umso  stärker  entwickelt  aber  ist  das  Bindegewebe  zwischen  den 
beiden  Blättern  der  Ligg.  lata,  hinter  der  vorderen  Bauchwand,  über  und  hinter 
der  Symphyse  in  der  Fossa  iliaca  und  besonders  tiefer  unten  im  Becken  zu 
beiden  Seiten  der  Organe,  zwischen  diesen  und  der  Beckenwand,  wo  es  alle 
Lücken  ausfüllt  und  sich  zum  Theil  auch  zwischen  die  Organe  zipfelförmig 
hineinschiebt. 

Wie  der  Uterus  selbst  ist  auch  dieses  den  Uterus  umhüllende  Fett-  und 
Bindegewebe  sehr  häufig  der  Sitz  einer  Entzündung,  welche  man  nach  dem 
Vorgange  Viechow's  als  Parametritis  bezeichnet  im  Gegensatze  zur  Entzünd- 
ung des  Uterus  selbst  —  Metritis  und  Endometritis  —  und  seines  freien  Bauch- 
fellüberzuges —  Perimetritis  u.  s.  w.  Diese  Beckenzellgewebsentzündungen  sind 
meist  puerperal  und  gehören  andererseits  zu  den  häufigsten  Puerperal-Erkrank- 
ungen,  kommen  jedoch  auch  ohne  Zusammenhang  mit  dem  Puerperium  vor. 
Meist  von  der  Uterussubstanz  ausgehend,  können  diese  Entzündungen  local 
auf  das  Becken  beschränkt  bleiben  und  Veranlassung  zur  Bildung  von  mehr- 
minder starken  Exsudaten,  den  parametritischen  Beckenexsudaten  geben, 
in  anderen  Fällen  greifen  sie  weiter  um  sich  und  gewinnen  oft  sehr  rasch 
eine  bedeutende  Ausdehnung,  den  subserösen  Zellgewebszügen  in  grosser 
Erstreckung  folgend,  selbst  bis  zur  Brusthöhle. 

Wahrscheinlich  nach  anfänglicher  Hyperämie  —  zu  sehen  bekommt  man  diese  aller- 
dings wohl  nur  zufällig  —  beginnt  das  Bindegewebe  sich  zu  trüben  und  zu  schwellen  in 
Folge  serös-fibrinöser  Durchtränkung,  welche  dem  Gewebe  eine  grössere  Derbheit  verleiht. 
Bei  Zunahme  des  Processes  sieht  das  Gewebe  in  Folge  der  vermehrten  Durchfeuchtung  aus, 
als  ob  es  mit  einer  fibrinösen  Gallerte  durchdrungen  oder  zu  einer  solchen  aufgequollen 
wäre  (ViRCHOw).  Die  Bindegewebskörper  erscheinen  vergrössert,  ihr  Inhalt  dichter  und 
reichlicher,  zuweilen  deutlich  körnig,  der  Zellkörper  tritt  als  trübe  Masse  hervor  (trübe 
Schwellung).  Die  Kerne  vergrössern  sich  und  theilen  sich  einfach  oder  mehrfach,  nachher 
theilen  sich  die  Zellen  und  an  Stelle  der  einfachen  Spindelzellen  findet  man  öfters  ganze 
Reihen  kleiner  rundlicher  Granulationszellen.  Sehr  früh  tritt  an  manchen  Stellen  eine  meist 
unvollständige  Fettmetamorphose  dieser  Granulationszellen  ein,  unter  welcher  sie  zerfallen, 
wodurch  unter  Umständen  eine  vollständige,  freilich  mitunter  auch  zu  weitgehende,  zur 
Atrophie  führende  Rückbildung  eingeleitet  wird. 

Unter  infectiösen  Einflüssen  bleibt  oft  der  Process  bei  dieser  milden  Form  mcht  stehen, 
sondern  nimmt  gern  den  Charakter  einer  diffusen  Phlegmonean.  Er  kriecht  in  denZügen 
des  Beckenbindegewebes  weiter  und  kann  hier  rasch  an  Ausdehnung  gewinnen  und  bedeutende 
Exsudate  herbeiführen,  welche  in  erster  Linie  die  Zellgewebsräume  in  der  Umgebung  des  Uterus 
und  der  Nachbarorgane  mehr-minder  erfüllen  und  dann  sich  auf  das  retroperitonäale  Binde- 
gewebe bis  über  die  Nieren  hinauf,  sowie  auf  das  subperitonäale  Bindegewebe  der  vorderen 
Bauchwand  und  auf  das  der  Oberschenkel  erstrecken  können.  Das  befalleneGewebe 
wird  derb,  hart,  sclerosirt  und  können  ganz  bedeutende  Geschwülste  auf  diese 'VTeise 
entstehen,  anfangs  zumeist  an  der  Seitenwand  des  Uterus,  dann  aber  nach  den  verschie- 
densten Seiten  ausstrahlend,  überallhin,  wo  das  Beckenbindegewebe  sich  hin  erstreckt. 
Das  ganze  Lig.  latum  kann  von  dem  Exsudat  erfüllt  sein,  in  anderen  Fällen  nimmt 
letzteres  nur  die  Basis  desselben  ein,  den  oberen  Rand  freilassend,  oder  liegt  es  der  Becken- 
wand an,  sich  auf  die  Fossa  iliaca  hinauf  erstreckend.  Auch  kann  die  Infiltration  zu  den 
Seiten  der  DouGLAs'schen  Tasche  nach  hinten  gehen,  den  Mastdarm  einengend.  Selten  ist 
die  Infiiltration  in  das  um  die  Blase  liegende  Gewebe,  besonders  vor  und  über  der  Blase, 
eher  noch  in  das  Bindegewebe  des  Septum  vesico  cervicale.  Auch  das  Zellgewebe  des  Sept. 
recto-vaginale  wird  seltener  ergriffen,  wobei  das  Peritonäum  des  DouGLAs'schen  Raumes  in 
die  Höhe  gedrängt  werden  kann.  Auch  diese  grösseren  Exsudate_  können  durch  fettige 
Degeneration  der  Granulationszellen  eine  vollständige  oder  theilweise  Resorption  erleiden, 
oder  sie  gehen  in  Eiterung  über,  es  bilden  sich  Abscesse.  König  und  nach  ihm 
SCHLESSINGER  haben  experimentell  erforscht  und  nachgewiesen,  welche  Wege  je  nach  der 
Ursprungsstelle  diese  in  das  Beckenbindegewebe  stattfindenden  Ergüsse  und  die  sich  daraus 
bildenden  Abscesse  nehmen.  Es  würde  zu  weit  führen,  hier  des  Näheren  darauf  einzugehen 
und  möchte  es  genügen,  nur  die  Durchbruchsstellen  der  Eiterung  anzugeben.  Am  häufigsten 
bahnt  sich  der  Eiter  einen  Ausweg  durch  die  Bauchdecken  über  dem  PoüPARx'schen  Bande 


92  BECKENEXSUDATE. 

—  seltener  nach  der  Fossa  iliaca  —  oder  durcli  den  Mastdarm,  dann  durch  die  Scheide, 
seltener  durch  die  Blase  oder  den  Uterus,  mitunter  auch  neben  dem  Mastdarm  durch  das 
Perinäum  oder  unter  den  Glutäen  her,  oder  durch  den  Schenkelring  an  der  Vorderfiäche 
des  Oberschenkels.  Nach  Entleerung  der  Eiters  schwindet  der  Rest  des  Exsudates  rasch 
oder  allmälig.  manchmal  vollständig,  in  vielen  Fällen  bleiben  aber  Indurationen  zurück, 
narbige  Zusammenziehungen  mit  ihren  Folgen,  an  welchen  die  Patienten  oft  jahrelang, 
selbst  zeitlebens  kranken. 

Aetiologie.  Die  häufigste  Veranlassung  zur  Entstehung  von  Becken- 
exsudaten geben  die  im  Verlaufe  einer  Geburt  erfolgenden  leichteren  oder 
schwereren  Verletzungen  der  Geburtswege,  von  den  leichtesten  Schleimhaut- 
abschülferungen  bis  zu  den  schwersten  Quetschungen  und  Einrissen,  zu  wel- 
chen eine  von  aussen  eingebrachte  Infection  hinzutritt.  Sie  sind  im  strengsten 
Sinne  des  Wortes  eine  infectiöse  Wundkrankheit.  Wie  bei  der  Geburt 
so  können  auch  im  nicht  gebärenden  Zustande  bei  Operationen,  durch  unvor- 
sichtiges Untersuchen  mit  oder  ohne  Sonde,  nach  Einführung  von  Press- 
schwamm —  seltener  von  Tupelo-  oder  Laminariastiften  —  behufs  Erwei- 
terung des  Cervicalcanals,  durch  Pessarien,  durch  Intrauterinbehandlung,  durch 
excessiven,  ungestümen  Coitus,  durch  Masturbation  und  durch  zufällige  Ver- 
anlassungen, wie  Traumen  u.  dgl.  entstandene  Wunden  des  Genitaltractes 
Veranlassung  zu  Parametritis  und  Beckenexsudaten  geben.  Lymann  gibt 
neben  anderen  für  nicht  puerperale  Beckenexsudate  (nach  ihm  die  Mehrzahl) 
Uebermüdung  während  der  Menstruation,  Erkältung  durch  Bäder,  gonorrhoische 
Infection,  fortgepflanzt  durch  die  Tuben  u.  s.  w.  als  Ursache  an,  Kisch  be- 
schuldigt als  veranlassendes  Moment  heftige  Vaginaldouchen,  heftige  Bewegung 
nach  erregenden  Bademethoden;  Johannovsky  in  einem  Falle  Ueberanstreng- 
ung  beim  Nähen  mit  einer  Ledermaschine,  wieder  Andere  Heben  schwerer 
Lasten  vor  der  Entbindung  mit  consecutivem,  sich  ins  Wochenbett  fortpflan- 
zendem Schmerz  in  der  Unterbauchgegend  u.  s.  w.  Aber  immerhin  bilden  die 
puerperalen  Beckenexsudate  bei  weitem  die  Mehrzahl.  Diejenigen  Stellen  des 
Geburtscanales,  welche  bei  der  Geburt  am  ehesten  verletzt  werden,  also  die 
engsten,  wie  Muttermund,  Scheidenmund,  Portio  supravaginalis  und  Cervical- 
canal  u.  s.  w.  wm^den  demnach  auch  die  häufigsten  Ausgangspunkte  der  In- 
fection sein.  Besonders  trifft  dies  auch  für  diejenigen  Gegenden  zu,  welche 
bei  der  Geburt  durch  den  allmälig  herunterrückenden  Kopf,  beziehungsweise 
das  Hinterhaupt  am  meisten  gequetscht  werden  und  erklärt  sich  damit  auch 
die  Erfalirung,  dass  die  puerperalen  Beckenexsudate  mehr  auf  der  linken 
Seite  vorkommen,  als  rechts,  aus  dem  bedeutenden  Ueberwiegen  der  Links- 
stellungen. Im  Anfange  bleibt  diese  infectiöse  Parametritis  auf  die  Umgebung 
der  Wunde  beschränkt,  bleibt  günstigsten  Falles  auch  da  stehen,  oft  aber  wan- 
dert sie  weiter  und  kann,  wie  schon  bemerkt,  das  gesammte  Beckenbinde- 
gewebe u.  s.  w.  ergreifen. 

Was  die  Infectionsträger  anlangt,  so  ist  nach  dem  jetzigen  Stand- 
punkt der  Wissenschaft  nicht  daran  zu  zweifeln,  dass  wir  verschiedene  Mikro- 
kokken  als  solche  zu  beschuldigen  haben  und  sind  dies  wohl  besonders  Strepto- 
coccus^ Staphylococcus  und  wahrscheinlich  Gonococcus. 

Wie  richtig  die  Ansicht  von  der  infectiösen  Natur  des  Leidens  ist,  dafür 
spricht  der  Umstand,  dass  in  der  Neuzeit,  seit  und  soweit  man  sich  daran 
gewöhnt  hat,  jede,  auch  die  leichteste  Geburt  antiseptisch  zu  behandeln,  die 
Beckenexsudate  viel  seltener  geworden  sind,  als  vor  der  antiseptischen  Zeit,  wo 
sie  zu  den  häufigsten  Puerperal-Krankheiten  gehörten. 

Symptome.  Die  ersten  Erscheinungen  der  beginnenden  Parametritis 
treten  meist  am  zweiten  oder  dritten  Tag  nach  der  Entbindung,  mitunter 
auch  etwas  später  auf  und  charakterisiren  sich  durch  Schmerzen  und 
Fieber,  zu  welchen  sich  allmälig  deutlich  erkennbare  Anschwellungen 
gesellen,  meist  nur  an  einer  Seite,  u.  zw.  wie  schon  bemerkt,  häufiger  links, 
als  rechts,  seltener  gleichzeitig  zu  beiden  Seiten.    Die  Schmerzen  sind  in  ihrer 


BECKENEXSUDATE.  93 

Art  und  Intensität  sehr  verschieden,  von  einer  leichten  iJruckempfindlichkeit 
neben  dem  Uterus,  bei  Palpation  von  den  Bauchdecken  oder  der  Vagina  aus 
bis  zu  den  heftigsten  spontanen  Schmerzen,  letztere  jedoch  nur  auf  die 
Uterusgegend  beschränkt,  sofern  nicht  das  Peritonäum  gleichzeitig  mit  er- 
griffen ist.  Oefters  wird  nur  über  ein  dumpfes,  unbehagliches  Gefühl  in  der 
Unterbauchgegend  geklagt,  das  nur  bei  Palpation  zu  einem  eigentlichen 
Schmerz  sich  steigert.  Sind  stärkere  spontane  Schmerzen  vorhanden,  so 
werden  dieselben  durch  jede  Erschütterung  des  Körpers  bei  Husten,  Niesen, 
Lachen  u.  drgl.,  bei  Bewegungen  des  ganzen  Körpers  gesteigert,  mitunter  bis 
zur  Unerträglichkeit.  Der  Leib  zeigt  sich  oft,  aber  nicht  immer,  etwas  ge- 
spannt. Schon  nach  einigen  Tagen  kann  man  sehr  häufig  bei  genauer,  besonders 
bimanueller  Untersuchung  eine  Anschwellung  neben  dem  Uterus  nachweisen. 
Bei  blos  äusserer  Untersuchung  durch  die  Bauchdecken  lassen  sich  diese  An- 
schwellungen nicht  deutlich  begrenzen;  es  macht  sich  oft  nur  ein  gewisses 
Kesistenzgefühl  bemerklich,  bei  bimanueller  Untersuchung  aber  gelingt  es 
nicht  schwer,  die  meist  an  den  Seitenflächen  des  Uterus  sich  anlagernde  Ge- 
schwulst genauer  abzutasten.  Sie  erstreckt  sich  bald  mehr  nach  der  hinteren, 
bald  mehr  nach  der  vorderen  Gebärmutterfläche,  manchmal  geht  sie  bis  nach 
der  entgegengesetzten  Gebärmutterwand  oder  nach  abwärts  bis  unter  das  Niveau 
des  äusseren  Muttermundes.  Anfänglich  fühlt  sich  die  Anschwellung  mehr 
weich,  teigig  an,  mit  zunehmendem  Wachsthum  aber,  was  meist  bald  der 
Fall,  wird  sie  fester,  derber  und  drängt  nun,  wenn  sie  die  seitliche  Becken- 
wand erreicht  hat,  unbeweglich  geworden  den  Uterus  nach  der  entgegen- 
gesetzten Seite.  Man  fühlt  dann  bei  der  inneren  Untersuchung  das 
Scheidengewölbe  der  betreffenden  Seite  als  derbe  Masse,  mitunter  mit  einzelnen 
knolligen  Hervorragungen  in  die  Scheide,  den  Uterus  oft  unbeweglich,  wie 
eingemauert,  besonders  wenn  sich  die  Anschwellung  über  die  vordere  und 
hintere  Fläche  desselben  erstreckt.  Ist  die  Geschwulst  einmal  so  weit  ge- 
wachsen, dann  lässt  sie  sich  auch  ohne  bimanuelle  Untersuchung  von  den 
Bauchdecken  aus  seitlich  von  der  Symphyse  dmxh  Eindrücken  hinter  dem 
PouPAET'schen  Bande,  bei  grösserer  Ausdehnung  selbst  über  demselben  als 
mehr-minder  höckrige  Geschwulst  deutlich  erkennen,  oft  ohne  deutliche  Grenzen 
in  den  Uterus  übergehend,  manchmal  auch  durch  deutliche  Furche  von  dem- 
selben getrennt.  Bei  grösserer  Ausdehnung  werden  sich  jetzt  auch  Druck- 
erscheinungen auf  die  Nachbargebilde  bemerklich  machen,  die  bei  kleinen 
Geschwülsten  fehlen.  Druck  auf  den  Mastdarm  bewirkt  Stuhlverstopfung  und 
Schmerzen  bei  der  Stuhlentleerung.  Harnbeschwerden  sind  seltener,  da  eine 
Erstreckung  des  Exsudates  nach  der  Harnblase  hin  nicht  häufig.  Erstreckt 
sich  die  Anschwellung  nach  der  Fossa  iliaca  hin,  so  begegnen  wir  häufig  hef- 
tigen neuralgischen  Schmerzen  nach  der  Nieren-  und  Lendengegend  und  in 
der  Bahn  des  N.  ischiadicus,  des  Plexus  cruralis  und  auch  des  N.  cutaneus  ext., 
sowie  Motilitätsstörungen,  besonders  starker  Flexion  des  Schenkels  und  sehr 
starke  Schmerzen  bei  dem  Versuche,  das  Hüftgelenk  zu  strecken,  sowie  bei 
etwaigen  Gehversuchen  hinkendem  Gang  mit  vornübergebeugtem  Körper. 

Durch  die  entzündliclie  Anscliwelhing  in  der  Umgebung  des  Uterus  wird  Mufig  die 
Rückbildung  des  letzteren  beeinträchtigt  und  damit  zusammenhängend  eine  Veränderung 
in  der  Lochialsecretion  veranlasst.  Die  Lochien  werden  oft  spärlicher,  besonders  anfangs, 
dabei  bald  übelriechend;  in  anderen  Fällen  werden  sie  mehr  schleimig,  eitrig,  missfarbig, 
auch  mitunter  später  wieder  mehr  blutig,  während  anfangs  die  blutige  Ausscheidung  oft 
gänzlich  sistirt. 

Das  Fieber  setzt,  von  den  ganz  leichten  Fällen  abgesehen,  meist  mit 
einem  deutlichen  Schüttelfrost  ein  und  steigt  mehr-minder  rasch  zu  bedeuten- 
der Höhe  an,  bis  zu  41"  und  darüber,  im  Mittel  4:0'5^  und  bleibt  einige  Tage 
auf  dieser  Höhe  stehen.  Dann  macht  sich,  meist  gegen  Morgen,  eine  deutliche, 
oft  sehr  bedeutende  Eemission  bemerklich,  während  allerdings  der  continuirliche 
Charakter  des  Fiebers   oft  weit  länger   anhält,  bis  zu  5  Wochen.     Dies  ist 


94  BECKENEXSUDATE. 

aber  selten.  Die  Remission  mit  leichter  abendlicher  Exacerbation  hält  oft 
längere  Zeit  an  und  geht  in  günstigen  Fällen  allmälig,  in  zwei  bis  3  Wochen, 
selten  früher,  aber  öfters  später  in  normale  Temperatur  über.  Nicht  selten 
aber  folgt  der  anfänglichen  Remission  ein  vollständig  intermittirendes  Fieber 
mit  sehr  starken  abendlichen  Exacerbationen,  Schwankungen  um  3  bis  4  Grad, 
von  37"0  Morgens  auf  41  "0  Abends  sind  nichts  seltenes  und  gerade  für  para- 
metritische  Exsudate  sehr  charakteristisch.  Sie  kommen  bei  keinem  anderen 
Puerperalleiden  so  eclatant  zum  Ausdruck.  Die  Pulsfrequenz  steigt  bei  dem 
Anfangstieber  bis  zu  110  bis  120,  selbst  bis  zu  130  und  ist  der  Puls  dann 
oft  hart  und  gespannt. 

Mit  dem  Nachlass  des  Fiebers  fällt  auch  der  Puls  je  nach  dem  Grade 
der  Remission  auf  80  bis  100,  um  bei  steigender  Temperatur  auch  wieder 
entsprechend  in  die  Höhe  zu  gehen.  Bei  völligem  Nachlass  des  Fiebers  kann 
er  bis  auf  60  und  darunter  zurückgehen.  Die  Respiration  ist  massig  frequent, 
meist  ungehindert  und  nur  bei  starken  Schmerzen  wesentlich  beschränkt,  kurz, 
hastig.  Das  Sensorium  bleibt  meist  frei.  Der  Appetit  liegt  danieder,  die  Zunge 
ist  meist  feucht,  der  Durst  aber  selten  sehr  stark,  nur  bei  sehr  hohem  Fieber. 
Die  Patienten  haben  wohl  ein  deutliches  Krankheitsgefühl,  es  ist  dies  aber 
oft  selbst  bei  sehr  starken  Exsudaten  nur  ein  massiges. 

Nicht  selten  kommen  Nachschübe  des  Exsudates  vor  und  machen  sich 
dieselben  durch  erneuten  Frost  und  oft  sehr  starkes  Fieber,  sowie  auch  meist 
durch  Steigerung  der  etwa  noch  vorhandenen  oder  durch  erneut  auftretende 
Schmerzen  bemerklich.    Auch  können  dabei  geringe  Metrorrhagien  auftreten. 

Je  nach  Umständen,  bezw.  nach  der  Gegend,  wohin  der  Nachschub 
sich  erstreckt,  werden  neue  nachweisbare  Tumoren  auftreten  oder  die  vorhan- 
denen sich  vergrössern.  Die  Allgemeinerscheinungen  sind  dieselben,  wie  in 
den  anfänglichen  Anfällen.  Das  Fieber  dauert  bei  starken  Nachschüben  wieder 
gewöhnlich  continuirlich  oder  subcontinuirlich  7  bis  8  Tage,  während  die 
Exacerbationen  im  Verlaufe  des  schon  erwähnten  intermittirenden  Fiebers 
wohl  mit  leichteren  Nachschüben  zusammenhängen,  vielleicht  auch  mit  Eiter- 
resorption bei  beginnender  Rückbildung. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  komint  es  früher  oder  später  zu  einer 
völligen  Resorption,  deren  Dauer  sich  wesentlich  nach  der  Grösse  der 
Exsudate  richtet.  Bei  sehr  grossen  Exsudaten  können  drei  und  vier  Monate 
vergehen,  bis  der  Resorptionsprocess  vollendet  ist.  Als  mittlere  Dauer  rechnet 
man  7  bis  8  Wochen. 

Während  derselben  zeigen  sich  öfters  noch,  besonders  gegen  Abend  leichte 
Fieberregungen,  das  Allgemeinbefinden  aber  zeigt  zunehmende  Besserung. 
Nicht  immer  aber  kommt  es  zur  völligen  Resorption"  sondern  es  bleiben  oft 
Indurationen  zurück,  die  oft  erst  nach  Jahren,  manchmal  auch  gar  nicht  ver- 
schwinden. 

Kommt  es  zur  Eiterung,  dem  nach  völliger  Resorption  häufigsten 
Ausgange,  so  steigert  sich  nach  dem  ersten  Nachlasse  das  Fieber  von  Neuem, 
mit  starken  abendlichen  Exacerbationen  bis  zu  4P,  die  Schmerzen  und  Empfind- 
lichkeit der  sich  jetzt  oft  vergrössernden  Geschwulst  nehmen  wieder  zu  und 
werden  sich  hauptsächlich  nach  der  Gegend  hin  bemerklich  machen,  wohin  der 
Eiter  seinen  Ausweg  nimmt.  Auch  bei  grossen  eitrigen  Schmelzungen  fühlt 
man  selten  über  grosse  Strecken  verbreitete  Fluctuation,  wohl  aber  kleinere, 
weiche,  druckempfindliche  Stellen,  besonders  über  dem  PouPAßT'schen  Bande 
und  im  herabgedrängten  Scheidengewölbe,  welche  König  als  Gewebslücken  be- 
zeichnet. Bahnt  sich  der  Eiter  einen  Weg  nach  aussen,  so  röthet  sich  die 
betreifende  Stelle  und  spitzt  sich  allmälig  zu,  bis  der  Durchbruch  erfolgt.  Bei 
Durchbruch  nach  inneren  Organen  sind  die  Erscheinungen  verschieden  je  nach 
dem  Organe.  Bei  der  nach  dem  Durchbruche  über  dem  PouPAEx'schen  Bande 
häufigsten  Entleerung,  in  und  durch  den  Mastdarm,  macht  sich  mehr-minder 


BECKENEXSUDATE.  95 

starker  Tenesraus  bemerklicli,  dem,  oft  unter  Schmerzen,  manchma]  aber  aucli 
ganz  schmerzlos  eine  oft  sehr  copiösc,  eitrige  Stuhlentleeriing  folgt.  Bei 
Durchbruch  durch  die  Blase  geht  demselben  heftige  Strangurie  voraus  und  be- 
gleitet oft  noch  längere  Zeit  die  Entleerung  des  eitrigen  Urins.  Bei  dem 
selteneren  Durchbruch  durch  die  Vagina  macht  sich  vorher  vermehrtes  Hitze- 
gefühl und  ödematöse  Schwellung  in  derselben,  sowie  grosse  Emphndlichkeit 
bei  etwaiger  Untersuchung  bemerklich,  nel)en  ödematöser  Anschwellung  der 
Vulva  und  besonders  der  grossen  Labien,  letzteres  oft  einseitig.  El)enso  zeigt 
sich  Oedem  der  Labien,  sowie  Röthung  der  äusseren  Haut  des  Perinäum  bei 
dem  sehr  seltenen  Durchbruch  durch  dieses  neben  dem  After  her,  auch  ist 
dabei  das  Sitzen  sehr  schmerzhaft.  Der  glücklicherweise  sehr  seltene  Durch- 
bruch in  die  Peritonäalhöhle  führt  heftige,  rasch  tödtliche  Peritonitis  herbei. 
Ein  sehr  seltener  Ausgang  ist  der  in  Verjauchung  des  Exsudates,  Ichorrhämie 
und  damit  zusammenhängenden  Tod,  und  ist  dann  meist  nur  Theilerscheinung 
universellen  Puerperalfiebers. 

Sobald  der  Eiter  einen  Weg  nach  aussen  gefunden  hat,  tritt, 
sofern  nur-  die  Perforationsöffnung  gross  genug  ist,  um  reichliche  Entleerung 
zu  gestatten,  sehr  rasch  eine  bedeutende  Besserung  im  Befinden  der  Patienten 
ein  und  erholen  sich  dieselben  meist  sehr  bald,  die  Geschwulst  verkleinert 
sich  zusehends  und  kann  schon  binnen  acht  bis  vierzehn  Tagen  vollkommene 
Heilung  erfolgen;  mitunter  dauert  es  etwas  länger.  Wird  aber  wegen  zu  enger 
oder  sonst  ungünstiger  spontaner  oder  künstlicher  Perforationsöffnung  der  Eiter 
nicht  genügend  entleert,  dann  zieht  sich  der  Process  in  die  Länge,  der  Eiter 
sucht  sich  womöglich  einen  anderen  oder  selbst  mehrere  Auswege  und  die 
Kranken  können  schliesslich  an  Erschöpfung  in  Folge  des  andauernden  Fiebers 
und  dergl.  zu  Grunde  gehen.  Bei  Durchbruch  des  Eiters  in  den  Mastdarm  hat 
man  bisweilen  ausgedehnte  Geschwürsbildungen  im  Mastdarm  und  Dickdarm 
mit  profusen  erschöpfenden  Diarrhöen  beobachtet.  Durch  Zerstörung  des 
Periostes  können  Beckenabcesse  auch  Caries  und  Necrose  der  Beckenknochen 
oder,  indem  der  Eiter  in  der  Scheide  des  Psoas  nach  unten  tritt,  secundäre 
Erkrankung  des  Hüftgelenkes  verursachen. 

Die  Diagnose  der  entzündlichen  Beckenexsudate  ist  meist  nicht  schwer 
zu  stellen,  wenn  man  den  Process  von  Anfang  an  zu  beobachten  Gelegenheit 
hat.  Am  schwersten  ist  die  Unterscheidung  zwischen  intra-  und  extraperito- 
näalem  Exsudat,  zumal  beide  zusammen  vorkommen  können.  Abgesehen  von 
der  meist  grösseren  Schmerzhaftigkeit  bei  den  intraperitonäalen  Exsudaten 
sind  diese  meist  ausgebreiteter  und  höher  sitzend,  anfangs  ohne  bestimmte 
Grenzen,  weicher  als  die  parametritischen;  der  Uterus  oft  hinaufgezogen  und 
beweglich,  während  er  bei  den  parametritischen,  die  anfangs  durch  grössere 
Härte  sich  auszeichnen  und  erst  allmälig  durch  die  Eiterung  erweichen, 
nach  unten  oder  zur  Seite  gedrängt  und  durch  die  starren  Exsudatmassen 
fixirt  wird.  Die  parametritischen  Exsudate,  von  den  Bauchdecken  aus  sich  oft 
höckerig,  uneben  anfühlend,  gehen  nicht  über  den  Fundus  uteri  hinüber, 
während  das  bei  Peritonäalexsudaten  sehr  häufig  der  Fall  ist.  Im  weiteren 
Verlaufe  abgekapselte,  deutlicher  umgrenzte  Peritonäalexsudate  wechseln  oft 
je  nach  der  Füllung  des  Darmes  oder  der  Blase  ihre  Stelle,  sind  ver- 
schieblich, während  Beckenexsudate  starr  und  unbeweglich  sind,  was  sich 
besonders  bei  bimanueller  Untersuchung  leicht  erkennen  lässt.  Eine  Ver- 
wechslung der  Beckenexsudate  ist  möglich  mit  Hämatocele  periuterina,  deren 
Entstehung  jedoch  meist  in  eine  Menstruationsperiode  fällt,  was  bei  Becken- 
exsudaten doch  selten  der  Fall  ist,  und  nicht  mit  puerperalen  Vorgängen 
zusammenhängt.  Die  Geschwulst  der  Hämatocele  wächst  viel  rascher,  als  die 
parametritische,  ihr  Sitz  ist  mehr  median,  hinter  und  über  dem  Uterus,  sie 
fühlt  sich  W'eich  und  elastisch  an  und  ist  bei  Berührung  wenig  schmerzhaft. 


96  BECKENEXSUDATE. 

Eine  Yerweclislimg  mit  kleinen  Ovarialcysten,  mit  Uterusfibroiden,  mangel- 
haft involvirtem  Uterus,  mit  ante-  und  retroflectirtem  Uterus  wird  sich  bei 
genauer  Untersuchung  und  bei  Berücksichtigung  der  anamnestischen  Verhält- 
nisse leicht  vermeiden  lassen. 

Die  Prognose  und  der  Verlauf  sind  wandelbar,  verschieden.  Es  ist 
dabei  vor  allem  die  Ausdehnung  des  Processes  und  die  Gegenwart  von  Com- 
plicationen  zu  berücksichtigen.  Die  primäre  Parametritis  verläuft  in  den  bei 
weitem  meisten  Fällen  günstig,  selbst  wenn  die  Patienten  durch  lange  Dauer, 
Eiterung  und  dergl.  sehr  herunterkommen.  Sie  erholen  sich  doch  meist 
sehr  rasch  wieder,  selten  endet  die  Krankheit  tödtlich.  Allerdings  bleiben 
mitunter  durch  Indurationen  u.  dgl.  Störungen  zurück,  die  oft  erst  nach 
Jahren,  zuweilen  auch  gar  nicht  verschwinden.  Wenn  die  Exsudate  -  aber 
secundär  entstehen  als  Folge  oder  Theilerscheinung  universeller  Infection,  wenn 
Peritonitis,  Lymphangoitis,  Ichorrhämie  u.  dgl.  sich  hinzugesellen,  dann  ist  die 
Prognose  allerdings  meist  ungünstig,  infaust  zu  stellen, 

Therapie.  Die  beste  prophylaktische  Behandlung  ist  eine  gewissenhaft 
und  streng  durchgeführte  absolute  Antisepsis  bei  jeder,  auch  der  leichtesten 
Geburt,  bei  jeder  Operation  und  jeder  sonstigen,  Gelegenheitsursache  geben- 
den Veranlassung. 

Die  eigentliche  Behandlung  ist  eine  wesentlich  locale,  da  das  Fieber 
und  die  Allgemeinerscheinungen  von  dem  Localleiden  abhängig  sind.  In  erster 
Linie  ist  dafür  zu  sorgen^  dass  jede  Heizung  der  Beckenorgane  und  alles,  was  die 
Congestion  zu  denselben  vermehren  oder  den  Rückfluss  des  Blutes  von  denselben 
verhindern  könnte,  vermieden  werde.  Deshalb  strenge  horizontale  Rücken- 
lage, Vermeidung  jeder  unnöthigen  Bewegung,  Unterlassung  aller  nicht  unbe- 
dingt nöthigen,  besonders  inneren  Untersuchung,  Sorge  für  leichte,  geregelte 
Ausleerungen  u.  s.  w.  So  lange  Fieber  und  Schmerzhaftigkeit  ein  Fortbestehen 
der  Entzündung  erkennen  lassen,  suche  man  diese  durch  kalte  Umschläge  oder 
den  Eisbeutel  oder  durch  tem;perirte  Wasserumschläge  zu  bekämpfen.  Letztere 
werden  oft  besser  vertragen,  als  die  absolute  Kälte.  Kisch  empfiehlt  im 
acuten  Stadium  intravaginale  Anwendung  der  Kälte  durch  besonders  constru- 
irten  Irrigator.  Bei  plethorischen  Patienten  kann  man  auch  im  Anfange  des 
"Wochenbettes  locale  Blutentziehungen  —  6  bis  10  Blutegel  in  die  Inguinal- 
gegend  der  betreffenden  Seite,  der  Entzündungsstelle  möglichst  nahe  —  an- 
wenden. Weniger  empfehlenswerth  sind  Blutegel  an  das  Scheidengewölbe  oder 
die  Vaginalportion  wegen  der  dadurch  bedingten  Reizung  und  möglicherweise 
Infectionsgefahr,  eher  noch  Scarificutionen  oder  Heurteloup. 

Die  Eisblase  werden  wir  nur  so  lange  liegen  lassen,  bis  die  Schmerzen 
aufhören,  dann  gehen  wir,  insofern  dies  nicht  schon  von  vornherein  geschehen  ist, 
zu  ternperirten  Wasserumschlägen  (22—25^  C.)  über,  die  wir  tagelang  anwenden 
können  und  unter  welchen  sehr  oft  die  Resorption  günstig  eingeleitet  wird.  Von 
den  von  mancher  Seite  empfohlenen  Einreihungen  von  Ung.  cinereum  oder  Jod- 
Jodkalisalbe  in  die  schmerzhafte  Unterbauchgegend,  habe  ich  weniger  günstige 
Resultate  gesehen,  als  von  den  Wasserumschlägen. 

Gossmann  empfahl  nacli  Erfahrungen  auf  Spiegelberg's  Klinik  neben  Blutegeln  und 
Cataplasmen  innerlich  Sublimat,  0-01  stündhch,  bis  10  Centigramm  verbraucht  sind,  dann 
zweistündlich;  bei  etwa  auftretender  Diarrhoe:   Tinct.  Opii. 

Bei  übelriechenden  Lochien  sind  mehrmals  täglich  lauwarme  Scheiden- 
ausspülungen mit  P/oQ  Sublimat-  oder  1  bis  2°lf,  Carbol-Lösung  zu  machen. 
Gegen  das  Fieber  wird  man  nur,  wenn  es  sehr  hochgradig  und  angreifend 
ist,  einschreiten  durch  grosse  Chinindosen  oder  durch  Antipyrin  (Vorsicht!), 
Salicylnatron,  Digitalis  mit  Säure  u.  dgl.  Lässt  der  Zustand  des  Intestinal- 
traktus  es  zu,  suche  man  durch  roborirende,  aber  leicht  verdauliche,  nicht 
reizende  Diät  die  Kräfte  zu  erhalten,  beziehungsweise  zu  heben. 


BECKENEXSUDATE.  97 

Ist  es  trotz  alledem  zur  Vereiterung  der  Exsudate  gekoTriirien,  ist  es 
immerhin  noch  möglich,  dass  durch  Eindickung  des  Eiters  und  Aufsaugung 
seiner  flüssigen  Theile  eine  Resorption  zu  Stande  kommt,  welche  man  eben 
immer  wieder  durch  stete  Anwendung  der  temperirten  Umschläge  zu  befördern 
suchen  muss.  Deutet  aber  fortdauerndes  P'ieber  auf  eine  Fortdauer  der 
eitrigen  Schmelzung  des  Exsudates,  dann  ist  es  geboten,  den  PJiter  w(;nn  irgend 
möglich  zu  entleeren.  Scheint  derselbe  einen  Ausweg  nach  aussen  gewinnen 
zu  wollen,  dann  muss  man  dies  durch  warme  Umschläge  (Leinsamen,  Grütze, 
Reis  u.  dgl.)  zu  befördern  suchen,  andernfalls  für  künstliche  Entleerung  des 
Eiters  Sorge  tragen.  Bei  zu  erwartendem  oder  drohendem  Durchbruche  nach 
aussen,  meist  über  dem  PouPART'schen  Bande  ist  dies  nicht  schwierig,  beson- 
ders wenn  die  Incisionsstelle  durch  Fluctuation  sich  markirt,  gewöhnlich  1  bis 
2  cm  oberhalb  des  Lig.  Poupartii  2  bis  3  cm  von  der  Spina  iL  ant.  sup.  entfernt. 
Bei  nicht  deutlicher  Fluctuation  kann  man  eine  Probepunction  vorausschicken. 
Roser  empfahl  das  Lig.  Poupartii  neben  der  Art.  femor.  bloszulegen  und  durcli 
Einführen  einer  Kornzange  an  der  äusseren  Seite  des  Schenkelringes  das  Zell- 
gewebe bis  zur  Abscesswandung  auszudehnen  und  so  dem  Eiter  einen  Ausweg 
zu  bahnen.  Nicht  leicht  ist  die  Eröffnung,  wenn  der  Durchbruch  nach  dem 
Mastdarm  oder  der  Scheide  zu  erfolgen  scheint.  Vom  Mastdarm  ist  kaum 
eine  künstliche  Eröffnung  möglich,  wohl  aber,  besonders  nach  vorausgeschickter 
Probepunction  von  der  Scheide  aus.  Hier  kann  günstigen  Falles  der  Abscess 
direct  getroffen  werden,  andernfalls  muss  man  sich  nach  Durchtrennung  der 
Scheidenwand  mit  dem  Finger  oder  einem  stumpfen  Werkzeug  erst  durch  eine 
oft  sehr  dicke  Zellgewebs-Schwarte  den  Weg  zu  dem  Abscess  bahnen  und  diesen 
dann  mit  einer  langgestielten  spitzen  Scheere  oder  einem  dicken  Troikart 
eröffnen.  Bei  solch'  tiefliegenden  Abscessen  ist  es  zweckmässig,  nach  der  Er- 
öffnung ein  Drainrohr  einzulegen.  Bei  Durchbruch  durch  die  Blase  oder  den 
Mastdarm  mit  enger  Oeffnung  und  nicht  genügendem  Eiterabfluss  empfiehlt 
Byford  (Chicago)  eine  gekrümmte  Sonde  durch  die  Perforationsöffhung  zu 
führen,  die  Spitze  der  Sonde  gegen  die  Vaginalwand  zu  drehen  und  letztere 
auf  der  Spitze  der  Sonde  einzuschneiden. 

Kommt  es  nicht  zur  Eiterung,  verzögert  sich  aber,  auch  nach  voraus- 
gegangener Eiterung  die  Resorption,  so  kann  man  verschiedene  Mittel  in 
Anwendung  bringen.  Vielfach  wird  Jod,  sowohl  innerlich,  Jodkalium  —  als 
äusserlich  empfohlen,  letzteres  durch  Aufpinseln  von  Jodtinctur  oder  Einreiben 
von  Jod- Jodkalisalbe  oder  eine  Jodkalisalbe  (sehr  zweckmässig  mit  Lanolin 
bereitet)  in  die  Bauchdecken,  durch  Bepinseln  der  Port,  vagin.,  der  Cervical- 
schleimhaut,  auch  des  verdickten  Scheidengewölbes  mit  Jodtinctur  oder  Jod- 
glycerin;  Jodglycerintampons,  Jodoformbestäubung  u.  dgl.  Beeisky  empfiehlt 
jeden  3.  Tag  die  Schleimhaut  des  Collum  im  Röhrenspeculum  (zur  Schonung 
der  Scheidenschleimhaut)  und  täglich  die  Bauchdecken  mit  reiner  Jodtinctur 
zu  bepinseln.  Bei  heruntergekommenen,  anämischen  Patienten  muss  man  mit 
der  Jodbehandlung,  besonders  der  innerlichen,  sehr  vorsichtig  sein. 

Nächst  dem  Jod  werden  besonders  kalte,  laue  bis  ganz  heisse  Scheiden- 
irrigationen mit  oder  ohne  Zusatz  von  Mutterlauge,  Soole  oder  Salz 
empfohlen,  ferner  Sitz-  und  Vollbäder,  pur  oder  mit  obigen  Zusätzen, 
Moorbäder  u.  dgl.  und  eignen  sich  dieselben  besonders  zur  Nachcur  und 
für  zurückgebliebene  Indurationen.  Naheliegend  ist,  dass  jeder  Badearzt 
seinem  Bade  besondere  Vorzüge  für  diesen  Zweck  nachrühmt,  welche  wir 
vielleicht  den  jod-  und  bromhaltigen  Soolen,  sowie  den  Eisen-Moorbädern  zu- 
erkennen können. 

Viel  umstritten  ist  die  Frage  des  Massirens  und  Knetens*)  der 
nach  Ablauf  der   Entzündung   zurückgebliebenen    starren   Exsudate,    welches 


*)  Vergl.  Artikel  „Massage  in  der  Gynähologie"  (Dührssen)  ds.  Bd.  der  „BibliotheJc", 

Bibl    med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  7 


98  BECKENMESSUNG. 

tlieils  einfach  von  den  Baucliclecken  aus,  noch  wirksamer  aber  bimanuell,  von 
Bauchdecken  und  Scheide  aus  bewirkt  werden  kann.  Jedenfalls  ist  grosse 
Vorsicht  dabei  nothwendig.  Contraindication  gibt  bestehende  Suppuration  im 
Exsudat. 

Die  von  Apostoli  und  anderen  empfohlene  elektrische  Behandlung, 
theils  P'aradisation,  theils  Galvanisation  hat  sich  bis  jetzt  noch  nicht  viele 
Freunde  zu  erwerben  vermocht.  Quecksilberbehandlung,  theils  inner- 
lich —  Calomel,  Sublimat,  ■ —  theils  äusserlich  als  Schmiercur  ist  bei  Verdacht 
gonorrhoischer  Infection  in  Betracht  zu  ziehen. 

Selbstverständlich  ist,  dass,  je  mehr  sich  der  Process  in  die  Länge  zieht 
und  die  Patienten  herunterkommen,  man  vor  allem  auf  roborirende  Diät 
und  Verabreichung  von  Eisen,  Chinin,  Wein  u.  dgl.  bedacht  sein  muss. 
Auch  darf  man  die  Patienten  ja  nicht  zu  früh  aufstehen  lassen. 

BIRNBAUM. 

Beckenmessung.  Die  aligemeine  Untersuchung  betrifft  zunächst 
die  Körperhöhe,  die  Stärke  und  den  Bau  der  Knochen  des  gesammten  Ske- 
letes.  In  dieser  Hinsicht  sind  Gestaltabweichungen  der  Wirbelsäule  und  der 
unteren  Extremitäten  nur  dann  für  eine  vorhandene  Beckenverengerung  dia- 
gnostisch von  Werth,  als  sie  Zeichen  einer  Knochenerkrankung  sind,  durch 
welche  erfahrungsgemäss  auch  das  Becken  beeinflusst  wird.  Die  veränderten 
statischen  und  mechanischen  Verhältnisse  drücken  sich  am  besten  in  der  Art 
des  Ganges  des  Individuums  aus. 

Für  gewisse  Krankheiten  der  Skeletknochen  ist  die  Anamnese  von  grossem  Werthe; 
ebenso  wie  der  Verlauf  früherer  Geburten  bei  Mehrgebärenden. 

Die  Untersuchung  des  Beckens  selbst  wird  eine  äusserliche  und 
eine  innerliche  sein  müssen.  Die  äussere  Untersuchung  lässt  uns  die 
Stärke  und  die  Form  der  Beckenknochen  erkennen.  Die  innerlicheUnter- 
suchung  des  Beckens  besteht  in  der  möglichst  genauen  Austastung  des  ge- 
sammten Beckenraumes  und  der  Beurtheilung  der  Lage  der  einzelnen  Becken- 
knochen zu  einander. 

Die  Beckenmessung  kann  eine  äussere  oder  eine  innere  sein,  und  in 
jedem  dieser  Fälle  manuell  oder  instrumenteil  ausgeführt  werden. 

Durch  die  äussere  Beckenmessung  werden  folgende  Distanzen  bestimmt: 
1.  Die  Conjugata  externa^  2.  die  Distanz  der  Spinae^  Cristae  und  Trochanteren, 
3.  die  Distanz  der  Spinae  posteriores  superiores,  4.  die  Länge  des  Kreuzbeines, 
des  Hüftbeinkammes ^  5.  der  gerade  und  quere  Durchmesser  des  Beckenausganges, 
6.  die  äusseren  Schrägmaasse. 

Die  Conjugata  externa  wurde  nach  Baudelocque  vom  oberen  Symphysen- 
rande  zur  Grube  zwischen  den  Dornfortsätzen  des  letzten  Lendenwirbels  und 
des  ersten  Kreuzbeinwirbels  gemessen. 

Heute  jedoch  verfährt  man  allgemein  nach  dem  Verfahren  von 
Michaelis,  demzufolge  als  hinterer  Messpunkt  der  Conjugata  externa  der 
Dornfortsatz  des  letzten  Lendenwirbels  selbst  genommen  wird.  Um  diesen 
Messpunkt  leicht  und  sicher  aufzufinden,  gab  Michaelis  folgende  Vor- 
schrift: Zu  beiden  Seiten  des  Kreuzbeines  finden  sich  zwei  Gruben,  welche 
durch  das  Festeranliegen  der  Haut  über  den  Spinae  posteriores  superiores 
gebildet  werden;  verbindet  man  diese  beiden  Gruben  durch  eine  gerade  Linie 
und  projicirt  in  dem  Halbirungspunkte  dieser  Linie  eine  Senkrechte  von 
2V2 — 5  cwi  Höhe,  so  fällt  der  Endpunkt  der  letzgenannten  Linie  auf  die 
Spitze  des  Dornfortsatzes  des  letzten  Lendenwirbels.  Doch  ist  zu  berücksich- 
tigen, dass  bei  abnormen  Becken  der  Dornfortsatz  auch  in  die  Linie  zwischen 
die  beiden  Spinae,  ja  sogar  unter  dieselbe  herabsinken  kann. 

Die  Conjugata  externa  wird  am  besten  in  der  Seitenlage  der  zu  Unter- 
suchenden gemessen. 


BFXKENMESSUNG. 


99 


Die  beiden  wiclitigsten  Querin aasse,  welclio  mittels  des  Tasterzirkels 
bestimmt  werden,  sind  die  Distanzen  der  »Spinae  und  der  Cristae  ossium  ilei; 
man  misst  die  Distanz  der  Spinae  anteriores  superiores,  indem  man  die  Knöpfe 
des  Tasterzirkels  genau  an  der  Stelle  ansetzt,  wo  der  äuss(.'re  Hand  der  Seime 
des  Musculus  sartorius  in  die  Spinae  übergeht.  Die  der  Cristae  wird  {gemessen, 
indem  man  die  Knöpfe  des  Zirkels  an  die  äusseren  Kanten  derselben,  und 
zwar  dort  ansetzt,  wo  dieselben  die  grösste  Entfernung  haben.  Das  Resultat 
dieser  Messungen  an  normalen  Becken  ist  sehr  schwankend.  Als  durch- 
schnittliche Entfernung  fand  C.  Martin  an  einer  grösseren  Zahl  von  Decken 
für  die  Spinae  25,  für  die  Cristae  28  on.  Der  eigentliche  Werth  dieser  Mes- 
sungen liegt  in  der  Erkenntnis  der  Form  des  Beckens,  nicht  der  seiner  Grösse, 
besonders  gilt  dies  für  die  Differentialdiagnose  zwischen  den  rhachitischen  und 
nicht  rhachitischen  Becken. 

Bei  den  Schlüssen,  die  man  aus  den  Querabständen  des  grossen  Beckens  zieht,  hat 
man  ausser  dem  Knochenbau  und  der  Entwicklung  der  Weichtheile  auf  gewisse  Anomalien 
in  der  Grösse  und  Neigung  der  Darmbeinschaufeln  zu  achten. 

Noch  weniger  Werth  als  die  Messung  der  Spinae  und  Cristae  für  die  Er- 
kenntnis der  Beckenweite  hat  die  Messung  der  Trochanterendistanz. 
Zum  Zwecke  dieser  Messung  liegt  die  Frau  mit  vollkommen  adducirten  unteren 
Extremitäten  gerade  ausgestreckt  auf  dem  Ptücken;  als  Messpunkte  dienen  die 
am  weitesten  nach  aussen  vorspringenden  Punkte  der  beiden  grossen  Roll- 
hügel. C.  Martin  bestimmte  deren  Entfernung  durchschnittlich  auf  31  cm. 

Am  meisten  Berücksichtigung  verdienen  noch  die  Distanzen  des 
Beckenausganges.  Nach  Breisky  wird  die  Conjugata  des  Beckenausganges 
von  der  Spitze  des  Kreuzbeines  zum  unteren  Rand  der  Symphyse  in  folgender 
"Weise  gemessen:  Die  Frau  befindet  sich  in  Seitenlage  mit  stark  angezogenen 
Oberschenkeln.  Zur  Bestimmung  des  hinteren  Messpunktes  führt  man  den 
Zeigefinger  in  die  Scheide  oder  in  den  Mastdarm  ein,  legt  den  Daumen  aussen 
an  die  Spitze  des  Kreuzbeines  und  sucht  durch  Bewegung  des  Steissbeines 
die  Lage  des  Gelenkes  zwischen  den  beiden  genannten  Knochen  zu  bestimmen. 
Unmittelbar  über  dieser  Gelenksverbindimg  wird  der  eine  Knopf  des  Taster- 
zirkels aussen  auf  die  Haut  angesetzt,  der  andere  Knopf  kommt  auf  den 
scharfen  Rand  des  Ligamentum  arcuatum  zu  liegen.  Um  aus  dem  erhaltenen 
Maasse  den  dazu  gehörigen  inneren  Durchmesser  zu  erhalten,  zieht  man  etwa 
iVgCw  für  die  Dicke  der  Weichtheile  und  Knochen  ab. 

Der  Querdurchmesser  des  Beckenausganges  wird  nach  Breisky 
in  Rückenlage,  am  besten  auf  einem  Untersuchungstische  gemessen;  man 
tastet  in  dieser  Lage  sehr  leicht  die  j,j„  ^ 

inneren  Ränder  der  Tubera  ischii. 
Drängt  man  in  den  Beckenausgang 
zwischen  die  inneren  Ränder  der- 
selben einen  Tasterzirkel  mit  diver- 
girenden  Branchen  und  drückt  die 
Knöpfe  kräftig  gegen  die  Tubera,  so 
erhält  man  ein  Maass,  welches  um 
die  Dicke  des  Fettpolsters  kürzer  ist 
als  der  wirkliche  Querdurchmesser 
des  Beckenausganges. 

Die  innere  Beckenmessung 
wird  entweder  mit  den  Fingern  oder 
mit  eigens  dazu  construirten  Instru- 
menten ausgeführt. 

Digitale,  auch  manuelle 
innere  Beckenmessung.  Zur 
Messung    der   Conjugata    diagonalis 

wird     die     zu     Untersuchende     in     die  Digitale  Messung  der  conjugata  dlagonalls  (nach  Michaeus). 

7* 


100 


BECKENMESSÜNG. 


Rückenlage  mit  erliölitem  Steiss,  gebeugten  und  abducirten  unteren  Extre- 
mitäten gebracht;  man  führt  den  Zeige-  und  Mittelfinger  wie  zur  Unter- 
suchung in  die  Scheide  ein  und  tastet  sich  mit  den  Fingerspitzen  bis  zum 
Promontorium  vor.  Hat  man  dasselbe  sicher  erkannt,  dann  setzt  mau  die 
Spitze  des  Mittelfingers  auf  dessen  Mitte  auf,  streckt  die  Finger  und  hebt  die 
Hand  so  weit,  bis  das  Ligamentum  arcuatum  den  Radialrand  des  Zeigefingers 
berührt,  und  macht  hierauf  mit  dem  Nagel  des  Zeigefingers  der  anderen  Hand 
einen  Eindruck  gerade  an  der  Stelle  der  Haut  der  untersuchenden  Hand, 
welche  genau  der  Lage  des  Ligamentum  arcuatum  entspricht. 


Kg. 


Messung  der  Conjugata  vera  (nach  Skutsch). 


Fig.  3. 


Aus  der  Conjugata  diagonalis  berechnet  man  die  Läge  der  Conjugata  vera. 
Skutsch    fand    unter    100   Becken    die    Differenz    zwischen    0*5    und    2  cm 

schwankend,  nur  llmal  betrug  der  Abzug 
1"8  cm.    Diese  Differenz  soll  abhängig  sein: 

1.  Von    der    Stellung    des    Promontoriums, 

2.  von  der  Stellung  der  Symphyse,  3.  von 
der  Höhe  der  Symphyse,  4.  von  der  Dicke  der 
Symphyse. 

Von  diesen  Momenten  kommt  jedoch  nur  die 
HöHe  der  Symphyse  und  der  Grad  ihrer  Neigung 
in  Betracht.  Da  wir  aber  nicht  im  Stande  sind, 
die  Höhe  der  Symphyse  und  den  Symphysenwinkel 
an  der  Lebenden  genau  zu  messen,  so  kann  es  sich 
immer  nur  um  eine  Schätzung  der  Conjugata  vera 
handeln.  Der  Ausdruck  „Messung"  der  Conjugata 
¥era  ist  unrichtig. 

Durch  die  instrumenteile  innere 
Becke  um  essung   hat   man   versucht,  die 
Conjugata  diagonalis  und  vera,  die  Conjugata 
des   Ausgangs,    die    Grösse    des    Querdurch- 
messers   am   Eingange    und   Ausgange,    die 
Distantia  sacrocotyloidea,    sowie  die  Entfer- 
nung der  Spinae  ischii  zu  bestimmen.     Fast 
zahllos    sind    die  zu  diesem  Zwecke  angege- 
benen Instrumente. 
Am  zweckmässigsten  und  einfachsten   erscheint  ein  von  Skutsch  ange- 
gebener   Tasterzirkel,    dessen    einer    Arm    einen  langen   Bleistab    darstellt. 
Mit  diesem  Instrumente  ist  man  im  Stande,  auf  einfache  und  sichere  Weise 


Messung  der  Transversa  major 
(nach  Skutsch). 


BILDUNGSANOMALIEN  DEll  WEIBLICHEN  SEXU  ALOKGANE.  101 

die  sämmtlichen  Distanzen  des  lieckeninneren  zu  messen.  Dies  gescliielit  nach 
Skutsch  in  der  Weise,  dass  man  das  Instrument  an  die  l)etreffenden  Messpunkte 
anlegt,  die  Stellung  der  Branchen  zu  einander  mittels  der  Flügelschraube 
fixirt,  an  dem  am  Instrumente  befindlichen  Maasstabc  die  gegenseitige  Knt- 
fernung  der  Branchen  abliest,  dann  das  Instrument  entfernt,  auf  die  gleiche 
Zahl  einstellt  und  dann  direct  die  Entfernung  der  Knöpfe  misst.  Die  Art 
und  Weise  der  Messung  erfolgt  ganz  nach  den  Grundsätzen  des  Wellex- 
BERGH'schen  Princips  der  Beckenmessung  Friedrich  schauta. 

Bildungsanomalien  der  weiblichen  Sexualorgane.  Die  verschie- 
denen Bildungsanomalien  der  weiblichen  Sexualorgane  kann  man  am  leich- 
testen an  der  Hand  der  Entwicklungsgeschichte  des  weiblichen  Genitaltractes 
studieren.  Von  der  4.  bis  5.  Woche  angefangen  findet  man  zu  beiden  Seiten 
der  Wirbelsäule  Organe,  welche  als  die  Primordial ni  er  en  oder  WoLFP'schen 
Körper  bezeichnet  werden.  Ihr  Ausführungsgang  zieht  nach  abwärts  und  hat 
für  die  Entwicklung  des  weiblichen  Geschlechtsorganes  keine  besondere  Be- 
deutung, während  beim  männlichen  Geschlechte  aus  diesen  Gängen  das  Vas 
deferens  hervorgeht.  Unterhalb  des  WoLFF'schen  Körpers  und  diesem  an- 
gelagert, am.  medianen  Rand  desselben  findet  sich  die  Keimdrüse,  aus  welcher 
die  Geschlechtsdrüse  sich  entwickelt.  An  der  vorderen  Fläche  derselben  finden 
wir  einen  Strang,  der  als  MtJLLER'scher  Gang  beim  weiblichen  Geschlecht 
persistirt  und  am  unteren  Ende  der  Harnblase  am  Uebergang  der  Urethra 
zum  Sinus  urogenitalis  mündet.  Bei  der  späteren  Differenzirung  des  Ge- 
schlechtes zum  femininum  entwickelt  sich  aus  der  Keimdrüse  das  Ovarium, 
während  aus  den  MtJLLER'schen  Gängen  die  Tube,  der  Uterus  und  die  Vagina 
entsteht.  Vom  WoLPP'schen  Körper  bleiben  Rudimente  zurück,  welche  später 
den  Nebeiteierstock  bilden,  während  der  unterste  Theil  des  WoLFF'schen  Ganges 
bei  einzelnen  Säugethieren  seitlich  von  der  Vaginalwand  ins  Vestibulum  aus- 
mündend den  GÄRTNER'schen  Canal  darstellt.  Einzelne  Fälle  von  Vaginal- 
cysten  kann  man  in  der  Entstehung  auf  diesen  Theil  des  WoLFF'schen  Ganges 
zurückführen. 

Beim  männlichen  Geschlecht  entwickelt  sich  die  Keimdrüse  zum  Hoden.  Der 
WoLFF'sche  Körper,  aus  dem  der  Nebenhode  hervorgeht,  bleibt  in  Verbindung  mit  dem 
WoLFF'schen  Gang,  der,  nun  zum  Vas  deferens  entwickelt,  mit  den  Ductus  ejaculatorü  in 
den  männlichen  Sinus  urogenitalis  ausmündet,  während  der  MÜLLER'sche  Gang  zu  Grunde 
geht  und  nur  rudimentär  in  seinem  Anfangs-  und  Endstücke  {Morgagnische  Hydatide  und 
Sinus  prostaticus)  iDersistirt.  Diesen  Sinus  prostaticus,  welcher  in  der  Mitte  des  Caput 
gallinaginis  sich  befindet,  hat  man  auch  als  Utriculus  masculinus  bezeichnet  mit  der  Ana- 
logie der  Bedeutung  des  MüLLER'schen  Ganges  für  das  weibliche  Geschlecht.  Diese  Be- 
zeichnung ist  nun  eine  falsche,  denn  der  Utriculus  masculinus  entspricht  dem  untersten 
Abschnitt  der  MÜLLEu'schen  Fäden,  und  diese  stellen  beim  weiblichen  Geschlecht  nicht  den 
Uterus,  sondern  die  Vagina  dar. 

Der  MÜLLER'sche  Gang  beim  weiblichen  Geschlechte,  im  oberen, 
der  Keimdrüse  zunächst  gelegenen  Theile  paarig  bleibend,  bildet  mit  diesem 
paarigen  Theile  die  Tube,  während  die  übrigen  Abschnitte  der  beiden  MtJLLER"schen 
Gänge,  sich  aneinanderlegend,  dann  mit  einander  zu  einem  unpaarigen  Tracte 
sich  vereinigen,  indem  die  Scheidewand  zwischen  den  ursprünglich  paarig  an- 
gelegten Hälften  in  der  Regel  vollständig  zum  Verschwinden  kommt.  Aus 
diesem  unpaarigen  Stück  geht  der  Uteruskörper,  der  C^-rwa;  und  die  Vagina 
hervor. 

Dementsprechend  lassen  sich  die  Bildungsanomalien  an  den  weiblichen 
Geschlechtsorganen  in  folgende  Unterabtheilungen  bringen: 

1.  Die  beiden  paarigen  Anlagen  verschmelzen  nicht  miteinander  in  ihrem 
unteren  Antheile,  oder  die  Verschmelzung  erfolgt  an  einem  tieferen  Punkte 
als  es  der  Norm  entspricht  oder  aber  es  tritt  eine  äussere  Verschmelzung  ein, 


102  BILDUNGSANOMALIEN  DER  WEIBLICHEN  SEXÜALOEGANE. 

während  das  die  beiden  Hälften  trennende  Septum  vollständig  oder  zum  Theil 
erhalten  bleibt. 

2.  Die  zweite  Gruppe  von  Bildungsanomalien  stellt  jene  dar,  bei  der  es 
zu  einer  Entwicklungshemmung  kommt  in  der  Weise,  dass  entweder  beide 
Hälften  rudimentär  entwickelt  sind  und  somit  auch  die  aus  ihnen  hervor- 
gegangenen unpaarigen  Antheile,  oder  aber  die  eine  Anlage  erscheint  normal 
ausgebildet,  während  die  andere,  in  der  Entwicklung  zurückgeblieben,  zur 
Bildung  der  normalen  Organe  wenig  beiträgt. 

Was  nun  die  erste  Gruppe  anbelangt,  so  ist  zunächst  zu  erwähnen  die 
Form  des  Uterus  didelphys  und  der  Vagina  duplex.  Wir  finden  die  beiden 
Uteri  neben  einander  liegend,  in  ihren  oberen  Antheilen  von  einander  weiter 
entfernt,  am  Cervix  eventuell  mit  einander  leicht  vereinigt  und  mit  der"  ge- 
trennten Portio  in  besondere  Vaginen  ausmündend.  Jede  der  Hälften  läuft 
kolbig  verdickt  in  das  uterine  Ende  der  Tube  aus,  an  welche  jederseits  das 
runde  Mutterband  sich  ansetzt.  In  solchen  Fällen  zieht  in  der  Regel  vom 
Peritoneum  des  Ptectums  eine  Duplicatur  sagittal  gestellt  zwischen  den  beiden 
getrennten  Uteruskörpern  zu  dem  Peritoneum  der  Blase  —  Lignamentum-vesico- 
rectale.  Diese  Form  der  vollständigen  Verdopplung  des  Genitaltractes  kommt 
bei  vollständiger  Ausbildung  beider  Hälften  selten  vor,  könnte  jedoch  zu  einer 
gleichzeitigen  Schwangerschaft  in  beiden  Uteris  Veranlassung  geben. 
Viel  häufiger  sind  die  nachfolgenden  Formen. 

Der  Uterus  hicornis  hicolUs.  Beide  Hörn  er  des  Uterus  sind  oben  durch 
eine  mehr  oder  weniger  tiefe  Furche  getrennt,  während  die  beiden  Cervices 
von  einander  gesondert  in  die  zu  ihnen  gehörige  Vagina  ausmünden.  Der 
Uterus  hicornis  unicollis  stellt  jene  Form  dar,  wo  die  Bicornität  des  Uterus  im 
Fundus  angedeutet  ist,  während  der  untere  Theil  des  Cervix  gemeinsam  mit 
einer  einzigen  Portio  in  die  Scheide  ausmündet.  Dabei  kann  das  Septum  des 
Uterus  entweder  vollständig  erhalten  sein  und  bis  an  das  Orificium  externum 
herunterreichen  ( Uterus  hicornis  hilocularis)  oder  das  Septum  ist  nur  zum  Theil 
erhalten  und  reicht  von  der  Furche  zwischen  den  beiden  Hörnern  nur  eine 
Strecke  weit  in  die  Uterushöhle  hinein  {Uterus  hicornis  septus).  In  anderen 
Fällen  haben  sich  beide  Hälften  äusserlich  zu  einem  normalen  Uterus  und 
Cervix  vereinigt,  während  das  Septum  durch  die  ganze  Länge  der  Höhle  und 
des  Cervixcanales  hindurchzieht  {Uterus  hilocularis  unicollis),  während  in 
anderen  häufigeren  Fällen  bei  vollständig  normaler  Form  des  Uterus  und 
Cervix  nur  eine  Spur  einer  Andeutung  eines  Septums  im  Fundus  uteri  sich 
vorfindet. 

Die  Diagnose  ist  in  jedem  einzelnen  Falle  nur  durcli  die  genaueste  Untersuchung 
zu  stellen,  und  es  kann  vorkommen,  dass  man  bei  doppelter  Anlage  der  Scheide  und  des 
Cervix  erst  bei  wiederholter  Untersuchung  auf  die  Abnormität  durch  einen  Zufall  auf- 
merksam gemacht  wird,  indem  man  das  einemal  bei  der  Untersuchung  in  die  zweite  bisher 
nicht  constatirte  Scheide  geräth,  wie  ja  auch  in  der  Regel  beim  Coitus  bloss  die  eine 
Scheide  verwendet  wird  und  demgemäss  für  den  touchirenden  Finger  leichter  passierbar 
erscheint. 

Eine  Entwicklungshemmung  kann  zunächst  den  unpaarigen  Theil  der 
Müller' sehen  Gänge  betrefi'en.  In  einem  solchen  Falle  würde  ein  vollständiger 
Defect  des  Uterus  und  der  Vagina  entstehen.  Diese  Fälle  sind  ausserordentlich 
schwer  als  solche  mit  Sicherheit  zu  erkennen.  Denn  selbst  bei  der  sorgfäl- 
tigsten bimanuellen  Untersuchung  per  rectum  und  eventuell  per  rectum  et 
vesicam  ist  man  oft  genug  nicht  im  Stande,  mit  Sicherheit  das  Vorhandensein 
eines  Stranges,  der  zwischen  Blase  und  Rectum  herabzieht,  auszuschliessen, 
welcher  Strang  dann  einer  rudimentär  entwickelten  nach  aussen  nicht  perfo- 
rirten  Vagina,  resp.  einem  rudimentären  Uterus  entsprechen  würde.  Dagegen 
kann  man  die  rudimentäre  Entwicklung  der  Vagina  und  des  Ute- 
rus in  einzelnen  Fällen   ganz    deutlich    constatireu.    An  und  für 


BILDUNGSANOMALIEN  DER  WEIBLICHEN  SEXUALORGANE.  103 

sich  werden  die  Individuen  uud  ihre  Umgebung  in  der  Regel  einige  Zeit  nach 
dem  sonst  gewöhnlichen  Termin  der  Menstruation  durch  das  vollständige 
Ausbleiben  der  Periode  oder  eventuell  durch,  zur  Zeit  der  nicht  erschienenen 
Menstruationen  auftretende  Beschwerden  verschiedenen  Grades  auf  die  Abnor- 
mität aufmerksam  gemacht  und  suchen  ärztliche  Hilfe  auf.  In  einzelnen  sol- 
chen Fällen  findet  man  einen  kaum  angedeuteten  Uterus  mit  kaum  angedeu- 
teter Portio  entsprechend  der  angeborenen  rudimentären  Entwicklung ;  oder 
aber  es  ist  ein  normaler  infantiler  Uterus  vorhanden,  der,  in  seiner  weiteren 
Entwicklung  stehen  geblieben,  stets  die  Form  und  die  Grösse  des  normalen 
kindlichen  Uterus  behält;  oder  schliesslich  der  Uterus  hat  die  Form  des  vir- 
ginalen  Uterus  erreicht,  ist  aber  ausserordentlich  zart  und  klein  gebaut, 
während  andererseits  die  Ovarien  normal  ausgebildet  sind  und  durch  ganz 
ausserordentliche  Beschwerden  zur  Zeit  der  erwarteten  Menstruation  die  nor- 
male Ausübung  ihrer  Function  (Ovulation)  andeuten.  Diese  Beschwerden 
können  mitunter  so  hochgradiger  Natur  sein,  dass  man  gezwungen  ist,  durch 
die  Castration  Heilung  zu  bringen. 

Viel  schwerwiegender  ist  die  Bildungshemmung,  welche  blos  eine 
einseitige  Anlage  betrifft,  während  die  zweite  Anlage  normal  entwickelt 
ist.  Findet  man  von  der  einen  entwickelten  Anlage  überhaupt  keine  An- 
deutung, während  die  zw^eite  normal  entwickelt  ist,  so  entsteht  die  Form  des 
Uterus  unicornis.  In  anderen  Fällen  finden  wir  bei  einem  wohl  ausgebildeten 
Uterus  unicornis  das  zweite  Hörn  rudimentär  entwickelt  mit  einer  eigenen 
Höhle,  ohne  dass  jedoch  diese  mit  dem  Cervix  oder  mit  der  Scheide  der  voll- 
kommenen Anlage  in  Communication  treten  würde.  Es  sind  Fälle  bekannt, 
in  welchen  in  einem  solchen  rudimentären  Hörne  eines  Uterus  Schwanger- 
schaft zu  Stande  gekommen  ist.  Allerdings  kann  man  sich  das  Zustandekommen 
einer  solchen  nur  erklären  durch  das  Ueberwandern  eines  befruchteten  Eichens, 
resp.  der  Spermatozoen  aus  der  entwickelten  Tube  durch  das  abdominale  Ende 
derselben  und  die  Bauchhöhle  in  die  Tube  des  rudimentär  entwickelten  Hor- 
nes.  Dass  in  einem  solchen  Falle  wegen  der  Dünnwandigkeit  und  mangel- 
haften Ausbildung  des  Hornes  die  Gefahren  dieselben  sind  wie  bei  einer  Extra- 
uterinschwangerschaft,  ist  selbstverständlich  und  die  differentielle  Diagnose 
zwischen  Schwangerschaft  in  einem  rudimentären  Hörn  und  Schwangerschaft 
in  einer  Tube  lässt  sich  nur  stellen  durch  den  Nachweis  des  Abganges 
des  Ligamentum  rotundum.  Indem  das  Ligamentum  rotundum  sich  am 
Uterushorn  ansetzt,  am  Abgang  der  Tube  von  demselben,  muss  bei  einer 
Tubarschwangerschaft  das  runde  Mutterband  an  der  medianen  Seite,  bei 
einer  Schwangerschaft  in  einem  rudimentären  Hörn  an  der  lateralen  Seite 
des  Fruchtsackes  abgehen,  und  durch  genaue  Untersuchung  in  der  Narcose 
wird  es  leicht  gelingen,  diese  differentiellen  Merkmale  zu  eruireu.  Die 
Therapie  muss  selbstverständlich  in  beiden  Fällen  die  gleiche  sein:  Durch 
Laparotomie  werden  wir  die  Frau  vor  den  Gefahren  der  Fruchtsackruptur  be- 
schützen, eventuell  bei  schon  eingetretener  Ruptur  vor  der  Gefahr  der  Ver- 
blutung retten  können.  Aber  auch  bei  sonst  wohl  ausgebildetem  Uterus 
bilocularis  kann  die  eine  Höhle  nach  abwärts  zu  atre tisch  sein.  In 
einem  solchen  Falle  kann  sich  allerdings  die  Frucht  nahezu  bis  zui'  Reife 
entwickeln  und  wird  dann  die  Sectio  caesarea  zur  Herbeiführung  der  Entbin- 
dung zur  unabwendbaren  Nothwendigkeit. 

Der  Defect  der  Ovarien  oder  die  rudimentäre  Entwicklung  derselben 
wird  nur  in  seltenen  Fällen  beobachtet  und  führt  auch  in  der  Regel  ausser 
zur  Sterilität  zu  keinen  besonderen  Beschw^erden. 

Zu  grossen  Beschwerden  geben  die  Bildungsanomalien  Veranlassung, 
welche  einen  Verschluss  einer  Höhle  an  ihrem  normalen  Ausführungs- 
punkt herbeiführen.     So  kommen   angeborene    Atresien    der   Vagina  und  des 


104  BILDUNGSANOMALIEN  DER  WEIBLICHEN  SEXÜALORGANE. 

Uterus  vor.  Die  Atresie  der  Vagina  entsteht  am  häufigsten  durch  das  im- 
perforirte  Hymen.  Dasselbe  stellt  in  einem  solchen  Falle  eine  fleischige, 
dicke  Membran  ohne  Oeflhung  dar.  Die  Folge  dessen  ist,  dass  das  Menstrual- 
blut  und  die  normalen  Secrete  des  Uterus,  resp.  des  Cervix  am  Abfluss  ge- 
hindert sind  und  lange  Zeit  hindurch  sich  hinter  dem  Hymen  stauen.  In  der 
Kegel  ist  das  Nichtauftreten  der  Menstruation  und  heftige  kolikartige  Schmerzen 
zur  Zeit  der  Menstruation  jenes  Symptom,  das  die  Frauen  zum  Arzte  führt. 
Und  es  ist  merkwürdig,  dass  oft  genug  in  solchen  Fällen  vorher  schon  der 
Coitus  versucht  wurde;  das  Vestiblum  durch  Einstülpen  des  imperforirten 
Hymen  vertieft  wird  und  den  Ort  abgibt,  in  welchem  der  Geschleclitsact  sich 
abspielt.  Die  Ausdehnung,  welche  dann  die  Scheide  (Haematokolpos)  durch 
die  Ansammlung  des  Menstrualblutes  und  der  Secrete  des  Uterus,  resp.  des 
Cervix  erfährt,  ist  mitunter  eine  enorme;  in  einzelnen  Fällen  sitzt  der  kleine 
Uterus  kappenförmig  der  zu  einer  das  kleine  Becken  fast  ausfüllenden  Ge- 
schwulst ausgedehnten  Vagina  auf,  während  andererseits  das  Hymen  nach  unten 
zu  vorgebaucht,  öfters  einen  Prolaps  der  Scheide  vortäuscht.  In  anderen 
Fällen  betheiligt  sich  der  Uterus  an  der  Bildung 'der  Höhle,  es  erscheinen 
der  Cervicalcanal,  die  UterushöhlC;  in  einzelnen  Fällen  auch  die  Tuben  weit 
ausgedehnt  und  mit  Blut  gefüllt.  In  ausserordentlich  seltenen  Fällen  betrifft 
die  Atresie  blos  die  eine  Seite  einer  doppelten  Geschlechtsanlage  und 
kann  in  Folge  der  normalen  Function  der  zweiten  Geschlechtsanlage  lange  Zeit 
vollständig  übersehen  werden.  Die  Atresie  des  Uterus  fülirt  unter  ähn- 
lichen Erscheinungen  wie  die  Atresie  der  Vagina  zur  Haematometra,  welche 
jedoch  viel  früher  zu  heftigen  Beschwerden  Veranlassung  gibt  als  die  Haemato- 
kolpos, mitunter  ebenfalls  bei  Uterus  bilocularis  blos  die  eine  Uterushälfte 
betrifft  und  dann  zu  jenen  Erscheinungen  führen  kann,  welche  wir  früher 
angedeutet  haben. 

Zu  den  interessantesten  Bildungsanomalien  gehören  die  der  theilweisen 
oder  scheinbaren  zweigeschlechtlichen  Anlage  der  Keim-  und  Zeugungsorgane. 
Jene  Fälle,  in  welchen  bei  vollständig  gleichartiger  männlicher  und  weiblicher 
Anlage  der  Keimdrüsen  und  der  äusseren  Genitalien  ein  wahrer  Hermaphro- 
ditismus mit  vollständiger  Functionirung  beider  geschlechtlicher  Apparate 
beschrieben  wurde,  sind  nicht  ein  einzigesmal  sicher  nachgewiesen  worden. 
Dagegen  sind  jene  Fälle  von  Bedeutung,  welche  man  als  Pseudohermaphro- 
ditismus  bezeichnen  kann.  Diese  Fälle  betreffen  vornehmlich  eine  rudimen- 
täre Entwicklung  des  männlichen  äusseren  Genitales,  welche  demselben  das 
Aussehen  eines  weiblichen  Geschlechtsorganes  gibt,  obwohl  die  Geschlechts- 
drüsen männlichen  Charakter  besitzen,  oder  aber  es  haben  bei  Vorhandensein 
von  weiblichen  Geschlechtsdrüsen  die  äusseren  Geschlechtstheile  eine  derartige 
Gestalt,  dass  nach  ihrem  Aussehen  das  Individuum  fälschlich  als  ein  männ- 
liches gedeutet  wird.  Bei  rudimentär  entwickeltem  Penis  mit  vollständiger 
oder  theilweiser  Hypospadie  und  Getrenntbleiben  der  beiden  Hälften  des 
Scrotums,  wodurch  zwischen  den  beiden,  einen  Testikel  tragenden  oder  auch 
leerbleibenden  Scrotalhälften,  welche  dann  die  grossen  Schamlippen  vortäuschen, 
eine  tiefe  Spalte  entsteht,  welche  als  Schamspalte  gedeutet  und  eventuell  auch 
zum  Coitus  benützt  wird,  kann  der  Anschein  eines  w^eiblichen  Geschlechtes 
hervorgerufen  werden.  Bei  neugeborenen  oder  noch  unentwickelten  Kindern 
kann  nur  der  Nachweis  von  Testikeln  über  das  wahre  Geschlecht  Aufschluss 
geben.  Bei  erwachsenen  Individuen  ist  die  Entwicklung  des  Kehlkopfes, 
welcher  viel  mehr  den  männlichen  Charakter  trägt,  die  Behaarung,  die  ge- 
ringe Entwicklung  der  Brustdrüsen,  das  massive,  typisch  männlich  gebaute 
Becken,  das  Ausbleiben  der  Menstruation  und  der  Nachweis  der  Testikel, 
resp.  ihres  Secretes  ausschlaggebend  für  die  Diagnose.  Dennoch  sind  oft 
genug  Fälle  vorgekommen,    w^o    derartige  Pseudohermaphroditen   viele  Jahre 


BLASENKRANKIIEITEN  DES  WEIBES.  105 

lang  den  Behörden  gegenüber  als  weiblichen  Geschlechts  declarirt  wurden. 
Andererseits  kann  eine  hypertrophische  Clitoris  dem  weiblichen  äusseren  Ge- 
schlechtstract  den  Charakter  eines  rudimentär  entwickelten  männlichen  Ge- 
schlechtes verleihen. 

Die  Bildungsanomalien  der  äusseren  Geschlechtstheile  be- 
treffen zunächst  Entwicklungshemmungen  in  Betreff  der  Ausl)ildung  der 
Geschlechtsfurche  und  des  Perineums.  Im  zweiten  Schwangerscliaftsmonate 
finden  wir  an  der  Frucht  bereits  unterhalb  des  Geschlechtshöckcrs,  der  sicli 
später  zur  Clitoris,  resp.  zum  Penis  umgestaltet,  die  Geschlechtsfurche,  von 
beiden  Geschlechtswülsten  begrenzt,  aus  denen  die  grossen  Schamlippen,  resp. 
die  Scrotalhälften  hervorgehen.  Der  unterste  Abschnitt  der  Allantois,  in 
welchen  die  Geschlechtscanäle  ursprünglich  einmünden,  steht  mit  dem  unteren 
Ende  des  Darmes  am  Sinus  urogenitalis  noch  in  innigem  Zusammenhang.  ICrst 
durch  das  Herabwuchern  jener  Gewebsmassen,  welche  weiter  oben  den  End- 
darm von  dem  Harnapparate  trennen  (Perineum)  kommt  schliesslich  eine 
Scheidung  des  Darmcanals  vom  Urogenitalsystem  zu  Stande.  Durch  Einstülpung 
der  Cutis  in  der  Kima  analis  und  Schwinden  der  entsprechenden  Zwischen- 
Rubstanz  tritt  dann  der  Mastdarm  durch  den  Anus  mit  der  Aussenwelt  in 
Communication,  während  andererseits  durch  Einstülpung  der  Geschlechtsfurche 
nach  innen  zu  der  Sinus  urogenitalis  sich  nach  aussen  entwickelt.  In  den  Fällen, 
wo  die  Ausbildung  des  Anus  ausbleibt  (Atresia  analis),  bleibt  dann  oft  genug 
eine  Communication  zwischen  dem  untersten  Abschnitt  des  Mastdarms  und 
der  Vagina  (Ätresia  ani  vestihidaris)  beim  weiblichen  Geschlecht  oder  mit  dem 
Urogenitalsystem  beim  männlichen  Geschlecht  bestehen  {Ätresia  ani  urogeni- 
talis). In  solchen  Fällen  wird  man  versuchen,  durch  Eröffnung  des  Anus, 
resp.  des  unteren  blinden  Endes  des  Mastdarms,  wobei  die  Aufsuchung  des 
letzteren  mitunter  recht  schwierig  ist,  den  Darm  nach  aussen  wegsam  zu 
machen  und  seine  Wandung  mit  der  Peripherie  des  künstlich  geschaffenen 
Anus  durch  Naht  zu  vereinigen.  Leider  haben  derartige  Operationen  in  der 
Regel  nur  einen  ganz  vorübergehenden  Werth. 

An  der  Clitoris  finden  wir  in  einzelnen  seltenen  Fällen  Epispadie  in 
Verbindung  mit  Symphysenspalt  und  Ectopie  der  Blase;  doch  werden  solche 
Fälle  in  operativer  Beziehung  kaum  je  in  Frage  kommen. 

K.    A.    HEEZFELD. 

Blasenkrankheiten  des  Weibes.  Die  Blasenleiden  des  Weibes  sind 
naturgemäss  zum  Theile  dieselben,  wie  die  des  Mannes;  es  gibt  aber  einige 
Erkrankungen  der  weiblichen  Blase,  welche  der  männlichen  ganz  fehlen,  z.  B. 
die  Urin-Scheidenfisteln,  die  Cystocele  vaginalis,  der  Vorfall  der  Blasenwand 
durch  die  Urethra;  andere  Blasenleiden  kommen  beim  Weibe  häufiger  und  in 
anderen  Formen  vor,  als  beim  Manne:  z.  B.  die  Communicationen  zwischen 
Blase  und  Abdominal-Cysten.  Wieder  andere  Leiden  sind  dagegen  bei  der 
Frau  aus  anatomischen  Ursachen  seltener,  als  beim  Manne:  so  die  Steinbil- 
dung, da  bei  der  Kürze  und  Weite  der  weiblichen  Harnröhre  kleine  Concre- 
mente  leichter  spontan  ausgestossen  werden.  Diese  Verhältnisse,  ferner  die 
topographischen  Beziehungen  der  w^eiblichen  Blase  zu  den  Genitalien  und  die 
physiologischen  Vorgänge  in  den  letzteren  (Schw^angerschaft  und  Gebuit)  be- 
dingen in  Ursache,  Verlauf  und  Behandlung  der  Blasenleiden  des  Weibes 
einige  Verschiedenheiten  gegenüber  jenen  des  Mannes. 

Es  ist  deshalb  nöthig,  die  Erkrankungen  der  weiblichen  Harnblase  ge- 
sondert zu  besprechen  und  das  Hauptgewicht  auf  jene  Umstände  zu  legen, 
welche  dem  Weibe  eigenthümlich  sind.  Auch  ein  praktischer  Grund  spricht 
liier  mit:  die  Mehrzahl  der  blasenkranken  Frauen  kommt  zuerst  zum  Gynä- 


106 


BLASENKRANKHEITEN  DES  WEIBES. 


Fig.  1. 


kologen.  —  Erkranlvuugen,  welche  bei  beiden  Geschlechtern  gleichmässig  vor- 
kommen, sollen  nur  der  Vollständigkeit  halber  kurz  erwähnt  werden.  Die 
anatomischen  und  physiologischen  Verhältnisse  der  Harnblase  und  besonders 
deren  topographische  Beziehungen  beim  Weibe  müssen  dagegen  mehr  berück- 
sichtigt werden,  da  sich  aus  ihrer  Kenntnis  wichtige  Anhaltspunkte  für  Ur- 
sache, Untersuchung  und  Behandlung  der  Leiden  dieses  Organes  ergeben. 

Anatomie  und  Topographie.  Die  Harnblase  (Vesica  tirinaria,  Urocystis, 
To  oupov  =  der  Harn)  entwickelt  sich  nicht,  wie  früher  angenommen,  aus  der  röh- 
renförmigen AUantois,  sondern  ebenso  wie  die  weibliche  Harnröhre  aus  dem  vor- 
deren Abschnitte  der  Cloake;  nur  der  Urachus  entstammt  der  AUantois  (s.  unter 
„Missbildungen  der  Blase");  der  obere  Theil  derselben  verengt  sich  in  embryonaler 
Zeit  zum  Urachus,  welcher  zwischen  den  beiden  Arteriae  umbilicales  zum  Nabel 
zieht.  Dadurch  erhält  der  Blasenscheitel  bei  Embryonen  eine  spindelige  Form,  die 
man  auch  noch  bei  Kindern  und  ausnahmsweise  selbst  bei  Erwachsenen  finden  kann, 
wenn  der  Urachus  nicht  obliterirt;  verliert  er  sein  Lumen,  was  normal  der  Fall  ist, 
so  wird  er  zum  Lig.  vesicoumbilicale.  Beim  Erwachsenen  hat  die  gefüllte  Blase 
meist  eine  ovale  Gestalt;  sie  liegt  im  leeren  Zustande  im  kleinen  Becken;  gefüllt 
kann  sie  bis  und  über  Nabelhöhe  reichen.  Beim  Weibe  liegt  die  Blase  zwischen 
Symphyse,  Uterus  und  den  Ligamentis  rotundis;  nach  unten  ruht  sie  der  vorderen 
Scheidenwand  auf.  An  Sagittalschnitten  des  weiblichen   Beckens  sieht  man,  dass  sich 

ein  Theil  der  leeren  Blase  nach  hinten 
in  den  Winkel  erstreckt,  welcher  von 
Scheide  und  anteflectirtem  Uterus  gebil- 
det wird:  Möglichkeit  einer  Fistelbil- 
dung zwischen  Blase  und  Scheide  oder 
Cervix  (vide  Fig.  1).  Die  obere  Wand  der 
leeren  Blase  ist  tellerförmig  nach  unten 
eingedrückt.  Die  leere  weibliche  Blase 
wird  nur  zum  kleineren  Theile  vom 
Bauchfell  überzogen  und  zwar  nur  auf 
der  hinteren  oberen  Fläche.  Füllt  sich 
die  Blase,  so  drängt  sie  das  Perito- 
neum zum  Theil  derart  von  der  Bauch- 
wand ab,  dass  sie  dem  Messer  zugäng- 
lich wird,  ohne  dass  eine  Verletzung 
des  Peritoneum  nöthig  wäre:  Möghch- 
keit  des  hohen  Blasenschnittes  ohne 
Eröffnung  der  Bauchhöhle.  Für  gewisse 
gynäkologische  Operationen,  besonders 
für  theilweise  und  ganze  Exstirpation 
der  Gebärmutter,  ist  das  Lageverhält- 
nis zwischen  Scheide,  Uterus  und  Ure- 
teren  wichtig.  Während  der  nach  hin- 
ten oben  gerichtete  Theil  der  Blase  sich 
stark  gegen  die  Nachbar-Organe  verschieben  kann,  ist  die  Gegend  des  Trigonum 
Lieutaudii  mit  der  vorderen  Scheidenwand,  und  der  hintere  untere  Theil  der  Blase 
mit  dem  Cervix  uteri  durch  derbes  Bindegewebe  straffer  vereinigt.  Deshalb  macht 
bei  Lageveränderung  des  Cervix  und  der  vorderen  Scheidenwand  (Prolaps)  der  ent- 
sprechende Theil  der  Blase  die  Lageveränderung  mit  (Cystocele).  Das  Trigonum 
Lieutaudii  (Dreieck  zwischen  den  beiden  Ureteren-Mündungen  und  dem  Abgang  der 
Urethra)  liegt  über  der  vorderen  Scheidenwand  nahe  dem  vorderen  Scheidengewölbe, 
von  der  Portio  aber  etwa  2 — 3  cm,  entfernt.  Die  Ureteren  verlaufen  convergirend 
so  gegen  diese  Stelle  hin,  dass  sie  die  Conturen  der  Portio  in  einer  Entfernung  von 
1 — 2  cm  vom  Muskelgewebe  des  Uterus  gleichsam    umrahmen:  Möghchkeit  der  Aus- 


Schematische    Darstellung     der    normalen    Gestalt    iind 
Lage  der  entleerten  Blase  zur  Symphyse  und  zum  Ute- 
rus.    INach  B.  S.  SCHULTZB, 


BLASENKRANKHEITEN  DES  WEIBES  107 

lösung  des  Cervix  ohne  Verletzung  der  Ureteren.  Nach  liinten  oben  kommen  sie 
hinter  die  Arteriae  «terinae  zu  liegen. 

Bei  Verzerrungen  durch  Exsudate,  Adhäsionen,  Tumoren  etc.  ändern  sich  diese 
Verhältnisse  natürlich  und  es  kann  schwer  werden,  bei  einer  Totalcxstirpation  des 
Uterus  die  Ureteren  mit  Sicherheit  zu  vermeiden  (häufigste  Ursache  für  Ent- 
stehung von  Ureteren-Fisteln). 

Für  physiologische  Verhältnisse  (Schwangerschaft)  und  bei  patholgischen  Zu- 
ständen (Tumoren,  Ascites)  ist  die  ausserordentliche  Dehnbarkeit  und  Verschiebbar- 
keit der  Blase,  besonders  des  oberen  Theiles,  wichtig.  Ohne  weiteres  kann  die 
Blase  sich  nach  oben  und  den  Seiten  ausdehnen,  beziehungsweise  ausweichen;  ab(!r 
auch  nach  unten  kann  sie  dies  beim  "Weibe  gelegentlich  thun,  wenn  sie  bei  Platz- 
mangel im  Becken  sammt  der  vorderen  Scheidenwand  oder  dem  Cervix  theilweise 
zur  Vulva  (Cystocele  vaginalis  bei  Beckentumoren  oder  Ascites)  oder  gar  durcli 
die  Urethra  hinausgedrängt  wird. 

Die  Blase  hat  —  abgesehen  vom  Peritoneum,  das  sie  nur  theilweise  überzieht  — 
folgende  Schichten: 

a)  Schleimhaut,  an  der  leeren  Blase  unregelmässig  sternförmig  gefaltet;  mehr- 
schichtiges, polymorphes  Epithel,  in  den  oberen  Schichten  massig  abgeplattet;  einzelne 
Zellen  der  mittleren  Schichte  erscheinen  durch  schmale  Protoplasma-Fortsätze  wie  ge- 
schwänzt (mikroskopische  Untersuchung  bei  Blasenkatarrh).  Die  Schleimhaut  enthält  zahl- 
reiche, lacunäre  Vertiefungen  und  kleine  Schleimdrüschen,  letztere  hauptsächlich  gegen 
das  Orificium  internum  urethrae  hin). 

b)  Submucöses  Bindegewebe,  reich  an  elastischen  Fasern. 

c)  Glatte  Musculatur  in  einer  inneren  Ring-  und  einer  äusseren  Längsfaser- 
schicht:  Der  sogenannte  Detrusor  vaginae  (s.  n.).  Die  Kreisfasern  um  die  Blasen-Oeffnung 
der  Urethra  herum  bilden  den  Sphincter  vesicae;  dieser  besteht  zum  Theil  aus  will- 
kürlichen Muskelfasern,  welche  man  auch  kreisförmig  um  den  oberen  Theil  der  Urethra 
angeordnet  findet. 

Phy,siologie.  Die  Blase  dient  als  Harnbehälter.  Ihre  Entleerung  kann 
bewirkt  werden  durch  die  Thätigkeit  der  Blasenmusculatur  und  der  Bauchpresse 
(letzteres  wahrscheinlich  unter  normalen  Verhältnissen)  oder  durch  Erschlaffung  des 
Sphincter  vesicae  (vielleicht  auch  bei  normaler  Entleerung,  hauptsächlich  aber  unter 
pathologischen  Verhältnissen,  wie  Incontinentia  urinae  etc.).  Gerade  diese  Punkte 
bildeten  lange  eine  Streitfrage,  welche  auch  jetzt  noch  nicht  eudgiltig  entschieden 
sein  dürfte. 

Dass  auch  eine  willkürliche  Entleerung  der  Blase  ohne  Wirkung  der 
Bauchpresse  stattfinden  kann,  zeigt  folgender  Fall  aus  der  chirurgischen  Klinik  in 
Würzburg  (Geheimrath  Professor  Schöjnborn),  dessen  Kenntnis  ich  Dr.  P.  Reichel  ver- 
danke. 

Ein  13-jähriges  Mädchen  wurde  wegen  einer  abgesackten,  eitrigen  Peritonitis  operirt, 
n.  zw.  zunächst  mittelst  eines  die  rechtsseitige  Bauchmusculatur  parallel  dem  rechten  Lig. 
Pouparti  durchtrennenden  Schnittes.  Da  das  Fieber  anhielt  und  auch  links  ein  Exsudat 
auftrat,  wurde  später  links  der  gleiche  Schnitt  geführt  und  —  um  einer  Secretverhaltuug 
vorzubeugen  —  beide  Schnitte  mit  einander  vereinigt.  Es  war  also  die  gesammte  vordere 
Bauchmusculatur  durch  einen  queren,  nach  unten  leicht  convexen  Schnitt  etwas  oberhalb 
der  Symphyse  durchtrennt.  Die  Harnblase  lag  völlig  frei.  Bei  gefüllter  Blase  konnte  die 
Kranke  auf  Geheiss  allein  den  Urin  entleeren.  Man  musste  cca.  1  —  2  Minuten  zuwarten, 
dann  sah  man,  wie  die  Blase,  während  der  Urin  im  Strahle  entleert  wurde,  sich  am  Schei- 
tel dellenartig  einzog,  und  sich  bei  völliger  Entleerung  die  vordere  Wand  an  die  hintere 
anlegte,  als  wenn  der  äussere  Luftdruck  die  leerwerdende  Blase  einfach  zusammendrückte. 
Man  hatte  den  Eindruck,  dass  willkürlich  der  vorher  bestehende  Sphincterenverschluss 
gelöst  werde. 

Dies  wird  ja  auch  von  einigen  Autoren  für  die  normale  Entleerung  angegeben;  viel- 
leicht spielt  ferner  eine  reflectorische  Erregung  des  Detrusor  vesicae  in  Folge  des  Eintritts 
kleiner  Mengen  von  Urin  in  die  Urethra  eine  Rolle. 

Im  Allgemeinen  scheint  aber  für  die  normale  Entleerung  der  Harnblase  die 
Bauchpresse  ganz  besonders  wichtig  zu  sein;  dafür  sprechen  auch  einige  klinische 
Umstände,  so  das  mangelnde  Bedürfnis  und  die  Schwierigkeit  des  Urinii'ens  bei 
schlaffen  Bauchdecken  nach  der  Geburt,  die  Schwierigkeit,  in  horizontaler  Rückenlage 


108  BLASENKRANKHEITEN  DES  WEIBES. 

überhaupt  zu  uriuii-en,  welche  es  uöthig  macht,  vor  gynäkologischen  Operationen 
die  Frauen  sich  üben  zu  lassen,  Ui'in  in  Kückenlage  zu  entleeren,  damit  nicht  später 
katheterisirt  werden  muss  u.  s.  w.  (Hier  eine  Einschaltung  für  die  Praxis:  Können 
Frauen  nach  der  Geburt  oder  nach  Operationen  in  Rückenlage  nicht  uriniren,  so 
gelingt  ihnen  dies  oft,  wenn  man  ihnen  eine  Leibbinde  anlegt,  also  die  Bauchpresse 
unterstützt,  oder  w^enn  mau  die  Yulva  mit  warmem  Wasser  überrieselt.)  Der  soge- 
nannte Detrusor  vaginae  soll  mehr  die  Wirkung  haben,  die  Blase  während  der 
Entleerung  zu  verkleinern;  denn  sie  coUabirt  dabei  nicht  einfach  wie  ein  leerer  Sack, 
sondern  verkleinert  sich  thatsächlich  unter  gleichzeitiger  Verdickung  der  Wand. 

Der  Verschluss  der  Blase  gegen  die  Uretereu  hin,  also  ein  Ver- 
hüten des  Zui'ückpressens  des  Urins  in  die  Harnleiter,  wird  bewirkt  durch  die  ela- 
stische Spannimg  der  Muskelfasern,  zwischen  welchen  die  Harnleiter  die  Blasenwand 
durchbohren.  Von  geringerer  Bedeutung  soll  die  ventilartige  Schleimhautklappe 
sein,  welche  in  Folge  der  schrägen  Durchbohrung  der  Blasenwand  entsteht. 

Eine  andere  Streitfrage  ist  die,  ob  die  normale  Blasenschleimhaut  Urin  zu 
resorbiren  vermag;  die  Versuche  mit  Injectionen  von  Chemilvalien  in  die  Blase  und 
Nachweis  derselben  im  Speichel  u.  s.  w.  fielen  negativ  aus.  Trotzdem  sprechen 
manche  klinischen  Thatsachen  dafür,  dass  auch  die  normale  Blasenschleimhaut  Urin 
zu  resorbiren  vermag,  was  von  der  verletzten  Mucosa  vesicae  ja  bekannt  ist.  Die 
Resorption  scheint  sich  auf  einzelne  Bestandtheile  des  Urins,  hauptsächlich  das  Wasser, 
zu  beschränken,  so  dass  er  dabei  eine  Eindickung  erfahren  kann.  Das  würde  es 
erklärlich  machen,  weshalb  die  erwähnten  Versuche  mit  Chemikalien  negativ  aus- 
gefallen sind;  vielleicht  eigneten  sicli  gerade  die  gewählten  nicht  zur  Resorption  durch 
die  intacte  Blasenschleimhaut. 

Die  Blase  kann  unter  pathologischen  Verhältnissen  über  4  Liter  Urin  fassen: 
grosse  Urinmengen  in  der  Blase  beobachtet  man  bei  Incarceratio  uteri  gravidi 
retroflexi. 

Untersuchimgs-Metlioden. 

Von  praktischer  und  allgemeiner  Bedeutung  sind  z.  Z.  hauptsächlich  3  Me- 
thoden: Untersuchung  des  Urins,  Palpation  und  Percussion  der  Blase  von  aussen, 
Abtastung  des  Blasen-Inneren  mit  dem  Finger  oder  Katheter.  Die  übrigen  Methoden: 
Kystoskopie,  Sondirung  und  Katheterismus  der  Harnleiter,  diagnostische  Scheiden- 
blasenschnitte,  Untersuchung  mit  dem  Manometer  nach  Schatz,  Sondirung  mit  Na- 
pier's  geschwärzter  Bleisonde  bieten  theils  nicht  unerhebliche  Schwierigkeiten,  so 
dass  sie  nicht  Gemeingut  der  Aerzte  geworden  sind  und  es  auch  nicht  so  bald  werden 
dürften,  theils  sind  sie  von  geringem  praktischem  Werthe.  Es  ist  aber  selbstver- 
ständlich, dass  jede  Untersuchungsmethode  und  ganz  besonders  die  Kystoskopie  die 
sorgfältigste  Ausbildung  verdient.  Denn  die  Technik  der  Blasen-Untersuchung  steht 
noch  nicht  auf  der  wünschenswerthen  Höhe  und  die  klinischen  und  pathologisch-ana- 
tomischen Kenntnisse  der  Blasenleiden  sind  mangelhaft;  man  erinnere  sich  nur  der 
Ausdrücke  „reizbare  Blase  (irritable  bladder),  Enuresis  nocturna"  u.  Ae.  —  Wie  viel 
auf  diesem  Gebiete  noch  gethan  werden  kann,  hat  die  in  jüngster  Zeit  erschienene 
Arbeit  Rovsing's  über  ein  scheinbar  hinreichend  klargelegtes  Leiden,  wie  es  der 
Blasenkatarrh  ist,  gezeigt. 

1.  Untersuchung  des  Urins. 

a)  Chemisch.  Normaler  Harn  ist  sauer  (saures  phosphorsaures  Alkali); 
durch  Bacterien  zersetzter  Harn  (Cystitis)  kann  durch  allcalische  Harngährung  alka- 
lisch werden  (kohlensaures  Ammoniak);  hält  man  einen  mit  Salzsäure  befeuchteten 
Glasstab  darüber,  so  entwickeln  sich  Salmiakdämpfe.  Aber  durchaus  nicht  jeder 
Cystitis-Urin  ist  aUcalisch,  wie  Rovsing  (abgesehen  vom  Urin  bei  Blasentuberculose) 
meint;  im  Gegentheil:  bei  Cystitis  findet  man  den  Urin  öfter  sauer  als  alkalisch  und 
bei  Blasentuberculose  scheint  er  —  wenn  nicht  andere  Bacterien  ausserdem  hinein- 


BLASENKRANKIIEITEN  DES  WEII5ES.  109 

gelangt  sind  —  stets  sauer  zu  sein.     Die  chemische  Reaction    allein    gestattet   also 
keinen  sicheren  Schluss  auf  das  Vorhandensein  oder  Fehlen  einer  Cystitis. 

Schwach  saure,  neutrale  oder  alkalisc^he  Reaction  kann  überdies  auch  durch 
andere  Umstände  bedingt  werden:  durch  reichliche  Flüssigkeitsaufnahme  und  starke 
Verdünnung  des  Harns,  durch  Genuss  von  kohlensauren  oder  pflanzensauren  Alkalien, 
bei  starkem  Verlust  von  Magen-Salzsäure  durch  habituelles  Erbrechen  oder  wieder- 
holte Magenausspülungen.  —  Ei  weiss  kann  im  Urin  auch  bei  Cystitis  enthalten 
sein  und  braucht  nicht  ausschliesslich  aus  der  Niere  zu  stammen.  Bei  Nephritis 
wird  dagegen  das  Auffinden  von  Cylindern  diagnostisch  den  Ausschlag  geben. 

h)  Mikroskopisch.  Sargdeckel-Krystalle  {J)ho^)\lovnaul■(i  Ammoniakmagnesia) 
finden  sich  im  nicht  zersetzten  alkalischen  Harn  nur  spärlich,  im  ammoniakalisch 
zersetzten  sehr  reichlich.  Leukocyten  kommen  in  geringer  Menge  auch  im  normalen 
Urin  vor,  reichlich  bei  eitrigem  Katarrh  und  Verletzungen  der  Blase;  roihe  Blut- 
zellen finden  sich  ebenfalls  in  diesen  beiden  Fällen,  doch  ist  die  relative  Menge  der 
weissen  Blutzellen  bei  Katarrh  eine  viel  grössere  als  im  normalen  Blut,  das  bei  Ver- 
letzungen der  Blase  in  den  Urin  übergeht.  Die  Epühelien  der  Blase  lassen  sich 
kaum  stets  von  jenen  derUreteren  und  Nierenbecken  unterscheiden;  die  Blasen-Epithe- 
lien  der  oberen  Schichten  sind  ziemlich  gross,  polygonal  bis  abgeplattet,  die  der  tieferen 
Schichten  rundlich,  oft  geschwänzt,  sie  haben  grossen  Protoplasma-Mantel  um  den 
runden  bis  ovalen  Kern.  Die  Nieren-Epithelien  sind  klein,  rund  oder  kubisch,  oft 
stark  verfettet.  An  Bacterien  sind  ausser  Tuherkel-Bacülen,  Staphyl.  pijogenes  au?\, 
alb.  und  citr.,  Streptococcus  pi/ogeties,  noch  einige  andere  pyogene  Formen  und  meh- 
rere nicht  pyogene,  den  Urin  aber  ammoniakalisch  zersetzende  Arten  gefunden  worden 
(s.  u.  ,^  Cystitis''^).  Durch  Gonococcen  scheint  Cystitis  nur  selten  erzeugt  zu  werden. 
Von  thierischen  Parasiten  sind  Echinococcen  (deren  Blasen  und  Haken),  Em- 
bryonen von  Filaria  sanguinis  und  Eier  von  Distomum  haematohium  im  Urin  beob- 
achtet worden,  aber  wegen  ihrer  Seltenheit  von  geringer  praktischer  Bedeutung. 

Für  rasche  Gewinnung  der  Sedimente,  also  auch  der  Bacterien,  bietet  die  Centri- 
fuge  eine  weitgehende  Erleichterung,  die  auch  dem  praktischen  Arzte  leicht  zugänglich  ist. 

Ob  organisirte  Bestandtheile  (weisse  und  rothe  Blutzellen,  Epithelien  u.  s.  w.j 
aus  der  Blase  oder  aus  höheren  Theilen  des  Harn-Apparates  stammen,  ist  oft  schwer 
zu  entscheiden;  stammt  Blut  aus  der  Niere,  so  soll  es  sich  bei  Entleerung  des  Urins 
innig  mit  diesem  vermischt  zeigen,  stammt  es  aus  der  Blase,  so  soll  es  erst  zum 
Schluss  entleert  werden.  Sicherer  als  dieses  Merkmal  ist  in  Fällen,  wo  andere 
Methoden  im  Stiche  lassen  und  wo  alles  auf  Entscheidung  dieser  Frage  ankommt, 
das  Katheterisiren  der  Harnleiter  (s.  u.). 

2.  Palpation  und  Percussion  der  Blase. 

Von  aussen  kann  nur  die  gefüllte  Blase  palpirt  werden;  man  fühlt  sie  bei 
massiger  Füllung  als  einen  elastisch  weichen  Tumor  von  der  Consistenz  eines  nicht 
zu  stark  gefüllten  Wasserkissens;  bei  starker  Füllung  kann  die  Blase  sehr  prall 
(Verwechslung  mit  Ovarial-Cysten)  und  die  Palpation  schmerzhaft  werden.  Die  Per- 
cussion ergibt  nur  dann  vollkommene  Dämpfung,  wenn  keine  Därme  vorgelagert  sind. 
Bei  schweren  Blasenkatarrhen  mit  Gasbildung  im  zersetzten  Urin  (ungenau  als  „Em- 
physem der  Blase"  bezeichnet  —  die  Gase  sind  in  der  Blase,  nicht  in  deren  Ge- 
webe enthalten;  wirkliches  Emphysem  der  Blase  kommt  übrigens  vor)  wird  natürlich 
an  den  höchstgelegenen  Stellen  tympanitischer  Percussions-Schall  vorhanden  sein. 
Bei  Schwangerschaft,  Tumoren  des  Beckens  u.  s.  w^  ist  die  gefüllte  Blase  meist 
auch  von  aussen  deutlich  sichtbar  als  ein  unmittelbar  über  der  Symphyse  sich  flach 
vorwölbender  Tumor,  welcher  gegen  den  Uterus  u.  s.  w.  duixh  eine  seichte  Furche  ab- 
gegrenzt ist.  Durch  die  bimanuelle  Untersuchung  ist  die  Blase  bei  einiger  üebung 
ebenfalls  als  weiche,  eindrückbare  Cyste  fühlbar.  Fremdkörper  in  der  Blase  können 
nur  dann  mit  Sicherheit  bimanuell  abgetastet  werden,  wenn  sie  hart  und  nicht  zu  klein 
sind.  Zur  Difi'erential-Diagnose:  Blase  oder  Tumor,  kann  der  Katheter  nöthig  werden: 
denn  nicht  stets  vermag  die  Kranlie  allen  Urin  willkürlich  zu  entleeren:  und  es  sind 


110  BLASENKRANKHEITEN  DES  WEIBES. 

Fälle  bekannt,  in  welchen  Function  und  Laparotomie  wegen  des  vermeintlichen 
Ovarialtumors  ausgeführt  und  erst  im  weiteren  Verlaufe  der  Operation  der  Irrthum 
entdeckt  wurde.  Deshalb  die  Regel:  mau  katheterisire  vor  jeder  Laparotomie  oder 
Function  des  Abdomens. 

3.  Abtastung  des  Blaseninneren  mit  Katheter  oder  Finger. 

Die  Abtastung  des  Blaseninneren  mit  dem  eingeführten  Metall-Katheter  kann 
folgende  Funkte  feststellen:  Geräumigkeit  der  Blase;  Ausdehnbarkeit  nach  verschie- 
denen Richtungen;  Fremdkörper  (das  Anstossen  an  Steine  kann  man  fühlen  und  hören): 
Unebenheiten  von  abnormer  Grösse  und  Consistenz  (ist  die  Blase  wenig  gefüllt,  so 
kann  man  mit  dem  Katheter  die  Schleimhautfalten  als  weiche  Unebenheiten  fühlen); 
abnorme  Empfindlichkeit  (die  normale  Blase  ist  gegen  Berührung  mit  dem  Katheter 
nur  wenig  empfindlich). 

Zur  Abtastung  des  Blasen-Inneren  mit  dem  Finger  ist  meist  eine  vorherige 
Dilatation  der  Urethim  nöthig.  Am  besten  führt  man  diese  nach  J.  Simon's  Angaben 
folgendermassen  aus:  man  benützt  röhrenförmige  Specula  aus  Hartgummi,  die  zunächst 
durch  einen  Mandrin  geschlossen  sind;  die  7  Nummern  haben  ^j^ — 2  cm  Durchmesser. 
Um  sie  allmälig  einzufühi'en,  ist  oft  eine  Incision  des  Orif.  ureth.  ext.,  des  unnachgie- 
bigsten Theils  der  Harnröhre,  nöthig.  Man  macht  nach  entsprechender  Desinfection 
seitlich  oben  2  Einschnitte  von  ^4  <^^'^  i^^cl  unten  einen  solchen  von  ^j^  cm  Tiefe. 
Bei  Frauen,  die  mehrmals  geboren  haben,  wird  man  auch  die  stärksten  Nummern, 
bei  Mädchen  nur  entsprechend  geringere  einführen  können.  Selten  reissen  die  Schnitte 
durch  die  Specula  weiter.  Die  geringe  Blutung  steht  auch  nach  Entfernung  der 
Specula  meist  von  selbst;  nöthigenfalls  schliesst  man  die  Wunde  durch  eine  Naht, 
worauf  auch  die  Blutung  steht.  Narkose  ist  zur  Dilatation  nöthig.  Incontinenz  pflegt 
nicht  oder  nur  für  ^/g — 1  Tag  lang  darnach  aufzutreten. 

Nach  Einführung  des  jeweils  stärksten  noch  benutzbaren  Speculum  entfernt  man 
den  Mandrin  und  sieht  nach,  ob  sich  durch  die  Röhre  etwas  von  der  Blasenschleimhaut 
besichtigen  lässt.  Gewöhnlich  sieht  man  nichts,  als  ein  Stückchen  graurother  Schleim- 
haut oder  eine  spiegelnde  kleine  Lache  von  blutigem  Urin.  Die  Simon' sehen  Specula 
würden  deshalb  besser  Dilatatorien  genannt,  und  ihre  Herstellung  zu  diesem  Zweck 
wäre  billiger,  wenn  man  einfache  solide  Kolben  der  verschiedenen  Dicke  machte; 
auch  die  Hegau' sehen  Uterus-Dilatatorien  wären  dazu  verwendbar. 

Nun  wird  ein  Finger  eingeführt.  Ist  die  Erweiterung  hinreichend,  so  nimmt 
man  den  Zeigefinger  und  bringt  den  Mittel-  oder  die  übrigen  Finger  in  die  Scheide 
ein;  kann  oder  will  man  nicht  so  stark  dilatiren,  so  genügt  oft  auch  der  Kleinfinger; 
bei  einer  Länge  der  Harnröhre  von  4  cm  kann  man  mit  dem  bis  zur  Schwimmhaut 
5 — 6  cm  langen  Kleiufinger  sicher  in  die  Blase  gelangen  und  sie  abtasten.  Mit  der 
freien  Hand  drängt  man  sich  von  den  Bauchdecken  aus  die  verschiedenen  Theile  der 
Blase  nach  einander  entgegen. 

Die  übrigen  Methoden  der  Blasenuntersuchung  können  wegen  ihrer 
Schwierigkeit  und  der  dadurch  bedingten  geringeren  praktischen  Verwerthbarkeit  kürzer 
besprochen  werden. 

a)  Kystoskoine.  (Die  Schreibweise  Cystoskopie  ist  ein  Unding:  zuer.-t  c  dann  k;  ent- 
weder Kystoskopie  oder  Cystoscopie).  Für  die  Besichtigung  des  Blasen-Inneren  haben  sich 
Rutenberg,  der  die  Blase  mit  Wasser  anfüllt  nnd  die  Lichtquelle  ausserhalb  derselben  an- 
bringt, lind  neuerer  Zeit  Nitze  grosse  Verdienste  erworben.  Nitze's  Kystoskop  ist  mit 
einem  Glühlämpchen  versehen  und  die  Lichtquelle  wird  in  die  Blase  selbst  eingebracht. 
Neuerdings  hat  er  auch  ein  Operations-Kystoskop  constrnirt,  an  dessen  innerem  Ende  sich 
2  bewegliche,  von  aussen  lenkbare  Branchen  zum  Fassen  und  Abkneifen  befinden ;  man  kann 
damit  unter  Leitung  des  Auges  Fremdkörper  und  kleinere  Tumoren  oder  Stückchen  von 
grösseren  zu  therapeutischen  oder  diagnostischen  Zwecken  entfernen. 

h)  Scheidenblasenschnitt.  Nach  Simon  wird  er  ^4— V2  «?^  vor  der  vorderen  Mutter- 
mundshppe  quer  in  der  Länge  von  3  cm  ausgeführt,  also  oberhalb  des  Trigonum  Lieutaudii, 
•und  anf  diesen  Schnitt  ein  2  cvi  langer  Schnitt  nach  vorn  gemacht,  so  dass  die  Figur  eines 
T  entsteht.  Man  kann  jetzt  die  Blase  durch  diese  Wunde  in  die  Scheide  umstülpen,  be- 
sichtigen und  die  Wunde  dann  wieder  zunähen. 


BLASENKllANKIlEITEN  DES  WEIBES.  111 

c)  Sondirung  und  Kathetorismus  der  Harnleiter  nach  G.  Simon.  Die  Urethra  wird 
blutig  dilatirt,  unter  Leituiifj;  eines  Fingers  das  Lig.  interaretericum  (der  Wulst  zwischen 
den  Harnleitermündungen)  aufgesucht  und  die  25  cm  lange  Sonde  in  die  Gegend  eines 
Harnleiterschlitzes  gebracht;  dieser  selbst  ist  nicht  zu  f'iililen;  die  Sonde,  beziehungsweise 
der  Harnleiter-Katheter  wird  durch  entsprechende,  der  bekannten  Dage  dieses  Schlitzes 
angepasste  Bewegungen  vorsichtig  eingeführt.  Die  Operation  ist  weder  leicht  noch  gefahrlos, 
aber  sie  kann  zweifellos  diagnostisch  wichtige  Anhaltspunkte  geben.  Pawlik  hat  sie  ver- 
einfacht; ohne  Dilatation  der  Urethra  lässt  er  bei  Knie-Ellenbogenlage  der  Kranken  die 
hintere  Scheidenwand  mit  einem  Plattenspeculum  hochhalten  und  führt  die  Urtitercn-Sonde 
in  Urethra  und  Harnleiter  ein,  indem  er  das  Instrument  von  der  Scheide  aus  mit  den 
Fingern  leitet. 

I.  Missl)il(luiigen  der  Blase. 

A.  Spaltbildungen. 
Die  wichtigsten  Missbildungen  der  Blase  beruhen  auf  Spaltbildung,  d.  h. 
einem  Offensein  der  vorderen  Blasenwand.     Dies  kann  in  mehrfacher  Weise 
geschehen: 

a)  Blasenspalt  unterhalb  der  schlaffen,  aber  geschlossenen  Symphyse: 
Fissura  vesicae  inferior,  weibliche  Epispadie. 

b)  Blasenspalt  nahe  dem  Nabel,  unterer  Theil  der  Blase  und  die  Harn- 
röhre meist  wohl  ausgebildet:  Fissura  vesicae  superior. 

c)  Offenbleiben  des  Urachus:  Fistula  vesico-umbilicalis. 

d)  Blase  in  ihrer  ganzen  vorderen  Ausdehnung  gespalten;  Bauchdecken 
und  Symphyse  ebenfalls  gespalten,  die  Blase  nach  aussen  umgestülpt:  Eversio 
oder  Exstrophia  vesicae.  Bei  diesem  hohen  Grade  des  Blasenspaltes 
fehlt  die  Urethra  meist  ganz  und  es  finden  sich  auch  Bildungsfehler  der  Ge- 
nitalien; die  Scheide  kann  fehlen  oder  ebenso  wie  der  Uterus  getheilt  sein; 
die  Spaltbildung  kann  sich  gleichzeitig  sowohl  auf  alle  von  der  Allantois  aus- 
gehenden inneren  Organe  (Urachus,  Blase,  Urethra),  als  auch  auf  den  ganzen 
Genital-Apparat  beziehen. 

Die  Aetiologie  dieser  Missbildungen  hat  in  jüngster  Zeit  durch 
Arbeiten  von  grundlegender  Wichtigkeit  belangreiche  Aufklärungen  erfahren. 
Nach  älterer  Auffassung  spielen  verschiedene  Ursachen  mit,  vor  allem  Hinder- 
nisse der  Urin-Entleerung,  z.  B.  bei  Verschluss  der  Harnröhre.  Bei  den 
höheren  Graden  des  Blasenspaltes  soll  es  sich  nach  Ahlfeld  um  eine  Zug- 
wirkung des  D Otterstranges  handeln:  Urachus  und  Blase  sollen  dadurch  nach 
vorn  gezerrt  und  der  Schluss  der  Bauchplatte  unmöglich  gemacht  werden ;  die 
starkgefüllte  Blase  platzt  in  Folge  des  mangelnden  Schutzes.  Besonders  Fälle, 
bei  welchen  in  die  missgebildete  Blase  hinein  ein  oder  zwei  widernatürliche 
After  münden,  lassen  sich  nach  der  AHLFELü'schen  Erklärung  deuten.  Ein 
von  Hecker  beschriebener  Fall  spricht  andererseits  dafür,  dass  auch  die  x4.n- 
fangs  geschlossene  Bauchwand  später  wieder  reissen  kann.  Er  fand  bei  einem 
Fötus  einen  vernarbten  und  mit  Bauchfell  bedeckten  Riss  in  den  Bauchdecken 
und  dahinter  die  stark  ausgedehnte  aber  noch  nicht  geborstene  Blase. 

Zu  ganz  anderen  Ergebnissen  haben  die  Untersuchungen  Keibel's  und 
besonders  die  geistreiche  Arbeit  P.  Reichel's  geführt.  Nach  diesen  Autoren 
handelt  es  sich  bei  der  Epispadie  (wie  dies  von  der  Hypospadie  schon  länger 
angenommen  wird)  um  Jffemmnngsbildungeti,  nicht  aber  um  ein  Ruptm'ii-en  der 
bereits  ausgebildeten  und  geschlossenen  Blase,  Bauchwand  u.  s.  w. 

Ohne  auf  die  Einzelheiten  der  Untersuchungen  Reichel's  hier  eingehen 
zu  können,  muss  doch  folgendes  erwähnt  werden:  Nicht  nur  der  unterste 
Theil  des  Sinus  uro-genitalis,  sondern  wahrscheinlich  die  w^eibliche  Harnröhre 
und  die  ganze  Blase  entwickelt  sich  aus  dem  vorderen  Abschnitte  der  Cloake; 
die  frühere  Annahme,  dass  Blase  und  weibliche  Harnröhi^e  von  der  Allantois 
abstammen,  scheint  irrig  zu  sein.  Nur  der  Urachus  ist  ein  Rest  der  Allantois. 
Bis  zur  5.  Foetal- Woche  (beim  Menschen)  ist  nun  die  Cloake  nach  aussen 
durch    das    Cloaken-Septum    abgeschlossen   und    erst  dann  mündet  nach  ein- 


112  BL  ASENKE ANKHEITEN  DES  WEIBES. 

getretener  Spaltung  desselben  die  Cloake  (u.  zw.  zunächst  der  Sin  urogenit., 
später  auch  der  Darm)  nach  aussen.  Wie  hier  normal  eine  Spalte  im  hinteren 
Theile  eintritt,  durch  deren  Offenbleiben  u.  s.  w.  hypospadiäische  Bildungen 
entstehen  können,  so  kann  sich  —  allerdings  in  etwas  anderer  Weise  und  zu 
anderer  Zeit  —  als  pathologische  Bildung  eine  Spalte  auch  im  vorderen 
Theile  entwickeln,  entsprechend  dem  oberen  Theile  des  Penis,  der  Bauchwand 
und  Harnblase;  diese  Spalte  scheint  so  zu  Stande  zu  kommen,  dass  die  Rän- 
der der  Primitiv-Rinne  (die  Primitiv- Streifen)  nicht  in  entsprechender  Aus- 
dehnung verwachsen;  erfolgt  „diese  Störung  nun  an  einer  oder  mehreren 
circumscripten  Stellen,  so  entstellt  eine  totale  Blasen-Becken-Bauchspalte  oder 
nur  eine  .Blasenspalte  oder  nur  eine  Epispadie  etc." 

Demnach  gibt  es  auch  keine  doppelte  Anlage  der  Blase  und  keine  da- 
durch entstehenden  Sagittal-Septa  derselben  etc. 

Die  Diagnose  wird  kaum  besondere  Schwierigkeiten  machen,  da  sie 
durch  den  unwillkürlichen  Urinabfluss  und  den  sichtbaren  Defect  nahegelegt 
wird.  Sind  auf  der  invertirten  Blasenwand  die  Ureter-Mündungen  nicht  ohne- 
dies zu  erkennen,  so  kann  man  sie  sichtbar  machen,  indem  man  den  durch 
den  Rest  der  Blase  gebildeten  Tumor  an  der  Basis  comprimirt  und  so  Urin 
zum  Ausspritzen  kommen  lässt  (Küstner). 

Die  Symptome  der  Blasenspalten  können  für  die  Patientin  äusserst  lästig, 
bei  hohen  Graden  fast  unerträglich  werden.  Durch  den  unwillkürlichen  Abfluss 
des  Urins,  in  den  erwähnten  Fällen  gleichzeitig  auch  der  Fäces,  durch  den  ent- 
stehenden, abscheulichen  Geruch,  das  Eczem  der  umgebenden  Weichtheile  und 
endlich  durch  den  Symphysen-Spalt  und  die  in  Folge  dessen  bestehende  Er- 
schwerung des  Gehens  wird  die  Patientin  auf's  äusserste  beeinträchtigt. 

Die  Therapie  wird  hauptsächlich  in  plastischen  Operationen  bestehen 
müssen.  Nur  wenn  diese  wiederholt  misslungen  sind,  wird  man  sich  begnügen 
dürfen,  die  invertirte  Blase  nach  aussen  durch  eine  Pelotte  abzuschliessen  und 
einen  Urinaufiänger  tragen  zu  lassen.  Kleine  Defecte  wird  man  ohne  weiteres 
durch  Anfrischung  der  Ränder  und  Naht  schliessen  können;  bei  grösseren  aber 
wird  es  nöthig  sein,  zuerst  bewegliche  Hautlappen  aus  der  Umgebung  her- 
zustellen; dies  kann  geschehen  entweder  durch  einfache  Unterminirung  unter 
der  Fascia  superficialis,  oder  indem  man  die  Haut  der  Umgebung  dadurch 
beweglich  macht,  dass  man  3 — 5  cm  von  der  Spalte  entfernt  parallele  Ent- 
spannungsschnitte anlegt;  oder  man  präparirt  einen  Hautlappen  ab,  schlägt 
ihn  mit  der  Epidermis-Seite  nach  innen  um,  macht  ihn  so  zur  Blasenwand 
und  deckt  ihn  von  aussen  durch  andere  Hautlappen;  zu  diesem  Zwecke  wäre 
auch  die  Transplantation  verwendbar.  Solche  Operationen  können  in  ein  oder 
zwei  Zeiten  gemacht  werden.  Ist  die  Capacität  der  Blase  klein  und  der  Symphy- 
senspalt  gross,  so  kann  es  wünschenswerth  sein,  nach  Demme's  Vorgang  mit 
einem  entsprechenden  Apparat  den  Symphysenspalt  zu  verringern  und  die 
Blase  aussen  zu  überdecken,  damit  sie  durch  den  sich  sammelnden  Urin  aus- 
gedehnt wird;  man  operirt  dann  erst  später.  Immerhin  erfordern  diese  Ein- 
griffe ebensoviel  Geduld  als  technisches  Können,  und  ihr  Erfolg  ist  stets  ein 
unsicherer.  Subjective  Besserung  lässt  sich  übrigens  gelegentlich  schon  da- 
durch erzielen,  dass  wenigstens  ein  Theil  des  Defectes  gedeckt,  dieser  selbst 
verkleinert  wurde.  Den  etwa  bestehenden  Symphysen-Spalt  wird  man  ver- 
suchen, operativ  zu  schliessen,  und  gerade  die  in  jüngster  Zeit  mehrfach  er- 
zielten Heilungen  nach  Symphyseotomie  muntern  dazu  auf. 

B.  Doppelte  Blase;  Scheidewände  der  Blase. 

Die  Doppelbildungen  der  Blase  spielen  praktisch  eine  sehr  geringe  Rolle. 
Sie  würden  sich  ätiologisch  einfach  erklären  lassen,  wenn  die  von  einigen 
Autoren  beschriebene  ursprünglich  doppelte  Anlage  der  Allantois  Bestätigung 


BLASENKRANKIIEITEN  DES  WEIBES.  113 

fände.  Kölliker  lässt  diese  Frage  offen.    Nach  neueren  Arbeiten  ist  die  Blase 
aber  nur  einfach  u.  zw.  als  ein  Theil  der  Cloake  angelegt. 

In  einigen  Fällen  war  eine  senkrechte  Scheidewand  vorlianden,  oder  der 
Blasenscheitel  war  nur  eingesattelt,  wie  der  Fundus  uteri  Iteini  Uterus  ar- 
cuatus.  Horizontale  Septa  sind  zurückgefülirt  worden  auf  die  PJntwick- 
lung  von  Cysten  im  wegsam  gebliebenen  Urachus;  das  .Septum  wäre  dann 
nur  die  Scheidewand  zwischen  der  normalen  Blase  und  der  Urachus-Cyste, 
die  mit  der  ersteren  in  Roser's  Fall  noch  durch  eine  kleine  Oeffnung 
communicirte.  Divertikel  der  Blase  und  dilatirtc  Ureteren  scheinen  übrigens 
in  anderen  Fällen  für  überzählige  Blasen  gehalten  und  als  solche  beschrieben 
worden  zu  sein. 

n.  Lagefehler  der  Blase. 

Sie  kommen  weitaus  häufiger  beim  Weibe  als  beim  Manne  vor.  Die 
Cystocele  vaginalis  ist  überdies  ein  oft  ebenso  lästiges,  als  leicht  zu  beseiti- 
gendes Leiden,  wenn  man  ihre  Ursache  bekämpft  (s.  u.). 

Einige  andere  Lageveränderungen  sind  äusserst  selten:  so  die  Iletro- 
flexiovesicae  (Winckel),  bei  welcher  der  Blasenscheitel  durch  den  adhärenten 
Uterus  oder  sonstige  Adhäsionen  nach  hinten  verzerrt  ist.  Der  von  Winckel 
beschriebene  Fall  könnte  vielleicht  als  Retrofixatio  verticis  vesicae  be- 
zeichnet werden.  Aeusserst  selten  sind  ferner  dieEctopie  der  ungespal- 
tenen Blase  (Spaltung  der  Bauchdecken  und  der  Symphyse  bei  nicht  ge- 
spaltener, aus  dem  Abdomen  herausgedrängter  Blase)  und  die  theilweise  U  m- 
stülpung  der  Blase  durch  die  Urethra  nach  aussen:  Durch  die  Harn- 
röhre tritt  bei  starkem  Druck  von  innen,  schlaffer  Blasenwand  und  weiter 
Harnröhre  ein  Theil  der  Blasenwand  als  fleischrother,  gefalteter  Tumor  nach 
aussen.  Auch  die  Harnleitermündungen  können  so  vor  das  orif,  urethr.  ext. 
zu  liegen  kommen.  Die  Symptome  bestehen  in  Harndrang,  Schmerz,  Ent- 
leerung von  Blut  mit  dem  Urin  oder  gelegentlicher  Harnverhaltung.  Als 
Therapie  muss  natürlich  die  meist  nicht  schwierige  Reposition  mit  der  Hand 
oder  mit  dem  Katheter  versucht  werden;  Narkose  wird  den  Eingriff  erleichtern. 
Um  ein  Wiedervorfallen  zu  verhüten,  kann  man  die  Scheide  behufs  Gegen- 
druckes wiederholt  tamponiren,  ein  Scheidenpessar  einlegen  oder  durch  Thuee 
BRANDT'sche  Massage  eine  Kräftigung  der  Blasen-Musculatur  versuchen. 

Cystocele  vaginalis.  Wird  der  Cervix  oder  die  vordere  Scheidenwand 
oder  beides  in  oder  vor  die  Vulva  gepresst,  so  macht  ein  Theil  der  Blase  diese 
Dislocation  mit,  da  der  Blasengrund  mit  genannten  Organen  ziemlich  straff 
verbunden  ist;  es  entstellt  eine  Cystocele,  die  Ausstülpung  einer  Blasenbucht 
in  die  invertirte  Scheidenwand.  Ursache  kann  sein:  Defect  des  Beckenbodens 
durch  Dammriss,  Erschlaffung  der  Ligamente  des  Uterus,  H}Tpertrophie  des 
Cervix  mit  secundärer  Inversion  der  Scheide,  erhöhter  Abdominaldi'uck  durch 
Tumoren,  Ascites,  Raummangel  im  kleinen  Becken  bei  Beckenenge;  das  letztere 
Moment  kann  auch  bei  Jungfrauen  die  erwähnte  Dislocation  bewirken.  In  der 
Mehrzahl  der  Fälle  handelt  es  sich  aber  um  Folgezustände  von  Gebui't  und 
Wochenbett. 

Selten  ist  mit  der  vorderen  Scheidenwand  die  ganze  Blase  in  dem  vor 
der  Vulva  liegenden  Tumor  enthalten,  meist  nur  ein  Theil  derselben.  Die 
Urethra  ist  dabei  meist  verzerrt,  läuft  S-förmig  oder  in  einem  einfachen  Bogen 
nach  unten.  Man  muss  dies  wissen,  um  beim  Katheterisiren  nicht  Verletzungen 
zu  machen.  Die  subjectiven  Erscheinungen  können  in  erschwerter  LTrin-Ent- 
leerung,  aber  auch  in  zeitweilig  vollkommener  Harnverhaltung  bestehen.  Die 
Therapie  fällt  zusammen  mit  jener  der  Scheiden-Inversion  (.,Prolaps'')  und 
wird  bei  dieser  besprochen. 

Bibl.  med.  Wissenscliaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  ö 


114  BLASENKRANKHEITEN  DES  WEIBES, 

Auch  die  Harnverhaltung  bei  Incarceratio  uteri  grayidi  retro- 
flexi  ist  nur  ein  secundärer  Zustand  und  wird  mit  dieser  an  entsprechender 
Stelle  besprochen. 

in.  Uriiifisteln  des  Weibes. 

Die  Urinfisteln  des  Weibes  gehören  zu  jenen  Leiden,  welche  mit  dem 
Fortschreiten  der  Heilkunde  immer  seltener  werden:  Je  grössere  ärztliche 
Kreise  in  der  frühzeitigen  Diagnose  des  Uterus-Krebses  erfahren  sind,  je  öfter 
solche  Tumoren  von  geübter  Hand  rechtzeitig  entfernt  werden,  je  sorgfältiger 
die  Vorbildung  unserer  Aerzte  in  der  Geburtshilfe  und  je  gründlicher  die 
Schulung  der  Hebammen  und  ihre  Gewissenhaftigkeit  bei  der  Leitung  patho- 
logischer Geburten  ist,  desto  seltener  werden  Uriniisteln  entstehen.  In  manchen 
Fällen  sind  die  Frauen  selbst  an  ihrem  Leiden  schuld,  wenn  sie  Pfuscherinnen 
zur  Entbindung  beiziehen,  Pessare  entgegen  der  Weisung  zu  lange  liegen 
lassen  u.  Ae.  Die  Prophylaxe  hat  auch  hier  ein  glänzendes  Feld  ihrer 
Thätigkeit,  ein  Feld,  auf  dem  sie  auch  jetzt  schon  unleugbare  Erfolge  erzielt 
hat.  Denn  z.  B.  die  Berichte  russischer  Gynäkologen  enthalten  viel  häufiger 
als  dies  in  deutschen  Culturländern  der  Fall  ist,  Fälle  von  Urinfisteln  der 
allerschwersten  Art. 

Die  möglichen  Combinationen  von  Fisteln  der  Harnröhre,  Blase  und  der 
Ureteren  in  die  Nachbarorgane  sind  recht  zahlreich.  Am  häufigsten  und  des- 
halb am  wichtigsten  sind  die  Blasen-Scheiden-  und  Cervixfisteln;  seltener 
sind  pathologische  Communicationen  der  Blase  mit  dem  Uteruskörper  und 
Tumoren,  z.  B.  Dermoiden  des  Ovarium;  oder  zwischen  Blase  und  benach- 
barten Abscesshöhlen,  z.  B.  des  Parametrium;  ferner  zwischen  Blase  und  an- 
gelötheten  Darmschlingen,  endlich  Blasenfisteln  durch  die  Bauchdecken  nach 
aussen. 

Die  Urethra  kann  gegen  die  Scheide  hin  pathologische  Oeffnungen 
zeigen,  die  Ureteren  ebenfalls  in  die  Scheide,  in  den  Cervix  und  Darm. 
Diese  Fisteln  können  überdies  in  verschiedener  Weise  combinirt  an  einer 
und  derselben  Patientin  vorhanden  sein. 

In  der  Aetiologie  der  Urin-Genitalfisteln  spielen  maligne  Tumoren, 
pathologische  Geburten  —  sei  es,  dass  sie  spontan  oder  mit  Kunsthilfe  ver- 
laufen —  und  gynäkologische  Operationen  die  Hauptrolle.  Spontan  können 
sie  entstehen  durch  maligne  Tumoren  (Carcinom  und  Sarkom  der  Scheide, 
Portio,  des  Cervix;  Lupus),  seltener  durch  vereiternde  benigne  Tumoren  (Der- 
moidcysten des  Ovarium),  Abscesse  des  Parametrium,  Tubenschwangerschaft 
und  durch  pathologische  Geburten  (enges  Becken,  Gesichts-  und  Schieflage); 
künstlich  werden  sie  erzeugt  durch  geburtshilfliche  und  gynäkologische 
Operationen,  durch  Insulte  von  aussen,  zu  langliegende  Pessare  u.  s.  w.  — 
Unter  den  geburtshilflichen  Operationen  wird  die  Anwendung  der  Zange  und 
des  Perforatoriums  bei  schlechter  Handhabung  am  gefährlichsten,  unter  den 
gynäkologischen  Operationen  die  Totalexstirpation  des  Uterus.  Zu  diagno- 
stischen und  therapeutischen  Zwecken  werden  Blasenscheidenfisteln 
angelegt  bei  Tumoren  der  Blase,  Ureterscheidenfisteln  u.  s.  w.  —  Nur  neben- 
bei mag  erwähnt  sein,  dass  man  bei  Dünndarm-Scheidenfisteln,  deren  operative 
Heilung  nicht  gelang,  gelegentlich  Scheidenmastdarmfisteln  angelegt  und  die 
Scheide  darunter  verschlossen  hat  (Kolpokleisis),  um  so  Continentia  alvi  zu 
erzielen. 

Symptome.  Nach  Geburten  entstehen  die  Fisteln,  wenn  es  sich  nicht 
um  eine  acute,  gewaltsame  Zerreissung  handelt,  meist  erst  am  3. — 4.  Tage. 
Das  hat  folgenden  Grund:  Drückt  der  kindliche  Kopf  bei  engem  Becken  tage- 
lang die  Weichtheile  vorn  gegen  die  Symphyse,  wird  ein  Kind  in  Schieflage 
andauernd  auf  den  Beckeneingang  gepresst,  so  kommt  es  zu  einer  Druck- 
Nekrose  der  gequetschten  Theile,   seltener  zu  einer  sofortigen  Durchreibung; 


BLASENKRANKIIEITEN  DES  WEIBES.  115 

besonders  Exostosen  an  der  Innenseite  der  Synipliyse  l)ei  rhaehitiscliem  Becken 
sind  hier  gefährlich.  Kurzdauernder  s  t  a  r  k  (;  r  J )  r  u  c  k,  \v  i  e  er  h  ei  künst- 
licher Entbindung  oft  ausgeübt  werden  niuss,  ist  weniger  ge- 
fährlich, als  langdauernder  Druck  bei  engem  Becken,  Schieflage  u.  Ae. 
—  Die  nekrotischen  und  l)ei  Zutritt  von  Bacterien  auch  in  Gangrän  über- 
gehenden Theile  werden  erst  nach  einigen  Tagen,  bei  stärkerer  Fülbmg  der 
Blase  begünstigt  durch  den  hohen  Druck,  al)gestossen,  und  nun  entleert  sich 
der  Urin  auf  einmal  massenhaft  durch  die  Scheide.  Dies  Ereignis  kann  sogar 
erst  6 — 7  Tage  nach  der  Geburt  eintreten,  wenn  die  F'rau  schon  aufgestanden 
war  und  der  Abdominaldruck  so  verstärkt  wurde.  Je  nach  Lage  und  B(;- 
schaffenheit  der  Fistel  wird  nun  aller  oder  nur  ein  Theil  des  Urins  unwill- 
kürlich durch  die  Scheide  entleert;  bald  entstehen  Eczeme  der  Vulva,  des 
Damms,  der  Innenseite  der  Oberschenkel.  Die  ständige  Durchnässung  der 
Wäsche  und  Kleider  bedingt  eine  dauernde  Urinzersetzung  und  nicht  zum 
mindesten  ist  es  der  entsetzliche  Geruch,  welcher  den  unglücklichen  Frauen 
und  ihrer  Umgebung  das  Leiden  so  furchtbar  macht.  Bei  wenigen  anderen 
Krankheiten  entschliessen  sich  die  Patientinnen  so  rasch  zu  Operationen  und 
bei  Misserfolgen  zu  mehrfach  wiederholten  Eingriffen  (wenn  sie  auch  zu  diesem 
Zwecke  oft  alle  Gynäkologen,  die  ihnen  erreichbar  sind,  der  Pieihe  nach  auf- 
suchen) als  gerade  bei  Urinfisteln.  Oft  incrustirt  sich  die  Vagina  mit  Harn- 
sedimenten und  wird  zu  einem  derben  Rohr,  in  dem  bei  der  Untersuchung 
mit  Fingern  oder  Instrumenten  leicht  blutende  Einrisse  entstehen.  Da  die 
Blasenschleimhaut  den  Bacterien  ohne  weiteres  zugänglich  ist,  gesellt  sich 
oft  Blasenkatarrh  dazu. 

Ist  auch  die  Diagnose:  „Urinfistel"  meist  leicht,  so  kann  es  doch 
Schwierigkeiten  machen,  kleinere  Fisteln  aufzufinden  oder  festzustellen,  ob  es 
sich  um  eine  Blasen-  oder  Ureterfistel  handelt.  Es  ist  dann  nöthig,  die 
Scheide  mit  Platten-Speculis  freizulegen  und  besonders  das  vordere  Scheiden- 
gewölbe genau  zu  untersuchen.  Grössere  Defecte  sieht  man  ohne  weiteres  und 
man  kann  bei  der  Palpation  leicht  von  der  Scheide  aus  in  die  Blase,  oder 
umgekehrt  mit  dem  Katheter  von  der  Blase  in  die  Scheide  gelangen.  Kleinere 
Fisteln  können  hinter  Falten  der  Scheide  oder  der  meist  vorhandenen  Narben- 
züge versteckt  sein.  Ein  guter  Behelf  ist  es  in  solchen  Fällen,  Lösungen 
von  Tusche  oder  Kai.  hypermang.  oder  abgekochte  Milch  in  die  Blase  einzu- 
giessen  und  in  der  mit  Speculis  blosgelegten  Scheide  nachzusehen,  wo  die 
Farbflüssigkeit  austritt.  Küstner  schlägt  vor,  die  Scheide  voll  Liquor-ferri- 
Watte  zu  stopfen  und  in  die  Blase  ganz  dünne  Carbollösung  einzugiessen; 
im  Falle  des  Bestehens  einer  Fistel  findet  sich  an  der  entsprechenden  Stelle 
am  Tampon  ein  violetter  Fleck.  Hat  man  Farbflüssigkeit  in  die  Blase  ge- 
gossen und  es  fliesst  aus  der  Fistel  trotzdem  klarer  Urin,  so  spricht  das  für 
eine  Ureterenfistel.  Noch  sicherer  wird  diese  Diagnose,  wenn  man  —  be- 
sonders bei  leichtem  Druck  auf  das  seitliche  Scheidengewölbe  —  den  Urin 
a,us  der  Fistel  ausspritzen  sieht;  endlich  kann  man,  wenn  der  I'reter  nur 
angerissen  oder  angeschnitten  ist,  von  der  Fistel  aus  eine  Sonde  einerseits 
in  den  Ureter,  andererseits  in  die   Blase  einführen. 

Die  Prognose  ist  selbst  quoad  vitam  manchmal  zweifelhaft;  denn  bei 
lange  bestehendem  Blasenkatarrh  kann  es  durch  aufsteigende  Ureteren-Ent- 
zündung  zu  eitriger  Infection  der  Nierenbecken  und  Niere  kommen;  auch  die 
bei  Fisteln  nicht  seltene  Steinbilduug  kann  durch  LTrämie  Lebensgefahr  be- 
dingen. 

Die  Prophylaxe,  die  sich  zwingend  aus  der  Aetiologie  ergibt,  ist 
z.  T.  ebenso  einfach  als  erfolgreich;  auf  ihr  muss  deshalb  der  Nachdruck  liegen. 

Die  Therapie  hat  seit  Anwendung  der  SiMS-Sniox'schen  Specula  und 
der  G.  SiMON'schen  Operationsweise  glänzende  Fortschritte  gemacht;  trotzdem 
gehört  aber  die  Heilung  grosser  Fisteln   zu   den    ermüdendsten  Operationen, 


116  BLASENKRANKHEITEN  DES  WEIBES. 

die  manchmal  erst  nacli  5 — 6-facher  Wiederholung  zum  Ziele  führen;  ausge- 
dehnte Verletzungen  können  allen  Bemühungen  der  besten  Operateure  trotzen. 
Der  Plan  muss  last  stets  lauten:  Blutige  Anfrischung  der  Fistel- 
ränder, Naht.  Nur  bei  ganz  kleinen  Fisteln  mag  man  es  mit  dem  Argentum- 
nitricumstift  oder  dem  spitzen  Brenner  des  Paquelins  versuchen.  Besser 
ist  es,  diese  Versuche  nicht  zu  wiederholen,  falls  sie  nicht  aufs  erstemal 
helfen.    Man   kann    damit   mehr  schaden  als  nützen. 

Vor  der  blutigen  Anfrischung  müssen  Blasenkatarrhe  thunlichst  gebes- 
sert werden  durch  tägliche  Ausspülungen  mit  Borsäure  und  nachfolgende 
Injectiou  von  10  cm'^  2%  Arg.  nit.  (s.  u.  „Blasenkatarrh").  Sehr  wichtig 
ist  es,  die  Fistel  in  schwierigen  Fällen  gut  zugänglich  zu  machen.  Bozeman 
benützte  dazu  dilatirende  Scheidenkugeln  aus  Hartgummi;  die  meisten 
Operateure  erweitern  jetzt  die  Vagina  durch  wiederholte  Ausstopfung'  mit 
grossen  Mengen  von  Jodoform-Gaze;  gute  Dienste  thun  grosse  Längsschnitte 
in  der  Vagina  unmittelbar  vor  der  Operation,  die  nach  derselben  gleich 
wieder  genäht  werden,  ebenso  Incisionen  der  Narbenstränge  in  der  Um- 
gebung der  Fistel.  Vor  der  Operation  selbst  müssen  Vulva  und  Vagina 
gut  ausgeseift  und  mit  einem  leichten  Desinficiens  gewaschen  werden.  Die 
Fistel  wird  nun  mit  Platten- Speculis  und  Seitenhebeln  gut  freigelegt  und  die 
Portio  mit  Kugelzange  oder  Muzeux  oder  nach  Anschlingung  mit  einem  durch- 
gestochenen Faden  zur  Seite  gezogen;  die  Fistelränder  werden  mit  Messern 
angefiischt,  welche  lange  Griffe  haben  und  deren  vorderer  Theil  winklig  ab- 
gebogen ist,  oder  mit  entsprechend  gekrümmter  (SiMON'scher  Fistel-)  Scheere, 
damit  das  Operationsfeld  nicht  durch  die  Hand  des  Operateurs  und  die  In- 
strumente verdeckt  wird.  Zur  Freilegung  der  Fistel  wandte  Neugebauek  sen. 
bei  Knie-Ellenbogenlage  der  Patientin  einen  umfangreichen,  mit  Ketten  verse- 
henen Speculum-Apparat  an,  durch  welchen  er  allerdings  an  Assistenz  sparte.  — 
Es  ist  nöthig,  breit  um  die  Fistel  myrthenblattförmig  anzufrischen;  ob  man 
auch  den  Rand  der  Blasenschleimhaut  mehr  oder  weniger  ausgiebig  anfrischt, 
ist  wenig  belangreich.  Drängt  sich  die  Blasenschleimhaut  zu  sehr  vor,  so  wird 
sie  durch  einen  an  einem  Faden  befestigten  Schwamm  zurückgehalten.  Nach 
der  Anfrischung  werden  zunächst  die  Fäden  (sterile  Seide,  Silkwormgut,  ver- 
silberter Kupferdraht)  mit  dünnen  Nadeln,  event.  mit  Stielnadeln  sämmtlich 
angelegt,  aber  nicht  geknotet;  es  ist  gut,  die  Fäden  nur  durch  die  unterste 
Schicht  der  Blasenschleimhaut  zu  legen;  sie  ragen  dann  nicht  in  das  Blasen- 
lumen hinein.  Nun  wird  der  Schwamm  entfernt,  die  Fäden  geknotet  und 
schlechtschliessende  Stellen  durch  eine  oder  mehrere  Nähte  gedichtet.  Zum 
Schluss  giesst  man  wieder  Farbflüssigkeit  in  die  Blase  und  sieht  nach,  ob 
irgendwo  etwas  durchsickert,  um  gleich  mit  einer  Naht  die  Stelle  zu  schliessen. 
Auf  die  Wunde  streut  man  etwas  Jodoform;  in  die  Scheide  kann  Jodoform- 
gaze eingelegt  werden.  Verweilkatheter  zu  benützen,  wird  von  vielen  Opera- 
teuren verworfen,  von  einigen  empfohlen.  In  den  ersten  paar  Tagen  muss 
der  Urin  alle  2 — 3  Stunden  willkürlich  oder  mit  Katheter  entleert  werden, 
damit  die  zunächst  noch  kleine  Blase  nicht  stark  gedehnt  und  die  Nähte 
nicht  gezerrt  werden.  Bei  Blasenkatarrh  sofort  wieder  Blasenspülungen  und 
Injectionen  von  2%  Arg.  nit.  —  Die  Seidennähte  werden  am  6. — 8.  Tag,  Silk- 
wormgut und  Draht  am  14.  Tage  entfernt.  Bei  grossen  Fisteln  heilt  oft  zu- 
nächst nur  ein  Theil.  Dann  sind  wiederholte  Operationen  in  Pausen  von 
6 — 8  Wochen  nöthig,  bis  auch  der  letzte  Rest  geschlossen  ist.  Nur  im  äusser- 
sten  Nothfalle  soll  man  zum  blutigen  Verschluss  der  Scheide  {KolpoMeisis) 
greifen.  In  ganz  verzweifelten  Fällen,  wenn  ein  grosser  Theil  der  Blase  und 
Urethra  fehlt,  wurde  sogar  die  äussere  Urethra-Mündung  und  die  Vulva  operativ 
ganz  verschlossen  und  eine  Scheiden-Mastdarmfistel  angelegt,  um  so  die  will- 
kürliche Urin-Entleerung  per  Rectum  statt  des  unwillkürlichen  Harnabflusses 
zu  erzielen  {KolpoMeisis  rectalis). 


BLASENKIIANKHEITEN  DES  WEIBES.  117 

Blasen-Cervixfisteln  heilen  im  allgemeinen  leichter,  weil  reichlich 
Gewebe  zur  Anfrischung  vorhanden  ist.  Vor  der  Operation  kann  die  »Spaltung 
des  Cervix  nöthig  sein. 

Zur  Heilung  von  der  Scheide  aus  schwer  zugängliclier  oder  schwer  zu 
operirender  Fisteln  ist  auch  die  Naht  nach  Sectio  alta  gemacht  worden. 

Ureterenfisteln  könnte  man  nach  Landau's  Vorschlag  so  operiren, 
dass  man  von  der  Scheide  aus  einen  elastischen  Katheter  erst  gegen  die 
Niere,  dann  gegen  die  Blase  hineinlegt  und  darüber  die  Itänder  anfrischt 
und  näht.  Ferner  kann  man  den  peripheren  Ureteren-Stumpf  in  eine  frisch- 
angelegte Blasenscheidenfistel  einnähen.  Meist  wird  man  sich  aber  mit  Ope- 
rationen begnügen  müssen,  welche  leider  keine  Ilestitutio  ad  integrum  sind: 
Anlegung  einer  Blasenscheidenfistel  und  darunter  blutiger  Verschluss  der 
Scheide,  um  so  den  oberen  Theil  der  Vagina  mit  zum  Urinbehälter  zu  machen. 
Allerdings  kommt  es  darin  leicht  zur  Steinbildung,  und  es  kann  deshalb  sogar 
die  Wiedereröffnung  der  Scheide  nöthig  werden. 

Ist  ein  maligner  Tumor  Ursache  der  Urinfistel,  so  wird  man  von  einer 
Operation  absehen  müssen,  da  man  in  dem  von  der  Neubildung  durchsetzten 
Gewebe  keinen  Verschluss  herstellen  kann;  dasselbe  gilt  von  jenen  Fisteln, 
welche  bei  Total -Exstirpation  des  Uterus  entstanden  sind  und  in  deren  Um- 
gebung ein  Recidiv  des  malignen  Tumors  auftritt. 

Blasen-Darmfisteln;    Commnnicationen   der  Blase   mit   anderen  Bauchorganen. 

Fisteln  zwischen  der  Blase  und  anderen  Bauchorganen  (abgesehen  von  den  Blasen-Genital- 
fisteln) entstehen  meist  nur  dann,  wenn  jene  Organe  zuerst  durch  Adhäsionen  oder  Exsu- 
date mit  der  Blase  verklebt  sind. 

n)  Blasen-Mastdarmfisteln;  bei  diesen  kann  Urin  durch  den  Mastdarm  und 
Koth  durch  die  Blase  entleert  werden;  durch  eine  bestimmte  Lagerung  der  Fistel  geht  in 
einzelnen  Fällen  nur  Urin  durch  das  Rectum  ab.  Therapeutisch  hat  man  die  Colotomie 
ausgeführt. 

b)  Blasendünndarmfisteln.  Die  Diagnose  ergibt  sich  meist  leicht  aus  der 
Entleerung  von  Dünndarminlialt  mit  dem  Urin.  Therapeutisch  könnte  man  durch  den 
Scheidenblasenschnitt  die  Fistel  einem  operativen  Eingriff  zugänglich  machen. 

c)  Durchbruch  von  Ovarialcysten,  besonders  von  Dermoidcysten  in  die  Blase; 
die  Diagnose  ist  leicht,  wenn  Haare,  Zähne,  Fett  durch  die  Blase  abgehen.  Eine  Behand- 
lung der  Fistel  selbst  ist  nicht  stets  nöthig,  da  nach  Entleerung  der  Cyste  spontane  Heilung 
möglich  ist. 

d)  Durchbruch  extrauteriner  Fötalsäcke  in  die  Blase;  es  können  dann  Theile 
des  macerirten  Fötus,  besonders  Knochen,  durch  die  Blase  entleert  werden.  Grössere  Knochen 
können  die  Harnröhre  nicht  spontan  passiren  und  machen  dann  eine  Erweiterung  der 
Harnröhre  oder  hohen  Blasenschnitt  behufs  nachfolgender  Entfernung  nöthig. 

e)  Durchbruch  para-  und  perimetritischer  Exsudate  in  die  Blase;  der 
Vorgang  ist  eine  Art  von  Naturheilung;  therapeutisch  wird  nicht  stets  ein  Eingreifen  nöthig 
sein.  Entleert  sich  das  Exsudat  nicht  genügend  durch  die  Blase,  so  kann  man  es  von 
aussen  oder  von  der  Scheide  aus  breiter  eröffnen,  drainiren  und  später  die  Fistel  operativ 
schliessen. 

Bei  den  Fortschritten,  welche  die  Bauchhöhlen-Operationen  in  letzter  Zeit  gemacht 
haben,  Hesse  sich  daran  denken,  auch  bei  Blasen-Darm-,  Blase a-Cysten-Fisteln  u.  s.  w.  die 
Laparotomie  zu  machen,  die  betreffenden  Organe  von  der  Blase  abzulösen  und  beide  Oeflf- 
nungen  zu  vernähen.  Bei  den  meist  ausgedehnten  Verwachsungen  wird  jedoch  abzuwägen 
sein,  ob  die  Gefahr  des  Eingriffs  im  Vergleich  zum  veranlassenden  Leiden  nicht  zu  gross  ist. 

TV.  Ruptiu'  der  Blase. 

Ein  Bersten  der  Blase  setzt  2  Umstände  voraus:  Starke  Füllung  und 
Einwirkung  einer  Gewalt.  Begünstigend  kann  dafür  eine  theilweise  starke 
Verdünnung  der  Blasenwand  sein,  wie  sie  Westckel  in  einem  Falle  bei  Re- 
troüexio  uteri  gravidi  und  Cystitis  fand.  Ursache  der  übermässigen  Füllung 
war  in  einigen  Fällen  die  erwähnte  pathologische  Lage  des  Uterus;  deshalb 
hat  die  Ruptur  der  Blase  auch  besonderes  Interesse  für  den  Frauenarzt.  Die 
Gewalteinwirkung  kann  in  einöm  Stoss,  Schlag,  Fall,  vielleicht  auch  ausnahms- 
weise in  der  Wehenthätigkeit  bestehen. 


118  BLASENKRANKHEITEN  DES  ^YEIBES. 

Die  Symptome  sind  die  einer  schweren  Perforations-Peritonitis:  Schmerz, 
Angstgefühl,  Brechreiz,  kleiner,  frequenter  Puls;  ausserdem  seitens  der 
Blase:  ürindrang,  ohne  dass  Urin  in  beträchtlicher  Menge  entleert  werden 
kann;  auch  beim  Katheterisiren  tliesst  nur  wenig  Urin  ab,  der  meist  —  aber 
nicht  immer  —  blutig  ist.  War  die  Ruptur  im  vorderen  oder  unteren  Abschnitt 
der  Blase  erfolgt,  so  braucht  das  Peritoneum  nicht  mit  durchrissen  zu  sein, 
und  es  kann  zu  einer  Urin-Infiltration  entlang  der  vorderen  Bauchwand  oder 
im  Bindegewebe  des  kleinen  Beckens  kommen.  In  diesem  Falle  ist  die  Pro- 
gnose besser,  sonst  ist  sie  schlecht,  besonders  wenn  bei  Eintritt  der  Behand- 
lung schon  Peritonitis  vorhanden  ist. 

Therapie.  Theoretisch  wäre  es  am  besten,  sofort  nach  eingetretener 
Berstung  die  Laparotomie  und  entweder  nach  Glättung  der  Wundränder  die 
Naht  der  Blase  zu  machen  oder  den  Blasenriss  so  in  den  unteren  Winkel  der 
Bauchwunde  einzunähen,  dass  er  extraperitoneal  wird.  Auch  bei  der  Blasen- 
ruptur ist  zukünftig  von  einer  chirurgischen  Behandlung  sowohl  der  Verletzung 
als  der  Peritonitis  eine  Besserung  der  Prognose  zu  erwarten.  Wo  ein  so  ein- 
greifendes Verfahren  nicht  mehr  geeignet  schien,  hat  man  nach  Dilatation  der 
Urethra  den  Eiss  aufgesucht  und  durch  Urethra  und  Blase  ein  Drainrohr  in 
die  Bauchhöhle  eingelegt;  bei  Peritonitis  ist  Eis  und  Opium  indicirt.  Wenn 
nach  extra-,  beziehungsweise  subperitonealer  Zerreissung  Urin-Infiltration  ein- 
getreten ist,  wird  man  die  betreffenden  Stellen  incidiren. 

V.  Neubikluiigeu  der  Blase. 

Die  Ruptur  der  Blase  bietet  für  den  Frauenarzt  wegen  des  gelegentlichen 
Zusammenhanges  mit  einer  bestehenden  Retroflexio  uteri  gravidi  besonderes 
Interesse;  ähnliches  gilt  für  die  Neubildungen  der  Blase,  weil  sie  diagnostisch 
und  therapeutisch  beim  Weibe  leichter  oder  doch  auf  anderem  Wege  zugänglich 
sind,  als  beim  Manne:  durch  die  Abtastung  und  Besichtigung  des  Blasen- 
Inneren  nach  Dilatation  der  Urethra  und  nach  dem  Scheidenblasenschnitte. 
Im  übrigen  unterscheiden  sich  die  Blasentumoren  des  Weibes  sowohl  nach 
ihrer  Beschaffenheit,  als  nach  den  Symptomen,  der  Diagnose  und  Therapie 
natürlich  nicht  von  jenen  des  Mannes. 

Beobachtet  worden  sind:  Polypen,  entweder  als  umschriebene  Wuche- 
rungen der  Schleimhaut  selbst  oder  aus  Myomen  bestehend,  welche  die 
Schleimhaut  stielförmig  ausgezogen  haben;  das  letztere  ist  sehr  selten,  wie 
die  Myome  der  Blase  überhaupt.  Zottengeschwülste,  dendritisch  ver- 
zweigte, papillomatöse  Tumoren,  können  entweder  gutartige  Wucherungen  der 
Schleimhaut  oder  echter  Epithelial-Krebs  sein:  Zottenkrebs.  Ausserdem 
kommt  Carcinom  in  der  Form  des  mehr  flachen  C  an  er  oids  vor.  Weit  öfter 
als  primär  findet  sich  aber  Carcinom  der  Blase  secundär,  ausgehend  von 
Nachbar-Organen  (Uterus,  Ovarien).  Deshalb  kommt  secundäres  Blasen-Car- 
cinom  bei  Frauen  ziemlich  häufig  vor.  Sehr  selten  sind  Sarkome  der  Blase. 
(„Blasentuberculose"  s.  u.  bei  Cystitis.) 

Die  Symptome  der  Blasen-Neubildungen  sind  Anfangs  wenig  typisch: 
Schmerz  in  der  Blasengegend,  Urinbeschwerden  theils  in  der  Form  von  Harn- 
drang, theils  von  erschwerter  oder  (durch  Einklemmung  von  Tumor-Theilen  in 
die  Harnröhre)  zeitweilig  unmöglicher  Urin-Entleerung.  Die  Schmerzen  strahlen 
in  Nachbar-Organe  auS;  besonders  in  die  Urethra.  Blutungen  fehlen  selten 
und  können  geradezu  erschöpfend  werden.  Blasenkatarrh  pflegt  sich  früh  ein- 
zustellen ;  secundär  kann  sich  Hypertrophie  der  Blase  und  Dilatation  der  Ure- 
teren  einstellen. 

Die  Diagnose  stützt  sich  auf  diese  Symptome,  auf  den  Tastbefund 
(I)i manuell  per  vaginara  oder  rectum  oder  per  urethram),  auf  die  Besichtigung 
mittelst  des  Kystoskops  und  auf  die  mikroskopische  Untersuchung  von  Tumor- 
Stückchen;    solche  können  gewonnen  werden,    indem   man  sie  mit  der  Korn- 


PLASENKIIANKIIEITEN  DES  WEIBES.  119 

zange  abquetscht  oder  —   und    diese  Methode  ist  vorzuziehen  —  indem  man 
sie  mit  Nitze's  Operations-Kystoskop  unter  Leitimg  des  Auges  abträgt. 

lieber  die  Aetiologie  aller  dieser  Tumoren  wissen  wir  nichts;  es  hat 
jedoch  den  Anschein,  als  ob  eine  nahe  Zeit  Autklärung  über  die  P^ntstehung 
des  Carcinoms  im  allgemeinen  brächte  (s.  „Carcinom  der  weiblichen  Geni- 
talien"). 

Therapie.  Gutartige  Neubildungen  sind  mit  Erfolg  operativ  entfernt 
worden;  alle  Wege  um  ins  Blaseninnere  zu  gelangen,  können  hiefür  in  Frage 
kommen.  Zur  Abtragung  der  Tumoren  kann  Messer,  Scheere,  Ecraseur, 
Paquelin,  Kornzange  oder  Operations-Kystoskop  benützt  werden.  Eine  aus- 
gedehnte, aber  in  Plan  und  Erfolg  geradezu  glänzende  Operation  hat  Pawlik 
gemacht:  Das  Carcinom  hatte  den  grössten  Theil  der  Blasenwand  ergiiffen. 
Pawlik  schnitt  die  Ureteren  nahe  der  Blase  ab  und  nähte  ihre  Enden  in  die 
Scheide  ein;  dann  schälte  er  nach  einem  über  der  Symphyse  gemachten  Quer- 
schnitt die  Blase  von  der  Umgebung  aus  und  schnitt  die  Urethra  von  der 
Scheide  aus  durch;  nun  konnte  er  die  ganze  Blase  entfernen  und  nach  ope- 
rativem Verschluss  der  Scheide  functionirte  diese  als  Urinbehälter,  während 
die  Entleerung  durch  den  stehen  gebliebenen   Theil  der  Urethra  erfolgte. 

Bei  inoperablen  Fällen  ist  eine  symptomatische  Behandlung  nothwendig, 
welche  sich  hauptsächlich  auf  drei  Punkte  erstrecken  wird:  Bekämpfung  der 
Blutungen  durch  Injection  von  Liquor-ferri-Lösungen,  des  Blasenkatarrhs 
(s.  d.)  mit  4%  Borsäure-Spülungen  und  2^0  Arg.  nit.-Injectionen,  und 
endlich  durch  Milderung  der  oft  ausserordentlichen  Schmerzen:  Priessnitz, 
Narcotica.  Morphium  ist  erst  möglichst  spät  anzuwenden,  da  dieses  Alkaloid 
unsere  letzte  Zuflucht  ist. 

VI.  Cystitis. 

Catarrhus  vesicae  urinariae,  Blasen- Entzündung ^  Blasen- Katarrh).  *) 

Aetiologie.  Jede  Blasenentzündung  wird  durch  Mikroben  verui^sacht. 
Gewisse  innere  Mittel,  wie  Cantharidin,  Terpentin,  junges,  ungegohrenes  Bier 
u.  s.  w.  können  zwar  eine  Hyperämie  der  Blase,  aber  ohne  Hinzukommen 
von  Bacterien  keine  Blasenentzündung  hervorrufen.  Von  den  bei  Cystitis  in 
der  Blase  gefundenen  Bacterien  kann  man  2  Gruppen  unterscheiden :  a)  e  i  t  e  r- 
bildende  (pyogene)  Bacterien;   b)  nichtpyogene  Bacterien. 

a)  Pyogene  Bacterien.  Sie  können  den  Harn  ammoniakalisch  zer- 
setzen oder  nicht. 

1.  Tuberkel-Bacillen;  sie  bewirken  keine  ammoniakalische  Zersetzung  des 
Urins.  Bei  Blasentuberculose  wird  also  der  Urin  stets  sauer  sein,  wenn  nicht 
eine  Mischinfection  mit  harnstoffzersetzenden  Bacterien  vorliegt.  Aber  auch 
bei  nichttuberculösen  Blasenentzündungen  kann  der  Urin  sauer  sein  (Joh. 
Müller  gegen  Rovsing).  Dieser  Umstand  muss  hervorgehoben  werden,  denn 
Rovsing  hatte  angegeben,  dass  saurer  Cystitis-Urin  auf  tuberculöse  Blasen- 
erkrankung hinweise.  Ich  erinnere  mich  lebhaft  der  grossen  Sorgen,  welche 
diese  Angabe  einem  mir  befreundeten  Arzt  bereitete,  als  er  bei  Blasenkatarrh 
seiner  Frau  saure  Reaction  des  Urins  fand. 

2.  Staphi/lococcus  i^yogenes  aur..,  alh.  u.  cur. 

3.  Streptococcus  pyogenes  ureae. 

4. — 6.  Einige  seltenere  Bacterien:  Diplococcus  ureae pyogeneSy  Coccobacillus 
ureae  pyogenes  und  Micrococcus  flavus  ureae  pyogenes. 


*)  Die  folgende  Darstellung  der  Aetiologie.  Eintheilting  und  Behandlung  des  Blasen- 
katarrlis  schliesst  sich  in  der  Hauptsache  an  die  schöne  und  ergebnisreiche  Arbeit  Rovsiis'Ct"s 
an  (Thorkild  Eovsing,  Die  Blasenentzündungen.  Deutsch  1890  bei  Hirschwald.  Berlin).  Ein 
in  mancher  Beziehung  wichtiger  Untersuchungsfehler,  welcher  Rovsi:\G  mit  untergelaufen 
ist,  wru-de  in  der  LEUBE'schen  Klinik  durcli  Joh.  Müller  festgestellt  und  verbessert 
(ViRCHOw's  Archiv,  129.  Bd.,  1892).  Im  Folgenden  ist  darauf  entsprechende  Rücksicht  ge- 
nommen. 


120       -  BLASENKRANKHEITEN  DES  WEIBES, 

Walirsclieinlicli  sind  nur  die  Bacterien  dieser  Gruppe  die  wirklichen 
Erreger  der  Cystitis.  Die  unter  2 — 6  angeführten  können  Harnstoff  ammo- 
niakalisch  zersetzen.  Ihr  schädlicher  Einfluss  auf  die  Blase  beruht  theils  auf 
einem  Eindringen  in  die  Blasenwand  und  der  Bildung  von  Eiter,  theils  in  der 
Ausscheidung  von  giftigen  Stoffwechselproducten ;  beide  Umstände  ergänzen 
sich  und  hängen  von  einander  ab.  Nach  Krogius  spielt  bei  der  Cystitis  das 
Bacteriiim  coli  coimmine,  nach  Haus  er  der  Proteus  vulgaris  oft  eine  wichtige 
Rolle. 

b)  Nichtpyogene,  aber  harnstoffzersetzende  Bacterien.  An 
solchen  hat  Rovsing  beschrieben:  1.  Diplococcus  ureae  trifoliatus,  2,  Strepto- 
coccus ureae  rugosus,  3.  Diplococcus  ureae,  4.  Coccobacillus  ureae.  Diese 
Bacterien  erregen  keine  Eiterung,  können  aber  Harnstoff  ammoniakalisch  ver- 
setzen. Rovsing  glaubte,  das  von  ihnen  gebildete  kohlensaure  Ammoniak 
wirke  schädlich  auf  die  Blasenwaiid  und  erzeuge  eine  katarrhalische 
Cystitis,  während  die  Bacterien  der  ersten  Gruppe  eine  suppurative 
Cystitis  hervorrufen.  Die  letztere  sollte  schwerere  Erscheinungen  machen 
und  schwerer  heilen,  als  die  erstere.  Leube,  Joh.  Müller  u.  A.  fanden  aber 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  eine  saure  Reaction  des  Cystitis-Urins ;  aus 
diesen  und  anderen  Gründen  scheint  den  nichtpyogenen  Bacterien  eine  ge- 
ringe oder  keine  ätiologische  Bedeutung  für  den  Blasenkatarrh  zuzukommen. 
Dann  bleiben  für  die  Entstehung  des  Blasenkatarrhs  hauptsächlich,  wenn  nicht 
ausschliesslich,  die  pyogenen  Staphylo-  und  Streptococcen,  die  Tuberkel-Bacillen 
und  einige  seltenere  pyogene  Bacterien  verantwortlich.  Die  Reaction  des 
Urins  bei  Blasenkatarrh  kann  sauer,  neutral  oder  alkalisch  sein;  bei  rein 
tuberculöser  Blaseninfection  scheint  sie  stets  sauer  zu  sein. 

Wichtig  ist  die  von  Rovsing  gefundene  Thatsache,  dass  es  im  Thier- 
Experiment  erst  dann  gelang,  durch  eingeführte  Bacterien  Blasenkatarrh  zu 
erzeugen,  wenn  durch  Unterbindung  der  Harnröhre  Harnstauung  erzeugt  oder 
wenn  die  Blasenschleimhaut  vorher  verletzt  wurde.  Das  macht  die  schweren 
Cystitiden  bei  Harnstauung  in  Folge  von  Retrofl.  ut.  grav.  u.  s.  w.  erklärlich. 

AVie  gelangen  die  Bacterien  in  die  Blase?  Der  normale  Urin  ist  in  der  Blase 
bacterienfrei.  Dagegen  enthält  die  normale  Urethra  sowohl  pathogene  wie  nichtpathogene 
Bacterien.  Das  Orif.  int.  nreth.  bildet  also  ebenso  wie  das  Orif.  int.  cervicis  die  normale 
Grenze  der  Bacterien-Flora  nach  oben.  Die  Yon  Roysing  in  der  Urethra  gefundenen  Bac- 
terien waren  dieselben,  wie  die  bei  Blasenkatarrh  nachgewiesenen.  Die  häufigste  Quelle  der 
Cystitis-Bacterien  dürfte  deshalb  die  Harnröhre  sein.  Von  hier  gelangen  sie  durch  Katheter, 
Bougies  u.  s.  w.  in  die  Blase.  Unter  normalen  Verhältnissen  ist  die  letztere  von  der  Urethra 
pilzdicht  abgeschlossen.  Jedoch  können  bei  Prostata-Hypertrophie,  Stricturen,  Ueberfüllung 
der  Harnblase  etc.  auch  durch  Rückstauung  (also  ohne  Anwendung  von  Instrumenten) 
Bacterien  aus  der  Harnröhre  in  die  Blase  gelangen. 

Eine  zweite,  sehr  wichtige  Quelle  für  Einführung  von  Bacterien  in  die  Blase  sind 
natürlich  unreine  Instrumente  selbst ;  eine  weitere  Quelle  bilden  bei  ungenügender  Vorsicht 
beim  Katheterisiren  die  an  der  äusseren  Urethral-Mündung  und  deren  Umgebung  (besonders 
bei  der  Frau  überreich)  vorhandenen  Bacterien.  Seltener  sind  folgende  Wege  der  Infection : 
Durchbruch  von  Abscessen  und  jauchenden  Tumoren,  besonders  Carcinom  in  die  Blase; 
primäre  Nephritis,  welche  durch  pyogene  Staphylo-  oder  Streptococcen  erzeugt  ist  {Cystitis 
e  nephritide);  es  liegt  auf  der  Hand,  dass  bei  abscedirender  Nephritis  Eitererreger  durch 
den  Urin  in  die  Blase  hinabgespült  werden  können.  Tuberkelbacillen  können  sowohl  von 
der  Niere  aus,  als  durch  den  Blutkreislauf  in  die  Blase,  beziehungsweise  Blasenwand  ge- 
langen. 

Gonococcen  sollen  nach  neueren  Untersuchungen  (Barlow  u.  A.)  Cystitis  hervorrufen 
können,  wenn  dies  auch  selten  der  Fall  zu  sein  scheint.  Es  gäbe  also  doch  eine  gonor- 
rhoische Cystitis.  Mit  Wertheim's  Untersuchungen  über  den  Gonococcus  wäre  diese 
Aiiffassung  gut  vereinbar  (s.  u.  ^^GonorrJwe  des  Weihes"). 

Eintheilung.  Je  nach  dem  geringeren  oder  grösseren  Gehalt  des 
Urins  an  Eiterkörperchen  spricht  man  von  einer  katarrhalischen  oder 
suppurativen  Cystitis.  Beide  Fonnen  scheinen  nur  graduell  verschieden 
zu  sein.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  sie  nicht  durch  verschiedene  Formen  von 
Bacterien  (die  katarrhalische  Cystitis   durch  nichtpyogene,   aber  harnstoflfeer- 


BLASENKRANKHEITEN  DES  WEIBES.  121 

setzende,  die  suppurative    durch  pyogene  Bacterienj  erzeugt  werden,    sondern 
stets  durch   pyogene  Mikroben  mit  Einscliluss  der  Tuberkelbacillen. 

Symptome  und  Verlauf.  Blasenentzündung  äussert  sich  Anfangs 
durch  Harndrang,  Tenesmus,  der  auch  zu  lästigem  Stuhldrang  füliren  kann, 
schmerzhaftes  Uriniren,  besonders  bei  Entleerung  der  letzten  Tropfen,  Schmerz 
in  der  Blasengegend,  Fieber.  Der  Urin  wird  trüb  und  enthält  Blasen-Epithe- 
lien,  weisse,  später  auch  rothe  Blutkörperchen,  Krystalle  von  Tripelphosphat 
(Sargdeckelform)  und  harnsaurem  Ammoniak  (Stechapfelform),  Bacterien.  Zu- 
satz von  Salpetersäure  hellt  den  Urin  ziemlicli  auf,  es  bleibt  jedoch  eine 
leichte  Trübung  zurück,  wenn  man  die  Epithel] en,  Blutkörperchen  und  Bacte- 
rien nicht  vorher  abfiltrirt  hat;  der  Urin  kann  aber  auch  p]i weiss  enthalten, 
das  beim  Kochen  gefällt  wird.  Bei  Zunahme  der  Entzündung  kann  der  Process 
auf  die  Ureteren,  Nierenbecken  und  Nieren  übergehen  und  durch  abscedirende 
Nephritis  —  in  einzelnen  Fällen  nach  metastatischer  Erkrankung  anderer 
Organe  und  allgemeiner  Sepsis  —  zum  Tode  führen.  Immerhin  ist  dieser 
schlimmste  Ausgang  selten. 

Als  diphtherische  Cystitis  hat  man  jene  Formen  bezeichnet,  bei 
welchen  Fetzen  der  schwer  erkrankten,  gangränösen  Blasenschleimhaut,  ja 
sogar  die  gesammte  Mucosa  vesicae  unter  hohem  Fieber  ausgestossen  wird. 
Dieses  äusserst  gefährliche  Ereignis  wird  besonders  dann  beobachtet,  wenn 
tagelang  völlige  Harnstauung  auftritt,  wie  bei  grossen  Tumoren  des  kleinen 
Beckens,  Retrofiexio  uteri  gravidi  u.  s.  w.  —  Es  kann,  muss  aber  nicht 
unbedingt  zum  Tode  führen.  Eine  Heilung  ist  in  der  Weise  möglich,  dass 
die  der  Schleimhaut  entblösste  Blasenwand  narbig  schrumpft,  und  die  Blase 
zu  einem  kleinen,  nicht  mehr  ausdehnungsfähigen  ßecessus  wird,  welcher  nicht 
als  Urinbehälter  dienen  kann;  es  wird  also  Incontinentia  urinae  auftreten.  — 
Nicht  verwechselt  darf  damit  die  croupöse  Cystitis  werden,  bei  welcher 
sich  auf  der  Schleimhaut  Membranen  aus  Fibrin,  Schleim,  weissen  Blutzellen 
und  Blasen-Epithelien  bilden.  Diese  können  in  Fetzen  entleert  werden,  unter- 
scheiden sich  aber  von  gangränösen  Fetzen  der  Schleimhaut  durch  das  Fehlen 
anderer  Bestandtheile  als  der  oberflächlichen  Epithelien  und  durch  die  haupt- 
sächliche Zusammensetzung  aus  Fibrin  und  Eiterkörperchen.  Diphtherische 
und  croupöse  Membranen  können  beim  Versuch  des  Katheterisirens  die  Fenster 
des  Instrumentes  verstopfen  und  so  die  Entleerung  erschweren.  Man  hat  in 
solchen  Fällen  sogar  schon  den  Blasenstich  gemacht.  Durch  theilweise  Ulce- 
ration  kann  es  zu  Infection  des  Bindegewebes  neben  der  Blase  (Paracystitis), 
bei  hochgradiger  Entzündung  zu  Infection  des  Peritonealüberzugs  (Peri- 
cystitis)  kommen. 

Die  acute  Entzündung  kann  in  die  chronische  Form  übergehen.  Fieber, 
Gehalt  des  Urins  an  pathologischen  Bestandtheilen  und  subjective  Erschei- 
nungen werden  dann  geringer;  zeitweise  Verschlimmerungen  sind  nicht  selten. 
Sowohl  durch  Entzündung  als  in  Folge  bestehender  Hindernisse  der  Ent- 
leerung kann  es  Anfangs  zur  Hypertrophie,  bei  übermässiger  Ausdehnung 
aber  später  zur  Atrophie  der  Blasenwand  kommen.  Ragen  die  verdickten 
Muskelbündel  gitterförmig  in  das  Blasenlumen  hinein,  während  die  Schleimhaut 
dazwischen  verdünnt  und  vertieft  ist,  so  spricht  man  von  Gitter-  oder  Bal- 
kenblase.  Im  weiteren  Verlaufe  kann  es  so  zur  Bildung  von  Divertikeln 
kommen. 

Die  Prognose  ist  bei  frischen  Fällen  eine  gute,  bei  vernachlässigten, 
hochgradigen  Erkrankungen  kann  sie  aber  durch  aufsteigende  Entzündung  der 
Ureteren,  Nierenbecken  und  Nieren,  sowie  nach  Erkrankung  der  Muscularis 
und  des  Peritoneal-Ueberzuges  der  Blase  dui'ch  Peritonitis  letal  werden. 

Die  Prophylaxe  hat  auch  hier  ein  weites  und  erfolgreiches  Gebiet 
ihrer  Thätigkeit.  Nicht  nachdrücklich  genug  kann  besonders  Vorsicht  beim 
Katheterisiren  eingeschärft  werden;  und  zwar  einerseits  in  dem  Sinne,   dass 


122  BLASENKEANKHEITEN  DES  WEIBES. 

nur  im  Xothfalle  katheterisirt,  andererseits  die  Möglichkeit  einer  Infection 
dabei  tliiinlichst  eingeschränkt  wird.  Ganz  zu  vermeiden  wird  sie  nie  sein. 
Küstner  lienützt  als  Katheter  beim  Weibe  einfache,  ^orn  durch  Abschmelzen 
gut  geglättete  Glasröhren  ohne  Fenster,  also  mit  endständiger  Oeffnung. 
Gewiss  haben  diese  Glas-Katheter  Vortheile  vor  den  metallenen  mit  seitlichen 
Fenstern,  die, trotz  ausgegossener  Enden  in  der  Praxis  nicht  stets  aseptisch 
zur  Hand  sind;  leider  steht  ihre  Zerbrechlichkeit  einer  ausgedehnten  Ver- 
wendung etwas  entgegen.  Nie  soll  man  aber  Katheter  benützen,  die  nicht 
vorher  in  kochendem  Wasser  sterilisirt  sind  oder  in  5"/o  Carbol,  beziehungs- 
weise l*/oo  Sublimat  gelegen  waren.  Man  katheterisire  nicht  unter  der  Bett- 
decke, sondern  nach  Freilegung  der  Vulva.  Die  Urethralmündung  muss  mit 
feuchter  Sublimat-Watte  gründlich  abgewischt  sein;  man  wische  von  oben  nach 
unten,  um  nicht  Scheidenschleim  immer  wieder  hinaufzubringen.  Ist  die  Blase 
gesund,  so  wird  sie  mit  den  Bacterien,  die  wir  aus  der  Urethra  hineintrans- 
portiren,  meist  allein  fertig;  eine  geringe  Menge  von  Mikroben  kann  auch  der 
normale  Urin  töten  beziehungsweise  abschwächen.  Bedenklich  werden  aber 
diese  Mikroben,  wenn  wir  die  Blase  durch  ungeschicktes  Katheterisiren  zu- 
gleich verletzen.  —  Muss  bei  schon  bestehender  Erkrankung  der  Blasenwand 
oder  Harnverhaltung  katheterisirt  werden,  so  mache  man  nach  der  Entleerung 
des  Urins  jedesmal  eine  prophylactische  Injection  von  5 — 10g  2%  Argentum 
ni  tri  cum  (Rovsing),  am  besten  mit  einer  grösseren  BEAUN'schen  Spritze. — 
Den  Katheter  fette  man  nicht  mit  Vaseline  ein,  die  sich  massenhaft  in  der 
Blase  ansammeln  kann,  sondern  mit  Oel. 

Therapie.  Sie  muss  in  der  Hauptsache  local  sein,  d.  h,  die  Blase  selbst 
zum  Angriffspunkt  nehmen.  Man  sorgt  für  häufige  Urin-Entleerung,  sei 
diese  spontan  oder  instrumenteil.  Harnstauung  verschlimmert  die  Entzündung. 
Die  Blase  wird  ferner  täglich  mit  4''/o  Borsäure-Lösung  ausgespült  und  dann 
eine  Injection  von  5 — 10^  27o  Argentum  nitr.  gemacht;  bei  hartnäckigen 
Fällen  steigt  man  bis  zu  57o  Lösungen.  Diese  werden  auffallend  gut  und 
ohne  Schmerzen;;  ertragen.  Die  Kranke  soll  bei  Nachlass  der  ersten  und  hef- 
tigsten Symptome,  wenn  thunlich,  nicht  zu  Bett  liegen.  Will  man  den  animo- 
niakalischen  Urin  neutralisiren,  so  gibt  man  innerlich  Borsäure,  Benzoesäure, 
Decoct  von  Folia  uvae  ursi,  letzteres  so,  dass  man  täglich  8 — 15  g  mit  einem 
Liter  heissen  Wassers  aufgiesst  und  tagsüber  mit  Zucker  trinken  lässt.  Eines 
alten  Rufes  erfreuen  sich  die  Quellen  von  Wildungen,  Vichy,  Bilin.  Die 
oft  äusserst  heftigen  Schmerzen  werden  durch  feuchtwarrae  Umschläge,  Opium 
per  OS  oder  in  Suppositorien,  im  äussersten  Falle  durch  Morphium  gemässigt. 
—  Flüssige,  nicht  reizende  Diät  ist  nothwendig.  Dagegen  sind  Copaiv-Balsam, 
Terpentin  (auch  das  vielgerühmte  von  Chios)  wirkungslos.  Vor  operativen 
Eingriffen  an  der  Harnblase  soll  man  den  etwa  bestehenden  Katarrh  zu  heilen 
oder  doch  thunlichst  zu  bessern  versuchen;  Fremdkörper  in  der  Harnblase, 
welche  den  Katarrh  unterhalten,  wird  man  natürlich  zuerst  entfernen  und 
dann  erst  den  letzteren  behandeln. 

Eine  Therapie  der  Blasentuberculose  gibt  es  bis  jetzt  umso  we- 
niger, als  sie  meist  secundär  nach  Nieren-Tuberculose  u.  s.  w.  auftritt.  Die 
Behandlung  wird  also  rein  symptomatisch  sein  müssen.  Ob  es  sich  empfiehlt, 
nach  Sectio  alta  die  erkrankten  Stellen  auszukratzen  und  zu  kauterisiren,  wie 
man  vorgeschlagen  hat,  erscheint  auch  bei  primärer  Blasentuberculose  zur  Zeit 
noch  mehr  als  fraglich. 

Vn.  Fremdkörper  in  der  Blase. 

Fremdkörper  können  1.  von  Nachbarorganen  aus  spontan  in  die  Blase 
gelangen,  oder  2.  durch  die  Urethra  von  aussen  eingeführt  werden  oder  3.  bei, 
Unfall-Verletzungen  in  dieselbe  auf  den  verschiedensten  Wegen  eindringen, 
oder  endlich  4.  in  der  Blase  selbst  entstehen. 


BLASENKRANKHEITEN  DES  WEIBES.  123 

Zu  1.  Schon  erwähnt  wurde  der  Durc-hbruch  von  Deniioid-  und  anderen 
Ovarial-Tumoren,  sowie  von  extrauterinen  Fruchtsäcken  in  die  Blase;  Haare, 
Knochen,  Zähne  u.  s.  w  gelangen  so  in  dieselbe;  Echinococcusblasen  können 
auf  demselben  Wege  eindringen;  aus  den  Nierenbecken  und  Harnleitern  können 
Steine  herabgebracht  werden;  aus  der  Scheide  sind  Pessare  und  Nadeln  nach 
Perforation  der  Zwischenwand  schon  in  die  Blase  gelangt. 

Zu  2.  Am  häufigsten  werden  durch  Masturbation  Fremdkörper  per  ure- 
thram  eingeführt;  man  hat  Haar-,  Strick-,  Steck-  und  Nähnadeln,  Nadelbüchsen, 
Zahnstocher,  Bleistifte,  Federkiele  und  Federspulen  in  der  Blase  gefunden; 
nach  versuchtem  criminellen  Abort  fand  man  Nadeln  und  Baumreiser  darin; 
durch  Katheterisiren  können  abgebrochene  Stücke  der  benützten  Instrumente 
gefunden  werden. 

Zu  3.  Durch  Verletzungen  bei  Sturz  sind  in  einzelnen  Fällen  Stücke  von 
Holz,  Stroh  u.  s.  w.  eingedrungen. 

Zu  4.  In  der  Blase  selbst  können  sich  gestielte  Tumoren  abschnüren  und 
es  entstehen  durch  Incrustation  oder  spontan  Steine,  die  dann  als  Fremdkörper 
wirken  (s.  u.). 

Behandlung.  Sie  besteht  naturgemäss  in  2  Massregeln:  Entfernung  des 
Fremdkörpers  und  Heilung  des  fast  nie  fehlenden  Blasenkatarrhs.  Der  ersteren 
Forderung  kann  man  auf  mehrfache  Weise  gerecht  werden.  Kleine  Fremd- 
körper sucht  man  mit  dem  Kystoskop  auf  und  entfernt  sie  per  urethram 
mittelst  des  NiTZE'schen  Operations-Kystoskops  oder  mit  Kornzange.  Grössere 
kann  man  bimanuell  von  Scheide  und  Bauchdecken  aus,  oder  nach  Dilatation 
der  Urethra  digital  in  der  Blase  selbst  fühlen.  Je  nach  der  Grösse  und  Be- 
schaffenheit wird  man  sie  durch  die  Urethra,  oder  nach  angelegtem  Scheiden- 
blasenschnitt,  beziehungsweise  nach  Sectio  alta  entfernen  und  die  Wunde  gleich 
wieder  schliessen. 

Blasensteine  sind  beim  Weibe  wegen  der  kurzen  und  weiten  Urethra 
seltener  als  beim  Mann;  kleine  Concremente  können  unbemerkt  spontan  ent- 
leert werden.  Sie  bestehen  meist  aus  einem  von  Harnsäure  gebildeten  Kern 
mit  einem  organischen  maschigen  Gerüst  und  schalenförmig  aufgelagerter  phos- 
phorsaurer Ammoniakmagnesia  oder  oxalsaurem  Kalk.  Der  Kern  kann  von 
abgeschnürten  Wucherungen  der  Blasenschleimhaut  und  von  anderen  Fremd- 
körpern gebildet  werden.  Die  Symptome  bestehen  in  Harndrang,  oft  er- 
schwerter oder  plötzlich  unterbrochener  Urinentleerung,  Blasenkatarrh,  Blu- 
tungen. Die  Behandlung  ist  dieselbe  wie  bei  anderen  Fremkörpern.  Weiche 
Steine  zerquetscht  man  mit  der  durch  die  Urethra  eingeführten  Kornzange 
und  extrahirt  die  Trümmer  mit  derselben  oder  spült  sie  heraus;  bis  tauben- 
eigrosse  Steine  kann  man  unverkleinert  auf  diesem  Wege  entfernen,  grössere 
muss  man  nach  Scheidenblasenschnitt  oder  Sectio  alta  herausholen.  Den 
Blasenkatarrh  soll  man  vorher  thunlichst  bessern,  dann  bis  zur  völligen  Heilung 
behandeln. 

Vin.  Neurosen  der  Blase. 

Ein  durchaus  ungenügend  geklärtes  Gebiet  stellen  die  Neurosen  der 
Blase  dar.  Sind  wir  über  die  Physiologie  der  normalen  Urin-Entleerung 
schon  nicht  hinreichend  unterrichtet,  so  gilt  dies  noch  vielmehr  für  jene 
Störungen,  bei  welchen  eine  Ursache  nicht  ohne  weiteres  zu  finden  ist.  Ein- 
facher liegen  die  Verhältnisse  beim  Blasenkrampf,  Cystospasmus;  hier 
findet  man  als  Grund  oft  Katarrh,  Tumoren,  Steine  der  Blase.  Fissuren  der 
Urethra  (die  durch  Aetzung  mit  Arg.  nitr.  zu  heilen  sind),  Ulcera  der  Urethra 
oder  Blase  nach  ungeschicktem  Katheterisiren  u.  s.  w.  In  anderen  Fällen  — 
und  es  sind  dies  die  hartnäckigsten  —  fehlt  jede  solche  Ursache  und  selbst 
die  genaueste  Untersuchung  findet  keine  objective  Veränderung;  man  hat  für 
Harndrang  ohne  objective  nachweisbare  Ursache  die  Bezeichnung  ..reizbare 
Blase  (irritable  bladder)"  eingeführt.    „Denn  immer,  wo  Begriffe  fehlen. 


124  BLUTUNGEN  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

da  stellt  ein  Wort  zur  rechten  Zeit  sich  ein."  Therapeutisch  hat  man 
dilatirende  Füllungen  der  Blase  mit  lauwarmer  Borsäurelösung  in  zunehmender 
Menge  empfohlen;  in  einem  Falle  sah  ich  von  Injectionen  2-procentiger  Arg.- 
nitr.-Lösung  Besserung,  obwohl  kein  Blasenkatarrh  nachweisbar  war;  in  einem 
anderen  Falle  half  die  von  Saengee  angegebene  Dilatation  der  Urethra  vor- 
iibergehend:  man  führt  einen  metallenen  Katheter  ein  und  drückt  ihn  gleich- 
massig  nach  unten,,  unten  links  und  unten  rechts,  um  so  die  ganze  Harnröhre 
zu  dilatiren  und  gleichzeitig  deren  Muscularis  zu  Contractionen  anzuregen; 
man  führt  also  eine  Art  Heilgymnastik  der  Urethral-Musculatur  aus. 

Enuresis  nocturna,  nächtliches  Bettnässen  kann  durch  die  ver- 
schiedensten Ursachen  bedingt  sein,  deren  Beseitigung  oft  das  Leiden  heilt: 
Rhachitis,  Scrophulose,  schlechte  Gewohnheit  u,  s.  w.  —  Es  gibt  aber  Fälle, 
bei  welchen  eine  solche  Ursache  nicht  nachzuweisen  ist,  und  die  lange  Zeit 
jeder  Behandlung  trotzen.  Harnentleerung  vor  dem  Schlafen,  Trinken  geringer 
Flüssigkeitsmengen  am  Abend,  Wecken  zum  Zweck  des  Urinirens  im  Laufe 
der  Nacht,  Anwendung  des  Inductionsstromes  (ein  knopfförmiger  Pol  an  iso- 
lirtem  Drahtstab  in  die  Blase,  der  andere  als  plattenförmige  Elektrode  auf  den 
Bauch)  sind  neben  einer  Anzahl  raedicamentöser  Mittel  empfohlen  worden. 
Nie  darf  eine  vorhergehende  gründliche  Untersuchung  der 
Harnröhre  und  Blase,  sowie  der  Nachbar-Organe,  besonders  der 
Genitalien  des  Weibes,  versäumt  werden.  Es  ist  zu  hoffen,  dass 
auch  hier  genaue  klinische  und  experimentelle  Forschung  mehr  Licht 
schaffen  wird.  Oft  ist  dieses  Leiden  mehr  für  eine  neuropathologische,  als 
für  eine  nur  gynäkologische,  d.  h.  in  diesem  Falle  nur  locale  Behandlung, 
geeignet. 

Verhinderte  oder  erschwerte  Urin-Entleerung  kann  ebenso 
wie  wirkliche  Blasenlähmung  zum  Symptom  der  Ischuria  paradoxa 
führen:  bei  starkgefüllter  Blase  wird  nur  ab  und  zu  eine  geringe  Menge 
LTin  entleert.  Ist  die  Urin-Entleerung  mechanisch  durch  Tumoren  der  Blase, 
des  Beckens  der  weiblichen  Genitalien,  durch  Pietrofl.  ut.  gravidi  u.  s.w.  er- 
schwert, so  ist  die  Behandlung  auf  Beseitigung  der  Ursache  gerichtet;  na- 
türlich muss  vorerst  für  Entleerung  des  Urins  mittelst  Katheter  Sorge  ge- 
tragen w^erden.  Diese  Zustände  sind  als  Harnverhaltung,  Ischuria, 
nicht  aber  als  Blase nlähmung  zu  bezeichnen. 

Blasenlähmung  im  strengen  Sinne  kommt  nur  bei  Erkrankung  und 
Verletzung  des  Centralnervensystems,  hauptsächlich  des  Rückenmarkes,  oder 
bei  operativer  Verletzung  der  Nervi  vesicales  vor. 

Die  Bezeichnung:  „Blasenschwäche"  drückt  nichts  als  ein  Symptom 
aus,  dessen  Ursachen  fast  in  allen  Leiden  der  Blase  und  in  vielen  Erkran- 
kungen der  Nachbar- Organe  liegen  kann,  in  anderen  Fällen  aber  mit  dem 
Begriff  der  „reizbaren  Blase"  zusammenfällt  und  gleich  dieser  noch  der  Auf- 
klärung harrt.  Incontinentia  urinae  kommt  häufig  nach  operativem 
Verschluss  von  Blasenfisteln  in  Folge  des  langen  Nichtgebrauchs  der  Blasen- 
hals- und  Urethral-Muskeln  vor.  In  solchen  Fällen  und  bei  Erschlaffung  der 
Harnröhre  aus  anderen  Gründen  kann  man  Continenz  durch  kleine  plastische 
Operationen  erzielen,  indem  man  die  Harnröhre  selbst  oder  deren  Mündung 
verengt,  letzteres  nach  Schröder's  oder  Pawlik's  Vorschlag;  man  vernäht 
die  durch  Schnitte  oder  kleine  keilförmige  Excisionen  angefrischten  Partien 
am  orif.  ext.  urethral,  in  entsprechender  Weise.  gustav  klein. 

Blutungen  in  der  Geburtshilfe.  Blutungen  aus  den  Geschlechts- 
theilen  können  zu  jeder  Zeit  der  Schwangerschaft,  der  Geburt  und  des  Wo- 
chenbettes auftreten.  In  seltenen  Fällen  hängen  dieselben  mit  der  Schwanger- 
schaft gar  nicht  oder  nur  ganz  indirect  zusammen,  nämlich  bei  Scheiden-  und 
Portiocarcinomen   oder   bei  Ruptur   eines  Varix  am  Scheideneingang  oder  in 


BLUTUNGEN  IN  DER  GEBURTSHILFE.  125 

der  Scheide.  Immerhin  ist  der  Hinweis  auf  diese  seltenen  Quellen  der  Blu- 
tung wichtig,  da  ein  Portiocarcinom  häutig  für  Placenta  praevia  gehalten,  und 
bei  Ruptur  eines  Varix  die  Blutungsqucille  meistens  höher,  im  Uterus  selbst 
gesucht  wird.  Infolgedessen  wird  bei  Portiocarcinom  urinöthiger  Weise,  und 
ohne  die  Blutung  zu  stillen,  eventuell  die  combinirte  Wendung  gemacht,  statt 
zu  tamponiren,  und  bei  Yarixruptur  tamponirt,  statt  die  Blutung  durch  Um- 
stechung zu  beseitigen. 

Was  zunächst  die  Blutungen  in  der  Schwangerschaft  anbetrifft,  so 
sind  die  häufigsten  diejenigen,  welche  in  den  ersten  3  Monaten  der 
Schwangerschaft  auftreten,  die  Folge  einer  partiellen  Loslösung  des 
Eies  von  der  Uteruswand  sind  und  durch  ihre  Stärke  und  Dauer  uns  schon 
einen  Anhaltspunkt  dafür  geben,  ob  es  zu  einer  Ausstossung  des  Eies,  zum 
Abort  kommen  wird  oder  nicht.  Die  Stärke  der  Blutung  bestimmt  ferner 
auch  die  Therapie.  Ist  die  Blutung  nur  gering,  so  werden  wir  jedes  Blut- 
stillungsmittel vermeiden,  welches  Wehen  anregt.  Wir  beschränken  uns  in 
solchen  Fällen  auf  die  Verordnung  absoluter  Bettruhe,  die  auch  noch  einige 
Tage  nach  Aufhören  der  Blutung  innegehalten  werden  muss,  der  Vermeidung 
hitzender  Getränke  und  Speisen  und  geben  Opium  in  Form  des  Pulv.  Doveri 
o4er  in  Suppositorien.  Ist  dagegen  die  Blutung  stark,  sind  vielleicht  schon 
Zeichen  von  Anämie  vorhanden,  ist  der  innere  Muttermund  für  1  Finger  durch- 
gängig; so  ist  die  Möglichkeit,  die  Schwangerschaft  zu  erhalten,  äusserst 
gering,  und  man  hat  ohne  Rücksicht  auf  die  Schwangerschaft  eine  sichere 
Methode  der  Blutstillung  zu  wählen.  Das  Rationellste  ist  in  diesen  Fällen 
die  sofortige  Ausräumung  des  Uterus. 

Was  die  Technik  derselben  anbelangt,  so  kann  die  Ausräumung  in  den 
ersten  10  Wochen  durch  die  Curette*)  allein  bewirkt  werden.  Dies  hat  den 
Vortheil,  dass  die  Narcose  überflüssig  wird.  Von  der  10.— 12.  Woche  muss 
dagegen  die  Placenta  manuell  entfernt  werden;  die  Decidua  kann  man  eben- 
falls manuell  entfernen,  leichter,  vollständiger  und  schneller  wird  sie  jedoch 
mit  Hilfe  der  Curette  herausbefördert.  Für  die  manuelle  Ausräumung  ist  in 
der  Regel  die  Narcose  nothwendig,  da  es  nur  in  Narcose  ausnahmslos  gelingt, 
den  äusseren  Druck  so  energisch  zu  machen,  dass  man  sich  den  Uterus  voll- 
ständig über  den  inneren  Finger  herüberstülpen  kann,  was  nöthig  ist,  um 
mit  dem  Finger  bis  zum  Fundus  heraufzudringen.  Zur  Herausbeförderung  der 
gelösten  Eitheile  wendet  man  die  bimanuelle  Compression  des  Uterus  (Hö- 
NiNG'scher  Handgritf)  an.  Hat  man  sämmtliche  Eitheile  entfernt,  so  hört 
die  Blutung  vollständig  auf.  Nur  in  seltenen  Fällen  kann  es  auch  schon  im 
3.  Monat  ex  atonia  uteri  weiter  bluten.  Hier  kommt  die  Scheidentamponade 
mittelst  Wattetampons  oder  diese  Art  der  Tamponade  combinirt  mit  der  Jodo- 
formgazetamponade des  Uterus  in  Betracht. 

Die  Nothwendigkeit  der  Narcose,  des  Curettement,  die  Grösse  des  Ein- 
griffs überhaupt  —  der  allerdings  bei  strenger  Antisepsis  ganz  ungefährlich 
ist  —  schrecken  manchen  Praktiker  von  diesem  activen  Vorgehen  ab.  Und 
in  der  That  ist  es  ja  richtig,  dass  man  mit  einer  gut  ausgeführten  Scheiden- 
tamponade die  Blutung  für  eine  gewisse  Zeit  sicher  stillt  und  in  vielen  Fällen 
auch  durch  die  Rückstauung  des  ergossenen  Blutes  eine  völlige  Ablösung, 
dann  Ausstossung  des  Eies  und  hiermit  definitive  Blutstillung  erreicht. 

Beide  Zwecke  lassen  sich  allerdings  noch  sicherer  durch  eine  Tamponade 
des  Uterovaginalcanals  erreichen,  wie  Verfasser  sie  seit  6  Jahren  erprobt  hat. 
Diese  Methode  besteht  darin,  dass  man  in  den  Uterus  so  viel  Gaze  hinein- 
stopft, als  möglich  ist,  und  dann  die  Scheidentamponade  in  der  gewöhnlichen 
Weise  mit  Wattetampons  ausführt.    Die  Blutstillung  ist  eine  sichere  und  der 


*)  Nur   bei  Blasenmole  ist    das  Curettement    zu    unterlassen  und    entweder    nur 
die  Tamponade  oder  die  manuelle  Ausräumung  vorzunehmen. 


126  BLUTUNGEN  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

im  Uterus  liegende  Streifen  regt  solche  Wehen   an,   dass  binnen  24  Stunden 
gewöhnlich  der  ganze  Uterusiuhalt,  Tampon  und  Ei,  ausgestossen  werden. 

Dieselbe  günstige  Wirkung  hat  diese  Methode  auch  bei  Fehlgeburten, 
mag  bei  denselben  nur  die  Placenta  oder  Placenta  nebst  Frucht  retinirt  sein. 
Auch  in  den  diagnostisch  schwierigen  Fällen  ist  die  Anwendung  dieser  Me- 
thode sehr  vortheilhaft,  wo  starke  Blutungen  schon  längere  Zeit  angedauert 
haben,  wo  Eitheile  abgegangen  sind,  und  man  den  Cervix  geschlossen  findet. 
Hier  wird  durch  die  Uterustamponade  ausser  der  Blutstillung  binnen  24  Stun- 
den entweder  eine  Ausstossung  des  ganzen  Uterusinhalts  oder  zum  mindesten 
eine  solche  Dilatation  des  Cervix  erreicht,  dass  der  Finger  bequem  in  den 
Uterus  eindringen  und  feststellen  kann,  was  in  demselben  noch  retinirt  ist. 

Bei  dieser  Methode  der  Tamponade  des  Uteroyaginalkanals  ist  auch  eine  innere 
Blutung  unmöglich,  wie  sie  bei  der  einfachen  Scheidentamponade  vorkommen  kann.  So 
berichtet  Klotz  {Centrhl.  f.  Gyn.  1890,  S.  268)  über  eine  Verblutung  in  dem  13  "Wochen 
schwangeren  Uterus,  der  noch  Frucht  und  Placenta  enthielt,  bei  einer  XII  para  nach  12- 
stündiger  Scheidentamponade,  nach  welcher  der  Uterus  die  Grösse  eines  Uterus  von  8  Mo- 
naten erlangt  hatte. 

Was  nun  die  Ausführung  der  Tamponade  anbelangt,  so  erfordert  die- 
selbe ebenso  strenge  antiseptische  Vorsichtsmassregeln,  wie  die  manuelle  oder  in- 
strumenteile Ausräumung  des  Uterus.  Es  muss  also  vor  der  Tamponade  eine 
Desinfection  der  äusseren  Geschleclitstheile  vorgenommen  werden,  an  die  sich 
in  bereits  innerlich  untersuchten,  resp.  fiebernden  Abortfällen  auch  eine  Des- 
infection des  Uterus  und  der  Scheide  anzuschliessen  hat.  Die  Desinfection 
ist  auf  dem  Querbett  vorzunehmen.  Als  Desinficiens  empfiehlt  Verfasser  die 
l^o-ige  Lysollösung.  Dieselbe  hat  mit  Rücksicht  auf  die  nachfolgende  Tam- 
ponade den  grossen  Vortheil,  dass  sie  den  Genitalschlauch  schlüpfrig  erhält. 
Der  Uterus  ist  natürlich  mit  dickem  doppelläufigem  Katheter  auszuspülen. 

Nach  vollendeter  Desinfection  nimmt  man  zweckmässig  eine  Entleerung 
der  Blase  mittelst  Katheters  vor.  Der  Mastdarm  musste  seitens  der  He- 
bamme schon  vorher  durch  eine  Eingiessung  entleert  sein,  falls  er  sich  ge- 
füllt zeigte. 

Ferner  müssen  Hände,  Instrumente  und  tamponirendes  Material  asep- 
tisch, keimfrei  sein.  Letzteres  muss  ausserdem  mit  einem  Antisepticum  im- 
prägnirt  sein,  um  die  Entwicklung  der  schon  normaliter  im  Genitaltractus  vor- 
handenen Keime  zu  hemmen  und  auf  diese  Weise  eine  Zersetzung  der  vom 
Tampon  aufgesogenen  Secrete  zu  verhindern.  Ein  einfach  aseptisches  Ma- 
terial stinkt  schon  nach  einer  Tamponade  von  einigen  Stunden,  ein  Jodoform- 
gazesteifen, ein  Salicylwattetampon  dagegen  können  mehrere  Tage  liegen 
bleiben,  ohne  nachher  einen  üblen  Geruch  zu  verbreiten. 

Somit  muss  das  antiseptisch  imprägnirte  Material,  um  die  in  demselben 
noch  vorhandenen  Keime  zu  vernichten,  durch  strömenden  Wasserdampf  steri- 
lisirt  werden.  Verfasser  lässt  nun  in  einer  hiesigen  Verbandstolffabrik  ^) 
das  zur  Tamponade  nöthige  Material  in  Blechbüchsen  verpacken,  die  nach 
der  Sterilisation  durch  Verlöthung  luft-  und  wasserdicht  abgeschlossen  werden, 
dabei  aber  leicht  zu  öffnen  sind.  Für  die  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  sind 
die  Büchsen  1 — 3  bestimmt.  Die  Büchse  1  enthält:  einen  5  m  langen,  hand- 
breiten, aus  4  Lagen  bestehenden  Jodoformgazestreifen  und  30  g  Salicylwatte, 
die  Büchse  2  -.1  g  Jodoformpulver,  zwei  5  m  lange  und  10,  resp.  3  cm  breite 
Jodoformgazestreifen  und  20  g  Salicylwatte,  die  Büchse  3  :  12  Salicylwatte- 
tampons.  Sämmtliche  3  Büchsen  verschreibt  Verfasser  für  jede  Geburt,  da 
das  in  ihnen  enthaltene  Material  auch  zu  Vorlagen  und  Tupfern  verwendet 
werden  kann,  und  führt  ausserdem  für  den  Nothfall  die  Büchsen  1  und  2  in 
seiner  geburtshilflichen  Tasche  mit  sich. 

Für  die  bisher  besprochenen  Arten  der  Tamponade  dient  die  Büchse  2. 


^)  Arkold   Passmann,  Fabrik  sterilisirter  Einzelverbände.  Berlin,  Blumenstr.  70. 


BLUTUNGEN  IN  DER  GErJURTSIIILFE.  127 

Die  Asepsis  der  Hände  erzielt  man  durch  ?>  Minuten  langes  Bürsten  in 
lo/o-iger  Lysollösung,  der  Instrumente  durch  Auskochen  in  einem  genügend 
grossen  Topf  (Waschkessel),  nachdem  die  Instrumente  in  ein  Handtucli  ein- 
gedreht sind. 

Was  nun  die  Technik  der  Scheidentamponade  anbelangt,  so  ist 
dieselbe  am  leichtesten  mit  Hilfe  einer,  resp.  zweier  Smox'scher  Halbrinnen 
oder  eines  Klappenspeculum  auszuführen,  durch  welche  die  Portio  und  die  beiden 
Scheidengewölbe  freigelegt  werden.  Man  führt  mittelst  einer  30cm  langen  ana- 
tomischen Pincette  oder  einer  Kornzange  den  ersten  Tampon  in  das  hintere, 
den  zweiten  in  das  vordere  Scheidengewölbe,  den  dritten  gegen  den  Muttermund 
und  schiebt  noch  1 — 2  Tampons  nach.  Statt  der  einfachen  Wattatamponade 
kann  man  auch  das  Scheidengewölbe  fest  mit  Jodoformgaze  ausstopfen  und 
dann  noch  1 — 2  Tampons  nachschieben.  Das  untere  Scheidendrittel  bleibt 
zweckmässig  frei,  da  sonst  heftige  Schmerzen  und  Urinretention  entstehen. 

Hat  man  keinen  Spiegel  zur  Hand,  so  tamponirt  man  in  der  Weise,  dass 
man  mittels  des  linken  Zeigefingers  und  ev.  noch  Mittelfingers  den  Damm 
und  die  hintere  Scheidewand  herunterdrückt  und  nun  auf  diesem  Finger 
als  Spiegel  mittels  des  rechten  Zeigefingers  oder  einer  Pincette  den  Tampon 
bis  ins  hintere  Scheidengewölbe  vorschiebt.  Um  den  Tampon  so  weit  zu 
bringen,  muss  man  unter  Umständen  den  linken  Zeigefinger  entfernen, 
worauf  der  rechte  höher  hinaufgeführt  werden  kann. 

Die  Technik  der  Uterustamponade  ist  folgende:  Nachdem  die 
Portio  im  Speculum  freigelegt,  wird  die  vordere  Lippe  mit  einer  Kugelzange 
gefasst,  mittels  der  langen  Pincette  der  10  cm  breite,  bei  engem  Cervix  der 
schmälere  Streifen  bis  in  den  Uterusfundus,  resp.  so  hoch  wie  es  geht,  ein- 
geführt und  successive  fest  nachgestopft,  bis  nichts  mehr  in  den  Uterus 
hineingeht.  Hat  man  keinen  Spiegel,  so  fasst  man  die  vordere  Lippe  unter 
Leitung  des  linken  Zeigefingers  mit  der  Kugelzange,  zieht  dann  die  Portio 
bis  in  den  Introitus  herunter  und  tamponirt  —  oder  falls  die  Portio  sich  nicht 
so  weit  herabziehen  lässt,  übergibt  man  die  Zange  einem  Assistenten,  führt 
den  Gazestreifen  unter  Leitung  des  linken  Zeigefingers  mittels  der  langen 
Pincette  bis  in  den  Muttermund  und  tamponirt,  wie   beschrieben. 

Bei  Mangel  an  Assistenz  klemmt  man  am  einfachsten  die  Büchse  zwi- 
schen die  Kniee.  Ist  der  Cervix  sehr  eng,  so  bedarf  man  zur  Ausführung  der 
Uterustamponade  einer  oben  gerieften  Sonde,  wie  sie  von  Asch  angegeben  ist. 
(Ueber  die  Technik  der  Uterustamponade  nach  rechtzeitiger 
Geburt  s.  u.) 

Die  fertigen  Wattetampons  zieht  man  an  ihrem  Faden  heraus,  die  Tam- 
pons, welche  man  sich  selbst  durch  Zusammendrehen  der  in  Nr.  2  enthaltenen 
Watte  hergestellt  hat,  entfernt  man  ebenso  wie  auch  den  Gazestreifen,  indem 
man  sie  unter  Leitung   des    linken  Zeigefingers   mit  einer  Kugelzange  fasst. 

Kurz  erwähnt  sei  noch  die  innere  Blutung  bei  Euptur  einer  Tuben- 
schwangerschaft oder  bei  dem  Austritte  des  Eies  aus  der  schwangeren  Tube 
in  die  Bauchhöhle  (tubarer  Abortus-WEETH).  Hier  ist  bei  beträchtlicher 
Blutung  und  Fehlen  einer  Haematocele  die  schleunige  Vornahme  der  Laparo- 
tomie indicirt. 

Blutungen  bei  Fehlgeburten,  d.  h,  vom  4. — 7.  Monat  der  Schwan- 
gerschaft, treten  in  der  Regel  erst  nach  Geburt  des  Foetus  infolge  von  par- 
tieller Lösung  der  Placenta  auf.  Hier  ist  die  Placenta  manuell  mittels  1 — 2 
in  den  Uterus  eingeführter  Finger  zu  entfernen  oder  die  schon  beschrie- 
bene Tamponade  des  Uterovaginalcanals  auszuführen.  Letztere  ist  auch  in 
den  Fällen  indicirt,  wo  es  vor  Geburt  des  Foetus  blutet,  ohne  dass  Placenta 
praevia  vorliegt.  In  Ausnahmefällen  kann  nämlich  eine  Placenta  praevia 
schon  in  den  früheren  Schwangerschaftsmonaten  zu  Blutungen  führen,  in  der 
Regel  aber  treten    die  Blutungen  bei  Placenta    praevia  erst    in 


128  BLUTUNGEN  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

den  letzten  Scliwangerscliaftsmonaten  auf  und  bewirken  meistens 
den  vorzeitigen  Eintritt  der  Geburt.  Seltener  sind  die  Fälle  von  Placenta 
praevia,  wo  bis  zu  dem  normalen  Geburtstermin  keine  Blutung  entsteht. 

Ist  die  Placenta  praevia  durch  das  Fühlen  des  schwammigen  Pla- 
centargewebes  über  dem  inneren  Muttermund  diagnosticirt,  so  ist  die  com- 
binirte  Wendung  auszuführen.  Man  kann  dieselbe  vornehmen,  sobald  der 
Cervix  für  einen  Finger  durchgängig  geworden.  Dies  ist  nach  stärkerer  Blu- 
tung immer  der  Fall.  Nach  der  Wendung  tamponirt  der  Steiss.  Blutet  es 
nach  der  Wendung  noch,  so  ist  der  Steiss  noch  nicht  ordentlich  in  das 
Becken  eingetreten.  In  solchem  Fall  muss  man  den  Fuss  eine  Zeit  lang 
angezogen  halten.  Die  weitere  Geburt  wird  der  Natur  überlassen,  extrahirt 
nur,  wenn  nach  völlig  erweitertem  Muttermund  Gefahr  für  das  Kind  eintritt. 
Nach  der  Wendung  ermöglichen  sofort  dargereichte  Analeptica  eine  Hebung 
des  Kräftezustandes,  infolgedessen  die  Gebärende  den  physiologischen  Blut- 
verlust der  Nachgeburtszeit  besser  erträgt.  Ist  der  Muttermund  für  2  Finger 
durchgängig,  so  lässt  sich  bei  der  Dehnbarkeit  des  aufgelockerten  Cervix  statt 
der  schwierigeren  combinirten  gewöhnlich  die  innere  Wendung  vornehmen. 

Die  vor  dem  Blasensprung  ebenfalls  zulässige  Scheidentamponade  stillt 
die  Blutung  nur  vorübergehend.  Während  des  Wechsels  der  Tampons  kann 
die  Frau  viel  Blut  verlieren  —  auch  ist  die  Methode  für  den  Arzt  viel  zeit- 
raubender und  veranlasst  ihn  leicht  dazu,  bei  mangelhaft  eröfinetem  Mutter- 
mund die  Entbindung  vorzunehmen.  Hierdurch  entstehen  aber  leicht  stark 
blutende  Cervixrisse.  Sind  gute  Wehen  und  eine  Placenta  praevia  marginalis 
vorhanden,  so  genügt  zur  Stillung  der  Blutung  die  einfache  Sprengung  der 
Blase. 

Verfasser  verlor  unter  einigen  40  Fällen  von  Placenta  praevia  nur  einen 
einzigen,  wo  in  Folge  von  Tamponade  nach  dem  Blasenspruug  die  Kreissende 
sich  bereits  völlig  in  ihren  Uterus  hinein  verblutet  hatte,  unter  35  Fällen  von 
combinirter  Wendung  hatte  Verfasser  keinen  Todesfall.  Die  Mortalität  der 
Kinder  dagegen  war  sehr  hoch,  was  für  die  meisten  Fälle,  weil  es  sich  um 
Frühgeburten  bei  Mehrgebärenden  handelt,  irrelevant  ist.  In  Fällen  dagegen, 
wo  das  Kind  ausgetragen  ist,  ist  die  combinirte  Wendung  mit  ihrer  Kinder- 
mortalität von  60"/o  keine  ideale  Methode.  Als  eine  solche  wird  sich  viel- 
leicht die  folgende  erweisen,  welche  der  Verfasser  einmal")  mit  Glück  ausführte: 
Wenn  nach  der  Blasensprengung  die  Blutung  nicht  aufhört,  so  wird  ein  dünn- 
wandiger Kolpeurynter  mittels  Kornzange  in  den  Uterus  eingeführt,  bis  zu 
Kindskopfgrösse  mit  Wasser  gefüllt  und  sein  Schlauch  so  am  Bettende  be- 
festigt, dass  am  Kolpeurynter  ein  permanenter,  wenn  auch  schwacher  Zug 
ausgeübt  wird.  In  dem  Fall  des  Verfassers  stand  die  vorher  profuse  Blutung 
vollständig,  nach  3  Stunden  wurde  der  Kolpeurynter  spontan  ausgestossen  und 
es  konnte  nun,  da  die  Blutung  wieder  anfing,  bei  völlig  erweitertem  Mutter- 
mund die  Wendung  und  Extraction  eines  lebenden  Kindes  vorgenommen 
werden. 

Blutungen  in  den  letzten  Monaten  der  Schwangerschaft, 
resp.  unter  der  Geburt  können  auch  bei  normalem  Sitz  der  Placenta 
durch  partielle  Ablösung  derselben  entstehen  und  zwar  durch  Traumen,  häu- 
figer noch  bei  Nephritis  chronica  (Winter),  bei  verzögertem  Blasensprung  und 
bei  starker  Contraction  des  Uterus  nach  dem  Blasensprung,  resp.  nach  der 
Geburt  des  1.  Zwillings.  Was  zunächst  die  Blutung  in  Folge  der  ersten  beiden 
Ursachen  anlangt,  so  kann  sie  eine  innere  sein  und  in  seltenen  Fällen,  bei 
ganz  abnorm  schlaffem  Uterus,  selbst  vor  dem  Blasensprung  so  hochgradig 
werden,  dass  die  Pat.  an  innerer  Verblutung  stirbt.  Sind  Zeichen  einer 
solchen  inneren  Blutung  vorhanden,  so  ist  die  schleunigste  Entbindung  indi- 


^)  Vergl.  auch  Artikel  „Placenta  praevia".  (Dührssen)  ds.  Bd.  der  „BibUothek" . 


BLUTUNGEN  IN  DER  GEBURTSHILFE.  129 

cirt.  Die  verscliiedenen  Methoden  derselben  wird  Verfasser  in  dem  Capitel 
„Edampsie^'  auseinandersetzen.  Bei  lebendem  Kind  kommt  wohl  in  diesen 
Fällen  in  Kliniken  auch  der  Kaiserschnitt  in  Betracht,  bei  todtem  Kind 
ist  nach  genügender  Dilatation  zu  perforiren  und  die  Kraniotraction  auszu- 
führen. 

Bei  äusserer  Blutung  vor  dem  Blasensprung  und  vor  völliger  p]rweiterung 
des  Muttermundes  ist  die  Scheidentamponade  indicirt  —  treten  jedoch  Zeichen 
einer  inneren  Blutung  auf,  so  sind  die  Tampons  zu  entfernen,  und  der  Fall 
wie  bei  einer  inneren  Blutung  zu  behandeln.  Bei  starker  äusserer  Blutung 
nach  dem  Blasensprung  ist  ebenfalls  die  schleunigste  Entbindung  indicirt. 
Tritt  eine  äussere  Blutung  infolge  verzögerten  Blasensprunges,  also  erst 
nach  völliger  Erweiterung  des  Muttermundes  ein,  so  hört  eine  weitere  Ab- 
lösung der  Placenta  durch  die  Blasensprengung  auf,  und  die  Blutung  wird 
nicht  stärker,  resp.  sistirt  ganz,  wenn  nur  ein  kleiner  Theil  der  Placenta  ab- 
gelöst war. 

Blutet  es  erheblich  weiter,  so  ist  die  Entbindung  indicirt.  Dieselbe  muss 
ebenfalls  vorgenommen  werden,  wenn  nach  dem  Blasensprung  bei  Hydramnien 
oder  nach  Geburt  des  1.  Zwillings  bei  Zwillingsgeburten  infolge  der  starken 
Verkleinerung  des  Uterus  ein  Theil  der  Placenta  abgelöst  wird,  und  eine 
erhebliche  Blutung  eintritt. 

Blutungen  während  der  Geburt  treten  ferner  auch  nach  erfolgter 
Uterusruptur  auf.  Vorausgegangen  sind  in  der  Regel  die  Zeichen  einer 
stärkeren  Dehnung  des  unteren  Uterinsegments,  die  Ruptur  tritt  entweder 
spontan  oder  bei  Entbindungsversuchen  (Wendung  bei  Querlage!)  ein.  Sichere 
Zeichen  derselben  sind  ausser  der  Blutung  der  Collaps  und  das  Beweglich- 
werden des  vorher  fixirten  vorliegenden  Theils.  Die  Diagnose  wird  dann 
weiterhin  dadurch  gesichert,  dass  man  neben  dem  in  die  Bauchhöhle  ausge- 
tretenen Kind  den  leeren  verkleinerten  Uterus  fühlt.  Man  unterscheidet 
complete  und  incomplete  Rupturen.  Bei  letzterer  ist  das  Bauchfell  nicht  mit- 
zerrissen, aber  auch  bei  ihr  kann  der   Verblutungstod  erfolgen  (Leopold). 

Die  Prognose  ist  ohne  schnelle  ärztliche  Hilfe  absolut  schlecht.  Die 
Frauen  sterben  an  Shock,  Verblutung  oder  Sepsis. 

Die  principiell  beste  Therapie  ist  die  Laparotomie  zur  Entfernung 
des  Kindes  und  der  Nachgeburt,  zur  Vernähung  des  Risses,  resp.  zur  Auf- 
suchung der  blutenden  Gefässe,  resp.  zur  Amputation  des  Uteruskörpers.  In 
der  Praxis  wird  dies  Verfahren  meist  nicht  angängig  sein.  Hier  entbinde 
man  per  vias  naturales  durch  Wendung  oder  Perforation,  spüle  die  Bauchhöhle 
und  den  Uterus  mit  ^j^^j^ig^i:  Lysollösung  aus  und  tamponire  durch  den  Riss 
hindurch  die  Bauchhöhle  so  hoch  hinauf  wie  möglich,  bei  Atonia  uteri  auch 
das  Uteruscavum  und  die  Scheide  mit  Jodoformgaze  aus.  Dies  vom  Verf. 
zuerst  ausgeübte  Verfahren*)  hat  schon  manche  Erfolge  aufzuweisen.  Zweck- 
mässig wird  man  daneben  noch  den  gut  fühlbaren  Tampon  von  den  Bauch- 
decken aus  gegen  den  Uterus  andrücken.  Hierdurch  kann  mau  die  völlige 
Stillung  einer  recht  profusen  Blutung  erreichen,  und  auf  die  Blutstillung  hat 
Verf.  von  vornherein  mehr  Gewicht  gelegt,  als  auf  die  Drainagewii'kung  der 
Gaze,  die  erst  in  zweiter  Linie  in  Betracht  kommt.  Welch'  grosse  Rolle  die 
Blutung  bei  der  Uterusruptur  thatsächlich  spielt,  hat  Leopold  überzeugend 
nachgewiesen.  Die  blosse  Drainage  ist  also  ein  ganz  unzulängliches  Verfahren. 
Die  Gaze  entfernt  man  nach  24 — 48  Stunden. 

In  ganz  extrem  seltenen  Fällen  kann  eine  Blutung  unmittelbar 
nach  dem  Blasensprung  aus  den  kindlichen  Gefässen  stammen, 
wenn  eine  Insertio  velamentosa  vorhanden  ist,  und  die  Gefässausbreituug  gerade 
im  Muttermund  liegt.     Zu  diagnosticiren  ist  die  Blutungsquelle  natiüiich  nur 


*)  Berliner  klin.  Wochenschr.  1888,  Nr.  1. 

Eibl.  med.  Wissenschaften,  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie. 


130  BLUTUNGEN  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

in  den  Fällen,  wo  man  schon  bei  stehender  Blase  einen  oder  mehrere  pulsirende 
nicht  verschiebliche  Stränge  innerhalb  der  Eihäute  gefühlt  hat. 

Prophylaktisch  muss  man  alsdann  den  Blasensprung  durch  Scheiden- 
tamponade  aufzuhalten  suchen,  und  sobald  der  Muttermund  völlig  erweitert 
ist,  die  Entbindung  vornehmen.  Springt  die  Blase  schon  bei  mangelhaft  er- 
weitertem Muttermund,  so  ist  ebenfalls  die  schleunigste  Entbindung,  bei  Erst- 
gebärenden mit  Hilfe  tiefer  Cervixincisionen,  indicirt,  falls  der  Geburtshelfer 
die  Technik  der  letzteren  beherrscht. 

Kommt  man  zu  einem  solchen  Fall  erst  nach  dem  Blasensprung,  so 
wird  den  Geburtshelfer  die  immer  mehr  zunehmende  Verschlechterung  der 
kindlichen  Herztöne  zur  Vornahme  der  Entbindung  veranlassen. 

Die  Blutungen  nach  Geburt  des  Kindes  (Nachgeburtsblu- 
tungen) theilt  man  zweckmässig  folgendermaassen  ein: 

A.  Blutungen  aus  dein    Uteruscavum. 

1.  Blutungen  v  or, 

2.  Blutungen  nach  Entfernung  der  Nachgeburt. 

B.  Blutungen  aus   Cervixrissen. 

C.  Blutungen  aus   Scheidenrissen 

D.  Blutungen  aus  Dammrissen. 

E.  Blutungen  aus  Clitorisrissen. 

F.  Blutungen  hei  Inversio  uteri. 

G.  Blutungen  in  das  perivaginale  Geivehe  {Thrombus  oder  Haematoma 
vaginae  et  vulvae). 

Die  Blutungen  aus  dem  Uteruscavum  vor  Entfernung  der 
Nachgeburt  rühren  daher,  dass  die  Nachwehen  zu  schwach  sind  und  daher 
nur  einen  Theil  der  Placenta  ablösen.  Es  blutet  nun  aus  der  früheren  Haftstelle 
dieses  Theils,  da  die  geöffneten  Gefässe  der  Uteruswand  erst  nach  Ausstossung 
der  Placenta  durch  feste  Contraction  und  Retraction  des  Uterus  geschlossen 
werden. 

Die  Nachwehen  sind  zu  schwach: 

1.  Wenn  sie  bei  ermüdetem  Uterus  dm"ch  zu  frühzeitiges  Reiben  und 
Expressionsversuche  hervorgerufen  werden. 

Es  ist  ein  Fehler  bei  schlaffem,  atonischem  Uterus  zu  reiben,  ohne  dass 
eine  äussere  oder  innere  Blutung  vorhanden  ist.  In  diesem  Fall  ist  eben  die 
Placenta  noch  völlig  adhärent.  Das  Reiben  erzeugt  hier  nur  schwache  Wehen, 
die  die  Placenta  partiell  lösen.  Man  lasse  dem  ermüdeten  Muskel  Zeit,  frische 
Kräfte  zu  sammeln.  Allerdings  dauert  dies  oft  viele  Stunden,  ja  Tage.  Unter 
diesen  Umständen  kann  der  Arzt  nicht  immer  bei  der  Frau  verweilen,  anderer- 
seits kann  dieselbe  jeden  Augenblick  eine  starke  Blutung  bekommen.  Aus 
diesem  Dilemma  ziehen  sich  manche  Geburtshelfer  dadurch,  dass  sie  die  Pla- 
centa manuell  lösen,  wenn  sie  binnen  2  Stunden  nicht  durch  den  CßEDE'schen 
Handgriff  exprimirt  werden  kann. 

Verfasser  hatte  sich  in  solchen  Fällen  viel  von  der  üterustaniponade  verspx'ochen.  In 
einem  Fall  von  partieller  Lösung  der  Placenta  blutete  es  trotz  Tamponade.  Dagegen  in 
einem  Fall  von  völlig  adhärenter  Placenta  konnte  24  Stunden  später,  nach  Entfernung  des 
Streifens,  die  Placenta  leicht  exprimirt  vferden,  nachdem  es  während  dieser  Zeit  gar  nicht 
geblutet  hatte. 

2.  Wenn  der  Uterus  sehr  ausgedehnt  war  (bei  Hydramnion,  Zwillings- 
geburt). 

3.  Nach  rascher  operativer  oder  spontaner  Entleerung  (Sturzgeburt)  des 
Uterus. 

4.  Nach  Ueberanstrengung  der  Uterusmusculatur  (Fortsetzung  der  secun- 
dären  Wehenschwäche  in  die  Nachgeburtszeit). 

5.  Bei  Schwäche  der  Uterusmusculatur. 

6.  Bei  allgemeinem  schlechten  Ernährungszustand  (Häufigkeit  der  Blu- 
tungen bei  Proletarierfrauen). 


BLUTUNGEN  IN  DER  GEBURTSHILFE.  131 

7.  Bei  gefüllter  Harnblase. 

Diagnose:  Man  constatirt  mit  einem  Griff' auf  den  Uterus  eine  mangel- 
hafte Contraction  desselben  und  eine  abnorm  starke  äussere  Blutung  oder 
Zeichen  innerer  Blutung,  als  Anämie,  starlce  Ausdehnung  des  schlaffen  Uterus. 
Man  sehe  aber  gleich  nach,  ob  nicht  die  Blutung  zum  Theil  auch  aus  einem 
Damm-  oder  Clitorisriss  herrührt,  und.  denke  auch  an  die  Möglichkeit  eines 
Cervixrisses. 

Die  Therapie  muss  eine  bestimmte  Reihenfolge  innehalten  und  in 
folgenden  Massnahmen  bestehen: 

1.  Entleerung  der  Harnblase. 

2.  Reiben  des  Uterus  (auch  der  hinteren  Wand)  mit  beiden  Händen  und 
Ergotininjection  (0*3). 

3.  Heisse  Uterusausspülung  (40°  R.)  mit  l7o-iger  Lysollösung. 

4.  Eiskalte  Uterusausspülung  (notabene,  wenn  man  sie  zur  Hand  hat, 
und  die  Blutung  massig  ist). 

Contrahirt  sich  hiernach  der  Uterus  kräftig,  so  wende  man  den  CiiEOE'schen 
Handgriff  an.  Blutet  es  dagegen  bei  fehlender  oder  schwacher  Contraction 
weiter,  so  dass  die  Frau  in  Lebensgefahr  geräth,  so  nehme  man  die  ma- 
nuelle Lösung  der  Place  nta  vor.  Dieselbe  ist,  unter  streng  antiseptischen 
Cautelen  ausgeführt,  eine  ungefährliche,  unter  anderen  Umständen  aber  eine 
eminent  gefährliche  Operation. 

Ausführung  der  Placentarlösung:  Steissrückenlage,  Desinfection 
der  operirenden  Hand,  Desinfection  der  äusseren  Genitalien  und  der  Scheide, 
Narkose.  Indem  die  linke  Hand  die  Nabelschnur  anspannt,  geht  die  andere 
an  der  Nabelschnur  entlang  ins  Uteruscavum.  Trifft  sie  über  dem  inneren 
Muttermund  einen  losgelösten  Lappen,  so  nimmt  sie  von  hier  die  Lösung 
vor,  indem  sie  mit  sägeförmigen  Bewegungen  die  feinen,  zwischen  Placenta 
und  Uteruswand  sich  anspannenden  Fäden  zerreisst,  wobei  die  Volarfläche 
stets  der  Placenta  zugekehrt  sein  muss.  Die  äussere  Hand  muss  bei  der  Lösung 
den  Uterus  umfassen  und  kräftig  nach  abwärts  drängen.  So  dringt  die 
Hand  allmälig  bis  in  die  Tubenecken,  wo  die  Lösung  immer  am  schwierigsten 
ist  und  durch  Gegendruck  der  betreffenden  Partie  seitens  der  äusseren  Hand 
unterstützt  werden  muss.  Stülpen  sich  die  Eihäute  über  die  operirende  Hand, 
so  zerreisse  man  sie.  Die  Lösung,  wie  empfohlen  ist,  innerhalb  der  Eihäute 
auszuführen,  ist  gerade  so  schwierig,  wie  wenn  man  behandschuht  operiren 
wollte.  Nie  ziehe  man  an  den  abgelösten  Partien,  sondern  drücke  von  oben 
her  die  Placenta  heraus.  Hat  man  die  obere  Peripherie  der  Placenta  völlig 
abgelöst,  so  schadet  es  nichts,  wenn  sie  tiefer  unten  etwa  noch  an  einer  kleinen 
Stelle  adhärent  ist.  Durch  eine  halbe  Umdrehung  der  mit  der  vollen  Hand 
von  oben  her  gefassten  Placenta  schält  man  sie  leicht  völlig  ab. 

Sitzt  die  Placenta  rechts,  so  kann  man  mit  der  rechten  Hand  die  Lösung 
hin  und  wieder  nur  so  vollenden,  dass  man  die  Frau  auf  die  rechte  Seite  legt. 
Hierbei  ist  aber  die  Gefahr  der  Luftembolie  vorhanden.  Man  führe  daher  lieber 
die  Hand  wieder  heraus,  desinficire  die  linke  und  gehe  mit  dieser  ein. 

Liegt  der  gelöste  Lappen  höher  oben,  so  gehe  man  zunächst  an  die  In- 
sertion der  Nabelschnur  und  betaste  von  da  aus  den  Rand  der  Placenta. 
Findet  man  nirgends  die  abgelöste  Partie,  so  beginne  man  nach  Zerreissung 
der  Eihäute  die  Lösung  vom  Rande  her.  Fühlt  man  denselben  nicht  deutlich, 
so  durchbohre  man  an  einer  Stelle  die  Placenta  bis  zur  Uteruswand  und  löse 
von  hier  aus. 

Nach  Entfernung  der  Placenta  gehe  man  nochmals  mit  der  Hand  in  die 
Scheide,  mit  zwei  Fingern  in  den  Uterus  ein,  um  sich  davon  zu  überzeugen, 
ob  nicht  etwa  Reste  zurückgeblieben  sind,  und  mache  sodann  eine  Uterusaus- 
spülung mit  l°/o-iger  Lysollösung, 

9* 


132 


BLUTUNGEN  IN  DER  GEBURTSHILFE. 


Manclimal  ist  der  Cervicalcanal  stricturirt  und  nur  für  2 — 4  Finger  durch- 
gängig. Auch  in  diesen  Fällen  ist  dem  Verfasser  unter  geeigneter  Anwendung 
äusseren  Druckes  und  Einführung  der  ganzen  Hand  in  die  Scheide  die 
manuelle  Lösung  stets  gelungen. 

Bei  den  Blutungen  nach  Entfernung  der  Nachgeburt  wirken 
die  oben  genannten  Ursachen  weiter  fort,  der  Uterus  bleibt  schlaff,  die  in  die 
Placentarstelle  frei  .mündenden  Gefässlumina  bleiben  offen.  Die  Therapie  ist 
die  oben  sub  1—4  genannte.  Blutet  es  aber  dann  noch  weiter,  so  gehe 
man  in  das  Uteruscavum  ein,  um  etwa  zurückgebliebene  Placentartheile 
oder  Eihäute  (Artikel  „Placentarreste'-^)  manuell  zu  entfernen.  Stösst  man 
hierbei  schon  in  der  Scheide  auf  Eihäute,  so  wird  man  dieselben  mit  der 
Kornzange  fassen,  durch  öfteres  Umdrehen  einen  Strang  herstellen  und  diesen 
vorsichtig  herausziehen.  Blutet  es  bei  leerem  Cavum  weiter,  so  nehme  man 
die  Tamponade  des  Uterovaginalcanals  nach  der  Methode  des 
Verfassers  vor.  Dieselbe  bewirkt,  wie  jetzt  schon  die  Erfahrung  Vieler  gelehrt 
hat,  die  Blutstillung  durch  2  Factoren: 

1.  Durch  Erzeugung  kräftiger  Contraction,  beziehungsweise  dauernder 
Ketraction  des  Uterus. 

2.  Durch  Compression  der  blutenden  Placentarstelle. 

Die  Tamponade  ist  bei  antiseptischer  Ausführung  ein  durchaus  unge- 
fährliches Mittel,  was  man  z.  B.  vom  Liq.  ferri  nicht  behaupten  kann.  Man 
betrachte  daher  die  Tamponade  nicht  mehr  als  ultimum  refugium,  sondern 
wende  sie  an,  sobald  die  schon  genannten  Mittel  nicht  alsbald  die  Blutung 
stillen. 

Als  tamponirend  es  Material  nimmt  man  am  besten  einen  aus 
4  Lagen  bestehenden  handbreiten  und  5  m  langen  Streifen  von  sterilisirter 
57o-iger  Jodoformgaze,  die  man  in  einer  besonderen  Blechkapsel  (Büchse  Nr.  1: 
s.  0.)  nur  für  diesen  Zweck  aufbewahrt.  Einfach  sterile  Gaze  zu  nehmen,  ist 
nach  des  Verfassers  Erfahrungen  gefährlich,  weil  man  mit  der  Gaze  Keime 
aus  der  Vagina  oder  dem  Cervix  an  die  Placentarstelle  heranbringen  kann. 
Diese  Keime  werden  durch  die  Jodoformgaze  unschädlich  gemacht,  durch  eine 
einfache  sterile  Gaze  natürlich  nicht,  und  selbst  nicht  durch  sterilisirte  Salicyl- 
gaze.  Hat  man  das  von  mir  empfohlene  Material  nicht  zur  Hand,  so  nehme 
man  einen  vorher  ausgekochten  und  in  Carbolsäure  ausgedrückten  Leinwand- 
streifen. Dann  muss  man  aber  ev.  noch  die  Scheide  mit  Salicylwatte  aus- 
stopfen, weil  Leinwand  wenig  imbibitionsfähig  ist. 

Technik  der 
Tamponade. 
Die  Frau  wird 
aufs  Querbett  ge- 
legt mit  massig 
erhöhtem  Ober- 
körper (um  eine 
Luftembolie  zu 
vermeiden).  Man 
fasst  sodann  un- 
ter Leitung  von 
Zeige- und  Mittel- 
finger der  linken 
Hand  beide  Lip- 
pen möglichst 
hoch  mit  2  Kugel- 
zangen und  zieht 
den  Muttermund 
bis     zur     Vulva 


BLUTUNGEN  IN  DER  GEBURTSHILFE. 


133 


Fig.  2. 


herab.  Gelingt  dies  nicht,  selbst  nicht  unter  Beihilfe  äusseren  Druckes,  so 
kann  man  einen  Kinnenspiegel  einsetzen  oder  man  bringt  2  Finger  der 
linken  Hand  in  den  Cervicalcanal  (s.  Fig.  1)  und  führt  unter  ihrer  Leitung 
—  bei  Gebrauch  des  Spiegels  natürlich  einfach  unter  Leitung  des  Auges  — 
vermittelst  der  langen  anatomischen  Pincette  das  Ende  des  Gazestreifens 
direct  aus  der  Blechkapsel  in  den  Uterus  ein.  Die  nunmehr  frei  gewordene 
linke  Hand  fühlt  mit  der  Kleinfingerseite  aussen  nach,  ob  die  Spitze  der  Pin- 
cette wirklich  bis  zum  Fundus  hinaufgeführt  ist  (Fig.  2)  und  geht  dann  wieder 
mit  den  aseptisch  gebliebenen  Fingern  in  den  Muttermund,  durcli  welchen 
hindurch  die  Pincette  abermals  ein  tieferes 
Stück  des  Streifens  in  den  Fundus  herauf  bringt. 
Man  kann  die  beiden  Finger  auch  im  Cervix 
liegen  lassen.  Um  sich  dann  davon  zu  über- 
zeugen, ob  die  Spitze  der  Pincette  auch  wirklich 
bis  zum  Fundus  hinaufgeführt  ist,  legt  man 
das  Ende  der  Pincette  in  die  linke  Hohl- 
hand, fixirt  daselbst  die  Pincette  mit  dem  4. 
Finger  und  umfasst  mit  der  nunmehr  freige- 
wordenen rechten  Hand  den  Fundus  um  die 
Spitze  der  Pincette  durchzupalpiren.  Zu  die- 
sem Zweck  muss  die  linke  Hand  die  Pincette 
ev.  sonst  etwas  gegen  den  Fundus  hinaufdrän- 
gen. Ln  Interesse  der  Asepsis  muss  mau  dann 
bei  der  weiteren  Ausführung  der  Tamponade 
darauf   sehen,    dass    die  rechte  Hand  nicht  mit 

dem  Gazestreifen  in  Berührung  kommt.  Auf  diese  Weise  wird  allmälich  der 
ganze  Uterus  von  oben  bis  unten  fest  ausgestopft.  Wird  der  Uterus  von  der 
Hebamme  ordentlich  in  das  Becken  hineingedrückt,  so  lassen  sich  die  Kugel- 
zangen entbehren.  Selbstverständlich  kann  man  statt  der  Pincette  auch  eine 
Kornzange  nehmen  oder  man  kann  den  Gazestreifen  mit  der  ganzen  Hand  in 
den  Uterus  einführen  —  ein  Verfahren,  das  nur  ungemein  schmerzhaft  und 
unbequem  ist.  An  die  Uterustamponade  schliesst  sich  die  Tamponade  der 
Scheide,  die  man  nach  Bedürfnis  loser  oder  fester  macht  und  bei  Blutungen 
aus  dem  unteren  Uterinsegment  (bei  Placenta  praevia  und  Cervixrissen)  noch 
mit  Wattetampons  (wegen  ihrer  geringeren  Durchlässigkeit)  abschliesst.  In 
Fällen  von  schwerer  Blutung  kann  bei  sehr  empfindlichen  Frauen  die  Nar- 
kose angezeigt  sein;  damit  man  nicht,  durch  etwaige  Schmerzensäusserungen 
der  Frau  veranlasst,  zu  früli  mit  der  Tamponade  aufhört.  Sollten  in  einem  Fall 
von  absoluter  Atonie  des  Uterus  nach  der  Tamponade  des  Liter ovaginal- 
canals  keine  Contractionen  auftreten,  der  Uterus  vielmehr  sich  durch  innere 
Blutung  ausdehnen,  so  müsste  man  den  Uterus  von  aussen  gegen  den  Tampon 
andrücken.  Sollte  es  dagegen,  nachdem  das  Vorhandensein  eines  Cervixris- 
ses  ausgeschlossen,  trotz  combinirter  Gazewattetamponade  nach  aussen  wei- 
ter bluten,  so  würde  ich  in  diesem  Fall  auch  das  Cavum  uteri  mit  trockenen 
Salicylwattetampons  ausfüllen.  Beide  Fälle  sind  mir  noch  nicht  vorgekommen. 

Eine  Vg— 2  Stunden  nach  der  Tamponade  auftretende  Blutung  hat  ge- 
wöhnlich ihre  Ursache  in  einer  stärkeren  Contraction  des  L^terus,  welche  das 
Blut  aus  dem  Streifen  herausdrückt.  Hier  muss  man  nicht  nachstopfen, 
sondern  den  Streifen  überhaupt  entfernen. 

An  atonischer  Blutung  post  partum  sterben  cca.  O'OS^/o  aller  Gebärenden 
oder  mit  anderen  Worten:  In  Preussen  allein  geht  täglich  eine  Gebärende  an 
Verblutung  nach  der  Geburt  zu  Grunde!  Die  allermeisten  dieser  Fälle  könnten 
durch  die  beschriebene  Methode  gerettet  w^erdeu. 

B.  Blutungen  aus  Cervixrissen.  Ist  der  L'terus  gut  contrahii't, 
und  sind  keine  äusseren  Verletzungen  vorhanden,    so    stammt   jede    stärkere 


134  BLUTUNGEN  IN  DEß  GEBURTSHILFE. 

Blutung  aus  einem  meist  seitlichen  Cervixriss"),  der  meist  über  den  Ansatz 
der  Scheide  hinausreicht  und  oft  nicht  nur  die  Üteruswand  durchsetzt,  sondern 
auch  noch  in  das  Parametrium  hineingeht.  Infolgedessen  können  stärkere 
Aeste  der  A.  uterina,  ja  die  A.  uterina  selbst  angerissen  werden.  Solche  tiefe 
Zerreissungen,  bei  denen  in  seltenen  Fällen  auch  das  Peritoneum  zerrissen 
ist  (perforirende  Cervixrisse),  kommen  übrigens  nur  vor,  wenn  bei  mangelhaft 
erweitertem  Muttermund  mit  roher  Gewalt  extrahirt  wird. 

Bei  Verdacht  eines  Cervixrisses  wird  der  Geübte  den  Riss  auch  direet 
fühlen.  Schwierig  kann  die  Diagnose  werden,  wenn  es  zugleich  ex  atonia  uteri 
und  aus  einem  Cervixriss  blutet.  Für  diese  Fälle  ist  die  Tamponade  des 
Uterovaginalcanals  besonders  bedeutungsvoll,  da  sie  die  Blutung  aus  diesen 
beiden  Quellen  stillt.  Sie  stillt  ferner  auch  die  Blutung  aus  etwaigen  Scheiden- 
und  Dammrissen  und  lässt  bei  Clitorisrissen  erkennen,  dass  die  Blutung  nicht 
aus  der  Scheide  stammt.  Meine  Methode  stellt  daher  viel  geringere  Anfor- 
derungen an  diagnostische  Fertigkeit,  die  dem  Anfänger  im  Moment  einer 
starken  Blutung  leicht  abhanden  kommt.  Sollte  bei  einer  Blutung  aus  der  A. 
uterina  die  Blutung  auf  die  Gazewattetamponade  nicht  stehen,  so  wird  sie 
jedenfalls  bedeutend  verringert,  so  dass  man  mit  mehr  Müsse  die  Vorberei- 
tungen zur  Naht,  resp.  zur  Umstechung  vom  Scheidengewölbe  aus  treffen  kann. 
Letztere,  nach  Anziehung  der  beiden  Uteruslippen  mit  Kugelzangen  und  un- 
ter Leitung  des  Zeige-  und  Mittelfingers  der  linken  Hand  ausgeführt,  ist  für 
die  Praxis  empfehlenswerther  als  die  Naht  des  blutenden  Risses.  Man  ver- 
w^endet  zu  dieser  Umstechung  am  besten  einen  Deschamps. 

C.  Blutung  aus  Scheidenrissen.  Dieselbe  pflegt  sehr  unbedeutend 
zu  sein.  Man  wird  an  einen  Scheidenriss  denken,  falls  es  bei  gut  contrahirtem 
Uterus  blutet,  und  weder  ein  Cervixriss  zu  fühlen,  noch  äussere  Verletzungen 
zu  sehen  sind.  Ist  der  Riss  zugänglich,  so  vernähe  man  ihn,  sonst  stille  man 
die  Blutung  durch  Tamponade  des  Risses. 

Starke  Blutungen  aus  Scheidenrissen  kommen  nur  vor,  wenn  es  sich  um 
perforirende  Scheidenrisse  oder  um  geborstene  Varicen  handelt.  In  beiden  Fäl- 
len ist  die  Verletzung  womöglich  zu  vernähen  sonst  zu  tamponiren. 

D.  Blutung  aus  Dammrissen.  Dieselbe  kann  im  Anfang  recht  stark 
sein.    Die  Diagnose  stellt  man   durch  Besichtigung  der  äusseren  Genitalien. 

Therapie:  Provisorische  Tamponade,  nach  Expression  der  Placenta  Naht. 

E.  Blutung  aus  Clitorisrissen.  Dieselbe  kann  aus  einem  72 — 1  ^^ 
langen  Riss  so  profus  sein,  dass  sich  die  Frau  verblutet.  Diagnose:  Besich- 
tigung der  äusseren  Genitalien,  ev.  Einführen  eines  Gazestreifens  in  die  Vagina. 
Dann  sieht  man,  dass  das  Blut  von  oben  her  und  nicht  aus  der  Scheide  her- 
auskommt.    Therapie:  Naht,  ev.  provisorische  Tamponade. 

Resume:  Blutet  es  nach  der  Entfernung  der  Placenta,  so  hat  der  Arzt 
in  der  antiseptisch  ausgeführten  Tamponade  des  Uterovaginalcanals  mit  sterili- 
sirter  öliger  Jodoformgaze  ein  ungefährliches  und  sicheres  Mittel,  um  die 
Blutung,  mag  dieselbe  herstammen,  woher  sie  will,  für  die  überwiegende 
Mehrzahl  der  Fälle  zu  beseitigen,  bez.  (bei  Clitorisrissen)  ihre  Quelle  zu 
erkennen. 

An  Verblutung  in  der  Nachgeburtsperiode  überhaupt  gehen  cca.  0*1  "/o 
aller  Gebärenden  zu  Grunde. 

F.  Blutung  bei  Inversio  uteri.    Ursachen  der  Umstülpung: 

1.  Zug  an  der  Nabelschnur  (alte  Methode  der  Entfernung  der  gelösten 
Placenta)  bei  noch  adhärenter  Placenta. 

2.  Ausübung  des  Crede'schen  Handgriffes  bei  schlaffem  Uterus. 


*)  Anm.  Fehlen  alle  Verletzungen  und  ist  der  Uterus  gut  contrahirt,  so  ist  als  Quelle 
der  Blutung  an  ein  angerissenes  aneurysmatisches  Gefäss  zu  denken.  Therapie:  Uterustam- 
ponade. 


BLUTUNGEN  IN  DER  (JEBUKTSIUJ.FE.  135 

3.  Uebermässig  starke  Anwendung  der  Bauchpresse. 

4.  Sturzgeburten. 

Symptome:  Erscheinungen  von  Shock,  starke  Blutung,  falls  ein  Theil 
der  Placenta  bereits  gelöst  ist. 

Diagnose:  Tumor  vor  den  äusseren  Geschlechtsth eilen  oder  in  der 
Scheide,  während  der  Uterus  an  seiner  normalen  Stelle  fehlt. 

Prognose:  ist  ohne  schnelle  Hilfe  sehr  schlecht. 

Therapie:  Reposition,  dann  manuelle  Lösung  der  Placenta  und  (Jterus- 
tamponade,  um  einem  Recidiv  vorzubeugen. 

G.  Blutungen  in  das  perivaginale  Gewebe.  {Thrombus  oder  Hä- 
matoma  vaginae  et  vulvae.) 

Aetiologie:  Die  Abwärtszerrung  der  Scheide  durch  den  tiefer  tretenden 
Kopf  führt  zu  Zerreissungen  von  Gefässen  des  perivaginalen  Gewebes.  Zunächst 
tamponirt  der  Kopf,  so  dass  sich  das  Blut  erst  nach  der  Geburt  ansammeln 
kann. 

Symptome:  Heftige  Schmerzen  in  der  Schamlippe  oder  Scheide,  Anä- 
mie in  den  schwersten  Fällen. 

Diagnose:  An  der  Vulva  sichtbarer,  bläulicher  oder  in  der  Scheide 
fühlbarer  Tumor,  der  elastisch  ist  oder  fluctuirt.  Selten  reicht  derselbe  bis 
an  die  Seitenkante  des  Uterus  und  noch  höher  bis  nach  den  Nieren  hin 
herauf. 

Prognose:  ist  bei  zweckmässiger  Therapie  günstig. 

Therapie:  Eisumschläge,  feste  Scheidentamponade  durch  einen  mit  Eis- 
wasser gefüllten  Kolpeurynter.  Wächst  die  Geschwulst  und  droht  zu  platzen, 
oder  zeigen  sich  Erscheinungen  bedenklicher  Anämie,  oder  zögert  später  ihre 
Resorption,  oder  tritt  Vereiterung  ein:  dreiste  Incision,  Ausspülung  mit  Lysol, 
Carbol-  oder  Salicylsäure,  Jodoformgazetamponade.  Erstreckt  sich  die  Gesch^Milst 
höher  in  die  Bauchhöhle,  so  dürfte,  wie  das  Leopold  für  die  Hämatome  bei 
unvollkommener  Uterusruptur  empfohlen,  bei  Fortdauer  der  inneren  Blutung 
in  einer  Klinik  die  Laparotomie  und  die  Aufsuchung  der  blutenden  Gefässe 
indicirt  sein.  Ist  dies  nicht  möglich,  so  empfiehlt  sich  ein  fester  Druckver- 
band aufs  Abdomen   und   die    Compression  der  Aorta. 

Die  Blutungen,  welche  erst  im  Verlauf  des  Wochenbettes  eintreten,  nennt 
man  Spätblutungen.  Sie  beruhen  auf  mangelhafter  Retraction  des  Uterus, 
auf  Retention  von  Eiresten  resp.  Blutgerinnseln,  die  sich  auf  der  Placentar- 
stelle  niederschlagen  (Placentarpolyp),  auf  dem  Vorhandensein  von  Neubildungen 
(Uteruspolypen)  oder  fehlerhaften  Lagen  (Retroflexio  uteri,  Inversio  uteri  chro- 
nica), auf  der  Ruptur  aneurysmatischer  Uterusgefässe.  Die  Behandlung 
besteht  in  der  Entfernung  des  abnormen  Uterusinhalts,  in  der  Reposition  des 
Uterus  bei  den  Lageveränderungen  und  Einlegung  eines  Ringes  bei  Retro- 
flexio, in  der  Bekämpfung  der  Atonie,  resp.  der  Aneurysmablutung  durch  die 
Tamponade  des  Uterovaginalcanals,  falls  Massage,  heisse  Uterusausspülungen 
und  Seeale  erfolglos  bleiben.  Ueberdauert  die  Atonie  das  Wochenbett  (chro- 
nische Atonie  nach  Lomer),  so  ist  die  Anwendung  des  constanten  Stromes 
mit  Einführung    des  positiven  Pols  in  die  Uterushöhle  indicirt. 

Behandlung  der  Folgezustände  der  Blutung,  der  Anämie. 
Es  kommt  zunächst  nur  darauf  an,  die  verloren  gegangene  Flüssigkeit  zu  ersetzen. 
Dies  geschieht  am  schnellsten  durch  eine  Mastdarmeingiessungmit  warmem  Wasser 
Das  Wasser  wird  wie  von  einem  Schwämme  durch  die  Schleimhaut  aufgesogen, 
und  der  Puls  hebt  sich  binnen  wenigen  Minuten.  Das  Verfahren  versagt  nach 
der  Beobachtung  des  Verfassers  in  einzelnen  Fällen  von  Anämie  seinen  Dienst, 
in  welchen  auch  bei  nicht  ohnmächtigen  Frauen  der  Sphincter  ani  vorüber- 
gehend gelähmt  ist.  Hier  nehme  man  eine  subcutane  Infusion  mit  1 — 2  Lit. 
einer  0-6"/oigen  Kochsalzlösung  vor  (Münchmeyer-Leopold),  zu  deren  Aus- 
führung man  nur  eine  grössere  Canüle  mit  sich  zu  führen  braucht,  die  in  den 


136  CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXUALORGANE. 

Irrigatorschlaiicli  passt,  und  einige  Koclisalzpulver  ä  6-0  g.    Als  Einstichstelle 
wählt  man  die  Haut  zwischen  den  Schulterblättern. 

Weitere  Massnahmen:  Sorge  für  gute  Luft,  Tieflagern  des  Kopfes,  Ein- 
wickelung  und  Hochlagerung  der  Extremitäten  (Autotransfusion),  Wärmeflaschen. 
Darreichung  von  starkem  Wein,  Champagner,  Branntwein,  Rum,  starkem  Kaifee 
(1  Loth  auf  die  Tasse!)  —  Alles  aber  theelöffelweise,  da  bei  Anämie  Neigung 
zum  Erbrechen  besteht.  Bei  diesem  Vorgehen  erweisen  sich  die  sehr  schmerz- 
haften Aetherinjectiönen  meist  als  überflüssig.  dührssen. 

Carcinom  der  weiblichen  Sexualorgane.    Folgende  allgemeine 

Bemerkungen  seien    als   Einleitung   der   speciellen   Abhandlung   des  Car- 
cinoms  der  weiblichen  Sexualorgane  vorausgeschickt. 

Unter  Carcinom  versteht  man  die  Neubildung  solider  Epithelhaüfen 
an  fremdem  Orte.  Diese  Definition  legt  den  Nachdruck  auf  drei  Punkte:  1.  auf  den 
epithelialen  Charakter  der  Hauptbestandtheile  der  Geschwulst,  2.  auf  das  Vorhandensein 
solider  Epithelhaufen  und  3.  auf  das  Vorhandensein  an  fremdem  Orte. 

Zu  1.  Im  Folgenden  ist  stets  die  Anschauung  Waldeyer's  und  Thiersch's  zu  Grunde 
gelegt,  dass  Carcinom  eine  echte  Epithelneubildung  ist,  also  nur  von  Epithel  abstammt, 
während  bekanntlich  Virchow  das  Carcinom  von  Bindegewebe  abstammen  lässt.  —  Zu  2. 
Durch  das  Kennzeichen  ., solide  (geschlossene)  Epithelhaufen"  unterscheidet  sich  das  Car- 
cinom von  jenen  epithelialen  Neubildungen,  welche  stets  den  Drüsencharakter  behalten,  d.  h. 
ein  Lumen  besitzen.  Von  diesen  kennen  wir  gut-  und  bösartige.  Gutartige  Drüsen- 
neubildungen kommen  an  den  weiblichen  Genitalien  als  Polypen  (Cervix,  üterushöhle), 
glanduläre  Endometritis  und  Cysten  (Ovarium,  Parovarium)  vor.  Bösartige  Drüsen- 
Neubildungen  bezeichnet  man  als  Adenome  (Uterus,  Ovarium).  Natürlich  kommen  bei  Car- 
cinomen,  die  von  Drüsen  abstammen,  auch  üebergangsbilder  vor:  hier  die  normale  Drüse, 
dort  eine  solche  mit  wucherndem  Epithel,  aber  noch  erlialtenem  —  wenn  auch  verengtem  — 
Lumen,  und  an  wieder  anderen  Stellen  endlich  solide  Epithelhaufen  ;  die  letzteren  bestim- 
men die  Diagnose,  nur  dürfen  Tangentialschnitte  von  Drüsen  nicht  mit  den  soliden  Epi- 
thelnestern des  Carcinoms  verwechselt  werden;  hierin  liegt  zweifellos  eine  oft  nicht  geringe 
diagnostische  Schwierigkeit.  Wenn  man  für  das  Carcinom  an  dem  Merkmal  „solide  Epi- 
thelhaufen'' festhält,  erscheint  die  Bezeichnung  als  alveoläre  Geschwulst  misslich;  denn 
alveolär  wird  oft  mit  wabenartig  übersetzt,  und  wabenartig  ist  das  Carcinom  eben  ge- 
rade nicht,  da  es  (ausser  bei  schleimiger  Degeneration,  s.  u.)  keine  centralen  Hohlräume 
in  den  Zellnestern  besitzt.  —  Zu  3.  Das  dritte  Merkmal :  „Vorhandensein  an  fremdem  Orte," 
ist  zugleich  das  Kennzeichen  der  Bösartigkeit  (Malignität);  denn  es  zeigt,  dass  die  Neubil- 
dung in  fremdes  Gewebe  eingebrochen  ist  oder  dass  Theile  (Zellen  oder  Keime)  an  entfern- 
tere Stellen  verschleppt  worden  sind  (Bildung  von  Metastasen).  Durch  das  Vorhandensein 
der  Epithelhaufen  an  fremdem  Orte  unterscheidet  sich  das  Carcinom  von  der  Pachydermie, 
den  spitzen  und  breiten  Condylomen  u.  s.  w.  Es  ist  diagnostisch  ganz  besonders  wichtig, 
bei  Stückchen,  welche  zur  Probe  excidirt  wurden,  stets  die  Basis  zu  untersuchen ;  denn  es 
kann  unmöglich  sein,  aus  einer  oberflächlichen  Partie  zu  erkennen,  ob  es  sich  um  eine  gut- 
oder  bösartige  Neubildung  handelt. 

Definirt  man  mit  Waldeyer  das  Carcinom  als  atypische  epitheliale  Neubil- 
dung, so  grenzt  man  es  damit  treffend  von  den  typischen  epithelialen  Neubildungen, 
den  Adenomen  ab. 

Histologische  Abstammung.  Dem  Ursprünge  nach  kann  sich  Carcinom  a)  aus 
Pflaster -Epithel  entwickeln;  man  nennt  es  dann  auch  Cancroid  (über  die  Bezeich- 
nung s.  u.)  oder  seiner  eigenthümlichen  äusseren  Form  halber  Blumenkohlgewächs 
(cauliflower-cancer) ;  an  den  weiblichen  Genitalien  kann  sich  diese  Form  aus  dem  Pflaster- 
Epithel  der  Vulva,  Vagina  und  Portio  entwickeln;  hierher  gehört  auch  jene  interessante 
Fonn,  welche  einige  Male  nach  Umwandlung  des  Cylinderepithels  in  Pflaster- Epithel  in  der 
Uterus  höhle  beobachtet  wurde;  es  kann  ferner  abstammen  Z>)  vom  Cylinder-Epithel 
einer  Schleimhautoberfläche,  Cylinderepithel-Krebs;  man  muss  sich  aber  stets  daran 
erinnern,  dass  diese  Bezeichnung  nur  sagt,  dass  die  Neubildung  vom  Cylinder-Epithel  aus- 
gegangen ist,  nicht  aber,  dass  sie  aus  Cylinder-Epithel  besteht;  denn  in  solchen  Carcinomen 
werden  die  ursprünglich  cylindrischen  Zellen  im  Innern  der  Epithelnester  polygonal;  Car- 
cinom kann  c)  vom  Drüsen-Epithel  abstammen,  Drüsen -Carcinom;  aber  auch  hier  be- 
zeichnet der  Name  nur  die  Abstammung,  nicht  den  Bau,  denn  wir  nennen  eine  bösartige 
Neubildung,  welche  den  Drüsencharakter  behält,  eben  nicht  Carcinom,  sondern  Adenom. 

Allgememe  Diagnose.  *)  Man  hat  früher  nach  einer  typischen  Carcinomzelle  gesucht. 
Eine  solche  gibt  es  nicht;  es  wäre  allerdings  denkbar,  dass  man  nach  Auffindung  des  hypo- 


*)  Es  ist  nöthig.  diese  allgemeinen  Bemerkungen   vorauszuschicken,  denn  nicht  alle 
Autoren  sind  in  diesen  Definitionen   einig.     Manche  nennen  z.  B.   auch   bösartige   Neubil- 


CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  .SEXUALOROANE.  137 

thetischen  Carcinom-Erregers  (s.  u.)  in  diesem  ein  diagnostisches  Merkmal  gewänne.  Zur 
Zeit  entfcheidet  aber  nicht  die  einzelne  Zelle,  sondern  das  Nebeneinander  der  Zellen 
die  Diagnose.  Bei  mikroskopischer  Untersuchung  wird  man  deslialb  darcli  Zupfpräparate 
viel  schwerer  Aufschluss  über  die  Natur  der  Neubildung  erhalten,  als  durch  Scimitte,  welche 
einen  Ueberblick  gestatten  und  besonders  die  Basis  des  Tumors  mit  enthalten;  ohne  diese 
topographische  Uebersicht  ist  die  Diagnose  oft  einfacli  unmöglich.  Das  muss  betont  werden, 
da  dem  Mikroskopiker  gelegentlich  Stückchen  übergeben  werden,  an  welchen  die  von  einigen 
Untersuchern  mit  Unrecht  geschmähte  „Stückchen-Diagnose"  allerdings  zu  Schanden 
werden  kann. 

Benennung.  6  xctp-zivo?,  Cancer  =  der  Krebs.  Zur  Abstammung  dieses  Namens  ist 
eine  von  Billroth  citirte  Stelle  aus  dem  classischen  Werke  von  I^orenz  Heister  (3.  Aufl., 
1731,  Seite  220)  bemerkenswerth;  es  heisst  dort,  ein  Scirrhus  k()nne  bösartig  werden  „in 
welchem  Stande  man  es  anfängt  Krebs  oder  Carcinoma,  auch  Cancer  zu  nennen,  wobey 
offt  die  dabei  liegenden  Adern  dicke  aufschwellen,  und  sich  gleichsam  wie  die  Füsse  eines 
Krebses  ausdehnen  (welches  aber  doch  nicht  bei  allen  geschiehet),  als  wovon  dieser  Affect 
seinen  Namen  bekommen  hat."  Ueber  die  Bezeichnung  Cancroid  sagt  Billrotii  folgen- 
des: .,Krebsälinliche  Geschwülste;  man  wählte  diesen  Namen  früher,  weil  man  diese  Haut- 
krebse nicht  für  so  bösartig  hielt,  wie  diejenigen  Krebsformen,  welche  man  in  den  Brust- 
drüsen beobachtete,  welche  fast  allein  als  Typus  echter  Krebse  galten." 

Aetiologie.  Die  Versuche,  den  Erreger  des  Carcinoms  in  gewissen  Bacterien  zu 
finden  (Scheurlen),  gelten  jetzt  wohl  endgiltig  als  gescheitert.  Zahlreiche  Stimmen,  die  sich 
von  Tag  zu  Tag  mehren,  werden  aber  für  eine  Entstehung  des  Carcinoms  durch  Einwir- 
kung niedrigster  thierischer  Lebewesen,  durch  Protozoen,  laut.  Man  findet  thatsächlich 
bei  Carcinomen  Zeil-Einschlüsse,  welche  sich  morphologisch  vollkommen  analog  jenen  Pro- 
tozoen verhalten,  wie  sie  bei  gewissen  Infectionskrankheiten  von  Thieren  schon  seit  längerem 
bekannt  sind,  z.  B.  bei  Psorospermose  der  Kaninchenleber  u.  Ae.  Vor  allem  haben  sich 
L.  Pfeiffer  in  Weimar  um  das  Studium  dieser  Parasiten  und  auch  besonders  der  ihnen  so 
weitgehend  gleichenden  Zelleinschlüsse  bei  Carcinom,  Schuberg  und  Andere  um  die  Er- 
forschung der  in  Thieren  vorkommenden  pathogenen  und  nichtpathogenen  Protozoen 
grosse  Verdienste  erworben.  Der  exacte  Nachweis,  dass  diese  Zelleinschlüsse  Protozoen  und 
diese  wiederum  die  Erreger  des  Carcinoms  sind,  steht  aber  noch  aus. 

Von  den  übrigen  Theorien  über  Entstehung  der  Ki'ebsgeschwülste  seien  kurz 
folgende  erwähnt: 

1.  Cohnheim's  Theorie:  „Angeborene  Geschwulstkeime  wachsen,  durch  einen  Reiz 
getroffen."     Für  das  Carcinom  ist  die  Theorie  später  von  Cohnheim  selbst  verlassen  worden. 

2.  Thiersch's  Theorie:  Krebs  entsteht  durch  verändertes  Gleichgewichtim  Wachs- 
thum  von  Bindegewebe  und  Epithel,  bedingt  durch  senile  Veränderung  des  Bindegewebes; 
das  productionsfähig  bleibende  Epithel  wuchert  in  das  letztere  hinein. 

3.  Klees'  Theorie:  Sie  ist  ähnlich  der  von  Thiersch,  nur  lässt  Klebs  die  Störung 
des  Gleichgewichts  dadurch  entstehen,  dass  die  Blutgefässe  sich  dem  Epithel  nahe  anlagern, 
wodurch  dieses  besser  ernährt  wird  und  übermässig  wuchert. 

4.  Theorie  der  chemischen  oder  mechanischen  Reizung:  Krebs  der  Pa- 
raffin-Arbeiter, Hodenkrebs  der  Schornsteinfeger  in  Folge  des  engen  Anliegens  der  Hose; 
Unterlippenkrebs  bei  Pfeifenrauchern ;  Krebs  auf  dem  Boden  von  Bein-  und  Magengeschwüren, 
im  Bereich  des  Mal  perforant,  bei  Seborrhoe  des  Gesichts.  —  Diesen  Momenten  kommt 
wohl  eine  unterstützende  Wirkung  zu. 

5.  Billroth's  Theorie:  Krebs  beruht  auf  einer  Diathese. 

6.  Hansemann  führt  die  Wucherung  der  Epithelien  auf  eine  eigenthümliche  Unregel- 
mässigkeit der  Kerntheilung  zurück. 

Dazu  kommen  als  7.  und  8.  Theorie  die  von  der  bacteriellen  und  von  der  proto- 
zoistischen  Natur  der  hypothetischen  Erreger. 

Dass  Carcinom  aber  infectiös  ist,  dafür  spricht  eine  grosse  Reihe  klinischer 
Beobachtungen:  Bei  Carcinom  der  Unterlippe  kann  sich  Carcinom  an  der  entsprechenden 
Stelle  der  Oberlippe  entwickeln;  nach  Amputation  einer  carcinomatösen  Mamma  und  nach- 
folgender Drainage  entwickelte  sich  im  Drainagecanal  Carcinom;  nach  Function  eines  Ascites 
bei  Carcinom  des  Bauchfells  wurde  der  Stichcanal  carcinomatös ;  Carcinome  der  Bauchorgane 
können  durch  ,, Aussaat"  (so  auch  bei  Platzen  von  Ovarialcarcinomen)  das  ganze  Perito- 
neum carcinös  inficiren;  hieher  gehören  auch  die  Recidive  in  Nadelstichnarben  nach  Ab- 
tragung von  Carcinomen,  in  der  Operationsnarbe  nach.  Exstirpation  von  Uterus-Krebs  etc. 
Experimentell  ist  Krebs  von  einem  Thier  auf  das  andere  übertragen  worden.  (B.  v.  Lakgen- 
beck 1840,  Follin,  Lebert  u.  A.);  Hanau  hat  mit  Stücken  vom  Virlva-Carcinom  einer 
Ratte  Krebs  am  Scrotum  anderer  Ratten  erzeugt.  Wehr  mit  Stücken  von  Vorhaut-  und 
Scheiden-Krebs  von  Hunden  Carcinom  bei  anderen  Hunden  (in  einem  Falle  mit  tödtlichem 
Ausgang)  hervorgerufen.  —  Vom  inoperablen  Mamma-Carcinom  einer  Frau  wurde  mit  deren 


düngen  mit  Drnsencharakter,  Carcinom,  während  diese  im  Folgenden  als  Adenom  bezeich- 
net sind.  Andere  unterscheiden  gutartige  Adenome  (hier  als  Polypen  u.  s.  w.  bezeichnet) 
von  den  bösartigen;  im  nachstehenden  ist  unter  Adenom  stets  eine  maligne  Neubildung 
verstanden. 


138  jC'ARCINOM  der  weiblichen  SEXUALORGANE. 

Einwilligung  ein  Stückchen  am  Oberarm  implantirt  und  Carcinom  erzeugt,  das  sich  ver- 
grösserte.  Dieser  letzte  Fall  hat  durch  den  Uebereifer  eines  jungen  Juristen  in  Tagesblätter 
Eingang  gefunden  und  seiner  Zeit  weite  Kreise  in  Erregung  versetzt.  —  Allerdings  stellen 
die  genannten  Versuche  keine  wahre  Infection  im  bacteriologischen  Sinne  dar. 

Eiiitlieihing.  Schon  erwähnt  wurde  oben,  dass  die  Carcinome  je  nach  der  histo- 
logischen Abstammung  in  Pflasterepithelkrebs  (Cancroid,  malignes  Epitheliom),  Cylinder- 
Epithelkrebs  und  Drüsenkrebs  eingetheilt  werden  können.  Einige  andere  Bezeichnungen 
(Scirrhus,  Markschwamm  etc.)  beziehen  sich  nicht  auf  die  Abstammung,  sondern  «)  auf 
das  Verhalten  zum  Bindegewebe  und  b)  auf  gewisse  Degenerations-Erschei- 
nungen. 

a)  Verhalten  des  Carcinoms  zum  Bindegewebe.  Spärliche  Bindegewebszüge, 
überwiegende  Entwicklung  von  Epithelhaufen  geben  der  Geschwulst  ein  markiges  Aussehen, 
weiche  Beschaffenheit:  Markschwamm,  Carcinoma  medulläre  (z.  B.  an  der  Portio, 
an  den  Ovarien).  Von  der  Schnittfläche  lässt  sich  ein  milchiger  Saft,  „Krebsmilch",  ab- 
streichen; er  besteht  aus  Epithelien,  deren  Zerfallsproducten  und  Serum. 

Bei  reichlichem  Bindegewebe  U-ud  spärlichen  Epithelhaufen  erscheint  die  Geschwulst, 
derb,  sie  kann  beim  Anschneiden  knirscheii:  Carcinoma  fibrosum  s.  scirrhosum 
Scirrhus  (a-/tppd;  =  hart).  Diese  Form  findet  sich  u.  A.  am  Cervix.  Unter  infiltrirtem 
Carcinom  (ebenfalls  am  Cervix  und  am  Ovarium  vorkommend),  versteht  man  eine  innige 
Durchsetzung  des  Bindegewebes  nnit  schmalen  Epithelzügen;  an  dicken  Schnitten  kann  es 
mikroskopisch  schwer  sein,  Epithelzüge  und  Bindegewebe  getrennt  zuerkennen;  Rüge  und 
Veit  haben  sich  dadurch  zur  Annahme  einer  bindegewebigen  Abstammung  dieser  Epithel- 
neubildungen bestimmen  lassen. 

h)  Degenerations- Erscheinungen  an  Carcinomen.  Die  Epithelhaufen  können 
schleimig  oder  gallertig  degeneriren;  dieser  Vorgang  beginnt  meist  im  Innern  der  Epi- 
thelnester: Carcinoma  gelatinosum  s.  colloides  (^besonders  am  Ovarium  nicht 
selten) ;  auch  das  Bindegewebe  kann  sich  primär  und  secundär  in  Schleimgewebe  umwandeln : 
Carcinoma  myxomato des.  Degeneriren  die  Epithelhaufen  nur  im  Centrum  gallertig,  so 
erscheinen  sie  wie  mit  Hohlräumen  versehen,  welche  ein  Lumen,  bez.  Cylinderform  der 
Epithelnester    vortäuschen;     Cylindroma   car cinomatodes. 

Krebs -Cachexie.  *)  Eine  specifische  Krebscachexie  gibt  es  nicht.  „Ein  Krebskranker 
wird  endlich  marantisch,  wie  jeder  andere  Mensch,  der  an  einer  schweren  Störung  in  der 
Function  wichtiger  Organe  leidet  und  welcher  aus  zerfallenden  Gewebspartikeln  Zersetzungs- 
stoffe in  sich  aufnimmt"  (Billroth).  Die  Krebscachexie  hat  in  der  Hauptsache  zwei  Ur- 
sachen: Säfteverlust  und  Intoxication  durch  Aufnahme  giftiger  Zerfallsproducte,  die  auch 
Stoffwechselproducte  der  hypothetischen  Erreger  sein  können.  Die  Giftigkeit  von  Carcinom- 
Massen  ist  auch  im  Thierversuch  festgestellt  worden :  wässrige  Extracte  aus  frisch  exstirpii-ten, 
nicht  jauchenden  Carcinomen  erwiesen  sich  als  toxisch.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dasS' 
diese  Stoffwechselproducte  es  sind,  welche  gelegentlich  bei  carcinomatösen  Ovarialtumoren 
durch  chemische  Reizung  Adhäsionen  mit  Nachbarorganen  veranlassen;  so  dürfte  wohl 
auch  bei  Stieldrehung  gutartiger  Eierstocksgeschwülste  die  Ursache  des  Fiebers  und  der 
Adhäsions-Bildung  in  der  Entwicklung  toxischer  Producte  der  regressiven  Gewebsmeta- 
morphose  zu  suchen  sein.  Die  Symptome  der  Krebscachexie  sind:  wachsgelbe  bis  bräun- 
liche Färbung  der  Haut,  Abmagerung,  Appetitmangel,  Abneigung  gegen  Fleischgenuss, 
eiweissh altiger  Urin,  Störungen  des  Intellects,  Apathie  u.  s.  w. 

Heredität.  Es  ist  mehr  als  fraglich,  ob  Carcinom  erblich  ist.  Die  Fälle,  in  welchen 
z.  B.  Mutter  und  Tochter  an  Gebärmutterkrebs  leiden,  beweisen  nichts;  denn  bei  der  Häu- 
figkeit dieses  Leidens  ist  es  nicht  anders  zu  erwarten,  als  dass  ein  solches  Zusammentreffen 
vorkommt.  Im  Volke  ist  die  Angst  vor  Erblichkeit  des  Krebses  gross;  man  wird  die  ge- 
ängstigte Tochter,  deren  Mutter  an  Carcinom  leidet,  mit  vollem  Rechte  beruhigen  können. 

Alter.  Carcinom  findet  man  am  häufigsten  bei  Erwachsenen,  selten  sind  Fälle  unter 
20  und  über  70  Jahren,  wenngleich  für  beides  Beobachtungen  vorliegen.  Scheiden-Carcinom 
soll  an  einem  14-monatlichen  Mädchen  operirt  worden  sein;  Portiokrebs  ist  mehrfach  bei 
Mädchen  und  Frauen  im  Alter  von  20  Jahren  gesehen  worden;  umgekehrt  kommt  z.  B. 
Vulva-Krebs  bei  Frauen  zwischen  70  und  80  Jahren   vor. 

Prophylaxe.  Es  sind  mehrfach  Fälle  beobachtet  worden,  in  welchen  sich  Carcinom 
auf  dem  Boden  von  Psoriasis  vulvae,  von  Scheidengeschwüren,  die  durch  Pessare  erzeugt 
wurden,  und  von  Erosionen  der  Portio  entwickelten.  Man  wird  deshalb  die  Psoriasis  ener- 
gisch behandeln,  die  Frauen,  welche  Pessare  tragen,  nachdrücklich  anweisen,  sich  einer 
ärztlichen  Ueberwachung  zu  unterziehen  und  der  Arzt  wird  mindestens  alle  2—3  Monate 
die  Pessare  entfernen,  um  die  Scheide  zu  untersuchen;  Erosionen  bedürfen  auch  aus  diesem 
Grunde  der  Behandlung ;  bei  hartnäcldgem  Bestehen  wird  man  die  Portio-Lippen  am  besten 
excidiren.  Verdächtige  Ulcerationen  und  Wucherungen  der  Vulva,  Scheide  und  Portio 
wird  man  nach  Probe-Excision  kleiner  Stückchen,  welche  dem  Rand  und  der  Basis  der  betref- 
fenden Stelle  entnommen  sind,  mikroskopisch  untersuchen;  zu  demselben  Zwecke  wird  man 
aus  Cervix  und  Uteruskörper  mit  der  Curette  kleine  Partikel  herausholen.     Undurchführbar 


*)  Vergl,  „Cachexie"'  (F.  Kraus)  :  Interne  Medicin  und  Kinderkrankheiten,  Bd.  I.,  pag.  238. 


CAECINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXÜALORGANE.  139 

ist  der  Vorschlag,  alle  Frauen  zwangsweise  in  gewissen  Zeiträumen  ärztlich  zu  untersuchen ; 
aber  unbedingt  erforderlich  ist  eine  peinliche  Selhstüberwacliung  der  Frauen  und  das  Be- 
fragen eines  Arztes  beim  Auftreten  verdächtiger  Symptome,  wie  Fluor,  linregelmässige  Blu- 
tungen u.  s.  w.  Leider  besteht  gerade  hierin  eine  oft  verhängnisvolle  Indolenz  der  Frauen- 
welt, Dass  eine  gründliche  Ausbildung  der  Aerzto  in  der  Untersuchung  der  weiblichen 
Genitalien  nothwendig  ist,  bedarf  nicht  des  Nachweises.  Jn  schwierigen  Fällen  und  beson- 
ders dann,  wenn  eine  mikroskopische  Untersuchung  die  Diagnose  sichern  soll,  ist  die  Be- 
fragung eines  Facharztes  oder  die  Ueberweisung  der  Kranken  an  eine  Frauenklinik  gewiss 
nicht  ein  Zeichen  mangelhaften  Könnens  des  zuerst  befragten  Arztes,  sondern  vielmehr  der 
Ausdruck  strenger  Gewissenhaftigkeit;  und  gerade  diese  weiss  der  Laie  wohl  stets  zu 
schätzen. 

Allgemeine  Thei'apie.  Das  einzige  Mittel,  welches  eine  endgiltige  Heilung  ermöglicht, 
ist  zur  Zeit  die  operative  Entfernung  der  Geschwulst.  Diese  muss  thunlichst  früh  ausge- 
führt werden,  so  lange  die  Nachbargewebe  noch  nicht  erkrankt  und  noch  keine  Metastasen 
vorhanden  sind.  Die  Entscheidung,  ob  dieser  Zeitpunkt  nicht  schon  eingetreten  ist,  kann 
im  Einzelfalle  schwierig  sein;  man  wird  sich  in  unsicheren  Fällen  aber  lieber  zur  Operation 
entschliessen,  da  sie  die  einzige  und  letzte  Hoffnung  auf  Lebensrettung  bietet;  und  gerade 
Uterus-Carcinome  können,  wenn  sie  nach  der  Operation  doch  recidiviren,  unter  viel  weniger 
schweren  Symptomen  zu  dem  unaufhaltsamen  traurigen  Ende  führen,  als  die  primäre  Er- 
krankung selbst.  Man  spricht  von  operablen  und  inoperablen  Carcinomen;  das  ist 
nicht  ganz  zutreffend,  denn  auch  solche  Geschwülste,  die  nicht  mehr  radical  entfernt  werden 
können,  erfordern  doch  manchmal  operative  Eingriffe,  wie  Excochleation,  Verschorfung  mit 
dem  Glüheisen  u.  s.  w.  Man  hat  also  unter  operablen  Carcinomen  solche  zu  verstehen,  bei 
welchen  eine  radicale  Entfernung  des  Tumors  für  möglich  gehalten  wird,  unter  inope- 
rablen solche,  bei  welchen  dies  nicht  mehr  der  Fall  ist. —  Es  ist  ein  Gebot  der  Menschlichkeit, 
die  Diagnose  inoperablen  Kranken  nicht  mitzutheilen,  wenn  man  sie  auch  den  Angehörigen 
sagt.  Mit  Ausdrücken  wie  „Geschwulst,  verdächtige  Neubildung"  wird  man  ausweichen, 
ohne  sein  Gewissen  zu  belasten;  die  Mehrzahl  der  Kranken  ahnt  ja  ohnedies  die  Art  der 
Erkrankimg.  Nur  wenn  sich  operable  Kranke  weigern,  einen  vielleicht  lebensrettenden 
Eingriff  machen  zu  lassen,  dürfte  man  versuchen,  durch  Mittheilung  der  Diagnose  sie  dazu 
zu  veranlassen. 

I.  Carcinom  der  Vulva. 

Nach  HiLDEBRAXDT,  welcher  jedoch  zum  Krebs  auch  die  Sarkome  rechnet, 
kommt  auf  35 — 40  Fälle  von  Krebs  der  Gebärmutter  ein  Fall  von  Vulva- 
Carcinom.  Da  aber  Sarkome  der  Vulva  sehr  selten  sind,  dürfte  diese  Zahl 
eher  zu  niedrig  gegriffen  sein.  Gurlt  fand  unter  7479  krebskranken  Frauen 
72  Fälle  von  Vulva-Carcinom,  also  circa  1%. 

Pathologische  Anatomie.  An  der  Vulva  kommt  Carcinom  in  zwei 
Formen  vor:  als  Cancroid  und  als  Drüsen-Carcinom  (von  den  BARTHOLiN'scheu 
oder  von  Schweissdrüsen  ausgehend);  die  letztere  Form  ist  seltener  als  das 
Cancroid.  Ein  makroskopischer  Unterschied  scheint  nicht  festgestellt  zu  sein. 
Die  Neubildung  beginnt  mit  rundlichen,  die  Haut  überragenden,  massig  harten 
Knötchen,  deren  Oberfläche  sehr  bald  geschwürig  zerfällt.  Durch  Vergrösserung 
und  Zusammenfliessen  mehrerer  Herde  kann  es  zur  Bildung  gi'osser,  unregel- 
mässig höckeriger,  über  das  Niveau  der  Haut  breit  hervorragender  Ge- 
schwürsflächen mit  jauchendem,  schmutzig  braunrothem  bis  schmierig  grau- 
gelbem Grunde  kommen,  während  die  Ränder  stellenweise  übergeworfen,  meist 
sehr  derb  sind.  Die  Neubildung  kann  alle  Theile  der  Vulva  zerstören,  auf 
die  Urethra,  seltener  auf  die  Scheide,  häufig  auf  den  Mons  Veneris,  ja  selbst 
auf  die  Innenseite  der  Oberschenkel  und  auf  den  Damm  übergreifen.  Die  In- 
guinaldrüsen  pflegen  sehr  früh  anzuschwellen. 

Die  Diagnose  ist  in  den  Anfangsstadien  durchaus  nicht  immer  leicht: 
am  schwierigsten  ist  die  Unterscheidung  von  breiten  Condylomen  und  lue- 
tischen Geschwüren.  Die  Knötchenbildung  und  die  später  umgeworfenen 
Ränder  sprechen  für  Carcinom,  das  gleichzeitige  Auftreten  von  Syphiliden  für 
Lues.  Landerer  gibt  an,  dass  bei  luetischen  Geschwüren  die  I'mgebung  mehr 
bräunlichroth,  bei  Krebs  bläulich  cyanotisch  ist;  „beim  syphilitischen  Ge- 
schwür ist  die  Umgebung  nur  wenig  infiltrirt  und  so  gut  wie  nicht  gewulstet, 
auch  der  Grund  im  ganzen  weich;  beim  Krebs  harte,  gewulstete  Ränder." 


140  CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXUALORGANE. 

Bei  der  liolien  Wichtigkeit  der  Diagnose  wird  man  im  Zweifelsfalle 
Stückchen  aus  dem  Rande  ziemlich  tief  ausschneiden,  um  besonders  auch  die 
Basis  der  Neubildung  mitzuerhalten,  und  dann  mikroskopisch  untersuchen. 
Kur  die  Basis  wird  die  Entscheidung  bringen;  denn  sowohl  bei  Cancroid  als 
bei  breiten  Condylomen  findet  man  ein  regelloses  Sichdurchwachsen  von  Epi- 
thelzügen und  stark  kleinzellig  infiltrirteniBindegewebe.  Beim  breiten  Condylom 
reichen  aber  die  Epithelzüge  nicht  unter  die  Basis  des  Tumors,  sie  dringen 
nicht  in  fremdes  Gewebe  ein,  was  gerade  beim  Cancroid  kennzeichnend  ist.  — 
Auch  Sarkome  sind  schwer  vom  Carcinom  zu  unterscheiden  und  es  bedarf 
gelegentlich  der  mikroskopischen  Untersuchung.  Lupus  der  Vulva  hat  sowohl 
mit  luetischen  Processen  als  mit  beginnendem  Carcinom  Aehnlichkeit.  Die 
hypertrophische  Form  des  Lupus  soll  „glatte,  zuweilen  hellrothe  Tumoren  von 
Erbsen-  bis  Taubeneigrösse  und  darüber  bilden,  einzelne  derselben  ulceriren 
oberflächlich  und  secerniren"  (Winckel).  Vom  Carcinom  unterscheidet  sich 
der  Lupus  vulvae  durch  „den  langsamen  Verlauf  der  Geschwürsbildung  mit 
nachfolgender  Hypertrophie  und  das  Fehlen  einer  deutlich  ausgesprochenen 
Drüsenschwellung"  (Pozzi).  Beim  Lupus  perforans  sind  die  befallenen  Theile 
geschwollener  und  derber,  mit  flachen  Indurationen  versehen,  stellenweise  öde- 
matös  und  von  ulcerirten  Stellen  aus  kommt  es  zu  Perforationen  der  Labien, 
des  Dammes,  in  die  Urethra  u.  s.  w.  Gerade  diese  Form  dürfte  makroskopisch 
leicht  mit  Carcinom  verwechselt  werden.  Auch  die  Forderung,  bei  Lupus 
mikroskopisch  Tuberkel-Bacillen  nachzuweisen,  ist  nicht  immer  leicht  zu  er- 
füllen, wie  auch  der  fehlende  Nachweis  nicht  mit  Sicherheit  gegen  Lupus 
spricht.  Wichtig  und  entscheidend  wird  dann  das  Verhalten  des  Epithels  an 
mikroskopischen  Schnitten  sein. 

Symptome  und  Verlauf.  Die  ersten  Symptome  pflegen  in  einem  oft 
hochgradigen  und  dann  qualvollen  Juckreiz  zu  bestehen  und  zwar  auch  dann, 
wenn  die  Carcinom-Entwicklung  nicht  auf  dem  Boden  eines  Pruritus  vulvae 
stattfindet.  Nach  Eintritt  des  geschwürigen  Zerfalls  zeigt  sich  Anfangs  serös- 
blutige, bald  aber  jauchige  Secretion,  welche  die  Umgebung  röthet  und  aus- 
gedehnte Eczeme  hervorruft.  Dieses  Symptom  ist  viel  lästiger  als  die  meist 
geringen  Schmerzen,  welche  der  Tumor  selbst  erzeugt;  schmerzhaft  kann  die 
Urinentleerung  durch  die  unvermeidliche  Benetzung  der  Geschwürsflächen 
werden.  Stärkere  Blutungen  sind  selten.  Der  Introitus  vaginae  und  die 
Urethral-Mündung  erfahren  eine  starke  A^erengerung,  das  Uriniren  wird  er- 
schwert; Cachexie  und  Metastasen,  die  schliesslich  zum  Tode  führen,  treten 
ziemlich  spät  auf  (abgesehen  von  der  meist  frühen  Infection  der  Leisten- 
drüsen), so  dass  die  ganze  Krankheit  sich  über  Jahre  erstrecken  kann. 

Prognose.  Die  Prognose  ist  im  allgemeinen  schlecht,  da  man  einer- 
seits selten  ganz  frühe  Stadien  zur  Behandlung  bekommt,  und  andererseits 
selbst  bei  früher  Exstirpation  des  Tumors  und  der  Leistendrüsen  Recidive  sehr 
häufig  sind. 

Therapie.  Die  Behandlung  bietet  nur  bei  frühzeitiger  gänzlicher  Ent- 
fernung des  Tumors  und  der  inficirten  Leistendrüsen  Aussicht  auf  Erfolg.  Man 
muss  breit  im  Gesunden  und  in  der  Tiefe  umschneiden,  am  besten  schritt- 
weise mit  dem  Messer,  indem  man  alle  spritzenden  Gefässe  sofort  unterbindet; 
es  kann  nöthig  werden,  die  Urethra  bis  zum  Blasenhals  hinauf  mit  zu  exci- 
diren;  dann  muss  die  Urethralschleimhaut  durch  Nähte  mit  der  umgebenden 
Scheiden-  und  Aussenhaut  vereinigt  werden.  Nach  gänzlicher  Abtragung  des 
Tumors  schliesst  man  die  Wunde  durch  Naht;  bei  grossen  Defecten  legt  man 
zuerst  eine  fortlaufende,  versenkte  Catgutnaht  an  (einfach  oder  in  Etagen)  und 
vereinigt  die  Hautränder  mit  Catgut  oder  Seide;  im  Nothfalle  legt  man  in 
der  Nähe  Entspannungsschnitte  an.  In  einem  Falle  fand  sich  mitten  im  Car- 
cinom ein  Abscess,  welcher  die  frische  Wunde  während  der  Exstirpation 
inficirte  und  es  nöthig  machte,  die  Nähte  am  Tage  nach  der  Operation  wieder 


CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXÜALORGANE.  141 

ZU  entfernen.  Secundär-Naht  brachte  später  Heilung'  per  priinam.  Ijoi  in- 
operablen Fällen  ist  eine  Bespülung  der  Gesdiwürstiädie  mit  dosinficirenden 
Lösungen,  oder  Bestäuben  mit  Trocken- Antisepticis  fDermatol,  .Salicylsäure, 
Borsäure)  angebracht;  gegen  das  Eczem  bestreicht  man  die  Nachbarschaft  mit 
Borvaseline.  Bei  starker  Jauchung  kann  man  die  Geschwürsfläche  mit  dem 
Ferrum  candens  verschorfen.  Die  Behandlung  wird  im  üljrigen  auf  P^rlialtun^ 
der  Kräfte  durch  entsprechende  Nahrung,  Alkohol  u.  s.  w.,  sowie  auf  .Schmerz- 
stillung (warme  Umschläge  und  Sitzbäder,  Opium,  Morphium)  gerichtet  sein. 
Eines  Versuches  werth  dürften  Injectionen  von  absolutem  Alkohol  sein, 
wie  sie  für  das  Carcinom  der  Portio  und  des  Cervix  fs.  u.)  mit  einigem  Er- 
folg ausgeführt  worden  sind. 

IL  Carcinom  der  Scheide. 

Primäres  Carcinom  der  Scheide  ist  selten;  Martin  fand  es  unter  etwa 
5000  Patientinnen  nur  4Mal,  also  bei  nicht  ganz  P/oo  der  Kranken.  Ziemlich 
häufig  ist  secundärer  Scheidenkrebs,  besonders  bei  primärem  Portio-Carcinom. 
Auifallend  oft  kommt  Scheidenkrebs  in  jugendlichem  Alter  vor  (Winckel 
citirt  einen  Fall  von  T.  Smith,  der  diese  Neubildung  bei  einem  14-monat- 
lichen,  und  einen  solchen  von  Guersant,  der  sie  bei  einem  3 V2 -jährigen  Kinde 
fand),  wenngleich  Carcinom  der  Vagina  vorwiegend  bei  Frauen  im  mittleren 
Lebensalter  auftritt. 

Pathologische  Anatomie.  Da  die  Scheide  eine  Uebergangshaut  mit 
mehrschichtigem  Pflaster-Epithel  und  ohne  Drüsen  ist,  kann  es  nur  eine  Form  von 
primärem  Scheidenkrebs  geben:  den  Pflaster-Epithelkrebs  (Cancroid).  Man 
unterscheidet  davon  auf  Grund  der  Ausbreitung  zwei  Arten:  das  papilläre  und 
das  infiltrirte  Scheidencarcinom.  Das  papilläre  Carcinom  bildet  umschriebene 
Geschwülste,  meist  von  einem  Scheidengewölbe,  manchmal  von  einem  Geschwür 
ausgehend,  welches  dort  durch  ein  Pessar  erzeugt  wurde.  An  der  Oberfläche 
zerfällt  es  meist  bald,  während  die  Bänder  wie  bei  anderen  Cancroiden  stellen- 
Aveise  umgeworfen  und  meist  sehr  derb  sind.  Das  infiltrirte  Carcinom  bleibt 
flacher,  ergreift  die  Scheide  allmälig  in  so  grosser  Ausdehnung,  dass  diese 
zu  einem  starrwandigen  Rohr  umgewandelt  wird  und  bildet  oberfläclilich  eben- 
falls ausgedehnte  Ulcerationen,  „so  dass  die  Schleimhaut  wie  geschunden  aus- 
sieht" (Schroeder).  Urethra,  Blase  und  Rectum  können  secundär  erkranken 
und  es  kommen  dadurch  Fistelbildungen  in  diese  Organe  hinein  zu  Stande; 
meist  wird  auch  bald  die  Portio  ergriffen  oder  die  Neubildung  localisirt  sich 
hauptsächlich  auf  die  Urethralgegend:  periurethrales  Scheidencar- 
cinom. 

Symptome  und  Verlauf.  Die  Symptome  sind  jenen  des  Portio- 
Cancroids  ähnlich:  Anfangs  blutigseröser,  später  blutiger  und  jauchender  Aus- 
fluss,  Schmerzen  im  Kreuz  und  den  Genitalien,  bei  Erkrankung  des  periure- 
thralen und  periproctalen  Gewebes  Compressions-Erscheinungen ;  auch  die  Ure- 
teren  können  comprimirt  werden  und  dadurch  Stauungen  in  den  Harnleitern  und 
Nierenbecken  mit  ihren  Folgen  auftreten.  Meist  schreitet  die  Erkrankung  sehr 
rasch  vorwärts;  auch  die  retroperitonealen  Lymphdi'üsen  erkranken  carcinomatös; 
die  Kranken  verfallen  und  können  toxisch  oder  an  Metastasen  zu  Grunde 
gehen. 

Für  die  Diagnose  gilt  das  beim  Vulva- Carcinom  Gesagte. 

Die  Prognose  ist  schlecht,  Recidive  sind  auch  nach  anscheinend  fi'üh- 
zeitigen  Operationen  häufig,  jedoch  sind  Radicalheilungen  beschrieben  worden. 

Therapie.  Natürlich  ist  thunlichst  frühzeitige  Entfernung  der  Ge- 
schwulst mit  Messer  und  Scheere  nöthig.  Am  besten  ist  es,  den  Tumor  zu 
umschneiden  und  dann  stumpfe  Ablösung  von  der  Unterlage  zu  versuchen. 
Man  wird  sich  aber  auch  vor  unbeabsichtigter  oder  absichtlicher  Verletzung 
des  Douglas-Peritoneum,    der   Urethra    und    des    Rectum   nicht   zu    scheuen 


142  CARCINOM  DER  ^YEIBLICHEM  SEXUALORGANE. 

braiiclien.  Schröder  hat  bei  infiltrirtem  Carcinom  die  ganze  Scheide  mit 
der  Portio,  einem  Handschuhiinger  ähnlich,  exstirpirt;  Rüter  hat  nach  Ab- 
tragung eines  Theiles  der  vorderen  Scheidenwand  den  Hautsaum  an  die  vor- 
her angefrischte  Vaginalportion  angenäht;  v.  Eiselsberg  entfernte  die  ergrif- 
fene Rectovaginalwand,  legte  einen  künstlichen  After  in  der  Kreuzbeingegend 
an  und  nähte,  nach  Herabziehung  des  Uterus  die  Vaginalportion  nach  aussen 
an  die  Hautoberfläche;  das  Menstrualblut  hatte  so  freien  Abfluss  nach  aussen. 
Nach  Abtragung  des  Tumors  vernäht  man  die  Wundfläche.  Bei  inoperablen 
Fällen  kann  man  die  Jauchung  und  Blutung  durch  Auskratzen  mit  scharfem 
LöÖel  und  Verschorfung  mit  dem  Glüheisen  bekämpfen.  Selbst  Recidive  nach 
Exstirpationen  sind  wiederholt  sorgfältig  abpräparirt  und  so  der  traurige  Aus- 
gang verzögert,  das  subjective  Befinden  für  einige  Zeit  gebessert  worden. 
Ausspülungen  mit  desinficirenden  Lösungen,  Ausstopfung  mit  Jodoformgaze 
bei  parenchymatöser  Blutung  sind  nützliche  Nothbehelfe.  Im  übrigen  ist 
natürlich  symptomatische  Behandlung  nöthig.  Ob  ein  Fall  operabel  oder 
inoperabel  ist,  wird  man  hauptsächlich  nach  der  fehlenden  oder  schon  ein- 
getretenen Infection  der  retroperitonealen  Lymphdrüsen  und  des  Beckenbinde- 
gewebes entscheiden.  Die  Erkrankung  von  Nachbarorganen  ist  kein  Grund 
gegen  den  Versuch  einer  Radical-Operation. 

Bei  Schwangeren  und  Kreissenden  soll  man  die  Geschwulst  exci- 
diren;  die  Geburt  kann  entweder  auf  normalem  Wege  erfolgen  oder  es  muss 
der  Kaiserschnitt  ausgeführt  werden;  dieser  kann  auch  bei  inoperablen  Fällen 
nöthig  sein.  Da  gerade  in  der  Schwangerschaft  das  Carcinom  reissende  Fort- 
schritte macht,  ist  es  besser,  bei  operablen  Fällen  sofort  die  Excision  zu 
machen  und  nicht  erst  bis  nach  der  Geburt  zu  warten. 

ni.  Uteriis-Carcinom. 

Carcinom  befällt  die  Frauen  am  häufigsten  in  der  Form  des  Gebärmutter- 
krebses: ein  Drittel  aller  an  Carcinom  gestorbenen  Frauen  litt  an  Uteruskrebs. 
Verheiratete  und  solche,  die  geboren  haben,  sind  dieser  Erkrankung  mehr 
ausgesetzt,  als  Virgines;  jedoch  auch  letztere  bleiben  nicht  von  ihr  verschont. 
Beide  Thatsachen  sprechen  eher  für  als  gegen  die  Theorie  einer  infectiösen 
Entstehung  des  Carcinoms:  Das  Geschlechtsleben  —  Cohabitation,  Geburt, 
Wochenbett,  Masturbation  —  erleichtert  das  Hineingelangen  von  infectiösem 
Material  und  schafft  durch  die  gleichzeitigen  Insulte  Orte  von  geringerer  Wider- 
standskraft. Der  Geschlechtsgenuss  erzeugt  nicht  Carcimon,  aber 
er  bereitet  den  Boden  für  dessen  Entwicklung  vor.  Aehnliches  ist 
an  anderen  Körper-Ostien,  wie  an  Mund,  Pylorus,  Rectum  und  an  solchen 
Stellen  der  Fall,  welche  Insulten  öfter  ausgesetzt  sind:  Gesicht,  Mamma.  — 
Die  Frauen  der  Weissen  erkranken  häufiger  an  Carcinom,  als  die  Frauen 
farbiger  Racen.  —  Schröder  fand  bei  seinen  Kranken  öfter  Carcinom  an  Frauen 
der  schwer  arbeitenden,  als  der  begüterten  Kreise.  —  Dem  Alter  nach  werden 
am  häufigsten  Frauen  zwischen  35  und  55  Jahren  von  Gebärmutterkrebs  be- 
fallen; man  hat  auch  schon  Mädchen  von  17  und  19  Jahren  (Schauta  und 
E.  Fränkel),  andererseits  Frauen  über  80  Jahren  mit  Uterus-Carcinom 
beobachtet.  —  Praktisch  wichtig  ist  es,  dass  man  auf  dem  Boden  von  Cervix- 
katarrh  mehrfach  Carcinom  entstehen  sah. 

Pathologische  Anatomie.  Rüge  und  Veit  unterscheiden  3  Formen  des 
Gebärmutterkrebses:  a)  Portio-,  b)  Cervix-,  c)  Corpus-Carcinom. 

a)  Portio-Carcinom. 
Die  normale  Portio  besitzt  ebenso  wie  die  Scheide  mehrschichtiges  Pflaster- 
Epithel,  aber  keine  Drüsen.     Primäres  Portio-Carcinom  wird  deshalb  nur  in 
der  Form  des  Pflasterepithelkrebses,  des  Cancroids  auftreten  können. 
Secundär  kann  vom  Cervix  aber  Drüsenkrebs  (Cylinder-Epithelcarcinom)  auf  die 


.CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXUALOROANE.  148 

Portio  übergreifen.  Ist  das  Pflaster-Epitliel  durch  (Jylinder-Ej)it]iol  verdrängt  — • 
eine  Epithel-Metaplasie,  die  man  an  der  Tortio  l)ekaniitli(;li  als  p]rosion  be- 
zeichnet —  so  kann  sich  auf  diesem  ]>oden  natürlich  auch  (.'yiiiidei-Ejjitliel- 
carcinom  bilden;  der  Ausgangspunkt  ist  aber  auch  in  diesem  Falle  doch  der 
Cervix,  beziehungsweise  die  Erkrankung  der  Cervix-Schleimhaut.  Ob  ein 
Carcinom  vom  Portio-Epithel  oder  der  Cervix-Mucosa  ausgeht,  lässt  sich  meist 
an  excidirten  Piandstücken  unterscheiden:  im  ersten  Falle  die  Verbreiterung 
des  Pflaster-Epithels,  welches  im  Berei(;h  der  Neubildung  tief  in  das  infiltrirte 
basale  Bindegewebe  hinein  Epithelzüge  und  -Zapfen  sendet;  im  letzteren  Falle 
das  Fehlen  dieser  Wucherung,  dagegen  das  Wuchern  der  iJrüsen-Epithelien 
bis  zum  völligen  A^erschluss  des  Lumens.  Ein  ganz  eigenartiges  Bild  sieht 
man  gelegentlich  bei  Cervix-Carcinom:  auf  die  carcinomatöse  Drüsen-Ent- 
artung antwortet  das  nahe  darüber  hinziehende  Pflaster-Epithel  der  Portio  durch 
Bildung  von  massig  tief  eindringenden  Epithelzügen,  welche  also  ganz  dem 
Bilde  des  Cancroids  entsprechen  und  die  sich  stellenweise  sogar  breit  um  die 
erkrankten  Drüsen  herumlegen.'"") 

Die  Entscheidung,  ob  Portio-  oder  Cervix-Carcinom  vorliegt,  hat  nicht  nur 
theoretischen,  sondern  auch  weitgehend  praktischen  Werth :  Die  Anhänger  der 
sogenannten  partiellen  Operationen  werden  ein  Portio-Cancroid  im  geeigneten 
Falle  nur  durch  hohe  Abtragung  des  Cervix,  ein  Cervix-Carcinom  aber  wohl 
stets  durch  Total-Exstirpation  des  Uterus  zu  heilen  suchen  (s.  u.  Therapie). 
In  vorgeschrittenen  Fällen  und  besonders  bei  Ulceration  der  Ptandstellen  kann 
es  aber  schwer  oder  unmöglich  sein,  zu  entscheiden,  ob  die  Erkrankung  primär 
die  Portio   oder   den   Cervix  ergriffen  hat. 

Entgegen  der  Anschauung  von  Rüge  und  Veit  ist  im  Folgenden  stets 
die  Anschauung  festgehalten,  dass  Carcinom  der  Portio,  des  Cervix  und  des 
Corpus  nur  von  Epithelien,  nicht  vom  Bindegewebe  abstammt. 

An  dieser  Stelle  mag  auch  gleich  die  von  Abel  und  Landau  vertretene  und  von 
Waldeyer  gestützte  Ansicht  erwähnt  werden,  dass  bei  Portio-Carcinom  oft  eine  sarkomatöse 
Entartung  der  Schleimhaut  des  Uterus-Körpers  (in  7  Fällen  dreimal)  vorkomme.  Dem  ist 
von  mehreren  Seiten  schon  nachdrücklich  und  auf  Grund  genauer  Untersuchungen  wider- 
sprochen worden.  Die  von  Abel  und  Landau  beschriebenen  Veränderungen  der  Corpus-Mucosa 
sind  nichts,  als  eine  interstitielle  Endometritis;  w^enn  man  die  Angaben  der  genannten 
Autoren  genau  liest,  kommt  man  nicht  zu  klarem  Einblick,  ob  sie  glauben,  dass  wirkliches 
Sarkom  dabei  so  liäufig  auftrete;  denn  was  sarkomähnhch  ist,  ist  desLaib  noch  kein 
Sarkom.  Oder  sollten  sie  gar  an  ein  gutartiges  Sarkom  glauben?  Damit  würde  jede  patho- 
logisch-anatomische Eintheilung,  Bezeichnung  und  Diagnose  unmöglich  gemacht  sein.  Dagegen 
ist  von  einigen  Autoren  bei  Portio-  und  Cervix-Carcinom  auch  ein  räumlich  davon  getrenntes 
(also  nicht  durch  einfaches  Fortwuchern  entstandenes)  Corpus-Carcinom  mit  Sicherheit 
nachgewiesen  worden.  Nicht  immer  lässt  sich  mit  Gewissheit  entscheiden,  welcher  Tumor 
der  primäre  war;  aber  man  muss  zugeben,  dass  diese  Beobachtungen  trotz  ihrer  Seltenheit 
mit  Recht  gegen  die  Vornahme  von  Theil-Operationen  geltend  gemacht  werden  können. 

Das  primäre  Portio-Cancroid  beginnt  auf  einer  Lippe,  seltener  seitlich 
an  der  Vereinigungsstelle  beider  Lippen,  als  etwas  über  das  Hautniveau  her- 
vorragender Knoten,  welcher  sehr  bald  oberflächlich  geschwürig  zerfällt,  sich 
ziemlich  rasch  vergrössert  und  breitbasig  aufsitzende  Tumoren  von  typisch 
blumenkohlähnlichem  Aussehen  bildet:  umgeworfene  Bänder,  um-egelmässig 
höckerige  Oberfläche  von  schmutzigbraum^other  Oberfläche,  welche  jaucht  und 
sowohl  spontan  als  besonders  bei  Berührung  l)lutet;  die  Blutung  ist  eine 
parenchymatöse  und  oft  äusserst  heftig.  Mit  dem  Finger  kann  man  von  dem 
Tumor  Stückchen  abbröckeln.  Die  gesunde  Lippe  ist  oft  hinter  dem  Tumor 
ganz  versteckt  und  umgreift  ihn  von  einer  Seite  her  als  schmaler  Saum;  auch 
sie  kann  von  der  Neubildung  ergriöen  werden  und  die  ganze  Portio  ist  dann 
in  einen  Tumor  verwandelt,  der  bis  und  über  Orangengrösse  erreichen  kann. 
Entsprechend  der  Abstammung  von  Pflaster-Epithel  geht  das  Cancroid  der 
Portio  am  häufigsten  auch  auf  das  gleiche  Epithel  der  Scheide  über;  es  kann 


*)  Ich  will  dieses  eigenthümliche  Vorkommen  an    anderem  Orte    näher   beschreiben. 


144  CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXÜALORGANE. 

sowohl  die  angrenzende  Scheidenliaut  selbst  carcinomatös  werden,  als  auch 
das  Portio-Carcinom  im  perivaginaleu  Bindegewebe  fortkriechen  und  Höcker 
in  den  Scheidengewölben  bilden,  die  noch  von  intacter,  glatter  Scheidenhaut 
überzogen  sind.  Viel  langsamer  als  nach  unten  schreitet  das  Portiocancroid 
im  Cervix-Gewebe  nach  oben  vor,  kann  aber  darin  Knoten  bilden  und  nach 
und  nach  den  Cervix  durch  gleichzeitigen  Zerfall  dieser  Neubildungen  auf- 
zekren. 

h)  Cervix-Carcinom. 

Es  geht  von  den  Drüsen  beziehungsweise  drüsenähnlichen  Lacunen  der 
Cervix-Schleimhaut  aus;  da  diese  mit  Cylinder-Epithel  bekleidet  sind,  ist  das 
Cervix-Carcinom  ein  echtes  Drüsen-,  beziehungsweise  Cylinderzellen- 
Carcinom.  Mikroskopisch  erkennt  man  es  in  frühen  Stadien  daran,  dass 
die  Pflaster-Epithelschicht  der  Portio  nicht  selbst  Epithelzüge  in  die  Tiefe 
schickt  (mit  Ausnahme  der  oben  erwähnten  interessanten  Fälle),  sondern  dass 
man  sieht,  wie  das  Epithel  der  Cervical-Drüsen  wuchert,  polygonal  wird,  das 
Lumen  füllt  und  wie  diese  soliden  Epithelhaufen  sich  reichlich  vermehren,  im 
Bindegewebe  und  in  den  Bindegewebszügen  der  Muscularis  in  die  Tiefe  dringen 
und  besonders  in  den  Lymphspalten  rasch  in  der  Umgebung  fortkriechen. 
Nach  unten  erreicht  es  so  das  Portio-Epithel,  welches  man  an  geeigneten 
Fällen  noch  glatt  und  unverletzt  über  den  Knoten  des  Cervix-Carcinom  hin- 
wegziehen sieht;  später  wird  es  aber  durchbrochen  oder  abgestossen  und  die 
Neubildung  zerfällt  gegen  die  Scheide  hin,  wie  sie  auch  gegen  den  Cervical- 
Canal  sehr  früh  durch  Gewebszerfall  und  Jauchung  eine  Höhle  mit  höckerigen 
Wänden  bildet.  Nach  oben  schreitet  das  Cervix-Carcinom  rascher  vorwärts  als 
nach  unten  und  ergreift  den  Uterus-Körper;  dies  geschieht  jedoch  gewöhnlich 
nicht  auf  dem  Wege  der  Schleimhaut,  sondern  im  submucösen  Binde-,  beziehungs- 
weise Muskelgewebe,  so  dass  auch  hier  der  sich  vergrössernde  Knoten  noch 
von  zwar  entzündeter,  aber  doch  nicht  carcinomatöser  Schleimhaut  des  Uterus- 
Körpers  überzogen  sein  kann.  Seitlich  werden  die  Parametrien  ergriffen, 
carcinomatös  intiltrirt  und  zwar  in  der  Form  von  derben,  manchmal  rosen- 
kranzähnlichen Strängen,  die  sich  eng  an  den  Cervix  anschliessen  und  —  sich 
verjüngend  —  gegen  die  seitlichen  Beckenwände  oder  in  der  Richtung  der 
ligg.  recto-uterina  nach  hinten  ziehen.  Auch  dies  geschieht  hauptsächlich  auf 
dem  Wege  der  Lymphgefässe,  deren  Richtung  sich  die  Infiltration  genau  an- 
schliesst.  Endlich  erkranken  schon  früh  die  retroperitonealen  Lymphdrüsen. 
Ebenso  wie  das  Portio-Carcinom,  eher  noch  häufiger  und  früher,  geht  das 
Cervix-Carcinom  auf  die  Nachbar-Organe  über;  ist  die  Blase  ergriffen,  so  kann 
es  durch  Gewebszerfall  zur  Bildung  von  Blasen-Genitalfisteln  kommen,  oder 
nach  Verlötung  des  Douglas  zur  Entstehung  von  Rectum-Genitalfisteln,  ja 
sogar  von  Blasen-Rectumfisteln.  In  Fällen  hochgradiger  Erkrankung  kann  der 
Uterus  bis  auf  einen  Rest  des  Körpers  aufgezehrt  sein;  an  seiner  Stelle  sitzt 
eine  zerfallende  Geschwulst,  welche  nach  Rectum  und  Blase  durchgebrochen 
ist  und  so  eine  jauchende,  mit  zerbröckelnden  Wänden  versehene  Cloake 
bildet.  Tuben,  Ovarien  und  Därme  sind  oben  mit  dem  peritonealen  Ueberzug 
verlötet. 

Ebenso  verhängnisvoll  wie  das  Uebergreifen  auf  Blase  und  Rectum  und 
wie  die  Infiltration  des  parauterinen  Bindegewebes  ist  das  Umwuchern  der 
Ureteren  durch  die  Neubildung.  Die  Harnleiter  werden  verengt,  der  Urin- 
abfluss  erschwert;  die  Folge  davon  ist  Dilatation  des  darüberliegenden  Theiles 
der  Ureteren  und  der  Nierenbecken,  es  entsteht  Hydro neph rose.  Der  Harn- 
abfluss  kann  ganz  gehindert  werden;  die  Niere  atrophirt  dann,  wenn  nicht  eine 
gleichzeitige  Betheiligung  der  anderen  Seite  durch  Uraemie  zum  Tode  führt. 
Die  Carcinom-Massen  können  aber  auch  in  einen  Harnleiter  einbrechen  und 
so  eine  Ureteren -Fistel  bilden.     In  seltenen  Fällen   ist  eine  (secundäre?) 


CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXUALORGANE.  145 

Carcinom-Entwicklung  in  den  Ovarien  gefunden  worden.  Ebenso  wie 
beim  Portio-Cancroid  können  endlich  Metastasen  in  entfernteren  Organen 
auftreten. 

Ob  Cervix-Carcinom  auch  vom  Obcrflächonepithel  des  Cervix  ausgehen  kann,  scheint 
nicht  festgestellt  zu  sein.  Es  ist  deshalb  pathologisch-anatomisch  gerechtfertigt,  den  Krebs 
des  Gebcärmutterhalses  nur  in  die  beiden  Formen  :  Portio-Cancroid  und  Cervix-Carcinom 
einzutheilen.  Man  kann  die  von  einigen  Autoren  aufgestellte  S.  Form  des  „carcinomatösen 
Knotens  des  Cervix"  ebenso  entbehren,  wie  z.  B.  die  von  Pozzi  benützte  Eintheilung  in 
papilläre,  noduläre,  cavitäre,  liminäre  und  noch  einige  andere  seltene  Formen. 

Nach  dem  Verhalten  zum  Bindegewebe  kann  man  wieder  M  arks  c  h wamni, 
Scirrhus  und  infiltrirtes  Carcinom  des  Cervix  unterscheiden.  iJiese 
Formen  sind  aber  nur  durch  quantitative  Unterschiede  des  Gehaltes  an  Epi- 
thelnestern und  Bindegewebe  gekennzeichnet. 

Kurz  mögen  noch  die  sonst  an  Portio  und  Cervix  beobachteten  malignen 
Neubildungen  erwähnt  sein:  Sarkom,  selten,  mikroskopisch  an  der  Zusam- 
mensetzung aus  bindegewebigen  Rund-  oder  Spindelzellen  erkennbar;  inter- 
essant ist  die  Form  des  traubenförmigen  Sarkoms  des  Cervix:  sie  ist 
ausgezeichnet  durch  die  Bildung  von  traubenähnlichen  Massen,  die  an  eine 
Blasenmole  erinnern  und  aus  Sarkom  mit  myxomatöser  Entartung  bestehen. 
Nach  operativer  Entfernung  scheinen  bisher  stets  Recidive  erfolgt  zu  sein.  — 
Adenom  und  Adenom yxom  des  Cervix;  selten;  mikroskopisch  gekenn- 
zeichnet durch  Neubildung  von  Drüsen,  die  in's  Nachbargewebe  einbrechen 
und  (im  2.  Falle)  mit  gallertigem  Schleim  gefüllt  sind.  Auch  dieser  Tumor 
scheint  nach  der  Exstirpation  meist  zu  recidiviren.  —  Myxom a  enchondro- 
matodes  und  Fibroma  papilläre  cartilaginescens,  sehr  selten,  aus- 
gezeichnet durch  das  in  der  Geschwulst  enthaltene  Knorpelgewebe;  in  zwei 
Fällen  nach  Operation  jedesmal  Recidiv,  Tod.  —  Carcinom,  auf  Myome 
übergehend,  nicht  allzu  selten. 

C.  Corpus-Carcinom. 

Es  ist  viel  seltener  als  die  beiden  ersten  Formen.  Schrödee  fand  unter 
812  Fällen  von  Uteruskrebs  28mal  primäres  Corpuscarcinom  =  o"4%,  Schatz 
in  80  Fällen  2mal  =  2'57o-  Entsprechend  einigen  Beobachtungen  der  jüngsten 
Zeit  muss  man  zwei  Formen  des  primären  Corpus-Carcinoms  unterscheiden: 
1.  das  von  den  Drüsen  der  Körperschleimhaut  ausgehende,  also  das  Drüsen- 
(oder  Cylinderzellen-)  Carcinom  und  2.  jene  äusserst  seltene  Form,  bei 
w^elcher  das  oberflächliche  Cylinder-Epithel  sich  in  Pflasterepithel  umgewandelt 
hat  und  von  dem  letzteren  ein  Carcinom  ausgeht:  also  echtes  Cancroid  des 
Uterus -Körpers.  Den  üebergang  zwischen  beiden  Formen,  die  klinisch 
gleichwertig  zu  sein  scheinen,  vermittelt  Hofmeiee's  Beobachtung,  dass  auch 
bei  der  ersten  Form  das  Oberflächen-Epithel  stellenweise  polygonal  und  viel- 
schichtig w^erden  kann.  Je  nach  der  Ausdehnung  kann  man  auch  eine 
diffuse  Form  unterscheiden,  bei  w'elcher  die  ganze  Körperschleimhaut 
ergriften  ist,  und  eine  cir  cum  Scripte  Form,  bei  der  es  zur  Bildung 
polypöser  Wucherungen  kommt. 

Das  Körper-Carcinom  bildet  ziemlich  weiche  Geschw^ulstmassen,  die  an 
der  Oberfläche  grosse  Neigung  zum  Zerfall  haben  und  dadurch  heftige  Blu- 
tung verursachen.  Nach  der  Tiefe  zu  dringt  die  Neubildung  in  die  Muscularis 
ein  und  bildet  hier  metastatische  Knoten.  Selten  wird  der  Bauchfellüberzug 
durchbrochen,  bevor  durch  Verlöthung  mit  Nachbarorganen  eine  Art  Ab- 
kapselung gegen  die  Bauchhöhle  geschaffen  w^m'de.  So  kann  das  Carcinom  auf 
Därme,  Tuben  und  Ovarien  übergreifen,  wie  es  auch  nach  unten  auf  den 
Cervix,  nach  vorn  und  hinten  auf  Blase  und  Mastdarm,  seitlich  auf  das  para- 
metrale  Bindegewebe  übergeht.  Das  Körpercarcinom  entwickelt  sich  viel  lang- 
samer als  der  Krebs  der  Portio  und  des  Cervix;  es  führt  auch  viel  langsamer 

Bibl.  med.  Wissenschaften,  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  10 


146  CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXÜALORGANE. 

zur  Erkrankung  der  Naclibarorgane  und  zu  Metastasen;  die  Prognose  ist  da- 
durch besser. 

Adenome  und  Sarkome  des  Uterus-Körpers  sind  selten  und  klinisch 
wohl  nicht  von  Carcinom  zu  unterscheiden;  vielleicht  bildet  das  Sarkom  ge- 
legentlich grössere  Geschwulstmassen,  als  das  Carcinom.  Mikroskopisch  ist 
die  Unterscheidung  leichter:  beim  Adenom  besteht  der  Tumor  fast  ganz  aus 
den  massenhaft  neugebildeten,  langen  Drüsenschläuchen,  die  ausnahmslos  ihr 
Lumen  l)esitzen  und  regenwurmähnlich  aufgeknäuelt  sind.  Das  interglandu- 
läre Bindegewebe  ist  auf  ein  Minimum  geschmolzen  und  kann  so  spärlich 
sein,  dass  man  im  Zweifel  ist,  ob  man  an  einzelnen  Stellen  das  Drüsenlumen 
oder  das  kaum  erkennbare  Bindegewebe  zwischen  den  Epithel-Reihen  sieht. 
Das  Sarkom  besteht  aus  Rund-  oder  Spindelzellen,  zwischen  welchen  man 
nur  an  den  Randpartien  des  Tumors  noch  Reste  der  Mucosa  mit  Drüsen,  so- 
wie der  Muscularis  sieht. 

Portio-  und  Cervix-Carcinom  können  auch  bei  Schwangeren 
gefunden  werden;  wenn  es  sich  auch  nur  um  frühere  Stadien  handelt,  in 
welchen  die  Gravidität  eintrat,  so  kann  —  begünstigt  durch  den  Blutreich- 
thum  und  die  GewebsauÜockerung  —  der  Tumor  doch  ausserordentlich  rasch 
während  der  Schwangerschaft  wachsen.  Es  mag  hier  gleich  erwähnt  werden, 
dass  für  die  Therapie  mehrere  Möglichkeiten  bleiben:  in  den  drei  ersten 
Monaten  bei  operablen  Fällen  Abtragung  der  Portio  oder  vaginale  Total- 
Exstirpation  des  schwangeren  Uterus;  später  FßEUND'sche  Operation;  eventuell 
noch  Sectio  Caesarea.  Bei  inoperablen  Fällen  palliative  Behandlung 
(s.  u.)  und  Abwarten  spontaner  Entbindung,  oder  —  falls  diese  wegen  Grösse 
und  Beschaffenheit  des  Tumors  unmöglich  —  ebenfalls  Kaiserschnitt. 

Diagnose  des  Uterus-Carcinoms.  Die  klinische  Diagnose  aller  drei 
Formen  des  Uterus-Carcinoms  stützt  sich  auf  Anamnese,  Gesichts-  und  Tast- 
betund  sowie  mikroskopische  Untersuchung.  Die  letztere  muss  in  zweifelhaften 
Fällen  stets  zu  Hilfe  gezogen  werden,  und  es  ist  nöthig,  zu  diesem  Zwecke 
Stückchen  der  Neubildung  auszuschneiden,  mit  Finger  oder  Curette  beziehungs- 
weise scharfem  Löffel  auszuschaben,  w^enn  nicht  spontan  ausgestossene  Stücke 
die  mikroskopische  Diagnose  ermöglichen. 

Das  Portio-Cancroid  kann  im  Beginne  mit  Papillomen,  spitzen  Con- 
dylomen, Ulcus  und  Erosion  der  Portio  sowie  mit  Sarkom  verwechselt  werden. 
Für  Cancroid  kennzeichnend  ist  die  Bildung  von  Knoten,  die  an  der  Ober- 
fläche zerfallen,  und  das  Vorhandensein  einer  blumenkohlähnlichen  Geschwulst: 
umgew^orfene  Ränder,  höckerige,  leichtblutende,  zerbröckelnde  Oberfläche. 
Gutartige  Papillome,  also  echte  Warzen  der  Portio  sind  sehr  selten,  meist  von 
intacter  Haut  überzogen  und  machen  fast  keine  Symptome;  Erosion  der 
Portio  tritt  nicht  als  Tumor,  sondern  als  umschriebene,  scharlachrote,  im  oder 
unter  dem  Niveau  der  Portio,  selten  darüber  flach  und  seicht  vorragende, 
feinkörnige  Fläche  auf.  Immerhin  kann  eine  papilläre  Erosion  kleinhöckerige 
Wucherungen  vortäuschen;  nur  das  Mikroskop  bringt  dann  Aulldärung.  Ul- 
cera  der  Portio,  sowol  luetische  als  solche,  die  durch  Pessare  etc.  erzeugt 
sind,  unterscheiden  sich  vom  Cancroid  ebenfalls  dadurch,  dass  sie  Substanz- 
defecte,  nicht  Neubildungen  vorstellen;  Granulationen  erschweren  aber  auch 
hier  die  Diagnose.  In  späteren  Stadien  kann  das  Portio-Cancroid  mit  halb- 
geborenen, gangränösen  Myomen  kaum  verwechselt  werden;  denn  ersteres  ist 
höckerig,  zerbröckelnd,  letztere  sind  im  Allgemeinen  glatt,  nur  am  untersten, 
am  meisten  gangränösen  Pol  zerfetzt  und  matsch,  aber  nicht  zerbröckelnd. 

Das  Cervix-Carcinom  kann  im  Beginn  beträchtliche  diagnostische 
Schwierigkeiten  machen.  Bei  bimanueller  Untersuchung,  besonders  wenn  man 
einen  oder  zwei  Finger  in's  Rectum  einführt,  fühlt  man  die  Auftreibung  des 
Cervix  zu  einem  Tumor,  dem  der  Uterus-Körper  als  schlanker,  kleinerer  Teil 
wie  ein  Anhängsel  aufsitzt.     Von  der  Scheide  aus  sieht  und  fühlt  man  durch- 


CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXÜALORGANE.  147 

aus  nicht  immer  die  Neubildung;  die  Portio  kann  mit  intacter  Scheidenhaut 
tiberzogen  sein,  nur  erscheint  die  ergriffene  Lippe  autgetrieben,  plump,  cyanotisch 
verfärbt.  Mit  Sonde  oder  Finger  gelangt  man  jedoch  statt  in  den  engen 
Cervical-Canal  in  eine  mehr  weniger  weite  Höhle  mit  zerfressenen,  leicht  blu- 
tenden, unregelmässig  höckerigen  Wänden,  von  welchen  man  Stückchen  ab- 
bröckeln kann.  Ist  das  orificium  externum  zu  eng,  so  erweitert  man  es  mit 
Jodoformgaze  oder  durch  Quellstifte  oder  durch  seitliche  Incisionen.  Sehr 
schwierig,  wenn  nicht  unmöglich  kann  die  Unterscheidung  des  Cervix-Catarrhs 
mit  papillären  Schleimhaut-Wucherungen  vom  beginnenden  Cervix-Carcinom 
sein.  Das  Mikroskop  muss  auch  hier  die  Diagnose  sichern.  In  späteren 
Stadien  ulceriren  allerdings  Carcinome  regelmässig,  Cervix-Catarrhe  aber  nicht; 
bei  letzteren  kann  auch  das  Vorhandensein  von  Eetentions-Cysten  (Ovula  Na- 
bothi)  die  Diagnose  erleichtern  helfen.  Auch  Myome  können  von  der  be- 
nachbarten Schleimhaut  aus  carcinomatös  erkranken.  Diese  Complication  wird 
man  oft  erst  bei  oder  nach  der  Operation  entdecken,  die  man  wegen  des 
Myoms  vorgenommen  hat. 

Das  Carcinom  des  Uteruskörpers  bildet  anfangs  eine  ziemlich 
gleichmässige  Vergrösserung  des  Corpus  uteri,  dessen  01)erfläche  man  leicht 
uneben  aber  auch  ganz  glatt  findet.  Das  rasche  Wachsthum  und  die  Prallheit 
spricht  für  Carcinom;  die  Unterscheidung  von  interstitiellem  und  submucösem 
Myom  kann  aber  so  schwer  sein,  dass  eine  Dilatation  des  Cervix  aus  zwei 
Gründen  nötig  wird:  Austastung  des  Uterus-Innern  und  Ausschabung  von 
Gewebsstücken. 

Symptome.  Bei  allen  drei  Formen  steht  im  Vordergrund  der  Sym- 
ptome die  unregelmässige  Blutung,  welche  unterbrochen  wird  durch  fleisch- 
wässerigen Ausfiuss,  später  aber  complicirt  ist  mit  Jauchung.  Die 
oft  geradezu  furchtbare  Jauchung  macht  den  Angehörigen  und  Pflegern  das 
Zusammensein  mit  der  unglücklichen  Kranken  manchmal  fast  unerträglich 
und  erhöht  so  das  Bejammernswerthe  der  Lage.  Bei  Erwachsenen  muss  des- 
halb jede  Unregelmässigkeit  der  Menses,  bei  Frauen  nach  der  Menopause  das 
Wiederauftreten  von  Blutungen  zur  genauesten  Untersuchung  veranlassen.  Am 
frühesten  und  stärksten  treten  Ausfiuss,  Blutung  und  auch  Jauchung 
beim  Portio-Carcinom,  später  bei  den  zwei  anderen  Formen  auf.  Das  Cervix- 
Carcinom  kann  sich  so  schleichend  entwickeln,  dass  selbst  intelligente  Frauen 
erst  dann  auf  ein  bestehendes  Leiden  aufmerksam  werden,  wenn  schon  die 
Parametrien  erkrankt  sind  und  eine  Ptadical-Operation  unmöglich  ist.  Die  Cer- 
vix-Carcinome  sind  deshalb  ganz  besonders  zu  furchten.  Je  stärker  die  Krebs- 
wucherung, desto  reichlicher  die  Blutung,  wenn  sie  auch  wol  nie  unmittel- 
bar und  allein  zum  Tode  führt;  bindegewebsreiche,  harte  Carcinome  pflegen 
weniger  stark  zu  bluten. 

Die  Schmerzen  sind  anfangs  gering,  nicht  genau  localisiil  und  von 
den  Beckenorganen  nach  dem  Kreuz,  dem  Blasenhals  und  den  Schenkeln  aus- 
strahlend. Erst  bei  vorgeschrittener  Erkrankung  und  ganz  besonders,  wenn 
das  Beckenbindegewebe  carcinomatös  erkrankt  ist,  treten  heftige,  anfallsweise 
durchschiessende  (1  a nein ir ende)  Schmerzen  auf. 

Der  Durchbruch  nach  der  Blase  führt  zu  Fistelbilduug,  Blasenkatarrhen, 
aufsteigender  Ureteritis,  Pyelonephritis  und  abscedirender  Nephritis;  diese 
letzteren  Erkrankungen  können  ebenso  wie  die  Dilatation  der  Ureteren  und 
die  Hydronephrose  eine  Folge  der  Compression  der  Harnleiter  sein.  Seitens 
des  Mastdarms  kann  sowol  Verstopfung  als  Diarrhoe,  nach  Dui'chbruch  des 
Carcinoms  Fistelbildung  eintreten. 

Das  Allgemeinbefinden  kann  anfangs  —  so  besonders  bei  Cernx- 
Carcinom  —  auffallend  gut  sein.  Mit  Eintritt  grösseren  Gewebszerfalls  und 
infolge  der  Blutungen  wird  es  aber  stark  beeinträchtigt  und  es  entwickelt  sich 
langsam  das  Bild  der  Krebscachexie,  welche  —  unterstützt  dui'ch  Harnstauung, 

10* 


148  CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXÜALORGANE. 

Metastasen  in  anderen  Organen,  Pneumonie,  Peritonitis  u.  s.  w.,  endlich  zum 
ersehnten  Tode  führt.  Meist  sind  die  unglücklichen  Kranken  in  den  letzten 
Lebenstagen  durch  zunehmende  Apathie  und  Somnolenz  dem  Bewusstsein  ihrer 
entsetzlichen  Lage  entrückt.  Portio-  und  Cervix-Carcinom  führen  in  1 — P/s 
Jahren,  selten  langsamer  zum  Tode;  Körper-Carcinome  sollen  4  und  5  Jahre 
lang  bestehen  können. 

Prognose.  Mit  einem  nicht  unberechtigten  Stolze  darf  man  sagen, 
dass  die  Prognose  des  Uterus-Carcinoms  mit  der  zunehmenden  diagnostischen 
und  operativen  Ausbildung  der  Aerzte  sichtlich  besser  wird,  ganz  besonders, 
^Yenn  intelligente,  dem  Kurpfuscherthum  abholde  Patientinnen  sich  zu  frühzeitiger 
Befragung  des  Arztes  entschliessen.  Die  Procentzahlen  der  endgiltig  Geheilten 
werden  in  letzter  Zeit  grösser;  das  Einzelne  darüber  ist  bei  der  Therapie 
mitgetheilt.  —  Die  Prognose  ist  bei  Portio-  und  Corpus-Carcinom  besser  als 
bei  Cervix-Carcinom.  Trotzdem  ist  die  Zahl  der  Geheilten  im  Gegensatze  zu 
jenen,  die  inoperabel  in  die  Sprechstunde  des  Arztes  kommen,  noch  immer 
eine  erschreckend  grosse;  und  nicht  stets  ist  mangelnde  Selbstbeaufsichtigung 
der  Frauen,  sondern  mehr  noch  das  schleichende  Auftreten  der  Erkrankung 
die  Ursache.  Wenn  man  also  z.  B.  hört,  dass  unter  Schröder's  und  Hof- 
meier's  Operirten  über  41%  nach  4  Jahren  noch  recidivfrei  und  gesund  blieben, 
so  drückt  diese  Zahl  leider  nicht  die  Procentzahl  der  überhaupt  geretteten 
Carcinomkranken  aus:  denn  weitaus  mehr  Frauen,  als  operirt  wurden,  konnten 
dem  Versuche  einer  radicalen  Operation  gar  nicht  mehr  unterworfen  werden. 

Therapie.  Die  Behandlung  des  Uterus-Carcinoms  muss  auf  gänzliche 
Entfernung  der  Neubildung  gerichtet  sein.  Technisch  ist  diese  Forderung 
zur  Zeit  nur  erfüllbar,  wenn  das  Carcinom  auf  den  Uterus  beschränkt  ist. 
Eine  Gegenanzeige  für  den  Versuch  radicaler  Exstirpation  liegt  also  in 
der  Erkrankung  benachbarter  Organe,  vor  Allem  auch  der  Parametrien.  Die 
geringere  Beweglichkeit  des  Uterus  kann  heute  nicht  mehr  als  Contraindica- 
tion  einer  Kadical-Operation  betrachtet  werden,  ebensowenig  die  Grösse  des 
Uterus.  Bevor  man  die  Möglichkeit  und  die  Art  des  Eingriffes  bestimmt,  ist 
eine  genaue  bimanuelle  Abtastung  des  Uterus  und  der  Anhänge  nöthig;  Un- 
tersuchung vom  Piectum  aus,  in  schwierigen  Fällen  Anwendung  der  Narcose 
sind  unerlässlich.  Besonders  sorgfältig  muss  man  die  Parametrien  und  die 
Ligg.  recto-uterina  abtasten.  Metastasen  in  denselben  erkennt  man  als  derbe, 
oft  rosenkranzähnlich  gewulstete  Stränge,  die  unmittelbar  vom  Uterus  in  der 
Höhe  des  Cervix  abgehen.  Exsudat-Keste  und  parametritische  Schwarten 
können  allerdings  damit  verwechselt  werden.  Ist  die  Entscheidung,  ob  Me- 
tastase oder  Schwarte,  nicht  möglich,  so  wird  man  sich  aus  3  Gründen  lieber 
zur  Operation  entschliessen:  sie  bietet  die  letzte  Hoffnung  auf  Radical-Heilung, 
selbst  beim  Eintreten  von  Recidiven  können  Monate  gewonnen  werden,  und 
die  Ptecidive  verlaufen  manchmal  unter  geringeren  subjectiven  Beschwerden, 
als  der  primäre  Tumor,  besonders  wenn  sie  sich  hinter  der  giattgeheilten 
Vagina  entwickeln  und  nicht  oder  doch  erst  spät  jauchig  zerfallen. 

Die  sacrale  Methode  (s.  u.)  bietet  vielleicht  Aussicht,  auch  kleine  Me- 
tastasen in  den  Parametrien  mit  entfernen  zu  können. 

Operations-Metlioden  bei  operablen  Carcinoiiien. 

Es  kommeu  hauptsächUch  4  Methoden  iu  Betracht:  Hohe  Amputation,  vaginale 
Total-Exstirpation,  Exstirpation  nach  Laparotomie  und  nach  Sacral-Schuitt.  Diese 
4  wichtigsten  Methoden  erfuhren  einige  Aenderungen  und  Ergänzungen,  welche 
am  Schkisse  besprochen  werden, 

1  Hohe  Amputation.  Sie  ist  nur  bei  Portio-Carcinomen  in  frühen  Stadien 
anwendbar;  für  diese  Fälle  wird  sie  aber  von  der  Schröder' sehen  Schule  mit 
vollem  Rechte  festgehalten.  Für  die  Operation  spricht  die  Thatsache,  dass  Portio- 
Cancroide  sehr  langsam  nach  oben  wachsen;  und  was  die  Erkrankung  der  Anhänge 


CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXUALORGANE.  149 

betrifft,  so  kann  diese  vor  der  liohen  Amputation  ebenso  scliwer  als  vor  der  Total- 
Exstirpation  feststellbar  sein.  Für  die  partielle  Operation  s])riclit  ferner  die  Er- 
haltung eines  Theiles  des  Uterus,  sowie  der  Tuben  und  Ovarien :  die  (Jperirten  sind 
nicht  geschlechtslos,  ja  es  besteht  sogar  die  Möglichkeit  einer  Conception.  Gegen 
die  hohe  Amputation  wird  vor  Allem  geltend  gemacht,  dass  bei  Portio-Carcinom 
räumlich  getrenntes  Corpus-Carcinom  vorkommen  könne;  das  ist  richtig,  aber  die 
Zahl  der  sicher  beobachteten  Fälle  ist  eine  äusserst  geringe.  Immerhin  macht  eine 
Reihe  von  Operateuren  grundsätzlich  nur  die  Total-Exstirpation  bei  Uterus-Krebs. 
Die  Technik  der  hohen  Amputation  ist  folgende  :  Desinfection  der  Vulva  und 
Scheide  (s.  ^^  Antisepsis  bei  gynäkol.  Operationen'^  ds.  Bd.par/.  f)0)  durch  gründliches  Aus- 
seifen und  Auswischen  mit  3°/o  Carbollösung;  ist  Jauchung  und  Gewebszerfall  vorhanden, 
so  wird  man  einige  Tage  vorher  die  Geschwulst  mit  scharfem  Löffel  ausräumen  und 
mit  Glüheisen  verschorfen.  Zur  Operation  selbst  legt  man  die  Portio,  bez.  den 
Tumor  mit  Platten-Speculis  gut  frei,  fasst  den  Tumor  mit  einer  oder  mehreren 
MuzEux'schen  Zangen  oder  schlingt  die  Portio,  wenn  die  Zangen  im  brüclngeu  Ge- 
webe ausreissen,  mit  starkem  Faden  au.  Während  man  die  gefassten  Theile  kräftig 
zur  Seite  zieht,  umschneidet  man  die  Portio  breit  im  Gesunden  mit  dem  Messer 
und  löst  jetzt  den  Cervix  stumpf  mit  dem  Finger  vorn  und  hinten  los;  ist  vorn  die 
Blase  ein  Stück  weit  abgedrängt,  so  umsticht  man  das  seitliche  Gewebe  unter  Lei- 
tung eines  Fingers  mit  der  ÜEscHAMPs'schen  Nadel  und  bindet  mit  starker  Seide  die 
gefasste  Partie  ab.  Nun  durchschneidet  man  die  letztere  gegen  den  Uterus  hin.  Die 
Ureteren  vermeidet  man  am  besten,  wenn  man  sich  stets  nahe  dem  Cervix  hält,  den 
man  ja  als  derben  Körper  durchfühlt.  Indem  man  so  auf  der  einen,  dann  auf  der 
anderen  Seite  unterbindet  und  abschneidet,  wird  der  Cervix  allmälig  ganz  frei  und 
man  durchtrennt  nun  hoch  über  dem  Tumor  das  gesunde  Cervix-Gewebe  quer  mit 
dem  Messer;  am  besten  geschieht  dies  erst  vorn,  und  man  vernäht  sofort  den  Wund- 
rand der  Scheidenhaut  mit  der  Cervix-Mucosa;  dann  schneidet  man  hinten  den  Cervix 
durch  und  vernäht  ebenso  Scheidenhaut  mit  Cervix-Schleimhaut.  Es  kann  beim  Aus- 
präpariren  nöthig  werden,  den  Douglas  zu  eröffnen;  mau  schliesst  ihn  dann  nach- 
träghch  mit  Seidennähten.  Die  Fäden  der  seitlichen  Anhänge  leitet  mau  in  den 
Winkeln  der  Scheidenwamde  heraus.  Die  Fäden  lässt  man  etwas  lang,  um  sie  später 
leicht  entfernen  zu  können.  In  die  nochmals  mit  Sublimat  ausgewischte  Scheide 
kann  man  Jodoform-Gaze  einlegen.  Die  seitlichen  Unterbindungsfäden  stossen  sich 
mit  dem  nekrotischen  unterbundenen  Gewebe  meist  nach  8 — 10  Tagen  spontan  ab, 
die  Nähte  der  Scheiden-Cervix- Wunde  entfernt  man  am  12. — 14.  Tage.  Die  Ope- 
rirten  dürfen  am  14.  Tage  aufstehen,  und  man  kann  sie  meistens  3  Wochen  nach 
der  Operation  geheilt  entlassen.  Als  Complication  kommen  Nachblutungen  vor,  die 
man  durch  Umstechung  und  Gaze-Tamponade  der  Scheide  stillt,  und  Eiterungen, 
welche  ein  früheres  Entfernen  einzelner  Nähte  nöthig  machen.  Todesfälle  in  Folge 
der  Operation  selbst,  früher  durch  Infection  manchmal  verursacht,  kommen  bei  pein- 
licher Asepsis  und  Antisepsis  jetzt  seltener  vor:  Hofmeier  gibt  dafür  folgende  Zahlen: 

Bis  1887  141  hohe  Amputationen  mit  10  Todesfällen 

nach  MöMMSEN  bis  1890  82      „  „  „        2  „ 

Hofmeier  selbst 

machte  bis  1892  30     „  „  „0  „  . 

Die  Enderfolge  der  Operation  sind  später  neben  jenen  der  Total-Exstirpatiou  mit> 
getheilt. 

Man  hat  die  partielle  Operation  bei  Portio-Cancroid  als  infravaginale  und  supra- 
vaginale Amputation  ausgeführt;  bei  ersterer  wird  einfach  die  Portio  unter  dem  Scheideu- 
gewölbe  flach  oder  keilförmig  abgetragen;  die  letztere  ist  eben  die  hohe  Amputation.  Die 
infravaginale  Abtragung  erscheint  unsicherer  im  Enderfolg  und  wird  deshalb  besser  ganz 
durch  die  hohe  Amputation  ersetzt. 

2.  Vaginale  Total-Exstirpation  des  Uterus  (Exstirpatio  uteri 
totalis  vaginalis).  Sie  ist  angezeigt  bei  vorgeschrittenem  Portio-Cancroid,  bei 
allen  Cei'vix-  und  Coi'pus-Carcinomen,  natürlich  ebenso  bei  Adenomen  und  Sarkomen, 


150  CARCINOM  DER  ^YEIBLICHEN  SEXUALORGANE. 

■wie  sie  aucli  bei  nicht  zu  grossen  Myomen    ausgeführt  wird,  welche  einen  radicalen 
Eingriff  erfordern. 

Die  Vorbereitung  ist  die  gleiche,  wie  bei  der  hohen  Amputation;  stark  jau- 
chende Cervix-Carcinome  kann  man  ebenfalls  vorher  auslöffeln  und  verschorfen,  oder 
man  näht  oder  bindet  die  Portio  zu,  damit  während  der  Operation  nicht  Jauche  in 
die  Bauchhöhle,  gelangt.  Winter  fordert  mit  vollem  Recht  vor  der  Operation  thun- 
lichste  Zerstörung  der  Tumor-Massen,  am  besten  durch  Glühhitze,  um  das  Auftreten 
von  Impf-Recidiven  möglichst  einzuschränken.  Der  Beginn  des  Eingriffes  ist 
der  gleiche,  wie  bei  der  supravaginalen  Amputation:  Umschneidung  der  Portio,  vorn 
und  hinten  stumpfes  Auslösen  des  Cervix;  Unterbinden  und  Abschneiden  der  seitlichen 
Anhänge.  Im  weiteren  Verlaufe  kommt  es  aber  naturgemäss  stets  zur  Eröffnung  derPerito- 
nealhöhle  vorn  und  hinten.  Zum  Schutz  des  Bauchfelles  legt  man  nach  Eröffnung  des  Dou- 
glas hinten  einen  an  starkem  Faden  befestigten  Schwamm  in  die  Bauchhöhle;  die  Tuben 
und  Ligg.  rotnnda,  lata  und  ovarica  werden  nach  genügend  hoher  Abschneidung  des  seit- 
lichen Bindegewebes  unter  Leitung  eines  herumgeführten  Fingers  ebenfalls  unter- 
bunden, nahe  dem  Uterus  abgeschnitten,  der  nun  auf  einer  Seite  freie  Uterus  vor 
die  Vulva  gewälzt  und'  jetzt  unter  Leitung  der  Augen  auch  die  andere  Seite  unter- 
bunden und  abgeschnitten.  Die  Unterbiudungsfäden  bleiben  zunächst  lang;  Tuben 
und  Ovarien  entfernt  man  nach  Unterbindung  der  Bauchfellduplicatur  ebenfalls,  wenn 
sie  nicht  allzu  schwer  zu  erreichen  und  nicht  durch  Adhäsionen  stark  fixirt  sind; 
in  diesem  Falle  lässt  man  sie  zurück,  falls  sich  nicht  Metastasen  daran  finden.  Nun 
legt  mau  durch  die  Ränder  der  Scheidenwunde  derart  von  vorn  nach  hinten  Seiden- 
nähte, dass  man  das  Peritoneum  dazwischen  fasst;  die  Stümpfe  der  Anhänge  werden 
in  die  seitlichen  Wundecken  eingenäht  und  jetzt  nach  Entfernung  des  Bauchschwammes 
erst  die  Nahtfäden  geknotet.  Nachbehandlung  wie  bei  der  hohen  Amputation.  Von 
Zufällen  bei  der  Operation  sind  die  Verletzungen  der  Blase  und  der  Ure- 
ter en  am  unangenehmsten.  Erstere  schliesst  man  sofort  oder  nach  einigen  Wochen 
durch  Naht,  wenn  nicht  Recidive  des  Tumors  in  der  Umgebung  eingetreten  sind.  Unter- 
b in  düng  eines  Ureters  macht  früheres  Entfernen  der  Nähte  nothwendig,  was  umso 
leichter  geschehen  kann,  als  einige  Operateure  die  Scheide  ohnedies  nicht  vernähen  und 
doch  gute  Resultate  erzielen.  Bei  Verletzung  eines  Ureters  kann  später  die  Anlegung 
einer  Blaseuscheidenfistel  und  ebnere  Obliteration  der  Scheide  nöthig  werden  (vide 
„Blasenkrankheiten'''  paglOö.).  Treten  keine  Complicationen  ein  —  und  diese  sind  relativ 
selten  —  so  trift't  der  Ausspruch  Schrödeb's  zu:  „Die  Operirten  liegen  da,  wie 
normale  Wöchnerinnen."  Man  sieht  ihnen  im  Gegensatze  zu  den  meisten  Laparoto- 
mirten  die  Grösse  des  Eingriffes  nicht  an. 

RiCHELOT  hat  eine  Anwendung  dieses  Verfahrens  eingeführt,  die  allerdings  eine 
bedeutende  Abkürzung  der  Operationsdauer  ermöglicht:  er  unterbindet  nicht,  sondern 
fasst  die  seitlichen  Anhänge  in  eigens  construirte  Klemmen  (vide  ^^Instrumentarium  in 
der  Gynäkologie'-^),  welche  nach  48  Stunden  entfernt  werden.  Seine  Methode  wird 
nur  von  wenigen  deutscheu  Operateuren  angewandt,  denn  sie  be\wkt  keine  exacte 
Blutstillung,  Nachblutungen  kommen  leichter  vor  und  die  Klemmen  machen  oft  fast 
unerträgliche  Schmerzen:  Hofmeiek  legt  mit  Recht  neben  peinlicher  Anti-,  bez.  Asepsis 
und  guter  Freilegung  des  Operationsfeldes  auf  sichere  Unterbindung  der  Parametrien 
das  Hauptgewicht.  Anderseits  können  aber  bei  Nachblutungen  die  Richelot' sehen 
Klemmen  vortheilhaft  zur  Blutstillung  angewendet  werden. 

Ergebnisse  der  partiellen  und  totalen  Exstirpation.  Man  muss  zwischen 
augenblicklichen  und  endgiltigen  Erfolgen  unterscheiden.  Der  augenblickliche  Erfolg  ist 
natürlich  mit  zunehmender  Uebung  der  Operateure  besser  geworden.  Für  die  vaginale 
Total-Exstirpation  ergibt  sich  folgendes: 

Nach  Zusammenstellung  von      Saekger    bis   1883     133  Fälle  mit  28-67o  Mortalität 
T,  „  „    Kaltekbach   „     1885    257       „       „     23    „  „ 

,     Martin  ,     1887    311       ,       ,     15-1, 

,     Hofmeier        ,     1891     749       „       ,      9-2  „ 
Dauer-Erfolge.  A.  Nach  partiellen  Operationen: 

Nach  WiKTER  132  Fälle  mit  80  Recidiven  bis  nach  5  Jahren;  dann  überhaupt  kein 
Eecidiv  mehr;   also  recidivfrei  38*3<'/o. 


CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXUALORGANE.  151 

B.  Nach  Tota  1-Exstirpati  on. 
Nach  2  Jahren  in  Schrödeu's  Klinik  42"/„  recidivfrei. 
„  Olshausen's         „      47-5         ,,  „ 

„  Fritsch's  „      47  ,,         „ 

„  Schauta's  „      47-3        „         ,, 

,,  Leopold's  ,,      56  ,,  „ 

4.  Exstirpation  des  Uterus  nach  Laparotomie,  FEEUND'sclie  Ope- 
ration. Sie  ist  durch  die  weniger  gefährliche  vaginale  Methode  sehr  in  den  Hinter- 
grund gedrängt  worden.  Trotzdem  kann  sie  in  Ausnahmefällen  auch  heute  noch  nicht 
entbehrt  werden,  z.  B.  bei  zu  grossem  Umfang  des  Uterus  (Comi)lication  von  Car- 
cinom  mit  Schwangerschaft,  wobei  nach  Sectio  Caesarea  gleich  der  Uterus  entfernt 
werden  muss  ;  das  weitere  über  die  Complication  von  Gravidität  und  Uterus- 
Car einem  siehe  oben  vor  „Diagnose  des  Uterus-Carcinoms"),  Hindernissen  in  der 
Vagina  u.  Ae. 

Sie  besteht  darin,  dass  nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  der  Uterus  durch  Unter- 
bindung und  Abtrennung  von  seinen  Nachbarorganen  losgelöst  wird ;  nach  Ryuygier's 
Vorschlag  ist  mit  Erfolg  vorher  der  Cervix  von  der  Vagina  aus  losgelöst  und  dann 
der  Uterus  von  oben  her  entfernt  worden.  Die  Operation  ist  wegen  der  breiten  Er- 
öffnung der  Bauchhöhle  und  ihrer  Communication  mit  der  Scheide,  sowie  wegen  des 
Durchziehens  des  wohl  nie  aseptischen,  oft  aber  jauchenden  Uterus  durch  die  Bauch- 
höhle äusserst  gefährlich : 

Ahlfeld  zählte  unter  68  Operationen  49  Todesfälle  =  72-l''/o 
Kaltekbach  „         „119  „  80  „  =  67-2^1  q, 

4.  Exstirpation  des  Uterus  nach  S a er al -Schnitt.  Diese  Methode 
schlägt  den  Weg  ein,  welchen  Keaske  für  die  Entfernung  hochsitzender  Rectum- 
carcinome  angegeben  hat.  Indem  sie  den  Uterus  von  hinten  her  zugänglich  macht, 
schafft  sie  einen  Ueberblick  über  seine  Rückseite  und  die  Anhänge  —  ein  Vortheil, 
der  nicht  zu  unterschätzen  ist.  Sie  hat  einige  Modificationen  erfahren : 

a)  Exstirpatio  uteri  sacralis  nach  Keaske-Heezfeld-Hochexegg  : 
Schnitt  in  der  Mittellinie  oder  im  Bogen  am  Seitenrande  des  Kreuzbeins  von  hinten 
aus  ;  das  Kreuzbein  wird  entweder  zum  Theil  resecirt  oder  (nach  Hegae)  nur  abge- 
meisselt,  aber  in  Verbindung  mit  den  Weichtheilen  gelassen  und  dann  wieder  einge- 
setzt (temporäre  Resection).  Der  Mastdarm  wird  nun  zur  Seite  gedrängt  und 
die  ganze  Operation  von  der  Rückseite   gemacht. 

b)  Exstirpatio  uteri  parasacralis  nach  Wölflee.  Man  schneidet  am 
Rande  des  Kreuzbeins  ein  und  di"ingt  hier  neben  dem  Kreuzbein  vor ;  dabei  müssen 
die  Ligg.  tuberoso-sacralia  durchtreunt  werden. 

Als  jüngste  Operationsmethode  muss  noch  die  Exstirpatio  uteri  peri- 
nealis  nach  Zuckeekandl  erwähnt  werden.  Feommel  hat  sie  ausgeführt.  Man 
macht  einen  Schnitt  von  einem  Tuber  ossis  ischii  quer  über  den  Damm  zum  anderen  ; 
Spaltung  des  Septum  zwischen  Scheide  und  Mastdarm,  Eröffnung  des  Douglas  an 
seiner  tiefsten  Stelle.  Der  Uterus  wird  von  hintenher  zugänglich  gemacht,  umgeklappt 
u.  s.  w.  —  Feommel  hatte  auch  hier  zuerst  den  Cervix  von  der  Scheide  aus  ab- 
gelöst. 

Ueber  die  sacrale  und  perineale  Methode  kann  ein  Urtheil  erst  gefällt  werden, 
wenn  zahlreichere  Beobachtungen  vorliegen. 

Historisches  über  die  vaginale  Total-Exstirpation. 

Zufällige  oder  absichtliche  Abtragung  der  vorgefallenen  nicht  ca reinem a- 
tösen  Gebärmutter  war  am  Ende  des  letzten  und  am  Anfange  dieses  Jahrhunderts  schon 
mehrfach  und  mit  Erfolg  ausgeführt  worden  ;  so  in  ^YRISBERG■s  Fall,  1787,  in  dem  eine 
Hebamme  den  vorgefallenen  Uterus  für  ein  Gewächs  hielt  und  mit  dem  Brodmesser  ab- 
schnitt u.  s.  w.  Auf  Grund  des  citirten  Falles  will  Osiander  schon  cca.  1793  den  Vorschlag 
gemacht  haben,  den  Krebs  der  Gebärmutter  durch  Ausschneiden  zu  heilen  ;  für  jubiläums- 
lustige Aerzte  eine  Gelegenheit,  den  100-jährigen  Gedenktag  dieses  Vorschlags  zu  feiern. 

1801  machte  Osiander  dann  die  erste  hohe  Amputation  der  carcinomatösen 
Portio,  die  er  in  der  Folge  noch  öfter  aiisführte.  Ungefähr  1813  machte  Laxgenbeck  die 
erste  absichtliche  Total-Exstirpation  eines  prolabirten,  carcinomatösen  Uterus  ;  die  Be- 
schreibung ist  nicht  klar  :  Langenbeck  s;ibt  an,  den  Uterus  aus  dem  unverletzten  Peritoneal- 


152  CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXUALORGANE. 

üeberzug  herauspräpaiirt  zu  haben,  während  er  doch  die  Ovarien  mitentfernte.  Die  Er- 
zälihmg  der  Operation  ist  aber  in  mehr  als  einer  Beziehung  lesenswertii ;  Sauter  druckt  sie 
wörtlich  ab. 

Die  erste,  absichtliche,  vaginale  Total-Exstirpation  des  carcinomatösen  Uterus  machte 
am  28.  Januar  1822  Jon.  Nep.  Sauter  in  Constanz;  die  Frau  genas,  starb  aber  4  Monate 
später  an  einer  aus  dem  Obductions-Bericht  nicht  klar  erkennbaren  Krankheit ;  die  Genital- 
wunde war  tadellos  und  recidivfrei  geheilt.  Das  Lesen  des  SAUTEu'schen  Büchleins  („Die 
gänzliche  Exstirpation  der  carcinomatösen  Gebärmutter",  Constanz  1822)  sei  jedem  Arzte 
empfohlen:  man  wird  mit  Bewunderung  die  Energie,  Sachkenntnis  und  Gewissenhaftigkeit 
Sauter's  erkennen.  Trotzdem  gerieth  die  Operation  fast  in  Vergessenheit  (von  einem  litera- 
rischen Streit  abgesehen,  der  um  sie  anfangs  entbrannt  war)  bis  sie  1876  von  Hennig,  1879 
von  CzERNY,  Billroth,  Schedl,  1880  von  Schröder  wieder  aufgenommen  wurde.  Hire 
jetzige  technische  Ausbildung  verdankt  sie  hauptsächlich  Czerny  und  Schröder.  —  1878 
hatte  W.  A.  Freund  seine  Methode  der  Üterus-Esstirpation  nach  Laparotomie  angegeben. 

Behandlung  nicht  radical  heilbarer  Uterus-Carcinome. 

Die  Mehrzahl  der  Uterus-Carcinome  gelangt  in  ärztliche  Behandlung  leider  erst 
dann,  wenn  gänzliche  Entfernung  des  Tumors  nicht  mehr  möglich  ist.  Dem  Arzt  fällt 
dann  die  schwere  und  oft  seine  ganze  Geduld  in  Anspruch  nehmende  Aufgabe  zu, 
den  unglücklichen  Frauen  nach  besten  Kräften  zu  helfen,  die  erschöpfende  Blutung 
und  die  Jauchung  zu  bekämpfen,  welche  oft  für  die  Kranken  und  deren  Umgebung 
durch  den  entsetzlichen  Geruch  mit  zum  quälendsten  Symptom  dieser  furchtbaren 
Kranlvheit  wird ;  die  Kräfte  der  Patientin  müssen  thuulichst  erhalten,  die  Schmerzen 
gestillt  werden,  welche  sie  so  oft  den  Tod  als  Erlösung  herbeiwünschen  lassen. 

Bei  allen  Formen  des  Gebärmutterkrebses  werden  Blutung  und  Jauchung 
am  nachdrücklichsten  durch  Ausschaben  mit  dem  scharfen  Löffel  und  nachfolgendes 
Yerschorfen  mit  dem  Glüheisen  bekämpft.  Narcose  ist  meist  erforderlich  ;  mit  dem 
scharfen  Löffel  schabt  man  die  zerfallenden  Massen  heraus,  darf  aber  nicht  vergessen, 
dass  schon  benachbarte  Organe  (Blase,  Rectum,  Ureteren,  Dünndärme)  von  der  Neu- 
bildung ergriffen  sein  können  und  dass  man  bei  tiefem  Ausräumen  Fisteln  in  diese 
Organe  hinein  erzeugen  kann  ;  die  beabsichtigte  Hilfe  schlüge  dann  in  das  Gegentbeil 
um.  Bindegewebsreiche  Carcinome  lassen  oft  nur  w'enige  Bröckel  herausschaben  und 
man  kann  mit  der  Scheere  die  nur  zum  Tlieil  abgelösten  Fetzen  wegschneiden ;  dabei 
muss  man  auf  grössere  Blutungen  gefasst  sein,  die  oft  nicht  mit  dem  Glüheiseu, 
sondern  erst  nach  Unterbindung  des  fiottirenden  Fetzens  gestillt  werden  können.  Xach 
dem  Ausräumen,  das  mit  Hilfe  von  Platteu-Speculis  unter  Leitung  des  Auges  ge- 
schieht, verschorft  man  die  blutenden  Flächen  des  oft  recht  tiefen  Kraters  mit  roth- 
glüheudem,  kugel-  oder  olivenförmigem  Eisen  und  spült  nach  kurzem  Ausbrennen 
immer  wieder  mit  Eiswasser  nach,  um  eine  zu  hohe  Erhitzung,  besonders  auch  der 
Specula,  und  dadurch  eine  Verschorfung  der  Scheide  zu  vermeiden ;  zu  demselben 
Zwecke  legt  man  unter  die  Platten  der  Specula  auch  feuchte  Watte ;  vor  neuer  An- 
wendung des  Glüheisens  muss  natürlich  jedesmal  das  übrige  Wasser  mit  Watte  aus- 
getupft werden.  In  den  nächsten  Tagen  bleibt  die  Kranke  zu  Bett  und  es  stossen 
sich  jetzt  bei  den  täglich  ein-  bis  mehreremale  gemachten  Scheidenspülungen  die 
schwarzen  Brandschorfe  ab.  —  Der  Paquelin  genügt  nicht  stets,  da  er  in  stär- 
kerer Blutung  auslöscht. 

Geringere  Blutung  kann  man  durch  Aetzen  der  Geschwürsfläche  mit  40°/o 
Chlor zinklösung  stillen;  auch  liiezu  ist  Freilegung  mit  Platten-Speculis  und  vor- 
her Auswischen  der  Yagina  mit  Vaseline  nöthig,  da  die  Scheide  sonst  durch  aus- 
fliesseude  Pieste  von  Chlorzink  stark  verätzt  wird.  Das  Medicament  bringt  man  mit 
kleinen  Wattebäuschchen  auf  die  Geschwürsfläche ;  die  Bäuschchen  werden  nach 
kurzem  Aufdrücken  entfernt  und  trockene  Watte  vorgelegt.  —  Auch  Liquor  ferri 
sesquichlorati  kann  in  gleicher  Weise  verwendet  werden. 

Plötzliche  Blutungen  lassen  sich,  wenn  scharfer  Löffel,  Glüheiseu  u.  s.  w.  nicht 
gleich  zur  Hand  sind,  meist  durch  energisches  Ausstopfen  des  Carcinomlvraters  und 
der  Scheide,  besonders  der  Scheidengewölbe  um  die  Neubildungen  der  Portio  herum 
mit  Jodoform-Gaze  stillen  ;  natürlich  bleibt  die  Kranke  in  horizontaler  Ptückenlage 
im  Bett,  man  gibt  Analeptica  u.  s.  w.  —  Die  Gaze  kann  man  selbst  3  und  4  Tage 


CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXÜALORGANE.  153 

lang  liegen  lassen,  olme  schädliche  Zersetzung  fürchten  zu  müssen.  Immerliin  ist  die 
tiefgreifende  Ausschabung  mit  dem  scharfen  L()ffel  und  Verschorfung  mit  dem  Glüh- 
eisen weitaus  die  l)este  Methode,  da  sie  die  Wucherungen  tief  liinein  zerstört  und 
den  Wundkrater  durch  Narbenretraction  verengt.  Man  ist  manchmal  erstaunt,  statt 
des  früheren  jauchenden  Tumors  einen  kleinen  Krater  mit  derben,  narbigen  Rändern 
und  Wänden  zu  sehen.  Bei  entsprechender  Pflege  können  sich  die  Kranken  für  einige 
Zeit  sichtlich  erholen  und  au  Gewicht  zunehmen.  Allerdings  muss  bei  neuem  Eintritt 
von  Blutungen  und  Jauchung  der  Eingriff  wiederholt  werden.  Contraindicirt  ist  er 
bei  carcinomatöser  Erkrankung  der  Nachbarorgane  und  dann,  wenn  keine  oder  nur 
geringe  Blutung  und  Jauchung  besteht ;  man  schafft  dadurch  Goschwürstiäclien,  wo 
noch  keine  waren.  Besser  ist  es  dann,  adstringirende  und  desinticirende  Ausspülungen 
mit  Lösung  von  Kai.  hypermang.,  Sublimat,  Carbolsäure  machen  zu  lassen.  Küstxer 
nimmt  dazu  Tannin  und  Glycerin    äü,  2  Esslöftel  voll  auf  einen  halben  Liter  Wasser. 

In  neuerer  Zeit  sind  Injectionen  von  Lösungen  des  Pyoc tauin.  coerul.  in 
den  Tumor  mittelst  PEAVAz'scher  Spritze  (1  :  200)  von  Mosetig-Moorhof  empfohlen 
worden.  Die  Methode  ist  recht  unangenehm  durch  die  Blaufärbung  der  Hände  des 
Arztes,  der  Wäsche  der  Patientin,  des  Zimmerbodens  u.  s.  w.  Ein  sicherer  Erfolg 
ist  dadurch  anscheinend  noch  nicht  erzielt  worden. 

Die  jüngst  empfohlenen  Injectionen  von  absolutem  Alkohol  in  das  Tumor- 
gewebe mit  cca.  10  g  haltender  thi erärztlicher  Subcutan- Spritze  verdienen  eher  Auf- 
merksamkeit ;  die  Methode  ist  nur  massig  schmerzhaft^  und  soll  Schrumpfung  des 
Carcinoms  bewirken.  Das  gleiche  Ziel  verfolgen  die  von  Bernhaht  (Amanx's  Klinik 
in  München)  empfohlenen  Injectionen  von  Salicylsäurealkohol  (6"0  Acid.  salicyl., 
94-0  alkohol  ßO^/o);  man  macht  damit  alle  4  Tage,  2  Monate  und  länger  eine 
lujection  von  2  cm^. 

Die  Schmerzen  müssen  mit  Opium  und  später  mit  Morphium,  per  os  und 
subcutan,  bekämpft  werden  ;  man  wird  sich  nicht  scheuen  dürfen,  die  unglücklichen 
Kranken  an  das  Morphium  zu  gewöhnen,  nur  spare  mau  es  möglichst  lange  auf,  da 
es  unsere  letzte  Zuflucht  darstellt. 

Die  Kräfte  müssen  durch  abwechslungsreiche,  kräftige  Kost  thunlichst  er- 
halten werden.  Fleisch  wird  sehr  oft  ungern  genommen,  man  versucht  es  also  mit 
Bouillon,   Fleischsaft,  Wein,  bei  bemittelten  Kranken   mit  Austern,    Caviar  u.  s.  w. 

Zur  Begeluug  des  Stuhlgangs  gebe  man  nicht  Drastica,  die  den  Appetit 
noch  mehr  stören,  sondern  Wasser-  und  Glycerin-Clysmen. 

Condurango  ist  nur  ein  Stomachicum ;  Terpentin,  auch  das  vielgerühmte  von 
Chios,  scheint  wirkungslos  zu  sein. 

Zur  Desodorisation  des  Zimmers  empfiehlt  KtisTXER,  in  eine  Flasche 
mit  eingeschliffenem  Glasstöpsel  eine  Stange  der  in  Scheeing's  Fabrik  (Berlin)  ge- 
fertigten Bromkieselguhr  zu  legen,  zwischen  Glas  und  Stöpsel  einen  Papierstreifen  zu 
klemmen  und  das  ganze  auf  einen  Schrank  zu  stellen.  Es  soll  dann  von  dem  irre- 
spirablen  Brom  nur  soviel  frei  werden,  als  zur  Desodorisation  genügt,  ohne  dass  die 
Athmung  gestört  wird  ;  nur  muss  man  unnöthige  Metallgegenstände  aus  dem  Zimmer 
entfernen,  die  übrigen  dünn  mit  Vaseline  bestreichen. 

IV.  Carcinoin  der  Eileiter. 

Primäres  Carcinom  der  Tuben  gehört  zu  den  grössten  Seltenheiten; 
bis  vor  Kurzem  wurde  sein  Vorkommen  von  einigen  Autoren  über- 
haupt bestritten.  See  und är  findet  man  es  nicht  allzu  selten,  besonders  bei 
primärem  Carcinom  der  Ovarien  und  des  Uterus;  jedoch  auch  bei  weitgehender 
krebsiger  Erkrankung  der  Eierstöcke  kann  man  mitten  in  den  Adhäsionen 
noch  gesunde  Eileiter  finden.  Sieht  man  von  jenen  Fällen  ab.  in  welchen  die 
Diagnose  „Sarkom  oder  Carcinom"  nicht  vollkommen  gesichert  wurde,  so 
bleiben  nur  ein  paar  Fälle  von  Eileitercarcinom  (Dorax,  Martix  und  Orth- 
MANx,  Kaltexbach,  Zweifel);  es  scheint  hauptsächlich  in  der  Form  papillärer 
Wucherungen  aufzutreten,  welche  grosse  Aehnlichkeit  mit  plumpen   Chorion- 


154  CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXUALORGANE. 

zotten  haben  und  von  welchen  aus  Epithelnester  in  die  Muscularis  eindringen; 
das  Entstehen  dieser  Epithelhaufen  aus  dem  Tuben-Epithel  haben  Zweifel 
und  Fuchs  gezeigt. 

Symptome.  In  Zweifel's  Fall  waren  die  Symptome  ähnlich  jenen 
eines  Ovarialtumors;  überdies  litt  die  Patientin  an  grosser  Mattigkeit  und 
wässerig-gelblichem  Ausfluss.  Das  letztere  wird  auch  in  anderen  Fällen  be- 
richtet. 

Die  Diagnose  scheint  intra  vitam  et  ante  Operationen!  noch  nicht 
gestellt  worden  zu  sein;  auch  Zweifel  dachte  in  seinem  Falle  doppelseitigen,  pri- 
mären Eileitercarcinoms  an  Ovarialtumoren;  die  Diagnose  könnte  sich  auf  das 
rasche  "Wachsen  und  die  wurstförmige  Gestalt  des  seitlich  vom  Uterus-Fundus 
abgehenden  Tumors,  auf  das  Fehlen  von  Fieber  (im  Gegensatze  zu  Pyosalpinx) 
und  das  Allgemeinbefinden  (im  Gegensatze  zu  Hydrosalpinx)  stützen. 

Die  Therapie  muss  in  operablen  Fällen  in  der  Laparotomie  und  Ab- 
tragung des  Tumors  bestehen,  sonst  wird  sie  symptomatisch  sein.  Das  letz- 
tere gilt  auch  für  das  kaum  vor  der  Eröffnung  der  Bauchhöhle  zu  diagnosticirende 
secundäre  Tuben-Carcinom,  In  einigen  Fällen  ist  der  carcinomatöse  Eileiter 
bei  primärem  Ovarialkrebs  mit  diesem  durch  Laparotomie  entfernt  worden. 

V.  Carcinom  des  Eierstocks. 

Schröder  fand  unter  600  von  ihm  operirten  Ovarial-Tumoren  100  bös- 
artige =  16*7%,  Leopold  unter  116  Laparotomien  26  bösartige  Geschwülste 
=  2 2 -470;  Zweifel  fand  unter  92  durch  Laparotomie  operirten  Ovarialtu- 
moren 14  maligne  =  15"2''/o;  darunter  waren  8  Adenome,  5  Carcinome,  1 
Sarkom.  Die  maligne  Entartung  des  Eierstocks  und  seiner  Geschwülste  ist 
demnach  eine  ziemlich  häufige. 

Pathologische  Anatomie.  Die  jüngsten  Arbeiten  haben  es  wahr- 
scheinlich gemacht,  dass  Ovarial-Cysten  und  epitheliale  Ovarial-Tumoren  über- 
haupt sich  postfötal  nicht  aus  dem  Keimepithel  entwickeln,  welches  die  Ober- 
fläche der  Eierstöcke  überzieht,  sondern  aus  dem  Follikel-Epithel.  Der  Vor- 
gang ist  der,  dass  sich  vom  Follikel-Epithel  aus  drüsen-  oder  schlauchförmige 
Einsenkungen  in's  umgebende  Bindegewebe  bilden;  diese  drüsenähnlichen 
Sprossen  können  sich  theils  abschnüren  und  cystisch  erweitern,  theils  immer 
wieder  neue  Sprossen  treiben;  herrscht  die  Bildung  abgeschnürter  cystischer 
Flaume  vor,  so  nennt  man  den  Tumor  „multiloculäre  Ovarial- Cyste"; 
an  solchen  Cysten  findet  man  regelmässig  wieder  secundäre  Drüsen-Einsen- 
kungen  in's  Bindegewebe.  Tritt  die  cystische  Erweiterung  gegen  die  Drüsen- 
Neubildung  in  den  Hintergrund,  so  hat  man  eine  typische  Drüsengeschwulst 
vor  sich;  diese  kann  gutartig  bleiben:  Kystom a  proliferum  glanduläre, 
oder  bösartig  werden,  d.  h.  sowohl  in  angrenzendes  fremdes  Gewebe  einbrechen, 
als  Metastasen  bilden:  Adenoma  ovarii.  —  In  anderen  Fällen  können  aber 
die  anfangs  drüsigen  Einsenkungen,  welche  also  vorerst  ihr  Lumen  noch  be- 
sitzen, durch  Epithelwucherung  zu  soliden  Epithelnestern  werden  und  wieder 
solide  Epithelsprossen  bilden:  Carcinoma  ovarii. 

Eine  Abart  des  Kystoma  proliferum  glanduläre  entsteht  dann, 
wenn  die  Neubildung  nicht  sowohl  durch  Einsenkung  in  die  Tiefe,  sondern 
durch  Papillenbildung  in's  Lumen  der  Cysten  hinein  stattfindet:  Kystoma 
proliferum  papilläre.  Diese  Wucherungen  sehen  wie  massenhafte,  zu- 
sammengeballte Warzen  aus,  vermehren  sich  meist  äusserst  rasch,  können  die 
ganze  Innenfläche  der  Cysten  auskleiden,  sie  ausfüllen  und  schliesslich  deren 
Wand  durchbrechen;  so  gelangen  sie  an  die  Oberfläche  und  werden  durch  den 
Druck  der  üljrigen  Cysten  noch  mehr  vorgestülpt,  so  dass  ihre  zuerst  concave 
Basis  nun  convex  wird;  die  Ovarien  können  vollständig  in  der  Neubildung 
aufgehen,  so  dass  links  und  rechts  vom  Uterus  grosse  papillomatöse  Tumoren 
liegen.     Erfahrungsgemäss   bilden    sie   fast   regelmässig  Metastasen   auf  dem 


CARCINOM  DER  WEIBLICHEN  SEXUALORGAXE.  155 

Peritoneum,  sie  sind  klinisch  als  maligne  Tumoren  zu  bezeichnen;  pathologisch- 
anatomisch  müssen  sie  wohl  eher  den  Adenomen  als  den  Carcinomen  ein- 
gereiht werden.  Man  wird  deshalb  auch  Quknu  Üeclit  geben,  wenn  er  die 
Bildung  der  papillären  und  glandulären  Neubildungen  für  gleichartige  Wucher- 
ungsprocesse  hält;  nur  findet  im  ersten  Falle  die  Wucherung  mehr  nach  der 
Oberfläche,  im  zweiten  mehr  nach  der  Tiefe  zu  statt.  Die  glandulären  Ge- 
schwülste (sowohl  gut-  als  bösartige)  können  sich  durch  die  Bildung  colloi- 
der  (leimartiger),  zäher,  dicker  Flüssigkeit  im  Inneren  der  Hohlräume  den 
Beinamen  colloides  verdienen. 

Klinisch  sind  noch  die  Pseudomyxome  des  Peritoneum  als  bös- 
artig zu  bezeichnen;  sie  entstehen  dadurch,  dass  nach  dem  Platzen  colloider 
Ovarial-Cysten  deren  Inhalt  sich  in  der  Bauchhöhle  ausbreitet  und  auf  dem 
des  Epithels  verlustig  gehenden  Peritoneum  durch  neugebildete  Gelasse  weiter- 
ernährt wird. 

Von  bösartigen  Epithelialgeschwülsten  des  Eierstocks  kann 
man  also  unterscheiden:  1.  Adenome,  und  unter  diesen  wieder  reine  Drüsen- 
geschwülste —  Adenoma  ovarii  (sensu  strictiori),  und  solche  mit  papillären 
Wucherungen  —  Adenoma  papilläre  ovarii;  und  2.)  das  Carcinoma 
ovarii,  ausgezeichnet  durch  die  Bildung  solider  Epithelhaufen,  welche  in 
fremdes  Gewebe  einbrechen. 

Die  Benennung  der  einzelnen  Geschwülste  des  Ovarium  ist  seitens  verschiedener 
Autoren  verschieden.  In  Vorstehendem  wurde  in  strenger  Verfolgung  des  am  Anfange  auf- 
gestellten Grundsatzes  der  Unterschied  zwischen  d r ü s i g e n  malignen  Neubildungen  (Ade- 
nomen) und  solchen  mit  soliden  Epithelhaufen  (Carcinomen)  festgehalten.  Man  wird 
dieser  Eintheilung  das  Zugeständnis  nicht  versagen  können,  dass  sie  folgerichtig  und  ein- 
heitlich ist ;  sie  gilt  für  den  Uterus  so  gut  wie  für  die  Ovarien,  für  die  Mamma  ebenso  wie 
für  die  Oberhaut. 

Synonyma  sind:  A.  Gutartige  Drüsengeschwülste  des  Ovarium  —  Multi- 
loculäre  Ovarialcyste,  Kystoma  myxoides  glanduläre,  Kystoma  proliferum  glanduläre; 
B.  Bösartige  Geschwülste  —  Unterabtheikmgen :  1.  mit  erhaltenem  Drüsenlumen  — 
Adenoma  ovarii  (proliferum,  colloides),  Colloidkystom  —  und  der  Unterart:  Adenoma  pa- 
pilläre ovarii,  Kystoma  myxoides  papilläre,  Kystoma  proliferum  papilläre;  2.  mit  soliden 
Epithelnestern:  Carcinoma  ovarii,  Kystoma  carcinomatosum. 

Einige  Schwierigkeiten  in  der  mikroskopischen  Diagnose  entstehen  gerade  am  Ova- 
rium dadurch,  dass  Processe.  die  im  foetalen  Alter  normal  sind,  beim  Erwachsenen  hoch- 
gradig pathologisch  sind;  die  Einsenkung'.des  Keimepithels  in  Form  solider  Epithelzüge 
in's  Bindegewebe  ist  beim  Foetus  normal ;  die  Bildung  solider  Epithelhaufen  (allerdings  nicht 
vom  Keim-  sondern  vom  Follikel-Epithel  ausgehend)  muss  beim  Erwachsenen  als  Carcinom 
bezeichnet  werden;  eine  andere  Schwierigkeit  liegt  in  der  Bezeichnung  „Einbrechen  in 
fremdes  Gewebe."  Denn  bei  der  Entstehung  multiloculärer  Ovarialcysten  schieben  sich 
die  drüsigen  Follikelschläuche  in's  umgebende  Bindegewebe ;  trotzdem  handelt  es  sich  dabei 
noch  nicht  um  die  Bildung  eine]-  malignen  Geschwulst;  diese  kann  erst  dann  als  solche 
bezeichnet  werden,  wenn  die  Drüsenneubildung  auf  Nachbarorgane  (Peritoneum,  Tube) 
übergreift  oder  Metastasen  macht. 

Das  Epithel  kann  in  Ovarialtumoren  alle  Formen  zeigen,  vom  niedrig- 
kubischen bis  zum  hochcylindrischen  und  vielschichtigen  polygonalen  Epithel. 
In  normalen  Follikeln  ist  es  meist  kubisch  bis  polygonal  in  niedrigen  Schichten. 
Die  Follikel-Sprossen  pflegen  cylindrisches,  lebhaft  sich  vermehrendes  Epithel 
zu  besitzen,  die  Cysten  ebensolches  bis  hochcylindrisches,  oft  mit  schleimiger 
Degeneration  des  oberen  Theils  des  Protoplasmas  („Becherzellen");  jedoch 
kommen  in  älteren  Cysten  auch  Stellen  mit  niedrigpolygonalem  Epithel  sowie 
epithelfreie  Stellen  vor.  In  Colloid-Kystomen  und  Adenomen  ist  es  meist 
sehr  hoch  cylindrisch  und  die  Zellen  sitzen  wie  Körner  und  Grannen  einer 
Kornähre  auf  den  Bindegewebspapillen,  ein  mikroskopisch  äusserst  zier- 
liches Bild. 

In  den  soliden  Epithelnestern  des  Carcinoms  sind  die  basalen  ZeUeu 
mehr  weniger  deutlich  cylindrisch,   die  übrigen  polygonal. 

Makroskopisch  kann  Carcinom  des  Eierstocks  nicht  mit  Sicherheit 
von  einer  multiloculären  Cyste  unterschieden  werden,  wenn  es  sich  nicht  um 
papilläre  Tumoren  handelt,  die  schon  an  der  Oberfläche  dui'chgebrochen  sind. 


156  CARCINOM  DER  ^YEIBLICHEN  SEXUALORGANE. 

Aber  auch  diese  können  mit  benignen  Papillomen  venvecliselt  werden,  welche 
ähnlich  aussehen,  aber  meist  nur  vereinzelt  der  Oberfläche  aufsitzen  und 
mikroskopisch  nur  aus  breiten  bindegewebigen  Papillen  mit  flachkubischem 
Epithel  bestehen.  Carcinom  des  Ovarium  kann  an  der  Oberfläche  einem 
derben  multiloculären  Kystom  gleichen,  da  es  auch  aus  und  in  diesem  ebenso 
wie  in  Dermoidcysten  sich  gelegentlich  entwickelt.  Die  flachhöckerige,  im 
übrigen  mit  glatter  Membran  überzogene  Oberfläche  lässt  stellenweise  Cysten 
bläulich  durchschimmern.  Auf  der  Schnittfläche  fällt  dagegen  die  markige 
Consistenz  des  Carcinomgewebes  und  der  abstreiibare  milchige  Saft  („Krebs- 
milch") auf;  dazwischen  können  wieder  Cysten  mit  serösem  bis  colloidem 
Inhalt  liegen.  Adenome  sehen  den  Colloidcysten  sehr  ähnlich  ■ —  man  sieht 
massenhafte  kleinfächerige  Abtheilungen,  gefüllt  mit  zähem  Colloid,  stellen- 
weise so  klein,  dass  das  Aussehen  der  Schnittfläche  eher  markig  wird.  Auf- 
fallen muss  stets  die  reichliche  Adhaesions-Bildung  an  der  Obei^äche. 

Symptome  und  Verlauf,  Die  ersten  Symptome  sind  wohl  nicht  von 
jenen  eines  gutartigen  Ovarialtumors  zu  unterscheiden.  Sie  bestehen  in  Druck 
auf  die  Nachbar-Organe  (Blasenbeschwerden,  Urindrang  oder  erschwerte  Ent- 
leerung, Verstopfung)  Vergrösserung  des  Leibes,  Appetitlosigkeit,  Uebelkeit, 
Erbrechen,  Abmagerung,  Schmerzen  im  Leib,  Kreuz  und  den  Schenkeln,  An- 
schwellen und  Milchsecretion  der  Brüste;  Störungen  der  Menses,  meist  als  zu 
häufige  und  zu  reichliche  Menstruation ;  Oedem  der  Beine,  der  Vulva  und  der 
Bauchhaut;  als  eines  der  wichtigsten  Symptome  bei  malignen  Bauchtumoren 
muss  reichlicher  Ascites  gelten,  ebenso  die  rasche  Grösseuzunahme  der  Ge- 
schwulst, die  aber  nicht,  wie  bei  Stieldrehung  gutartiger  Ovarialtumoren,  ganz 
plötzlich  und  unter  Fieber  stattfindet;  umschriebene  Peritonitis  kann  im 
Bereich  der  Neubildung,  allgemeine  Peritonitis  aber  besonders  bei  carcinoma- 
töser  Infection  des  Peritoneum  eintreten,  w^enn  z.  B.  papilläre  Tumoren  das 
Ovarium  durchbrechen.  Unter  rascher  Vergrösserung  der  Geschwulst,  zu- 
nehmendem Ascites  u.  s.  w,  kann  es  zu  tödtlichem  Lungen-Oedem  kommen 
oder  durch  Peritonitis,  Metastasen  in  anderen  Organen  u.  s.  w.  der  Exitus 
herbeigeführt  werden. 

Die  Diagnose  der  Bösartigkeit  eines  Ovarialtumors  (über  die  all- 
gemeine Diagnose  der  Eierstockgeschwülste  vide  Ovarium)  stützt  sich  vor 
Allem  auf  das  stetige,  aber  rasche  Wachsthum,  den  reichlichen  Ascites,  die 
ausgedehnten  Adhäsionen  und  die  mehr  weniger  ausgesprochene  Cachexie: 
gelbliche  Gesichtsfarbe,  Mattigkeit,  Appetitmangel  u.  s.  w.  Allerdings  können 
alle  diese  Symptome  auch  bei  benignen  Ovarialtumoren  und  selbst  bei  Myo- 
men vorhanden  sein.  Reichlicher  Ascites  wird  noch  am  meisten  den  Verdacht 
auf  eine  maligne  Neubildung  rechtfertigen. 

Papilläre  Wucherungen  kann  man  bimanuell,  besonders  manchmal  vom 
Rectum  aus  fühlen;  im  Douglas  können  sie  zwar  mit  fibrinösen  Gerinnseln  ver- 
wechselt werden,  aber  zerdrückbare  papilläre  Wucherungen  geben  das  ziemlich 
charakteristische  Gefühl  des  „Schneeballknirschens."  Beim  Percutiren  des 
Abdomens  muss  man  sich  daran  erinnern,  dass  bei  der  peritonitischen  und 
carcinomatösen  Erkrankung  des  Bauchfells  das  Mesenterium  oft  stark  verkürzt 
ist;  die  Därme  können  dann  nicht  auf  der  Oberfläche  der  Flüssigkeit  schwimmen 
und  man  hört  leeren  Percussionsschall,  ohne  dass  ein  solider  Tumor  vorhan- 
den ist.  Beim  Palpii'en  kann  man  Carcinomknoten  der  Leber,  etwas  schwerer 
des  Peritoneum  und  der  Därme  durchfühlen;  die  letzteren  sind  leicht  von 
jenen  anderer  Organe  dadurch  zu  unterscheiden,  dass  Darmgeschwülste  stets 
den  tympanitischen  Darmschall  durchhören  lassen.  Die  Diagnose  kann  er- 
leichtert werden,  wenn  man  durch  Function  des  Abdomens  die  ascitische 
Flüssigkeit  entfernt;  man  fühlt  dann  oft  vollkommen  deutlich  die  höckerigen 
Knoten,  die  bei  der  enormen  Spannung  zuerst  nicht  palpabel  waren.  Im 
äussersten  Falle  muss  die  Prob  e-Laparotomie  gemacht  werden,  an  welche 


CASTRATION.  157 

sich  in  operablen  Fällen  gleich  die  Entfernung  des  Tumors  anfügt,  während 
man  bei  inoperablen  Geschwülsten  und  beim  Vorhandensein  von  Metastasen 
die  Bauchhöhle  sofort  wieder  schliesst. 

Die  Prognose  ist  schlecht,  da  einerseits  die  Diagnose  oft  zu  spät 
gestellt  wird,  so  dass  eine  Operation  nicht  mehr  ausführbar  ist,  und  da  ander- 
seits auch  nach  der  operativen  Entfernung  des  Tumors  Ilecidiven  häufig  sind; 
immerhin  ist  eine  grosse  Anzahl  endgiltiger  Heilungen  durch  Operation  bekannt. 

Die  Therapie  muss  in  operablen  Fällen  in  der  Exstirpation  bestehen; 
als  inoperabel  wird  man  solche  Fälle  ansehen,  wo  Peritoneum,  Darm,  Leber 
u.  s.  w.  schon  Metastasen  zeigen;  sind  die  Tuben  secundär  carcinomatös,  so 
entfernt  man  sie  mit  den  Ovarien;  ist  anscheinend  nur  ein  Ovarium  erkrankt, 
so  trägt  man  besser  auch  das  andere  ab,  da  Krebs  der  Eierstöcke  sehr  häufig 
doppelseitig  auftritt.  —  Ueber  die  Technik  der  Operation  vgl.  Ovarium  und 
Ovariotomie.  —  Inoperable  Fälle  werden  symptomatisch  behandelt:  Ptobo- 
rantien,  schmerzstillende  Mittel,  Function  des  Ascites  bei  starken  Kreislauf- 
störungen, besonders  bei  hochgradigen  Athembeschwerden  und  drohendem 
Lungen-Oedem;  die  Function  (mit  Troicart)  muss  nöthigenfalls  öfters  wieder- 
holt werden.  Gustav  klein. 

CastratiOil.  Unter  Castration  versteht  man  die  Entfernung  nor- 
maler Ovarien  oder  wenig  veränderter  Ovarien  zum  Zwecke  der  Herbei- 
führung des  vorzeitigen  Climacteriums.  Speciell  diese  Indication  ist  es,  welche 
die  Entfernung  beider  Ovarien  als  Castration  erscheinen  lässt.  Demgemäss 
kommt  es  hiebei  darauf  an,  die  Ovulation  und  die  damit  verbundene  Men- 
struation vorzeitig  zum  Stillstand  zu  bringen.  Es  kann  also  die  Castration  in 
Frage  kommen  in  solchen  Fällen,  wo  die  Menstruation,  resp.  die  Ovulation  allein 
einen  krankhaften  Process  bedingen,  resp.  solche  Beschwerden  erregen,  dass  es 
nothwendig  erscheint,  diesen  physiologischen  Process  zum  Stillstand  zu  bringen, 
oder  aber  bei  solchen  Fällen,  wo  unter  dem  Einfluss  der  Menstruation  ein 
vorhandener  Krankheitsprocess  mächtig  erregt  wird,  während  andererseits 
durch  das  vorzeitig  eintretende  Climacterium  ein  Stillstand  im  Fortgange  der 
Erkrankung  mit  Sicherheit  zu  erwarten  ist. 

Die  erste  Kategorie  wird  solche  Fälle  betreffen,  bei  welchen  in  Folge 
rudimentärer  Entwicklung  einzelner  Theile  des  Geschlechtsapparates  die  Men- 
struation derartige  Molimina  verursacht,  dass  man,  umsomehr  als  wegen  der 
rudimentären  Entwicklung  an  eine  Conception  nicht  zu  denken  ist,  die  Castration 
ungescheut  vornehmen  darf.  Insbesondere  bei  der  rudimentären  Entwicklung 
eines  Hernes  oder  bei  einer  hochgradigen  Hypoplasie  des  Uterus  finden  wir 
derartige  heftige  Beschwerden  als  Schmerzen,  Krampfanfälle,  welche  oft  genug 
Bewusstseinsstörungen  hervorrufen;  oder  aber  es  handelt  sich  um  eine  Atresie 
der  Vagina  oder  des  Uterus,  und  trotz  vollzogener  operativer  Eröffnung  von 
aussen  gelingt  es  nicht,  den  Weg  offen  zu  erhalten,  so  dass  die  Gefahi-  einer 
immer  wieder  sich  neubildenden  Hämatokolpos  oder  Hämatometra  sich  ein- 
stellt und  man  demgemäss  dem  ganzen  Process  Halt  gebietet  durch  die  Aus- 
führung der  Castration.  Des  Ferneren  wird  von  einzelnen  iVutoren  bei  schweren 
Fällen  von  Retroflexio  uteri,  die  mit  ausserordentlich  hochgradigen,  schwächenden 
Blutungen  verbunden  sind,  die  Ventrofixation  des  Uterus  ersetzt  oder  aber 
combinirt  mit  der  Ausführung  der  Castration. 

Eine  ganz  ausserordentliche  Bedeutung  hat  diese  Operation  für  die 
Therapie  der  Myome.  Wir  wissen,  dass  die  Myome  in  der  Regel  bei 
Fortdauer  der  Menstruation  besondere  Beschwerden  machen,  entweder  durch 
ihr  Wachsthum  oder  durch  ihre  Lage  oder  aber  durch  schwere  menstruelle 
Blutungen,  dass  in  der  Regel  bei  dem  allerdings  sehr  verspätet  eintretenden 
Climacterium  ein  Stillstand  dieser  Beschwerden  eintritt,  wenn  nicht  eventuell 
die  enorme  Grösse  des  Myoms  oder  seine  Lagerung  die  Beschwerden  andauernd 


158  CASTRATION. 

forterhält.  Jedenfalls  tritt  in  den  meisten  Fällen  ein  Stillstand  des  Wachs- 
timms, ja  oft  genug  eine  regressive  Metamorphose  der  Neubildung  ein  in  dem 
Momente,  wo  die  Menstruation  cessirt.  Man  kann  daher  insbesondere  in 
solchen  Fällen,  wo  einzig  und  allein  die  schweren  Blutungen  jenes  Symptom 
sind,  welches  als  lebensbedrohlich  aufzufassen  ist,  die  Castration  ausführen 
und  dadurch  eine  vollständige  Heilung  erzielen,  da  ja  vom  Myom  aus  in 
diesen  Fällen  gar  keine  anderen  Symptome  als  die  der  Blutungen  manifest 
waren.  Aber  auch  in  Fällen,  wo  es  sich  nicht  allein  um  das  Aufhören  der 
Blutung  handelt,  sondern  wo  die  Entfernung  eines  Myoms  technisch  undurch- 
führbar oder  aber  mit  grossen  Gefahren  für  Patientin  verbunden  wäre,  würde 
eventuell  die  Castration  an  die  Stelle  der  Myomotomie  zu  setzen  sein. 

Des  Ferneren  gehören  hieher  jene  Fälle,  in  welchen  man  wegen  be- 
stehender 0  s  t  e  0  m  a  1  a  c  i  e  die  Ovarien  entfernt,  ausgehend  von  der  That- 
sache,  dass  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  bei  Kaiserschnitten  nach  Poreo 
wie  auch  ausserhall)  der  Schwangerschaft  wegen  Osteomalacie  ausgeführten 
Castrationen  ein  vollständiger  Stillstand  des  Processes  oft  genug  eingetreten 
war.  Wenn  auch  derzeit  nach  den  Arbeiten  PETRom's  und  Anderer  die  Ur- 
sache für  diesen  Stillstand  nicht  so  sehr  in  der  Castration  als  in  chemischen 
Processen,  die  in  Folge  des  Einflusses  der  Narcose  stattfinden,  zu  suchen  ist, 
so  müssen  wir  die  bisherigen  Ansichten  dahin  charakterisiren,  dass  durch  die 
Castration  eine  wesentliche  Besserung  des  Processes  herbeigeführt  werden 
könne. 

Zu  erwähnen  wäre  noch  die  Castration  bei  schweren  nervösen  Erschei- 
nungen, bei  Hysterie,  Hy steroepilepsie,  Menstrualpsy chosen  etc. 
Auch  die  Frage  über  den  Einfluss  der  Castration  auf  die  Reflexneurosen  und 
Psychosen  ist  keine  geklärte.  Wenn  es  auch  sicher  ist,  dass  durch  Hin- 
wegräumung der  einen  occasionellen  Ursache  der  Menstruation  durch  die  Ca- 
stration oft  vorübergehend  und  scheinbar  eine  Heilung  oder  Besserung  der 
Psychose  beobachtet  wird,  so  ist  es  doch  Thatsache,  dass  in  sehr  zahkeichen 
Fällen  nach  einiger  Zeit  dieselben  schweren  Erscheinungen  wieder  auftreten, 
welche  früher  die  Veranlassung  zur  Castration  gegeben  haben.  Es  wird 
daher  diese  Indication  nur  in  den  seltensten  Fällen  überhaupt  in  Frage  kom- 
men können. 

Was  die  Technik  der  Castration  anbelangt,  so  ist  sie  zunächst  dieselbe 
wie  die  der  Adnexoperationen.  Auch  bei  der  Castration  wird  uns  die  Becken- 
hochlagerung ganz  ausserordentliche  Dienste  leisten.  Wir  sind  im  Stande,  die 
Blutstillung  exact  zu  machen  und  die  Entfernung  der  Ovarien  vollständig 
vorzunehmen.  Darauf  basirt  der  ganze  Erfolg  der  Operation.  Wenn  insbe- 
sondere bei  Myomen  hie  und  da  nach  der  Castration  schlechte  Erfolge  be- 
richtet werden,  so  sind  die  Misserfolge  in  einer  ganzen  Reihe  von  Fällen, 
wie  wiederholte  Laparatomien  bewiesen  haben,  darauf  zurückzuführen,  dass 
Pteste  der  Ovarien  bei  der  ersten  Castration  zurückgelassen  wurden  und  dem- 
gemäss  ein  vollständiger  Stillstand  der  Ovulation,  resp.  Menstruation  nicht 
stattgefunden,  daher  der  Zweck  der  ersten  Operation  nicht  erreicht  wurde. 
Man  muss  vielmehr  bestrebt  sein,  das  Ligamentum  ovarii  proprium  dicht 
an  der  Uteruskante  zu  unterbinden  und  den  Stiel  möglichst  entfernt 
vom  medialen  Pol  des  Ovariums  zu  durchtrennen.  Der  Sicherheit  halber 
empfiehlt  es  sich,  umsomehr  als  ja  die  Tube  ohne  das  entsprechende  Ova- 
rium  für  den  Organismus  keinen  Werth  hat,  mit  den  Ovarien  auch  die 
entsprechende  Tube  zu  entfernen.  Jedenfalls  ist  es  nothwendig,  das  liga- 
mentum  ovarii  proprium  separat  zu  ligiren  und  da  ja  gerade  in  solchen 
Fällen,  wo  die  Castration  nothwendig  wird,  sehr  häufig  ein  ausserordentlicher 
Blutreichthum  der  Ligamenta  lata  besteht,  für  das  Einführen  des  Unterbin- 
dungsinstrumentes solche  Stellen  auszusuchen,  an  welchen  man  mit  Sicherheit 
grösseren  venösen  Gefässen  ausweichen  kann,  um  eine  stärkere  Blutung  oder 


CEßVIXKATARRH.  159 

die  Gefahr  der  Nachblutung  zu  vermeiden.  Technisch  scliwer  kann  die  Ca- 
stration  nur  in  solchen  Fällen  von  Myomen  sein,  wo  die  Ovarien  selir  tief 
und  an  das  Myom  nahe  herangezogen  erscheinen.  In  solchen  Fällen  wird  wohl 
die  Frage  erwogen  werden  müssen,  ob  niclit  die  Myomotomie  technisch  leicliter 
ausführbar  sei  als  die  Castration,  und  wird  man  sich  dann  gewiss  für  den  er- 
steren  radicaleren  Eingriff  entschliessen  müssen.  Ohne  vollen  Einfiuss  auf 
das  Wachsthum  des  Myoms  bleibt  die  Castration  in  solchen  Fällen,  wo  die 
Ernährung  des  Myoms  auch  stattgefunden  hat,  nicht  blos  von  Seiten  der 
uterinalen  Gefässe,  sondern  auch  durch  Gefässe,  welche  auf  dem  Wege  der 
Adhäsionen  zum  Myom  gebracht  werden.  Gelingt  es  nicht,  bei  der  Operation 
diese  Adhäsionen  zu  lösen,  oder  stehen  wir  davon  wegen  der  Gefälirlichkeit 
des  Eingriffes  ab,  so  werden  wir  doch  durch  die  Castration  und  die  damit 
verbundene  Unterbindung  eines  für  die  Ernährung  des  Myoms  wiclitigen 
Weges  das  Wachsthum  der  Geschwulst  einigermaassen  zu  l)eeinflussen  im 
Stande  sein.  k.  a.  hekzfeld. 

Cervixkatarrh .  Endometritis  cervicis.  Manunterscheidetdieseltene 
acute  und  eine  chronische  Form  des  Cervixkatarrhs.  Die  acute 
sieht  man  nach  schwerer  gonorrhoischer  oder  septischer  Infection.  Letztere 
ist  am  häufigsten  nach  Geburten,  wo  die  Einrisse  des  Cervix  die  Eingangs- 
pforte der  Streptococceninvasion  bilden  —  gelegentlich  beobachtet  man  sie 
aber  auch  nach  gynäkologischen  Operationen,  l)ei  welchen  die  Antisepsis  nicht 
streng  durchgeführt  wurde. 

Die  acute  gonorrhoische  Form  des  Katarrhs  gibt  sich  dadurch  zu 
erkennen,  dass  die  Portio  geschwollen  ist  und  eine  lebhaftere  Röthung  zeigt, 
dass  aus  dem  Muttermund  reichlich  Eiter  quillt,  und  sich  die  Cervicalschleim- 
haut,  geschwollen  und  lebhaft  geröthet,  aus  dem  Muttermund  herausdrängt. 
Zusammen  mit  der  in  diesen  Fällen  stets  vorhandenen  Urethritis  und  Kolpitis 
acuta  ist  ein  Symptomencomplex  vorhanden,  der  auch  ohne  Untersuchung  des 
Cervixsecrets  auf  Gonococcen,  die  Diagnose  auf  Gonorrhoe  sichert.  Bei  der 
septischen  Infection  von  Cervixläsionen  tritt  die  Entzündung  der 
Cervicalschleimhaut  gegen  die  missfärbigen,  aus  den  Verletzungen  entstan- 
denen Geschwüre  mehr  in  den  Hintergrund.  Hier  ist  übelriechender  Ausfluss 
und  Fieber  vorhanden.     Die  Diagnose  ist  somit  eine  leichte. 

Was  die  Prognose  anbelangt,  so  beruht  die  Gefahr  der  gonor- 
rhoischen Entzündung  auf  der  Weiterverbreitung  der  Entzündung  auf  die 
Corpus-,  Tubenschleimhaut,  auf  das  Beckenbauchfell  und  die  Ovarien.  Die 
Entzündung,  die  meistens  zu  abgesackten  Abscessen  in  der  Tube,  den  Ovarien 
und  im  Beckenbauchfell  führt,  kann  in  seltenen  Fällen  in  eine  allgemeine 
gonorrhoische  Peritonitis  (Wertheim)  ausgehen,  und  so  den  Tod  verursachen. 
Mindestens  ist  aber,  sobald  der  Process  das  Beckenbauchfell  ei^griffen  hat, 
schweres  Siechthum  die  Folge  der  Propagation  der  Entzündung  der  Cervical- 
schleimhaut. Bei  der  septischen  Form  hängt  der  Ausgang  ebenfalls  da- 
von ab,  ob  die  Entzündung  eine  locale  bleibt,  oder  sich  durch  die  Lymph- 
und  Blutbahnen  fortpflanzt. 

Die  Therapie  hat  bei  der  gonorrhoischen  Entzündung  nui"  in 
antiseptischen  Scheidenausspülungen  (mit  f/j-iger  Lysollösung)  und  nach- 
folgender Tamponade  der  Scheide  mit  Jodoformgaze  zu  bestehen,  die  am  besten 
täglich  vorgenommen  wird.  Auch  eine  l^o-ige  Chlorziuldösung  (Feitsch)  ist  füi" 
die  genannten  Ausspülungen  sehr  erapfehlenswerth.  Neben  der  Sorge  füi"  Fort- 
schaffung des  Secrets  ist  absolute  Bettruhe  nothwendig,  regelmässige  LTinent- 
leerung  und  bei  Entzündungserscheinungen  seitens  des  ganzen  LTterus  oder 
des  Beckenbauchfells  die  Application  einer  Eisblase.  Die  septische  Form 
ist  local  durch  Bespülung  der  Geschwüre  mit  l^o-iger  Lysollösung  und  nach- 
folgendes  Einpudern   mit  Jodoform   zu  behandeln.     Bei  schwerer  Allgemein- 


160  CERVIXKATAREH. 

infection  ist  allerdings  von  dieser  Behandlung  kein  Erfolg  mehr  zu  erwarten 
und  in  solchen  Fällen  zu  unterlassen,  um  den  Patientinnen  die  unnöthige 
Belästigung  zu  ersparen. 

D er  chronische  C  e  r  v  i  x  k  a  t  a  r  r  h  entsteht  entweder  aus  der  acuten 
Form,  oder  tritt  ohne  ein  solches  acutes  Stadium  in  die  Erscheinung.  Aber 
auch  in  diesem  letzteren  Fall  wird  er  durch  dieselben  Noxen  verursacht,  wie 
die  acute  Form.  Vor  Allem  spielt  hier  wieder  die  gonorrhoische  Infection  eine 
Hauptrolle.  Auch  leichtere  septische  Infectionen  bei  Geburten  kommen  hier 
in  Betracht.Aber  auch  bei  Virgines  ist,  wie  B.  S.  Schultze  hervorhebt,  zur 
Zeit  der  Menstruation  durch  die  feuchte  Strasse  des  ausfliessenden  Blutes 
Gelegenheit  zur  Infection  gegeben,  zumal  wenn  bei  mangelnder  Reinlichkeit 
sich  das  Blut  an  den  äusseren  Geschlechtstheilen  zersetzt.  Besonders  leicht 
sind  natürlich  bacterielle  Invasionen  möglich,  wenn  die  Yagina  durch  alte 
Dammrisse,  der  Cervix  durch  alte  Einrisse  klaflt. 

Pathologische  Anatomie:  Die  entzündete  Schleimhaut  schwillt  an,  ist  stark 
geröthet  und  secernirt  Schleim  oder  Eiter  in  grösseren  Mengen.  Besonders  wuchert  das 
Cylinderepithel  und  schickt  drüsige  Einsenkungen  in  die  Tiefe.  Auch  auf  der  Aussenseite 
der  Portio  wandelt  sich  von  den  tiefsten  Epithelschichten  aus  das  Plattenepithel  in  Cylinder- 
epithel um  (C.  PbUNGE  und  J.Veit).  Hierdurch  entsteht  das  Bild  der  einfachen  Erosion. 
Es  handelt  sich  hier  also  nicht,  wie  man  früher  annahm,  um  einen  Substanzverlust,  sondern 
um  eine  Umwandlung  des  Gewebes.  Indessen  kann  nach  den  Untersuchungen  Döder- 
lein's  und  des  Verfassers  das  Cylinderepithel  der  Erosion  secundär  abgestossen  werden, 
wodurch  also  dann  wirklich  ein  Substanzverlust,  eine  wirkliche  Erosion  im  Sinne  der 
älteren  Auffassung  entsteht.  Gehen  die  drüsigen  Einsenkungen  regelmässig  senkrecht  in 
die  Tiefe,  so  entstehen  zwischen  ihnen  fein  zerklüftete  Theile  der  Schleimhaut,  die  mikro- 
skopisch wie  Papillen  aussehen  —  papilläre  Erosion.  Schnüren  sich  die  Drüsen  ab,  so 
entstehen  mit  Secret  gefüllte  Hohlräume  —  folliculäre  Erosion.  Diese  vergrössei'n 
sich  und  ragen  über  das  Niveau  der  Schleimhaut  hervor.  Durch  ihre  Schwere  können  sie 
die  angrenzende  Schleimhaut  zu  einem  Stiel  ausziehen.  So  entstehen  die  Schleimhaut- 
polypen. Wächst  eine  grössei'e  Zahl  neben  einander  liegender  Follikel,  betheiligt  sich  an 
der  Wucherung  auch  das  Cervixgewebe  selbst,  so  entsteht  Virghow's  folliculäre  Hy- 
pertrophie der  Lippe.  Die  Vergrösserung  kann  so  bedeutend  werden,  dass  die  Lippe 
bis  zur  Vulva  reicht.  Tritt  diese  Cystenbildung  bei  der  Wucherung  des  Cervixgewebes 
nicht  so  sehr  in  den  Vordergrund,  so  bilden  sich  wulstartige  Hervorragungen  in  die  Cer- 
vicalhöhle  hinein,  welche  den  Verdacht  carcinomatöser  Erkrankung  erwecken  können.  Bei 
Nulliparen  mit  engem  Muttermund  wird  durch  die  Secretverhaltung  der  Cervix  ballonartig 
ausgedehnt. 

Symptome:  Dieselben  bestehen  in  der  reichlichen  Absonderung  des 
zähen,  oft  mit  Eiter  vermengten  Cervixsecrets,  in  Blutungen,  die  nicht  nur 
zur  Zeit  der  Regel  verstärkt  sind,  sondern  auch  ausserhalb  derselben  auf- 
treten, und  in  Schmerzen,  die  bei  folliculärer  Erosion  oft  als  unerträgliches 
Brennen  geschildert  werden. 

Diagnose.  Schon  bei  der  digitalen  Exploration  fällt  einem  die  weiche 
oder  körnige  Beschaffenheit  der  Umgebung  des  Muttermundes  auf.  Am  Finger 
hängt  oft  ein  Klumpen  des  zähen  Cervixsecrets.  Im  Speculum  sieht  man  die 
Erosion,  d.  h.  der  Muttermund  ist  von  einem  lebhaft  gerötheten  Hof  umgeben, 
der  scharf  gegen  die  blassere  Färbung  der  normalen  Portioschleimhaut  ab- 
sticht. Handelt  es  sich  um  eine  papilläre  Erosion,  so  erkennt  man  eine  fein- 
körnige Beschaffenheit,  beim  Abtupfen  des  Secrets  kommt  es  häufig  zu  Blu- 
tungen; bei  der  folliculären  Erosion  prominiren  die  Follikel  als  graue  oder 
gelbe  Knötchen  {Ovula  Nahothi).  Die  entzündete  Cervicalschleimhaut  selbst 
bekommt  man  bei  alten  Cervixrissen  zu  Gesicht  {Ectropium).  Was  man  bei 
Mehrgeliärenden  als  Erosion  bezeichnet,  ist  nach  Roser,  Emmet  und  Döerlein, 
denen  sich  Verf.  auf  Grund  eigener  Untersuchungen  anschliesst,  der  Haupt- 
sache nach  Ectropium,  d.  h.  durch  einen  nicht  verheilten  Cervixriss  sichtbar 
gemachte  Cervicalschleimhaut.  Als  reine  Erosionen  möchte  Verfasser  nur  die 
seltenen  Erosionen  bei  Nulliparen  mit  engem  Muttermund  gelten  lassen,  die 
sich  weit  über  die  Aussenfläche  der  Portio  hin  erstrecken.  Ist  der  Mutter- 
mund bei  Nulliparen  nur  in  beschränktem    Umkreis   von    einer   lebhaft   ge- 


CERVIXKATARRH. 


161 


rötheten  Zone  umgeben,  so  kann  diese  sogenannte  Erosion  auch  ein  Ectro- 
pium sein,  cl.  h.  die  aus  dem  Muttermund  hervorquellende  entzündlich  ge- 
schwellte Cervicalschleimhaut.  Denn  nur  bei  sehr  engem  Muttermund  sieht 
man  von  der  entzündeten  Cervicalschleimhaut  nichts.  Dann  ist  stets  die  oben 
genannte  Erweiterung  der  Cervicalhölile  und  die  Auftreibung  des  ganzen 
Cervix  vorhanden.  Die  Polypen  und  die  folliculäre  Hypertrophie  erkennt  man 
ohne  Weiteres  im  Speculum. 

Uebrigens  erscheint  das  Carcinom  der  Portio  im  Beginn  auch  als  leicht 
blutende  Erosion.  Bei  genauer  Betrachtung  unterscheidet  man  jedoch  nach 
GussEROw  diese  beiden  Affectionen  dadurch  von  einander,  dass  das  beginnende 
Cancroid  ein  tiefer  greifendes  Geschwür,  also  einen  Su})stanzverlust  darstellt 
mit  oft  deutlich  erhabenen,  etwas  infiltrirten  Rändern.  Gewissheit  gibt  nur 
die  Excision  eines  das  Cervixgewebe  selbst  mitfassenden  Stückchens  und  die 
mikroskopische  Untersuchung  desselben. 

Prognose:  Die  Gesundheit  leidet  unter  den  abnormen  Säfteverlusten 
und  infolge  der  Schmerzen.  Durch  den  Cervixkatarrh  wird  bei  Nulliparen 
Sterilität  gesetzt,  die  ja  auch  auf  die  Psyche  ungünstig  einwirken  kann.  Die 
Möglichkeit  einer  malignen  Degeneration  ist  vorhanden. 

Therapie:  Der  wichtigste  Theil  der  Behandlung  besteht  in  den  thera- 
peutischen Einwirkungen  auf  die  erkrankte  Cervical-  und  eventuell  auch  Corpus- 
schleimhaut  selbst.  Die  Behandlung  der  Erosion  allein  ist  nur  von  unter- 
geordneter therapeutischer  Bedeutung.  Den  Cervixkatarrh  behandelt  man  nach 
Entfernung  des  Schleims  durch  Ausspülung  zunächst  durch  Auskratzen 
des  Cervicalcanals  mit  einer  Curette  oder  scharfem  Löffel.  Wenn  auch  hier- 
durch die  Schleimhaut  nicht  vollständig  entfernt  wird,  so  werden  doch  eine 
Menge  Gefässe  eröffnet,  die  Hyperämie  nimmt  ab.  Dies  erreicht  man  an  der 
Erosion  durch  Stichelung  derselben  mit  einem  Lanzenm.esser.  Danach  wird 
der  Cervicalcanal  und  die  Erosion  mit  einer  in  507o-iger  Chlorzinklösung 
getauchten,  watte-umwickelten  Sonde  geätzt,  wieder  ausgespült,  ausgewischt, 
und  ein  Jodoformglycerintampon  gegen  die  Portio  gelegt,  welchen  die  Patientin 
nach  24  Stunden  zu  entfernen  hat.  8  Tage  später  beginnt  man  mit  wei- 
teren Aetzungen  der  Cervicalschleimhaut  und  der  Erosion,  die  man  alle  4 — 8 
Tage  wiederholt.  Als  Aetzmittel  erfreuen  sich  der  gereinigte  Holzessig,  die 
reine  Salpetersäure,  der  Liq.  Bellostii  (Sol.  Hydi-arg}^-!  nitrici  oxydulati),  in 
letzter  Zeit  besonders  die  10— öO^/o-igen  Chlorzinklösungen  grosser  Beliebtheit. 

In  Fällen  von  Cervixkatarrh  mit  ausgedehnter 
Follikelbildung  gelingt  es  vermittels  dieser  Behand- 
lung nicht,  die  Entzündung  zu  beseitigen.  Hier  ist 
die  operative  Entfernung*)  der  erkrankten 
Schleimhaut  vermittels  der  von  Schröder  angege- 
benen Excisio  mucosae  cervicis  indicirt. 

Zu  dem  Zweck  werden  die  beiden  Lippen  mit  2  Kugel- 
zangen  gefasst,  nach  abwärts  gezogen  und  mit  einer  Cowpee.- 
schen  Scbeere  bis  zur  Grenze  der  Erosion  seitlich  auf- 
geschnitten. Sodann  umschneidet  man  an  der  vorderen  Lippe 
(Fig.  1,  a)  die  Erosion  und  dringt  mit  diesem  Schnitt  schräg 
nach  oben  in  die  Tiefe.  In  diesen  Schnitt  fällt  ein  zweiter,  wel- 
cher quer  die  Cervicalschleimhaut  der  vorderen  Lippe  durch- 
setzt. Schröder  legt  besonders  Werth  darauf,  diesen  Quer- 
schnitt so  hoch  wie  möglich  zu  fähren.  Indessen  wird  hier- 
durch eine  exacte,  die  ganze  Wundfläche  umfassende  Naht 
schwierig,  und  es  entsteht  leicht  eine  Tasche.  Auch  wird 
die  ganze  Cervicalschleimhaut  doch  nicht  entfernt.  Die  ent- 
standene Wunde,  in  der  oft  mehrere  Arterien  spritzen,  wird 
sofort  vernäht  (Fig.  2),  indem  der  vordere  Wundrand  in  der 
Mitte  durchstochen,  die  Nadel  unter  der  ganzen  Wunde  durch- 

*)  Vrgl.  zum  Nachfolgenden  auch  Artikel  „Fortio- Operationen"  (J.  Elischer), 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  11 


162  CEKVIXKATARRH. 

und  im  Cervicalcanal  herausgeführt  wird.  Ist  die  Blutung  stark,  so  wird  sofort  geknüpft, 
nachdem  der  rechtsstehende  Assistent  den  vorderen  Wundrand  mit  einer  Hakenpincette  an 
den  hinteren  cervicalen  Wundrand  herangezogen  hat.  In  derselben  Weise  legt  der 
Operateur  noch  je  eine  oder  zwei  seitliche  Suturen  an,  welche  die  Portio-  esact  mit 
der  Cervicalschleimhaut  vereinigen.  An  den  langgelassenen  Fäden  zieht  der  linksstehende 
Assistent  die  Portio  nach  abwärts,  während  der  Operateur,  die  Kugelzange  der  hinteren 
Lippe  mit  der  linken  Hand  fassend,  in  der  schon  geschilderten  Weise  die  Erosion  umschnei- 
det und  dann  den  Querschnitt  über  die  hintere  Lippe  führt.  Die  Vernähung  geschieht  an 
der  hinteren  Lippe  natürlich  derart,  dass  jetzt  in  der  Cervicalschleimhaut  ein-  und  an  der 
Portioschleimhaut  ausge~stochen  wird,  und  dass  der  Assistent  den  Portiolappen  in  die  Höhe 
zieht.  Nach  der  Yernähung  der  hinteren  Lippe  w^erden  die  langgelassenen  Fäden  beider 
Lipjjen  von  dem  rechtsstehenden  Assistenten  nach  rechts  gezogen,  worauf  der  Operateur 
den  linken  Seitenschnitt  durch  eine  oder  mehrere  von  oben  nach  unten  durchgeführte 
Nähte  vereinigt.  Im  Moment  des  Knüpfens  muss  der  rechte  Assistent  durch  Eindrücken 
der  Wunde  mit  einer  Pincette  für  die  genaue  Adaption  der  Wundränder  sorgen.  In  der- 
selben Weise  wird  mutatis  mutandis  der  rechte  Seitenschnitt  vereinigt.  Nunmehr  werden 
die  Fäden  abgeschnitten,  die  Portio  mit  Jodoform  bepudert  und  ein  Jodoformgazestreifen 
eingelegt. 

Ist  der  Cervicalcanal  sehr  weit,  so  lässt  sich  auch  an  den  Seiten  die  Portio-  mit  der 
Cervicalschleimhaut  vereinigen.  Die  isolirte  Vernähung  der  Seitenschnitte  fällt  dann  fort. 
Dies  ist  die  HEGAR'sche  Methode  der  circulären  ümsäumung. 

Da  an  der  hinteren  Lippe  durch  eine  eigenthümliche  Ptetraction  der  Wunde  diese 
oft  dicht  an  den  DouGLAs'schen  Raum  stösst,  die  unter  der  Wunde  durchgeführten  Fäden 
somit  das  Peritoneum  mitfassen  oder  demselben  dicht  anliegen,  so  hat  Verf.  gerathen,  an 
der  hinteren  Lippe  die  Wunde  in  der  Tiefe  zunächst  durch  einige  Catgutsuturen  zu  ver- 
schliessen  und  darüber  Cervical-  und  Portioschleimhaut  durch  oberflächliche  Nähte  zu  ver- 
einigen. Hierdurch  wird  einer  Peri-,  resp.  Parametritis  posterior  vorgebeugt,  welche  sich  in 
mindestens  10°l„  der  Fälle  an  alle  Absetzungen  der  hinteren  Lippe  anschliesst.  Denn  wenn 
von  infectiösem  Cervix-  oder  Scheidensecret  eine  Infection  der  Stichcanäle  stattfindet,  so 
bleibt  die  Entzündung  der  Stichcanäle  bei  dieser  Doppelnaht  eine  oberflächliche,  schreitet 
nicht  auf  das  Peritoneum  fort.  Der  genannten  Retraction  lässt  sich  auch  dadurch  vor- 
beugen, dass  man  bei  allen  Excisionen  an  der  Portio  den  äusseren  Schnitt  an  der  Unter-, 
nicht  an  der  Hinterseite  der  Portio  beginnt. 

Führt  man  den  Schnitt  über  die  Portioschleimhaut  etwas  höher,  so  gibt 
das  die  „keilförmige  Excision  oder  Amputation  der  Portio"  (Fig.  1, 
c,  d,  e),  legt  man  dagegen  den  inneren  Schnitt  tiefer  an  die  Grenze  der  Portio- 
und  Cervicalschleimhaut  und  schneidet  schräg  nach  oben  und  aussen,  so  gibt 
das  die  kegelmantelförmige  Excision  (Fig.  1,  die  punktirte  Linie 
bei  b).  Erstere  hat  besonders  A.  Martin  empfohlen,  um  l)ei  chronischer 
Metritis  eine  Involution  des  gesammten  Uterus  zu  erzielen,  letztere  ist  von 
Simon  und  Küster  bei  Stenosen  des  Muttermundes  angegeben. 

Als  Nahtmaterial  empfiehlt  sich  Seide,  Silkworm  oder  Silberdraht.  Neuerdings  wählt 
man  auch  vielfach  Catgut. 

Die  Patientin  muss  mindestens  8  Tage  das  Bett  hüten.  Die  Fäden  können  später 
entfernt  werden. 

Bei  Cervixkatarrh  in  Verbindung  mit  tieferen  Cervixrissen 
genügt  die  Beseitigung  des  Katarrhs  nicht  zur  Heilung  aller  Beschwerden. 
Vom  Ptisswinkel  strahlen  Narbenzüge  in  das  Parametrium  aus,  w^elche  dauernde 
Schmerzen  unterhalten.  Auch  Recidive  des  Cervixkatarrhs  sind  sehr  häufig. 
Hier  ist  die  operative  Schliessung  des  Cervixrisses  indicirt. 

Zu  dem  Zweck  wird  die  Portio  mit  2  Kugelzangen  herab-,  die  Lippen  auseinander- 
gezogen, und  der  Riss  angefrischt.  Die  Anfrischung  ist  ^j^—l  cm  breit  und  greift  zum 
Theil  auf  die  Cervicalschleimhaut  über.  Nach  unten  hin,  gegen  den  neuzubildenden  Mutter- 
mund, wird  die  Anfrischung  schmäler.  Schwierig  ist  die  Anfrischung  oft  im  Risswinkel. 
Die  obere  Hälfte  der  Anfrischung  wird  mit  der  unteren  durch  4  Nähte  vereinigt.  Der  erste 
Faden  liegt  dicht  am  Risswinkel  und  geht  unter  der  ganzen  Wunde  durch.  Derselbe  wird 
nicht  geknotet,  sondern  bei  linksseitigem  Cervixriss  von  dem  linken  Assistenten  nach  links 
gezogen.  Die  nächsten  3  Nähte  werden  an  der  oberen  Hälfte  der  Anfrischung  in  der  Portio- 
schleimhaut   eingestochen,    unter    der  Wunde    durchgeführt,    an   der  Grenze  der  Cervical- 


CERVIXSTENOSE.  163 

Schleimhaut  ausgestochen,  an  derselben  Stelle  der  unteren  Hälfte  der  Anfrischung  sofort 
wieder  eingestochen,  unter  der  Wunde  durchgeführt  und  in  der  Portioschleimhaut  aus- 
gestochen. Geknüpft  wird  erst,  wenn  säntimtliche  Nähte  gelegt  sind  CFig.  3).  Bei  doppel- 
seitigem Riss  wird  auf  beiden  Seiten  angefrischt.  Hier  schneiden  sich  die  Anfrischungs- 
flächen  nicht  unter  einem  spitzen  Winkel,  sondern  die  untere  bildet  die  directe  Verlängerung 
der  oberen.  Die  Anfrischung  ist  daher  beim  doppelseitigen  Riss  leicliter,  die  Vernähung 
schwieriger.  Letztere  kann  man  sich  dadurch  erleichtern,  dass  man  sicii  mittels  der  Kugel- 
zangen die  Portio  bei  Vernähung  der  linken  Seite  nacli  rechts,  bei  Vernähung  der  rechten 
Seite  nach  links  ziehen  lässt.  Der  besseren  Uebersicht  halber  macht  man  bei  doppelseiti- 
gem Riss  die  Anfrischung  gleich  auf  beiden  Seiten  —  falls  es  nicht  zu  stark  blutet  —  und 
legt  ebenfalls  alle  Nähte,  bevor  man  knüpft.  Ist  die  Blutung  stark,  so  knüpft  man  den 
Faden  im  Risswinkel. 


Fig.   3. 

In  der  letzten  Zeit  hat  Verfasser  bei  zahlreichen  Cervixrissen  nach  der  Anfrischung  die 
in  Fig.  4  dargestellte  Nahtanlegung  gewählt.  Dieselbe  hat  den  Vortheil,  dass  eine  Infection 
der  Stichcanäle  vom  Cervix  aus  nicht  möglich  ist,  da  die  Cervixschleimhaut  gar  nicht 
durchstochen  wird. 

Die  weitere  Behandlung  ist  dieselbe,  wie  bei  der  Excisio  mucosae  cervicis. 

Ist  die  Endometritis  cervicis  bei  gleichzeitigem  Cervixriss  mit  stärkerer  Follikelbildung 
verknüpft,  ist  also  die  Excisio  mucosae  cervicis  indicirt,  so  lässt  sich  diese  mit  der 
EiiMET'schen  Operation  combiniren.  Man  schneidet  den  Risswinkel  mit  der  Scheere 
leicht  ein  und  lässt  dann  den  die  Portio  umkreisenden  und  den  cervicalen  Schnitt  in  den 
Risswinkel  auslaufen. 

Auch  ohne  Anfrischung  lässt  sich  ein  Cervixriss  schliessen,  indem  man  den  Riss  an 
der  Grenze  zwischen  Portio-  und  Cervicalschleimhaut  ^/^  cm  tief  einschneidet  (in  der  Länge 
und  Richtung  der  Linie  c  d  in  Fig.  4).  Durch  das  Auseinanderweichen,  resp.  Auseinander- 
ziehen der  Wundränder  entsteht  eine  Wundfläche,  deren  obere  Hälfte 
genau  wie  bei  der  oben  beschriebenen  EMMET'schen  Operation  und  durch 
dieselbe  Art  der  Nahtanlegung  mit  der  unteren  vereinigt  wird.  Noch  ein- 
facher gestaltet  sich  die  Nahtanlegung,  die  ich  ebenfalls  mit  Erfolg  an- 
wandte, mit  einer  einzigen  Naht,  welche  der  Länge  nach  unter  der 
oberen  Wundfläche  durchgeführt,  im  Risswinkel  aus-,  dicht  daneben  wie- 
der eingestochen  und  nun  unter  der  unteren  Wundfläche  durchgeführt 
wird  (cf.  Fig.  4).  Die  Durchführung  der  Nadel  wird  dadurch  erleichtert, 
dass  man  die  Punkte  c  und  d  mit  den  Kugelzangen  möglichst  nach 
oben   und   unten    zieht.     Diese    „Lappenspaltung"    am  Cervix  hat  vor  der  ^ig-  5. 

EMMET'schen  Operation  noch  den  Vortheil  voraus,  dass  die  vom  Risswinkel  in  das  Para- 
metrium  aussti-ahlenden  Narbenzüge  sicher  und  leicht  durchtrennt  werden.  Der  Cervical- 
lappen  darf  nicht  zu  dünn  ausfallen.  Der  Schnitt  muss  sich  also  in  der  Mitte  zwischen 
Portio-  und  Cervicalschleimhaut  halten  (Fig.  5  i  h,  e  f).  DÜHESSEX. 

CerviXStenOSe.  Stenosen  des  Uterus  betreffen  seinen  unteren  Abschnitt, 
den  Cervix,  und  zwar  gibt  es  isolirte  Stenosen  des  äusseren  Mutter- 
mundes, Stenosen  des  ganzen  Cervicalcanals  und  am  seltensten  isolii'te  Ste- 
nosen des  inneren  Muttermundes.  Die  Stenosen  können  angeboren  oder  er- 
worben sein. 

Die  angeborenen  Stenosen  des  äusseren  Muttermundes  treten  in 
zwei  Formen  auf:  Stenose  bei  normal  grossem  Uterus  und  Stenose  bei  atropM- 

11* 


164  CERVIXSTENOSE. 

scliem  Uterus.  Auch  bei  den  angeborenen  und  erworbenen  Stenosen  des 
ganzen  Cervicalcanals  ist  natürlich  zunächst  der  äussere  Muttermund  stenotisch. 
Die  angeborene  Stenose  des  ganzen  Cervicalcanals  ist  meistens  mit  einer 
Verlängerung  des  Cervix  verbunden,  der  in  der  Axe  der  Scheide  liegt,  während 
ihm  der  kleine  Uteruskörper  stark  antefiectirt,  aufsitzt  („der  anteflectirte 
Uterus  liegt  in  Retroversionsstellung").  Es  handelt  sich  hier  um  einen  Uterus 
infantilis  mit  entzündlicher  Hypertrophie  des  Cervix. 

Die  erworbenen  Stenosen  sind  am  häufigsten  durch  intrauterine 
Aetzungen  bedingt,  bei  denen  nicht  durch  nachfolgende  Uterusausspülungen 
für  eine  gründliche  Entfernung  des  Aetzmittels  gesorgt  wurde,  ferner  durch 
Narbenbildungen  im  Anschluss  an  geschwürige  Processe  in  der  Umgebung  des 
Muttermundes,  an  ausgedehnte  Zerreissungen  bei  Geburten,  an  Operationen. 
Gerade  die  Portioamputation,  welche  vielfach  zur  Heilung  einer  Stenose  em- 
pfohlen wird,  kann  zu  einer  derartigen  Narbenbildung  führen,  dass  eine  Ste- 
nose des  äusseren  Muttermundes  die  Folge  ist.  Ferner  hat  auch  ein  zu  aus- 
giebiger plastischer  Verschluss  eines  Cervixrisses  (EMMEx'sche  Operation)  den- 
selben Effect.  Entzündliche  Schwellung  der  Cervicalschleimhaut  führt  gleich- 
falls zu  einer  Verengerung  des  Cervicalcanals,  ebenso  auch  die  senile  Invo- 
lution des  ganzen  Uterus.  In  letzterem  Fall  betrifft  die  Stenose  bei  Frauen, 
die  geboren  haben,  zunächst  nur  den  inneren  Muttermund,  da  bei  Pluriparen 
der  untere  CervixaJjschnitt  durch  die  Geburt  dauernd  mehr  dilatirt  bleibt. 

Es  gibt  ferner  eine  relative  Stenose,  die  darin  besteht,  dass  der 
Cervicalcanal  zwar  normal  weit,  das  Uterussecret  indessen  abnorm  vermehrt 
oder  abnorm  zähe  ist.  Hier  tritt  wie  bei  stenotischem  Cervix  eine  Secret- 
stauung  ein,  die  zu  secundärer  Dilatation,  und  zwar  bei  Corpuskatarrh  zur 
Dilatation  der  Corpushöhle,  bei  Cervixkatarrh  zu  spindelförmiger  Dilatation 
der  Cervicalhöhle  führt. 

Endlich  gibt  es  vorübergehende  Stenosen  des  inneren  Mutter- 
mundes, die  bei  Aetzungen  der  Cervicalschleimhaut,  bei  öfterem  Sondiren  auf- 
treten. Sie  sind  durch  Contraction  der  Ringfasern  des  inneren  Muttermundes 
bedingt.  Auch  ohne  derartige  Contraction  kann  übrigens  eine  Stenose  des 
inneren  Muttermundes  dadurch  vorgetäuscht  werden,  dass  die  Sonde  nicht  in 
der  Richtung  des  Uteruscanals  vorgeschoben  wird. 

Symptome:  Dieselben  bestehen  in  Dysmenorrhoe  und  Sterilität  und 
sind  nach  Sims  dadurch  bedingt,  dass  die  Stenose  den  Abfluss  des  Menstrual- 
blutes  und  das  Eindringen  der  Spermatozoen  hindert.  Die  Anstauung  des 
Blutes  führt  zu  schmerzhaften  Uteruscontractionen.  Diese  Uteruskoliken 
können  übrigens  bei  mit  katarrhalischen  Entzündungen  combinirten  Stenosen 
auch  ausserhalb  der  Menstruation  auftreten  und  entstehen  dann  durch  den  ge- 
hemmten Abfluss  des  katarrhalischen  Secrets. 

Die  Sterilität  ist  keine  absolute,  da  natürlich  auch  durch  einen  abnorm 
engen  Muttermund  die  Spermatozoen  in  Folge  ihrer  Kleinheit  und  ihrer  Eigen- 
bewegung eindringen  können.  Sie  ist  ferners  häufig  durch  eine  mit  der  Ste- 
nose vergesellschaftete  Entzündung  der  Uterusschleimhaut  oder  mangelhafte 
Entwicklung  des  ganzen  Uterus,  resp.  der  Ovarien  bedingt.  Eine  Erschwerung 
der  Conception  ist  aber  jedenfalls  durch  die  verschiedenen  Stenosen  gegeben  — 
schon  allein  dadurch,  dass  die  Stenose  die  beim  Coitus  normaliter  erfolgende 
Ausstossung  und  nachfolgende  Einziehung  des  mit  Spermatozoen  beladenen 
Cervix  —  Schleimpfropfes  —  hindert.  Hierdurch  ist  ein  längeres  Verweilen 
des  Sperma  in  der  Vagina  gegeben,  deren  saurer  Schleim  die  Spermatozoen 
abtödtet. 

Dysmenorrhoe  und  Sterilität  finden  sich  übrigens  noch  bei  einer  Reihe 
anderer  gynäkologischer  Affectionen,  vornehmlich  bei  Erlvrankungen  der  Uterus- 
anhänge, bei  mangelhafter  Entwickelung  des  ganzen  Uterus  oder  der  Ovarien. 


CERVIXSTENOSE.  165 

Man  darf  also  niemals  auf  die  Anamnese  liin  die  Diagnose  „Stenose"  stellen, 
sondern  muss  mittelst  einer  genauen  c.ombinirten  Untersuciiung  die  Grösse 
des  ganzen  Uterus,  die  Beschafienheit  der  Uterusadnexe  (Tuben  und  Ovarien), 
des  Beckenbauchfells  und  Beckenbindegewebes  eruiren.  Findet  sich  hierbei 
nichts  Abnormes,  so  wird  man  erst  an  die  Möglichkeit  einer  Stenose  denken. 

Diagnose:  Mit  Ausnahme  der  relativen  Stenose  ist  bei  Stenose  des 
äusseren  Muttermundes  der  Muttermund  unter  Umständen  so  eng,  dass 
man  ihn  mit  dem  Finger  kaum  fühlen  und  im  Speculum  nur  als  kleines 
Löchelchen  erkennen  kann.  Bei  diesem  hohen  Grad  der  Stenose  ist  unter 
allen  Umständen,  selbst  bei  abnormer  Kleinheit  des  Uterus  die  Diagnose  auf 
Stenose  zu  stellen,  während  eine  geringe  Stenose  bei  abnorm  kleinem  Uterus 
eben  nur  eine  Theilerscheinung  der  Entwicklungshemmung  des  gesammten 
Uterus  darstellt.  Jede  Stenose  des  äusseren  Muttermundes,  auch  die  relative, 
erkennt  man  ferner  an  der  secundären  Ausweitung  des  Cervicalcanals,  der 
durch  das  in  ihm  angestaute  zähe  Cervixsecret  förmlich  aufgeblasen  erscheint. 
Nach  genauen  Messungen  von  B.  S.  Schultze  muss  bei  richtiger  Führung 
eine  Sonde  von  4  mm  Dicke  den  normal  weiten  Cervicalcanal  ohne  Schwie- 
rigkeit passiren  können.  Wir  dürfen  also  ferner  bei  normal  grossem  Uterus 
eine  Stenose  des  äusseren  Muttermundes  als  sicher  annehmen,  wenn  ein  Sonden- 
knopf von  4  mm  Dicke  den  Muttermund  nicht  oder  nur  bei  Anwendung  einer 
gewissen  Gewalt  zu  passiren  vermag. 

Durch  die  Sondirung  mit  der  erv.'ähnten  Sonde  stellen  wir  auch  die 
Stenose  des  ganzen  Cervicalcanals  fest.  Dieselbe  ist  vorhanden,  wenn 
die  4  «^m-Sonde  den  Cervicalcanal  nicht  zu  passiren  vermag. 

Eine  Stenose  des  inneren  Muttermundes  ist  zu  diagnosticiren, 
wenn  trotz  geschickten  Sondirens,  trotz  passender,  d.  h.  der  Krümmung 
des  Uterus  angemessener  Biegung  der  Sonde,  trotz  Vorführung  der  Sonde  in 
der  Eichtung  des  Uteruscanals  und  trotz  Fixation  der  Portio  mit  einer  Kugel- 
zange die  4  mm-Sonde  bei  wiederholter  Untersuchung  den  inneren  Muttermund 
gar  nicht  oder  nur  mit  Anwendung  einer  gewissen  Gewalt  zu  passiren  vermag. 

Was  die  Prognose  anlangt,  so  führt  die  Stenose  zwar  nicht  zu  lebens- 
gefährlichen Zuständen,  wohl  aber  zu  mancherlei  Leiden,  welche  die  Frau 
schliesslich  einem  dauernden  Siechthum  überliefern.  Von  ihrem  Beginn  an 
ist  die  Menstruation  sehr  schmerzhaft,  so  dass  die  betreffenden  Patientinnen  das 
Bett  hüten  müssen.  In  Folge  der  Stauung  des  Secrets  kommt  es  allmälig  zu 
einer  Endometritis  mit  vermehrter  Secretion  —  und  nun  treten  jene  Uterus- 
koliken, welche  die  Dysmenorrhoe  bedingten,  auch  ausserhalb  der  Menstruation 
auf.  Durch  die  mehr  oder  minder  fortwährenden  krampfartigen  Schmerzen  wird 
der  ganze  Organismus  und  besonders  das  Nervensystem  in  Mitleidenschaft 
gezogen  —  es  entstehen  Neurosen  der  verschiedensten  Art.  Die  Entzündung 
des  Endometriums  pflanzt  sich  weiter  auf  das  Uterusparenchym,  auf  das  Becken- 
bauchfell und  die  Ovarien  fort.  So  entstehen  ausser  der  Endometritis  im  An- 
schluss  an  die  Stenose  noch  Metritis,  Perimetritis,  Oophoritis,  Perioophoritis, 
die  zu  verstärkten  Menstruationsblutungen  und  dem  Auftreten  neuer  Schmerzen 
führen. 

Therapie:  Ehe  man  an  die  Behandlung  einer  Stenose  geht,  hat  man 
sich  zunächst  davon  zu  überzeugen,  ob  neben  der  Stenose  die  erwähnten 
Folgezustände  vorhanden  sind  oder  nicht.  Bei  frischer,  fieberhafter  Peri- 
metritis wird  man  von  jedem  Eingriff  absehen.  Handelt  es  sich  dagegen  um 
ältere  perimetritische  Verwachsungen  der  Ovarien,  um  den  Uterus  fixii'ende, 
perimetritische  Stränge,  so  wird  man  die  Narcose  der  Patientin  benutzen,  um 
die  Ovarien  aus  ihren  Verwachsungen  bimanuell  nach  B.  S.  Schultze  aus- 
zulösen,   die  perimetritischen  Stränge   zu   dehnen,   resp.    zu  zerreissen.     Ist 


166 


CERVIXSTENOSE. 


neben  der  Stenose  eine  Endometritis  vorhanden,  so  wird  man  gleichzeitig  mit 
der  Stenose  auch  die  Endometritis,  letztere  durch  Curettement,  zu  beseitigen 
suchen. 

Sehr  einfach  zu  behandeln  sind  die  uncomplicirten  Fälle  von 
leichter  Stenose,  die  bei  jungen  Mädchen  bald  nach  Eintritt  der  Men- 
struation zur  Behandlung  kommen.  Hier  genügt  manchmal  das  einfache  Ein- 
führen einer  Sonde  in  den  Uterus,  um  die  Dysmenorrhoe  zu  beseitigen  und 
bei  Ausübung  des  Coitus  eine  Conception  zu  ermöglichen.  Bei  stärkeren 
Stenosen  ist  eine  energische  Behandlung  indicirt,  welche  bei  der  isolirten 
Stenose  des  äusseren  Muttermundes  in  der  bilateralen  Discision  und 
nachfolgenden  Umsäumung  der  Schnittflächen  durch  die  Naht  besteht  und  bei 
richtiger  Ausführung  die  Stenose  sicher  beseitigt. 

Die  Operation  wird  f olgendermaassen  ausgeführt: 
Nach  gehöriger  Desinfection  der  äusseren  Geschlechtstheile  und  der 
Scheide  wird  die  Portio  durch  SiMON'sche  Specula  eingestellt,  die 
vordere  und  hintere  Lippe  mit  je  einer  Kugelzange  fixirt,  und  der 
Uterus  mit  einer  37o-igen  Carbolsäure  resp.  l^-igen  Lysollösung 
ausgespült.  Darauf  schneidet  man  den  Muttermund  zu  beiden  Seiten 
mit  einer  CowPER'schen  Scheere  cca.  ^j^  —1  cm  weit  ein.  Hierdurch 
entstehen  2  der  Cervicalschleimhaut  jederseits  anliegende  von  der 
Spitze  der  vorderen  zu  derjenigen  der  hinteren  Lippe  sich  hin- 
ziehende Wundfiächen.  Dieselben  werden  nun  dadurch  geschlossen, 
dass  man  auf  beiden  Seiten  durch  quere,  unter  der  ganzen  Wunde 
hindurchgeführte  Knopfnähte  von  Seide,  Silkworm  oder  Catgut  die 
^  ^  Portio-  mit  der  Cervicalschleimhaut  vereinigt.    Hierdurch  behält  der 

\ \p*M^i^Ä^'iK  Muttermund    seine    klaffende    Gestalt,     ein    Wiederverwachsen    der 

y\  pl^^^^  i/l  /  gesetzten  Wundflächen,  wie  es  nach  der  einfachen  Discision  so 
häufig  vorkommt,  ist  unmöglich.  Man  legt  die  Fäden  von  oben  nach 
unten  an  und  knüpft  jeden  Faden  sofort.  Der  rechtsstehende 
Assistent  muss  (mit  seiner  linken  Hand)  mit  der  oberen  Kugel- 
zange, resp.  den  schon  geknoteten  Fäden  die  Portio  stark  nach  vom 
ziehen,  während  seine  rechte  Hand  mit  einer  Hakenpincette  die 
Wunde  eindrückt,  sie  gewissermaassen  einfalzt,  damit  der  Opera- 
teur beim  Knoten  die  durch  starres  Gewebe  getrennten  Wundrän- 
der auch  dicht  aneinander  bringt.  Zu  dem  Zweck  muss  ausser- 
dem der  Operateur   die   Fäden  recht  fest  schnüren. 

Noch  zweckmässiger  ist  es  für  eine  leichte  Adaption  der 
Wundränder  die  gesetzten  Wundflächen  keilförmig  auszuschneiden 
(Chrobak).  Nach  der  Vernähung  werden  die  Fäden  kurz  abgeschnit- 
ten, mit  Jodoform  bestäubt  und  ein  Jodoformgazestreifen  eingelegt. 
Die  Operirte  muss  8  Tage  das  Bett  hüten,  die  Fäden  werden  am  besten  erst  8  Tage 
später  entfernt.  Bei  stärkerem  Ausfluss  lässt  man  tägliche  Scheidenausspülungen  mit 
Lysol  machen. 

Ist  die  untere  Fläche  der  Portio  breit,  die  ganze  Portio  also  mehr  cy- 
lindrisch  oder  pilzförmig,  so  empfiehlt  sich  mehr  die  kegelmantelförmige  Ex- 
cision  der  Portio  nach  Simon-Maeckwald.  Man  macht  bei  dieser  zunächst 
ebenfalls  die  bilaterale  Discision  und  schneidet  dann  aus  der  vorderen  und 
hinteren  Lippe  ein  keilförmiges  Stück  heraus,  dessen  Basis  an  der  unteren 
Seite  der  Portio  liegt. 

Bei  der  Stenose  des  ganzen  Cervicalcanals,  resp.  des  inneren 
Muttermundes  helfen  Discisionen  nichts.  Die  oberhalb  des  Scheidenan- 
satzes gelegenen  Schnitte  verwachsen  wieder.  Hier  sind  wir  auf  die  mechanische 
Dilatation  angewiesen.  Am  schmerzlosesten  und  raschesten  erreicht  man  die- 
selbe durch  die  Anwendung  eines  constanten  Stroms  von  50  Milliamperes  bei 
Einführung  der  negativen  Sonde  in  den  Uterus.  Wenige  Sitzungen  genügen, 
um  den  ganzen  Cervicalcanal,  wie  es  scheint,  dauernd  zu  erweitern.  Die 
Dysmenorrhoe  verschwindet,  und  Conception  kann  eintreten,  wie  Verfasser 
mehrfach  beobachtete.  Hat  man  keinen  so  starken  elektrischen  Strom  zur 
Verfügung,  so  dilatirt  man  den  Cervicalcanal  kurz  vor  der  Menstruation  mit 


Fig.  1. 


CLITORIDECTOMIE.  —  COCCYGODYNIE.  167 

metallenen  Diktatoren  soweit,  als  es  ohne  grösseren  Schmerz  zu  erzeugen, 
angeht  und  tamponirt  dann  den  Uterus  mit  einem  Jodoformgazestreifen  aus. 
Die  Menstruation  verläuft  dann  gewöhnlich  schmerzlos.  Eventuell  muss  das 
Verfahren  aber  noch  ein  oder  mehreremale  wiederholt  werden. 

Schneller  kommt  man  mit  der  mechanischen  Dilatation  zum  Ziel, 
falls  man  die  Patientin  narcotisiren  kann.  In  Narcose  führt  man  dann  rasch  hin- 
tereinander immer  stärkere  Nummern  solider  Diktatoren,  wie  z.  B.  die  He- 
GAR'schen  Dilatatoren,  ein  und  tamponirt  dann  ebenfalls  den  ganzen  Uterus 
fest  mit  einem  Jodoformgazestreifen  aus.  Die  Narcose  ermöglicht  es,  die  Di- 
latation viel  weiter  zu  treiben.  Die  nachfolgende  Tamponade  führt  zu  einer 
bedeutenden  Auflockerung  des  ganzen  Cervix  und  zu  einer  energischeren  Cir- 
cuktion  im  Uterusgewebe,  was  besonders  für  die  Fälle  von  mangelhafter  Ent- 
wickelung  des  Uterus  von  Werth  ist. 

VuLLiET  hat  neuerdings  die  Stenose  des  Cervicalcanals  resp.  des  inneren  Mutter- 
mundes durch  Einpflanzung  eines  um  die  Portio  entnommenen  Lappens  in  den  Cervix  zu 
heilen  empfohlen.  Ebenso  wie  Vulliet  hat  auch  Verf.  in  einem  Fall  diese  Methode  mit 
Erfolg  alisgeführt. 

DÜHRSSEN. 

Clitoridectomie.  Man  versteht  unter  derselben  die  operative  Entfer- 
nung der  Clitoris.  In  den  sechziger  Jahren  gab  es  eine  Zeit,  wo  besonders 
Baker  Brown  nicht  nur  die  Onanie  und  Nymphomanie,  sondern  auch  die 
Hysterie  und  Hystero-Epilepsie  durch  diese  Operation  heilen  zu  können  ver- 
meinte —  ein  ähnlicher  Irrthum,  wie  er  in  den  siebziger  Jahren  zur  Castra- 
tion  bei  Neurosen  führte.  Wir  halten  die  Clitoridectomie  heutzutage  nur 
berechtigt  bei  krankhaften  Vergrösserungen  der  Clitoris  durch  einfache  Hy- 
pertrophie, durch  Elephantiasis  oder  durch  maligne  Geschwülste.  Einzelne 
Autoren  haben  neuerdings  noch  die  Operation  ausgeführt  in  Fällen  von  Pruritus 
vulvae  oder  Masturbation,  wo  die  Clitoris  allein  als  Ausgangspunkt  des  Pteizes 
angegeben  wurde.     Die  Erfolge  waren  jedoch  nahezu  negative. 

Die  Technik  der  Operation  ist  sehr  einfach:  Man  zieht  die  Clitoris 
mit  einer  Kugelzange  an  und  umschneidet  sie  mit  einem  unteren,  oberhalb 
der  Harnröhrenmündung  verlaufenden  und  einem  oberen  Bogenschnitt.  Indem 
man  von  diesen  Schnitten  in  die  Tiefe  dringt,  durchtrennt  man  die  Crura 
clitoridis.  Die  Blutung  wird  durch  Knopfnähte  gestillt,  welche  den  Grund  der 
Wunde  umfassen  und  die  Wundränder  genau  vereinigen.  Bei  elephantia- 
stischen  oder  Geschwulstbildungen  der  Clitoris  müssen  in  der  Ptegel  die  er- 
krankten Nymphen  mitentfernt  werden.  Hier  umgreifen  die  verlängerten 
Bogenschnitte  noch  die  Njrmphen.  Der  Blutung  wegen  trennt  man  dann  am 
besten  jede  Nymphe  von  untenher  bis  zur  Clitoris  hin  ab.  Die  gesetzten 
Wunden  werden  von  untenher  sofort  durch  Knopfnähte  verschlossen.  Zum 
Schluss  wird  dann  erst  die  Wurzel  der  Clitoris  durchschnitten  und  vernäht. 
Selbstverständlich  muss  man  sich  vor  Verletzungen  der  Urethra  oder  Mitfassen 
derselben  beim  Nähen,  event.  durch  Einlegen  eines  Katheters,  schützen.  Die 
Vulva  und  ihre  Umgebung  wird  mit  einem  Jodoformgazestreifen  bedeckt, 
nach  dem  Urinlassen  wird  mit  Vj^-iger  Lysollösung  abgespült,     dührssex. 

CoCCygodynie.  Mit  der  BezÄclmung  Coccygod}Tiie  (6  v.oxxuc,  das 
Kuckucks-  oder  Steissbein  und  •?]  oSuv/;,  der  Schmerz)  benannte  Simpson  ein 
Leiden,  welches  sich  in  heftigen  Schmerzen  in  der  Steissbeingegend  äussert. 
Am  intensivsten  verspüren  die  davon  Betroffenen  den  Schmerz  beim  Aufstehen 
oder  Niedersetzen,  beim  längeren  aufrechten  Sitzen,  wenn  man  das  Steissbein 
bewegt,  oder  einen  Druck  auf  dasselbe  ausübt.  Zumeist  sind  es  im  geschlecht- 
lichen Verkehr  stehende  Frauen,   die  von    dem  Uebel  befallen    werden,    aber 


168  COCCYGODYNIE. 

es  werden  auch  Fälle   von   Coccygodynie   bei   Jungfrauen   beobaclitet.     Auch 
Männer  können  an  Coccygodynie  leiden. 

Der  Schmerz  wird  mit  einem  intensiven  Zahnschmerz  verglichen  und 
kann  sich  bis  zur  Unerträglichkeit  steigern. 

Aetiologie:  Nach  Scanzoni  soll  es  vornehmlich  der  Geburtsact  sein, 
der  zur  Entstehung  der  Coccygodynie  führt.  Insbesondere  geben  dazu  Ver- 
anlassung operativ  beendigte  Geburten.  Für  gewöhnlich  wird  die  durch  den 
austretenden  Kopf  erzeugte  Erweiterung  im  Beckenausgang,  ohne  weitere 
Folgen,  ganz  gut  vertragen;  es  stellen  sich  bald  nach  der  Geburt  wieder  nor- 
male Verhältnisse  her.  Es  kommen  aber  auch,  wie  Hyetl  nachgewiesen  hat, 
im  Gefolge  der  Geburten,  Luxationen  des  Steissbeins  mit  consecutiven  Anky- 
losen vor.  Erstere  können  zur  Coccygodynie  Veranlassung  geben.  Anderer- 
seits sind  von  Luschka  exsudative  Processe  im  Kreuz-Steissbeingelenke  nach- 
gewiesen worden,  deren  Vorhandensein  das  Bild  der  Coccygodynie  leicht  er- 
klärt. Die  von  Scanzoni  beobachteten  Anschwellungen  des  Kreuz-Steissbein- 
gelenkes,  lassen  auch  nichts  anderes,  als  exsudative  Processe  in  diesen  Fällen 
annehmen.  Es  hat  sich  dabei  stets  um  eine  bedeutende  Empfindlichkeit  der 
betroffenen  Stelle  gehandelt.  Gewiss  ist,  dass  die  Nervi  coccygei  und  die  am 
Steissbein  befindlichen  Ligamente  durch  den  Geburtsact  eine  bedeutende 
Zerrung  erleiden.  Scanzoni  hat  auch  das  Keiten  als  Ursache  der  Coccygo- 
dynie beschuldigt.  Er  beobachtete  Frauen,  die  eine  normale  Geburt  und  ein 
normales  Wochenbett  durchmachten,  wo  aber  nach  einem,  bald  nach  dem 
Wochenbett  unternommenen  Ritt,  eine  Coccygodynie  entstand,  die  monatelang, 
trotz  aller  möglichen  therapeutischen  Maassnahmen  andauerte.  In  vielen 
Fällen  ist  auch  der  Coitus  Ursache  der  Coccygodynie.  Auch  hyperämische 
Zustände  in  der  Gravidität,  während  der  Menstruation  und  bei  hartnäckigen 
Stuhlverstopfungen,  geben  Veranlassung  zur  Entstehung  der  Coccygodynie, 
sowie  auch  letztere  als  Begleiterscheinung  bei  sonstigen  Genitalaffectionen 
beobachtet  wird.  Nott  beschreibt  einen  Fall,  der  als  Begleiterscheinung  einer 
Caries  im  Steissbein  auftrat.  Da,  wo  jede  greifbare  Ursache  fehlt  und  den- 
noch Coccygodynie  besteht,  wird  nach  Fritsch  das  Leiden  als  eine  local-hyste- 
rische  Erscheinung  aufgefasst.  Schliesslich  seien  noch  Erkältungen  (Sitzen 
auf  einem  kalten  Stein,  auf  feuchtem  Rasen)  als  Ursachen  der  Coccygodynie 
erwähnt. 

Verlauf  und  Prognose:  Das  Leiden  kann  einige  Wochen  dauern, 
es  kann  sich  auf  Jahre  hin  ausdehnen,  und  hängt  zumeist  der  Verlauf  von 
der  Ursache  des  Leidens  ab.  Hörschelmann  berichtet  über  einen  Fall,  der 
5  Jahre  gedauert  hat.  Ist  die  Caries  des  Steissbeins  als  die  Ursache  der 
Coccygodynie  aufzufassen,  so  wird  das  Leiden,  bis  zum  Aufliören  des  Processes, 
beziehungsweise  bis  zur  Entfernung  des  Krankheitsherdes  bestehen.  Meist 
besteht  der  Schmerz  nicht  continuirlich.  Beim  Gehen  und  im  Liegen  sind 
die  an  Coccygodynie  Leidenden  gewöhnlich  schmerzfrei.  Nur  wenn  die  er- 
krankte Stelle  einem  Insult  ausgesetzt  wird,  tritt  Schmerzempfindung  ein.  Es 
suchen  auch  die  Trägerinnen  des  Leidens  Stellungen  einzunehmen,  bei  welchen 
sie  den  Schmerz  wenig  oder  gar  nicht  verspüren,  so  insbesondere,  indem  sie 
zum  Sitzen  nur  eine  Gesässhälfte  benützen.  Häufig  kommt  es  im  Verlauf 
der  Krankheit  zu  monatelangen  Paus^,  so  dass  es  den  Anschein  hat,  als 
wäre  das  Leiden  verschwunden,  während  indessen  neuerdings  sich  Schmerzen 
einstellen,  um  dann  schliesslich  ganz  aufzuhören. 

Die  Prognose  ist  günstig  zu  stellen,  wenn  die  therapeutischen  Maass- 
nahmen der  Ursache  des  Uebels  entsprechend  eingerichtet  werden. 

Therapie:  Schon  der  Umstand,  dass  die  von  der  Coccygodynie  Be- 
troffenen dann  schmerzfrei  sind,  wenn  das  Kreuz-Steissbeingelenk  keinem  In- 


COLPEÜRYSE.  169 

sulte  ausgesetzt  ist,  deutet  darauf  hin,  zunächst  die  Ruhe  und  Schonung-  der 
erkrankten  Stelle  in  den  Vordergrund  stellen  zu  lassen.  Tliatsächlich  ver- 
schwinden oft  viele  Coccygodynien  ohne  besondere  therapeutischen  Maassnahmen. 
Ist  Gravidität  die  Ursache  des  Leidens,  dann  rauss  man  sich  ohnehin  zumeist 
auf  das  Zuwarten  beschränken,  höchstens  symptomatisch  verfahren.  Kalte 
Umschläge  bewirken  eine  Erleichterung.  In  manchen  Fällen  hat  auch  die 
Elektricität  geholfen.  Ist  eine  hartnäckige  chronische  Stuhlvcrstopfung  die 
Ursache  des  Leidens,  dann  muss  vor  Allem  erstere  beseitigt  werden.  Bei  exsu- 
dativen Processen  ist  von  manchen  Seiten  die  Massage  (Bekoiimann)  mit  Er- 
folg angewendet  worden.  Auch  Jodpräparate,  äusserlich  angewendet,  können 
versucht  werden.  Lautearme  Sitzbäder  mit  und  ohne  Jodsalzzusatz  unter- 
stützen wesentlich  die  Therapie.  Eventuell  muss  der  Coitus  verjjoten  oder 
dessen  möglichste  Einschränkung  bis  zum  Aufhören  des  Leidens  betont  werden. 
Bei  local-hysterischen  Momenten  können  Antipyrin,  saUcylsaures  Natron^  Brom, 
Chinin  etc.  von  Nutzen  sein.  Auch  subcutane  Morphiuminjectionen,  sowie 
Morphiumsuppositorien,  haben  oft  einen  Dauererfolg  gehabt  (Scanzoxi.)  Wird 
das  Leiden  als  eine  Begleiterscheinung  anderweitiger  Frauenleiden  aufgefasst, 
so  müssen  zunächst  letztere  beseitigt  werden.  Da  wo  alle  Versuche  zu  keinem 
Resultate  führten,  schrieb  Simpson  vor,  alle  am  Steissbein  sich  inserirenden 
Sehnen  subcutan  durchzuschneiden  und,  wo  auch  das  nichts  hilft,  das  ganze 
Steissbein  zu  entfernen.  In  letzterer  Weise  verfuhr  auch  Nott,  der  wegen 
eines  cariösen  Processes  im  Steissbein  dasselbe  exstirpirte  und  einen  Dauer- 
erfolg erzielte. 

PISKACEK. 


Colpeuryse.  Das  Verfahren  der  Colpeuryse  findet  in  Fällen  Anwen- 
dung, wo  es  sich  darum  handelt,  einen  Reiz  auf  den  Uterus  auszu- 
üben und  dadurch  ein  rascheres  Entfalten  des  Orificium  externum  herbeizuführen. 
Die  Colpeuryse  besteht  darin,  dass  der  speciell  für  diesen  Zweck  construirte 
Colpeurynter  nach  vorausgegangener  entsprechender  Desinfection  zusammen- 
gelegt in  die  Vagina  vorgeschoben  und  dann  mit  Wasser  gefüllt  wird,  um 
durch  die  starke  Ausdehnung  einen  Reiz  auszuüben.  In  neuerer  Zeit  wird 
häufig  der  früher  viel  verwendete  Colpeurynter  C.  Braun's  durch  die  Tampo- 
nade mit  Jodoformgaze  ersetzt.  Colpeuryse  ist  indicirt,  wenn  man  bei  vollem 
oder  entleertem  Uterus  einen  Reiz  auf  ihn  ausüben  will. 

Von  geradezu  unschätzbarem  Werthe  erweist  sich  die  Anwendung  der 
Colpeuryse  bei  Behandlung  der  Placenta  praevia  centralis  oder 
lateralis,  wo  eben  bei  sehr  heftiger  Blutung  in  der  Eröffnungsperiode  noch 
nicht  derartige  Bedingungen  vorliegen,  dass  auf  andere  Weise  operativ  vor- 
gegangen werden  könnte.  Wenn  es  sich  um  eine  heftige  Blutung  bei  Placenta 
praevia  in  der  Eröffnungsperiode  handelt,  bei  nicht  entfaltetem  Cervix,  wird  die 
Colpeuryse,  sei  es  durch  Colpeurynter  oder  feste  exacte  Jodoformgazetamponade 
in  Anwendung  kommen.  Wohl  wird  oft  nicht  durch  die  ausgeführte  Colpeuryse 
die  Blutung  vollständig  zum  Stehen  gebracht  werden  können,  aber  es  wird  immer 
hiedurch  stärkere  Wehenthätigkeit  hervorgerufen  werden,  eine  raschere  Ent- 
faltung des  Orif.  ext.  eintreten  und  dadurch  werden  früher  die  Verhältnisse  ein- 
treten, unter  denen  durch  die  Ausführung  der  combinirten  Wendung  die  Blutung 
dauernd  gestillt  werden  kann.  Es  wird  daher,  Avenn  bei  Placenta  praevia 
wegen  der  heftigen  Blutung  in  der  Eröffnungsperiode  die  Colpeuryse  in  An- 
wendung gekommen  ist,  nothwendig  sein,  einerseits  das  Verhalten  des  Uterus- 
körpers zu  beobachten,  andererseits  sich  nach  2 — 3  Stunden  nach  Entfernung 
des  Colpeurynters  oder  der  Tamponade  davon  zu  überzeugen,  ob  schon  die 
Eröffnungsperiode  in  der  Weise  vorgeschritten  ist,  dass  die  combinirte  Wen- 


170  COLPEURYSE. 

dimg  auf  einen  Fiiss  ausgeführt  werden  kann.  Da  in  den  meisten  Fällen  bei 
exact  ausgeführter  Colpeuryse  die  Blutung  aus  dem  Genitale  wohl  sistirt,  die 
Ursache  der  Blutung  dabei  aber  nicht  behoben  wird  und  es  dabei  vorkommen 
kann,  dass  sich  das  Blut  in  der  Uterushöhle  ansammelt,  ist  es  von  Wichtig- 
keit, den  Stand  des  Uteruskörpers  während  der  Ausführung  der  Colpeuryse  zu 
beobachten. 

In  allen  jenen  Fällen,  wo  nach  der  ausgeführten  Colpeuryse  plötzlich  der  Uterus- 
körper hoch  nach  aufwärts  steigt  und  sich  dabei  sehr  schlaff  anfühlt,  haben  wir  den  Beweis 
dafür,  dass  sich  eine  grosse  Blutmenge  in  dem  Cavum  uteri  angesammelt  hat,  und  es  wird 
nothwendig  sein,  rasch  den  Colpeurynter  wieder  zu  entfernen,  obschon  durch  combinirte 
^Yendung  die  Möglichkeit  besteht,  die  Blutung  dauernd  zu  beherrschen. 

Eine  weitere  Indication  zur  Ausführung  der  Colpeuryse  findet  sich.bei 
der  Behandlung  des  Abortus.  Ist  aus  irgend  einer  Veranlassung  der 
Abortus  in  Gang  gekommen,  und  sind  nach  exact  ausgeführter  innerer  Unter- 
suchung die  Verhältnisse  derart  gefunden  worden,  dass  nicht  mehr  daran 
gedacht  werden  kann,  den  Abortus  zum  Stillstand  zu  bringen,  so  wird  es  sich 
darum  handeln,  ihn  durch  stärkere  Wehenthätigkeit  zum  Abschluss  zu  bringen, 
und  dabei  wird  sich  das  Verfahren  der  Colpeuryse  in  den  meisten  Fällen  sehr 
günstig  bewähren. 

Hiezu  wird  in  der  neueren  Zeit  wohl  nicht  mehr  so  häufig  der  Colpeu- 
rynter in  Anwendung  gezogen,  nachdem  man  durch  die  Ausführung  der  Tam- 
ponade der  Vagina  und  des  eventuell  schon  geöffneten  Orif.  ext.  mit  Jodo- 
formgaze denselben  Effect  erreichen  kann.  Von  besonderem  Werthe  erscheint 
die  Jodoformgazetamponade  in  solchen  Fällen,  wo  die  Frucht  abgegangen  ist, 
es  sich  aber  um  eine  Ketention  der  Placenta  handelt  und  dadurch  eine  sehr 
bedeutende  Blutung  hervorgerufen  werden  kann.  In  derartigen  Fällen  werden 
wir  häufig  die  manuelle  Placentalösung  umgehen  und  durch  die  Jodoformgaze- 
tamponade die  Blutung  beherrschen  können.  Sie  wird  am  besten  ausgeführt, 
indem  in  der  Rückenlage  der  Patientin  das  Perineum  durch  einen  Spiegel 
herabgedrängt,  die  vordere  Muttermundslippe  mit  einer  Krallenzange  fixirt 
und  dann  der  eröffnete  Cervix  und  die  Vagina  fest  mit  Jodoformgaze  aus- 
gestopft wird.  In  vielen  Fällen,  wo  man  sich  veranlasst  sah,  wegen  einer 
starken  Blutung  nach  eingetretenem  Abortus  und  Retention  der  Placenta  die 
Colpeuryse  durch  feste  Jodoformgazetamponade  auszuführen,  wird  man  nicht 
allein  im  Stande  sein,  die  Blutung  zum  Stehen  zu  bringen,  sondern  man  wird 
auch  oft  bei  Entfernung  der  Tamponade  nach  12 — 24  Stunden  die  Placenta 
gelöst  auf  der  Gaze  vorfinden,  so  dass  dann  kein  weiterer  Eingriff  mehr  nöthig 
erscheint. 

Eine  weitere  Verwendung  findet  die  Colpeuryse  als  unterstützendes  Moment 
bei  Einleitung  des  künstlichen  Abortus.  In  früherer  Zeit  wurde 
sie  als  selbständige  Methode  hiefür  betrachtet.  In  neuerer  Zeit  wird  sie  hie- 
be! nur  als  unterstützendes  Moment  angesehen,  besonders  bei  der  Methode 
der  Einleitung  des  künstlichen  Abortus  durch  den  tiefen  Eihautstich,  wo  nach- 
träglich die  Vagina  mit  Jodoformgaze  tamponirt  wird,  um  einerseits  die  Wehen- 
thätigkeit noch  stärker  anzuregen  und  andererseits  dadurch  die  Gefahr  einer 
Infection  zu  vermeiden. 

Eine  weitere  Indication  zur  Ausführung  der  Colpeuryse,  sei  es  nun  durch 
den  Colpeurynter  oder  die  Jodoformgazetamponade,  findet  sich  in  der  Inver- 
sion des  Uterus  post  partum,  welche  dadurch  häufig  hervorgerufen 
wird,  dass  zu  einer  Zeit,  wo  die  Placenta  noch  nicht  gelöst  ist,  am  Nabel- 
strange zur  rascheren  Beendigung  der  Geburt  zu  stark  gezogen  wird.  In  jenen 
Fällen,  wo  die  vollständige  Umstülpung  des  puerperalen  Uterus  eingetreten 
ist,  wird  es  nothwendig  sein,  so  rasch  als  möglich  den  invertirten  Uterus  zu 


CONCEPTION.  171 

reinvertiren.  Es  geschieht  am  besten  dadurch,  dass  die  geballte  Faust  in  die 
Vagina  vorgeschoben  und  so  hoch  hinaufgedrängt  wird,  bis  der  Uteruskörper 
in  seine  normale  Lage  gebracht  wird.  Um  dann  den  Uterus  dauernd  in  seiner 
Lage  zu  fixiren,  wird  es  entweder  geboten  sein,  den  Colpeurynter  in  die 
Scheide  einzulegen  oder  die  Vagina  zu  tamponiren. 

V.    BRAUN-FEKNWALD. 


Conception.  Unter  Conception  (Imprägnation,  Schwängerung)  versteht 
man  im  weiteren  Sinne  die  Vereinigung  von  lebenskräftigem  Sperma  mit 
einem  oder  mehreren  lebenden  Eiern.  Ueber  Art,  Zeit  und  (M  dieses  Vorganges 
beim  Menschen  ist  man  noch  immer  auf  Vermuthungen  angewiesen.  Zweierlei 
ist  aber  zum  Eintritt  einer  Schwängerung  unbedingt  erforderlich:  lebenskräf- 
tiges Sperma  und  ein  lebendes  Ei.  Früher  hatte  man  angenommen,  dass  bei 
unberührten  Jungfrauen  eine  Ausstossung  von  Eiern  aus  dem  Ovarium  über- 
haupt nicht  stattfände;  erst  durch  die  Cohabitation  würde  der  Ei-Austritt 
veranlasst.  Diese  Theorie  ist  vollständig  widerlegt;  man  weiss  durch  Ob- 
ductionsbefunde  und  Laparotomien  mit  einwand sfreier  Sicherheit,  dass  auch 
ohne  Cohabitation  regelmässiger  Austritt  von  Eiern  aus  den  Ovarien  statt- 
findet. Selbst  die  Theorie  über  den  zeitlichen  Zusammenhang  der  Schwänge- 
rung mit  der  Menstruation  hat  in  den  letzten  Jahren  gewaltige  Aenderungen 
erfahren.  Es  ist  deshalb  vor  Allem  nöthig,  den  Begriff  der  Menstruation  ge- 
nauer festzustellen.  Die  Mehrzahl  der  Autoren  versteht  jetzt  unter  Menstrua- 
tion eine  Summe  aus  zwei  Vorgängen,  nämlich  der  menstruellen  Blutung  plus 
der  Ei -Ausstossung  aus  dem  Ovarium  (Ovulation).  Gewöhnlich  bezeichnet 
man  aber  das  eine  Symptom,  die  Blutung,  schlechthin  als  Menstruation,  Menses. 
Die  Ovulation  ist  ungleich  wichtiger  als  die  menstruelle  Blutung;  es  kann 
wohl  Schwangerschaft  ohne  menstruelle  Blutung,  aber  nicht  ohne  Ovulation 
zu  Stande  kommen.  Denn  es  sind  Fälle  bekannt,  dass  Frauen  schwanger 
wurden,  ohne  je  „menstruirt"  gewesen  zu  sein,  d.  h.  menstruell  geblutet  zu 
haben;  ferner  tritt  nach  einer  Entbindung  oft  genug  neue  Schwangerschaft 
ein,  ohne  dass  die  Blutung  inzwischen  wiedergekehrt  wäre;  so  ist  es  auch  bei 
den  Hindu's  Brauch,  dass  sich  die  Mädchen  vor  dem  Eintritt  der  ersten  Regel 
verheiraten,  denn  sie  betrachten  die  Regel,  welche  ohne  die  Möglichkeit  einer 
Befruchtung  eintritt,  als  Kindesmord.  Aus  diesen  Umständen  kann  man  wohl 
schliessen,  dass  die  allererste  Ovulation  früher  stattfindet,  als  die  erste  men- 
struelle Blutung. 

Nicht  geringe  Schwierigkeiten  macht  es,  zu  bestimmen,  zu  welcher  Zeit 
die  Ovulation  beim  Menschen  jeweils  eintritt.  Die  geläufigste  Ansicht  ist  die, 
dass  die  Hyperämie  der  Genitalien  intra  menses  den  Follikel  zum  Platzen 
bringt.  Ein  Circulus  vitiosus  ist  es,  wenn  man  die  PFLüGER'sche  Theorie  da- 
neben stellt,  laut  welcher  die  menstruelle  Hyperämie  wiederum  durch  den 
Reiz  der  wachsenden  und  den  Eierstock  ausdehnenden  Follikel  hervorgerufen 
wird.  Nach  Leopold's  Untersuchungen  findet  die  Ovulation  thatsächlich  be- 
sonders zur  Zeit  der  Blutung  statt;  aber  nicht  ausschliesslich  zu  dieser  Zeit, 
wie  man  durch  Obductionen  und  Laparotomien  weiss.  Man  sieht,  dass  mit 
dieser  einfachen  Frage:  „Wann  treten  Eier  aus  dem  Ovarium  aus?" 
schon  die  Schwierigkeiten  beginnen.  Im  Allgemeinen  hört  die  Ovulation 
während  der  Schwangerschaft  auf,  es  scheint  aber,  dass  sie  gelegentlich, 
wenigstens  in  den  ersten  Schwangerschaftsmonaten  noch  stattfinden  kann. 
Das  endgiltige  Aufhören  der  Ei-Ausstossung  beim  einzelnen  "Weibe  dürfte  mit 
dem  Aufhören  der  menstruellen  Blutung  zeitlich  zusammenfallen. 

Wie  gelangt  nun  das  Ei  in  die  Tube?  Für  diesen  Vorgang  ist 
zweierlei  wichtig,    einerseits    das  enge  Anliegen  der  Fimbrien  der  Tuben  an 


172  CONCEPTION. 

einem  grossen  Tlieil  des  Eierstockes  und  andrerseits  die  Flimmerbewegung  der 
Tubeu-Epitlielien;  der  Flimmerstrom  ist  gegen  den  Uterus  gerichtet.  Bei  der 
Nähe  der  Ovarien  und  der  abdominalen  Enden  der  beiden  Tuben  unterein- 
ander (sie  laufen  hinter  dem  Uterus  fast  parallel,  ja  unter  Umständen  auch 
convergirend  nach  liinten),  ist  sogar  die  Möglichkeit  gegeben,  dass  Eier  des 
einen  Ovariums  in  die  Tube  der  anderen  Seite  gelangen  (äussere  Ueber- 
wanderung  des  Eies,  s.  u.).  Noch  ein  weiterer  Umstand  trägt  dazu  bei, 
dass  das  ausgestossene  Ovulum  sich  nicht  allzu  leicht  in  die  weite  Bauch- 
höhle verirrt:  es  ist  die  Umfassung  eines  Theils  der  Ovarien  durch  die  Tube 
selbst,  welche  den  Eierstock  so  förmlich  „im  Arme  hat."  Ist  das  Ei  in  die 
Tube  gelangt,  so  kann  es  schon  hier  mit  Sperma  zusammentreffen  oder  es 
wird  durch  den  Flimmerstrom  in  den  Uterus  hineinbefördert. 

Es  fragt  sich  nun  weiter:  Wie  gelangt  das  Sperma  in  den  Uterus 
und  in  die  Tuben?  Bei  der  Cohabitation  wird  das  Sperma  meist  im  oberen 
Theil  der  Scheide  deponirt.  Die  Portio  taucht  in  die  Samenlache  und  ein 
Theil  der  nach  allen  Kichtungen  sich  bewegenden  Spermatozoon  gelangt  in 
den  alkalischen  Schleimpfropf  des  Cervicalcanals.  Die  übrigen  Spermatozoon 
gehen  im  sauren  Scheidenschleim  bald  zu  Grunde;  jene  aber,  die  in  den  Cervix 
gelangt  sind,  scheinen  durch  ihre  Eigenbewegung  zum  Fundus  und  in  die 
Tuben  zu  gelangen;  die  Epithel-Flimmerung  leistet  ihnen  dabei  keine  Hilfe, 
im  Gegentheil,  sie  erschwert  eher  ihr  Vorwärtskommen,  denn  sowohl  in  der 
Tube  als  auch  im  Uterus  flimmern  die  Epithelien  gegen  die  Scheide  hin 
(Hofmeiee).  Während  diese  Theorie  der  Sperma-Fortbeförderung  kaum 
ernste  Einwände  zulässt,  gilt  bei  den  anderen  Theorien  nicht  das  gleiche.  So 
hat  man  eine  Saug  Wirkung  des  Uterus  angenommen:  bei  der  Cohabitation 
contrahire  sich  der  Uterus  zuerst,  presse  den  cervicalen  Schleimpfropf  (Kri- 
steller's  Schleimstrang)  theilweise  in  die  Samenlache  und  sauge  ihn,  mit 
Sperma  vermischt,  bei  der  nachfolgenden  Erschlaffung  wieder  nach  innen.  Es 
fände  ferner  während  des  Coitus  eine  Erection  des  Uterus  statt,  so  dass 
Sperma  unmittelbar  in  das  Orificium  externum  cervicis  eingespritzt  werden 
könne;  unterstützt  würde  dieser  Vorgang  dadurch,  dass  sich  die  äussere  Harn- 
röhrenmündung des  Mannes  unmittelbar  an  den  äusseren  Muttermund  anlege. 
Valenta  hat  auf  Grund  dieser  Anschauung  sogar  empfohlen,  bei  gewissen 
Lageveränderungen  des  Uterus  den  Coitus  a  posteriore,  in  Knieellenbogenlage 
der  Frau,  ausführen  zu  lassen  und  will  damit  Erfolge  erzielt  haben.  Gegen 
diese  Anschauung  ist  aber  hauptsächlich  einzuwenden,  dass  die  Gewalt  der 
Ejaculation  wohl  nicht  hinreicht,  um  Sperma  wirklich  in  den  cervicalen 
Schleimpfropf  zu  bringen;  denn  der  Cervicalcanal  ist  ja  keine  klaffende  Höhle. 
Andere  haben  eine  Stempelwirkung  des  Penis  angenommen;  auch  diese 
kommt,  wenn  überhaupt,  nur  ausnahmsweise  in  Betracht;  denn  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  hört  nach  der  Ejaculation  die  Stempel  Wirkung  aus  dem  einfachen 
Grunde  auf,  weil  dann  eben  die  physiologische  Erschlaffung  des  Membrum 
virile  eintritt.  Ein  verbreiteter  Volksglaube,  dem  auch  neuerdings  Leopold 
Ausdruck  verliehen  hat,  ist  es,  dass  Conception  dann  zu  Stande  komme,  wenn 
der  Augenblick  der  summa  libido  bei  beiden  Geschlechtern  gleichzeitig  ein- 
tritt, und  dass  man  Schwängerung  vermeiden  könne,  Avenn  man  dieses  Zu- 
sammentreffen hintanhalte. 

Wenn  nun  auch  alle  diese  Umstände  gelegentlich  mit  in  Betracht  kommen 
können,  so  ist  doch  wahrschleinlich  die  Thätigkeit  der  Frau  dabei  sehr  un- 
w^esentlich  und  die  Eigenbewegung  der  Spermatozoon  die  Hauptsache. 

Wo  treffen  Sperma  und  Ei  zusammen?  Hausmann  hat  frühestens 
1^/2  Stunden  nach  der  Cohabitation  Spermatozoon  im  Uterus  gefunden;  andrer- 
seits hat  man  sie  7V2,  Peecy  sogar  8V2   Tage  post  cohabitationem  noch  be- 


CONCEPTION,  173 

wegungsfäliig  darin  beobachtet.  Durch  Eigenbewegung  können  sie  bis  zum 
Ovarium  gelangen  und  es  ist  kaum  fraglich,  dass  sie  im  Stande  sind,  dem 
Flimmerstrom  in  der  Tube  entgegenzuschwimmen;  denn  in  Deckglasprä])araten 
gelingt  es  ihnen  leicht,  gegen  massig  starke  Flüssigkeitsströme  foitzukommen. 
Bei  Kaninchen  fand  man  sie  2V4  Stunden  nach  dem  Belegen  auf  dem  Eier- 
stock; für  diese  Möglichkeit  beim  Menschen  spricht  auch  die  sichere  Beobach- 
tung von  äusserer  Ueberwanderung  des  Samens  (s.  u.  ^^Ueberwanderung'' ). 
Demnach  können  Ei  und  Sperma  im  ganzen  Bereich  der  Strecke  vom  Ova- 
rium durch  die  Tube  bis  in  den  Uterus  zusammentretten.  Wird  das  Ei  noch 
im  Ovarium  (im  eben  geplatzten  Follikel  oder  in  der  Bauchhöhle)  vom  Spenna 
getroffen,  so  entsteht  Eierstocks-  oder  Abdominal-Schwangerschaft.  Dass  Sperma 
die  ganze  Tube  bis  zum  Ovarium  durchwandern  kann,  ist  fraglos.  „So  er- 
scheint die  ektopische  Schwangerschaft  als  Folge  eines  nach  Zeit  und  Ort 
verfehlten  Zusammentreffens  von  Ei-  und  Sperma-Zelle  und  als  Anomalie 
der  Conception".  (Saenger).  Dadurch  wird  allerdings  die  Berechnung  der 
Schwangerschaftsdauer  schwierig,  weil  die  Cohabitation  (Aufnahme  des  Sperma 
in  die  weiblichen  Genitalien)  durchaus  nicht  zeitlich  mit  der  Imprägnation 
(Vereinigung  von  Ei  und  Sperma)  zusammentreffen  muss.  Es  ist  deshalb  nöthig, 
die  Begriffe  „Conception"  und  „Imprägnation"  auseinanderzuhalten.  Unter  Con- 
ception wird  man  die  Aufnahme  jenes  Sperma,  das  zur  Befruchtung  führt, 
in  die  weiblichen  Genitalien  verstehen;  die  Conception  fällt  also  zeitlich  mit 
dem  befruchtenden  Coitus  zusammen;  die  Imprägnation,  die  Vereinigung  von 
Sperma  und  Ei,  erfolgt  stets  später,  unter  Umständen  erst  nach  mehreren 
Tagen. 

Zeit  der  Befruchtung.  Ueber  diese  Frage  bestehen  zwei  Anschau- 
ungen, welche  wahrscheinlich  beide  ihre  Berechtigung  haben.  Die  ältere 
Theorie,  die  auch  im  Volksglauben  allein  herrscht,  lautet:  Das  befruchtete 
Ei  stammt  von  der  zuletzt  dagewesenen  Regel.  Eine  vollständige 
Umwälzung  in  diesen  Anschauungen  und  in  der  Schwangerschaftsrechnung 
bedeutet  die  neuere  Theorie  von  Sigismund,  Löwenhardt,  Reichert:  Das 
befruchtete  Ei  stammt  von  der  zuerst  ausgebliebenen  Regel. 
Da  eben  das  Ei  befruchtet  wurde,  kam  es  nicht  mehr  zur  menstruellen  Blutung; 
die  Frau  soll  nur  menstruell  bluten,  wenn  sie  nicht  empfangen  hat.  Im  Zu- 
sammenhalt bedeuten  beide  Theorien  einen  Unterschied  von  4  Wochen  in  der 
Schwangerschaftsrechnung.  Als  dritte  Möglichkeit  bleibt  noch  die,  dass  ein 
aussermenstruell  ausgetretenes  Ei  befruchtet  wird.  Dann  wäre 
die  Schwangerschaft  in  gar  keinem  zeitlichen  Zusammenhange  mit  einer  Men- 
struation. Die  Anhänger  jeder  dieser  Theorien  haben  sie  mit  statistischen 
Gründen  zu  vertreten  gesucht.  Es  scheint  aber,  dass  gerade  diese  statistischen, 
ebenso  mühsamen  als  oft  wenig  zuverlässigen  Beobachtungen  für  jede  dieser 
Möglichkeiten  sprechen;  man  ist  fast  ganz  auf  die  Angaben  der  Frauen  ange- 
wiesen und  diese  sind  naturgemäss  theils  absichtlich,  theils  unabsichtlich  mit 
Voreingenommenheit  gemacht.  Eher  scheinen  die  Untersuchungen  von  Abort- 
Eiern  Klarheit  zu  schaffen,  da  man  die  Entwicklung  des  Fötus  ziemlich 
genau  kennt. 

Schwangerschaftsrechnung.  Praktisch  ist  es  am  einfachsten, 
die  Zeit  der  Niederkunft  so  zu  berechnen,  dass  man  zum  ersten  Tag  der 
letzten  Regel  280  Tage  hinzuzählt,  oder,  was  das  gleiche  Resultat 
in  leichter  Weise  gibt,  w^ennman  vom  ersten  Tag  der  letzten  Regel 
3  Monate  zurück-  und  7  Tage  hinzuzählt  (Naegele"s  Regel).  Diese 
280  Tage  entsprechen  10  Mondmonaten  zu  je  28  Tagen,  oder  9  Kalender- 
monaten. Die  wissenschaftliche  Eintheilung  in  10  Mondmonate  ist  mit  Rück- 
sicht auf  10  Menstruations-Intervalle  gemacht  w^orden.  Diese  Rechnung 
braucht  natürlich  nicht  auf  den  Tag  zuzutreffen;  sie  geht  ja  von  einem  Zeit- 


174  CONCEPTION. 

punkte  aus  (erster  Tag  der  letzten  Regel),  welcher  durchaus  nicht  immer, 
vielleicht  nur  ausnahmsweise  auch  der  Tag  der  Imprägnation  ist.  Diesen 
selbst  kennt  man  eben  nicht;  die  subjectiven  Angaben  der  Frauen  darüber 
können  nicht  in  Betracht  kommen;  sie  beziehen  sich  wohl  meist  nur  auf  ein 
erhöhtes  Wollustgefühl  bei  dem  nach  ihrer  Ansicht  fruchtbaren  Coitus.  Die 
Zahl  von  280  Tagen  entspricht  eben  nur  einer  Durchschnittsberechnung  aus 
zahlreichen  Fällen,  in  welchen  man  den  ersten  Tag  der  letzten  Regel,  den 
Tag  der  Niederkunft  und  die  Entwicklung  des  Kindes  kannte.  In  Löwen- 
hardt's  Fällen  kam  über  die  Hälfte  der  Frauen  in  der  40.  und  41.  Woche 
nieder,  und  eben  das  war  für  ihn  mit  die  Veranlassung,  das  befruchtete  Ei 
auf  die  zuerst  ausgebliebene  Regel  zu  beziehen.  Selten  dauert  die  Schwanger- 
schaft bei  lebendem  Kinde  länger  als  290  Tage;  die  längste  Dauer,  die  Löwen- 
HAEDT  fand,  betrug  329  Tage  nach  dem  ersten  Tag  der  letzten  Regel. 

Man  hat  sich  Aufldärungen  aus  solchen  Fällen  versprochen,  in  welchen 
nur  ein  einziger  Coitus  stattfand,  der  zur  Conception  führte;  den  Tag  dieser 
einzigen  Cohabitation  hat  man  den  Conceptions-Termin  genannt.  Aber 
nach  dem  oben  Gesagten  ist  eben  dieser  Tag  mit  dem  Zeitpunkt  der  Impräg- 
nation nicht  gleichbedeutend.  Unter  503  Frauen,  welche  nach  einer  einzigen 
Cohabitation  befruchtet  wurden,  kamen  396  =  78* 7%  innerhalb  265 — 280 
Tagen  nach  diesem  Coitus  nieder,  107  Frauen  =  21 -3%  nach  dem  280. 
Tage.  Die  längste  beobachtete  Dauer  einer  Schwangerschaft  nach  dem  Coitus 
betrug  329  Tage,  also  ebensoviel,  als  nach  dem  ersten  Tage  der  letzten  Regel. 
Im  Allgemeinen  scheint  es,  dass  die  Imprägnation  meist  10 — 15  Tage  nach 
der  zuletzt  dagewesenen  Regel  eintritt.  Nimmt  man  ferner  an,  dass  die 
Niederkunft  280  Tage  nach  dem  ersten  Tage  der  letzten  Regel  stattfindet,  so 
bleiben  für  die  wirkliche  Dauer  der  Schwangerschaft  265 — 270  Tage. 

Diese  Verhältnisse  sind  ganz  besonders  in  criminellen  Fällen  wicMig,  also  dann, 
wenn  es  sich  um  Feststellung  der  Vaterschaft  und  darum  handelt,  wer  für  die  Alimente 
aufzukommen  hat.  Um  Beispiele  anzuführen:  „Nach  dem  preussischen  allgemeinen  Land- 
recht wird  ein  Kind,  welches  bis  zum  302.  Tage  nach  dem  Tode  des  Ehemannes  geboren 
worden,  für  das  eheliche  Kind  desselben  beachtet."  Nach  dem  preussischen  Gesetz  vom 
Jahre  1854  ist  „als  Erzeuger  eines  unehelichen  Kindes  derjenige  anzusehen,  welcher  mit 
der  Mutter  innerhalb  des  Zeitraumes  vom  285. — 210.  Tage  vor  der  Entbindung  den  Bei- 
schlaf vollzogen  hat."  Das  neue  deutsche  Civilgesetz,  das  sich  noch  in  der  Ausarbeitung 
befindet,  nimmt  eine  Schwangerschaft  von  längstens  300  Tagen  an.  Fritsch  sagt  hierüber 
mit  Recht:  „da  ohne  Zweifel  Uebertragungen  vorkommen,  müsse  sicher  die  Zeitdauer,  wenig- 
stens bei  Posthumis,  auf  324 — 336  Tage  verlängert  werden.  Dass  aber  andererseits  aus 
einer  Verlängerung  der  Empfängniszeit  wiederum  mancher  ungerechtfertigte  Anspruch  seitens 
einer  Geschwängerten  resultirt,  ist  gewiss  klar."  Wird  ein  nicht  ausgetragenes  Kind  ge- 
boren, so  ändern  sich  diese  Zahlen  natürlich  entsprechend  der  Entwicklung  des  Kindes. 

Ueber  die  mikroskopischen  Vorgänge  bei  der  Imprägnation  des 
menschlichen  Eies  wissen  wir  soviel  wie  nichts.  Wahrscheinlich  dringt  bei 
Bildung  eines  Fötus  nur  je  ein  Spermatozoon  in  den  Dotter  ein;  Hertwig 
nimmt  an,  dass  durch  Vereinigung  des  Restes  des  Keimbläschens  mit  dem 
Kopf  des  Samenkörperchens  ein  neuer  Kern  entsteht  und  dass  darin  der  wich- 
tigste Vorgang  der  Befruchtung  zu  sehen  sei.  Die  Zona  pellucida  des  mensch- 
lichen Eies  hat  deutlich  radiäre  Streifung,  aber  keine  Mikropyle  oder  Poren- 
canälchen. 

Auch  über  die  Ursachen  der  Geschlechtsbildiing  wissen  wir  trotz  zahlreicher 
Hypothesen  soviel  wie  nichts.  Am  bestechendsten  erscheint  die  jüngste  dieser  Theorien, 
welche  Düsing  1883  ausgesprochen  hat.  Er  geht  von  dem  Gedanlien  aus,  dass  auf  Grund 
der  natürlichen  Zuchtwahl  stets  eine  annähernd  gleich  grosse  Zahl  von  Individuen  beider 
Geschlechter  erzeugt  wird,  was  ja  für  die  Erhaltung  der  Art  unbedingt  vorausgesetzt  werden 
muss;  diese  Voraussetzung  soll  nun  thatsächlich  dadurch  erfüllt  werden,  dass  immerjenes 
Geschlecht  entsteht,  welches  im  Augenblicke  der  Zeugung  geschlechtlich 
überangestrengt  ist.  Eine  sehr  geistreiche  Theorie,  aber  doch  nur  Theorie  Von  den 
älteren  Anschauungen  seien  folgende  erwähnt :  Hippokrates  glaubte,  dass  dem  rechten  Eier- 
stock die  Knaben,  dem  linken  die  Mädchen  entspriessen ;  diese    Ansicht   tauchte    1786  von 


CUßETTEMENT.  175 

Neuem  auf,  als  Henke  rieth,  Frauen,  welche  einen  Knaben  empfangen  wollten,  sollten  sich 
auf  die  rechte  Seite  legen,  zur  Empfängnis  eines  Mädchens  aber  auf  die  linke.  Während 
hier  die  Geschlechtsl^estimmang  auf  den  Eierstock  zurückgeführt  wird,  liielt  B.  S.  .Sgiiultze 
eine  entsprechende  Anlage  des  Eies  selbst  für  ausschlaggebend.  Nacli  diesen  Theorien  wäre 
das  Geschlecht  im  Eierstock,  beziehungsweise  im  Ei  schon  vorausljestimmt.  Andere  Autoren 
suchten  die  Ursache  der  Entwicklung  verschiedener  Geschlechter  in  äusseren  Umständen, 
sei  es  im  Augenblicke  der  Befruchtung,  sei  es  in  der  ersten  Zeit  der  Entwicklung  des 
Fötus.  So  führte  Tiiury  1863  aus,  dass  im  Anfange  der  Brunst  bei  Thieren  nur  weibliche, 
am  Ende  der  Brunst  nur  männliche  Thiere  erzeugt  würden.  Thatsächlich  gelang  es  ihm, 
in  Befolgung  dieser  aufsehenerregenden  Theorie  in  29  Fällen  nach  Wunsch  22  Kuh-  und 
7  Stierkälber  zu  erzielen.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  diese  Anschauung  nicht  ohne  Wei- 
teres auf  den  Menschen  zu  übertragen  ist.  Immerhin  erscheint  der  Einwand,  dass  die  Frau 
zur  Zeit  der  Menses  (wenn  man  diese  überhaupt  auf  eine  Stufe  mit  der  Brunst  der  Thiere 
stellen  darf)  die  Cohabitation  aiicht  oder  doch  nur  ausnahmsweise  zulasse,  nicht  stichhaltig. 
Denn  es  ist  kaum  fraglich,  dass  die  sexuelle  Enthaltsamkeit  des  Weibes  zu  dieser  Zeit  auf 
einem  Herkommen,  einer  anerzogenen  Sitte  beruht;  der  Geschlechtstrieb  selbst  ist  intra 
menses  meist  sogar  gesteigert,  analog  dem  Verhalten  der  Thiere  während  der  Brunst.  Dem 
Verhalten  von  Ei  und  Sperma  misst  auch  Hensen  eine  gewisse  Bedeutung  bei,  wenn  er 
glaubt,  manches  spreche  dafür,  dass  ein  günstiger  Zustand  von  Ei  und  Sperma  zur  Weib- 
chenbildung führe,  während  ein  dem  Absterben  nahes  Ei  eher  Männchen  hervorbringe.  Die 
gerühmte  Superiorität  des  Mannes  erlitte  dadurch  allerdings  eine  empfindliche  Einbusse, 
oder  aber  seine  Bescheidenheit  wird  dadurch  in  helles  Licht  gerückt.  Von  grossem  Interesse 
ist  auch  die  Thatsache,  dass  sich  bei  den  Bienen  aus  unbefruchteten  Eiern  die  männhchen 
Drohnen  entwickeln,  aus  den  befruchteten  aber  die  weiblichen  Arbeitsbienen;  hier  scheint 
ursprünglich  eine  männliche  Anlage  der  Eier  zu  bestehen.  Einer  Verallgemeinerung  wider- 
spricht allerdings  auf  das  schlagendste  der  Umstand,  dass  den  unbefruchteten  Eiern  ge- 
wisser Psychiden  (Schmetterlinge,  Familie  der  Spinner)  Weibchen,  den  befruchteten  aber 
Männchen  und  Weibchen  entspringen  sollen;  es  muss  jedoch  beigefügt  werden,  dass  die 
Parthenogenesis  der  Psychiden  nicht  ohne  Widerspruch  geblieben  ist. 

Sehr  bemerkenswerth  für  die  Theorie  äusserer  Einflüsse  auf  die  Geschlechtsbildung 
ist  auch  die  Beobachtung  Knight's  an  Gurken  und  Melonen:  durch  Wärme,  Licht  und 
Trockenheit  sollen  sich  nur  männliche,  durch  Schatten,  Feuchtigkeit  und  Düngung  nur 
weibliche  Blüthen  entwickeln.  Ferner  ist  dabei  zu  erwähnen,  dass  z.  B.  beim  Frosch  nach 
Born  noch  eine  Beeinflussung  des  Geschlechtes  nach  der  Zeugung  möglich  ist.  In  jüngster 
Zeit  (1893)  hat  Nüssbaum  experimentell  bei  Hydra  (Süsswasserpolyp)  durch  veränderte 
äussere  Bedingungen  (Temperatur,  Licht  etc.)  nach  Wunsch  die  beiden  Geschlechter  selbst 
nach  der  Befruchtung  entstehen  lassen. 

Das  gegenseitige  Verhältnis  zwischen  Ei  und  Sperma  wäre  nach  der  Theorie  Hof- 
acker's  und  Sadler's,  welche  1828  und  1830  unabhängig  von  einander  das  Alter  der  Er- 
zeuger für  die  Geschlechtsbestimmung  verantwortlich  machten,  von  Einfluss;  nach  ihrer 
Ansicht  soll,  besonders  bei  grossem  Altersunterschied,  das  Geschlecht  des  älteren  erzeugt 
werden.  Dem  widerspricht  allerdings  wieder  die  Thatsache,  dass  alte  Erstgebärende  mehr 
Knaben  als  Mädchen  zur  Welt  bringen,  obwohl  hier  der  Altersunterschied  relativ  geringer, 
ja  die  Frau  verhältnismässig  oft  älter  als  der  Mann  ist.  Der  KNiGHT'schen  Beobachtung 
reiht  sich  die  PLOss'sche  Theorie  an,  dass  nach  der  Conception  einwirkende  äussere  Ver- 
hältnisse von  Einfluss  auf  das  Geschlecht  seien.  Breslau  und  Wappäus  widersprechen  dem 
nach  ihren  statistischen  Untersuchungen;  letzterer  konnte  zeigen,  dass  Missernte  und  Hun- 
gersnoth  in  Schweden  ohne  Einfluss  auf  das  Geschlecht  waren.  Gleichfalls  auf  äussere 
Ursachen  führt  Olshausen  die  Geschlechtsbestimmung  zurück,  wenn  er  die  Beschaffenheit 
des  Beckens  dafür  heranzieht.  Janke  nimmt  an,  dass  bei  der  Zeugung  beide  Geschlechter 
einen  Kampf  eingehen,  in  dem  jedes  das  ihm  Entgegengesetzte  hervorzubringen  bestrebt  ist. 
Das  erinnert  weitgehend  an  Sacher-Masoch's  Worte:  „Die  Liebe  ist  der  Krieg  der  Geschlech- 
ter, indem  sie  darum  ringen,  eines  das  andere  zu  unterwerfen  —  für  kurze  Zeit  durch  die 
Begier,  den  Trieb  sich  fortzupflanzen,  in  süsser  Wollust  gleichsam  zu  einem  einzigen  Wesen 
vereinigt,  um  dann  in  noch  ärgerer  Feindschaft  zu  entbrennen  und  noch  heftiger  und  noch 
rücksichtsloser  um  die  Herrschaft  zu  streiten."  Für  die  Frage  der  Entstehung  des  Ge- 
schlechtes ist  damit  allerdings  nichts  gewonnen.  GUSTAV  KLEIX. 


Curettement.  Unter  Curettement  (Syn.  Abrasio,  Baclage,  Auskratzung^ 
Ausschahu7ig)  versteht  man  die  Entfernimg  der  Uterusschleimhaut  mittels 
besonderer  Instrumente,  nämlich  mittels  eines  scharfen  Löffels  oder,  was  mehi' 
empfehlenswerth,  mittels  einer  am  oberen  Eand  geschärften  Metallschlinge 
von  4 — 12  mm  Breite,  der  Cui-ette.  Diese  von  Eecamier  1846  zuerst  angegebene, 
dann  verdammte  und  schliesslich  in  Vergessenheit  gerathene,  in  Deutschland 


176  CüRETTEMENT. 

von  Hegae,  Kaltenbach  und  Olshausen  eingefiüu'te  und  bald  zur  allgemeinen 
Anerkennung  gelangte  Operation  ist  entschieden  eine  der  segensreichsten  Er- 
rungenschaften der  modernen  Gynäkologie,  da  sie  die  Endometritis  beseitigt, 
resp.  die  Heilung  derselben  anbahnt.  Die  Endometritis  ist  aber  das  häutigste 
gynäkologische  Leiden,  welches  nicht  nur  durch  die  Blut-  und  Säfteverluste, 
dieses  erzeugt,  sondern  auch  dadurch  von  grösster  Bedeutung  ist,  dass  es 
secundär  Entzündungen  des  Uterusparenchyms,  der  Tuben  und  Ovarien,  des 
Beckenbindegewebes  und  Beckenbauchfells  veranlasst.  Eine  Errungenschaft 
der  modernen  Gynäkologie  ist  das  Curettement  insofern,  als  nur  die  Antisepsis 
die  Operation  zu  einem  gefahrlosen  Eingriff  gestalten  konnte. 

Die  Hauptindication  des  Curettements  besteht  also  in  der 
Entfernung  der  erkrankten  Uterusschleimhaut  bei  den  ver- 
schiedenen Formen  der  Endometritis,  die  sich  theils  durch  Blutungen, 
theils  durch  Ausfluss  manifestiren  und  nicht  nur  zu  Verdickung,  sondern  sogar 
zu  Polypenbildung  der  Schleimhaut  führen  können.  Betriöt  die  Endometritis 
allein  die  Cervixschleimhaut,  so  ist  nur  das  Curettement  des  Cervix  indicirt.  Doch 
ist  hervorzuheben,  dass  die  Cervicalschleimhaut  von  der  Curette  nur  sehr 
unvollständig  entfernt  wird.  Immerhin  wirkt  aber  auch  hier  das  Curettement 
günstig  durch  die  Zerstörung  von  Schleimfollikeln  und  die  Verödung  zahl- 
reicher Blutgefässe.  Dagegen  wird  die  Corpusschleimhaut  von  der  Curette 
bis  auf  geringe  Reste,  die  innerhalb  von  Vertiefungen  der  Musculatur  gelegen 
sind,  entfernt.  Von  den  zurückgebliebenen  Drüsenfundi  und  dem  sie  um- 
gebenden Bindegewebe  aus  bildet  sich  dann  eine  neue  und  in  vielen  Fällen 
direct  normale  Schleimhaut.  Letzteres  wird  am  besten  dadurch  bewiesen, 
dass  in  vielen  Fällen  nach  dem  Curettement  statt  der  Sterilität  oder  früherer 
Aborte,  eine  normale  Schwangerschaft  eintritt.  Der  Erfolg  von  Aetzungen 
ohne  vorausgeschicktes  Curettement  ist  ein  viel  unsicherer,  die  Behandlung 
nimmt  viel  längere  Zeit  in  Anspruch. 

Contraindicirt  ist  das  Curettement  nur,  wenn  in  der  Umgebung  des 
Uterus  Eiter  vorhanden  ist,  also  besonders  bei  Pyosalpinx,  wo  durch  die 
Operation  eine  Berstung  des  Sackes  und  damit  tödtliche  Peritonitis  erfolgen 
kann,  ferner  bei  para-  oder  perimetritischen  Exsudaten  und  Exsudatresten. 
Para-  oder  perimetritische  Stränge  contraindiciren  dagegen  weder  das  Curet- 
tement noch  nachfolgende  Aetzungen.  Vielmehr  sieht  man,  dass  nach  einer 
solchen  localen  Behandlung  des  Endometrium  die  frühere  Druckempfindlichkeit 
jener  Stränge  und  Beschwerden  verschwinden,  welche,  wie  Schmerzen  beim 
Gehen,  bei  der  Defäcation  und  Cohabitation,  von  der  Zerrung  jener  empfind- 
lichen Stränge  abhingen. 

_  Aus  dem  Gesagten  geht  hervor,    dass   das  Curettement  nur  von  einem  in  der  gynä- 
kologischen Diagnostik  bewanderten  Arzt  ausgeführt  werden  sollte. 

Neben  dem  Curettement  wird  man  natürlich  die  Ursachen  zu  be- 
seitigen haben,  welche  auf  dem  Wege  der  Hyperämie  zu  der  Endometritis 
führten.  Lageveränderungen  des  Uterus  sind  zu  beheben,  peri-  und  para- 
metritische  Narbenstränge  durch  Massage  zu  dehnen,  die  Blutzufuhr  zum 
Uterus  durch  Erzeugung  von  Contractionen  (durch  Massage,  heisse  Aus- 
spülungen, Aetzungen)  zu  massigen,  bei  Störungen  der  Gesammtcirculation 
sind  die  Erkrankungen  der  betreffenden  Organe  (Herz,  Leber,  Lunge)  zu 
behandeln.  Man  muss  ferner  auf  die  Wichtigkeit  regelmässiger  Stuhl-  und 
Urinentleerung  und  die  Nothwendigkeit  aufmerksam  machen,  während  der 
Menstruation  einen  aufsaugenden  sogenannten  Monatsverband  (Sublimatholz- 
wolle, Mooskissen)  zu  tragen. 

Uebrigens  beseitigt  das  Curettement  mit  nachfolgenden  Ein- 
spritzungen von  Jodtinctur  die  Endometritis   häufig   selbst  dann  dauernd, 


CURETTEMENT.  177 

wenn  die  schädlichen  Reize  fortwirken.  Für  die  Endometritis  bei  Myomen  hat 
PtUNC4E  diese  Thatsache  constatirt,  die  Verfasser  bestätigen  kann.  Nur  ersclieint 
ihm  das  Chlorzink  (in  50-proc.  Lösung)  in  diesen  Fällen  nocli  wirksamer  als 
die  Jodtinctur. 

Technik  desCurettement.  Zur  Lagerung  der  Patientin  wählt  man 
einen  gynäkologischen  Untersuchungsstuhl  oder  einen  festen  viereckigen  Tisch 
oder  das  Querbett.  In  den  letzten  beiden  Fällen  sind  die  SciiAUTA'schen 
Beinhalter  recht  bequem,  aber  nicht  absolut  nothwendig.  Eine  Person,  die 
rechts  neben  dem  Tisch  steht,  resp.  neben  der  Patientin  im  Bett  sitzt,  kann  mit 
dem  linken  Arm  und  Hand  die  im  Knie  gebeugten  Schenkel  ganz  gut  an  den 
Leib  der  Patientin  angedrückt  halten  und  hat  so  noch  eine  Hand  für  das  Halten 
des  Irrigators  frei.  Wird  die  Patientin  nicht  narkotisirt  —  bei  empfindlichen, 
verzärtelten  Personen  ist  die  Narkose  entschieden  wünschenswerth  —  so  kann 
die  Patientin  auch  bei  der  Wahl  des  Querbetts  die  Füsse  auf  2  Stühle  stellen, 
zwischen  denen  der  Operateur  sitzt.  Blase  und  Mastdarm  sind  vor  der 
Operation  zu  entleeren.  Nach  gehöriger  Desinfection  seiner  Person  desinficirt 
der  Operateur  die  äusseren  Geschlechtstheile  und  ihre  Umgebung  durch  Ab- 
spülen und  Abreiben  mit  1-proc.  Lysollösung  oder  durch  Abseifen  und  Ab- 
spülen mit  3-proc.  Carbolsäurelösung.  Mit  denselben  Lösungen  wird  die 
Scheide  ausgespült  und  ihre  Wände  mit  2  Fingern  abgerieben.  Sodann  fasst 
man  entweder  unter  Leitung  des  SiaiON'schen  oder  NoTT'schen  Speculums 
(das  hintere  Blatt  von  Simon  genügt  gewöhnlich,  die  Portio  einzustellen,  wenn 
man  die  vordere  Vaginalwand  mit  dem  linken  Zeigefinger  etwas  in  die  Höhe 
drückt)  oder  unter  Leitung  eines  oder  zweier  Finger  der  linken  Hand  die 
vordere  Lippe  mit  einer  Kugelzange,  welche  etwas  angezogen  wird  —  von  dem 
Operateur  selbst  bei  Gebrauch  eines  Spiegels,  sonst  von  einem  Assistenten. 
Nun  führt  man  (bei  Gebrauch  des  Spiegels)  unter  Leitung  des  Auges,  sonst 
unter  Leitung  des  linken  Zeigefingers  einen  doppelläufigen  Katheter  in  die 
Uterushöhle  ein  und  spült  dieselbe  mit  einer  der  genannten  Lösungen  aus. 
In  derselben  Weise  wird  —  bei  sehr  engem  Cervix,  besonders  steriler  Nulliparen 
nach  vorausgeschickter  Erweiterung  mit  soliden  Dilatatoren  —  darauf  die 
Curette  in  das  Cavum  gebracht.  Der  Anfänger  thut  nun  gut,  nachdem  die 
Kugelzange  losgelassen  ist,  sich  mit  der  Curette  den  Uterus  etwas  nach  vorn 
und  oben  zu  drängen,  um  mit  der  linken  Hand  von  aussen  nachzufühlen,  ob 
die  Curette  auch  wirklich  im  Fundus  liegt.  Ist  dies  der  Fall,  so  nimmt  man 
die  Kugelzange  in  die  linke  Hand  und  schabt  methodisch  zuerst  die  vordere, 
dann  die  hintere  und,  indem  man  die  Curette  auf  die  Kante  stellt,  den 
Fundus  und  die  Seitenkanten  ab.  Hierbei  muss  natürlich  die  Curette  gegen 
die  Uteruswand  in  gewissem  Maasse  angedrückt  werden.  Nach  abwärts  darf 
man  kräftig  schaben,  nach  oben  muss  die  Curette  sanft  zurückgeführt  werden. 
Uebrigens  schadet  eine  mit  einem  aseptischen  Instrument  ausgeführte  Per- 
foration des  Uterus  nichts,  falls  man  nicht  hinterher  Liqu.  ferri  oder  Aehn- 
liches  injicirt.  Ist  das  Cavum  sehr  weit,  so  muss  der  Stiel  der  Curette 
gekrümmt  werden,  um  alle  Partien  der  Uterusinnenfläche  erreichen  zu  können. 
Aus  diesem  Grund  empfiehlt  es  sich  auch,  zu  einer  gründlichen  Abla\itzung 
der  vorderen  Wand  den  Spiegel  zu  entfernen,  da  dieser  häutig  die  nöthige 
Senkung  der  Curette  hindert.  Das  Curettement  ist  vollendet,  wenn  die  Cui'ette 
überall  ein  knirschendes  Geräusch  erzeugt. 

Nach  dem  Curettement  muss  der  Uterus  nochmals  ausgespült 
werden,  um  die  abgelösten  Schleimhautfetzen  herauszubefördern.  Ist  ausserdem 
Cervixkatarrh  vorhanden,  so  wird  die  Cervixschleimhaut  ebenfalls  mit  der 
Curette  bearbeitet.  Gewöhnlich  schliesst  man  an  das  Curettement  noch  die 
Einspritzung  eines  Aetzmittels,  Jodtinctur,  Liq.  ferri,  Chlorzink  in  50-proc. 
Lösung  mittels  BRAUN'scher  Spritze  an.    Um  das  Eindringen  des  Mittels  in 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  1^ 


178  CURETTEMENT. 

die  abnorm  erweiterten  Tuben  und  die  Bauchhöhle  zu  vermeiden,  darf  man 
den  Stempel  nur  langsam  herunterdrücken,  indem  man  zu  gleicher  Zeit  die 
Spritze  langsam  aus  dem  Uteruscavum  herauszieht.  Sodann  muss  rasch  der 
Katheter  eingeführt  werden,  um  die  überschüssige  Menge  des  Aetzmittels  zu 
entfernen,  da  sonst  sehr  heftige  Uteruskoliken  entstehen.  Führt  man  den 
Katheter  nicht  gleich  ein,  so  coutrahirt  sich  der  innere  Muttermund  so  fest, 
dass  der  Katheter  nicht  mehr  hindurchgeht.  Uebrigens  ist  der  Verfasser  von 
diesen  Einspritzungen  ganz  zurückgekommen  und  macht  Aetzungen  nur  noch 
mit  der  PLAVFAiR'schen  Sonde. 

Die  Blutung  ist  meistens  unbedeutend,  kann  aber  auch,  besonders 
bei  Endometritis  post  abortum,  sehr  profus  sein.  Für  diese  Fälle  ist  die 
Tamponade  des  Uterovaginalcanals  indicirt.  Man  führt  einen  1 — 4  cm  breiten 
Jodoformgazestreifen,  bei  genügend  weitem  Cervicalcanal  mit  einer  langen 
Pincette,  sonst  vermittelst  einer  Uterussonde  oder  einer  Sonde,  w^elche  an 
ihrer  Spitze  eingekerbt  ist,  bis  in  den  Fundus  und  stopft  den  ganzen  Uterus, 
sowie  das  Scheidengewölbe  fest  aus.  Die  Scheide  wird  mit  einigen  Watte- 
tampons austamponirt.  Die  Tamponade  muss  eine  recht  feste  sein,  da  bei  dem 
nicht  puerperalen  Uterus  die  Blutstillung  weniger  durch  Erzeugung  von  Uterus- 
contractiouen  als  vielmehr  durch  Compression  erfolgt.  Das  Material  hierzu 
findet  sich  in  den  vom  Verfasser  angegebenen  käuflichen  Büchsen. 

Ein  Ereignis,  welches  beim  Curettement  häufig  vorkommt  und  eine 
Perforation  des  Uterus  vortäuschen  kann,  ist  eine  plötzliche  bedeutende  Dila- 
tation der  Uterushöhle.  Die  Curette  dringt  auf  einmal,  ohne  Widerstand 
zu  finden,  tief  ein.  Palpirt  man  nun  aber  von  aussen,  so  fühlt  man  die 
Curette  nicht  unmittelbar  unter  den  Bauchdecken,  sondern  allseitig  von  einem, 
wenn  auch  sehr  dünnen  und  schlaffen  Sack  umschlossen.  Eine  befriedigende 
Erklärung  für  diese  Thatsache  existirt  nicht.  Ist  eine  Perforation  erfolgt,  die 
bei  puerperalem  Uterus  trotz  aller  Vorsicht  passiren  kann,  so  darf  man  das 
Curettement  nicht  fortsetzen  und  keine  Aetzmittel  anwenden.  Bei  antisep- 
tischem Vorgehen  bleibt  jegliche  entzündliche  Reaction  aus. 

Die  Schmerzen,  welche  manchmal  nach  dem  Curettement  auftreten,  werden  durch 
hydropathische  Umschläge,  ev.  durch  eine  Morphiuminjection  bekämpft. 

Nach  dem  Curettement  muss  die  Patientin  mindestens  4  Tage  lang  strenge 
Bettruhe  einhalten.  14  Tage  nach  der  Operation  nimmt  man  noch  eine 
zweite  Aetzung  mit  50-proc.  Chlorzinklösung  vor,  falls  noch  Ausfluss  besteht. 
Bedient  man  sich  hierzu  der  Einspritzung,  so  darf  dieselbe  nur  im  Hause  der 
Patientin  ausgeführt  werden,  da  nach  ihr  oft  äusserst  heftige  Uteruskoliken 
eintreten  —  ein  Zeichen,  dass  dieses  Aetzmittel  starke  Uteruscontractionen 
hervorruft.  Weitere  Chlorzinkätzungen  (6 — 12  in  4 — 8-tägigen  Intervallen) 
nimmt  man  nur  vor,  wenn  früher  schon  das  einfache  Curettement  erfolglos 
geblieben,  ferner  bei  der  Endometritis  exfoliativa  und  der  Endometritis  bei 
Myomen,  sowie  in  den  Fällen,  wo  14  Tage  nach  der  letzten  Aetzung  der 
Uterus  noch  Secret  liefert.  Bei  ambulanter  Behandlung  mache  man  also  die 
dem  Curettement  nachfolgenden  Aetzungen  nur  mit  der  PLAYFAm'schen  Sonde. 
Vor  und  nach  der  Aetzung  wird  der  Uterus  mit  einer  P/o-igen  Lysollösung 
ausgespült. 

Ein  zweites,  sehr  wichtiges  Feld  seiner  Anwendung  findet 
das  Curettement  als  diagnostisches  Hilfsmittel  zur  Erkennung 
carcinomatöser  oder  sarcomatöser  Degenerationen  der  Uterus- 
innenfläche. Befördert  man  mit  der  Curette  nicht  ohne  Weiteres  grosse 
markähnliche  Massen  heraus,  so  nimmt  man  auch  in  diesen  Fällen 
am  besten  ein  gründliches  Curettement,  wie  beschrieben,  vor.  Erweist 
nämlich  die  nachträgliche  mikroskopische  Untersuchung  der  herauscurettirten 


CURETTEMENT.  179 

Massen  die  Schleimhautveränderungen  als  gutartige,  so  ist  die  sogenannte 
Probeauskratzung  nicht  nur  ein  diagnostisches,  sondern  auch  ein  therapeutisches 
Hilfsmittel  gewesen,  welches  die  Blutungen  und  den  AusÜuss  zu  beseitigen 
im  Stande  ist.  Bei  jauchigem  Austluss  mache  man  das  Curettement 
recht  vorsichtig,  da  eine  Perforation,  welche  durch  maligne  Degeneration  der 
Uteruswand  begünstigt  wird,  in  diesen  Fällen  zu  einer  septisclien  Peritonitis 
führen  kann.  Uebrigens  muss  man  bei  diesen  verdächtigen  Fällen  auch  den 
Cervix  gründlich  auskratzen,  da  Cervixcarcinome,  die  den  äusseren  Muttermund 
intact  lassen,  sonst  ganz  übersehen  werden  können.  Hat  das  Curettement  und 
die  nachfolgende  mikroskopische  Untersuchung  eine  maligne  Neubildung 
ergeben,  so  hat  sich  an  das  Curettement  die  Totalexstirpation  des  Uterus  an- 
zuschliessen.  Ist  diese  nicht  mehr  indicirt,  weil  die  Neubildung  schon  den 
Uterus  überschritten  hat,  so  kommt  drittens  das  Curettement  —  hier  in  Con- 
currenz  mit  der  Auslöffelung  —  als  palliatives  Hilfsmittel  in  Betracht, 
um  die  Jauchung  und  die  Blutungen  in  Schranken  zu  halten.  In  diesen 
Fällen  schliesst  man  an  das  Curettement  die  Cauterisation  mit  dem  Platin- 
brenner. 

Auch  in  der  Geburtshilfe  spielt  das  Curettement  eine 
wichtige  Rolle  in  der  Abortbehandlung.  Bis  zur  Mitte  des  3.  Monats 
kann  man  mit  der  Curette  allein  das  ganze  Ei  von  der  Uteruswand  ablösen  und, 
indem  man  die  Curette  durch  die  abgelösten  Massen  hindurchdrückt,  es  so 
zertrümmern,  dass  es  sich  auch  durch  einen  engen  äusseren  Muttermund  (und 
zwar  ohne  Invasionen)  mit  der  Curette  oder  der  Ausspülung  herausbringen 
lässt.  Der  Gebrauch  der  Curette  in  diesen  Fällen  hat  den  Yortheil,  dass  man 
die  Patientin  nicht  wie  bei  der  manuellen  Ausräumung,  zu  narcotisiren  braucht. 
Von  der  Mitte  des  3.  Monats  ab,  wo  die  Placenta  sich  bildet,  ist  die  Curette 
immer  noch  das  bequemste  Mittel,  um  die  Decidua  rascher,  vollständiger  und 
schmerzloser  zu  entfernen,  als  es  der  eingeführte  Finger  vermag,  während 
für  die  Ablösung  der  Placenta  allerdings  der  Finger  der  Curette  vorzuziehen  ist. 

Ich  wende  die  Curette  principiell  bei  allen  Aborten  an,  wo  der  Abort 
nicht  mehr  aufzuhalten  ist  —  und  zwar  bis  zur  Mitte  des  dritten  Monates  zur 
Ablösung  des  ganzen  Eies,  in  späterer  Zeit  nach  manueller  Ablösung  der 
Placenta  zur  Entfernung  der  Decidua.  Nicht  alle  Geburtshelfer  theilen  diesen 
Standpunkt,  indessen  greifen  wohl  die  meisten  zur  Curette  in  Fällen,  wo  bei 
wenig  vergrössertem  Uterus  und  geschlossenem  Cervix  Abortreste  Blutung 
oder  Jauchung  veranlassen.  Neuerdings  hat  man  aus  diesen  Gründen  auch  im 
Wochenbett  nach  normalen  Geburten  das  Curettement  angewendet. 

Einen  Erfolg  kann  es  bei  jauchigem  Ausfluss  selbstverständlich  nur  in  den 
Fällen  haben,  wo  der  Sitz  der  Fäulnis  oder  der  Infection  auf  die  Decidua 
beschränkt  ist.  Die  Auskratzung  ist  daher  in  allen  Fällen  zu  unterlassen,  wo 
Exsudate,  allgemeine  Peritonitis  oder  Pyämie  vorhanden  sind,  vorzunehmen 
in  den  Fällen,  wo  Fieber  und  übelriechender  Ausfluss  bestehen,  welche  weder 
Uterusausspülungen,  noch  der  Jodoformgazetamponade  weichen.  Letztere  hat 
den  Vortheil,  dass  sie  den  Cervix  für  den  Finger  durchgängig  macht, 
so  dass  man  den  Finger  einführen  und  constatiren  kann,  ob  die  Blutung,  resp. 
Jauchung  nicht  durch  Piacentarreste  oder  Neubildungen  bedingt  ist.  Curettii-t 
man  bei  Zersetzung  im  Uteruscavum,  so  sieht  man  übrigens  häufig  nach  dem 
Curettement  einen  intensiven  Schüttelfrost  und  hohes  Fieber  eintreten  — 
Erscheinungen,  die  dadurch  bedingt  sind,  dass  von  den  frischgesetzten  Wunden 
aus  eine  Resorption  von  Ptomainen  stattfindet.  Diese  bedrohlichen  Symptome 
gehen  jedoch  innerhalb  24  Stunden  zurück.  Um  sie  zu  vermeiden,  erscheint 
der  Gebrauch  eines  Spüllöffels  oder  einer  Spülcurette  zweckmässig  —  d.  h. 
eines    Instrumentes,   welches    inwendig  hohl    ist   und  an  beiden  Enden  ent- 

12* 


180  DAMMRISSE  UND  DAMMNAHT. 

sprechende  Öftnimgen  hat.  Dieses  Instrument  wird  auf  den  Irrigatorschlauch 
aufgesetzt,  und  die  Desinfectionslösung  überspült  infolgedessen  continuirlich 
die  Schneide  des  Instrumentes  und  die  Wunden,  welche  die  Curette  erzeugt. 

DÜHRSSEX. 

Dammrisse  und  Dammnaht.  Am  Scheideneingange  kommen  bei  der 
Geburt  als  Folge  derselben  mitunter  auch  im  nicht  gebärenden  Zustande  durch 
zufällige  traumatische  Veranlassungen  verschiedene  Verletzungen  vor,  als  deren 
wichtigste  und  häutigste  diejenigen  des  Frenulums  und  Dammes,  sowie  des 
Beckenbodens,  welche  man  kurzweg  als  Dammrisse  zusammenfasst,  zu  be- 
zeichnen sind. 

Sie  entstehen  in  Folge  der  Ueberausdehnung,  welche  der  Scheideneingang 
bei  dem  Durchtritt  des  Kindes,  besonders  des  Kopfes  und  mitunter  auch  der 
Schultern  desselben  erfährt.  In  ihrer  Ausdehnung  sind  sie  je  nach  Umständen 
ausserordentlich  verschieden,  von  einem  leichten  Einrisse  des  Frenulum  bis 
zu  einem  vollständigen,  selbst  auf  den  Anus  und  Mastdarm  sich  erstreckenden 
Zerreissen  des  ganzen  Mittelfleisches,  und  unterscheidet  man  danach  verschie- 
dene Grade.  Geringere  Einrisse  des  Frenulums  sind  besonders  bei  Erstge- 
bärenden ausserordentlich  häufig.  Abgesehen  von  diesen  unterscheidet  man 
die  Rupturen  in  oberflächliche,  bei  welchen  nur  die  äussere  Haut  des 
Perineums  und  die  Fascia  perin.  superficialis  geborsten  ist  —  Dammrisse 
ersten  Grades  —  und  in  tiefe,  die  eigentlichen  Vulvo-Perinealrisse, 
bei  welchen  entweder  ausser  dem  untersten  Theil  der  hinteren  Scheidenwand 
auch  die  Dammuskeln  — -  die  Fasern  des  M.  constrictor  cunni,  welche  zum 
M.  sphincter  ani  gehen.  Mm.  transversus  perinei  superfic.  und  profundus 
und  die  Fascia  perin.  profunda  eingerissen  sind  —  Dammrisse  zweiten 
Grades,  —  oder  der  Riss  auch  noch  auf  den  Sphincter  ani  externus  und 
auf  die  Schleimhaut  des  Mastdarmes,  sowie  einen  bedeutenden  Theil  der  hin- 
teren Scheidenwand  sich  erstreckt  —  Dammrisse  dritten  Grades. 

Die  Dammrisse  zweiten  Grades  gehen  nur  bis  an  den  Anus,  die  dritten 
Grades  in  oder  auch  gabelförmig  um  denselben  herum.  In  nicht  seltenen 
Fällen  werden  nur  die  inneren  Gewebe  des  Beckenbodens  — ■  Schleimhaut, 
Muskeln  und  Fascien  —  zertrümmert  ohne  Verletzung  der  äusseren  Haut, 
Rupturen,  welche  bei  nicht  sorgfältiger  Untersuchung  der  Beobachtung  ent- 
gehen. Gewöhnlich  verläuft  der  Riss,  an  der  hinteren  Commissur  der  Labien 
beginnend  geradlinig  oder  etwas  gezackt  von  vorn  nach  hinten;  es  kann  auch, 
was  allerdings  selten,  das  durch  die  Ueberausdehnung  des  Frenulums  gebildete 
verdünnte  Dreieck  an  der  einen  Seite  abreissen  bis  zur  Raphe  und  geht  dann 
der  Riss,  einen  stumpfen  Winkel  bildend,  in  der  Raphe  weiter  nach  hinten. 
.Mitunter  auch  berstet  die  Haut  zuerst  in  der  Mitte  der  Raphe,  und  zwar  nicht 
längs,  sondern  querüber  und  geht  dann  der  Riss  in  die  Tiefe;  oder  die 
inneren  tieferen  Schichten  reissen  an  dieser  Stelle  zuerst  und  dann  erst  die 
äussere  Haut  querüber.  Ein  solcher  Riss  kann  sehr  weit  gehen,  nach  vorn 
die  Vulva  und  die  Labia  majora,  nach  hinten  den  Mastdarm  umfassend,  ohne 
diesen  oder  die  hintere  Commissur  der  Labien  zu  zerreissen,  und  nennt  man 
solchen  Riss  eine  Centralruptur,  durch  welche  hindurch  in  extremen 
Fällen  das  Kind  geboren  werden  kann. 

Waren  die  inneren  Schichten  des  Beckenbodens  zuerst  durchrissen  oder  zertrümmert, 
so  kann  es,  wie  oben  bemerkt,  vorkommen,  dass  die  äussere  Haut  unversehrt  bleibt.  Oft 
kommt  es  aber  auch  vor,  dass  dieselbe  im  Moment  des  Einschneidens,  noch  bevor  es  zum 
eigentlichen  Durchschneiden  des  Kopfes  kommt,  plötzlich  in  der  ganzen  Ausdehnung  des 
Perineums  berstet  und  zwar  oft  von  hinten  nach  vorn  oder  von  der  Mitte  der  ßaphe 
aus  gleichzeitig  nach  vorn  und  hinten. 

Was  die  Häufigkeit  der  Dammrisse  anlangt,  so  sind  darüber  die 
Angaben  sehr  verschieden,  was  wohl  in  der  verschiedenen  Auffassung  des  Be- 
griffes „Dammriss"  seine  Begründung  hat.  Die  einen  rechnen  zum  Dammriss 


DAMMRISSE  UND  DAMMNAHT.  181 

jedes  auch  kleine  Einreissen  des  Frenulums  und  werden  dadurch  hohen  Pro- 
centsatz erhalten,  andere  lassen  erst  Risse  von  wenigstens  2  cm  oder  noch 
mehr  Länge  (vom  Frenulum  aus)  als  Dammrisse  gelten.  So  kommt  es,  dass 
z.  B.  HuGENBOG  nur  P/o  Dammrisse  für  alle  Geburten  angibt,  Sxow  Beck 
dagegen  ßß^/o  für  Erstgebärende.  Litzmann  rechnet  41%  für  Pp.,  11-4''/^, 
für  Mp.,  Schröder  34<>/o  für  Pp.,  !)"/o  l'ür  Mp.;  SwEGELBERf^  für  Risse  von 
2'5  cm  an  3-5"/o,  Winckel  für  solche  von  1-5  cm  an  lO'Vn  für  alle  Geburten, 
Olshausen  (10-jährige  Beobachtung  in  der  Klinik  zu  Halle)  21-1 'Vo  für  Pp., 
4-4V0  für  Mp.  Unbestritten  ist,  dass  Dammrisse  bei  Erstgebärenden  häufiger 
vorkommen,  als  bei  Mehrgebärenden.  Blosses  Einreissen  des  Frenulums 
nehmen  Puzos,  Spiegelberg,  Olshausen  u.  A.  für  fast  alle  Geburten  an, 
Schröder  dagegen  zu  6 P/o  bei  Primiparen  und  30"' /o  bei  Multiparen. 

In  Bezug  auf  die  Entstehung  der  Perinealruptur  sind  diejenigen 
Umstände  zu  berücksichtigen,  welche  zu  der  Zerreissung  disponiren,  sie  be- 
günstigen, und  die  Ursachen,  welche  letztere  direct  herbeiführen.  Wenn  der 
Kindeskörper,  bezw.  Kopf  und  Schultern,  die  Schamspalte  schonend  passiren 
sollen,  müssen  diese  und  ihre  Ausdehnungsfähigkeit  in  harmonischem  Ver- 
hältnisse zum  Umfang  des  hindurchtretenden  Kindeskörpers  stehen.  Besteht 
Missverhältnis  in  dieser  Beziehung,  dann  Avird  es  leicht  zum  Dammriss 
kommen. 

Disponirend  von  Seiten  der  Mutter  sind  besonders  ungewöhnliche  Enge 
und  Unnachgiebigkeit  der  Schamspalte,  Rigidität  ihrer  Wandungen  von  Haus 
aus  oder  durch  Krankheiten  —  Oedeme,  Narben,  Geschwüre  u.  dgl.  —  er- 
worben, zu  grosse  Breite  und  Unnachgiebigkeit  des  Dammes,  ungewöhnliche 
Höhe  der  Symphyse,  abnorme  Straftheit  des  Lig.  trianguläre  (B.  Schultze), 
zu  enger  Schambogen,  zu  geringe  Beckenneigung.  Ob  auch  zu  starke  Becken- 
neigung, ein  sehr  gestrecktes  Kreuzbein  oder  ein  abnom  concaves  nachtheilig 
wirken,  wie  von  einigen  Autoren  behauptet  wird,  ist  zweifelhaft.  Disposition 
von  Seiten  des  Kindes  geben:  zu  grosser  harter  Kopf,  ungünstige  Stellung 
und  Drehung  desselben  beim  Ein-  und  Durchschneiden,  zu  breite  Schultern 
u.  dgl.  Dieses  Missverhältnis  zwischen  der  Schamspalte  und  dem  austre- 
tenden Kindeskörper  kann  ausgeglichen  oder  doch  in  seinen  Folgen  gemildert 
w^erden  durch  eine  schonende,  allmälige  Erweiterung  der  Geburts- 
wege, durch  geeignete  Kunsthilfe,  richtige  Lagerung  der  Kreis- 
senden u.  s.  w.  Kommen  aber  statt  dessen  stürmische  Wehen,  welche  keine 
Zeit  zu  schonender,  allmäliger  Erweiterung  der  engen  Geburtswege  lassen  und 
den  Kindeskörper  der  Fähigkeit  berauben,  die  nöthigen  Drehungen  oder 
Stellungsänderungen  zu  vollziehen,  dann  wird  die  Ruptur  umso  eher  eintreten, 
besonders  wenn  durch  fehlerhafte  Lagerung  der  Kreissenden  und  sonst  un- 
geeignete Kunsthilfe  der  Natur  nicht  richtig  zu  Hilfe  gekommen  wird.  Bei 
wenig  geneigtem  Becken  und  Situs  ant.  gen.  wird  in  der  Austreibungsperiode 
der  Kindeskörper  durch  die  Wehenkraft  mehr  gegen  die  Mitte  des  Becken- 
bodens angedrängt,  als  in  der  Richtung  der  Achse  des  in  der  Rückenlage  der 
Kreissenden  fast  horizontal  liegenden  nach  oben  sehenden  Scheidenausganges 
vorwärts  bewegt,  da  er  zu  letzterer  Bewegung  dem  Gesetz  der  Schwere  ent- 
gegen in  die  Höhe  steigen  müsste.  Ist  aber  der  Damm  sehr  unnachgiebig 
und  die  Wehen  sehr  stürmisch,  werden  die  inneren  Theile  des  Beckenbodens 
in  erster  Linie  zertrümmert  und  zuletzt  auch  die  äussere  Haut  gesprengt,  sei 
es  in  Form  einer  Centralruptur  oder  erst  beim  Durchschneiden  des  Kopfes 
vom  Frenulum  aus;  es  entsteht  dann  ein  tiefer,  grosser  Einriss.  Ist  bei  wenig 
geneigtem  Becken  der  Beckenboden  dagegen  zu  nachgiebig,  dann  kann  er 
sackartig  weit  vorgetrieben  und  dabei  ausserordentlich  verdünnt  werden  und 
dann  beim  Durchschneiden  des  Kopfes  in  weiter  Ausdehnung  eim-eissen.  be- 
sonders bei  stürmischen  Wehen.  Alles  dies  wird  in  Rückenlage  der  Kreis- 
senden leichter  eintreten,  als  bei  Seitenlagerung.    Breiter  Damm  und  geringe 


182  DAMMRISSE  UND  DAMMNAHT. 

Beckenneigung  begünstigen  Centralruptur.  Von  Seiten  des  Kindes  gibt  be- 
sonders das  Durchschneiden  des  Kopfes  mit  dem  Fronto-Occipital-Durchmesser, 
wie  dies  bei  Vorderscheitellage  der  Fall  ist,  überhaupt  jeder  Durchtritt  des 
Kopfes,  bei  welchem  nicht  der  suboccipito-frontale  oder  der  submento-occipitale 
Durchmesser  gewonnen  wird,  Veranlassung  zur  Perinealruptur. 

Es  kommt  auch  vor,  dass  der  Kopf  glücklich  durch  ist  und  erst  beim  Durch- 
treten der  S<;hultern,  besonders  wenn  sie  gleichzeitig  austreten  oder  unvorsichtiger 
Weise  ausgezogen  werden,  der  Damm  einreisst  und  dies  umso  eher,  wenn  die  inneren 
Theile  des  Beckenbodens  schon  stark  gequetscht  oder  zertrümmert  waren.  Manchmal 
scheinen  alle  bis  jetzt  genannten,  einen  Dammriss  begünstigenden  Momente  zu  fehlen  und 
doch  erfolgt  ein  solcher,  was  dann  wohl  in  einer  abnormen  krankhaften  Brüchigkeit  des 
Dammes  seinen  Grund  hat,  der,  wie  Hecker  sagt,  wie  Zunder  reisst. 

Die  Folgen  der  Dammrisse  sind  verschieden  je  nach  der  Grösse 
und  Tiefe  derselben,  sowie  auch  nach  dem  Verlaufe  des  Wochenbettes.  ■  Die 
Blutungen  sind  meist  geringfügig,  parenchymatös  und  nur  bei  tiefen,  w^eit 
hinaufreichenden  Rissen  kommt  es  auch  einmal  vor,  dass  ein  etwas  grösseres 
Gefäss  durchrissen  wird  und  profusere  arterielle  Blutung  erfolgt,  welche  durch 
Unterbindung  leicht  zu  stillen  ist.  Unmittelbar  nach  dem  erfolgten  Einreissen 
macht  sich  ein  brennender  Schmerz  in  der  Vulva  bemerklich,  der  oft  schon 
sehr  bald  nachlässt,  manchmal  aber,  wenn  auch  in  verringertem  Grade  einige 
Tage  anhalten  kann.  Bei  grösseren  Verletzungen  stellt  sich  am  zweiten, 
dritten  Tage  des  Wochenbettes  meist  etwas  Wundfieber  ein,  während  geringere 
besonders  bei  geeigneter  antiseptischer  Behandlung  gewöhnlich  ohne  solches 
verlaufen. 

Bei  vorher  gesundem  Damm  und  sorgfältiger  Behandlung  des  Risses 
heilen  nach  Winckel  etwa  6  5 °/o  Dammrisse  per  primam,  nach  Anderen  etwas 
weniger.  Mitunter  zeigen  sich  Oedem  der  Wundränder  und  Puerperalgeschwüre, 
besonders  bei  nicht  sorgfältiger  Antisepsis.  Je  grösser  der  Riss,  umso  grösser 
ist  die  Infectionsgefahr,  jedoch  im  Ganzen  weniger,  als  bei  inneren,  tiefer  lie- 
genden Verletzungen,  weil  eine  gründliche  Desinfection  leichter  ausführbar  ist. 
War  der  Sphincter  eingerissen,  kann  unwillkürlicher  Abgang  der  Darmgase 
und  selbst  der  Fäces  auftreten.  Spontane  vollständige  Heilung  kommt  nur 
ausnahmsweise  vor,  öfters  nur  am  hinteren  Wundwinkel  eine  Wiedervereinigung 
von  einigen  Millimetern,  während  der  grössere  Theil  der  Wundränder  vereitert 
und  sich  später  mit  einer  dünnen,  schleimhautähnlichen  Membran  überhäutet. 
Hierdurch  wird  die  Schamspalte  erweitert,  im  ungünstigsten  Falle  bis  zum 
After  und  wird  dadurch  die  hintere  Vaginalwand  ihrer  Stütze  beraubt,  was 
zur  Folge  haben  kann,  dass  die  Scheide  eine  Geneigtheit  zu  Senkung  und 
Vorfall  erhält.  Durch  das  stärkere  Klaffen  der  Scheide  wird  das  Auftreten 
von  Vaginal-  und  Uterinalkatarrhen  mit  all  ihren  Folgen  begünstigt.  Bei  un- 
genügender Verheilung  tiefer,  in  die  Mastdarmschleimhaut  gehender  Risse 
können  Mastdarm-Scheidenfisteln  zurückbleiben,  welche  jedoch  später  durch 
Nachoperation  sich  unschwer  beseitigen  lassen.  In  extremsten  Fällen  kommt 
es  zur  Kloaken-Bildung. 

Die  rationellste  Behandlung  der  Dammrisse  würde  die  prophylaktische, 
d.  i.  die  Verhütung  derselben  sein,  in  Betreff  welcher  wir  auf  das  Capitel 
„Dammschutz'^")  verweisen.  Wir  müssen  aber  mit  dem  Factum  rechnen,  dass 
trotz  sorgfältigster  Unterstützung  des  Dammes  das  Einreissen  desselben  nicht 
immer  zu  verhüten  ist.  Trotz  sorgfältiger  Uel^erwachung  des  Dammes  während 
des  Durchtritts  des  Kopfes  kann  das  Eintreten  eines  Risses  unserer  Beachtung 
entgehen,  besonders  beim  Durchtreten  der  Schultern,  und  soll  man  es  sich 
deshalb  zum  Grundsatz  machen,  nach  jeder  Entbindung  sofort  die  Genitalien 
einer  genauen  Untersuchung  zu  unterwerfen,  soweit  dies  durch  blosse  In- 
spection  möglich  ist. 


*)  ^Dammsclmtz"  (Gr.  Braun)  ds.  Bd.  pag.  184 


DAMMRISSE  UND  DAMMNAIIT.  -,  183 

Einfache  Einrisse  des  Frenulums  l)e(lürfcn  keiner  weiteren  Be- 
handlung, als  einer  sorgfältigen  desinticirenden  Reinigung,  welche  auch  in  den 
ersten  Tagen  des  Wochenbettes  fortzusetzen  ist.  Zweckmässig  ist  das  Vorlegen 
eines  Jodoformgaze-  oder  Wattebausches.  Wenn  keine  störenden  Compli- 
cationen  dazwischen  treten,  heilen  sie  meist  sehr  rasch.  Auch  für  leichte 
oberflächliche,  nur  die  äussere  Haut  und  die  J^ascia  supcrfic.  betreffende  Ein- 
risse des  Dammes  genügt  dies  Verfahren  vollständig,  nur  ist  es  zweckmässig, 
zur  Verhütung  des  Spreizens  der  Beine,  wodurch  die  Wunde  gezerrt  wird, 
dieselben  an  den  Knieen  leicht  zusammenzu])inden,  wenigstens  bei  Nacht,  d.  h. 
beim  Schlaf.  Manche  Autoren  empfahlen  auch  für  tiefere  Einrisse,  sobald  sie 
nicht  den  Anus  berühren  oder  weiter  in  die  Scheide  hinaufgehen,  sich  nur 
auf  Reinhaltung,  bezw.  Desinficirung  der  Wunde  und  genaues  Aneinanderhalten 
der  Beine  zu  beschränken,  von  der  Ansicht  ausgehend,  dass  trotz  Naht  meistens 
die  Vereinigung  der  Wunde  nicht  besser  und  sicherer  vor  sich  geht,  als  wenn 
man  die  Risse  sich  selbst  überlässt,  eine  Heilung  per  primam  doch  nicht  er- 
zielt werde.  Es  ist  dies  aber  nicht  wichtig  und  nach  der  jetzigen  Auffassung 
wohl  allgemein  angenommen,  dass  nur  eine  genaue  Vereinigung  der  Wunde 
durch  gut  angelegte  Dammnaht  einigermaassen,  wenn  auch  nicht  unl)edingt 
Garantie  für  eine  gute  Heilung  gibt.  Am  besten  ist  es,  wenn  die  Vereinigung 
alsbald  geschieht,  aber  nicht  vor  der  Entfernung  der  Nachgeburt,  damit  man 
nicht  durch  das  bis  zu  diesem  Moment  noch  öfters  fliessende  Blut  in  der 
Operation  gestört  und  durch  den  nach  der  Vereinigung  erst  erfolgenden  Aus- 
tritt der  Placenta  die  Wunde  gezerrt  werde.  Der  Eingriff'  ist  ja  im  Ganzen 
ein  so  geringfügiger,  dass  selbst  sehr  angegriffene  Neuentbundene  denselben 
gut  vertragen,  und  je  früher  die  Vereinigung  geschieht,  umso  eher  ist  Hei- 
lung per  primam  zu  erwarten.  Man  sorge  dafür,  dass  die  Wundflächen  nicht 
mehr  bluten  und  keine  Blutgerinnsel  darauf  zurückbleiben.  Ebenso  werden 
etwaige  Gewebsfetzen  entfernt  und  die  Wunde,  besonders  die  Wundränder  mit 
der  Scheere  geglättet.  Vor  Anlegung  der  Nähte  ist  es  zweckmässig,  die 
Wundflächen  und  ihre  Umgebung  mit  dem  Irrigator  desinficirend  abzuspülen. 

Nicht  sehr  tiefe  Risse  kann  man  in  der  Seitenlage  operiren,  wobei  ein 
Gehilfe  die  oben  gelegene  Hinterbacke  in  die  Höhe  zieht.  Es  werden  dann 
entsprechend  der  Tiefe  und  Länge  der  Wunde  in  etwa  1  cm  Entfernung 
mehrere  Knopfnähte  angelegt,  aber  erst  geknüpft,  wenn  alle  Fäden  durch- 
geführt sind.  Man  sticht  etwa  1  bis  1-5  cm  vom  Wundrand  entfernt  ein  und 
muss  die  Naht  so  tief  als  möglich  führen,  um  die  Wunde  ganz  zu  umfassen. 
Besonderer  Werth  ist  darauf  zu  legen,  dass  die  Ausstichöffnungen  in  gleiche 
Höhe  und  ebensoweit  vom  Wundrand  entfernt  zu  liegen  kommen,  als  die  Ein- 
stichöffnungen. Es  ist  aber  nicht  nothwendig,  die  Naht,  wie  manche  empfohlen 
haben,  von  der  Tiefe  der  Wunde  aus  durch  Ausstechen  nach  beiden  Seiten 
mit  doppelter  Nadel  anzulegen.  Für  den  Damm  genügen  2  bis  3  tiefe  Nähte, 
deren  erste  man  möglichst  nahe  an  der  hinteren  Commissur  der  Labien  an- 
legt, und  zwischen  welche  man  je  nach  Bedarf  noch  einige  oberflächliche 
Knopfnähte  anbringen  kann.  Um  tief  umstechen  zu  können,  bedient  man  sich 
leicht  gekrümmter  grosser  Nadeln,  welche  man  mit  einem  Nadelhalter  —  am 
besten  dem  RosER'schen  —  einführt.  Als  Nahtmaterial  dient  dünne,  carbo- 
lisirte  und  sterilisirte  Seide  oder  auch  für  leichtere  Risse  Catgut.  In  Berück- 
sichtigung der  zur  Zeit  der  Anlegung  der  Nähte  noch  vorhandenen  Schwellung 
der  Weichtheile  ist  es  zweckmässig,  die  Nähte  sehr  fest,  nahe  bis  zum  Ein- 
schneiden fest  zu  knüpfen,  sonst  liegen  sie  andern  Tags  zu  locker. 

Für  die  tieferen  Risse  zweiten  und  dritten  Grades  ist  diese 
einfache  Naht  nicht  genügend  und  legt  man  die  hier  nothwendigen,  meist 
complicirten  Nähte  am  besten  in  der  Rückenlage  mit  erhöhtem  Kreuz  und 
erhobenen  Oberschenkeln  (Steinschnittlage)  an.    Ist  die   hintere  Vaginalwand 


184  DAMMRISSE  UND  DAMMNAHT. 

mit  eingerissen  neben  der  Verletzung  des  Dammes  bis  an  den  Anus,  dann 
niuss  zuerst  die  Sclieidenschleimliaut,  von  oben  nach  unten  gehend,  sorgfältig 
durch  halbtiefe  Knopfnähte  —  manche  empfehlen  dafür  fortlaufende  Naht, 
sogenannte  Kürschnernaht,  über  deren  Zweckmässigkeit  das  Urtheil  noch  nicht 
abgeschlossen  ist  —  von  der  Scheide  aus  vereinigt  werden  bis  zur  hinteren 
Commissur  und  dann  erst  werden  die  üblichen  Dammnähte  angelegt. 

Bei  dem  höchsten  Grade  der  Dammrisse,  bei  welchen  das  ganze 
Septum  recto-vaginale  in  mehr  oder  minderer  Ausdehnung  und  der  After  einge- 
rissen sind,  wird  zuerst  der  Mastdarm  durch  ebenfalls  von  oben  nach  unten 
sorgsam  angelegte  Knopfnähte  mit  Knotung  auf  der  Schleimhautfläche  genäht, 
wozu  man,  wie  auch  zur  Scheidennaht  kleine  stark  gekrümmte  Nadeln,  mit 
dem  Nadelhalter  eingeführt,  braucht;  danach  die  Scheide  in  der  oben  ange- 
gebenen Weise  und  zuletzt  der  Damm.  Die  den  Anus,  bezw.  Sphincter  ext. 
zuletzt  schliessende  Naht  verbindet  sich  mit  der  hintersten  Dammnaht  ebenso, 
wie  die  unterste,  die  hintere  Commissur  der  Labien  vereinigende  Scheidennaht 
mit  der  Dammnaht.  Die  drei  Reihen  von  Nähten  bilden  ein  nahezu  gleich- 
schenkliges, spitzwinkliges  Dreieck,  dessen  Basis  der  Damm  bildet.  Scheiden- 
und  Mastdarmschleimhaut  bedürfen  zu  guter  Heilung  eine  sehr  sorgfältige 
Coaptation  durch  dicht  angelegte  Nähte.  Ist  diese  Bedingung  erfüllt,  legen 
sich  die  Ränder  der  Dammwunde  von  selbst  gut  aneinander  und  bedürften 
unter  Umständen  selbst  keiner  Nähte  mehr,  es  ist  aber  sicherer,  solcher  2  bis 
3  anzulegen. 

Von  YiDAL  J.  Cassis  wurde  zur  Vereinigung  mittelgrosser  Dammrisse  statt  der  Nähte 
die  Anwendung  von  Serres-fines  empfohlen  und  von  ihm,  Hoogeweg,  Braun  u.  A.  recht 
gute  Eesultate'erzielt,  man  ist  aber  doch  wieder  mehr  davon  abgekommen,  da  sie  durchaus 
keine  Vorzüge  vor  einer  gut  angelegten  Naht  besitzen  und  ihre  Anwendung  mitunter  recht 
schmerzhaft  ist.  Auch  ein  von  Greuser  als  Ersatz  der  Naht  empfohlener  CoUodiumverband 
hat  keine  dauernde  Anerkennung  zu  erlangen  vermocht. 

Bei  der  Nachbehandlung  ist  neben  peinlicher  Sorge  für  Reinhaltung 
dafür  zu  sorgen,  dass  die  Wunde  in  keiner  Weise  gezerrt  werde,  weshalb 
vor  Allem  die  Schenkel  durch  ein  Tuch  über  dem  Knie  lose  zusammenge- 
bunden werden.  Hierbei  bleibt  es  sich  gleich,  ob  die  Patientin  die  Rücken- 
oder Seitenlage  einnimmt  oder  mit  beiden  wechselt,  nur  darf  sie  einen  Wechsel 
der  Lage  nicht  selbständig  vornehmen  wegen  der  bei  solcher  Anstrengung 
unvermeidlichen  Zerrung  der  Wunde,  sondern  muss  sich  ganz  passiv  von 
einer  in  die  andere  Lage  bringen  lassen.  Die  Nahrung  sei  dem  Puerperal- 
zustande  angemessen  unter  Vermeidung  stopfender  und  blähender,  fester 
Speisen.  Durch  milde  Laxantien  sorge  man  für  täglichen  weichen  Stuhl,  was 
wohl  zweckmässiger  ist,  als  durch  Opiate  eine  längere  Stuhlretention  herbei- 
zuführen, da  ein  bis  zum  8.  oder  10.  Tage  zurückgehaltener  Stuhl  unweigerlich 
hart  und  durch  die  Erschlaffung  der  Beckeneingeweide  in  Folge  der  Geburt 
oft  sehr  voluminös  wird,  dann  nur  unter  Schmerzen  abgeht  und  mög- 
licherweise die  kaum  verheilte  Wunde  wieder  zum  Bersten  bringen  kann. 
Geht  die  Urinentleerung  leicht  vor  sich,  ist  gegen  die  Spontanentleerung  nichts 
einzuwenden,  nur  muss  sie  vorsichtig  geschehen,  andernfalls  wird  der  Urin 
mittelst  des  Katheters  (durch  den  Arzt!)  entleert.  Nach  jeder  spontanen  oder 
künstlichen  Entleerung  muss  die  Wunde  sorgfältig  irrigirt  werden.  Scheiden- 
ausspülungen sind  zu  vermeiden  und  nur  vorzunehmen,  wenn  übelriechende 
zersetzte  Lochien  oder  Fieberzustand  dazu  veranlassen.  Die  Entfernung  der 
Nähte  geschieht  bei  kleinen  Rupturen  nicht  vor  dem  3.  bis  4.,  bei  grossen 
nicht  vor  dem  7.  bis  8.  Tage.  Am  längsten  sucht  man  die  an  der  hinteren 
Commissur  der  Labien  und  am  Anus  zu  halten.  Wenn  einzelne  Nähte  durch- 
schneiden, ist  das  nicht  schlimm,  da  die  hierdurch  entstehenden,  kleinen 
Fisteln  leicht  spontan  heilen.  Ist  aus  irgend  einem  Grunde  die  Anlegung 
der  Dammnaht  direct  nach  der  Entbindung  versäumt  worden,  und  eine  Spon- 
tanheilung nicht  erfolgt,  dann  muss   die  Vereinigung  sofort  nach  Ablauf  des 


DAMMSCIIÜTZ.  185 

Wochenbettes  vorgenommen  werden,  es  bedürfen  aber  dann  die  Wundflächen 
einer  sorgföltigen  Anfrischung.  Letzteres  gilt  auch  von  veralteten  Dammrissen, 
tieferen  I)ammnarl)en  u.  dgl.,  doch  würde  die  Erörterung  der  dazu  dienenden 
Verfahren  hier  zu  weit  führen  und  muss  der  Beschreibung  der  Perineoidastih  *) 
überlassen  werden.  birnbaum. 

Dammschutz.  Die  Haltung,  Stellung  oder  Lage,  in  welcher  die  Ge- 
bärenden den  letzten  Theil  der  Austreil)ungsperiode  zubringen,  ist  seit  den 
ältesten  Zeiten  bis  auf  die  heutigen  Tage  nicht  blos  bei  verschiedenen  Völ- 
kern, sondern  auch  bei  ein  und  demselben  Volksstaram  sehr  verschieden  ge- 
wesen. 

Stehend  kommen  die  Hindu«,  die  Bewohnerinnen  von  Madras  und  die  Frauen  an 
der  Ostküste  Indiens  nieder  und  zwar  unterstützt  von  Freundinnen  oder  dem  Manne; 
ebenso  die  Negritos  auf  den  Philippinen,  ferner  die  Frauen  Centralafrikas,  aucii  die  der 
Boers,  ferner  manche  Indianerinnen.  Früher  wurden  die  Französinnen  so  entbunden  und 
in  neuerer  Zeit  auch  die  Slavinnen  in  Oberschlesien.  Hockend,  beziehungsweise  kauernd 
kommen  die  Polyneserinnen,  die  Austrainegerinnen  und  Persierinnen  nieder.  Schwebend 
und  hängend  kommen  nieder  manche  Russinnen,  an  einem  Querbalken,  dann  die  Brasilia- 
nerinnen an  einem  Baum  mit  Stricken  befestiget,  dann  die  Gurierinnen  an  einem  Strick 
von  der  Decke  herabhängend,  ebenso  die  Frauen  Darfurs;  am  Arm  oder  Halse  einer  Frau 
oder  des  Mannes  hängend  einzelne  Frauen  in  Deutschland  und  England.  In  Meerane  wird 
die  Gebärende  öfters  durch  ein  untergeschobenes  breites,  festes  Handtuch  in  der  Schwebe 
erhalten.  Knieend  kommen  nieder  die  Abyssinierinnen,  die  Frauen  von  Neuseeland,  Tscher- 
kessien,  Georgien,  Armenien,  Persien,  die  Tartarinnen,  Mongolinnen,  Griechinnen,  Esthinnen; 
sitzend:  Australierinnen,  Frauen  in  Japan,  China,  Türkei,  Griechenland  und  Egypten.  Die 
Geburtstuhl-Sitte  ist  uralt,  sie  findet  sich  schon  im  ältesten  Egypten  und  bis  in  die 
neuesten  Zeiten  so  im  alten  B,om,  in  Holland,  in  Deutschland,  bei  den  Kalmücken  und 
Beduinen.  Liegend:  die  brasilianischen  Wilden,  die  Antillenweiber,  die  der  Sandwichinseln, 
die  auf  Sumatra,  in  Australien,  Japan,  China,  Indien;  auf  der  Seite  liegend:  die  Frauen 
in  Slam,  England,  Nordamerika,  endlich  mit  sehr  erhöhtem  Oberkörper :  die  Frauen 
in  einzelnen  Gegenden  Oberitaliens. 

Wie  zu  ersehen,  gibt  es  kaum  eine  denkbare  Lage,  in  der  nicht  bei 
civilisirten  und  Urvölkern  eine  gewisse  Anzahl  von  Frauen  die  letzte  Zeit 
der  Austreibungsperiode  zubringt ;  die  Mode,  der  Rath  der  Helfenden,  ein 
natürlicher  Instinct,  ein  Versuch  die  Schmerzen  zu  mindern,  oft  die  zwingende 
Nothwendigkeit  in  grossen  Städten  einen  Zufluchtsort  aufzusuchen  und  auf 
dem  Wege  dahin  sich  ergebende  Ueberraschungen,  zuweilen  Anordnungen  des 
Arztes  sind  die  Ursachen,  welche  jene  grosse  Mannigfaltigkeit  erklären;  ausser- 
dem geht  aus  diesen  Thatsachen  hervor,  dass  Ueb erlief erung  und  Unterweisung 
hiebei  eine  grosse  Eolle  spielen. 

Lässt  man  aber  Kreissende  ohne  irgend  welche  Vorschrift  diejenige 
Lage  einnehmen,  welche  ihnen  selbst  als  die  beste  und  bequemste  erscheint, 
so  legen  sich  auch  bei  den  cultivirten  Völkern  die  meisten  ins  Bett  auf  den 
Rücken  oder  auf  eine  Seite;  manche  verlassen  zwar  nur  im  letzten  Augen- 
blicke das  Bett,  aber  nur  um  dem  unwiderstehlichen  Stuhldrange  nachzukommen 
und  auf  einem  Gefäss  sitzend  oder  kauernd  diesen  vermeintlich  zu  befriedigen, 
wobei  genug  oft  statt  der  erwarteten  Entleerung  des  Darmes  der  Durchtritt 
des  Kindeskopfes  erfolgt.  Werden  Erstgebärende,  welche  noch  nichts  von  dem 
Hergang  der  Geburt  bei  Anderen  gesehen  haben,  von  der  Geburt  überrascht, 
so  vollenden  sie  dieselbe  gar  nicht  selten  stehend,  nie  kniend,  bisweilen 
kauernd,  auch  Mehrgebärende  in  gleicher  Lage  knien  fast  nie,  sondern  stehen, 
sitzen,  kauern  oder  legen  sich  nieder. 

Die  Frage  nach  der  besten  Lagerung  der  Kreissenden  wurde 
daher  von  Laien  und  Aerzten  vielfach  erörtert.  Die  Erfahrungen,  welche  an 
Hunderttausenden  von  Entbindungen  gesammelt  wurden,  haben  ergeben,  dass 
nicht  eine  bestimmte  Lage  und  Haltung  der  Gebärenden  für  alle  Fälle  passt. 
um  am  zweckmässigsten  den  Dammschutz  während  des  Durchtretens  des  Kin- 


*)  Siehe  dieses  Stichwort. 


180  DAMMSCHUTZ. 

deskopfes  durch  die  Schamspalte  ausführen  zu  können,  sondern  dass  auf  ver- 
schiedene Umstände  Rücksicht  genommen  und  die  entsprechende  Auswahl 
getroffen  werden  muss.  Am  zweckmässigsten  eignet  sich  die  Seitenlage  bei 
Erstgebärenden  mit  enger  Schamspalte  und  breitem,  rigidem  Damme,  hingegen 
kann  die  Rückenlage  auch  bei  Erstgebärenden  in  Betracht  gezogen  werden, 
wenn  Erkrankungen  von  Seite  des  Herzens,  der  Lunge  oder  andere  Zu- 
fälligkeiten wie  beispielsweise  Eclampsie  die  Seitenlage  nicht  räthlich  oder 
ausführbar  erscheinen  lassen.  Der  Dammschutz  muss  auch  zuweilen  auf  dem 
Querbett,  sowohl  bei  dem  Durchschneiden  des  Kopfes  durch  die  Schamspalte 
bei  Kopflagen  als  auch  beim  zuletzt  kommenden  Kopf  bei  Beckenendlagen 
ausgeführt  werden.  Zuweilen  sind  sowohl  Erstgebärende  als  auch  die  Pluri- 
paren  nicht  im  Stande  anders  sich  während  des  Durchtrittes  des  Kopfes 
durch  die  Schamspalte  zu  verhalten  als  sitzend  am  Rande  des  Bettes  oder 
auf  einem  Stuhle,  besonders  wenn  seröse  Ergüsse  im  Pleuraräume  hochgradige 
Dyspnoe  bedingen.  Oft  ergibt  sich  die  Nothwendigkeit  den  Dammschutz  zu 
leisten  bei  Frauen,  welche  stehend  von  den  Austreibungswehen  überrascht, 
sich   auf  der  Strasse  oder    auf  freiem  Felde  nicht  legen  wollen  oder  können. 

Die  Knie-Ellbogenlage  wurde  von  Ritgen  schon  in  der  ersten  Hälfte  dieses 
Jahrhunderts  empfohlen,  doch  konnte  sich  dieselbe,  trotz  vielfacher  Prüfung  dieser  Lage- 
rung, keiner  allgemeineren  Ausbreitung  erfreuen. 

Was  nun  den  Dammschutz  in  der  Seitenlage  betrifft,  so  wird  bei 
Erstgebärenden  derselbe  dann  in  Anbetracht  kommen,  wenn  die  Schamlippen 
sich    auszudehnen    beginnen,     der    Damm    kugelförmig    sich    vorwölbt,    ein 
Theil  des   Hinterhauptes  in  der  Schamspalte   sichtbar   wird   und  die   Scham- 
lippen  auseinanderdrängt.     Um    nun    den    Schutz    des    Dammes    erfolgreich 
ausführen  zu  können,  muss  die  Gebärende  eine  bestimmte  Lage  und  Haltung 
einnehmen.     Da  am  häufigsten  bei  regelmässigen  Geburten,  Schädellagen  und 
unter  diesen  erste  Stellung  am  häufigsten  beobachtet  wird,  so  ist  es  auch  am 
zweckmässigsten  die  Gebärende  auf  die  linke  Seite  zu  legen.   Zunächst  sollen 
die  vielen  Kissen,  welche  während  der  Austreibungsperiode  häufig  zur  Erhöhung 
des  Oberkörpers  benützt  wurden,   entfernt  werden,   der  Kopf  soll  nahe  dem 
linken  Bettrande  der  Brust  genähert  auf  einem  nicht  zu  hohen  Kissen  ruhen, 
das  Gesäss   möglichst  nahe  dem   rechten  Bettrande  zugekehrt  sich  befinden. 
Die  linke   untere  Extremität  soll,   nur   massig  im  Hüft-  und  Kniegelenk  ge- 
beugt, auf  der  Unterlage  aufliegen,  die  rechte  untere  Gliedmasse  muss,  auch 
im  Hüft-  und  Kniegelenk  gebeugt,  durch  ein  zwischen  beide  Kniee  geschobenes 
Kissen   oder   durch   eine   der  Gebärenden  genehme  Person  in  der  passenden 
Richtung  erhalten  werden,    da  eine  zu   geringe    oder  zu  starke  Beugung  auf 
die  Spannungsverhältnisse  des  Dammes  einen  sehr  erheblichen  Einfluss    aus- 
zuüben vermag.   Man  setzt  sich  oder  stellt  sich  je  nach  der  Höhe  des  Lagers 
auf  dem    rechten  Bettrand  auf,   und  geht  mit  der  linken  Hand  zwischen  den 
beiden  Oberschenkeln  über   den  Schamberg  vorwärts   gleitend  bis  an  den  in 
der  Schamspalte  fühlbaren  Kopf.    Dabei  hat  man  besonders  darauf  zu  achten, 
dass  der  Vorderarm  bis  zur  Ellbogenbeuge  vollkommen  unbedeckt  und  selbst- 
verständlich  desinficirt   sei,   kein   Druck  weder    auf   den   Uterus    durch   die 
Bauchdecken  hindurch,  noch  auf  die  Darmbeinkämme  und  am  allerwenigsten 
auf   die    Clitoris    ausgeübt   werde.     Sobald    der  Zeige-  und  Mittelfinger   den 
Kindeskopf  in  der  Schamspalte  berührt  hat,  ist  man  im  Stande,  dem  zu  stür- 
mischen Vordringen    des  Kopfes    und    der   dadurch   beginnenden  Gefahr  des 
Zerreissens  des  Perineums  zu  begegnen,  indem  ein  in  der  Richtung  der  Füh- 
rungslinie   entsprechender  Druck    das   zu    schnelle   Hervortreten   des  Kopfes 
durch   die    Schamspalte    hintanzuhalten   vermag.     Ist   die    Uteruscontraction 
vorüber,  dann   kann  man  die  Zeit  benützen,    um    mit  in    sterilisirtes  Wasser 
oder  Desinfectionslösung  getauchter  Watte  oder  Gazetupfer  den  vorgewölbten 
Damm  zu  säubern,  insbesondere  die  Analumgebung  von  Faecalstoffen  zu  reinigen, 


DAMMSCHUTZ.  187 

wobei  die  Vorsicht  zu  gebrauchen  ist,  stets  in  der  liichtung  gegen  den  Anus, 
nie  gegen  die  Schamspalte  mit  den  stcrilisirten  Tupfern  zu  wischen.  Wenn 
das  kugelig  vorgewölbte  Mitteltieisch  sorgfältig  gereinigt  wurde,  dann  bereitet 
man  eine  in  Desinfectionslösung  oder  sterilisirtes  Wasser  getauchte  drei-  bis 
vierfache  Lage  einer  handtellergrossen  Gaze-Compresse  über  den  After  und 
den  Damm  aus  und  bedeckt  dieselbe  mit  der  rechten  Hohlhand,  die  ebenfalls 
früher  sorgfältig  desinficirt  wurde,  so  dass  der  Daumen  gegen  die  rechte  grosse 
Schamlippe,  die  übrigen  Finger  an  der  linken  grossen  Schamlippe  zu  liegen 
kommen  und  dadurch  der  Damm  vollständig  mit  der  Hohlhand  bedeckt  er- 
scheint. Während  einer  Contraction  des  Uterus  prüft  man  die  Dehnungs- 
fähigkeit der  Gewebe,  insbesondere  ist  darauf  zu  achten,  dass  die  hintere 
Commissur  sich  langsam  und  allmälig  entfalte.  Während  der  Wehe  muss 
also  beim  Einschneiden  des  Kopfes  die  Weite  der  Schamspalte  und  die  Aus- 
dehnungsfähigkeit des  Dammes  genau  beurtheilt  werden  und  soll  der  Kopf 
nie  zu  schnell  die  Schamspalte  erweitern,  da  sonst  die  Nachgiebigkeit  der 
Weichtheile  des  Perineums  nicht  mit  der  zu  raschen  Ausdehnung  gleichen 
Schritt  zu  halten  vermag.  Ereignet  es  sich,  dass  durch  die  schmerzhafte 
Zerrung  der  Schamspalte  die  Gebärende  sich  unruhig  hin  und  her  bewegt, 
mit  dem  Gesässe  nach  aussen  drängt  oder  wohl  gar  den  Versuch  macht,  sich 
zu  erheben  und  die  den  Dammschutz  leistende  Person  wegzudrängen,  dann 
braucht  man  nur  den  Oberkörper  vorzuneigen,  womit  das  Becken  fest  in  der 
Klemme  gehalten  und  das  zu  rasche  Hervortreten  des  Kopfes  verhindert  wer- 
den kann.  Zeigt  es  sich,  dass  der  Damm  nicht  genug  nachgiebig  ist,  so  lasse 
man  sich  nie  beifallen  durch  Anwendung  von  Carbolöl,  Vaseline  oder  Lanolin 
eine  Erweichung  oder  grössere  Elasticität  des  Mittelfleisches  erzielen  zu  wollen, 
hingegen  empfiehlt  es  sich  den  in  der  Scham  spalte  befindlichen  Kopf,  während 
einer  Wehenpause  durch  den  Druck  des  Zeige-  und  Mittelfingers  der  linken 
Hand,  wieder  in  den  Geburtsschlauch  zurückzudrängen  und  durch  den  Druck 
der  Finger  daselbst  so  lange  zu  erhalten,  bis  sich  eine  neue  Contraction  des 
Uterus  einstellt.  Da  bei  zu  lange  anhaltendem  Drucke  auf  den  Damm  von 
Seite  des  in  der  Schamspalte  vorgeschobenen  Kopfes,  die  Versorgung  der 
Weichtheile  des  Perineums  mit  Blut  erschwert  wird,  so  ergibt  sich  daraus 
eine  ödematöse  Brüchigkeit  und  ZeiTeisslichkeit  des  Gewebes,  welche  zu  gerin- 
geren oder  grösseren  Continuitätsstörungen  führen  kann.  Diese  werden  am 
leichtesten  vermieden,  wenn  durch  das  Zurückdrängen  des  Kopfes  Gelegenheit 
gegeben  wird,  die  Blutversorgung  zu  erleichtern.  Schon  bei  einer  der  bald 
sich  wieder  einstellenden  Wehen  bemerkt  man  ein  grösseres  Segment  des 
Kopfes  durch  die  Schamspalte  sich  hervordrängen,  doch  kann  der  Austritt 
noch  immer  nicht  gestattet  werden,  so  lange  der  linke  Zeigefinger  nicht  in 
der  Lage  ist  die  beiden  vorderen  oberen  Scheitelbeinecken,  welche  den  zur 
Pfeilnaht  führenden  Winkel  der  grossen  Fontanelle  bilden,  zu  fühlen. 

Ist  einmal  die  Hälfte  der  grossen  Fontanelle  über  die  hintere  Commissur 
hervorgetreten,  dann  ist  der  Durchtritt  des  grössten  Schädelumfange  s 
durch  die  Schamspalte  zu  gewärtigen,  man  wird  sodann  gut  thun  eine 
Wehenpause  zu  benützen,  um  nochmals  den  Kopf  in  die  Beckenhöhle  zui'ück- 
zuschieben  und  wartet  so  lange  bis  dm'ch  eine  Uteruscontraction  der  Kopf 
in  der  Führungslinie  sich  vorwärtsbewegt;  hat  die  grosse  Fontanelle  die  hintere 
Commissur  überschritten,  dann  soll  durch  das  Einhaken  des  linken  Zeige- 
fingers in  den  hinteren  Winkel  der  grossen  Fontanelle  der  Kopf  in  der  Rich- 
tung gegen  den  Mens  veneris  und  beziehungsweise  gegen  die  vordere  Fläche 
der  Symphyse  angedrängt  und  in  der  Stellung  gehalten  werden,  bis  der  hin- 
tere Rand  der  stark  gedehnten  Schamspalte  über  die  Stirne,  Nase,  Oberlippe 
und  Kinn  zurückgleitet  und  somit  der  Kopf  die  Schamspalte  passirt  hat.  Man 
darf  nicht  vergessen,  dass  der  Augenblick,  wann  man  sich  entschliessen 
soll,  den  Kopf  durch  die  Schamspalte  durchtreten  zu  lassen,  von 


188  .DAMMSCHUTZ. 

grosser  Bedeutung  ist,  man  vermeide  also  den  Kopf,  weder  zu  schnell,  noch 
während  einer  Wehe  durch  die  Schamspalte  austreten  zu  lassen,  sondern  wähle 
stets  eine  Wehenpause  und  sorge  nur  dafür,  dass  durch  die  Bauchpresse  der 
etwa  noch  nothwendige  Druck  ausgeübt  werde.  Ebenso  soll  jeder  zu  lange 
anhaltende  oder  auf  eine  bestimmte  Gegend  mit  der  rechten  Hohlhand  auf 
die  Wölbung  des  Dammes  ausgeübte  Druck  vermieden  werden,  da  zu- 
weilen an  diesen  Stellen  Druckwirkungen  sich  geltend  machen.  Die  rechte 
Hohlhand  soll  während  der  Wehenpause  nur  lose  anliegen,  erst  wenn  die 
Convexität  des  Perineums  ausgeprägter  sich  ausbildet,  soll  ein  vorsichtiges 
Schieben  gegen  den  Schamberg  hin  stattfinden,  das  jedoch  keineswegs  über- 
mässig stark,  sondern  nur  entsprechend  der  Vorwärtsbewegung  des  Kopfes  in 
der  Schamspalte  angewendet  werden  darf.  Beim  Durchtritte  des  Kopfes  durch 
die  Schamspalte  soll  aber  die  Bauchpresse  ganz  ausser  Wirksamkeit  gestellt 
werden,  was  durch  die  Aufforderung  der  Gebärenden  zu  raschen  In-  und  Ex- 
spirationen leicht  zu  erreichen  ist. 

Nach  dem  Durchtritte  des  Kopfes  durch  die  Schamspalte  bewegt 
sich  das  Hinterhaupt  bei  erster  Schädellage  gegen  die  vordere  linke  Ober- 
schenkelfläche der  Gebärenden  und  das  Gesicht  gegen  die  hintere  rechte  Ober- 
schenkelfläche. Sollte  der  Kopf  nicht  sogleich  diese  äussere  Drehung  lie- 
ginnen, so  kann  der  linke  Zeige-  und  Mittelfinger  an  das  Hinterhaupt,  der 
Daumen  derselben  Hand  an  das  Kinn  gebracht  und  mit  denselben  der  Kopf 
entsprechend  seinem  Mechanismus  leicht  gedreht  werden.  Ist  dies  geschehen, 
so  untersucht  der  linke  Zeigefinger,  ob  nicht  det  Nabelstrang  um  den  Hals 
des  Kindes  umschlungen  sei. 

Solche  Umschlingungen  des  Nabelstranges  um  den  Hals  des  Kindes  können 
einmal,  zuweilen  doppelt,  ja  drei-  und  vierfach  stattfinden  und  unter  Umständen  zu  ernsten 
Störungen  Veranlassung  geben.  Ist  der  Nabelstrang  absolut  zu  kurz,  so  kann  schon  eine 
einmalige  Umschlingung  imi  den  Hals  eine  Unterbrechung  der  Zufahr  des  mütterlichen 
Blutes  zum  Kinde  hin  zur  Folge  haben  und  da  das  Athmen,  trotzdem  die  Mundöffnung 
sich  schon  ausserhalb  der  Schamspalte  befindet,  wegen  der  Compression  des  kindlichen 
Thorax  innerhalb  der  mütterlichen  Geburtswege  nicht  möglich  ist,  Asphyxie  und  selbst  der 
Kindestod  erfolgen.  Wenn  der  Nabelstrang  aber  einer  starken  Zerrung  unterworfen  ist, 
so  erfolgt  durch  den  Zug  an  der  Insertionsstelle  eine  vorzeitige  theilweise  oder  vollständige 
Loslösung  der  Placenta  von  ihrer  Haftstelle  oder  bei  zu  starker  Adhäsion  ist  die  Möglich- 
keit einer  Inversio  uteri  post  partum  nicht  ausgeschlossen.  Bei  einem  Nabelstrange 
von  regelmässiger  Länge,  die  aber  zwei-,  drei-  oder  viermal  eine  Windung  um  den  Hals  des 
Kindes  macht,  kann  die  gleiche  Störung  sich  ergeben,  daher  muss  solcher  etwa  vorkom- 
mender Umschlingungen  bei  jeder  Geburt  gedacht  werden,  da  früher  nicht  immer  sichere 
Symptome  die  Diagnose  der  vorhandenen  Umschlingung  des  Nabelstranges  um  den  Hals 
des  Ivindes  gestatten.  Findet  man  bei  der  Untersuchung  des  kindlichen  Halses,  dass  eine 
Schlinge  der  Nabelschnur  um  den  Hals  verläuft,  so  kann  durch  Einhaken  des  Zeigefingers 
in  den  Nabelstrang  und  angebrachten  Zug  eine  Lockerung  versucht  werden.  Folgt  der 
Nabelstrang  dem  Zug  und  lässt  sich  die  Schlinge  genügend  weit  hervorziehen,  um  dieselbe 
über  den  Kopf  zu  bringen,  so  sind  keine  weiteren  Störungen  zu  besorgen.  Zeigt  sich  aber 
der  Nabelstrang  gespannt  und  merkt  man,  dass  ein  angebrachter  Zug  nicht  von  Erfolg  sein 
wird,  so  durchschneidet  man  sofort  auf  dem  Finger  den  Nabelstrang,  ohne  denselben  zu 
unterbinden  und  behält  sich  die  Vornahme  der  Ligatur  nach  erfolgter  Geburt  des  Kindes  vor. 

Findet  der  untersuchende  Finger  keinerlei  Umschnürung  des  kindlichen 
Halses  von  Seite  des  Nabelstranges  vor,  so  darf  die  am  Damme  befindliche 
rechte  Hand  nicht  entfernt  werden,  da  während  des  Durchtrittes  der 
Schultern  immerhin  noch  die  Gefahr  besteht,  dass  hiebei  der  Damm  einreisst 
oder  ein  blos  die  hintere  Commissur  betreuender  Schleimhautriss  'weiter  sich 
fortsetzt  und  als  vollständiger  Dammriss  endet.  Wurde  Mund  und  Nase  des 
Kindes  freigelegt,  so  kann  man  abwarten,  bis  sich  wieder  eine  Wehe  einstellt, 
welche  die  Schultern  austreibt.  Tritt  nach  einigen  Minuten  keine 
Wirkung  der  Bauchpresse  ein,  so  kann  mit  der  linken  Hand,  der  Zeigefinger 
am  Hinterhaupt,  der  Daumen  am  Kinn,  der  Kopf  gefasst  und  etwas  nach  ab- 
wärts und  hinten  gedrängt  werden,  wodurch  die  hinter  der  Symphyse  befind- 
liche Schulter  unter  dem   Schambogen  hervorgleitet.    Ist  die   Schulter  unter 


DAMMSCIIUTZ.  189 

dem  Schambogen  hervorgetreten,  dann  soll  der  Kopf  wieder  etwas  nach  vorn 
gedrängt  werden,  wodurch  die  hintere  »Schulter  über  den  Damm  hervorrollt. 
Sollte  das  nicht  gelingen,  so  müsste  zuerst  die  nach  hinten  befindliche  Schulter, 
durch  Einhaken  des  Zeigefingers  in  die  Achselhöhle,  behutsam  hervorgezogen 
werden.  Nach  der  Geburt  der  Schultern  erfolgt  der  Austritt  des  Kumijfes 
mühelos  durch  leichten  Zug. 

Der  Dammschutz  in  der  Rückenlage,  welche  man  gemeiniglich 
dann  vorzieht,  wenn  die  Gebärende  wegen  Athemnoth  und  ähnlicher  Ursachen 
die  Seitenlage  nicht  verträgt,  oder  wenn  die  Seitenlage  wegen  Eclampsie  und 
anderer  Störungen  nicht  in  Erwägung  gezogen  werden  kann,  wird  in  folgen- 
der Weise  ausgeführt.  Nachdem  der  Oberkörper  entsprechend  mit  Kissen 
unterstützt  und  unter  die  Kreuzgegend  ein  15  cm  hohes,  festes,  mit  wasser- 
dichtem Stoff  belegtes  und  mit  reiner  Wäsche  bezogenes  Kissen  geschoben 
wurde,  setzt  man  sich  an  den  rechten  Bettrand  führt  die  rechte  Hand  unter 
dem  rechten  Oberschenkel  an  das  hervorgewölbte  Mittelfleisch.  Die  Holilliand, 
zwischen  welcher  und  der  Afteröffnung  sich  eine  sterilisirte  Gazecompresse 
befinden  soll,  schmiegt  sich  an  den  kugelförmig  ausgedehnten  Damm,  der 
Daumen  kommt  an  die  rechte  Schamlippe,  die  übrigen  Finger  seitwärts  der 
linken  Schamlippe  zu  liegen.  Während  die  linke  Hand  durch  Erfassen  des 
Hinterhauptes  von  vornher  das  zu  rasche  Durchschneiden  des  Kopfes  zu  ver- 
hüten trachtet,  schiebt  die  rechte  Hand  den  Damm  durch  gelinden  Druck  nach 
vorn  und  sucht  die  Spannung  desselben  zu  massigen,  seine  Ausdehnungs- 
fähigkeit für  den  Durchtritt  des  Kopfes  zu  unterstützen. 

Der  Dammschutz  bei  der  auf  dem  Querbette  befindlichen  Gebä- 
renden wird  ausgeführt,  indem  man  sich  etwas  rechts  von  den  äusseren 
Geschlechtstheilen  entweder  stellt  oder  setzt,  die  rechte  Hand  so  an  das  Mittel- 
fleisch bringt,  dass  die  Handwurzel  gegen  das  Schamlippenbändchen,  die  Hohl- 
hand über  den  Damm,  die  Finger  gegen  die  Afteröffnung  gerichtet  sind.  Die 
linke  Hand  leistet  in  derselben  Weise,  wie  in  der  Seiten-  oder  Rückenlage 
die  entsprechende  Hilfe. 

Der  Dammschutz  beim  Sitzen  der  Gebärenden  auf  dem  Bett- 
rande oder  auf  einem  Stuhl  kann  am  zweckmässigsten  geleistet  werden,  wenn 
man  sich  auf  das  linke  Knie  niederlässt,  dagegen  die  rechte  untere  Extremität 
zur  Stütze  für  die  rechte  obere  Gliedmasse  benützt,  um  ähnlich,  wie  bei  der  auf 
dem  Querbette  liegenden  Gebärenden  die  Hervorleitung  des  durch  die  Scham- 
spalte durchschneidenden  Kopfes  zu  bewerkstelligen. 

Beim  Dammschutze  in  der  Knie-Ellbogenlage  der  Gebärenden, 
muss  durch  eine  verständige  Person  mit  Hilfe  eines  Handtuches  der  Umfang 
des  Bauches  umfasst  und  durch  einen  in  senkrechter  Richtung  nach  aufwärts 
ausgeführten  Zug  die  richtige  Einstellung  des  Uterus  zum  Beckeneingang 
besorgt  werden,  damit  ein  zu  starkes  Vornüberheben  des  Fundus  verhütet 
werde.  Man  stellt  sich  an  dem  linken  Bettrande  auf,  legt  die  rechte  Hand, 
nachdem  die  Aftergegend  mit  einem  sterilisirten  Wattabausch  oder  sterilisii'ter 
Gaze  geschützt  wurde,  auf  den  vorgewölbten  Damm,  während  die  linke  Hand 
zwischen  rechter,  seitlicher  Bauchwand  und  rechter,  innerer  Oberschenkelfläche 
bis  zur  Schamspalte  geführt  wird  und  das  Vordringen  des  Hinterhauptes  über- 
wacht. 

Die  Knie-Ellbogenlage  zur  Ausführung  des  Dammschutzes  wird  jedoch  nur  selten  in 
Anwendung  gezogen,  da  damit  erhebliche  Uebelstände  verbunden  sind.  Die  m  der  Knie- 
Ellbogenlage  Befindlichen  werfen  sich  oft  unversehens  auf  die  Seite  und  können  sich  der 
Ueberwachung  des  Dammes  ganz  unerwarteter  Weise  sehr  rasch  entziehen,  wobei  es  dann 
ohne  Dammzerreissung  selten  abgeht,  oder  es  macht  sich  eine  sehr  mangelhafte  Verwen- 
dung der  Bauchpresse  bemerkbar,  wodurch  sich  unliebsame  Verzögerungen  des  Austrittes 
ergeben  können. 

Das  Dammschutzverfahren  in  der  Seiten-  oder  Rückenlage 
der  Gebärenden  kann  auch  so  ausgeführt  werden,  dass  der  rechte  Zeigefinger 


190  DAMMSCHUTZ. 

in  den  Mastdarm  eingeführt,  und  durch  die  vordere  Rectal-  und  hintere 
Scheidenwand  ein  Druck  auf  das  Kinn  ausgeübt  wird,  wodurch  es  gelingt 
den  Kopf  um  seinen  queren  Durchmesser  zu  drehen,  ihn  in  die  Schamspalte 
vorwärts  zu  schieben  und  mit  Hilfe  der  linken  Hand  gegen  den  Schamberg 
hinaufzudrängen  und  nach  aussen  zu  schielten.  Mit  diesem  Handgriffe  ist  es 
empfehlenswerth  vorzugehen,  wenn  keine  Wehen  mehr  auf  die  Vorwärtsbewegung 
des  Kopfes  einwirken,  die  Bauchpresse,  entweder  wegen  Erschöpfung  oder  aus 
anderen  Gründen  die  Mitwirkung  versagt,  die  Beendigung  der  Geburt  wünschens- 
werth  ist,  und  keine  eigentliche  Indication  zur  Extraction  mit  der  Zange  besteht. 
Es  kann  nicht  unterlassen  w^erden,  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  der 
Fingernagel,  bei  dem  auf  die  Mastdarmschleimhaut  ausgeführten  Druck,  jede 
kratzende  oder  bohrende  Einwirkung  vermeiden  muss,  um  Beschädigungen- zu 
vermeiden.  Besonders  vortheilhaft  kann  das  Herausdrücken  des  Kopfes  vom 
Rectum  aus  in  Aussicht  genommen  werden,  w^nn  am  Damme  sich  Ulcerationen 
syphilitischer  Art  befinden. 

Nach  diesen  für  alle  Lagen  des  Kindes  geltenden  Vorschriften 
sind  jedoch  für  die  bes  onderen  Lagen  noch  besondere  zu  beobachten. 
Zunächst  ist  der  Dammschutz  bei  abweichendem  Mechanismus  der 
Schädellagen  zu  berücksichtigen.  Sind  die  Wehen  kräftig  und  rollt  das 
Hinterhaupt  von  der  Kreuzbeinspitze  über  den  Damm  hervor  und  befindet 
sich  die  kindliche  Stirne  unter  dem  Schambogen,  so  muss  in  der  Seitenlage 
der  Gebärenden  mit  den  vom  Schamberg  her  in  die  Schamspalte  eingeführten 
Fingern  der  linken  Hand,  das  Hinterhaupt  nach  vorn  gegen  den  Schambogen 
gedrängt  und  zuerst  aus  der  Schamspalte  hervorgedrückt  werden.  Die  Finger 
der  linken  Hand  sollen  das  Hinterhaupt  so  lange  während  einer  Wehenpause  an 
die  vordere  Fläche  der  Symphyse  anpressen  bis  der  Damm  bis  zum  Nacken 
des  Kindes  zurückgestreift  ist;  erst  dann  soll  das  Hinterhaupt  gesenkt 
werden,  worauf  Stirne  und  Gesicht  unter  dem  Schambogen  hervorrollen.  Nach 
der  Geburt  des  Kopfes  findet  der  Beistand  in  der  gewöhnlichen  Weise  statt. 

Der  Da  mm  schütz  bei  Gesichtslagen  wird  am  wirksamsten  aus- 
geführt, w^enn  in  der  Austreibungsperiode  die  Gebärende  schon  auf  jene  Seite 
gelegt  wird,  wo  das  Kinn,  die  Herztöne  und  die  unteren  Gliedmassen  nach- 
weisbar sind,  weil  dadurch  die  Drehung  des  Kinnes  nach  vorn  unter  dem 
Schambogen  begünstigt  wird.  Beim  Durchschneiden  des  Gesichtes  durch  die 
Schamspalte  darf,  erst  wenn  das  Gesicht  vollends  in  der  Schamspalte  sichtbar 
ist,  ein  Druck  auf  den  Damm  in  der  Richtung  gegen  den  Mons  veneris  aus- 
geübt werden;  dieser  soll  aber  nicht  auf  die  Mitte  des  Dammes  gerichtet  sein, 
sondern  von  der  hinteren  Aftergegend  durch  die  Weichtheile  auf  die  scharfe 
Convexität  des  Hinterhauptes  in  Anwendung  kommen,  um  durch  gleichzeitigen 
Zug  der  linken  Hand  am  Gesicht,  ein  Durchdrängen  des  Kopfes  ohne  Gefähr- 
dung des  Dammes  zu  ermöglichen. 

Der  Dammschutz  bei  abweichendem  Mechanismus  der  Ge- 
sichtslagen hat  zu  berücksichtigen,  ob  bei  querem  Tiefstand  das  Kinn  auf 
der  linken  oder  rechten  Seite  des  Beckenausganges  sich  befindet.  In  einzelnen 
Fällen  gelingt  es  durch  den  Druck  auf  die  Stirne  oder  durch  hebelnde  Be- 
wegungen am  Kinn  dieses  unter  den  Schossbogen,  die  Stirne  aber  nach 
hinten  gegen  die  Kreuzbeinspitze  zu  drehen.  Man  darf  dabei  keine  zu  grosse 
Gewaltanwendung  sich  erlauben  und  muss  im  Falle  des  Misslingens  das  weitere 
Durchtreten  des  Gesichtes  abwarten,  um  bei  richtiger  Verwerthung  der  Bauch- 
presse oft  noch  im  letzten  Augenblicke  das  Kinn  unter  den  Schambogen  zu 
drängen  und  den  Schutz  des  Dammes  in  der  beschriebenen  Weise  auszu- 
führen. 

Der  Dammschutz  bei  der  Drehung  des  Kinnes  nach  hinten 
hat  mit  der  abnormen  Streckung  des  kindlichen  Halses  zu  rechnen,  da  bei 
diesem    regelwidrigen  Mechanismus    das   Perineum  durch  das  Gesicht  in  der 


DAMMSCHÜTZ.  191 

Richtung  gegen  den  Anus  hin  stark  ausgedelint  wird  und  zuerst  die  .Stirne 
dann  der  Scheitel  und  zuletzt  erst  das  Hinterliaupt  unter  dem  Schambogen 
hervorgetrieben  wird,  dabei  sieht  man  die  Berstung  der  allgemeinen  Decke 
von  hinten  nach  vorn  beginnen,  wenn  nicht  rechtzeitig  durch  Episiotomie 
Raum  für  den  Durchtritt  des  Kopfes  geschaüen  wird. 

Der  D  a  m  m  s  c  h  u t  z  b  e  i  B  e  c k e n e  n  d  1  a g e  n  ist  unter  allen  TTmständen, 
sowohl  bei  Erstgebärenden  als  auch  bei  solchen  Pluri])aren,  deren  Damm  breit 
und  straff  ist,  nicht  beim  Durchschneiden  des  Steisses,  sondern  erst  beim 
Durchtritt  des  zuletzt  kommenden  Kopfes  durch  die  Schamspalte  erforderlich. 
Es  handelt  sich  dabei  stets  darum  den  Kindeskörper  stark  nach  aufwärts  zu 
heben  und  den  Kopf  soweit  durch  die  Schamspalte  hervortreten  zu  lassen, 
bis  die  Mundspalte  die  hintere  Commissur  überschritten  hat.  Etwa  in  dieser 
Zeit  auftretende  Respirationsbewegungen  haben  keine  Aspiration  von  Frucht- 
wasser oder  Blut  zur  Folge,  die  bei  der  Extraction  an  der  Gesichtsfläche  be- 
theiligt gewesene  Hand  umfasst  von  hinten  her  den  vorgewölbten  Damm  und 
drängt  den  Kopf  in  der  Richtung  des  Schambogens,  während  die  andere  Hand 
durch  die  über  der  Schulterhöhe  eingehakten  Finger  einen  entsprechenden 
Zug  ausübt,  um  vollends  den  Kopf  durch  die  Schamspalte  nach  aussen  zu  be- 
fördern. Man  darf  sich  jedoch  keiner  Uebereilung  schuldig  machen,  da  sonst 
leicht  eine  Dammzerreissung  erfolgen  kann. 

Der  Damm  schütz  bei  Querlagen  und  allen  jenen  Operationen,  bei 
welchen  die  ganze  Hand  in  die  Scheide,  beziehungsweise  in  die  Gebärmutter- 
höhle eingeführt  wird,  ist  keinesfalls  zu  vernachlässigen.  Zu  schnelles  Ein- 
dringen mit  der  grössten  Peripherie  der  Hand  durch  den  Scheideneingang 
kann  schon  beim  Beginne  der  Operation  ein  Zerreissen  des  Dammes  bedingen, 
besonders  wenn  die  Grösse  der  Hand  im  Missverhältnisse  zur  Enge  der  Scham- 
spalte steht,  seltener  beobachtet  man  die  Zerreissung  des  Dammes  bei  sich 
ergebender  Nothwendigkeit  die  Hand  behufs  Lösung  der  Placenta  in  die  Ge- 
bärmutterhöhle einzuführen,  da  die  bereits  vorausgegangene  Geburt  des  Kindes 
bereits  erheblich  zur  Erweiterung  der  Schamspalte  beigetragen  hat. 

Zuweilen  kommen  aber  starke  Oedeme  an  Schamlippen  und  Damm  zur 
Beobachtung,  bei  welchen  grosse  Gefahr  für  den  Damm  besteht.  In  solchen 
Fällen  erweisen  sich  schon  vor  dem  Austritte  der  Frucht,  im  Verlaufe  der 
Eröffnungsperiode  oder  im  Falle  man  erst  in  der  Austreibungsperiode  zur 
Hilfeleistung  berufen  wird,  auch  in  dieser  vorgenommene  seichte  Scarißcationen 
der  Vulva  sehr  vortheilhaft.  Man  nimmt  dieselben,  nachdem  die  Haut  im 
ganzen  Umkreise  der  Vulva  sorgfältig  desinficirt  wurde,  mit  einem  sterilisirten 
Spitzbistouri  vor,  das  nicht  zu  tief  und  auch  nicht  zu  nahe  dem  Schleim- 
hautrande eingestochen  werden  soll.  Das  Oedem  schwindet  nach  Anbringung 
zahlreicher  Stichelungen  ziemlich  rasch  und  die  Dehnungsfähigkeit  des  Dammes 
ist  regelmässig  eine  ausgiebige.  Wenn  auch  der  Dammschutz  mit  der  grössten 
Aufmerksamkeit  ausgeführt  wird,  so  kommen  doch  Fälle  vor,  bei  welchen 
mit  ziemlicher  Gewissheit  vorhergesehen  werden  kann,  dass  der  Damm 
nicht  unversehrt  bleiben  wird.  Es  sind  dies  jene  Fälle  bei  denen  der 
Damm  eine  gewisse  Straffheit  und  geringe  Elasticität  in  Folge  vorgerückteren 
Alters  bei  Erstgebärenden  aufweist.  Häufig  genug  findet  man  bei  Frauen, 
welche  sich  dem  30.  Lebensjahre  nähern  oder  dasselbe  bereits  überschritten 
haben,  den  Damm  wenig  nachgiebig,  dem  vordringenden  Kopfe  zuweilen 
einen  erheblichen  Widerstand  entgegensetzend,  der  vollends  die  Kräfte  der 
Gebärenden  erschöpft.  Kommt  es  aber  zur  energischen  Verwendung  der 
Bauchpresse,  so  gelingt  es  doch  zuweilen  den  Kopf  durch  die  Schamspalte 
hindurchzubringen,  jedoch  auf  Kosten  des  Dammes,  der  entweder  theilweise 
oder  ganz  zerreisst. 

In  einzelnen  Fällen  kann  auch  bei  enger  Vulva  und  sehr  breitem  Mttel- 
fleische  der  Kopf  den  nachgiebigen  Damm  in  der  Nähe  des  Afters  besonders 


192    .  DAMMSCHUTZ. 

hervorwöllien  und  verdünnen,  während  die  Schamspalte  gar  keine  oder  nur 
eine  unbeträchtliche  Erweiterung  erfährt.  Allmälig  zerreisst  das  Perineum  an 
seiner  dünnsten  Stelle,  und  ^Yird  der  Kopf  nicht  zweckmässig  nach  vorn  ge- 
leitet, so  bricht  er  sich  vollends  seine  Bahn  durch  Scheide,  Rectum,  Sphincter 
ani  und  Perineum,  während  zuweilen  noch  eine  schmale  Brücke  des  letzteren 
nach  vorn  zurückbleibt.  Es  erfolgt  unter  solchen  Verhältnissen  nicht  immer 
der  Durchtritt  des  Kopfes  durch  die  entstandene  Centralruptur,  sondern  man 
vermag  manchesmal  selbst  nach  erfolgter  Ruptur,  noch  den  Kopf,  ohne  dass 
sich  dabei  die  OeÖnung  am  Damme  vergrösserte,  durch  sorgfältiges  Stützen 
oder  vermittelst  der  Zange  durch  die  Schamspalte  zu  leiten,  wenn  nur  letztere 
dehnbar  ist.  Es  kann  sich  auch  ereignen,  dass  nach  erfolgter  Geburt  des 
Kindes  bei  der  Besichtigung  des  Dammes  die  erfolgte  Centralruptur  erst 
entdeckt  wird. 

Es  unterliegt  daher  keinem  Zweifel,  dass  dann  die  künstliche  Erweiterung 
der  Schamspalte  durch  Episiotomie  platzgreifen  müsse,  wenn  die  Schamlippen 
und  Perineum  eine  solche  Resistenz  bieten,  dass  die  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  erweiterte  Schamspalte  ungeachtet  guter  Wehen  sich  nicht  mehr  ausdehnt 
und  daher  den  Durchtritt  des  Kopfes  hindert  —  zur  Erhaltung  des  Perineums 
und  wohl  auch  zur  Beförderung  der  Geburt,  ferner  wenn  das  Mittelfleisch 
sehr  breit  gedehnt  ist  und  sich  in  der  Nähe  des  Afters  immer  mehr  vorwölbt 
und  verdünnt,  oder  gar  schon  durchbricht,  während  die  Schamspalte  unge- 
W'öhnlich  eng  und  rigid  bleibt  —  zur  Verhütung  einer  Centralruptur;  endlich, 
w^enn  nach  erfolgter  Centralruptur  der  Kopf  schon  mit  einem  bedeutenden 
Segmente  durch  selbe  getreten  wäre  —  zur  Erhaltung  des  Sphincter  ani.  Was 
die  Methode  anbelangt,  nach  welcher  die  Episiotomie  ausgeführt  werden 
soll,  so  ist  derjenigen  der  Vorzug  zu  geben,  bei  welcher  die  Gegend  des  Fre- 
nulum  vermieden  wird,  weil,  wenn  schon  manchesmal  ein  Schnitt  weiter  reisst, 
was  hie  und  da  vorkommt,  der  Nachtheil  geringer  ist,  wenn  der  Riss  seitlich 
und  nicht  gerade  gegen  den  After  hin  erfolgt.  Wenn  daher  Schamlippen  und 
Damm  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  bedeutende  Resistenz  darbieten,  so  muss 
zu  tieferen  Einschnitten,  unter  einem  Winkel  von  40°  zur  Raphe  und  zwar 
je  nachdem  geringere  oder  stärkere  Erweiterung  nothwendig  ist,  einen  oder 
zwei,  seichter  oder  tiefer,  was  stets  nach  der  Individualität  des  Falles  beur- 
theilt  werden  muss,  geschritten  werden.  Man  führt,  nach  sorgfältiger  Desin- 
fection  der  Operationsgegend,  die  Episiotomie  mit  dem  früher  desinficirten 
Knopfbistouri  oder  der  Scheere  aus. 

Nach  der  Geburt  sollen  Episiotomiewunden  nicht  sich  selbst  über- 
lassen bleiben,  sondern  sie  müssen  nach  sorgfältiger  Ueberwachung  des  Uterus, 
wenn  keine  Wahrscheinlichkeit  einer  atonischen  Blutung  mehr  vorliegt,  durch 
die  Naht  geschlossen  werden.  Bevor  man  sich  anschickt,  die  durch 
die  Episiotomie  gesetzte  Wunde  zu  vereinigen,  empfiehlt  es  sich,  die  Schleim- 
haut in  der  Ausdehnung  zwischen  Urethramündung  und  Clitoris  zu  besich- 
tigen. In  Folge  der  oft  aussergewöhnlichen  Zerrung  der  Schamspalte  kommt 
es  an  diesen  Stellen  oft  zu  queren  Zerreissungen,  welche  nicht  selten  tiefer 
eindringen  und  arterielle  Blutungen  bedingen.  Solche  Blutungen  sollen  sofort 
durch  Umstechung  und  Naht  der  Rissteile  zum  Stehen  gebracht  werden.  Auch 
kommen  nicht  selten,  trotz  der  angewendeten  Episiotomie,  kleinere  Dammrisse 
zur  Beobachtung.  Auch  diese  sind  nach  vorausgeschickter  Glättung  der  Riss- 
wände mittelst  Naht  zur  Vereinigung  zu  bringen.  Die  Episiotomiewunden 
sollen  mit  aseptischer  Gaze  sorgfältig  von  Blutgerinnsel,  Fruchtwasser,  Meco- 
nium  oder  Harn,  womit  dieselben  beim  Durchtritte  des  Kindeskörpers  leicht 
verunreinigt  werden,  befreit  werden.  Zeigt  sich  etwas  erhöhte  Temperatur, 
dann  werden  desinficirende  Lösungen  von  Sublimat,  Carbol,  Lysol  oder  Kresol 
nicht  entbehrt  werden  können.  Nicht  zu  vergessen  ist  vor  der  auszuführenden 
Vereinigung    die    nochmalige    subjective    Desinfection,   da   bei  der 


DIÄTETIK  DER  SCHWANGERSCHAFT.  193 

Hilfeleistung  während  des  Durchtrittes  des  Kindes  Gelegenheit  sich  zu  infi- 
ciren  reichlich  geboten  ist.  Eine  ebenso  grosse  Sorgfalt  inuss  dem  Nalitinaterial 
zugewendet  werden.  Am  zweckmässigsten  eignet  sich  zur  Naht  sterilüirte  Seide. 
Beim  Anlegen  der  Nähte  soll  auf  genaue  Adaptirung  geachtet  werden  und 
dürfen  dieselben  in  der  Regel  nicht  vor  dem  5.  bis  6.  Tag  entfernt  werden. 

GUSTAV    ÜliAUX. 

Diätetik  der  Schwangerschaft.  Erhebliche  Beschwerden  begleiten 
häufig  die  tiefgreifenden  Veränderungen,  welche  der  ganze  weil)liche  Organismus 
während  der  Gravidität  durchmacht  und  relativ  geringe,  äussere  Einflüsse 
können  leicht  nachtheilige  Störungen  hervorrufen.  Deshalb  erwartet  auch  die 
gravide  Frau  vom  Arzte  besondere  Verhaltungsmaassregeln  für  ihren  an  und 
für  sich  physiologischen  Zustand  mit  vollem  Rechte.  Zwar  mag  nun  die 
Gravide  ihre  bisherige  Lebensweise,  wofern  sie  eine  naturgemässe  und  ver- 
nünftige war,  beibehalten,  wohl  aber  muss  sie  auf  besonders  zu  vermeidende 
Schädlichkeiten  aufmerksam  gemacht  und  über  die  zweckmässige  Vorbereitung 
für  die  Vorgänge  der  Geburt  und  des  Wochenbettes  belehrt  werden.  Es  kann 
nicht  allein  Sache  des  Arztes  sein,  die  Indicationen  für  die  einzelnen  Eingriffe 
bei  der  Geburt  zu  kennen,  vielmehr  muss  es  seine  Pflicht  sein,  von  Anfang 
an  die  schwangere  Frau  in  die  richtigen  Verhältnisse  zu  bringen. 

Vor  Allem  sollte  der  Arzt  dahin  seinen  Einfluss  geltend  machen,  die 
Erstgeschwängerten  dazu  zu  bewegen,  dass  sie  sich  einmal  einer  genauen 
ärztlichen  Untersuchung  unterziehen,  den  hiernach  gegebenen  Vor- 
schriften sich  fügen  und  so  in  deren  Folge  —  gewiss  nicht  selten  —  die  Noth- 
wendigkeit  schwerer  geburtshilflicher  Eingriffe  vermeiden. 

Von  Wichtigkeit  ist,  dass  die  Wohnung  licht,  hell,  nicht  feucht  und 
nicht  gegen  Norden  gelegen  sei.  Es  soll  auch  das  Schlafzimmer  nicht  zu 
sehr  durch  Vorhänge,  Teppiche  etc.  gefüllt  sein,  wodurch  bedeutende  An- 
sammlung des  Staubes  hintangehalten  wird.  Das  Zimmer  ist  ordentlich  zu 
ventiliren  und  soll  eine  Temperatur  von  cca.  16*^  besitzen.  Daraus  ergibt 
sich,  dass  gerade  das  beste  Zimmer  von  der  Graviden  benützt  werden  soll. 

Die  Kleidung  soll  natürlich  auch  den  hygienischen  Anforderungen 
entsprechen,  den  Luftzutritt  ebensowenig  hindern  als  die  Wasserverdunstung 
an  der  Leibesoberfläche;  er  soll  daher  aus  gewebten  Stoffen  angefertigt  werden. 
Es  sind  dementsprechend  wollene  Unterkleider  gewiss  die  besten  Wärme- 
regulatoren und  besonders  für  Personen,  die  leicht  schwitzen,  zu  empfehlen. 
Am  wichtigsten  ist  die  Anpassung  der  Kleidung  je  nach  der  Jahreszeit  und 
Witterung,  doch  sollen  die  Frauen  sich  nicht  zu  verweichlichen.  Das  Corset 
ist  nicht  nur  durch  übermässiges  Schnüren  schädlich,  sondern  es  ist  auch  bei 
schwangeren  Frauen  gefährlich.  Während  der  ersten  Monate  der  Gravidität 
kann  wohl  ein  massig  geschnürtes  Mieder  getragen  werden;  sobald  aber  der 
Unterleib  sich  vorzuwölben  beginnt,  muss  das  gewöhnliche  Corset  mit  einem 
Schwangerschaftsmieder  vertauscht  werden,  das  durch  Einlagen  von  Elastik  und 
seitlich  zuzuschnürenden  Einschnitten  der  zunehmenden  Ausdehnung  des  Abdo- 
mens zu  folgen  vermag.  Die  Röcke  darüber  sollen  nicht  zu  fest  gebunden  werden. 
Auch  Strumpthänder  dürfen  während  der  Schwangerschaft  nicht  getragen 
werden.  Häutig  genug  findet  man  den  Gebrauch  von  unter  dem  Knie  be- 
festigten elastischen  Strumpfbändern,  welche  durch  Hemmung  des  Blut-  und 
Lymphstromes  die  Veranlassung  zur  Entstehung  von  Varicositäten,  besonders 
im  Schwangerschaftszustande,  bilden.  Vortheilhaft  ist  es  daher,  das  Ende  des 
am  besten  über  das  Knie  reichenden  Strumpfes  am  Mieder  zu  befestigen. 
Viele  schwangere  Frauen  zeigen  geschwollene  untere  Extremitäten;  es  ist  in 
solchen  Fällen  rathsam,  Binden  an  den  Beinen  anzulegen. 

Die  ersten  Anzeichen  der  Gravidität,  welche  von  der  Frau  bemerkt 
werden,  sind  Ueblichkeiten  und  Erbrechen,  weshalb  häufig  die  Intervention 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  -^^ 


194  DLITETIK  DER  SCHWANGERSCHAFT. 

des  Arztes  in  Anspruch  genommen  wird,  imd  hierbei  erwächst  die  Frage: 
Wie  soll  sich  die  Gravide  nähren?  Es  ist  nun  bei  den  Frauen  eine 
allgemein  verbreitete  Ansicht,  dass  gewisse  Naln^ungsmittel  während  der 
Gravidität  zu  meiden  sind,  und  dass  die  Frauen  gegen  manche  Speisen  eine 
besondere  Abneigung  verspüren.  So  ist  es  kekannt,  dass  in  den  meisten 
Fällen  eine  Vorliebe  für  stark  gewürzte  und  saure  Speisen,  dagegen  eine 
specielle  Aversion  gegen  Fleischnahrung  sich  entwickelt.  Xun  ist  es  aber 
am  richtigsten  und-  rathsamsten,  dass  die  schwangere  Frau  wie  im  normalen 
Zustande  esse,  trinke  und  verdaue.  Gerade  die  Verdauung  und  Stuhlentleerung 
ist  eine  Sache,  der  besondere  Aufmerksamkeit  zu  widmen  ist.  Nicht  selten 
leiden  die  Frauen  schon  in  den  ersten  Monaten  der  Gravidität  an  01)stipation, 
welche  dann  eine  Reihe  von  Folgeerscheinungen,  wie  Kopfschmerz  und  Ueblich- 
keiten  hervorrufen.  Am  einfachsten  und  besten  sind  dann  Lavements  -von 
1  Liter  lauwarmen  Wassers  mit  dem  Irrigator,  denen  auch  eine  Seifenlösung, 
sowie  ein  Löffel  Ricinusöl  zugesetzt  werden  kann. 

Damit  die  Verdauung  regelmässig  vor  sich  gehe,  ist  ferner  hinlängliche 
Bewegung  unbedingt  nöthig.  Viele  Frauen  hegen  die  falsche  Ansicht,  dass 
man  im  Zustand  der  Schwangerschaft  sich  so  viel  als  möglich  schonen,  also 
auch  so  wenig  als  möglich  Bewegung  machen  solle.  Dieser  Standpunlvt 
ist  natürlich  falsch,  massige  Bewegung  ist  in  diesem  Zustande  geradezu  noth- 
wendig  und  von  nicht  geringem  Werthe  für  Appetit,  Verdauung  und  Stuhlent- 
leerung; es  soll  daher  die  Schwangere  alle  Tage  zum  mindesten  eine  Stunde 
in  frischer  Luft  sich  bewegen. 

Anders  verhält  sich  dies  bei  Frauen,  die  zu  Früh-  oder  Fehlgeburten 
oder  Blutungen  während  der  Schwangerschaft  neigen;  hier  wird  natürlich  im 
Gegentheil  die  grösste  Ruhe  indicirt  sein.  Im  Allgemeinen  ist  es  nicht 
rath^am,  sich  den  Erschütterungen  des  Körpers  und  den  damit  verbundenen 
Schädlichkeiten  auszusetzen,  das  Fahren  auf  schlechten  Wegen  oder  der 
Gebrauch  der  Nähmaschine  ist  also  zu  vermeiden.  Nicht  selten  wird  an  den 
Arzt  die  Frage  gerichtet,  ob  das  Tanzen  gestattet  sei  oder  nicht.  In  den 
meisten  Fällen  wird  wohl  eine  derartige  heftige  Bewegung  nicht  angezeigt 
sein,  wenn  auch  manche  Patientinnen  gerade  durch  ihren  Beruf  gezwungen 
sind,  längere  Zeit  während  der  Gravidität  zu  tanzen,  ohne  dass  dabei  ein 
schädlicher  Eintluss  auf  den  Verlauf  der  Schwangerschaft  eintreten  würde. 
Aehnlich  verhält  es  sich  mit  dem  Verbote  des  Reitens. 

Es  ist  nun  einerseits  gewiss  Pflicht  einer  jeden  schwangeren  Frau,  sich 
während  der  Gravidität  nicht  Gefahren  auszusetzen,  welche  eine  Unterbrechung 
der  Schwangerschaft  herbeizuführen  im  Stande  sind,  andererseits  dürfen  aber 
die  Vorsichtsmaassregeln  nicht  übertrieben  werden.  Dazu  gehört  die  über- 
mässige Furcht  vor  dem  Reisen.  Falls  wir  es  mit  einer  im  Uebrigen  voll- 
kommen gesunden  Frau  zu  thun  haben,  die  also  in  normalem  Zustande  das 
Reisen  gut  verträgt,  so  werden  wir  bei  Beobachtung  einiger  Vorsichtsmaass- 
regeln gegen  das  Fahren  auf  der  Eisenbahn  nichts  einzuwenden  haben.  Die 
geringste  Gefahr  besteht  in  der  Zeit  vom  4. — 8.  Monate,  und  falls  eine  längere 
Reise  zurückzulegen  ist,  wird  es  rathsam  sein,  sie  in  einer  Tour  zu  machen 
und  so  viel  als  möglich  in  liegender  Stellung  zu  verbleiben.  Ein  Anderes  ist 
es  aber  bei  Frauen,  die  entweder  schon  Störungen  in  der  Schwangerschaft 
durchgemacht  haben  oder  überhaupt  das  Fahren  schlecht  vertragen.  Anders 
verhält  es  sich  mit  den  Hochzeitsreisen.  Nachdem  die  grösste  und  eingrei- 
fendste physische  und  psychische  Umwandlung  in  dem  jungfräulichen  Wesen 
durch  die  Heirat  stattgefunden  hat,  wird  das  junge  Geschöpf,  bei  dem  häufig 
schon  ganz  zu  Beginn  eine  Conception  eingetreten  ist,  fortwährend  auf  der 
Eisenbahn  herumgeführt,  jeden  Tag  anderswo  gespeist,  anderswo  geschlafen  etc., 
und  dabei  finden  wohl  oft  gleichzeitig  auftretende  leichte  Störungen  und 
Schwangerschaftssymptome  nicht  genügende  Beachtung  und  Pflege.     Wie   oft 


DIÄTETIK  DER  SCHWANGERSCHAFT.  195 

kommt  es  vor,  dass  während  der  Hochzeitsreise  ein  Abortus  eintritt,  und  dass 
in  Folge  des  mangelliaften  Verständnisses  nicht  die  geliöi-ige  Schonung  daljei 
beobachtet  wird,  und  so  frühzeitig  die  Ursachen  der  verschiedensten,  späteren 
Erkrankungen  entstehen  können. 

Besondere  Wichtigkeit  liegt  in  der  Pflege  des  Körpers,  speciellder 
Haut.  Zu  den  entsprechenden  Maassregeln  gehört  das  häutige  Wechseln  von 
Leib-  und  Bettwäsche.  Nicht  selten  begegnen  uns  Frauen,  welche  in  der  Zeit 
der  Menstruation  oder  nach  der  Entbindung  sich  sträuben,  die  Wäsche  zu 
wechseln  und  darin  eine  Gefahr  erblicken.  Pteinlichkeit  in  jeder  Beziehung 
soll  das  Grundprincip  jeder  graviden  Frau  bilden.  Was  die  warmen  Bäder 
anbelangt,  so  sind  dieselben  besonders  in  den  letzten  2  Monaten  der  Schwan- 
gerschaft allgemein  gebräuchlich,  sie  können  zweimal  wöchentlich  in  einer 
Dauer  von  10 — 20  Minuten  und  Temperatur  von  26 — 2SoPieaumur  mit  Vortheil 
gebraucht  werden.  In  der  ersten  Zeit  der  Schwangerschaft  ist  es  besser,  sie 
zu  unterlassen.  Eine  grosse  Ptolle  spielen  bei  den  Frauen  die  Fussbäder,  weil 
von  ihnen  häufig  eine  günstige  Einwirkung  auf  die  Menstruation  und  eventuell 
der  Eintritt  eines  Abortus  erwartet  wird;  sie  werden  deshall)  von  graviden 
Frauen  strenge  gemieden.  In  vernünftiger  Weise  angewendet  sind  sie  ohne 
besonderen  Einfluss  auf  den  Organismus  und  können  daher  schon  aus  Piein- 
lichkeitsrücksichten  auch  während  der  Schwangerschaft  anstandslos  gebraucht 
werden.  Direct  zu  verbieten  ist  der  Gebrauch  der  Moorbäder  in  der  Zeit  der 
Gravidität. 

Der  Pflege  der  Brüste  muss  selbstredend  schon  während  der  Schwan- 
gerschaft genügende  Aufmerksamkeit  zu  Theil  werden,  und  dies  nicht  allein 
aus  Reinlichkeitsgründen,  sondern  auch  schon  mit  Rücksicht  auf  das 
zu  erwartende  Säugegeschäft.  Die  Brüste  schwellen  schon  in  den  ersten 
Schwangerschaftsmonaten  an,  besonders  die  Brustwarzen  treten  deutlicher 
hervor,  weshalb  schon  in  der  ersten  Zeit  der  Gravidität  eng  anliegende  Kleider, 
welche  die  Entwicklungsfähigkeit  der  Brüste  ungünstig  beeinflussen  könnten, 
nicht  getragen  werden  sollen.  Da  oft  schon  zeitlich  Secretion  sich  einstellt, 
so  ist  es  von  Wichtigkeit,  durch  fleissiges  und  sorgfältiges  Abwaschen  mit 
Wasser  und  durch  Wattaeinlagen  die  Brüste  vor  dem  Anlegen  des  Hemdes 
zu  schützen.  Was  die  Vorbereitung  der  Brüste  zum  Stillen  des  Kindes  an- 
langt, so  ist  es  vortheilhaft,  schon  während  der  Schwangerschaft  die  Brust- 
warzen mit  Wasser  und  Franzbranntwein  mittelst  einer  feinen  Bürste  täglich 
abzureiben,  damit  dann  nicht  später  beim  Anlegen  des  Kindes  zu  leicht  Wund- 
werden der  Warzen  eintrete. 

Zur  Körperpflege  gehört  auch  noch  die  der  Genitalien.  Diesbezüglich 
erscheint  es  von  Werth,  von  Zeit  zu  Zeit  Ausspülungen  der  Vagina  ent- 
weder mit  einer  schwachen  Carbol-  oder  Lysollösung  mittelst  eines  IiTigators 
vorzunehmen;  dagegen  muss  dringend  davor  gewarnt  werden,  dass  die 
Waschungen  des  Genitales,  wie  es  nur  noch  zu  oft  geschieht,  mit  einem 
Schwämme  vorzunehmen,  der  ja  ein  bedeutender  Infectionsträger  sein  kann. 

Häufig  wird  an  den  Arzt  die  Frage  gerichtet,  ob  während  der  Schwan- 
gerschaft der  Coitus  gestattet  sei  und  bis  zu  welcher  Zeit  er  ausgeübt 
werden  könne.  Wenn  der  Beischlaf  nicht  zu  brüsk  ausgeführt  wird,  so  wii'd 
er  wohl  nur  selten  zu  Unterbrechung  der  Schwangerschaft  Anlass  geben,  aber 
es  ist  jedenfalls  vor  Excessen  in  venere  während  der  Gravidität  zu  warnen. 
Was  die  Dauer  des  geschlechtlichen  Verkehres  betriÖ't,  so  kann  er  ohne 
Schaden  bis  in  die  letzten  Monate  der  Gravidität  fortgesetzt  werden. 

Nicht  minder  wichtig  als  die  Körperpflege  ist  die  Sorge  für  die  psy- 
chische Stimmung  der  graviden  Frauen.  Die  Schwangere  soll  sich  zwar 
keinem  beschaulichen,  trägen  Leben  hingeben;  man  wird  aber  gut  thun,  be- 
sondere psychisch  erregende  Einflüsse  von  ihr  fernzuhalten. 

13* 


196  DIÄTETIK  DES  WOCHENBETTES. 

Verläuft  die  Schwangerschaft  normal,  so  ward  der  Arzt  gewöhnlich  erst 
zur  Entbindung  selbst  zugezogen,  wodurch  ihm  selbstredend  jeder  Einfluss 
auf  diese  selbst  entzogen  ist,  und  er  gezwungen  wird,  mit  den  ihm  sich  bie- 
tenden Verhältnissen  zu  rechnen.  In  einer  gut  geleiteten  Schwangerschaft 
liegt  auch  eine  günstige  Prognose  für  die  Geburt,  und  sollte  daher  immer, 
auch  bei  vollkommen  normaler  Schwangerschaft,  frühzeitig  ein  Arzt  zugezogen 
werden,  schon  aus  dem  Grunde,  um  die  zweckentsprechenden  Vorbereitungen 
und  Maassregeln  für  die  Entbindung  zu  treffen.  Die  erste  Aufgabe  bildet  die 
Wahl  der  Hebamme.  Diese  Wahl  sollte  immer  vom  Arzte  getroffen  werden, 
da  es  dabei  weniger  auf  Sympathie  ankommt  als  auf  die  Verlässlichkeit  und 
Vertrautheit  der  Hebamme  mit  der  Handhabung  der  Antisepsis.  Sind  ja  doch 
die  Aufgaben,  die  wir  an  eine  Hebamme  heute  stellen,  von  grosser  Bedeutung. 
Sie  muss  die  Lehren  von  der  Antisepsis  genau  kennen  und  der  Gefahren  sich 
wohl  bewusst  sein,  welche  die  A'ernachlässigung  in  der  Durchführung  der 
Asepsis  und  Antisepsis  mit  sich  bringt. 

Auch  darüber  wird  der  Arzt  oft  die  Entscheidung  zu  fällen  haben,  ob 
die  Frau  das  Säugegeschäft  werde  selbst  besorgen  können  oder  nicht.  Jede 
Frau,  die  gesund  ist  und  deren  Brüste  gute  Warzen  haben,  sollte 
ihr  Kind  selbst  stillen.  Das  Stillen  wird  zu  verbieten  sein  bei  sehr  anä- 
mischen, scrophulösen,  tuberculösen,  nervösen  und  sonst  hereditär  belasteten 
Frauen.  Ist  aber  aus  irgend  welchem  Grunde  nicht  möglich,  dass  die  Frau 
ihr  Kind  selbst  nähre,  so  muss  rechtzeitig  für  eine  gute  Amme  gesorgt  werden. 

Was  nun  das  Kreiss-  und  Wochenbettzimmer  anlangt,  so  wird 
darauf  zu  sehen  sein,  dass  es  geräumig  ist,  keine  unnöthigen  Teppiche  und 
Vorhänge  sich  darin  befinden,  und  last  but  not  least,  dass  das  Bett  von  zwei 
Seiten  zugänglich  ist.  Vom  siebenten  Monate  der  Schwangerschaft  angefangen 
sollte  jede  Frau  mit  sämmtlichen  Gegenständen,  welche  zur  Niederkunft  und 
Pflege  des  Kindes  nothwendig  sind,  versehen  sein.  Unter  solchen  Verhält- 
nissen wird  sie  beruhigt  der  schweren  Stunde  entgegensehen  können. 

T.    BRAUN-FERN  WALD. 

Diätetik  des  Wochenbettes.  Wochenbett  nennen  wir  den  Zustand 
einer  Frau  so  lange,  als  deren  Genitalien  nach  der  Entbindung  in  den  Eückkehr 
zu  ihrer  früheren  Verfassung  begriffen  sind.  Diese  Rückbildung  beginnt  un- 
mittelbar nach  der  Geburt  und  findet  ihre  Beendigung,  wenn  ausser  Narben 
keine  weiteren  Veränderungen  als  Folge  der  Schwangerschaft  und  Geburt  am 
Uterus  nachzuweisen  sind,  namentlich  aber  die  Placentarstelle  in  ihm  nicht 
mehr  zu  erkennen  ist.  Die  Dauer  des  Wochenbettes  beträgt  zumeist  4 — 6 
Wochen. 

Der  leere  Uterus  wiegt  gleich  nach  der  Ausstossung  der  Frucht  ungefähr  750—1000  g 
und  hat  eine  Länge  von  16 — 18  cm.  Das  mittlere  Sondenmaass  von  der  Höhe  der  Uterus- 
höhle bis  zur  vorderen  Umrandung  beträgt  circa  15  cm.  Seine  Wand  ist  im  Grunde  2 — 4  cm 
dick.  Nach  8  Tagen  ist  er  kaum  halb  so  schwer,  nach  14  Tagen  etwa  350  f/,  nach 
ö  Wochen  200  r/,  am  Ende  des  zweiten  Monates  nur  noch  50 — 70  g.  Er  ist  also  nach 
Ablauf  von  5 — 6  Wochen  ungefähr  zu  seiner  ursprünglichen  Grösse  zurückgekehrt.  Der 
durch  Messung  bemerkbare  Beginn  der  Abnahme  der  Grössen-  und  Gewichtsverhältnisse 
fällt  in  der  Regel  schon  in  die  ersten  12  Stunden  nach  der  Geburt,  wohl  selten  in  die 
ersten  36  Stunden.  Die  nunmehrige  Umwandlung  des  ganzen  Organes  geht  so  rasch  von 
Statten,  dass  bei  normaler  Involution  der  Fundus  uteri  am  neunten  Tage  des  Wochenbettes 
schon  hinter  der  Symphyse  liegt,  also  der  ganze  Uteruskörper  wieder  im  kleinen  Becken 
und  zwar  in  antevertirter  oder  anteflectirter  Stellung  sich  befindet.  Der  früher  weit  klaffende 
äussere  Muttermund  ist  wieder  geschlossen,  und  bereits  ein  geringer  Scheidentheil  gebildet. 
Die  Massenabnahme  wird  wesentlich  durch  die  Verfettung  des  Protoplasmas  der  Uterus- 
musculatur  bewirkt,  die,  unmittelbar  nach  der  Geburt  eingeleitet,  in  Form  feiner,  den  Kern 
der  j\Iuskelfaserzellen  umgebender  Kügelchen  auftritt.  Die  im  Uterus  zurückgebliebenen 
Fetzen  der  Decidua  vera  werden  mit  den  Lochien  ausgestossen,  und  die  schon  in  der  Gra- 
vidität begonnene  Neubildung  der  Mucosa  macht  nun  rasche  Fortschritte.  Mit  der  Ab- 
stossung  der  Decidua-Fetzen  nimmt  auch  die  Neubildung  des  intraglandulären  Gewebes 
zu.     Die  ihrer  Epitheldecke  verlustig  gegangenen  Partien  der  Innenfläche  werden  von  den 


DIÄTETIK  DES  WOCHENBETTES.  197 

Epithelien  der  Drüsen  mit  neuem  Epitliel  versehen.  Bei  diesem  Abstossungs-  und  Ueber- 
häutungsprocesse  ist  eine  massenhafte  Auswanderung  farbloser  Blutkörperchen  nachweis- 
bar. Diese  und  die  Secrete  der  im  Cervixcanale  und  den  Muttermundslipp<!n  befindlichen 
Wunden  stellen  im  Vereine  mit  den  Vaginalsecreten  den  puerperalen  Gcnitalausfiuss  dar. 

Die  wichtigste  Ursache  der  Rückbildung  des  Uterus  post  partum  liegt  in 
seinen  Contractionen,  die  den  Blutandrang  in  })cdcutendem  Maasse  verringern  und  einen 
bedeutenden  Druck  auf  die  Gcfässe,  Nerven  und  Muskulatur  ausüben.  Das  aus  dem  Geni- 
tale abgehende  Wundsecret  ist  anfänglich  roth,  braunroth,  fast  neutral,  später  schwach 
sauer  (Lochia  criienfa)  und  besteht  in  der  Hauptsache  aus  flüssigem  Blute  und  kleinen 
Blutgerinnseln,  denen  Fetzen  der  Decidua  vera  beigemengt  sind.  Am  zweiten  oder  dritten 
Tage  wird  das  Secret  mehr  serös,  sanguinolent,  ärmer  an  Blutkörperchen,  reicher  an 
Schleimkörperchen,  dünnflüssig  (Lochia  serosa),  und  vom  siebenten  bis  achten  Tage  ange- 
fangen wird  der  Ausfluss  noch  Islässer,  consistenter,  glasighell  oder  rahmähnlich  (Lochia 
alba).  Jetzt  besteht  er  im  Wesentlichen  aus  Schleim,  Eiterkörperchen  und  Epithelien.  Die 
Dauer  dieses  Ausflusses  ist  starken  Variationen  untei'worfen,  bei  stillenden  Frauen  ist  er 
geringer  als  bei  nicht  stillenden, 

Mit  der  Involution  des  Uterus  gehen  die  puerperalen  Veränderungen  an  den 
Brüsten  Hand  in  Hand.  Vom  2.-3.  Tage  beginnen  sie  eine  starke  Congestion  zu  zeigen, 
stark  anzuschwellen,  als  harte  Halbkugeln  hervorzutreten  und  eine  dünne  Flüssigkeit  zu 
secerniren.  Die  in  den  ersten  Tagen  des  Wochenbettes  austretende  Milch  führt  den  Na- 
men Colostrum  und  besteht  aus  Milchserum  und  Körnchenkugeln,  ist  durchsichtig,  enthält 
vorwiegend  Albumin  und  viele  feste  Bestandtheile,  insbesondere  Salze.  Dem  Gehalte  an  phos- 
phorsaiirem  Kalk,  Magnesia,  Chlornatrium  und  Chlorkalium  verdankt  das  Colostrum  seine 
abführende  Wirkung  auf  das  Meconium.  Mit  dem  Aufquellen  der  die  Körnchenkugeln 
verkittenden,  eiweissähnlichen  Zwischensubstanz  zerfallen  die  Colostrumkörperchen  zu 
Milchkügelchen,  die  durch  den  Schleim  der  Kittsubstanz  in  der  Flüssigkeit  suspendirt 
werden. 

Das  Allgemeinbefinden  der  frisch  Entbundenen  beurtheilen 
wir  zunächst  aus  dem  Verhalten  von  Temperatur  und  Puls.  In  den  ersten 
12  Stunden  post  partum  tritt  eine  gleichmässige  geringe  Temperatursteigerung 
von  0"5^  Celsius  ein,  die  durch  die  veränderte  Circulation  bedingt  ist,  aber 
durch  die  beginnende  reichlichere  Thätigkeit  der  Organe  in  den  zweiten 
12  Stunden  ausgeglichen  wird,  so  dass  am  Ende  der  ersten  24  Stunden  fast 
dieselbe  Temperatur  wie  die  gleich  nach  der  Geburt  beobachtete  gefunden 
wird.  Darnach  beginnt  eine  zweite,  ebenfalls  sehr  massige  Steigerung,  die 
gleichfalls  Va^  C.  nicht  überschreitet,  mit  der  beginnenden  Milchsecretion  zu- 
sammenhängt und  allmälig,  wenn  diese  in  Gang  gekommen  ist,  zur  Norm 
abfällt.  Trotz  der  bedeutenden  Rückbildung  und  Veränderungen  der  Sexual- 
Organe  zeigt  die  Temperatur  bei  der  normalen  Wöchnerin  eine  ziemliche 
Constanz,  und  ihre  Feststellung  bleibt  daher  für  die  Beurtheilung  des  puer- 
peralen Zustandes  von  grösstem  Werthe.  Bei  streng  aseptischer  Behandlung 
haben  mehr  als  -SO'^/o  aller  Wöchnerinnen  solchen  Verlauf  und  bleiben 
vollständig  frei  von  Fiebererscheinungen,  ist  doch  die  normale  Milchsecretion 
durchaus  nicht  mit  Fieber  verbunden;  besteht  aber  abnorme  Temperatur', 
dann  ist  immer  eine  locale  Erkrankung  nachweisbar. 

Erfährt  also  die  Temperatur  der  Wöchnerin  verhältnismässig  geringe 
Veränderungen,  so  zeigt  der  Puls  bereits  bei  der  halb  Entbundenen  ein 
anderes  Bild.  Er  ist  weich  und  frequent.  Die  Nachgeburtswehen  bewirken 
nochmals  eine  kräftige  Arterienspannung  unter  Erhöhung  der  Pulscurven- 
reihe,  wobei  die  Curven  kleiner  sind  als  bei  der  Geburt.  Sofort  oder  einige 
Stunden  post  partum  verringert  sich  die  Frequenz  und  sinkt  bei  60°,o  der 
Wöchnerinnen  auf  60  und  noch  weniger  Schläge. 

Wir  bemerken  auch  eine  erhöhte  Hautthätigkeit  während  des 
Wochenbettes.  In  den  ersten  Stunden  und  Tagen  zeigt  sich  gesteigerter 
Wochenschweiss,  der  hauptsächlich  im  Schlafe  auftritt  und  eine  Reihe  von 
Tagen  anhält.  Bezüglich  der  Nierensecretion  wurde  früher  behauptet, 
dass  der  Harn  zuerst  spärlich  und  concentrirt  sei.  Später  aber  wurde  nach- 
gewiesen, dass  im  Gegentheile  vermehrte  Ausscheidung  von  Harn  stattfindet, 
und  dass  geringe  Harnsecretion,  als  abnorm,  zur  genauen  localen  Untersuchung 


198  DIÄTETIK  DES  WOCHENBETTES. 

auftordert.  Die  Darmthätigkeit  ist  in  den  ersten  Tagen  nach  der  Entbin- 
dung herabgesetzt,  was  sich  damit  erklärt,  dass  die  Frau  in  der  ersten  Zeit 
nach  der  Geburt  wenig  feste  Speisen  zu  sich  nimmt,  aber  viel  trinkt  und 
meistens  bei  der  Gelnirt  durch  Klysma  Stuhlgang  gehabt  hat.  Untersuchungen 
ühev  die  Kost  habe*n  ergeben,  dass  bei  Fleischnahrung  vom  ersten  Tag  des 
Wochenbettes  ab  die  Stuhlentleerungen  häufiger  sind. 

Bei  diesen  objectiven  Veränderungen  ist  der  subjective  Zustand 
der  frisch  Entbundenen  folgender:  Bald  nach  der  Geburt  macht  sich 
zunächst  das  Verlangen  nach  Trank  oder  Speise  geltend,  dann  tritt  Neigung 
zum  Schlafe  ein,  aus  welchem  die  Frau  in  der  Kegel  in  leichtem  Schweisse 
neu  gestärkt  erwacht.  Hernach  tritt  bald  Drang  zum  Uriniren  ein,  und  die 
spontane  Entleerung  gelingt  zumeist,  wenn  auch  unter  leichtem  Schmerz.  Zum 
erstenmale  Entbundene  spüren  die  zeitweise  auftretenden  Contractionen  des  Uterus 
fast  gar  nicht  oder  höchstens  beim  Anlegen  des  Kindes  an  die  Brust,  mehr- 
fach Entbundene  dagegen  haben  gewöhnlich  2 — 3  Tage  lange  noch  recht  empfind- 
liche Nachwehen,  und  zwar  umsomehr,  je  schneller  der  Geburtsact  vor  sich 
gegangen  ist.  Das  Verlangen  nach  Speise  ist  in  den  ersten  Tagen  ziemlich 
gering,  mehr  macht  sich  das  Durstgefühl  bemerkbar.  Die  zunehmende  Schwellung 
und  Spannung  der  Brüste  erschwert  der  Wöchnerin  die  Bewegung  der  Arme 
und  die  Lage  auf  der  Seite,  welche  Erscheinungen  aber  bei  gut  beschaftenen 
Warzen  und  regelmässigem  Anlegen  des  Kindes  nach  5 — 6  Tagen  schwinden. 
Durch  die  erste  Stuhlentleerung  tritt  eine  Erleichterung  ein.  Eine  grosse 
Erschwerung  der  Darmentleerung  gegen  früher  bleibt,  so  lange  die  Puerpera 
das  Bett  hütet.  Die  Periode  bleibt  bei  Stillenden  in  den  meisten  Fällen  aus 
und  tritt  erst  einige  Wochen  nach  dem   Absetzen  des  Kindes  wieder  ein. 

War  die  Rückbildung  der  Genitalorgane  eine  regelmässige,  so 
zeigt  die  Wöchnerin,  wenn  sie  das  Bett  zum  erstenmale  verlässt,  eine  ge- 
wisse Muskelschwäche,  die  nach  einigen  Tagen  überwunden  ist,  worauf  er- 
höhter Appetit  und  besseres  Aussehen  sich  zeigen.  Bei  Nichtstillenden  ist  die 
Dauer  der  Lochia  cruenta  länger  und  der  Gewichtsverlust  durch  den  Wochen- 
fluss  bedeutender  als  bei  Stillenden,  es  kommen  auch  nach  dem  Verlassen 
des  Bettes  leichter  wieder  Blutabgänge  vor;  die  Involution  der  Gebärmutter 
ist  langsamer,  die  Schwellung  der  Brüste  dauert  länger,  die  Milchsecretion 
versiegt  bald  rascher,  bald  langsamer,  die  Menstruation  tritt  durchschnittlich 
6 — 8  Wochen  post  partum  wieder  ein.  Der  Zustand  der  neu  Entbundenen 
steht  hart  an  der  Grenze  zwischen  physiologischem  und  pathologischem,  ist 
er  auch  an  sich  nicht  pathologisch.  Die  Anlage  des  weiblichen  Körpers  zum 
Erkranken  ist  im  Allgemeinen  durch  das  Wochenbett  gesteigert  sowohl  in 
Folge  der  Verwundung  und  Zerrung  der  Genitalien  als  auch  durch  die 
häufigen  Berührungen  derselben  und  wegen  der  Vorgänge  an  den  Brüsten, 
weshalb  auch  eine  strenge  Ueberwachung  der  Wöchnerin  unerlässlich  ist. 

Ein  Hauptaugenmerk  ist  auf  die  Einrichtung  des  Wochenzimmers 
zu  richten.  Es  soll  hell,  geräumig  und  auf  eine  Temperatur  von  14 — IS'^Pt. 
gebracht  sein,  direct  oder  indirect  von  den  Nebenzimmern  aus  täglich  gelüftet 
werden.  Das  Bett  muss  bequem,  der  Oberkörper  soll  nicht  zu  hoch  gelagert, 
der  Körper  nicht  zu  warm  zugedeckt  sein.  Anfangs  soll  die  Wöchnerin  die 
Ptückenlage  einnehmen,  vom  5. — 6.  Tage  angefangen  ist  ihr  jede  Lage  zu  ge- 
statten; empfehlenswerth  ist  vom  7. — 8.  Tage  ab  das  Tragen  einer  gut  an- 
schliessenden Leibbinde.  Auch  vollständig  gesunden  Wöchnerinnen  ist  das 
Aderlässen  des  Bettes  vor  dem  10.  Tage  nicht  erlaubt,  und  erscheint  es  rath- 
sam,  die  Frau  zuerst  auf  ein  Sopha  zu  heben,  auf  w^elchem  sie  erst  nach 
einiger  Zeit  sitzen  darf.  Es  treten  ja  nicht  gar  selten  beim  sofortigen  Auf- 
richten in  dem  Bette  Ohnmächten  ein,  aus  welchem  Grunde  vor  dem  Ver- 
lassen desselben  ein  Frühstück  genommen  werden  soll.  In  den  ersten  Tagen 
darf  die  Puerpera  höchstens  zwei  Stunden  ausser  Bett  verbringen,  später  mehr. 


DIÄTETIK  DES  WOCHENBETTES.  199 

Tritt  eine  Blutung  auf,  so  muss  von  Neuem  das  Bett  gehütet  werden.  6 — 8 
Stunden  nach  der  Entl)indung  muss  die  Wöclinerin  daran  erinnert  werden ,  zu 
uriniren  und,  wenn  sie  nach  wiederholten  Versuchen  dies  nicht  kann,  kathe- 
terisirt  werden,  wobei  der  Katheter  nicht  unter  der  Decke,  sondern  nacli  Er- 
wärmung des  gehörig  dicken  und  nur  bei  der  betreffenden  l'uerpera  allein  zu 
verwendenden  Instrumentes  nach  Bloslegung  der  Urethralöffnung  und  Reinigung 
der  Umgebung  vom  Lochial-Secrete  eingeführt  werden  darf.  Die  Katheterisi- 
rung  ist  alle  8  Stunden  so  lange  zu  wiederholen,  bis  spontane  Urinentleerung 
eintritt.  Die  Anschwellung  der  Brüste  wird  durch  Aufbinden  derselben  und 
Bestreichen  der  Haut  mit  Vaselin  erleichtert. 

In  den  ersten  2—3  Tagen  soll  die  Diät  eine  geringe  sein,  die  Nahrung 
hauptsächlich  in  flüssigen  Speisen  bestehen.  Man  kann  schon  am  ersten  Tage 
Fleischsuppe,  vom  4.  Tage  gedünstetes  oder  gebratenes  Fleisch  gel)en  und 
durch  Verabreichung  von  Milch,  Eiern  und  Bier  die  Nahrung  leichter  ver- 
daulich machen.  Für  die  Stuhlentleerung  wird  vom  4.  Tage  ab  durch  einen 
einfachen  Wassereinlauf  von  V2 — 1  Liter  lauwarmen  Wassers  Sorge  getragen, 
und,  ^venn  mehrere  Irrigationen  nicht  genügen,  wird  die  Verabreichung  eines 
leichten  Abführmittels   sich  empfehlen. 

Bezüglich  der  äusseren  Genitalien  ist  grösste  Bei nlichk ei t  die  Haupt- 
sache. Sehr  leicht  entsteht  ein  penetranter  Geruch,  wenn  das  Lochialsecret 
nicht  vollständig  abgeht,  sondern  in  der  Vagina  oder  in  den  Schamhaaren 
zurückgehalten  wird.  Daher  sollen  die  äusseren  Genitalien  der  frisch  Ent- 
bundenen täglich  mehrmals  mit  einer  lauen  3%-igen  Carbollösung  abgewaschen, 
sorgfältig  abgetrocknet  und  mit  Jodoformgaze  und  Carbolwatte  bedeckt  werden. 
Den  meisten  Wöchnerinnen  ist  eine  tägliche  Ausspülung  der  Scheide  mit 
einer  S^o-igen  Carbollösung  angenehm,  doch  ist  diese  nicht  unbedingt  noth- 
wendig. 

Kann  die  Puerpera  ihr  Kind  selbst  stillen,  so  soll  sie  es  zum  ersten- 
male  anlegen,  wenn  sie  nicht  mehr  zu  angegriffen  ist,  und  das  Kind  dui'ch 
Schreien  seinen  Hunger  bekundet.  Es  ist  dies  gewöhnlich  erst  6 — 8  Stunden 
nach  der  Entbindung  der  Fall.  Das  Anlegen  des  Kindes  soll  regelmässig 
geschehen,  höchstens  alle  2—3  Stunden,  und  es  ist  gut,  das  Kind  gleich  im 
Anfange  daran  zu  gewöhnen,  dass  es  Nachts  entw^eder  in  viel  grösseren 
Zwischenräumen  oder  überhaupt  nicht  angelegt  wird.  Vor  und  nach  dem 
Anlegen  des  Kindes,  das  am  besten  in  der  Seitenlage  der  Frau  geschieht, 
sollen  die  Brustwarzen  mit  lauem  Wasser  in  gehöriger  Weise  gereinigt 
werden.  Wenn  die  Frau  das  Kind  selbst  stillt,  so  müssen  folgende  Eigen- 
schaften bei  ihr  vorhanden  sein:  Die  Brustwarzen  müssen  gesund,  das  heisst, 
gut  fassbar,  ohne  Hohlgänge  und  nicht  wund  sein,  auch  dürfen  keine  Narben, 
die  Folgen  früherer  Mastitis,  vorhanden  sein.  Die  Frau  darf  an  keiner  an- 
steckenden Krankheit  leiden,  wie  an  Syphilis,  ebensowenig  an  Tuberculose, 
Epilepsie.  Bei  Frauen,  in  deren  Familie  Tuberculose  vorgekommen  ist,  darf 
das  Stillen  nur  mit  grösster  Vorsicht  gestattet  werden. 

Kann  oder  darf  die  Mutter  das  Kind  nicht  selbst  säugen,  so  bleibt  die  Ernäh- 
rung durch  eine  Amme*)  das  beste  Ersatzmittel.  Die  Wahl  derselben  kann  natürlich 
nur  durch  den  Arzt  geschehen,  um  nach  gründlicher  Untersuchung  bestimmen  zu  können, 
ob  diese  oder  jene  Amme  für  dieses  oder  jenes  Kind  geeignet  sein  werde.  Damit  man  sich 
über  die  Amme  ein  zuverlässiges  Urtheil  bilden  könne,  ist  es  erforderlich,  deren  Kind  zu 
sehen,  weil  nach  dessen  Aussehen  wohl  am  sichersten  auf  die  Gesundheit  der  stillenden 
Mutter  geschlossen  werden  kann.  Ist  das  Kind  wohlgenährt,  seine  Darmentleerungen  von 
guter  Beschaffenheit,  schläft  es  ruhig,  so  spricht  dies  für  die  gute  Qualität  der  Milch  der 
Mutter  und  die  Quantität  der  zur  Ernährung  des  Kindes  vorhandenen  IMüchmenge.  Die 
zum  erstenmale  entbundenen  Frauen  stehen  immer  nach  denen,  welche  bereits  ein  Kind  gesäugt 


*)  Vergl.  Artikel  ^AmmenwaM'-'    (Pott.)    im  Bd.  I.  d.  ^Interne  Medicin  und  Kinder- 
hranlcheiten"'),  pag.  39. 


200  DILATATION  DES  UTERUS. 

haben,  da  ja  diese  durch  Erfahrung  und  Geschicklichkeit  in  der  "Wartung  des  neugeborenen 
Kindes  sich  auszeichnen. 

Mit  dem  Alter  der  Milch  ändert  sich  auch  das  Verhältnis  ihrer  Bestandtheile.  Der 
Käsestoff  nimmt  bis  zum  Ende  des  zweiten  i\Ionates  zu,  die  Butter  nimmt  von  ]\Ionat  zu 
]\Ionat  ab,  der  Zuckergehalt  wächst  stetig.  Die  Amme  soll  daher  für  gewöhnlich  nicht 
Tor  mehr  als  6 — 8  Wochen  vor  der  Mutter  niedergekommen  sein.  Jede  Brust  einer  guten 
Amme  muss  innerhalb  2  Stunden  wenigstens  50  bis  60  g  Milch  liefern.  Es  kann  nicht 
auffallen,  dass  häufig  Ammen  in  den  ersten  Tagen  nach  Antritt  des  Dienstes  eine  fühlbare 
Abnahme  der  Milchsecretion  zeigen,  welche  übrigens  bald  vorübergeht.  Es  ist  dies  be- 
greiflich, wenn  man  die  veränderte  Lebensweise  der  Amme  in  Betracht  zieht. 

Zu  den  die  Milchsecretion  befördernden  Mitteln  gehören  erfahrungs gemäss:  Butterbrod, 
Mehlspeisen,  Eier,  Eierspeisen,  Milchbrei,  Fleisch  aller  Arten,  Suppe  und  als  Getränk:  Bier 
und  Kaffee,  wobei  aber  diejenigen  Nahrungsmittel  in  erster  Linie  berücksichtigt  werden  sollen, 
an  die  die  Amme  bisher  gewöhnt  war.  y.  BRAUN-FERN  WALD. 

Dilatation  des  Uterus.  Zur  vollkommenen  Erforschung  der  Uterus- 
liölile  genügt  in  den  meisten  Fällen  die  Untersuchung  mit  der  Sonde  nicht, 
oft  muss  man  unabweislich  mit  dem  Finger  in  das  Cavum  uteri  eindringen. 
Es  gestattet  auch  immerhin  der  Cervix  unter  geeigneten  Verhältnissen,  be- 
sonders zur  Zeit  der  Menstruation  und  am  Tage  nach  derselben,  öfters  die 
Exploration  des  unteren  Theiles  seiner  Höhle,  aber,  wie  erwähnt,  beschränkt 
sich  die  Erweiterung  zumeist  nur  auf  seinen  unteren  Theil.  Der  innere 
Muttermund  ist  fast  nur  in  solchen  Fällen  passirbar,  wo  ihn  eine  Geschwulst, 
die  sich  aus  dem  Uterus  herausdrängt,  ausgedehnt  hat.  Daher  ist  auch  hier 
eine  präparatorische  Behandlung  nothwendig. 

Die  wichtigste  Indication  für  die  Erweiterung  der  Uterinhöhle  gibt 
die  Anwesenheit  von  Neoplasmen  in  der  Gebärmutter  oder  der  Verdacht  auf 
solche.  Die  combinirte  und  die  Sondenuntersuchung  geben  oft  in  dieser  Rich- 
tung negative  Resultate,  und  lassen  auch  fast  immer,  wenn  sie  selbst  das 
Vorhandensein  einer  Neubildung  sichern,  das  Verhältnis  derselben  zum  Uterus 
und  ihre  sonstige  Beschaffenheit  unbekannt.  Zumeist  vermuthet  man  aus  sub- 
jectiven  Symptomen,  Blutungen,  fleischwasserähnlichen  Ausflüssen,  Schmerzen, 
aus  der  auffallend  grossen  Erweiterung  des  Orificium  internmn  oder  externum 
das  Bestehen  von  Fibromen,  Polypen,  Piacentarresten,  Adenomen,  Sarcomen 
und  Corpus-Carcinomen.  Oft  schon  gibt  die  Sondenuntersuchung  Resultate, 
die  zur  Erweiterung  des  Uterus  auffordern,  da  die  Sondenuntersuchung  allein 
die  Diagnose  zu  stellen  nicht  gestattet.  Die  Dilatation  der  Gebärmutter  wird 
deshalb  nicht  blos  der  Diagnose  halber  nöthig  sein,  um  dem  untersuchenden 
Finger  das  Eindringen  in  das  Cavum  zu  ermöglichen,  sondern  auch,  um  Er- 
krankungen des  Cervix  der  Heilung  zuzuführen.  Die  Dilatation  des  Uterus 
zerfällt  demnach  in  eine  diagnostische  und  therapeutische.  Erstere 
erfordert  gewöhnlich  einen  grösseren  Grad  von  Erweiterung  als  letztere.  Die 
Methoden  zur  Dilatation  sind  entweder  unblutige,  durch  quellende  Substanzen, 
Bougies  und  Diktatoren,  oder  blutige,  die  Discission  des  Cervix. 
Ä.  Die  unblutige  Dilatation. 

Zur  Ausdehnung  der  Cervicalhöhle  durch  quellende  Substanzen  haben 
sich  drei  im  Gebrauche  erhalten:  Der  Presschwamm,  die  Laminaria 
und  der  Tupelostift. 

Die  Einführung  geschieht  in  der  Seitenlage  der  Frau  unter  Zuhilfe- 
nahme des  Löffelspeculums,  vorher  muss  aber  durch  reichliche  Ausspülung 
mit  desinficirender  Flüssigkeit  Vagina  und  Uterus  möglichst  vollkommen 
gereinigt  sein.  Die  Vaginalportion  wird  eingestellt,  mittelst  eines  Häkchens 
fixirt,  und  dann  der  Presschwamm  eingelegt.  Häufig  wird  der  Fehler 
begangen,  dass  man  Anfangs  zu  dicke  Schwämme  nimmt,  welclie  das  Orificium 
internmn  nicht  durchdringen  und  daher  nur  den  unteren  Theil  des  Cervix 
ausdehnen.  Der  Schwamm  darf  aber  auch  nicht  zu  tief  eingeführt  werden, 
keinesfalls  so  weit,  dass  seine  Basis  oberhalb  des  Niveaus  des  äusseren  Mutter- 
mundes steht. 


DILATATION  DES  UTERUS.  201 

Wenige  Minuten  nach  Application  des  Schwammes  ist  sein  Umfang 
grösser  geworden,  sein  Volumen  nimmt  stetig  zu,  und  es  wird  auf  diese  Weise 
successive  die  langsame  Erweiterung  des  Cervix  herbeigeführt.  Der  Press- 
schwamm  soll  niemals  länger  als  12  Stunden  liegen  bleiben.  Längstens  nach 
Ablauf  dieser  Zeit  muss  er  herausgenommen  und  durch  einen  anderen  unter 
den  gleichen  antiseptischen  Cautelen  ersetzt  werden,  wofern  die  Erweiterung 
noch  nicht  genügend  ist.  Manche  Mängel  haften  dem  im  Uebrigen  gut  ver- 
wendbaren Mittel  an,  die  schwere  Möglichkeit  der  ausreichenden  Desinfection, 
die  rasche  Zersetzung  der  Secrete,  und  es  wurde  daher  später  die  Laminaria 
in  die  gynäkologische  Praxis  eingeführt. 

Der  Setangmeissel  wird  aus  dem  Thallus  von  Laminaria  digitata  ge- 
wonnen. Wenn  man  den  Laminariastift  in  warmes  Wasser  legt,  so  wird  seine 
Oberfläche  schlüpfriger  und  seine  Härte  nimmt  ab,  so  dass  man  ihm  leicht 
eine  Krümmung  geben  kann.  Die  Laminaria  lässt  sich  in  ziemlich  sicherer 
Weise  aseptisch  machen.  Vor  Application  des  Laminariastiftes  wird  die  Vagina 
und,  wenn  möglich,  auch  die  Uterushöhle  möglichst  gründlich  desinficirt,  die 
Richtung  und  Weite  der  Vagina  festgestellt  und  der  Stift  in  der  Seiten- 
oder Rückenlage  der  Patientin  eingeführt.  Die  Anwendung  jedes  Quell- 
meissels  birgt  Gefahren  in  sich,  die  es  nöthig  machen,  dergleichen  Eingrifle 
nur  nach  genauer  Berücksichtigung  der  Indicationen  und  Contraindica- 
tionen  zu  unternehmen.  Der  Druck  und  die  Zerrung,  welche  durch  die  auf- 
quellenden Substanzen  erzeugt  werden,  die  Verletzungen  der  Schleimhaut  waren 
in  erster  Linie  die  Ursache  dieser  Gefahren;  so  ist  in  vorantiseptischer  Zeit 
nach  Gebrauch  von  Presschwamm  das  Auftreten  von  Metritis  und  Parametritis 
beobachtet  worden. 

Ebenso  wie  die  erwähnten  Blutungen  gelten  uterine  oder  periuterine 
Reizzustände,  Exsudate,  Adhäsionen  als  Contraindicationen  des  Gebrauches 
von  Quellmitteln. 

In  dem  Bestreben,  jeden  unserer  Eingriffe  möglichst  gefahrlos  und  deshalb  aseptisch 
zu  machen,  ist  man  in  letzter  Zeit  wieder  auf  die  mechanische  Dilatation  der  früheren 
Zeit  zurückgegangen.  Den  Uebergang  zu  der  jetzt  übhchen  brüsken  Dilatation  bildet  die 
Anwendung  des  von  Schatz  angegebenen  Metranoicters.  Trotzdem  man  bei  deni  Ge- 
brauche dieses  Instrumentes  völlig  aseptisch  vorgehen,  während  seiner  ^\"irkung  continuir- 
lich  irrigiren  kann,  so  hat  es  doch  keinen  Eingang  in  die  Praxis  finden  können,  da  bei 
seiner  Verwendung  in  den  meisten  Fällen  heftige  Schmerzen  auftraten.  Das  Dilatatorium 
von  Ellinger  ist  dadurch  ausgezeichnet,  dass  seine  Branchen  in  paralleler  Richtung  sich 
von  einander  entfernen.  Wegen  seiner  zarteren  Dimensionen  wird  es  dort,  wo  kein  grösserer 
Eingriff  beabsichtigt  wird,  in  Gebrauch  genommen,  also  bei  Stenosen,  Dilatation  vor  einem 
intrauterinen  Eingriff.  Der  grösste  Nachtheil  des  Instrumentes  ist  seine  Complicirtheit,  die 
eine  genaue  Reinigung  erschwert. 

Ein  Instrument,  das  eine  Dilatation  ohne  grössere  Kraftanwendung  gestattet,  ist  das 
von  ScHULTZE  angegebene.  Mit  dem  sagittal  wirkenden  Diktator  lassen  sich  ganz  bedeu- 
tende Erfolge  erzielen,  wenn  auch  meist  oberflächliche  Läsionen  der  Schleimhaut  mit  m 
Kauf  genommen  werden  müssen. 

Die  langsame  Erweiterung  des  Halscanales  durch  Bougie, 
Sonde,  dünne  Dilatatorien  wird  meistentheils  bei  Behandlung  der  Stenosen 
des  Cervix  uteri  vorgenommen.  Das  hiezu  am  besten  taugende  Instrument 
sind  die  HEGAR'schen  Diktatoren,  welche  aus  einem  System  von  2 — ^^26  mm 
im  Durchmesser  habenden  Hartgummi- Stäben  bestehen.  Vor  Application  des 
Instrumentes,  das  aus  einer  antiseptischen  Lösung  in  Gebrauch  genommen 
wird,  desinficirt  man  den  Genitalcanal,  fasst  den  Uterus  mit  der  Hakenzange, 
zieht  ihn  herab  und  führt  in  der  Seiten-  oder  Rückenlage  der  Patientin  einen 
Stift  nach  dem  anderen  ein.  Ein  Stift  nach  dem  anderen  wird  vorgeschoben, 
währenddessen  desinficirende  Ausspülung  gemacht,  bis  die  Cervixerweiteruug 
so  weit  geschritten,  dass  mit  dem  Finger  eingegangen  werden  kann.  Die 
ganze  Procedur  dauert  gewöhnlich  höchstens  eine  halbe  Stunde.  Wie  vor 
und  während  der  Anwendung  des  Dilatators  ist  auch  nach  Entfernung  des- 
selben eine   aussriebiare   Desinfection  unumgänglich  nothwendig.  Haben  keine 


202  DILATATION  DES  UTERUS. 

tlierapeutisclien  Maassnahmeii  stattgefunden,  so  wird  ein  Jodoformgazestreifen 
in  den  Uterus  geschoben. 

B.  Die  blutige  Dilatation. 

Die  blutige  Erweiterung  besteht  in  der  localen  Durchtrennung  des  Cervix 
mit  schneidenden  Instrumenten.  Man  nennt  den  Vorgang  Discission,  Hyste- 
rostomatomie  oder  Tracheotomie.  Je  nachdem  die  Durchtrennung  die 
Seitemvand  oder  die  vordere  oder  die  hintere  Wand  des  Cervix  betrifft,  unter- 
scheidet man  eine  laterale  oder  sagittale  Discission.  Je  nachdem  der  Schnitt 
bis  zum  inneren  Muttermund  sich  erstreckt  oder  nur  die  Portio  vaginalis 
spaltet,  spricht  man  von  einer  inneren  oder  äusseren  Discission.  Die  laterale 
und  sagittale  Discission  kann  an  einer  oder  an  beiden  Seiten  der  Lippe  vor- 
genommen werden.  Die  Discission  kann  sowohl  zum  diagnostischen  als  auch 
zum  therapeutischen  Zwecke  ausgeführt  werden,  häutiger  als  Indication  thera- 
peutischer Eingriffe. 

Ursprünglich  verwendete  Simpson  sein  bekanntes  einklingiges  Hystero- 
tom.  Mittelst  desselben  wurde  blos  unter  Leitung  des  Fingers  die  eine,  dann 
die  andere  Seite  des  Uterushalses  im  Herausziehen  des  Instrumentes  durch- 
schnitten. Dem  Instrument  hafteten  nur  besonders  die  Nachtheile  an,  dass 
es  zweimal  angewendet  werden  musste,  und  dass  der  zweite  Schnitt  leicht 
weniger  tief  als  der  erste  wurde.  Nach  dem  Muster  dieses  Metrotoms  wm^den 
dann  zweiklingige  Instrumente  construirt,  von  denen  wohl  das  Geeenhalgh'- 
sche  am  meisten  in  Gebrauch  genommen  wurde.  Diesen  complicirten  Instru- 
menten gegenüber  lehrte  nun  Simpsox  die  Discission  mit  Scheere  und  Spitz- 
messer. Er  spaltet  durch  je  einen  Scheerenschlag  die  Seitenwände  des  Cervix 
bis  zur  Insertion  des  Yaginalgewölbes  und  vervollständigt  diesen  Schnitt 
mittelst  des  Messers,  welches  er,  bei  der  Incissionsstelle  oberhalb  des  Orificium 
internum  beginnend,  bis  zum  Ende  jedes  Scheerenschnittes  weiterführt. 

Die  häufigste  Indication  zur  blutigen  Erweiterung  des  Cervix  geben 
Stenosen  des  äusseren  und  inneren  Muttermundes  ab.  Die  wirkliche  Veren- 
gerung betrifft  in  den  meisten  Fällen  nur  den  äusseren  Muttermund.  Die 
Stenosen  des  Orificium  internum  sind  meistentheils  Knickungsstenosen  oder 
durch  congestive  Zustände  der  Schleimhaut  oder  Wucherungen  derselben  her- 
vorgerufen. Hiebei  kommt  weniger  der  Grad  der  Stenose  als  die  dadurch 
erzeugten  functionellen  Störungen  in  Betracht,  nämlich  die  Dysmenorrhoe  und 
die  Sterilität.  Flexionen  und  Versionen  geben  auch  häufig  die  Indication  zur 
Discission  ab.  Bei  den  Flexionen  handelt  es  sich  wohl  in  den  meisten  Fällen 
darum,  dem  geknickten  Uteruskörper  eine  mehr  gerade  Stellung  zu  geben. 

Nach  der  Ausführung  der  bilateralen  Discission  ist  im  Allgemeinen  das 
Auftreten  einer  stärkeren  Blutung  ziemlich  selten,  da  es  ja  immer  empfehlens- 
werth  erscheint,  unmittelbar  nach  ihrer  Vornahme  in  sehr  energischer  Weise 
das  Genitalrohr  zu  desinficiren  und  mit  Jodoformgaze  zu  tamponiren.  Sollte 
aber  trotzdem  nach  einer  bilateralen  Discission  eine  starke  Blutung  aus  einem 
Gefässe  bestehen,  so  kann  man  sie  rasch  durch  Umstechung  zum  Stillstande 
bringen. 

Die  Nachbehandlung  besteht  darin,  dass  man  nach  12  Stunden  die 
Jodoformgaze  entfernt  und  weiterhin  täglich  desinficirende  Ausspülungen  des 
Cervicalcanales  vornimmt.  In  denjenigen  Fällen,  wo  entweder  bedeutende 
dysmenorrhoische  Beschwerden  oder  Sterilität,  hauptsächlich  in  Folge  einer  be- 
deutenden Verengung  des  äusseren  Muttermundes  vorhanden  sind,  empfiehlt 
es  sich,  in  der  Ptückenlage  der  Patientin  durch  Scheerenschläge  den  Cervix 
bilateral  zu  spalten  und  dann  an  der  vorderen  und  der  rückwärtigen  Mutter- 
mundslippe eine  Excision  auszuführen,  da  man  auf  solche  Art  durch  die  später 
entstehenden  Narben  das  Offenbleiben  des  Cervix  ermöglicht. 

V.    BRAUX-FERNWALD. 


ECLAMPSIA.  203 

Eclampsia.  Unter  Eclampsia  gravidarum,  parhirientiinn  et  j'uerperarum 
verstellt  man  anfallsweise  auftretende  tonische  und  clonisclie  Convulsionen  des 
ganzen  Körpers  bei  Schwangeren,  Kreissenden  und  Wöchnerinnen,  die  mit 
Bewusstlosigkeit  verbunden  sind.  Die  Bewusstlosigkeit  überdauert  den  Krampf- 
anfall, so  dass  bei  Häufung  der  Anfälle  die  Patientin  gar  niclit  mehr  aus  dem 
Coma  erwacht.  In  circa  50%  der  Fälle  tritt  die  Eclampsie  während  der 
Geburt,  in  je  25%  während  der  Schwangerschaft  und  des  Wochenbettes  auf. 

Aetiologie:  Die  Ursache  der  Eclampsie  ist  in  der  überwiegenden 
Mehrzahl  der  Fälle  eine  Urämie,  eine  Intoxication  des  Blutes,  die  durch  Ile- 
tention  von  Kreatin  und  Kreatinin,  saurem  phosphorsaurem  Kalium  und 
anderen  Harnsalzen  im  Blut  erzeugt  wird.  Die  Retention  kommt  am  häufig- 
sten vor  bei  der  LEYDEN'schen  Schwangerschaftsniere,  seltener  bei  wirklicher 
Nephritis,  bei  Stauungshyperämie  der  Nieren,  bei  Harnstauung  durch  Druck 
auf  die  Ureteren  und  bei  Hydronephrose. 

Das  Kreatin  und  die  erwähnten  anderen  Substanzen  lagern  sich  in  der  Grosshirn- 
rinde ab,  setzen  bestimmte  motorische  Centren  derselben  in  Erregung  und  bringen  hier- 
durch sowohl  Convulsionen  als  auch  Coma  hervor  (Landois).  Die  Ueberladung  des  Blutes 
mit  den  genannten  Stoffen  kann  somit  direct  den  Symptomencomplex  der  Eclampsie  erzeugen 
—  häufig  spielen  auch  bei  schon  vorhandener  Intoxication  des  Blutes  und  dadurch  erhöhter 
Erregbarkeit  jener  Gehirncentren  als  Gelegenheitsursache  für  den  Ausbruch  der  Eclampsie 
Reizungen  sensibler  Nerven  (am  häufigsten  des  Genitaltractus)  oder  psychische  Erregungen 
eine  Rolle. 

Man  bezeichnet  diese  auf  fehlerhafter  Blutbeschaffenheit  beruhende  Form 
der  Eclampsie  zweckmässig  als  Eclampsia  uraemica  oder  Eclampsia  haemato- 
genes.  Wie  schon  erwähnt,  ist  die  S ch wanger schaftsni er e  diejenige 
Nierenstörung,  w^elche  am  häufigsten  zur  Eclampsia  uraemica  führt.  Anato- 
misch charakterisirt  sie  sich  durch  Anämie  der  Niere  und  Verfettung  der 
Nierenepithelien,  klinisch  durch  Oedeme,  Verminderung  des  Urins,  reichlichen 
Eiweissgehalt,  durch  Auftreten  von  Cylindern,  Nierenepithelien  und  weissen 
Blutkörperchen  im  Urin.  Sie  tritt  gegen  Ende  der  Schwangerschaft,  jeden- 
falls erst  nach  der  Hälfte  auf  und  verschwindet  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
nach  der  Geburt.  Der  anatomische  Befund  und  das  zeitliche  Auftreten  der 
Schwangerschaftsniere  machen  es  wahrscheinlich,  dass  sie  durch  einen  Krampf 
der  Nierenarterien  entsteht,  der  reflectorisch  durch  Beize  sensibler  Nerven 
des  Genitaltractus  ausgelöst  wird.  Solche  Reize  (wie  Schwangerschaftswehen, 
stärkere  Ausdehnung  des  Uterus,  Eintritt  des  Kopfes  in  das  Becken)  machen 
sich  erst  in  den  letzten  Monaten,  resp.  Wochen  der  Schwangerschaft  geltend.  Aus- 
nahmsweise können  auch  Intoxicationen  durch  Alkohol,  Blei,  Sublimat,  Carbol 
zu  Nierenstörungen  und  damit  zu  Eclampsie  führen.  Auch  ist  die  ]\Iöglich- 
keit  nicht  von  der  Hand  zu  w^eisen,  dass  bacteridisclie  Noxen  durch  Erzeugung 
einer  Nierenerkrankung  oder  durch  Zersetzung  des  Blutes  bei  schon  vorhan- 
.  dener  Schwangerschaftsniere  Eclampsie  erzeugen  können.  Beweise  hiefür  liegen 
indessen  zur  Zeit  noch  nicht  vor. 

In  etwa  5%  der  Fälle  tritt  die  Eclampsie  bei  gesunden  Nieren  und  nor- 
maler Blutbeschaffenheit  als  Eclampsia  reflecforia  auf.  Bei  dieser  Form  treten 
die  Krampfcentren  dm^h  Reizung  sensibler  Nerven  (am  häufigsten  des  Ge- 
nitaltractus) oder  psychische  Erregungen  in  Action,  und  zwar  entweder,  wenn 
die  Reize  sehr  stark  sind  (z.  B.  bei  abnormer  Ausdehnung  des  Uterus,  bei 
sehr  schmerzhafter  Wehenthätigkeit),  oder  die  Erregbarkeit  der  Krampfcentren 
eine  gesteigerte  ist  (bei  nervösen  Individuen,  bei  sehr  jungen  oder  alten 
I.  par.). 

Wie  schon  erwähnt  sind  auch  Mischformen  der  Eclampsia  uraemica  und 
der  Eclampsia  reflecforia  häufig,  indem  bei  schon  vorhandener  und  durch 
Uratintoxication  bedingter  erhöhter  Reizbarkeit  der  motorischen  Centren  von 
der  Peripherie,  speciell  vom  Genitaltractus  aus,  fortgeleitete  Reize  auf  jene 
Centren  einwirken  und  so  die  schon  drohende  Explosion  zum  Ausbruch  bringen. 


204  ECLMIPSIA. 

Das  Primäre  und  die  eigentliche  Causa  movens  bleibt  hierbei  jedoch  die  aus 
der  Schwangerschaftsniere  resultirende  Uratintoxication.  Indessen  ist  die  Mit- 
betheiligung  des  Nervensystems  nicht  unwichtig  und  erklärt  sich  aus  ihr  auch 
die  Thatsache,  dass  die  I.  par.  84%  aller  Eclamptischen  ausmachen.  Denn  durch 
die  erste  Schwangerschaft  und  Geburt  wird  ja  das  Nervensystem  in  ganz  anderer 
Weise  afficirt,  als  durch  die  folgenden. 

Die  Anämie  des  Gehirns,  welche  man  bei  Sectionen  Eclamptischer  häufig  findet, 
weist  auf  eine  Mitbetheiligung  des  in  der  Medulla  oblongata  gelegenen  vasomotorischen 
Centrums  hin.  Bei  der  Eclampsia  uraemica  kann  es  sich  nach  den  Versuchen  von  Landois 
nur  um  eine  secundäre  Erregung  dieses  Centrums  handeln,  da  Kreatin  und  die  übrigen 
schon  erwähnten  Stoffe,  wenn  sie  bei  Thieren  auf  bestimmte  Centren  der  Grosshirnrinde 
aufgetragen  werden,  direct  das  typische  Bild  der  Eclampsie  erzeugen.  Bei  der  Eclampsia 
reflectoria  dagegen  und  den  Mischformen  ist  die  Frage  noch  nicht  entschieden,  ob  das  in 
der  Medulla  oblongata  gelegene  vasomotorische  Centrum  primär  auf  reflectorischem  Wege 
(durch  Reizung  depressorischer  Fasern)  erregt  wird  und  dann  secundär  eine  Anämie  (durch 
Contraction  der  Hirnarterien)  und  consecutive  Erregung  des  nach  Nothnagel  im  Pons 
gelegenen  Krampfcentrums,  resp.  der  motorischen  Centra  der  Grosshirnrinde  erzeugt,  oder 
ob  sich  die  Reizung  der  Uterus-  und  Beckennerven  (Ischiadicus  nach  Wernigh)  direct  auf 
die  letztgenannten  Centren  überträgt,  und  von  diesen  aus  secundär  das  vasomotorische 
Centrum  in  Erregung  versetzt  wird  (Landois  und  Eulenburg). 

In  ganz  anderer  Weise  erklären  Traube-Rosenstein  die  Hirnanämie,  nämlich  durch 
den  Druck  eines  Hirnödems,  welches  wiederum  dem  während  der  Wehe  gesteigerten  Blut- 
druck und  der  hydrämischen  Blutbeschaffenheit  bei  Schwangeren,  speciell  bei  an  Albu- 
minurie leidenden  Schwangeren,  seine  Entstehung  verdanken  soll.  Diese  Theorie  erklärt 
weder  die  Eclampsia  gravidarum  et  puerperarum  noch  die  Thatsache,  dass  die  Albumin- 
urie lange  bestehen  kann,  ohne  zu  Eclampsie  zu  führen,  und  dass  erst  eine  fortschreitende 
Verminderung,  beziehungsweise  eine  plötzliche  Aufhebung  der  Harnsecretion  die  Eclampsie 
erzeugt. 

Die  TRAUBE-RosENSTEiN'sche  Theorie  ist  daher  ziemlich  allgemein  verlassen.  Die 
Hirnanämie  ohne  Oedem  erklärt  sich  nach  der  eben  entwickelten  Theorie  durch  die 
Mitbetheiligung  des  vasomotorischen  Centrums,  und  das  Oedem  ist  bedingt  durch  die  venöse 
Stauung,  die  bei  jedem  eclamptischen  Anfall  eintritt. 

Resumirend können  wir  sagen,  dass  in  80%  der  Fälle  von  Eclampsie 
die  Ursache  derselben  in  einer  Schwangerschaftsniere  liegt,  welche  zu 
einer  Retention  von  Harnbestandtheilen  geführt  hat.  Die  Retention,  und  im 
Anschluss  an  dieselbe,  die  Eclampsie  tritt  auf,  sobald  die  Urinsecretion  stark 
abnimmt.  In  weiteren  15^/o  der  Eclampsiefälle  führen  andere  Nierenerkran- 
kungen, beziehungsweise  bestimmte  Intoxicationen  mit  consecutiven  Nieren- 
störungen die  Retention  und  Eclampsie  herbei.  In  57o  der  Fälle  liegt  der 
Eclampsie  keine  organische  Veränderung  zu  Grunde.  Hier  handelt  es  sich 
um  rein  nervöse  Störungen,  um  abnorme  Reize,  die  die  motorischen  Centren 
treffen,  resp.  eine  individuelle  abnorme  Erregbarkeit  jener  Centren. 

Symptome:  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  gehen  der  Eclampsia  uraemica 
Vorboten  voraus,  die  leider  nur  selten  vor  Ausbruch  der  Eclampsie  zur  Kenntnis 
des  Arztes  kommen.  Schon  Tage  und  Wochen  vorher  fällt  den  Kranken  ausser 
der  Schwellung  der  Füsse,  der  Hände,  des  Gesichts  häufig  die  Verminderung  der 
Urinsecretion  auf.  Sehr  häufig  werden  sie  während  dieser  ganzen  Zeit  von 
Kopfschmerzen  geplagt:  Andere  Symptome,  wie  Uebelkeit,  Erbrechen,  Druck 
in  der  Magengegend,  heftige  Magenschmerzen,  Schwindel,  Dunkelwerden  vor 
den  Augen,  Amaurose,  Ohrensausen  gehen  dem  Ausbruch  der  Eclampsie  nur 
kurze  Zeit  voraus. 

Der  eclamptische  Anfall  beginnt  mit  leichten  clonischen  Krämpfen, 
Zuckungen  der  Gesichtsmuskulatur,  der  Extremitäten ;  es  folgt  dann  ein  län- 
geres Stadium  tonischer  Contraction  der  gesammten  Körpermuskulatur  von 
etwa  20  Secunden  Dauer,  worauf  das  dritte  längste  Stadium  (45  Secunden) 
mit  clonischen  Krämpfen  die  Scene  beendet.  Das  Bewusstsein  ist  schon  mit 
dem  Beginn  der  Krämpfe  völlig  erloschen,  und  die  Bewusstlosigkeit  über- 
dauert den  Anfall  noch  eine  Zeitlang.  Während  der  clonischen  Krämpfe 
geräth  zuerst  die  Gesichtsmuskulatur  in  gewaltige  Zuckungen:  Hierl)ei  wird 
in   der  Regel    die  Zunge   zwischen    den  Kieferrändern  vorgetrieben  und  zer- 


ECLAMPSIA.  205 

bissen.  Es  folgen  dann  Zuckungen  über  den  ganzen  Körper,  die  die  unteren 
Extremitäten  zuletzt  erreichen.  Besonders  erschreckend  ist  die  Cyanose  und 
das  Gedunsensein  des  Gesichts,  welche  in  Folge  der  behiridcirten  Respiration 
und  Circulation  bereits  im  tonischen  Stadium  auftreten  und  das  Gesicht  sehr 
entstellen.  Später  tritt  manchmal  Icterus  auf  (s.  u.j.  Der  einzelne  Anfall 
dauert  V2~"1V2  Minuten.  Nach  demselben  tritt  tiefer  Schlaf  mit  schnarchen- 
der Respiration  ein.  Die  Geburt  kann  unterdessen  ruhig  weiter  gehen.  Häufen 
sich  die  Anfälle,  so  kehrt  das  Bewusstsein  überhaupt  nicht  wieder,  die  Tem- 
peratur steigt  progressiv  bis  zu  dem  höchsten  Grad  (Winckel),  und  es  treten 
vor  dem  Tode  Ersclieinungen  von  Lungenödem  und  Herzschwäche  auf.  In  Folge 
von  Hirnblutungen  kann  es  auch  zu  halbseitigen  oder  totalen  Körperlähmungen 
kommen.  Ist  eine  grössere  Zahl  von  Anfällen  dagewesen,  ohne  dass  der  Tod 
erfolgte,  so  dauert  es  nach  Aufhören  der  Eclampsie  mehrere  Stunden,  ja  Tage, 
bis  das  Bewusstsein  wiederkehrt.  Von  der  inzwischen  erfolgten  Geburt  wissen 
die  Kranken  nichts,  in  einzelnen  Fällen  auch  nichts  mehr  von  Ereignissen, 
die  sich  unter   ihrer  Betheiligung  vor   Ausbruch   der  Erkrankung  abspielten. 

In  schweren  Fällen  von  Eclampsie  ist  völlige  Anurie  vorhanden,  in  den 
anderen  die  Urinmenge  vermindert,  der  Urin  stark  eiweisshaltig,  so  dass  er 
beim  Kochen  selbst  völlig  gerinnen  kann.  Nach  Aufliören  der  Eclampsie 
steigt  die  Urinmenge  rasch,  der  Eiweissgehalt  nimmt  ab.  Spuren  von  Eiweiss 
lassen  sich  aber  in  circa  157o  der  Fälle  noch  in  der  zweiten  Woche  nach 
der  Geburt  nachweisen,  und  in  einzelnen  Fällen  bildet  sich  aus  der  Schwanger- 
schaftsniere nach  der  Geburt  eine  chronische  Nephritis.  Die  Eclampsia  retlec- 
toria  führt  erst  secundär  (durch  die  forcirte  Muskelarbeit)  zu  passagerer  und 
geringfügiger  Albuminurie. 

Als  Nachkrankheiten  treten  Schluckpneumonie  und  puerperale  Psy- 
chosen auf.  Letztere  enden  meist  günstig.  Verfasser  sah  auch  einen  Fall  von 
tödtlicher  Magenblutung  45  Stunden  nach  dem  letzten  Anfall,  5  Stunden 
nach  der  Geburt. 

Sehr  wichtig  sind  die  Wechselbeziehungen  zwischen  den 
eclamptischen  Anfällen  und  der  Geburt.  Einerseits  führt  die  in 
der  Schwangerschaft  einsetzende  Eclampsie  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  die 
Geburt  herbei  —  das  wehenerregende  Moment  ist  hierbei  wohl  die  Kohlensäure- 
überladung des  Blutes  —  andrerseits  hört  mit  der  Entleerung  des  Uterus 
die  Eclampsie  in  89  7o  der  Fälle  sofort  oder  sehr  rasch  auf.  Auch  der  Tod 
des  Kindes,  welcher  bei  lebensfähigen  Kindern  in  49*^/0  der  Fälle  durch  die 
Eclampsie  (nämlich  durch  die  Kohlensäureüberladung  des  mütterlichen  Blutes 
vielleicht  auch  durch  die  Vergiftung  des  kindlichen  Blutes  mit  den  in  das- 
selbe übergehenden  retinirten  Harnbestandtheilen  —  Feis)  bedingt  wird, 
beseitigt  vielfach  die  Eclampsie  (Winckel).  Bei  lebensunfähigen  Kindern 
führt  die  Eclampsie  stets  zum  Tod  des  Kindes,  nämlich  entweder  dadui'ch, 
dass  sie  durch  mangelnde  Ventilation  des  mütterlichen  Blutes  direct  den 
Tod  des  Kindes  herbeiführt  oder  dadurch,  dass  sie  eine  Fehlgeburt  erzeugt 
(Verfasser). 

Die  Häufigkeit  der  Eclampsie  beträgt  bei  dem  Material  der  ge- 
burtshilflichen Kliniken  und  Polikliniken  1  :  330,  nach  der  Statistik  der 
Wiener  Gebäranstalten  nur  1  :  589.  Für  sämmtliche  Geburten  taxii^t  Löhleix 
das  Verhältnis  auf  1  :  675  =  0-157o-  In  l-57o  der  Fälle  tritt,  me  Verfasser 
an  200  Fällen  der  geburtshilflichen  Klinik  der  Charite  zu  Berlin  constatirte, 
die  Eclampsie  auch  bei  einer  späteren  Geburt  wieder  auf. 

Was  die  anatomischen  Befunde  und  ihre  Deutung  anlangt,  so  findet  man  an 
den  Nieren  theils  Anämie  mit  theilweiser  Fettinfiltration  der  Nierenepithelien.  theils  ver- 
schiedene Formen  der  Nierenentzündung,  theils  Hydronephrose.  Die  trübe  Schwellung,  resp. 
die  fettige  Degeneration  und  Epithelnecrose  der  Niere,  die  ausserdem  an  der  Leber,  am 
Herzfleisch  und  an  der  Magenschleimhaut  sehr  häufig  zu  constatiren  ist  (llöglich- 
keit  einer  tödtlichen  Magenblutung;  s.  o.),  hängt  nach  Ansicht  des  Verfassers  nicht  direct  mit 


206  ECLAMPSIA. 

der  Nierenstörung  zusammen,  sondern  ist  die  Folge  einer  Zerstörung  der  rotlien  Blut- 
körperchen, die  bei  schwerer  Eclampsie  theils  durch  die  im  Blute  retinirten  Harnbestand- 
theile,  theils  durch  die  Chloroform-  oder  Chloralnarcose  bewirkt  wird.  In  solchen  Fällen 
ist  auch  Icterus  zu  constatiren.  Ausser  diesen  durch  die  Urämie  und  eventuell  durch  eine 
protrahirte  Karcose  erzeugten  Veränderungen  gibt  es  noch  solche,  welche  direct  durch  die 
Convulsionen  erzeugt  werden.  Es  sind  dies  die  Blutergüsse  in  der  Leber,  durch  welche 
Fettembolien  (VmCHOW^),  resp.  Embolien  von  Leberzellen  (Jürgens)  in  denLungen,  den  Nieren, 
dem  Gehirn  auftreten  können.  Nach  Schjiorl  kommen  auch  Embolien  durch  abgelöste 
Gefässendothelien  vor.  Diese  Embolien  fähren  in  der  Lunge  leicht  zu  Oedem,  in  anderen 
Organen  zu  kleinen  Blutungen,  während  die  grösseren  Blutungen,  speciell  die  Hirnblutungen, 
auf  Zerreissungen  der  Gefässe  beruhen,  welche  durch  den  gesteigerten  Blutdruck  im  eclamp- 
tischen  Anfall  bedingt  sind.  Im  Gehirn  findet  man  ausserdem  Anämie,  zuweilen  auch 
Hyperämie,  Oedem  der  Hirnhäute.  Ihre  Beziehungen  zur  Eclampsie  sind  schon  oben  er- 
wähnt. 

Im  Anschluss  an  die  Convulsionen  kommt  es  in  den  Lungen  häufig  zu  Hyperämie 
und  Oedem,  auch  finden  sich  in  der  Regel  Schluckpneumonien  —  eine  Folge  der  Bewusst- 
losigkeit  Eclamptischer. 

Die  Diagnose  der  Eclampsie  ist  meistens  leicht.  Krämpfe  mit  Verlust 
des  Bewusstseins  können  nur  noch  epileptische  sein  oder  auf  Hirnkrankheiten 
beruhen.  Epileptische  Anfälle  treten  nun  gerade  während  der  Geburt  selten 
auf,  und  es  bleibt  bei  einem  oder  wenigen  Anfällen.  Ueber  vorhandene  Epi- 
lepsie gibt  ferner  in  der  Eegel  die  Anamnese  Auskunft.  Bei  Hirnkrankheiten 
finden  sich  Lähmungserscheinungen,  bei  Meningitis  speciell  vorheriges  Fieber. 
Es  fehlen  dagegen  bei  diesen  und  der  Epilepsie  die  Symptome  der  Schwanger- 
schaftsniere. Noch  weniger  leicht  mit  Eclampsie  zu  verwechseln  sind  die 
Zuckungen,  welche,  auf  Gehirnanämie  beruhend,  bei  starken  Blutverlusten 
dem  Tode  kurz  vorausgehen.  Bei  hysterischen  Convulsionen  fehlt  die  Be- 
wusstlosigkeit.  Beobachtet  man  keine  Convulsionen,  so  kann  ein  vorhandener 
Sopor  durch  Eclampsie,  durch  Gehirnaffectionen  und,  wie  Spiegelbeeg  erlebte, 
auch  durch  Betrunkenheit  bedingt  sein.  Der  Geruch  des  Athems  und  des 
Erbrochenen  klärte  in  letzterem  Fall  die  Sachlage  auf.  Schwierig  ist  nach 
des  Verfassers  Erfahrungen  die  Diagnose  der  Eclampsie  in  den  Fällen,  wo 
die  Schwangerschaft  nicht  diagnosticirt  wird.  Es  kommt  in  Berlin  häufig  vor, 
dass  auf  der  Strasse  erkrankte  Eclamptische  auf  die  Station  für  Epileptiker 
gebracht  und  dort  als  Epileptische  weiter  behandelt  werden. 

Prognose:  Die  Mortalität  der  Mutter  bei  Eclampsie  —  aus  400  Eclamp- 
siefällen  der  beiden  Berliner  geburtshilflichen  Kliniken  berechnet  —  beträgt 
circa  257o-  Die  Mortalität  der  vor  der  Geburt  ausgebrochenen  Eclampsien 
ist  eine  etwas  höhere,  der  nach  der  Geburt  entstandenen  eine  etwas  gerin- 
gere. Die  Prognose  für  die  Mutter  hängt  zunächst  von  der  Zahl  der  An- 
fälle ab.  Wenn  mehr  als  10  Anfälle  eintreten,  ist  die  Prognose  schlecht, 
wenn  auch  ausnahmsweise  nach  viel  zahlreicheren  Anfällen  Genesung  eintreten 
kann.  So  beobachtete  Rosenstein  Heilung  nach  81  Anfällen.  Indessen  kann 
schon  nach  wenigen  Anfällen,  ja  sogar  nach  einem  Anfall  (Pfannenstiel  und 
Verfasser)  eine  tödtliche  Hirnhämorrhagie  oder  eine  Fettembolie  der  Lungen 
eintreten.  Ferner  kann  auch  bei  wenigen  Anfällen  durch  die  Zerstörung  der 
rothen  Blutkörperchen  —  die  theils  durch  die  Intoxication  des  Blutes,  theils 
durch  die  angewandten  Narcotica  bedingt  wird  —  eine  fettige  Degeneration 
lebenswichtiger  Organe  erzeugt  werden.  Weitere,  die  Prognose  trübende  Mo- 
mente liegen  in  der  Möglichkeit  der  Entstehung  von  Schluckpneunonien  und 
von  puerperalen  Manien. 

Eine  bessere  Prognose  bieten  die  seltenen  Fälle  von  Eclampsia  reßedoria. 
Hier  hören  die  Anfälle  bei  Fortfall  des  Irritaments,  der  Wehenschmerzen, 
prompt  auf. 

In  den  Fällen  von  Eclampsia  uraemica  besitzen  wir  jedoch  keine  Anhalts- 
punkte, um  einen  Fall  von  Hause  aus,  etwa  wegen  der  geringen  Zahl  der 
Anfälle,  des  kräftigen  Pulses,  als  einen  leichten  anzusprechen.  Die  Pro- 
gnose ist  daher  bei  Eclampsie   in  jedem  Falle  als  dubia   zu  be- 


ECLAMPSIA.  207 

zeichnen.  Auf  einen  günstigen  Ausgang  können  wir  nur  hoffen,  wenn  es 
bei  freier  Respiration  und  guter  Pulsljesdiattenheit  gelingt,  bevor  der  nächste 
Anfall  eintritt,  die  Geburt  zu  beenden,  weil  mit  der  Entleerung  des  Uterus 
die  Eclampsie  in  89 7o  der  Fälle  sofort  oder  sehr  rasch  aufhört.  Die  rasche 
Entleerung  des  Uterus  beeinÜusst  auch  die  Prognose  für  die  Kinder,  von 
denen  circa  50°/o  hei  der  bisher  übliclien  Therapie  der  protraliirten  Narcose, 
resp.  dem  Sauerstoffmangel  im  mütterlichen  Blut  erliegen. 

Therapie:  Die  Eclampsie  kann  in  vielen  Fällen  durch  eine  geeignete 
Behandlung  verhütet  w^erden.  Schwangere  mit  Erscheinungen  der  Schwanger- 
schaftsniere müssen  sofort  eine  strenge  Milchdiät  einhalten.  Ferner  muss 
durch  warme  Vollbäder,  beziehungsweise  nasse  Einwickelungen  eine  energische 
Diaphorese  erzielt  werden.  Bei  dieser  einfachen  Behandlungsmethode  sah 
Verfasser  in  einer  grösseren  Zahl  von  solchen  Fällen  späterhin,  während  der 
Geburt,  niemals  Eclampsie  eintreten. 

Ist  bei  Schwangerschaftsniere  während  der  Geburt  eine  Aljnahmc  der 
Urinsecretion  und  Steigerung  des  Eiweissgehalts  zu  constatiren,  treten  ferner 
bei  derselben  Kopfschmerzen,  Erbrechen,  Schwarzsehen,  Druck  in  der  ]\Iagen- 
gegend  auf,  so  ist  so  schnell  wie  möglich  in  tiefer  Narcose  die  Geburt  ope- 
rativ zu  beenden.  Bei  schon  vorhandener  Eclampsie  besteht  die 
einzig  rationelle  Therapie  in  der  sofortigen  Entleerung  des 
Uterus  in  tiefer  Chloroform  narcose,  da  hiernach,  wie  Verfasser  er- 
wiesen, in  93'7ö°io  der  Fälle  die  Eclampsie  entweder  sofort  oder  sehr  rasch  auf- 
hört, da  ferner  die  Gefahren  des  operativen  Eingriffs,  verglichen  mit  der  Gefähr- 
lichkeit der  Eclampsie,  minimale  sind,  falls  man  antiseptisch  operirt  und  gegen 
die  häufigen  atonischen  Nachblutungen  sich  der  vom  Verfasser  in  die  GelDurts- 
hilfe  eingeführten  Tamponade  des  Uterovaginalcauals  mit  Jodoformgaze  bedient. 
Schon  gegenwärtig  ist  bei  operativer  Entbindung  in  tiefer  Narcose  die  Sterb- 
lichkeit an  Eclampsie  geringer  als  bei  spontaner  Geburt.  Die  Sterblichkeit 
nach  operativer  Entleerung  des  Uterus  ward  noch  bedeutend  heruntergehen, 
wenn  die  Entbindung  womöglich  nach  dem  ersten  beobachteten  Anfall  vorge- 
nommen wird:  die  Krankheit  wird  hierdurch  coupirt,  ihre  deletäreu  Folgen 
für  Mutter  und  Kind,  die  erst  bei  längerer  Dauer  der  Eclampsie  auftreten, 
sowie  die  Schädigung  von  Mutter  und  Kind  durch  die  symptomatische  The- 
rapie (Narcose)  fallen  fort.  Die  sofortige  Entleerung  des  Uterus  ist  in  jedem 
Stadium  der  Schwangerschaft  indicirt,  ^veil  die  Eclampsie  in  den  ersten  sieben 
Monaten  das  kindliche  Leben  doch  stets  vernichtet  —  entweder  dadurch,  dass 
sie  direct  den  Tod  des  Kindes  herbeiführt  oder  dadurch,  dass  sie  die  Geburt  ein- 
leitet. Die  besonders  von  Schauta  hervorgehobene- Thatsache,  dass  Operationen 
die  Prognose  der  Eclampsie  verschlimmern,  ist  nur  richtig,  falls  die  entbindende 
Operation  ohne  tiefe  Narcose*)  vorgenommen  wird.  Die  Unterlassung 
der  tiefen  Chlor oformnar CO se  bei  der  Entbindung  einer  Eclamp- 
tischen  sollte  daher  als  Kunstfehler  bezeichnet  w^erden! 

Eine  protrahirte  Narcose  bei  Eclampsie  ist  dagegen  irra- 
tionell, W'Cil  sie  die  Entstehung  von  Bronchopneumonien  begünstigt  und 
theils  für  sich  allein,  theils  in  combinirter  Wirkung  mit  der  bei  Eclampsie 
schon  vorhandenen  Intoxication  des  Blutes  eine  Auflösung  der  rotheu  Blut- 
körperchen und  eine  fettige  Degeneration  lebenswichtiger  Organe  erzeugt. 
Bei  Eclampsie,  die  mit  starker  Ausdehnung  des  Uterus  einhergeht,  kann  der 
Tod  nach  w^enigen  Chloroforminhalationen  erfolgen  (Chloroformtod  im  engeren 
Sinne).  In  diesen  Fällen  dürfte  sich  vor  Einleitung  irgendwelcher  Narcose 
die  Blasensprengung  zwecks  Verminderung  des  Uterusvolumens  empfehlen. 
Da  Chloral  sich  im  Blute  in  Chloroform  umsetzt,  so  hat  die  Anwendung  des 
Chlorals    dieselben    Nachtheile,    wie    die    des    Chloroforms.     Weil    die    bei 


*)  Vergl.  „Narcose  in  der  Gehurtshüfc"  ds.  Bd. 


208  ECLAMPSIA. 

Eclampsie  vorhandene  Intoxication  des  Blutes  auch  eine  fettige  Degeneration 
der  Herzmuskuhitur  erzeugt,  so  sind  grössere  Dosen  Morphium  bei 
Eclampsie  ebenfalls  als  gefährlich  zu  bezeichnen.  Diesen  Grund- 
sätzen gemäss  gestaltet  sich  die  Behandlung  einer  Eclamptischen  folgender- 
maassen: 

Es  wird  zunächst  die  tiefe  Chloroformnarcose  eingeleitet,  die  Kreissende 
auf  das  Querbett  gelegt,  die  äussere  Untersuchung  und  nach  Desinfection  der 
Hände,  der  Vulva  und  Vagina  mit  1-proc.  Lysollösung,  nach  Abnahme  des 
Urins  (Autbewahren  desselben  für  die  spätere  Untersuchung  !)  die  innere  Unter- 
suchung vorgenommen.  Ist  der  Muttermund  völlig  erweitert  und  steht  der  Kopf 
mit  seinem  grössten  Umfang  mindestens  im  Beckeneingang  oder  lässt  er  sich  durch 
energischen  äusseren  Druck  soweit  in  den  Beckencanal  hineinpressen,  so  wird 
nach  prophylactischer  Ergotininjection  die  Zange  angelegt  —  und  zwar  schräge 
in  all  den  Fällen,  wo  die  Pfeilnaht  im  schrägen  oder  queren  Durchmesser  ver- 
läuft. Setzt  der  Beckenboden  oder  der  Damm  der  Zangenextraction  grösseren 
Widerstand  entgegen,  so  wird  derselbe  im  Interesse  einer  schonenden  und 
schnellen  Entwickelung  des  Kopfes  durch  einseitige  mehr-minder  tiefe  Incisio- 
nen  in  den  Damm  und  Scheide  (mittels  CowPER'scher  Scheere)  beseitigt. 

Nach  der  Entbindung  wird  bei  Fortdauer  der  tiefen  Narcose  die  Pla- 
centa  exprimirt  oder  bei  stärkerer  Blutung  manuell  gelöst.  Dauert  die  Atonie 
fort,  so  ist  nach  vergeblicher  Anwendung  der  heissen  Uterusausspülung  die 
Uterustamponade"")  nach  der  Methode  des  Verfassers  indicirt.  Weiterhin  werden 
etwaige  Incisionen,  resp.  Dammrisse  genäht.  Erst  nach  Vollendung  der  Naht 
hört  man  mit  der  Narcose  auf. 

Steht  der  Kopf  bei  völlig  erweitertem  Muttermund  beweglich  über  dem 
Becken,  oder  ist  eine  Querlage  vorhanden,  so  wird  ebenfalls  in  tiefer  Narcose 
die  Wendung  und  Extraction  ausgeführt.  Bei  Steisslagen  holt  man  einen 
Fuss  herunter  und  extrahirt  dann  wie  bei  Fusslagen. 

Ist  der  Muttermund  mangelhaft  erweitert,  so  ist  er  künstlich  zu 
dilatiren.  Es  ist  dies  ein  Accouchement  force,  welches  aber  bei  strenger 
Antisepsis,  bei  zweckmässiger  Methode  und  in  tiefer  Narcose  frühzeitig  (nicht 
nur  an  Moribunden)  ausgeführt,  sehr  gute  Kesultate  für  Mutter  und  Kind  gibt. 

Die  Dilatation**)  ist  eine  blutige  oder  eine  mechanische  oder  eine  Combination  beider. 
Die  blutige  kommt  in  allen  den  Fällen  von  Eclampsie  in  Betracht,  wo  die  supravaginale 
Partie  des  Cervix  völlig  erweitert  ist  und  die  mangelhafte  Erweiterung  nur  noch  die  Portio 
betrügt,  die  mechanische  bei  Mehrgebärenden  und  die  Combination  beider  Methoden  bei 
Erstgebärenden  mit  nahezu  oder  völlig  erhaltenem  Cervix. 

Die  blutige  Dilatation  ist  in  circa  80°/o  aller  Fälle  von  Eclampsie  sofort  an- 
wendbar, da  es  sich  meistens  um  kreissende  Erstgebärende  handelt,  bei  denen  schon  die 
ersten  Wehen  den  supravaginalen  Theil  des  Cervix  auseinanderziehen.  Die  Incisionen,  4 
an  der  Zahl,  müssen  bis  zum  Ansatz  der  Scheide  an  die  Portio  gelegt  werden,  und  zwar  zu- 
erst die  hintere,  dann  die  vordere  und  zum  Schluss  die  beiden  seitlichen.  Zu  dem  Zweck 
wird  der  Saum  zwischen  dem  linken  Zeige-  und  Mittelfinger  fixirt  und  auf  beiden  Fingern 
die  Blätter  einer  SiEBOLD'schen  Scheere  vorgeführt.  Ist  der  Saum  sehr  nachgiebig,  so  muss  er 
eventuell  durch  2  Kugelzangen  fixirt  werden,  zwischen  denen,  ebenfalls  unter  Leitung  zweier 
Finger,  incidirt  wird.  Die  Blutung  aus  den  Incisionen,  die  nicht  genäht  werden,  ist  unbe- 
deutend. Die  weitere  Behandlung  ist  die  schon  oben  bei  spontan  erweitertem  Muttermund 
geschilderte.  Zur  Ausführung  dieses  Verfahrens  gehört  ein  geübter,  streng  antiseptischer 
und  mit  einem  vollständigen  Armamentariiim  ausgerüsteter  Geburtshelfer. 

Die  mechanische  Dilatation  ist  einfacher.  Man  sprengt  in  tiefer  Narcose  die 
Blase  und  führt  mittels  einer  mit  Verschluss  versehenen  Kornzange  unter  Leitung  des 
linken  Zeigefingers  einen  dünnwandigen  zusammengefalteten  Colpeurynter  in  den  Uterus 
ein.  Dies  gelingt  leicht,  sofern  der  Cervicalcanal  nur  einen  Finger  durchlässt,  was  bei  Mehr- 
gebärenden ja  schon  in  der  Schwangerschaft  der  Fall  ist.  Nunmehr  lässt  man  aus  dem  Irri- 
gator   den  Colpeurynter   bis    zu    Kindskopfgrösse    mit  Wasser    füllen,  wozu  circa  ^j^  Liter 


*)  Das  Material  hierzu  wird    von    der  Berliner  Verbandfabrik  in  Blechbüchsen  ver- 
packt,   welche    nach  der  Sterilisation  (durchströmenden    Wasserdampf)    zugelöthet  werden. 
**)  Vergl.  Artikel  „Dilatation  des  Uterus"  (v.  Braun-Fernwald),  pag.  200  ds.  Bd. 


ECLAMPSIA,  209 

erforderlich  ist.  Bei  andauernder  tiefer  Narcose  wird  nunmehr  an  dem  unteren  Endo 
des  Colpeurynters  gezogen,  bis  derselbe  durch  den  Muttermund  und  Scheide  tritt.  Darauf 
lässt  sich  die  Wendung  und  Extraction  ohne  Widerstand  seitens  des  Muttermundes  aus- 
führen. 

Bei  Erstgebärenden  mit  völlig  erhaltenem  und  geschlossenem  Cervix  fEclampsie  in 
den  drei  letzten  Schwangerschaftsmonaten  —  10"/o  der  Fälle)  dilatirtman  zunächst  in  tiefer 
Narcose  den  Cervix  mit  dem  Finger  oder  Sonden,  sprengt  die  Blase,  macht  die  mechanische 
Dilatation,  wie  beschrieben,  und  incidirt  dann  noch  den  Portiosaum,  worauf  ebenfalls  in 
der  Regel  die  Wendung  und  Extraction  anzuschliessen  ist.  Diese  Combination  der 
mechanischen  und  blutigen  Dilatation  ist  ein  Ersatz  der  künstlichen  Frühgeburt, 
die  ja  wegen  ihres  schleppenden  Verlaufs  in  derartigen  Fällen,  statt  Rettung  zu  bringen, 
gerade  den  Tod  herbeiführen  kann  und  deswegen  in  ihrer  bisherigen  Ausführung  mit 
Recht  fallen  gelassen  ist. 

Diese  drei  von  dem  Verfasser  empfohlenen  und  erprobten  Methoden  er- 
möglichen es,  in  den  drei  letzten  Schwangerschaftsmonaten  und  im  Anfang 
der  Geburt  die  Eclamptische  rasch,  schonend  und  ungefährlich  per  vias  natu- 
rales von  einem  lebenden  Kind  zu  entbinden.  Sie  machen  daher  den  neuer- 
dings bei  Eclampsie  executirten  Kaiserschnitt  unnöthig,  der  wegen  seiner  Ge- 
fährlichkeit bei  Eclampsie  nur  bei  Moribunden  zu  gestatten  ist,  falls  die  Ent- 
bindung per  vias  naturales  nicht  so  rasch  zu  bewerkstelligen  ist.  Die  spätere 
Conceptionsfähigkeit  wird  durch  die  genannten  Methoden  erhöht,  und  die 
späteren  Geburten  gehen  auffallend  leicht  von  statten. 

Kann  sich  der  Geburtshelfer  zu  diesen  eingreifenden  Verfahren  nicht 
entschliessen,  so  sprenge  er  in  jedem  Fall  in  tiefer  Narcose  die  Blase,  lege 
den  Colpeurynter  in  den  Uterus,  fülle  ihn  mit  Wasser  bis  zu  Kindskopfgrösse 
und  ziehe  den  Schlauch  des  Colpeurynters  durch  eine  am  Bettende  ange- 
brachte Schlinge  in  der  Weise,  dass  ein  permanenter  Zug  am  Colpeurynter 
ausgeübt  wird.  Trotz  Fortdauer  der  Narcose  werden  starke  Wehen  eintreten 
und  den  Colpeurynter  rasch  austreiben,  worauf  die  Entbindung  mit  geringeren 
Schwierigkeiten  zu  beenden  ist. 

Ist  das  Kind  nachweislich  todt,  so  wäre  es  auch  bei  mangelhaft  erweitertem 
Muttermund  ein  Kunstfehler,  mit  der  Entbindung  zu  warten.  Hier  besitzen 
wir  in  der  Perforation  und  Kraniotraction  ein  Mittel,  das  Kind  auch  durch 
den  mangelhaft  erweiterten  Muttermund  hindurchzuziehen  —  freilich  ist  viel- 
fach auch  in  diesen  Fällen  eine  Muttermund sincision  sehr  angebracht,  um  tieferen, 
stark  blutenden  Cervixrissen  vorzubeugen. 

Lebt  das  Kind  noch,  geht  es  aber  bei  weiterem  Abwarten  doch  sicher 
zu  Grunde  —  und  das  ist  stets  der  Fall,  wenn  die  Eclampsie  in  den  ersten 
7  Monaten  der  Schwangerschaft  ausbricht  —  so  ist  auch  in  diesen  Fällen  im 
Interesse  der  Mutter  die  Entleerung  des  Uterus  indicirt. 

Bei  Eclampsie  in  den  ersten  7  Monaten  ist  somit  ebenfalls  die  möglichst 
rasche  Entleerung  des  Uterus  angezeigt.  Der  Specialist  kann  dieselbe  mittels 
Sondendilatation,  combinirter  Wendung,  Extraction  und  manueller  Placentar- 
lösung  in  V2  Stunde  bewerkstelligen,  für  den  Praktiker  empfiehlt  der  Ver- 
fasser in  diesen  Fällen  mehr  die  Sprengung  der  Blase  in  tiefer  Narcose  (mittels 
ausgekochter  Stricknadel)  und  die  Ausstopfung  des  Uteruscavum  durch  Jodo- 
formgaze, die  in  schmalen  Streifen  entweder  mit  der  langen  Pincette,  einer 
Kornzange  oder  einer  Uterussonde  in  möglichst  grosser  Menge  in  den  Uterus 
eingeführt  ward.  Nach  12 — 24  Stunden  werden  dann  gew^öhnlich  Tampon, 
Frucht  und  Placenta  zusammen  ausgestossen. 

Die  protrahirte  Narcose  bei  Eclampsie  sieht  Verfasser  nur  als  einen 
Nothbehelf  an,  da  sie  zwar  symptomatisch  die  Krämpfe  unterdrückt,  allein  den 
Organismus  in  anderer,  schon  geschilderter  Weise  schwer  schädigt,  so  dass, 
wie  Verfasser  nachgewiesen,  manche  Eclamptische  nicht  in  Folge  der  Eclam- 
psie, sondern  der  protrahirten  Narcose  sterben.  Noch  am  ungefähliichsten 
ist  die  Morphiumnarcose  (0-03  pro  dosi,  0"1 — 0*2  pro  die!)  dui'ch  subcutane 
Injection  und  auch  für  den  Praktiker  am  bequemsten  anzuwenden.    Sie   ist 

Bibl.    med.  WiBsenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  14; 


210  EMBRYOTOMIE. 

indicirt  bei  allen  Woclienbettseclampsien  und  in  den  Fällen,  wo  der  Geburts- 
helfer die  sofortige  Entbindung  nicht  vornehmen  will.  Daneben  ist  durch  heisse 
Bäder  mit  nachfolgender  Einwicklung  (Breus)  oder  feuchte  Einwickelung 
allein  (Jacquet)  die  Diaphorese,  die  Diurese  durch  Darreichung  von  Wil- 
diinger  Wasser  oder  Kalium  aceticum  anzuregen.  Eventuell  kann  man  durch 
Drastica  auch  eine  Ableitung  nach  dem  Darm  hin  erzielen.  Winckel  verordnet 
zu  diesem  Zweck  Extr.  Äloes,  Extr.  Colocynth.  ää  1-5  M.  f.  jnl-  Nr.  30,  Mor- 
gg^2,s  1 — 3  Pillen.  Falls  die  Patientinnen  nicht  schlucken  können,  verbietet 
sich  natürlich  die  Darreichung  per  os.  Treten  Erscheinungen  von  Herz- 
schwäche ein,  so  macht  man  Aetherinjectionen. 

DÜHRSSEN. 

Embryotomie.  Unter  Embryotomie  versteht  man  diejenigen  gebiirts- 
hilflichen  Operationen,  bei  welchen  zur  Ermöglichung  der  Geburt  der  Rumpf 
des  Kindes  im  Fruchthalter  zerstückelt  wird.  Die  Indicationen  zu  diesen 
operativen  Eingriffen  sind  glücklicher  Weise  selten  gegeben.  Am  weitaus 
häufigsten  ist  die  sogenannte  verschleppte  Querlage  das  veranlassende  Moment. 
Wenn  nämlich  bei  Querlage  die  Geburt  längere  Zeit  nach  dem  Blasensprung 
angedauert  hat,  die  vorliegende  Schulter  tief  in  das  Becken  hineingetrieben 
ist  und  andererseits  der  Hohlmuskel  des  Uterus  sich  stark  über  das  Kind 
zurückgezogen  hat,  so  dass  ein  grosser  und  sogar  der  grösste  Theil  des  Kindes 
in  dem  enorm  gedehnten,  unteren  Uterinsegment  liegt,  dann  ist  die  Vornahme 
der  Wendung  für  die  Mutter  deswegen  eine  enorm  gefährliche  Operation,  weil 
schon  die  Einführung  der  Hand,  vor  allem  aber  der  Versuch  das  Kind  zu 
wenden,  unter  diesen  Umständen  sehr  leicht  zur  Zerreissung  der  Gebärmutter 
führen  kann.  Um  dieses  für  die  Mutter  enorm  gefährliche  Ereignis  abzu- 
wenden, bleibt  nichts  anderes  übrig  als  das  Kind  im  Uterus  zu  zerstückeln, 
wozu  man  sich  in  den  meisten  Fällen  umso  leichter  entschliessen  wird,  als 
die  Mehrzahl  der  Kinder  in  dieser  Situation  bereits  abgestorben  zu  sein  pflegt. 
Ausserdem  dürfte  eine  Embryotomie  höchstens  noch  bei  Missbildungen  oder 
bei  pathologischen  Veränderungen  des  Rumpfes,  welche  durch  Neubildungen 
oder  Verschluss  der  Harnblase  zu  starken  Auftreibungen  desselben  führen, 
resp.  Doppelbildungen  der  Früchte  in  Betracht  kommen. 

Zur  Ausführung  der  Embryotomie  bieten  sich  wesentlich  zwei  Wege 
dar;  auf  dem  einen  wird  das  Ziel  durch  Abtrennung  des  Kopfes  vom  Rumpfe 
(Decapitation),  auf  dem  anderen  durch  Verkleinerung,  resp.  Zerstückelung  des 
Rumpfes  (Exenteration)  erreicht. 

In  allen  Fällen,  in  welchen  es  gelingt  mit  einer  Hand  an  den  Hals  des 
Kindes  zu  kommen  und  denselben  mit  den  Fingern  zu  umfassen,  ist  die  D  e- 
capitation  die  empfehlenswertheste  Operation.  Und  zwar  empfiehlt  es  sich, 
dieselbe  mittels  des  BRAux'schen  Schlüsselhakens  auszuführen.  Derselbe  be- 
steht aus  einem  stählernen  Stabe,  welcher  oben  in  einem  kurzen  spitzwinklig 
abgerundeten,  geknöpften  Hacken  endigt  und  unten  mit  einem  kräftigen  Quer- 
griffe versehen  ist.  Während  die  eine  in  den  Uterus  eingeführte  Hand  den 
Hals  des  Kindes  umfasst,  wird  mit  der  anderen  Hand  der  Haken  um  den 
'  Hals  herumgeführt  und  möglichst  viel  von  diesem  damit  gefasst;  mittels  des 
Quergriffes  werden  dann  unter  stetigem  Zuge  so  lange  Drehungen  nach  einer 
Richtung  ausgeführt,  bis  das  IS'achlassen  der  Widerstände  anzeigt,  dass  die 
gefasste  Partie  des  Halses  abgetrennt  ist.  Ist  die  Manipulation  mehrfach 
wiederholt,  wobei  immer  die  um  den  Hals  gelegte  Hand  die  mütterlichen 
Weich theile  vor  Druck  und  Verletzung  zu  schützen  hat,  so  ist  der  Kopf  vom 
Rumpfe  getrennt  und  man  kann  nunmehr  zunächst  den  Rumpf  an  einem  her- 
abgeschlagenen Arm  extrahiren,  und  dann  den  Kopf  durch  Zug  mit  der  Hand 
und  Druck  von  oben,  oder  mit  dem  Kranioklast  nach  vorausgegangener  Per- 
foration des  Kopfes,  unter  Umständen  auch  mit  der  Zange,  entwickeln.    Alle 


ENDOMETRITIS.  211 

anderen  Methoden  der  Decapitation  treten  an  Brauclibarkeit  und  Ungefährlich- 
keit  gegenüber  dieser  Methode  weit  zurück  und  kijnnen  hier  füglich  über- 
gangen werden. 

In  einzelnen  Fällen  kann  es  sehr  schwierig  sein  den  Hals  des  Kindes 
zu  erreichen,  besonders  dann,  wenn  die  vorliegende  .Schulter  durch  lange  Ge- 
burtsarbeit sehr  tief  in  das  I3ecken  hineingetrieben  ist.  Unter  diesen  Um- 
ständen empfiehlt  es  sich  zunächst  den  Versuch  zu  machen  an  dem  vorge- 
fallenen oder  herabzuholenden  Arme  das  Kind  in  Querlage  durchzuziehen. 
Wenn  man  nach  der  dem  Beckenende  des  Kindes  entgegengesetzten  Seite  zieht, 
gelingt  es  mitunter  dieses  letztere  am  Thorax  vorbeizuleiten  und  das  Kind 
dann  zu  entwickeln.  Gelingt  dies  nicht,  so  bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  die 
Exenteration  unter  diesen  Umständen  vorzunehmen.  Man  geht  unter  der 
Deckung  der  einen  Hand  mit  dem  scheerenförmigen  Perforatorium  an  den  Thorax 
des  Kindes  heran  und  erötinet  mittels  dieses  Instrumentes  einen  Intercostalraum 
soweit  als  möglich.  Nun  wird  das  Instrument  abgenommen  und  mit  einer  Hand 
die  eben  gemachte  Oeffnung  im  Thorax  möglichst  erweitert,  damit  die  Hand 
in  die  Brusthöhle  eindringen  kann.  Ist  dies  geschehen,  so  werden  die  Con- 
tenta  der  Brusthöhle  und  darauf  nach  Durchbohrung  des  Zwerchfelles  auch 
die  der  Bauchhöhle  herausgerissen.  Durch  die  Ausweidung  der  Brust-  und 
Bauchhöhle  lässt  sich  der  Rumpf  nun  ziemlich  stark  abknicken,  so  dass  mit- 
unter der  vorhin  beschriebene  Versuch  der  Extraction  des  Kindes  in  Querlage 
an  einem  Arme  gelingt,  ßeisst  der  Arm  dabei  ab,  oder  folgt  dem  Zuge  der 
Rumpf  nicht,  so  kann  man  versuchen  einen  stumpfen  Haken  um  die  Wirbel- 
säule des  Kindes  zu  legen  oder  mit  einer  starken  Scheere  die  letztere  zu 
durchtrennen  und  so  das  Kind  conduplicato  corpore  zu  entwickeln.  Die  Vor- 
nahme der  Wendung  nach  der  Exenteration  dürfte  in  den  meisten  Fällen  aus 
den  oben  ausgeführten  Gründen  zu  gefährlich  sein.  Von  einer  Prognose  der 
Embryotomie  kann  natürlich  nur  im  Sinne  der  Mutter  die  Rede  sein.  Die- 
selbe "hängt  ganz  von  dem  Zustande  ab,  in  welchem  sich  die  Kreissende  bei 
Vornahme  der  Operation  befindet;  liegt  keine  Zersetzung  der  Secrete  vor  und 
ist  die  Frau  nicht  bereits  inficirt,  so  ist  die  Vorhersage  eine  durchaus  gute, 
im  anderen  Falle  allerdings  mindestens  zweifelhaft.  feommel. 

Endometritis,  Uterus-Katarrh,  Entzündung  der  Uterus- Schleimhaut  (des 
„Endometrium.")  Unter  diesen  Bezeichnungen  fasst  man  wegen  der  zum 
grossen  Theile  gemeinsamen  Symptome  zwei  Erkrankungen  zusammen:  1.  Die 
Entzündung,  2.  die  aussermenstruelle  Hyperämie  der  Uterus-Mu- 
cosa.  Beide  können  unmerklich  in  einander  übergehen;  in  anderen  Fällen 
ist  die  verschiedene  Aetiologie  aber  unverkennbar:  so  ist  z.  B.  die  Erkrankung 
des  Endometrium  bei  Infection  mit  Eitercoccen  oder  mit  Gonococcen  eine 
wahre  Entzündung;  dagegen  kann  bei  Kreislaufstörungen,  z.  B.  durch  Herz- 
fehler, eine  Hyperämie  der  Uterus-Schleimhaut  mit  Symptomen  auftreten,  welche 
jenen  der  Entzündung  weitgehend  gleichen;  trotzdem  handelt  es  sich  nui'  um 
Hyperämie,  nicht  um  Entzündung.  Die  Therapie  wird  dem  entsprechend  eine 
ganz  andere  sein,  als  bei  Endometritis.  Das  ist  die  praktisch-wichtige  Seite 
dieses  Unterschiedes.  In  den  meisten  Lehrbüchern  und  deshalb  auch  in  der 
Praxis  wird  aber  die  aussermenstruelle  Hyperämie  ebenfalls  mit  dem  Worte 
E  n d 0 m e  t r i t i  s,  E nt z  ü n  du n  g  des  Endometrium,  bezeichnet.  Das  ist  durch- 
aus ungerechtfertigt,  und  im  folgenden  sollen  die  beiden  Kraukheitsformen 
thunliclist  auseinander  gehalten  werden.  Ein  grosser  Fehler  wäre  es,  bei  aty- 
pischen Uterus-Blutungen  in  Folge  einer  Retroflexion  die  Curette  anzuwenden, 
statt  den  Uterus  aufzurichten. 

Zuerst  soll  hier  die  wahre  Entzündung,  dann  jene  Form  besprochen 
werden,  welche  in  einzelnen  Fällen  wirkliche  Endometritis,    in   anderen  eine 

11* 


212  ENDOMETRITIS. 

durcli  Fremdkörper  erzeugte  Hyperämie  darstellt  (Endometritis  post  abortum), 
und  zuletzt  soll  die  Hyperämie  erörtert  werden, 
Endometritis  kann  entstehen: 

1 .  Durcli  Eitererreger  {Strepto-  und  Staphylococcus  pyogenes) ;  diese 
Form  kommt  am  häufigsten  während  und  nach  der  Geburt  zu  Stande:  sep- 
tische puerperale  Endometritis;  sie  ist  eine  der  häufigsten  Formen 
des  Wochenbettfiebers.  Ausserdem  kann  eine  Infection  mit  Eiter-Erregern 
auch  nach  anderen  Traumen  zu  Stande  kommen,  z.  B.  nach  Sondirung,  ope- 
rativen Eingriffen  u.  s.   w.:    septische    traumatische   Endometritis. 

2.  Durch  Gonococcen.  Diese  Infection,  Anfangs  acut  auftretend,  meist 
in  die  chronische  Form  übergehend,  dürfte  die  häutigste  Ursache  der  Endo- 
metritis sein  und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  chronische  Endo- 
metritis, bei  welcher  man  Bacterien  im  Uterus  bisher  nicht  nachzuweisen  ver- 
mochte, ausserordentlich  häufig  aus  gonorrhoischen  Infectionen  hervorgeht. 
Die  goutte  militaire  so  vieler  Männer  findet  ihr  Gegenstück  im  Fluor  albus 
ungezählter  Frauen,  welche  gonorrhoisch  inficirt  wurden.  Es  muss  aber  vor- 
weg bemerkt  werden,  dass  einerseits  Fluor  albus  auch  ein  Symptom  zahlreicher 
anderer  Erkrankungen  ist,  die  mit  Gonorrhoe  nichts  zu  thun  haben,  und  dass 
andererseits  bei  alten  gonorrhoischen  Endometritiden  der  Nachweis  von  Gono- 
coccen ebenso  schwer  gelingen  kann,  wie  bei  der  chronischen  Gonorrhoe  der 
männlichen  Urethra.  Bei  der  Mehrzahl  der  chronischen  Endometritiden, 
dieser  häufigsten  Erkrankung  der  weiblichen  Genitalien,  sind  Mikroben  in  der 
Uterus-Schleimhaut  bisher  gar  nicht  oder  nur  von  vereinzelten  Untersuchern 
gefunden  worden;  immerhin  bleibt  auch  die  weitere  Möglichkeit,  dass  es  sich 
hier  um  andere  secundäre  Infectionen  nach  primärer  Gonorrhoe  handelt.  Die 
mit  Recht  vielgeschmähten  Hochzeitsreisen  dürften  jedoch  an  sich  viel 
weniger  häufig  zu  Endometritis  der  jungen  Frau  führen,  als  die  alte  Gonor- 
rhoe, welche  der  Gatte  so  oft  mit  in  die  Ehe  bringt,  obgleich  er  sich  für 
geheilt  hielt.  Denn  eine  bis  dahin  latent,  d.  h.  fast  symptomlos  vorhandene 
Gonorrhoe  kann  unter  den  körperlichen  und  sexuellen  Anstrengungen  der 
Hochzeitsreise  von  neuem  aufflackern;  ja  eine  Infection  der  jungen  Frau  kann 
sogar  zu  Stande  kommen,  ohne  dass  die  latente  Gonorrhoe  des  Gatten  merk- 
bare Erscheinungen  macht. 

3.  Durch  Tuberkel- Bacillen;  diese  Form  der  Endometritis  ist  verhältnis- 
mässig selten. 

4.  Wahrscheinlich  auch  durch  eine  Reihe  anderer  Bacterien,  deren  Be- 
ziehungen zur  Endometritis  noch  nicht  hinreichend  klargestellt  sind,  die  man 
aber  gelegentlich,  besonders  bei  puerperaler  Endometritis  findet ;  Hauser 
wies  bei  jauchiger  Endometritis  den  Proteus  nach;  Gebhakd  hat  in  7  Fällen 
von  Tympania  uteri  jedesmal  Bacterium  coli  commune,  teils  in  Reincultur, 
teils  zusammen  mit  Streptococcen  gefunden  und  gezeigt,  dass  das  Bact.  coli 
einerseits  pathogen  wirken,  andrerseits  Gas  entwickeln  kann;  Weichselbaum 
hat  bei  diphtherischer  Endometritis  den  Diplococcus  der  Pneumonie  gefunden; 
vielleicht  wäre  hieher  auch  die  Entzündung  oder  doch  Betheiligung  der  zu- 
rückgebliebenen Uterus-Mucosa  am  Krankheitsprocesse  bei  Lochiometra 
zu  rechnen,  bei  welcher  es  durch  nichtpathogene  Fäulnis-Mikroben  zu  Zer- 
setzung und  Fieber  kommen  kann;  auch  die  so  häufige  Entzündung  der  Cervix- 
Mucosa  bei  Ectropium  in  Folge  der  intra  partum  erlittenen  Cervix- Verletz- 
ungen dürfte  hieher  gehören;  vielleicht  genügen  aber  das  Biosliegen  der 
Schleimhaut  und  die  auf  sie  einwirkenden  Insulte  auch  ohne  Mitwirkung  von 
Bacterien,  um  eine  Hyperämie  zu  erzeugen,  die  sich  nicht  ohne  Weiteres 
vom  Katarrh   unterscheiden  lässt. 

5.  Durch  acute  Infectionskranklieiten,  u.  zw.  als  secundäre  Erkrankung 
der  Uterus-Schleimhaut,  z.  B.  bei  Masern,  Scharlach,  Typhus,  Cholera,  Pocken. 
Es  ist  fraglich,  ob  es  sich  hier  um  eine  secundäre  Infection  des  Endome- 


ENDOMETRITIS.  213 

trium  mit  dem  Krankheitserreger  handelt,  oder  ol)  nur  durch  dessen  Stoff- 
wechselproducte,  die  ja  in  den  allgemeinen  Kreislauf  gelangen,  oder  durch 
Kreislaufstörungen  eine    secundäre  Betheiligung    der  Uterus-Mucosa    eintritt. 

6.  Selbstredend  kann  durch  Äetzmittei  oder  unreine  Fremdkörper  (Intra- 
uterin-Pessare)  eine  wirkliche  Entzündung  erzeugt  oder  deren  Entstehung  be- 
günstigt werden; 

7.  Ob  atypische  Blutung  bei  Vergiftunr/en,  z.  B.  mit  Phosphor,  als  Folge 
einer  Endometritis  oder  nur  einer  Hyperämie  zu  betrachten  sei,  ist  noch  un- 
entschieden. 

8.  Die  sogenannte  Endometritis  post  abortum  kann  einerseits  wirkliclie 
Entzündung  sein;  denn  die  ursprünglich  vorhandene  Endometritis  führte  eben 
zum  Abort,  oder  aber  nach  dem  Abort  gelangten  pathogene  Mikroben  in  den 
Uterus  und  bewirkten  eine  Entzündung  der  Decidua  (Endometritis  deci- 
duae  —  nicht  decidua)  oder  eine  Zersetzung  der  Eireste  und  der  nekrotischen 
Decidua-Fetzen;  andererseits  gibt  es  aber  in  äusserst  zahlreichen  Fällen  aty- 
pische Blutungen,  die  mit  Entzündung  nichts  zu  thun  haben,  sondern  auf 
einem  Zurückbleiben  von  Eiresten  oder  von  halbgelösten  Fetzen  der  Decidua 
Vera  oder  auf  einer  mangelhaften  Rückbildung  der  Decidua  beruhen;  diese 
Fälle  gehören  demnach  eher  zur  „Hyperämie." 

Hyperämie  der  Üterus-Muoosa  kann  entstehen: 

1.  Durch  Kreislaufstörungen,  seien  sie  nun  allgemeiner  Natur,  wie  bei  Herzfehlern, 
Lungen-,  Leber-,  Nierenleiden,  oder  localer  Natur,  wie  bei  Entzündung  und  Tumoren  der 
Uterus-Anhänge  oder  des  Uterus  selbst,  z.  B.  bei  Myomen,  Carcinom;  ferner  bei  Lage-Ver- 
änderungen des  Uterus  und  nach  unvollendeten  Aborten;  allerdings  kann  hier  die  Hyper- 
ämie der  Entzündung  den  Boden  vorbereiten  tind  in  sie  übergehen.  Brennecke,  Czejipix 
u.  A.  haben  mit  Recht  auf  die  Häufigkeit  der  Endometritis  bei  Erkrankungen  der  Ovarien 
hingewiesen  [oophorogene  Endometritis) ;  vielleicht  handelt  es  sich  aber  auch  hier  nicht 
stets  um  Entzündung,  sondern  um  Hyperämie  des  Endometrium. 

2.  Durch  Chlorose;  das  Verhältnis  derselben  zum  Fluor,  der  dabei  so  häufig  auftritt, 
ist  nicht  hinreichend  klargestellt,  vielleicht  ist  auch  hier  die  Kreislaufstörung  als  Ursache 
anzuschuldigen. 

3.  Excesse  in  Venere,  sei  es  durch  Masturbation  oder  Cohabitation,  ferner  körper- 
liche Anstrengungen,  wie  Tanzen,  Reiten  u.  s.  w.  während  der  Menses  führen  wohl  kaum 
zu  einer  wirklichen  Entzündung,  wenn  auch  oft  zu  einer  vorübergehenden  Hyperämie, 
beziehungsweise  Verstärkung  einer  solchen;  allerdings  kann  auch  hier  wieder  der  Boden 
für  eine  Entzündung  vorbereitet  werden,  so  dass  z.  B.  selbst  eine  fast  abgelaufene  oder 
sehr  alte  Gonorrhoe  der  männlichen  Urethra  leicht  zu  schwerer  Infection  des  Endometrium 
führt;  auch  die  bei  Puellis  publicis  nicht  seltene  Endometritis  und  Metritis  ist  wohl  nicht 
auf  sexuelle  Excesse,  sondern  meist  auf  Gonorrhoe  zurückzuführen. 

Die  ätiologische  Eintheilung  nach  den  Erregern  ist  theoretisch  gewiss 
die  richtigste;  in  zahlreichen  Fällen,  so  bei  der  überaus  häufigen  chronischen 
Endometritis,  sind  parasitäre  Erreger  aber  nicht  sicher  nachgewiesen.  Deshall) 
ist  eine  praktische  Berechtigung  jener  Eintheilung  nicht  abzusprechen,  welche 
z.  B.  Pozzi  gibt;  er  theilt  die  Endometritis  darnach  ein,  ob  sie  mit  Men- 
struation, Coitus,  Entbindung  oder  traumatischen  Einflüssen  zusammenhängt; 
nur  fehlen  darin  einige  wichtige  Ursachen  und  andere  werden  doppelt  gezählt. 

Für  die  Praxis  sind  zweifellos  am  wichtigsten,  da  am  häufigsten,  die 
puerperale  septische  und  die  gonorrhoische  Endometritis,  sowie 
die  aus  beiden  hervorgehende  chronische  Endometritis. 

1.  Septische  puerperale  Endometritis. 

Sie  stellt  die  häufigste  Form  des  Wochenbettfiebers  dar.  Eine  Infection 
des  Endometrium  mit  Eiter-Erregern  kann  auf  2  Arten  erfolgen:  die  in  Scheide 
oder  Cervix  vorhandenen  pathogenen  Mikroben  gelangen  ohne  äusseres  Zu- 
thun  in  die  Uterus-Höhle  (Selb st-Infection)  oder  sie  werden  durch  Hände 
und  Instrumente  des  Arztes,  der  Hebamme  u.  s.  w^  hineingebracht  (Aussen- 
Infection).  Die  letztere  ist  ungleich  häufiger  als  die  erstere;  am  gefähr- 
lichsten sind  intrauterine  Eingriffe,  wie  Wendung,  Placentarlösung,  Uterus-Tam- 
ponade; ja  selbst  das  einfache  Touchiren  kann  pathogene  Keime  in  die  Uterus- 


214  ENDOMETRITIS. 

liölile  bringen.     Mit   Recht  will   Leopold  deshalb    die   innere  Untersuchung 
möglichst  eingeschränkt,  die  äussere  aber  umso  gründlicher  ausgebildet  wissen. 
Die  Infection  kann  eine  doppelte  sein: 

1.  Es  werden  nur  Fäulnispilze,  Saprophyten,  in  den  Uterus  ge- 
bracht. Es  kann  dadurch  zu  einem  fauligen  Zerfall  der  ohnedies  nekrotischen 
Decidua-Reste  kommen  —  putride  (putrescere  =  faulen)  oder  saprogene 
E  n  d 0 m  e tr  i ti  s  (sa-poc  =  faul).  Missfarbiger,  übelriechender  Ausfluss,  massiges 
Fieber  sind  die  Haüptsymptome.  Die  Infection  führt  nicht  zu  einer  stärkeren 
Erlvi-ankung  und  der  normale  Zustand  kann  durch  desinficirende  Uterus-Spü- 
lungen und  durch  Wegsammachen  des  Cervix  bei  starker  Anteflexion  oder  bei 
Retroflexion  des  Uterus  hergestellt  werden.  Die  Streckung  des  zu  stark  ante- 
flectirten  Uterus  gelingt  leicht  durch  Anziehen  der  Portio  mittelst  Muzeux'- 
scher  oder  Kugelzange  und  durch  den  Uterus-Katheter;  die  retroflectirte 
Gebärmutter  niuss  manuell  aufgerichtet  werden. 

2.  Weitaus  gefährlicher  ist  die  Infection  mit  Eiter -Pilzen  {Staphijlo- 
coccus  und  Streptococcus  i)yo(/enes),  oder  mit  anderen  pathogenen  Mikroben  ((jo- 
nococcen,  Proteus,  Bacterium  coli  etc.),  die  septische  Endometritis.  Die 
Keime  dringen  zunächst  in  die  Reste  der  Uterus-Schleimhaut,  sehr  bald  aber 
von  hier  aus  in  die  Lymphspalten  der  Muskelwand  ein,  septische  Metri- 
tis;  diese  und  die  w^eiteren  Folgezustände  (Parametritis,  Thrombophlebitis, 
Peritonitis,    allgemeine  Sepsis)   werden  andernorts  besprochen. 

Die  Symptome  der  septischen  Endometritis,  die  meist  am  2. — 4.  Tage, 
aber  auch  noch  später  nach  der  Geburt  auftreten,  bestehen  vor  Allem  im 
Fieber,  das  mit  einem  oder  mehreren  Schüttelfrösten  beginnen  und  Abends 
eine  sehr  bedenkliche  Höhe  bei  oft  starken  Morgen-Remissionen  erreichen 
kann.  Bald  treten  Kopfweh,  Mattigkeit,  massige  Leibschmerzen  und  miss- 
farbiger Ausfluss  auf;  dieser  ist  dabei  meist,  aber  nicht  stets  übelriechend, 
der  Uterus  oft  druckempfindlich.  Stärkere  Leibschmerzen  und  heftige  Druck- 
empfindlichkeit des  Uterus  sprechen  für  ein  Fortschreiten  der  Infection  auf 
die  Muskelwand  des  Uterus  und  auf  die  Umgebung. 

Die  Therapie  muss  möglichst  früh  einsetzen;  es  ist  nöthig,  die  noch 
in  der  Schleimhaut  localisirte  Infection  gründlich  mit  starken  Desinficientien 
zu  bekämpfen;  man  spült  sofort  beim  Eintreten  des  Fiebers,  wenn  eine  andere 
Erkrankung  nicht  nachweisbar  ist  und  selbst  wenn  die  Lochien  noch  nicht 
übelriechend  sind,  den  Uterus  mit  1 — 2  Litern  ö^o  Carbollösung  aus;  die 
mittelst  Bozeman-Fritsch's  oder  Weinhold's  Katheter  ausgeführte  Ausspülung 
wiederholt  man,  wenn  das  Fieber  nach  V2 — 1  Tage  nicht  abgefallen  ist. 
Diese  Therapie  ist  nur  in  der  allerersten  Zeit  wirksam;  haben  die  Keime  erst 
die  Grenze  des  Endometrium  überschritten,  so  sind  sie  für  desinficirende  Aus- 
spülungen nicht  mehr  zugänglich.  Zweierlei  darf  man  aber  nicht  vergessen: 
Die  Gefahr  des  Eindringens  der  Spüllösung  in  offene  Venen  und  die  Möglich- 
keit einer  Intoxication.  Während  oder  kurz  nach  solchen  Ausspülungen  (Sub- 
limat ist  strengstens  zu  vermeiden !)  treten  oft  äusserst  bedrohliche  Zustände 
auf:  Die  Frau  verfällt  plötzlich,  klagt  über  Athemnoth  und  Flimmern  vor  den 
Augen,  wird  blass,  das  Bewusstsein  wird  getrübt  oder  schwindet  ganz,  der 
Puls  ist  klein  und  frequent.  Das  kann  entweder  die  Folge  des  Eindringens 
von  Carbol  in  offene  Venen  sein,  oder  es  handelt  sich  um  rasche  Resorption, 
die  im  weiteren  Verlaufe  zu  schwerer  Intoxication  führen  kann.  Deshalb  ist 
unter  allen  Umständen  die  Uterus-Spülung  nur  sehr  langsam  und  bei  geringer 
Höhe  des  Irrigators  zu  machen,  und  die  Frau  muss  während  der  Ausspülung  genau 
beobachtet  werden,  damit  man  die  Irrigation  nöthigenfalls  sofort  zu  unter- 
brechen in  der  Lage  ist.  Bei  eingetretener  Carbol-Intoxication  (grüner  bis 
schwarzgrüner  Urin)  darf  die  Ausspülung  natürlich  nicht  wiederholt  werden. 

Auf   das  Abdomen   legt  man  die  Eisblase  und  gibt  der  Kranken  Seeale 
oder  Ergotin  und  reichlich  Alkohol  in  jeder  Form,    als  Wein,    Sect,    Cognac, 


ENDOMETRITIS.  215 

Spiritus-Mixtur;  septische  Wöchnerinnen  vertragen  überraschend  grosse  Men- 
gen Alkohol,  ohne  berauscht  zu  werden.  Nöthig  ist  ferner  eine  sorgfältige, 
kräftigende  Kost;  diese  macht  Schwierigkeiten,  da  die  Kranken  gegen  Fleisch 
oft  Widerwillen  haben;  man  reicht  Eiweiss  in  abwechselnder  Form.  Tem- 
perirte  Bäder  sind  erst  beim  Fortschreiten  der  Infection  erforderlich.  Sciiui/rzE 
hat  eine  Frau  bei  schwerer  Endometritis  durch  die  l'orro'scho  Operation 
geheilt.  Immer  und  immer  wieder  muss  aber  betont  werden,  dass  der  Nach- 
druck auf  der  Prophylaxe  liegen  muss,  die  so  glänzende  Erfolge  gezei- 
tigt hat. 

2.  GoiioiTlioisclie  Endometritis. 

Wenn  die  Mehrzahl  der  Männer  einmal  Gonorrhoe  durchgemacht  hat,  so 
müsste  dies  eigentlich  auch  bei  der  Mehrzahl  der  Frauen  und  deflorirten  Mädchen 
der  Fall  sein.  Und  thatsächlich  gehören  die  Gonorrhoe  der  weiblichen  Geni- 
talien (s.  d.)  und  ihre  Folgezustände  mit  zu  den  häufigsten  Leiden,  welche 
der  Frauenarzt  zu  behandeln  hat.  Allerdings  kommen  frische  Gonorrhoeen 
viel  seltener  in  seine  Behandlung,  als  die  chronischen  Infectionen  und  deren 
Folgekrankheiten.  Etwas  günstiger  liegt  die  Sache  für  das  Weib  aber  viel- 
leicht deshalb,  weil  der  gewissenhafte  Mann  bemüht  sein  wird,  eine  früher 
erworbene  Gonorrhoe  vor  der  Ehe  zu  heilen.  Es  ist  Noeggeeath's  Verdienst, 
auf  die  enorme  Gefahr  selbst  latenter  Gonorrhoeen  hingewiesen  zu  haben,  wenn- 
gleich er  mit  der  Annahme  zu  weit  ging,  dass  Gonorrhoe  unheilbar  sei. 
Frischer  Tripper  des  Mannes  ist  meist,  chronischer  viel  häutiger  heilbar,  als 
dies  eine  Zeitlang  von  manchen  Autoren  angenommen  wurde. 

Beim  Weibe  etablirt  sich  der  Tripper  vor  Allem  in  der  Urethra,  dann 
im  Cervix.  Die  Gonococcen  überschreiten  den  inneren  Muttermund  nicht 
ohne  Weiteres,  manchmal  überhaupt  nicht  spontan.  Die  gonorrhoische  Endo- 
metritis zeigt  sich  also  zuerst  in  Form  des  gonorrhoischen  Cervix-Katarrhs; 
ein  Fortschreiten  nach  oben,  auf  die  Körperschleimhaut,  erfolgt  nicht  stets, 
kann  aber  sowohl  spontan  eintreten  als  auch  künstlich  durch  Sondirung,  Ute- 
rus-Ausspülung u.  s.  w.  bewirkt  werden. 

Die  gonorrhoische  Infection  sowohl  der  Cervix-Mucosa  als  besonders  der 
Körperschleimhaut  tritt  zuerst  in  acuter  Form,  u.  zw.  oft  unter  sehr  schweren 
Symptomen  auf,  um  nach  einigen  Tagen  oder  Wochen  in  die  chronische  Form 
überzugehen. 

Die  acute  gonorrhoische  Endometritis,  u.  zw.  sowohl  des  Cervix  *) 
als  des  Corpus,  kann  unter  ziemlich  hohem,  Morgens  remittirendem  Fieber, 
selten  mit  Schüttelfrösten  beginnen.  Neben  allgemeinen  Fieber-Symptomen 
stellen  sich  Leibschmerzen  und  Erbrechen,  bei  Cervix-Stenose  wehenähnliche 
Schmerzanfälle,  Anfangs  mehr  trübseröser,  ja  leicht  blutig  gefärbter,  später 
mehr  eitriger  Austluss  ein.  Der  Stuhl  ist  oft  angehalten,  bei  l^rindrang  die 
Entleerung  des  Harns  empfindlich.  Vom  darüberfliessenden  Secret  ist  die 
Scheide  diffus  geröthet  und  geschwellt  oder  mit  scharlachrothen,  flachen, 
hirsekorngrossen  Körnchen  besetzt  (granuläre  Kolpitis);  es  ist  heute  nicht 
mehr  zu  bezweifeln,  dass  diese  Erkrankung  der  Scheide  nicht  blos  eine 
Folge  chemischer  Keizung  ist,  sondern  wenigstens  in  manchen  Fällen  auf 
einer  wirklichen  gonorrhoischen  Infection  beruht.  —  Die  Portio  ist  blutrei- 
cher, geröthet  bis  bläulichroth  verfärbt,  die  Cervix-Schleimhaut  wulstet  sich 
infolge  der  Schwellung  oft  etwas  vor  und  ist  scharlachroth;  aus  dem  Orificium 
externum  quillt  trübes,  blutigseröses  bis  eitriges  Secret;  der  Uterus  ist  bei 
Infection  der  Körperschleimhaut  selbst  etwas  vergrössert,  festweich  bis  prall, 
sehr  druckempfindlich;  Bewegungen  des  Uterus  zwischen  den  untersuchenden 
Händen    sind  sehr  schmerzhaft,    selbst   wenn   die    seitlichen  Ligamente  nicht 


*)  Vergl.  „Cervixkatarrli"  (Dührssen),  pag.  159  ds.  Bd. 


216  ENDOMETRITIS. 

infiltrii't  sind,  was  oft  genug  der  Fall  ist,  auch  ohne  dass  eine  circum- 
scripte  Parametritis  sich  später  ausbildet.  —  In  vielen  Fällen  bleibt  die  In- 
fection  auf  den  Uterus  beschränkt;  in  anderen  aber  —  und  diese  sind  lei- 
der recht  häufig  —  schreitet  sie  auf  die  Tuben  und  das  Becken-Peritoneum 
über  und  damit  beginnt  für  die  unglückliche  Kranke  eine  Zeit  unaufhörlicher, 
oft  geradezu  furchtbarer  Leiden,  die  mit  dem  Tode  enden  können,  günstigen 
Falles  aber  nur  durch  eine  an  sich  lebensgefährliche  Operation,  die  Entfer- 
nung der  Anhänge  per  laparotomiam,  gebessert,  aber  nie  ganz  beseitigt  wer- 
den können.  Denn  eine  so  eingreifende  Verstümmelung  der  armen  Kran- 
ken wird  man  kaum  als  Heilung  bezeichnen  dürfen,  wenngleich  sie  oft 
den  einzigen  Weg  der  Rettung  darstellt. 

Bleibt  die  Infection  auf  den  Uterus  beschränkt,  so  kann  sie  nach  Tagen 
oder  Wochen,  während  welcher  die  Patientin  bettlägerig  war  und  oft  äusserst 
herunterkam,  in  die  chronische  Form  übergehen.  Rückfälle  sind  jedoch 
leider  nur  allzu  häufig  und  sie  können  durch  einen  Diätfehler,  ungenügende 
Defäcation,  Menses,  zu  frühes  Aufstehen,  Cohabitation  verursacht  werden;  ge- 
rade in  letzter  Beziehung  wird  dem  Arzte  von  den  Kranken  oft  über  Rück- 
sichtslosigkeit des  Gatten  geklagt. 

Die  chronische  gonorrhoische  Endometritis  verläuft  unter  weniger  hef- 
tigen Symptomen;  der  Fluor  wird  spärlicher,  milchig,  oft  fast  rein  glasig,  so 
dass  man  versucht  ist  an  ein  Ablaufen  des  Processes  zu  denken;  die  Menses 
sind  meist  unregelmässig,  zu  selten  und  spärlich  oder  zu  häutig,  zu  lange 
dauernd  und  reichlicher  als  vordem;  die  Frauen  erholen  sich  nur  langsam, 
Störungen  des  Appetits   und  der  Verdauung  dauern  oft  lange  Zeit  an. 

Die  Diagnose  beruht  vor  Allem  auf  dem  Nachweis  der  Gonococcen 
(siehe  unter  ^^GonorrJioe'');  dieser  gelingt  bei  acuter  Endometritis  meist  leicht. 
Bei  chronischer  Gonorrhoe  kann  es  Tage  lang  misslingen,  Gonococcen  nachzu- 
weisen, bis  man  endlich  solche  findet,  oft  selbst  in  ganz  klarem,  glasigem  Cer- 
vix-Secret.  Findet  man  keine  Gonococcen,  so  beweist  das  aber 
nicht,  dass  es  sich  nicht  um  Gonorrhoe  handelt.  Eine  acut  und 
mit  Fieber  auftretende  Endometritis  bei  Nichtschwangerern  und  Nichtwöch- 
nerinnen  muss  stets  und  vor  allem   den  Gedanken  an  Gonorrhoe  nahe  legen. 

Dass  die  Prophylaxe  (s.  u.  ,,Gonoty-hoe'')  auch  hier  eine  Hauptrolle 
spielt,  ist  selbstverständlich.  Eine  ernste  Aufgabe  fällt  dem  gewissenhaften 
Hausarzte  zu,  der  von  etwaiger  früherer  Gonorrhoe  des  Heiratscandidaten 
Kenntnis  hat.  Selbstredend  wird  der  Arzt  bei  eingetretener  gonorrhoischer 
Infection  des  Weibes  nicht  versäumen,  die  Ivranke  auf  die  Gefahr  einer 
Uebertragung  auf  die  Augen,  sowie  auf  andere  Personen  (Kinder,  Geschwister, 
andere  Angehörige,  die  mit  der  Kranken  in  Berührung  kommen  oder  mit  in 
ihrem  Bette  schlafen)  hinzuweisen. 

Therapie.  In  der  allgemeinen  Praxis  werden  hier  überaus  häufig  grosse 
und  folgenschwere  Fehler  gemacht.  Der  Arzt  hört  von  Ausfluss  und  ver- 
ordnet ohne  eingehende  Untersuchung  Ausspülungen  der  Scheide  mit  Alaun- 
lösung. Gestehen  wir  es  doch  offen,  dass  hierin  leider  oft  die  einzige  Be- 
handlung einer  so  tückischen  Krankheit  besteht,  die  von  manchen  Fachärzten 
für  schlimmer  gehalten  wird,  als  die  Syphilis. 

Die  Vorbedingung  einer  erfolgreichen  Therapie  ist  eine  genaue,  im  Noth- 
falle  eine  mikroskopische  Untersuchung.  Die  Technik  derselben  kann 
jeder  Arzt  erlernen;  fehlt  ihm  dazu  aber  die  Zeit  —  und  man  wird  ihm  daraus 
keinen  Vorwurf  ableiten  dürfen  —  so  soll  er  die  Kranke  einem  Frauenarzte 
überweisen.  Die  Behandlung  muss  sich  gleichzeitig  auf  Urethra  und  Endo- 
metrium erstrecken.  Bei  acuter  gonorrhoischer  Endometritis  mit  Fieber  und 
den  geschilderten  schweren  Allgemeinsymptomen  ist  eine  locale  Behandlung 
des  Endometrium  zunächst  contraindicirt;  durch  die  betreffenden  Eingriffe  (Dila- 
tation, Aetzung,  Ausspülung)  wird  oft  aus  einem  Cervix-Katarrh  eine  Erkran- 


ENDOMETRITIS.  217 

kung  der  Körperschleimhaut  gemacht  oder  eine  Parametritis  erzeugt.  Im 
acuten  Fieberstadium  sind  absolute  Ruhe,  Eis  aufs  Abdomen,  Diät,  Regelung 
der  Koth-  und  Urin-Entleerung  die  Hauptsache.  Gegen  die  Schmerzen  können 
Opium  und  Morphium  nöthig  werden.  Scheidenausspülungen  werden  behufs 
mechanischer  Reinigung  mit  leichten  Desinficientien  gemacht;  kalte  Spülungen 
vermindern  oft  die  Schmerzen.  Man  schärfe  den  Kranken  ein,  auch  bei  leiclitei- 
Besserung  zunächst  das  Bett  nicht  zu  verlassen;  der  Gatte  muss  auf  die  Gefahr 
einer  Verschlimmerung  durch  Cohabitation  aufmerksam  gemacht  und  selbst- 
redend vor  Allem  seine  Gonorrhoe  behandelt  werden. 

Lassen  die  acuten  Symptome  (Fieber  und  Schmerzen)  nach,  so  beginnt 
man  mit  localer  Behandlung;  den  ersten  Rang  nimmt  hier  das  Argentum 
nitricum  ein:  man  desinficirt  Vulva  und  Scheide  möglichst  energisch,  legt  die 
Portio  im  Speculum  blos,  wischt  den  Cervix  möglichst  trocken  und  ätzt  ihn 
mit  Argentum  nitricum  1:3000;  zu  letzterem  Zwecke  müssen  rauhe  Aluminium- 
Sonden  (Playfair' sehe  Sonden)  mit  Watte  umwickelt  werden.  Ist  die  Körper- 
schleimhaut noch  nicht  inficirt,  was  sich  nicht  stets  entscheiden  lässt,  so  hüte  man 
sich,  mit  den  Instrumenten  über  den  inneren  Muttermund  hinaufzugehen.  Ist 
aber  auch  die  Mucosa  des  Corpus  uteri  betheiligt  —  (und  man  wird  dies  ent- 
weder aus  den  Symptomen,  wie  Empfindlichkeit  des  Corpus,  Anschwellen  des- 
selben, unregelmässiger  Menstruation  erkennen  oder  indem  man  in  den  Uterus 
nach  KüSTNEß  Glasröhrchen  von  7  mm  Länge  einlegt,  von  w^elchen  das  zuerst 
benützte  nur  oben,  das  andere  nur  unten  Augen  zum  getrennten  Auffangen 
des  Secrets  hat)  —  so  spült  man  im  chronischen  Stadium  (nöthigenfalls  nach 
Dilatation  des  Cervix  in  Narkose)  zuerst  den  Uterus  aus;  dies  geschieht  mit 
Bozeman-Fkitsch's  Katheter  und  3°/o  Carbollösung;  dann  wischt  man  die  Uterus- 
höhle mittelst  PLAYFAiß'scher  Sonde  mit  Argent.  nitricum  1 :  3000  aus  oder  inji- 
cirt  mit  BRAUN'scher  Spritze  1 — 2  ccm  solcher  Lösung.  Das  Speculum  entfernt 
man  erst,  wenn  der  Rest  der  Silbernitratlösung  abgeflossen,  ausgetupft  und  zum 
Schutze  der  Wäsche  ein  Wattetampon  eingelegt  oder  die  Scheide  gründlich 
ausgespült  ist.  Die  Kranke  muss  sich  2 — 3  Tage  lang  nach  diesem  Eingriff 
gänzlich  schonen,  beim  Eintritt  von  Schmerzen  aber  zu  Bett  legen;  reinigende 
Scheidenspülungen  sind  rathsam,  —  Die  Ausspülungen  des  Uterus  werden 
alle  2  Tage,  im  ganzen  6 — 7mal,  wiederholt  und  man  kann  die  Kranken  zu- 
nächst mit  der  Weisung  entlassen,  bei  Wiedereintritt  von  Fluor,  Schmerzen 
etc.  auch  wieder  zu  kommen.  Selten  genügt  die  einmalige  Aetzung;  in  den 
meisten  Fällen  muss  die  leichte  Aetzung  aber  2,  3mal  wöchentlich  wiederholt 
werden.  Cervix-  und  Corpus-Gonorrhoe  sind  äusserst  hartnäckige  Leiden, 
welche  die  Geduld  der  Kranken  und  des  Arztes  oft  auf  die  schwerste  Probe 
stellen. 

3.  Chronische  Endometritis. 

Sie  entspringt  nicht  einer  einzigen  Ursache,  sondern  ist  vielmehr  ein 
Folgezustand  mehrerer,  unter  sich  durch  die  Aetiologie  verschiedener  Krank- 
heitsformen. Am  häufigsten  entwickelt  sich  chronische  Endometritis  nach 
Wochenbettfieber  (einschliesslich  der  Infection  bei  Aborten),  gonorrhoischer 
Infection,  krankhafter  aussermenstrueller  Hyperämie,  Verletzungen  des  Cervix 
durch  die  Geburt,  ohne  dass  man  in  den  letzteren  Fällen  ein  bestimmtes 
Bacterium  dafür  verantwortlich  machen  könnte.  Trotz  dieser  verschiedenen 
und  zahlreichen  Ursachen  muss  die  chronische  Endometritis  als  Krankheit 
für  sich  besprochen  werden,  da  sie  eines  der  häufigsten  Frauenleiden  darstellt 
und  ihre  Symptome  und  die  Art  der  Behandlung  im  Ganzen  einheitlich  sind. 

Die  chronische  Endometritis  kann  sich  auf  den  Cervix  beschi'änken: 
c  h  r  0  n  i  s  c h  e  r  C  e  r  V  i  x  -K  a t  a r r  h*),  ist  aber  meist  mit  gleichzeitiger  Entztin- 


*)  Vergl,  auch  „Cervixl-afarrh"  (Dührssen).  pag.  159  ds.  Bd. 


218  ENDOMETRITIS. 

dung  der  Schleimhaut   des  Uterus-Körpers  verbunden:   chronische  Endo- 
metritis im  engeren  Sinne. 

Der  chronische  Cervix-Katarrh  tritt  für  sich  allein  am  häufigsten  bei  tieferen  Ris- 
sen der  Portio  und  des  Cervix  awi;  sehr  oft  besteht  Ectropium  der  Portio -Lippen. 
Hier  kann  es  das  Blosliegeu  der  Cervix-Schleimhaut  sein,  welches  durch  Bespülung  mit  dem 
sauren  Scheiden-Schleime,  durch  mechanische  Insulte  bei  der  Cohabitation,  durch  geän- 
derte Ernährungsbedingungen  o.  Ae.  zur  Erkrankung  führt;  wahrscheinlich  ist  die  Haupt- 
sache aber  auch  hier  eine  secundäre  bacterielle  Infection.  Man  darf  das  Ectropium  nicht 
mit  der  Erosio  n  verwechseln:  beim  E  ctr  opium  wird  man  die  ursächlichen  Cervix-Risse 
finden,  welche  ein  Blosliegen  der  sonst  dem  Auge  nicht  zugänglichen  Cervix-Schleimhaut 
bedingen;  bei  der  Erosion  ist  aber  das  normale  Platten-Epithel  der  Portio  durch  Cylin- 
der-Epithel  ersetzt. 

Beim  chronischen  Cervix-Katarrh  ist  die  Schleimhaut  geschwellt  und  alle  Verän- 
derungen derselben  lassen  sich  auf  eine  Vergrösserung  der  Schleimhaut-  und  Drüsen-Ober- 
fläche, sowie  auf  die  Infiltration  des  Bindegewebes  zurückführen.  Die  seichten,  lacunen- 
ähnlichen  Drüsen  der  normalen  Cervix-Schleimhaut  verlängern  sich,  dringen  in  das  dar- 
unter liegende  Bindegewebe,  ja  bis  in  die  Musculatur  ein,  sie  verzweigen  sich,  das  zwischen 
den  einzelnen  Drüsen  liegende  Bindegewebe  ragt  papillen-ähnlich  an  der  Oberfläche  empor 
und  gibt  ihr  ein  sammtartiges  bis  chagrinirtes  Aussehen;  im  letzteren  Falle  spricht  man 
von  papillärem  Cervix-Katarrh.  Wenn  aber  die  Drüsenvermehrung  hauptsächlich 
in  der  Tiefe  stattfindet  und  die  Drüsen  durch  Secret-Stauung  zahlreiche  follikelähnliche 
Erweiterungen  bilden,  so  spricht  man  von  follikulärer  Entzündung.  Beide  Formen  sind 
nur  graduell  verschieden.  Das  Bindegewebe  ist  infiltrirt;  dadurch  kommt  es  häufig  zu 
Abschnürungen  von  Drüsen,  welche  nun  ihr  Secret  nicht  mehr  nach  aussen  entleeren 
können;  es  bilden  sich  wahre  Retentions-Cysten,  die  über  erbsengross  werden  können  und 
je  nach  ihrer  Lage  bläulich  durch  das  unverletzte  Portio-Epithel  oder  durch  die  Cervix- 
Schleimhaut  durchschimmern:  Ovula  Nabothi,  oder  aber  sich  vorwölben,  einen  Schleim- 
hautstiel bilden,  durch  ihr  Wachsthum  und  durch  Contractionen  des  Uterus  nach  aussen 
gedrängt  werden  und  sich  zu  Schleimhautpolypen  (Schleimpolypen)  entwickeln. 

Sehr  häufig  wird  an  der  Grenze  zwischen  Cervix-Schleimhaut  und  Platten-Epithel 
der  Portio  das  letztere  durch  die  wuchernde  Cervix-Schleimhaut  verdrängt  oder  (und  das 
ist  das  wahrscheinlichere)  die  oberen  Schichten  des  Platten-Epithels  gehen  verloren  und 
es  bleibt  nur  die  tiefste,  cylindrische  Schicht;  man  sieht  in  Folge  dessen  da,  wo  früher 
blasses,  glattes  Platten-Epithel  die  Portio-Lippen  überzog,  scharlachrothe,  glänzende,  sammt- 
artige  oder  chagrinirte  Schleimhaut.  Sie  ist  gegen  das  anstossende  Platten-Epithel  scharf 
abgegrenzt  und  imponirt  beim  ersten  Anblick  als  frisch  granulirendes  Geschwür;  daher 
stammt  die  populäre  Bezeichnung  „Geschwür."  Es  handelt  sich  aber  nicht  um  einen  Sub- 
stanzdefect,  um  ein  Blossliegen  des  entzündeten  Bindegewebes,  sondern  um  eine  Umbil- 
dung, Metaplasie  des  Epithels.  Man  bezeichnet  solche  Stellen  als  Erosion  der 
Portio  (erodere  =  ausnagen)  und  unterscheidet  wieder  papilläre  und  foUiculäre  Erosionen. 
Bei  starker  Wucherung  ist  die  Schleimhaut  tief  gewulstet,  wie  zerklüftet,  und  nicht  ohne 
W^eiteres,  oft  erst  nach  mikroskopischer  Untersuchung  excidirter  Stückchen  lässt  sich  Car- 
cinom  ausschliessen  (s.  Diagnose).  —  Bei  Neugeborenen  findet  sich  manchmal  congenital  ein 
Uebergreifen  der  Cervixschleimhaut  auf  die  Portio:  Erosion  der  Neugeborenen. 
Erosion  (beim  Erwachsenen),  Ovula  Nabothi,  Schleimhautpolypen  sind  also  Folgezustände 
des  Cervix-Katarrhs. 

Unter  den  Symptomen  sind  Fluor  und  Sterilität  die  wichtigsten.  —  Der  Fluor  kann 
rein  eitrig  bis  milcliig  oder  trübglasig  sein;  stets  ist  die  Secretion  vermehrt.  Durch  den 
starken  und  anhaltenden  Ausfluss  werden  die  Kranken  oft  nicht  unerheblich  geschwächt; 
Abmagerung,  Nervosität,  Schmerzen  im  Becken  und  Kreuz  gesellen  sich  dazu;  Ovula  Na- 
bothi machen  durch  die  Gewebsspannung  oft  besonders  unangenehme  Schmerzen;  Polypen 
können  zu  unregelmässigen,  manchmal  nicht  unbeträchtlichen  Blutungen  führen.  Das  wichtigste 
Symptom  ist  die  Sterilität,  die  bei  höheren  Graden  des  Leidens  wohl  nie  fehlt  und  die  es 
gelegentlich  allein  ist,  welche  die  Kranken  zum  Arzte  führt. 

Die  Diagnose  ist  im  allgemeinen  leicht;  nur  kann  es  gelegentlich  schwierig  sein, 
ein  wirkliches  Ulcus  und  ein  beginnendes  Carcinom  von  der  Erosion  zu  unterscheiden.  Die 
mikroskopische  Untersuchung  ausgeschnittener  Stückchen,  besonders  vom  Rande,  wird  die 
Diagnose  sichern:  beim  Ulcus  Verlust  des  Oberflächen-Epithels,  Blossliegen  des  entzündeten 
Bindegewebes ;  bei  der  Erosion  oberflächliches  Cylinder-Epithei  auf  den  Portio-Lippen,  Ver- 
mehrung der  Drüsen,  welche  stets  ihr  Lumen  noch  besitzen ;  beim  Carcinom  solide  Epithel- 
haufen, entweder  vom  oberflächlichen  Platten-Epithel  oder  von  den  Drüsen  ausgehend 
(vgl.  ,, Carcinom  der  Portio''). 

Therapie:  Cervix-Risse  werden  operativ  beseitigt:  Emwet's  Operation- 
Man  frischt  die  Rissflächen  beiderseits  vorn  und  hinten  mit  dem  Messer  an  und  näht  sie 
mit  tiefgreifenden  Nähten  auf  einander.  Catgut  hat  den  Vortheil,  dass  die  Nähte  nicht 
beseitigt  werden  müssen;  allerdings  sieht  die  Portio  8-10  Tage  nach  der  Operation  oft 
recht  zerklüftet  aus,  wenn  die    Catgutfäden    eingeschnürt    haben  oder  einzelne  Stichcanäle 


ENDOMETRITIS.  219 

eitern ;  aber  nach  einigen  Wochen  hat  die  Portio  regelmässig  ein  tadelloses  Aussehen.  Seiden- 
nähte entfernt  man  am  6.  Tage. 

Grössere  Polypen  werden  abgetragen;  man  kann  nach  Freilegnng  der  Portio  mit 
Speculis  den  Stiel  entweder  ohne  Weiteres  unterbinden,  oder  dies  so  machen,  dass  man 
eine  Nadel  mit  doppeltem  Faden  diirchsticht  und  dann  nach  boidcn  Seiten  hin  unterbindet. 
Kleinere  Polypen  kratzt  man  mit  der  Curette  ab  oder  schneidet  sie  mit  der  Scheere  weg; 
die  Blutung  steht  nach  Einlegen  von   Jodoformgaze. 

Sind  keine  oder  nur  seichte  Risse  vorhanden,  so  muss  die  entzündete  Schleim- 
haut selbst  behandelt  werden.     Dies  kann  in  folgender  Weise  geschehen: 

I.  Durch  Scarißcationcn  der  Portio.  Man  stichelt  sie  mit  einem  geeigneten  Messer 
(Scarificator)  nach  Blosslegung  im  Speculum  und  sorgfältiger  Reinij^ung  mit  in  Carbol  ge- 
tränkter Watte)  oberflächlich  30— 4Umal,  bis  etwa  Va— 1  Esslöffel  Blut  ausgeflossen  ist; 
Ovula  Nabothi  sticht  man  gleichzeitig  auf.  Durch  diese  Blutentziehung  und  die  Entleerung 
der  Retentions-Cysten  wird  die  Spannung  vermindert  und  durch  die  nachfolgende  Bildung 
zahlreicher  feiner  Narben  die  Hyperämie  dauernd  gemässigt;  mit  Vortheil  bringt  man  nach 
der  Entfernung  des  Blutes  Holzessig  auf  die  Ei'osion  (s.  u.);  die  Stichelung  kann  je  nach 
einigen  Tagen  •mehrfach  wiederholt  werden; 

II.  durch  Aetzmittel.  Es  ist  unrichtig,  wenn  auch  häufig  geübt,  bei  Cervix-Katarrh 
nur  die  vorhandene  Erosion  zu  ätzen.  Man  inuss  vielmehr  die  Cervix-Schleimhaut  mit 
2<'/(,  Argentum  nitricum,  Salpetersäure,  40''/o  Chlorzink  o.  Ae.  (mittelst  PLAYFAin'scher  Sonden, 
die  mit  Watte  umwickelt  und  in  das  Aetzmittel  eingetaucht  sind)  ätzen  und  kann  daran 
anschliessend  die  Erosion  im  Speculum  mit  Holzessig  (Acet.  pyrolign.  crud.)  behandeln.  Man 
mache  es  sich  aber  zum  Grundsatz,  nie  die  Erosion  allein,  sondern  stets  und  vor  Allem 
den  ursächlichen  Cervix-Katarrh  zu  behandeln.  Bei  Stenose  des  Cervix  ist  Dilatation  un- 
bedingt nöthig,  sie  wird  am  besten  brüsk  mit  Kupfer-  oder  Hartgummi-Dilatatorien  von 
zunehmender  Dicke  {1—1  mm)  ausgeführt;  Vulva,  Scheide  und  Portio  müssen  vorher  gründ- 
lich mit  Seife  und  Carbol  gereinigt  werden;  Narcose  ist  oft  wegen  der  Schmerzen  nö- 
thig. Bei  sehr  hartnäckigen  Katarrhen  und  Erosionen  hat  man  auch  die  Glühhitze 
(Paquelin)  angewendet.     Statt  derselben  empfiehlt  sich  aber  wohl  mehr 

III.  das  Ausschaben  der  Cervix-Schleimhaut  mit  der  Curette  (s.  Endometritis  corporis) 
oder 

IV.  die  opeixitii-e  Abtragung  der  entzündeten,  erodirten  Lippen,  keilförmige  E  x- 
cision;  man  trägt  sie  mit  dem  Messer  in  flachem  Keil  ab  und  näht  jede  Lippe  für  sich 
so,  dass  sie  nun  mit  Platten-Epithel  bedeckt  ist. 

Am  einfachsten  stellt  sich  die  Therapie  so:  Risse  werden  nach  Ejimet 
genäht;  die  Cervix-Schleimhaut  ätzt  man  in  leichten  Fällen  mit  2^/0 
Argent.  nitr.  und  behandelt  die  Eros  ionen  mit  Holzessig;  in  schweren 
und  hartnäckigen  Fällen  excidirt  man  die  erodirten  Lippen  und  schabt 
die  Cervix-Schleimhaut  mit  der  Curette  ab. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  besteht  jedoch  neben  dem  Cervix-Katarrh  auch  Endome- 
tritis des  Uterus-Körpers ;  dann  verbindet  man  die  Behandlung  beider,  und  bei  der  Therapie 
des  Körper-Katarrhs  geschieht  dies  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ohnedies,  da  Spülflüssig- 
keiten, Aetzmittel  u.  s.  w.  auch  über  die  Cervix-Schleimhaut  abfliessen. 

Die  chronische  Endometritis  des  Uterus-Körpers  kommt  sehr 
selten  ohne  gleichzeitigen  Cervix-Katarrh  vor;  wie  bei  diesem  handelt  es  sich 
auch  beim  Katarrh  der  Körperschleimhaut  um  eine  pathologische  Schwellung, 
welche  später  zur  Schrumpfung  führen  kann.  Wie  die  Schwellung  während 
der  Menses,  so  ist  die  Schrumpfung  im  Alter  ein  physiologischer  Vorgang, 
Beide  Processe  sind  also  nur  dann  pathologisch,  wenn  sie  zu  einer  ausserge- 
wöhnlichen  Zeit  und  in  aussergewöhnlichem  Grade  auftreten. 

Die  n  0  r  m  a  1  e  U  t  e  r  u  s  -  S  c  h  1  e  i  m  h  a u  t  trägt  flimmerndes,  cylindrisches 
Oberflächen-Epithel;  die  Drüsen  sind  schlauchförmig,  einzelne  zweigetheilt; 
sie  verlaufen  unter  leichten  wellenförmigen  Biegungen  im  allgemeinen  senk- 
recht zur  Oberfläche.  Der  Drüsen-Fundus  ist  leicht  erweitert:  das  Drüsen- 
Epithel  ist  cylindrisch.  —  Das  dazwischen  liegende  Bindegewebe  besteht  aus 
einem  dichten  Netz  von  Rundzellen,  welche  durch  ihre  protoplasmatischen 
Ausläufer  unter  einander  zusammenhängen.  Wegen  des  Reichthums  an  runden 
bis  ovalen  Kernen  sieht  man  aber  das  Fasergerüst  nur  undeutlich;  das  Binde- 
gewebe bietet  so  vollständig  den  Eindruck  jungen  Granulationsgewebes,  dem 
es  auch  in  Bezug  auf  sein  rasches  Wachsthum,  sein  Vermögen,  sich  schnell 
wieder  zu  ersetzen  u.  s.  w.  ähnelt.  Im  Bindegewebe  verlaufen  die  Blutgefässe 
und  die  zahlreichen  Lymph spalten.  Man  glaubt  auch  glatte  ^luskelfasern 
darin  gesehen  zu    haben,    welche  gegen  die  Drüsen  hinziehen  und  bei  deren 


220  ENDOMETEITIS. 

Entleerung  mitwirken  sollen.  In  der  Schwangerschaft  vergrössert  sich  der 
Protoplasmamantel  der  Bindegewebszellen,  sie  erhalten  dadurch  ein  epithel- 
älmliches  Aussehen;  man  nennt  sie  Decidua- Zellen,  da  sie  hauptsächlich 
(aber  nicht  ausschliesslich)  in  der  Schwangerschafts-Decidua  vorkommen. 

Die  Grenze  zwischen  Schleimhaut  und  Muskulatur  des  Uterus  verläuft 
nicht  geradlinig,  sondern  in  einer  Wellenlinie;  wenn  also  auch  der  grösste 
Theil  der  Schleimhaut  abgestossen  oder  künstlich  abgeschabt  wurde,  bleibt  in 
den  Wellenthälern  immer  noch  ein  Best,  von  dem  aus  sich  die  Schleimhaut 
leicht  und  rasch  —  bei  Endometritis  oft  nur  zu  rasch  —  wieder  bildet. 

An  der  entzündlichen  Veränderung  nehmen  sowohl  die  Drüsen  als  das 
dazwischen  liegende  Bindegewebe  der  Schleimhaut  theil.  Ist  hauptsächlich 
das  Bindegewebe  vermehrt,  stark  kleinzellig  infiltrirt,  so  dass  die  Drüsen  an 
Menge  relativ  zurücktreten,  so  spricht  man  von  interstitieller  Endometritis. 
Sind  aber  besonders  die  Drüsen  vermehrt  und  verlängert,  wobei  sie  sich  in 
Folge  des  Raummangels  schlängeln,  mehrfach  theilen  und  so  auf  dem  Durch- 
schnitte korkzieher-  oder  sägeförmige  Lumina  bieten,  so  spricht  man  von 
glandulärer  Endometritis.  Häufig  sind  einzelne  Drüsen  dabei  durch  Secret- 
Stauung  cystisch  erweitert.  Das  Bindegewebe  ist  zwar  auch  infiltrirt,  tritt 
aber  an  Menge  relativ  gegen  die  Drüsen  zurück.  Ist  die  Wucherung  des 
Bindegewebes  und  der  Drüsen  ungefähr  gleich  stark,  so  spricht  man  von 
diffuser  Endometritis.  Das  Oberflächen-Epithel  wird  oft  stellenweise 
abgestossen;  das  Bindegewebe  kann  wie  bei  der  Menstruation  durchblutet  sein, 
das  Blut  bricht  in  die  Drüsen  ein  und  wird  theils  von  hier  aus,  theils  durch 
die  des  Epithels  beraubten  Stellen  der  Oberfläche  nach  aussen  entleert.  Die 
ganze  Schleimhaut  pflegt  stark  serös  durchtränkt  zu  sein. 

Ist  die  Wucherung  der  Schleimhaut  eine  beträchtliche,  so  kann  auch 
ihre  Oberfläche  gewulstet,  flachhöckerig  sein:  Endometritis  fungosa  (Olshausen), 
E.  glandularis  liypertrophica  (PtUGE).  In  manchen  Fällen  kommt  es  zur  Bildung 
massenhafter,  breitgestielter,  polypöser  Wucherungen:  E.  polyposa.  Werden 
durch  das  entzündete  Bindegewebe  einzelne  Drüsen-Ausführungsgänge  abge- 
schnürt, so  kann  das  Secret  nicht  mehr  entleert  werden,  es  entstehen  Eeten- 
tions- Cystchen;  diese  wachsen  nach  der  Richtung  des  geringsten  Widerstandes 
hin,  also  gegen  die  Uterus-Höhle,  können  Schleimhautstiele  bilden  und  durch 
die  Contractionen  des  Uterus  noch  länger  ausgezogen,  ja  bis  in  Cervix  und 
Scheide  geboren  werden:  Schleimhautpolypen. 

Nicht  allzu  selten  finden  sich  in  der  entzündeten  Schleimhaut  Inseln 
von  Decidua-Zellen,  ohne  dass  Schwangerschaft  besteht  oder  unmittelbar 
vorher  bestanden  hat.  Decidua-Zellen  allein  sind  also  nicht  kenn- 
zeichnend für  Schwangerschaft.  Ist  aber  das  Zwischengewebe  Inder 
Hauptsache  aus  blassen,  in  Nekrose  begriffenen  Deciduazellen  zusammengesetzt, 
zwischen  welchen  allerdings  mehr  oder  weniger  reichlich  frisch  wuchernde, 
durch  Kernfarben  intensiv  färbbare  Rundzellen  eingestreut  sind,  und  sind 
ferner  die  sonst  cylindrischen  Drüsen-Epithelien  polygonal,  cubisch  bis  platt, 
so  kann  man  mit  einer  an  Sicherheit  grenzenden  Wahrscheinlichkeit  annehmen, 
dass  man  wirkliche  Decidua  vor  sich  hat,  mit  anderen  Worten,  dass  Schwanger- 
schaft besteht  oder  bestanden  hatte.  Nach  Aborten  ist  dies  der  regelmässige 
Befund  an  ausgeschabten  oder  spontan  ausgestossenen  Stücken  der  Schleim- 
haut. Die  Decidua  ist  nach  ungefähr  6  Wochen  wdeder  zur  normalen  Schleim- 
haut zurückgebildet;  oft  bleibt  aber  nach  Aborten  die  Rückbildung  unvoll- 
ständig und  es  treten  Blutungen  auf  (Endometritis  post  ab  ort  um),  die 
jedoch  durch  Ausschabung  der  Schleimhaut  meist  sofort  gestillt  werden  können. 
Winter  hat  gezeigt,  dass  es  genügt,  nur  die  halbgelösten,  flottirenden  Decidua- 
Fetzen  abzutragen,  ohne  dass  man  die  ganze  Schleimhaut  auszuschaben 
braucht. 


ENDOMETRITIS.  221 

Ein  besonderes  Interesse  gewährt  jener  Vorgang,  bei  dem  die  ganze 
Uterus-Schleimhaut  oder  ihr  grösster  Theil  ausgestosscn  wird,  ohne  dass 
Schwangerschaft  die  Ursache  wäre:  Endometritis  exfoliativa,  Jjysmenorrhoea 
memhranacea.  Physiologisch  wird  ja  die  Uecidua  nach  der  Geburt  zum  grössten 
Theile  ausgestossen  und  zwar  sowohl  nach  der  rechtzeitigen  Geburt,  als  nach 
Aborten  und  bei  der  Unterbrechung  von  Extrauterin-Schwangerschaften;  es 
muss  hier  eingefügt  werden,  dass  auch  bei  den  letzteren  sich  die  Uterus- 
Schleimhaut,  obwohl  ja  nicht  unmittelbar  an  der  Gravidität  betheiligt,  zur 
Decidua  umwandelt.  Diagnostisch  ist  dies  ganz  besonders  wichtig,  wenn 
Tumoren  der  Tube  vorhanden  sind,  welche  als  Schwangerschaft  gedeutet 
werden  können.  Ja  der  Abgang  einer  Uterus-Decidua  nach  '6 — 4-monatlicher 
Menopause  ist  beim  Fehlen  einer  uterinen  Gravidität  geradezu  kennzeichnend 
für  unterbrochene  Tubenschwangerschaft,  welche  so  häufig  in  dieser  Zeit  durch 
Ruptur  oder  tubaren  Abort  endet.  —  Auch  bei  der  Endometritis  exfoliativa  hat 
man  Aborte  als  Ursache  angeschuldigt;  jedoch  bestehen  Vjei  diesem  Leiden  die 
ausgestossenen  Membranen  nur  aus  der  entzündeten  Uterus-Mucosa,  die  zwar 
Inseln  von  Decidua-Zellen  besitzen  kann,  aber  nicht  wie  bei  Tuben-Schwanger- 
schaft ganz  in  Decidua  umgewandelt  ist.  Makroskopisch  ist  der  Unterschied 
allerdings  nicht  sicher  erkennbar;  die  Membranen  stellen  oft  die  ganze  Uterus- 
Schleimhaut  dar,  sind  dreizipflige  Säcke  mit  den  Tuben-Oeffnungen  und  dem 
Orificium  intern  um;  die  Aussenseite  ist  rauh,  die  Innenseite  im  allgemeinen 
glatt,  aber  beetartig  gefurcht,  und  man  erkennt  an  ihr  die  Drüsenmündungen 
als  feinste  Oeffnungen. 

Mit  der  Endometritis  exfoliativa  ist  früher  ein  anderer  Process  ver- 
wechselt worden:  Die  Ausstossung  von  Fibringerinnseln;  sie  können 
allerdings  in  der  Form  genaue  Abgüsse  der  Uterus-Höhle  darstellen;  aber 
mikroskopisch  findet  man  nichts,  als  ein  dichtes  Netz  von  Fibrinfasern,  welchem 
reichlich  weisse,  spärlicher  rothe  Blutzellen  beigemengt  sind. 

Die  Schrumpfung  der  Uterus-Schleimhaut  ist  im  Alter  physiologisch, 
kann  aber  nach  einer  starken  Entzündung  pathologisch  schon  in  früheren 
Jahren  zu  Stande  kommen.  Das  Oberflächen-  und  Drüsen-Epithel  wird  poly- 
gonal, nekrotisirt,  geht  zu  Grunde,  an  Stelle  der  Drüsen  sieht  man  epithel- 
freie Lücken;  das  Bindegewebe  wird  kernarm,  die  Rundzellen  verwandeln  sich 
in  Spindelzellen,  die  Schleimhaut  wird  dünner,  derb,  sie  wandelt  sich  in 
Narbengewebe  um:  E.  atrophicans,  E.  senilis. 

In  seltenen  Fällen  hat  man  bei  Endometritis  eine  Umwandlung  des  cylin- 
drischen  Oberflächen-Epithels  in  geschichtetes  Pflaster-Epithel  beobachtet  und 
diesen  Process  als  Ichthyosis  uteri  nicht  gerade  glücklich  bezeichnet.  Er  ist 
weniger  von  praktischer,  als  ganz  besonders  von  histologischer  Bedeutung;  er 
bildet  ein  wichtiges  Glied  in  der  Kette  jener  Epithelveränderungen,  welche 
auch  an  den  weiblichen  Genitalien  in  den  verschiedensten  Arten  vorkommen. 
Wie  das  Pflasterepithel  der  Portio  in  Cylinder-Epithel,  so  kann  sich  das 
Cylinder-Epithel  des  Corpus  umgekehrt  in  Pflaster-Epithel,  oder  das  Cylinder- 
Epithel  der  Corpus-Drüsen  in  kubisches  bis  plattes  Epithel  umwandeln,  das 
sich  dann  in  nichts  von  Endothel  der  umgebenden  Lymphspalten  unterscheidet. 
Nur  unter  normalen  Verhältnissen  haben  also  bestimmte  Organe  auch  ein  be- 
stimmtes Epithel.  Unter  gewissen  physiologischen  (Schwangerschaft)  und 
pathologischen  Verhältnissen  kann  sich  jedes  Epithel  in  jede  andere  Form 
umwandeln.  Alle  Epithel-Arten  sind  unter  sich  nahe  verwandt,  ja  man  kann 
daraus  ein  Gesetz  von  der  Einheit  des  Epithels  ableiten. 

Die  wichtigsten  Symptome  der  Endometritis  corporis  chronica  sind 
Ausfluss,  Blutungen,  Sterilität,  in  geringerem  Grade  die  Schmerzen.  Der 
Ausfluss  ist  serös,  blutig-serös,  schleimig  bis  eitrig,  stets  vermehrt;  eine 
massige  Secretion  der  Uterus-Schleimhaut  ist  ja  auch  normal  vorhanden.  Die 
Blutungen  treten  theils  als  verstärkte,  verlängerte,  unregelmässige  Menses 


222  ENDOMETRITIS. 

auf:  Menorrhagien,  theils  intermenstruell:  Metrorrhagien.  Der  regel- 
mässige 4-wöchentliche  Typus  wird  verwischt,  die  Frauen  bluten  einige  Tage, 
sind  einige  Tage  oder  Wochen  frei,  um  wieder  von  neuem  zu  bluten  u.  s.  w. 
Durch  AusÜuss  und  Blutungen  werden  die  Kranken  geschwächt,  sie  magern 
ab  und  können  recht  herunterkommen.  Stärkere  Grade  der  Endometritis 
führen  regelmässig  zur  Sterilität.  Die  Schmerzen  können  theils  bei 
Eintritt  und  während  der  Menses,  theils  in  der  Zwischenzeit  auftreten;  sie 
beschränken  sich  entweder  auf  die  Uterus-Gegend  oder  strahlen  gegen  Nabel 
und  Oberschenkel  aus;  fast  regelmässig  bestehen  Kreuzschmerzen,  die  recht 
quälend  werden  können.  Die  Schleimhaut  ist  bei  Sondirung  meist  empfindlich. 
Von  allgemeinen  Symptomen  treten  Appetitmangel,  selten  Erbrechen,  oft 
Mattigkeit,  Kopfschmerz,  psychische  Depression  hinzu. 

Für  die  Diagnose  ist  die  Kenntnis  der  Symptome  und  des  klinischen 
Verlaufs  nicht  stets  zu  entbehren:  unregelmässige  Blutungen,  Ausfluss,  lang- 
same Entwicklung  des  Leidens,  oft  im  Anschluss  an  eine  acute  „Unterleibs- 
entzündung" oder  an  ein  Wochenbett,  lange  Dauer  des  Leidens.  Immerhin 
muss  man  sich  daran  erinnern,  dass  alle  diese  Symptome  bei  einer  grossen 
Zahl  anderer  Krankheiten  ebenfalls  auftreten  können,  so  bei  Tumoren  des. 
Uterus  und  seiner  Anhänge,  bei  Entzündung  der  letzteren,  bei  Exsudaten  im 
kleinen  Becken  u.  s.  w.  Durch  bimanuelle  und  durch  Untersuchung  mit  dem 
Speculum  muss  man  alle  diese  Zustände  ausschliessen  können.  Beim  Sondiren 
ist  die  Empfindlichkeit  und  das  leicht  eintretende  Bluten  des  Endometrium 
kennzeichnend.  Wucherungen  der  Schleimhaut  fühlt  man  nur  selten  mit  der 
Sonde,  da  sie  zu  weich  sind.  Zur  Untersuchung  des  Secrets  hat  Schultze 
das  Einlegen  von  Probetampons  empfohlen,  die  mit  Glycerin  und  Tannin 
ää  getränkt  werden,  vor  den  äusseren  Muttermund  zu  liegen  kommen  und 
das  Secret  während  24  Stunden  auffangen.  Sehr  wichtig  kann  das  probeweise 
Ausschaben  von  Schleimhautstückchen  behufs  mikroskopischer  Untersuchung 
sein. 

Quoad  vitam  ist  die  Prognose  fast  stets  günstig,  wenn  auch  die  Mög- 
lichkeit nicht  auszuschliessen  ist,  dass  sich  auf  dem  Boden  einer  Endometritis 
maligne  Erkrankungen  (Adenom,  Sarkom,  Carcinom)  entwickeln  können.  Quoad 
valetudinem  ist  die  Prognose  aber  recht  ungünstig,  da  der  chronische  Uterus- 
Katarrh  meist  nur  nach  langer  Dauer,  oft  erst  im  Alter  spontan  heilt,  den 
Frauen  ganz  erhebliche  Beschwerden  machen  und  sie  körperlich  und  psychisch 
hochgradig  schädigen  kann.  Eine  Frau  mit  chronischer  Endometritis  bietet 
oft  so  recht  das  Bild  der  immer  Leidenden,  welche  kaum  je  zu  frohem  Lebens- 
genüsse kommt. 

Drei  Dinge  haben  sich  in  der  Behandlung  der  chronischen  Endome- 
tritis vor  Allem  bewährt:  Ausspülungen,  Aetzungen  und  Ausschaben  der  Schleim- 
haut. Bei  leichteren  Graden  wird  man  es  zunächst  mit  Ausspülungen  ver- 
suchen; die  Scheide  wird  mit  3%  Carbol  gereinigt,  die  Portio  (mit  oder  ohne 
Freilegung  im  Platten-Speculum)  mit  MuzEux'scher  oder  Kugelzange  angehakt 
und  die  Uterus-Höhle  mittelst  des  BozEMAX-FRiTScn'schen  Katheters  mit  o^/o 
Carbol  ausgespült.  Bei  Cervix-Stenose  dilatirt  man  vorher  brüsk  oder  mit 
Laminaria  oder  Tupelo.  Die  Ausspülungen  wiederholt  man  alle  2 — 3  Tage, 
im  ganzen  etwa  10 — 12mal.  Kurz  vor  den  zu  erwartenden  Menses,  wäh- 
rend und  2—3  Tage  nach  denselben  setzt  man  mit  den  Spülungen  aus. 
Genügt  dieses  Verfahren  nicht,  so  injicirt  man  mittelst  der  BRAUN'schen 
Spritze  jedesmal  2  ccm  reiner  Jodtinctur  oder  10"/o  Carbol-Lösung  nach  Hof- 
meier (Acid.  carbol.  liquef.  10-0,  Alkoh.  absol.  40*0,  Aq.  dest.  öO'O).  —  Der 
früher  vielgebrauchte  Liquor  ferri  sesquichlor.  hat  den  Nachtheil,  Gerinnsel 
zu  bilden,  die  sich  später  sehr  leicht  zersetzen.  Das  souveräne  Verfahren  in 
der  Behandlung  hartnäckiger  oder  heftiger  chronischer  Endometritis  ist  aber 


ENDOMETRITIS.  223 

heute    das    Ausschaben    der    Uterus-Schleimli  au  t,    das    Curette- 
m  e  n  t.  "^') 

Das  Wort  „Cui-ettoment"  scheint  eine  deutsche  Erfindung  zu  sein;  die  Franzosen 
sagen  curage  und  curettage,  von  eurer  =  reinigen,  säubern,  ausräumen;  la  curette  =  das 
Schabeisen.  Die  Curette  kann  als  langgestielte  Stahlschleife  mit  nicht  zu  scharfen  Rändern, 
oder  als  kleiner  scharfer  Löffel,  oder  als  dünnes  walzenförmiges  Instrument  mit  löft'elartigen 
Aushöhlungen  angewendet  werden. 

Zur  Behandlung  von  Uterus-Blutungen  wurde  die  Curette  zum  erstcnmale  1846  von 
Robert,  einem  Schüler  Ri';camier's  empfohlen.  Sie  gewann  mehr  Gegner  als  Freunde;  zu 
letzteren  gehörten  ausser  Ri5;camier  auch  Simpson  und  Tilt,  später  Marion  Sims.  In  B'rank- 
reich  bürgerte  sie  sich  nicht  ein,  auch  in  Deutschland  half  selbst  die  Empfehlung  IIegar's 
und  Kaltenbach's  (1872)  nicht.  Zur  allgemeinen  Verwendung  kam  sie  bei  uns  erst  nach 
Olshausen's  eingehender  Veröffentlichung  (1875). 

Die  Indicationen  der  Ausschabung  sind  kurz  zu  fassen:  chronische 
Endometritis,  welche  durch  intrauterine  desinficirende  Spülungen  und  Aetzun- 
gen  nicht  zur  Heilung  kam,  oder  die  sich  durch  starke  Blutungen  auszeichnet. 
Contra  indicationen  sind:  acute  Entzündungen  des  Uterus  und  seiner 
Anhänge.  Tumoren  des  Uterus  und  der  Anhänge  sind  nicht  stets  Gegen- 
anzeigen; so  kann  man  bei  interstitiellen  Myomen  wohl  die  Ausschabung  ver- 
suchen —  man  wird  allerdings  nicht  stets  viel  damit  erreichen.  Bei  inope- 
rablen malignen  Uterus-Tumoren  kann  die  Curette  zur  Verringerung  der  Blu- 
tungen u.  s.  w.  sogar  gute  Dienste  thun.  Dann  handelt  es  sich  aber  nur  in 
letzter  Reihe  um  die  oft  gleichzeitig  bestehende  chronische  Endometritis. 

Die  Gefahren  der  Uterus-Spülung  und  der  Ausschabung  bestehen  1.  in 
der  Infection,  2.  in  der  Durchbohrung  des  Uterus ;  Todesfälle  durch  Infection  mit  Curetten. 
sind  früher  mehrfach  vorgekommen,  sowie  auch  ein  Fall  bekannt  ist,  in  dem  der  weiche 
Uterus  mit  dem  Katheter  durchbohrt  und  die  Spülflüssigkeit  in  die  Bauchhöhle  gegossen 
wurde;  die  Frau  starb.  Man  niuss  also  einerseits  vorher  die  Grösse  und  den  Verlauf  der 
Uterus-Höhle  durch  Abtasten  der  Gebärniutter  thunlichst  genau  feststellen,  andrerseits 
Vulva,  Scheide  und  Portio  gründlich  mit  Seife  und  Carbol  reinigen,  sowie  nur  frisch  aus- 
gekochte oder  sonst  desinficirte  Instrumente  benützen.  Zweifel  glüht  die  Curette  vor  dem 
Gebrauch  aus. 

Die  Technik  der  Operation  ist  sehr  einfach:  Desinfection,  Anhaken  der  Portio 
mit  oder  ohne  Bloslegung  durch  Platten-Specula,  Ausspülen  des  Uterus,  Abschaben  der 
Schleimhaut  in  langen  Zügen  von  oben  nach  unten,  wobei  man  Sorge  trägt,  dass  durch 
systematisches  Schaben  auch  jede  Wandstelle  und  die  Tuben-Ecken  getroffen  werden;  ist 
man  auf  die  Muskulatur  gelangt,  so  fühlt  man  harten,  rauhen  Widerstand,  ja  man  kann 
das  schabende  Geräusch  sogar  hören  —  ein  Zeichen,  dass  die  Schleimhaut  hier  wirklich 
entfernt  ist  und  dass  die  Muskulatur  nicht  flach,  sondern  mit  den  oben  erwähnten  Uneben- 
heiten („Wellenberge  und -Thäler^)  an  die  Schleimhaut  grenzt.  Nun  folgt  abermahges  Aus- 
spülen des  Uterus  und  Injection  einer  Spritze  Jod-Tinctur  oder  lO^'/g  Carbolsäure.  Den 
Rest  der  Injectionsflüssigkeit  muss  man  abfliessen  lassen  oder  durch  kurzes  Einführen  des 
Katheters  zum  Abfliessen  bringen.  Immerhin  ist  ein  Eintritt  von  Flüssigkeit  in  die  Tuben 
und  von  hier  aus  in  die  Bauchhöhle  überaus  selten  und  kommt  nur  bei  zu  hohem  Druck 
oder  zu  rascher  Injection  vor.  Narcose  ist  nöthig,  wenn  man  vorher  durch  Sondirung 
eine  übermässige  Empfindlichkeit  der  Schleimhaut  festgestellt  hat.  —  Die  Kranke  muss  dann 
2 — 3  Tage  im  Bett  bleiben;  einige  Operateure  machen  allerdings  den  Eingriff  auch  ambu- 
latorisch. Nach  der  Ausschabung  macht  man  in  2-tägigen  Pausen  7 — 10  Uterus-Spülungen 
mit  oder  ohne  nachfolgende  Injection  des  Aetzmittels,  je  nach  der  Schwere  des  Leidens. 

Der  Erfolg  des  Curettirens  ist  oft  ein  glänzender;  alle  Symptome 
des  Leidens  hören  auf,  die  Kranken  erholen  sich  in  kurzer  Zeit;  in  zahlreichen 
Fällen  ist  rasch  darnach  Schwangerschaft  eingetreten,  die  mit  normaler  Geburt 
endete.  So  theilte  Heinricius  mit,  dass  von  9  verheirateten  Kranken  unter 
40  Jahren  nach  der  Ausschabung  6  concipirten.  Allerdings  ist  die  Wirkung 
nicht  stets  eine  so  gute;  in  manchen  Fällen  muss  man  später  den  Eingriff 
einmal,  ja  sogar  mehreremale  wiederholen.  Das  legt  aber  immer  den  "Ge- 
danken an  eine  maligne  Erkrankung  nahe  und  mau  soll  deshalb  die  ausge- 
schabten Massen  stets  mikroskopisch  untersuchen.  Nun  ist  zweifellos 
nicht  jeder  praktische  Arzt  in  der  Lage,  diese  Untersuchung  selbst  vorzuneh- 
men.   Es  ist  aber  dringend  rathsam,  dass  er  sie  dann  von  anderer  Seite  vor- 


*)  Vergl.  auch  „Curettement"  (Dührssen),  pag.  175  ds.  Bd. 


224  ENDOMETRITIS. 

nehmen  lasse.  Man  kann  dadurch  feststellen,  ob  es  sich  um  Abort,  Entzün- 
dung oder  Neubildung  handelt. 

Bei  Endometritis  exfoliativa  {Dijsmenorrhoea  memhrcmacea)  wird  natüi'lich, 
da  sie  nur  eine  besondere  Form  der  chronischen  Endometritis  zu  sein  scheint, 
gleichfalls  curettirt  werden;  die  Erfolge  sind  leider  sehr  oft  nur  vorübergehende 
oder  gar  negative.  —  Uterus-Polypen  kann  man  nach  Dilatation  des  Cervix 
durch  digitales  Abtasten  diagnosticiren,  falls  sie  nicht  schon  in  Cervix  oder 
Vagina  ragen.  Man  schabt  kleinere  mit  der  Curette  ab,  grössere  schneidet 
man  nach  etwaiger  seitlicher  Incision  des  Cervix  ab  und  tamponirt  Uterus- 
oder Cervix-Höhle  mit  Jodoformgaze;  die  seitlichen  Incisionen  vernäht  man 
gleich  wieder. 

In  der  letzten  Zeit  sind  zur  internenBehandlung  der  chronischen 
Endometritis  die  Präparate  der  Hydrastis  Ccmadensis  empfohlen  w'orden.  - 

Hydrastis  Canadensis  ist  eine  Ranunculacee ;  in  diese  Ordnung  gehören  n.  A.  auch 
die  Gattungen  Aconitum  =  Eisenhut  und  Helleborus  =  Nieswurz.  Gebräuchlich  sind  das  Ex- 
tractum  Hydrastis  fluidum  von  dem  man  täglich  3mal  40  Tropfen  oder  1 — 2  Theelöffel  voll 
längere  Zeit  hindurch  nehmen  lässt,  und  das  sehr  theure  Hyd)-astininnm  JiydrocJdoricum, 
ein  gelbes  Pulver,  von  dem  man  täglich  0*05— O'l  am  besten  in  Gelatine-Perlen  verordnet. 
Das  flüssige  Extract  wird  wegen  seines  unangenehm  bitteren  Geschmacks  nicht  stets  ver- 
tragen und  oft  bald  zurückgewiesen;  das  Hydrastinin  kann  man  überhaupt  nur  in  der 
Praxis  aurea  verschreiben:  0-1  kostet  60  Pfennige,  man  braucht  also  im  Laufe  eines  Monats 
für  etwa  15  Mark  von  diesem  Mittel, 

Der  Erfolg  der  Hydrastis  ist  überdies  weder  sicher  noch  über  jeden 
Zweifel  erhaben.  Am  besten  soll  sie  bei  jungen  Nulliparen  wirken. 

Im  Vorstehenden  ist  in  den  Hauptzügen  das  Verfahren  geschildert,  wie  es  unter 
Hofmeier  in  der  Würzburger  Frauenklinik  üblich  ist;  auch  die  Mehrzahl  der  deutschen 
Gynäkologen  benützt  Methoden,  die  nur  in  einzelnem  davon  abweichen.  Als  Aetzmittel 
werden  Liqu.  ferri  sesqu.,  Lösungen  von  Alaun,  Tannin,  Plumbum  aceticum,  Chlorzink 
benützt;  oder  man  nimmt  die  Aetzmittel  in  der  Form  von  üterinstiften  und  -Salben,  so 
besonders  Ferr.  sesqu.,  Cupr.  sulf.,  Zinc.  osyd.  alb.  und  Tannin,  oder  man  bringt  die  Lösung 
nicht  mit  der  Spritze,  sondern  mittelst  PtAYFAm'schen  Sonden,  die  mit  Watte  umwickelt 
sind,  in  den  Uterus.  Besonders  erwähnt  werden  muss  noch  das  wirksame  Verfahren  von 
Fritsch,  welcher  die  Uterus-Höhle  mit  schmalen  Jodoformgaze-Streifen  ausstopft;  Weinhold 
hat  dazu  einen  sehr  einfachen  und  praktischen  Stopfer  aus  Messingdraht  angegeben. 

Die  Elektrotherapie  bei  Endometritis""")  hat  sich  weder  bei  den  Gy- 
näkologen noch  in  der  allgemeinen  Praxis  in  grösserem  Maasse  eingebürgert. 
Das  kann  nicht  an  den  Misserfolgen  liegen,  denn  gerade  bei  Endometritis  ist 
sie  zweifellos  wirksam,  vielleicht  mehr  als  bei  Myomen.  Ursache  scheint  eher 
die  Umständlichkeit  des  Verfahrens  und  der  sehr  hohe  Preis  der  Apparate 
zu  sein. 

Bei  Blutungen  wird  mittelst  elektrischer  Sonde  der  positive  Pol,  bei 
Leukorrhoeen  der  negative  Pol  intrauterin  verwendet.  Man  galvanisirt  in  fri- 
schen Fällen  3 — 5  mal,  in  veralteten  20 — 30  mal  und  zwar  alle  paar  Tage 
5 — 10  Minuten  lang  bei  einer  bis  zu  200  Milli- Amperes  ansteigenden 
Stromstärke. 


'  Im  Nachfolgenden  seien  noch  einige  specielle  Formen  der  Endo- 
metritis besprochen. 

Die  tuberculöse  Endometritis  ist  sehr  selten  und  in  der  über- 
wiegenden Mehrzahl  der  Fälle  secundär  nach  primärer  Tulierculose  anderer 
Organe,  ^  vor  Allem  der  Lungen,  Nieren,  Blase,  Vulva,  des  Peritoneum,  der 
Tube.  (Vergl,  Artikel  ,,Tuberculose  der  iveihlichen  Sexualorgane.^^) 

Die  Endometritis  post  abortum  verdient  wegen  ihres  häufigen 
Vorkommens  und  der  praktischen  Bedeutung  eine  gesonderte  Besprechung, 
wenngleich  sie  ätiologisch  kein  einheitliches  Krankheitsbild  darstellt. 


*)  Vergl.  auch  j^GynaekoeleJctrotherctine'^  ds.  Bd. 


ENDOMETRITIS.  225 

Die  Endometritis  post  abortum  kann  verursacht  sein: 

a)  Durch  eine  chronische  Endometritis,  die  schon  vorher  bestand;  dann  war  die 
Endometritis  post  abortum  zuerst  auch  eine  Endometritis  ante  abortum  und  die  Ursache 
des  Aborts.  —  Bei  geringeren  Graden  der  chronischen  Endometritis  kann  Schwangerscliaft 
eintreten;  die  Endometritis  äussert  sich  dann  oft  durch  unregelmässige  Blutungen  während 
der  Schwangerschaft.  Die  Geburt  kann  rechtzeitig  eintreten,  und  man  findet  in  der  Placenta 
weisse  Infarcte  (so  besonders  bei  gleichzeitiger  Nephritis).  Bei  ausgedehnter  Infarct-Bildung 
kann  der  Fötus  schlecht  entwickelt,  aber  lebend  geboren  werden ;  bei  noch  höheren  Graden 
der  Endometritis  kann  er,  da  sein  Ernährungsorgan  nicht  hinreichend  für  Blut  durchgängig 
ist,  intrauterin  absterben  und  macerirt  geboren  werden.  Die  chronische  Endometritis  kann 
man  nach  Ablauf  des  Wochenbettes  behandeln.  Häutig  genug  kommt  es  aber  zum 
Abort;  ai'is  der  chronischen  Endometritis  hatte  sich  eine  Endometritis  deciduae  entwickelt, 
welche  der  Schwangerschaft  ein  vorzeitiges  Ende  machte,  vielleicht  auch  den  Fötus  zu  frühem 
Absterben  nnd  zur  Resorption  brachte,  so  dass  unter  Durchblutung  des  Eies  eine  Fleisch- 
mole entstand.  Enden  mehrere  Schwangerschaften  nach  einander  mit  Aljort,  so  spricht 
man  von  habituellem  Abort. 

Auch  hier  wird  man  die  Endometritis  nach  Ablauf  des  Wochenl^ettes  behandeln, 
wenn  nicht  eine  Veranlassung  eintritt,  schon  gleich  nach  Ausstossung  des  Eies  einzu- 
greifen (s.  u.). 

h)  In  anderen  Fällen  handelt  es  sich  um  eine  septische  Infection  während  des  Aborts 
oder  nach  demselben  durch  ungeeignete  therapeutische  Eingriffe  oder  —  und  das  ist  mit 
einer  beldagenswerthen  Häufigkeit  die  Ursache  —  durch  criminelle  Einleitung  des  Aborts. 
Die  septische  Endometritis  ist  natürlich  wie  nach  einer  rechtzeitigen  Geburt  zu  behandeln: 
gründliche  Desinfection  der  Uterushöhle  mit  5%  Carbol,  Eisblase,  Wein  etc.  Sehr  oft  sind 
noch  Ei-Reste  im  Uterus,  und  diese  waren  das  erste  Object  der  Infection.  Man  wird  daran 
denken  müssen,  wenn  der  Cervix  nach  Ausstossung  des  Eies  sich  nicht  schliesst,  der  Uterus 
sich  nicht  genügend  involvirt  und  die  Blutungen  andauern.  Es  ist  dann  nöthig,  die  Uterus- 
höhle mit  dem  Finger  abzutasten  und  solche  Massen  sofort  digital  auszuräumen.  Nur  im 
Nothfalle  wird  man  dazu  die  Curette  nehmen  (s.  unter  c),  weil  man  mit  derselben  neue 
Wunden  schafft,  welche  der  Infection  Vorschub  leisten. 

c)  Nicht  als  Endometritis  sind  jene  Blutungen  post  abortum  zu  bezeichnen,  welche 
durch  das  Zurückbleiben  von  nicht  inficirten  Eiresten  und  halbgelösten  Decidua-Fetzen  be- 
dingt sind.  Dieses  Ereignis  ist  nach  Aborten  ausserordentlich  häufig.  Man  stützt  die 
Diagnose  darauf,  dass  der  Cervix  nach  Ausstossung  des  Eies  sich  nicht  schliesst,  der  Uterus 
gross  und  weich  bleibt   und    die  Blutungen  andauern. 

Handelt  es  sich  um  Abort  in  den  ersten  2—3  Monaten,  so  ist  der  Cervix  nicht 
stets  weit  genug,  um  den  Finger  durchzulassen;  manchmal  kann  man  ihn  mit  sanfter 
Gewalt  durchbringen  und  räumt  dann  digital  aus.  Gelingt  dies  nicht,  so  verfährt  man 
folgendermaassen :  Gründliches  Abseifen  und  Carbolwaschung  der  Vulva  und  Scheide; 
Uterus-Spülung  mit  dem  Katheter  (3%  Carbol);  Anhaken  der  Portio  mit  Muzeux  oder 
Kugelzange;  Curettiren,  abermalige  Uterus-Spülung.  Ist  der  Eingriff  sehr  schmerzhaft,  so 
narcotisirt  man.  Besser  ist  es,  wenn  irgend  möglich,  die  Ausräumung  mit  dem  Finger  vor- 
zunehmen. Die  Vorbereitungen  sind  die  gleichen.  Das  Einführen  des  Fingers  erleichtert  man 
sich  durch  Anhaken  und  Tiefziehen  der  Portio,  durch  Gegenarbeiten  mit  der  äusseren  Hand 
(dann  muss  ein  Assistent  oder  eine  Hebamme  die  Zange  halten  und  damit  die  Portio  nach 
unten  ziehen) ;  die  äussere  Hand  umfasst  den  Uterus  von  den  Bauchdecken  aus  und  stülpt 
ihn  wie  einen  Handschuh  über  den  Finger;  endlich  bewirkt  man  durch  Narcose  ein  Entspannen 
der  Bauchdecken.  Der  Finger  macht  geringere  Verletzungen  als  die  Curette  und  man  kann 
sich  mit  ihm  auf  das  Abschälen  und  Herausbringen  von  Placentar-Resten,  sowie  jener 
Decidua-Fetzen  beschränken,  welche  losgelöst  sind;  bestand  nicht  schon  vorher  chronische 
Endometritis,  so  kann  man  nach  Winter  die  noch  festsitzende  Decidua  ruhig  im  Uterus 
lassen;  sie  bildet  sich  an  Ort  und  Stelle  zu.r  normalen  Schleimhaut  zurück.  Nur  wenn 
vorher  chronische  Endometritis  bestand  (s.  o),  wird  man  die  ganze  Schleimhaut  ausschaben. 

Zu  hüten  hat  man  sich  vor  Infectionen  (peinliche  A-  und  Antisepsis  !)  und  Durch- 
bohrung des  weichen  Uterus  mit  Katheter  oder  Curette. 

Die  Endometritis  bei  acuten  Inf ectionskrankheiten  und  nach 
Vergiftungen  (Phosphor)  bedarf  keiner  weiteren  Besprechung,  da  nur  das 
primäre  Leiden  zu  behandeln  ist. 

Sind  Fremdkörper  (Intrauterin-Pessare,  abgebrochene  Stücke  von 
Körpern,  die  zur  Einleitung  crimineller  Aborte  iDenützt  wurden  oder  die  bei 
Unglücksfällen  hineingelangten)  die  Ursache  einer  Entzündung,  so  entfernt 
man  sie  natürlich  und  macht  desinficirende  Ausspülungen. 

Krankhafte  Hyperämie  der  Uterusschleimhaut  führt  sehr  häufig  zu  Blutungen 
(Menorrhagien,  Metrorrhagien).  Selbstredend  versucht  man,  die  Ursache  zu  entfernen, 
d.  h.  das  primäre  Leiden  zu  behandeln ;  man  wird  also  den  Herzfehler,  das  Lungen-,  Leber- 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  J-«^ 


226  ENTBINDUNG. 

oder  Nierenleiden,  die  Chlorose,  die  Entzündungen  der  Uterus-Anhänge,  die  Tumoren  der- 
selben und  des  Uterus,  dessen  pathologische  Lagen  n.  s.  w.  behandeln.  Es  wäre  geradezu 
ein  Fehler,  bei  Uterus-Blutungen  die  Schleimhaut  auszuschaben,  wenn  ein  primäres  Herz- 
leiden, Exsudate  im  kleinen  Becken  u.  s.  w.  die  Ursache  sind. 

GUSTAV  KLEIN. 

Entbindung  (Mechanismus  partus).  „Bei  einem  jeden  Geburtsgescliäfte," 
sagt  KiLiAX,  „und  namentlich  bei  einem  solchen,  welches  entweder  am  vollen 
Ende  der  Uterinschwangerschaft  oder  wenigstens  um  diese  Zeit  auftritt,  be- 
merkt man  einen  ofienen  Kampf  der  neuerwachten  und  eigenthümlichen 
Geburtskräfte  gegen  einen  sich  ihnen  in  den  Weg  stellenden  Widerstand, 
und  die  Möglichkeit  der  Vollendung  des  Geburtsactes  ist  nur  dann  gegeben, 
wenn  sich  die  treibenden  Kräfte  richtig  zu  einander  stellen,  d.  h.  wenn  die 
austreibenden  Kräfte  ein  gewisses  Uebergewicht  über  die  widerstrebenden  ge- 
winnen," wodurch  die  schonende  naturgemässe  Entbindung  der  Mutter  von 
ihrer  Frucht,  die  Geburt  des  Kindes  bewerkstelligt  wird. 

Der  regelmässige  Verlauf  dieses  Vorganges  beginnt  nicht  ohne  Ein- 
leitung und  fasst  man  die  sich  hierbei  bemerklich  machenden,  die  physiologische 
Vorbereitung  der  Geburtsorgane  zu  der  von  ihnen  zu  verrichtenden  ausser- 
gewöhnlichen  Function  begleitenden  Erscheinungen  unter  dem  Namen  der 
Vorboten  zusammen,  welche  bei  der  einen  rascher,  bei  der  anderen  langsamer 
zu  den  eigentlichen  Geburtsvorgängen  hinüberführen.  Diese  letzteren  selbst 
sind  nicht  zu  jeder  Zeit  der  Geburt  die  gleichen  und  unterscheidet  man  deshalb 
einzelne  Perioden  der  Geburt,  in  welcher  Beziehung  verschiedene  Eintheilungen 
beliebt  worden  sind.  Die  gebräuchlichste  und  jetzt  wohl  allgemein  acceptirte 
Eintheilung  ist  die  in  eine  Eröffnungs-  eine  Austreibungs-  und  eine 
Nachgeburtsperiode,  welch'  letztere  manche  zu  der  Austreibungsperiode 
rechnen. 

Die  Vorboten,  von  den  Franzosen  als  travail  insensible  bezeichnet, 
beginnen  gewöhnlich  vier  bis  fünf  Tage,  bei  manchen  noch  viel  länger, 
bei  Mehrgebärenden  oft  erst  wenige  Stunden  vor  dem  Eintritt  der 
ersten,  deutlich  wahrnehmbaren  Geburtswehen,  selten  fehlen  sie  ganz.  Es  sind 
vorzugsweise  Veränderungen  der  Genitalien  und  dann  Allgemeinerscheinungen, 
welche  auf  den  Eintritt  des  bevorstehenden  wichtigen  Actes  hinweisen.  In 
den  Genitalien  beobachten  wir  eine  verstärkte  Blutzufuhr  und  in  Folge  davon 
eine  beträchtliche  Auflockerung  und  Erweichung  des  unteren  Uterinsegmentes, 
der  Vaginalportion,  der  Scheide  und  der  äusseren  Geschlechtstheile.  Der 
Scheidenturgor  documentirt  sich  neben  einem  subjectiv  und  objectiv  wahr- 
nehmbaren erhöhten  Wärmegefühl  durch  reichliche  Secretion  eines  dicken,  trüb- 
eiweissartigen  Schleimes,  welcher  theils  der  Scheiden-,  theils  der  Cervical- 
schleimhaut  entstammt.  Mehr  wässrige  Secretion  und  geringe  Wärmeent- 
wicklung in  der  Scheide  deutet  noch  längeres  Ausstehen  der  eigentlichen 
Geburtsthätigkeit.  Durch  den  Schleim  werden  die  Theile  weicher,  aufgelocker- 
ter, die  Oberfläche  glatter.  Die  Labien  und  ihre  Umgebung  turgesciren,  werden 
mitunter  selbst  stark  ödematös.  Das  untere  Uterinsegment  legt  sich  fester 
an  den  vorliegenden  Kindstheil  an  und  wird  auffallend  gespannt,  die  Mutter- 
mundsränder erweichen  und  setzen  der  Einführung  eines  Fingers  keinen  wesent- 
lichen Widerstand  entgegen.  Der  Fundus  des  Uterus,  welcher  schon  in  den 
letzten  Wochen  der  Schwangerschaft  etwas  mehr  nach  vorn  und  unten  über- 
gesunken war,  während  das  Collum  entsprechend  nach  hinten  und  oben  ge- 
treten, wird  jetzt  fester  und  elastischer,  und  fühlt  die  auf  die  Bauchdecken 
aufgelegte  Hand  oft  deutliche,  der  Schwangeren  aber  noch  nicht  oder  nur 
wenig,  mehr  nur  als  ein  Gefühl  der  Spannung  sich  bemerklich  machende 
Contractionen,  welche  Anfangs  noch  spärlich  auftreten.  Durch  das  Hinauf- 
treten des  Mutterhalses  wird  die  Scheide  verlängert  und  der  Muttermund 
ganz  nach  hinten  und  oben  gezogen,  so  dass  er  zu  dieser  Zeit  oft  sehr  schwer 


ENTBINDUNG.  227 

ZU  erreichen  ist,  während  der  vorliegende  Kindestheil,  meist  der  Kopf,  die 
vordere  Wand  des  Mutterhalses,  besonders  hei  Erstgebärenden  stärker  vor- 
wölbt und  in  das  kleine  Becken  eintritt,  oft  schon  sehr  tief.  Bei  Mehr- 
gebärenden findet  das  Eintreten  des  Kopfes  in  das  Becken  meist  erst  später 
statt. 

Es  stellen  sich  nun  schliesslich  auch  mancherlei  Allgemeinerschei- 
nungen ein,  eigenthümliche  Aufregung,  Angstgefühl,  Frösteln,  oft  mit  Hitze 
abwechselnd,  Pulsbeschleunigung,  Kreuzweh,  erschwertes  Gehen  und  Stehen, 
häufiger  Harndrang,  auch  wohl  Tenesmus.  Oft  wird  der  Uterus  -gegen  die 
activen  Bewegungen  des  Fötus  und  auch  gegen  äussere  Palpationen  sehr 
empfindlich.  Alle  diese  Erscheinungen  gehen  manchmal  wieder  vollständig 
zurück,  um  dann  erst  nach  Tagen,  selbst  Wochen  abermals  sich  einzustellen 
und  dann  erst  zur  Geburt  zu  führen.  In  anderen  Fällen  sind  sie  so  unmerklich, 
dass  die  Geburt  plötzlich  ohne  Weiteres  einzusetzen  scheint  und  ist  das  Ije- 
sonders  bei  Mehrgebärenden  zu  beobachten. 

Nach  und  nach  nehmen  nun  die  anfänglich  so  schwachen,  unmerklichen 
Uteruscontractionen  an  Intensität  zu,  werden  schmerzhaft  und  fangen  an,  auf 
die  Erweiterung  des  Muttermundes  zu  wirken,  womit  die  Eröffnungs- 
periode beginnt,  die  sich  an  das  vorbereitende  Stadium  eng  anschliesst, 
nicht  durch  eine  scharfe  Grenze  von  demselben  geschieden  ist.  Die  nun  ein- 
tretenden Vorgänge  haben  den  Zweck,  die  durch  die  eben  geschilderten  Vor- 
gänge der  letzten  Tage  hinlänglich  vorbereiteten  weichen  Geburtswege  so  zu 
erweitern,  dass  von  ihrer  Seite  dem  Durchtritt  des  Gebärmutterinhaltes  kein 
Hindernis  mehr  im  Wege  steht,  und  erreichen  ihr  Ende  mit  der  vollständigen 
Erweiterung  des  Muttermundes  als  des  Haupthindernisses  für  den  Austritt  der 
Frucht  aus  dem  Uterus.  Diese  Erweiterung  des  Muttermundes  wird  durch 
die  Contractionen  der  Längsfasern  des  Uterus  erzielt,  welche  ihrerseits  wieder 
ein  Schmerzgefühl  bedingen,  das  der  Intensität  der  Contractionen  und  dem 
von  den  Ringfasern  des  unteren  Uterinsegmentes  geleisteten  Widerstände  pro- 
portional ist,  weshalb  auch  der  Wehenschmerz  im  Anfang  dieser  Periode  nui' 
ein  geringer  ist,  im  weiteren  Verlaufe  aber  wesentlich  gesteigert  wird,  manch- 
mal so  sehr,  dass  gegen  Ende  der  Eröffnungsperiode  die  Schmerzen  belästi- 
gender sind,  als  während  des  ganzen  sonstigen  Geburtsverlaufs.  Viele  Frauen, 
bei  welchen  besonders  die  Eröffnung  des  Muttermundes  etwas  schwieriger  von 
statten  geht,  bezeichnen  diese  Periode  als  die  schmerzhafteste  der  ganzen 
Geburt.  Anfangs  werden  die  Schmerzen  mehr  nur  in  der  Kreuzgegend 
empfunden,  nach  und  nach  aber  strahlen  sie  gegen  die  Schossfuge  hin  und 
dann  weiter  in  die  Oberschenkel.  Zuerst  noch  seltener  auftretend  und  von 
kürzerer  Dauer,  kehren  sie  im  weiteren  Verlaufe  rascher  wieder  und  dauern 
an  und  für  sich  länger.  So  wie  sie  erheblicher  werden,  greifen  sie  die  Ge- 
bärende so  sehr  an,  dass  diese  eine  Stütze  suchen,  oder  sich  niederlegen 
niuss,  nicht  mehr  gehen  oder  stehen  kann. 

War  der  Cervix  in  der  letzten  Zeit  der  Schwangerschaft,  also  während 
der  Vorboten  noch  nicht  ganz  verstrichen,  wie  das  bei  Mehrgebärenden  sehr 
oft  der  Fall  ist,  so  wird  er  jetzt  durch  das  andrängende  Ei  erweitert,  sein 
Canal  geht  in  die  Gebärmutterhöhle  auf  (wie  bei  Erstgebärenden  gewöhnlich 
schon  am  Ende  der  Schwangerschaft),  aber  während  der  Wehen  kann  man 
den  inneren  Muttermund  einige  Zeit  noch  als  markanten  Ring  fühlen.  Ist 
er  vollständig  auseinandergezogen,  so  fühlt  man  während  der  Wehen  eine 
deutliche  Spannung  des  äusseren  Muttermundes,  derselbe  wird  bei  Erstgebären- 
den immer  dünner,  sein  Saum  ganz  scharf;  bei  Mehrgebärenden  dagegen  ist 
er  zwar  während  der  Wehe  auch  gespannt,  aber  an  den  Rändern  mehr  wulstig, 
In  diesen  gespannten,  allmälig  nachgiebig  werdenden  Muttermundsring  wird 
der  vorliegende  Theil  des  Eies  eingedrängt,  die  Eihäute  treten  in  Gestalt 
einer  halbkugelig   gewölbten   Blase    vor,    „die   Blase   stellt   sich."    Ist  wenig 

15* 


228  ENTBINDUNG. 

Fruchtwasser  zwischen  der  Blase  und  dem  vorliegenden  Ivindestheil,  meist 
dem  Schädel,  so  fühlt  man  auch  diesen  während  der  Wehe  hinter  der  Blase 
sich  vordrängen.  Mit  dem  Nachlasse  der  Wehe  werden  Muttermund  und 
die  Fruchtblase  wieder  schlaff,  letztere  weicht  zurück  und  der  wegen  der 
Spannung  der  Blase  während  der  Wehe  schwer  erkennbare  Kindestheil  wird 
deutlicher  fühlbar,  beim  Schädel  oft  eine  Naht  oder  eine  Fontanelle  dem 
tastenden  Finger  zugängig  und  dadurch  Bestimmung  der  Stellung  möglich. 
Jede  Wehe  macht  so  den  Muttermund  etwas  weiter  und  die  Blase  grösser; 
ist  viel  Fruchtwasser  vorhanden  und  sind  die  Eihäute  dehnbar,  wird  die  Blase 
oft  wurstförmig  weit  vorgetrieben;  sind  die  Eihäute  dabei  fester,  wird  sie 
ausserordentlich  gespannt. 

Durch  die  alhnälig  stärker  einsetzenden  Wehen  wird  der  Druck  im  arte- 
riellen System  gesteigert,  dadurch  neben  massiger  Steigerung  der  Pulsfrequenz 
in  der  Wehe  ■ —  welche  nach  der  Wehe  wieder  abfällt  —  besonders  die  Ab- 
sonderung im  Geburtscanal  und  damit  die  Auflockerung  desselben  immer 
stärker,  es  geht  viel  dicklicher,  klumpiger,  fadenziehender  Schleim  —  „Geburts- 
schleim" —  ab,  welchem  oft  streifenweise  Blut  beigemischt  ist  —  „es  zeichnet'^. 
Diese  Blutbeimengung  rührt  von  kleinen  Einrissen  des  scharf  gespannten 
Muttermundes  und  von  der  Trennung  der  Decidua  von  der  Uteruswand  beim 
Vordringen  der  Blase.  Bei  zunehmendem  Druck  der  Wehen  erweitert  sich 
der  Muttermund  mehr  und  mehr,  die  Blase  drängt  sich  immer  weiter  vor  und 
bleibt  schliesslich  auch,  bei  einer  Erweiterung  des  Muttermundes  von  8  bis 
10  cm,  in  der  Wehenpause  gespannt,  sie  ist  „springfertig,"  um  bei  einer  der 
nächsten  Wehen  oder  bei  einer  ungestümen  Bewegung  —  wohl  auch  bei  un- 
vorsichtiger Untersuchung  —  wirklich  zu  bersten,  der  „Blasensprung"  ist 
erfolgt,  oft  mit  hörbarem  Geräusch,  und  das  vor  dem  vorliegenden  Kindestheile 
in  der  Blase  befindliche  Wasser  —  „Vorwasser  oder  erstes  Wasser"  —  tliesst 
ab.  Meist  fliesst  nur  dieses  ab,  da  der  vorliegende  Kindstheil  den  Geburts- 
canal tamponirt.  Schliesst  der  vorliegende  Kindstheil  aber  den  Geburtscanal 
nicht  vollständig  ab,  was  besonders  bei  fehlerhafter  Schädelstellung  oder  bei 
Unterendslage  der  Fall  ist,  dann  fliesst  auch  von  dem  hinter  demselben  be- 
findlichen Wasser  mehr-minder  viel,  oft  alles  ab.  Anderenfalls  wird  bei  jeder 
nachfolgenden  Wehe  etwas  Fruchtwasser  entleert.  Gewöhnlich  erfolgt  der 
Blasensprung  zur  Zeit  der  völligen  Erweiterung  und  Erweichung  des  Mutter- 
mundes und  man  sieht  alsdann  denselben  als  das  Zeichen  der  Beendigung  der 
Eröffnungsperiode  an.  Nicht  selten  erfolgt  aber  der  Blasensprung  schon  viel 
früher,  selbst  bei  oder  sogar  vor  Beginn  der  Geburt  —  was  besonders  bei 
Erstgebärenden  sehr  störend  auf  den  Verlauf  der  Geburt  wirken  kann,  —  oft 
ganz  unbemerkt,  in  welchem  Falle  das •  Wasser  allmälig,  „schleichend"  abgeht. 
Es  kann  aber  auch  der  Blasensprung  über  die  norraalmässige  Zeit  hinaus  sich 
verzögern,  wenn  wenig  Fruchtwasser  vorhanden  ist  und  besonders  wenn  die 
Eihäute  sehr  derb  sind.  In  diesem  Falle  kann  die  Blase  wurstförmig  bis  vor 
die  äusseren  Genitalien  getrieben  werden  —  „Vorfall  der  Blase"  —  und  reisst 
erst  mit  oder  nach  dem  Durchtritt  des  vorliegenden  Kindstheils  ein  und  zwar 
entweder  auf  der  Höhe  der  Blase  oder  weiter  oben  am  Halstheil  des  Kindes, 
rings  um  den  Umfang  der  Blase. 

Wenn  der  Kopf  auf  diese  Weise  mit  der  Blase  bedeckt  geboren  wird, 
so  hat  der  Aberglaube  dies  als  „Geburt  mit  der  Glückshaube"  bezeichnet. 
(Als  „GlücJcshaube'''  Hesse  sich  dies  nur  dann  bezeichnen,  wenn  die  Geburt 
durch  eine  syphilitisch  inficirte  Vulva  erfolgte,  weil  dann  die  Augen  des 
Kindes  vor  der  Berührung  mit  den  scharfen  Secreten  geschützt  sind.)  Kleine 
Früchte  mit  wenig  Fruchtwasser  werden  mitunter  in  den  unversehrten  Ei- 
häuten geboren. 

Nicht  selten  ist  es,  dass  bei  noch  stehender  Blase  während  der  Wehe 
Fruchtwasser  abgeht.     Es  kann  dies  von    einer  Wasseransammlung   zwischen 


ENTBINDUNG.  229 

Ei  und  Uterus  —  „falsches  Wasser"  —  oder  von  der  Bildung  zweier  concen- 
trischer  Blasen  mittelst  des  amnio-chorialen  Wassers  und  isolirten  Risses  des 
Chorions,  oder  davon  herrühren,  dass  die  Blase  nicht  an  der  tiefsten  Stelle, 
sondern  oberhalb  des  Muttermundes  im  Innern  der  (jlebäniiutterhöhle  sich 
öffnet.  In  diesem  Falle  wird  die  vorliegende  Blase  allniälig  schlaffer  und 
zieht  sich  schliesslich  ganz  zurück  oder  die  liisstelle  wird  durch  den  Kindes- 
körper oder  die  Uteruswand  vollständig  verlegt,  die  Blase  füllt  sich  wieder 
und  es  erfolgt  ein  neuer  Blasensprung  im  Muttermund. 

Das  Allgemeinbefinden  der  Gebärenden  ist  während  der  Eröffnungsperiode 
manchmal  wenig  alterirt  und  sind  die  Betreffenden  in  den  oft  noch  langen 
Wehenpausen  ganz  munter  und  guter  Dinge.  Bei  anderen  aber  erreichen  die 
schon  bei  den  Vorboten  bemerkbaren  subjectiven  Erscheinungen:  Die  allgemeine 
Aufregung,  die  Angst,  fliegende  Hitze,  der  Harndrang  u.  s.  w.  einen  hohen 
Grad.  Oft  gesellen  sich  dazu  noch  gastrische  Erscheinungen,  Ueblichkeiten, 
Aufstossen,  Erbrechen,  durch  welche  die  Kreissenden  oft  sehr  gequält  werden. 
Meist  tritt  reichliche  Schweissecretion  und  vermehrter  Durst  ein. 

Die  Dauer  dieser  Geburtsperiode  ist  äusserst  verschieden,   doch  nimmt 
sie  im  Allgemeinen  unter    sonst   normalen  Verhältnissen    selten   mehr  als  G 
bis  8  Stunden  in  Anspruch,  bei  Mehrgebärenden  wohl  auch  nur  1  bis  2  Stunden. 
Nach  dem  Blasensprung  tritt  gewöhnlich  eine  mehrere  Minuten  bis  eine 
Viertelstunde  dauernde  Pause   in  der  Wehenthätigkeit   ein  —  in    der   Begel 
umso  länger,  je  vollständiger  und  rascher  das  Fruchtwasser  aus  der  Uterus- 
höhle entleert  worden  war  — ,  bis  diese  von  Neuem  erwacht  und  der  Mutter- 
hals, beziehungsweise  Muttermund  durch  den  nachrückenden  grossen  Kindes- 
theil weiter  gedehnt  und  erweitert  wird.    Hiermit  beginnt  die  Austreibuiigs- 
periode,  welche  mit  der  Geburt  des  Kindes  vollendet  ist  und  in  der  Eegel 
viel  kürzer  dauert,   als  die  Eröffnungsperiode,   bei   Mehrgebärenden    oft   nur 
einige  Minuten  bis  zu  einer  halben  Stunde,  selten  mehr,  bei  Erstgebärenden 
dagegen  1  bis  3  Stunden,  mitunter  auch  bis  zu  5  und  6  Stunden  und  mehr. 
Nach  der  Ruhepause,  in  welcher  manche  Kreissende  sich  selbst  eines  kurzen 
ruhigen  Schlafes  erfreut,  setzen  die  Uteruscontractionen  —  eigentliche  „Ge- 
burtswehen oder  Treib  wehen,  dolores  ad  partum"  — mit  erneuter  und  beträcht- 
lich vermehrter  Kraft  ein,  sie  folgen  viel  rascher  aufeinander  und  zeigen  an 
sich  eine  längere  Dauer.     Allmälig  werden  durch  dieselben  auch  die  Contrac- 
tionen  in  den  Muskeln  der  Bauchpresse  angeregt,  welche  mit  denen  des  Uterus 
stetig   an  Intensität   zunehmen.     Die  Schmerzen    werden   jetzt  nicht  nur  im 
Kreuz,  sondern  vorzugsweise  auch  im  Leib  und   in   den   Oberschenkeln    em- 
pfunden.  Die  Kreissenden  klagen  dabei  über  ein  heftiges,   vom   Uterusgrund 
nach  dem  Beckenausgang  gerichtetes  Drängen.   Um  diesem  nachzugeben  oder 
besser  gesagt,  um  es  umso  wirksamer  werden  zu  lassen,  suchen   sie  krampf- 
haft nach  festen  Stützpunkten  für  die  Arme  und   Füsse,    halten   nach   tiefer 
Inspiration  während  der  Wehe    den  Athem  an  und  lassen   jetzt    die   Bauch- 
■  presse  mit  ganzer  Kraft  wirken.     Der  Schweiss  bricht  lebhaft  aus,  das  Gesicht 
röthet  sich  mehr  und  mehr,  je  länger  das  Mitpressen  dauert,   die  Carotiden 
pulsiren  stärker,  die  Halsven'en  schwellen  an,  die   Augen   scheinen    aus    den 
Höhlen  treten  zu  wollen  und  gewinnen  einen  eigenthümlichen  Glanz  und  dies 
Alles   umsomehr,   je    weiter   die    Geburt   vorangeht.     Die  Bauchdecken  sind 
stark  gespannt,    der   Uterus  hart  und  fest   und    der  Leib    gegen   Berührung 
äusserst  empfindlich.     Mit  dem  Nachlass  der  Wehen  inspiriren  die  Kreissen- 
den heftig,  kurz  und  stossen  oft  mehr-minder  laute  Klagetöne  aus.     Es  erfolgt 
eine  kurze  Pause  der  Ruhe  und  Erholung,  in  welcher  sie  sich  jedoch  weniger 
behaglich  fühlen,  als  in  den   Wehenpausen   der   Eröffnungsperiode,  und   als- 
bald beginnt  der  Kampf  wieder  aufs  Neue. 

Schon  mit  dem  Beginn  der  Austreibungsperiode  treiben  die  Wehen  den 
vorliegenden  Kindestheil  durch  den  erweiterten  und   erweichten,   ganz  nach- 


230  ENTBINDUNG. 

giebigeii  Muttermund  hindurch,  dessen  Ränder  ziehen  sich  über  denselben 
zurück,  —  ,,der  Muttermund  verstreicht"-  —  und  ist  der  Kopf  der  vorliegende 
Theil,  so  sagt  man  ,^der  Kopf  steht  in  der  Krönung'^  sobald  der  Muttermundsrand 
seine' grösste  Circumferenz  umfasst.  Je  weiter  die  Geburt  vorangeht,  umso 
deutlicher  lässt  sich  während  der  Wehe  die  Vorwärtsbewegung  des  Kindes- 
körpers erkennen,  während  mit  Nachlass  der  Wehe  der  vorliegende  Kindes- 
theil wieder  etwas  zurückweicht.  Sobald  derselbe  durch  den  Muttermund  hin- 
durch in  die  Scheide  getreten  ist,  werden  jetzt  auch  die  Muskelfasern  der 
Scheide  zu  Contractionen  gereizt  und  hierdurch  die  Thätigkeit  der  Bauchpresse 
umsomehr  angeregt.  Durch  den  Druck  des  unteren  Uterusabschnittes  und 
der  Scheide  und  später  auch  des  Beckens  wird  der  untere  Abschnitt  des  vor- 
ankommenden Kindestheiles  comprimirt,  der  frei  vorliegende  Theil  desselben, 
den  von  Ritgen  (nicht  Kehree,  wie  Spiegelberc4  angibt)  sehr  treffend  als 
„Leitspitze"  bezeichnet,  schwillt  an,  was  besonders  bei  vorliegendem  Kopf 
sich  sehr  bemerklich  macht.  Die  Kopfhaut  wird  anfänglich  durch  den  Druck 
gehalten,  dann  wird  sie  ödematös  infiltrirt,  nicht  selten  auch  über  und  unter 
der  Galea  blutig  suffundirt,  es  bildet  sich  die  „Kopfgeschwulst." 

Allmälig  rückt  nun  der  Kopf  —  da  die  Schädellage  die  bei  weitem 
häufigste  aller  Geburtsarten,  ist  auch  diese  hier  der  allgemeinen  Schilderung 
des  Geburtsverlaufes  zu  Grunde  gelegt  —  durch  die  Beckenhöhle  hindurch 
und  kommt  auf  den  Beckenboden,  beziehungsweise  das  Mittelfleisch  zu  liegen, 
welches  nun  durch  jede  Wehe  gewaltsam  ausgedehnt  [und  kugelig  gespannt 
wird,  Anfangs  mehr  nach  hinten  zu,  später  auch  nach  vorn,  bis  endlich  die 
Schamspalte  erreicht  und  erweitert  wird.  Schon  wenn  der  Kopf  in  die  Scheide 
tritt,  wird  durch  die  jetzt  erwachenden  Contractionen  der  Scheidenmuskeln 
bei  deren  anatomischem  Zusammenhang  mit  den  Muskelfasern  des  Mastdarmes, 
wohl  auch  durch  den  directen  Druck  auf  den  Mastdarm  sehr  häufig  das  täu- 
schende Gefühl  des  Bedürfnisses,  das  Rectum  zu  entleeren,  hervorgerufen, 
was  man  gemeiniglich  als  ein  Zeichen  des  guten  Fortganges  der  Geburt  freudig 
begrüsst,  den  Kreissenden  als  Trost  für  baldige  Beendigung  der  Geburt.  So- 
bald der  Kopf  auf  dem  Beckenboden  angelangt,  wird  dieses  Gefühl  bedeutend 
vermehrt,  zugleich  auch  der  etwa  vorhandene  Rectalinhalt  bei  jeder  Wehe 
ausgepresst,  oft  auch  in  der  Blase  angesammelter  Urin  entleert,  wenn  nicht 
die  Harnröhre  durch  den  Kopf  zu  sehr  comprimirt  ist.  Der  in  dieser  Geburts- 
periode noch  reichlich  entleerte  Geburtsschleim  wird  jetzt  mehr  und  mehr 
mit  Blut  gemischt,  oft  kommt  nach  der  Wehe  reines  Blut,  was  von  Schleim- 
hautdrüsen und  wohl  auch  von  theilweiser  Loslösung  der  Placenta  herrührt. 
Die  Wehen  erreichen  nun  ihren  höchsten  Grad,  machen  sehr  kurze  Pausen 
und  erschüttern  den  ganzen  Körper,  daher  „Schüttelwehen,"  Dolores  conquas- 
santes  genannt.  Das  Steissbein  wird  nach  hinten  gedrängt,  der  After  öffnet 
sich,  seine  Ränder  wulsten  sich  stark  auf  (bei  Hämorrhoidalzustand  oft  als 
dicker  blauer  Wulst),  die  Schleimhaut  der  vorderen  Mastdarmwand  wird  als 
dunkelrothe  Fläche  sichtbar,  der  Damm  wird  roth  glänzend,  sehr  breit  ku- 
gelig gespannt,  nach  vorn  vorgewölbt,  das  Frenulum  lab.  oft  als  bläulich  schim- 
mernde, dünne,  dreieckige  Falte  deutlich  abgegrenzt,  die  Labien  weichen  aus- 
einander, bekommen  scharfe,  dünne  Ränder,  der  Kopf  wird  zwischen  den- 
selben sichtbar,  er  „kommt  ins  Einschneiden.^' 

Die  Aufregung  der  Kreissenden  ist  jetzt  auf's  höchste  gesteigert,  alle 
Allgemeinerscheinungen  stehen  auf  der  Polhöhe,  die  Kreissende  ist  oft  ihrer 
Sinne  nicht  mehr  mächtig,  tobt,  wird  selbst  aggressiv  gegen  ihre  Umgebung, 
besonders  die  ihr  Beistehenden,  wünscht  sich  den  Tod  u.  s.  w.  Mit  Nachlass 
der  Wehen  treten  alle,  sowohl  allgemeinen,  als  örtlichen  Erscheinungen  zurück, 
die  Schamspalte  schliesst  sich  wieder,  der  Kopf  weicht  zurück,  oft  sehr  be- 
trächtlich, die  Vorwölbung  des  Dammes,  das  Offenstehen  des  Afters,  alles 
lässt  nach,  um  mit  der  nächsten  Wehe  in  verstärktem  Maasse  wiederzukehren. 
Der  Kopf  rückt  immer  weiter  vor  bei  der  Wehe,  bis  er  schliesslich,  nachdem 
er  mit  seinem    grössten   Umfange  in    die  Schamspalte   gelangt,  auch  in  der 


ENTBINDUNG.  231 

Wehenpause  stehen  bleibt  —  „er  ist  im  Durchschneiden''''  —  und  dann  in 
der  nächsten  oder  andernächsten  Wehe  ganz  aus  der  Schamspalte  austritt, 
meist  mit  mehr  oder  minder  starkem  Einreissen  des  aufs  äusserste  gespannten 
Frenulums  und  oft  mit  begleitendem  oder  nachfolgendem  Abfluss  (üner  beträcht- 
lichen Menge  des  noch  zurückgebliebenen  Fruchtwassers,  das  mitunter  in 
weitem  Bogen  nach  aussen  spritzt.  Eine,  zwei  Minuten  Pause,  während 
welcher  sich  die  Kreissende  schon  wesentlich  erleichtert  fühlt  und  neue  Kräfte 
für  die  Austreibung  des  noch  zurückgebliebenen  Rumpfes  sammelt,  dann  unter 
heftigen,  zwar  starken,  aber  schon  minder  schmerzhaften  Wehen  —  der  Haupt- 
widerstand ist  ja  überwunden  —  nach  und  nach  oder  auch  ganz  auf  einmal 
mit  letzter  Kraftanstrengung  das  Hervortreten  des  übrigen  Kumpfes  nebst 
dem  Rest  von  Fruchtwasser,  oft  gemischt  mit  dem  von  der  Lösung  der  Pla- 
centa  herrührenden  Blute. 

Nach  Ausschliessung  des  Kindes,  mit  welcher  die  zweite  Geburtsperiode 
beendet  ist  und  die  Nachgeburtsperiode  beginnt,  ist  die  Kreissende  hoch- 
gradig erschöpft,  oft  der  Ohnmacht  nahe,  aber  doch  sehr  bald  in  einem  Zu- 
stande behaglicher  Ruhe  und  hochbefriedigt.  Noch  die  vom  Schmerz  er- 
presste  Thräne  im  Auge  lächelt  sie,  freut  sich  des  ihr  zu  Theil  gewordenen 
Glückes  und  bittet  mit  freundlich  rührenden  Worten  ihre  Umgebung,  ihr  die 
im  letzten  Acte  etwa  begangenen  „Unarten"  nicht  zu  verübeln.  Bei  vielen 
Frauen  stellt  sich  alsbald  nach  der  Entbindung  Frostschauer  ein,  bisweilen 
ein  förmlicher  Frostanfall,  verursacht  durch  die  rasche  Entleerung  des  Uterus 
und  der  Bauchhöhle,  durch  die  Abkühlung  und  besonders  durch  den  plötz- 
lichen Verlust  einer  Wärmequelle,  als  welcher  der  Fötus  zu  betrachten  ist. 
Dieser  Frost,  welcher  ängstliche  P'rauen  leicht  beunruhigt,  ist  durchaus  nicht 
von  schlimmer  Bedeutung,  er  bezweckt  nur  den  Ausgleich  der  plötzlichen 
Störung  im  Gleichgewicht  zwischen  Wärme-Production  und  -Abgabe,  wie  wir 
das  auch  anderwärts  beobachten,  und  geht  meist  sehr  rasch  vorüber. 

Unmittelbar  nach  der  Ausstossung  des  Kindes  fühlt  man  den  Uterus 
durch  die  jetzt  schlaffen  Bauchdecken  hindurch  als  feste  derbe  Kugel  etwa 
zwei  Hand  hoch  über  der  Symphyse,  gewöhnlich  etwas  nach  rechts  gerichtet; 
es  lässt  aber  diese  feste,  wenn  man  so  sagen  darf,  Austreibungs-Contraction 
bald  nach,  der  Uterus  wird  etwas  weicher,  ohne  gerade  zu  erschlaffen  —  es 
lässt  nur  die  heftige  Spannung  nach  —  und  dabei  grösser,  höher  in  den  Leib 
hinaufragend.  Durch  die  bedeutende  Reduction,  welche  der  Uterus  bei  der 
Ausstossung  des  Kindes  erfahren  hat,  ist  natürlich  auch  die  Placentarstelle 
verkleinert  worden,  welcher  Verkleinerung  die  Placenta  selbst  nicht  folgen 
konnte,  wodurch  sie  dann  gewöhnlich  von  der  Uteruswand  gleichsam  ab- 
gequetscht wird,  es  erfolgt  eine  Trennung  zwischen  Uterus  und  Placenta  in 
der  Decidualschicht  und  entsteht  dadurch  eine  Art  Höhlung  zwischen  beiden, 
da  die  dünnen,  der  Uteruscontraction  sich  adaptirenden  Eihäute  oft  noch  rings- 
um an  der  Uteruswand  haften  bleiben  und  so  die  Trennungsstelle  der  Pla- 
centa abschliessen.  In  diesem  Falle  ergiesst  sich  bei  oder  gleich  nach  Aus- 
schluss der  Kinder  das  Blut,  welches  durch  die  Zerreissung  der  Uteropla- 
centargefässe  aus  diesen  entleert  wird,  nicht  sofort  nach  aussen  mit  dem  Frucht- 
wasser, wohl  aber,  wenn  die  Eihäute  an  einer  Stelle,  meist  dem  unteren 
Rand  der  Placentarstelle  entsprechend,  schon  losgelöst  sind. 

Der  ruhende  Zustand  des  Uterus  dauert  nun  meist  nicht  lange.  Bald 
früher,  bald  später  erwacht  wieder  die  Wehenthätigkeit,  es  treten  wieder  Con- 
tractionen,  die  sogenannten  Nachgeburt s wehen,  Dolores  ad  secundinas, 
auf,  dazu  bestimmt,  die  letzte  Verbindung  der  Placenta  und  Eihäute  mit  dem 
Uterus  zu  lösen,  beziehungsweise  die  gelösten  Theile  aus  dem  Uterus  und 
wo  möglich  auch  aus  der  Scheide  zu  entfernen.  Den  Eintritt  dieser  Contrac- 
tionen  erkennt  man  an  dem  Kleiner-  und  Härterwerden  des  durch  die  Bauch- 
decken fühlbaren  Uterus,  sowie  an  dem  Anschwellen  und  Prallwerden  des  aus 


232  ENTBINDUNG. 

den  Genitalien  heraushängenden  Xabelschnurrestes,  welcher  unmittelbar  nach 
der  Unterbindung  welk  und  schlaft'  ist.  Die  Contractionen  sind  lange  nicht 
so  schmerzhaft,  als  die  letzten  Austreibungswehen,  sogar  oft  fast  schmerzlos, 
so  lange  der  Ausstossung  der  Placenta  aus  dem  Uterus  durch  den  erschlafften 
Muttermund  kein  ernstliches  Hindernis  entgegengesetzt  wird.  Der  Uterus 
nimmt  dabei  oft  eine  eckige  und  unregelmässige  Gestalt  an,  je  nach  dem 
Sitze  und  dem  Grade  der  Ablösung  der  Placenta.  Manchmal  genügen  drei 
bis  vier  massige  Wehen,  bei  denen  die  Kreissende  oft  nicht  klagt,  nur  kaum 
das  Gesicht  verzieht,  um  die  Lösung  zu  vollenden  und  die  Placenta  in  die 
Vagina  abzuschieben,  oft  sind  aber,  besonders  bei  etwas  festerem  Adhäriren 
derselben,  viel  mehr  und  stärkere  Wehen  dazu  erforderlich.  Schon  vor  dem 
Auftreten  der  stärkeren  Contractionen  kann  man  meist  in  dem  schon  etwas 
Contrahirten  inneren  Muttermund  den  Rand,  manchmal  auch  einen  Theil  der 
fötalen  Fläche  der  Placenta  vorliegen  fühlen.  Bei  den  nun  folgenden  Con- 
tractionen wird  die  Placenta  weiter  vorgeschoben  und  zwar  der  früher  allge- 
mein verbreiteten  Annahme  nach  umgestülpt  mit  der  Fötallläche  voraus,  oder, 
wie  Spiegelberg  u.  A.,  welche  die  Umstülpung  nur  durch  den  Zug  an  der 
Nabelschnur  hervorgebracht  erklären,  nach  der  fötalen  oder  uterinalen  Seite 
zusammengeklappt  mit  dem  Rande  voran.  Es  mögen  wohl  beide  Arten  des 
Austrittes  vorkommen,  wobei  besonders  zu  berücksichtigen,  ob  viel  Blut  zwi- 
schen Placenta  und  Uteruswand  sich  ansammeln  kann,  was  dann  die  Mitte 
der  Placenta  vorwölbt,  oder  ob  das  Blut  frei  abliiesst,  in  welch'  letzterem  Falle, 
vollständige  Enthaltung  des  Zuges  an  der  Nabelschnur  vorausgesetzt,  die 
Placenta  sich  mehr  mit  dem  Rande  vorschieben  wird.  Insbesondere  bei  kräfti- 
geren Erstgebärenden  mit  gut  entwickeltem  Uterus  ist  es  nicht  selten,  dass 
die  gesammte  Nachgeburt  mit  ein,  zwei  energischen  Wehen  nicht  nur  in  die 
Scheide,  sondern  nach  aussen  geboren  wird.  Bei  Mehrgebärenden,  deren 
Scheide  meistens  weiter  und  schlaffer  ist,  kann  die  Nachgeburt  längere  Zeit 
darin  liegen  bleiben  und  pflegt  dann  oft  erst  bei  Bewegungen  der  Neuentbun- 
denen im  Bette,  bei  zufälligem  Husten  oder  Niesen  herauszutreten,  oder  sie 
wird  schliesslich  durch  die  Bauchpresse  mit  Unterstützung  der  Muskeln  des 
Beckenbodens  ausgestossen,  wenn  sie  nicht  inzwischen  künstlich  entfernt  wor- 
den ist.  Gewöhnlich  ist  die  Ausstossung  der  Nachgeburt  mit  der  Entleerung 
einer  grösseren  oder  kleineren  Menge  theils  geronnenen,  theils  flüssigen  Blutes 
verbunden,  letzteres  besonders  wenn  sie  durch  energische  Contractionen  aus 
dem  Uterus  direct  entfernt  wird,  mehr  geronnenes,  wenn  sie  erst  nach  all- 
mäligen  Contractionen  austritt  und  längere  Zeit  in  der  Scheide  gelegen  hat. 

Die  Nachgeburtszeit  dauert  sehr  verschieden  lang,  bei  kräftigen,  durch 
die  vorausgegangene  Geburt  nicht  zu  sehr  angegriffenen  Erstgebärenden  oft 
nur  eine  viertel  bis  halbe  Stunde,  in  anderen  Fällen  mehrere  Stunden.  Es 
kommt  auch  vor,  dass  trotz  Nachgeburtswehen,  bei  denen  gewöhnlich  etwas 
Blut  abgeht,  die  Placenta  nicht  vollständig  gelöst  wird  oder  wenigstens  den 
Uterus  nicht  verlässt.  Es  beruht  dies  meist  auf  krankhaften  Störungen,  von 
welchen  an  anderer  Stelle  die  Rede  sein  wird.  Nach  der  normalen  Ausstossung 
der  Nachgeburt,  womit  der  ganze  Geburtsact  vollendet  ist,  fühlt 
man  den  Uterus  als  etwa  faustgrossen,  harten,  kugeligen  oder  von  vorn  nach 
hinten  abgeflachten  Körper  über  der  Schossfuge  liegen. 

Als  mittlere  Dauer  der  Entbindung  im  Ganzen  genommen  rechnet  man 
für  Erstgebärende  etwa  18  bis  20,  für  Mehrgebärende  10  bis  12  Stunden,  es 
ist  aber  die  Dauer  grossen  Schwankungen  unterworfen.  Am  längsten  dauern 
gewöhnlich,  sonst  normale  Verhältnisse  vorausgesetzt,  die  Geburten  bei  älteren 
Erstgebärenden,  jedoch  nulla  regula  sine  exceptione. 

Zum  Schlüsse  unserer  Betrachtung  des  klinischen  Verlaufes  der  Geburt  in 
seinen  nach  aussen  tretenden  Erscheinungen  erübrigt  nur  noch  eine  kurze  allgemeine 
Erörterung  derselben  in  Bezug  auf  die  Art  und  Weise,  wieder  Fötus   durch 


ENTBINDUNG.  233 

den  Widerstände  überwindet.  Wie  ein  jeder  Körper,  welcher  durch  einen  engen,  seinem 
Durchtreten  Hindernisse  entgegensetzenden  Canal  hindurchgctricbon  wird,  durch  gewisse 
Bewegungen  iind  Drehungen  diesen  Hindernissen  auszuweiclicn  suchen  wird,  so  macht  auch 
der  Kindesltörper,  der  von  dem  sicli  contrahirenden  Uterus  durcli  den  iJeckencanal  herab 
und  nach  aussen  getrieben  wird,  eine  Reihenfolge  von  bestimmten  Bewegungen,  um  den  im 
Becken,  beziehungsweise  Geburtscanal  sich  ihm  entgegenstellenden  Hindernissen  zu  begeg- 
nen, dieselben  zu  überwinden.  Die  Summe  dieser  in  einer  bestimmten  Reihenfolge  auftreten- 
den und  durch  bestimmte  Thätigkeiten  der  austreibenden  Kräfte  bedingten  Bewegungen 
nennt  man  den  Geb  urtsmechanismus  (mcchanismus  partus),  welchen  wir  in 
seinen  Allgemeinzügen  kurz  betrachten  wollen. 

Wäre  der  Geburtscanal  ein  einfach  gerades  Rohr  mit  überall  gleichen  Abständen  von 
der  Centrallinie  oder  Achse  und  ebenso  der  Fötus  ein  gleichmässiger  Cylinder,  dann  wäre 
dessen  Durchtreibung  durch  den  Canal  eine  sehr  einfache.  Da  aber  der  Geburtscanal  ein 
gekrümmtes  Rohr  darstellt  mit  sehr  kurzer  vorderer  und  länger  hinterer  Wand  und  mit 
sehr  wechselnden  Durchmessern  in  den  einzelnen  Abtheilungen  und  andererseits  der  Kindes- 
körper auch  sehr  verschiedene  Durchmesser  nach  den  einzelnen  Richtungen  und  in  den 
einzelnen  Körperabschnitten  zeigt,  so  ist  klar,  dass  dessen  Bewegung  durch  den 
ersteren  auch  keine  einfache  sein  kann.  In  der  That  folgt  der  Fötus  dabei  gewissen,  für 
alle  Durchtrittsarten  gleichmässig  allgemein  giltigen  Gesetzen,  von  welchen  die  Natur  bei 
diesem  so  hochwichtigen  und  bewunderungswürdigen  Acte  nie  abweicht  und  deren  genaue 
Kenntnis  für  den  Geburtshelfer  unbedingt  nöthig  ist,  um  einerseits  eine  richtige  Anschauung 
jedes  speciellen  Falles  zu  gewinnen,  jede  Abweichung  von  dem  gewöhnlichen,  normalen  Ver- 
laufe einer  Geburt  richtig  erkennen  und  beurtheilen  zu  können  und  andererseits  sein  Han- 
deln in  dem  gegebenen  Falle  danach  einzurichten.  Ohne  genaue  Kenntnis  des  Geburts- 
mechanismus ist  kein  heilbringendes  Behandeln  der  Geburt,  kein  rationelles  operatives 
Eingi'eifen  möglich.  Aus  diesen  allgemeinen  Regeln  oder  Gesetzen  erklären  sich  auch  die 
Verschiedenheiten  der  Durch  trittsweise  des  Kindeskörpers  bei  den  einzelnen  als  normale  zu 
betrachtenden  Geburtsarten,  wie  sich  bei  der  speciellen  Schilderung  derselben  ergeben  wird. 

Damit  ein  geregelter  Geburtsmechanismus  zustande  komme,  ist  es  nothwendig,  dass 
dem  Kindeskörper  bei  seinem  Hindurchtreten  durch  den  Geburtscanal  von  den  Wandungen 
desselben  ein  grosser  Widerstand  entgegengesetzt  werde,  welchem  er  durch  bestimmte  Be- 
wegungen auszuweichen  trachtet.  Diesen  Widerstand  wird  er  aber  nur  dann  finden,  wenn 
er  ein  solches  Volum  besitzt,  dass  er  mit  den  Wandungen  des  Geburtscanales  auch  allseitig 
in  enge  Berührung  tritt.  Dies  ist  aber  nur  bei  den  grösseren  Theilen  des  Kiudeskörpers, 
wie  Kopf,  Thorax,  Schultern  und  Steiss  möglich,  weshalb  auch  nur  diese  eines  geregelten 
Geburtsmechanismus  fähig  sind.  So  beginnt  z.  B.  bei  Fusslagen  der  eigentliche  Geburts- 
mechanismus erst  dann,  wenn  die  Hüften  des  Kindes  in  das  kleine  Becken  eintreten.  Bei 
unreifen,  sehr  kleinen,  faulen  Früchten  findet  ein  solcher  überhaupt  nicht  statt. 

Bei  der  normalen  Geburt  wird  der  Kindeskörper,  der  im  erschlafften,  d.  li.  nicht 
contrahirten  Uterus  sehr  stark  über  seine  vordere  Fläche  gekrümmt  liegt,  so  dass  er  eine 
Eigestalt  hat,  durch  die  Contractionen  des  Uterus,  besonders  die  Verkürzung  desselben  in 
querer  Richtung  gerade  gestreckt  und  tritt  in  solch  gestreckter  Haltung  in  den  Becken- 
canal  hinein,  wobei  seine  Längenlinie  oder  Achse  genau  in  der  Führangslinie  oder  Achse 
des  Geburtscanais  sich  vorwärtsbewegt,  die  Leitspitze  voran.  Da  aber  diese  Führungshnie 
einen  nach  vorn  offenen  Halbkreis  beschreibt,  in  dem  Beckeneingang  in  der  Richtung  von 
vorn  oben  nach  hinten  unten,  dann  in  der  Beckenhöhle  senkrecht  nach  abwärts,  im  Becken- 
ausgang von  hinten  oben  nach  vorn  unten  und  endlich  im  Scheidenausgang  horizontal,  selbst 
von  hinten  unten  nach  vorn  oben  gerichtet,  so  muss  auch  der  Fötus  bei  seinem  Hindurch- 
treten durch  den  Geburtscanal  sich  dieser  gekrümmten  Linie  adaptiren  und  verschiedene 
Biegungen  in  seiner  Längsstreckung  erfahren,  mit  seiner  Achse  immer  senkrecht  auf  der 
jeweiligen  Durchtrittsstelle  stehend.  Diese  einzelnen  Darchtrittsstellen  haben  aber,  da  der 
ganze  Becken-,  beziehungsweise  Geburtscanal  hinten  viel  längere  Wandung  hat,  als  vorne, 
dementsprechend  verschiedene  Richtung  in  der  Art,  dass  aufrechte  Stellung  der  Frau  ge- 
dacht, das  vordere  Ende  der  Eingangsebene  viel  tiefer  steht  als  der  hintere;  die  Ebene  der 
Beckenhöhle  horizontal  liegt,  vorderes  und  hinteres  Ende  gleich  hoch,  und  schliesslich  das 
vordere  Ende  der  Ausgangsebene  viel  höher  steht  als  das  hintere.  Dementsprechend  wird 
der  der  vorderen  Beckenwand  anliegende  Theil  des  Fötus  beim  Eintritt  in  das  Becken 
einen  viel  tieferen  Stand  haben,  als  die  im  hinteren  Beckenumfang  gelagerten  Theile,  dann 
aber,  wenn  er  den  unteren  Rand  der  Schossfuge  als  den  tiefsten  Theil  der  vorderen  Becken- 
wand erreicht  hat,  stehen  bleiben,  während  die  nach  hinten  gerichteten  Theile  jetzt  über 
die  Vorderfläche  des  unteren  Kreuzbeinabschnittes  und  des  Steissbeins,  sowie  über  das  Peri- 
neum sich  hervordrängen  und  dadurch  viel  tiefer  zu  stehen  kommen,  als  die  nach  vorn 
zu  unter  dem  Schossbogen  stehenden  Theile. 

Abgesehen  von  dieser  Verschiedenheit  der  Richtung  der  einzelnen  Durchgangsstellen 
des  Beckens  zur  Längsachse  des  Körpers  bieten  die  verschiedenen  Durchmesser  derselben 
auch  wesentliche  Unterschiede  in  ihrer  Länge  dar,  welche  von  Einfluss  auf  gewisse  Be- 
wegungen des  Fötus  sind.  Denn  derselbe  wird  am  leichtesten  den  von  den  Beckenwan- 
dungen ihm  entgegengestellten  Widerständen  ausweichen,  wenn  er  mit  seinen  längsten  Durch- 


234  EXTRAÜTERINSCHWANGERSCHAFT. 

messern  sich  in  die  längsten  Durchmesser  der  jeweilig  zu  passirenden  Beckenabschnitte 
stellt,  er  wird  also  bei  der  allmäligen  Herabbewegung  in  der  Richtung  seiner  Längsachse 
auch  gewisse  Rotationen  um  eben  diese  Längsachse  ausführen,  welche  bei  der  Schilderung 
des  Vorganges  der  einzelnen  Geburtsarten  im  Speciellen  ihre  Erörterung  finden  werden, 

BIRNBAUM. 

ExtrauterinSChwangerSChaft.  Während  unter  normalen  Verhältnissen 
das  aus  einem  GRAAF'schen  Follikel  ausgestossene  Ovulum  durch  die  Tube 
nach  dem  Uterus  geleitet  wird,  kann  dasselbe  unter  gewissen  pathologischen 
Umständen  entweder  auf  diesem  Wege  aufgehalten  werden  oder  überhaupt  von 
demselben  abirren.  Wenn  nun  unter  den  einen  oder  anderen  Umständen  zu 
dem  Ovulum  Spermatozoon  gelangen  können,  so  kann  auch  ausserhalb  des 
Uterus  eine  Befruchtung  des  Ovulums  eintreten ;  findet  ein  derartig  befruch- 
tetes Ei  entsprechend  günstige  Verhältnisse  zu  seiner  Einbettung,  so  kann 
auf  diese  Art  ausserhalb  des  Fruchthalters  das  Ei  sich  weiter  entwickeln. 
Unter  diesen  Umständen  spricht  man  von  einer  Extrauterin-  oder  ekto- 
pischen  Schwangerschaft. 

Es  gibt  verschiedene  Stellen,  an  w^elchen  ausserhalb  des  Uterus  eine 
derartige  Einbettung  des  befruchteten  Eies  möglich  erscheint.  Die  weitaus 
häufigsten  ektopischen  Schwangerschaften  entwickeln  sich  im  Eileiter,  dessen 
faltenreiche  Schleimhaut  mit  demselben  flimmernden  Cylinderepithel  besetzt 
ist,  wie  die  des  Uterus,  und  in  Folge  dessen  der  Weiterentwicklung  des  Eies 
zweifellos  günstige  Verhältnisse  darbietet.  Das  Ovulum  kann  an  allen  Theilen 
des  Eileiters  sich  anlegen,  sowohl  in  der  Ampulle  des  Fimbrienendes  oder 
an  irgend  einer  Stelle  des  freien  Verlaufes  der  Tube  als  auch  in  dem  Theile 
derselben,  welcher  durch  die  Uteruswand  hindurchgeht.  Je  nachdem  die  eine 
oder  die  andere  dieser  Einbettungsarten  gegeben  ist,  spricht  man  von  einer 
Graviditas  tuho-abdominalis,  tuharia  oder  interstitialis.  Ausser  der  Tuben- 
schwangerschaft kennen  wir  aber  auch  noch  eine  sogenannte  Eierstockschwanger- 
schaft, welche  dann  entsteht,  wenn  bei  der  Kuptur  eines  GßAAF'schen  Folli- 
kels das  Ei  nicht  aus  dem  letzteren  austritt,  sondern  in  demselben  zurück- 
bleibend von  einem  durch  die  Rissteilen  eingedrungenen  Spermatozoon  be- 
fruchtet wird;  unter  diesen  Umständen  entwickelt  sich  also  das  befruchtete  Ei 
im  Eierstock  selbst  weiter  und  wird  von  den  Gelassen  desselben  ernährt. 
Zwischen  diesen  beiden  Arten  der  Extrauterinschwangerschaft  steht  eine  höchst 
selten  vorkommende  Form  derselben:  die  Graviditas  tuho-ovurica.  Eine  solche 
kommt  dann  vor,  wenn  das  Fimbrienende  der  Tube  an  einer  Stelle  des  Ova- 
riums  durch  entzündliche  Processe  angelöthet  ist  und  in  diesem  Bereiche  aus 
einem  GßAAF'schen  Follikel  ein  Ei  in  die  Tube  ausgestossen  wird.  Wird  dies 
Ei  in  der  Tube  zurückgehalten  und  befruchtet,  so  sprechen  wir  von  einer 
graviditas  tubo  ovarica.  In  früheren  Zeiten  nahm  man  an,  dass  ein  befruch- 
tetes Ei  auch  an  irgend  einer  Stelle  des  Beckenperitoneums  sich  einbetten 
und  weiter  entwickeln  könne,  in  welch'  letzterem  Falle  man  von  einer  Gravi- 
ditas abdominalis  sprach.  Es  ist  aber  durch  die  sorgfältigen  Untersuchungen 
von  Werth  im  höchsten  Grade  zweifelhaft  geworden,  ob  dies  in  der  That 
möglich  ist.  Die  grosse  Mehrzahl  der  neueren  Forscher  auf  diesem  Gebiete 
neigt  der  Annahme  zu,  dass  eine  Bauchhöhlenschwangerschaft  unmöglich  sei; 
jedenfalls  sind  keine  ganz  einwandsfreie,  anatomische  Beweise  für  die  Existenz 
einer  solchen  bisher  beigebracht  worden.  Wir  werden  daher  die  Abdominal- 
schwangerschaft aus  unseren  Betrachtungen  fortlassen. 

Das  in  die  Tube  gelangte,  befruchtete  Ovulum  kann  unter  verschiedenen 
Umständen  an  irgend  einer  Stelle  der  Tubenschleimhaut  zurückgehalten  wer- 
den (Tubenschwangerschaft);  in  den  meisten  Fällen  dürfte  eine  patholo- 
gische Veränderung  der  Tubenschleimhaut  dafür  verantwortlich  zu  machen  sein, 
wobei  man  allerdings  nicht  an  tiefere  entzündliche  Veränderungen,  sondern  viel- 
leicht nur  an  Veränderungen  des  Epithels  (Flimmerverlust)  zu  denken  hat;  auch 


EXTRAUTERINSCHWANGERSCHAFT.  235 

polypöse  Bildungen  der  Schleimhaut  werden  beschuldigt.  In  anderen  Fällen 
findet  man  durch  entzündliche  Processe  des  Peritoneums  die  Tube  und  damit 
auch  deren  Lumen  in  ihrem  Verlaufe  abgeknickt,  wodurch  die  weitere  Beför- 
derung des  Eies  in  den  Uterus  gehindert  wird.  Das  Ei  wird  unter  diesen 
Umständen  ebenso  wie  bei  uteriner  Schwangerschaft  von  der  Schleimhaut  der 
Tube  umfasst,  und  diese  letztere  selbst  entwickelt  in  der  näheren  Umgebung 
des  eingebetteten  Eies  eine  ziemlich  charakteristische  Decidua,  in  manchen 
Fällen  wohl  auch  eine  Beflexa,  während  die  kindlichen  Eihäute  in  der  typischen 
Weise  wie  bei  der  uterinen  Gravidität  gebildet  werden.  Auch  die  Bildung 
der  Placenta  scheint  in  ganz  normaler  Weise  vor  sich  zu  gehen,  wenn  es 
überhaupt  zu  dieser  Bildung  kommt.  Die  Blutzufuhr  zu  Decidua,  resp.  Pla- 
centa wird  von  den  an  und  für  sich  reichlich  entwickelten  Gefässen  der  Tube 
geliefert. 

Bei  der  weiteren  Entwicklung  einer  Tubengravidität  sind  nun  eine  Reihe 
verschiedener  Ausgänge  möglich,  welche  nicht  zum  geringsten  Theile  von  der 
Oertlichheit  der  Einbettung  des  Eies  in  der  Tube  abhängen.  In  einer  Anzahl 
von  Fällen  kann  die  Schwangerschaft  bis  zum  normalen  Ende  fort- 
schreiten, und  zwar  ist  dies  wohl  hauptsächlich  dann  der  Fall,  wenn  die 
Einbettung  des  Eies  gegen  das  Fimbrienende  zu  in  der  sogenannten  Ampulle 
erfolgt  ist,  welche  bekanntlich  an  und  für  sich  ein  wesentlich  grösseres  und 
weiteres  Lumen  besitzt  als  der  dem  Uterus  näher  liegende  Theil  des  Eileiters. 

Am  Ende  der  Gravidität  stirbt  die  Frucht  in  Folge  von  Blutungen  in 
die  Placenta  ab  und  kann  nun  eine  Reihe  verschiedener  Veränderungen  durch- 
machen; einestheils  kann  es  zur  Vereiterung,  resp.  Verjauchung  des  extrauterin- 
gelegenen  Fruchtsackes  kommen,  wobei  entweder  eine  sich  anschliessende 
Peritonitis  zur  Katastrophe  führt  oder  aber  der  in  eine  grosse  Abscesshöhle 
verwandelte  Fruchtsack  nach  Verlöthung  mit  seinen  Nachbarorganen  theils 
durch  die  vordere  Bauchwand,  theils  durch  Darm,  Blase  oder  Scheide  durch- 
bricht, wodurch  langandauernde  Eiterungen  mit  Abgang  fötaler  Knochen  her- 
vorgerufen werden  und  das  Leben  der  betreffenden  Frau  in  hochgradiger 
Weise  gefährdet  wird.  In  anderen  Fällen  tritt  eine  Art  trockener  Mumifica- 
tion  der  Frucht  ein  durch  Resorption  des  Fruchtwassers  sowie  des  grössten 
Theiles  der  wässerigen  Bestandtheile  der  Frucht  selbst  mit  und  ohne  Ablage- 
rung von  Kalksalzen  in  die  Eihäute;  im  letzteren  Falle  kann  eine  vollständige 
Kalkschale  um  den  Embryo  abgelagert  werden  (Lithopaedionhildung),  welche 
denselben  vom  Stoffwechsel  so  ziemlich  ausschliesst  und  auch  das  Eindringen 
von  Eitererregern  in  den  Fruchtsack  meistens  verhindert.  Solche  sogenannte 
Steinkinder*)  sind  jahrzehntelang  von  einzelnen  Frauen  im  Abdomen  getragen 
worden,  in  einzelnen  Fällen  ist  auch  wiederholt  Uterinschwangerschaft  in  der- 
artigen Fällen  beobachtet  worden.  Uebrigens  soll  nicht  unerwähnt  bleiben, 
dass  mitunter  nach  jahrelangem  Bestände  eines  Lithopädions  noch  Entzün- 
dungen und  Vereiterungen  des  Fruchtsackes  beobachtet  wurden. 

Wesentlich  anders  pflegt  sich  der  Verlauf  der  Tubenschwangerschaft  zu 
gestalten,  wenn  die  Einbettung  des  Eies  mehr  in  dem  mittleren,  resp.  den  dem 
Uterus  näherliegenden  Theilen  der  Tube  erfolgt  ist.  Die  erste  Entwicklung 
des  Eies  erfolgt  zwar  hier  ebenfalls  normaler  Weise  und  pflegt  in  den  ersten 
Wochen  ungestört  zu  verlaufen.  Die  Ausdehnung  der  Tube  geschieht  ent- 
weder mehr  gegen  die  Bauchhöhle  zu,  so  dass  der  schwangere  Eileiter  mehr 
oder  weniger  beweglich  mit  seinem  Mesenterium  und  dadurch  mit  dem  Uterus 
verbunden  ist,  oder  aber  die  Erweiterung  der  Tube  erfolgt  mehr  nach  abw^ärts, 
indem  die  beiden  Platten  des  Ligamentum  latum  entfaltet  werden,  so  dass 
der  wachsende  Tumor  mehr  und  mehr  extraperitoneal,  resp.  intraligamentär 
sich  entwickelt.  Bei  beiden  Wachsthumsarten  des  schwangeren  Eileiters  di'oht 


*)  Vergl.  auch,  den  Artikel  „Litliopädion"  ds.  Bd. 


236  EXT  RAUTERINSCHWANGERSCHAFT. 

nun  die  gemeinsame  Gefahr,  dass  die  relativ  dünn  enUvickelte  Muskelwand 
der  Tube  der  Ausdehnung  durch  das  wachsende  Ei  nicht  mehr  den  genügen- 
den Widerstand  entgegenzusetzen  vermag.  Dies  führt,  und  zwar  besonders 
bei  der  Entwicklung  der  Tube  gegen  die  Bauchhöhle  zu,  zunächst  in  einer 
Anzahl  von  Fällen  zur  Berstung  des  Fruchtsackes,  welche  wahrscheinlich 
weniger  durch  das  zunelimende  Wachsthum  des  Eies  als  durch  Zerreissung 
grösserer  Gelasse  und  dadurch  bedingte  Blutung  in  die  Eihäute  hervorgerufen 
wird.  Erfolgt  die  Blutung  in  die  freie  Bauchhöhle,  so  kann  mitunter  rapid, 
meistens  aber  durch  wiederholte  Nachschübe  der  Blutung  durch  die  dadurch 
hervorgerufene  acute  Anämie  der  letale  Ausgang  erfolgen.  Dies  ist  aber,  wie 
aus  den  zahlreichen  heute  vorliegenden  Beobachtungen  entnommen  werden 
kann,  gewiss  nicht  der  häufigste  Ausgang.  Sehr  oft  sehen  wir,  dass  die 
Blutung  überhaupt  nicht  in  die  freie  Bauchhöhle  erfolgt,  sondern  dass  das 
ergossene  Blut  an  dem  Einfliessen  in  die  Bauchhöhle  durch  vorher  schon  be- 
stehende Verwachsungen  in  der  Umgebung  der  Tube  gehindert  wird  und  dass 
es  auf  diese  Art  nur  zur  Bildung  eines  meist  retrouterin  gelegenen  Blut-Tumors 
(Haematokele  retroiäerind)  kommt;  nach  der  Ausbildung  einer  solchen  Hae- 
matokele  pflegt  gewöhnlich  die  Blutung  zu  stehen;  in  einzelnen  Fällen  jedoch 
kann  ein  solcher  Bluttumor  doch  noch  in  die  Bauchhöhle  durchbrechen  und 
zur  tödtlichen  Verblutung  führen.  Bei  intraligamentär  entwickelter  Tube  kann, 
wenn  die  Schwangerschaft  nicht  bis  zum  Ende  verläuft,  ebenfalls  eine  Ruptur 
des  Fruchtsackes  eintreten,  worauf  zunächst  ein  extraperitoneales  Haematom 
gebildet  wird,  d.  h.  es  ergiesst  sich  die  Blutung  zwischen  die  Platten  des 
Ligamentum  latum,  wodurch  diese  usque  ad  maximum  mit  Blut  aufgespritzt 
werden.  In  vielen  Fällen  steht  dann  die  Blutung  und  kann  resorbirt  werden, 
in  anderen  wiederum  berstet  das  Ligamentum  latum  gegen  die  Bauchhöhle 
hin,  wobei  wiederum  die  Gefahr  der  tödtlichen  Verblutung  droht.  Im  Allge- 
meinen scheint  die  intraligaraentäre  Entwicklung  des  schwangeren  Eileiters 
etwas  weniger  Gefahr  zu  bieten  als  bei  der  Wachsthumsrichtung  nach  der 
freien  Bauchhöhle  zu. 

In  einzelnen  Fällen  scheint  die  Wand  der  Tube  gegen  die  Bauchhöhle 
hin  ohne  nennenswerthe  Blutung  auseinander  zu  weichen,  so  dass  die  Frucht 
in  den  unverletzten  Eihäuten  oder  nur  im  Amnion,  mitunter  sogar  ohne  Er- 
haltung einer  Eihülle  in  die  Bauchhöhle  austreten  kann.  Dies  ist  natürlich 
nur  dann  möglich,  wenn  das  Auseinanderweichen  der  Tubenwand  an  einer 
Stelle  erfolgt,  an  welcher  die  Einbettung  des  Eies  nicht  stattgehabt  hat,  an 
welcher  also  auch  die  zur  Ernährung  dienenden  Gefässe  nicht  zum  Ei  heran- 
treten; in  einem  solchen  Falle  kann  die  Frucht  durch  die  Nabelschnur  in 
Verbindung  mit  der  intacten  Placenta  bleiben  und  sogar  bis  zum  Ende  der 
Schwangerschaft  ausgetragen  werden.  (Secimdäre  Äbdominalsckwangerschaft.) 
Die  Frucht  wird  dann  von  Seiten  des  ihr  anliegenden  Peritoneums  entweder 
durch  Pseudomembranen  abgekapselt  oder  aber  sie  liegt  in  ganz  seltenen 
Fällen  frei  zwischen  den  Darmschlingen  der  Mutter.  Der  weitere  Ausgang 
entspricht  gewöhnlich  den  oben  geschilderten  Verhältnissen  bei  ausgetragener 
Extrauterinschwangerschaft. 

In  einer  nicht  unbedeutenden  Anzahl  von  Fällen  sehen  wir  noch  eine 
weitere  und  zwar  ziemlich  häufige  Erscheinung  bei  Tubenschwangerschaft  auf- 
treten. Es  kann  nämlich  ebenso  wie  bei  uteriner  Schwangerschaft  dieselbe 
durch  das  Absterben  der  Frucht  beendigt  werden.  Dieses  Ereignis  tritt  offen- 
bar meistens,  Avie  es  auch  so  häufig  bei  uteriner  Schwangerschaft  zu  beob- 
achten ist,  durch  Gefässzerreissung  und  Blutungen  in  die  Eihäute  ein.  Bei 
diesem  sog.  T  üb  ar- Abort  kann  nun  entweder  eine  Rückbildung,  resp.  Resorp- 
tion des  Eies  stattfinden,  wodurch  eine  Art  von  Heilung  erreicht  würde,  oder 
aber  —  und  dies  ist  jedenfalls  das  häufigere  — •  die  Blutungen  sind  beträcht- 
lich und  führen  zur  Zertrümmerung  und  Ablösung    des  Eies  von  der  Tuben- 


EXTRAUTERINSCHWANGERSCHAFT.  287 

wand.  In  diesen  letzteren  Fällen  sieht  man  nicht  selten,  dass  das  Ei  und 
zwar  meistens  unter  sehr  erheblichen  lilutungen  aus  dem  abdominalen  Ende 
der  Tube  in  die  Bauchhöhle  ausgestossen  wird;  die  lilutungen  können  dabei 
ebenfalls  einen  äusserst  bedrohlichen  Charakter  annehmen. 

Bei  der  sogenannten  Graviditas  interstitialis  oder  tuho-uterina,  bei  welcher 
das  Ei  in  dem  kurzen  Stücke  der  Tube,  welches  durch  die  Uteruswand  hin- 
durchführt, sich  einbettet  und  weiter  entwickelt,  wird  auch  meistens  die  Uterus- 
wand durch  das  wachsende  Ei  so  stark  verdünnt,  dass  die  Berstung  des  Frucht- 
sackes auch  hier  als  der  häufigste  Ausgang  bezeichnet  werden  muss.  In  ein- 
zelnen ganz  ausserordentlich  seltenen  Fällen  hat  man  beobachtet,  dass  das  Ei 
gegen  die  Uterushöhle  zu  wuchs  und  dieselbe  mehr  und  mehr  erfüllend  und 
ausdehnend  schliesslich  grösstentheils  intrauterin  zu  liegen  kam  und  zur  Reife 
gedeihend  auf  normalem  Wege  geboren  wurde.  Die  Literatur  verzeichnet 
davon  nur  einige  wenige  Fälle. 

Bei  allen  extrauterin  entwickelten  Schwangerschaften  kann  man  die  stets 
wiederkehrende  Beobachtung  machen,  dass  sich  der  Uterus  selbst  dabei  in  der 
Weise  betheiligt,  dass  er  in  den  ersten  Monaten  sich  beträchtlich  vergrössert, 
weicher  wird  und  dass  seine  Schleimhaut  stark  hypertrophisch  wird  und  eine 
ziemlich  charakteristische  Schwangerschaftsdecidua  bildet.  Das  Epithel  der 
Schleimhaut  bleibt  dabei  erhalten,  nur  werden  die  einzelnen  Epithelzellen 
etwas  niedriger.  In  den  meisten  Fällen  schliesst  sich  an  den  Tod  der  extra- 
uterin entwickelten  Frucht  bald  darauf  eine  blutige  Ausscheidung  aus  dem 
Uterus  an,  welche  durch  Contractionen  des  Uterus  bedingt  ist.  Diese  Wehen 
führen  zur  Ablösung  der  Decidua,  welche  in  verschiedener  Zeit  nach  dem 
Auftreten  der  Blutung  theils  in  einzelnen  Fetzen,  oft  aber  als  völliger  Abguss 
der  Uterusinnenfläche  ausgestossen  wird.  Es  sei  aber  bei  dieser  Gelegenheit 
betont,  dass  eine  derartige  unter  Blutungen  erfolgende  Ausstossung  von  De- 
ciduafetzen  nicht  nothwendig  an  den  Fruchttod  gebunden  ist.  In  einzelnen 
Fällen  wurde  bestimmt  beobachtet,  dass  während  einer  Extrauterinschwanger- 
schaft  eine  derartige  Ausstossung  erfolgte  und  trotzdem  die  Schwangerschaft 
weiter  gedieh. 

Bezüglich  der  extrauterin  entwickelten  Früchte  sei  noch  bemerkt,  dass  in 
seltenen  Fällen  multiple  Schwangerschaft  beobachtet  wurde;  bei  zur 
Reife  gediehenen  Früchten  sieht  man  häufig  Klumpfussbildungen,  auch  Ein- 
drücke im  Schädel  der  Kinder,  welche  wohl  auf  die  Raumbeschränkung  im 
extrauterinen  Fruchtsack  zurückzuführen  sind. 

Ausserdem  ist  eine  Anzahl  von  Fällen  bekannt,  in  denen  bei  derselben 
Frau  wiederholte  Extrauterinschwangerschaft  eingetreten  ist,  so 
dass  z.  B.  nach  Ablauf,  auch  nach  operativer  Entfernung  der  einen  Tuben- 
gravidität in  der  anderen  Tube  später  eine  zweite  Extrauterinschwanger- 
schaft sich  entwickelte.  Ebenso  ist  es  mehrfach  beobachtet,  dass  auf  eine 
Extrauterinschwangerschaft  eine  uterine  Schwangerschaft  folgte. 

Wie  aus  der  obigen  Schilderung  hervorgehen  dürfte,  wird  durch  die 
Tubarschwangerschaft  das  Leben  der  Mutter  in  mannigfaltiger  Weise  auf's 
ernstlichste  bedroht  und  dürfte  schon  daraus  der  Wunsch  hervorgehen  durch 
eine  frühzeitige  Diagnose  dieses  Zustandes  den  drohenden  Gefahren  wo 
möglich  zuvorzukommen.  Leider  muss  in  dieser  Richtung  bekannt  werden,  dass 
in  zahlreichen  Fällen  der  Symptomencomplex,  welcher  durch  Tubarschwanger- 
schaft hervorgerufen  wird,  ein  durchaus  nicht  charakteristischer  zu  sein  pflegt; 
sehr  häufig  z.  B.  treten  so  gut  wie  gar  keine  prägnanten  Symptome,  welche 
sich  von  derien  bei  uteriner  Schwangerschaft  unterscheiden  Hessen,  hervor, 
so  dass  häufig  die  alarmirenden  Erscheinungen  der  acuten  Anämie  bei  Ruptur 
des  Fruchtsackes  oder  bei  Tubar-Abort  die  ersten  Anhaltspunkte  sind,  welche 
überhaupt  für  eine  Extrauterinschwangerschaft  sprechen.  Dazu  kommt,  dass 
bei  extrauteriner  Gravidität  die  Frauen  sehr  häufig  schon  vor  der  Conception 


238  EXTRAÜTERINSCHWANGERSCHAFT. 

mit  Genitalerkrankungen  behaftet  sind,  so  dass  die  durch  das  Wachsthum 
eines  extrauterinen  Fruchtsackes  vielleicht  etwas  gesteigerten  Beschwerden 
oft  wenig  in  das  Auge  fallend  erscheinen.  Die  üblichen  Schwangerschafts- 
erscheinungen, die  Zunahme  der  Brüste,  Secretion  von  Colostrum,  vermehrte 
Pigmentation,  Aufhören  der  Menstruation  u.  s.  w.  pflegen  ja  allerdings  nicht 
zu  fehlen,  sind  aber  wenigstens  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  von  denen  bei 
uteriner  Schwangerschaft  nicht  wesentlich  unterschieden.  Bezüglich  der  Men- 
struation muss  allerdings  bemerkt  werden,  dass  in  manchen  Fällen  dieselbe 
nicht  vollkommen  cessirt,  sondern  dass  mitunter  atypische,  wenn  auch  nicht 
bedeutende  blutige  Ausscheidungen  aus  dem  Uterus  auftreten,  welche  mancher 
Frau  die  Veranlassung  geben,  ärztlichen  Rath  einzuholen.  In  einzelnen  Fällen 
sehen  wir  allerdings,  dass  von  Anfang  an  eine  erhebliche  Steigerung  der 
bereits  vorhandenen  Beschwerden,  vor  Allem  aber  sehr  lebhafte  peritonitische 
Schmerzen  zu  beobachten  sind,  wenn  auch  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  diese 
letzteren  erst  bei  weiter  vorgeschrittenen  Extrauteringraviditäten  aufzutreten 
pflegen.  Sehr  beherzigenswerth  ist  natürlich  die  Ausstossung  von  Decidua- 
fetzen  während  der  Gravidität  oder  nach  dem  Fruchttode.  Eine  genaue  mikro- 
skopische Untersuchung  ist  insbesondere  dahin  zu  richten,  dass  bei  diesen 
Deciduafetzen  Chorionzotten,  welche  bei  einem  Abortivei  wohl  stets  nachzu- 
weisen sind,  hier  nicht  gefunden  werden  können.  Führen  aber  alarmirende 
Symptome  oder  vermehrte  Beschwerden  eine  Frau  in  ärztliche  Behandlung, 
so  wird  vor  Allem  der  Nachweis  eines  neben  dem  vergrösserten  Uterus  ge- 
legenen Tumors  zur  Stellung  der  Diagnose  nothwendig  sein.  Ist  ein  solcher 
Nachweis  geführt,  so  empfiehlt  es  sich  unter  allen  Umständen  die  weitere 
Untersuchung  mit  Zuhilfenahme  der  Chloroformnarcose  vorzunehmen.  Es  wird 
sich  in  früheren  Stadien  der  Schwangerschaft  ein  bei  mehr  abdominaler  Ent- 
wicklung mehr  oder  weniger  gestielter  vom  Uterus  seitlich  abgehender  Tumor, 
bei  intraligamentärer  Entwicklung  ein  mehr  breit  mit  dem  Uterus  zusammen- 
hängender, wenig  beweglicher  Tumor  neben  dem  Uterus  nachweisen  lassen. 
Und  von  besonderer  Bedeutung  ist  natürlich  in  solchen  Fällen  die  wiederholte 
Beobachtung  mit  dem  Nachweis  des  raschen  Wachsthums  des  betreffenden 
Tumors.  Unter  letzteren  Umständen  dürfte  dann  auch  die  vorsichtige  Ein- 
führung der  Sonde  in  die  Uterushöhle  ergeben,  dass  diese  leer  ist.  Die  von 
verschiedenen  Seiten  ausgeführte  Ausschabung  des  Uterus  behufs  mikrosko- 
pischer Untersuchung  der  Schleimhaut  des  FrucTithalters  ist  wegen  der  dadurch 
bedingten  Gefahren  (Ruptur  des  Fruchtsackes)  besser  zu  unterlassen. 

Wesentlich  leichter  ist  die  Diagnose  bei  Ruptur  des  Fruchtsackes  oder 
bei  stärkeren  Blutungen  beim  Tubar- Abort;  die  dabei  auftretenden  Symptome 
der  acuten  Anämie,  welche  besonders  häufig  sich  schubweise  verstärken,  muss 
unter  allen  Umständen  im  Zusammenhalte  mit  der  Anamnese  zuallererst  den 
Gedanken  an  Vorgänge  bei  Extrauterinschwangerschaft  erwecken.  Weniger 
alarmirend  pflegen  diese  Symptome  bei  Hämatokelen  oder  Hämatombildung 
zu  sein,  doch  fehlen  auch  hier  meistens  Symptome  innerer  Verblutung  nicht. 
Vor  Allem  aber  sind  bei  diesem  Ausgange  lebhafte  Schmerzen  vorhanden,  welche 
zu  einer  Untersuchung  Veranlassung  geben.  Der  Nachweis  eines  hinter  oder 
neben  dem  Uterus  rasch  entstandenen  und  den  Fruchthalter  nach  vorn  oder 
seitlich  verdrängenden,  besonders  im  Anfange  ziemlich  prallen  Tumors  ist  ge- 
wöhnlich leicht  zu  führen. 

Sehr  viel  leichter  pflegt  die  Diagnose  in  späteren  Monaten  der 
Extrauterinschwangerschaft  zu  werden.  Hier  lässt  sich  meistens  neben  dem  Tu- 
mor, welchen  der  extrauterine  Fruchtsack  bildet,  der  vergrösserte  Uterus  nach- 
weisen, wenn  er  nicht  gerade  ausnahmsweise  hinter  dem  Fruchtsack  liegt. 
Derselbe  liegt  dem  Fruchtsack  meistens  platt  auf  und  ist  mehr  oder  weniger 
aus  der  Beckenhöhle  nach  oben  verdrängt.  Im  Fruchtsack  lässt  sich  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  der  Nachweis   von   Kindestheilen  und  Kindesbewegungen 


EXTRAUTERINSCHWANGERSCHAFT.  239 

führen,  bei  lebender  Frucht  sind  die  Herztöne  oft  sehr  deutlich  nachzuweisen; 
auch  Uteringeräusch  pflegt  nicht  zu  fehlen.  Sehr  viel  schwieriger,  ja  un- 
möglich ist  wohl  meistens  der  Nachweis  zu  bringen,  welche  Art  der  p]xtra- 
uterinschwangerschaft  vorliegt  oder  gar  welclie  Art  von  Tubengravidität  vor- 
handen ist;  doch  ist  dies  auch  von  nebensäclilicher  Bedeutung.  Dagegen  lässt 
sich  die  oben  bereits  angedeutete  intraligamentäre,  nach  Art  subsei'öser  Ovarial- 
tumoren entwickelte  Tubengravidität  von  der  bei  freier  Entwicklung  in  die 
Bauchhöhle  wohl    unterscheiden. 

Aus  der  vorangegangenen  Schilderung  geht  wohl  schon  hervor,  dass  die 
Prognose  der  Extrauteringravidität  eine  ausserordentlicli  ernste  genannt  wer- 
den muss,  indem  das  Leben  der  Mutter  durch  die  verschiedensten  Gefahren 
aufs  Schwerste  bedroht  erscheint.  Dies  geht  auch  aus  den  meisten  statistischen 
Zusammenstellungen  von  Schauta  und  Martin  evident  hervor,  aus  denen  wir 
entnehmen,  dass  von  255  sich  selbst  überlassenen,  resp.  exspectativ  behandel- 
ten Fällen  nur  36"97o  der  Frauen  am  Leben  blieben.  Wesentlich  gebessert  ist 
die  Prognose  allerdings  dadurch,  dass  wir  gelernt  haben  durch  Ausbildung  der 
Diagnostik  Extrauterinschwangerschaften  frühzeitiger  zu  erkennen  und  durch 
die  vervollkommnete  operative  Technik  die  Chancen  für  die  Frauen  wesent- 
lich günstiger  zu  gestalten.  Die  erwähnten  Statistiken  ergeben  hiebei,  dass 
unter  515  operativ  behandelten  Fällen  IQ'l^lo  der  Frauen  am  Leben  erhalten 
wurden.  Von  einer  Prognose  für  die  Kinder  kann  unter  diesen  Umständen  kaum 
die  Rede  sein.  Die  Kinder  sind  bei  exspectativer  Behandlung  selbstverständlich 
ausnahmslos  verloren,  während  allerdings  in  einer  Anzahl  von  Fällen  durch 
operative  Eingriffe  in  jüngster  Zeit  eine  kleine  Pteihe  von  Kindern  lebend  aus 
dem  Abdomen  der  Mutter  entwickelt  wurde. 

Die  Therapie  wird  selbstverständlich  darin  bestehen  müssen,  den  durch 
Extrauterinschwangerschaft  drohenden  Gefahren  zuvorzukommen  oder  aber  bei 
Eintritt  der  einen  oder  anderen  Katastrophe  die  Folge  derselben  zu  bekämpfen. 
In  dieser  Beziehung  ist  wohl  von  der  Mehrzahl  der  Fachgenossen  der  Aus- 
spruch Wekth's,  dass  ein  extrauterin  entwickelter  Fruchtsack  als  eine  bösartige 
Neubildung  anzusehen  und  demgemäss  unter  allen  Umständen  auszurotten  sei, 
ziemlich  allgemein  acceptirt;  allerdings  ist  die  Frage,  wie  diese  Zerstörung 
vorzunehmen  sei,  nicht  ebenso  einheitlich  beantwortet   worden. 

Wenn  ein  früheres  Stadium  einer  Extrauterinschwangerschaft  erkannt 
wird  und  zunehmendes  Wachsthum  des  Fruchtsackes  darauf  hindeutet;  dass 
die  Frucht  noch  lebt,  so  ist  der  Gedanke  gewiss  berechtigt  durch  Tödtung 
der  Frucht  die  Schwangerschaft  zu  beendigen,  vorausgesetzt,  dass  dies  ohne 
wesentliche  Gefahr  geschehen  kann  und  der  Tödtung  der  Frucht  eine  prompte 
und  gefahrlose  Rückbildung  des  Fruchtsackes  folgt.  Es  ist  das  unbestreit- 
bare Verdienst  von  Winckel  durch  eine  Reihe  einwandsfreier  Fälle  gezeigt 
zu  haben,  dass  dies  in  der  That  der  Fall  ist.  Dieser  Autor  nahm  den  alten 
Vorschlag  von  Feiedreich  wieder  auf,  durch  die  Bauchdecken  in  den  extra- 
uterinen Fruchtsack  Morphiuminjectionen  zu  machen,  wodurch  der  Fruchttod 
mit  grosser  Promptheit  erfolgt  und  fast  ausnahmslos  eine  gefahrlose  Rück- 
bildung (Resorption?)  des  Fruchtsackes  eintritt.  Es  ist  gar  nicht  zu  leugnen, 
dass  auf  Grund  dieser  Erfahrungen  Winckel's  die  Nachahmung  dieses  Ver- 
fahrens weiteren  Kreisen  unbedingt  empfohlen  werden  muss.  Von  anderer 
Seite  ist  empfohlen  worden  die  Frucht  durch  Elektropunctur  des  Frucht- 
sackes oder  durch  Durchleitung  starker  elektrischer  Ströme  durch  den  Frucht- 
sack zu  tödten;  beide  Methoden,  besonders  die  erstere  sind  wegen  ihrer  Ge- 
fährlichkeit nicht  zu  empfehlen. 

Die  Mehrzahl  der  Gynäkologen  befolgt  die  WERTH'sche  Anschauung 
acceptirend,  ein  activeres  Verfahren,  indem  nicht  nur  in  jüngeren 
Stadien,  sondern  auch  in  späteren  Monaten  der  Extrauterinschwangerschaft 
und  auch  nach  dem  Fruchttode  womöglich  die  Exstirpation  des  Fruchtsackes 


240  EXTRAUTERINSCHWANGERSCHAFT. 

diircli  die  Laparotomie  und  damit  die  Beseitigung  aller  weiteren  Gefahren 
angestrebt  wird.  Dies  kann  besonders  bei  gestieltem  Abgange  des  Fruditsackes 
vom  Uterus  eine  sehr  leichte  und  einfache  Operation  sein.  Dagegen  können 
diese  operativen  Eingriffe  bei  sehr  ausgedehnten  Verwachsungen  des  Frudit- 
sackes und  besonders  bei  intraligamentcärer  Entwicklung  mit  den  grössten 
Schwierigkeiten  verbunden  sein.  Es  lässt  sich  zwar  auch  ein  intraligamentär 
entwickelter  Fruchtsack  besonders  nach  vorhergegangener  Abbindung  der  zum 
Tumor  führenden  Spermatikal-  und  Uteringefässe  ausschälen,  doch  gelingt 
dies  nicht  immer.  Besonders  grosse  Schwierigkeiten  bietet  die  Entfernung 
der  Placenta,  welche  nicht  wie  bei  uteriner  Schwangerschaft  auf  contractilem 
Boden  aufsitzt,  so  dass  es  bei  Versuchen  zur  Entfernung  derselben  zu  abun- 
danten  Blutungen  kommt,  welche  nur  mit  den  grössten  Schwierigkeiten  oder 
gar  nicht  zu  stillen  sind.  Für  diese  letzteren  Fälle  emptiehlt  es  sich  .den 
eröffneten  Fruchtsack  in  den  untersten  Theil  der  Bauchwunde  einzunähen  und 
nach  Entfernung  der  Frucht  die  Placenta  in  demselben  zurückzulassen.  Bei 
antiseptischer  Behandlung  des  zurückgebliebenen  Fruchtsackes  gelingt  es,  nach 
einiger  Zeit  die  Placenta  unblutig  zu  entfernen,  worauf  der  Fruchtsack  rasch 
sich  verkleinert  und  durch  Granulationen  geschlossen  wird.  Die  Frage,  ob 
bei  lebendem  Kinde  der  operative  Eingriff  auf  das  Ende  der  Schwangerschaft 
zu  verschieben  ist,  ist  kaum  zu  bejahen.  Bei  den  zweifellos  durch  Extrauterin- 
schwangerschaft  drohenden  Gefahren  und  der  meistens  schwächlichen  Ent- 
wicklung extrauteriner  Kinder  ist  die  baldige  Vornahme  der  Operation  nach 
der  Constatirung  der  Extrauteringravidität  entschieden  zu  empfehlen.  Ein 
exspectatives  Verfahren  etwa  in  Hinblick  auf  die  Möglichkeit  einer  Litho- 
pädionbildung  ist  in  Anbetracht  der  Seltenheit  dieser  Bildung,  sowie  der  Gefahr 
der  Vereiterung  und  Verjauchung  des  Fruchtsackes  nicht  zu  empfehlen.  Bei 
Vereiterung  des  Fruchtsackes  ist  eine  breite  Incision  an  der  zugänglichsten 
Stelle,  also  wohl  meistens  von  den  Bauchdecken  oder  der  Scheide  aus  zu 
machen  und  der  Abscess  nach  den  gewöhnlichen  chirurgischen  Ptegeln  zu  be- 
handeln. Beim  Tubar-Abort  wird  bei  der  Abwesenheit  von  Fieber  oder  anderen 
schweren  Symptomen  ein  exspectatives  Verfahren  am  ehesten  möglich  sein, 
wogegen  stärkere  Blutungen  und  hochgradige  Beschwerden  oder  Zersetzungs- 
vorgänge, welche  sich  durch  Temperatursteigerungen  kennzeichnen,  ebenfalls 
die  operative  Entfernung  des  Fruchtsackes  noth wendig  erscheinen  lassen. 
Dieses  active  Verfahren  hat,  wie  aus  der  oben  angeführten  Statistik  ersichtlich 
ist,  besonders  in  den  jüngsten  Jahren  zu  immer  besseren  Kesultaten  geführt 
und  dadurch  seine  Berechtigung  erworben. 

Bezüglich  der  Eierstockschwangerschaft  ist  bereits  oben  erwähnt 
worden,  dass  sie  augenscheinlich  sehr  selten  vorkommt;  wenigstens  sind  bis 
jetzt  nur  wenige  anatomisch  nachgewiesene  Fälle  bekannt.  Das  im  Geaaf- 
schen  Follikel  befruchtete  Ei  kann  entweder  aus  dem  Ovarium  in  die  Bauch- 
höhle herauswachsen  und  sich  in  der  letzteren  entwickeln,  während  die  Pla- 
centa im  Ovarium  ihren  Sitz  hat,  oder  aber  das  Ei  kann  sich  völlig  im  Ova- 
rium selbst  weiter  entwickeln  und  wird  in  diesem  Falle  mehr  oder  weniger 
wie  ein  Ovarialtumor  imponiren.  Es  scheint,  dass  bei  Ovarialschwanger- 
schaft  die  Gravidität  relativ  am  häufigsten  das  normale  Ende  erreicht.  Eine 
sichere  Diagnose  einer  Ovarialschwangerschaft  als  solche  dürfte  in  den 
meisten  Fällen  ihre  grossen  Schwierigkeiten  haben,  resp.  unmöglich  sein.  Im 
übrigen  kommen  dieselben  diagnostischen  Momente  in  Betracht,  wie  sie  von 
der  Tubenschwangerschaft  beschrieben   sind;  dasselbe  gilt  von  der  Therapie. 

Auch  bezüglich  der  ziemlich  seltenen  Tubo-Ovarialgravidität,  bei 
welcher  der  Fruchtsack  von  der  Tube  und  dem  Ovarium  gebildet  wird,  ist 
nichts  Wesentliches  hervorzuheben,  es  gelten  auch  hier  dieselben  Momente, 
wie  sie  oben  ausgeführt  sind. 

FEOMMEL. 


FIBROM,  FIBROMYOM,  MYOM.  241 

Fibrom,  Fibromyom,  Myom.  Fibrom  =  aus  Bindegewebe  bestehende 
Geschwulst;  Myom  =  aus  Muskelfasern  bestehende  Geschwulst.  Wegen  der 
weitgehenden  klinischen  Aehnlichkeit  und  des  häufigen  Vorkommens  von  Misch- 
formen beider  Geschwülste  an  den  weiblichen  Genitalien  werden  sie  hier 
gemeinsam  besprochen. 

Einleitung.  Fibrom  (Fibra,  Faser)  syn.  Fibroid  (ungeeignete  Benennung,  denn 
die  Geschwulst  ist  nicht  faser-, ähnlich",  sondern  wirklich  eine  Fasergeschwulst),  Des- 
moid  (oetu,  ich  binde,  6  6ea[j.o;,  das  Band;  ungeeignete  Bezeichnung  aus  demselben  Grunde 
und  deshalb,  weil  Verwechselungen  mit  Dermoid,  Hautgeschwulst,  wegen  des  Gleichklangs 
naheliegen);  Myom  ((j.ü?,  (j.uo?,  Maus,  Muskel),  Geschwulst  aus,  Muskelfasern;  die  Myome 
können  aus  glatten  Muskelfasern  bestehen:  Leiomyom,  Myoma  laevicellulare,  oder  aus  quer- 
gestreiften: Uhahdomyom,  M.  striocellulare ;  die  letzteren  sind  ausserordentlich  selten.  Im 
folgenden  handelt  es  sich  stets  um  Leiomyome,  wenn  kurzweg  von  Myomen  die  Rede  ist. 
ViRCHOW  und  J.  Vogel  haben  die  Unterscheidung  der  Fibrome  von  den  Myomen 
gelehrt,  indem  sie  zeigten,  dass  die  früher  als  Fibrome  bezeichneten  Uterus-Geschwülste 
aus  glatten  Muskelfasern  bestehen.  An  Bauchdecken,  Vulva,  Scheide,  Lig.  rotundum  und 
Ovarien  kommen  reine  Fibrome  vor,  in  Scheide,  Ovarien  und  vor  allem  im  Uterus  treten 
Fibrom  und  Myom  als  Mischgeschwülste  auf:  Fibromyome,  oder  wegen  des  Ueberwiegens 
der  Muskelfasern  kurzweg  als  Myome  bezeichnet. 

Nach  Maceration  in  20*'/o  Salpetersäure  (1  Tag  lang)  oder  in  307„  Kalilauge  (20— 30  Min. 
lassen  sich  die  Muskelspindeln  isoliren. 

In  jüngster  Zeit  hat  Weigert  die  Ansicht  ausgesprochen  und  begründet,  dass  die 
sogenannten  Fibromyome  ihren  Namen  mit  Unrecht  führen;  sie  bestehen  nach  ihm  nicht 
aus  zwei  verschiedenen  Geweben,  sondern  der  angeblich  bindegewebige  Theil 
besteht  nur  aus  nekrotischen  Partien  des  Myoms.  Die  scheinbare  Möglichkeit, 
die  Muskel-  von  den  Bindegewebsfasern  durch  Säuren  oder  Alkalien  zu  isoliren,  spricht 
nicht  gegen  Weigert,  denn  es  ist  klar,  dass  nekrotisches  und  lebendfrisches  Gewebe  eben- 
falls so  isolirt  werden  kann.  Auch  andere  histologische  und  klinische  Beobachtungen  sind 
durchaus  geeignet,  Weigert's  Ansicht  zu  stützen.  Mit  diesem  Vorbehalt  wird  in  Folgendem 
der  Ausdruck  Fibromyom  gebraucht,  soweit  es  sich  um  unentschiedene  Punkte  handelt. 

Fibrome  und  Myome  sind  meist  von  einem  bindegewebigen  Mantel  umgeben,  aus  dem 
sie  sich  mehr  weniger  leicht  ausschälen  lassen  —  ein  Umstand,  der  für  die  Operation  von 
Belang  ist.  Subseröse  Uterus-Myome  (s.  u.)  sind  an  der  Oberfläche  oft  von  einem  Netz 
recht  grosser  Venen  überzogen;  auch  im  Innern  können  sich  weite  venöse  Hohlräume  finden, 
die  eine  sehr  dünne  und  mit  dem  starren  Tumorgewebe  innig  verwachsene  Gefässwand 
besitzen;  schneidet  man  sie  an,  so  bluten  sie  stark,  da  sich  die  Gefässwand  nicht  zurück- 
ziehen und  umrollen  kann. 

Fibrome  und  Myome  können  verschiedene  Veränderungen  erleiden.  Nicht  selten 
findet  man  im  Innern  frische  oder  ältere  Hämorrhagien,  letztere  mit  Bildung  dunkelbrauner, 
syrupöser  Flüssigkeit.  Ferner  können  sie  verschiedene  rückschreitende  Umbildungen  und 
sonstige  Veränderungen  durchmachen:  Nekrose  —  diese  tritt  besonders  bei  schlecht  er- 
nährten oder  schon  in  Ausstossung  begriffenen  Uterus-Myomen  in  Form  erweichter,  gelblicher 
Hei'de  auf,  andrerseits  fast  regelmässig  in  grösseren  Myomen  in  der  Form  jeuer  blassen, 
schlecht  färbbaren  Züge,  die  man  bisjier  als  Bindegewebe  bezeichnet  hat,  die  aber  (s.  o.) 
nach  Weigert  nur  nekrotisches  Myomgewebe  darstellen.  Verkalkung  —  auch  diese  ist  bei 
Utei'us-Myomen  nicht  selten  und  deutet  eine  Art  von  Naturheilung  an,  indem  sie  haupt- 
sächlich mit  dem  Aufhören  des  Geschwulst-Wachstums  einzutreten  pflegt;  es  kann  sich 
um  eine  Verkalkung  der  Oberfläche  oder  um  eine  Durchsetzung  der  ganzen  Geschwulst  mit 
Kalktafeln  handeln;  auch  wahre  Verknöcherung  soll  vorkommen;  Verfettung —  erkenn- 
bar durch  Bildung  gelblicher  Herde,  oft  als  Einleitung  der  Nekrose;  myxomatöse  Er- 
weichung —  Bildung  schleimiger  Partien;  Gangrän  —  Verjauchung  nekrotischer 
Partien  durch  eindringende  Fäulnis-Bacterien ;  Abs c esse  —  durch  eindringende  eiter- 
bildende Bacterien;  mehrfach  bei  Uterus-Myomen  beobachtet.  Ferner  kommen  Spalten- 
und  Höhlen-Bildungen  in  Myomen  vor;  jedes  Myom  hat  Lymphgefässe;  handelt  es  sich  um 
starke  seröse  Durchtränkung  der  Tumoren,  so  findet  sich  Oedem  einzelner  Partien  oder 
des  ganzen  Tumors;  staut  sich  die  Lymphe  durch  behinderten  Abfluss,  so  kommt  es  zur 
Entstehung  grösserer  Spalten  oder  cystischer  Hohlräume  mit  serösem  Inhalt:  Myoma 
cysticum,  cavernosum,  teleangiectodes.  Ausserdem  kommen  Complicationen  mit 
malignen  Tumoren  vor:  so  mit  Carcinom  —  dieses  kann  entweder  von  benachbarten 
epithelführenden  Organen  abstammen,  oder  von  primärem  Carcinom  benachbarter  Organe 
(Cervix,  Uterus-Schleimhaut)  auf  das  Myom  übergehen,  oder  metastatisch  von  entfernteren 
carcinomatösen  Organen  in  das  Myom  verschleppt  sein;  ferner  Sarkom,  Adenom, 
Myxom.  Sehr  interessant  ist  das  Vorkommen  von  epithelführenden  Myom-Cysten;  das 
Cylinder-Epithel  kann  nach  Breus  von  den  Gärtnerischen  Gängen  abstammen. 

Wichtig  ist  die  nicht  allzu  seltene  Complication  von  Myomen  der  weiblichen  Geni- 
talien mit  Schwangerschaft. 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  16 


242  FIBROM,  FIBßOMYOM,  MYOM. 

Die  Entstellung  der  Fibrome  und  Myome  ist  nicht  aufgeklärt.  Die 
CoHNHEiii'sche  Theorie  des  angeborenen  Keimes  und  der  Entwicklung  durch  spätere  Reize 
wird  heute  wohl  nicht  mehr  als  eine  Erklärung  angesehen;  sie  setzt  für  eine  Frage  eine 
andere.  Einige  Autoren  nahmen  eine  Entstehung  von  Fibromen  durch  Traumen  an;  so 
denkt  Herzog  an  eine  Entstehung  von  Bauchdeckenfibromen  durch  Insulte,  welche  ein 
Muskelhämatom  hervorriefen.  Bemerkenswert  ist  der  Hinweis  von  Cordes,  Rösger, 
Gottschalk,  Küstner,  welche  die  erste  Anlage  der  Myome  auf  die  Muskelwand  kleinster 
Arterien  zurückführen.  Gottschalk  weist  ferner  auf  das  Vorkommen  von  einzelligen  thie- 
rischen  Parasiten  (Cystoden)  hin;  dieser  Umstand  verdient  nachdrückliche  Beachtung  und 
genaueste  Untersuchung.  Natürlich  wird  sich  letztere  zunächst  auf  die  jüngsten,  d,  h. 
kleinsten  Myome  erstrecken  müssen.  Unter  diesem  Gesichtspunkte  ist  das  —  wenn  auch 
äusserst  seltene  —  Vorkommen  von  Metastasen  der  Fibrome  sehr  bemerkenswert;  solche 
Metastasen  werden  nicht  nur  in  der  älteren  Literatur  sondern  auch  in  neuester  Zeit  wieder 
beschrieben;  auch  wären  Entstehung  und  Wachstum  von  Geschwülsten  infolge  eines  cen- 
tralen Reizes  mit  der  Theorie,  einer  Parasiteu-Infection  sehr  gut  vereinbar.  Alter  und  Ovu- 
lation sind  auf  gewisse  Formen  dieser  Tumoren  von  unverkennbarem  Einfiuss:  Uterus- 
Myome  sind  vor  der  Pubertät  noch  nicht  beobachtet  worden.  (Ueber  den  Einfluss  der 
Ovulation  auf  die  Uterus-Myome  s.  u.) 

I.  Fibrome  der  Bauchdecken. 

Sie  können  ausgehen  vom  subcutanen  Bindegewebe,  von  den  Fascien  und 
der  Scheide  der  Bauchmuskeln,  besonders  des  Rectus  abdominis.  Sie  wachsen 
langsam  und  können,  je  nach  dem  ursprünglichen  Sitze,  mehr  die  Aussenhaut 
vorwölben  oder  das  Peritoneum  nach  innen  vordrängen,  ja  bei  weiterem  Wachs- 
thum  innig  mit  diesem  verbunden  sein. 

Die  Symptome  sind  meist  gering;  stärkere  Beschwerden  können  sie  bei 
besonderer  Grösse  machen,  so  in  Eokitansky's  Fall,  in  dem  die  32  Pfund 
schAvere  Geschwulst  bis  zu  den  Knien  herabhing.  An  Veränderungen  sind 
Oedem,  Verkalkung,  Verfettung,  an  Complicationen  solche  mit  Myxom  und 
Sarkom  beobachtet  worden. 

Die  Diagnose  ist  im.  allgemeinen  leicht :  langsam  wachsender,  harter 
Tumor,  unter  der  Haut  mehr-weniger  verschieblich,  von  den  Bauchdecken  aus- 
gehend. Ist  der  Tumor  aber  gross  und  gegen  die  Bauchhöhle  zu  entwickelt, 
so  können  allerdings  differential-diagnostisch  Lipome,  Ovarial-  und  Pienal- 
Tumoren,  seltener  wohl  abgekapselte  präperitoneale  Exsudate  in  Frage  kommen, 
da  für  die  letzteren  die  Anamnese  wesentlich  andere  Anhaltspunkte  geben 
wird.  Macht  die  Diagnose  Schwierigkeiten,  so  wird  man  in  Narkose  den  Sitz 
der  Geschwulst  genauer  zu  bestimmen,  insbesonders  nachzuweisen  suchen,  ob 
der  Tumor  mit  Mere  oder  Ovarium  in  Verbindung  steht. 

n.  Fibrome  der  Vulva. 

Im  allgemeinen  selten ;  meist  handelt  es  sich  um  reine  Fibrome,  seltener 
um  Fibromyome,  die  von  den  grossen  Labien,  dem  Mons  Veneris,  weniger 
häufig  von  den  kleinen  Labien  oder  vom  Damme  ausgehen  und  deren  Basis 
leicht  ausschälbar  ist.  Sie  können  bis  mannskopfgross  werden;  während  der 
Menses  und  der  Schwangerschaft  sieht  man  sie  gelegentlich  oedematös  werden 
und  Cysten,  bez.  cystöse  Lymph-Räume  entwickeln.  Auf  der  Oberfläche  können 
durch  Reibung  und  äussere  Insulte  Geschwüre  entstehen.  Wenn  noch  klein 
und  gestielt,  bezeichnet  man  sie  als  Molluscum  pendulum  oder  simplex.  Durch 
ihr  Gewicht  ziehen  sie  meist  einen  Stiel  aus.  Sind  sie  aus  einzelnen  Knöt- 
chen zusammengesetzt,  so  haben  sie  eine  bucklige,  gefurchte  Oberfläche,  sind 
also  elephantiastischen  Geschwülsten  ähnlich.  Es  scheint  jedoch  nicht  ausge- 
schlossen, dass  in  solchen  Fällen  Elephantiasis  und  Fibrome  verwechselt 
wurden;  denn  beide  haben  als  Grundlage  eine  bindegewebige  Geschwulst,  die 
von  mehrschichtigem  Pflaster-Epithel  überzogen  ist,  —  Grosse  Geschwülste 
können  mechanische  Belästigungen  verursachen. 

ni.  Fibrom,  Myom  und  Fibromyom  der  Scheide. 

Ebenfalls  recht  seltene  Geschwülste,  welche  als  reine  Fibrome  oder  als 
Fibromyome,   seltener  als  reine  Leiomyome  vorkommen ;  (über  Rhabdomyora 


FIBROM,  FIBROMYOM,  MYOM.  243 

der  Scheide  siehe  weiter  unten).  Sie  können  vom  sut)mucösen  Bindegewebe, 
der  Muscularis  und  dem  paravaginalen  Bindegewebe  ausgehen  und  finden  sich 
in  der  vorderen  Wand  doppelt  so  oft  als  in  der  hinteren ;  sie  kommen  breit 
aufsitzend  und  gestielt  vor.  Die  von  Faye  aufgestellte  Vermuthung,  dass 
sie  durch  Onanie  entstehen,  weist  Winckel  mit  Recht  zurück ;  ihre  Aetiolo- 
gie  ist  ebenso  dunkel,  wie  die  der  Myome  überhaupt.  Beinerkenswerth  ist 
es,  dass  sie  schon  angeboren  und  in  den  ersten  Lebensjahren  beobachtet 
worden  sind.  Bire  Grösse  schwankt  zwischen  der  einer  Erbse  bis  zu  der 
eines  Kindskopfes.  Man  fand  sie  stets  nur  vereinzelt,  nicht  zu  mehreren. 
Häufig  sind  sie  serös  durchtränkt  und  dann  weicher,  fast  fluctuirend ; 
ausserdem  sind  theilweise  myxomatöse  Entartung  und  Hämorrhagien  solcher 
Geschwülste  beobachtet  worden;  alte  Blutungen  im  Innern  der  Tumoren 
können  zu  syrup- ähnlich  er,  schwarzbrauner  Flüssigkeit  eingedickt  werden. 
Nicht  nur  in  der  Reihe  der  Scheidengeschwülste,  sondern  unter  den  Ge- 
schwülsten überhaupt,  nimmt  eine  ganz  eigenartige  Stellung  jene  Geschwulst 
ein,  welche  von  Breisky  und  Kaschev^aeowa  Rudewna  beschrieben  und  von 
Klebs  mikroskopisch  untersucht  worden  ist,  und  für  welche  man  Analogien 
in  der  Mere  gefunden  hat:  es  soll  sich  hier  um  ein  wirkliches  Rhabdomyom, 
eine  Neubildung  mit  quergestreifter  Musculatur  in  der  Scheide  eines  1.5-jährigen 
Mädchens  gehandelt  haben.  Nach  der  Exstirpation  trat  ein  Recidiv  ein,  dem 
die  Kranke  erlag. 

Symptome.  Fibrome  und  Fibromyome  der  Scheide  wachsen  langsam  und 
machen  geringe  Erscheinungen,  so  lange  sie  klein  sind.  Grössere  Tumoren 
können  aber  beträchtliche  Beschwerden  verursachen:  Erschwerung  und  Ver- 
hinderung des  Urinirens;  erschwerte  Defäcation.  Cohabitation  und  Conception 
können  erschwert,  ja  unmöglich  sein.  Der  Uterus  wird  nach  oben  oder  nach 
der  Seite  verdrängt;  in  anderen  Fällen  kann  Inversion  der  Scheide  entstehen. 
Tritt  Conception  ein,  so  werden  kleinere  Geschwülste  den  Eintritt  des  Kindes 
nicht  erschweren;  grössere  können  aber  sogar  Anlass  zum  Kaiserschnitt  geben. 
Bei  günstigem  Sitze  der  Geschwulst  kann  allerdings  das  durchtretende  Kind 
den  Tumor  vor  sich  herabdrängen,  so  dass  er  vor  dem  Kinde  geboren  wird. 
In  Geeene's  Fall  entstand  durch  die  Geburt  des  Tumors  sogar  ein  Dammriss. 

Diagnose.  Die  Diagnose  wird  sich  auf  folgende  Punkte  stützen:  Lang- 
sames Wachsthum,  Härte,  runde  Form,  Verschieblichkeit  gegen  die  übrigen 
Organe,  Sitz  im  Bindegewebe  der  Scheide.  Um  den  letzteren  Punkt  auf- 
zuklären, kann  es  nöthig  werden,  von  Urethra  oder  Rectum  aus  zu  untersuchen. 

IV.  Myome  des  Uterus. 

Wegen  ihrer  Häufigkeit  gehören  die  Uterus-Myome  zu  den  wichtigsteii 
Geschwülsten  der  weiblichen  Genitalien.  Sind  sie  auch  im  pathologisch-ana- 
tomischen Sinne  nicht  bösartig,  so  können  sie  doch  einerseits  Gesundheit  und 
Leben  der  Kranken  in  die  höchste  Gefahr  bringen,  ja  vernichten,  andi'erseits 
gehören  Complicationen  mit  bösartigen  Geschwülsten  (Carcinom,  Sarkom)  leider 
durchaus  nicht  zu  den  Seltenheiten. 

Aetiologie.  Gerade  bei  den  Myomen  des  Uterus  schien  es,  als  ob  sich 
Anhaltspunkte  für  das  Verständnis  ihrer  Entstehung  böten;  denn  Vorkommen, 
Wachsthum  und  spontane  Rückbildung  der  Uterus-Myome  hängen  ohne  jede 
Frage  innig  zusammen  mit  physiologischen  Processen  in  den  Genitalien:  man 
findet  Uterus-Myome  nur  bei  geschlechtsreifen  Frauen  (der  Fall  von  Beigel, 
Myom  bei  einem  10-jährigen  Mädchen,  spricht  nicht  dagegen,  da  in  diesem 
Alter  die  Menses  oder  doch  Ovulation  schon  vorhanden  sein  kann,  und  da 
Winckel  bei  einer  verheirateten,  aber  noch  nicht  menstrual  blutenden  Frau 
Myome  gefunden  hat);  sie  entwickeln  sich  während  der  Geschlechtsreife,  um 
bei  Eintritt  der  Menopause  in  ihrem  Wachsthum  aufzuhören,  ja  sich  in  der 
Folge   sogar   zurückzubilden.    Ferner:   die  Wegnahme   der  Ovarien   ruft  mit 

16* 


244  FIBROM,  FIBROMYOM,  MYOM. 

Sicherheit  eine  —  wenn  auch  langsame  —  Kückbildung  der  Uterus-Myome 
hervor,  eine  Thatsache,  welche  therapeutisch  von  so  einschneidender  Wichtigkeit 
ist;  es  scheint  sich  hier  nicht,  oder  wenigstens  nicht  allein  um  die  dabei  unver- 
meidliche Unterbindung  der  Arteria  spermatica,  sondern  in  der  Hauptsache 
um  das  Aufhören  der  Ovulation  zu  handeln.  In  diesem  Sinne  gewinnt  die 
Kenntnis  der  von  v.  Herff  und  v.  Gaveonsky  untersuchten  feineren  Ovarial- 
nerven-Aeste  eine  Bedeutung,  auf  welche  schon  Kaltenbach  hinwies.  Der  Zu- 
sammenhang zwischen  Wachsthum  der  Myome  und  Ovulation  wird  von  keiner 
Seite  bestritten.  Anders  verhält  es  sich  jedoch  mit  der  früher  wiederholt  aus- 
gesprochenen Vermuthung,  dass  Myome  bei  solchen  Personen  häufiger  vorkom- 
men, welche  den  Geschlechtsgenuss  entbehren,  dass  also  die  sexuelle  Enthalt- 
samkeit die  Entstehung  von  Myomen  begünstige.  Schröder  hat  dem  gegenüber 
erfolgreich  die  Ansicht  vertreten,  dassnichtdie  Sterilität  zur  Bildung 
von  Myomen  führt,  sondern  dass  vielmehr  die  Myome  häufig  Ur- 
sache der  Sterilität  sind.  Zweifellos  stehen  solchen  Untersuchungen  be- 
deutende Schwierigkeiten  im  Wege ;  denn  Unverheiratetsein  ist  nicht  gleichbedeu- 
tend mit  sexueller  Enthaltsamkeit;  Frauen,  die  geboren  haben  und  später  an  My- 
omen leiden,  sind  in  der  Folge  steril,  obwohl  sie  vorher  Kinder  zur  Welt  brachten 
u.  s.  w.  —  Eine  weitere  Schwierigkeit  solcher  Untersuchungen  bemühte  sich 
Schuhmacher,  der  unter  Fehling  arbeitete,  zu  bewältigen:  er  sagte  sich,  dass 
„in  den  Lebensjahren,  welche  in  Betracht  kommen,  stets  mehr  verheiratete 
Frauen  zum  Arzt  kommen,  als  ledige;  es  beweise  also  das  Ueberwiegen  der 
mit  Fibromen  sich  dem  Arzt  vorstellenden  Verheirateten  in  dieser  Beziehung 
nichts."  Er  stellte  die  Frage  deshalb  so:  „Sind  im  Verhältnis  zur  Zahl  der 
vorhandenen  Frauen  und  Mädchen  mehr  von  den  ersteren  als  von  den  letzteren 
erkrankt?"  W^ährend  nun  das  Verhältnis  der  Verheirateten  zu  den  Ledigen 
überhaupt  5  :  1  war,  kam  bei  den  Myom-Kranken  auf  2  Verheiratete  1  Ledige; 
nach  Gusserow  ist  das  Verhältnis  der  verheirateten  Myom-Kranken  zu  den 
ledigen  2'4  :  1,  nach  Winckel  3:1.  Nach  Gusserow's  und  Schumacher's 
Statistik  erkranken  also  die  Ledigen  relativ  häufiger,  nach  Winckel's  Zahlen 
erkranken  Ledige  und  Verheiratete  ungefähr  in  demselben  Verhältnis,  in 
welchem  sie  in  diesem  Lebensalter  überhaupt  vorkommen.  Demnach  wäre  die 
Frage,  ob  Myome  häufiger  bei  Ledigen  oder  Verheirateten  vorkommen,  noch 
strittig.  Dagegen  steht  es  fest,  dass  Myomkranke  im  Durchschnitt  häufiger 
unfruchtbar  oder  weniger  fruchtbar  sind,  als  Gesunde.  Die  verheirateten 
Kranken  der  Basler  Klinik  hatten  nach  Fehling  eine  Fruchtbarkeit  von  2*4^ 
während  diese  in  der  Schweiz  überhaupt  3'45  beträgt;  genau  dieselbe  Frucht- 
barkeit (3-45)  hatten  allerdings  Schröder's  Myomkranke. 

Am  häufigsten  werden  Myome  bei  Kranken  zwischen  30  und  50  Jahren 
beobachtet.     Schröder  fand  folgendes  Verhältnis: 


Alter 

Myomkranke 

Pro Cent 

19 

2 

0-25 

20—30 

58 

7-26 

30—40 

229 

28-69 

40—50 

407 

51-00 

50—60 

94 

11-77 

60—70 

8 

1-00 

Winckel  fand  als  Durchschnittsalter  33  Jahre.  Mit  ausserordentlicher 
Sorgfalt  hat  Winckel  den  Ursachen  nachgespürt,  welche  zur  Entstehung  von 
Myomen  führen  könnten  und  er  betrachtet  als  solche  Ursachen  hauptsächlich 
locale  Reize,  wie  Aborte,  Contusionen  der  Uterus-Wand,  Erschütterungen 
(Tanzen,  Reiten  etc.)  während  der  Menses,  ferner  Allgeraeinleiden  u.  s.  w. 
Aber  es  ist  von  anderer  Seite  hervorgehoben  worden,  dass  diese  Reize  wohl 
nicht  mit  Sicherheit  als  Ursache  der  Myom-Bildung  anzusehen  sind,  wenn 
selbst  ein  so  gründlicher  Untersucher  wie  Winckel  in  dieser  Beziehung  kein 


FIBROM,  FIBROMYOM,  MYOM.  245 

nennenswerthes  Ergebnis  erzielte.  Man  wird  ilnn  aber  insofern  beistimmen 
müssen,  dass  man  sagt,  alle  diese  Heize  können  den  ]5oden  vorbereiten,  auf 
welchem  dann  die  Entstehung  eines  Myoms  erleichtert  ist,  wie  etwa  bei  Car- 
cinomen  der  Boden  durch  Ulcera  u.  Ae.  vorbereitet  wird. 

Die  Abhängigkeit  des  Wachsthums  der  Myome  von  der  Ovulation  ist  eine 
so  überaus  interessante  und  unbestreitbare  Thatsache,  dass  man  mit  Hecht  nach 
anatomischen  Grundlagen  in  den  Ovarien  selbst  suchte;  diese  Untersuchungen 
haben  aber  zu  keinem  Ergebnis  geführt,  denn  eigenthümliche  Veränderungen 
(hyaline  Entartung)  der  Gefässwände  in  den  Ovarien  kommen  auch  beim 
Fehlen  von  Uterus-Myomen  vor.  Vielleicht  ist  die  Ovulation  nicht  unmittel- 
bar mit  der  Entstehung  der  Myome  in  Zusammenhang  zu  bringen,  sondern 
man  dürfte  eher  sagen:  Sind  Myome  aus  irgend  einer  anderen  Ursache  einmal 
entstanden,  so  sind  sie  in  Wachsthum  und  Rückbildung  weitgehend  abhängig 
von  der  Ovulation  oder  noch  allgemeiner :  nach  gesteigerter  Blutzufuhr  zum 
Uterus. 

Patliolog.  Anatomie.  Für  die  Uterus-Myome,  ihre  Rückbildung,  cystöse 
und  maligne  Entartung,  sowie  für  Verjauchung  und  Abscess-Bildung  in  den- 
selben gilt  das,  was  oben  im  allgemeinen  von  Myomen  gesagt  wurde.  Hin- 
zugefügt kann  werden,  dass  nach  Galvanisationder  Myome  (Apostoli's 
Methode)  in  einzelnen  Fällen  Verjauchung  derselben  eintrat,  wie  man  dies 
auch  schon  früher  nach  diagnostischen  oder  operativen  Eingriffen  beobachtet 
hatte.  Dass  die  Verwendung  starker  constanter  Ströme  eine  beträchtliche 
Einwirkung  auf  Myome  hat,  ist  durch  mehrfache  Versuche  nachgewiesen;  so 
habe  ich  früher  gezeigt,  dass  sich  besonders  eine  polare,  weniger  eine  inter- 
polare Wirkung  chemisch,  makro-  und  mikroskopisch  nachweisen  lässt:  am 
positiven  Pol  findet  Säureentwicklung  und  Gerinnung,  am  negativen  aber 
Alkalien-Entwicklung  und  Quellung,  in  beiden  Fällen  also  Gewebs-Nekrotisirung 
statt;  die  elektrolytische  Wirkung  führt  ferner  zu  Gasbildung  (nicht  zur  Bildung 
von  Luft,  es  kann  also  auch  nicht  Luft-Embolie  darnach  auftreten, 
wie  überraschender  Weise  ein  Kritiker  (Cario)  eingeworfen  hatte).  Diese 
Gase  können  in  Blut-  und  Lymphbahnen  weithin  Gerinnungen  erzeugen,  da- 
durch zur  Thrombose  und  in  letzter  Reihe  zur  Nekrose  des  ungenügend  er- 
nährten Gebietes  führen;  an  beiden  Polen  findet  Temperatursteigerung  statt 
(und  zwar  nach  bisher  nicht  veröffentlichten,  von  mir  angestellten  Ver- 
suchen) an  Myomen,  die  soeben  aus  der  Lebenden  durch  Operation  entnommen 
waren,  um  4— 5* 5*^  C.  (an  der  Nadel- Anode  bei  150  M.-Ampere,  wenn  der 
Strom  30 — 38  Min.  wirkte  und  die  Myome  selbst  19 — 20"  C.  massen);  zu  diesen 
Versuchen  waren  kindskopfgrosse  Myome  benützt  worden;  bei  früheren  (schon 
veröffentlichten)  Versuchen  hatte  ich  fingergrosse  Myomstücke  genommen. 
An  diesen  betrug  die  Erwärmung  bis  zu  14°  C.  (bei  30  M.-A.,  15  Min.  lang, 
und  einer  Anfangstemperatur  des  Myoms  von  17°  C.),  ferner  tritt  zweifellos  eine 
physiologische  Wirkung  auf  die  Muskelfasern  des  Myoms  und  seiner  Gefässe 
ein,  welche  sich  in  Contraction,  bez.  später  in  Erschlaffung  derselben  äussert. 

Es  muss  noch  erwähnt  werden,  dass  cystöse  Uterus-Myome  sich  durch 
besonders  rasches  Wachsthum  auszeichnen,  und  dass  Uterus-Myome  sich  in  der 
Schwangerschaft  rascher  als  sonst  vergrössern,  jedoch  im  Wochenbett  oft  auf- 
fallend stark  verkleinern,  —  Thatsachen,  welche  mit  der  erhöhten  und  vermin- 
derten Blutzufuhr  in  Zusammenhang  stehen  dürften  und  vielleicht  auf 
das  Wachsthum  der  Myome  zur  Zeit  der  Ovulation  den  Schluss 
gestatten,  dass  es  sich  auch  hier  um  Wirkungen  der  verän- 
derten Blutzufuhr,  nicht  um  nervöse  Einflüsse  handelt. 

Die  Myome  entwickeln  sich  Anfangs  meist  im  Uterus-Körper,  seltener 
im  Cervix:  nach  Winckel  in  5%,  nach  Schröder  in  8%  der  Fälle  primär  im 
Cervix;  allerdings  wachsen  viele  später  noch  in  den  Cervix  hinein.  Wenn  auch 
ihr  Sitz  ursprünglich  in  der  Muskelwand  des  Uterus  ist,  so  wii'd  er  bei  w^ei- 


246  FIBROM,  FIBROMYOM,  MYO^I. 

terem  AVachsthura  doch  gewisse  Aenderungen  erfahren,  je  nach  dem  Orte  des 
geringsten  Widerstandes: 

a)  Bleiben  sie  breit  in  der  Muskel  wand  sitzen,  so  nennt  man  sie  inter- 
stitiell, intraparietal  oder  intramural  (Fig.  5,  pag.  251), 

b)  Liegen  sie  ursprünglich  näher  der  Uterus-Schleimhaut,  so  drängen 
sie  sich  in  dieser  Richtung  vor  oder  werden  vorgedrängt  und  können  poly- 
pös, mehr-weniger  dünn  gestielt  in  die  Uterushöhle,  in  den  Cervix,  ja  im 
weiteren  Verlauf  bis  in  die  Scheide  und  vor  die  Vulva  ragen:  submucöse 
Myome,  fibröse  Polypen  (im  Gegensatze  zu  den  Schleim-  oder  Schleim- 
haut-Polypen, welche  aus  gewucherter  Schleimhaut  mit  Ptetentions-Cysten 
bestehen)  (Fig.  4,  3  u.  1,  pag.  249  u.  250). 

c)  Waren  sie  Anfangs  näher  dem  Peritoneum  gelegen,  so  entwickeln  sie 
sich  leichter  in  dieser  Richtung  und  sie  können  breit  oder  dünn  gestielt,  -von 
Peritoneum  überzogen  in  die  Bauchhöhle  hinein  ragen:  sub seröse  Myome. 
Bei  dieser  Richtung  der  Entwicklung  können  sie  auch  in  die  Ligamenta  lata 
hineinwachsen,  diese  entfaltend  und  breit  im  parametralen  Bindegewebe  lie- 
gend; die  letztere  Form  bietet  der  operativen  Entfernung  ganz  besondere 
technische  Schwierigkeiten. 

Für  das  Verhältnis  der  einzelnen  Formen  fand  Winckel  folgendes:  257o 
seiner  Fälle  waren  subserös,  65%  intraparietal,  10%  submucös. 

Eine  Naturheilung  ist  in  allen  3  Fällen  möglich:  entweder  durch 
Schrumpfung  oder  Verkalkung,  und  diese  tritt  in  der  Menopause  fast  regelmässig 
ein;  oder  durch  Ausstossung,  und  der  Fall,  in  welchem  von  einer  Nonne  ein 
verkalktes  Myom  („Uterus -St ein")  geboren  wurde,  paradirt  in  jedem  Lehr- 
buche und  Vortrage  über  Myome;  die  Ausstossung  per  vaginam  tritt  am 
häufigsten  bei  submucösen  Myomen  ein,  seltener  bei  interstitiellen  nach  Gan- 
grän des  Mantels;  oder  subseröse  Myome  werden  nach  Nekrose  des  peritone- 
alen Stieles  vom  Uterus  getrennt  und  durch  Adhäsionen  in  der  freien  Bauch- 
höhle fixirt;  ja  sie  können  durch  die  Adhäsionen  sogar  weiter  ernährt  werden. 

Meist  kommen  Uterus-Myome  nicht  vereinzelt,  sondern  zu  mehreren  vor. 
Das  ist  therapeutisch  wichtig  und  macht  die  von  Maethst  angegebene  ope- 
rative Ausschälung  der  Myome  leider  zu  einer  nicht  stets  genügenden  Ope- 
ration, so  vortheilhaft  diese  Methode  auch  sonst  wegen  ihres  conservativen 
Charakters  ist.  Sehr  häufig  ist  der  ganze  Uterus  in  einen  grossen,  vielbuck- 
ligen Tumor  verwandelt,  an  welchem  nur  die  Abgangsstelle  der  Tuben  und 
Ligamente  den  Uterus-Fundus,  sowie  die  Sondirung  den  Verlauf  der  Uterus- 
Höhle  erkennen  lassen. 

Was  die  Grösse  anbelangt,  so  hat  man  bei  interstitiellen  Myomen  schon 
eine  ganz  erstaunliche  Ausdehnung  beobachtet;  in  dem  von  Winckel  abgebil- 
deten Falle  von  Dr.  Hepites  handelte  es  sich  um  ein  Myom  von  78  Kilo  bei 
einem  Bauchumfange  von  185  cm. 

Wichtig  ist  eS;  dass  beim  Vorhandensein  von  Uterus-Myomen,  u.  zw. 
mehr  bei  interstitiellen  und  submucösen  als  bei  subserösen,  die  Uterus-Schleim- 
haut oft  starke  Wucherungen  zeigt,  welche  sowohl  in  der  Form  der  inter- 
stitiellen als  der  glandulären  Endometritis  auftreten  können;  die 
oft  so  bedrohlichen  Blutungen  erklären  sich  theil weise  dadurch.  Zu  den 
Myomen  selbst  gehen  jedoch  meist  keine  grösseren  Gefässe,  sie  liegen  viel- 
mehr —  durch  kleine  Arterien  ernährt  —  in  einem  bindegewebigen  Mantel,  aus 
dem  sie  sich  oft  unschwer  ausschälen  lassen.  Die  oberflächlichen  Venen 
können  jedoch  (so  bei  subserösen  Myomen)  in  Folge  des  erschwerten  Ab- 
flusses ausserordentlich  vergrössert  sein.  Auch  findet  man  im  Stiel  polypöser 
Myome  oft  recht  beträchtliche  Arterien, 

In  einem  Falle  hatte  ich  den  bleistiftdicken,  sehr  derhen  Stiel  des  polj^pös  in  die 
Scheide  ragenden  Cervix-Myoms  vor  der  Abtragung  mit  scharfer  Nadel  durchstochen  und 
nach  beiden  Seiten  hin  unterbunden,  um  ein  Abgleiten  der  Ligatur  zu  verhüten.  Trotzdem 


FIBROM,  FIBßOMYOM,  MYOM.  247 

erfolgte  nach  der  Abtragung  eine  recht    erhebliche    arterielle    Blutung;   offenbar    war    die 
centrale  Arterie  angestochen  worden. 

a)  Interstitielle  Myome.  Sie  gehören  zu  den  grössten  Gcsdiwülsten, 
welche  am  Uterus  überhaupt  vorkommen.  Wegen  ihrer  innigen  Verbindung 
mit  der  Uterus-Wand  wachsen  sie  nicht  nur  schneller,  sondern  sie  können 
auch  eine  bedeutendere  Grösse  erreichen,  als  die  subserösen  und  submucösen. 
Sie  kommen  meist  vielfach  an  einem  Uterus  vor;  Sciiultze  fand  in  der  Leiche 
einer  83-jährigen  Frau  einen  Uterus  mit  mindestens  50  Myomen. 

Bei  zunehmendem  Wachsthum  können  sie  entweder  gleichmässig  den 
ganzen  Uterus-Körper  auftreiben,  oder  vielbucklig  an  der  Aussen-  und  Innen- 
fläche vorspringen;  die  Uterus-Höhle  wird  dann  in  ihrer  Form  verändert,  ja 
ihr  Lumen  kann  so  verlegt  werden,  dass  es  zur  Entstehung  von  Hämato- 
metra  kommt.  Tuben  und  Ovarien  können  ihre  normale  Grösse  zeigen,  aber 
auch  verdickt  oder  —  was  häufiger  ist  —  stark  in  die  Länge  ausgezogen  sein. 
Bei  starker  Entwicklung  der  Myome  kann  es  zur  Entstehung  von  Hängebauch, 
zu  Verwachsungen  mit  den  Bauchdecken  und  Gangrän  derselben  kommen,  so 
dass  die  Tumoren  frei  zu  Tage  liegen.  Auch  in  Leisten-Hernien  kann  der 
myomatöse  Uterus  zu  liegen  kommen  und  darin  eingeklemmt  werden. 

h)  Submucöse  Myome.  Man  findet  sie  entweder  breit  dem  Uterus 
innen  aufsitzend  —  oder  theils  in  Folge  der  Uterus- Contractionen,  theils  (aber 
weniger)  in  Folge  des  eigenen  Gewichtes  —  einen  Stiel  ausziehend  und  in  Cervix, 
Scheide,  Vulva  vorgedrängt.  Dass  dieser  Stiel  der  „fibrösen  Polypen"  manch- 
mal eine  recht  beträchtliche  Arterie  besitzt,  wurde  schon  erwähnt. 

c)  Subseröse  Myome.  So  lange  sie  breit  dem  Uterus  unter  dem 
peritonealen  Ueberzuge  aufsitzen,  wachsen  sie  schneller,  als  nach  Bildung 
eines  peritonealen  Stieles.  Der  letztere  kann  abgeschnürt  und  die  Myome  so 
vom  Uterus  getrennt  werden. 

d)  Cervix-Myome.  Sie  können  sich  entweder  breit  im  Cervix  und 
ins  Beckenbindegewebe  hinein  entwickeln,  oder  nur  einer  Portio-Lippe  an- 
gehören. Polypöse  Stielbildung  ist  nicht  selten;  der  Tumor  kann  dann  in 
der  Scheide,  in  und  vor  der  Vulva  erscheinen;  in  anderen  Fällen  führt  er 
zum  Prolaps  des  Uterus.  Der  untere  Pol  der  Geschwulst  ist  oft  nekrotisch  oder 
gangränös,  jauchend.  Starkes  Oedem  lässt  den  Tumor  so  weich  erscheinen, 
dass  man  Ursache  hat,  an  eine  maligne  Entartung  desselben  zu  denken.  — 
Grossen  Cervix-Myomen,  welche  breit  in  der  Cervix- Wand  entwickelt  sind, 
sitzt  der  Uterus  oft  als  Anhängsel  auf,  das  man  dann  oberhalb  der  Sym- 
physe, ja  in  und  über  Nabelhöhe  als  kleinen  Tumor  fühlt.  Abgang  der  Li- 
gamente und  Tuben  und  Richtung  der  Uterushöhle  (Sonde)  lassen  den  schein- 
baren Neben-Tumor  dann  als  Uterus  erkennen. 

Symptome.  Das  wichtigste  Symptom  ist  die  Blutung;  sie  bestimmt  in 
der  überwiegenden  Mehrzahl  sowohl  das  klinische  Bild  als  die  Therapie. 
Meist  beginnt  sie  als  eine  Verstärkung  der  menstrualen  Blutung,  führt  dann 
zu  deren  allzu  früher  und  zu  lange  dauernder  Wiederkehr,  setzt  ausserdem 
bald  genug  mit  intermenstruellen  Uterus-Hämorrhagien  ein,  um  endlich  in 
den  schlimmsten  Fällen  Jahre  lang  fast  ununterbrochen,  nur  in  geringerer 
oder  grösserer  Stärke,  anzudauern.  Die  Frauen  verbluten  sich  zwar  nicht  leicht 
acut,  aber  sie  kommen  schliesslich  bis  zu  vollständiger  Erschöpfung  herunter 
und  Nebenkrankheiten,  welche  sich  auf  dem  so  vorbereiteten  Boden  leicht  ein- 
stellen, führen  das  traurige,  oft  ersehnte  Ende  herbei;  denn  in  so  schweren 
Fällen  sind  die  beklagenswerthen  Frauen  —  wenngleich  oft  bis  zum  letzten 
Tage  fast  schmerzfrei  —  doch  unfähig,  sich  auch  nur  dem  bescheidensten  Lebens- 
genüsse hinzugeben. 

So  schlimm  ein  derartiger  Verlauf  auch  ist,  so  häufig  er  auch  eintritt 
und  so  weitgehend  er  auch  im  klinischen  Bilde  an  die  Symptome  einer  bös- 
artigen Geschwulst   erinnert,  er  bildet  doch   nicht  die  Regel,  sondern  selbst 


248  FIBROM,  FIBROMYOM,  MYOM. 

in  sclnvereu  Fällen  kann  es  ohne  Operation  zu  einem  Geringerwerden, 
ja  zum  Stillstand  der  Blutungen  und  zu  einer  Art  voa  Naturheiluiig  durch 
Alischnürung,  Verkalkung  oder  Rückbildung  des  Tumors,  ja  durch  Ausstossung 
sogar  zu  wirklicher  Heilung  kommen. 

Neben  den  Blutungen  besteht  mehr-weniger  reichlicher,  wässerig-schlei- 
miger Ausfluss,  oft  Jauchung.  Durch  Besorption  der  Zerfallspro ducte 
kann  das  Bild  schwerer  Kachexie  verstärkt  werden  und  die  wachsgelbe  Farbe 
der  Haut  lässt  zuerst  an  einen  bösartigen  Tumor  denken. 

Schmerzen  pflegen  Anfangs  zu  fehlen;  auch  beim  Vorhandensein  grosser 
Geschwülste  können  sie  auflallend  gering  sein.  Häufig  zeigen  sich  die  Er- 
scheinungen des  Druckes  auf  Nachbarorgane:  Blase,  Mastdarm,  Ureteren.  Man 
findet  sowohl  Drang  zum  Uriniren  als  erschwerte  oder  zeitweilig  unmöglich 
gemachte  Harn- Entleerung,  erschwerte  Defäcation,  selten  Hydronephrose  und 
ihre  Folgen.  Grössere  Tumoren  verursachen  Kreuzschmerzen,  Schmerzen  in 
den  Oberschenkelnerven;  bei  submucösen  Myomen  treten  oft  intensive  Wehen 
auf,  die  beim  Durchtreten  des  Tumors  durch  die  Scheide  naturgemäss  ganz 
den  Charakter  von  Geburtswehen  haben  können.  Ascites  ist  bei  Myomen  im 
allgemeinen  selten. 

Aus  mechanischen  Gründen  können  sieBetrodeviationen  des  Ute- 
rus bewirken.  Verminderte  Fertilität  und  relative  oder  absolute 
Sterilität  kann  sowohl  durch  das  mechanische  Hindernis  in  der  Uterus- 
Höhle,  als  durch  die  Wucherung  der  Uterus-Schleimhaut,  als  durch  mecha- 
nischen Verschluss  der  Tuben  bedingt  sein.  Dysmenorrhoe  kann  eine  Folge 
des  ersteren  Umstandes  sein. 

Erbrechen  tritt  bei  Myomkranken  massig  häufig  auf,  braucht  aber 
nicht  stets  die  Folge  des  Myoms  zu  sein. 

Nicht  selten  lactiren  die  Brüste  Myomkraiiker,  wie  dies  ja  bei  Abdominal- 
Tiimoren  im  Allgemeinen  oft  vorkommt. 

Dass  mit  Eintritt  der  Menopause  die  Myome  allmälig  zu  wachsen  auf- 
hören, wurde  schon  erwähnt.  Immerhin  kann  aber  der  Eintritt  der  Klimax 
durch  vorhandene  Myome  hinausgeschoben  werden;  die  erste  Thatsache  ist 
zu  bedenken,  bevor  man  bei  Frauen  operirt,  die  dem  Zeitpunkt  der  normalen 
Pause  nahestehen;  die  letztere  Thatsache  wird  trotzdem  oft  eine  Operation 
rechtfertigen. 

Der  Ausgang  kann  ein  mehrfacher  sein:  Stillstand  im  Wachsthum  der 
Myome  und  damit  ein  allmähliges  Aufhören  der  Symptome,  oder  Spontan- 
heilung, oder  Tod  in  Folge  der  Kreislaufstörungen,  der  Blutungen,  der  sich 
hinzugesellenden  Sepsis. 

Diagnose.  Wenn  man  sieht,  wie  in  der  Praxis  oft  verfahren  wird,  er- 
scheint es  nicht  überflüssig,  immer  wieder  zu  betonen,  dass  der  allerwich- 
tigste  Punkt  die  zweihändige  Untersuchung  ist,  bei  schwieri- 
gen Fällen  stets  in  Narkose.  Festzustellen  hat  man  vor  Allem,  ob  der 
Tumor  dem  Uterus  angehört  oder  den  Nachbar-Organen;  ferner,  ob  man  die 
Ovarien  neben  dem  Tumor  zu  tasten  vermag  (Unterscheidung  von  Ovarial- 
Tumoren)  und  wie  das  Verhältnis  der  Uterus-Ligamente  und  Tuben  zur  Ge- 
schwulst ist. 

Am  leichtesten  sind  Cervix-Myome,  ferner  die  submucösen  Myome  dann 
zu  erkennen,  wenn  sie  in  den  Cervicalcanal  oder  in  die  Scheide  hineingeboren 
sind.  Die  ersteren  treiben  die  eine  Portio-Lippe  oft  zu  einem  grossen,  runden, 
harten  Tumor  auf,  welchem  die  andere  Lippe  dann  als  schmaler  Saum  an- 
liegen kann.  Fibröse  Polypen  könnten  mit  Schleimhautpolypen  verwechselt 
werden;  das  Fehlen  der  Retentions-Cysten,  die  harte  Consistenz  sprechen 
gegen  die  letztere.  Submucöse  Myome,  welche  in  den  Cervix  hineinragen, 
lassen  sich  oft  direct  abtasten;  ist  der  Cervix  aber  nicht  eröffnet  und  nach 
der  Anamnese    mit   Wahrscheinlichkeit   Schwangerschaft   auszuschliessen,    so 


FIBROM,  FIBROMYOM,  MYOM. 


249 


dilatirt  man  den  Cervix  (mit  Laminaria  oder  brüsk  mit  Dilatations-Sonden) 
und  sucht  das  Uterus-Innere  auszutasten;  die  Sonde  wird  mithelfen,  Verlauf 
und  Grösse  der  Uterus-Höhle  zu  bestimmen.  Subseröse  Myome  fühlt  man 
(in  schwierigen  Fällen  in  Narkose  und  nöthigenfalls  vom  Kectum  aus)  als 
harte  Tumoren,  die  der  Uterus-Wand  breit  oder  gestielt  aufsitzen,  während 
man  ausserdem  die  Ovarien  für  sich,  oder  wenigstens  die  Uterus-Anhänge  an 
der  Abgangsstelle  vom  Fundus  tasten  kann. 

Im  Einzelnen  kommen  noch  folgende  Verhältnisse  in  Betracht: 

Schwangerschaft.  Der  Nachweis  des  Kindes  ist  nur  in  der  zweiten 
Schwangerschaftshälfte  und  nur  bei  normaler  Gravidität  zu  erbringen.  Bei 
macerirten  Föten,  Retention  früh  abgestorbener  Eier  u.  s.  w.  sind  Verwech- 
selungen oft  schwer  zu  vermeiden.  Uteringeräusch  und  Secretion  der  Mammae 
kommen  sowohl  bei  Myomen  als  bei  Gravidität  vor.  Anamnese,  Beschaffen- 
heit des  Cervix  und  des  unteren  Uterin-Segments,  eventuell  Cervix-Dilatation 
müssen  helfen,  die  Diagnose  zu  sichern.  Im  übrigen  sind  schon  die  tüchtig- 
sten Gynäkologen  in  diesem  Punkte  Irrthümern  verfallen. 

Ovarial-Cysten.  Im  Allgemeinen  durch  Fluctuation  und  topogra- 
phisches Verhältnis  zum  Uterus  und  seinen  Anhängen  erkennbar.  Cavernöse 
Myome  können  aber  Fluctuation  vortäuschen;  der  Troicart  und  selbst  die 
Laparotomie  können  zur  Diagnose  nöthig  werden. 

Exsudate  und  Hämatocele.  Im  Douglas  fixirte  Myome  sind  ge- 
legentlich damit  zu  verwechseln.  Doch  gehen  die  ersteren  breit  an  die  Becken- 
wände heran,  eng  mit  ihr  verbunden,  und  die  Anamnese  wird  meist  Anhalts- 
punkte für  das  eine  oder  gegen  das  andere  geben. 

Ganz  ausserordentlich  gross  werden  die  Schwierigkeiten  bei  gleich- 
zeitigem Vorkommen  von  Myomen  mit  Schwangerschaft  oder 
Ovarial -Tumoren,  Exsudaten  u.  s.  w.  Zur  Erleichterung  der  Diagnose 
im  Allgemeinen  sollen 
einige  Schulfälle  kurz 
skizzirt  werden,  wel- 
che der  Praxis  entnom- 
men sind. 

la.  Polypöses 
Cervis-Myom  (Fig.  1). 
In  die  Vulva  hinein  ragt 
ein  birngrosser  Tumor  von 
glatter,  blasser  Oberfläche, 
harter  Consistenz  und  der 
Oestalt  eines  Uterus.  Der 
Tumor  wird  für  den  pro- 
labirten  Uterus  gehalten 
and  nach  Reposition  durch 
ein  Pessar  in  der  Scheide 
festgehalten.  Bei  näherer 
Untersuchung  zeigt  es  sich, 
dass  von  dem  Tumor  nach 
oben  ein  bleistiftdicker 
Stiel  abgeht,  welcher  sich 
in  einen  massig  weiten 
Canal  verfolgen  lässt.  Por- 
tio-Lippen  sind  zwar  nicht 
zu  fühlen,  die  Scheide  ver- 
engt sich  trichterförmig 
gegen  diesen  Canal  hin; 
aber  bimanuell  fühlt  man 
über  Tumor  und  Scheide 
den  Uterus-Körper,  dessen 
unterem  Theile  der  Canal 
angehört.  Es  handelt  sich 
also  um  ein  in  die  Scheide 
geborenes  Cervix-Myom. 


Fig    1. 
Polypöses  Cervix-Mj-om. 


250 


FIBROM,  FIBROMYOM,  MYOM. 


Ib  Grosses  Cervix-Myom  (Fig.  2  u.  3).  Die  ausserordentlich  erweiterte 
Scheide,  deren  obere  Gewölbe  sich  zunächst  mit  dem  Finger  gar  nicht  erreichen  lassen, 
ist  durch  einen  Pol  eines  massig  harten,  flachbuckligen  Tumors  von  beinahe  Manns- 
kopferösse  ausgefüllt.  Der  untere  Pol  desselben  steht  dicht  hi.nter  Vulva  und  Damm  luid 
ist  lanoränös  zerfallen,  jaucht.  Der  obere  Pol  steht  dicht  unterhalb  des  Nabels;  rechts 
^     °  neben    dem   Na- 

Funä.  Uleri  bei    fühlt    man 

einen  apfelgros- 
sen  Tumor,  wel- 
cher rittlings 
dem  Huupttumor 
aufsitzt.  Erst  in 
Narkose  gelingt 
es,  festzustellen, 
dass  von  diesem 
kleinen  Tumor 
die  Uterus  -  An- 
hänge abgehen; 
man  fühlt  nun 
auch  die  Ovarien 
als  bohnengrosse, 

verschiebliche 
Körper,     welche 
links  und  rechts 
vom  kleinen  Tu- 
mor der  grossen 
Geschwulst     an- 
liegen.    Mit   der 
ganzen  Hand  in 
die  Scheide    ein- 
gehend,   gelangt 
man  vorn  (nicht 
ohne    Schwierig- 
keit   zwischen 
Symphyse      und 
Tumor)    an    die 
Umschlagsfalte 
der  Scheide    auf 
den  Tumor;  eine 
Portio-Lippe  fin- 
det sich  vorn 
nicht,     die     Ge- 
schwulst ist  breit 
in  ihr  entwickelt. 
Nach  hinten  oben 
verengt  sich   die 
Scheide,  man  ge- 
langt   in     einen 
engen  Canal,  von 
dessen    vorderer 
Wand  die  grosse 
Geschwulst  aus- 
geht.   Ein  wirk- 
licher    Stiel    ist 
nicht  zu  fühlen, 
da  der  Tumor 
eben    nichts  ist, 
als    die    vordere 
Lippe,    welche 
durch   das    öde- 
matöse   Myom 
ausserordentlich 
aufgetrieben  ist. 
Die  Diagnose  wird 
schliesslich     da- 
durch vervoll- 
ständigt,   dass    die    Sonde    sich  in    den  rechts    oben  neben  dem  Nabel  fühlbaren  kleinen 
Tumor   einführen  lässt:  es  ist  der  Uterus. 


rig.  2. 
Cei'vix-Myom,   Sagittalssclinitt. 


Fig.  3. 
Dasselbe  Cervix-Myom  wie  in  Fig. 


2,  im  Frontalschnitt. 


FIBROM,  FIBROMYOM,  MYOM 


251 


Fig.  4. 
Submucüses  Corpus-Myom. 


2.  Submucöses  Corpus-Myom  (Fig.  4).  Die  Menses  haben  nie  ccssirt,  sind 
im  Gegentheil  seit  1  '/2  Jahren  zunehmend  häutiger  und  reichlicher  geworden ;  in  den  letzten 
Wochen  hat  die  Blutung  fast  nicht  mehr  aufgehört;  dagegen  sind  wehenähnliche  Schmerzen 
hinzugekommen.  —  Der  ganze  Uterus  ist  in  einen  kindskopfgrossen  Tamor  von  gleich- 
massiger  Rundung  und  praller  Consistenz  verwandelt,  welcher  das  kleine  Becken  fast  ganz 
ausfüllt.  — Orificium  esternum  geschlossen,  Portio  stark  verkürzt,  nicht  aufgelockert;  nach 
Dilatation  des  Cervix  fühlt  man  im  Uterus  einen  ziemlich  resistenten  Tumor,  welcher  den 

innerenMuttermund  

schon  zum  Verstrei- 
chen gebracht  hat. 
Oberfläche  der  Ge- 
schwulst glatt;  mit 
der  Sonde  lässt  sich 
der  Tumor  in  der 
Uterus-Höhle  theil- 
weise  umgehen.  — 
Die  Ligamente  fühlt 
man  erst  in  Narkose 
als  Stränge,  welche 
seitlich  vom  Uterus 
steil  ins  kleine  Be- 
cken hinabziehen, 

3.  Multiple  in- 
terstitielle und 
subseröse  My- 
ome (Fig.  5).  Die 
Portio  geht  in  einen 

mannskopfgrossen 
Tumor  über,  der 
nach  oben  bis  in 
Nabelhöhe  i-eicht. 
Mit  dem  Tumor  be- 
wegt sich  die  Portio 
mit.  Der  Tumor  ist 

vielbucklig,  hart; 
einzelneKnoten  hän- 
gen gestielt  daran 
dun  sind  für  sich 
etwas  beweglich.  — 
Ligamente  und  Ova- 
rien sind  auch  in 
Narkose  nicht  fühl- 
bar ;  dagegen  geht 
die  Sonde  22  cm  tief 
von  der  Portio  aus 
in  den  Tumor  ein 
und  ihr  Knopf  ent- 
spricht seiner  Lage 
nach  einem  rechts- 
seitigen, flacheren 
Buckel  am  oberen 
Umfang  des  Tumors : 
es  ist  der  Uterus- 
Fundus. 

4.  Subserö- 
ses, gestieltes 
Myom.  Im  kleinen 
Becken  fühlt  man 
hinter  dem    Uterus 

einen  mannsfaustgrossen,  harten,  flachbuckligen  Tumor,  der  von  der  hinteren  Gebärmut- 
terwand ziemlich  dünngestielt  abgeht.  In  Narkose  lassen  sich  vom  Rectum  aus  sowohl 
die  seitlichen  Uterus-Ligamente  als  auch  die  Ovarien  deutlich  abtasten. 

Prognose.  Sie  ist  stets  zweifelhaft,  wenn  auch  meist  eher  zum  Guten 
neigend.  Tod  durch  Erschöpfung  in  Folge  der  hochgradigen  Anämie,  der 
Kreislaufstörungen,  Blutungen,  oder  maligner  Entartung  des  Myoms,  Sepsis 
bei  Verjauchung  des  Tumors  und  Embolie  der  Lungen-Arterie  kommen  aber 


Kg.  5. 
Multiple  interstitielle  und  subseröse  Myome. 


252  FIBROM,  FIBROMYOM,  MYOM. 

leider  nicht  allzu  selten  vor.    Je  näher  bei  leidlichem  Allgemeinbefinden  die 
Patientin  der  Menopause  steht,  desto  besser  ist  die  Prognose. 

V.  Fibrome  der  Tuben. 

Sie  sind  überaus  selten  und  von  geringer  praktischer  Bedeutung;  meist 
fand  man  nur  solche  von  Erbsen-  bis  Bohnengrösse;  nur  in  Simpsox's  Fall 
war  der  Tumor  kindskopfgross.  Sie  wachsen  stets  mehr  nach  aussen,  so  dass 
sie  nicht  einmal  das-  Lumen  der  Tube  verlegen.  In  Späth's  Fall  wurde  je- 
doch ein  hühnereigrosses  Myom,  in  welches  die  Tube  aufging,  wegen  der 
Schmerzen  und  des  anhaltenden  Erbrechens  operativ  entfernt. 

VI.  Fibrome  und  Fibromyome  der  Ovarien. 

Sie  stellen  die  seltensten  Formen  der  Eierstocksgeschwülste  vor.  Ge- 
wöhnlich entstammen  sie  dem  Bindegewebe  des  Ovarium,  sie  sollen  ihren 
Ursprung  aber  auch  im  Bindegewebe  eines  Corpus  luteum  haben  können. 
Meist  entwickeln  sie  sich  nicht  als  umschriebene  Geschwülste  im  Ovarial- 
Gewebe,  sondern  der  ganze  Eierstock  ist  in  den  Tumor  umgewandelt.  Fast 
stets  handelt  es  sich  um  reine  Fibrome,  selten  um  Fibromyome.  In  der 
Grösse  schwanken  sie  von  kleinsten  Geschwülstchen  bis  zu  solchen  von  Kinds- 
kopfgrösse  und  darüber ;  Simpson  beobachtete  eines  von  28  kg,  Spiegelberg 
(s.  u.)  ein  solches  von  30  kg.  Winckel  hat  eine  doppelseitige  Entwicklung 
von  Ovarialfibromen  beschrieben.  Sie  können  sich  gestielt  entwickeln,  indem 
sie  das  Ligamentum  latum  stielförmig  ausziehen ;  oder  sie  sitzen  breitbasig  im 
breiten  Mutterband:  intraligamentäre  Fibrome;  in  solchen  Fällen  ist 
natürlich  die  Entscheidung,  ob  Ovarial-  oder  Uterus-Fibrom,  sehr  schwierig. 
Gestielte  Fibrome  sind  in  der  Bauchhöhle  verschieblich,  können  aber  auch 
durch  Adhäsionen  festgehalten  werden ;  in  Spiegelbeeg's  Fall  gingen  gänse- 
kieldicke Gefässe  von  der  Bauchwand  auf  den  Tumor  über.  Nicht  selten 
sind  sie  von  Hohlräumen  durchsetzt,  welche  von  Follikeln  oder  von  Lymph- 
Spalten  abstammen  können.  Auch  Verkalkung  und  Verknöcherung  ist  be- 
schrieben worden. 

Symptome.  Sie  unterscheiden  sich  nicht  von  den  Symptomen  eines  harten 
Ovarial-Tumors  im  allgemeinen:  Druckerscheinungen  von  Seiten  der  Nachbar- 
organe u.  s.  w.  Im  kleinen  Becken  eingeklemmte  grössere  Fibrome  können 
auch  bedrohliche  Zustände  bei  der  Geburt  veranlassen;  Kleinwächter  machte 
in  einem  solchen  Falle  den  Kaiserschnitt.  Ascites  ist  dabei  nicht  selten. 
Die  Menses  können  spärlich  werden  und  frühzeitig  aufliören,  wenn  beide 
Ovarien  in  Fibrome  umgewandelt  sind,  bleiben  aber  regelmässig,  wenn  nur 
ein  Eierstock  erkrankt  ist. 

Die  Diagnose  ist  durchaus  nicht  leicht,  Verwechselungen  mit  Carcinom 
und  Dermoid-Cysten  sind  nicht  stets  zu  vermeiden.  Die  Fibrome  sollen  oft, 
selbst  bei  bedeutender  Grösse  noch  die  Form  des  Ovarium  zeigen.  Intra- 
ligamentäre Fibrome  werden  kaum  von  solchen  des  Uterus  zu  unterscheiden  sein. 

Therapie.  Sie  wird  stets  in  der  operativen  Entfernung  bestehen,  nicht 
allein  wegen  der  Beschwerden,  welche  der  wachsende  Tumor  später  verur- 
sachen kann,  sondern  vor  allem  wegen  der  Möglichheit  einer  Verwechslung 
mit  anderen  Tumoren.  Die  Ausführung  der  Operation  ist  bei  gestielten  Ge- 
schwülsten die  gleiche,  wie  bei  gestielten  Ovarial-Cysten,  bei  intraligamen- 
tären  dieselbe,  wie  bei  solchen  des  Uterus. 

VII.  Fibrome  und  Fibromyome  der  Ligamenta  rotunda. 

Da  die  Ligamenta  rotunda  vorwiegend  aus  einer  muskulösen  Grundlage 
bestehen,  können  in  denselben  —  wenn  auch  selten  —  Fibromyome  vorkommen. 
Solche  Geschwülste  sitzen,  entsprechend  dem  Verlaufe  des  Ligamentum  rotundum, 
entweder  noch   im  Bereich    der  Bauchhöhle,    oder    ausserhalb   derselben,    im 


FISSUREN  DER  MAMMA.  253 

Leistencanal  oder  im  oberen  Tlicil  der  Labia  majora.  Man  hat  sie  auch 
lymphangiektatisch,  myxomatos  und  sarkomatös  gefunden. 

Die  Diagnose  kann  Schwierigkeiten  machen,  weil  bei  ihrem  Sitze  in  den 
grossen  Labien  Verwechslungen  mit  Netzhernien  und  vorgefallenen  Ovarien 
möglich  sind.  Für  Fibrom  spricht  die  Unbeweglichkeit  beim  Husten  und  die 
geringe  Druckempfindlichkeit. 

Grössere  Geschwülste  können  wegen  der  vorhandenen  Schmerzen  die 
operative  Entfernung  erfordern.  Diese  ist  massig  schwer  beim  Sitz  der  Ge- 
schwulst in  den  grossen  Schamlippen,  schwierig  beim  Sitz  innerhalb  des  Leisten- 
canals  und  bei  grösseren  Tumoren,  welche  in  das  kleine  Becken  hinein  ent- 
wickelt sind. 

VIII.  Fibrome  und  Fibromyome  der  Ligamenta  lata. 

Deren  primäres  Vorkommen  wird  von  Manchen  bestritten;  sie  sollten 
nichts  sein,  als  abgeschnürte  Fibromyome  des  Uterus.  Von  vielen  Unter- 
suchern (ViECHOW,  Saenger,  Feeund)  wird  aber  angenommen,  dass  sie  auch 
primär  im  Ligamentum  latum  selbst  entstehen  können.  Bei  dem  Gehalt  des- 
selben an  glatter  Musculatur  hat  diese  Annahme  durchaus  nichts  unwahr- 
scheinliches. Bemerkenswerth  ist  es,  dass  sehr  weiche  Fibrome  in  das  um- 
gebende lockere  Bindegewebe  Ausläufer  hineinschicken  können,  welche  gegen 
Scheide,  Damm  oder  durch  die  Incisura  ischiadica  major  hindurch  gegen  die 
Glutäen  vorgedrängt  werden.  So  hat  Scheödee  eine  derartige  Geschwulst 
von  der  Scheide  aus  entfernt. 

In  Symptomen,  Diagnose  und  Therapie  unterscheiden  sich  diese  Ge- 
schwülste sonst  nicht  von  den  intraligamentären  Myomen  des  Uterus. 

GUSTAV  KLEIN. 

Fissuren  der  IVSämmä.  (Entzündungen  der  Brustwarze.^)  Entzündung 
der  Brustwarze  zeigt  sich  entweder  als  Erythema  papill.,  wobei  die 
Haut  nur  leicht  geröthet  und  die  Cutis  nicht  infiltrirt  ist,  oder  als 
Phlegmone,  wobei  die  Warze  im  Ganzen  stark  geschwollen,  die  Haut 
dunkelroth,  die  Schwellung  meist  auf  den  Warzenhof  ausgedehnt  erscheint; 
ferner  sehen  wir  Entzündung  an  der  Brustwarze  als  Eczema  papill.  mit 
Anfangs  kleinen,  hirsekorngrossen  Bläschen,  die  mit  einem  hellen  Serum  ge- 
füllt sind  und  zu  3,  4,  8  auf  einer  Warze  sitzen,  meist  aber  gleichzeitig 
beide  Drüsen  befallen.  Platzen  die  Bläschen,  so  legt  sich  die  Epidermis  ent- 
weder wieder  an  oder  sie  wird  abgehoben  und  das  geröthete  Corium  bios- 
gelegt, welches  nässt  und  blutet,  bis  öfters  aus  der  Erosion  ein  Geschwür 
entsteht. 

Fissuren  oder  Rhagaden  befinden  sich  entweder  an  der  Spitze  oder 
an  der  Basis  der  Mammilla.  Ecchymosen  und  Hämorrhagien  zeigen  sich  in  Form 
kleiner  linearer  oder  rundlicher  Blutergüsse  auf  der  Höhe  der  Warze,  ent- 
sprechend den  Steilen,  die  zwischen  den  kindlichen  Kiefern  fi'ei  geblieben 
sind.  Aus  den  Rissen  oder  Ulcerationen  an  der  Basis  oder  Spitze  der  Mam- 
milla entstehen  Geschwüre,  welche  mehrere  Milchgänge  verbinden,  eine  kranz- 
förmige Oeffnung  bilden  und  in  den  Grund  der  Milchgänge  sich  öffnen.  Diese 
Ulcera  können  heilen,  wobei  einige  Milchgänge,  allmälig  aber  auch  alle  un- 
wegsam werden. 

Herpes  areolae  papill.  nennen  war  ein  mit  starker  Borkenbildung 
einhergehendes,  sehr  hartnäckiges  Eczem,  welches  nicht  über  den  Warzenhot 
hinwegschreitet,  aber  ihn  und  die  Warze  selbst  mit  dicken,  gelben  Krusten 
bedeckt.  Wenn  diese  abgestossen  werden,  so  reissen  nicht  selten  die  Borken, 
und  es  sickert  zwischen  den  Rissstellen  Flüssigkeit  hervor. 


*)  Vergl.  aTicli  Artikel  jjMcwtmakranJcheiten^  in  ds.  Bd. 


254  FRUCHTENTWICKLUNG. 

Die  Begleiterscheinungen  dieser  Erkrankungen  der  Brustwarze  sind 
Schmerzen,  die  beim  Anlegen  des  Kindes  gegen  die  Brust  und  Achselhöhle 
ausstrahlen,  ja  häufig  sind  mit  ihnen  Fiebertemperaturen  verbunden,  die  eine 
Plöhe  von  40"  C.  erreichen  können.  Durch  Absetzen  des  Kindes  auf  der 
Höhe  des  Fiebers  lässt  sich  zuweilen  ein  rascher  Abfall  herbeiführen. 
Bei  Vorhandensein  von  Schmerz  und  Fieber  schwindet  der  Appetit,  die  Wöch- 
nerin wird  aufgeregt  und  ängstlich  vor  dem  Gedanken,  das  Kind  wieder  an- 
legen zu  sollen.  In  den  meisten  Fällen  heilen  die  Rhagaden  innerhalb 
10 — 12  Tagen.  In  manchen  Fällen  bilden  sich  Knoten  in  der  Brust,  und  es 
kommt  zu  einem  Drüsenabscess;  in  anderen  Fällen  aber  tritt  die  Entzündung 
der  Brustdrüse  mit  Abscedirung  erst  8 — 14  Tage  nach  dem  völligen  Vernarben 
der  Wunden  an  der  Mammilla  auf,  ist  aber  trotzdem  auf  diese  zurückzuführe  n. 

Länger  bestehende  Geschwüre  der  Mammilla  können  bisweilen  den 
grössteu  Theil  derselben  zerstören.  Die  Disposition  zu  Erkrankungen 
der  Brustdrüse  und  deren  Warze  ist  gewöhnlich  darauf  zurückzuführen,  dass 
die  Frauen  während  der  Schv^angerschaft  die  Pflege  der  Brustdrüsen  vernach- 
lässigen und  speciell  durch  unzweckmässige  Kleidungsstücke  dieselben  einem 
schädlichen  Drucke  aussetzen.  Auch  wenn  Colostrum  eintrocknet,  bildet  es 
oft  eine  dicke  Borke  auf  der  Warze,  unter  der  die  Epidermis  zart  und  weich 
ist,  so  dass  sie  leicht  von  der  Mundflüssigkeit  des  Säuglings  macerirt  und 
abgehoben  wird.  In  den  meisten  Fällen  sind  starkes  Saugen,  Zerren  oder 
Beissen  mit  den  Kiefern  des  Kindes  die  hauptsächlichste  Ursache  der  Fissuren, 
speciell  dann,  wenn  die  zu  kleine  oder  zu  flache  Warze  vom  Säugling  nicht 
gut  gefasst  werden  kann.  Um  die  Rhagadenbildung  zu  verhüten,  sollen  die 
Schwangeren  bequeme,  die  Brüste  nicht  drückende  Kleidungsstücke  tragen, 
frühzeitig  anfangen,  die  Warzen  zu  waschen,  mit  den  Fingern  hervorzuziehen 
und  durch  spirituöse  Einreibungen  abzuhärten. 

Es  ist  längst  bekannt,  dass  Fissuren  häufig  jeder  Behandlung  trotzen. 
Bei  einfachem  Erythem  und  Phlegmone  sind  Umschläge  mit  Aqua  plumbi  zu 
empfehlen  und  die  Warze  sorgfältig  zu  reinigen,  ehe  das  Kind  angelegt  wird. 
Bei  Erosionen,  Bläschen  und  Excoriationen  höheren  Grades  werden  Umschläge 
mit  3 — 5%  Carbolsäurelösung  angewendet;  in  diesen  Fällen  kann  das  Kind 
nicht  direct  sondern  nur  vermittelst  eines  Gummi-Warzenhütchens  trinken. 
Wenn  aber  trotz  dieser  Mittel  die  Wunde  nicht  heilt,  das  Geschwür  tiefere 
Partieen  ergreift,  Fieberbewegungen  auftreten  und  die  Drüse  zu  schmerzen 
beginnt,  so  muss  unter  allen  Umständen  das  Kind  abgesetzt  werden;  dann 
heilt  auch  selbst  die  schlimmste  Excoriation  im  Laufe  weniger  Tage. 

Die  hartnäckigste  Form  ist  das  Eczema  areolae  mammae.  Die 
dagegen  empfohlenen  Mittel,  wie  Zinksalbe,  Tannin  mit  Unguentum  glyc, 
Lapis-  und  Kalilösungen  wirken  sämmtlich  unsicher.  Hebea  wendete  gegen 
hartnäckiges  Eccem  Aetzungen  mit  Sublimatlösung  1:90  an. 

V.   BRAUN-FERNWALD. 

Fruchtentwicklung.  Das  durch  das  Eindringen  der  Spermatozoen  be- 
fruchtete Eichen  gelangt  in  die  Uterushöhle  und  bleibt  daselbst,  wenn  es 
zur  weiteren  Entwicklung  kommt,  an  einer  Falte  der  gewulsteten  Schleimhaut 
haften  und  entwickelt  sich  an  dieser  Stelle  in  normaler  Weise  fort  {uterine 
Schwangerschaft)  oder  das  befruchtete  Eichen  bleibt  irgendwo  auf  seiner  Wan- 
derung in  dem  Bestreben,  die  Uterushöhle  zu  erreichen,  haften  und  ent- 
wickelt sich  ausserhalb  der  Gebärmutter  entweder  im  Eierstock  oder  im 
ampullären  oder  mittleren  oder  uterinen  Antheil  der  Tube  (extrauterine  Schivan- 
gerschaft). 

An  dieser  Stelle  sei  die  Rede  von  jenen  Stadien,  welche  das  Eichen 
selbst  von  seiner  Befruchtung  bis  zu  seiner  völligen  Entwicklung  durchmacht, 
und  somit  auf  den  Sitz  des  Eies  selbst  keine  Rücksicht  genommen. 


FRUCHTENT  WICKLUNG. 


255 


Das  menschliche  Ei  gehört  zu  denen,  welche  einer  totalen  Furchung 
unterliegen,  d.  li.  das  ganze  Plasma  wird  zum  Aufbaue  des  Eml)ryo  verwendet. 
Wir  sehen  in  kürzester  Zeit  die  erste  Anlage  des  Embryo  in  Form  eines  bis- 
quitartig  geformten  Körpers,  an  dessen  Rückseite  zunächst  ein  Streifen  (Pri- 
mitivstreifen), nach  einiger  Zeit  eine  Rinne  (Frimitivrinne)  ausgebildet  erscheint. 
Wenn  man  zu  dieser  Zeit  einen  horizontalen  Durchschnitt  durch  den  Embryo 
macht,  so  bekommt  man  das  in  nachstehender  Figur  dargestellte  Schema.     In 

RF  RW 


der  Medianebene  des  Rückens  finden  wir  eine  tiefe  Furche  (Rückenriime)  be- 
grenzt von  2  Wülsten,  den  Rückenwülsten,  von  denen  aus  die  äussere  Be- 
kleidung des  Embryo,  das  Ectoderm  sich  weiter  fortsetzt.  Diese  Rückenwülste 
stellen  die  erste  Anlage  des  Centralnervensystems  dar,  das  somit  dem  Ectoderm 
seinen  Ursprung  verdankt.  Denn,  indem  die  Rückenwülste  einander  sich  dorsal- 
wärts  entgegenwachsen  und  schliesslich  miteinander  zur  Berührung  kommen  und 
miteinander  verwachsen,  wird  die  Rückenrinne  zum  Canal,  zum  Central- 
canal  des  Nervensystems,  der  sich  nach  oben  zu  gegen  den  Kopfantheil 
in  die  Hirnbläschen  fort  erstreckt  und  die  erste  Anlage  der  Hirnkammern 
darstellt.  Ventralwärts  von  dieser  Anlage  des  Centralcanals  finden  wir  den 
Durchschnitt  einer  Zellensäule,  welche  sich  durch  die  Länge  des  Embryo  fort- 
entwickelt und  die  wir  bezeichen  als  Chorda  dorsualis.  Rudimentäre  Reste 
dieser  Chorda  dorsualis  finden  wir  auch  noch  beim  erwachsenen  Menschen 
im  Nucleus  pulposus  der  Zwischenbandscheiben  der  Wirbelsäule.  Sie  erstreckt 
sich  fort  bis  an  die  Grenze  zwischen  vorderem  und  hinterem  Keilbeine.  Ven- 
tralwärts von  der  Chorda  dorsualis  bildet  sich  eine  zweite  Zellenschichte  mem- 
branartig aus,  welche  wir  zum  Unterschied  von  dem  äusseren  Keimblatte  oder 
Ectoderm  das  innere  Keimblatt  oder  Entoderm  nennen.  Es  bildet  einen 
gegen  den  Kopf  und  gegen  das  untere  Ende  des  Embryo  noch  blind  ausmün- 
denden Canal,  den  primitiven  Darmcanal,  welcher  durch  einen  schmalen 
Gang,  der  die  nach  vorn  noch  geöffnete  Leibeswandung  durchtritt,  mit  dem 
Dotterbläschen  in  Verbindung  steht  und  den  Ductus  vitelUnus  darstellt.  Seit- 
lich von  der  Chorda  dorsualis  bilden  sich  nun  neue  Zellenmassen  aus;  sie 
stellen  die  erste  Anlage  der  Urwirbel  dar  und  an  ihren  beiden  Seiten 
bilden  sich  die  Aorten  und  die  Urnieren  aus.  Aus  dieser  Zellenmasse  wächst 
nun  zwischen  äusserem  und  innerem  Keimblatte  eine  neue  Membran  heraus, 
das  mittlere  Keimblatt  (Mesoderm),  welches  sich  alsbald  in  2  Blätter  spaltet: 
das  äussere  Blatt,  die  Hautmus kel platte,  legt  sich  dem  Ectoderm  innig 
an,  während  das  innere,  die  Darmfaserplatte,  das  Entoderm  bekleidet .  In- 
dem sich  beiderseits  die  zwei  Blätter  des   Mesoderms  nach   vorn   zu    wieder 


256  FRUCHTENTWICKLÜNG. 

vereinigen,  entstellt  zwischen  ihnen  eine  Höhle  {p-imitive  Plewoperitonealhöhle 
oder  Coelom),  durch  welche  der  von  dem  Entoderm  gebildete,  von  der  Darm- 
faserplatte bekleidete  primitive  Darm  hinabzieht. 

Inzwischen  hat  der  Embryo  bei  weiterem  Wachsthume  Formveränderungen 
angenommen;  zunächst  krümmt  er  sich  über  die  Fläche,  so  dass  sein  vorderes 
Ende,  das  Kopfende,  an  welchem  die  ersten  Andeutungen  der  Hirnbläschen 
sichtbar  werden,  und  das  untere  Ende,  das  Schwanzende  die  extremen 
Pole  eines  unter  massigem  Radius  gekrümmten  Bogens  darstellen.  Noch 
immer  ist  die  Leibeswandung  nach  vorne  offen,  die  Cutisbekleidung  erstreckt 
sich  weiter  auf  die  sich  differenzierenden  Eihüllen  und  der  Darmcanal  steht 
durch  den  Dottergang  mit  dem  Reste  des  Dotterbläschens  noch  in  Verbindung, 
während  Gelasse,  die  Vasa  omphalo-meseraica,  die  den  Dottergang  begleiten, 
die  Gefässverbindung  zwischen  dem  embryonalen  Fötus  und  seiner  Umhüllung 
darstellen.  Wenn  nun  der  Embryo  weiter  wächst,  so  senkt  er  sich  in  den 
Eisack  hinab,  so  dass  die  äussere  Membran  desselben  jene  Falte  über  das  Kopf- 
und  Schwanzende  des  Embryo  aufwirft,  die  man  Kopf-  und  Schwanz  kappe 
nennt  (Fig.  2  auf  zugehöriger  Farbentafel).  Je  mehr  der  Embryo  wächst,  umso 
tiefer  senkt  er  sich  in  den  Eisack,  umsomehr  muss  Kopf-  und  Schwanzkappe  über 
den  Embryo  aufsteigen,  umsomehr  müssen  sich  Kopf-  und  Schwanzkappe  gegen 
den  Rücken  des  Embryo  einander  nähern,  bis  es  schliesslich  zur  vollständigen  Ver- 
einigung der  Enden  der  Kopf-  und  Schwanzkappe  kommt  an  einer  Stelle,  die  man 
als  Amnionnabel  bezeichnet  (Fig.  3).  Nun  vollzieht  sich  die  Trennung  der  äusse- 
ren und  der  inneren  Schichte  der  miteinander  verwachsenen  Kopf-  und  Schwanz- 
kappe derart,  dass  das  äussere  Blatt  der  Kopf-  und  Schwanzkappe,  miteinander 
verwachsend,  sich  von  dem  gleichfalls  miteinander  verwachsenen  inneren  Blatte 
der  Kopf-  und  Schwanzkappe  ablöst  und  somit  eine  vollständig  geschlossene  Mem- 
bran darstellt,  welche  die  ganze  embryonale  Anlage  umgibt  {Chorion)  (Fig.  4), 
während  das  innere  Blatt  dem  Chorion  anliegend,  den  Embryo  umkreist,  ent- 
sprechend der  Leibesöffnung  des  Fötus  jedoch  an  diese  innig  herantritt,  um 
an  der  Leibesöffnung  in  die  Cutisbekleidung  des  Fötus  sich  direct  fortzusetzen 
(Amnios).  Inzwischen  haben  sich  mehrfache  Veränderungen  vollzogen.  Während 
der  Dottergang,  das  Dotterbläschen  und  die  Vasa  omphalo-mes.  veröden,  hat 
sich  vom  untersten  Abschnitte  des  Darmes,  dem  Enddarme,  eine  Ausstülpung 
ausgebildet,  welche,  zur  Leibesöffnung  heraustretend,  dem  Chorion  sich  all- 
mählig  nähert  (die  AUantois,  der  primitive  Harnsack  des  Fötus).  Aus  jenem 
Stücke,  welches  die  AUantois  innerhalb  der  Leibeshöhle  mit  dem  Enddarme 
verbindet,  geht  später  die  Harnblase  und  der  Urachus  (Lig.  vesico-umbil.  medium) 
hervor.  Mit  der  AUantois  werden  nun  vom  Fötus  her  Gefässe  an  das  Chorion 
herangebracht,  welche  sich  im  Chorion  verästeln,  wobei  das  Chorion  Zotten 
auftreibt,  die  zunächst  die  ganze  Peripherie  des  Chorion  umgeben,  dann  aber 
an  dem  grössten  Theile  der  Chorionoberfläche  veröden  und  nur  an  einem 
bestimmten  Theile  persistent  bleiben  (C//onow  laeve,  Chorion  fr ondosum)  (Fig.  5). 
Diese  Zotten  des  Chorion  frondosum  wuchern  nun  in  die  Zotten  der  Decidua 
serotina  hinein  und  bilden  so  die  erste  Anlage  der  menschlichen  Placenta. 
—  Um  dies  zu  verstehen,  müssen  wir  auf  jene  Veränderungen  zurückgreifen, 
welche  der  Uterus,  respective  die  Schleimhaut  desselben  während  der  Schwanger- 
schaft durchmacht.  Ueber  die  Veränderungen,  die  die  For^nelemente  des 
Uterus  selbst,  während  der  Schwangerschaft  erfahren,  ist  bereits  an  anderer 
Stelle  gesprochen. 

Die  Schleimhaut  des  Uterus  verändert  sich  nach  stattgehabter  Con- 
ception  in  der  Weise,  dass  das  Cylinderflimmerepithel  der  gewulsteten  Schleim- 
haut zu  Grunde  geht  und  sich  an  der  Oberfläche  derselben  grosse,  runde,  spindel- 
förmige Zellen  ausbilden,  die  man  als  Deciduaz eilen  bezeichnet.  Die 
ganze  verdickte  Mucosa  uteri  wandelt  sich  somit  in  die  Decidua  um,  in  deren 
Falten   das   haftengebliebene  Eichen  sich  weiter  entwickelt.    Indem  die  De- 


FRUCHTENTWICKLUNG.  257 

cidua  nichts  anderes  ist  als  die  umgewandelte  Mucosa  uteri,  muss  sie  an  den 
uterinen  Tubenenden  in  die  Tubenschleimhaut,  am  Orificium  int.  in  die 
Cervicalschleimhaut  unvermittelt  übergehen.  Es  gelangt  soinit  das  befruchtete 
Eichen  in  das  Innere  der  Decidualhöhle;  es  ist  das  notliwendig  hervorzuheben, 
weil  die  Bezeichnungen,  welche  die  alten  Anatomen  und  Geburtshelfer  für 
die  einzelnen  Theile  der  Dccidua  gebrauchten  (Decidua  vera,  JJecidua  reflaxa, 
Decidua  serotind)  einer  falschen  Anschauung  entsprechen,  gemäss  welcher  an- 
genommen wurde,  dass  die  Decidua  eine  in  sich  abgeschlossene  Membran 
bilde,  so  dass  das  aus  der  Tube  eintretende  Eichen  nicht  in  die  Decidual- 
höhle eintreten  könne,  sondern  an  einer  Stelle  die  Decidua  (Decidua  vera) 
von  der  Muscularis  uteri  abheben  und  —  zwischen  die  Muskelschichte  und 
die  Decidua  eintretend  —  dieselbe  an  dieser  Stelle  ablösen  müsse  (Decidua 
reflexa).  Während  demgemäss  angenommen  wurde,  dass  der  grösste  Theil 
der  Uterushöhle  von  Decidua  vera  ausgekleidet  sei,  musste  an  der  Stelle,  wo 
die  Decidua  (Decidua  reflexa)  durch  das  Eichen  abgehoben  war,  die  Uterus- 
wandung selbst  der  Decidua  entblösst  sein.  Man  stellte  sich  vor,  dass  an 
dieser  Stelle  sich  später  neuerdings  Decidua  ausbilde,  die  man  als  Decidua  se- 
rotina  bezeichnete.  Es  ist  ja  klar,  dass  diese  Ansicht  eine  vollständig  irr- 
thümliche  ist;  sie  musste  angeführt  werden,  um  die  Ausdrücke  (Decidua 
vera,  reflexa  und  serotina)  dem  Verständnisse  näher  zu  bringen.  Indem  vielmehr 
das  Eichen  in  das  Innere  der  Decidualhöhle  eintritt  und  irgendwo  in  den 
Falten  der  gewulsteten  Schleimhaut  haften  bleibt,  wuchern  unter  dem  Einflüsse 
des  durch  die  Conception  und  das  Haftenbleiben  des  Eichens  gesetzten  mäch- 
tigen Reizes  die  Schleimhautfalten  derartig;  dass  sie  das  Eichen  vollständig 
umwuchern.  Den  Theil  der  Decidua  vera,  an  welchem  das  Eichen  haften 
geblieben  war,  bezeichnen  wir  noch  mit  dem  zwar  ehrwürdigen,  aber  falschen 
Ausdrucke  „Decidua  serotina"  und  jene  Falten,  welche  das  Eichen  umwuchern 
und  somit  umhüllen,  bezeichnen  wir  als  Decidua  reflexa,  ein  Ausdruck;  der 
viel  richtiger  durch  einen  Namen  wie  Decidua  circumvallata  zu  ersetzen  wäre. 
Wenn  nun  das  Eichen  wächst,  so  muss  es  die  ihm  von  der  Decidua  reflexa 
gegebene  Hülle  allmälig  ausdehnen,  so  dass,  wenn  es  die  Uterushöhle  aus- 
füllt, die  Decidua  reflexa  der  Decidua  vera  allenthalben  innig  anliegt  und 
mit  ihr  zu  einer  Membran  verklebt.  In  die  Zotten  nun,  welche  die  Decidua 
serotina  bildet  au  der  Stelle,  wo  das  Eichen  zuerst  haften  geblieben  war, 
kommt  es  nun  zum  Hineinwuchern  der  Zotten  des  Chorion  frondosum,  zu 
welchem  auf  dem  Wege  der  Allantois  die  embryonalen  Gefässe  hingeführt 
wurden,  womit  die  erste  Anlage  der  Placenta  gebildet  ist.  Die  Placenta  besteht 
daher  aus  den  Zotten  der  Decidua  serotina  und  des  Chorion;  wir  müssen 
daher  das  Chorion,  welches  der  Innenfläche  der  Decidua  reflexa  anliegt,  in  die 
Substanz   der  Placenta  selbst   eingehen  finden   {vide  Fig.  1  der  Farbentafel). 

Wir  sehen  daher  den  schw^angeren  Uterus  erfüllt  von  dem  Ei,  welches 
besteht  aus  den  Ei  hüllen  und  dem  Ei  in  halte. 

Die  Eihüllen  sind:  die  Decidua,  das  Chorion  und  das  Amnion,  von 
welchen  wir  die  beiden  letzteren  als  die  kindlichen  Eihüllen  von  den 
mütterlichen  Eihüllen  (Decidua)  zu  unterscheiden  haben.  Wir  finden  daher 
die  Uterusinnenfläche  ausgekleidet  von  Decidua  vera,  derselben  liegt  überall 
bis  auf  die  Placentarfläche  die  Decidua  reflexa  an,  der  Innenfläche  der  Deci- 
dua reflexa  anliegend  das  Chorion,  welches  an  der  Stelle,  wo  die  Decidua 
reflexa  von  der  Decidua  vera  abgeht,  seine  Zotten  in  die  Zotten  der  Decidua 
serotina  hineinsendend,  die  Placenta  darstellt.  Indem  die  Innenfläche  des 
Chorion  vom  Amnion  bekleidet  ist,  finden  wir  die  fötale,  d.  h.  der  Eihöhle 
zugewendete  Fläche  der  Placenta  ebenfalls  von  Amnion  bekleidet,  welches 
dem  Zuge  jenes  Stranges  folgend,  der  die  so  gebildete  Placenta  mit  dem  ent- 
wickelten Fötus  verbindet  (NaMstrang),  denselben  bis  an  jene  Oeftnung  in 
der  Leibeswandung  begleitet,  durch  welche  die  Gefässe  des  Nabelstranges  in 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  nrd  Gynaekologie.  17 


25»  FEüCHTENTWICKLUNG. 

die  Leibeshölile  eintreten  {Nabclnng),  um  an  dieser  Stelle  direct  in  die  Cutis- 
bekleidung  des  Fötus  überzugehen.  Am  Nabelstrange  müssen  wir  daher  fol- 
gende Gebilde  unterscheiden:  1.  Die  äussere  Bekleidung  {Amnion),  2.  die 
Grundsubstanz  (Wharton'sche  Sidze),  3.  zwei  arterielle  Gefässe,  welche  venöses 
Blut  des  Fötus  zur  Placenta  führen  (Nabelarterien),  4.  eine  Vene,  die  das  in 
der  Placenta  arteriell  gemachte  Blut  von  derselben  zum  Fötus  zurückbringt 
{Nahelvene);  alle  drei  Gefässe  in  Spiraltouren  den  Nabelstrang  durchlaufend, 
5.  den  Best  der  AUantois,  6.  den  Rest  des  Dotterbläschens,  7.  den  Best  des 
Dotterganges,  respective  der   Vasa  omphal.-meser. 

Die  Frucht  suspendirt  in  dem  Fruchtwasser  {Liquor  Amnii),  welches  den 
Eisack  vollständig  ausfüllt. 

Es  kann  nicht  Aufgabe  des  vorliegenden  Artikels  sein,  die  einzelnen 
Stadien  der  Entwicklung  der  Frucht  des  Genaueren  zu  schildern.  Es  sei  des- 
halb nur  ganz  schematisch  auf  folgende  Stadien  der  Entwicklung  hingewiesen. 

Am  Ende  des  1.  Monates  ist  der  Fötus  kaum  1  cm  lang,  die  Krüm- 
mung des  Körpers  stark  ausgebildet,  die  Extremitäten  und  das  Auge  angedeutet, 
die  Schlundbogen  sichtbar,  die  Hirnbläschen  gegliedert,  Centralcanal  geschlossen, 
das  Herz  als  Schlauch  ausgebildet,  ein  deutliches  Chorion  und  Amnion  ent- 
wickelt. 

Im  Verlaufe  des  2.  Monates  entwickelt  sich  der  Kopf  durch  das  Wachs- 
thum  des  Hirns  wesentlich,  die  Nasenkapsel  tritt  deutlich  hervor,  die  Extre- 
mitäten beginnen  sich  zunächst  an  den  oberen  Extremitäten  in  drei  Theile 
zu  gliedern,  das  äussere  Ohr  bildet  sich  aus  und  die  Genitalien  sind  an- 
gedeutet.   Der  Fötus  ist  am  Ende  des  2.  Monates  2^/2 — Z  cm  lang. 

Im  3.  Monate  wächst  der  Embryo  bis  zu  9  cm  heran,  an  den  Knochen 
beginnen  sich  Ossificationspunkte  zu  bilden,  sowohl  an  den  Schädelknochen 
wie  den  Diaphysen  der  Extremitäten;  Finger  und  Zehen  sind  unterschieden, 
Genitalwülste,  Genitalhöcker  sind  ausgebildet  und  beginnen  sich  als  männ- 
lichem, respective  weiblichem  Geschlechte  angehörig  zu  differenziren. 

Im  4.  Monate  wird  der  Fötus  bis  zu  16  cm  lang,  wiegt  100 — 120^, 
er  ist  vollständig  ausgebildet,  sein  Geschlecht  deutlich  kenntlich. 

Im  5.  Monate  wird  der  Fötus  19 — 26  cm  lang,  wiegt  durchschnittlich 
280  g,  seine  kupferrothe  Haut  wird  weniger  durchsichtig,  die  Gefässinjection 
der  Haut  tritt  zurück,  Lanugo  beginnt  sich  auszubilden;  Früchte  aus  dieser 
Zeit  werden  mit  deutlichem  Herzschlage  geboren,  gelien  aber  rasch  zu  Grunde. 

Im  6.  Monate  hat  der  Fötus  eine  Länge  von  30 — 32  cm,  ein  Gewicht 
von  600 — 800  g,  die  Fettablagerung  im  Untcrhautzellgewebe  macht  rasche 
Fortschritte.     Die  Pupillarmembran  verscliliesst  noch  vollständig  die  Pupille. 

Im  7.  Monate  hat  der  Fötus  eine  Länge  von  35 — 36  cm,  ein  Gewicht 
von  1200 — 1500^,  die  Haut  ist  gerunzelt,  roth,  die  Pupillarmembran  beginnt 
zu  schwinden,  im  Fersenbein  ein  2 — 5  mm  breiter  Knochenkern.  Früchte, 
die  aus  dieser  Zeit  stammen,  können  bei  sorgfältiger  Pflege  kurze  Zeit  leben, 
gehen  aber  dann  in  der  Begel  zu  Grunde. 

8.  Monat:  Frucht  40 — 42  cm  lang,  durchschnittlich  bis  zu  2  Kilo  schwer; 
es  sind  Früchte,  welche  bei  sorgfältiger  Pflege,  wie  insbesonders  Aufenthalt 
in  einer  Couveuse  am  Leben  erhalten  bleiben  können. 

9.  Monat:  Frucht  45— 46  cm  lang,  2500(7  schwer,  unterscheidet  sich 
in  ihrem  Aeusseren  ausser  den  Grösseverhältnissen  wenig  von  einer  aus- 
getragenen Frucht;  es  sind  zwar  nicht  reife,  aber  lebensfähige  Früchte. 

Am  Ende  des  10.  Schwangerschaftsmonates  hat  die  Frucht  eine 
Länge  von  50— 51  cm,  ein  Gewicht  von  3100^  durchschnittlich,  die  Nägel 
der  Finger  erreichen  das  Niveau  der  Fingerspitzen. 

Mit  dem  Wachsthume  und  der  Entwicklung  der  Frucht  ändert  sich  auch 
seine  Lage  in  dem  vom  Fruchtwasser  erfüllten  Eisacke. 


FRUCHTENTWICKLUNG.  259 

Das  Fruchtwasser  selbst  (Liquor  Amnü)  ist  eine  seröse,  klare,  geruch- 
lose Flüssigkeit,  die  sich  in  wechselnder  Quantität  vorfindet.  Es  enthält  un- 
gefähr 1 — lV2  7o  Trockenrückstand  und  O-fV'/o  Asche.  Der  Eiweissgehalt 
schwankt  und  steigt  bis  zu  O'Ö^/o;  auch  der  Harn  stoffgeh  alt  ist  ein  äusserst 
schwankender.  Das  specifische  Gewicht  wird  verschieden  angegeben,  zwischen 
1005 — 1012.  Auch  die  Menge  des  Fruchtwassers  ist  eine  variable ;  während 
im  6.,  7.  Monate  die  Fruchtwassermenge  im  Verhältnisse  zur  Grösse  der 
Frucht  eine  relativ  grosse  ist  (relatives  Ilydramnios)  und  dadurch  die 
grosse  Beweglichkeit  der  Früchte  in  der  Eihöhle  und  somit  das  relativ  häu- 
fige Vorkommen  fehlerhafter  Fruchtlagen  zu  dieser  Zeit  erklärlich  ist,  tritt 
die  Fruchtwassermenge  in  der  nächsten  Entwicklungszeit  im  Verhältnis  zur 
•Grösse  der  Frucht  zurück,  so  dass  es  am  Ende  der  Schwangerschaft  in  der 
Menge  von  800 — lOOO^/  gefunden  wird. 

Was  die  Abstammung  des  Fruchtwassers  anbelangt,  so  ist  es  derzeit 
wohl  als  sicher  anzunehmen,  dass  die  Hauptquelle  desselben  das  mütterliche 
Gewebe  ist ;  in  den  letzten  Schwangerschaftswochen  wird  jedenfalls  auch  Harn 
aus  der  kindlichen  Blase  beigemengt.  Ebenso  sicher  ist  das  Verschlucken 
des  Fruchtwassers  durch  den  Fötus  in  der  letzten  Schwangerschaftszeit.  Ueber 
die  Bedeutung  des  Fruchtwassers  für  die  Mechanik  der  Geburt  und  über 
abnorme  Mengen  und  Beimengungen  des  Fruchtwassers  wird  an  anderer 
Stelle  gesprochen  werden. 

Dass  auch  der  Circulationsapparat  in  der  Frucht  nicht  ohne  Ein- 
iluss  auf  abnorme  Veränderungen  in  der  Fruchtwassermenge  bleiben  könne, 
jzeigen  verschiedene  Fälle  von  abnormer  Fruchtwassermenge. 

Während  des  intrauterinen  Lebens  erfolgt  der  Athmungsprocess  der 
Frucht,  d.  h.  die  Oxydation  des  Blutes  auf  dem  Wege  der  Placenta.  Das  bei 
der  Circulation  durch  fötales  Gewebe  venös  gewordene  Blut  gelangt  auf  dem 
Wege  der  Nabelarterien  zur  Placenta,  wo  es  in  die  Anastomosen  gelangend,  vom 
mütterlichen  Blute  Sauerstoff  aufnimmt,  Kohlenstoff  abgibt,  ohne  mit  dem 
mütterlichen  Blute  direct  in  Zusammenhang  zu  treten,  da  ja  die  villösen 
Räume  des  mütterlichen  Circulationsapparates  in  der  Placenta  durch  Endothel- 
wände  getrennt  sind  von  den  kindlichen  Gefässen  der  Placentarzotten,  so  dass 
der  Gasaustausch  auf  endos-  und  exosmotischem  Wege  erfolgt.  Das  auf  diese 
Weise  arteriell  gemachte  Blut  gelangt  durch  die  Nabelvene  zurück  zum  Fötus, 
gelangt  aber  nicht  rein  arteriell  zum  kindlichen  Herzen,  indem  es  auf  seinem 
Wege  zum  Theile  zur  Leber,  zum  Theile  an  der  Leber  vorbei  sich  mit  dem 
Blute  der  Lebervenen  und  der  Cava  inferior  vermengt  und  so  gemischt  in 
die  rechte  Vorkammer  gelangt.  Aus  der  rechten  Vorkammer  fliesst  nun 
dieses  Blut  nicht  in  die  rechte  Kammer,  sondern  durch  das  noch  offene  Fora- 
men ovale  in  der  Vorhofscheidewand  hindurch  in  den  linken  Vorhof,  von  da 
mit  dem  aus  den  Lungenvenen  kommenden  venösen  Blute  vermengt  in  die 
linke  Kammer  und  wird  nun  bei  den  systolischen  Contractionen  des  Herzens 
in  die  Aorta  geschleudert,  so  dass  somit  in  der  aufsteigenden  Aorta  ein  mit 
venösen  Beimengungen  gemischtes  arterielles  Blut  fliesst.  Durch  die  drei 
grossen  Gefässe  gelangt  ein  grosser  Theil  dieses  Blutes  zum  Halse,  Kopfe  und 
den  oberen  Extremitäten,  während  der  übrige  Theil  des  Blutes  in  die  abstei- 
gende Aorta  fliesst,  daselbst  jedoch  eine  wesentliche  Verminderung  seines 
Sauerstoffgehaltes  erfährt  durch  die  Beimengung  des  venösen  Blutes,  welches 
aus  der  Arteria  pulmonalis  durch  den  Ductus  arteriosus  Botalli  in  die  abstei- 
gende Aorta  gelangt.  Dieses  Blut  stammt  aus  der  oberen  Hohlvene  und  dringt 
von  der  rechten  Vorkammer  durch  die  Valvula  Thebesii  gegen  den  aus  der 
unteren  Hohlvene  stammenden  und  durch  das  Foramen  ovale  abgelenkten  Strom 
geschützt,  zum  Ostium  venosum  dextrum  und  in  die  rechte  Kammer,  von  da 
in  den  Stamm  der  Pulmonalarterien  und  hierauf  durch  den  offenen  Communi- 
cationsweg  des  Ductus  arteriosus  Botalli  in  die  absteigende  Aorta,  da  ja  die 

17* 


260;  FRUCHTLAGEN. 

rechte  und  linke  Lungenarterie  zur  Zeit  des  intrauterinen  Lebens  nur  jenes 
Blut  der  Lunge  zuführt,  welches  zur  Ernährung  des  Organes  benöthigt  wird. 
Es  erfolgt  demgemäss  die  Oxydirung  des  Blutes  in  der  mütterlichen  Placenta, 
Immerhin  besitzt  trotz  der  eigenthümlichen  chemischen  Beschaffenheit  de» 
fötalen  Blutes,  welche  ein  rascheres  Wachsthum  der  oberen  Körperhälfte 
gegenüber  der  unteren  erklärt,  das  kindliche  Blut  einen  Sauerstoifüberschuss, 
der  es  gestattet,  dass  momentane  Circulationsbchinderungen  ohne  wesentlichen 
Schaden  für  das  kindliche  Leben  ablaufen  können  (länger  dauernde  Contrac- 
tionen  des  Uterus  etc.),  ein  Zustand,  welcher,  als  „Apnoe  des  Kindes'^  '")  bezeich- 
net wird,  es  erklärt,  warum  lebensfrische  Kinder  unmittelbar  nach  der  Geburt 
nicht  sofort  den  ersten  Atherazug  thun,  obwohl  die  Pulsation  des  Herzens 
und  die  Circulation  in  den  Gefässen  eine  vollständig  normale  ist.  Erst  wenn 
der  Sauerstotfüberschuss  aufgebraucht  ist,  erst  wenn  das  Blut  mit  Kohlen- 
säure überladen  ist,  kommt  es  zur  Nothwendigkeit  der  Auslösung  einer 
Athraungsbewegung,  welche  zur  Folge  hat,  dass,  wenn  dies  vor  der  Geburt 
des  kindlichen  Schädels  geschieht,  Fruchtwasser,  Meconium,  Vernix  caseosa 
etc.  aspirirt  werden  oder  aber  —  post  partum  —  athmosphärische  Luft  in  die 
Lunge  eintritt  und  die  sich  ausdehnende  Lunge  zugleich  Blut  in  die  Lungen- 
arterien aspirirt  und  somit  den  Blutstrom  von  dem  in  der  letzten  Schwanger- 
schaftszeit der  Verödung  entgegengehenden  Ductus  arteriosus  Botalli  ablenkt,  wo- 
durch ein  solches  Absinken  des  Druckes  in  der  absteigenden  Aorta  und  somit 
in  den  I^abelarterien  eintritt,  dass  der  Puls  in  den  letzteren  erlischt.  Von 
dem  Momente  an,  wo  die  Lungen  regelmässig  athmen,  das  Blut  aus  der  Cava 
inferior  in  die  rechte  Kammer,  mit  dem  Blute  der  Cava  sup.  gemengt, 
gelangt  und  von  hier  aus  durch  das  Herz  auf  dem  Wege  der  Pulmonalarterien 
der  Lunge  zur  Oxydation  zugeführt  wird,  ist  der  fötale  Kreislauf  beendigt 
und  der  Lungenkreislauf  installirt. 

K.    A.    HEEZFELD. 

Fruchtlagen.  Unter  Lage  der  Frucht  verstehen  wir  das  Verhältnis 
der  Längsachse  der  Frucht  zu  der  Längsachse  des  mütterlichen  Organismus. 
Je  nachdem  ob  die  kindliche  Körperachse  parallel  verläuft  mit  der  mütterlichen 
oder  auf  derselben  senkrecht  steht  oder  dieselbe  unter  einem  schiefen  Winkel 
schneidet,  unterscheiden  wir  die  Längs  läge  von  der  Querlage  und  der 
Schieflage  '"*) 

Bei  Weitem  am  häufigsten  ist  die  Längslage;  wir  müssen  sie  auch  ent- 
sprechend der  anatomischen  Anlage  des  Geburtsschlauches  und  der  Haltung  der 
Frucht  als  die  normale  bezeichnen.  Die  Spannungsverhältnisse  des  Uterus 
und  mechanische  in  dem  Aufbaue  des  kindlichen  Körpers  basirte  Umstände  sind 
es,  welche  in  der  Regel  die  Längslage  zustande  kommen  lassen,  wenn  nicht 
andere,  eine  fehlerhafte  Fruchtlage  begünstigende  Momente  in  dem  einzelnen 
Falle  vorliegen.  Wenn  eine  Frucht  sich  in  Längslage  befindet,  so  kann  das 
einemal  der  kindliche  Kopf,  ein  anderesmal  das  untere  Rümpfen  de  den 
untersten  Pol  der  Frucht  bilden.  Darnach  theilen  wir  die  Längslagen  ein: 
in  Kopflagen  und  in  Beckenendlagen.  Jede  einzelne  dieser  Abtheilungen 
können  wir  nun  noch  in  Unterclassen  bringen;  denn  je  nach  der  Haltung  des 
kindlichen  Halses  wird  ein  verschiedener  Antheil  des  Kopfes  als  der  tiefststehende 
Punkt  in  den  Beckeneingang  eintreten  und  dadurch  der  Mechanismus  der 
Geburt  in  mannigfacher  Weise  beeinflusst  werden.  Die  normale  Haltung  der 
Frucht  ist  die  mit  leicht  gekrümmter  Wirbelsäule,  gebeugtem  Halse,  über  der 
Brust  gekreuzten  Armen  und  an  der  vorderen  Bauchwand  hinaufgezogenen, 
in  Hüft-  und  Kniegelenk  eebeugten  Füssen.     Wenn  nun  die  normale  Haltung 


*)  Siehe  dieses  Stichwort. 
**)  Vergl.  auch  die  speciellen  Artikel:  „Beckenendlagen",    „Hinter scheitellagen"  „Vor~ 
derscheitellagen",  „GesicJitslageti"  und  „Querlagen". 


FRUCHTLAGEN. 


061 


der  Frucht  beibehalten  wird,  so  muss  bei  bestehender  Flexion  des  Halses,  indem 
das  Kinn  der  Brust  anliegt,  das  Hinterhaupt  den  vorrückenden  Fruchttheil 
abgeben;  wir  sprechen  in  einem  solchen  Falle  von  Hinterhaupt-  oder 
Schädell.ige  schlechtweg. 

In  anderen  Fällen  kommt  es 
vor,  dass  der  Hals  in  einer  Art 
Mittelstellung  sich  befindet  oder  aber 
-ein  ganz  geringer  Grad  von  Streckung 
in  der  Halswirbelsäule  existirt,  so 
dass  das  Kinn  sich  von  der  Brust 
entfernt,  die  grosse  und  die  kleine 
Fontanelle  in  einem  Niveau  sich  befin- 
den oder  vielleicht  die  grosse  Fon- 
tanelle sogar  um  eine  Spur  tiefer  tritt 
als  die  kleine  und  somit  den  führen- 
den Punkt  bei  der  Ausführung  des 
Oeburtsmechanismus  bedeutet.  In 
einem  solchen  Falle  sprechen  wir 
von  VorderscheiteUage. 

Wenn  diese  Streckung  des 
Halses  noch  höhere  Grade  erfährt, 
so  muss  zum  tiefsten  Punkte  des 
kindlichen  Schädels  die  Stirne 
werden,  es  entsteht  eine  Stiriilage; 
das  Stirnbein  steht  nach  abwärts 
gerichtet,  der  kindliche  Schädel  tritt 
mit  seinem  ungünstigsten  Durch- 
messer, dem  mento-occipitalen  Durch- 
messer (13"5  C7n)  ein,  und  es  wer- 
den demgemäss  die  Geburtsverhält- 
nisse  schwer  beeinträchtigt. 

Bei  vollständiger  Streckung  des 
Halses,  wobei  das  Kinn  von  der 
Brust  sich  vollständig  entfernt,  das 
Hinterhaupt  sich  dem  Rücken  anlegt, 
muss  das  Gesicht  den  tiefsten  Theil 
des  vorangehenden  Kopfes  darstellen, 
wir  sprechen  demgemäss  von  einer 
Gesichtslage. 

Wir  unterscheiden  daher  die 
Kopflagen  in  Hinterhaupt-, 
Vorderscheitel-,  Stirn-  und 
Gesichtslagen.  Die  Rumpfend- 
lage n  oder  Beckenendlagen  können 
wir  eintheilen  in  Steiss-,  Knie- 
oder  Fusslagen,  je  nachdem  der 
Steiss,  das  Knie  oder  der  Fuss  den 
vorausgehenden  Fruchtheil  abgeben; 
dann  müssen  wir  je  nach  der  Haltung 
der  unteren  Extremitäten  verschie- 
dene Unterabtheilungen  unterschei- 
den. Zunächst  finden  wir  bei  Steiss- 
lagen  mitunter  beide  Füsse,  gestreckt 
im  Kniegelenke,  an  der  vorderen 
Bauchwand  hinaufziehen,  so  dass  die 


Fig.  2. 
Geäichtslage. 


262 


FßUCHTLAGEN, 


beiden  Gesässbacken  den  vorliegenden  Fruchttheil  präsentiren  (einfache 
Steisslage)  oder  es  sind  beide  Füsse  im  Hüft-  und  Kniegelenke  derartig 
gebeugt,  dass  die  beiden  Fersenhöcker  neben  den  beiden  Gesässbacken  sich 
präsentiren  (vollkommen  gedoppelte  Steisslage)  oder  es  befindet 
sich  blos  ein  Fuss  in  dieser  Stellung,  so  dass  blos  ein  Fersenhöcker  neben 
den  beiden  Gesässbacken  liegt,  während  der  andere  Fuss,  im  Kniegelenke 
gestreckt,  längs  der  Bauchwand  der  Frucht  hinaufzieht  (unvollkommen 
gedoppelte  Steisslage).  Die  Knielagen  theilen  wir  in  vollkommene 
oder  unvollko]mme'ne  Knielagen,  die  Fusslagen  in  vollkommene  und  in 
einfache  oder  unvollkommene  Fusslagen  ein,  je  nachdem  ob  beide  unteren 
Extremitäten  oder  blos  die  eine  mit  dem  Fusse  oder  mit  dem  Knie  voraus- 
geht. 

Dass  jedesmal  eine  in  der 
Längslage  befindliche  Frucht  die 
1.  oder  2.  Stellung  zeigen,  d,  h, 
der  Rücken  der  Frucht  hiebei 
nach  links  oder  rechts  gekehrt 
sein  muss,  ist  klar,  und  es  resul- 
tirt  dadurch  eine  weitere  Classi- 
fication der  Lagen. 

Was  die  Entstehung  der 
Längslagen  anbelangt,  so  müssen 
wir  sagen,  dass  entsprechend  der 
längsovalen  Form  des  Uterus, 
entsprechend  der  Spannung  der 
vorderen  Bauchdecken,  auf  welchen 
bei  stehender  Lage  der  Schwan- 
geren der  antevertirte  Uterus  mit 
seiner  vorderen  Wand  aufruht^ 
sowie  den  anatomischen  Verhält- 
nissen der  Frucht  die  Längslage 
als  die  natürlichste  anzusehen 
ist.  Dass  speciell  die  Kopflage  un- 
gleich häufiger  ist  als  die  Becken- 
endlage, hat  wieder  in  mechani- 
schen Verhältnissen  seinen  Grund.. 
In  den  Stadien  der  späteren  Ent- 
wicklung erscheint  nach  übereinstimmenden  Angaben  erstens  der  kindliche- 
Schädel  specifisch  schwerer  als  das  untere  Rumpfende,  anderseits  bildet  die 
Leber,  welche  der  rechten  Körperhälfte  angehört,  den  specifisch  schwersten 
Theil  des  Fruchtkörpers.  Wenn  man  eine  frisch  todte  Frucht  in  einer 
Flüssigkeit  suspendirt,  welche  eine  möglichst  annähernd  gleichartige  Zu- 
sammensetzung besitzt  wie  das  Fruchtwasser,  so  sinkt  der  Kopf  und  die 
rechte  Körperhälfte  tiefer.  Dem  entsprechend  finden  wir  auch  bei  Früchten 
aus  der  späteren  Schwangerschaftszeit  das  Bestreben,  sich  diesen  mechanischen 
Verhältnissen  anpassend  in  Schädellage  einzustellen.  Hiebei  prävalirt  die 
Disposition  für  die  Entstehung  einer  1.  Schädellage,  denn  bei  der  stehenden 
Frau  wird  bei  einer  ersten  Schädellage  die  Leber  der  Frucht  direct  nach  ab- 
wärts zu  gerichtet  sein,  entsprechend  der  Schwerkraft,  indem  ja  bei  einer 
1.  Schädellage  die  rechte  Fruchthälfte  der  vorderen  Uteruswand  aufliegt,  die 
entsprechend  der  Anteversionsstellung  des  Uterus  nach  abwärts  gerichtet  ist. 
Dagegen  wird  bei  der  liegenden  Frau  die  dem  Princip  der  Schwerkraft  ent- 
sprechendste Lage  die  2.  Schädellage  sein,  weil  ja  hiebei  die  rechte  Thorax- 
hälfte der  Frucht  und  damit  auch  die  Leber  wieder  in  der  Lage  ist,  den  tiefsten 
Punkt  einzunehmen.    Es  findet  auch  in  der  That  ein  solcher  Lagewechsel  der 


steisslage. 


FRUCHTLAGEN. 


263 


Frucht  innerhalb  des  Uterus  statt,  und  es  wird  sich  die  Frucht  Ijei  der  Geburt 
in  jener  Lage  und  Stellung  präsentiren,  in  welcher  sie  sich  in  jenem  Mo- 
mente befunden,  wo  der  kindliche  Schädel  im  Beckeneingange  fixirt  wurde. 
Nachdem  nun  der  Zeitraum,  in  welchem  eine  Schwangere  sich  in  aufrechter 
Stellung  befindet,  nahezu  doppelt  so  gross  ist  wie  jener,  innerhalb  welches  die 
Frau  liegt,  so  wird  die  Möglichkeit,  dass  die  Frucht  in  einer  ersten  Stellung 
zur  Geburt  fixirt  wird,  eine  mindestens  doppelt  so  grosse  sein  wie  die,  wo 
die  Fixation  der  Frucht  in  2.  Stellung  erfolgt.  Bei  frühgeborenen  Früchten 
sind  die  Verhältnisse  dieses  Schwergewichtes  nicht  in  der  Weise  ausgeprägt; 
es  befindet  sich  das  obere  und  untere  Kumpfende  vielmehr  im  labilen  Gleich- 
gewichte und  bei  der  durch  die  grössere  Fruchtwassermenge  ermöglichten 
grösseren  Beweglichkeit  der  Frucht  wird  es  ungleich  häufiger  vorkommen,  dass 
die  Frucht  sich  in  Beckenendlage  befindet,  als  am  normalen  Schwangerschafts- 
ende. —  Daher  finden  wir  in  statistischen  Aufzeichnungen  über  Fruchtlagen 
in  den  einzelnen  Schwangerschaftsmonaten,  dass  bei  Frühgeburten  Becken- 
endlagen relativ  häufiger  vorkommen  als  am  normalen  Ende  der  Schwanger- 
schaft. 

Dies  entspricht  auch  zum  Theil  der  alten  hippokratischen  Anschauung 
bezüglich  der  Fruchtlagen  und  des  Geburtsmechanismus,  nach  welcher  die 
Frucht  normaler  Weise  vor  der  Geburt  sich  durch  eine  spontane  Umwälzung 
aus  einer  Beckenendlage  in  eine  Kopflage  begebe. 

Ueber  jene  prädisponirenden  Momente,  welche  bei  Schädellagen  das 
Zustandekommen  von  Vorderscheitel-,  Stirn-  und  Gesichtslagen  ermöglichen 
(enges  Becken,  angeborne  Struma,  Abweichen  des  Kopfes  mit  dem  Hinter- 
haupte nach  dem  einen  Darmbeinteller  etc.),  wird  bei  den  einzelnen,  die  be- 
züglichen Lagen  besprechenden  Capiteln  gesprochen  werden. 

Wenn  die  kindliche  Längsachse  auf  der  Längsachse  des  Uterus  quer 
steht,  sprechen  wir  von  Querlagen;  je  nachdem  ob  hiebei  der  kindliche 
Schädel  nach  links  oder  rechts  gekehrt  ist,  sprechen  wir  von  einer  L,  resp. 
IL  Querlage,  die  wir  nach  dem  Verhältnisse  des  Rückens  zur  vorderen  oder  hin- 
teren Uteruswandung  noch  in  eine  L  oder  dorsoanteriore  und  eine  IL  oder  dorso- 
posteriore  Stellung  eintheilen. 

Die  Querlagen  müssen  wir 
als  pathologische  Frucht- 
lagen bezeichnen,  umsomehr 
als  bei  halbwegs  entwickelten 
Früchten,  die  in  Querlage  sich 
befinden,  die  Geburt  ohne 
Kunsthilfe  nicht  beendigt  wer- 
den kann. 

Die   Entstehung   der 
Querlagen  wird  durch  alle 
jene  Momente  begünstigt,  wel- 
che    dem    Fixirtwerden     der 
Frucht    in   Längslage   hinder- 
lich erscheinen  müssen.  Dahin 
gehört  zunächst  die  durch  grös- 
sere    Fruchtwassermenge    be- 
dingte abnorme  Beweglichkeit 
der  Frucht,  welche  bei  Lage- 
veränderungen    der     Schwan-  rig.  4. 
geren,  bei  Lageveränderungen                                  Queriaga. 
des  Uterus,   bei   verschiedenen  Füllungsgraden   des  Abdomens   u.  s.  w.  eine 
Veränderung  der  Fruchtlage  ermöglicht.  Je  stärker  dabei  die  Ansammlung  von 
Fruchtwasser  ist,  umsomehr  bekommt  der  Uterus  die  Kugelform,  umso  gerin- 


264  FRÜHGEBURT. 

ger  ist  die  Nothwendigkeit  für  die  Frucht,  die  Längslage  einzunehmen,  um- 
so grösser  die  Mögliclikeit  der  Entstehung  einer  Querlage,  und  so  finden 
wir  häufig  in  solchen  Fällen,  wo  die  Fruchtwassermenge  eine  grössere  ist  als 
es  der  Norm  entspricht,  Querlagen.  So  finden  wir  in  den  früheren  Schwanger- 
schaftsmonaten, in  denen,  wie  schon  an  anderer  Stelle  erwähnt  worden,  die 
Fruchtwassermenge  eine  relativ  grosse  ist  im  Verhältnisse  zur  Grösse  der 
Frucht  (relatives  Hydramnios),  ungleich  häufiger  Querlagen  vor  als  gegen  das 
normale  Ende  der  Schwangerschaft  hin.  In  gleicher  Weise  wird  die  Entste- 
hung der  Querlagen  prädisponirt  durch  die  Verengung  desBeckenein- 
ganges.  Die  Unmöglichkeit,  welche  für  den  kindlichen  Schädel  eintritt, 
mit  dem  passenden  Durchmesser  ohne  Weiteres  in  den  Beckeneingang  ein- 
zutreten, wird  insbesondere,  wenn  gleichzeitig  eine  grössere  Schlaffheit 
der  Uteruswandung  vorhanden  ist,  das  Abweichen  des  kindlichen  Schädels 
nach  dem  einen  oder  anderen  Darmbeinteller  ausserordentlich  begünstigen 
und  so  das  Entstehen  einer  Querlage  ermöglichen.  Des  ferneren  finden 
wir  die  Entstehung  der  Querlage  prädisponirt  durch  ausserordentliche 
Schlaffheit  des  Uterusgewebes  und  auch  der  Bauchdecken  der  Frau, 
die  bereits  öfters  schwere  Geburten  überstanden  hat,  und  schliesslich  in 
solchen  Fällen,  wo  der  Uterus  eine  von  der  Norm  abweichende  Form 
besitzt  (üt.  arcuatus,  TJt.  septus),  wobei  die  anatomischen  Verhältnisse  der 
Uterushöhle  der  Einstellung  der  Frucht  mit  ihrem  Längsdurchmesser  im 
Höhendurchmesser  des  Uterus  nicht  förderlich  sind  und  die  Frucht  gezwungen 
wird,  um  sich  den  Räumlichkeiten  der  Uterushöhle  anzupassen,  in  Querlage 
zu  postiren. 

Die  Schieflagen,  bei  denen  das  untere  Fruchtende  (Kopf-  oder  Becken- 
ende) vom  Beckeneingange  nach  der  einen  oder  anderen  Seite  abweicht,  ver- 
danken diese  Lageanomalie  denselben  ätiologischen  Momenten  wie  die  Quer- 
lage. Da  sich  solche  Schräglagen  entweder  spontan  in  Längslagen  verwandeln, 
im  gegentheiligen  Falle  jedoch  ein  eben  solches  Geburtshindernis  bedeuten 
wie  die  Querlagen,  wird  für  sie  dasselbe  gelten,  was  bezüglich  des  Geburts- 
mechanismus unter  diesen  beiden  Capiteln  abgehandelt  werden  wird. 

K.    A.    HERZFELD. 

Frühgeburt  (künstlich).  Man  versteht  darunter  die  vor  dem  rechtzei- 
tigen Ende  der  Schwangerschaft,  aber  bei  schon  bestehender  Lebensfähigkeit 
des  Kindes,  also  zwischen  der  28.  (30.)  bis  36.  Schwangerschaftswoche  ein- 
geleitete Geburt.  Der  Zweck  derselben  ist  die  Erhaltung  von  Mutter  und 
Kind,  sei  es,  dass  die  Gefahren,  welche  der  Mutter  oder  dem  Kind  oder  beiden 
drohen  1.  entweder  schon  vorhanden  sind,  oder  2.  im  weiteren  Verlaufe  der 
Schwangerschaft  oder  3.  erst  während  der  Geburt  am  normalen  Ende  der 
Schwangerschaft  zu  erwarten  sind.  Die  unter  1.  und  2.  sich  bemerklich  ma- 
chenden Gefahren  sind  wesentlich  in  Krankheiten  der  Mutter  oder  des  Kindes 
begründet,  die  während  der  Geburt  am  normalen  Ende  der  Schwangerschaft 
erst  zu  erwartenden  aber  in  Raumbeschränkung  des  Geburtsweges,  wesentlich 
durch  Beckenfehler.  Der  Zweck  der  Operation  ist  entweder  auf  das  Kind 
allein,  oder  auf  Mutter  und  Kind,  oder  auf  die  Mutter  allein  gerichtet,  in 
letzterem  Falle  jedoch  mit  der  Hoffnung,  auch  das  Kind  zu  erhalten,  und 
unterscheidet  sich  die  Operation  wesentlich  vom  künstlichen  Abort,  den  wir 
auch  nur  der  Mutter  wegen  unternehmen,  aber  mit  der  Gewissheit,  das 
kindliche  Leben  zu  zerstören. 

Schon  frühzeitig  hatte  man  erkannt,  dass  einerseits  nach  der  aS.  Schwangerschafts- 
woche geborene  Kinder  leben  bleiben  können  und  dass  andererseits  vor  der  36.  Schwanger- 
schaftswoche geborene  Kinder,  da  sie  kleiner  und  besonders  ihre  Kopfknochen  weicher  und 
nachgiebiger  sind,  als  bei  ausgetragenen,  leichter  durch  die  Geburtswege  hindurchgehen, 
als  reife,  ausgetragene;  und  ferner  war  es  schon  im  Alterthum  bekannt,  dass  es  möglich 
ist,  durch  künstliche  Mittel  jederzeit  die  Schwangerschaft  zu  unterbrechen,  die  Geburt  in 


FRÜHGEBURT.  265 

Gang  zu  bringen  und  zwar  im  allgemeinen  ohne  Naohtlieil  für  die  Mutier.  Wunderbarer- 
weise hat  es  aber  lange  gedauert,  bis  man  diese  Erfahrungen  wissenschaftliclx  nutzbringend 
zu  Heilzwecken  vervverthen  lernte,  wo  doch  das  Bedürfnis,  ein  Verfall ren  zu  finden, 
durch  welches  z.  B.  zuweilen  der  Kaiserschnitt,  häufig  aber  die  Perforation  entbehrlich 
werden  würde,  von  jeher  sich  bemerklich  gemacht  hatte.  Wenn  auch  Guillkmeau  (1630), 
Mauricean  (1709),  Püzos  (1755)  und  die  Siegemundin  (1689)  die  künstliche  Eröffnung  des 
Muttermundes  und  das  darauf  folgende  Sprengen  der  Blase  als  vollkräftigcs  Mittel,  um  zu 
beliebiger  Zeit  Wehen  zu  erregen,  kannten  und  sich  derselben  bei  gefährlichen  Blutflüssen 
in  der  Schwangerschaft  zur  Einleitung  der  Geburt  mit  Erfolg  bedienten,  so  näherten  sich 
ihre  Verfahrungsweisen  doch  mehr  dem  Accouchement  forcee,  und  zogen  sie  daraus  nicht 
die  nothwendigen  Consequenzen  zum  weiteren  Ausbau  des  Verfahrens  als  Ersatz  für  die 
blutigen  Encheiresen  des  Kaiserschnitts,  der  Perforation  und  Kephalotrypsie,  wie  auch  der 
von  P.  Weidmann  1779  gegebene  Rath,  bei  Beckenenge  im  siebenten  Monat  den  Mutter- 
mund auszudehnen  und  die  Frucht  auszuziehen  (vi  educere)  mehr  nur  ein  Accouchement 
forcee  bezweckt  und  nicht  zur  Nachahmung  ermuthigen  konnte.  Erst  in  der  letzten  Hälfte 
des  achtzehnten  Jahrhunderts,  zu  einer  Zeit,  wo  die  geburtshilflichen  Operationen  im  Ganzen 
eine  grosse  Reform  erlitten  und  der  Wunsch,  blutige  Hilfeleistungen  mehr  und  mehr  ver- 
drängt zu  sehen,  immer  stärker  hervortrat,  gedachte  man  endlich  und  unerwartet  an 
verschiedenen  Orten  zugleich  der  so  lange  schon  bekannten  und  übersehenen  Thatsachen 
und  bemühte  sich,  dieselben  nutzbringend  zum  Heile  der  Menschheit  zu  verwerthen.  Der 
Engländer  Macaulay  war  der  Erste,  welcher,  im  Jahre  1756,  mit  voller  Ueberlegung  und 
nach  reiflich  erwogener  Methode  an  einer  lebenden  Frau  die  künstliche  Frühgeburt  wegen 
Beckenenge  ausführte  und  zwar  mit  glücklichem  Erfolge.  Durch  Lehmann's  Empfehlung 
kam  die  Operation  in  England  sehr  in  Aufnahme  und  gebührt  Englands  Geburtshelfern 
die  Ehre,  die  Erregung  der  Frühgeburt  von  der  richtigen  und  wirkliches  Heil  bringenden 
Seite  aufgefasst  zu  haben,  indem  sie  dieselbe  als  eine  Methode  bezeichneten,  welche  nur 
dann  gestattet  sei,  wenn  sie  dem  Leben  der  Mutter  keine  Gefahr  bringe,  aber  auch  zu- 
gleich das  Kind  lebend  erhalte.  Sie  stellten  sie  den  das  Kind  zerstörenden  Operationen 
entgegen,  wie  Denman  mittheilt,  der  in  seinem  1788  erschienenen  Lehrbuch  über  Geburts- 
hilfe die  Operation,  ihre  Indicationen  und  Ausführung  als  der  Erste  ausführlich  beschrieb. 
Bis  zum  Jahre  1801  hatte  er  die  Operation  mehr  als  12mal  ausgeführt,  meist  mit  günstigem 
Erfolge. 

In  Deutschland  gab  Franz  Anton  May  in  Heidelberg  1799  den  gewichtigen  Rath,  bei 
engem  Becken  nach  den  nöthigen  Vorbereitungen  im  7.  Monat  durch  Anstechung  der  Ei- 
häute die  Geburt  einzuleiten  und  durch  Wendung  und  Extraction  die  Frucht  zu  Tage  zu 
fördern,  oder,  wenn  der  Kopf  vorliegt,  die  Geburt  durch  die  Natur  vollenden  zu  lassen. 
Gleichzeitig  gab  in  Dänemark  Paul  Scheel  den  Rath,  bei  Beckenenge  durch  den  Eihautstich 
die  Frühgeburt  einzuleiten.  Ausgeführt  wurde  die  Operation  in  Deutschland  zuerst  1804 
durch  Karl  Wenzel  in  Frankfurt  und  zwar  mit  Erfolg  bei  einer  Schwangeren,  die  wegen 
Beckenenge  schon  5mal  todte  Kinder  zur  Welt  gebracht  hatte.  Von  da  an  bürgerte  sich 
die  Operation  in  Deutschland  ein  und  wurde  in  der  Folge  häufig,  vielleicht  manchmal  zu 
häufig  (von  Kluge  2Gmal  innerhalb  10  Jahren,  von  Ritgen  30mal  in  4  Jahren!)  und  ohne 
strenge  Indicationen  ausgeführt.  Den  deutschen  Geburtshelfern  gebührt  aber  die  Ehre,  in 
der  Folge  die  Operation,  ihre  Indicationen  und  Technik  am  vollendetsten  ausgebildet  zu 
haben.  Frankreich  verhielt  sich,  besonders  durch  den  Einfluss  Baudelocque's,  der  die  von. 
England  (!)  kommende  Operation  verwarf,  lange  Zeit  ablehnend  gegen  dieselbe  und  erst 
den  Bemühungen  des  trefflichen  Stoltz  in  Strassburg  (später  in  Nancy),  Nachfolger  Fla- 
mant's,  gelang  es  1831  durch  einen  glücklich  ausgeführten  Fall  der  Operation  auch  in  Frank- 
reich Geltung  zu  verschaffen,  und  wurde  er  in  der  Folge  wesentlich  von  Dubois  und  später 
auch  von  Velpeau  und  Cazeaux  unterstützt.  Schon  vorher,  in  den  zwanziger  Jahren,  hatte 
die  Operation  in  Italien,  Holland  und  Belgien  Anklang  und  warme  Vertheidigung  gefunden 
und  wurde  sie  allmälig  überall  anerkannt  und  verhältnismässig  häufig  (vielleicht  zu  häufig) 
ausgeführt. 

Die  von  Baudelocque  und  später  auch  von  Anderen  —  denn  auch  in  England,  wie 
in  Deutschland  fanden  sich  Gegner  der  Operation  —  geltend  gemachten  Einwürfe  w'aren 
folgende:  Dass  die  Kinder  während  oder  bald  nach  der  Operation  zu  Grunde  gehen  würden, 
überhaupt  eine  Geburt  im  7.  Monat  unter  allen  Umständen  leicht  Mutter  und  Kind  tödten 
könne,  wie  das  schon  Hippokrates  behauptet  hatte;  dass  es  nicht  immer  möglich  sei,  die 
Dauer  der  Schwangerschaft  genau  zu  bestimmen;  dass  die  zu  Gebote  stehenden  Mittel  in 
ihrem  Erfolge  unsicher  seien  und  dass  die  Operation  höchstwahrscheinlich  Veranlassung 
zu  falschen  Kindeslagen  und  deswegen  zu  manchen  nachtheiligen  Folgen  gäbe,  sowie  auch 
ferner,  dass  leichte  Störungen  in  der  Nachgeburtsperiode  und  gefährliche  Nachkrankheiten 
einträten;  die  Operation  durch  die  leichte  Verletzlichkeit  die  Bildung  von  Scirrhus  und 
Carcinom  begünstige;  dass  nach  der  Einleitung  oft  lange  Zeit  vergehen,  bis  die  Geburt  in 
Gang  komme,  während  welcher  Zeit  das  Kind  abstirbt;  dass  es  schliesslich  nicht  immer 
möglich  sei,  mit  Sicherheit  die  Grösse  des  Beckens  zu  erforschen  und  noch  schwieriger, 
die  Maasse  des  Kindeskörpers  zu  bestimmen. 

Wenn  auch  nicht  zu  leugnen  ist,  dass  einigen  dieser,  zum  Theil  mehr 
theoretisch  ausgedachten  Einwendungen  eine  gewisse  Berechtigung    nicht 


266  FRÜHGEBURT. 

abzusprechen  ist,  so  wurde  doch  im  Laufe  der  Zeiten  durch  die  praktische 
Erfahrung  der  grosse  Nutzen,  die  oft  leichte  Ausführbarkeit  und  für  viele, 
wenn  auch,  besonders  was  die  Kinder  anlangt,  durchaus  nicht  für  alle  Fälle 
die  Gefahrlosigkeit  des  Verfahrens  glänzend  nachgewiesen  und  zwar  so  sehr, 
dass,  wie  schon  bemerkt,  die  Operation  vielleicht  öfters  zu  viel,  ohne  eigent- 
liche Berechtigung  ausgeführt  wurde.  Diesem  „zu  Viel"  in  der  Ausführung 
suchte  Spiegelberg  durch  präcise  Werthbestimmung  der  künstlichen  Früh- 
geburt zu  begegnen  (1870)  und  kam,  gestützt  auf  statistische  Nachweise  zu 
dem  Resultat,  dass  die  Ausführung  der  Operation  durch  präcisere  Indications- 
stellung  wesentlich  einzuschränken  sei.  Allerdings  ging  er  in  dieser  Ein- 
schränkung zu  weit  und  wurde  diese  in  erster  Linie  durch  Litzmann  und  Dohrn 
einigermaassen  vermindert. 

Die  schwierigste  Aufgabe  bei  der  künstlichen  Frühgeburt  ist  jeweils  die 
richtige  Stellung  der  Indicationen  und  ist  dieser  Punkt  der  Gegenstand 
vielseitiger  und  lebhafter  Discussionen  gewesen,  worauf  wir  nicht  näher  ein- 
gehen wollen.  Es  wird  genügen,  das  Resultat  derselben,  wie  es  jetzt  aufgefasst 
wird,  wiederzugeben.  Indicirt  ist  die  Einleitung  der  künstlichen  Frühgeburt: 
1.  Bei  mittleren  Graden  von  Beckenenge.  Hier  ist  nicht  einseitig  das 
Becken  allein,  sondern  sein  Verhältnis  zum  Kindeskörper,  zu  berücksichtigen. 
Die  Voraussicht,  dass  das  Kind  nach  erlangter  Reife  ohne  Lebensgefahr 
nicht  durch  das  enge  Becken  hindurchbewegt  werden  könne,  sei  es  durch 
Naturkräfte  oder  durch  Kunsthilfe,  dass  es  aber  vor  erlangter  Reife, 
jedoch  nach  erlangter  Lebensfähigkeit  ohne  Gefahr  hindurchkann, 
begründet  diese  Indication.  Gestützt  auf  eine  grosse  Zahl  von  Beobachtungen, 
theils  eigenen,  theils  fremden,  hält  es  Litzmann  vom  klinischen  Standpunkt 
aus  für  nothwendig,  vier   Grade  von  Beckenverengerungen  zu  unterscheiden: 

1.  Becken,  bei  denen  unter  sonst  günstigen  Verhältnissen  die  Geburt  einer 
reifen  Frucht  nicht  nur  möglich,  sondern  auch  wahrscheinlich  ist  —  gleich- 
massig  allgemein  verengte  Becken  mit  einer  Conjugata  vera  von  10—9  cm, 
sowie  einfach  platte  und  allgemein  verengt  platte  Becken  mit  Conjug. 
vera  von  9*5  bis  8'25  cm.  II.  Becken,  bei  denen  die  Geburt  einer  reifen  Frucht 
zwar  noch  möglich,  aber  kaum  wahrscheinlich,  jedenfalls  aber  dieselbe  mit 
grösserer  Gefahr  für  Mutter  und  Kind  verknüpft  ist  —  gl  eich  massig 
allgemein  verengte  Becken  mit  einer  Conjug.  vera  von 
weniger  als  9  cw,  sowie  einfach  platte  und  allgemein  verengt 
platte  Becken  mit  Conjug.  vera  von  8*2  bis  7'4  cm.  III.  Becken, 
bei  denen  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  die  Geburt  einer  reifen  Frucht 
ohne  vorherige  Verkleinerung  nicht  mehr  zu  hoffen  ist  —  einfach  platte 
und  allgemein  verengt  platte  Becken  mit  einer  Conjug.  von 
7-3  bis  5-6  cm.  IV.  Becken,  die  selbst  einer  verkleinerten  Frucht  den 
Durchgang  nicht  gestatten  —  einfach  platte  und  allgemein  verengt  platte 
Becken  mit  einer  Conjug.  vera  von  5 '4  cm  und  darunter.  Nach  Verglei- 
chung  der  Resultate  der  Geburt  am  rechtzeitigen  Ende  der  Schwangerschaft 
und  der  Einleitung  der  künstlichen  Frühgeburt  bei  373  Fällen  von  Becken- 
verengerung kommt  Litzmann  zu  folgenden  Schlussfolgerungen:  1.  Die  Ein- 
leitung der  Geburt  bei  engem  Becken  ist  besonders  durch  das  Interesse  der 
Mutter  geboten,  die  Erhaltung   der  Kinder  dabei  ist  mindestens  zweifelhaft. 

2.  Die  Einleitung  der  Frühgeburt  ist  —  auch  bei  Erstgebärenden  — beim  IL 
und  höchstens  nach  den  Anfängen  des  III.  Grades  der  Beckenenge  (Conjug. 
vera  9  [8-2]  bis  7  [6'5]  cm.)  indicirt;  beim  I.  Grad  kann  sie  nur  durch  das 
Vorhandensein  besonders  erschwerender  Verhältnisse  und  Complicationen  ge- 
rechtfertigt erscheinen.  Dies  ist  auch  der  Standpunkt,  auf  dem  die 
meisten  Geburtshelfer  jetzt  stehen. 

Nach  ScANzoNi  ist  die  Operation  bei  kürzestem  Durchmesser  des  Beckens  zwischen 
8-1  bis  6-7  cm  unbedingt  angezeigt,  einerlei  ob  Erst-  oder  Mehrgebärende;  bei  kürzestem  Durch- 
messer zwischen  10  0  und  8-1  cm  aber  nur  bei  Mehrgebärenden  und  zwar  nur  dann,  wenn 


FRÜHGEBURT.  267 

die  vorausgegangenen  Geburten  es  wahrsclicinlich    machen,    dass    das    kräftig    entwickelte 
Kind  bei  seinem  Durchtritt  durch  das  Becken  beträchtliche  Hindernisse  finden  wird. 

Spiegelberg  hielt  Anfangs  die  Einleitung  der  künstliclien  Frühgeburt  bei  einer  Becken- 
enge über  8  cm  Conjug.  vera  für  verwerflich,  bei  Beckenenge  unter  8  cm  Conjug.  vera 
aber  nur  in  den  Fällen  für  indicirt,  in  denen  nach  dem  Ergebnis  früherer  Geburten  grosse 
Kinder  mit  harten  Schädeln  und  ungünstiger  Einstellung  zu  erwarten  und  starke  Quet- 
schungen der  vielleicht  schon  früher  erkrankt  gewesenen  Beckenorgane  zu  befürchten  sind. 
Er  verwarf  sie  also  bei  Erstgebärenden  vollständig.  Nach  ihm  wird  der  Werth  der  Früh- 
geburt überschätzt,  weil  einmal  nie  das  Verhältnis  der  Nachtheilo  derselben  zu  den  Ge- 
fahren bei  engem  Becken  überhaupt  untersucht  wurde,  sondern  sie  nur  mit  dem  Ergebnis 
der  anderen  Operationen  bei  Beckenenge  verglichen  wurden,  und  dann,  weil  man  die  durch 
künstliche  Frühgeburt  lebend  geborenen  Kinder  mit  den  am  Leben  erhaltenen  verwechselte. 
Es  geht  aber  ein  grosser  Procentsatz  der  bei  künstlicher  P'rühgeburt  lebend  geborenen 
Kinder  alsbald  zu  Grunde.  Auf  der  Naturforscher- Versammlung  zu  Wiesbaden  1873  er- 
klärte Spiegelberg,  dass  die  künstliche  Frühgeburt  jetzt  nicht  mehr  so  gefährlich  erscheine, 
wie  es  nach  seinen  vor  4  Jahren  gemachten  und  mitgetheilten  Erfahrungen  geschienen; 
danach  bei  Erstgebärenden  mit  einfach  plattem  Becken,  Conjugata  vera  circa  8  cm  keine 
Indication,  wohl  aber  bei  solchen  mit  allgemein  verengtem  Becken  von  8  cm  Conjangata 
vera.  In  seinem  Lehrbuche  (1878)  sagte  er  später,  dass  die  Frühgeburt  bei  einer  Conju- 
gata vera  unter  7  cm  nicht  mehr  zulässig  ist,  bei  einer  zwischen  7  und  8  cm  immer,  bei 
einer  Enge  aber,  welche  sich  über  8  cm  hält,  nur  dann,  wenn  Anamnese,  Beckenform  und 
Abschätzung  der  Volumsverhältnisse  der  Kinder  eine  schwere  Geburt  vermuthen  lassen, 
früheres  starkes  Geburtstrauma  die  grösstmöglichste  Schonung  der  mütterlichen  Theile 
erfordert.  Hauptwerth  legt  er  hierbei  auf  die  Eruirung  der  Becken-  und  Fruchtverhält- 
nisse und  auf  die  gebliebenen  Folgen  früherer  Entbindungen  (entzündliche  Reste  etc.), 
weniger  auf  den  früheren  Geburtsverlauf,  weshalb  er  auch  im  Anschluss  daran  sagt:  „sind 
bei  Erstgebärenden  Becken-  und  Fruchtverhältnisse  so  beschaffen,  wie  sie  bei  Mehrgebä- 
renden zur  Operation  auffordern,  so  ist  auch  ihnen  die  Wohlthat  der  letzteren  nicht  vor- 
zuenthalten." 

Bei  der  Indicationsstellung  wegen  Beckenverengerung  darf 
man  aber  nicht  denken,  dass  es  nur  ohne  weiteres  auf  die  mehr-mindere 
Verkürzung  eines  Durchmessers  .ankomme,  nein,  die  Gesammtverhältnisse  des 
Beckens  müssen  berücksichtigt  werden,  man  muss  suchen,  die  Innenform  des 
ganzen  Beckens  abzutasten,  wenn  es  nöthig  sein  sollte  durch  Einführen  der 
ganzen  Hand  (in  Chloroformnarkose).  Aber  auch  mit  dieser  Feststellung  ist 
es  allein  nicht  gethan,  auch  die  jeweiligen  Grössenverhältnisse  des  Kindes 
sind,  soweit  dies  möglich,  zu  bestimmen,  wie  wir  noch  bei  den  Bedingungen 
der  Ausführbarkeit  sehen  werden. 

Als  eine  weitere,  mehr  prophylaktische  Indication,  die  aber  sehr  zweifel- 
haften Werthes  ist,  haben  wir  2.  das  habituelle  Absterben  des  Fötus 
zu  bezeichnen,  vorausgesetzt,  dass  dasselbe  in  den  vorhergehenden  Schwanger- 
schaften immer  erst  nach  dem  Zeitpunkt  eingetreten  ist,  von  welchem  an  die 
Einleitung  der  Frühgeburt  statthaft  ist.  In  nicht  seltenen  Fällen  beruht  das 
Absterben  auf  Fehlern  der  Nabelschnur  —  besonders  Torsionen  und  Knoten 
—  oder  der  Placenta;  diese  Hessen  sich  aber  nicht  vorher  diagnosticü'en,  und 
wenn  sie  auch  in  allen  vorhergehenden  Schwangerschaften  dagewesen  sind, 
ist  es  nicht  gesagt,  dass  sie,  auch  in  der  neu  eingetretenen  Schwangerschaft 
wieder  eintreten  müssen,  deshalb  aufs  ungewisse  hin  die  Frühgeburt  einzu- 
leiten nicht  gerechtfertigt.  In  den  meisten  Fällen  ist  das  habituelle  Ah- 
sterben  der  Früchte  die  Folge  von  inveterirter  Lues  bei  Vater  oder  Mutter 
oder  beiden.  Da  wird  eine  vor  Eintritt  einer  neuen  Schwangerschaft  einge- 
leitete, kräftige  antisyphilitische  Cur  mehr  und  besseres  leisten,  als  eine  Früh- 
geburtseinleitung, zumal  die  Kinder,  wenn  sie  auch  durch  letztere  lebend  zur 
Welt  kommen,  doch  meist  den  verderblichen  Keim  in  sich  tragen  und  bald 
zu  Grunde  gehen. 

Dasselbe  gilt  auch  von  dem  Absterben  des  Fötus  in  Folge  anderweiter 
dyskrasischer  Verhältnisse  bei  der  Mutter  oder  in  Folge  von  Nahrungsmangel 
und  dergleichen.  Die  Ursache  des  Absterbens  entfernt,  ist  besser  als  Ein- 
leitung der  Frühgeburt.  Es  sind  jedoch  einzelne,  allerdings  seltene  Fälle  ver- 
zeichnet, in  denen  Anämie  und  Chlorose  der  Mutter  den  Tod  der  Frucht  gegen 
Ende  der  Schwangerschaft  verursachten,  bei  wiederholter  Schwangerschaft  aber 


268  -FRÜHGEBURT. 

Einleitung  der  Frühgeburt  vor  der  erfalirungsgemäss  kritischen  Zeit  die  Kinder 
rettete.  Nichtsdestoweniger  ist  die  Berechtigung  der  zweiten  Indication 
zweifelhaft,  berechtigt  dagegen  die  Einleitung  der  Frühgeburt  3.,  wegen 
lebensgefährlicher  Zustände  der  Schwangeren,  welche  entweder  durch 
die  Fortdauer  der  Schwangerschaft  auf  lebensgefährlicher  Höhe  gehalten, 
sogar  darin  gesteigert  werden,  oder  bei  denen  die  noch  bestehende 
Schwangerschaft  die  Anwendung  lebensrettender  Heilverfahren  behindert,  in 
beiden  Fällen  anderweite  Mittel,  um  die  Gefahr  für  das  mütterliche  Leben 
zu  beseitigen  nicht  vorhanden  oder  nicht  anw^endbar  sind.  Es  müssen  dabei 
die  Zufälle  bis  zur  wirklichen  Lebensgefahr  gesteigert  und  wir  davon  über- 
zeugt sein,  dass  die  Ursachen  der  Gefahr  wirklich  in  der  Complication  mit 
der  Schwangerschaft  liegen  und  dass  die  Unterbrechung  der  letzteren  zur 
Lebensrettung  der  gefährdeten  Kranken  wirklich  beitragen  kann.  Es  ist  hier 
die  Frühgeburt  das  schleunigst  gebotene  Rettungsmittel.  Das  Becken  kommt 
dabei  an  und  für  sich  gar  nicht  in  Betracht,  auch  das  Alter  des  Fötus  nicht, 
nur  das  Interesse  der  Mutter,  zumal  der  Fötus,  wenn  die  Schwangere 
vor  oder  im  Anfange  seiner  Lebensfähigkeit  stirbt,  so  wie  so  verloren  ist. 
Der  Erfolg  ist  natürlich  umso  günstiger  und  für  uns  umso  angenehmer,  je 
weiter  wir  in  den  einzelnen  Fällen  die  Einleitung  der  Frühgeburt  in  die  Zeit 
der  Lebensfähigkeit  des  Kindes  verlegen,  bez.  verschieben  können. 

Da  die  Gravidität  an  und  für  sich  in  den  letzten  Monaten  eine  ge- 
wisse Beschränkung  der  Athemfähigkeit  herbeiführt,  so  wird  bei  allen  krank- 
haften Zuständen,  die  naturgemäss  Dispnoe  im  Gefolge  haben,  wie  Erkran- 
kungen der  Respirations-  und  Circulationsorgane,  Verkrümmung  der  Wirbel- 
säule, übermässige  Ausdehnung  des  Unterleibs  durch  Ascites,  Meteorismus, 
Geschwülste  und  dergleichen,  diese  Dispnoe  durch  die  Complication  mit 
Schwangerschaft  leicht  zu  lebensgefährlicher  Erstickungsnoth  gesteigert.  Eben- 
so können  Eklampsie,  Morbus  Brigthii,  Metrorrhagie  durch  Placenta  prävia, 
Peritonitis  und  dergleichen  Veranlassung  zur  Einleitung  der  Frühgeburt  geben, 
wenn  letztere  nicht,  was  häufig  der  Fall  ist,  dabei  von  selbst  eintritt.  Auch 
unstillbares  Erbrechen  und  Hernia  incarcerata  ist  als  Indication  angegeben 
worden,  allerdings  mit  zweifelhafter  Berechtigung.  Wegen  noch  vor  dem  nor- 
malen Ende  der  Schwangerschaft  bevorgestandenen  Todes  der  Mutter  hat  Steh- 
BERGER,  um  den  Kaiserschnitt  post  mortem  zu  umgehen,  2-mal  die  Frühgeburt 
mit  gutem  Erfolge  eingeleitet. 

Natürlich  wird  man  in  den  ersten  Wochen  der  eigentlichen  Frühge- 
burtszeit, also  von  der  28.  bis  32.  Woche  nur  im  äussersten  Nothfalle  zur 
Einleitung  der  Frühgeburt  schreiten,  da  das  Kind  zu  dieser  Zeit  noch  sehr 
wenig  Aussicht  hat,  extrauterin  fortzuleben.  Je  weiter  aber  die  Schwangerschaft 
vorgerückt  ist,  umso  weniger  ängstlich  braucht  man  dann  des  Kindes  wegen 
mit  der  Einleitung  zu  sein. 

Wie  schon  eingangs  erwähnt,  ist  der  Zw^eck  der  künstlichen  Einleitung 
der  Frühgeburt  in  erster  Linie  die  Erhaltung  von  Mutter  und  Kind. 
Eine  genaue  Kenntnis  und  Berücksichtigung  der  Bedingungen,  unter  welchen 
die  künstliche  Frühgeburt  ausführbar  ist,  wird  uns  am  zuverlässigsten  diesem 
Zwecke  gerecht  werden  lassen.  Bei  dieser  Frage  kommt,  was  die  erste  Indi- 
cation anlangt,  in  Betracht  die  Erforschung  der  Beckenverhältnisse,  die  Zeit 
der  Schwangerschaft,  in  welcher  die  zu  Entbindende  sich  befindet  und  die 
Bestimmung  der  Grösse  des  Kindeskopfes,  überhaupt  des  Kindeskörpers.  Bei 
welchem  Grade  der  Beckenenge  wir  überhaupt  operiren  können  oder  dürfen, 
ist  oben  schon  erörtert;  wie  die  Beckenverhältnisse  zu  erforschen  sind,  lehrt 
uns  die  Beckenmessung.  Die  Erforschung  der  Schwangerschaftszeit,  schon 
unter  normalen  Verhältnissen  nicht  immer  leicht  und  mit  Sicherheit  zu  be- 
werkstelligen; kann  gerade  bei  Beckenverengerungen  auf  Schwierigkeiten 
stossen.    Hat  man  es  mit  aufmerksamen,  auf  sich   selbst  achtgebenden  Per- 


FRÜHGEBURT.  269 

sonen  zu  tliun,  dann  dient  die  eigene  Rechnung  der  Scliwangeren  selbst  zur 
Feststellung  des  Resultates,  besonders  wenn  diese  Kechnung  mit  dem  liesul- 
tat  der  objectiven  Untersuchung  übereinstimmt.  Und  trotz  alledem  ist  man 
oft  Irrthümern  ausgesetzt. 

Sehr  schwierig  ist  die  Bestimmung  der  Grösse  des  Kindeskopfes,  da  man 
denselben  nicht  direct  messen  kann.  Denn  wenn  man  ihn  auch  im  günstig- 
sten Falle  bei  bimanueller  Untersuchung  —  sei  es  blos  eine  sub-abdominelle  oder 
gleichzeitig  eine  intravaginale  —  zwischen  die  Fingerspitzen  der  beiden 
untersuchenden  Hände  fassen  und  abschätzen  kann,  so  täuscht  man  sich  in 
Folge  der  verschiedenen  Dicke  der  Bauchdecken  u.  s.  w.  bei  dieser  Ab- 
schätzung doch  gar  zu  leicht  und  kommt  es  doch  gerade  hier  sehr  auf  kleine 
Unterschiede  an  :  ein  annäherndes  Resultat  wird  sie  immerhin  haben  und  be- 
sonders bei  gleichzeitiger  intravaginaler  Untersuchung  Aufscliluss  über  die 
Härte  des  Kopfes,  die  Grösse  der  Stirnfontanelle  u.  s.  w.  geben.  Wenn  es 
gelingt,  annähernd  die  Länge  des  Kindeskörpers,  welche  zu  dem  Umfange 
des  Schädels  nahezu  in  geradem  Verhältnisse  steht,  durch  Messung  (allenfallls 
nach  Ahlfeldt)  zu  bestimmen,  so  ist  dies  von  Werth  für  die  Grössenbe- 
stimmung  des  Kopfes,  gibt  aber  keinen  sicheren  Anhalt.  Eljenso  ist  der 
Schluss  aus  der  Grösse,  Körperbeschaffenheit,  Alter  u.  s.  w,  der  Eltern  auf 
die  Grösse  der  zu  erv/artenden  Kinder  viel  zu  unbestimmt.  Besser  ist  man 
noch  daran  bei  Mehrgebärenden,  wenn  man  genaue  Angaben  über  die  Grössen- 
verhältnisse  der  Kinder  der  vorhergehenden  Geburten  hat,  da  die  nachfol- 
genden Kinder  gewöhnlich  nur  geringe  Unterschiede  in  den  Grössenverhält- 
nissen  darbieten.     Immer  trifft  dies  aber  auch  nicht  zu. 

So  kam  hier  in  der  Entbindungsanstalt  eine  Person  dreimal,  mit  je  2-jährigen  Pausen, 
nieder.  Das  erste  Kind  wog  3150  g,  das  zweite  3250  g,  beide  mit  allen  Zeichen  der  voll- 
kommenen Reife  leicht  spontan  geboren.  Das  dritte  wog  4330  g  und  musste  schwer  mit 
der  Zange  entwickelt  werden. 

Es  genügt  aber  nicht,  dass  man  die  Durchschnittskopfmaasse  reifer  Kinder 
in  Rechnung  zieht,  sondern  auch  die  der  zu  früh  geborenen  und  besonders 
ist  es  der  Biparietal-Durchmesser,  der  uns  interessirt,  da  die  meisten  Becken- 
verengerungen platte  Becken  mit  verkürzter  Conjug.  vera  sind,  in  welche 
der  Kindeskopf  nahezu  im  queren  Durchmesser  eintritt,  der  Querdurchmesser 
des  Kopfes  sich  in  die  Conjug.  vera  stellt.  Nach  allgemeiner  Annahme 
misst  der  Biparietal-Durchmesser  im  letzten  Monat  durchschnittlich  9*5  cw,  im 
vorletzten  S'l  cm,  im  drittletzten  6-75  cm,  nach  Scheöder  dagegen  8-83  cm, 
8*69  cm  und  in  der  28.  bis  32.  Woche  8"  16  cm,  während  der  Längsdurch- 
messer des  Kopfes  in  den  früheren  Monaten  eine  stärkere  Verkürzung  gegen- 
über dem  Maasse  des  reifen  Kopfes  aufweist.  Nach  Schröder  ist  ferner  der 
Querdurchmesser  bei  den  Kindern  junger  Erstgebärenden  relativ  klein,  während 
er  bei  denen  älterer  Mehrgebärenden  in  hohem  Grade  vorherrscht,  wie  über- 
haupt das  Gewicht  und  die  Grösse  der  Kinder  mit  dem  Alter  der  Mutter  und 
der  Zahl  der  vorausgegangenen  Geburten  zunimmt,  mit  der  zunehmenden 
Länge  des  Körpers  aber  auch  die  Grösse  des  Kopfes  in  annähernd  constantem 
Verhältnis  steigt.  Abgesehen  davon  aber  zeigen  die  Kindesköpfe  überhaupt 
erhebliche  individuelle  Verschiedenheiten  und  ist  deshalb  eine  Schätzung  nach 
den  Durchschnittsmaassen  allein  durchaus  unzuverlässig,  die  Bestimmung  der 
Kopfgrösse  überhaupt  schwierig. 

Hat  man  die  Schwangerschaftszeit,  den  Grad  der  Beckenverengerung- 
und  die  muthmaassliche  Grösse  des  Kindeskopfes  erforscht,  so  hat  man  danach 
zu  bestimmen,  wann  die  künstliche  Einleitung  der  Frühgeburt 
vorgenommen  werden  soll.  Je  früher  dies  geschieht,  umso  weniger 
angreifend  wird  die  Geburt  für  Mutter  und  Kind  sein,  desto  weniger  Aussicht 
hat  aber  das  Kind,  extrauterin  weiter  zu  leben.  Je  später  aber  die  Früh- 
geburt eingeleitet  wird,  umso  mehr  tritt  für  Mutter  und  Kind  die  Gefahr 
einer  schwierigen  Entbindung  heran,  desto  leichter  aber  kann  das  Kind,  wenn 


270  FRÜHGEBURT. 

es  lebend  geboren  wird,  auch  am  Leben  erlialten  werden.  Wenn  man  das 
gegenseitig  abwägt,  wird  sich,  die  dazu  geeigneten  Verhältnisse  vorausgesetzt, 
als  günstigste  Zeit  für  die  Einleitung  der  Frühgeburt  wegen  Beckenenge  die 
34.  bis  37.  Woche  ergeben.  Vor  der  35. — 37.  Woche  ist  sie  für  das  Kind 
sehr  problematisch,  nach  der  37.  Woche  wird  sie  kaum  mehr  einen  Vorzug 
vor  dem  Abwarten  der  Normalgeburtszeit  haben,  da  auch  bei  künstlicher  Ein- 
leitung zur  Beendigung  der  Geburt,  wenn  die  Natur  nicht  hilft,  ein  schwieriges 
operatives  Eingreifen  nicht  zu  umgehen  sein  wird,  welches  das  noch  nicht 
ganz  reife  Kind  viel  weniger  gut  vertragen  wird,  als  ein  reifes.  Ist  die 
Beckenverengerung  hochgradiger,  dann  müsste  die  Frühgeburt  schon  so  früh 
eingeleitet  werden,  dass  das  Kind,  wenn  auch  lebend  geboren,  keine  oder  doch 
sehr  geringe  Aussicht  zum  extrauterinen  Fortleben  hat,  und  müsste  hier  viel 
mehr  die  Einwilligung  der  Mutter  oder  Eltern  zum  Kaiserschnitt  am  normalen 
Ende  der  Schwangerschaft,  der  ja  Dank  dem  neueren  Operationsverfahren, 
bezw.  der  Antiseptik  viel  von  seinem  Schrecken  verloren  hat,  zu  erstreben 
sein.  Handelt  es  sich  um  den  seltenen  Fall  der  Verhütung  des  vorzeitigen 
Absterbens  des  Fötus,  so  würde  nur  dann  eine  Aussicht  auf  Erfolg  da  sein, 
wenn  das  Absterben  erst  ganz  gegen  Ende  der  Schwangerschaft  zu  erwarten 
wäre,  damit  die  Frühgeburt,  die  doch  wenigstens  zwei  Wochen  vor  dem 
Termin  des  Absterbens  eingeleitet  werden  muss,  in  einer  Zeit  vorgenommen 
werden  könnte,  die  dem  Fötus  einigermaassen  Aussicht  auf  extrauterines  Fort- 
leben bietet.  Diese  Fälle  sind  sehr  selten.  Bei  der  Einleitung  der  Frühgeburt 
wegen  Lebensgefahr  der  Mutter  ist  die  Erhaltung  des  Kindes  Nebensache, 
wenn  auch  im  glücklichen  Falle  recht  erwünscht,  die  Wahl  der  Zeit  der 
Ausführung  ist  uns  aber  hier  nicht  gegeben,  wir  können  dabei  keine  Rücksicht 
auf  das  Kind  nehmen,  sondern  müssen  operiren,  wann  es  die  Lebensgefahr 
der  Mutter  gebietet.  Wir  werden  hier  die  Geburt  einleiten,  unbekümmert 
darum,  ob  auch  für  das  Kind  dabei  etwas  zu  erreichen  ist  oder  nicht,  ob  es 
lebt  oder  nicht;  in  anderen  Fällen  dagegen  wird  man  nur  dann  operiren,  wenn 
man  von  dem  Leben  des  Kindes  überzeugt  ist.  Schliesslich  ist  es  selbst- 
verständlich, dass,  mit  Ausnahme  der  Fälle,  in  denen  es  sich  um  Lebensgefahr 
der  Mutter  handelt,  dieselbe  gesund  sein  und  hinreichende  Kräfte  bei  Aus- 
führung der  Operation  besitzen  muss. 

Die  Prognose  der  künstlichen  Frühgeburt  ist  für  die  Mutter  an  und 
für  sich  günstig  zu  nennen,  am  günstigsten  bei  der  wegen  habituellen  Ab- 
sterbens des  Fötus  unternommenen.  Bei  Beckenfehlern  höheren  Grades  wird 
sie  einigermaassen  beeinträchtigt  durch  die  im  weiteren  Verlaufe  der  Geburt 
mitunter  noch  nothwendigen  anderweiten  operativen  Eingriffe,  mit  welchen 
auch  die,  bei  der  Einleitung  der  Geburt  selbst,  besonders  je  nach  den  Me- 
thoden schon  vorhandenen  Gefahr  der  puerperalen  Infection  gesteigert  wird. 
In  nicht  seltenen  Fällen  ist  auch  der  Verlauf  der  Geburt  selbst  ein  sehr  lang- 
samer und  dadurch  für  die  Mutter  angreifender,  als  eine  Normalgeburt.  Von 
Einfluss  auf  diesen  langwierigen  Verlauf  ist  gewiss  oft  der  Umstand,  dass  die 
Gebärorgane  durch  vorhergehende  schwere  Entbindungen  und  ihre  Folgen 
oder  durch  anderweite  Erkrankung  angegriffen,  nicht  leistungsfähig  sind. 
Vor  Jahren  habe  ich  bei  einer  Frau,  welche  2  Jahre  vorher  sehr  schwere 
Perforation  mit  nachfolgender  sechswöchentlicher  schwerer  Puerperalerkrankung 
durchgemacht  hatte,  durch  intrauterine  Kathetrisation  verbunden  mit  Vaginal- 
douche  Frühgeburt  eingeleitet.  Vom  Einlegen  des  Katheters  an  dauerte  es 
60  Stunden,  bis  regelmässige  Geburtsthätigkeit  entstand,  nach  weiteren  8 
Stunden  war  es  möglich,  durch  Wendung  und  Extraction  die  Geburt  zu  voll- 
enden. Das  Kind,  mit  leichter  Impression  des  einen  Scheitelbeines,  welche 
sich  nach  einigen  Tagen  ausglich,  war  lebend  und  lebt  heute  noch.  Das 
Wochenbett  war  sehr  gut  und  die  Frau  in  der  Folge  sehr  gesund.  Nach 
weiteren  3  Jahren  leitete  ich  bei  ihr  abermals  ganz  nach  derselben  Methode 


FRÜHGEBURT.  271 

die  Frühgeburt  ein.  Sechs  Stunden  nach  Einlegung  des  Katlieters  konnte 
ich  die  Geburt,  ebenfalls  durch  Wendung  und  Extraction  mit  ganz  demselben 
Erfolge  für  Mutter  und  Kind  vollenden. 

Bei  Frühgeburt  wegen  Lebensgefahr  der  Mutter  wird  die  Prognose  für 
diese  wesentlich  beeinflusst  durch  die,  die  Lebensgefahr  involvircnde  Grund- 
krankheit, doch  fällt  eine  ungünstige  Prognose  eben  dieser  und  nicht  der 
Frühgeburt  zur  Last.  Ein  wesentlich  anderes  ist  es  mit  der  Prognose  für 
das  Kind.  Für  dieses  ist  sie  unter  allen  Umständen  zum  mindesten  zweifel- 
haft, besonders  in  Rücksicht  auf  die  Möglichkeit  des  extrauterinen  Weiter- 
lebens. Man  muss  eben  bedenken,  dass  es  immerhin  ein  Frühgeborenes  ist, 
und  das  fällt  umsomehr  ins  Gewicht,  je  früher  die  Geburt  eingeleitet  ist 
oder  werden  musste.  Dazu  kommt  auch  als  erschwerend,  dass  die  im  weiteren 
Verlaufe  oft  eintretenden  Geburtsstörungen  und  dadurch  nothwendig  werden- 
den Operationen  ein  nicht  reifes  Kind  viel  härter  treffen,  als  ein  reifes. 

Wenn  die  Geburt  eingeleitet  wird,  um  das  vorzeitige  Absterben  zu  ver- 
hüten, ist  es  leicht  möglich,  dass  das  lebend  geborene  Kind  doch  schon  den 
Keim  des  Todes  in  sich  trägt.  Dann  ist  auch  ein  sehr  langsamer  Geburts- 
verlauf für  das  Kind  oft  nicht  ohne  nachtheiligem  Einfiuss,  besonders  wenn 
das  Fruchtwasser  frühzeitig  abgeflossen  ist.  Bei  Frühgeburt  zur  Lebensrettung 
der  Mutter  kann  meist  nicht  Piücksicht  darauf  genommen  werden,  ob  das 
Kind  schon  lebenskräftig  genug  ist  oder  nicht,  auch  ist  es  mitunter  durch 
die  Krankheit  der  Mutter  selbst  schon  angegriffen. 

Eigentliche  Vorbereitungen  sind  nur  dann  möglich,  wenn  man  die 
Wahl  der  Zeit  hat,  und  möchten  dann  einige  warme  Bäder  vorher  ganz  am 
Platze  sein.  Auch  sorge  man  für  geregelte  Diät  und  gute  Stuhlentleerung. 
Wo  es  geht,  wähle  man  zur  Einleitung  der  Operation  die  Zeit,  wo  im  nicht 
schwangeren  Zustande  die  Menstruation  eingetreten  wäre. 

Es  sind  sehr  viele  Methoden  zur  künstlichen  Frühgeburt  empfohlen 
worden,  von  welchen  wir  die  wenigen,  jetzt  gebräuchlichen,  ausführlicher  be- 
trachten, die  anderen  jedoch  nur  kurz  berühren  wollen. 

Man  hat  auf  verschiedene  Weise  versucht,  die  Wehenthätigkeit  des  Uterus  anzuregen,  sa 
I.  durch  directe   mechanische    Reizung  der  Innenfläche  der  Gebärmuttei 

und  zwar  entweder  a)  ihres  Körpers  oder  b)  mehr  ihres  Halstheiles  ; 

IL  reflectorisch   durch  Reizung  der  Vaginalportion,  der  Scheide  und  Vulva,  dei 

Brüste  oder  von  den  Bauchdecken  aus; 

III.  durch  Anwendung  des  Galvanismus  und  der  Elektricität  ; 

IV.  durch  pharmaceutische  Mittel. 

Die  einzelnen  Methoden  nach  obiger  Gruppirung  sind: 
Gruppe  I.  a). 

1.  Der  Eihcmtstich : 

a)  im  Muttermund,  älteste  Methode  (Scheel  1799); 

b)  höher  oben  (Hopkins  1814,  Meissner  1840,  Kluge,  Ritgen). 

2.  Intrauterine  Katheterisation,  tiefes  Einführen  eines  elastischen  Katheters  oder  Bou- 
gies  zwischen  üteruswand  und  Eihäute: 

a)  mit  sofortiger  Entfernung  (Lehmann  1838,  Mampe,  Merrem)  ; 

b)  mit  Verbleiben  im  Uterus  (Krausse  1855,  Braun). 

3.  Intrauterine  Injection,  Einspritzen  von  Wasser  (Theerwasser)  zwischen  Uterus  und 
Eihäute  (Schweighäuser  1825,  Cohen  1846). 

4.  Ablösen  der  Eihäute  im  Umkreise  des  Muttermundes: 
a)  mittelst  des  Fingers  (Hamilton  1812); 

^)  mittelst  eines  festen  Katheters  (Merriman,  Ricke); 

Y)  mittelst  Kautschukblase,  Dilatateur  intrauterin  (Tarnier  18'62). 
Gruppe  I.  b). 
Dilatation  des  Muttermundes: 

a)  durch  Pressschwamm  (Brünninghausen-Kluge  1820—1825); 

ß)  instrumentell,    durch    metallene    Diktatoren    (Busch,     Osiander.     ME^•DE, 
Krausse)  ; 

-A  durch  Thierblasen  (Schnackenberg's  Spenosiphon); 

o)  durch  Kautschukcylinder  (uterin  dilaters  von  Barnes  1863;. 


272  FRÜHGEBURT. 

Gruppe  II. 

1.  Beihen  des  Muttenmindes  (Ritgen), 

2.  Tamponade  der   Vagina; 

a)  mit  Charpie  (Schotler  1842); 

3)  mit  Thierblase  (Hüter,  Ritgen,  Haen); 

y)  mit  Kautschukblase,  Colpeurynter  (Braun  1851). 

3.  Aufsteigende  UterusdoucJie  (Kiwisch  1846). 

4.  Koldensäuredouche  (Scanzoni). 

5.  Reizung  der  Brüste  (Scanzoni). 

6.  Beihen  des  Fundus  uteri  (Ulsamer,  d'OuTREPONT). 
Hieran  möchte  sich  noch  anschliessen : 

7.  AUgemeine  Bäder  (Gardien  1807). 
Grupi)e  III. 

1.  Anwendung  des  Galvanismus  (Herder,  Radfort,  Schreiber  1843).  Constanter 
Strom  (Fleischmann). 

2.  Inductionselektricität  (Hennig  1857), 
Gruppe  IV.  Anwendung  von 

1.  Mutterkorn  (Bongpovanni,  Ramsbotham). 

2.  Chinin  (Sayre). 

3.  Bilocarpin,  subcutan  injicirt  (Massmann  1878,  Kleinwächter,  Schauta  1878). 

Durch  alle  diese  Methoden  ist  es  gelungen,  geeignete  Wehenthätigkeit 
hervorzurufen,  bei  den  einen  schneller,  bei  den  anderen  langsamer,  mit  mehr- 
minderer Zuverlässigkeit,  bei  den  einen  mit  geringer  oder  fast  gar  keiner, 
bei  den  anderen  mit  mehr  Belästigungen  der  zu  Entbindenden.  Man  muss 
aber  von  einer  guten  Methode,  wie  Spiegelberg  bemerkt,  verlangen,  dass 
sie  sicher  und  milde  und  dabei  nicht  zu  langsam  wirke,  dass  die 
auf  sie  erfolgende  Geburt  der  spontanen  möglichst  gleich  ablaufe  und  dass 
sie  die  möglichst  geringste  Gelegenheit  zur  Infection  biete.  Am  sichersten 
wirken  jedenfalls  die  Methoden,  welche  directe  Reizung  der  Innenwand  des 
Uterus  bezwecken,  aber  sie  bedingen  auch  am  ehesten  eine  Infectionsgefahr, 
welche  sich  allerdings  nach  dem  jetzigen  Standpunkte  der  Wissenschaft  wohl 
leichter  vermeiden  lassen  wird,  als  zu  der  Zeit,  wo  diese  Methoden  aufkamen. 
Sie  wirken  aber  auch  unter  Umständen  durchaus  nicht  milde,  weshalb  sie 
auch  zum  Theil  wieder  verlassen  sind.  Von  den  jetzt  gebräuchlichen  Methoden 
steht  obenan  die  intrauterine  Katheterisation,  mit  oder  ohne  begleitende 
aufsteigende  Vaginaldouche,  dann  der  Eihautstich.  Unter  Umständen 
machen  wir  auch  Gebrauch  von  der  Dilatation  der  Vaginalportion, 
aber  mehr  nur  als  vorbereitende  Operation,  sowie  von  der  Colpeuryse, 
welche  genannten  Methoden  wir  deshalb  eingehender  betrachten  wollen.  Die 
anderen  haben  mehr  nur  historisches  Interesse. 

1.  Der  Eihautstich,  ScheeVsche  oder  englische  Methode. 

Wie  früher  erwähnt,  ist  diese  Methode  schon  von  Guilleheau,  Maurciean,  der  Siege- 
mundin  u.  A.  bei  Blutungen  in  Anwendung  gezogen  worden,  auch  im  Alterthum  schon  und 
in  späterer  Zeit  in  sträflicher  Absicht  gebraucht  worden,  wegen  Beckenenge  aber  zum 
erstenmale  von  Macaulay  1756,  deshalb  „englische  Methode."  Sie  wurde  aber,  wenn  auch 
von  May  zu  gleicher  Zeit  mit  Paul  Scheel  in  Kopenhagen  empfohlen,  doch  von  letzterem 
1799  zuerst  eingehend  wissenschaftlich  beleuchtet  und  wird  deshalb  nach  ihm  genannt. 

Die  grössere  oder  geringere  Entleerung  des  Fruchtwassers  ruft  unbedingt 
eine  dauernde  Wehenthätigkeit  hervor,  was  keine  andere  Methode  mit  dieser 
Sicherheit  vermag.  Es  erwacht  dieselbe  6  bis  12  Stunden  nach  dem  Wasser- 
abfluss,  mitunter  dauert  es  jedoch  24  Stunden,  selbst  mehrere  Tage,  ausbleiben 
wird  sie  aber  nie,  erlischt  auch,  wenn  einmal  angefangen,  nicht  wieder  und 
führt  dann  meist  rasch  zum  Ziele.  Fliesst  zuviel  Fruchtwasser  ab,  so  ent- 
stehen leicht  für  das  Kind,  dessen  Leben  ohnehin  ein  schwaches,  gefährliche 
Krampfwehen  mit  Umschnürungen,  überhaupt  Wehenanomalien.  Das  zu  starke 
Abfliessen  des  Fruchtwassers  wird  leicht  vorkommen,  wenn  der  Eihautstich  im 
Muttermund  gemacht  wird,  wie  Scheel  empfohlen,  und  kann  es  hierdurch  zu 
einer,  für  die  schonende  Erweiterung  des  Muttermundes  so  nützlichen  Bildung 
einer   Blase  nicht  kommen.  Um  es  zu  vermeiden,  haben  Hopkins  (1820)  und 


FRÜHGEBURT.  273 

später  Meissner  (1840)  vorgeschlagen  die  Eihäute  hölier  oben  im  Uterus 
anzustechen  und  dazu  eigene  Instrumente  angegeben.  Sie  gingen  von  der 
Erfahrung  aus,  dass  bei  normalen  Geburten  mitunter  ein  tropfen  weises  schlei- 
chendes Abfiiessen  von  Fruchtwasser  und  daneben  oder  darnach  doch  die  -Bil- 
dung einer  Blase  beobachtet  wird,  was  nur  dann  möglich  ist,  wenn  die  Eihäute 
höher  oben  im  Uterus  springen  und  die  Oeftnung  in  denselben  durch  die 
Uteruswand  wieder  gedeckt  wird.  Hopkins  und  Meissner  verrichteten  die 
Operation  mit  einem  langen  Draht,  der  in  einer  dünnen  liöhre  zwischen  Ei- 
häute und  Uteruswand  12  (Meissner)  bis  20  (Hopkins)  cm  über  den  inneren 
Muttermund  hinaufgeführt  und  dann  in  die  Eiblase  eingestochen  wird.  Ihr 
Verfahren  und  Instrument  wurde  mannigfach  modificirt,  so  von  Kluoe  und 
RiTGEN,  deren  „Stechsauger"  bezweckten,  die  Eihäute  durch  einen  Saugapparat 
anzuziehen  und  dem  in  der  Röhre  befindlichen  gedeckten  Stachel  entgegen- 
zuftihren.  Auch  für  den  Eihautstich  im  Muttermund  sind  eine  Menge  Instru- 
mente angegeben,  welche  aber  alle  entbehrlich  sind.  Es  genügt  ein  zuge- 
spitzter Mandrin  eines  Katheters  oder  eine  Stricknadel  oder  eine  scharf 
zugespitzte  Gänsefeder  (Rokitansky).  Gegen  das  HoPKiNS-MEissNER'sche  Ver- 
fahren hat  man  eingewendet,  dass  dadurch  leicht  der  Uterus  verletzt  wurde, 
welchem  Uebelstande  die  „Stechsauger"  zu  begegnen  suchten,  und  dass  es 
meist  zwecklos  sei,  indem  die  Eihäute  schon  eher,  als  man  an  die  gewünschte 
Stelle  gelangt,  bersten.  Nun,  dann  hätte  man  eben  nichts  anderes  bewirkt, 
als  mit  dem  Eihautstich  im  Muttermund.  Scanzoni  hat  hervorgehoben,  dass 
bei  Frühgebart  fehlerhafte  Kindeslagen  verhältnismässig  häufig  sind  (dies  be- 
trifft jedoch  mehr  nur  die  spontanen  Frühgeburten)  und  durch  den  vorzeitigen 
Wasserabfiuss  etwaige  lageverbessernde  Operationen  sehr  erschwert  sind.  Es 
wird  deshalb  der  Eihautstich  bei  constatirten  fehlerhaften  Lagen  zu  vermeiden 
sein,  ebenso  bei  langem  rigidem  Mutterhals,  für  dessen  schonende  Erweiterung 
die  Bildung  einer  Blase  so  vortheilhaft  ist.  Wir  haben  jetzt  andere,  gut  und 
auch  meist  sicher  wirkende  Methoden,  bei  denen  die  Eihäute  erhalten  werden, 
was  besonders  für  das  Kind  vortheilhafter  und  wenden  den  Eihautstich  nur 
in  einzelnen  Fällen  an,  dies  besonders  bei  drohender  Lebensgefahr  der  Mutter 
durch  hochgradige  Dispnoe.  Hier  kann  eine  rasche  Entleerung  des  Frucht- 
wassers den  Uterus  schon  so  weit  verkleinern,  dass  dadurch  wenigstens  die 
augenblickliche  Erstickungsgefahr  beseitigt  ist.  Sodann  gilt  er  als  ultimum 
refugium,  wenn  die  anderen  Methoden  im  Stiche  lassen,  was  ja  einmal  vor- 
kommen kann,  oder  zu  langsam  wirken. 

Die  Operation  wird  in  der  Rückenlage  mit  etwas  erhöhtem  Kreuz  oder 
auf  dem  Querbett  ausgeführt,  die  eine  Hand  an  der  Vaginalportion,  mit  der 
anderen  auf  der  eingeführten  Hand  der  Draht  oder  was  man  sonst  nimmt, 
vorgeschoben.  Nach  Zw^eifel  soll  man  für  den  Moment  des  Eiustechens 
durch  Reiben  des  Fundus  eine  leichte  Contraction  anzuregen  suchen.  Nach 
geschehenem  Einstich  zieht  man  den  Draht  langsam  und  vorsichtig  zurück, 
um  keinen  grossen  Riss  zu  veranlassen.  Droht  zu  viel  Wasser  abzufliessen, 
■so  dürfte,  wo  man  dies  nicht  wäll,  durch  Einlegen  des  Colpeurynters  dem  zu 
begegnen  sein. 

C.  Braun  hat  nach  Veiöffentlichungen  von  Rokitansky  jun.  in  der  Wiener 
Klinik  ausserordentlich  günstige  Resultate  mit  dem  Eihautstich  erzielt;  um 
einen  günstigen  Erfolg  zu  haben,  kommt  es  nach  ihm  hauptsächlich  darauf 
an,  das  Fruchtwasser  nur  langsam  absickern  zu  lassen.  Er  bediente  sich 
zur  Function  eines  über  einer  Uterussonde  eingeführten  scharf  zugespitzten 
Gänsekiels,  wodurch  das  Wasser  langsam  abfiiessen  soll.  Sollten  sich  diese 
günstigen  Resultate  in  der  Folge  bestätigen,  dann  dürfte  diese  Methode  als 
eine  der  besten,  ja  als  die  beste  zu  betrachten  sein. 

Als  Schattenseiten  des  Eihautstiches  wurde  von  manchen  Seiten  die  oft 
grosse  Schmerzhaftigkeit  wegen  Krampfwehen,  auch  mitunter  heftiger  Schüttel- 

Bibl   med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  18 


274  FRÜHGEBURT. 

frost,  besonders  nach  plötzlichem,  zu  starkem  Wasserabfluss  herv  orgehoben  und 
für   die  Kinder   eine   verhältnismässig   grössere    Sterblichkeit    (nach    Beaun 
nicht),  eben  auch  durch  die  Wehenanomalien  bedingt.    Man  hat  deshalb  von 
jeher  schon  auf  andere  Methoden  gesonnen. 
Die  nächstälteste  Methode  ist 

2.  Erweiterung  der  Cervix  durch  Quellmittel.  (Methode  von  Brünning- 
hausen-Kluge).  Ein  auf  die  Nerven  des  unteren  Uterussegmentes  aus- 
geübter Reiz  vermag,  wenn  er  lange  genug  wirkt,  Contractionen  des 
ganzen  Uterus  anzuregen.  Von  diesem  Gedanken  ausgehend  schlug  Bkün- 
NiNGHAUSEN  vor,  behufs  Einleitung  der  künstlichen  Frühgeburt  den  Mutter- 
mund durch  Pressschwamm  zu  erweitern,  um  die  Nachtheile  des  frühen 
Abflusses  des  Fruchtwassers  zu  verhüten.  Das  Verfahren  wurde  von  El.  v. 
SiEBOLD  zum  erstenmale  angewandt,  von  Kluge  aber  etwas  modifieirt 
und  besonders  verbreitet.  In  den  Jahren  1820  bis  1846  wurde  die  Methode 
in  Deutschland  häufig  ausgeübt.  Die  Geburtsdauer  schwankte  von  ^'^  bis  zu 
8  Tagen.  Schnackenbeeg  empfahl  statt  des  Pressschwammes  eine  mit  Wasser 
aufzutreibende  Thierblase  mit  Apparat  zum  Füllen  und  Ablassen  des  Wassers 
{Sphenosiphon).  1863  wandte  Baenes  geigenförmig  gestaltete  Kautschukblasen 
(literin  dilaters)  in  verschiedener  Grösse  mit  Einführungsapparat  an,  hat  aber 
sein  Verfahren  nicht  zur  dauernden  Geltung  gebracht.  Ein  Nachtheil  des 
BEtiNNiNGHAUSEN-KLUGE'schen  Verfahrens  besteht  in  der  Unsicherheit  des 
Erfolgs  und  in  der  oft  schweren  Ausführbarkeit  (bei  hochstehendem,  abge- 
wandtem Muttermund),  hauptsächlich  aber  in  der  grossen  Infectionsgefahr. 
Der  Pressschwamm,  wenn  er  länger  gelegen,  reizt  die  sensible  Schleimhaut 
und  muss,  wenn  er  nicht  rasch  zum  Ziel  führt,  oft  gewechselt  und  mit  einem 
grösseren  vertauscht  werden,  in  welchem  Wechsel  ein  neuer  Reiz  für  die 
Schleimhaut  liegt.  Entzündungen,  besonders  Parametritis,  sind  häufig  darnach 
beobachtet.  Die  Resultate  für  die  Kinder  waren  verhältnismässig  nicht  un- 
günstig. Wir  wenden  das  Verfahren  jetzt  nur  noch  als  Vorbereitung  für 
andere  Verfahren  an,  wenn  der  Muttermund,  besonders  Hals  sehr  eng  und 
unnachgiebig  ist,  benutzen  aber  statt  Pressschwamm  nach  dem  Vorschlag  von 
C.  Beaun  kurze  Laminaria-  oder  Tupelostifte,  da  bei  diesen  die  Infections- 
gefahr eine  geringere  ist.  Die  BAENEs'schen  uterin  dilaters  leisten  nicht  mehr 
und  lassen  sich  bei  engem  Muttermund  gar  nicht  einführen. 

Statt  der  Erweiterung  der  Vaginalportion  empfahl  Schöller  1842: 

3.  Tamponade  der  Scheide  mit  Watte-tampons  (Geburtsdauer  1  bis  23  Tage) 
statt  deren  1843  HtJTEE  und  später  Ritgen  und  Haen  präparirte  mit  Wasser  zu 
füllende  Thierblasen  anwandten  (Geburtsdauer  1  bis  7  Tage),  zum  Theil  mit 
besonderen  Verschluss-  und  Fülleinrichtungen  (Ritgen  ,^Druckblasenhals^'). 
Diese  verschiedenen  Verfahren  haben  sich  keine  dauernde  Geltung  zu  ver- 
schaffen gewusst,  weil  zu  unsicher  im  Erfolg  und  für  die  zu  Entbindende  sehr 
belästigend  und  schmerzhaft.  C.  Beaun  ersetzte  1851  die  Thierblase  durch 
eine  Kautschukblase  mit  einem  etwa  35  bis  40  cm  langen,  mit  einem  Ab- 
schlusshahn versehenen  Schlauche  zur  beliebigen  Füllung  mit  Wasser.  Er 
nannte  den  Apparat  Colpeurynter,  das  Verfahren  Colpeurysis.  Mit  demselben 
wurden  viel  günstigere  Resultate  erzielt.  Geburtsdauer  (in  5  Fällen)  5  Stunden 
bis  3  Tage.  Aber  auch  diese  Methode  ist  für  die  zu  Entbindende,  wenn 
nicht  rascher  Erfolg  eintritt,  sehr  belästigend.  Angewendet  wird  sie  jetzt 
nur  noch  zur  Unterstützung  anderer  Methoden  bei  starken  Blutungen, 
besonders  durch  Placenta  praevia,  sowie  auch  nach  anderweiter  Einleitung 
zur  Anfachung  der  nachlassenden  Wehen  und  als  Gegendruck  gegen  die 
springfertige  Blase  oder  zur  Verhütung  des  zu  starken  Fruchtwasserabflusses 
nach  dem  Eihautstich.  Das  Verfahren  ist  sehr  einfach.  Die  entleerte,  möglichst 
aseptisch  gemachte  Blase  wird  der  Länge  nach  zusammengefaltet  mit  Leich- 
tigkeit in  die  Vagina  eingeschoben   und   dann   durch   den   Schlauch  mittelst 


FRÜHGEBURT.  275 

einer  Spritze  mit  Wasser  gefüllt,  welches  man  zeitweise  erneuern  kann.    Gut 
ist  es,  die    Scheide  vor  der  Einlegung  durch  Irrigation  zu  säubern. 

Einige  Jahre  bevor  Braun  seinen  Colpeurynter  bekannt  gab,  ist  ein 
anderes  Verfahren  empfohlen  worden,  das  jetzt  noch  in  Geltung  steht, 
nämlich: 

4.  Die  aufsteigende  TJterusdouche  (Methode  von  Kiwiscii  1S4G).  Bei  von 
Schwangeren  wegen  stärkerer  Fluors  vorgenommenen  Scheidenausspülungen 
ist  mitunter  das  Auftreten  von  Wehen  beobachtet  worden.  Diese  Erfahrung 
brachte  Kiwisch  auf  den  Gedanken,  durch  methodische  Anwendung  der 
Douche  die  Frühgeburt  einzuleiten  und  waren  seine  Versuche  von  Erfolg 
gekrönt,  jedoch  nicht  immer.  Nach  einer  Zusammenstellung  von  Krause 
versagte  in  81  Fällen  die  Methode  13mal,  je  in  dem  6.  Falle.  Die  Geburts- 
dauer schwankte  zwischen  6  Stunden  und  22  Tagen.  Trotz  dieser  wenig 
ermuthigenden  Resultate  wenden  wir  die  Methode,  da  sie,  wenn  richtig  aus- 
geführt, für  die  Mutter  ungefährlich  und  nicht  unangenehm  ist,  immer 
noch  an,  aber  mehr  nur  als  Vorbereitung  oder  zur  Unterstützung  für 
andere  Methoden,  wenn  diese  zu  langsam  wirken.  Kiwisch  wendete  einen 
irrigatorähnlichen,  nur  etwas  grösseren  Blechkasten  mit  etwa  2^2  '>n  langem 
Abfiussschlauch  und  durch  Hahn  verschliessbarem  Mutterrohre  an  und  be- 
nutzte zu  der,  3  bis  4mal  den  Tag  10  bis  15  Minuten  zu  machenden  Douche 
Wasser  von  35"  R.  (42*^  C.),  wobei  er  grossen  Werth  legte  auf  einen  kräftigen 
Strahl,  der  gegen  das  Scheidengewölbe  und  die  Vaginalportion,  aber  nicht  gegen 
den  Muttermund  gerichtet  sein  soll,  und  ganz  besonders  auf  den  richtigen 
Wärmegrad  des  Wassers,  da  er  dem  thermischen  Reiz  grossen  Einfluss  auf 
die  Wehenerweckung  zuschrieb.  Zweckmässig  ist  es,  um  einen  kräftigen 
Strahl  zu  erhalten,  ein  Mutterrohr  mit  nur  einer  centralen  und  nicht  zu 
engen  Oeffnung  zu  benützen  und  den  Irrigator  hoch  zu  hängen.  Die  von 
mancher  Seite  empfohlene  Einführung  des  Mutterrohres  in  den  Muttermund, 
mehr  minder  hoch,  ist  zu  verwerfen  wegen  der  Gefahr  des  Lufteintrittes  in 
die  Uterushöhle.  Ganz  aus  demselben  Grunde  ist  man  jetzt  von  einer  eben- 
falls im  Jahre  1846  veröffentlichten  Methode  abgekommen,  der 

5.  Einspritzung  von  Wasser  zivischen  Eihäute  und  JJterusivand,  Intraufe- 
rininjection  (Methode  von  Cohex),  welche  Anfangs  alle  bis  dahin  bekannten 
und  empfohlenen  Methoden  zu  übertreffen  schien,  deren  Schattenseiten  sich 
aber  allmälig  herausstellten.  Schweighauser  hatte  schon  im  Jahre  1825 
empfohlen,  zur  kräftigen  Wehenerweckung  Wassereinspritzungen  zwischen 
Uterus  und  Eihäute  zu  machen,  wodurch  die  Eihäute  losgetrennt  würden, 
ausgeführt  hatte  aber  die  Sache  erst  Cohen  1846,  Anfangs  mit  Theerwasser, 
später  mit  reinem  warmen  Wasser  und  gab  dazu  eine  besondere  Spritze  mit  ge- 
krümmtem konisch  zugespitztem  Ansatzrohre  an,  welch'  letzteres  in  den  Uterus 
eingeschoben  wird.  Später  wurde  statt  dieses  Apparates  das  Einschieben 
eines  dicken  Katheters,  durch  welchen  die  Flüssigkeit  ausgespritzt  werden  soll, 
empfohlen.  Wenn  nöthig,  soll  die  Einspritzung  nach  einigen  Stunden  wieder- 
holt werden. 

Versagt  hat  die  Methode  nicht,  doch  schwankte  die  Geburtsdauer  zwischen 
1  und  6  Tagen  (nach  Krause),  wenn  auch  meistens  ein  schneller  Erfolg  zu 
verzeichnen  war.  Es  zeigte  sich  aber  die  Methode  weit  gefährlicher,  als  die 
anderen,  und  waren  nicht  wenige  Todesfälle,  sei  es  durch  Lufteintritt  in  die 
Uterusvenen,  sei  es  durch  Infection  zu  beobachten.  Bei  vielen  Schwangeren 
traten  sehr  stürmische  Wehen,  bei  nicht  wenigen,  so  schon  bei  Cohen's  erster 
Anwendung,  einige  Stunden  nach  der  Einspritzung  sehr  heftige  Schüttelfröste 
ein.  Aus  diesen  Gründen  ist  die  Methode  jetzt  ziemlich  verworfen,  zumal 
wir  bessere  haben. 

6.  Die  intrauterine  Katli derisation  (Methode  von  Krause).  Ein  Reiz  auf  die 
Innenwand  des  Uterus,  wie  ihn  das  GoHEN'sche   Verfahren   veranlasst,  wird 

18* 


276  FRÜHGEBURT. 

benso  sicher,  aber  weniger  stürmisch  bedingt  durch  einen  längere  Zeit  mit 
der  Innenfläche  des  Uterus  in  Contact  gebrachten  Körper,  wie  z.  B.  ein  Ka- 
theter, eine  Darmseite  u.  dgl.  Schon  1838  suchte  Lehmaxjsi  in  Amsterdam, 
später  Simpson,  Mampe  und  Merrem  diese  Keizung  durch  vorübergehende 
Einführung  einer  Wachsbougie  möglichst  hoch  in  dem  Uterus  herbeizu- 
führen, erst  Krause  wählte  dafür  das  Einlegen  und  Liegenlassen  eines 
elastischen  Katheters  behufs  Einleitung  der  Frühgeburt  (1855).  Um  den 
möglichen  Eintritt  von  Luft  durch  den  Katheter  zu  vermeiden,  nimmt  man. 
besser  dafür  ein  Bougie  nach  Dohrn  oder,  wie  es  C.  Braun  empfohlen  hat,, 
eine  Darmseite.  Durch  das  Einlegen  der  dünnen  glatten  Bougie  ist  ein 
schädliches  Uebermass  des  Reizes,  wie  ihn  das  CoHEN'sche  Verfahren  durch 
das  plötzliche  Losreissen  eines  grösseren  Theiles  der  Eihäute  leicht  mit  sich 
führt,  nicht  zu  befürchten,  zumal  die  Wehen,  wenn  sie  stärker  werden,  das 
Instrument  austreiben,  also  den  Reiz  entfernen.  Durch  das  Liegenlassen 
erspart  man  sich  die  Nothwendigkeit  des  mehrmaligen  Einführens  und  wirkt 
sicherer  und  rascher,  dabei  schonender.  Der  Erfolg  ist  ein  sehr  günstiger. 
Die  Geburtsdauer  schwankt  zwischen  6  Stunden  und  1,  ausnahmsweise  bis 
zu  5  Tagen.  Die  ersten  Wehen  treten  in  einzelnen  Fällen  schon  nach  30, 
in  einem  Falle  sogar  schon  nach  5  Minuten  ein.  Die  Methode  braucht  keinen 
eigenen  Instrumentenapparat  und  überhaupt  nicht  so  viel  Aufwand,  als  alle 
übrigen.  Hier  und  da  kommt  einmal  ein  Einreissen  der  Eihaut  höher  oben 
vor,  was  aber  doch  nicht  störend,  da  das  Fruchtwasser  dann  nur  „schleichend" 
abgeht  und  eine  Blase  doch  noch  sich  bilden  kann.  Schröder  betrachtet 
dies  sogar  als  einen  Vortheil.  Im  Nothfall  würde  der  Colpeurynter  das  zu 
starke  Abfliessen  verhindern.  Von  manchen  Seiten  wird  die  Gefahr,  mit  dem 
Katheter  oder  Bougie  auf  falsche  Wege  zu  gerathen,  besonders  möglicher- 
weise auf  die  Placenta  zu  treffen,  sehr  urgirt,  es  ist  aber  keine  nachtheilige 
Folge  dieser  Möglichkeit  bis  jetzt  bekannt  geworden.  Spiegelberg  hebt  auch 
die  Gefahr  des  Lufteintritts  in  den  Uterus,  selbst  bei  Anwendung  einer 
Bougie  hervor,  für  welch'  letztere  sie  aber  sicher  ausgeschlossen  ist,  weshalb 
das  von  Schauta  vorgeschlagene  Einführen  der  Bougie  in  einem  mit  klarer 
antiseptischer  Flüssigkeit  angefüllten  (soweit  die  Vaginalportion  hineinragt) 
Röhrenspeculum,  also  Einführung  unter  Wasser,  nicht  nothwendig  sein  dürfte. 
Nach  allem  für  und  wieder  gilt  die  Methode  Krause  jetzt  als  die  zu- 
verlässigste und  mildeste  und  wird  fast  allgemein  angewandt. 

Ausgeführt  wird  die  Operation  am  besten  auf  dem  Querbett  oder  in 
Rückenlage  mit  erhöhtem  Kreuz.  Die  eine  Hand  fixirt  die  Vaginalportion, 
bezw.  den  Muttermund  und  wird  auf  dieser  dann  mit  der  anderen  Hand  die 
vorher  genügend  antiseptisch  behandelte  Bougie  wie  sonst  eine  Uterussonde 
eingeführt.  Selbstverständlich  muss  dem  Einführen  eine  gründliche  desinficirende 
Irrigation  der  Scheide  vorausgehen.  Um  das  Verbiegen  der  weichen  Bougie, 
durch  welche  dieselbe  leicht  auf  falsche  Wege  gerathen  kann,  zu  verhüten,  ist 
es  zweckmässig,  den  Mandrin  eines  dünnen  Katheters  durch  dieselbe  hin- 
durchzuführen, was  nach  Abnahme  des  Knopfes  leicht  geschehen  kann.  Die 
Bougie  oder  der  elastische  Katheter  wird  vorsichtig  drehend,  nie  gewaltsam, 
auf  mindestens  zwei  Drittel  ihrer  Länge,  nach  Manchen  sogar  bis  an  den 
Knopf  hinaufgeschoben  und  dann  für  geeignete  Befestigung  gesorgt.  Bei 
langem,  rigidem  Mutterhals  und  engem  Muttermund  ist  es  zweckmässig, 
denselben  durch  Laminaria  oder  Tupelo  zuvor  etwas  zu  erweitern.  Bei 
grösseren  Schwierigkeiten  des  Einführens  kann  man  sich  auch  eines  Speculums 
dazu  bedienen.  Mitunter  entstehen  beim  Einführen  leichte  Contractionen, 
besonders  wenn  die  Vaginalportion  vorher  allenfalls  künstlich  dilatirt  und 
der  Uterus  also  schon  gereizt  ist.  Während  einer  solchen  darf  das  Instrument 
nicht  weiter  vorgeschoben  werden  wegen  Gefahr  der  Zerreissung  der  Eihäute. 
Stösst  man  auf  ein  Hindernis  beim  Vorschieben,  zieht  man  etwas  zurück  und 


FRÜHGEBURT.  277 

geht  in  anderer  Richtung  vorwärts.  Ist  die  Gcburtsthätigkcit  riclitig  im 
■Gange  und  ein  Rückgang  nicht  mehr  zu  befürchten,  der  Muttermund  schon 
•einige  Centimeter  weit  geöffnet,  dann  zieht  man  die  I3ougie  heraus  oder  man 
kann  sie  auch  liegen  und  mit  dem  Kind  austreiben  lassen. 

7.  Ablösen  der  Eihäute  vom  unteren  Uterinsegment  entweder  mit  dem 
Finger  nach  Hamilton  oder  mittelst  eines  weiblichen  Katheters 
nach  Mampe  und  Ricke  hat  sich  nicht  bewährt  und  ist  deshalb  gänzlich  ver- 
lassen. Etwas  ähnliches  und  dabei  das  Liegenlassen  eines  fremden  Körpers 
Ijezweckt : 

8.  Der  Dilatateur  intrauterine  von  Tarnier,  1862.  Der  Apparat  besteht 
aus  einem  Kautschukschlauche  von  der  Dicke  eines  starken  Katheters,  der 
unten  einen  verschliessbaren  Hahn  und  an  der  Spitze  eine  Stelle  mit  ver- 
dünnten Wandungen  hat,  welche  sich  durch  Wasser  oder  Luft  kugelig  auf- 
treiben lässt.  Durch  einen  eigenen  „Conductor"  wird  diese  Spitze  über  den 
inneren  Muttermund  hinaufgeführt  und  dann  mittelst  Wasser  unter  starkem 
Druck  aufgetrieben,  wodurch  sie  sich  über  dem  Muttermund  von  selbst  hält 
und  gleichzeitig  die  Eihaut  in  der  Umgebung  des  inneren  Muttermundes  ab- 
löst. Es  erwachen  sehr  bald  Wehen.  Ist  der  Muttermund  bis  zur  Grösse  der 
aufgeblähten  Kugel  geöffnet,  so  gleitet  diese  sehr  leicht  heraus  und  kann  es 
vorkommen,  dass  die  Wehen  wieder  erlöschen.  Wird  der  Schlauch  zu  wenig 
aufgetrieben,  reizt  er  auch  zu  wenig,  bei  zu  starkem  Auftreiben  aber  platzt 
er  leicht.  Man  muss  deshalb  mehrere  Schläuche  im  Vorrath  haben,  dazu 
eine  genau  passende  Spritze  zum  Auftreiben  und  einen  eigenen  Apparat,  den 
„Conductor"  zum  Einführen.  Das  Verfahren  ist  also  viel  umständlicher,  als 
das  KRAUSE'sche  und  durchaus  nicht  mehr  leistend,  deshalb  nicht  empfehlens- 
werth. 

Von  den  verschiedenen  anderen  noch  empfohlenen  Methoden  möchte  nur 

9.  Die  Anwendung  pharmaceuiischer  Mittel  zur  Einleitung  der  Frühgeburt 
Tiurz  zu  berühren  sein.  Bongiovanni  (1828)  war  wohl  der  Erste,  welcher 
den  inneren  Gebrauch  von  Mutterkorn  zu  diesem  Zwecke  empfahl,  doch 
ohne  den  gewünschten  Erfolg  zu  haben,  weshalb  der  Vorschlag  vergessen 
iDlieb,  bis  Ramsbälbam  denselben  wieder  aufnahm  und  behauptet,  beinahe 
immer  sehr  bald  nach  der  Anwendung  das  Erwachen  von  Wehenthätigkeit 
beobachtet  zu  haben.  Geburtsdauer  12  Stunden  bis  6  Tage.  Von  45  Ver- 
suchen waren  13  unzureichend,  3  ganz  erfolgslos.  Ungünstig  war  das  Re- 
sultat für  die  Kinder:  von  39  kamen  15  todt  zur  Welt,  12  starben  in  den 
ersten  36  Stunden.  Aus  diesen  Gründen  ist  die  Methode  zur  Einleitung 
der  Frühgeburt  absolut  zu  verwerfen. 

Massmann  (1878)  beobachtete  nach  subcutaner  Inj ection  von  Pilocarpinum 
mur.  (su  0'02  g)  in  2  Fällen  nach  kurzer  Zeit  Frühgeburt.  Von  ihm  und 
anderen  fortgesetzte  Versuche  haben  z.  Th.  günstige,  z.  Th.  vollkommen  ne- 
gative Resultate  ergeben.  So  hatten  Welponer,  Felseneeich,  Kleinwächtee 
gar  keine  oder  sehr  ungenügende  Wirkung  auf  dauernde  Erw^eckung  dei' 
Wehenthätigkeit  gesehen.  Schauta  hat  in  der  Wiener  Klinik  später  mehr- 
fach mit  Erfolg  durch  Pilocarpin  die  Frühgeburt  eingeleitet  und  ohne  die  ge- 
ringste nachtheilige  Einwirkung  auf  Mutter  oder  Kind.  Er  injicirt  am  1.  Tage 
bis  zu  3mal  je  eine  Spritze  einer  2°/,)  Pilocarpinlösung,  was  meist  genügt.  Ist 
das  aber  nicht  der  Fall,  dann  folgen  am  2.  Tage  1  bis  2  Injectionen  einer 
3  7o  Lösung  und  wenn  nöthig,  am  3.  Tage  1  bis  2  Injectionen  einer  47o 
Lösung,  Unangenehme  Nebenwirkungen,  wie  Herzschwäche,  di'ohender  CoUaps 
•u,  dgl.  hat  er  dabei  nicht  beobachtet. 

BIRNBAUM. 


278  FRÜHGEBURT. 

FrÜhg6burt  (spontan)  nennt  man  im  Gegensatz  zum  Abort,*) 
beziehungsweise  Fehlgeburt  und  zur  rechtzeitigen  Geburt,  die  Geburt 
einer  zwar  noch  nicht  ausgetragenen,  noch  nicht  vollständig  entwickel- 
ten, aber  doch  schon  lebensfähigen  Frucht.  Diese  Geburt  kann  aus 
inneren  Ursachen,  sowie  durch  äussere,  aber  nicht  beabsichtigte  Einflüsse 
veranlasst  werden,  oder  sie  wird  durch  directe  zielbewusste  Eingriffe  herbei- 
geführt. Erstere  bezeichnet  man  als  spontane  Frühgeburt  oder  kurzweg 
als  Frühgeburt,  von  welcher  hier  die  Rede  sein  soll,  letztere  als  künst- 
liche Frühgeburt,  (s.  d.) 

Bei  älteren  Autoren  findet  man  wohl  auch  unterschieden  zwischen  physio- 
logischer und  pathologischer  Frühgeburt  und  bezeichnete  man  als  physio- 
logische Frühgeburt,  wenn  die  Geburt  vor  dem  gewöhnlichen, 
normalen  Zeitpunkte,  aber  bei  vollkommener  Reife  der  Frucht 
erfolgt,  welcher  Vorgang  auf  einer  in  der  Individualität  begründeten  Schnellig- 
keit des  Erzeugungsvorganges  beruhen  solle.  Wenn  wir  berücksichtigen,  dass 
bei  den  einzelnen  Individuen  nach  der  Geburt  ein  so  bedeutender  Unterschied 
in  Bezug  auf  die  geistige  und  körperliche  Entwicklung  sich  bemerklich  macht, 
dass  es  besonders  viele  sicher  constatirte  Fälle  von  ausserordentlich  früh  ein- 
getretener geistiger  und  auch  körperlicher  Reife  gibt  (wie  z.  B.  der  seiner 
Zeit  viel  von  sich  reden  machende  9-jährige  Hofpianist  Paul  Koczalski  aus 
Warschau)  neben  solchen  einer  ausserordentlichen  Verzögerung  der  Entwick- 
lung, dann  lässt  sich  a  priori  die  Möglichkeit  nicht  absprechen,  dass  auch  die 
intrauterine  Entwicklung  nicht  bei  Allen  in  demselben,  gleichmässigen  Tempo 
vor  sich  gehen  muss,  dass  sich  vielmehr  auch  hier  individuelle  Unterschiede 
ergeben  können.  Manche  wollen  eine  verschiedene  Dauer  der  Entwicklung 
des  Fötus  mit  der  Verschiedenheit  der  Menstruationstermine  bei  den  einzelnen 
Frauen  in  Zusammenhang  bringen,  je  10  Menstruationszeiten  für  die  Ent- 
wicklung der  Frucht,  beziehungsweise  für  die  eigentliche  Normaldauer  der 
Schwangerschaft  zu  Grunde  legend.  Dies  ist  wohl  nicht  angängig  und  auch 
eine  Frage,  welche  uns  hier  nicht  näher  berührt.  Nicht  zu  bezweifeln  ist 
wohl,  dass  häufig  genug  Kinder  vor  der  40.  Schwangerschaftswoche  geboren 
werden,  welche  alle  Zeichen  der  vollendeten  Reife  an  sich  tragen,  wobei  aller- 
dings nicht  zu  leugnen  ist,  dass  hierbei  sicher  oft  auch  Rechnungsfehler  mit 
unterlaufen.  Nach  Mereiman  kommen  auf  33  Geburten  vollkommen  reifer 
Kinder  in  der  40.  Woche  nach  der  letzten  Menstruation  14  ebensolcher  in 
der  39.,  13  in  der  38.  und  nur  3  in  der  37.  Woche.  Dem  sei,  wie  ihm 
wolle,  lassen  wir  es  dahingestellt  sein,  ob  es  wirklich  eine  physiologische 
Frühgeburt  im  Sinne  der  älteren  Autoren  gibt,  oder  nicht,  wir  haben  es  hier 
nur  mit  der  pathologischen  Frühgeburt,  kurzweg  Frühgeburt  genannt,  zu  thun. 

Als  ein  wesentliches  Kriterium  für  den  Begriff  derselben  ist  die  Lebens- 
fähigkeit der  Frucht  bei  noch  nicht  vollendeter  körperlicher  Entwicklung 
anzusehen.  Der  Fötus  muss  in  seiner  Entwicklung  soweit  vorgeschritten  sein^ 
dass  er,  von  intercurrirenden  krankhaften  Störungen  abgesehen,  an  und  für 
sich  im  Stande  ist,  extrauterin  weiter  zu  leben.  Das  Hauptmoment  für  diese 
Fähigkeit  ist  die  selbständige  Athmung  durch  die  Lungen,  d.  h.  die  Lungen 
müssen  soweit  entwickelt  sein,  dass  sie  befähigt  sind,  den  Blutlauf  zu  ver- 
ändern, zu  reguliren  und  in  der  Folge  die  zum  Leben,  beziehungsweise  zur 
Regeneration  des  Blutes  nothwendige  Menge  Luft  in  sich  aufzunehmen  und 
zu  verarbeiten.  Dies  ist  eine  Function,  welche  durch  nichts  auf  die  Dauer 
künstlich  ersetzt  werden  kann.  Die  Production  der  zum  Leben  nöthigen  Eigen- 
wärme kann  zum  Theil  durch  äussere  Mittel  herbeigeführt  oder  besser  ersetzt 
Averden,  ebenso  kann  auch  die  Ernährung  künstlich  unterhalten  werden,  nichts 
aber  ersetzt  die  Thätigkeit  der  Lungen  und  ihren  Einfluss  auf  den  Blutkreis- 


*)  Vergl.  auch  Art.  „Abortus  (spontan)",  ds.  Bd.,  pag.  14. 


FRÜHGEBURT.  279 

lauf.  Man  nimmt  im  Allgemeinen  an,  dass  diese  Fähigkeit  der  Lungen  erst 
nach  einem  7-monatlichen  Aufenthalt  des  Fötus  in  dem  Uterus,  resp.  im 
Mutterleibe  erreicht  wird.  Wenn  in  einzelnen  Fällen  G-monatliche  Früchte 
weitergelebt  haben  sollen,  so  ist  die  Richtigkeit  solcher  Angaben  sehr  zu 
bezweifeln  und  nirgends  sicher  erwiesen.  Auch  mit  der  Erreichung  der 
7-monatlichen  intrauterinen  Entwicklung  ist  die  Wahrscheinliclikeit  des  extra- 
uterinen Weiterlebens  eine  noch  sehr  geringe,  nimmt  aber  von  da  an  stetig, 
von  Woche  zu  Woche  zu.  Je  näher  dem  Normaltermin  die  Geljurt  erfolgt, 
umso  günstiger  gestalten  sich  die  Aussichten  für  das  extrauterine  Fortleben. 

Vielfach  ist  noch  in  Laienkreison  die  Ansicht  verbreitet,  dass  eine  7-monatliche  Frucht 
lebensfähiger  sei,  als  eine  im  8.  Monat  geborene,  eine  irrtliümliche  Ansicht,  die  sich  schon 
in  den  Schriften  des  Hippokrates  (de  septimetri  partu  und  de  octimetri  partu)  ausgesprochen 
findet  und  in  der  eigenthümlichen  falschen  Auffassung,  welche  Hippokrates  von  der  Art 
und  Weise  der  Entwicklung  des  Fötus  im  Mutterleibe  hatte,  begründet  ist.  Noch  manche 
solche  schon  von  Hippokrates  ausgesprochene  eigenthümliche  Ansichten  über  Schwanger- 
schaftsverhältnisse leben  jetzt  noch  im  Volke  fort,  so  z.  B.  über  die  Beziehungen  der  Pig- 
mentirung  der  Schwangeren  zu  dem  Geschlechte  der  Kinder  u.  s.  w. 

Sehen  wir  nach  den  Ursachen  für  die  spontane  Frühgeburt,  so  haben 
wir  zum  Theil  dieselben  Momente  in  Berücksichtigung  zu  ziehen,  welche  auch 
für  den  spontanen  Abort  maassgebend.  sind,  es  kommen  aber  auch  noch  ein- 
zelne andere  Ursachen  hinzu.  Wir  müssen  auch  hier  zwischen  prädis- 
ponirenden  oder  vorbereitenden  und  directenoder  Gelegenheits- 
ursachen unterscheiden.  Von  den  vorbereitenden  Ursachen  ist  in  erster 
Linie  das  Absterben  des  Fötus  zu  nennen.  Dasselbe  kann  erfolgen  durch 
selbständige  Erkrankungen  des  Fötus  (Fieber  u.  dgl.),  durch  von  der  Mutter 
übertragene  acute  Infectionskrankheiten  (Variola,  Morbilli,  Scarlatina,  Typhus 
und  besonders  Cholera),  durch  von  der  Mutter  oder  vom  zeugenden  Vater 
übertragene  Syphilis,  durch  Fehler  der  Ernährung  seitens  der  Mutter  in  Folge 
von  Dyskrasieen,  Nahrungsmangel,  acuten  fieberhaften  Krankheiten  u.  dgl. 
mehr.  Ferner  kann  gestörte  oder  gehinderte  Blutzufuhr  eine  Ursache  abgeben  und 
spielen  hier  besonders  die  einzelnen  Anomalien  der  Nabelschnur'")  eine  wichtige 
Rolle,  wie  Torsionen  derselben  (meist  am  Fötalende),  Umschnürungen  des  Halses, 
wohl  auch  des  Rumpfes  durch  dieselbe,  wahre  Knoten  u.  s.  \f.  Aber  auch  Erkran- 
kungen der  Placenta  können  die  Blutzufuhr  zu  dem  Fötus  beeinträchtigen 
und  dadurch  das  Absterben  desselben  bewirken.  Ebenso  können  auch  Miss- 
bildungen desselben  sein  vorzeitiges  Absterben  veranlassen.  Abnormitäten  der 
Eihüllen  kommen  hier  weniger  in  Betracht,  als  beim  Abort,  doch  möchte  die 
Bildung  sogenannter  amniotischer  Fäden,  durch  welche  derselbe  in  seiner 
Entwicklung  gehemmt  werden  kann,  und  anderweite  Verwachsungen  des  Fötus 
mit  dem  Amnion  Erwähnung  verdienen. 

Aber  auch  ohne  dass  das  Absterben  des  Fötus  veranlasst  wird,  können 
Abnormitäten  des  Eies  zur  Frühgeburt  führen,  so  besonders  übermässige 
Ausdehnung  des  Uterus  durch  Hydramnios  oder  durch  mehrfache  Früchte, 
welche  Ueberausdehnung  vorzeitige  Contractionen  veranlasst.  Aehnlich  kann 
alles  wirken,  was  eine  normale  Ausdehnung  des  Uterus  behindert,  wie  Rigidität 
desselben  von  Haus  aus  oder  durch  Narbenbildung,  Missbildungen  des  Uterus, 
Geschwulstbildungen  in  der  Wand  desselben  oder  von  aussen  den  Icterus  be- 
engende Geschwülste  (Ovarialtumoren  u.  dgl.)  Prolapsus  des  schwangeren  Uterus. 
Von  Seiten  der  Placenta  sind  vorzugsweise  vorzeitige  Lösung  der  normal 
sitzenden  Placenta  und  vor  allem  Placenta  praevia  nicht  selten  Veranlassung 
der  Frühgeburt.  Die  vorzeitige  Lösung  der  normal  sitzenden  Placenta  kann 
direct,  plötzlich  durch  äussere  Gewaltthätigkeit  —  Stoss  oder  Fall  auf  den 
Unterleib,  Quetschung  desselben,  heftige  Anstrengung  der  Bauchpresse  —  her- 
beigeführt werden  oder,   was  wohl  häufiger  der  Fall,  allmälig  durch  Blutan- 


*)  Vergl.  auch  Artikel  „Naielschnuranonialien" 


280  FRÜHGEBURT. 

liäufung  zwischen  Placenta  und  Uteruswand  in  Folge  von  Gefässzerreissung, 
sei  es,  dass  diese  auch  durch  äussere  Gewalt  oder  durch  vorzeitige  Uterus- 
contractionen  oder  in  Folge  krankhafter  Beschaffenheit  der  Placenta  oder  der 
üteruswandungen  bedingt  wird.  In  seltenen  Fällen  tritt  nach  äusserer  Gewalt- 
thätigkeit  dadurch  Frühgeburt  ein,  dass  in  erster  Linie  die  Fruchtblase  springt, 
das  Wasser  abtiiesst,  wodurch  dann  allmälig  Wehen  erregt  werden.  Bei  Pla- 
centa praevia  ist  es  der  physiologische  Vorgang  der  allmäligen  Erweiterung 
des  unteren  Uterusabschnittes,  welcher  zur  Loszerrung  der  Placenta  führt. 
Während  die  vorzeitige  Loslösung  der  normal  sitzenden  Placenta  häufiger 
Fehlgeburt  als  Frühgeburt  veranlasst,  da,  je  jünger  die  Placenta,  die  Utero- 
placentargefässe  umso  zarter,  die  Verbindung  zwischen  Uterusvvand  und  Pla- 
centa umso  leichter  zu  trennen  ist,  wird  Placenta  praevia  viel  eher  zur  Früh- 
geburt führen,  denn  die  normale  Ausdehnung  des  unteren  Uterusabschnittes 
findet  erst  in  den  letzten  Monaten  der  Schwangerschaft  statt.  Es  kann  aller- 
dings bei  Placenta  praevia  auch  schon  in  früheren  Schwangerschaftsmonaten 
Blutung  mit  nachfolgender  Wehenthätigkeit  eintreten,  es  ist  dies  aber  viel 
seltener,  als  nach  dem  7.  Monat, 

Von  Erkrankungen  der  Mutter  als  Ursache  der  Frühgeburt  ist  in 
erster  Linie  Eclampsie  und  Nierenentzündung  zu  nennen.  Diese  machen 
ihren  Einfluss  auf  Erregung  der  Wehenthätigkeit  meist  erst  in  den  späteren 
Monaten  der  Schwangerschaft  geltend.  Sodann  veranlassen  alle  mit  Circu- 
iationsstörungen  verbundene  Krankheiten,  wie  Herz-,  Lungen-,  Leberleiden 
u.  s.  w.,  ebenso  wie  den  arteriellen  Druck  steigernde  Affectionen,  als  heftiges 
Fieber,  Entzündungen  des  Uterus  und  seiner  Nachbarorgane,  acute  Infections- 
krankheiten  leicht  Frühgeburt.  Bei  letzteren  kann  der  Fötus  selbst  ergriffen 
werden,  wde  oben  angegeben,  und  sein  dadurch  bewirktes  Absterben  die  Früh- 
geburt bedingen,  oder  es  wird  durch  die  Erkrankung  an  und  für  sich  die 
Wehenthätigkeit  erregt  und  dadurch,  oft  bei  unversehrtem  Fötus,  die  Früh- 
geburt herbeigeführt.  Die  vorzeitige  Erregung  der  Wehenthätigkeit  kann 
auch  durch  Erschütterungen,  heftige  Gemüthsbewegungen,  besonders  bei 
grosser  allgemeiner  Erregbarkeit,  durch  ungleichmässiges  Wachsthum  bei 
Texturerlvrankungen  u.  dgl.  mehr  hervorgerufen  werden.  Schliesslich  möchte 
noch  zu  erwähnen  sein,  dass  bei  Frauen,  welche  einmal  Frühgeburt  über- 
standen haben,  nicht  selten  auch  in  den  folgenden  Schw^angerschaften  zu  der- 
selben Zeit  Frühgeburt  eintritt  (ähnlich  w^ie  bei  dem  habituellen  Abort),  jedoch 
w^ohl  nur  dann,  wenn  die  die  erste  Frühgeburt  bedingenden  Ursachen  noch 
unverändert  fortbestehen,  wie  Dyskrasieen  und  andere  obengenannte  All- 
gemeinleiden der  Mutter,  sowie  Textur-  und  Formfehler  des  Uterus  u.  dgl. 
Dass,  wie  der  Laie  vielfach  glaubt,  durch  eine  einmal  dagewesene  Frühgeburt 
an  und  für  sich  jetzt  die  Neigung  zu  späteren  entwickelt  werde,  ist  irrthümlich. 
Wiederholt  sich  die  Frühgeburt,  so  liegt  das  in  dem  Fortbestehen  der  ersten 
Ursache. 

Symptome  und  Verlauf.  Wie  eine  jede  Geburt  charakterisirt  sich 
auch  die  Frühgeburt  durch  das  Auftreten  von  Wehen  und  die  allmälige  Auf- 
lockerung und  Erweiterung  des  Muttermundes  und  zwar  gleicht  der  Verlauf  de- 
Frühgeburt an  und  für  sich  umsomehr  dem  der  normalen  Geburt,  je  weiter 
die  Schwangerschaft  vorgerückt  ist.  Je  nach  den  Ursachen  aber,  welche  dir 
Frühgeburt  veranlassen,  können  Modificationen  in  diesem  Verlaufe  sich  ere 
geben.  Ln  allgemeinen  gilt,  dass  die  Frucht,  da  sie  so  viel  kleiner  ist,  als 
eine  reife,  umso  leichter  durch  die  Geburtswege  hindurchgehen  wird,  damit 
also  die  Geburt  einen  rascheren  Verlauf  haben  müsste,  Avas  aber  oft  dadurch 
ausgeglichen  wird,  dass  der  Uterus,  w^eil  er  die  dem  normalen  Ende  der 
Schwangerschaft  zukommende  Ausbildung  noch  nicht  erlangt  hat,  eine  un- 
genügendere Thätigkeit  entwickelt,  also  der  Gebur tsverlauf  schon  dadurch  ein 
zögernder  ist,  abgesehen  davon,  dass  härufig  gerade  durch  die  die  Frühgeburt 


FRÜHGEBURT.  281 

Yeranlassenden  Momente  der  Uterus  in  seiner  Thätigkeit  alterirt  wird.  Des- 
halb beobachten  wir  häufig  einen  zögernden,  langsamen  Verlauf,  träge,  un- 
regelmässige, dabei  oft  recht  schmerzhafte  Wehen.  Wie  der  Verlauf  der 
Geburt  des  Kindes  selbst,  ist  auch  oft  die  Nachgeburtsperiode  eine  ausser- 
ordentlich zögernde.  Dem  gegenüber  kommt  es  mitunter  zu  einem  stürmischen, 
überhasteten  Verlaufe  und  dies  besonders  bei  Frühgeburt  in  Folge  äusserer 
Insulte,  heftiger  Gemüthsbewegungen  u.  dgl.  In  einer  grossen  Anzahl  von 
Fällen  ist  der  Blutabgang  bei  Frühgeburt  kein  anderer,  als  wie  bei  Normal- 
geburten, bei  Frühgeburt  in  Folge  vorzeitigen  A])sterbens  der  Frucht  sogar 
oft  ein  ausserordentlich  geringer,  da  die  physiologische  Hyperämie  des  Uterus, 
vorzüglich  der  Placentarstelle  schon  vor  Eintritt  der  Geburt  aufgehört  hat. 
Ist  dagegen  die  Frühgeburt  Folge  einer  äusseren  Gewaltthätigkeit  mit  vor- 
zeitiger Lösung  der  Placenta,  dann  kann  man  sich  meist  auf  eine  stärkere 
Blutung  bei  und  nach  der  Geburt  gefasst  machen.  Mitunter  folgt  hier  dem 
äusseren  Insult  zuerst  unmittelbar  eine  mehr-minder  starke  Blutung,  dann 
kommen  erst  nach  einiger  Zeit  Wehen  und  ist  dann  der  weitere  Verlauf  wie 
hei  einer  normalen  Geburt  oder  von  abermaligen  wiederholten  Blutungen  be- 
gleitet. Enorm,  oft  lebensgefährlich  sind  die  Blutungen  bei  Frühgeburt  durch 
Placenta  praevia  und  gerade  hier  ist  oft  auch  eine  Blutung  die  erste  wahrnehm- 
hare  Erscheinung,  welche  auf  das  drohende  Ereignis  aufmerksam  macht,  an 
Stärke  aber  meist  übertroffen  wird  von  den  sich  wiederholenden  Blutungen  wäh- 
rend der  Geburt  und  besonders  in  der  Nachgeburtsperiode. 

Die  Fruchtblase  verhält  sich  im  Allgemeinen  wie  bei  der  Normal- 
geburt, doch  kommt  es  verhältnismässig  häufiger  vor,  dass  die  Blase  gar  nicht 
springt,  das  ganze  Ei  uneröffnet  geboren  wird.  Das  beobachtet  man  besonders 
bei  abgestorbenen,  noch  sehr  kleinen  Früchten.  Diese  können  dann  in  den 
verschiedensten  Haltungen,  Stellungen  und  Lagen,  oft  zu  einem  Knäuel  zu- 
sammengeballt geboren  werden.  Davon  abgesehen  sind  bei  Frühgeburten 
fehlerhafte  Kindeslagen  verhältnismässig  häufig  und  zwar  besonders 
Unterendslagen.  So  rechnen  Spiegelbeeg  und  Hegar  bei  allen  Geburten 
zusammengenommen  l*59"/o  Beckenendlagen,  bei  Frühgeburten  allein  aber 
22-4%.  Andere  geben  das  Verhältnis  wie  1*7  zu  17-07o  und  ebenso  Quer- 
lagen bei  allen  Geburten  0-4  bis  0'7%,  bei  Frühgeburten  ö^/o- 

Aussergewöhnliche  Vorboten  pflegen  besonders  in  den  Fällen  von  vor- 
zeitigem Absterben  des  Fötus  als  Ursache  der  Frühgeburt  voranzugehen.  Die 
Frauen  klagen  über  allgemeines  Unbehagen,  Verstimmtsein,  Frösteln,  Fieber- 
regungen, Gefühl  von  Kälte  im  Unterleib,  oft  starkes  Drängen  nach  unten, 
Aufhören  der  Kindsbewegungen,  Gefühl  eines  fremden,  bei  Lageveränderung 
der  Mutter  hin  und  her  fallenden  Körpers  im  Unterleib,  Welkwerden  der 
vorher  starken  Brüste,  Magen-  und  Verdauungsbeschwerden  u.  s.  w.  Sind 
vorzeitige  Uteruscontractionen  und  die  dadurch  bewirkte  vorzeitige  Lösung 
der  Placenta  die  Ursache  der  Frühgeburt,  dann  sind  es  eben  diese  Contrac- 
tionen,  oft  nur  ein  zeitweilig  sich  wiederholendes  dumpfes  Gefühl  im  Leib 
und  besonders  Druck  im  Kreuze,  welche  sich  als  Vorboten  beraerklich  machen, 
hei  der  vorzeitigen  Lösung  der  Placenta  auch  zeitweilige  Blutungen,  letzteres 
ganz  besonders  bei  Placenta  praevia.  Ist  die  Frühgeburt  eine  Folge  von  fieber- 
haften Krankheiten,  von  Entzündungen  und  besonders  von  acuten  Infections- 
krankheiten,  dann  werden  oft  die  eigentlichen  Vorboten  durch  die  Erscheinungen 
der  ursprünglichen  Krankheit  verdeckt.  Bei  heftig  einwirkenden  äusseren, 
die  Frühgeburt  plötzlich  oder  doch  sehr  rasch  veranlassenden  Ursachen  fehlen 
natürlich  die  Vorboten. 

Die  Frühgeburt  ist  kein  seltenes  Ereignis,  wenn  auch  bei  weitem  we- 
niger häufig,  als  Abort  und  Fehlgeburt.  Je  weiter  die  Schwangerschaft  vor- 
gerückt ist,  desto  mehr  vermindert  sich  die  Neigung  zu  einer  vorzeitigen 
Unterbrechung   derselben.    So  zählte  Whitehead   bei   602  Fällen  von  vor- 


282  FRÜHGEBURT. 

zeitiger  Scliwangerscliaftsunterbrechung  457  im  2.  und  4.  und  nur  83  im  7. 
und  8.  Monate.  Vielfach  wird  angenommen  und  angegeben,  dass  im  7.  Monat 
die  Disposition  wieder  eine  grössere  sei,  als  in  den  unmittelbar  vorhergehenden 
Monaten  und  scheint  auch  die  WniTEHEAD'sche  Tabelle  dafür  zu  sprechen,  da 
auf  30  Fälle  im  5.,  und  32  im  6.  Monat,  55  im  7.  Monat  kommen.  Es  ist 
aber  doch  zweifelhaft,  ob  dies  im  allgemeinen  zutrifft. 

Die  Diagnose  der  Frühgeburt  stützt  sich  auf  die  Erkenntnis  der 
wirklich  vorhandenen  Schwangerschaft  und  der  genauen  Bestimmung  der  Zeit 
derselben  einerseits  und  andererseits  auf  den  Nachweis  unzweifelhaft  einge- 
tretener Wehenthätigkeit  mit  der  dadurch  bewirkten  allmäligen  Erweiterung 
des  Muttermundes  und  Cervicalcanales.  Es  ist  die  Diagnose  meist  nicht  schwer 
zu  stellen. 

Die  Prognose  scheidet  sich  in  die  für  die  Mutter  und  die  für  das 
E.ind.  Für  die  Mutter  ist  dieselbe  im  allgemeinen  günstig  zu  stellen  und 
richtet  sich  im  wesentlichen  nach  den  die  Frühgeburt  bewirkenden  Ursachen. 
An  und  für  sich  ist  die  Frühgeburt  für  die  Mutter  nicht  ungünstiger  als  eine 
normale  Geburt,  durch  den  Geburtsact  selbst  wird  dieselbe  nicht  mehr  an- 
gegriffen, als  durch  eine  rechtzeitige  Geburt,  und  dadurch,  dass  die  Frucht 
ihrer  geringen  Grösse  wegen  leichter  durch  die  Geburtswege  hindurchgeht, 
als  eine  reife,  selbst  noch  mehr  geschont.  Dadurch  aber,  dass  oft  der  Ver- 
lauf ein  sehr  zögernder  ist,  können  empfindliche,  schwächliche  Frauen  mehr 
angegriffen  werden,  als  sonst;  ebenso  sind  ungewöhnlich  starke  Blutungen 
mit  ihren  bekannten  Folgen  nicht  ganz  selten.  Zweifelhaft  ist  die  Prognose 
für  die  Mutter  bei  Frühgeburt  in  Folge  von  acuten  Infectionskrankheiten, 
fieberhaften  und  entzündlichen  Processen,  Morbus  Brigthii  und  Eclampsie,  sowie 
von  Placenta  prävia.  Es  liegt  hier  aber  das  Ungünstige  der  Prognose  nicht 
in  der  Frühgeburt  an  und  für  sich,  sondern  in  den  dieselbe  veranlassenden 
Ursachen  und  wirkt  oft  gerade  der  Eintritt,  beziehungsweise  die  Vollendung 
der  Frühgeburt  günstig  auf  den  weiteren  Verlauf  der  ursprünglichen  Krankheit. 
Aehnliches  gilt  auch  von  Frühgeburt  in  Folge  von  behinderter  Ausdehnungs- 
fähigkeit des  Uterus  (durch  Narben,  Geschwülste,  Formfehler  etc.),  oder  in 
Folge  von  Herz-  und  Lungen-  oder  sonstigen,  Dispnoe  verursachenden  Leiden. 

Für  das  Kind  ist  im  allgemeinen  die  Prognose  umso  günstiger,  je  weiter 
die  Schwangerschaft  zur  Zeit  der  Frühgeburt  vorgerückt  ist,  und  ist  es  ein 
Irrthum,  wie  oben  schon  angeführt,  dass  eine  siebenmonatliche  Frucht  leichter 
am  Leben  erhalten  bleibe,  als  eine  achtmonatliche.  Von  der  Schwangerschafts- 
zeit, in  welcher  die  Frühgeburt  eintritt,  abgesehen,  wird  die  Prognose,  wie 
auch  bei  der  Mutter,  wesentlich  durch  die  Ursachen  und  die  allenfälligen  be- 
gleitenden Umstände  influenzirt,  und  ergibt  sich  aus  der  Aetiologie  das  Nähere 
schon  von  selbst.  Zu  bemerken  wäre  nur  noch,  dass  bei  acuten  Infections- 
Ivrankheiten  als  Ursache  der  Frühgeburt  die  Prognose  für  das  Kind  günstiger 
ist,  wenn  die  Infection  sich  nur  auf  die  Mutter  beschränkt,  nicht  auf  das  Kind 
übergegangen  ist.  So  sind  genügende  Beispiele  bekannt  von  lebend  früh- 
geborenen Kindern  bei  Scharlach,  Masern,  Cholera  und  Typhus  der  Mutter. 
Der  Umstand,  dass  bei  Frühgeburt  fehlerhafte  Kindeslagen  verhältnismässig 
häufig  sind,  muss  auch  bei  der  Prognose  für  das  Kind  in  Rechnung  gezogen 
werden. 

Die  Behandlung  muss  in  erster  Linie  als  eine  prophylaktische, 
darauf  gerichtet  sein,  von  der  Schwangeren  alles  fern  zu  halten,  was  geeig- 
net wäre,  Frühgeburt  hervorzurufen,  und  gilt  dies  besonders  für  solche  Frauen, 
welche  bereits  schon  einmal  Frühgeburt  überstanden  haben.  Was  hierbei  zu 
thun  ist,  wird  abhängen  von  den  Ursachen  und  aus  der  Erkenntnis  und  Berück- 
sichtigung derselben,  sich  von  selbst  ergeben.  Am  dankbarsten  wird  diese 
Aufgabe  sein,  wenn  es  uns  gelingt,  etwaige  dyskrasische  Verhältnisse  und 
Anlagen  rechtzeitig   zu  beseitigen,    fehlerhafte  Lagen   und  Gestaltungen   der 


FRÜHGEBURT.  283, 

Gebärmutter  zu  corrigircn  u.  dergl.  Kommt  es  trotz  alledem  zur  Frühgeburt, 
dann  ist  die  Behandlung  derselben  für  die  Mutter  in  den  meisten  Fällen  die 
nämliche,  wie  bei  der  Normalgeburt,  d.  h.  eine  rein  exspectative,  nur  vor 
etwa  intercurrirenden  Schädlichkeiten  schützende,  abwartende,  der  Natur  ihren 
Lauf  lassende.  Der  Versuch  der  Sistirung  einer  Frühgeburt  wird  selten 
erfolgreich  sein,  am  ehesten  noch  werden  wir  etwas  ausrichten,  wenn  durch 
vorübergehend  eingewirkt  habende  äussere  Momente  vorzeitige  Contractionen 
und  Blutabgang  in  massigem  Grade  sich  einstellen.  Hier  kann  absolut  ruhiges 
Verhalten  in  Rückenlage  und  die  Anwendung  von  Opiaten  und  .Säuren  bei 
sehr  massiger  Diät  allenfalls  von  Nutzen  sein.  Eine  besondere  Aufmerksam- 
keit müssen  wir  den  die  Frühgeburt  zuweilen  begleitenden  Blutungen  schenken 
und  denselben  nach  den  für  Uterinblutungen  überhaupt  giltigen  Regeln  zu 
begegnen  suchen.  Am  schlimmsten  und  gefährlichsten  sind  solche  Blutungen 
bei  Placenta  prävia  und  sehen  wir  uns  hier  nach  fruchtloser  Anwendung  des 
Tampons  mitunter  genöthigt,  durch  künstliche  Entbindung  die  Frühgeburt 
zu  beschleunigen,  respective  zu  beenden.  Ebenso  wird  eine  vorsichtige» 
schonende  Beschleunigung,  beziehungsweise  künstliche  Beendigung  der  bereits 
im  Gange  befindlichen  Frühgeburt  am  Platze  sein  bei  hochgradiger  Dispnoe 
(aus  was  irgend  welcher  Ursache),  grosser  Schwäche,  drohendem  Collapsus, 
unter  Umständen  auch  bei  eclaraptischen  Anfällen.  Es  muss  aber  hier 
die  Beendigung  leicht  ausführbar  sein  und  ist  besonders  bei  eclamptischen 
Anfällen  je  nach  der  Beschaffenheit  des  Falles  zu  erwägen,  ob  nicht  durch 
den  Reiz  der  künstlichen  Entfernung  des  Kindes  die  Krampfanfälle  eher  ge- 
steigert werden. 

Anderweitige  Maassnahmen  erheischt  die  Frühgeburt,  so  weit  die  Mutter 
anlangt,  an  und  für  sich  nicht  und  ist  auch  die  Wochenbettsbehandlung  die- 
selbe, wie  bei  jeder  Geburt  am  rechtzeitigen  Ende  der  Schwangerschaft,  ab- 
gesehen von  besonderen  Zuständen,  die  in  dem  einzelnen  Falle  von  den  spe- 
ciellen  Ursachen  der  Frühgeburt  abhängen.  Natürlich  müssen  wir  auch  suchen, 
bei  der  Entbundenen  eine  etwaige  Disposition  für  spätere  Wiederholung  der 
Frühgeburt  zu  beseitigen  oder  nicht  auikommen  zu  lassen,  was  Sache  der 
Nachbehandlung  ist  und  hier  keiner  weiteren  Erörterung  bedarf. 

Dem  Kinde  müssen  wir  eine  ganz  besonders  sorgfältige  Pflege*)  an- 
gedeihen  lassen,  um  es  am  Leben  zu  erhalten  und  dies  umsomehr,  je  früher 
die  Geburt  erfolgt  ist.  Wie  schon  beim  reifen  Neugeborenen  die  eigene 
Wärmeentwicklung  nicht  intensiv  genug  ist,  um  den  mit  dem  Uebergang  aus 
dem  Mutterkörper  in  die  viel  kältere  äussere  Luft  durch  directe  Strahlung 
und  Verdunstung  entstehenden  Verlust  an  Eigenwärme  vollkommen  zu  ersetzen, 
so  tritt  bei  unreifen  Kindern,  bei  welchen  in  Folge  des  noch  schwachen 
Athmens  und  der  noch  sehr  reducirten  Muskelbewegungen  eine  nur  massige. 
Wärmeproduction  stattfindet,  dies  noch  viel  mehr  in  die  Erscheinung  und 
kommt  es  hier  dadurch  zu  einer  weit  unter  das  Minimum  der  sonst  als  nor- 
mal angesehenen  Wärme  gehenden  Erniedrigung  der  Temperatur.  Unsere 
erste  Sorge  muss  deshalb  sein,  das  Kind,  nachdem  es  in  einem  warmen  Bade 
(34 — 35''  C.)  gereinigt  worden  ist,  sofort  in  weichen  Flanell,  Wolle  oder,  wenn 
die  Haut  noch  sehr  zart,  unfertig  ist,  in  feine  Watte  einzuwickeln,  und  muss 
diese  Bekleidung  für  die  ersten  Wochen,  selbst  Monate  beibehalten  werden. 
Ausserdem  umgeben  wir  dasselbe  in  seinem  Bettchen  ringsherum,  nur  die 
Kopfgegend  frei  lassend,  ständig  mit  warmen  Krügen  in  geeigneter  Entfernung. 

Sehr  zweckmässig  ist  wohl  die  von  Credä  empfohlene  "Wärmewanne,  in  welcher  die 
Kinder  in  einer  möglichst  gleichmässig  temperirten  Atmosphäre  gehalten  werden  können. 
Dieselbe  besteht  aus  einer  kleinen,  ganz  ans  Kupfer  —  Zink  würde  ebensogut  zu  verwenden 
und  dabei  bedeutend  billiger  sein,  vielleicht  auch  Nickelblech  —  gearbeiteten  Kinderwanne 
mit   doppeltem  Boden  und   doppelten  Wänden,    der   Innenraum  oben  60  cm  lang,   38  cm 

*)  Vergl.  auch  Artikel  „Pßege  der  Neugeborenen.'^ 


284  GEBURTSGESCHWULST. 

breit,  xinten  55  zu  28  cm,  das  Kopfende  etwas  höher  als  das  Fussende.  Der  überall  ab- 
geschlossene Zwischenraum  zwischen  den  Wänden  und  Boden,  am  Kopfende  oben  mit  einer 
verschliessbaren  Eingussöffnung,  am  Fussende  mit  Abflusshahn  versehen,  so  dass  Füllung 
Tind  Entleerung  sehr  leicht  zu  bewerkstelligen  sind,  fasst  ungefähr  20  Liter  Flüssigkeit. 
Eine  etwa  alle  4  Stunden  vorgenommene  Füllung  dieses  Zwischenraumes  mit  50°  C.  warmem 
Wasser  ge  nügt,  nach  Crede,  um  im  inneren  Räume  der  Wanne  eine  Wärme  zu  erhalten,  die 
nicht  oder  nur  wenig  unter  32"  C.  herabsinkt.  Eine  Umhüllung  der  ganzen  Wanne  mit  einem 
schlechten  Wärmeleiter  wird  eine  Ausstrahlung  der  Wärme  nach  aussen  sehr  beschränken. 
In  den  Innenraum  wird  das  Kind  mit  seinen  Umhüllungen  eingebettet  und  nur  zum  An- 
legen an  die  Brust  herausgenommen,  nicht  aber  zu  einem  etwaigen  Füttern  mittelst  Löffel  oder 
Schnabelglas.  Selbst  das  Reinigen  des  Kindes  kann  in  dem  Apparat  vorgenommen  werden. 
Die  damit  gewonnenen  Resultate  in  Bezug  auf  Erhaltung  Frühgeborener,  überhaupt  lebens- 
schwacher Kinder  sind  sehr   günstige. 

Unsere  nächste  Sorge  ist  die  für  die  Ernährung.  Das  geeignetste, 
ja  man  kann  sagen  das  einzig  geeignete  dafür  ist  die  Muttermilch.  Leider 
ist  aber  bei  Frühgeburt  häufig  die  Entwicklung  der  Brüste  eine  noch  so 
mangelhafte,  dass  Tage  vergehen  können,  bis  eine  richtige,  genügende  Mil  ch- 
secretion  sich  einstellt,  eine  Pause,  welche  das  schwache  Kind  nicht  vertragen 
kann.  Es  muss  hier,  wenn  die  Mutter  aus  Milchmangel  oder  aus  sonst  was 
füi'  Gründen  nicht  selbst  stillen  kann,  alsbald  für  eine  Amme  gesorgt  wer- 
den und  zwar  für  eine  solche,  deren  Entbindungstermin  nicht  sehr  fern 
liegen  darf.  Ein  künstliches  Aufziehen  mit  Kuhmilch  oder  gar  anderen  Er- 
satzmitteln der  Muttermilch  wird  besonders  bei  sehr  schwächlichen  Frühge- 
borenen kaum  je  zum  Ziele  führen.  Am  ehesten  wäre  noch  ein  Versuch  mit 
Stuten-  oder  Eselinnen-Milch,  wenn  deren  Beschaffung  möglich,  zu  machen. 
Sehr  häufig  sind  die  Kinder  zu  schwach,  um  zu  saugen,  dann  muss  man 
ihnen  für  die  ersten  Tage  die  vorher  ausgezogene  Muttermilch  mit  einem 
Löffelchen  einflössen  oder  lässt  sie  ihnen  direct  aus  der  Brust  in  den  Mund 
einspritzen,  und  zwar  immer  nur  wenig  auf  einmal,  aber  häufiger,  mit 
kürzeren  Pausen,  als  sonst  bei  Neugeborenen.  Man  suche  sie  aber  möglichst 
bald  an  das  selbstthätige  Saugen  zu  bringen.  Für  die  ersten  zwei  bis  drei 
T  age,  bis  eine  Amme  beschafft  ist,  genügt  auch  etwas  stark  mit  Wasser  und 
etwas  Milchzucker  versetzte  Kuhmilch  —  in  der  Maternite  in  Paris  erhalten 
sie  Milch  von  Eselinnen,  als  der  Frauenmilch  am  nächsten  stehend  —  am 
besten  ist  aber  gleich  von  Anfang  an  Muttermilch.  Bei  grosser  Schwäche 
kann  man  versuchen,  einigemal  täglich  einige  Tropfen  mit  Wasser  verdünnten 
guten  Malaga-  oder  Tokajerwein  einzuflössen. 

Erfolgt  die  Darmausleerung  nicht  in  richtiger  Weise,  dann  sorge 
man  dafür  durch  lauwarme  Was serkly stiere,  vielleicht  mit  Zusatz  von  einigen 
Tropfen  Glycerin. 

Nur  die  pünktlichste  Sorgfalt  und  Pflege  kann  es  ermöglichen,  die 
Kinder  am  Leben  zu  erhalten.  Zu  empfehlen  ist  es,  dieselben  wenigstens 
zweimal  täglich  in  ein  w^armes  Bad  zu  bringen.  Die  früher  vielfach  em- 
pfohlenen Milch-  oder  Fleischbrüh-Bäder  oder  Zusätze  von  Heusamen  oder 
aromatischen  Kräutern  zum  Wasser  sind  zwecklos,  es  genügt  einfach  warmes 
Wasser.  Winckel  hat  mit  einem  von  ihm  ersonnenen  Apparat,  um  früh- 
geborene oder  lebensschwache  und  kranke  Kinder  tagelang  unausgesetzt  oder 
mit  nur  kurzen  Unterbrechungen  im  warmen  Wasserbade  zu  erhalten,  einige 
recht  günstige  Resultate  erzielt,  es  ist  aber  der  Apparat  und  die  Anwendung 
desselben  zu  complicirt,  um  allgemein  Anwendung  finden  zu  können,  höchstens 
nur  in  Findelhäusern  oder  Krankenanstalten.  birnbaum. 

Geburtsgeschwulst,  l.  Die  KopfgescUvulst.  (Caput  succedaneum.)  Die 
Veränderungen,  welche  der  Kopf  während  des  Durchtrittes  durch  die  Geburts- 
wege in  der  Schädellage  erleidet,  betreffen  theil weise  die  Weich theile,  theilweise 
die  Form  des  knöchernen  Schädels.  Tritt  der  Kopf  langsam  durch  den  Geburts- 
canal,  so  bildet  sich  das  Caput  succedaneum  gewöhnlich  erst  nach  dem  Blasen- 
sprunge;  nur   aussergewöhnlich  selten  kann   eine   Durchfeuchtung  der  Kopf- 


GEBURTSGESCHWULST.  285 

hautgewebe  auch  vor  dem  Blasensprunge  erfolgen.  Wenn  sich  nacli  erfolg- 
tem Blasensprunge  der  untere  Gebärmutterahsclinitt  fest  an  den  Schädel  an- 
legt, so  bildet  sich  die  Anschwellung  in  jenem  Theile  der  Koptliaut,  der  sich 
im  Muttermund  befindet.  Bei  langsamem'  Durchtritt  des  Schädels  erleidet 
dieser  Veränderungen,  die  durch  die  Ver.schicbbarkeit  der  Knochen  und 
deren  lose  Verbindung  durch  Naht  bedingt  sind  und  sich  zuweilen  noch 
einige  Zeit  nach  der  Geburt  nachweisen  lassen. 

Bei  Schädellage  erscheint  das  Hinterhaupt  in  eine  Spitze  auslaufend, 
die  queren  Durchmesser  verkleinert,  der  grosse  schräge  Durchmesser  oft  er- 
heblich verlängert.  Bei  rasch  verlaufender  Geburt  bildet  sich  keine  Kopf- 
gesqhwulst,  und  es  tritt  auch  keine  Gestaltsveränderung  des  knöchernen 
Schädels  ein. 

Betrachten  wir  den  Kopf  eines  in  erster  Schädellage  geborenen 
Kindes,  so  finden  wir  auf  dem  rechten  Scheitelbein,  und  zwar  auf  dessen 
hinterer  und  oberer  Partie  und  auf  der  rechten  Hälfte  des  Hinterhauptes  das 
Caput  succedaneum.  Ausserdem  sind  die  Kopfknochen  gewöhnlich  derart  ver- 
schoben, dass  das  rechte  Scheitelbein  über  das  linke,  das  linke  Stirnbein  über 
das  rechte,  beide  unter  die  Scheitelbeine,  das  Hinterhauptsbein  unter  die 
Scheitelbeine  geschoben  erscheinen.  Da  der  Beckeneingang  mit  dem  Horizonte 
einen  ziemlich  spitzen  Winkel  bildet,  und  die  Längsaxe  des  Uterus  fast  senk- 
recht auf  der  Beckeneingangsebene  steht,  so  folgt  daraus,  dass  alle  der  vor- 
deren Seite  des  Kindes  entsprechenden  Theile  tiefer  als  die  der  nach  hinten 
gewendeten  Seite  liegen  müssen.  Durch  die  Bauchpresse,  welche  den  von  dem 
Ligam.  rotund.  nach  vorn  dirigirten  Uterusgrund  stärker  nach  hinten  drängt 
als  die  tieferen  Partien  der  Gebärmutter,  wird  die  Wirbelsäule  der  Frucht 
nach  der  vorderen  Uteruswand  zu  convex.  So  entsteht  eine  Neigung  des 
Kopfes  gegen  die  hintere  Schulter,  ein  nach  Vorneschieben  der  Schädelbasis 
und  eine  Neigung  des  queren  Kopfdurchmessers  gegen  die  Eingangsebene,  so 
dass  die  Pfeilnaht  etwas  mehr  nach  hinten  geht.  Für  gewöhnlich  fällt  die 
Axe  des  Uterus  mit  der  der  Beckeneingangsebene  zusammen  und  zu  dieser 
stehen  bei  normalen  Hindernissen  beide  Scheitelbeine  gleich  hoch.  Zur  hori- 
zontalen Ebene  tritt  zumeist  der  Schädel  mit  beiden  Scheitelbeinen  nicht  gleich 
tief  ein,  sondern  das  nach  vorn  gewendete  muss  das  tiefer  gelegene  sein,  und 
so  bildet  sich  auf  ihm,  wie  immer  auf  allen  nach  vorn  gewendeten,  zuerst  den 
Geburtscanal  passirenden  Kindeskopftheilen  die  Kopfgeschwulst.  Dies  ist  so 
constant,  dass  wir  aus  dem  Sitze  derselben  noch  an  der  Leiche  angeben 
können,  in  welcher  Lage  die  Frucht  geboren  wurde.  In  Ausnahmsfällen  kommt 
es  vor,  dass  die  Kopfgeschwulst  über  beide  Scheitelbeine  verbreitet  ist.  Das 
ereignet  sich,  wemi.  der  Kopf  noch  längere  Zeit  in  den  äusseren  Genitalien 
stecken  blieb,  oder  wenn  das  Kind  durch  die  zurückleitende  hintere  Commissur 
abgestreift  wurde.  Bei  Sectionen  kann  man  den  eigentlichen  Sitz  der  Kopf- 
geschwulst durch  die  Höhe  der  Exsudation  von  jenen  unbedeutenden  Ein- 
klemmungen, leicht  unterscheiden.  Es  ist  aber  für  die  gerichtliche  Medicin 
von  Bedeutung,  hervorzuheben,  dass  auch  in  Fällen,  wo  die  Geburt  nicht 
schwierig  war,  neben  der,  der  stattgehabten  Kindeslage  entsprechenden  serös- 
sanguinulenten  Infiltration,  auch  auf  dem  anderen  Scheitel,  ferner  auf  dem 
Hinterhauptbein  und  Stirnbein  fast  constant  Stecknadelkopf-  bis  erbsengi'osse 
Blutergüsse  auf  dem  Pericranium  unter  der  Galea  sich  befinden.  Durch  die 
Geburt  in  erster  Schädellage  finden  wir  gewöhnlich  die  Kopiknochen  auch  sa 
verschoben,  dass  das  rechte  Scheitelbein  mehr  nach  hinten  ragt  als  das  linke 
und  daher  sein  Tuber  parietale  dem  des  anderen  Scheitelbeines  nicht  gegen- 
über steht.  Diese  Verschiebung  ist  die  Folge  des  starken  Druckes,  dem  die 
nach  hinten  gewendete  Schädelseite  am  Kreuzbein  ausgesetzt  ist,  und  erfolgt 
daher   nur   bei  Tiefstand    des   Hinterhauptes.    Die   nach   hinten   gewendete 


286  GEBÜRTSGESCHWULST. 

Schädelseite  ist  mm  natürlicli  auch  abgeflacht,  die  nach  vorn  gewendete 
melir  vorgewölbt. 

Bei  Schädellage  zweiter  Stellung  steht  bei  der  inneren  Unter- 
snchung  die  kleine  Fontanelle  nach  rechts  und  manchesmal  im  Anfang  mehr 
nach  hinten,  die  grosse  Fontanelle  öfter  höher  und  mehr  nach  links  vorne, 
mithin  der  kleine  diagonale  Kopfdurchmesser  dem  ersten  schrägen  Durch- 
messer entsprechend;  das  linke  Scheitelbein  ist  nach  links  vorne  gewendet, 
steht  tiefer  und  liegt  vor.  Es  bildet  sich  daher  die  Kopfgeschwulst  auf  dem 
hinteren  oberen  Drittheil  des  Scheitelbeines.  Das  Auftreten  einer  bedeutenden 
Kopfgeschwulst  ist  immer  ein  wichtiges  Symptom,  welches  darauf  hindeutet, 
dass  das  Missverhältnis  zwischen  Kopf  und  Becken  die  Grenzen  nicht  über- 
schreitet, bei  denen  ein  Durchtreten  des  Kopfes  noch  möglich  ist.  Bei  hoch- 
gradiger Beckenverengerung  kommt  es  nicht  zur  Bildung  einer  Kopfgeschwulst, 
WT.il  der  Kopf  über  dem  Eingange  zu  beweglich  ist,  daher  die  Bedingungen 
zur  Entstehung  des  Caput  succedaneum  mangeln.  Hat  sich  aber  einmal  bei 
Einstellung  im  ßeckeneingange  eine  Kopfgeschwulst  gebildet,  dann  wird  durch 
sie  der  Kopf  festgehalten  und  sein  Durchtreten  befördert. 

Die  Grösse,  sowie  die  Gestalt  des  Kopfes  wird  durch  die  Ver- 
schiebung der  Kopfknochen  wesentlich  verändert.  Beim  platten  Becken,  bei 
dem  der  Kopf  mit  seinem  queren  Durchmesser  durch  den  verengten  geraden 
Beckendurchmesser  tritt,  wird  das  eine  Scheitelbein  über  das  andere  geschoben 
(in  der  Regel  das  nach  hinten  gelegene  unter  das  vordere).  Beim  gleichmässig 
verengten  Becken  treten  die  Scheitelbeine  über  die  Stirnbeine  und  das  Hinter- 
hauptsbein, das  nach  vorne  liegende  Scheitelbein  über  das  andere  hinüber. 
Bei  grösserem  Missverhältnisse  tritt  bei  erster  Schädelstellung  die  rechte  Seite 
der  Kranznaht  und  der  Hinterhauptsnaht  über  das  rechte  Scheitelbein  hin- 
über, die  linke  Seite  beider  Nähte  aber  unter  das  linke  Seitenwandbein,  so 
wird  Stirn  und  Hinterhaupt  nach  der  einen  Seite  verschoben  und  der  Kopf 
erscheint,  von  oben  gesehen,  sehr  schräg  verschoben.  Die  Kopfknochen  erleiden 
Verbiegungen  und  sind  entweder  abgeflacht  oder  mehr  als  natürlich  verbogen. 
Beim  platten  Becken  wird  die  nach  hinten  gelagerte  Kopfseite,  besonders  das  Schei- 
telbein mehr  abgeflacht,  das  nach  vorn  gelegene  aber  stark  gebogen.  Beim  gleich- 
mässig verengten  Becken  werden  die  Scheitelbeine  und  Stirnbeine  abgeflacht 
und  dadurch  der  ganze  Kopf  verlängert.  Beim  allgemein  ungleichmässig  ver- 
engten Becken,  bei  welehem  das  hinter  der  Schamfuge  gelegene  Scheitelbein 
tiefer  herabtritt,   wird  auch   eine  rinnenförmige  Knochenverbiegung  getroffen. 

2.  Die  Gesichtsgeschwulst.  Bei  Gesichtslagen  ist  die  normale  Haltung 
des  Kopfes  und  Halses  zum  Rumpfe  so  geändert,  dass  das  Gesicht  weit  von 
der  Brust  entfernt,  der  Hals  nach  vorn  convex,  das  Gesicht  der  im  Uterus  am 
tiefsten  gelegene  Theil  ist.  Bei  der  äusseren  Untersuchung  findet  mau  den 
Rücken  schräg  verlaufend  und  von  oben  einerseits,  nach  unten  andererseits, 
die  kleineren  Theile  sind  der  Uteruswand  eng  angepresst.  Zuerst  tritt  durch 
eine  Drehung  um  den  queren  Durchmesser  des  Gesichtes  das  Kinn  tiefer  herab, 
das  Gesicht  wird  fühlbarer;  sodann  dreht  sich  der  Kopf  um  seinen  grossen 
schrägen  Durchmesser,  das  Kinn  kommt  von  rechts  nach  vorne  und  tritt  unter 
den  rechten  Schambogenschenkel;  hieran  schliesst  sich  eine  zweite  Drehung 
um  den  queren  Gesichtsdurchmesser,  wodurch  das  Kinn  vor  dem  Schambogen 
hinauf,  die  Stirne  herab  und  über  den  Damm  geschoben,  also  das  Kinn  der 
Brust  genähert  wird.  Die  Gesichtsgeschwulst  finden  wir  auf  der  rechten 
Gesichtshälfte  (bei  Gesichtslage  1.  Position),  Stirne,  Auge  und  Mundwinkel 
sind  bläulichroth,  häufig  mit  Blasen  bedeckt  und  stark  geschwollen.  Bei 
Gesichtslage  zweiter  Position  ist  die  Sache  natürlich  umgekehrt  bezüglich  der 
Lage  der  Geschwulst.''^)  e.  v.  braun-feenwald. 


*)  Ueber  das  ,J\eph(dhaematoni^',  siehe  dieses  Stichwort. 


GESICHTSLAGEN.  287 

Gesichtslagen.  Unter  den  Deflexionslagen  kommen  neben  den  Yor- 
derscheitellagen  am  häufigsten  die  Gesichtslagen  vor.  Wir  spreclien  von  einer 
Gesichtslage  dann,  wenn  den  tiefsten  Theil  des  den  Beckencanal  passierenden 
Fruchtkörpers  das  Gesicht  bildet,  wobei  das  Kinn  den  am  tiefsten  stehenden  Punkt 
markirt;  eine  solche  Gesichtslage  kann  daher  nur  entstehen  durch  eine  Streckung 
des  Halses,  wobei  entgegen  der  normalen  Haltung  der  Frucht  das  Kinn  von  der 
Brust  sich  entfernt,  während  das  Hinterhaupt  sich  dem  Rücken  nähert.  Da 
wir  während  der  Schwangerschaft  nur  ganz  ausnahmsweise  einmal  in  die  Lage 
kommen,  am  vorliegenden  Fruchttheile  Gesichtstheile  zu  fühlen  und  somit  die 
Diagnose  auf  Gesichtslage  zu  stellen,  so  müssen  wir  uns  vorstellen,  dass  die 
Gesichtslage  in  der  Regel  erst  zustande  kommt  im  Beginne  oder  während 
der  Geburtsthätigkeit  unter  der  Mitwirkung  einer  Reihe  von  Factoren. 

Entsprechend  dem,  dass  man  sich  zur  Erklärung  des  Mechanis- 
mus vorstellte,  die  normale  Flexionshaltung  des  kindlichen  Halses,  die  zur 
normalen  Schädellage  führt,  sei  die  Folge  des  Umstandes,  dass  die  Wir- 
belsäule am  kindlichen  Schädel  sich  extramedian  ansetze  und  somit  die 
durch  die  Wirbelsäule  und  den  fronto-occipitalen  Durchmesser  des  Schädels 
gelegte  Linie  an  der  letzteren  einen  zweiarmigen  ungleicharmigen  Hebel 
darstelle,  dessen  kürzerer  Hebelarm  vom  Hinterhaupttheile  des  Schädels 
gebildet  wird,  so  dass  bei  der  Einwirkung  der  treibenden  Kräfte  die  von 
Seite  der  knöchernen  Geburtswege  ausgeübten  Widerstände  an  dem  längeren 
Hebelarme  zu  stärkerer  Wirkung  gelangen  als  am  kürzeren  Hebelarme  und 
somit  der  letztere  (Hinterhaupt)  vorausrücke,  während  der  grössere  Hebel 
(Gesichtsantheil)  zurückbleibe,  nahm  man  an,  dass  in  solchen  Fällen,  wo 
ausnahmsweise  der  Gesichtsantheil  voranging,  während  der  Hinterhaupts- 
antheil  zurückblieb  (Gesichtslage),  der  grössere  Hebelarm  auf  den  Hinter- 
hauptschädel entfalle,  es  müsse  sich  daher  in  solchen  Fällen  um  eine  viel 
stärkere  Ausbildung  des  kindlichen  Hinterhauptes  handeln,  mit  einem  Worte, 
der  kindliche  Schädel  wäre  dolichocephal  gestaltet  und  diese  Dolichocephalie 
sei  die  Ursache  für  die  Deflexion  des  Halses,  somit  für  Einstellung  des 
Kopfes  in  Gesichtslage.  Diese  Annahme  wird  scheinbar  bestätigt,  wenn 
man  die  in  Gesichtslage  geborenen  Kinder  näher  besichtigt;  der  Hinter- 
hauptsantheil  ist  ausserordentlich  in  die  Länge  gestreckt  und  das  Kind  hält 
auch  nach  der  Geburt  noch  eine  wenn  auch  kurze  Zeit  die  Deflexions- 
stellung  des  Halses  bei,  wobei  das  Hinterhaupt  nach  hinten  zurückfällt, 
aber  in  der  Regel  zeigt  der  kindliche  Schädel  schon  in  wenigen  Tagen 
eine  ganz  andere,  seine  normale  Form,  so  dass  wir  in  solchen  Fällen  ge- 
zwungen werden,  diese  Veränderungen  als  Folge  der  Configuration  des  kind- 
lichen Schädels  bedingt  durch  den  eigenthümlichen  Geburtsmechanismus  bei 
der  Gesichtslage  zu  betrachten.  Wir  müssen  daher  andere  Erklärungsgründe 
jür  die  Entstehung  der  Gesichtslage  suchen.  Wir  finden  sie  in  einer  ganzen 
Reihe  von  Momenten,  welche  entweder  allein  für  sich  vorkommen  oder  in 
mannigfacher  Combination  vorhanden,  die  Deflexion  des  Halses  entstehen 
lassen. 

Als  ein  ausserordentlich  wichtiges  prädisponirendes  Moment  ist  nun 
zunächst  das  enge  Becken  zu  bezeichnen  und  zwar  vornehmlich  das  platt  ver- 
engte Becken,  entsprechend  dem,  dass  der  biparietale  Durchmesser  eine  Länge 
von  9*25  ctn  hat  und  sich  in  den  geraden  Durchmesser  des  Beckeneinganges 
normaler  Weise  einstellt,  in  solchen  Fällen  aber,  wo  dieser  gerade  Durch- 
messer in  einer  Weise  verengt  ist,  dass  der  biparietale  Durchmesser  ein  Hin- 
dernis findet,  der  Schädel  mit  den  beiden  Tubera  parietalia  an  Symphyse  und 
Promontorium  sich  anstemmt,  so  dass  insbesondere,  wenn  es  sich  um  einen 
harten  Schädel  handelt,  der  eine  Compression  im  Sinne  des  queren  Durch- 
messers nur  in  geringem  Grade  zulässt,  unter  der  Einwirkung  der  treibenden 
Kraft   des  Uterus   der   schmälere  Theil   des  Schädels  (Gesichtsantheil)   sich 


288  GESICHTSLAGEN. 

iierabdräiigen  und  nunmehr  der  Schädel  wie  ein  Keil  durchtreten  wird,  dessen 
schmälerer  Theil  vorausgeht  und  zwar  nach  dem  Princip  der  Mechanik  in 
günstiger  Weise.  Bei  platt  verengtem  Becken  tritt  demgemäss  der  Gesichts- 
antheil  als  der  schmälere  Antheil  durch,  wenn  die  Härte  und  Grösse  des 
Ilinterhauptantheiles  des  Schädels  den  Eintritt  in  den  im  geraden  Durch- 
messer verengten  Becken  hindert. 

In  gleicher  Weise  finden  wir  das  Zustandekommen  der  Gesichtslage 
prädisponirt  in  solchen  Fällen,  wo  die  normale  Flexionshaltung  des  Halses 
verhindert  wird  durch  Tumorenbildung  am  kindlichen  Halse,  als  da  sind  angebo- 
rene Strumen,  Lymphangiome  etc.  Bei  solchen  Tumoren  in  mehr  oder  weniger 
starker  Ausbildung  wird  der  Hals  von  vornherein  in  einer  Art  Mittelstellung 
oder  in  einem  geringen  Grad  der  Streckung  sich  im  Beckeneingang  reprä- 
sentiren  und  unter  Einwirkung  der  bei  der  Geburt  mitwirkenden  Factoren 
wird  demgemäss  die  Streckung  des  Halses  viel  leichter  zustande  kommen  als 
die  normale  Flexionsstellung.  Des  Ferneren  kann  die  Gesichtslage  zustande 
kommen  bei  Schieflage  des  Uterus,  wenn  in  dem  Momente,  wo  die  fixirenden 
Contractionen  des  Uterus  auftreten,  der  kindliche  Schädel  mit  seinem  grösseren 
Antheil  gegen  einen  Darmbeinteller  abgewichen  ist  und  auf  demselben  auf- 
ruht, so  dass  in  dem  Momente  der  Contraction  des  Uterus  statt  der  nor- 
malen Beugung  der  Wirbelsäule  eine  lordotische  Krümmung  zustande  kommt, 
sich  das  Gesicht  gegen  den  Beckeneingang  herabsenkt  und  in  demselben 
bald  fixirt  wird,  insbesondere  dann,  wenn  eventuell  gleichzeitig  ein  vorzeitiger 
Blasensprung  erfolgt  ist.  Weiterhin  sehen  wir  Gesichtslagen  in  der  Regel 
sich  entwickeln  in  solchen  Fällen  von  Missbildungen,  wo  das  Schädeldach 
nicht  zur  Ausbildung  gekommen  ist,  also  bei  Hemikephalie  und  bei  Anen- 
kephalie. 

Die  Diagnose  der  Gesichtslage  ist  nicht  schwer,  schon  durch  die 
äussere  Untersuchung  ist  sie  als  Deflexionslage  sofort  zu  erkennen,  entsprechend 
dem  Umstände,  dass  wir  bei  der  Deflexionslage  die  kindlichen  Herztöne  nicht 
wie  normal  an  der  Rückenfiäche,  sondern  an  der  Bauchfläche  der  Frucht 
finden.  Bei  Schädellagen  und  Beckenendlagen  hören  wir  die  kindlichen  Herz- 
töne immer  dort,  wo  der  Rücken  der  Frucht  am  nächsten  zur  Uteruswandung 
liegt,  da  die  normale  Haltung  der  Frucht  an  der  Brustfläche  derselben  eine 
Reihe  von  Nischen  und  Buchten  zustande  kommen  lässt,  in  welchen  sich  die 
Hauptmenge  des  Fruchtwassers  ansammelt,  während  die  breite,  glatte  Fläche 
des  Rückens  sich  der  Uteruswandung  ziemlich  innig  anlegt  und  somit  gut 
schallleitende  Medien  zwischen  dem  pulsirenden  Herzen  und  dem  auscul- 
tirenden  Ohre  an  dieser  Stelle  sich  befinden;  bei  einer  eingetretenen  Streckung 
des  Halses,  welche  zugleich  auch  eine  lordotische  Krümmung  der  Wirbelsäule 
zur  Folge  hat,  entfernt  sich  der  Rücken  von  der  entsprechenden  Uteruswandung, 
es  nähert  sich  die  Brust  der  entgegengesetzten  Uteruswandung,  die  Haupt- 
menge des  Fruchtwassers  findet  sich  dort  angesammelt,  wo  das  Hinterhaupt 
dem  Rücken  genähert  ist  und  mit  demselben  eine  tiefe  Bucht  darstellt;  die 
Folge  dessen  ist,  dass  die  kindlichen  Herztöne  viel  deutlicher  dort  zu  hören 
sind,  wo  die  kindliche  Brust  der  Uteruswandung  anliegt,  also  bei  der  I.  Po- 
sition rechts,  bei  der  H.  Position  links.  Wir  erkennen  den  Umstand,  dass 
die  kindlichen  Herztöne  nunmehr  an  der  Brustfläche  und  nicht  an  der  Rücken- 
fläche gehört  werden,  daran,  dass  wir  an  derselben  Seite  auch  die  kindlichen 
Füsse  fühlen,  .wodurch  ja  festgestellt  ist,  dass  wir  mit  dem  auscultirenden 
Ohre  uns  an  der  Bauchseite  der  Frucht  befinden.  Ist  auf  diese  Weise  die 
Diagnose  der  Deflexionslage  festgestellt,  so  wird  bei  der  inneren  Untersuchung 
das  Fühlen  des  Orbitalrandes,  des  Nasensattels,  des  Nasenrückens,  der  Nasen- 
spitze, des  Mundes,  des  Alveolarrandes  und  schliesslich  des  Kinnes  die  Diagnose 
über  jeden  Zweifel  erheben.  Bei  der  Gesichtslage  soll  man  mit  dem  unter- 
suchenden Finger  doppelt  vorsichtig  sein,  um  nicht  zu, starke  Kratzeffecte  an 


GESICHTSLAGEN.  289 

den  Bulbis  und  an  den  Wangen  zu  machen;  man  soll  auch  trachten,  mit  dem 
Finger  nicht  zu  tief  in  die  Mundöfthung  einzudringen,  um  nicht  vorzeitige 
Athmungsbewegungen  der  Frucht  zu  erregen  oder  Verletzungen  an  der  Mund- 
und  Rachenschleimhaut  zu  setzen  und  auf  diese  Weise  lufectionsprocesse  zu 
begünstigen. 

Was  unser  Verhalten  bei  einer  Gesichtslage  anbelangt,  so  ist 
dasselbe  ein  ebenso  exspectatives  wie  bei  einer  jeden  anderen  Kopflage,  der 
Geburtsmechanismus  kommt  ja  unter  Einwirkung  derselben  Factoren  und  in 
ähnlicher  Weise  zustande;  das  durch  den  Beckencanal  hinunterrückende  Ge- 
sicht macht  die  normale  innere  Drehung  durch  in  der  Weise,  dass  das  Kinn 
nach  vorne  sich  dreht  und  unter  dem  Schambogen  in  der  Schamspalte  erscheint, 
entsprechend  dem  trägt  auch  die  vorliegende  Wange  die  Geburtsgeschwulst, 
in  welche  in  der  Regel  auch  die  Lippen  einbezogen  sind;  ist  das  Kinn 
unter  der  Symphyse  hervorgetreten,  so  dass  nunmehr  die  vordere  Wand 
der  Halswirbelsäule  am  Schambogenwinkel  liegt,  so  erfolgt  die  Austritts- 
bewegung in  der  Weise,  dass  unter  der  Ausführung  einer  Flexionsbewegung 
die  Stirne,  der  Scheitel  und  das  Hinterhaupt  zum  Durchschneiden  kommen 
und  somit  der  ganze  Schädel  erscheint.  Der  Durchmesser  nun,  in  welchem 
der  in  Gesichtslage  befindliche  Kopf  durchtritt,  ist  ein  wesentlich  grösserer  als 
bei  einer  normalen  Hinterhauptslage  oder  Vorderscheitellage,  wenn  auch  ein 
kürzerer  wie  bei  der  Stirnlage.  Denn  wenn  auch  innerhalb  des  Becken- 
raumes der  kindliche  Schädel  sich  nahezu  mit  dem  mento-occipitalen  Durch- 
messer in  den  queren  Durchmesser  des  Beckens  einstellt,  so  wird  beim  Austritt 
des  in  Gesichtslage  befindlichen  Kopfes  blos  der  Höhendurchmesser  des  Kopfes 
in  Frage  kommen,  ein  Durchmesser,  den  man  sich  von  der  unteren  Fläche  des 
Mundbodens  bis  zum  hinteren  Rand  der  grossen  Fontanelle  gezogen  denkt 
und  der  eine  Länge  von  IP/g  an  hat;  in  Folge  der  Vergrösserung  des  in 
Frage  kommenden  kindlichen  Durchmessers  aber  wird  der  Widerstand,  der  zu 
überwinden  ist,  wesentlich  grösser  sein  als  bei  den  Hinterhauptslagen,  wodurch 
es  bedingt  ist,  dass  einerseits  die  Geburt  viel  länger  dauert,  andererseits  die 
mütterlichen  Weichtheile  einer  viel  grösseren  Spannung  ausgesetzt  sind,  so- 
mit wesentlich  mehr  gefährdet  werden  und  schliesslich  auch  das  kindliche 
Leben  viel  mehr  bedroht  erscheint  als  unter  normalen  Umständen.  Nichts- 
destoweniger werden  wir  von  unserem  exspectativen  Verfahren  nur  dann  ab- 
weichen, wenn  irgend  eine  Indication  von  Seite  der  Mutter  oder  des  Kindes 
uns  zwingt,  die  Geburt  zu  beendigen,  sei  es  durch  Episiotomie  am  Damme, 
sei  es  durch  Anlegen  der  Zange  am  normal  rotirten  Gesichte,  wobei  die  An- 
legung der  Zange  gerade  so  erfolgt  wie  bei  der  Hinterhauptslage  nur  mit 
Uebung  der  Vorsicht,  dass  das  Schliessen  der  Zangenlöffel  bei  zur  Symphyse 
erhobenen  Griffen  erfolgen  muss,  worauf  die  Extraction  in  derselben  Weise 
erfolgt  wie  bei  Hinterhauptslagen;  wesentlich  schwieriger  ist  es,  wenn  man  ge- 
zwungen ist,  die  Zange  anzulegen  bei  dem  nahe  dem  Beckenausgange  quer 
stehenden  Gesichte;  die  Drehung  des  Gesichtes  soll  w^omöglich  erst  ganz  unten 
im  Beckenausgange  vollzogen  sein,  wobei  man  in  der  Regel  die  Episiotomie  zu 
machen  hat,  um  nicht  die  Weichtheile  zu  grossen  Quetschungen  auszusetzen. 
Unmöglich  ist  es,  die  Zange  anzulegen  bei  im  Beckeneingange  hochstehenden 
Gesichte;  werden  wir  gezwungen,  bei  beweglichem  Gesichtsstande  zu  entbinden, 
so  müssen  wir  trachten,  die  Wendung  auszuführen  oder  eine  Stellungsver- 
besserung der  Frucht  vorzunehmen;  ist  das  kindliche  Gesicht  im  Beckeneingang 
fixirt  und  tritt  die  Nothwendigkeit  der  sofortigen  Entbindung  ein,  so  bleibt 
uns  die  Wahl  zwischen  Kraniotomie  oder  wenn  wir  das  kindliche  Leben  er- 
halten wollen,  Symphysiotomie,  resp.  Sectio  caesarea.  Die  Anlegung  der 
Zange  an  dem  im  Beckeneingang  hochstehenden  Gesichte  ist  unmöglich  und 
gefährlich.  Eine  der  unangenehmsten  Complicationen  der  Gesichtslage  bildet 
das  allgemein   verengte  Becken,    da   in    einem  solchen  Falle  auch  der  quere 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I,  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  19 


290  GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

Durchmesser  des  Beckens  wesentlich  beeinträchtigt  ist  und  gerade  an  den 
queren  Durchmesser  des  Beckens  bei  Gesichtslage  viel  höhere  Ansprüche  ge- 
stellt werden  als  bei  der  Schädellage;  es  würde  demgemäss  bei  allgemein 
oder  kurz  gesagt  bei  einem  im  queren  Durchmesser  verengten  Becken  die 
Gesichtslage  eine  unangenehme  Complication  sein,  welche  das  vorhandene 
räumliche  Missverhältnis  noch  wesentlich  zu  steigern  geeignet  wäre.  Man 
kann  demgemäss  unter  solchen  Umständen  versuchen,  zu  der  Zeit,  wo  das 
Gesicht  noch  über  dem  Beckeneingang  beweglich  ist,  das  Fruchtwasser  ent- 
weder noch  nicht  oder  aber  wenigstens  nicht  vor  zu  langer  Zeit  abgeflossen 
ist,  die  Umwandlung  der  Gesichtslage  in  eine  Hinterhauptslage  zu  versuchen. 
Jene  Verfahren,  welche  dabei  blos  durch  innere  Handgriffe  versuchen  wollen, 
das  Hinterhaupt  herunterzuleiten,  können  keinen  Erfolg  haben,  denn  wenn 
wir  eine  Gesichtslage  in  eine  normale  Schädellage  umwandeln  wollen,,  so 
müsste  die  Lordose  der  Wirbelsäule  in  eine  nach  hinten  gehende  convexe 
Krümmung  umgewandelt  werden,  die  Deflexion  des  Halses  in  eine  Flexions- 
stellung übergehen;  wenn  das  geschieht,  so  muss  während  des  Ueberganges 
der  Deflexionsstellung  in  eine  Flexionsstellung  ein  Moment  eintreten,  in 
welchem  die  Wirbelsäule  gerade  gestreckt  ist,  es  muss  somit  ein  Moment 
kommen,  in  welchem  die  Entfernung  vom  untersten  Pol  des  Kopfes  bis  zum 
Beckenende  eine  wesentlich  grössere  ist,  als  bei  einer  Gesichtslage  und  bei 
einer  Schädellage  überhaupt;  es  muss  daher  die  Entfernung  vom  Uterusfundus 
zum  Beckeneingang  zunehmen  können,  zu  diesem  Zwecke  ist  es  nöthig,  mit 
der  von  den  Bauchdecken  einwirkenden  Hand  den  Eumpf  zu  umgreifen,  die 
Frucht  in  die  Höhe  zu  ziehen,  mit  2  Fingern,  welche  vom  Muttermunde  aus 
arbeiten,  dann,  wenn  der  Rumpf  elevirt  ist,  zu  versuchen,  das  Hinterhaupt 
allmälig  herabzuleiten,  wobei  in  dem  Momente,  wo  das  Hinterhaupt  dem 
Beckeneingang  sich  genähert  hat,  durch  einen  gegen  die  Brustwandung  der 
Frucht  ausgeübten  Druck  einerseits,  durch  den  Zug  am  Steisse  gegen  die 
Brustwandung  der  Frucht  andererseits  die  Convexität  der  Wirbelsäule  herge- 
stellt wird.  Wenn  nicht  complicirende  Umstände  vorhanden  sind,  gelingt  es 
so  die  Umwandlung  zu  vollziehen,  ohne  dass  ein  weiterer  Eingriff  nöthig  wäre. 

K.   A.   HERZFELD. 

Gonorrhoe  (syn.  Blennorrhoe^  Blennorrhagie)  der  weiblichen 

Genitalien.  Zu  den  schlimmsten  Geissein  des  weiblichen  Geschlechts  gehört 
die  Gonorrhoe:  Sie  sucht  ihre  Opfer  unter  einer  früher  ungeahnt  grossen  Zahl 
von  Frauen  auf;  nur  in  einer  Minderzahl  der  Fälle  heilt  sie  rasch  spontan 
oder  durch  ärztliche  Hilfe;  meist  geht  die  acute  Infection  in  chronische  Go- 
norrhoe, mit  beklagenswerther  Häutigkeit  in  Jahre  und  Jahrzehnte  lange  Leiden, 
wenn  nicht  in  lebenslängliches  Siechthum  über;  ja  eine  nicht  geringe  Zahl  der 
davon  Befallenen  erliegt  dieser  tückischen  Krankheit.  Und  wie  oft  wird  das 
Weib  eine  Beute  dieses  entsetzlichen  Feindes  in  jener  Zeit,  welche  die  schönste 
ihres  Lebens  ist  —  in  den  ersten  Tagen  des  jungen  Eheglückes.  „Als 
blühendes  Mädchen  ist  sie  mit  seligen  Hoffnungen  in  die  Ehe  getreten,  es 
folgt  ein  wochenlanges  Krankenlager  an  Unterleibsentzündung,  und  als  eine 
gebrochene  Frau  steht  sie  wieder  auf,  die  krank  bleibt,  so  lange  sie  lebt" 
(Schröder).  Nicht  die  körperlichen  und  geistigen  Anstrengungen  der  Hoch- 
zeitsreise—  so  thöricht  und  schädlich  sie  grossentheils  auch  seinmögen,  lassen  die 
Frau  krank  heimkehren,  sondern  die  Gonorrhoe  des  Mannes  ist  häufig  genug  die 
Ursache.  Hier  muss  mit  allem  Nachdruck  auf  einen  Punkt  hingewiesen 
werden,  für  den  es  keinen  Ausdruck  der  Entrüstung  gibt,  welcher  stark  genug 
wäre:  eine  grosse  Zahl  gonorrhoischer  Männer  inficirt  ihre  unglücklichen 
Opfer  —  ehelich  und  ausserehelich  —  im  Vollbewusstsein  der  Thatsache, 
dass  die  eigene  Krankheit  nicht  geheilt  und  dass  sie  auf  das  Weib  über- 
tragbar ist. 


GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  291 

Ein  Beispiel:  Ein  Mann,  seiner  Bildung  nach  vollkommen  urtheilsfähig,  leidet  an 
neftigem  Recidiv  einer  Harnröhren-Gonorrhoe;  er  inficirt  ein  junges  Mädchen;  Uterus, 
Tuben,  Becken-Peritoneum  desselben  sind  hochgradig  betheiligt,  das  Mädchen  seit  Mo- 
naten schwer  krank.  Das  vollständig  unbemittelte  Mädchen  überlässt  der  schuldtragende 
Mann  nicht  nur  seinem  Schicksale;  mehr  noch:  Dem  Arzte,  welcher  ihn  und  das  Mädchen 
behandelt,  eröffnet  er  —  von  seiner  Gonorrhoe  noch  nicht  geheilt  —  eines  Tages,  er  beab- 
sichtige, in  Kurzem  ein  anderes  Mädchen  zu  heiraten;  trotz  der  eindringlichen  Mahnungen 
und  Vorstellungen  des  Arztes  lässt  er  sieh  nicht  davon  abbringen,  so  nachdrücklich  ihm 
auch  die  entsetzlichen  Folgen  dieses  Schrittes  vorgehalten  werden.  „So  gut  mein  Tripper 
schon  früher  einmal  geheilt  ist,  wird  er  auch  jetzt  wieder  heilen."  Und  obwohl  acht 
Tage  vor  der  Hochzeit  des  Patienten  durch  den  Arzt  das  Fortbestehen  der  purulenten 
Urethritis  constatirt  war,  heiratete  der  Betreffende. 

Ein  solches  Verhalten  sollte  dem  Urtheil  des  Strafrichters  verfallen; 
in  manchen  Staaten  ist  es  auch  in  bestimmten  Fällen  strafl^ar,  wird  aber  — 
wie  die  Erfahrung  lehrt  —  fast  nie  Gegenstand  der  Anklage.  Wer  durch 
das  Offenlassen  der  Kellerthüre  einen  Unfall  hervorruft,  wird  verurtheilt; 
weshalb  nicht  auch  jener  Mann  und  jenes  Weib,  welche  Gesundheit  und  Leben 
ihrer  Mitmenschen  in  anderer  Weise  bewusst  auf s  Spiel  setzen?  Und  mit  der 
Verantwortlichkeit  wird  das  Bewusstsein  der  Strafbarkeit,  wenn  auch  nicht 
in  allen,  so  doch  in  den  meisten  Fällen  erhöht  und  gefördert  werden.  Das 
Bewusstsein  der  Gefahr,  welche  durch  die  Uebertragbarkeit  der  Infection  be- 
dingt ist,  wird  aber  jeder  und  jede  Inficirte  haben,  die  in  ärztlicher  Be- 
handlung stehen;  denn  der  Arzt  weist  sie  daraufhin;  und  wird  man  den  Be- 
theuerungen einer  Puella  publica  glauben,  sie  habe  die  Möglichkeit  einer 
Ueb ertragung  auf  andere  nicht  gekannt? 

Die  Lex  Heinze  will  in  Deutschland  u.  A.  die  von  so  vielen  Aerzten  geforderte  Ver- 
antwortung und  Bestrafung  des  bewusster  Weise  schuldigen  Theiles  ermöglichen.  Dem 
Arzte  selbst  gestattet  das  Berufsgeheimnis  nicht,  im  gegebenen  Falle  die  Braut  oder  deren 
Eltern  zu  warnen,  selbst  dann  nicht,  wenn  diese  beim  Arzte  Rath  darüber  suchen.  Placzek 
(„Das  Berufsgeheimnis  des  Arztes")  bespricht  in  seiner  Schrift  diesen  folgenschweren  Punkt 
eingehend,  und  man  wird  mit  ihm  eins  sein  in  der  Bewunderung  der  schönen  Worte 
Gaide's:  Wenn  der  Vater  eines  reinen  jungen  Mädchens,  das  der  Stolz  seiner  Familie  ist, 
zu  Ihnen  kommt,  um  Sie  vertrauensvoll  zu  fragen,  ob  er  ganz  gefahrlos  die  Tochter  dem 
Manne  verbinden  könne,  der  bei  erster  Berührung  sie  inficiren  wird  —  — ,  soll  unsere 
Antwort  Schweigen  sein,  welches  falsch  gedeutet  werden  kann?  Sollen  wir  uns  zu  Mit- 
schuldigen einer  Ehe  machen,  deren  Früchte  so  bejammernswerth  sein  werden?  Ich  glaube 
es  nicht  und  erkläre  meinerseits,  ich  werde  niemals  bei  ähnlichem  Anlass  Muth  genug  in 
mir  fühlen,  dem  Gesetze  zu  gehorchen.  Mein  Gewissen  würde  anders  sprechen,  und  ohne 
Zögern  würde  ich  erwidern:  „Nein,  geben  Sie  Ihre  Tochter  nicht  diesem  Manne."  Nicht 
ein  Wort  würdeich  hinzufügen.  Ich  würde  von  dem  Bewusstsein  beseelt  sein,  das  Berufs- 
geheimnis nicht  verletzt  zu  haben.  Träfe  mich  trotz  alledem  die  Strafe  —  — ,  ich  riefe 
alle  Familienväter  als    Richter  auf,  und    erhobenen   Hauptes    beklagte    ich    das    Tribunal, 

welches  zu  strafen  sich  berechtigt  glaubt,  weil  ich  ein  Weib vor  fast  gewisser  Infection 

schützte." 

Kein  Zweifel  bann  jedoch  darüber  walten :  Der  Arzt,  welcher  so  handelte,  wäre  nach 
dem  Gesetze  strafbar  und  er  muss  —  wie  die  Dinge  heute  liegen  —  dafür  bestraft  werden. 

Noch  eine  weitere  Thatsache  muss  hervorgehoben  werden,  ebenso  traurig 
in  ihren  Folgen,  wie  die  eben  berührte,  wenngleich  nicht  ebenso  häufig,  wie 
diese:  Es  ist  der  weitverbreitete  Aberglaube,  Gonorrhoe  des  Mannes  werde 
durch  die  Cohabitation  mit  einem  unberührten  Mädchen  geheilt. 

Historisches:  Die  Trennung  der  beiden  Krankheitsformen  Syphilis  und  Gonorrhoe 
begann  im_  Anfange  des  18.  Jahrhunderts;  aber  erst  Ricord  gelang  es  (1831—1837)  die  Ver- 
schiedenheit beider  Infectionen  zu  allgemeiner  Anerkennung  zu  bringen.  Noch  jünger  ist 
die  Erkenntnis  der  ausserordentlichen  Tragweite,  welche  der  Tripper-Infection  zukommt. 
Was  Semmelweis  für  die  Erforschung  des  Wochenbettfiebers,  das  ist  Noeggerath  für  die 
der  Gonorrhoe  geworden.  Als  Noeggerath  im  Jahre  1872  seine  Aufsehen  erregenden 
Untersuchungen  veröffentlichte,  fehlte  es  ihm  ebenso  wenig  wie  Semmelweis  an  heftigem 
Widerspruch.  Die  Mehrzahl  der  gynäkologischen  Forscher  hielt  seine  Angaben  für  unrichtig 
oder  mindestens  für  maasslos  übertrieben.  Und  heute,  nach  wenig  mehr  als  zwei  Jahrzehnten, 
steht  die  Sache  umgekehrt  und  fast  täglich  mehren  sich  die  Beobachtungen,  welche  die 
Bedeutung  der  Gonorrhoe  darthun.  Allerdings  in  zwei  Punkten  ging  Noeggerath  zu  weit 
und  er  hat  dies  später  selbst  zugegeben :  er  glaubte  Anfangs,  Gonorrhoe  sei  unheilbar  und 
ergreife  bei  der  Frau  meist  den  ganzen  Genitalapparat.  In  der  Frage  von  der  Bedeutung 
der  Gonorrhoe  stehen  aber  heute  wohl  die  meisten  Forscher  auf  dem  ursprünglich  so  heftig 

19* 


292  GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN, 

angefocttenen  Standpunkte  Noeggerath's.  "Wenn  es  auch  hier  wie  bei  so  vielen  Enf" 
deckungen  ging:  der  Eifer  der  Forschung  führt  Anfangs  zu  weit,  so  bleibt  doch  Noeg- 
GERATH  das  unbestrittene  Verdienst,  auf  die  einschneidende  Bedeutung  der  Gonorrhoe  er- 
folgreich hingewiesen  zu  haben.  Nicht  allgemein  bekannt  scheint  es  zu  sein,  dass  er  wohl 
auch  als  erster  die  Diagnose  auf  Gonorrhoe  durch  den  mikroskopischen  Nachweis  der  Er- 
reger zu  erbringen  suchte.  Er  hat  die  nichtgefärbten  Mikroben  im  hängenden  Tropfen 
schon  als  stark  lichtbrechende  Körper  von  ovoider  Form  gesehen  und  diesen  Befund  diagno- 
stisch verwerthet. 

1879  veröffentlichte  Neisser  seine  grundlegenden  Untersuchungen  über  den  Gono- 
coccus;  er  zeigte,  dass  eine  ganz  bestimmte  Pilzart  stets  bei  Gonorrhoe  vorkomme;  die 
Anschauung,  dass  so  geformte  Bacterien  sich  nur  bei  Gonorrhoe  fänden,  erfuhr  später 
eine  Einschränkung.  Bumm  zeigte  1887,  dass  diese  Pilzform  auf  künstlichen  Nährböden 
reingezüchtet  und  mit  den  Eeinculturen  wieder  Gonorrhoe  erzeugt  werden  könne.  Damit 
war  die  specifische  Pathogenität  des  Gonococcus  auch  bacteriologisch  dargethan.  Bumm's 
Angaben,  der  Gonococcus  vermöge  nur  in  Cylinder-Epithel,  nicht  aber  in  Pflaster-Epithel 
und  Bindegewebe  krankheitserregend  zu  wirken,  es  gäbe  somit  keine  durch  die  Gonococcen 
erzeugte  Kolpitis  und  Phlegmone,  sondern  es  bedürfe  hiezu  einer  Misch-Infection,  wurde 
durch  Wertheim  entkräftet.  Seine  werthvollen  Arbeiten  lieferten  den  Beweis,  dass  Gono- 
coccen in  allen  Epithelformen  und  auch  im  Bindegewebe  krankheitserregend  wirken  können ; 
er  erleichterte  durch  Benützung  von  Serum-Agar  als  Nährboden  die  Reincultur  dieser 
Mikroben  und  führte  damit  die  Reinzüchtung  einer  allgemeineren  Benützung  für  diagno- 
stische Zwecke  näher. 

Bacteriologisches:  Die  gefärbten  Gonococcen  zeigen  sich  bei  starker 
Vergrösserung  (Immersion  ist  stets  wünschenswerth,  da  selbst  stärkere  Tro- 
cken-Systeme  kein  hinreichend  scharfes  Bild  geben)  in  der  bekannten  Semmel- 
form: zwei  Hälften  von  der  Gestalt  eines  Kugelsegmentes  oder  einer  Halb- 
kugel liegen  mit  den  Breitseiten  so  an  einander,  dass  sie  durch  einen  hellen 
Streifen  getrennt  erscheinen.  Die  an  einander  liegenden  Seiten  sind  oft  etwas 
eingebuchtet ;  beide  Hälften  zusammen  zeigen  besonders  dann,  wenn  die  Coccen 
in  Schleim  oder  Blutserum  liegen,  häufig  einen  glashellen  Saum  oder  Mantel, 
der  ja  auch  bei  anderen  Bacterien  zu  finden  ist. 

Die  Grösse  der  Semmel-Coccen  von  Pol  zu  Pol  gemessen  beträgt 
0*8 — 1*6  niikra,  durchschnittlich  1'25  mikra.  Die  Gonococcen  vermehren  sich 
durch  Theilung  in  abwechselnd  auf  einander  senkrechten  Durchmessern;  des- 
halb bilden  sie  stets  Haufen,  meist  zu  zweien,  vieren  u.  s.  w.,  nicht  Ketten. 

Die  Diplococcen- Gestalt  ist  aber  für  den  Erreger  der  Gonorrhoe  nicht 
durchaus  kennzeichnend;  auch  andere  —  pathogene  und  nicht  pathogene  — 
Bacterien  haben  Semmelform  und  sind  morphologisch  vom  Gonococcus  nicht 
zu  unterscheiden.  So  konnte  Bumm  aus  der  Luft  und  aus  Scheidenschleim 
nichtpathogene  Diplococcen,  aus  dem  Urin  einer  an  Blasenkatarrh  leidenden 
Frau,  aus  Lochialsecret,  aus  den  Blasen  bei  Pemphigus  neonatorum,  aus  Eiter 
eines  Mamma-Abscesses  pathogene  Diplococcen  reinzüchten,  welche  auf  em- 
pfänglichen Schleimhäuten  zwar  keine  Gonorrhoe,  subcutan  eingespritzt  aber 
am  Menschen  Abscesse  erzeugten.  Wichtig  ist  es  ferner,  dass  es  Urethritis 
ohne  Gonococcen  gibt;  allerdings  verlaufen  solche  Formen  von  Urethritis 
rascher  und  harmloser.  Immerhin  beweist  der  Befund  von  Diplococcen  allein 
nicht  Gonorrhoe;  soweit  unsere  Kenntnisse  bis  jetzt  reichen,  wird  das  Be- 
stehen von  Gonorrhoe  erst  durch  die  intracelluläre  Lage  der  Gonococcen 
dargethan. 

a)  Färbung.  In  der  Praxis  erweist  sich  am  bequemsten  die  Verwendung  concentrirter 
wässeriger  Methylenblau-Lösung  oder  ebensolcher  Fuchsin-Lösung.  Hat  man  das  zu  unter- 
suchende Secret  auf  Deckglas  oder  Objectträger  dünn  ausgestrichen  und  zuerst  an  der 
Luft,  dann  über  der  Flamme  getrocknet,  so  träufelt  man  die  filtrirte  Farblösung  unmittel- 
bar darauf  und  spült  sie  nach  1  Minute  mit  destillirtem  Wasser  wieder  ab  ;  das  überschüs- 
sige Wasser  saugt  man  mit  aufgedrücktem  Filtrirpapier  weg  und  kann  nun  das  Präparat 
unmittelbar  so  auf  dem  Objectträger  mit  Oel-Immersion  (selbst  ohne  Deckglas)  untersuchen; 
oder  man  bringt  einen  Tropfen  Canada-Balsam  (nicht  mit  Chloroform  gemischt !)  und  ein 
Deckglas  darauf;  letzteres  empfiehlt  sich,  wenn  man  das  Präparat  aufbewahren  will. 

Es  kommt  vor,  dass  Präparate  aus  Scheiden-  und  Cervix-Schleim  die  Farbe  nicht 
^  oder  nur  sehr  schlecht  annehmen  ;  dann  legt  man  sie  vorher  40  Min.  lang  in  Aether-Alkohol 


GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  293 

ää.  Finger*)  erwähnt  als  vortheilhaft  eine  Methode  Klein's  :  Die  Deckj^läschen  werden  mit 
Secret  bestrichen,  nicht  durch  die  Fhxmme  gezogen,  sondern  auf  4^)  Min.  in  Aether-Alkohol 
ää  gebracht  und  hierauf  für  10—15  Min.  in  eine  Eosin-Methylenblau-Lösung  (O'ö  Eosin  in 
lOÜ'O  concentrirter  wässeriger  Methylenblaulösung)  eingelegt,  mit  Wasser  abgcsjjült,  ge- 
trocknet und  mit  Canada-Balsam  conservirt.  Die  Gonococcen  und  die  Zellkerne  erscheinen 
blau,  das  Protoplasma  lachsfarben. 

Nach  der  GRAM'schen  Methode  entfärben  sich  die  Gonococcen  ;  dies  ist  diffcrential- 
diagnostisch  wichtig;  während  Bumm  dies  bestreitet,  da  sich  auch  andere  Diplococcen  nach 
Gram  entfärben,  haben  neuerdings  wieder  Finger,  Steinschneider  und  Galewsky  auf  die 
diagnostische  Brauchbarkeit  dieses  Merkmals  hingewiesen.  Sie  ^färben  zu  diesem  Zwecke 
die  Deckgläschen  25—30  Min.  lang  in  Anilinwasser-Gentianaviolett,  spülen  dann  ab,  bringen 
die  Präparate  für  5  Min.  in  Jodkalium-Lösung  und  nach  wiederholtem  Abspülen  in  Wasser 
für  so  lange  in  absoluten  Alkohol,  bis  das  Präparat  entfärbt,  der  vom  Deckglase  abtropfende 
Alkohol  nicht  mehr  violett  gefärbt  ist.  Nachfärbung  in  Bismarckbraun  (nicht  überfärben!) 
oder  in  wässerigem  Fuchsin.  Die  Gonococcen  erscheinen  dann  braun,  bez.  roth,  alle  anderen 
Coccen  durch  Combination  der  Gentianaviolett-  und  Bismarckbraun-,  bez.  Fuchsinfärbung 
schwarz"  (Finger). 

ß)  Reinzüchtung:  Durch  Wertheim's  Arbeiten  ist  auch  die  Anlegung  von  Reincul- 
turen  der  Gonococcen  sehr  erleichtert  worden;  sie  wird  dadurch  zur  Sicherung  der  Diagnose 
verwerthbar.  Diese  Methode  ist  sogar  viel  empfindlicher,  als  die  des  einfachen  mikro- 
skopischen Aufsuchens.  Auf  Platten  aus  Serum-Agar  entwickeln  sich  —  lebensfähige  Gono- 
coccen vorausgesetzt  —  in  3  Tagen  ßeinculturen  des  Pilzes.  Ausser  menschlichem  Blut- 
serum (nach  Hüppe's  Vorgang  durch  Zusatz  von  Agar  erstarrungsfähig  gemacht)  kann  man 
auch  Hydrocelen-  und  Kystomflüssigkeit  mit  Agar  (nach  Menge)  verwenden. 

Auf  solchen  Nährböden  wachsen  die  Gonococcen  sowohl  in  Stich-  als  Strichculturen 
gleich  gut,  besonders  bei  Bluttemperatur,  und  bei  Sauerstoffmangel  besser  als  bei  Sauer- 
stoffzufuhr. Sie  bilden  reiche,  zarte,  wei'ssliche,  am  Rande  gekerbte  Rasen.  Neuerdings  ist 
die  Reinzüchtung  noch  vereinfacht  worden  durch  Ghon  und  Sghlagenhaufer.  „Sie  um- 
gehen das  umständliche  Plattenverfahren  gänzlich,  indem  sie  den  Trippereiter,  der  Urethra 
nach  Reinigung  und  Desinficirung  des  Orificium  entnommen,  direct  auf  PFEiFFER'sches 
Agar  (d.  h.  Glycerin-Agar,  dessen  Oberfläche  mit  aus  dem  Ohrläppchen  steril  entnommenem 
Menschenblut  dünn  bestrichen  ist),  oder  auf  in  ähnlicher  Weise  gefüllte  PEXRi'sche  Schalen 
streichen  und  —  indem  dieselbe  Oese  zur  Anlegung  mehrerer  Strichculturen  verwendet 
wird  —  so  Verdünnungen  anlegen  die  bei  eventueller  Verunreinigung  eine  Isolirung  der 
Gonococcen-Culturen  gestatten.  Auch  mit  Rinderblutserum-Peptonagar  beschickte  PETRi'sche 
Schalen  ergeben,  in  derselben  Weise  geimpft,  besonders  schöne  Reinculturen"  (Finger). 

Kennzeichnend  für  die  Gonococcen  ist  das  intracelluläre 
■Vorkommen  der  typischen  Diplococcen;  unterstützt  wird  die 
Diagnose  durch  gleichzeitige  Entfärbung  derselben  nach  Geam.  Die  Gono- 
coccen findet  man  sowohl  ausserhalb  der  Zellen,  als  auch  einzeln  und  in 
Haufen  im  Innern  der  weissen  Blutzellen;  den  Epithelzellen  scheinen  sie 
nur  auf-  nicht  eingelagert  zu  sein.  Die  intracelluläre  Lage  ist  nicht  als 
eine  Wirkung  der  Phagocytose  aufzufassen,  d.  h.  die  Gonococcen  wurden  nicht 
von  der  Zelle  „gefressen",  sondern  sind  in  sie  activ  eingedrungen;  denn  die 
intracellulären  Gonococcen  zeigen  meist  ihre  ungeschwächte  Färbbarkeit,  wäh- 
rend eher  der  Zellkern  schlechter  gefärbt  erscheint;  die  Bacterien  sind  sogar 
im  Stande,  die  von  ihnen  befallenen  Zellen  zu  zersprengen. 

Eine  speci fische  Färbung  der  Gonococcen,  d.  h.  eine  solche,  die 
nur  ihnen  zukommt,  kennt  man  nicht;  ihre  Entfärbung  bei  Verwendung  der 
GRAM'schen  Methode  gilt  jedoch  —  wie  erwähnt  —  für  kennzeichnend. 

Man  wird  sich  aber  Saenger  mit  Hecht  anschliessen  düi'fen,  wenn  er 
sagt,  zur  Diagnose  „Gonorrhoe"  bedürfe  es  durchaus  nicht  immer  unbedingt 
des  iSTachweises  der  Gonococcen  —  so  erwünscht  er  auch  sein  mag  —  sondern 
Gonorrhoe  sei  auch  aus  ihrem  klinischen  Bilde  sehr  oft  mit  vollkommener 
Sicherheit  erkennbar.  Ja  häufig  wird  der  Gonococcus  trotz  tagelangen  Suchens 
im  Präpaia':  erst  dann  gefunden,  wenn  die  klinische  Diagnose  längst  gestellt 
ist.  Nicht  stets  kann  die  Therapie  auf  den  Nachweis  des  Gono- 
coccu  s  warten. 

Verhalten  des  Gonococcus  zu  verschiedenen  Geweben. 
ßuMM    hatte    angegeben,    der    Gonococcus  dringe  krankheitserregend    nur 


*)  Diese  und  mehrere  andere  Angaben  sind  dem  vorzüglichen  Buche  von  E.  Finger 
flDie  Blennorrhoe  der  Sexualorgane "  entnommen. 


294  GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

in  Cylinder-Epithel  ein;  später  haben  jedoch  Toutox,  Dinkler,  Pick, 
Jadassohn,  Wertheim  ii.  A.  gezeigt,  dass  er  auch  in  den  anderen  Epithel- 
formen, ja  sogar  in  Bindegewebe  entzündungserregend  wirken  kann;  Wertheim 
sah  ihn  wie  gewöhnliche  Eitererreger  in  den  Lymphspalten  des  Bindegewebes 
und  zwischen  den  Muskelbündeln  vorwärtsdringen  und  Phlegmonen  verur- 
sachen. Es  ergibt  sich  daraus  die  Möglichkeit,  dass  aus  einer  gonorrhoischen 
Urethritis  eine  Periurethritis,  aus  Endometritis  eine  Parametritis  entsteht,  ohne 
das  Hinzukommen  anderer  pathogener  Mikroben.  Wertheim  hat  Gonococcen 
in  der  musculären  Tubenwand  bei  Pyosalpinx  und  zweimal  in  Ovarialabscessen, 
und  Zweifel  hat  sie  ebenso  in  den  letzteren  gefunden.  Da  Gonococcen  auch 
in  vielschichtiges  Pflaster-Epithel  eindringen,  ist  die  Möglichkeit  einer  Kolpitis 
gegeben;  Wertheim  hat  ferner  nachgewiesen,  dass  der  Gonococcus  nicht  nur 
auf  thierischem,  sondern  auch  auf  menschlichem  Peritoneum  Entzündung  ver- 
ursachen kann:  Perimetritis  und  Pelveoperitonitis  gonorrhoica.  Allerdings  ist 
seine  Fähigkeit,  Entzündung  zu  erregen,  in  verschiedenem  Gewebe  verschieden 
gross;  so  bietet  geschichtetes  Ptiasterepithel  offenbar  seinem  Eindringen 
grösseren  Widerstand,  als  Cylinder-Epithel;  es  sind  ferner  noch  nicht  Fälle 
einer  universellen,  sondern  nur  solche  von  circumscripter  Peritonitis  bekannt; 
vielleicht  bleibt  die  durch  Gonococcen  erregte  Entzündung  auf  dem  Peritoneum 
deshalb  stets  in  engen  Grenzen  localisirt,  weil  es  sofort  zu  Verklebungen  mit 
Nachbar-Organen  kommt;  die  Stoffwechselproducte  der  Gonococcen  verursachen 
offenbar  hier  besonders  leicht  Adhäsions-Bildungen;  das  ist  einerseits  eine 
Art  von  Naturheilung  oder  von  natürlicher  Abgrenzung  gegen  die  Bauchhöhle 
im  Allgemeinen,  andererseits  sind  die  Fälle,  in  welchen  Uterus,  Becken-Peri- 
toneum,  Tuben,  Ovarien  und  angrenzende  Darmschlingen  zu  einem  schwer 
entwirrbaren  Ganzen  verklebt  sind,  so  typisch  für  gonorrhoische  Infection, 
dass  sie  kurzweg  als  Perimetritis  scortorum  bezeichnet  werden,  da  sie 
bei  Puellis  publicis  begreiflicher  Weise  am  häufigsten  vorkommen. 

Bemerkenswerth  ist  es  ferner,  dass  gonorrhoische  Kolpitis  nach  Saenger 
„besonders  bei  Kindern  und  Greisinnen,  bei  Schwangeren,  bei  zartgebauten 
Frauen,  namentlich  Blondinen,  kurz  bei  Dünne,  Feinheit,  bei  Maceration  und 
Desquamation  des  Epithels"  vorkommt,  da  hier  der  Widerstand  des  Gewebes 
ein  geringerer  ist.  Ich  möchte  mich  Saenger  hier  nicht  nur  im  Allgemeinen, 
sondern  auch  in  Bezug  auf  die  geringere  Widerstandskraft  der  Blondinen 
gegen  Gonorrhoe  anschliessen;  in  diesem  letzteren  Punkte  bedarf  es  allerdings 
noch  ziffermässiger  Nachweise;  aber  bei  Blondinen  scheint  thatsächlich  Go- 
norrhoe häufiger  und  in  ernsteren  Formen  aufzutreten;  es  wäre  interessant, 
zu  untersuchen,  ob  dies  auch  im  Hinblick  auf  andere  Infectionen  zutrifft,  ob 
Blondinen  also  überhaupt  in  unserer  Zeit  weniger  widerstandsfähig  gegen 
Krankheiten  sind  und  ob  der  Rückgang  in  der  Zahl  der  Blondinen  im  Ver- 
hältnis zu  den  Brünetten  damit  zusammenhängt.  Auch  ethnologisch  wäre  das 
ebenso  bemerkenswerth  als  folgenschwer  (Verdrängung  blondhaariger  Stämme 
durch  dunkelhaarige). 

Die  Wege  der  Inf ections- Verbreitung  können  verschieden  sein: 
1.  Die  Gonococcen  können  einfach  in  der  Continuität  von  der  Vulva 
durch  Scheide,  Uterus  und  Tuben  zum  Bauchfell  wandern;  der  Flimmerstrom 
arbeitet  in  Uterus  und  Tuben  gegen  diese  Wanderung  nach  oben;  sie  können 
aber  durch  Spermatozoon  und  durch  Saugwirkung  des  Uterus  oder  Betroperi- 
staltik  desselben  und  der  Tuben  gegen  die  abdominale  Tuben-Mündung  ge- 
bracht werden.  In  einem  Falle  von  gonorrhoischer  Endometritis  und  Cervix- 
Stenose  schien  es,  als  ob  die  heftigen  und  überaus  schmerzhaften  Uterus- 
Contractionen,  welche  nur  schwer  den  Schleim  in  die  Vagina  pressen  konnten, 
zu  einem  Hineinpressen  desselben  in  die  Tuben  und  damit  rasch  zur  Salpin- 
gitis geführt  hätten.  Damit  wäre  die  Cervix-Stenose  zu  einer  verhängnis- 
vollen Unterstützung  des  Entstehens  einer  Tuben-Infection  geworden. 


GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  295 

2.  Die  Gonococcen  können  auf  dem  Wege  der  Lymph-Bahncn  unmittel- 
bar die  Urethral-,  Scheiden-,  Uterus-,  Tuben-Schleimhaut  durchsetzen  und  so 
z.  B.  von  der  Uterus-Muscosa  ohne  Vermittlung  der  Tuben  zu  einem  der 
Uterus-Wand  anliegenden  Ovarium  gelangen. 

3.  Sie  können  durch  das  Blut  in  entfernte  Körpertheile  geführt  werden, 
so  zum  Endocard,  in  Gelenke,  Gehirn,  Bückenmark,  ins  Bindegewebe  der 
Extremitäten  (in  Lang's  Fall  in  das  Bindegewebe  des  Handrückens)  u.  s.  w. 
Immerhin  erfolgt  diese  3.  Art  der  Verbreitung  relativ  selten;  man  wird 
Luther  beistimmen,  wenn  er  in  solchen  Fällen  besonders  vorhergehende  me- 
chanische Verletzungen  (z.  B.  der  Harnröhre  beim  Katheterisiren)  für  ge- 
fährlich hält,  da  durch  sie  die  Gonococcen  in  die  Blutbahn  gebracht  werden. 

Misch-Iiifectioii:  Gonococcen  können  zwar  auch  für  sich  allein  Eiterung 
erregen;  aber  sicher  bereiten  sie  auch  anderen  Eitererregern  den  Boden  da- 
durch vor,  dass  sie  die  natürliche  Schutzwand  der  Organe,  das  Epithel  zer- 
stören. Bumm's  Anschauung  von  der  Misch-Infection  wird  also  dahin  zu  ändern 
sein,  dass  Gonococcen  zugleich  mit  anderen  pathogenen  Bacterien  zwar  vor- 
kommen (so  in  der  Tube,  in  den  Bartholin'schen  Drüsen),  dass  aber  zur  Ent- 
stehung einer  Bindegewebs-Eiterung  und  einer  gonorrhoischen  Infection  von 
Schleimhäuten,  welche  Pflasterepithel  tragen,  durchaus  nicht  die  Mitwirkung 
oder  das  nachfolgende  Eindringen  anderer  pyogener  Mikroben  nöthig  ist.  So 
fand  Wertheim  in  116  Fällen  von  Pyosalpinx  72mal  keine  Bacterien  (d.  h. 
sie  waren  darin  schon  zu  Grunde  gegangen),  32mal  Gonococcen,  6mal  Strepto- 
coccen, Imal  Staphylococcen,  nie  aber  Gonococcen  mit  anderen  Eiter-Erregern 
zusammen.  Dass  jedoch  Misch-Infectionen  vorkommen,  zeigte  Witte:  er  fand 
im  Tuben-Eiter  in  einem  Falle  Gonococcen  und  Streptococcen,  in  einem 
zweiten  Falle  Gono-  und  Staphylococcen,  in  drei  Fällen  Gonococcen  mit  anderen 
Bacterien;  ferner  fand  er  im  Scheidensecret  Gono-  und  Staphylococcen.  Ueber 
das  gegenseitige  Verhältnis  der  verschiedenen  Bacterien  müssen  weitere 
Untersuchungen  erst  Klarheit  schaffen.  Man  wird  aber  von  Misch-Infection 
nur  dann  sprechen  dürfen,  wenn  thatsächlich  das  gleichzeitige  Vorkommen 
verschiedener  pathogener  Bacterien  im  kranken  Organe  nachgewiesen  ist. 

Gonorrhoe  und  Wochenbettfieber:  Schon  Noeggerath,  später  Sänger  u.  A.  haben 
auf  den  Zusammenhang  von  bestehender  Gonorrhoe  mit  Wochenbetterkrankungen  hinge- 
wiesen. Ein  solcher  Zusammenhang  war  von  Vielen  bestritten  worden,  ist  aber  jetzt  wohl 
nicht  mehr  von  der  Hand  zu  weisen.  Nach  Wertheim's  Untersuchungen  ist  ja  die  Mög- 
lichkeit im  Vorhinein  gegeben,  dass  Gonococcen  in  die  Muscularis  eindringen  und  selbst 
das  Peritoneum  inficiren.  Nun  hat  ausserdem  Krönig  in  9  Fällen  Lochialsecret  unmittel- 
bar aus  dem  Uterus  entnommen  und  Reinculturen  von  Gonococcen  —  also  ohne  Bei- 
mengung anderer  Bacterien  —  gefunden.  8  dieser  Frauen  waren  fieberhaft  erkrankt. 
Schon  Noeggerath  hatte  darauf  hingewiesen,  dass  in  solchen  Fällen  die  Erkrankung  meist 
erst  8—14  Tage  nach  der  Entbindung  auftrat.  In  zwei  von  Krönig  beobachteten  Fällen  fand 
sich  bei  den  Frauen  erst  am  26.,  bezw.  28.  Tage  nach  der  Entbindung  ein  para-,  beziehungs- 
weise perimetritisches  Exsudat.  Auf  Grund  klinischer  Thatsachen  hatte  die  scharfe  Beob- 
achtungsgabe Kaltenbach's  schon  früher  einen  solchen  Zusammenhang  angenommen:  er 
hatte  Parametritis  im  Wochenbett  besonders  häufig  bei  solchen  Müttern  auftreten  gesehen, 
deren  Kinder  an  Ophthalmoblenorrhoe  litten. 

Latenz:  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  Noeggerath  „einen  Zustand, 
welcher  sich  dadurch  charakterisirt,  dass  bei  jahrelanger  Abwesenheit  irgend 
welcher  Störung  im  Wohlbefinden  plötzlich  durch  einen  auf  die  Geschlechts- 
organe ausgeübten  Reiz  sich  die  Symptome  der  Gonorrhoe  in  acuter  und 
subacuter  Weise  entwickeln."  Luther  (dessen  Arbeit  „Ueber  die  Gonorrhoe 
beim  Weibe"  in  ausgezeichneter  Form  den  heutigen  Stand  unseres  Wissens 
in  dieser  Frage  gibt)  fügt  dem  mit  Recht  hinzu:  „Ersetzt  man  die  Worte, 
,Latenz  der  Gonorrhoe'  durch  ,Latenz  der  Gonococcen'  so  wird  die  Begriffs- 
bestimmung leichter."  Dass  es  schwer  sein  kann,  Gonococcen  mikroskopisch 
in  jedem  einzelnen  Augenblicke  nachzuweisen,  ist  besonders  für  die  chronische 
Gonorrhoe  bekannt.  Man  kann  bei  chronischer  Cervix-Gonorrhoe  tagelang 
vergeblich  nach  den  Erregern  suchen,  bis   man  sie  plötzlich  selbst  in  rein 


296  GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

glasigem  Secret  findet.  Mit  Eeclit  spricht  man  hier  von  Latenz  der  Gonor- 
rhoe oder  der  Gonococcen.  Das  Züchten  auf  Serum-Agar  kann  helfen,  diese 
Schwierigkeit  zu  überwinden.  Ob  hier  die  Frage  einer  verschiedenen  Virulenz, 
einer  Abschwcächung  der  Mikroben  durch  ihre  eigenen  Stoffwechselproducte, 
ferner  die  schwierige  Frage  nach  einer  Dauerform  der  Gonococcen  (bei  Coccen 
sind  solche  überhaupt  noch  nicht  beobachtet)  mitspielt,  ist  noch  zu  unter- 
suchen. Leichter  verständlich  ist  die  —  zur  Erklärimg  aber  nicht  stets  ge- 
nügende —  Annahme,  dass  bei  chronischer  Gonorrhoe  durch  ein  Trauma 
(Katheterismus,  Sohdirung,  Geburt)  oder  physiologische  und  pathologische 
■Hyperämie  (Menses,  Gravidität,  Allgemeinerkraukungen)  die  Entzündung  von 
neuem  augefacht  wird. 

Ursachen  und  Gelegenheit  der  Infection:  In  der  überwiegenden 
Mehrzahl  der  Fälle  wird  die  Infection  durch  den  sexuellen  Verkehr  in  seinen 
normalen  und  perversen  Formen  vermittelt;  so  kann  bei  der  rite  ausgeführten 
Cohabitation  der  weibliche  Genitaltract  und  die  Urethra  u.  s.  w.  inficirt 
werden;  durch  Stuprum  kann  die  Infection  auf  Kinder  und  Erwachsene,  durch 
immissio  penis  in  rectum  auf  den  unteren  Abschnitt  des  Mastdarms  über- 
tragen werden.  Infection  kann  vermittelt  w^erden  durch  das  Zusammenschlafen 
gonorrhoischer  Mädchen  oder  Frauen  mit  gesunden,  wenngleich  hier  weniger 
häufig  Uebertragung  durch  die  Wäsche,  als  durch  gegenseitige  onanistische 
Manipulationen  anzuschuldigen  sein  dürfte.  In  der  armen  Bevölkerung,  in 
welcher  so  oft  mehrere  Familienmitglieder,  oder  Kinder  mit  Mägden  nur  ein 
gemeinsames  Bett  haben,  ist  es  aber  nöthig,  inficirte  Frauen  oder  Mädchen 
auf  die  Möglichkeit  einer  solchen  Uebertragung  hinzuweisen.  Intra  partum 
kann  das  Kind  von  der  gonorrhoischen  Mutter  Ophthalmoblennorrhoe,  Gonor- 
rhoe der  Mundschleimhaut  (Rosinski)  und  des  Genitaltracts  erwerben;  Infection 
von  neugeborenen  Mädchen  ist  ausserdem  post  partum  durch  die  Mutter 
selbst,  aber  auch  durch  Uebertragung  von  anderen  Kindern  durch  das  Warte- 
personal, unreine  Schwämme,  Wäsche  etc.  möglich:  so  hat  Skutsch  eine 
endemische  Vulvovaginitis  bei  mehreren  Hundert  Mädchen  durch  Benützung 
einer  Badeanstalt  beobachtet,  in  welcher  schon  inficirte  Kinder  gebadet  hatten. 
In  der  Sprechstunde  hört  man  so  oft  die  Benützung  eines  Closets  „das  von 
Kranken  vorher  besucht  worden  war"  als  Ursache  der  Infection  anschuldigen. 
Ist  eine  solche  Möglichkeit  theoretisch  auch  nicht  von  der  Hand  zu  weisen, 
so  ist  sie  doch  in  praxi  anscheinend  noch  in  keinem  Falle  erwiesen;  überdies 
wird  man  es  begreiflich  finden,  dass  die  Kranken,  welchen  der  Gang  zum 
Arzte  in  solchen  Fällen  schon  schwer  genug  ist,  nach  einer  ihr  Gewissen 
weniger  belastenden  Ursache  suchen;  unrichtig  wäre  es,  darauf  mit  Spott 
statt  mit  ernster  Aufklärung  zu  antw^orten. 


Vorkommen  und  Ansiedhingsgebiet  der  Gonococcen  in  den  weib- 
lichen Genitalien.  Zwei  Thatsachen  müssen  vor  Allem  betont  werden:  Jeder 
Theil  des  weiblichen  Genital-Apparates  kann  gonorrhoisch  er- 
kranken; Prädilecti  onsste  11  en  der  primären  Inf  e^tion  sind  aber 
Urethra  und  Cervix.  Diese  letztere,  kaum  noch  anzuzweifelnde  Thatsaclie 
steht  in  geradem  Widerspruche  zu  der  früheren  Ansicht,  Blennorrhoe  localisire 
sich  beim  Weibe  fast  nur  in  Vulva,  Vulva-Drüsen  und  Scheide.  Will  man  im 
übrigen  jetzt  für  alle  vorkommenden  Localisationen  der  Gonorrhoe  einen 
Namen  haben,  so  braucht  man  blos  dem  lateinischen  oder  griechischen  Namen 
des  Organs  und  des  umgebenden  Bindegewebes  die  Endung  „itis"  und  das  Wort 
gonorrhoica  anzufügen:  Urethritis,  Periurethritis,  Vulvitis,  Bartholinitis,  Kol- 
pitis  etc.  gonorrhoica.  Das  Weiterkriechen  der  Infection  nach  oben  wird 
treffend  durch  die  Bezeichnung  „ascendirende  Gonorrhoe"  gekenn- 
zeichnet. 


GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 


297 


Nur  kurz  mag  auf  die  schon  erwähnte  Thatsache  hingewiesen  werden, 
dass  bei  Kindern  eine  gonorrhoische  Stomatitis  (Rosinski)  und  bei 
Erwachsenen  Nasen-Tripper  und  gonorrhoische  Infection  des  Mast- 
darms nachgewiesen  wurde;  die  letztere  macht  oft  ulceröse  Zerstörungen 
der  Rectal-Schleimhaut  und  es  scheint,  dass  dieser  Process  bislier  oft  mit 
Unrecht  für  luetisch  gehalten  wurde.  Der  widernatürliche  Coitus  dürfte  in 
der  Aetiologie  eine  grössere  Rolle  spielen,  als  das  Ueberrieseln  des  Anus 
mit  dem  aus  Scheide  und  Vulva  stammenden  gonorrhoischen   Secret. 

Die  Häufigkeit,  mit  welcher  die  einzelnen  Abschnitte  des  weiblichen 
Genital-Apparates  befallen  werden,  ist  eine  sehr  verschiedene:  Steinschneider 
sagt,  in  allen  Fällen  von  gonorrhoischer  Infection  wird  zunächst  die  Urethra, 
in  einem  grossen  Theile  (etwa  47%)  die  Cervix-Schleimhaut,  in  einer  nicht 
unbedeutenden  Anzahl  das  Endometrium,  zuweilen  die  BARTiioLiN'schen  Drüsen 
etc.  befallen.  Bei  der  Wendung,  welche  unsere  Kenntnis  der  Gonorrhoe  durch 
Wertheim  zum  Theil  erfahren  hat,  ist  es  zur  Zeit  noch  recht  schwer,  eine 
genauere  Statistik  über  die  Localisation  im  Einzelnen  zu  geben.  Alle  Zahlen 
müssen  unter  diesem  Vorbehalte  betrachtet  werden. 


Die  Gonorrhoe  localisirt 
sich  in: 


Urethra 

Cervix 

Uterus 

Vagina 

Barthol. 
Drüsen 

Vulva 

ioo«/„ 

47% 

50% 

95 

47 

89 

43-7 

90 

37-5 

— 

— 

— 

12-5''/o 

85 

— 

— 

40-4% 

36% 

25.5% 

Nach  Steinschneider 

(1887;  in  frischen 

Fällen)      .     .     . 
„     Fabry    (1888)   .     . 
„     Welander   (1888) 
„     Brünschke  (1891)  . 
„     LuczNY    (1891)  .    . 

Hier  sind  nur  jene  Organe  berücksichtigt,  welche  der  bacteriologischen 
Untersuchung  ohne  operative  Eingriffe  zugänglich  sind. 

Die  Uterus-Anhänge  sind  nach  Herzfeld's  Untersuchungen  an  poli- 
klinisch behandelten  Kranken  bei  18 "/oder  gonorrhoischen  Kranken mitbetheiligt. 
Sänger  und  Rosthorn  nehmen  an,  dass  in  Vs  aUßi"  Fälle  auch  die  Tuben 
gonorrhoisch  inficirt  sind. 

Complicatioueii  und  Metastasen.  „Tripper-Rheumatismus"  tritt  beim 
Weibe  viel  seltener  als  beim  Manne  auf,  ist  aber  beschrieben  worden. 
So  sind  Gelenk-Entzündungen  besonders  bei  gonorrhoischer  Vulvovagi- 
nitis und  Ophthalmoblennorrhoe  Neugeborener  beobachtet  worden.  Hartlet 
beschreibt  die  gleiche  Complication  bei  Vulvovaginitis  3 — 8-jähriger  Mädchen. 
Sigmund  will  (1858)  Herzaffectionen  bei  gonorrhoischen  Frauen  gesehen 
haben.  Lymphadenitis  und  Ly  mphangoitis  der  Leistengegend  scheint 
beim  Weibe  ebenfalls  in  Folge  gonorrhoischer  Infection  vorzukommen. 
Immerhin   bedürfen  solche  Complicationen  noch  genauerer  Untersuchung. 

Häufigkeit  der  Gonorrhoe  beim  Weibe.  Bei  der  Häufigkeit,  mit 
welcher  Gonorrhoe  bei  Männern  auftritt,  ist  die  nächstliegende  Frage  die, 
wie  oft  sie  beim  Weibe  vorkomme.  Die  Antwort  ist  sehr  schwer  zu  geben; 
je  genauer  unsere  Untersuchungsmethoden  werden,  desto  grösser  wird  der  Pro- 
centsatz der  gonorrhoisch  befundenen  Frauen.  Früher  hielt  man  Gonorrhoe 
des  Weibes  für  selten,  ja  1882  glaubte  z.  B.  Zeissl  noch,  dass  nur  5*^/0  aller 
blennorrhoischen  Frauen  an  specifischer  Urethritis  leiden.  Noeggerath  zu- 
folge sind  diese  Zahlen  viel  grösser;  er  gab  an,  dass  80%  aller  Frauen  an 
latenter  Gonorrhoe  leiden;  in  neuerer  Zeit  wurde  diese  Annahme  durch  bac- 
teriologische  Untersuchungen  allerdings  zunächst  etwas  eingeschränkt: 
Oppenheimer  (Kehrer's  Klinik)  fand  1884  unter  108  Graviden  bei  30  =  27"7% 

Gonococcen; 


298  GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

LoMER   fand  1885    unter  32    Wöchnerinnen  bei  9  =  28%  Gonococcen; 
Schwarz    fand  1886    unter  617    Frauen    bei   77   =   12-4%  Gonococcen; 
Singer   fand  1889    unter    1930   Frauen    230  =  12''/o  gonorrhoiscli. 

Sänger  nimmt  an,  dass  Vs  ^-Hsr  Frauen,  die  den  Gynäkologen  auf- 
suchen, gonorrhoisch  ist.  Dass  durch  zunehmende  Erleichterung  und  Genau- 
igkeit der  Untersuchung  diese  Zahlen  noch  grösser  werden  können,  ist  jedoch 
sehr  wahrscheinlich. 

AUgemem-Erscheiimngen  können  bei  schwerer  Infection  mit  ge" 
radezu  alarmirender  Heftigkeit  auftreten,  und  zwar  nicht  nur  bei  Metritis 
und  Endometritis,  sondern  hauptsächlich  auch  bei  Peri-  und  Parametritis  un^ 
Salpingitis  gonorrhoica,  also  bei  Mitbetheiligung  des  Bauchfells.  Im  acute^i 
Stadium  können  alle  Anzeichen  einer  schweren  Infection  vorhanden  sein- 
hohes  Fieber,  selbst  mit  Schüttelfrösten,  Kopfweh,  Schwäche,  Appetitlosigkeit 
u.  s.  w.  —  Die  „Tripperfarbe"  des  Gesichtes  ist  selbst  vielen  Laien  bekannt? 
wenn  diese  fahle  Verfärbung  auch  deutlicher  bei  Männern  als  bei  Frauen 
ausgesprochen  zu  sein  pflegt.  Es  kann  wohl  nicht  bezweifelt  werden,  dass  es 
sich  hier  (wie  bei  anderen  Infectionsla-ankheiten)  um  eine  Gift  Wirkung,  um 
die  Aufnahme  toxischer  Stoffvvechselproducte  der  Mikroben  handelt.  Autfallend 
ist  bei  vielen  Kranken  die  Klage  über  leichte  cerebrale  Symptome, 
hauptsächlich  über  Schwindel  und  Abnahme  des  Gedächtnisses  (Vergesslich- 
keit). 

Prophylaxe.  Die  Verhütung  gonorrhoischer  Infection  ist  —  wie  bei 
jeder  anderen  Krankheit  —  wichtiger  als  die  Heilung;  und  gerade  bei  der 
Gonorrhoe  hat  die  Prophylaxe  ein  weites  und  aussichtsreiches  Feld.  Man 
muss  die  allgemeine  Prophylaxe  von  der  speciellen,  nur  im  Einzel- 
falle anzuwendenden,  trennen. 

Die  allgemeine  Prophylaxe  hängt  eng  mit  den  socialen  Zuständen 
zusammen  und  ihre  Aufgaben  können  nur  gemeinsam  gelöst  werden.  So  lange 
eine  grosse  Zahl  geschlechtsreifer  Individuen  durch  äussere  Verhältnisse  der 
Möglichkeit  zu  heiraten  (man  könnte  weitergehend  auch  sagen:  der  Möglich- 
keit erlaubten  sexuellen  Verkehrs)  beraubt  ist,  bedürfen  wir  der  Prostitution. 
Hier  muss  also  zunächst  der  Hebel  angesetzt  werden.  Mit  Sänger  tritt 
eine  grosse  Zahl  von  Fachärzten  unter  den  nun  einmal  bestehenden  Verhält- 
nissen für  „strengere  Ueberwachung  der  offenen,  energische  Verfolgung  der 
heimlichen  Prostitution  als  Hauptquellen  der  Infection"  ein;  Casernement  der 
Prostituirten  erleichtert  diese  Ueberwachung.  Nöthig  ist  ferner  eine  „längere 
Dauer  der  Behandlung  von  inficirten  Prostituirten  durch  gynäkologisch  ge- 
schulte Aerzte." 

Den  wichtigsten  Theil  der  speciellen  Prophylaxe  bilden  Vor- 
schriften zu  prophylactischen  Desinfectionen;  beim  nichtschwangeren  Weibe 
sind  l%o  Sublimat-Spülungen,  beim  Manne  Waschungen  damit  sicher  am 
wirksamsten;  Schwangere  können  Carbol  verwenden.  Diese  prophylactischen 
Ausspülungen,  beziehungsweise  Waschungen  verdienen  eine  viel  grössere  Be- 
achtung, als  ihnen  meist  zu  Theil  wird.  Die  Benützung  der  von  dem  Engländer 
Condom  empfohlenen  Ueberzüge  aus  dem  Blinddarm  von  Lämmern,  sowie  der 
jetzt  gebräuchlichen  Gummi-Präservativs  kann  ebenfalls  mit  dazu  beitragen, 
Infection  zu  erschweren.  Sichere  Gegenmittel  sind  sie  jedoch  ebenso  wenig, 
wie  die  Ausspülungen  und  Waschungen.  Dass  zur  Verhütung  der  Infection 
von  Kindern  intra  partum  prophylactische  Scheidenspülungen  der  Mutter 
vortheilhaft  sind,  wurde  schon  oben  (Antisepsis  in  der  Geburtshilfe)  erwähnt. 

Ebenso  wurde  schon  darauf  hingewiesen,  dass  die  bewusste  Uebertragung 
der  Infection  und  das  Heiraten  inficirter  Individuen  nicht  allein  vom  Stand- 
punkte der  persönlichen  Verantwortung,  sondern  auch  von  dem  des  Straf- 
richters aus,  einer  nachdrücklichen  Beachtung  bedarf. 


GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  299 

I.  Urethritis  gonorrhoica. 

Sie  stellt  die  häufigste  Form  der  Gonorrlioe  beim  Weibe  vor ;  fast  alle  gonor- 
rhoisch inficirten  Frauen  leiden  jirimär  an  Urethral-Gonorrhoe.  Die  Ansiodlung  der 
Mikroben  wird  begünstigt  durch  die  (mit  Unrecht  als  Krypten  bezeichneten)  Drüsen 
der  weiblichen  Harnröhre,  in  welchen  sie  auch  der  Therapie  schwer  zugänglich  sind. 
Von  hier  aus  kann  sowohl  das  periurethrale  Bindegewebe  als  —  wenn  auch  sehr " 
selten  —  die  Blase  gonorrhoisch  inficirt  werden.  Immerhin  ist  in  letzter  Zeit  von 
mehreren  Untersuchern  gezeigt  worden,  dass  es  eine  gonorrhoische  Cystitis  gibt. 

Im  Allgemeinen  ist  die  Urethritis  des  Weibes  weniger  hartnäckig  und  folgen- 
schwer als  die  des  Mannes ;  sie  heilt  oft  spontan  und  geht  seltener  als  beim  3Ianne 
in  die  chronische  Form  über.  Während  in  frischen  Fällen  ein  Theil  der  Inficirten 
über  Brennen  beim  Uriniren,  Harndrang,  manchmal  über  leichten  initialen  Frost 
u.  s.  w.  klagt,  geben  andere  mit  Bestimmtheit  an,  nie  solche  Erscheinungen  bemerkt 
zu  haben,  obwohl  sich  Gouococcen  in  der  Urethra  nachweisen  lassen.  Die  Urethral- 
Schleimhaut  ist  im  acuten  Stadium  geröthet,  geschwellt,  drängt  sich  oft  aus  dem 
Orificium  externum  urethrae  in  einem  scharlachrothen  Wulst  hervor ;  spontan  oder 
durch  Druck  von  der  Scheide  aus  entleert  sich  etwas  milchiger  Eiter;  der  Druck 
selbst  kann  empfindhch  oder  schmerzhaft  sein. 

Periurethrale  Infiltrate  kommen  in  Form  knotiger,  vereiternder  Herde 
oder  als  diffuse  Verdickung  des  die  Harnröhre  umgebenden  Bindegewebes  vor  ;  die 
Urethra  kann  man  dann  von  der  Scheide  aus  als  verdickten,  deichen,  empfindlichen 
Strang  fühlen.  Manchmal  betheihgen  sich  an  der  Erkrankung  auch  die  SxENE'schen 
Follikel,  welche  seitlich  von  der  MitteUinie  in  der  unteren  Wand  der  Urethra,  nahe 
dem  Orificium  externum  sitzen.  Sie  können  ebenfalls  vereitern  und  nach  dem  Durch- 
bruche kleine  Fisteln  gegen  die  Urethra  und  Vulva  hin  bilden. 

Die  pathologische  Anatomie  der  gonorrhoischen  Urethritis  bedarf  noch  in  vielen 
Punkten  des  Studiums.  Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dass  das  hiezu  nöthige 
Material  an  iuficirtem  Gewebe  schwer  zu  erhalten  ist. 

Die  acute  Form  kann  sowohl  spontan  heilen,  als  in  die  chronische  Ure- 
thritis übergehen;  wie  häufig  das  eine  oder  das  andere  geschieht,  lässt  sich  jetzt 
zahlenmässig  noch  nicht  angeben.  Die  chronische  Urethral-Gonorrhoe  macht 
meist  sehr  geringe  Symptome,  kann  aber  trotzdem  zu  einer  Quelle  erneuter  Infection 
werden.) 

In  einem  Falle  traten  binnen  Jahresfrist  mehrmals  recht  heftige  Rückfälle  auf;  die 
Urin-Entleerung  war  dann  erschwert,  ja  tagelang  spontan  unmöglich,  so  dass  katheterisirt 
werden  musste;  beim  Uriniren  hatte  die  Kranke  das  Gefühl,  als  ob  sich  „ein  Strohhalm 
in  die  Harnröhre  bohre".  Von  der  Scheide  aus  fühlte  man  die  Urethra  als  fast  kleinfinger- 
dicken, derben,  empfindlichen  Strang;  katheterisiren  war  schmerzhaft;  das  sehr  spärlich 
ausstreichbare  Secret  war  trübglasig,  nicht  eiterig.  Locale  Argentum  nitricnm-Behandlung 
Hess  die  Rückfälle  immer  seltener  auftreten,  behob  sie  aber  innerhalb  eines  Jahres  nicht  ganz. 

Diagnose:  Bei  allen  Fällen  von  Gonorrhoe  der  weiblichen  Genitahen  hat 
man  die  Urethra  zu  untersuchen,  Subjective  Erscheinungen  von  Seiten  derselben 
müssen  ja  nicht  stets  vorhanden  sein.  In  acuten  Fällen  kann  man  von  der  Scheide 
aus,  nach  vorn  streichend,  milchig-eiteriges  oder  trüb-glasiges  Secret  ausdrücken. 
Gelingt  dies  nicht,  so  holt  man  mit  der  Platindraht-Oese  etwas  Secret  aus  der 
Urethra,  nachdem  man  vorher  die  Urethral-Mündung  sorgfältig  gereinigt  hat.  Die 
mikroskopische  Untersuchung  des  Secrets  ist  sehr  wünschenswerth,  wenn  auch  oft 
die  klinische  Diagnose  ohne  dieselbe  mit  weitgehender  Sicherheit  gestellt  werden 
kann.  Ein  guter  diagnostischer  Behelf  ist  die  Zweigläserprobe :  Man  lässt  die 
Patientin  in  zwei  Gläser  uriniren  und  findet  bei  Gonorrhoe  oft  im  ersten  Glase 
trüben  oder  schleimige  Fäden  enthaltenden,  im  zweiten  Glase  klaren  Urin ;  ist  auch 
der  Urin  im  zweiten  Glase  trüb,  so  weist  dies  auf  bestehende  Cystitis  hin. 

Therapie:  Eine  grosse  Zahl  von  Frauen  kommt  wegen  der  geringen  Symptome 
bei  bestehender  Urethritis  gar  nicht  zum  Arzt ;  andere  kommen  wegen  des  „weissen 
Flusses",  der  durch  Cervical- Gonorrhoe  bedingt   ist,  während  die   gleichzeitige  Ure- 


SOO  GONORRHOE  DER  ^YEIBLICHEN  GENITALIEN. 

thral-Infection  keinerlei  subjective  Symptome  machte.  Wieder  bei  einem  anderen 
Theile  der  Inficirten  heilt  die  acute  gonorrhoische  Urethritis  spontan. 

In  diesen  Thatsacheu  liegt  schon  ein  Hinweis  darauf,  dass  durchaus  nicht 
immer  eine  locale  Behandlung  der  acuten  Form  nöthig  ist.  Und  in  neuester  Zeit 
mehren  sich  die  Stimmen,  so  besonders  von  Seiten  hervorragender  Berliner  Gj'näkologen 
(Veit,  Wintee,  Beüse  u.  A.),  gegen  eine  allzueifrige  locale  Behandlung;  es  ist  kaum 
fraglich,  dass  durch  diese  sogar  Verschlimmerungen  und  Complicationen  verursacht 
werden  können  (vgl.-  „Cervix-Gonori-hoe"). 

Bei  acuter  gonorrhoischer  Urethritis  genügen  Anfangs  allgemeine  Maassregehi : 
Euhe,  bei  Fieber  Bettruhe,  äussere  Waschungen  der  Vulva  mit  ^Iz^lo  Sublimat- 
Lösung,  blande  Diät,  Verbot  der  Cohabitation;  das  letzte  ist  bei  jeder 
gonorrhoischen  Infection  Haupterfordernis. 

Schliesst  sich  an  das  acute,  durch  die  relativ  starke  Eiterung  gekennzeichnete 
Stadium  eine  chronische  Urethritis  an,  so  wird  mau  diese  local  behandeln,  da  sie 
sonst  zur  Quelle  der  Infection  anderer  Organe  werden  kann.  Am  besten  haben  sich 
Aetzungen  mit  Argentum  nitricum  bewährt.  In  der  letzten  Zeit  bin  ich  von  der 
Anwendung  stärkerer  (2 — S^/n)  Lösungen  zurückgekommen,  wenngleich  sie  vielfach 
empfohlen  und  benützt  werden.  Aber  auch  Xeissek  ist  für  Anwendung  schwächerer 
Aetzmittel,  bezw.  Lösungen  eingetreten.  Mir  schien  die  (bei  der  Urethritis  des  Mannes 
häufig  verwendete)  Lösung  1  :  3000  bessere  und  länger  dauernde  Erfolge  zu  geben. 

Die  Patientin  lässt  man  behufs  Wegspülung  des  Secrets  vorher  uriniren. 
Die  Lösung  kann  man  hierauf  entweder  mit  BEAUN'scher  Spritze  oder  mit 
PLATFAiß'schen  gerauhten  Aluminium-Sonden,  oder  mit  Holzstäbcheu,  die  mit  Watte 
umwickelt  sind,  einbringen.  Solche  Aetzungen,  die  fast  schmerzlos  sind,  werden  alle 
drei  Tage  vorgenommen,  bis  die  objectiven  Symptome  geschwunden  sind  und  sich 
mikroskopisch  keine  Gonococcen  mehr  nachweisen  lassen.  Man  muss  aber  stets 
auf  Rückfälle  gefasst  sein  und  die  Patientin  nach  einiger  Zeit  wieder  controlii-en. 
—  Bei  manchen  Frauen  bewirkt  jede  intraurethrale  Behandlung  vorübergehendes 
Schwächegefühl,  Unbehagen,  ja  sogar  Verkleinerung  des  Pulses,  Blasswerden  des 
Gesichtes  u.  s.  w. ;  ernstere  Symptome  habe  ich  nicht  gesehen. 

Von  anderen  wird  das  Einlegen  von  Jodoform-Stäbchen  mit  Cacaobutter,  aus 
Neisser's  Klinik  (Jadassohn)  1—5%  Ichthyol-Lösung  empfohlen  (Ammon.  sulfo-ichthyol. 
l-Q— 50,  Aq.  dest.  90'0,  Glycerin  lO'O)  ;  man  kann  in  diese  Lösung  auch  Gaze-Streifen  ein- 
tauchen und  sie  für  eine  Stunde  lang  in  die  Urethra  einlegen.  —  Asch  verwendet  AI umnol; 
er  lässt  durch  die  Patientin  selbst  oder  deren  Angehörige  täglich  6 — 8mal  Einspritzungen 
einer  1 — 27o  Alumnol-Lösung  machen;  die  dazu  benützte  Spiitze  „fasst  5 — 10  ccin  Flüssig- 
keit, die  in  2 — 3  Portionen  versvendet  wird,  und  sie  hat  einen  stumpfen,  bezw.  olivenförmigen 
Ansatz  mit  weiter  Oeffnung,  der  fest  in  die  Harnröhrenmündung  aufgesetzt  werden  muss." 

II.  Vulvitis  gonorrhoica  Erwachsener ;  spitze  Condylome. 

Die  gonorrhoische  Vulvitis  Erwachsener  ist  anscheinend  meist  nur  eine  secun- 
däre  Erkrankung  bei  Infection  der  Xachbar-Organe  (Urethra,  Cervix  u.  s.  w.).  Die 
Frage,  ob  Haut  und  Bindegewebe  der  Vulva  gonorrhoisch  erkranken  können,  wird 
verschieden  beantwortet.  Manche  Autoren  nehmen  an,  dass  die  Vulva  nicht  durch 
die  Gonococcen  selbst,  sondern  durch  das  Secret  entzündlich  erkrankt,  welches  von 
höheren  Partien  kommend  über  sie  wegfliesst.  Ebenso  sollen  spitze  Condylome 
durch  „chemisch  reizende"  Secrete,  ja  sogar  ohne  das  Vorhandensein  von  Gonorrhoe 
entstehen  können,  so  z.  B.  bei  uichtgouorrhoischen  Schwangeren.  Andere  Autoren 
weisen  aber  darauf  hin,  dass  nicht  nur  —  was  ziemlich  allgemein  angenommen  wird  — 
die  Baetholix' sehen  Drüsen,  sondern  auch  die  Vulva  ebenso  wie  die  Scheide 
gonorrhoisch  erkranken  können  und  dass  spitze  Condylome  ein  specifisches  Product 
der  Gonorrhoe  sind.  Hildebeandt  hielt  schon  vor  Entdeckung  der  Gonococcen  daran 
fest,  dass  spitze  Condjdome  bei  Schwangeren  durch  eine  Infection  entstanden  sind. 
Dass  sie  bei  Gravidität  rascher  wachsen  und  im  Wochenbett  häufig  verschwinden, 
ist  nach  ihm  kein  Beweis  gegen  die  gonorrhoische  Xatur ;  denn  auch  während  der 
M_enses  wachsen  sie  rascher  oder  schwellen  an. 


GONOEEHOE  DEE  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  301 

Zweifellos  gibt  es  aber  auch  nichtgononhoischo  Entzündungen  der  Vulva,  so 
bei  jauchenden  Vulva-  oder  Uterus-Carcinomen,  bei  Urinfisteln  ;  ferner  in  der  Form  von 
Eczemen  der  Vulva  u.  s.  w. 

Bei  gonorrhoischer  Infection  ist  die  Vulva  gcröthet,  die  Küthung  kann  an  der 
Innenfläche  der  Oberschenkel  weit  herabreichen,  sich  auf  Damm  und  Gesässbacken 
erstrecken.  Die  grossen  Labien  sind  oft  geschwellt,  die  kleinen  Labien  und  die 
Vorhaut  der  Clitoris  manchmal  so  stark  ödematös,  dass  sie  zwischen  den  grossen 
Labien  weit  hervorragen.  Die  Haut  der  Vulva  ist  nicht  selten  feinkörnig,  wie 
chagrinirt:  es  handelt  sich  um  eine  Schwellung  der  Papillarkörper,  also  um  die 
Vorstufe  der  spitzen  Condylome.  In  anderen  Fällen  sieht  man  die  geschwellten 
Follikel  als  flache  Buckel  sich  vorwölben ;  Haut  und  Schamhaare  sind  bei  hohen 
Graden  der  Erkrankung  mit  Eiter  bedeckt,  die  Haut  stellenweise  erodirt. 

Spitze  Condylome  können  vereinzelt,  zu  mehreren  oder  so  massenhaft 
auftreten,  dass  grosse  Theile  der  Vulva  und  die  angrenzenden  Stellen  ganz  mit 
Paketen  von  Condylomen  bedeckt  sind.  Durch  den  Druck  der  Glutäen  werden  sie 
am  Damm  u.  s.  w.  abgeplattet.  Dass  Condylome  während  der  Menses,  noch  mehr 
während  der  Schwangerschaft  rasch  grösser  werden,  nach  der  Entbindung  aber  sich 
verkleinern,  ja  sogar  verschwinden  können,  wurde  schon  erwähnt. 

Selten  geht  die  acute  Form  in  die  chronische  Vulvitis  über  ;  die  Haut  wird 
blass,  sondert  kein  eitriges  Secret  mehr  ab,  nur  einzelne  Follikel  ragen  noch  etwas 
über  die  Oberfläche  empor  und  können  vereitern.  Jahrelang  sind  in  solchen  Folli- 
keln gelegentlich  noch  Gonococcen  nachweisbar.  Durch  die  Vereiterung  inflcirter 
Follikel  können  kleine  Geschwüre  entstehen.  Die  chronische  Form  kann  durch 
den  bestehenden  Juckreiz  zur  Verwechslung  mit  Pruritus  vulvae  Anlass  geben,  wenn 
nicht  —  was  kaum  zu  bezweifeln  ist  —  der  letztere  thatsächlich  manchmal  als 
chronische  gonorrhoische  Vulvitis  anzusehen  ist ;  in  solchen  Fällen  würde  sich  Sängek's 
Bezeichnung    „Vulvitis  pruriginosa"  statt  Pruritus  vulvae  besonders  empfehlen. 

Symptome:  Unter  den  subjectiven  Beschwerden  ist  das  heftige  Jucken  und 
Brennen  am  unangenehmsten ;  es  kann  sich  bis  zum  Schmerz  steigern  und  das  Gehen 
fast  unmöglich  machen ;  besonders  bei  Benetzung  der  entzündeten  Flächen  mit  Urin 
wird  der  brennende  Schmerz  überaus  heftig. 

Die  Therapie  muss  sich,  da  die  gonorrhoische  Vulvitis  fast  stets,  wenn 
nicht  immer,  eine  Secundär-Aflfection  ist,  vor  Allem  gegen  die  bestehende  Urethritis, 
Endometritis  cervicis  u.  s.  w.  richten.  Ausserdem  ist  häufige  Waschung  der  Vulva 
mit  warmem  Wasser,  Seife  und  Desinficientien,  besonders  V2%o  Sublimat,  Tragen 
von  Vulva-Binden  („Menstruations-Binden")  mit  salicylirter  Watte,  in  hartnäckigen 
Fällen  aber  locale  Behandlung  nöthig ;  zu  dieser  benützt  man  Pinselungen  mit 
1 — 270  Argentum  nitricum-Lösung,  welcher  man  Waschungen  und  Abreibung  mit 
Aether  behufs  Entfettung  vorhergehen  lässt. 

Spitze  Condylome  trägt  man  am  besten  operativ  ab.  Natürlich  desinficirt  man 
die  Vulva  vorher,  fasst  die  grösseren  Condylome  einzeln  mit  der  Pincette  und 
schneidet  sie  mit  der  Scheere  weg ;  die  kleinsten  Wärzchen  braucht  man  nicht  zu 
excidiren.  Die  geringe  Blutung  stillt  man  durch  Aufdrücken  von  steriler  Watte 
oder  Gaze  oder  durch  Bestreichen  der  Wundfläche  mit  Lapis-Stift.  Grössere  Pakete 
von  Condylomen  trägt  man  sammt  der  Hautbasis  mit  dem  Messer  schrittweise  von 
unten  nach  oben  ab ;  spritzende  Gefässe  unterbindet  man  und  schliesst  die  Wunde 
mit  Seidenknopfnaht.  Auf  diese  Weise  können  geradezu  plastische  Operationen  an 
der  Vulva  nöthig  werden. 

Nur  für  messerscheue  Frauen  und  bei  geringer  Entwicklung  der  Condylome 
mag  das  Bestreuen  derselben  mit  Pulvis  Sabinae  angewendet  werden.  Es  ist  keine 
Frage,  dass  bei  Behandlung  der  primären  Urethral-,  Cervix-  u.  s.  w.  Gonorrhoe  und 
peinlicher  Reinhaltung  der  Vulva  auch  unter  dieser  Behandlung,  allerdings  erst  nach 
längerer  Zeit,  Condylome  zum  Verschwinden  gebracht  werden  können.  Das  spricht 
zweifellos  auch  dafür,  dass  gonorrhoische  Infection  der  Vulva  ein  secundärer  Process 
ist.    Wegen  der  Infections-Gefahr  müssen  ausgedehnte  Condjiome  auch  während  der 


302  GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

Scliwangerscliaft  abgetragen,  kleinere  mit  Desinficientien  behandelt  werden,  wenngleich 
sie  nach  der  Geburt  spontan  kleiner  werden,  ja  sogar  verschwinden  können. 

III.  Bartholinitis  gonorrhoica. 

j)ie  gonorrhoische  Bartholinitis  *)  gehört  allerdings  zum  Gesammtbilde  der  gonor- 
rhoischen Vulvitis;  ätiologisch  ist  sie  davon  nicht  zu  trennen.  Klinisch  nimmt  sie  aber 
in  mancher  Hinsicht  eine  besondere  Stellung  ein:  sie  ist  manchmal  das  wichtigste, 
wenn  nicht  einzig  in  die  Erscheinung  tretende  Symptom  der  gonorrhoischen  Vulvitis; 
sie  verlangt  oft  eine  Behandlung  für  sich,  wenn  andere  Symptome  fehlen,  und  sie 
kann  für  die  jahrelange  Verschleppung  und  für  die  Uebertragung  der  Gonorrhoe 
von  besonderer  Bedeutung  sein;  in  dieser  Hinsicht  ist  ihre  Beachtung  besonders  auch 
für  den  Polizeiarzt  wichtig. 

Man  muss  eine  acute  und  eine  chronische  Form  unterscheiden;  beide  gehen 
in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  von  gonorrhoischer  Infection  aus,  wenn  es 
auch  nichtgonorrhoische  Bartholinitis  geben  kann.  Man  hat  bei  der  acuten,  absce- 
direnden  Form  sowohl  Gonococcen  allein  als  Gonococcen  mit  anderen  Eiter-Erregern 
gefunden;  die  chronische  Form  hält  Sänger  ausnahmslos  für  gonorrhoisch. 

a)  Acute  Bartholinitis.  Sie  kann  entweder  bei  bestehender  acuter  gonor- 
rhoischer Infection  oder  erst  später,  nach  Ablauf  aller  übrigen  acuten  Symptome  auf- 
treten und  dann  den  einzigen  Hinweis  auf  eine  früher  erfolgte  gonorrhoische  In- 
fection bilden;  die  acute  und  noch  mehr  die  chronische  Bartholinitis  muss  deshalb 
stets  den  Verdacht  auf  eine  früher  erfolgte  gonorrhoische  Infection  hervorrufen  und 
zu  einer  genauen  Untersuchung  des  Genital-Apparates  veranlassen. 

Die  inficirte  Drüse  fühlt  man  im  unteren  Theile  der  grossen  Labien  als  pralle, 
meist  scharf  begrenzte  Anschwellung;  Noeggerath  macht  auf  deren  Kometen- 
schweifform aufmerksam;  Sänger  bezeichnet  die  um  den  Ausführungsgang  herum 
(besonders  auch  bei  chronischer  Bartholinitis)  meist  bestehende  Eöthung  als  Macula 
gonorrhoica. 

Fast  stets  kommt  es  zur  Vereiterung  der  Drüse.  Die  Schmerzen  nehmen  dann 
zu,  Fieber  tritt  meist,  Frost  manchmal  auf  und  der  weitere  Verlauf  ist  der  jeder 
anderen  Abscedirung:  Verdünnung  der  Haut,  Durchbruch.  Der  letztere  erfolgt  meist 
an  der  Innenseite  der  Labien,  selten  durch  Senkung  nach  unten  am  Damm  oder  ins 
Eectum.  Sowohl  vor  als  nach  dem  Durchbruch  kann  es  zur  Bildung  recht  bedeu- 
tender Abscess-Höhlen  kommen,  die  sich  besonders  nach  oben  oft  bis  in  die  Gegend 
des  Mons  Veneris  erstrecken  können. 

Therapie:  Glaubt  man,  die  Eiterung  hintanhalten  zu  können,  so  wird  man 
Umschläge  mit  Watte  machen  lassen,  die  mit  antiseptischen  Lösungen  getränkt  ist; 
Bettruhe  ist  nöthig. 

Meist  tritt  aber  Vereiterung  ein.  Da  die  Drüse  ziemlich  tief  sitzt,  fühlt  man 
Anfangs  nicht  gleich  Fluctuation,  sondern  kann  nur  aus  den  grossen  Schmerzen,  be- 
sonders bei  Druck,  aus  der  Röthung  der  Haut  und  dem  Fieber  auf  Eiterung  schliessen. 

Differentiell-diagnostisch  sind  diese  Symptome  wichtig;  bei  Hämatomen  fehlt 
Röthung  und  Fieber;  vereitern  Hämatome,  so  müssen  sie  ebenso  gut  wie  abscedirende 
Bartholin' sehe  Drüsen  incidirt  werden;  Cysten,  Hernien  etc.  der  Labien  lassen  eben- 
falls Röthung  und  Fieber  vermissen. 

Ist  Eiterung  festgestellt  (in  schwierigen  Fällen  und  beim  Ausschluss  von  Hernien 
durch  Probe-Punction  mit  Pravaz'scher  Spritze),  so  muss  man  thunlichst  bald  inci- 
diren;  man  spaltet  die  Abscess-Höhle  der  Länge  nach  ausgiebig  nach  unten  und 
oben;  nach  Ausspülung  der  Höhle  wird  diese  mit  Jodoform-  oder  Dermatol-Gaze 
ausgestopft  und  Watte  darübergelegt;  Bettruhe  ist  nöthig,  bis  die  Wundhöhle  ver- 
kleinert und  mit  Granulationen  bedeckt  ist.  Verbände  sind  schwer  anzubringen,  da 
die  Urin-Entleerung    ein  häufiges    Abnehmen    erfordern   würde.     Man   muss    darauf 


*    Vergl.  auch  Artikel  „Bartholinitis",  pag.  61. 


GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  303 

achten,  dass  sich  die  Wunde  niclit  unter  Fistclhiklung  sclilicsst;  deslialb  ist  Anfangs 
ausgedehnte  Spaltung  und  dann  ein  Ausstopfen  der  Abscess-Hohle  mit  Gaze  nöthig; 
man  wiederholt  das  letztere  alle  1 — 2  Tage. 

b)  Chronische  Bartholinitis.  Kommt  es  nicht  zur  Eiterung,  so  kann 
die  gonorrhoische  Infection  der  Drüse  und  ihres  Ausführungsganges  clironisch  werden. 
Der  gewundene  und  ziemlich  lange  Ausführungsgang  kann  durch  Secret-Stauung  kleine 
Cysten  bilden,  die  sich  ebenso  wie  die  inficirte  Drüse  als  derbe  Knötchen  fühlen 
lassen.  Ist  der  Ausführungsgang  nicht  ganz  verschlossen,  so  entleert  sich  bei  Druck 
eitriges,  milchig-schleimiges  oder  auch  rein  glasiges  Secret,  in  welchem  Gonococcen 
nachweisbar  sind.  Die  Köthung  der  Stelle,  an  welcher  der  Ausführungsgang  mündet 
(Macula  gonorrhoica)  wurde  schon  erwähnt. 

Finger  u.  A.  weisen  mit  Recht  auf  die  Bedeutung  der  chronischen  Bartho- 
linitis hin.  In  ihr  ist  ein  schwer  zugänglicher  Schlupfwinkel  der  gonorrhoischen 
Infection  gegeben;  ist  die  Drüse  und  ihr  Ausführungsgang  zufällig  (so  durch  Coha- 
bitation,  äussere  Waschungen  etc.)  oder  absichtlich  entleert  worden  (was  von  Pro- 
stituirten  vor  der  polizeiärztlichen  Untersuchung  aus  naheliegenden  Gründen  geschieht), 
so  kann  es  schwer  sein,  die  thatsächlich  bestehende  gonorrhoische  Infection  nach- 
zuweisen. FiNGEE  erklärt  dadurch  auch  die  Thatsache,  dass  von  einem  und  dem- 
selben Weibe  ein  Mann  inficirt  werden,  ein  unmittelbar  darauf  folgender  aber  gesund 
bleiben  kann  —  das  Secret  hatte  sich  eben  während  der  ersten  Cohabitation  ent- 
leert. Auf  dieselbe  Weise  erklärt  es  sich,  dass  ein  Mann  durch  das  an  chronischer 
Bartholinitis  leidende  Weib  inficirt  werden  kann,  während  man  bei  nachfolgender 
Untersuchung  des  Weibes  kein  sicheres  Zeichen  von  Gonorrhoe  findet. 

Die  Behandlung  muss  energisch  sein,  wenn  sie  Erfolg  haben  soll.  Am  sichersten 
ist  es,  die  derbe  Drüse  auszuschälen  oder  sie  und  den  Ausführungsgang  zu  spalten 
und  mit  energischen  Aetzmitteln  (Lapis-Stift)  zu  verschorfen. 

IV.  Vulvovaginitis  bei  Kindern. 

Gonorrhoische  Infection  kommt  bei  neugeborenen  Mädchen  und  bei  Mädchen  vor 
der  Pubertät  leider  nicht  allzu  selten  vor  und  sie  ist  schon  wiederholt  in  der  Form 
ausgedehnter  Endemien  beobachtet  worden.  Die  Uebertragung  kann  von  der  INIutter 
auf  das  Kind  intra  partum  erfolgen,  aber  auch  im  Wochenbett  durch  unreinliche 
Mütter,  welche  ihre  Kinder  selbst  pflegen,  sie  mit  sich  ins  Bett  nehmen  u.  s.  w.: 
in  Anstalten  sind  Endemien  von  mehreren  hundert  Fällen  durch  Benützung  inficirter 
Schwämme,  Wäsche  und  Badewannen  vorgekommen;  Sänger  gebraucht  den  Yergleich, 
in  solchen  Badewannen  seien  die  Kinder  inficirt  worden,  wie  die  Fischmilch  den  Laich 
befruchtet.  Eine  Uebertragung  ist  ferner  möglich  und  anscheinend  nicht  allzu  selten 
durch  das  Zusammenschlafen  erwachsener  gonorrhoischer  Weiber  mit  kleinen  Mädchen; 
seltener  wird  die  Infection  durch  Nothzucht  und  Unzucht  vermittelt. 

Die  Haut  der  Scheide  und  Vulva  scheint  bei  Kindern  (s.  auch  ^Kolpitis  gonor- 
rhoica^') dem  Eindringen  der  Gonococcen  weniger  Widerstand  zu  leisten  als  bei 
Erwachsenen.  Offenbar  besteht  eine  verschiedene  Widerstandskraft  des  Epithels  je 
nach  seiner  Weichheit,  Auflockerung  und  dem  Alter  der  Individuen.  Daraus  erklärt 
es  sich,  dass  bei  Kindern  die  Gonorrhoe  anscheinend  primär  an  Vulva  und  Vagina 
vorkommt.  Immerhin  bedarf  auch  hier  noch  vieles  der  Aufklärung.  Vielleicht 
spielt  hier  auch  der  von  Döberlein  nachgewiesene  geringere  Säui'egehalt  der  kind- 
lichen Scheide  (bedingt  durch  das  Fehlen  der  säurebildenden  Scheidenbacillen)  eine 
Eolle  ;  die  Gonococcen  können  sich   beim  Fehlen  des  Säuregehaltes  leichter  ansiedeln. 

Umgekehrt  können  nach  Döedrlein  die  in  der  Scheide  Erwachsener  vorhan- 
denen Gonococcen  das  Secret  so  verändern,  dass  sich  auch  andere  pathogene  Mi- 
kroben dann  leichter  ansiedeln. 

Die  beklagenswerthe  Thatsache,  dass  diese  tückische  Krankheit  ihre  Opfer 
schon  im  frühesten  Alter  befallen  kann,  wird  noch  ernster  durch  den  Umstand,  dass 
die  Infection  offenbar  Jahre  hindurch  latent  bestehen,  ja  vielleicht  den  Grund  späterer 


304  GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

Leiden  der  Erwachseuen  bilden  kann.  Bei  Kindern  und  Jungfrauen  ist  schon  gonor- 
rhoisclie  Salpingitis,  Pyosalpinx  und  Peritonitis  beobachtet  worden. 

In  manchen  Fcällen  scheint  die  Krankheit  spontan  zu  heilen,  in  anderen  trotzt 
sie  selbst  einer  laugdauernden  und  sorgfältigen  Behandlung  ;  diese  wird  besonders 
durch  den  Hymen  erschwert. 

Die  Symptome  sind  die  einer  heftigen,  eitrigen  Entzündung ;  dazu  kann  sich 
starkes  Oedem  gesellen.  Die  Vulva  findet  man  stark  geröthet,  geschwellt,  mit  Eiter 
beschmiert,  der  auch-  aus  der  Scheide  hervorquillt. 

Die  Behandlung  besteht  im  acuten  Stadium  in  Reinigung  und  Reinhaltung  der 
Vulva  und  Scheide  durch  Waschen  und  vorsichtiges  Ausspülen  mit  schwachen  Des- 
infections-Lösungen  (Kai.  hypermang.  1  :  200),  fleissiges  Baden  der  Kinder  (die 
Badewanne  muss  peinlich  reingehalten  und  darf  trotzdem  von  anderen  Kindern  nicht 
benützt  werden)  und  Vorlegen  von  Watte  vor  die  Vulva.  Ganz  besonders  zu  beachten 
ist  die  Uebertragungsfähigkeit  der  Inf«ction  auf  die  Augen. 

Sind  die  ersten  stürmischen  Symptome  vorüber,  so  beginnt  man  mit  localer 
Behandlung :  man  spült  die  Scheide  unter  Erhaltung  des  Hymen  mit  Kai.  hypermang.- 
Lösung  (1  :  200)  oder  schwacher  Sublimat-Lösung  täglich  1 — 2mal  aus  und  legt 
alle  2 — 3  Tage  ein  Jodoform-Stäbchen  ein ;  zu  versuchen  sind  auch  Auswischungen 
der  Scheide  mit  0'5 — 1%  Argentum  nitricum  oder  mit  0'5%  Sublimatlösung. 

Die  Behandlung  erfordert  ausserordentliche  Geduld ;  sie  führt  oft  erst  nach 
Monaten  zum  Ziel  und  auch  dann  vielleicht  nur  zum  Authören  der  von  aussen  sicht- 
baren Symptome.  Wie  lange  sich  die  Infection  an  den  inneren  Genitalien  erhalten 
und  wie  oft  sie  höher  fortkriechen  kann,  darüber  fehlen  zunächst  noch  sichere  Be- 
obachtungen.    Stets  aber  ist  die  Infection  als  eine  sehr  ernste  Sache  zu  betrachten. 

V.  Kolpitis  (Vaginitis,  Elytritis)  gonorrhoica,  i) 

Die  Ansichten  über  die  gonorrhoische  Scheiden-Entzündung  haben  in  kurzer 
Zeit  eine  starke  Wandlung  durchgemacht :  Vor  weniger  als  zwei  Jahrzehnten  hielt 
man  noch  die  Kolpitis  für  die  häufigste  Form  der  gonorrhoischen  Infection  des 
Weibes  und  die  Urethritis  für  selten ;  Bumbi  stellte  die  umgekehrte  Ansicht  auf ; 
er  gab  an,  es  gebe  eine  gonorrhoische  Kolpitis  überhaupt  nicht,  dagegen  localisire 
sich  die  Gonorrhoe  vor  Allem  in  der  Urethra.  Heute  steht  man  auf  einem  ver- 
mittelnden Standpunkte,  dessen  wichtigste  Stützen  wir  Weetheim  verdanken :  die 
Urethritis  ist  die  häufigste  Form  der  Gonorrhoe  des  Weibes,  aber  es  gibt  auch  — 
wenngleich  seltener  —  eine  gonorrhoische  Kolpitis. 

Das  Vorkommen  der  letzteren  ist  nach  Schwarz,  Sänger  u.  A.  wohl  nicht 
mehr  zu  bezweifeln.  Während  man  früher  annahm,  die  bei  Cervix-Gonorrhoe  auf- 
tretende Kolpitis  sei  nur  eine  Wirkung  des  chemischen  Reizes,  welchen  das  Secret 
ausübe,  fand  Schwarz  Gonococcen  im  Pflaster-Epithel  der  Scheide  selbst ;  er  reinigte 
vorher  die  Scheide  energisch  von  Schleim  und  Mikroben  und  schabte  dann  mit  der 
Curette  Epithel  ab  ;  im  Scheiden-Schleim  selbst  sind  die  Gonococcen  ja  schwer  oder 
oft  gar  nicht  im  Gewirr  der  übrigen  Bacterien  nachzuweisen.  Aus  klinischen  Gründen 
sprachen  andere  Untersucher  gewisse  Formen  der  Kolpitis  und  auch  die  granuläre 
Kolpitis  als  meistens  gonorrhoisch  an.  Genaue  mikroskopische  und  culturelle  Unter- 
suchungen sind  noch  unbedingt  erforderlich. 

Der  heutige  Standpunkt  lässt  sich  etwa  so  darstellen  :  Es  gibt  bei  Kindern 
in  Folge  der  Zartheit  des  Scheiden-Epithels  eine  primäre  gonorrhoische  Kolpitis ; 
bei  Erwachsenen  kommt  sie  primär  nur  dann  vor,  wenn  das  Epithel  wenig  wider- 
standsfähig ist,  also  „bei  Greisinnen,  Schwangeren,  bei  zartgebauten  Frauen,  nament- 
lich Blondinen,  kurz  bei  Dünne,  Feinheit,  bei  Maceration  und  Desquamation  des 
Epithels"  (Sänger).  Ferner  kommt  gonorrhoische  Kolpitis  bei  Erwachsenen  auch 
secundär  vor,  u.  zw.  hauptsächlich  in  Folge  bestehender  gonorrhoischer  Endometritis 
(des  Cervix  und  Corpus) ;  besteht  die  letztere,  so  wird  trotzdem    die  Scheide    nicht 


^)  Ueber  die  Bezeichnung  vgl.  später  unter  Artikel  „Kolpitis'^. 


GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  305 

stets  (nach  Luczny  bei  40-4''/o  der  gonorrhoischen  Frauen)  und  manchmal  erst  spät 
inficirt;  mit  dem  Aufhören  oder  Nachlassen  der  gonorrhoischen  Endometritis  kann 
die  Scheiden-Gonorrhoe  spontan  heilen.  Ob  eine  Entzündung  der  Scheide  durch  den 
chemischen  Reiz  des  Cervix-Secretes  zu  Stande  kommt,  ist  fraglich.  Es  erscheint 
aber  schwer,  anzunehmen,  dass  jene  starken,  mit  Eiterung,  hochgradiger  Papillen- 
schwellung u.  s.  w.  einhergehenden  Entzündungen  nur  durch  einen  chemischen  Reiz 
bewirkt  sein  sollen.  Da  nach  Wertheim  sowohl  mehrschichtiges  Epithel,  als  Rinde- 
gewebe und  sogar  Musculatur  gonorrhoisch  inficirt  werden  können,  ist  die  Erklärung 
doch  viel  einfacher,  es  handle  sich  um  eine  wirkliche  gonorrhoische  Kolpitis. 

Allerdings  ist  die  Scheide  offenbar  dank  ihrer  histologischen  Beschaffenheit 
(sie  ist  eine  Uebergangshaut,  keine  Schleimhaut)  widerstandsfähiger  gegen  Gonorrhoe 
und  wird  mit  ihr  leichter  fertig,  als  Schleimhäute. 

Pathologische  Anatomie:  Die  gonorrhoische  Kolpitis  äussert  sich  durch  eine 
oft  recht  starke  Schwellung  der  Scheide;  unter  Abstossung  der  oberflächlichen  Epithel- 
Lagen  kommt  es  zur  Bildung  schmutziggelben  bis  grünlichgelben,  rahmigen  Eiters; 
in  Folge  der  Wirkung  anderer  Bacterien  kann  er  mit  Gasblasen  durchsetzt  sein. 
Die  Scheide  fühlt  sich  heisser  an  als  gewöhnlich,  theils  durch  wirkliche  Temperatur- 
Steigerung,  theils  durch  erhöhten  Blutgehalt.  Ziemlich  häufig  schwellen  die  Einde- 
gewebs-Papillen  der  Scheide  und  Portio  an,  ihr  Epithel  wird  an  der  obersten  Stelle 
theilweise  oder  ganz  abgestossen,  und  sie  ragen  dann  als  scharlachrothe,  leicht  blu- 
tende, hirsekorn-  bis  apfelkerngrosse  Körnchen  über  die  Oberfläche  empor:  Kol- 
pitis granulosa  oder  papillaris.  Beim  Touchiren  fühlt  sich  die  Scheide  da- 
durch wie  chagrinirt  an.  Die  Körnchen  sitzen  meist  im  oberen  Theile,  seltener  in 
der  ganzen  Ausdehnung  der  Scheide  und  auf  der  Portio.  Durch  den  starken  Aus- 
fluss  entstehen  (theils  in  Folge  der  Maceration  und  Desquamation  des  Epithels,  theils 
als  wirkliche  gonorrhoische  Infection)  Eczeme  und  Intertrigo  der  Vulva.  Keinem 
Zweifel  kann  es  unterliegen,  dass  ein  Theil  des  in  der  Scheide  enthaltenen  Secrets 
vom  Cervix  stammt ;  aber  ebenso  sicher  hat  auch  die  Scheide  einen  erheblichen 
Antheil  daran.  Für  das  Bestehen  einer  primären  gonorrhoischen  Kolpitis  (deren 
Vorkommen  mehrere  Autoren  berichten)  wäre  es  beweisend,  wenn  man  bei  Frauen 
nach  Total-Exstirpation  des  Uterus  gonorrhoische  Kolpitis  fände. 

Verlauf:  Das  acute  Stadium  dauert  1 — 2  Wochen  und  geht  selbst  bei  fehlen- 
der Behandlung  meist  in  ein  subacutes  Stadium  über,  dem  spontane  Heilung  folgen 
kann.  Recidive  sind  selten,  kommen  aber  vor.  Es  scheint  auch  eine  chronische 
Kolpitis  auf  gonorrhoischer  Basis  zu  bestehen;  sie  bedarf  aber  noch  des  bacterio- 
logischen  Nachweises.  Die  Scheidenhaut  ist  dabei  verdickt,  derb,  stellenweise  fleckig 
geröthet  oder  erodirt.  Die  Erkrankung  soll  in  die  alsXerosis  vaginae  bezeich- 
nete Form  übergehen  können,  welche  sich  durch  eine  Umwandlung  der  Scheide  in 
ein  derbes,  mit  harten  Falten  ausgestattetes,  wenig  nachgiebiges  Rohr  auszeichnet; 
sie  kommt  besonders  bei  Puellen  vor. 

Die  Symptomf  der  acuten  Kolpitis  sind  Ziehen  und  Brennen  in  der  Scheide, 
weisser,  gelblicher  bis  gelblichgrüner  Ausfluss;  nicht  stets  sind  erhebliche  Schmerzen 
vorhanden,  sie  können  aber  auch  hochgradig  werden,  bei  der  Defäcation  zunehmen: 
Fieber  und  Frost  können  sich  dazu  gesellen.  Die  Frauen  fürchten  sich  vor  der 
Cohabitation,  auf  welche  der  ungebildete  und  rohe  Gatte  nicht  stets  verzichten  will. 
Die  gleichzeitige  Vulvitis  kann  das  Bild  des  Vaginismus  vortäuschen. 

Diagnose.  Gesichert  wird  die  Diagnose  auf  gonorrhoische  Kolpitis  dui'ch  den 
Nachweis  von  Gonococcen  im  Scheidengewebe,  also  nicht  im  Schleim  allein.  Dieser 
Nachweis  wird  durch  das  erwähnte  Verfahren  von  Schwajrz  erleichtert.  In  der 
Praxis  ist  die  Diagnose  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit,  aber  auf  andere  Weise 
möglich:  einerseits  ist  eine  acute,  eitrige  Kolpitis  ohne  Zusammenhang  mit  Geburt, 
Wochenbett,  Trauma,  seniler  Atrophie  und  allgemeinen  Infections-Kranlvheiten  stets 
auf  Gonorrhoe  verdächtig;  der  Verdacht  wird  andererseits  fast  zui-  Gewissheit,  wenn 
gleichzeitig  gonorrhoische  Urethritis  oder  Endometritis  besteht.  Auch  hier  wird  man 
sich  Sänger    anschliessen  können,    w^enn    er    die  Gonorrhoe   für  eine   klinisch  wohl 

■ßibl.    med.  "Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gjnaekolosie.  20 


306  GONORRHOE  DER  ^YEIBLICHEN  GENITALIEN. 

charakterisirte  Krankheit  hält,   welche   nicht  stets  des  bacteriologischen  Nachweises 

bedarf. 

TJierapie.  Aus  dem  Gesagten  ergeben  sich  von  selbst  einige  Anhaltspunkte 
für  die  Behandluno-.  Die  Kolpitis  erfordert  in  jedem  Stadium  zunächst  nur  eine 
allgemeine  und  symptomatische  Behandlung,  aber  man  muss  die  gleichzeitig  bestehende 
Gonorrhoe  der  Nachbar-Organe  im  subacuten  und  chronischen  Stadium  local  behandeln. 
Erst  wenn  auch  dann  die  Kolpitis  nicht  schwindet,  wird  sie  selbst  local  in  Angrifi 
genommen. 

Die  AUgemein-Behandlung  besteht  wie  bei  jeder  gonorrhoischen  Genital-Er- 
krankung in  Ruhe,  nöthigenfalls  Bettruhe,  Diät,  Sorge  für  Stuhlgang,  Scheiden- 
spülungen (Kalium  hypermang.  1  :  500,  3*^/0  Carbol-,  VaVoo  Sublimat-Lösung)  Eis- 
blase, Narcoticis;  von  letzteren  sind  Opium-Suppositorien  wirksam,  ohne  allzu  un- 
günstige Neben- Wirkungen  (Op.  pur.  Oa,  Butyr.  Cac.  1-5,  M.  f.  suppos.);  von  Extr. 
Hyoscyami  und  Extr.  Belladonnae  habe  ich  wenig  oder  keine  Wirkung  gesehen. 

Ist  im  chronischeu  Stadium  der  Kolpitis  eine  locale  Behandlung  nöthig,  so 
muss  sie  nach  meiner  Ansicht  vom  Arzte  selbst  vorgenommen  werden;  ich  möchte 
mich  (im  Gegensatz  zu  anderen)  dagegen  aussprechen,  diese  Behandlung  der  Patientin 
selbst  oder  einer  Hebamme  anzuvertrauen.  Abgesehen  von  der  Gefahr  einer  Ueber- 
tragung  auf  die  Augen  der  Patientin  oder  Hebamme  und  auf  Augen  und  Genitalien 
anderer  Pfleglinge  der  Hebamme,  bedarf  die  Behandlung  der  vollen  Sorgfalt  und 
Sachkenntnis  eines  Arztes,  wenn  sie  Erfolg  haben  soll.  Und  selbst  dem  geübtesten 
und  erfahrensten  Facharzte  wird  das  Wort  Noeggerath's  von  der  Unheilbarkeit  der 
Gonorrhoe  oft  genug  in  den  Sinn  kommen,  wenn  er  sich  Monate  und  —  vielleicht 
mit  längeren  Pausen  —  Jahrelang  vergeblich  bemüht  hat,  den  unheilvollen  Ein- 
dringling zu  bannen. 

In  der  localen  Behandlung  haben  sich  Argentum  nitricum  und  Sublimat  am 
meisten  Anhänger  erworben.  Die  Scheide  wird  gründlich  ausgespült,  ein  Röhren- 
speculum  (nicht  aus  Metall!)  eingeführt  und  nach  Auswischung  der  Scheide  mit  Watte 
werden  die  entzündeten  Stellen  unter  allmäligem  Zurückziehen  des  Speculum,  so 
dass  nach  und  nach  die  ganze  Wand  der  Scheide  sichtbar  wird,  mit  1 — 20/0  Argentum 
nitricum-Lösung  energisch  ausgewischt;  schliesslich  wird  zum  Schutze  der  Wäsche  ein 
Tampon  eingelegt,  den  man  gleichzeitig  zu  therapeutischen  Zwecken  mit  3"/o  Carbol, 
1/2 "/o  Sublimat  0.  Ae.  tränken  kann,  statt  dessen  Andere  auch  Jodoform-Gaze  benützen; 
letztere  wird  den  Frauen  wegen  des  Geruchs  oft  recht  lästig.  So  verfährt  man  alle 
3 — 4  Tage  bis  zum  Aufhören  der  Symptome.  Ausspülungen  mit  Kalium  hyper- 
manganicum  und  anderen  Desinficientien  (wohl  alle  sind  dazu  schon  verwendet  worden) 
macht  die  Patientin  täglich  2 — 3mal  während  und  selbst  Wochenlang  nach  der 
Behandlung. 

ScHWAEz  reinigt  Yulva  und  Vagina  zuerst  mit  l°/oo  Sublimat,  reibt  dann  die 
Scheide  im  Speculum  mittelst  Wattebauschen  mit  1%  Sublimat-Lösung  aus  und  legt 
dann  Jodoform-Gaze  ein.  Dieses  Verfahren  w^endet  er  zweimal  innerhalb  3  Tagen 
an;  die  Gaze  bleibt  jedesmal  3  Tage  lang;  darnach  lässt  er  die  Patientin  selbst 
2  Wochen  lang  täglich  2  Scheidenspülungen  mit  Vg^oo  Sublimat-Lösung  machen. 

Sänger  legt  zuerst  Tannin-Glycerin-Tampons  ein,  reinigt  am  nächsten  Tage 
die  Scheide  durch  Ausseifen  und  ätzt  sie  dann  im  Speculum  mit  1 — 2^00  Sublimat- 
Lösung;  dann  Tampons,  die  mit  Jodoform-Glycerin  getränkt  sind. 

Es  ist  nöthig,  ein  paar  Worte  über  die  Art  und  Weise  zu  sagen,  wie  die  Gonorrhoe 
des  Weibes  in  der  Praxis  leider  &o  oft  behandelt  wird.  Kommt  eine  Frau  in  die  Sprechstunde 
und  erfährt  der  Arzt  von  „weissem  Fluss",  so  lautet  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  —  ja  nicht 
allzu  selten  ohne  weiteres  Untersuchen  —  die  Verordnung:  Scheidenspülungen  mit  Alaun- 
Lösung.  —  E.  FRÄNKEL-Breslau  spricht  mit  berechtigter  Ironie  davon,  dass  man  „früher 
bei  Klagen  der  Kranken  über  Ausfluss  den  Arzt  mit  der  Sicherheit  einer  Reflex-Wirkung 
adstringirende  Vaginal-Injectionen  verordnen  sah."  Es  ist  besser,  offen  zu  bekennen,  dass 
diese  „Reflex-Wirkung"  auch  heute  noch  viel  zu  häufig  eintritt. 

Die  althero-ebrachten  Alaun-Lösungen  haben  zweifellos  eine  adstringirende  Wirkung. 
Aber  man  überlege  doch:  Rührt  der  Fluor  von  Endometritis  her,  so  ist  es  mit  Adstringentien 
in  der  Scheide  ja  doch  nicht  gethan;  Alaun  macht  vielmehr  die  in  der  Scheide  vorhandene 


GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  307 

Säure  unwirksam;  sie  fehlt  dann  im  Kampfe  gegen  die  Bactcrien.  Und  ist  die  Scheide 
selbst  inficirt,  so  wende  man  lieber  Desinlicientien  als  Adstringcntien  an.  Nicht  einer 
Vielthuerei,  nicht  einer  allzu  frühen  und  allzu  energischen  Beliandlung  des  acuten  Stadiums 
soll  also  das  Wort  geredet  werden,  sondern  einem  Aufgeben  der  Alaun-Spülungen  und  einem 
Austausch  derselben  gegen  antibacterielle  Mittel. 

VI.  Cervix-Gonorrhoe. 

Die  Cervix-Schleimhaut  wird  nach  der  Urethra  am  häufigsten  von  Gonococcen 
befallen;  die  neueren  Untersucher  stimmen  darin  überein,  dass  ?j1 — 47''/o  aller 
gonorrhoischen  Frauen  an  Cervix-Gonorrhoe  leiden.  Bei  Anwendung  noch  empfind- 
licherer Untersuchungs-Methoden  (Züchtung)  wird  diese  Zahl  eher  noch  grösser  werden. 
Aber  noch  aus  einem  anderen  Grunde  ist  die  Cervix-Gonorrhoe  von  so  verhängnis- 
voller Bedeutung:  sie  vermittelt  das  Uebergreifen  auf  benachbarte  Organe,  welche 
sowohl  durch  ihre  Function  als  für  das  Leben  des  Weibes  von  einschneidender 
Wichtigkeit  sind.  Nicht  die  Cervix-Gonorrhoe  an  sich  bedingt  Sterilität  und  bedroht 
das  Leben,  sondern  die  Krankheiten,  welche  sich  aus  ihr  entwickeln  können,  die  In- 
fection  des  Uterus-Körpers,  der  Tuben  und  Eierstöcke,  des  Beckenbindegewebes  und 
Becken-Peritoneum. 

Es  ist  nöthig,  die  Cervix-Gonorrhoe*)  von  der  gonorrhoischen  Endometritis  zu 
trennen:  diese  Trennung  findet  zum  Glück  auch  in  der  Natur  häufig  statt,  und  wir 
selbst  müssen  sie  bei  der  Behandlung  einhalten;  der  innere  Muttermund  ist  oft  die 
Grenze  der  Infection,  die  auch  wir  dann  in  der  Therapie  nicht  überschreiten  dürfen. 

Für  gewöhnlich  bildet  das  Orificium  internum  die  Grenze  der  Flora  des  Genital- 
schlauchs;  das  Cavum  uteri  ist  normaler  Weise  frei  von  Bacterien.  Es  bedarf 
besonderer  Umstände,  damit  die  Bacterien  den  inneren  Muttermund  überschreiten. 

In  den  Cervix  können  die  Gonococcen  bei  der  Cohabitation  unmittelbar  ein- 
gebracht werden;  sie  können  ferner  durch  die  Eigenbewegung  des  Sperma,  durch 
Saugwirkung  des  Uterus,  durch  rückfliessende  Secrete  oder  Blut  dorthin  gelangen. 
Der  nach  aussen  gerichtete  Flimmerstrom  vermag  ihrem  Eindringen  leider  keinen 
Einhalt  zu  thun.  Einmal  in  den  Cervix  gelangt,  sind  die  Gonococcen  in  den  tiefen 
Faltenbuchten  und  Drüsen  der  Behandlung  überaus  schwer  zugänglich.  Und  selbst 
wenn  die  ersten  stürmischen  Erscheinungen  der  Infection  vorüber  sind,  können  sich 
Gonococcen  in  den  Drüsen  Jahrelang  erhalten  (latente  Gonorrhoe),  um  beiden 
verschiedensten  Anlässen  die  Infection  neu  aufflackern  zu  lassen. 

Pathologische  Anatomie,  Symptome  und  Verlauf:  Auch  die  Cervix-Gonorrhoe 
lässt  ein  acutes,  subacutes  und  chronisches  Stadium  unterscheiden.  Im  acuten  Sta- 
dium ist  die  Schleimhaut  geschwellt,  scharlachroth,  sie  faltet  sich  und  drängt  sich 
in  Wülsten  aus  dem  äusseren  Muttermunde  heraus  ;  das  angrenzende  Portio-Epithel 
wird  theilweise  abgestosseu  und  nur  seine  tiefsten  cylindrischen  Schichten  bleiben 
zurück,  es  bilden  sich  die  sogenannten  „Erosionen"  der  Portio.  Die  entzündete 
Schleimhaut  sondert  in  den  ersten  Tagen  blutigen  Schleim,  bald  aber  reinen  oder 
glasig  gestreiften  Eiter  ab.  Ausserdem  treten  oft  Leibschmerzen,  Ziehen  im  Kreuz, 
Fieber,  das  sich  bis  zu  Frost  steigern  kann.  Abgeschlagenheit,  Kopfweh  auf.  Ge- 
wöhnlich sind  diese  Symptome  aber  nicht  so  heftig,  wie  bei  der  Infection  des  Uterus- 
körpers. Die  Entzündung  kann  von  der  Schleimhaut  aus  sich  auch  dem  Binde- 
und  Muskelgewebe  des  Cervix  selbst  mittheilen,  es  kommt  zur  Cervicitis,  die 
sich  durch  Schwellung,  Verdickung  und  Empfindlichkeit  des  Cervix  kennzeichnet. 
Von  hier  aus  ist  dann  eine  Infection  des  Parametrium  u.  s.  w.  möglich. 

Nach  8—10  Tagen  werden  die  Symptome  geringer,  Fieber  und  Schmerzen 
lassen  nach  und  hören  allmälig  auf,  nur  die  starke  Secretion  des  Cervix  und  die 
Veränderungen  seiner  Schleimhaut  dauern  an.  Das  Secret  wird  mehr  glasig  oder 
glasig  mit  eitrigen  Streifen.  Ohne  bestimmte  Grenze  geht  die  Entzündung  in  die 
chronische    Form    über,    in  welcher    das  Secret   sogar    rein  glasig  sein,  aber    doch 


*)  Yergl.  auch  Artikel  „Cervixcatarrh^'-  pag.  159. 

20* 


308  GONOERHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

noch  Gonococcen  eiitlialteu  kann  ;  allerdings  wechselt  der  Gehalt  an  den  letzteren 
sehr,  sie  können  zeitweilig  auch  ganz  fehlen. 

Eine  eigenthümliche  Thatsache  ist  das  Entstehen  chronischer  Gonorrhoe  ohne 
ein  sicher  festzustellendes  acutes  Infectious-Stadium.  Wenn  die  Frauen  durch  einen 
Mann  angesteckt  werden,  welcher  an  chronischer,  unter  geringen  Symptomen  bestehen- 
der Gonorrhoe  leidet,  so  kann  sich  auch  bei  ihnen  eine  von  Beginn  an  schleichend 
verlaufende  Gonorrhoe  entwickeln,  ohne  dass  Patientin  oder  Arzt  ein  acutes,  stür- 
misches Stadium  beobachten.  Dies  scheint  für  eine  geringere  Virulenz  der  Mikroben 
zu  sprechen,  oder  für  eine  geringere  Empfänglichkeit  des  Gewebes ;  der  letzteren 
widerspricht  allerdings  der  Umstand,  dass  aus  solchen  schleichenden  Gonorrhoen 
später  recht  ernste  und  stürmische  Erkrankungen  werden  können. 

Die  Behandlung  der  Cervix-Gonorrhoe  muss  sich  vor  einem  zu  frühen  und  zu 
energischen  Eingreifen  hüten.  Mit  Anderen  halte  ich  es  für  bedenklich,  im  acuten 
Stadium  Uterus- Ausspülungen,  Cervix-Dilatationen  u.  s.  w.  zu  machen ;  statt  zu  nützen, 
kann  man  die  Infection  damit  nur  auf  andere  Gebiete  übertragen. 

Die  acute  Cervix-Gonorrhoe  behandelt  man  deshalb  wie  die  acute 
Urethritis,  Kolpitis  etc.  nur  symptomatisch  und  mit  Scheidenspülungen  (s.  Therapie 
der  „Kolpitis  gonorrhoica"). 

Im  subacuten  oder  chronischen  Stadium,  also  beim  Aufhören  von  Fieber, 
Schmerzen  und  Empfindlichkeit  des  Uterus  und  seiner  Anhänge  darf  erst  die  locale 
Behandlung  einsetzen ;  sie  muss  es,  wenn  noch  irgend  erhebliche  Symptome,  also  vor 
allem  übermässige  Schwellung  und  Secretion  der  Schleimhaut  bestehen.  Winter  geht 
wohl  zu  weit  mit  der  Annahme,  die  Gonorrhoe  könne  bereits  nach  acht  Tagen  auf- 
hören, ohne  wiederzukehren  ;  jedenfalls  ist  eine  so  rasche  Spontan-Heilung  äusserst 
selten. 

Ganz  besonders  hüte  man  sich  vor  jedem  Eingriff  und  die  Patientin  vor  jeder 
neuen  Schädigung  während  der  Menses  und  beginne  mit  der  localen  Behandlung 
auch  erst  wieder  3 — 4  Tage  nach  denselben.  Die  auf  den  Cervix  zu  beschränken- 
den Eingriffe  sind  schonend  und  vorsichtig  auszuführen ;  intrauterine  Eingriffe  sind 
erst  dann  am  Platze,  wenn  die  Körperschleimhaut  auch  inficirt  ist.  Nach  Aus- 
spülung der  Scheide  stellt  man  die  Portio  im  Röhrenspeculum  ein  und  wischt  den  Cer- 
vix mit  Watte  und  Playfaie' sehen  oder  Silber  -  Stäbchen  aus.  Der  zähe  Schleim 
lässt  sich  leichter  entfernen,  wenn  man  die  Watte  in  Soda-Lösung  eintaucht;  ebenso 
gelingt  dies,  und  zwar  auffallend  leicht,  wenn  man  mit  BEAUN'scher  Spritze  eine 
schwache  Carbol-Lösung  in  den  hinteren  Theil  des  Cervicalcauals  einspritzt.  Nun 
bringt  man  schwache  Argeutum  nitricum-Lösung  (O'l  :  300)  oder  107o  Ichthyol- 
Lösung  (Ammon.  sulfo-ichthyol.  10"0,  Aq.  dest.  80"0,  Glycerin  10"0)  mit  Braun- 
scher  Spritze  oder  mittelst  Watte  und  Playfair  in  den  Cervix  ein.  Man  führt  das 
Instrument  nur  2 — 3  cw,  u.  zw.  so  tief  ein,  als  es  leicht  gelingt ;  der  Knickungs- 
winkel am  Orificium  internum  verhütet  gewöhnlich  ein  tieferes  Eindringen  ohnedies. 
Man  strecke  deshalb  auch  den  Uterus  lieber  nicht  durch  Tiefziehen  der  Portio.  Zum 
Schluss  kommt  ein  Tampon  in  die  Scheide.  So  verfährt  man  2 — 3mal  wöchentlich 
bis  zu  entsprechender  Besserung ;  von  endgiltiger  Heilung  kann  man  bekanntlich 
dann  noch  nicht  sprechen;  Recidive  bedürfen  erneuter  Behandlung.  Die  Patientin 
selbst  macht  täglich  1 — 2  Scheidenspülungen  mit  Kai.  hypermang.  1  :  500,  72% 
Sublimat,  2%  Carbol  o.  Ae.). 

Bei  einem  so  hartnäckigen  Leiden  ist  es  selbstverständlich,  dass  eine  Unzahl  anderer 
Mittel  und  Methoden  empfohlen  und  angewendet  wurden.  In  obigem  sind  nur  die  ange- 
führt, deren  Anwendung  sich  in  weiteren  Kreisen  bewährt  hat.  Da  aber  auch  hierbei  die 
Erfolge  oft  unbefriedigend  sind,  ist  es  nöthig,  offen  zu  gestehen,  dass  die  Frage  von  der 
Behandlung  der  Cervix-Gonorrhoe  nichts  weniger  als  abgeschlossen  ist.  Von  neueren  Be- 
handlungsarten sei  deshalb  die  von  Asch  noch  erwähnt.  Er  geht  von  der  zweifellosen 
Thatsache  aus,  dass  es  schwer  und  oft  unmöglich  ist,  zu  entscheiden,  ob  nebst  der  Mucosa 
des  Cervix  nicht  auch  schon  die  des  Corpus  uteri  ergriffen  ist.  In  Fällen,  wo  diese  Ent- 
scheidung nicht  sicher  zu  treffen  ist,  behandelt  er  auch  sofort  die  Corpus-Schleimhaut  mit. 
Er  spritzt  alle  3-4  Tage  5%  Alumnol-Salbe  in  den  Uterus  ein: 


GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  309 

Alumnol  7-5 
Lanolini  100-0 
Aq.  dest. 
Glycerin.  ää  25'0 
M.  D.  S.  57o  Alumnol-Salbe. 
Asch  verwendet  dazu  eine  der  GuYON'schen  ähnliche  Spritze  mit  einem  Ansatzrohr 
aus  Celluloid  und  seitlicher  Oeffnung  ;    die  Spritze  selbst   hat  grosses    Kaliber,  so  dass  sie 
von  hinten  mit  Salbe  gefüllt  werden  kann  und  für  mehrere  Einspritzungen  ausreicht ;  der 
Kolben  wird  durch  ein  Schrauben-Gewinde  vorgetrieben.     Jede   Patienlin    hat  ihr    eigenes 
Ansatzrohr  zur  Spritze. 

Sind  Gonococcen  nicht  oder  nicht  mehr  nachzuweisen,  handelt  es  sich  um  Ero- 
sionen, Ovula  Nabotlii  etc.,  so  behandelt  man  die  Krankheit  so,  wie  es  unter  „Endo- 
metritis" angegeben  wurde.  Wahrscheinlich  ist  die  Mehrzahl  der  chronischen  Cer- 
vix-Katarrhe  aber  gonorrhoischen  Ursprungs. 

Das  erste,  schonendere  Verfahren  kann  bei  einer  Cervix-Gonorrhoe 
•während  der  Schwangerschaft  auch  durchgeführt  werden;  stellen  sich 
Wehen  ein,  so  wartet  man  einige  Tage,  um  bei  wiederholten  Wehen  damit 
ganz  auszusetzen.  .  Uebrigens  habe  ich  dabei  noch  nie  verfrühte  Geburt  eintreten 
sehen.  Es  ist  gewiss  nothwendig,  die  Behandlung  nicht  Monate  lang  liinauszu- 
schieben,  da  sowohl  Kind  als  Mutter  intra  und  post  partum  durch  das  Leiden  in 
grosse  Gefahr  kommen  können. 

VII.  Endometritis  und  Metritis  gonorrhoica. 

Wurde  aus  verschiedenen  Gründen  die  Gonorrhoe  des  Cervix  getrennt  von  der 
des  Corpus  uteri  besprochen,  so  können  hier  die  Endometritis  und  Metritis*)  gemein- 
same Besprechung  finden.  Nicht,  als  ob  die  letzteren  einheitliche  Processe  wären ; 
im  Gegentheil,  es  handelt  sich  dabei  um  Infection  verschiedener  Gewebe.  Aber 
gonorrhoische  Metritis  scheint  ohne  vorhergehende  Endometritis  nicht  vorzukommen 
und  beide  compliciren  sich  im  acuten  Stadium  fast  stets,  im  chronischen  sehr  häufig 
zu  einem  Bilde  und  bedürfen  dann  einheitlicher  Behandlung. 

Welche  Umstände  begünstigen  nun  das  Uebergehen   der  Infection  auf  Uterus,  Para- 
metrien,  Ovarien,  Tuben  und  Peritoneum? 

Winter  führt  folgende  Momente  an: 

1.  Menstruation;  während  derselben  ist  dieses  Höherkriechen  der  Infection  recht 
häufig;  Winter  sah  sie  während  derselben  den  ganzen  Genital-Schlauch  ergreifen; 

2.  Geb^urt  und  Wochenbett;  vgl.  „Gonorrhoe  und  Wochenbettfieber " ; 

3.  mechanische  Einflüsse;  also  Finger  und  Instrumente  bei  zu  früher  localer 
Behandlung;  ich  möchte  dazu  ferner  ein  ungeeignetes  Verhalten  der  Kranken  selbst,  wie 
angestrengte  Arbeit  (besonders  an  der  Nähmaschine),  Bergsteigen,  Tanzen,  die  Cohabitation 
u.  s.  w.  rechnen ;  dadurch  wird  sicher  das  Eindringen  der  Gonococcen  in  die  Lymphbahnen 
etc.  begünstigt. 

Es  ist  nicht  möglich,  gegenwärtig  Zahlen  über  die  Häufigkeit  der  gonorrhoischen 
Endometritis  beizubringen,  ja  oft  sogar  schwierig,  das  erfolgte  Uebergreifen  auf  das 
Corpus  festzustellen.  Zwei  Umstände  deuten  auf  dieses  Ereignis :  plötzliche  Ver- 
schlimmerung unter  Vergrösserung  des  überaus  empfindlichen  und  auch  spontan 
schmerzenden  Uteruskörpers,  und  Aenderung  im  Typus  der  Menses,  welche  im  acuten 
Stadium  meist  zu  spät  eintreten,  ja  sogar  aussetzen  können,  vor  und  bei  Eintritt 
und  während  ihres  Bestehens  aber  hochgradige  Schmerzen  veranlassen  können. 

Die  acute  gonorrhoische  Endometritis  verläuft  oft  unter  dem  Bilde 
einer  sehr  ernsten  Infection :  Fieber,  Frost,  selbst  Schüttelfrost,  hochgradiges  Schwäche- 
gefühl, Kopfweh  u.  s.  w.,  bei  gleichzeitigen  heftigen  Symptomen  seitens  der  inneren 
Genitalien;  die  Schmerzen  steigern  sich  häufig  krampfartig,  die  Contractionen  des 
Uterus  können  bei  Stenose  des  Cervix  äusserst  schmerzhaft  sein,  da  der  Schleim 
nicht  ohne  weiteres  durchgepresst  wird.  Beim  Untersuchen  findet  man  in  der  Scheide 
blutig-glasigen,  erst  später  eiterigen  Schleim.  Der  Uterus  ist  etwas  vergrössert,  meist 
prall,  so  empfindlich,  dass  ein  genaues  Abtasten  unmöglich  ist ;   Narkose  nimmt  man 


*)  Vergl.  auch  die  Artikel  „Endometritis"'  (pag.  211)  und  „Metritis'^. 


310  GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

nur  zu  Hilfe,  wenn  man  gleichzeitig  die  Anhänge  verdickt  findet  und  wegen  der 
Schmerzhaftigkeit  nicht  entscheiden  kann,  ob  es  sich  nur  um  diffuse  Infiltration  oder 
um  abgegrenzte  Eiterherde  in  den  Parametrien,  im  Douglas,  in  Tuben  oder  Ovarien 
handelt.  Die  Behandlung  ist  im  acuten  Stadium  rein  symptomatisch:  Bettruhe, 
Diät,  Eisblase,  Sorge  für  Stuhlgang;  Narkotica,  Scheidenspülungen.  Dringend  ist  von 
jedem  localen  Eingriff  bei  acuter  gonorrhoischer  Endometritis  abzurathen,  also  auch 
vor  dem    früher  von    einigen  Seiten    empfohlenen  Curettiren. 

Wohl  fast  stets  schliesst  sich  an  die  acute  eine  chronische  Endometritis, 
seltener  chronische  Metritis  an;  deren  Behandlung  wurde  unter  Endometritis 
schon  besprochen.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  auch  die  chronische  Endometritis, 
bei  welcher  Gonococcen  nicht  zu  finden  sind,  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  gonorrhoisch 
ist.  Ausgenommen  davon  sind  natürlich  jene  Endometritiden,  die  sich  an  nichtgo- 
norrhoische Wochenbetts-Infection  anschliessen  und  jene  Hyperämien  der  Uterus- 
Schleimhaut,  die  bei  Kreislaufstörungen,  Adnex-Erkrankungen,  Uterus-Tumoren, 
Lage-Veränderungen  etc.  vorkommen.  Schon  Schröder  hielt  es  für  sicher,  dass  die 
gonorrhoische  Infection  diese  Folgen  haben  könne,  und  nach  seiner  Ansicht  spielt 
diese  Schädlichkeit  eine  bedeutende  Rolle  in  der  Aetiologie  der  Endometritis. 

VIII.  Salpingitis  gonorrhoica.") 

Unter  den  Adnexen  des  Uterus  erkranken  am  häufigsten  die  Tuben  und  jener 
Theil  des  Bauchfells  gonorrhoisch,  welcher  die  inneren  Genitalien  überzieht  und 
ihnen  benachbart  ist.  Zahlen  für  die  Häufigkeit  der  gonorrhoischen  Salpingitis  bei- 
zubringen, ist  heute  noch  sehr  schwer,  da  diese  Fragen  erst  im  Flusse  sind.  Immer- 
hin dürften  selbst  die  nachfolgenden  Zahlen  später  eher  eine  relative  Vergrösserung 
erfahren,  da  die  Zahl  der  tuberculösen  und  Streptococcen-  etc.  Infectionen  ganz  be- 
deutend hinter  jener  der  gonorrhoischen  Infection  zurücksteht.  Winckel  fand  bei  138 
Obductionen  von  v/eiblichen  Individuen  zwischen  20  und  30  Jahren  58mal,  bei  575 
Obductionen  von  Frauen  verschiedenen  Alters  182mal  Affectionen  der  Tuben. 
Saenger  und  Rosthorn  nehmen  an,  dass  etwa  in  ^/g  aller  Fälle  die  Tuben  gonorr- 
hoisch miterkranlit  sind.  Herzpeld  fand  unter  2224  poliklinischen  Fällen  von 
gonorrhoischer  Infection  bei  IB^o  der  Frauen  die  Uterus- Anhänge  und  das  Bauch- 
fell mitbetheiligt. 

Ueber  die  Ursachen,  welche  ein  Uebergehen  der  Infection  vom  Uterus  auf 
die  Tuben  begünstigen,  weiss  man  wenig  genaues.  Aber  jedesfalls  ist  die  uterine  Tu- 
ben-Mündung kein  keimdichter  Verschluss ;  die  Flimmerung  der  Tiiben-Epithelien 
gegen  den  Uterus  hin  vermag  ein  Vordringen  der  Coccen  hier  ebenso  wenig  aufzuhalten 
als  im  Uterus  selbst.  Oben  wurde  schon  erwähnt,  dass  die  Tuben-Infection  anscheinend 
durch  Cervix-Stenose  begünstigt  werden  kann. 

In  einem  Falle  von  gonorrhoischer  Endometritis  bei  Cervix-Stenose  traten  ausser- 
ordentlich schmerzhafte  Wehen  ein,  welche  den  blutigglasigen  Schleim  stets  nur  nach  län- 
gerer Anstrengung  in  die  Scheide  beförderten ;  der  Endometritis  schloss  sich  sehr  bald  eine 
Salpingitis  an,  welche  nach  Ruptur  des  Eileiters  zum  Tode  führte.  Die  Annahme  ist  nahe- 
liegend, dass  es  zu  einem  mechanischen  Hineinpressen  des  coccenhaltigen  Secrets  in  die 
Tube  gekommen  war,  wenn  auch  eine  solche  rückläufige  Bewegung  im  übrigen  nicht  statt- 
zufinden scheint. 

Auf  dem  Wege  durch  die  Lymph-Gefässe  können  die  Coccen  ferner  ohne  weiteres 
die  Cervix-  und  Uterus- Wand  durchsetzen  und  zum  Peritoneum,  sowie  zu  den  anliegen- 
den Tuben  und  Ovarien  gelangen  (Wertheim). 

Pathologische  Anatomie.  Gonorrhoische  Infection  kann  nach  neuerer  Auffassung 
sowohl  zu  katarrhalischer  Salpingitis  mit  Verlust  des  Flimmer-Epithels,  als 
zu  interstitieller  Salpingitis,  d.  h.  zu  (gleichzeitiger  oder  hauptsächlicher) 
Infection  der  Muskelwand  der  Tube,  und  zu  Pyo  Salpinx  führen.  Vielleicht  können 
auch  Hydro-  und  Haematosalpinx  in  manchen  Fällen  Reste  einer  gonorrhoischen 
Infection  darstellen.     Auf  Grund  der  neueren  Arbeiten  kommt  man  immer  mehr  zu 


*)  Vergl.  auch  die  Artikel  „Adnexentiiinor"  und  „Salpingitis.'''' 


GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  311 

der  Auffassung,  dass  katarrhalisclie,  folliculäro,  purulento  und  intcrstitiolle  Salpingitis 
ebenso  wie  Perisalpingitis  nur  graduelle  Unterschiede  der  gpHorrhoischcn  Infection 
darstellen,  natürlich  mit  Ausnahme  jener  Fälle,  in  welchen  tuberculöse,  Strepto- 
coccen-Infection  u.  s.  w.  vorhanden  ist. 

Ueber  das  Verhältnis  der  gonorrhoischen  zu  anderen  Infoctionen  der  Tuben 
bedarf  es  noch  weiterer  Untersuchungen.  Bumm's  Anschauungen  von  der  Misch- 
Infection  und  von  der  ausschliesslichen  Infection  des  Cylinder-Epithels  durch  (iono- 
coccen  haben  eine  Zeitlang  durch  ihre  Verallgemeinerung  weitere  I'ortschritte  in 
dieser  Frage  erschwert.  Erst  Wertheim's  Untersuchungen  haben  wieder  freie  Bahn 
geschaffen.  Er  zeigte,  dass  die  Gonococcen  nicht  nur  in  die  Tuben-Schleiirdiaut, 
sondern  auch  in  deren  Muskelwand  eindringen,  die  letzteren  durchsetzen  und  theils 
so,  theils  durch  die  Abdominal-Mündung  zu  Ovarien  und  Peritoneum  gelangen  können. 

In  116  Fällen  von  Pyosalpinx  fand  er  72mal  keine  Bacterien  (d.  h.  sie  waren 
schon  zu  Grunde  gegangen  oder  ihr  Nachweis  gelang  mikroskopisch  nicht),  32mal 
Gonococcen,  6mal  Streptococcen,  Imal  Staphylococcen,  nie  aber  Gonococcen  mit 
anderen  Eitererregern  zusammen.  Es  ist  interessant,  dass  er  mit  Hilfe  des  Platten- 
verfahrens in  24  Fällen  17mal  Gonococcen  fand,  während  nach  Menge's  Zusammen- 
stellung sich  mikroskopisch  nur  lOmal  Gonococcen  nachweisen  Hessen  —  ein  Zeichen 
der  UnZuverlässigkeit  der  mikroskopischen  Untersuchung  allein  und  der  Empfindlich- 
keit des  Culturverfahreus.  Allerdings  gibt  es  auch  Misch-Infecti-onen.  So  fand 
Witte  im  Tuben-Eiter  einmal  Gonococcen  und  Streptococcen  zusammen,  in  einem 
zweiten  Falle  Gono-  und  Staphylococcen,  in  drei  Fällen  Gonococcen  mit  anderen 
Bacterien. 

Ist  eine  Tube  gonorrhoisch  inficirt,  so  kommt  es,  wie  beim  Endometrium, 
zuerst  zur  Schwellung  und  stärkeren  Secretion  der  Schleimhaut:  Salpingitis 
catarrhalis.  Das  Cylinder-Epithel  geht  auf  den  Faltengipfeln  früh  verloren  und 
erhält  sich  nur  in  den  Faltenbuchten  längere  Zeit;  die  Gefässe  sind  blutreich,  in 
die  Schleimhautfalten  hinein  können  Blutungen  stattfinden.  —  Ist  vorwiegend  oder 
gleichzeitig  die  Muskelwand  verdickt,  so  spilcht  man  von  Salpingitis  inter- 
stitialis  (Maetin).  Weetheim  und  Menge  haben  Gonococcen  in  der  Tubenwaud 
nachgewiesen.  Bei  höheren  Graden  der  Infection  wird  das  Secret  eiterig:  Salpin- 
gitis purulenta.  Der  Eiter  kann  in  den  Uterus  und,  wie  Wertheiji  bei  Gele- 
genheit einer  Laparotomie  unmittelbar  sah,  durch  das  noch  offene  abdominale  Tuben- 
Ende  in  die  Bauchhöhle  austreten.  Meist  aber  scheint  es  durch  Verklebimgen  der 
Franseü  unter  sich  und  mit  Nachbarorganen  bald  zu  einem  Verschluss  der  abdominalen 
Mündung  zu  kommen,  da  der  gonorrhoische  Eiter  überaus  leicht  Vei'klebungen  peri- 
tonealer Flächen  etc.  bewirkt.  Auch  die  uterine  Tuben-Mündung  wird  offenbar  früh 
verschlossen  und  der  Eiter  befindet  sich  nun  in  einem  Sacke:  Pyosalpinx.  In 
solchen  Eitersäcken  geht  die  normale  Structur  der  Tuben-Schleimhaut  nach  und  nach 
verloren,  die  Wand  zeigt  innen  flache  Falten,  das  Epithel  ist  an  den  meisten  Stellen 
zu  Grunde  gegangen.  — Als  Salpingitis  nodosa  bezeichnet  Schauta  jene  Form 
des  Anfangs-Stadiums,  in  welchem  es  zur  Bildung  abgeschlossener,  knotiger  Eiter- 
herde kam. 

Im  abgeschlossenen  Eiter  können  die  Mikroben  nach  einiger  Zeit  zu  Grunde 
gehen,  vielleicht  in  Folge  ihrer  eigenen  Stoffwechselproducte.  Nach  neueren  Unter- 
suchungen scheint  dies  aber  nicht  so  früh  und  so  regelmässig  zu  geschehen,  als  es 
früher  auf  Grund  klinischer  und  mikroskopischer  Befunde  schien.  Allerdings  kann 
alter  Tuben-Eiter  steril  sein  und  dann  natürlich  selbst  beim  Platzen  der  Tuben 
während  der  Salpingectomie  keinen  Schaden  anrichten.  Mikroskopisch  findet  man 
gewöhnlich  nach  9 — 12  Monaten  keine  Gonococcen  mehr  darin.  Die  beiden  letzteren 
Thatsachen  sind  aber  keine  Beweise  für  das  Abgestorbensein  der  Mikroben:  denn 
das  unverletzte  Peritoneum  kann  eine  gewisse  Menge  von  Bacterien  verdauen,  und 
die  mikroskopische  Untersuchung  ist  nicht  so  empfindlich,  als  die  Züchtungs-Methode. 
Mit  dieser  hat  nun  Weetheim  thatsächlich  auch  aus  alten  Eitersäcken  noch  sehi- 
virulente  Gonococcen  reingezüchtet.  Streitfrage  ist  es  noch,  ob  sich  der  Eiter  klären 


312  GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

und  zur  Bildung  von  Hydro  Salpinx  führen,  oder  ob  sich  der  Sack  durch  Blutungen 
in  eine  Ha emato Salpinx  umwandeln  kann.  Manche  Umstände  sprechen  für  beide 
Möglichkeiten. 

Sind  Eiterherde  von  Tuben  und  Ovarien  zusammen  verlöthet,  so  können  sie  sich 
durch  Ruptur  der  Zwischenwände  zu  einer  Höhle  vereinigen:  Tubo-Ovarial- 
Cysten.  Interessant  sind  jene  Fälle,  in  welchen  die  Fimbrien-Enden  der  Tube  im 
Inneren  des  Ovarial-Sackes  sternförmig  angeklebt  sind  (Rosthorn).  Es  wurde  schon 
mehrfach  darauf  hingewiesen,  dass  die  Gonococcen  und  ihre  Stoffwechselproducte, 
"welche  theils  durch  die  noch  offene  Tubenmüudung,  theils  durch  die  Tuben- Wand  zu 
Ovarien  und  Peritoneum  gelangen,  ausgedehnte  Verwachsungen  herbeiführen  können. 
Dadurch  werden  die  inneren  Genitalien  unter  sich,  mit  der  Beckenwand  und  mit 
Darmschlingen  veiiöthet,  ja  oft  zu  einem  unentwirrbaren  Knäuel  verklebt  (s.  u. 
^^Peritonitis  gonorrh.^'). 

Symptome  und  Verlauf.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  sind  beide,  weniger  häufig 
ist  nur  eine  Tube  ergriffen.  Die  Kranken  klagen  Anfangs  über  Schmei-z  im  Becken, 
der  oft  deutlich  an  der  erkrankten'  Seite  localisirt  ist.  Die  Infection  kann  unter 
den  stürmischen  Symptomen  einer  Peritonitis  einsetzen,  so  dass  man  Anfangs  Ursache 
hat,  an  eine  universelle  Peritonitis  zu  denken.  Bald  aber  massigen  und  localisiren 
sich  die  einzelnen  Erscheinungen;  die  Infection  kann  in  anderen  Fällen  schleichend 
beginnen,  um  bei  den  verschiedensten  Ursachen  stärker  aufzuflackern.  Die  Schmerzen 
nehmen  während  der  Menses,  bei  stärkerer  Körperbewegung  und  mechanischen  In- 
sulten zu,  also  beim  Coitus,  bei  Defäcation,  angestrengtem  Arbeiten,  Treppensteigen 
längerem  Gehen,  Heben  und  Tragen  schwerer  Gegenstände,  digitaler  Untersuchung 
u.  s.  w.  —  Dieses  Aufflackern  der  Symptome,  besonders  der  Schmerzen  und  des 
Fiebers  nach  Insulten,  tritt  vor  Allem  während  der  Menses  auf.  Die  Schmerzen 
können  im  Beginne  der  Infection  und  bei  den  wiederholten  Nachschüben  so  stark 
■werden,  dass  die  schwer  leidenden  Frauen  selbst  um  operative  Hilfe  bitten.  Es  ist 
bemerkenswerth,  dass  die  Schmerzen  bei  ruhiger  Bettlage  häufig  spontan  geringer 
werden,  ja  aufhören,  um  bei  Körperbewegung  sofort  wieder  anzuschwellen.  Bei 
gonorrhoischer  Pyosalpinx  besteht  Abends  gewöhnlich  kein  Fieber,  wenn  sich  die 
Kranken  entsprechend  schonen. 

Diagnose.  Die  Diagnose  wird  gestützt  durch  das  gleichzeitige  Vorhandensein 
gonorrhoischer  Infection  des  Uterus  u.  s.  w.  Aber  bei  der  langen  Dauer  der  Er- 
krankung ist  sehr  oft  der  Gonococcen-Nachweis  im  Secret  des  Uterus  nicht  mehr 
möglich,  wenn  die  Tuben-Affection  in  unsere  Behandlung  kommt.  Wichtig  ist  auch 
die  Feststellung  einer  gonorrhoischen  Infection  des  Gatten;  diese  kann  seit  Jahren 
keine  Symptome  mehr  gemacht  haben  und  doch  die  Ursache  einer  so  schweren  Er- 
krankung der  Frau  sein.  Eine  genaue,  aber  vorsichtige  bimanuelle  Untersuchung  der 
Kranken,  nöthigeufalls  in  Narkose,  ist  selbstverständlich  nöthig.  Meist  sind  die  ent- 
zündeten Organe  so  druckempfindlich,  dass  ohne  Narkose  eine  genaue  Feststellung 
des  Befundes  überhaupt  nicht  möglich  ist.  Schauta  weist  darauf  hin,  dass  im  An- 
fangs-Stadium der  Salpingitis  öfters  abgegrenzte  knollige  Verdickungen  bestehen 
(Salpingitis  nodosa).  Wahrscheinlich  ist  dafür  die  normale  Schlängelung  der  Tuben 
von  Bedeutung,  welche  nach  Feeund  am  infantilen  Eileiter  die  Regel  bildet  und 
besonders  scharf  ausgesprochen  ist.  An  einer  ausgebildeten  Pyosalpinx  vor  der  Ope- 
ration zu  unterscheiden,  ob  es  sich  um  Gonorrhoe  oder  eine  andere  Infection  handelt, 
ist  durch  den  Thastbefund  allein  nicht  möglich.  Zweifel  weist  auf  die  diagnostische 
Bedeutung  des  Umstandes  hin,  dass  selbst  bei  Pyosalpinx,  wenn  sie  auf  gonorrhoischer 
Infection  beruht,  Abends  das  Fieber  zu  fehlen  pflegt,  um  sich  bei  Insulten  einzustellen. 
Bei  Streptococcen-Pyosalpinx  besteht  regelmässiges  und  hohes  Fieber,  das  Morgens 
stark  remittirt,  bei  tuberculöser  Salpingitis  von  Zeit  zu  Zeit  spontan  und  ohne  be- 
kannte Ursache  aufflammendes  Fieber.  Für  die  gonorrhoische  Natur  der 
Salpingitis  spricht  also  das  Fehlen  von  Fieber  und  erheblichen 
Schmerzen,  so  lange  sich  die  Kranke  schont. 


GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  313 

Die  Therapie  unterscheidet  sich  im  Allgemeinen  nicht  von  joner  der  Salpingitis. 
Nur  die  operative  Entfernung  des  erkrankten  Organs  kann  vielleicht  länger  hinaus- 
geschoben, ja  eher  umgangen  werden,  als  etwa  bei  Streptococcen-Infection.  Die 
Salpingectomie  hat  in  letzter  Zeit  gute  Erfolge  erzielt.  In  Deutschland  und 
Oesterreich  zieht  die  Mehrzahl  der  Operateure  eine  Entfernung  der  Anhänge 
nach  Laparotomie  vor.  PiSan  und  nach  ihm  Segond  u.  A.  haben  in  zahlreichen 
Fällen  und  mit  Erfolg  bei  allseitiger  Verwachsung  und  Bildung  von  Eiterherden  der 
inneren  Genitalien  die  „Hysterectomia  vaginalis"  mit  Morcellement,  d.  h. 
Zerstückelung  des  Uterus,  ausgeführt.  Pj<:an  umschneidet  die  Portio  von  der 
Scheide  aus  und  schneidet  nach  Abklemmen  der  seitlichen  Blutgefässe  den  Uterus 
der  Länge  nach  in  2  Theile,  deren  jeder  (wiederum  an  der  Grenze  des 
Cervix  zweigetheilt)  mit  der  Scheere  herausgeholt  wird.  Geeignet  ist  diese  Methode 
ebenso  bei  Erkrankungen  der  Tuben,  als  der  Ovarien  und  Parametrien.  —  War  eine 
Tube  noch  erhalten  und  nur  ihre  abdominale  Mündung  verschlossen,  so  haben  einzelne 
Operateure  (Martin,  Skutsch  u.  A.)  eine  neue  Mündung  angelegt  und  die  bios- 
gelegte Schleimhaut  mit  dem  peritonealen  Tuben-Ueberzug  vernäht,  also  die  neue 
Mündung  umsäumt  (Salpingostomie).  Kann  mit  der  Exstirpation  der  erkrankten 
Organe  bei  Gonorrhoe  auch  oft  Monate-  und  Jahrelang  gewartet  werden,  so  ist  sie 
doch  gewiss  gerechtfertigt,  wenn  nach  so  langer  nicht  operativer  Behandlung  immer 
wieder  Rückfälle  eintreten  und  die  Kranke  körperlich  herabgekommen,  seelisch  in 
tiefer  Depression  ist.  Treten  auch  nach  der  Operation  oft  die  verschiedensten  ner- 
vösen Beschwerden  auf,  so  pflegen  diese  doch  meist  viel  geringer  zu  sein,  als  die 
der  ursprünglichen  Erkrankung.  Bei  begüterten  Frauen,  die  sich  schonen  können, 
wird  man  mit  der  Operation  länger  zu  warten  in  der  Lage  sein,  als  bei  unbemit- 
telten Kranken,  die  auf  ihrer  Hände  Arbeit  angewiesen  sind;  was  soll  aus  diesen 
armen  Frauen  werden,  wenn  sie  ausser  Stande  sind,  sich  ihren  Unterhalt  zu  ver- 
dienen? 

Die  Eröffnung  von  Eitersäcken  von  der  Scheide  aus,  mit  Troieart 
oder  durch  Incision  wurde  von  Simpson,  Landau,  Winckel  u.  A.  empfohlen  und 
ausgeführt.  Sie  hat  den  Vorzug,  die  Eröffnung  der  Bauchhöhle  und  den  Verlust 
der  kranken  Organe  zu  vermeiden.  Diese  Operation  ist  also  gewiss  nicht  von  der 
Hand  zu  weisen  und  sie  kann  in  geeigneten  Fällen  segensreich  wirken.  Sie  ist  aber 
weder  leicht,  noch  sicher  und  gefahrlos.  Bei  Operationen  und  Obductionen  sieht  man 
gelegentlich  mehrfache  Eiterherde,  die  unter  sich  durchaus  nicht  zusammenhängen; 
es  ist  recht  schwierig,  diese  alle  von  der  Scheide  aus  zu  eröffnen,  und  man  hat 
kaum  zuverlässige  Anhaltspunkte  dafür,  dass  es  wirklich  gelungen  ist.  Aus  diesen 
Gründen  und  da  die  Organe  doch  functionsunfähig  geworden  sind,  wird  zunächst 
deren  operative  Entfernung  nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  noch  häufiger  ausgeführt, 
als  die  Eröffnung  von  der  Scheide  aus. 

Der  Verlauf  des  Leidens  ist  ein  überaus  langwieriger.  Die  bedauerns- 
werthen  Frauen  kränkeln  jahrelang,  erholen  sich  vorübergehend,  um  beim  nächsten 
Anlass  wieder  bettlägerig  zu  werden,  ihre  Ernährung  leidet  stark,  sie  magern  ab,  sind 
seelisch  tief  niedergedrückt,  andauernd  arbeitsbeschränlvt,  wenn  nicht  arbeitsunfähig, 
und  die  ungezählte  Menge  der  neurasthenischen  Beschwerden  täuscht  das  Bild  der 
-Hysterie  vor.  Nicht  gar  selten  verfallen  die  armen  Kranken  dem  missgünstigen  Urtheile 
ihrer  Umgebung,  welche  die  Schwere  der  Erkrankung  nicht  ahnt,  so  lange  das 
Leiden  nicht  ärztlich  festgestellt  ist.  Die  gonorrhoische  Pyosalpinx  hat  wenig  Nei- 
gung zur  Ruptur,  aber  es  bleibt  noch  festzustellen,  wie  oft  dieses  lebensbedro- 
hende Ereignis  durch  Gonococcen  oder  Streptococcen  allein  oder  duixh  Mischinfec- 
tion  bedingt  ist.  Ruptur  spricht  im  allgemeinen  eher  für  eine  Streptococcen-In- 
fection. "Wenngleich  die  Gonococcen  nach  einiger  Zeit  im  abgeschlossenen  Eitersacke 
zu  Grunde  gehen  können,  ist  die  Kranke  damit  nicht  geheilt.  Ganz  abgesehen 
davon,  dass  es  nie  zu  einer  Restitutio  ad  integrum  kommt,  bildet  sich  der  Tumor 
nicht  zurück,  er  verwandelt  nur  die  Beschaffenheit  seines  Inhalts.  Dass  eine  doppel- 
seitige Infection  sehr  bald  zur  Sterilität  führt,  ist  begreiflich.   Diese  ist  dauernd 


3U  GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

und  unheilbar,  wenn  beide  Tuben  in  Eitersäcke  umgewandelt  sind.  Dagegen  erscheint 
es  fraglich,  ob  Wyder's  frühere  Auffassung  zu  Eecht  besteht,  dass  Verlust 
der  Flimmerhaare  des  Epithels  zu  Sterilittät  führen  muss;  denn  einerseits  gehen 
bei  einfacher,  also  nicht  eitriger,  Entzündung  durchaus  nicht  sofort  alle  Flimmer- 
haare zu  Grunde,  sondern  sie  erhalten  sich  in  den  Faltenbuchten  länger  als  auf  den 
Faltengipfeln;  anderseits  können  die  Flimmerzellen  sich  ohne  Zweifel  regeneriren, 
sei  es  von  den  noch  vorhandenen  aus,  oder  durch  Flimmerbildung  auf  den  flimmerlos 
gewordenen,  aber  aoch  lebensfähigen  Zellen.  Und  endlich  ist  die  Bedeutung  der 
Flimmerzellen  offenbar  bisher  überschätzt  worden.  Wenn  trotz  des  nach  aussen 
gerichteten  Flimmerstroms  im  Uterus  das  Sperma  doch  bis  zur  Tube  wandern  kann, 
so  vermag  gewiss  die  Tuben-Peristaltik  das  Ei  auch  ohne  Hilfe  des  Flimmerstroms 
in  den  Uterus  zu  befördern. 

IX.  Oophoritis,  Parametritis  und  Peritonitis  (Perhnetritis,  Perisalpingitis, 
Perioojjhointis)  gonorrhoica. 

Das  Vorkommen  einer  gonorrhoischen  Erkrankung  der  Eierstöcke,  des  Binde- 
gewebes neben  dem  Uterus  (Parametritis)  und  des  Peritoneum,  welches  den  Uterus 
und  seine  Nachbarorgane  überzieht,  wurde  erst  durch  Wertheim's  Untersuchungen 
nachgewiesen.  Von  Bumm  wurde  bekanntlich  vorher  die  gonorrhoische  Natur  dieser 
Erkrankungen  bestritten  und  ihre  Entstehung  auf  eine  Misch-Infection  zurückgeführt. 
Andere  Beobachter  hatten  aus  klinischen  Gründen  trotzdem  die  Ansicht  vertreten, 
es  handle  sich  dabei  oft  um  gonorrhoische  Infection ;  Weetheeni  gelang  es,  dies  ein- 
wandsfrei  zu  beweisen. 

Peritonitis  gonorrhoica.  Wertheim  hat  bei  weissen  Mäusen  und  Meer- 
schweinchen experimentell  gonorrhoische  Peritonitis  erzeugt  und  deren  Vorkommen 
beim  Menschen  bacteriologisch  nachgewiesen.  Beim  Menschen  kennt  man  bis  jetzt 
nur  Fälle  umschriebener,  nicht  aber  universeller  gonorrhoischer  Peritonitis.  Es  wurde 
schon  erwähnt,  dass  dies  wahrscheinlich  mit  der  Wirkung  des  Gonococcen-Eitei's 
zusammenhängt,  auf  dem  Peritoneum  sehr  rasch  Verklebungen  herbeizufühi^en.  In 
diesen  Adhäsionen  liegt  eine  Art  von  Schutzwall  gegen  die  Verallgemeinerung  der 
Peritonitis.  Trotz  dieser  Wirkung  der  Gonococcen  können  jedoch  umschriebene  peri- 
toneale Exsudate  auftreten ;  in  einem  solchen  hat  Welandek  bei  einem  5-jährigen 
Mädchen  Gonococcen  nachgewiesen. 

Die  gonorrhoische  Peritonitis  pflegt  sehr  stürmisch  zu  beginnen,  zeichnet  sich 
durch  heftige  Schmerzen,  selten  durch  grössere  Exsudate  aus,  macht  aber  bald  einer 
Besserung  Platz.  Allerdings  besteht  das  Leiden  dann  chronisch  fort,  um  bei  den 
verschiedensten  Anlässen  wieder  aufzuflackern:  recidivirende  Peritonitis. 
Dies  ist  entweder  durch  wiederholten  Eiteraustritt  aus  dem  abdominalen  Tuben-Ende 
bedingt  oder  durch  die  Fähigkeit  der  Gonococcen,  die  Tuben- Wand  etc.  zu  durchsetzen. 
Die  hochgradige  Adhäsions-Bildung,  welche  die  inneren  Genitalien  oft  in  eine 
unentwirrbare  Masse  umwandelt,  ist  so  kennzeichnend  für  gonorrhoische  Infection, 
dass  man  ihr,  wie  oben  erwähnt,  einen  eigenen  Namen  (Perimetritis  scortorum) 
beigelegt  hat. 

Oophoritis  und  Parametritis  gonorrhoica.  Wertheim  und  Zweifel 
haben  im  Eiter  von  Ovarial-Abscessen  Gonococcen  gefunden ;  in  parametralen  Phleg- 
monen und  Abscessen  scheint  dies  noch  nicht  geschehen  zu  sein ;  aber  es  unterliegt 
nach  Wertheim's  Untersuchungen  und  vom  klinischen  Standpunkte  aus  kaum  einem 
Zweifel,  dass  in  Fällen  sicherer  gonorrhoischer  Infection  auch  gonorrhoische  Para- 
metritis auftreten  kann.  Es  bleibt  zu  untersuchen,  welche  KoUe  dabei  andere  Eiter- 
Erreger  spielen.  Sehr  häufig  findet  man  bei  acuter  oder  recidivirender  gonorrhoi- 
scher Endometritis,  Metritis  u.  s.  w.  auch  eine  diffuse,  nicht  umgrenzbare  Empfind- 
lichkeit und  Anschwellung  der  Parametrien,  ohne  dass  es  stets  zur  Exsudatbildung 
kommt.  Anscheinend  handelt  es  sich  dabei  um  gonorrhoische  Infection  der  Para- 
metrien. Natürlich  wird  abscedirende  Parametritis  in  anderen  Fällen  sehr  oft  durch 
Strepto-  und  S'taphylococcen  u.  s.  w.  hervorgerufen. 


GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN,  315 

Die  Behandlung  der  Parametritis  bei  Gonorrhoe  ist  keine  andere,  als  die 
der  Parametritis  überhaupt ;  das  gleiche  gilt  für  die  gonorrhoische  Perimetritis  etc. 
Im  Einzelfalle  vereinigt  sich  die  Erkrankung  der  Parametrien,  Tuben,  Ovarien  und 
ihres  peritonealen  Ueberzugs  zu  einem  Gesamnitbilde,  dass  man  mein-  praktisch  als 
schön  mit  dem  Namen  Adnexitis  belegt  hat.  Deren  Behandlung  und  operative 
Beseitigung  fällt  mit  jener  der  gonorrhoischen  Salpingitis  zusammen  (s.  o.).  Im 
acuten  Stadium  spielen  Ruhe,  Diät,  Sorge  für  Stuhlgang,  Eisblase  und 
schmerzstillende  Mittel  oder  operative  Eingriffe  die  Hauptrolle.  Im  chronischen  Sta- 
dium sind  die  physikalischen  Heilmethoden  (feuchte  Wicklungen  Sitzbäder,  Darm- 
und Scheiden-Eiugiessungen)  werthvoU.  Von  Massage  habe  ich  gleich  Anderen  hier 
keine  sicheren  Erfolge,  wohl  aber  die  allerbedenklichsten  Verschlimmerungen  gesehen. 
Das  stimmt  mit  dem  überein,  was  vom  Aufflammen  der  Infection  bei  Insulten  gesagt 
wurde.  Die  Indicationen  und  Methoden  operativer  Behandlung  /urden  schon  bei 
der  Salpingitis  besprochen.  Ueber  Hydrotherapie,  sowie  über  Benützung  von 
Heilquellen  wird  in  diesem  Aufsatze  bei  der  „Allgemeinen  Therapie"  noch  einge- 
hender gesprochen. 


Allgemeine  Diagnose.  Die  Diagnose  der  einzelnen  Localisationstypen 
der  Gonorrhoe  wurde  im  Vorhergehenden  einzeln  besprochen,  es  erübrigt 
also  nur  noch  die  „ungenügenden  und  Fehldiagnosen"  bei  Gonorrhoe 
kurz  zu  berühren.  Man  findet  letztere  nicht  selten  und  da  es  sich  in  der 
Hauptsache  um  solche  handelt,  die  immer  wiederkehren,  verdienen  sie  eine 
Besprechung  für  sich. 

Vor  Allem  ist  hier  1.  die  Diagnose  „weisser  Fluss"  zu  erv^ähnen. 
Sie  bezeichnet  ein  Symptom,  keine  Krankheit.  Die  reflex-ähnliche  Wirkung, 
mit  welcher  dagegen  so  oft  ohne  w^eitere  Untersuchung  Scheidenspülungen 
mit  Alaun-Lösung  verordnet  werden,  hat  auch  E.  Fkaenkel,  Breslau,  erw'ähnt. 
—  Bei  Fluor  albus,  mag  gleichzeitig  Chlorose  bestehen  oder  nicht,  ist  stets 
eine  Untersuchung  der  Genitalien  erforderlich.  Die  Scheidenspülungen  allein 
genügen  doch  wohl  den  Anforderungen  der  Diagnostik  nicht. 

2.  Ein  bis  zur  Heirat  gesundes  Mädchen  erkrankt  während  oder  bald 
nach  der  Hochzeitsreise  unter  Harndrang,  Brennen  beim  Uriniren,  „weissem" 
oder  eitrigem  Ausfluss.  Aus  falsch  angebrachter  Schonung  des  Schamgefühls 
unterbleibt  eine  genaue  Untersuchung,  die  Fehldiagnose  lautet  „Blasen- 
reizung". In  Wirklichkeit  ist  die  bedauernswerthe  junge  Frau  gonorrhoisch 
inficirt  und  statt  des  verordneten  Leinsamenthees  wäre  unbedingte  Enthaltung 
Yom  Coitus,  Bettruhe  u.  s.  w.  erforderlich. 

3.  In  anderen  Fällen  untersucht  der  Arzt  gewissenhaft  digital  und  mit 
Speculum;  er  findet  eine  Erosion  der  Portio.  Diese  ist  vielleicht  Theil- 
erscheinung  eines  gonorrhoischen  Cervix-Katarrhes;  die  Diagnose  lautet —  nach 
dem  unrichtigen,  aber  populären  Sprachgebrauch  —  „Geschwür  der  Po r- 
tio"  (meist  heisst  es  „Geschwür  des  Muttermundes;"  das  ist  falsch,  denn  der 
Muttermund  ist  eine  Oeffnung,  kein  Organ);  die  bestehende  Gonorrhoe  wird 
jedoch  verkannt  und  statt  einer  localen  Behandlung  des  chronischen  Katarrhs 
erhält  die  Patientin  die  Auskunft  ( —  ich  berichte  Erlebtes  — ),  „es  sei  ganz 
gut,  wenn  der  Eiter  durch  das  (jeschwür  aus  dem  Körper  herauskomme." 
In  anderen  Fällen  wird  mit  anerkennenswerther  Ausdauer  Holzessig  auf  die 
Portio  gegossen.  Auch  diese  Behandlung  genügt  nicht,  da  die  Erosion  eben 
nur  eine  Theilerscheinung  des  Cervix-Katarrhs  ist,  welcher  selbst  in  Angriff 
genommen  werden  muss. 

4.  Am  häufigsten  hört  man  bei  Adnex-Erkrankungen  die  Fehldiagnose 
„Blinddarm-Entzündung."  Ueberaus  oft  kommen  Patientinnen  damit  in 
Behandlung  eines  zweiten  Arztes,  ohne  dass  die  geringste  Spur  eines  solchen 
Leidens  vorhanden  ist,  während  eine  ausgesprochene  Erkrankung  der  rechts- 


316  GONORRHOE  DER  WEIßLICHEN  GENITALIEN. 

seitigen  Uterus-Anhänge  (Parametritis,  Salpingitis  u.  s.  w.)  besteht.  Im  Allge- 
meinen ist  —  wenn  es  sich  nicht  um  Eiter- Ansammlungen  handelt  —  diese 
Diagnose  nicht  so  verhängnisvoll,  da  sie  zu  einer  Behandlung  führt  (Ruhe, 
Diät,  Eis,  Opium),  welche  auch  bei  acuten  Adnex-Erkrankungen  angezeigt 
ist;  gefährlich  kann  aber  der  IiTthum  werden,  wenn  es  sich  um  Eiterherde 
in   den  Genitalien  handelt,  welche  operativer  Behandlung  bedürfen. 

Wenn  man  von  Fehldiagnosen  spricht,  muss  gerechter  Weise  zur  Ent- 
lastung des  ärztlichen  Gewissens  hinzugefügt  werden,  dass  gerade  die  Gonor- 
rhoe der  weiblichen  Genitalien  in  einer  oft  verwirrenden  Vielgestalt  auftritt. 
Was  ferner  vor  wenigen  Jahrzehnten  als  harmloser  Fluor  galt,  stellt  sich  jetzt 
als  eine  der  hartnäckigsten  und  bedenklichsten  Infectionen  heraus;  was  noch 
vor  einigen  Jahren  als  die  Wirkung  der  eiterbildenden  Staphylo-  und  Strepto- 
coccen bezeichnet  wurde,  haben  wir  als  Ergebnis  einer  bisher  unbekannten 
deletären  Fähigkeit  der  Gonococcen  kennen  gelernt. 

Allgemeine  Prognose:  Gonorrhoe  ist  unter  allen  Umständen  ein 
ernstes  Leiden,  die  Prognose  nur  bei  frischen  Infectionen  und  der  Möglichkeit 
vollständiger  Schonung  gut,  sonst  aber  zweifelhaft,  häufig  schlecht.  Die  Gefahr 
der  Gonorrhoe  des  Mannes  besteht  in  der  Schädigung  der  samenbereitenden 
und  samenleitenden,  sowie  der  harnleitenden  Organe,  seltener  in  weiterer 
Metastasirung;  die  Gefahr  der  gonorrhoischen  Infection  des  Weibes  liegt  in 
der  Schädigung  jener  Organe,  welche  der  Eibildung  (Ovarium),  Ei-Leitung 
nnd  Ei-Entwicklung  (Tube,  Uterus)  dienen,  sowie  in  dem  unmittelbaren  An- 
grenzen des  Peritoneum  an  einzelne  der  gonorrhoisch  erkrankten  Organe. 
Die  Gonorrhoe  erschwert  also  nicht  nur  die  wichtigste  Aufgabe,  die  dem 
Weibe  wie  überhaupt  jedem  Lebewesen  zugetheilt  ist,  die  Fortpflanzung,  oder 
macht  sie  unmöglich;  mehr  noch:  sie  bedroht  Gesundheit  und  Leben  des 
Einzelnen  in  einer  Stärke  und  Häufigkeit,  die  man  früher  nicht  einmal  ahnte. 

Die  Prognose  ist  deshalb  selbst  bei  der  scheinbar  leichtesten  Infection 
stets  zweifelhaft,  bei  schweren  Infectionen  aber  schlecht,  sowohl  im  Hinblick 
auf  die  Gesundheit  als  auch  —  wenngleich  seltener  —  auf  das  Leben.  Spontan- 
Heilungen,  besonders  der  Urethritis  des  Weibes,  kommen  sicher  vor.  Durch 
geeignete  Lebensweise  wird  die  Möglichkeit  der  Heilung  kräftig  unterstützt; 
aber  es  scheint,  dass  die  Mehrzahl  der  Infectionen  zu  chronischen  Leiden 
führt. 

Schlimmer  als  beim  Manne  noch  tritt  die  Gonorrhoe  beim  Weibe  auf. 
Gerade  durch  die  häufige  Betheiligung  des  Peritoneum  werden  ungleich  mehr 
Frauen  als  Männer  für  Jahre  hinaus  krank  und  siech.  Die  anatomische  Ver- 
schiedenheit, die  Lage  eines  Theils  der  weiblichen  Genitalien  innerhalb  des 
Beckens  und  nahe  dem  Peritoneum,  ist  also  Ursache  des  verschiedenen  Cha- 
rakters der  Infection  bei  Mann  und  Weib.  Kein  Arzt  darf  deshalb  versäumen, 
die  Kranken  auf  den  Ernst  ihres  Leidens  hinzuweisen.  Er  wird  seltener  in 
die  Gefahr  kommen,  seine  Pfleglinge  unnöthig  zu  ängstigen,  als  vielmehr 
seine  Piathschläge  schlecht  oder  gar  nicht  befolgt  zu  sehen. 

Sowohl  im  Einzelfalle,  als  für  den  National-Oekonomen  überaus  wichtig 
ist  der  Einfluss,  welchen  die  Gonorrhoe  auf  die  Fruchtbarkeit  des 
Weibes  und  des  Mannes  ausübt.  Die  Zeugungsfähigkeit  des  Mannes  ist 
hier  nicht  Gegenstand  der  Besprechung.  Dagegen  muss  mit  Nachdruck  dar- 
auf hingewiesen  werden,  dass  einerseits  eine  erschreckend  grosse  Anzahl  von 
Störungen  der  Schwangerschaft  und  des  Wochenbettes,  andrerseits  nicht 
weniger  häufig  vollkom.mene  Unfruchtbarkeit  des  Weibes  durch  Gonorrhoe 
bedingt  sind. 

Gonorrhoe  ist  zwar  heilbar,  und  gewiss  heilt  die  specifische  Urethritis 
und  Endometritis  spontan  oder  unter  dem  Einfluss  entsprechender  Lebens- 
weise nicht  selten  aus.  Ob  es  bei  eitriger  Tuben-Gonorrhoe  wieder  zur  Re- 
stitutio ad  integrum  kommen  kann,  ist  eher  zu  bezweifeln.     Wenn  aber  einmal 


GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  317 

einzeihe  Theile  des  Genital-Apparates  jahrelang  gonorrhoisch  inficirt  bleiben 
oder  wenn  der  ganze  Geschlechts-Apparat  von  der  Urethra  l)is  zum  Ovariiim 
specifisch  erkrankt  ist,  treten  unvermeidlich  die  verschiedensten  Störungen 
der  Schwangerschaft  und  des  Wochenbettes  auf:  Bei  Endometritis  kommt  es 
zu  Blutungen  in  der  Schwangerschaft,  zu  Abort,  zum  frühzeitigen  Absterben 
des  Fötus  und  bei  Durchblutung  des  Eies  zur  Bildung  von  sogenannten 
„Fleisch-  oder  Blut-Molen;"  ist  die  Placenta  in  Folge  der  Endometritis  deciduae 
stark  mit  Infarcten  durchsetzt,  so  wird  der  Fötus  ungenügend  ernährt  und  er 
zeigt  sich  nach  der  Geburt  ungenügend  entwickelt,  also  unterwerthig;  oder 
er  stirbt  kurz  vor  der  Geburt  ab  und  wird  macerirt  geboren.  Während  und 
nach  der  Geburt  kann  durch  die  bis  dahin  latente  Gonorrhoe  eine  acut  auf- 
flackernde Verschlimmerung,  acute  gonorrhoische  Endometritis  u.  s.  w.  auf- 
treten; in  weiterer  Folge  kann  dieselbe  nunmehr  zu  Sterilität  führen:  Ein- 
kindersterilität, Die  häufige  Entstehung  von  Opthalmoblenorrhoe 
der  Neugeborenen  ist  bekannt. 

Sind  beide  Tuben  oder  die  beiden  Ovarien  hochgradig  gonorrhoisch  er- 
krankt, besteht  Pyosalpinx,  allgemeine  Perioophoritis  u.  s.  w.,  so  ist  die  un- 
glückliche Kranke  dauernd  und  unheilbar  steril:  acquirirte,  absolute 
Sterilität.  —  Die  häufige  Unfruchtbarkeit  der  Puellen  dürfte  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  darauf  beruhen. 

Zum  Tröste  jener  Kranken,  die  durch  das  körperliche  Leiden  und  die 
Furcht  kinderlos  zu  bleiben,  gleich  tief  niedergedrückt  werden,  muss  aber 
gesagt  werden,  dass  sie  nicht  als  absolut  steril  gelten  können,  so  lange 
wenigstens  eine  Tube  und  ein  Ovarium  ohne  palpatorisch  nachweisbare  Ver- 
änderungen sind,  ja  dass  selbst  einfache  Anschwellungen  der  Tuben  —  sofern 
es  sich  um  entzündliche  Hyperämie  und  nicht  um  Eiter- Ansammlung  handelt  — 
vollständiger  Heilung  zugänglich  sind.  —  Endometritis  führt  seltener  zur 
Sterilität,  als  zu  Störungen  der  Schwangerschaft  und  des  Wochenbettes. 

Hier  mag  folgende  treffende  Schilderung  Aufnahme  finden,  welche  Finger  von  der 
schleichenden  Form  der  chronischen  Gonorrhoe  gibt. 

„Eine  junge  Frau,  vor  ihrer  Ehe  gesund  und  blühend,  die  von  Störungen  bei  der 
Menstruation,  uterinen  Beschwerden  etc.  nie  etwas  wusste,  beginnt  bald  nach  der  Hochzeit 
zu  kränkeln.  Anfangs  bemerkt  sie  nur  eine  vermehrte,  besonders  um  die  Zeit  der  Men- 
struation reichlichere  Secretion  aus  den  Genitalien.  Sie  wird  leicht  matt,  empfindet  Brennen 
und  Jucken  in  den  äusseren  Schamtheilen.  Nach  einiger  Zeit,  meist  nach  einer  Menstrua- 
tion, gesellt  sich  dumpfer  Schmerz  im  kleinen  Becken,  Ziehen  im  Kreuz  hinzu,  das  bei 
stärkeren  Bewegungen  zunimmt,  vor  der  Menstruation  zu  kolikartigen  Erscheinungen  an- 
schwillt. Eine  Gravidität  endet  entweder  mit  Abortus,  oder  aber  mit  normalem  Verlauf,  an 
den  sich  aber  Perimetritis,  Perioophoritis,  circumscripte  Peritonitis,  also  ein  anormales  und 
schweres  Wochenbett  anschliesst.  Nach  demselben  werden  die  Erscheinungen  noch  schwerer. 
Die  Beschwerden  im  kleinen  Becken  haben  zugenommen.  Jede  forcirte  Bewegung,  Laufen, 
Tanzen,  auch  der  Coitus  ist  schmerzhaft.  Vor  jeder  Menstruation  treten  schwere  Erschei- 
nungen, Koliken  auf,  die  die  Frau  an  das  Bett  , fesseln.  Dabei  ist  der  Typus  der  Men- 
struation selbst  alterirt.  Diese  ist  unregelmässig,  kommt  bald  zu  früh,  bald  zu  spät,  ist 
bald  profus,  bald  spärlich,  scheinbar  schon  abgelaufen,  stellt  sie  sich  wieder  ein.  Dabei 
leidet  das  Aussehen,  die  Ernährung  bedeutend.  Solche  Frauen  magern  ab,  welken,  ver- 
lieren ihre  Lebenslust,  Arbeitslust,  allmälig  kommt  das  vielgestaltige  Bild  nervöser  Be- 
schwerden hinzu,  es  entwickelt  sich  typische  Hysterie." 

Allgemeine  Therapie:  Schon  bei  der  Besprechung  der  einzelnen  Lo- 
calisationen  wurde  betont,  dass  durchaus  nicht  jede  gonorrhoische  Infection 
örtlicher  Behandlung  bedarf.  Ja  es  kann  als  Grundsatz  aufgestellt 
werden,  dass  im  acuten  Stadium  jede  instrumenteile  und  che- 
mische locale  Behandlung  (Katheterisiren  der  Blase,  Aetzungen,  Aus- 
spülung und  Sondirung  der  Harnröhre  und  des  Uterus)  mehr  schade  tals 
nützt.  Das  Hauptgebiet  localer  Therapie  sind  die  chronischen  gonorrhoischen 
Infectionen,  abgesehen  von  der  frühzeitigen  operativen  Behandlung  der  Tuben- 
und  Ovarial-Infection. 

Obenan  in  der  Behandlung  der  acuten  und  chronischen  Gonorrhoe  stehen 
1.  Entfernung   der   Ursache,  also  Heilung   der  Gonorrhoe   des  Gatten^ 


318  GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

bezw.  Verbot  der  Coliabitation  mit  einem  tripperkranken  Manne  und  2.  Ruhe 
und  Schonung.  Den  Kranken  ist  sowohl  im  eigenen  als  im  Interesse  des 
Gatten  die  Coliabitation  überhaupt  auf  das  allerstrengste  und  unter  Schil- 
derung der  Gefahren  zu  verbieten.  Veit  hat  ganz  Recht,  wenn  er  darauf 
hinweist,  dass  acute  Infectionen  unter  entsprechender  Schonung  und  Ruhe 
spontan  heilen  können.  Ganz  besonders  ist  diese  während  der  Menses  ge- 
boten. Die  Zeit  der  Menstruation  ist  für  gonorrhoische  Frauen  besonders 
gefährlich. 

Bestehen  im  acuten  Stadium  Fieber  und  Schmerzen,  so  lässt  man  bis 
zum  Aufliören  dieser  Symptome  Bettruhe  einhalten.  Die  Kost  sei  milde,  Al^ 
kohol  ist  zu  vermeiden,  für  regelmässige  Urin-  und  Stuhl-Entleerung  ist 
Sorge  zu  tragen.  Balsamica  und  andere  innerlich  anzuwendende  Heilmittel 
erfreuen  sich  ganz  mit  Unrecht  eines  Rufes.  Es  fehlt  jeder  Beweis,  dass  sie 
die  Heilung  der  Gonorrhoe  auch  nur  begünstigen.  Vielleicht  kommt  die  Zeit, 
in  welcher  wir  die  Gonococcen  oder  ihre  Stoffwechselproducte  durch  Antitoxine 
und  ähnliche  chemisch  wirksame  Stoffe  bekämpfen  können.  Diese  Zeit  ist 
aber  noch  nicht  da  —  mit  ernstem  Bedauern  müssen  wir  uns  diese  That- 
sache  klar  machen. 

Unterstützen  können  wir  die  Heilung  durch  reinigende  Waschungen  der 
Vulva,  Ausspülungen  der  Scheide,  durch  Anwendung  der  Eisblase  bei  acuter 
Endometritis,  Metritis  und  Erkrankung  der  Anhänge.  Durch  Eis,  Opium  und 
Morphium  sind  die  oft  quälenden  Schmerzen  zu  lindern. 

Diese  recht  pessimistische  Anschauung  über  die  Behandlung  der  acuten 
Gonorrhoe  führt  zu  einer  neuen  Deutung  des  Wortes  „Unheilbarkeit"  der 
Gonorrhoe,  zu  einer  Deutung  in  dem  Sinne,  dass  wir  kein  specifisches  Heil- 
mittel der  Gonorrhoe  besitzen,  dass  also  die  acute  Infection  zwar  durch  die 
Naturkräfte  selbst,  nicht  aber  durch  unsere  Medicamente  geheilt  werden  kann. 
Den  gleich  pessimistischen  Standpunkt,  welchen  Veit,  Wintee,  Bröse  gegen 
die  heutigen  Heilmethoden  der  acuten  Gonorrhoe  einnehmen,  kennzeichnen 
Bröse's  Worte:  „Ich  bin  allmälig  zu  der  Ueberzeugung  gekommen,  dass 
die  frische  gonorrhoische  Infection,  wie  fast  alle  Infections-Krankheiten,  vom 
Körper  selbst  überwunden  werden  muss  und  dass  eine  zweckmässige  Allgemein- 
behandlung dabei  viel  nützlicher  ist,  als  jede  locale  Therapie".  Veit  glaubt 
ausserdem,  dass  die  acute  Infection  überhaupt  ohne  deletäre  Processe  aus- 
heilen kann,  wenn  nicht  stets  wieder  Cohabitation  mit  dem  tripperkranken 
Manne  stattfindet.  Dass  sie  es  kann,  ist  nicht  zu  bestreiten;  dass  aber  selbst 
eine  einmalige,  nicht  behandelte  Infection  doch  zu  den  schwersten  Leiden 
führen  kann,  ist  leider  ebenfalls  kaum  zu  bezweifeln. 

Die  locale  Behandlung  ist  den  chronischen  Formen  der 
Gonorrhoe  vorbehalten.  Aber  es  ist  bezeichnend,  dass  gerade  in  den 
letzten  Jahren,  welche  in  der  Erkenntnis  der  Gonorrhoe  immer  neue  Fort- 
schritte brachten,  die  Behandlung  eine  immer  mildere  wurde.  Dieselbe  Wand- 
lung, welche  hier  im  Allgemeinen  vor  sich  geht,  hat  wohl  auch  mancher 
Gynäkologe  durchgemacht,  der  früher  mit  2^/o  Argentum  nitricum-Lösung  und 
ähnlichen  starken  Mitteln  den  Gonococcen  zu  Leibe  zog  und  sich  jetzt  — 
nicht  zum  Nachtheile  der  Kranken  —  mit  Argentum  nitricum  von  1 :  3000 
und  ähnlichem  begnügt.  Ja,  unter  den  Dermatologen  werden  sogar  Stimmen 
laut,  welche  für  eine  Nichtbehandlung  der  Gonorrhoe  der  weiblichen  Ge- 
nitalien sprechen  und  diese  für  ein  Noli  me  tangere  ansehen,  durch  dessen 
Behandlung  nicht  genützt,  sondern  geschadet  wird. 

Ich  möchte  mich  diesen  Stimmen  trotz  aller  Zurückhaltung  in  der  Be- 
handlung der  acuten  Gonorrhoe  doch  für  die  chronischen  Formen  nicht  an- 
schliessen.  Es  gibt  eine  ganze  Reihe  von  Fällen,  welche  durch  eine  schonende 
locale  Behandlung  zweifellos  und  zwar  rascher  gebessert  werden,  als  durch 
einfache  Schonung.    Behandelt  man  z.  B.  eine  Cervix- Gonorrhoe  einige  Wochen 


GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  319 

lang  local  und  sieht  dann  einige  Wochen  lang  wieder  ruhig  zu,  so  verschlim- 
mert sich  in  dieser  Zeit  unter  sonst  gleichen  Umständen  das  Krankheitsbild 
oft  zusehends,  um  bei  Einsetzen  der  Behandlung  wieder  einer  Besserung  Platz 
zu  machen.  Dass  es  mit  den  berühmten  oder  berüchtigten  Alaun-Ausspülungen 
der  Scheide  aber  nicht  gethan  ist,  wurde  schon  (S.  316)  bei  der  Besijrechung 
der  Endometritis  hervorgehoben. 

Neben  der  örtlichen  Behandlung  darf  die  Allgemeinbehandlung 
nicht  vernachlässigt  werden.  Auch  bei  der  chronischen  Gonorrhoe  sind 
Schonung  und  Ruhe,  also  vollkommene  Enthaltung  von  der  Cohabitation, 
Vermeidung  von  Ursachen,  welche  sexuelle  Erregung  begünstigen  (erotische 
Leetüre,  gewisse  Schauspiele,  Ballet,  Bälle),  Vermeidung  von  körjjerlichen  An- 
strengungen —  vor  Allem  während  der  Menses,  —  ferner  reinigende  Waschungen 
und  Scheidenspülungen  erforderlich. 

Besteht  bei  gonorrhoischer  Endometritis  des  Cervix  oder  Corpus  uteri 
gleichzeitig  eine  gonorrhoische  Erkrankung  der  Uterus-Adnexe,  so  unterbleibt 
die  locale  Behandlung  der  ersteren  mit  Aetzmitteln  etc.  am  besten.  Es  ist 
aussichtslos,  die  erkrankte  Schleimhaut  zu  behandeln,  während  die  umgebenden 
Gewebsschichten  und  die  benachbarten  Organe  doch  gleichfalls  erkrankt,  aber 
dieser  Behandlung  vollkommen  unzugänglich  sind.  In  nicht  seltenen  Fällen 
schadet  man  sogar  geradezu  durch  solche  Aetzungen. 

Von  hohem  Werthe  ist  die  Hydrotherapie  zur  Unterstützung  der 
Heilungs Vorgänge.  Im  chronischen  Stadium  der  Endometritis,  noch  mehr 
vielleicht  der  Metritis  und  der  Adnex-Erkrankungen,  sind  feuchtwarme 
Wickelungen  des  Unterleibes,  warme  Sitzbäder  ohne  oder  mit  Zusatz  von  Salz 
oder  Seesalz  (Sitzbäder  werden  übrigens  im  subacuten  Stadium  oft  schlecht 
ertragen  und  bewirken  Schmerzen),  warme  Scheiden-  und  Mastdarm-Eingiess- 
ungen  sehr  wirksam.  Diese  Behandlung  stimmt  überein  mit  jener  der  chro- 
nischen Metritis,  Parametritis  u.  s.  w.  im  Allgemeinen,  die  ja  so  häufig  gonor- 
rhoischen Ursprungs  ist.  Ebenso  sind  Glycerin-Tampons  ohne  oder  mit 
Zusatz  von  Jodkali  5  :  100  (Andere  empfehlen  Ichthyol  u.  s.  w.)  im  Stande, 
die  Heilung  zu  unterstützen. 

Der  Aufenthalt  in  C u r -  und  Bade- Orten  ist  aus  mehrfachen  Gründen 
empfehlenswerth.  Die  Kranken  werden  einerseits  den  Mühen  der  Haushaltung 
entrückt;  sie  werden  von  der  gewohnten  Umgebung  getrennt  und  können  sich 
gesellschaftlichen  Verpflichtungen  vollkommen  entziehen.  Ist  der  Gatte  selbst 
noch  gonorrhoisch,  so  empfiehlt  es  sich  dringend,  die  beiden  Gatten  nicht 
gleichzeitig  oder  nicht  in  dasselbe  Bad  zu  schicken.  Die  Verhältnisse  liegen 
hier  ganz  anders  als  in  jenem  nicht  seltenen  Falle,  in  welchem  Mann  und 
Frau  die  verordnete  graue  Salbe  sich  gegenseitig  und  in  Eintracht  einreiben. 
Beim  Zusammenleben  der  Gatten  ist  es  oft  gar  nicht  möglich,  die  Cohabi- 
tation zu  verhindern,  die  bei  Gonorrhoischen  unbedingt  unterbleiben  muss. 

Arsen-,  Jod-  und  Eisenquellen,  zu  Trink-  und  Bade-Curen  verwendet, 
sind  hier  zweifellos  von  Nutzen.  Ebenso  können  Sool-Bäder  die  Heilung 
begünstigen. 

Die  Zahl  der  Bäder,  welche  sich  zur  Behandlung  solcher  Leiden  eines  Rufes  erfreuen, 
ist  nicht  gering;  es  seien  davon  folgende  erwähnt: 

Arsen-Wässer  —  Levico,  Vetriolo,  Roncegno. 

Jod-Wasser  —  Kreuznach,  Hall  in  Oberösterreich,  Adelheidsquelle  und  Kranken- 
heil bei  Tölz,  Oberbayern;  Dürkheim,  Königsdorf-Jastrzemb,  Münster  am  Stein,  Sodenthal, 
Suiza. 

Eisenwässer  —  Alexandersbad,  Alexisbad,  Bocklet,  Brückenau,  Cudova  und  Rein- 
erz, Driburg,  Kohlgrub,  Liebenau,  St.  Moritz,  Pyrmont,  Schwalbach,  Spa,  Stehen ;  an  alka- 
lisch-salinischen Wässern  mit  Eisengehalt:  Franzensbad,  Elster,  Marienbad,  Rippöldsau. 

Soolbäder  —  Bex,  Cannstadt,  Colberg,  Elmen,  Schwäbisch-Hall,  Harzburg,  Ischl. 
Kissingen,  Kosen,  Kreuth,  Nauheim,  Oeynhausen,  Pyrmont,  Rehme,  Reichenhall  (ebenso 
Aibling,  Rosenheim,  Traunstein  mit  Berchtesgadner  und  Reichenhaller  Soole),  Soden, 
Wittekind. 


320  GONORRHOE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

Ebenfalls  viel  benützt  werden  die  zahlreichen  Thermen  mit  geringem  Salzgehalt  und 
hoher  Temperatur,  wie  Baden-Baden,  Wiesbaden,  ferner  die  alkalischen  Wässer  mit  Koch- 
salzgehalt, wie  die  warmen  Quellen  von  Ems,  die  kalten  Quellen  von  Tönnisstein;  dann 
die  einfach  alkalischen  Wässer  wie  Vichy,  Neuenahr,  Ober-Salzbrunn  u.  s.  w. 

Ausser  den  genannten  gibt  es  noch  eine  ganze  Reihe  von  Bädern,  so 
besonders  von  kohlensäurehaltigen  Quellen  und  indifferenten  Thermen,  die 
ohne  Frage  bei  der  Behandlung  chronischer  Entzündungen  und  besonders  alter 
Exsudate  und  ihrer  Residuen  von  Erfolg  sind.  Das  wirksame  ist  neben  der 
Quelle  vor  allem  die  Entfernung  vom  eigenen  Hause,  die  Entlastung  von 
Haushaltungssorgen  und  gesellschaftlichen  Verpflichtungen,  die  Trennung  vom 
Gatten  und  das  Vermeiden  der  Cohabitation,  nicht  minder  aber  die  gänzlich 
veränderte  Lebensweise  und  —  wenn  thunlich  —  die  Bewegung  in  reiner, 
freier  Luft.  Ganz  entschieden  zu  verurtheilen  ist  die  Unsitte,  in  Badeorten 
und  besonders  in  sogenannten  Mode-Bädern  einen  grossen,  wenn  nicht  den 
grössten  Theil  des  Tages  auf  das  Zurschautragen  von  Toiletten  zu  verwenden; 
sind  die  Mode-  und  Kleiderthorheiten  schon  im  heimatlichen  Kreise  auf  das 
strengste  zu  verpönen,  so  müssen  sie  in  Badeorten,  welche  der  Gesundheit 
dienen  sollen,  erst  recht  in  Acht  und  Bann  gethan  werden.  Nicht  in  dreimal 
täglich  gewechselter  Toilette  mit  Schnürmieder,  Schleppkleid,  Sonnenschirm, 
Schleier  und  Handschuhen,  nicht  auf  der  Curpromenade  und  bei  Reunions 
wird  die  leidende  Frau  sich  die  Gesundheit  wieder  holen;  nein  —  in  beque- 
men, nirgends  drückenden  Kleidern,  welche  Athmung  und  Kreislauf  frei  lassen, 
hinaus  in  den  Wald  und  —  wenn  die  Sonne  nicht  gerade  glühend  herabscheint 
—  über  Felder  und  Wiesen;  die  Luft  soll  den  Körper  frei  umspielen; 
Sonnenschein  auf  Gesicht  und  Händen  wird  die  Schönheit  der  Frauen  und 
Töchter  nicht  vermindern,  sondern  erhöhen.  Angemessene  Bewegung,  Ball- 
spiel im  Freien,  Baden  und  Schwimmen  wird  den  Körper  stählen  im  Kampfe 
gegen  die  Mikroben.  Wie  viel  an  Bewegung  sich  jedes  zumuthen  darf,  hat 
der  Arzt  zu  bestimmen,  der  auch  sorgfältig  darüber  wacht,  dass  nicht  ein 
Uebermass  den  Heilungsvorgang  verzögert. 

Heiraten  gonorrhoisch  Inficirter.  Wann  darf  ein  Mädchen,  das  gonorrhoisch  In- 
fi cirt  wurde,  heiraten,  wann  eine  Frau  ihren  ehelichen  Pflichten  wieder  genügen?  Das  ist 
eine  schwere  und  ernste  Frage.  Die  Antwort  kann  nur  lauten:  Wenn  die  Infection  ab- 
gelaufen ist.  Wann  aber  kann  sie  als  abgelaufen  gelten?  Doch  wohl  nur  dann,  wenn  die 
objectiven  und  subjectiven  Symptome  der  Entzündung  aufgehört  haben  und  wenn  Gono- 
coccen  im  Secret  von  aussen  zugänglicher  Schleimhäute  bei  wiederholter  Untersuchung 
nicht  mehr  nachweisbar  sind.  Dieser  Nachweis  misslingt  aber  nicht  selten,  wenn  die  In- 
fection noch  besteht;  der  mikroskopische  Nachweis  ist  überdies  unzuverlässiger  als  der  cul- 
turelle;  der  letztere  ist  nun  aber  in  der  allgemeinen  Praxis  einfach  undurchführbar.  Da- 
durch sind  wir  doch  auf  die  mikroskopische  Untersuchung  und  auf  die  objectiven  und  sub- 
jectiven Symptome  angewiesen.  Vielleicht  wäre  in  schwierigen  Fällen  der  Versuch  zu 
machen,  bei  vermutheter  latenter  Gonorrhoe  durch  Injection  geringer  Mengen  von  l^/oo 
Sublimatlösung  in  Cervix-  oder  Uterus-Höhle  eine  leichte,  vorübergehende  Entzündung  zu 
bewirken,  welche  etwa  vorhandene  Gonococcen  zu  vorübergehender  Vermehrung  und  so  zu 
leichterem  Nachweis  bringt  (provocatorische  Injection);  wenigstens  ist  diese  Methode  bei 
der  Gonorrhoe  der  männlichen  Urethra  gelegentlich  erfolgreich;  allerdings  stehen  ihr 
einige  Bedenken  entgegen.  Gerade  an  den  Schleimhäuten  der  weiblichen  Genitalien  ist 
aber  nicht  alles  Gewicht  auf  den  Gonococcen-Nachweis  zu  legen ;  er  misshngt  ganz  beson- 
ders auch  deshalb  oft,  weil  die  Gonococcen  durch  die  Menge  anderer  Bacterien  verdeckt 
sein  können.  Im  einzelnen  Falle  dürfte  sich  die  Sache  folgendermaassen  gestalten: 
Gonorrhoe  der  weiblichen  Urethra  heilt  meist  spontan.  Einige  Monate  nach  dem  Auf- 
hören objectiver  und  subjectiver  Symptome  wird  die  Betreffende  heiraten  dürfen. 

Sehr  hartnäckig  kann  gonorrhoische  Bartholinitis  und  Endometritis  sein.  Man  dart 
die  Zustimmung  zur  Heirat  erst  dann  geben,  wenn  einige  Monate  lang  keine  Symptome 
einer  Entzündung  der  BARXHOLm'schen  Drüsen  auftraten,  beziehungsweise  wenn  sich  das 
Cervis-Secret  einige  Monate  lang  bei  wiederholter  Untersuchung  als  glasig  und  gonococcen- 
frei  erwiesen  hat.  Leichte  Störungen  der  Menses  bleiben  häufig  längere  Zeit  zurück  und 
machen  den  Verdacht  rege,  dass  die  Infection  im  Uterus  oder  in  dessen  Adnexen  noch  nicht 
abgelaufen  ist.  Die  Infection  muss  aber  deshalb  nicht  stets  noch  fortbestehen;  und  wollte 
man  darum  das  Heiraten  verbieten,  so  thäte  man  gelegentlich  den  ehedem  Inficirten  schweres 
Unrecht.  Für  männliche  Gonorrhoiker  wurde  erst  jüngst  von  einer  Seite  verlangt,  man 
solle  das  Heiraten  erst  dann  erlauben,  wenn  sich  keine  Schleimfäden  mehr  im  Urin  zeigten. 
Dem  wurde  von  anderer  Seite  entgegengehalten,  dass  dann  ein  ungemein  grosser  Procent- 


GYNÄKO-ELEKTROTHEHAPIE.  321 

satz  von  Männern  überhaupt  nicht  zum  Heiraten  gelangen  und  das  Menschengeschlecht 
bald  aussterben  würde.  Geht  diese  Ansicht  auch  zu  weit,  so  liegt  in  ihr  doch  ein  wahrer 
Kern.  Leichte  chronische  Endometritiden,  geringe  Störungen  der  Menses  werden  also  selbst 
bei  vorausgegangener  Gonorrhoe  nicht  unbedingt  gegen  eine  beabsichtigte  Heirat  sprechen, 
wenn  nur  keine  anderen  Zeichen  eines  Fortbestehens  der   Infcction   mehr    vorhanden  sind. 

Man  muss  aber  einerseits  die  Patientin  auf  die  Möglichkeit  eines  Recidivs  und  aut 
die  Nothwendigkeit  aufmerksam  machen,  dann  gleich  einen  Arzt  zu  befragen;  andrerseits 
muss  die  locale  Behandlung  unbedingt  einige  Wochen  oder  Monate  geruht  haben,  denn 
durch  sie  wird  stets  von  neuem  eine  artificielle  Entzündung  erzeugt,  welche  den  Fortbestand 
des  Leidens  vortäuschen  kann. 

Bei  Erkrankungen  der  Anhänge  müssen  Eiter-Ansammlungen  und  Exsudate  vorher 
ganz  beseitigt,  Parametrien,  Tuben  und  Ovarien  dürfen  nicht  abnorm  empfindlich  sein. 
Finden  sich  Verwachsungen,  Verkürzungen  einzelner  Ligamente,  dadurch  bedingte  Lage- 
veränderungen des  Uterus  und  der  Ovarien,  so  spricht  das  nicht  gegen  die  Möglichkeit 
einer  Heirat,  wenn  nur  keine  Erscheinungen  eines  noch  bestehenden  Entzündungs-Processes 
vorhanden  sind.  Man  muss  aber  dann  die  Betreffende  schonend  darauf  hinweisen,  daas 
unter  Umständen  die  Fruchtbarkeit  beeinträchtigt  oder  —  in  Fällen  schwerer  Adnex-Ver- 
änderungen  —  auch  aufgehoben  sein  kann.  Nie  aber,  ausser  bei  operativer  Entfernung 
beider  Tuben  oder  beider  Ovarien,  kann  man  Sterilität  mit  Sicherheit  voraussagen. 

Diese  Fragen  erfordern  zu  ihrer  Beantwortung  eine  peinlieh  genaue  Untersucfiung 
der  Genitalien,  in  schwierigen  Fällen  unter  Narkose.  Sie  stellen  an  die  Erfahrung  und 
Sorgfalt  des  Arztes  die  allergrössten  Ansprüche.  Dem  Praktiker  bleibt  in  letzter  Pieihe  die 
Möglichkeit,  einen  Facharzt  beizuziehen;  und  wohl  niemand  wird  dies  anders  deuten,  denn 
als  ein  Zeichen  grosser  Gewissenhaftigkeit.  Eine  sehr  ernste  und  prophylactisch  wichtige 
Aufgabe  fällt  hier  dem  Hausarzte  zu,  obgleich  ihm  öfter,  als  es  im  Interesse  seiner  Schutz- 
befohlenen liegt,  durch  das  Berufsgeheimnis  der  Mund  verschlossen  ist, 

GUSTAV   KLEIN. 

Gynäko-Elektrotherapie.  Die  Ansicht,  dass  es  möglich  sei,  die 
Wirkungen  des  elektrischen  Stromes  in  der  Frauenheilkunde  zu  verwerthen, 
ist  nicht  neuen  Datums.  Von  einer  Gynäko-Elektrotherapie  kann  man  aber 
erst  seit  den  grundlegenden  Arbeiten  Apostoli's  sprechen.  Sein  ausschliess- 
liches Verdienst  ist  es,  die  Principien  dieser  Behandlungsweise  festgestellt 
und  durch  eine  grosse  Eeihe  einschlägiger  Arbeiten  das  Interesse  der  Fach- 
ärzte auf  diese  Methode  gelenkt  zu  haben.  Es  erscheint  jedoch  begreiflich, 
dass  man  mit  einer  gewissen  Skepsis  und  nur  ganz  allmälig  an  die  Uebung 
eines  Verfahrens  schritt,  welches  in  Bezug  auf  die  Ströme,  die  Beschaffenheit 
der  Elektroden,  Dauer  und  Zeitfolge  der  Sitzungen  so  vielfach  variabel  erschien 
und  das  sich,  von  den  Galvanopuncturen  ganz  abgesehen,  schon  durch  die  Ver- 
wendung bis  dahin  unerhörter  Stromstärken  als  durchaus  nicht  indifferent 
erwies.  Auch  einzelne  Todesfälle  waren  ja  im  Gefolge  der  Methode  beob- 
achtet und  die  Frage  stand  durchaus  offen,  ob  und  inwieweit  dieselben  dem 
Wesen  des  Verfahrens  zur  Last  zu  legen  seien. 

Die  Methode  Apostoli's  basirt  auf  der  normaler  Weise  geringen  Em- 
pfindlichkeit der  Beckenorgane  gegen  allmälig  in  ihrer  Stärke  veränderte 
galvanische  Ströme,  auf  der  Anwendung  einer  grossen,  indifferenten  Bauch- 
elektrode, wodurch  die  Stromdichte  an  der  empfindlicheren  Hautdecke  ver- 
ringert wird,  auf  der  Verlegung  des  Angriffspunktes  direct  in  die  Uterus- 
höhle, weiters  auf  dem  Gebrauche  von  entsprechenden  Galvanometern,  auf  der 
Angabe  zweckentsprechender  Elektroden,  und  von  Vorrichtungen,  durch  w^elche 
das  allmählige  Ein-  und  Ausschleichen  mit  dem  Strome  ermöglicht  wird.  Ueber- 
dies  hat  Apostoli  die  Wirkungen  des  inducirten  Stromes  auf  die  w^eiblichen  Ge- 
schlechtsorgane studirt  und  bestimmte  Indicationen  zur  Verwendung  desselben 
angegeben.  So  einfach  diese  Principien  sind,  so  erfordern  sie  doch  die  sorgfältige 
Handhabung  zahlreicher  Technicismen,  wenn  befriedigende  Erfolge  erzielt 
werden  sollen.  Es  kommt  hier  gar  sehr  darauf  an,  w^ie  die  Sache  gemacht 
wird  und  wenn  einzelne  Autoren  von  starken,  ja  unerträglichen  Schmerzen, 
häufig  auftretenden  Ohnmächten,  consecutiven  Eutzündungsprocessen  etc.  bei 
ihren  Kranken  zu  berichten  haben,  andere  aber  nicht,  so  lässt  sich  dieser 
Widerspruch  wohl  in  den  meisten  Fällen  damit  erklären,   dass  nur  die  letz- 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie  21 


322  GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE. 

teren  sich  genau  an  die  aus  einer  unvergleichlich  ausgedehnten  Erfahrung 
geschöpften  Angaben  Apostoli's  gehalten  haben. 

Bei  der  Anschaffung  des  elektrischen  Apparates  wird  es  sich 
empfehlen,  eine  Batterie  zu  wählen,  die  eine  hinreichende  Stromstcärke 
(300  Milli-Amperes)  erzeugen  kann  und  möglichst  constant  ist  und  welche 
auch  die  zur  Erzeugung  des  faradischen  Stromes  nothwendigen  Elemente  be- 
sitzt. Wichtig  ist  ein  Rh  eostat,  der  zur  Ein-  und  Ausschaltung  beliebig 
grosser  Widerstände  in  den  Strom  dient  und  der  das  allmälige  Ein-  und  Aus- 
schleichen mit  dem  Strome  ermöglicht.  Als  Galvanometer  werden  das 
EüELMANN'sche,  dauu  das  von  Gaiffe,  Hirschmann  und  Anderen  empfohlen. 
NöGGERATH  fand  bei  Prüfung  verschiedener  in  den  Stromkreis  eingeschlosse- 
ner Galvanometer  ganz  bedeutende  Differenzen.  Auch  Andere  (Mandl,  Winter) 
konnten  diese  Angaben  bestätigen  und  fanden  die  Werthe  des  GAiFFE'schen 
Galvanometers  durchwegs,  bei  hohen  Stromintensitäten  sogar  sehr  bedeutend 
höher,  als  die  des  EoELMANN'schen.  Es  ist  dies  ein  Umstand,  der  bei  Ver- 
gleichung  der  von  verschiedenen  Gynäkologen  erreichten  Stromstärken  sehr 
wohl  berücksichtigt  werden  muss  und  es  wird  sich  empfehlen  bei  Publicationen 
immer  anzugeben,  welches  Galvanometer  verwendet  wurde.  Ein  Strom- 
wechsler dient  dazu,  den  constanten,  den  primären  oder  secundären  Induc- 
tionsstrom,  oder  den  galvano-faradischen  Strom  einschalten  zu  können.  Was 
die  inactive  Elektrode  betrifft,  so  benützt  Apostoli  als  solche  einen 
flachen,  30  cm  langen,  20  cm  breiten  und  IV2  bis  2  cm  dicken  Kuchen,  der 
aus  feinem,  mit  lauem  Wasser  gut  durchgeknetetem  Modellirthone  besteht, 
und  in  eine  einfache  Lage  feuchter,  weitmaschiger  Gaze  eingeschlagen  wird. 
In  der  Mitte  der  oberen  Fläche  dieses  Thonkuchens  kömmt  eine  Metallplatten- 
elektrode, deren  Länge  12  cm,  deren  Breite  9  cm  beträgt  und  die  mit  der 
Leitungsschnur  verbunden  ist.  Eine  solche  Thonplatte  muss  zwar  von  Zeit 
zu  Zeit  neu  hergerichtet  werden  und  sie  beschmutzt  Hände  und  Bauchhaut, 
aber  sie  ist  plastischer  und  legt  sich  schon,  weil  sie  schwerer  ist,  inniger  der 
Haut  an,  als  irgend  eine  der  aus  Feuerschwamm,  Lint  oder  Lamalagen  gefer- 
tigten Elektroden.  Das  Eigengewicht  der  dicken  Thonplatte  unterstützt  die 
Application  derselben  durch  die  Hände  der  Kranken  und  macht  die  Verwen- 
dung einer  Warteperson  zu  dieser  Besorgung  vollkommen  überflüssig.  Auch 
nach  einer  5  bis  10  Minuten  andauernden  Application  von  200  und  250  M.-A 
starken  Strömen  findet  man  nach  Abnahme  einer  gut  angefertigten  Thon- 
elektrode  meist  nur  eine  geringe  Röthung  der  kühl  sich  anfühlenden  Haut. 
Blasenbildung,  Verschorfung  oder  sonstige  Läsionen  der  Bauchhaut  treten 
niemals  auf.  Ein  Zusatz  von  etwas  Glycerin  (Massey)  erhöht  die  Plasticität 
der  Thonmasse.  Wenn  man  die  Platte,  in  feuchte  Tücher  und  impermeablen 
Stoff  eingeschlagen,  aufbev>'ahrt,  kann  sie  viele  Wochen  immer  wieder  ver- 
wendet werden. 

In  Deutschland  wurden  hauptsächlich  die  von  G.  Engelmann  empfohle- 
nen und  von  Hirschmann  verfertigten  durchlöcherten  Zinkblechplatten  ver- 
schiedener Grösse  (bis  zu  600  cm''-  Oberfläche)  verwendet,  die  unter  einem 
Lederüberzuge  mit  Zunder  gefüttert  sind.  In  neuester  Zeit  werden  in  Deutsch- 
land gepresste  Mooskissen,  die  vor  dem  Gebrauche  in  warmes  Wasser  gelegt 
und  durchgeknetet  werden,  sehr  warm  empfohlen  (Bröse,  Schaeffer).  Auf 
das  Mooskissen  kommt  die  mit  einer  Schraube  für  die  Leitungsschnur  ver- 
sehene breite  Bleiplatte.  Ferner  wurden  breite,  flache  Schwämme  (Munde), 
ausgebogene  und  mit  warmem  Wasser  ausgefüllte  Metallplatten  (Franklin, 
H.  Martin),  mehrfach  zusammengelegte,  in  warmes  Wasser  getauchte  Tücher 
(Benedikt)  oder  Flanelllappen  (Kleinwächter)  etc.  empfohlen. 

Für  massig  starke  Ströme  (50 — 100  M.-A)  wird  fast  jede,  für  sehr  starke 
jedoch  die  Thonelektrode  oder  das  von  Deutschland  empfohlene  Mooskissen  am 
besten  geeignet  sein. 


GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE.  323 

Die  activen  Elektroden  sind  unipolare  —  wenn  sie  blos  mit  einem 
Pole  verbunden  werden  —  oder  bipolare,  wenn  beide  Pole  in  denselben  endigen. 
Bei  Anwendung  des  constanten  Stromes  werden  immer  unipolare  Klektroden 
verwendet,  von  denen  man  sondenförmige,  aus  Metall  verfertigte,  ferner  KoVilen- 
elektroden,  dann  stiletförmige,  zur  Ausführung  der  Galvanopunctur  und  sog. 
Kugelelektroden  unterscheidet.  Letztere  werden  mit  feuchter  Watte  umgeben, 
von  einzelnen  Autoren  bei  Parametritiden  und  Adnexerkrankungen  vom 
Scheidengewölbe  aus  applicirt.  Doch  hat  Nagel  bei  dieser  Anwendungsweise 
stets  bedeutende  Schorfbildungen  in  der  Vagina  auftreten  gesehen. 

Die  uterussondenförmigen  Metallelekt roden  werden  vortheilhaft  aus 
Platin  verfertigt.  Dieselben  können  aus  einem  Kupferstabe,  der  auf  circa 
15  cm  Länge  mit  einer  Platinlage  überzogen  ist,  bestehen. 

Von  dem  Gebrauche  der  Aluminiumsonden  kommt  man  allmählig  wieder  zurück. 
Das  Aluminium  wird  von  den  Säuren  des  positiven  Poles  angegriffen,  wird  rauh.  Ausserdem 
wurde  beobachtet,  dass  die  obersten  Schichten  des  Aluminiums  bei  dem  Durchfliessen  des 
galvanischen  Stromes  auch  da.  wo  das  Metall  mit  dem  Gewebe  nicht  in  Berührung  kommt, 
zerfallen  und  als  feiner  Aluminiumstaub  abfallen  und  weiters  darauf  aufmerksam  gemacht, 
dass  bei  Anwendung  der  Aluminiumsonden,  die  in  Folge  der  Elektrolyse  an  dem  activen 
Metallpol  entstehenden  Säuren  weniger  wirksam  sind,  da  ein  Theil  von  ihnen  durch  das 
Aluminium  sogleich  gebunden  wird.  (Bröse.) 

Zu  diesen  sondenförmigen  Elektroden  braucht  man  einen  Handgriff,  in 
dem  dieselben  eingeschraubt  werden  und  an  dem  die  Leitungsschnur  mittelst 
Schraube  befestigt  werden  kann;  ferner  sogenannte  Isolirröhren,  die  über 
jenen  Theil  der  Sonde,  der  ausserhalb  des  Uterus  liegt,  geschoben  werden, 
um  die  Yaginalwand  vor  der  Wirkung  des  Stromes  zu  schützen.  Sie  werden 
gewöhnlich  aus  Hartkautschuk  oder  Celluloid  verfertigt. 

Die  Kohlenelektroden,  welche  bei  starken  Blutungen  und  weiter 
Uterushöhle  benutzt  werden,  bestehen  aus  einem  2^2  c^  langen  Kohlen- 
cylinder  von  verschiedener  Dicke  (3—11  mm),  der  auf  einem  in  Abständen 
von  2V2  ^^  gekerbten  Hartgummistabe,  durch  den  ein  mit  dem  Kohlenstücke 
verbundener  Draht  zieht,  aufsitzt.  Am  unteren  Ende  der  Elektrode  befindet 
sich  eine  Schraube  für  die  Leitungsschnur.  Leiter  hat  aus  halbhartem  Kaut- 
schuk bestehende  Sondenstäbe  verfertigt,  die  vor  den  Pariser  Modellen  den 
Vorzug  der  Biegsamkeit  haben  und  bei  denen  es  möglich  ist  an  ein  und  dem- 
selben Stabe  die  verschieden  dicken  Kohlencylinder  anzuschrauben. 

Die  bipolaren  Elektroden  werden  ausschliesslich  bei  Anwendung  des 
Iriductionsstromes  benutzt  und  unterscheidet  man  Uterus-elekt roden  und 
Vagina-elektroden  von  verschiedener  Dicke. 

Es  ist  nothwendig  das  Wesentlichste  über  die  Wirkungen  des  elek- 
trischen Stromes  hier  einzuflechten,  da  man  nur  bei  genauer  Kenntnis 
derselben  die  Anwendungsweise  bei  den  verschiedenen  Erkrankungsformen 
richtig  variiren  kann. 

Beim  galvanischen  Strome  unterscheidet  man  eine  polare,  eine 
interpolare  und  eine  extrapolare  Stromwirkung.  Während  die  An 
schauungen  über  die  interpolare  und  extrapolare  Wirkung  noch  zum  grossen 
Theile  hypothetischer  Natur  sind,  liegen  derzeit  bereits  zahlreiche  am  leben- 
den und  am  frisch  exstirpirten  Gewebe,  sowie  im  Eeagensglase  angestellte 
Versuche  über  die  polare  Wirkung  des  galvanischen  Stromes  vor.  Es  seien 
nur  die  wichtigsten  Punkte,  in  Sonderheit  die,  denen  therapeutische  Verwerth- 
harkeit  innewohnt,  angeführt.  Sowie  der  allmählig  gesteigerte  galvanische 
Strom  zu  wirken  anfängt,  erfolgt  eine  an  dem  positiven  und  nega- 
tiven Pole  differente  Zersetzung  der  in  den  Geweben  enthal- 
te nen  Flüssigkeiten  und  der  organisch  enGewebssub  stanz  selbst, 
welche  abhängig  ist  von  der  Intensität  des  Stromes,  der  Dauer  seiner  Ein- 
wirkung und  bei  gleichem  Materiale  umgekehrt  proportionirt  ist  der  Ober- 
fläche der   activen  Elektrode.     Am  positiven   Pole    scheiden    sich    Sautr- 

21* 


324  GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE. 

Stoff,  Chlor,  Kohlensäure  und  andere  Säuren  ali  und  entfalten  in  statu  nascendi 
eine  kräftige,  einer  starken  Säure  entsprechende  chemische  Wirkung.  Am 
negativen  Pole  häufen  sich  Wasserstoff  und  Alkalien  an,  ihre  locale  Wir- 
kung gleicht  der  eines  kräftigen  Alkali. 

Die  Anode  ^Yirkt  coagulirend,  blutstillend  (Versuche  am  Fussgeschwür 
und  der  scarincirten  Portio:  Schaw,  Apostoli).  Bei  der  Verwendung  ent- 
sprechend starker  Ströme  wirkt  die  Anode  antiraikrobisch  (Milzbrand:  Apostoli 
und  Lagueeiere;  Prochownik  und  Spaeth.  Staphylococcus  pyogenes  und 
aureus  und  Streptococcus  pyogenes :  Prochownik  und  Spaeth). 

Die  Kathode,  welche  bei  gleicher  Stromintensität  schmerzhafter  ist, 
wirkt  quellend,  erzeugt  Hyperämie  und  Blutungen  (Schaw,  Apostoli  wie 
oben;  Nagel  an  Kaninchen).  Dringen  die  am  activen  Pole  entwickelten  .Gas- 
blasen in  Blutgefässe  ein  (Klein  :  Versuche  mit  Nadelelektroden  an  frisch  extir- 
pirten  Myomen),  dann  kommt  es  zur  Verdrängung  und  Gerinnung  des  Blutes. 
Die  Gasblasen  dringen  auch  in  andere  anscheinend  präformirte  Bahnen  ein 
(Lymphräume).  Die  Thatsache,  dass  sich  das  aus  den  Gefässen  verdrängte  Blut 
nicht  wieder  in  dieselben  zurückstreichen  liess,  wird  von  Klein  auf  eine  Ver- 
änderung des  Blutes  oder  der  Gefässwand  bezogen.  Ferner  vermochte  Klein 
an  frisch  exstirpirten  Myomen  durch  eine  15  Minuten  dauernde  Application 
eines  30 — 35  M.-A.  starken  Stromes  eine  Temperatursteigerung  im  Gewebe  um 
13°  C.  nachweisen,  ein  Befund  der  von  Prochownik  und  Späth  bestätigt 
wurde.  Letztere  haben  Untersuchungen  an  Leichenuteris,  sowie  an  frisch 
exstirpirten  Uteris,  welche  früher  mit  entsprechend  starken  Strömen  behandelt 
worden  waren,  angestellt  und  sagen  über  die  hiebei  gesetzten  Schorfe  Fol- 
gendes aus:  „Die  Färbung  der  Schorfe,  ihre  Consistenz,  ihre  Abgrenzung 
gegen  das  umliegende  Gewebe,  endlich  ihr  Eindringen  in  der  Tiefenrichtung 
ist  bei  Application  des  positiven  Poles  eine  andere,  als  bei  derjenigen  des 
negativen.  Die  Anodenschorfe  sind  fest,  trocken,  scharf  umschrieben,  tiefroth 
bis  braunschwarz  gefärbt  und  lassen  sich  oft  bis  in  die  Muscularis  hinein  ver- 
folgen; bei  den  Versuchen  am  lebenden  Uterus  zeigt  sich  die  Reaction  gegen 
das  umgebende  Gewebe  durch  active  Hyperämie.  Die  Kathodenschorfe  da- 
gegen haben  einen  mehr  schmutzig  graubraunen  Farbenton,  sind  weich,  sulzig^ 
leicht  abzustreifen,  und  gegen  das  Nachbargewebe  nicht  so  scharf  abgegrenzt, 
sondern  mehr  verschwommen,  auch  erreichen  sie  die  Muscularisgrenze  nicht." 

Schwieriger  ist  es,  sich  über  die  Wirkungen  der  interpolaren,  zwischen 
activer  und  inactiver  Elektrode  auf  dem  Wege  des  geringsten  Widerstandes 
kreisenden  Stromes,  Eechenschaft  zu  geben.  Schaw,  Steawenson  und 
Masset  vermochten  den  Transport  des  durch  die  Zersetzung  von  Jodkali  frei- 
gewordenen Jod  auf  dem  Wege  des  interpolaren  Stromes  nachweisen,  theils 
an  einer  Serie  von  Gläsern,  theils  im  Körper,  indem  das  in  den  Uterus 
gebrachte  Jodkali  durch  die  Kathode  zersetzt  wurde  und  nach  einer  Weile 
auf  der  mit  Stärkelösung  bestrichenen  Bauchhaut  an  der  Anode,  abgeschieden 
wurde.  Klein  konnte  an  frisch  extirpirten  Myomen  das  Auftreten  von  Gas- 
blasen, sowie  Temperaturerhöhung  auch  in  dem  interpolaren  Gewebsgebiete 
nachweisen.  Ford  glaubt  die  Wirkung  des  interpolaren  Stromes  direct  unter 
dem  Mikroskope  beobachtet  zu  haben;  er  sah  Hühnereiweiss  in  welliger  Be- 
wegung vom  positiven  zum  negativen  Pole  hinziehen,  feine  Fäden  bildend 
von  der  Form  der  Eisenfeilspäne  zwischen  den  Polen  des  Magneten.  Schaw 
erzielte  an  frisch  extirpirten  Myomen  durch  längeres  Durchleiten  starker 
galvanischer  Ströme  Gewichtsverluste  bis  zu  2°/o  und  konnte  zugleich  Ab- 
nahme des  Fettgehaltes  und  Zunahme  des  Procentgehaltes  an  Eiweiss,  Pepton 
und  Extractivstoöen  nachweisen.  Er  fand  weiters,  dass  der  Strom  die  Gefäss- 
spannung  erhöhe,  wodurch  mehr  Flüssigkeiten  ausgeschieden  werden,  wie  dies 
die  erhöhte  Ausscheidung  der  Chloride  durch  den  Harn  erweist. 


GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE.  325 

Das  Meiste,  was  sonst  noch  über  die  Wirkung  des  interpolaren  Stromes 
gesagt  wird,  sind  Erklärungen  eines  kräftigen  Agens  und  seiner  Leistungen, 
die  sicher  vorhanden  sind,  denen  aber  die  Grundlage  der  exacten  Unter- 
suchung derzeit  noch  fehlt.  Es  ist  hier  völlig  unmöglich  auf  die  einander 
zum  Theil  widersprechenden  Angaben  der  verschiedenen  Autoren  einzugehen, 
welche  je  nach  der  Wahl  des  intrauterinen  Poles  im  intcrpolaren  Kaume  eine 
Spaltung  der  Gewebe,  Anregung,  Umstimmung,  Wanderung  der  Molecüle, 
Steigerung  der  physiologischen  Gewebsfunction  etc.  sich  abspielen  lassen. 

Was  die  Wirkung  des  inducirten  Stromes  betrifft,  so  ist  dieselbe 
verschieden,  je  nachdem  man  den  primären  (von  einer  mit  kurzem  und  dickem 
Draht  versehenen  Spule  —  Quantitätsstrom)  oder  den  secundären  (von  einer 
mit  dünnem  und  langem  Drahte  versehenen  Spule— Spannungsstrom)  benützt. 
—  Ersterer  bringt  die  glatten  und  quergestreiften  Muskelfasern  zur  Contrac- 
tion,  letzterer  wirkt  auf  die  Empfindlichkeit,  ist  schmerzlindernd.  Der  gal- 
vanofaradische  Strom  wurde  besonders  von  Hünerfauth,  Köllker  und  Bröse 
zur  Behandlung  der  chronischen  Obstipation  empfohlen;  er  bringt  die  glatten 
Muskelfasern  der  tiefliegenden  Därme  zur  Contraction. 

Bei  Anwendung  des  galvanischen  Stromes  hat  man  folgende  Technik 
einzuhalten :  Vor  Einführung  der  intrauterinen  Elektrode  wird  jedesmal  eine 
genaue  bimanuelle  Untersuchung,  bei  neu  in  Behandlung  tretenden  Kranken 
auch  die  Sondirung  des  Uterus  vorgenommen.  Ausspülung  der  Vagina  mit 
17oo  Sublimatlösung,  Entfernung  des  dem  Muttermunde  anhaftenden  Schleimes. 
Dagegen  hat  man  von  einer  Desinfection  des  Cervix  abzustehen  (Schäffer). 
Die  Platinsonden  werden  durch  Ausglühen,  die  Kohlensonden  durch  Einlegen 
in  57o  Carbolsäure  desinficirt;  die  letzten  werden  unmittelbar  vor  Einführung 
in  eine  gesättigte  Jodoformätherlösung  getaucht.  Man  kann  die  Sonde  unter 
Leitung  des  Fingers  einführen.  Bei  manchen  Fällen,  so  bei  langer  Scheide, 
grossen  Myomen,  fixirtem  Uterus,  hat  dies  seine  Vortheile.  In  der  Ptegel 
soll  man  aber  die  Portio  mit  Spateln  oder  einem  entsprechenden  Speculum 
einstellen,  die  Sonde  unter  Controle  des  Auges  einführen.  Die  Anwendung 
von  Kugelzangen  ist  nur  —  wenn  unumgänglich  nothwendig  —  gestattet. 
Die  Bauchelektrode  wird  am  zweckmässigsten  sogleich  nach  Beendigung  der 
himanuellen  Untersuchung  auf  die  Bauchhaut  gelegt  und  von  der  Kranken 
durch  Auflegen  beider  Hände  angedrückt.  Bis  die  Desinfection  beendet,  die 
Sonde  eingeführt,  der  Stromkreis  geschlossen  ist,  ist  die  Haut  genügend 
durchgefeuchtet  und  liegt  die  Elektrode  derselben  überall  gleichmässig  an 
Vor  Einleitung  des  Stromes  w^erden  noch  einmal  die  Kabelklemmen  nach- 
gesehen ;  bei  loser  Befestigung  könnte  irgend  ein  Zufall  die  Kranke  der  Un- 
annehmlichkeit und  Gefahr  eines  starken  Schlages  durch  Oeffnung  des  Strom- 
kreises aussetzen.  Aus  diesem  Grunde  sind  die  Gleitcontacte,  die  an  den 
Pariser  Apparaten  statt  der  Schrauben  angebracht  sind,  durchaus  zu  verwerfen. 
Das  Einschleichen  mit  dem  Strome  geschieht  unter  beständiger  Beobachtung 
des  Gesichtsausdruckes  der  Kranken.  Nach  einer  halben  bis  einer  Minute 
ist  zumeist,  nach  zwei  Minuten  immer  jene  Stromstärke  erreicht,  welche  die 
Kranke  ertragen  kann,  ohne  mehr  als  ein  massiges  Brennen  dabei  zu  em- 
pfinden. Gibt  die  Kranke  an,  Schmerz  zu  empfinden,  so  wird  der  Strom  sogleich 
abgeschwächt;  meist  gelingt  es  dann,  nach  einer  halben  Minute  etwa,  noch 
weiter  anzusteigen.  Hiebei  ist  die  Eeaction  der  Kranken  für  bestim- 
mender zu  halten  als  der  Ausschlag  des  Galvanometers.  Man 
muss  grundsätzlich  auf  die  Verwendung  von  Strömen  verzichten,  welche  der, 
entsprechende  Technik  und  das  Fehlen  acuter  Entzündungsprocesse  voraus- 
gesetzt, so  tolerante  Uterus  nicht  mehr  ohne  Schmerz  ertragen  kann. 

Bei  der  Verwendung  der  Kohlenelektrode  —  die  immer  mit 
dem  positiven  Pole  verbunden  wird  —  muss  diese  wegen  der  nur  2"5  cm 
betragenden  Länge    des    als    activen  Poles   wirkenden   Endstückes   möglichst 


326,  GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE. 

hoch  eingeführt  und  dann  successive  an  tiefere  Stellen  des  Endometriums 
angelegt  werden.  Dabei  soll  man,  wenn  der  Strom  4 — 5  Minuten  auf  eine 
bestimmte  Stelle  eingewirkt  hat,  den  Strom  allmälig  bis  auf  0  wieder  ab- 
schwächen, dann  die  Sonde  um  2'5  cm  zurückziehen  und  nun  mit  dem  Strome 
wieder  einschleichen.  Die  Dauer  der  Sitzung  wird  dadurch  zwar  verlängert, 
dafür  werden  starke  und  durch  relativ  lange  Zeit  applicirte  Ströme  gut  ver- 
tragen. Und  gerade  bei  jenen  Erkrankungsformen,  welche  in  der  Kegel  die 
Verwendung  der  Kohlensonden  nöthig  machen,  hängt  ja  der  Erfolg  wesentlich 
davon  ab,  dass  entsprechend  hohe  Stromintensitäten  auf  die  ganze  Fläche  des 
Endometriums  einwirken. 

Hat  die  intrauterine  Elektrode  genügend  eingewirkt,  dann  wird  allmälig 
mit  dem  Strome  ausgeschlichen  und  hierauf  die  Sonde  herausgezogen.  Neuer- 
liche Ausspülung  der  Scheide;  eventuell  Jodoformgazetampon.  Die  Kranken 
werden  angewiesen,  eine  halbe  Stunde  liegend  auf  dem  Ruhebette  zu  ver- 
bringen und  sich  am  selben  Tage  jeder  anstrengenden  Arbeit  zu  enthalten. 
Der  Tampon  ist  nach  24  Stunden  zu  entfernen.  Die  Zulassung  des  Coitus 
wird  den  Kranken  strenge  untersagt. 

Die  Sitzungsdauer  schwankt  gewöhnlich  zwischen  5— 10  Minuten. 
In  der  Regel  werden  zwei  Sitzungen  in  der  Woche  abgehalten.  Bei  sehr 
starken  Blutungen  kann  man  unter  Umständen  auch  drei  Mal  die  Woche 
elektrisiren. 

Die  Methode  der  Galvanopunctur  vom  Scheidengewölbe  aus, 
w^elche  Apostoli  bei  Myomen,  wenn  sich  Sonden  in  den  Uterus  nicht  ein- 
führen lassen,  ferner  bei  chronischen  Parametritiden  und  eitrigen  Entzün- 
dungen der  Adnexe,  welche  von  der  Scheide  nicht  zugänglich  sind,  anwendet, 
wird  von  den  meisten  Gynäkologen  nicht  geübt.  Das  Verfahren  war 
eminent  gefährlich  als  die  stiletförmige  Elektrode  noch  10  und  15  cm  tief 
eingestochen  wurde  und  ist  es  auch  jetzt  noch,  wo  man  sich  mit  0'5  bis  1  cm 
tiefen  Einstichen  begnügt.  Das  Auftreten  von  Fieber,  starken  Schmerzen 
nach  den  Sitzungen  wurde  häufig  beobachtet.  Unter  allen  Umständen  ist 
eine  zweitägige  Bettruhe  nach  der  Sitzung  geboten ;  die  grössere  Schmerzhaf- 
tigten des  Puncturverfahrens  macht  zumeist  die  Anwendung  der  Narkose 
erforderlich.  Die  häufig  beobachtete  Nekrosirung  von  Geschwulstpartien  mit 
den  Erscheinungen  schwerer  periuteriner  Entzündungen,  die  immerhin  vor- 
handene Möglichkeit  einer  secundären  Infection  des  Stichcanals  können  für 
die  Kranke  gefährlich  werden.  Eine  conservative  Methode  aber,  die  ausser 
einem  grossen  Apparate  noch  wiederholte  Narkosen,  wiederholten  mehrtägigen 
Bettaufenthalt  erforderlich  macht  und  bei  alledem  nicht  ungefährlich  ist,  ver- 
dient wohl   kaum  mehr    dem  chirurgischen  Eingriffe  vorgezogen  zu  werden. 

Als  Contraindicationen  gegen  die  Anwendung  des  constanten 
Stromes  gelten :  Schwangerschaft,  acute  Nephritis,  ausgesprochene  Idiosyn- 
krasie gegen  den  galvanischen  Strom  (G.  Engelmann),  acute  Darmcatarrhe 
{Enterite  glaireuse  Apostoli' s),  welche  sich  bei  einzelnen  Individuen  nach  der 
Galvanisation  regelmässig  einstellen,  acute  Entzündungsprocesse  des  Uterus 
oder  seiner  Anhänge.  Im  Hinblicke  auf  die  Versuche  von  Schaw,  der  unter 
dem  Einflüsse  des  constanten  Stromes  eine  Zunahme  der  Spannung  im  arte- 
riellen Gefässsystem  nachweisen  konnte,  wie  auf  die  diesbezüglichen  Er- 
fahrungen Kleinwächter's,  der  bei  herzkranken  Frauen  während  der 
Sitzungen  das  Auftreten  von  Collapserscheinungen  mit  Sinken  der  Pulsfrequenz 
und  der  Pulswelle  beobachtete,  soll  man  bei  mit  Vit.  cordis  combinirten  Fällen 
sehr  vorsichtig  zu  Werke  gehen. 

Bei  der  Anwendung  des  inducirten  Stromes  sind  die  Ver- 
haltungsmassregeln  dieselben  wie  bei  der  des  constanten  Stromes.  Die  Appli- 
cation der  inactiven  Bauchelektrode  entfällt,  da  man  gewöhnlich  die  bipolaren 
Sonden  gebraucht.    Das  Einschleichen  mit  dem  Strome  hat  ganz  allmälig  zu 


GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE.  327 

erfolgen,  entweder  durch  Anwendung  eines  Ilheostaten  oder  bei  Verwendung 
des  Schlittenapparates  durch  langsames  Uebereinanderschieben  der  Rollen. 
Man  steigt  nur  bis  zu  jener  Stromstärke,  welche  die  Kranke  verträgt  und 
kann  auch  hier  die  BeolDachtung  machen,  dass,  wenn  eine  gewisse  Strom- 
stärke, die  die  Kranke  eben  noch  tolerirt  hat,  eine  Zeit  lang  eingewirkt  hat, 
der  Strom  dann  verstärkt  werden  kann,  ohne  dass  die  Kranke  über  Schmerzen 
klagen  würde.  Die  Dauer  der  Sitzung  schwankt  zwischen  5  und  30  Minuten. 
Die  Sitzungen  können  wiederholt  in  der  Woche,  auch  täglich  abgehalten 
werden.  Besondere  Vorsichtsmaassregeln  nach  den  Sitzungen  sind  nicht  nöthig. 


Während  der  elektrischen  Behandlung  einer  Reihe  von  Erkrankungs- 
formen von  Seite  der  Fachärzte  keine  Opposition  gemacht  wurde,  wird  die 
Berechtigung,  gewisse  Fälle  von  Endometritis  und  manche  Formen  von  Uterus- 
myomen mit  dem  elektrischen  Strome  zu  bekämpfen,  nicht  allseitig  anerkannt 
und  es  erscheint  daher  zunächst  eine  ausführliche  Besprechung  dieser  Krank- 
heitsgruppen geboten. 

Die  bei  der  chronischen  Endometritis  ^orfindlichen  Verände- 
rungen bestehen  bekanntlich  in  einer  verschieden  beträchtlichen  Schwellung 
der  Schleimhaut,  an  welcher  Drüsen  und  Stroma  participiren;  die  Uterushöhle 
ist  dabei  in  der  Regel  von  einer  blutreichen,  weichen,  Wucherungen  und 
Excrescenzen  zeigenden,  selbst  bis  1  cm  dicken  Schichte  ausgekleidet.  Fast 
immer  bestehen  Blutungen,  welche  theils  den  Charakter  von  Menorrhagien, 
theils  von  intermenstruellen  Blutungen  tragen;  ferner  Schmerzen,  die  zumeist 
zum  Beginn  der  Periode  und  besonders  bei  jenen  Formen  auftreten,  wo  es 
zu  starker  Schwellung  des  Endometriums  kommt.  Ein  häufiges  Symptom 
endlich  ist  der  Fluor.  Die  Therapie  der  chronischen  Endometritis  hat  dem- 
nach folgenden  Anforderungen  gerecht  zu  werden:  Es  soll  eine  genügend  tiefe 
und  doch  nicht  zu  tief  reichende,  nicht  die  spätere  Regeneration  schädigende 
Zerstörung  des  chronisch  veränderten  Endometriums  bewirkt  werden.  Die 
Blutungen  und  die  Schmerzen  sollen  behoben  werden.  In  welcher  Weise  nun 
vermag  die  intrauterine  Galvanisation  diesen  Ansprüchen  zu  genügen?  Indem 
die  in  den  Uterus  eingeführte  Sonde  dem  erkrankten  Endometrium  direct 
anliegt,  ist  dem  galvanischen  Strome  volle  Gelegenheit  zur  Entfaltung  seiner 
localen,  polaren  Wirkung  gegeben.  Ueber  diese  ist  bereits  ausführlich  be- 
richtet. Zu  betonen  ist  hier  die  hämostatische  Wirkung  der  Anode.  Hervor- 
zuheben ist,  dass  man  den  Strom  in  jedem  Augenblicke  nach  Belieben  steigern 
oder  abschwächen  kann ;  in  der  Reaction  der  Kranken  und  im  Galvanometer 
haben  wir  hinreichende  Anhaltspunkte.  Der  Strom  kann  auf  jeden  Punkt 
des  Endometriums  localisirt  werden.  Der  Cervix  kann  vor  jeder  Aetz Wirkung 
geschützt  werden  (Umhüllung  des  cervicalen  Sondenantheils  mit  Schellak; 
Massey). 

Die  Behandlung  besteht  darin,  dass  man  die  Anode  (Platin  oder  Kohle) 
intrauterin  applicirt,  wobei  angestrebt  wdrd,  mit  wenigen  meist  5  Minuten 
dauernden  und  durch  3 — 4tägige  Pausen  unterbrochenen  Sitzungen,  bei  An- 
wendung von  mittelstarken  (50 — 1 00  M.-A.)  Strömen  eine  vollständige  und 
dabei  nicht  zu  tief  reichende  Verschorfung  des  Endometriums  zu  erzielen. 
Ist,  wie  dies  oft  nach  wenigen  Sitzungen  der  Fall  ist,  die  Blutung  gestillt, 
dann  soll  die  Behandlung  abgebrochen  werden  und  die  Kranke  bis  zum  Ein- 
tritt der  nächsten  Periode  in  Beobachtung  bleiben.  Verläufe  diese  und  die 
nächste  Menstruation  normal,  dann  kann  die  Kranke  als  vorhiufig  geheilt  ent- 
lassen werden.  Kommt  es  aber  nicht  so  rasch  zu  einer  regelmässigen 
Periode,  setzt  die  Blutung  zu  früh  und  zu  heftig  ein  oder  dauert  sie  bei  grösserer 
Copiosität  länger  als  4 — 5  Tage,  dann  soll  die  Behandlung  fortgesetzt  werden. 


o28  GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE. 

Vergleicht  man  die  Elektrotherapie   der   chronischen  Endometritis   mit 
den    übrigen    bei    den    schweren    Formen    derselben     üblichen    Ver- 
fahren, so  kommt    ausser   den   localen   Aetzmitteln,    die  hier  als  zu  wenig 
energisch  wirkend  zumeist  verlassen  sind,  in  erster  Keihe  die  A.nwendung  der 
Curette,  die  Abrasio  mucosae  in  Betracht.     Diese  stellt  allerdings,  wenn  eine 
entsprechende  Nachbehandlung   nicht  unterlassen   wird  und   auch  sonst  lege 
artis  vorgegangen  wird,  ein  einfaches  und  zumeist  erfolgreiches,  gelegentliche 
Recidiven  aber  nicht  ausschliessendes  Verfahren    dar.  —  Die  elektrische  Be- 
handlung der  Endometritis  lässt  sich  jedoch   im  Ambulatorium   durchführen, 
sie  hat  nicht  den  Anschein  einer  Operation,  sie  erfordert  keine  Narkose,  wie 
dies  beim  Curettement  in  der  Regel  der  Fall  ist.     Die  Kranke  braucht  nicht 
das  Bett  zu   hüten,    kann    ihrem   Berufe   nachgehen   und  bedarf  ausser  den 
Sitzungen,  die  in  Zwischenräumen  von  3 — 4  Tagen  abgehalten  werden,  keiner 
weiteren  Behandlung.    Vehemente  Koliken,  welche  fast  nach  jeder  energischen 
intrauterinen  Therapie  auftreten,  so  nach  Salpetersäure-Aetzungen,    nach  der 
Einführung  von  Stiften  etc..  sind,  wenn   sie  nach  der   intrauterinen  Galvani- 
sation vorkommen,  von  kurzer  Dauer  und  geringer  Intensität.     In  wieweit  die 
antimikrobische  Wirkung  der  Anode  als  Heilfactor  mitwirkt,  lässt  sich  derzeit 
nicht  sicher  entscheiden.    Ein  anscheinend  schwer  wiegendes  Bedenken  kann 
gegen  die  Elektrotherapie    der  Endometritis   geltend   gemacht   werden,    dass 
nämlich  die  elektrolytische  Verschorfung  zur   völligen  Zerstörung   des  Endo- 
metriums führen  und   somit   Sterilität   zur  Folge    haben   könne.    Gewiss  hat 
es  keine  Schwierigkeiten  mit  starken,  lange  und  wiederholt  applicirten  Strömen, 
zumal  bei  der  Anwendung  der  Anode,  das  ganze  Endometrium  in  eine  Narben- 
schichte zu  verwandeln,  ein  Effect,   der  sich    schliesslich  auch   mit  Hilfe  der 
Curette  oder  Salpetersäure-Aetzungen  erreichen  liesse.  Man  wird  die  Gefahren 
einer  excessiven  Anodenwirkung  indess  vermeiden,  wenn   man  nur,  den  vor- 
hin ausgeführten  Behandlungsprincipien  folgend,  das  unschwer   einzuhaltende 
Maass  nicht  aus  den  Augen  verliert.     Absolute  Zahlen   können  freilich  nicht 
gegeben  werden,  nachdem  die  Dicke  des   kranken  Endometriums,  seine  Ten- 
denz zur  Blutung,  der  Zustand  der  Nachbarorgane,  die  Reaction  der  Kranken 
in   jedem    Falle    verschieden   sind.     Verwendet  man   aber   nur   mittelstarke 
Ströme  durch  circa  5  Minuten  und  hört   man   nach    Stillung   der  Blutungen 
mit  den  Sitzungen  auf,  um  die  nächste  Periode  abzuw^arten,  dann  kann  man 
sicher  sein,  die  Regeneration   des  Endometriums   nicht  gehindert   zu  haben. 
Dafür  sprechen  sowohl    die   klinischen  Beobachtungen  —  Apostoli   verfügte 
schon  vor  Jahren   über  mehr  als    30  Fälle,  in  denen   nach    der  Behandlung 
Gravidität   eintrat  - —  als  die  Ergebnisse  der  erwähnten  Untersuchungen  von 
Prochov^nik  und  Späth. 

Dieselben  bezeichnen  allerdings  den  Sclilusseffect  vielfacher  Anodenwirkung  als 
^ISIarbenbildung  der  üterusschleimhaut  unter  Verschwinden  der  epithelialen  Elemente." 
Dieser  Satz  bezieht  sich  aber  auf  die  histologische  Untersuchung  eines  nach  14  con- 
tinuirlich  ausgeführten  Anodensitzungen  (40 — 190  M.-A.  7—10  Minuten)  exstipirten  myoma- 
tösen  Uterus.  Bei  diesem  war  die  Schleimhaut  atrophisch,  bindegewebig  indurirt  und  erin- 
nerte in  ihrer  Structur  lebhaft  an  diejenige  der  äusseren  Haut.  In  ihrer  äusseren  Schichte 
waren  keinerlei  Epithelzellen,  nur  Trümmer  von  Epithelüberresten  nachweisbar;  von  Drüsen 
war  keine  Spur  zu  finden,  Blutgefässe  waren  äusserst  spärlich  vorhanden. 

Solche  Tiefenwirkungen,  wie  sie  durch  14  in  continuo  fortgesetzte  Ano- 
denapplicationen  erzielt  werden,  werden  nun  in  der  Behandlung  der  Endo- 
metritis weder  beabsichtigt  noch  erreicht.  Prochownik  und  Späth  haben 
unter  Anderem  auch  an  4,  nach  je  einer  Anodensitzung  extirpirten  Uteris 
histologische  Untersuchungen  über  die  Ausdehnung  der  Verschorfungen  ange- 
stellt, wobei  Ströme  von  120—150  M.-A.  durch  6,  6V2,  7^2  und  10  Minuten 
applicirt  wurden.  "Wenn  diese  Ströme  auch  stärker  sind,  als  die  in  der  Be- 
handlung der  Endometritis  gebrauchten  und  diese  Ströme  auch  länger  ein- 
gewirkt haben,  wenn  endlich  kein  Anlass  vorliegt,  an  den   dem  Experimente 


GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE.  329 

unterworfenen  Uteris  das  Bestehen  einer  wesentlichen  Verdickung  des  Endo- 
metriums anzunehmen,  so  geben  diese  Untersuchungen  dennoch  einen  genü- 
genden Anhalt  zur  Abschätzung  der  bei  diesem  Verfahren  zu  gewäitigenden 
Einwirkungen  auf  das  chronisch  entzündete  und  verdickte  PJndometrium.  Die 
Tiefe  der  bei  jenen  Versuchen  erzielten  Schorfe  betrug  1  bis  Hmm.  Cylinder- 
epithel  und  Drüsen  waren  zerfallen  und  mit  geschichteten  Streifen  durchsetzt, 
welche  sich  bei  Anwendung  von  metallischen  Sonden  (Platin,  Kupfer)  bis  in 
die  Muscularis  verfolgen  Hessen.  Man  darf  nun  freilich  nicht  vergessen,  dass 
Zerstörungen  von  solcher  Tiefe  (1— 3  mm),  wenn  sie  ein  verdicktes  und  auf- 
gelockertes Endometrium  betreffen,  eben  nicht  bis  an  die  Muscularisgrenze 
reichen.  Wenn  aber  mit  Sicherheit  eine  genügende  Anzahl  von  Fundis  der 
Uterindrüsen  erhalten  bleiben  und  eine  Regeneration  des  Drüsenlagers  er- 
möglicht werden  soll,  dann  wird  es,  trotz  der  massigeren  Beschaffenheit  des 
chronisch  erkrankten  Endometriums  dennoch  geboten  sein,  Intensität  und 
Dauer  der  Stromwirkung,  sowie  die  Anzahl  der  einander  unmittelbar  folgenden 
Applicationen  auf  das  eben  hinreichende  Minimum  herabzudrücken. 

Der  Versuch,  bestimmte  Indicationen  für  die  Elektrotherapie  der 
Myome  aufzustellen,  begegnet  ähnlichen  Schwierigkeiten,  wie  die  Abwägung 
der  für  den  chirurgischen  Eingriff  Ausschlag  gebenden  Gründe. 

Zweifellos  erscheint  der  operative  Eingriff  geboten  in  folgenden  Fällen: 
bei  rasch  wachsenden  oder  cystisch  degenerirten  Myomen,  wenn  Zeichen  der 
Stieltorsion,  der  beginnenden  Nekrose  des  Myoms  bestehen,  wenn  es  nicht 
gelingt,  die  Blutungen  zu  beherrschen  oder  wenn  die  allgemeinen  Beschwerden 
(Druck  auf  Nachbarorgane)  unerträglich  werden,  wenn  entzündete  Adnexen- 
geschwülste  sich  vorfinden  oder  ein  durch  das  Myom  bedingter  Ascites  sich 
entwickelt  hat.  Endlich  wird  man  sich  zur  Operation  entschliessen  müssen, 
wenn  die  Kranke  dieselbe  fordert,  -weil  sie  sonst  ihren  oder  der  Ihrigen 
Lebensunterhalt  nicht  beschaffen  könnte. 

Die  Grenzen  der  operativen  Indicationen  bestimmen  auch  das 
Gebiet  der  conservativen  Therapie. 

Was  vermag  nun  die  Elektrotherapie  der  Myome  als  conservative  Methode 
zu  leisten  ?  Zunächst  ist  festzustellen,  dass  sie  nicht  in  allen  Fällen  anwend- 
bar ist.  Sie  kann  ausgeschlossen  sein,  w^enn  pathologische  Zustände  jedes 
zuwartende  Verfahren  ausschliessen  oder  aus  Gründen,  die  im  Wesen  der 
Methode  selbst  liegen. 

So  muss  von  der  Elektrotherapie  abgestanden  werden,  w^enn  frischere 
oder  ganz  acute  Entzündungen  in  der  Nachbarschaft  des  Uterus  bestehen.  Sie 
ist  ungeeignet  für  cystische  Myome,  sie  kann  keinen  besonderen  Erfolg  auf- 
weisen, bei  ausgesprochenen  subserösen  Myomen,  wenn  sich  diese  vom  activen 
intrauterinen  Pole  zu  weit  entfernt  befinden;  sie  ist  zu  widerrathen  bei  poly- 
pösen Myomen,  da  bei  diesen  die  Blutungen  bei  Anwendung  des  constanten 
Stromes  vermehrt  w^erden  (Veit,  Schäffee),  endlich  müsste  die  Elektro- 
therapie, selbst  wenn  sie  symptomatisch  wirksam  gewiesen  und  gut  ertragen 
worden  wäre,  in  jedem  Falle  aufgegeben  w^erden,  in  dem  ein  unaufhaltsames 
Wachsthum  der  Geschwulst  nachweisbar  wäre. 

Die  Elektrotherapie  der  Myome  hat  als  conservative  Methode  die 
Aufgabe,  die  durch  das  Myom  erzeugten  Symptome  zu  beheben  oder  zu  bessern. 
Unanfechtbar  ist  zunächst  der  Einfluss  der  Anode  auf  die  Blutungen.  Es  ist 
um  so  richtiger,  hier  an  das  Capitel  der  Endometritis  anzuknüpfen,  als  uns 
die  Arbeiten  von  Wyder,  Kampe,  Bunge  u.  A.  in  der  chronischen  Entzündung 
des  Endometriums  eine  nur  selten  vermisste  Complication  des  Myoms  kennen 
gelehrt  haben.  Runge  hat  daher  auch  die  Abrasio  mucosae  mit  nachfolgen- 
der Jodtincturbehandlung  empfohlen,  in  der  Absicht,  durch  Heilung  der  Endo- 
metritis auf  die  Blutungen  einzuwirken.  In  der  Stillung  der  dui'ch  die  Endo- 
metritis bedingten  Blutungen  sieht  auch  Nagel  die  Hauptleistung  der  Elektro- 


330  ÜYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE. , 

therapie  der  Myome.  Wenn  aber  in  der  Behandlung  der  genuinen  Endo- 
metritis stets  darauf  geachtet  werden  soll,  dass  die  durch  wiederholte  Anoden- 
sitzungen erzeugte  Narbe  nicht  zu  tief  reiche,  das  Endometrium  nicht  in  eine 
derbe,  drüsenlose,  gefässarme  Schwiele  verwandelt  werde,  hier,  in  der  Be- 
handlung der  das  Myom  complicirenden  Endometritis  ist  die  Verödung  des 
Endometriums  gerade  das,  was  wir  anstreben.  Wenn  schon  die  Verschorfung 
des  Endometriums  hinreichen  kann,  die  Blutung  bei  Myomen  zu  stillen,  um 
wie  viel  wirksamer  muss  die  Blutung  gehindert  sein,  wenn  das  Endometrium 
nach  vielfachen  Anodensitzungen  die  Beschaffenheit  einer  derben,  mit  spär- 
lichen Gefässen  versehenen,  der  Lederhaut  ähnlichen  Narbe  angenommen  hat? 
In  der  Sistirung  der  oft  sehr  starken  Blutungen,  die  allerdings  häufig  genug 
erst  nach  vielen  Sitzungen  (40 — 50)  dauernd  gelingt,  liegt  eben  der  grosse 
Werth  der  AposTOLi'schen  Methode.  Das  Symptom  schwerer  Blutungen  ist  ja 
häufig  das  einzige,  welches  die  Myomkranken  zum  Arzte  führt. 

Weiters  wird  von  den  meisten  Autoren,  die  sich  eingehender  mit  dieser 
Methode  beschäftigt  haben,  berichtet,  dass  es  in  einer  überwiegenden  Anzahl 
von  Myomfällen  gelänge,  die  Schmerzen  und  Dritckbeschiverden  zu  lindern.  Die 
letzteren  werden  nur  dann  behoben  werden  können,  wenn  es  wirklich  gelingt, 
das  Volumen  des  Tumors  zu  verkleinern.  Die  Frage,  auf  welche  Weise  das 
Nachlassen  der  Schmerzen  durch  die  galvanische  Behandlung  zu  erklären  ist, 
wird  gemeiniglich  dahin  beantwortet,  dass  es  einerseits  gelänge,  peri-  und 
parametritische  Entzündungsproducte  zur  Verkleinerung  oder  zum  Verschwin- 
den zu  bringen,  dass  man  ferner  die  Thatsache  constatiren  könne,  dass  bei 
längerer  entsprechender  Behandlung  fast  immer  eine  Zunahme  der  Beweglich- 
keit des  Uterus  beobachtet  werde,  endlich  dass  durch  die  Wegätzung  des 
erkrankten  Endometriums  der  Sitz  der  menstruellen  Schmerzen  direct  beein- 
flusst  werde  (Schäffek). 

Was  schliesslich  die  durch  die  elektrische  Behandlung  er- 
zielte Verkleinerung  oder  gar  das  Verschwinden  von  Myomen 
betrifft,  so  muss  constatirt  werden,  dass  die  übertriebenen  und  sinnlosen  Be- 
hauptungen Einzelner  zum  grossen  Theile  als  Ursache  anzusehen  sind,  dass 
ernste  und  gewissenhafte  Gynäkologen  sich  lange  ablehnend  gegen  die  Methode 
verhalten  haben.  Man  soll  überhaupt  der  durch  die  Elektrotherapie  erziel- 
baren Verkleinerung  der  Myome  kein  allzugrosses  Gewicht  beilegen,  vielmehr 
in  der  Stillung  der  Blutungen  und  der  sodann  erreichbaren  Hebung  des  All- 
gemeinzustandes und  in  der  Besserung  oder  Heilung  der  Schmerzen  die  Ziele 
dieser  Behandlungsweise  suchen.  Geringe  Verkleinerungen  der  Geschwülste 
sind  mit  Sicherheit  schwer  zu  constatiren,  da  die  einfache  Angabe  „das  Myom 
sei  kleiner  geworden"  nur  der  subjectiven  Anschauung  des  Untersuchers  Aus- 
druck verleiht,  Methoden  aber,  die  es  ermöglichen  würden,  einen  Tumor  in 
allen  seinen  Dimensionen  genau  zu  messen,  nicht  existiren.  Aus  der  Messung 
der  Länge  der  Uterushöhle  allein  aber  kann  man  keinen  Schluss  auf  die  Zu- 
oder  Abnahme  der  Geschwulst  machen.  Man  soll  daher  —  im  Interesse  der 
Methode  —  nur  dann  von  Verkleinerung  der  Myome  sprechen,  wenn  dieselbe 
augenscheinlich  ist.  Eine  nicht  anzuzweifelnde  Verkleinerung  von  Myomen 
ist  nun  vielfach  beschrieben;  doch  scheint  es,  dass  die  meisten  dieser  Frauen 
sich  nahe  dem  Klimakterium  befanden.  Das  Zusammenfallen  der  spontanen 
Involution  mit  der  durch  die  Galvanisation  erzielten,  kann  in  solchen  Fällen 
nicht  geleugnet  werden.  Aber  gerade  diese  Thatsache  würde  (Lucas  Cham^ 
piONiicßE,  Richelot)  eine  besondere  Indication  für  die  Methode  abgeben, 
indem  es  bei  solchen  Frauen  um  so  eher  gelingen  dürfte,  ihnen  nach  Stillung 
der  Blutungen  in  das  Klimaterium  hinüberzuhelfen. 

Was  endlich  die  Wirkung  der  fortgesetzten  Galvanisationen 
auf  den  Gesammtorganismus  anlangt,  welche  —  und  das  bezieht  sich 
nicht  blos  auf  die  Myomkranken  —  oft  in  einer  auffällig  raschen  Besserung 


GYNÄKO-ELEKTROTHERAPIE.  331 

der  nervösen  Symptome,  Hebung  des  Kräftezustandcs  besteht,  so  ist  diese 
wohl  hauptsächlich  auf  die  Sistirung  der  clironischen  Blutverluste  zu  beziehen. 
Immerhin  sieht  man  diese  Besserung  manchmal  so  bald  eintreten  (Schwinden 
von  Kopf-  und  peripheren  Nervenschmerzen,  Angstgefühlen,  Muskelkrämpfen, 
Besserung  der  Schlallosigkeit)  und  so  vorwiegend  das  Nervensystem  betreffen, 
dass  man  den  Eindruck  nicht  von  sich  weisen  kann,  dem  extrapolaren  Strome 
könne  ein  günstiger  Eintluss  auch  auf  den  Körper  im  Allgemeinen  zukommen. 

Apostoli  und  eine  Anzahl  anderer  Autoren  haben  die  Ausstossung  von 
Myomen  aus  ihrem  Mutterboden  mit  der  contractionserregenden  Wir- 
kung der  galvanischen  Ströme  in  Zusammenhang  geljracht,  Apostoli  be- 
hauptet, dass  interstitielle  Myome  unter  dem  Einflüsse  der  Galvanisationen 
submucös  oder  subserös,  subseröse  Myome  beweglicher,  gestielter  werden  kön- 
nen. Ohne  diesen  Einfluss  bestreiten  zu  wollen,  wird  man  immerhin  im  Auge 
halten  müssen,  dass  sowohl  die  Ausstossung  als  Nekrose  von  Myomen  spon- 
tan, ohne  jede  Therapie,  erfolgen  könne. 

Die  Behandlung  hat  in  folgender  Weise  stattzufinden:  Treten  die  Kran- 
ken, wie  dies  zumeist  der  Fall  ist,  blutend  in  die  Behandlung,  dann  wird 
zunächst  die  Anode  intrauterin  applicirt  und  zwar  die  Platinsonde  bei  massiger 
Stromintensität  und  durch  circa  5  Minuten,  um  die  specielle  Pteaction  der 
Kranken  kennen  zu  lernen.  Bei  stärkeren  Hämorrhagien  werden  dann  die 
Anodensitzungen  eventuell  mit  der  Kohlensonde  fortgesetzt,  bis  es  gelungen 
ist,  periodische  und  an  Copiosität  und  Dauer  der  Norm  entsprechende  Blutun- 
gen zu  erzielen.  Erst,  wenn  dies  geschehen,  soll  man  mit  der  Application 
der  Kathode  beginnen,  in  der  Absicht,  auf  die  Verkleinerung  der  Myome  hin- 
zuwirken. Durch  unzeitige  Anwendung  der  Kathode  kann  eine  vielleicht  seit 
Tagen  gestillte  Blutung  wieder  angeregt  oder  der  Eintritt  der  Periode  ver- 
früht werden.  Unmittelbar  vor  und  nach  der  Menstruation  soll  daher  die 
Kathode  nicht  applicirt  werden. 

Die  Stromstärken  sollen  wenn  möglich  sehr  hohe  sein;  die  Sitzungen 
werden  2 — 3mal  wöchentlich  abgehalten. 

Zum  Schlüsse  erscheint  es  zweckmässig,  speciell  für  Jene,  welche  diese 
Methode  selbst  in  Anwendung  zu  ziehen  beabsichtigen,  in  übersichtlicher 
Kürze  jene  Krankheiten,  gegen  welche  diese  Therapie  mit  Erfolg  gebraucht 
werden  kann  und  die  Art  und  Weise  der  Anwendung  zu  besprechen. 

EndoniPtritis:  Positive  intrauterine  Galvanisation  mit  der  Metall-  (Platin-)  Elektrode  > 
bei  starken  Blutungen  und  weiter  Uterushöhle  mit  der  Kohlenelektrode.  Bezüglich  der 
Stromstärken  siehe  oben, 

_  Metritis  chron. :  a)  im  hyperämischen,  mit  Blutungen  einhergehenden  Stadium:  posi- 
tive, intrauterine  Galvanisation  wie  bei  Endometritis. 

b)  In  alten  mit  Induration  einhergehenden  Fällen:  Negative  intrauterine  Galvani- 
sation mit  der  Metallelektrode.  Sehr  starke  Ströme.  Eventuell  auch  intrauterine  Faradi- 
sation  mit  dem  Quantitätsstrome. 

Chronische  Para-  und  Perimetritis:  chronisch  entzündliche  Adnexenschwel- 
lung:  Bios  die  vaginale  bipolare  Faradisation  mit  dem  Spannungsstrome  zur  Linderung 
der  Schmerzen,  eventuell  die  vagino-abdominelle  Galvanisation  (Kathode  in  der  Vagina) 
mit  der  Kugelelektrode,  welche  mit  einer  dicken  Lage  feuchter  Watte  umgeben  ist.  sind  zu 
empfehlen.  Von  intrauterinen  Eingriffen  oder  der  Galvanopunctur  soll  man  wo  möglich 
abstehen.  Will  man  die  Kathode  intrauterin  appliciren,  so  ist  Vorsicht  geboten;  die  Ströme 
sollen  nicht  stark,  die  Dauer  der  Sitzungen  nicht  zu  lange  sein.  Die  Reaction  der  Kranken 
gilt  hier  in  erster  Linie  als  Fingerzeig,  ob  mit  dem  Strome  angestiegen  werden  darf,  und 
ob  die  Behandlung  fortgesetzt  werden  kann. 

Dysmenorrhoe:  Die  Behandlung  besteht,  wenn  nicht  ein  bestimmtes  Leiden  (Endo- 
metritis, Myom,  Adnexerkrankung)  eine  andere  Applicaiionsweise  des  Stromes  erheischt,  in 
der  negativen  intrauterinen  Galvanisation  mit  der  Metallelekirode.  —  Mittelstarke  Ströme. 

Dysmenorrlioea  membranacea:  positive  intrauterine  Galvanisation  mit  möglichst 
hohen  Stromstärken. 

Amenorrhoe:  Bipolare  intrauterine  Faradisation  (Quantitätsstrom)  und  intrauterine 
Application  der  Kathode  bei  massig  starken  Strömen. 

Von  der  Elektrotherapie  ausgeschlossen  sind  virginale  Personen  —  zur  gymnastischen 
Behandlung  geeignet  —  ferner  solche,    bei  denen  ein  Nisus  menstrualis  (Eintritt  von  ner- 


332  HAEMATOKELE  EETROÜTERINA. 

vösen  Störungen,  Congestionserscheinungen  oder  sonstigen  Beschwerden  in  periodischen 
Intervallen)  nicht  nachweisbar  ist;  endlich  jene  Fälle,  denen  ein  schweres  Allgemeinleiden 
(Chlorose,  Tuberculose  etc.)  oder  ein  Bildungsfehler  der  Geschlechtswerkzeuge  zu  Grunde 
liegt. 

^Wenn  nicht  in  kui'zer  Zeit  ein  befriedigender  Erfolg  mit  der  Elektrotherapie  zu  ver- 
zeichnen ist,  wird  es  sich  empfehlen,  die  gynäkologische  Massage  mit  der  elektrischen  Be- 
handlung zu  combiniren. 

Metrorrliagieii :  wie  Blutungen  bei  Endometritis.  Auch  gegen  die  nach  Estirpation 
der  erkrankten  Adnexe  häufig  sich  einstellenden,  oft  sehr  abundanten  Blutungen  mit  sehr 
gutem  Erfolg  angewendet  (^Rosthorn). 

Stenosen  des  Cervicalcanales:  Negative  intrauterine  Galvanisation  mit  allmälig 
stärker  werdenden  Sonden  (Aluminiumsonden).     Massig  starke  Ströme. 

Subinvolutio  uteri:  Bipolare  intrauterine  Faradisation (Quantitätsstrom).  Bei  starken 
Blutungen  eventuell  intrauterine  Application  der  Anode.  In  veralteten  Fällen  auch  negative 
intrauterine  Galvanisation. 

Myome:  Bei  Blutungen:  positive  intrauterine  Galvanisation  mit  der  Platinsonde,  bei 
weiter  Gebärmutterhöhle  und  starken  Blutungen  mit  der  Kohlensonde.  Möglichst  stärke 
Ströme. 

Wenn  keine  Blutungen  vorhanden  —  intrauterine  negative  Galvanisation. 

Snperinvolutio  uteri:  Bipolare  intrauterine  Faradisation  (Quantitätsstrom)  vor  der  zu 
erwartenden  Menstruation.  In  der  Zwischenzeit  negative  intrauterine  Galvanisation  mit 
schwachen  Strömen.     (Congestionirende  Wirkung  des  negativen  Poles.) 

Ovarie :  Bipolare  vaginale  und  intrauterine  Faradisation  mit  dem  Spannungsstrome. 
Die  SitziTUg  soll  so  lange  dauern,  bis  die  Kranke  auch  auf  starken  Druck  nicht  mehr  mit 
einer  Schmerzäusserung  reagirt. 

Pruritus  vulvae :  Mittelgrosse  indifferente  Plattenelektrode.  Anode  als  feuchte  Polster- 
elektrode  auf  das  äussere  Genitale  und  Perineum.  Schwache  Ströme  (5—15  Ma.).  Sitzungs- 
dauer bis  10  Minuten. 

Campe  führt  die  Anode  in  die  Vulva  ein,  während  die  Kathode,  ohne  den  Strom  zu 
unterbrechen,  über  die  juckenden  Stellen  hinweggeführt  wird.  Sitzungsdauer  10  Minuten, 
Stärke  des  Stromes  nach  Elementenzahl  berechnet.  6—10  SPAMER'sche  Elemente. 

Cholmogorof  verwendete  eine  cylindrische  Elektrode,  deren  Knopf  nur  vorne  aus 
Metall  war,  während  ihre  ganze  Oberfläche  aus  Hartgummi  bestand.  Die  andere  Elektrode 
bestand  aus  einer  mit  Handschuhleder  überzogenen  Scheibe,  die  4«?^  im  Durchmesser  maass. 
'  Die  cylindrische  Elektrode  wird  4— 5  cot  tief  in  die  Vagina  eingeführt  und  mit  dem  posi- 
tiven Pole  verbunden,  die  andere  in  Salzwasser  getauchte,  gleitet  über  die  juckende  Ober- 
fläche. 15—22  M-A.,  10—15  Minuten. 

Vaginismus:  Bipolare  Faradisation  mit  dem  Spannungsstrome.  Aiich  schwache 
positive  Galvanisation. 

Lomer:  Fünf  Centimeter  im  Durchmesser  zählende  active  Elektrode  auf  den  Damm, 
respective  auf  den  Introitus.     Sitzungen  anfangs  täglich,  später  seltener.  4—5  Minuten. 

Saülmann:  Kugelelektrode  abwechselnd  auf  den  Damm  und  den  Introitus  vaginae. 

Auf  die  grosse  Reihe  anderer  Genitalerkrankungen,  gegen  welche  die 
Elektrotherapie  in  verschiedenster  Form  versacht  und  empfohlen  wurde  (Ova- 
rialcysten,  Uteruscarcinome,  Haematocele  periuterina,  Vaginalcysten,  Uterina!- ' 
polypen,  Extrauteringravidität,  Entfernung  zurückgebliebener  Nachgeburtsreste 
nach  vorausgegangenem  Abort,  Verlagerungen  des  Uterus  etc.)  soll  hier  nicht 
eingegangen  werden,  weil  diese  Behandlungsweise  bei  der  Mehrzahl  derselben 
erfolglos,  eventuell  auch  schädlich  sein  wird  und  Aveil  zwecklose  Heilversuche 
zu  einer  Zeit,  wo  ein  operativer  Eingriff  noch  leicht  und  mit  Aussicht  auf 
Erfolg  ausgeführt  werden  könnte,  absolut  zu  widerrathen  sind. 

LUDWIG  MANDL. 

Haematokele  retrOUterina.  Benennung:  Wegen  der  Aelmlichkeit 
mit  Eingeweidebrüchen  (vj  xr^X/j,  der  Bruch),  wurde  im  Jahre  1850  dem  Krank- 
lieitsbilde  durch  Nelaton,  der  al§  Erster  das  Leiden  anatomisch  richtig  er- 
kannte und  beschrieb,  der  Name  Haematokele  gegeben. 

Pathologische  Anatomie:  Die  Haematokele  retrouterina  stellt 
einen  im  Douglas'schen  Räume  abgekapselten,  mit  Blut  gefüllten  Tumor  dar. 
Bei  grösseren  Blutergüssen  kann  der  Tumor  das  Becken  überragen,  ja  oft  bis 
^n  den  Rippenbogen  hinaufreichen,  so  dass  er  dann  einem  grossen,  cystischen 
Abdominaltumor  gleicht. 


HAEMATOKELE  RETROUTERINA.  333 

Der  Inhalt  des  Tumors  ist  frisches  oder  verschieden  verändertes  Blut, 
je  nach  Umständen  auch  gewöhnlicher  oder  zersetzter  Eiter.  Die  Wandungen 
des  Tumors  bildet  vorne  und  unten  die  Ilinterfläche  des  Uterus  und  der  oberste 
Abschnitt  der  hinteren  Vaginalwand,  rückwärts  die  hintere  Fläche  der  Doug- 
las'schen  Falte  und  das  Eectum;  nach  oben  ist  die  Höhle  durch  Pseudomem- 
branen, verklebte  Darmschlingen  oder  das  Netz  abgeschlossen.  Die  Innen- 
fläche der  Höhle  ist  nach  längerem  Bestehen  mit  pseudomembranösen  und 
fibrinösen  Auflagerungen  ausgekleidet. 

Der  Sack,  in  welchem  sich  das  Blut  ansammelt,  kann  entweder,  in  Folge 
vorangegangener  Erkrankungen  des  Peritoneums,  präexistiren,  oder  er  bildet 
sich  durch  den  Reiz,  den  das  in  das  Peritonealcavum  ergossene  Blut  hervor- 
ruft, secundär. 

Der  Sitz  des  ganzen  Tumors  ist  intraperitoneal. 

Diagnose:  In  typischen  und  frisch  beobachteten  Fällen  hat  das  ganze 
Krankheitsbild  solche  pathognomonischen  Zeichen,  dass  die  Stellung  der  Dia- 
gnose unter  Berücksichtigung  der  Anamnese  nicht  schwer  fällt.  Hinter  dem 
Uterus  ein  elastischer,  einen  grossen  Theil  des  kleinen  Beckens  ausfüllender 
Tumor,  der  die  hintere  Vaginalwand  kuppeiförmig  nach  abwärts  und  vorne 
wölbt.  Der  Uterus  selbst  ist  mit  dem  Corpus  nach  vorne  und  oben  gedrängt, 
so  dass  das  letztere  vor  dem  Tumor,  über  der  Symphyse,  die  Vaginalpor- 
tion knapp  hinter  der  Symphyse,  an  den  oberen  Theil  derselben  meist  an- 
gepresst,   gefunden  wird. 

Die  gynäkologische  Untersuchungstechnik  ist  gegenwärtig  so  ausgebildet, 
dass  die  früher  zur  Sicherstellung  der  Diagnose  von  der  Vagina  aus  häufig 
vorgenommene  Probepunction  ganz  unterbleiben  kann.  Sie  ist  nicht  ganz 
ungefährlich  und  hat  oft,  wegen  der  Möglichkeit  des  Lufteintrittes,  eine  Ver- 
jauchung des  ganzen  Sackinhaltes  und  eine  Verschlimmerung  der  Prognose 
zur  Folge  gehabt. 

Die  Herkunft  des  Blutes  kann  verschieden  sein.  Zunächst  kann 
öasselbe  aus  dem  Ovarium,  speciell  aus  dem  klaffengebliebenen  Graf  sehen 
Follikel  und  den  Gefässen  seiner  Auskleidung  herrühren.  Stärkere  menstru- 
elle Congestion,  wie  solche  durch  Coitus  während  der  Menstruation,  Tanzen, 
Heben  schwerer  Lasten,  stärkere  Inanspruchnahme  der  Bauchpresse  etc.  er- 
zeugt werden  kann,  bilden  prädisponirende  Momente  zur  Entstehung  der- 
selben. 

Eine  der  häufigsten  Quellen  der  Blutung  bilden  geborstene  Eier  einer 
Tubargravidität.  Entweder  berstet  das  Ei  allein,  oder  mit  demselben 
auch  die  Tube  mit  dem  peritonealen  Ueberzug. 

Aber  auch  aus  nicht  graviden  Tuben  kann  das  Blut  herstammen,  wenn 
dasselbe  während  der  menstruellen  Congestion,  wegen  Unwegsamkeit  der  ute- 
rinen  Tubenenden,  nicht  in  den  Uterus  gelangen  kann.  Es  ergiesst  sich  dann 
in  die  freie  Bauchhöhle  und  gelangt  an  deren  abhängigsten  Theil,  den  Douglas. 

Ebenso  kann  bei  Vorhandensein  subperitonealer  Varicositäten  des  Liga- 
mentum latum,  wenn  es  anlässlich  einer  vermehrten  Congestion  zu  der 
Berstung  einer  Vene  kommt,  eine  retrouterine  Blutansammlung  erfolgen. 

Als  weitere  Ursachen  zur  Entstehung  der  Blutung  werden  genannt:  die 
Peritonitis  retrouterina  haemorrhagica,  Purpura,  Icterus  gravis,  Scarlatina, 
Variola,  Morbillen  und  Typhus,  insoferne  als  es  dabei,  bei  partiellen  Erkran- 
kungen des  Peritoneums  und  der  darunter  liegenden  Gefässe  zur  AiTosion 
der  letzteren  kommen  kann. 

In  selteneren  Fällen  kann  das  Blut  aus  einer  resecirten  Tube,  die  nach 
Ovariotomien  versenkt  wurde,  zur  Zeit,  wo  die  Periode  hätte  kommen  sollen, 
herstammen. 

Ursachen:  Die  Haematokele  retrouterina  entsteht  selten  bei  Frauen, 
deren   innere   Geschlechtsorgaue   bis   dahin   nor  mal    waren.    Man  kann  las 


334  IIAEMATOKELE  RETllOUTERINA. 

immer  den  Nachweis  liefern,  dass  seit  längerer  Zeit  Unterleibsbescliwerden, 
irgendwelcher  Art  bestanden  haben.  Meist  handelt  es  sich  um  Menstruations- 
anomalien, verbunden  mit  Erkrankungen  des  Uterus,  seines  peritonealen  Ueber- 
zuges,  der  Tuben  oder  Ovarien.  Es  besteht  eine  Prädisposition  zur  Entste- 
hung der  Blutung,  die  man  als  die  entferntere  Ursache  bezeichnet.  Meist 
handelt  es  sich  um  Frauen,  die  schon  geboren  haben,  von  Vielen  hört  man 
die  Angabe,  dass  liintereinander  mehrere  Fehlgeburten  stattgefunden  haben. 
Tritt  nun  zu  einer ' entfernteren  Ursache  eine  Gelegenheitsursache  hin- 
zu, wie  solche  im  Coitusabusus,  oder  im  Coitus  während  der  menstruellen 
Congestion,  Tanzen  während  der  Periode,  Maschinnähen  etc.  gesucht  werden 
kann,  so  kann  diese  Gelegenheitsursache  zur  Entstehung  der  Haematokele 
führen. 

Bei  Tubargraviditäten  bildet  die  unmittelbare  Ursache  die  aufs  Aeusserste 
gediehene  Expansion  des  Fruchtsackes,  oder  des  Eies. 

Bandl  vergleicht  mit  Recht  die  Ursachen  zur  Entstehung  der  Haematokele  mit  jenen 
der  Gehirnapoplexien.  Ein  junges,  gesundes  Individuum  wird  von  einer  Apoplexie  selten 
befallen.  Meist  sind  es  ältere  Leute,  deren  Gehirngefässe  eine  Prädisposition  zur  Berstung 
haben.  Anlässlich  einer  opulenten  Mahlzeit,  bei  einem  Excess  im  Alkohol,  bei  einer  Auf- 
regung etc.  kann  dann  die  Apoplexie  erfolgen. 

Symptome:  Mit  der  Entstehung  der  Haematokele  tritt  meist  plötzlich 
eine  Aenderung  im  Befinden  der  Patientin  ein.  Das  erste  Anzeichen  ist  ein 
Schmerzanfall  im  Unterleibe,  welchem  bald  Unruhe  und  ein  Angstgefühl  folgt. 
Dann  treten  Erscheinungen  auf,  die  auf  eine  peritoneale  Reizung  hindeuten, 
als  Ueblichkeiten,  Brechneigung,  Meteorismus  etc.  Je  nach  der  Menge  des, 
ins  Peritonealcavum  ergossenen  Blutes,  gesellen  sich  zum  Ganzen  noch  Er- 
scheinungen plötzlicher  Anämie,  als  Flimmern  vor  den  Augen,  Ohrensausen, 
Gähnen,  Blässe,  Lufthunger,  vermehrter  Durst  etc.  Es  kann  auch  zu  einem 
tiefen  Collaps  kommen. 

Wenn  die  Geschwulst  prall  gespannt  ist,  treten  Erscheinungen  des 
Druckes  auf  die  Nachbarorgane  ein,  als:  Gefühl  des  Vollseins,  Stuhldrang, 
Harnzwang,  Gefühl  des  Vorfalls.  Bei  länger  anhaltendem  Druck  auf  den 
Mastdarm  tritt  Obstipation  ein. 

Die  Schmerzen  können  wehen-  oder  kolikartig  sein  und  dauern  oft 
stundenlang  ununterbrochen  an. 

Fieber  wird  selten  beobachtet;  nur  vfmn  mit  dem  Blute  auch  Infections- 
keime  in  die  Bauchhöhle  gelangt  sind,  kann  es  zu  beträchtlichen  Temperatur- 
steigerungen kommen. 

Prognose:  Diese  ist  in  den  meisten  Fällen  günstig  zu  stellen,  sobald 
es  zu  einer  Abkapselung  gekommen  ist  und  die  Nachschübe  von  Blut  auf- 
gehört haben.  Nur  selten  erreicht  die  innere  Blutung  eine  solche  Höhe,  dass 
das  Leben  der  Patientin  damit  direct  bedroht  wird.  Viel  schlimmer  sind  jene 
Fälle  zu  nehmen,  wo  Infectionskeime  in  das  Peritonealcavum  gelangen.  Eine 
tödtliche  Peritonitis  kann  die  Folge  davon  sein.  Bei  Verjauchung  der  Höhle 
ist  der  Ausgang  auch  zweifelhaft,  indem  dann  pyämische  Processe  nicht  aus- 
geschlossen sind. 

Verlauf  und  Ausgang:  Die  Fälle  innerer  Verblutung  abgerechnet, 
gestaltet  sich  der  Verlauf  so,  dass  nach  einigen  Wochen  eine  Piesorption  des 
Blutes  erfolgt.  In  dem  Maasse,  als  der  Blutsack  sich  verkleinert,  tritt  auch 
der  Uterus  tiefer  herab  und  schliesslich  nimmt  dieser  seine  normale  Lage 
wieder  ein,  während  von  dem  hinter  ihm  befindlichen  Tumor  nicht  viel  nach- 
zuweisen ist.  Nur  eine  Druckempfindlichkeit  und  eine  kleine  resistente  Stelle 
im  Douglas  deutet  darauf  hin,  dass  ein  Bluterguss  daselbst  stattgefunden  hat. 

Bildet  eine  Tubargravidität  das  Substrat  der  Haematokele,  dann  löst  sich 
einige  Tage  nach  Entstehen  derselben  die  Decidua  von  der  Innenfläche  des 
Uterus  ab  und  gelangt  unter  wehenartigen  Contractionen  desselben  nach  aussen. 
Für  die  Aetiologie  der  Haematokele  kann  dieser  Umstand  entscheidend  sein 


IIAEMATOKELE  RETROUTEPJNA.  335 

indem  der  mikroskopisclie  Befund  dann  bestimmend  ist.  Doch  sind  auch  Ver- 
eiterungen der  Blutmassen  keine  Seltenheit,  wobei  es  zu  einem  Uurchbruch 
in  den  Mastdarm  (der  häufigste  Fall),  in  die  Scheide,  in  die  Blase  (wenn  der 
Bluterguss  auch  das  Cavum  vesicouterinum  mit  erfasst  hat)  oder  in  die  Beri- 
tonealhühle  kommen  kann.  Während  aber  beim  Durchbruche  nach  Aussen 
der  Krankheitsverlauf  bedeutend  abgekürzt  wird,  bildet  der  Durchbruch  nach 
innen  eine  schwere  Complication. 

Therapie:  Hinsichtlich  der  Therapie  ist  das  Verhalten  zumeist  ex- 
spectativ- symptomatisch,  in  wenigen  Fällen  ist  man  zum  chirurgischen  Vor- 
gehen genöthigt.  Ein,  die  Therapie  wesentlich  unterstützender  Factor  ist  die 
Berücksichtigung  des  Allgemeinbefindens  und  das  Hinarbeiten  auf  Hebung  der 
Ernährung  und  Beseitigung  der  Schwächezustände. 

Ruhe  ist  die  erste  Bedingung,  die  eingehalten  werden  muss.  Bei  frischen 
Processen,  oder  da,  wo  Nachschübe  von  Blut  vorausgesetzt  werden,  ist  die 
Kälteeinwirkung  von  Vortheil. 

Die  schlechten  Erfahrungen,  die  man  beim  activen  Vorgehen  gemacht 
hat,  haben  die  Therapie  mehr  in  eine  zuwartende  Bahn  gelenkt.  Bei  den 
früher  häufig  vorgekommenen  Incisionen  der  hinteren  Vaginalwand,  behufs 
Entleerung  des  Blutsackes,  ist  es  oft  zu  phlegmonösen  Processen  und  foudro- 
yanten  Fieberbewegungen  gekommen,  die  ein  mehr  passives  Verhalten  auf- 
genöthigt  haben.  Da,  wo  ein  Durchbruch  sich  vorbereitet,  soll  man  denselben 
sich  ruhig  vollziehen  lassen.  Zwingt  ein  langandauerndes  Fieber,  oder  der 
Umstand,  dass  der  Tumor  sich  nicht  verkleinert,  die  Eröfinung  der  Höhle 
von  der  Vagina  aus  vorzunehmen,  so  muss  dies  mit  aller  Vorsicht  geschehen. 
Eine  plötzliche  Entleerung  der  Höhle  ist  zu  widerrathen  und  dem  Eindringen 
von  Luft  in  dieselbe,  muss  durch  Vermeidung  des  negativen  Druckes  durch 
Höherlagerung  des  Rückens,  entgegengearbeitet  werden.  Nur  langsam  darf 
sich  die  Entleerung  vollziehen  und  durch  passend  eingebrachte  Drainage  muss 
diese  unterstützt  werden. 

Nur  da,  wo  durch  die  anhaltende  innere  Blutung  das  Leben  direct  be- 
droht erscheint,  kann  zur  Laparotomie  geschritten  werden.  Dass  damit  die 
Prognose  bedeutend  getrübt  ist,  braucht  nicht  näher  erwähnt  zu  werden. 

Differentialdiagnose:  Obzwar  bei  richtiger  Beobachtung,  gründ- 
licher Untersuchung  und  unter  Berücksichtigung  der  anamnestischen  Momente, 
«ine  Verwechslung  mit  einem  anderen  Beckenbefunde  nicht  so  leicht  möglich 
ist,  so  seien  hier  dennoch  einzelne  differential-diagnostische  Merkmale  her- 
vorgehoben. 

Um  nicht  eine  Verwechslung  mit  einem  Exsudat  zu  begehen,  halte  man 
sich  vor  Augen,  dass  dasselbe,  wenn  es  sich  schon  bis  hinter  den  Uterus  er- 
strecken sollte,  fast  immer  eine  Temperatursteigerung  mit  sich  bringt  und 
nur  allmälig  entsteht,  während  eine  Temperatursteigerung  bei  Haemato- 
kelen  schon  zu  grösseren  Seltenheiten  gehört  und  der  Tumor  sich  plötzlich 
bildet.  Die  Entstehung  zur  Zeit  der  Periode  oder  bei  vermuthlicher  Schw^anger- 
schaft  spricht  auch  für  Haematokele.  Es  sei  hier  auch  erwähnt,  dass  die 
meisten  Fälle  der  sogenannten  Parametritis  posterior  eigentlich  nichts 
anderes  sind,  als  in  späteren  Stadien  zur  Beobachtung  gelangte  Haemato- 
kelen. 

Eine  weitere  Verwechslung  wäre  möglich  mit  einem  extraperitonealem 
Haematom,  wie  solche  aus  ähnlichen  Ursachen  und  ebenso  plötzlich,  wie  die 
Haematokelen,  entstehen.  Doch  die  extraperitonealen  Haematome  liegen  seit- 
lich vom  Uterus  und  wenn  sie  beide  Ligamenta  lata  betreffen  und  doch  mit  ein- 
ander communiciren,  dann  ist  die  unter  dem  Douglas  befindliche  Brücke 
kleiner,  als  die  seitlichen  Tumoren,  während  der  Douglas"sche  Raum  leer 
bleibt,  wenn  das  Haematom  mit  einer  Haematokele  nicht  complicirt  ist. 


336  HAEMATOMETRA  UND  HAEMATOKOLPOS. 

Das  Haematom  drängt  den  Douglas'schen  Raum  selten  gegen  die  hin- 
tere Vaginalwand  vor,  während  dies  bei  der  Haematokele  fast  immer  der  Fall 
ist.  Eine  Ausnahme  bilden  jene  Fälle,  wo  vor  Entstehung  einer  Haematokele 
eine  Verklebung  der  Douglas'schen  Falten  bestand,  wobei  das  Blut  sich  höher 
oben  ansammelt,  den  Fundus  überdachen  kann  und  im  Cavum  vesico-uterinum 
zur  Bildung  eines  Blutsackes  Veranlassung  gibt  (Haematokele  peri-  und  ante- 
uterina).  Ferner  ist  das  Haematom  nach  oben  immer  abgrenzbar,  während 
die  Abgrenzung  nach  oben  bei  den  Haematokelen  nur  im  Falle  ausgedehnter 
Verwachsungen  nachweisbar  ist. 

Schliesslich  sei  noch  erwähnt,  dass  das  Haematom  nur  anfangs  druck- 
empfindlich ist,  während  bei  den  Haematokelen  immer  Druckempfindlichkeit 
besteht. 

Vor  einer  Verwechslung  mit  Erkrankungen  der  Ovarien  und  Tuben 
schützt  eine  genau  aufgenommene  Anamnese  und  eine  gründliche  Unter- 
suchung. PISKACEK. 

Haematometra  und  HaematokolpOS.  UnterdenGynatresleen zuerst 
zu  erwähnen  ist  die  Atresia  hymenalis.  Das  imperforirte  Hymen  zeichnet 
sich  zumeist  durch  grosse  Derbheit  und  Festigkeit  aus.  Die  Atresieen  der 
Vagina  beruhen  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  auf  Entwicklungsfehlern,  und  es 
kann  dabei  das  ganze  Scheidenstück  der  MüLLER'schen  Fäden  fehlen,  so  dass 
Blase  und  Mastdarm  nur  durch  eine  dünne  Zellgewebsschichte  getrennt  er- 
scheinen, oder  es  ist  der  Scheidenantheil  der  MüLLER'schen  Fäden  zwar 
vorhanden,  jedoch  auf  eine  kürzere  oder  längere  Strecke  verwachsen  und 
unpassirbar.  Es  kommen  daher  alle  möglichen  Uebergangsformen  vom  ein- 
fachen membranösen  Verschlusse  bis  zur  breiten  Atresie  vor. 

Erworbene  Atresieen  der  Scheide  entstehen  infolge  von  puerperaler 
Drucknekrose,  anderweitigen  Verletzungen  (Nothzuchtsversuchen),  caustischen 
Injectionen,  Entzündungen  oder  infectiösen  Ulcerationsprocessen  mannig- 
facher Art. 

Im  Gegensatz  zu  den  vaginalen  Atresieen  sind  die  der  Gebärmutter 
häufiger  erworben  als  angeboren;  namentlich  sind  Fälle  selten,  in  denen 
congenitale  Atresia  uteri  isolirt  ohne  anderweitige  Entwicklungsanomalie 
der  Sexualorgane,  auftritt.  Der  Verschluss  wird  entweder  dadurch  herbei- 
geführt, dass  der  Schleimhautüberzug  der  Vaginalportion  ohne  Unterbrechung 
von  einer  Muttermundslippe  bis  zur  anderen  hinüberzieht,  oder  es  ist  der 
Cervix  in  toto  nicht  perforirt  und  die  ganze  Vaginalportion  nur  dürftig  ent- 
wickelt. Erworbene  Obliterationen  können  sowohl  den  äusseren  als  den 
inneren  Muttermund  betreffen.  Der  Verschluss  des  äusseren  Orificiums  ist 
die  Folge  von  Drucknecrose,  von  Verwachsung  gegenüberliegender  Ge- 
schwürsflächen oder  auch  von  Verlöthung  des  amputirten  Cervixstumpfes  mit 
dem  benachbarten  Scheidengewölbe.  Verwachsungen  des  Orificium  internum 
finden  wir  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  bei  älteren  Individuen  infolge  von 
catarrhalischer  Endometritis  mit  Epithelverlust. 

Angeborene  Gynatresieen  führen  natürlicher  Weise  mit  dem  Beginne 
der  Geschlechtsreife  zur  Zurückhaltung  des  Menstrualblutes.  Das  Genitalrohr 
wird  durch  das  über  dem  Verschlusse  angesammelte  Blut  immer  w^eiter  aus- 
gedehnt, also  zu  einem  Blutsacke  ausgeweitet.  Je  nach  dem  Sitze  der  Obli- 
teration  betheiligt  sich  nur  der  Uterus  („Haematometra")  und  in  diesem 
vorwiegend  das  Collum  oder  auch  die  Scheide  („Haematokolpos")  an  der 
Bildung  des  Blutsackes ;  daneben  finden  sich  auch  bei  längerem  Bestände  Blut- 
ansammlungen in  den  Eileitern  („Haematosalpinx").  Hiebei  stellen  die 
Tuben  nicht  einen  einfachen  Hohlraum  dar,  sondern  sie  bilden  eine  Reihe 
von  Blutsäcken,  die  durch  peritonitische  Pseudomembranen  und  Stränge  von 


HAEMATOMETRA  UND  HAEMATOKOLPOS.  337 

einander  geschieden  sind.  Bleibt  das  abdominale  Ende  offen  oder  gibt  es 
dem  Drucke  des  angestauten  Blutes  nach,  so  kann  sich  letzteres  in  die  Bauch- 
höhle ergiessen  und  wird  im  günstigsten  P'alle  im  DouGLAs'schen  Räume 
abgekapselt  (Haematokele  retrouterina.  *) 

Das  zurückgehaltene  Blut  hat  meist  die  bekannte  theerartige  Farbe  und 
Consistenz;  durch  Beimischung  von  Entzündungsproducten  kann  es  auch  eine 
eitrige  Beschaffenheit  annehmen.  Doch  ist  es  nicht  immer  Blut,  welches 
derartig  zur  Stauung  im  Genitale  gelangt,  sondern  zuweilen  auch  katarrhalisches 
Secret,  was  Letzteres  meist,  und  zwar  in  relativ  bedeutenderem  Maasstabe, 
bei  den  im  Klimacterium  erworbenen  Atresieen  vorkommt.  Ist  nur  das 
Orificium  internum  verschlossen,  so  wird  nur  das  eigentliche  Cavum  uteri 
ausgedehnt  und  wir  sprechen  dann  von  einer  Hydrometra.  Wenn  beide 
Orificia  verschlossen  sind,  finden  wir  häufig  sanduhrlormige  Tumoren  aus- 
gebildet. Luftzutritt  oder  Entwicklung  von  Fäulnisgasen  kann  zur  Entstehung 
einer  sogenannten  Phy  so metra  Anlass  geben.  Vorübergehende  Verklebungen 
des  Muttermundes,  seien  sie  nun  in  Folge  von  Ausflüssen  oder  nach  Aetzungen 
oder  Anwendung  der  Glühhitze  entstanden,  führen  in  manchen  Fällen  zur 
Zurückhaltung  höchst  übelriechender  Jauche. 

Die  hauptsächlichste  Indication  für  das  Einschreiten  bilden  die 
durch  die  Zurückhaltung  von  Uterussecreten  oder  Menstrualblut  bedingten 
Folgeerscheinungen  und  Gefahren.  Am  meisten  leiden  die  Patientinnen  anfangs 
nur  während  der  Menstruationszeit,  später  auch  durch  das  Hinzutreten  von 
äusserst  heftigen  Schmerzanfällen,  die  durch  das  Auftreten  von  Entzündungs- 
processen  zu  erklären  sind.  Je  nach  der  Grösse  und  Lage  des  Tumors  stellen 
sich  im  Verlaufe  Compressionserscheinungen  von  Seite  der  Beckenorgane  sowie 
mechanische  Beschwerden  verschiedener  Art  ein.  In  solchen  Fällen  ist  es 
nun  unsere  Aufgabe,  nicht  blos  die  einmalige  Entleerung  der  Retentions- 
flüssigkeit  durchzuführen,  sondern  es  muss  ein  dauernd  ungehinderter  Abfluss 
für  die  Uterussecrete  hergestellt  werden. 

Bei  einfacher  Atresia  hymenalis  werden  die  Labien  auseinandergezogen, 
das  untere  Scheidenrudiment  durch  Pdnnenspecula  freigelegt  und  ein  Spitz- 
messer oder  Troiquart  durch  den  sich  vorbauchenden  bläulich  oder  schwärzlich 
schimmernden  Blutsack  durchgestossen.  Beginnt  der  Inhalt  langsamer  zu 
fliessen,  so  wird  die  Oeffnung  durch  einen  Kreuzschnitt  erweitert  und  ein 
Stück  der  obturirenden  Membran  exscidirt. 

Wenn  wir  die  bei  verschiedenen  Formen  von  Atresie  erforderlichen  Ein- 
griffe überblicken,  so  finden  wir,  dass  es  sich  stets  nur  um  einen  Stich  oder 
Schnitt  durch  ein  wenig  gefässreiches  Gewebe  handelt.  Nur  bei  der  Eröffnung 
breiter  Scheidenatresieen  werden  breite  Wunden  gesetzt  und  kommt  überdies 
noch  die  Gefahr  einer  Verletzung  des  Peritoneums  in  Betracht.  Demzufolge 
sollte  man  die  Operation  der  Gynatresie  für  ungefährlich  halten,  und  dennoch 
weist  sie  eine  viel  höhere  Mortalität  auf  als  manche  scheinbar  viel  eingreifendere 
Operation.  Die  weitaus  grösste  Zahl  der  Gestorbenen  erliegt  septischen 
Processen,  der  Ruptur  der  Blutsäcke  in  die  Tuben  oder  in  den  Uterus.  In 
äusserst  seltenen  Fällen  ist  die  Sepsis  auf  directe  Infection  zurückzuführen, 
meistens  entsteht  sie  durch  Zersetzung  des  unvollständig  entleerten  Blutsack- 
inhaltes. Die  Perforation  von  Blutsäcken  in  die  Tuben  kommt  entweder 
durch  innere  Hämorrhagie  oder  durch  acuteste  Perforationsperitonitis  zu 
Stande.  Als  prädisponirendes  Moment  für  die  Ruptur  ist  vor  Allem  die 
Brüchigkeit  der  ausgedehnten,  verdünnten  und  durch  vorausgegangene  Ent- 
zündungsprocesse  veränderten  Tubarwandungen  anzusehen.  Früher  wurden 
meist  Contractionen  des  Uterus  beschuldigt,  welche  bei  unvollständiger  Ent- 
leerung des  Blutsackes  oder  bei   Verklebung  der  Punctionsöflnung   das  Blut 


*)  Siehe  dieses  Stichwort,  pag.  332. 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gvnaefcoloeie.  ^" 


338  HAEMATOMETRA  UND  HAEMATOKOLPOS. 

aus  dem  Uterus  nacli  den  Tuben  treiben  sollten.  Diese  Erklärung  ist  aber 
nicht  stichhältig;  denn  abgesehen  davon,  dass  die  Annahme  einer  unvoll- 
ständigen Entleerung  oder  eines  Verschlusses  der  Punetionsöffnung  häufig 
nicht  der  Fall  ist,  erscheint  eine  Einwirkung  von  Contractionen  der  Gebär- 
mutter auf  die  Tuben  schon  deshalb  nicht  zutreffend,  weil  das  Ostium  uterinum 
verschlossen  ist  und  die  einzelnen  Tubarblutsäcke  unter  sich  durch  Membranen 
von  einander  getrennt  sind. 

Wichtig  erscheint  zunächst  die  Wahl  eines  passenden  Zeitpunktes  für 
die  Operation,  da  die  mit  der  katamenialen  Congestion  und  Hämorrhagie 
verbundene  Volumszunahme  der  Retentionssäcke  den  Eintritt  der  Ruptur 
begünstigen  kann.  Man  operirt  deshalb  am  vortheilhaftesten  bald  nach  Ablauf 
einer  Menstruationsepoche,  um  auf  diese  Weise  einen  möglichst  langen 
Zeitraum  —  bis  zur  nächsten  Periode  —  zu  gewinnen.  Weiterhin  ist  auch 
die  Art  der  Entleerung  zu  berücksichtigen,  welche  nur  langsam  erfolgen 
darf,  damit  der  Anlass  zu  plötzlichen  Druckschwankungen  innerhalb  der 
Bauchhöhle,  vermieden  werde.  Um  der  Zersetzung  zurückgebliebener  In- 
haltsreste vorzubeugen,  muss  für  einen  permanent  freien  Abfluss  Sorge 
getragen  werden.  Haben  wir  es  mit  einem  membranösen  Verschlusse  zu 
thun,  so  erreichen  wir  dies  am  besten  und  leichtesten  durch  eine  genügend 
weite  und  passende  Eröffnung,  während  wir  bei  breiten  Atresieen  genöthigt 
sind,  den  neu  gebildeten  Canal  durch  Einlage  von  Canülen  oder  Glasröhren 
offen  zu  halten.  Nach  beendigter  Operation  wird  Darm  und  Uterus  durch 
reichliche  Gaben  von  Morphium  auf  längere  Zeit  vollkommen  ruhig  gestellt 
und  in  jeder  Weise  für  die  absoluteste  Körperruhe  der  Patientin  gesorgt. 

Handelt  es  sich  bestimmt  um  Tubarsäcke,  dann  ist  die  Laparatomie 
indicirt,  sie  bildet  sogar  in  jenen  Fällen,  wo  bereits  eine  Ruptur  eingetreten 
ist,  mit  nachfolgender  Drainage  den  einzigen  Weg  der  Rettung.  Bei  der 
Nachbehandlung  ist  das  Hauptaugenmerk  darauf  zu  richten,  dass  der  artificielle 
Canal  offen  bleibe  und  Retentionsvorgänge  innerhalb  des  Sackes  verhütet 
werden.  Beides  macht  in  der  Regel  nur  bei  breiten  Atresien  Schwierigkeiten, 
und  sucht  man  das  unbequeme  Vorkommnis,  das  sich  häufig  bei  breiten 
Atresien  im  Wiederverschlusse  des  neugebildeten  Canales  manifestirt,  dadurch 
zu  verhindern,  dass  man  die  Troiquartcanüle  liegen  lässt  oder  elastische 
Katheter  einführt.  Da  indessen  meist  nicht  ganz  streng  aseptisch  verfahren 
wurde,  so  waren  häufig  Zersetzungsprocesse  innerhalb  der  Tubarsäcke  zu 
beobachten.  Diese  Erfahrung  führte  zunächst  zur  Anwendung  von  Doppel- 
canülen,  wodurch  man  antiseptische  Lösungen  einführen  konnte.  Hiezu 
gehört  nun  die  von  Breisky  angegebene  pfeifenförmige  Doppelcanüle.  Breisky 
will  zunächst  über  die  Hülse  seines  Troiquartmessers  die  sogenannte  Zangen- 
canüle  vorgeschoben  haben,  welche  im  Wesentlichen  aus  zwei  äusseren  sperr- 
baren Halbrinnen  besteht;  mittelst  dieses  Instrumentes  sollen  die  Ränder  der 
Punctionsstelle  so  weit  auseinandergehalten  werden,  dass  nun  ein  6 — 7  mm 
langes  Doppelröhrchen  mit  pfeifenförmigem  Knopfe  eingeführt  werden  kann.  Der 
Knopf  soll  gerade  in  die  Gegend  der  bestandenen  Atresie  zu  liegen  kommen  und 
dieselbe  gedehnt  erhalten.  In  sein  äusseres  Ende  ist  ein  röhrenförmiges  Ansatz- 
stück angepasst,   durch  welches   der  Retentionssack  ausgespült  werden  kann. 

Die  Prognose  der  Operation  hängt  vor  Allem  von  der  anatomischen 
Beschaffenheit  des  Verschlusses  und  der  Ausdehnung  der  Retention  ab.  Je 
ausgedehnter  die  Verwachsung,  je  unzugänglicher  die  verschlossenen  Theile, 
desto  länger  wird  die  Operation  dauern;  je  länger  die  Retention  dauert,  umso 
vorgeschrittener  und  ausgedehnter  sind  die  entzündlichen  Veränderungen 
in  der  Umgebung  der  Retentionssäcke  und  umso  mehr  ist  die  Anwesenheit 
von  peritonealen  Adhäsionen  und  abgeschlossenen  Tubarsäcken  zu  befürchten. 
Doch  ist  immerhin  in  glücklichen  Fällen  die  Wiederherstellung  der  sexuellen 
Functionen  eine  vollkommene.  v.  braun-fernwald. 


HÄNGEBAUCII.  339 

HänyebaUCh,  {Venter  propenäens.  —  Anteversio  oder  Anteflexio  uteri 
gravidi).  Unter  Hängebauch  verstehen  wir  eine  Lageanomalie  des  Uterus, 
die  in  der  2.  Hälfte  der  Schwangerschaft  auftritt.  Legen  wir  eine  hoch- 
schwangere Frau  mit  leicht  erhöhtem  Oberkörper  in  horizontale  Lage,  so 
wird  eine  durch  die  Schamfuge  gelegte  senkrechte  Linie  höchstens  die  Uterus- 
vorwölbung des  Leibes  tangiren,  beim  Hängebauch  geht  die  Vorwölbung  nach 
den  Füssen  zu  über  die  Linie  hinaus.  Der  Hängebauch  verstärkt  sich  beim 
Stehen  der  Schwangeren. 

Die  Ursachen  des  Hängebauchs  liegen  einmal  in  einer  verminderten  Re- 
sistenz der  Bauchdecken  und  auch  der  Uteruswandungen,  daher  findet  sich 
derselbe  vorwiegend  bei  Zweit-  und  Mehrgeschwängerten.  Dann  sind  von  Ein- 
fluss  alle  mechanischen  Verhältnisse,  wodurch  eine  grössere  Belastung  der 
vorderen  Bauch-  und  Uteruswand  bewirkt  wird.  Vor  Allem  also  der  Hochstand 
des  schwangeren  Uterus,  meist  bedingt  durch  Beckenenge,  aber  auch  durch 
Zwillingsschwangerschaft,  Hydrocephalus  etc.  Ferner  können  alle  Fehler,  durch 
welche  eine  Beschränkung  des  Bauchraumes  hervorgerufen  wird,  Hängebauch 
zur  Folge  haben.  So:  Kleine  Statur,  Scoliose  der  Wirbelsäule,  besonders  auch 
Lordose  der  Lendenwirbelsäule,  dann  geringe  Beckenneigung,  wodurch  Sym- 
physe und  Schwertfortsatz  genähert  werden.  Aber  auch  durch  zu  starke  Becken- 
neigung wird  die  Disposition  zu  Hängebauch  gesteigert,  wegen  des  grösseren 
Drucks  auf  die  vordere  Bauchwand  und  der  Beschränkung  der  Bauchhöhle  im 
sagittalen  Durchmesser. 

Man  findet  alle  möglichen  Grade  von  Hängebauch  von  den  ersten  An- 
fängen bis  zu  den  Fällen,  in  denen  der  Uterus  auf  den  Oberschenkeln  nach 
den  Knieen  zu  herabhängt.  Diese  höchsten  Grade  findet  man  vornehmlich  bei 
Beckenenge.  Es  darf  hier  eingeschaltet  w^erden,  dass  der  Hängebauch  bei 
Beckenenge  trotz  wiederholter  Schwangerschaft  fehlen  kann.  Wenn  er  bei  Erst- 
geschwängerten gefunden  wird,  ist  er  uns  ein  dringender  Hinweis,  das  Becken 
auf  seine  Weite  zu  untersuchen.  —  Durch  das  Vornüberhängen  des  Uterus 
bildet  sich  eine  charakteristische  quere  Hautfalte  oberhalb  der  Schamfuge, 
hier  zeigt  sich  oft  ein  lästiges  Erythem.  Die  unteren  Theile  der  Bauchdecken 
sind  mitunter  ödematös.  Meist,  besonders  bei  den  stärkeren  Graden  des 
Hängebauchs  besteht  eine  Diastase  der  recti,  so  dass  der  anteflectirte  Uterus 
in  einer  Aussackung  liegt,  die  durch  gedehnte  Haut,  Fascien  und  Peritoneum 
gebildet  wird.  Doch  kommt  auch  eine  Dehnung  der  Bauchhaut  in  toto  ohne 
Diastase  der  recti  vor.  Weil  der  Uterus  mit  dem  Fundus  so  stark  nach  vorn 
übersinkt,  sucht  der  Cervix  nach  hinten  und  oben  hin  auszuweichen  so,  dass 
er  sogar  oberhalb  des  Beckeneingangs  gefunden  werden  kann.  —  Während 
der  Schwangerschaft  klagen  die  Patientinnen  über  mancherlei  Belästigungen: 
Ziehende  Schmerzen  in  Leib  und  Rücken,  Beschwerden  durch  Intertrigo  etc. 
Harnbeschwerden;  auch  Incontinentia  urinae,  ja  sogar  Erbrechen  wird  der 
Wirkung  des  Hängebauchs  zugeschrieben.  Von  ungleich  schwereren  Folgen 
kann  der  Hängebauch  für  den  Verlauf  der  Geburt  sein.  Abgesehen  von  den 
Störungen  durch  Wehenschwäche,  mangelnden  Druck  der  Bauchpresse  und 
spätes  Verstreichen  der  vorderen  Muttermundslippe,  wird  durch  den  Hänge- 
bauch eine  ungünstige  Richtung  der  Fruchtaxe  bewirkt,  der  Kopf  gelangt 
daher  nicht  oder  doch  erst  spät  in  das  kleine  Becken.  Durch  den  Hochstand  des 
Kopfes  kommt  es  leicht  zu  vorzeitigem  Blasensprung  und  Vorfall  von  Extre- 
mitäten und  Nabelschnur.  Der  Kopf  wird  gegen  das  Promontorium  und  die 
hintere  Beckenwand  gedrängt,  die  Pfeilnaht  verläuft  dicht  am  Promontorium. 
Oder  es  bildet  sich  gar  die  gefürchtete  Hinter  scheite  Ibeinstellung 
aus,  bei  der  die  Pfeilnaht  dicht  hinter  der  Schamfuge  verläuft  und  das  hintere 
Scheitelbein  in  den  Beckeneingang  gedrängt  wird,  eine  Kopfstellung,  bei  der 
oft  nur  die  Perforation  des  Kindes  die  Mutter  vor  Uterusruptui'  retten  kann. 
Es  finden  sich  alle  diese  Schwierigkeiten  des  Eintretens  des  vorliegenden  Theils 


340  HARNFISTELN. 

oft  schon  bei  normalen  Becken;  es  ist  klar,  dass  sie  in  den  Fällen  von  Becken- 
enge, und  das  ist  die  Mehrzahl,  noch  weit  bedeutender  sind. 

Die  Behandlung  des  Hängebauchs  beschränkt  sich  in  der  Schwanger- 
schaft auf  das  Anlegen  einer  passenden  Leibbinde  oder  eines  rationell  ge- 
bauten Corsets,  durch  welche  der  Uterus  gestüzt  wird/") 

Für  die  Geburt  empfiehlt  es  sich  die  Kreissende  frühzeitig  in  Rücken- 
lage zu  lagern,  um  den  vorzeitigen  Blasensprung  zu  verhüten.  Winkel  räth 
halbsitzende  Stellung.  Der  Hängebauch  muss  durch  passende  Binden  (Hand- 
tücher) oder  durch  die  Hände  des  Geburtshelfers  (besonders  während  der  Wehe) 
aufgerichtet  werden.  Es  gelingt  dadurch  oft  ganz  normalen  Geburtsverlauf 
zu  erzielen  in  Fällen,  in  denen  früher  zu  zerkleinernden  Operationen  ge- 
schritten werden  musste.  f.  deoysen. 

Harnfisteln.  Man  unterscheidet:  a)  Hm-nröhrenscheidenfisteln,  h)  Blasen- 
scheidenfistehij  c)  Blasen- Cervixßsteln,  d)  Harnleiterscheidenfisteln,  e)  Harnleiter - 
Cervixfisteln. 

Die  Entstehung  der  Harnfisteln*"^")  ist  in  der  grossen  Mehrzahl  der 
Fälle  auf  schwere  Geburten  bei  räumlichem  Missverhältnis  zwischen  mütter- 
lichem Becken  und  kindlichem  Schädel  (enges  Becken  oder  zu  grosser  Kopf) 
zurückzuführen.  Der  langanhaltende  und  starke  Druck,  welchem  eine  Gewebs- 
partie  zwischen  dem  letzteren  und  der  Symphyse  ausgesetzt  ist,  kann  Gan- 
grän zur  Folge  haben.  Mit  Zerfall  des  Schorfes  bildet  sich  die  Fistel.  Selte- 
ner kommt  es  bei  instrumenteller  Beendigung  von  Geburten  (Zange,  Haken, 
Kephalotrypsie,  scharfe  Knochenstücke  bei  Kranioklasie)  zu  einer  directen  Zer- 
reissungder  Blasenscheiden-,  beziehungsweise  Blasencervixwand,  letzteres  nur 
dann,  wenn  der  Muttermund  sich  noch  nicht  über  den  Kopf  zurückgezogen  hat. 

Auch  gelegentlich  gynäkologischer  Operationen  (Kolporaphia  anterior, 
vaginale  Enucleation  cervicaler  oder  interligamentärer  Myome,  vaginale  Fixa- 
tion des  retroflectirten  Uterus)  kann  es  zu  einer  Eröffnung  der  Blase  von 
der  Scheide  aus  kommen.  Da  hier  aber  die  Verletzung  sofort  durch  die  Naht 
geschlossen  wird,  kommt  es  selten  zur  Fistelbildung.  Dagegen  ist  die  vagi- 
nale Totalexstirpation  des  Uterus  heutzutage  die  häufigste  Ursache  von  Harn- 
leiterscheidenfisteln. 

Zu  langes  Tragen  von  Pessaren  —  die  Zv^^ANCK'schen  Hysterophore 
werden  von  Aerzten  glücklicherweise  nicht  mehr  eingelegt  —  gibt  nur  noch 
selten  Anlass  zur  Bildung  von  Blasenscheidenfisteln.  Oefter  beobachtet  man 
sie  bei  inoperablen  Cervixcarcinomen.  Fälle,  in  welchen  Blasensteine,  Blasen- 
geschwüre, entzündliche  Processe  der  Vagina  (Diphtherie)  zur  Perforation  der 
Blasenwand  geführt  haben,  sind  nur  wenige  beobachtet  worden. 

Die  einzige  directe  Erscheinung,  welche  eine  Harnfistel  hervorruft, 
ist  der  unwillkürliche  Urinabgang.  Bei  kleineren  Fisteln  kann  noch  ein  Theil 
des  Harns  auf  natürlichem  Weg  entleert  werden;  bei  grösseren  geht  er 
sämmtlich  durch  die  Fistel  ab.  In  letzterem  Fall  wird  das  Blasenlumen  all- 
mälig  ein  immer  kleineres,  —  Bei  Bestehen  einer  Harnleiterscheidenfistel 
fliesst  natürlich  nur  der  von  der  Niere  der  betroffenen  Seite  secernirte  Urin 
ununterbrochen  durch  die  Scheide  ab.  In  der  Regel  tritt  da,  wo  eine  schwere 
Geburt  Veranlassung  zur  Fistelbildung  gegeben  hat,  zwischen  dem  dritten 
und  fünften  Tag  Harnträufeln  ein.  Nur,  wenn  es  schon  bei  der  Entbindung 
zu  einer  Eröffnung  der  Blase  gekommen  war,  schliesst  es  sich  sogleich  an 
die--erstere  an. 


*)  Vergl.  die  diesbezüglichen  Abbildungen  im  Artikel    „Instrumentarium  zur  Gynae- 
kologie"'. 

**)  Vergl.  auch  den  Artikel  „Blasenkranlclieiten  des  Weibes"  pag.  114  u.  £f. 


HARNFISTELN.  341 

Im  weiteren  Verlauf  kommt  es  fast  regelmässig  zu  einer  Entzündung 
der  Scheide  und.  Vulva  in  Folge  ihrer  fortwährenden  IjeniJssung  mit  Urin. 
An  den  äusseren  Geschlechtstheilen,  an  der  Innenfläche  der  Oberschenkel,  am 
Gesäss  können  sich  Excoriationen  bilden.  Oft  entsteht  Blasenkatarrh.  Quälend 
für  die  Kranken,  aber  auch  für  ihre  Umgebung  ist  der  fortwährende  Urin- 
geruch,  welchen  sie  verbreiten. 

Die  Diagnose  der  Harnfisteln  wird  meist  eine  leichte  sein.  In  der 
Mehrzahl  der  Fälle  wird  schon  die  Angabe  der  Patientin,  dass  einige  Tage 
oder  unmittelbar  nach  einer  schweren  Entbindung  unwillkürlicher  Urinabgang 
eingetreten  sei,  keinen  Zweifel  lassen,  um  was  es  sich  handelt.  Bei  grösseren 
Blasenscheiden-  oder  Harnröhrenfisteln  wird  die  digitale  Untersuchung  der 
Scheide,  bei  kleineren  die  Besichtigung  mittelst  eines  Speculums  die  Ver- 
muthung  bestätigen.  Schwierigkeiten  kann  es  aber  machen  bei  nach  dem 
Puerperium  zurückgebliebenen  Verengerungen  oder  Verwachsungen  in  der  Vagina 
über  den  Sitz  der  Fisteln  in's  Klare  zu  kommen.  Unter  Umständen  muss  zu 
einer  gewaltsamen  Erweiterung,  beziehungsweise  einer  Durch trennung  geschritten 
werden.  Sonst  kann  die  Berührung  einer  durch  die  Harnröhre  in  die  Blase 
und  einer  durch  die  Scheide  eingeführten  Sonde  oder  die  Füllung  der  Blase 
mit  gefärbter  Flüssigkeit  (Milch,  dünne  Anilin-  oder  Methylenblaulösung)  den 
gewünschten  Aufschluss  geben.  Fliesst  im  letzteren  Fall  weder  nach  der 
Scheide,  noch  durch  den  Cervix  Flüssigkeit  ab,  so  handelt  es  sich  um  eine 
Harnleiterfistel,  deren  Sitz  sich  gewöhnlich  seitlich  im  Scheidengewölbe  be- 
findet. Die  Diagnose  einer  solchen  wird  durch  das  Einführen  einer  feinen 
Sonde  in  die  meist  schlitzförmige  Oeffnung  nach  vorausgeschickter  gründlicher 
Desinfection  der  Scheide,  durch  die  Beobachtung  einer  nicht  continuirlichen, 
sondern  stossweisen  Urinentleerung  gesichert. 

Die  Prognose  ist  mit  seltenen  Ausnahmen  eine  günstige.  Kleinere 
Fisteln  heilen  zuweilen  spontan.  Die  Heilung  auf  operativem  Wege  hat  Dank 
der  fortgeschrittenen  Technik  von  Jahr  zu  Jahr  günstigere  Ergebnisse  aufzu- 
weisen. Es  ist  nicht  zu  viel  gesagt,  dass  es  heutzutage  dem  erfahrenen  und 
geschickten  Operateur  in  der  Regel  gelingt,  selbst  grosse  oder  ungünstig  ge- 
legene Fisteln  zu  schliessen. 

Die  Prophylaxe  der  Harnfisteln  fällt  in  erster  Linie  mit  einer  sach- 
gemässen  Leitung  der  Geburt  bei  räumlichem  Missverhältnis  zwischen  Kopf 
und  Becken  zusammen.  Wie  aus  dem  Eingangs  Gesagten  hervorgeht,  trägt 
die  operative  Beendigung  der  Geburt  viel  seltener  als  das  zu  lange  Aufschieben 
derselben  die  Schuld  an  dem  Zustandekommen  der  Fistelbildung.  Daraus  er- 
klärt es  sich,  dass  Harnfisteln  heutzutage  in  Gegenden,  wo  die  Hebammen 
gut  geschult  sind  und  ärztliche  Hilfe  leicht  zu  haben  ist,  nur  noch  sehr 
selten  vorkommen.  Frauen,  welche  Pessare  tragen,  muss  eingeschärft  werden, 
dass  letztere,  selbst  wenn  sie  keine  Beschwerden  verui'sachen,  doch  in  regel- 
mässigen Zwischenräumen  entfernt  und  gereinigt,  beziehungsweise  durch 
neue  ersetzt  werden  müssen.  Um  der  Verletzung  der  Harnleiter  bei  vagi- 
naler Totalexstirpation  des  Uterus  vorzubeugen,  ist  es  angezeigt,  vor  Unter- 
hindung der  Lig.  lata  die  Blase  vom  Cervix  loszulösen  und  möglichst  nach 
oben  zu  schieben,  bei  Infiltration,  beziehungsweise  Schrumpfung  der  Parame- 
trien  vorsichtig,  stückweis  und  womöglich  unter  ControUe  des  Auges  zu  um- 
stechen und  zu  unterbinden. 

Bei  frischen,  im  Anschluss  an  eine  Geburt  entstandenen  Harnfisteln  be- 
schränkt sich  die  Behandlung  zunächst  auf  desinficirende  Ausspülungen 
der  Scheide.  Kleine  heilen  unter  denselben  nicht  allzuselten  spontan. 
Aetzungen  der  Fistelränder  sind  als  nutzlos,  ja  unter  Umständen  sogar  schäd- 
lich zu  unterlassen. 

Schliesst  sich  die  Fistel  nicht,  so  schreite  man  nicht  vor  der  vierten 
Woche  zur  Operation,  schiebe  letztere  auch  nicht  zu  lange  auf,  damit  die 


342  HARNFISTELN. 

Gewebe  nicht  zu  sehr  an  Blutreichthum  verlieren.  In  Fällen,  wo  Blaseii- 
scheidenfistebi,  in  welchen  die  Scheide  verengert  ist  oder  ausgedehnte  Ver- 
wachsungen bestehen,  muss,  um  sich  die  Fistel  gut  zugänglich  zu  machen, 
erstere  erweitert,  die  letzteren  gelöst  werden.  Zu  diesem  Zweck  kann  man 
sich  der  von  Bozeman  angegebenen  Kugeln  oder  Cylinder  aus  Hartgummi  von 
steigender  Grösse  bedienen.")  Nach  warmer  Ausspülung  der  Scheide  werden 
sie  in  letztere  eingeführt  und  bleiben  mehrere  Stunden  liegen.  Empfehlens- 
werth  ist  auch  die  wiederholte  feste  Tamponade  mit  Jodoformgaze.  Da  aber 
das  eine  wie  das  andere  Verfahren  langwierig  und  für  die  Kranken  lästig 
ist,  so  wird  in  neuerer  Zeit,  die  schon  von  Simon  befürwortete  Dehnung  der 
Vagina   und   die   blutige    Trennung  etwaiger  Verwachsungen  geübt. 

Ist  auf  diese  oder  jene  Weise  das  Operationsfeld  zugänglich  gemacht 
worden,  so  wird  die  Fistel  mittelst  SiMON'scher  Specula  und  Seitenhebel  ein- 
gestellt. Hierfür  speciell  eine  Körperlage  der  Patientin  zu  empfehlen,  ist  nicht 
richtig.  In  der  Kegel  wird  die  Steissrückenlage  die  Operation  ermöglichen. 
Wohl  aber  kommen  Fälle  vor,  in  denen  die  Fistel  in  Knieellenbogen-  oder 
Seitenlage  der  Patientin  dem  Auge  besser  sichtbar  gemacht  werden  kann. 
Auch  das  Hinabziehen  der  Portio  vaginalis  mittelst  eines  durch  sie  gelegten 
Zügels  oder  einer  Kugelzange  empfiehlt  sich  unter  Umständen  zu  diesem 
Zweck.  Die  Anfrischung  der  Fistel  erleichtert  man  sich  durch  Anspannung 
des  sie  umgebenden  Gewebes  mittelst  scharfer  Häkchen  oder  durch  Entgegen- 
drücken  mittelst  eines  dicken  in  die  Blase  eingeführten  Katheters.  Man  be- 
dient sich  langgestielter,  schmaler,  spitzer  Messer.  Manche  Gynäkologen 
verwenden   über   die  Kante   gebogene,  nach  rechts  oder  links  schneidende. 

Die  Art  der  Anfrischung  kann  nicht  für  alle  Fälle  dieselbe  sein.  Sie 
muss  sich  den  Verhältnissen  anpassen.  Im  Allgemeinen  hat  sie  nicht  zu 
schmale  Wundflächen  zu  schaffen,  welche  sich  ohne  wesentliche  Spannung 
vereinigen  lassen.  In  einfachen  Fällen  genügt  eine  je  nachdem  steile  oder 
mehr  flache  Umschneidung  der  Fistel  in  der  Art,  dass  das  Messer  circa  Vs  «^'^ 
vom  Fistelrand  schräg  eingestochen  an  der  Grenze  der  Blasenschleimhaut 
wieder  erscheint.  Ein  Anschneiden  der  letzteren  vermeide  man,  da  es  zu  sehr 
störenden  Blutungen  in  die  Blase  führen  kann. 

In  jüngster  Zeit  ist  die  bei  plastischen  gynäkologischen  Operationen 
jetzt  viel  benützte  Lappenbildung,  besonders  von  Fritsch  auch  für  die 
Schliessung  von  kleineren  Blasenscheidenfisteln  empfohlen  worden.  Es  wird 
ein  Längsschnitt  über  die  Fistel  geführt,  die  Ränder  desselben  nach  beiden 
Seiten  unterminirt  und  die  so  geschaffenen  Lappen  vereinigt.  Auch  für  solche 
Fälle  eignet  sich  die  FßiTScn'sche  Methode,  in  welchen  der  eine  Rand  der 
Fistel  an  dem  Knochen  festsitzt.  Dieser  wird  gewöhnlich  angefrischt.  An 
dem  beweglichen,  beziehungsweise  dem,  welcher  sich  beweglich  machen 
lässt,  wird  in  der  angegebenen  Weise  ein  Lappen  gebildet.  Letzterer  muss  so 
gross  sein,  dass  er  sich  leicht  über  den  Defect  ziehen  und  annähen  lässt 
(Centralbl.  f.  Gyn.  1888,  pag.  805). 

Zuweilen  kann  bei  diesen  mit  den  Beckenknochen  verwachsenen  Fisteln 
eine  sofortige  Operation  von  der  Scheide  aus  unmöglich  sein.  Teendelenburg 
macht  dann  die  Sectio  alta  in  Beckenhochlagerung,  frischt  die  Fistel  von  der 
Blase  aus  an  und  näht  sie  derart,  dass  er  die  Fäden  nach  der  Scheide 
durchführt  und  dort  knotet. 

Fritsch  versucht  in  solchen  Fällen  die  Blase  zwar  von  oben  her  vom 
Knochen  abzulösen,  näht  aber  nicht  von  der  Blase  aus,  sondern  hält  letztere 
durch  feste  Jodoformgazetamponade  nach  unten  gedrückt  und  schliesst  nun 
die  Fistel  doch  von  der  Vagina  her. 


*)  Siehe  die  diesbezüglichen  Abbildungen  im  Artikel  „Instrumentarium  in  der  Gynae- 
Jcölogie.^'- 


IIARNFISTELN.  343 

Bei  Blasencervixfisteln  zieht  man  die  Portio  stark  nach  unten,  spaltet 
sie  seitlich  und  klappt  die  vordere  Lippe  nach  oben.  Kleinere  lassen  sich  in 
der  Eegel  leicht  schliessen,  da  der  Cervix  eine  tiefe  Anfrischung  und  feste 
Naht  gestattet.  Walcher  empfiehlt  die  Loslösung  der  Blase  vom  Cervix,  wie 
sie  bei  der  vaginalen  Totalexstirpation  geübt  wird.  Bei  sehr  grossen  Blasen- 
cervixfisteln  muss  man  auf  einen  directen  Verschluss  verzichten.  Man  frischt 
den  Muttermund  an  und  vernäht  diesen.  Das  Menstrualblut  wird  dann  durch 
die  Blase  ausgeschieden. 

Als  Nahtmaterial  wird  Seide,  Silkwormgut,  Catgut,  Silberdraht  ver- 
wendet. Das  eine  oder  das  andere  zu  benützen,  ist  Geschmackssache.  Die  mei- 
sten Gynäkologen  sind  wieder  zur  Seide  zurückgekehrt.  Die  Nähte  werden  in 
Zwischenräumen  von  circa  V2  ^'^  angelegt.  Es  ist  darauf  zu  achten,  dass  sie 
genügend  Gewebe  fassen,  um  ein  Durchschneiden  zu  verhüten.  Die  Blasen- 
schleimhaut vermeidet  man,  führt  aber  die  Nadel  dicht  über  ihr  hin. 
Nachdem  alle  Nähte  gelegt  sind  —  und  zwar  lege  man  nicht  zu  viel  — 
werden  sie  von  der  Mitte  her  nach  den  Seiten  unter  genauer  Anpassung  der 
Wundränder  geknüpft,  wobei  man  sich  hüten  muss,  sie  zu  fest  anzuziehen. 
Klaffen  die  Wundränder  noch  an  einer  Stelle,  so  werden  sie  durch  feine, 
oberflächliche  Nähte  geschlossen.  Schliesslich  wird  die  Nahtlinie  mit  Jodoform 
oder  Dermatol  bepudert  und  in  die  Scheide  ein  Jodoformgazestreifen  gelegt. 

Die  Nachbehandlung  wird  verschieden  gehandhabt.  Während  manche 
Gynäkologen  die  Patientin  von  vornherein  den  Harn  spontan  entleeren  lassen, 
drainiren  andere  die  Blase  während  der  ersten  Tage;  noch  andere  lassen  den 
Urin  regelmässig  mittelst  des  Katheters  entleeren.  Dass  alle  über  gute 
Eesultate  berichten,  ist  ein  Beweis  dafür,  dass  es  nicht  von  wesentlicher  Be- 
deutung ist,  wie  man  in  dieser  Beziehung  verfährt.  —  Die  Blasenblutungen 
versuche  man  durch  Auflegen  einer  Eisblase  auf  die  Blasengegend  und  subcu- 
tane Ergotininjection  zum  Stillstand  zu  bringen.  Bleibt  dies  erfolglos,  so  kann 
Jodoformgazetamponade  der  Blase  von  der  Urethra  aus  zum  Ziel  führen.  Wenn 
nicht,  bleibt  nur  die  Eröffnung  der  Blase  und  Tamponade  von  der  Fistel 
selbst  aus  übrig. 

Die  Patientin  lässt  man  8  Tage  das  Bett  hüten.  Die  Nähte  werden  am 
achten  Tage  unter  Vermeidung  irgend  erheblicher  Spannung  der  frischen 
Narbe  vorsichtig  entfernt.  Ist  eine  kleine  Fistel  zurückgeblieben,  so  warte 
man  einige  Wochen,  ehe  man  zu  einer  zweiten  Operation  schreitet,  da  sehr 
häufig  noch  spontane  Heilung  eintritt. 

Früher  kam  es  nicht  allzu  selten  vor,  dass  man  sehr  grosse  Blasen- 
scheidenfisteln  (besonders  bei  totalem  Verlust  der  Harnröhre)  nicht  zum  Ver- 
schluss brachte.  Man  nahm  dann  zu  der  Kolpokleisis  seine  Zuflucht,  indem 
unterhalb  der  Fistel  ein  Ring  in  der  Scheide  angefrischt  und  dann  vereinigt 
wurde.  Der  augenblickliche  Erfolg  ist  meist  ein  zufriedenstellender.  Nach 
nicht  allzulanger  Zeit  kommt  es  aber  zu  sehr  lästigen  Störungen  durch  Harn- 
stauung in  der  von  der  Scheide  gebildeten  Kloake,  durch  Steinbildung,  Blasen- 
und  Nierenbeckenkatarrh.  Man  sollte  daher  die  Kolpokleisis  nur  in  den  ver- 
zweifelten Fällen  machen,  in  welchen  die  ganze  Harnröhre  zerstört  ist.  Hier 
lege  man  aber  zuvor  eine  Kectovaginalfistel  an,  so  dass  der  Urin  per  anum 
entleert  werden  kann. 

Grosse  Schwierigkeiten  bereiten  auch  die  Hariüeiterscheidenfistelii 
dem  Operateur.  In  der  Kegel  ist  das  Blasenende  des  durchtrennten  Ureters 
verschlossen,  so  dass  eine  Vereinigung  desselben  mit  dem  oberen  nicht  mög- 
lich ist.  Man  ist  gezwungen,  zunächst  eine  Blasenscheidenfistel  anzulegen,  dann 
von  der  Blase  aus  einen  Ureterenkatheter  in  das  offene  Ende  des  Harnleiters 
zu  führen  und  über  demselben  die  Schleimhaut  etwas  anzufrischen  und  dann 
zu  vereinigen.     Gelingt  dies  nicht  oder  handelt  es  sich  um   eine   Harnleiter- 


344  HEBAMMENWESEN. 

cervixfistel,  so  bleibt  nur  die  Exstirpation  der  entsprechenden  Niere  übrig,  um 
die  Kranken  von  ihren  qualvollen  Leiden  zu  befreien. 

Mackenrodt  hat  neuester  Zeit  eine  Operationsmethode  für  Harnlei tersc beide n- 
Tind  Harnleitergebärmutterfisteln  angegeben,  welche  sich  bei  zwei  der  ersteren  und 
einer  der  letzteren  bestens  bewährt  hat.  Handelt  es  sich  um  eine  üretergebärmutterfistel, 
so  wird  diese  diirch  lippenförmiges  Einnähen  des  aus  dem  Uterus  losgelösten  Harnleiters 
in  die  Scheide  in  eine  Harnleiterscheidenfistel  iimgewandelt  (eventuell  nach  vaginaler 
Totalexstirpation  des  Uterus).  Letzterer  wird  dann  durch  Implantation  in  eine  künst- 
lich angelegte  Blasenscheidenfistel  geheilt.  Graefe. 

Hebammenwesen,  a)  in  Oesterreich.  Der  Unterricht  der  Hebammen 
wird  in  den  im  Keichsrathe  vertretenen  Ländern  in  dreifacher  Weise  besorgt, 
nämlich  in  Universitätsstädten  mit  besonderen  Professoren  für  Mediciner  und 
Hebammenschülerinnen,  wie  in  Wien  und  Prag,  ferner  in  Universitätsstädten 
mit  demselben  Vorstand  sowohl  für  die  Mediciner  als  auch  für  die  Hebam- 
menschülerinnen, wie  in  Krakau,  Graz  und  Innsbruck,  endlich  in  Städten,  wo 
sich  keine  Universität  befindet,  so  in  Salzburg,  Olmütz,  Lemberg,  Linz, 
Laibach,  Klagenfurt,  Triest,  Zara,  Czernowitz  und  Brunn. 

In  Betreff  der  Erfordernisse,  hinsichtlich  des  Bildungsgrades  und  Civil- 
standes  der  Aufnahmsbewerberinnen  und  des  Alters  hat  zu  gelten,  dass  ledige, 
verheiratete  und  verwitwete  Frauenspersonen  zum  Hebammen-Unterrichte 
und  sohin  auch  zur  Hebammenpraxis  zugelassen  werden.  Sie  dürfen  jedoch 
das  45.  Lebensjahr  nicht  überschritten  und  sollen,  wenn  sie  ledigen  Standes 
sind,  das  24.  Lebensjahr  vollendet  haben.  In  Ausnahmsfällen  bewilligt  das 
Ministerium  für  Cultus  und  Unterricht  über  Antrag  der  Lehrbehörde  auch 
jüngeren,  jedoch  nicht  unter  dem  20.  Lebensjahre  stehenden  ledigen  Frauens- 
personen, die  Aufnahme  in  die  Hebammenschule. 

Frauenspersonen,  welche  an  einer  österreichischen  Hebammenschule  Auf- 
nahme finden  wollen,  haben  sich  in  der  Regel  vor  dem  Professor  einer  Auf- 
nahmsprüfung zu  unterziehen.  Bei  dieser  Prüfung  haben  sie  nachzuweisen, 
dass  sie  die  Landessprache  correct  lesen  und  schreiben  können  und  mit  den 
Piechnungselementen  vertraut  sind.  Der  Professor  hat  darauf  zu  sehen,  dass 
die  Aufnahmsbewerberinnen  nicht  mit  entstellenden  Gebrechen  behaftet  sind, 
weder  an  Krebs,  noch  an  Syphilis  leiden,  keine  Narben  oder  Verstümmelungen 
an  den  Fingern  aufweisen  und  nicht  schwanger  sind. 

Die  Aufnahmsprüfungen  finden  vom  1.  bis  8.  October  für  das  Wintersemester,  vom 
1.  bis  8.  März  für  das  Sommersemester  statt.  Später  sich  Meldende  sollen  zur  Ablegung 
der  Aufnahmsprüfung  nicht  mehr  zugelassen  werden.  Die  zur  Aufnahme  sich  Meldenden 
haben  den  Tauf-  oder  Geburtsschein,  beziehungsweise  den  Trauungs-,  Witwen-  oder  den 
Todtenschein  ihres  Gatten,  und  ein  von  der  Behörde  bestätigtes  Moralitätszeugnis  vor- 
zulegen. 

Die  Ertheilung  des  Hebammen-Unterrichtes  und  die  Bestreitung  der 
Mittel  für  denselben  wird  als  eine  Aufgabe  der  obersten  Unterrichtsbehörde 
betrachtet  und  wird  von  eigenen  für  dieses  Lehrfach  ernannten  Professoren 
ertheilt,  denen  als  Hilfspersonen  noch  ein  oder  mehrere  Assistenten  und  eine 
oder  mehrere  geprüfte  Schulhebammen  beigegeben  sind..  Die  Kosten  des 
Hilfspersonales  werden  gleichfalls  vom  Staats- Aerar  getragen.  Uebrigens  leistet 
der  Staat  den  Hebammenschülerinnen  noch  viele  andere  Unterstützungen  unter  dem 
Titel  von  Stipendien,  Reise-,  Sustentations-,  Miethzins-  und  Diploms-Auslagen. 
Um  die  Frauen  auf  dem  flachen  Lande  zum  Hebammenstudium  zu  er- 
muntern, werden  auch  aus  Landes-  und  Gemeindemitteln  Stipendien  und 
Unterstützungen,  Weggelder,  zumeist  unter  der  Bedingung  gewährt,  nach  er- 
langter Concession  sich  in  bestimmten  Orten  als  Hebammen  niederzulassen. 
Der  Hebammen-Unterricht  wird  theoretisch  und  praktisch  von  dem 
Professor,  den  Assistenten  und  Schulhebammen  ertheilt.  Der  Professor  hält 
den  Schülerinnen  systematische  Vorträge,    täglich  eine  Stunde   unentgeltlich. 


HEBAMMEN  WESEN.  345 

Hiebei  wird  zuerst  die  Anatomie  des  menschlidien  Körpers,  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  Aveiblichen  Gesclilechtsorgane  und  des  licsckens  belianrlelt 
und  sonach  zu  den  Vorträgen  über  Schwangerschaft,  rcgelrriiissige  Geburt, 
Wochenbett  und  zuletzt  zu  den  regelwidrigen  Verhältnissen  übergegangen. 
Die  Schülerinnen  sind  mit  den  Anschauungen  über  Desinfection  in  einer  ihrem 
Verständnisse  angepassten  Weise  bekannt  zu  machen  und  von  Fall  zu  Fall 
mit  den  von  der  obersten  Sanitätsbehörde  zur  Sicherung  der  Pflegebefohlenen 
erlassenen  Vorschriften  {Instruction  für  die  Hebammen)  vertraut  zu  machen. 
Sie  sind  auch  zu  belehren  wie  die  Mischung  der  vorgeschriebenen  Desinfections- 
mittel  zu  erfolgen  hat,  ebenso  wie  das  Thermometer  bei  Gesunden  oder  Kranken 
in  Anwendung  zu  kommen  hat.  Die  Vorlesungen  sind  mit  Demonstrationen 
an  Wandtafeln,  an  Alkohol-  und  trockenen  Präparaten  (Becken  etc.)  verbunden. 
Bei  den  Vorträgen  über  die  regelwidrigen  Vorgänge  werden  auch  die  Schü- 
lerinnen mit  den  in  der  Instruction  für  Hebammen  vorgesehenen  Paragraphen 
bekannt  gemacht,  damit  sie  beurtheilen  lernen,  unter  welchen  Verhältnissen 
und  zu  welcher  Zeit  sie  verpflichtet  sind  den  Arzt  rufen  zu  lassen  und  welche 
Vorsichtsmaassregeln  sie  zur  Verhütung  und  Weiterverbreitung  des  Kindbett- 
fiebers zu  beobachten  haben. 

Die  Assistenten  halten  Wiederhol ungscurse,  in  welchen  der  jedesmalige 
Vortrag  des  Professors  nochmals  durchgenommen  wird. 

Die  Schülerinnen  haben  den  Professor  und  die  Assistenten  vom  Dienst 
bei  ihren  Visiten  auf  den  Wochenzimmern  zu  begleiten.  Hiebei  werden  die  ein- 
zelnen Wöchnerinnen  gezeigt  und  jene  Fälle  erklärt,  in  welchen  die  Hebamme 
wegen  Erkrankungen  die  Hilfe  eines  Arztes  in  Anspruch  zu  nehmen  ver- 
pflichtet ist. 

Jede  Schülerin  hat  eine  gewisse  Anzahl  von  Geburten  in  Gegenwart  des 
Professors,  des  Assistenten  oder  der  Schulhebamme  zu  leiten  und  die  entspre; 
chende  Hilfeleistung  vorzunehmen.  Geübtere  dürfen  in  bestimmten,  jedoch 
stets  nur  in  regelmässigen  Fällen  selbständig  handeln.  Instrumental-Opera- 
tionen dürfen  die  Hebammen  in  den  im  Reichsrathe  vertretenen  Königreichen 
und  Ländern  unter  keiner  Bedingung  vornehmen  und  Hilfe  nur  in  gewissen 
Fällen  in  der  äussersten  Nothlage  und,  wenn  kein  Arzt  zu  haben  ist,  unter  den 
vom  Professor  genau  zu  bezeichnenden  Umständen  leisten,  womit  die  Schü- 
lerinnen während  des  Lehrcurses  bekannt  zu  machen  sind. 

Der  Hebammen-Lehrcurs  dauert  in  der  Regel  fünf  Monate,  ausnahmsweise  beträgt 
die  Dauer  des  Lehrcurses  für  Hebammenschülerinnen  in  Krakau  10  Monate.  Während 
dieser  Zeit  müssen  die  Schülerinnen  nach  bestimmten  Gruppen,  je  durch  eine  Woche  ab- 
wechselnd in  der  Gebäranstalt  wohnen  ;  nur  in  Salzburg,  woselbst  sich  keine  Gebäranstalt 
befindet,  wird  der  Unterricht  ambulatorisch  ertheilt,  wofür  die  Wöchnerinnen,  in  deren 
Wohnung  einer  Anzahl  von  Schülerinnen  die  Unterweisungen  gegeben  werden,  eine  be- 
stimmte Entlohnung  erhalten.  Während  des  Gruppendienstes  in  der  Gebäranstalt  müssen 
die  Schülerinnen  alle  denselben  aufgetragenen  Verrichtungen  unweigerlich  und  genau  aus- 
führen.    Die  Curse  werden  nur  innerhalb  des  Winter-  oder  Sommersemesters  abgehalten. 

Nach  vollendetem  Curse  haben  sich  die  Schülerinnen  einer  Vorprüfung 
(Semestral-Prüfung)  beim  Professor  zu  unterziehen.  Haben  sie  darüber  ein 
Zeugnis  mit  genügendem  Erfolge  erhalten,  so  müssen  sie  die  strenge  Prüfung 
(Rigorosum)  zur  Erlangung  des  Hebammen-Diplomes  ablegen.  Die  strenge 
Prüfung  wird  in  Gegenwart  einer  Regierungs-Commission,  bestehend  aus  dem 
(Decan)  Director,  dem  Regierungs-Commissär  und  dem  Professor  vorgenommen. 
Die  strenge  Prüfung  ist  zur  Erlangung  des  Diplomes  und  letzteres  zur  Er- 
langung der  behördlichen  Bewilligung  für  die  Hebammenpraxis  unbedingt 
nothwendig. 

Für  die  strenge  Prüfung,  die  Angelobuug  und  Ausfertigung  des  Diplomes  ist  zu  ent- 
richten: Für  den  Vorsitzenden  4  fl  72^/2  kr.,  für  die  Abnahme  der  Angelobung  4  fi.  20  kr., 
für  den  Fachprofessor  4  fl.  72^2  kr.,  für  den  Beisitzer  als  Eegierungscommissär  4  fl.  72'/2  kr, 
für  Kanzleierfordernisse  und  Diplom  9  fl.  80^2  kr.,  daher  in  Summa  28  fl.  18  kr. 


3-16  HEBAMMEN  WESEN. 

< 
Bei  der  strengen  Prüfung  werden  die  Antworten  der  Candidatinnen  mit 
den  Calcülen  „ausgezeichnet,"  ;,genügend"  und  „ungenügend"  classificirt. 
Solche,  welche  durch  Mehrheit  der  Stimmen  den  Calcül  „ungenügend"  erhalten 
haben,  können  über  Beschluss  der  Prüfungs-Commission  verhalten  werden, 
einen  Curs  zu  wiederholen.  Candidatinnen,  welche  nur  von  einem  Prüfer 
„ungenügend"  erhalten  haben,  sollen  verhalten  werden,  ein  oder  mehrere 
Monate  an  der  Hebammen-Lehranstalt  dem  Unterrichte  beizuwohnen.  Candi- 
datinnen, welche  bei  der  strengen  Prüfung  wegen  ungenügenden  Erfolges 
zurückgewiesen  wurden,  dürfen  zu  keiner  neuen  Taxentrichtung  herangezogen 
werden.  Stipendistinnen  sind  mit  Ausnahme  der  Leistung  für  das  Diplom  von 
der  Entrichtung  der  Prüfungstaxen  befreit. 

Nach  bestandener  Prüfung  haben  die  Geprüften  die  Angelobung  in  die  Hände  des 
Vorsitzenden  der  Prüfungscommission  zu  leisten.  Der  Hebamme  ist  nachstehende  „Ange- 
lobungsformel  für  Hebammen"  vorzulesen.  „Sie  werden  geloben,  dass  sie  den  Schwangeren, 
Gebärenden  und  Wöchnerinnen,  zu  welchen  Sie  zur  Hilfeleistung  berufen  werden,  und  zwar 
den  armen  ebenso  gut  wie  den  reichen,  mit  Ihrer  erlernten  Kunst  willfährig  beistehen 
werden,  und  dass  Sie  hiebei  alle  Pflichten,  welche  einer  Hebamme  durch  die  Gesetze  und 
Verordnungen  durch  die  besondere  Instruction  vorgeschrieben  sind,  treu  und  gewissenhaft 
erfüllen  werden." 

Hierauf  hat  die  Angelobende  nachzusprechen:  „Was  mir  soeben  vorgelesen  wurde, 
habe  ich  deuthch  verstanden  und  ich  gelobe  es  zu  halten."     (Folgt  der  Handschlag.) 

Diploms- Formular:     Die    medicin.    Facultät    in —    die   Direction    der 

k.  k.    Hebammen-Lehranstalt    in bezeuget,    dass    Frau geb.    N.  N.    aus 

nach  vorschriftsmässig  zurückgelegten  Studien  am . . .  18. . .  sich  der  strengen  Prüfung  aus 
der  Geburtshilfe  unterzogen  und  dabei  solche  Beweise  erworbener  Geschicklichkeit  darge- 
legt hat,  dass  sie  als  eine  taugliche  und  erfahrene  Hebamme  anerkannt  und  ihr  hiemit 
kraft  der  der  Facultät  —  der  Hebammen  Lehranstalt  —  übertragenen  Berechtigung  die 
Befugnis  ertheilt  wird,  die  geburtshilfliche  Praxis  in  allen  Kronländern  des  österreichischen 
Kaiserstaates  auszuüben.  Bei  Uebergabe  dieser  Urkunde  wurde  dieselbe  mittelst  des  in  die 
Hände  des  Decans  —  des  Directors  —  abgelegten  Gelöbnisses  verpflichtet,  bei  Ausübung  ihrer 
geburtshilflichen  Praxis  sich  strenge  nach  den  bestehenden  Vorschriften  und  insbesondere 
nach  der  ihr  vorgelesenen  und  eingehändigten  Instruction  zu  benehmen. 

Vom  Decanate  der  medic.  Facultät  —  von  der  Direction  der  k  k.  Hebammen-Lehr- 
anstalt.   Ort  der  Ausstellung.  Datum.    N.  N.  Decan  —  Director  N.  N.,  Fachprofessor. 

Eigenhändige  Unterschrift  der  Hebamme,     (s^) 

Bei  der  Uebergabe  des  Diplomes  wird  die  in  der  üblichen  Landessprache  abgefasste 
Instruction  eingehändigt  und  deren  Empfang  durch  die  eigenhändige  Unterschrift  der  He- 
bamme bestätiget. 

Für  die  Ertheilung  der  Licenz  und  die  Registrirung  derselben  ist  an 
die  competente  Behörde  keine  besondere  Taxe  zu  entrichten.  Die  Licenz 
besteht  in  der  einfachen  amtlichen  Bestätigung  der  erstatteten  Anzeige  von 
der  Ausübung  der  Praxis. 

Die  Hebammen  stehen  unter  fortwährender  Aufsicht  der  Sanitäts-  und 
politischen  Behörde.  Bei  Vergehungen  derselben  gegen  die  besonderen  Pflichten 
ihres  Berufes  treten  die  im  Strafgesetze  vorgesehenen  Strafen  ein.  (§§.  358, 
359,  498  des  Allg.  St.-G.  vom  27.  Mai  1852,  R.-G.-Bl.  Nr.  111.) 

Der  Verlust  des  Diplomes  wird  im  Sinne  des  §.26  des  Strafgesetzes 
und  §.  242  des  Strafgesetzes  bei  Verbrechen  und  Vergehen  vom  dem  Straf- 
richter, der  Verlust  der  Berechtigung  zur  Ausübung  der  Praxis  in  Fällen,  wo 
eine  Hebamme  die  erforderliche  Verlässlichkeit  und  Vertrauenswürdigkeit  ver- 
wirkt hat,  von  der  politischen  Behörde  (Bezirkshauptmannschaft,  Statthalterei) 
ausgesprochen.  Mindere  Strafen,  hauptsächlich  Geldstrafen,  werden  gegen 
Hebammen  von  den  politischen  Behörden  nach  der  Verordnung  vom  20.  April 
1854,  R.-G.-Bl.  pro  96  und  der  Ministerial-Verordnung  vom  30.  September 
1857,  R.-G.-Bl.  pro  198  verhängt. 

Gegen  die  Concurrenz  nicht  befugter  Hebammen  sind  die  autorisirten  Hebammen 
durch  die  Verordnung  des  Ministeriums  des  Innern  vom  6.  März  185-i,  R.-G.-Bl.  Nr.  57, 
geschützt. 

Frauenspersonen,  welche  die  Befähigung  zur  Ausübung 
der  Hebammenkunst  in  den  im  Reichsrathe  vertretenen  König- 


HEBAMMENWESEN.  347 

reichen  und  Ländern  erworben  haben  und  daselbst  ihren  Beruf 
ausüben  wollen,  haben  hieb  ei  i'ol^'cndcn  Vorsdiriften  zu  genügen. 

Die  Hebammen  unterstehen  der  politischen  Behörde  I.  Instanz  (der  k.  k. 
Bezirkshauptmannschaft  oder  der  mit  den  Geschäften  der  politischen  Bezirks- 
behörde betrauten  Gemeindebehörde,  Magistrate,  Bürgermeisteramt),  beziehungs- 
weise dem  Amtsarzte  derselben.  Sie  haben  den  dienstlichen  Weisungen 
derselben  jederzeit  pünktlich  zu  entsprechen,  die  ämtlich  verlangten  Auskünfte 
wahrheitsgemäss  zu  ertheilen,  sich  über  alle  ihren  Beruf  betreffenden  Vor- 
schriften stets  in  genauer  Kenntnis  zu  erhalten,  auf  die  Erhaltung  und  Vervoll- 
kommnung ihrer  Kenntnisse  und  Fertigkeiten  Bedacht  zu  sein  und  nach 
Maassgabe  der  behördlichen  Anordnungen  sich  an  den  für  dieselben  errichteten 
Fortbildungscursen  zu  betheiligen.  Die  Hebammen  haben  bei  dieser  Behörde 
den  Ort,  wo  sie  ihre  Praxis  ausüben  wollen,  anzuzeigen,  sich  hierauf  dem 
Amtsarzte  vorzustellen  und  demselben  die  vorgeschriebenen  Instrumente  und 
Geräthschaften  vorzuweisen. 

Unter  Vorzeigung  der  amtlichen  Bestätigung  ihrer  erstatteten  Anzeige 
haben  sich  dieselben  bei  dem  Gemeindevorstande  ihres  Wohnortes,  beziehungs- 
weise bei  der  Orts-Polizeibehörde  zu  melden  und  ihre  Wohnung,  die  jederzeit 
mit  einem  Schilde  am  Hause  ersichtlich  zu  machen  ist,  anzuzeigen,  ebenso 
ist  auch  jeder  Wohnungswechsel  zur  Anzeige  zu  bringen.  Andere  Ankündi- 
gungen als  die  des  Wohnungswechsels  in  öffentlichen  Blättern  können  nur  mit 
behördlicher  Bewilligung  erfolgen.  Hebammen  dürfen  sich  keines  anderen  als 
des  Titels  „Hebamme"  bedienen. 

Die  verscliiedeiien  Gegenstände,  welche  jede  Hebamme  in  einem  zweck- 
mässigen, leicht  zu  reinigenden,  verschliessbar en  Behältnisse  verwahrt, 
zu  jeder  Geburt  mitzunehmen  hat,  sind: 

1.  Eine  Spülkanne  —  Irrigator  —  mit  flachem  Boden  1  Liter  haltend,  aus  innen  und 
aussen  vernickeltem  Blech,  aus  Hartgummi  oder  Glas,  mit  passendem  Kautschuck- 
schlauch von  1 — 1'/2  Meter  Länge,  an  dessen  Ende  sich  ein  Bügelverschluss  mit  Spritzenansatz 
aus  Hartgummi  befindet;  der  Irrigator  soll  am  freien  Rande  mit  einem  Ringe  zur  Befestigung 
an  einem  Nagel  versehen  sein. 

2.  Zwei  vollkommen  unversehrte  Mutterrohre  aus  dickrandigem  Glas,  mit  glatter 
Oberfläche,  welche  durch  ein  Mittelstück  aus  Kautschuck  mit  dem  Spritzen-Ansatz  in  Ver- 
bindung gebracht  werden  können.  Das  eine  Rohr  soll  am  Knopfe  mehrere  Oeffnungen,  das 
andere  nur  eine  Oeffnung  besitzen. 

3.  Zwei  Afterröhrchen  aus  dickwandigem  Glas  oder  aus  Hartgummi,  mit  Olive  und 
gleichmässiger  Bohrung,  ein  etwas  grösseres  für  Erwachsene,  ein  kleineres  für  Kinder. 
Beide  sollen  an  der  Spitze  gut  abgerundet,  am  Ansatzstücke  mit  einer  scheibenförmigen 
Anschwellung  versehen  sein.  Beide  Afterrohre  sollen  einen  kurzen  Ansatzschlauch  besitzen, 
um  die  Verbindung  mit  dem  Spritzenansatze  des  Kautschuckschlauches  der  Spülkanne  her- 
stellen zu  können. 

4.  Ein  weiblicher,  stets  blanker  Katheter  aus  Neusilber.  Für  Hebammen,  welche  au 
der  Schule  mit  einem  Glaskatheter  umgehen  gelernt  haben,  ist  ein  solcher  aus  Glas  wegen 
der  leichteren  Reinhaltung  vorzuziehen.  Es  ist  darauf  zu  sehen,  dass  er  stets  vollkommen 
unversehrt,  glatt  und  mit  einem  gut  abgerundetem  Auge  versehen  sei. 

5.  Zwei  Drathbürstchen  zur  Reinigung  des  Mutterrohres  und  des  Katheters. 

6.  Eine  Nabelschnurscheere  mit  abgerundeten  Enden  und  ein  Vorrath  von  Nabel- 
schnurbändchen. 

7.  Eine  Nagelscheere  (Nagelzwicker). 

8.  Eine  Nagelfeile  aus  Metall,  an  einem  Ende  stumpf  lanzenförmig,  am  anderen  Ende 
breit  schaufeiförmig  endend,  um  als  Nagelputzer  gebraucht  werden  zu  können. 

9.  Eine  10  cm  lange  und  4:  cm  breite,  aus  Naturborsten  hergestellte  Nagelbürste. 

10.  Schmierseife  50  Gramm  gut  verwahrt  in  einer  Büchse. 

11.  150  Gramm,  krystallisirte,  durch  Zusatz  von  etwas  Wasser  zum  Zerfliessen  ge- 
brachte Carbolsäure  behufs  Herstellung  einer  Desinfectionsflüssigkeit,  wohlverstopft 
in  blauer  oder  schwarzer  Flasche,  welche  mit  dem  Giftzeichen  der  Apotheker  und  überdies 
mit  der  Aufschrift  „Starke  Carbolsäure",  ^giftig"  versehen  sein  und  in  dieser  Ausstattung 
aus  der  Apotheke  bezogen  werden  muss.  Statt  der  Carbolsäure  darf  die  Hebamme  mit- 
führen: 100  Gramm  Lysol,  oder  50  Gramm  Kresol. 

12.  Ein  Messglas,  50  Gramm  haltend,  mit  eingeäzten  Maasstrichen,  welche  den  Inhalt 
von  30,  20  und  10  Gramm  angeben,  zur  Abmessung  der  flüssigen  Carbolsäure,  des  Lysols 
oder  Kresols. 


348  HEBAMMENWESEN. 

13.  50  Gramm  Vaseline  oder  Lanolin. 

14.  25  Gramm  Aetherweingeist  (Hoffmannsgeist). 

15.  25  Gramm  Zimmttinctnr. 

16.  Ein  Bade-  und  Körperthermometer  nach  Celsius. 

Vaseline,  Aetherweingeist  und  Zimmttinctur  sind  in  Gläsern  mit  eingeriebenem 
Stöpsel  vorräthig  zu  halten,  das  für  Vaseline  oder  Lanolin  bestimmte  Glas  soll  einen 
weiten  Hals   besitzen,  alle  Gläser  aber  sollen  eine  lesbare  Aufschrift  haben. 

17.  10  Gramm  übermangansaures  Kali. 

18.  100  Gramm  Bruns'sche  Verbandwatte  in  Wachspapier  gut  aufbewahrt. 

19.  Ein  Stück  Billroth-Battist,  1  Meter  im  Geviert. 

20.  Eine  frisch  gewaschene  weisse  Schürze  oder  eine  Latzschürze  aus  Kautschuck  oder 
Billroth-Battist,  gross  genug,  um  die  ganze  Vorderseite  des  Kleides  zu  bedecken. 

21.  Ein  gebundenes  Tagebuch  in  kleinem  Octavformat  mit  dazu  passendem  Bleistift, 
numerirter  Seitenzahl  und  Rubriken,  in  welches  die  Hebamme  die  Begebenheiten  vor, 
während  und  nach  der  Geburt  einzutragen  und  zu  Hause  angelangt,  hienach  die  vor- 
geschriebenen Geburtstabellen  gewissenhaft  auszufüllen  hat. 

22.  Das  Lehrbuch  der  Geburtshilfe  für  Hebammen,  welches  ihr  beim  Unterrichte  in 
der  Schule  als  Leitfaden  diente,  um  sich  darin  Raths  holen  zu  können. 

Hinsichtlich  der  Verwendung  von  Geräthschaften  für  die  Hebammen- 
praxis von  anderer  als  der  vorgezeichneten  Beschaffenheit  sowohl  beim  Unter- 
richte der  Hebammen  in  den  Hebammenschiüen  als  auch  in  der  Hebammen- 
praxis ist  die  Genehmigung  des  Ministeriums  des  Innern  einzuholen.  Die 
aufgezählten  Gegenstände  hat  die  Hebamme  jederzeit  in  gutem  Zustande 
und  in  vollem  Ausmaasse  vorräthig  zu  halten  und  daher  für  den  recht- 
zeitigen Ersatz  des  Fehlenden  vorzusorgen.  Sie  darf  weder  einzelne  der 
angeführten  Gegenstände  noch  den  ganzen  Apparat  bei  den  Schwangeren, 
Gebärenden  oder  Wöchnerinnen  zurücklassen  oder  wegborgen. 

Alle  Geräthschaften  müssen  auch  in  der  Wohnung  der  Hebamme  in  dem 
Behälter  jederzeit  in  gutem  Stande  verwahrt  und  stets  derart  bereit  gehalten 
werden,  dass  die  Hebamme,  zu  einer  Geburt  gerufen,  nichts  vergesse  und 
auch  durch  das  Zusammensuchen  keine  Zeit  verliere. 

Eine  besondere  Aufmerksamkeit  hat  die  Hebamme  der  sicheren  Ver- 
wahrung der  concentrirten  Antiseptica  zuzuwenden.  Sie  darf  von  der  Car- 
bolsäure,  dem  Lysol  oder  Kresol  nur  in  der  Weise  Gebrauch  machen,  wie 
ihr  in  der  Belehrung  oder  vom  Arzte  aufgetragen  wurde.  Das  Behältnis  mit 
den  Geräthschaften  hat  die  Hebamme,  auch  wenn  sie  am  Fortbildungscurse 
theilnimmt,  mitzunehmen. 

Die  Hebammen  sollen  sich  eines  ehrbaren,  nüchternen  Lebenswandels 
befleissen  und  Gebärenden,  welche  ihre  Hilfe  in  Anspruch  nehmen,  ohne 
Unterschied  der  Lebensstellung  oder  Confession,  ob  arm  oder  reich,  ob  bei 
Tag  oder  Nacht,  mit  voller  Bereitwilligkeit  und  nach  bestem  Wissen  den 
nöthigen  Beistand  leisten. 

Die  Hebammen  haben  sich  stets  der  strengsten  Eeinlichkeit  zu  befleissen, 
und  die  Berührung  mit  Personen,  die  an  ansteckenden  Krankheiten  leiden, 
sowie  die  Verunreinigung  mit  Auswurfsstoffen  von  Kranken  und  mit  in  Zer- 
setzung oder  Fäulnis  befindlichen  Stoffen  zu  vermeiden,  damit  an  ihren 
Fingern,  Geräthschaften  oder  Kleidern  keine  schädlichen  Schmutztheilchen 
haften  bleiben,  die  gelegentlich  der  Untersuchungen  oder  Hilfeleistungen  in 
den  Körper  ihrer  Pflegebefohlenen  gerathen  und  dann  schwere  Infectionen 
erzeugen  können.  Aus  diesem  Grunde  werden  die  Hebammen  mit  Hinweis 
auf  die  Belehrung  aufs  Strengste  verpflichtet,  jedesmal  vor  Berührung  einer 
Pflegebefohlenen  ihre  Hände  und  Geräthe  mit  der  Desinfectionsflüssigkeit  aufs 
Gründlichste  zu  reinigen.  Hat  eine  derartige  bedenkliche  Verunreinigung 
des  Körpers  oder  der  Bekleidung  der  Hebamme  stattgefunden,  so  muss  die 
Desinfection  der  verunreinigten  Körperstellen  und  ihrer  Umgebung  in  gleicher 
Weise  wie  jene  der  Hände  vorgenommen,  die  Wäsche  und  waschbaren  Kleidungs- 
stücke müssen  durch  Auskochen  in  Laugenwasser,  die  nicht  waschbaren 
Kleidungsstücke  durch  Hitze    in   eigenen   Desinfectionsapparaten,    wo   solche 


HEBAMMENWESEN.  349 

zur  Verfügung  stehen,  sonst  aber  durch  Einlegen  in  37o  CarboUösung 
desinficirt  werden.  Insbesondere  muss  die  Hebamme  darauf  achten,  dass  die 
Schürze  nur  vollliommen  rein  und  sauber  in  Gebrauch  genommen  und  nach 
jeder  möglicherweise  stattgefundenen  Infection  desinficirt  werde.  Mit  der 
Pflege  von  an  ansteckenden  Krankheiten  leidenden  Personen  darf  sich  die 
Hebamme  gar  nicht,  mit  anderweitiger  Krankenpflege  nur  in  Fällen,  in  welchen 
es  vom  Arzte  nicht  verboten  wurde,  befassen.  Hat  die  Hebamme  eine 
Gebärende  in  Pflege  genommen,  so  darf  sie  sich  von  derselben  während  des 
Geburtsverlaufes  nicht  entfernen  und  muss  auch  nach  jeder  regelmässigen 
Geburt  mindestens  drei  Stunden  nach  dem  Abgange  der  Nachgeburt 
bei  der  Entbundenen  bleiben.  Mit  Ausnahme  des  zwingenden  Nothfalles, 
dass  eine  zweite  Hebamme  nicht  herbeigezogen  werden  kann,  ist  es  nicht  erlaubt, 
dass  eine  Hebamme  zwei  Gebärenden  zu  gleicher  Zeit  Beistand  leiste  und  ab- 
wechselnd von  der  einen  zur  anderen  gehe,  weil  aus  einem  derartigen  Vorgange 
grosse  Gefahr  für  die  eine  oder  für  beide  Gebärende  entstehen  könnte.  Dabei 
hat  immer  diejenige  Gebärende,  bei  der  die  Hebamme  die  Hilfeleistung  begonnen 
hat,  den  Vorzug  vor  der,  zu  welcher  sie  später  gerufen  wird,  die  erste  Frau 
mag  noch  so  arm,  die  zweite  auch  noch  so  reich  sein.  Die  Aussicht  auf 
Lohn  darf  die  Hebamme  nie  höher  stellen  als  die  Pflicht  und  Standesehre. 

Die  Hebammen  sollen  gegen  einander  sich  verträglich  und  friedlich 
benehmen,  nicht  sich  gegenseitig  verkleinern,  noch  durch  zudringliches  An- 
bieten ihrer  Dienste  oder  andere  unerlaubte  Mittel  einander  bei  den  Frauen 
zu  verdrängen  suchen.  Hat  eine  Hebamme  aushilfsweise  die  Dienstleistung 
einer  andern  übernommen,  so  ist  sie  verpflichtet,  der  letzteren  ihre  Stelle 
sogleich  wieder  einzuräumen,  sobald  diese  und  die  Hilfsbedürftige  es  wünschen. 

Bei  gefahrdrohenden  oder  regelwidrigen  Vorkommnissen,  mögen  dieselben 
Schwangere,  Gebärende  oder  Wöchnerinnen  oder  deren  ungeborene  oder  neu- 
geborene Kinder  betreffen,  ist  die  Hebamme  unter  schwerer  Verantwortung 
verpflichtet,  unverzüglich  die  Herbeirufung  eines  Arztes  zu  veranlassen,  (.s.  u.)  Sie 
hat  in  diesen  Fällen  stets  die  Ankunft  des  Arztes  abzuwarten,  bei  der  Pflege- 
befohlenen so  lange  zu  verweilen,  als  es  der  Arzt  für  nothwendig  erachtet, 
und  den  Weisungen  desselben  pünktlich  nachzukommen. 

Da  bei  Gebärenden  und  kurz  vorher  Entbundenen  plötzlich  ein  Zustand 
eintreten  kann,  in  welchem  sie  todt  zu  sein  scheinen,  regungslos  daliegen, 
ohne  zu  athmen,  sich  kühl  anfühlen  und  Herz-  und  Pulsschlag  sich  nicht 
mehr  wahrnehmen  lassen,  so  darf  die  Hebamme  einen  solchen  Zustand  nicht 
sofort  für  wirklichen  Tod  erklären,  sondern  muss  darauf  dringen,  dass  schleu- 
nigst der  Arzt  gerufen  werde.  Bis  zur  Ankunft  des  Arztes  lasse  sie  die 
scheinbar  Entseelte  mit  erhöhtem  Oberkörper  im  Bette  und  sorge  für  reine 
Luft  und  entsprechende  Zimmerwärme.  Weigern  sich  die  Angehörigen,  einen 
Arzt  rufen  zu  lassen,  so  hat  die  Hebamme  ungesäumt  dem  Ortsvorstande  von 
dem  Vorfalle  Anzeige  zu  erstatten. 

Es  ist  der  Hebamme  nicht  gestattet,  ohne  hiezu  erlaugte  behördliche 
Bewilligung,  Schwangere  oder  Gebärende  —  ausgenommen  im  unabweislichen, 
der  Ortsbehörde  stets  anzuzeigenden  Nothfalle  —  zur  Entbindung  in  ihre 
Wohnung  aufzunehmen.  Eine  solche  besondere  behördliche  Bewilligung  — 
Concession  —  kann  nur  unter  ganz  bestimmten  Voraussetzungen  ertheilt 
werden  und  hat  die  Nichterfüllung  der  vorgeschriebenen  Bedingungen  die 
Entziehung  der  Concession  zur  Folge.  Die  Ankündigung  derartiger  concessio- 
nirter  Entbindungsanstalten  in  öfientlichen  Blättern  darf  nur  in  unverfäng- 
licher Form  und  mit  behördlicher  Bewilligung  erfolgen. 

Befindet  sich  eine  an  Kindbettfieber  oder  an  folgenden  Ki'ankheiten  als : 
Blattern,  Scharlach,  Masern,  Kothlauf,  Bräune,  Fleck-  oder  ünterleibs-Tj-phus, 
Ruhr  oder  Keuchhusten  erkrankte  Person  in  der  Wohnung  der  Hebamme, 
oder  hat  die  Hebamme  eine  an  einer  solchen  Krankheit  Leidende  ausser  dem 


350  HEBAMMENWESEN. 

Hause  in  Pflege,  so  darf  sie  andere  Schwangere,  Gebärende  oder  Wöchne- 
rinnen nicht  besuchen  oder  pflegen,  so  lange  diese  Krankheit  dauert  und  die 
Infectionsgefahr  nicht  beseitigt  ist.  Diesen  Umstand  hat  sich  die  Hebamme 
vor  Wiederaufnahme  ihrer  Thätigkeit  von  dem  Arzte  bestätigen  zu  lassen, 
welcher  die  Durchführung  der  sanitären  Massnahmen  zur  Beseitigung  der 
Infectionsgefahr  zu  überwachen  hatte.  Nur  in  dringendem  Nothfalle  d.  h.  wenn 
eine  andere  Hebamme  nicht  zu  erlangen  ist,  darf  sie  unter  den  gedachten 
Umständen  ausnahmsweise  nach  sorgfältigst  vorgenommener  Desinfection  bei 
Kreissenden  und  Wöchnerinnen  die  verlangte  Hilfe  leisten. 

Es  ist  den  Hebammen  strengstens  verboten,  bei  Schwangeren,  Gebärenden 
und  Wöchnerinnen  oder  Kindern  ärztliche  Ordinationen  und  ohne  zwingende 
Noth  Verrichtungen  vorzunehmen,  deren  Vornahme  nur  dem  Arzte  zusteht. 
Auch  darf  die  Hebamme  keine  als  die  vorgeschriebenen  Instrumente  und 
Medicamente  in  ihrer  Behausung  vorräthig  halten. 

Die  Hebamme  ist  verpflichtet,  die  vorgeschriebenen  Vorkehrungen  gegen 
das  Auftreten  der  bösartigen  Augenentzündung  bei  neugeborenen  Kindern 
genau  zu  beobachten.  Da  dieselbe  durch  krankhafte  Ausflüsse  aus  den 
Geschlechtswegen  der  Gebärenden  verursacht  werden  kann,  hat  die  Hebamme, 
wenn  sie  einen  solchen  verdächtigen  Ausfluss  bei  der  Gebärenden  beobachtet, 
die  Herbeirufung  eines  Arztes  zu  veranlassen. 

Abgesehen  von  dieser  Verpflichtung,  ist  die  Hebamme  gehalten,  sogleich 
nach  der  Geburt  eines  jeden  Kindes  die  Umgebung  der  Augen  mit  einem 
Bäuschchen  reiner  Verbandwatte,  welches  früher  in  gekochtes  und  wieder  ab- 
gekühltes Wasser  getaucht  wurde,  das  Auge  von  Innen  nach  Aussen  zu  über- 
wischen. Zeigt  sich  jedoch  trotz  dieser  vorschriftsmässigen  Reinigung  ein 
Ausfluss  aus  der  Lidspalte  und  Schwellung  der  Augenlider,  so  ist  die  Heb- 
amme verpflichtet,  sofort  die  Herbeiziehung  des  Arztes  zu  veranlassen.  Die 
Hebamme  hat  zugleich  die  Wöchnerin  und  die  sie  umgebenden  Personen 
aufmerksam  zu  machen,  dass  das  erkrankte  Auge  des  Neugeborenen  nicht 
berührt  werden  dürfe,  weil  diese  Absonderung  sehr  ansteckend  ist  und  ins 
Auge  der  Mutter  oder  anderer  Personen  oder  auf  die  Schleimhäute  namentlich 
der  Geschlechtswege  gelangt,  gefährliche  Erkrankungen  hervorrufen  könnte. 
Daher  hat  auch  die  Hebamme  darauf  zu  achten,  dass  sie  nach  jedesmaliger 
Berührung  der  erkrankten  Augen  des  Kindes  stets  ihre  Hände  desinficire,  da  sie 
sonst  selbst  der  Gefahr,  angesteckt  zu  werden,  sich  aussetzen  würde  und  andere 
Pfleglinge  in  Gefahr  bringen  könnte.  Bis  zum  Eintreffen  des  Arztes  müssen 
die  Augen  mit  gekochtem  und  wieder  abgekühltem  Wasser  zeitweise  gereinigt 
werden.  In  der  Zwischenzeit  soll  das  erkrankte  Auge  mit  einem  in  reines 
Wasser  getauchten  Wattebäuschchen,  das  alle  5  Minuten  zu  wechseln  ist, 
bedeckt  werden.  Tritt  die  Erkrankung  nur  auf  einem  Auge  auf,  so  muss 
die  Hebamme  darauf  achten  und  die  betheiligten  Personen  auf  die  Vorsicht 
aufmerksam  machen,  dass  die  ansteckende  Absonderung  vom  kranken  Auge 
nicht  auf  das  gesunde  übertragen  werde.  Sollte  von  den  Angehörigen  des 
erkrankten  Kindes  kein  Arzt  gerufen  worden,  so  ist  die  Hebamme  verpflichtet, 
von  dieser  ansteckenden  Augenkrankheit  des  Kindes  die  Anzeige  bei  der  Orts- 
behörde ehestens  zu  erstatten. 

Bei  Kindern  von  lebensfähiger  Ausbildung,  welche  ohne  Lebenszeichen, 
aber  auch  ohne  offenbare  Zeichen  der  Fäulniss  geboren  sind,  oder  bei  welchen 
die  Lebensäusserungen  gleich  nach  der  Geburt  unerwartet  und  schnell  er- 
loschen wären,  haben  die  Hebammen  sogleich  die  gegen  den  Scheintod  gerich- 
teten Wiederbelebungsmittel  gemäss  den  ihnen  beim  Unterrichte  ertheilten 
Vorschriften  mit  Fleiss  und  Beharrlichkeit  anzuwenden  und,  wenn  ihre  Be- 
mühungen in  kurzer  Zeit  nicht  von  Erfolg  wären,  unverzüglich  die  Herbei- 
rufung des  Arztes  zu  veranlassen.  Bis  der  Arzt  kommt,  hat  die  Hebamme, 
so  lange  noch  Spuren  von  Lebenszeichen  (leise  hörbarer  oder  schwach  sieht- 


•HEBAMMEN  WESEN,  351 

barer  Herzschlag,  noch  nicht  geschwundene  Körperwärme  etc)  vorhanden  sind, 
die  Belebungsmittel  fortzusetzen  und  auch  nach  Wiederkehr  eines  deutlicheren 
Herzschlages  und  zeitweisen  Athembewegungen  darin  fortzufahren,  da  es  oft  erst 
nach  mehreren  Stunden  gelingt,  das  Kind  zu  regelmässiger  und  ausreichend 
tiefer  Athmung  zu  bringen.  Als  vollständig  wiederbelebt  darf  das  Kind  erst 
betrachtet  werden,  wenn  es  mit  lauter  Stimme  anhaltend  schreit.  Wird 
das  scheintodt  gewesene  Kind  früher  sich  selbst  überlassen,  so  verfällt  es  oft 
bald  wieder  in  den  früheren  Zustand. 

Da  der  Hebamme  häufig  schon  während  der  Geburt  durch  Behorchen 
der  kindlichen  Herztöne  die  dem  Kinde  drohende  Gefahr  bekannt  sein  muss, 
so  ist  sie  auch  in  der  Lage,  schon  rechtzeitig  einen  Arzt  zu  rufen  und 
soll  dies  auch  nach  gelungener  Wiederbelebung  des  Kindes  nicht  verabsäumen, 
da  solche  wiederbelebte  Kinder  dennoch  nach  wenigen  Stunden  sterben  können. 
Bei  den  Wiederbelebungsversuchen  darf  die  Hebamme  nie  unterlassen, 
ihre  Aufmerksamkeit  von  Zeit  zu  Zeit  auch  der  Entbundenen  zuzuwenden, 
damit  sie  nicht  von  einer  inneren  Gebärmutterblutung  überrascht  werde. 

Die  Hebamme  ist  verpflichtet,  über  jeden  Geburts-Fall  der  Ortsbehörde 
die  vorschriftsmässige  Anzeige  zu  erstatten.  Auch  sind  die  Hebammen  ver- 
pflichtet, jeden  zu  ihrer  Kenntnis  kommenden  Fall  einer  ohne  Beihilfe  einer 
geprüften  Hebamme  stattgefundenen  Geburt  sofort  der  Ortsbehörde  anzuzeigen. 
Die  Hebamme  hat  ferner  dafür  zu  sorgen,  dass  jede  Geburt  eines  Kindes, 
bei  welcher  sie  Hilfe  geleistet  hat,  behufs  Eintragung  in  die  Geburtsregister 
dem  Seelsorger  rechtzeitig  angezeigt  werde.  Bei  der  Geburt  eines  lebens- 
schwachen, scheintodten  oder  sonst  in  Lebensgefahr  schwebenden  Kindes  christ- 
licher Eltern  ist  die  Hebamme  verpflichtet,  auf  die  Nothwendigkeit  der  Noth- 
taufe  aufmerksam  zu  machen  und  kann  die  Nothtaufe  von  der  Hebamme  über 
Aufforderung  und  mit  Zustimmung  der  Eltern,  bei  einem  unehelichen  Kinde 
mit  Zustimmung  der  Mutter  vorgenommen  werden,  die  Hebamme  hat  dafür 
zu  sorgen,  dass  die  vollzogene  Nothtaufe  dem  zuständigen  Seelsorger  angezeigt 
werde.  Es  ist  aber  der  Hebamme  verboten,  das  Kind  einer  nicht  christlichen 
Mutter  ohne  Vorwissen  und  Einwilligung  der  Eltern,  beziehungsweise  ein 
uneheliches  Kind  ohne  Einwilligung  der  nicht  christlichen  Mutter  der  Noth- 
taufe zu  unterziehen.  Die  Hebamme  soll  erinnern,  dass  neugeborne  Kinder 
christlicher  Eltern  zur  gehörigen  Zeit  getauft  werden.  In  Fällen  jedoch,  wo 
Krankheitszustände  des  Kindes  die  Vornahme  der  Taufe  in  der  Kirche 
bedenklich  machen,  hat  die  Hebamme  die  Angehörigen  des  Täuflings  aufmerk- 
sam zu  machen  und  die  ärztliche  Entscheidung  zu  veranlassen.  Sie  ist  ver- 
pflichtet, dem  Seelsorger  oder  dem  mit  der  Führung  der  Geburtsbücher  sonst 
betrauten  Organe  über  Verlangen,  die  zur  Eintragung  in  die  Geburtsbücher 
erforderlichen  Daten  in  Betreff  der  Mutter,  deren  ledigen,  verheirateten  oder 
Witwenstand  bekannt  zu  geben.  Zu  diesem  Zwecke  hat  auch  die  Hebamme  bei 
der  ceremoniellen  Taufe  eines  Kindes  gegenwärtig  zu  sein. 

Der  Hebamme  obliegt  es  die  Veranstaltung  zu  treffen,  dass  jedes  todt- 
geborene  Kind  ohne  Rücksicht  auf  den  Grad  der  erreichten  körperlichen  Ent- 
wicklung, alle  abortirten  Eier,  auch  solche  ohne  Frucht  und  auch  blosse  Ei- 
theile,  sowie  Molen  der  vorschriftsmässigen  Leichenbeschau  unterzogen  werden, 
ohne  letzterer  dürfen  Früchte,  Eier  und  Molen  auch  an  Institute  nicht  ab- 
gegeben werden. 

Wird  eine  Hebamme  berufen,  um  einer  unerfahrenen  Frauensperson  wiegen 
Schmerzen  oder  Beschwerden  im  Unterleibe  Hilfe  zu  leisten,  so  hat  sie  die- 
selbe genau  zu  untersuchen  und,  wenn  sie  Kennzeichen  der  Schwangerschaft 
findet,  dies  derselben  mitzutheilen  und  sie  zu  ermahnen,  Sorge  zu  tragen,  dass 
dem  Gedeihen  der  Leibesfrucht  nicht  geschadet  werde.  Ist  jedoch  die  unter- 
suchte Person  schon  in  der  Geburt  begriffen,  so  hat  die  Hebamme  ihr  den 
nöthigen  Beistand  zu  leisten  und  im  Falle  einer  Erki'ankung  die  Beizi6hung 


352  HEBAMMENWESEN. 

eines  Arztes  zu  veranlassen.  Sie  ist  ferner  verpflichtet,  der  Ortspolizei- 
behörde unverzüglich  die  Anzeige  zu  machen,  wenn  sich  ihr  der  gegründete 
Verdacht  einer  stattgefundenen  Kindestödtung,  Fruchtabtreibung  oder  einer 
anderen  strafbaren  Handlung  aufdrängt  und  verfcällt  der  Strenge  des  Straf- 
gesetzes, wenn  sie  die  Anzeige  verspätet  erstattet  oder  gar  unterlässt.  Auch 
wenn  ihr  die  Absicht  zur  Verübung  eines  solchen  Verbrechens  bekannt  wird 
und  sie  die  Ausführung  dieser  Absicht  ohne  Beihilfe  der  Behörde  nicht  ver- 
hindern kann,  ist  sie  zur  Anzeige  verpflichtet.  Denn  jede  Hebamme,  welche 
die  Verderbung  oder  Abtreibung  einer  Leibesfrucht,  die  Unterschiebung  oder 
Verwechslung  eines  Kindes  absichtlich  herbeiführt  oder  aber  bei  einer  solchen 
strafbaren  Handlung  als  Mitschuldige  oder  Theilnehmeriu  mitwirkt,  verfällt 
der  Strenge  des  Strafgesetzes. 

Da  die  Hebamme  zu  allen  Stunden  des  Tages  und  der  Nacht  bereit  sein 
soll,  Gebärenden  ohne  Zeitverlust  Hilfe  zu  leisten,  soll  sie  auch  in  anderen 
als  Berufsgeschäften,  wenn  eine  zweite  Hebamme  sich  in  der  Gemeinde  nicht 
befindet,  nie  ohne  dringende  Ursache  über  Nacht  sich  von  ihrem  Wohnort 
entfernen  und,  wenn  sich  daselbst  Hochschwangere  befinden,  auch  bei  Tage 
nicht  ohne  Noth  vom  Hause  abwesend  sein.  Ist  die  Hebamme  ausser  ihrer 
Wohnung,  so  hat  sie  dafür  zu  sorgen,  dass  jeder  Fragende  während  ihrer 
Abwesenheit  erfahren  kann,  wo  sie  zu  finden  ist.  Die  Beistandleistung  bei 
der  Geburt  darf  sie  Niemanden  abschlagen,  auch  Solchen  nicht,  die  mit  ekel- 
haften oder  ansteckenden  Krankheiten  behaftet  sind.  Nur  muss  im  letzteren 
Falle  um  so  gründlicher  die  Desinfection  erfolgen.  Die  Beistandleistung  bei 
Geburten  geht  allen  anderen  Obliegenheiten  vor,  z.  B.  den  Verrichtungen  bei 
der  Taufe,  dem  Besuche  einer  Wöchnerin,  dem  Baden  und  Besorgen  eines 
Neugeborenen. 

Die  Hebammen  sollen  die  Geheimnisse  der  sich  ihrer  Pflege  anvertrau- 
enden Personen  gewissenhaft  bewahren,  über  ihnen  bekannt  gewordene  Krank- 
heitszustände  derselben  Stillschweigen  beobachten  und  haben  nur  in  den  Fällen, 
in  welchen  sie  zur  Anzeige  verpflichtet  sind,  oder  wenn  sie  von  der  Behörde 
hiezu  aufgefordert  werden,  die  erforderlichen  Mittheilungen  zu  machen. 

Wird  eine  Hebamme  von  der  politischen  oder  Gerichtsbehörde  zu  einer 
Untersuchung  verwendet,  so  hat  sie  nach  ihrem  besten  Wissen  genau  an- 
zugeben, was  sie  bei  der  Untersuchung  gefunden  hat.  Bei  solchen  Aussagen 
ist  sie  verpflichtet,  ohne  Rücksicht  auf  etwaige  Freundschaft  oder  Feindschaft 
die  volle  Wahrheit  anzugeben,  da  sie  im  entgegengesetzten  Falle  sich  einer 
schweren  Strafe  aussetzen  würde. 

Jede  des  Schreibens  kundige  Hebamme  ist  verpflichtet,  ein  Tagebuch 
mit  folgenden  Rubriken  zu  führen:  Laufende  Nummer;  Jahr,  Monatstag  und 
Stunde  der  Geburt;  Name,  Alter,  Stand,  Wohnort,  Confession  der  Gebärenden; 
die  wie  vielte  Geburt;  Geschlecht  und  wenn  möglich  Name  des  Kindes  oder  der 
Kinder  (bei  mehrfachen  Geburten);  war  es  eine  Fehl-,  unzeitige  oder  Früh- 
geburt oder  eine  rechtzeitige;  Lage  des  Kindes  oder  der  Kinder;  besondere  Zu- 
fälle vor,  während  und  nach  der  Geburt;  ob  und  welche  Kunsthilfe  geleistet 
wurde  und  von  wem;  Zeit  des  Abganges  der  Nachgeburt;  Ausgang  der 
Geburt  für  Mutter  und  Kind  oder  Kinder;  Ausgang  der  Wochenzeit  für 
Mutter  und  Kind;  Besondere  Bemerkungen. .  .  .  Der  Hebamme  wird  es  durch 
diese  Aufzeichnungen  möglich,  die  von  der  politischen  Behörde  zur  Ausfüllung 
ihr  zugekommenen  in  der  Belehrung  näher  bezeichneten  Geburtstabellen  pünkt- 
lich und  wahrheitsgetreu  auszufüllen  und  die  ordnungsmässig  geführten 
Geburtstabellen  in  den  von  dem  Amtsarzte  bekannt  gegebenen  Terminen  an 
die  Bezirksbehörde  zu  Händen  des  Amtsarztes  vorzulegen. 

Die  Hebammen  sind  angewiesen,  sich  genau  an  die,  mit  dem  Diplome 
oder  von  der  politischen  Behörde  ihnen  zukommende  Instruction  und  Beleh- 
rungen zu  halten,  sie  sind   insbesondere  verpflichtet,  die  in   der  Belehrung 


HEBAMMENWESEN.  353 

bezeichneten  Vorsichten  zur  Verhütung  der  Uebertragung  ansteckender  Krank- 
heiten, insbesondere  des  Kindbettfiebers  auf  das  genaueste  zu  l^eobachten. 

Zur  Verhütung  der  Uebertragung  ansteckender  Krank- 
heiten, namentlich  des  Kindbettfiebers,  ist  es  nothwendig,  dass  die  Hebammen 
sich  vor  Augen  halten,  dass  das  Wesen  der  Ansteckungsstoff'e  darin  bestehe, 
dass  dieselben  als  für  das  freie  Auge  nicht  sichtbare,  meist  pflanzliche  Lebe- 
wesen in  den  menschlichen  Körper  gelangen  und  daselbst  sich  rasch  ver- 
mehren. Je  nach  den  einzelnen  Organen,  in  welchen  sich  die  Ansteckungsstoffe 
angesiedelt  haben,  werden  sie  entweder  in  den  Entleerungen  des  Darmes  (bei 
Cholera,  Typhus,  Kuhr)  in  den  Ausscheidungen  aus  der  Gebärmutter,  Scheide 
und  Harnröhre  (bei  Kindbettfieber)  in  den  Absonderungen  der  Drüsen  und 
Schleimhäute  (bei  Bräune,  eitriger  Augenentzündung,  Lungenschwindsucht) 
in  den  abgestorbenen  Schüppchen  der  Oberhaut  (bei  Blattern,  Masern, 
Scharlach)  oder  in  den  Absonderungen  der  Wund-  und  Geschwürsflächen  (bei 
Rothlauf,  Milzbrand,  Rotz)  angetroffen  oder  vermuthet. 

Die  Hebamme  soll  weiters  vermeiden,  ohne  Noth,  übelriechende, 
faulige  Stoffe,  eitrige  und  andere  krankhafte  Absonderungen,  sowie  Gegen- 
stände zu  berühren,  die  durch  letztere  verunreinigt  wurden,  (Geschwür,  aus- 
gestossene,  todtfaule  Frucht,  übelriechende  Wochenbettunterlagen)  und  ent- 
halte sich  so  viel,  als  nur  möglich,  jedes  Verkehres  mit  Personen,  welche  an 
einer  ansteckenden  oder  ansteckungsverdächtigen  Krankheit  leiden,  da  so- 
wohl durch  mit  Ansteckungsstoffen  verunreinigte  Hände  und  Geräthschaften, 
als  auch  durch  derart  inficirte  Kleider  die  ihre  Hilfe  in  Anspruch  nehmenden 
Schwangeren,  Kreissenden  oder  Wöchnerinnen  in  Folge  der  Berührung  mit 
denselben  angesteckt  werden  können.  Die  Hebamme  darf  auch  nicht  verges- 
sen, dass  alle  Gegenstände,  welche  mit  dem  Körper  einer  Schwangeren, 
Gebärenden  oder  Wöchnerin  in  Berührung  kommen,  durch  Verunreinigung  mit 
Infectionsstoffen  gefährlich  werden  können,  z.  B.  verunreinigte  Bett-  und 
Leibwäsche,  unsaubere  oder  durch  zu  langen  Gebrauch  von  mit  Zersetzungs- 
stoffen  durchdrungenen  Unterlagen  u.  dgl. 

Die  Hebamme  hat  sich  demnach  vor  Allem  in  jeder  Beziehung  der 
grössten  Reinlichkeit  zu  befleissen,  Sie  beobachte  sie  auch  in  jedem  Gebär- 
oder Wochenzimmer.  Wo  es  thunlich  ist,  soll  das  für  die  zu  erwartende 
Entbindung  bestimmte  Zimmer  einer  gründlichen  Reinigung  unierzogen  werden. 
Lassen  sich  die  Wände  mit  Kalk  tünchen,  so  soll  die  Hebamme  auf  den 
Nutzen  einer  solchen  Reinigung  aufmerksam  machen.  Der  Staub  soll  beseitigt, 
der  Fussboden  aufgewaschen,  oder  feucht  aufgewischt  werden.  Die  gi'össte 
Aufmerksamkeit  verwende  die  Hebamme  auf  die  Reinheit  ihrer  eigenen  Hände, 
Arme  und  Oberkleider. 

Sie  soll  stets  darauf  bedacht  sein  die  Haut  der  Hände  sorgfältig  zu 
pflegen,  dieselbe  vor  Verletzungen,  Schrunden  und  Schwielen  zu  bewahren 
suchen.  Die  Nägel  sollen  mit  dem  Nagelzwicker  kurz  und  rund  geschnitten 
sein,  die  etwa  vorstehenden  Ecken  und  Kanten  müssen  mit  der  Feile  des 
Nagelputzers  geglättet,  spitzig  hervorragende  Theile  der  verhornten  Oberhaut 
des  Nagelfalzes  sollen  abgeschnitten  und  mit  dem  Nagelputzer  zugefeilt  werden, 
da  durch  solche  spitze  Hervorragungen  bei  Vornahme  der  Untersuchung, 
leicht  Verletzungen  der  inneren  Geschlechtstheile  bewii^kt  werden  können.  Der 
freie  Stand  der  Nägel  an  der  Fingerspitze,  sowie  der  Nagelfalz  rings  um  den 
Nagel  soll  von  daselbst  vorhandenem  Schmutze  durch  Anwendung  "des  nicht 
zu  spitzen,  lanzenförmigen  Endes  des  Nagelputzers  gereinigt  werden,  während 
der  schauf eiförmige  Theil  des  Nagelputzers  zum  Abschaben  der  Nagelfläche 
zu  verwenden  ist.  Die  Hebamme  hat  nicht  blos  den  Zeigefinger  der  einen 
oder  andern  Hand,  sondern  die  sämmtlichen  Finger  gleich  sorgfältig  zu 
behandeln.  Die  Reinigung  der  Hände  und  Arme  ist  stets  durch  gründliches 
Waschen  unter  Benützung  der  Seife  und  Bürste  zu  vervollständigen. 

■Ribl.    med.  Wissenscliaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  23 


354  HEBAMMENWESEN. 

Bei  Ausübung  ihres  Berufes  trage  die  Hebamme  nur  solche  Kleider, 
welche  leicht  zu  desinficiren  sind,  daher  Waschkleider,  deren  Aermel  so  ein- 
gerichtet sein  sollen,  dass  die  Arme  bis  zum  Ellbogen  unbedeckt  gehalten 
werden  können.  Das  Oberkleid  soll  vorn  einschliesslich  des  Brusttheils  von 
einer  breiten  Schürze  aus  hellem  waschbaren  Stoff,  oder  aus  weissgrauem  beider- 
seits glatten  Kautschuckstoff  oder  wasserdichtem  Battist  völlig  bedeckt  sein. 

Die  Hebamme  ist  ferner  strengstens  verpflichtet,  vor  jeder  Verrichtung 
am  Körper  der  Schwangeren,  Gebärenden  oder  Wöchnerin,  sowie  nach  Be- 
endigung derselben  ihre  Arme  und  Hände,  sowie  am  Körper  verwendete 
Geräthschaften  nach  Vorschrift  zu  desinficiren.  Sie  hat  sich  hierzu  der  vor- 
geschriebenen Carbolsäure,  des  Lysols  oder  Kresols  zu  bedienen. 

Wird  der  Hebamme  nicht  von  dem,  vorkommenden  Falles,  beigezogenen 
Arzte  der  Gebrauch  eines  bestimmten  Desinfectionsmittels  verordnet,  so  ist 
sie  verpflichtet,  sich  mittelst  der  vorgeschriebenen  Carbolsäure  eine  Desin- 
fectionsflüssigkeit  für  ihre  Hände  und  Geräthschaften  im  Verhältnis  von 
30  Grammen  zerflossener  Carbolsäure  zu  1  Liter  Wasser  zu  bereiten  und  zu 
gebrauchen  (S^/o  Carbollösung). 

Sie  hat  darauf  zu  achten,  dass  diese  Mischung  der  concentrirten  Carbol- 
säure genau  nach  dem  vorgeschriebenen  Verhältnisse  ausgeführt  werde  und 
hat  sich  hiezu  des  Messgläschens  und  des  Irrigators  —  der  Spülkanne  — 
zu  bedienen. 

Die  S^/o-ige  Carbolsäurelösung  besitzt  eine  hervorragende,  die  Entwick- 
lung der  Ansteckungskeime  hemmende  oder  dieselben  vollständig  abtödtende 
Wirkung,  und  eignet  sich  zur  Desinfection  aller  waschbaren  Gegenstände,  der 
Hände,  Oberarme  und  Geräthschaften.  Sie  verursacht  jedoch  auf  Schleim- 
häuten und  zarten  Hautstellen  heftiges  Brennen  und  starke  Reizung,  weshalb 
auch  die  Verwendung  einer  2°/o  Lysol-  oder  l^oigen  Kresol-Lösung  gestat- 
tet ist. 

Vor  der  ersten  Untersuchung  bereitet  die  Hebamme  zunächst  ein  Liter 
S^lf^-igei  Carbolsäurelösung.  Zu  diesem  Zwecke  füllt  sie  zuerst  ihren  stets 
rein  zu  haltenden  Irrigator,  der  1  Liter  Flüssigkeit  fasst,  mit  reinem  Wasser 
und  giesst  dieses  in  ein  Gefäss  (am  besten  eine  reine  Glasflasche)  in  welchem 
die  Mischung  gemacht  werden  soll.  Warmes  Wasser  begünstigt  die  inni- 
gere Mischung  der  Carbolsäure  mit  dem  Wasser.  Nun  wird  das  30  Gramm 
fassende  Messgläschen  mit  der  Carbolsäure  gefüllt  und  der  Inhalt  in  das 
Gefäss  gegossen.  Gleich  nach  dem  Hineingiessen  der  Carbolsäure  in  das 
Gefäss  entsteht  eine  milchige  Trübung,  welche  sich  jedoch  bald  aufhellt, 
wenn  die  Flasche  geschüttelt  und  bei  verschlossener  Oeffhung  wiederholt  um- 
gestürzt wird.  Wird  die  Mischung  in  einem  anderen  Gefässe,  welches  eben- 
falls zuverlässig  rein  sein  muss,  gemacht,  so  rührt  die  Hebamme  unter  all- 
mähligem  Zugiessen  der  Carbolsäure  beständig,  bis  keine  öligen  Tropfen  am 
Boden  des  Gefässes  zu  sehen  sind.  Diese  Tropfen  sind  ungelöste  Carbolsäure, 
welche,  da  sie  schwerer  als  Wasser  sind,  in  diesem  herabsinken,  die  Haut 
der  Pfleglinge  arg  verätzen  können.  Die  Hebamme  ist  daher  strengstens  ver- 
pflichtet, die  Mischung  nie  im  Irrigator  zu  machen,  in  dessen  Abflussrohr 
die  scharfe  Säure  leicht  herabsinken  kann. 

Es  kann  sich  jedoch  zuweilen  ereignen,  dass  die  Hebamme  von  der  vor- 
schriftsmässigen  Desinfectionsflüssigkeit  keinen  Gebrauch  machen  kann,  weil  die 
Haut  der  Hände  der  Hebamme  gegen  die  Einwirkung  der  Desinfectionsmittel  zu 
empfindlich  geworden  ist,  oder  weil  der  vorgeschriebene  Vorrath  an  Carbol- 
säure (Lysol  oder  Kresol)  zu  Ende  gegangen  ist,  wie  es  bei  langdauernden 
Geburten  vorkommen  kann,  oder  durch  Zerbrechen  des  zur  Aufbewahrung  des 
Desinfectionsmittels  bestimmten  Fläschchens,  der  ganze  Vorrath  in  Verlust 
eerathen  ist.    Für   einen   solchen  Fall  wurde  die   Mitnahme   von    10  Gram- 


HEBAMMENWESEN.  355 

men  von  übermangansauren  Kali  vorgeschrieben.  Das  üljerraangansaure 
Kali  kann  als  Ersatz  für  das  vorgeschriebene  Desinfectionsmittel  nur  im  Noth- 
falle  benützt  werden,  da  es  wohl  eine  sehr  desodorisirende  Eigenschaft  besitzt, 
die  Ansteckungskeime  jedoch  nicht  so  sicher  wie  Carbolsäure  (Lysol  oder 
Kresol)  tilgt. 

Um  mittelst  des  Kali  hypermanganicum  die  Desinfectionsflüssigkeit  zu 
bereiten,  wirft  man  einige  Krystalle  desselben  in  eine  mit  warmen  Wasser 
gefüllte  Flasche  oder  Schüssel  und  erhält  nach  deren  Lösung  eine  violett- 
rothe  Flüssigkeit,  welche  verwendet  wird.  Diese  Lösung  des  übermangan- 
sauren Kali  hat  unmittelbar  vor  der  Verwendung  der  Desinfectionsflüssigkeit 
und  vollständig  zu  geschehen.  Ungelöste  Krystalle  dürfen  in  der  Flüssigkeit 
nicht  enthalten  sein,  weil  sie  die  Schleimhaut  reizen  würden.  Bei  stark  gesät- 
tigten Lösungen  dieses  Desinfectionsmittels  ergibt  sich  der  Uebelstand,  dass 
die  Haut  der  Hände  und  die  Fingernägel  eine  oft  stark  gelbliche  und  wenn  die 
Flüssigkeit  dunkelroth  ist,  selbst  eine  bräunliche  Färbung  annehmen.  Diese 
Färburg  verursacht  weder  Schmerz  noch  sonstigen  Schaden,  wie  es  bei  Ver- 
ätzung mit  Carbolsäure  vorkommt,  doch  ist  es  wünschenswerth,  diese  leicht  zu 
Missdeutungen  veranlassenden  Färbungen  der  Haut  bald  wieder  zum  Verschwin- 
den zu  bringen,  was  durch  Anwendung  von  verdünntem  Essig-  oder  Citronen- 
saft,  leicht  zu  erreichen  ist. 

Die  Hebamme  soll  zur  Bereitung  der  Desinfectionsflüssigkeit  womöglich 
nur  destilirtes  Wasser  gebrauchen.  Steht  ein  solches  nicht  zur  Verfügung, 
so  soll  es  früher  gekocht  und  nach  der  Abkühlung  zur  Bereitung  der  Des- 
infectionsflüssigkeit verwendet  werden. 

Vor  einer  Entbindung  dringe  die  Hebamme  darauf,  dass  die  Kreissende 
mit  reiner  vorher  erwärmter  Leibwäsche,  sowie  mit  eben  solchen  Bettbezügen 
und  Unterlagen  für  das  Geburtsbett  und  auch  ferner  für  das  Wochenbett  ver- 
sehen werde. 

Die  äussere  und  innere  Untersuchung  einer  Schwangeren,  Kreis- 
senden oder  Wöchnerin  darf  die  Hebamme  niemals  anders  als  mit  völlig 
entblössten  und  gereinigten  und  desinficirten  Händen  und  Vorderarmen  aus- 
führen. Die  Reinheit  der  untersuchenden  Hand  ist  aus  Rücksicht  auf  die 
Gesundheit  der  zu  untersuchenden  Person  eine  unbedingte  Nothwendigkeit, 
die  geringste  Verunreinigung  der  Hand  ist  im  Stande,  durch  Uebertragung 
von  Ansteckungskeimen  auf  die  Schleimhaut  der  Geschlechtstheile  Krankheit 
und  auch   den  Tod  herbeizuführen. 

Je  näher  dem  Zeitpunkte  der  Entbindung  desto  leichter  findet  bei  unrein- 
lichem Vorgehen  eine  solche  Infection  statt.  Zum  Zwecke  der  persönlichen 
Desinfection  wäscht  die  Hebamme  zunächst  in  einem  passenden  Gefässe  ihre 
Hände,  an  deren  Fingern  sie  keine  Ringe  tragen  soll,  mit  warmen,  fast  dampfen- 
den Wasser  unter  Zusatz  von  Schmierseife  und  Benützung  der  vorgeschriebenen 
aus  der  o%igen  Carbolsäure-  (Lysol-  oder  KresoUösung)  entnommenen  Nagel- 
bürste, wobei  insbesondere  die  Spitzen  der  Fingernägel,  der  Nagelfalz,  die 
Zwischenräume  zwischen  den  einzelnen  Fingern,  die  Rücken-  und  Hohlhand- 
fläche der  Hand  und  der  ganze  Vorderarm  bis  zum  Ellbogen  hinauf  beider- 
seits in  gleicher  Weise  abgebürstet  werden  müssen.  Das  Büi'sten  der  Hände 
und  der  Vorderarme  soll  wenigstens  drei  Minuten  lang  dauern.  Sodann 
trocknet  sie  die  Hände  mit  einem  reinen,  womöglich  frisch  gewaschenen  von 
Niemanden  früher  benützten  Handtuch  und  nimmt  die  Säuberung  der  Fin- 
gernägel mit  Benützung  des  Nagelputzers  vor.  Wenn  sich  weder  unter  den 
Nagelrändern  noch  aus  dem  Falz  Schmutzlagen  mehr  entfernen  lassen,  dann 
muss  zum  zweiten  Male  eine  Bürstung  der  Nägel  im  Seifenwasser  vorgenom- 
men werden.  Nun  taucht  sie  eine  Minute  lang  die  Hände  und  Vorderarme 
in  die  o°/cige  Carbolsäurelösung  (27oige  Lysol-  oder  17oige  KresoUösung) 
welche  seit  der  Bereitung  mit  einem  reinen  Tuch  oder  reinem  Papier  bedeckt 


356  HEBAMMENWESEN. 

gehalten  wurde  und  damit  ist  die  Desinfection  der  Hände  und  Vorderarme 
vollzogen. 

Nun  fasst  die  Hebamme  mit  reinen  Händen  das  Wattapacket,  eröffnet 
es  und  entnimmt  soviel  Watte  als  sie  muthmaasslicli  während  der  Geburt 
brauchen  wird.  Sie  zupft  sich  eine  hinreichende  Anzahl  hühnereigrosser 
Bäuschchen,  welche  in  das  Gefäss  mit  obiger  Carbolsäurelösung  (2"/oiger 
Lysol-  oder  P/oiger  Kresollösung)  kommen. 

Zum  Zwecke  der  Desinfection  des  Unterleibes  der  Gebärenden  wird  die- 
selbe am  Rücken  liegend  bis  über  den  Nabel  hinauf  entblösst  und  ihr  ein 
passendes  Gefäss  (Steckbecken,  Leibschüssel),  welches  mit  S^/oiger  Carbolsäure- 
lösung abgewaschen  wurde,  unterschoben,  dann  die  Einseifung  von  der  Nabel- 
gegend bis  über  die  Mittelfleischgegend  vorgenommen,  wobei  der  Seifenschaum 
mit  der  Bürste  vertheilt  wird.  Es  muss  jedoch  auf  wunde  Stellen,  welche 
sich  zuweilen  bei  fetten  Personen  in  den  Falten  zwischen  Bauchhaut  und 
Oberschenkel  finden,  vorsichtig  geachtet  werden,  um  nicht  Schmerz  zu  ver- 
ursachen. Lange  oder  verfilzte  Haare  werden  vorsichtig  mit  der  früher  in 
3"/oige  Carbolsäurelösung  (27oiger  Lysol-  oder  1 7oiger  Ki'esollösung)  getauch- 
ten Scheere  abgetragen. 

Zum  Abspülen  des  Seifenschaumes  soll  der  Spritzenansatz  des  Schlauches 
vom  Lrrigator  benützt  werden,  nachdem  kurz  zuvor  die  Mischung  einer  3°/o-igeii 
CarboUösung  (einer  27oigen  Lysol-  oder  1  böigen  Kresollösung)  hergestellt  und 
in  die  Spülkanne  eingefüllt  worden  ist.  Nun  werden  die  in  der  Schüssel  in  Vor- 
rath  befindlichen  Wattebausch chen  einzeln  aus  der  antiseptischen  Lösung  mit 
der  einen  Hand  herausgenommen  etwas  ausgedrückt  und  zum  Reinigen  des 
Vorhofes,  des  Dammes  und  der  Umgebung  benützt,  wobei  Daumen  und  Zei- 
gefinger der  anderen  Hand  die  zu  reinigenden  Theile  biossiegen.  Die  Reinigung 
selbst  geschieht  durch  Auswischen  der  Schamspalte  von  vorn  nach  hinten 
gegen  das  Gefäss,  nie  in  der  entgegengesetzten  Richtung,  damit  die  Be- 
schmutzung des  Reinigungsfeldes  durch  Darminhalt  vermieden  werde.  Watte- 
bäuschchen, welche  bereits  einmal  über  das  Reinigungsfeld  geführt  worden 
sind,  dürfen  hiezu  ein  zweitesmal  nicht  mehr  benützt,  sondern  müssen  in  ein 
hiezu  bestimmtes  Gefäss  beseitigt  und  später  verbrannt  werden.  Auch  darf  die 
Watte,  welche  vor  dem  Gebrauche  verstreut  wm^de  und  mit  dem  Fussboden  oder 
dem  Staube  ausgesetzten  Gegenständen  in  Berührung  gekommen  ist,  zu  die- 
sem Reinigungszwecke  nicht  mehr  verwendet  werden.  Erst  nach  der  so  vor- 
genommenen Reinigung  und  Desinfection  des  Leibes  der  Pflegebefohlenen  und 
Entfernung  des  Steckbeckens  darf  die  äusserliche  Untersuchung  vorgenom- 
men werden. 

Nach  der  äussersten  Untersuchung  müssen  die  Hände  und  Vorderarme 
neuerlich  im  heissem  Wasser  mit  Seife  und  Bürste  gewaschen  und  in  die 
3%-ige  Carbolsäurelösung  (27oige  Lysol-  oder  1 7o ige  Kresollösung)  getaucht 
werden,  ehe  an  die  innerliche  Untersuchung  geschritten  werden  darf,  vor 
welcher  die  untersuchende  Hand  in  der  S^/o-igen  CarboUösung  abzuspülen  ist, 
um  feucht,  ohne  abgetrocknet  worden  zu  sein,  verwendet  zu  werden.  Die  Be- 
fettung  der  untersuchenden  Finger  mit  Vaseline  oder  Lanolin  ist  nur  zum 
eigenen  Schutze  dann  nöthig,  wenn  die  tastenden  Hautstellen  empfindlich 
geworden  sind  oder  eine  Infection  derselben  durch  mittelbare  Berührung  der 
mit  einem  ansteckenden  Uebel  behafteten  Körpertheile  der  Gebärenden  zu 
besorgen  ist.  Es  ist  streng  untersagt,  beliebiges  Oel,  Butter  oder  sonstiges  Fett 
aus  dem  Haushalte  des  Pfleglings  zu  diesem  Zwecke  zu  benützen,  da  dieselben 
niemals  von  zuverlässiger  Reinheit  sind. 

Die  Hebamme  soll  aufmerksam  untersuchen,  das  Ergebnis  der  gemachten 
Wahrnehmungen  im  Gedächtnis  behalten,  um  die  Pflegebefohlene  nicht  wieder- 
holt belästigen  zu  müssen;  sie  darf  weder  durch  Geberden  noch  durch  un- 
vorsichtige Aeusserungen  die  Untersuchte  in  Angst  versetzen,  noch  bei  zweifei- 


EEBAMMENWESEN.  357 

haften  oder  schwierigen  Fällen  ihr  Urtheil  vorschnell  abgehen,  sondern  soll 
in  solchen  Fällen  die  Entscheidung  des  Arztes  verlangen. 

Nach  der  Untersuchung  müssen  Hände  und  Vorderarme  neuerdings  in 
Seifenwasser  gebürstet,  desiniieirt  und  hierauf  mit  einem  reinen  Tuch  abge- 
trocknet werden.  So  oft  eine  neuerliche  Untersuchung  erforderlich  ist,  muss 
auch  die  Desinfection  der  Hände  in  der  vorgeschriebenen  Weise  erfolgen. 

Zur  Verhütung  der  Weiterverbreitung  des  Kindbcttfiel)ers  wird  die  Heb- 
amme beitragen,  wenn  schon  während  der  Schwangerschaft  darauf  gesehen 
wird,  dass  sich  Schwangere  stets,  namentlich  aber  in  den  letzten  Wochen  sehr 
rein  halten.  Lauwarme  Bäder  sollen  Schwangeren,  welche  dieselben  zu  nehmen 
in  der  Lage  sind,  falls  nicht  besondere  Gründe  entgegenstehen  (Neigung  zu 
Blutungen,  gewisse  Krankheiten)  bis  zum  Eintritte  der  Geburt  empfohlen 
werden. 

Die  äussere  Untersuchung  soll  stets  mit  grösster  Sorgfalt  ausgeführt 
werden,  um  die  innerliche  Untersuchung  so  selten  als  möglich  vornehmen  zu 
dürfen,  da  sich  die  Hebamme  durch  eine  genaue  äusserliche  Untersuchung 
sehr  gut  die  Aufklärung  über  die  Lage  und  Haltung  der  Frucht,  über  das 
Bestehen  eines  Missverhältnisses,  über  das  Leben  und  den  Tod  der  Frucht  ver- 
schaffen kann  und  erst  dann,  wenn  sie  im  Zweifel  ist,  die  innerliche  Unter- 
suchung zu  Hilfe  nehmen  soll. 

Bezüglich  der  Hilfeleistung  der  Hebamme  bei  der  Geburt  selbst, 
hat  sich  dieselbe  genau  nach  den  im  Lehrbuche  enthaltenen  Weisungen  zu 
benehmen. 

Die  Fruchtblase  soll  von  der  Hebamme  so  lange  wie  irgend  möglich  er- 
halten, also  ohne  dringende  Veranlassung  niemals  künstlich  gesprengt  werden. 

Der  Harn-  und  Darmentleerung  muss  eine  fortwährende  Aufmerksamkeit 
zugewendet  werden  und  müssen  durch  dieselben  verunreinigte  Körperstellen 
mit  3°/o-Jger  Carbollösung  (mit  27oigei"  Lysol-  oder  l%iger  Kresollösung)  ab- 
gespült, beziehungsw^eise  durch  mit  dieser  Lösung  durchtränkte  Wattabäusch- 
chen  gereinigt  werden. 

Auf  den  kunstgerechten  Schutz  des  Dammes  während  der  Geburt  hat  sie 
ganz  besondere  Sorgfalt  zu  verwenden"'^")  und  bei  eingetretenem  Dammriss.jeden 
Grades  die  ärztliche  Hilfe  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Die  Hebamme  darf  die  Unterbindung  der  pulslosen  Nabelschnur  nur  mit 
desinficirten  Nabelbändchen  vornehmen  und  auch  nur  mit  desinficirter  Nabel- 
schnurscheere  das  Durchschneiden  des  Nabelstranges  ausführen.  Sie  hat  sich 
bezüglich  der  Versorgung  des  Nabelschnurrestes  am  Kindeskörper  an  das  im 
Lehrbuch  angegebene  Verfahren  zu  halten. 

Sie  ist  auch  verpflichtet,  die  vorgeschriebene  Keinigung  der  äusserer 
Augengegend  der  Neugeborenen  womöglich  noch  vor  dem  Oeffnen  der  Augen- 
lider vorzunehmen. 

Die  Hebamme  hat  während  der  Nachgeburtsperiode  ihre  vollste  Aufmerk- 
samkeit dem  Verhalten  der  Nachgeburt  zu  widmen  und  hiebei  sich  genau 
an  die  im  Lehrbuche  enthaltenen  Vorschriften  zu  halten.  Sie  ist  verpflichtet, 
wenn  eine  Stunde  nach  der  Geburt  des  Kindes,  während  welcher  sie 
durch  Reibung  des  Unterleibes  am  Gebärmuttergrunde  die  Zusammenziehung 
der  Gebärmutter  fördern  soll,  der  Abgang  der  Nachgebui't  noch  nicht  erfolgt 
ist,  auch  wenn  keine  Blutung  zu  bemerken  wäre,  einen  Arzt  rufen  zu  lassen. 
Sie  hat  die  Nachgeburt  genau  zu  besichtigen  und  dieselbe  dem  berufenen 
Arzte  vorzuweisen.  Bis  dahin  hat  sie  für  die  sichere  Aufljewahrung  dersel- 
ben an  einem  kühlen  Orte,  eventuell  unter  Begiessung  derselben  mit  antisep- 
tischer Lösung  zur  Verhinderung  der  Fäulnis  zu  sorgen.  Nachgeburten  dür- 
fen nicht  in  Aborte  oder  Canäle  entfernt,  sondern  sollen  beerdigt  werden. 


*)  Vergl.  Artikel  „Dammschiitz''  pag.  185  u.  ff. 


358  HEBAMMENWESEN. 

Nach  der  Besiclitigimg  und  Besorgung  der  Nachgeburt  und  neuerlicher 
Reinigung  und  Desinfection  ihrer  Hände  hat  die  Hebamme  nachzusehen,  ob 
die  Geburt  irgend  welche  Verletzungen  nach  sich  gezogen  hat  und  Blut- 
gerinnsel oder  andere  Verunreinigungen  mit  in  der  vorgeschriebenen  Des- 
infectionsflüssigkeit  getauchten  Wattebäuschchen  zu  entfernen. 

Im  Falle  des  Vorhandenseins  einer  Verletzung  derselben,  ist  die  Heb- 
amme verpflichtet,  alsogleich  ärztliche  Hilfe  zu  beanspruchen.  Nach  der 
Geburt  hat  die  Hebamme  ihre  weitere  Aufmerksamkeit  dem  Verhalten  der 
Gebärmutter  und  den  sich  einstellenden  Ausscheidungen  aus  den  Geburts- 
wegen zuzuwenden.  Ausspülungen  derselben  oder  Einspritzungen  in  die  Gebär- 
mutterhöhle darf  die  Hebamme  ohne  ärztliche  Anordnung,  nur  in  den  durch 
das  Lehrbuch  näher  bezeichneten  Fällen  vornehmen;  dabei  darf  sie  nur  die 
3<*/o-ige  Carb  Öllösung  verwenden.  Nur  der  Arzt  ist  berechtigt,  eine  andere 
Desinfectionsflüssigkeit  zu  verordnen.  Zu  den  im  Lehrbuche  vorgesehenen 
oder  vom  Arzte  verordneten  Einspritzungen  hat  sich  die  Hebamme  der  Spül- 
kanne oder  des  Irrigators  mit  Kautschukschlauch  und  des  vorschriftsmässigen 
in  der  Regel  gläsernen  Mutterrohres  zu  bedienen.  Die  Ausspülung  soll  in 
erhöhter  Rückenlage  der  Wöchnerin  nach  Unterlegung  eines  Steckbeckens  oder 
einer  Leibschüssel  mit  frisch  bereiteter  und  eben  in  den  Irrigator  gefüllter, 
antiseptischen  Lösung  (2%-ige  Lysol-  oder  l7o-ige  Kresollösung)  stattfinden. 
Das  Mutterrohr  mit  mehreren  seitlichen  Oeffnungen  am  Kopfe,  dient  zu  rei- 
nigenden Ausspülungen,  das  andere  mit  nur  einer  Oeffnung  am  glatten  Ende 
versehene  Mutterrohr  zu  Einspritzungen  zum  Zwecke  der  Blutstillung.  Nach 
der  Füllung  des  IiTigators  bei  geschlossenem  Bügel  muss  derselbe  bei  her- 
abhängendem Schlauch  geöfinet  werden,  um  die  in  demselben  enthaltene  Luft 
auszutreiben.  Wenn  keine  Luftblasen  mehr  entweichen,  wird  der  Bügel  wieder 
geschlossen,  der  gefüllte  Irrigator  einer  Gehilfin  übergeben,  damit  sie  densel- 
ben in  einer  bestimmten  Höhe  halte,  oder  falls  dies  nicht  möglich  sein  sollte, 
beiläufig  V2  Meter  über  dem  Lager  der  Wöchnerin  aufgehängt.  Das  Mutter- 
rohr mit  dem  Kautschuck  stück  wird  nun  aus  der  3°/o-igen  Carbolsäurelösung 
entnommen,  mit  dem  Kautschuckschlauch  des  Irrigators  in  Verbindung  ge- 
bracht und  der  Verschluss  desselben  geöffnet,  die  Luftblasen  aus  dem  Mutter- 
rohr ausgetrieben  und  unter  der  Leitung  des  Zeigefingers  der  anderen  Hand 
nach  der  in  der  Schule  erhaltenen  Anleitung  eingeführt.  Während  des  Aus- 
strömens  der  Flüssigkeit  hält  die  Hebamme  das  Mutterrohr  unverrückt  mit 
einer  Hand,  untersucht  mit  der  anderen  durch  die  Bauchdecken,  ob  nicht 
die  Gebärmutter  sich  ausdehnt.  Zugleich  achtet  sie,  ob  die  Menge  des  Ab- 
flusses der  Flüssigkeit  auch  der  einströmenden  Flüssigkeitsmenge  entspricht, 
und  regulirt  die  Stärke  des  Strahles,  die  durch  Heben  des  Irrigators  vermehrt, 
durch  Senken  desselben  vermindert  werden  kann.  Um  das  Eindringen  von 
'  Luft  durch  den  Schlauch  und  das  Mutterrohr  in  die  Geburtswege  am  Ende 
der  Ausspülung  zu  verhüten,  muss  der  Bügel,  ehe  die  Flüssigkeit  vollständig 
aus  dem  Irrigator  abgeflossen  ist,  geschlossen  und  dann  erst  das  Mutterrohr 
entfernt  werden.  Sollte  eine  Einspritzung  länger  fortgesetzt  werden,  so  muss  für 
diesen  Fall  schon  früher  Carbolsäure  (Lysol-  oder  Kresollösung)  in  den  Irri- 
gator nachgegossen  werden.  Nach  beendigter  Einspritzung  ist  das  Mutter- 
rohr sogleich  vom  Spritzenansatz  zu  entfernen  und  in  die  Desinfectionsflüssig- 
keit zu  bringen. 

Neben  der  Entbundenen  hat  die  Hebamme  auch  dem  Neugeborenen 
die  erforderliche  Sorgfalt  zuzuwenden,  wie  ihr  dies  in  der  Schule  gelehrt 
wurde.  Noch  vor  dem  Verlassen  der  Entbundenen  soll  sie  demselben  einen 
Einlauf  (Klystier)  mit  dem  Irrigator  geben.  Zu  diesem  Zwecke  muss  der  Lti- 
gator  sammt  Schlauch  früher  mit  reinem  Wasser  durchgespült  werden,  damit 
keine  Carbolsäure  (Lysol-  oder  Kresol)  in  demselben  zurückbleibe.  Dann  wird 
der  Irrigator  mit  beiläufig  100  Grammen  warmen  Wassers  ohne  weiteren  Zu- 


HEBAMMENWESEN.  359 

satz  gefüllt  und  der  Einlauf  dem  in  die  linke  Seiten-  oder  in  die  Bauchlage 
gebrachten  Kinde,  mittelst  des  gläsernen  kunstgereclit  eingeführten  After- 
röhrchens,  welches  mit  dem  Schlauche  des  Irrigators  erst  nach  vorgängiger 
Austreibung  der  Luft  in  Verbindung  zu  bringen  ist,  gegeben.  Dabei  ist  zu 
beachten,  dass  der  Irrigator  nicht  zu  hoch,  sondern  nur  beiläufig  256W  höher 
als  das  Lager  des  Kindes  gehalten  werde,  da  der  Druck  sich  steigert,  je 
höher  der  Irrigator  emporgehalten  wird,  wodurch  bei  der  zarten  Beschaffen- 
heit der  kindlichen  Gedärme  leicht  üble  Folgen  sich  ergeben  können.  Auch 
muss  die  Hebamme,  sobald  sie  sieht,  dass  das  Afterröhrchen  in  den  Mast- 
dann  eingedrungen  ist,  mit  der  linken  Hand  das  kindliche  Becken  festhalten, 
weil  oft  heftige  ruckweise  Bewegungen  des  kindlichen  Körpers  erfolgen,  die 
eine  Verletzung  des  Kindes  durch  das  Köhrchen  verursachen  könnten.  Noch 
bevor  alle  Flüssigkeit  aus  dem  Irrigator  ausgeflossen  ist,  soll  das  Afterröhr- 
chen bei  geschlossenem  Bügel  entfernt  werden,  damit  nicht  Luft  in  den 
Mastdarm  gelangt.  Das  Afterröhrchen  wird  nach  Abnahme  vom  Schlauche 
zur  Desinfection  in  die  Desinfectionsflüssigkeit  gelegt. 

Während  des  Wochenbettes  muss  die  Hebamme  ihr  besondere« 
Augenmerk  auf  die  Reinhaltung  der  Geburtswege  der  Wöchnerin 
und  ihrer  äusseren  Umgebung  von  Verunreinigungen  richten,  weshalb  die 
Reinigung  durch  die  Hebamme  während  der  ersten  neun  Tage  womöglich 
zweimal  täglich,  weiterhin  durch  einige  Zeit  einmal  täglich  vorgenommen 
werden  soll.  Vor  dieser  Reinigung,  welche  durch  Abspülung  mit  3"/o-iger 
warmer  Carbollösung  (2"'/o-iger  Lysol-  oder  l^o-iger  Kresollösung)  und  Ab- 
streifen mit  von  dieser  Lösung  durchtränkten  Wattebäuschchen  geschieht, 
hat  sich  die  Hebamme  jedesmal  mit  einer  Schürze  zu  versehen  und  die  Desin- 
fection ihrer  Hände  und  Arme  vorzunehmen. 

Sie  hat  auch  die  Temperatur  der  Wöchnerin  durch  Einlegen  des  Thermo- 
meters in  die  Achselhöhle  zu  überwachen  und  in  dem  Falle,  dass  die  Tem- 
peratur 38*0<'  Celsius  erreicht,  die  Berufung  des  Arztes  zu  veranlassen.  Dies 
hat  auch  bei  normaler  Temperatur  zu  geschehen,  wenn  ein  übelriechender 
Ausfluss  wahrgenommen  wird. 

Die  Wöchnerin  ist  durch  die  Hebamme  aufmerksam  zu  machen,  dass  sie 
sich  der  Berührung  der  Geschlechtstheile  mit  ihren  Händen  enthalten  und 
wenn  dies  stattgefunden  hätte,  die  Reinigung  der  Hände  mit  Desinfections- 
flüssigkeit vornehmen  soll. 

Die  Hebamme  hat  auch  auf  die  rechtzeitige  Erneuerung  des  Durchzuges 
nach  stattgefundener  Reinigung,  sowie  der  nach  der  letzteren  einzulegenden 
Wattevorlage  zu  achten,  welche,  wenn  beschmutzt,  zu  verbrennen  ist.  Zu 
Durchzügen  soll  nur  reine  Wäsche  verwendet  werden.  Deshalb  ist  es  unter 
allen  Umständen  selbst  bei  armen  Wöchnerinnen  zu  vermeiden,  dass  schon 
gebrauchte  Kleidungsstücke  oder  Lappen  von  zweifelhafter  Reinlichkeit  als 
Unterlagen  benützt  werden.  Schwämme  dürfen  weder  während  der  Geburt 
noch  während  des  Wochenbettes  verwendet  werden,  da  sie  einmal  verunreinigt, 
nicht  mehr   verlässlich  gereinigt  werden  können. 

Eine  weitere  wichtige  Sorge  der  Hebamme  bezieht  sich  darauf,  dass  bei 
schwieriger  Entleerung  der  Harnblase  rechtzeitig  mittelst  des  Katheters  nach- 
geholfen werde.  Der  Katheter  muss  zu  diesem  Zwecke  innen  und  aussen 
vollkommen  rein  und  in  der  Desinfectionsflüssigkeit  desinficirt  sein,  aus  welcher 
er  unmittelbar  vor  dem  Gebrauche  zu  entnehmen  und  durch  Schwenken  von 
aller  anhängenden  Flüssigkeit  zu  befreien  ist. 

Die  Einführung  desselben  darf  erst  nach  vorgängiger  Desinfection  des 
Vorhofes  und  seiner  Umgebung  mittelst  der  von  Desinfectionsflüssigkeit  durch- 
tränkten Wattebäuschchen  vorgenommen  werden.  Dieselbe  hat  kunstgerecht 
unter  Beobachtung  aller  in  der  Schule  gegebenen  Vorschriften  zu  erfolgen. 


360  HEBAMMENWESEN. 

Beim  Misslingen  oder  besonderer  Schwierigkeit  der  Einführung  des  Katheters 
ist  ärztliche  Hilfe  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Auch  für  rechtzeitige  Darmentleerung  bei  der  Wöchnerin  hat  die  Heb- 
amme Sorge  zu  tragen  und  in  dem  Falle,  dass  bis  zum  dritten  Tage  des 
Wochenbettes  keine  Entleerung  erfolgt  ist,  in  kunstgerechter  Weise  mit  dem 
Irrigator  einen  Einlauf  von  200 — 300  Gramm  lauen  Wassers  erfolgen  zu 
lassen. 

Sämmtliche  mit  dem  Körper  in  Berührung  gelangenden  Geräthschaften, 
als  Mutterrohr,  Einlaufröhrchen,  Spritzenansatz  müssen  vor  und  nach  dem 
Gebrauche  in  die  Desinfectionsflüssigkeit  gelegt,  nach  jeder  Verwendung  innen 
und  aussen  gründlich  und  zwar  die  röhrenförmigen  mit  Hilfe  der  Draht- 
bürstchen und  nach  Bedarf  durch  Auskochen  gereinigt  werden. 

Zur  grösseren  Sicherheit  vor  Infectionsübertragung  soll  die  Hebamme 
jeder  von  ihr  berathenen  Schwangeren,  deren  Verhältnisse  es  gestatten,  schon 
vor  der  bevorstehenden  Niederkunft  rathen  sich  mit  einem  Irrigator  und 
gläsernen  Mutterrohr,  Glaskatheter,  einem  Pakete  wohlverwahrter  BßUNs'scher 
Watte  und  200  Grammen  starker  Carbolsäure  (100  Gramm  Lysol  oder  50 
Gramm  Kresol)  zur  Bereitung  der  Desinfectionsflüssigkeiten  zum  eigenen 
Gebrauche  zu  versehen.  Die  Mutterrohre,  Glaskatheter,  Spritzenansätze  sollen 
in  einem  entsprechend  grossen  Glas  mit  weitem  Hals,  dessen  Oeffnung  mit 
einem  Deckel  oder  Wattepropf  zu  versehen  ist  (Einsiedeglas),  das  mit  Des- 
infectionsflüssigkeit gefüllt  sein  soll,  aufbewahrt  werden. 

Aus  dem  Wohnzimmer  sind  alle  Ausscheidungen  und  Entleerungen  sowohl 
der  Mutter  als  des  Kindes,  sowie  Bade-  und  Waschflüssigkeiten  allsogleich 
hinauszuschaffen,  da  die  Zimmerluft  stets  rein  sein  und  daher  hinreichend  oft 
dmxh  Lüftung  erneuert  werden  soll.  Es  soll  vermieden  werden,  mit  Wohl- 
gerüchen eine  scheinbare  Besserung  der  Luft  bewirken  zu  wollen,  sowie,  dass 
ausser  der  Wöchnerin  andere  Personen  ihre  Mahlzeiten  im  Wohnzimmer  ein- 
nehmen, und  daselbst  gekocht  oder  geraucht  werde. 

Die  Hebammen  sind  verpflichtet,  in  allen  Fällen  eines  regelwidrigen 
Verlaufes  der  Schwangerschaft,  der  Geburt  oder  des  Wochenbettes,  sowie  bei 
Erkrankungen  des  Kindes  rechtzeitig  ärztliche  Hilfe  zu  verlangen.  Insbeson- 
dere müssen  sie  in  folgenden  Fällen  jedesmal  auf  die  Her- 
beirufimg  des  Arztes  dringen: 

Bei  Schwangeren:  wenn  eine  Verengerung  des  Beckens  vermuthet 
oder  erkannt  wurde  ;  wenn  Blutungen  eintreten  ;  wenn  Krankheiten  oder  plötz- 
lich gefahrdrohende  Erscheinungen  auftreten  ;  wenn  eine  Schwangere  plötzlich 
gestorben  ist. 

Bei  Gebärenden:  Bei  allen  regelwidrigen  Lagen  des  Kindes,  bei 
Schief-  und  Querlagen,  womöglich  vor  dem  Blasensprunge ;  beim  Vorliegen 
der  Hände,  Füsse  oder  der  Nabelschnur  neben  dem  Kopfe;  in  jedem  Falle, 
wo  wegen  Enge  des  Beckens,  Grösse  des  Kopfes  oder  aus  was  immer  für  einer 
Ursache  der  Kopf  nicht  in  regelmässiger  Weise  vorrückt,  wodurch  länger 
anhaltende  Quetschungen  der  Geburtstheile  zwischen  Becken  und  Kindeskopf 
veranlasst  und  Erkrankungen  der  Mutter  oder  der  Tod  des  Kindes  herbei- 
geführt werden  können;  bei  Störungen  der  Wehenthätigkeit,  w^elche  zur  Ver- 
zögerung der  Geburt  oder  zu  ungewöhnlicher  Schmerzhaftigkeit  und  Erschöpfung 
der  Kreissenden  führen.  Insbesondere,  wenn  zwei  Stunden  nach  dem  Ver- 
streichen des  Muttermundes  und  dem  Abgange  des  Fruchtwassers  der  Kopf 
tief  steht  und  keine  Aussicht  vorhanden  ist,  dass  er  bald  ausgetrieben  wird 
und  zwar  in  diesem  Falle  auch  bei  regelmässigem  Verhalten  der  kindlichen 
Herztöne ;  wenn  die  Herztöne  des  Kindes  während  der  Austreibungszeit  unregel- 
mässig werden;  bei  allen  Blutungen,  in  welcher  Geburtszeit  sich,  dieselben 
auch  ereignen  mögen;  beim  aufsitzenden  Mutterkuchen,  auch  wenn  die  Heb- 
amme im  x^ugenblicke  der  Untersuchung  keine  Blutungen  wahrnehmen  sollte: 


HEBAMMENWESEN.  361 

wenn  eine  Stunde  nach  der  Geburt  des  Kindes  der  Mutterkuchen  nicht  abgeht, 
auch  wenn  keine  Blutung  vorhanden  ist;  bei  jedem  Dammrisse  gleich  nach 
der  Entstehung;  bei  unzeitigen  oder  frühzeitigen  Geburten,  ebenso  auch  bei 
drohender  oder  überstandener  Fehlgeburt;  bei  Zwillingen  oder  mehrfachen 
Geburten;  bei  Geburten  missgestalteter  Früchte  oder,  wenn  sie  rasch  geboren 
sind,  nach  denselben;  bei  allen  krankhaften  Erscheinungen  und  gefahrdrohen- 
den Zufällen,  sowie  beim  plötzlichen  Tode  der  Gebärenden;  beim  Scheintode 
des  neugeborenen  Kindes. 

Bei  Wöchnerinnen  und  Kindern:  Wenn  die  Hebamme  bei 
Wöchnerinnen  beschleunigten  Puls,  vermehrte  Körperwärme  abwechselnd  Frost 
und  Hitze,  Ausbleiben  des  Wochenflusses  oder  autfallend  üblen  Geruch  desselben, 
Empfindlichkeit  des  Leibes  u.  s.  w.  bemerkt;  ferner  bei  jeder  Krankheitserschei- 
nung des  Kindes,  da  die  Hebammen  ebensowenig  kranke  Kinder,  als  kranke 
Frauen  zu  behandeln  berechtigt  sind. 

Dem  Arzte,  der  wegen  einer  Geburtsstörung  gerufen  wird,  soll  womög- 
lich in  kurzen  Worten  auf  einem  Zettel  schriftliche  Meldung  erstattet  wer- 
den, um  was  es  sich  handelt.  Auch  soll  die  genaue  Angabe  des  Wohn- 
ortes, besonders  in  grösseren  Städten,  der  Hilfsbedürftigen  und  die  Zeit  der 
Ausstellung  der  schriftlichen  Aufforderung  angegeben  werden,  damit  der  Arzt 
sich  darnach  richten  könne.  Ist  Gefahr  im  Verzuge,  soll  die  Hebamme  den 
Boten  beauftragen,  im  Falle  er  den  gesuchten  Arzt  nicht  findet,  sogleich  einen 
anderen  zu  holen.  Wenn  von  einer  Leidenden  oder  deren  Angehörigen,  auch 
ohne  dass  die  Hebamme  eine  Regelwidrigkeit  wahrnimmt,  die  Berufung 
«ines  Arztes  gewünscht  wird,  so  soll  sich  die  Hebamme  derselben  nie 
widersetzen  oder  sie  auch  nur  zu  verzögern  suchen.  Ueber  die  Wahl  eines 
Arztes  entscheidet  das  Zutrauen  der  Kranken  oder  ihrer  Angehörigen 
und  die  Hebamme  hat  sich  hierüber  nur,  wenn  sie  befragt  wird,  auszu- 
sprechen. 

Wenn  die  Hebamme  als  Sachverständige,  als  Zeugin,  als  Anklägerin, 
als  Angeklagte  zu  den  Behörden  in  Beziehung  tritt,  so  muss  sie  nach  ihrem 
besten  Wissen  die  vorgelegten  Fragen,  wenn  sie  es  vermag,  beantworten. 

Als  Zeugin  tritt  die  Hebamme  bei  jeder  Geburt  mit  der  Behörde  in  Verkehr,  denn 
sie  muss  jede  Geburt  sogleich  ordnungsmässig  anzeigen.  Es  kann  aber  auch  vorkommen, 
dass  sie  auch  vor  dem  Richter  über  die  stattgehabte  Geburt  selbst  oder  über  einzelne  Vor- 
fälle bei  derselben  oft  nach  langer  Zeit  Zeugnis  ablegen  muss.  Sie  muss  daher  ihr  Tage- 
buch zu  den  genauen  Aufschreibungen  stets  bei  sich  haben  und  die  Tagebücher,  wenn  sie 
nicht  mehr  Raum  bieten,  nicht  vernichten,  sondern  längere  Zeit  aufbewahren. 

Als  Anklägerin  muss  die  Hebamme  bei  der  Behörde  auftreten,  wenn  sie  von  der 
Verübung  eines  Verbrechens  Kenntnis  erlangt  oder  wenn  die  nothwendige  Herbeirufung  des 
Arztes  verweigert  wird,  daher  soll  sie  stets  im  Tagebuche  die  Absendung  der  schriftlichen 
Anzeige  vermerken,  damit  sie  sich  später  im  vorkomir   --den  Falle  rechtfertigen  könne. 

Als  Angeklagte  kommt  die  Hebamme  vor  die  Behörde,  wenn  sie  eine  ihrer  Pflich- 
ten versäumt,  oder  wenn  sie  ihre  Befugnisse  überschritten  hat,  denn  durch  das  Eine  wie 
durch  das  Andere  kann  sie  leicht  ihrer  Pflegebefohlenen  an  Gesundheit  und  Leben  scha- 
den. Sollte  sie  unbegründet  angeklagt  werden,  so  wird  durch  klare  Auseinandersetzung 
des  Geschehenen,  unter  Vorlegung  der  in  dem  Tagebuche  befindlichen  Aufzeichnungen  der 
Verdacht  leicht  behoben  werden  können. 

Die  Hebamme  ist  verpflichtet,  die  vorgeschriebenen  Geburtstabellen 
zu  führen  und  binnen  24  Stunden  nach  jeder  einzelnen  Geburt,  bei  der  sie 
Beistand  leistete,  die  einzelnen  Rubriken  auszufüllen.  Der  Amtsarzt  wird  von 
Zeit  zu  Zeit  in  diese  Tabellen,  welche  in  den  von  ihm  bestimmten  Zeiträumen 
einzusenden  sind,  Einsicht  nehmen.  Auf  Verlangen  sind  diese  Tabellen  auch 
dem  zu  einer  Geburt  beigezogenen  Arzte  vorzulegen,  dem  es  anheimgegeben 
ist,  seine  eigenen  Bemerkungen  in  dieselben  einzuschreiben.  Die  Aufzeichnun- 
gen in  die  Geburtstabellen  hat  die  Hebamme  gewissenhaft,  wahrheitsgetreu 
und  möglichst  vollständig  zu  machen.  Sie  ist  verpflichtet,  die  Geburtstab  eilen 
vor  Verunreinigung  zu  schützen,  wohlgeordnet  aufzubewahren  und  regelmäs- 
sig einzusenden. 


362  HEBAMMENWESEN. 

Da  die  Hebamme,  besonders  in  kleineren  Gemeinden,  vermöge  ihrer  Be- 
rufstliätigkeit  von  Müttern  um  Ratli  gefragt  ^Yird,  ob  und  wann  Neugeborene 
geimpft  werden  sollen,  so  soll  sie  stets  in  dieser  Beziehung  auf  die  von  der 
politischen  Behörde  erlassenen  Anordnungen  verweisen  und  auf  die  schädlichen 
Folgen  der  Unterlassung  der  Impfung  aufmerksam  machen.  Wird  sie  befragt, 
so  hat  sie  zu  empfehlen,  dass  das  geimpfte  Kind  nach  dem  vierten  Tage  nicht 
mehr  gebadet  werde,  dagegen  ist  die  Reinigung  der  Scham-  und  Aftergegend 
öfters  des  Tages  vorzunehmen.  Am  7 — 8  Tage,  je  nach  Anordnung  des  Impf- 
arztes, sollen  geimpfte  Kinder  zur  Ueberprüfung  gebracht  werden,  um  zu  unter- 
suchen, ob  die  Impfpustel  zur  regelmässigen  Entwicklung  gelangt  sei.  Um  die 
Impfpusteln  vor  dem  Aufreiben,  Zerkratzen  oder  Verunreinigung  zu  schützen 
und  zugleich  zu  verhindern,  dass  bei  grösseren  Kindern  die  mit  Impfstoff  in 
Berührung  gekommenen  Finger  das  Gift  nicht  auf  andere  Körperstellen  — 
Augen,  Nase  und  Mundöffnung  —  übertragen,  sollen  dieselben  mit  reiner  Ver- 
bandwatte bedeckt  und  darüber  ein  reines  Tuch  lose  gebunden  werden. 
So  oft  die  Hebamme  mit  der  Absonderung  der  Impfpustel  in  Berührung 
gekommen  ist,  soll  sie  ihre  Hände  der  vorschriftsmässigen  Pteinigung  und 
Desinfection  unterziehen. 

Die  Hebamme  ist  in  einzelnen  Gemeinden  oft  die  einzige  Person,  welche 
bei  vorkommenden  Unglücksfällen  um  Hilfe  angegangen  wird,  daher 
soll  sie  auch  das  Nothwendigste  über  Hilfeleistung  bei  Unglücks- 
fällen wissen,  damit  nicht,  bis  der  jedesmal  zu  holende  Arzt  an  Ort  und 
Stelle  erschienen  ist,  mehr  geschadet,  als  genützt  wird. 

Verhalten  bei  Verletzungen.  Alle  Verletzungen  bluten,  wenn  Blut- oder  Schlag- 
adern durchtrennt  wurden;  läuft  das  Blut  nicht  gleichmässig  in  starkem  Strome  aus  der 
Wunde,  so  sind  nur  kleine  Adern  verletzt.  An  Stellen,  wo  die  Haut  durch  Kleider  bedeckt 
ist,  müssen  diese  zuerst  entfernt  —  aufgeschnitten  —  werden,  ehe  zur  Blutstillung  geschrit- 
ten wird.  Geringe  Blutungen  stillt  man,  indem  man  auf  die  Wunde  reine  Verbandwatte 
mit  der  Hand  fest  aufdrückt,  oder  mit  einer  Binde  auf  der  Wunde  befestigt.  Fliesst  dun- 
kelrothes  Blut  in  gleichmässigem  Strome  aus,  so  ist  eine  grössere  Blutader  verletzt.  Man 
stillt  die  Blutung  durch  Druck  auf  die  Wunde  und  Erheben  des  verletzten  Gliedes  unter 
Loslösung  einer  etwaigen  Einschnürung  z.  B.  eines  Strumpfbandes.  Wenn  aber  hellrothes 
Blut  stossweise  aus  der  Wunde  spritzt,  so  ist  eine  Schlagader  verletzt.  Das  verwundete 
Glied  ist  in  die  Höhe  zu  heben,  auf  die  Wunde  ein  Bausch  reiner  Verbandwatte  zu 
legen  und  derselbe  durch  Umwicklung  einer  Binde  fest  gegen  die  Wunde  zu  pressen. 
Blutet  es  trotzdem  weiter,  so  umschnürt  man  das  Glied  zwischen  Wunde  und  Herz 
mit  einer  fest  angelegten  und  nachher  befeuchteten  Binde,  oder  mittels  eines  Knebels,  der 
aus  einem  Taschentuch  und  einem  Stück  Holz  angefertigt  wird  oder  auch  mittels  eines 
elastischen  Hosenträgers;  die  erste  und  wichtigste  Maassregel  bei  allen  Wunden,  sie  mögen 
durch  Schnitt,  Riss  oder  Biss  verursacht  worden  sein,  besteht  darin,  sie  vor  Verunreinigung 
zu  schützen. 

Das  Berühren  der  Wunden  mit  schmutzigen  Händen,  das  Auflegen  von  Charpie, 
Pflaster,  Schwämmen  oder  unreiner  Leinwand  ist  sorgsam  zu  meiden.  Der  einfachste  Ver- 
band ist  reine  in  S^/oige  Carbolsäurelösung  getauchte  Watte,  das  verletzte  Glied  darf  nicht 
bewegt  werden.  Trotz  des  Verbandes  soll  auf  Herbeirufung  des  Arztes  gedrungen  we'''"n. 
Verhalten  bei  Verbrennungen.  Bei  Verbrennung  entsteht  je  nach  der  Stärke 
derselben  schmerzhafte  Röthe,  Blasenbildung  oder  Verkohlung.  Am  besten  ist  es,  das  in 
dem  Geräthschaften-Behältniss  mitgeführte  Vaseline  oder  Lanolin  auf  reine  Verbandwatte 
aufzutragen  und  auf  die  Verbrennungsfläche  in  hinreichender  Menge  aufzulegen. 

Etwa  vorhandene  Blasen  dürfen  nicht  aufgerissen  werden.  Bei  scnon  entleerten 
Blasen  darf  die  abgehobene  Haut  nicht  weggeschnitten  werden,  sondern  dieselbe  soll  durch 
Auflegen  der  mit  Vaseline  oder  Lanolin  versehenen  reinen  Verbandwatte  auf  die  Unterlage 
angedrückt  werden, 

Verhalten  bei  Erfrierungen.  Erfrorene  dürfen  nicht  sogleich  in  das  warme 
Zimmer  gebracht  werden,  sie  sollen  vielmehr  im  kalten  Zimmer  entweder  am  ganzen 
Körper  oder  an  einzelnen  erfrorenen  Theilen  mit  Schnee,  oder  kalten  nassen  Tüchern  abge- 
rieben werden.  Im  Nothfalle  ist  auch  die  künstliche  Athmung  zu  machen.  Erst  wenn  ein 
Erfrorener  sich  bewegt  und  athmet,  darf  Wärme  in  Anwendung  kommen. 

Verhalten  bei  Ertrunkenen.  So  wie  plötzlich  Gestorbene  und  Erstickte  sind 
auch  Ertrunkene  als  scheintodt  zu  betrachten  und  bei  denselben  demnach  Wiederbelebungs- 
versuche durch  Reiben,  Bürsten,  künstliche  Athmung  zu  machen,  nachdem  früher  alle  den 
Hals  und  Oberleib  beengenden  Kleider  entfernt  wurden.  Ertrunkene  legt  man  so,  dass 
Bauch,  Brust  und  Gesicht  gegen  den  Boden  gerichtet  sind.     Die  Stirne  muss   dabei,  etwa 


HEBAMMENWESEN.  363 

durch  den  Arm  des  Verunglückten,  so  unterstützt  werden,  dass  der  Mund  und  die  Nase 
frei  bleiben.  Nun  wird  auf  am  Rücken  ein  leichter  Druck  ausgeübt,  dann  fasst.  man  den 
Körper  an  den  Schultern  und  den  Becken  und  rollt  ihn  langsam  etwa  zehnmal  in  der 
Minute  so  der  Länge  nach  hin  und  her,  dass  das  einemal  die  Brust,  das  anderemal  der 
Eücken  etwas  mehr  gegen  den  Boden  liegt.  Dadurch  wird  der  Brustkorb  abwechselnd 
ausgedehnt  und  verengt,  das  eingesogene  Wasser  fliesst  aus,  und  wenn  das  Leben  über- 
haupt noch  angefacht  werden  kann,  so  ist  von  dieser  Art  künstlicher  Athmung  noch  ein 
Erfolg  zu  erwarten. 

Verhalten  bei  Vergiftungen.  Bei  Vergifteten  tritt  Erbrechen  oft  schon  durch 
das  Gift  selbst  ein,  ausserdem  ist  es  aber  noch  durch  Trinken  von  lauem  Wasser  oder 
Milch  zu  befördern.  Tritt  das  Erbrechen  nicht  leicht  ein,  so  kann  es  durch  Kitzeln  am 
Schlünde  mit  einem  Federbarte  und  fleissiges  Trinken  von  Oel,  Wasser  mit  Butter  hervor- 
gerufen werden.  Nur  wenn  eine  Person  mit  Phosphor  (Zündhölzchen-Köpfe)  oder  mit  spa- 
nischen Fliegen  sich  vergiftet  hätte,  dann  wäre  Oel  oder  Butter  zu  vermeiden,  da  sonst 
das  Gift  noch  heftiger  und  nachhaltiger  wirken  würde. 

Die  Hebamme  hat,  wenn  sie  zu  Verunglückten  gerufen  wird,  womöglich  und  rasch 
die  Ursache  der  Gefahr  zu  entfernen,  wenn  sich  die  Person  noch  unter  dem  Einflüsse  der- 
selben befindet,  denn  die  fortwirkende  Ursache  führt  den  Tod,  der  vielleicht  noch  abzuhalten 
ist,  am  sichersten  herbei.  Ertrunkene  müssen  daher  aus  dem  Wasser  gezogen,  Erlienkte 
müssen  vorsichtig,  damit  sie  nicht  durch  den  Sturz  Schaden  erleiden,  abgeschnitten  werden. 
Erstickte  müssen  aus  dem  Räume,  der  mit  Rauch,  Leuchtgas,  Kohlengas  erfüllt  ist,  ent- 
fernt oder  reichliche  Luftströmung  erzeugt  werden.  Bei  Verwundeten  soll  die  Blutung 
gestillt.  Erfrorene  müssen  aus  der  Kälte,  aber  nicht  zu  rasch,  in  geheizte  Zimmer  gebracht, 
durch  Verbrennung  Verunglückte  müssen  von  dem  brennenden  Gegenstande  entfernt.  Ver- 
giftete durch  Entleerung  des  Magens  von  dem  in  demselben  befindlichen  Gifte  befreit 
werden. 

Nachdem  diese  ersten,  vor  Allem  erforderlichen  Anordnungen  getroffen  wurden,  hat 
die  Hebamme  dafür  zu  sorgen,  wenn  es  nicht  schon  geschah  und  wenn  sie  nicht  etwa  an 
dem  Körper  schon  sichtbare  Zeichen  des  Todes  bemerkt,  dass  um  den  nächsten  Arzt  geschickt 
und  in  jedem  Falle  die  Ortsbehörde  sofort  schriftlich  von  dem  Sachverhalte  verständigt 
werde. 

GUSTAV  BRAUN. 

h)  In  Ungarn.  Noch  gegenwärtig  unterscheidet  man  dreierlei  Arten 
von  Hebammen  „in  den  Ländern  jenseits  der  Leitha:"  1.  Diplomirte,  welche 
eine  Hebamme^  "chule  besucht  haben.  Solche  existiren  in  Agram,  Budapest, 
Grosswardein,  ivlausenburg,  Pressburg,  Szegedin.  2.  Befugte  Hebammen, 
das  sind  solche,  welche  vom  Comitatsphysicus  nach  kurzer,  2 — 3  Wochen 
dauernder  Anleitung  die  Befugnis  erhalten,  als  Hebammen  zu  prakticiren  (nur 
solche  Frauen  können  eine  derartige  Befugnis  erhalten,  deren  Wohnort  min- 
destens 75  Kilometer  von  der  nächsten  Hebammenschule  entfernt  ist;  w^enn 
sich  jedoch  eine  diplomirte  Hebamme  im  selben  Orte  niederlässt,  muss  die 
befugte  im  Laufe  von  zwei  Jahren  ein  Diplom  erwerben,  sonst  verliert  sie  ihr 
Recht).  3.  Bauernhebammen,  diese  haben  gar  keinen  Unterricht  genossen. 
In  welchem  Zahlenverhältnis  diese  verschiedenen  Kategorien  von  Hebammen 
zu  einander  stehen,  illustriren  am  besten  die  Angaben  Prof.  Wilhelm  Tauffer's, 
der  als  Mitglied  einer  von  der  Budapester  Aerztegesellschaft  entsendeten 
Commission  genaue  statistische  Erhebungen  anstellte  und  dieselben  in  einer 
ausführlichen  Arbeit  im  Jahre  1891  veröffentlichte.")  Nach  Taüffer  gibt  es 
in  12.380  Landgemeinden  13,906  Hebammen,  von  denen  nur  3755  ca. 
26-27o  diplomirt  sind.  3249  Hebammen  sind  angestellt,  doch  gibt  es  853  Ge- 
meinden (mehr  als  1500  Einwohner),  welche  nach  dem  Gesetze  eine  diplo- 
mirte Hebamme  anstellen  müssten  und  dies  verabsäumt  haben.  Viel  geord- 
neter sind  die  Verhältnisse  in  den  Städten.  In  den  Daten  über  143  Stadt- 
gemeinden fand  Tauffer  2028  diplomirte,  56  befugte  und  58  Bauernhebammen. 
Aus  diesen  Zahlenangaben  geht  also  hervor,  dass  die  Hebammen  geradeso  wie 
die  Aerzte  in  die  Städte  streben  und  sich  dort  die  Existenz  gegenseitig  er- 
schweren, während  gerade  auf  dem  Lande,  wo  schon  w^egen  geringerer  Aerzte- 
zahl  die  Hebammen  nothwendig  zahkeicher  sein  sollten,    sich  ein  Mangel  zu 


*)  „Der  Zustand    des  Hebammenwesens    in    unserem  Vaterlande,    als  ein  Factor  der 
grossen  Mortalität  der  Kinder  und  Wöchnerinnen"  von  Prof.  Wilhelm  Tauffer,  1891. 


364  HEB  AMMENWESEN. 

mindestens  gut  ausgebildeter  Hebammen  merklich  fühlbar  macht.  Cultur- 
geschichtlich  interessant  ist  hiebei  die  Thatsache,  dass  unter  den  von  Kumänen 
bewohnten  Gegenden  die  Volkssitte  herrscht,  dass  in  den  einzelnen  Orten  eine 
Frau  der  anderen  während  der  Geburt  und  des  Wochenbettes  beisteht,  ja  sogar 
die  Verpflichtung  hat  die  Wöchnerinnen  zu  verköstigen;  die  Beihilfe  fremder 
Frauen  gegen  entsprechende  Entlohnung  ist  verpönt. 

In  Ungarn  besteht  eine  als  Regulativ  geltende  ministerielle  „Verord- 
nung für  die  Hebammen  bezüglich  des  Verfahrens  zur  Verhü- 
tung des  Kindbetttiebers,"  welche  Verordnung  jedem  praktischen  Arzte 
und  jeder  Hebamme  von  Amtswegen  zugestellt  wird.  Die  wichtigsten  Punkte 
dieses  Regulativs  wären  folgende:"")  Es  wird  angeordnet,  dass  die  Hebamme 
vor  und  nach  jeder  Untersuchung  ihre  Hände  und  Arme  bis  an  den  Ellbogen 
unter  Benützung  der  Nagelbürste  und  Seife  in  lauem  Wasser  sorgfältig  waschen 
und  hierauf  die  Hände  durch  einige  Minuten  in  Carbolwasser  eingetaucht 
halten  muss  (§.  4).  Behufs  Reinigung  der  Hände  und  Geräthe  bereitet  die 
Hebamme  das  Carbolwasser,  indem  sie  die  mitgebrachte  57o-ige  Carbolflüssig- 
keit  mit  ebenso  viel  Wasser  mengt.  Von  diesem  Verfahren  darf  die  Hebamme 
nur  dann  abweichen,  w^enn  der  Arzt,  dem  die  Hebamme  zu  folgen  hat,  ein 
anderes  Verfahren  anordnet  (§  3).  —  Der  Gebrauch  von  Schwämmen  und 
Vaginalinjectionen  zur  Reinigung  von  Wöchnerinnen  (ausser  auf  Anordnung  des 
Arztes)  sind  verboten  (§  6). 

Die  Uebelstände  des  Hebammenwesens  in  Ungarn  liegen  so- 
mit weder  in  dem  Mangel  eines  gesetzlichen  Regulativs,  noch  in  der  mangel- 
haften Schulung  der  diplomirten  Hebammen,  sondern  einerseits  in  deren  un- 
genügenden Ueberwachung  („das  beste  Erziehungsresultat  verlischt  allmälig 
in  der  Praxis,"  Mann),  anderseits  in  dem  Mangel  und  der  unrichtigen  Ver- 
theilung  der  diplomirten  Hebammen,  resp.  in  der  Frequenz  der  Bauernhebammen. 

c.  E. 

c.  In  Deutschland.  In  Deutschland  ist  das  Hebammenwesen  Sache 
der  Einzelstaaten;  wollte  man  also  eine  Karte  entwerfen,  auf  welcher  die 
Staaten  mit  besserer  oder  schlechterer  Gestaltung  des  Hebammenwesens 
in  verschiedenen  Farben  angezeichnet  sind  —  die  Karte  würde  ebenso 
bunt  aussehen,  wie  jene  Karten,  auf  welchen  vor  1870  die  politischen  Grenzen 
verschiedenfarbig  angegeben  waren.  Und  wenn  man  jene  Einzelstaaten,  welche 
über  eine  vollkommen  genügende  Regelung  des  Hebammenwesens  verfügen' 
weiss  lassen  wollte  —  es  fände  sich  auf  der  Karte  des  deutschen  Reichs  kein 
weisses  Fleckchen. 

Selbst  in  den  einzelnen  Staaten  ist  nur  die  Zulassung  zur  Hebammen- 
Praxis  und  die  Beaufsichtigung  der  Hebammen  jeweils  einheitlich  geordnet. 
Die  Ausbildung  der  Hebammen-Schülerinnen  ist  dagegen  in  Preussen  Sache 
der  einzelnen  Provinzen,  also  in  Pommern  anders  als  in  Schlesien  u.  s.  w.  — 
Auch  in  Bayern  ist  den  einzelnen  Schulen  die  Auswahl  des  Lehrbuchs,  des 
Antisepticums  u.  s.  w.  freigestellt.  Für  die  einzelnen  Staaten  besteht  ferner 
nicht  allgemeine  Freizügigkeit  der  Hebammen;  Frauen  des  einen  Staates  können 
nur  unter  bestimmten  Bedingungen  in  einer  Reihe  der  anderen  deutschen 
Staaten  prakticiren. 

Schlimmer  als  diese  Verschiedenheit  der  Ausbildung  in  den  einzelnen 
Staaten  und  deren  Provinzen  oder  Kreisen  ist  aber  die  Thatsache,  dass  in 
allen  deutschen  Einzelstaaten  die  Ausbildung  der  Hebammenschülerinnen  eine 
weniger  sorgfältige  ist,  als  z.  B.  in  Holland  oder  Italien.  Die  Unterrichts- 
dauer ist  entschieden  allgemein  zu  kurz,  das  Unterrichtsmaterial   vielfach  zu 


*)  Nach  Prof.  J.  Mann   (Szegedin):    Zum  Hebammenwesen,    Centralblatt  für  Gynä- 
kologie 1889. 


HEBAMMENWESEN.  365 

klein.  Die  Bezahlung  der  Hebammen  ist  —  entsprechend  den  veralteten 
Taxen  —  fast  überall  eine  ungenügende;  für  eine  Fortbildung  der  Hebammen, 
welche  aus  der  vorantiseptischen  und  voraseptischen  Zeit  stammen,  ist  zum 
Theil  gar  nicht,  zum  Theil  unzulänglich  gesorgt. 

Diese  Umstände  haben  in  mehrfacher  Beziehung  zu  nachtheiligen  Ver- 
hältnissen geführt:  Die  Zahl  der  Wochenbett-Infectionen  hat  in  der  Hebammen- 
Praxis  nicht  in  demselben  Maasse  abgenommen,  wie  in  Kliniken  und  anderen 
durch  Aerzte  geleiteten  Anstalten;  die  sociale  und  die  financielle  Stellung  der 
Hebammen  ist  eine  ungenügende.  Die  erwähnten  Misstände  lassen  sich  am 
besten  aus  einer  genaueren  Schilderung  der  einzelnen  Punkte  erkennen. 

1.  Auswahl  und  Vorbildung  der  Schülerinnen. 

Es  werden  sowohl  Mädchen  als  Frauen  und  Witwen  zum  Unterricht 
zugelassen.  Als  Altersgrenze  gelten  das  18.  und  30.,  an  einzelnen  Schulen 
das  40.  Lebensjahr.  Ausnahmen  werden  im  Einzelfalle  nur  dann  gemacht, 
wenn  Mangel  an  Hebammen  besteht.  Vorbedingung  der  Aufnahme  ist  eine 
entsprechende  geistige,  moralische  und  körperliche  Beschaffenheit;  die  meisten 
Schulen  verlangen,  dass  in  den  letzten  fünf  Jahren  eine  Ptevaccination  statt- 
gefunden hat.  Schwangere  werden  in  späteren  Monaten  der  Gravidität  nicht 
mehr  als  Schülerinnen  zugelassen.  Die  Candidatinneü  melden  sich  theils  aus 
eigenem  Antriebe,  theils  nach  Auswahl  durch  den  Ortsvorstand,  durch  die 
Frauen  des  Ortes  u.  s.  w.  zur  Aufnahme  in  die  Hebammenschule.  Nach  abge- 
legter Prüfung  können  die  Hebammen  in  ihrem  Staate  sich  entweder  als  „frei- 
prakticirende  Hebammen"  den  Ort  ihrer  Thätigkeit  selbst  wählen,  oder  sie 
werden  als  „Gemeindehebammen"  einer  bestimmten  Gemeinde  zugewiesen,  je 
nachdem  sie  den  Unterricht  auf  eigene  oder  Gemeindekosten  genossen  haben. 
Sachsen  hat  nur  Gemeindehebammen, 

Die  Candidatinnen  machen  eine  zwei-,  beziehungsweise  dreifache  Sichtung 
durch.  Die  erste  Auswahl  trifft  der  Gemeinde  vorstand,  die  zweite  der  Amts- 
arzt, die  dritte  der  Anstaltsleiter.  Dem  letzteren  steht  das  Recht  zu,  einzelne 
Schülerinnen  nach  schlechtem  Ausfall  der  Aufnahmeprüfung  oder  bei  offen- 
kundiger Untauglichkeit  während  der  ersten  Unterrichtswochen  zu  entlassen. 
Immerhin  sind  trotz  dieser  dreifachen  Sichtung  die  thatsächlichen  Forde- 
rungen an  Vorbildung  und  Begabung  nicht  sehr  hoch.  Es  genügt,  dass  die 
Frauen  leidlich  lesen,  schreiben  und  rechnen  können. 

2.  Hebammen-Unterricht.  Deutschland  hat  43  Hebammenschulen, 
also  (nach  der  Volkszählung  von  1880  berechnet)  1  Schule  auf  1'052  Millio- 
nen Einwohner. 

Von  diesen  43  Schulen  entfallen  21  auf  Preussen,  4  auf  Bayern,  2  auf 
Sachen,  1  auf  Württemberg,  3  auf  Baden,  2  auf  Hessen  u.  s.  w.  —  Die  kleineren 
Einzelstaaten  haben  nur  zum  Theil  eigene  Schulen;  zum  Theil  senden  sie 
ihre  Schülerinnen  in  die  Schulen  benachbarter  Staaten.  Auf  die  Zahl  der 
Einwohner  berechnet  sind  Baden,  Hessen,  die  Reichslande  und  einige  Klein- 
staaten am  besten  mit  Hebammenschulen  versehen:  1  Schule  auf  etwa  Va  ^^^^~ 
lion  Einwohner;  am  ungünstigsten  ist  Württemberg  daran  mit  1  Schule  auf 
fast  2  Millionen  Einwohner.  Dementsprechend  sind  die  einzelnen  Schulen 
auch  sehr  verschieden  belastet.  Die  Zahl  der  Schülerinnen  schwankt 
zwischen  3  und  64.  Blomberg  hat  durchschnittlich  3,  Greifswald  5, 
Breslau  dagegen  50,  München  64  Schülerinnen;  ja  einmal  betrug  deren 
Zahl  in  München  sogar  75.  Am  häufigsten  sind  20 — 40  Schülerinnen  iu 
den  einzelnen  Anstalten. 

So  verschieden  wie  die  Schülerinnen-Zahl  ist  auch  die  Unterrichts- 
dauer an  den  einzelnen  Schulen.  Die  Mehrzahl  derselben  (16)  hat  eine 
Unterrichtsdauer  von  6  Monaten;  dagegen  dauert  der  Unterricht  an  einer 
Schule  nur    2  Monate,  an    11    Schulen   3^,2 — 4V2    Monate,    an  7    Schulen  5 


366  HEBAMMENWESEN. 

beziehungsweise  7  Monate,  an  8  Schulen  8  beziehw.  9  Monate.  Wie  kurz  aber 
selbst  die  höchste  deutsche  Unterrichtsdauer  ist,  geht  daraus  hervor,  dass  die- 
selbe in  Holland  und  Italien  2  Jahre  beträgt  (s.  pag.  369.)- 

Das  Unterrichtsmaterial  ist  an  den  einzelnen  Schulen  nicht  minder 
verschieden.  Das  Hauptgewicht  liegt  natürlich  auf  dem  Unterricht  an  der 
Schwangeren  und  Kreissenden.  Die  Zahl  der  Entbindungen,  welche  jede 
Schülerin  sieht,  schwankt  zwischen  3  Geburten  und  500  Geburten;  in  den 
meisten  Anstalten  sieht  die  einzelne  Schülerin  zwischen  20  und  50  Entbin- 
dungen. 

Auch  die  Lehrbücher  sind  in  den  Einzelstaaten  oder  sogar  (Bayern) 
an  den  einzelnen  Schulen  verschieden.  Die  grösste  Verbreitung  hat  das  neue 
preussische  Hebammen-Lehrbuch  von  1892,  welches  Dohrn  verfasst  hat.  Es 
ist  an  den  21  preussischen,  ausserdem  an  einigen  anderen  Schulen  im  Gebrauch 
und  enthält  die  Anti-  und  Asepsis  gleich  den  Büchern  von  Schultze  (in 
3  bayerischen  und  4  anderen  Schulen  im  Gebrauch),  Fehling  (Stuttgart  und 
Erlangen),  Kehrer  (Baden)  und  Crede-Winckel-Leopold  (Sachsen)  in  ein- 
gehender Darstellung. 

An  Operationen  wird  den  Hebammen  in  Preussen  und  Württemberg 
nur  die  Wendung  und  die  manuelle  Placentarlösung  gelehrt;  in  den  übrigen 
Staaten  ist  ihnen  nur  die  Ausziehung  des  Kindes  bei  Beckenendlage  und  die 
Expression  der  Placenta  erlaubt. 

Die  Desinfection,  beziehungsweise  die  Handhabung  der  Anti-  und 
Asepsis  ist  in  den  meisten  Einzelstaaten  durch  „Dienstanweisungen,  Regu- 
lative, Instructionen"  u.  s.  w.  geordnet;  einige  Staaten  bereiten  solche  vor, 
wenige  entbehren  derselben  noch  ganz. 

Die  Prüfung  zerfällt  an  allen  Schulen  in  zwei  Theile,  einen  münd- 
lichen und  einen  praktischen;  der  letztere  findet  theils  am  Phantom,  theils 
an  der  Lebenden  statt. 

3.  Verhalten  und  Ueberwachung  der  Hebammen  in  der 
Praxis.  Ist  schon  die  Unterrichtsdauer,  das  Unterrichtsmaterial  u.  s.  w.  in 
den  einzelnen  Schulen  sehr  verschieden  und  nicht  an  allen  genügend,  so  ist 
die  Verschiedenheit  in  der  amtlichen  Ueberwachung  der  prakticirenden  Heb- 
ammen in  den  Einzelstaaten  eine  noch  grössere  und  für  das  Ergebnis  der 
Hebammenthätigkeit  noch  einschneidendere. 

Die  prakticirenden  Hebammen  werden  vom  Amtsarzt  überwacht ;  diese 
Ueberwachung  findet  ihren  Ausdruck  in  mehrfacher  Weise:  Die  Hebammen 
haben  dem  Amtsarzt  der  meisten  Staaten  in  gewissen  Zeiträumen  Tage- 
bücher vorzulegen;  es  besteht  für  sie  in  den  meisten  Einzelstaaten  die 
Anzeigepflicht  für  Wochenbetts-Infectionen  und  für  Todesfälle  im  Wochen- 
bett;, sie  müssen  sich  in  den  meisten  Einzelstaaten  einer  Nachprüfung 
unterziehen,  welche  alle  1 — 3  Jahre  stattfindet.  Soweit  Hesse  sich  keine 
erhebliche  Verschiedenheit  der  Ueberwachung  erkennen ;  trotzdem  ist  diese  in 
der  That  eine  überaus  grosse.  Fast  alles  kommt  im  Einzelfalle  auf  das  Inter- 
esse an,  welches  der  Amtsarzt  dem  Hebammenwesen  entgegenbringt,  und  dieses 
Interesse  ist  oft  ein  ungenügendes.  Die  Tagebücher  (in  Bayern  müssen 
solche  überhaupt  nicht  geführt  werden)  untersucht  ein  Amtsarzt  eingehend, 
der  andere  nur  flüchtig ;  und  vielbeschäftigte  Aerzte  werden  sie  unmöglich 
stets  hinreichend  genau  prüfen  können ;  die  Anzeigepflicht  lässt  viele 
Seiten-  und  Hinterthüren  offen  —  denn  nicht  stets  wird  jedes  Puerperalfieber 
angezeigt,  da  ja  die  Hebamme  die  Folgen  einer  solchen  Anzeige  fürchtet  und 
da  sie  einen  Ausweg  in  der  Stellung  einer  anderen  Diagnose  findet ;  nicht  ein- 
mal jeder  Todesfall  kann  überall  auf  die  Ursachen  hin  geprüft  werden.  Selbst 
die  Nachprüfungen  erfüllen  ihren  Zweck  nur  in  jenen  wenigen  Einzel- 
staaten, in  welchen  ein  schlechtes  Ergebnis  der  Prüfung  zu  einem  Wieder- 
holungs-Unterricht oder  zur  Dienst-Enthebung  führt.     Es  liegtauf 


HEBAMMENWESEN.  367 

der  Hand,  dass  diese  letztere  eine  Härte  darzustellen  vermag',  welche  oft  durch' 
Wiederholungs-Unterricht  vermieden  werden  könnte. 

Ist  Wochenbettfieber  in  der  Praxis  einer  Hebamme  aufgetreten,  so  kann 
der  Amtsarzt  eine  bestimmte  Carenzzeit  über  die  Hebamme  verfügen,  d.  h. 
sie  für  eine  Reihe  von  Tagen  von  der  Praxis  ausschli  essen  ;  für  die  betreffende 
Hebamme  und  ihre  Geräthe,  Kleider  u.  s.  w.  ist  in  den  meisten  Einzelstaaten 
eine  entsprechende  Desinfection  vorgeschrieben. 

Für  die  Praxis  sind  ferner  die  freie  Lieferung  von  Desinficientien 
und  die  Taxe  von  Wichtigkeit.  —  Freie  Lieferung  von  Desinficientien  wird 
in  einer  grossen  Zahl  der  deutschen  Einzelstaaten  für  die  Armen-Praxis 
gewährt;  so  sind  1892  in  Dresden  hiefür  24:0  kg  Carbolsäure  verwendet 
worden. 

Recht  schlimm  steht  es  fast  überall  mit  der  Taxe.  Diese  ist  meist 
veraltet  und  selbst  der  geringe  Mindestlohn  wird  in  armen  Gegenden  nicht 
stets  eingehalten.  Ist  die  Zahl  der  Entbindungen  überdies  eine  geringe,  so 
ist  nicht  abzusehen,  wie  sich  die  Hebammen  der  Vorschrift  fügen  können, 
dass  sie  die  Hände  „durch  Vermeidung  schwerer  Arbeiten  geschmeidig  erhalten 
sollen." 

In  Bayern  beträgt  z.  B.  die  Taxe:  „Für  eine  gewöhnliche  Entbindung,  wenn  die 
Anwesenheit  der  Hebamme  nicht  über  12  Stunden  dauert,  von  1  Mark  80  Pfennig  bis 
9  Mark"  (die  Berechnung  in  Pfennigen  rührt  von  der  Umrechnung  aus  Gulden  und 
Kreuzern  her). 

„Für  jede  fernere  Stunde  von  27—54  Pfennig." 

„Für  die  Assistenz  bei  einer  Geburt,  welche  von  einem  Geburtshelfer  besorgt  wurde 
von  1  Mark  80  Pfennig  bis  3  Mark  60  Pfennig." 

„Für  jeden  Besuch  einer  Wöchnerin  einschliesslich  der  gewöhnlichen  Pflege  der 
Mutter  und  des  Kindes,  wenn  die  Entfernung  hin  und  zurück  nicht  mehr  als  eine  Stunde 
beträgt,  von  45  Pfennig  bis  72  Pfennig". 

Sind  schon  diese  Lohnsätze  in  der  Mindestgrenze  viel  zu  niedrig,  so 
erhält  die  Hebamme  oft  nicht  einmal  diesen  Mindestlohn,  sondern  in  manchen 
Bezirken  nur  3 — 5  Mark  für  jede  Entbindung  mit  Einschluss  der  Wochen- 
bettsbesuche. Aus  allen  diesen  Punkten  ergibt  es  sich,  dass  manche  Klagen 
über  das  deutsche  Hebammenwesen  berechtigt  sind,  dass  die  Schuld  aber  nur 
zum  kleineren  Theile  den  Hebammen  selbst,  zum  grösseren  Theile  dagegen 
ihrer  unzulänglichen  Auswahl,  Ausbildung,  üeberwachung  und  Bezahlung 
zufällt.  In  den  letzten  Jahren  sind  zahlreiche  Hebammen  vereine  ent- 
standen, welche  auf  Fortbildung,  Standesgefühl,  Lohnfrage,  Kranken-  und 
Altersversicherung  nicht  ohne  guten  Einfluss  geblieben  sind. 

Mehrfach  ist  das  Bestreben  zu  Tage  getreten,  statt  der  Hebammen  bei 
jeder  Entbindung  Aerzte  beizuziehen  und  ihnen  zur  Hilfeleistung  „Wochen- 
bett-Wärterinnen" beizugeben.  Dieses  Bestreben  ist  für  den  grössten  Theil 
Deutschlands,  besonders  aber  für  die  Landbevölkerung  ein  verfehltes  —  es 
ist  heute  einfach  unmöglich,  bei  jeder  Geburt  und  während  der  ganzen  ITauer 
einer  solchen  Aerzte  zur  Verfügung  zu  haben.  Bis  auf  absehbare  Zeit  wird 
man  in  Deutschland  also  die  Hebammen  nicht  entbehren  können,  man  wird 
vielmehr  auf  Besserung  einzelner  Punkte  im  Hebammenwesen  bedacht  sein 
müssen.  Gustav  kledt. 

d)  Iii  den  übrigen  Staaten.  In  Frankreich*)  werden  in  dem  grössten 
Hospital  eines  jeden  Departements  Hebammencurse  abgehalten.  Daselbst 
dauern  die  Curse  zwei  Jahre  und  bestehen  zum  Theil  aus  theoretischen  Stu- 
dien, zum  Theil  aus  praktischen  Uebungen.  Nach  Vollendung  derselben  lest 
die  Candidatin  vor  einer  Gommission  einer  medicinischen  Facultät,  oder  einer 
Ecole  praeparatoire  ihre  Prüfung  ab.  Die  Facultäten  ertheilen  Diplome  1.  und 
2.  Classe,  die  Ecole  praeparatoire  hingegen  nur  solche  2.  Classe.  Die  Prüfungen 

*)  Nach  Mittheilungen    Dr,  Schreiber's  in  seinem  Buche   „Das  medicinische  Paris". 


368  HEBMIMENWESEN. 

der  letzteren  sind  unentgeltlich,  nur  für  das  Diplom  muss  25  Frcs.  entrichtet 
■werden.  Dagegen  kosten  die  Prüfungen  an  den  Facultäten  80  Frcs.  und  das 
Diplom  50  Frcs.  Der  Unterschied  zwischen  Hebammen  1.  und  2.  Classe 
besteht  darin,  dass  die  ersteren  in  ganz  Frankreich,  die  letzteren  nur  in  jenen 
Departements  prakticiren  dürfen,  in  denen  sie  ihre  Prüfung  abgelegt  haben. 
In  Paris  existiren  zwei  besondere  Lehranstalten  für  Hebammen,  so  dass  sich 
die  Hebammenschülerinnen  daselbst  in  zwei  Kategorien  theilen:  1.  Zöglinge 
des  „Hojntal  des  cUnicpies",  2.  die  Zöglinge  der  MaterniU.  Die  Candidatin,  welche 
den  ein  Jahr  dauernden  Curs  am  Hopital  des  cliniques  besuchen  will,  muss 
mindestens  18  und  höchstens  35  Jahre  alt  sein.  Die  Aufnahmsprüfung 
bezieht  sich  auf  das  Lesen,  Schreiben,  Rechnen  und  Geographie.  Die  Ober- 
hebamme überwacht  die  Zöglinge  während  der  Unterrichtszeit;  die  Schluss- 
prüfungen w^erden  vor  der  medicinischen  Facultät  abgelegt.  Die  Maternite 
ist  ein  selbständiges  Institut,  das  nicht  unter  der  Leitung  der  Facultät  steht 
und  eine  Hochschule  zur  Ausbildung  Hebammen  1.  Classe  bildet.  Die  Auf- 
nahm sbedingungen  sind  dieselben,  wie  die  in  der  ersterwähnten  Anstalt  und 
liegt  der  Unterschied  hauptsächlich  darin,  dass  die  Zöglinge  der  Maternite 
gewissermassen  in  Pension  untergebracht  sind,  indem  jeder  Zögling  für  ganze 
Verpflegung  (sammt  Wäsche,  Lehrbücher  und  Instrumente)  circa  270  Frcs. 
vierteljährig  zu  zahlen  hat.  Es  gibt  aber  auch  Freiplätze.  Die  Aufsicht  ist 
eine  sehr  strenge  (die  Zöglinge  dürfen  nur  sechsmal  im  Jahre  ausgehen). 
Nebst  praktischer  und  theoretischer  Geburtshilfe  wird  gelehrt:  Impfung, 
Kinderpflege,  Wundverband.  Im  Juni  eines  jeden  Jahres  werden  die  Prüfun- 
gen abgehalten. 

In  der  Praxis  ist  den  Hebammen  die  Anwendung  von  Instrumenten 
strengstens  untersagt.  In  entsprechenden  Fällen  haben  sie  sofort  einen  Arzt 
zu  verständigen;  desgleichen  sind  sie  bei  Gefängnisstrafe  verpflichtet,  inner- 
halb drei  Tagen  nach  einer  vorgenommenen  Entbindung  die  Geburt  des 
Kindes  anzuzeigen,  falls  kein  Vater  anwesend  ist,  dem  diese  Pflicht  gesetzlich 
zukommt.  —  Ein  grosser  Theil  der  Pariser  Hebammen  hat  Privatentbindungs- 
anstalten (maison  d'accouchement),  aus  denen  sie  ziemlich  bedeutenden  Nutzen 
ziehen.  Die  Sages-femmes  der  verschiedenen  Arondissements  stehen  unter  der 
Aufsicht  der  Sous-Präfectur. 

Im  Jahre  1890  tagte  in  Paris  eine  Commission,  bestehend  aus  den 
Herren  Bourgoin,  Brouardel,  Gueniot,  Nocard,  Tarnier  und  Budin,  nach 
deren  Beschlüssen  den  Hebammen  gestattet  werden  sollte  ein  starkes  Anti- 
septicum  zur  entsprechenden  Verwendung  mit  sich  zu  führen,  ja  sogar  selbst 
zu  verschreiben.  Folgendes  Pulver  wurde  nach  dem  Vorschlage  des  Referenten 
gebilligt: 

Sicblimat.  0'25 

Äcid.  tartar.  l'O 

Bouge  de  Bordeaux  O'Ol. 

Aul  der  Umhüllung  des  Pulvers  hat  gedruckt  zu  stehen:  Sublimat  0'25, 
für  ein  Liter  Wasser;  giftig.  Die  weiteren  Beschlüsse  der  Commission  lauteten: 
Zur  Einfettung  der  Finger  diene  Sublimat- Vaselin,  das  in  der  Menge  von 
30  9^  und  der  Concentration  1  :  1000  in  den  Apotheken  den  Hebammen  verab- 
reicht werden  dürfe;  Metallinstrumente  sind  in  kochendem  Wasser  zu  steri- 
lisiren;  die  mit  oben  bezeichnetem  Pulver  dargestellte  Sublimatlösung  diene 
zur  Reinigung  der  Hände  der  Hebamme  sowohl,  als  zur  Reinigung  der  Ge- 
schlechtstheile  der  Kreissenden;  Carbol  ist  zur  Vereinfachung  der  Desinfec- 
tionspraxis  gar  nicht  anzuwenden. 

In  Belgien  recrutiren  sich  nach  Graefe  die  Hebammen  durchschnitt- 
lich aus  einem  viel  besseren  Material  und  sind  auch  besser  ausgebildet,  als 
die  deutschen.  In  einer  Instruction,  welche  eine  medicinische  Commission 
der  belgischen  Provinz  Luxemburg  erlassen  hat  (1889),  werden  häufige  Va- 
ginalinjectionen   mit    1 — 3°/o    Carbollösung   den   Hebammen     „als   nützlich" 


HEBAMMENWESEN.  369 

empfohlen,  ja  selbst  intrauterine  Ausspülungen  darf  die  Hebamme  vornehmen, 
wenn  der  Arzt  anwesend  ist. 

In  Holland*)  halten  jährlich  6  ärztliche  Inspectoren  in  ihren  Bezirken 
eine  Aufnahmsprüfung  ab.  Hiebei  wird  eine  schriftliche  Schilderung  des 
Wohnortes,  Lebenslaufs  u.  s.  w.  gefordert,  zu  gleichzeitiger  Prüfung  der  Auf- 
fassungsgabe und  der  schriftlichen  Gewandtheit,  ferner  Uebung  im  Lesen  und 
Kechnen.  Es  bestehen  3  Schulen  bei  4*3  Millionen  Einwohner,  also  1  Schule 
auf  1*4  Millionen  Einwohner;  darunter  sind  2  Staatsschulen  (Amsterdam  und 
Rotterdam)  und  1  Gemeindeschule  (Groningen).  Die  Aufnahme  erfolgt  mit 
20  —  30  Jahren,  u.  zw.  mit  Bevorzugung  der  Unverheirateten;  Unterrichtsdauer 
2  Jahre.  Im  1.  Jahre:  Theoretischer  Unterricht  in  Geburtshilfe,  Lesen,  Rech- 
nen, Schreiben,  Physik;  in  letzterer  werden  das  Gesetz  der  Schwere,  Thermo- 
meter, Barometer,  Luftdruck  u.  s.  w.  besprochen.  Im  L  Jahre  wohnen 
die  S€hülerinnen  getrennt  vom  Entbindungsgebäude,  das  sie  jetzt  noch 
nicht  betreten.  Im  2.  Jahre  wohnen  die  Schülerinnen  in  der  Anstalt 
selbst;  eine  beschränkte  Zahl  von  Schülerinnen  wohnt  ausserhalb  der  Anstalt 
Der  Unterricht  wird  im  2.  Jahre  in  praktischer  Geburtshilfe  und  in  kleinen 
gynäkologischen  Verrichtungen  (Einsetzen  von  Pessaren  u.  s.  w.)  ertheilt. 

In  Italien**)  bestehen  bei  29  Millionen  Bewohnern  26  Hebammen- 
schulen, also  1  Schule  auf  l'l  Millionen  Bewohner.  Aufgenommen  werdeü 
Verheiratete  und  Unverheiratete  von  18 — 36  Jahren,  wenn  sie  eine  Aufnahme- 
prüfung vor  dem  Director  der  entsprechenden  Elementar-Schule  und  dem  Be- 
zirksschul-Inspector  nach  dem  Programm  der  3.  Elementarschule  im  Rechnen 
mit  Einschluss  der  Elemente  der  Geometrie  (Kreis,  Quadrat  u.  s.  w.),  ferner 
im  Lesen  und  Schreiben  bestanden  haben.  Der  Unterricht  dauert  2  Jahre. 
Im  1.  Jahre:  Theoretische  Geburtshilfe,  Untersuchung  von  Schwangeren;  die 
Schülerinnen  sind  bei  den  Geburten  anwesend,  leiten  sie  aber  nicht  selbst. 
Im  2.  Jahre:  Untersuchung  der  Kreissenden,.  Leitung  der  Geburt  und  des 
Wochenbettes.  Am  Ende  des  1.  Jahres  theoretische,  des  2.  Jahres  praktische 
Prüfung.  Den  Hebammen  gestattet  sind  Wendung,  Ausziehung  und  Nach- 
geburtslösung. 

In  Russland  ist  der  Ruf  nach  Regulirung  des  Hebammenwesens  ein 
dringender.  Dies  beweisen  die  Verhandlungen  in  der  gynäkologischen  Section 
des  III.  Congresses  russischer  Aerzte,  abgehalten  zu  Petersburg  im  Januar 
1889.  Alle  Mitglieder  erklärten  einstimmig  die  Untauglichkeit  der  Hebam- 
men und  die  Nothwendigkeit  einer  gründlichen  Umgestaltung  des  Hebammen- 
wesens.  In  der  Discussion  vertrat  namentlich  Dr.  S.  Chazax,  Chefarzt  der 
Frauenheilanstalt  zu  Grodno,  den  Standpunkt,  man  solle  die  active  Thätigkeit 
der  Hebammen  bei  Kreissenden  und  Wöchnerinnen  auf  ein  Minimum  beschrän- 
ken und  insbesondere  das  strenge  Verbot  ertheilen,  die  Hebamme  dürfe  weder 
die  Schwangere,  noch  die  Kreissende  vor  Abfluss  des  Fruchtwassers  unter- 
suchen. 

In  dem  „freien"  England  und  Amerika  kann  jede  Frau  Hebammen- 
dienste leisten,  welche  Lust  zu  dem  Gewerbe  hat.  Es  existiixu  zwar  eine 
Reihe  von  Hebammenschulen  (School  for  midwives),  doch  ist  deren  Besuch  kein 
obligatorischer  für  das  Recht  der  Ausübung  von  Hebammenpraxis.  Eine  An- 
zahl von  Midwives  lassen  sich  übrigens  von  den  geburtshilflichen  Gesell- 
schaften Certificate  ausstellen,  die  ihnen  als  Ersatz  der  Diplome  von  staat- 
lichen Anstalten  dienen.  Es  ist  ein  öffentliches  Geheimnis,  dass  diese  Ge- 
sellschaften namhafte  materielle  Vortheile  aus  diesen  Anfertigen  von  Zeug- 
nissen beziehen.  Die  Ueberwachung  der  Hebammen  in  praxi  und  die  Be- 
stimmung der  erlaubten  Functionen  unterliegt  fast  gar   keiner  Controle.    So 


*)  Nach  Mittheilmig  eines  holländischen  Gynäkologen  an  Herrn  Doc.  G.  Klein  (1886). 
**)  Nach  Mittheilungan  eines  italienischen  Gynäkologen  au  Herrn  Doc.  G.  Kledi  (1886). 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  24: 


370  HINTEßSCHEITELBEINLAGEN. 

wird  es  begreiflich,  dass  die  Stimmen  der  Aerzte  einmüthig  eine  neue  ge- 
setzliche Regelung  des  Hebammenwesens  verlangen.  Wer  die  letzten  Jahr- 
gänge der  „Lancet"  durchblättert,  der  wird  des  öfteren  finden,  aus  welchen 
Anlässen  strenge  Massregeln  di'ingend  erforderlich  erscheinen.  Allgemein  ist 
die  Klage  über  das  unzweckmässige,  ja  gerade  gefährliche  Treiben  der  Midwives 
in  praxi.  Anderseits  macht  sich  das  Bestreben  geltend,  so  viel  als  möglich 
Aerzte  statt  der  Hebammen  bei  Geburten  Beistand  leisten  zu  lassen.  Nach 
einem  Berichte  Rosenberg's  geschieht  dies  in  Newyork  in  mehr  als  50^/o  der 
Fälle.  Im  Jahre  1891  wurden  24.134  Frauen  von  Aerzten  und  22.720  von 
Hebammen  entbunden.  —  Im  Jahre  1892  und  1893  tagte  in  London  eine 
Commission  von  Fachärzten,  bestehend  aus  den  Herren  Mr.  Albert  Brigth, 
Mr.  Tatton  Egerton,  Dr.  Farquharson,  Mr.  Fox,  Sir.  Fredrick  Fitz-Wygram, 
Sir  Henry  Honvorth,  Mr.  Fell  Pease  (als  Präsident),  Mr.  Priestley,  Mr.  Bath- 
hone,  Mr.  Stephens,  Mr.  Arthur  Williams,  deren  Beschlüsse  zur  Regelung  des 
Hebammenwesens  vom  Ministerium  dem  Parlament  vorgelegt  und  im  Jahre 
1894  bereits  im  Oberhause  durchbera-then  wurden. 

Ganz  irregulär  ist  das  Hebammenwesen  in  der  Türkei."")  Hebammen- 
dienste kann  jede  Frau  leisten,  die  sich  darauf  versteht;  meist  werden  diese 
Kenntnisse  in  einzelnen  Familien  von  Mutter  auf  Tochter  und  andere  Ver- 
wandte vererbt.  Nur  in  Constantinopel  besteht  an  der  militär ärztlichen 
Schule  eine  eigene  Hebammenlehranstalt  seit  ca.  20  Jahren.  Der  Unterricht 
dauert  3  Jahre,  wird  aber  nur  am  Phantom  ertheilt.  Später  ist  es  den  Zög- 
lingen gestattet  an  den  Uebungen  in  der  Frauenambulanz  des  Municipal- 
krankenhauses  (Beledie  Khastakhanessi)  Antheil  zu  nehmen.  Die  Zahl  der 
Schülerinnen  beträgt  jährlich  ca.  30.  Die  Prüfungen  dürfen  auch  in  fran- 
zösischer Sprache  abgelegt  werden.  In  Constantinopel  dürfen  nur  die  in  dieser 
Hebammenanstalt  ausgebildeten  Candidatinnen  prakticiren;  es  steht  ihnen  aber 
auch  frei  in  irgend  einem  anderen  Orte  der  europäischen  oder  asiatischen 
Türkei  ihre  Praxis  auszuüben.  c.  ß. 

Hinterscheitelbeinlagen.  Die  Hinterscheitelbeinstellung,**) 
ist  eine  Geburtsanomalie,  die  darin  besteht,  dass  nicht  wie  bei  normaler  Geburt 
beide  Kopfhälften  gleichmässig  ins  Becken  hineintreten,  sondern  das  hintere 
Scheitelbein  auf  oder  in  dem  Beckeneingang  vorliegt.  Die  Pfeilnaht  muss 
darnach  mehr  oder  weniger  der  Schamfuge  genähert  sein  und  die  Fruchtaxe 
bei  dieser  Schädelhaltung  nothwendigerweise  eine  Abknickung  im  Halstheil 
erfahren.  Es  besteht  eine  recht-  oder  spitzwinklige  Seitenbeugung  des 
Kopfes  (caput  obstipum)  gegen  die  vordere  Schulter  hin  und  der  Uterus  be- 
kommt dadurch  eine  Convexität  der  Uterusaxe  nach  hinten.  Litzmann,  der 
nach  Michaelis  das  Verdienst  hat  diese  Anomalie  zuerst  näher  untersucht 
zu  haben,  unterscheidet  3  Grade.  Erster  Grad:  Die  Pfeilnaht  verläuft  1-5— 2-5  cm 
vor  der  Mittellinie  des  Beckens.  Zweiter  Grad:  Die  Pfeilnaht  verläuft  hinter 
dem  oberen  Rand  der  Symphyse.  Dritter  Grad:  Pfeilnaht  oberhalb  der  Sym- 
physe, nur  das  hintere  Scheitelbein  vorliegend  zu  fühlen,  an  oder  neben  dem 
Promontorium  das  Ohr  (Ohrlage). 

Aetiologie:  Die  Ursache  dieser  Anomalie  ist  noch  keineswegs  klar. 
Die  Hinterscheitelbeinstellung  kommt  vorwiegend  bei  engem  Becken  vor, 
doch  auch  bei  normalem  Becken  wird  sie,  wenn  auch  seltener,  beobachtet. 

Als  Grund  derselben  wird  angeführt: 

1.  Beckenenge, 

2.  starke  Beckenneigung  besonders  bei  straffen  Bauchdecken,  weil  da- 
durch die  Uterusaxe  hinter  die  Axe  des  Beckeneingangs  fallen  soll, 


*)  Nach  Mittheilungen  des  Herrn  Dr.  Mazahr  Effenw. 
**)  Vergleiche  Artikel  „F7-itcJdlagen'^  pag.  260. 


IIINTERSCHEITELBEINLAGEN. 


371 


3.  plötzlicher  Fruchtwasserabfluss  bei  starker  Beckenneigung, 

4.  abnorm  spitzer  Winkel  zwischen  Symphyse  und  Conjugata  vera, 

5.  tiefer  Stand  des  Promontoriums, 

6.  Hängebauch,  ,    .     . 

7.  volle  Harnblase,  weil  sie  die  Krümmung   der   Uterusaxe   betordern 

soll  u.  a.  m. 

Die   Häutigkeit   der   Hinterscheitelbeinstellung  gibt   Litzmann    au 

auf  l-27o  der  Geburten  bei  normalem  Becken, 

auf   107o  der  Geburten  bei  engem  Becken, 

auf   20"/o  der  Geburten  bei  allgemein  gleichmässig  verengtem  Becken. 

J.  Veit  fand  11 — 14  unter  1000  schweren  Geburten. 

Die  Diagnose  ergibt  sich  aus  dem  Befund:  Vorliegen  des  hinteren 
Scheitelbeines,  Pfeilnaht  quer  verlaufend  hinter  der  Symphyse,  beim  3.  Grade 
das  Ohr  fühlbar,  das  vordere  Scheitelbein  ist  unter  das  hintere,  vorliegende 
untergeschoben,  dies  eine  Veränderung,  die  auch  nach  Eintritt  des  Kopfes  ins 
kleine  Becken  eine  nachträgliche  Diagnose  der  Anomalie  ermöglicht.  Bei 
längerer  Dauer  der  Geburt  nach  dem  Blasensprung  ist  das  ganze  im  Becken- 
eingang vorliegende  Schädelgebiet  mit  einer  Kopfgeschwulst  bedeckt  und  dadurch 
die  Diagnose  oft  recht  erschwert.  Da  muss  denn  aufmerksames  Untersuchen 
der  Peripherie  des  Schädels  oder  Untersuchung  in  Chloroformnarcose  mit 
halber  Hand  Klarheit  schaffen.  Bei  der  äusseren  Untersuchung  fällt  mitunter 
eine  sichtbare  Delle  unterhalb  des  Nabels  auf  (Hegar). 

Ausgänge  und  Prognose:  Die  Hinterscheitelbeinstellung  wird  gewiss 
oft  genug  im  Anfang  der  Geburt  übersehen  und  findet  häufig,  besonders  bei 
normalem  Becken,  eine  Correction  durch  die  Geburtskräfte  statt.  Ist  die  Hinter- 
scheitelbeinstellung stärker  ausgeprägt,  so  ist  auf  Selbstcorrection  nicht  zu 
rechnen,  da  die  Bedingungen  für  den  Eintritt  des  Kopfes  in  dieser  Haltung 
zu  ungünstig  sind.  Bei  ganz  kleinen  Zwillingen  oder  unausgetragener  kleiner 
Frucht  ist  ein  Eintritt  des  Kopfes  in  dieser  Stellung  wohl  denkbar  und 
möglich,  bei  ausgetragenem  Kind  ist  die  Hinterscheitelbeiiastellung  als  ein 
schweres,  fast  unbedingtes  Geburtshindernis  zu  betrachten.  Es  stellt  sich  bei 
dieser  Haltung  des  Kopfes  in  die  Conjugata  ein  Durchmesser  von  circa  11  cm 
(von  der  Basis  des  Schädels  bis  zum  Scheitel).  Man  ersieht  daraus  die  enormen 
Schwierigkeiten,  die  dem  Eintritt  des  Kopfes  bei  dem  häufig  bei  Hinterscheitel- 
beinstellung vorhandenen  engen  Becken  entgegenstehen.  Die  Art  wie  in 
manchen  Fällen  der  Eintritt  dann  doch  spontan  erfolgt,  ist  folgende:  Das 
Promontorium  bildet  das  Hypoinochlion  für  eine  Drehbewegung,  die  der  Schädel 
etwa  um  seine  querstehende  Längsaxe  ausführt.  Das  vorliegende  hintere 
Scheitelbein  wird  stärker  convex,  das  vordere  Scheitelbein  unter  das  hintere 
untergeschoben,  muss  an  der  breiten  Reibungsfläche  der  vorderen  Beckenwand 
heruntergepresst  werden.  Dabei  nähert  sich  unter  Tiefertreten  die  Pfeilnaht 
mehr  und  mehr  der  Mittellinie  des  Beckens. 

Litzmann  nahm  an,  dass  dabei  sich  das  hintere  Scheitelbein  am  Pro- 
montorium Avieder  in  die  Höhe  schob,  ein  Mechanismus,  der  von  J.  Veit  be- 
stritten wird.  Tritt  keine  Selbstcorrection  im  Anfang  der  Geburt  ein,  fehlt 
die  Kunsthülfe,  so  besteht  die  Gefahr,  dass  bei  Nichttiefertreten  des  Schädels 
in's  Becken  durch  Eetraction  des  Uterus  und  Dehnung  des  unteren  Uterin- 
segments Uterusruptur  eintritt,  die  in  diesem  Falle  um  so  schwieriger  zu 
erkennen  ist,  als  die  Dehnung  besonders  die  hintere  Wand  des  unteren 
Uterinsegments  betrifft» 

Therapie.  Im  Anfang  der  Geburt  kann  man  bei  stehender  Blase  durch 
xlufstehenlassen,  Anordnung  einer  sitzenden  Stellung  und  Herumgehenlassen 
der  Kreissenden  die  Anteversionsstellung  des  Uterus  zu  vermehren  und  damit 
eine  Correctiou  der  fehlerhaften  Kopfstelluug  zu  erreichen  suchen.  Es  wii'd 
ferner  empfohlen  ein  festes  Polster  unter  eine  straffgezogene  Leibbinde  ober- 

24* 


372  HYDRAMNIOS. 

halb  der  Symphyse  dabei  anzulegen.  Andere  rathen  die  Rectification  der  Stel- 
lung dui'ch  Handgriffe  von  Aussen,  Druck  oberhalb  der  Symphyse  auf  den  Kopf, 
besonders  während  der  Wehen,  ferner  Seitenlagerung  auf  die  Seite  der  Stirn 
(A.  Martin).  Auch  innere  Handgriffe  werden  empfohlen  durch  Eingehen  mit 
der  ganzen  Hand  zur  Correction  der  Kopfstellung  oder  Druck  gegen  den  vor- 
springenden Rand  des  Scheitelbeines  nach  hinten  zur  Beschleunigung  des 
Mechanismus  des  Eintrittes.  Alle  diese  Mittel  dürften  ziemlich  erfolglos  sein 
und  besteht  der  Verdacht,  dass  sie  bei  scheinbarem  Erfolg  unnöthig  waren, 
da  sie  in  den  meisten  Fällen  ganz  im  Stich  lassen.  Früher  wurde  die 
Zange  empfohlen.  Litzmann  wollte  sich  von  Aussen  den  Kopf  in  annä- 
hernd normale  Stellung  drücken  und  fixiren  lassen,  die  Zange  quer  anlegen 
und  extrahiren.  Man  hält  jetzt  die  Zange  für  ein  ungeeignetes  und  sogar 
sehr  gefährliches  Instrument  bei  dieser  Stellung.  Natürlich  ist  eine  An- 
wendung der  Zange  nach  erfolgtem,  vollkommenen  Eintritt  des  Kopfes  ins 
Becken  auf  gegebene  Indication  hin  erlaubt  und  geboten,  denn  dann  hat  man 
ja  keine  Hinterscheitelbeinstellung  mehr. 

Die  heute  am  meisten  zu  empfehlende  Therapie  ist  die,  dass 
man  bei  der  Stellung  des  Schädels,  welche  dem  2.  und  3.  Grade  Litzmann's 
entspricht  und  bei  einer  ausreichenden  Beweglichkeit  des  Schädels  zu  prü- 
fen hat,  ob  die  Wendung  auf  die  Füsse  gemacht  werden  kann,  und  im 
bejahenden  Falle  sie  auszuführen.  Zu  berücksichtigen  ist  die  frühzeitig  ein- 
tretende Dehnung  des  unteren  Uterinsegments,  welche  eine  Wendung  sehr 
gefährlich  machen  könnte.  Handelt  es  sich  um  den  ersten  Grad  Litzmann's 
so  wird  man  die  spontane  Entwicklung  abzuwarten  suchen,  zumal  da  die 
Zeit  der  Wendung  dann  meist  vorüber  und  die  Aussichten  auf  spontane 
Geburt  nicht  ungünstig  sind.  Aber  auch  da  muss  man  sich  durch  genaue 
Beobachtung  des  Befindens  der  Mutter  (P'ieber,  blutiger  Urin  etc.)  ebenso  wie 
in  den  Fällen  von  Grad  2  und  3,  wo  die  Wendung  nicht  mehr  möglich 
war,  hüten  den  Zeitpunkt  zu  versäumen,  in  dem  eine  Rettung  des  mütterli- 
chen Lebens  durch  Perforation  des  Kindes  noch  möglich  ist.      f.  droysen. 


iraniniOS  (Hydrops  amnii,  Tolyhydramnie).  Wenn  man  nach 
Fehling  die  mittlere  Fruchtwassermenge*)  am  rechtzeitigen  Schwangerschafts- 
ende mit  630  ccm  annimmt,  ein  Plus  darüber  bis  zur  Gesammtmenge  von 
1500  ccm  als  „reichliches  Fruchtwasser"  bezeichnet,  so  heisst  man  jede,  über 
diese  Quantität  hinausgehende  Fruchtwasserbildung  einen  Hydramnios.  Gassner 
hat  als  Durchschnittsmenge  am  Ende  der  Gravidität  1877  ccm  gefunden. 

Die  übermässige  Fruchtwasserbildung  kann  eine  ziemlich  beträchtliche 
Höhe  erreichen,  eine  Höhe,  wo  man  fast  nicht  glauben  möchte,  dass  der  Uterus 
eine  solche  Expansion  seiner  Wandungen  zulässt.  In  einem  von  Küstner 
beobachteten  Falle  betrug  der  Leibumfang  in  der  Nabelhöhe  124  cm.  Wir 
konnten  in  einem  Falle  von  Hydramnios  einen  Leibumfang  von  115  ccm  nach- 
weisen und  betrug  dabei  die  Entfernung  vom  oberen  Symphysenrande  bis  zum 
Processus  ensiformis  52  cm. 

Die  Beobachtungen  der  oberen  Grenze  der  Fruchtwasserbildung  fallen 
umsomehr  auf,  als  zur  Zeit  des  Befundes  das  normale  Schwangerschafts- 
ende noch  nicht  erreicht  war,  in  vielen  Fällen  noch  mehrere  Monate  auf  das- 
selbe fehlten.  So  beobachteten:  Schneider  30  Liter  (6.  Mon.),  Küstner 
15  Liter  (5.  Mon.),  Scarpa  7V2  Liter  (6.  Mon.),  Martin  7  Liter  (7.  Mon.) 
OsiANDER  6  Liter  (6  Mon.).  —  Die  grösste  Menge  unserer  Beobachtung  betrug 
5V2  Liter  am  rechtzeitigen  Ende  der  Schwangerschaft. 

Die  häufigste  Ursache  zur  Entstehung  des  Hydramnios  liegt  in  Stö- 
rungen der  Entwicklung  im  Ei   selbst.    Jungbluth,  Lebedefp  u.  A.  suchen 


*)  Vergl.  Artikel  y,Fruchtentwicklung" ,  pag.  254. 


HYDRAMNIOS.  373 

die  Entstehung  in  einem  langen  und  weiten  Offenbleiben  der  Vasa  propria 
der  Grenzmembran  der  Placenta,  wenn  diese  Capillaren  nicht  rechtzeitig  ob- 
literiren.  Durch  Stauungen  im  fötalen  Kreislaufe  (Herzfehler,  Lebererkran- 
kungen) wird  die  Entstehung  dieser  Anomalie  begünstigt.  Infolge  des  er- 
höhten fötalen  Blutdruckes  in  diesen  Capillaren  kommt  es  zu  einer  vermehrten 
Transsudation  in  die  Amnioshöhle.  Nachdem  die  Nabelstranggefässe  mit  den 
Vasis  propriis  der  Grenzmembran  zusammenhängen,  kommt  es  dann  auch  zu 
Oedem  der  Nabelschnur  und  einer  Transsudation  aus  den  Gefässen  derselben. 
Auch  die  Placenta  wird  ödematös  und  deren  oberflächlich  liegenden  Gefässe 
transsudiren  in  die  Amnioshöhle.  Als  weitere  Ursachen  seitens  des  Gefäss- 
systems  werden  genannt:  Stenose  der  Vena  umbilicalis,  Varices  dieser  Vene, 
übermässige  Torsion  der  Nabelschnur,  Insertio  velamentosa,  Insufficienz  der 
Tricuspidalis,  der  Pulmonalklappen,  Stenose  des  Ductus  Botalli.  —  Seitens 
der  Leber:  Syphilis,  Stauung  und  Cirrhose  (Küstner).  —  Seitens  der  Lunge: 
Syphilis.  —  Der  Umstand,  dass  der  Harnstoffgehalt  des  Fruchtwassers  bei 
Hydramnios  oft  vermehrt  ist,  lässt  einzelne  Autoren,  für  diesen  den  renalen 
Ursprung  annehmen. 

Wenn  der  Boden  der  Ventrikel  bei  Hemicephalie,  oder  des  Canalis  spi- 
nalis  bei  Spina  bifida  blossliegt,  kann  der  Hydramnios  durch  den  continuir- 
lichen  Erguss  der  Cerebrospinalflüssigkeit  in  die  Amnioshöhle  bedingt  werden 
(Feitsch).  Auffallend  ist  es  dem  gegenüber  aber,  dass  bei  geschlossenem 
Hydrocephalus,  wo  also  der  Liquor  cerebrospinalis  nicht  nach  aussen  gelangen 
kann,  fast  immer  auch  der  Hydramnios  beobachtet  wird.  Nach  Schultze 
kommt  es  auch  zu  einem  Hydramnios,  wenn  die  Production  des  Fruchtwassers 
grösser  ist,  als  die  Kesorption;  letztere  in  dem  Sinne,  dass  der  Fötus  zu  wenig 
Wasser  schluckt. 

Constant  lässt  sich  der  Hydramnios  bei  eineiigen  Zwillingen  beobachten, 
so  dass  dieser  Umstand  einen  diagnostischen  Werth  für  die  eineiige  Zwillings- 
schwangerschaft hat.  Man  hat  früher  von  einer  häufigen  Coincidenz  des  Hy- 
dramnios mit  Zwillingsschwangerschaften  gesprochen;  doch  seit  den  genauen 
Untersuchungen  von  Schatz  und  KtiSTNER  stellte  es  sich  heraus,  dass  der 
Hydramnios  nur  mit  eineiigen  Zwillingen  vergesellschaftet  ist.  Der  Hydram- 
nios bei  eineiigen  Zwillingen  ist  nur  einseitig,  das  heisst,  nur  eine  Amnios- 
höhle enthält  eine  übermässige  Fruchtwassermenge,  während  in  der  Amnios- 
höhle des  Zwillingsnachbars  eine  normale  oder  unter  der  Norm  stehende 
Fruchtwassermenge  enthalten  ist.  Während  die  Eihöhle  des  ersteren  prall 
gespannt  und  stark  ausgedehnt  ist,  kann  die  letztere  schlaff  sein  und  wenn 
die  Fruchtblase  derselben  dem  untersuchenden  Finger  zugänglich  ist,  kann 
aus  diesem  Umstände  die  Diagnose  auf  eine  eineiige  Zwillingsschwangerschaft 
gestellt  werden.  Bei  eineiigen  Zwillingen  bestehen  Anastomosen  der  placen- 
taren  Gefässbezirke,  ein  Befund,  der  schon  den  älteren  Autoren  bekannt  war. 
Die  Anastomosen  können  oberflächlich  oder  tiefliegend  sein  und  betreffen  das 
arterielle  und  venöse  Gebiet,  vorwiegend  das  erstere.  Diese  Anastomosen  er- 
möglichen eine  Transfusion  des  Blutes  des  einen  Zwillings  zum  anderen. 
Schatz  nennt  diese  Anastomosenbezirke  „Zottentransfusionsbezü'ke".  Man 
kann  einen  solchen  Zottentransfusionsbezirk  an  einer  Placenta  durch  Luft- 
einblasen in  diese  durch  die  Nabelstranggefässe  in  folgender  Weise  abgrenzen: 
Treibt  man  durch  die  Gefässe  der  einen  Nabelschnur  in  eine,  schon  längere 
Zeit  freigelegene  Placenta,  Luft  ein,  so  nimmt  die  Oberfläche  jenes  Placenta- 
abschnittes,  der  von  der  Luft  beschickt  wird,  eine  hellere  Färbung  an.  Die 
mediane  Begrenzungslinie  wird  nun  durch  Nadeln  abgesteckt.  Wenn  hierauf 
nach  längerer  Zeit  von  der  anderen  Nabelschnur  Luft  eingeblasen  wird,  so 
nimmt  wieder  der  zu  dieser  gehörige  Placentatheil  eine  hellere  Färbung  an. 
Durch  Absteckung  des  medianen  Abschnittes  auch  dieses  Placentaabschnittes 
erhält  man  den  gemeinsamen  Zottentransfusionsbezirk. 


374  HYDRAMNIOS. 

Der  liydramniotisclie  Zwilling  ist  stärker  entwickelt,  der  andere,  in  dessen 
Amnioshölile  weniger  Fruchtwasser  enthalten  ist,  schwach,  in  der  Entwicklung 
zurückgeblieben,  oder  verkümmert.  Das  Herz  des  ersteren  zeigt  Hypertro- 
phie; in  dessen  Leber  lässt  sich  venöse  Stauung  nachweisen.  Die  mit  der 
letzteren  einhergehende  Stauung  im  Pfortadersystem,  bedingt  bei  diesem  oft 
auch  einen  Ascites  und  Hydrothorax.  Bei  Fortdauer  der  Störung  im  Pfort- 
adersystem tritt  Schrumpfung  der  Leber  ein. 

KüSTNEE  fasst  seine  (von  Schatz  abweichende)  Theorie  des  Hydramnios 
bei  eineiigen  Zwillingen  in  folgende  3  Punkte  zusammen:  „Durch  immer 
grössere  Ueberlegenheit  gelingt  es  dem  kräftigeren  Fötus  alsdann  bald  wei- 
tere Placentagebiete  zu  erobern  und  so  das  schwächere  Zwillingsgeschwister 
immer  mehr  und  mehr,  aus  dem,  der  Anlage  nach,  diesem  gehörigen  Placentar- 
bezirk  herauszudrängen.  Dasjenige  Organ  aber,  welches,  weil  am  meisten  in 
Anspruch  genommen,  sich  am  rapidesten  entwickeln  muss,  ist  das  Herz;  dieses 
hypertrophirt  zu  unverhältnismässiger  Grösse.  Folge:  Mehr  Urins e er e- 
tion  in  den  Amniossack  hinein.  Schliesslich  kann  aber  das  hyper- 
trophirte  Herz  seiner,  sich  immer  mehr  steigernden  Aufgabe  nicht  mehr  ge- 
nügen, es  wird  relativ  insufficient.  Von  diesem  Momente  an  entwickeln  sich 
dann  Erscheinungen  des  erhöhten  Druckes  mit  Stase  im  Venensysteme  und 
es  macht  sich  diese  Drucksteigerung  als  Oedem  geltend.  Folge:  Mehr 
Transsudation  in  den  Amniossack  hinein.  Wenn  die  Druckerhöhung 
im  Venensysteme  lange  genug  besteht,  so  entwickelt  sich  unter  ihrem  Ein- 
flüsse die  Lebercyanose,  ganz  analog  wie  bei  Herzfehlern  extrauterin  lebender 
Menschen.  Diese  Lebercyanose  hat  als  Endstadium  die  Lebercirrhose,  Folge: 
Steigerung  des  schon  gesteigerten  Druckes  im  Gebiete  der 
Xabelvene,  noch  mehr  Transsudation  in  den  Amniossack  hinein." 

Hinsichtlich  des  Verlaufes  des  Hydramnios  müssen  wir  jene  Fälle,  w^o 
die  Fruchtwasserbildung  eine  nur  stetig  zunehmende  ist,  von  jenen  unter- 
scheiden, wo  in  wenigen  Wochen  die  Amnioshöhle  sich  zu  einer  enormen  Höhe 
anfüllt  und  welchen  Zustand  Charpentier  mit  dem  Namen  acuter  Hyd- 
ramnios bezeichnet  hat. 

Während  die  ersteren  Fälle,  ausser  einer  unbequemen  Schwere,  keine 
anderen  Symptome  zu  geben  brauchen,  erreichen  im  letzteren  Falle  die  me- 
chanischen Schwangerschaftsbeschwerden  oft  einen  hohen  Grad  und  können 
dem  Arzte  zu  activem  Vorgehen  Veranlassung  geben.  Die  lästigsten  Symp- 
tome sind  Athembeschwerden,  die  sich  bis  zum  Lufthunger  steigern  können 
und  die  bis  zu  einer  enormen  Grösse  anwachsenden  Oedeme  der  unteren  Ex- 
tremitäten, der  grossen  und  kleinen  Labien  und  der  Bauchdecken.  Als  Be- 
gleiterscheinung wird  bei  acutem  Hydramnios  regelmässig  Albuminmie  beob- 
achtet; in  einem  von  uns  beobachteten  Falle  ist  auch  Anurie  eingetreten  und 
konnte  der  rechte  Ureter  als  fingerbreiter,  aber  vollkommen  abgeplatteter 
Strang  getastet  werden.  Alle  diese  Symptome  und  Befunde  schwinden,  wenn 
der  Fruchthalter  entleert  ist,  oder  zum  mindesten  die  Eihöhle  verkleinert  wird. 

Nach  dem  Gesagten  richtet  sich  auch  unser  therapeutisches  Vor- 
gehen. Bei  beginnender  Athemnoth  kann  man  dieser  durch  Höherlagerung  des 
Oberkörpers  entgegenarbeiten;  da  jedoch  auch  während  des  Schlafes  diese  Lage 
eingenommen  werden  muss,  kommt  es  zu  baldiger  Uebermüdung,  die  umso- 
mehr  zu  berücksichtigen  ist,  als  auch  bei  diesen  Beschwerden  die  Nahrungs- 
aufnahme nur  eine  spärliche  ist.  Bei  sicher  vorhandenem  acuten  Hydramnios 
ist  die  einfachste  und  beste  Hilfe  die  künstliche  Blasensprengung  und  damit 
vorzeitige  Unterbrechung  der  Schwangerschaft.  Man  thut  gut,  diesen  Ent- 
schluss  bald  zu  fassen,  denn  einerseits  haben  wir  gesehen,  dass  die  Lebens- 
fähigkeit der  Früchte  bei  acutem  Hydramnios  so  gut  wie  auszuschliessen  ist 
(handelt  es  sich  doch  in  den  meisten  Fällen  um  einen  Hydrocephalus,  Hemice-- 
phalus,  eine  Hydrorrhachis,  Stauungsleber,  Lebercirrhose  mit  Hydrops  Ascites 


HYDRORRIIOEA  UTERI  GRAVIDI.  375 

und  Hydrothorax),  andererseits  Jcann  bei  Fortbestelien  der  Schwangerschaft,  ganx 
abgesehen  von  den  mechanischen  Schwangerschaftsbeschwerden,  die  missbil- 
dete Frucht,  zu  allerlei  ernsten,  ja  auch  das  mütterliche  Leiten  Itedrohenden 
Geburtscomplicationen  Veranlassung  geben.  Der  vom  Fundus  aus  vor- 
zunehmenden periodischen  Function  der  Eihöhle  können  wir  nicht  beistimmen 
und  möchten  diesen  Vorgang  auch  nicht  empfehlen. 

Im  Beginn  der  Athembeschwerden  haben  wir  sowohl  diese,  als  auch  die 
Oedeme  sich  auffallend  vermindern  gesehen,  wenn  eine  Ableitung  auf  die  Nieren 
durch  schwach  wirkende  Diuretica  und  durch  warme  Bäder  eine  profuse 
Schweissbildung  hervorgerufen  wurde.  piskaöek. 

Hydrorrhoea  Uterä  gravidio  Abnorm  starke  Wucherung  der  Uterin- 
drüsen der  Decidua  vera  bildet  eine  anatomische  Ursache  und  Erklärung  ihrer 
vermehrten  Secretion,  so  dass  durch  letztere  ein  Hindernis  dafür  entsteht, 
dass  sich  die  Decidua  vera  und  reflexa  an  einander  legen,  was  dann  entweder 
unvollständig  oder  gar  nicht  geschieht.  Das  Secret  sammelt  sich  zwischen 
beiden  Deciduen  an  und  fiiesst  schliesslich,  wenn  es  den  Widerstand  am 
Orificium  internum  überwunden  hat,  ab.  Es  ist  zweifellos,  dass  die  Eihäute 
durchlässig  sind,  und  dass  daher  die  Möglichkeit  gegeben  ist,  dass  zwischen 
Amnion  und  Chorion  und  zwischen  Chorion  und  Decidua  circumflexa  gevrisse 
Quantitäten  von  Fruchtwasser  austreten,  welche  unter  wehenartigen  Schmerzen 
auch  zum  Austritte  gebracht  werden  können,  ohne  dass  es  zu  einer  Berstung 
der  Eihäute  und  vorzeitigem  Geburtseintritte  kommt.  Es  zeigt  sich  selten 
schon  im  Anfange,  also  im  2.  oder  3.  Monate,  meistens  erst  nach  der  Mitte 
einer  bis  dahin  normal  verlaufenen  Gravidität  ein  massiger  Ausfluss  aus  den 
Genitalien  der  Frauen,  welcher  sowohl  im  Bette  als  beim  Umhergehen  erfolgt, 
gewöhnlich  morgens  am  stärksten  ist  und  von  wenigen  Tropfen  bis  zu  einer 
grösseren  Menge  steigen  kann.  Der  Ausfluss  tritt  theils  ohne  jede  Empfin- 
dung ein,  theils  aber  gehen  ihm  wehenartige  Schmerzen  voraus,  die  erst  nach 
reichlicher  Entleerung  nachlassen.  Manche  Frauen  haben  hieb  ei  ziemliches 
Wohlbefinden,  bei  anderen  tritt  Abnahme  der  Kräfte,  Anämie  in  Folge  der 
Säfteverluste  ein,  und  es  sind  dementsprechend  Frühgeburten  nicht  zu  selten, 
wenn  auch  in  den  meisten  Fällen  die  Schwangerschaft  ihr  normales  Ende 
erreicht  oder  wenigstens  fast  ganz  bis  zum  normalen  Ende  dauert.  Kolpitis 
oder  Endometritis  bedingen  manchmal  eine  eitrige  Beimengung  des  Secretes ; 
zuweilen  finden  wir  das  Secret  auch  blutig  tingirt. 

Stockt  der  Ausfluss,  was  mitunter  der  Fall  ist,  so  wird  das  Abdomen 
durch  die  Ansammlung  des  Secretes  stark  ausgedehnt,  nimmt  aber  an  Volumen 
ab,  wenn  durch  Contractionen  des  Uterus  der  Widerstand  beseitigt  und  der 
flüssige  Inhalt  abgegangen  ist.  Der  Abfluss  erfolgt  ohne  Prodromalsymptome, 
und  folgt  ihm  die  Frühgeburt,  so  liegen  meist  zwischen  dieser  und  dem  An- 
fange des  Leidens  einige  Wochen. 

Diese  Hypersecretion  kommt  zuweilen  in  mehreren  Schwangerschaften 
nacheinander  vor.  Viele  Patientinnen  tragen  aber  bei  monatelangem  Abflüsse 
dieser  Art  völlig  aus.  Was  das  Secret  als  solches  betrifft,  so  muss  es  vom 
Fruchtwasser,  Harn  und  den  Secreten  bei  Endometritis  colli  und  Kolpitis 
unterschieden  werden.  Vom  Fruchtwasser  unterscheidet  es  sich  durch  den 
Mangel  an  Vernix  caseosa  und  dadmxh,  dass  die  Frühgeburt  entweder  gar 
nicht  oder  erst  sehr  spät  nach  dem  Abflüsse  eintritt.  Die  Unterscheidung 
von  Harn  wird  durch  die  geringe  Menge  des  Harnstoffes  im  Secrete,  die  neu- 
trale oder  alkalische  Reaction  und  durch  den  Nachw  eis  des  Abflusses  aus  der 
Gebärmutter  ermöglicht.  Da  das  Secret  bei  Hydi'orrhoea  uteri  gra^ddi  nicht 
wie  jenes  der  Endometritis  colli  und  Kolpitis  Eiter  und  Pilze  enthält,  fällt 
es  nicht  schwer,  es  von  diesem  pathologischen  Producte  zu  unterscheiden. 


376  HYPEREMESIS  GRAVIDARUM. 

Das  Leiden  findet  sich  haiiptsäclilich  bei  Vielgeschwängerten,  und  hcäufig 
sind  früher  bestandene  intensive  Katarrhe  des  Uterus  als  Ursache  zu  betrachten. 
Oft  kommt  es  bei  zarten,  etwas  anämischen  und  hysterischen  Frauen  und 
manchmal  bei  Herzkranken  vor.  Die  Prognose  ist  ziemlich  günstig,  wofern 
nicht  die  Kranken  durch  die  Säfteverluste  zu  sehr  erschöpft  sind.  Auch  die 
Frucht  ist  nicht  immer  schwächlich  und  es  ist  wie  schon  erwähnt,  die  Früh- 
geburt, wenn  auch  nicht  selten,  doch  nicht  immer  nothwendig.  Mit  der  voll- 
endeten Entbindung  ist  das  Leiden  in  den  meisten  Fällen  vollständig  beseitigt. 
Was  die  Therapie  anbelangt,  so  sind  Kühe  und  Vermeidung  von  zu  reichlichen 
und  starken  Getränken  indicirt.  Gegen  den  lästigen  Ausfluss  wendet  man  am 
besten  Liigationen  oder  Injectionen  mit  leicht  adstringirenden  Flüssigkeiten 
an.  Gegen  drohenden  Abortus  oder  Partus  praematurus  sind  Narcotica  und 
Ruhe  angezeigt,  gegen  die  anämischen  Zustände  verordnet  man  Eisenälbu- 
minate  und  ausserdem  ist  für  gehörige  Diurese  und  Defäcation  Sorge  zu  tragen. 

V.   BEAUN-FERNWALD. 

HyperemesiS  gravidarum  (Unstillbares  Erbrechen).  Während  ein 
Erbrechen  bei  nüchternem  Magen  zu  den  gewöhnlichen  Vorkommnissen  in 
der  Schwangerschaft  gehört  und  deshalb  auch  unter  den  muthmasslichen 
Zeichen  derselben  angeführt  wird,  bildet  das  „unstillbare  Erbrechen" 
eine  schwere  Schwangerschaftscomplication.  Schwangere,  die  zum  Erbrechen 
bei  nüchternem  Magen  neigen,  werden  von  demselben  beim  Aufstehen  befallen. 
Nach  eingenommenem  Frühstück  hört  meist  das  Erbrechen  auf,  oder  bleibt 
ganz  aus,  wenn  das  Frühstück  vor  dem  Aufstehen  liegend  eingenommen  wurde. 

Obzwar  aber  das  Erbrechen  bei  nüchternem  Magen  und  das  unstillbare 
Erbrechen  auf  eine  ähnliche  Ursache  zurückzuführen  sind,  ist  das  Bild  und 
der  Verlauf  des  letzteren  ganz  eigenthümiich.  Dasselbe  tritt  wohl  auch  bei 
nüchternem  Magen  auf,  wiederholt  sich  aber  fortwährend,  wenn  der  Magen 
etwas  aufgenommen  hat  und  ist  dieser  leer,  dann  kommt  es,  unter  Würgen, 
zum  Erbrechen  klaren,  gallig  gefärbten  oder  blutig  gestreiften  Schleimes.  Oft 
ist  dieser  Zustand  mit  Speichelfluss  complicirt.  Dieses  Versagen  der  Nahrungs- 
assimilation seitens  des  Magens  und  die  gleichzeitige  Abgabe  der  Körper- 
feuchtigkeit durch  die  Lungen,  die  Haut,  in  etwas  vermindertem  Maasse  durch 
die  Nieren,  dann  in  Form  von  Schleim  und  Speichel,  führen  zum.  successiven 
Verfall  der  Kräfte  und  präsentirt  sich  das  ganze  Krankheitsbild  nach  einigem 
Bestehen  wie  folgt:  Die  Mundhöhle  wird  trocken,  die  Zunge  feurig  roth,  der 
Athem  nimmt  einen  widerwärtigen  Geruch  an,  es  treten  Schmerzen  in  der 
Magengrube  auf,  die  Extremitäten  werden  kühl,  die  Haut  spröde  und  welk, 
der  Puls  klein  und  frequent,  der  Urin  wird  übelriechend,  stark  concentrirt 
und  eiweisshältig,  bisweilen  -sind  Cylinder  in  demselben  nachweisbar.  Stuhl- 
verstopfung ist  dabei  Regel  und  eines  der  lästigsten  Symptome  ist  der  quä- 
lende Durst.  Auffallend  und  vielleicht  ätiologisch  von  Belang  ist  die  Beobachtung, 
dass  mit  Fortschreiten  des  Zustandes  fast  immer  eine  Temperatursteigerung 
nachzuweisen  ist.  Hat  die  Inanition  einen  höheren  Grad  erreicht,  dann  treten 
Ohnmächten  und  Delirien  auf,  es  kommt  zum  Coma  und  schliesslich  zum 
letalen  Ausgang. 

Im  Anfang  der  Schwangerschaft  ist  meist  keine  nennenswerthe  Störung 
nachweisbar,  so  dass  von  einzelnen  Seiten  die  Ansicht  vertreten  wird,  als 
bestünde  im  ersten  Monate  eine  Immunität  gegen  dieses  Leiden;  höchstens 
dass  Erbrechen  bei  nüchternem  Magen  beobachtet  wird.  Wir  können  dieser 
Ansicht  nicht  beistimmen,  machen  vielmehr  zwischen  diesem  und  dem  unstill- 
baren Erbrechen  nur  einen  graduellen  Unterschied.  Richtig  ist,  dass  das 
Auftreten  des  letzteren  am  häufigsten  zwischen  dem  2.  und  4.  Monate  be- 
obachtet wird. 


HYPEREMESIS  GRAVIDARUM.  377 

Die  Abmagerung  kann  oft  in  kurzer  Zeit  eine  sehr  bedeutende  werden. 
Zweifel  beobachtete  bei  einer  seiner  Kranken  eine  Körpergewiehtsabnahme 
von  36  Pfunden  binnen  8  Wochen.  Ob  die  nicht  corrigirbare  Inanition  beim 
Menschen  sich  so  verhält,  wie  bei  Thieren,  bleibt  dahingestellt.  Bei  letzteren 
ist  eine  Rettung  noch  möglich,  wenn  nicht  mehr  als  0-4  des  ursprünglichen 
Körpergewichtes  verloren  gegangen  sind  (Brücke).  Hinsichtlich  der  Aetio- 
logie  des  Leidens  sind  die  Ansichten  verschieden.  Das  Erbrechen  führte 
zunächst  zu  der  Annahme,  dass  Störungen  im  Darmtractus  das  ursächliche 
Moment  bilden.  Thatsächlich  Hessen  und  lassen  sich  beim  unstillbaren  Er- 
brechen Erkrankungen  des  Magens  und  functionelle  Störungen  der  Darm- 
thätigkeit  nachweisen.  Als  solche  führen  wir  Magenkatarrhe,  Magengeschwüre 
und  die  chronische  Obstipation  auf.  Wenn  ab  und  zu  auch  ein  Magencarcinom 
gefunden  wurde,  so  gehört  dieses  nur  zu  ganz  besonderen  Zufälligkeiten. 

Mehr  Beachtung  verdient  das  gleichzeitige  Vorkommen  der  Bright'schen 
Nierenkrankheit  und  von  Herzfehlern.  Ahlfeld  und  Kaltenbach  bringen 
die  Hyperemesis  in  einen  constanten  Zusammenhang  mit  Hysterie.  Sie  be- 
zeichnen das  Leiden  als  eine  Beflexneurose,  ersterer  als  eine  Schwangerschafts- 
complication,  während  letzterer  auch  diese  für  die  Hyperemesis  nicht  für  noth- 
wendig  hält,  indem  er  letztere  für  eine  Folgeerscheinung  einer  functionellen 
Neurose,  der  Hysterie,  hält.  Ahlfeld  bezeichnet  aber  auch  Erkrankungen 
des  Magens  und  des  Bauchfelles  als  Ursachen  der  Hyperemesis,  Fischel  hat 
auf  Grund  gleichzeitiger  Beobachtung  von  zwei  Fällen  in  einem  Hause,  der 
Vermuthung  Raum  gelassen,  dass  miasmatisch-bacterielle  Einwirkungen  das 
LeideE  hervorrufen  können  und  fordert  zu  weiterer  Beobachtung  in  diesem 
Sinne  auf.  Nach  Lomer  bedingen  perimetritische,  sowie  peritonitische  Adhä- 
sionen überhaupt,  beim  Wachsen  des  Uterus  einen  Reiz,  der  den  Symptomen- 
complex  einer  Hyperemesis  erklärlich  macht. 

In  letzterer  Zeit  bricht  sich  immer  mehr  die  Ansicht  Bahn,  dass  die 
u n m  i tt  elb  a  r e  U r  s  a  ch  e  der  Hyperemesis  gehirnanämische  Zustände  bilden. 
Wenn  man  bedenkt,  dass  mit  den  meisten  der  erwähnten  Ursachen  Anämie 
vergesellschaftet  ist,  dass  therapeutische  Maassnahmen,  die  auf  die  Herabsetzung 
oder  Beseitigung  der  Gehirnanämie  hinarbeiten,  sich  fast  immer,  zur  richtigen 
Zeit  angebracht,  als  wirksam  erweisen,  so  verdient  diese  Anschauung  eine  be- 
sondere Beachtung.  Auch  wir  halten  an  ersterer  fest.  Es  verhält  sich  mit 
der  Hyperemesis  ähnlich,  wie  mit  der  Seekrankheit. 

Wir  werden  daher  bei  der  Therapie  der  Hyperemesis  nebst  der 
Berücksichtigung  irgend  eines  Localbefundes,  insbesondere  auf  die  Beseitigung 
der  Gehirnanämie  unser  Augenmerk  richten.  Auch  den  bereits  eingetretenen 
Folgezuständen  muss  entgegengearbeitet  werden.  Insofern  aber  durch  die 
Gravidität  die  Psyche,  sowie  die  Innervation  im  allgemeinen  alterirt  ist,  muss 
auch  diesem  Umstände  eine  Beachtung  geschenkt  werden.  Da,  wo  alle  Ver- 
suche, das  Leiden  zu  beheben,  scheitern,  muss  zur  künstlichen  Unterbrechung 
der  Schwangerschaft  geschritten  werden.  Doch  muss  dieser  Entschluss  bei 
Zeiten  gefasst  werden.  Oft  wird  der  Zeitpunkt  verpasst  und  die  Kranken 
gehen,  trotzdem  die  Schwangerschaft  unterbrochen  wurde,  dennoch  zu  Grunde. 

Die  erste  Bedingung  wird  sein,  für  geistige  und  körperliche  Ruhe 
der  Kranken  Sorge  zu  tragen.  Wo  es  nur  halbwegs  angeht,  ist  es  das  Beste, 
sie  aus  der  gewöhnlichen  Umgebung  herauszubringen.  Man  erreicht  dies  am 
zweckmässigsten  durch  eine  Anstaltsbehandlung  oder  durch  eine  sonstige 
Isolierung.  Frauen,  die  im  Hauswesen  zu  sehr  in  Anspruch  genommen  waren, 
dürfen  während  der  Behandlung  von  letzterem  nichts  erfahren  und  dies  muss 
owohl  den  Kranken,  als  auch  ihren  Angehörigen  durch  die  ärztliche  Autorität 
seingeschärft  werden. 

Bettruhe  und  horizontale  Lagerung  ist  die  zweite  Bedingung.  Man 
erreicht  damit  am  schnellsten  und  leichtesten  den  nothwendigen  Ausgleich 


378  HYPEREMESIS  GRAVIDARUM. 

in  der  Bluh-ertheilung.  Der  Rumpf  muss  zum  mindesten  horizontal  aufruhen. 
Noch  besser  ist  es,  dessen  Beckenende  in  der  Weise  zu  heben,  dass  das  Fuss- 
ende  des  Bettes  um  etwa  20  cm  höher  gestellt  wird.  Bis  auf  ein  kleines 
Kopfldssen  müssen  alle  Kopfpölster  entfernt  werden.  Alle  Functionen  gehen 
in  dieser  Lage  vor  sich  und  auch  die  Nahrungsaufnahme  erfolgt  nur  im 
horizontalen  Liegen. 

Die  dritte  Bedingung  besteht  in  der  richtigen  Ernährung  und  da 
muss  als  Grundsatz  gelten,  dass  die  Nahrung  leicht  assimilirbar  sei,  in 
kleinen  Portionen,  aber  sehr  häufig  gereicht  werde.  Im  Beginn  der  Behand- 
lung wird  wohl  nur  von  einer  Milch-  und  Suppendiät  die  Ptede  sein  können. 
Hat  man  damit  einen  Erfolg  erzielt,  dann  kann  gradatim  auch  zu  consistenterer 
Nahrung  geschritten  werden,  ohne  aber  die  Milch  aufzugeben.  Der  Stuhlgang 
wird  durch  Wassereingiessungen  geregelt. 

Dies  wären  die  Hauptprincipien,  nach  welchen  die  Behandlung  zu  leiten 
ist  und  wir  haben,  selbst  bei  sehr  schweren  Formen  der  Hyperemesis,  damit 
unser  Auskommen  gefunden. 

Bei  stark  heruntergekommenen  Individuen  verdienen  auch  ernährende 
Kly stiere  eine  Beachtung.  Wiesel  hat  zu  diesem  Zwecke  Kuhmilch^  mit 
etwas  gelöstem  Kochsalz  (10  Gramme  auf  einen  Liter)  empfohlen.  Leube 
empfahl  Pancreas-Fleischklijstiere.  Nebst  der  ernährenden  Eigenschaft,  kann 
ihnen  der  Werth  einer  Autotransfusion  nicht  abgesprochen  werden.  Wir 
wären  in  Zukunft  bei  geeignet  erscheinenden  Fällen  auch  nicht  abgeneigt, 
von  Kochsalzwasser-Eingiessungen  in  den  Mastdarm,  oder  hypodermatischen 
Infusionen  solcher  Lösungen  Gebrauch  zu  machen.  Gerade  so,  wie  dieselben 
bei  acuten  Anämien  und  bei  der  Cholera  sich  gut  bewähren,  könnte  auch 
hier  auf  diese  Weise  der  Herzschwäche  entgegengearbeitet  werden. 

Von  medicamentösen  Mitteln,  die  innerlich,  beziehungsweise  äusserlich 
angewendet,  insbesondere  sedativ,  narcotisch  oder  reflectorich  wirken  sollen, 
seien  hier  folgende  hervorgehoben:  Das  Bromkalium,  mehrmals  täglich  zu  1  gr 
(Friedreich);  eine  Lösung  von  Bromkalium,  Bromnatrium,  Bromammonium 
mit  Natrium  bicarbonicum  (Wertheim);  die  Tmct.  nuc.  vom.  zu  15 — 20 
Tropfen  4mal  täglich  (Roth);  das  Cocain  0'03 — 0*05,  3mal  täglich  (Weiss, 
Engelmann);  das  Cerium  oxydulatum  oxalicum  zu  0'2 — 0'3,  mehrmals  täglich 
(Simpson,  Peters,  Conrad);  das  Chloropliorm  und  Morphium;  das  Menthol 
(Gottschalk)  in  folgender  Verabreichung: 

Bp.  Mentholi  1-0 

Solve  in  Spir.  vini  20' 0 
Aqu.  destill.  150' 0 
DS.:  stündlich  ein  Esslöffel; 

das  Ingliivin  (Popp)  Smal  täglich  ^'^  g  Yg  Stunde  vor  dem  Essen  gegeben, 
mit  nachfolgender  Verabreichung  einer  1%  Lösung  von  Äcid.  mur.  dilut. 
Breisky  Hess  nebst  der  Verordnung  einer  horizontalen  Ruhelage  und  genauen 
Beobachtung  der  Diät  Rachenpinselungen  mit  einer  b^j^^-igen  Cocainlösung 
machen.  Nach  C.  Braun  hat  sich  eine  wiederholte  Pinselung  der  Portio 
vaginalis  mit  einer  lO^j^-igen  Lapislösung  oder  Bad  der  Portio  im  Speculum 
mit  dieser  Lösung  häufig  wirksam  gezeigt. 

Wenn  alle  Versuche  fehlschlagen,  dann  muss,  wie  oben  erwähnt,  die 
Schwangerschaft  unterbrochen  werden  und  zu  diesem  Zwecke  empfiehlt  sich 
am  besten  die  Dilatation  des  Cervix  mit  Jodoformgaze.  *)  Das  Verfahren  ist 
leicht,  ungefährlich,  sicher  wirkend.  M'Clintock  hat  durch  künstliche  Unter- 
brechung der  Schwangerschaft  von  36  Fällen  27  gerettet. 


*)  Vergl.  Artikel  ^Frühgehurt'-''  {Jcünstlich),  pag.  264 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURTSHILFE.  379 

Ist  sicher  zu  constatiren,  das  perimetritische  Adhäsionen  vorliegen, 
dann  könnte,  nach  dem  Vorschlage  Lomeu's,  ein  Versuch  mit  der  Tjiukj:- 
BRANDT'schen  Massage  gemacht  werden.  piskaöek. 

Instrumentarium  zur  Geburtshilfe.    Den  grössten  Einfiuss  auf  das 

Instrumentarium  des  Chirurgen,  also  auch  des  Geburtshelfers  und  Gynäkolo- 
gen hat  in  unserer  Zeit  die  Asepsis  ausgeübt.  Denn  als  man  erkannte,  dass 
die  Luftinfection  an  Bedeutung  weit  zurücktritt  gegen  die  Contact-Infection, 
wurden  dadurch  Anhaltspunkte  für  die  Gestaltung  des  operativen  Geräthes 
gegeben,  welche  von  einschneidender  Wichtigkeit  sind. 

Es  war  vor  Allem  nöthig,  die  Instrumente  möglichst  widerstandsfähig 
gegen  strömenden  Wasserdampf  und  kochendes  Wasser  zu  machen,  denn  die 
Sterilisation  im  strömenden  Wasserdampf  und  im  kochenden  Wasser  oder  in 
wässrigen  Soda-Lösungen  u.  s.  w.  hat  sich  bis  jetzt  als  die  geeignetste  erwiesen. 
Dadurch  trat  die  Forderung  auf,  die  Geräthe  nach  Möglichkeit  nur  aus 
Metall,  also  ohne  Holz-,  Elfenbein-  oder  Hartgummi-Theile  anzufertigen. 
I'erner  erwies  sich  ein  Ueberzug  der  Stahl-Instrumente  mit  einem  weniger 
oxydirbaren  Metalle,  als  wir  es  im  Stahl  besitzen,  als  nöthig ;  zu  diesem  Zwecke 
dient  heute  vorwiegend  die  Vernickelung;  bei  den  jetzt  ungewöhnlich  nie- 
drigen Silberpreisen  wäre  wohl  auch  eine  Versilberung  nicht  erheblich  kost- 
spieliger als  das  Vernickeln.  Der  Metall-Ueberzug  wird  auf  galvanischem 
Wege  hergestellt. 

Um  ein  Rosten  und  Ansetzen  von  Schmutz  zu  vermeiden,  sollen  die 
Metallgeräthe  möglichst  aus  einem  Stücke  hergestellt  werden;  sind  aber 
Zusammensetzungen  aus  mehreren  Stücken  erforderlich,  so  müssen  diese  auf 
das  sorgfältigste  vernietet  und  verlötet  sein. 

Es  ist  ferner  nöthig,  die  Instrumente  thunlichst  einfach  zu  gestalten, 
damit  ihre  Ecken  und  Winkel  nicht  als  Schmutzfänger  wirken.  Dadurch  sind 
manche  alten  und  früher  eingebürgerten  Geräthe,  so  gewisse  complicirte  eng- 
lische Cysten-Zangen  mit  Klemm- Vorrichtung  u.  ä.,  fast  ganz  ausser  Gebrauch 
gekommen. 

Instrumente,  die  aus  zwei  oder  mehreren  Theilen  bestehen,  wie  Scheeren, 
Zangen,  zusammensetzbare  Specula,  Nadelhalter,  müssen  ein  zerlegbares 
Schloss  besitzen,  da  das  nicht  zerlegbare  („fixe")  Schloss  in  hohem  Grade 
als  Schmutzfänger  dient  und  Rostansatz  begünstigt.  Hier  muss  eingeschaltet 
werden,  dass  oft  noch  immer  mit  Unrecht  Blutvergiftungen  auf  die  Benützung 
eines  rostigen  Instrumentes,  auf  Verletzungen  durch  rostige  Eisennägel 
zurückgeführt  werden  ;  nicht  der  Rost,  sondern  der  anhaftende,  keim  haltige 
Schmutz  wirkt  infectiös.  —  Bei  der  grossen  Wichtigkeit,  die  dem  zerleg- 
baren Schlosse  zukommt,  wird  dasselbe  in  der  Einleitung  zum  „Instrumen- 
tarium zur  Gynäkologie"  genauer  besprochen. 

Ebenfalls  auf  der  Asepsis  beruht  die  Forderung,  die  Zahl  der  Instru- 
mente und  die  Zahl  der  Assistenten,  welche  mit  den  ersteren  in  Be- 
rührung kommen,  bei  jedem  Eingriff  nach  Möglichkeit  zu  beschränken. 
Diese  Forderung  geräth  allerdings  manchmal  in  Widerspruch  mit  der  Noth- 
wendigkeit,  für  alle  Zwischenfälle  gerüstet  zu  sein.  Das  Instrumentarium  für 
Laparotomien  gewinnt  dadurch  eine  Ausdehnung,  die  nicht  stets  erwünscht 
ist.  Viele  Operateure  „instrumentiren"  selbst,  d.  h.  sie  lassen  sich  die  Ge- 
räthe nicht  von  einem  Assistenten  reichen,  sondern  nehmen  sie  selbst  aus 
der  Instrumenten-Schale.  Das  bedingt  einen  gewissen  Zeitverlust,  bringt  die 
Geräthe  aber  mit  weniger  Händen  in  Berührung. 

Was  das  Sterilisiren  und  Reinhalten  des  Instrumentariums  selbst  betrifft, 
so  ist  für  die  Praxis  ein  grosser  emaillirter  Kochtopf  und  Aufbewahrung  der 
Geräthe  in  auskochbaren  Metallkästchen  oder  Leinwandtaschen  genügend.  Der 
praktische  Arzt  ist  einfach  nicht  in  der  Lage,  sich  stets  kostspielige  Apparate 


380  INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURSTHILFE. 

zur  Desinfection  in  strömendem  Wasserdampf  zu  kaufen.  Er  möge  seine  In- 
strumente nach  jedem  Gebrauch  sorgfältig  in  warmem  Wasser  oder  Seifen- 
■wasser  abbürsten  und  dann  10  Minuten  lang  in  Wasser  oder  l^/o  Soda-Lösung 
(Schimmelbus eil)  —  in  letzterer  rosten  sie  weniger  schnell  —  auskochen. 

Unmittelbar  vor  dem  Gebrauch,  also  vor  einer  Zangenanlegung,  einer 
plastischen  Operation,  Laparotomie  u.  s.  w.  müssen  die  Geräthe  nochmals 
ausgekocht  und  dann  sofort  in  die  mit  abgekochtem  Wasser  gefüllte  Instru- 
menten-Schale  gelegt  werden.  Um  sie  bei  diesem  Einlegen  nicht  berühren 
zu  müssen,  ist  ein  gelochtes  Blech  mit  Henkeln  sehr  cmpfehlenswerth,  auf 
welchem  sie  im  Kochtopf  liegen. 

Ausgekocht  werden  können  alle  nicht  schneidenden  Metallgeräthe  ohne 
weiteres,  jedoch,  wenn  möglich,  mit  der  Vorsicht,  dass  sie  sich  im  Kochtopf 
nicht  gegenseitig  berühren ;  Scheeren  legt  man  mit  geöffneten  Armen  (Branchen) 
ein;  Messer  müssen  auf  einem  kleinen  Gestell  so  aufliegen,  dass  ihre  Schneiden 
frei  nach  oben  sehen;  übrigens  sind  die  an  glatten  Messern  ohnedies  nur 
spärlich  anhaftenden  Mikroben  auch  durch  kräftiges  Abwischen  mit  Watte, 
die  mit  Carbollösung  getränkt  ist,  hinreichend  sicher  zu  entfernen ;  Nadeln 
werden  ebenfalls  ausgekocht.  Neuerdings  wird  sogar  angegeben,  dass  man 
nicht  nur  Hartgummi-,  sondern  auch  Weichgummi-Geräthe  auskochen  könne, 
also  z.  B.  Gummi-Schläuche.  Wenn  sich  das  bestätigt,  brauchte  man  diese 
nicht  wie  bisher  in  Sublimat-  oder  Carbol-Lösung  zu  desinficiren ;  in  beiden 
büssen  sie  etwas  an  Güte  ein.  Als  nicht  auskochbare  Geräthe  blieben  dann 
nur  noch  die  Thermometer  übrig. 

Verbandstoffe,  Jodoform-Gaze  u.  s.  w.  bezieht  der  praktische  Arzt  am 
besten  schon  sterilisirt ;  sehr  empfehlenswerth  sind  die  „sterilisirten  Einzel- 
verbände" nach  DüHKSSEN,  d.  h.  Schachteln,  in  welchen  sterilisirte  Gaze, 
Watte  u.  s.  w.  keimdicht  in  solcher  Menge  verpackt  ist,  wie  sie  erfahrungs- 
gemäss  zur  Uterus-Tamponade,  zu  Laparotomie-Verbänden  u.  s.  w.  am  meisten 
benützt  wii'd. 

Den  angegebenen  Grundsätzen  entsprechend  sind  in  den  Aufsätzen  „Instrumentarium 
zur  Geburtshilfe  und  zur  Gynäkologie",  soweit  dies  möglich  ist,  nur  ganz  aus  Metall  beste- 
hende Instrumente  abgebildet ;  die  zusammengesetzten  Instrumente  besitzen  durchgehend 
zerlegbares  Schloss ;  nur  solche  sind  ausgewählt,  welche  durch  ihre  Einfachheit  sich  im 
allgemeinen  Gebrauche  erhalten  haben  ;  man  wird  also  vergeblich  Ovarialstiel-Klammern, 
Hysterotome,  gewisse  Cysten-Zangen  u.  s.  w.  suchen ;  bei  den  zusammensetzbaren  Speculis 
ist  auf  das  Schloss  besonders  Rücksicht  genommen. 

Im  Ganzen  wird  also  das  folgende  Verzeichnis  geburtshilflicher  und  gynäkologischer 
Instrumente  nur  das  enthalten,  was  heute  thatsächlich  im  Gebrauch  ist,  und  zwar  in  der 
Form,  die  sich  besonders  bewährt  hat.  Die  historisch  denkwürdigen  Geräthe  sind,  soweit 
veraltet,  nicht  aufgenommen;  man  wird  das  nicht  als  einen  Mangel  an  Pietät  bezeichnen, 
da  in  folgendem  nur  eine  üebersicht  des  heute  wirklich  benützten  gegeben  werden  soll. 

Nicht  erwähnt  werden  endlich  jene  Instrumente,  welche  die  Gynäkologie  unverändert 
der  Chirurgie  entnommen  hat,  so  die  Messer,  Nadeln,  einige  Formen  von  ünterbindungs- 
Klemmen,  den  PAQUELra'schen  Platin-Glühapparat,  das  Glüheisen  u.  s.  w.  —  Eine  grosse  An- 
zahl gynäkologischer  Geräthe  unterscheidet  sich  von  den  chirurgischen  nur  durch  die 
grössere  Länge,  welche  das  Arbeiten  in  der  Tiefe  der  Scheide,  des  kleinen  Beckens  u.  s.  w. 
erfordert;  Beispiele  hiefür  sind  die  gynäkologischen  Kornzangen,  Scheeren,  einige  Arterien- 
Klemmen,  die  Kugelzangen,  Intrauterin-Spritzen  u.  s.  w.  Der  Vollständigkeit  halber  sind 
solche  Geräthe  aber  hier  aufgenommen,  was  umsomehr  nöthig  war,  als  sich  unter  ihnen 
die  nothwendigsten  und  meist  gebrauchten  befinden. 

Schwierigkeiten  macht  es  in  manchen  Fällen,  den  Erfinder  des  Instrumentes  zu  be- 
stimmen. Viele  Instrumente  werden  stets  und  eingebürgerter  Weise  mit  unrichtigen  Er- 
finder-Namen bezeichnet ;  andere  sind  in  französischen  Katalogen  französischen  Erfindern, 
in  deutschen  Katalogen  Deutschen,  in  österreichischen  hinwieder  Oesterreichern  zuge- 
schrieben. Es  wurde  liier  sorgfältig  versucht,  den  wirklichen  Erfinder  zu  bestimmen;  Irr- 
thümer,  die  vielleicht  trotzdem  mit  untergelaufen  sind,   erklären  sich  durch  das  Gesagte. 

Ein  grosser  Theil  der  Abbildungen  wurde  für  diese  Aufsätze  nach  den  Instrumenten 
selbst  durch  Herrn  G.  Krapf,  Universitäts-Zeichner  in  München,  hergestellt ;  einzelne 
wurden  von  ihm  nach  Abbildungen  in  den  Werken  von  Schröder,  Hofmeier,  Pozzi  ange- 
fertigt. Einige  Bilder  sind  mittels  der  Original-Holzstöcke  hergestellt,  welche  einzelnen  im 
Text   angegebenen  Werken    entstammen.    Für   die  übrigen   Abbildungen   sind   Holzstöcke, 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURTSHILFE. 


381 


beziehungsweise  Galvanos  benützt  worden,  welche  die  Herren  HÄRTEL-Breslau,  Rf.iner- 
Wien,  Leiter- Wien,  Reiniger,  Gebbert  und  SciiALL-Erlangen  und  HmsciiMANN-Berlin  für  ihre 
Instrumenten  -  Kataloge  anfertigen  Hessen,  ferner  Ilolzstöcice,  welche  dem  grossen  und 
inhaltsreichen  Kataloge  des  „Verbandes  deutscher  Instrumontenmacher"  entnommen  sind. 
—  Herrn  KATSCH-München  verdanke  ich  vielfachen  Rath  in  technischen  und  anderen  dies 
Gebiet  betreffenden  Fragen.  Den  genannten  Herren  sowie  Herrn  Instrumentenmacher 
TASCH-Berlin  (Verbandskatalog)  gebührt  für  das  bewiesene  Entgegenkommen  besonderer 
Dank. 

Bei  den  Abbildungen  wurde  die  Länge  der  Instrumente  angegeben. 

1.  Beckenmesser  (Tasterzirkel)  von  Martin  (Fig.  1).  Aus  der 
unendlichen  Flut  von  Tasterzirkeln  hat  sich  im  allgemeinen  Gebrauche  nur 
eine  Form  erhalten  und  zwar  —  wie  es  auch  in  anderen  Dingen  geht  — 
nur  die  einfachste.  Wohl  noch  mehr  als  die  von'  Baudelocque  angegebene 
Form,  die  wegen  der  stark  geschweiften  Arme  bei  fetten  Frauen  am  bequem- 
sten ist,  wird  gegenwärtig  der  zerlegbare  Zirkel  von  Martin  benützt;  er  ist 
aber  im  Allgemeinen  nur  zur  äusseren  Untersuchung  bestimmt  und  verwendbar. 

2.  Der  Becken- 


messer (Tasterzir- 
kel) von  CoLLiN  und 
jener  von  Crede  (Fig  2) 
unterscheiden  sich  vom 
MARTiN'schen  dadurch, 
dass  die  Mess-Scala  am 
Ende  des  einen  Arms 
angebracht  ist  und  dass 
die  Arme  sich  kreuzen 
lassen,  also  auch  zu 
innerer  Messung  leid- 
lich verwendbar  sind. 

3.  Beckenmes- 
ser zur  externo- 
internen  Messung 
nach  Skutsch  (Fig.  3). 
Dieser  nimmt  einen 
Gedanken  auf,  der  dem 
VAN  HuEVEL'schen  Zir- 
kel zu  Grunde  lag:  in- 
nere Maasse  können  mit 
weitgehender  Genauig- 
keit so  bestimmt  wer- 
den, dass  man  zuerst 
die  Dicke  der  umge- 
benden Knochen  und 
Weichtheile  mitmisst, 
dann  für  sich  misst  und 
vom  ersten  Maasse  abzieht. 

Der  spateiförmig  endende,  stählerne  Arm  a  wird  in  die  Scheide  einge- 
führt ;  der  andere,  aus  Blei  bestehende  Arm  ist  abschraubbar  und  wird  stets 
aussen  aufgesetzt.  Zur  Bestimmung  der  Conjugata  vera  wird  z.  B.  die  Spitze 
des  inneren  Armes  zuerst  am  Promontorium,  dann  an  der  Symphyse,  die  Spitze 
des  entsprechend  gebogenen  äusseren  Armes  hingegen  auf  die  Hautstelle 
aufgesetzt,  welche  über  der  Symphyse  der  verlängerten  Conjugata  entspricht. 
Die  Differenz  beider  Maasse  ergibt  die  Conjugata  vera.  Das  Ablesen  jedes 
Maasses  findet  in  der  Art  statt,  dass  man  nach  Einstellung  beider  Zirkelspitzen 
den  eingeschraubten  Bleiarm  abnimmt,  den  inneren  Ai'm  herauszieht  und  nach 
wieder  erfolgtem  Aufsetzen  des  Bleiarmes  die  Entfernung  der  Zirkelspitzen 
misst.    Auf  ähnliche  Weise  können  auch   innere  Querdurchmesser  berechnet 


Tasterzirkel  von  Martin. 
Lg.  33  cm. 


Tasterzirkel  v.  Collin-Credö. 
Lg.  28  cm. 


382 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURTSHILFE. 


:i 


Kg.  3.  Skutsch's  Tasterzirkel  zur  extemo-internen  Messun». 
32  cm  lang. 

werden ;  es  ist  dazu  jedoch  theilweise  eine  andere  Zu- 
sammenstellung der  Zirkelarme  erforderlich,  welche  durch 
das  Gabelgelenk  ermöglicht  wird.  Trotz  aller  Vorzüge 
hat  der  Zirkel  wegen  der  umständlicheren  Anwendung 
in  der  allgemeinen  Praxis  nicht  die  Verbreitung  der 
erstgenannten  Beckenmesser  erlangt. 

4.  Kopfzange  nach  Naegele,  beziehungsweise 
ScHROEDEE.  Noch  grösscr  als  die  Zahl  der  je  benützten 
Beckenmesser  ist  jene  der  Zangen.  „Bis  vor  w^enigen 
Jahrzehnten  glaubte  kaum  irgend  Jemand  ein  echter 
Lehrer  der  Geburtshilfe  zu  sein,  der  nicht  auch  eine 
besondere,  seinen  Namen  tragende  Zange  vor- 
zeigen konnte"  (Winckel).  Und  auch  von  den  Zan- 
gen haben  sich  eigentlich  nur  zwei  Grundformen  im 
allgemeinen  Gebrauche  erhalten  :  Die  einfachen,  für  den 
in  Beckenweite  oder  noch  tiefer  stehenden  Kopf  bestimm- 
ten Zangen,  und  die  Achsönzugzangen,  welche  für  den 
hochstehenden  Kopf  bestimmt  sind. 


Fig.  4.  Zange  nach 

Naegele-Schroeder. 

S5  cm  lg. 


Fig.  5.  Zangenschloss  von 

Brünninghausen     (nach 

Schröder). 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURTSHILFE. 


383 


An  den  gebräuchlichen  Zangen  ist  das  Schloss  verschieden  ;  in  England 
wird  jetzt  vorwiegend  ein  solches  benützt,  das  nur  aus  zwei  vorspringenden 
Leisten  besteht :  Leistenschloss,  zwei  vorspringende  Plättchen  (Tabulae)  ver- 
hindern das  Auseinanderfallen  der  Blätter:  junctura  per  contabula- 
tionem;  zugleich  ist  die  englische  Zange  nach  Smellie's  Modell  die  kürzeste; 
in  Frankreich  besteht  das  Schloss  —  heute  kurzweg  als  „französisches 
Schloss"  bezeichnet  —  aus  einem  Stift  oder  Zapfen,  der  in  ein  entsprechen- 
des Loch  oder  einen  Ausschnitt  des  anderen  Blattes  gefügt  und  durch  eine 
Schraube  o.  Ae.  darin  festgehalten  wird ;  wegen  des  als  Achse  wirkenden  Stiftes 
spricht  man  hier  von  einer  junctura  per  axin;  die  französischen  Zangen 
sind  durchschnittlich  viel  länger  als  die  englischen.  Eine  Zwischenstellung 
sowohl  im  Hinblick  auf  die  Länge  als  auf  das 
Schloss  nimmt  die  „deutsche  Zange"  ein,  die  in 
den  Grundztigen  sich  an  Naegele's  Modell  an- 
lehnt. Sie  ist  mittellang,  das  Schloss  besteht  aus 
einer  Leiste,  die  in  einen  seichten  Ausschnitt  des 
anderen  Blattes  passt  und  darin  durch  einen  vor- 
springenden Knopf  festgehalten  wird. 

Von    Beckenausgangszangen  werden  in 
Deutschland  am  meisten  benützt 
die   von  Naegele    und    deren 
kürzere  Form  nach  Schroeder 
(Fig.  4). 

Deren  Schloss  ist  das  von 
Brünninghausen  angegebene 
(Fig.  5,  nach  Schroeder). 

Als  Beispiel  einer  lan- 
gen Zange  mit  französischem 
Schlosse  sei  die  von  Pajot 
(Fig.  6)  abgebildet. 

In  Oesterreich  am  mei- 
sten gebraucht  ist  die  soge- 
nannte „Wiener  Schulzange" 
nach  Simpson,  abgeändert  von 
C.  Braun  (Fig.  7). 

Die  Maasse  der  gebräuch- 
lichen deutschen  Zangen  sind 
folgende  :  Gesammtlänge  34 — 
35  cm,  bei  langen  Zangen  39  cm, 
Beckenkrümmung  (Entfernung 
der  Spitze  von  einer  horizon- 
talen Unterlage)  5 — 7  cm,  Kopf- 
krümmung (grösste  Entfernung 
beider  Löffel)  7  cm,  kleinste 
Entfernung  der  Löffelspitzen 
1  cm,  Gewicht  ungefähr  750^. 

Wesentlich  verschieden 
von  diesen  Zangen  sind  die 
„Achsenzugzangen",  d.  h.  jene, 
welche  für  den  hochstehenden 
Kopf  einen  Zug  in  der  Rich- 
tung der  Beckeneingangs-Achse 
gestatten.  Es  ist  ein  zweifelloser; 


Fig.  7.  Zange  nach  Simpson- 
C.  Braun.  35  cm  lg. 


Fig.  6.     Französische  Zange 
von  Pajot.  45  an  lg. 


384 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURTSHILFE. 


Verdienst  Tarnier's,  in   dieser  Hinsicht   einen  Gedanken  Hermann's  frucht- 
bringend  ausgebaut  zu  haben. 

8.  Die  Achsenzugzange  von  Tarnier  lässt  den  Zug  zwar  an  den 
Löffeln  angreifen,  aber  nicht  in  der  Richtung  nach  vorn  wirken,  da  hiebet 
durch  „Contusion"  des  hochstehenden  Kopfes  an  der  Symphyse  Kraft  verloren 
geht,  sondern  er  fügt  an  den  Löffeln  gelenkig  Zugstangen  ein,  die  sich  in 
starker  Krümmung  nach  unten  über  den  Damm  erstrecken  (Fig.  8),  und  so 
ein  Ziehen  in  der-  Richtung  der  Beckeneingangs-Achse  gestatten. 

9.  Gustav  Breus  hat  durch  eine  geistreiche  theilweise  Umkehrung  der 
Verhältnisse  an  seiner  Achsenzugzange  die  Griffe  selbst  gelenkig  mit  den 
Löffeln  verbunden,  so  dass  man  also  nicht  wie  bei  Tarnier's  Zange  an  den 
leichten  Zugstangen,  bez.  an  der  mit  ihnen  verbundenen  Querstange,  sondern 
an  den  Griffen  selbst  zieht  (Figur  9). 

Ist  auch  der  leitende  Gedanke,  welcher  zum  Bau  der  Achsenzugzangen 

führte,  ein  entschie- 
den richtiger,  so 
sind  sie  in  Deutsch- 
land doch  nur  ver- 
einzelt empfohlen 
worden;  statt  der 
„hohen  Zange"  wen- 
det man  gegebenen 
Falles  aligemeiner 
die  Wendung  auf 
den  Fuss  mit  nach- 
folgender Extraction 
an.  üebrigens  ist  die 
Strömung  neuer- 
dings den  Achsen- 
zugzangen günstiger 
geworden. 

Von  den  zer- 
stückelnden Instru- 
menten haben  sich 
nur  der  Kranio- 
klast,  das  schee- 
renförmige  Per- 


Fig.  9.    Achsenzugzange  nach  G.  Ereus. 
38  cm  lg. 


Fig.  8  Achsenzugzange  nach  Tarnier. 
42  cm  lg. 


foratorium  und 
der  Schlüsselha- 
ken das  allgemeine 
Bürgerrecht  erhal- 
ten. Keplialotrib, 
Trepan  und  Sichel- 
messer werden  zwar 
vereinzelt  benützt, 
sind  aber  nicht  un- 
entbehrlich. 


Instrumentarium  zur  Geburtshilfe. 


385 


10.  Kranioklast  von  Simpson,  abgeändert  von  C.  Braun  (Fig.  10).  Der 
Kranioldast  (xo  xpaviov  =  die  Hirnschale,  der  Schädel,  xXaoi  =  brechen,  zer- 
brechen; es  ist  also  richtiger,  das  Wort  mit  ]•:  statt  mit  latinisirtem  c  zu 
schreiben)  ist  eine  verlängerte  Knochenzange ;  Simpson  hatte  das  Instrument 
auch  als  solche,  d.  h.  nur  zum  Verkleinern  des  Schädels  benützt ;  C.  Braun 
versah  das  Geräth  mit  dem  Compressions-Apparat,  der  es  auch  zum  Ausziehen 
vorzüglich  geeignet  macht. 

Eine  geistreiche  Abänderung  des  Instrumentes  gab  Auvard  an ;  er 
machte  die  Löffel  so  um  180"  in  der  Längsachse  gegen  einander 
verstellbar,  dass  das  Geräth  zuerst  als  Kephalotrib  (s.  11),  dann 
als  Kranioklast  verwendbar  ist.  Die  Umständlichkeit  des  Ver- 
fahrens war  auch  hier  einer  allgemeineren  Anwendung  im  Wege. 
Bemerkenswerth  ist  die  Abänderung  von  J.  Veit,  welcher  einen 
Löffel  mit  einer  Spitze  versah  und  so  zum  Perforiren  geeignet 
machte  (Fig.  10). 

11.  Kephalotrib  (Kephalotriptor,  Kephalothryp- 
tor)  von  Baudelocque  dem  Neffen,  (y)  xscpaX-*^  =  der  Kopf,  Trp-'ßoj 
=  reiben,  zerreiben,  zermalmen;  OpuTitou  =  zerreiben,  zerbröckeln, 
zermalmen;  die  Wortbildung  Kephalotrib  und  Kephalothryp- 
tor  nebst  den  zahlreichen,  meist  falsch  geschriebenen  Abkömm- 
lingen wäre  für  den  Philologen  eine  ungetrübte  Quelle  gerech- 
ten Zorns;  vom  philologischen  Standpunkte  aus  Hessen  sich  am 
besten  die  Schreibarten  Kephalotript  (t  ohne  h)  und  -thrypt  (th) 
vertreten;  denn  ^  xpl^  und  6  xptßog  heisst  „das  Reiben,  Zer- 
reiben", der  Kephalotrib  oder  die  Kephalotribe  bedeutet  also  das 
„Kopfzermalmen",  d.h.  die  Operation,  nicht  das  Instru- 
ment; 6  TpmxTj?  heisst  aber  der  Reiber,  Reibende,  also  könnte 
man  wohl  das  Geräth  auch  einen  Kephalotript,  Kopfzermalmer, 
nennen.  Von  OpuTcxw  abzuleiten  wäre  Kephalothrypt  oder  Kepha- 
lothrypter;  die  letzte  Form  ist  mit  Recht  die  häufigst  ange- 
wendete). Der  Kephalothrypter  stellt  eine  lange  kräftige  Zange 
dar,  welche  am  äusseren  Ende  mit  einem  Compressions-Apparat 
versehen  ist,  und  deren  Löffel  bei  vollkommener  Schliessung  nur 
4  cm  von  einander  abstehen  (Fig.  11).  Das  Geräth  ist  durch  den 
Kranioklast  entbehrlich  geworden,  da  der  letztere  die  Eigen- 
schaften eines  verkleinernden  und  ausziehenden  Instrumentes 
besser  in  sich  vereinigt. 

Der  zum  Anbohren  der  Schädelbasis  bestimmte  Basi- 
1  y  s  t  von  Simpson,  der  B  a  s  i  o  t  r  i  b  von  Tarnier  und  jener 
von  Auvard  werden  in  Deutschland  wohl  kaum  noch  benützt. 
12.  Eine  Reihe   von  Kephalothrypteren  ist  ungefen- 
stert,  so  das  ältere  Modell  von  Martin,  die  Instru- 
mente von  ScANzoNi,  Busch,  Braun,  Braxton-Hicks, 
Olshausen,  Zv^eifel  (Fig.  12). 

13.,  14.Unter  den  Perforatorienist  das  ein- 
fachste und  deshalb  zweckmässigste  jenes  von  Siebold 
(Fig.  13),  welches  meist  als  das  NAEGELE'sche 
(Fig.  14)  bezeichnet  wird,  sich  von  diesem  aber 
durch  Wegfall  der  Feder  unterscheidet.   Es 
stellt  also  nichts  dar,  als  eine  spitze  Scheere,  mit  innen 
stumpfen,  aussen  halb  geschärften  Rändern.    Es  ist 
nicht  erforderlich,  dass  die  Ränder  schneidend  scharf 
sind,  im  Gegentheil  —  man  wird  seine  eigenen  Finger 
und  die  Weichtheile  der  Mutter  mit  einem  scharf- 
schneidenden Perf Oratorium  unnöthig  in  Gefahr  brin- 


Fig    10.  Kranioklast  nach  0.  Braun, 
abgeändert  v.  J.  Veit.  40  cm  lg. 


Bibl.  med.  Wissenschaften.  I    Geburtshilfe  und  Gynaekologie. 


25 


386 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURTSHILFE. 


Fig.  11.  Kephalothrypter  nach  Breisky;  ii  cm  lg. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURTSHILFE. 


387 


gen.  Auch  die  vorspringenden  Ecken  hinter  der  Schneide,  welche  das  LEVRET'sche 
Perforatorium  hat,  sind  nicht  unbedingt  nöthig. 

15.,  16.  In  gewisser  Beziehung  ist  es  autfallend,  dass  die  Perforativ- 
Trepane  aus  der  geburtshilflichen  Tasche  noch  nicht  verschwunden  sind; 
man  müsste  sich  Mühe  geben,  um  ein  Geräth  zu  erfinden,  das  noch  schwerer 
zu  reinigen  und  für  seinen  Zweck  noch  umständlicher  gebaut  wäre.  Trotzdem 
ist  es  in  den  meisten  Lehrbüchern  noch  immer  aufgeführt  und  zwar  nicht  nur 
im  Abschnitte  über  die  geburtshilfliche  Rüstkammer  früherer  Zeiten.  Nur 
deshalb  muss  es  von  einem  ehrlichen  Chronisten  erwähnt  werden  —  für  die 
Praxis  ist  es  durchaus  entbehrlich. 

Der  Perforativ-Trepan  von  Leisnig-Kiwisch  ist  gerade  (Fig.  1.5), 
jener  von  C.  Braun  (Fig.  16)  in  leichtem  Bogen  gekrümmt;  die  Drehbarkeit  der 
Trepan-Krone  wird  hier  durch  Ueb ertragung  der  Ptotation  mittels  einer  Kette 
erzielt.  —  Pajot's  Perforativ-Trepan  soll  mit  einer  Hand  geführt  werden  können, 
während  die  anderen  Trepane  Assistenz  erfordern;  durch  die  scheerenförmigen 
Perforatorien  ist  es  jedoch  ebenfalls  verdrängt  worden. 

17.  Ein  ebenso  einfaches  als  zur  Decapitation  vorzüglich 
brauchbares  Instrument  ist  der  BRAUN'sche  Schlüssel- 
haken (Fig.  17);  er  führt  seinen  Namen  deshalb,  weil  er  wie 
ein  Schlüssel  beim  Gebrauch  um  die  Längsaxe  gedreht  wird. 

In  geburtshilflichen  Operations-Cursen  gelingt  es  aller- 
dings  nicht  stets,  seine  Brauchbarkeit  darzuthun,   da 
der  lederharten  Haut  und  den 
zähgewordenen      Weichtheilen 
der  Spiritus-Kinder  oft  versagt. 


er  an 


1 


Fig.  17.  Schlüsselhaken  von 
C.  Braun ;  28  cm  lg. 


18.  Der  scharfe  GuYON'sche  Haken,  mit  Smellie's  stumpfem 
Haken  zweckmässig  zu  einem  Instrumente  vereinigt  (Fig.  18),  dient 
mit  dem  scharfen  Ende  zum  Ausziehen  perforirter  Kinder,  besonders  bei  vor- 

25* 


388 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURTSHILFE. 


liegendem  Gestellt  oder  nach  Abtragung  des  Scliädeldaclies.  Mit  dem  stumpfen 
Ende  soll  er  zur  Ausziehung  bei  Steisslage  benützt  werden;  diese  Anwendung 
ist  aber  für  das  Kind  überaus  bedenklich,  denn  ich  habe  trotz  aller  Vorsicht 
einmal  die  Bauchdecken  des  Kindes  über  der  Schenkelbeuge  bis  zum  Peri- 
toneum durchbohrt;  das  Kind  genas  allerdings,  aber  das  macht  den  stumpfen 
Haken  nicht  ungefährlicher;  Winckel  erwähnt  einen  ähnlichen  Fall.  Ueber- 
dies  ist  die  Biegung  des  betreuenden  Endes  an  den  meisten  Instrumenten 
eine  zu  starke;  sonst  könnte  nicht  die  Leistengegend  verletzt  werden. 

19.  Sichelmesser  von  B.  S.  Schultze  (Fig.  19).  Es  ist  als  Embryo- 
tom noch  ausgedehnter  verwendbar,  als  der  Schlüsselhaken,  da  es  sowohl  zum 
Abtrennen  des  Kopfes,  als  zum  Durchtrennen  des  kindlichen  Körpers  an  jeder 
anderen  Stelle  benützt  werden  kann. 

Manche  Geburtshelfer  em- 
pfehlen und  benützen  statt  des 
Schlüsselhakens  und  Sichel- 
messers die  Decapitations- 
Scheere  nach  Dubois,  d.  h. 
eine  sehr  kräftige  und  lange 
(26  cm)   CooPER'sche  Scheere. 

20.  Der  Kolpeurynter 
von  G.  Braun  (Fig.  20  a  und 
h)  (6  xöXiro?  =  der  Busen,  der 
Schoss,  die  Scheide;  eupu?  = 
weit,  supuveo  =  weit  machen, 
erweitern)  erfreut  sich  nicht 
mehr  ganz  der  ungetheilten  An- 
erkennung; viele  benützen  ihn 
gar  nicht  und  verwenden  statt 
desselben  einfach  Jodoformgaze. 
Zweifellos  thut  Jodoform-Gaze 
zur  Scheiden-Tamponade  behufs 
Blutstillung,  Wehenerzeugung 
u.  s.  w.  dieselben  Dienste 
unter  grösserer  Gewähr  eines 
aseptischen  Verfahrens.  —  Um 
den  Kolpeurynter  mit  Luft  auf- 
zublasen, kann  man  sich  eines 
Gummibaiions  bedienen. 


S.Ü> 


Mg.' 20  a.  Kolpeurynter. 


Zu    den    geburtshilflichen 

Geräthen,    welche    mehr    und 

mehr  aus  dem  Gebrauche  ver- 

Fig.  20  6.  Ballon  zum  Auf- schwinden,    müssen    auch   die 

blasendes  Kolpeurynter.      ^  ab  6  1  SCh  UUr  -  R  ep  0  S  It  0 - 

rien  gezählt  werden.  Man  hat  einsehen  gelernt,  dass  in  manchen  Fällen  kein 
Geräth  die  Hand  zu  ersetzen  vermag.  In  anderen  Fällen  ist  das  Verfahren 
heute  ein  anderes  als  früher,  so  dass  es  der  Reposition  einer  vorgefallenen 
Nabelschnur  gar  nicht  mehr  bedarf.  So  wenden  wir  unter  Umständen  trotz  Schä- 
dellage das  Kind  prophylaktisch  auf  einen  Fuss,  statt  es  in  Schädellage  zu 
lassen  und  uns  die  bei  engem  Becken  unfruchtbare  Mühe  zu  geben,  die  Nabel- 
schnur immer  aufs  neue  zu  reponiren;  trotz  aller  zum  Theil  so  geistreich  er- 
sonnenen  Apparate  fällt  sie  eben  doch  wieder  vor. 

21.  Der  Apparat  zu  subcutaner  Infusion  sollte  dagegen  in  jeder 
geburtshilflichen  Tasche  vorhanden  sein.  Durch  Leopold  ist  er  in  eine  sehr 
handliche  Form  (Figur  21)  gebracht  worden,  und  es   ist   in  jedem   Haushalt 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURTSHILFE. 


889 


möglich,  sich  rasch  Wasser  oder  eine  0-7%  Kochsalzlösung  abzukochen  und 
in  einem  Eisentopf  oder  Blechgefäss  durch  Eintauchen  in  kaltes  Wasser  auf 
Körperwärme  abzukühlen.  Ich  möchte  übrigens  davor  warnen,  nicht  abgekochtes 
Wasser  zu  benützen,  wie  ich  es  in  einem  Falle  that,  in  welchem  lebens- 
bedrohende Anämie  eingetreten  war:  die  Frau  überstand  allerdings  die  Blutung, 
aber  an  der  Infusionsstelle  unterhalb  des  rechten  Schlüsselbeins  entwickelte 
sich  eine  Gas-Phlegmone,  welche  grosse  Fetzen  des  Musculus  pectoralis  sich 
abstossen  Hess  und  zu  einer  Gebrauchsbeschränkung  des  rechten  Armes  führte. 
Nach  dieser  Erfahrung  scheint  auch  der  Einwand  nicht  stichhaltig,  dass  ja 
das  Leben  der  Frau  gerettet  wurde;  denn  es  ist  unwahrscheinlich,  dass  eine 
Verzögerung  von  10 — 15  Minuten  nach  eingetretener  Blutstillung  das  Leben 
in  höhere  Gefahr  versetzt  hätte;  und  länger  braucht  man  nicht,  um  Vi — ^,'2 
Liter  Wasser  abzukochen  und  wieder  abzukühlen. 

Statt  des  Leo- 

POLD'schenAppa-  nliÜI,  ^JlllWf' ^ 

rates   kann  man 

sich  übrigens 
auch   einer  kräf- 
tigen Injections- 
nadel     bedienen, 
die  durch  ein  ent- 
sprechend dickes 
Ansatzstück    mit 
dem  Irrigator- 
schlauch verbun-Q^ 
den  werden  kann. 
In    dieser  Form 
ist    der  Apparat 
auf  das  denkbar 
kleinste  Maass 
gebracht  und  er 
dient   doch  voll- 
ständig seinem 
Zwecke. 

Nicht  uner- 
wähnt darf  der 
Luftröhren- 
Katheter  blei- 
ben, welcher  zur 
Aspiration  des  in 

die  kindliche  Trachea  gelangten  Schleimes  dient.  Der  Luftröhren-Katheter 
darf  nicht  seitliche  Oeffinungen  besitzen,  sondern  muss  wie  ein  gerades  Rohr 
unten  ofien  se-in;  seitliche  Oeffnungen  werden  durch  die  Tracheal-AVände  selbst 
verlegt  —  vorausgesetzt,  dass  das  Instrument  wirklich  bis  in  die  Luftröhre 
gebracht  wurde,  was  anscheinend  durchaus  nicht  immer  der  Fall  ist.  Man 
muss  Zungengrund  und  Epiglottis  mit  einem  Finger  sicher  nach  vom 
drängen,  um  den  Katheter  in  die  Trachea  zu  bringen. 

Eine  Anzahl  von  Instrumenten  (Blasen-Katheter,  Uterus-Katheter,  Mu- 
SEUx'sche  Zange  u.  s.  w.)  sind  zwar  in  der  Geburtshilfe  unentbehrlich,  wui'den 
aber  dem  gynäkologischen  Instrumentarium  entnommen,  und  sie  müssen  deshalb 
mit  demselben  besprochen  werden. 

22—28.  Eine  praktisch  recht  wichtige  Frage  ist  die  nach  einer  einfachen 
aber  zweckentsprechenden  geburtshilflichen  Tasche.  Diese  soll  sammt 
den  Instrumenten  oder  gleich  diesen  füi-  sich  allein  leicht  und  sicher  steri- 
lisirt  werden  können;  dieser  Forderung  entsprechen  Kästchen  aus  vernickeltem 


Fig.  21.  Leopold's  Apparat  zur  subcutanen  Infusion;  nach  Münclimeyer. 


390 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURTSHILFE 


Zinkblech  bezw.  Nickelin  oder  Rolltaschen  aus  Leinwand;  beide  können  ausge- 
kocht oder  in  strömenden  Wasserdampf  gebracht  werden.  Vor  der  näheren  Be- 
schreibung einiger  Formen  solcher  „Bestecke"  muss  aber  auf  einen  Punkt 
hingewiesen  werden.  Es  ist  nämlich  mehr  als  fraglich,  ob  alle  diese  Kästchen 
und  Taschen  draussen  in  der  Praxis  —  von  reichdotirten  Anstalten  ist  hier 
nicht  die  Rede  —  auch  wirklich  sterilisirt  werden,  ja  sogar,  ob  sie  unmittelbar 
nach  jeder  Geburt  sterilisirt  werden  müssen  und  können.  Es  lassen  sich 
gegen  dieses  „müssen  und  können"  ernste  Gründe  vorbringen.  Wer  nicht 
über  ein  doppeltes  Instrumentarium  verfügt,  muss  oft  genug  dieselbe  Tasche 
unausgekocht  zu  zwei  und  drei  Geburten  mitnehmen,  wenn  nicht  genug  Zeit 
blieb,  alles  auszukochen  und  wieder  in  Stand  zu  setzen.  Und  wenn  er  dann 
seiner  Tasche  die  Kopfzange,  den  Kranioklasten  entnimmt,  die  er  nach  der 
letzten  Entbindung   möglichst  gründlich   auf  mechanischem  Wege   gereinigt 


Fig.  22.  Mackenrodt-Martin's  geburtshilfliches  Instrumentarium, 

hat,  so  wird  er  die  Entbindung  ruhigen  Herzens  leiten  können,  wenn  er  nui 
die  eben  benöthigten  Instrumente  im  Hause  der  Kreissenden  selbst  wieder 
auskocht.  Mackeneodt's  Blechkästen  sind  übrigens  durch  eingegossenen  und 
angezündeten  Spiritus  sammt  den  Instrumenten  leicht  zu  desinficiren  (s.  u.); 
in  Winter's  Instrumentarium  ist  zu  diesem  Zwecke  sogar  ein  Kochkasten 
aus  Nickelin  nebst  Spiritus-Lampe  untergebracht.  —  Alles  in  allem  wird  es 
also  gewiss  genügen,  die  benützten  Instrumente  vor  und  nach  dem  Gebrauch 
zu  desinficiren,  die  unbenutzten  aber  gleich  der  Tasche  in  angemessenen 
Zwischenräumen  auszukochen,  ob  sie  benützt  worden  sind  oder  nicht.  Dass 
die  Tasche  sammt  Inhalt  allezeit  peinlich  sauber  zu  halten  ist,  versteht  sich 
wohl  von  selbst,  ebenso,  dass  Instrumente  und  Tasche  nach  Benützung  bei 
inficirten  Frauen  erst  dann  wieder  in  Gebrauch  genommen  werden  dürfen, 
wenn  sie  vorher  desinficirt  worden  sind. 

Die  Taschen  von  Wintet?,  Dührssen,  Mackenrodt  und  Anderen  gestatten 
eine  Trennung  in  mehrere  Theile,  so  dass  zu  Fehlgeburten  nicht  auch  Zange, 
Kranioklast  u.  s.  w.  mitgenommen  werden  müssen. 

Mackeneodt's  Tasche  (Fig  22,  23,  24),  die  in  A.  Martin's  Poliklinik 
in  Berlin  benutzt  wird,  hat  folgende  Zusammensetzung: 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURTSHILFE. 


m 


Fig.  24. 

Der  Kasten  Ä  enthält  die  vollständig  aus  Metall  gefertigten  geburtshilf- 
lichen Instrumente.  Dieser  Theil  des  Instrumentariums  ist  dann  in  toto  in 
einen  Desinfectionsofen  zu  schieben  oder  kann  in  siedendem  Wasser  oder  in 
einer  Desinfectionslösung  gereinigt  werden. 

Der  zweite  Kasten  B  enthält  die  für  die  Praxis  nöthigen  Droguen, 
Chloroform,  Morphium,  Ergotin,  Carbol  oder  Lysol  oder  Sublimat,  Thermo- 
meter, Gummischlauch  zur  Irrigation,  Watte. 

Beide  Kasten  werden  zum  Transport  in  eine  waschbare  Segeltuchtasche 
gelegt,  und  wie  Figur  22  zeigt,  vereint. 

Die  beiden  Taschen  können  entweder  zusammengeschnallt  transportirt 
werden,  wie  in  Fig.  22,  oder  auch  jede  für  sich,  was  für  Aborte,  Dammuähte, 
ambulatorische  Abrasionen  und  anderweite  operative  Eingriffe,  welche  im 
Hause  der  Patientin  ausgeführt  werden,  zweckmässig  erscheint. 

Die  Chloroform-Maske  liegt  in  einer  Tasche  unter  dem  Griff',  die  Opera- 
tionsschürze und  die  Beinhalter  auf  dem  Boden  der  grossen  Tasche. 

Tasche  A  enthält  den  Instrumentenkasten  a  (Fig.  23).  Tasche  B  enthält 
den  Kasten  b  (Fig.   24).    Dieser  Kasten  b  besteht  aus  zwei  Abtheilungen  c 


392 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURTSHILFE. 


und  d,  welche  durch  ein  leicht  zu  trennendes  Gelenk  g  verbunden  gehalten 
werden.  Kastenhälfte  c  enthält  die  Apotheke  in  ihrem  unteren  Raum,  oben 
trägt  sie  den  genau  passend  eingesetzten  Kasten  e  (Fig.  24)  mit  Watte  und 
Gaze.  Kastenhälfte  d  nimmt  über  den  kleineren  Instrumenten  den  Kasten  / 
(Fig.  23)  auf.  Sind  Kasten  e  in  c,  und  f  m  d  eingesetzt,  so  kann  der  grosse 
Kasten  h  geschlossen  werden. 

In  dem  MACKENRODT'schen  Besteck  enthält  Kasten  a  die  nur  zur  Kunst- 
hilfe bei  völlig  odernahezu  ausgetragenen  Geburten  nothwendigen  Instrumente: 
Zange,  stumpfen  Haken,  Perf Oratorium,  Kranioklast  oder  Kephalothrypter. 

Kasten  h  c  enthält  1  Heberschlauch,  1  Nagelbürste,  1  Pravaz-Spritze, 
1  Maassglas,  1  Flasche  mit  Sublimatpastillen,  1  Flasche  mit  Liquor  ferri, 
1  Flasche  mit  Ergotin,  1  Catgutb  eh  älter,  1  Flasche  mit  200  g  Lysol. 


Fig.  25. 

Kasten  l  d  enthält  2  Uterus-Katheter,  1  Speculum,  Instrumente  zur 
Naht,  2  Seitenhebel,  Silberdraht  im  Etui,  4  Scalpelle  im  Etui,  2  Scheeren, 
4  Kugelzangen,  1  Curette,  1  Uterus-Sonde,  1  gebogene  lange  Kornzange, 
1  gebogene  lange  Knochenzange. 

Kasten  /  enthält  Blasenkatheter,  zwei  Canülen  zur  Kochsalzinfusion  im 
Etui,  1  Trachealkatheter,  3  elastische  Bougies  im  Etui  (im  Deckel),  2  Mutter- 
rohre aus  Glas,  1  Badethermometer,  1  Maximalthermometer,  1  Tasterzirkel, 
1  Maassband,  1  Canüle  zur  permanenten  Wundirrigation,  1  Aftercanüle, 
1  Stethoskop,  1  BßAUN'sche  Spritze. 

Kasten  e  wird  mit  Verbandwatte  und  Jodoform-,  respective  Dermatol- 
gaze  gefüllt. 

Die  Kästen  können  mitsammt  den  Instrumenten,  soweit  letztere  nicht 
dadurch  zerstört  werden,  durch  trockene  Hitze  oder  Kochen  in  einem  Gefäss 
mit  Sodalösung  sterilisirt  werden. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURTSHILFE, 


39^ 


Kasten  a  und  b  d  kann 
nöthigenfalls   im   Kreiss- 
zimmer sehr  schnell  und 
sicher  mit  den  In- 
strumenten durch 
Abbrennen      von 

Spiritus,  den 
man  eingegossen 

hat,  sterilisirt 
werden  (Martin, 
liehrbuch  der  Ge- 
burtshilfe). 

Mackenrodt's 
Besteck  ist  sehr 
reichhaltig  u.  ge- 
stattet eine  Tren- 
nung der  kleine- 
ren Instrumente 
nebst  Droguen 
vom  Hauptkasten, 
wenn  die  grossen 
Instrumente  nicht 
benöthigt  werden, 
wie  bei  Aborten, 

Dammnähten, 
Abrasio. 

Eine     der 

Mackenrodt' 
sehen  in  mancher 
Hinsicht  ähnliche 

Zusammenstel- 
lung ist  (unabhän- 
gig von  der  ge- 
nannten)  an  der 

üniversitäts- 
Frauenklinik  in 
Würzburg  (Pro- 
fessor Hofmeier) 
von  Dr.  A.  Nebel, 
jetzt  in  Frank- 
furt a.   M.,  und 

mir  ausgeführt 
Verden  und  für 
die  geburtshilf- 
lichePoliklinik  im 
Gebrauch.  An  der 
Einrichtung  des 
zu  schildernden 
Kästchens  habe 
ich  später  einige 
Aenderungen  an- 
gebracht, so  dass 
jenes,  welches  ich 
jetzt  benütze,  fol- 
gende Gestalt  hat: 


394 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GEBURTSHILFE. 


Die  Geräthe  sind  in  zwei  Abt li eilungen  verpackt,  und  zwar  die 
grossen  Instrumente  in  einer  Rolle  aus  Segeltuch,  die  kleineren  nebst 
den  Droguen  u.  s.  w.  in  einem  Blechkästchen.  Man  nimmt  also  zu 
Aborten,  Dammnähten,  Abrasionen  nur  das  kleine  Kästchen,  zu  Entbindungen 
aber  beide  Apparate  mit,  braucht  demnach  nicht  das  ganze  Gewicht  zu  kleinen 
Eingriffen  mitzutragen. 

Die  Rolltasche  aus  Segeltuch  enthält  nur  die  grossen  geburtshilflichen 
Instrumente  und  -  zwar :  Martin's  Beckenmesser,  ScHROEDER'sche  Zange, 
Kranioklast,  Siebold's  Perforatorium,  stumpfen  und  spitzen  Haken  vereinigt, 
Decapitations  -  Scheere,  grossen  Uteruskatheter  nach  Weinhold  ;  in  einer 
Seitentasche  sind  Wendungsschlinge  und  Tracheal-Katheter;  diese  Seitentasche 
dient  auch  dazu,  die  benützten  und  vorläufig  gereinigten,  aber  nicht  ausge- 
kochten Instrumente  von  den  unbenutzten  getrennt  heimtragen  zu  können. 
Gesammtgewicht  der  (nicht  abgebildeten)  Rolltasche  3  kg\  Länge  (zusammen- 
gerollt) 45   cm,  Breite  (auseinandergerollt)  60  cm. 

DaskleineKäst- 
chen  besteht  aus  ver- 
nickeltem Zinkblech 
und  ist  35  cm  lang, 
20  cm  breit,  11  cm 
hoch;  es  enthält  die 
Droguen  und  einige 
kleinere  Geräthe.  Aus- 
sen auf  dem  Deckel 
(Fig.  25)  liegt  einTäsch- 
chen aus  Segeltuch 
(Fig.  25  &,  26  h\  in 
dem  sich  die  kleinen 
Instrumente  befinden, 
und  zwar  Feitsch's 
Uterus-Katheter,  Kom- 
zange,  männlicher  Neu- 
silber-Katheter, Weich- 
gummi-Katheter, Ute- 
rus-Sonde, Curette, 
MusEux'sche  Zange, 
Nadelhalter,  Cooper- 
sche  Scheere,  Infusions- 
Nadel,  Nagelreiniger, 
und  in  einer  Seitenta- 
sche Nähnadeln. 

Auf  diesem  kleinen  Täschchen  liegt  noch  eine  Gummischürze  (Fig.  25  c) 
und  eine  Gummi-Unterlage;  beide  kann  man  nicht  nur  in  der  Armenpraxis, 
sondern  oft  auch  bei  bemittelten  Familien  recht  gut  brauchen. 

Blechkästchen,  kleine  Instrumententasche,  Gummischürze  und  Unter- 
lage stecken  in  einem  Ueberzug  von  Segeltuch  und  werden  mittels  eines 
Plaid-Riemens  getragen;  Gesammtgewicht  5V2  ^^ 

Im  Blechkästchen  selbst  befindet  sich  folgendes:  Email-Irrigator,  Fig.  26  c 
(der  sog.  „bayrische  Armee-Irrigator"),  welcher  auch  für  Sublimatlösungen 
verwendbar  ist;  im  Irrigator  steckt  ein  Paket  Wundwatte  und  ein  gläsernes 
Scheidenrohr;  Irrigator-Schlauch,  Chloroform-Maske  nach  Schimmelbusch,  ein 
vernickeltes  Blechkästchen  mit  in  Streifen  geschnittener  Jodoform-Gaze, 
Stethoskop,  sterilisirte  Seide  und  Catgut  in  2  verschraubbaren  Gläschen, 
Pravaz-Spritze,  Nagelbürste  (diese  muss  in  Pergament-Papier  eingewickelt 
sein,  da  sie   sonst   nach   Gebrauch  in   Sublimat   die  Metallwände  angreift); 


Fig.  27. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


395 


in  Gläschen  befinden  sich  Sublimat-Pastillen,  concentrirte  Carl)ollösun{? 
nebst  Carbolmessglas,  Chloroform  in  einem  Tropffläschchen,  Ergotin-  und 
Morphiumlösung,  Campheröl,  Vaseline. 

Um  nun  das  Blechkästchen  leicht  reinigen  zu  können,  sind  seine  Wände 
vollkommen  glatt ;  zum  Festhalten  der  Gläschen  wird  ein  entsprechend  ge- 
bogener Blechstreifen  darin  nicht  etwa  befestigt,  sondern  einfach  hineingelegt 
(Fig.  27  a);  durch  den  danebenliegenden  Irrigator  (Fig.  2G  c)  werden  Blech- 
streifen und  Gläser  genügend  in  ihrer  Lage  festgehalten. 

Nimmt  man  auch  noch  den  Blechstreifen  heraus,  so  kann  man  das 
leere  Kästchen  gleichsam  als  Instrumentenschale  zum  Einlegen  der  Instrumente 
in  Carbollösung  benützen;  und  wohl  jedem  Geburtshelfer  wird  es  in  armen 
Familien  schon  vorgekommen  sein,  dass  keine  genügende  Anzahl  von  Schüsseln 
zur  Verfügung  stand. 

GUSTAV  KLEIN. 


Instrumentarium    zur  Gynäkologie.    Der  Einfluss,   weichen   die 

Asepsis  auf  die  Gestaltung  des  Instrumentariums  im  allgemeinen  ausgeübt 
hat,  wurde  in  der  Einleitung  des  Aufsatzes  „Instrumentarium  zur  Geburtshilfe'* 
besprochen.  Bei  Beschreibung  des  Geräthes,  welches  der  gynäkologische  Operateur 
benützt,  ist  es  nothwendig,  einige  beson- 
dere Einzelheiten,  so  vor  allem  den  Bau 
des  sogenannten  „aseptischen  Schlosses" 
klarzulegen;  denn  dieses  bildet  ein  wesent- 
liches Merkmal  der  neueren  Bauart  jener 
Geräthe,  welche  aus  zwei  gekreuzten  Thei- 
ien  bestehen;  und  auf  die  Herstellung 
eines  guten  zerlegbaren  Schlosses  ist  von 
verschiedenen  Aerzten  und  Instrumenten- 
machern nicht  geringe  Mühe  verwendet  wor~ 
den;  man  darf  wohl  hinzusetzen:  mit  Erfolg. 
Das  am  meisten  verbreitete  —  aber 
nicht  zugleich  das  beste  —  zerlegbare 
Schloss  besteht  aus  einem  „Kreuzna- 
gel",  welcher  in  einen  Ausschnitt  des 
anderen  Theiles  passt,  aber  nur  bei  einer 
gewissen  Spreizung  beider  in  einander 
gefügten  Theile  herausgenommen  werden 
kann.  Diese  Spreizung  ist  so  berechnet, 
dass  sie  beim  gewöhnlichen  Gebrauche 
mit  einer  Hand  nicht  erreicht  wird.  Die 
Nachtheile  dieses  Schlosses  (Fig.  1,  Schloss 
mit  Kreuznagel,  geschlossen;  Fig.  2  a  und 
2  b  die  einzelnen  Theile  des  Schlosses 
von  oben  und  der  Kreuznagel  von  der 
Seite  gesehen)  sind  folgende:  Beim  Aus- 
einandernehmen und  Zusammenfügen  der 
beiden  Theile  dreht  man  leicht  den  Kreuz- 
nagel ab  oder  lockert  ihn;  das  Schloss 
wird  bei  längerem  Gebrauch  häufig  lose, 
beide  Theile  „wackeln"  gegeneinander; 
Scheeren  schneiden  dann  schlecht,  Klem- 
men greifen  an  der  Spitze  nicht  genau  in- 
einander, das  Fassen  feiner  Theile,  wie 
kleiner  Arterien,  wird  erschwert. 


Fi; 


a  und  6. 
Theile  dieses 
Schlosses,  ver- 
grösseit. 


1.   Zerlegbares  Schloss 
mit  „Kreuznagel". 


396 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


Beide  Nachtheile  werden  vermieden  durch  einige  andere  Schlösser,  so 
durch  jene  mit  „Lappen-Verschluss",  bei  Walcher's  patentirtem  Schloss  u.  A.  — 
Der  Lappen-Verschluss  (Fig.  3,  4  a  und  4  &)  ist  gekennzeichnet  durch 
einen  vorspringenden  „Lappen"  oder  eine  „Backe",  welche  ebenfalls  nur  bei 
maximaler  Spreizung  aufhört,  über  den  anderen  Theil  des  Instrumentes  zu 
greifen;  erst  dann  ist  es  möglich,  den  mit  dem  Lappen  versehenen  Tlieil  aus 
dem  Stift,  welcher  als  Drehungs-Axe  dient,  herauszuheben.  Die  meisten  In- 
strumente bedürfen  nur  eines  solchen  Lappens;  wenn  es  aber  auf  sehr  grosse 
Festigkeit  des  Schlosses  ankommt,  wie  bei  Nadelhaltern,  bringt  man  mit 
Vortheil  2  Lappen  an  (Fig.  5,  6  a  und  6  h).  Das  Auseinanderfallen  beider 
Theile  verhütet  während  des  Gebrauchs  beim  „Kreuznagel"  dessen  Kopf,  beim 
,.Lappenverschluss"  der  eine  oder  die  beiden  Lappen. 


i'ig    i  a         fig.  ib 


Fig.  ü  a        ITig.  e  b 


Fig.  6a  lind  6,  Theile  dieses 
Schlosses. 


Pig.  3.    Zerlegbares  Schloss  mit 
„Lappenverschluss." 


Fig.  4a  und  <^.  Theile  dieses 
Schlosses. 


Fig.  5.     Zerlegbares  Schloss  mit 
2  „Lappen". 


Andere  zerlegbare  Schlösser  beruhen  auf  dem  Gedanken,  welcher  dem 
BRtJNNiNGHAUSEN'schen  Zangenschlosse  zu  Grunde  gelegt  ist.  Dieses  letztere 
stellt  also  eine  der  ältesten  Formen  leicht  zerlegbarer  und  leicht  zu  reinigender 
Schlösser  dar. 

Bei  vielen  gekreuzten  Instrumenten  ist  es  nöthig,  sie  nach  erfolgtem 
Schluss  feststellen  zu  können.  Dazu  bedient  man  sich  heute  meist  der 
Crem  all  lere  (Zahneisen,  sägeförmig  gezahnte  Leiste;  lat.  cremaculus);  sie 
besteht  —  wie  ihr  Name  „Zahnleiste"  sagt  —  aus  einem  gezähnten  Theil, 
in  welchen  ein  hakenförmiger  Vorsprung  der  anderen  Seite  eingreift  (Fig.  3,  c); 
es  ist  dadurch  ein  Feststellen  der  beiden  Arme  in  verschieden  weiter  Spreizung 
möglich. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


397 


Federn  werden  nach  Möglichkeit  vermieden,  da  sie  beim  Auskochen 
rasch  schlecht  werden  und  ihre  Anbringung  zum  Entstehen  von  Schmutz- 
winkeln führt.  Man  findet  deshalb  nur  an  wenigen  Instrumenten  noch  Federn; 
am  letzten  Modell  des  HAGEDOEN'schen  Nadelhalters  ist  die  P'eder  in  sehr 
sinnreicher  Weise  angebracht,  aber  trotzdem  bildet  sie  den  „wunden  Punkt" 
desselben.  An  manchen  Instrumenten,  so  an  Richelot's  Zange  (Fig.  3)  ist 
eine  gewisse  Federung  in  den  beiden  schlanken  Stahlarmen  des  Geräthes 
selbst  vorhanden. 

Speciila,  Scheiden  sj  >  i  egel, 

Specio  =  ich  sehe,  speculor  =  ich  beschaue,  besichtige,  beobachte; 
speculum  =  der  Spiegel.  Entsprechend  der  Ableitung  von  specio  oder  spe- 
culor bedeutet  speculum  ursprünglich  „Geräth  zur  Besichtigung"  und  erst  im 
übertragenen  Sinne  „Spiegel".  Diese  doppelte  Bedeutung  kommt  auch  beim 
gynäkologischen  „Speculum"  zur  Geltung :  es  ist  in  seiner  wichtigsten  An- 
wendung ein  Geräth  zum  Besichtigen,  kein  Spiegel;  (das  Wort  Spiegel  selbst 
ist  ja  keine  Uebersetzung,  sondern  nur  eine  Umwandlung  des  Wortes  spe- 
culum). Selbst  beim  FEEGussoN'schen  Scheidenspiegel  dient  der  Spiegelbelag 
des  Glasrohrs  nicht  dazu,  um  die  Scheide  oder  Portio  im  Spiegelbild  zu  sehen, 
wie  etwa  beim  Kehlkopfspiegel  den  Kehlkopf;  sondern  der  FERGussoN'sche 
Röhrenspiegel  dient  nur  zum  Erhellen  des  Gesichtsfeldes,  zum  Reflectiren  des 
einfallenden  Lichtes.  Es  ist  also  bei  allen  Geräthen  zur  Besichtigung  der 
Scheide  und  Portio  (ebenso  bei  einigen  ähnlichen  Geräthen,  die  für  Blase, 
Mastdarm,  Ohr  u.  s.  w.  bestimmt  sind)  falsch,  von  einem  Spiegel  zu  sprechen; 
dieses  Wort  trifft  selbst  für  das  FERGUssoisr'sche  Instrument  den  Sinn  nur 
unvollständig.  Man  müsste  also  eigentlich  von  „Scheiden-Besichtigern,  spec- 
tatores  vaginae"  sprechen  —  allerdings  keine  schöne  Wortbildung,  — 
wie  man  das  persönliche  Wort  „reflector  =  Zurückwerfer"  auch  sachlich  für 
bestimmte  Geräthe  verwendet.  Unter  diesem  Vorbehalte  werden  im  Folgenden 
des  Herkommens  und  der  Kürze  halber  die  Worte  Speculum  und  Spiegel 
benützt. 

1.  Röhrenförmige  Speciüa. 
Als  solche  benützt  man  Röhren  von  verschiedener  Weite  und  Länge,  am 
äusseren  Ende  mit  verbreitertem,  etwas  umgebogenem  Rand,  am  inneren  Ende 
besser  schräg  als  quer  abgeschnitten.  Sie  werden  aus  verschiedenem  Material 


Fig.  7  und  8.  Milchglasspeculum  von  C.  Mayer. 


Fig.  8. 

Fig.  9. 

Fergusson's 

Hartgummi 

Speculum. 

Speculum. 

hergestellt:  Das  Speculum  von  C.  Mayee  aus  Milchglas  (Fig.  7),  das  von 
Fergusson  aus  Glas  mit  Spiegelbelag  und  Hartgummi  oder  Lacküberzug 
(Fig.  8);  haltbarer  sind  die   Specula  aus  Metall,  Hartgummi  oder  CeÜuloid ; 


398 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


iene  aus  Hartgummi  (Fig.  9)  sind  am  widerstandsfähigsten  gegen  chemische 
und  mechanische  Insulte,  reflectiren  aber  sehr  wenig  Licht  nach  innen ;  die 
Celluloid-Specula,  aussen  schwarz  lackirt,  innen  gelblichweiss,  erhellen  das 
Gesichtsfeld  besser;  der  Lack-Ueberzug  wird  aber  durch  alkoholische  Losungen 
(so  durch  rückfliessende  Jodtinctur  bei  intrauterinen  Injectionen)  rasch  zerstört, 
die  anfangs  gelblichweisse  Innenseite  wird  bald  bräunlich ;  immerhin  sind  die 
Hartgummi-  und  Celluloid-Specula  heute  mit  Recht  am  meisten  verbreitet, 
da  sie  nicht  leicht  zerbrechen. 

2.  Plattenförmige  Specula. 

a)  Mit  getrennten  Blättern. 

Ihrer    Bedeutung   und   der   geschichtlichen    Entwicklung    entsprechend 

müssen  unter  den  getrenntblättrigen  Speculis  zuerst  der  „Entenschnabel" 

und  der  „Depressor"  von  Marion  Sims  genannt  werden.    Mit   Recht  sagt 

Winckel"  dass  die  Gynäkologie  jene  Höhe,  auf  welcher  sie  sich  jetzt  befindet, 

hauptsächlich  zwei  Er- 
findungen verdankt: 
Der  bimanuellen  Unter- 
suchung   und  Sims' 
Speculum,  erstere  seit 

1864   hauptsächlich 
durch  Holst   zur  An- 
wendung und  Aufnah- 
me gebracht,  letzteres 
1845   von  Sims  erfun- 
den und  1866    in  sei- 
nem epochemachenden 
Werke  „Klinik  der 
Gebärmutter  -  Chirur- 
gie"  eingehend  be- 
schrieben. Fast  gleich- 
zeitig  mit  Sims  hatte 
von  Metzler  in  Prag 
(1846)  ein  solches  Spe- 
culum erfunden. 

Ursprünglich  be- 
diente sich  Sims 
zweier  verschieden 
grosser,  entenschna- 
belförmiger Rinnen, 
die  gleichgerichtet 
an  einem  Stiel  befes- 
tigt waren  (Fig.  10) 
und  bei  Knie-Ellenbogenlage  der  Frau  die  hintere  Scheidenwand  nach  oben 
drängen  sollten ;  da  bei  dieser  Stellung  der  Frau  die  vordere  Scheidenwand 
mittelst  eines  durchbrochenen  löffelähnlichen  Instrumentes  herabgedrückt 
wurde,  bezeichnete  Sims  dasselbe  als  „Depressor"  (Fig.  12). 

Wird  es  —  wie  in  Deutschland  meist  —  bei  Rückenlage  der  Frau  ver- 
wendet, so  erhebt  man  damit  die  vordere  Scheidenwand  —  es  dient  dann 
nicht  als  Depressor,  sondern  als  Elevator. 

Bei  Rückenlage  der  Frau  auf  einem  Untersuchungsstuhl  empfiehlt  sich 
mehr  Breisky's  Z-förmige  Form  des  SiMs'schen  doppelten  Entenschnabels 
(Fig.  11),  da  man  mit  dem  äusseren  Löffel  des  SiMs'schen  Modells  (Fig.  10) 
am  Untersuchungsstuhl  anstösst. 


Fig.  10.  Marion  Sims' 
„Entensclmabel-Speculuin''. 


Fig    11.  Marion  Sims' 

Speculum  in  Z-Form,nacl> 

Breisky. 


Fig.  12.  Bepressor  von  Marion  Sims. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


399 


Später  wurde  das  Sms'sche  Speculum  in  zweifacher  Weise  durch  Boze- 
MAN  und  G.  Simon  abgeändert :  statt  des  Depressors  wurden  Platten  ver- 
wendet und  Platten,  beziehungsweise  Pdnnen  verschiedener  (jr^yfiHd  für  die 
vordere  und  hintere  Scheidenwand  abnehmbar  an  einem  besonderen  Griff 
befestigt.  Der  vordere  Griff  ist  durch  die  Symphysen-Biegung  gekenn- 
zeichnet ;  diese  ist  erforderlich,  da  sonst  der  Zug  am  Ende  der  Platte  angreift 
und  diese  zum  Herausgleiten  aus  der  Scheide  bringt ;  infolge  der  Symphyscii- 
Biegung  wird  der  Zug  auf   die  Mitte  der  Platte   selbst  (Fig.  13,  a)   verlegt. 

Der  hintere  Griff  ist  nur  in  leichtem  Bogen  gekrümmt.  (Fig.  14.)  Eine 
Umbiegung  am  äusseren  Ende  ist  wünschenswerth,  weil  das  Speculum  damit 
leichter  in  der  Hand  festgehalten  wird.  Diesem  Zwecke 
dient  auch  der  schräg  geriefte  Griff  (Fig.  13) ;  andere 
benützen  aus  Gründen  der  Asepsis  ganz  glatte  Griffe 
(Fig.  14). 

Es  ist  nöthig,  von  den  vorderen  und  hinteren 
Platten  mehrere  von  verschiedener  Grösse  zu  haben 
(Fig.  15  —  18  vordere  Platten,  flach;  Fig.  19  und 
20  hintere  Kinnen,  entenschnabelförmig). 

Die  gebräuchlichsten  Grössen  der  vorderen  Platten 
sind  (in  Centimetern)  8  :  3,  schmal;  9  :  4,  breit ;  10  :  3'5  ; 
—  die  der  hinteren  Rinnen,  quer  von  Rand  zu  Rand 
gemessen,  8:3,  10  :  4,  11  :  4-5.  —  Natürlich  kann 
man  sich  der  verschiedensten  Zwischengrössen  bedienen; 
kleinere  Modelle  als  8  :  3  sind  selten  erforderlich,  da 
bei  Jungfrauen  die  Anwendung  der  Platten-Specula 
meist  ausgeschlossen  ist;  grössere  Formen  als  10  :  3'5, 
beziehungsweise  11  :4*5  können  bei  Operationen  nöthig 
sein,  sie  werden  aber  besser  durch  die  Specula  von 
Fritsch  oder  Martin  ersetzt.  Die  gewöhnlichen  hin- 
teren Rinnen  nach  Sims  verdrängen  nämlich  die 
Portio  zu  stark  nach  hinten  und  verhüten  nicht  das 
Vorquellen  der  seitlichen  Scheidengewölbe.  Beiden 
Misständen  helfen  die  kurzen  und  breiten  hinteren 
Platten  von  Martin  (Fig.  21),  sowie  die  von  Fritsch 
(Fig.  22)  ab,  welch'  letztere  mit  höheren  seitlichen 
Fügein  versehen  sind.  Beide  Formen  eignen  sich 
deshalb  besonders  als  Operations-Specula. 

Gleich  den  Ge- 
burtszangen haben 
auch  die  Scheiden-Spe- 
cula  eine  Anzahl  von 
Aenderungen  erfahren; 
nur  wenige  Gynäkolo- 
gen dürften  es  sein, 
die  sich  nicht  einmal 
dieser  Frage  gewidmet 
haben.  Aber  während 
z.  B.  die  unzählbare 
Menge  der  früheren 
Diphtherie  -  Heilmittel 
nur  ein  Beweis  für  die 
Unwirksamkeit  dersel- 
ben ist,  verhält  es  sich 
bei  Geburtszange   und 

Scheidenspiegel    Unige-     Fig.  IS  u.  20.  Hintere  Speculum-Einnen 


Fig.  14 

Hinterer 

Speculum- 

Vorderer       Griff  nach 

Speculura-Griff  nach    Bozeman. 

Bozeman-Simon.  Simon. 


Fig.  13. 


Fig.  15    -  IS. 
Vordere  Speculura-Platten. 


400 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE, 


kehrt:   Die   grosse  Zahl    der  Abänderungen    und    Neu  -  Erfindungen  beweist 
den  grossen  Werth,  ja  die  Unentbehrlichkeit  dieser  Geräthe. 


Fig.   21. 
Hintere  Binne  nach  Martin. 


Fig.  22.  Hintere  Speculum-Einnen  nach  Fritscli. 

Von  Abänderungen  der  getrenntblät- 
trigen Specula,  welche  sich  im  allgemeinen 
Gebrauche  erhalten  haben,  seien  noch  fol- 
gende erwähnt: 

Feitsch's  Rieselspeculum  (Fig.  23); 
der  Schlauch  des  mit  der  Spülflüssigkeit  ge- 
füllten Irrigators  wird  am  Speculum  selbst 
angebracht  und  die  Wundfläche  auf  einfache 
Weise  überrieselt. 

Warm  empfohlen  hat  in  jüngster  Zeit 
Saenger  das  NEUGEBAUER'sche  Speculum 
(Fig.  24);  es  eignet  sich  besonders  für  die 
Sprechstunde. 

Für  den  Gebrauch  der  Specula  mit  ab- 
nehmbaren Platten  und  Rinnen  ist  ein  guter 
Verschluss  unbedingtes  Erfordernis.  Der 
Fe  der  verschluss  (Fig.  13  und  14)  hat 
den  Nachtheil,  bald  zu  versagen  oder  nach 
längerem  Gebrauch  und  öfterem  Auskochen 
einmal  mitten  unter  der  Operation  die  Platte 
aus  dem  Griffe  herausgleiten  zu  lassen ; 
auch  ist  er  ein  schwer  zu  reinigender 
Schmutzfänger.  Beides  bedeutet  nicht  un- 
erhebliche Nachtheile.  Von  anderen  Ver- 
schlüssen hat  sich  mir  der  von  dem  verstor- 
benen Assistenten  der  FEiTscn'schen  Klinik, 
Dr.  Seltmann,  gemeinsam  mit  dem  Bres- 
lauer Instrumentenmacher  Haertel  ange- 
fertigte Verschluss  vorzüglich  bewährt;    der 

schmale  federnde  Endtheil  der  Platten  besitzt  einen  Flügel,  welcher  in  eine 

Kerbe  des  Griffes  passt ;  ein  Stift  greift  gleichzeitig  in  einen  Ausschnitt  des 

oberen  Griff-Endes  ein  (Fig.  25). 

Der  Seitenhebel  (Scheidenhalter)  von  Simon  ist  ein  Wundhaken 

mit  stumpfem  Bande ;  man  kann  ihn  gefenstert  oder  ungefenstert  benützen ; 

die  seitlichen  Vorsprünge   am  Griff  erleichtern  das  Festhalten. 

Bei  Fisteloperationen  u.  s.  w.   sind  manchmal  Seitenhebel   mit  kleinen 

Zähnen  am  vorderen  Rande  vortheilhaft. 

Das  Festhalten  der   Specula  erfordert   mehr  Assistenz,    als  man  in  der 

Sprechstunde  oder   in  der  Praxis  überhaupt  meist  zur  Verfügung  hat.    Von 


Fig.  24. 

Speculum  nach 

Keugebauer. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


401 


Feitscii  u.  A  Sind  deslialb  Spccula- Halter  angegeben  worden,  welche 
am  Tisch  oder  Untersuchungsstuhl  befestigt  werden  und  die  hinteren  Platten 
aufnehmen.     Assistenz  durch  geübte  Hände  ist  natürlich  vorzuziehen 


Kg    25      Seltmann-Härtel's  Speculum-Verschluss 


Fig.  26.   Seitenhebel 

(Scheidenhalter)  nach  Simon 

und  Benckiser. 


h)   Mehrblättrige    Specula  mii  vereinigten 
Blättern. 
Das  älteste   Vorbild    eines    solchen   Speculum, 
zugleich  das  älteste  bekannte  Scheiden-Speculum  über- 
haupt, wurde  in  Pomp  ej  i  gefunden.    Es  stellt  eine 
eben  so  geistreiche  als  brauchbare  Form  dieser  Specula  dar. 

Die  Zahl  der  heute  benützten  mehrblättrigen  Specula  mit  vereinigten 
Blättern  ist  eine  sehr  grosse ;  dagegen  begnügen  sich  jetzt  die  meisten  mit 
zwei  Blättern,  während  vor  Sims'  Erfindung  3  und  mehr  Blätter  nicht  selten 
waren.  Man  sollte  glauben,  dass  die  von  Sims  angegebenen  Rinnen  und  eben- 
so die  Antisepsis  den  vereinigtblättrigen  Speculis  ein  rasches  und  sanftes  Ende 
bereitet  hätten.  Aber  die  schon  erwähnte  Schwierigkeit,  stets  über  genügende 
Assistenz  zu  verfügen,  ferner  der  Umstand,  dass  Gesichts-  und  Operationsfeld 
in  den  Röhren-Speculis  sehr  beschränkt  sind,  sichert  zunächst  den  Spiegeln 
von  Cusco  u.  a.  noch  immer  ein  berechtigtes  Dasein  —  ja,  diese  Thatsachen 
führen  zu  immer  neuen  Erfindungen  auf  diesem  Gebiete. 


Bitl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  tind  (rynäkologie. 


26 


402 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


Am  meisten  benützt  wird  heute  wohl  das  zweiblättrige  Speculmn  von 
Cusco  (Fig.  27),  das  in  der  letzten  Zeit  mit  innlegbaren  Griffen  versehen 
wurde.  Diese  Anwendung  soll  dazu  dienen,  das  Instrument  zum  Tragen  in 
der  Tasche  kleiner  zu  machen;  es  ist  aber  nicht  wahrscheinlich,  dass  sehr 
viele  Gynäkologen  mit  dem  Speculum  in  der  Tasche  zur  Praxis  ausgehen  — 
diese  Geräthe  sind  in  der  Hauptsache  doch  für  Sprechstunde  und  Operations- 
zimmer bestimmt. 


Das  Speculum  von  G.  Breus 
(Fig.  28)  hält  sich  in  der  Scheide 
selbst  durch  Federung  der  beiden 
Arme  ;  in  gewissem  Maasse  „selbst- 
haltend" ist  übrigens  auch  jedes 
andere  mehrblättrige  Speculum, 
sobald  die  beiden  Theile  weiter 
als  bis  zu  paralleler  Stellung  ge- 
öffnet sind. 

Während  Cusco's  Speculum 
eine  beliebige  Entfernung  der  Blät- 
ter nur  am  Innern,  nicht  aber  am 
äusseren,  in  der  Vulva  liegenden 
Theile  gestattet,  ist  an  Collin's,- 
Trelat's  u.  a.  Speculis  eine  Vor- 
richtung —  meist  eine  Zahnstange 
mit  Zahnrad  —  vorhanden,  welche 
es  ermöglicht,  auch  den  äusseren 
Theil  zu  erweitern.  Alle  diese  Vor- 
richtungen machen  das  Geräth 
aber  noch  complicirter  und  schwe- 
rer zu  reinigen.  Dieser  Vorwurf 
trifft  auch  Cusco's  Spiegel,  der 
nicht  auseinandernehmbar  ist.  Ein 
zerlegbares  und  sehr  einfaches 
Schloss  besitzt  ein  Speculum,  das 
nur  in  wenigen  Katalogen  abge- 
bildet ist  und  als  das  CoLLiN'sche 
bezeichnet  wird. 


Fig.  27.  Zweiblättrigea  Speculum  nach  Cusco. 


Fig.  28.    Selbsthaltendes  Speculum  nach  Gr.  Breus. 


Aber  auch  dieses  theilt  mit  den  meisten  zweiblättrigen  Speculis  den 
Grundfehler,  dass  beide  Platten  gleich  lang  sind,  während  doch 
—  den  anatomischen  Verhältnissen  entsprechend  —  die  vordere  Platte 
kürzer  sein  müsste,  als  die  hintere.  Mit  den  jetzt  gebräuchlichen 
Speculis  verdrängt  man  die  Portio,  statt  sie  einzustellen. 

Diesen  Fehler  vermeidet  ein  Speculum,  das  in  jüngster  Zeit  als  das 
HAMiLTON'sche  in  den  Handel  gebracht  wird.  Die  vordere  Platte  ist  daran 
kürzer  als  die  hintere,  das  Speculum  zerlegbar. 


Uterus-Sonden,  Aetzmittelträger,  Intrauterin-Siiritze. 

Die  Uterus-Sonden  zeichnen  sich  vor  ihrem  Vorbilde,  der  chirurg- 
ischen Sonde,  durch  die  Länge,  den  Griff  und  in  einzelnen  Fällen  durch 
eine  bestimmte  unveränderliche  Biegung,  sowie  durch  eine  Graduirung  aus. 
Die  letztere  besteht  an  Schröder's  Sonde  (Fig.  29)  in  seichten  Einkerbungen, 
an  Schultze's  Sonde  in  5  Knöpfchen  (Fig.  30). 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


403 


Einzelne  Sonden  haben  7  cm  von  der 
Spitze  entfernt  ein  stumpfwinkliges  Knie; 
da  die  normale  Uterus-Höhle  vom  Orifi- 
cium  externum  bis  zum  P'undus  beim  Er- 
wachsenen ungefähr  7  cm  lang  ist,  kann 
man  bei  eingeführter  Sonde  an  diesem  Knie 
ohne  Weiteres  erkennen,  ob  die  Uterus- 
Höhle  die  normale,  eine  zu  geringe  oder 
zu  grosse  Länge  hat.  Die  Gesammtlänge 
der  Sonde  mit  Gritü:  soll  nicht  unter  35  cm 
betragen.  Bei  nicht  biegsamen  Sonden 
ist  am  Griff"  eine  Marke  nothwendig,  welche 
„vorn",  d.  h.  die  Richtung  anzeigt,  nach 
welcher  jeweils  der  Sondenknopf  sieht. 

Es  ist  wünschenswerth,  eine  un- 
biegsame, graduirte  und  eine  bieg- 
same Sonde  zu  besitzen;  die  letztere  — 
meist  aus  versilbertem  Kupfer  oder  Neusil- 
ber bestehend  —  ist  bei  abnormem  Ver- 
lauf der  Uterus-Höhle  sehr  brauchbar,  so 
bei  Myomen  u.  s.  w. 

Die  Aetz mittelträger  spielen  für 
die  Behandlung  der  Endometritis  heute 
eine  grosse  Rolle.  Es  sind  deren  recht  zahl- 
reiche Formen  im  Gebrauch;  am  meisten 
benützt  werden  bei  uns  wohl  der  Aetz- 
mittelträger  von  Playfair  und  das 
Holzstäbchen  nach  Obermann,  selten 
G  ä  n  s  e  f  e  d  e  r  n  nach  ScHRADER.  Playfair's 
Stäbchen  (Fig.  31)  ist  am  oberen  Ende 
gerauht  und  besteht  aus  Aluminium,  es 
wird  also  durch  Silbernitrat  etc.  nicht  an- 
gegriffen. Das  oberste  Ende  soll  nicht  — 
wie  oft  fälschlich  —  mit  einem  Knopf  ver- 
sehen sein,  da  sich  sonst  nach  dem  Ge- 
brauche die  Watte  schwer  entfernen  lässt;  übrigens  wird  das 
Entfernen  der  Watte  dadurch  erleichtert,  dass  man  die  Watte 
mit  einer  Kornzange  unter  Wasser  abzupft,  oder  indem  man 
sie  mit  einem  trockenen  Wattebauschen  abstreift. 

Das  OßERMANN'sche  Holzstäbchen  (Fig.  33  ^)  ist  aus  weichem  Holz 
geschnitzt;  es  wird  durch  Silbernitrat  etc.  nicht  in  solcher  Weise  angegriffen, 
dass  dadurch  die  beabsichtigte  Aetz  Wirkung  gestört  wird;  andererseits  hat  es 
den  Vorzug  weitgehender  Reinlichkeit,  da  man  die  gebrauchten  Stäbchen 
einfach  ortwirft,  also  stets  ungebrauchte  benützt.  Seine  geringe  Biegsamkeit 
ist  gelegentlich  nachtheilig. 

In  jüngster  Zeit  empfahl  Saenger  das  amerikanische  Silber  Stäb- 
chen (Fig.  32  a  und  h)  nachdrücklich;  dessen  Erfinder  konnte  Saenger  nicht 
feststellen.  „Das  aus  reinem,  nicht  legirtem  Silber  gefertigte  Stäbchen  ist 
etwa  22  cm  lang  und  in  einen  glatten  etwa  8  ctn  langen  Handgriff  aus  Holz 
gefasst  oder  besser  (so  wie  es  Saenger  jetzt  herstellen  lässt)  in  einen  solchen 
aus  versilbertem  Messing  eingelöthet.  Gesammtlänge  somit  circa  30  cm.  In  seinem 
vordersten  Drittel  ist  das  Stäbchen  bei  einer  Breite  von  etwas  über  1  mm 
ganz  glatt,  nicht  dicker  als  Cartonpapier;  in  seinem  mittleren  Drittel  ver- 
dickt es  sich  allmälig  etwas,   um,   bei  durchaus   gleichbleibender  Breite,  in 


Mg  29  Uterus- 
Sonde  n.  Simp- 
son u.  Schröder. 


Fig. 
fair's 


31.  Play- 
Stäbchen. 


404 


INSTRÜMENTAEIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


seinem  hinteren  Drittel  aus  der  abgeplatteten  Form  in  eine  rimd-cylindrische 
überzugehen.  Es  ist  vollkommen  glatt  und  biegsam  wie  ein  elastisches  Bougie, 
ohne  wie  ein  solches  die  ihm  beigebrachte  Biegung  wieder  aufzugeben.  Ver- 
möge seiner  Schmächtigkeit  und  Biegsamkeit,  welche 
sich  unter  der  Einführung  in  den  Uterus  dessen  Krüm- 
mung anpasst,  lässt  sich  das  mit  wenig  Watte  um- 
wickelte und  mit  dem  flüssigen  Aetzmittel  getränkte 
Silber  Stäbchen  ohne  Fixation  der  Portio  auch 
in  stark  fiectirte  Uteri  mit  enger  Cervix  rasch,  leicht 
und  schonend  bis  zum  Fundus  einschieben. 

Je  nach  Weite  der  Cervix  umwickelt  man  das 
Stäbchen  mit  mehr  oder  weniger  Watte,  welche  aber 
stets  aus  einem  Stück  herausgezupft  sein 
muss,  damit  sie  beim  Wegziehen  auch  vollständig  wie- 
der herauskomme.  An  der  Spitze  lässt  man  eine  breite 
Watteflocke  pinselartig  vorstehen  (Fig.  34a), 
welche  gegen  den  Fundus  uteri  angedrückt 
wird,  so  dass  sich  die  Aetzfiüssigkeit  rückwärts  tiber 
die  Schleimhaut  ergiessen  kann.  Die  Play  fair -Stäb- 
chen ätzen,  wie  Fig.  34  h  zeigt,  die  Uterus-Schleim- 
haut nicht  so  ausgedehnt.  Nach  dem  Aetzen  entfernt 
man  „das  Silberstäbchen  aus  dem  Uterus  in  der  Weise, 

dass  man  es   sammt 
der    umwickelten 

Watte  mittels 
Kornzange     dicht 
vor    dem     Mutter- 
munde   fasst    und 

so  herauszieht." 
Die  Watte  wird  dann 

vom  Stäbchen  mit 
einem  trockenen  Watte- 
bauschen abgestreift. 

An  dieser  Stelle 
muss  auch  die  Aus- 
stopfung desnicht 
puerperalen  Ute- 
rus mit  Gaze  be- 
sprochen werden.  Die- 
ses ausgezeichnete  Mit- 
tel bei  der  Behandlung 
von  Endometritiden  ist 
von  Fritsch  angege- 
ben worden;  er  benützt 
dazu  einen  „Stopfer", 
d.  h.  ein  glattes,  nur 
an  der  Spitze  rauhes 
Stäbchen,  mittelst  des- 
h.  obermann's  scn  cr  dlc  Uterus-Höhle 
mit  Jodoform  -  Gaze 
„plombirt." 

Will  man  grössere  Mengen  des  flüssigen  Aetzmittels  in  die  Uterus-Höhle 
bringen,  so  bedient  man  sich  der  Intrauterin-Spritzen  nach  C.  Braun. 
Der  Gedanke,  eine  schlanke  Spritze  mit  langem  Ansatzstück  zu  benützen,  war 
für  die  Intrauterin-Therapie  überaus  nutzbringend  —  und  doch  gleicht  er  in 


Fig.  32.  a  lt.  h. 

Amerikanisches  SilberstUb- 

chen  (nacti  Saenger). 


Kg.  33.  er.  Playfair's  Stäbclien. 

Holzstäbchen,    c.    Silberstäbchen, 
(nach  Saenger). 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


405 


seiner  Einfachlieit  dem  Ei  des  Columljus.  Im  Allgemeinen  fassen  die  Braun' 
sehen  Spritzen  (Fig.  35)  nur  1  cm^\  es  wäre  bequemer,  sie  stets  für  mindestens 
2  cm'^  einzurichten,  da  es  wünschenswcrth  ist,  die  Menge  der  Aetzmittel- 
Lösung  verschieden  gross  zu  wählen.  Zu  den  Injectionen  von  20/0  Argentum 
nitricum  in  die  Blase,  welche  von  Kovsing  mit  PJrfolg  zur  Behandlung  des 
Blasenkatarrhs  empfohlen  wurden,  habe  ich  mir  ausserdem  eine  Spritze  machen 
lassen,  welche  10  cm^  fasst  und  —  bei  sonst  gleicher  Beschaffenheit  wie  die 
gebräuchlichen  BiiAUN'schen  Spritzen  —  an  deren  Ansatzstücke  passt.  Ich 
benütze  die  grosse  Spritze  u.  a.  auch  besonders  zur  Behandlung  der  Cervix- 
Gonorrhoe  mit  Argentum-nitricum-Lösung  1  :  3000. 

Bei  dieser  Gelegenheit  mag  erwähnt  werden,  dass  man 
sich  mit  Vortheil  grosser  PRAVAz'scher  Spritzen  (zu  10  cm^) 
zur  Injection  von  Alkohol  oder  67o  alkoholischer  Lösung  von 
Salicylsäure  (siehe  Carcinom  der  weiblichen  Genitalien, 
Seite  153)  bedient,  wie  sie  in  neuerer  Zeit  von  mehreren 
Seiten  zur  Behandlung  des  inoperablen  Portio-  und  Cervix- 
Krebses  anjrerathen  wurde. 


Fig  34  a.     Die  Aetzflüssigkeit 
gelangt  durch  das  Silberstäbchen 
in  alle  Theile  der  Uterus-Höhle. 


Fig.    34  6.      Mit  Playfair's  Stäbchen 

■wird  die  Aetzflüssigkeit  nicht  in  alle 

Theile  der  Uterus  Höhle  gebracht. 

(Fig.    34  a.  u.  h.  nach  Saenger). 


Fig.  35. 
C.    Braun's     In- 
trauterin-Spritze. 


Uterus-Katheter. 

(xaör/jfxi  =  ich  sende  hinab,  versenke,  stecke  hinein;  6  xaösTr^p-Einsteck-Geräth.) 

In  noch  höherem  Maasse,  als  Aetzmittelträger  und  Intrauterin-Spritzen 
findet  der  Uterus -Katheter  bei  der  Behandlung  der  Endometritis  An- 
wendung; sein  Gebiet  ist  nicht  allein  die  chronische  Entzündung  der  Gebär- 
mutterschleimhaut, sondern  ebenso  die  acute  septische  Endometritis  nach  Ge- 


406 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


burten,  die  durch  Saprophyten  erzeugte  Fäulnis  von  Ei-Kesten   nach  recht- 
zeitigen Geburten  oder  nach  Aborten  u.  s.  w.     Der  Spiükatheter  des  Uterus 
gehört  deshalb  sowohl  zu  den   geburtshilflichen,  als  zu 
-'  '-^  den   gynäkologischen  Geräthen,    und   er  muss  in  jeder 

geburtshilflichen  Tasche  vorhanden  sein. 

Der  oft  enge  Cervical-Canal  verhindert  gelegent- 
'  lieh  —  ja  beim  nicht  puerperalen  Uterus  meistens  — 
das  Ausströmen  der  mittels  Katheter  in  die  Uterus- 
Höhle  eingegossenen  Flüssigkeit.  Jeder  Uterus-Kathe- 
ter muss  daher  eine  Vorrichtung  besitzen,  welche  den 
Rückfluss  ermöglicht ;  er  muss  doppelläufig  sein, 
was  wir  als  Deutsche  natürlich  mit  dem  Ausdruck 
ä  double  courant  bezeichnen.  Diese  Vorrichtung  besteht 
beim  BozEMAN-FßiTscn'schen  Katheter  in  einem  weite- 
ren Abflussrohr,  welches  über  das  dünnere  Einfluss- 
rohr gesteckt  wird  (Fig.  36),  bei  den  Kathetern  von 
ai  BuDiN  (Fig.  38),   Weinhold  (Fig.    37)   u.  A.  in   einer 

Längs  -  Rinne,    welche 

das  Rohr  im  Quer- 
schnitt hufeisenförmig 
gestaltet,  bei  anderen 
Kathetern  sogar  in  4 
Längsrinnen.  Am  mei- 
sten wird  bei  uns  wohl 

der  Katheter  von 
Bozeman-Fritsch  ge- 
braucht; es  ist  an- 
genehm, für  den  nicht- 
puerperalen Uterus 
eine  kleinere,  für  den 
puerperalen  eine  gröss- 
ere Form  dieses  In- 
strumentes zu  besitzen. 
Hofmeier  lässt  die  Ab- 
fluss-Oeffnung  (Fig.  36, 

a)  an  der  concaven 
Seite  anbringen,  nicht 
—    wie    dies  bei  den 
Fig.  38.  Uterus-  im  Handel  vorkommen- 
den   Kathetern    meist 
der  Fall  ist  —  an  der 
convexen;    senkt   man 
nämlich   den  Katheter  bei  normaler  Lage  des  Uterus  auch  nur  etwas  gegen 
den   Damm,   so   drückt  man    sich   sonst   damit    die  Ausflussötfnung   zu  und 
der  Abfluss  hört  auf. 

Weinhold's,  Piskacek's  und  andere  Katheter  bestehen  aus  2  Stücken, 
die  einen  in  der  Längsrichtung  auseinandergeschnittenen,  gleichsam  längsge- 
spaltenen Metall-Katheter  darstellen.  Das  Geräth  lässt  sich  dadurch  in  allen 
AVinkeln  und  sogar  im  Lumen  selbst  unter  Leitung  der  Augen  reinigen. 
Eine  Längsrinne  sorgt  für  den  Abfluss.  Der  WEiNHOLü'sche  Katheter  ist 
besonders  bei  acuter  Endometritis  nach  Aborten  oder  rechtzeitigen  Geburten, 
ferner  auch  bei  Heisswasser-Irrigationen  des  Uterus  wegen  atonischer  Blu- 
tungen sehr  vortheilhaft,  da  er  grössere  Flüssigkeitsmengen  auf  einmal  durch- 
lässt,  als  Fritsch's  Katheter. 


Fig    36.  Uterus-Katheter 
nach  Bozeman-Fritsch, 


Fig.  37.   Uterus-Katheter, 
nach  Weinhold. 


Äatheter  nach 
Budin. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


407 


Zu  den  einfachsten  Uterus-Kathetern  gehören  die  aus  Glas,  sowie  der 
Katheter  von  Budin  (Fig.  38);  der  letztere  wird  häufig  aus  Celliiloid  hergestellt. 
Er  besteht  in  der  Hauptsache  aus  einem  leicht  gebogenen  Rohr  mit  Längs- 

rinne. 

Die  Uterus-Katheter  aus  Glas,  ohne  oder  mit  Längsrinne,  werden  besonders 
zur  Behandlung  gonorrhoischer  Endometritis  mit  Argentum  nitricum  empfohlen. 


Fig.  39.  Anatomischs     Kg.  40.  Haken-Pincette. 
Eincette. 


Fig.  38a.    Katheter  nacli  Piskacek.    385.  In  seine  TheiTs 
zerlegt. 


PisKAcEK  hat  einen  Katheter  angegeben,  dessen  Krümmung  es  erlaubt, 
ihn  auch  „durch  ein  längeres  Speculum  hindurch  einzuführen.  Der  in  den 
Uterus  einzuführende  Theil  ist  konisch  geformt,  damit  das  Ende  die  vor- 
geschriebene Dünnheit  und  der  Strahl,  der  sich  bei  dieser  Construction  ver- 


408 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


Jimgen  muss,  die  entsprecliende  Intensität  erlange"  (Piskacek;   vgl.    „Intra- 
uterin -T  h  e  r  ap  i  e"). 

Die  Vorrichtungen  zur  permanenten  Irrigation  der  Uterus- Höhle 
bei  septischer  Endometritis,  jauchenden  Myomen  u.  s.  w.  finden  noch  von 
mehreren  Gynäkologen  Verwendung.  Solche  Apparate  sind  von  Fmtsch, 
Küstner  (in  Katalogen  ist  als  Erfinder  meist  Küster  bezeichnet)  u.  A.  an- 
gegeben worden,  theils  als  einfache  Riesel-Vorrichtungen  mittels  Irrigators 
und  Drain-Kreuzes,  theils  in  Verbindung  mit  Schücking's  Tropfenzähler. 


Pincetten,  Klemmen,  Zangen. 

Eine  grosse  Anzahl  der  hier  zu  besprechenden  Instrumente  ist  mit 
der  einzigen  Veränderung,  dass  sie  für  gynäkologische  Zwecke  länger  und 
schmäler  hergestellt  werden,  der  Chirurgie  entlehnt.  Die  betreffenden  chi- 
rurgischen Geräthe  haben  als  Stamm-Mütter  ihren  hoch  aufgeschossenen 
Sprösslingen  mit  der  unverkennbaren  Familien- Aehnlichkeit  meist  auch  den 
gleichen  Namen  mitgegeben.  Nur  we- 
nige gynäkologische  Klemmen  und  Zan- 
gen entbehren  der  chirurgischen  Ahnen. 


Fig.  il.    Lange  Kornzanje.    Fig,  42.  Tiemann's  Kugel-    Fig.  43.  Zange  nach  Museux.    Fig.  44.    Zange   n.  Museux, 

Zange.  mittelgross. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOaiE.  4U^J 

Von  den  Pincetten  finden  sowohl  die  einfach  gerieften  anatomischen, 
als  die  mit  1 — 3  Ilaken  an  jedem  Ende  versehenen  liaken-ri  ncetten 
(Fig.  39  und  40)  in  der  Frauenheilkunde  Verwendung. 

Zu  den  unentbehrlichen  Geräthen  gehört  die  Kornzange  (Fig.  41); 
deren  Schwester  ist  später  noch  als  Polypenzange  (Fig.  47j  zu  beschreiben, 
sie  erfreut  sich  aber  nicht  einer  gleich  vielseitigen  Verwendbarkeit. 

Ebenfalls  der  Chirurgie  entnommen  sind  jene  Zangen,  die  zum  Anhaken 
der  Portio,  ferner  der  Weichtheile  der  Vulva  bei  Damm-  und  .Scheidenplastik, 
zum  Festhalten  der  Gebärmutter-Anhänge  bei  Eierstocks-  und  Eileiter-Ojte- 
rationen  u.  s.  w.  dienen.  Man  benützt  sie  meist  in  der  Form  der  Kugel- 
zange (Fig.  42)  und  der  MusEux'schen  Zange  (Fig.  43,  44,  45j,  letztere 
gewöhnlich  kurzweg  als  Museux  bezeichnet. 

Die  Kugelzange  wurde  von  Tiemann  in  New-York  zu  dem  Zwecke 
hergestellt,  um  mit  ihr  Bleigeschosse  aus  Wunden  zu  entfernen.  Was  Hueteu 
im  Hinblick  auf  diese  Bestimmung  von  ihr  rühmt,  gilt  auch  für  ihre  gynä- 
kologische Verwendung:  „Die  schlanken  Branchen  des  kornzangenähnlichen 
Instrumentes  gestatten  seine  Einführung  in  die  Tiefe  enger  Canäle.  Die 
Branchen  endigen  in  einwärts  gebogene  Spitzen,  weiche  sich  in  geschlossenem 
Zustande  decken  und  die  Gewebe  nicht  verletzen.  Ihre  Leistungen  sind 
geradezu  als  vorzügliche  zu  bezeichnen."  —  Vortheilhaft  versieht  man  das 
Geräth  am  hinteren  Ende  mit  einer  Zahnsperre  (Cremaillere);  es  hat  gegen- 
über der  MusEux'schen  Zange  den  Nachtheil,  an  der  Portio  ziemlich  grosse, 
manchmal  etwas  stärker  blutende  Löcher  zu  machen. 

Die  Zange  von  Museux  (Fig.  43)  ist  mit  1 — 3  dünneren  und  längeren 
Spitzen  an  jedem  Arm  versehen.  Am  gebräuchlichsten  ist  wohl  jene  Form, 
welche  beiderseits  2  Spitzen  trägt.  Die  Löcher,  welche  sie  macht,  sind  kleiner 
als  die  durch  die  Kugelzange  verursachten;  die  längeren  Spitzen  erschweren 
aber  das  Abnehmen  des  Geräthes  manchmal,  besonders  wenn  man  es  ohne 
Specula  verwendet.  Im  Uebrigen  gehört  die  MusEux'sche  Zange  zu  den  brauch- 
barsten Instrumenten,  ob  es  sich  nun  um  Damm-  und  Scheiden-Operationen 
oder  um  Eingriffe  an  Portio  und  Corpus  uteri  oder  um  die  Abtragung  von 
Uterus-  und  Adnex-Tumoren  nach  Laparotomie  handelt. 

Den  verschiedenen  Zwecken  entsprechend  ist  es  nöthig,  verschieden  starke 
und  lange  Formen  dieser  Zange  zu  haben.  In  der  Sprechstunde,  also  zum 
einfachen  Anhaken  der  Portio,  ist  die  lange  Form  mit  schmalem  Maul  (Fig.  43) 
bequem  ;  zum  Hervorholen  der  Tuben  und  Ovarien  bei  Ovario-  und  Salpingek- 
tomie eignet  sich  eine  Zange  mit  breiterem  Maul  (Fig.  44),  bei  Myom-Opera- 
tionen, sei  es  von  der  Scheide  oder  vom  Abdomen  aus,  bedarf  man  oft  einer 
sehr  kräftigen  Zange  (Fig.  45). 

Der  Name  Museux  wird  meist  falsch  ausgesprochen  und  anscheinend 
bei  uns  auch  falsch  geschrieben.  Man  hört  das  s  scharf  statt  weich  sprechen, 
wie  es  richtiger  gesprochen  werden  soll.  In  deutschen  Büchern  liest  man 
ferner  meist  Muzeux  mit  Z,  während  Pozzi  in  seinem  Lehrbuch  stets  Museux 
mit  S  schreibt.    An  der  Aussprache  ändert  das  nichts. 

Als  Polypen  Zangen  sind  theils  Instrumente  mit  löffelähnlichem,  theils 
solche  mit  kornzangenähnlichem  Ende  im  Gebrauch.  Ein  Beispiel  der  ersteren 
ist  die  Polypenzange  von  Peitsch  (Fig.  46),  welche  sich  besonders  zum  Fassen 
von  Schleimhautpolypen  eignet;  myomatöse  Polypen  packt  man  sicherer  mit 
MusEux'schen  Zangen;  ein  Beispiel  für  die  erwähnte  zweite  Art  ist  die  Zange 
von  Küchenmeister  (Fig.  47),  die  eine  gebogene  Kornzange  vorstellt.  Wer 
Kornzange,  Kugelzange  und  MusEux'sche  Zange  besitzt,  wird  eigener  Polypen- 
Zangen  meist  entrathen  können.  Nur  bei  Aborten  mit  zurückgehaltenen  Ei- 
Theilen  kann  es  wünschenswerth  sein,  eine  stark  gebogene  Kornzange  zu  ver- 
wenden; wenn  nämlich  der  Cervical-Canal  schon  wieder  ziemlich  eng  wurde 
und  die  Entfernung  jauchender  Ei-Reste  möglichst  rasch  ausgeführt  werden 


410 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


soll,  ist  es  oft  recht  schwer,  dies  mit  einem  Finger  zu  bewirken;  eine  stark 
im  Bogen  gekrümmte  Kornzange  thut  dann  sehr  gute  Dienste.  Ich  benütze 
dazu  eine  solche  von  32  cm  Länge  und  6  cm  Abstand  des  aufgebogenen  vor- 
deren Endes  von  einer  horizontalen  Unterlage.  —  Mit  solchen  Zangen  darf 
aber  nur  das  gefasst  werden,  was  man  mit  dem  Finger  vorher  sicher  gefühlt 
hat;  sonst  kommt  es  leicht  zu  bedenklichen  Verletzungen  (Durchbohrung)  des 
Uterus. 


rig.  45.  Zange  n.  Museux,  gross. 


rig.  46.   Polypenzange  nach 
Tritsch. 


Pig.  47.  Polypenzange  nach 
Küchenmeister. 


Ausser  den  genannten  Polypen-Zangen  ist  noch  eine  grosse  Anzahl  der 
verschiedensten  Formen  angefertigt  worden;  sie  besitzen  theils  gezähntes,  theils 
gerieftes,  bald  gefenstertes,  bald  ungefenstertes  Maul.  Keine  von  ihnen  ist 
unentbehrlich. 

Dagegen  ist  in  neuerer  Zeit  von  Pean,  Eichelot  und  Doyen  eine  Klemme 
angegeben  worden,  die  sich  in  ausgezeichneter  Weise  zur  Massen-Ligatur 
eignet;  sie  wurde  als  Forcipressur -Zange  bezeichnet  und  wird  von 
vielen  deutschen    Gynäkologen  unter  der  kurzen   Bezeichnung    „Piichelot"^ 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


411 


benützt,  in  gleicher  Abkürzung,  wie  Museux,  Uesciiami'.s  statt  MusEi:x"sclie 
Zange,  Deschamps'  Nadel.  In  der  Hauptsache  stellt  sie  eine  Klemme  mit 
langer,  geriefter  Klemmfläche  dar,  welche  im  vorderen  Theile  leicht  gekrümmt 
ist  (Fig.  48). 

Nach  den  Abbildungen,  welche  Pozzi  in  seinem  ausgezeichneten  Lehr- 
buche der  Gynäkologie  bringt,  ist  eine  wichtige  Aenderung  daran,  die  bei  uns 
meist  RiCHELOT  zugeschrieben  wird,  anscheinend  nicht  von  diesem,  sondern 
von  Doyen  angegeben  worden:  es  ist  dies  die  Wölbung  der  beiden  Arme 
im  Bereich  der  Klemmfl.ächen.    Fasst  man  nemlich  ein  breites  Gewebebündel 


Flg.  48:  Doyen's  ITorcipresstir- 
Zange . 


Kg.  49.  Arterienklemme  nach 
Pean. 


Kg.  50.  Arterienklemme  nach 
P^an. 


mit  einer  Zange,  welche  geradegestreckte  Arme  hat  (etwa  wie  die  Arterien- 
klemme, Fig.  50),  so  bilden  beide  Arme  vorerst  einen  spitzen  Winkel  und  es 
wird  das  dem  Schloss  zunächstllegende  Gewebe  am  stärksten,  das  weiter  vorn 
liegende  weniger  stark,  ja  vielleicht  ungenügend  zusammengedrückt.  Die 
Wölbung  der  klemmenden  Zangentheile  (Fig.  48)  hilft  diesem  Misstand  in 
geistreicher  Weise  ab  — :  zunächst  drückt  man  damit  die  äussersten  Gewebs- 
bündel  zusammen  und  bei  kräftigem  Schliessen  des  Instrumentes  allmälig  zu- 
nehmend auch  jene  Gewebstheile,  die  dem  Schlosse  näherliegen. 

Die  Forcipressur-Zange   ist   für   Pean's   Hysterektomia   vaginalis 
bestimmt;  aber  auch  nach  Unterbindung  der  Adnexe  mit  Seide,  wie  sie  bei 


412 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


der  Total -Exstirpation  von  den  meisten  deutschen  Gynäkologen  ausgeführt 
wird,  ist  diese  Zange  zur  Stillung  von  Blutungen,  welche  durch  Umstechung 
nicht  zum  Stehen  gebracht  wurden  oder  von  Nachblutungen  sehr  brauchbar; 
nicht  minder  gute  Dienste  leistet  sie  bei  Adnex-Operationen  nach  Eröffnung 
der  Bauchhöhle  u.  s.  w. 

Zur  Blutstillung  im  Allgemeinen  sind  natürlich  auch 
bei    gynäkologischen   Eingriffen    die    bekannten    chirurgischen 
Arterien  -  K!emmen   im   Gebrauch.     Hier   seien  die  Bilder  von 
zwei  Klemmen  beigefügt,   welche  auch  als  Kornzange  u.  s.  w. 
dienen  können,    und  sowohl    zum  Fassen  von  Gefässen  als  von 
breiteren  Gewebsbündeln   dienen.     Es  sind  dies  die  bekannten 
PEAN'schen    Arterienklemmen   (Fig.    49    und    50)   mit   langer 
Klemmfläche.    Es  ist  vortheilhaft,  längere  und  kürzere  Formen 
derselben   zu  besitzen:  die  längeren  für  Portio-,  Corpus-Opera- 
tionen  und   Laparotomien,  die  kürzeren  für  Damm-Plastiken  u. 
s.  w.    Die  Verlängerung  dieses  ausgezeichneten  Geräthes  ist  der 
einzige  Einfluss,  welchen   die  gynäkologische  Verwendung  dar- 
auf  ausgeübt   hat.    Für  manche   Zwecke    würde  es    sich  em- 
pfehlen,   auch    Abänderungen    in    der 
Weise    vorzunehmen,     dass    man    die 
DoYEN'sche    Wölbung    (s.    o.   bei   der 
Pean  -  RiCHELOT'schen      Forcipressur- 
Zange)    anbringt;  angedeutet   ist   dies 
in    Abbildung    49    an    der    kürzeren 
PEAN'schen  Arterien-Klemme. 

Zwei  Zangen-Arten,  welche  nicht 
allgemein,  sondern  nur  zu  ganz  be- 
stimmten Operationen  Verwendung  fin- 
den, die  Cysten  -  Zangen  und 
Schlauchklemmen,  werden  beiden 
Laparotomie  -  Instrumenten  besprochen. 

Scliwammhalter. 

Viele  Operateure  verwenden  grund- 
sätzlich keine  Schwämme.  Dieser  Stand- 
punkt ist  durch  die  sehr  schwierige 
Sterilisation  der  Schwämme  bedingt; 
immerhin  ist  eine  solche  Sterilisation 
aber  technisch  möglich,  und  sie  wurde 
schon  oben  (Antisepsis  und  Asepsis 
in  der  Gynäkologie,  S.  48)  näher  be- 
schrieben. Der  Benützung  steriler 
Schwämme  steht  natürlich  nichts  im 
Wege;  ja  mehr  noch:  zu  manchen 
Zwecken  sind  die  Schwämme  viel  bes- 
ser und  verwendbarer,  als  Gaze-  und 
Watte-Tupfer.  Uebrigens  dienen  die 
„Schwamm-"  Halter  selbstverständlich 
auch  als  „Tupfer- "Halter. 
Unter  den  zahlreichen  Formen  von  Schwammhaltern  werden  folgende 
drei  wohl  am  häufigsten  benützt:  Der  Schwammhalter  von  Crede  (Fig.  51), 
der  von  C.  Braun  (Fig.  52)  und  der  von  M.  Sims  (Fig.  53).  Einige  Schwamm- 
halter haben  einen  schmalen  Ring,  durch  den  beim  Vorschieben  der  Schwamm 
festgeklemmt  wird  (Fig.   51  und  53),  andere  eine  Hülse,  welche  das  Vor- 


Fig.  51. 

Schwammhalter 

nach  Credo. 


Fig.   62 
Schwammhalter 
nach  C.  Braun. 


Fig.  53. 
Schwaitimhalter 
nach  M.  Sims. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


413 


scliieben  vom  hinteren  Ende  aus  gestattet,  ohne  dass  man  mit  den  Fingern 
bis  an  das  vordere  Ende  zu  gehen  braucht  (Fig.  52);  beim  Tupfen  in  engen 
Hohl-Räumen,  in  der  Tiefe  des  Beckens  u.  s.  w.  bietet  dies  eine  gewisse  Er- 
leichterung, wenn  der  Schwamm  herauszufallen  droht.  Das  Maul  der  Schwamm- 
halter besteht  theils  aus  einfachen  umgebogenen  Spitzen  (Fig.  51),  theils  aus 
gezähnten  Enden  (Fig.  52,  53).  Andere  Schwammhalter  sind  wie  selbst- 
klemmende Pincetten,  also  mit  Kreuzung  der  Arme,  oder  wie  Zangen  u.  s.  w. 
gebaut.  Im  Nothfalle  kann  jede  Kornzange  oder  jede  lange  Arterien-Klemme 
den  gleichen  Zwecken  dienen. 

Ciiretten. 

(Curer  =  reinigen,  ausräumen;  la  curette  =  das  Schabeisen.  Das  Wort 
„curettement"  ist  anscheinend  eine  deutsche  Erfindung;  die  Franzosen  sagen 
curage  und  curettage,  gebrauchen  diese  Worte  aber  als  masculina,  während 
der  Deutsche  auffallender  Weise  die  französischen  Wörter  auf  -age  als 
feminina  gebraucht,  also  auch  sagt:  die  curettage.  „Das  curettement"  ist 
doppelt  falsch:  erstens  gibt  es  dieses  Hauptwort  im  Französischen  nicht,  und 
zweitens  sind  die  Wörter  auf  -ment  masculina.) 

Eine  ähnliche  Verw^irrung,  wie  sie  in  der  Benennung  des  gynäkologischen 
Eingriffes  der  Ausschabung  herrscht,  besteht  auch  in  der  Frage  nach  den 
Erfindern  der  dazu  benützten  Geräthe. 

Nach  Pozzi  verhält  sich  die 
Sache  so:  die  Curette  mit  schneidender 
Oese  (Stahlschleife)*)  stammt  von  Sims 
(Fig.  55  0^  und  h),  der  scharfe  Löffel 
von  Simon  (Fig.  54),  die  Löffel-Cu- 
rette  mit  halbstumpfen  Rändern  von 
Recamiee-PiOux  (Fig.  56);  Pozzi  sagt, 
dass  „das  ursprüngliche  Modell  nach 
Recamier  an  seinem  Ende  eine  unzweck- 
mässige  Krümmung  habe".  Das  Roux'- 
sche  Modell  ist  häufig  als  Doppel- 
löffel, d.  h.  an  jedem  Ende  löffelähn- 
lich ausgehöhlt,  im  Gebrauch.  Bei  uns 
hat  es  Martin  in  Aufnahme  gebracht; 
manche  bezeichnen  es  deshalb  auch  als 
die  MARTiN'sche  Curette.  Für  die 
Ausschabung  der  Uterus-Schleimhaut 
ist  es  unnöthig,  dass  die  Ränder  dieser 
Geräthe  scharf  sind;  vielmehr  eignen 
sie  sich  halbscharf  besser  dazu,  da  sie 
die  Uterus  -  Wand  so  nicht  verletzen 
können. 

Instrumente  für  Harnröhre,   Blase 
und  Ureteren  des  Weibes. 

Es  ist  auffallend,  dass  unser  In- 
strumentarium für  dieses  Gebiet  ein  so 
kleines    ist.    Zum    Theil    beruht    dies 

darauf,  dass  die  Krankheiten  der  genannten  Organe  —  abgesehen  von  den 
Fisteln  —  beim  Weibe  seltener  instrumentelle  Hilfe  erfordern,  als  beim  Mann, 
und  dass  die  Kürze  und  Weite  der  weiblichen  Harnröhre  nicht  so  umständ- 


Fig.  54. 
Scharfer  Löffel 
nach  Simon. 


Fig.  55  a  u.  6. 
Schneidende 

Oesen 
nach  Sims. 


rig.  56. 

Löffelcnrette 

nach    Keeamier- 

Eous. 


*)  Vgl.  „Curettement",  S.  175. 


414  INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 

lieh  gebaute  und  nicht  so  zahlreiche  Geräthe  nöthig  macht.  Es  kommt 
aber  noch  ein  anderer  Umstand  hinzu,  nämlich  unsere  mangelhafte  Kennt- 
nis der  Erkrankungen  dieser  Organe.  Sind  wir  doch  nicht  einmal  über  die 
Mechanik  der  physiologischen  Urin-Entleerung  im  Klaren.  Und  was  wissen 
wir  denn  über  gewisse  oder  richtiger  ungewisse  Formen  der  Incontinentia 
urinae,  z.  B.  über  die  Enuresis  nocturna,  ferner  über  die  reizbare  Blase,  über 
die  Tumoren  des  Harnbehälters?  Nicht  viel  mehr,  als  den  Namen  und  einige 
Symptome. 

Die  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie  und  Therapie  hat  hier  noch  grosse 
Lücken  auszufüllen. 

Die  wichtigsten  unter  den  vorhandenen  Geräthen  zur  Erkennung  und 
Behandlung  der  Blasenleiden  verdanken  wir  neben  Snis  und  Bozeman  vor 
allem  G.  Simon  und  Pawlik.  Das  NrrzE'sche  Kystoskop  war  grundlegend 
und  bisher  unerreicht  in  seinen  Leistungen  für  die  männliche  und  weib- 
liche Harnblase;  in  der  Anwendung  beim  Weibe  dürfte  ihm  aber  vielfach 
das  einfachere  Endoskop  von  Pawlik  mindestens  gleichkommen. 

Der  Harnröhren-Dilatator  von  G.  Simon  (Fig.  57)  dient  sowohl 
zum  Erweitern  der  Uretlira  als  zur  Besichtigung  dieser  selbst  und  der  Blase. 
Das  röhrenförmige  Geräth  besteht  meist  aus  Hartgummi  und 
besitzt  einen  vorn  kolbenförmig  abgestumpften  Ob turator  (ob- 
turare  =  verstopfen);  es  ist  nöthig,  verschiedene  Grössen  des 
Instrumentes  zum  allmäligen  Dilatiren  der  Harnröhre  zu  besit- 
zen; im  Allgemeinen  sind  7  Grössen  von  0'6— 2  cm  Durchmes- 
ser erforderlich  (Vgl.  „Blasenkrankheiten  des  Weibes", 
S.  110).  Man  führt  das  Instrument  sammt  dem  Obturator  ein 
und  kann  nach  Entfernung  des  letzteren  durch  Verschieben  des 
Speculum  nach  und  nach  die  einzelnen  Abschnitte  der  Urethra 
besichtigen. 

Handelt    es    sich   nur   um   Dilatation,    nicht  auch   um 
j..    g^  Besichtigung    der   Harnröhre,    so   sind   statt  dieses   Diktators 

Harnröhren-       verschicdeu  dlcko  Stifte  aus  Glas  (Asch)  oder  Hartgummi  ver- 
""'f'tZ::^       wendbar. 

Zur  Blasen-Besichtigung  verwendete  Paw^lik  Simon's 
Dilatations-Speculum  in  folgender  Weise:  er  Hess  einen  Griff  daran  anbringen, 
brachte  die  Patientin  in  Knieellenbogenlage  und  führte  jetzt  das  Speculum 
ein;  die  Blase  blähte  sich  dabei  spontan  mit  Luft  auf  und  er  konnte  das 
Blaseninnere  einfach  mittels  des  Sonnenlichtes  sichtbar  machen;  später  be- 
nützte er  ein  elektrisches  Lämpchen,  das  an  einem  langen  Stiel  angebracht 
war  und  in  die  Blase  miteingeführt  wurde;  so  kam  er  zur  Herstellung  seines 
Endoskops  (s.  u.). 

Das  Kystoskop  von  Nitze  (Fig.  58  a)  ist  eigentlich  für  die  männliche 
Blase  bestimmt,  aber  auch  für  die  des  Weibes  verwendbar")  und  vielfach  ver- 
wendet worden;  Nitze  hat  ausserdem  ein  Operations- Kystoskop 
(Fig.  58  b)  hergestellt,  mit  welchem  unter  Leitung  des  Auges  Fremdkörper, 
Polypen,  Tumorstückchen  u.  s.  w.  gefasst,  abgetragen  und  entfernt  werden 
können.  Nitze's  Verdienste  um  die  Endoskopie  der  Blase  sind  so  allgemein 
anerkannt,  dass  sie  nicht  mehr  des  Hinweises  bedürfen;  aber  für  die  weib- 
liche Harnröhre  und  Blase  genügt  natürlich  ein  kürzeres  Instrument,  welches 
auch  einen  grösseren  Durchmesser  haben  kann.  Dieser  Thatsache  wird 
Pawlik's  Endoskop  (Fig.  59  A— D)  gerecht. 

Die  Harnröhre  muss  vorher  dilatirt  werden ;  zur  Dilatation  ist  Narkose 
erforderlich,  zu  wiederholten  Untersuchungen  mittels  des  Endoskops  aber 
nicht  mehr.  Die  Kranke  wird  nun  in  Knieellenbogenlage  auf  einem  Bozeman'- 


*)  Vgl.  „Kystoskopie"  im  Aufsatze  „Blasenkrankheiten  des  Weibes",  S    110. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


415 


Fig.  58a.  Kystoskop  von  Nitze. 


Kg.  CSb.  Operations-Kystoskop  von  Xitze. 


416 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


sehen  Fisteltisclie  befestigt  und  der  Harnröhrenspiegel  eingelegt;  die  Blase 
dehnt  sich  spontan  durch  die  eindringende  Luft  aus.  Die  Besichtigung  des 
Blaseninnern  kann  nun  bei  genügendem  Sonnenlichte  ohne  Weiteres  geschehen. 

„Bedarf  man  der  künstlichen 
Beleuchtung,  so  wird  der 
Beleuchtungskörper  (Fig.  50 
B  oder  C)  eingeschoben  und 
an  der  Spiegelhandhabe  mit 
den  Knöpfen  a  a  in  den  ent- 
sprechenden Ausschnitten 
(Fig.  59  A,  a)  befestigt.  Die 
Besichtigung  der  ganzen 
Blase  geschieht  durch  ent- 
sprechende Verschiebung  und 
Drehung  des  Spiegels.  Für 
langdauernde  Untersuchun- 
gen ist  in  dem  Beleuch- 
tungsapparat eine  Wasser- 
leitung angebracht,  durch 
welche  er  abgekühlt  wird." 
Auf  diese  Weise  war  das 
Katheterisiren  der  Ureteren 
oft  ziemlich  leicht  möglich; 
Pawlik  hat  ausserdem  Tu- 
moren, Narben,  Geschwüre, 
Katarrh,  Fremdkörper  u.  s. 
w.  damit  endoskopirt.  „Nach 
geschehener  Untersuchung 
wird  die  in  die  Blase  ein- 
gedrungene Luft  in  Rücken- 
lage der  Frau  durch  einen 
gewöhnlichen  Katheter  aus 
der  Blase  herausgedrückt." 
Die  Kystoskopie  ist  in 
der   allgemeinen  Praxis  bis 


B. 


Vig.  59.     A.    Harnröhrenspiegel  mit  Handhabe  von  Pawlik. 
Elektrisclier    Beleuchtungsapparat     mit     Wasserleitung     (w 


w). 


SS  =  Schrauben  zur  Flxirung  der  Elektroden,  c  =:  Schraube  zur  Strom- 
schliessung,    aa  =  Knöpfe    zur   Fixirung,    die   nach  Einlegung  des 
Beleuchtungsapparates  in  den  Harnröhrenspiegel  in  die  entsprechen- 
den Einschnitte  (aa)  seiner  Handhabe  eingeschoben  werden, 
e  =  Kapsel  mit  der  elektrischen  I/ampe. 
C.  Kürzerer  Beleuchtungsapparat  für  geschrumpfte  Blasen  ohne 
Wasserleitung. 


l''ig.  59.  D.    Das  zusammengestellte  Endoskop  in  eins  künstliche  Blase  eingeführt,  wie  sie  Leiter  be     der 

Construction  des  Instrumentes  bei  seinen  Versuchen  verwendete. 

Fig.  59  Ä — ü  nach  Pawlik  und  Leiter. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


417 


jetzt  viel  zu  sehr  vernachlässigt  worden ;  zum  Theil  waren  daran  die  ziem- 
lich kostspieligen  Apparate  und  ihre  umständliche  Anwendung  Schuld.  Es  ist 
zu  hoffen,  dass  durch  vereinlachte  Geräthe,  wie  durch  Pawlik's  Endoskop, 
auch   die  Kystoskopie  allgemeine  Verwendung  finden  wird. 

Schon  vor  Erfindung  seines  Blasenspiegels  hat  Pawlik  eine  Methode 
angegeben,  um  unter  Leitung  eines  Fingers  nach  Dilatation  der  Harnröhre 
auch  die  Ureteren  sondiren  und  katheterisiren  zu  können;  durch  sein  Endo- 
skop wird  dieser  diagnostisch  oft  so  wichtige  Eingriff"  wesentlich  erleichtert. 
Man  verwendet  dazu  die  Ureteren-Sonde  (Fig.  60)  und  den  Ureteren- 

Katheter  (Fig.  61)  von  Pawlik. 

Zum  einfachen  Katheterisiren  der  Blase  bedie- 
nen sich  die  meisten  metallener  oder  aus  Weich- 
gummi verfertigter  (Jacques  Patent-)  Katheter  u.  zw. 
viele  lieber  des  längeren  männlichen  als  des  wegen 
seiner  Kürze  oft  unbequemen  weiblichen  Katheters. 
Fritsch  sagt,  dass  nach  seiner  Ansicht  die  weib- 
liche Harnröhre  meist  mit  zu  dicken  Kathetern  ka- 
theterisirt  wird.  Er  empfiehlt  dünne  Glas- Kathe- 
ter. Eingeschaltet  muss  hier  werden,  dass  Salben 
(wie  Vaseline)  zum  Einfetten  des  Kathe- 
ters ungeeignet  sind:  Rovsing  beschreibt 
einen  Fall,  in  welchem  die  Blase  schliess- 
lich grosse  Mengen  der  Vaseline  enthielt ; 
aus  diesem  und  anderen  Gründen  ist 
Barlow's  Vorschlag  beherzigenswerth, 
statt  der  Salben  besser  Glycerin  zu  ver- 
wenden. 

Zum   Einbringen   von    Arzneimitteln 
in  die  Harnröhre  hat  Fritsch  „eine  Canüle 
construirt,  die  an  jede  PRAVAz'sche  Spitze 
anzustecken  ist.     Dieselbe  hat  die  Dicke 
eines  dünnen  Katheters  und  ist  aus  Cellu-     ^.^  ^^ 
loid  gearbeitet,  um  auch  Argentum-Lösun-  Apparat  zur 
gen   anwenden   zu    können.      Die   Röhre  nach  KüS^r! 
ist  siebförmig  durchbohrt  und  trägt  oben 
einen  Knopf.    Sie  wird  in  die  Harnröhre  eingeführt 
und  dann  etwas  zurückgezogen,  so  dass  der  Knopf  die 
Harnröhre  oben  einigermassen  abschliesst." 

Zur  Ausspülung  der  weiblichen  Blase  sind 
natürlich  alle  jene  Vorrichtungen,  wie  doppelläufige 
Katheter  u.  s.  w.  verwendbar,  w^elche  auch  beim 
Manne  benützt  werden.  Küstner  hat  dazu  einen 
sehr  einfachen  Apparat  (Fig.  62)  angegeben :  Der 
Glastrichter  wird  in  die  Blase  eingeführt,  der  Conus 
des  Ansatzrohres,  welches  mit  dem  Irrigatorschlauch 


Fig.    60.  Fig.   61. 

Ureteren  -  Sonde    Ureteren  -Käthe- 

(N?ch^PozS).    *TNlchPozTi?'  verbunden  ist,  wird  in   den   Trichter  gesteckt   und 
nun   füllt   man   die  Blase  bald   mit  Spülflüssigkeitj 
bald  entleert  man  sie  durch  Entfernen  des  Ansatzrohres. 


Blaseiifistel-Operatioiien. 

Das  Instrumentarium  dazu  hat  im  weiteren  Sinne  Sms  geliefert,  der 
mit  seinen  Speculis  die  Fisteln  zugängig  machen  lehrte;  die  Geräthe  zur 
Blasenfi.stel-Operation  im  engeren  Sinne  stammen  hauptsächlich  von  Bozeman 
und  G.  Simon. 


ßibl.  tned.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie 


27 


418 


INSTRUMENTARIUM   ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


Zur  Dilatation  der  oft  narbig  verengten  Scheide  hat  Bozeman  Vaginal- 
kugeln  (Fig.  63)  und  Cyl Inder  (Fig.  64)  aus  Hartgummi  angegeben. 

Sie  können  entweder  mittels  daran  befestigter  Schnüre  oder  mit  einer 
kleinen  aus  Draht  gefertigten  Zange  wieder  herausgezogen  werden  ;  die  letz- 
tere (Fig.  65)  hat  Breisky  nach  Art  der  Kopfzangen  anfertigen  lassen.  In 
neuerer  Zeit  wird  statt  dieser  Kugeln  und  Cylinder  häufiger  die  Tamponade 
der  Scheide  mit  Jodotormgaze    ausgeführt  (vgl.  Blasenkrankheiten  des  Weibes. 

Q         -1-1   /?N 

Zur  Freilegung  der  Fisteln,  welche  oft  hinter  Scheidenfalten  und  Narben - 
Zügen  versteckt  sind,  bedient  man  sich  der  Fistelhäkchen,  welche  eine  oder 
mehrere  Spitzen  (Fig.  66  a— e)  und  ein  gerades  oder  gebogenes  Ende  haben. 
Oft  erweist  sich  der  mit  einer  kleinen  Platte  versehene  Spatel  haken  von 
Ulrich  dazu  als  nützlich. 


Fig.  63. 
Scheidenkugeln 
nach  Bozeman. 


n 


Fig.  64. 
Scheidencylinder 
nach  Bozeman. 


Fig    65. 

Zange  zur  Entfernung 

der  Scheidenkugeln  nach 

Breisky. 


Fig.    66   a  -  e. 
Pistelhäkchen,  ver- 
schiedene Formen. 


Zur  Anfrischung  der  Fistelränder  benöthigt  man  schmaler  und  in  leichtem 
Winkel  gegen  den  langen  Griff  abgebogener  Messerchen,  wie  sie  von  G.  Simon 
angegeben  worden  sind  (Fig.  67  und  68).  Man  muss  von  diesen  je  ein  links- 
und  ein  rechtsschneidendes  besitzen;  in  ähnlicher  Weise  ist  von  den  Boze- 
MAN'schen  Fistelscheeren  (Fig.  69  und  70)  je  nach  der  Krümmung  eine 
rechts-  und  eine  linksschneidende  zu  unterscheiden.  Die  Biegung  der  Messer 
und  die  Krümmung  der  Scheeren  haben  den  Zweck,  das  Operations-Gebiet 
durch  das  Instrument  nicht  zu  verdecken  —  denn  alles  kommt  hier  auf  eine 
gute  Freilegung  der   Fisteln  behufs  sorgfältiger  Anfrischung  und  Naht  an. 

Zur  Naht  empfiehlt  Fritsch  besonders  den  bekannten  HAGEDORN'schen 
Nadelhalter;  oft  erweist  sich  eine  Stielnadel  (Fig.  71)  als  sehr  bequem,  da 
sie  ein  Durchführen  der  Seide  oder  des  Drahtes  in  der  Längsaxe  der  Scheide 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


419 


Kg    69. 
Fistelscheere  nach  Boze- 
man,  rechtsschneidend. 


Fig.  70. 

Dieselbe,  links- 

sohneidend. 


Fig.  67. 
Fistelmesser  nach 

G-.  Simon, 
rechtsschnei  dend. 


Fig.  68. 
Dasselbe,  links- 
schneidend. 


ermöglicht,  also  in  jener  Richtung,  welche  ohne- 
dies den  meisten  Raum  bietet.  Im  Uebrigen  ist  die 
Wahl  des  Nadelhalters  natürlich  Sache  der  Ueb- 
ung  und  Gewohnheit  jedes  Operateurs.  Als  Na- 
deln bedienen  sich  einzelne  Operateure  mit  Vor- 
liebe der  sogenannten  „Angelhaken",  welche  stark 

gebogen   und  am  Oesen-Ende  geradegestreckt   sind;   sie  erlauben  ein  Nähen 

selbst  in  engem  Räume. 

Operationen  an  Portio  und  Cervix. 

Zu  Stichelungen  der  Portio  dient  der  Scarificator  von  C.  Mayer 
(Fig.  72),  dessen  vorderes  Ende  die  Form  einer  breiten  Pfeilspitze  hat. 

Zu  Portio-Plastiken,  wie  keilförmige  Excision,  Emmet's  Operation,  ist 
C.  ScHEOEDERS  doppelsclineidigesLanzenmcsser  (Fig.  73)  überaus  verwendbar. 

Für  gynäkologische  Zwecke,  und  zwar  ebenso  für  Operationen  an  Portio 
und  Cervix  als  für  andere  Eingriffe,  ist  eine  lange  Form  der  bekannten 
CooPER'schen  Scheere  (Fig.  74)  erforderlich;  abgesehen  von  der  grösseren 
Länge  unterscheidet  sie  sich  in  nichts  von  ihrem  chirm'gischen  Vorbilde. 

Die  gebogene  Stiel nadel  von  Deschamps  (Fig.  75;  oft  fälschlich 
Dechamps  geschrieben)  ist  in  der  Hauptsache  nur  eine  Aneurysma- 
Nadel.  Man  bedient  sich  ihrer  sowohl  zum  Umstechen  und  Unterbinden  der 

27* 


420 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


seitlichen  Blutgefässe  und  Anhänge  bei  der  hohen  Amputation  des  Cervix 
und  bei  der  vaginalen  Total-Exstirpation  des  Uterus,  als  bei  Abtragung 
der  Uterus -Anhänge  nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle.  Viel  kommt  aut 
eine  genaue  Anfertigung  des  einfachen  Geräthes  an:  hat  die  Oese  zu  scharte 
Ränder,  so  schneiden  diese  leicht  den  Faden  durch  -  ein  Ereignis  das  mehr 
als  äro-erlich  sein  kann,  wenn  man  gerade  mühsam  em  blutendes  Gewebsbun- 
del  umstochen  hat;  die  Rinne  hinter  der  Oese  darf  nicht  zu  tief  sein,    sonst 


J 

Fig    71.  Fig.  72.  Fig.  73. 

Stielnadel.       ScariBcator  von    lianzenmesser 
C.  Mayer.        von  C.  Schrö- 
der. 


Fig.  74. 
Cooper'sclie  Scheere, 


l 


l\ 


y 


Fig.   7Ö.  Fig-   7U. 

Gebogene  Stiel-  Stumpfes 

nadel  von  Häkclien 
Deschamps.  dazu. 


lässt  sich  der  Faden  schwer  hervorholen;  die  Spitze  der  Nadel  darf  nicht  zu 
scharf  sein,  damit  sie  nicht  Gefässe  verletzt,  aber  auch  ^i^l^V^/^umpf  da- 
mit sie  das  Bindegewebe  und  gelegentlich  auch  Exsudatschwarten  durchdringt 
Zum  Hervorholen  des  Fadens  aus  der  Oese  m  der  Tiefe  bedient  man  sich 
vortheilhaft  eines  stumpfen  Häkchens  (Fig.  76). 


INSTRUMENTAUIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


421 


Cervix-Dilatation. 

Die  Anzahl  der  für  diesen  Eingriff  erfundenen  Instrumente  ist  sehr  gross; 
aber  alle  mit  Gelenken,  Schlössern,  Uebersetzungen,  vorspringenden  Klingen 
u  s  w.  versehenen  Geräthe  sind  aus  Gründen  der  Asepsis  last  ganz  autge- 
ffeben  worden.  Die  Hauptgefahr  der  Cervix-Erwoiterung  i^t  ^le  Intection  - 
Lo  fort  mit  allen  umständlich  gebauten,  schwer  zu  reinigenden  Instrumenten. 

Diesem  Grundsatz  entsprechend  sind  hier  nur  die  eintachsten  Erwcite- 
rungsgeräthe,  welche  sich  jetzt  im  allgemeinen  Gebrauche  befinden,  autgeluiirt. 


I"ig  80.  Cervis-Di-  Fig.'  81a  Cervix- 
latator  aus  Hart-  Dilatator  aus  Glas 
gummi  n.  Hegar.*)       nach  Eichholtz, 


Fig.  78    Cervix-Dilatator       Fig.  79.  Cervix-Dilatator 
nach.  Fritsch  mit  Maassstab.  aus  Zinn 

nach  Fritsch. 


Fig.   77. 
Cervix-Dilatator 
nach  Schröder 


816.    CerTis-Dilatatorien 
im  Glasgefäss. 


Zur  brüsken  Dilatation  dienen  kolbenförmige  Instrumente  oder  Sonden, 
von  welchen  man  stets  einen  ganzen  Satz  benöthigt;  die  einzelnen  Stücke 
desselben  nehmen  von  0-5  zu  0-5  mm  an  Durchmesser  zu;  die  Grösse  des 
letzteren  muss  am  Griffe  angegeben  sein.  Will  man  behufs  Ausspülung  und 
Ausschabung  der  Uterus-Höhle  dilatiren,  so  genügt  meist  eine  Erweiterung 
bis  7  mm  Sondendurchmesser;  Uterus-Katheter  und  Curetten  mittlerer  Dicke 
können  dann  eingeführt  werden. 


*)  Vgl.  ,,Cervixstenose",  S.  167  und  „Dilatation  des  Uterus'',  S.  201. 


422  INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 

Solche  Dilatatorien  sind  entweder  in  der  Form  dicker  Sonden,  wie  nach 
Schröder  und  Feitsch  (Fig.  77,  78  und  79}  oder  in  der  Form  kurzer  Kolben, 
wie  nach  Hegar,  Eichholtz  (Fig.  80  und  81a)  und  Küstner  gebaut. 

Die  ScHRüDER'schen  und  die  graduirten  KüSTNER'schen  Dilatatorien  sind 
aus  Kupfer,  die  von  Fritsch  aus  Kupfer  oder  Zinn,  jene  von  Hegar  aus 
Hartgummi,  und  die  von  Eichholtz  aus  Glas.  Fig.  81b  zeigt  das  Glasgefäss 
mit  den  in  der  Desinfectionslösung  aufbewahrten  Dilatatorien  von  Eichholtz. 

Zur  langsamen  Erweiterung  des  Cervix  sind  die  Quellstifte 
oder  Qu ellm eissei  in  ausgedehntem  Gebrauche;  man  bedient  sich  ihrer 
besonders  dann,  wenn  es  sich  um  starke  Erweiterung  handelt,  z.  B.  zur  Ein- 
führung eines  Fingers  in  die  Uterus-Höhle.  Der  Pressschwamm  ist  mit  Recht 
aufgegeben  worden,  da  er  sich  nur  schwer  sterilisiren  lässt,  ohne  seine  Quell- 
fähigkeit einzubüssen.  Dagegen  finden  die  Laminaria-  und  Tupelo-Stifte 
umso  häufiger  Verwendung.  Die  Radix  Gentianae  quillt  nicht  sehr  stark. 
Röhrenförmig  durchbohrte  Stifte  quellen  noch  stärker,  als  solide. 

Die  Laminaria-Stifte  sind  von  Sloan  in  Glasgow  in  die  gynäkolo- 
gische Praxis  eingeführt  worden;  sie  bestehen  aus  dem  Stiel  einer  Alge,  der 
Laminaria  Cloustoni  s.  digitata,  welche  als  braungrüner  Seetang  mit  langen, 
flachen,  zerschlitzten  Blättern  in  den  nördlichen  Meeren  vorkommt.  Da  sie 
beim  Quellen  mehr  cylindrisch  bleiben  als  die  Tupelo-Stifte,  ziehen  sie  Fehlnig 
u.  A.  den  letzteren  vor.  Wegen  des  leichten  Quellens  und  der  Grösse  ziehen 
umgekehrt  Hofmeier  u.  A.  die  Tupelostifte  vor*). 

Die  Tupelo-Stifte,  von  Sussdorf  eingeführt,  bestehen  aus  dem  Holz 
der  Nyssa  aquatica.  Während  die  Laminariastifte  nur  bis  zu  massiger  Dicke 
zu  haben  sind,  kann  man  Tupelostifte  bis  zu  bedeutender   Stärke    herstellen. 

Beide  Stifte  lassen  sich  je  nach  dem  Verlauf  des  Cervicalcanals,  den  man 
vorher  untersucht  hat,  biegen:  man  taucht  sie  in  kochende  5^0  CarboUösung 
eiU;  krümmt  sie  in  der  gewünschten  Weise  und  fixirt  die  Krümmung  durch 
Eintauchen  in  kalte  CarboUösung;  der-  Carbolzusatz  dient  natürlich  nur  zur 
Desinfertion. 

Zum  Sterilisiren  der  Stifte  bedient  man  sich  folgender  Methoden: 

a)  man  kocht  sie  in  5°/o  Carbolwasser  3 — 5  Minuten  lang  und  kann  sie 
entweder  nun  sofort  verwenden  oder  in  lO^/o  alkoholischer  Salicylsäurelösung 
aufbewahren;  oder 

b)  man  taucht  sie  in  Jodoformäther  (Jodoform  im  Ueberschuss  in  Aether 
gelöst)  und  lässt  den  Aether  verdunsten  —  das  Jodoform  bildet  dann  einen 
leinen  Ueberzug  über  dem  Stift. 

Dass  es  mit  der  Desinfection  des  Stiftes  allein  aber  nicht  gethan  ist, 
wurde  schon  früher  betont  (Dilatation  des  Uterus,  S.  201);  der  Dilata- 
tion muss  stets  eine  sorgfältige  Reinigung  von  Vulva,  Scheide  und  Cervix 
vorangehen,  und  man  führt  den  an  sich  ja  geringen  Eingriff  erst  nach  Frei- 
legung der  Portio  mit  Plattenspeculis  aus. 

Die  Entfernung  der  Stifte  findet  12  Stunden  nach  dem  Einlegen  statt, 
und  zwar  entweder  mittels  der  am  unteren  Ende  beiestigten  Fäden  oder  mit 
Hilfe  einer  Kornzange;  die  Stifte  werden  unter  vorsichtigen  Drehungen  damit 
langsam  herausgezogen. 

Ist  die  Erweiterung  noch  nicht  genügend,  so  kann  man  einen  stärkeren 
Stift  oder  mehrere  Stifte  zugleich  einlegen  oder  eine  brüske  Dilatation  mit 
festen  Dilatatorien  sofort  anschliessen. 

Fig.  82  zeigt  einen  Laminariastift,  Fig.  83  einen  Tupelostift  vor  und 
nach  dem  Quellen;  manchmal  haben  sie  nach  dem  Gebrauch  eine  sanduhr- 
förmige  Gestalt  infolge  der  Umschnürung  durch  die  Gegend  des  Orificiuni 
internum. 


')  Vgl.  „Dilatation  des  Uterus",  S.  200. 


INSTRUMENTARIUM   ZUR  UYNAKULUÜlE. 


423 


Zur  Dilatation  des  Cervix 
kann  man  auch  Jodoform-Gaze 
benützen;  sie  wirkt  aber  uicht  als 
Quellmittel,  denn  sie  quillt  nicht, 
sondern  als  Fremdkörper,  welcher 
Wehen  und  so,  wie  bei  der  Ge- 
burt, eine  Erweiterung  des  Cer- 
vix bewirkt. 

Vaginale  Totalexstirpation  des 
Uterus. 

Zu  dieser  Operation  bedarf 
man  nur  der  schon  beschriebenen 
Instrumente;  es  sind  dies  haupt- 
sächlich Plattenspecula  verscliie- 
dener  P'orm  und  Grösse,  Seitenhe- 
bel, MusEUx'sche  Zangen,  Scheere, 
Messer  und  zur  Umstechung  und 

Unterbindung  der  seitlichen  Anhänge  die  ÜESCHAMPs'sche  Stielnadel  nebst 
stumpfem  Häkchen,  ferner  —  je  nach  der  Operations-Methode  —  auch  die 
PEAN-DoYEN'sche  Klemme. 


Fig  82. 

Laminaria-Stift ;     a  vor, 

&  nach  dem  Quellen. 


Fig.  83. 
Tupelo- Stift,  a  vor, 
h  nach  dem  Quellen. 


Laparotomie  (Koüiotomie). 

Zur  Diagnose,  Behandlung  und  Entfernung  der  Uterus- Anhänge 
der  Geschwülste  des  Uterus  und  seiner  Nachbarorgane  ist  eine  grosse 
von  Instrumenten  erfunden  worden ;  aber  viele 
von  ihnen  entsprechen  den  Forderungen  der 
Asepsis  nicht  mehr:  sie  sind  gezählt,  gewo- 
gen und  —  zu  zahlreich  und  umständlich 
befunden  worden.  Alle  die  geistreichen  Stiel- 
klammern sind  vom  Operationstische  der  mei- 
sten Gynäkologen  verschwunden  und  in  die 
historische  Abtheilung  des  Instrumenten- 
schrankes  gewandert. 

Andere  Geräthe  sind  erheblich  ver- 
einfacht worden;  der  Einfluss  der  Asepsis 
und  der  veränderten  Anschauung  über  Luft- 
und  Contactinfection  zeigt  sich  am  deut- 
lichsten an  den  Troicarts:  Früher  versah 
man  sie  mit  schön  erdachten  und  umständ- 
lichen Zuthaten,  um  das  Eindringen  von 
Luft  oder  um  ein  Ausfiiessen  von  Cystenin- 
halt  in  die  Bauchhöhle  zu  vermeiden; 
heute  weiss  man,  dass  die  Luftinfection  ganz 
zurücktritt  gegen  die  viel  gefährlichere  Con- 
tactinfection und  dass  Ascites-Flüssigkeit  oder 
der  gewöhnliche  Inhalt  einer  Ovarialcyste 
durchaus  nicht  infectiös  ist.  Man  benützt 
jetzt  einfache  Troicarts,  welche  nur  aus 
Rohr  und  Stachel  bestehen  (Fig.  84  und  85); 
letzteren  zieht  man  nach  dem  Einstechen 
heraus  und  lässt  die  Flüssigkeit  ausströmen. 
Ovarialcystome   sticht   man  bei  Ovariotomi© 


sowie 
Anzahl 


Fig.  84. 
Einfacher  Troicart. 


424 


INSTRUMENTARIUM   ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


einfach  mit  dem  Messer  an  und  fasst  die  Cysten- Wand  an  der  so  gemachten 
Oeffnung  mit  einer  Cystenzange,  welche  zum  sicheren  Fassen  mit  Quer- 
leisten oder  —  wie  Nelaton's  Cystenzange  (Fig.  8G)  —  mit  Zähnen  ver- 
sehen ist. 

Wenn  zur  Sectio  Caesarea  oder  Myom-Operation  von  der  Bauchhöhle  aus 
ein  Gummischlauch  um  den  Uterus  gelegt  wird,  so  klemmt  man  ihn  zunächst 


Fig.  87. 

Schlauchklerarae  nach 

Keaar-Kaltenbacli. 


Fig    85. 
Troicart  nach  Douglas. 


Fig.  86. 
Cystenzange  nach  Nölaton. 


mit  der  Schlauchklemme  von  Hegar  (Fig.  87)  zusammen;  später  kann 
man  ihn  an  den  Uterusstumpf  annähen  oder  sammt  kleinen  Bleiklammern 
versenken.  Statt  eines  Gummischlauches  bedienen  sich  übrigens  manche 
Operateure  einer  soliden  Gummischnur. 

Die  Drainage  der  Peritoneal-Höhle  und  eiternder  Wundhöhlen 
(wie  eröffneter  parametraler  Abscesse  u.  s.  w.)  kann  sowohl  nach  der  Scheide 
zu,  als  nach  oben  hin  erfolgen.  Man  beschränkt  die  Drainage  jedoch  auf  solche 
Fälle,  wo  wirklich  eine  Infection  vorhanden  oder  wo  eine  solche  mit  Wahr- 
scheinlichkeit zu  befürchten  ist. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


425 


riß.   88. 

Drainkreuz, 

z.  Einführung 

mit  einer 
Zange    gefasst 
(nach  Pozzij. 


Verwendung  finden  dazu  Drains  aus  Gumrnisclilaucli,  in  welchen  man 
Fenster  einschneiden  und  die  man  zum  besseren  Festhalten  in  der  Wundhöhle 
mit  einem  kreuzförmig  angenähten  oder  an- 
gebundenen Schlauchstücke  (Fig.  88)  versehen 
kann;  ferner  benützt  man  —  und  zwar  be- 
sonders zur  Drainage  der  Bauchhöhle  nach 
oben  —  durchlöcherte  Glasdrains  (Fig.  89 
und  90),  welche  mit  Jodoformgaze  („Gaze- 
Docht")  ausgefüllt  werden;  endlich  kann 
man  die  Bauchhöhle  wie  eine  andere  Wund- 
höhle mit  Jodoform-Gaze  ausstopfen,  die 
man  nach  oben  oder  unten  herausleitet;  zur 
leichteren  Entfernung  empfahl  Mikulicz  fol- 
gendes Verfahren:  man  bildet  einen  tabaksbeu- 
telähnlichen Gazesack,  an  dessen  Grund  man 
lange  Seidenfäden  befestigt;  der  Gazesack 
wird  zunächst  in  die  Höhle  eingelegt  und 
dann  mit  Streifen  von  Jodoformgaze  aus- 
gefüllt; deren  Enden  und  die  Enden  des 
Seidenfadens  hängen  aus  der  Wunde  heraus; 
die  Gazestreifen  entfernt  man  nach  2 — 3 
Tagen  und  den  Gaze-Sack  mit  Hilfe  des 
Fadens  nicht  vor  dem  5.  Tage. 

Bei  Anwendung  der  Glasdrains  mit  Gazedocht  ist  es  oft  schwer,  sich  des 
Gedankens  zu  erwehren,  dass  es  den  Peritonitis-Erregern  ziemlich  gleichgiltig 
ist,  ob  das  Glasröhrchen  mit  Gaze  in  einem  Wundwinkel  steckt  oder  nicht. 

Pessare. 

Will  man  eine  übersichtliche  Eintheilung  für   die  Pessare  schaffen, 
kann  man  sie  nach  Zweck,  Form  und  Material  unterscheiden. 

Ihr  Zweck  ist  ent- 
weder,  ein  Organ  zu 

stützen:  Stütz- 
P  e  s  s  ar  e  für  den  Ute- 
rus bei  Metritis,  für 
die  Ovarien  bei  Oopho- 
ritis, für  Uterus  und 
Scheide  bei  Prolaps ; 
oder  sie  haben  die  Auf- 
gabe, ein  Organ  zu 
heben:  Hebe-Pes- 
sar  bei  Neigung  des 
Uterus,  nach  rückwärts 
umzufallen.  Diese  Auf- 
gabe fällt  theilweise 
mit  der  eines  Stütz- 
pessars  zusammen ; 
falsch  ist  es  aber,  sie 
als  Hebel  -  Pessare  zu 
bezeichnen,  denn  sie 
hebeln  nicht,  heben  aber  wohl,  nämlich  die  Portio  nach  hinten  und  oben; 
natürlich  muss  vor  der  Einlegung  des  Pessars  der  Uterus  manuell  in  die 
gewünschte  Lage  gebracht  worden  sein ;  diese  Leistung  darf  man  nicht  von  den 
Pessaren  erwarten;  oder  man  benützt  sie,  um  den  oberen  Theil  der  Scheide 
und    damit   die  Portio  nach  unten  abzuschliessen:   Occlusiv-Pessar. 


so 


Fig.   91. 

Weichgummi-Eing  nach 

C.   Mayer. 


Pig.  92. 

Hartgummi-Bing  nach 

Hodge  oder  Prochownik. 


Pig.  üi. 

Wiegen-Pessar  nach 

B.  S.  Schultze. 


oder  S-Pessar. 


426 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


Je  nach  dem  Zweck  gibt  man  ihnen  verschiedene  Formen ;  die  Stütz- 
Pessare  können  die  Form  von  Ringen  haben  —  MAYER'scher  Ring,  Fig.  91, 
—  oder  von  Ovalen,  oder  von  durchbohrten  Scheiben  mit  Bügel  zum  leich- 
teren Herausnehmen  —  Löhlein's  Prolaps-Pessar,  Fig.  98,  —  oder  die 
Gestalt  von  aufklappbaren  Schmetterlingsflügeln  mit  Stiel  —  Zwanck's 
Prolaps-Pessar,  —  oder  Becherform  mit  Stiel,  der  an  einem  Gürtel- 
Apparat  befestigt  ist. —  verschiedene  Hysterophore  gegen  Prolaps,  oder 
endlich  Cylinder-  oder  Kugelform  nach  Beeisky  ;  Hysterophore  und  Kugel- 
pessare  erfreuen  sich  wohl  nur  noch  ausnahmsweise  der  Verwendung. 

Die  Hebe-Pessare  können  oval  sein,  oder  S-förmig  —  Hebe-Pessar, 
Fig.  93,  —  oder  schlittenförmig  mit  aufgebogenem  vorderen  Theil,  der  sich 
gegen  die  Symphyse  stützt  und  durch  eine  Einbiegung  der  Urethra  Raum 
lässt  —  Schlitten-Pessar,  Fig.  96,  —  oder  wiegenförmig  —  Wiegen- 
Pessar,  Fig.  94,  —  oder  achterförmig,  —  Achter-Pessar,  Fig.  95,  — 
wobei  dann  die  Portio  in  der  hinteren  Oeffnung  des  Achters  festgehalten 
werden  soll.  Die  verschiedenen  Formen  der  Hebe-Pessare  verdanken  wir 
B.  S.  ScHULTZE.  Ein  sehr  gutes  Pessar  zur  Festhaltung  des  aus  Retroflexion 
künstlich  in  Anteflexion  gebrachten  Uterus  ist  das  Bügel-Pessar  von  Thomas, 
Fig.  97  a,  h,  dessen  dicker  Bügel  in  das  hintere  Scheidengewölbe  kommt ; 
durch  die  starke  Biegung  hält  es  sich  viel  zuverlässiger  in  der  Scheide,  als 
weniger  stark  gebogene  Pessare.  Die  stäbchenförmigen  Intrauterin- 
pessare sind  wegen  der  Infectionsgefahr  jetzt  wohl  allgemein  verlassen. 

Die  Occlusiv- 
Pessare  (Fig.  99) 
sind  von  Mensinga 
zur  Verhütung  der 
Schwängerung  ange- 
geben worden.  Es 
werden  von  ihnen 
zwei  Arten  herge- 
stellt :  solche  mit 
Uhrfeder  und  solche 
mit  luftgefülltem 
Gummi  -  Ringe  zur 
Sicherung  der  run- 
den, bezw.  halbku- 
geligen Form.  Man 
mag  über  ihren 
Nutzen  oder  Scha- 
den welcher  Ansicht 
auch  immer  sein, 
so  wird  man  sicli 
doch  nicht  verhehlen 
dürfen,  dass  sie  eine  höchst  bedauerlich  verbreitete  Anwendung  finden  und 
dass  es  falsch  wäre,  sie  in  Fachkreisen  absichtlich  übersehen  zu  wollen. 

Die  meisten  Pessare  können  aus  verschiedenem  Materiale  hergestellt  wer- 
den. Am  häufigsten  verfertigt  man  sie  aus  Weich-  oder  Hartgummi  (Kautschuk), 
aus  Kupferdraht  oder  Uhrfederstahl  mit  Gummiüberzug  und  aus  Celluloid. 

Die  Hartgummi-Pessare  sind  von  Hodge  eingeführt  worden ;  die  hohlen 
Hartgummi-Rmge  stammen  anscheinend  von  Prochownik;  die  Ringe  aus 
Kupfer  mit  Gummi-Ueberzug  werden  theils  B.  S.  Schültze,  theils  Schröder 
zugeschrieben.  Es  scheint  aber,  dass  in  diesen  Bezeichnungen  eine  gewisse 
Verwirrung  eingetreten  ist. 

Die  Weichgummi-Ringe  kommen  als  schwarze  oder  als  graue  (vulkani- 
sirte)  Kautschukringe    in  den  Handel ;   beide  können    die   Scheidenhaut   che- 


Fig.  95. 
Achter-Pessar  n. 
B.  S.  Schnitze. 


Fig.   96. 
Schlitten-Pessar 
n.  B.  S.  Schultze. 


Fig.  97a.  Fig.  97  6. 

Pessar  nach  Thomas. 


Fig.  98. 
Prolaps-Pessar  nach  Löhlein. 


Fig.  99. 
Occlusiv-Pessar  nach  Mensinga. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOJ.OGIE. 


427 


misch  stark  reizen,  die  grauen  Ringe  meist  mehr  als  die  sdiwarzen.  Ist  die? 
der  Fall,  so  müssen  sie  natürlich  mit  besseren  vertauscht  werden;  es  ist 
wichtig,  die  Einge  deshalb  nur  aus  verlässlichen  Fabriken  zu  beziehen  und  eine 
Mehrausgabe  nicht  zu  scheuen. 

Hartgummi-  und  Celluloid-Pessare  kann  man  nach  kurzem  Einlegen  in 
kochendes  Wasser  biegen  und  ihnen  so  jede  gewünschte  Form  geben  ;  sie 
behalten  diese  von  selbst  nach  dem  Erkalten,  das  man  durch  Eintauchen  in 
kaltes  Wasser  beschleunigen  kann. 

In  der  Grösse  steigen  die  Pessare  von  0'5  zu  0-h  cm  lichter  Weite, 
welche  in  Centimetern  auf  dem  Ring  unverwischbar  angegeben  sein  soll ; 
leider  ist  diese  Bezeichnung  nicht  stets  genau,  so  dass  zwei  Pessare  Nr.  7 
aus  verschiedenen  Fabriken  oft  auch  verschieden  gross  sind.  Noch  schlimmer 
ist  die  Sitte,  ihre  Grösse  gar  nicht  darauf  zu  vermerken.  Bei  allen  Pessaren, 
wie  z.  B.  jenen  von  Thomas,  ist  die  Grössenbezeichnung  ebenfalls  sehr 
schwankend  ;  am  besten  wäre  es,  sie  mit  jener  Zahl  zu  bezeichnen,  welche 
sie  in  Centimetern  lichter  Weite  haben,  sobald  man  sie  zum  Ringe  biegt  — 
dann  wäre  die  Grössenbezeichnung  aller  Pessare  einheitlich  gestaltet. 

Untersuclmngsstühle,  Operationstische  und  Beinhalter. 

Wie  früher  jeder  berühmte  Geburtshelfer  ein  eigenes  Zangen-Modell 
haben  wollte,  so  verfügen  jetzt  die  meisten  Operateure  über  einen  von  ihnen 
erfundenen  Untersuchungs-Stuhl  oder  Operationstisch.  Viele  dieser  Geräthe 
sind  nur  in  Einzelheiten  von  einander  verschieden. 


Fig.  100.  Untcrsuchiings-  und    Operationsstubl  nach  Veit  und  Schröder. 

Es  können  drei  Grundformen  der  Untersuchungsbetten  und  Stühle  unter- 
schieden werden :  Der  niedere  Langstuhl  (Chaise  longue),  der  hohe  Unter- 
suchungsstuhl für  Seitenlage  nach  Sims  und  der  hohe  Untersuchungsstuhl  für 
Steissrückenlage.  In  Deutschland  wird  die  Kranke  vorwiegend  in  Rückenlage 
untersucht;  dazu  kann  man  sich  sowohl  des  niederen  Langstuhls,  als  hoher 
Stühle  mit  Beinhaltern  bedienen.  Ohne  Zweifel  sind  die  letzteren  für  den 
Arzt  bequemer ;  aber  man  kann  leicht  bemerken,  dass  sich  die  meisten  Kranken 


428 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


anfangs  nur  mit  einer  gewissen  Scheu  und  zögernd  liinaufsetzen :  sie  ahnen 
oder  wissen,  dass  ihr  Unterleib  dort  oben  viel  ausgedehnter  entblösst  wird, 
als  etwa  auf  dem  Langstuhl,  und  sie  haben  gegenüber  den  Beinhaltern, 
Schrauben  und  Klammern  die  unheimliche  Empfindung  wie  vor  einem  Marter- 
Instrument;  manche  Frauen  sagen  das  auch  ganz  aufrichtig.  Soweit  es  die 
Genauigkeit  der  Untersuchung  und  die  therapeutischen  Eingriffe  gestatten, 
soll  man  deshalb  die  Kranken  lieber  auf  dem  Langstuhl  lagern ;  man  kann 
bei  einiger  Uebung  darauf  ebenso  genau  untersuchen  und  ebenso  gut  manche 
kleine  Eingrilfe  vornehmen,  wie  auf  dem  hohen  Untersuchungsstuhle.  In  der 
Narkose  und  zu  vielen  Eingriffen  ist  allerdings  der  hohe  Stuhl  mit  Bein- 
haltern nicht  zu  entbehren. 

Sehr  verbreitet  ist  der  Untersuchungsstuhl  von  Veit  und  Schröder 
(Fig.  100),  der  sich  auch  zu  allen  Operationen  von  unten  vorzüglich  eignet; 
er  ist  mit  Knie-  und  Fussstützen  versehen.  Eine  einfachere  Form  eines 
solchen  Stuhles  habe  ich  mir  in  theilweiser  Benützung  eines  Vorbildes,  das 


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Fig.  101.    Einfacher  üntersuchungsstuhl. 

ich  in  A.  Martin's  Poliklinik  sah,  machen  lassen  (Fig.  101).  Dieser  Stuhl 
sieht  harmloser  aus,  als  jener  von  Veit;  er  besteht  aus  einem  Tisch  von  1  m 
Höhe,  60  cm  Breite  und  116  cm  Länge,  ist  gepolstert  und  mit  Ledertuch 
überzogen;  der  Sitztheil  ist  40  cm,  der  verstellbare  Rückentheil  75  cm  lang. 
Zum  Aufstellen  der  Füsse  dienen  die  Fussbretter  FF,  welche  schief  nach 
aussen  und  oben  laufen  und  sowohl  vor-  oder  zurückgeschoben,  als  auch  ganz 
entfernt  werden  können.  Unter  dem  Sitz  ist  ein  herausziehbares  Brett 
B  angebracht,  welches  nach  dem  Niederlassen  des  Rückentheils  einen  langen 
horizontalen  Tisch  herzustellen  erlaubt;  zur  äusseren  Untersuchung  von  Ab- 
dominaltumoren u.  s.  w.  kann  dies  recht  wünschenswerth  sein.  Um  den 
Stuhl  endlich  auch  zu  Operationen  an  narkotisirten  Kranken  verwenden  zu 
können,  sind  an  den  vorderen  Beinen  seitlich  je  2  starke  Oesen  angebracht; 
in  diese  passt  je  eine  Eisenstange,  welche  Knie-  und  Fussstützen  trägt;  für 
gewöhnliche  Benutzung  sind  diese  aber  nicht  daran  befestigt,  um  dem  Stuhl 
ein  weniger  abschreckendes  Aeussere  zu  geben. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


429 


Fig.  102.  Laparotomie-Tisch.  nach  Hofmeier. 


Als  Laparotomie-Tisch  verwendet  Hofmeier  einen  solchen  aus 
Gasrohr  mit  Einailanstrich  und  mit  grosser  Platte  aus  Weicligunimi  (Fig.  102); 
in  der  Mitte  hat  diese  Platte  einen  Ausschnitt,  durch  welclien  Spülflüssigkeit, 
Cysteninhalt  u.  s.  w.  abflicssen  können.  Der  Kopftheil  ist  verstellbar  und. 
kann  zu  Teendelenburg 'scher  llochlagerung  benützt  werden,  indem  man  die 
Kranke  so  mit  den  Beinen  darauf  legt,  dass  die  Kniekehlen  der  hohen  Ktinte 
des  Kopftheils  anliegen;  letztere  wird  dazu  mit  Tüchern  unterpolstert  und  die 
Unterschenkel  mit  Handtüchern  lose  befestigt. 

Martin  benützt  einen  von  Frau  Hörn  angegebenen  Laparotomie-Tisch 
(Fig.  103),  welcher  so  nieder  ist,  dass  der  Operateur  am  Fussende  zwischen 
den  Beinen  der 
Kranken  sitzt.   Der 

Mitteltheil  des 
Tisches  kann  her- 
untergeklappt wer- 
den, um  die  An- 
legung des  Bauch- 
verbandes zu  er- 
leichtern. 

Der  leitende 
Gedanke  bei  der 
Construction  des 
Laparotomietisches 
von  Fritsch  (Fig. 
104  a)  war  der,  „den 
ganzen  antisepti- 
schen, bezw.  asep- 
tischen Apparat  bei 
der  Operation  am 
Tisch  zu  concentriren.  Er 
ist  mit  Abflussvorrichtung 
am  Fuss-  und  Kopfende  ver- 
sehen, so  dass  die  Spülflüs- 
sigkeit, das  Blut  und  der 
Cysteninhalt  schnell  ver- 
schwinden. Als  Unterlage 
für  die  Patientin  dienen 
massive  Gummiplatten.  Die 
nach  oben  convexe  Tafel 
(welche  zur  Beckenhochlage- 
rung dient)  ist  aus  Blech 
hergestellt  (Fig.  104  5).  Das 
Mittelstück  wird  einfach 
hervorgezogen  und  wegge- 
nommen, wenn  der  Verband 
gemacht  werden  soll.  Am  unteren  Bande  des  Tisches  befinden  sich  die 
Oesen  für  die  Beinhalter,  so  dass  auch  die  Operationen  in  Steissrückenlage 
auf  diesem  Tische  gemacht  werden." 

Mit  Hilfe  von  Beinhaltern  hässt  sich  jeder  einfache  Tisch  zur  Vor- 
nahme einzelner  Operationen  geeignet  machen;  solche  ßeinhalter  sind  von 
zahlreichen  Operateuren  angegeben  worden.  Von  Fritsch  stammen  2  Modelle, 
ein  älteres  (Fig.  105)  und  ein  neueres  (Fig.  106);  beide  sind  am  Tisch  anzu- 
schrauben. Eine  andere,  ebenfalls  verbreitete  Form  rührt  von  Schauta  her 
(Fig.  107).  Ihle  hat  in  neuerer  Zeit  eine  Zusammenstellung  erfunden,  in 
welcher  sie  bequem  in   einer  eigenen  Tasche  mitgenommen  werden  können. 


Fig.  103.    Laparotomie-Tisch  nach  Frau  Hörn  (A.  Martins  Klinik;. 


430 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


Mg.  105.  Beinhalter 
nach  Fritsch,  älteres  Modell 


Fig.  105  a.   Nach  v.  Ott. 


Fig.  105  h.   Nach  Greder. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


431 


Fig.  107.    Beinlialter  nrxh  Sohaiita- 


Leibbinden. 


, Einen  wunden  Punkt  in  der 
Frage  der  gynäkologischen  Ge- 
räthe  bilden  die  Leibbinden.  D  i  e 
besteLeibbinde  harrt  noch 
immer  des  Erfinders. 

Sehr  verbreitet  sind  die  Leib- 
binden von  Teuffel  (Fig.  108); 
sie  bestehen  aus  Drell  mit  Gum- 
mistoff-EinScätzen  und  sind  durch 
mehrere  Bänder  in  verschiedener 
Weite  verstellbar.  Damit  sie 
nicht  hinaufgleiten,  müssen  ein 
oder  zwei  Schenkelriemen,  am 
besten  aus  Gummischlauch,  ab- 
knöpfbar daran  befestigt  werden. 

Die  Leibbinden  nach  Beely 
(Fig.  109)  sind  in  weiteren  Gren- 


Fig,  108.  Leibbinde  von  Teuffel.  (Nach  Hofmeier). 


Fig.  109.  Leibbinde  von  Beely  (nach  Hofmeier.) 

zen  veränderlich  und  passen  sich 
so  dem  Körper  besser  an,  da 
sie  auf  der  Seite  blos  verstell- 
bare Riemen  und  nur  eine  vor- 
dere und  hintere  Platte  haben. 

Ihnen  ähnlich,  das  heisst  als 
Gitterbinden,  jedoch  mit  mehr 
verticaler  Anordnung  gebaut,  sind 
die  Leibbinden  von  Barden- 
heuer und  Klaes  (Fig.  110). 


Fig.  110.  Leibbinde  auch  BardenJieuer  und  Klaes. 


432 


mSTRUMENTARroM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


Andere  Binden  beruhen  auf  dem  Gedanken,  sie  in  der  Form  männlicher 
Schwimmhosen  herzustellen  u.  s.  w. 

Subjectiv  angenehmer  wird  das  Tragen  von  Binden  oft,  wenn  man  sie 
nicht  auf  dem  blossen  Leibe,  sondern  über  dem  Hemd  anlegen  lässt. 

Spülkaimeii,  Miitterrolire. 

Geradezu  unentbehrliche  Geräthe  sind  heutzutage  die  Spülkannen  (Irri- 
gatoren) ge^Yorden,  die  sich  aus  dem  HEGAR'schen  Trichter  entwickelt 
haben.  Für  den  häuslichen  Gebrauch  empfehlen  sich  solche  aus  emaillirtem 
Blech  (Fig.  111);  in  der  ärztlichen  Praxis  werden  Irrigatoren  aus  Glas,  mit 
oder  ohne  Blechgestell  (Fig.  112,  113)  oft  vorgezogen;  sie  sind  leicht  rein- 
zuhalten und  bedürfen  keines  Wasserstandsrohres.  Das  Ablaufrohr  soll  bei  den 
Spülkannen,  welche  den  Frauen  selbst  in  die  Hand  gegeben  werden,  nicht 


Kg.  111.  Irrigator  aus 
emaillirtem  Blech, 


Pig.  112.  Irrigator  aus 
Glas  mit  Blechgestell. 


Fig.  113.  Irrigator 
aus  Glas. 


ü'ig.  114.  Mutterrolire  mit  einer 
Oeffnung. 


rig.  115.  Mutterrohr  mit  mehreren 
Oeffnungen. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


433 


in  sondern  über  dem   Boden  des  Gefasses  angebracht  sein,   damit  Schmutz, 
ungelöste  Tropfen  concentrirter  Carbolsäure  etc.  nicht  so  leicht  mit  abfiiessen. 

Die  Klysopompes  kommen  mit  liecht  immer  mehr  ausser  Gebrauch; 
dagegen  kann  man  statt  der  Spülkanne  die  wenig  Kaum  beanspruchenden 
Heber-Irrigatoren  (Fig.  116)  verwenden;  die  Flüssigkeit  muss  bei  ihnen 
jedesmal  mit  Hilfe  des  Gummi-Ballons  angesaugt  werden.  In  den  letzten 
Jahren  sind  mehrere  Methoden  zur  Improvisation  von  Irrigatoren  aus  Flaschen 
u.  s.  w.  beschrieben  worden,  so  von  Braatz  u.  A. 

Scheiden-   oder  Mutterrohre  sol-  , 

len  behufs  leichter  Reinigung  nicht  aus  Hörn 
oder  Hartgummi,  sondern  aus  Glas  beste- 
hen. Für  den  Gebrauch  durch  die  Kranken 
selbst  verordnet  man,  wie  Pozzi  hervorhebt, 
Scheidenrohre  mit  mehreren  Oeffnungen, 
damit  der  Flüssigkeitsstrahl  nicht  zu  kräftig 
ist  und  nicht  Schaden  bringen  kann;  soll 
aber  die  Scheide  vor  Operationen  durch  den 
Arzt  mit  Hilfe  der  Finger  und  eines  strö- 
menden Desinficiens  gereinigt  werden,  so 
sind  Scheidenrohre  mit  nur  einer  Oeffnung 
wegen  des  starken  Stromes  wirksamer.  Macht 
die  Kranke  selbst  ihre  Scheidenspülun- 
gen, so  ist  es  räthlich,  dass  sie  dies  auf 
einer  Leibschüssel  liegend  im  Bett  thue; 
die  Ausspülungen  im  Sitzen  (über  einem 
Bidet)  oder  Kauern  (über  dem  Nachtgeschirr) 
sind  weniger  wirksam,  da  die  Flüssigkeit  so- 
fort durch  den  gesteigerten  Abdominaldruck 
ausgetrieben  wird,  statt  langsam  durch  die 
Scheide  zu  laufen;  ausserdem  können  Aus- 
spülungen im  Sitzen  oder  Kauern  auch 
Schmerzen,  Uebelkeit,  ja  Schwindel  hervor- 
rufen. 

Um  Glasrohre  zu  reinigen,  kocht  man  sie  aus,  muss  sie  aber  natürlich 
in  kaltem  Wasser  auf's  Feuer  setzen;  beschlagen  sie  sich  dabei  mit  Kalk, 
so  spült  man  sie  mit  verdünntem  Essig  aus. 

Instrumente  zur  Gynäko-EIektrotherapie.*) 

Durch  Apostoli  wurden  in  die  Elektrotherapie  bei  Frauenleiden  Ströme 
von  grosser  Stärke  eingeführt.  Dadurch  ist  die  Benützung  grösserer  Apparate 
nothwendig  geworden,  und  Versuche  haben  gezeigt,  dass  sich  diese  nur  schwer 
als  transportable  Batterien  herstellen  lassen;  man  ist  also  vorwiegend  auf 
stationäre  Apparate  angewiesen.  Wer  die  Möglichkeit  hat,  sich  an  bestehende 
Leitungen  anzuschliessen,  wird  der  Batterien  entrathen  können.  Eine  di'itte 
Elektricitäts- Quelle  ist  endlich  durch  Benützung  der  Accumulatoren  gegeben. 

Wer  in  der  Nähe  seines  Hauses  elektrische  Licht-  oder  Kraftleitungen  hat, 
wird  sich  an  diese  anschliessen  können;  wenn  in  seinem  Wohnort  dagegen  elek- 
trische Centralen  bestehen,  ist  die  Möglichkeit  gegeben,  zum  täglichen  Gebrauche 
Accumulatoren   laden   zu  lassen;   fehlt  beides,  so  sind  Batterien  erforderlich. 

Als  solche  erfreuen  sich  gegenwärtig  die  Leclanche-Elemente  der 
meisten  Verwendung.  Sie  bestehen  aus  Kohle  und  Zink,  w^elche  in  concen- 
trirter Salmiaklösung  eintauchen.  Reiniger,  Gebbert  und  Schall  in  Erlangen 


Fig.  116.    Heber-Irrigator  nach    Zweifel- 


*)  Vergl.  den  Aufsatz    „Gynäko-Elehtrotherapie^  auf  Seite  321  ff.  dieses  Bandes  und 
den  Artikel  „ElektromediciniscJie  Apparate  ',  p,  507  der  „Internen  Medicin'',  Bd.  I. 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  ^o 


434 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


benutzen  einen  aus  Braunstein  und  Kohle  gepressten  Cylinder,  dem  ein  Zink- 
stab  in  der  Salmiaklösung  gegenüberstellt. 

Hirschmann  in  Berlin  umgibt  den  Zinkstab  mit  einem  Kohlencylinder 
und  trennt  beide  durch  eine  Thonisolirung. 

Die  stationären  Apparate  werden  meist  in  Pult-  oder  Tischform  aus- 
geführt und  zum  Schutze  gegen  Staub-  und  andere  Schädlichkeiten  mit  ver- 
schliessbarem  Deckel  versehen.  Die  Tischplatte,  auf  welcher  Galvanometer, 
Ein-  und  Umschalter  u.  s.  w.  angebracht  sind,  kann  horizontal  (Fig.  118) 
oder  schief  gestellt  sein  (Fig.  117'^). 

Zur  Einschaltung  der  Ele- 
mente bedient  man  sich  heute  fast 
ausschliesslich  geeigneter  Kurbel- Vor- 
richtungen, während  die  Stöpselein- 
schaltungen fast  ganz  aufgegeben 
worden  sind. 

Reiniger,  Gebbert  und  Schall 
haben  einen  Doppel  -  Collector 
(Fig.  119)  eingeführt,  der  es  ermöglicht, 
unter  Benützung  von  2  Kurbeln  eine 


Fip.  117.  Stationärer  Apparat.  (K.,  G.  u.  S.) 


Kg.  118.  Stationärer  Apparat.  (H., 


*)  Die  Abbildungen  der  elektrotherapeutischen  Apparate  sind  den  Katalogen  der  be- 
kannten Fabriken  von  Rf.ijjiger,  Gebbert  und  Schall  (R.,  G.  u.  S.)  in  Erlangen  und 
von  W.  A.  HiRsciiMANN  (H.)  in  Berlin  entnommen;  diese  Kataloge  enthalten  auch  sehr 
übersichtliche  Anweisungen  zur  Zusammenstellung  und  zum  Gebrauche  solcher  Apparate. 


INSTRUMENTARIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


435 


beliebige  Anzahl  der  hinter  einander  eingeschalteten  Elemente,  von 
einer  Nummer  angefangen,  in  den  Stromkreis  zu  bringen.  Bind  z. 
ersten  Elemente  stark  in  Anspruch 
genommen  worden,  so  kann  man,  mit 
dem  10.,  15.  oder  einem  anderen 
Elemente  beginnend,  die  folgenden 
nach  und  nach  einschalten.  Ebenso 
kann  jedes  einzelne  Element  für  sich 
eingeschaltet  und  mit  Hilfe  des  Gal- 
vanometers geprüft  werden.  Auf 
diese  Weise  lässt  es  sich  auch  leicht 
herausfinden,  y<o  gelegentlich  der 
Schaden  steckt,  an  welchem  Element 
der  Draht  aus  der  Schraube  geglit- 
ten ist  und  ähnliches.  Die  Anord- 
des    Doppel  -  Collectors    zeigt 


nung 

Figur  120. 
Zum 
ruckweisen 
Strom  sind 


irgend 
B.  die 


Fig. 


allmäligen,  also  nicht 
Einschleichen  in  den 
Rh  eostaten  erforder- 
lich; sie  stellen  in  der  Hauptsache 
starke  eingeschaltete  Widerstände 
vor  und  man  verwendet  als  solche 
entweder  Flüssigkeiten  oder  Metalle 
(z.  B.  Nickelindraht)  oder  Graphit. 
Metall-Ptheostaten  werden  gegenwär- 
tig wohl  am  meisten  benützt.  Wer 
elektrische  Lichtleitungen  für  medi- 
cinische  Zwecke  verwenden  will,  muss 
die  hochgespannten  Ströme  durch 
Rheostaten  herabdrücken.  Gewöhn- 
lich werden  sie  mit  Kurbeleinschal- 
tung (Fig.  121)  hergestellt.  Bei  Ver- 
wendung von  Rheostaten  sind  nicht 
stets  grosse  Elementenzähler  (Collec- 
toren  mit  einfacher  oder  doppelter 
Kurbel)  erforderlich,  welche  die  Ele- 
mente einzeln  nach  einander  einschal- 
ten; man  kann  statt  ihrer  auch 
kleine  Elementenzähler  nehmen, 
welche  die  Elemente  zu  5,  10,  20 
ü.  s.  w.  einschalten. 

Die  Benützung  eines  Galvano- 
meter s  ist  unerlässlich  (vergl.  „  Gt/näko -Elektrothe- 
rapie", Seite  322).  Die  graduirte  Platte  kann  verti- 
cal  oder  horizontal  angebracht  sein;  bei  der  hori- 
zontalen Anordnung  wird  das  Ablesen  durch  einen 
Spiegel  erleichtert  (Spiegel-Galvanometer). 
Ist  die  Kranke  in  den  Strom  eingeschlossen,  so  hat 
man  bei  allmäliger  Verstärkung  des  Stromes  ab- 
wechselnd das  Gesicht  der  Kranken  und  die  Nadel 
des  Galvanometers  zu  beobachten. 

Ein  Stromwechsler  dient  dazu,  aen  con- 
stanten,  den  primären  oder  den  secundären  In- 
ductions- Strom    oder    den    gemischten   galvano- 


119.  DoppelooUector  von  Eeiniger,  Gebbert  und 

Schall. 


Fi<T.  120.  Anordnung  des  Doppel-CoUectors. 


436 


INSTRÜMENTAKIUM  ZUR  GYNÄKOLOGIE. 


faradisclien  Strom  einzusclialten.  Ein  Stromwender  gestattetes,  die  Strom- 
riclitung  zu  wechseln;  nie  darf  dies  geschehen,  wenn  die  Kranke  in  einen 
stärkeren  Strom  eingeschlossen  ist,  stets  muss  vorher  die  Galvanometer-Nadel' 
in  Ruhestellung,  d.  h.  die  Kurbel  des  Elementenzählers  (Collectors) 
oder  des  Rheostaten  auf  den  Nullpunkt  gebracht  sein. 

Die  grosse  inactive  Elektrode  kommt  auf  den  Unterleib; 
über  ihre  Beschaffenheit  und  Anwendung  wurde  auf  Seite  322  das 
erforderliche  schon  besprochen. 

Als  a  c  t  i  V  e  Elektroden  sind  zur  intrauterinen  Behandlung 
Sonden,  zur  Function  der  Myome  Troicarts  erforderlich.  Beide 
werden  durch  Handgriffe  einerseits  mit  den  Leitungsschnüren  ver- 
bunden, andererseits  gegen  die  Hand  des  Arztes  isolirt.  Im  All- 
gemeinen bestehen  die  Handgriffe  aus  Holz  mit  durchbohrtem 
Metallansatz  und  Schrauben  zur  Befestigung  der  Leitungsdrähte. 
(Fig.  122.) 

^^^_ Die   Sonden  können  aus  Aluminium  oder  Platin  bestehen. 

di^TcüveVirk- Platinsonden  sind  th eurer  als  Aluminiumsonden,  letztere  werden 
*^°^^'  aber  durch  Säureentwicklung  am  positiven  Pol  angegriffen  und- 
rauh.  Man  kann  auch  Kupfersonden  benützen,  die  mit  einer  Platinlage 
überzogen  sind.  Der  in  der  Scheide  liegende  Sondentheil  muss  mit  einer 
Isolir -Röhre    aus   Hartgummi    oder    Celluloid.   (Fig.    124)   versehen   sein. 

Apostoli  hat  ausserdem  Koh- 
lensonden eingeführt,  deren  Pol- 
aus  einem  Kohlencylinder  von 
verschiedener  Dicke  (Fig.  125) 
besteht;  der  isolirende  Hart- 
gummistab ist  mit  Kerben  von 
2" 5  cm  Abstand  versehen. 

Soll  die  active  Elektrode 
in  der  Vagina  liegen,  so  kann 
man  dazu  Kugel-Elektro- 
den benützen  (Fig.  123).  . 

Myome  kann  man  unmit- 
telbar mit  Hilfe  von  stilet- 
förmigen  Elektroden  in 
den  Strom  einschliessen:  Gal- 
vanopunctur.  Deren  Spitze 
wird  entweder  aus  Stahl  oder 
besser  aus  Platiniridium  an- 
gefertigt (Fig.  126,  127). 

Es  ist  wünschenswerth, 
neben  dem  constanten  Strom 
auch  den   unterbrochenen  an- 


ii 


rig.  124. 
Sonde  mit  Griff 
und  Isolii-Kohr. 


Fig.  126. 

Troicart-Elek- 

trode. 


Fig.  127.  Troicart-Elektroden 

mit  Spitzen  von  verschiedener 

Dicke. 


INTERNE  KRANKHEITEN  WÄHREND  DER  GRAVIDITÄT.  437 

wenden  zu  können;   man  bedarf  dazu  eines  Inductions-Apparates,  der 
leicht  am  Haupt-Apparat  anzubringen  ist. 

Als  elektrische  Maasseinheiten  dienen  folgende:  Die  elektromotorische  Kraft 
eines  Daniell  -  Elementes  (Zink  in  verdünnter  Schwefelsäure,  Kupfer  in  gesättigter 
Kupfervitriollösung)  dient  als  Einheit  für  die  elektromotorische  Kraft  oder  Span- 
nung und  wird  1  Volt  genannt. 

Als  Einheit  des  Widerstandes  wird  der  Widerstand  emer  Quecksilber-saule  von 
Imm^  Querschnitt  mit  106m  Länge  bei  0"  Geis,  angesehen  und  als  1  Ohm  bezeichnet. 

Als  Einheit  der  Stromstärke  gilt  jener  Strom,  welcher  von  emer  Stromquelle  mit 
1  Volt  Spannung  bei  einem  Widerstände  von  1  Ohm  erzeugt  wird ;  man  nennt  diese  Strom- 
stärke 1  Ampere.  Nach  Dr.  Watterville  hat  man  den  Ampere  zu  feineren  Messungen 
in  Tausendstel  getheilt:  Mi  111 -Ampere. 

,.    „,         ,.,  Elektromotonsche  Kraft /-       E\ 

Nach  Ohm's  Gesetz  ist  dann  die  Stromstarke  =  Widerstand? V        wj' 

GUSTAV  KLEIN. 

Interne  Krankheiten  während  der  Gravidität.  Erkrankungen  inne- 
rer Organe  können  zu  allen  Zeiten  der  Gravidität  den  weiblichen  Organismus 
befallen  und  bilden  als  selbständige,  pathologische  Symptomencomplexe  eine 
mehr  oder  minder  bedeutende  Complication  des  Schwangerschaft.szustandes. 
Die  Ansicht,  dass  Gravide  zu  gewissen  Erkrankungen,  wie  dies  beispielsweise 
von  der  Pneumonie  behauptet  wurde,  besonders  prädisponirt  seien,  erscheint 
nicht  vollkommen  beglaubigt.  Doch  muss  man  andererseits  zugeben,  dass 
gewisse  mehr  functionelle  Störungen,  wie  beispielsweise  die  Magen-  und 
Darmatonie  in  jenen  theils  allgemeinen,  theils  localen  Veränderungen,  welche 
die  Gravidität  mit  sich  bringt,  ihren  ursächlichen  Boden  finden.  Bei  der  Er- 
wägung dieser  Verhältnisse  muss  man  der  Thatsache  eingedenk  sein,  dass 
die  weiblichen  Geschlechtsorgane  und  ihre  functionellen 
Leistungen  einen  unleugbaren  Einfluss  auf  den  vitalen  Zustand 
der  übrigen  Organe  und  auf  deren  Functionen  besitzen.  Dazu 
muss  bemerkt  werden,  dass  die  lieüexbeziehungen  zwischen  Erkrankungen  der 
weiblichen  Geschlechtsorgane  ausserhalb  der  Gravidität  zu  den  übrigen  Organ- 
functionen bisher  nur  wenig  studirt  und  bekannt  sind. 

Ein  Versuch  dieses  Gebiet  zu  betreten,  haben  Theilhaber  tmd  in  neuester  Zeit 
Frank  gemacht,  indem  sie  genauere  Studien  über  die  Wechselbeziehungen  zwischen  Ge- 
nitalaffectionen  und  Magendarmerkrankungen  anstellten.  —  Kupferberg  hat  es  unter- 
nommen in  einer  ausführlichen  Arbeit  „den  Zusammenhang  von  Allgemeinerkrankungen 
mit  solchen  der  Genitalsphäre"  darzustellen.  —  Die  von  Alters  behauptete  Abhängigkeit 
der  Hysterie  von  Genitalaffectionen  hat  auch  dazu  geführt  gewisse  Neurosen  auf 
ihren  Zusammenhang  mit  Erkrankungen  der  Sexualorgane  zu  prüfen.  Schon  Asax  hat  darauf 
aufmerksam  gemacht,  dass  sogenannter  Tussis  uterina  von  Graviditätseintritt  und  -verlauf 
abhängig  sei.  Dasselbe  Thema  hat  neuerer  Zeit  Profaimter  bearbeitet,  indem  er  Reflex- 
neurosen von  Seiten  des  Respirationstractus  als  abhängig  von  chronischer  Entzündung 
der  Beckenorgane  beschrieb. 

Der  eben  berührte  Connex  des  hysterischen  Symptomenbildes  mit  Erkrankungen 
der  Sexualorgane  (Reflextheorie  der  Hysterie)  wird  gegenwärtig  von  den  Neuropathologen 
nur  bedingungsweise  anerkannt.  Möbius  hat  an  einer  Stelle,  wo  ihn  die  Gynäkologen 
ganz  deutlich  vernehmen  können  (Monatsschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie,  Heft  I, 
1895)  nachdrücklich  betont,  dass  die  Hysterie  immer  eine  endogene  Krankheit 
sei  und  die  als  Ursachen  der  Hysterie  angeführten  Umstände  nur  ,.agents  provocateurs"  seien. 
So  geben  auch  die  Krankheiten  der  weiblichen  Geschlechtstheile  nur  Ge- 
legenheitsursachen ab.  „Viel  mehr  als  beim  Manne,"  schreibt  Möbius,  , steht  beim 
Weibe  das  Geschlechtsleben  im  Mittelpunkte  des  Lebens  überhaupt.  Jede  Erkrankung  der 
Geschlechtsorgane  stört  daher  das  seelische  Leben  des  Weibes  in  hohem  Grade.  Dazu 
kommt  die  von  Verwandten  und  Freunden,  besonders  auch  von  den  Aerzten  ausgeübte 
Suggestion  und  schliesslich  macht  die  körperliche  Erkrankung  nicht  direct,  sondern  mittels 
der  Angst  und  Sorge  das  beanlagte  Weib  hysterisch." 

Häufig  kommt  es  vor,  dass  der  Graviditätszustand  die  Veranlassung  zum 
Ausbruche  einer  hereditären  Disposition  gibt.  Es  ist  dies  mit  Sicher- 
heit festgestellt,  für  die  Hysterie,  die  Chorea,  die  Hämophilie,  die  Tuberkulose 
und  gewisse  Erkrankungen  der  Psyche,  wie  dies  an  einem  anderen  Ort  noch 
ausführlicher  erörtert  wird.    Unzweifelhaft  ist  ferner  der  pathogenetische  Zu- 


438  INTERNE  KRANKHEITEN  VÄHREND  DER  GRAVIDITÄT. 

sammenliang  zwischen  Erkrank  un gen  der  Nieren  und  der  Gravi- 
dität. Es  ist  ferner  leicht  begreiflich,  dass  alle  jene  krankhaften  Zustände, 
deren  Entstehung  durch  Stauungsvorgänge  begünstigt  wird,  durch  die 
Gravidität  leicht  zu  Erscheinung  kommen.  Freilich  spielen  hiebei  in  weiterer 
Hinsicht  auch  locale  Druckverhältnisse,  wie  dies  für  die  Varices  der  Blase, 
die  Hämorrhoiden  des  Mastdarmes,  die  Venenerweiterungen  an  den  unteren 
Extremitäten  und  die  präteriirende  Albuminurie  der  Fall  ist,  eine  Kolle. 
Andererseits  geben  oft  äussere  Reize  (Erkältung,  Infection)  den  unmittelbaren 
Anlass  zu  dem  Auftreten  von  katarrhalischen  Zuständen  der  Nasen-,  Rachen-, 
Kehlkopf-  und  Bronchialschleimhaut. 

Die  Neigung  zu  Stauungen  der  Circulation  im  Verein  mit  der  durch 
die  Gravidität  an  und  für  sich  bedingten  Arbeits erhöhung  des  Herzmuskels 
(Verbreiterung  der  Herzdämpfung,  Accentuation  des  zweiten  Aortentones  in 
graviditate)  influencirt  meist  im  ungünstigen  Sinne  bereits  früher  vorhandene 
oder  erst  während  der  Schwangerschaft  aufgetretene  Lungen-  und  Her z- 
affectionen.  Von  den  übrigen  Organerkrankungen  werden  anatomisch 
begründete  Krankheiten  des  Nervensystems  (Gehirntumoren,  Tabes 
Myelitis  etc.)  durch  die  Schwangerschaft  gar  nicht  beeinflusst.  Dasselbe  gilt 
auch  für  die  schweren  Stoffwechselanomalien  (Diabetes,  Leukämie  etc.). 
Dagegen  erhalten  Anämien,  sowie  allgemeine  Schwächezustände  durch  das 
Eintreten  von  Gravidität  eine  ungünstigere  Prognose.  Dass  schon  bestehende 
Magen-  und  Darmaffectionen  durch  die  Schwangerschaft  schlechter 
werden,  ist  nach  dem  über  den  Connex  der  Functionen  der  Eingeweide  mit 
dem  der  Genitalorgane  Bekannten  wohl  leicht  erklärlich.  Ob  Gravide  beim 
Eintritt  eines  Infectes  schwerer  gefährdet  sind,  als  nicht  gravide 
Frauen,  ist  im  Allgemeinen  eine  offene  Frage,  Unbedingt  anzuerkennen  aber 
wäre  der  ungünstige  Einfluss  der  Schwangerschaft  auf  den  Verlauf  der  Tuber- 
kulose. 

Was  nun  anderseits  den  Einfluss  interner  Krankheiten  auf 
den  Verlauf  der  Gravidität,  der  Geburt  und  des  Wochenbettes 
betrifft,  so  kann  man  behaupten,  dass  jede  Erkrankung  eine  Complication 
dieser  Zustände  bildet.  Hiebei  sei  nur  im  Allgemeinen  bemerkt,  dass  ana- 
tomisch begründete  Erkrankungen  des  Nervensystems  (mit  Ausnahme  umfang- 
reicher Hirnblutungen),  Magen-  und  Darmaifectionen  (mit  Ausnahme  der  Hypere- 
mesis  gravidarum)  und  Stoffwechselkrankheiten  den  normalen  Ablauf  der  Gra- 
vidität gar  nicht  zu  stören  pflegen,  Lungen-  und  Herzaffectionen  nur  bei  Ein- 
tritt schwerer  Compensationsstörungen  zur  frühzeitigen  Unterbrechung  der 
Gravidität  führen,  während  endlich  acute  Infecte  (Exantheme,  Dysenterie, 
Cholera,  Typhus  etc.)  und  chronische  Infectionen  (Tuberkulose  und  Syphilis) 
in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  intrauterinen  Fruchttod,  Abort, 
Frühgeburt  veranlassen. 

Klautsch  hat  in  einer  ausgezeichneten  Arbeit  auf  Grund  des  gesammten  derzeit 
vorliegenden  Literaturmaterials  den  Einfluss  acuter  Infectionskrankheiten  auf 
die  Schwangerschaft,  eingehend  besprochen.  Klautsch  stellt  ein  gewisses  Schema  auf, 
das  in  seinen  einzelnen  Punkten  die  Erklärung  für  die  verschiedenartige  Einwirkung  der 
Infecte  auf  die  Gravidität  bietet.  Wir  wollen  die  einzelnen  Momente  an  dieser  Stelle  kurz 
resumiren. 

I.  Die  Schwangerschaftsstörung,  resp.  -Unterbrechung  findet  statt  in  Folge  intra- 
uterinen Fruchttodes.  Dieser  tritt  ein: 

1.  Durch  Mangel  an  Sauerstoff, 

a)  im  Blute  der  Mutter  in  Folge  gestörter  Herz-  und  Lungenfun ctionen, 

b)  im  Blute  des  Fötus  dadurch,  dass  die  Communication  zwischen  mütterlichem 
und  fötalem  Kreislauf  beschränkt  oder  aufgehoben  wird, 

a)  in  Folge  Erkrankungen  der  Placenta  foetalis. 

ß)  in  Folge  von  Entzündungen  der  üterusschleimhaut, 

y)  in  Folge  vorzeitiger  Lösung  der  Placenta. 

2.  Durch  Wärmestauung  (dem  Embryo  ist  nach  Preyer  die  Regulation  seiner 
Eigenwärme  unmöglich,  es  tritt  daher  der  Tod  des  Fötus  durch  Wärmestauung  bei  hohen 
Fiebertemperaturen  der  Mutter  leicht  ein). 


INTERNE  KRANKHEITEN  WÄHREND  DER  GRAVIDITÄT.  4;:i9 

3.  Durch  Uebergang  der  Infectionsträger  auf  das  Kind.  (Die  Infection 
des  Fötus  ist  aber  nur  dann  möglich,  wenn  eine  Alteration  der  zclligen  Elemente  der 
zwischen  Mutter  und  Kind  bestehenden  Scheidewand  eingetreten  ist.) 

IL  Die  Schwangerschafts-Unterbrechung  erfolgt  durch  vorzeitig  eintretende 
Wehen.     Dieselben  werden  wieder  ausgelöst: 

1.  Durch  den  directen  thermischen  Reiz  des  Fieberblutes. 

2.  Durch  qualitative  und  quantitave  Veränderungen  des  mütterlichen  Blutes 
(Blutverluste,  Anämie,  C02-Ueberladung). 

3.  Durch  Erkrankungen  der  Uterusschleimhaut  (Endometritis  haemor- 
rhagica  Slavjansky-Klautscii  bei  Cholera,  Endometritis  exanthematica  Klotz,  Endometritis 
influenzae  Gottsghalk-Müller,    Metrite  interne  villeuse  Slavjansky  bei  Typhu.s). 

4  Durch  Anregung  des  Wehencontractionscentrums  von  Seiten  von  Bacterien- 
toxinen. 

Nach  dieser  Uebersicht  sind  es  also  dieselben  Momente,  welche  einerseits  pri- 
mären Fruchttod,  anderseits  vorzeitige  Wehencontraction  veranlassen.  Die  Erklärung  hiefür 
gibt  Runge  derart,  dass  für  den  Fall  als  diese  pathologischen  Ursachen  rasch  eine  beträcht- 
liche Höhe  und  Ausbreitung  erreichen,  der  Fötus  abstirbt  und  hiedurch  Schwangerschafts- 
unterbrechung eintritt,  für  den  Fall  aber  als  diese  Veränderungen  in  ihrer  Intensität  eine 
gewisse  Grenze  nicht  überschreiten,  die  Frucht  am  Leben  bleibt,  die  Reizbarkeit 
des  Uterus  jedoch  derart  erregt  wird,  dass  es  zur  frühzeitigen  Wehenthätigkeit  und  so  zur 
Ausstossung  der  Frucht  kommt. 

Es  seien  mm  im  Nachfolgenden  die  einzelnen  Krankheiten  im  Speciellen 
abgehandelt,  wobei  die  im  Allgemeinen  relativ  spärlichen  Literatur  an  gaben 
der  letzten  Jahrzehnte  benützt  wurden. 

Abdominaltyphus.  Bei  einer  wochenlang  mit  hohen  Temperatursteigerungen 
einhergehenden  Krankheit,  wie  sie  der  Typhus  vorstellt,  ist  es  leicht  hegreiflich,  dass 
häufige  Unterbrechung  der  Gravidität  einzutreten  pflegt.  Als  Ursache  derselben 
wird  aber  ausser  der  Hyperpyrexie  noch  angeführt:  Infection  des  Fötus  und  Endo- 
metritis. In  den  meisten  Fällen  kommt  die  Frucht  todt  zur  Welt,  in  jenen  wo  sie 
lebend  geboren  wird,  müssen  wir  annehmen,  dass  die  Frühgeburt  durch  frühzeitige 
Wehenaction  zu  Stande  kam.  Feänkel  behauptet,  dass  die  normale  Placenta  das 
Typhusgift  nicht  durchlasse,  die  Angabe  der  Infection  von  Mutter  auf  Kind  deshalb 
unrichtig  sei.    (s.  o.) 

Der  Yerlauf  des  Typhus  wird  durch  die  Gravidität  nicht  wesentlich  beein- 
flusst.  Immerhin  kann  die  durch  die  Schwangerschaft  bedingte  Kräfteconsumption, 
sowie  die  schwächenden  Momente  während  der  Gehurt  den  Typhus  ungünstig  gestalten. 

Ein  Eingriff  rücksichtlich  der  Gravidität  ist  nicht  zu  befürworten;  eine  Unter- 
brechung derselben  auf  künstlichem  Wege  nützt  weder  der  Mutter,  noch  dem  Kinde. 
Dagegen  wird  bei  Eintritt  von  Wehen  eine  rasche  Beendigung  des  Entbindungsactes 
indicirt  sein.  In  der  Statistik  von  Teipiee  und  Bouveeet  sind  108  Fälle  von  Typhus  bei 
Schwangeren  verzeichnet,  von  diesen  starben  16,  d.  h.  14°/o,  während  69,  d.  h.  63% 
ahortirten. 

Trotz  der  Gravidität  kann  man  schwangere  Typhuskranke  mit  kalten  Bädern 
behandeln,  wofür  sich  Teipiee  und  Bouveeet,  E.  Vincent,  Deasche  u.  a.  aus- 
sprechen. Clement  räth  das  Antipyrin  beim  Typhus  Gravider  anzuwenden,  um  die 
excessiven  Temperatursteigerungen  zu  verhüten ;  diese  Empfehlung  gehört  in  die 
Zeit,  wo  man  noch  nichts  von  üblen  Nebenwirkungen  des  Antipyrins  wusste,  heut- 
zutage wird  Antipyrin  gegen  das  Typhusfieber  überhaupt  nicht  mehr  verordnet,  mau 
wählt  zweckmässiger,  wenn  man  die  individualisirende  Bäderbehandlung 
nicht  anwenden  kann,  mildere  Antipyretica,  wie  namentlich  Phenacetin  oder  Lacto- 
phenin,  wenngleich  keinem  derselben  eine  specifische  Wirkung  gegen  die  Typhus- 
infection  zukommt. 

Anämie.  Eine  Reihe  von  älteren  Autoren  stellten  die  Behauptung  auf,  dass 
während  der  Gravidität  das  Blut  eine  Verarmung  an  rothen  Blutkörperchen  erfahre; 
in  neuerer  Zeit,  wo  man  zuverlässigere  Methoden  vei'wendet,  steht  man  hingegen 
auf  dem  Standpunkt,  dass  die  Schwangerschaft  zwar  zur  Anämie  disponire,  dieselbe 
aber  keineswegs  immer  zur  Folge  haben  müsse.  Meist  sind  andere  Factoren,  schlechte 
Ernährung,  begleitende  Magen-Darmaffectionen,  sociales  Elend  Schuld,  dass  gerade 
zur  Zeit  der  Gravidität  schwere    Anämien    entstehen.     Während    des    Gebui'tsactes 


440  INiEßNE  KRANKHEITEN  WÄHREND  DER  GRAVIDITÄT. 

konnte  Schröder  eine  Steigerung  der  Zahl  der  rotlien  Blutkörperchen  constatiren, 
was  wohl  auf  die  Eindickung  des  Blutes  in  Folge  der  grossen  Wasserverluste 
während  des  Entbindungsactes  zurückzuführen  ist. 

Von  verschiedenen  Autoren  wird  auch  eine  Zunahme  der  weissen  Blutkörper- 
chen während  der  Gravidität  beschrieben  (Moleschott,  Nosse),  während  andere,  wie 
Halla  und  V.  Lisibeck  nicht  in  allen  Fällen  von  Gravidität  Vermehrung  der  Leuco- 
cj'teu  constatiren  konnten,  v.  Limbeck  meint,  dass  die  wachsende  Brustdrüse  zeit- 
weise die  Quelle  eine!"  Leucocytose  abgebe. 

Nach  GussEROw  kommen  während  der  Gravidität  schwere  Anämien  vor,  die 
man  als  perniciöse  zu  bezeichnen  Recht  hat.  Nach  Sänger  soll  die  Entbindung 
stets  eine  Verschlimmerung  der  perniciösen  Anämie  zur  Folge  haben.  Frankenhäuser 
beschrieb  im  Blute  von  Schwangeren,  welche  au  progressiver  Anämie  litten,  kugelige 
Gebilde  mit  Geissein,  die  er  als  eine  parasitäre  Lepthotrixform  auffasst. 

ApopIectiscUe  [nsulte  treten  zuweilen  während  der  Schwangerschaft  auf,  ohne  weder 
diese,  noch  die  Geburt  wesentlich  zu  beeinflussen.  Apoplectische  Insulte  in  aufeinanderfolgen- 
den Schwangerschaften  wurden  beobachtet  (Inglis,  Kiwisch).  Einleitung  der  Frühgeburt 
nur  durch  besondere  Umstände  indicirt,  sonst  exspectatives  Verhalten. 

Asthenie,  ein  von  Perry  (1892)  beschriebener  Zustand,  der  sich  als  Folge  des  Puer- 
periums einstellt.  Gravidität  und  Geburt  schädigen  in  gewissen  Fällen  den  gesammten 
Organismus  derart,  dass  ein  hochgradiger  Mangel  an  Kraft  und  Vitalität  ziirückbleibt. 
Einen  ähnlichen  Zustand  beschrieb  W.  W.  Johnston  (1888)  als  in  Amerika  weit  verbreitet 
bei  neuvermählten  Frauen,  ohne  dass  gerade  immer  eine  Entbindung  vorausgegangen  sein 
müsse.  Es  würde  somit  das  eheliche  Zusammenleben  an  und  für  sich  den  Grund  zu  diesen 
Zuständen  abgeben,  diese  selbst  also  wohl  zum  Theile  zu  der  sexualen  Neurasthenie,  für 
welche  gegenseitige  psychische  Abneigung,  Impotenz  des  Mannes,  widernatürliche  Be- 
friedigung des  Sexualbedürfnisses  etc.  die  Grundlage  abgeben,   gerechnet  werden  können. 

Broncliitis,  Entsprechend  der  Neigung  zu  Stauungszuständen  sind  acute  und 
chronische  Bronchialkatarrhe  bei  Graviden  häufig,  abgesehen  davon,  dass  andere 
Organerkrankungen  (Herzfehler,  Nierenaffectionen  etc.)  die  directe  Ursache  derselben 
abgeben  können.  (Vide  auch  „Pneumonie.") 

Asthma  gravidarum  wird  als  echtes  Bronchialasthma  bei  Schwangeren  vorkommend 
beschrieben.  Durch  die  Heftigkeit  und  Frequenz  der  Anfälle  kann  es  zu  Abort  kommen. 
(J.  H.  Croom  u.  a.)  [Vergl.  „Tussis  uterina^^  pag.  437.]. 

Blasenreizuiig  findet  sich  während  der  Gravidität  als  ein  oft  sehr  lästiges  Symptom 
und  ist  oft  ein  Hinweis  auf  Lageveränderungen  des  Uterus. 

Bläsensteine  sind  häufig  oft  sehr  bedeutsame  Geburtshindernisse.  Ihre  Entfernung  ist 
daher  vor  dem  Entbindungsact  indicirt. 

Cholera  ist  eine  der  gefährlichsten  Complicationen  der  Schwangerschaft.  Von 
allen  acuten  Infectionskrankheiten  erzeugt  sie  neben  Variola  am  häufigsten  Unter- 
brechung der  Schwangerschaft.  Dieselbe  ist  direct  veranlasst  durch  die  von 
Slavjansky  und  Klautsch  beschriebene  Endometritüis  interstUialis  liaemarrhagica. 
Dagegen  soll  nach  den  Beobachtungen  von  Schulz  während  der  letzten  schweren 
Hamburger  Epidemie  die  Mortalität  der  Mütter  nicht  höher  sein,  als  die  nicht 
schwangerer  Frauen.  Nach  den  Mittheilungen  verschiedener  Autoren  soll  dieselbe 
zwischen  57  und  8  6^0  schwanken.  Unbedingt  ungünstig  ist  der  Einfluss  der 
Cholera  auf  die  Frucht.  In  allen  Fällen,  die  Voigt,  Jaff^;  und  Schulz  in  der 
erwähnten  Hamburger  Epidemie  entbinden  sahen,  kamen  sowohl  reife  als  frühzeitige 
Kinder  todt  zur  W^elt.  Die  Geburt  selbst  ist  wegen  Wehenschwäche  meist  protahirt. 

Chorea  ist  eine  bei  Schwangeren  sehr  häufige  Erkrankung.  60 7o  der  Fälle 
betreffen  Primiparae.  Wie  für  nicht  schwangere,  so  wird  auch  für  gravide  Frauen 
plötzlich  eintretender  Schreck  als  Ursache  der  Chorea  angeführt  (Wasseige). 
Nach  Me  Cann  tritt  Chorea  fast  mit  Sicherheit  während  der  Schwangerschaft  auf, 
falls  sie  bereits  bei  derselben  Person  in  der  Kindheit  bestanden.  Sind  die  Anfälle 
nicht  sehr  intensiv,  so  pflegt  die  Gravidität  ungestört  zu  verlaufen,  bei  starken  An- 
fällen tritt  Abort  ein. 

Interessant  ist  ein  Fall  von  Dodge,  indem  bei  einer  Ill-para,  deren  Mutter 
ebenfalls  in  ihrer  3.  Gravidität,  während  sie  mit  derselben  Tochter  gravid  war, 
an  Chorea  gelitten  hatte,  schwere  Chorea  auftrat. 


INTERNE  KllANKIIEITEN  WÄHREND  DER  GRAVIDITÄT.  441 

In  therapeutisclier  Hinsicht  ist  ein  oxspectatives  Verhalten,  diätctisch-hygie- 
Eische  Behandlung  mit  mittel  grossen  Bromgaben  angezeigt,  in  schweren  lallen  befür- 
worten Spiegelbeeg  und  Aiilfeld  den  künstlichen  AJjort.  Yolquakjjsen  beschreibt 
einen  Fall  von  Chorea,  der  bei  einer  zum  erstenmal  Schwangeren  im  5.  Monate 
auftrat  und  bei  dem  durch  künstliche  Erweiterung  des  Muttermundes  eine  wesentliche 
Besserung  des  Zustandes  eintrat,  so  dass  die  Gravidität  bis  zu  ihrem  Ende  normal 
verlief. 

Diabetes  mellitus.  Derselbe  bildet  eine  schwere  Complication  der  Gravidität 
und  führt  meist  zur  Unterbrechung  derselben,  am  häufigsten  nach  voilierigem  Ab- 
sterben der  Frucht.  Nach  der  Statistik  Gaudard's  starben  von  100  Kindern  41. 
DüNCAN  theilte  einen  Fall  mit,  wo  auch  das  neugeborene  Kind  mit  Diabetes 
behaftet  war.  Das  Eintreten  von  Gravidität  kann  wohl  durch  die  im  Gefolge  von 
Diabetes  eintretende  Atrophie  der  Genitalien  (andauernde  Ammonorrhoe:  Hofmeiek, 
CoHN,  Nebel  u.  a.)  gehindert  werden. 

Die  Krankheit  wird  durch  die  Schwangerschaft  insoferne  betroffen,  als  Wöch- 
nerinnen häufig  im  Coma  diabeticum  zu  Grunde  gehen.  Oft  erliegen  sie  auch  der 
secundären  Lungenphtise. 

Diphtherie  verläuft  bei  Graviden,  wie  bei  Erwachsenen  überhaupt  meist  milde. 
Schwangerschaft  und  Geburt  wird  durch  die  Erkrankung  wenig  beeinflusst ;  in  Fällen, 
wo  selbst  die  Tracheotomie  nothwendig  wurde,  verlief  der  Entbindungsact  normal. 
Die  Einleitung  der  Frühgeburt  ist  nur  bei  absolut  ungünstiger  Prognose  für 
die  Mutter  im  Interesse  des  Kindes  gerechtfertigt. 

Das  Vorkommen  von  diphtheritischen  Geschwüren  an  den  äusseren  Geschlechts- 
theilen,  der  Vagina  und  dem  Rectum  bei  Puerperalinfectionen  ist  allgemein  bekannt, 
ist  aber  wohl  ätiologisch  von  der  durch  den  LöFFLEE'schen  Bacillus  erzeugten  Diph- 
therie zu  trennen  (siehe  auch  ^^Scarlatina'-^).  Hiebei  sei  auf  die  Aeusserung  Escheeich's 
aufmerksam  gemacht,  dass  in  der  gesammten  bacteriologischen  Literatur  nur  ein  Fall 
von  Baginsky  erwähnt  wird,  in  dem  in  diphterischen  Auflagerungen  auf  der  Vulvo- 
Yaginalschleimhaut  LöFELER'sche  Bacillen  nachgewiesen  wurden.  Diesem  Falle  schliesst 
sich  noch  ein  zweiter  von  Escherich  selbst  beobachteter  Fall  an. 

Dysenterie.  Die  Schwangerschaft  nimmt  bei  Dysenteriekranken  meist  ein  vorzeitiges 
Ende,  was  nicht  nur  durch  die  Allgemeininfection,  sondern  auch  durch  die  bekannten  Con- 
nexbeziehungen  zwischen  Darm  und  weiblichen  Sexualorganen  erklärlich  erscheint.  Die  Pro- 
gnose richtet  sich  übrigens  im  Einzelfalle  nach  dem  Charakter  der  Dysenterieerkrankung, 
resp.  der  Endemie  und  nach  der  Constitution  des  Individuums. 

Erysipel.  Das  Gesicht serysipel  befällt Schwangerehäufig;  eine  Unterbrechung 
der  Gravidität  kann  eintreten;  am  wenigsten  folgenschwer  ist  dieselbe,  wenn  sie 
gegen  das  normale  Ende  der  Schwangerschaft  zu  stattfindet.  Man  sieht  in  solchen 
Fällen  das  Erysipel  nach  beendigter  Geburt  seinen  normalen  Ablauf  nehmen.  Ee- 
ferent  sah  die  Kinder  in  den  Fällen,  die  er  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte,  nicht 
inficirt  zur  Welt  kommen,  doch  wird  anderseits  positive  intrauterine  Uebertragung 
behauptet,  (v.  p.  439.) 

Das  Erysipel  der  Genitalien  ist  eine  dem  Puerperium  zukommende  Infection. 
Es  tritt  meist  ohne  septische  Allgemeinerkrankung  auf  und  zeichnet  sich  dui'ch  sein 
rapides  Fortschreiten  von  den  Genitalien  auf  die  unteren  Extremitäten  einerseits, 
auf  den  Rücken  und  Bauch  anderseits  aus.  Die  Prognose  dieser  Erysipele  ist  meist 
gutartig. 

Eine  dritte  für  den  Geburtshelfer  wichtige  Form  des  Erysipels  ist  das  „Ery- 
sipelas  puerperale  internum".  Winckel  vertritt  die  Anschauung,  dass  Ery- 
sipelcoccen  Puerperalfieber  hervorrufen  können,  während  Gusseeow,  Kroxee,  Laatdeeer 
u.  a.  dies  für  zweifelhaft  halten.  Die  Meinung  Wince:el's  wird  durch  eine  Arbeit 
Haetmann's  wesentlich  gestützt.  Haetmann  gelangte  auf  Grund  positiver  bacterio- 
logischer  Befunde  zu  dem  Untersuchungsergebnis,  dass  sich  die  Erysipelmicrococcen 
nicht  allein  in  den  Lymphspalten  der  Haut,  der  Schleimhäute  des  Darm-  und  Re- 
spirationstractus  ansiedeln,  sondern  auch  in  die  Lymphwege  der  weiblichen  Geuital- 
Bchleimhaut  eindringen  und  so  zu  einer  Erysipelinfection  derselben  führen.  Die  Ver- 


442  INTERNE  KRANKHEITEN  AYÄHREND  DER  GRAVIDITÄT. 

breituiig  der  lufection  auf  die  inneren  Orgaue  des  Bauches  uud  der  Brust  wurde 
ebenfalls  als  möglich  bewiesen;  so  konnte  Hartjiaxn  aus  Milz,  Leber,  Niere,  Lunge, 
selbst  aus  Herz  und  Gehirn  von  an  Erj'sipelas  puerperale  Verstorbenen  den 
FEHLEiSEN'schen  Kettencoccus  züchten. 

Merkwürdig  war  der  Infectionsmodus  in  einem  Falle  Düderlein's  :  Die  Pa- 
tientin hatte  ein  Jahr  vor  der  Geburt  ein  Armerj-sipel  in  Folge  einer  Verletzung 
überstanden,  in  einer  Cervicaldrüse  war  ein  Depot  von  Erysipelvirus  zurückgeblieben 
und  hatte  von  hier  ausbrechend  zu  einem  tödtlichen  inneren  puerperalen  Erysipel 
geführt. 

Gallensteine  mit  ihrem  typischen  Krankheitsbild  (Icterus,  Coliken)  können  die  Gra- 
vidität compliciren,  wie  Fälle  aus  der  Literatur  beweisen,  in  denen  nach  einer  Karlsbader  Cur 
Gallensteine  abgingen  und  das  normale  Ende  der  Gravidität,  Geburt  eines  reifen  Kindes  eintrat. 
Differentialdiagnostisch  wichtig  ist  die  Möglichkeit  des  Vorkommens  von  Gallensteinsym- 
ptomen im  Puerperium  (Fall  von  Skutsch:  V.  Para  zeigt  am  2.,  5.  und  7.  Tage  des  V7oclien- 
bettes  Temperatursteigerungen  bis  40"  mit  heftigen  Schmerzen  in  der  Lebergegend;  nach 
wiederholten  Anfällen  gehen  Gallensteine  mit  dem  Stuhl  ab).  In  Hinsicht  auf  den  von 
N.  Ortner  geführten  Nachweis  von  der  bacteriellen  Genese  der  Gallengangs-  und  Gallen- 
blasenentzündungen, erscheint  es  gerechtfertigt  anzunehmen,  dass  Mikroorganismen,  während 
der  Puerperalinfection  in  die  Gallenwege  metastatisch  deponirt  werden  können  und  hier 
eine  Cholangitis  resp.  Cholecystitis  zu  erzeugen  vermögen.  Hiermit  wäre  vielleicht  direct 
ein  Anlass  zur  Gallensteinbildung  gegeben,  wofür  Referent  ein  überzeugendes  Beispiel  sah. 

Gehinihypei'ämie,  ein  pathologischer  Vorgang,  der  häufig  im  Verlaufe  der  Schwan- 
gerschaft auftritt  und  auf  den  gewisse  cephalische  Symptome  während  der  Gravidität  zu- 
rückzuführen sind. 

Gehirntumoren.  Der  chronische  Verlauf  derselben  hat  auf  die  Gravidität  meist  keinen 
Einfluss.  Im  Interesse  der  Frucht  wird  in  speciellen  Fällen  die  Einleitung  der  Frühgeburt 
indicirt  sein. 

Gelenksrlieiiinatismus.  Entsprechend  dem  überhaupt  häufigen  Auftreten  des 
Gelenksrheumatismus,  namentlich  bei  Frauen  der  arbeitenden  Classen  ist  auch  das 
Zusammentreffen  von  Rheumatismus  articulorum  mit  Gravidität  ein  nicht  gar  seltenes. 

Die  Prognose  ist  rücksichtlich  der  Schwangerschaft  eine  günstige,  der  meist 
schleichende  Verlauf  der  Krankheit  hemmt  den  normalen  Ablanf  der  Gravidität  nicht. 

Gelenk saffectionen  im  Wochenbett  sind  meist  septisch-metastatischer  Natur. 
Doch  muss  man  bei  Vorhandensein  einer  Gonorrhoe  auf  den  gonorrhoischen  Ursprung, 
bei  bacillärer  Affection  der  Lungen  auf  einen  fungösen  Process  Bedacht  haben.  Der 
Einfluss  der  Schwangerschaft  und  des  Wochenbettes  auf  den  Gelenksrheumatismus 
ist  nach  v.  Noorden  ein  sehr  ungünstiger.  Der  Verlauf  der  Krankheit  ist  „ausser- 
ordentlich langwierig",  die  Heilung  erschwert. 

Hämophilie  bedroht  die  Schwangerschaft  insoferne,  als  auf  geringe  Anlässe 
Blutungen  auftreten,  die  zum  Abort,  resp.  Frühgeburt  führen.  Auch  die  Gehurt 
und  namentlich  die  Nachgeburtsperiode  ist  hei  Frauen  aus  Bluterfamilien  sehr  gefähr- 
lich. Oft  ist  es  gerade  der  Schwangerschaftszustand,  welcher  die  hereditäre  Dispo- 
sition zum  Ausbruch  bringt.  Selbstverständlich  ist  die  grösste  Umsicht  hei  der  Ent- 
hindung hämophiler  Frauen  angezeigt.  (Siehe  auch  „Scorbut'-'^.) 

Herzfelüer  gehören  zu  den  schwersten  und  gefährlichsten  Complicationen  der 
Gravidität.  Es  ist  leicht  hegreiflich,  dass  Schwangerschaft  ein  disponirendes  Moment 
zum  Ausbruch  von  Compensationsstörungen  ahgebe,  deren  Folgen  sich  viel  schwerer 
als  bei  Nichtschwangeren  reguliren  lassen  und  so  lehenshedrohend  werden.  Anderseits 
können  Schwangerschaften,  ja  sogar  wiederholte  Schwangerschaften  bei  Herzleidenden 
normal  verlaufen,  oder  nur  vorübergehende  Störungen  hervorrufen.  Erfahrungs- 
gemäss  sind  es  aber  doch  nur  die  leichten,  gut  compensirten  Herzfehler,  welche 
von  der  Gravidität  unbeeinträchtigt  bleiben.  In  allen  übrigen  Fällen  treten  ge- 
fahrdrohende Zustände,  vornehmlich  in  der  zweiten  Hälfte  der  Gravidität  ein;; 
nach  Sänger  ist  besonders  der  Act  der  Entbindung  gefährlich,  nacli  LeydejSt 
tritt  erst  mit  Beendigung  der  Geburt  die  eigentliche  Gefahr,  die  Herzschwäche,  der 
Collaps  ein,  um  schnell  unter  Entwicklung  von  Lungenödem  oder  durch  Herzpara- 
lyse zum  Exitus  zu  führen.  Von  den  Mortalitätsstatistiken  wären  folgende  zu  er- 
wähnen :  Macdoxald  :  GOo/q,  Wessner  :  37^/o,  Lublinski:  100°/o,  Schlager:  40%^ 
Leyden:  55°/o' 


INTERNE  KRANKHEITEN  WÄHREND  DER  GRAVIDITÄT.  443 

Die  künstliche  Frühgeburt  wäre  nur  in  jenen  Fällen,  in  denen  die  Unterdrückung 
schwerer  Compensationsstörungen  durch  absolute  IJettruhe  und  Ilerztonica  nicht 
möglich  wäre,  einzuleiten.  (Sänger,  Zwkifjol.)  Im  Interesse  des  Kindes  ist  sie 
jedenfalls    so    lange    als    möglich    hinauszuschieben. 

Robsger  empfiehlt  als  schonendste  Methode  die  „Dilatation  und  Tamponado 
des  Cervixcanals  bis  zum  Eintritt  von  Wehen  und  darauffolgender  Dlasensprengung", 
während  Zweifel  auch  den  Katheterismus  uteri  (Einlegen  einer  Bougie)  für  zuläs- 
sig erklärt.  Während  überhaupt  die  Mehrzahl  ^^der  Gynäkologen  die  Indication 
zur  künstlichen  Frühgeburt  nur  in  ganz  beschränktem  Maasse  gelten  lassen  will,  tritt 
Leyden  ganz  entschieden  für  dieselbe  ein,  indem  er  namentlich  geltend  macht, 
dass  je  länger  die  mit  Gravidität  complicirten  Compensationsstörungen  andauern, 
desto  unsicherer  die  Bedingungen  zu  ihrer  Beseitigung  werden,  so  dass  oft  sich  die 
Folgen  selbst  nach  glücklich  überstandener  Geburt  bemerkbar  machen. 

Hypereniesis  gravidarum  s.  dieses  Stichwort  in  ds.  Bd.^  pag.  376. 

Hysterie  beeinflusst  die  Schwangerschaft  gar  nicht,  wird  aber  selbst  in  dem 
Schwangerschaftszustand  meist  schwerer,  indem  Convulsionen  und  Paralysen  häufiger 
als  sonst  früher  bei  derselben  Person  beobachtet  werden.  Zuweilen  entwickelt  sich 
Hysterie  bei  gegebener  Disposition  während  der  Gravidität,  in  solchen  Fällen  schwinden 
die  hysterischen  Symptome  meist  nach  Eintritt  der  Geburt.  In  einem  Falle  von 
JoLLY,  in  dem  wegen  Hysteria  gravis  artificieller  Abort  eingeleitet  wurde,  ver- 
schlimmerte sich  der  hysterische  Zustand,  indem  Paraplegie  der  unteren  Extremi- 
täten mit  Contracturstellung  auftrat.  Auch  die  Lactationsperiode  gab  in  einer  Pieiho 
von  Fällen  Anlass  zu  hysterischen  Zuständen.  —  Der  Einzelfall  wird  zu  entscheiden 
haben,  ob  Frühgeburt  oder  Abort  eingeleitet  werden  soll,  unbedingt  zu  befürworten 
sind  diese  Eingriffe  keineswegs. 

Icterus  wird  von  älteren  Autoren  als  ein  im  Schwangerschaftszustand  selbst  begrün- 
detes Symptom  beschrieben.  Als  Ursache  wird  Dru^k  des  Uterus  auf  die  Gallenausführungs- 
gänge angeführt,  ein  Moment,  welches  wohl  für  das  Ende  der  Graviditätsperiode  den  An- 
schein von  Berechtigung  haben  kann.  Es  gibt  jedenfalls  Fälle  von  Icterus  in  der  Gravi- 
dität, deren  Aetiologie  nicht  geklärt  erscheint  —  Referent  kann  dies  aus  eigener  Erfahrung 
bezeugen  —  meist  wird  in  diesen  der  ^ obligate  Darmkatarrh "  als  Grund  beschuldigt.  — 
Icterus  kann  ferner  als  Symptom  von  Leber-  und  Gallenwegenaffectionen  auftreten  (Leber- 
cirrhose,  Echinococcen  der  Leber,  Gallensteine  etc.),  besonders  als  Erscheinung  der  in  der 
Gravidität  relativ  häufigen  acuten  gelben  Leberatrophie. 

Influenza.  Jacquemier  und  Kiwisch  behaupteten,  dass  die  Influenza  ohne 
Nachtheil  auf  den  Verlauf  der  Schwangerschaft  seien,  dagegen  sprechen  die  Fälle, 
von  BiERMER  und  Gottschalk,  dass  Influenza,  die  Schwangere  in  den  ersten  Mo- 
naten der  Gravidität  befällt,  leicht  Abortus  veranlassen  könne.  Die  Ursache  liegt 
in  einer  durch  die  Influenzainfection  veranlasste  acute  Entzündung  der  Gebärmutter- 
schleimhaut, beziehungsweise  der  Decidua. 

Leukämie.  Bis  zum  Jahre  1894  finden  sich  nur  sieben  Fälle  von  Schwanger- 
schaft mit  Leukämie  in  der  Literatur :  Die  Fälle  von  Cameeon,  Säxger  und 
Laubenburg  betreffen  chronisch  verlaufende  Leukämien,  während  die  Fälle  von 
Gkeene  (2  Fälle)  Hilbert  und  Askanazy  als  acute  Leukämien  beschrieben  wurden. 
In  dem  Falle  Sänger's  bestand  die  Leukämie  schon  zur  Zeit  der  Conception.  Wegen 
hochgradiger  Beschwerden  musste  im  achten  Monate  die  Frühgeburt  eingeleitet  w'erden. 
Das  Kind  zeigte  keine  leukämische  Blutbeschaffenheit  und  verblieb  gesund  während  bei 
der  Mutter  der  leukämische  Zustand  fortdauerte.  —  Sänger  behauptet,  dass  Leu- 
kämie beim  weiblichen  Geschlecht  seltener  sei,  als  beim  männlichen  und  dass  es  der 
regere  Stoffwechsel  ist,  der  das  Weib  vor  der  Leukämie  besser  bewahre,  eine  Be- 
hauptung, die  nach  des  Eeferenten  Erfahrungen  nicht  gerechtfertigt  erscheint.  Die 
Kranke  Hilbert's  wurde  im  neunten  Monate  eines  macerirten  Kindes  entbunden  und 
starb  zehn  Stunden  nach  der  Entbindung. 

In  dem  einen  der  GREENE'schen  Fälle  trat  nach  spontaner  Frühgeburt  rasch 
tödtlicher  Verlauf  ein,  in  dem  zweiten  leitete  Greene  die  künstliche  Frühgeburt  ein, 
worauf  baldige  Heilung  (?)  eintrat.     Kechnet  man  übrigens  die  Fälle  Geeene's  von 


444  INTERNE  KRANKHEITEN  WÄHREND  DER  GRAVIDITÄT. 

den  diagnostisch  zweifellos  sicher  gestellten  Leukämien  ab,  so  bleiben  nur  5   Fälle 
übrig. 

Lungenemphysem  ist  bei  Schwangeren  häufig.  Es  ist  die  echte  Form  des 
Emphysems  —  zu  trennen  von  der  senilen  Lungenatrophie  —  und  entwickelt  sich 
meist  in  Folge  chronischen  Bronchialkatarrhs  oder  Strumen,  welche  Hindernisse  für 
den  normalen  Athmungsact  abgeben. 

Lungenödem.  Drohendes  Lungenödem  indicirt  die  sofortige  Einleitung  der  künst- 
lichen Frühgeburt. 

Magen-  und  Darmaffectionen.  Da  durch  Theilhaber's  Untersuchungen  und 
durch  Feank's  Befunde  der  ursächliche  Zusammenhang  zwischen  Genitalleiden 
(Lageveränderungen  des  Uterus,  Oophoritis,  Parametritis  etc.)  und  Magen-Darm, 
beschwerden  (Dyspepsia  nervosa,  Atonie  des  Magens  und  Darmes  etc.)  erwiesen  ist- 
erscheint es  begreiflich,  dass  auch  die  mit  der  Gravidität  einhergehenden  Verände- 
rungen der  Sexualorgane  die  Aetiologie  zu  Magen-Darmaffectionen  abgeben  können. 
Die  veränderten  Druckverhältnisse  in  der  Abdominalhöhle,  der  veränderte  Spannungs- 
grad der  Befestigungsmittel  der  Därme  und  der  Druck  des  wachsenden  Uterus  auf  die 
benachbarten  Organe  geben  die  mechanischen  Ursachen   von   Magen-Darmleiden  ab. 

Hiezu  kommt  ferner  der  Einfluss,  welchen  die  Gravidität  auf  das  Allgemein- 
befinden und  auf  specielle  Sinnesfunctionen  (namentlich  den  Geschmackssinn)  auszu- 
üben pflegt.  Die  beiden  häufigsten  klinischen  Symptome  gestörter  Magen-Darmfunction, 
die  wir  bei  Gravidität  finden,  sind  die  Hyperemesis  gravidarum  (s.  d.)  und  die  Ob- 
stipation (s.  d.) 

Malaria.  In  Folge  der  häufig  sich  wiederholenden  Fieberanfälle  kommt  es  in 
einzelnen  Fällen  zu  intrauterinem  Fruchttod.  Seltener  ist  die  Ursache  desselben  die 
schwere  mütterliche  Anämie  oder  die  typische  Malariacachexie,  wie  sie  in  Tropen- 
ländern vorkommt.  Die  todten  Föten  bieten  oft  die  Zeichen  der  übertragenen  Ma- 
lariainfection:  Milztumor,  Pigmentablagerungen  in  den  grossen  Unterleibsdrüsen,  Me- 
lanämie. 

Der  Mechanismus  partus  wird  durch  complicirende  Malaria  nicht  gestört.  Wichtig 
sind  die  Beobachtungen  Ritter's  über  das  Vorkommen  von  Wechselfieber  im  Puer- 
perium. Bei  Frauen,  welche  vor  der  Geburt  an  typischer  Malaria 
litten,  kommt  es  im  Wochenbett  zu  einer  Veränderung  der  typischen 
Fieberanfälle,  wodurch  die  Differentialdiagnose  mit  Sepsis  in 
Frage  kommt.  Für  Malaria  entscheidet  unbedingt  der  Nachweis  von  Malaria- 
plasmodien  im  Blute. 

Energische  Chininbehandlung  eventuell  deren  Ersatzmittel  (Arsen,  Phenococoll, 
Berberin  etc.)  sind  die  einzige  Therapie  gegen  die  Malaria  der  Graviden ;  eine 
künstliche  Unterbrechung  der  Schwangerschaft  kommt  nicht  zur  Erwägung. 

Milzbrand.  Die  Complication  der  Schwangerschaft  ändert  den  ungünstigen 
Ausgang  dieser  Infection  nicht  im  geringsten.  F.  Marchand  theilte  einen  Fall  von 
Milzbrand  mit,  bei  dem  die  Infection  circa  8  Tage  vor  der  Geburt  stattfand,  die 
Geburt  normal  ablief,  die  Mutter  aber  7  Stunden,  das  Kind  4  Tage  post  partum 
starben.  Die  Infection  des  Kindes  hatte  erst  intra  partum  während  der  Lösung  der 
Placenta  stattgefunden.  Auch  im  Wochenbette  wurde  Milzbrandinfection  beobachtet 
(Joha.nnsen). 

Milzkrankheiten.  Vergrösserungen  der  Milz  können  bei  Graviden  dieselben 
Ursachen  haben,  wie  bei  nicht  schwangeren  Frauen  (überstandene  Infectionskrank- 
heiten,  Malaria,  Leukämie,  Stauungsmilz  bei  Herzfehlern  und  chronische  Bron- 
chitis etc.),  Neoplasmen  der  Milz  sind  ja  überhaupt  sehr  selten,  am  häufigsten  Lym- 
phosarcome.  So  entfernte  Fritsch  eine  über  2  kg  schwere  lympho-sarcomatös  entartete 
Milz  bei  einer  im  1.  Graviditätsmonat  befindlichen  Frau,  die  später  am  normalen 
Ende  der  Gravidität  niederkam,  sonst  aber  ganz  gesund  blieb.  Milzrupturen,  die  bei 
acuten  Milztumoren  vorzukommen  pflegen,  hat  man  gerade  bei  Graviden  des  Oeftejen 
eintreten  gesehen,  wqrnach  der  Tod  plötzlich  erfolgte. 


INTERNE  KRANKHEITEN  WÄHREND  DER  GRAVIDITÄT.  445 

Wandermilz  ist  wie  die  Wanderleber  eine  Folge  der  durch  ■wiodorliolte  Schwan- 
gerschaften bedingten  Lockerung  der  Mescnterienfixation.  Die  Wandonnilz  muss  nicht 
unbedingt  Beschwerden  machen,  zuweilen  bestehen  dieselben  in  „Schmerzen,  Zerrungs- 
gefühl." Druck  der  dislocirten  Milz  auf  die  Därme  können  Erscheinungen  von 
Darmstenose  veranlassen. 

Morbillen.  Häufig  kommt  es  zur  Unterbrechung  der  Schwangerschaft,  als 
deren  Ursache  eine  specifische  Endometritis  angenommen  wird.  Die  Kinder  kommen, 
sofern  sonst  die  Zeit  der  Lebensfähigkeit  gekommen  ist,  lebend  zur  Welt.  Eine 
intrauterine  Infection  kommt  vor  (Thomas,  Rüter,  Ballantyne),  muss  jedoch  nicht 
unbedingt  stattfinden.  Im  Falle  Ballantyne's  wurde  der  Fötus  im  6.  Graviditäts- 
monat lebend  geboren  und  zeigte  Masernflecke  im  Gesicht,  Kücken  und  Beinen. 

Wie  Masern  bei  Erwachsenen  überhaupt  viel  intensiver  auftreten,  als  bei 
Kindern,  so  ist  dies  namentlich  bei  Graviden  der  Fall.  Die  Neigung  zu  Stauungs- 
zuständen  macht  die  bei  Masern  regelmässig  auftretenden  Bronchial-  und  Lungen- 
affectionen  besonders  gefährlich. 

Ahlfeld  beschreibt  ein  morbillenähnliches  Exanthem  bei  einer  von  ihm  beob- 
achteten Wöchnerinnenendemie.    (Vergl.  auch  ,^Scarlatma''^). 

Morbus  Basedowi.  Die  Gravidität  wird  häufig  durch  diese  Krankheit  unter- 
brochen, wozu  die  vorzeitige  Lösung  der  Placenta  die  Veranlassung  bietet  (Benicke, 
Häbeelin).  In  einem  Falle  H.  Müller's  war  der  Beginn  des  Morbus  Basedow  an 
die  Conception  geknüpft;  die  Symptome  desselben  steigerten  sich  während  des  Vei'- 
laufes  der  Gravidität,  um  nach  der  Geburt  ziemlich  rasch  wieder  abzunehmen.  Die 
Frage  der  künstlichen  Frühgeburt  kommt  deshalb  in  speciellen  Fällen  zur  Discussion. 

Erwähnenswerth  sind  die  Mittheilungen  von  Kleinwächter,  Hoedemaker  und 
Bamours,  in  denen  hochgradige  Atrophie  der  Sexualorgane  als  nicht  gar  seltener 
Folgezustand  des  Morbus  Basedow  beschrieben  wird,  ein  Umstand,  der  wohl  das  Ein- 
treten einer  Gravidität  verhindern  dürfte.  Im  Gegensatze  zu  diesen  Beobachtungen 
steht  ein  Fall  von  Souza-Leitb  (Paris),  in  dem  bei  einer  27-jährigen  Dienstmagd  ein 
3  Jahre  lang  bestandener  Basedow  durch  den  Eintritt  einer  Gravidität  bedeutende 
Besserung  erfuhr. 

Miiskelatrophie  (progressive)  wurde  bei  Graviden  in  zwei  Fällen  beobachtet.  Bei  der 
Geburt  zeigte  sich  in  Folge  mangelhafter  Leistungsfähigkeit  der  Bauchpresse  bedeutende 
Verlängerung  der  Austreibungsperiode. 

Neuralgien,  im  Verlaufe  der  Gravidität  sind  häufig  zu  beobachten,  sie  beeinflussen 
die  Schwangerschaft  gar  nicht. 

Nierenaffectionen  Schwangerer  vide  y,Nephritis  gravidanim.'^ 

Myelitis.  Trotz  weitgehender  Erkrankung  des  Rückenmarkes  und  damit  einhergehender 
Leistungsunfähigkeit  einzelner  Abschnitte  desselben,  wird  normaler  Verlauf  des  Entbin- 
dungsactes  berichtet.     (Siehe  auch  „Eüchenmarkscompression.'^) 

Obstipation  ist  in  der  Schwangerschaft  sehr  häufig,  wobei  zu  bedenken  ist,  dass 
Frauen  überhaupt  an  diesem  Uebel  viel  laboriren.  Die  Obstipatio  gravidarum  ist 
nach  P.  MtJLLER  speciell  als  Folge  „eines  subparalytischen  Zustandes  der  Darm- 
musculatur  und  herabgesetzte  Thätigkeit  der  Bauchpresse,  welche  durch  die  Aus- 
dehnung des  Uterus  veranlasst  wird,  zu  erklären. 

Osteomalacie  vide  „dieses  Stichwo7-t". 

Pneumonie  bildet  eine  der  ernstesten  Complicationen  der  Gravidität.  Die 
Widerstände  im  kleinen  Kreislauf,  die  durch  die  Absetzung  des  croupösen  Exudats 
in  die  Alveolen  zu  Stande  kommen,  erschweren  die  Thätigkeit  des  rechten  Ven- 
trikels, wodurch  in  weiterer  Folge  auch  der  linke  Ventrilvel  betroffen  wird.  Bedenkt 
man  nun,  dass  gerade  während  der  Gravidität  der  linke  Ventrikel  vermehi-te  Wider- 
stände zu  überwinden  hat,  so  ist  die  Möglichkeit  der  Herzinsufl'icienz  bei  der  die  Gra- 
vidität complicierenden  Pneumonie  leicht  gegeben.  Der  Entbiudungsact  selbst  ist  für 
die  Pneumoniekranke  mit  besonderen  Gefahren  verbunden,  da  die  Wehenthätigkeit 
als  solche  Veranlassung  zu  Blutstauungen  gibt  und  der  hiedurch  begünstigte  Eintritt 
eines  Lungenödems  oft  rasch  das  letale  Ende  herbeiführt.  Aus  diesem  Grunde  be- 
fürworten die  Geburtshelfer  Alles  zu  vermeiden,  was  eventuell  während  des  Fieber- 
stadiums der  Pneumonie  (i.  e.   vor  der  Krise)  die    Geburt   veranlassen   könnte.     Ist 


446  INTERNE  KRANKHEITEN  WÄHREND  DER  GRAVIDITÄT. 

die  Geburt  aber  bereits  im  Gange,  dann  soll  sie  so  rasch  als  möglicli  eventuell  durch 
Kunsthilfe  zum  Abschluss  gebracht  werden.  Der  ersterwähnten  Indication  kann 
insofern  nicht  immer  Genüge  geleistet  werden,  weil  gerade  mit  dem  Eintritt  der 
Pneumonie  durch  die  sie  begleitenden  Factoreu  (Infectiou,  Hj'perpj-rexie)  künst- 
liche Unterbrechung  der  Gravidität  und  zwar  namentlich  in  den  späteren  Schwan- 
gerschaftsmonaten eintritt. 

Es  wurde  behauptet,  dass  Gravide  leicht  zur  pneumonischen  Infection  neigen. 
Dieser  Ansicht  widerspricht  "Wallich  auf  Grund  einer  grossen  Reihe  deutscher, 
französischer  und  italienischer  Statistiken. 

Auf  die  Frucht  übt  die  Pneumonie  fast  durchaus  ungünstigen  Einfluss.  Meist 
findet  ein  Absterben  der  Frucht  in  utero  statt.  Die  Ursache  hiefür  ist  die  mangel- 
hafte Oxydation  des  Blutes,  das  Fieber  der  Mutter  und  die  Uebertragung  der  Infection. 
Fälle  von  Pneumonie  während  des  fötalen  Lebens,  die  in  utero  durch  Infection  Von 
der  Mutter  aus  acquirirt  wurden,  werden  von  Sigl,  Stishan,  Hirst  u.  a.  beschrieben. 
Im  Falle  von  Hiest  wurde  das  Kind  schon  cyanotisch  geboren,  starb  nach  24  Stunden 
und  zeigte  beide  Lungen  pneumonisch  infiltrirt,  die  Mu;/:er  hatte  Sepsis. 

Rückenmarkscompression.  Trotz  schwerer  traumaüscher  Läsioa  des  Rückenmarks 
kann  die  Geburt  normal  ablaufen.  In  einem  Falle  Nasse's  von  Fractu.v  des  3.  und  4.  Hals- 
wirbels fand  bei  nicht  enipfandenen  Wehen  ein  normaler  Entbindungsact  statt. 

Pj'elitis  tritt  in  der  Gravidität  und  im  Wochenbett  als  Fortleitung  einer  Cystitis  aut. 
Stadtfeld  behauptet,  dass  durch  den  Druck  des  puerperalen  Uterus  auf  den  Ureter  eine 
Stauung  des  Harnes  zu  Stande  komme,  die  zu  einer  Pyelitis  führe.  Diese_  Pyelitis  pu- 
erperalis  ist  durch  hohes  Fieber  und  heftigen  Lumbaischmerz  gekennzeichnet,  während 
der  Harn  den  typischen  Befund  der  Pyelitis  darbietet. 

In  einer  Reihe  dieser  Fälle  liegt  eine  tuberculöse  Infection  der  Harnwege  vor. 

Scorbiit.  Das  Auftreten  von  Scorbut  wurde  im  Anschluss  von  Entbindungen  beob- 
achtet (Petroke,  Koch).  Die  Entbindungen  Scorbutischer  werden  oft  durch  starke  Blutungen 
gefährlich. 

Tabes  stört  Schwangerschaft  und  Geburt  nach  den  m  der  Literatur  bekannten  Fällen 
gar  nidit.  Doch  wurde  Verlängerung  der  Austreibungsperiode  beobachtet  (Macdonald  und 
LiTSCHKUs).    Die  Wehen  sollen  weniger  schmerzhaft  empfunden  werden. 

Tetanie  ist  als  Complication  der  Gravidität  wiederholt  beschrieben  worden. 
Das  Auftreten  der  Krankheit  wurde  in  verschiedenen  Schwangerschaftsmonaten,  meist 
jedoch  in  den  späteren,  beobachtet.  Erstgebärende  scheinen  für  die  Krankheit  dis- 
ponirter  zu  sein  als  Multiparae.  Lobach  sah  bei  einer  Frau  bei  wiederholter  Gra- 
vidität jedesmal  Tetanie  auftreten.  Desgleichen  hat  J.  Neumanjt  einen  Fall  beob- 
achtet, in  dem  von  der  5.  bis  zur  11.  Gravidität  jedesmal  Tetanie  zur  Zeit  der 
ersten  Kindesbewegungen  auftrat.  Während  der  Geburt  können  Tetanie-Krämpfe 
fortbestehen,  ja  werden  zuweilen  wie  die  Fälle  von  J.  Neumann  und  R.  v.  Bbaun 
beweisen,  durch  den  Reiz  der  Wehen  hervorgerufen  und  verstärkt.  Das  Auftreten 
von  Tetanie  nach  der  Geburt  bei  Frauen,  die  nicht  säugen,  ist  selten,  scheint  jedoch 
nach  des  Referenten  Erfahrung  nicht  blos  auffallend  schwächliche  Individuen  zu  be- 
treffen, wie  Lothar  v.  Feankl  betont.  Am  häufigsten  ist  die  Tetanie  bei  Säugenden, 
der  Ausbruch  der  Krankheit  erfolgte  in  den  einzelnen  in  der  Literatur  publicirten 
Fällen  bald  5 — 8  Tage,  bald  2—8  Monate  nach  Beginn  der  Lactationsperiode.  Nach 
übereinstimmenden  Aeusserungen  der  Autoren  häufen  sich  die  Tetauiefälle  bei  säu- 
genden Frauen  namentlich  in  den  Monaten  Januar  bis  April. 

In  zwei  der  verzeichneten  Fälle  erfolgte  Abortus  bei  mit  Tetanie  behafteten 
Frauen,  einmal  musste  Craniotomie  gemacht  werden.  Für  die  Tetanie  der  Schwan- 
geren und  Säugenden  empfiehlt  sich  absolute  Ruhe,  Verabreichung  von  Brom,  com- 
binirt  mit  kleinen  Morphiugaben  oder  Gallobromol  (Referent).  Eine  künstliche 
Unterbrechung  der  Sciiwangerschaft  wird  von  keinem  Autor  empfohlen.  Die  Be- 
handlung der  Tetanie  intra  partum  beschränkt  sich  auf  die  rasche  Beendigung  der 
Geburt,  wozu  in  manchen  Fällen  protrahirte  Narcose  nothwendig  sein  dürfte.  Zur 
Ausführung  derselben  empfiehlt  J.  Neumann  Aether,  da  Chloroform  zu  denjenigen 
Substanzen  gehört,  welche  toxische  Tetanie  hervorrufen.  In  einem  Falle  R.  v. 
Beaun's  genügte  eine  starke  Morphin-Injection  (0-02),  um  intra  partum  die  Tetanie- 
krämpfe  zu   beseitigen.  , 


INTERNE  KRANKHEITEN  WÄHREND  DER  GRAVIDITÄT.  447 

Tuberkulose.  Lungentuberkulose  wird  von  der  Gravidität  und  Puerperium 
entschieden  ungünstig  bccinfiusst.  Es  ist  eine  iilltügliclie  Erfahrung  der  Internisten, 
dass  ein  alter  Spitzenkatarrh  unter  dem  Einflüsse  der  Gravidität  sicli  rapid  zu  einer 
floriden  Phthise  ausgestaltet,  der  die  Kranke  zuweilen  schon  während  der  Schwanger- 
schaft, viel  häufiger  aber  erst  einige  Monate  post  partum  zu  erliegen  pflegt.  Ebenso 
unzweifelhaft  ist  es  für  den  Internisten,  dass  rasch  hintereinanderfolgende  Graviditäten 
die  directe  Veranlassung  zur  Entwicklung  der  Tuberkulose  bei  selbst  hereditär 
absolut  nicht  belasteten  Frauen  abgeben.  Die  Mehrzahl  der  Gynäkolgen  scheinen 
nicht  Gelegenheit  zu  haben,  diese  Thatsachen  kennen  zu  lernen;  es  wäre  sonst  ihr 
ablehnendes  Verhalten  gegen  die  Unterbrechung  der  Gravidität  nicht  zu  erklären. 
In  der  Literatur  werden  die  Fälle,  wo  künstlicher  Abort  eingeleitet  wurde,  einzeln 
aufgezählt.  Der  Standpunkt,  auf  den  die  Gynäkologen  stehen,  ist  der,  ob  die  Gravide  das 
normale  Ende  der  Schwangerschaft  werde  erleben  können  oder  nicht.  In  letzte- 
rem Falle  halten  sie  im  Interesse  der  Frucht  die  künstliche  Frühgeburt  für 
angezeigt.  So  meint  Michael,  dass  dies  namentlich  bei  der  Localisation  der 
Tuberkulose  im  Kehlkopfe  zur  Discussion  komme,  weil  diese  rapider  zu  ver- 
laufen pflege,  eine  Ansicht  der  wohl  nicht  unbedingt  beigestimmt  werden  kann.  Jaffe 
betont,  dass  man,  um  ein  sicher  verlorenes  mütterliches  lieben  nicht  zu  retten, 
sondern  nur  zu  verlängern,  ein  kindliches  Leben  nicht  opfern  dürfe.  Dem  gegenüber 
wäre  einzuwerfen,  dass  einerseits  die  Krankheit  der  Mutter  selbst  Abortus,  resp. 
Frühgeburt  mit  todter  Frucht  häufig  bedinge  und  anderseits,  dass  das  selbst  lebend 
geborene  Kind  die  schwere  Last  der  hereditären  Disposition  mit  zur  Welt  bringt, 
seine  Aussicht  auf  dauerndes  Leben  also  immerhin  beschränkt  ist. 

Darmtuberkulose  soll  nach  der  Ansicht  Schkadee's,  der  den  ungünstigen 
Einfluss  von  Gravidität  aut  Lungentuberkulose  vollkommen  in  Abrede  stellt,  eine 
Indication  zum  künstlichen  Abort  abgeben,  weil  es  denkbar  sei,  dass  diese  durch  die 
Gravidität  eine  Verschlimmerung  erfahre. 

Die  EntvÄcklung  von  Nierentuberkulose  soll  durch  das  Eintreten  der 
Gravidität  begünstigt  werden,  weil  nach  Schröder  der  erhöhte  Lymphstrom  vom  Douglas 
aus,  woselbst  sich  ja  tuberkulöse  Keime  mit  Vorliebe  ansiedeln,  eine  Nierenaffection 
veranlassen  könne.  Die  Schwangerschaft  verschlimmert  aber  auch  bereits  bestehende 
Nierentuberkulose  und  w^erden  deren  Beschwerden  durch  das  Eintreten  des  Abortes,  wie 
dies  die  Fälle  Schrödeb's  beweisen,  stets  erleichtert. 

Scharlacli.  Die  Literatur  weist  nur  eine  geringe  Anzahl  von  Fällen  auf,  wo 
Schaiiach  während  der  Gravidität  aufgetreten  ist.  Dass  derselbe  eine  gefährliehe  Com- 
plication  der  Schwangerschaft  darstellt,  ist  wohl  begreiflich. 

Viel  häufiger  wird  des  Vorkommens  von  Scarlatina  im  Puerperium  Erwähnung 
gethan.  Ob  es  sich  in  vielen  oder  allen  Fällen  von  'Wochenbettscharlach  um  Scar- 
latina handelt,  oder  ob  nicht  eine  eigene  Infection  septischer  Natur  als  Scarlatina 
puerperalis  anzuerkennen  wäre,  scheint  weder  nach  der  einen,  noch  nach  der  anderen 
Meinung  mit  überzeugender  Sicherheit  klargestellt.  Olshause??  vertheidigt  das 
Vorkommen  von  genuinen  Scharlach  im  Wochenbett,  obwohl  er  einen  durch  das 
Wochenbett  bedingten  besonderen  Verlauf  der  Erkranlvung  zugibt. 

Desgleichen  hält  L.  Meyer  (Kopenhagen)  den  Scharlach  der  Wöchnerinnen  als 
identisch  mit  der  genuinen  Scharlachinfection,  w^eist  aber  darauf  hin,  dass  das 
Exanthem  (im  Gegensatz  zu  Olshausen)  meist  nicht  stark  vortrete,  diphteritische 
Erkrankung  der  Vulva  häufig,  jene  des  Halses  selten  als  Complicatiou  eintreten. 
Beweisend  für  das  Vorkommen  einer  genuinen  Scharlachinfection  in  puerperio  sind 
jene  Fälle,  wo  von  der  an  Scarlatina  erkrankten  Wöchnerin  eine  weitere  Scharlach- 
übertragung auf  Kinder  statttand.  So  berichtet  Arctander  (Dänemark)  dass  4  Tage 
nach  der  Erkrankung  die  Puerpera  deren  7-jährige  Tochter  und  14  Tage  später 
zwei  Kinder  einer  Schwester  der  Kranken  von  Scharlach  befallen  wurden. 

Auch  die  Ansicht,  dass  eine  Mischinfection  von  Scarlatinavirus  mit  Sepsistoxinen 
vorkommen  können,  hat  ihre  Vertreter.  Dagegen  leugnen  andererseits  englische 
Autoren   wie  Boxall  die  Beziehungen  des  puerperalen  Scharlachs  zur  Septicämie. 


448  INTRAUTERINE  THERAPIE. 

Die  Mortalität  des  Puerperalscharlaclis  ist  eine  beträchtliche,  die  Hälfte  der 
"Wöchnerinnen  stirbt!   (Olshausen). 

Variccs  der  Blase  kommen  in  der  Gravidität  nicht  selten  vor  und  erzeugt  nebst 
Störungen  in  der  Harnentleerung  auch  Blutungen  durch  Bersten  einzelner  Gefässe. 

Varices  an  den  unteren  Extremitäten  kommen  bei  jeder  Graviden  vor,  nur 
der  Grad  ihrer  Ausbildung  wechselt.  Sie  führen  zu  Blutungen  ins  Gewebe  (Extra- 
vasate), zu  Rupturen  mit  starker  Blutung,  zu  Oedemen  und  zu  Eczemen  der  Haut. 

Eine  besondere  Behandlung  gegen  die  Varices  einzuleiten,  ist  nur  bei  beson- 
deren Folgezuständen  (s.  u.)  nöthig.  Häufig  bleiben  aber  die  Varices  auch  nach 
Ablauf  des  Wochenbettes  zurück  und  führen  oft  durch  wiederholte  Schwangerschaften 
zu  hochgradiger  Entwicklung. 

Variola.  Die  Pockeninfection  hat  fast  regelmässig  Unterbrechung  der  Gravidität 
zu  Folge:  es  erfolgt  Abortus  in  den  ersten,  Frühgeburt  mit  todter,  aber  auch  lebender 
Frucht  in  den  letzten  Monaten  der  Schwangerschaft.  „Schwangere  sind  durch  die 
Variola,  sagt  L.  Voigt,  vielleicht  noch  mehr  gefährdet  als  durch  die  Cholera, 
wenn  und  insoweit  sie  nicht  durch  die  Impfung  geschützt  sind".  Die  Prognose  des 
Abortes  soll  nach  Aknaud  im  Florescensstadium  der  Variola  eine  ungünstige,  im 
Convalescensstadium  eine  günstige  sein.  Kinder,  deren  Mütter  intra  graviditatem 
Blattern  überstanden,  zeigten  sich  gegen  Variola  und  Vaccine  refractär. 

Schwangerschaft  stellt  selbst  ihrerseits  wieder  eine  Complication  der  Variola 
dar  und  erschwert  deren  Prognose.  Die  Therapie  soll  rücksichtlich  der  Gravidität 
nur  exspectativ  sein.  Unterbrechung  der  Schwangerschaft  soll  einen  ungünstigen 
Effect  haben. 

Venenentzündung  ist  eine  häufige  Folge  von  Varices,  namentlich  wenn  die- 
selben stellweise  thrombosirt  sind  (Thr ombo-phlebitis).  Thrombosen  der  Venen 
in  den  unternen  Extremitäten  sind  eine  bekannte  Nachkrankheit  des  Puerperiums,  die 
ganze  Extremität  ist  bedeutend  ödomatös  und  längs  der  Venenstämme  druck- 
empfindiici]  (Phlegmasia  alba  dolens).  Vidal  erklärt  diese  Affection  als  eine 
Infection  mit  Streptococcus  pyogenes,  der  sich  auf  dem  Endothel  der  Vene  fest- 
setze, zu  einer  Entzündung  ihrer  Wand  und  hiedurch  zur  Thrombose  führe.  Die 
Prognose  dieser  puerperalen  Thrombosen  ist  meist  günstig,  wenn  auch  die  Rück- 
bildung   mitunter  langwierig. 

Vergiftiiiigen  Schwangerer  vide  dieses  Stichwort. 

Verletzungen  Schwangerer  vide  dieses  Stichwort. 

JUL.    WEISS. 

Intrauterine  Therapie.  Obzwar  erst  die  neuere  Gynäkologie  die 
intrauterine  Behandlung  zu  einer  Vollkommenheit  gebracht  hat,  wie  sie  gegen- 
wärtig geübt  wird,  reichen  dennoch  die  ersten  Anfänge  der  Localbehandluag 
des  Uterus  bei  gewissen  Leiden  in  die  älteste  Zeit  zurück.  So  bespricht 
HiPPOKRATES  die  /Xia[i.ol  xa&apxtxot  [xr^Tpioiv,  so  kannten  Galen,  Prosper- 
Alpinus  u.  A.  intrauterine  Injectionen.  Ein  neuer  Aufschwung  in  der  Be- 
handlung intrauteriner  Leiden  beginnt  aber  erst  in  den  dreissiger  Jahren 
dieses  Jahrhunderts.  Doch  handelte  es  sich  da  anfangs  meist  um  Blutungen 
aus  dem  puerperalen  Uterus.  Es  wurden  in  Essig  oder  Branntwein  getauchte 
Leinwandbäuschchen  (Le  Koux),  Schwämme  (Schweighäuser,  Mende,  Bör), 
geschälte  Citronen  (Evart),  Schweinsblasen,  die  nachträglich  aufgeblasen 
wurden  (Basedow),  die  Faust  (Stein  d.  Ae.,  Wiegand)  in  den  blutenden 
Uterus  eingeführt. 

Gegen  die  chronische  Metritis  verwendete  als  erster  Steinberger  intra- 
uterine Injectionen  mit  reiner  Jodtinctur,  hat  aber,  sowie  nach  ihm  Hourmann, 
die  üblen  Zufälle  dieser  Behandlungsmethode  bereits  kennen  gelernt.  Während 
aber  diese  Eingriffe  nur  schüchterne  Versuche  einer  intrauterinen  Therapie 
waren,  beginnt  das  methodische  Handeln  in  dieser  Hinsicht  mit  der  in  diesem 
Jahrhundert  von  Simpson,  Kiwisch,  Huguier  in  die  Gynäkologie  eingeführten, 
aber  schon  den  Alten  (Aetius,  Soranus,  Paulus  von  Aegina)  bekannten  und 


INTRAUTERINE  THERAPIE.  449 

im  18.  Jaluimndcrt  neuerdings  von  Lkvuet,  La ir  wieder  eingeführten  Uterus- 
sonde. Obzwar  der  Uterussonde  gegenwärtig  nicht  mehr  jene  Bedeutung  bei- 
gemessen wird,  welche  ihrer  Verwendung  die  Vorkilmpfer  der  modernen  Gy- 
näkologie in  der  Mitte  dieses  Jahrhunderts  zuschrieben,  kann  docli  nicht  in 
Abrede  gestellt  werden,  dass  gerade  das  Bestreben,  durch  die  Utcrussonde  die 
Lageanoraalien,  sowie  die  Grössenverhältnisse  des  Uterus  zu  erforschen,  die 
Vorbedingung  für  eine  rationelle  intrauterine  Therapie  war.  Heutzutage  wird 
dieser  Vorbedingung  durch  die  hochentwickelte,  bimanuelle  Untersuchungs- 
methode entsprochen ;  die  Sondenuntersuchung  ist  nur  ein  unterstützender 
Factor  der  ersteren.  Die  Combination  beider  einerseits,  die  durch  die  opera- 
tive Gynäkologie,  sowie  durch  die  pathologische  Anatomie  erlangte  Controle 
der  Untersuchungsbefunde  andererseits,  hat  eine  Klarheit  in  den  Bereicli  der 
pathologischen  Veränderungen  des  weiblichen  Sexualtractes  gebracht  und  die 
auf  Grund  der  Beobachtung  der  verschiedenen  gynäkologisclien  Krankheits- 
bilder gewonnene  Erfahrung,  erschloss  sowohl  die  Wechselseitigkeit  der  ein- 
zelnen Theile  des  Sexualtractes  zu  einander,  als  auch  deren  Bedeutung  für 
den  Gesammtorganismus,  sowie  des  letzteren  zur  Sexualsphäre.  Ein  erkranktes 
Glied  der  ganzen  Kette  kann  letztere  theilweise  oder  ganz  in  Mitleidenschaft 
ziehen.  Das  erkrankte  Endometrium  kann  pathologische  Veränderungen  in 
den  Ovarien  setzen,  eventuell  auch  den  ganzen  Organismus  herabstimmen. 
Ein  erkranktes  Ovarium  kann  das  bis  dahin  normal  gewesene  Endometrium 
und  auch  den  Uterus  verändern,  in  weiterer  Folge  seine  Wirkung  auf  den 
Gesammtorganismus  äussern. 

Der  engere  Zweck  der  intrauterinen  Therapie  ist  die  Beseitigung  jener 
Schäden,  die  durch  eine  primäre  Erkrankung  des  Endometriums  und  des 
Uterus,  sowohl  diesen  als  auch  dessen  Nachbarschaft,  in  vielen  Fällen  auch 
den  Gesammtorganismus  betroffen  haben  und  wo  durch  Beseitigung  der  Grund- 
ursache wieder  normale  Verhältnisse  geschaffen  werden  können. 

Hier  spielen  gonorrhoische  Infectionen  die  wichtigste  Ptolle.  Die  durch 
das  Puerperium  oder  gestörte  Circulationsverhältnisse  gesetzten  Veränderungen 
kommen  in  zweiter  Linie  in  Betracht;  angeborene  oder  erworbene  Anomalien 
des  Uterus  bilden  einen  weiteren  Gegenstand  der  intrauterinen  Therapie.  In 
welcher  Weise  diese,  soweit  es  der  Rahmen  dieser  Bearbeitung  gestattet,  in 
Anwendung  kommen  sollen,  wird   der  Gegenstand  der   nächsten  Zeilen   sein. 

1.  Intrauterine  Irrigation. 

Iiidicatioii:  Chronische,  katarrhalische  Endometritis ;  sonst  als  Vorbereitung 
und  Nachbehandlung  hei  intrauterinen  Eingriifen. 

Contraindication:  Alle  acuten  und  subacuten  Entzündungen  des  Uterus 
und  der  Adnexa. 

Technik:  Dieselbe  erheischt  einige  Umsicht  und  Uebung.  Zunächst  muss 
durch  bimanuelle  Untersuchung,  eventuell  mittelst  der  Sonde  die  Grösse  des  Uterus 
und  die  Richtung  des  Cavum  cervico-uterinum  ermittelt  werden.  Bei  ungenügender 
Passage  geht  der  Uterusausspülung  eine  Erweiterung  des  Cavum  cervico-uterinum 
(siehe  pag.  )  durch  ÜEGAE'sche  Hartgummi-  oder  Glasdilatatorien  voraus.  Die  Ein- 
führung des  Irrigationskatheters  soll  nur  unter  der  Controle  des  Auges  geschehen. 
Jede  Einschleppung  irgend  eines  Secretes  oder  Eintreibung  von  Luft  in  den  Uterus 
muss  sorgfältigst  vermieden  werden.  Eine  Hauptbedinguug  ist  daher  die  gründliche  Rei- 
nigung und  Desinfection  der  Scheide.  Hierauf  Einstellung  der  Portio  vaginabs 
mittelst  Spateln  oder  in  einem  kurzen  Röhrenspeculum.  Sehr  zweckmässig  und  ein- 
fach ist  das  BANDL'sche. 

Zur  Vermeidung  des  negativen  Druckes  im  Cavum  cervico-uterinum  muss  die 
Patientin  so  gelagert  werden,  dass  der  Rücken  höher  als  das  Becken  zu  liegen 
kommt.  Knapp  vor  der  Einführung  soll  das  Orificium  mit  sterilisirten  oder  in 
Desinfectionsflüssigkeiten   getauchten    Wattabäuschen    abgetupft  und   von   dem   etwa 

Eibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  29 


450  INTRAUTERINE  THERAPIE. 

heraushängenden  Cervicalschleim  befreit  werden.  Um  bei  der  Verwendung  des 
üterusliatheters  eine  etwaige  störende  Verschiebung  des  Uterus  zu  vermeiden,  wird 
derselbe  an  der  vorderen  Muttermundslippe  durch  eine  amerikanische  Ivugelzauge 
oder  ein  spitzes  Häkchen  fixirt.  Der  Katheter  wird  nur  unter  fliesseudem 
Strahl  eingeführt,  dabei  soll  der  Irrigator  nicht  mehr  als  um  einen  Meter  das  Becken 
der  Frau  überragen.  Mehr  als  zwei  Liter  Irrigationsflüssigkeiten  brauchen  nicht 
verwendet  zu  werden.  Der  Katheter  wird  entfernt,  bevor  alle  Flüssigkeit  durch- 
geflossen ist. 

Sollten  während  der  Irrigation  Schmerzen  im  Unterleibe  auftreten,  dann  muss 
die  Uterusausspülung  sofort  unterbrochen  werden.  Der  Puls  und  das  Aussehen  der 
Kranken  muss  während  der  Irrigation  unausgesetzt  beobachtet  werden.  Es  ist  zweck- 
mässig die  Kranke  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  nach  der  Irrigation  mög- 
licherweise ein  kleiner  Frost  sich  einstellt,  eine  unschädliche  Complication,  die  -bei 
Uterus-  und  Blasenirrigatiouen  ab  und  zu  beobachtet  wird.  Nach  der  Irrigation  ist 
eine  horizontale  Ruhelage  durch  mehrere  Stunden  sehr  angezeigt. 

Hinsichtlich  der  Lagerung  der  Patientin  bei  der  Ausspülung  sei  erwähnt,  dass 
die  Rückenlage  die  üblichste  ist,  da  in  dieser  die  Orientirung  bezüglich  der  Topo- 
graphie der  Beckenorgane  auch  für  einen  Mindergeübten  leichter  möglich  ist. 

Fehlixg  u.  A.  empfehlen  die  SiMs'sche  Seitenlage,  B.  Schultze  die  Knie- 
ellbogenlage.    Im    Allgemeinen    kommt    es  dabei  übrigens  nur  auf  die  Uebung  an. 

"Wahl  des  Irrigationskatheters:  Es  ist  eine  Reihe  von  Kathetern  zur 
Uterusirrigation  angegeben  worden,  deren  Princip  in  der  Doppelläufigkeit  besteht. 
Zuerst  war  es  der  doppelläufige  Katheter,  wie  er  auch  zu  Blasenausspülungen  heute 
noch  verwendet  wird.  Einen  eigenen,  doppelläufigen  Uteruskatheter  construirte 
BozEMANN".  Die  von  H.  Fkitsch  und  C.  Breus  angegebenen  Modificatiouen  dieses 
Katheters  sind  allgemein  bekannt  und  beliebt.  Auch  der  von  B.  Schultze  in 
vier  Grössen  angegebene,  einfache  Katheter  steht  vielfach  in  Benützung. 

Wenn  auch  durch  das  Auskochen  des  Instrumentes  die  Möglichkeit  gegeben 
ist,  so  gut  es  eben  geht,  dasselbe  für  einen  anderen  Fall  nach  dem  Gebrauche  wieder 
in  Stand  zu  setzen,  kann  dennoch  nicht  bezweifelt  werden,  dass  die  Verlässlichkeit 
des  Katheters  hinsichtlich  der  Anti-  und  Asepsis  nur  erhöht  wird,  wenn  die  Rei- 
nigung des  Inneren  desselben  der  Controle  der  Augen  zugänglich  gemacht  wird. 
Von  diesem  Gesichtspunkte  geleitet,  ist  unter  Beibehaltung  der  äusseren  Form  des 
BozEMAN-FKiTscH'schen  doppelläufigen  Katheters  eine  Construction  vom  Verfasser 
in  Xr.  15  der  Wiener  klin.  Wochenschrift  vom  Jahre  1888  angegeben  worden.*) 
Dieser  folgten  dann  andere,  von  welchen  wir  jenen  von  Lott  hervorheben.  Beim 
Gebrauch  eines  solchen,  vollständig  zerlegbaren,  doppelläufigen  Uteruskatheters 
sieht  man  erst  recht,  was  sich  alles  in  der  Abflussrinne  ansammeln  kann,  wie 
leicht  dieselbe  durch  Blutgerinnsel  und  Gewebspartikelchen  verstopft  wird,  und 
man  kommt  zu  der  Ueberzeugung,  dass  nur  eine  solche  Construction  die  vollste 
Garantie  hinsichtlich  der  Anti-  und  Asepsis  bietet. 

Wahl  der  Irrigationsflüssigkeiten:  Als  solche  verwendet  man  steri- 
lisirtes  Wasser  oder  die  physiologische  Kochsalzlösung.  Von  Desinficientien  stehen 
in  Gebrauch  Carbol-,  Thymol-,  Salicyl-  und  Lysollösungen.  Bei  zähem  Schleim  gebraucht 
man  zur  Auflösung  desselben  mit  Vortheil  I^q -ige  Sodalösung.  Von  Sublimatlösungen 
ist  man  im  Ganzen  und  Grossen  abgekommen.  Auch  adstringirende  Mittel  werden 
für  Irrigationen  wegen  zu  starker  Zusammenziehung  des  Cervix  meist  vermieden. 

2.  Intrauterine,  medicamentöse  Injectionen. 

Indication:  Starke  Meno-  und  Metrorrhagien  und  als  unterstützende  Thera- 
pie bei  Uterusausspülung  und  nach  Excochleationen. 

Contraindication:  Alle  acuten  und  subacuteu  Entzündungen  des  Uterus 
und  der  Adnexa. 


*)  Vide  Fi(j.  36  und  38a  und  l  im  Artikel  „Instrumentariiwi  zur  GynäJcoloffie." 


INTRAUTERINE  THERAPIE.  451 

Technik:  Hinsichtlich  der  vorbereitenden  Desinfection  der  Scheide,  La'gerung 
der  Patientin,  Fixation  des  Uterus  und  Wcgsamkcit  des  Cavum  cervico-uterinura 
gilt  dasselbe,  wie  bei  den  Uterusausspülungen. 

Vor  der  Einführung  des  Spritzenansatzes  muss  aus  demselben  durch  Vorschieben 
des  Stempels  alle  Luft  ausgetrieben  worden  sein.  Das  Medicament  darf  nur  tropfen- 
weise in  das  Uteruscavum  eingebracht  werden.  Wenn  die  beabsichtigte  Menge  in 
dasselbe  gelangt  ist,  muss  vor  Entfernung  der  Spritze,  durch  Zurückziehen  des 
Stempels,  die  etwa  im  Uteruscavum  frei  befindliche,  medicamentöse  Flüssigkeit  in 
die  Spritze  aspirirt  werden.  Wenn  Todesfälle  hei  intrauterinen  Injectionen  beobachtet 
worden  sind,  war  es  meist  nicht  die  Injectionsflüssigkeit,  welche  dieselben  bewirkte, 
sondern  der  aus  den  Tuben  in  das  Peritonealcavum  gelangte  infectiöse  Inhalt. 
Dieser  Umstand  allein  erheischt  eine  besondere  Vorsicht  bei  der  Anwendung  intra- 
uteriner Injectionen  und  soll  deren  Gebrauch  auf  ein  Minimum  reduciren.  Injections- 
fiüssigkeiten  sind  nur  dann  in  das  Peritonealcavum  gelangt,  wenn  der  Stempel  der 
Spritze  plötzlich  vorgeschoben  wurde  und  wenn  das  Ostium  uterinum  der  Tube  abnorm 
weit  war. 

Wahl  der  Intrauterinspritze:  Solche  Spritzen  haben  M.  Sims,  C.  Beaux, 
B.  ScHULTZE,  Rosner,  Hoffmann  u.  A.  angegeben.  Die  gebräuchlichste  ist  jene, 
von  C.  Beaun.  Sie  fasst  einen  Cubikcentimeter  Flüssigkeit  und  ähnelt  einer 
PEAVAz'schen  Spritze  mit  einem  langen,  der  Uteruskrümmung  entsprechend  gebogenen 
Ansatz  aus  Hartgummi  oder  Glas.*)  Der  Vortheil  der  Uterusspritze  von  der  später 
zu  beschreibenden  Wattesonde  ist  der,  dass  bei  ersterer  das  Medicament  mit  der 
Cervixmucosa  nicht  in  Berührung  kommt. 

Wahl  der  Injectionsflüssigkeit:  In  erster  Reihe  steht  die  Jodtinctur 
(rein  oder  10 — 20'^/o-ig)  ferner  empfehlen  sich  Lapislösung  (lO^/o-ig)»  Chlorzinklösung 
(2 — 10*^/o-ig),  nach  Cheobak  mit  Beimischung  von  etwas  Glycerin  zur  letzteren.  Doch 
muss  man  vor  zu  häufigen  und  vor  zu  intensiven  Aetzungen  mit  Chlorzink  warnen, 
da  im  Gefolge  desselben  stai-ke  Narbenbildungen,  oft  mit  vollständigen  Stenosirungen 
des  Os  internum  und  Cervix,  mit  allen  Folgen  beobachtet  wurden.  DelSeis  verwirft 
Chlorzinklösung  ganz.  —  Auch  Liquor  ferri  sesquichlorati  hat  lange  Zeit  das  Feld 
behauptet. 

3.  Intrauterine,  medicamentöse  Auswischung"  des  Uteras. 

i  Obzwar  in  jenen  Fällen,  wo  die  Application  eines  Medicamentes  nur  auf  das 
Uteruscavum  beabsichtigt  wird,  durch  eine  Auswischung  auch  die  Cervix-mucosa 
betroffen  ist,  wird  dieser  Vorgang  von  vielen  Seiten  dennoch  der  intrauterinen  In- 
jection  vorgezogen,  da  bei  Berücksichtigung  der  Contraindicationen  mit  dieser  Mani- 
pulation so  gut  wie  keine  Gefahren  verbunden  sind. 

Die  Indicationen,  sowie  die  Contraindicationen  decken  sich  mit  jenen 
für  die  intrauterinen  Injectionen.  Auch  bezüglich  der  Vorbereitungen,  der  Lagerung 
der  Patientin  und  zum  Theile  auch  der  Wahl  der  Medicamente  gilt  dasselbe,  wie 
bei  den  Injectionen. 

Das  Specielle  dieser  Technik  besteht  nur  darin,  dass  das  Medicament  mit 
watte-  oder  gazearmirten  Sonden  oder  sondenartigen  Instrumenten*)  in  den  Uterus 
eingebracht  wird.  Den  Vortheil  haben  die  Auswischungen  den  Injectionen  gegen- 
über darin,  dass  die  erkrankte  Schleimhaut  mit  dem  Medicamente  gerade  in  Be- 
rührung kommt,  während  das  Plus  des  ersteren  mit  der  auf  der  Sonde  befindlichen 
Watte  wieder  entfernt  wird.  Man  muss  sich  aber  mit  der  Einführung  der  Sonde 
beeilen,  da  bei  langsamer  Manipulation  der  Uterus  zu  Contractionen  angeregt  und 
die  Einführung  der  Sonde  unmöglich  wird.  Der  ganze  Vorgang  ist  einfach,  erfordert 
keinen  grossen  Apparat  (das  Bandl'scIic  Speculum,  ein  spitzes  Häkchen  und  die 
AVattesonde  genügen)  und  lässt  sich   in    der    Sprechstunde    ausführen.     Insbesondere 


*)  Vergl.  die  diesbezüglichen  Abbildungen   im  Artikel   „Insfrumentarhim   zur  Gynä- 
l-ohs/ie",  Fig.  31—35.     ''     '      "''  ''^'  "' 


m"- 


452  INTRAUTERINE  THERAPIE. 

empfiehlt  ei'  sich  bei  Cervixkatarrhen,  wobei  die  Sonde  das  Os  iuternum  nicht  zu 
passireu  braucht.  Für  diese  Fälle  genügt  ein  langes,  zündhölzchendickes,  watte- 
armirtes  Stäbchen,  welches  nach  dem  Gebrauche  weggeworfen  wird. 

Hier  sei  auch  des  CHiAni'scheu  Aetzmittelträgers,  eines  uterussondenartigeu 
Instrumentes  mit  einer  abschraubbaren,  mit  Oeft'nungeu  versehenen  Platinkapsel  Er- 
wähnung gethan.  Dieses  Instrument  erfreute  sich  bei  den  älteren  Gynäkologen 
einer  grossen  Beliebtheit  und  auch  mit  vollem  Recht.  Schade  nur,  dass  es  gegen- 
wärtig durch  die  neueren  Methoden  etwas  in  den  Hintergrund  gedrängt  ist.  Es 
könnte  so  manchem  praktischen  Arzte,  namentlich  auf  dem  flachen  Lande,  wo 
eine  specialistische  Hilfe  schwer  zu  haben  ist,  bei  seinem  therapeutischen  Vorgehen 
sehr  von  Kutzen  sein.  Je  nach  Bedarf  wurden  in  die  Kapsel  behufs  Aetzung  Lapis-, 
Cuprum-,  Ferrum-,  Chloi'zink-,  Tannin-  oder  andere  Stifte  eingelegt.  Die  Uterus- 
feuchtigkeit brachte  die  Oberfläche  des  Stiftes  zur  Auflösung,  so  dass  gerade  ein 
Theil  des  gelösten  Stiftes  mit  der  Uterusmucosa  in  Berührung  kam.  Der  Rest  wurde 
mit  dem  Aetzmittelträger  entfernt. 

4.  Die  Ausschabung'  des  Uterus.  (Abrasio  mucosae,  Excochleatio  uteri, 
Raclement,   Curettement.) 

In  der  gynäkologischen  Therapie  spielt  gegenwärtig  die  Ausschabung  des 
Uterus  eine  wichtige  Rolle.  Von  RficAMiEß  in  die  gynäkologische  Therapie  eingeführt, 
wurde  dieselbe  später  von  Spiegelbeeg  und  Hildebkand  als  „rohes  Manipuliren 
im  Dunkeln",  bekämpft,  später  aber  von  Olshausen    zur  vollen  Geltung  gebracht. 

DüVELius  hat  zur  Genüge  durch  mikroskopischen  Nachweis  dargethan,  dass 
nach  dem  Curettement  nicht  Narbenbildung,  sondern  Regeneration  der  Schleimhaut 
eintritt  und  A.  Martin  hat  auch  den  Vorwurf  der  Sterilisation  der  curettirten 
Frauen  an  der  Hand  eines  grossen  Materiales  beweiskräftigt  widerlegt.  Gegenüber 
anderen  intrauterinen  Eingriffen  hat  die  Ausschabung  den  unbestrittenen  Vortheil, 
dass  durch  dieselbe  eine  reine  Wunde  gesetzt  wird,  die,  chirurgisch  behandelt,  die 
grössten  Chancen  zur  Heilung  bietet.  Alle  Aetzmethoden  führen  zu  einer  mehr  oder 
minder  grösseren  Verschorfung  und  Gangränescenz  der  betroffeneu  Gewebsstellen, 
während  eine  reine  Wunde  den  Uterus  am  leichtesten  zur  Regeneration  der  Schleim- 
haut disponirt. 

Indicationen:  Chronisch-katarrhalische  Processe  der  Mukosa  uteri,  wenn 
dieselben  durch  andere  Behandlungsmethoden  nicht  beseitigt  werden  können.  Die 
mit  starken  menorrhagischen  Blutungen  einhergehende  chronische  hyperplasirende 
Endometritis:  Endometritis  fuugosa,  Endometritis  exfoliativa  (Dysmenorrhoea  mem- 
branacea),  die  interstitielle  Form  der  Endometritis  dysmenoiThoica.  Die  durch  Zurück- 
bleiben von  Deciduaresten  bedingte  Endometritis  hyperplastica  polyposa,  sowie  alle 
jene  Fälle  von  frühzeitigem  Abortus,  wo  durch  Zurückbleiben  von  Eihautresten 
Blutungen  unterhalten  werden  und  die  Involution  des  Uterus  langsam  vor  sich  geht, 
Metro-  und  Menorrhagien,  bedingt  durch  kleine,  interstitielle  Uterusmyome;  als 
palliative  Behandlung  bei  Uteruscarcinomen,  als  Probeauskratzung  zu  diagnostischen 
Zwecken. 

Contraindication:  Alle  acuten  und  subacuten  Entzündungön  des  Uterus 
und  der  Adnexa. 

Zur  Ausschabung  der  Uterushöhle  verwendet  man  Curetten  oder  scharfe  Löffel. 
Ueber  die  „Wahl  der  Instrumente"  vergleiche  den  Artikel  ^^Instrumentarium 
zur  Gynäkologie''^ ,  über  die  Technik  der  Operation  den  Artikel  ^^Curettement'''' . 

5.  Die  Dilatation  des  Cavum  cervico-uterinum. 

Als  Behelf  bei  der  intrauterinen  Behandlung  ist  oft  eine  Dilatation  des  Cavum 
cervico-uterinum  unerlässlich  nothwendig.  Dieselbe  mag  daher  an  dieser  Stelle  eine 
Erwähnung  finden. 

Die  Dilatation  des  Cavum  cervico-uterinum  kann  auf  blutigem  und  unblutigem 
Wege  geschehen  und  dient  zur  Austastung  der  Uterinhöhle  bei  Verdacht  auf  Car- 
cinom  der  Corpusschleimhaut,  Polypen,  submucösen  Myomen,  Abortresten  oder  behufs 


INTRAUTERINE  THERAPIE.  453 

leichterer  Ermögliclmng  einer  Drainage  der  Corpusliolilc,    ferner  bei    Sterilität    und 
Dysmenorrhoe  wegen  Stenose  im  Bereiche  des  Cervicalcanals  und  Knickung  des  Uterus. 

Gegen  angezeigt  ist  die  Erweiterung  bei  acuten  Entzündungen  des  Uterus 
und  der  Adncxa,  bei  putridem  Inhalt  des  Cavum  uteri,  bei  septischem  Abort  und 
verjauchenden  Mj^oraen  und  Carcinomen.  Es  könnte  dabei  der  mit  der  Dilatation  oft 
einhergehenden  Continuitätstrennung  der  Gewebe  leicht  eine  allgemeine  Sepsis  auftreten. 

a)  Die  unblutige  Dilatation: 

Diese  kann  mit  Quellstiften,  ferner  durch  successive  rasch  aufeinander  folgende 
Einführung  immer  dickerer  Stäbe  oder  durch  Instrumente,  deren  Mechanismus  eine 
Spreitzung  der  Branchen  gestattet,  oder  mittelst  Jodoformgaze  zu  Stande  gebracht 
werden. 

Von  den  ersteren  stehen  die  Pressschwämme,  Tupelo-  und  Laminaria-Stifte  in 
Gebrauch.  Ueber  die  Technik  ihrer  Application  vergleiche  den  ausführlichen 
Artikel   „Dilatation  des   Uterus"   (pag.    200). 

Wenn  der  für  die  Dilatation  bestimmte  Fall  zu  keiner  Eile  drängt,  verdient  der 
Laminariastift  anderen  Dilatationsmitteln  gegenüber  den  Vorzug,  da  die  Dilatation  mit 
demselben  eine  successive,  auf  eine  längere  Zeit  ausgedehnte  ist,  was  bei  anderen,  soge- 
nannten unblutigen  Dilatationen  nicht  immer  zutrifft,  (vgl.  Fig.  82,  pag.  423).  Bei  plötzlich 
durchgeführten  Dilatationen  kommt  es  oft  zu  Fissuren  und  Längsrissen  der  Schleimhaut. 
Allgemein  gebräuchlich  und  überall  zum  Ziele  führend,  wenn  auch  oft  den  letztgenannten 
Nachtheil  mit  sich  bringend,  ist  die  Dilatation  mit  den  HEGAR'schen  Dilatatorien.  Diese 
sind  Hartgummi-  oder  Glasstifte,  deren  vordej-es  Ende  eine  der  physiologischen  Biegung 
des  Uterus  entsprechende  Krümmung  besitzt.  Das  Sortiment  besteht  in  26  Stücken,  von 
3  bis  28  nmi  Durchmesser  (vgl.  Fig.  80 — 81  h,  pag,  421).  Auch  die  von  B.  Schultze  und 
H.  Fritsch  angegebenen  Dilatatorien  stehen  vielfach  in  Gebrauch.  Sie  bestehen  auch  in 
verschiedenen  Grössen  und  haben  die  Form  der  Uterussonden.  Die  von  Busch,  Ellinger, 
B.  Schultze  u.  A.  angegebenen,  durch  Spreizung  der  in  den  Uterus  eigeführten  Branchen 
die  Dilatation  bewirkenden  Instrumente  haben  eine  geringe  Verbreitung  und  sind  auch 
entbehrlich.*) 

Viel  mehr  Beachtung  verdient  die  Dilatation  des  Cervix  und  des  Uteruscavums,  be- 
wirkt durch  eine  systematische  Einführung  von  Jodoform-  oder  einer  anderen  anti-  oder 
aseptischen  Gaze.  Der  Vorgang  ist  etwas  umständlicher,  führt  aber  doch  zum  Ziele,  wenn 
er  durch  den  Gebrauch  der  BREisKv'schen  Gabelsonden  unterstützt  wird,  welche  das  Heraus- 
gleiten des  eingeführten  Theiles  der  Gaze  verhindern. 

b)  Die  blutige  Dilatation  (Discission) : 

Um  sich  behufs  diagnostischer  Austastung  der  Uterushöhle  den  Weg  zu  der- 
selben rasch  frei  zu  machen,  dann  bei  der  Entfernung  von  Uteruspolypen  oder 
submucösen  Myomen,  wenn  der  Cervicalcanal  wegen  Enge  den  Eingriff  nicht  gestattet, 
ferner  bei  Dysmenorrhoe  und  Sterilität  bei  bestehender  Stenose  des  Os  internum, 
wegen  spitzwinkeliger  Retro-  oder  Anteflexion  des  Uterus,  kann  nach  gründlicher  Er- 
wägung des  vorliegenden  Falles  von  einer  blutigen  Erweiterung  eines  Theiles,  even- 
tuell des  ganzen  Cervicalcanales  bis  über  das  Os  internum  hinauf,  Gebrauch  ge- 
macht werden. 

Inwiefern  insbesondere  bei  der  Sterilität  und  der  Dysmenorrhoe  die  blutige 
Erweiterung  des  Cervix  angezeigt  erscheint,  ist  bisher  noch  immer  eiue  individuelle 
Ansicht,  und  die  Discussion  darüber  noch  nicht  abgeschlossen.  Jedenfalls  aber  muss 
gesagt  werden,  dass  in  diesen  Fällen  die  Discission  in  früheren  Zeiten  eine  ^iel  zu 
laxe  Indication  gefunden  hat.  Dass  sie  ab  und  zu  von  dem  beabsichtigten  Erfolge  be- 
gleitet war,  ist  nicht  in  Abrede  zu  stellen,  und  deshalb  wollen  wir  dieses  Verfahren 
weiter  unten  besprechen.  Die  blutige  Erweiterung  des  Cervix  in  einem  Maasse,  dass  zu 
diagnostischen  Zwecken  der  Finger  eingeführt  werden  kann,  ist  für  solche  Zwecke 
ein  zu  heroisches  Verfahren  und  mit  Recht  in  ganz  enge  Grenzen  gedrängt  worden 
Man  kommt  mit  der  unblutigen  Dilatation  zu  demselben  Ziele. 

Weniger  eingreifend  und  doch  zum  Ziele  führend  und  imvermeidlich,  ist  oft 
die  blutige  Erweiterung,  wenn  es  sich  um  die  Entfernung  von  Uteruspolypen  oder 
submucösen  Myomen  handelt.  Dass  das  Operationsfeld  vollkommen  aseptisch  sei 
und  jede  acute  und  subacute  Entzündung  des  Uterus  und  der  Adnexe  fehle,  bedarf 
keiner  näheren  Begründung. 


*)  Vergleiche  „Dilataiion  des  Uterus"  l.  c. 


454  INVERSIO  UTERI. 

Technik.  Man  kann  mit  verschiedenen  Instrumenten  die  angestrebte  blutige 
Erweiterung  des  Cervix  erreichen.*)  Eine  Anzahl  der  Anhänger  dieses  Operations- 
verfahrens hat  zu  diesem  Zwecke  eigene  Instrumente  angegeben.  So  existirt  das 
unilaterale  cachirte  Metro tom  von  M.  Sims,  das  gleichzeitig  nach  beiden  Seiten 
wirkende  Metrotom  von  E.  Maktin,  das  bilaterable  cachirte  H3'sterostomatora  von 
Greenhalgh  mit  der  Modification  von  Segalas,  die  KüCHENMEisTER'sche  Scheere, 
das  KtJCHENMEisTER'sche  geknöpfte  Lanzenmesser  etc.  Bis  auf  die  letzteren  sind 
diese  Instrumente  mehr  oder  weniger  complicirt,  schlecht  zu  reinigen  und  sind 
deshalb  gegenwärtig  wenig  in  Gebrauch.  Unter  Beihilfe  von  zwei  Kugelzangen 
(vgl.  Fig.  42,  pag.  408)  kommt  man  mit  einer  geraden  Scheere  und  einem  gelcnöpften 
Messer  auch  zu  demselben  Ziele.  Fehling  hat  statt  des  gewöhnlichen  geknöpften 
Messers  ein  Sichelmesser  angegeben.  Jedenfalls  beherrscht  man  die  Wunde  und  die 
Aseptik  mit  der  Scheere  und  einem  Messer  besser  als  mit  den  complicirten  Instrumenten. 

Eine  noch  offene  Frage  ist  die  Behandlung  der  Wunde  nach  geschehener 
Discission.  Es  hängt  dies  wesentlich  von  der  Indication  zur  Discissiou  ab.  Ist  diese 
zu  Zwecken  einer  diagnostischen  Austastung  geschehen,  dann  muss  der  Cervix  durch  Naht 
so  geschlossen  werden,  dass  die  alten  Verhältnisse  wieder  hergestellt  werden.  Anders  ver- 
hält es  sich  mit  der  wegen  Dysmenorrhoe  oder  Sterilität  vorgenommenen  Discission.  Hier 
muss  darauf  Bedacht  genommen  werden,  dass  das  Menstrualblut  freie  Passage  hat,  anderer- 
seits für  die  Conception  die  günstigsten  Bedingungen  geschaffen  werden.  Um  dies  zu  er- 
zielen, muss  während  der  Behandlung  die  Yerlöthung  der  gegenüberliegenden  wunden 
Flächen  verhindert  werden,  da,  im  Falle  dies  geschehen  sollte,  Narbenbildungen  die  Folge 
sind,  durch  deren  Zustandekommen  oft  viel  schlimmere  Zustände  sich  herausbilden,  als 
jene  waren,  wegen  welcher  die  Discission  gemacht  wurde.  Solche  Verlöthungen  kann  man 
durch  Einlegen  von  Watte-  oder  Gazebäuschchen  zwischen  die  Wundflächen  verhindern.  Die 
Bäuschchen  werden  vor  dem  Einlegen  in  Glycerin  getaucht  oder  mit  Vaselin  bestrichen  und 
müssen  häufig  gewechselt  werden. 

Viel  rationeller  und  jedenfalls  chirurgischer  ist  der  vom  Verfasser  geübte  Schluss 
der  Wunden  durch  Naht,  derart  ausgeführt,  dass  eine  jede  der  nach  der  Discission  ent- 
standenen 4  Wundflächen  durch  je  eine  Naht  zusammengezogen  wird.  Man  vermeidet  damit 
eine  Verlöthung  der  nach  der  Discission  gegenüberliegenden  Wundflächen,  schafft  einen 
Trichter  vor  dem  neuen  Orificium,  der  namentlich  bei  den  rüsselförmigen  Vaginalportionen 
vor  der  Discission  gefehlt  hat,  und  kann  auch  eine  eventuelle,  nach  der  Discission  ent- 
standene Blutung  sicher  beherrschen. 

PISKAÖEK. 

InversiO  uteri,  die  Gebärmutterumstülpung  entsteht  entweder  durch  Zug 
nach  unten  an  der  Innenfläche  oder  durch  Druck  von  oben  her  auf  die  Aussen- 
fläche.  Complete  und  incomplete  Inversion  wurden  unterschieden,  incomplet 
waren  die  minderen  Grade  und  die  partiellen  Einstülpungen,  Impressionen, 
Depressionen  der  Gebärmutterwand,  speciell  am  Fundus  einschliesslich  bis  zu 
dem  Grade,  wo  der  invertirte  Fundus  nur  bis  in  das  Collum  uteri  herabreichte, 
trat  er  jedoch  durch  den  Muttermund  in  die  Scheide  und  tiefer  herab, 
wurde  die  Inversio  eine  complete  genannt  —  mit  Unrecht,  denn  zur  vollkom- 
menen Umstülpung  des  Uterus  gehört  auch  die  vollkommene  Umstülpung  der 
gesammten  Cervix,  welche  im  höchsten  Grade  selten  beobachtet  ist.  Trat  der 
invertirte  Fundus  bis  vor  die  Vulva  herab,  so  hiess  es  Prolapsus  uteri  inversi 
resp.  Inversio  uteri  cum  prolapsu.  Richtiger  ist  es  nur  von  einer  Umstülpung 
des  Gebärmuttergrundes,  respective  -körpers  zu  sprechen,  eventuell  mit  theil- 
weiser  Umstülpung  des  oberen  Cervicalabschnittes.  Praktisch  brauchbarer  ist 
die  Eintheilung  in  intrauterin  bleibende  und  in  intravaginale  Inversion,  deren 
höchster  Grad  dann  der  Prolapsus  uteri  inversi  bildet.  In  Fig.  1  sind  die 
verschiedenen  Grade  der  Inversion  nach  einer  Zeichnung  Beigel's  dargestellt. 

Die  Inversion  kann  puerperalen  Ursprunges  (^/^o  aller  Fälle)  oder  durch 
Neoplasmen  extra  Puerperium  bedingt  sein.  Die  Häufigkeit  der  puerperalen 
Inversionen  hängt  in  erster  Linie  von  der  fachgemässen  Ausbildung  des  geburts- 

*)  Vergleiche  den  Artikel  ^Dilatation  des  Uterus"  nag.  202. 


INVERSIO  UTERI. 


455 


i-k 


hilflichen  Personales  ab,  während  andrerseits  auch  Inversionen  —  aber  seltener 
—  ohne  jeden  Kunstfehler,  also  spontan  entstehen  können.  Das  Verhältnis 
der  extra  Puerperium  entstandenen  Inversionen  zu  den  puerperalen  ist  nach 
Crosse  1  :  8,  ich  würde  sagen  1  :  10. 

Während  z.  B.  auf  190.000  Gebarten  im 
ßotunda  Hospital  nur  1  Inversion  icam,  im 
Petersburger  Kaiserlichen  Gebärhausc  binnen 
48  Jahren  kein  einziger  Fall  beobachtet  wurde, 
Depaul  binnen  18  Jahren  nur  2,  HoRwrrz  in 
seiner  ganzen  Piaxis  nur  1  sah,  so  beobachtete 
L.  Neugebauer  allein  5  Fälle  -von  chronischer 
Inversion,  die  Kijewer  Klinik  sah  binnen 
30  Jahren  7  solche  Kranke.  In  Russland  sieht 
man  puerperale  Inversionen  häufiger  als  im 
Westen  Europas. 

Sehr  wichtig  ist,  dass  die  Inver- 
sion des  puerperalen  Uterus  auch  eine 
Leichenerscheinung  sein  kann,  —  der 
welke  Uterus  wird  durch  die  im  Unter- 
leibe sich  entwickelnden  Gase  umge- 
stülpt; es  scheint  jedoch  dazu  die  Bedin- 
gung einer  ausnahmsweise  schlaffen  Ute- 
rinwand zu  gehören.  Es  gelang  Kalten- 
BACH  in  einem  Obergutachten  die  post- 
mortale Entstehung  der  Inversion  in 
einem  Exhumationsprocesse  nachzuwei- 
sen, wodurch  die  in  erster  Instanz 
„wegen  Kunstfehlers"  schuldig  gespro- 
chene Hebamme   freigesprochen  werde. 

Nach  Meyer  soll  schon  Hippokrates  (edit.  Foesius  p.  656  de  morbis  mulierum: 
„ixT^inzTai  t6  axdp.a  xüiv  [jTjTpwv  otä  x&ü  aü/evo?-')  die  Uterusinversion  erwähnen,  jenes  Citat 
würde  ich  jedoch  eher  als  auf  einen  Descensus  uteri  bezüglich  ansehen,  indem  wie  meist 
in  der  alten  Literatur  die  Vagina  als  Collum  aufgefasst  wurde.  Aretaeus  soll  ebenfalls 
Andeutungen  geben,  Galen  bezieht  die  Inversion  auf  zu  starke  Wehenthätigkeit,  Pare, 
Mauriceau,  Levret  kennen  die  Inversion.  Die  neuere  Literatur  der  Inversio  umfasst  Fälle 
nach  Hunderten.  Zu  den  umfassendsten  Bearbeitungen  gehören  die  Arbeiten  von  Betschler 
(1862),  W.  A.  Freund  (1870),  Hennig  (1875),  Denucö  (1883),  L.  A.  Neugebauer  (1886),  Meyer 
(1889)  und  Szuwarsicy  (1892)  Die  ältere  Literatur  haben  Schultze,  Wingkel,  L.  Neugebauer 
zusammengestellt,  für  die  letzten  Jahre  die  Jahresberichte  von  Froimmel.  Eine  erschöpfende 
Monographie  existirt  bis  jetzt  nicht. 

Die  puerperale  Inversion  kann  plötzlich  oder  allmälig  entstehen.  Prä- 
disposition: Erweiterung  der  Uterinhöhle  und  der  Cervix,  theilweise  oder  all- 
seitige Erschlaffung  der  Uterinwand,  Verdünnung,  krankhafte  Beschaffenheit 
der  Uterinwand  an  der  Placentarstelle  etc.  Dabei  kann  jede  von  aussen  oder 
von  innen,  von  oben  oder  von  unten  wirkende  Kraft  die  Ein-,  resp.  Um- 
stülpung zu  Wege  bringen,  zumeist  bei  Geburten  am  normalen  Schwanger- 
schaftsende bei  Mehrgebärenden,  jedoch  sind  auch  Inversionen  bei  Erst- 
gebärenden, partielle  Inversionen  bei  Aborten  beobachtet,  was  ja  leicht  ver- 
ständlich ist. 

Bei  der  sogen,  completen  Inversion  bildet  der  Uterus  einen  nach  der  Bauch- 
höhle zu  offenen  Trichter,  in  den  die  centralen  Tubenenden,  selten  ein  oder  beide 
Ovarien  hineingezogen  sind,  sehr  selten  Netz  oder  Darmschlingen;  je  nach  der 
Dauer  des  Bestehens  und  dem  Grade  der  Hyperämie  durch  Strangulation,  der 
secundären  entzündlichen  Processe  bilden  sich  die  verschiedenartigsten  Adhä- 
sionen, Strang-  und  flächenförmige  Verwachsungen,  die  jeden  späteren  Versuch 
einer  Re-inversion  illusorisch  machen;  diese  entzündlichen  secundären  Verwach- 
sungen sind  jedoch  viel  seltener  als  man  theoretisch  annehmen  sollte  —  sehr 
selten  obliterirt  das  Lumen  des  Inversionstrichters  vollständig  durch  Ver- 
wachsung der  einander  zugekehrten  Serosaflächen;  oft  bleiben  die  im  Trichter 


456  INVERSIO  UTERI. 

eingebetteten  Tuben  wegsam;  die  verhältuismässige  Seltenheit  bedeutsamer 
secundärer  VerNvaclisungen  wird  bewiesen  durcli  die  grosse  Zahl  der  nach  lang- 
jährigem Bestehen  mit  Erfolg  ausgeführten  Re-inversionen.  Ulcerationen  an 
der  Mucosa  des  invertirten  Uterus  führen  zu  den  mannigfaltigsten  Compli- 
cationen,  hartnäckigen  intermittirenden  Blutungen,  Verwachsungen  mit  der 
Scheide,  Jauchungen  mit  folgender  Septicämie  etc.,  Kachexie,  Anämie,  Tod. 
In  anderen  Fällen  verliert  die  Schleimhaut  ihren  Charakter,  wird  derb,  trocken, 
leder-,  pergamentartig.  Der  umgestülpte  Uteruskörper  präsentirt  sich  bei 
frischer  Inversion  als  faust-  bis  kindskopfgrosser  Tumor  mit  blaurother,  sammt- 
artig  weicher,  leicht  blutender  Oberfläche,  der  Tumor  verringert  sich  gemäss 
dem  Fortschreiten  der  puerperalen  Inversion  stetig,  wird  schliesslich  hühnerei- 
gross,  kann  endlich  durch  atrophische  Processe  noch  kleiner  werden.  Auf- 
fallend ist  der  Contrast  zwischen  der  blutrothen  Farbe  des  intravaginalen 
Tumors  und  der  blassen  Scheidenschleimhaut  (Anämie  infolge  der  grossen  Blut- 
verluste). Das  Centrum  der  Inversion  ist  meist  die  Placentarstelle,  mindestens 
der  Fundus  uteri,  viel  seltener  sind  es  die  seitlichen  Einstülpungen  der  Uterin- 
wand. Die  puerperale  Inversion  erfolgt  meist  acut  unter  heftigen  Schmerzen, 
Blutung,  oft  mit  Erbrechen,  Ohnmacht,  Collaps,  zuweilen  vollständig  symp- 
tomenlos;  öfter  sofort  nach  der  Geburt  des  Kindes  in  der  Nachgeburtsperiode, 
zuweilen  erst  1  bis  mehrere  Tage  post  partum  beim  Stuhldrang,  Uriniren, 
Hustenstössen,  kann  aber  auch  bald  post  partum  entstanden,  einige  Tage  latent 
bleiben  und  erst  bei  volkommener  Inversion  bemerkt  werden,  zuweilen  erst 
nach  Wochen  —  namentlich  wo  Blutungen  vollständig  oder  fast  vollständig 
fehlen,  sowie  die  anderen  sonstigen  Begleiterscheinungen.  Die  Hauptgefahr 
der  Inversion  liegt  in  den  Blutungen,  die  in  kurzer  Zeit  —  binnen  weniger 
Minuten  oder  Stunden  den  Tod  herbeiführen  können,  öflers  aber  lange  an- 
dauernd oder  intermittirend  die  äusserste  Anämie  herbeiführen.  Diese  Blu- 
tungen gehören  zu  den  hartnäckigsten,  schon  der  blosse  Anblick  einer  solchen 
Frau  —  die  Anämie  mit  wachsbleicher  Gesichtsfarbe  —  weckt  den  Verdacht 
auf  Inversion  zuweilen.  Ulceröse  Processe,  Gangrän,  brandige  Abstossung, 
Sepsis  kommen  oft  dazu. 

Crosse  fand  die  Länge  des  invertirten  Uteruskörpers  am  4.  Tage 
5V2  Zoll  bei  12  Zoll  Umfang,  am  16.  Tage  nur  noch  372  bis  8  Zoll  Umfang 
statt  dessen.  Oft  ist  die  acute  Inversion  von  einem  „Shok"  begleitet,  den 
V.  WiNCKEL  mit  Herzlähmung  auf  reflectorischem  Wege  in  Beziehung  bringt 
(durch  mechanischen  Insult  der  an  sympathischen  Fasern  reichen  bei  der  In- 
version interessirten  Baucheingeweide  (Uterus  und  Adnexa,  Darm)  analog  wie 
bei  dem  GoLTz'schen  Klopfversuche).  Er  citirt  zum  Beweise  einen  von 
Mereiman  beschriebenen  Todesfall  aus  der  Praxis  von  Ed.  Smith:  Tod  nach 
16  Stunden  ohne  Blutsturz,  Ohnmacht,  Delirien,  ohne  einen  Laut  von  sich  zu 
geben,  nachdem  schon  längere  Zeit  der  Puls  unfühlbar  war,  Olshausen  be- 
zieht den  plötzlichen  Tod  auf  Luftembolie. 

Diagnostisch  ist  neben  den  schon  erwähnten  Symptomen  in  erster  Linie 
wichtig:  Der  Uterusgrund  fehlt  da,  wo  er  sein  sollte,  statt  seiner  fühlt  man 
durch  die  Bauchwand,  eventuell  per  rectum  bei  combinirter  Untersuchung  den 
Inversionstrichter,  die  dellenartige  Vertiefung.  Bei  chronischen  Fällen  kommt 
man  zuweilen  ohne  Chloroform  und  Sonde,  welche  den  Einschnürungssulcus 
nachweist,  nicht  aus,  die  Sonde  umkreist  den  invertirten  Uteruskörper,  indem 
sie  auf  1  bis  mehrere  Centimeter  eingeht,  oft  an  der  vorderen  Uteruswand 
tiefer  als  an  der  hinteren  oder  umgekehrt.  Auch  bringt  ein  künstliches  Her- 
abziehen und  Heraufschieben  des  Tumors  bei  in  situ  Bleiben  der  untersuchen- 
den Hand  Klarheit  in  das  Verhalten  des  Tumors  zum  einschnürenden  Mutter- 
mundssaume, resp.  Mutterhalse.  Sehr  schwerwiegende  Folgen  kann  durch 
Verwechselung  mit  gestielten  Fibroiden  eine  oberflächliche  Untersuchung 
haben,  es  sei  speciell  gewarnt  davor !  Es  werde  auf  eine  besondere  Empfind-       \ 


INVERSIO  UTERI.  457 

lichkeit  des  iiivertirten  Uterus  „Ijeim  Kratzen"  aufmerksam  gemaf;lit.  Ter- 
sönlich  möchte  ich  noch  diagnostisch  auf  die  Constatirung  der  Tubenmün- 
dungen aufmerksam  machen,  die  ja  sofort  die  Diagnose  sicherstellt.  Oft 
gelingt  es  ohne  Schwierigkeiten  2  Sonden  einzuführen. 

Die  häufigste  Ursache  der  acuten  Inversion  ist  Zug  an  der  Nabel- 
schnur, obgleich  dies  von  einzelnen  Fachleuten  geleugnet  wurde.  Sclion  deshalb 
ist  die  puerperale  Inversion  seltener  in  Deutschland,  als  in  Franlcreich,  w'O, 
wie  ich  1884  Gelegenheit  hatte,  mich  in  Paris  zu  ül)erzeugen,  der  Zug  an  der 
Nabelschnur  zur  Aushilfe  bei  Entfernung  der  Placenta  noch  vom  Katheder  aus 
empfohlen  wird.  Daher  geschieht  auch  die  Inversion  am  häufigsten  in  der 
Nachgeburtsperiode,  kann  aber  auch  schon  während  der  Ge1)urt,  resp.  Extraction 
des  Kindes  erfolgen  bei  zu  kurzer  Nabelschnur,  relativ  zu  kurzer  Nabelschnur 
(mehrfache  Uraschlingungen:  in  dem  Falle  von  Daillez  2mal  um  den  Hals, 
3mal  um  die  Beine,  Imal  um  die  Schulter),  dann  bei  Sturzge])urten,  als 
Folge  des  horror  vacui  bei  Stehenbleiben  des  bereits  tief  in  die  Scheide  herab- 
getretenen zuletztfolgenden  Kindestheiles,  wo  der  intraabdominale  Druck  die 
Einstülpung  verursacht.  Nächst  dem  Zug  an  der  Nabelschnur  kann  un- 
vernünftiger äusserer  Druck  auf  den  Uterus  die  Ursache  abgeben,  also  Zug 
von  unten  oder  Druck  von  oben. 

Auch  das  zu  starke  Pressen  der  Gebärenden  kann  eine  Inversion  lierbei- 
führen,  jeder  Stoss  der  Bauchpresse  bei  Stuhl,  Harnen,  Hustenstösse  können 
zur  Veranlassung  werden  bei  welkem,  schlaffem  Uterus,  niemals  aber  bei 
contrahirtem  Uteruskörper.  Auch  ungleichmässige  Uteruscontractionen,  Läh- 
mung der  Placentarstelle  w^urden  beschuldigt  bei  welkem,  schlaffem  Collum; 
ferner  der  Zug  von  unten  bei  zu  grosser  Schwere  des  Kindes,  so  dass  die 
straff  gespannte  Nabel  nur  einen  Zug  ausübt.  —  Bei  der  allmälig  im 
Wochenbett  entstehenden  Inversion  spielen  die  „mangelhafte  Kückbildung  der 
Placentarstelle"  und  Placentarpolypen  eine  Rolle.  Die  puerperale  Inversion 
kann  habituell  werden  (Braun),  d.  h.  sich  mehrmals  bei  derselben  Frau  wie- 
derholen bei  späteren  Geburten  (Kühlebrand  und  Crosse). 

Bei  sachgemässer  Hilfe  lautet  die  Prognose  verhältnissmässig  gut. 
Crosse  fand  1847  auf  109  Fälle  SOmal  tödtlichen  Ausgang  und  zwar  72mal 
schon  binnen  wenigen  Stunden,  v.  Winckel  gab  auf  Grund  von  12  Todes- 
fällen auf  54  neuere  Beobachtungen  bis  1866  die  Sterblichkeitsziffer  noch 
auf  25-27o  an.  Am  leichtesten  gelingt  die  sofortige  Reposition,  jedoch  nicht 
immer  (Kocks);  manche  rathen  bei  festhaftender  Placenta  sofort  die  Re-inver- 
sion  vorzunehmen,  die  meisten  jedoch  lösen  zuvor  die  Nachgeburt  und  repo- 
niren  dann  mit  oder  ohne  nachfolgende  Tamponnade,  heissen  IiTigationen,  Se- 
eale, Sandsack,  Massage  etc. 

Je  länger  die  Inversion  besteht,  desto  geringer  die  Lebensgefahr  für  die 
Frau,  ja  es  sind  veraltete  Fälle  beschrieben,  wo  jedes  belästigende  Symptom 
mit  der  Zeit  ganz  schwand;  andererseits  nimmt  mit  dem  längeren  Bestehen 
der  Inversion  die  Schwierigkeit  der  Re-inversion  zu,  ja  letztere  wird  zuweilen 
durch  secundäre  Verwachsungen  (wenn  auch  selten)  unmöglich.  In  der  grossen 
Mehrzahl  gelang  die  Re-inversion  bei  der  nöthigen  Geduld  (!)  von  Seiten  des 
Arztes  und  der  Kranken  noch  nach  Jahren  und  Jahrzehnten,  selbst  nach 
20-,  30-,  40-jährigem  Bestehen.  Die  ältere  Casuistik  ist  enorm  reich  an  ver- 
alteten Inversionen.  Die  puerperale  Inversion  ist  selbstverständlich  an  gewisse 
Jahre  gebunden,  die  durch  Tumoren  bedingte  kennt  keine  Altersgrenze  wie 
der  Fall  Schauta's  bei  einer  78-jährigen  Frau  beweist,  wo  die  Inversion 
erst  in  hohem  Alter  entstanden  sein  soll. 

Die  Behandlung  der  frischen  puerperalen  Inversion  hat  zu- 
nächst neben  der  symptomatischen  Behandlung  die  Aufgabe,  die  Blu- 
tung zu  stillen.  Hier  steht  natürlich  das  Redressement  obenan.  Kocks 
konnte  —  die  Re-inversion  gelang  nicht  —  die  colossale  Blutung  nicht  anders 


458  INVERSIO  UTERI. 

stillen,  als  durch  Abbinden  des  Uterus  mit  einem  Schürzenbande,  das  er  nach 
sechs  Stunden  löste;  die  Reposition  gelang  dann  leicht.  Einzelne  haben 
bei  nicht  aufzuhaltender  Blutung  empfohlen,  die  blutende  Fläche  mit  einem 
in  Chloroform  getauchten  Schwämme  abzuwischen.  Die  ideale  Behandlung  be- 
steht in  der  Re- in  Version,  die  Amputation  soll  ein  ultimum  refugium  sein 
und  wird  meines  Erachtens  in  der  Neuzeit  mit  Unrecht  ausgeführt  ohne 
genügende  Ausdauer  in  Redressementsversuchen.  Der  leider  noch  moderne 
Furor  operativus  reisst  heute  noch  Manchen  hin,  den  conservativeu  Principien 
untreu  zu  w^erden.  Bei  frischen  Inversionen  umfasst  man  den  Uteruskörper 
(Einzelne  mit  eingeölter  Hand)  wie  einen  Schwamm  mit  der  Hohlhand,  hebt 
ihn  in  die  Vagina  hinein,  sucht  ihn  zu  comprimiren  und  dann  durch  den 
Muttermund  so  zu  re-invertiren,  dass  man  die  dem  Muttermunds- 
saume zunächst  liegenden  peripheren  Partien  einstülpt,  wobei  oft  die  Inver- 
sion mit  einem  schnellenden  Ruck  zurückgeht,  sobald  erst  die  grössere 
Hälfte  des  Uteruskörpers  intracervical  gelegen  ist.  Persönlich  möchte  ich 
warm  die  Knieellenbogenlage  für  die  Re-inversionsversuche  empfehlen.  Ist 
das  Redressement  gelungen,  so  ist  dauernde  Controle  für  einige  Stunden 
nothwendig  nebst  eventueller  Tamponnade  mit  Watte,  Gaze,  Kolpeurynter 
etc.,  um  einer  neuen  Umstülpung  vorzubeugen.  Husten  ist  zu  beseitigen 
etc.,  der  Urin  künstlich  zu  entleeren,  Laxans  am  Platz. 

Die  Behandlung  einer  wochen-,  monate- und  jahrelang  beste- 
henden Inversion  kann  eine  ganz  verschiedenartige  sein,  mit  mehr  oder 
minder  Gefahren  verbunden,  je  nach  Sachkenntnis  und  Geduld  des  Arztes  und 
der  von  beiden  Seiten  geopferten  Zeit.  Das  Messer  leistet  viel  und  schnell, 
der  Kolpeurynter  mehr,  aber  langsamer.  Das  Messer  schneidet,  der  Kol- 
peurynter nicht.  Jeder  Arzt  wird  für  seine  Frau  bei  Inversion  lieber  den 
Kolpeurynter  wählen,  mit  welchem  Recht  greifen  Viele  bei  anderen  Frauen 
gleich  zu  dem  verstümmelnden  Messer  —  ganz  abgesehen  von  etwaigen 
Gefahren  der  Operation? 

Die  älteste  Behandlung  der  Inversion  bestand  in  kalten  und  heissen,  auch  alternirend 
heissen  und  kalten  Begiessungen,  Bespritzungen  (Löffler,  Martin,  Hamon  noch 
im  laufenden  Jahrhundert  bis  1853, 1854),  Räucherun  gen,  Adstringentienetc,  sodann 
traten  die  manuellen  Repositionsversuche  auf  (Valentin,  Hugh,  Müller,  Barrier, 
Cakney,  Quakenbush,  Windsor,  Noeggerath,  Th.  A.  Emmet,  Marion  Sims,  Courty,  Green- 
HALGH,  J.  H.  Tait,  Watts,  Wallace).  Die  Manipulationen  dabei  waren  sehr  verschieden- 
artig. Während  die  Einen  vornehmlich  den  einschnürenden  Ring  dehnten,  pressten  die 
Anderen  gewaltsam  den  Fundus  in  der  Beckenaxe  in  die  Höhe,  andere  fingen  mit  seitlichem 
Druck  an.  Denuce  unterschied  „taxis  central,  peripherique,  lateral".  Emmet  wollte  den 
Hauptdruck  zuerst  von  der  Rinne  des  einschnürenden  Ringes  wirken  lassen  und  dann  erst 
den  Fundus  emporschieben,  Sims  und  Noeggerath  wollen  den  Druck  nicht  am  Fundus, 
sondern  an  den  Tubenecken  wirken  lassen.  Sims  machte  zur  Erleichterung  der  Reposition 
einen  Längsschnitt  in  den  einschnürenden  Ring  behufs  Entspannung,  Andere  scarificirten 
durch  Längseinschnitte  den  invertirten  Uteruskörper,  um  durch  Blutentleerung  Consistenz 
und  Volumen  zu  vermindern.  Schröder  zog  mit  vier  Kugelzangen  den  Muttermundssaum 
herab,  während  die  Hand  den  Fundus  in  die  Höhe  drängte,  ähnlich  wie  Freund  verfuhr, 
der  mit  vier  durch  den  Muttermundssaum  hindurchgezogenen  Seidenbändern  die  Cervix 
herabzog.  Courty  reponirte  bimanuell,  indem  er  per  rectum  die  einschnürende  Cervix 
fixirte.  Tait  führte  je  einen  Zeigefinger  in  den  Mastdarm  und  durch  die  Harnröhre  in  die 
Blase  zum  gleichen  Zweck,  presste  dann  mit  beiden  Daumen  mit  Erfolg  den  Fundus  zurück. 
Watts  stülpte  per  rectum  den  zweiten  und  dritten  Finger  der  rechten  Hand  in  den  Inver- 
sionstrichter ein  und  presste  dann  mit  der  linken  Hand  den  Fundus  hindurch.  Die  manu- 
ellen Versuche  scheiterten  —  selbst  unter  Narcose  wiederholt  —  oft  genug,  weil  in 
falscher  Richtung  d.  h.  nicht  in  der  Beckenaxe,  sondern  aufs  Gerathewohl  in  die  Höhe 
gedrückt  wurde.  Oft  genug  passirten  die  schlimmsten,  ja  tödtlicb  gewordenen  Ver- 
letzungen bei  brüsk  ausgeführten  Piedressementsversuchen.  (Krüger  ) 

Es  folgen  nun  die  instrumentellen  Re-inversionsversuche.  Die  verschieden- 
artigsten Instrumente  wurden  empfohlen,  v.  Winckel  verwirft  wegen  einseitig  localisir- 
ten  Druckes  alle  Sonden,  alle  knöpf-,  platten-kegelförmigen  Redresseurs.  Gestielte  sPes- 
saires  en  bilboquet",  allerhand  becherförmige  Repositorien,  das  Stethoskop  und  gar  ein 
Trommelschlägel  gelangten  zur  Verwendung.  Viardel's  Repoussoir  ist  ähnlich  den  schon 
von  Baudelocque  und  Ane  erfolglos  angewendeten  Instrumenten.  Siebold  hat  in  acht  Fällen 


INYEKSIO  UTERI. 


459 


ein  gestieltes  Repositojium  aus  Iloru  mit  einem  Schwamm  am  oberen  Ende  mit  Erfolg 
angewendet.  E.  Martin  benützte  eine  Perinäalbinde,  auf  der  ein  intravaginaler  Stift  mit  einer 
Pelotte  befestigt  war;  die  Kranke  konnte  aber  das  Insirument  nicht  länger  als  zwölf  Tage 
ertragen.  Smart's  Instrument  war  mörserartig;  Bohoouaeve's  (Imhncreigrosscr  Knopf  auf 
einer  8  Zoll  langen  Sonde)  ähnlich;  Depaul  benützte  ein  „repoussoir  en  forme  de  ba- 
ouette  de  tambour  h  renflement  terminal  bourre"  —  die  Frau  siarb,  statt  den  Uterus  zu 
re-invertiren,  hatte  der  Trommelschläge!  den  Uterus  perforirt !  White  benützte  ,a  large 
rectum  bougie"  (becherförmiges  gestieltes  Pessar,  dessen  Stiel  er  an  seine  Brust  presste, 
während  die  linke  Hand  durch  die  Bauchdecken  die  Cervix  fixirte,  die  rechte  in  der  Scheide 
den  Uteruskörper  comprimirte).  Er  berichtete  1878  in  Philadelphia  über  12  von  ihm 
geheilte  chronische  Inversionen.  Braxton  Hicks  („Old  shaped  sthetoscope"  mit  Perinaeal- 
binde)  und  G.  Tarbell  („continued  gentle  pressure")  wandten  constanten  massigen 
Druck  an;  Lombe  Atthill  eine  Art  gestielten  Mutterring.  Clifton  E.  Winü  fixirte  ein  mit 
der  Platte  am  Fundus  aufgesetztes  gewöhnliches  Stethoskop  durch  Gummischnüre,  die  um 
die  Schenkel  herum  zu  einer  Bauchbinde  gingen,  nach  30  Stunden  fühlte  die  Frau  :  ,,some- 
thin»  jump  inside"  und  war  geheilt.  Aehnlich  ist  L.  Tait's  Verfahren,  Matthew's 
Duncan's,  Gervis';  in  England  sehr  beliebt  ist  Aveling's  gestielter  Becher,  dessen  Stiel 
je  eine  pelvine  und  perinäale  Krümmung  aufweist.  (Die  fixirende  Bandage  übt  auf  den 
Fundus  einen  Druck  von  2^/2  Pf.  aus).  William's  „double  curved  roth  witli  cupped  end"; 
Byrne's  Redressor  (complicirt)  soll  „rapidly"  wirken.  A.  Martin  benützte  einen  für  die 
FREUND'sche  üterusexstirpation  benützten  vaginalen  Elevator-Stab  mit  Messingkugel  darauf. 
Marcy  (1889)  vereinigte  Druck  und  Zug,  indem  er  ein  becherförmiges  gestieltes  Pessar  auf 
den  Fundus  ansetzte,  dann  einige  Nähte  durch  die  Muttermundslippen  zog  und  die  Fäden 
über  den  Fuss  des  gestielten  Pessars  straff  anziehend  knüpfte.  Druck  auf  den  Fundus  und 
Zug  an  der  Cervix  (4  Seidenfäden).  Hofmeier  will  von  einfacher  Tamponnade  mit  Jodo- 
formgaze  stets  Erfolg  gehabt  haben.  Den  aerostatischen  Druck  in  luftgefüllter  Blase,  spä- 
ter Garriel's  air-pessary  etc.  führte  1858  Tylor  Smith  ein,  ihm  folgten  Pridgin  Teale,  Tes- 
sekmayer,  Birnbaum,  Fletwood  Churchill,  West,  W.  A.  Freund,  Albakese,  Hicks,  Frankerd, 
Lewis,  Chadwick,  Konitz. 

Tait  verlor  eine  so  behandelte  Kranke  24t  Stunden  nach  erfolgter  Re-inversion  ! 

Schon  Fries  rieth  1804  eine  flaschenförmige  Blase  in  die  Scheide  einzuführen  und 
durch  eine  Spritze  dann  mit  Wasser  zu  füllen,  wonach  dann  eine  T-binde  angelegt  werden 
sollte  behufs  Fixation  dieser  Vorrich- 
tung in  der  Scheide.  Bockendahl  führte 
dies  zuerst  aus  1858,  Jedrzejewigz, 
K.  Schroeder,  Ninkel,  '  Vetterlin, 
Spaeth,  Spiegelberg,  L.  Neugebauer, 
Rosenthal,  Rein  hatten  gleich  gute 
Erfolge  mit  dieser  Behandlung  durch 
protrahirten  hydrostatischen 
Druck.  L.  Neugebauer  hat  in  dem 
Berliner  Congress  1890  wenige  Tage 
vor  seinem  daselbst  erfolgten  plötz- 
lichen Dahinscheiden  —  in  seinem 
Schwanensang  -  die  grossen  Vortheile 
dieser  Behandlung  besonders  hervor- 
gehoben, die  nichts  weiter  verlangt  als 
Sauberkeit  und  Geduld,  dabei  das  Le- 
ben der  Kranken  nicht  gefährdet,  meist 
zum  Ziele  führt  und  eine  völlige  Resti- 
tutio ad  integrum  gibt. 

Ein  Blick  auf  Fig.  2  a—  e  zeigt  sche- 
matisch die  Wirkungsweise  des  wasser- 
gefüllten Kolpeurynters.  Einzelne  erziel- 
ten in  kurzer  Zeit  Re-inversion,  indem 
sie  den  Kolpeurynter,  der  nach  gehöri- 
ger Desinfection  der  Scheide  leer  ein- 
geführt wird,  sofort  ad  maximum  füll- 
ten so  weit  bis  die  Kranke  über 
Schmerz  klagte,  und  ihn  dauernd  lie- 
gen Hessen,  Andere  wechselten  mit  dem 
Quantum  der  Flüssigkeit  (300  Gramm 
und  mehr),  noch  Andere  steigerten  all- 
mälig  das  Quantum,  Andere  legen  den 
Kolpeurynter  täglich  nur  für  einige 
Stunden  an  u.  s.  w.,  so  dass  diese 
Behandlung  einen  Zeitraum  von  einigen 
Stunden  bis  zu  30  Stunden,  ja  bis  zu 
15    Tagen    einnahm.      Es    heisst    eben 


460 


INVERSIO  UTERI. 


Geduld  haben,  v.  Winckel  erzielte  eine 
lle-inversion  ohne  instrumenteile  Ein- 
griffe nach  2-jähriger  Behandlung. 

KocKS  schlug  eine  Modification 
der  Form  des  Kolpeurynter's  vor,  wobei 
ein  Gummiballou  in  Gestalt  eines  Kegel- 
trichters mit  einer  zur  Aufnahme  des 
Fundus  uteri  bestimmten  Vertiefung  in 
die  Scheidengewölbe  zu  liegen  kommt. 
Dieser  Ballon  soll  durch  Zusammenwir- 
ken von  Druck  auf  den  Fundus  und 
radiären  Zug  an  den  Cervixwänden  die 
Re-inversion  erleichtern. 

Ausser  der  manuellen,  instru- 
mentellen,  aerostatischen  und  liy- 
drostatisclien  Behandlung,  sowie 
der  Combination  derselben  wurde 
die  operative  angew^andt  und  die 
Combination  der  letzteren  mit  den 
ersteren. 

Schon  1773  versuchte  Millot  die 
manuelle  Reposition  nach  vorausge- 
schickter tiefer  Cervixincision,  Colom- 
BAT  d'IsEZE  machte  vier  Incisionen, 
Dungan,  Wilson,  Barnes  ebenfalls  mit 
Erfolg,  Gaillard  Thomas  scheiterte  in 
einem  Falle  trotz  tiefer,  fast  bis  an  das 
Bauchfell  reichender  Incision. 

Einige  führten  eine  zeitweilige  H y- 
sterostomalokleisis  aus,  so  Emmet, 
der  den  Fundus  in  den  Cervicalcanal 
zurückdrängte  und  dann  den  Mutter- 
mund durch  einige  Drähte  verschloss. 
Nach  einer  Woche  entfernte  er  die 
Nähte,  die  Re-inversion  gelang,  in  einem 
andern  Falle  verschloss  er  dauernd  den 
Muttermund  operativ.  Das  erstere  Ver- 
fahren kann  zur  Re-inversion  beitragen, 
dem  meist  die  weitere  Re-inversion  all- 
mälig  spontan  folgt,  sobald  erst  der 
Fundus  wieder  im  Cervicalcanal  ist. 

Steffens  vernähte  nach  voraus- 
gehendem Gebrauch  des  Luftballons  den 
Muttermund;  als  er  nach  mehreren 
Stunden  wegen  heftiger  Schmerzen  die 
Naht  wieder  entfernte,  fand  er  den 
Uterus  re-invertirt,  die  Frau  geheilt, 
also  binnen  wenigen  Stunden. 

Behufs  Redressement  wurde  wei- 
ter der  Bauchschnitt  von  Thomas  Gail- 
lard gemacht;  er  erweiterte  sodann  von 
der  Bauchhöhle  aus  den  einschnüren- 
den Cervicalring  mit  einer  speciellen 
dyscentrisch  durch  Druck  wirkenden 
Zange  und  reponirte  sodann  von  der 
Scheide  her;  einmal  gelang  die  Ausfüh- 
rung des  Planes,  eine  zweite  Kranke  starb  nach  zwei  Tagen.  Auch  Munde  verlor  eine  Kranke 
nach  dieser  Operation.  Battlehner  theilt  einen  Fall  aus  der  Praxis  eines  badischen  Arztes 
mit,  dem  trotz  Bauchschnitt  die  Re-inversion  nicht  gelang,  er  castrirte  daher  die  Frau,  sie 
starb  an  Peritonitis. 

Einzig  steht  der  Fall  von  Roberts  da,  der  1892  bei  einer  nicht  puerperalen  Inversion 
zunächst  ein  Stück  eines  submucösen  Fibroids  entfernte,  nach  5  Wochen  bei  schon  hinzu- 
getretener Peritonitis  ein  zweites  Stück  entfernte ;  nach  drei  Wochen  kam  die  Frau  wieder, 
jetzt  erst  wurde  die  Inversio  uteri  durch  zwei  kleine  Fibroide  erkannt,  die  entfernt  wurden. 
Nach  vergeblichen  Versuchen  mit  Aveling's  Redressor,  endlich  Bauchschnitt:  Ein 
Faden  von  der  Scheide  aus  durch  den  invertirten  Uterusgrund  in  die  Bauchhöhle  geleitet, 
ein  Glasknopf  unten  angebunden  und  dann  von  oben  her  gezogen.     Statt  der  erwarteten 


Fifr.  2e. 


INVERSIO  UTERI.  461 

Re-inversion  perforirte  der  Glasknopf  den  Uterus,  weil  dqr  Knopf  zu  klein  war;  der  nach, 
wenigen  Stunden  folgende  Tod  beugte  weiteren  Versuchen  vor. 

V.  WiNCKEL  tritt  gegen  die  Laparotomie  auf,  da  sie  nicht  immer  zum  Ziele  führe, 
und  gefährlicher  sei,  andererseits  aber  auch  im  Falle  gelungenen  Redressomonts  noch  nicht 
beweise,  dass  letzteres  nicht  auch  per  vaginam  gelingen  konnte,  schliesslich  müsse  ja  nicht 
jede  Inversion  durchaus  re-invertirt  werden,  wie  die  lalle  von  Drnman,  d'OtjTruiPONT, 
LiSFRANC,  White,  Pate  (40jähriges  Bestehen  bei  einer  78-Jährigen  [1878])  beweisen. 

HoFMEiKR  berichtet  einen  Fall,  wo  bei  dem  Redressemcntsversuch  per  vaginam  ein  im 
Trichter  befindlicher  Ovarialabscess  barst  und  zum  Tode  führte. 

Macdonald  versuchte  eine  manuelle  Redression  (1881)  bei  5Y, -jährigem  Bestehen, 
auf  einmal  entschlüpfte  der  Fundus  seiner  Hand,  er  war  durch  einen  Riss  der  hinteren 
Scheidenwand  in  die  Bauchhöhle  gelangt.  Macdonald  zog  ihn  wieder  heraus,  schloss  die 
Wunde  mit  drei  Seidennähten.  Nach  vergeblichem  Versuche  nunmehr  mit  der  Drahtschlinge 
zu  amputiren  —  der  Draht  platzte  —  amputirte  er  mit  dem  Messer,  legte  dann  zwei 
Nähte  durch  den  ganzen  Stumpf  und  zwei  besondere  Silbcrdrahtligaturen  vorher  um  die 
beiden  Tuben;  Genesung  folgte.  In  einem  Falle  Whit^'s  rissen  bei  forcirtem  Redressement 
von  der  Scheide  her  beide  Scheidengewölbe  ein;  die  Frau  starb. 

Die  älteste  operative  Behandlung  der  Inversio  uteri:  Die  Amputation  des  invcr- 
tirten  Uteruskörpers  —  Denuce  zählt  24  solche  Operationen  als  ^extrascientifiques" 
in  roher  Weise  von  Unberufenen  ausgeführt  auf,  wobei  12  Frauen  genasen  —  hat  ihren 
Ursprung  in  einem  diagnostischen  Irrthum:  in  der  Voraussetzung  eines  gestielten  submu- 
cösen  Tumors  exstirpirte  man  denselben  durch  Messer  oder  Ligatur  oder  beides  zusammen 
—  man  entfernte  also  den  invertirten  Uteruskörper,  ohne  es  zu  wissen,  in  dem  Glauben, 
einen  Polypen  abzulösen  !  Bedeutend  später  erst  wurde  diese  Operation  ad  hoc  gemacht,  in 
jüngster  Zeit  besonders  häufig  dank  dem  leider  modernen  Furor  operativus. 

Erwähnt  sei  noch  die  vollständige  eigenartige  Therapie,  welche  1891  Küstner  einmal 
anwandte  bei  völliger  Uterusinversion  (inclus.  Cervix).  Er  eröffnete  mit  breitem  Schnitt  die 
DouGLAs'sche  Peritonealtasche,  führte  durch  die  Wunde  einen  Finger  in  die  Bauchhöhle 
und  den  Trichter  des  invertirten  Uterus  ein  und  drängte  so  den  invertirten  Uterus  bis  vor 
die  Vulva  heraus,  dann  durchschnitt  er  die  hintere  Uterinwand  von  der  Schleimhautfläche  aus 
2  cm  lang  in  der  Mittellinie  in  der  Gegend  des  inneren  Muttermundes  bei  massiger  Blutung. 
Re-inversion  gelang  vor  dem  Einschnitt  nicht,  jetzt  aber  spielend  leicht.  Zeige-  und 
Mittelfinger  der  linken  Hand  im  Trichter,  Daumen  der  linken  Hand  in  der  Scheide.  Dann 
retroflectirte  er  den  re-invertirten  Uterus  stark,  zog  mit  Hakenzange  die  longitudinale 
Wunde  in  die  hintere  Uteruswand  bis  in  die  Wunde  des  DouGLAs'schen  Raumes  hinein  und 
vernähte  die  erstere  von  der  Peritonealseite  aus  mit  3  tiefen  und  2  oberflächlichen  Suturen, 
darauf  die  Wunde  des  DouGLAs'schen  Ratimes,  bez.  hinteren  Scheidengewölbes  ebenfalls  mit 
5  Nähten.  Glatte  Heilung.  Der  Schnitt  in  der  hinteren  Uteruswand  soll  2  cm  unterhalb 
des  invertirten  Fundus  beginnen  und  2  cm  über  dem  äusseren  Muttermund  aufhören. 

Die  Sterblichkeit  des  operativenVerfahrens  war  früher  überaus 
gross.  Nach  der  Zusammenstellung  von  v.  Scanzoni,  die  von  Schröder 
ergänzt  wurde,  kamen  auf  69  Operationen:  26  Fälle  von  Abbindung  (19  ge- 
nasen, 7  Frauen  starben),  29  mit  Abbindung  und  nachfolgender  Amputation 
(24  Frauen  genasen,  5  starben),  14  Amputationen  ohne  Ligatur  (6  Frauen  ge- 
nasen, 8  starben).    Gerettet  wurden  49  Frauen  (71-57o),  es  starben  20  (28-.57o)- 

Die  Methodik  dieser  älteren  Amputationen  ist  ausführlich  von  Forbes, 
Breslau,  West  und  v.  Scanzoni  erörtert.  Nach  der  neuesten  und  vollstän- 
digsten Zusammenstellung  von  Szuwarskij  in  Kijew  (1892)  kommen  auf 
133  Fälle  von  manuellem  Redressement  der  frischen  puerperalen  Inversion  von 
1826—1892:  27  Todesfälle  (20-5o/o),  5  Fälle  von  nicht  gelungenem  Redresse- 
ment (3-77o)  und  101  Restitutionen  ad  integrum,  auf  126  Fälle  von  manuellem 
Redressement  bei  chronischer  Inversion:  6  Todesfälle  (4-8 7o)  [48mal  bestand 
die  Inversion  50  Tage  bis  1  Jahr,  29mal  1—5  Jahre,  7mal  5  bis  15  Jahre, 
omal  15—40  Jahre]. 

Es  kamen  auf  42  Fälle  von  ausschliesslich  manuellem  Redressement 
2  Todesfälle  (4-87o)- 

Es  kamen  auf  48  Fälle  von  aerostat.  und  hydrost.  Behandlung  2  Todes- 
fälle (4-8%). 

Es  kamen  auf  32  Fälle  von  instrumenteller  Behandlung  durch  Redressement 
2  Todesfälle  (eVo)- 

Es  kamen  auf  4  Fälle  von  gemischter  Behandlung  0  Todesfälle  (O^/o) 
zusammen  also  4-87o  Sterblichkeit  bei  der  nicht  operativen  Behandlung  von 
126  Fällen. 


462  INYEESIO  UTERI. 

Die  Pieposition  gelang  auf  diese  Weise  selbst  nach  40-jälirigem  Bestehen 
noch.  Wenn  schnell,  wurde  die  Reposition  binnen  5  Minuten  bis  5  Stunden 
erreicht,  wenn  langsam  innerhalb  24  Stunden  bis  33  Tagen.  Kolpeurynter 
und  Chirotaxis  (manuelle  Reposition)  hatten  gleich  gute  Resultate,  die  am 
wenigsten  guten  der  Redresseur  —  trotz  der  lebhaften  englischen  Empfehlungen. 

Die  operative  Behandlung  durch  Amputation  (152  von  Denuce  bis  1887 
und  30  von  Szuwaeskij  von  1891 — 1892  zusammengestellte  Fälle)  von  182 
Fällen  ergab  38  Todesfälle  (20-8%)  und  zwar  erstrecken  sich  diese  Angaben 
auf  Inversionen  sowohl  puerperalen  als  auch  nicht  puerperalen  Ursprunges. 

Auf  143  puerperale  Inversionen  kommen  31  Todesfälle:  21-7''/o. 
'•  •         „       39  nicht  puerperale  Inversionen  kommen  7  Todesfälle:  17-9%. 

Szuwaeskij  fand  für  30  von  ihm  persönlich  zusammengestellte  Fälle  von 
Amputation  bei  nicht  puerperaler  Inversion  nur  3  Todesfälle  (lO^o)  im  Gegen- 
satz zu  den  noch  älteren  Zusammenstellungen.  Die  Behandlung  der  In- 
versio  uteri  im  Allgemeinen  weist  eine  ziemlich  bedeutende 
Sterblichkeit  auf  (167o)-  Die  Sterblichkeit  war  geringer  für  die  Be- 
handlung der  chronischen  Inversion;  die  Amputation  ergab  die  grösste  Sterb- 
lichkeitsziffer, die  besten  Resultate  ergaben  das  manuelle  Redressement  und 
die  hydrostatische  Behandlung.  Die  Statistik  hat  jedoch  einen  wunden  Punkt, 
die  moderne  Epoche  und  die  vorantiseptische  Zeit  werden  in  einen  Topf  gethan, 
—  somit  hat  sie  für  den,  der  praktische  Schlussfolgerungen,  aber  nicht  Zahlen 
verlangt,  keinen  absoluten  Werth. 

Jedenfalls  liegt  heute  die  Frage  der  Behandlung  so,  dass  im  Gegensatz 
zu  einigen  Hauptvertretern  unseres  Faches  dieAmputation  nur  das  ulti- 
mum refugium  sein  soll,  sie  soll  nicht  gemacht  werden,  bevor  nicht 
ausgiebige  Versuche  mit  der  Hydrostase  gemacht  sind.  Ausnahmsweise  kann 
sie  sofort  indicirt  sein,  wenn  bei  manuellen  Repositionsversuchen  Verletzungen 
stattfinden,  die  nicht  einfach  und  sicher  durch  die  Naht  zu  schliessen  sind. 
So  z.  B.  hat  deshalb  Sutugin  in  einem  Fall  operirt,  Nazaeetow  berichtet 
dagegen  einen  Scheidenriss,  der  vernäht  wurde,  also  hängt  auch  hier  viel  oder 
Alles  von  dem  individuellen  Ermessen  des  Operateurs  ab,  maassgebend  werden 
für  ihn  auch  das  Alter  der  Frau,  die  Beschwerden  der  Kranken,  Blutungen  oder 
Fehlen  derselben  sein.  Das  Redressement  ist  schon  deshalb  bei  jungen 
Frauen  vorzuziehen,  weil  selbst  nach  jahrelangem  Bestehen  der  Inversion  nach 
erfolgtem  Redressement  Schwangerschaft  und  glückliche  Entbindung  beob- 
achtet wurden  (Maeion  Sims,  Tyloe  Smith). 

Für  die  Abtragung  des  invertirten  Uteruskörpers  empfahl  Dubois  die  Ligatur.  Nach 
BoRHAM  starben  von  5  damit  behandelten  Frauen  4,  nach  Dewuc^'s  Zusammenstellung 
starben  von  24  fünf.  Einzelne  vollzogen  die  Constriction  langsam  —  Aran  in  ^4  Stunden, 
Valler  binnen  20  Stunden,  Andou  schnell  binnen  8 — 10  Minuten.  Mo.  Clintok  benützte, 
fast  gleichzeitig  mit  Aran  und  Marion  Sims  den  Ecraseur  zuerst  (1859),  Clintock's  und  Sims' 
Operirte  genasen.  Follinea  (1891)  klemmte  den  Uteruskörper  mit  einer  BiLLROTH'schen 
Klammer  ab  und  empfiehlt  sein  Verfahren  als  leicht  und  gefahrlos.  Unter  den 
Fällen,  wo  der  invertirte  Uterus  für  einen  Polypen  angesehen  mit  der  Scheere  amputirt 
wurde,  hatte  Lee  einen  Todesfall  binnen  24  Stunden  zu  beklagen.  Wilson,  Aran,  Veit 
verloren  je  eine  Kranke  nach  Amputation  mit  dem  Ecraseur.  Das  anatomische  Präparat 
der  Operirten  Veit's  in  Rostock  beschrieb  v.  Winckel:  „Trichter  leer  bis  auf  die  inneren 
Tubenenden,  Scheide  normal,  Muttermiind  lässt  2  Finger  durch,  Abtragung  an  der  Grenze 
zwischen  Collum  und  Corpus,  Ovarien  und  äussere  Tubenenden  befinden  sich  in  den  neben 
der  Amputationswunde  stehengebliebenen  Resten  der  breiten  Mutterbänder".  Vallet  und 
Ollier  cauterisirten  den  invertirten  Uteruskörper  mittelst  einer  eigens  construirten  Zange, 
deren  Löffel  mit  Canquoin's  Pasta  gefüllt  waren  (3  Todesfälle  auf  5  Operationen).  Courty 
und  Mackenzie  verloren  auf  3  mit  Galvanokaustik  Operirte  2,  Spencer  Wells  benützte 
rnit  Glück  den  Thermokauter  von  Paquelin  (1878).  —  Pallasciano,  Poinsol,  Corradi  com- 
binirten  Ligatur  und  Galvanokaustik.  Wodjagin,  Michaux,  Porget  benützten  die  elastische 
Ligatur,  die  gewöhnlich  nach  10—12  Tagen  mit  dem  Stumpf  abfiel.  Es  sind  auch  Fälle 
von  spontaner  brandiger  Amputation  —  Abstossung  beobachtet,  so  von  Murray.  Die 
Kranke  von  Clemensen  genas  nach  spontaner,  brandiger  Abstossung.  Bei  der  heutigen 
Technik  könnte  man  leicht  die  vaginale  Totalexstirpation  bei  irreponibler  Inversion  machen, 
aber    können  heisst  nicht  müssen! 


INVELISIO  UTERI. 


463 


Fig.  3a. 


Nach  V.  WiNCKEL  genasen  auf  27  mit  einfacher  Ligatur  und  Amputation  unterhall> 
derselben  behandelte  Frauen  22 j  —  je  veralteter  die  Inversion  war,  desto  besser  die 
Prognose.  C.  v.  Braun  benützte  mehrmals  mit  Glück  die  galvanokaustische  Schlinge. 
Hegar  und  Kaltenbach  zogen  Drahtschlingen  darch  die  Cervix,  um  ein  Zurückschlüpfon  zu 
verhindern,  amputirten  dann  und  vernähten  dann  den  Stumpf,  um  die  Peritonäalhöhle 
ganz  abzuschliessen. 

V.  WiNCKEL  betont  als  Schattenseite  der  Ablatio  corporis  uteri  das  Zurücklassen  der 
Ovarien.    Bruntzel  zählt  auf  4-2  operativ  behandelte  Fälle  33  =  67'7"/„  Heilungen. 

Kaltenbach  schlug  seiner  Zeit  die  elastische  Ligatur  vor,  amputirte  unterhalb,  ver- 
nähte dann  das  Loch  im  peritonäalen  Trichter  und  legte  einen  Jodoformgazetampon  ein ; 
nach  2—3  Wochen  fiel  die  Ligatur  ab.     _ 

ScHÜLEiN  und  Sghauta  legten  provisorische  Nähte  durch  den  Trichter  in  toto  vor  der 
Abtragung.  Um  dem  Zurückgleiten  nach  der  Amputation  vorzubeugen,  wurde  auch  seitlich 
je  eine  Naht  durch  die  vordere  Lippe,  seitliche  Tumorwand  und  hintere  Lippe  gelegt  und 
dann  erst  amputirt  und  die  Wunde  nach  allgemeinen  chirurgischen  Grundsätzen  behandelt. 
Soll  schon  amputirt  werden,  so  zieht  Sutugin  das  Messer  jeder  Ligatur  u.  s.  w.  vor,  weil  er 

damit  den  Trichter  öffnen  will,  um  gesichert  zu  sein  vor  Mitfassen  von  Darm  im  Trichter 

(dieser  Fall  ist  nie  bei  der  Operation  beobachtet  worden,  wohl  aber  wurde  einmal  Darm 
im  Trichter  sub  necropsia  gefunden  —  er  vernähte  die  Wunde  etagenweise.  Einio-e  haben 
ausserdem  noch  unterhalb  der  genähten  Amputationswunde  für  einige  Tage  den 
Muttermund  vernäht.  Die  Kasuistik  der  Operationen  neueren  Datums  gelten  Frommel's 
Jahresberichte  seit  1887. 

Bezüglich  der  Inversionen  nicht  piier 
peralen  Ursprunges  ist  zu  sagen,  dass  dieselben 
spontan  durch  den  Zug  von  submucösen  Neo- 
plasmen während  der  Austreibungsperiode  derselben 
allmälig  entstehen  oder  oft  genug  artificiell  beim 
übertriebenen  Herabziehen  solcher  Tumoren  bei  der 
Operation,  so  dis^  es  oft  genug  vorkam,  dass  der 
Scheerenschlag,  der  den  Stiel  des  Tumors  (Myom, 
Sarcom,  Fibroid)  durchschneiden  sollte,  bei  parti- 
eller Inversion  der  Uteruswand  die  Bauchhöhle 
eröffnete.  Spiegelberg  berichtete  so  einen  eigenen 
Fall,  ScHULTZE  passirte  das  Gleiche,  die  Kranke 
genas  trotz  einer  sofortigen  Auspülung  mit  Chlor- 
wasser, die  eine  Peritonitis  herbeiführte.  Die 
reichste  Auslese  dieser  Fälle  findet  sich  in  der 
erwähnten  Zusammenstellung  der  27  amputations 
extrascientifiques  Denuce's.  Es  sind  aber  auch 
Fälle  beobachtet,  wo  die  Inversion  erst  nachträg- 
lich nach  Abtragung  des  Fibroids  entstand.  Es 
kann  daher  nicht  genug  zur  Vorsicht  bei  der 
Differentialdiagnose  sowohl,  als  auch  bei  der  Ope- 
ration selbst  verwendet  werden! 

In  Fig.  3  a — e  ist  schematisch  die  allmälige  Inver- 
sion des  Uterus  durch  das  Wachsthum  eines  Fibroid  dar- 
gestellt. 

ScHAUTA  und  Nazaeetow  veröffentlichten 
jüngst  zwei  interessante  Fälle  von  Inversio  uteri 
durch  ein  gestieltes  Fibroid  bei  einer  78-jähr.  und 
einer  44-jährigen  Frau.  Im  ersteren  Fall  mit 
A'^orzüglicher  Abbildung  war  die  ganze  Cervix  und 
der  oberste  Scheidenantheil  mitinvertirt,  so  dass 
eine  Grenze  zwischen  Scheide  und  Cervix  nicht  zu  erkennen  war.  Schauta 
beschränkte  sich  anfangs  auf  die  Abtragung  des  Tumors,  da  aber  nach  Repo- 
sition des  Uterus  in  die  Scheide  kein  Pessar  vertragen  wurde  und  Verfärbung 
eintrat,  so  amputirte  er  14  Tage  später  an  der  Grenze  zwischen  Collum  und 
Corpus  nach  vorausgeschickter  Nahtligatur  in  einzelnen  Portionen.  Naht- 
verschluss  der  Schnittfläche  des  Stumpfes.  Glatte  Heilung  unter  Re-inversion 
des  Trichters,  nachdem  Stumpf  und  Ligaturen  abgefallen  waren. 


Fig.  3d. 


464 


INVERSIO  UTERI. 


Fif .  4  a  und  b  stellen  ein  Spirituspräparat  des  Warschauer  patliologiscli-anatomisclien 
Institutes' dar:  eine  an  der  Leiche  in  Necropsia  zufällig  entdeckte  Gebärmutterumstülpung 
durch  ein  submucöses  Fibrom.  , 

Fic.  a  bietet  die  Ansicht  von  vorne:  die  vordere  Scheidenwand  ist  durch  einen  Glas- 
stift in  die  Höhe  gehoben,  um  den  Muttermundsaum  zu  zeigen,  darüber  die  geöffnete 
Harnblase.  Fig.  4  b  stellt  dasselbe  Präparat  von  hinten  aus  gesehen  dar:  Ligamenta  lata, 
Tuben,  Ovarien  am  Rande  des  Inversionstrichters,  am  umgestülpten  Fundus  seitlich  aufsit- 
zend das  Fibroid. 

Die  Inversion  durch  Tumo- 
ren ist  aufzufassen  als  einfache 
Inversion  durch  Zug  ganz  analog 
der  puerperalen,  der  Zug  aber  das 
Ergebnis  der  allmäligen  Austrei- 
bung des  Tumors  durch  Uteruscon- 
tractionen.  Die  Bedingungen  dazu 
sind  analog  denen  im  Puerperium, 
Pozzi  will  noch  eine  Lähmung 
der  Musculatur  an  der  Inser- 
tionsstelle  des  Tumors  annehmen, 
Emmet  beschuldigt  partielle  Con- 
tractionen  der  Uteruswand.  Nach 
Schröder  spielt  bei  der  Geburt 
der  Tumoren  ihre  Schwere  und 
der  intraabdominale  Druck  eine 
Rolle.  Die  Ursache  der  Inver- 
sion ist  ceteris  paribus  die  gleiche 
wie  im  Puerperium,  erklärt  durch 
Verdünnung  und  Atrophie  der 
Uteruswand  bei  Anwesenheit  von 
Tumoren  etc. 

ScHAUTA  will  Contractionen 
der  Uteruswand  als  causa  movens 
nicht  gelten  lassen,  nur  der 
schlaffe  Uterus  lasse  sich  einstül- 
pen. In  20  von  etwa  500  frü- 
heren Fällen  ist  spontan  Re-in- 
version  beobachtet  worden,  nach 
Beseitigung  von  Tumoren  am  häu- 
figsten (Aberbanell,  Schwartz, 
Schultze);  oft  auch  wurden 
Kranke  mit  unvollständiger  Re- 
position entlassen,  bei  späterer 
Untersuchung  zeigte  sich  dann 
das  Redressement  oft  zur  auge- 
nehmen  Ueberraschung  des  Arz- 
tes vollendet. 

Tatscher,  Baudelocque, 
Meigs,  Bruntzel  sahen  spontane 
Re-inversionen  in  Fällen,  wo  sich 
keine  Ursache  derselben  feststel- 
len Hess. 

PoLK  will  eine  Inversio  bei 
einer  Virgo  beobachtet  haben,  v. 
WiNCKEL  bezweifelt  den  Sachverhalt,  Doch  hat  Gotschalk  kürzlich  eine 
Inversion  infolge  multipler  submucöser  Myome  bei  einer  63-iährigen  Virgo 
mit  Prolapsus  eines  am  Fundus  uteri  haftenden  kindskopfgrossen  Myoms  mit 
glatter  Heilung  nach  supravaginaler  Amputation  beschrieben. 


Fig.  4b. 


KAISERSCHNITT.  465 

Im  Gegensatz,  zu  der  Mehrzahl  der  puerperalen  Inversionen  entstehen 
die  nicht  puerperalen  meist  sehr  allmälig,  geradeso  wie  auch  die  äi-ztliche  Rein- 
version meist  allmälig  erfolgt  und  erst  ihr  letzter  Act  sich  plötzlich  abspielt. 

Sänger  schlug  statt  der  von  Lomer  für  unstillbare  Blutungen  post 
partum  vorgeschlagenen  P  o  r  r  o  amputation  eine  künstliche  Inversion  des 
puerperalen  Uterus  behufs  Blutstillung  vor  (1890).  Kocks  will  noch  weiter 
gehen  (1890),  den  atonischen  Uterus  durch  die  Scheide  invertiren,  dann  einen 
EsMARCH'schen  Schlauch  anlegen  und  rechnet  dabei  gleichzeitig  auf  die  con- 
stringirende  und  strangulirende  Wirkung  des  einschnürenden  Cervixringes 
und  der  Scheide:  an  seinen  Vorschlag  knüpft  er  dann  noch  weitere  theoretische 
Deductionen,  die  dem  Auge  zugänglich  gewordene  blutende  Placentarstelle  mit 
fortlaufender  Schnürnaht  zu  umgeben  etc.  Er  beruft  sich  auf  seinen  schon 
oben  erwähnten  Fall,  wo  er  bei  einer  frischen  Inversion  nur  durch  Abbindung 
mit  einem  Schürzenband  die  Blutung  schliesslich  beherrschte.  Schliesslich 
schlägt  KocKS  vor,  nach  dem  Kaiserschnitt  den  Uterus  künstlich  zu  invertiren, 
um  die  Nähte  vom  cavum  uteri  aus  zu  knüpfen.  Aber  das  sind  eben  Vor- 
schläge am  Schreibtisch  und  bisher  nicht  erprobte.  Schon  mehrere  Jahre 
zuvor  hat  Frank  mehrmals  nach  Porroamputationen  den  Uterusstumpf 
künstlich  nach  der  Scheide  zu  invertirt  und  dann  die  Peritonaealhöhle  dar- 
über glatt  durch  Naht  verschlossen,  also  gleichsam  unter  Herstellung  einer 
Excavatio  retrovesicalis.  Eine  per  vaginam  in  die  Bauchhöhle  eingeführte 
lange  Klemmzange  fasste  die  lang  belassenen  Enden  der  die  Peripherie  des 
Stumpfes  umsäumenden  Nähte  (welche  Peritoneum  mit  Stumpfschleimhaut 
vereinigten)  und  zog  dieselben  durch  die  Vagina  nach  aussen,  wobei  noth- 
wendig  der  Stumpf  invertirt  und  der  Trichter  oben  durch  Nähte  verschlossen 
wurde.  In  ähnlicher  Weise  wurde  seither  schon  mehrmals  bei  utero- 
vaginaler  Amputation  sub  partu  der  Uterusstumpf  in  die  Scheide  umgestülpt. 
Die  Fälle  finden  sich  in  Frommel's  Jahresbericht. 

FRANZ  NEUGEBAUER. 

KäiSGrSChnitt.  Unter  der  Bezeichnung  Kaiserschnitt  verstehen  wir 
diejenige  Operation,  bei  welcher  das  Kind  nicht  auf  dem  natürlichen  Geburts- 
wege, sondern  durch  Eröffnung  der  schwangeren  Gebärmutter  von  der  Bauch- 
höhle aus  zu  Tage  gefördert  wird.  Der  Kaiserschnitt  gehört  zu  den  ältesten 
geburtshilflichen  Operationen  und  ist  schon  in  frühem  Alterthum  bei  den  ver- 
schiedensten Völkern  ausgeführt  worden,  wie  uns  verschiedene  historische 
Ueberlieferungen  beweisen.  Bis  in  die  neueste  Zeit  herein  galt  mit  Piecht 
diese  Operation  als  ein  heroischer  und  ungemein  gefährlicher  Eingriff,  weil 
weitaus  die  grösste  Anzahl  der  operirten  Frauen  dem  Eingriffe  erlag  und  auch 
in  der  ersten  Zeit  des  Zeitalters  der  Antiseptik  w^aren  die  Ptesultate  immer 
noch  ausserordentlich  ungünstige.  Die  Hauptgefahr  der  Operation  bestand  in 
der  Verblutung  der  operirten  Frauen,  da  der  eröffnete  Uterus  meist  nicht 
genäht  wurde,  oder  aber  —  und  dies  war  das  häufigste  —  die  Frauen  gingen 
an  septischer  Peritonitis  infolge  der  Operation  zu  Grunde.  So  kam  es,  dass 
der  in  den  siebziger  Jahren  unseres  Jahrhunderts  hervorgetretene  Vorschlag 
von  PoRRO,  nach  der  Entleerung  des  Uterus  diesen  oberhalb  des  Cer\ix  zu 
exstirpiren  und  damit  alle  von  demselben  ausgehende  Gefahren  zu  beseitigen, 
ziemlich  allgemeinen  Beifall  fand.  Und  in  der  That  w^aren  die  dui'ch  die 
PoRRo'sche  Operation  gewonnenen  Resultate  gegen  früher  derartig  günstig, 
dass  die  Zahl  der  PoRRo'schen  Kaiserschnitte  sich  rasch  vermehrte,  während 
der  alte  Kaiserschnitt  fast  von  der  Bildfläche  verschw^unden  war.  Da  trat 
wieder  eine  rasche  Wandlung  der  Sache  insofern  auf,  als  Sänger  unter  Angabe 
eines  exact  durchzuführenden  neuen  Verfahrens  den  alten  classischen  Kaiser- 
schnitt wieder  zu  Ehren  brachte.  Das  SÄNGER'sche  Verfahren  beruht  haupt- 
sächlich auf  einer  ausserordentlich  exact  durchzuführenden  Naht  des  eröffneten 

Eibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaefcologie.  30 


466  KAISEESCHNITT. 

Uterus,  welches  einen  vollkommen  sicheren  Abschluss  des  letzteren  gegen  die 
Bauchhöhle  gestattet.  Die  Resultate  nach  der  SÄNGER'schen  Methode  sind 
gegen  früher  so  ausserordentlich  günstige,  dass  von  vielen  Seiten  sogar  die 
Indicationen  für  die  Ausführung  des  Kaiserschnittes  wesentlich  erweitert 
wurden.  Wir  werden  weiter  unten  bei  der  Besprechung  der  Technik  sehen, 
dass  von  den  Vorschlägen  Sängee's  allerdings  die  wenigsten  mehr  im  Ge- 
brauch sind;  deswegen  kann  aber  doch  nicht  geleugnet  werden,  dass  Sänger 
auf  dem  Gebiete  des  Kaiserschnittes  eine  neue  und  vor  allem  eine  glückliche 
Aera  inaugurirt  hat.  Die  PoRRo'sche  Operation  ist  dadurch  wieder  stark  in 
den  Hintergrund  gedrängt,  doch  gibt  es  immerhin  eine  Reihe  von  Fällen,  in 
denen  wir  nach  dem  Kaiserschnitt  die  Exstirpation  des  Uterus  nicht  entbehren 
können,  so  dass  wir  also  heute  über  2  Methoden  des  Kaiserschnittes  verfügen, 
den  classisch-conservativen  und  die  PoRRo'sche  Operation. 

I.  Kaiserschnitt  {Sectio  caesarea).  Bei  der  immerhin  auch  heute  noch 
durchaus  nicht  zu  unterschätzende'n  Gefährlichkeit  dieser  Operation  sind  glück- 
licher Weise  die  stricten  Indicationen  zur  Vornahme  derselben  nicht  häufig 
gegeben.  Unter  allen  Umständen  aber  muss  die  Operation  dann  ausgeführt 
werden,  wenn  absolute  Beckenenge  besteht,  d.  h.  wenn  ein  auch  zerkleinertes 
Kind  nicht  ohne  Schädigung  für  die  Mutter  auf  natürlichem  Wege  entwickelt 
werden  kann.  Es  betrifft  dies  also  die  höchsten  Grade  der  Beckenenge  wie 
sie  durch  Skeleterkrankungen  (Rachitis  und  Osteomalacie)  hervorgerufen 
w^erden  können;  zahlenmässig  ausgedrückt  nimmt  man  gewöhnlich  an,  dass 
alle  diejenigen  Becken  hieher  gehören,  deren  kleinster  Durchmesser  weniger 
als  6  cm  misst.  Ausser  diesen  Skeleterkrankungen  können  auch  Tumoren 
verschiedener  Art  das  Becken  verlegen  und  zur  absoluten  Beckenverengerung 
Veranlassung  geben.  Es  betrifft  dies  nicht  nur  von  den  Genitalien  ausgehende 
Neubildungen,  sondern  unter  Umständen  auch  vom  Becken  selbst  ihren  Ausgang 
nehmende  Geschwülste.  Bei  Myomen  des  Uterus,  sowie  bei  Ovarialtumoren 
ist  dabei  immer  noch  die  Möglichkeit  vorhanden,  dass  der  Tumor  in  Chloro- 
formuarkose  sich  aus  dem  Becken  heraus  in  die  Höhe  schieben  lässt  und 
dadurch  das  Hindernis  beseitigt  werden  kann.  In  seltenen  Fällen  gibt  auch 
die  krebsige  Entartung  des  Cervix  Veranlassung  zur  Sectio  caesarea  und  zwar 
dann,  wenn  durch  ausgedehnte  carcinomatöse  Infiltration  des  Beckenbinde- 
gewelDCs  das  Becken  so  ausgefüllt  erscheint,  dass  eine  Entwicklung  des  Kindes 
auf  dem  natürlichen  Wege  ausgeschlossen  ist.  In  allen  diesen  eben  erwähnten 
Fällen  liegt  eine  absolute  zwingende  Indication  zum  Kaiserschnitt  vor,  da  auch 
ein  Versuch,  ein  zerkleinertes  Kind  durch  die  natürlichen  Geburtswege  hin- 
durchzuziehen, für  die  Mutter  zu  gefährlich  wäre,  und  der  Kaiserschnitt  trotz 
seiner  Gefahren  als  die  schonendere  und  aussichtsvollere  Methode  der  Ent- 
bindung bezeichnet  werden  muss. 

Die  glücklichen  Resultate,  welche  bei  der  Ausführung  des  Kaiser- 
schnittes in  sehr  zahlreichen  Fällen  in  den  letzten  Jahren  erreicht  wurden, 
haben,  wie  bereits  oben  erwähnt,  zahlreiche  Geburtshelfer  veranlasst,  die  In- 
dicationen des  Kaiserschnittes  zu  erweitern.  Hauptsächlich  wurden  sie  auf 
diejenigen  Fälle  ausgedehnt,  in  welchen  ein  derartiger  Grad  der  Beckenenge 
vorliegt,  dass  die  Entbindung  nur  durch  Perforation  des  Kindes  ohne  wesent- 
lichen Schaden  der  Mutter  beendet  werden  kann.  Es  betrifft  dies  also  die- 
jenigen Becken,  welche  im  Grade  der  Verengerung  dem  Kaiserschnittsbecken 
am  nächsten  stehen  (beim  platten  Becken  etwa  diejenigen  mit  einer  Conjugata 
von  6 — 7-5  cm).  In  diesen  Fällen  würde  also  der  Kaiserschnitt  die  Auf- 
opferung des  Kindes,  durch  die  allein  bisher  eine  für  die  Mutter  glückliche 
Entbindung  denkbar  war,  unnöthig  machen.  Es  fragt  sich  nur,  ob  wir  zur 
Zeit  nach  den  bisherigen  Verfahren  berechtigt  sind,  die  sogenannte  relative 
Indication  zum  Kaiserschnitt   allgemein   aufzustellen.    Ich  glaube,   dass  dies 


KAISERSCHNITT.  467 

noch  zur  Zeit  verneint  werden  muss.  Es  wird  sehr  darauf  ankommen,  unter 
welchen  Umständen  in  den  einzelnen  Fällen  operirt  werden  kann.  In  einer 
Klinik,  in  welcher  alle  Vorbereitungen  für  Bauchschnitte  jederzeit  getroffen 
sind  und  unter  den  denkbar  günstigsten  Verhältnissen  operirt  werden  kann, 
wird  ein  mit  der  Technik  der  Laparotomie  vertrauter  Operateur  sich  leichter 
und  mit  den  denkbar  günstigsten  Aussichten  unter  diesen  Umständen  zur 
Sectio  caesarea  entschliessen,  als  der  praktische  Arzt,  welcher  oft  unter  den 
ungünstigsten  Verhältnissen  gezwungen  unter  allen  Umständen  besser  thun 
wird,  in  diesen  Fällen  die  Perforation  vorzunehmen.  Nur  der  stricte  aus- 
gesprochene Wunsch  der  Kreissenden  und  ihrer  Angehörigen  unter  allen  Um- 
ständen ein  lebendes  Kind  zu  erhalten,  würde,  günstige  äussere  Verhältnisse 
voraugesetzt,  die  Vornahme  der  Sectio  caesarea  in  der  Praxis  rechtfertigen. 
Denn  es  muss  mit  Bestimmtheit  betont  werden,  dass  die  Prognose  des  Kaiser- 
schnittes trotz  ihrer  wesentlichen  Besserung  in  letzter  Zeit  noch  immer  nicht 
eine  so  günstige  ist,  dass  sie  mit  jener  der  rechtzeitig  ausgeführten  Perforation 
erfolgreich  in  Concurrenz  treten  könnte.  Inwieweit  die  in  neuerer  Zeit  wieder 
in  Aufnahme  gebrachte  Symphyseotomie  gerade  in  diesen  letzterwähnten  Fällen 
berufen  sein  wird,  mit  dem  Kaiserschnitt  in  Concurrenz  zu  treten,  ist  vor- 
läufig noch  nicht  zu  sagen,  da  erst  weitere  Erfahrungen  über  die  Operation 
gesammelt  werden  müssen. 

Die  Indicationsstellung  liegt  also  heutzutage  so,  dass  bei  absoluter  Becken- 
enge von  jedem  Arzte  die  Vornahme  des  Sectio  caesarea  verlangt  werden 
muss,  dass  dagegen  bei  relativer  Indication  nur  unter  den  denkbar  günstig- 
sten äusseren  Verhältnissen  operirt  werden  darf. 

Die  Frage,  ob  bei  eminenter  Lebensgefahr  der  Mutter,  wie  z.  B.  bei 
Eklampsie  oder  vorzeitiger  Lösung  der  Placenta  dann  der  Kaiserschnitt 
gemacht  werden  soll  oder  nicht,  wenn  eine  Entbindung  per  vias  naturales 
wegen  ungenügend  vorbereiteter  Weichtheile  unmöglich  erscheint,  muss 
erst  noch  weiteren  Untersuchungen  vorbehalten  werden.  Bezüglich  der  Eklam- 
psie scheint  es  schon  heute,  als  ob  die  Erfolge  nicht  gerade  ermunternd 
seien. 

Technik  der  Operation:  Der  günstigste  Zeitpunkt  zur  Vornahme 
der  Operation  ist  zweifellos  der,  wenn  man  einige  Zeit  nach  Auftritt  der 
ersten  Wehen  operiren  kann;  insbesondere  hatte  sich  gezeigt,  dass  es  durch- 
aus nicht  rathsam  ist,  schon  am  Ende  der  Schwangerschaft,  also  vor  Beginn 
der  Wehen  zu  operiren,  weil  der  Uterus  unter  diesen  Umständen  meist  nach 
der  Entbindung  schlecht  contrahirt  ist,  und  schwere  atonische  Nachblutungen 
auftreten.  Anderseits  ist  es  ebenfalls  ungünstig,  die  Operation  später  vor- 
zunehmen, weil  mit  der  längeren  Dauer  der  Geburt  die  Zersetzung  der  Secrete 
im  Uterus  droht  und  damit  die  Chancen  für  die  Operation  wesentlich  getrübt 
werden. 

Vor  der  Operation  selbst  bekommt  die  Kreissende,  wenn  möglich,  ein 
Bad,  und  wird  dann  wie  bei  anderen  Laparatomien  das  Abdomen  in  gründ- 
lichster Weise  desinficirt,  am  besten  nach  der  Fürbringee' sehen  Methode  mit 
Seife,  Alkohol  und  l^/oo  Sublimatlösung  behandelt.  Der  Bauchschnitt  wird  in 
der  Linea  alba  mehrere  Centimeter  oberhalb  des  Nabels  bis  nahe  an  die  Sym- 
physe heruntergeführt  und  die  Bauchdecken  schichtweise  durchtrennt,  wobei 
etwa  spritzende  Gefässe  unterbunden  werden.  Nach  der  Eröffnung  des  Peri- 
toneums wälzt  man  den  kreissenden  Uterus  vor  die  Bauchdecken  vor  und 
schliesst  am  besten  den  oberen  Theil  der  Bauchwunde  provisorisch  durch 
einige  Nähte,  um  den  Darm  nicht  in  zu  ausgedehnter  Weise  frei  liegen  zu 
lassen;  der  etwa  noch  freiliegende  Darm  wird  durch  sterile  Gazeservietten 
zurückgehalten,  dann  wird  um  den  supravaginalen  Theil  des  Cervix  herum 
ein  kräftiger  Gummischlauch  gelegt  und,  nachdem  derselbe  stark  angezogen 
wurde,  mit  einer  Klammer  befestigt.    Hat  man  reichliche  Assistenz,  so  kann 

30* 


468  KAISEESCHNITT. 

der  betreffende  Assistent  auch  mit  der  Hand  den  Cervix  umfassen  und  com- 
primiren.  Nun  wird  in  der  Medianlinie  der  Uteruswand  gegen  den  Fundus 
hin  der  Uterus  eingeschnitten,  dann  mit  2  Fingern  in  die  Oetfnung  eingegangen 
und  unter  Leitung  derselben  der  Uterusmuskel  bis  nahe  an  die  Cervixpartien 
rasch  durchschnitten.  Dabei  tritt  gewöhnlich  eine  starke  Blutung  auf,  indem 
das  im  Uterus  vorhandene  Blut  herausstürzt.  Diese  Blutung  ist  umso  stärker, 
wenn  die  Placentarstelle  getroffen  ist.  Der  Operirende  darf  sich  dadurch 
nicht  verblüffen  lassen,  sondern  eröffnet  schleunigst  die  Eihöhle  und  ent- 
wickelt das  Kind  so  rasch  als  möglich.  Nach  Unterbindung  der  Nabelschnur 
wird  dasselbe  der  Wärterin  oder  Hebamme  übergeben.  Diese  Entwicklung 
des  Kindes  gelingt  meistens  so  rasch,  dass  dasselbe  nicht  asphyktisch  geworden 
ist,  so  dass  Wiederbelebungsversuche  zumeist  ausgeschlossen  sind.  Nunmehr 
wird  mit  Gazeservietten  das  Blut  aus  der  Wunde  möglichst  entfernt  und  dann 
die  Placenta  nebst  den  Eihäuten  manuell  gelöst,  worauf  sofort  die  Wieder- 
vereinigung der  Uteruswand  erfolgt.  Manche  halten  es  für  nothwendig,  im 
Anschlüsse  an  die  Entfernung  der  Placenta  die  Uterusinnenfläche  mit  einer 
desinficirenden  Ausspülung  zu  behandeln,  resp.  Jodoformpulver  in  die  Uterus- 
höhle zu  streuen,  bevor  die  Gebärmutterwunde  wieder  geschlossen  wird.  Dies 
ist  jedenfalls  in  allen  denjenigen  Fällen  unnöthig,  in  welchen  im  Beginne  der 
Geburt  operirt  wurde  und  die  Innenfläche  des  Uterus  zweifellos  aseptisch  ist. 
Eher  kann  man  an  eine  derartige  antiseptische  Behandlung  der  Uterusinnen- 
fläche denken,  wenn  der  Kaiserschnitt  nach  langdauernder  Geburt  und  ins- 
besondere nach  mehrfachen  vorausgegangenen  inneren  Untersuchungen  vor- 
genommen worden  ist.  Ist  aber  eine  Zersetzung  der  Secrete  im  Uterus  bereits 
eingetreten,  so  ist  der  Kaiserschnitt  überhaupt  nicht  mehr  indicirt,  sondern, 
wie  wir  später  sehen  werden,  die  Exstirpation  des  Uterus  (PoEEo'sche  Opera- 
tion) vorzuziehen.  Die  von  Sänger  zuerst  angegebene  complicirte  Nahtmethode 
kann  dabei  völlig  entbehrt  werden.  Es  genügt  durch  eine  Anzahl  von  tief- 
greifenden und  oberflächlichen  Nähten,  welche  lediglich  die  Musculatur  des 
Uterus  ohne  das  Peritoneum  fassen  und  nahe  an  der  Schleimhautgrenze  des 
Uterus  ausgeführt  werden,  die  Vereinigung  zu  vollziehen.  Die  Zahl  der  hiezu 
nöthigen  Nähte  schwankt  etwa  zwischen  12 — 25.  Die  Wahl  des  Nahtmateriales 
ist  ebenfalls  ziemlich  gleichgiltig,  die  Hauptsache  ist,  ob  man  nun  Seide  oder 
Catgut  oder  Fil  de  Florence  nimmt,  dass  dasselbe  entsprechend  antiseptisch, 
resp.  aseptisch  vorbereitet  ist.  Am  besten  erscheint  es  zuerst  in  kurzem  Ab- 
stände tiefgreifende  Nähte  durch  die  Musculatur  zu  legen,  dann  den  Schlauch 
zu  lösen  und  an  den  Stellen,  an  welchen  noch  Blut  durchsickert,  durch  ober- 
flächliche Umstechungsnähte  die  Blutung  zu  stillen.  Die  baldige  Entfernung 
des  Schlauches  ist  deswegen  erwünscht,  weil  erfahrungsgemäss  nach  langem 
Liegen  desselben  der  Uterus  häufig  atonisch  bleibt  und  schwere  Nachblutung 
eintritt.  Steht  dann  die  Blutung,  so  schneidet  man  die  bisher  geknoteten 
Nähte  kurz  ab  und  näht  darüber  das  bisher  nicht  eingefasste  Peritoneum 
linear  an  einander.  Nach  Sängee's  Vorschrift  soll  dies  durch  Einfalzung  des 
Peritoneums  nach  Art  der  LAMBERT'schen  Darmnähte  mit  einzelnen  Knopfnähten 
geschehen.  Es  ist  dies  aber  kaum  nöthig.  Eine  einfache  fortlaufende  Catgut- 
naht  vermag  das  Peritoneum  so  genau  zu  adaptiren  und  gestattet  insbeson- 
dere eine  so  rasche  Vereinigung  des  Peritoneums,  dass  auf  die  complicirtere 
Methode  nach  Sänger  am  besten  verzichtet  werden  kann.  Darauf  wird  der 
Uterus  wieder  in  die  Bauchhöhle  zurückgebracht  und  aus  der  letzteren  etwa 
eingeflossenes  Blut,  Fruchtwasser  etc.  mit  sterilen  Gazeservietten  so  gut  als 
möglich  aufgetupft,  worauf  dann  der  Schluss  der  Bauchwunde  mit  oberfläch- 
lichen und  tiefen  Seidenknopfnähten  erfolgt.  Die  Bauchwunde  wird  mit  Jodo- 
formpulver bestreut  und  ein  einfacher  Deckverband  darüber  gelegt. 

Nach  unseren  neueren  Erfahrungen  werden  wie  alle  anderen  Laparatomien 
auch  der  Kaiserschnitt  unter  aseptischen  Vorbereitungsmassregeln  ausgeführt. 


KAISERSCHNITT.  469 

d.  h.  wir  werden  in  der  Klinik  Instrumente,  Auftupfmaterial  etc.  vorher  steri- 
lisiren  und  keine  antiseptischen  Mittel  in  die  Bauchhöhle  bringen.  Dies 
wird  natürlich  in  der  Praxis  bei  mehr  improvisirten  P'ällen  nicht  in  der  Weise 
durchführbar  sein,  so  dass  hier  der  antiseptische  Apparat  mehr  in  den  Vorder- 
grund zu  treten  hat."^)  Die  Behandlung  geschieht  in  derselben  Weise,  wie  bei 
Laparatomien.  Die  frisch  Entbundene  erhält  in  den  ersten  1—2  Tagen  am 
besten  gar  keine  Nahrung  oder  Erfrischung  per  os  und  wird  erst  vom  dritten 
Tage  an  langsam  erst  flüssige  und  ganz  allmälig  dann  andere  Kost  zuge- 
führt. Gegen  das  Erbrechen  helfen  häufig  kleine  Morphiumgaben,  eventuell 
Eispillen  u.  s.  w.  Die  Blase  wird  nur  bei  Unvermögen  den  Urin  zu  lassen,  mit 
dem  Katheter  entleert.  Treten  keine  peritonitischen  Reizungen  auf,  so  kann 
man  schon  am  4. — 5.  Tage  Stuhlentleerungen  herbeiführen,  wozu  häufig  ein 
wenig  voluminöser  Einlauf  in  den  Mastdarm  genügt.  Die  Nähte  der  Bauch- 
wunde werden  zwischen  dem  9.  bis  10.  Tage  entfernt  und  nach  Al)lauf  von 
drei  Wochen  nach  der  Operation  kann  die  Wöchnerin  das  Bett  verlassen. 
Gegen  eventuelle  atonische  Nachblutungen  wird  man  mit  Ergotininjectionen 
und  nur  im  Nothfalle  mit  intrauterinen  Injectionen  vorgehen.  Bei  glattem 
Verlauf  steht  nichts  im  Wege,  dass  die  Wöchnerin  ihr  Kind  selbst  stillt. 

Die  Vorhersage  des  classischen  Kaiserschnittes  ist,  wie  wir  bereits 
oben  ausgeführt  haben,  seit  der  durch  Sänger  inaugurirten  neuen  Aera  eine 
wesentlich  bessere  gegen  früher  geworden.  Denn  während  in  den  früheren 
Zeiten  höchstens  20%  der  operirten  Frauen  nach  der  Operation  am  Leben 
blieb,  hat  sich  dies  sehr  wesentlich  insofern  verschoben,  dass  wir  in  letzter 
Zeit  etwa  eine  Mortalität  von  circa  15 — 20''/o  berechnen  können,  und  diese 
Ziffer  wird  noch  günstiger,  wenn  wir  die  Resultate  einzelner  Kliniken  betrach- 
ten, von  welchen  mehrere  eine  nur  ausserordentlich  geringe  Mortalität  zu 
verzeichnen  haben.  Immerhin  aber  muss  auch  bei  dieser  Gelegenheit  betont 
werden,  dass  eine  derartige  Mortalitätsziffer  noch  immer  als  eine  hohe  zu 
betrachten  ist,  und  dass  daraus  hervorgeht,  dass  die  Gefährlichkeit  des 
Kaiserschnittes  noch  sehr  erheblich  ist.  Daraus  geht  eben  mit  Evidenz  her- 
vor, dass  mit  der  Erweiterung  der  Indicationsstellung  für  den  Kaiserschnitt 
unter  sehr  günstigen  Bedingungen  vorgegangen  werden  darf.  Die  Prognose 
für  das  Kind  muss  in  allen  denjenigen  Fällen,  in  welchen  früh  und  unter 
günstigen  Verhältnissen  operirt  wird,  eine  gute  sein.  Bei  richtiger  Ausfühi'ung 
der  Operation  muss  das  Kind  lebensfrisch  oder  kaum  asphyktisch  dem  Uterus 
entnommen  werden.  Die  Vorhersage  wird  nur  in  denjenigen  Fällen  getrübt, 
in  welchen  die  ärztliche  Hilfe  spät,  d.  h.  nach  langer  Geburtsdauer  in  Anspruch 
genommen,  resp.  geleistet  wird. 

Im  Anschluss  an  die  bisherige  Besprechung  des  Kaiserschnittes  sei  noch 
in  Kürze  erwähnt,  dass  unter  Umständen  auch  an  der  eben  verstorbenen 
Mutter  der  Kaiserschnitt  vollzogen  werden  muss.  Das  Gesetz  einiger  Länder 
legt  dem  Arzte  geradezu  die  Pflicht  auf,  bei  Todesfällen  schwangerer  Frauen 
innerhalb  einer  gewissen  Zeit  nach  dem  Tode  den  Uterus  zu  eröffnen  und 
auf  diesem  Wege  das  Kind  zu  Tage  zu  fördern.  Selbstverständlich  ist  nm- 
dann  eine,  wenn  auch  sehr  schwache  Aussicht  vorhanden,  ein  lebendes  Kind 
oder  wenigstens  ein  asphyktisches  Kind,  welches  wieder  belebt  werden  kann 
zu  Tage  zu  fördern,  w'enn  einerseits  unmittelbar  post  mortem  operirt  wird, 
und  andererseits  der  Tod  der  Mutter  unter  Umständen  eingetreten  ist,  bei 
welchen  nicht  das  Kind  schon  vorher  im  Mutterleibe  zu  Grunde  gegangen 
ist.  Es  betrifft  dies  also  diejenigen  Fälle,  bei  welchen  die  Mutter  plötzlich 
durch  einen  Unglücksfall  oder  durch  Vergiftung,  dui'ch  Apoplexie  oder  Em- 
bolie  zu  Grunde  gegangen  ist,  während  in  denjenigen  Fällen,  in  welchen  die 
Mutter   infolge   hochfieberhaften   Erkrankungen   (Infectionski'ankheiten)   oder 


*)  Vergl.  „Antisepsis  wid  Asepsis  in  der  Gynäkologie^ ,  pag.  47  u.  ff. 


470  KAISERSCHNITT. 

durch  Verblutung  oder  Erstickung  zu  Grunde  gegangen  ist,  regelmässig  das 
Kind  vor  der  Mutter  abzusterben  pflegt.  Die  Aussichten  auch  unter  den 
denkbar  günstigsten  Verhältnissen,  durch  die  Operation  ein  lebendes  Kind  zu 
erzielen,  sind  ungemein  gering.  In  diesen  Fällen  wird  der  Kaiserschnitt  an 
der  Todten  ebenfalls  völlig  lege  artis  auszuführen  sein,  und  ist  auch  eine 
Vereinigung  des  Uterus  und  der  Bauchhöhle  durch  die  Naht  wieder  auszu- 
führen. 

IL  Der  Kaiserschnitt  mit  siipravaginaler  Amx)utation  des  Uterus. 
{Porro'sche  Operation.)  Es  ist  bereits  oben  erwähnt  worden,  dass  die  Porro- 
sche  Operation,  welche  in  den  siebziger  Jahren  den  alten  Kaiserschnitt  ver- 
drängt hatte,  neuerdings  wieder  stark  in  den  Hintergrund  getreten  ist,  seitdem 
die  Ausführung  des  alten  classischen  Kaiserschnittes  nicht  mehr  mit  den 
früheren  Gefahren  für  das  mütterliche  Leben  verbunden  ist.  Immerhin  bleibt 
aber  wohl  für  alle  Zeiten  ein  kleines,  aber  wohlberechtigtes  Gebiet  von  Fällen 
reservirt,  in  welchen  wir  die  Entfernung  des  Uterus  nach  dem  Kaiserschnitt 
nicht  entbehren  können.  Die  Indicationen  lassen  sich  etwa  folgendermassen 
feststellen: 

1.  Wenn  der  hochschwangere,  resp.  kreissende  Uterus  durch  grosse  und 
besonders  auch  durch  multiple  Myome  durchsetzt  ist,  welche  durch  ihren 
Sitz  und  durch  die  weiteren  Symptome,  welche  sie  hervorrufen,  an  und  für 
sich  eine  Entfernung  des  Uteruskörpers  nothwendig  machen.  Es  ist  selbst- 
verständlich, dass  man  unter  diesen  Umständen  den  schwer  erkrankten  Uterus 
nicht  mehr  in  die  Bauchhöhle  zurückversenken,  sondern  sofort  bei  der  Opera- 
tion entfernen  wird. 

2.  Wenn  bei  osteomalaci sehen  B e c k e n  der  Kaiserschnitt  gemacht 
werden  muss,  wird  man  am  besten  thun,  den  Uterus  nebst  den  Eierstöcken 
im  Anschluss  an  den  Kaiserschnitt  zu  entfernen.  Nach  den  Erfahrungen  von 
Fehling,  die  von  zahlreichen  anderen  Autoren  bestätigt  wurden,  führte  die 
Entfernung  der  Ovarien  bei  einer  an  Osteomalacie  erkrankten  Frau  zu  einem 
Stillstande,  resp.  zu  einer  Ausheilung  der  Knochenerkrankung.  Unter  diesen 
Umständen  ist  es  daher  nicht  unbedingt  nothwendig,  den  Uterus  mit  den 
Eierstöcken  zu  entfernen,  sondern  man  kann  sich  auf  die  Castration  beschränken 
und  den  Uterus,  nachdem  man  ihn  in  der  oben  beschriebenen  Weise  versorgt 
hat,  wieder  in  die  Bauchhöhle  zurückbringen.  Man  wird  aber  sich  wohl  in 
den  meisten  Fällen  zur  Entfernung  des  Uteruskörpers  entschliessen. 

3.  In  seltenen  Fällen  ist  man  zum  Kaiserschnitt  genöthigt,  weil  hoch- 
gradige Narbenstenosen  der  Scheide  oder  des  Cervix  eine  Geburt  per  vias 
naturales  unmöglich  machen.  In  diesen  Fällen  würde  nach  dem  Kaiserschnitt 
ein  Abfluss  der  Lochialsecrete  des  Uterus  unmöglich  oder  hochgradig  erschwert 
sein  und  dies  müsste  zu  einer  erschwerenden  Gefährdung  der  Entbundenen 
führen.  Die  Exstirpation  des  Uterus  beseitigt  mit  Sicherheit  diese  Gefahren. 

4.  Es  ist  bereits  oben  erwähnt  worden,  dass,  wenn  wir  genöthigt  sind 
den  Kaiserschnitt  bei  Zersetzung  der  Secrete  des  Uterus  nach  langer 
Geburtsdauer  auszuführen,  die  Entfernung  des  inficirten  Uterus  diingend 
geboten  erscheint.  Vor  allem  würde  bei  Infection  des  Uterus  die  Incisions- 
wunde  voraussichtlich  nicht  heilen  und  durch  Austritt  der  zersetzten  Secrete 
in  die  Bauchhöhle  die  Gefahr  einer  septischen  Peritonitis  eine  sehr  grosse 
sein.  Die  Exstirpation  des  inficirten  Uterus  hat  unter  diesen  Umständen 
wiederholt  günstige  Ptesultate  aufzuzeichnen. 

5.  In  manchen  Fällen  von  Sectio  caesarea  ist  die  Beobachtung  gemacht 
worden,  dass  der  Uterus  nach  der  Naht  sich  nicht  zusammenzog  und  dass 
schwere  atonische  Nachblutungen  auftraten.  Meistens  waren  das  solche  Fälle, 
bei  welchen  der  Constrictionsschlauch  zu  lange  liegen  blieb.  Sollte  in  einem 
derartigen  Falle  die  Blutung  sich  nicht  bewältigen  lassen,  so  käme  als  letztes 
Mittel  der  Blutstillung  auch  hiebei  die  Entfernung  des  Uterus  in  Frage. 


KEPHÄLHAEMATOMA.  471 

Die  Vorbereitungen  zur  Operation  werden  ebenso  ausgeführt  wie 
beim  Kaiserschnitt,  und  auch  der  Beginn  der  Operation  bis  zur  Kritloerung 
des  Uterus  wird  ganz  in  derselben  Weise  ausgeführt,  wie  es  beim  Kaiser- 
schnitt beschrieben  wurde.  Nachdem  unter  elastischer  Constriction  des  Cervix 
das  Kind  nebst  Placenta  und  Eihäuten  aus  dem  Uterus  entfernt  worden  ist, 
wird  derselbe  einige  Centimeter  oberhalb  des  Constrictionsschlauches  arapu- 
tirt.  Nunmehr  können  zweierlei  Wege  der  Stumpf  Versorgung  einge- 
schlagen werden.  Einerseits  kann  man  den  Stumpf  in  den  unteren  Wund- 
winkel der  Bauchwunde  einnähen,  so  dass  also  die  Amputationsfläche  voll- 
ständig extraperitoneal  zu  liegen  kommt;  dieses  Verfahren  ist  unter  allen 
Umständen  bei  Zersetzung  der  Secrete  im  Uterus  stricte  indicirt.  Um  den 
Stumpf  am  nachträglichen  Zurückschlüpfen  in  die  Bauchhöhle  zu  verhindern, 
stösst  man  2  lange  Nadeln  kreuzweise  durch  denselben,  welche  auf  den  Bauch- 
decken aulliegen  und  mit  steriler  Gaze  oder  Watte  unterlegt  werden.  Zwischen 
den  Stumpf  und  die  Bauchdecken  legt  man  am  besten  Jodoformgaze  ein  und 
versorgt  den  Stumpf  mit  dem  Therm okauter.  Der  Constrictionsschlauch  bleibt 
um  den  Stumpf  herum  liegen.  Die  Nachbehandlung  hat  hauptsächlich  darauf 
ihr  Augenmerk  zu  richten,  dass  der  absterbende  Theil  des  Stumpfes  oberhalb 
der  Constriction  nicht  in  Fäulnis  übergeht,  was  man  durch  Trockenhalten 
desselben  entweder  durch  Bepinselung  mit  einer  50%  Chlorzinklösung  oder 
durch  Aufstreuen  von  Tannin-Salicylpulver  zu  gleichen  Theilen  erreichen  kann. 
Der  so  behandelte  Stumpf  stösst  sich  dann  gewöhnlich  in  den  nächsten  Wochen 
ab,  und  es  bleibt  ein  granulirender  Wundtrichter  zurück,  der  meist  eine  Pieihe 
von  Wochen  bis  zu  seiner  völligen  Vernarbung  bedarf. 

Andererseits  kann  aber  auch,  wenn  der  Inhalt  des  Uterus  bei  der  Ope- 
ration vollständig  keimfrei  war,  die  intraperitoneale  Stielversorgung  gewählt 
werden.  Man  vernäht  dann  zunächst  die  Uterushöhle  durch  versenkte  Nähte 
und  vereinigt  darauf  die  Stumpfwand  nach  irgend  einer  der  Methoden  wie  sie 
bei  der  Myotomie  (siehe  „dieses  Stichwort")  ausgeführt  werden.  Schliesslich 
wird  das  Peritoneum  des  Stumpfes  durch  fortlaufende  Catgutnaht  über  den- 
selben herübergenäht.  Dann  wird  der  Schlauch  abgenommen,  eventuelle  Blu- 
tung durch  Umstechungsnähte  gestillt  und  darauf  der  Stumpf  in  die  Bauch- 
höhle versenkt.  Die  weitere  Behandlung  der  Wöchnerin  ist  ganz  dieselbe 
wie  beim  conservativen  Kaiserschnitt. 

Die  Prognose  der  PoRRO'schen  Operation  dürfte  ungefähr  der  des 
conservativen  Kaiserschnittes  entsprechen.  Zweifelhaft  allerdings  wird  sie  in 
allen  denjenigen  Fällen  sein,  in  welchen  eine  Zersetzung  der  Secrete  im 
Uterus  die  Indication  zur  Operation  gegeben  hat.  Dabei  wird  es  vor  allem 
darauf  ankommen,  ob  es  dem  Operirenden  gelungen  ist,  während  der  Opera- 
tion das  Eintiiessen  des  zersetzten  Uterusinhaltes  in  die  Bauchhöhle  zu  ver- 
hindern; in  letzterem  Falle  wäre  allerdings  die  Vorhersage  eine  sehr  ungünstige. 

RICHAED    FROMMEL. 

Kephalhaematoma,  {die  BlutkopfgeschwuUt.)  Selbst  bei  normalen  Ver- 
hältnissen in  der  Geburt  kann  durch  Verbiegung  der  Kindesschädelknochen 
eine  Zerrung  und  Verschiebung  ihres  Periosts  vorkommen.  Dasselbe  kann  auch 
ein  dem  Kindesschädel  zugefügtes  Trauma  bewirken.  Die  nächste  Folge  davon 
ist  das  Zerreissen  der  subperiostalen  Gefässe  und  damit  ein  Blut  austritt 
zwischen  Periost  und  Knochen.  Die  so  gesetzte,  mehr-minder  rund- 
liche pralle  Geschwulst,  das  Kephalhämatom  kann  nach  seinem  Vorkommen 
ein  äusseres  oder  ein  inneres  sein. 

Ersteres  kann  unmittelbar  nach  der  Gebm't  für  eine  einfache  Kopf- 
geschwulst") angesprochen  werden,  wächst  aber  nach  1—3  Tagen  (Differen- 

*;  Yergl.  Artikel  ,^Geburtsgeschwtdst'',  pag.  284. 


472  KLIMACTERIÜM. 

tialdiagnose  von  letzterer)  oft  bis  zu  Kleinfaiistgrösse  und  hat  nach  dieser 
Frist  eine  dem  Kande  des  Knochens  entsprechende,  harte  Leiste,  während  der 
mehr  central  gelegene  Theil  der  Geschwulst  sich  prall  elastisch  anfühlt.  Solche 
Geschwülste  können  gleichzeitig  an  mehreren  Knochen  vorkommen.  Schneidet 
man  in  die  Geschwulst  ein,  so  ergiesst  sich  daraus  eine  dunkle,  theerartige, 
ziehende,  dickliche  Blutmenge. 

An  den  vom  Periost  entblössten  Stellen  finden  sich  gallertige  Exsudat- 
massen, in  die  später  Knochensalze  abgelagert  werden  und  die  zu  den  später 
nachweislichen  Unebenheiten,  Leistenvorsprüngen  u.  d.  g.  am  Schädel  Ver- 
anlassung geben. 

Mit  diesem  äusseren  Kephalhämatom  zusammen,  jedoch  auch  ohne 
dieses,  kommt  besonders  bei  Traumen  das  sogenannte  innere  Kephal- 
hämatom vor.  Es  liegt  an  der  Innenfläche  des  Knochens,  gegen  die 
Meningen  zu,  erreicht  nicht  die  Grösse  des  äussern,  ist  aber  das  gefährlichere. 
Denn  während  das  Kephalhaematoma  externum  in  der  Regel  ohne  Hin- 
zuthun  —  wenn  auch  nach  Monaten  zu  vergehen  pflegt  —  oder  höchstens  die  oben 
erwähnten  Knochenauflagerungen  hinterlässt,  so  stellen  sich  beim  Kephal- 
haematoma internum  sehr  bald  die  Zeichen  von  Gehirndruck  ein,  und  es 
erfolgt  unter  Krämpfen,  Strabismus  und  Coma  rasch  der  letale  Ausgang. 

Ausnahmsweise  kann  das  Kephalhaemat  omaexte  rnum  zur  Abscess- 
bildung  führen,  wie  auch  nachfolgende  Caries  der  Schädelknochen  beobachtet 
wurde;  diese  Ausgänge  gehören  zu  den  Seltenheiten. 

In  differentialdiagnostischer  Beziehung  kommt  die  Kopf- 
geschwulst und  die  Abscessbildung  in  Betracht.  Man  erkennt  das 
Kephalhämatom  am  nachträglichen  Wachsthum  und  unterscheidet  es  von 
einem   Abscess    durch  den   Mangel   an    Schmerzhaftigkeit   und   des  Fiebers. 

Die  Therapie  anlangend,  empfiehlt  sich  beim  Kephalhämatoma 
externum  zuerst  zuzuwarten;  da  sich  der  eröffnete  Blutsack  leicht  nochmals 
füllt,  so  kürzt  der  Eingriff  den  Process  nicht  immer  ab.  Hingegen  tritt 
WiNCKEL,  der  sich  mit  dem  Gegenstande  eingehender  beschäftigte,  für  die 
Eröffnung  des  Tumors  unter  streng  antiseptischen  Cautelen  und  das  Anlegen 
eines  leichten  Druckverbandes  ein.  Wir  empfehlen  diesen  Vorgang  nur  für 
jene  Fälle,  wo  der  Blutsack  sehr  lange  nicht  zur  Resorption  gelangt  oder 
man  sichere  Zeichen  für  den  Zerfall  des  Inhaltes  wahrnimmt.  Der  Abscess 
fällt  dann  unter  chirurgische  Betrachtung  und  Behandlung. 

Elischer. 

Klimacterium  ist  die  Zeit  der  Menopause,  jene, Lebensperiode  des  Weibes, 
mit  deren  Eintreten  das  Geschlechtsleben  durch  atrophische  Veränderungen 
des  Genitales  erlischt.  Am  allerhäufigsten  cessiren  die  Menses  unter  unseren 
Breitegraden  im  Alter  zwischen  45  und  50  Jahren,  in  einem  bedeutend  ge- 
ringeren Bruchtheil  der  Fälle  hört  die  Menstruation  bereits  zwischen  dem  40. 
und  45.  Jahre  auf,  ohne  dass  man  ein  Recht  hätte,  diese  frühere  Cessation 
als  pathologisch  zu  bezeichnen.    Nach  Francis  Hogg  trat  bei  44  Frauen 

21mal  Menopause  zwischen  40—45  Jahren 

23  „  „  „        45 — 50  Jahren  ein. 

Nach  EvERs  trat  bei  102  Frauen 

16mal  Menopause  zwischen  40 — 45  Jahren 

86  ,,  „  „        45 — 50  Jahren  ein. 

Nach  KiscH  trat  bei  318  Frauen 

141mal  Menopause  zwischen  40 — 45  Jahren 

177  „  „  „         45—50  Jahren  ein. 

Klima,  Nationalität,  Rasse,  Stadt-  oder  Landleben,  sociale  Verhältnisse  be- 
einflussen den  Zeitpunkt  des  Eintritts  der  Menopause.  Frauen,  bei  denen  die 
erste  Menstruation   im  Alter   zwischen    13    und  16  Jahren   eintrat,  kommen 


KLIMACTERIUM.  473 

später  ins  Klimacterium  als  solche,  bei  denen  die  ersten  Menses  sich  zwisclien 
dem  16.  und  20.  Lebensjahre  zeigten  (Kiscii).  Häufige  Aborte  oder  Entbin- 
dungen schieben  ebenfalls  das  Klimacterium  auf  die  späteren  Jahre  hinaus. 
Sehr  vereinzelt  sind  die  Fälle,  wo  die  Menopause  nicht  zwischen  dem  5.ö. 
und  60.  Jahre  eintrat.  Unter  den  statistischen  Daten  der  Literatur  finden 
sich  auch  solche,  wo  abnorm  früh  ein  vollständiges  Aufhören  der  Menstru- 
ation verzeichnet  ist.  Wenn  auch  genauere  Details  über  die  näheren  Um- 
stände fehlen,  warum  in  einem  Falle  schon  im  23.  (IIogg),  in  einem  an- 
deren gar  schon  im  17.  Jahre  (Kisch)  die  Menopause  eintrat,  so  lässt  sich 
doch  vermuthen,  dass  pathologische  Ursachen  mitgewirkt  haben.  Im  Falle 
Kisch's  wird  eine  übermässige  Adipositas  erwähnt  und  dies  ist  wohl  ein  Mo- 
ment, welches  zur  frühzeitigen  Atrophie  der  Sexualorgane  führen  kann. 

Das  genauere  Studium  des  Einflusses  von  internen  und  Allgemein- 
erkrankungen auf  das  anatomische  und  physiologische  Verhalten  der  weiblichen 
Genitalien  hat  in  einer  Eeihe  von  Fällen  gelehrt,  dass  erstere  auf  letztere 
eine  direct  schädigende  Einwirkung  im  Sinne  einer  Atrophie  herbeizuführen 
vermögen.    Dies  ist  z.  B.  für  den  Morbus  Basedow  der  Fall. 

Häufiger  liegt  die  Ursache  des  Unregelmässigwerden  und  schliesslich 
vollkommenen  Erlöschens  der  monatlichen  Blutungen,  in  allgemeinen  dyskra- 
sischen  Cachexien  (Anaemia  gravis,  Carcinom,  Tuberkulose).  Schwere  entzünd- 
liche Processe,  die  sich  als  Metritis  oder  Endometritis  localen  oder  allgemein 
infectiösen  Ursprungs  am  Genitale  abgespielt  haben,  können  begreiflicher 
Weise  frühzeitiges  Eintreten  der  Menopause  hervorrufen.  Dem  entsprechend 
wäre  es  wohl  angezeigt,  im  Gegensatze  zum  physiologischen  Klimacterium 
jene  Fälle  von  frühzeitiger  Menopause,  wo  eben  eines  der  letzt'  erwähnten 
Momente  nachweisbar  ist,  als  pathologisches  Klim  acterium  zu  be- 
zeichnen. 

Die  regressiven  Veränderungen,  welche  die  Ursache  für  die 
Cessation  der  Menses  abgeben,  betreffen  in  erster  Linie  die  Ovarien.  Nach 
Hyrtl's  klassischer  Beschreibung  „besteht  das  Parenchym  des  Eierstocks  aus 
einem  mehrweniger  festen,  gefässreichen  Zellstoff,  in  welchem  12 — 20  voll- 
kommen geschlossene  häutige  Säckchen,  die  GRAAF'schen  Bläschen  (Folliculi 
Graafii)  eingesenkt  liegen".  Die  atrophische  Metamorphose  des  Eierstocks  be- 
steht nun  darin,  dass  dieses  Zellstroma  sich  bedeutend  vermehrt,  das  ernährende 
Capillarnetz  verödet  und  hiemit  gleichzeitig  der  Inhalt  der  GRAAF'schen  Follikel 
selbst  mit  dem  Ovulum  fettig  degenerirt.  Entsprechend  diesen  Veränderungen 
wird  in  der  klimacterischen  Zeit  die  früher  regelmässig  erfolgte  Ruptur  der 
GRAAF'schen  Follikel  immer  seltener,  die  Ovulation  sistirt  und  hiemit  im  Zu- 
sammenhange cessirt  die  aus  der  Uterinalschleimhaut  erfolgende  Blutung  i.  e. 
Menstruation. 

In  weiterer  Folge  entsteht  die  senile  Atrophie  des  Uterus  und  der  Va- 
gina.*) 

Bei  vielen  Frauen  beträgt  die  klimacterische  Zeit  nur  einige  Monate 
und  verlauft  ohne  jegliche  besondere  Beschwerden.  In  der  Mehrzahl  der 
Fälle  stellen  sich  jedoch  die  sogenannten  Molimina  klimacterii  ein.  Zunächst 
sind  es  Störungen  subjectiver  Natur,  die  sich  als  Blutwallungen  (..fliegende 
Hitze")  allgemeines  Hautjucken,  Parästhesien  in  den  unteren  Extremitäten 
(Kriebeln,  Ameisenlaufen),  Neigung  zu  starken  Schweissen  äussern.  Die  Frauen 
kommen  zum  Arzte  und  klagen  über  intensive  Kopfschmerzen,  Augenflimmern, 
Geschmacksalterationen,  Ohrensausen,  sie  beschweren  sich  oft  über  häufig 
eintretendes  Nasenbluten  oder  Blutungen  aus  dem  Mastdarm;  fragt  man  nach 
dem  Verhalten  der  Menses,  so  hört  man,  dass  die  eben  erwähnten  Beschwerden 


*)  Vergl.  diesbezüglich  auch  die  Artikel:  „Menstruation^'  und  „Ovulation'^ 


474  KOLPITIS. 

meist  zu  Beginn  des  Klimacteriums  auftreten,  dass  die  Menstruation  zwar 
noch  vorhanden,  aber  unregelmässig  und  dann  oft  ziemlich  profus  eintrete. 

Die  meisten  Frauen  zeigen  eine  gewisse  psychische  Depression,  die 
theilweise  in  den  eben  erwähnten  Symptomen  ihre  Begründung  findet,  theil- 
weise  aber  auch  deren  Intensität  nicht  entspricht.  Nicht  so  sehr  wirkliche 
Krankheitssymptome,  als  die  Furcht  vor  einer  schweren  Erkrankung  und  der 
althergebrachte  Glaube,  dass  der  „Wechsel"  grosse  Gefahren  für  jede  Frau 
berge,  führen  sie  zum  Arzt. 

Den  Symptomencomplex  der  subjectiven  Beschwerden  und  der  psychischen 
Alteration  bezeichnet  man  oft  mit  Unrecht  als  „Hysterie".  Sie  haben  mei- 
stentheils  nichts  mit  der  Krankheit  „Hysterie'^  zu  thun.  Wohl  aber  kommt 
es  vor,  dass  sich  zuweilen  wirkliche  Psychosen  im  Klimacterium  entwickeln 
(Melancholie  und  Hypochondrie),  ja  nach  Krafft-Ebing  soll  in  T^/o  der  weib- 
lichen Psychosen  ein  directer  Zusammenhang  der  psychischen  Störungen  mit 
der  Cessation  der  Menses  bestehen.  Andererseits  ist  es  auch  zweifellos  sicher- 
gestellt, dass  das  Klimacterium  einen  bessernden  Einfluss  auf  früher  bestandene 
psychische  Krankheiten  ausübt  (Griesingeb). 

Was  die  Abnormitäten  im  Bereiche  der  sexualen  Organe  anlangt, 
so  ist  es  leicht  begreiflich,  dass  bei  der  Häufigkeit  von  pathologischen  Zu- 
ständen des  weiblichen  Genitalapparates  der  Gynäkologe  fast  immer  bei  der 
Untersuchung  einer  Frau  im  Klimacterium  irgend  eine  Veränderung  consta- 
tiren  wird,  die  schon  von  früher  her  datirt.  So  fand  Kisch  in  einer  Beob- 
achtungsreihe von  500  Fällen  440mal  solche  Krankheitszustände.  Nur  we- 
nige Afifectionen  davon  hängen  mit  dem  Klimacterium  direct  zusammen,  so 
in  erster  Linie  die  Unregelmässigkeiten  in  der  Menstruation  (irreguläre  und 
profuse  Meno-  und  Metrorrhagien).  Nach  Kisch  ist  die  plötzliche  Cessation 
der  Menses  ein  ätiologisches  Moment  für  eine  Metritis.  Nicht  selten  kommt 
Hydrometra  vor,  entstanden  durch  mit  der  Menopause  einhergehende  Atresie 
des  Cervicalcanales.  Sehr  häufig  ist  Leukorrhoe,  die  sich  zuweilen  auch  pe- 
riodisch als  „vicariirende  Menstruation"  zeigt.  Der  Pruritus  vaginae  et 
vulvae*)  ist  eines  der  lästigsten  Symptome  der  klimacterischen  Zeit,  ohne 
aber  ätiologisch  mit  der  Menopause  im  Zusammenhang  zu  stehen.  Eine  sta- 
tistisch erhärtete  Thatsache  ist  es  ferner,  dass  das  Uterus-Carcinom 
zwischen  den  vierziger  und  fünfziger  Jahren,  d.  i.  also  gerade  in  der  klimac- 
terischen Zeit  am  allerhäufigsten  zur  Entwicklung  kommt. 

Die  Therapie  der  Molimina  climacterii  ist  zunächst  eine  prophylactische. 
Eine  leicht  verdauliche,  möglichst  reizlose  Kost,  die  wegen  der  häufigen  Nei- 
gung zur  Adipositas  wenig  Kohlehydrate  enthalten  soll,  wäre  anzurathen. 
Keineswegs  ist  einer  ausschliesslichen  Fleischkost  das  Wort  zu  sprechen, 
da  im  klimacterischen  Alter  Neigung  zur  Harnsäuredyskrasie  besteht  und  der- 
selben durch  diese  Diät  Vorschub  geleistet  wird.  Sorge  für  leichten  Stuhl 
ohne  Anwendung  von  drastischen  Purgantien  und  Hautpflege  durch  Gebrauch 
von  kühlen  Bädern  wären  die  weiteren  therapeutischen  Maassnahmen.  Spe- 
cielle  Affectionen  des  Sexualapparates,  insbesondere  die  profusen  Metrorrhagien 
sind  entsprechend  zu  behandeln,  wobei  die  wichtigste  Aufgabe  des  Arztes 
darin  besteht  ein  sich  entwickelndes  Neoplasma  möglichst  frühzeitig  zu 
erkennen  und  der  operativen  Behandlung  zuzuführen.  w. 

KolpitiS  (synon.  VapinitiSj  Elytrüis,  Blennorrhoea  vaginae;  o  xoXtto;  =  die 
Scheide,  xo  IXuxpov  =  die  Hülle,  Scheide,  also  nicht  Elythritis  mit  h;  xö  ßXswog 
=  der  Schleim,  r]  povj  =  das  Fliessen),  Scheiden-Entzündung,  fälschlich 
Scheiden- Katarrh.  Die  verschiedenen  Formen  dieser  Erkrankung  sind 
nicht  genügend  erforscht.     Das   könnte    auffallen,    da   die  Scheide  doch   der 


^)  Vergl,  „dieses  Stichwort'' 


KOLPITIS.  475 

Untersuchung  leicht  zugänglich  ist.  Die  Erklärung  liegt  in  dem  Umstände, 
dass  es  nur  selten  möglich  ist,  Stücke  der  Sclieide  aus  der  Lebenden  zu  ent- 
nehmen; und  gerade  die  Entzündungen  der  Sclieide  machen  einen  solchen  Ein- 
griff, der  ja  bei  Vorfall,  Tumoren  u.  Ae.  nothwendig  sein  kann,  nicht  nur 
entbehrlich,  sondern  auch  schädlich.  Dadurch  entgeht  der  mikroskopischen 
Forschung  die  wichtigste  Grundlage.  In  bakteriologischer  Hinsicht  bleibt 
trotz  der  Arbeiten  Düderlein's  u.  A.  ebenfalls  noch  sehr  viel,  wenn  nicht 
das  meiste  zu  thun. 

Die  Scheidenentzündung  wird  oft  als  Scheidenkatarrh  bezeichnet.  Das 
ist  falsch.  Unter  Katarrh  versteht  man  die  Entzündung  einer  Schleimhaut. 
Die  Scheide  ist  aber  keine  Schleimhaut,  sie  besitzt  keine  Schleimdrüsen,  da 
sie  überhaupt  keine  Drüsen  hat;  sie  kann  also  keinen  Schleim  absondern. 
Ein  Transsudat  liefert  sie  allerdings;  dieses  sickert  durch  die  zwar  mächtige, 
aber  weiche,  oberflächlich  nicht  verhornte  Epithelschicht  hindurch;  man  kann 
dies  schon  daraus  erkennen,  dass  nach  Total-Exstirpatiou  des  Uterus  sich  die 
Scheide  doch  feucht  erhält,  obwohl  kein  Uterus-Secret  in  sie  hineingelangt. 
Prolabirt  die  Scheide,  so  verhornt  die  oberste  Epithelschicht,  die  Scheide 
wird  trocken,  derb,  lederähnlicli,  da  kein  Transsudat  mehr  durch  die  ver- 
hornten Epithelien  hindurchdringt. 

Auch  die  Bezeichnung  Blennorrhoea  vaginae  ist  für  die  Scheiden- 
entzündung im  allgemeinen  schlecht  gewählt;  sie  hebt  ein  Symptom  —  die  ver- 
mehrte Flüssigkeits-Secretion  —  hervor,  statt  das  Wesen  der  Erkrankung  zu 
treffen.  Eher  könnte  man  nach  dem  Vorbilde  des  Wortes  Ophthalmoblennorrhoe 
die  gonorrhoische  Scheidenentzündung  als  Blennorhoea  vaginae  bezeichnen; 
auch  dafür  erscheint  aber  die  Benennung  Kolpitis  gonorrhoica  zutreffender. 
Die  Scheide  ist,  da  drüsenlos,  keine  Schleimhaut,  sondern  eine  Ueber- 
gangshaut;  ihre  Entzündung  ist  deshalb  kein  Katarrh,  sondern  eine  Dermatitis. 

Aetiologie.  Die  Ursachen  der  Scheiden-Entzündung  bedüi'fen  noch 
genauer  Untersuchungen.  Nach  dem  heutigen  Stande  unserer  Kenntnisse  lassen 
sich  folgende  Formen  unterscheiden: 

A.  Kolpitis  mit  bekannten  Erregern: 

1.  Gonorrhoische  Kolpitis. 

2.  Septische  Kolpitis. 

3.  Tuberkulöse  Kolpitis. 

4.  Erysipelatöse  Kolpitis. 

5.  Soor  der  Scheide  (Infection  mit  Oidium  albicans)  und  Ansiedlung  von 
Leptothrix  vaginae. 

6.  Kolpitis  emphysematosa  {Kolpohyperplasia  cystica  Winckel's). 

B.  Kolpitis,  deren  Ursachen  zum  Theil  bekannt  sind,  während  wir  die 
Erreger  nicht  oder  nicht  mit  Sicherheit  kennen: 

7.  Diphtherie  der  Scheide  (abgesehen  von  jenen  Fällen,  in  welchen  sie 
durch  den  Diphtherie-Bacillus  erzeugt  ist). 

8.  Luetische  Kolpitis  (es  ist  unsicher,  ob  Winckel's  Kolpitis  gummosa 
und  die  von  E.  Fraenkel  beobachtete  Form  hieher  gehören). 

9.  Kolpitis  senilis  sive  adhaesiva  idcerosa. 

10.  Gangrän  der  Scheide. 

11.  Herpetisch-vesiculöse  Kolpitis. 

12.  Kolpitis  bei  acuten  Infectionskrankheiten. 

13.  Entzündung  und  Ulcera  durch,  mechanische  Insulte  (wahrscheinlich  mit 
secundärer  Ansiedlung  von  Bacterien). 

14.  Entzündung  und  Ulcera  durch  chemische  und  thermische  Insulte. 

Von  diesen  Formen  ist  die  Hyperämie  der  Scheide  zu  trennen,  welche  sich 
physiologisch  während  der  Schwangerschaft,  des  Wochenbettes,  der  Menses,  der  Cohabitation 
zeigt,  oder  pathologisch  bei  Kreislaufstörungen  durch  Krankheiten  des  Herzens,  der  Leber,  der 
Nieren  u.  s.  w.  auftritt.  Die  Hyperämie  kann  allerdings  einer  Entzündung  den  Boden  Yor- 
bereiten,  indem  sie  die  Ansiedlung  von  Krankheitserregern  begünstigt  u.  s.  w. 


476  KOLPITIS. 

Acute  und  chronische  Formen  der  Entzündung  scharf  zu  trennen  ist 
nicht  möglich,  da  sie  in  einander  übergehen;  es  ist  aber  auch  unnöthig,  da 
die  meisten  Entzündungen  der  Scheide  acut  und  chronisch  verlaufen  können. 

1.  Gonorrhoische  Kolpitis.  Sie  wurde  im  Aufsatze  „Gonorrhoe  der  weib- 
lichen Genitalien",  pag.  304  dieses  Bandes  schon  besprochen;  hier  sei  nochmals 
hervorgehoben,  dass  sie  meist  secundär  bei  primärer  Infection  der  Urethra, 
der  Vulvadrüsen,  der  Cervix-  und  Uterus-Schleimhaut  vorkommt.  Die  That- 
sache  ihres  Vorkommens  bei  Kindern  wird  fast  von  allen  Untersuchern  be- 
stätigt, und  auch  für  das  Auftreten  einer  gonorrhoischen  Kolpitis  Erwachsener 
mehren  sich  von  Jahr  zu  Jahr  die  Stimmen;  immerhin  ist  es  wünschenswerth, 
den  Gonococcen-Nachweis  im  Epithel  oder  Bindegewebe  der  inficirten  Scheide 
an  ausgeschnittenen  Stückchen  noch  sicher  zu  erbringen.  Die  gonor- 
rhoische Kolpitis  scheint  die  häufigste  und  deshalb  wichtigste 
Form  der  Scheidenentzündung  darzustellen. 

Die  gonorrhoische  Kolpitis  kann  sowohl  diffus,  als  in  der  Form  der 
granulären  Scheidenentzündung  auftreten,  d.  h.  es  zeigen  sich  in  der 
Vagina  hochrothe,  Stecknadelkopf-  bis  apfelkerngrosse  Granula,  welche  aus  den 
entzündeten  Bindegewebspapillen  bestehen;  über  diesen  ist  das  Epithel  theil- 
weise  oder  ganz  abgestossen. 

Die  Therapie  der  gonorrhoischen  Kolpitis  richtet  sich  hauptsächlich 
gegen  die  Stellen  der  primären  Infection  (Urethra,  Bartholin' sehe  Drüsen, 
Cervix);  gleichzeitig  wird  mechanische  Reinigung  der  Scheide  und  Abnahme 
der  Entzündung  durch  Ausspülungen  mit  antiphlogistischen  und  antibacteriellen 
Mitteln  angestrebt;  dazu  eignen  sich  alle  Antiseptica,  vor  allem  Sublimat  V2  7oo 
(nicht  bei  Wöchnerinnen),  Kalium  hypermangan.  0'25-l%oi  nachFßiTSCH  ferner 
Arg.  nitr.  V2%oi  Chlorzink  PV  Bei  hartnäckiger  Entzündung  sind  stärkere 
Aetzmittel  am  Platze,  die  natürlich  der  Arzt  anwenden  muss;  Fritsch  em- 
pfiehlt dazu  (bei  gleichzeitiger  Behandlung  der  Cervix-Gonorrhoe  durch  in  den 
Cervix  gestopfte  Gazestreifen,  die  in  27o  Arg.  nitr.  getaucht  wurden)  Aus- 
stopfung der  Scheide  mit  Watte,  welche  ebenfalls  mit  2°/o  Arg.  nitr.-Lösung 
getränkt  ist.  „Dieser  , Verband'  wird  wenigstens  eine  Woche  lang  täglich  mit 
grosser  Sorgfalt  bei  der  im  Bette  liegenden  Kranken  erneuert.  Sodann  wird 
eine  Pause  von  einigen  Tagen  gemacht,  welche  zu  Chlorzinkspülungen  benützt 
wird.  Die  ganze  Procedur  wird  nochmals  durchgeführt-"  —  Einige  andere 
Behandlungsarten,  darunter  die  von  Schwarz  und  Sänger,  wurden  schon  auf 
pag.  306  dieses  Bandes  besprochen. 

2.  Septische  Kolpitis.  Sie  wird  durch  die  bekannten  Eitererreger  (pyogene 
Staphylo-  und  Streptococcen),  wahrscheinlich  auch  durch  andere,  bisher  we- 
niger oft  beobachtete  oder  beachtete  Entzündungserreger  {Bacierium  coli  com- 
mune u.  A.)  hervorgerufen.  Am  häufigsten  findet  man  sie  als  Theilerschei- 
nung  puerperaler  Infection;  man  sieht  sie  als  diffuse  Entzündung  oder 
mit  Bildung  von  „Puerperal-Geschwüren"  oder  von  diphtherischen  Belägen 
(s.  u.)  auftreten.  Sie  ist  gleich  der  puerperalen  Endometritis  nur  anfangs  einer 
localen  Therapie  durch  Antiseptica  zugänglich,  während  bei  allgemeiner  Sepsis 
eine  örtliche  Behandlung  kaum  mehr  nützt;  hier  ist  die  AUgemeinbehandluug 
in  den  Vordergrund  zu  stellen.") 

Anscheinend  gehört  auch  das  Ulcus  molk  hieher,  das  ja  ebenfalls  durch 
Eiterreger  entstehen  kann.  Ulcera  mollia  der  Scheide  und  Portio  kommen 
nicht  sehr  häufig  vor;  sie  werden  mit  Desinficientien  oder  Aetzmitteln  be- 
handelt; letztere  können  chemischer  Natur  sein  (Arg.  nit.  2*^/0,  Chlorzink 
40%  u.  s.  w.)  oder  in  der  Form  der  Kauterisation  (Glüheisen,  Paquelin) 
Verwendung  finden. 


*)  Vergl.  den  Artikel  ,^Puerperalinfection."' 


KOLPITIS.  477 

3.  Tuberkulöse  Kolpitis.  Sie  scheint  bisher  nur  als  secundäre  Erkran- 
kung beobachtet  worden  zu  sein ;  im  Beginne  findet  man  graue  Knötchen  auf 
geröthetera  Grunde  ;  diese  fliessen  später  zusammen  und  bilden  rundliche  Sub- 
stanzdefeete  mit  unterminirten  Rändern.  Wegen  ihres  secundären  Vorkom- 
mens hat  man  sie  in  den  wenigen  beobachteten  Fällen  nicht  local  behandelt.*) 

4.  Erysipel  der  Scheide.  Es  scheint  sehr  selten  zu  sein ;  hieher  gehören 
die  beiden  von  v.  Winckel  citirten  Fälle  von  Eppinger  und  Matthews  Duncan 
Es  handelte  sich  um  primäres  Erysipel  der  benachbarten  Haut;  die  Scheide, 
selbst  war  im  Zustande  hochgradiger,  diffuser  Entzündung.  Sind  die  Erysipel- 
Coccen  identisch  mit  den  pyogenen  Streptococcen,  so  ist  das  Erysipel  der 
Scheide  nur  eine  Form  der  septischen  Kolpitis  (2.). 

5.  Soor  der  Vagina  und  Leptothrix  vaginae.  Durch  Döderlein's  Unter- 
suchungen über  das  Scheidensecret  ist  die  Frage  von  der  Bedeutung  der 
Soorhefe  für  die  menschliche  Scheide  in  ein  neues  Licht  gerückt  worden. 
„Die  Soorhefe  findet  sich  nur  vereinzelt  als  ein  Pilz,  der  relativ  häufig  in  der 
gesunden  Scheide  Schwangerer  vorkommt,  aber  es  unter  den  hier  obwaltenden 
Verhältnissen  nur  zu  einem  massigen,  klinisch  nicht  wahrnehmbaren  Wachs- 
thum.  zu  bringen  vermag." 

Haussmann  fand  den  Soorpilz  in  etwas  mehr  als  10%  der  von  ihm  untersuchten 
Schwangeren,  dagegen  in  nur  1—2%  bei  nichtschwangeren  Frauen.  Winckel  hat  darauf 
hingewiesen,  dass  die  Soormykosis  der  Scheide  Schwangerer  später  im  Wochenbett  von 
selbst  verschwindet,  was  vielleicht  durch  die  alkalischen  Lochien  bedingt  sei.  Winter  und 
ebenso  Steffeck  fanden  in  20%  bei  Schwangeren  den  Soorpilz  in  der  Scheide.  Döderlein 
konnte  ihn  in  36%  der  Fälle  bei  gesunden  Schwangeren  nachweisen.  Nach  Plaut  ist  der 
Soorpilz,  früher  als  Oidium  albicans  bezeichnet,  identisch  mit  Monilia  Candida; 
er  hat  zwei  Entwicklungsarten;  in  der  ersten  Wuchsform  als  Gonidien,  die  sich  durch 
Sprossung  vermehren,  und  in  der  zweiten  als  Mycelien,  aus  welchen  sich  durch  Ab- 
schnürung wieder  Gonidien  entwickeln.  Döderlein  bezieht  das  häufigere  Vorkommen  im 
normalen  Scheidensecret  und  besonders  bei  Schwangeren  auf  den  höheren  Säuregehalt ; 
im  Wochenbett  und  im  pathologischen  Scheidensecret  begünstigt  dagegen  die  alkalische 
oder  neutrale  Eeaction  das  Wachsthum  saprophytischer  Keime,  durch  deren  reichlich 
gebildete  Stoffwechselproducte  nach  Döderlein  auch  die  Soorpilze  im  Kampfe  ums  Dasein 
zu  Grunde  gehen. 

Trotz  des  häufigen  Vorkommens  in  der  Scheide  gesunder  Frauen,  u.  zw. 
hauptsächlich  Schwangerer,  scheint  der  Soorpilz  nicht  ohne  gewisse  örtliche 
Vorbedingungen  zu  erheblichem  Wachsthum  zu  gelangen.  Diese  Vorbeding- 
ungen sind  theils  durch  die  Schwangerschaft,  theils  durch  Kreislaufstörungen, 
theils  durch  locale  Herabsetzung  der  Widerstandskraft  des  Gewebes  gegeben, 
wie  bei  marantischen,  durch  Krankheiten  geschwächten  Individuen,  bei  schwäch- 
lichen Kindern  u.  s.  w.  Während  die  Monilia  Candida  grössere  Easen  bilden 
kann,  kommt  die  Leptothrix  vaginalis  anscheinend  nur  in  geringen 
Mengen  vor  und  sie  macht  fast  gar  keine  Beschwerden. 

Man  hat  sich  Mühe  gegeben,  zu  erklären,  wie  denn  diese  Pilze  in  die 
Scheide  gelangen.  Einerseits  hat  man  bei  soorkranken  Kindern  an  den  weib- 
lichen Geschlechtsorganen  denselben  Pilz  gefunden  und  eine  Uebertragung 
durch  unsaubere  Wärterinnen  angenommen ;  andererseits  schuldigte  E.  Martix 
in  einem  Falle  die  Manipulationen  an,  welche  ein  Müllergeselle  mit  den 
Händen  an  den  Genitalien  seiner  Braut  ausgeführt  hatte.  Hier  sollte  das 
Mehl  die  Rolle  des  Uebertragers  gespielt  haben.  Solche  Ursachen  können 
gewiss  mitwirken;  bei  der  grossen  Verbreitung  des  Soorpilzes  bedarf  es  aber 
dieser  Erklärungen  wohl  nicht  stets. 

Die  Symptome  bestehen  hauptsächlich  in  Jucken  und  Brennen,  in 
Hitzegefühl  und  vermehrter  Secretion,  bedingt  durch  den  theilweisen  Epithel- 
verlust. Die  Höhe  der  Beschwerden  kann  aber  sehr  verschieden  sein,  je 
nachdem  die  Erkrankung  kleinere  oder  grössere  Theile  der  Scheide  und 
stellenweise  auch  die  Vulva  ergriffen  hat.     Meist  läuft  die  Infection  in  5 — 10 


*)  Vergl.  Artikel  „Tuberkulose  der  weihliclien  Genitalien. 


478  KOLPITIS. 

Tagen  ab ;  im  Wochenbett  pflegt  sie,  wie  erwähnt,  spontan  zu  heilen.  Nicht 
selten  dauert  sie  aber  wochenlang  und  recidivirt  später ;  v.  Winckel  hat  selbst 
monatelangen  .Bestand  bei  Schwangeren  gefunden.  Fieber  fehlt  oder  erreicht 
nur  geringe  Höhe.  In  der  Scheide  sieht  man  anfangs  kleine,  weissliche  oder 
weisslichgelbe  Flecken  auf  geröthetem  Grunde ;  das  Aussehen  gleicht  dem 
einer  soorkranken  Mundhöhle.  Diese  Flecken  vergrössern  sich,  bilden  aber 
nicht  ausgedehnte  Membranen.  Man  kann  sie  nicht  ohne  gleichzeitigen  Epithel- 
verlust  abschaben.  Mikroskopisch  sind  die  Pilzrasen  leicht  in  die  einzelnen 
sporentragenden  Fäden  zu  zerlegen. 

Entsprechend  dem  Verlauf  und  der  im  allgemeinen  guten  Prognose 
ist  auch  die  Behandlung  eine  einfache:  desinficirende  Scheidenspülungen, 
bei  heftigem  Brennen  warme  Sitzbäder  und  nöthigenfalls  Einführung  von 
Globulis  und  Cacao-Butter  mit  Opium,  bei  kräftigen  Frauen  reizlose  Kost,  bei 
geschwächten  aber  kräftigende  Diät. 

Hier  mag  aucli  die  Trichomonas  vaginalis  erwähnt  sein,  welcher  früher  wohl  eine  zu 
grosse  Bedeutung  beigelegt  wurde.  Sie  scheint  nicht  pathogen  zu  sein  und  ist  wohl  nur 
ein  harmloser  Gast  der  Scheide. 

6.  Kolijitis  emphysematosa  sive  Kolpohyperplasia  cystica.  Diese  interessante 
Erkrankung  wurde  zuerst  von  v.  Winckel  beschrieben.  Sie  besteht  in  der 
Bildung  von  gashaltigen  Cysten  in  der  Scheide,  welche  bis  kirschgross 
und  grösser  werden  können,  oft  „wie  Maiskörner  auf  dem  Folben"  dicht- 
gedrängt im  Scheidengewölbe,  ja  theilweise  noch  auf  der  Portio  sitzen  und 
sich  meist  bei  Schwangeren  finden.  Je  nach  dem  Grade  der  Verdünnung  der 
Cystenwand  sehen  sie  röthlich  oder  blauroth  oder  bläulich  durchschimmernd 
aus.  Sie  machen  fast  gar  keine  subjectiven  Erscheinungen.  Trotz  ihrer 
geringen  praktischen  Bedeutung  bieten  sie  weitgehendes  Interesse,  und  zwar 
wegen  des  Gasgehaltes.  Dieses  Gas  ist  nicht  atmosphärische  Luft,  sondern 
ein  Gasgemisch,  in  welchem  nach  Zw^eifel  Trimethylamin  vorkommt.  Den 
Gasgehalt  kann  man  leicht  dadurch  nachweisen,  dass  man  die  Cysten  unter 
Wasser  in  einem  Speculum  ansticht. 

Der  Ursprung  dieses  Gases  hat  die  verschiedensten  Deutungen  erfahren: 
es  sollte  aus  Luft  abstammen,  welche  in  Scheidendrüsen  eingedrungen  oder 
durch  verklebende  Scheidenfalten  eingeschlossen  worden  sei;  andere  lassen  es 
aus  dem  Serum  entstehen  u.  s.  w.  Mehrfache  Untersuchungen  hatten  nun 
schon  früher  dargethan,  dass  die  Cysten  im  sub epithelialen  Bindegewebe  und 
zwar  in  Lymphspalten  sitzen.  In  neuerer  Zeit  haben  dann  Eisenlohr  und 
ich  in  den  Cysten  kleine  anaerobe  Bacillen  in  Reincultur  gefunden,  welche 
auch  im  Reagensglase  Gas  entwickeln.  Es  handelt  sich  also  um  eine  Infec- 
tion  mit  gasbildenden  Bacillen  und  deshalb  erscheint  auch  die  Bezeichnung 
^^Kolpitis  ejnphysematosa"  als  zutreffender. 

Analoge  Bildungen  hat  man  übrigens  auch  in  Harnblase  und  Darmwand  bei  Thieren 
gefunden. 

Nach  der  Geburt  sind  die  Cysten  regelmässig  spontan  verschwunden, 
die  Affection  bedarf  deshalb  und  wegen  ihrer  geringen  Symptome  keiner  Be- 
handlung. 

7.  Diphtherie  der  Scheide.  Als  Diphtherie  oder  Croup  der  Scheide  werden 
zweifellos  ganz  verschiedene  Processe  bezeichnet,  welchen  nur  ein  ähnliches 
Aussehen  gemeinsam  ist,  die  aber  durch  die  verschiedensten  Ursachen  ent- 
stehen können.  Einerseits  scheint  bei  wirklicher  Rachen-Diphtherie  auch 
Scheiden-Diphtherie  vorzukommen;  nur  diese  Erkrankung  verdient  auch  diesen 
Namen;  sie  wird  durch  die  Diphtherie-Bacillen  hervorgerufen,  ist  aber  an- 
scheinend stets  secuBdär.  Die  nächste  Zeit  wird  wohl  bei  dem  hochgradig 
gesteigerten  Untersuchungseifer,  welchen  Beheing's  Serum-Therapie  gezeitigt 
hat,  auch  hier  Aufklärungen  bringen.  Andererseits  kommen  aber  dipththerie- 
almliche  Processe  in  der  Scheide  bei  verschiedenen  anderen  Infectionskrank- 
heiten  vor,    so  besonders   bei  Puerperalfieber,    Cholera,  Pocken,  Masern   und 


KOLPITIS.  479 

Scharlach.  Es  kann  sich  da  um  zwei  Vorgänge  handehi:  Entweder  um 
directe  Infecti  n  der  Scheide  (hauptsächlich  bei  Puerperalfieber)  oder  um  lo- 
cale  Gewebs-Nekrose,  welche  saprophytischen  Bacterien  die  Ansicdlung  ermög- 
licht und  zur  Bildung  weisslicher,  zerfallender  Herde  führt.  Biese  Nekrose 
ist  vielleicht  durch  Capillar-Thrombose  bedingt,  wie  sie  durch  bekannte  Gifte 
—  Sublimat,  Chlorkalium  —  aber  wohl  auch  durch  Stoffwechselproducte  von 
Bacterien,  also  den  Erregern  der  Cholera  u.  s.  w.  bewirkt  wird.  Hier 
bleibt  der  Untersuchung  noch  ein  fast  unberührtes  Feld  der  Thätigkeit.  Bas 
Aussehen  der  erkrankten  Scheide  ist  in  den  verschiedenen  Fällen  ein  ziem- 
lich ähnliches:  graue,  weissliche  bis  weisslichgelbe,  oft  breit  ausgedehnte 
Membranen  auf  geschwollenem,  stark  geröthetem  Grunde;  auch  die  Portio 
kann  mitergriffen  sein.  Bie  meist  schwer  abziehbaren  Membranen  hinter- 
lassen eine  blutende  Fläche. 

Bie  Therapie  muss  sich  bei  unserer  geringen  Kenntnis  von  der  Natur 
dieser  Processe  —  abgesehen  von  der  wirklichen  Biphtherie  —  auf  die  Be- 
handlung der  Allgemein-Infection  und  des  Allgemeinzustandes  beschränken. 

8.  Luetische  Kolpitis;  Kolpüis  gummosa  v.  Winckel's.  Primäre  luetische 
Geschwüre  in  der  Scheide  sind  sehr  selten,  sie  kommen  aber  sowohl  in  der 
Vagina  als  auf  der  Portio  vor.  Bire  Behandlung  ist  natürlich  dieselbe  wie 
die  der  luetischen  Primäraöecte  überhaupt;  sie  wird  an  anderer  Stelle  dieses 
Werkes  besprochen.  Birch-Hieschfeld  hat  einen  Fall  von  syphilitischer  Peri- 
vaginitis  beobachtet,  in  welchem  die  Scheide  in  ein  dickwandiges  Rohr  von 
glatter,  blasser  Oberfläche  verwandelt  war. 

Eine  besondere  Stellung  nimmt  der  von  v.  Winckel  beschriebene  Fall  ein, 
welchen  er  als  Kolpitis  gumynosa  bezeichnet  hat.  Es  handelte  sich  um  eine 
ausgesprochene  Endokolp)itis  bei  einem  28-jährigen  Mädchen,  das  eine  ähnliche 
Affection  mit  Bildung  von  Membranen  am  linken  Auge  zeigte.  Bie  Scheide 
war  in  der  ganzen  Ausdehnung  trocken,  uneben,  durch  grauweisse  Membranen 
rauh;  der  Verlauf  war  ein  ausserordentlich  chronischer,  das  Leiden  trotzte 
jeder,  auch  der  antisyphilitischen  Behandlung. 

Hier  mag  auch  der  von  E.  Feänkel  beobachtete  Fall  erwähnt  werden, 
bei  dem  es  sich  um  eine  makroskopisch  ähnliche  Erkrankung  der  Portio  allein 
handelte;  es  zeigte  sich  auf  ihr  ein  festhaftender,  dicker,  weisser  Belag  mit 
rauher  und  körniger  Oberfläche;  Fimnkel  deutet  den  Befund  als  eine  „chronisch 
entzündliche  Reizung  des  Bindegewebes  der  Portio  mit  Wucherung  und  Ne- 
krose der  darüber  liegenden  Plattenepithelschichten." 

9.  Kolpitis  senilis  sive  vetularum  sive  ulcerosa  adhaesiva. 

Auch  über  die  Entstehung  dieses  Leidens  fehlen  aufklärende  Unter- 
suchungen, welche  sich  auf  das  Scheidengewebe  selbst,  vielleicht  auch  auf 
Gefässe  und  Nerven  der  Scheide,  sowie  auf  ihren  Bacterien-  oder  im  wei- 
teren Sinne  auf  ihren  Parasitengehalt  erstrecken  müssten. 

Bie  Krankheit  kommt  bei  alten  oder  geschwächten  Frauen  vor.  Gleich 
V.  WiNCKEL,  der  dieses  Leiden  bei  einer  erst  32-jährigen  Frau  sah,  habe  ich 
es  auch  bei  einer  32-jährigen,  im  übrigen  gesunden  Frau  der  besten  Stände 
beobachtet,  bei  welcher  es  sich  also  keinesfalls  um  mangelnde  Reinlichkeit 
handeln  konnte;  seit  5  Jahren  cessirten  die  früher  regelmässigen  Menses, 
nachdem  die  Frau  vorher  2  normale  Geburten  und  einen  Aboii;  durchgemacht 
hatte.    Bie  Scheide  bot  das  typische  Bild  einer  senilen  Kolpitis. 

Allem  Anscheine  nach  handelt  es  sich  dabei  um  eine  Ernährungsstörung; 
die  Scheide  sieht  wie  geschunden  aus,  ihr  Epithel  wird  herdweise  in  den 
oberen  Schichten  oder  bis  auf  das  Bindegewebe  abgestossen,  sie  erhält  dadurch 
ein  roth-  bis  braunrothfleckiges  Aussehen;  die  Epithel  Verluste  führen  zu  Ver- 
klebungen der  einander  gegenüberliegenden  Flächen  und  so  entstehen  Septa, 
Stränge,  Brücken  und  Narbenzüge.  Bie  Scheide  ist  dadurch  allgemein  oder 
stellenweise  verengt.    Bie  Portio  pflegt  an  diesem  Processe  betheiligt  zu  sein, 


480  KOLPITIS. 

SO  dass  sich  Stränge  zwischen  ihr  und  der  Scheide  bilden  können;  gleich- 
zeitig atrophiren  Portio  und  Uterus  oft  hochgradig. 

Die  Therapie  hat  wenig  oder  keinen  Eintiuss  auf  dieses  Leiden,  das 
allerdings  ausser  anfänglich  vermehrtem  Ausfluss  meist  wenig  Beschwerden 
macht.  Ist  der  Ausfluss  blutig  gefärbt,  so  erschreckt  er  die  Kranken,  da  sie 
an  Carcinom  denken.  Durch  Auswischungen  der  vorher  gereinigten  Scheide 
mit  2%  Argent.  nitr.  und  durch  Scheidenspülungen  mit  Adstringentien  (Alaun, 
schwache  Tannin-Lösung)  kann  man  die  Secretion  beschränken. 

Bei  jüngeren  Frauen  könnte  das  Auftreten  der  Kolpitis  ulcerosa  aller- 
dings als  Symptom  einer  Ernährungsstörung  im  Genital-Apparat  von  Be- 
deutung werden;  der  oben  geschilderte  Fall  lässt  sich  in  diesem  Sinne 
heranziehen. 

Bei  Gelegenheit  einer  Obduction  fand  ich  einmal  zahlreiche  Herde  von 
Pigment  in  der  Scheidenwand,   die  offenbar  alten  Blutungen  entstammten. 

10.  Gangrän  der  Scheide;  Perivaginitis  dissecans.  Ist  Nekrose  ein 
Gewebszerfall  ohne  Mithilfe  von  Fäulnis-Bacterien,  so  kann  Gangrän  als  Ge- 
webszerfall durch  ausschliessliche  oder  unterstützende  Wirkung  von  Fäulnis- 
bacterien  bezeichnet  werden.  Allerdings  müsste  nach  dieser  Definition  der 
mumificirende  Altersbrand  nicht  Gangraena,  sondern  Nekrosis  senilis  genannt 
werden. 

Gangrän  der  Scheide  kann  durch  verschiedene  Ursachen  bewirkt  sein: 
durch  septische  Processe,  durch  andere  acute  Infectionskrankheiten,  durch 
mechanische  Insulte,  welche  zuerst  partielle  Nekrose  bewirken  und  dadurch 
die  Ansiedlung  von  Fäulnisbacterien  begünstigen.  Schlechte,  jahrelang  in 
der  Scheide  liegende  Pessare  sind  nicht  selten  Ursache  umschriebener  Scheiden- 
gangrän ;  in  gewissem  Sinne  lässt  sich  hieher  auch  die  „Perivaginitis  dissecans'-'- 
rechnen,  bei  welcher  es  durch  eine  perikolpitische  Phlegmone  zur  Ausstossung 
des  ganzen  Scheidenrohres  kommen  kann.  Die  Diagnose  stützt  sich  auf 
die  schiefergraue  bis  schwärzliche  Verfärbung,  die  Ausstossung  von  Gewebs- 
fetzen,  den  schmutzigblutigen  Ausfluss  und  die  Jauchung.  Die  Therapie 
ist  natürlich  gegen  den  septischen  Process  gerichtet;  Fremdkörper  müssen 
entfernt  werden.  Die  Prognose  ist  selbst  quoad  vitam  schlecht,  immerhin 
hat  V.  WiNCKEL  Heilung  beobachtet. 

11.  Herpetisch-vesiculäre  Kolpitis,  sive,  Kolpitis  miliaris.  Sie  ist  sehr 
selten  und  wird  gekennzeichnet  durch  gruppenweises  Auftreten  von  Pusteln 
und  kleinen  Abscessen.  Sie  soll  namentlich  bei  Circulationsstörungen  und 
multiplen  Gefässthrombosen  vorkommen.  Im  Allgemeinen  wurde  sie  bei 
älteren  Frauen,  von  v.  Winckel  aber  auch  bei  einer  32-jährigen  Patientin 
beobachtet. 

12.  Kolpitis  hei  acuten  Infectionskrankheiten.  Bei  Cholera,  Pocken, 
Typhus,  Masern,  Scharlach  findet  sich  gelegentlich  eine  Entzündung  der 
Scheide,  die  sich  anfangs  als  diffuse  Piöthung  und  Schwellung,  manchmal 
unter  Bildung  von  Hämorrhagien  (siehe  „Pigment  in  der  Scheide"  unter 
Kolpitis  senilis),  später  und  bei  höheren  Graden  unter  Bildung  nekro- 
tischer, diphtherie-ähnlicher  oder  gangränescirender  Herde  äussert.  Es  ist 
unbekannt,  ob  es  sich  dabei  um  eine  Infection  der  Scheide  mit  den  be- 
treffenden Erregern  auf  dem  Blutwege  handelt,  oder  um  Wirkungen  von 
Stoffwechselproducten  der  bekannten  oder  hypothetischen  Erreger,  oder  um 
secundäre  septische  Infection.  Im  letzteren  Falle  wäre  der  Process  mit  der 
geschilderten  septischen  Kolpitis  (2.)  gleichbedeutend. 

13.  und  14.  Entzündung  und  tflcera  der  Scheide  durch  mechanische, 
thermische  oder  chemische  Insulte.  Es  ist  klar,  dass  solche  Insulte  auch  in 
der  Scheide  zu  Entzündung  und  Ulceration  führen  können.  Unter  den 
mechanischen  Insulten  stehen  schlechte  oder  zu  lang  liegende  Pessare,  in 
unserer  Zeit  besonders  schlechte  Weichgummi-Pessare,   in  erster  Pteihe.     Sie 


KRANIOTOMIE.  481 

tonnen  sich  in  die  Scheide  förmlicli  einbohren  und  entweder  Fisteln  (Blasen-, 
Mastdarm  scheidenfisteln)  oder  Verwachsungen  hervorrufen,  in  welchen  die 
Kinge  förmlich  eingebettet  sind.  In  der  Würzburger  Frauenklinik  (Professor 
Hofmeier)  wurde  ein  Fall  beobachtet,  bei  welchem  der  Bügel  eines  Loiir.ioiN'schen 
Pessars  in  einer  Portiolippe  eingewachsen  war,  wie  etwa  der  Lippenring  einer 
Südsee-Insulanerin  in  deren  Lippe. 

Auch  bei  Prolaps  kommt  es  durch  die  ständige  Reibung  der  lederharten 
Scheide  und  Portio  zu  ausgedehnten  Ulcerationen;  die  Ulcera  heilen  spontan, 
wenn  die  Scheide  dauernd  reponirt  erhalten  bleibt. 

Auch  Fremdkörper,  die  bei  Gelegenheit  der  Masturbation,  crimineller 
Aborte,  therapeutischer  Eingriffe  u.  s.  w.  in  die  Scheide  gelangen,  können 
Geschwürsbildung  hervorrufen  und  schliesslich  förmlich  in  die  Scheide  hinein- 
wachsen; sie  bieten  der  Entfernung,  die'  schon  mehrfach  nur  mit  Hilfe  der 
Kopfzange  oder  erst  nach  Zerkleinerung  des  Fremdkörpers  möglich  war,  nicht 
geringe  Schwierigkeiten;  die  gleichzeitige  Jauchung  und  Granulationsbildung 
legt  oft  zuerst  den  Verdacht  auf  Carcinom  nahe.  Selbstredend  kommt  es 
wohl  stets  zu  secundärer  Ansiedlung  von  Saprophyten,  seltener  von  pathogenen 
Bacterien. 

Thermische  und  chemische  Reize  treffen  die  Scheide  theils  bei 
therapeutischen  Eingriffen,  so  bei  Heisswasser-Irrigation  des  Uterus  wegen 
atonischer  Blutungen,  zum  Zwecke  künstlicher  Fehl-  oder  Frühgeburt,  bei 
Aetzungen  der  erodirten  Portio  oder  inoperabler  Carcinome,  bei  der  Behandlung 
der  Endometritis  mit  Aetzmitteln;  theils  ist  der  chemische  Pteiz  durch 
jauchende  Tumoren,  durch  Blasen-  und  Darm-Scheidenfisteln  u.  s.  w.  bedingt. 
Bei  Diabetes  kann  die  chemische  Veränderung  vielleicht  den  Boden  vor- 
bereiten, auf  welchem  sich  dann  Pilze  leichter  ansiedeln. 

Neben  pathologischen  Processen  und  therapeutischen  Eingriffen  ist  es 
vor  allem  die  Macht  des  Sexualtriebes,  der  in  seiner  unnatürlichen  oder  über- 
mässigen Befriedigung  die  mannigfachsten  Gefahren  für  die  Scheide  bringt. 

-X-  -X- 

Für  den  „Katarrh"  der  Scheide  hat  sich  bei  dieser  Eintheilung  kein 
Platz  gefunden,  denn  es  gibt  keinen  Scheidenkatarrh.  Und  gleich  ihm  muss 
das  kritiklose  Verordnen  von  Scheidenspülungen  mit  Alaunwasser  ")  aus  der 
Lehre  von  der  Scheidenentzündung  verschwinden. 

Es  ist  unerlässlich,  dass  man  in  jedem  einzelnen  Falle  versucht,  die 
Art  der  Erkrankung  festzustellen;  erst  dann  wird  sich  nach  genauer 
Untersuchung  auch  die  Heilmethode  bestimmen  lassen.  Den  wichtigsten 
Theil  im  Erkennen  und  Behandeln  der  Scheiden-Entzündungen  haben  aller- 
dings weitere  Forschungen  noch  festzustellen.  Gustav  klein. 

KraniotOtnie  (-0  xpavwv,  Schädel,  tIixvco  schneiden)  synonym  mit  Kepha- 
lotomie  (tj  xscpaX-^  Kopf)  bedeutet,  wörtlich  genommen,  nur  Eröffnung  der 
Schädelhöhle,  ist  aber  nach  C.  Schröder's  Vorgang  als  Bezeichnung  für 
eine  zusammengehörige  Gruppe  von  geburtshilflichen  Operationen  beliebt. 
Man  subsumirt  unter  diesem  Ausdruck  die  Perforation,  Durchbohrung  des 
Schädels,  ^^Excerebratio,  Entkinnmg,  Kranio-Jdasie  oder  -tlüasie  (xXacD,  OXccto, 
brechen,  zermalmen)  -tractio  (trahere  ziehen)  oder  Kephalothrypsie  (Opu—o) 
zerreiben),  Verkleinerung  des  kindlichen  Schädels  durch  Zerdrücken  desselben 
und  Extrahiren  des  Kindes.  Als  selten  nur  ausgeführte  Operationen  gehören 
hieher  noch  die  Basiothrypsie  oder  Basiolysis  (rj  ßaaic,  Grund  [Schädelbasis] 
Xuo),  lösen).  Der  Zweck  der  Kraniotomie  ist,  nach  Eröffnung  und  Entleerung 
der  Schädelhöhle  den  Kopf  des  Kindes  durch   Zerdrücken  zu  verkleinern,  so 


*)  Vergleiche  „Behandlung  der  Kolpitis  gonorrlioica,"  pag.  306 

X5ibl,  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynäkolosie.  '^■'- 


482  KRANIOTOMIE. 

dass  in  Fällen  von  räumlichem  Missverliältnis  zwischen  Kind  und  Geburts- 
canal  durch  die  durch  die  Operation  gewonnene  Volumsverminderung  der 
Frucht  die  Geburt  per  vias  naturales  möglich  wird. 

Die  Operation  gehört  zu  den  ältesten  geburtshilflichen  Eingriffen,  beschreibt 
doch  schon  Hippokrates  Instrumente  zur  Vornahme  derselben.  Sie  bestand 
lange  Zeit  in  den  Fällen,  wo  die  Grösse  des  Kindes,  beziehungsweise  Enge 
des  Geburtscanales  den  Austritt  der  Frucht  hemmten,  als  einzige  Möglichkeit, 
die  Mutter  vor  dem  Schicksal  zu  retten,  an  den  Folgen  der  Gebärunmöglich- 
keit zu  sterben.  Jetzt  concurrirt  die  Kraniotomie  mit  der  Symphyseotomie 
und  der  Sectio  caesarea,  wozu  noch  als  prophylaktischer  Eingriff  bei  engem 
Becken  die  künstliche  Frühgeburt  zu  rechnen  ist.  Diese  Operationen  streben 
alle  einem  edleren  Ziele  zu,  nämlich  nicht  nur  die  Mutter  zu  erhalten,  sondern 
auch  das  Kind  dem  Leben  zu  gewinnen.  Allgemeine  Grundsätze  für  die  Ab- 
grenzung dieser  Operationen  gegeneinander  lassen  sich  zur  Zeit  nicht  auf- 
stellen, es  ist  vielmehr  in  jedem  einzelnen  Falle  die  oft  schwierige  Aufgabe 
des  Geburtshelfers,  Auswahl  zu  treffen.  Nur  das  ist  klar,  dass  Symphyseo- 
tomie und  Sectio  caesarea  nur  bei  lebendem  Kinde  zulässig  sind,  sofern  nicht 
eine  allzuhochgradige  Enge  des  Geburtscanais  jede  Entbindung  per  vias 
naturales  zur  Unmöglichkeit  werden  lässt,  während  andererseits  bei  lebendem 
Kinde  die  Kraniotomie  wenn  irgend  möglich  vermieden  werden  soll.  In  den 
Gebäranstalten  wird  sich  der  Grundsatz,  niemals  ein  lebendes  Kind  zu  per- 
foriren,  allerdings  viel  leichter  durchführen  lassen  als  in  der  Privatpraxis, 
wo  rein  äussere  Gründe  den  Geburtshelfer  zwingen  können,  von  der  Vornahme 
einer  Sectio  caesarea  oder  Symphyseotomie  abzustehen.  Vielleicht  vermag 
die  Symphyseotomie  bei  weiterer  Ausbildung  der  Technik  künftighin  die 
Kraniotomie  bei  lebendem  Kinde  noch  mehr  zu  verdrängen. 

Die  Häufig  keit  der  Kraniotomie  schwankt  nach  den  jeweilig  herrschen- 
den Grundsätzen  sehr;  nach  C.  v.  Braun  kam  in  der  ersten  Klinik  des 
Wiener  Gebärhauses  in  den  Jahren  1881 — 1885  unter  15050  Geburten  1  Kra- 
niotomie auf  307  Geburten,  an  anderen  Orten  z.  B.  in  Dublin,  Dresden  ist 
die  Häufigkeit  eine  beträchtlich  grössere  1: 106,  beziehungsweise  1:77"6, 
während  sich  das  Verhältnis  in  Stuttgart  1: 1620  und  in  Baden  1: 1504  stellt.  *) 

Indicationen.  1.  Enges  Becken.  Die  mittleren  Grade  der  Becken- 
verengerungen bilden  die  typische  und  häufigste  Veranlassung  zur  Vornahme 
der  Kraniotomie.  Es  lässt  sich  weder  eine  obere  noch  eine  untere  Grenze  der 
Beckenverengerungen  angeben,  bis  zu  welcher  das  Gebiet  der  Kraniotomie 
reicht.  Schon  bei  ganz  geringgradig  verengten  Becken,  z.  B.  plattes  Becken 
Conj.  vera  9' 5  kann  gelegentlich  bei  sehr  grossem  Kind  (5000  gr)  mit  hartem, 
nicht  configurationsfähigem  Schädel  die  Verkleinerung  desselben  nöthig  werden. 
Als  untere  Grenze  wird  gewöhnlich  ein  Becken  mit  einer  Conj.  vera  von  6  cm 
angegeben  mit  der  Begründung,  dass  durch  noch  engere  Becken  auch  der 
entleerte  und  zerdrückte  Kopf  nicht  durchgezogen  werden  kann.  Dass 
mit  passenden  Instrumenten  auch  bei  noch  weitergehender  Verengerung  selbst 
ein  ausgetragenes  Kind  mittelst  Kraniotomie  entwickelt  werden  kann,  beweist 
der  Fall  von  Zweifel,  welcher  bei  einem  plattrachitischen  Becken  mit  einer 
Conj.  vera  von  4-25 — 4'5  die  Geburt  auf  diese  Weise  mit  vollem  Erfolg  für 
die  Mutter  vollendete. 

Indicirt  ist  bei  engem  Becken  die  Kraniotomie,  wenn  trotz  längerer  Ge- 
burtsarbeit der  Kopf  des  Kindes  nicht  in  das  Becken  eingetreten  ist  und 
seitens  der  Mutter  gefahrdrohende  Symptome,  wie  Quetschung  der  Weichtheile, 
Fieber,  drohende  Uterusruptur  u.  ä.  die  Entbindung  erheischen.  Ist  das  Kind 
bereits  abgestorben,  so  ist  die  Kraniotomie  die  einzig  richtige  Operation,  so- 
ferne  nicht  das  Becken   auch   für   diese  Entbindungsmöglichkeit  zu  enge  ist. 


*)Nach  Fehling:  Handbuch  der  Geburtshilfe  Bd.  III,  p.  156. 


KRANIOTOMIE.  483 

Lebt  das  Kind,  so  wäre  Symphyseotomie  oder  Sectio  caesarea  mit  in  Er- 
wägung zu  ziehen,  bei  den  Beckenverengerungen  I.  und  IL  Grades  ist  der 
Ivraniotomie  ein  schonender  Zangenversuch  vorauszuschicken;  bei  künftigen 
Schwangerschaften  wäre  hier  die  Einleitung  der  künstlichen  Frühgeburt  ins 
Auge  zu  fassen. 

2.  Weichtheil-Anomalien.  Die  von  Weichtheilen  ausgehenden, 
den  Geburtscanal  verlegenden  soliden  Geschwülste  werden  deswegen  selten  eine 
Veranlassung  zur  Kraniotomie  werden,  weil,  wenn  durch  solche  Tumoren  eine 
Eaumbeschränkung  verursacht  wird,  dieselbe  meist  eine  derartige  ist,  dass 
jede  Entbindungsmöglichkeit  per  vias  naturales  ausgeschlossen  ist.  Dagegen 
werden  bei  todtem  Kinde  Stenosen  des  Geburtscanales  wie  hartnäckige 
Contractur  des  inneren  oder  äusseren  Muttermundes,  Stricturen  der  Scheide, 
Rigidität  des  Scheideneinganges  z.  B.  bei  alten  Erstgebärenden,  oder  namentlich 
carcinomatöse  Verengerungen  des  Cervix  die  Kraniotomie  als  den  schonendsten 
Eingriff  zur  Entbindung  erscheinen  lassen,  bei  lebendem  Kinde  wird  man  in 
diesen  Fällen  wohl  nur  ausnahmsweise  sich  zur  Perforation  entschliessen. 

3.  Missbildungen  des  Kindes.  Hydrocephalus,  Meningocelen- 
bildung  und  ähnliche  die  Geburt  erschwerenden  Monstrebildungen  indiciren  die 
Kraniotomie,  welche  in  diesen  Fällen  eine  leichte  Geburt  ermöglicht  und  hier 
auch  bei  lebendem  Kinde  nicht  gescheut  zu  werden  braucht. 

4.  Erkrankungen  der  Mutter.  Die  Erfahrung,  dass  die  Eklampsie 
mit  der  Vollendung  der  Geburt  sistirt,  wenn  eine  gewisse  Zahl  von  An- 
fällen noch  nicht  überschritten  ist,  macht  es  zur  Pflicht,  in  jedem  Falle  so 
frühzeitig  wie  möglich  zu  entbinden.  Ist  das  Kind,  wie  so  oft,  unter  den 
ersten  Anfällen  schon  zu  Grunde  gegangen,  so  wird  auch  hier  namentlich  bei 
nicht  völlig  erweiterten  Ostien,  die  Kraniotomie  die  schonendste  Entbindung 
darstellen. 

FßiTSCH  empfiehlt  gelegentlich  bei  Placenta  praevia  zum  Zwecke  einer 
raschen  Entbindung  die  Kraniotomie  auszuführen. 

Im  Ä.llgemeinen  ist  also  die  Kraniotomie  stets  indicirt, 
wenn  bei  sicher  nachw^eisbarem  Tod  des  Kindes  entbunden 
werden  muss;  hier  stellt  sie  die  schonendste  Entbindungs- 
möglichkeit dar  und  bietet  für  die  Mutter  günstigere  Chancen 
als  die  Zange  oder  Wendung  mit  Manual-Extraction.  Bei  leben- 
dem Kinde  darf  nur  dann  die  Kraniotomie  vorgenommen 
werden,  wenn  aus  inneren  oder  äusseren  Gründen  eine  das 
Leben  des  Kindes  erhaltende  Operation  ausgeschlossen  werden 
muss. 

Vorbedingungen:  Die  Kraniotomie  setzt  keineswegs  die  für  eine 
JZangenextraction  nothw^endig  zu  fordernden  Vorbedingungen  voraus.  Für  den 
ersten  Act  derselben  genügt  eine  Erweiterung  des  Muttermundes,  w^elche  das 
Perforatorium  passiren  lässt.  Nicht  ohne  Gefahr  wäre  es  natürlich,  wollte 
man  nun  gleich  die  Extraction  anschliessen,  im  di-ingenden  Nothfalle  müsste 
eine  Eröffnung  des  Muttermundes  durch  seitliche  Incisionen  nachhelfen.  Ist 
der  Muttermund  aber  etw^a  5  Markstück  gross,  so  ist  zu  hoffen,  dass  bei  dem 
Durchziehen  des  verkleinerten  Kopfes  keine  schweren  Einrisse  erfolgen  werden, 
wie  dies  z.  B.  mit  der  Zangenextraction  verknüpft  wäre.  Auch  die  zweite 
der  wesentlichen  Vorbedingungen  für  die  Zangenoperation:  Feststand,  wo 
möglich  sogar  Tiefstand  des  Kopfes  fällt  bei  der  Kraniotomie;  mit  dieser 
Forderung  würde  in  der  Kegel  die  Operation  selbst  hinfällig,  da  ja  gerade 
bei  den  die  Kraniotomie  indicirenden  Fällen  ein  enges  Becken  den  Eintritt 
in  das  Becken,  vielleicht  sogar  schon  das  Feststellen  auf  dem  Beckeneingang 
verhindert.  Bei  noch  bew^eglichem  Kopfe  kann  die  Perforation  ohne  Gefahren 
ausgeführt  werden,  wenn  durch  2  Hände    von  oben  her  der  Kopf  zuverlässig 

31* 


484 


KRANIOTOMIE. 


auf  dem  Beckeneingang  festgehalten  wird.  Dass  man  die  Forderung  der  gesprun- 
genen Eiblase  jederzeit  herstellen  kann  und  niuss,  ist  selbstverständlich. 

Ausführung  der  Kraniotomie.  Wie  bei  allen  geburtshilflichen 
Operationen  erfordert  auch  diese  eine  vorherige  Entleerung  von  Blase  und 
Mastdarm  und  eine  gründliche  Desinfection  der  äusseren  und  inneren 
Genitalien.*) 

Dringend  rathsam  ist  ferner  die  Zuhilfenahme  einer  tiefen  Narkose.  Es 
ist  nöthig,  wiederholt  mit  Hand  und  Instrumenten  in  die  Genitalien  einzu- 
gehen; aber  abgesehen  von  dem  dadurch  hervorgerufenen  Schmerz  verlangt 
eine  Narkose  hiebe!  der  Umstand,  dass  die  einzelnen  Acte  der  Kraniotomie, 
Perforation,  Excerebratio,  Kranioclasie  namentlich  bei  lebendem  Kinde  dem 
Bewusstsein  der  Mutter  entrückt  werden  müssen.  Die  zu  der  Narkose  nöthige 
Zuziehung  eines  zweiten  Arztes  ist  auch  aus  dem  anderen  Grunde  wünschens- 
werth,  dass  die  Verantwortung  des  Eingriffes,  der  einem  lebenden  Kinde  den 
Tod  gibt,  nicht  von  einem  Einzelnen  getragen  werden  soll  und  kann.  Als  zweck- 
mässigste  Lagerung  der  zu  Entbindenden  empfiehlt  sich  die  Steissrückenlage, 
womöglich  mit  erhobenen  Beinen  auf  einem  Tisch,  da  die  Betten  meist  unbe- 
quem niedrig  sind.  Gelegentlich  muss  man  sich  natürlich  mit  der  Lagerung 
auf  dem  Querbett  behelfen;  auch  die  Seitenlage  kann  zu  dieser  wie  zu  jeder 
anderen  gebmlshilflichen  Operation  verwendet  werden. 

1.  Perforation. 

Zwei  principiell  verschiedene  Instrumente  sind  zur  Zeit  bei  Vornahme 
einer  Perforation  im  Gebrauch,  das  scheeren-  oder  dolchförmige  Perf Oratorium 
und  der  Trepan.  Da  wohl  das  scheerenförmige  Perforatorium  für  alle  Fälle 
passt,  nicht  aber  der  Trepan,  so  wird  letzterer  immxer  mehr  obsolet. 

Die    Ausführung 
X  ^  der    Perforation     ist 

sehr  einfach.  Steht  der 
Kopf  fest,  so  wird  ohne 
weiteres  das  Perforatorium 
unter  Deckung  der  einen 
Hand  senkrecht  an  die 
Leitstelle  des  Kopfes,  wenn 
möglich  an  eine  Naht  oder 
Fontanelle  angesetzt  und 
mit  einem  Ruck  in  den 
Schädel  eingestossen.  (v. 
Fig.  1.)  Muss  man  durch 
einen  Knochen,  z.  B. 
Parietalbein  hindurch,  so 
kann  man  zvreckmässig 
bohrende  Bewegungen  aus- 
führen; dabei  ist  zu  beach- 
ten, dass  das  Perforato- 
rium nicht  am  Kopf  ent- 
lang gleitet  und  schliess- 
lich in  mütterliche  Weich- 
theile  gelangt.  Die  Gefahr 
hiezu  ist  besonders  nahe- 
liegend, wenn  der  noch 
über  dem  Beckeneingang  beweglich  stehende  Kopf  perforirt  werden  muss.  In 
diesem  Falle  muss  durch  eine  zweite  Person    der   Kopf  mit  beiden   Händen 


Fig.  1.  Einbohren  der  Perforationsscheere  in  den  Kopf. 
{Aus  Döderlein:  Leil/aden  für  den  geburtsliilflichen  Operationscurs.) 


*)  Vergl.  „Antisepsis  in  der  Geburtshilfe'^ ,  pag.  Si. 


KRANIOTOMIE. 


485 


^on  oben  her  fest  und  sicher  auf  den  Beckencingang  eingestellt  werden,  da- 
mit derselbe  nicht  dem  entgegenstossenden  Perforatorium  entgleiten  kann.  Ist 
das  Perforatorium  in  den  Schädel  eingestossen,  so  wird  durch  wiederholtes 
Spreizen  der  Branchen  nach  verschiedenen  Eichtungen  die  Oeffnung  erweitert. 

Bei  Gesichtslagen  kann  man  die  Stirnnaht  oder  Orbita  als  Perforations- 
stelle wählen.  Der  nachfolgende  Kopf  wird  am  zweckmässigsten  bei  ge- 
senktem Rumpf  dicht  hinter  der  Wirbel  Säulen  Insertion  eröffnet.  Ist  er  wegen 
Hochstand  schwer  zugänglich,  so  genügt  die  Eröffnung  des  Wirbelcanales,  um 
durch  ihn  auch  den  Schädel  zu  entleeren.  Manche  empfehlen  auch  von  der 
Schädelbasis  aus  oder  durch  den  Mund  zu  perforiren. 

War  man  genöthigt,  bei  lebendem  Kinde  zu  perforiren,  so  muss  diesem 
Operationsact  eine  zuverlässige  Zerstörung  der  Gehirnmasse  folgen,  damit  das 
dem  Tode  verfallene  Kind  nicht  noch  lebend  zu  Tage  gefördert  wird.  Am 
zweckmässigsten  erreicht  man  dies  dadurch,  dass  man  mit  einem  männlichen 
Metallcatheter  durch  die  Perforationsöffnung  in  die  Schädelhöhle  eingeht  und 
mit  diesem  das  Gehirn  „umrührt."  Sodann  wird  der  Catheder  mit  einem  Irri- 
gator verbunden  und  unter  hohem  Druck  das  Gehirn  herausgespült.  Bei 
todtem  Kinde  ist  diese  Maassnahme  unnöthig. 

2.  Verkleinerung  und  Extraction  des  perforirten  Kopfes. 

Als  Instrumente  dienen  hiezu  vornehmlich  der  Kranioclast  von  Carl 
Beaun  und  der  Kephalothryptor  von  Busch.  Nach  allgemeiner  Ansicht  ist  der 
Kephalothryptor  durch  den  Kranioclast  völlig  entbehrlich  geworden.  Referent 
steht  auf  Grund  eigener  Erfahrung  auf  dem  von  Crede  und  Zweifel  vertre- 
tenen Standpunkt,  dass  der  Kephalothryptor  für  die  Extraction  des 
perforirten,  über  dem  Becken  stehenden  Kopfes  ein  äusserst 
zweckdienliches  Instrument  ist,  welches  leichter  und  scho- 
nender die  Entbindung  gestattet  als  der  Kranioclast.  Auf  eine 
genaue  Beschreibung  des  Baues  und  der  Unterschiede  beider  Instrumente 
kann  wohl  hier  im  Hinweis  auf  den  Artikel  „Instrumentarium  zur  Geburts- 
hilfe" (pag.  385)  verzichtet  werden. 

Hervorgehoben  sei  nur,  dass 
der  Kranioclast  den  Kopf  nicht 
selbst  verkleinert.  Er  fasst  ihn, 
indem  die  eine  Branche  durch  die 
Perforationsöffnung  in  den  Kopf, 
die  andere,  gefensterte  über  den- 
selben, und  zwar,  wenn  möglich, 
über  das  Gesicht  geführt  wird.  (v. 
Fig.  2.)  Wird  der  so  fest  gefasste 
Schädel  in  das  Becken  herein- 
und  durchgezogen,  so  bewirkt  der 
von  den  Beckenwänden  gegen  den 
enthirnten  Kopf  ausgeübte  Ge- 
gendruck eine  Verkleinerung  des- 
selben. Der  Kephalothryptor  da- 
gegen zerbricht  den  Kopf  selbst, 
derselbe  wird  also  durch  das  In- 
strument entsprechend  verklei- 
nert, bevor  er  in  das  Becken 
gezogen  wird;  die  Volumsvermin- 
derung ist  hiebei  eine  grössere  und 

weil  durch  das  Instrument,  und  nicht  durch  den  Geburtscanal  selbst  aus- 
geführt, auch  eine  schonendere.  Bedingung  ist  allerdings  ein  gut  construirtes 
Instrument;  der  BREiSKi'sche  Kephalothryptor   erfüllt   seine   Aufgabe  nicht. 


Fig.  2.    Anlegen  des  Kiaiuiiclutt  von  C.  Bratm. 

(Aus  Döderlein:  Leitfaden  für  den  geburtshilflichen 

Operalionscurs.) 


486  LACTATION. 

wohl  aber  vollkommen  der  von  Busch  construirte.  Derselbe  hat  im  Gegen- 
sätze zu  dem  BßEisKY'schen  Instrument  ungefensterte  Branchen,  deren  concave 
Innenfläche  zum  besseren  Halt  nach  Art  eines  Reibeisens  rauh  gemacht  ist. 
Der  Kephalotli  yptor  wird  A\'ie  eine  Zange  quer  an  den  Kopf  gelegt;  da  er 
nur  bei  Hochstand  des  Kopfes  angewandt  ist,  kommt  er  über  Gesicht  und 
Hinterhaupt  zu  liegen.  Ein  häutiger  Fehler  beim  Anlegen  ist,  dass  das 
Instrument  nicht  hoch  genug  hinaufgeschoben  wird;  wird  nur  ein  unteres 
Segment  des  Schädels  gefasst  und  zerkleinert,  so  führt  das  Instrument  selbst- 
verständlich nicht  zum  Ziele.  Es  muss  vielmehr  der  Kopf  wie  mit  der  Zange 
voll  erfasst  werden,  so  dass  die  Spitzen  des  Kephalothryptors  an  den  Hals 
zu  liegen  kommen.  Dann  wird  beim  Zusammenschrauben  der  zwischen  den 
Branchen  geklemmte  Theil  des  Schädels  auf  den  Durchmesser  der  Kopf- 
krümmung des  Instrumentes  zusammengepresst  und  zugleich  der  Kopf  zugfest 
erfasst.  Bevor  man  nun  daran  geht,  den  Kopf  in  das  Becken  hereinzuziehen, 
muss  der  zusammengedrückte  Theil  des  Kopfes  in  den  verengten  Durchmesser 
gestellt  werden.  Handelt  es  sich  wie  in  der  Regel  um  ein  plattes  Becken, 
so  wird  also  der  Kephalothryptor  um  90  Grad  gedreht.  Dadurch  adaptirt 
sich  der  comprimirte  Kopf  der  Beckenform  und  gleitet  mit  überraschender 
Leichtigkeit  in  das  Becken.  Ist  der  Kopf  bis  in  den  Beckeneingang  getreten, 
so  wird  das  Instrument  wieder  langsam  zurückgedreht,  um  den  Kopf  wie  bei 
der  Zangenextraction  langsam  vollends  zu  entwickeln.  Zur  Extraction  des 
im  Becken  stehenden  Kopfes  eignet  sich  der  Kephalothryptor  nicht,  hier  ist 
der  Kranioclast  am  Platze.  Mit  diesen  beiden  Instrumenten  wird  man  für  alle 
Fälle  auskommen.  Als  zweckdienliches  Instrument  möge  noch  die  Knochen- 
zange von  BoER  angeführt  sein,  die  zum  Abtragen  des  Schädeldaches  in  be- 
sonders schwierigen  Fällen  Anwendung  findet. 

Zur  Extraction  des  nachfolgenden  perforirten  Kopfes  eignet  sich 
wiederum  der  Kephalothryptor  vortrefflich.  Zu  beachten  ist  hier,  dass  das 
Instrument  bei  erhobenem  Rumpfe  so  an  den  Kopf  gelegt  wird,  dass  es 
denselben  bei  nach  vorn  stehendem  Hinterhaupt  über  die  beiden  Seiten  des 
Gesichtes  erfasst. 

Der  von  Gusserow  befürwortete  scharfe  Haken  wird  allgemein  als  ein 
zu  gefährliches  Instrument  bezeichnet.  Ebenso  sind  die  sogenannten  Zangen- 
sägen {Forcepsscie  von  V.  Huevl)  wie  auch  der  Transforateur  obsolet. 

Dagegen  mag  hier  noch  auf  den  auch  von  DtJHRSSEN  warm  empfohlenen 
Kranioklast  von  Auvard  hingewiesen  sein,  welches  Instrument  eine  Combina- 
tion  von  Perforatorium,  Kephalothryptor  und  Kranioclast  ist.  Dasselbe  dient 
sowohl  zur  Perforation,  als  auch  zur  Kranioklasie  und  auch  zur  Kephalothrypsie. 
Eigene  Erfahrungen  stehen  dem  Referenten  hierüber  nicht  zur  Verfügung. 

DÖDERLEIN. 

Lactation.  Nach  der  Geburt  schwellen  die  Brüste  mehr  an,  w^erden 
praller,  elastischer,  voluminöser,  ihre  Warzen  werden  durch  die  hemisphäri- 
sche Ausdehnung  der  Brüste  etwas  eingezogen  und  verkürzt;  die  Milchbe- 
hälter werden  durch  die  reichlich  eintretende  Milchsecretion  gefüllt,  dadurch 
prall  gespannt  und  stellen  zahlreiche,  unregelmässig  geformte,  haselnussgrosse 
Knoten  dar,  die  unter  der  Haut  liegen  und  selbst  beim  Betasten  keinen 
Schmerz  verursachen.  Wenn  auch  schon  während  der  Schwangerschaft  bis- 
weilen aus  den  Brüsten  Milch  secernirt  wird,  so  tritt  doch  gewöhnlich  dieser 
Vorgang  erst  während  des  Wochenbettes  auf.  Durch  die  reichlichere  Secre- 
tion  der  Brüste  wird  gewöhnlich  am  ersten  Tage  des  Wochenbettes  die  Nah- 
rungsquelle des  Neugebornen  eröffnet.  Die  Milch  wird  entweder  als  unreife, 
Colostrum,  oder  als  reife,  als  eigentliche  Milch  bezeichnet;  beide  haben 
dieselben  chemischen  und  mikroskopischen  Bestandtheile  und  differiren  nur  in 
der  Menge  derselben. 


LACTATION. 


487 


Die  chemischen  Bestandtheile  sind  Wasser,  Zucker,  Butter,  Casein 
und  .Salze;  das  specifische  Gewicht  gesunder  Frauenmilch  beträgt  im  Mittel 
1-032,  die  Reaction  ist  alkalisch,  bisweilen  neutral,  niemals  aber  sauer  und 
differirt  von  der  Kuhmilch,  die  unter  Grünfutter  sauer  reagirt. 

Die  mikroskopischen  Bestandtheile  werden  als  Colostrumkörperchen 
und  Milchktigelchen  beschrieben.  Die  Auflösung  der  Mutterzellen  geht  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  vor  sich,  und  es  werden  daher  nicht  selten  im  fertigen  und 
bereits  entleerten  Secrete  unaufgelöste  Mutterzellen,  Colostrumkörperchen, 
angetroffen.  Diese  finden  sich  auch  noch  in  der  Milch  3—4  Woclien  post 
partum,  aber  in  grösserer  Menge  gewöhnlich  in  den  ersten  Tagen  des  Wochen- 
bettes oder  nach  längerer  Unterbrechung  der  Lactation. 

Wegen  der  verschieden- 
artigen Metamorphosen 
der  Epithelialzellen  der  Drüsen- 
membran findet  man  nebst  den 
Milchkugeln  und  Colostrumkör- 
perchen auch  polygonale,  fett- 
glänzende Zellen,  kleinere,  rund- 
liche, blasse  Zellen  und  einige 
blasse  Kerne  mit  Kernkör- 
perchen. 

Die  Zahl  der  Milchkör- 
perchen  überhaupt  steigt  nach 
der  Geburt,  die  Colostrumkör- 
perchen vermindern  sich  auffal- 
lend vom  6.  Tage  an.  Die  But- 
termenge der  Milch  steht  mit 
der  Menge  der  Milphkügelchen 
in  directer  Proportion,  und 
ist  die  Butter  in  der  Milch 
nach  Art  einer  Emulsion  ver- 
theilt.  Mit  der  Vermehrung 
der  Butter  nimmt  das  specifi- 
sche Gewicht  ebenso  ab  wie 
durch  die  Zunahme  des  Wasser- 
gehaltes; je  älter  die  Milch,  desto  ärmer  wird  sie  an  Buttergehalt.  Das  Casein 
erscheint  grösstentheils  im  gelösten  Zustande  und  nur  ein  geringer  Theil 
trägt  zur  äusseren  Hülle  der  Milchkügelchen  bei.  Der  Zucker,  das  vorzüg- 
lichste Element  der  Frauenmilch,  dient  als  Respirationsmittel.  Die  Salze 
stehen  in  keinem  bestimmten  Verhältnisse  zu  der  Zeit  der  Lactation. 

Die  Güte  der  Frauenmilch  charakterisirt  sich  am  besten  dadurch, 
dass  der  Säugling  bei  derselben  gut  gedeiht,  ruhig  ist  und  mehrere  Stunden 
nach  dem  Stillen  gesättigt  bleibt.  Solche  Milch  zeigt  gewöhnlich  eine  w^eisse 
Farbe,  hat  guten  Geschmack  und  hinterlässt  beim  Abfliessen  über  ein  Glas 
einen  weisslichen  Streifen. 

Die  normale  chemische  Constitution  der  Frauenmilch  erleidet  durch  die 
Dauer  des  Wochenbettes,  der  Lactation,  das  Alter,  die  körperliche  Constitu- 
tion, die  Zahl  der  Geburten,  durch  den  Eintritt  der  Menstruation;  einer  neuen 
Schwangerschaft,  durch  Gemüthsafifecte,  Erkrankungen,  durch  die  Nahrung, 
durch  Medicamente  grössere  oder  geringere  Veränderungen,  wodurch  die 
Frauenmilch  bei  ausreichender  Quantität  aber  abnormaler  Qualität,  wofern 
erstere  überhaupt  vorhanden  ist,  zu  einer  mangelhaften,  ja  selbst  schädlichen 
Ernährungsquelle  des  Säuglings  werden  kann;  es  ist  also  klar,  dass  man  bei 
Erkrankungen  desselben  die  eine  Wöchnerin  treffenden  Einflüsse  besonders 
genau  erforschen  muss. 


a.  Dr'dsenzellen.     b.  Milchkügelchen.     d.  CoUostrumkorpercTien. 


488  LACTATION. 

Die  Milch  der  ersten  zwei  Wochen  ist  reicher  an  Butter,  Casein  und 
Salzen,  aber  ärmer  an  Wasser  und  Zucker.  In  den  späteren  Monaten  ändert 
sich  auch  die  normale  Proportion  der  flüssigen  zu  den  festen  Bestandtheilen 
derart,  dass  die  Frauenmilch  schon  im  fünften  Monat  ärmer  an  Butter  und 
Salzen,  im  achten  Monat  ärmer  an  Zucker,  im.  zehnten  ärmer  an  Casein  wird, 
mithin  vom  fünften  Monate  angefangen  die  festen  Bestandtheile  abnehmen, 
das  Wasser  aber  zunimmt,  so  dass  schon  vom  fünften,  besonders  aber  vom 
zehnten  Monate  ab  durch  die  Abnahme  des  stickstoft'hältigen  Caseins  die  Nah- 
rungsfähigkeit der  Frauenmilch  verringert  wird. 

Das  Alter  der  Wöchnerin  ist  nicht  ohne  Einfluss.  Die  Milch  von  sehr 
jungen  Wöchnerinnen  ist  oft  zu  „kräftig",  von  älteren  oft  zu  wenig  nahrhaft. 
Bei  zarten,  gesunden  Frauen  ist  die  Zusammensetzung  der  Milch  gewöhnlich 
normal,  bei  starken  Frauen  finden  wir  eine  an  Zucker  und  Casein  ärmere 
Milch. 

Durch  schlechte  Kost  nimmt  (wegen  Verringerung  des  Gehaltes  an  Butter 
und  Casein)  das  specifische  Gewicht  der  Milch  ab,  der  Wassergehalt  zu.  Durch 
seltenes  Anlegen  oder  durch  unvollständiges  Entleeren  der  Brust  nimmt  die 
Menge  der  Butter  zu,  Casein  und  Zucker  bleiben  normal,  das  Wasser  und  das 
specifische  Gewicht  nehmen  ab;  durch  zu  häufiges  Anlegen  werden  grosse 
Mengen  abgesondert,  und  die  Milch  ärmer  an  Casein  und  Zucker,  etwas  rei- 
cher an  Butter,  Wasser  und  Salzen,  wobei  die  Dichtigkeit  derselben  sich  kaum 
ändert.  Durch  Euhe  wird  der  Butter-  und  Caseingehalt  vermehrt,  durch  an- 
strengende Bewegungen  aber  vermindert. 

Bei  der  ersten  Geburt  sind  die  chemischen  Bestandtheile  gewöhnlich 
normal,  nach  öfteren  Geburten  wird  die  Milch  ärmer  an  festen  Bestand- 
theilen, was  auch  im  Zusammenhange  mit  dem  vorgerückten  Alter  steht. 

Die  Menstruation  übt  zumeist  in  dem  ersten  Halbjahre  post  partum 
auf  die  Milch  keinen  störenden  Einfluss  aus;  im  Wiener  Findelhause  werden 
auch  menstruirte  Ammen  an  Private  überlassen,  welche  gewöhnlich,  wie  ich 
mich  oft  überzeugen  konnte,  die  ihnen  anvertrauten  Säuglinge  vortrefflich 
nähren.  Tritt  die  Menstruation  in  der  zweiten  Jahreshälfte  der  Lactation 
auf,  so  nimmt  bisweilen  die  Quantität  der  Milch  ab,  die  Qualität  derselben 
wird  aber  nicht  wesentlich  verändert.  Die  Milch  ist  während  der  Menstrua- 
tion nahrhafter,  weshalb  durch  selteneres  Anlegen  des  Säuglings  darauf  Rück- 
sicht genommen  werden  soll. 

Ist  eine  neue  Schwangerschaft  eingetreten,  so  hat  sie  im  ersten 
Halbjahre  auf  die  Milch  weder  bezüglich  der  Qualität  noch  der  Quantität 
b  esonderen  Einfluss.  Gegen  das  Ende  der  Gravidität  nehmen  die  festen  Be- 
standtheile auch  zu,  woraus  sich  erklärt,  dass  stillende  Schwangere  die  Säug- 
linge bis  zur  nächsten  Geburt  nähren  können. 

Gemüthsaffecte  haben  auf  die  Menge  der  Milchabsonderung  einen 
entschiedenen  Einfluss.  Es  ist  eine  altbekannte  Sache,  dass  durch  das  Weinen 
des  Säuglings  die  Milchabsonderung  sich  in  wenigen  Minuten  rasch  vermehrt, 
die  Brüste  praller  werden  und  viel  Milch  heraussickert.  Durch  chronische 
Gemüthsleiden  kann  die  Milch  qualitativ  verändert  und  quantitativ  verringert 
werden. 

In  acuten  Krankheiten  sind  die  festen  Bestandtheile  vermehrt,  die 
Wassermenge  verringert,  bei  chronischen  Krankheiten  ist  dasselbe  der  Fall, 
nur  nimmt  das  Casein  im  Gegensatze  ab.  Auffallend  arm  an  Butter  ist  die 
Milch  bei  Tuberkulose  und  Lues  der  Stillenden,  bei  welchen  nur  12  an- 
statt 26  Gewichtstheile  gefunden  werden.  Die  Milch  luetischer  Frauen  charak- 
terisirt  sich  auch  noch  durch  ihre  grössere  Dichtigkeit,  durch  ihren  Pteichthum 
an  Salzen  und  durch  die  Fähigkeit,  ohne  sichtbare  Zeichen  durch  das  Stil- 
len den  Säugling  mit  secundärer  Lues  zu  inficiren. 


LACTATION.  489 

Die  chemische  Beschaffenheit  der  Frauenmilch  soll  endlich  auch  durch  Infasorien 
verändert  werden  und  die  bekannten  diarrhoischen  Stühle  der  Säuglinge  veranlassen. 

Die  Quantität  der  täglich  abgesonderten  Milch  ist  sehr  relativ.  In 
den  ersten  3  Tagen  ist  sie  gering,  später  reichlicher,  so  dass  der  Säug- 
ling in  der  ersten  Woche  höchstens  V4,  später  V2  ^^^^^^  Milcfi  pro  die 
verbraucht.  l)ie  Milchsecretion  kann  gesteigert  werden  durch  das  frühzeitige 
Anlegen  des  Kindes  am  Tage  der  Geburt  selbst,  durch  regelmässiges  Anlegen 
in  längeren  Zeiträumen  und  das  regelmässige,  vollständige  P^ntleereri  der 
Brustdrüse,  durch  reichlich  Amylum,  Butter  und  Zucker  enthaltende  Diät, 
Verhinderung  flüssiger  Ausscheidungen  und  durch  rasche  Beseitigung  von 
Diarrhoen.  Je  früher  eine  reichliche  Milchabsonderung  eintritt,  desto  länger 
pflegt  sie  auch  anzudauern.  Bisweilen  tritt  im  Wochenbette  gar  keine  Milch- 
secretion ein  (Agalactie),  öfters  reicht  die  vorhandene  Milchmenge  zur 
Ernährung  des  Säuglings  nicht  aus.  Diese  relative  Agalactie  hängt  ge- 
wöhnlich von  vorgerücktem  Alter,  vorausgegangenen  Krankheiten  der  Brust- 
drüse, unzweckmässiger  Diät,  vom  Eintreten  fieberhafter  oder  Vorausgehen 
chronischer  Krankheiten,  von  dem  zu  häufigen  Anlegen  des  Säuglings,  von 
dem  zu  langen  Liegenlassen  desselben  an  der  Brust  und  von  individueller 
Anlage  ab.  Gewöhnlich  dauert  die  Lactation  6 — 9  Monate  an  und  reicht  hin, 
einen  Säugling  allein  zu  ernähren.  Hierauf  wird  die  Absonderung  meistens 
geringer,  ob  nun  eine  Menstruation  oder  Schwangerschaft  eintritt  oder  nicht. 
Künstlich  kann  die  Dauer  der  Milchsecretion  sogar  auf  IV2 — 2  Jahre  aus- 
gedehnt werden,  wobei  die  Kinder  dieses  Alters  wohl  fast  immer  auch  mit 
anderen  Stoffen  ernährt  werden,  und  nur  ausnahmsweise  können  junge  Säug- 
linge mit  der  Milchmenge  einer  Amme  einer  so  vorgerückten  Lactationszeit 
befriedigt  werden.  In  pathologischen  Fällen  kann  das  Aussickern  der  Milch 
noch  lange  fortdauern  (Galactorrhoe). 

Werden  die  Säuglinge  in  was  immer  für  einer  Zeit  des  Wochenbettes 
oder  der  Lactation  entwöhnt,  so  sickert  einige  Zeit  hindurch  Milch  aus; 
es  sammelt  sich  ein  Theil  aber  in  der  Brustdrüse  an,  dehnt  diese  aus,  erregt 
eine  Hyperämie,  Anschwellung  und  schmerzhafte  Spannung  derselben,  bis  nach 
einem  Tage  etwas  Colostrumkörperchen  führende  Milch  wieder  erscheint;  nach 
einer  Woche  wird  dann  die  Secretion  so  spärlich,  dass  spontan  keine  Milch 
mehr  aus  der  Brustwarze  hervorquillt,  immerhin  kann  aber  noch  nach  Verlauf 
eines  Monates  ein  wenig  Milch  ausgepresst  werden.  In  Ausnahmsfällen  kann 
sogar  die  durch  einige  Monate  unterbrochene  Lactation  wieder  hervorgerufen 
und  zur  Ernährung  eines  Säuglings  benützt  werden. 

Unter  Milchfieber  verstanden  unsere  Vorgänger  eine  fieberhafte  Auf- 
regung, welche  am  3.  oder  4.  Tage  des  Wochenbettes  mit  erhöhter  Tempe- 
ratur, beschleunigtem  Pulse,  Appetitlosigkeit,  Durst  und  Ermattung  auftritt. 
Man  glaubte,  dass  diese  Erscheinungen  mit  der  um  diese  Zeit  reichlicher 
werdenden  Milchabsonderung  in  einem  innigen  Zusammenhange  stehen.  Geht 
man  aber  in  die  Analyse  dessen  näher  ein,  so  findet  man,  dass  die  grösste 
Anzahl  der  Wöchnerinnen  überhaupt  von  keiner  fieberhaften  Alteration  des 
Allgemeinbefindens  befallen  werden  und  dass  fieberhafte  Symptome  dieser  Zeit 
in  Excoriationen  der  Brustwarze,  Endometritis  leichteren  GradeS;  Verletzungen 
des  Perineums  oder  der  Scheide,  in  Diätfehlern  viel  häufiger  ihren  Grund 
haben  als  in  congenitalen  Affectionen  der  Brustdrüse  und  vermehrter  Milch- 
secretion. 

Wenn  eine  Wöchnerin  ihr  Kind  selbst  stillen  kann  und  darf,  dann  soll 
sie  es  zum  erstenmale  anlegen,  wenn  es  durch  kräftiges  Schreien  seinen 
Hunger  bekundet  und  die  Puerpera  nach  der  Geburt  nicht  zu  sehr  angegriften 
ist.  Das  ist  gewöhnlich  erst  6 — 8  Stunden  post  partum  der  Fall.  Das" Anle- 
gen des  Kindes  soll  in  bestimmten  Zeiträumen  geschehen,  höchstens  alle  zwei 
bis  drei  Stunden,    und   es  ist  empfehlensw^erth,    dass  man  das  Kind  sogleich 


490  LAPAßOHYSTEROTOMIE  —  LAPAROMYOMOTOMIE- 

daran  gewöhne,  dass  es  nachts,  das  heisst  von  10  Uhr  Abends  bis  6  Uhr  Früh, 
nicht  angelegt  werde.  Vor  und  nach  dem  Anlegen  des  Kindes  soll  die  Brust- 
drüse mit  lauem  Wasser  gereinigt  werden.  Das  Kind  soll  in  der  Seitenlage 
der  Frau  an  die  Brust  gelegt  werden,  nicht  aber,  wie  manche  es  aus  Bequem- 
lichkeit thun,  quer  über  den  Leib,  weil  es  hier  drückt,  nicht  gut  saugen  und 
schlucken  kann,  und  dadurch  die  Warzen  schwerer  gefasst  werden  und  leichter 
Fissuren  derselben  entstehen. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  die  Frau,  die  ihr  Kind  stillen  will,  ge- 
sund sei,  dass  speciell  ihre  Warzen  gut  fassbar,  keine  Hohlwarzen  und  nicht 
wund  seien,  dass  der  Warzenhof  frei  von  Geschwüren  und  die  Brust  frei  von 
Ausschlägen  sei.  Auch  Narben  nach  vorausgegangener  Mastitis  dürfen  nicht 
vorhanden  sein,  weil  durch  das  Saugen  des  Kindes  und  den  hiedurch  aus- 
geübten Reiz  wieder  Mastitis  hervorgerufen  werden  kann.  Ansteckende,  con- 
stitutionelle  und  schwere  Nervenleiden,  also  in  erster  Linie  Tuberkulose,  Lues 
und  Epilepsie  schliessen  die  Möglichkeit  des  Stillens  aus.  Es  ist  auch  rath- 
sam,  denjenigen  Frauen,  in  deren  Familie  Tuberkulose  vorkam,  nur  mit  grösster 
Vorsicht  das  Stillen  zu  gestatten.  Auch  sehr  erregbare  Frauen  sollen  ihre 
Kinder  nicht  säugen,  da,  wie  erwähnt,  Gemüthsaffecte  auf  die  Beschaffen- 
heit der  Milch  stark  einwirken.  Es  gilt  natürlich  alles  jetzt  Gesagte  auch 
für  die  Ammen.  v.  braun-fernwald. 

Laparohysterotomie  —  Laparomyomotomie.  Die  Entfernung  eines 

Gebärmuttermyoms"")  auf  abdominellem  Wege,  ohne  dass  dabei  etwas  von 
Uterussubstanz  geopfert  wird,  nennt  man  kurz  Laparomyomotomie,  da- 
gegen Laparohysterotomie,  wenn  sammt  dem  Myom  auch  der  Uterus- 
körper abgetragen  wird. 

Die  ersten  Myomoperationen  auf  abdominellem  Wege  wurden  zufälliger  Weise 
in  Folge  von  Fehldiagnosen  beabsichtigter  Ovariotomien  von  Granville,  Atlee,  Lane, 
Clay,  Heath  und  Burnham  ausgeführt ;  Kimhall  war  der  erste  in  Amerika  und  Koeberl^ 
in  Europa,  welche  die  Operation  mit  Vorbedacht  und  nach  richtig  gestellter  Diagnose  aus- 
führten, doch  wird  allgemein  Fean  als  der  Vater  der  Hysterotomie  angesehen,  da  ihm  das 
Verdienst  gebührt,  die  Technik  der  Operation  ausgebildet  und  diese  selbst  auf  wissenschaft- 
liche Grundlagen  basirt  zu  haben.  Speciell  in  Deutschland  ist  es  der  Freiburger  Gynäkologe 
Hegar,  welcher  die  Laparohysterotomie  zum  erstenmale  ausgeführt,  sowie  die  P^AN'sclie 
Methode  modificirt  und  weiter  ausgebildet  hat,  wobei  jedoch  nicht  vergessen  werden  darf, 
dass  das  Verdienst,  die  temporäre  Blutstillung  durch  elastische  Ligatur  angegeben  zu  haben^ 
dem  Odessaer  Chirurgen  Kleeberg  zufällt. 

Das  erste  zur  Entfernung  der  Uterusmyome  angewendete  Operations- 
verfahren war  die  Laparohysterotomie  durchgehends  mit  der  sogenannten 
extraperitonealen  Methode  der  Stielbehandlung;  als  jedoch  inzwischen 
bei  der  Ovariotomie  durch  Stielversenkung  glänzende  Erfolge  erreicht  wurden, 
gelangte  auch  hier  —  von  Schröder  eingeführt  —  die  intraperitoneale 
Methode  zur  Aufnahme. 

Bald  darauf  publicirte  Martin  seine  Methode  der  intraabdominalen 
Enucleation  der  Uterusmyome,  eine  sehr  geniale  Operation,  die  jedoch  bei 
den  Operateuren  gar  bald  in  schlechten  Ruf  kam,  nachdem  sich  ihr  Mortalitäts- 
percent als  ein  viel  höheres  erwies,  als  das  der  unterdessen  technisch  sehr 
hoch  ausgebildeten  supravaginalen  Uterusamputation  und  der  radicalen  Uterus- 
exstirpatiön ;  erst  die  mit  dieser  Enucleation  verbundene  Hysteropexie  oder 
eigentlich  Suspension  des  Uterus  nach  Obalinski  und  Albert  scheint  ihr 
wieder  neue  Terraine  erworben  zu  haben. 

Somit  haben  wir  bei  Besprechung  der  Technik  der  Laparomyomotomie 
folgende  Methoden  zu  berücksichtigen: 


*)  Vergl.  Artikel  „Fibrom,  Fibroivyom,  Myo7n."  IV.  Myome  des  Uterus,  pag.  243  u.  ff. 


LAPAEOHYSTEROTOMIE  -  Lift>AROMYOMOTOMIE.  491 

A.  Die  supravaginale  Laparoliystcrotomie,  u.  zw. : 

I.  mit  extraperitonealer  Stielhehandlung, 

IL  mit  intraperitonealer  Stielhehandlung  und 

III.  mit  iuxtaparietaler  Stielhehandlimcj. 

Die  ersten  drei  Acte  sind  bei  allen  drei  Methoden  der 
supravaginalen  Uterusamputation  dieselben,  sie  werden  daher,  um 
Wiederholungen  zu  vermeiden,  nur  einmal  beschrieben.  —  Zunächst  wird  die 
Bauchhöhle  durch  einen  Längsschnitt  in  der  Linea  alba  eröffnet  (erster  Act), 
wobei  eine  Verletzung  der  Harnblase  durch  Einführung  einer  Steinsonde  in 
dieselbe  leicht  vermieden  wird.  Von  der  Grösse  des  Tumors  wird  die  Aus- 
dehnung abhängen,  in  welcher  die  vordere  Bauchwand  gespalten  wird,  sie 
wird  bei  sehr  grossen  Tumoren  den  Nabel  überschreiten,  wobei  dieser  links 
umkreist  wird. 

Im  zweiten  Acte  wird  die  Geschwulst  entwickelt,  d.  i.  aus  der  Bauch- 
höhle hervorgezogen  und  über  den  Symphysenrand  hinübergebeugt,  wobei  die 
Beziehungen  derselben  zum  Uterus  und  seinen  Adnexen,  sowie  seine  physika- 
lischen Eigenschaften  deutlich  zu  Tage  treten  und  der  Plan  für  das  weitere 
Verfahren  festgestellt  werden  kann.  Manchmal  ist  die  Geschwulst  so  gross, 
dass  man  an  ihre  Verkleinerung  denken  muss.  Sehr  voluminöse  und  weiche 
Tumoren  dürften  vielleicht  durch  Function  verkleinert  werden.  Pean  räth, 
umfangreiche  Geschwülste  nach  seiner  Angabe  zu  zerstückeln  {Morcellement)^ 
welchem  Verfahren  jedoch  viele  Autoren,  in  erster  Reihe  Pozzi,  entgegen- 
treten. Hat  man  sich  nun  für  die  supravaginale  Amputation  entschlossen, 
dann  schreitet  man  zum  dritten  Act:  zur  Blutstillung.  Dieselbe  wird  provi- 
sorisch durch  die  KLEEBERG'sche  elastische  Ligatur  besorgt,  welche  um  den 
Gebärmutterhals  fest  umschlungen  und  entweder  mit  speciellen,  dazu  bestimmten 
Klammern,  oder,  wie  ich  verfahre,  mit  einer  starken  TnoRNTON'schen  Pince 
festgehalten  wird.  Es  ist  auch  hier  rathsam,  vorher  einen  Katheter  in  die 
Blase  einzuführen,  sich  zu  überzeugen,  wo  ihr  Grund  sich  befindet,  über  dem- 
selben eine  lange  Nadel  von  vorne  nach  hinten  durch  den  Uterus  hindurch 
zu  stechen  und  erst  über  dieser  die  elastische  Ligatur  anzulegen,  weil  man 
auf  diese  Weise  vor  Blasenverletzungen  gesichert  ist.  Um  aber  den  Uterus 
frei  und  für  die  elastische  Ligatur  zugänglich  zu  machen,  muss  vorerst  beider- 
seits das  Ligamentum  latum  zwischen  einer  doppelten  Reihe  von  Ligaturen 
bis  auf  den  Gebärmutterhals  durchschnitten  werden.  Zu  gleicher  Zeit  können 
die  Adnexa  exstirpirt  werden,  was  bei  jeder  Uterusexstirpation  geschehen 
sollte,  wenn  nun  keine  besonderen  technischen  Schwierigkeiten  entgegenstehen, 
da  die  Ausserachtlassung  dieser  Vorsicht  —  wie  bekannt  geworden  —  schon 
schlimme  Zufälle  zur  Folge  hatte. 

Das  weitere  Verfahren  hängt  von  der  gewählten  Methode  der  Stielbehand- 
lung ah 

Bei  der  extraperitonealen  Methode  von  Hegar  wird  nun  der  Uterus 
sammt  der  Geschwulst  zwei  Querfinger  oberhalb  der  elastischen  Ligatur  ein- 
fach amputirt,  der  Stiel  in  den  unteren  Winkel  der  Bauchv/unde  placirt,  dessen 
Peritonealüberzug  unterhalb  der  elastischen  Ligatur  mit  dem  Peritonealrande 
der  Bauchwunde  zusammengenäht  und  diese  dann  bis  oberhalb  des  Stieles 
durch  eine  dreischichtige  Naht  fest  verschlossen.  Um  einem  Versinken  des 
Stieles  vorzubeugen  durchsticht  man  denselben  oberhalb  der  Ligatur  mit  einer 
oder  zwei  langen  Nadeln  in  der  Quere.  Seine  Schnitttiäche  wird  entweder  mit 
5%  Chlorzinklösung  (Kaltenbach)  oder  mit  dem  Thermocauter  (Pozzi) 
geätzt  und  hierauf  antiseptisch  verbunden.  Der  oberhalb  der  elastischen  Li- 
gatur gelegene  x4bschnitt  des  Stieles  unterliegt  einer  Mortification  und  nach 
Abnahme  der  Ligatur  und  Ablösung  der  mortificirten  Theile  heilt  die  W^unde 
per  granulationem. 


492  LAP  AROHYSTEROTOMIE  —  LAPAROMYOMOTOMIE. 

II.  Beider  intraperitonealen  Stielbehandlung  nach  Schrödek 
wird  oberhalb  der  Ligatur  ein  gegen  3  cm  breiter  Peritoneallappen  ringsherum 
abpräparh't,  dann  der  Uterus  sammt  dem  Tumor  quer  amputirt,  die  Schleim- 
haut des  Cervixcanales  trichterartig  herausgeschnitten,  der  Canal  selbst  mit 
dem  Thermocauter  ausgebrannt,  die  sichtbaren  Gefässe  werden  unterbunden, 
dann  erst  wird  eine  Etagennaht  der  Wundfläche  angelegt  und  zuletzt  darüber 
der  Peritoneallappen  mit  feinem  Catgut  oder  Seide  sorgfältig  genäht.  Wird 
nun  die  elastische  Ligatur  entfernt,  so  steht  die  Blutung  vollkommen.  Nach 
ausgeführter  Toilette  der  Bauchhöhle  wird  der  so  genähte  Stiel  in  die  Tiefe 
versenkt  und  die  Laparotomiewunde  wie  gewöhnlich  genäht.  Manche  Opera- 
teure (Martin)  fügten  noch  der  Sicherheit  halber  die  Drainage  vom  Cavum 
Douglasii  nach  der  Scheide  hinzu. 

Diese  Methode  erfuhr  im  Laufe  der  Zeit  verschiedene  Modificationen, 
von  denen  die  bedeutendsten  von  Zweifel  und  Cheobak  angegeben  wurden, 
so  dass  die  jetzt  überhaupt  gebräuchliche  Methode  der  Laparo-Myomo-Hyste- 
rotomie  diese  beiden  Namen  führt.  Zweifel  hat  seine  Grundsätze  und  Pri- 
oritätsrechte im  Centralblatte  für  Gynaekologie  1894  Nr.  14  zur  Genüge  ent- 
wickelt und  aufrecht  erhalten.  Nach  diesem  besteht  seine  Methode  aus  fol- 
genden Acten:  1.  Eröffnung  der  Bauchhöhle;  2.  Emporheben  des  myomatösen 
Uterus  aus  der  Tiefe  vor  die  Bauchwunde;  3.  Unterbindung  der  beidersei- 
tigen ligamenta  lata  mittelst  fortlaufender  Partienligatur,  welche  entweder  mit 
der  ZwEiFEL'schen  Schiebernadel,  aber  auch  ebensogut  mit  einer  gewöhnlichen 
gestielten  Nadel  zu  Stande  gebracht  werden  kann.  Dabei  werden  die  uterin- 
wärts  gelegenen  (somit  die  Tuben  und  Ovarien  enthaltenden)  Partien  der 
Küi'ze  halber  nicht  unterbunden,  sondern  mit  starken  Pinces  abgeklemmt; 
4.  Trennung  der  Ligamenta  lata  zwischen  den  Klemmen  und  den  Kettenliga- 
turen ;  5.  Abpräpariren  eines  Peritoneallappens  an  der  vorderen  Uterusfläche 
mit  nach  unten  stehender  Basis;  6.  Anlegung  der  Kettenligatur  aus  starkem 
Catgut  horizontal  durch  das  Uteringewebe  in  fünf  bis  sechs  Partien  unmittel- 
bar oberhalb  der  Basis  des  abpräparirten  Peritoneallappens  ohne  auf  den  Cer- 
vixcanal  Ptücksicht  zu  nehmen;  7.  Abtragung  des  Uterus  sammt  dem  Tu- 
mor 2  cm  oberhalb  der  Ligaturlinie;  8.  Annähung  des  Peritoneallappenran- 
des  unterhalb  der  Ligaturlinie  an  der  hinteren  Uterusfläche,  wodurch  dieselbe 
vollends  subperitoneal  zu  liegen  kommt. 

Wenn  die  Ligaturen  gut  geknotet  sind,  so  steht  die  Blutung  vollstän- 
dig, somit  kann  weder  diese  noch  die  zurückgelassene  Cervixschleimhaut  einen 
Anlass  zur  lufection  abgeben,  zumal  das  Ganze  unter  dem  Peritoneallappen 
sich  befindet  und  wiederholte  Untersuchungen  auf  Zweifel's  Klinik  dargethan 
haben,  dass  in  der  gesunden  Uterushöhle  und  im  oberen  Theile 
des  Cervicalcanales  gar  keine  Keime  vorkommen.  Uebrigens 
könnte  Jemand,  der  sich  von  den  Gedanken  an  die  Gefährlichkeit  der  im 
Stumpfe  zurückgelassenen  Cervicalschleimhaut  nicht  befreien  kann,  dieselbe 
bis  zum  Niveau  der  Ligaturen  exstirpiren  und  den  so  entstandenen  Trichter 
zunähen.  Zw^eifel  drückte  durch  dieses  Verfahren  das  Sterblichkeitsprocent 
der  Laporohysterotomie  bis  auf  3'27o  herunter!  Ein  wahrhaft  schönes  Eesultat, 

Beinahe  gleichzeitig  mit  Zweifel  hat  Chrobak  ein  ähnliches  Ver- 
fahren angegeben,  welches  von  ihm  retroperitoneale  Laparohystero- 
tomie  genannt  wurde  und  welches  von  ihm  und  seiner  Schule  cultivirt  nicht 
minder  gute  Resultate  ergab  als  das  ZwEiFEL'sche.  Er  selbst  beschreibt 
seine  Methode  folgendermaassen:  „Die  Operation  wird  so  ausgeführt,  dass  nach 
Vorwälzung  des  Tumors  die  Ligamente  abgebunden  werden,  hierauf  wird  von 
^ier  vorderen  oder  hinteren  Fläche  des  Tumors  ein  grosser  Peritoneallappen 
umschnitten  und  abgelöst  bis  auf  den  Ansatz  der  Scheide  herunter.  Bei  sehr 
grossen  Tumoren  wird  innerhalb  des  Lappens  ein  elastischer  Schlauch  an- 
gesetzt, dann  umsticht  man  möglichst  hart  am  Scheidenansatze  die  Art.  uterina 


LAPAROHI-STEROTOMIE  —  LAPAROMYOMOTOxMIE.  493 

und  setzt  etwa  ^2  ^^is  Vi  ^"^  darüber  den  Uterus  ab.  Hat  man  tief  unten 
ligirt,  so  blutet  der  Stumpf  nicht,  ist  der  Stumpf  länger  geblieben,  so  treten 
aus  demselben  Blutungen  auf,  welche  durch  isolirte  Umstechungen  beherrscht 
werden.  Hierauf  wird  die  Höhle  des  Cervixstumpfes  energisch  mit  dem  Thermo- 
cauter  ausgebrannt,  ein  Jodoformdocht  durch  denselben  in  die  Scheide  geführt 
und  kurz  über  der  Stumpftiäche  abgeschnitten.  Ueber  dem  Ganzen  werden 
die  Peritoneallappen  vereinigt." 

Hieher  gehört  auch  die  von  Demetrius  v.  Ott  auf  dem  XI.  inter- 
nationalen Congress  zu  Rom  publicirte  Methode,  von  ihm  selbst  „nach  dem 
Typus  der  Ovariotomie"  benannt,  mit  welcher  er  auch  nicht  schlechte 
Erfolge  davongetragen  hat,  denn  auf  24  Fälle  starb  nur  einer  =  4'3^/o.  Die 
Operation  wird  folgendermaassen  ausgeführt:  1.  Act:  Sorgfältige  Desinfection 
der  Scheide  mit  Sublimatlösung  (1  :  2000),  Curettage  der  Cervicalhöhle,  Cau- 
terisation  derselben  mit  dem  Thermocauter  und  Tamponade  der  Scheide 
mit  Jodoformgaze.  2.  Act:  Laparotomie  und  Hervorziehen  des  Uterus  mit 
der  Geschwulst.  3.  Act:  Beiderseitige  Unterbindung  der  Lig.  lata  mit  Ketten- 
ligatur, wobei  die  letzten  Ligaturen  auch  Theile  des  Uterusgewebes  mitnehmen, 
doch  Freilassen  des  Cervixcanals.  4.  Act:  Amputation  des  Uterus  1cm  ober- 
halb der  Ligaturen,  Cauterisation  der  Schnittfläche  und  des  Cervixcanals. 
5.  Act:  Einführung  eines  Jodoformdochtes  von  oben  durch  den  Cervixcanal 
in  die  Scheide,  Toilette  der  Bauchhöhle  und  Sutur  der  Laparatomiewunde. 

HL  Die  juxtaperitoneale  Methode  nach  Wölfler  und 
V.  Hacker.  Der  Stiel  wird  so  gebildet  wie  bei  der  ScHRöDER'schen  Methode; 
dann  fixirt  man  ihn  in  der  Höhe  der  Peritonealränder  der  Bauchwunde  mittelst 
Fäden,  welche  rechts  und  links  durch  beide  Stielenden  und  die  Bauchwand 
geführt  werden  und  von  denen  je  einer  auf  jeder  Seite  über  Jodoformgaze- 
röllchen geknüpft  wird.  Ueber  dem  Stiele  bleibt  die  Bauchwunde  offen,  sie 
wird  hier  drainirt  und  mit  Gaze  tamponirt,  oberhalb  und  unterhalb  des  Stie- 
les dagegen  fest  zugenäht.  Aehnlicher  Methoden  bedienten  sich  Fritsch  und 
Sänger,  von  denen  ersterer  sehr  viele  Fälle  und  mit  sehr  gutem  Erfolge 
operirt  hat.  Schauta  hat  (Wien.  med.  Woch.  Nr.  2  und  3.  1895)  eine  Me- 
thode publicirt,  welche  auch  zu  den  juxtaperitonealen  gehört  und  sich  von 
der  eben  beschriebenen  dadurch  unterscheidet,  dass  hier  der  Uterus  zuerst 
im  unteren  Winkel  der  Bauchdeckenwunde  eingenäht  und  die  Bauchwunde 
gänzlich  geschlossen  und  erst  als  letzter  Act  die  Amputation  des 
Uterus  und  damit  die  Eröffnung  der  Uterushöhle  vorgenommen 
wird.  Schauta  erreichte  damit  auch  nicht  schlechte  Erfolge,  denn  auf  65 
Operirte  verlor  er  nur  4  =  6*157o- 

B.  Totale  Myomohysterectomie."")  Dass  Bardenheuer  im  Jahre  1882 
mit  dem  Vorschlage  in  die  Oeffentlichkeit  trat,  bei  Myomen,  sogar  bei  ein- 

*)  Freund  war  der  erste,  welcher  eigentlich  die  totale  Exstirpation  des  ütenis  per 
laparatomiarfl  bei  Uteruscarcinom  vorschlug  und  ausführte,  doch  wurde  sie  sehr  bald 
durch  die  vaginale  Uterusexstifpation  verdrängt,  nachdem  die  damit  erreichten  Erfolge 
durch  die  hohe  Mortalität  (wahrscheinlich  in  Folge  Infection  durch  das  ulcerirte  Carcinom) 
beinahe  erschreckend  waren. 

Die  eigentliche  FnEUND'sche  Operation,  nur  vom  Abdomen  aus  ausgeführt  und  des- 
wegen ziemlich  schwer,  wird  gewöhnlich  jetzt  gar  nicht,  sogar  vom  Autor  selbst  nicht,  prak- 
ticirt,  sondern  nur  nach  der  von  Eydygier  angegebenen  Modification,  die  darin  besteht,  dass 
zuerst  die  Vaginalportion  von  der  Scheide  gänzlich  frei  gemacht  wird,  bevor  man  an  die 
Eröifnung  des  Abdomens  geht. 

•Somit  gestaltet  sich  die  Operation  jetzt  folgendermassen :  1.  A  c  t :  Circumcision  der  Portio 
vaginalis.  2.  Act:  Anlegung  der  Ligatur  auf  die  beiden  Art.  uterinae.  3.  Act:  EröJBfnung 
der  Bauchhöhle.  4.  Act:  Ligatur  und  Durchtrennung  der  beiderseitigen  Lig.  lata,  Incision 
der  Bauchfellfalten  und  Beseitigung  des  Uterus.  5.  Act:  Vernähen  der  Bauchfellränder  in 
der  Vaginalwunde. 

Die  letzte  von  Hegar  und  Kaltenbach  zusammengestellte  Statistik  der  axif  diese 
Weise  operirten  Uteruscarcinome  wies  119  Operationen  mit  80  Todesfällen  =  67-2 '/o  nach. 


494  LAPAROHYSTEROTOMIE  —  LAPAROMYOMOTOMIE. 

fachen,  systematisch  den  ganzen  Uterus  zu  exstirpiren,  kann  gar  nicht  ver- 
-w'undern,  wenn  man  bedenkt,  dass  zu  dieser  Zeit  das  Sterblichkeitspercent 
der  supravaginalen  Amputation  ein  ziemlich  hohes  war  (über  307o) ;  wenn  aber 
auch  jetzt,  nachdem  Zweifel  und  Chkobak  durch  ihre  speciellen  Methoden 
diese  Ziffer  bis  o'2*'/o  herabzudrücken  vermochten,  solch  ausgezeichnete  Fach- 
männer wie  Feitsch  und  Martin  dennoch  die  totale  Hysterectomie  als  die 
Zukunftsmethode  bei  Uterusmyomen  zu  proclamiren  wagen,  so  muss  wohl 
diesem  Umstände  eine  solche  Bedeutung  beigelegt  werden,  dass  es  jedem 
Chirurgen  und  Gynäkologen  zur  Pflicht  wird,  sich  auch  mit  diesem  Operations- 
verfahren vertraut  zu  machen.  Ich  schliesse  deshalb  die  Darstellung  desselben 
hier  an  und  zwar  folge  ich  jener,  welche  der  französische  Gynäkologe  Doyen 
von  demselben  gegeben  hat,  da  sie  mir  die  klarste  und  prägnanteste  erscheint : 
Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  und  Umstürzen  des  Tumors  auf  die  Scham- 
gegend wird  mit  einem  einzigen  vom  Douglasraum  bis  zum  Scheitelpunkt 
des  Tumors  reichenden  Schnitt  der  Peritonealüberzug  desselben  getrennt 
(1.  Act.).  In  der  Höhe  der  Adnexen,  doch  etwas  über  ihnen,  führt  man  quer 
einen  zweiten  Schnitt,  welcher  den  ersten  um  einige  Querfinger  unterhalb 
seines  oberen  Endes  kreuzt  und  somit  horizontal  um  den  Tumor  doch  über 
den  Adnexen  zieht.  Bei  der  Ausführung  des  2.  Schnittes  muss  man  sich 
gut  von  der  Lage  der  Harnblase  überzeugen,  um  diese  nicht  zu  verletzen 
(2.  Act). 

Nun  ergreift  der  Assistent  das  linke  Lig.  latum,  während  der  Operateur 
dasselbe  rasch  vom  uterinen  Tumor  abpräparirt,  um  es  mit  einer  festen 
Ligatur  zu  binden.  Nachdem  auch  auf  der  rechten  Seite  in  derselben  Weise 
verfahren  wurde,  schält  der  Operateur  den  Tumor  vorsichtig  auf  der  vorderen 
Seite  von  der  Harnblase  ab,  dann  lateralwärts  bis  zum  Cervix,  worauf  durch 
einen  einzigen  am  Douglas  ausgeführten  Querschnitt  der  ganze  Uterus  sammt 
Geschwulst  abgetrennt  und  die  Scheide  eröffnet  wird.  (3.  Act).  Die  unter- 
bundenen Lig.  lata  werden  in  die  Vagina  herabgedrückt  und  sammt  dem 
peritonealen  Mantel  mittelst  durch  die  Vagina  eingeführter  Zangen  in  dieselbe 
heruntergezogen  (4.  Act).  Nun  wird  die  Patientin,  nachdem  die  Bauchwunde 
provisorisch  mit  automatisch  schliessenden  pinces  ä  griffes  emoussees 
geschlossen  wurde,  aus  der  Ptückenlage  in  die  Steinschnittlage  gebracht,  ein 
Scheidenspeculum  eingeführt  und  die  Blutung  definitiv  gestillt,  u.  z.  entweder 
durch  RiCHELOT'sche  Pinces  oder  starke  Catgutligaturen,  wie  bei  der  vagi- 
nalen Hysterectomie.  (5.  Act.)  Im  letzten  d.  i.  6.  Act  wird  in  der  Tiefe  der 
Bauchwunde  zuerst  das  im  DouGLAs'schen  Kaume  geöffnete  Peritoneum  durch 
Kür^chnernaht  zusammengenäht,  dann  folgt  Toilette  der  Bauchhöhle  und 
Schluss  der  Laparotomiewunde  und  schliesslich  wird  die  Vagina  mit  Jodo- 
formgaze tamponirt. 

C.  Die  iiitraperitoneale  Eiiiicleation  der  Myome.  Während  manche 
Operateure  Myome  aus  dem  Uterusgewebe  nur  deshalb  enucleiren,  um  desto 
leichter  die  supravaginale  üterusamputation  oder  die  totale  Hysterectomie 
ausführen  zu  können,  schlug  Martin  vor,  in  einzelnen,  besonders  dazu  ge- 
eigneten Fällen  nur  zu  enucleiren,  die  zurückgebliebene  Wunde  nach  er- 
folgter Blutstillung  etagenartig  zu  nähen  und  den  Uterus  auf  diese  Weise 
zu  erhalten.  Manche  Fälle  verliefen  gut  und  schnell,  sogar  solche,  bei  denen 
die  Uterinhöhle  eröffnet  worden  war  und  nach  der  Scheide  drainirt  werden 
musste.  Doch  als  immer  häufiger  Meldungen  von  Fällen  kamen,  die  an 
inneren  Blutungen  oder  an  Sepsis  zu  Grunde  gingen,  wandte  man  sich  all- 
mählig  von  dieser  Methode  ab  und  dies  um  so  leichteren  Herzens,  nachdem 
die  anderen  Methoden,  wie  oben  ausgeführt  wurde,  immer  bessere  Ptesultate 
aufwiesen.  Erst  in  letzterer  Zeit  scheint  es  Albert  und  Obalinski  zu  ge- 
lingen, die  Reputation  der  sonst  so  leichten  und  vielfach  zusagenden  Methode 
zu  retten,  indem  sie  die  Ventrifixation  der  am  Uterus  gesetzten  Wunde  vor- 


LAPAROHYSTEROTOMIE  -  LAPAROMYOMOTOMIE.  495 

schlugen  und  ausführten.  Krsterer  zeigte  an  der  Iland  eines  von  ihm  ge- 
sammelten, reichlichen  statistischen  Materiales  {Wiener  Klinik  1804,  Nr.  12), 
dass  dieses  Verfahren  in  beinahe  zwei  Dritteln  vorkommender  Uterusmyome 
mit  gutem  Erfolge  angewandt  werden  könnte,  sowie  an  einer  Reihe  eigener 
Fälle  die  Vortheile  und  Ungefährlichkeit  desselben  und  Löiilkin,  dass  die 
Ventrification  des  Uterus  keinen  ungünstigen  Einfluss  auf  den  Eintritt  und 
den  Verlauf  der  Schwangerschaft  ausübt.  Diese  Methode  kann  nicht  nur,  wie 
Albert  glaubte,  dann  angewendet  werden,  wenn  das  Myom  auf  der  vorderen 
Seite  des  Uterus  gelegen  ist,  sondern  auch  dann,  wenn  es  im  Fundus,  ja  so- 
gar wenn  es  auf  der  hinteren  Seite  des  Uterus  i)lacirt  ist,  nur  darf  es  über- 
haupt nicht  zu  tief  in  das  Collum  reichen.  Untauglich  sind  diese  Fälle, 
wo  multiple  Myome  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  sich  nachweisen  lassen. 

Hieher  gehört  auch  die  Ablation  der  gestielten  subserösen  Fibromyome, 
deren  Nahtstelle  auch  der  Sicherheit  halber  wo  nur  möglich  in  der  Lapa- 
rotomiewunde  fixirt  werden  sollte. 

D.  Decorticatio  myomatis.  So  nannte  Pozzi  eine  Operation,  welche 
nur  ausnahmsweise  ausgeführt  wird  und  darin  besteht,  dass  man  Fibromyome, 
die  entweder  zwischen  die  Blätter  der  Lig.  lata  oder  gegen  das  Rectum  u.  dgl. 
wachsen,  aus  ihrer  Lage  herausschält  und  aus  den  Peritoneallappen  einen 
Stiel  bildet,  der  in  zweifacher  Weise  behandelt  werden  kann,  nämlich:  Nach 
Stillung  der  Blutung  werden  die  Ränder  derselben  fein  zusammengenäht  und 
die  Höhle  gegen  die  Scheide  mittelst  eines  Kreuzdrains  ventilirt  (Martin); 
oder  es  werden  die  Ränder  der  Peritoneallappen  in  die  untere  Hälfte  der 
Bauchwunde  hineingenäht  und  die  ganze  Caverne  mit  Jodoformgaze  oder 
steriler  Gaze  tamponirt.  Die  damit  erzielten  Resultate  sind  ziemlich  gut. 
In  sehr  schwierigen  Fällen  hat  man  nur  einen  Theil  der  Geschwulst  entfernt 
und  aus  dem  Reste  einen  im  unteren  Wundwinkel  eingenähten  Stiel  ge- 
bildet, der  mit  Chlorzink  behandelt  wurde  und  auch  auf  diese  Weise  wurden 
gute  Resultate  gewonnen  (Taufper).  Nur  in  ganz  besonders  schwierigen 
Fällen  bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  die  Castration  auszuführen.  Diejenigen 
Fälle,  die  mehr  gegen  das  kleine  Becken  wachsen,  sollen  mittelst  der  vagi- 
nalen Methoden  behandelt  werden.     (Siehe  den   Artikel  ^Myotomie'^ .) 

Wenn  wir  noch  die  vaginalen  Methoden  der  Beseitigung  von 
Uterusmyomen  berücksichtigen;  dann  haben  wir  eine  Fülle,  eigentlich  einen 
Ueberfluss  derselben,  so  dass  es  unsere  Pflicht  ist,  sich  etwas  in  der  schon  auf 
einem  ziemlich  bedeutenden  Material  basirenden  Statistik  umzusehen  und  so- 
wohl darauf,  wie  auf  den  Ansichten  der  bedeutendsten  Autoritäten  gestützt, 
eine  Richtschnur  geben,  welche  dem  praktischen  Arzte  bei  Beurtheilung 
eines  gegebenen  Falles  gute  Dienste  abgeben  dürfte,  zumal  ich  mit  Chrobak 
sagen  muss:  „dass  nicht  leicht  bei  einer  anderen  Operation  so  genau  zu 
individualisiren  sei,  als  bei  der  Myotomie".*) 

Wenn  wir  uns  nach  der  bisherigen  Statistik  richten  würden,  dann  müssten 
wir  unbedingt  der  radicalen  Totalexstirpation  des  myomatösen  Uterus  den 
ersten  Platz  lassen,  daher  erklärte  auch  Martin  auf  dem  XL  internationalen 
Congress  zu  Rom  dieselbe  als  die  Methode  der  Zukunft,  welcher  Er- 
klärung viele  und  ansehnliche  Gynäkologen  beistimmten,  wie  Pean  (Paris), 
Landau  (Berlin),  Carle  (Turin),  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  Martin 
dabei  nur  die  per  laparotomiam  ausgeführte  Totalexstirpation  im  Sinne  hatte, 
während  jene  dabei  auch  an  die  vaginale  Exstirpation  mit  Beihilfe  des  Mor- 
cellement und  Pincement  dachten  und  bei  Mj^omen,  welche  unter  den 
Nabel  reichten,  der  letzteren  sogar  den  Vorrang  gaben  vor  der  ersteren. 
Man  muss  wirklich  diesen  W^orten  Recht  geben,  wenn  man  hört,  dass 
bei  der  abdominalen  Totalexstirpation  folgende  Resultate  erreicht  wurden : 


*)  Vergl.  Artikel  „Myotomie'^ 


406  LAPAROHYSTEROTOMIE  —  LAPAROMYOMOTOMIE. 


Martin      auf  26  - 

-  1  t 

Chrobak      „    24  - 

-  0  t 

Carle           „     20  - 

-  0  t 

zusammen      70  - 

-  1  t  zz=  1-430/, 

Und  trotzdem  sagt  Chrobak  selbst  in  einer  seiner  letzten  Enuntiatio- 
nen  über  Myomotomieen  (Wien.  Min.  Woch.  1894,  Nr.  52):  „Wir  können 
aber  keinerlei  Ersatz  bieten  für  den  Wegfall  wichtiger  Organe  und  Functio- 
nen und  nicht  zum  geringsten  Theile  wird  die  Freude  an  unseren  Opera- 
tionsmethoden vergällt  durch  jene  Erscheinungen,  welche  der  gewaltsam  her- 
beigeführte Klimax  mit  sich  bringt."  Und  an  anderer  Stelle  :  „Aus  der  totalen 
Exstirpation  heraus  hat  sich  bei  mir  eine  Methode  entwickelt,  zu  der  Andere 
auf  anderem  Wege  gelangt  sind"  (nämlich  die  retroperitoneale  Methode); 
Chrobak  spricht  ferner  von  Schwierigkeiten  der  sicheren  Desinfection  der 
Scheide  und  des  Cervix  und  von  operativen  Schwierigkeiten,  welche  sich 
darbieten.  Daraus  ersieht  man,  dass  Chrobak  die  Totalexstirpation  des 
myomatösen  Uterus  für  eine  schwierige  Operation  hält  und  wenn  man  berück- 
sichtigt, dass  er  selbst  mit  der  retroperitonealen  Methode  ein  Mortalitäts- 
percent von  4' 7  5  und  Rosthorn,  der  unter  besseren  Bedingungen  arbeitete, 
sogar  2*2''/o  herausbekam,  dass  Zv\^eifel  mit  seiner  sehr  verwandten  Methode 
ein  Percent  von  3*2  erreichte,  so  ist  man  doch  berechtigt,  die  retro- 
peritoneale Hy  steromyomectomie  der  totalen  abdominalen  Ute- 
rusexstirpation  vorzuziehen. 

Mit  diesen  beiden  ausgezeichneten  Methoden  streiten  unter  den  ver- 
stümmelnden Operationen  um  den  Vorrang  noch  zwei  andere,  nämlich  die 
extraperitoneale  Uterusamputation  und  die   totale  Exstirpation   per  vaginam. 

Die  extraperitoneale  Uterusamputation,  welche  bis  vor  nicht  langer  Zeit 
beinahe  die  Alleinherrschaft  behauptete,  verliert  mit  jedem  Jahre  ihre  An- 
hänger; sollte  sie  aber  hie  und  da  indicirt  sein,  dann  dürfte  man  sie  nach 
den  von  Schauta  aufgestellten  Regeln  ausführen.  Dagegen  hält  die  vaginale 
Totalexstirpation  vollständig  den  Vergleich  mit  den  zwei  ersten  Methoden  aus 
und  es  scheint  eine  Sache  der  Gewöhnung  zu  sein,  sozusagen  vom  „Gusto" 
des  Operateurs  abzuhängen,  ob  man  sich  mehr  zu  der  abdominalen  oder  zu 
der  vaginalen  Methode  hinneigt.  Jedenfalls  sind  die  durch  die  Franzosen 
erreichten  Resultate  wohl  zu  beherzigen  und  insbesondere  der  Rath,  welchen 
Pean  auf  dem  XL  internationalen  Congress  gegeben  hat:  „Sobald  ein  Fibrom 
des  Uteruskörpers  erkannt  ist,  so  ist  es  ohne  Unterschied  des  Sitzes  auf  ab- 
dominalem Wege  zu  entfernen,  wenn  sein  Volumen  sehr  gross  ist,  indem 
man  sich  der  elastischen  Ligatur,  der  präventiven  Klemmen  und  des  Morcel- 
lements bedient;  auf  vaginalem  Wege,  wenn  das  Volumen  weniger  gross 
ist,  indem  man  sich  der  Einklemmung  (Pincement)  der  Lig.  lata  und  des 
Morcellements  des  Uterus  und  des  Tumors  bedient."  So  hätte  man  zu  ver- 
fahren, wenn  der  Tumor  überhaupt  gross  ist  und  wir  uns  entschliessen,  sammt 
demselben  auch  den  Uterus  zu  opfern,  doch  soll  man,  wo  irgend  nur  möglich, 
die  conservative  Methode  anwenden  (Chrobak,  Obalinski)  und  zwar  die  ab- 
dominale Enucleation,  die  vaginale  Enucleation  und  die  von  Czerny  begründete 
und  von  Dührssen  vaginale  Laparomyomotomie  genannte  Operation. 

Sobald  nun  einmal  ein  Uterusfiibrom  diagnosticirt  wurde,  und  die  beob- 
achteten Symptome,  welcher  immer  Natur  sie  wären,  im  Steigen  sind,  dann 
soll  man  trachten,  durch  eine  der  beschriebenen  radicalen  Methoden  dasselbe 
so  bald,  wie  möglich,  zu  beseitigen.  Je  früher  man  dies  thut,  desto  sicherer 
werden  die  Resultate  sein.  Dabei  ist  an  erster  Stelle  die  Enucleation  des 
Myoms  auf  vaginalem  oder  auf  abdominalem  Wege,  somit  eine  der  conser- 
vativen  Methoden  zu  berücksichtigen  und  erst  in  zweiter  Reihe  eine  der  radi- 
calen aber  den  Uterus  aufopfernden  Methoden,  wobei  wieder  die  vaginalen  vor 
die  abdominalen  zu  setzen  sind.  Decortication  soll  nur  in  Ausnahmsfällen 
angewendet  werden. 


LITHOPAEDION.  —  LOCHIEN.  497 

Nur  wenn  keine  von  den  eben  aufgezählten  Methoden  angewendet  werden 
kann,  treten  die  palliativen  Mittel  in  ihre  liechte,  nämlich :  das  von 
Apostoli  propagirte  Elektrisiren"),  die  von  liYDYGiKu-GoTTSciiALK  vor- 
geschlagene Unterbindung  der  beiden  Art.  aterinae  und  zuletzt  die  beider- 
seitige Castration.  a.  obalinski. 

Lithopaedson.  (SteinMnd).  In  seltenen  Fällen  kommt  es  bei  der  Extra- 
uteringravidität"""), als  Ausgang  derselben,  zur  Bildung  eines  Lithopädions. 
Der  Name  ist  insofern  nicht  ganz  zutreffend,  als  es  bei  diesem  Process  nie 
zu  einer  vollständigen  Versteinerung  des  extrauterin  abgestorbenen  Fötus 
kommt,  indem  die  Auf-  und  Einlagerung  von  Kalksalzen,  der  die  Bildung 
ihren  Namen  verdankt,  nur  auf  der  Oberhaut  des  Fötus  oder  des  Fruchtsackes 
statt  hat.  Die  Hauptmasse  des  kindlichen  Körpers  dagegen,  also  Muskeln 
und  die  sämmtlichen  inneren  Organe  bleiben  von  der  Kalksalzeinlagerung  ver- 
schont und  meistens  ziemlich  gut  erhalten  ;  sowohl  makroskopisch  wie  mikro- 
skopisch am  deutlichsten  erhalten  sich  die  Muskeln,  am  wenigsten  das  Fett 
und  die  fetthaltigen  Organe. 

Küchenmeister  unterscheidet  in  seiner  Arbeit  über  das  Lithopädion 
drei  Hauptformen: 

1.  Das  Lithokeliphos  (6  xsXucpo?  =  die  Eischale),  bei  dem  die  Kalk- 
ablagerung nur  die  eng  um  den  Fötus,  nach  Resorption  des  Fruchtwassers, 
anliegenden  Eihäute  betrifft; 

2.  das  Lithokelyphopädion,  bei  dem  auch  die  Oberhaut  des  Fötus  mit 
von  dem  Process  betroffen  ist  und 

3.  das  Lithopädion  im  engeren  Sinne,  bei  dem  die  Oberfläche  des  Fötus 
frei  von  den  Eihäuten  versteinert  wird.  Die  Entstehung  dieser  dritten  Form 
ist  nur  dadurch  möglich,  dass  der  Fötus  aus  dem  geplatzten  Eisack  in  die 
freie  Bauchhöhle  tritt  und  dort  dem  Verkalkungsprocess  verfällt.  Derartige 
Steinkinder  können  Jahre  lang,  ohne  überhaupt  Beschwerden  zu  machen, 
getragen  werden  und  werden  sehr  häufig  erst  nach  dem  Tode  der  Trägerin  auf 
dem  Sectionstisch  entdeckt.  In  den  Fällen  von  KtJCHENMEiSTER,  Nebel  und  bei 
dem  berühmten  Steinkind  von  Leinzell,  dessen  Trägerin  94  Jahre  alt  wurde, 
weilte  die  entartete  Frucht  über  50  Jahre  in  der  mütterlichen  Bauchhöhle 
ohne  Schaden ;  ja  zu  wiederholten  Malen  wurde  beobachtet,  dass  solche  Frauen 
wieder  intrauterin  empfingen  und  ausgetragene  gesunde  Kinder  zur  Welt 
brachten.  So  gebar  z.  B.  die  Frau  mit  dem  Steinkind  von  Leinzell  noch 
zweimal  ausgetragene  Kinder.  Aus  dem  Gesagten  geht  hervor,  dass  ein  Ein- 
greifen nur  dann  nöthig  wird,  wenn  die  betreffenden  Frauen  nennenswerthe 
Beschwerden  von  ihrem  Lithopädion  haben.  Die  Entfernung  kann  nur  auf 
dem  Weg  der  Laparotomie  geschehen  und  dürfte  auf  grosse  Schwierigkeiten 
nicht  stossen.  Der  in  früheren  Fällen,  wo  bei  der  Geburt  Schwierigkeiten 
erwartet  wurden,  eingeleitete  künstliche  Abort  ist  zu  verwerfen  und  am  Ende 
der  Schwangerschaft  eventuell  durch  den  Kaiserschnitt  zu  ersetzen.  In  der 
Literatur  ist  ein  Fall  (Hugenberger)  veröffentlicht,  bei  dem  das  Lithopädion 
ein  unüberwindliches  Geburtshindernis  bildete,  und  deshalb  der  Kaiserschnitt 
vorgenommen  wurde.  beckh. 

Lochien.  Die  Lochien  oder  der  Wochenfluss  sind  zum  grössten  Theil 
das  Secret  der  nach  vollständiger  Ausstossung  der  Frucht  einer  grossen  Wund- 
fläche vergleichbaren  Uterus-Innenfläche.  Einen  kleinen  Theil  zum  Lochialsecret 
liefert  die  Cervixschleimhaut,  sowie  Scheide  und  Vulva.  Die  Lochialsecretion 
dauert  gewöhnlich  annähernd  4  Wochen,  doch  kann  dieselbe  auch  6 — 7  Wochen, 


*)  Vgl.  Artikel  „Gy^tähoeleJch-otherapie^,  pag.  321. 
**)  Vergl.  Artikel:  „ExtraiiterinscJiwatifferschaft"'  pag.  234. 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  32 


498  LOCHIEN. 

besonders  bei  nichtstillendeii  Frauen  anhalten,  \Yälirend  erfalirungsgemäss  das 
Stillen  eine  raschere  Rückbildung  der  Genitalien  und  damit  auch  rascheres 
Verschwinden  des  WochenÖusses  begünstigt,  lieber  die  Menge  desselben  An- 
gaben zu  machen,  ist  schwer  und  dürfte  wohl  auch  kaum  praktischen  Werth 
haben.  Die  frühere  Eintheilung  des  Wochenflusses  in  Lochia  criienta  bis  zum 
2.  Tag,  sanguinolcnta  bis  zum  3.  Tag,  serosa  bis  zum  8.  Tag  und  dann  alba 
ist  zu  schematisch  und  mit  den  praktischen  Erfahrungen  nicht  im  Einklang. 
Die  ersten  zwei  Tage  allerdings  sind  die  Lochien  gewöhnlich  rein  blutig,  von 
da  ab  aber  beginnen  dieselben  dünner,  wässeriger  zu  werden  und  durch  die 
allmälig  geringere  Blutbeimenguiig  mehr  hellroth  zu  werden.  Der  Eintritt 
des  Zeitpunktes,  in  welchem  völlige  Freiheit  von  Blut  constatirt  werden 
kann,  ist  sehr  wechselnd  und  tritt  manchmal  schon  am  8.  Tage  ein,  nicht 
selten  aber  auch  später  nach  14  Tagen  bis  drei  Wochen,  ohne  dass  gerade 
ein  abnormer  Zustand  vorhanden  wäre.  Nicht  selten  werden  die  Lochien  beim 
Aufstehen,  insbesondere  beim  zu  frühen  Aufstehen  wieder  rein  blutig.  Schon 
makroskopisch  kennzeichnet  sich  der  Gehalt  der  Lochien  an  Deciduabestand- 
theilen  durch  mehr  oder  weniger  reichliche  Beimengung  von  Deciduafetzen. 
Mikroskopisch  beherrschen  in  den  ersten  Tagen  das  Bild  neben  Decidua- 
zellen,  Cylinderepithelien  des  Cervix  und  Plattenepithelien  der  Vagina  rothe 
Blutkörperchen,  die  allmälig  mit  dem  Fortschreiten  des  Wochenbetts  den 
weissen  Blutkörperchen  Platz  machen  und  schliesslich  ganz  verschwinden. 

Die  reinen  Uteruslochien  ohne  Beimengung  des  Cervical-  und 
Scheidenschleimes  sind  bei  gesunden  Wöchnerinnen  wenigstens  vollkommen 
keimfrei.  Nach  ihrem  Eintritt  in  die  Scheide  und  Vermengung  mit  dem 
Scheidensecret  werden  sie  stets  keimhaltig  und  reagiren  alkalisch,  welche 
Reaction  erst  nach  vollständiger  Rückbildung  unter  normalen  Verhältnissen 
der  sauren  Reaction  des  Scheidensecrets  Platz  macht.  Die  anfänglich  geringe 
Anzahl  der  Keime  nimmt  im  Laufe  der  Tage  zu  und  damit  geht  Hand  in 
Hand  eine  zunehmende  Giftigkeit  der  Lochien  bis  zur  zweiten  Woche,  die 
sowohl  durch  Experimente  ad  hominem  wie  beim  Thiere  nachgewiesen  ist. 
Ueber  die  im  Vaginalsecret  in  der  Schwangerschaft  vorhandenen  Hefepilze 
und  Bacillen  gewinnen  bei  der  alkalischen  Reaction  der  Lochien  Fäulnis- 
erreger, die  Staphylococcusarten  und  der  Streptococcus  pyogenes,  die  Ober- 
hand und  bedingen  dadurch  die  erwähnte  Lifectiosität  derselben,  die  vor- 
handen ist  selbst  bei  vollständig  fieberlosem  Verlauf  des  Wochenbetts.  Aus 
dem  eben  Gesagten  geht  hervor,  dass  die  Lochien  einer  jeden  Wöchnerin,  sei 
sie  gesund  oder  krank,  die  Träger  von  Infectionskeimen  sind,  w^oraus  sich  die 
Lehre  der  Vorsicht  für  diejenigen,  welche  mit  denselben  in  Berührung  kommen, 
ergibt.  Ueber  die  hier  auch  in  Betracht  kommende  Frage  der  Selbstinfection 
s.  Artikel  ^Antisepsis  in  der   Gehurt shilfe.^^ 

Störungen  im  Verlauf  des  Wochenbettes  führen  häufig  auch 
zu  Störungen  in  der  Lochialsecretion.  Bei  sehr  vielen  fieberhaften  puerperalen 
Processen  ändert  sich  die  Beschaffenheit  der  Lochien,  indem  der  normaler 
Weise  fade,  aber  durchaus  nicht  üble  Geruch  einem  schlechten,  ja  oft  uner- 
träglichen Gerüche  Platz  macht,  namentlich  bei  der  puerperalen  Endometritis. 
Damit  Hand  in  Hand  geht  Vermehrung  und  oft  auch  Farbenveränderung  des 
Secrets,  Avelches  eine  schmutzig-bräunliche,  ja  oft  schwärzliche  Farbe  annimmt 
und  zwar  tritt  diese  Veränderung  auch  bei  der  puerperalen  Pelveoperitonitis 
und  Parametritis  namentlich,  wenn  dieselben  vom  Endometrium  ausgegangen 
sind,  ein.  Oft  sind  neben  dem  Fieber  putride  Lochien  das  einzige  Symptom 
einer  stattgehabten  Infection.  Freilich  gibt  es  auch  schwere,  rasch  letal  endi- 
gende Formen  des  Puerperalfiebers,  bei  denen  eine  Veränderung  in  den  Lochien 
nicht  im  geringsten  nachzuweisen  ist,  so  dass  also  die  Anschauung,  dass  nor- 
male Lücliien  gegen  ein  stattgehabte  Infection  von  selten  des  Genitaltractus 
sprechen,  als  eine  durchaus  irrige  zurückzuweisen  ist. 


MAMMAKRANKHEITEN.  499 

Eine  hervorragende  Rolle  spielen  die  Lochien  in  dem  Symptomencomplex, 
welcher  bei  mangelhafter  Involution  des  Uterus  in  Erscheinung  tritt;  dieselbe 
wird  oft  erst  dadurch  erkannt,  dass  die  blutigen  oder  blutwässerigen  Lochien 
nicht  verschwinden  oder  wieder  auftreten,  nachdem  bereits  rein  eiteriger 
Lochialfluss  vorhanden  war.  Mit  diesen  blutigen  Abgängen  wechseln  oft  ab 
sehr  reichliche,  serös-schleimig-eitrige  Lochien.  Die  Therapie  besteht  in  der 
möglichst  raschen  LLerbeiführung  einer  besseren  Involution  durch  geeignete 
Mittel. 

Mit  dem  Namen  Lochiometra  wird  ein  Krankheitsbild  bezeichnet,  das 
dadurch  zu  Stande  kommt,  dass  aus  irgend  einem  Grunde  im  Wochenbett  eine 
Anteflexio  höheren  Grades,  welche  den  Abfluss  der  Lochien  verhindert,  entsteht, 
oder  dass  Blutcoagula  oder  Eireste  sich  vor  6ei^  inneren  Muttermund  legen. 
Die  Erscheinung  einer  Lochiometra,  die  meistens  mit  Fieber  einhergeht,  aber 
nicht  mit  Fieber  einherzugehen  braucht,  sind  Verminderung  oder  gänzliches 
Aufhören  des  Wochenflusses  gewöhnlich  am  Ende  der  ersten  oder  Anfang  der 
zweiten  Woche.  Druckschmerzen  oder  überhaupt  Schmerzen  sind  in  uncom- 
plicirten  Fällen  nicht  vorhanden.  Bei  der  bimanuellen  Untersuchung  findet 
man  den  weichen  Uterus  stark  spitzwinkelig  anteflectirt;  gleicht  man  bei  der 
Untersuchung  die  Abknickung  aus,  so  fliessen  gewöhnlich  die  retinirten 
Lochien  ziemlich  plötzlich  ab.  Dieselben  sind  meist  übelriechend  und  von 
bräunlicher  Farbe.  Handelt  es  sich  um  eine  Verlagerung  der  Ausfluss- 
öflfnung,  so  muss  das  Hindernis  mit  dem  Finger  entfernt  werden.  Ist  Fieber 
vorhanden  gewesen,  so  verschwindet  dasselbe  gewöhnlich  nach  dem  Abfluss; 
zu  empfehlen  ist  eine  desinficirende  Ausspülung  der  Uterushöhle.  Im  Uebrigen 
sind  Maassnahmen  zu  treffen,  welche  eine  rasche  Rückbildung  des  Uterus  be- 
fördern. Recidivirt  die  Lochiometra,  was  öfter  beobachtet  wird,  so  ist  in 
gleicher  Weise  vorzugehen.  beckh. 

^ammakrankhelten.  I.  Entwickelmigsfehler.  Unter  Polythelie  be- 
ziehungsweise Polymazie  versteht  man  das  Vorhandensein  von  mehr  als  zwei 
Brustwarzen,  beziehungsweise  Brustdrüsen;  es  handelt  sich  stets  um  eine  an- 
geborene Missbildung.  Die  höchste  bis  jetzt  beobachtete  Zahl  ist  10  in  dem 
Fall  von  Neugebauee.  Die  überzähligen  Warzen  und  Drüsen  befinden  sich 
meist  am  Brustkorb,  dieselben  werden  jedoch  auch  in  der  Achselhöhle,  auf 
der  Schulter,  am  Rücken,  auf  dem  Leib  und  an  der  Innenfläche  des  Ober- 
schenkels beobachtet.  Die  überzähligen  Mammae,  die  meistens  sehr  klein 
sind  und  deshalb  nur  selten  zum  Stillen  verwendet  w^erden  können,  schwellen 
ebenso  wie  die  normalen  Brüste  in  der  Schwangerschaft  und  im  Wochenbett 
an  und  secerniren  ebenso  wie  diese.  Eine  praktische  Wichtigkeit  hat  diese 
Missbildung  nicht,  ebenso  wie  das  ebenfalls,  wenn  auch  seltener,  beobachtete 
Gegentheil  derselben,  die  Äthelie  und  Ämazie,  der  gänzliche  Mangel  von  Warze 
und  Drüse. 

Wichtiger  sind  gewisse  Fehler  in  der  Beschaffenheit  der  Brustwarze, 
welche  entweder  das  Stillen  erschweren  oder  sogar  ganz  unmöglich  machen 
können.  Zu  diesen  gehört  die  abnorme  Kleinheit  der  Brustwarzen,  die  soge- 
nannte Mikrothelie,  welche  entweder  auf  einer  Entwickelungsstörung  beruht 
oder  erworben  sein  kann.  Um  bei  derselben  das  Stillen  zu  ermöglichen, 
muss  die  Warze  mittels  der  Milchpumpe  herausgezogen  werden  und  das  Kind 
muss  an  der  herausgezogenen,  am  besten  mit  einem  Warzenhütchen  versehenen 
Warze  das  Trinken  versuchen.  Zu  beflü'chten  ist  nur  durch  das  öftere  Mani- 
puliren  mit  Milchpumpen  und  Warzenhütchen  das  Entstehen  von  Schrunden, 
auf  deren  Verhütung  also  zu  achten  ist.  Eine  weitere  Abnormität,  welche 
das  Stillgeschäft  erheblich  stören  kann,  ist  die  sogenannte  Hohlwarze  oder 
Papilla  circumvallata,  bei  der  die  Warze  eingezogen  ist,  also  der  Warzenhof 
höher  wie  die  Warze  liegt.  .  Dieses   Tiefliegen  der   Warze   kann   sehr   hohe 

32* 


500  MAMMAKPtANKIIElTEN. 

Grade  erreichen.  Die  Therapie  besteht  ebenfalls  in  dem  Versuch,  die  Warze 
durch  die  Milchpumpe  zur  Erection  zu  bringen.  Bei  den  höchsten  Graden, 
der  sogenannten  versteckten  Hohlwarze,  ist  von  Kehrer  die  Excision  des 
Warzenhofs  empfohlen. 

II.  Erkrankungen  der  Brustwarze  und  Brüste.  Der  weitaus  grösste 
Theil  dieser  Erkrankungen,  soweit  sie  das  Gebiet  des  Gynäkologen  berühren, 
hängt  mit  Schwangerschaft,  Geburt  und  Wochenbett  zusammen.  Zu  den 
nicht  mit  Schwangerschaft  etc.  zusammenhängenden  Erkrankungen  gehört 
zunächst  eine,  die  aus  naheliegenden  Gründen  meist  der  Behandlung  des 
Geburtshelfers  obliegt,  nämlich  die  Schwellung  der  Brustdrüse  bei 
Neugeborenen,  bei  der  es  mitunter  infolge  von  Infection  auch  zur  Ver- 
eiterung kommen  kann.  Die  Erkrankung  macht  sich  bemerkbar  durch 
Schwellung,  Röthung  und  Ausdrückbarkeit  einer  milchigen  Flüssigkeit.  ■  Sie 
kann  beide  Geschlechter  befallen.  Die  Behandlung  besteht  in  feuchten  Um- 
schlägen, bei  eingetretener  Suppuration  hat  die  entsprechende  chirurgische 
Behandlung  einzutreten.  ") 

Bei  jungen  Mädchen  kommen  manchmal  zur  Zeit  der  Menses  Anschwel- 
lungen der  Brüste,  die  mit  starker  Empfindlichkeit  einhergehen,  vor,  welche 
oft  förmlich  den  Charakter  einer  Mastitis  annehmen,  ohne  dass  es  zur  Suppu- 
ration kommt.  Die  Behandlung  ist,  wenn  überhaupt  eine  solche  nöthig,  rein 
symptomatisch.  Auch  das  unter  dem  Namen  Mastodi/nie  oder  Neuralgie  der 
Brustdrüse  bekannte  Krankheitsbild  kommt  manchmal  dem  Frauenarzt  zur 
Beobachtung.  Man  versteht  unter  dieser  Erkrankung  das  Auftreten  von 
Schmerzen  in  den  Brüsten  bald  ein-,  bald  doppelseitig,  ohne  dass  ein  anato- 
mischer Grund  nachzuweisen  wäre.  Die  Fälle,  in  denen  die  Neuralgie  durch 
Entfernung  kleiner  vorhandener  Tumoren  verschwand,  sind  strenggenommen 
nicht  unter  das  Bild  der  Mastodynie  zu  rechnen.  Die  mit  dem  Leiden 
behafteten  Frauen  sind  häufig  historisch. 

Die  häufigste  der  zur  oben  erwähnten  Gruppe  gehörigen  Krankheits- 
erscheinungen bilden  die  sogenannten  Schrunden  der  Brustwarze,  welche 
entweder  entstehen  bei  abnormer  Zartheit  der  Warzenepidermis  oder  durch 
mangelhafte  Pflege  der  Brustwarze  und  Unreinlichkeit.  Begünstigend  wirken 
eine  zu  eng  anliegende  Kleidung  namentlich  in  der  zweiten  Hälfte  der  Schwan- 
gerschaft und  abnorme  Beschaflenheit  der  Warze.  Den  äussern  Anstoss  zur 
Entstehung  der  Schrunden,  soweit  sie  nicht  schon  in  der  Schwangerschaft 
sich  bilden,  gibt  das  Säugen  der  Kinder.  Eine  etwa  auf  der  Warze  vor- 
handene Kruste  wird  entweder  nebst  dem  Epithel  abgehoben,  so  dass  das 
darunter  befindliche  Corium  frei  zu  Tage  liegt  oder  die  Epidermis  der  Warze 
wird  in  kleinen  Bläschen  durch  die  mechanische  Saugwirkung  abgehoben  und 
dann  abgestossen.  Im  weiteren  Verlauf  kommt  es  oft  zu  tiefen,  spaltförmigen 
Einrissen  oder  zu  grossen,  fast  die  ganze  Warze  bedeckenden  Geschwüren. 
Die  Hauptgefahr  der  Schrunden  besteht  darin,  dass  sie  zur  Eingangspforte 
für  Spaltpilze  werden  können  und  damit  die  Entstehung  von  Entzündung  im 
Gewebe  der  Mamma  herbeiführen.  Die  Symptome  sind  meist  ziemlich  be- 
deutende Schmerzen  beim  Anlegen  des  Kindes,  welche  beim  Fassen  der  Papille 
von  selten  desselben  gewöhnlich  am  lebhaftesten  empfunden  werden.  Ob  ein- 
fache Schrunden  zu  hohen  Tomperatursteigerungen  führen  können,  erscheint 
sehr  zweifelhaft.  Jedenfalls  handelt  es  sich  dann  wohl  meist  um  Fälle,  bei 
denen  der  Process  nicht  mehr  local  auf  die  Papille  beschränkt  geblieben  ist. 
Die  Prophylaxe  der  Schrunden  ist  von  grosser  Bedeutung.  Dieselbe  besteht  in 
der  Anordnung  einer  zweckmässigen,  nicht  zu  engen  Kleidung  in  der  Schwanger- 
schaft, besonders  in  den  letzten  Wochen  und  in  täglich  ein-  bis  zweimaligem 
Abwaschen  der  Warze  mit  Wasser  und  Seife.     Sind   bereits    Schrunden  vor- 


*)  Vergl,  Artikel  ^Mastitis  neonatorum"'  im  Bd.  II.  der  y,Interne  Medicin.'^ 


MAMMAKEANKIIEITEN.  501 

banden,  so  muss  die  bedeckende  Kruste  mit  Perubalsam  oder  Glycerin  auf- 
geweidit  werden;  auch  nach  Abstossung  der  Kruste  ist  es  zweckmässig,  den 
Epidermisdefect  mehrmals  täglich  mit  Perubalsam  zu  bestreichen  und  die 
Warze  dann  mit  steriler  Gaze  oder  Watte  zu  schützen.  Zur  Unschädlich- 
machung des  Saugreizes  lässt  man  Warzenhütchen  aus  Glas  oder  Gummi  auf- 
setzen und  an  diesen  das  Kind  trinken.  Peinliche  Asepsis  auch  dieser  kleinen 
Gegenstände  ist  selbstverständlich.  Bei  schwächlichen  Kindern  ist  die  Be- 
nutzung der  Teterelle  biaspiratoire  nach  Auvarj)  zu  empfehlen,  bei  der  das 
Ansaugen  der  Milch  durch  die  Mutter  oder  jede  andere  Person  bewerkstelligt 
werden  kann.'^") 

Nicht  selten  vorkommende  Blutunterlaufungen  im  Warzenhof, 
gewöhnlich  hervorgerufen  durch  Saugversuche  des  Kindes  an  falscher  Stelle, 
verschwinden  gewöhnlich  rasch  wieder  und  haben  keine  pathologische  Be- 
deutung. Auch  die  manchmal  beobachtete  Entzündung  des  Warzenhofs  ist 
von  besonderer  Bedeutung  nur  dann,  wenn  es  zu  Phlegmonenbildung  kommt, 
(Phlegmone  subareolaris).  Der  Process  wird  mit  feuchten  Umschlägen  l)e- 
handelt,  eventuell  tritt  die  Incision  in  ihr  Recht. 

Die  Entzündung  der  Brustdrüse  ist  in  den  meisten  Fällen 
eine  puerperale;  die  in  der  Schwangerschaft  entstandenen  Mastitiden  sind  viel 
seltener. 

Auch  ausserhalb  der  Schwangerschaft  sind  dieselben  beobachtet,  doch 
handelt  es  sich  immer  um  den  gleichen  anatomischen  Process.  Die  puerperale 
Mastitis  ist  unter  dem  Druck  der  modernen  antiseptischen  Behandlung  des 
Wochenbettes  entschieden  seltener  geworden.  Die  Entzündung  der  Brustdrüse  ent- 
steht ausnahmslos  durch  Infection  entweder  von  aussen  her  oder  in  sehr  seltenen 
Fällen  als  metastatische  Theilerscheinung  einer  puerperalen  Septicopyaemie. 
Die  Infection  geht  entweder  von  einer  Schrunde  oder  von  den  Milchgängen 
aus  durch  Einwanderung  von  Staphylococcen  oder  Streptococcen.  Eine  Mastitis 
entstanden  durch  Milchstauung  ohne  Einwirkung  von  Spaltpilzen  gibt  es 
nicht,  demgemäss  gibt  es  auch  das  sogenannte  Milchfieber  nicht.  Alle  unter 
diesem  Namen  gehenden  Fieberlalle  sind  entweder  auf  Infection  oder  auf 
irgend  eine  intercurrente  Krankheit  im  Wochenbett  zurückzuführen.  Die 
Symptome  der  Mastitis,  welche  im  W^ochenbett  gewöhnlich  erst  in  der  zweiten 
oder  dritten  Woche  einzusetzen  pflegt,  sind  Fieber,  eine  geringere  Erhöhung 
der  Pulsfrequenz  im  Vergleich  zur  puerperalen  Sepsis,  Schmerzhaftigkeit  und 
Anschwellung  eines  oder  mehreren  Lappen  der  Drüse.  Die  Haut  über  der- 
selben fühlt  sich  heiss  an  und  ist  stark  gespannt.  Die  Entzündung  kann 
unter  Abfall  des  Fiebers  am  zweiten  oder  dritten  Tage  bei  geeigneter  Be- 
handlung zurückgehen;  ist  dies  nicht  der  Fall,  so  kommt  es  unter  Fortdauer 
des  Fiebers,  bei  dem  höchste  Grade  selten  sind,  unter  Röthung  der  äusseren  Be- 
deckung zur  Eiterung,  welche  sich  meist  durch  Fluctuation  kennzeichnet. 
Wird  nicht  eingegriffen,  so  bricht  der  Eiter  gewöhnlich  spontan  nach  aussen 
durch,  worauf  Abfall  des  Fiebers  folgt,  wenn  der  Process  nicht  auf  die  andern 
Lappen  übergreift.  Zeigen  sich  die  ersten  Symptome  einer  Mastitis,  so  ist 
das  Stillgeschäft  sofort  zu  unterbrechen,  die  Brust  durch  ein  Suspensorium 
mammae,  ohne  Druck  auszuüben,  heraufzubinden;  ferner  ist  ein  Eisbeutel  auf- 
zulegen oder,  da  derselbe  häufig  nicht  gut  vertragen  wird,  Umschläge  mit 
Bleiwasser  zu  machen.  Ausserdem  ist  durch  ein  kräftiges  Laxans  füi'  aus- 
reichende Stuhlentleerung  zu  sorgen.  Bei  eingetretener  Eiterung  wii'd,  wenn 
irgend  möglich  wegen  der  starken  Schmerzhaftigkeit  in  Narkose,  an  der  SteUe, 
wo  Fluctuation  oder  wo  vorher  die  grösste  Schmerzempfindung  constatirt 
wurde,  ausgiebig  incidirt  und  zwar  radiär  zur  Brustwarze,  um  ein  Dui'ch- 
schneiden  der  radiär  verlaufenden  Gefässe  und  Milchgänge  nach  Möglichkeit 


*)  Vergl.  Artikel  ^Fissuren  der  Mamma"  pag.  253  ds.  Bd. 


502  MANÜALHILFE  UND  EXTRACTION. 

ZU  verhüten.  Im  Allgemeinen  soll  man  mit  der  Incision  nicht  zu  lange  warten, 
da  die  rechtzeitige  Vornahme  derselben  oft  vor  vollständiger  Zerstörung  der 
Mamma  schützt.  Sind  mehrere  Abscesshöhlen  vorhanden,  so  werden  die- 
selben entweder  durch  mehrfache  radiäre  Incision  eröffnet,  oder  von  der  ersten 
Incision  aus  durch  stumpfe  Durchtrennung  des  Gewebes  mit  dem  Finger  ver- 
bunden. Die  Höhle  wird  mit  Jodoformgaze  oder  einfacher  steriler  Gaze  aus- 
gestopft oder  ein  Drainagerohr  eingeführt.  Der  erste  Verband  ist  nach 
24  Stunden  zu  wechseln,  der  weitere  Wechsel  ist  je  nach  den  Verhältnissen 
(Durch tränkung  des  Verbandes  oder  Eintritt  voq  neuem  Fieber),  jedenfalls 
aber  nach  3 — 4  Tagen  zu  wechseln.  Die  Wundheilung  geschieht  durch  Gra- 
nulation; eine  Secundärnaht  der  äusseren  Bedeckung  dürfte  nur  in  seltenen 
Fällen  nothwendig  werden.  beckh. 

Manualhilfe  und  Extraction.  Unter  Manualhilfe  versteht  man 
die  bei  Becken-Endlagen  in  Frage  kommende  Kunsthilfe,  welche  in  der 
Lösung  der  kindlichen  Arme  und  der  Entwicklung  des  nachfolgenden  Kopfes 
besteht;  unter  Extraction  hingegen  muss  man  einen  weiteren  Eingriff  ver- 
stehen, nämlich  den  der  Ausziehung  des  Rumpfes  eines  in  Becken-Endlage 
befindlichen  Kindes,  (vergl.  „Becke7iendlagen^\  pag.  84)  In  früherer  Zeit  war  es  bei 
jeder  Becken-Endlage  Gepflogenheit,  die  Ausziehung  des  Rumpfes,  d.  h.  die  Ex- 
traction, vorzunehmen,  sobald  es  nur  möglich  erschien  und  zwar  aus  dem  Grunde, 
weil  man  gewohnt  war,  die  Becken-Endlage  als  pathologische  Fruchtlage  zu  bezeich- 
nen. Von  der  Voraussetzung  ausgehend,  dass  blos  die  Schädellage  die  normale 
Fruchtlage  sei,  dachte  man  sich,  dass  jedes  in  Becken-Endlage  befindliche  Kind 
nicht  blos  bezüglich  seines  Lebens  sich  in  Gefahr  befinde,  sondern  dass  der  Ge- 
burtsverlauf auch  für  die  Mutter  ein  abnormer  sei,  und  bestrebte  sich,  die  Ge- 
burt auf  künstliche  Weise  zu  beendigen.  Die  grosse  Zahl  von  Verlusten  des  kind- 
lichen Lebens,  die  sich  hiebei  ergaben,  war  nur  geeignet,  die  Ansicht  von  der 
Gefährlichkeit  der  Becken-Endlage  zu  bestätigen,  obwohl  man  sich  doch  eigent- 
lich sagen  musste,  dass  die  grössere  Mortalität  der  Kinder  vielmehr  dem  irra- 
tionellen Vorgehen  der  Aerzte  bezüglich  der  Extraction  des  Rumpfes  zuzu- 
schreiben war.  Wir  wissen  nunmehr,  dass  die  Geburt  in  Becken-Endlage, 
wenn  nur  sonst  keine  Abnormität  des  Falles  vorliegt,  in  der  Regel  ebenso 
spontan  vor  sich  geht  wie  die  Geburt  eines  in  Schädellage  befindlichen  Kindes. 
Wir  haben  demgemäss  eigentlich  gar  keine  wie  immer  geartete  Berechtigung, 
von  vorne  herein  einen  Fall,  in  welchem  sich  die  Frucht  in  Becken-Endlage 
präsentirt,  als  einen  abnormen,  durch  Kunsthilfe  zu  beendigenden  zu  bezeichnen. 
Richtig  ist  es  allerdings,  dass  bei  Becken-Endlagen  im  Verlaufe  der  auch 
sonst  spontan  sich  vollziehenden  Geburt  ein  Moment  eintritt,  in  welchem  das 
kindliche  Leben  mehr  gefährdet  erscheint  als  sonst  bei  normalem  Geburts- 
verlaufe. Der  Schädel  eines  in  Becken-Endlage  befindlichen  Kindes  wird  als 
der  zuletzt  kommende  Fruchtheil  geboren,  er  passirt  daher  den  Beckencanal 
gleichzeitig  mit  dem  Nabelstrang,  und  es  besteht  die  Gefahr,  dass  eine  Com- 
pression  des  Nabelstranges  durch  den  harten,  kindlichen  Schädel  gegen  den 
unnachgiebigen  knöchernen  Beckenring  stattfindet,  wodurch  eine  Unterbrechung 
des  Placentar-Kreislaufes  zustande  kommt;  in  gleicher  Weise  entsteht  eine 
Gefahr  für  das  Kind  dadurch,  dass  in  dem  Moment,  wo  der  kindliche  Schädel 
durch  den  Beckencanal  durchtritt,  der  Uterus  seines  Inhaltes  nahezu  voll- 
ständig entleert  ist  und  demgemäss  sich  auf  ein  geringeres  Volumen  zusammen- 
gezogen hat.  Während  bei  einer  Geburt  eines  in  Schädellage  sich  befindlichen 
Kindes  dieser  Moment  erst  eintritt,  wenn  der  Schädel  bereits  längst  ausge- 
treten ist  und  blos  die  untere  Rumpfliälfte  das  Becken  passirt,  was  bei  der 
Schädellage  in  wenigen  Secunden  geschieht,  wird  dieser  Umstand  bei  Becken- 
Endlagen  vielmehr  ins  Gewicht  fallen,  nachdem  einerseits  der  Schädel  als  der 
zuletzt  kommende  Theil  sich  noch   im  Genitalschlauch   befindet,  andererseits 


MANUALIIILFE  UND  EXTRACTION.  503 

seine  Beförderung  durch  den  Beckencanal  viel  längere  Zeit  in  Anspruch  nimmt. 
Jede  Störung  der  Circulation  im  Placentar-Kreislaufe,  sei  sie  bedingt  durch 
eine  Compression  des  Nabelstranges  im  knöchernen  Beckenring  oder  durch 
die  Entleerung  des  Uterus,  muss  zur  Folge  haben,  dass  eine  starke  venöse 
Hyperämie  des  kindlichen  Hirns  eintritt,  dass  Sauerstoffarmuth  sich  geltend 
macht.  Wir  wissen  ja,  dass  das  Blut  des  ungeborenen  Kindes  einen  gewissen 
Grad  von  Sauerstoftüberschuss  besitzt;  wir  wissen,  dass  während  einer  jeden 
Contraction  des  Uterus  eine  Beeinträchtigung  des  Placentar-Kreislaufes  statt- 
finden muss,  dass  jedoch  der  im  Blute  des  Kindes  befindliche  Sauerstoftüber- 
schuss hinreicht,  um  über  diese  Pause  hinwegzuhelfen.  So  sehen  wir  auch, 
dass  das  eben  geborene  Kind  eine  Zeit  lang  braucht,  bis  es  den  ersten  Athem- 
zug  macht,  u.  zw.  so  lange,  bis  der  Sauerstoffiiberschuss  aufgezehrt  ist,  und 
der  Zustand  der  Apnoe  des  Kindes  deragemäss  vorübergeht.  Wenn  nun  die 
Unterbrechung  des  Placentar-Kreislaufes  so  lange  dauert,  dass  der  Sauerstoft- 
überschuss aufgebraucht  ist  und  Sauerstoffarmuth  eintritt,  so  wird  infolge  des 
durch  die  eigenthümliche  Blutbeschaft'enheit  des  Hirns  auf  das  Athmungscentrum 
der  Medulla  oblongata  ausgeübten  chemischen  Pteizes  der  Impuls  zur  ersten 
Athembewegung  gegeben;  während  nun  aber  bei  einem  Kinde,  dessen  Schädel 
sich  bereits  ausserhalb  der  Vulva  befindet,  ein  solcher  Athemzug  zur  Folge 
haben  wird,  dass  die  atmosphärische  Luft  in  die  Luftwege  eindringt,  würde 
eine  solche  reflectorische  Athembewegung  in  einem  Falle,  da  der  kindliche 
Schädel  noch  im  Geburtsschlauche  sich  befindet,  zur  Folge  haben,  dass  in  die 
sich  erweiternden  Lungenbläschen  statt  der  athmosphärischen  Luft  die  um- 
gebenden Medien  aspirirt  werden,  welche  in  der  Form  von  Fruchtwasser, 
Meconium,  Vaginalsecreten,  Vernix  caseosa  etc.  zu  mindest  in  die  grossen 
Luftwege  gelangen  und  durch  die  Verstopfung  derselben  den  Erstickungstod 
der  Frucht  herbeiführen  müssen.  Diese  Gefahr  besteht  demgemäss  allerdings 
bei  einer  jeden  Geburt  eines  in  Becken-Endlage  befindlichen  Kindes,  sie  tritt 
ein  in  dem  Momente,  wo  der  Eumpf  bis  über  Nabelhöhe  ausgestossen  und 
der  Eintritt  des  kindlichen  Schädels  in  den  Beckencanal  zu  gewärtigen  ist; 
dauert  der  spontane  Durchtritt  des  kindlichen  Schädels  nur  kurze  Zeit,  so 
wird  das  Leben  der  Frucht  in  keiner  Weise  gefährdet  werden.  Diese  rasche 
Durchbeförderung  des  zuletzt  kommenden  Schädels  durch  den  mütterlichen 
Beckencanal  in  einer  Weise,  dass  das  kindliche  Leben  nicht  gefährdet  wird, 
ist  jedoch  blos  zu  erwarten  bei  Multiparis  oder  bei  ausserordentlich  geringer 
Entwicklung  einer  etwa  früh  geborenen  Frucht;  dann  erfolgt  die  Durchstossung 
des  kindlichen  Schädels  mit  ein,  zwei  Wehen  so  rasch,  dass  der  im  kindlichen 
Blute  angesammelte  Sauerstoffiiberschuss  wohl  hinreicht,  um  dem  Kinde  über 
die  erwähnte  Gefahr  hinwegzuhelfen.  Aus  diesen  Gründen  sind  wir  gezwungen, 
bei  Becken-Endlagen  den  letzten  Theil  der  Geburt,  d.  h.  den  Durchtritt  des 
kindlichen  Schädels  durch  den  Geburtsschlauch,  zu  beschleunigen,  und  nach- 
dem wir  nicht  in  der  Lage  sind,  in  jedem  einzelnen  Falle  zu  ermessen,  ob 
die  oben  erwähnte  Gefahr  für  das  kindliche  Leben  im  ernsteren  Grade  ein- 
treten werde  oder  nicht,  sind  wir  verpflichtet,  uns  in  jedem  Falle  von  Becken- 
Endlage  für  diesen  Eingriff  bereit  zu  halten.  Nur  in  diesem  Sinne  kann  dem- 
gemäss unter  sonst  normalen  Verhältnissen  von  einem  Eingriffe  bei  Becken- 
Endlage  die  Bede  sein,  im  Uebrigen  vollzieht  sich  die  Geburt  vollständig 
spontan,  ja  sie  würde  auch  unter  sonst  normalen  Verhältnissen  mit  der  voll- 
ständigen Durchtreibung  des  Kindes  spontan  enden,  wüi'den  wir  nicht  im 
Interesse  des  kindlichen  Lebens  Ursache  haben,  den  letzten  Theil  der  Geburt 
zu  beschleunigen.  Wir  ersehen  daraus,  dass  wir  die  Verpflichtung  haben,  die 
Geburt  bei  Beckenendlage  ebenso  exspectativ  zu  behandeln,  wie  sonst  bei 
anderen  normalen  Fruchtlagen;  wir  haben,  wenn  nicht  eine  specielle  Indication 
vorhanden  ist,  keine  Verpflichtung  und  somit  auch  keine  Berechtigung,  die 
Geburt  eines  in  Becken-Endlage  befindlichen  Kindes  in  anderer  Weise  operativ 


504  MANÜALHILFE  UND  EXTRACTION. 

herbeizufiiliren,  als  etwa  die  Manualhilfe  zu  leisten.  Und  in  der  That  sehen 
wir,  dass  dadurch  viel  mehr  Kinder  am  Leben  erhalten  bleiben,  die  mütter- 
liche Gesundheit  viel  weniger  gefährdet  ist,  als  wenn  wir  indicationslos  jede 
Becken-Endlage  durch  Extraction  behandeln  würden.  In  dieser  Weise  sollen 
wir  nun  bei  jeder  Becken-Endlage  vorgehen  ohne  Unterschied  darauf,  ob  es 
sich  um  eine  primäre  oder  secundäre  Becken-Endlage  handelt. 

Unter  primärer  Becken-Endlage  verstehen  wir  eine  solche,  in  welcher 
sich  die  Frucht  schon  bei  Beginn  der  Geburt  präsentirt  hat.  Unter  secun- 
däre r  Becken-Endlage  verstehen  wir  eine  solche,  welche  erst  während  der 
Geburt,  in  der  Regel  künstlich  hergestellt  wurde,  durch  einen  Eingriff,  welchen 
wir  als  Wendung  bezeichnen.  Wir  müssen  daher  sagen,  wenn  durch  eine 
Wendung  eine  Becken-Endlage,  u.  zw.  eine  secundäre,  hergestellt  worden  ist 
so  müssen  wir  den  w^eiteren  Geburtsverlauf  in  derselben  Weise  behandeln, 
wie  bei  einer  primären  Becken-Endlage,  d.  h.  wir  haben  kein  Recht,  wenn 
nicht  eine  specielle  Indication  seitens  der  Mutter  oder  des  Kindes  uns  auf- 
fordert, die  Geburt  sofort  zu  beendigen,  die  Extraction  des  gewendeten  Kindes 
vorzunehmen.  Wir  müssen  vielmehr  die  Wendung  als  einen  Eingriff  sui  ge- 
neris  bezeichnen,  der  mit  der  nachfolgenden  Extraction  nichts  zu  thun  hat, 
und  werden  somit  unter  sonst  normalen  Verhältnissen  nach  der  Wendung  die 
Austreibung  der  Frucht  abwarten,  um  dann  die  Manualhilfe  in  Anwendung 
zu  bringen.  Die  zeitliche  Trennung  der  Wendung  und  der  Ausziehung  des 
kindlichen  Rumpfes  ist  von  grosser  Bedeutung  für  das  kindliche  und  mütter- 
liche Leben. 

Die  Ausführung  der  Manualhilfe  ist  folgende:  Ist  infolge  der  Wehen- 
thätigkeit  das  untere  Rumpfende  so  weit  geboren,  dass  unter  spontaner  all- 
mäliger  Erhebung  des  Steisses  gegen  die  Symphyse  hin  die  beiden  in  der 
Regel  gestreckt  an  der  vorderen  Bauchwand  des  Kindes  emporziehenden 
Füsse  aus  der  Vulva  ausgetreten  sind,  so  tritt  dann  der  Moment  ein,  wo 
mit  der  Manualhilfe  zu  beginnen  ist.  Es  scheint  zweckmässig,  die  Manual- 
hilfe auf  dem  Querbette  auszuführen;  alle  Handgriffe,  welche  gerade  bei 
der  Raschheit,  die  diesem  Eingriffe  den  Erfolg  sichert,  ausserordentlich  exact 
und  prompt  gemacht  werden  müssen,  gelingen  hiebei  viel  leichter  als  bei 
der  gewöhnlichen  Lagerung  der  Gebärenden  im  Bette.  Es  ist  daher  zweck- 
dienlich, die  Frau  auf  das  Querbett  zu  lagern  schon  in  dem  Momente,  wo  der 
kindliche  Steiss  in  der  Vulva  sichtbar  wird,  um  für  die  manuelle  Hilfeleistung 
gerüstet  zu  sein,  da  wir  ja  wissen,  dass  oft  bei  ein  bis  zwei  Wehen  der  Steiss 
vortritt,  und  wir  zum  Eingriffe  bereit  sein  müssen,  um  nicht  die  Rücksichten  auf 
die  Antiseptik  und  auf  das  kindliche  Leben  zu  verletzen.  Die  Manualhilfe  besteht, 
wie  schon  oben  erwähnt,  in  der  Lösung  der  kindlichen  Arme  und  der  Entwick- 
lung des  nachfolgenden  Kopfes;  um  die  hiebei  in  Frage  kommenden  Handgriffe 
genau  zu  verstehen  und  zweckmässig  anzuwenden,  ist  es  nothwendig,  sich  den 
Mechanismus  des  Durchtrittes  der  Schultern  und  des  Kopfes  des  in  Becken- 
Endlage  befindlichen  Kindes  vor  Augen  zu  halten,  da  wir  nur  dann  einen  geburts- 
hilflichen Eingriff  zweckdienlich  für  das  Kind  und  die  Mutter  werden  durch- 
führen können,  wenn  wir  den  physiologischen  Vorgang  möglichst  nachzu- 
ahmen, unsere  Handgriffe  demselben  möglichst  anzupassen,  bestrebt  sind.  Die 
kindlichen  Schultern  treten  in  der  Regel  in  einem  schrägen  Durchmesser  durchs 
Becken,  so  dass  bei  der  ersten  Position  der  Becken-Endlage  die  linke  Schulter 
nach  rechts  vorne,  die  rechte  nach  links  hinten,  bei  einer  zweiten  Position  die 
rechte  Schulter  nach  links  vorne  gegen  den  Schambogen  der  Mutter,  die 
linke  Schulter  nach  links  hinten  gegen  das  Sitzbein  der  Mutter  gerichtet 
erscheint;  der  Rücken  der  Frucht  sieht  demgemäss  in  diesem  Momente  des 
Durchtrittes,  wobei  er  die  Tendenz  hat,  sich  nach  vorne  gegen  die  Symphyse 
zu  kehren,  bei  einer  ersten  Stellung  der  Frucht  nach  links,  bei  einer  zweiten 
Stellung  der  Frucht  nach  rechts.     Hiebei  ist  entsprechend  dem  Bestreben  der 


MANÜALHILFE  UND  EXTRACTION. 


505 


Frucht,  bei  ihrem  Durchtritt  durch  den  Beckenausgang  die  vordere  niedrige 
Beckenwand,  d.  h.  die  Symphyse  im  Bogen  zu  umgehen,  die  nach  hinten  zu 
gelagerte  Schulter  der  Frucht  zugleich  die  tiefer  gelegene,  dem  Niveau  des 
Beckenausganges  näher  gebrachte.  Die  kindlichen  Arme  liegen  bei  physio- 
logischer Haltung  in  der  Eegel  an  der  Brustwand  über  einander  gekreuzt, 
nur  bei  unzweckmässigem,  vorzeitigem  Anziehen  an  dem  noch  ungeborenen 
unteren  Ru  mpfende  oder  bei  vorhandener  Verengerung  des  Beckeneinganges 
werden  die  kindlichen  Arme  beim  Heruntertreten  des  kindlichen  Schädels 
zurückgehalten,  verlassen  ihre  physiologische  Haltung  und  erscheinen  neben 
dem  Kopfe,  parallel  mit  demselben  in  die  Höhe  gestreckt,  oder  es  kommt 
gar  unter  besonders  ungünstigen  Verhältnissen  dazu,  dass  der  eine  oder  an- 
dere Arm  in  den  Nacken  der  Frucht  geschlagen,  den  Hals  von  hinten  her 
umkreist.  Will  man  mm  die  Lösung  der  Arme  vornehmen  und  dabei  die 
Integrität  des  Schultergürtels  bewahren,  so  ist  es  nothwendig,  die  kindlichen 
Arme  am  Rumpfe  herunterzuführen  in  einer  Weise,  dass  dadurch  eine  Con- 
tinuitätstrennun^  am  knöchernen  und  bindegewebigen  Apparate  des  Schulter- 
gürtels verhindert  wird.  Das  geschieht  am  sichersten  dann,  wenn  wir  die 
Herabführung  der  Hand  im  Sinne  der  Beugebewegung  der  Extremität  vor- 
nehmen, d.  h.  indem  wir  den  Arm  niemals  in  eine  Lage  bringen,  in  welcher 
er  nur  durch  eine  Ueberstreckung  der  Gelenke  herabbefördert  werden  könnte; 
den  anatomischen  Verhältnissen  entspricht  es  daher,  wenn  er  so  herunter- 
geführt wird,  dass  bei  hinaufgeschlagenem  Arme  die  Hand  eine  Bewegung 
macht,  wie 
wenn  sie  mit 
der  Handfläche 
das  Gesicht  ab- 
streifen würde, 
während  bei 
über  der  Brust 
gekreuztenAr- 
men  die  herab- 
geführte Hand 
dieselbe  Bewe- 
gung an  der 
Brust,  respec- 
tive  BaucMä-; 
che  der  Frucht 
ausführt.Diese 
Beugebewe- 
gung der  Hand 
erfordert  nun 
einige  Raun 
entwicklung, 
und  zu  dieser 
ist  der  geeig- 
neteste Platz 
die  Kreuzbein- 
höhlung des 

mütterlichen  Beckens;  wir  finden  daher  in  ihr  den  besten  Platz  zur  Herab- 
führung des  Armes  und  werden  demgemäss  jenen  kindlichen  Arm  zuerst  lösen, 
welcher  von  Vorneherein  entsprechend  der  physiologischen  Lagerung  der  Frucht 
nach  hinten  zu  gegen  die  Kreuzbeinhöhlung  gerichtet  ist,  d.  h.  entsprechend 
dem  oben  erwähnten  Durchtrittsmechanismus  des  Rumpfes  eines  in  Becken-End- 
lage befindlichen  Kindes  wird  bei  einer  ersten  Position  der  nach  hinten  zu 
gerichtete  rechte  Arm,  bei  einer  zweiten  Position,  der  nach  hinten  zu  gerich- 


Fig.  1.  Lösung  des  ersten  hinteren  Armes  bei  der  manuellen  Estration. 
(Aus  Döderlein:  Leitfaden  für  den  geburlshüftichen  Operationscurs.) 


506  MANÜALHILFE  UND  EXTRACTION. 

tete  linke  Arm  der  Friiclit  zuerst  zur  Lösung  kommen.  Nachdem  der  kind- 
liche Rücken  hiebei  die  Tendenz  hat,  nach  vorne  zu  treten,  entspricht  un- 
sere rechte  Hand  der  rechten  Hand  des  Kindes  und  unsere  linke  Hand  dessen 
linkem  Arme;  wir  lösen  daher  den  kindlichen  rechten  Arm  mit  unserer  rechten 
Hand,  den  kindlichen  linken  Arm  mit  unserer  linken  Hand.  Wir  erleichtern 
uns  den  Vorgang,  indem  wir  dabei  die  kindlichen  Füsse  mit  der  uns  frei 
bleibenden  Hand  ergreifen  und  durch  Erheben  derselben  den  geborenen  Theil 
des  Rumpfes  gegen  die  Symphyse  bringen,  u.  zw.  nach  der  entgegengesetzten 
Richtung  als  der,  in  welcher  sich  der  zu  lösende  Arm  befindet;  d.  h.  haben 
wir  eine  in  erster  Stellung  befindliche  Frucht  vor  uns,  und  wäre  daher  der 
rechte  kindliche  Arm  als  der  gegen  die  Kreuzbeinhöhlung  gerichtete  zuerst 
zu  lösen,  so  fassen  wir  die  herabhängenden  Füsse  des  Kindes  mit  unserer 
linken  Hand,  erheben  diese  und  mit  ihnen  den  kindlichen  Rumpf  gegen-  die 
rechte  Schenkelbeuge  der  Mutter  und  bringen  uns  dadurch  die  Schulter  der 
zu  lösenden  Hand  wesentlich  näher;  nunmehr  gehen  wir  mit  dem  gestreckten 
Zeige-  und  Mittelfinger  der  rechten  Hand  längs  der  rechten  Schulter  des 
Kindes  an  den  rechten  Oberarm  entlang,  bis  wir  das  Ellbogengelenk  passirt 
haben  und  an  den  Vorderarm  des  kindlichen  Armes  gelangen;  daselbst  ver- 
suchen wir  durch  schwachen  Druck  auf  den  Vorderarm  jene  Bewegung  her- 
beizuführen, welche  wir  als  ein  Herabgleiten  in  der  Richtung  der  Beuge- 
bewegung der  Hand  bereits  bezeichnet  haben;  der  Daumen  unserer  rechten 
Hand,  mit  der  wir  die  Lösung  machen,  soll  gestreckt  auf  dem  kindlichen 
Rücken  liegen,  damit  wir  uns  nicht  veranlasst  fühlen,  auch  mit  den  Fingern 
die  kindliche  Extremität  zu  umgreifen,  wodurch  Fracturen  des  Vorderarmes 
oder  der  Clavicula  leicht  zustande  kämen.  Es  ist  daher  nothwendig,  blos 
mit  zwei  Fingern  der  lösenden  Hand  an  den  Vorderarm  des  zu  lösenden 
kindlichen  Armes  zu  gehen  und  durch  schwachen  Druck  die  Extremität  herab- 
zubefördern  in  der  Weise,  dass  erst  die  Finger  dann  der  Vorderarm  und 
dann  der  Oberarm  aus  der  Vulva  austreten.  Ist  auf  diese  Weise  die  eine  Hand 
gelöst,  so  muss  man  an  die  Lösung  der  zweiten  Hand  gehen.  Die  linke 
Schulter  ist  bisher  nach  vorne  gegen  die  Symphyse  gerichtet;  um  sie  in  der 
Kreuzbeinhöhlung  leichter  lösen  zu  können,  müssen  wir  sie  in  die  Kreuzbein- 
höhlung bringen  und  werden  deshalb  in  dem  Momente,  wo  unsere  rechte 
Hand  die  rechte  obere  Extremität  entwickelt  hat,  folgendes  vornehmen:  Mit 
unserer  rechten  Hand  fassen  wir  den  Vorderarm  der  eben  gelösten  rechten, 
kindlichen  oberen  Extremität  und  ziehen  sie  mit  leichtem  Zuge  vom  Damme 
gegen  die  Symphyse  der  Mutter,  wobei  wir  die  in  der  linken  Hand  gehaltenen 
Füsse  des  Kindes  nach  abwärts  zu  bringen  und  dadurch  die  Drehung  des 
Rumpfes  um  seine  eigene  Achse  bewerkstelligen,  so  dass  nunmehr  die  linke 
Hand  gegen  die  Kreuzbeinhöhlung  zu  gelangt.  In  dem  Momente  fasst  un- 
sere rechte  Hand  die  Füsse  der  Frucht,  erhebt  dieselben  gegen  die  linke 
Schenkelbeuge  der  Mutter,  während  unsere  nnnmehr  frei  gewordene  linke 
Hand  die  obere  Extremität  des  Kindes  in  derselben  Weise  löst,  wie  das  von 
unserer  rechten  Hand  bezüglich  der  rechten  oberen  Extremität  geschehen  ist. 
Sind  also  beide  kindliche  Arme  gelöst  und  hängt  der  Rumpf  frei  herunter, 
so  finden  wir  in  der  Regel,  den  Rücken  bei  erster  Position  gegen  den  linken 
Schenkel  der  Mutter,  bei  zweiter  Position  gegen  den  rechten  Schenkel  der 
Mutter  gewendet.  Das  ist  ein  Zeichen,  dass  der  kindliche  Schädel  mit  seinem 
Fronto-Occipital-Durchmesser  dem  queren  Durchmesser  des  Beckenausganges 
entspricht;  würde  jedoch,  was  in  diesem  Momente  der  Manualhilfe  hie  und 
da  vorkommt,  der  Rücken  der  Frucht  vollständig  nach  vorne  zu  gerichtet  sein, 
so  müsste  das  uns  ein  Zeichen  dafür  abgeben  dass  der  Fronto-Occipital-Durch- 
messer des  kindlichen  Schädels  dem  geraden  Durchmesser  des  Beckenaus- 
ganges (gezogen  von  dem  unteren  Rande  der  Symphyse  zur  Kreuz-Steissbein- 
spitze)  entsprechen  würde,  mit  anderen  Worten,    im  ersten  Falle   hätten  wir 


MANUALHILFE  UND  EXTRACTION.  507 

ein  Zeichen  dafür,  dass  der  kindliche  Schädel  noch  quer  stehe,  im  zweiten 
Falle  müssten  wir  erkennen,  dass  der  kindliche  Schädel  bereits  rotirt  sei, 
Verhältnisse,  welche  für  die  Entwicklung  des  nachfolgenden  Kopfes  von  grosser 
Bedeutung  sind.  Die  spontane  Entwicklung  des  nachfolgenden  Kopfes  geht 
mutatis  mutandis  unter  ähnlichen  Verhältnissen  vor  sich  wie  die  des  voraus- 
gehenden. Der  kindliche  Schädel  tritt  mit  dem  Fronto-Occipital-Durchmesser 
in  den  queren  Durchmesser  des  Beckeneinganges,  wobei  der  Hals  gebeugt, 
das  Kinn  der  Brust  genähert  erscheint.  Diese  Einstellung  des  kindlichen 
Schädels  entspricht  den  anatomischen  Verhältnissen  des  Beckencanales  am 
besten.  Die  Einstellung  des  kindlichen  Schädels  in  dieser  Form  lässt  seinen 
Durchtritt  durch  den  Beckencanal  viel  rascher  von  Statten  gehen,  als  dies 
beim  vorangehenden  Schädel  der  Fall  ist,  deshalb,  weil  der  nachfolgende 
Schädel  mit  seinem  Gesichtsantheil  vorausgeht,  während  das  breit  ausladende 
Hinterhaupt  den  zuletzt  austretenden  Theil  darstellt,  so  dass  der  kindliche 
Schädel  wie  ein  Keil,  dessen  Spitze  nach  abwärts,  dessen  Basis  nach  aufwärts 
gerichtet  ist,  den  Beckencanal  passirt.  Das  ist  auch  der  Grund,  warum  bei 
platt  verengtem  Becken  eine  Becken-Endlage  unter  Umständen  wesentlich 
günstiger  ist  als  eine  Schädellage,  so  dass  wir  in  solchen  Fällen  eine  vorhan- 
dene Schädellage  durch  eine  Wendung  in  eine  Becken-Endlage  verwandeln, 
um  die  eben  erwähnten  günstigeren  Verhältnisse  für  den  Durchtritt  des 
Schädels  zu  erzielen.  Bei  platt  verengten  Becken  erscheint  nämlich  die  Ver- 
kürzung entweder  blos  oder  zumindest  vornehmlich  die  Conjugata  betreifend, 
einen  Beckendurchmesser,  welchem  der  quere  Durchmesser  des  kindlichen 
Schädels  (biparietaler  Durchmesser  9"25  cm  lang)  entspricht.  In  die  verengte 
Conjugata  stellt  sich  nun  der  kindliche  Schädel  mit  dem  vorangehenden, 
schmäleren  Gesichtsantheile  und  Stirnantheile,  wie  dies  bei  einer  Becken-End- 
lage der  Fall  ist,  ein,  während  bei  einer  Hinterhauptslage  der  breiteste  Theil 
des  kindlichen  Schädels  mit  den  beiden  Scheitelbeinhöckcrn  sich  zunächst  in 
das  Hindernis  einstellt,  um  eine  solche  Configuration  des  Schädels  herbei- 
zuführen, durch  welche  das  Hindernis  überwunden  werden  kann.  Das  ist  ja 
auch  der  Grund,  warum  bei  platt  verengten  Becken  der  vorausgehende  Kopf 
das  Bestreben  zeigt,  sich  in  die  Vorderscheitel-  und  Gesichtslage  einzustellen, 
welche  unter  diesen  Umständen  mitunter  günstigere  Verhältnisse  darbietet 
wie  die  Hinterhauptslage.  Anders  sind  die  Verhältnisse,  wenn  es  sich  um 
ein  allgemein  verengtes  Becken  handelt,  wenn  nicht  blos  die  Conjugata,  son- 
dern auch  der  quere  Durchmesser  des  Beckens  verengt  erscheint;  in  einem 
solchen  Falle  müssen  wir  eine  Becken-Endlage  als  eine  ungünstige  Compli- 
cation  bezeichnen.  Bei  einem  allgemein  verengten  Becken  ist  die  günstigere 
Einstellung  des  kindlichen  Schädels  die  in  der  Hinterhauptlage,  u.  zw.  in  for- 
cirter  Hinterhauptslage,  d.  h.  mit  extremer  Beugestellung  des  Halses,  weil 
dadurch  der  kürzeste  Durchmesser  des  kindlichen  Schädels  (der  kleine,  schräge 
Durchmesser,  Diam.eter  suboccipito-braegmaticus)  dem  queren  Durchmesser 
des  Beckeneinganges  entspricht.  Des  Ferneren  ist  es  bei  allgemein  verengtem 
Becken  nothwendig,  dass  die  Accomodationsfähigkeit  des  kindlichen  Schädels 
viel  höheren  Ansprüchen  gerecht  werde  als  bei  platt  verengten  Becken.  Um 
sich  nun  in  der  Weise  zu  configuriren,  dass  das  Hindernis  überwunden  werde, 
muss  der  Schädel  lange  Zeit  im  Beckencanale  verweilen,  und  wird  unter  dem 
Einflüsse  lang  andauernder  Wehenthätigkeit  diese  Accomodation  herbeigeführt. 
Bei  Becken-Endlage  darf  jedoch  die  Passage  des  Beckencanales  durch  den 
kindlichen  Schädel  nur  ganz  kurze  Zeit  betragen,  soll  nicht  das  Kind  ura's 
Leben  kommen.  Diese  Zeit  genügt  aber  lange  nicht,  um  jene  Accomodation 
des  kindlichen  Schädels  zu  bewerkstelligen,  welche  nöthig  wäre,  um  die  Hinder- 
nisse, welche  die  knöchernen  Widerstände  in  diesem  Falle  bieten,  zu  über- 
winden. Aus  all'  den  Gründen  müssen  wir  eine  Beckenendlage  wegen  der 
Schwierigkeit  der  Entwicklung  des  nachfolgenden  Kopfes  als  eine  ungünstige 


508  MANUALHILFE  UND  EXTRACTION. 

Complication  eines  allgemein  verengten  Beckens  betrachten,  während  wir  ander- 
seits eine  Becken-Endlage  bei  platt  verengtem  Becken  als  eine  günstige,  oft 
erst  durch  Wendung  herbeizuführende  Fruchtlage  bezeichnen  müssen. 

Tritt  nun,  wie  schon  oben  erwähnt,  der  kindliche  Schädel  mit  quer 
stehendem  Fronto-Occipital-Durchmesser  in  den  Beckencanal,  so  wird  unter 
dem  Einflüsse  der  Contraction  des  Uterus,  der  Widerstände  des  knöchernen 
Beckens  und  der  Wirkung  der  Musculatur  des  Beckenbodens  die  Drehung  des 
kindlichen  Schädels  um  seine  Höhenachse  in  demselben  Sinne  erfolgen  wie 
bei  Schädellage,  d.  h.  der  Kopf  dreht  sich  nunmehr  mit  seinem  Fronto-Occi- 
pital-Durchmesser in  den  geraden  Durchmesser  des  Beckenausganges,  so  dass 
das  Hinterhaupt  der  Hinterwand  der  Symphyse  anliegt,  während  das  Gesicht 
mit  stark  der  Brust  genähertem  Kinn  der  Kreuzbeinhöhlung  zugewendet  wird. 
Der  Austritt  des  Schädels  aus  der  Schamspalte  erfolgt  nun  in  der  Weise,  dass 
das  Kinn,  Mund,  Nase,  die  Augen  und  die  Stirne  über  dem  Damme  hervor- 
rollen, und  schliesslich  der  Schädel  vollständig  austritt,  indem  er  um  den 
unteren  Rand  des  Schambogenwinkels  gleichsam  einen  Bogen  beschreibt.  Die 
Entwicklung  des  nachfolgenden  Kopfes  durch  Kunsthilfe  muss  demgemäss 
diese  physiologischen  Verhältnisse  möglichst  nachzuahmen  bestrebt  sein.  Für 
die  künstliche  Entwicklung  des  nachfolgenden  Kopfes  kommen 
nun  mehrere  Methoden  in  Frage: 

1.  Entwicklung  des  nachfolgenden  Kopfes  durch  Expression. 

2.  „  „  „  „  „       manuellen  Zug. 

3.  „  „  „  „  „  „       ^   ;,      und 

Expression. 

4.  „  „  „  „  ,.       die  Zange  am  nachfolgen- 

den Kopfe. 

5.  Die  Graniotomie  des  nachfolgenden  Kopfes. 

Die  Expression  des  nachfolgenden  Kopfes  durch  die  am  Uterus -Fundus 
aufgelegte  und  daher  als  vis  a  tergo  wirkende  Faust  des  Geburtshelfers,  wie 
sie  Kristeller  und  Wigand  beschreiben,  kommt  derzeit  kaum  mehr  in  Be- 
tracht, es  sei  denn,  es  handle  sich  um  eine  todte  Frucht,  und  man  wollte  den 
kindlichen  Schädel  schnell  herausbefördern.  Ist  jedoch  bei  einer  Becken-End- 
lage die  Frucht  abgestorben,  so  ist  unter  normalen  Verhältnissen  die  manuale 
Hilfe  nicht  nöthig,  da  ja  unter  diesen  Umständen  die  Geburt  des  in  Becken- 
Endlage  befindlichen  Kindes  spontan  von  Statten  geht,  und  die  Manualhilfe 
nur  ein  im  Interesse  des  kindlichen  Lebens  unternommener  Eingriff  ist.  Es 
könnte  der  Fall  sein,  dass  bei  todter  Frucht  nach  spontaner  Entwicklung  des 
Rumpfes  der  Schädel  zu  erscheinen  zögert,  oder  dass  bei  der  Lösung  der 
kindlichen  Arme  das  Kind  erst  abgestorben  ist,  und  wir  die  Expression  einem 
vaginalen  Eingriff  vorzögen,  dann  würden  wir  eventuell  von  dieser  Methode 
Gebrauch  machen.  Viel  zweckmässiger  jedoch  und  viel  häufiger  in  Anwen- 
dung kommt  die  Expression  in  Combination  mit  der  Methode  des  manuellen 
Zuges. 

Die  Methode  des  manuellen  Zuges  zur  Entwicklung  des  nach- 
folgenden Kopfes  kann  auf  verschiedene  Art  ausgeführt  werden.  Es  ist  nicht 
Sache  dieser  Abhandlung  sämmtliche  zahlreich  bekannt  gewordenen  und  an 
einzelnen  Stellen  geübten  Handgriffe  zu  beschreiben,  es  seien  nur  der  Wich- 
tigkeit halber  in  Kürze  folgende  erwähnt: 

ä)  Der  alte  Smellie'sche  Handgriff;  er  wurde  in  der  Weise  ausgeführt, 
dass  der  Operateur  mit  zwei  Fingern  einer  Hand  in  die  Scheide  einging  und 
die  Fingerspitzen  auf  beide  Fossae  caninae  des  kindlichen  Oberkiefers  aufsetzte. 
Zeige-  und  Mittelfinger  der  anderen  Hand  tendiren  gegen  das  Hinterhaupt. 
Während  nun  die  zwei  auf  dem  kindlichen  Oberkiefer  liegenden  Finger  durch 
leichten  Druck  nach  abwärts  den  Hals  noch  mehr  beugen,    schieben  die  zwei 


MANÜALHILFE  UND  EXTRACTION. 


509 


am  Hinterhaupt  liegenden  Finger  dasselbe  ein  wenig  in  die  Höhe  und  unter 
gleichzeitigem  Erheben  des  liumpfes  wird  der  kindliche  Schädel  hervorgerollt. 

h)  Der  Handgriff  von  Kiwisch,  auch  Prager  Handgriff  genannt,  wird  in 
der  Weise  ausgeführt,  dass  Zeige-  und  Mittelfinger  einer  Hand  in  ähnlicher 
Weise  an  die  Fossae  caninae  des  kindlichen  Oberkiefers  gehen  wie  beim 
SMELLiE'schen  Handgriffe,  während  die  andere  Hand  die  Füsse  der  Frucht 
ergreift.  Während  einerseits  durch  Druck  am  Oberkiefer  der  kindliche  Hals 
noch  mehr  gebeugt  wird,  erhebt  die  zweite  Hand  die  Füsse  und  somit  den 
ganzen  kindlichen  Rumpf  gegen  die  Symphyse  und  darüber  hinaus  gegen  die 
vordere  Bauchfläche  der  Mutter,  wodurch  der  kindliche  Schädel  um  die  Sym- 
physe herumgerollt  wird. 

c)  Der  Mauriceau'sche  Handgrif.  Derselbe  wurde  im  Jahre  1857  von 
Carl  Braun  in  seinem  Lehrbuche  als  modificirter  Smellie' scher  Handgriff  be- 
zeichnet, im  Jahre  1863  von  G.  Veit   neuerdings  beschrieben  und  war  nun- 


./■ 


Pig.  2.  Entwicklung    des  naclifolgenden  Kopfes  mittelst  des  Mauriceau'sclicn 

Handgriffes. 

{Aus  Döderlein:  Leitfaden  für  den  geburtahilflichen  Operationscuys.) 


mehr  unter  dem  Namen  des  Smellie-Veit' sehen  Handgriffes  bekannt,  bis  neuere 
Forschungen  mit  Sicherheit  nachwiesen  dass  er  aus  dem  17.  Jahrhundert 
stamme  und  von  dem  Pariser  Geburtshelfer  Mauriceau  auch  geübt  worden 
war.  Der  Handgriff  wird  in  folgender  Weise  ausgeführt:  Der  Zeigefinger  einer 
Hand  geht  an  die  Mundöffnung  des  Kindes  und  wird  an  den  alveolaren  Rand 
des  Unterkiefers  aufgesetzt ;  um  zu  verhindern,  dass  durch  starken  Druck  am 
Unterkiefer  derselbe  verletzt  werde,  setzt  man  den  Daumen  derselben  Hand 
an  den  unteren  Winkel  der  Mandibula  auf  und  verhindert  dadurch  eine  gewalt- 
same Wirkung.  Nur  der  so  in  die  Mundöffnung  eingehackte  Finger  sucht 
zunächst  durch  leichten,  massigen  Zug  das  Kinn  tiefer  zu  bringen  bis  zum 
Momente,  wo  die  Beugung  des  Halses  eine  vollkommene  ist.  Die  Füsse  der 
Frucht  werden  rittlings  über  den  Vorderarm  der  zur  kindlichen  Mundöffnung 


510  MANÜALHILFE  UND  EXTEACTION. 

strebenden  Hand  geschlagen,  und  nunmehr  erst,  nachdem  die  Beugung  des 
Halses  vollzogen.  Zeige-  und  Mittelfinger  der  anderen  Hand  hackenförmig  vom 
Rücken  her  auf  die  Schultern  des  Kindes  rasch  aufgelegt.  Durch  leichten  Zug 
nach  abwärts  und  allmäliges  Erheben  des  Rumpfes  gegen  die  Symphyse  wird 
der  kindliche  Schädel  hervorgerollt,  wobei  die  am  Unterkiefer  wirkende  Hand 
zu  verhindern  hat,  dass  durch  rasches  Vortreten  des  Schädels  ein  Dammriss 
zu  Stande  komme.  So  einfach  gestaltet  sich  jedoch  der  Handgriff  blos  dann, 
wenn  der  nachfolgende  Kopf  bereits  vollständig  rotirt  am  Beckenboden  auf- 
ruht, wenn  das  Hinterhaupt  an  der  Symphyse,  das  Gesicht  in  der  Kreuzbein- 
höhlung der  Mutter  sich  befindet.  Wir  erkennen  das  daran,  dass  dann  der 
Rücken  der  Frucht  direct  nach  vorne  zu  sieht;  sollte  jedoch  der  kindliche 
Schädel  noch  nicht  rotirt  sein,  d.  h.  mit  seinem  Fronto-Occipital-Durchmesser 
entweder  dem  queren  oder  schrägen  Durchmesser  des  Beckenausganges  ent- 
sprechen, was  wir  daraus  ersehen  würden,  dass  der  kindliche  Rücken  je  nach 
der  ersten  oder  zweiten  Stellung  gegen  den  linken  oder  rechten  Schenkel  der 
Mutter  zu  gerichtet  ist,  so  müsste  der  Extraction  des  kindlichen  Schädels  die 
künstliche  Rotation  desselben  vorangehen  in  der  Weise,  dass  bei  normaler 
Stellung  des  Rumpfes  der  Zeigefinger  der  einen  Hand  wieder  an  den  Unter- 
kieferrand geführt  wird,  wobei  jedoch  die  Wahl  der  betreffenden  Hand  von  der 
Stellung  der  Frucht  abhängt,  d.  h.  bei  der  ersten  Stellung  der  Frucht,  wenn 
demgemäss  der  Rücken  des  Kindes  nach  links  zu  sieht,  die  linke  Hand,  bei 
der  zweiten  Stellung  der  Frucht,  wenn  das  kindliche  Gesicht  nach  links  sieht, 
die  rechte  Hand  in  Anwendung  kommt.  Die  zweite  Hand  wird  hackenförmig 
auf  die  Schultern  der  Frucht  vom  Rücken  her  aufgelegt.  Ehe  nun  ein  Zug 
an  den  Schultern  stattfindet,  wird  die  am  Unterkiefer  wirkende  Hand  zunächst 
das  Kinn  durch  leichten  Zug  tief  stellen,  zweitens  das  Kinn  in  die  Kreuzbein- 
höhlung zu  bringen  suchen,  wobei  anderseits  die  auf  den  Schultern  liegenden 
Finger  der  zweiten  Hand  das  Hinterhaupt  nach  vorne  zu  drehen.  Nun  erst 
wird  die  Entwicklung  des  Kopfes  in  der  früher  erwähnten  Weise  vollzogen. 
Viel  schwieriger  ist  es,  wenn  hiebei  der  kindliche  Schädel  noch  im  Niveau 
des  Beckeneinganges  steht,  wie  das  beim  verengten  Becken  der  Fall  ist,  denn 
es  ist  oft  sehr  schwer,  den  kindlichen  Schädel  in  die  tieferen  Ebenen  des 
Beckens  herunterzubringen,  wobei  wir  jedoch  erwähnen,  dass  das  überhaupt 
nur  dann  möglich  ist,  wenn  vor  dem  ausgeübten  Zuge  an  der  Schulter  zuerst 
die  Beugung  des  Halses  durch  die  am  Unterkiefer  wirkende  Hand  vollzogen 
ist.  Des  Ferneren  muss  betont  werden,  dass  die  Rotation  des  Schädels  erst 
vollzogen  werden  kann,  wenn  er  unter  das  Niveau  der  Beckenmitte  herab- 
getreten ist.  Trotzdem  gelingt  es  oft  unter  solchen  Umständen  bei  verengten 
Becken  nicht,  den  kindlichen  Schädel  rasch  genügend  in  die  tieferen  Ebenen 
des  Beckens  herabzubringen,  um  das  Absterben  des  Kindes  zu  verhindern.  In 
einem  solchen  Falle  muss  der  durch  den  MAUßiCEAu'schen  Handgriff  aus- 
geübte Zug  durch  einen  gleichzeitigen  Druck  von  oben  unterstützt  werden. 
Die  Entwicklung  des  nachfolgenden  Kopfes  durch  manuellen  Zug  in  Combina- 
tion  mit  Druck  von  oben  kann  ausgeführt  werden  mittelst  des  eben  beschriebe- 
nen MAURiCEAu'schen  Handgriffes,  wobei  die  Faust  einer  zweiten  Person  vom 
Uterus-Fundus  her  in  der  Richtung  vom  Beckeneingange  wirkend  den  kind- 
lichen Schädel  in  denselben  einpresst.  Insbesonders  ist,  wie  schon  oben 
erwähnt,  bei  engen  Becken  diese  Combination  von  Vortheil,  Etwas  ähnliches 
strebt  der  sogenannte  WiECiAND-MARTix'sche  Handgriff  an.  Derselbe  wird  in  der 
Weise  ausgeführt,  dass  nach  Lösung  der  kindlichen  Arme  der  Operateur  mit 
dem  Finger  einer  Hand  an  den  Unterkiefer  der  Frucht  geht,  daselbst  durch 
leichten  Zug  das  Kinn  tief  stellt;  und  von  hier  aus  bei  weiterem  Fortschreiten 
des  Schädels  die  Rotation  desselben  besorgt,  während  die  zweite  Hand  vom 
Beckeneingange  her  den  kindlichen  Schädel  in  den  Beckeneingang  und  durch 
den  Beckencanal  durchpresst.    Dieser  Handgriff  kann   bei   normalem  Becken 


MANUALIIILFE  UND  EXTRACTION. 


511 


den  Durchtritt  des  kindlichen  Schädels  rasch  bewerkstelligen,  bei  engem  Becken 
•und  hochstehendem  Schädel  jedoch  genügt  er  nicht,  und  ist  es  dann  zweck- 
mässiger, den  MAURiCEAu'schen  Handgriff  mit  Druck  von  oben,  wie  bereits 
beschrieben,  anzuwenden.  Man  hat,  um  die  Vorzüge  des  WiEGAXD-MAiiTix'schen 
Handgriffes  gegenüber  dem  Mauriceau'schen  Handgriffe  in  ein  besseres  Licht  zu 
stellen,  jene  Nachtheile  hervorgehoben,  welche  bei  Anwendung  des  Mauriceau- 
sehen  Handgriffes  sich  einstellen  können.  Es  ist  ja  richtig,  dass  bei  der  Ent- 
wicklung des  nachfolgenden  Kopfes  Verletzungen  am  Muskel-  und  Knochen- 
apparate des  Halses  zustande  kommen  können.  Zerreissungen  des  Musculus 
sterno-cleido-mastoideus,  welche  ein  Collum  obstipum  zur  Folge  hätten,  und 
Zerreissungen  der  Halswirbelsäule  werden,  wenn  auch  zum  Glücke  nur  in  sel- 
tenen Fällen,  hie  und  da  beobachtet.  Solche  Verletzungen  können  jedoch  nur 
zustande  kommen,  w^enn  der  Zug  an  der  Schulter,  bei  torquirtem  Halse  voll- 
zogen wird,  wenn  demgemäss  der  Zug  am  Nacken  der  Rotation  des  kindlichen 
Schädels  vorausgeht,  ein  Vorgang,  welcher  vollständig  regelwidrig   ist,  daher 


Flg.  3.  Entwicklung  des  nachfolgenden  Kopfes  mittels  des  Wiegand-Martin'sclien 

Handgriffes. 

(Aus  Döderlein:  Leitfaden  für  den  geburtshilflichen  Operationscurs.) 


derartige  Verletzungen  nicht  so  sehr  dem  Handgriffe  als  der  fehlerhaften  Aus- 
führung desselben  zuzuschreiben  sind.  Bei  normaler  Lage  der  Halswirbel- 
säule kann  unter  dem  massigen  Zuge,  welcher  beim  MAURiCEAu'schen  Hand- 
griffe in  Anwendung  kommt,  eine  Zerreissung  der  Halswirbelsäule  oder  des 
Musculus  sterno-cleido-mastoideus  nicht  statthaben. 

Die  Za7ige  am  naclifolgenden  Kopfe  wird  von  der  Wiener  Schule  über- 
haupt nicht,  von  deutschen  Schulen  hie  und  da  geübt.  Die  Anlegung  der 
Zange  ist  eine  ganz  einfache :  Bei  rotirtem  Schädel  wird  der  geborene  Rumpf 
des  Kindes  gegen  die  Bauchfläche  der  Mutter  hinaufgeschlagen,  daselbst  an 
den  Füssen  von  einer  Nebenperson  gehalten,  und  nunmehr  die  Zangenlöffel  in 
typischer  Weise  an  den  nachfolgenden  Kopf  angelegt  und  derselbe  leicht 
extrahirt.    Entsprechend  dem,  dass  wir  bei   der  Entwicklung   des  nachfolgen- 


512  MANÜALHILFE  UND  EXTRACTION. 

den  Kopfes  mit  dem  manuellen  Zuge,  eventuell  in  Combination  mit  Druck 
von  oben  vollständig  auskommen  und  in  jenen  Fällen,  wo  diese  Entwicklungs- 
versuche scheitern,  das  kindliche  Leben  nicht  zu  retten  ist,  wird  die  Zange 
am  nachfolgenden  Kopfe  kaum  indicirt  sein.  Die  Unmöglichkeit  der  Entwick- 
lung des  nachfolgenden  Kopfes  kann  gegeben  sein  durch  eine  Strictur  des 
inneren  Muttermundes,  durch  fehlerhafte  Einstellung  des  kindlichen  Schädels 
und  durch  ausserordentlich  starke  Verengung  des  Beckencanales.  Die  Strictur 
des  inneren  Muttermundes  tritt  in  der  Regel  nur  dann  ein,  wenn  man  die 
Extraction  der  Frucht  in  irrationeller  Weise  bei  nicht  verstrichenem  Mutter- 
munde vollzogen  und  lässt  rieh  durch  manuellen  Zug  weder  beseitigen,  noch 
ist  man  im  Stande,  in  einem  solchen  Falle  die  Zange  anzulegen.  Es  ist 
vielmehr  nöthig,  ruhig  zuzuwarten,  bis  der  Krampf  am  inneren  Muttermunde 
spontan  aufhört,  oder  man  beseitigt  denselben  durch  Einleitung  der  Narcose, 
worauf  dann  der  nachfolgende  Kopf  des  in  der  Regel  inzwischen  abgestorbenen 
Kindes  spontan  ausgestossen  wird.  Eine  fehlerhafte  Einstellung  des  kindlichen 
Schädels  in  den  Beckeneingang,  wobei  das  Kinn  und  das  Hinterhaupt  sich  an 
dem  knöchernen  Beckenringe  anstemmen,  kommt  zu  Stande,  wenn  man  vorzeitig 
an  der  Schulter  gezogen  hat,  ehe  der  an  den  Unterkiefer  angelegte  Finger 
die  Beugestellung  des  Halses  bewerkstelligt  hat,  der  Schädel  kommt  mit  einem 
ungünstigen  Durchmesser  in  den  Beckeneingang,  und  die  sich  daraus  ent- 
wickelnden räumlichen  Missverhältnisse  können  derartig  grosse  sein,  dass  es 
nicht  gelingt,  dieselben  auf  bisher  beschriebene  Weise  zu  überwinden;  da 
während  der  Entwicklungsversuche  das  kindliche  Leben  in  der  Regel  erlischt, 
bleibt  in  solchen,  durch  fehlerhafte  Manipulation  des  Arztes  verschuldeten 
Fällen,  nichts  übrig  wie  die  Perforation  des  nachfolgenden  Kopfes,  die  eben- 
falls in  Betracht  kommt,  wenn  ein  durch  Verengung  des  Beckens  oder  durch 
abnorme  Grösse  des  kindlichen  Schädels  bedingtes  zu  grosses,  räumliches  Miss- 
verhältnis die  Entwicklung  des  nachfolgenden  Kopfes  in  unverkleinertem  Zu- 
stande verhindert. 

Die  Kraniofomie  des  nachfolgenden  Kopfes  wird  in  der  Weise  ausgeführt, 
dass  man  den  geborenen  Rumpf  des  Kindes  in  ein  Tuch  schlägt  und  nur  von 
einer  Nebenperson  nach  jener  Seite  hinüberziehen  und  halten  lässt,  gegen 
welche  das  Gesicht  des  Kindes  gekehrt  ist;  hierauf  wird  die  Spitze  der 
NAEGELE'schen  Perforationsscheere  *)  unter  Leitung  von  zwei  Fingern  an  den 
Processus  mastoideus  des  kindlichen  Schädels  gebracht,  daselbst  eingestossen, 
die  Perforation  in  typischer  Weise  vollzogen,  und  die  Scheere  wieder 
zurückgezogen;  durch  einfaches  Anziehen  am  Rumpfe  wird  der  kindliche  Schädel 
in  den  Beckencanal  hereingezogen,  worauf  infolge  des  Druckes  des  Becken- 
ringes die  Hirnmassen  ausgepresst  und  der  kindliche  Schädel  derart  verklei- 
nert wird. 

Die  Extraction  d.  h.  die  Ausziehung  des  in  Becken-Endlage  befindlichen 
kindlichen  Rumpfes,  darf  nur  vorgenommen  werden,  wenn  eine  specielle  In- 
dication  seitens  der  Mutter  (Eclampsie,  Fieber  während  der  Geburt;  interute- 
rine  Blutungen,  Beckenenge  etc).  oder  des  Kindes  (Lebensgefahr  der  Frucht, 
Vorfall  der  Nabelschnur  etc.),  das  Abwarten  der  spontanen  Entwicklung  des 
Rumpfes  bis  zur  Nabelhöhe  als  unthunlich  erscheinen  lässt.  Im  Falle  eine 
solche  Indication  gegeben  wäre,  müssten  wir  uns  vor  der  Ausführung  der 
Extraction  noch  vergewissern,  dass  auch  alle  Bedingungen  für  das  Ge- 
lingen derselben  gegeben  sind,  d.  h.  der  Muttermund  soll  verstrichen  sein, 
und  ein  absolutes  räumliches  Misverhältnis  mit  Sicherheit  ausgeschlossen 
werden  können.  Die  Extraction  erfolgt  an  dem  vorliegenden  Fruchttheile, 
d.  h.  bei  Steisslage  am  Steiss,  bei  Knielage  am  Knie,  bei  Fusslage  am  Fuss. 
Die  Extraction    am  Steisse  gehört  zu  den   schwersten   geburtshilüichen  Ope- 


*)  Vergl.  Fig.  14  im  „Instruinentarium  zur  GeburtsJiüfe",  pag.  387. 


MANUALIIILFE  UND  EXTRACTION. 


513 


rationen,  wenn  der  Steiss  aus  dem  Beckenausgange  noch  nicht  ausgetreten  ist. 
In  der  früheren  Zeit  wurde  die  Extraction  am  Stcisse  in  der  Kegel  mit  dem 
SMELLiE'schen    Steisshacken '^"j     ausgeführt.     Die   Anwendung    desselben   bei 


Fig.  4.  Extraction  bei  iPusslage.  I.  Act:  Ji.rid5ben  Je»  Passes  (Haltung  des  Kindes  nach.  Wendung). 
{Aus  Döderlein:  Leitfaden  für  den  geburtshilflichen  Ojperationscurs.') 


Fig.  5.    Extraction  bei  Fusblage    II    Act-  Eilieben  ül»  i  u^ses,    Eingeben  in  die  hintere  Schenkelbeuge  i,Xach 

V.  Winkel). 
{Aus  Döderlein  :  Leitfaden  für  den  geburtshilflichen  Operationscurs.) 

lebender  Frucht   ist  jedoch   verboten,  da  Fracturen  des  Oberschenkels    oder 
schwere  Verletzungen  der  Weichtheile  nicht   vermieden  werden  können;  man 


*)  Vergl.  Fig.  18  im  ^Instrumentarium  zur  Geüurtshüfe'^  pag.  388. 
Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie. 


33 


514  MASSAGE  IN  DER  GYNÄKOLOGIE. 

wird  daher  von  ihm  nur  dann  Gebrauch  machen,  wenn  es  sich  um  die  Ex- 
traction  einer  in  Becken-Endlage  befindlichen  todten  Frucht  handelt.  Bei  le- 
bender Frucht  geht  man  in  der  Weise  vor,  dass  der  Zeigefinger  einer  Hand 
hakenförmig  in  die  vorliegende  Htiftbeuge  der  Frucht  eingehakt  wird,  wobei 
jedoch  der  Zug  vielmehr  den  Darmbeinteller  als  den  kindlichen  Oberschenkel 
betreffen  soll,  da  sonst  eine  Fractur  des  Oberschenkels  auch  durch  den  Zug 
des  Fingers  erfolgen  würde.  Man  zieht  unter  allmäligem  Erheben  so  lange, 
bis  auch  die  zweite  Hüfte  in  der  Vulva  sichtbar  wird,  worauf  auch  in  diese 
Hüftbeuge  ein  Zeigefinger  eingehakt  wird,  und  nun  unter  allmäligem  Zuge 
und  Erheben  der  Steiss  so  weit  herausgezogen  wird,  bis  beide  Füsse  spontan 
aus  der  Vulva  herausfallen.  Die  Extraction  am  Knie  bewerkstelligt  man  durch 
Einhaken  eines  Zeigefingers  in  die  Kniebeuge.  Weitaus  am  häufigsten  kommen 
die  Fusslagen  u.  zw.  die  einfachen  zur  Beobachtung.  Die  Extraction  geschieht 
in  der  Weise,  dass  man  den  Fuss  zwischen  Zeige-  und  Mittelfinger  einer  Hand 
fasst,  wobei  der  Daumen  auf  den  Fersenhöcker  aufgelegt  wird,  und  nun  durch 
massigen  Zug  nach  abwärts  den  Oberschenkel  zum  Erscheinen  bringt.  Hier- 
auf wird  nun  der  Fuss  in  folgender  Weise  gefasst:  Der  Daumen  der  einen 
Hand  wird  auf  die  Beugefläche  des  Oberschenkels,  der  Daumen  der  zweiten 
Han«^  auf  die  Beugefläche  des  Unterschenkels  aufgelegt,  indem  je  vier  Finger 
einer  Hand  die  Streckfläche  des  Oberschenkels,  respective  Unterschenkels  um- 
fassen, und  nun  zieht  man  langsam  nach  abwärts  und  in  jene  Richtung,  gegen 
welche  die  Bauchfläche  der  Frucht  gekehrt  ist,  bis  der  Steiss  erscheint,  nun- 
mehr verlassen  beide  Hände  ihre  bisherige  Stellung  und  greifen  am  Steiss  in 
folgender  Weise  an:  Während  die  Daumen  auf  die  Crista  sacralis  media  des 
Kreuzbeines  aufgelegt  werden,  fassen  die  Zeigefinger  die  Crista  ilei  nahe  der 
Spina  anterior  superior  und  die  drei  anderen  Finger  den  obersten  Antheil 
eines  Oberschenkels,  nun  wird  so  lange  nach  abwärts  gezogen,  bis  eine  Schulter 
sichtbar  wird,  worauf  die  Manualhilfe  in  der  oben  beschriebenen  Weise  nach- 
folgt. Sorgfältig  muss  vermieden  werden,  dass  bei  der  Extraction  anstatt  am 
Kreuzbeine  höher  oben  angefasst  werde,  wodurch  Rupturen  der  Leber,  Milz 
und  Platzen  des  kindlichen  Darmes  herbeigeführt  werden  können.  Die  Ex- 
traction soll  stets  in  der  Weise  vorgenommen  werden,  dass  nur  wo  möglich 
während  der  Wehe  gezogen  werde,  da  sonst  leicht  die  kindlichen  Arme  in  die 
Höhe  gestreift  und  eventuell  auch  in  den  Nacken  der  Frucht  geschlagen  werden 
können,  wodurch  die  Lösung  der  Arme  sehr  erschwert  wird.  In  diesem  letz- 
teren Falle  wäre  es  nöthig,  durch  Drehung  des  Rumpfes  die  in  den  Nacken 
geschlagenen  Hände  in  die  Kreuzbeinhöhlung  zu  bringen,  worauf  die  in  die 
Vagina  eingeführte  ganze  Hand  des  Operateurs  versuchen  muss,  den  Vorder- 
arm über  das  Hinterhaupt  hinweg  gegen  das  Gesicht  der  Frucht  zu  führen 
und  auf  diese  Weise  den  Arm  in  typischer  Art  zu  lösen.  Ein  einfaches 
Herabziehen  der  in  den  Nacken  geschlagenen  Hände  müsste  unfehlbar  Frac- 
turen  der  Knochen  zur  Folge  haben. 

Wenn  trotz  aller  Vorsichtsmaassregeln  der  Rücken  der  Frucht  sich  so 
dreht,  dass  er  gegen  Damm,  der  kindliche  Bauch  gegen  die  Symphyse  der 
Mutter  sieht,  so  ist  das  ein  Zeichen,  dass  sich  der  kindliche  Schädel  abnorm 
gedreht  hat,  d.  h.  das  kindliche  Hinterhaupt  sieht  dann  in  die  Kreuzbein- 
höhlung, während  das  Gesicht  nach  vorne  gekehrt  ist.  Man  macht  dann  den 
MAURiCEAu'schen  Handgriff  in  der  früher  beschriebenen  Weise  durch  starkes 
Erheben  des  Rumpfes.  k.  a.  herzfeld. 

Massage  in  der  Gynäkologie.  Als  der  Begründer  dieser  Therapie 
ist  der  schwedische  Major  Thure  Brandt  zu  bezeichnen,  indem  er  für  diesen 
Zweig  der  Massage  eine  vollständige  Methodik  überhaupt  erst  geschaffen  und 
an  der  Hand  von  zahlreichen  geheilten  Fällen,  die  von  Aerzten  controlirt 
wurden,  ihre  Zweckmässigkeit  bewiesen  hat.  Da  Brandt  sich  nur  mit  Massage 


MASSAGE  IN  DER  GYNÄKOLOGIE. 


515 


beschäftigt,  so  ist  es  selbstverständlich,  dass  er  bestrebt  ist,  mit  dieser  Me- 
thode möglichst  viele  gynäkologische  Affcctionen  zu  heilen,  und  leider  sind 
ihm  in  diesem  Bestreben  manche  Aerzte  nachgefolgt,  welche  ohne  specielle 
gynäkologische  Vorbildung  nach  einem  Besuch  bei  Tiiure  Bkandt  sich  der 
Gynäkologie  widmeten.  Ich  habe  die  BuANDT'sche  Methode  von  ilim  selbst 
in  Stockholm  erlernt  und  seitdem  Hunderte  von  Patientinnen  massirt.  Im  Nach- 
stehenden werde  ich  auf  Grund  meiner  Erfahrungen  nur  die  Erkrankungen 
besprechen,  wo  ich  die  Behandlung  mit  Massage  gegenüber  einer  anderweitigen 
Behandlung  für  erfolgreicher  halte,  und  werde  zugleich  angeben,  welche  Modi- 
ficationen,  beziehungsweise  Vereinfachungen  der  BEANDT'schen  Methode  sich 
mir  als  vortheilhaft  erwiesen  haben. 

Zur  erfolgreichen  Ausübung  der  gynäkologischen  Massage 
gehört  zunächst  eine  genaue  Diagnostik,  eine  Untersuchungs- 
methode, welche  uns  gestattet,  einen  vollständigen  Palpationsbefund  sänimt- 
licher  Beckenorgane  zu  gewinnen.  Wir  besassen  eine  solche  Methode  schon 
vor  Brandt  in  der  Untersuchung  der  Patientinnen  in  der  Narcose,  allein  das 
grosse  Verdienst  von  Brandt  besteht  darin,  dass  er  eine  Untersuchungs- 
raethode  angegeben  hat,  mit  welcher  es  in  den  meisten  Fällen  gelingt,  die 
Bauchdecken  der  Patientin  so  zu  entspannen,  dass  auch  ohne  Narcose  ein 
ebenso  vollständiger  Befund  erhoben  werden  kann,  wie  mit  Narcose.  Brandt 
benutzt  zu  der  Untersuchung  und  Massage  ein  kurzes  niedriges  Sopha,  welches 
ich  in  der  Weise  modificirt  habe,  dass  sich  auch  das  Fussende  erheben  lässt 
(s.  Figur). 

Dieses  So- 
pha ist  nur  150 
cm  lang,  60  breit, 
das  Mittelstück 
50,  das  Kopf-  und 
Fussende  70  cm 
hoch.  Die  Pa- 
tientin muss  das 
Corset  ausziehen, 
ihre  Kleider  in 
der  Taille  voll- 
ständig lockern, 
so  dass  die  rechte 
Hand  des  Unter- 
suchers von  oben 
her  frei  auf  den 

Leib    gelegt    wer-  Lagerung  zm-  Massage. 

den  kann.  Darauf 

legt  sich  die  Patientin  mit  stark  angezogenen  Schenkeln  aut  das  Sopha,  und 
zwar  so,  dass  ihre  linke  Seite  unmittelbar  mit  dem  Rand  des  Sophas  abschnei- 
det. Das  Kinn  wird  durch  ein  unter  den  Kopf  geschobenes  Kissen  der  Brust 
möglichst  genähert,  die  Arme  liegen  ausgestreckt,  ohne  die  geringste  Anspan- 
nung ihrer  Musculatur,  auf  der  Unterlage.  Sind  durch  diese  Lagerung  die 
Bauchdecken  noch  nicht  völlig  erschlaftt,  so  ziehe  ich  die  Patientin  noch 
mehr  nach  abwärts,  so  dass  das  Becken  auf  die  aufsteigende  schiefe  Ebene  des 
Fussendes  zu  liegen  kommt.  Hierdurch  wird  die  Symphyse  dem  Thorax  noch 
mehr  genähert,  somit  eine  Annäherung  der  beiden  Ansatzpunkte  der  Musculi 
recti  und  eine  Ei'schlaffung  dieser  Muskeln  bewirkt.  Der  linke  Zeigefinger 
wird  darauf  von  dem  an  der  linken  Seite  der  Patientin  auf  einem  oOcm 
hohen  Schemel  sitzenden  Untersucher  unter  dem  linken  Schenkel  der  Frau 
hindurch  in  die  Scheide  eingeführt.  Brandt  nimmt  stets  nur  den  Zeigefinger 
für   die   innere  Untersuchung,    indessen  ist  es  eine  grosse  Erleichterung  für 

33* 


Ölß  MASSAGE  IN  DER  GYNÄKOLOGIE. 

die  Untersuchung   und   auch   für  die  Massage,    wenn  die  Weite  der  Scheide 
auch  die  Einführung  des  Mittelfingers  gestattet. 

Die  Vortheile  dieser  Untersuchungsmethode  sind  nun 
folgende: 

1.  Vollkommene  Entspannung  der  Bauchdecken. 

2.  Die  rechte  Hand  kann  sich  ungehindert  nach  allen  Richtungen  be- 
wegen, während  bei  der  Untersuchung  auf  einem  gynäkologischen  Unter- 
suchungstisch oder  Stuhl  der  rechte  Arm  und  damit  auch  die  Hand  zwischen 
den  Schenkeln  der  Frau  eingeengt  ist. 

3.  Die  inneren  Finger  können  ohne  Ermüdung  der  Armmusculatur,  wor- 
unter das  feine  Tastgefühl  leidet,  die  Palpation  vornehmen,  da  der  ganze 
Unterarm  auf  dem  ansteigenden  Fussende  aufliegt. 

Thure  Brandt  stützt  den  linken  Ellenbogen  auf  seinem  linken  Knie  auf,  wodurch 
die  ganze   Haltung  eine  viel  gezwungenere  wird,  und  der  Arm  leichter  ermüdet. 

4.  Mit  den  inneren  P'ingern  lässt  sich  der  ganze  Inhalt  des  Beckens 
gleichmässig  gut  austasten,  während  man  bei  der  Untersuchung  auf  einem 
gynäkologischen  Stuhl  mit  den  linken  Fingern  die  rechtsseitigen  Adnexe  nur 
ungenau  palpiren  kann  und  gezwungen  ist,  zu  diesem  Zwecke  die  Hände  zu 
wechseln. 

5.  Die  Decenz  der  Untersuchung,  da  die  Patientin  gar  nicht  entblösst 
wird,  wenn  man  den  Leib  mit  dem  Hemd  bedeckt  lässt.  Letzteres  beein- 
trächtigt natürlich  etwas  die  Genauigkeit  der  Untersuchung,  so  dass  ich  das 
Hemd  gewöhnlich  in  die  Höhe  ziehen  lasse,  während  die  Röcke  den  Leib  der 
Patientin  lose  bedecken  und  bis  zu  den  Füssen  herunterfallen. 

Wenn  es  sich  nicht  um  Personen  mit  sehr  fetten  oder  straffen  Bauch- 
decken oder  um  sehr  ängstliche  Frauen  handelt,  die  mit  aller  Kraft  die 
Bauchmusculatur  anspannen,  so  gelingt  es  einem  bei  Anwendung  dieser  Unter- 
suchungsmethode sehr  bald  nicht  nur  den  Uterus,  die  Tuben  und  die  Ovarien, 
sondern  auch  die  feinsten  para-  und  perimetritischen  Stränge  genau  zu  fühlen 
und  die  genannten  Organe  mit  der  grössten  Leichtigkeit  innerhalb  der  phy- 
siologischen Breite  ihrer  Bewegbarkeit  zu  dislociren  oder  aus  einer  patho- 
logischen Lage  (Retroflexio)  in  die  normale  überzuführen.  Die  Vortheile  dieser 
Untersuchung  sind  sc  grosse,  dass  ich  J3de  neue  Patientin  zuerst  in  dieser 
Weise  untersuche  und  dann  auf  dem  UnVersuchungsstuhl  eine  etwa  noch  noth- 
wendige  Inspection  der  Geschlechtstheile  vornehme  —  die  Vortheile  leuchten 
auch  jedem  Anfänger  ein,  da  er  sofort  mit  Leichtigkeit  den  Uterus  und 
sehr  bald  auch  die  Ovarien  fühlt. 

Zur  Ausführung  der  Massage  wird  die  Patientin  genau  in  der  be- 
schriebenen Weise  gelagert  und  untersucht.  Nehmen  wir  nun  an,  es  seien 
bei  der  Untersuchung  para-  oder  perimetritische  Stränge  zwischen 
Uterus  und  hinterer  Beckenwand  gefunden,  so  hat  die  Massage  in  einer  Dehnung 
dieser  Stränge  zu  bestehen.  Zu  diesem  Zwecke  legt  man  die  inneren  Finger 
an  die  Hinterseite  des  Cervix,  die  äussere  Hand  über  die  hintere  W^and  des 
Uteruskörpers,  zieht  den  ganzen  Uterus  möglichst  weit  nach  der  Symphyse 
hin  und  hält  ihn  in  dieser  Lage  eine  Weile  fest.  Dies  wiederholt  man  in 
jeder  Sitzung,  die  womöglich  täglich  stattzufinden  hat,  3  — 4mal  und  kann 
dann  gewöhnlich  in  8 — 10  Sitzungen  die  genannten  Stränge  derart  dehnen 
und  nicht  zu  starke  perimetritische  Fäden  zerreissen,  dass  sich  der  Uterus 
ohne  grössere  Schmerzen  bis  zur  Symphyse  ziehen  lässt.  Sind  seitliche 
Stränge  vorhanden,  so  zieht  oder  schiebt  man  den  Uterus  nach  der  entgegen- 
gesetzten Seite. 

Contraindicirt  sind  diese  Dehnungen,  wie  überhaupt  jede  Mas- 
sage, bei  Vorhandensein  von  Eiter  in  der  Umgebung  des  Uterus  {vereiterte 
Exsudate,  ryosalpinx,  Ovarialahscess\  unmöglich  können  sie  werden  durch  zu 
grosse  Schmerzhaftigkeit.     Letztere   ist  oft  bedingt  durch  eine  Endometritis, 


MASSAGE    IN  DER  GYNÄKOLOGIE.  51  7 

die  erst  secundär  zur  Para-  und  Perimetritis  führte.  Wo  daher  die  Unter- 
suchung eine  Endometritis  constatirt,  beseitige  ich  diese  vor  Ausführung  der 
Dehnungen  durch  Curettement,  event.  mit  nachfolgenden  Aetzungen.  Nach 
Heilung  der  Endometritis  werden  die  einfachen  para-  und  perimetritischen 
Stränge  häufig  ganz  unempfindlich  und  machen  vielfach  keine  Beschwerden 
mehr.  In  solchen  Fällen  unterlasse  ich  überhaupt  eine  weitere  Behandlung. 
Bleiben  dagegen  noch  Beschwerden  bestehen,  welche  auf  das  Vorhandensein 
jener  Stränge  zu  beziehen  sind  (zerrende  Schmerzen  beim  Gehen,  bei  An- 
strengungen, Schmerzen  bei  der  Defaecation  und  Cohabitation),  oder  sind  durch 
die  Stränge  Lageveränderungen  des  Uterus  bedingt  (Pietroversio,  pathologische 
Anteflexionen),  so  schliesse  ich  an  die  Behandlung  der  Endometritis  die  be- 
schriebenen Dehnungen  an. 

Drei  Methoden  gibt  es  allerdings,  welche  einfacher, 
schneller,  bequem  er  und  sicherer  zum  Ziele  führen,  nämlich:  die 
bimanuelle  Dehnung,  resp.  Durchtrennung  jener  Stränge  in 
tiefer  Narcose  nach  B.  S.  Schultze,  die  Dehnung  durch  elasti- 
schen Zug  nach  Chrobak  und  die  directe  Durchtrennung  peri- 
metritischer  Verwachsungen  unter  Zuhilfenahme  der  vaginalen 
Laparotomie  des  Verfassers. 

Die  Methode  des  Verfassers  ist  die  radicalste.  Es  wird  das  vordere 
Scheidengewölbe  und  die  Plica  geöffnet,  der  Uterus  fundus  in  die  Scheide 
hineingezogen,  und  die  Verwachsungen  des  Uterus  mit  dem  Becken  und  den 
Adnexen  auf  einer  Hohlsonde  mit  dem  Pacquelin  durchtrennt  In  manchen 
Fällen  lassen  sich  auch  die  Tube  und  Ovarium  in  dieser  Weise  oder  durch 
Fingerdruck  von  den  sie  umspinnenden  Verwachsungen  befreien,  in  anderen 
freilich  sind  die  Verwachsungen  hiefür  zu  feste.  Zum  Schluss  wird  der  Fun- 
dus uteri  an  die  vordere  Vaginalwand  festgenäht,  „vaginofixirt".  Durch  die 
dem  Uterus  ertheilte  Lageveränderung  können  sich  die  früheren  den  Uterus 
fixirenden  Stränge  nicht  wieder  bilden.  Auch  ist  nun  eine  spätere  Massage 
der  etwa  noch  fixirten  Ovarien  sehr  erleichtert.  Jedenfalls  ist  diese  Methode 
des  Verfassers  viel  weniger  eingreifend  als  die  in  diesen  Fällen  oft  vorge- 
nommene ventrale  Laprotoraie. 

Die  Methode  von  Schultze  besteht  darin,  dass  man  in  der  Narcose 
2;unächst  den  Sitz,  die  Ausdehnung  und  die  Form  der  Stränge  bestimmt,  in- 
dem zwei  Finger  der  linken  Hand  im  Rectum,  der  Daumen  in  der  Vagina  liegen, 
und  die  andere  Hand  von  den  Bauchdecken  aus  manipulirt.  Die  einander 
entgegenarbeitenden  Finger  trennen  die  Adhäsionen  immer  möglichst  dicht 
am  Uterus,  sie  schieben  sie  ohne  nennenswerthe  Gewalt  von  dem  Uterus  ab. 
Lassen  sich  perimetritische  Stränge  auf  diese  Art  nicht  durchtrennen,  so  kann 
man  sie,  ebenso  wie  die  parametritischen,  in  Narcose  häufig  doch  so  stark 
dehnen,  dass  eine  weitere  Dehnung  überflüssig  ist.  Muss  man  wegen  einer 
Endometritis  doch  in  Narcose  curettiren,  so  schliesst  man  diese  Methode 
sofort  an  das  Curettement  an. 

Die  Methode  von  Schultze  ist  eine  forcirte  Massage.  Sie  darf  ambu- 
latorisch nicht  ausgeführt  werden,  Verfasser,  der  sie  ausserordentlich  oft  übte, 
sah  einigemale  nach  ihr  rasch  wieder  verschwindende  Blutergüsse,  beziehungs- 
weise Exsudate  auftreten,  die  übrigens  auch  bei  der  Massage  nach  Thure. 
Brandt  entstehen  können. 

Die  Methode  von  Chrobak  führt  Verfasser  einfach  in  der  Weise  aus, 
dass  er  die  hintere  Lippe  mit  einer  Kugelzange  fasst  und  durch  die  Griffe 
desselben  einen  elastischen  Schlauch  zieht,  dessen  Enden  durch  eine  am 
Ende  des  Bettes  angebrachte  Schlinge  durch-  und  so  stark  angezogen  werden, 
als  es  die  Patientin  verträgt.  Die  so  erreichte  Zugwirkung  wird  dadurch 
gesichert,  dass  die  Schlauchenden  unmittelbar  hinter  der  Schlinge  durch  eine 
Klemmzange  fixirt  werden.    Durch  2—10  solcher  Dehnungen    von   jedesmal 


518  MASSAGE  IN  DER  GYNÄKOLOGIE. 

2— lO-stündiger  Dauer  hat  Verfasser  derartige  Dehnungen  para-  und  peri- 
metritischer  an  dem  Uterus  inserirender  Stränge  erzielt,  dass  die  quälendsten 
Beschwerden  völlig  verschwanden.  Jeder  Arzt  kann  diese  Methode  leicht 
ausführen  —  sie  passt  auch  für  die  Sprechstunde,  wo  sie  auf  dem  abgebildeten 
Sopha  vorgenommen  wird.  Auch  dieses  Verfahren  lässt  sich  sehr  bequem 
an  ein  etwa  nöthiges  Curettement  anschliessen,  wo  die  Patientin  so  wie  so 
4 — 7  Tage  das  Bett  hüten  muss.  Man  lässt  dann  täglich  oder  jeden  zweiten 
Tag  den  elastischen  Zug  wirken. 

Ich  sprach  oben  von  der  Schmerzhaftigkeit  para-  und  perimetritischer  Stränge  als 
Hindernis  für  die  bimanuellen  Dehnungen.  Brandt  sucht  diese  Schmerzhaftigkeit  durch 
centripetale  „Cirkelreibungen"  zu  beseitigen,  welche  direct  gegen  die  schmerzhaften 
Stellen  gerichtet  sind,  ausserdem  sucht  er  eine  etwa  vorhandene  Endometritis  und  Metritis 
durch  allgemeine  Massage  aller  Beckenorgane  zu  heben.  Brandt  vermeidet  es  überhaupt 
ängstlich,  der  Patientin  Schmerz  zu  bereiten,  während  ich  die  Cirkelreibungen  nur  zur 
Entspannung  der  Bauchdecken  anwende.  Bin  ich  unter  diesen  von  der  äusseren  Hand  aus- 
geführten Reibungen  so  tief  ins  Becken  gedrungen,  dass  ich  die  zu  dehnenden  Stränge  zwischen 
beiden  Händen  habe,  resp  dass  ich  mit  beiden  Händen  den  Uterus  fassen  kann,  so  dehne  ich  so 
stark,  als  es  die  Patientin  aushalten  kann.  Der  erzeugte  Schmerz  dient  dann  als  Gegen- 
gewicht gegen  etwaige  sexuelle  Reizung  Aus  Farcht  vor  einer  solchen  führt  Brandt  nur 
einen  Finger  in  die  Vagina  und  gebraucht  zu  den  Cirkelreibungen  nur  die  äussere  Hand. 
Der  innere  Finger  drängt  dieser  nur  die  zu  massirenden  Theile  entgegen. 

Hat  man  durch  die  Untersuchung  Verwachsung  der  Ovarien  fest- 
gestellt, so  hat  man  auch  in  diesem  Falle  zunächst  die  Endometritis  durch 
Curettement  zu  beseitigen  und  wird  zugleich  die  Narcose  dazu  benutzen,  um 
die  Ovarien  nach  der  Methode  von  Schultze  aus  den  Verwachsungen  zu 
lösen.  Gelingt  diese  Lösung  nicht,  oder  verwachsen  die  Ovarien  wieder  mit 
ihrer  Umgebung,  was  nach  der  Lösung  in  Narcose  häufig  geschieht,  so  ist  doch 
dmx^h  das  Curettement  die  Schmerzhaftigkeit  der  Ovarien  und  der  sie  fixirenden 
perimetritischen  Stränge  so  herabgesetzt,  dass  die  Massage  bedeutend  er- 
leichtert ist  und  dementsprechend  schneller  zum  Ziele  führt. 

Was  die  Technik  der  Massage  bei  fixirten  Ovarien  anbelangt, 
so  spielen  auch  hier  die  Dehnungen  der  Fixationen  die  Hauptrolle.  Da  das 
Ovarium  stets  nach  hinten  hin  fixirt  ist  (auf  der  hinteren  Platte  des  Ligamen- 
tum latum,  resp.  im  DouGLAs'schen  Raum),  so  besteht  das  ganze  Kunststück 
bei  der  Massage  darin,  sowohl  mit  dem  inneren  Finger  als  auch  mit 
der  äusseren  Hand  hinter  das  Ovarium  zu  kommen,  um  es  alsdann 
mit  beiden  Händen  nach  der  vorderen  Beckenwand  hinzuziehen.  Durch  die 
oben  beschriebene  Lagerung  gelingt  es  in  vielen  Fällen,  die  Bauchdecken  so 
zu  entspannen,  dass  man  gleich  bei  der  ersten  Untersuchung  hinter  das 
fixirte  Ovarium  gelangen  und  dasselbe,  allerdings  unter  lebhafter  Schmerz- 
äusserung  der  Patientin,  aus  nicht  allzufesten  Verwachsungen  lösen  kann. 

Es  ist  dies  also  eine  forcirte  Lösung  fixirter  Ovarien  nach  der  Methode 
von  B.  S.  Schultze,  aber  ohne  Narcose.  Ermöglicht  wird  diese  Lösung  ohne 
Narcose  durch  die  vorzügliche  Lagerung  nach  Thure  Brandt.  Brandt  selbst 
verwirft  freilich  ein  so  gewaltsames  Vorgehen.  Hat  man  in  dieser  Weise  die 
fixirten  Ovarien  gelöst,  so  muss  in  den  nächsten  Tagen  nachgesehen  werden, 
ob  die  Ovarien  nicht  wieder  festgewachsen  sind  und,  wenn  dies  der  Fall,  eine 
abermalige  Lösung  vorgenommen  werden. 

Ist  die  Schmerzhaftigkeit  der  fixirten  Ovarien  oder  die  Spannung  der 
Bauchdecken  eine  zu  grosse,  als  dass  man  mit  beiden  Händen  das  Ovarium 
fest  von  hintenher  umgreilen  könnte,  so  nimmt  man  zunächst  snnfte  kreisför- 
mige Reibungen  über  den  schmerzhaften  Partien  vor.  Durch  die  Reibungen 
erschlaffen  die  Bauchdecken  allmälig,  die  äussere  massireüJcHand  dringt  allmälig 
immer  tiefer  in  das  Becken,  bis  sie  schliesslich  das  von  den  inneren  Fingern 
möglichst  in  die  Höhe  und  nach  vorn  gedrängte  Ovarium  selbst  fühlt.  Die 
Cirl«;e]ix'il)iingen  werden  dann  weiter  in  der  Weise  fortgesetzt,  dass  sie  das 
Ovariuiü  möglichst  unmittelbar  umkreisen,  worauf  dann  entweder  schon  in  der 


MASSAGE  IN  DER  GYNÄKOLOGIE.  519 

ersten  oder  nach  mehreren  Sitzungen  der  Moment  kommt,  wo  man  die  Finger- 
spitzen beider  Hände  hinter  dem  Ovarium  aneinanderbringen  und  nun  die 
schon  beschriebene  Dehnung  vornehmen  kann. 

In  vielen  Fällen,  wo  die  Ovarien  sehr  weit  nach  hinten  fixirt  oder  das 
hintere  Scheidengewölbe  flach  und  wenig  nachgiebig  ist,  empfiehlt  Brandt  den 
Zeigefinger  statt  in  die  Vagina  in  das  Rectum  einzuführen.  Ich  bin  hievon 
fast  ganz  zurückgekommen,  da  man  mit  2  Fingern  von  der  Vagina  aus  ebenso 
tief  und  weit  nach  hinten  reicht,  als  mit  einem  Finger  im  Rectum. 

Die  kreisförmigen  Reibungen  um  das  Ovarium  herum  ohne  Dehnung  sind 
von  gutem  Erfolg  bei  chronischer  Oophoritis,  also  in  den  Fällen,  wo  das 
Ovarium  vergrössert  und  schmerzhaft  ist,  ohne  fixirt  zu  sein.  Allerdings  muss 
man  auch  in  diesen  Fällen  eine  etwa  vorhandene  Endometritis  zunächst  durch 
Curettement  beseitigen.  Dann  verschwindet  häufig  auch  die  Schmerzhaftigkeit 
der  Ovarien,  so  dass  eine  nachfolgende  Massagebehandlung  überflüssig  ist. 

Um  zu  resümiren,  so  nehme  ich  die  vaginale  Laparotomie  bei  allen 
Fällen  von  fixirter  Retroflexio  vor,  die  ScHULTz'sche  Methode  bei  Verwach- 
sungen der  Ovarien,  die  BßANDT'sche  und  CnEOBAK'sche  bei  perimetritischen 
Störungen.  Wie  erwähnt,  lassen  sich  die  genannten  Methoden  vielfach  mit 
Erfolg  combiniren. 

Die  Massage  ist  ferner  indicirt  bei  para-  und  perimetritischen  Ex- 
sudaten, wenn  diese  nach  Abnahme  des  Fiebers  mit  der  Resorption  zögern. 
Man  beginnt  frühestens  14  Tage  nach  Verschwinden  des  Fiebers  mit  der 
Massage.  Freilich  muss  man  sich  zunächst,  event.  durch  Untersuchung  in  Nar- 
cose,  davon  überzeugen,  ob  der  Kern  des  vermeintlichen  Exsudats  nicht  eine 
Pyosalpinx  ist.  Ich  komme  immer  mehr  zu  der  Anschauung  der  Amerikaner, 
dass  die  Mehrzahl  der  sogenannten  Exsudate,  zumal  der  nicht  puerperalen, 
durch  Tubenerkrankungen  vorgetäuscht  werden.  In  solchen  Fällen  ist  die 
Massage  contraindicirt,  ebenso  auch  in  den  Fällen  von  alten  Exsudaten,  wo 
früher  schon  einmal  ein  Eiterdurchbruch  erfolgt  war.  Für  bedenklich  halte 
ich  auch  die  Massage  bei  frischeren  Hämatocelen,  von  denen  wir  jetzt  wissen, 
dass  sie  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  durch  Tubenschwangerschaft  bedingt 
werden.  Hier  kann  eine  zu  frühe  Massage  —  das  lehrt  die  Erwägung  der 
anatomischen  Verhältnisse  —  sicher  frische  Blutungen  verschulden. 

Was  die  Technik  der  Massage  bei  Exsudaten  und  Blut- 
ergüssen anlangt,  so  kommen  im  wesentlichen  Cirkelreibungen  in  Betracht, 
welche  den  Tumor  an  seiner  Peripherie  angreifen  und  hauptsächlich  in  der 
Richtung  des  Lymphstromes  ausgeführt  werden.  Allmälig  kann  man  auch 
zu  Knetungen  übergehen,  welche  mit  dem  Daumenballen  und  der  Handwurzel 
ausgeführt  werden. 

Die  Wirkung  der  Massage  lässt  sich  durch  voluminöse  heisse  Scheiden- 
ausspülungen (50''  Celsius),  durch  Moorbäder,  durch  Resorbentien  (Ichthyol) 
erhöhen,  ebenso  ist  die  Wirkung  zur  Zeit  der  Menstruation  eine  gesteigerte. 
Verfasser  hat  nur  die  locale  Massage,  nicht  auch  die  von  Brandt  daneben 
angewandten  heilgymnastischen  Bewegungen  ausgeführt  und  glaubt 
hiemit  ebenso  gute  Resultate  erzielt  zu  haben.  Von  den  „Uterushebungen" 
bei  Retroflexio  und  Prolaps  ist  Verfasser  ganz  zurückgekommen.  Erfolge  sind 
zwar  in  manchen  Fällen  zu  erzielen,  in  anderen  bleiben  sie  trotz  längerer 
Behandlung  (auch  in  Combination  mit  Heilgymnastik)  aus*).  Daher  unterzieht 
der  Verfasser  die  Fälle  von  Retroflexio,  welche  keine  Aussicht  auf  Heilung 
durch  Ringbehandlung  gewähren,  der  von  ihm  angegebenen  „intraperitonealen 

*)  Ich  habe  übrigens  gezeigt,  dass  man  diese  Hebungen  ohne  einen  Assistenten 
durch  die  inneren  Finger  allein  ausführen  kann,  während  die  äussere  Hand  dem  Uterus 
die  richtige  Direction  nach  der  vorderen  Bauchwand  hin  gibt  (s.  Berliner  klin.  Wochen- 
schrift 1891). 


520  MASTDARMSCHEIDENFISTELN. 

Vaginofixation  des  Uterus"  (Eröffnung  des  vorderen  Scheidengewölbes,  An- 
näherung des  Fundus  uteri  an  die  vordere  Vaginalwand),  und  macht  bei 
Prolapsen  die  Kolporrhaphie,  ev.  (bei  gleichzeitiger  Retroversio)  in  Combina- 
tion  mit  der  intraperitonealen  Vaginofixation. 

Bei  Amenorrhoe  hält  der  Verfasser  die  Faradisation  des  Uterus,  bei 
Endometritis  und  Metritis  das  Curettement  für  wirksamer  als  die  Massage. 

DÜHRSSEN. 

MastdarmSCheidenfisteln.  Die  meisten  Mastdarmscheidenfisteln 
danken  ihre  Entstehung  einem  vollkommenen  Darmriss,  welcher  nur  in 
seinem  untern  Theil  zur  Heilung  gekommen  ist.  Seltener  sind  sie  Folgen 
einer  directen  Verletzung  der  Scheidenmastdarmwand  oder  geschwüriger  Pro- 
cesse  derselben  (Carcinom,  Lues,  Tuberculose,  Lupus). 

Die  Erscheinungen  bestehen  in  dem  Abgang  von  Blähungen  und 
Stuhlgang  durch  die  Scheide.  Kleinere  Fisteln  lassen  oft  nur  Winde  und 
dünnflüssigen  Koth  durchtreten.  Durch  die  Beschmutzuug  der  Scheide  und 
der  äusseren  Geschlechtstheile  kann   eine  Vaginitis  und   Vulvitis   entstehen. 

Die  Beschwerden,  über  welche  die  Patientinen  klagen,  führen  meist  schon 
auf  die  Diagnose,  welche  eine  sorgfältige  Untersuchung  der  Scheide,  be- 
ziehungsweise des  Rectum  sofort  sichern  wird.  Die  Prognose  ist  eine 
günstige,  da  es,  abgesehen  von  den  durch  Carcinom  oder  Tuberculose  be- 
dingten Fisteln  so  gut  wie  immer  gelingt,  sie  auf  operativem  Weg  zu  heilen. 
Man  kann  dies  entweder  vom  Mastdarm  oder  vom  Damm  oder  von  der 
Scheide  aus  erreichen.  Die  Schliessung  der  Fistel  vom  Rectum  aus  hat  man 
heutzutage  ganz  aufgegeben.  Vom  Damm  aus  geht  man  vor,  wenn  derselbe 
nur  unvollkommen  geheilt  ist,  die  Fistel  sehr  tief  sitzt  oder  das  sie  umge^ 
bende  Gewebe  so  dünn  ist,  dass  hier  eine  erfolgreiche  Anfrischung  nicht 
möglich  ist.  Der  Damm  wird  gespalten,  die  Fistelränder  besonders  sorgfältig 
im  oberen  Winkel  excidirt  und  des  Weiteren  genau  wie  bei  einer  Perineo- 
plastik*) verfahren.  Liegen  die  Verhältnisse  für  die  Operation  von  der  Scheide 
aus  günstig,  so  kann  man,  wie  bei  Blasenscheidenfisteln**)  mehr  flach  oder 
trichterförmig  anfrischen  oder  sich  auch  der  Lappenspaltung  bedienen. 

Eine  sehr  einfache  und  erfolgreiche  Methode  hat  Fritsch  angegeben. 
Es  wird  ein  kleiner  Halbmond  angefrischt,  dessen  concaver  Rand  ziemlich 
nahe  dem  oberen  Fistelrande  verläuft.  Von  jenem  aus  wird  dann  die  Columna 
rugarum  etwas  unterminirt,  über  den  Defect  gezogen  und  derart  genäht,  dass 
die  Fäden  unter  der  ganzen  Wundfläche,  aber  unter  Vermeidung  der  Fistel 
durchgeführt  werden. 

Als  Vorbereitung  zu  jeder  Mastdarmfisteloperation  wird  der  Darm  2  Tage 
zuvor  durch  reichliche  Ricinusölgaben,  am  Abend  vorher  durch  ein  Klysma 
entleert  und  nur  Nahrung  verabreicht,  welche  keinen  voluminösen  Stuhlgang 
macht. 

Die  Nachbehandlung  besteht  in  Bettruhe  und  flüssiger  Kost  während 
der  ersten  fünf  Tage.  Am  sechsten  Tag  wird  durch  Ricinusöl  oder  Bitterwasser 
für  Stuhl  gesorgt;  am  achten  werden  die  Nähte  entfernt.  G. 

Melaena  neonatorum.  Bluterbrechen  und  Blutausleerungen  aus  dem 
Anus  charakterisiren  die  Melaena  neonatorum.  Diese  ominösen  Krankheits- 
erscheinungen treten  schon  am  2.  Tage  nach  der  Geburt  auf,  seltener 
später.  Werden  nach  den  ersten  8  Lebenstagen  Magen-  und  Darm- 
blutungen beobachtet,  so  darf  man  dieselben  wohl  stets  als  den  Ausdruck 
einer  allgemeinen  hämorrhagischen  Diathese  betrachten.  Es  kommt  dann 
gleichzeitig  zu  Nabelblutungen,  Schleimhautblutungen,   Blutungen   unter   die 

*)  Vergl.  „Ferineoplastik''''  in  ds.  Bd. 
**)  Vergl.  „Hanißsteln",  pag.  340.  ds.  Bd. 


MELAENA  NEONATORUM.  521 

Haut,  in  die  grösseren  Körperhöhlen  etc.  Diese  Neigung  zu  Blutungen  in 
den  ersten  Lebenswochen  kann  durch  verschiedene  allgemeine  Krankheits- 
zustände  bedingt  und  hervorgerufen  sein.  Wir  sehen  sie  bei  der  Sepsis  der  Neu- 
geborenen, bei  der  congenitalen  Syphilis,  bei  der  BuiiL'schen  Krankheit  etc. 
oft  in  auffallendster  Weise  in  den  Vordergrund  treten.  Anders  bei  der  Me- 
laena  neonatorum!  Hier  sind  die  Kinder  anscheinend  ganz  gesund  und 
überstehen  sie  die  Blutung,  so  erholen  sich  dieselben  verhältnismässig  sehr 
schnell  und  entwicklen  sich  in  ganz  normaler  Weise.  Ich  fülire  die  Melaena 
neonatorum  auf  eine  angeborene,  mit  dem  Aelterwerden  der  Kinder  sich  völlig 
verlierende  Hämophilie  zurück.  Diese  transitorische  Hämophilie  kann 
das  Leben  des  Neugeborenen  auch  bei  sonst  sehr  geringfügigen  und  völlig 
ungefährlichen,  unabsichtlichen  oder  absichtlichen  Verletzungen  (Circumcision, 
Lösen  des  Zungenbändchens,  Blutegelstiche  etc.)  durch  schwer-  oder  unstill- 
bare Blutungen  direct  gefährden.  Die  transitorische  Hämophilie  ist  mit  der 
erblichen  Bluterkrankheit  nicht  zu  identificiren.  Denn  die  entsprechenden 
Kinder  entstammen  keineswegs  notorischen  Bluter-Familien,  und  Erblichkeit 
erscheint  somit  völlig  ausgeschlossen.  Dagegen  ist  eine  gewisse  Familien- 
disposition nicht  ganz  von  der  Hand  zu  weisen.  So  verlor  ich  am  3.  Tage 
nach  der  Geburt  ein  Kind  an  Meläna,  während  die  8  Jahre  alte  Schwester 
einige  Wochen  früher  an  Morbus  Werlhofii  schwer  erkrankte.  Die  erbliche 
Hämophilie  der  Neugeborenen  ist  ebenso  selten,  wie  die  Melaena  neo- 
natorum (etwa  1  Fall  auf  800 — 1 000  Geburten).  Die  Blutungen  beider  Krank- 
heitszustände  dürften  derselben  Quelle  ihren  Ursprung  verdanken.  Wir  müssen 
einerseits  eine  Alteration  des  Blutes  selbst,  andererseits  eine  angeborene  leich- 
tere Durchlässigkeit,  respective  grössere  Brüchigkeit  der  Capillargefässwan- 
dungen  annehmen.  Freilich  der  positive  anatomische  Nachweis  für  diese  Blut-, 
resp.  Gefässalteration  ist  noch  nicht  erbracht  worden.  Das  Wesen  der  tran- 
sitorischen  Hämophilie  ist  uns  noch  ebenso  dunkel  und  unbekannt,  wie  das 
der  erblichen  Hämophilie. 

Trotzdem  bei  Lebzeiten  Blut  in  reichlicher  Menge  erbrochen  und  durch 
den  Stuhl  entleert  wird,  findet  man  den  Magen  und  Darm  doch  noch  mit 
grossen  Blutmassen  schwappend  angefüllt.  In  einer  grösseren  Zahl  der  Fälle 
von  Meläna  kommt  es  auch  zu  örtlichen  Veränderungen  der  Magen- 
Darmschleimhaut.  Oberflächliche  Erosionen,  tiefergreifende  Defecte,  ein- 
zelne oder  zahlreichere  circumscripte,  runde  oder  ovale  glattrandige  oder  terrassen- 
förmig sich  vertiefende  kleinere  Geschwüre,  auch  ein  grösseres  Ulcus  analog  dem 
Ulcus  rotundum  der  Erwachsenen  im  Magen,  im  Duodenum,  einmal  sogar  im 
Oesophagus  oberhalb  der  Cardia  (Henoch)  bildeten  den  Sectionsbefund;  aber 
wir  finden  gleiche  Geschwürsbildungen  unter  Umständen  auch  bei  Neugebo- 
renen, welche  niemals  Blut  gebrochen  oder  durch  den  Stuhl  entleert  haben! 
—  Und  ebenso  häufig,  wie  ich  aus  eigener  Erfahrung  behaupten  darf,  ist 
bei  der  Melaena  neonatorum  auch  keine  Spur  von  Geschwürsbildungen  in  der 
Magen-  und  Darmschleimhaut  nachweisbar.  Ich  kann  daher  auch  nicht  in 
den  Geschwüren  die  Quelle  der  Blutung  erblicken.  Meiner  Meinung  nach 
ist  die  Blutung  in  die  Magen-  und  Darmschleimhaut  stets  das  primäre 
und  die  Entstehung  der  Ulcera  sind  secundäre  Erscheinungen.  Sie  entwickeln 
sich  wahrscheinlich  dann,  wenn  bereits  im  Intrauterin-Leben  capilläre  Blu- 
tungen in  die  Magen-  und  Duodenalschleimhaut  eingetreten  sind  und  an  diesen 
lädirten  Stellen  die  selbst  verdauende  Thätigkeit  des  Magensaftes  eingewirkt 
hat.  Landau  hat  zuerst  die  Entstehung  der  Magen-  und  Duodenalgeschwüre 
bei  der  Melaena  neonatorum  auf  Grund  eines  sehr  eingehend  untersuchten 
Falles  auf  embolische  Processe  in  den  Gefässen  der  Magen-  und  Darmschloim- 
haut  zurückgeführt.  Eine  primäre  Thrombose  dei'  Nabelvene  oder  eine  secun- 
däre Thrombose  des  Ductus  Botalli  seien  der  Ausgangspunkt  solcher  Em- 
bolien.   Diese  Anschauung  hat  zwar  vielen  Anklang  und  durch  Einzelbeobach- 


522  MELAENA  NEONATORUM. 

tungen  auch  anscheinend  eine  Bestätigung  gefunden,  aber  in  der  weit  grösseren 
Mehrzahl  der  Fälle  vermisst  man  solche  Thrombenbildungen  und  ohne  die- 
selben kann  es  auch  nicht  zu  Embolien  kommen.  Ebenso  wenig  möchte  ich 
die  mycotischen  Embolien  (Rehn,  Neumann)  für  die  Melaena  neonatorum  im 
engeren  Sinne  gelten  lassen.  Nur  bei  den  pyo-septischen  Formen  spielen 
sie  vielleicht  die  Rolle,  welche  ihnen  zuertheilt  wird.  Experimentell  sind 
V.  Peeuschen  und  Pamoeski  der  Frage  über  die  Entstehung  der  Ulcerationen 
und  Geschwüre  im  Magen  und  Darm  der  Neugeborenen  näher  getreten.  Sie 
constitirten  in  einem  Falle  von  Melaena  neonatorum  unter  dem  Tentorium 
cerebelli  und  im  4.  Ventrikel  dunkelrothe  Blutgeschwüre  und  flüssiges  Blut, 
ausserdem  im  Kleinhirn  zwei  erweichte  hämorrhagische  Herde.  Es  wurde 
festgestellt  (an  Kaninchen),  dass  nach  gewissen  Läsionen  des  vasomotorischen 
Centrums  im  4.  Ventrikel,  hyperämische  Zustände  in  den  Lungen  und. Ge- 
schwüre im  Magen  entstehen;  ja  dass  schon  abnorme  Circulationszustände, 
hervorgerufen  durch  Hirndruck  in  der  nächsten  Umgebung  der  vasomotorischen 
Centren  gleiche  Veränderungen  hervorzurufen  im  Stande  sein.  Das  Factum 
braucht  man  nicht  wegzuleugnen.  Solche  Blutungen  ins  Gehirn  kommen  bei 
Neugeborenen  wahrscheinlich  noch  häufiger  vor,  als  man  ahnt.  Sie  verlaufen 
aber  symptomlos.  Bei  fast  allen  Neugeborenen,  wie  ich  einer  mündlichen 
Mittheilung  des  Collegen  Prof.  Runge  entnehme,  lassen  sich  ophthalmoskopisch 
Netzhautblutungen  oft  recht  erheblichen  Grades  nachweisen,  die  nach  wenigen 
Tagen  völlig  verschwinden.  Dies  beweist  aber,  dass  die  Neigung  zu  Blut- 
austritten bei  allen  Neugeborenen  an  und  für  sich  eine  ver- 
hältnismässig grosse  ist  und  dass  eventuell  die  normalen  Geburtsvor- 
gänge, mehr  wohl  noch  die  geburtshilflichen  Manipulationen  zu  Blutungen 
auch  ausgedehnterer  Art  Veranlassung  geben.  Dies  wird  aber  bei  solchen 
Kindern  ganz  besonders  der  Fall  sein,  welche  sich  durch  eine  excessive  Nei- 
gung zu  Blutungen  auszeichnen,  einen  Zustand,  welchen  ich  als  tr ans i to- 
rische Hämophilie  bezeichnet  habe. 

Die  Krankheitserscheinungen  bieten  wenig  Abwechslung.  Die 
Kinder  sind  m^ist  ohne  Kunsthilie  geboren,  sind  ausgetragen,  gut  entwickelt 
und  anscheinend  völlig  gesund.  Am  ersten  und  am  ffolgenden  Tage  wird  Me- 
conium  entleert,  doch  zeichnen  sich  die  Ausleerungen  schon  durch  eine  auf- 
fallend schwärzliche,  theerartige  Färbung  aus,  und  in  den  Windeln  bemerkt 
man  schon  Blutspuren;  dann  häufen  sich  die  Ausleerungen,  sie  enthalten  gar 
keine  Kothmassen  mehr,  sondern  nur  reines,  dunkel  gefärbtes,  flüssiges  Blut. 
In  anderen  Fällen  geht  Bluterbrechen  voraus.  Zwei-dreimal  wird  reines 
Blut  ausgebrochen,  dann  erfolgt  meist  eine  längere  Pause.  Erneut  sich  das 
Blutbrechen  und  dauern  die  Blutausleerungen  aus  dem  Anus  fort,  dann  ver- 
fallen die  Kinder  sehr  schnell,  die  Körpertemperatur  sinkt  unter  die  Norm, 
Gesicht  und  Extremitäten  zeigen  eine  cadaveröse  Kälte.  Dabei  ist  der  Leib 
nicht  empfindlich,  fühlt  sich  schwappend  an,  aber  erscheint  nicht  besonders 
aufgetrieben.  Der  letale  Ausgang  erfolgt  meist  schon  nach  1-  bis  2mal  24 
Stunden.  Die  Mortalität  beträgt  über  50%.  Andererseits  erholen  sich  die 
Kinder,  falls  die  Blutungen  aufhören,  wider  Erwarten  schnell  und  Heilung 
wurde  noch  beobachtet,   trotzdem   bereits  Collapszustände  eingetreten  waren. 

Die  Diagnose  unterliegt  keinen  Schwierigkeiten.  Nur  sei  hier  darauf 
aufmerksam  gemacht,  dass  das  Blut  auch  von  aussen  in  den  Magen  gelangen 
kann.  So  kann  eine  Blutung  der  Nasen-  oder  Mundschleimhaut  des  ISeu- 
geborenen  vorliegen  und  das  Blut  verschluckt  sein;  oder  das  Blut  stammt 
aus  Schrunden  oder  Einrissen  an  den  Brustwarzen  der  Stillenden.  Solche  \  or- 
kommnisse  sind  ziemlich  unschuldiger  Natur.  Das  herabgeschluckte  Blut  macht 
meist  keine  Beschwerden;  die  etwa  wieder  ausgebrochenen  oder  durch  den 
Stuhl  entleerten  Blutmengen  sind  nur  geringe.  Es  fehlen  selbstverständlich 
auch  die  Collapszustände  {Melaena  spuria). 


MENSTRUATION— MENORRHAGIEN.  523 

Ob  man  bei  der  Melaena  vera  durdi  die  therapeutischen  Maass- 
regeln die  Magen-  und  Darmblutungen  wirklich  zum  »Stillstand  bringt, 
mag  dahingestellt  bleiben;  jedenfalls  wird  es  aber  unsere  erste  Aufgabe  sein, 
die  Blutung  zu  bekämpfen  und  den  schweren  Collaps  zu  verhindern.  Das 
meiste  Vertrauen  unter  den  Arzneimitteln  verdient  die  Tinct.  ferri  sesquiddor. 
[1  bis  2  Tropfen  in  einem  Theelöffel  Haferschleim  oder  Kisivasser).  Als  Nah- 
rung Frauenmilch;  mit  der  Milchpumpe  abgezogen  und  mit  den  Theelöffel 
eingeflösst.  Teoss  erreichte  in  einem  schweren  Falle  Heilung  durch  Kopfabwärts- 
lagerung des  Kindes,  centripetale  Einwicklung  der  Extremitäten  {Autotrans- 
fusion). Eisblase  auf  den  Bauch,  Wärmeflaschen  an  den  peripheren  Körper- 
theilen,  Ergotininjedion  {O'Oö)  und  gegen  den  drohenden  Collaps  subcutane 
Injectionen  von  Kampherhenzoelösung .  pott. 

Menstruation.  —  Menorrhagien.*)  Während  des  Kindesalters  be- 
finden sich  die  weiblichen  Geschlechtsorgane  hinsichtlich  ihrer  jibysiologischen 
Functionen  in  einem  Zustand  der  Inactivität.  Erst  zwischen  dem  zwölften 
und  sechszehnten  Jahre  gehen  in  ihren  Geweben,  ihrer  Gestalt  und  Grösse 
Veränderungen  vor,  welche,  nachdem  sie  ihren  Abschluss  gefunden  haben, 
jene  befähigen  dem  Fortpflanzungsgeschäft  zu  dienen.  Der  Eintritt  in  das 
mannbare  Alter  documentirt  sich  durch  eine  in  regelmässigen  Zwischenräumen 
sich  wiederholende  Blutung  aus  den  Genitalien,  die  Menstruation  (Menses, 
Periode,  monatliche  Reinigung,  Unwohlsein,  Blutveränderungj. 
In  unserem  gemässigten  Klima  tritt  sie  durchschnittlich  im  vierzehnten  Lebens- 
jahre ein,  in  heissen  liändern  früher,  in  kalten  später.  Uebrigens  sind  Fälle, 
in  welchen  auch  bei  uns  12-jährige  Mädchen  menstruiren,  gar  nicht  selten. 
Nicht  ohne  Einfluss  auf  den  Eintritt  der  Menstruation  ist  die  Lebensweise. 
Frühzeitige,  schwere  körperliche  Arbeit  bei  schlechter  Ernährung  schieben 
ihn  hinaus,  während  günstige  äussere  Lebensbedingungen,  frühe  geistige 
Thätigkeit  ihn  beschleunigen.  Im  Allgemeinen  menstruiren  Städterinnen 
früher  als  Landbewohnerinnen. 

Die  menstruelle  Blutung  kehrt  in  annähernd  regelmässigen  Zv/ischen- 
räumen  wieder.  Durchschnittlich  sind  es  28-tägige.  Doch  kommen  Fälle  vor, 
in  welchen  die  Pausen  kürzere,  selbst  nur  3-wöchentliche,  andere,  in  welchen 
sie  längere  sind.  Die  Menge  des  ausgeschiedenen  Blutes  ist  eine  individuell 
sehr  verschiedene.  Aus  naheliegenden  Gründen  ist  ihre  genaue  Bestimmung 
kaum  möglich.  Sie  soll  zwischen  50  g  und  ^4  %  schwanken.  Auch  Verlauf 
und  Dauer  der  Blutung  weicht  bei  verschiedenen  Individuen  wesentlich  von 
einander  ab.  Die  letztere  schwankt  zwischen  ein-  und  sechs  Tagen.  Hält  sie 
noch  länger  an,  so  ist  sie  als  pathologisch  zu  betrachten. 

Manche  Frauen  fühlen  sich  zur  Zeit  der  Menstruation  ebenso  wohl  wie 
sonst.  Bei  nicht  wenigen  dagegen  ist  sowohl  das  psychische  wie  körper- 
liche Befinden  mehr  oder  minder  alterirt.  Einige  sind  sehr  erregbar,  andere 
verstimmt,  deprimirt  und  unlustig  zu  irgend  welcher  Thätigkeit.  lieber 
Müdigkeit  wird  oft  geklagt,  desgleichen  über  ein  Gefühl  von  Schwere  in 
den  Beinen,  im  Unterleib,  über  Kreuzschmerzen,  Kopfweh,  Magenstörungen. 
Im  Allgemeinen  kann  man  sagen,  dass  je  gesünder,  je  weniger  nervös  eine 
Frau  ist,  um  so  geringer  die  Begleiterscheinungen  der  Menstruation  sind. 

Allen  Frauen  ist  es  anzurathen  sich  während  ihres  monatlichen  Unw^ohl- 
seins  eine  gewisse  Schonung  aufzuerlegen.  Starke  körperliche  Anstrengungen, 
weite  Spaziergänge,  Tanzen,  Schlittschuhlaufen,  Reiten,  Schwimmen  (überhaupt 
Bäder)  sind  zu  vermeiden,  Dass  der  geschlechtliche  Verkehr  in  diesen  Zeiten 
zu  unterbleiben  habe,  ist  eigentlich  selbstverständlich,  bedarf  aber  besonders 
bei  jungen  Ehemännern  nicht  selten  des  Hinweises.  Für  regelmässigen  Stuhl- 


*)  Vergl.  auch  den  Artikel  „Uterus-Blutungen"  (Metrorrliagien). 


524  MENSTRUATION— MENORRHAGIEN. 

gang  ist  Sorge  zu  tragen;  reichlicher  Genuss  von  Alkohol  und  Kaifee  besonders 
den  Frauen  zu  untersagen,  welche  erfahrungsgemäss  sehr  starke  Blutungen 
haben.  Im  Uebrigen  bedarf  es  bezüglich  der  Diät  keiner  besonderen  Vor- 
schriften. Im  Gegensatz  zu  früheren  Zeiten  hat  sich  die  Ansicht  mehr  und 
mehr  Bahn  gebrochen,  dass  menstruirende  Frauen  für  die  Reinhaltung 
ihrer  äusseren  Geschlechtstheile  Sorge  tragen  müssen.  Die  Leibwäsche 
ist  falls  beschmutzt,  sofort  zu  wechseln,  eine  der  heute  überall  im  Handel 
käuflichen  sogenannten  Menstruationsbinden  zu  tragen.  Morgens  und  Abends, 
wenn  nöthig  öfter,  werden  die  äusseren  Genitalien  mit  in  lauwarmes  Wasser 
getauchter  Wundwatte  sorgfältig  abgewaschen*).  Frauen,  welche  an  Vaginal- 
oder Cervicalkatarrh  leiden  oder  bei  denen  das  Menstruationsblut  einen  üblen 
Geruch  hat,  können  auch  während  der  Menses  desinficirende  Scheidenaus- 
spülungen machen. 

Während  man  früher —  und  auch  heute  noch  vielfach  in  Laienkreisen  — 
in  der  Menstruation  eine  Ausscheidung  überschüssiger,  beziehungsweise  schäd- 
licher Stoffe  aus  dem  Organismus  sah,  steht  heute  das  Irrige  einer  derartigen 
Annahme  fest.  Zwar  müssen  wir  zugeben,;  dass  unsere  Kenntnisse  der  men- 
struellen Vorgänge  auch  heute  noch  lückenhafte  sind,  über  die  wesentlichen 
Punkte  derselben  können  aber  Zweifel  nicht  mehr  herrschen.  So  wissen  wir 
vor  Allem,  dass  ein  Zusammenhang  zwischen  Ovulation  und  Menstruation  besteht. 

Mit  dem  Eintritt  in  die  Pubertätsjahre,  nur  ausnahmsweise  schon  früher 
(Nagel),  beginnen  beim  Mädchen  die  GRAAF'sche  Follikel  zu  reifen;  die  in 
ihnen  enthaltene  Flüssigkeit  nimmt  zu,  der  allmählig  grösser  werdende 
Follikel  verdrängt  das  umliegende  Gewebe  und  reizt  dadurch  die  in  demselben 
befindlichen  Nervenverzweigungen.  Durch  die  Untersuchungen  v.  Herfp's 
wissen  wir,  dass  dieselben  so  zahlreich  sind,  dass  sie  einen  wesentlichen  Be- 
standtheil  des  Gewebes  ausmachen  und  dass  ihre  feinsten  Fasern  die  Fol- 
likel umspinnen,  ja  in  die  Membrana  granulosa  eindringen.  Dies  letztere  Ver- 
halten, sowie  der  ausserordentliche  Nervenreichthum  des  Ovarium  überhaupt 
machen  es  uns  verständlich,  dass  der  Reiz  des  an  sich  kleinen,  wachsenden 
Follikels  es  vermag  auf  reflectorischem  Wege  das  vasomotorische  Centrum  zu 
erregen  und  hierdurch  eine  Reizung  der  Vasodilatatoren,  d.  h.  eine  Hyperämie 
der  Ovarien  herbeizuführen.  Unter  dem  Einflüsse  der  letzteren  nimmt  der 
Liquor  folliculi  noch  erheblicher  zu.  Schliesslich  führt  der  Innendruck  zum 
Platzen  der  Theca;  das  Ei  wird  ausgestossen.  Diesen  Vorgang  bezeichnet  man 
als  Ovulation. '"") 

Die  erwähnte  reflectorische  Hyperämie  beschränkt  sich  aber  nicht  auf  das 
Ovarium;  sie  kommt  auch  im  Uterus,  insbesondere  in  seiner  Schleimhaut  zu 
Stande  und  steigert  sich  allmälig,  bis  es  schliesslich  zum  Blutaustritt  aus  den 
oberen  Schichten  derselben,  zur  Menstruation,  kommt. 

Ueber  die  sich  in  der  Gebärmutterschleimhaut  kurz  vor  und  während 
der  menstruellen  Blutung  abspielenden  Vorgänge  gehen  die  Ansichten  nicht 
unerheblich  auseinander.  Während  Kundrat  und  Engelmann  annehmen,  dass 
eine  mehr- minder  tief  greifende  fettige  Degeneration  der  Uterusschleimhaut 
vor  Eintritt  der  Menses  Platz  greife  und  mit  demselben  zum  Zerfall  und  Aus- 
stossung  der  degenerirten  Schleimhautpartien  führe,  leugnen  Rüge,  Möricke 
und  Leopold  eine  solche.  Letzterer  führt  die  menstruelle  Blutung  auf  Stau- 
ung und  oberflächliche  Abstossung  der  Schleimhaut  zurück.  Erstere  fanden 
diese,  ja  sogar  das  sie  bekleidende  Flimmerepithel  intact.  Nach  ihrem 
Dafürhalten  tritt  das  extravasirte  Blut  durch  die  unverletzte  Schleimhaut. 
V.  Kahlden  dagegen  nimmt  eine  Abstossung  des  gesammten  Deckepithels 
und  der  darunter  liegenden  Schichten  an.   Wie  dem  auch  sei,  so  viel  steht 


*)  Vergl.  Artikel  „Prophylaxe  der  Frauenleiden" 
v-*j  Yergl.  auch  Artikel  „Ovulation". 


MENSTßUATION-MENORRHAGIEN.  525 

fest,  dass  die  Uterusschleimhaut  bis  zum  Eintritt  der  Menstruation  um 
das  2 — 3-fache  an-,  nach  derselben  langsam  wieder  abschwillt.  Gegen  die 
Mitte  der  intermenstruellen  Zeit  beginnt  wieder  das  Anschwellen.  Dieses  An- 
und  Abschwellen,  sowie  die  Ovulation  stehen  vielleicht  mit  Welkinbcwegungen 
in  Zusammenhang,  welchen  nach  den  Untersucliungen  von  Coodman,  Jacoui, 
Keinl  der  weibliche  Gesammtorganismus  während  seiner  fortpfianzungsfähigen 
Periode  unterworfen  ist.  Während  des  Ansteigens  der  Welle  sind  alle  Lebens- 
processe  gesteigert,  die  Wärmeproduction  vermehrt,  der  Blutdruck  erhöht,  die 
Harnstoffausscheidung  grösser  und  dies  bis  kurz  vor  Eintritt  der  Menstruation, 
wo  das  Maximum  erreicht  wird.  Dann  sinkt  die  Welle  bis  zu  ihrem  in 
der  Mitte  der  intermenstruellen  Zeit  liegenden  Minimum.  Das  Platzen  des 
GEAAF'schen  Follikels  würde  auf  der  Wellenhöhe  erfolgen,  die  Menstruation 
einige  Tage  später  eintreten,  ihr  die  Abschwellung  der  Gebärmutterschleim- 
haut folgen,  bis  sie,  nachdem  die  Tiefe  des  Wellenthals  erreicht  ist,  mit  der 
Erhebung  wieder  schwillt. 

So  viel  es  für  sich  hat,  Ovulation  und  Menstruation  auf  eine  gemein- 
same, in  ihren  Ursprüngen  allerdings  noch  unbekannte  Ursache  zurück- 
zuführen, wir  können  doch  nicht  umhin,  in  der  Menstruation  eine  Folge  der 
Ovulation  zu  sehen.  Hört  doch  erfahrungsgemäss  mit  Entfernung  beider  Ova- 
rien die  Menstruation  auf.  (Bei  Fällen,  in  welchen  sie  trotzdem  fortbesteht, 
liegt  die  Wahrscheinlichkeit  des  Zurückbleibens  ovarieller  Reste  vor,  bei  un- 
regelmässigen Blutungen  das  Bestehen  von  Stumpfexsudaten,  uterinen  Fi- 
bromen). Sie  stellt  sich  erst  ein  mit  Beginn  der  Ovulation  in  der  Pubertät 
und  verschwindet  im  Klimacterium,  der  Zeit,  in  w^elcher  die  Ovarien  ihre 
Functionen  einstellen.  Diese  fällt  in  das  fünfte  Jahrzehnt,  in  unserem  Klima 
durchschnittlich  in  das  45.  Lebensjahr;  häufiger  etw^as  später  als  früher.  Fälle, 
in  welchen  Frauen  selbst  nach  dem  50.  Jahre  noch  menstruiren,  kommen  vor. 
Hier  handelt  es  sich  aber  oft  um  Kranke,  welche  an  chronischen  Metritis, 
Adnextumoren,  Fibromen  u.  d.  m.  leiden.  In  der  Regel  hört  die  Men- 
struation nicht  plötzlich  auf,  sondern  es  gehen  der  Menopause  Störungen  in 
dem  regelmässigen  Erscheinen  der  Menses  voraus.  Bei  manchen  Frauen 
nehmen  sie  allmälig  an  Stärke  ab;  bei  andere  treten  sie  in  längeren  Zwischen- 
räumen, manchmal  von  mehrmonatlicher  Dauer  ein  und  werden  profus.  Bei 
wieder  anderen  werden  die  intermenstruellen  Pausen  immer  kürzer,  bis 
schliesslich  die  Blutungen  ununterbrochene  sind.  Häufig  haben  die  Frauen 
vor  und  auch  noch  einige  Zeit  nach  der  Menopause  unter  Störungen  des  All- 
gemeinbefindens, psychischen  Depressions-  oder  Excitationszuständen,  fliegender 
Hitze,  Blutandrang  zum  Kopf,  Herzklopfen,  Schweissausbrüchen,  Pruritus,  be- 
sonders der  Vulva,  Verdauungsstörungen  zu  leiden. 

Auch  an  den  Genitalien,  sowohl  den  äusseren  wie  den  inneren  stellen 
sich  im  Klimacterium '^)  allmälig  fortschreitende  Veränderungen  ein.  Die 
Scheide  wird  blass,  glatt,  verengt  sich;  die  Portio  wird  kleiner;  der  Mutter- 
mund enger.  Auch  das  Corpus  uteri  atrophirt  besonders  nach  eingetretener 
Menopause!  und  nimmt  fast  immer  eine  leicht  retroflectirte  Stellung  ein.  Das 
seine  Schleimhaut  bekleidende  Flimmerepithel  verschwindet.  Zunächst  wird 
es  durch  Cylinder-,  später  durch  Plattenepithel  ersetzt.  Tuben  und  Ovarien 
bilden  sich  gleichfalls  zurück.  Die  Follikel  atrophiren  unter  Verfettung  der 
Epithelien.  Durch  Bindegewebsneubildung  kommt  es  zu  einer  erheblichen 
Schrumpfung  der  EierstöcJke, 

Die  Menstruation  verläuft  nicht  nur  bei  verschiedenen  Individuen,  wie 
wir  aus  dem  Vorbesprochenen  ersehen  haben,  verschieden;  auch  bei  ein  und 
demselben  kann  sie  in  ihren  Erscheinungen  w^echseln.  Es  ist  daher  oft  sehr 
schwer  zu  bestimmen,  wo  hier  das  Normale  aufhört  und  das  Pathologische 


*)  Vergl.  dieses  SdcJiivort  in  ds.  Bd. 


526  MENSTRUATION— MENORRHAGIEN. 

anfängt.  Doch  kommen  Störungen  vor,  welche  stets  als  krankhaft  zu  be- 
trachten sind,  so  die  Amenorrhoe,  das  Fehlen  der  Menstruation,  falls  es  nicht 
durch  Schwangerschaft  oder  Lactation  bedingt  ist. 

Wir  unterscheiden  eine  constitutionelle  und  einelocale  Amenor- 
rhoe. Die  erstere  kann  Folge  chronischer  Anämien,  der  Chlorose,  der  Tuber- 
kulose, allgemeiner  Adipositas  sein,  auch  noch  längere  Zeit  nach  schweren 
acuten  InfectiOnskrankheiten  fortbestehen. 

Der  localen  Amenorhoe  begegnen  wir  bei  rudimentärer  Bildung  oder 
vollständigem  Defect  des  Uterus,  beziehungsweise  der  Ovarien;  bei  Stehen- 
bleiben des  einen  wie  des  andern  auf  der  infantilen  Entwicklungsstufe,  ferner 
bei  vorzeitiger  Atrophie  der  Gebärmutter.  Ausserdem  kommen  Fälle  von 
Amenorrhoe  vor,  wo  wir  weder  eine  constitutionelle,  noch  eine  locale  Ursache 
finden  können. 

Schliesslich  sei  nochdie  sogenannte  vicariirende  Menstruation  erwähnt, 
bei  welcher  die  monatlichen,  uterinen  Blutungen  fehlen,  dafür  aber  solche  aus 
anderen  Organen  beziehungsweise  Körperstellen  auftreten,  z.  B.  den  Lungen, 
dem  Magen,  der  Nase,  den  Lippen,  Fussgeschwüren  u.  a.  m.  Berichte  über 
solche  Fälle  sind  stets  mit  Vorsicht  aufzunehmen.  Dass  sie  aber  vorkommen, 
ist  nicht  zu  bezweifeln.  Die  annehmbarste  Erklärung  derselben  ist  die,  dass 
der  unter  dem  Einfluss  der  Ovulation  nicht  nur  in  den  Sexualorganen,  sondern 
in  ganzem  Körper  gesteigerte  Blutdruck  in  pathologisch  veränderten  Geweben, 
einem  Locus  minoris  resistentiae,  z.  B.  einem  Magengeschwür  zum  Blutaus- 
tritt führt. 

Die  Behandlung  der  constitutionellen  Amenorrhoe  deckt  sich  mit  der 
ihr  zu  Grunde  liegenden  constitutionellen  Leiden.  Wir  können  also  dies- 
bezüglich auf  die  Capitel  Anämie  (Chlorose)  und  Tuberkulose  in  diesem 
Sammelwerke  verweisen.  Bemerkt  sei  nur,  dass  hier  eine  örtliche  Behandlung, 
ebenso  wie  die  Anwendung  heisser  Fuss-  und  Sitzbäder  oder  der  sogenannten 
Emmenagoga  wie  sie  oft  von  den  Müttern  der  Patientinnen,  beziehungsweise 
von  diesen  selbst  gewünscht  und  in  Anwendung  gebracht  wird,  nicht  nur 
nutzlos  ist,  sondern  sogar  schädlich  wirken  kann.  Dasselbe  gilt  für  schnell 
fett  gewordene  Personen,  welche  dabei  meist  anämisch  sind.  Bei  ihnen  hat 
meist  eine  Marienbader  Brunnencur,  was  das  Allgemeinbefinden  wie  die  Ame- 
norrhoe betrifft,  eine  vorzügliche  Wirkung.  Wenn  möglich  lasse  man  sie  an 
Ort  und  Stelle,  nicht  zu  Haus  gebrauchen.  Auch  mit  Vorsicht  angewandte  di- 
ätetische Entfettungscuren  nach  Ocrtel  oder  Schweninger  haben  nicht  selten 
einen  günstigen   Einfluss  auf  die  Menstruationsstörung. 

Die  locale  Amenorrhoe  kann  selbstverständlich  Gegenstand  einer  Behand- 
lung nicht  sein,  wenn  ihr  rudimentäre  Bildung  [oder  Mangel  des  Uterus  und 
der  Ovarien  zu  Grunde  liegt.  Erwähnt  sei,  dass  bei  lunctionirenden  Ovarien 
und  fehlenden  oder  nur  andeutungsweise  vorhandenem  Uterus  so  quälende 
Menstruationsmolimina  bestehen  können,  dass  die  Castration  indicirt  ist,  Mäd- 
chen, deren  Genitalien  auf  der  infantilen  Entwicklungsstufe  zurückgeblieben 
sind,  sind  es  in  der  Regel  auch  in  ihrer  übrigen  Entwicklung  und  in  ihrem 
Ernährungszustand.  Eine  Besserung  des  letzteren,  Sorge  für  körperliche  Kräf- 
tigung vermögen  hier  in  ein  wie  der  anderen  Beziehung  Wandel  zu  schaffen. 

Auch  bei  der  vorzeitigen  Atrophie  des  Uterus  ist  die  Allgemeinbehand- 
lung der  meist  anämischen  und  schlecht  genährten  Patientinnen  über  der  ört- 
lichen nicht  zu  vernachlässigen.  Die  letztere  hat  im  Allgemeinen  die  Auf- 
gabe durch  eine  vermehrte  Blutzufuhr  zu  den  inneren  Genitalien  die  Ernäh- 
rungsverhältnisse ihrer  Gewebe  zu  verbessern.  Warme  Sitzbäder  und  Vaginal- 
douchen  (34—36"  R.)  Massage  des  Uterus,  Einlegen  eines  Intrauterinstiftes, 
besser  einer  FEHLiNG'schen  Glasröhre  in  das  Cavum  uteri  lür  mehrere  Mo- 
nate (nach  jeder  Menstruation  zu  reinigen)  kommen  in  Betracht.  Auch  die 
intrauterine  Anwendung   der  Elektricität  ist  empfohlen  worden.     Die  örtliche 


MENSTRUATION— MENORRHAGIEN.  52  7 

Behandlung  kann  durch  Thure  BRANDx'sche  Gymnastik  (blutzuführende 
Bewegungen)  unterstützt  werden.*) 

In  Fällen,  bei  welchen  irgend  eine  Ursache  der  Amenorrhoe  sich  nicht 
finden  lässt,  und  bei  denen  andere  Behandlungsmethoden,  insbesondere  auch  das 
Eisen  im  Stich  gelassen  haben,  mag  ein  Versuch  mit  dem  besonders  von 
Amerika  her  empfohlenen  Kali  hy per  mang  anicum  (3 — 4mal  täglich  0'05) 
gemacht  werden.     Die  eigentlichen  Emmenagoga  sind  zu  meiden. 

Im  Gegensatz  zur  Amenorrhoe  steht  die  Menorrhagie,  die  zu  starke 
oder  zu  lange  Zeit  anhaltende  menstruelle  Blutung.  Häufig  ist  sie  Folge  patho- 
logischer Zustände  der  Sexualorgane,  in  erster  Linie  der  chronischen  Endo- 
metritis, der  chronischen  Metritis,  der  Betroflexio  oder  Retroversio  uteri, 
submucöser  oder  intramuraler  Fibrome,  von  Adnextumoren,  Exsudaten.  Fer- 
ner begegnen  wir  Menorrhagien  bei  constitutionellen  Störungen,  so  bei 
Herz-  und  bei  Leberkrankheiten  in  Folge  venöser  Stauung,  bei  Morbus 
Brightii.  Auffallenderweise  ist  auch  die  Chlorose  besonders  während  der 
Pubertätsjahre  von  Menorrhagien  begleitet.  Wenn  manche  in  ihnen  das  pri- 
märe, in  den  anämischen  Zuständen  das  secundäre  sehen,  so  trifft  das  ohne 
Zweifel  für  eine  lieihe  yon  Fällen  zu.  Oft  ist  aber  das  umgekehrte  der  Fall, 
so  auch  bei  Frauen,  welche  durch  zu  langes  Stillen  heruntergekommen  sind. 
Wie  schon  bei  Besprechung  des  Klimacteriums  erwähnt  worden,  sind 
Menorrhagien  eine  häufige  Erscheinung  desselben.  In  manchen  Fällen  beruhen 
sie  hier  auf  einer  chronischen  Endometritis,  insbesondere  der  fungösen  Form, 
in  anderen  fehlt  eine  nachweisbare  Schleimhauterkrankung. 

Die  Behandlung  der  Menorrhagien  ist  je  nach  ihrer  Aetiologie  eine 
verschiedene.  Sind  sie  Folge  der  oben  erwähnten  pathologischen  Zustände 
der  Sexualorgane  oder  anderweitiger  Organerkrankungen,  so  sind  diese  zu 
behandeln.  Es  kann  diesbezüglich  auf  die  betreffenden  Capitel  verwiesen 
werden.  Handelt  es  sich  um  heruntergekommene  oder  chlorotische  Individuen, 
so  ist  in  erster  Linie  der  Ernährungszustand  zu  heben.  Oft  tritt  damit  schon 
ein  Nachlass  der  Blutungen  sowohl  was  ihre  Stärke  wie  Länge  betrifft  ein. 
Die  Menorrhagie  selbst  sucht  man  dadurch  zu  verringern,  dass  man  die  Pa- 
tientin während  der  Menses  das  Bett  hüten  lässt.  Die  Anwendung  von  Kälte 
sei  es  in  Form  einer  auf  das  Abdomen  gelegten  Eisblase  oder  kalter  Yaginal- 
ausspülungen  kann  zwar  von  günstiger  Wirkung  sein,  wird  aber  zumal  von 
anämischen  Individuen  schlechter  vertragen  als  heisse  Scheidendouchen 
(38 — 40'^  R.),  welche  3 — 5mal  täglich  zu  wiederholen  sind.  Bei  nicht  zu 
heftigen  Menorrhagien  erweiset  sich  auch  das  Einlegen  von  Glycerintampons 
an  die  Portio  vor  und  während  der  Menses  wirksam. 

Bei  Virgines  vermeidet  man  zunächst  jede  örtliche  Behandlung.  Man 
gibt  hier  prophylaktisch  in  der  ganzen  intermenstruellen  Zeit  oder  14  Tage 
vor  Eintritt  der  Menses  Extractum  fluidum  Hydrastis  canadensis  (Smal  täglich 
30  Tropfen)  oder  während  derselben  zweistündlich  20  Tropfen,  auch  Extract. 
■ßuid.  Gossyp.  3mal  täglich  1  Theelöffel,  ferner  Seeale,  bezw.  dessen  Präparate. 
Von  den  letzteren  wird  in  jüngster  Zeit  in  Deutschland  das  von  Fkitsch 
empfohlene  Ergotinum  Denzel,  sowie  dessen  Tindura  haemosiyptira  (3mal  täg- 
lich 1  Thee-  bis  Esslöffel)  viel  verordnet.  Wird  bei  jungen  Mädchen  doch  ein 
örtlicher  Eingriff  nöthig,  so  soll  es  ein  einmaliger,  nicht  ein  wiederholter 
(wie  z.  B.  Einspritzen,  beziehungsweise  Auswischen  des  Cavum  uteri  mit  Tct. 
Jodi  oder  Liq.  ferri  sesquichlorati)  sein*'"').  Die  Abrasio  mucosae  ist  vorzuneh- 
men und  zwar  in  Narcose. 

Wenn  die  Menstruation  mit  Unterleibs-,  beziehungsweise  Kreuzschmerzen 
verbunden  ist,  so  spricht  man  von  Dysmenorrhoe.  Oft  ist  dieselbe  mit  ande- 


*)  Vergl.  Artikel  „Massage  in  der  Gynäl-ologie". 
**)  Vergl.  Artikel  „Intrauterine  Therapie'',  pag.  451. 


528  MENSTRUATION— MENORRHAGIEN. 

ren  Störungen  verbunden,  so  mit  Migräne,  Erbrechen,  schmerzhaftem  Zie- 
hen in  den  Beinen.  Ja  es  können  bei  Hysterischen  tonische  und  klonische 
Krämpfe  ausgelöst  werden.  Zweifellos  ist  die  Dysmenorrhoe  in  nicht  seltenen 
Fällen  nur  ein  hysterisches  Symptom.  Dafür  spricht,  dass  sie  einmal  auf- 
tritt, ein  anderesmal  fehlt,  und  zwar  besonders  dann,  wenn  die  Patientin 
einmal  in  anderer  als  der  gewohnten  Umgebung  die  Zeit  der  Menstruation 
verbringen  muss,  ferner  die  Beobachtung,  dass  bei  manchen  Mädchen  die 
fi'üher  schmerzlose  Menstruation  erst  mit  dem  gleichzeitigen  Auftreten 
anderer  nervöser  Erscheinungen  schmerzhaft  wird.  In  anderen  Fällen  sind 
nachweisbare  pathologische  Zustände  der  Sexualorgane  Ursache  der  Dysme- 
norrhoe. Man  beobachtet  sie  bei  mangelhaft  entwickeltem  mehr  infantilem 
Uterus,  wie  wir  ihn  meist  bei  gleichzeitig  schlecht  genährten,  chlorotischen 
Individuen  finden ;  ferner  bei  starker  Anteflexio  uteri,  bei  Stenosen  des  äusse- 
ren, beziehungsweise  des  inneren  Muttermundes.  Möglich,  dass  es  sich  hier 
um  eine  sogenannte  mechanische  Dysmenorrhoe,  Behinderung  des  freien  Blut- 
abganges und  dadurch  hervorgerufener  Uteruscontractionen  handelt.  Zuweilen 
trägt  eine  zu  starke  menstruelle  Congestion  (Endometritis,  Metritis,  Oopho- 
ritis, Betroflexio)  die  Schuld  an  den  Schmerzen.  Sie  lassen  erklärlicherweise 
mit  dem  Eintritt  einer  starken  Blutausscheidung  nach.  Eine  besondere  Form 
ist  die  DysmenoryJioea  membranacea,  bei  welcher  unter  ausserordentlich  hef- 
tigen Schmerzen  die  oberflächlichen  Schichten  der  Schleimhaut  in  Gestalt 
von  Membranen  ausgestossen  werden.  Schliesslich  begegnen  wir  der  Dysme- 
nori'hoe  sehr  oft  bei  perimetritischen  Processen,  bei  Adhäsionsbildungen  an 
Tuben  und  Ovarien,  besonders,  wo  dieselben  Folgen  einer  gonorrhoischen  In- 
fection  sind. 

Bei  chlorotischen  oder  in  der  Entwicklung  zurückgebliebenen  Mädchen 
hat  sich  die  Behandlung  der  Dysmenorrhoe  zunächst  wieder  gegen  die 
constitutionellen  Störungen  zu  richten;  ebenso  soll  sie  bei  hysterischen  zu- 
nächst eine  allgemeine  sein,  die  der  Hysterie  zu  Grunde  liegenden  psychischen 
und  körperlichen  Momente  bekämpfen. 

Bei  jungen  Mädchen  versuche  man,  auch  hier,  ehe  man  sich  zu  einer 
örtlichen  Therapie  entschliesst,  innere  Mittel.  Wie  gegen  Menorrhagien  wirkt 
Hydrastis  auch  bei  Dysmenorrhoe  durch  Verminderung  der  menstruellen  Con- 
gestion (während  der  intermenstruellen  Zeit  Smal  täglich  30  Tropfen  bis 
1  Theelöffel)  oft  ausgezeichnet.  Desgleichen  Ergotin  (Ergot.  aq.  bis  dep.  2'0, 
Aq.  destilL  30,  Glycerin  o'O.  2  läge  vor  dem  muthmaassUchen  Eintritt  der 
Menses,  omal  täglich  1  Iheelöffel) ;  ferner  Extract.  fluid.  Viburn.  pnmifol.  (Smal 
täglich  30  Tropfen  bis  1  Theelöffel^  kurz  vor  und  während  der  Menses).  Sind 
die  Schmerzen  sehr  heftige,  so  braucht  man  sich  nicht  zu  scheuen  Morphium 
(0-015)  in  Suppositorienform  zu  geben.  Man  beobachtet  nicht  selten,  wie 
Fritsch  zutreftend  bemerkt,  dass  nach  2— Smaliger  Anwendung  die  Dysme- 
norrhoe verschwindet.  Am  besten  ist  es  die  an  Dysmenorrhoe  leidenden 
Frauen  während  der  Menses  das  Bett  hüten  zu  lassen.  Warme,  selbst  heisse 
Umschläge  auf  d«n  Unterleib  bringen  oft  Linderung  der  Schmerzen.  Auch  die 
alten  Hausmittel:  Kamillen-,  Kümmel-,  Baldrianthee  scheinen  zuweilen  wirksam. 

Bei  Deflorirten  ist  eine  energische  Scarification  der  Portio  besonders 
dann  zu  empfehlen,  wenn  der  Uterus  an  sich  hyperämisch  und  vergrössert  ist. 
Finden  sich  andere  Erkrankungen  desselben  oder  der  Anhänge,  so  sind  diese 
natürlich  zum  Gegenstand  der  Behandlung  zu  machen.  Bei  Stenose  des 
äusseren  Muttermundes  ist  derselbe  durch  eine  Stomatoplccstik  (Excision  keil- 
förmiger Stücke)  zu  erweitern. 

Ist  der  Uterus  stark  anteflectirt  oder  der  innere  Muttermund  sehr  eng 
und  beim  Sondiren  schmerzempfindlich,  so  sondirt  man  1 — 2mal  einige  Tage 
vor  Eintritt  der  Menses.  Die  Fälle  sind  nicht  selten,  in  welcher  dies  allein 
genügt,  um   die  nächste  Menstruation   schmerzlos   zu  machen.    Lassen   die 


METPJTIS.  529 

Schmerzen  zwar  nach,  verschwinden  sie  aber  nicht  vollständig,  oder  kehren 
bei  Fortlassen  der  Sondirung  stets  wieder,  so  dilatirt  man  den  Uterus  mit 
Laminariastiften  (mit  ganz  dünnen  anfangend)  bis  auf  Fingerweite  und  tam- 
ponirt  dann  das  Cavum  noch  einige  Tage  mit  Jodoformgaze. 

Bei  Endometritis  chronica  hat  die  meist  schon  durch  die  Menorrhagie 
bedingte  Abrasio  mucosae^'')  ein  Verschwinden  der  Schmerzen  zur  Folge.  Sie 
ist  auch  die  einzige  empfehlenswerthe  Therapie  bei  der  Dysmenorrhoea  meni- 
branacea,  hier  aber  muss  ihr  eine  wiederholte  Aetzung  des  Cavum  uteri  mit 
Tct.  Jodi  oder  Liq.  ferri  sesquichl.  folgen.  Recidive  sind  auch  dann  niclit 
selten,  kehren  aber  meist  bei  energischer  Fortsetzung  der  Behandlung  in  immer 
Längeren  Zwischenräumen  wieder.  In  neuerer  Zeit  ist  auch  die  intrauterine 
Anwendung  des  constanten  Stromes  in  der  intermenstruellen  Zeit  als  äusserst 
wirksam  gegen  Dysmenorrhoe  empfohlen  worden  ;  desgleichen  ThuiU':-Brandt- 
sche  Gymnastik. 

Vor  der  Castration  ist  dann  dringend  zu  warnen,  wenn  sie  nicht  durch 
gleichzeitige,  schwere  Adnexerkrankungen  gerechtfertigt  ist. 

GRAEFE. 

Metritis.  a)  Acute  Metritis.  Die  acute  Erkrankung  des  Uterusgewebes 
kommt  ausserhalb  des  Wochenbettes  verhältnismässig  nur  selten  zur  Beob- 
achtung. Am  häufigsten  tritt  sie  im  Anschlüsse  an  Geburtsvorgänge 
infolge  septischer  Infection  auf  und  führt  dann  zu  schweren  Allgemeinerkran- 
kungen. Ausserhalb  des  Wochenbettes  reiht  sich  die  Metritis  acuta  am  häu- 
figsten an  die  Menstruation  an ;  die  intensive  Blutfülle  der  Gebärmutter  zu 
dieser  Zeit  gibt  reichlich  Gelegenheit  zu  den  Veränderungen,  welche  bei 
einer  acuten  Entzündung  eintreten.  Besonders  Erkältungen  und  Traumen, 
zum  Beispiel  übermässiger  Geschlechtsverkehr  zu  dieser  Zeit,  können  zur  acu- 
ten Entzündung  führen.  Eine  der  häufigsten  UrsachenistdieTrip- 
perinfection,'"""')  und  alle  Schleimhauterkrankungen  aus  ähnlichen  Ursachen. 
(Vergl.  „Kolpitis'\  pag.  475.)  Acute  Metritis  ist  öfters  die  Folge  von  un- 
geeigneten gynäkologischen  Eingriffen,  und  weniger  ist  oft  dabei  der  Eingriff 
selbst  zu  beschuldigen  als  die  bei  demselben  erfolgte  Infection. 

Bei  der  acuten  parenchymatösen  Entzündung  des  Uterus  findet  sich 
dieser  besonders  im  oberen  Drittel  bis  zur  Grösse  eines  Gänseeis  geschwellt, 
von  vorn  nach  hinten  dicker,  geröthet  oder  bläulich  roth,  seine  Wandungen 
sind  stark  durchfeuchtet,  lassen  eine  schleimige,  fadenziehende  Flüssigkeit 
ausdrücken,  in  der  sich  Eiterkörperchen  in  geringer  Menge  finden.  Die 
Schleimhaut  des  Fundus  und  Corpus  ist  injicirt,  geröthet,  gelockert,  jene  des 
Cervix  ist  jedoch  meistens  unverändert.  Die  Vaginalportion  ist  geschwellt, 
ödematös,  mit  Erosionen  versehen. 

Die  acute  parenchymatöse  Metritis  setzt  die  erheblichsten  Veränderungen 
in  den  innersten  Schichten  der  Uterussubstanz,  breitet  sich  häufig  nach  aussen 
zu  einer  Perimetritis  aus,  combinirt  sich  oft  mit  einer  Kolpitis,  Salpingitis, 
Oophoritis. 

Die  Ausgänge  der  Erkrankung  sind  zunächst  Lösung  mit  Resorption  des 
Exsudates  und  Rückkehr  zur  gewöhnlichen,  normalen  Grösse,  oder  es  hat 
sich,  durch  den  Entzündungsreiz  angeregt,  eine  Bindegewebswucherung  im 
Uterus  entwickelt,  die  sofort  zur  bleibenden  Vergrösserung  und  Induration 
seines  Gewebes  führt.  Sehr  selten  ist  der  Ausgang  einer  solchen  acuten  Ent- 
zündung des  Uterusgewebes  in  Abscedirung. 

Die  Symptome  der  acuten  Metritis,  welche  zumeist  unter  Frost  und 
Temperatursteigerung  eintritt,  bestehen  in  heftigen  Schmerzen  im  Kreuz  und 


*)  Vei-gl.  Artikel  „Intrauterine  Therapie",  pag.  452. 
.**)  Yergl.  Artikel  „Gonorrhoe  der  iveiblichen  Genitalien." 

Kbl.     med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  04 


530  METIUTIS. 

Unterleibe  und  in  sehr  bedeutenden  Beschwerden  von  Seiten  der  Blase  und 
des  Darmes.  War  die  Ursache  der  Metritis  eine  Erkältung  während  der 
Menstruation,  so  pflegt  diese  plötzlich  aufzuhören,  um  dann  nach  einigen 
Tagen  mehr  oder  minder  stark  wieder  aufzutreten ;  in  anderen  Fällen  aber 
zeigt  sich  beim  Auftreten  der  acuten  Metritis  eine  profuse  Metrorrhagie. 

Die  Diagnose  der  acuten  Metritis  gründet  sich  auf  die  starke  Schwellung 
der  Gebärmutter,  weiterhin  ist  für  sie  eine  ausserordentliche  Empfindlichkeit 
des  Uterus  charakteristisch,  so  dass  schon  die  leiseste  Berührung  intensive 
Schmerzen  hervorruft.  Gelingt  es,  den  Uterus  abzutasten,  so  erscheint  das 
Volumen  meistens  im  Dickendurchmesser  vergrössert,  der  verdickte  Uterus 
zeigt  eine  aufquellende,  weiche  Consistenz,  ferner  finden  wir  im  acuten  Sta- 
dium eine  verminderte  Schleimhautsecretion.  Beginnt  aber  die  acute  Hyper- 
ämie sich  auszugleichen,  so  tritt  bedeutende  Zunahme  der  Schleimhautsecre- 
tion ein,  häufig  mit  blutigen  Beimischungen. 

Die^Prognose  der  acuten  Metritis  ist  meist  eine  ernste.  Es  kann  jedoch 
oft  rasche  Lösung  dem  acuten  Entzündungsstadium  folgen  und  damit  die 
Heilung  eintreten. 

Die  Therapie  im  acuten  Stadium  der  Entzündung  ist  eine  antiphlogi- 
stische :  möglichste  Ruhelagerung,  kräftige  Blutentziehung,  Eisbeutel,  ausser- 
dem desinficirende  Vaginalausspülungen,  sowie  Gebrauch  von  Morphium  und 
anderen  Narcoticis.  Verläuft  das  acute  Stadium  ohne  Ausbreitung  auf  die 
Umgebung,  so  kann  die  Blutentziehung  am  Uterus  durch  Scarificationen 
wiederholt  werden,  und  durch  warme  Sitzbäder  und  energische  Ableitung  auf 
den  Darmcanal  der  Versuch  gemacht  werden,  die  Schmerzhaftigkeit  möglichst 
herabzusetzen. 

Bei  acuter  Metritis,  die  im  Anschlüsse  an  die  Menstruation  sich  entwickelt 
hat,  wird  häufig  die  Eisbehandlung  nicht  vertragen;  man  wird  in 
solchen  Fällen  die  Behandlung  mit  warmen  Umschlägen  auf  das  Abdomen 
und  heissen  Vaginalausspülungen  vorziehen.  Sind  die  acuten  Erscheinungen 
der  ersten  Tage  vorüber,  so  ist  zur  Behandlungsweise,  welche  bei  der  chro- 
nischen Metritis  erörtert  werden  wird,  überzugehen. 

b)  Chronische  Metritis  entwickelt  sich  häufig  im  Anschlüsse  an 
Schwangerschaft,  Geburt  und  Wochenbett.  Bei  Störungen  der  puerperalen 
Involution  erfolgt  oft  eine  unvollkommene'  Verfettung  der  Musculatur,  das 
Gewebe,  welches  sich  im  Verlauf  der  Gravidität  gebildet  hat,  gelangt  nicht  zur 
Eückbildung.  Solche  Störung  der  Involution  sehen  wir  besonders  bei  vorzei- 
tiger Beendigung  der  Schwangerschaft,  schlechter  Abwartung  des  Wochenbettes, 
und  durch  vorzeitige  sexuelle  Reize  auftreten.  Im  erstgenannten  Falle  geschieht 
dies  nicht  allein  deshalb,  weil  die  Frauen  in  der  Meinung,  dass  die  früh  abge- 
brochene Schwangerschaft  nicht  die  gleiche  Pflege  wie  die  normale  bean- 
spruche, sich  zu  wenig  pflegen,  sondern  auch  besonders  aus  dem  Grunde, 
weil  die  vorzeitige  Unterbrechung  der  Gravidität  häufig  mit  unvollkommener 
Entleerung  der  Uterushöhle  und  dauernd  gestörter  Schleimhautfunction  ein- 
hergeht. Sehr  oft  entwickelt  sich  die  chronische  Metritis  im  Verlauf  eines 
Wochenbettes,  das  durch  Erkrankungen  complicirt  ist. 

Ausserhalb  des  Wochenbettes  ist  die  Endometritis  die  häufigste  Ursache 
der  chronischen  Metritis.  Im  übrigen  gilt  rücksichtlich  der  aetiologischen 
Momente  der  chronischen  Gebärmutterentzündung  dasselbe,  was  bei  der  acuten 
Metritis  bemerkt  worden. 

Pathologisch-anatomisch  ist  die  in  Rede  stehende  Erkrankung  durch  be- 
deutende Hyperplasie  des  Bindegewebes  zwischen  dessen  Fasern  die  Uterus- 
muskelfasern  theilweise  verfettet,  theilweise  in  unregelmässigen  Bündeln 
abgeschnürt  werden,  charakterisirt.  Fast  ganz  regelmässig  ist  das  Bild  der 
chronischen  Metritis  mit  dem  der  chronischen  Endometritis  und  nicht  selten 
mit  jenem  der  chronischen  Perimetritis  verbunden.  Der  Process  kann  in  sehr 


.METRITIS.  531 

verschiedener  Weise  lange  Zeit  fortdauern,  während  gelegentliche  acute  Nach- 
schübe die  Spuren  der  Entzündung  bald  stärker,  bald  schwächer  hervortreten 
lassen. 

Ist  die  chronische  Metritis  das  Ergebnis  mangelhafter  puerperaler  Invo- 
lution, dann  erholen  sich  die  Frauen  sehr  schwer  von  ihrem  Wochenbette. 
Bei  jeder  Anstrengung  stellen  sich  Schmerzen  im  Kreuz  und  in  der  Schoss- 
gegend ein,  die  Secretion  hält  an  und  nimmt  zu,  die  Patientinnen  klagen  über 
häufigen  Harndrang,  die  Menses  sind  abundant,  treten  in  kurzen  Zwischenräu- 
men auf,  und  in  der  Zwischenzeit  ist  der  Ausfluss  oft  blutig  verfärbt. 

Der  Befund  bei  gynäkologischer  Untersuchung  zeigt  meistens  eine  bedeu- 
tende Volumszunahme  des  Uterus,  speciell  im  Dickendurchmesser,  dabei  kann 
der  Uterus  selbst  fast  ganz  unempfindlich  sein,  während  er  wieder  in  an- 
deren FäUen  besonders  bei  Einführung  der  Sonde  empfindlich  ist;  immer 
aber  ist  während  der  acuten  Zwischenfälle  gesteigerte  Empfindlichkeit  vor- 
handen. Während  dieser  acuten  Zwischenfälle  schwillt  der  Uterus  an  und 
zeigt  eine  veränderte  Härte.  Erst  nach  Ablauf  des  Processes  zeigt  er  eine 
gleichmässige  Härte,  die  Volumszunahme  hört  auf,  der  Uterus  verkleinert 
sich,  die  Empfindlichkeit  kann  ganz  schwinden. 

Unter  den  weiteren  Erscheinungen  der  chronischen  Metritis  treten  beson- 
ders die  Störungen  der  Menstruation  und  Conception  hervor.  Bei 
der  puerperalen  Form  sind  die  Menses  meist  stärker  protahirt  und  abundant, 
bei  der  nicht  puerperalen  Form  verläuft  die  Periode  verschiedenartig;  lange 
Zeit  ist  sie  regelmässig,  dann  entwickelt  sie  sich  unter  heftigen,  krampfartigen 
Schmerzen,  die  bald  mit  dem  Eintreten  der  Blutung  aufhören,  bald  während 
derselben  andauern,  die  Menses  werden  immer  reichlicher,  so  dass  grosse 
Mengen  Blutes  auch  in  geronnenen  Stücken  entleert  werden;  in  anderen. 
Fällen  sind  die  Menses  spärlich  und  treten  in  immer  grösseren  Zwischen- 
räumen auf.  Bei  allen  Formen  der  chronischen  Metritis  werden  nach  Ablauf 
des  Leidens  die  Menses  immer  geringer,  und  lange  vor  der  physiologischen 
Zeit  tritt  Amenorrhoe  ein. 

Der  Einfluss  der  Krankheit  auf  die  Schleimhaut  ist  nicht  gleichmässig 
und  hängt  von  den  Erkrankungen  dieser  selbst  und  der  Adnexe  ab.  Die 
Schwangerschaft  wird  von  der  chronischen  Metritis  ungünstig  beeinflusst  und 
die  daran  erkrankten  Frauen  abortiren  häufig. 

Am  leichtesten  wird  die  Erkrankung  mit  einer  Schwangerschaft  ver- 
w^echselt.  Bei  dieser  aber  nimmt  der  Dickendurchmesser  des  Uterus  stärker 
und  gleichmässiger  zu,  Colostrum  kann  aus  den  Brüsten  entleert  werden,  der 
Vorhof  und  Scheideneingang  sind  bläulich  verfärbt,  was  Alles  bei  der  Metritis 
chronica  nicht  der  Fall  ist.  Von  Fibromen  unterscheidet  sie  sich  dadurch, 
dass  bei  diesen  gewöhnlich  nur  eine  Uterinalwand  stärker  verdickt  ist,  während 
die  andere  dünn  bleibt,  dabei  aber  die  meisten  Symptome  der  Metritis  bestehen 
können. 

Die  chronische  Metritis  ist  sehr  qualvoll  und  langwierig,  aber  selten 
lebensgefährlich,  führt  jedoch  zu  andauernden  Schmerzen  in  der  Lendengegend, 
Lähmung  der  unteren  Extremitäten,  hysterischen  Anfällen,  häufig  zur  Sterilität. 

In  den  frischen  Fällen  ist  vor  Allem  Kühe  des  Körpers  im  Allgemeinen  zu 
empfehlen ;  besonders  wenn  Entzündungen  sich  entwickeln,  ist  mehrtägige 
Bettruhe  mit  kalten  Umschlägen,  eventuell  eine  Eisblase  auf  das  Abdomen  sehr 
wirksam.  Nach  Ablauf  der  acuten  Zwischenfälle  sind  bei  nicht  complicirten 
Formen  locale  Blutentziehungen  sehr  nützlich,  wobei  man  vom  Cervicalcanal 
ausgehend  die  Schleimhaut  ritzt  und  eine  grössere  oder  kleinere  Anzahl  ober- 
flächlicher Wunden  in  verschiedener  Tiefe  anlegt.  Diese  Scarificationen  führen 
bedeutende  Erleichterung  herbei  und  sind  der  Application  von  Blutegeln  an 
die  Portio  vorzuziehen,  weil  man  bei  ihnen  die  Blutung  mehr  in  der  Gewalt 
behält;   sie  sind   je  nach  der  Erkrankung  und  Blutfülle  der  Frauen  anfangs 


532  MYOTOMIE. 

in  kürzeren  Zwischenräumen  zu  wiederholen.  Ist  die  Blutung  darnach  abun- 
dant,  dann  müssen  die  Frauen  1 — 2  Stunden  ruhig  im  Bette  liegen;  ist  aber, 
besonders  im  Stadium  der  narbigen  Involution  die  Blutung  gering,  dann 
sollen  die  Frauen  unmittelbar  nach  der  Scarification  umhergehen.  Auch  die 
Sitzbäder  bringen  grosse  Erleichterung.  Man  nimmt  sie  entweder  mit 
einfachem  Wasser  oder  mit  Zusatz  von  Franzensbader  Moorsalz  oder  Halleiner 
Mutterlaugensälz  in  einer  Temperatur  von  28 — 30"  C.  und  einer  Dauer  von 
10  Minuten,  doch  sollen  hiebei  die  Frauen  jede  Erkältung  vermeiden.  Der 
interne  Gebrauch  von  Narcoticis  ist  nicht  immer  nothwendig,  um  die  Schmerzen 
zu  lindern,  es  genügen  oft  PEiESSNiTz'sche  Umschläge  oder  das  Einreiben 
narcotischer,  hautreizender  Salben.  Hat  die  Frau  Gelegenheit,  sich  zu  pflegen, 
und  vermeidet  sie  sexuelle  Keize,  dann  wird  besonders  in  frischen,  aus  dem 
Wochenbett  stammenden  Fällen  die  Involution  des  Uterus  erreicht. 

Bei  nicht  puerperalen  Formen  sind  ausser  dieser  allgemeinen  und  localen 
Behandlung  auch  die  Beschaffenheit  der  Umgebung,  Schleimhautkatarrhe,  even- 
tuell auch  Circulationsstörungen  durch  Flexionen  und  Versionen  des  Uterus 
und  andere  Störungen  zu  berücksichtigen.  Auch  in  diesen  Fällen  führen 
Scarificationen,  heisse  Vaginalausspülungen  und  PEiESSNiTz-Umschläge  oft  zur 
Heilung.  Es  empfiehlt  sich  ferner  der  Gebrauch  von  Jod  in  der  Weise,  dass 
man  entweder  mit  verdünnter  Jodtinctur  oder  mit  Tind.  Jodi  und  Glycerin  m 
die  Portio  vaginalis  bestreicht;  auch  die  intrauterine  Jodbehandlung  ist 
besonders  empfehlenswerth.  *)  Desgleichen  kann  die  Massage  empfohlen  werden, 
doch  nur  dann,  wenn  perimetrische  Exsudate  oder  frische  Nachschübe  im 
Endometrium  den  Fall  nicht  compliciren,  aber  der  günstige  Erfolg  lässt  dabei 
oft  lange  auf  sich  warten.  Mehr  nützen  Trink-  und  Badecuren  als  Unter- 
stützung der  übrigen  Therapie. 

Führen  zwar  die  angegebenen  therapeutischen  Maassnahmen  nicht  selten 
zum  Ziele,  so  finden  wir  anderseits,  dass  speciell  in  den  Fällen,  wo  die  äusseren 
Bedingungen  einer  rationellen  Behandlung  nicht  gegeben  sind,  die  Schädlich- 
keiten fortwährend  einwirken,  die  Behandlung  erst  spät  eingeleitet  wird,  oft 
jede  conservative  Therapie  fehlschlägt;  die  Excision  von  Stücken  des 
Collum  oder  die  Amputatio  colli*)  bleiben  das  einzige  und  beste  Mittel 
zur  Heilung  des  Leidens.  Durch  die  Untersuchungen  von  Kokitansky  und 
Cael  V.  Braun,  sowie  durch  zahlreiche  klinische  Beobachtungen  wurde  fest- 
gestellt, dass  nach  einem  solchen  Eingriff  an  der  Portio  eine  Umbildung  des 
ganzen  Uterus  wie  nach  dem  Wochenbette  erfolgt.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle 
wird  eine  der  normalen  sehr  nahe  kommende  Configuration  der  Muttermunds- 
lippe erreicht,  der  Uterus  bildet  sich  zurück,  die  Metritis  chronica  heilt  nicht 
nur,  sondern  es  wird  oft  genug  auch  eine  bestandene  Sterilität  günstig  beein- 
flusst.  Viele  Fälle  sind  bekannt,  wo  nach  der  Amputatio  colli  aus  dieser  'In- 
dication  die  Frauen  concipirten  und  eine  normale  Schwangerschaft  durch- 
machten. T.  BEAUN-FEENWALD. 

MyotomiB.  Unter  Myotomie  (eigentlich  Myomotomie)  versteht  man  die 
Ausschneidung  eines  Myoms,  da  es  sich  aber  gemeiniglich  um  Uterusmyome 
handelt,  so  versteht  man  darunter  Uterusmyome,  obwohl  einige  der  Genauig- 
keit halber  den  Namen  Hysteromyotomie  gebrauchen. 

Da  nun  Uterusmyome  sowohl  auf  abdominalem  Wege  (durch  Laparotomie) 
als  auf  vaginalem  entfernt  werden  können,  und  die  ersten  Operationen  bereits 
einer  Besprechung  unterzogen  wurden  (vide  ,,Laparohysterofomie  -  Laparo- 
myotomie,  pag.  490)",  so  haben  wir  uns  jetzt  nur  mit  den  Operationsverfahren  zu 
befassen,  welche  zur  Entfernung  der  Uterusmyome  auf  vaginalem  Wege  dienen. 


*)  Vergl.  „Intrauterine  TJierapie"  pag.  461. 

*)  Vergl.  Artikel  ^Cervixcatarrh"  und  „Portio- Operationen"  in  ds.  Bd. 


MYOTOMIE.  533 

Bis  zum  zweiten  Viertel  dieses  Jahrhundertes  wagten  sich  die  Chirurgen 
und  Gynäkologen  nur  auf  Entfernung  von  solchen  Uterusmyornen,  welche  auf 
einem  Stiele  sassen  und  deren  Ausgaiigsstelle  gut  zugängig  war.  Erst  als 
durch  immer  öfter  ausgeführte  Bauchoperationen  und  insbesondere  durch  Ova- 
riotomieen  die  Kenntnis  der  pathologischen  Anatomie  der  weiblichen  Ge- 
schlechtstheile  bedeutend  erweitert  wurde,  kam  man  auf  den  Gedanken,  auch 
die  nicht  gestielten,  also  interstitiellen,  aber  gegen  die  Uterusschleimhaut 
wuchernden  Myome  zu  exstirpiren. 

Velpeau  war  der  erste,  welcher  diesen  Gedanken  aufwarf  und  Amussat 
der  erste,  der  ihn  ausführte,  dann  wurde  sie  Gemeingut  der  Chirurgen 
und  Gynäkologen  aller  Nationen.  Somit  ist  die  Myotomie  sowohl  die  abdo- 
minale als  auch  die  vaginale  eine  Operation  französischer  Herkunft,  aber  während 
die  erste  ganz  besonders  in  Deutschland  cultivirt  und  bis  zu  ihrer  jetzigen 
technischen  Vollkommenheit  ausgebildet  wurde,  genoss  die  letztere  bei  den 
Franzosen  immer  eine  Bevorzugung  und  die  unternehmungslustige  Plejade  der 
modernen  französischen  Gynäkologen  und  Chirurgen,  wie  Peän,  Pozzi,  Segond, 
Doyen  brachte  dieselbe  zu  solcher  Höhe  einer  vollkommenen  technischen 
Ausbildung,  dass  sie  mit  der  Laparomyotomie  um  den  Vorrang  nicht  nur  zu 
streiten   wagt,    sondern   sogar   die  Siegespalme   für  sich  zu  erobern  scheint. 

Zu  den  vaginalen  Myomotomieen  werden  gegenwärtig  folgende  Methoden 
gerechnet. 

1.  Die  Ablation  eines  gestielten  in  das  Cavum  uteri  hinein  oder  aus 
ihm  herausragenden  Fibromyoms  (oder  sogenannten  fibrösen  Polyps).  Diese 
einfachste  von  allen  Myotomieen  wird  auf  die  Art  ausgeführt,  dass  das  Myom 
mit  einer  starken  MusEux'schen  oder  anderen  Hakenzange  (Fig.  43 — 47,  pag. 
408  und  410)  gefasst  und  durch  die  vermittelst  Ecarteurs  offen  gehaltene 
Scheide  nach  unten  gezogen  wird,  wodurch  der  Stiel  gut  zu  Gesicht  kommt 
und  nun  mit  einer  langen  SiEBOLD'schen  oder  CooPER'schen  Scheere  (Fig. 
74,  pag.  420)  abgeschnitten  wird.  Früher  wurde  dazu  Glühhitze,  galvano- 
kaustische Schlinge  oder  Ecraseur  gebraucht,  doch  ist  man  von  diesen  Mitteln 
abgekommen,  nachdem  sich  gezeigt  hat,  dass  die  so  sehr  gefürchtete  Blutung 
nur  in  Ausnahmsfällen  zutrifft  und  wenn  sie  eintreffen  soll,  ihr  durch  diese 
Mittel  gar  nicht  vorgebeugt  werden  kann. 

Vor  und  nach  der  Operation  soll  genau  der  Genitaltractus  mit  desinfi- 
cirenden  Flüssigkeiten  gereinigt  werden.  Nach  der  Operation  genügt  ein 
die  Scheide  gut  ausfüllender  Tampon  aus  Jodoformgaze  und  einige  Tage  Bettruhe. 

2.  Die  Enucleation  der  breitsitzenden  submucösen  Myome. 

Wie  schon  oben  erwähnt  wurde,  stammt  die  Operation  von  den  beiden 
französischen  Chirurgen  Velpeau  und  Amussat  und  wird  dieselbe  seit  der 
Zeit  (in  den  vierziger  Jahren)  immer  öfter  ausgeführt.  Im  Jahre  1878  stellt 
GussEKOw  eine  Statistik  von  154  Enucleationen  mit  51  Todesfällen,  also  einer 
Mortalität  von  33-1 7o,  wobei  als  häufigste  Todesursache  Pyämie  und  Septicämie 
notirt  \vorden  war,  was  übrigens  nicht  zu  verwundern  ist,  da  doch  die  meisten 
dieser  Fälle  in  die  vorantiseptische  Zeit  fallen. 

Eine  Statistik  der  Fälle  aus  dem  antiseptischen  Zeiträume  ist  bis 
nun  noch  nicht  zusammengestellt  worden,  doch  entnehme  ich  aus  einzelnen 
Berichten  von  Kliniken  und  Spitalsabtheilungen,  dass  das  Mortalitätsprocent 
ein  bedeutend  geringeres  ausfallen  würde. 

Diese  Operation  wird  folgendermassen  ausgeführt: 

Erster  Act:  Ptücken-Kreuzlage.  Narcose,  Entblössung  der  Portio 
vaginalis  mit  einem  löffeiförmigen  Speculum  und  2  Ecarteuren.  Praeventive 
Unterbindung  der  unteren  Aeste  der  Arteria  uterina  zu  beiden  Seiten  und 
darauf  Incision  des  Muttermundes  nach  beiden  Seiten  bis  zur  Insertion  der 
Scheide.  Manche  rathen  den  Cervix  zuvor  zu  präpariren  durch  Einlegen 
von  Laminariastiften  oder  strahlenförmige  kleine  Incisionen.   Jedenfalls  muss 


534  MYOTOMIE. 

der  Muttermund  so  weit  geöffnet  werden,  dass  zwei  Finger  des  Operateurs 
ganz  bequem  eingeführt  werden  können. 

Zweiter  Act:  Die  Muttermundslippen  werden  durch  2  Fixationszangen 
auseinandergezogen  und  sobald  der  Tumor  gut  zu  Tage  tritt,  wird  derselbe 
mit  einer  MusEux'schen  Zange  gut  nach  unten  gezogen,  dessen  Kapsel  ange- 
schnitten und  die  Wände  der  Kapsel  mit  Finger,  Scheere  und  Elevator  stumpf 
nach  allen  Seiten  etwas  abgelöst. 

Dritter  Act:  Fasst  man  den  theilweise  enucleirten  Tumor  mit  2  star- 
ken MusEUx'schen  Zangen  und  zieht  ihn  nach  unten,  wobei  er  nicht  selten 
mit  Hilfe  dieser  Tractionen  sich  entbinden  lässt;  manchmal  muss  man  noch 
mit  Scheere  und  Elevator  nachhelfen.  Nur  in  den  Fällen,  wo  der  Tumor  über 
faustgross  ist,  muss  er  verkleinert  werden.  Dazu  werden  verschiedene  Kunst- 
griffe verwendet,  so  z.  B.  räth  Chrobak  melonenschnittartige  Stücke  ,mit 
dem  Messer  herauszunehmen,  andere  thun  es  mit  besonders  dazu  angegebenen 
Instrumenten,  wieder  andere  ganz  einfach  mit  Hakenzange  und  Scheere. 
Letztere  Kunst  hat  Pean  in  Paris  zur  Virtuosität  entwickelt  und  sein  Ver- 
fahren Morcellement  benannt.  Da  dasselbe  ein  ganz  besonderes  Vorgehen 
erfordert,  will  ich  es  hier  ganz  präcis  wiedergeben  als 

3.  vaginale  Myotomie  nach  Pean.  Im  ersten  Acte  wird  die 
durch  Ecarteurs  biosgelegte  Portio  vaginalis  mit  einer  Hakenzange  nach 
unten  gezogen  und  mit  einem  Messer  ihre  Schleimhaut  an  der  Grenze  des 
Scheidenansatzes  rings  herum  angeschnitten,  wodurch  sie  selbst  sehr  beweg- 
lich wird.    Natürlich  eventuelle  Unterbindung  der  blutenden  Gefässe. 

Im  zweiten  Acte  wird  die  Vaginalportion  zu  beiden  Seiten  ange- 
schnitten, indem  man  mit  der  stumpfen  Branche  einer  geraden  Scheere  in  den 
Cervixcanal  eingeht.  Der  Schnitt  ist  nicht]  lang,  doch  reicht  er  so  weit, 
dass  man  bequem  mit  2  Fingern  in  die  Uterushöhle  eingehen  und  den 
Tumor  untersuchen,  ja  sogar  sein  unteres  Segment  zu  Gesichte  bekommen 
kann. 

Im  dritten  Acte  werden  beide  Muttermundslippen  durch  Kugelzangen 
auseinandergezogen  und  der  mit  einer  starken  MusEux'schen  Zange  gefasste 
Tumor  etwas  nach  unten  herabbefördert.  Nun  wird  mit  einem  Bistouri  die 
Geschwulst  in  der  Mitte  angeschnitten  und  jeder  auf  diese  Weise  entstandene 
Lappen  für  sich  mit  speciell  dazu  angegebenen,  der  Cystenzange  nach 
Nelaton  nicht  unähnlichen,  Hakenzangen  gefasst.  Jetzt  werden  rechts  und 
links  mit  langen  Scheeren  oder  langen  Bistouris  Partieen  der  Geschwulst- 
masse herausgeschnitten,  wobei  man  sich  mit  dem  Auge  und  mit  dem  immer 
tastenden  Finger  über  die  Lage  desselben  gut  orientiren  muss.  Die  Blutung 
ist  meistentheils  minimal,  so  dass  man  ganz  gemächlich  grössere  Stücke  auf 
einmal  abschneiden  kann  (die  Grösse  variirt  zwischen  der  einer  wälschen 
Nuss  und  eines  Hühnereies).  Nach  Beseitigung  der  unteren  Partieen  gelingt 
es  manchmal  die  oberen  ganz  einfach  auszuschälen;  wenn  nicht,  so  verfährt 
man  auf  die  beschriebene  Weise  weiter  vorwärts  bis  man  den  ganzen  Tumor 
auf  diese  Weise  herausbefördert  hat.  Sollte  das  nach  ihm  verbliebene  Bett 
bluten,  dann  incidirt  Pean  das  untere  Uterussegment  noch  weiter  nach  oben 
beiderseits,  um  den  Uterus  nach  unten  ziehen  zu  können. 

Der  vierte  Act  ist  bestimmt  für  die  Toilette  des  Uterus  und  die  Naht 
des  Cervix.  Die  erstere  wird  so  bewerkstelligt,  dass  man  mit  kleinen  Schwämm- 
chen  oder  Wattebäuschchen,  die  auf  langen  Tamponträgern  befestigt  sind,  sehr 
genau  das  Innere  der  Wundhöhle,  welche  mit  sehr  heissem  Wasser  irrigirt 
wurde,  abtupft,  dann  die  Stellen,  die  zu  bluten  nicht  aufhören,  mit  Pinces 
hemostatiques  fasst.  Jetzt  wird  noch  einmal  irrigirt  und  abgetupft  und  zu- 
letzt Jodoformgaze  zwischen  die  einzelnen  Pinces  hineingelegt.  Die  Pinces 
bleiben  36  —  48  Stunden.  Ist  die  Blutung  gering  und  braucht  man  keine 
Pinces  zu  hinterlassen,  dann  wird  die  Incisionswunde  des  Cervix  genäht.    In 


MYOTOMIE.  535 

den  ersten  Tagen   nach  der  Operation  reicht  Pean  kleine  Dosen  von  Seeale 
cornutum. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  sicli  dieses  Verfahren  nur  bei  jenen  Myo- 
men anwenden  lässt,  welche  eine  besondere  Kapsel  besitzen,  und,  wie  bekannt, 
ist  dies  in  den  meisten  der  Fall;  sollte  es  aber  ausnahmsweise  anders  sein 
und  dadurch  eine  Gefahr  für  die  Patientin  erwachsen,  dann  muss  man  immer 
darauf  gefasst  sein,  die  Totalexstirpation  des  myomatösen  Uterus  per  vaginam 
oder  eventuell  per  laparotomiam  ausführen  zu  müssen. 

Pean  hat  Tumoren  bis  zur  Grösse  eines  Kindskopfes  auf  diese  Weise 
operirt,  sagt  aber,  dass  sie  nur  bei  Tumoren,  welche  über  die  Nabelhöhe  nicht 
hinaufreichen,  angewendet  werden  dürfe. 

Kleine  Peritoneumverletzungen,  die  dabei  passiren  können,  sollen  den 
Operateur  nicht  aus  dem  Gleichgewichte  bringen,  wenn  nur  die  Genitalwege 
gut  desinficirt  waren,  und  wenn  in  der  Geschwulst  selbst  keine  Infectionsquelle 
vorliegt;  wenn  sie  glatt  und  recht  zugänglich  sind,  werden  sie  genäht,  wenn 
aber  gequetscht  oder  unzugänglich,  dann  reicht  die  Jodoformgazetamponade  aus. 

Ganz  besonders  eignet  sich  für  diejenigen  Myome,  welche  ihren  Sitz  in 
der  hinteren  Muttermundslippe  aufgeschlagen  haben  (hier  brauchen  wir  gar 
nicht  den  Cervix  aufzusuchen  und  zu  dilatiren)  eine  einfache  Incision  der 
durch  die  Geschwulst  aufgetriebenen  und  in  die  Scheide  nach  unten  herab- 
gedrängten Muttermundslippe.  Der  Schnitt  führt  uns  direct  auf  die  Myom- 
kapsel, nach  deren  Spaltung  die  Enucleation  eventuell  die  Zerstückelung  vor- 
genommen werden  kann.  Ist  der  Zutritt  schwer,  so  räth  Pean  das  Perineum 
und  die  Recto  vaginal  wand  bis  an  die  Geschwulst  zu  zerschneiden  nach  vor- 
heriger Anämisirung  dieser  Scheidewand  durch  Forcipressur  vermittelst  zweier 
langer  elastischer  Klemmzangen,  deren  eine  Branche  ins  Rectum,  die  andere 
in    die  Scheide  eingeführt  wird. 

Die  vaginale  Enucleation  und  Zerstückelung  gewinnt  immer  mehr  Gönner 
in  Mitteleuropa  und  es  liegen  schon  recht  viele  Berichte  von  deutschen  Chi- 
rurgen und  Gynäkologen,  welche  sie  nicht  nur  ausgeführt  haben,  sondern  ihre 
Vorzüge  ganz  besonders  hervorheben.  Ich  brauche  nur  auf  die  Berichte  von 
Chrobak,  Löhlein,   Mikulicz,   Rüge,   Schauta,  Veit  u.  s.  w.  zu  erinnern, 

4.  Die  extrauterine  vaginale  Myotomie  nach  Czerny.  Wenn 
bei  der  vaginalen  Myomenucleation  und  dem  PEAN'schen  Morcellement  das 
Myom  von  der  Schleimhautfläche  des  Uterus  angegriffen  wird,  nahm  Czerny 
gegen  nicht  allzugrosse  an  den  Aussenwänden  des  Uterus  in  der  Nähe  des 
Cervix  sitzende  Tumoren  Stellung  von  der  Aussenseite,  indem  er  das  vordere 
oder  hintere  Scheidengewölbe,  je  nach  dem  Sitze  des  Tumors,  anschneidet 
und  im  Bindegewebsraume  zwischen  Cervix  und  Peritoneum  bis  an  die  Ge- 
schwulst vordringt  und  sie  auf  diese  Weise  attaquirt.  Unbeabsichtigte  Peri- 
tonealwunden  werden  genäht. 

5.  Dührssen's  sogenannte  vaginale  Laparotomie  hat  den  Zweck 
durch  Eröffnung  des  vorderen  Scheidengewölbes  und  der  Plica  vesico-uterina 
Zugang  zu  den  Beckenorganen  zu  gewinnen.  Das  retrovesicale  Bindegewebe 
wird  bis  zur  Höhe  des  inneren  Muttermundes  zurückgeschoben,  dann  die 
höchste  sichtbare  Partie  der  vorderen  Uteruswand  mit  einer  queren  Seiden- 
sutur  gefasst  und  herabgezogen.  Nun  wird  oberhalb  dieser  Sutur  das  Peri- 
toneum geöffnet  und  durch  diese  Oeffnung  der  ganze  Uterus  sammt  Tuben 
und  Ovarien  vor  die  Vulva  herausgezogen.  Ganz  besonders  ist  diese  Operation 
indicirt  zur  Exstirpation  kleiner  subseröser  Myome.  In  einem  Falle  hat 
DtJERSSEN  10  solche  Myome  exstirpirt. 

6.  Myomohysterectomia  vaginalis.  Wenn  man  sich  einmal  ent- 
schlossen hat  einen  myomatösen  Uterus  zu  opfern  und  w^enn  er  nicht  zu 
gross  ist,  d.  i.  nicht  über  den  Nabel  reicht,  dann  ist  es  am  besten  dies 
nach  der   von   Doyen  angegebenen  Methode   zu   thun,  welche  wegen  ihi'er 


536 


MYOTOMIE. 


Eleganz,  Leichtigkeit  und  kurzer  Zeitdauer  in  der  Ausführung  liiemit  auch 
für  anderweitige  Indicatiouen  und  ganz  besonders  zur  Beseitigung  des  carcino- 
matösen  Uterus  anempfohlen  werden  soll. 

Ich  schreite  jetzt  zur  Beschreibung  des  Operationsverfahrens  selbst,  welches 
ich  dem  ausgezeichneten  Buche  des  Verfassers  „La  castration  totale  par 
le  vagin"  sammt  den  hier  des  besseren  Verständnisses  halber  beigegebenen 
Holzschnitten  entnehme. 

Die  Patientin  liegt  in  Steinschnittlage,  Operateur  und  sein  Assistent 
sitzen  vor  ihr.  Die  Vaginalportion  wird  fixirt  durch  zwei  an  den  Seiten  ange- 
l)rachte  Hakenzangen,  welche  bis  zur  Beendigung  der  Operation  verbleiben. 
Nachdem  nun  der  Uterus  so  viel  als  möglich  heruntergezogen  worden  ist, 
umschneidet  man  ringsherum  die  Schleimhaut  am  Mutterhals,  wobei  allsogleich 

die  hintere  Peritonealfalte  er- 
öffnet wird.  Der  in  diese  Oeft- 
nung  eingeführte  rechte  Zeige- 
finger beseitigt  Adhäsionen, 
wenn  solche  vorhanden  sind,  un- 
tersucht die  hintere  Fläche  des 
Uterus  und  das  kleine  Becken, 
um  noch  einmal  auf  dieser  Un- 
tersuchung basirend  zu  ent- 
scheiden, ob  der  Uterus  ge- 
opfert werden  müsse.  (1.  Act.) 
Nun  wird  mit  demselben  Fin- 
ger die  Harnblase  mit  beiden 
Ureteren  isolirt,  um  dieselben 
vor  Verletzung  bei  den  weite- 
ren Manipulationen  zu  schützen. 
(2.  Act.) 

Jetzt  wird  ein  kurzer  Ecar- 
teur  eingeführt  und  vom  Assi- 
stenten oberhalb  des  Schamhü- 
gels gehalten  und  nachdem  der 
Uterus  stark  nach  unten  her- 
untergezogen wurde,  schneidet 
man  dessen  vordere  Wand  mit 
einer  Scheere  entzwei  von  unten 
nach  oben.  Mit  zwei  Schee- 
renschnitten  ist  die  vordere 
Peritonealfalte  eröffnet  und  die 
kleine  Oeffnung  wird  stumpf 
erweitert,  indem  man  die  in  die- 
selbe eingeführten  Scheeren 
während  des  Zurückziehens 
öffnet.  Den  vorderen  Rand  der 
so  geöffneten  Peritonealfalte 
schiebt  man  unter  den  Ecarteur. 
(S.Act,  welcher  in  Fig.  1  dar- 
gestellt ist.) 

Mit  zwei  Hakenzangen 
werden  die  beiden  Ränder  nach 
unten  gezogen  und  dabei  eine 
neue  Partie  des  Uterus  ent- 
wickelt, der  wieder  um  ein 
Stück   höher   entzwei   getheilt 


Fi"'.  I.  CU  =  Collum  uteri.  —  SV  =  die  umschnittene  Sclileim- 

haut.  —  CP  ;=  vordere  Peritonealfalte  geöffnet.  — 

^B  =  Längsschnitt  der  vorderen  Muttermundslipir». 


=  das  erste  Paar  der  Hakenzangen.   — 
=:  das  nächste  Paar  derselben. 


MYOTOMIE. 


537 


Fig.  3.  U  =  Uterus.  —  O  =  Ovarum  sinistrum.   —  Tr  =  Tuba 

sinistra.  —  Pc  =  erstes  Paar  der  Hakenzangen.  —  Ps  ^  letztes 

Paar  der  Hakenzangen.    —   LL  =  Lig.  latum  sinistrum  mit  der 

grossen  Pince. 


Fig.  4.  Pc  —  P,  —  ^3  —  Stellen,  wo 
die  Hakenzangen  applicirt  wurden. 


wird;  zwei  neue  Hakenzangen 
greifen  die  Ränder  wieder  um  2 
cm  höher,  während  das  darunter 
gelegene  Paar  abgenommen  wird, 
um  wieder  höher  angebracht  zu 
werden  u.  s.  w.  bis  man  zum  Fun- 
dus uteri  gelangt.  Fig.  2  zeigt 
das  weiter  vorgeschrittene  Stadium 
des  dritten  Actes,  während  Fig.  4 
die  vordere  Fläche  des  schon  her- 
ausgenommenen Uterus  darstellt. 
Ist  der  Uterus  myomatös  und 
ziemlich  gross,  dann  wird  aus  des- 
sen vorderer  Fläche  ein  Stück  in 
der  Gestalt  V  herausgeschnitten, 
wie  dies  auf  der  Fig.  5  sehr  gut 
angedeutet  ist.  Merkwürdig  da- 
bei ist  das,  dass  diese  Schnitte 
gar  nicht  bluten,  da  der  durch  die 
Hakenzangen  nach  unten  gezogene 
Uterus  durch  den  Zug  vollständig 
anämisirt  wird. 

Im     4.    Act      kippt     man 
den  Fundus    uteri  gänzlich  nach 
vorne  um,  was  mit  Hilfe  des  obersten  Paares  der  an  den  Rändern  des  Längs- 
schnittes angebrachten  Hakenzangen  mit  Leichtigkeit  zu  Stande  gebracht  wird. 

Nun  kommt  der  letzte,  5.  Act,  in  welchem  beiderseitig,  doch  zuerst 
auf  der  linken  Seite,  eine  grosse  elastische  Pince  nach  Doyen  durch  die  ganze 
Breite  des  Ligamentum  latum,  u.  zw.  jenseits  der  Tuba  und  des  Ovariums  von  oben 
nach  unten  angelegt  wird:  Fig.  3.  Wenn  die  Adnexen  sich  nicht  leicht  mit- 
nehmen lassen,  so  zwingt  man  sie  dazu  durch  Herunterziehen  mit  einer  Ring- 
zange, oder  man   nimmt   sie   besonders   in   eine   kleine   DoYEx'sche   Pince. 


Kg.  5.  P,  —  Pg  Stücke  des  Tumors,  die  nacheinander 
abgenommen  wurden. 


538  NABELSCHNUR  —  NABELSCIINURANOMALIEN 

Manchmal  wird  der  Sicherheit  halber  auch  von  unten  auf  das  Ligamentum 
latum  hinter  die  grosse  Pince  noch  eine  kleine  zugegeben.  Das  Ligamentum 
latum  wird  2—3  niiu  vor  den  Pinces  abgeschnitten  und  die  Operation  ist  voll- 
endet u.  zw.  in  verhältnissmässig  sehr  kurzer  Zeit,  je  nach  dem  Fall,  zwi- 
schen 15—20  Minuten. 

Die  Scheide  wird  mit  sterilisirter  Gaze  austamponirt  und  die  Pinces 
verbleiben  36—48  Stunden.  Doyen  selbst  soll  unter  28  auf  diese  Weise  ope- 
rirten  Fällen  nur  1  Todesfall  gehabt  haben  =  3-6%. 

Es  muss  noch  ganz  besonders  auf  die  Construction  der  DoYEN'schen 
Pinces  hino-ewiesen  werden,  welche  durch  Elasticität  ihrer  Branchen  und  durch 
auf  der  Innenseite  derselben  angebrachte  Längsfurchen  vor  den  gewöhnlich 
dazu  gebrauchten  RiCHELOT'schen  sich  auszeichnen. 

Ist  bei  grösseren  Tumoren  oder  bei  carcinomatöser  Infiltration  der  Para-  . 
metrien  ein  besserer  Zutritt  erwünscht,  dann  räth  Pean  das  Perineum  sammt 
der  Scheidewand  zwischen  der  Vagina  und  dem  Rectum  entzwei  zu  schneiden; 
mir  convenirt  aber  viel  besser  der  von  Schuchardt  angegebene  Schnitt, 
welcher  zwischen  dem  mittleren  und  hinteren  Drittel  der  dem  erkrankten 
Parametrium  entsprechenden  grossen  Schamlippe  beginnt  und  in  leichten 
Bogen  nach  hinten,  2  Finger  breit  von  der  Afteröflnung  entfernt  bleibend, 
zum  Kreuzbeine  zieht.  Die  Wunde  wird  im  Wesentlichen  nur  in  dem  Fett- 
gewebe des  Cavum  recto-ischiadicum  vertieft,  lässt  den  Trichter  des  M.  levator 
ani,  den  hinter  ihm  verborgenen  Mastdarm  und  die  Kreuzbeinbänder  ganz 
frei.  Nun  wird  nach  innen  zu  vom  Cavum  recto-ischiadicum  aus  die  Seiten- 
wand der  Scheide  biosgelegt  und  durch  einen  langen  Schnitt  der  Scheide 
seitlich  bis  hinauf  zum  Gebärmutterhalse  gespalten. 

Ich  habe  in  schweren  Fällen  den  Schnitt  etliche  lOmal  angewendet 
und  muss  sagen,  dass  er  mir  ausgezeichnete  Dienste  geleistet  hat  und 
glaube,  dass  derselbe  einen  Vorzug  hat  vor  dem  PEAN'schen  Dilatationsschnitte, 
nämlich  den,  dass  hier  das  Rectum  gar  nicht  eröffnet  wird. 

Was  die  Wahl  der  einzelnen  Operationsverfahren  anbelangt, 
so  muss  ich  auf  das  im  Artikel  Laparohysterotomie  —  Laparo- 
myotomie  Gesagte  verweisen,  doch  der  Wichtigkeit  halber  noch  einmal  mit 
Nachdruck  wiederliolen,  dass  wo  möglich  conservative  Methoden  dei;! 
verstümmelnden,  und  vaginale  den  abdominalen  vorzuziehen  sind. 

A.    OBALINSKI. 

Nabelschnur— Nabelschnuranomalien.  Die  Nabelschnur  (Nabel- 
strang) ist  ein  strangartiges  Gebilde,  welches,  vom  Nabel  des  Fötus  zur 
Placenta  verläuft;  sie  hat  im  Durchschnitt  eine  Länge  von  50 — 55  cm  und  ca. 
Kleinfingerdicke.  Es  kommen  aber  sowohl  was  Länge  wie  Dicke  betrifft, 
erhebliche  Schwankungen  vor. 

Die  Nabelschnur  ist  von  seltenen  Ausnahmen  abgesehen  spiralig 
gedreht  und  zwar  meist,  vom  Kind  aus  gerechnet,  von  rechts  nach  links. 
Man  hat  diese  Drehungen,  welche  zwischen  dem  2.  und  4.  Monate  zu 
Stande  kommen,  verschieden  erklärt.  Wahrscheinlich  sind  sie  einfach  die 
Folge  der  Drehung  des  Embryo  (Hyetl).  Auch  auf  die  in  der  Nabelschnur- 
vene einerseits,  den  Nabelschnurarterien  andererseits  vorhandene  Druckdiffe- 
renz hat  man  sie  zurückgeführt.  Infolge  der  in  ihr  durch  grösseren  Druck 
herrschenden,  stärkeren  Spannung  soll  sich  die  Vene  stärker  auszudehnen 
suchen  als  die  Arterien;  dies  wird  ihr  nur  durch  eine  spiralige  Drehung  der 
letzteren  ermöglicht.  Diese  erfolgt  meist  nach  links,  da  die  rechte  Arterie 
stärker  ist  als  die  linke  (Neugebauer).  Möglich  auch,  dass  die  häufige 
Linksdrehung  durch  den  Rückstoss  entsteht,  welchen  der  Embryo,  beziehungs- 
weise dessen  rechte  Beckenhälfte  von  dem  Strom  der  stärkeren,  rechtsseitigen 
Arterie  erfährt  (Simpson). 


NABELSCHNUR  —  NABELSCIINUUANOMALIEN.  539 

Von  den  eben  erwähnten  Nabelschnurgefässen  sind  die  beiden  Ar- 
teriae  umbilicales  —  dass  nur  eine  vorhanden,  ist  eine  Ausnahme  —  3—5  min 
dick.  Ihre  Muscularis  ist  stark  entwickelt,  während  ihnen  die  elastisclie  In- 
tima  fehlt.  Bis  zu  ihrem  Eintritt  in  die  Placenta  ge])en  sie  keine  Aestc  ab; 
in  der  Nähe  der  letzteren  aber  findet  sich  fast  regelmässig  eine  Anastomose 
zwischen  beiden.  In  der  Placenta  selbst  theilen  sie  sich  bis  sie  in  die  Zotten 
als  Capillaren  eintreten,  sich  rückläufig  wieder  zu  grösseren  venösen  Gefässen 
vereinigen,  welche  schliesslich  in  der  Nabelvene  enden.  Sie  führt,  nachdem 
sie  durch  den  Nabelring  in  das  Ligamentum  Suspensorium  hepatis  getreten 
ist,  das  in  der  Placenta  veränderte  Blut  wieder  dem  Kind  zu.  Ihr  Durch- 
messer beträgt  5 — 7  mm.  Die  Dicke  ihrer  Wand  ist  etwas  geringer  als  die 
der  Arterien.  Vasa  vasorum  fehlen  den  Nabel  gefässen.  An  der  Stelle  des 
Eintrittes  der  Schnur  in  den  Nabel  findet  sich  ein  von  der  Bauchhaut  kom- 
mender Capillarkranz,  welcher  an  dem  Amnion  aufhört.  In  seiner  oberen  Grenze 
stösst  sich  später  die  Nabelschnur  ab. 

Wie  die  Nabelschnur  selbst,  so  sind  auch  die  in  ihr  verlaufenden  Gelasse, 
spiralig  und  zwar  auch  meist  nach  links  gewunden.  Ausserdem  zeigt  nicht 
selten  die  einzelne  Arterie  eine  Eigendrehung.  Schlingenbildung  kommt 
besonders  bei  den  Arterien  vor. 

Halbmondförmige  Klappen  finden  sich  in  beiden  Gefässen,  besonders  in 
der  Vene.    Eine  functionelle  Bedeutung  kommt  ihnen  nicht  zu. 

Eingebettet  sind  die  Nabelschnurgefässe  in  die  sogenannte  WiiARTON'sche 
Sülze,  einem  gallertigen,  embryonalen  Gewebe.  Ausser  ihnen  finden  sich 
in  der  letzteren  noch  die  Beste  zweier  embryonaler  Gebilde  und  zwar  in  dem 
von  der  Arterie  und  der  Vene  gebildeten  Dreiecke  als  feiner  nur  mit  der  Lupe 
sichtbarer  Canal,  der  geschrumpfte  Allantoisgang,  der  Urachus  (s.  Figur); 
dagegen  sind  die  Ueberbleibsel  des  Dotter- 
ganges nur  schwer  nachweisbar.  Bekleidet 
ist  die  Nabelschnur  mit  dem  von  ihr  nicht 
trennbaren  Amnion.  Setzt  sich  dasselbe  trich- 
terförmig auf  die  nächste  Umgebung  des 
Nabels  fort,  so  spricht  man  von  einem 
Amnionnabel;  von  einem  Fleischnabel,  wenn 
umgekehrt  die  Bauchhaut  noch  eine  Strecke 
die  Nabelschnur  bekleidet. 

Zum    besseren    Verständnis     dieser    Ver-     Schematlsclier  Durchschnitt  der  Nabelschnur. 
1,k1a„:„„„    4„i     „„    „    ii  j-  •  -r>i  •    1  i?  T'm.    Vena  umbil.      U.    Urachus.     Aau,  Arterieae 

naltnisse  ist  es  nothwendig  einen  Blick   auf         umui.   vo.  vas  {duct.)  omphai. 
die    embryonale    Entwicklung   zu   werfen"). 

Nachdem  sich  im  Ei  die  Embryoanlage  gebildet  hat,  schnürt  sich  von  dem 
Dotter  die  Dotter- (Nabel-)  Blase  ab  und  zwar  derart,  dass  allmälig  die 
Verbindung  zwischen  ihr  und  dem  Embryo  nur  noch  durch  einen  hohlen 
Stiel  hergestellt  wird.  Der  in  dem  letzteren  befindliche  Gang  wird  Ductus 
ompkalo-entericus  genannt.  In  ihm  verlaufen  die  anfänglich  für  die  Ernäh- 
rung des  Embryo  wichtigen  Vasa  omphalo-mesenterica,  2  bis  3  an  der  Zahl. 
Schon  frühzeitig  beginnt  die  Nabelblase,  sowie  ihr  Stiel  zu  schrumpfen; 
gleichzeitig  veröden  die  Gefässe.  Schliesslich  bleibt  von  dem  Dottergang 
nur  noch  ein  dünner  Strang  über,  dessen  Reste,  aus  kernlosen,  in  der 
Rückbildung  befindlichen  Zellen  bestehend,  in  der  Nabelschnur  des  ausgetra- 
genen Kindes,  wie  schon  erwähnt,  schwer  nachzuweisen  sind.  Das  Nabel- 
bläschen findet  sich  dagegen,  wie  B.  S.  Schültze  zuerst  festgestellt  hat, 
fast  regelmässig  als  ein  linsengrosses,  gelbliches  Gebilde  zwischen  Amnion 
und  Chorion,  dem  ersteren  anliegend,  ausserhalb  der  Placenta.  An  der 
Stelle,    an   welcher  der   Dottergang  in  die  Bauchhöhle    eintritt,   bildet   sich 


*j  Vergl.  auch  Artikel  „FruchtentwicJchmg'  mit  zugehöriger  Farbendrucktafel. 


540  NABELSCHNÜR  —  NABELSCHNÜRANOMALIEN. 

später  der  Nabel.  Bei  seinem  Uebertritt  auf  die  Eihäute  aus  dem  Nabel- 
strang findet  sich  manchmal  eine  von  dem  letzteren  abgehende  Amnionfalte 
(ScHULTZE'sche  Falte). 

Als  einen  weiteren  constanten  Bestandtheil  der  Nabelschnur  nannten  wir 
ferner  den  Allantoisgang  (Urachus).  Bisher  nahm  man  an,  dass  die  Allan- 
tois  begleitet  von  den  Nabelarterien  vom  Hinterdarm  neben  der  Dotterblase 
frei  dem  Chorion  zu  wächst  und  nachdem  sie  das  letztere  erreicht  hat,  die 
Zotten  mit  Capillaren  versehe.  In  jüngster  Zeit  hat  v.  Peeuschen  diese 
Annahme  wieder  vertreten.  His  dagegen,  dem  sich  J.  Veit  anschliesst,  ist 
der  Ansicht,  dass  der  Fötus  stets  durch  den  Chorion-Bauchstiel  mit 
dem  Chorion  in  Verbindung  stehe  und  die  Allantois  in  den  Canal  desselben 
hineinwachse. 

Die  Ein  Senkung  der  Nabelschnur  in  die  Placenta  ist  selten  eine 
völlig  centrale  (Insertio  centralis),  sondern  meist  eine  seitliche  (Insertio  late- 
ralis). Manchmal  findet  sie  sich  völlig  am  Rand  (Insertio  marginalis),  oder  über- 
haupt nicht  direct  an  der  Placenta,  sondern  zwischen  den  Eihäuten  [Insertio 
velamentosa)  angesetzt.  Im  letzteren  Falle  verästeln  sich  die  Nabelschnur- 
gelasse zwischen  jenen  und  gelangen  so  erst  zur  Placenta. 

ScHULTZE  führt  das  Zustandekommen  der  Insertio  velamentosa  auf  den 
Zug  des  mit  dem  Chorion  oder  Amnion  abnorm  fest  verwachsenen  Ductus 
omphalo-entericus,  beziehungsweise  der  Nabelblase  in  einer  frühen  Zeit  des 
embryonalen  Lebens,  ungefähr  um  die  sechste  Woche,  zurück.  Dieser  hindert 
die  von  der  Nabelschnurscheide  umschlossenen  Gebilde  des  späteren  Nabel- 
stranges die  Placentarstelle  direct  zu  erreichen,  zwingt  sie,  insbesondere  die 
Nabelschnurgefässe  vielmehr  erst  eine  Strecke  im  Chorion  laeve  zu  verlaufen, 
d.  h.  velamentös  zu  inseriren. 

ScHULTZE  hat  noch  auf  zwei  andere  Möglichkeiten  des  Zustandekommens 
einer  velamentösen  Insertion  hingewiesen.  Er  nimmt  an,  dass  sich  gelegent- 
lich an  der  Stelle,  an  welcher  die  Nabelgefässe  zuerst  das  Chorion  erreichen, 
infolge  günstiger  Ernährungsverhältnisse  in  der  Reflexa  eine  sogenannte 
Placenta  succentoriata  bildet.  Die  Gefässe  müssen  dann  von  dieser 
aus  zwischen  den  Eihäuten  zur  Hauptplacenta  verlaufen. 

Schliesslich  kann  es  bei  eineiigen  Zwillingen  zur  velamentösen  Insertion 
kommen.  „Wenn  sich  nämlich  die  Allantoisgefässe  eines  jeden  Zwillings  aus- 
reichend an  der  Serotina  betheiligt  haben,  das  Amnion  des  einen  aber  der 
Serotina  nicht  gegenübertreten  kann,  weil  das  Amnion  des  anderen  den  Platz 
voll  eingenommen  hat,  so  kann  natürlich  auch  die  Amnionbekleidung  der 
Nabelschnur  des  erstgenannten  bis  zur  Placenta  nicht  fortschreiten  und  seine 
Nabelschnurgefässe  müssen  nothwendig  eine  Strecke  weit  zwischen  dem  ge- 
meinsamen Chorion  und  dem  Amnion  des  anderen  Zwillings  verlaufen." 

Ausser  den  Insertionsanomalien  kommen  an  der  Nabelschnur  auch  Ano- 
malien der  Structur  vor.  Sehr  häufig  findet  man  an  ihr  die  sogenannten 
falschen  Knoten,  mehr-minder  starke  Vorbuchtungen  an  einer  oder  mehreren 
Stellen  des  Stranges.  Sie  entstehen  durch  die  schon  erwähnte  Schleifenbildung 
eines  Nabelschnurgefässes  (meist  eines  arteriellen),  welche  von  WnARTON'scher 
Sülze,  bekleidet  sich  als  buckelige  Prominenz  präsentirt.  Für  den  Fötus  sind  sie 
völlig  belanglos.  Dagegen  können  die  wahren  Knoten  ihn  gelegentlich 
gefährden.  Sie  entstehen  dadurch,  dass  der  Fötus  durch  eine  Nabelschnur- 
schlinge schlüpft  und  zwar  muss  dieselbe  derart  gedreht  sein,  dass  das  fö- 
tale Stück  unter  dem  placentaren  hindurchgeht.  Es  sind  doppelte,  ja  mehr- 
fache Knoten  beobachtet  worden.  Ihr  Zustandekommen  wird  durch  abnorme 
Länge  der  Schnur  begünstigt.  In  der  Regel  werden  diese  Knoten  erst  wäh- 
rend der  Geburt  zugezogen.  Geschieht  es  ausnahmsweise  bereits  während  der 
Schwangerschaft,  so  macht  ihre  Lösung  zuweilen  Schwierigkeiten ;  an  den  com- 
primirten  Stellen  findet  sich  die  WnARTON'sche  Sülze  atrophirt.    In  allerdings 


NABELSCHNUR  —  NABELSCHNURANOMALIEN.  541 

nur  sehr  seltenen  Fällen  ist  ein  Absterben  des  Fötus  infolge  sehr  fester 
Schürzung  der  Knoten  beobachtet  worden. 

Entschieden  gefährlicher  als  die  Nabelschnurknoten  können  für  den 
Fötus  die  Nabelschnurumschlingungen  werden.  Kh  sind  nicht  nur 
viele  Fälle  bekannt,  in  welchen  durch  dieselben  Verunstaltungen  des  Fötus, 
sondern  noch  zahlreichere,  wo  durch  sie  der  Tod  des  letzteren  herbeigeführt 
wurde,  besonders  dann,  wenn  die  Schnur  um  den  Hals  geschlungen  war.  Auch 
wenn  die  Umschlingung  während  der  Schwangerschaft  ohne  Folgen  geblieben 
war,  kann  sie  noch  während  der  Geburt,  ja  gerade  während  derselben  das 
Kind  gefährden.  Entweder  wird  sie  über  irgend  einen  Theil  des  Fötus  fest 
angespannt,  zwischen  diesem  und  Partien  des  mütterlichen  Beckens  fest  com- 
primirt,  so  dass  die  Circulation  unterbrochen  wird,  oder  die  Halsgefässe  werden 
bei  Umschlingung  um  den  Hals  stricturirt.  Schliesslich  kann  die  durch  die 
Umschlingung  verkürzte  Nabelschnur  während  der  Geburt  mit  dem  Tiefer- 
treten des  Kindes  an  der  Placenta  derart  zerren,  dass  eine  partielle  Lösung 
derselben  eintritt,  ein  Ereignis,  welches  zur  Asphyxie,  bei  Lösung  ausgedehn- 
ter Placentarpartien  zum  Absterben  des  Fötus  führen  kann. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  eine  an  sich  abnorm  kurze  Nabelschnur 
in  gleicher  Weise  das  Leben  des  Kindes  zu  gefährden  vermag.  Erwähnt  sei, 
dass  selbst  ein  völliges  Fehlen  des  Stranges  beobachtet  worden  ist; 
der  Fötus  lag  mit  dem  Bauch  der  Placenta  unmittelbar  auf.  Meist  war 
diese  Abnormität  durch  eine  Bauchspalte  complicirt. 

Eine  weitere  Abnormität  stellen  die  Torsionen  der  Nabelschnur 
dar.  Wir  haben  gesehen,  dass  sie  normaler  Weise  spiralig  gewunden  ist. 
Diese  Windungen  können  aber  pathologisch  werden  und  zwar  dann,  wenn  die 
Achsendrehung  der  Schnur  einen  solchen  Grad  erreicht,  dass  durch  sie  die 
Gefässe  stenosirt  oder,  was  seltener  der  Fall,  völlig  undurchgängig  werden. 
In  der  Vene  finden  sich  stellenweise  varicöse,  mit  geronnenem  Blute  gefüllte 
Dilatationen. 

Die  Torsionen  können  sehr  zahlreich  (bis  380  sind  beobachtet  worden) 
oder  nur  auf  eine  kleinere  Partie  der  Schnur  (Striciur  oder  Stenose)  beschränkt 
sein;  ja  es  kann  sich  nur  um  eine  einzige  Drehung  handeln.  Die  Bauchhaut 
des  Fötus  zeigt  zuweilen  als  Fortsetzung  der  Torsion  eine  radiäre  Fältelung, 
desgleichen  das  Amnion  an  der  placentaren  Insertion  der  Nabelschnur.  Häufig 
kommen  an  torquirten  Nabelsträngen  erbsen-  bis  kirschengrosse,  in  der 
WiiARTON'schen  Sülze  liegende,  serumhaltige  Cysten  vor. 

Ob  die  Torsionen  während  des  Lebens  oder  erst  nach  dem  Absterben 
des  Fötus  entstehen,  darüber  gehen  auch  heute  noch  die  Ansichten  aus  ein- 
ander. Wahrscheinlich  kommt  das  eine  wie  das  andere  vor.  Während  im 
ersteren  Fall  die  Eigenbewegungen  des  Kindes  das  ätiologische  Moment  ab- 
geben, muss  dasselbe  im  letzteren  in  passiven  Bewegungen  des  Fötus  gesucht 
werden,  welche  wieder  ihre  Ursache  in  solchen  des  mütterlichen  Körpers  haben. 

Als  einen  allerdings  sehr  schwachen  Beweis  der  prämortalen  Entstehung 
der  Torsionen  hat  man  das  nahezu  doppelt  so  häufige  Vorkommen  derselben 
bei  Knaben  wie  bei  Mädchen  angeführt,  indem  man  dies  der  grösseren  Muskel- 
kraft und  Beweglichkeit  der  ersteren  zuschrieb.  Ungleich  wichtiger  ist  der 
Nachweis  von  Stauungserscheinungen,  welche,  wie  Küstner  sehr  trefiend 
bemerkt,  placentarwärts  gesucht  werden  müssen,  da  die  dünnwandigere  Nabel- 
vene, deren  Strom  nach  dem  Fötus  hinführt,  eher  comprimirt  wii'd,  als  die 
Arterien.  Thatsächlich  finden  sie  sich  recht  häufig,  als  Ectasien  der  Venen, 
ferner  als  Cysten  der  Nabelschnur,  welche  als  circumscripte  Oedeme  aufzu- 
fassen sind.  Auch  diese  hat  man  als  postmortale  Producte,  als  Folgen  der 
Einschmelzung  von  gallertiger  Substanz  und  Diffusion  von  serösen  Massen 
angesprochen,  eine  Möglichkeit,  welche  nicht  abzuleugnen  ist.  Mit 
Recht    weist    aber   Küstner  darauf  hin,  dass  das   gleichzeitige   Vorkommen 


542  NABELSCHNÜR  —  NABELRCHNURANOMALIEN. 

örtliclier  Oedeme  mit  so  reichlichen  Transsudationen,  dass  sie  als  Leichen- 
transsudate  nicht  aufgefasst  werden  können,  für  die  vitale  Entstehung  der 
Torsionen  spricht.  Thatsächlich  sind  solche  Transsudationen  {Hydramnios) 
von  ihm  und  anderen  gar  nicht  selten  beobachtet  worden."") 

Der  Erwähnung  bedürfen  auch  die  s  y  p  h  i  1  i  t  i  s  c  h  e  n  V  e  r ä  n  d  e  r  u  n  g  e  n 
der  Nabelschnur,  meist  in  atheromatösen  Processen  der  Gefässwand . mit 
Verdickung  der  Intima  bestehend  (v.  Winckel).  In  weit  vorgeschrittenen 
Fällen  fand  Oedmannson  an  Stelle  der  letzteren  fast  ausschliesslich  Kalk- 
schollen. Auch  Ahlfeld  beobachtete  bei  einer  syphilitischen  Frucht  kalkige 
Ablagerungen  in  der  Nabelschnur.  Ferner  kommen  in  derselben  tuberkel- 
ähnliche, aus  dicht  gedrängten  Rundzellen  zusammengesetzte  Knötchen  vor, 
welche  gleichfalls  syphilitischen  Ursprungs  sind. 

Schliesslich  ist  des  Nabelschnurbruches  {Hprnia  funiculi  umhili- 
calis,)  einer  Hemmungsbildung,  zu  gedenken.  Die  Verwachsung  der  Bauch- 
decken, welche  gewöhnlich  nach  der  6. — 7.  Woche  des  embryonalen  Lebens 
erfolgt,  ist  in  der  Nabelgegend  nicht  zu  Stande  gekommen;  ein  Theil  der 
Eiiigeweide  liegt  nur  vom  Amnion,  einer  Schicht  WHAETOx'scher  Sülze,  Peri- 
toneum parietale  bedeckt,  ausserhalb  der  Bauchhöhle.  Meist  enthält  der  Bruch- 
sack nur  Darmschlingen  und  einen  Theil  oder  die  ganze  Leber.  Doch  hat  man 
auch  den  Magen,  den  Pancreas,  die  Nieren,  die  Milz  in  ihm  gefunden.  Ver- 
wachsungen zwischen  ihm  und  Theilen  seines  Inhaltes,  insbesondere  der  Leber 
sind  nicht  selten.  Sehr  oft  sind  die  Fälle  von  Nabelschnurbruch  durch  an- 
dere Missbildungen  leichterer  oder  schwererer  Art  complicirt,  welche  das  Kind 
entweder  lebensunfähig  machen  oder  schon  intrauterin  zu  seinem  Absterben 
geführt  haben.  Die  Insertion  der  Nabelschnur  am  Bruchsack  ist  meist  excen- 
trisch.  Ihre  Gefässe  verlaufen  zwischen  Amnion  und  Peritoneum  zur  Bruch- 
pforte; zuweilen  fehlt  eine  Arterie. 

Bezüglich  der  Entstehung  der  Nabelschnurbrüche  ist  zu  bemerken,  dass 
sie  vielleicht  in  einzelnen  Fällen  auf  mechanischem  Druck,  bei  den  meisten 
aber,  wie  schon  erwähnt,  auf  eine  Hemmungsbildung  zurückgeführt  werden 
muss.  Nach  Ahlfeld  steht  letzterer  in  Beziehung  zu  dem  Dotterstrang. 
Gewöhnlich  trennt  dieser  sich  schon  frühzeitig  vom  Ileum,  so  dass  letzteres 
sich  in  die  Bauchhöhle  des  Embryo  zurückziehen  kann.  Verzögert  sich  aber 
diese  Trennung  oder  kommt  sie  überhaupt  nicht  zu  Stande,  so  wird  der  Schluss 
der  Bauchwand  am  Nabel  verhindert. 

Eine  Spontanheilung  eines  Nabelschnurbruches  ist  möglich.  Es  sind 
Fälle  beobachtet  worden,  in  welchen  sich  das  Amnion  losstiess,  das  Peritoneum 
sich  mit  Granulationen  bedeckte  und  die  Wundfläche  sich  unter  allmäliger 
Retraction  überhäutete.  Durch  aseptische  Verbände,  wenn  völlige  Reposition 
des  Inhaltes  möglich,  durch  Heftpflaster-Compressivverbände  hat  man  dieses 
Heilbestreben  der  Natur  zu  begünstigen  versucht.  Immerhin  ist  die  Mortali- 
tät bei  conservativem  Verfahren  eine  so  hohe  geblieben,  dass  ihm  die  Radical- 
operation  des  Bruches  vorzuziehen  ist,  welche  überraschend  günstige  Erfolge 
aufzuweisen  hat. 

Es  wird  möglichst  bald  nach  der  Geburt  und  zwar  streng  aseptisch  ope- 
rirt.  Nach  Spaltung  des  Bruchsackes  werden  Adhäsionen  desselben  mit  dem 
Inhalt  gelöst,  eventuell  zuvor  unterbunden,  der  Sack  bis  in  die  Hautränder 
resecirt,  der  Inhalt  reponirt  (gelingt  die  Reposition  nicht,  so  muss  die  Wunde 
noch  nach  oben  und  unten  gespalten  werden)  und  die  Bauchwunde  durch 
tiefe  und  oberflächliche  Nähte  genau  geschlossen.  Schliesslich  wird  ein  Jodo- 
formgaze-Heftpflasterverband aufgelegt.  graepe. 


*)  Vergl.  Artikel  „Hi/dramnios'^  pag.  372. 


NACHGEBURT.  543 

Nachgeburt  heisst  im  gewöhnlichen  Spracligeljrauch  die  Ausstossung 
der  Placenta  nach  Austreibung  der  Frucht  am  normalen  Ende  der  Schwanger- 
schaft oder  auch,  bei  vorzeitiger  Unterbrechung  derselben.'^") 

Unter  physiologischen  Verhältnissen  und  nach  der  recht- 
zeitigen G  e  b  u  r  t  erfolgt  diese  Ausstossung  kürzere  oder  längere  Zeit  nach- 
dem das  Kind  geboren,  entweder  noch  an  der  Nabelschnur  befestigt  oder 
schon  abgenabelt  ist;  der  bereits  nach  Austreibung  des  Kindes  bedeutend 
verkleinerte  Uterus  beginnt  sich  nach  einer  Ruhepause  aufs  Neue  energisch 
zu  contrahiren;  durch  diese  Contractionen  wird  die  Placenta  von  der  sich 
zusammenziehenden  Ansatzfläche  an  der  Innenwand  des  Uterus  abgelöst  und 
zu  Tage  gefördert. 

Die  Vorgänge  nach  Ausstossung  der  Frucht  bis  zu  vollendeter  Ausstos- 
sung der  Placenta  und  ihrer  Anhänge  werden  unter  dem  Begriff  der  Nach- 
geburtsperiode zusammengefasst.  Die  Zeit,  innerhalb  welcher  unter  normalen 
Verhältnissen  die  Nachgeburt  auf  die  Geburt  zu  folgen  pflegt,  schwankt 
zwischen  einer  Viertelstunde  und  zwei  Stunden.  Ausnahmsweise  schliesst  sich 
die  Ausstossung  der  Nachgeburt  unmittelbar  an  die  der  Frucht  an;  ebenfalls 
Ausnahme  ist,  ohne  dass  Anomalieen  obwalten,  die  Verzögerung  von  Tagen 
und  sogar  in  einzelnen  Fällen  von  Wochen.  Dass  solche  Verzögerungen 
ohne  allen  Schaden  für  die  Wöchnerinnen  vorkommen  können,  ist  durch  viel- 
fache Beobachtungen  erwiesen. 

Der  Mechanismus  der  Lösung  und  Ausstossung  der  Placenta  ist  (nach 
B.  Schultze)  folgender:  Durch  die  Uteruscontractionen  wird  zuerst  der  cen- 
trale Theil  der  Placenta  gelöst  und  der  hiedurch  zwischen  Placenta  und 
Uteruswand  entstehende  Raum  durch  einen  retroplacentaren  Bluterguss  aus- 
gefüllt. Die  weitere  in  Folge  der  wiederholten  Contractionen  eintretende 
Verkleinerung  des  Uterus  führt  zu  vollständiger  Lösung  der  Placenta,  welche 
durch  ihr  Gewicht  und  die  Kraft  der  Wehen  umgestülpt,  das  heisst  mit  der 
fötalen  Fläche  nach  abwärts  gedrängt  wird,  die  Eihäute  mit  dem  von  ihnen 
umschlossenen  Bluterguss  hinter  sich  herzieht  und  theils  in  Folge  der  Action 
der  Bauchpresse  und  der  Scheidenmusculatur,  theils  in  Folge  ihrer  eigenen 
Schwere  aus  den  Genitalien  hervortritt. 

Wenn,  wie  dies  nicht  selten  der  Fall  ist,  durch  die  Uteruscontractionen 
zuerst  die  Peripherie  der  Placenta  gelöst  wird,  so  entleert  sich  der  hiebei 
entstehende  Bluterguss  sofort  und  die  folgenden  Contractionen  vollenden  die 
Lösung.  Die  Placenta  rückt  dann  mit  ihrem  unteren  Rand  nach  abwärts  und 
wird  mit  vorangehender  uteriner  Fläche  geboren  (Duncan). 

Die  Trennung  der  Placenta  geschieht  auf  Kosten  der  Uterusschleimhaut, 
d.  li.  ein  Theil  der  Decidua  scrotina  bleibt  an  den  unversehrten  Chorionzotten 
sitzen,  w^odurch  die  mütterlichen  Blutgefässe  eröffnet  werden.  Der  mit  der 
Placentalösung  verbundene  Blutverlust  schwankt  innerhalb  des  Breitegrades 
der  Normalität  zwischen  Vi  und  V2  Liter  Blut,  kann  aber  auch  ganz  mini- 
mal sein. 

Bei  der  Behandlung  der  Nachgeburtsperiode  soll  der  natürliche 
Vorgang  der  Placentalösung  nicht  gestört  werden,  w^enn  nicht  bestimmte 
Indicationen  zum  Einschreiten  vorliegen.  Zunächst  wird,  falls  nicht  durch 
Asphyxie  des  Kindes  die  sofortige  Abnabelung  desselben  geboten  ist,  das  Auf- 
hören der  Pulsation  im  Nabelstrang  abgewartet  und  dann  derselbe  nach  dop- 
pelter Unterbindung  durchschnitten;  das  centrale  Ende  wird  deshalb  unter- 
bunden, weil  durch  die  Retention  des  Blutes  in  der  Placenta  in  Folge  ihres 
grösseren  Volumens  die  Ablösung  von  der  Uterusw^and  erleichtert  wird,  wäh- 
rend die  Trennung  einer  ausgebluteten  schlaffen  Placenta  durch  die  Uterus- 
contractionen nicht   so   rasch  bewerkstelligt  werden   kann.    Zur  Vermeidung 


*)  Vergl.  Art.  ^Enthindting'^  pag.  231. 


544  NACHGEBURT. 

einer  Erschlaffung  des  Uterus  kann  sein  Fundus  durch  die  aufgelegte  Hand 
überwacht  werden  und  eventuell  leicht  gerieben  werden.  Wenn  die  Placenta 
aus  der  Uterushöhle  getreten  ist,  rückt  der  Fundus  wieder  mehr  nach  oben. 
Nach  einigem  Warten  tritt  die  Placenta  aus  dem  unteren  Uterinsegment  in 
die  Yagina  und  wird  meist  spontan  ausgestossen. 

Bis  in  die  neuere  Zeit  glaubte  man  diese  Ausstossung  nicht  der  Natur 
überlassen  zu  dürfen;  und  die  Verführung  zu  activem  Vorgehen  lag  ja  nahe 
genug:  Die  durch  die  Geburtsschmerzen  erschöpfte  Frau  Avollte  möglichst 
schnell  zur  Kühe  kommen,  und  ebenso  auch  der  oft  müde  Arzt  (resp.  die 
Hebamme).  Ganz  zu  verwerfen  ist  in  dieser  Hinsicht  der  von  den  Hebammen 
zum  schweren  Schaden  der  Frauen  immer  noch  häufig  genug  geübte  Zug  an 
der  Nabelschnur.  Zurückbleiben  von  Placentar-  und  Eihautresten  mit  folgen- 
der Blutung,  Verjauchung  und  Infection  sind  nur  zu  oft  die  Folgen  dieser 
rohen  Manipulation;  gar  nicht  selten  wairden  durch  das  gewaltsame  Heraus- 
reissen  der  Placenta  sogar  Inversionen  des  Uterus  herbeigeführt. 

Die  verbreitetste  und  rationellste  Methode  der  künstlichen  Entfernung 
der  Nachgeburt  ist  das  Verfahren  von  Crede.  Dasselbe  besteht  darin,  dass 
der  Uterus,  falls  er  nach  Geburt  des  Kindes  nicht  contrahirt  ist,  durch  Keiben 
zur  Contraction  gebracht  und  dann,  womöglich  während  einer  stärkeren  Wehe, 
der  Fundus  mit  den  gespreizten  Fingern  umfasst,  aufgerichtet,  comprimirt 
und  gegen  das  kleine  Becken  hinabgedrückt  wird.  Auf  diese  Weise  gelingt 
es,  bei  der  ersten  oder  bei  den  nächstfolgenden  Wehen  die  Placenta  zu  ex- 
primiren.  Andernfalls  muss  gewartet  und  erwogen  werden,  ob  nicht  vielleicht 
pathologische  Verhältnisse  ein  Hindernis  der  Lösung  bedingen. 

Eine  ähnliche  Expressionstnethode  stellt  der  Dubliner  Handgriff  dar:  Eine  Hand 
umfasst,  schon  nach  Geburt  des  Kopfes,  den  Fundus  des  in  die  Mittellinie  gebrachten 
Uterus,  ülnarreihe  nach  hinten,  Daumen  auf  die  Vorderfläche.  Compression  und  Druck 
nach  abwärts  nur  während  der  Wehe.  Nach  Geburt  des  Rumpfes  und  nach  erfolgter  Lö- 
sung der  Placenta  Auspressen  der  letzteren  aus  der  Scheide  durch  starken  Druck  nach 
abwärts,  eventuell  leichten  Zug  am  Nabelstrang  nach  hinten  und  unten,  und  wenn  die 
Placenta  in  der  Vulva  erscheint,  nach  vorn  und  oben;  jeder  stärkere  Zug,  besonders  vor 
Ausstossung  der  Placenta  aus  dem  Uterus,  ist  zu  vermeiden. 

Gegen  die  gewohnheitsmässige  Anwendung  der  CREDE'schen  Methode 
ist  neuerdings  von  verschiedenen  Seiten  polemisirt  worden,  besonders  von 
Ahlfeld,  indem  auf  die  möglichen  Gefahren,  vor  allem  bei  frühzeitiger  An- 
w^endung  derselben,  aufmerksam  gemacht  wurde  (Schwierigkeit  der  Expression, 
deshalb  grosser  Kraftaufwand  und  dadurch  unnöthiges  Trauma,  Nachblutun- 
gen, Zurückbleiben  von  Eitheilen,  Zersetzung  derselben  und  puerperale  Er- 
krankungen). Diesen  Anschauungen  haben  sich  u.  a.  Schröder,  v.  Winckel, 
DoHRN,  Freund,  Kaltenbach  angeschlossen.  Eine  Einschränkung  des  activen 
Verfahrens  hat  gewiss  volle  Berechtigung.  Die  Natur  verrichtet  ihre  Arbeit 
meist  besser  als  die  Kunst,  die  es  ihr  zuvorthun  will. 

Wenn  keine  Indicationen  zum  Eingreifen  vorliegen,  so  wartet  man  am 
besten,  besonders  in  Anstalten,  wo  genügendes  Personal  im  Kreisszimmer  zur 
Verfügung  steht.  Fördern  nach  längerem  Warten  (^/a — 1  Stunde)  die  Uterus- 
contractionen  allein  die  Nachgeburt  noch  nicht  zu  Tage,  so  mag  der  Arzt, 
zumal  in  der  Privatpraxis,  welche  oft  genug  keine  Zeitverschwendung  gestattet, 
durch  Reiben  und  Compression  des  Fundus  nachhelfen.  Die  aus  der  Scheide 
tretende  Placenta  wird  mit  der  vollen  Hand  gefasst  und  unter  langsam  drehen- 
den Bewegungen  abgenommen,  damit  die  Eihäute  folgen,  ohne  abzureissen. 
Durch  genaue  Inspection  überzeugt  man  sich,  dass  alles  in  toto  abgegan- 
gen ist. 

Da  bei  der  Trennung  der  Placenta  vom  Uterus  ein  Theil  der  Decidua 
serotina  mitgeht  und  die  mütterlichen  Blutgefässe  eröffnet  sind,  so  bluten 
dieselben,  falls  sie  nicht  durch  energische  Uteruscontractionen  geschlossen 
werden.    Der  Uterus  ist  deshalb  auch  bei  normalen  Geburten  in  der  ersten 


NACHGEBURT.  .      545 

Zeit  zu  überwachen  und,  sobald  er  nicht  mehr  als  harte  Kugel  über  die 
Symphyse  gefühlt  wird,  durch  Reiben  zu  Contractionen  anzuregen  (was  oft 
von  intelligenten  Frauen  besser  selbst  besorgt  wird  als  von  den  Hebammen). 
Später  stellen  sich  die  spontanen  Contractionen  ein,  besonders  nach  raschen 
Entbindungen  und  von  Mehrgebärenden  als  sogenannte  Nachtvehen  empfunden, 
durch  welche  der  Uterus  noch  mehr  verkleinert  und  die  puerperale  Involution 
desselben  angebahnt  wird. 

Bei  pathologischen  Geburten  (Zange,  Wendung,  Perforation  etc.)  verhält 
sich  die  Nachgeburtsperiode  im  allgemeinen  wie  bei  der  normalen  Geburt, 
nur  dass  anderer  Umstände  wegen  vielleicht  etwas  häufiger  eine  Besclileuni- 
gung  des  Vorganges  indicirt  ist.  Bei  der  Sectio  caesarea  muss  die  Placenta 
selbstverständlich,  falls  sie  an  der  vorderen  Wand  sitzt,  zuerst,  andernfalls 
sofort  nach  Extraction  der  Frucht  abgelöst  werden.  Ebenso  ist  bei  Uterus- 
ruptur die  sofortige  Entfernung  der  Placenta  nothwendig,  da  nur  dann  durcli 
die  Contraction  des  Uterus  die  Blutung  gestillt  und  der  Ptiss  geschlossen  wird. 

Störungen  im  Verlauf  der  Nachgeburtsperiode  können  in 
Folge  verschiedener  durch  das  Verhalten  der  Placenta  selbst  bedingter  patho- 
logischer Verhältnisse  hervorgerufen  werden. 

Der  Prolaps  der  Placenta  ist  bei  normalem  Sitz  derselben  selten,  kommt 
manchmal  bei  Zwillingsgeburten  vor.  Die  vorgefallene  Placenta  wird  vor  dem 
Kind  geboren,  wodurch  das  letztere  im  höchsten  Grad  der  Gefahr  der  Asphyxie 
ausgesetzt  ist  und  häufig  todt  zur  Welt  kommt. 

Die  vorzeitige  Lösung  der  Placenta  wird  hauptsächlich  bei  Nephritis, 
Morbus  Basedowii,  bei  abnormer  Kürze  des  Nabelstranges,  aber  auch  ohne 
auffindbare  Ursache  beobachtet  und  kann,  wie  sie  schon  vor  und  während 
der  Geburt  des  Kindes  Blutungen  bedingt,  so  auch  nach  vollendeter  Aus- 
stossung  der  Frucht  (wenn  nicht  derselben  —  wie  dies  häufig  der  Fall  —  die 
Nachgeburt  unmittelbar  folgt)  weiteren  Blutabgang  unterhalten  und  dadurch 
die  Beendigung  der  Nachgeburtsperiode  durch  den  ÜREDE'schen  Handgrifi: 
indiciren. 

Die  Placenta  praevia  führt,  wenn  sie  nicht  vor  oder  mit  der  Frucht 
zugleich  ausgestossen  wird,  in  Folge  ihrer  theilweisen  Ablösung  ebenfalls  zu 
Blutungen  und  macht  dann  die  Expression  nach  Ceede  und  eventuell  nach- 
her noch  die  Tamponade  nöthig  (s.  „Placenta  praevia'-^). 

Die  verzögerte  Lösung,  respective  Pietention,  der  Placenta  ist  häufig 
durch  Wehenschwäche,  seltener  durch  Contraction  des  unteren  Uterinsegments, 
sehr  selten  durch  Verwachsung  der  Placenta  mit  der  Uteruswand  bedingt  und 
erfordert  ärztliche  Eingriffe,  da  sie  meist  mit  Blutungen  verbunden  ist. 

Dauert  die  Wehenschwäche,  die  sich  gewöhnlich  schon  während  der 
Geburt  geltend  gemacht  hat,  in  der  Nachgeburtsperiode  an,  so  wird  in  Folge 
der  mangelhaften  Contraction  der  Placentarstelle  die  Nachgebmt  nur  theil- 
weise  gelöst,  und  es  treten  Blutungen  ein.  Sehr  häufig  wird  hiebei  die  Blu- 
tung, wenn  sie  rasch  erfolgt  und  der  Fundus  uteri  nicht  durch  die  aufgelegte 
Hand  überwacht  ist,  zu  einer  inneren;  der  Uterus  wird  durch  den  Bluterguss 
wieder  fast  bis  auf  das  frühere  Volum  ausgedehnt;  der  Puls  der  Frau  wii'd 
schwach,  das  Gesicht  blass,  es  stellt  sich  das  Gefühl  der  Ohnmacht  ein. 
Dieses  Ereignis  kann  bei  gehöriger  Aufmerksamkeit  vermieden  werden.  Ist 
es  eingetreten,  so  muss  das  ergossene  Blut  durch  Compression  des  Uterus 
entfernt  werden,  wobei  oft  auch  die  Placenta  mitgeht.  Zögert  der  Eintritt 
von  Uteruscontractionen  und  der  Abgang  der  Placenta  unter  Fortdauer  der 
Blutung,  so  ist  der  Fundus  zu  reiben  und  der  CREDE'sche  Handgriff'  in  ent- 
sprechenden Pausen  zu  wiederholen,  wobei  man  zugleich  innerlich  Seeale 
geben  und  heisse  Scheidendouchen  in  Anwendung  bringen  kann.  Auf  diese 
Weise  wird  die  Entfernung  der  Nachgeburt  in  derartigen  Fällen  stets  gelingen. 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  35 


546  NACHGEBURT. 

Manchmal  kommen  nach  Ausstossung  der  Frucht  unregelmässige  Uterus- 
contractionen  zu  Stande,  so  dass  der  Fundus  schlaff  bleibt,  das  untere  Uterin- 
segment aber  zusammengezogen  wird  und  der  Contractionsring  den  Austritt 
der  Placenta  verhindert.  Besteht  dabei  Blutabgang,  so  ist  die  Entfernung  der 
Placenta  ebenfalls  in  der  obigen  Weise,  eventuell  unter  Beihilfe  der  Chloro- 
formnarcose,  zu  bewerkstelligen.  Eine  länger  dauernde  Retention  ohne  Blu- 
tung bildet  zunächst  keine  Indication  zum  Einschreiten.  Nur  wenn  sich  die- 
selbe bis  auf  24  Stunden  hinzieht,  muss  die  Placenta,  wenn  die  einfachen 
Manipulationen  nicht  zum  Ziel  führen,  manuell  entfernt  werden,  weil  sonst 
der  Cervix  seine  Dehnbarkeit  verliert  und  dem  Eindringen  der  Hand  Schwie- 
rigkeiten bereitet. 

Die  Lösung  der  Placenta  mittelst  der  eingeführten  Hand 
wurde  früher  viel  häufiger  vorgenommen  als  jetzt.  Sie  ist  fast  nur  bei  Ver- 
wachsung derselben  mit  der  Uteruswand  (in  Folge  von  Endometritis  oder 
auch  entzündlichen  Processen  in  der  Placenta  selbst),  einem  sehr  seltenen 
Ereignis,  indicirt  und  stellt  einen  durchaus  nicht  ungefährlichen  Eingriff  dar, 
welcher  die  peinlichste  Antiseptik  dringend  erfordert.  Man  geht,  während 
man  sich  den  Fundus  entgegendrückt,  dem  Nabelstrang  entlang  mit  der 
zusammengelegten  Hand  in  den  Uterus  ein  und  trennt  mit  dem  Ulnarrand 
derselben  die  meist  an  der  vorderen  oder  hinteren  Wand,  und  wenn  seitlich, 
häufiger  rechts  als  links  sitzende  Placenta  unter  sägenden  Bewegungen  von 
oben  nach  unten  von  ihrer  Haftstelle  ab.  Dabei  muss  man  sich  hart  an  die 
Uteruswand  halten,  um  nicht  die  Trennung  in  der  Substanz  der  Cotyledonen 
vorzunehmen.  Hierauf  extrahirt  man  die  Placenta  mit  der  vollen  Hand,  löst 
sofort  etwa  noch  zurückgebliebene  Stücke  und  bringt  den  Uterus  durch  Reiben 
zur  Contraction.  Hildebrandt  empfiehlt,  die  Ablösung  innerhalb  der  Ei- 
häute auszuführen  —  eine  unnöthige  Erschwerung  der  ohnehin  nicht  ganz 
leichten  Operation. 

Auch  Placentae  succenturiatae*)  können  manchmal  wegen  Blu- 
tungen die  Indication  zur  künstlichen  Lösung  geben;  sollte  diese  auf  Schwie- 
rigkeiten stossen,  so  wäre  unter  Umständen  die  Jodoformgazetamponade  des 
Uterus  in  Anwendung  zu  bringen. 

Entsteht  in  der  Nachgeburtsperiode  bei  schlaffem  Organ  durch  Zug  am 
Nabelstrang  oder  durch  Druck  von  oben  eine  Inversio  uteri,  so  kann  die  Pla- 
centa noch  festsitzen;  so  dass  keine  Blutung  erfolgt;  ist  sie  aber  in  grösserer 
Ausdehnung  gelöst,  so  treten  stürmische,  lebensgefährliche  Blutungen  auf. 
Im  ersten  Fall  wird  sie  mit  sammt  dem  Uterus  reponirt,  im  zweiten  Fall 
löst  man  sie  vorher  ganz  ab  und  nimmt  dann  die  Reposition  des  Uterus  vor. 

Sofort  nach  der  Geburt  der  Placenta  können  pathologische  Verhältnisse 
in  die  Erscheinung  treten,  die  nicht  nur  den  weiteren  Verlauf  des  Wochen- 
bettes ungünstig  beeinflussen,  sondern  vor  allem  in  acutester  Weise  das  Leben 
der  Entbundenen  durch  heftigen  Blutverlust  gefährden.  Dies  sind  in  erster 
Linie  die  oft  schwer  zu  stillenden  Blutungen  aus  der  Placentarstelle,  welche 
hauptsächlich  bei  Vorhandensein  von  Geschwülsten  (Carcinomen,  Myomen) 
dadurch  zu  Stande  kommen,  dass  sich  der  Uterus  nicht  allseitig  concentrisch 
zusammenziehen  kann  und  somit  die  Lumina  der  mütterlichen  Gefässe  klaffen. 
Sehr  bedenklich  sind  ferner  die  Blutungen,  welche  durch  Atonie  oder 
durch  Paralyse  des  ganzen  Uterusmuskels  in  Folge  von  mangelhafter  Ent- 
wicklung oder  mangelhafter  Innervation  desselben  hervorgerufen  werden.  Der 
Uterus,  dessen  Wandungen  sich  kaum  oder  gar  nicht  contrahiren,  wird  durch 
das  ergossene  Blut  bis  über  den  Nabel  ausgedehnt  und  ist  oft  so  schlaff,  dass 
man  ihn   nur   undeutlich    durch  die  Bauchdecken  durchfühlt.     Bald  kann  er 


*)  Vergl.  Artikel  „Nahelschnur — Nahelschnuranomalien" , 


NACHGEBURT.  547 

das  Blut  nicht  mehr  fassen,  und  dasselbe  stürzt  in  schweren  Fällen  in  Strö- 
men aus  der  Vulva. 

Man  hat  bei  all  diesen  Blutungen  zunächst  den  Uterus  tüchtig  zu  reiben 
und  ähnlich  wie  bei  der  CREDE'schen  Methode  zu  comprimiren  und  compri- 
mirt  zu  halten.  Dabei  sind  kalte  oder  heisse  Irrigationen  seiner  Höhle,  E'm- 
l'ühren  von  Eisstücken,  von  in  Chloroform  getränkter  Watte  etc.  zu  ver- 
suchen. Nebenbei  werden  einige  subcutane  Ergotininjectionen  gemacht.  Doch 
halte  man  sich  mit  diesen  Maassnahmen  nicht  auf,  da  die  grösste  Gefahr  im 
Verzug  ist.  Compression  der  Bauchaorta,  Compression  des  Uterus  gegen  die 
Wirbelsäule,  bimanuelle  Compression  desselben,  besonders  aber  Einführen  einer 
Faust  in  die  Höhle  und  energisches  Reiben  der  Uteruswandungen  über  der- 
selben von  aussen  können  zur  Sistirung  der  Blutung  führen.  Kasch  und  zu- 
gleich dauernd  aber  lässt  sich  die  Blutung  durch  die  DüHRSSEN'sche  Jodo- 
lormgazetamponade  des  Uterus  stillen,  mit  der  in  schweren  Fällen  nie  gezö- 
gert werden  soll.  Um  die  Contraction  des  Uterus  noch  mehr  anzuregen, 
lässt  man  sofort  die  Tamponade  der  Scheide  mit  Carbol-  oder  Salicylwatte 
folgen.  Der  Uterus  muss  dabei  so  lang  von  den  Bauchdecken  aus  überwacht, 
gerieben  und  geknetet  werden,  bis  er  von  selber  fest  contrahirt  bleibt,  weil 
sich  sonst  trotz  der  Tamponade  eine  grosse  Menge  Blutes  in  demselben  an- 
sammeln und  die  Frau,  ohne  dass  ein  Tropfen  Blut  ergossen  wird,  an  dieser 
inneren  Blutung  zu  Grunde  gehen  kann.  (Bezüglich  der  Technik  der  Jodo- 
formgazetamponade V.  Artikel  „Blutungen  in  der  Geburtshilfe''  pag,  127.) 
Unsicher  und  sehr  gefährlich  sind  die  von  manchen  Seiten  empfohlenen  in- 
trauterinen Injectionen  von  Liquor  ferri  sesquichlorati,  zumal  in  concentrirter 
Lösung,  sowie  die  Einlegung  von  in  dieser  Lösung  getränkter  Watte  — 
wegen   der  Gefahr  der  Thrombose  und  Embolie. 

Die  acute  Anämie  und  drohende  Herzparalyse  bei  solchen  Blutungen 
wird  bekämpft  durch  niedrige  Lagerung  des  Kopfes,  heisse  anregende  Ge- 
tränke, Aetherinjectionen,  Autotransfusion  durch  Erheben  der  Beine  oder  Ein- 
wicklung  derselben  mit  EsMARcn'schen  Binden,  ferner  durch  Rectalinjectionen, 
subcutane  oder  intravenöse  Infusionen  warmer  physiologischer  Kochsalzlösung, 
eventuell  später  Bluttransfusion. 

Dauern  in  der  Nachgeburtsperiode  trotz  vollständiger  Ausstossung  der 
Placenta  und  guter  Contraction  des  Uterus  Blutungen  fort,  so  ist  ihre  Quelle 
in  einem  Riss  des  Cervix,  des  Scheidengewölbes  oder  des  Introitus  vaginae 
(am  Damm  oder  in  der  Nähe  der  Clitoris)  zu  suchen.  Diese  Blutungen 
werden  durch  Naht  oder  Umstechung  der  verletzten  Theile  gewöhnlich  leicht 
gestillt.  Nachblutungen  in  der  ersten  und  späteren  Zeit  des  Wochenbettes  sind 
meist  durch  Zurückbleiben  von  Placentar-  und  Eihautresten  (aus  zurückgeblie- 
benen Cotyledonen  können  sich  die  sogenannten  Placentarpolypen  entwickeln) 
bedingt  und  werden  durch  die  Entfernung  derselben  mittelst  der  Curette  ge- 
hoben (s.  Artikel   „Placentar-  und  Eihautreste'-'). 

Etwas  anders  als  nach  der  rechtzeitigen  Entbindung  verhält  es  sich  mit 
der  Ausstossung  der  Nachgeburt  bei  vorzeitiger  Unterbrechung  der 
Schwangerschaft.  Da  die  Placenta  sich  im  vierten  Monat  ausgebildet 
hat,  so  kommt  sie  von  da  an  beim  Abort  oder  bei  der  Fehlgeburt,  wie  man 
die  Unterbrechung  der  Gravidität  vom  Ende  des  vierten  bis  gegen  den  sie- 
benten Schwangerschaftsmonat  besser  bezeichnet,  ebenfalls  in  Betracht.  Da 
sie  aber  in  diesem  Zeitraum  in  Folge  ihrer  geringeren  Entwicklung,  sowie 
der  ungenügenden  Ausbildung  und  Vorbereitung  des  Fruchthalters  meist  nicht 
so  leicht  gelöst  und  ausgetrieben  wird,  wie  dies  nach  der  normalen  Entbin- 
dung die  Regel  ist,  so  bietet  das  Verhalten  der  Nachgeburt  in  solchen  Fällen 
gewisse  Unterschiede  von  dem  bei  der  rechtzeitigen  Geburt.  In  je  späterer 
Periode  der  Schwangerschaft  die  Fehlgebui't  eintritt,  umso  mehr  nähert  sich 

35* 


548  NACHGEBURT. 

natürlich  der  Vorgang  der  Placentarlösung  demjenigen  bei  der  Frühgeburt, 
resp.  der  rechtzeitigen  Niederkunft. 

Zur  Unterbrechung  der  Schwangerschaft  gibt  oft  genug  die  Placenta 
selbst  durch  Degeneration,  Apoplexie,  falschen  Sitz  die  Veranlassung,  (v.  Ar- 
tikel ,,Placentaanomalien'^)  In  anderen  Fällen  stirbt  die  Frucht  primär  ab, 
wodurch  bälder  oder  später  die  Ausstossung  des  Eies  herbeigeführt  wird. 
Dasselbe  wird  vom  dritten  Monat  an  selten  in  toto  ausgestossen.  Gewöhnlich 
geht  der  Fötus  zuerst  ab,  indem  die  Fruchtblase  springt;  hierauf  folgt  nach 
kürzerer  oder  längerer  Zeit  die  Nachgeburt  mit  den  Eihäuten.  Häufig  zö- 
gert der  Abgang  derselben,  weil  sich  der  Uterus  noch  nicht  so  energisch 
contrahirt  wie  am  Ende  der  Schwangerschaft.  So  kann  die  Ausstossung  der 
Nachgeburt  nach  Tagen  oder  erst  nach  Wochen  erfolgen,  bald  in  toto,  bald 
in  einzelnen  Stücken,  manchmal  fast  ohne  Blutabgang,  oft  mit  geringem"  und 
oft  auch  mit  bedeutendem  Blutverlust. 

Während  das  eine  Mal  der  Abgang  der  Placenta  sich  trotz  längerer 
Verzögerung  ohne  wesentliche  Störung  des  Allgemeinbefindens  der  Frau  voll- 
zieht, tritt  das  andere  Mal  eine  Gefährdung  der  Gesundheit  und  des  Lebens 
ein,  nicht  nur  durch  abundante  Blutungen,  sondern  auch  durch  septische 
Vorgänge  in  Folge  der  Zersetzung  zurückgebliebener  Placentartheile.  Letztere 
können  überdies  im  Wochenbett  Veranlassung  zu  pathologischen  Wucherungen 
geben  (v.  Artikel  „Placetitar-  und  Eihaub-este'-^). 

Was  das  therapeutische  Einschreiten  bei  zögerndem  Abgang  der  Nach- 
geburt betriift,  so  stehen  sich  hier  zwei  Richtungen  gegenüber.  Die  einen, 
wie  Martin,  Fehling,  Kleinwächter  u.  s.  f.,  entfernen  die  Placentartheile 
stets,  auch  wenn  keine  Blutung  besteht,  möglichst  rasch  durch  Ausräumung 
mit  dem  scharfen  Löffel  und  schliessen  zugleich  die  Auskratzung  der  Uterus- 
schleimhaut und  sogar  die  Ausätzung  der  Uterushöhle  an  —  wenn  nöthig 
unter  Vorausschickung  der  instrumentellen  Dilatation  des  Cervicalcanals. 
Nicht  nur  die  Blutung,  sondern  auch  das  Vorhandensein  von  Sepsis  betrachten 
sie  geradezu  als  Indication  für  die  Anwendung  des  scharfen  Löffels.  Die 
anderen,  wie  Veit,  Schauta  und  besonders  v.  Winckel,  empfehlen  ein  mehr 
exspectatives  Verfahren,  indem  sie  zu  bedenken  geben,  dass  wir  mit  Fingern 
oder  Instrumenten  die  Placenta  niemals  in  so  reiner  und  vollkommener  Weise 
von  der  Uteruswand  ablösen  können,  wie  dies  die  Natur  durch  die  allmälig 
wirkenden  Uteruscontractionen  besorgt.  Sie  überlassen  also,  wenn  keine  In- 
dication zum  Eingreifen  besteht,  den  Vorgang  der  Natur,  indem  sie  höchstens 
für  desinficirende  Ausspülungen  sorgen.  Bei  Blutungen  wenden  sie  die  Tam- 
ponade an,  bei  Verjauchung  die  manuelle  Ausräumung;  zurückgebliebene 
Reste  werden  durch  intrauterine  Carbolirrigationen  unschädlich  gemacht.  Den 
scharfen  Löffel  verwerfen  sie,  weil  einmal  die  Entfernung  aller  Placentartheile 
unsicher  ist,  und  dann,  besonders  bei  Sepsis,  seine  Anwendung  im  puerperalen 
Uterus  gefährlich  werden  kann,  dadurch,  dass  er  den  Infectionsstoften  neue 
Eintrittspforten  eröffnet. 

Nach  zwanzigjährigen  Erfahrungen  über  mehr  exspectatives,  sowie  über 
mehr  actives  Verhalten  und  nach  zahlreichen  Beobachtungen  des  von  unge- 
übten, aber  auch  von  geübten  Händen  in  der  Privatpraxis,  wie  in  Anstalten 
durch  die  Currette  [angerichteten  Unheils  muss  der  Verfasser  den  Ansichten 
V.  Winckel's  vollständig  beipflichten  und  kann  hauptsächlich  dem  Praktiker 
als  einfach  und  zuverlässig  folgendes  stets  mit  Vortheil  erprobtes  Verfaliren 
empfehlen: 

Wenn  weder  Blutung  noch  Fieber  ein  Eingreifen  indicirt, 
wartet  man  nach  Abgang  des  Fötus  ruhig  ab,  bis  die  Placenta 
von  selbst  folgt.  Besonders  bei  noch  nicht  genügend  eröffnetem  Cervix 
unterlässt  man  jeden  Versuch  einer  manuellen  Entfernung,  vor  allem  auch 
jede  Dilatation  des  Cervicalcanales,   da  dieselbe  in  Folge  der  Uteruscontrac- 


NACHGEBURT.  549, 

tionen  spontan  viel  besser  und  ausgiebiger  zu  Stande  kommt.  Ist  die  Pla- 
€enta  bereits  im  eröffneten  Muttermund  erschienen,  so  wird  sie  nur  entfernt, 
wenn  dies  ganz  leicht  geht.  (Manchmal  gelingt  die  bimanuelle  Expression 
nach  Höning:  im  vorderen  Scheidengewölbe  werden  zwei  Finger  gegen  den 
Uteruskörper  gesetzt  und  derselbe  von  den  Bauchdecken  gegen  diese  Finger 
compiimirt.)  Nie  dürfen  Extractionsversuche  vorgenommen  werden,  wenn  die 
Placenta  noch  fest  im  Collum  steckt,  da  man  sonst  nur  Stücke  abreisst  und 
die  vollständige  Lösung  stört  md  verzögert. 

Wenn  Blutungen  zu  möglichst  rascher  Entleerung  des  Uterus  drängen 
oder  wenn  man  wegen  grösserer  Entfernung  die  Frau  niclit  sich  selbst  über- 
lassen will,  so  kommt  in  erster  Linie  die  Tamponade  der  Scheide  in  Betracht. 
Dieselbe  wird  mittelst  eines  langen  Streifens  von  Jodoformgaze  oder  Verband- 
watte (die  man  an  ihrem  Ende,  resp.  Anfang  mit  Jodoform  bestreut)  ohne 
Speculum  und  ohne  Instrumente  vorgenommen.  Der  Tampon  muss  das  ganze 
Scheidengewölbe  vollständig  ausfüllen  und  mit  einiger  Kraft  fest  in  dasselbe 
gestopft  werden.  Dadurch  wird  die  Blutung  sicher  gestillt,  zugleich  werden 
Uteruscontractionen  angeregt,  und  wenn  man  den  Tampon  nach  8 — 12  Stun- 
den entfernt,  findet  man  in  der  Regel  die  ganze  Placenta  sammt  den  Eihäuten 
hinter  demselben  liegen. 

Wenn  dies  nicht  der  Fall  ist,  und  wenn  gar  stärkere  Blutungen 
eintreten,  so  tamponirt  der  Verfasser,  nach  vorausgehender  Desinfection  der 
Vagina,  im  Speculum  die  ganze  Uterushöhle  mit  einem  langen  ca.  5  cm  breiten 
Jodoformgazestreifen  vollständig  aus.  Mit  der  Sonde  oder  mit  der  Komzange 
wird  in  den  durch  eine  Hakenpincette  fixirten  Uterus  so  viel  Gaze  eingeführt 
als  sich  ohne  zu  grosse  Kraft  einbringen  lässt.  Im  Anschluss  hieran  wird 
zweckmässig  auch  noch  das  Scheidengewölbe  tamponirt.  Dieses  Verfahren 
ist  schonender,  ungefährlicher  und  sicherer  als  die  manuelle  oder  gar  instru- 
mentelle  Ausräumung  des  Uterus.  Der  die  ganze  Uterushöhle  ausfüllende 
Tampon  stillt  die  Blutung  unfehlbar,  da  der  Uterusmuskel  um  diese  Zeit 
nicht  erschlaffen  kann  wie  bei  der  Atonia  uteri  nach  rechtzeitiger  Geburt; 
zugleich  erregt  er  als  Fremdkörper  energische  Contractionen,  welche  die 
Placenta  dem  natürlichen  Vorgang  entsprechend  lösen,  so  dass  dieselbe  bald 
zusammen  mit  dem  Tampon  ausgestossen  wird.  So  wird  am  besten  die  Re- 
tention von  Eiresten  verhindert  und  zugleich  die  Rückbildung  des  Uterus  ein- 
geleitet. 

Ist  Zersetzung  der  Placenta  mit  Fieber  und  septischen  Erschei- 
nungen eingetreten,  so  nimmt  der  Verfasser  nach  einer  intrauterinen  Carbol- 
irrigation  ebenfalls  die  Tamponade  der  Uterushöhle  vor.  Der  Jodoformgaze- 
streifen wird  zuvor  an  einem  vorangehenden  Ende  20— 25  cm  weit  in  Carbol- 
campher  1 :  3,  eine  nicht  ätzende,  stark  antiseptische  und  wenig  giftige  Lö- 
sung, getaucht.  Die  Wirkung  ist  eine  vorzügliche;  die  Nachgeburt  wird  ge- 
wöhnlich in  kurzer  Zeit  unter  vollständiger  Entfieberung  ausgestossen.  Sollte 
die  Ausstossung  keine  vollkommene  sein  oder  die  Temperatur  wieder  an- 
steigen, so  werden  wiederholte  oder  permanente  Carbolirrigationen  der  Uterus- 
hohle  vorgenommen.  Vor  und  besonders  nach  Abgang  der  Placenta  kann  man 
Ergotin  und  später  auch  Hydrastis  canadensis  anwenden,  um  stärkere  Uterus- 
contractionen anzuregen  und  die  puerperale  Involution  zu  beschleunigen. 

Bei  verschlepptem  und  verzetteltem  Abgang  von  Placentarstücken,  wenn 
schon  ein  längerer  Zeitraum  nach  Beginn  der  Fehlgeburt  verflossen  ist  und 
Blutabgang  auf  das  Vorhandensein  von  Eiresten  hinweist,  wird  am  besten, 
eventuell  nach  vorhergeschickter  Dilatation  des  Cervix  (Feitsch's  Dilatatorien 
oder  Jodoformgaze),  die  Entfernung  der  Massen  mittels  der  Curette  *)  ausgeführt. 

EDGAE  KURZ. 


*j  Vergl.  Artikel  ^Curettetnent^,  pag.  175. 


550 


NÄHTE  AM  KINDESSCHÄDEL. 


Fig.  1. 


Z  = 


Nähte  am  Kindesschädel.  Die  Knochen,  welche  das  feste  Gehäuse 
des  Schädels  bilden,  sind  beim  Kinde,  wegen  des  noch  nicht  vervollstän- 
digten Ossificationsprocesses,  mittelst  membranöser  oder  knorpeliger  Zwischen- 
stellen verbunden.  An  den  Knochenrändern  bezeichnet  man  diese  als  Nähte 
(suturae),  die  Zwischenräume  zwischen  mehreren  Knochen  hingegen  mit  Fon- 
tanellen (fonficiUi).  Ersteresind:  1.  Die  Kronen-  oder  Kranznaht  (sufura 
coronalis)  gebildet  vom  kreisförmigen  Rande  des  Stirnbeines  und  den  Scheitel- 
■„^--^  beinen.   2.  Die  Pfeil  naht  {sutura 


sagiUalis  s.  interparietalis)  zwischen 
den  oberen  Rändern  der  beiden 
Scheitelbeine;  sie  setzt  sich  in  die 
'6.  Lambdanaht  {sutura  lambdo- 
idea)  fort,  zwischen  den  hinteren 
Rändern  der  Scheitelbeine  und  der 
Hinterhauptsschuppe;  endlich  wird 
das  Stirnbein  durch  die  Stirnnaht 
{sutura  frontalis)  als  Fortsetzung  der 
Pfeilnaht  nach  vorne  bis  zur  Nasen- 
wurzel in  zwei  Hälften  getheilt. 

In   der   Mitte    der   Kranznaht 
zwischen  Stirnbein  und  den  Seiten- 
wandbeinen  findet   sich  der  grösste, 
etwa  2  cm  breite  und  ebenso  lange 
rhombische    Zwischenraum,     dessen 
Spitze  in  die  Stirnnaht  verläuft;  er 
heisst  1.  die  grosse  Fontanelle 
{fonticulus   major);    fonticulus,    weil 
die  Alten  unter  seiner  Pulsirung  die 
Lebensquelle  vermutheten.    Verfolgt 
man  die  Kranznaht  zu  bei- 
den Seiten  nach  abwärts,  so 
kommt    man    an    die    von 
Stirn-,    Schläfen-  und  Keil- 
bein begrenzte  Lückenräume; 
die     beiden     vorderen 
Seitenfontanellen(/o?2- 
ticuli  laterales  anteriores). 

Entlang  der  Pfeilnaht 
und  von  der  Hinterhaupts- 
schuppe begrenzt  findet  sich 
beim  Fötus  eine  dreieckige 
langausgezogene  Lücke,  die 
sogenannte  kleine  Fon- 
tanelle {fonticulus  minor), 
die  bei  ausgetragenem  Kinde 
nurmehr  als  Vertiefung  zu 
fühlen  ist. 

Der  Lambdanaht  ent- 
lang gegen  die  Schädelbasis 
zu  stösst  man  ~  auf  die 
beiderseitigen,  viereckigen,  hinteren  Seit enfontanellen  (/b?/i^icu/e  Za^e- 
rales  po4'rior's),  von  dem  Schläfe-,  Seitenwand-  und  Hinterhauptsbein  begrenzt. 
Sowohl  die  Nähte  als  auch  die  Fontanellen  sind  für  den  Dm'chtritt  des  Kindes- 
schädels aus  den  Geburtswegen  von  hoher  Wichtigkeit.  Während  die  Nähte 
ein  Aneiuaiidertreten  der  Knochen  um  mehrere  Millimeter  gestatten,  erlaubt 


Fontanellen  und  Nähte  am  Kindesscliädel, 
von  oten  gesehen. 
grosse  Fontanelle;  II  =  kleine  Fontanelle 
i  =  Kronen-  oder  Kranznaht.    2  ^  Pfeilnaht,  übergehend 
in  3  =  Lambdanaht.     4  =  Stirnnaht. 


Pig.  2.   Fontanellen  und  Nahte  am  Kindesschadel, 
von  der  Seite  gesehen. 
J    Grosse  Fontanella,   II.   Kleine   Funtane'la,   III.  Linke 
vordere  Seite ifontanella,    IV.  =  linke  hintere  Seitenfon- 
tanelle;   1    =    Krahn-    oder  Kranznaht,     2  =  Pfeilnaht 
übergehend  in  3  =  Stirnnaht. 


NARCOSE  IN  DER  GEBURTSHILFE.  551 

die  grosse  Fontanelle  eine  Verschiebung  des  Stirnbeines  unter  die  Schläfebeine, 
ebenso  die  vorderen  Seitenfontanellen  ein  Aneinanderrücken  der  übrigen 
Knochen,  wodurch  diese  sich  dem  Geburtscanal  leichter  anpassen,  die 
Querdurchmesser  des  Kindesschädels  zugleich  eine  beträchtliche  Itcduction  er- 
fahren müssen,  und  dann  der  Schädel  den  auf  ihn  ausgeübten  Druck 
leichter  erträgt. 

In  diagnostischer  Beziehung  kommen  sowohl  die  Nähte  als  die 
Fontanellen  in  Anbetracht;  man  erkennt  an  ihnen,  oft  noch  vor  eröffnetem 
Muttermunde  den  kindlichen  Schädel  und  bestimmt  daraus  die  Lage  des  Kindes 
im  Uterus.  elischer. 

NarCOSe  in  der  Geburtshilfe.  Es  ist  eine  Thatsache,  dass  der  Prak- 
tiker die  Narcose  in  der  Geburtshilfe  fast  gar  nicht  verwendet,  eine  Thatsache, 
die  bedingt  ist  durch  die  Scheu,  die  Narcose  selbst  zu  unternehmen,  und  die 
Schwierigkeit,  rasch  einen  Collegen  herbeizuschaffen.  Meiner  Ansicht 
nach  kann  der  Arzt  recht  gut  ausser  der  geburtshilflichen  Ope- 
ration auch  die  Narcose  übernehmen.  Ich  bin  stets,  wo  ich  nur 
auf  die  Hilfe  der  Hebamme  angewiesen  war,  so  vorgegangen,  dass  ich  die 
Patientin  zweckmässig  lagerte,  mich  selbst,  dann  die  Patientin  desinficirte  und 
jetzt  ausschliesslich  an  die  Narcose  heranging.  War  die  Narcose  völlig  er- 
reicht, also  nach  Aufhören  des  Cornealreflexes,  so  desinficirte  ich  mich  noch 
einmal  und  ging  dann  an  die  eigentliche  Operation  heran. 

Die  Kürze  der  meisten  geburtshilflichen  Operationen  erlaubt  es  häufig, 
die  ganze  Operation  in  der  so  erzeugten  Narcose  zu  beenden.  Dauert  die 
Operation  voraussichtlich  länger,  so  zieht  man  die  Zunge  mit  einem  feinem 
Muzeux  vor  und  weist  die  Hebamme  an,  zeitweise  1 — 2  Tropfen  Chloroform 
auf  die  Maske  aufzugiessen  und  das  nicht  eher  zu  wiederholen,  als  bis  die 
Maske  überhaupt  nicht  mehr  nach  Chloroform  riecht.  So  vermeidet  man  die 
schweren  Asphyxien  nach  bereits  erzielter  tiefer  Narcose,  die  zu  reichlicher 
Chloroformdarreichung  ihre  Entstehung  verdanken  —  und  gegen  die  Asphyxien 
im  Beginn  der  Narcose  ist  man  völlig  gerüstet,  so  lange  man  sich  aus- 
schliesslich der  Narcose  widmet.  Geht  man  in  dieser  Weise  vor,  so  ist  bei 
unglücklichem  Ausgang  ein  Conflict  mit  dem  Strafgesetzbuch  ausgeschlossen. 

Der  Werth  der  Narcose  in  der  Geburtshilfe  besteht  in  folgendem: 

1.  Bei  sehr  empfindlichen,  resp.  durch  dauernde  Schmerzen  ungebärdigen 
Personen  ermöglicht  uns  erst  die  Narcose,  die  in  diesen  Fällen  meistens  nur 
eine  oberflächliche  zu  sein  braucht,  eine  richtige  Diagnose;  sie  ermöglicht  es, 
die  wichtige  Frequenz  der  kindlichen  und  mütterlichen  Pulsschläge  festzustellen, 
und  zwar  letzterer  unbeeinflusst  durch  psychische  Erregung  der  Kreissenden. 
Sie  allein  gestattet  bei  straffen,  engen  Genitalien  die  ausgiebige  Austastung 
des  Beckens  zur  Feststellung  der  inneren  Beckenmaasse,  des  Tiefstandes  und 
der  Einstellung  des  Kopfes.  Die  Möglichkeit,  in  Narcose  den  Kopf  ausgiebig  zu 
betasten,  lässt  uns  selbst  bei  grosser  Kopfgeschwulst  den  Verlauf  der  Nähte 
und  den  Stand  der  Fontanellen  erkennen.  Die  auf  diese  Weise  in  Narcose 
erhobenen  Befunde,  welche  von  den  früheren  oft  erheblich  abweichen,  geben 
uns  vielfach  sehr  wichtige  Anhaltspunkte  für  die  richtige  Therapie. 

2.  Die  tiefe  Narcose  unterstützt  die  eigentliche  geburts- 
hilfliche Therapie.  Sehr  wichtig  ist  in  dieser  Beziehung  die  Ausschaltung 
der  Bauchpresse,  durch  welche  wir  in  den  Stand  gesetzt  werden,  die  innere 
Hand  durch  Entgegendrängen  des  Uterus  mit  der  äusseren  Hand  zu  unter- 
stützen und  hierdurch  die  innere,  die  combinirte  Wendung,  die  Placentar- 
lösung  bei  Aborten  oder  nach  normaler  Geburt  wesentlich  zu  erleichtern,  resp. 
überhaupt  zu  ermöglichen.  Die  Ausschaltung  der  Bauchpresse  durch  die  Nar- 
cose ermöglicht  ferner  in  manchen  Fällen  die  Reposition  von  Tumoren,  die 
den  Beckencanal  verlegen,  in  das  grosse  Becken  —  sie  ermöglicht  ferner  bei 


552  NAECOSE  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

Steisslagen  das  Herausdrängen  des  Steisses  aus  dem  Becken  in  all  den  Fällen, 
wo  der  Steiss  noch  nicht  tief  genug  steht,  um  manuell  extrahirt  werden  zu 
können.  Ist  also  bei  feststehendem  Steiss  unter  diesen  Umständen  die  Ex- 
traction  nöthig,  so  lässt  sich  durch  die  tiefe  Narcose  die  gefährliche,  respective 
schwierige  Anwendung  des  stumpfen  Hakens  oder  der  Schlingen  oder  ander- 
weitiger Zuginstrumente  ganz  umgehen,  da  man  in  der  Lage  ist,  die  Steiss- 
lage  in  eine  Fusslage  umzuwandeln  und  die  leichte  Extraction  am  Fuss  zu 
machen. 

Die  tiefe  Narcose  erleichtert  ferner  das  Eindringen  einzelner  Finger,  resp. 
der  ganzen  Hand  in  den  mangelhaft  erweiterten  Muttermund.  Man  hat  hier 
manchmal  den  Eindruck,  als  ob  die  Narcose  einen  bestehenden  Krampf  be- 
seitigte. 

3.  Die  Narcose  wirkt  als  selbständiges  therapeutisches 
Agens,  indem  sie  die  Geburt  beschleunigt.  Die  bei  normalen  Geburten  an- 
gestellten Untersuchungen  von  v.  Winckel,  Poullet  und  Dönhoff  kommen  zu 
dem  entgegengesetzten  Resultate,  indessen  sind  diese  Untersuchungen  bei  Krei- 
ssenden aus  den  unteren  Classen  angestellt.  Ich  verfüge  über  eine  ganze 
Eeihe  von  Beobachtungen,  wo  bei  sensiblen  Erstgebärenden  der  höheren  Classen 
die  Geburt  gegen  Ende  der  Austreibungszeit  trotz  guter  Wehenthätigkeit 
stillstand,  weil  die  Kreissenden  aus  Angst  vor  den  vermehrten  Schmerzen  die 
Bauchpresse  nicht  spielen  Hessen.  Eine  ganz  leichte  Narcose,  die  in  Auf- 
giessen  von  wenigen  Tropfen  Chloroform  im  Beginne  der  Wehe  bestand  und 
nicht  einmal  völlige  Analgesie  herbeiführte,  genügte  in  diesen  Fällen,  um  die 
Bauchpresse  in  Thätigkeit  zu  setzen  und  die  Geburt  rasch  zu  beenden. 

Für  solche  Fälle,  die  an  der  Grenze  des  Normalen  stehen,  empfehle  ich 
die  Narcose  gegen  Ende  der  Geburt  zur  Beseitigung  des  Geburtsschmerzes 
und  zur  hiedurch  erzielten  Beschleunigung  der  Geburt.  Aus  denselben  Gründen 
wende  ich  in  der  Eröffnungsperiode  die  leichte  Narcose  bei  Krampf  wehen 
an,  in  Fällen  also,  wo  die  Wehenthätigkeit  nur  schwach  ist,  wo  aber  die 
Wichen  excessiv  schmerzhaft  sind,  und  wo  auch  in  der  Wehenpause  der  Uterus 
nicht  ordentlich  erschlafft.  In  diesen  Fällen  habe  ich  gesehen,  dass  bei  mi- 
nimalem Chloroformverbrauch  der  auf  1 — 2  cm  geöffnete  Muttermund  sich 
binnen  2 — 3  Stunden  völlig  erweiterte,  und  bald  darauf  die  Geburt  erfolgte, 
nachdem  die  Kreissenden  vorher  schon  Tage  lang  in  Geburtsschmerzen  ge- 
legen hatten,  ohne  dass  die  Geburt  Fortschritte  machte. 

4.  Zur  Beseitigung  des  Geburtsschmerzes  allein,  bei  regel- 
mässiger Wehenthätigkeit  und  guter  Action  der  Bauchpresse,  soll  die  Narcose 
nur  bei  ganz  excessiven  Schmerzen  angewendet  werden,  wenn  gutes  Zureden, 
Ermahnungen  und  der  Gebrauch  von  Morphium,  Opium  oder  Chloral  nichts 
helfen.  Auch  soll  die  Narcose  in  diesen  Fällen  nicht  über  4  Stunden  aus- 
gedehnt werden,  da  ich  mehrmals  bei  längerer  Narcose  plötzlich  eine  Ab- 
schwächung  der  kindlichen  Herztöne  constatirte,  und  mittels  Zange  die  Kinder 
tief  soporös  extrahirte.  Diese  Thatsache  kann  nicht  Wunder  nehmen,  seitdem 
Zweifel  den  Uebergang  von  Chloroform  in  das  fötale  Blut  nachgewiesen  hat. 
Sie  fordert  bei  längeren  Narcosen  zu  sorgfältiger  Ueberwachung  der  kind- 
lichen Herztöne  auf. 

Um  zu  recapituliren,  so  empfehle  ich  eine  kurze,  aber  tiefe  Nar- 
cose bei  den  meisten  geburtshilflichen  Operationen  —  bei  der 
Zange  genügt  häufig  eine  leichtere  Narcose  —  und  für  manche  innere 
Untersuchungen  zwecks  genauer  Diagnosenstellung,  eine  län- 
gere, aber  nur  oberflächliche  Narcose,  zur  Beschleunigung  der 
Geburt  bei  gewissen  Anomalien  der  austreibenden  Kräfte  oder 
zur  Beseitigung  ganz  excessiver  Wehenschmerzen  bei  sonst 
normaler  Geburt. 


NEPHRITIS  GRAVIDARUM.  553 

Herzfehler,  Lungen-,  Nicrenkrankheiten  contraindiciren  im  Allge- 
meinen die  Narcose,  als  speciclle  Contraindi  cationen  nenne  ich  Sepsis, 
Eklampsie,  Tetanus  uteri,  acute  Anämie.  In  all  diesen  Fällen  kann  ich  nur 
eine  unter  allenCautelen  instituirte,  kurze  Narcose  zwecks  möglichst 
rascher    Beendigung    der    Geburt    für    cmpfehlenswerth    halten    (v,    Artikel 

Die  Aethernarcose  Kreissender  darf  Nachts  wegen  der  Explosionsgefahr 
nicht  ausgeführt  werden.  Uebrigens  entwickelt  auch  aus  Chloroform  bei  Petro- 
leum- und  Gaslicht  freies  Chlor  und  Salzsäure  (Stohwasseu,  Kyll),  die  so- 
gar zu  Lungenentzündungen  (Zweifel)  führen  können.  In  kleinen  Räumen  ist 
daher  nach  der  Entbindung  auf  gründliche  Lüftung  zu  sehen.  Hierauf  werden 
allerdings  auch  Laien  von  selbst  durch  die  unerträgliche  Atmosphäre  ver- 
anlasst, die  häufig  zu  starkem  Reizhusten  führt.  dührssen. 

Nephritis  gravidarum.  Hiemit  bezeichnet  man  verschiedene  Krankheits- 
zustände,  nämlich  : 

1.  Die  Schivang  er  Schaftsniere  Leyden's. 

2.  Die  rilckfällige  Schivangerschaftsniere. 

3.  Eine  in  der  Schwangerschaft  entstandene  wirkliche  Nephritis. 

4.  Eine  in  die  Schwangerschaft  mit  hineingenommene  chronische  Nephritis. 
Einfache  Albuminurie  kommt   nach   klinischen  Zusammenstellungen   in 

circa  57o  bei  Schwangeren  vor. 

ad  1.  Die  Schwangerschaftsniere  ist  die  häufigste  Erkrankung. 
Ihre  Symptome  bestehen  darin,  dass  meistens  bei  I.-paris  in  der  zweiten 
Hälfte  der  Schwangerschaft,  und  zwar  am  häufigsten  in  den  letzten  Wochen  der 
Schwangerschaft  bei  den  bisher  ganz  gesunden  Schwangeren  Hydrops  und  Al- 
buminurie auftritt.  Der  Hydrops  ist  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ein  Hydrops 
anasarca,  der  ganz  ausserordentlich  hochgradig  werden  kann,  so  dass  die  Beine 
ganz  unförmlich  anschwellen,  und  die  Schwangere  weder  gehen  noch  sitzen  kann. 
Selten  ist  auch  Ascites  vorhanden.  Der  Urin  ist  in  seiner  Menge  vermindert 
und  enthält  reichlich  Albumin,  meistens  auch  Formelemente,  Cylinder, 
Nierenepithelien,  weisse  Blutkörperchen  und  rothe,  letztere  gewöhnlich  nur  in 
geringer  Anzahl.  In  vielen  Fällen  macht  der  beschriebene  Zustand  der  Schwan- 
geren so  wenig  Beschwerden,  dass  sie  gar  keine  ärztliche  Hilfe  nachsuchen. 
Die  Erkrankung  dauert  dann  in  günstigen  Fällen  nur  bis  zur  Geburt,  die 
rechtzeitig  eintritt.  Nach  der  Geburt  wird  der  Urin  sehr  reichlich,  und  binnen 
wenigen  Tagen  verschwinden  die  Oedeme  und  die  Albuminurie  vollständig. 
Immer  jedoch  besteht  bei  den  Fällen  von  Schwangerschaftsniere,  die  ohne 
rationelle  Behandlung  bleiben,  die  Gefahr  des  Ausbruchs  der  Eclampsie 
(cf.  Artikel  „  Eclamp)sie'^).  Dieses  Ereignis  ist  zu  fürchten,  wenn  die  Urinmenge 
plötzlich  bedeutend  abnimmt,  wenn  sich  Kopfschmerzen,  Uebelkeit,  Magen- 
schmerzen, Erbrechen,  Dunkelwerden  vor  den  Augen,  Amaurose  einstellen. 
Die  Eclampsie  tritt  vielfach  vor  der  Geburt  auf  und  führt  zur  Frühgeburt  oder 
die  Schwangerschaft  erreicht  ihr  normales  Ende  und  erst  im  Verlauf  der  Ge- 
burt kommt  es  zu  eclamptischen  Krämpfen. 

Eine  andere  ungünstige  Folge  der  Schwangerschaftsniere  ist  der  Fort- 
bestand der  Albuminurie  auch  nach  der  Geburt. 

Der  der  Schwangerschaftsniere  zu  Grunde  liegende  Krankheitsprocess 
besteht  nicht  in  einer  wirklichen  Nephritis,  sondern  nach  Leydex  in  einer  ein- 
fachen Anämie  der  Niere,  welche  zu  Fettinfiltration  der  Nierenepithelien, 
besonders  in  den  gewundenen  Canälchen,  und  zu  den  beschriebenen  Störungen 
der  Urinsecretion  führt.  Es  handelt  sich  somit  nicht  um  eine  Destruction  des 
Nierengewebes,  nicht  um  eine  fettige  Degeneration  mit  Zerfall  der  Zellen, 
sondern  um  eine  einfache,  durch  die  Schwangerschaft  bedingte  functionelle 
Störung,  die  nach  Ablauf  der  Schwangerschaft  in  der  Regel  verschwindet. 


554  NEPHRITIS  GRAVIDARUM. 

Woher  stammt  nun  die  Anämie  der  Niere?  Mit  Spiegelberg,  Cohn- 
HEiM  und  Osthoff  sehe  ich  die  Ursache  der  Anämie  in  einem  Krämpfe  der 
Nierenarterien,  welcher  reflectorisch  durch  die  Reizung  sensibler  Nerven  des 
Genitaltractus  erzeugt  mrd.  Als  Reize  sind  zu  nennen  die  Schwangerschafts- 
wehen, starke  Ausdehnung  des  Uterus,  Eintritt  des  Kopfes  in  das  Becken. 
Alle  diese  Reize  machen  sich  erst  in  der  zweiten  Hälfte  der  Schwangerschaft 
geltend,  womit  die  Thatsache  gut  übereinstimmt,  dass  die  Schwangerschafts- 
niere eine  Erkrankung  der  letzten  Monate  der  Schwangerschaft  darstellt. 
Durch  Summirung  der  Reize  oder  durch  einen  ungewöhnlich  starken  Reiz 
kommt  es  dann  zu  einer  derartigen  Anämie  der  Niere  mit  consecutiver  Er- 
nährungsstörung der  Nierenepithelien,  dass  eine  hochgradige  Beschränkung 
der  Harnsecretion  und  Eclampsie  („Eclampsia  uraemica")  die  Folge  ist. 

Gelegentlich  kann  die  beschriebene  Ernährungsstörung  der  Niere  .auch 
durch  Harnstauung  erzeugt  werden  (Ureterencompression  durch  den  Uterus 
oder  Kindskopf  —  Halbeetsma). 

Die  Behandlung  der  Seh  wanger  sc  haftsniere  hat  vor  Allem 
in  der  Regelung  der  Diät  zu  bestehen.  Die  beste  Behandlung  besteht  in 
der  Anordnung  einer  absoluten  Milchdiät,  neben  welcher  man  noch  Eier, 
Geflügel,  Mehlspeisen,  Gemüse  und  als  Getränk  kohlensaure  Wässer 
erlauben  darf.  Sehr  wichtig  ist  ferner  für  die  Verminderung  der  Albuminurie 
die  Ruhe,  am  besten  vollständige  Bettruhe.  Ist  der  Urin  sehr  sparsam,  so 
wendet  man  heisse  Bäder  bis  zu  45''  C.  mit  nachfolgenden  feuchtwarmen  Ein- 
packungen an.  Verfasser  hat  unter  zahlreichen  Fällen  von  Schwangerschafts- 
niere noch  keinen  Fall  gesehen,  wo  bei  dieser  schon  in  der  Schwangerschaft 
eingeleiteten  Behandlung  Eclampsie  eingetreten  wäre. 

Was  die  Prognose  der  Schwangerschaftsniere  anlangt,  so  hängt 
dieselbe  von  der  Möglichkeit  einer  rechtzeitigen  Behandlung  ab.  Durch  diese 
beugen  wir  sowohl  der  Eclampsie  als  auch  dem  Uebergang  der  Schwanger- 
schaftsniere in  eine  chronische  Nephritis  vor.  Letztere  Möglichkeit  ist  nach 
Leyden  keineswegs  selten.  Verfasser  sah  ebenfalls  mehrfach  nach  vorausgegan- 
gener Schwangerschaftsniere  mit  Eclampsie  Albuminurie  Jahrelang  bestehen 
bleiben.  Unter  158  Fällen  von  Schwangerschaftsniere,  die  von  der  Eclamp- 
sie genesen  waren,  hatten  26  (16"5Vo)  bei  der  Entlassung  aus  der  geburts- 
hilflichen Klinik   der  Charite  noch  Eiweiss  im  Urin. 

ad  2.  Die  rückfällige  Schwangerschaftsniere.  Das  Krankheits- 
bild derselben  schildert  Fehling  folgendermassen :  Es  handelt  sich  um  Frauen, 
die  ausserhalb  der  Schwangerschaft  ganz  gesund  sind,  aber  meist  schon  mit 
Beginn  der  Schwangerschaft  reichlich  Eiweiss,  sparsame  Cylinder  im  Urin  auf- 
weisen ;  daneben  bestehen  manchmal  Oedeme,  gesteigerte  Herzaction.  In 
den  meisten  Fällen  kommt  es  zum  Absterben  der  Frucht  infolge  der  durch 
die  Krankheiten  gesetzten  Veränderungen  der  Placenta,  den  sogenannten 
weissen  Infarcten  —  darauf  Abnahme  der  Fruchtwassermenge  und  Aufhören 
des  Wachsthumes  der  Gebärmutter  und  damit  Hand  in  Hand  Abnahme  oder 
sogar  völliges  Verschwinden  der  Albuminurie.  Die  weitere  Folge  ist  habitueller 
Abort.  Eclampsie  tritt  selten  ein.  Herz  Veränderungen  fehlen. 

Die  Behandlung  dieser  Fälle  ist  dieselbe  wie  die  der  einfachen  Schwanger- 
schaftsniere. 

ad  3.  und  4.  Beide  Formen  der  Nephritis  unterscheiden  sich  nur  da- 
durch, dass  die  eine  nachweislich  schon  vor  der  Schwangerschaft  bestand, 
während  die  andere  erst  in  der  Schwangerschaft  entsteht  oder  wenigstens  erst 
in  der  Schwangerschaft  zu  auffälligen  Krankheitserscheinungen  führt.  In  beiden 
Formen  finden  wir  mit  Ausnahme  der  Fälle  von  Schrumpfniere  reichlich  Eiweiss 
und  Formelemente  im  Urin,  sowie  Oedeme.  Das  Allgemeinbefinden 
ist  viel  mehr  gestört,  als  bei  der  einfachen  Schwangerschafts- 
niere, die  Patientinnen  magern  ab,  bei  längerem  Bestand  des  Leidens  findet 


OOPHORITIS.  55b 

sich  Herzhypertrophie  Als  Complicationen  treten  Retinitis  alhuminurica, 
Gehirnblutungen,  dagegen  selten  Eclampsie  auf,  insofern  wir  unter  Eclampsia 
Urämie  mit  Convulsionen  verstehen.  Urämie  ohne  Convulsionen  ist  häufig.  Eine 
schon  vor  der  Schwangerschaft  bestehende  Nephritis,  wird  durch  die  Schwan- 
gerschaft beträchtlich  verschlimmert.  Auch  für  die  Kinder  ist  die 
Prognose  sehr  schlecht.  So  gebaren  nach  Feiiling  5  Frauen  mit  chro- 
nischer Nephritis  in   16  Geburten   11  todte  Kinder. 

Die  Ursache  für  das  habituelle  Absterben  der  Kinder  bei 
Nephritis  liegt  in  den  schon  oben  erwähnten  Placentarveränderungen,  den 
weissen  Infarcten.-)  Diese  sind  theils  durch  Necrose,  beziehungsweise  hyaline 
Degeneration  der  Decidua  (Steffek,  Jacobsoiin),  theils  durch  Blutergüsse 
entstanden,  welche  wiederum  durch  eine  Endarteritis  der  decidualen  Ge- 
fässe  (Rohr,  Rossier),  beziehungsweise  durch  eine  hyaline  Degeneration  der 
Gefässendothelien  (Jacobsohn)  bedingt  werden.  Die  Placenta  wird  hierdurch 
klein,  derb  und  äusserst  blutarm.  Die  Frucht  stirbt  infolge  der  Beschränkung 
des  placentaren  Kreislaufes  ab,  oder  das  Ei  wird  infolge  der  Necrose  der 
Decidua  zum  Fremdkörper  und  daher  vorzeitig  ausgestossen.  Die  erwähnten 
Blutergüsse  können  auch  zu  einer  vorzeitigen  Ablösung  der  normal  inserirten 
Placenta  führen  (Winter)  und  hierdurch  noch  neue  Gefahren  für  das  mütter- 
liche Leben  herbeiführen. 

Die  Behandlung  der  wirklichen  Nephritis  in  graviditate 
ist  zunächst  die  der  einfachen  Schwangerschaftsniere.  Bleibt  trotz  Bettruhe, 
Milchdiät,  heisser  Bäder  die  Eiweissausscheidung  gleich  stark,  oder  treten 
gefahrdrohende  Erscheinungen,  wie  urämische  Kopfschmerzen,  starkes  Nasen- 
bluten, Retinitis,  Circulationsstörungen  auf,  so  ist  der  künstliche  Abort  oder 
die  künstliche  Frühgeburt  indicirt.  Chloroformnarkose  ist  hierbei  wegen 
ihrer  deletären  Wirkung  auf  die  Nieren  (v.  ,,Eclamime")  wennmöglich  zu 
vermeiden.  Eine  erneute  Conception  muss  bei  Nierenleidenden  verhütet 
werden.  Dijhrssen. 

Oophoritis.  Die  acute  Oophoritis  ist  in  der  Regel  Folge  einer  In- 
fection  entweder  einer  örtlichen  der  Genitalorgane  während  der  Gebiu't  oder 
eines  Aborts,  nach  gynäkologischen  Eingriffen,  durch  Uebertragung  einer 
Gonorrhoe  oder  einer  allgemeinen,  bei  schweren  acuten  Infectionskrankheiten, 
wie  Scharlach,  Pocken,  Typhus,  Cholera.  Auch  nach  Phosphorvergiftung  ist 
sie  beobachtet  worden. 

Man  unterscheidet  eine  parenchymatöse  (follikuläre)  und  eine  inter- 
stitielle Oophoritis.  Der  ersteren  begegnet  man  besonders  bei  den  ge- 
nannten Infectionskrankheiten.  Sie  charakterisirt  sich  durch  Hyperämie  des 
Organs  im  Allgemeinen,  der  Membrana  propria  der  Follikel  im  Besonderen. 
Der  Inhalt  der  letzteren  ist  getrübt;  auch  ihre  Epithelzellen  zeigen  körnige 
Trübung  und  Zerfall.  Das  Keimbläschen  des  Eies  verschwindet.  Es  kann 
vorkommen,  dass  alle  Ovula  zu  Grunde  gehen. 

In  schwereren  Fällen  wird  auch  das  die  Follikel  umgebende  Stroma  hy- 
perämisch ;  kleinzellige  Infiltration  schliesst  sich  an.  Es  gesellt  sich  also  zu 
der  anfänglich  parenchymatösen  Entzündung  eine  interstitielle. 

Während  bei  der  rein  parenchymatösen  Oophoritis  das  Ovarium  wenig 
oder  gar  nicht  vergrössert  ist,  kann  es  bei  der  interstitiellen  sehi'  er- 
heblich und  zwar  in  verhältnismässig  kurzer  Zeit  an  Umfang  zunehmen.  Das 
Bindegewebe  findet  sich  hier  Anfangs  geschwollen,  hyperämisch,  serös  durch- 
tränkt (Oophoritis  serosa).  Später  kommt  es  zu  kleinzelliger  Infiltration,  welche 
bei  anhaltender  Entzündung  zunächst  zu  eitrigem  Zerfall  des  die  Gefässe  umge- 
benden Gewebes,  später  zu  mehr-minder  ausgedehnter  Abscessbilduug  fühlt. 


*)  Vergl.  Artikel  „Placentaanomalien" . 


^  556  OOPHORITIS. 

(Ovarialahsces.)  In  Fällen  scll^Yel•e^  acuter  septischer  Peritonitis  kann  sich  das 
ganze  Ovarium  in  einen  grossen  jauchigen  Abscess  verwandeln.  In  dem  Eiter 
ist  wiederholt  der  Streptococcus  pyogenes  gefunden  worden.  Auch  der  Gono- 
coccus  scheint  zur  Abscessbildung  im  Ovarium  führen  zu  können  (Weetheim). 

Wie  die  Oophoritis  parenchymatosa  zur  Verödung  der  Follikel  führen 
kann,  so  auch  die  Oophoritis  interstitialis.  Hier  kommt  es,  nachdem  die  acute  Ent- 
zündung abgelaufen  ist,  zu  einer  Schrumpfung  des  Bindegewebes.  Die  Oberfläche 
des  sich  allmälig  verkleinernden  Organes  wird  uneben  (Granularatrophie).  Es  sind 
Fälle  beobachtet  worden,  in  welchen  das  letztere  schliesslich  nur  noch  Hasel- 
nussgrösse  hatte.  Bei  beiden  Formen  der  Oophoritis  kommt  eine  Entzün- 
dung des  serösen  Ueberzuges  des  Ovarium,  eine  Perioophoritis,  nicht  selten  vor. 
Sie  führt  meist  zu  Verwachsungen  mit  den  Nachbarorganen. 

Die  Symptome  der  acuten  Oophoritis  sind  wenig  charakteristisch,  zumal 
in  leichteren  Fällen.  In  schwereren  wird  von  den  Kranken  über  eine  durch 
Bewegungen  gesteigerte  Schmerzempfindung  in  der  Gegend  der  Anhänge  ge- 
klagt. Bei  combinirter  Untersuchung  findet  man  das  Ovarium  vergrösser t, 
druckempfindlich.  In  der  Regel  sind  diese  Beschwerden,  sowie  andere,  welch  e 
ihr  gelegentlich  zugeschrieben  werden,  z.  B.  Harndrang  nicht  Folge  der  Oopho- 
ritis, sondern  der  sie  begleitenden  Perioophoritis,  bezw.  Perimetritis.  Dagegen 
sind  Störungen  der  Menstruation  und  zwar  sowohl  eine  Suppressio  mensium, 
sowie  ein  profuses  und  verlängertes  Auftreten  derselben  als  direct  durch  die 
Oophoritis  hervorgerufen  anzusehen. 

Wie  schon  aus  dem  eben  Gesagten  hervorgeht,  wird  die  Diagnose  der 
acuten  Oophoritis  meist  nur  schwer  zu  stellen  sein.  Besonders  gilt  dies  von 
den  Fällen,  in  welchen  sie  als  Begleiterin  schwerer,  acuter  Infectionskrank- 
heiten  auftritt,  da  hier  die  vielleicht  vorhandenen,  geringen  örtlichen  Be- 
schwerden vor  den  Allgemeinerscheinungen  völlig  zurücktreten.  Auch  die 
Deutung  eines  Ovarialabscesses  als  solcher  ist  schwierig,  zumal,  wenn  nicht  mit 
Sicherheit  ausgeschlossen  ist,  dass  bereits  zuvor  eine  Ovarialgeschwulst  vor- 
handen war.  Kann  doch  eine  solche  durch  Entzündung,  bezw.  Vereiterung 
genau  dieselben  Symptome  hervorrufen  wie  jene. 

Die  Behandlung  der  acuten  Oophoritis  erfordert  in  den  Fällen,  in  wel- 
chen ein  schnelles  Anschwellen  und  erhebliche  Druckempfindlickeit  des  Organs 
festgestellt  wird,  anfänglich  Bettruhe  der  Patientin,  Auflegen  einer  Eisblase 
auf  das  Abdomen,  Opiate;  später  PßiESSNiTz'sche  Umschläge,  Sorge  für  leich- 
ten Stuhl,  Scarificationen  der  Portio  vaginalis. 

Liegt  ein  muthmaasslicher,  nicht  zu  grosser  Ovarialabscess  dem  Scheiden- 
gewölbe unmittelbar  auf,  so  empfiehlt  es  sich  ihn  von  der  Scheide  aus  zu  punkt- 
tiren,  bezw.  zu  incidiren.  Ist  dies  nicht  der  Fall,  so  muss  er  auf  dem  Weg  der 
Laparotomie  entfernt  werden. 

Die  chronische  Oophoritis  hat  verschiedene  Ursachen.  Sie  kann 
sich  aus  der  acuten  entwickeln.  Vielleicht  geschieht  dies  häufiger,  als  man 
annimmt,  da  die  geringeren  Grade  der  acuten  Entzündung  sich  oft  der  Beob- 
achtung entziehen.  Als  weitere  ätiologische  Momente  sind  Masturbation,  sowie 
überhaupt  längere  Zeit  fortgesetzte  sexuelle  Excesse,  wahrscheinlich  auch  der 
Coitus  interruptus  zu  nennen.  Auch  Erkältungen  und  körperliche  An- 
strengungen während  der  Menstruation  werden  als  solche  angesehen.  Am 
häufigsten  entsteht  die  chronische  Oophoritis  aber  im  Anschluss  an  anderweite 
chronische  Erkrankungen  der  Sexualorgane,  Endometritis,  Metritis,  Perimetritis 
Salpingitis,  Ptetroflexio  uteri.  Da  bei  allen  diesen,  mit  Ausnahme  der  letzt- 
genannten die  gonorrhoische  Infection  eine  grosse  Rolle  spielt,  so  thut  sie  es 
natürlich  auch  bei  der  ersteren.  Schliesslich  sei  noch  der  habituellen  Obsti- 
pation Erwähnung  gethan.  Vermag  sie  schon  an  sich  zu  dem  Leiden  zu 
führen,  so  beosnders  in  den  Fällen,  in  welchen  das  eine  oder  beide  Ovarien 


OOPHORITIS.  557 

descendirt  sind.  Hier  wirken  die  im  Rectum  angehäuften,  festen  Kothmassen 
mechanisch  reizend. 

Ueber  die  pathologisch-anatomischen  Grundlagen  der  chro- 
nischen Oophoritis  gehen  die  Ansichten  noch  auseinander.  Während  die  einen 
(BuLius)  das  Primäre  und  Wesentliche  in  der  Follikelerkrankung,  der  cysti sehen 
Entartung  derselben  sehen  {Jdemcystische  Degeneration  IIegak's,  follikuläre 
Hypertrophie  Ziegler's),  nehmen  die  anderen  (Nagel,  Winternitz)  an,  dass 
die  Stromaveränderungen  das  Primäre  sind.  Im  Wesentlichen  bestehen  diesf 
in  Hyperämie  und  Wucherung  des  Bindegewebes.  Winternitz  fand  hyaline 
Entartung  der  Gefässintima  oder  Endarteritis  obliterans,  eine  von  anderer 
Seite  (Sratz)  beobachtete  kleinzellige  Infiltration  dagegen  fast  nie.  Die  Al- 
buginea  ist  mehr-weniger  verdickt;  Schwund  der  Primordialfollikel  und  Mangel 
an  GRAAF'schen  Follikeln  ist  nachweisbar.  Das  Epithel  der  cystisch  degenerirteri 
Follikel  zerfällt  körnig.  Das  Ovulum  und  der  Cumulus  proligerus  ver- 
schwinden.   In  einzelnen  Follikeln  finden  sich  Blutergüsse. 

Die  Erscheinungen,  welche  die  chronische  Oophoritis  hervorruft,  sind 
mannigfache.  In  erster  Linie  sind  es  Menstruationsstörungen,  welche  sich 
bemerkbar  machen.  Die  Menses  treten  zu  frühzeitig  ein,  halten  länger  als 
früher  an  und  werden  profus.  In  der  Regel  gehen  dysmenorrhoische  Be- 
schwerden voraus.  In  manchen  Fällen  halten  diese  auch  nach  Eintritt  der 
Blutung  an.  Fehling  sieht  in  dem  sogenannten  Mittelschmerz,  dem  Auftreten 
mehrstündiger  heftiger  Unterleibsschmerzen,  welchem  meist  eine  starke 
schleimige,  seltener  eine  schwachblutige  Ausscheidung  folgt,  in  der  Zwischenzeit 
zwischen  zwei  Perioden,  ein  Symptom  der  chronischen  Oophoritis. 

Während  anfänglich  Schmerzen  in  der  Ovarialgegend  nur  bei  körper- 
lichen Anstrengungen,  bei  der  Defäcation  (dies  besonders  bei  descendirtem 
Ovarium)  und  beim  Coitus  auftreten,  haben  die  Kranken  später  nahezu  ununter- 
brochen unter  denselben  zu  leiden.  Fritsch  erwähnt,  dass  in  exquisiten  Fällen, 
fast  immer  über  ausstrahlende  Schmerzen  in  der  vorderen  Fläche  des  Ober- 
schenkels geklagt  wird. 

In  allen  Fällen  wird  man  kaum  je  eine  Reihe  hysterischer  Erscheinungen 
vermissen.  Diese,  die  örtlichen  Beschwerden  und  eine  aus  beiden  naturgemäss 
resultirende  tiefe  psychische  Depression  können  solche  Kranke  völlig  unfähig 
machen,  irgend  w^elche  Pflichten  zu  erfüllen.  Sie  w^erden  sich  selbst  und  ihrer 
Umgebung  zur  Last.  Es  ist  daher  von  grösster  Wichtigkeit  das  Leiden  schon 
in  seinen  Anfängen  zu  erkennen.  Da  die  Beschwerden  keine  charakteristischen 
sind,  so  kann  die  Diagnose  nur  durch  eine  wiederholte,  sorgfältig  combinirte 
Untersuchung  gesichert  werden.  Findet  man  ein  oder  beide  Ovarien  deutlich 
vergrössert,  auf  massigen  Druck  empfindlich,  womöglich  im  Douglas  liegend 
oder  durch  Adhäsionen  anderweitig  fixirt,  so  ist  man  zu  der  Annahme  einer 
chronischen  Oophoritis  berechtigt. 

Die  Prophylaxe  des  Leidens  besteht  selbstverständlich  in  Beseitigung, 
beziehungsweise  Vermeidung  der  Eingangs  erwähnten  Schädlichkeiten,  welche 
dasselbe  zur  Folge  haben  können,  der  Onanie,  anderweiter  Excesse  in  venere,  des 
Coitus  interruptus,  körperlicher  Anstrengungen,  Erkältungen  w^ährend  der  Men- 
ses. Die  bei  dem  weiblichen  Geschlechte  so  verbreitete  habituelle  Obstipation 
ist  zu  heben.  Die  Erkrankungen  der  Sexualorgane,  welche  erfahrungsgemäss 
eine  chronische  Oophoritis  nach  sich  ziehen  können,  bedürfen  natürlich,  auch 
wenn  sie  geringfügig  sind,  einer  sorgfältigen  Behandlung. 

Adhärente  Ovarien  sind  aus  ihren  Verwachsungen  zu  lösen.  Zuweilen 
gelingt  dies  durch  schonende  Massage  in  einer  oder  mehreren  Sitzungen.  Sind 
die  Verwachsungen  festere,  so  empfiehlt  es  sich  .die  Lösung  sofort  in  Narkose 
vorzunehmen,  zumal  wenn  gleichzeitig  der  retroflectirte  Uterus  adhärent  ist. 
Ist  letzterer  beweglich,  so  genügt  in  der  Regel  seine  Reposition,  um  das  oder 
die  descendirten  Ovarien  wieder  in  normale  Las-e  zu  bringen. 


558  OSTEOMALACIE. 

Fälle,  in  welchen  die  Verwachsungen  so  feste  sind,  dass  sie  nicht  in 
Narkose  gelöst  werden  können,  berechtigen  umsomehr  zur  Laparotomie  und 
zur  Trennung  unter  Controle  des  Auges,  als  sie,  wie  schon  oben  erwähnt, 
sehr  oft  durch  eine  fixirte  Retroflexio  complicirt  sind.  Hier  ist  es  am  Platze 
die  Ventrofixation  des  Uterus  anzuschliessen. 

Bei  normaler  Lage  der  Ovarien  sind  in  mehrtägigen  Zwischenräumen 
Scarificationen  der  Portio  vaginalis  vorzunehmen,  nach  denselben  ein  mit 
reinem  oder  10°/o  Ichtyolglycerin  durchtränkter  Wattetampon  an  die  letztere 
zu  legen,  welcher  nach  12 — 24  Stunden  entfernt  wird.  Nachts  lässt  man  einen 
einfachen  Priessnitz-  oder  einen  Soolumschlag  auf  das  Abdomen  legen.  Während 
des  ganzen  Verlaufes  der  Menstruation  ist  strenge  Bettruhe  indicirt.  Bei 
heftiger  Dysmenorrhoe,  aber  auch  bei  den  sich  manchmal  in  der  intermen- 
struellen Zeit  einstellenden,  quälenden  Schmerzen  in  der  Adnexgegend-wird 
man  der  Opiate  nicht  ganz  entbehren  können.  Für  die  erstere  empfiehlt  sich 
die  Anwendung  von  Morphium  oder  Opium  in  Suppositorien  per  rectum,  für 
letztere  Codein  innerlich. 

Der  geschlechtliche  Verkehr  wird  am  besten  für  einige  Wochen  gänzlich 
untersagt.  Da  aber  das  Verbot  selten  streng  eingehalten  wird,  empfiehlt  sich 
eine  zeitweilige  Trennung  der  Gatten.  Während  derselben  lasse  man,  wenn 
angängig,  die  Patienten  eines  der  bekannten  Soolbäder  oder  lauen  Wildbäder 
(insbesondere  Schlangenbad  oder  Landeck)  gebrauchen. 

Wenn  es  sich  um  anämische,  in  ihrer  Ernährung  heruntergekommene 
Individuen  handelt,  ist  für  eine  kräftige  Diät,  viel  Aufenthalt  in  freier  Luft  bei 
massiger  Bewegung,  regelmässigen  und  leichten  Stuhlgang  Sorge  zu  tragen. 
Ueberhaupt  ist,  zumal  in  den  Fällen  in  welchen  sich  schon  Neurosen  in  an- 
deren Nervengebieten  entwickelt  haben,  der  Allgemeinbehandlung  mehr  Auf- 
merksamkeit zu  schenken,  wie  es  oft  seitens  der  Specialisten  geschieht. 

Bessert  sich  trotz  Vermeidung  aller  Schädlichkeiten,  trotz  einer  lange 
Zeit  durchgeführten,  sachgemässen  Behandlung  das  Leiden  nicht,  sondern  ver- 
schlimmert sich  eher,  so  dass  die  Kranken  jede  Lebensfreudigkeit  verlieren 
und  an  der  Ausübung  ihrer  Pflichten  behindert  werden,  so  bleibt  als  letztes 
Mittel  die  Entfernung  der  erkrankten  Ovarien.  graefe. 

Osteomalacie.  Die  Osteomalacie  oder  Knochenerweichung  ist  eine  ver- 
hältnismässig seltene  Krankheit;  man  kann  sie  nach  Kehrer  als  eine  chro- 
nische, endemische  Krankheit  bezeichnen,  da  ihr  Vorkommen  an  bestimmte  Ge- 
genden gebunden  ist,  unter  welchen  das  Kheinthal  und  seine  Nebenthäler, 
Ostflandern,  das  Orlonathal  in  der  Nähe  von  Mailand  und  Ungarn  besonders 
bevorzugt  zu  sein  scheinen,  während  man  dieselbe  in  manchen  Gegenden,  z,  B. 
der  Mark  Brandenburg  und  überhaupt  in  der  norddeutschen  Ebene  wenig  oder 
gar  nicht  beobachtet.  Litzmann  hat  im  Jahre  1861  die  bis  dahin  bekannten 
131  Fälle  von  Osteomalacie  zusammengestellt;  von  diesen  fallen  120  auf  Frauen 
und  11  auf  Männer.  Bei  den  ersteren  entwickelte  sich  die  Krankheit  85mal, 
also  in  71"/o,  im  Anschluss  an  eine  Schwangerschaft  oder  ein  Wochenbett; 
man  hat  diese  Form  der  Osteomalacie  als  puerperale  bezeichnet,  im  Gegensatz 
zu  der  nicht  puerperalen  oder  rheumatoiden  Form.  Eine  Fortsetzung  der 
LiTZMANN'schen  Zusammenstellung  rührt  von  Hennig  her,  der  im  Jahre  1873 
weitere  149  Fälle  sammeln  konnte;  heute  dürfte  sich  die  Zahl  der 
beobachteten  Fälle  wohl  auf  mindestens  500  belaufen. 

Aetiologie:  Was  nun  die  speci eueren  ätiologischen  Momente  anbetrifft, 
so  müssen  wir  auch  heute  noch,  trotzdem  in  der  letzten  Zeit  in  dieser  Hinsicht 
mannigfache  neue  Gesichtspi,mkte  aufgetaucht  sind,  bekennen,  dass  wir  die 
eigentliche  Ursache  der  Osteomalacie  nicht  kennen. 

Bis  vor  Kurzem  suchte  man  die  Ursache  derselben  vorwiegend  in  schlechten 
äusseren   Verhältnissen;   namentlich  wurden  in   dieser  Beziehung  mangelhafte 


OSTEOMALACIE.  559 

Ernährung  und  ungesunde  feuchte  Wohnungen  beschuldigt.  Wenn  sicli  auch 
nicht  leugnen  lässt,  dass  derartige  Umstünde  einen  nachtheiligen  Einfliiss  auf 
die  Entwickelung  der  Krankheit  haben  können,  so  kann  man  denselben  des- 
halb doch  keine  specifische  Ursache  zuschreiben,  da  man  dann  einerseits  die 
Krankheit  viel  häufiger  antreffen  müsste,  und  da  auch  andrerseits  bereits  eine 
ganze  Reihe  von  Fällen  bekannt  ist,  wo  Frauen  in  den  besten  Verhältnissen 
von  der  Osteomalacie  befallen  worden  sind;  Kehrer  hat  unter  30  Osteomala- 
cischen  10  sehr  gut  situirte  Patientinnen  in  Behandlung  gehabt. 

Das  meist  endemische  Vorkommen  der  Osteomalacie  hat  es  ferner  nahe 
gelegt,  gewisse  geognostische  Eigentümlichkeiten  des  Bodens,  eine  besondere 
Beschaffenheit  des  Trinkwassers  etc.  für  die  Erkrankung  verantwortlich  zu 
machen;  aber  auch  diese  Gründe  haben  sich  eingehenderen  Untersuchungen 
gegenüber  nicht  stichhaltig  erwiesen.  —  Kehrer  macht  noch  auf  die  Mög- 
lichkeit einer  genealogischen  Disposition,  einer  hereditären  Belastung  auf- 
merksam, ohne  aber  bestimmte  Beweise  hiefür  anführen  zu  können. 

Ob  und  welchen  Einfluss  die  Schwangerschaft  auf  die  Osteomalacie  hat, 
Ist  eine  noch  strittige  Frage;  einige  halten  die  gesteigerte  Fruchtbarkeit  der 
Osteomalacischen  für  eine  Folge  der  Erkrankung,  andere  glauben,  dass  sie  die 
Ursache  derselben  sei. 

In  neuerer  Zeit  ist  man  nun  bei  den  Bestrebungen,  die  Osteomalacie  zur 
Heilung  zu  bringen,  auf  rein  empirischem  Wege  zu  einer  neuen  Theorie  ge- 
langt, welche  zuerst  von  Fehling  aufgestellt  worden  ist  und  die  sehr  viele 
Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat.  Während  früher  an  der  Osteomalacie  ca.  80 7o 
zu  Grunde  gingen  theils  in  Folge  der  durch  dieselbe  bedingten  schweren  Ge- 
burten, theils  durch  die  in  ihrem  Gefolge  häufig  auftretenden,  anderweitigen 
Erkrankungen,  trat  eine  wesentliche  Verminderung  der  Todesfälle  ein,  nachdem 
eine  Anzahl  an  Osteomalacie  leidender  Schwangerer  durch  den  Kaiserschnitt 
nach  Porro  entbunden  worden  war.  Nach  einer  Statistik  von  BAUJiAisrsr  sind 
von  44  nach  Porro  operirten  Osteomalacischen  21  genesen  und  vollkommen 
gesund  geworden;  diesen  günstigen  Erfolg  erklärte  Fehling  aus  dem  durch 
die  Castration  herbeigeführten  Wegfall  der  Ovulation  und  Menstruation  und 
auf  Grund  dessen  hat  er  zuerst  die  Castration  als  solche  zur  Heilung  der 
Osteomalacie  empfohlen.  Er  geht  hierbei  von  der  Annahme  aus,  dass  die  Haupt- 
ursache der  Osteomalacie  in  einer  pathologisch  erhöhten  Thätigkeit  der  Ovarien 
liegt,  und  begründet  diese  Ansicht  damit,  dass  in  fast  allen  Fällen  zur  Zeit 
der  Menstruation  eine  deutliche  Verschlimmerung  des  Leidens  eintrete,  und 
dass  ferner  unmittelbar  nach  der  Entfernung  der  Ovarien  eine  bedeutende  Ab- 
nahme der  Schmerzen  in  den  Knochen  eintrete;  die  Ursache  der  bei  der  so- 
genannten puerperalen  Form  der  Osteomalacie  fast  stets  vorhandenen  ausser- 
ordentlichen Fruchtbarkeit  der  Frauen  glaubt  Fehling  ebenfalls  auf  die  krank- 
haft gesteigerte  Thätigkeit  der  Ovarien  zurückführen  zu  müssen;  schliesslich 
fand  er  noch  eine  Bestätigung  seiner  Ansicht  in  dem  ausserordentlichen  Blut- 
reichthum  sämmtlicher  venösen  und  arteriellen  Gefässe  der  Uterusanhänge, 
welchen  er  bei  den  von  ihm  ausgeführten  Castrationen  fast  regelmässig  vorfand. 

Den  Zusammenhang  zwischen  der  Erkrankung  der  Knochen  und  der  pa- 
thologisch gesteigerten  Thätigkeit  der  Ovarien  erklärt  nun  Fehling  so,  dass 
letztere  auf  reflectorischem  Wege  durch  die  Sympathicus -Bahnen  eine  krank- 
hafte Reizung  der  Vasodilatatoren  der  Knochen  bedingt,wodurch  eine  venöse 
Stauungshyperämie  entsteht,  die,  vielleicht  unter  Mitwirkung  einer  Säure,  eine 
Auflösung  der  Kalksalze  und  eine  erhöhte  Resorption  des  Knochengewebes 
bewirkt;  es  handelt  sich  also  bei  der  Osteomalacie  um  eine  von  den  Ovarien 
ausgehende  reflectorische  Trophoneurose  des  Knochensystems.  (Aehnliche  Vor- 
gänge haben  wir  bei  der  Struma  und  dem  Morbus  Basedowii). 

Eisenhart  kommt  auf  Grund  sehr  sorgfältiger  Untersuchungen  und  ein- 
gehender Prüfung  der  bisherigen  Theorien  zu  einem  ganz  ähnlichen  Resultat; 


560  OSTEOMALACIE. 

die  Hauptursache  der  Osteomalacie  sieht  er  in  einer  Ilyperproductivität  der 
Ovarien,  welche  einen  vermehrten  Zufluss  von  Blut  zu  den  Weichteilen  und 
Knochen  des  Beckens  bedingt.  Die  in  Folge  der  starken  Hyperämie  im  Knochen 
selbst  auftretende  Säurebildung  (Milchsäure  und  andere  organische  Säuren  nach 
Senator  oder  Kohlensäure  nach  Bindfleisch)  bedingt  eine  Blutalteration, 
welche,  neben  einer  Verminderung  des  Hämogloijingehaltes,  in  einer  Abnahme 
der  Alkalescenz  besteht  und  in  Folge  dessen  lösend  auf  die  Kalksalze  des 
Knochens  einwirkt.  In  ähnlichem  Sinne  äussert  sich  v.  Recklinghausen,  der 
ebenfalls  zu  dem  Schluss  kommt,  dass  das  eigentliche  Wesen  der  osteomalaci- 
schen  Knochenerkrankung  in  localen  Reizen  des  Knochengefässapparates  in 
Folge  vasomotorischer  Erregungen  zu  suchen  ist. 

V.  WiNCKEL  hat  vor  Kurzem  versucht,  die  FEHLiNO'sche  Theorie  zu 
widerlegen,  indem  er  glaubt,  die  von  Fehling  hervorgehobenen  starken  Erwei- 
terungen der  Gefässe  in  den  Uterus-Anhängen  auf  die  gleichzeitig  vorhandenen 
Lageveränderungen  des  Uterus  zurückführen  zu  müssen;  unter  den  von 
V.  WiNCKEL  zu  diesem  Zweck  gesammelten  41  Fällen  fand  sich  8  mal  eine 
derartige  starke  Gefässerweiterung  und  unter  diesen  4mal  eine  bewegliche 
Retroflexio,  resp.  Retroversio  und  nur  Imal  eine  hochgradige  mit  starken 
Verwachsungen;  in  16  weiteren,  von  mir  zusammengestellten  Fällen  fand  sich  die 
Gefässerweiterung  7mal  und  hierunter  nur  2  leicht  retroflectirte  und  beweg- 
liche Uteri;  also  haben  wir  es  in  15  Fällen  von  Gefässerweiterung  in  den  Uterus- 
Anhängen  nur  7mal  mit  einer  Lageveränderung  des  Uterus  zu  thun  und 
hierunter  nur  eine  einzige  hochgradige  mit  Verwachsungen;  hiernach  dürfte  die 
V.  WiNCKEL'sche  Erklärung  wohl  kaum  aufrecht  zu  erhalten  sein,  zumal  da 
man  derartige  Gefässanomalien  bei  Retroflexionen  überhaupt  nur  äusserst  selten 
antrifft. 

LöHLEiN  hält  nach  seinen  Befunden  ebenfalls  die  Ovarien  nicht  für  den 
eigentlichen  Sitz  und  Ausgangspunkt  der  Osteomalacie,  dagegen  glaubt  er,  dass 
einerseits  die  ausserordentlich  starke  Gefässentwicklung  in  der  Schwanger- 
schaft und  andrerseits  die  prämenstruale  und  menstruale  Congestion  zu  den 
Blutgefässen  des  Beckens  ein  die  Erkrankung  besonders  begünstigendes  Moment 
bilden. 

Schliesslich  sei  noch  erwähnt,  dass  man  auch  gewisse  Bacterien  für  die 
Entstehung  der  Osteomalacie  verantwortlich  gemacht  hat;  Keheer  u.  a.  haben 
den  Gedanken  ausgesprochen,  dass  die  Knochenerweichung  das  Werk  osteo- 
lytischer Bacterien  sei.  Greifbarere  Gestalt  hat  diese  Theorie  durch  die  An- 
gaben Petrone's  gewonnen,  der  die  Entstehung  der  Osteomalacie  auf  ein 
nitrificirendes  Ferment  (Winogradsky's  Mikroorganismus  der  Xitrification) 
zurückführt;  die  durch  die  Lebensthätigkeit  der  TNIikroorganismen  der  Nitrifi- 
cation  entstehende  salpetrige  Säure,  welche  angeblich  stets  im  Harn  von  Osteo- 
malacischen  nachzuweisen  ist,  soll  die  Knochenerkrankung  bedingen.  Von 
anderer  Seite  (Tschistowitsch,  Löhlein)  ist  es  nun  weder  gelungen,  den  Ni- 
trificationsbacillus  oder  irgend  welche  andere  Bacterien  nachzuweisen,  noch 
konnten  im  frischen  Harn  Osteomalacischer  jemals  Nitrite  aufgefunden  werden 
(Tschistowitsch,  Latzko  und  Jolles). 

Wenn  wir  nun  auch  bereits  über  eine  ganze  Anzahl  von  ätiologischen 
Momenten  verfügen,  die  theils  einzelnen,  theils  im  Zusammenhang  mit  anderen 
einen  den  Ausbruch  der  Krankheit  befördernden  Einfluss  ausüben,  so  ist  es 
bisher  noch  nicht  geglückt,  die  eine  specielle  Ursache  aufzufinden. 

Pathologische  Anatomie:  Wir  haben  bei  der  Osteomalacie  einer- 
seits die  Veränderungen  am  Knochen,  und  andererseits  diejenigen  in  anderen 
Organen  zu  berücksichtigen.  Die  Hauptveränderungen  betreffen  natürlich  die 
Knochen  und  zwar  in  erster  Linie  die  Beckenknochen,  ein  merklicher  Unter- 
schied in  der  Häufigkeit,  mit  welcher  die  einzelnen  Knochen  befallen  werden. 


OSTEOMALACIE. 


561 


besteht  nach  Litzmann  bei   der   puerperalen   und  bei  der   nicht  puerperalen 
Form;  aus  der  folgenden  Tabelle  ist  dies  leicht  ersichtlich: 


Knochen 


85  Fälle  von 
Osteomal. 
puerperalis 


46  Fälle  von 

Osteomal. 

non  puerperalis 


des  Beckens 

der  Wirbelsäule  .... 

des  Thorax 

der  unteren  Extremitäten  . 
der  oberen  Extremitäten  . 
des  Kopfes 


82mal  (ee^o/o) 
46  „  (öi-P/o) 
26  „  (30-5o/o) 
15  „  (17-6%) 
10  „  (11-7%) 
7  .     (  8-2<'/o) 


40mal  (86-9''/o) 
40  „  (86-9%) 
(80-4'V„) 
(78-2°/o) 
(65-20/0) 
(52-l«/„) 


Die  osteomalacischen  Knochen  zeichnen  sich  durch  eine  hochgradige  Bieg- 
samkeit und  Weichheit  aus,  so  dass  sie  leicht  mit  dem  Messer  geschnitten 
werden  können.  Dieser  Zustand  ist  die  Folge  einer  von  innen,  d.  h.  von  der 
Markhöhle  aus,  vordringenden  Entkalkung  des  compacten  Knochengewebes  mit 
nachfolgender  Eesorption  des  entkalkten  Knochens.  Die  Markräume  und 
HAVERs'schen  Canäle  nehmen  an  Umfang  zu,  sie  füllen  sich  mit  wucherndem 
Mark,  machen  den  compacten  Knochen  porös  und  verdrängen  so  schliesslich 
das  Knochengewebe  bis  zum  Periost  hin.  Am  Knochengewebe  selbst,  speciell 
den  Knochenkörperchen  sind  nur  geringe  Veränderungen  wahrzunehmen, 
höchstens  das  Auftreten  von  Fetttröpfchen  in  den  Lakunen;  v.  Reckling- 
HAUSEN  und  Maechand  haben  jedoch  auch  eine  ausgedehnte  Neubildung  von 
Knochengewebe  nachweisen  können,  welches  allerdings  des  normalen  Kalk- 
gehaltes entbehrte.  Ausgesprochener  sind  die  Veränderungen  am  Knochen- 
mark; dasselbe  ist  Anfangs  stark  hyperämisch  und  geröthet,  hin  und  wieder 
findet  man  auch  kleinere  Blutextravasate;  an  Stelle  des  Fettmarks  tritt  Lymph- 
mark auf;  später  wird  dasselbe  wieder  fetthaltiger,  von  mehr  gelblicher 
Farbe  und  schliesslich  atrophisch  und  in  eine  graue,  gallertige  Masse  um- 
gewandelt. Das  Periost  ist  in  der  Regel  in  der  Nähe  der  erkrankten  Stellen 
verdickt  und  sehr  blutreich. 

In  trockenem  Zustande  zeichnen  sich  die  osteomalacischen  Knochen  durch 
eine  ausserordentliche  Leichtigkeit  aus;  das  specifische  Gewicht  ist  unter  die 
Hälfte  des  normalen  gesunken;  die  Farbe  ist  gelblich  in  Folge  des  vermehrten 
Fettgehaltes,  die  Oberfläche  rauh  und  die  Ueberreste  des  compacten  Knochen- 
gewebes von  mehr  oder  minder  poröser  Beschaffenheit. 

Die  chemischen  Untersuchungen  der  Knochen  haben  ergeben,  dass  die 
anorganischen  Bestandtheile  Vs  betragen,  die  organischen  % ;  über  etwaige  im 
Knochen  vorhandene  Säuren  sind  bisher  keine  übereinstimmenden  Resultate 
erzielt  worden;  einzelne  Forscher  wollen  Milchsäure  nachgewiesen  haben,  andere 
haben  dieselbe  nicht  auffinden  können. 

Die  durch  die  Knochenerkrankung  bedingten  Veränderungen  am  Skelet 
sind  sehr  mannigfacher  Art;  wie  aus  obiger  Tabelle  ersichtlich,  sind  die  Knochen 
des  Beckens,  der  Wirbelsäule  und  des  Brustkorbes  die  am  häufigsten  erki'ankten. 
Die  Wirbelsäule  ist  meist  S-förmig  gekrümmt,  es  besteht  eine  Kyphose  der 
Rücken-  und  eine  Lordose  der  Lendenwirbel;  die  Rippen  biegen  sich' und  zeigen 
mannigfache  Infractionsstellen,  das  Sternum  ist  stark  nach  vorn  geschoben  und 
auch  häufig  mehrfach  eingebrochen.    Das  Becken  ist  ebenfalls  hochgradig  ver- 


Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie. 


36 


562 


OSTEOMALACIE. 


Fig.  1.     Osteomalacisches  Becken.     (Ansicht   von  oben.) 
Nach  E.  MARTINAS  Handatlas. 


ändert,  *)  das  Kreuzbein  wird  durch  den  Druck  der  Wirbelsäule  nach  unten  und 
vom  getrieben,  so  dass  das  Promontorium  weit  in  die  Beckenhöhle  vorspringt; 
durch  den  Druck  der  Schenkelköpfe  entsteht  eine  Knickung  der  Darmbeine 
nach  innen,  hierdurch  werden  die  Tub.  ischii  einander  geucähert,  ebenso  die 
Schambeinäste,  so  dass  die  Symphyse  schnabelförmig  vorspringt  und  die  Becken- 
höhle eine  kartenherzförmige  oder  Y-förmige  Gestalt  annimmt  (Fig.  1).  Die 
Knochen  der  Extremitäten  zeigen  häufig  zahlreiche  Bruchstellen,  welche  meist 
nur  langsam  und  schlecht  durch  Callusmasse  heilen  und  bedeutende  Verkür- 
zungen im  Gefolge  haben. 

Von  sonstigen  Veränderungen 
sind  atrophische  Zustände  und  fettige 
Degeneration  in  den  Muskeln  be- 
obachtet worden.  —  Von  grösserer 
Bedeutung  sind  die  Gefässveränder- 
ungen  im  Uterus  und  seinen  Anhän- 
gen, namentlich  in  den  Ovarien,  auf 
welche  nach  Fehling,  besonders  v. 
Velits  aufmerksam  gemacht  hat.  Es 
handelt  sich  hier  um  eine  ausser- 
ordentlich starke  Vermehrung  und 
Erweiterung  der  Gefässe  in  den  Liga- 
menten, namentlich  der  Gegend  des 
Plexus  pampiniformis,  in  den  Ova- 
rien und  auch  im  Uterus  selbst. 
In  den  von  v.  Winckel  und  mir 
zusammengestellten  57  Fällen  ist 
diese  Erscheinung  15mal  beobachtet  worden,  und  unter  diesen  15  Fällen 
fand  sich  3mal  eine  hochgradige  Macies  des  Uterusgewebes;  v.  Velits  hat 
nun  an  den  Gefässen  des  Ovarium  und  des  Uterus  in  9  Fällen  stets  eine 
hochgradige  hyaline  Degeneration  der  arteriellen  Gefässe  nachweisen  können, 
und  zwar  scheint  der  Grad  der  hyalinen  Gefässdegeneration  mit  der  Vermeh- 
rung derselben  Hand  in  Hand  zu  gehen;  v.  Velits  glaubt,  dass  die  hyaline 
Degeneration  der  Arterien  der  Genitalien,  speciell  der  Ovarien  bei  der  Osteo- 
malacie,  namentlich  in  den  chronischen  Fällen  derselben  als  charakteristische 
Erkrankung  derselben  auftritt  und  die  Macies  der  Gewebe  verursacht.  Es 
gelang  mir  in  einem  Fall  die  gleichen  Veränderungen,  starke  Vermehrung  und 
hochgradige  hyaline  Degeneration  der  Gefässe  im  Ovarium  einer  Osteomala- 
cischen  nachzuweisen  (Fig.  2);  desgleichen  beobachtete  v.  Recklinghausen 
eine  hyaline  Degeneration  der  Arterien  bei  Osteomalacie,  allerdings  in  an- 
deren Organen.  —  Ueber  anderweitige  Veränderungen  der  Ovarien  ist  bis- 
her nur  sehr  wenig  berichtet  worden,  vielleicht  weil  nicht  genügend  hierauf 
geachtet  worden  ist;  es  wird  erwähnt  das  Vorkommen  kleiner  Cysten,  atro- 
phische und  hypertrophische  Zustände  und  leichte  chronische  Entzündungen. 

Symptome  und  Verlauf:  Der  Beginn  der  Erkrankung  kündigt  sich 
durch  ausserordentlich  heftige  Schmerzen  in  den  zuerst  befallenen  Knochen 
des  Beckens  oder  der  Wirbelsäule  an;  die  betreifenden  Patientinnen  bezeichnen 
die  Schmerzen  mit  Vorliebe  als  „rheumatische"  und  führen  sie  meist  auf  eine 
Erkältung  oder  Durchnässung  zurück;  Nachts  steigern  sich  die  Schmerzen  oft 
zu  ausserordentlicher  Heftigkeit,  um  nach  Ausbruch  eines  starken  Schweisses 
wieder  nachzulassen;  durch  Bewegung  und  Druck  tritt  ebenfalls  eine  Ver- 
mehrung derselben  ein,  namentlich  bei  längerem  Sitzen.  Im  weiteren  Verlauf 
treten  in  Folge  der  oben  geschilderten  Knochenveränderungen  Beschwerden 
beim  Gehen  auf;  der  Gang  wird  unbehilflich,  schwankend  und  watschelnd;  ge- 


*)  Vergl.  Artikel  ,.Beclcen  tmcl  Bechenanomalien,"'  pag,  70. 


OSTEOMALACIE. 


563 


wohnlich  fällt  der  Umgebung  zuerst  auf,  duss  die  Patientinnen  kleiner  werden, 
eine  Folge  der  Verkrümmung  der  Wirljelsäulo. 

Die  Verkrümmungen  und  Infractioncji  der  Itippen  und  des  Brustbeins 
bedingen  Compressionen  und  Verlagerungen  von  Herz  und  Lungen  und  rufen 
dadurch  Herzklopfen  und  Athembeschwerden  hervor.  Die  Gestaltveränderungen 
der  Beckenknochen  sind  namentlich  bei  eintretender  Schwangerschaft  von  be- 
sonderer Wichtigkeit;  man  hat  allerdings  beobachtet,  dass  auch  bei  schon 
ziemlich  starker  Verengerung  des  Beckens  während  der  Geburt  eine  derartige 
Erweichung  der  Knochen  eingetreten  ist,  dass  die  Geburt  spontan  zu  Ende 
ging;  derartige  günstige  Ausgänge  gehören  jedoch  zu  den  Ausnahmen.  In 
der  Mehrzahl  der  Fälle  kommt  es  zur  Perforation  oder  schliesslich  zur  Sectio 
caesarea;  unter  den  LrrzMANN'schen  85  Fällen  von  puerperaler  Osteomalacie 
starben  47  in  Folge  von  schweren  Entbindungen;  16mal  wurde  die  Perforation 
ausgeführt  mit  1  Todesfall,  40mal  der  Kaiserschnitt  mit  32  Todesfällen;  die 
übrigen  starben  theils  nach  anderweitigen  Eingriffen  (Zange,  Symphyseotomie 
etc.)  theils  an  Uterusruptur  etc.;  heutzutage  weisen  derartige  operative  Ein- 
griffe allerdings  eine  bessere  Statistik  auf.  Die  nicht  im  Anschluss  an  eine 
Geburt  zu  Grunde  gegangenen  13  Osteomalacischen  starben  infolge  der  ein- 
getretenen Erschöpfung  oder  an  Asphyxie. 


IM«,    V 


Fig.  2.     Vermehrung  und  hyaline  Degeneration  der  Ovarialgefässe  bei  Osteomalacie.  — 
Schnitt  an  der  Hilusgegend. 

Charakteristisch  für  die  Osteomalacie  ist  jedenfalls,  dass  eine  jede 
Schwangerschaft  eine  bedeutende  Steigerung  des  Leidens  hervorruft,  während 
nach  einer  Geburt  in  der  Regel  eine  mehr  oder  minder  auffallende  Besserung 
eintritt.  Erwähnt  sei  hier  noch,  dass  man  häutig  selbst  zur  Zeit  der  Men- 
struation eine  deutliche  Verschlimmerung  der  Erkrankung  beobachten  kann; 
die  Menstruation  pflegt  ausserdem  in  manchen  Fällen  aussergewöhnlich  stark 
zu  sein  und  in  kürzeren  Zwischenräumen,  wie  gewöhnlich,  wiederzukehren. 

36* 


564  OSTEOMALACIE. 

Die  Muskeln  sind  meist  schlaff  und  werden  im  weiteren  Verlauf  atrophisch; 
hin  und  wieder  werden  durch  unbedeutende  Hautreize  hervorgerufene  hef- 
tige Krämpfe  und  Contractionen  beobachtet;  Latzko  sieht  in  der  Parese  der 
Hüftgelenksbeuger  und  der  Contractur  der  Adductoren  besonders  charakteri- 
stische ]\Ierkmale  für  die  Osteoraalacie. 

Im  Harn  sind  bisher  auffallende  Veränderungen  nicht  nachgewiesen;  von 
der  einen  Seite  ist  eine  Vermehrung  der  Phosphorsäure-  und  Kalkausscheidung 
festgestellt  worden,  von  anderen  eine  Verminderung;  die  Untersuchungen  auf 
Milchsäure  haben  ebensowenig  bemerkenswerthe  Resultate  ergeben;  Fehling- 
hat  eine  bedeutende  Zunahme  von  Harnstoff  bei  einer  Osteomalacischen 
nachweisen  können;  die  Harnstoffmenge  nahm  nach  der  Castration  bedeutend 
ab;  ebenso  konnte  Fehling  in  mehreren  Fällen  nachweisen,  dass  die  Phosphor- 
säureausscheidung nach  der  Castration  bedeutend  zunahm,  während  die  Kalk- 
ausscheidung  gleichblieb;  er  schliesst  hieraus  auf  eine  Zersetzung  von  phosphor- 
haltigen  Bestandtheilen  des  Körpers  (Lecithin  und  Nuclein). 

Die  Untersuchungen  des  Blutes  haben  bisher  auch  noch  zu  keiner  Ueber- 
einstimmung  geführt;  einzelne  Forscher  haben  allerdings  mit  Sicherheit  eine 
Verminderung  der  Alkalescenz  des  Blutes  nachgewiesen;  dieselbe  findet  sich 
jedoch  auch  bei  manchen  anderen  Erkrankungen.  ISTeussee  stellte  in  einzelnen 
Fällen  eine  Vermehrung  der  eosinophilen  Zellen  im  Blute  fest,  in  anderen  ein 
Auftreten  von  Myelocyten,  also  ein  abnormes  Vorkommen  von  Knochenmarks- 
elementen; TscHiSTOwiTSCH  uud  Fehling  haben  diesen  Befund  nicht  bestätigen 
können;  Cheobak  hat  noch  die  Möglichkeit  einer  abnormen  Beschaffenheit  oder 
abnormen  Menge  der  Blutgase  betont. 

Im  späteren  Verlauf  der  Erkrankung  treten  zuweilen  Fieberbewegungen 
auf,  welche  allmälig  einen  hektischen  Charakter  annehmen  können  und  die 
Kräfte  der  Kranken  schnell  zum  Schwinden  bringen;  dieselben  gehen  dann 
schliesslich  marastisch  zu  Grunde,  wenn  nicht  etwa  noch  intercurrente  Krank- 
heiten, namentlich  von  Seiten  der  Luftwege,  den  Tod  beschleunigen;  Erstickung 
infolge  mangelnder  Ftespirationsbewegungen  des  nicht  mehr  functionsfähigen 
Brustkorbes  ist  ebenfalls  beobachtet  worden. 

Die  Dauer  der  Krankheit  bewegt  sich  zwischen  9  Monaten  und  13  Jahren. 
In  der  letzten  Zeit  haben  die  Heilungen  Dank  der  von  Fehling  eingeführten 
operativen  Behandlung  der  Osteomalacie  in  erfreulicher  Weise  zugenommen, 
so  dass  wir  an  Stelle  der  von  Litzmann  festgestellten  Mortalität  von  SOVo  jetzt 
beinahe  von  einer  Heilung  von  SO^/o  sprechen  können. 

Diagnose:  Besondere  Schwierigkeiten  sind  meistens  mit  der  Stellung 
der  Diagnose  nicht  verbunden;  höchstens  im  Anfange  der  Erkrankung  können 
die  in  den  Knochen  zuerst  auftretenden  Schmerzen  mit  rheumatischen  oder 
auch  syphilitischen  verwechselt  werden;  gewisse  nervöse  Symptome  lassen  so- 
dann zuweilen  noch  an  spinale  Erkrankungen  denken.  Sämmtliche  Bedenken 
schwinden  aber  alsbald  mit  der  Zunahme  der  Knochenveränderungen  und  deren 
Folgen:  Empfindlichkeit  und  Biegsamkeit  der  Knochen,  Verkrümmung  der 
"Wirbelsäule,  Kleinerwerden  der  Kranken,  Gehbeschwerden  etc.  Bei  der 
Untersuchung  des  Beckens  fällt  als  Hauptmerkmal  auf  die  schnabelförmig  vor- 
getriebene Symphyse,  die  fast  parallel  verlaufenden,  absteigenden  Schambein- 
äste und  die  stark  genäherten  Sitzbeinhöcker,  so  dass  es  stellenweise  sogar 
schwierig  wird,  auch  nur  einen  Finger  in  die  Vagina  einzuführen,  v.  Winckel 
führt  folgende  Erkrankungen  an,  welche  zu  Verwechslungen  mit  Osteomalacie 
Veranlassung  geben  können:  Rückenmarksaffectionen,  periphere  Nervenerkran- 
kungen, Rachitis,  malignes  Lymphom  oder  multiples  Myelom  der  Knochen;  Car- 
cinomatose  der  Knochen,  Gelenksrheumatismus,  Beckengelenkszerreissungen,  se- 
nile Osteoporose,  Arthritis  deformans. 

Prognose:  Die  bis  vor  wenigen  Jahren  noch  ausserordentlich  ungün- 
stige Prognose  ist  seit  dem  Zeitpunkt,   wo  Fehling  die  Castration  als   Heil- 


OSTEOMALACIE.  565 

mittel  für  die  Osteomalacie  empfohlen  hat,  bedeutend  gebessert  worden;  Fehling 
nimmt,  wie  bereits  erwähnt  an,  dass  jetzt  mindestens  807o  von  Osteomalacie- 
Fällen  geheilt  werden  können.  Durch  mcdicuTnentöse  Therapie,  namentlich 
lange  Zeit  fortgesetzte  Phosphorbehandlung  sind  in  der  letzten  Zeit  ebenfalls 
mehrfach  Heilungen  berichtet  worden;  spontane  Heilungen  gehören  zu  den 
grössten  Seltenheiten. 

Therapie:  Bei  der  Therapie  haben  wir  zwei  Hauptrichtungen  zu  unter- 
scheiden; die  medicamentüse  und  die  operative.  Zunächst  lässt  sich  gegen 
die  Osteomalacie  immerhin  schon  viel  durch  eine  geeignete  Prophylaxe  er- 
reichen, d.  h.  also  durch  Beseitigung  der  oben  erwähnten,  die  Krankheit  vor- 
wiegend begünstigenden  Momente;  hierhin  gehört  vor  allen  Dingen  eine  sorg- 
fältige Regelung  der  Diät  und  die  Herstellung  möglichst  günstiger  äusserer 
hygienischer  Verhältnisse  für  diejenigen  Kranken,  bei  welchen  man  irgend 
welchen  begründeten  Verdacht  auf  den  Beginn  der  Erkrankung  haben  kann. 

Was  die  Nahrung  anbetrifft,  so  empfiehlt  sich  vor  Allem  sowohl  bei  Beginn 
der  Erkrankung,  als  auch  während  der  ganzen  Dauer  derselben  eine  gute, 
leichte  gemischte  Kost  mit  Bevorzugung  derjenigen  Nahrungsmittel,  welche 
Kalk  und  Phosphor  enthalten,  wie  Fleisch,  Fische,  Gemüse,  namentlich  Legu- 
minosen in  Breiform  oder  als  Suppen,  ferner  Käse  und  Eier,  Bouillon,  Milch, 
Chokolade  und  gutes  Bier;  zu  vermeiden  sind  saure  und  Säure  bildende  Nahrungs- 
mittel, Kartoffeln,  Schwarzbrot,  Kaffee,  Thee  und  saure  Weine.  Bei  Appetit- 
mangel sind  geeignete  Stomachica  zu  verabreichen;  bei  Neigung  zu  rheuma- 
tischen Schmerzen  empfiehlt  v.  Winckel  und  Siber  Vinum  semin.  colchici  (4*0) 
in  Verbindung  mit  Leherthran  (lOO'O)  2 — 4mal  täglich  1  Esslöffel. 

In  hygienischer  Beziehung  ist  ein  ganz  besonderer  Werth  auf  gesunde, 
trockene  Wohnungen  und  rationelle  Kleidung  zu  legen;  desgleichen  müssen  die 
Körperfunctionen  überwacht  werden,  namentlich  ist  für  sorgsame  Pflege  der 
Hautthätigkeit  zu  sorgen;  hier  sind  vor  allen  Dingen  die  von  Kehree  speciell 
empfohlenen  Soolbäder  und  überhaupt  warme  Vollbäder  am  Platze. 

In  Bezug  auf  die  Anwendung  von  Arzneien  hat  man  in  der  letzten  Zeit 
der  Phosphorbehandlung  eine  erneute  Aufmerksamkeit  geschenkt,  namentlich 
nach  den  günstigen  Ptesultaten,  welche  Latzko  und  Sternberg  damit  erzielt 
haben  wollen;  beide  berichten  über  22  geheilte  Fälle  nach  mehnnonatlichem 
Gebrauch  des  Phosphors.  Sternberg  empfiehlt  grosse  Dosen  in  Verbindung 
mit  Leberthran  {Phosphori  0-05;  Ol.  jecoris  aselli  50' 0.  Imal  täglich  1  Theelöffel) 
und  hält  auf  Grund  seiner  Erfolge  den  Phosphor  für  ein  directes  und  defini- 
tives Heilmittel  der  Osteomalacie;  für  gewisse  Fälle  lässt  er  jedoch  auch  die 
Castration  als  ultimum  refugium  gelten. 

Von  anderweitigen  Arzneimitteln  ist  noch  zu  erwähnen  die  Anwendung 
von  Eisen  und  phosphorfreiem  Kalk  (Ferr.  lactic,  Calcar.  phosphoric.  ää  lO'O 
Magnes.  carhonic,  Natr.  chlorat.,  SaccJi.  alh.,  ää  ö'O.  MD.  3mal  tägl.  1  Messer- 
spitze nach  dem  Essen  [Eichhorst]).  Schliesslich  sei  noch  bemerkt,  dass  Petrone 
auf  Grund  seiner  Nitrificationshypothese  die  Anwendung  von  Chloralhydrat  oder 
wiederholter  tiefer  und  langandauernder  Chloroform-Narkose  empfiehlt;  die 
Untersuchungen  hierüber  sind  noch  nicht  abgeschlossen. 

Wenden  wir  uns  nun  zur  operativen  Behandlung  der  Osteomalacie,  so 
haben  wir  zunächst  zu  berücksichtigen,  ob  wir  es  mit  einer  Schwangeren  oder 
Nicht-Schwangeren  zu  thun  haben.  Im  ersteren  Fall  tritt  die  Frage  eines 
operativen  Eingriffes  in  Bezug  auf  die  Osteomalacie  als  solche  nm-  bei  Gele- 
genheit des  Kaiserschnittes  an  uns  heran;  es  herrscht  in  dieser  Hinsicht  wohl 
kaum  irgend  ein  Zweifel,  dass,  wenn  es  wegen  zu  hochgradiger  Beckenenge 
zmn.  Kaiserschnitt  kommt,  gleichzeitig  die  Ovarien  mitzuentfernen,  d.  h.  also 
nach  PoRRO  zu  operiren  ist. 

Was  die  speciellere  geburtshilfliche  Therapie  bei  Osteomalacischen 
anbetrifft,  so  hat  man  sich  einerseits  nach  dem  Zeitpunkt  der  Schwangerschaft 


566  OSTEOMALACIE. 

und  anderseits  nacli  dem  Grad  der  Beckenverengerung  zu  richten.  Bei  leichten 
Graden  von  Beckenenge  kann  man  sowohl  im  Anfang  der  Schwangerschaft,  als 
auch  gegen  Ende  derselben  ruhig  abwarten  und  eingehende  Versuche  mit  der 
medicamentösen  Therapie  anstellen,  vorausgesetzt,  dass  im  weiteren  Verlauf 
keine  aussergewöhnliche  Verschlimmerung  des  Leidens  auftritt;  in  diesem  Falle 
ist  der  an  und  für  sich  indicirten  Einleitung  des  Abortes  oder  der  Frühgeburt 
die  Operation  nach  Porro  vorzuziehen.  Bei  hochgradiger  Beckenenge  ist  zu- 
nächst ein  abwartendes  Verfahren  ebenfalls  nicht  unmittelbar  von  der  Hand  zu 
weisen,  da  eine  Anzahl  von  Beobachtern  auch  in  derartigen  Fällen  noch  in 
Folge  einer  ganz  aussergewöhnlichen  Biegsamkeit  der  Knochen,  worauf  na- 
türlich ganz  besonders  zu  achten  ist,  die  Geburt  auf  natürlichem  Wege  hat 
zu  Ende  gehen  sehen;  Löhlein  empfiehlt  namentlich  mit  Eücksicht  hierauf 
die  Wendung  und  Extraction.  Tritt  eine  hinreichende  Biegsamkeit  der  Knochen 
nicht  ein,  so  ist  ebenfalls  die  PoREo'sche  Operation  angezeigt.  Bleibt  nach  be- 
endeter Schwangerschaft  die  erwartete  Besserung  aus,  so  ist  die  von  Fehling 
eingeführte  Castration  vorzunehmen. 

Die  Indicationen  zur  Castration  bei  Osteomalacie  hat  v.  Winckel  fol- 
gendermassen  zusammengefasst :  „Eine  absolute  Anzeige  tritt  ein:  1.  wenn 
alle  anderen  Behandlungsmethoden  vergeblich  angewandt  wurden  und  die  fort- 
schreitende Erweichung  das  Becken  so  verengt  und  die  Knochen  so  nachgiebig 
werden,  dass  das  Leben  der  Patientin  in  Gefahr  ist;  2.  wenn  bei  länger 
dauerndem,  vernachlässigtem  Leiden  dasselbe  einen  so  hohen  Grad  erreicht 
hat,  dass  durch  anderweitige  Curen  die  Lebensgefahr  nicht  rasch  zu  beseitigen 
wäre  und  die  für  die  Castration   noch  günstige  Zeit  versäumt  werden  könnte. 

Relativ  ist  die  Castration  angezeigt:  1.  bei  Patientinnen,  welche  lebende 
Kinder  haben,  deren  Becken  aber  bereits  so  verengt  und  unnachgiebig  ist,  dass 
es  bei  neuer  Schwangerschaft  den  Kaiserschnitt  nothwendig  machen  würde; 
2.  unter  denselben  Bedingungen  bei  Kreissenden,  die  wegen  noch  bestehender 
Osteomalacie  durch  den  Kaiserschnitt  entbunden  werden,  da  die  PoRRO'sche 
Operation  immer  weit  eingreifender  und  gefährlicher  als  die  Castration  und 
auch  die  Mortalität  der  Sectio  caesarea  grösser  als  die  der  Castration  ist. 

Contraindicirt  ist  die  Castration  bei  weit  fortgeschrittener  Tuber- 
kulose und  sehr  grosser  Morschheit  aller  Knochen. 

Die  Castration  als  solche  ist  eine  so  einfache  Operation,  dass  sie  wohl 
kaum  einer  eingehenden  Schilderung  bedarf;  es  sind  in  erster  Linie  die  für 
Laparotomien  allgemein  giltigen  Regeln  in  Bezug  auf  Anti-,  respective  Asepsis» 
Vorbereitungen,  Nachbehandlung  etc.  zu  beachten. 

Eine  sehr  sorgfältige  Zusammenstellung  aller  bisher  bekannt  gewordenen, 
zum  Zwecke  der  Heilung  der  Osteomalacie  ausgeführten  Castrationen  ist  erst 
ganz  kürzlich  von  Truzzi  veröffentlicht  werden;  dieselbe  beläuft  sich  auf  08 
Fälle,  hierzu  kommt  noch  ein  in  letzter  Zeit  von  Donat  mitgetheilter  Fall, 
so  dass  wir  also  bereits  über  eine  Gesammtzahl  von  99  Fällen  verfügen;  von 
diesen  sind  im  Ganzen  7  oder  7,07  %  gestorben. 

Was  die  Dauererfolge  schliesslich  anbetrifft,  so  sind  für  eine  genaue 
Beurtheilung  derselben  von  Truzzi  63  Fälle  für  brauchbar  erachtet  worden; 
hievon  sind  45  vollständig  geheilt,  10  gebessert,  3  vorübergehend  rückfällig, 
4  dauernd  rückfällig  geworden  und  1  ohne  jeden  Erfolg  operiert  worden; 
eine  endgültige  Heilung  ist  also  in  71*4  7o  eingetreten.  Die  Möglichkeit 
eines  Misserfolges  oder  einer  nur  vorübergehenden  Besserung  macht  selbst- 
verständlich eine  weitere  Ueb erwachung  und  eine  fortgesetzte  Behandlung 
erforderlich;  immerhin  haben  wir  in  der  Castration  ein  Mittel  in  der  Hand» 
durch  welches  es  geglückt  ist,  den  bis  vor  Kurzem  ausserordentlich  hohen 
Procentsatz  von  Todesfällen  in  einen  fast  gleich  hohen  von  Heilungen  um- 
zuwandeln. 

E.   G.   ORTHMAlSnsr. 


OVARIE.  567 

Ovarie  Ovarie  (Negrier),  Ovarialgie  (Schützenberger),  Hyperldnhie 
de  l'ovaire  (Swediaur).  Unter  diesem  Namen  wird  eine  besondere  Druck- 
empfindliclikeit,  ein  Zustand  der  krankhaften  Hyperästhesie  des  Ovariums  bei 
hysterischen  Personen  verstanden,  der  nach  Ciiakcot  ein  differential-diagnostisch 
werthvolles  Merkmal  für  die  Ilystero-Epilepsie  aljgibt.  Unter  den  sogenannten 
hysterogenen  Zonen  ist  eine  der  am  häutigsten  beim  weiblichem  (ieschlecht 
beobachteten,  die  lliacalgegend,  die  sich  durch  eine  besondere  Druckschmerz- 
haftigkeit  an  bestimmter  Stelle  auszeichnet,  ein  Druck  an  dieser  Stelle  kann 
sowohl  einen  hysterischen  convulsivischen  Anfall  auslösen  als  auch  momentan 
unterdrücken.  Schützenberger  brachte  zuerst  die  Druckempündlichkeit  an 
besagter  Stelle  und  ihre  Beziehungen  zum  Ovarium  in  einen  Causalnexus 
und  bezog  die  zu  Grunde  liegende  Hyperästhesie  des  Ovarium  auf  Congestions- 
zustände,  Entzündung,  Degenerationsprocesse,  erkannte  aber  auch  einen  patho- 
logischen Zustand  des  Eierstockes  von  nervöser,  neuralgischer  Natur  an.  Die 
Engländer  sahen  in  der  Ovarialgie  den  Ausdruck  einer  „Local-Hysterie"  (F.  C. 
Skey).  Sie  fassen  als  „Local-Hysterie"  eine  Gruppe  von  nervösen  lieizzuständen 
zusammen,  welche  mehr  oder  minder  constant  in  den  freien  Intervallen  zwischen 
den  einzelnen  convulsivischen  Attaquen  bei  Hysterischen  hinterbleiben.  Diese 
last  stets  mehr- weniger  prägnant  ausgesprochenen  Erscheinungen  der  „Local- 
Hysterie"  gestatten  es  auch  ausserhalb  der  Attaquen  in  schmerigen  Fällen  die 
Diagnose  der  Hystero-Epilepsie  zu  stellen.  Zur  Gruppe  dieser  Erscheinungen 
der  Local-Hysterie  gehören  Hemianästhesien,  Paralysen,  Contracturen  und  fixe 
Schmerzen,  respective  Druckschmerzhaftigkeit  an  verschiedenen  Stellen  des 
Körpers,  und  zwar  Rhachialgie,  Pleuralgie,  der  Clavus  hystericus  u.  s.  w.  vor 
allem  aber  ein  Schmerz  in  der  seitlichen  Gegend  des  Hypogastrium,  die  Ova- 
rialgie, auch  Iliacalschmerz  benannt.  Charcot,  der  sich  Schützenberger's 
Auffassung  anschloss  und  die  ausführlichste  Erörterung  der  Ovarialgie  durch 
klinische  Demonstrationen  in  seinen  Vorlesungen  in  der  Salpetriere  erhärtet, 
hinterlassen  hat,  fand  seiner  Zeit  auf  160  in  seiner  Abtheilung  weilende 
nervenkranke  Frauen  fünf  mit  hysterischer  Ovarialgie  behaftet.  Schon  Lorry 
und  PoujOL  hatten  die  Häufigkeit  einer  abnormen  hypogastrischen  Druck- 
schmerzhaftigkeit bei  Hysterie  angegeben.  Skley,  welcher  allen  anderen  Be- 
obachtern entgegen  häufiger  das  rechte  als  das  linke  Hypogastrium  befallen 
sah,  fasste  diesen  Schmerz  als  den  Ausdruck  einer  localen  Hysterie  auf. 

Schützenberger,  Piorry  und  Negrier  bezogen  den  Schmerz  direct  auf 
eine  Hyperästhesie  des  Ovarium.  Romberg  schloss  sich  deren  Anschauungen 
an,  die  anderen  deutschen  Neuropathologen  jedoch,  auch  Hasse,  Yalentiner, 
Rudolf  Arndt  wollen  eine  specifische  Ovarialgie  nicht  anerkennen  und  wird 
eine  solche  in  den  meisten  deutschen  Lehrbüchern  nur  kurz  oder  gar  nicht 
erwähnt.  Nach  Arndt  sollen  die  mannigfaltigen  unangenehmen  und  schmerz- 
haften Empfindungen  in  der  Regio  hypogastrica  in  vielen  Fällen  mit  dem 
Ovarium  nichts  zu  thun  haben,  da  man  sie  ebenso  ausgesprochen  auch  bei 
hysterischen  Männern  fand,  was  auch  Legrand  du  Saulle  anführt.  Arndt 
will  vielmehr  mit  Jolly  die  Ursache  dieses  Bauchschmerzes  in  einer  Hyper- 
ästhesie der  Bauchmuskeln  und  Bauchhaut  (Myalgie  und  Dermalgie)  suchen 
oder  auch  in  einer  Hyperästhesie  des  Bauchfells  (Valentiner)  oder  selbst  des 
Darmes.  Schroeder  van  der  Kolk  z.  B.  bezog  den  Schmerz  auf  einen  Krampf 
des  Colon  ascendens.  Arndt  behandelte  einen  Fall  von  typischer  sogenannter 
Ovarialgie,  die  nach  langer  Dauer  endgiltig  schwand,  als  gelegentlich  mit  dem 
Stuhlgang  sich  eine  Menge  Eiter  aus  dem  Darme  entleerte,  wahrscheinlich 
aus  einem  in  den  Darm  durchbrechenden  Peritonealabscess,  „wobei  vielleicht 
eine  Art  von  Klappenventil  am  Darm  günstig  mitgewirkt  hatte;"  seit  10  Jah- 
ren ist  die  nunmehr  zur  Gattin  und  Mutter  gewordene  Frau  ihre  sogenannte 
Ovarialgie  gänzlich  losgeworden. 


568  OVARIE. 

Charcot  schreibt  diese  differente  Auffassung  von  Seiten  der  deutschen 
Fachgenossen  dem  Einflüsse  Briquet's  zu.  Letzterer  hatte  für  dieses  Leiden 
den  Ausdruck  „Bauchschmerz"  Coelialgie  angeführt  und  auf  430  Fälle  von 
Hysterie  200mal  diese  Coelialgie  festgestellt,  er  fasst  jedoch  hierbei  Schmerz- 
äusserungen  am  gesammten  Unterleibe  zusammen  und  sucht  die  Ursache 
in  einer  Myodynie;  nach  ihm  soll  irrthümlich  ein  Druckschmerz  am  unteren 
Ende  des  Muse,  rectus  abdominis  und  am  Muse,  pyramidalis  als  Uterinschmerz, 
am  unteren  Ende  der  Muse,  obliqui  abdominis  als  Ovarialschmerz  aufgefasst 
worden  sein.  Die  Druckschmerzhaftigkeit  ist  manchmal  so  stark,  dass  schon 
die  Schwere  einer  Bettdecke  lästig  empfunden  wird,  die  Kranke  vor  dem 
untersuchenden  Finger  mit  einem  Ruck  ihres  Körpers  zu  entfliehen  sucht. 
Ist  der  Leib  dabei  unter  Betheiligung  der  Bauchmuskeln  und  -haut  mitbe- 
theiligt,  der  Leib  daher  aufgetrieben,  so  ist  das  Bild  der  „Spurious  Peritonitis" 
der  Engländer  fertig.  Todd  localisirt  den  Schmerz  auf  einen  2 — 3  Zoll  breiten 
abgerundeten  Bezirk  der  Bauchwand,  der  theilweise  der  Fossa  iliaca,  theilweise 
dem  Hypogastrium  angehöre,  also  der  Region  des  Eierstockes.  Ab  und  zu 
erscheint  der  Schmerz  spontan,  ein  andermal  erst  auf  Druck  von  aussen.  Da 
die  Haut  dab  ei  anästhesirt  ist,  die  Muskeln  oft  erschlafft  sind,  so  dass  sich  die 
Bauchdecke  in  Falten  erheben  lässt,  so  kann  nach  Charcot  die  Schmerzhaf- 
tigkeit  nicht  in  der  Bauchwand  ihren  Sitz  haben,  derselbe  sei  tiefer  zu  suchen 
und  zwar  am  Ovarium,  dort  soll  der  Schmerzpunkt  constant  sein:  zieht 
man  eine  beide  Spinae  anteriores  superiores  verbindende  Linie,  und  fällt 
darauf  2  Senkrechte  in  der  Frontalebene  an  den  seitlichen  Grenzen  des  Epiga- 
strium,  so  fällt  der  rechts-  und  linksseitige  Schnittpunkt,  letzterer  mit  der 
Bispinallinie  gerade  auf  die  Druckschmerzpunkte  Charcot's.  Drückt  man  hier  die 
Hand  ein,  nachdem  bei  starren  Bauchwandungen  z,  B.  durch  continuirlich  wir- 
kenden starken  Druck  dieser  Widerstand  überwunden  ist,  so  gelangt  man  unge- 
fähr auf  die  Mitte  der  nach  der  Mittellinie  des  Körpers  zu  concav  ausgehöhl- 
ten Linea  innominata  des  Beckeneinganges.  An  der  Mitte  dieses  Knochenrandes 
tastet  man  bei  einiger  Uebung  leicht  einen  ovoiden  Körper,  das  Ovarium,  der 
hei  Fingerdruck  ausgleitend  leicht  entschlüpft  und  zwar  solle  man  nach 
Charcot  nicht  nur  ein  vergrössertes  Ovarium,  sondern  auch  das  normale  auf 
diese  Weise  gut  betasten  können.  Bei  Druck  an  dieser  Stelle  entsteht  sofort  ein 
specifischer  heftiger  Schmerz  und  von  dieser  Stelle  ausgehendeine  Aura  hyste- 
rica;  sofort  erscheinen  Irradiationen  nach  dem  Epigastrium  zu,  zuweilen 
mit  Uebelkeit  und  Erbrechen  gepaart,  bei  darauffolgendem  fortgesetztem  Fin- 
gerdruck Herzpalpitationen,  Globus  hystericus  etc.  Diese  ascendirenden  Irra- 
diationserscheinungen bilden  hier  die  Aura  hysterica,  aber  es  können  auch 
noch  diverse  „Troubles  cephaliques"  hinzukommen,  ein  Pfeifen  im  Ohr  ähn- 
lich dem  schrillen  Eisenbahnpfiff,  ein  hammerschlägeartiges  Klopfen  in  der 
Schläfe,  Verschleierung  des  Gesichtsfeldes  u.  s.  w.  Alle  diese  Erscheinungen 
bleiben  auf  die  Körperhälfte  der  Ovarialgie  beschränkt,  also  bei  der  häu- 
figeren linkseitigen  Ovarialgie  empfindet  die  Kranke  die  Auraerscheinungen 
nur  linkerseits,  sind  beide  Ovarien  betheiligt,  so  sind  die  Erscheinungen 
meistens-  linkerseits  mehr  ausgesprochen.  Nach  Schützenbergek  erfolgen 
nach  Ovarialcompression  die  Erscheinungen  der  Aura  in  derselben  Aufeinan- 
derfolge wie  beim  spontanen  hysterischen  Anfalle,  Wenn  von  anderer  Seite 
eingewandt  wurde,  das  Ovarium  liege  normal  viel  zu  tief,  um  auf  diese  Weise 
durch  die  Bauchwand  getastet  zu  werden,  so  berief  sich  Charcot  darauf,  dass 
angesichts  der  Turgescenz,  der  Erectilität  und  arteriellen  Rigidität  des  Plexus 
der  Tuben  zu  Lebzeiten  die  Lage  des  Ovarium  eine  andere,  höhere  sei  als 
an  der  Leiche,  einen  Beweis  sollen  auch  die  Gefrierschnitte  ergeben,  wo  man 
eine  Lagerung  der  Eierstöcke  analog  wie  bei  Neugeborenen  gefunden  habe, 
also  eine  höhere  Lage.     Charcot  berief  sich   hier  auf   einen  von  Legendre 


OVARIE.  569 

an  der  Leiche  einer  20-jährigen  ausgeführten  Gefrierschnitt,  das  Ovarium 
lag  hier  rechterseits  oberhalb  der   Linea  innominata  auf  der  Fossa  iliaca. 

Chakcot  ist  es  bei  wiederholten  Leichenversochen  öfters  gelungen,  wenn 
er  an  der  von  ihm  bezeichneten  Stelle  eine  Nadel  in  den  Unterleib  einstiess, 
das  Ovarium  aufzuspiessen.  Cheneau  behauptet  sogar,  bei  schlaffer  Bauch- 
wand solle  die  äussere  Palpation  eine  ebenso  genaue  Betastung  ergeben  wie 
die  Ovarialpalpation  per  rectum.  Nach  Ciiarcot  ist  also  der  fixe,  iliacale 
Schmerz  Hysterischer  bestimmt  nur  auf  das  Ovarium  allein  zu  beziehen,  findet 
sich  häufiger  links  als  rechts,  selten  beiderseitig  und  wenn  doch,  so  linker- 
seits stärker  ausgesprochen.  Ueber  den  Zustand  eines  solchen  Eierstockes 
sagt  die  pathologische  Anatomie  bisher  nichts  Bestimmtes  aus,  er  kann 
erkrankt  sein,  kann  aber  auch  frei  von  irgendwelchen  nachweisbaren  patho- 
logischen Veränderungen  sein,  vielleicht  hängt  diese  Druckschmerzhaftigkeit 
von  einem  congestiven  Zustand,  einer  erhöhten  Turgescenz  al).  Charcot 
bemühte  sich  den  Zusammenhang  zwischen  der  Ovarialgie  und  den  anderen 
Theilerscheinungen  der  localen  Hysterie  nachzuweisen  und  legt  zunächst  gros- 
sen Werth  darauf,  dass  sowohl  die  Erscheinungen  am  Auge,  der  Schläfe  etc. 
bei  der  hysterischen  Aura  als  auch  die  Hemianästhesien,  Paresen  und  Glie- 
dercontracturen  stets  die  gleichnamige  Körperhälfte  betreffen  wie  die  Ova- 
rialgie, dass  bei  bilateraler  Ovarialgie  auch  jene  Erscheinungen  bilateral  auf- 
treten, ferner  fand  Charcot  auch  den  gleichen  Complex  von  Erscheinungen 
alternirend  bald  rechterseits,  bald  linkerseits,  dabei  war  aber  auch  stets  die 
Ovarialgie  eine  entsprechend  alternirende.  Bei  der  Hystero-Epilepsie  soll  in 
schwierigen  Fällen  die  Ovarialgie  als  ein  zwischen  den  einzelnen  Anfällen 
permanent  bleibendes  Symptom  einen  diagnostischen  Werth  besitzen.  Die 
methodische  Compression  des  afficirten  Eierstockes  ruft  in  einzelnen  Fällen 
sofort  die  Aura  hervor,  der  dann  die  convulsivischen  Zustände  folgen,  in  an- 
deren erfolgen  sofort  jene  Anfälle,  in  wieder  anderen  Fällen  kann  man  durch 
die  Compression  plötzlich  die  Anfälle  coupiren,  steigern,  schwächen,  durch  wie- 
derholte Compression  wiederholt  hervorrufen  etc.,  zuweilen  modificirt  die  Com- 
pression nur  die  Phänomene  des  Anfalles.  Bei  starren  Bauchwandungen  ist 
der  CHARCox'sche  Handgriff  für  den  Arzt  ermüdend  und  anstrengend,  da  eine 
grosse  Kraft  erheischt  wird,  um  den  Widerstand  der  Bauchmuskeln  zu  über- 
winden. Charcot  lässt  die  Kranke  horizontal  auf  eine  Matratze  auf  dem  Fuss- 
boden  niederlegen,  der  Arzt  kniet  rechterseits  von  ihr  nieder  und  drückt  an 
der  angegebenen  Stelle  die  zur  Faust  geballte  Hand  mit  aller  Kraft  gegen  die 
Bauchwand,  manchmal  gelingt  es  erst  nach  2 — 3  Minuten  continuirlichen 
Druckes  das  Ziel  zu  erreichen;  sobald  einmal  der  Widerstand  der  Bauch- 
muskeln gebrochen  ist,  genügt  ein  fortgesetzter  Druck  mit  1  bis  2  Fingern 
an  jener  Stelle. 

PoiRiER  ersetzte  die  ermüdende  Compression  mit  der  Hand  durch  einen 
speciellen  Apparat  mit  stellbarem  Pelottendruck:  „Compresseur  iliaque,"  Charcot 
auch  durch  eine  von  Lannelongue  für  andere  Zwecke  angewandte  Compres- 
sion, einen  mit  Schrot  gefüllten  Sack,  und  w^underte  sich  darüber,  dass 
«in  therapeutisch  so  hilfreiches  Mittel  wie  die  Ovarialcompression  zur  Cou- 
pirung  gewisser  hysterischer  Anfälle  so  sehr  in  Vergessenheit  gerathen  sei. 
Schon  WiLLisius  behauptete  im  16.  Jahrhundert,  dass  dem  Aufsteigen  eines 
vom  Abdomen  ausgehenden  convulsivischen  Spasmus  nach  dem  Halse  und 
Kopfe  zu  durch  starke  Compression  des  Unterleibes  vorgebeugt  werden  könne, 
der  Leib  sollte  entweder  durch  Bindendruck  comprimirt  oder  mit  beiden 
Armen  behufs  Compression  umfasst  werden.  Er  selbst  unterbrach  einen  Anfall, 
indem  er  die  Kranke  von  hinten  her  mit  beiden  Armen  umfasste  und  seine 
Hände  am  Unterleib  vereinte.  Schon  Mercado  (nach  Charcot  1513)  hatte 
die  Friction  des  Unterleibes  empfohlen,  Monardes  legte  einen  grossen  Stein 


570  OVARIE. 

auf  den  Unterleib,  Boerhave  empfahl  zu  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  aufs 
Neue  die  Compression  des  Unterleibes  bei  hysterischen  Attaquen,  er  wollte 
ein  Kissen  zwischen  Crista  ossis  ilei  und  den  falschen  Rippen  anlegen  und 
durch  festen  Bindendruck  fixiren.  Recamier  folgte  seinem  Beispiele  und 
hiess  einen  Gehilfen  sich  auf  ein  auf  den  Unterleib  der  Kranken  gelegtes 
Kissen  setzen.  Nur  Negrier  empfahl  unter  den  späteren  Autoren  ein  ähn- 
liches Vorgehen,  er  wollte  jedoch  durch  blosses  festes  Eindrücken  der  Hand 
die  convulsivische  Attaque  vollständig  unterdrücken.  Uebrigens  sieht  man 
zuweilen,  dass  die  hysterische  Patientin  instructiv  bei  dem  Anfalle  die  Hand 
fest  gegen  die  besagte  Körperstelle  anpresst,  sie  behauptet  dadurch  Erleich- 
terung zu  haben,  verlangt  auch  wohl  von  ihrer  Umgebung,  man  solle  diesen 
Druck  ausüben,  die  Aniälle  sollen  dadurch  zuweilen  coupirt  oder  gemildert 
werden.  Charcot  gelangt  auf  Grund  seiner  Erfahrungen  zu  dem  Schlüsse, 
eine  energische  Compression  des  Eierstockes  habe  keinen  directen  Einfluss 
auf  die  meisten  permanenten  Symptome  der  Hysterie,  wie  Contracturen,  Läh- 
mungen, Hemianästhesien  etc.,  aber  sie  habe  einen  oft  entscheidenden  Einfluss 
auf  convulsivische  Attaquen,  die  sie  abzuschwächen,  oft  auch  ganz  zu  unter- 
drücken vermöge. 

Dass  der  Sitz  des  Schmerzes  wirklich  im  Ovarium  zu  suchen  sei,  soll 
nach  Souques  (siehe  seine  Bearbeitung  der  Hysterie  in  dem  Manuel  der 
Medeci?ie,  herausgegeben  von  Debove  und  Achard:  Tom.  IV:  Maladies  du  Sy- 
steme nerveux.  Paris  1894,  p.  292)  dadurch  erwiesen  sein,  dass  Budin  und 
Fere  bei  Schwangeren  im  Stande  waren  ein  der  fortschreitenden  Schwanger- 
schaft entsprechendes  Aufwärtswandern  des  Sitzes  der  Schmerzhaftigkeit  nach- 
zuweisen, entsprechend  dem  Aufsteigen  der  Eierstöcke.  Fere  beobachtete  so- 
dann im  Wochenbett  entsprechend  der  zunehmenden  Involution  des  Uterus 
ein  abermaliges  Herabsteigen  der  Localisation  des  Schmerzes.  Richer  (Etudes 
diniques  sur  l' hysteroSpilepsie  ou  grande  hysterie.  Paris  1881)  bildet  auf  S.  596 
den  von  Poirier  construirten  Compresseur  de  l'ovaire  ab,  der  oft  in  der 
Salpetriere  mit  gutem  Erfolg  gebraucht  wurde.  Das  Tragen  dieser  stellbaren 
Pelottenvorrichtung  soll  nach  Poirier  den  Kranken  einen  prophylaktischen 
Schutz  gewähren:  so  lange  der  Eierstocks compressor  gut  anliege,  seien 
die  „Points  hysterogenes"  verschwunden,  kommen  aber  sofort  wieder  mit  Ab- 
nahme des  Compressors.  Die  Application  sei  nicht  schmerzhaft  und  werde  von 
den  Kranken  gut  vertragen,  nach  48-stündigem  Tragen  sei  kaum  eine  Röthung 
der  Haut  an  der  Druckstelle  zu  bemerken.  S.  727  bildet  Richet  in  einem 
Nachtrage  einen  neuen  Eierstockscompressor  von  Ballet  ab,  der  praktischer 
sein  soll,  insofern  er  auch  beim  Gehen  getragen  werden  könne. 

Legrand  du  Saulle  will  es  nicht  als  bestimmt  erwiesen  betrachten, 
dass  wirklich  der  Eierstock  der  Sitz  der  betreffenden  Zone  hysterogene  sei, 
weil  man  ganz  die  nämlichen  Erscheinungen  bei  Compression  mit  der  Hand 
an  derselben  Stelle  auch  bei  hysterischen  Männern  auftreten  sehen  könne, 
immerhin  betreffe  die  grosse  Mehrzahl  der  Beobachtungen  doch  das  Ovarium, 
wo  ein  leichter  Druck  die  aura  hysterica  hervorrufe,  ein  stärkerer  die  con- 
Yulsivischen  Erscheinungen  auslöse,  andererseits  auch  eine  starke  Compression 
die  convulsivischen  Erscheinungen  plötzlich  unterdrücke. 

Weir-Mitchell  beobachtete  nach  W.  R.  Gowers  die  gleiche  von  Charcot 
als  Ovarialgie  beschriebene  Schmerzerscheinung  an  der  von  Charcot  bezeich- 
neten Stelle,  während  durch  vaginale  Untersuchung  gegenüber  dem  normalen 
Sitze  des  Ovarium  eine  abnorm  tiefe  Lagerung  des  Eierstockes  (Descensus) 
nachgewiesen  wurde,  also  können  nach  Gowers  wohl  auch  die  benachbarten 
Partien  der  Sitz  jener  neuralgischen  Empfindlichkeit  sein. 

ToDD  sah  zuweilen  eine  oberflächliche  Schmerzhaftigkeit  gerade  über 
den  Ovarien.  Neben  der  tiefer  gelegenen  Druckschmerzhaftigkeit  bestehen 
zuweilen  spontane  Schmerzen;  sind  beide  Ovarien  ergriffen,  so  meist  das  linke 


OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN.  571 

in  Überwiegendem  Maasse,  aber  es  gibt  auch  Frauen,  die  absolut  frei  von 
Hysterie  sind  und  doch  an  der  von  Ciiakcot  bezeichneten  Stelle  eine  ausser- 
ordentlich grosse  Empfindlichkeit  aufweisen.  vu.  l.  neugkijauek. 

Ovariotomie-Ovarialtumoren.  Die  Ovariotomie  ist  jener  operative 
Eingriff,  als  dessen  Zweck  die  Entfernung  des  pathologisch  veränderten,  gewöhn- 
lich cystisch  verbildeten  Ovariums  erscheint.  Je  nachdem  die  Erkrankung  nur  das 
eine,  oder  beide  Ovarien  betrifft,  ist  auch  die  Operation  eine  ein-  oder  beiderseitige, 
zeitlich  gleich-  oder  ungleichzeitige  und  ihrem  nunmehr  definitiv  errung(!nen 
Siege  nach  kann  sie  als  bahnbrechend  nicht  allein  für  alle  Bauch-(jpera- 
tionen,  sondern  für  die  gesammte  moderne  operative  Chirurgie  betrachtet 
werden;  denn  an  ihren  stets  zunehmenden  Erfolg  auch  in  jenen  compli- 
cirteren  Fällen,  in  welchen  theils  zufällig,  theils  nothgedrungen  Ver- 
letzungen anderer  Organe  sich  ergaben,  reihten  sich  naturgemäss  eben  so  bald 
die  Hystero-Myotomien,  Darmvernähungen,  Darmresectionen  und  in  weiterer 
Folge  die  verschiedenen  Operationsmethoden  am  Magen  und  den  übrigen  Bauch- 
organen, als  die  Erfahrungen  über  Ungefährlichkeit  der  Baucheröffnung  zur 
operativen  Behandlung  anderer  wichtiger  Höhlen,  wie  der  Schädel-,  Brust-  und 
Gelenkshöhlen  mehr  und  mehr  ermuthigten.  Hat  sie  doch  auch  den  Haupt- 
anstoss  zu  einer  der  wichtigsten  chirurgischen  Errungenschaften  der  letzten 
20  Jahre  gegeben,  nämlich  zur  Entwicklung  der  Nierenchirurgie.  Ihr  absoluter 
Werth  aber  in  Hinsicht  der  gründlichen  Beseitigung  eines  lebenstörenden 
Uebels  ist  so  hoch,  wie  ihn  höheren  Grades  kaum  irgendwelche  Operation  auf- 
zuweisen hat,  da  bei  einseitiger  Ovarial-Erkrankung  jüngeren  Frauen  durch 
dieselbe  nicht  allein  das  Leben  gerettet,  sondern  gleichzeitig  deren  normaler, 
d.  i.  zeugungsfähiger  Zustand  herbeigeführt  wird. 

Geschichte.  Im  Verhältnis  zu  ihrer  hohen  und  üheraus  segensreichen  Entwicklung 
schliesst  die  Geschichte  der  Ovariotomie  einen  relativ  nur  kurzen  Zeitraum  ein,  denn  ihr 
eigentlicher  Beginn  fällt  in  das  Jahr  1809,  in  welchem  Ephraim  Mc  Dowell  in  Kentucky 
wohl  als  erster  erscheint,  welcher  die  Operation  mit  vorausbestimmter  wissenschaftlicher 
Begründung  und  correcter  Vollendung  an  einer  gewissen  Mrs.  Crawford  mit  einem  Erfolge 
ausführte,  und  der  Genannten  das  Leben  3ü  Jahre  nach  der  Operation  bis  zu  ihrem 
79.  Lebensjahre  verlängerte.  Die  Anregung  zur  Operation  erhielt  er  höchst  wahrscheinlich 
von  seinem  Lehrer  John  Bell  in  Edinburgh. 

Die  Idee  für  die  Ausführbarkeit  der  Operation  taucht  übrigens  viel  früher  auf,  wir 
finden  dieselbe  *)  bereits  im  Jahre  1680  bei  Felix  Plater  in  Basel ;  1685  bei  Schorkopf  ; 
1725  bei  Schlenker;  1774  bei  de  la  Porte  und  Morand;  —  und  wenn  wir  uns  fragen, 
woraus  dieselbe  geschöpft  sein  mochte,  so  dürfte  die  Antwort  nicht  weit  liegen;  man  braucht 
nur  einmal  in  „viva"  in  einem  günstigen  Falle  einen  gestielten,  frei  in  der  Bauchhöhle 
beweglichen  Ovarientumor  klinisch  untersucht  und  diagnosticirt,  oder  bei  der  Section 
einen  solchen  gesehen  zu  haben,  um  gleichsam  unwillkürlich  nicht  allein  von  dem  Ge- 
danken der  Entfernbarkeit  überrascht,  sondern  zugleich  vom  inneren  Drange  für  seine 
Entfernung  beseelt  zu  sein,  vorausgesetzt,  dass  man  mindestens  ein  passionirter  und  kühner 
Chirurg  ist.  Uebrigens  wurde  die  Idee  auffallend  gestützt  durch  zufällige  Erfahrungen,  die 
man  bei  der  Exstirpation  in  Brüchen  gelegener  Ovarien  machte  (Pott  exstirpirte  mit  gutem 
Erfolge  beide  Ovarien,  die  in  Leistenbrüchen  lagen),  und  durch  die  Beobachtungen  an 
Thieren,  bei  denen  der  besseren  Mästung  halber  die  Exstirpation  der  Geschlechtsdrüsen 
im  Gebrauche  stand.  Und  jene  geschichtlichen  Daten,  wonach  ein  deutscher  „Stein- 
schneider" seiner  unkeuschen  Tochter  beide  Ovarien  exstirpirte,  desgleichen  ein  anderer 
bei  seiner  Frau  vollführte,  um  dem  überreichen  Kindersegen  Einhalt  zu  thun,  wirkten 
ebenfalls  ermunternd  zur  Ausführung  der  Operation. 

Alles  hat  seine  Zeit  und  diese  auch  tritt  periodenweise  in  Erscheinung,  zuweilen  erst 
die  Idee  und  nachher  die  That  und  beide  kämpfen  hart  bis  zum  endlichen  Siege.  So 
geschah  es  auch  mit  der  Ovariotomie;  die  Erfolge  brachten  sie  vorwärts,  die  Misserfolge 
wieder  hemmten  ihren  Gang.  —  MG  Dowell  hatte  Glück  mit  seinen  8  Heilungen  unter  13 
Fällen,  die  er  bis  zu  seinem  1830  erfolgten  Tode  operirte  und  kann  in  Folge  davon  als  wahrer 
Bahnbrecher  der  Ovariotomie  betrachtet  werden.  Ihm  folgte  Nathan  Smith,  New-Haven,  Con- 
necticut, welcher  wahrscheinlich  unabhängig  von  Dowell  1821  seine  erste  glückliche  Ova- 


*)  Siehe  Krankheiten  der  Ovarien  von  Dr.  Robert  Olshausen.  —  Deutsche  Chirurgie» 
Liefg.  58.  18g6. 


.572  OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN. 

riotomie  vollführte.  Alban  Smith  als  Dritter  in  der  Reihe  hatte  anfangs  Unglück,  dann 
aber  operirte  er  im  Jahre  1823  mit  Erfolg.  Nun  machten  mehrere  nordamerikanische 
Operateure  vergebliche  Operationsversuche,  bis  im  Jalire  1829  David  Rogers  einen  gün- 
stigen Ausgang  davon  verzeichnen  konnte.  Den  nächsten  Erfolg  darauf  in  Nord-Amerika 
weTst  erst  im  Jahre  1834  Billinger  auf.  Nun  folgte  eine  Pause  bis  zum  Jahre  1843,  dann 
aber  rasche  Verbreitung  der  Operation,  indem  in  demselben  Jahre  J.  L.  Atlee  die  erste 
doppelseitige  Ovariotomie  vollführte  und  im  folgenden  Jahre  Washington  L.  Atlee  seine 
Operationsreihe  begann,  deren  Zahl  bis  1871  auf  246  Fälle  sich  erhob  und  nachdem  gleich- 
zeitig viele  andere  amerikanische  Operateure,  wie  Kimball,  Dunlap  u.  m.  a.  sich  der  Ope- 
ration bemächtigten,  wurde  in  ihrem  Heimatslande  nach  und  nach  auch  deren  endgiltige 
Berechtigung  begründet. 

Der  Zeitgeist  pflanzte  sie  nun  nach  Europa  herüber  und  zwar  vor  Allem  nach  Eng- 
land, wo  sie  übrigens  bereits  im  Jahre  1824-  und  1825  von  Lizars  und  Granville  einige- 
male,  u.  z.  nicht  mit  besonderem  Glücke  ausgeführt  wurde ;  und  da  vielen  anderen  Opera- 
teuren dasselbe  passirte,  gerieth  sie  anfänglich  auch  hier  in  Misscredit,  so  dass  deren  häu- 
figere Wiederaufnahme  erst  in  den  50er  und  60er  Jahren  dieses  Jahrhunderts  Eingang  fand. 
Unter  den  Operateuren  dieser  Zeitperiode  mit  einer  grösseren  Zahl  von  günstigen  Erfolgen 
getragenen  Operationsfällen  sind  besonders  Bird,  Clav  und  Backer  Brawn  anzuführen, 
indessen  war  es  Spencer  Wells  vorbehalten,  am  Ende  der  50er  und  Anfangs  der  60er 
Jahre  der  Ovariotomie  in  England  jenen  festen  Ruf  zu  begründen,  welcher  nach  und  nach 
in  den  anderen  Ländern  Europas  den  wohlverdienten  Wiederklang  fand. 

Spencer  Wells  mit  seiner  genialen  Chirurgen- Veranlagung  und  rastlosen  Hingebung 
für  diese  operative  Heilrichtung,  dann  Lister  mit  beinahe  gleichzeitiger  Einführung  seiner 
antiseptischen  Wundbehandlung  bilden  wohl  die  Grundfesten,  auf  welchen  die  heilsamen 
Erfolge  der  nunmehr  nach  vielen  Tausenden  zählenden  Ovariotomien  ruhen,  die  in  den  letzten 
3  Decennien  an  allen  Orten  der  Erde,  wo  wissenschaftliche  Medicin  betrieben  wird,  vollführt 
wurden. 

In  Deutschland  und  Frankreich,  allwo  die  Ovariotomie  in  der  Folge  zu  bedeu- 
tendem Aufschwünge  gelangen  sollte,  kam  solche  anfänglich  schwer  zur  Geltung,  obgleich 
sie  in  beiden  Ländern  viel  früher,  als  in  England  geübt,  oder  wenigstens  sehr  warm  em- 
pfohlen worden  war;  Crysmer  in  Isny  (Württemberg)  vollführte  seine  erste  Ovariotomie  1819, 
ihm  folgten  mit  günstigen  Fällen  1846  Siebold,  1850  Kiwisch  und  Stilling;  1851  und  1852 
Langenbeck  und  ed.  Martin  u.  m.  a. ;  in  Frankreich,  nachdem  bereits  im  vorigen  Jahr- 
hundert Delaporte  und  Chambon  (mal  des  femmes  1798),  Samuel  Hartman  d'EsCHER  in 
seiner  These  (MontpelHer  1807)  deren  Berechtigung  gewürdigt,  Chereau  1844  (Journal  des 
conn.  med.  chir.  Juillet)  sogar  eine  Statistik  über  65  Fälle  veröffentlicht  hatte,  erscheint 
doch  erst  1844  eine  glücklich  vollführte  Ovariotomie  von  Woyerkowsky,  dann  1847  von 
Vaullegard;  die  Fälle  mit  ungünstigem  Ausgange  in  Händen  der  gediegensten  Chirurgen, 
wie  eines  Dieffenbach,  Maisonneüve,  Jobert  bewirkten  immer  wieder  eine  Gegenströmung. 
Dieffenbach  verwarf  sie  gänzlich  und  bei  Gelegenheit  einer  Discussion  in  der  Pariser  Aka- 
demie in  den  Jahren  1856  und  1857  sprach  sich  nur  Gazeaux  dafür  aus.  In  Folge  hievon 
ergab  sich  eine  Pause,  die  erst  im  Jahre  1862  durch  Nelaton  in  Paris,  der  ebenfalls,  wie 
Andere  vorerst  Spencer  Wells  und  Backer  Brawn  operiren  gesehen,  unterbrochen  wurde; 
ihm  zur  Seite  stand  Koeberle  in  Strassburg  mit  seinen  so  schönen  Erfolgen,  welche  ihn 
1864  über  9  glückliche  Fälle  unter  12  berichten  Hessen;  desgleichen  erging  es  der  Ope- 
ration in  Oesterreich,  speciell  in  Wien.  Nachdem  Franz  Schuh  (Abhandlungen  über  Chi- 
rurgie und  Operationslehre  1867)  im  Jahre  1858  und  1864  je  einen  Fall  mit  tödtlichem  Aus- 
gange operirt  hatte,  entschloss  man  sich  so  schwer  zu  weiteren  Versuchen,  dass,  nachdem 
A.  Kumar  —  gleichfalls  durch  Spencer  Wells  angeregt  —  im  Jahre  1866  in  Wien  seine  erste 
Ovariotomie  mit  ungünstigem  Ausgange  vollführt  hatte,  bei  Besprechung  derselben  in  der 
Wiener  Gesellschaft  der  Aerzte  von  Seite  Dumreighers  und  Carl  Braun's,  als  auch  meh- 
rerer jüngerer  Chirurgen  die  heftigste  Controverse  darüber  sich  entspann;  nach  Kumar's 
folgender  ungünstiger  Operation,  gelang  es  dann  Weinlehchner  1867  seinen  2.  und  3.  Fall 
durchzubringen,  damit  in  Wien  der  Ovariotomie  den  Weg  zu  ebnen,  welchen  nunmehr 
Billroth  epochemachend  betrat.  In  Ungarn  war  J.  Koväts  in  Budapest  und  ich  in  Klausen- 
burg, die  wir  im  Jahre  1869  —  ersterer  mit  anfänglich  ungünstigem,  ich  mit  gutem  Erfolge  — 
operirten  (Wiener  medic.  Wochenschrift  1869).  Die  nunmehr  sich  ergebende  rasche  Ent- 
wickelung  und  Verbreitung  der  Ovariotomie  gehören  der  neuesten  Zeit  an  und  werden  im 
Weiteren  berücksichtigt  werden.  Was  uns  aber  aus  der  Geschichte  dieser  Operation  be- 
sonders interessirt  und  auch  für  die  heutige  Technik  derselben  von  actuellem  Werthe  ist,  sind 
jene  Daten  ihrer  Entwickelung,  die  sich  auf  die  Grösse  (Länge)  und  Oertlichkeit  des 
Bauchschnittes,  auf  die  Behandlung  der  während  der  Operation  in  die  Bauchhöhle  ge- 
langten Flüssigkeiten  (Blut-Cysteninhalt),  aut  die  Lösung  der  Adhäsionen  und  Versorgung 
des  Stieles  und  endlich  auf  den  Schlussact  sich  beziehen. 

MC  DowELL  hatte  bei  seiner  ersten  Ovariotomie  einen  9  Zoll  langen  parallel  der 
weissen  Bauchlinie  geführten  Bauchschnitt  angelegt,  um  einen  Tumor  von  22^/2  Pfund 
Gewicht  aus  der  Bauchhöhle  herauszubefördern ;  die  Gedärme  waren  gleich  anfangs  vor- 
gefallen und  bis  zur  Operations-Vollendung  auch  draussen  verblieben  und  doch  war  eine 
Heilung  erfolgt.    Die  Mehrzahl  der  folgenden  Operateure  legte  ein  besonderes  Gewicht  auf 


OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN.  573 

einen  kleinen  (kurzen),  die  Linea  alba  genau  einhaltenden  Bauchschnitt,  —  und  wenn  auch 
bereits  im  vorigen  Jahrhundert  Hunter  gesagt  hatte,  dass  die  Operation  sehr  zu  empfehlen 
sei,  falls  zu  deren  Ausführung  die  Bauchhöhle  nur  soweit  eröffnet  werden  müsse,  um  die 
Cyste  nach  vorläufiger  Function  mit  2  Fingern  aus  der  Bauclihöhle  herausziehen  zu  können, 
so  ist  anzunehmen,  dass  hierin  nicht  so  sehr  im  Voraus  bestimmte  Princiiiien  maassgebend 
waren,  als  eher  die  Umstände,  unter  welchen  gegebenen  Falles  der  Tumor  eben  entwickelt 
werden  konnte. 

Auf  Fernbaltung  von  Blut  und  Cystenflüssigkeit  und  sorgsamste  Entfernung  der- 
selben aus  der  Bauchhöhle,  musste  in  einer  Zeit,  in  welcher  man  die  rasche  Resorptions- 
fähigkeit des  Bauchfells  und  die  Unschädlichkeit  dieser  Flüssigkeiten  —  solange  sie  nämlich 
nicht  eiterig  zersetzt  sind  und  sonst  auch  während  der  Operation  in  aseptischem  Zustande 
erhalten  werden  —  nicht  kannte,  besonderes  Gewicht  gelegt  werden.  Und  so  sehen  wir 
bereits  MC.  Dowell  vor  Schluss  der  Bauchhöhle  die  Kranke  auf  den  Bauch  legen  um  Blut 
und  Cystenflüssigkeit  daraus  zu  entfernen,  welches  Vorgehen  nach  ihm  von  vielen  Opera- 
teuren bis  in  die  neuere  Zeit,  u.  a.  von  Nussbaum  befolgt  wurde.  Das  gewöhnlichste  Ver- 
fahren zur  Entfernung  dieser  Flüssigkeiten  aus  der  Bauchhöhle  war  aber  jenes,  vermittelst 
Schwämmen,  —  und  wenn  wir  deren  Zustandes  vor  Einführung  der  Antiseptik,  gedenken,  so 
können  wir  die  vielen  durch  septische  Peritonitis  bedingten  Misserfolge  nur  zu  gut  ver- 
stehen. —  In  der  Folge  erscheint  in  dieser  Richtung  ein  Fortschritt,  indem  die  Bauchhöhle 
drainirt,  oder  behufs  Entfernung  der  Secrete  wieder  eröffnet  wurde  (Peaslee,  Koebbrle), 
ein  Verfahren,  welches  in  der  Vaginal-Drainage  nach  Marion  Sims  seinen  Culminationspunkt 
erreichte.  Die  Bekämpfung  der  Adhäsionen  —  ein  heute  beinahe  vollkommen  überwun- 
dener Standpunkt  —  bildete  im  Anfange  der  Ovariotomie  ein  gewöhnliches  Operationshin- 
dernis; gab  doch  die  Diagnostik  der  Adhäsionen  vor  der  Operation  Bird  u.  a.*)  Veran- 
lassung zu  besonderem  Studium  derselben  und  wenn  es  auch  schon  MC.  Dowell  und  nach 
ihm  Anderen  gelang,  Fälle  mit  Adhäsionen  durchzubringen,  so  sind  die  vielen  unvollen- 
deten Operationen  der  ersten  Zeit  vor  Allem  auf  die  vorhandenen  Adhäsionen  zurückzu- 
führen. 

Das  grösste  geschichtliche  Literesse  gewinnt  uns  die  Behandlung  des  Stieles  ab. 
Da  nach  der  Abtragung  des  Tumors  vom  Stiele,  der  Blutung  halber,  derselbe  unbedingt 
unterbunden  werden  musste,  das  Unterbindungsmateriale  aber  zu  dieser  Zeit  als  ein  reizen- 
der fremder  Körper  betrachtet  wurde,  ja  betrachtet  werden  musste,  so  hatte  man  auch  auf 
dessen  Entfernbarkeit  Rücksicht  zu  nehmen  und  so  sehen  wir  bereits  bei  Dowell,  dass  er 
den  unterbundenen  Stiel  zwar  in  die  Bauchhöhle  versenkt,  den  Unterbindungsfaden  aber 
im  untern  Baucliwundewinkel  herausleitet.  Eine  Modification  dieses  Verfahrens  finden  wir 
bei  March,  der  den  Ligaturfaden  des  Stieles  durch  das  Scheidengewölbe  in  die  Vagina  zu 
führen  angibt,  ein  Vorschlag,  der  als  Vorläufer  der  späteren  Vaginal-Drainage  Mario:s 
Sims'  betrachtet  werden  kann.  Eine  wesentliche  Aenderung  in  der  Stielbehandlung,  welche 
zugleich  die  Operation  einem  bedeutenden  Aufschwünge  zuführte,  war  die  im  Jahre  184:1 
von  Stilling  und  1850  von  Duffin  eingeführte  extraperitoneelle  Behandlung  desselben.  Die 
unvollkommene  Technik  der  Stielunterbindung  damaliger  Zeit  (wahrscheinlich  übte  man 
nur  „en  masse"  und  nicht  zugleich  auch  isolirte  Ligaturen  an  den  Stielarterien)  führte 
sehr  häufig  zu  tödtlichen  Nachblutungen,  die  durch  die  extraperitoneelle  Stielbehandlung 
beseitigt  waren.  Eine  weitere  Entwicklung  dieser  Methode  geschah  1858  durch  die  Erfin- 
dung der  Klammer  von  Hutchinson,  welche  unter  instrumenteller  Verbesserung  von  Seite 
Spencer's  zu  ausgebreiteter  Verwerthung  gelangte.  Als  weiteren  und  überaus  werthvollen 
Fortschritt,  welcher  zu  erneuerter  und  nunmehr  so  vortheilhafter  Versenkung  des  Stieles 
geleitete,  können  wir  die  von  J.  Clay  und  Backer  Brawn  eingeführte  Durchtrennung  des 
Stieles  vermittelst  Glüheisens  betrachten.  Den  Schlussact  der  Operation  bildete  die  Schlies- 
sung der  Bauchhöhle,  welche  Modalitäten  unterworfen  war,  je  nachdem  der  Stiel  versenkt. 
oder  extraperitoneal  behandelt,  das  Peritoneum  in  die  Naht  einbezogen  wurde,  oder  nicht! 
Bei  der  extraperitonealen  Behandlung  füllte  der  Stiel  den  unteren  Wundwinkel  aus  —  an 
dessen  Ränder  angenäht,  (Stilling,  E.  Martin),  oder  mit  der  Klammer  fixirt  (Wells,  Koeberle, 
Keith),  während  oberhalb  desselben  die  Wundränder  mit  dem  verschiedensten  Nähmateriale 
—  Zwirn,  Seide,  Eil  de  Florence,  Draht,  später  Catgut  —  in  Form  einer  Knopf-,  Zapfen-  oder 
Plattennaht  vereinigt  wurden.  Das  Peritoneum  sollte  nicht  in  die  Naht  einbezogen  werden, 
da  es  hiedurch  entzündet,  überdies  dem  Eiter,  Blut  der  Stichcanäle  dadurch  freie  Passage 
in  die  Bauchhöhle  geschaffen  werden  könnte.  Indessen  wurde  dasselbe  schon  von  Alban 
Smith  1823  mitgefasst  und  diese  Einbeziehung  auch  von  Spencer  Wells  besonders  befür- 
wortet und  geübt,  —  von  jener  durch  Thierversuche  gestützten  Ansicht  ausgehend,  dass 
Darmschlingen  und  Netz  an  den  des  Peritoneums  entblössten  Partien  der  Bauchwand  viel 
leichter  Adhärenzen  eingingen. 

Eine  genaue  Statistik  der  Ovariotomie  zu  geben,  wäre  unmöglich,  da  eine 
grosse  Anzahl  der  Fälle  gar  nicht  publicirt  ist  (ich  selber  habe  die  Gesammtzahl  meiner 
Ovariotomien   noch    nicht  veröffentlicht)  —  und   wo  fänden  wir  überdies  all  die  relativen 


*)  S.  Diagnose   und   chir.    Behandlung   der   Unterleibsgeschwülste,    6   Vorträge  von 
T.  Spencer  Wells,  Volkmann's  kl.  Vorträge  1878. 


574  OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN. 

Daten,  aus  denen  die  wahre  Ursache  des  günstigen  oder  ungünstigen  Ausganges  der  ein- 
zelnen Fälle  mit  Sicherheit  erschlossen  werden  könnte?  Ein  gewisser  Werth  kann  indessen 
auch  einer  mangelhaften  Statistik  nicht  abgesprochen  werden,  denn  sie  illustrirt  nicht 
allein  die  bisherige  Entwickelung  der  Operation,  sondern,  da  all'  unser  Thun  und  Lassen 
unzulänglich  ist,  wirkt  sie  belehrend  auch  für  deren  fernere  Vervollkommnung.  Was  ich 
in  den  Rahmen  dieses  Aufsatzes  aus  der  allgemeinen  Statistik  aufzunehmen  für  noth- 
wendig  erachte,  sei  durch  folgende  aus  Olshausen  entnommene  Daten  gegeben: 

Früheste,  alle  Fälle  einschliessende  Statistiken  geben: 

Atlee  über  165  Operationen  mit  64  Todesfällen  :=  66'67o  Genesung.  In  derselben 
Zeit  57  begonnene  und  nicht  vollendete  Operationen; 

Lyman  212  vollendete  Operationen  mit  57-22  7o  Genesungen  und  88  begonnene  Ope- 
rationen. 

Die  von  Stafford  Lee  seit  1809 — 1846  gesammelten,  von  Kiwisch  und  Cl.\y  bis  zum 
Jahre  18B0  ergänzten  Fälle  ergeben  folgende  Statistik: 

Vollendete  Ovariotomien  395  Genesen      212  :=  54°/o 

Partielle  Exstirpationen  24  Genesen       10 

Exstirpation  eines  anderen  Tu- 
mors anstatt  Ovarialtumors  13  Genesen      3 

Wegen  Adhäsionen  unmögliche 

Exstirpation  82  Genesen      58 

Summe  der  Fälle       514  Genesung  288  =  öll»/« 

Die  von  Dutoit  mit  den  bis  1864  reichenden  Fällen  ergänzte  Tabelle  J.  Clay's  er- 
gibt unter  577  vollendeten  Ovariotomien  323  Genesungsfälle  =  567o- 

Die  von  Peaslee  durchgeführte  und  nur  auf  die  vom  Jahre  1860 — 1864  vollendeten 
Operationen  sich  beziehende  Zusammenstellung  gibt  unter  150  Fällen  99  =  6670  Gene- 
sungen. 

In  den  Jahresberichten  von  Virghow  und  Hirsch  erscheint  eine  Zusammenstellung 
der  vom  Jahre  1867 — 1874  vollendeten  Ovariotomien,  wo  unter  1087  Operationsfällen  751 
Genesungen  =  6917o  dargestellt  sind. 

Kiwisch  zählte  auf  122  Operationen  22  wegen  technischer  Schwierigkeiten  unvoll- 
endete ==  18%;  14  diagnostische  Missgriffe  =  ll".'o;  zusammen  29''/o;  Clay  auf  514  Fälle 
106  unvollendete  Operationen  =  21 7o  und  13  Irrthümer  =  27o,  zusammen  237o;  Robert 
Lee  1853  auf  162  Operationen  60  unvollendete  =  37"/o. 

Nach  Dutoit's  bis  zum  Jahre  1863  reichender  Zusammenstellung  haben  die  Englän- 
der in  15%  der  Fälle  unvollendete  Operationen  und  in  3-2%  diagnostische  Missgriffe. 

Nach  Grenzer's  Zusammenstellung  von  146  Fällen  (von  1864—1870  in  Deutschland) 
erscheinen  7  unvoUendbare  Operationen  und  10  diagnostische  Irrthümer  =  12% ;  Spencer 
Wells  zählte  auf  die  ersten  500  vollendeten  Operationen  28  unvoUendbare  und  24  Probe- 
incisionen  =  zusammen  9-4"/o;  auf  1000  Fälle  (1858  bis  Juni  1880)  768  Genesungen  =  89-2%; 
die  Mortalität  war  von  34  im  1.  Hundert  auf  11  im  10.  Hundert  gesunken. 

Thomas  Keith  (1862—1881)  381  Operationen:  340  Genesungen  =  89-27„. 

Autor  (1876  bis  Mai  1885)  293  Fälle;  27  Todesfälle;  266  Genesungen  =  90-0«/,;  im 
letzten  Hundert  4  Todesfälle. 

In  diesen  Zusammenstellungen  ergibt  sich  die  Thatsache,  dass  im  Anfange  der  Ope- 
rationen das  Resultat  ein  günstigeres  war,  als  in  der  nächsten  Folge  und  zwar  wohl  aus 
dem  Grunde,  weil  anfänglich  nur  einzelne  geübtere  Operateure  sich  mit  der  Operation  be- 
fassten,  später  aber  viele,  denen  Erfahrungen  und  nothwendige  Technik  fehlten;  ferner, 
dass  die  Zahl  der  unvollendeten  Operationen  nach  und  nach  abnahm  und  endlich,  dass 
nach  Einführung  der  Antiseptik  die  Genesungsziffer  auffallend  sich  erhöhte. 

Wenn  wir  nach  Vorausschickung  dieser  geschichtlichen  Daten  zur  Be- 
sprechung der  Operation  von  heute  übergehen  wollen,  so  möge  deren 
specielle  Beschreibung  mit  folgender  allgemeiner  Betrachtung  eingeleitet 
werden: 

Die  Ovariotomie  ist  unter  gegebenen  Umständen  ebenso  leicht  und  ein- 
fach, als  schwierig  und  complicirt,  ausführbar  einmal  in  etwa  10  Minuten, 
das  anderemal  erst  im  Verlaufe  mehrerer  Stunden,  in  seltenen  Fällen  über- 
haupt unausführbar.  Ihre  Ausführbarkeit  und  der  Erfolg  ruhen  heute  ebenso 
sehr  auf  der  tieferen  Einsicht  in  das  Wesen  und  den  Entwickelungsgang  der 
Ovarialtumoren,  als  auf  der  genaueren  Kenntnis  der  Anatomie,  der  vervoll- 
kommneten operativen  Technik  und  hauptsächlich  auf  der  aseptischen  Behand- 
lungsweise. 

Wiesen  und  Entwickelungsgang,  ferner  regionäre  und  allgemeine  Compli- 
cationen  vor  Augen  haltend,  müssen  wir  uns  vor  Allem  in  Erinnerung  rufen, 
dass  es  cystische  und  feste,  gestielte  und  ungestielte,  intraperi- 
toneale  und  extraperitoneale    (intraligamentäre-subseröse),    freie  und 


OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN.  575 

an  die  Nachbarorgane  adhärente;  klinisch  betrachtet;  gut-  und  bösartige 
Ovarial-Tumoren  gibt  und  all'  dem  entsprechend  auch  die  Operation  und  deren 
Erfolg  sich  gestalten  werden. 

Zum  leichteren  Verständnisse  der  Pathologie  und  Therapie  wollen  wir  Tcurz  die  topo- 
graphische  Anatomie  der  inneren  Genitalien  und  ihrer  Um g'ebung*j  berühren. 
Gehen  wir  zu  diesem  Behufe  vom  Ligamentum  latum,  als  jener  peritonealen  Duplicatur  aus, 
welche  das  Becken  in  transversaler  Richtung  überspannt  und  dasselbe  somit  in  einen  vor- 
deren und  hinteren  Raum  abtheilt,  so  mögen  wir  imaginiren,  dass  im  vorderen  die  Blase, 
im  hinteren  der  Mastdarm  und  zwischen  beiden  der  Uterus  mit  seinen  Adnexen  in  folgen- 
dem wechselseitigen  Verhältnisse  gelagert  sind:  Uterus  in  der  Mitte  des  breiten  Bandes 
zwischen  die  beiden  Blätter  desselben  von  unten  her  hineingeschoben,  erhält  diese  als 
peritonealen  Ueberzug,  welcher  nach  vorne  in  der  Höhe  des  os  uteri  int.  auf  die  Blase, 
nach  rückwärts  in  derselben  Höhe,  zuweilen  tiefer  bis  zum  fundus  vaginae  herabrückend, 
nach  vorhergehender  Erhebung  zu  einer  flachen  transversalen  Falte,  auf  den  Mastdarm 
übersetzt.  Nach  dem  peritonealen  Ueberzuge,  welchen  die  beiden  Blätter  des  Lig.  lat.  am 
Uterus  —  vorne  in  lockerer,  am  Grunde  und  der  rückwärtigen  Fläche  in  festerer  Verwach- 
sung —  bewerkstelligten,  vereinigen  sich  dieselben  wieder  und  im  obern  freien  Rande  die  Tuba, 
gleich  unterhalb  und  nach  rückwärts  gelegen  das  Lig.  ovarii,  beinahe  in  gleicher  Höhe 
nach  vorne  zu  das  zum  Leistencanale  ziehende  Lig.  uteri  rotundum  und  mit  einer  Aus- 
buchtung der  hinteren  Lamelle  den  Hilus  des  Ovariums  einfassend,  gelangen  sie  zur 
Seitenwand  des  Beckens,  wo  die  Lamellen  sich  abermals  theilen,  die  vordere  dem  Verlaufe 
des  Lig.  uteri  rotund.,  die  hintere  aber  jenen  Muskelzügen  folgend,  welche  vom  Uterus  zur 
Seite  des  Mastdarmes  ziehen.  Diese  letzteren  in  sagittaler  Richtung  gelegenen  flachen 
Falten  (Plicae  Douglasii)  begrenzen  mit  jener  oben  erwähnten  transversalen  Falte  einen 
zwischen  Uterus  und  Mastdarm  gelegenen  Raum,  welcher  als  Cavum  Douglasii  bekannt  ist; 
der  Raum  zwischen  Uterus  und  Blase  ist  die  Excavatio  vesico-uterina.  Die  Tuba,  welche 
in  den  seitlichen  Ecken  des  Uterusgrundes  entspringt  und  ihrem  anatomischen  Baue  nach 
als  röhrenförmige  Fortsetzung  dee  Uterus  (Schleimhaut  mit  Flimmerepithel,  Kreis-  und 
longitudinelle  Muskelfasern),  in  physiologischer  Hinsicht  aber  als  Ausführungsgang  des 
Ovariums  betrachtet  werden  kann,  verläuft  anfänglich  als  gerader  dünner,  9  5 — 16'5  cm 
langer,  bald  sich  erweiternder  und  dann  geschlängelter,  strangartiger  Schlauch  im  obern 
freien  Rande  des  Lig.  lat.  seitwärts  und  dann  nach  rückwärts  sich  wendend  zum  Ovarium, 
an  welchem  die  längste  der  Tubenfransen,  die  Fimbria  ovarica  angeheftet  ist,  welche  ihrer- 
seits in  einer  secundären,  zwischen  äusserem  Rande  des  Eierstockes  und  der  äusseren 
Tubenmündung  ausgespannten  Peritoneal-Falte  (Lig.  infundibulo-ovaricum)  liegt.  Das 
abdominale  Ende  der  Tube  (Infundibulum,  Morsus  diaboli)  durchbohrt  das  Lig.  lat.  noch 
etwas  vor  dessen  Anheftung  an  der  seitlichen  Beckenwand,  wodurch  der  etwa  2  cm  lange 
und  scharfe  seitliche  Theil  desselben  leer  bleibt;  dieser  ist  nach  Hekle  das  Lig.  infundi- 
bulo-pelvicum. 

Das  Ovarium,  durch  einen  2>—^cm  langen,  aus  glatten  Muskelfasern,  Gefässen  und 
Bindegewebsbündeln  bestehenden,  zwischen  den  Lamellen  des  Lig.  lat.  gebetteten  festen 
Strang  (Lig.  ovarii  proprium)  an  den  Uterus  angeheftet,  liegt  als  länglich  runder,  abge- 
flachter, 3 — h  cm  langer,  l^/g — 3  cm  breiter  und  etwa  lern  dicker  Körper  in  einer  Tasche 
der  hinteren  Lamelle  des  Lig.  latum,  welche  aber  nur  die  untere  (Hilus)  Partie  bekleidend, 
hier  mit  freiem  Auge  sichtbarem  scharf  begrenzten  Saume  abschliesst,  über  welchen  hinaus 
der  übrige  Theil  mit  der  fibrösen,  von  grosskörnigem  Cylinderepithel  bedeckten  Albuginea 
umhüllt  ist,  die  ihrerseits  auch  in  das  Stroma  des  Ovariums  übergeht.  Der  untere,  der 
Falten-Basis  zugekehrte  Rand  (Hilus  Ovarii)  ist  auch  frei  vom  Peritoneum  und  für  den 
freien  Ein-  und  Ausgang  der  Blutgefässe  bestimmt.  Indem  ich  in  Hinsicht  auf  den  ana- 
tomischen Bau  und  Function  des  Ovariums  auf  die  Artikel  „Ovarium"  und  „Oculation"  ver- 
weise, will  ich  hier  nur  kurz  erwähnt  haben  die  Eintheilung  des  Ovariums  in  Rinden-  und 
Marksubstanz  oder  nach  Waldeyer  in  die  Zona  parenchymatosa  und  vasculosa,  welch  letztere 
ausser  Bindegewebe  vorzüglich  aus  einzelnen  Gefässen  und  solchen  von  cavernösem  Cha- 
rakter zusammengesetzt  ist,  während  erstere  in  zartem  Bindegewebsgerüste  ausser  feinen 
Gefässen  hauptsächlich  jene  bläschenförmigen  Bildungen  enthält,  die  als  die  Eizellen  ein- 
schliessenden  GRAAp'schen  Follikel  bekannt  sind.  Diese  complicirte  Gewebsbildung  in  ihrer 
regen  Functionssphäre  lässt  uns  die  so  häufigen  und  verschiedenartigen  Verbildungen  der- 
selben verstehen. 

Zu  erwähnen  ist  noch  das  zwischen  Tuba  und  Eierstock  innerhalb  der  Lamellen  des 
breiten  Bandes  gelegene,  aus  parallel  verlaufenden  Schläuchen  bestehende  Parovarium, 
welches  als  Ueberbleibsel  der  ursprünglichen  Keimdrüse,  ebenfalls  und  besonders  cystischen 
Verbildungen  unterworfen  ist.  Gleichwie  aus  dieser  kurzen  anatomischen  Skizze  eine  innige 
Beziehung  nicht  allein  zwischen  Uterus,  seinen  Adnexen  und  deren  Umgebungen,  als 
Beckenwand,  Blase,  Mastdarm,  sondern  auch  zwischen  deren  einzelnen  Gewebsschichten  zu 


*)  Vergl.  auch  die  Einleitung  zu  diesem  ,Bande. 


576  OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN. 

ersehen  ist,  ebenso  werden  wir  den  wechselseitigen  anatomischen  Zusammenhang  der  Ver- 
bildungen  dieser  einzelnen  Organe  wieder  erkennen.*) 

Auf  die  anatomisclieii  Verhältnisse  der  krankhaften  Bildungen  des 
Ovariiinis  nunmehr  übergebend,  indem  ich  in  Bezug  auf  deren  Histogenese 
und  die  darauf  bezüglichen  verschiedenen  Ansichten  auf  die  Werke  der  patho- 
logischen Anatomie  verweise,  berühre  ich  hier  nur  kurz  deren  verschiedenartigen 
anatomischen  Bau,  ihre  Weiterentwickelung  und  ihre  Beziehung,  in  w^elcher  sie 
zur  Umgebung  und  in  weiterer  Folge  zum  (iesammt-Organismus  stehen. 

Wie  bereits  oben  erwähnt,  unterscheiden  wir  cystische  und  solide  Ova- 
rial-Tumoren,  auch  eine  Combination  beider.  Erstere  lassen  sich  ihrem  Baue 
und  ihrer  genetischen  Entwickelung  nach  in  3  Arten  zusammenstellen :  1.  Folli- 
ßUläre,  2.  Dermoid-  und  3.  Proliferh'ende  Cysten. 

Die  Follicular  Cysten  {Hydrops  follicidorum  Graafii),  als  erweiterte  und 
eine  dünne,  seröse,  eiw^eisshältige  Flüssigkeit  bergende  GEAAF'sche  Follikel 
sind  selten  Gegenstand  operativen  Eingriffes,  da  solche  in  oft  zahlreicher  Menge 
vorhanden,  doch  nur  selten  zu  bedeutenderer  Grösse  sich  entwickeln.  Wächst 
eine  unter  diesen  multiplen  uniloculären  (pauciloculären)  Cysten  bis  zur  Kopf- 
grösse  und  darüber,  so  unterliegt  sie  demselben  operativen  Verfahren,  wie  die 
anderen. 

Die  D  e  r  m  0  i  d  c  y  s  t  e  n  (uniloculär,  nie  prolif erir end) ,  ob  nun  in  Folge  fötaler 
Inclusion  (Einstülpung  des  Hautblattes)  (Heschl),  oder  durch  Verirrung  eines 
Theiles  jenes  Axenstranges,  in  welchem  die  Fötal-Anlage  aller  Keimblätter 
vorhanden  (Hiss),  oder  aus  den  fötalen  Epithelzellen  (Eizellen)  des  Eier- 
stockes (Waldeyee)  entstanden,  kommen  seltener  vor  und  erreichen  gewöhnlich 
nur  die  Grösse  eines  Mannskopfes,  Sie  sind  vorwiegend  einseitig,  ausnahms- 
weise beiderseitig,  selten  zwei  in  einem  Eierstocke.  Ihr  Inhalt  sind  Bestand- 
theile  des  Hautorgans,  als :  Fett  in  flüssig  öliger,  oder  dicklich  schmieriger 
mit  Epidermisz eilen  untermischter  Masse,  welcher  gewöhnlich  ein  bald  kleineres, 
bald  grösseres  Convolut  heller  Haare  beigemengt  ist.  (Auch  bei  Negerinnen  ist 
die  Farbe  dieser  Haare  hell.)  Die  nach  dem  Erkalten  erstarrte  Fettmasse 
zeigt  häufig  auch  Cholestearinkrystalle;  die  Wand,  aus  Bindegewebe  bestehend, 
trägt  auf  ihrer  glatten  inneren  Oberfläche  eine  mehrschichtige  Lage  von  Pflaster- 
epithel, enthält  ferner  Talgdrüsen  (selten  auch  Schweissdrüsen),  Knochen  und 
Zähne,  Muskel  und  Nervenelemente. 

Der  Fall  zu  meiner  ersten  Ovariotomie  —  Wiener  medic.  Wochenschrift  1869  — 
war  eine  Mannskopfgrosse  Dermoidcyste  des  rechten  Eierstockes,  juxtaponirt  der  äusseren 
Wandoberfläche  eine  zweite  hühnereigrosse  —  in  der  Wandung  kronengrosse  Knochen- 
platten —  im  Innern  erstarrte  Fettmassen,  und  ein  faustgrosser  Haarknäuel. 

Das  p  r  0 1  i  f  e  r  e  Kystom  (Adenoma  cylindro-cellulare)  infolge  einer  Wu- 
cherung der  Drüsenschläuche  des  Ovariums,  nicht  der  fertigen  Follikel,  und  Ab- 
sonderung einer  schleimigen  Flüssigkeit  seitens  der  Epithelzellen  entstehend, 
ist  die  häufigste  cystische  Verbildung  des  Ovariums,  welcher  wir  bei  der 
Ovariotomie  begegnen,  u.  z.  am  gewöhnlichsten  in  der  glandulären  Form 
(Waldeyee),  bei  der  durch  Wucherung  und  Einstülpung  des  Epithels  in  der 
Wandung  neue  Drüsenschläuche  und  somit  secundäre  Cysten  (Tochtercysten) 
sich  entwickeln,  die  in  Folge  gegenseitigen  Druckes  und  dadurch  bedingter 
Atrophie  der  Wandungen  confluiren  und  derart  das  Kystoma  multiloculare 
darstellen.  Seltener  ist  die  Form  des  Kystoma  prolif erum  papilläre  (Waldeyee), 
wobei  durch  Wucherung  des  Bindegewebes  der  Wand  papilläre,  mit  Epithel  be- 
deckte Vegetationen  in  das  Innere  der  Cyste  sich  ergeben,  welche  in  ihrem 
weiteren  Wachsthum  die  Wand  durchbrechen  und  dann  in  die  freie  Bauch- 
höhle hineinwuchern. 


*)  Eine  bildliche  Orientirung  für  die  Topographie  der  weiblichen  Sexualorgane  und 
ihrer  Umgebung  bieten  die  in  den  Artikeln  ^Uterus"'  (s.  d.)  eingefügten  Figuren. 


OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN.  577 

Die  proliferen  Kystome  erreichen  sehr  häufig  eine  enornne  Grösse  —  bis 
zu  50  Kilo;  deren  Wandung  ist  bald  durch  Wucherung  ihrer  Bindegewebs- 
schichte  (Ovariumstroma),  bald  in  Folge  Einlagerung  kleinerer  Tochtercysten, 
oft  auch  durch  die  in  Folge  entzündlicher  Processe  von  aussen  sich  aunagerndo 
Schwarten  (Adhäsionen)  mcistentheils  verdickt,  besonders  stellenweise  oft  einen 
scheibenförmigen  festen  Tumor  darstellend;  seltener  verdünnt,  leicht  zerreissbar, 
und  somit  für  die  Operation  ungünstig.  Der  Inhalt,  anfänglich  schleimig,  wird 
in  der  Folge  durch  colloide  Umwandlung  der  Zellen  colloidartig,  in  manchen 
Fällen  honigartig,  dicklich,  einer  Gelee  gleich  und  dann  mit  dem  Troicar  unent- 
fernbar;  in  Folge  vermehrter  Transsudation  serös,  durch  Blutungen  bluthältig 
und  in  Folge  Entzündungen  eitrig,  jauchig,  letzteren  Falles  mit  gleichzei- 
tiger Gasentwickelung,  (gewöhnlich  eine  Folge  vorausgegangener,  unreiner 
Functionen).  Zuweilen  ist  der  Inhalt  in  den  verschiedenen  Cystenräumen  ver- 
schieden, in  den  jüngeren  —  kleinen  Tochtercysten  hühnereiweissähnlich  — 
in  den  grösseren  bald  serös-,  bald  colloidartig-bluthaltig,  u.  s.  w. 

Vor  20  Jahren  vollführte  ich  bei  einer  älteren,  mit  einem  colossalen  proliferen 
Kystome  behafteten  Dame  im  Laufe  von  6  Jahren  34  Functionen,  bei  welchen  ich  mit  dem 
Troicar  aus  der  einen  in  die  nächstfolgende  Cyste  eindrang  und  hiebei  Flüssigkeiten  ver- 
schiedener Farbe  und  Consistenz  entleerte. 

Eine  seltene  Erscheinung  sind  die  P  a  r  o  v  a  r  i  a  1  c  y  s  t  e  n  ;"^')  aus  der  Er- 
weiterung jener  Canälchen,  die  als  Residuen  des  WoLFF'schen  Körpers  be- 
trachtet werden,  hervorgehend,  haben  sie  einen  intraligamentären  Sitz  und 
entbehren  daher  auch  gewöhnlich  eines  Stieles ;  indessen  kann  sich  beim 
Grösserwerden  der  Cyste  ein  solcher  auch  bilden,  indem  ein  Theil  des  Liga- 
mentum latum  zu  einer  stielartigen  Falte  sich  ausdehnt.  In  den  meisten 
Fällen  aber  bleibt  sie  intraligamentär  und  gelangt  bei  ihrer  Vergrösserung  sehr 
leicht  unter  dem  DouGLAs'schen  Boden  an  das  Eectum  und  im  retroperito- 
nealen  Räume  zwischen  die  Blätter  des  Mesocolon.  Ihre  Wand  ist  gewöhnlich 
dünn,  nach  innen  ausser  Cylinder-,  oft  auch  Flimmerepithel  tragend;  ihr  Inhalt 
sehr  dünn  und  klar,  von  geringem  spec.  Gewicht  (1002 — 1005),  opalescirend 
und  gewöhnlich  kein  Albumen  enthaltend.  Die  Behandlung  derselben  besteht  in 
der  Punction,  welche  oft  zu  radicaler  Heilung  führt;  indessen  ist  in  den  ent- 
wickelteren Fällen  —  besonders  bei  Vorhandensein  eines  Stieles  —  auch  die 
Exstirpation  angezeigt,  deren  Erfolg  bei  Vorsicht  gegen  septische  Infection  ebenso 
sicher  ist,  wie  bei  den  anderen  Cysten  (das  gesunde  Peritoneum,  welches  diese 
Cysten  gewöhnlich  bedeckt,  ist  für  Infection  viel  empfänglicher,  als  das  durch 
wiederholte  Entzündungen  veränderte). 

Noch  seltener  kommen  die  Tubo-ovarial-Cysten  vor;  sie  bestehen 
aus  Erweiterungen  des  Ovariums  und  der  Tuba  wahrscheinlich  in  Folge  Tubar- 
katarrhes  nach  vorläufiger  Verlöthung  der  Tuba  mit  einem  Ovarialfollikel,  (die 
Verwachsung  der  Fimbrien  mit  dem  Ovarium  geht  der  Erweiterung  voraus,  da 
erstere  immer  innerhalb  der  Cyste  angetroffen  werden  —  Rokitansky, 
Richard,  Burnier).  —  Das  Uterinal-Ende  der  Tuba  bleibt  dabei  gewöhnlich 
offen,  wodurch  eine  Entleerung  ihres  Inhaltes  durch  Uterus  und  Vagina  (Hy- 
drops ovariorum  profluens),  wie  auch  eine  injicierende  Therapie  ermöglicht  ist. 

Viel  seltener,  als  die  cystischen,  kommen  die  soliden  Tumoren  des 
Ovariums  vor  (etwa  in  57o)  und  dann  besonders  als  Fibrome,  Fibromyome, 
Enchondrome,  Sarcome  und  Carcinome.  Die  Fibrome,  häufig  beiderseitig,  gehen 
aus  dem  Ovariumstroma,  wahrscheinlich  nach  vorausgegangenen  Entzündungen 
hervor  und  erlangen  nur  selten  jene  Grösse,  in  Folge  deren  sie  Gegenstand 
einer  Operation  sein  könnten. 

Im  Jahre  1887  operirte  ich  einen  enorm  grossen  soliden  Tumor,  welchen  ich  als 
Fibrom  des  linken  Ovariums  diagnosticirt  hatte.  Bei  der  Operation  stellte  es  sich  indessen 
heraus,  dass  der  Tumor  (Fibromyom)  vom  breiten  Bande  ausgegangen  war.     In  iutraliga- 


*)  Vergl.  auch  den  Artikel  „FarovariaUmnoren'^   in  ds.  Bd. 
ßibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  Ol 


578  OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN. 

mentärer  Entwicklung  —  stiellos  —  an  die  Blase  gelangt,  hatte  derselbe  das  paravesicale 
Peritoneum  und  damit  auch  den  Scheitel  der  Blase  mitgehoben.  Letztere  wurde  bei  der 
Auslösung  des  Tumors  verletzt  und  in  Folge  davon  die  Blasennaht  nothwendig. 

Die  aus  Spindelzellen  bestehenden  und  nicht  selten  ausgebreitete  Meta- 
stasen verursachenden  Sarcome  kommen  auch  seltener  und  meistentheils  in 
der  Jugend  vor,  während  die  Carcinome  bei  älteren  Personen  eine  häufigere, 
die  Lymphdi'üsen  bald  inficirende  Erscheinung  abgeben. 

Die  Combination  fester  und  cystischer  Formen  kommt  bei 
allen  festen  Tumoren  vor.  Bald  sind  es  Erweichungs-Cysten  mit  fettigem, 
breiig  flüssigem  Inhalte,  bald  hydropisch  entartete  Follikel  oder  Erweiterungen 
von  Lymphräumen  und  Lymphgefässen,  die  in  dem  soliden  Tumor  eingebettet, 
dessen  Consistenz  zu  einer  elastisch  fluctuirenden  gestalten. 

Die  Entwicklung  und  P'olgen  der  Ovarial-Tumoren  verdienen  sowohl  in 
symptomatischer,  als  therapeutischer  Hinsicht  unsere  besondere  Aufmerksam- 
keit. Was  hauptsächlich  die  Ovarial-Kystome  anbelangt,  kommt  in  erster  Reihe 
ihr  intra-  oder  extraperitonealer  (subseröser)  Stand  in  Betracht  und  hiemit  eng 
verbunden  ist  ihr  stielloser  oder  gestielter  Zustand. 

Der  häufigste  Entwicklungsmodus  nun  ist  der,  dass  die  Cyste  der 
Bauchhöhle  zu  aus  dem  Theile  des  Ovariums  herauswächst,  welcher  oberhalb 
jener,  Inder  anatomischen  Beschreibung  erwähnten  Peritonealtasche  {Mesovarium) 
des  Ligamentum  latum  liegt.  Durch  den  Zug,  welchen  die  sich  erhebende 
Cyste  auf  die  das  Ovarium  befestigenden  Theile  ausübt,  wie  nicht  minder  in 
Folge  hyperplastischer  Processe,  wird  vor  Allen  dieses  Mesovarium,  nachher 
der  mediale,  das  Ligamentum  ovarii  enthaltende  und  endlich  der  laterale  Theil 
des  breiten  Bandes  (Lig.  infundibulo-ovaricum)  gehoben  und  ausgedehnt.  Die 
im  obern  Rande  des  breiten  Bandes  liegende  Tuba  folgt  mit,  wobei  deren 
abdominaler  Theil  auf  die  Cystenwand  zu  liegen  kommt,  während  der  mediale 
(uterinale)  Theil  zur  Stielbildung  beiträgt. 

In  manchen  Fällen  bleibt  die  Tuba  durch  ihren  Mesosalpinx  vom  Tumor  getrennt 
und  kann  bei  der  Operation  zurückgelassen  werden. 

Durch  diese  Entwicklungsvorgänge  entsteht  der  Stiel  der  Cyste, 
welcher  seiner  Form  nach,  breit,  dick,  dünn,  kurz,  schmal  oder  lang  ist,  seinen 
Bestandtheilen  nach,  vor  allen  aus  der  hinteren  Platte  des  breiten  Bandes, 
Ligamentum  ovarii,  Ligamentum  infundibulo-ovaricum,  meistentheils  auch  aus 
dem  medialen  Theile  (Isthmus)  der  Tuba  besteht,  ausserdem  natürlicherweise 
aus  den  Gefässen,  welche  von  lateralwärts  durch  das  Ligamentum  infundibulo- 
pelvicum,  als  sogenannte  Spermaticalgefässe,  von  medianer  Seite  her  als  Aeste 
der  Arteria  und  Vena  uterina  in  den  Stiel  und  die  Cystenwand  eintreten. 
Kurze,  dicke  Stiele  haben  oft  Gefässe  kleineren  Kalibers,  schlanke  Stiele, 
starke  (Bryant). 

Das  Wachsthum  der  Cyste  nun  kann  in  anderer  Richtung  geschehen, 
wodurch  sie  in  eine  theilweise  oder  totale  intraligamentäre  Lagerung  geräth. 
Indem  die  Cyste  nämlich  sich  mehr  nach  abwärts  zwischen  den  Lamellen  des 
Ligamentum  latum  entwickelt  und  diese  gleichsam  entfaltet  (auseinanderdrängt), 
kann  sie  medianwärts  an  den  Uterus  und  die  Blase,  lateralwärts  das  Ligamen- 
tum infundibulo-pelvicum  entfaltend,  an  die  Beckenwand  herantreten  und  beiden 
Ortes  innige  Verbindungen  eingehen,  bei  späterer  Erhebung  in  den  Bauch- 
raum Uterus  und  Blase  mitheben;  des  Ferneren  kann  der  Tumor  sich  mehr 
nach  rückwärts,  der  Basis  der  hinteren  Lamelle  des  breiten  Bandes  zu  ent- 
wickeln und  so  den  DouGLAs'schen  Boden,  ja  die  hintere  peritoneale  Lamelle 
des  Uterus  erhebend,  an  das  rectum  gelangen  und  nun  subserös  im  retroperi- 
tonealen  Räume  nach  aufwärts  zwischen  die  Blätter  des  Mesocolon  hinein- 
w^achsen.  Viel  seltener  entwickelt  sich  der  Tumor  in  der  Richtung  nach 
vorne,  wobei  dann  das  Peritoneum  der  Fossa  paravesicalis  erhoben  und  immer 
weiter  nach  oben  gedrängt  wird.  In  extraperitonealer  Lage  zwischen  den 
Lamellen  des   breiten  Bandes   finden   wir   gewöhnlich   die   Parovarial- Cysten, 


OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN.  579' 

welche  indessen  auch  gestielt  sein  können,  wenn  durch  den  Zug  am  Ligamen- 
tum latum  ein  strangartiger  Fortsatz  sich  entwickelt  hat.  Dem  Gesagten 
zufolge  fehlt  der  Stiel  gewöhnlich  bei  subseröser  Entwicklung;  er  kann  aber 
auch  fehlen  infolge  von  Torsion,  in  welchem  Falle  die  Ernährung  des  Tumors 
auf  dem  Wege  von  Adhäsionen  geschieht,  welche  er  mit  anderen  Organen, 
besonders  mit  dem  grossen  Netze  eingeht.  In  Folge  solcher  Adhäsionen  kann 
der  Stiel  auch  doppelt  sein. 

Im  Jahre  1891  operirte  ich  eine  rechtsseitige  Ovarial-Cyste,  welche  linkerseits 
einen  zweiten,  starke  Gefässe  enthaltenden  und  vom  grossen  Netze  stammenden  Stiel 
besass. 

Eine  Doppelung  des  Stieles  kann  übrigens  auch  durch  Dehiscenz  der  ihn 
zusammensetzenden  Theile  und  ferner  dadurch  zu  Stande  kommen,  dass  ein 
Ovarialtumor  auch  mit  dem  gegenseitigen  breiten  Bande  verwächst  und  das- 
selbe in  seinem  weiteren  Wachsthum  zu  einem  zweiten  Stiele  ausdehnt. 

Die  Allgemein-Ersch einungen,  welche  in  Folge  von  Ovarialtumoren 
auftreten,  sind  in  den  meisten  Fällen  anfänglich  so  bedeutungslos,  dass  die 
Betreffenden  sich  ihres  krankhaften  Zustandes  erst  bewusst  werden,  wenn  der 
Tumor  bis  zum  Nabel  und  darüber  hinaus  gewachsen  ist,  oder  dessen  Existenz 
durch  zufällige  ärztliche  Untersuchung  schon  früher  constatirt  wurde.  Natur- 
gemäss  sind  diese  Erscheinungen  oft  schon  im  Anfange  und  später  in  allen 
Fällen  die  Folge  jener  mechanischen  Beeinflussung,  welche  die  Tumoren  auf 
ihre  Umgebung  ausüben.  In  erster  Reihe  stehen  hier  der  öftere  Harndrang 
und  die  erschwerte  Defäcation,  als  Folge  des  Druckes,  welchen  der  Tumor  auf 
Blase  und  Mastdarm  verursacht,  so  lange  er  noch  im  kleinen  Becken  liegt, 
und  welche  verschwinden,  wenn  derselbe  in  die  Bauchhöhle  sich  erhebt.  Becken- 
Nerven  und  Gefässe  sind  diesem  Drucke  besonders  bei  den  Cysten  intraperi- 
tonealer Entwicklung  weniger  ausgesetzt  und  daher  auch  Schmerzen  und  Cir- 
culationsstörungen  (Oedeme)  in  dieser  Gegend  und  in  ihrem  nächsten  Gebiete 
(Scham,  Unterextremitäten)  nur  selten  vorhanden;  subseröser  Stand  des  Tumors, 
dann  feste  und  unter  diesen  vorzugsweise  maligne  Tumoren  indessen  geben  in 
dieser  Richtung  bald  Kunde  von  sich.  Auch  die  Ureteren  werden  nur  aus- 
nahmsweise beeinflusst,  indem  sie  durch  mechanischen  Verschluss  in  ihren 
oberen  Partien  erweitert  werden  und  in  weiterer  Folge  erhebliche  Nieren- 
stauungen sich  ergeben.  Das  Vorkommnis  ist  zum  Glücke  gewöhnlich  einseitig. 

Im  Jahre  188.5  operirte  ich  eine  Hydronephrose,  welche  durch  eine  im  kleinen  Becken 
eingekeilte  linksseitige  Ovarial-Cyste  entstanden  war ;  einen  ursächlich  ähnlichen  Fall,  der 
in  Folge  von  Urämie  auch  tödtlich  endete,  erwähnt  Martiim. 

Albuminurie  infolge  Druckes  auf  die  Nierenvenen  kann  auch  in  Er- 
scheinung treten  und  nach  der  Operation  schwinden.  Prolapsus  uteri  infolge 
Ovarial-Kystoms  entstanden,  sah  ich  öfters  —  auch  in  Fällen,  wo  kein  com- 
plicirender  Ascites  zugegen  war;  in  einigen  Fällen  auch  Umbilicalhernien.  Die 
sexuellen  Functionen  sind  gewöhnlich  nicht  beeinträchtigt,  Menstruation  nur 
ausnahmsweise  gestört,  besonders  bei  subserösen  (intraligamentären)  und 
papillären  Kystomen  in  verfrühter  und  profuserer  Erscheinung;  Schwanger- 
schaften sind  nicht  ungewöhnliche  Vorkommnisse. 

Vor  einigen  Jahren  operirte  ich  ein  Kystom  im  siebenten  Monate  der  Schwangerschaft. 

Erhebliche  Functionsstörungen  verursachen  Ovarialtumoren  besonders  durch 
ihr  rasches  Wachsthum  in  der  Bauchhöhle;  Druck,  Zerrung  des  Darmtractes  (bei 
Adhäsionen)  sind  nicht  seltene  Erscheinungen;  Hinaufdrängen  des  Zwerchfells  und 
dadurch  bedingte  Compression  der  Lungen  und  des  Herzens  können  zu  tödtlichem 
Lungen-Oedeme  führen;  Compression  des  Magens,  der  Nieren,  verui'sachen 
Ernährungsstörungen,  die  ihren  Culminationspunkt  in  dem  Verluste  an  stick- 
stoffhaltigen Substanzen  des  Körpers  erlangen.  Auch  die  im  Laufe  des  Wachs- 
thum s  auftretenden  Peritonitiden  tragen,  wenn  auch  nicht  in  Folge  von  Fieber, 
welches  nur  ausnahmsweise  vorkommt,  so  doch  durch  die  Schmerzen  ebenfalls 
zu     den     im    Gange     stehenden     Störungen    bei.      Diese    Entzündungen, 


580  OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN. 

welclie  sich  schon  spontanerweise  ergeben,  Avenn  der  Tumor  eine  gewisse 
Grösse  —  das  Niveau  des  Nabels  —  erreicht  hat  und  nun  der  Druck  und  die 
zum  Verluste  des  peritonealen  Oberflächenepithels  führende  Reibung  sich 
gesteigert  haben,  gelangen  durch  die  daraus  resultirenden  Adhäsionen  zu  beson- 
derer Bedeutung,  indem  letztere,  von  heftigeren  Darmerscheinungen  (Occlu- 
sionen),  wie  solche  bei  den  zum  Glücke  selteneren  visceralen  Adhäsionen  auf- 
treten können,  abgesehen,   ein  oft   schwieriges  Operationshinderniss   abgeben. 

Dem  Gesagten  zufolge  bedingen  die  Ovarial-Tumoren  einen  krankhaften 
Zustand,  welcher,  wenn  er  durch  Intercurrenz  einer  rationellen  Therapie  in 
seinem  Verlaufe  nicht  sistirt  wird,  in  den  allermeisten  Fällen  den  Organismus 
bald  früher,  bald  später  (in  5—12  Jahren)  durch  Erschöpfung  zur  Auflösung  — 
und  nur  in  Ausnahmsfällen  zur  Genesung  führt  und  wenn  wir  all'  die  Vor- 
bedingungen zu  diesen  verschiedenen  Ausgängen  einer  speciellen  Betrachtung 
unterziehen  wollen,  so  sind  es:  Blutungen  in  die  Cystenräume  —  spontan,  haupt- 
sächlich bei  papillären  Kystomen,  dann  bei  Stieltorsionen,  ferner  activerweise 
durch  Function  in  Folge  directer  Gefässverletzung  oder  rascher  intracystöser 
Druckverminderung  entstanden,  welche  zu  hochgradiger  Anämie  und  plötz- 
lichem Collaps  führen  können.  Die  Stieltorsion  —  höchst  wahrscheinlich  durch 
ungleichmässige  Entwickelung  des  Tumors,  Lageveränderung  des  Körpers,  oder 
jener  Organe,  die  den  Tumor  begrenzen  —  schwangerer  Uterus  —  Darm  — 
und  in  Folge  langer  Stielverhältnisse  entstanden,  führt  ausser  zu  den  bereits 
erwähnten,  möglicherweise  letalen  Blutungen,  häufig  zur  Verjauchung  und 
acuten  Peritonitis  und  nur  ausnahmsweise  zur  Heilung  durch  Schrumpfung, 
Verfettung  und  Verkalkung  der  Cyste,  hie  und  da  aber  auch  zu  ihrer  weiteren 
Entwicklung  unter  neuen  (Adhäsions-)  Ernährungs-Verhältnissen. 

Die  Vereiterung  und  Verjauchung  der  Cysten,  als  eine  vorzugs- 
weise durch  um-eine  Function  herbeigeführte,  aber  auch  spontan  wahrscheinlich 
auf  indirectem  Wege  durch  Einwanderung  von  Zersetzung  erregenden  Organismen 
(etwa  aus  dem  Darme  bei  visceralen  Adhäsionen)  entstandene  Erscheinung,  bedingt 
sehr  häufig  eine  allgemeine  letale  Peritonitis,  oder  fieberhaften  Marasmus. 

Vor  einigen  Jahren  hatte  ich  in  dieser  Richtung  zwei  parallele  Fälle:  in  dem  einen, 
in  welchem  durch  vorläufige  Function  eine  Ovario-Cystitis  und  circumscripte  Peritonitis 
entstanden  —  machte  ich  nach  Ablauf  der  acuten  Attaque  die  Ovariotomie,  bei  welcher 
ich  die  Besudelung  der  Peritonealhöhle  mit  dem  theils  flüssigen,  theils  gasartig-jauchigen 
Inhalte  der  überaus  zereisslichen  Cyste  nicht  verhindern  konnte  und  daher  die  Patientin 
in  Folge  acuter  septischer  Peritonitis  verlor,  während  im  anderen  Falle,  in  welchem  die 
cysto-peritonitischen  Affectionen  spontanerweise  entstanden  waren,  infolge  dieser  ohne 
Operation  zu  Grunde  ging. 

Die  Ruptur  der  Kystome  —  ein  Vorkommniss  besonders  bei  dünnwan- 
digen (folliculären  und  parovariellen,  seltener  bei  proliferen)  Cysten  und  spontan 
bald  durch  den  Druck  ihres  flüssigen  Inhaltes,  oder  durch  entzündliche  Vorgänge 
in  den  Wandungen  (Thrombose  der  Gefässe  —  indirecte  Infection),  durch  pa- 
pilläre Excrescenzen,  am  häufigsten  wohl  durch  äussere  mechanische  Einflüsse, 
als  Druck,  ärztliche  Untersuchung  (vor  einigen  Jahren  gelangte  ein  proliferes 
Kystom  in  meine  Untersuchung,  bei  welcher  zahlreiche  eigrosse  extramurale 
Cysten  gleichsam  unter  der  Hand  zerplatzten),  Stoss,  erhöhte  Bauchpresse  bei 
Geburten,  oder  sonstigen  körperlichen  Anstrengungen  bedingt,  —  nimmt  einen 
verschiedenen  Ausgang,  je  nach  der  anatomischen  Beschaffenheit  der  Cyste 
selbst  (uni  —  multiloculär),  oder  je  nach  der  Richtung,  in  welcher  der  Durchbruch 
geschieht  oder  endlich  je  nach  der  Qualität  und  Quantität  des  Cysten-Inhaltes. 
Dünne  seröse  Flüssigkeit,  wie  solche  die  erweiterten  uniloculären  GRAAF'schen 
oder  WoLLP'schen  Follikel  liefern,  in  die  Peritonealhöhle  ergossen,  gelangt 
nachtheilslos  zur  raschen  Resorption  und  der  Cystensack  etwa  zur  Schrumpfung, 
sonach  der  ganze  Krankheitsprocess  unter  vermehrter  Diurese  zur  Heilung. 
Desgleichen  können  sich  Heilungen  ergeben  beim  Durchbruch  in  den  Darm  — 
Rectum  —  in  die  Blase  und  nach  aussen.     Schlimme  Ausgänge  folgen  nach 


OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN.  581 

Rupturen  von  proliferen  Kystomen  mit  dickem  geleeartigen,  oder  blutig  eitri- 
gem, jauchigen  Inhalte,  wie  oben  erwähnt  in  Folge  von  Peritonitis;  oder  bei 
papillären  Kystomen  durch  Metastasen,  welch'  letztere  so  häufige  Begleit- 
erscheinungen aller  malignen  Tumoren  sind. 

Die  Diagnose  der  Ovarial-Tumoren  ist  auf  Grund  der  heutzutage  ent- 
wickelteren physikalischen  Untersuchungsmethoden  für  gewöhnlic.h  keinen 
Schwierigkeiten  unterworfen;  auch  sind  Irrthümer  in  einer  Zeit,  in  welcher 
beinahe  alle  xibdominal-Tumoren  einer  operativen  Behandlung  unterzogen  werden 
und  explorative  Laparotomien  unter  aseptischen  Cautelen  durchgeführt,  ganz 
unschuldige  Eingriffe  bedeuten,  nicht  von  jener  Tragweite,  die  sie  früher  hatten. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  ausgehend,  können  wir  uns  in  der  Bestimmung 
Ton  Ovarialtumoren  auf  die  Hauptmomente  der  Erscheinungen  beschränken. 
Soll  nun  ein  solcher  Tumor  in  die  Adnexe  des  Uterus  verlegt  werden,  so  muss 
dieser  und  die  anderen  Becken-  und  Bauch-Organe,  wie  nicht  minder  die  re- 
troperitonealen  Gebilde  in  normalem  Zustande  befunden  werden,  was  durch 
genaue  Palpation  und  Percussion  in  einem  Falle,  in  welchem  der  Adnextumor 
etwa  bis  zur  Nabellinie  nur,  oder  nicht  viel  höher  sich  erhoben  hat,  durch 
Constatierung  folgender  Symptome  ermöglicht  ist:  der  Tumor  ist  nach  oben 
und  den  beiden  Seiten,  in  der  Richtung  nach  der  Beckenhöhle  aber  nicht  be- 
grenzt; die  hiebei  constatirbare  Grenze  der  Leber-  und  Milzdämpfung,  des 
Percussions-Schalles  von  Magen  und  Colon  transversum,  schliessen  dessen  Zu- 
sammenhang mit  diesen  Organen  aus.  Von  einer  etwa  dilatirten  Blase  durch 
Katheterisation  derselben  unterscheidbar,  ergeben  sich  betreffs  eines  schwangeren 
Uterus  folgende  differentielle  Merkmale:  Von  aussen  betastet,  erscheint  die 
Form  des  Tumors  viel  unregelmässiger  gestaltet  (unregelmässige  Kugelform), 
als  jene  des  schwangeren  Uterus,  durch  vaginale  oder  rectale  Digitaluntersuchung 
der  Gebärmutter,  eventuell  nach  Abwärtsziehen  derselben  mit  Muzeux  (Hegar) 
ist  ihre  normale  Form  und  Grösse  durch  Umtasten  zu  constatiren,  gewöhnlich 
auch  die  seitliche  strangartige  Verbindung  derselben  mit  dem  Ovarial-Tumor. 
Menses  von  gewöhnlich  typischer  Erscheinung  bei  Ovarial-Tumoren,  cessiren 
in  der  Schwangerschaft,  in  welcher  nach  dem  5.  Monat  auch  die  Kinds- 
bewegungen in  Erscheinung  treten.  Die  Umgreifbarkeit  des  Tumorgrundes  an 
seiner  oberen  Begrenzung,  theilweise  auch  dessen  hinterer  Fläche,  sein  An- 
liegen an  die  vordere  Parietalwand,  öfter  auch  freiere  Beweglichkeit  lassen 
denselben  von  einem  retroperitonealen  Tumor,  einer  Hydronephrose  —  vor 
welcher  Gedärme  liegen  —  das  Fehlen  einer  pulsirenden  und  etwa  auch  Geräusche 
bergenden  Geschwulst  von  einem  Aneurysma  der  Bauchaorta  oder  Iliaca  com. 
unterscheiden.  Der  nach  vorne  leere  Percussions-Schall  des  Ovarialtumors  ist 
in  der  Rückenlage  oben  und  von  beiden  Seiten  von  Darmton  begrenzt;  diese 
Percussionserscheinungen  ändern  sich  beim  Wechsel  der  Körperlage  nicht, 
oder  nur  unbedeutend,  was  ihn  wieder  von  Ascites  unterscheidet. 

Eine  stercorale  Erweiterung  des  Darmes  unterscheidet  sich  durch  eine 
theils  knollige,  theils  teigigweiche  Consistenz.  Hysterischer  Tympanites,  sog. 
Pseudo-  oder  Phantom-Tumoren,  sind  selten  und  auf  Grund  präciser  Per- 
kussion, eventuell  durch  Anwendung  der  Narkose  vom  Ovarial-Tumor  unter- 
scheidbar. 

Ist  der  Ovarialtumor  noch  im  kleinen  Becken,  so  liegt  er  gewöhnlich  dem 
hinteren  Scheidengewölbe  auf  und  ist  von  dort  aus  zu  fühlen.  Bei  bimanueller 
Palpation  können  wir  nicht  nur  dessen  rundliche,  zuweilen  höckerige  Gestalt, 
sondern  auch  seine  seitliche  Lage  zum  Uterus  und  Verbindung  mit  demselben 
durch  das  Lig.  ovarii  constatieren;  letzteres  gelingt  noch  besser  durch  die 
HEGAR'sche  Untersuchungsmethode,  bei  welcher  der  Uterus  mit  Muzeux  herab- 
gezogen wird  und  nun  zwei  ins  Rectum  geführte  Finger  den  Grund  und  die 
Seiten  des  Uterus  betasten.  Ist  der  Tumor  beweglich,  so  wird  man  über  seine 
Lage  am  besten  orientiert,  wenn  ein  Assistent  mit  beiden  Händen  vorerst  die 


582  OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN. 

Bauchdecken  der  Symphyse  zuschiebend,  den  Tumor  aus  dem  Becken  nach 
oben  hebt  und  nun  der  bimannell  Untersuchende  mit  der  einen  Hand  oberhalb 
der  Symphyse  den  Uterus  zu  umgreifen  sucht,  während  die  andere  Hand  den- 
selben von  der  Vagina  oder  dem  liectum  aus  entgegendi'ückt  (B.  G.  Schultze). 
Indem  hiebei  auch  der  Stiel  gefühlt  wird,  ist  gleicherzeit  die  Rechts-  oder  Links- 
seitigkeit des  Tumors  klargestellt. 

Schwierigkeiten  ist  die  Diagnose  unterworfen,  wenn  der  Tumor  im  kleinen 
Becken  eingekeilt  oder  dort  adhärent  ist,  da  dann  Verwechselungen  mit 
Beckenexsudaten  und  Beckenhämatomen  vorkommen  können.  Nicht  minder 
ergeben  sich  betreff  der  Diagnose  Schwierigkeiten,  wenn  der  Tumor  in  Folge 
steten  Wachsthums  weit  über  die  Nabelhöhe  in  die  Kuppel  des  Zwerchfells 
sich  erhoben  hat.  Die  Grenzen  desselben  können  nunmehr  durch  Palpation 
weier  nach  oben,  noch  aber  nach  den  Seiten  zu  bestimmt  werden.  Die  "Milz 
weit  hinauf  unter  das  Zwerchfell,  die  Leber  nach  rechts  bis  zur  Axillarlinie 
verdrängt,  lassen  sich  durch  Percussion  vom  Tumor  nicht  mehr  abgrenzen  und 
die  Gedärme  wiederum  sind  derart  nach  rückwärts  verlagert,  dass  deren 
tympanitischer  Percussionsschall  nunmehr  in  den  Weichen,  jener  des  Magens 
und  Colon  transversum  unter  dem  linken  Rippenbogen  zu  linden  ist. 

Ein  typischer  Fall  dieser  Kategorie,  welcher  mir  nicht  allein  zur  Unter- 
suchung, sondern  auch  zur  Operation  die  Gelegenheit  verschaffte  und  in  Hinsicht  letz- 
terer und  deren  Ausganges  von  besonderer  "Wichtigkeit  war,  sei  hier  in  Kurzem  dar- 
gestellt: Abdomen  der  60  Jahre  alten  Patientin  über  die  Grösse  einer  Hochschwangeren 
ausgedehnt,  nähert  sich  in  der  Form  einer  unregelmässigen,  länglich  runden  Kugel  ^ 
linkerseits  mehr  hervorgewölbt,  als  rechts,  steigt  dessen  Wandung  überdies  steil  zur  weissen 
Bauchlinie  hinauf,  während  rechts  davon  eine  Abflachung  und  unterhalb  des  Nabels  die 
Form  eines  Hängebauches  erscheint;  dem  entsprechend  beträgt  die  linke  Hälfte  des 
über  die  Nabelhöhe  mit  122  cm  bemessenen  Umfanges  62,  die  rechte  60  cm ;  die  Länge  der 
von  der  rechten  Brustwarze  zur  linken  Spina  oss.  ilei  sup.  gezogenen  Linie  68,  gegenüber 
der  gegenseitigen,  die  nur  66  cm  misst.  Die  Länge  der  weissen  Bauchlinie  vom  Proc. 
xyphoides  zur  Symphysis  beträgt  88  cm,  von  welchen  31  auf  die  obere  und  57  cm  auf 
die  unter  dem  Nabel  gelegene  Hälfte  entfallen.  Diese  für  die  Annahme  einer  Cyste  — 
gegenüber  von  Ascites  —  charakteristischen  Werthe,  gewinnen  an  Bedeutung  durch  den 
Unterschied  zwischen  transversalem  und  sagittalem  Durchmesser  des  Abdomens,  deren 
ersterer  in  der  Nabelhöhe  gemessen  37  cm,  während  der  letztere  aber  40  cm  misst.  Durch 
Palpation  ist  der  Abdominaltumor  von  keiner  Seite  umgrenzbar,  da  er  sich  aus  der  Becken- 
höhle in  medialer  Linie  bis  weit  unter  dem  Proc.  xyph.,  lateral  unter  die  Rippenbögen 
erstreckt,  die  Weichen  aber  in  Folge  hochgradiger  Spannung  ein  Durchtasten  illusorisch 
machen.  Rippenbögen  und  Proc.  xyph.  nach  aussen  zu  umgebogen  —  letzterer  zur  Körper- 
axe  beinahe  vertical  gestellt,  ist  dadurch  die  bei  kleineren  Cysten  vorkommende  fassähn- 
liche Gestalt  des  Abdomens  in  eine  mehr  kugelförmige  umgewandelt.  Herzdämpfung  im' 
vierten  Intercostalraume  zwischen  Sternum  und  Brustwarze;  Lungengrenze  in  der  linken 
Mammalinie  an  der  6.  Rippe;  von  da  abwärts  bis  ins  Becken  hinein  absolute  Dämpfung- 
an  der  medialen  Grenze  der  linken  Axillarlinie  beginnt  in  der  Höhe  des  sechsten  Inter- 
costalraumes  ein  gedämpft  tympanitischer  Schall,  welcher  immer  voller  werdend,  in  schräger 
Richtung  nach  ab-  und  rückwärts  unter  dem  Rippenbogen  in  die  Lumbaigegend  sich  erstreckt,, 
welch'  letztere  sowohl  in  der  Rücken-,  als  Seitenlage  reinen  Darmton  gibt.  In  der  medianen 
Linie  absolut  gedämpfter  Ton  von  der  Symphyse  an  bis  an  die  untere  Grenze  des  Sternum- 
körpers,  an  welcher  nach  aufwärts  zu  der  Lungenton  beginnt.  Rechterseits  im  fünften 
Intercostalraume  an  der  Parasternallinie  beginnend  gedämpft  tympanitischer  Schall,  welcher 
ebenfalls  in  schiefer  Richtung  lateralwärts  zur  Axillarlinie  läuft,  in  welcher  die  Tumor- 
dämpfung unmittelbar  in  jene  der  Leber  übergeht.  In  der  rechten  Lumbaigegend  wieder 
reiner  Darmton,  welcher  nach  aufwärts  bis  zur  10.  Rippe  sich  erstreckt  und  beim  Wechsel 
der  Körperlage  unverändert  bleibt.  An  der  Haut  des  Abdomens  3  punktförmige  Narben 
als  Residuen  vorausgegangener  Functionen.  Diese  physikalischen  Erscheinungen  geben 
deutlich  an,  wie  der  Tumor  in  die  Kuppel  des  Zwerchfells  gestiegen,  nunmehr  Herz  und 
Lunge  nach  aufwärts,  Milz  unpercutirbar  in  die  Höhe  des  Zwerchfells,  die  Leber  lateral- 
wärts der  Axillarlinie  zu,  Magen,  Colon  trans.  wie  überhaupt  alle  Gedärme  nach  rückwärts 
verlagert  hatte. 

Wenn  ich  des  Weiteren  erwähne,  dass  durch  die  Adspection  am  Abdomen  hie  und 
da  handtellergrosse,  flachconvexe  Erhöhungen,  daneben  plane  Abflachungen,  ausgedehnte 
subcutane,  besonders  rechts  bis  in  die  Achselhöhle  sich  erstreckende  Venennetze;  ferner 
durch  Palpation  fest  elastische  und  massig  derbe  Territorien  von  bald  rund-oblonger,  bald 
strangartiger  Form;  durch  Percussion  im  grösseren  Theile  des  Abdomens  eine  freie,  gross- 
weUige,  und  in  nur  kleinerem  Theile  kurzwellige,    nur    bis   zu    den  Grenzen    der  Tumor- 


OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN.  583 

Dämpfung  sich  erstreckende  Fluctuation;  durch  vaginale  Digitaluntersuchung' Ilochlagerung 
und  Verstrichensein,  sonst  aber  Beweglichkeit  der  Vaginalportion,  elastische  Resistenz  am 
hinteren  Scheidengewölbe  wahrzunehmen  sind,  der  Urin  eiweisfrei,  Stuhl  trüge,  Appetit 
geringe,  Oedeme  an  den  Unterextremitäten,  wie  überhaupt  überall;  fehlen,  Patientin  von 
etwas  blasser  Gesichtsfarbe,  ziemlich  abgemagert  ist:  so  habe  ich  das  diagnostische  Bild 
eines  „Cystoma  proNferum^^  auch  in  einem  Falle,  in  welchem  der  Abdominaltumor  die 
gröstmögliche  Ausdehnung  erreicht  hat,  in  den  Hauptzügen  gezeichnet,  doch  nicht  in  Hin- 
sicht der  Details  in  Bezug  auf  Rechts-  oder  Linksseitigkeit  und  auf  die  Stielverbältnisse, 
Complicationen,  als  Adhäsionen,  Verlagerung  der  Beckenorgane,  hauptsächlich  des  Uterus, 
wozu  die  obenerwähnte  bimanuelle  Untersuchung  nach  Hegau  und  Sciiültzk,  ferner  die  An- 
wendung der  Uterussonde  als  nothwendig  erschienen  wären,  welche  unterblieben,  da  die 
Operation  auf  Drängen  der  Patientin  in  zwei  Tagen  darauf  erfolgen  sollte  —  und  Com- 
plicationen uns  heute  nicht  mehr  überraschen.  Auf  diesen  Fall,  als  Typus  für  viele 
andere  gewählt,  werden  wir  auch  bei  der  speciellen  Beschreibung  der  Ovariotomie 
noch  zurückkommen. 

Feste  und  cystische  Ovarialtumoren  unterscheiden  sich  von  einander 
naturgemäss  durch  ihre  Consistenz,  welche  bei  den  ersteren  derb,  fest  elastisch, 
bei  letzteren  elastisch  fluctuirend  erscheint.  Vielwiegend  für  die  bezügliche 
Differential-Diagnose  ist  ferner  die  Erfahrung,  dass  feste  Tumoren  den  cystischen 
gegenüber  eine  viel  seltenere  Erscheinung  abgeben,  und  dass  in  ihrem  Gefolge 
bald  Ascites  auftritt.  Dass  ein  fester  Tumor  nicht  einer  vergrösserten  Milz 
oder  Leber  {Wandermüz,  Wanderleber)  angehörig  ist,  lässt  sich  durch  deren 
Begrenzung '  dem  Beckeneingang  zu,  respective  durch  die  Isolirbarkeit  der 
inneren  Genitalien  unterscheiden.  Ein  solider  Tumor  des  Uterus  unterscheidet 
sich  von  einem  soliden  Ovarien-Tumor  durch  das  Fehlen  einer  stielartigen 
Verbindung  des  Letzteren  mit  einem  Uterushorn,  vor  Allem  aber  durch  die 
vermittelst  Uterussonde  constatirbare  Verlängerung  der  Uterinhöhle.  Ketro- 
peritoneale  cystische  und  feste  Tumoren  haben  die  Gedärme  immer  vor,  oder 
neben  sich  (vor  einigen  Jahren  kam  mir  ein  colossales,  zwei  Drittheile  des 
Bauchraumes  einnehmendes  linksseitiges  Nierensarcom  zur  Beobachtung,  bei 
welchem  der  ganze  Darmtract  nach  rechts  verlagert  war).  Präperitoneale, 
sogenannte  Bauchdeckenfibrome  und  Cystofibrome  (Weinlechnee,  Wiener 
medic.  Bl.  1883,  Nr.  1  und  Rokitansky,  Wiener  medic.  Pr.  1880,  Nr.  4.) 
und  verschiedene  intraperitoneale  Tumoren,  als  Pankreas-,  Netz-,  Mesenterial- 
Cysten,  Echinococcen,  Sarcome,  Carcinome,  u.  s.  w.  lassen  in  erster  Reihe  durch 
ihre  Lage  und  ferner  auf  Grund  der  bezüglichen  rationellen  Symptome  sich 
unterscheiden. 

Vor  zwei  Jahren  operirte  ich  mit  gutem  Erfolge  ein  kindskopfgrosses  Sarcom  des 
Netzes,  welches  in  einem  kleinen  Nabelnetzbruche  entstanden,  theils  in  den  Bauchdecken, 
theils  und  zwar  seinem  grössten  Theile  nach  aber  in  dem  der  Bauchhöhle  angehörigen 
Netze  lag ;  und  vor  zwei  Wochen  ein  mannskopfgrosses  Bauchdecken-Sarcom,  welches  in 
seiner  subserösen  Entwicklungslage  Bauchmusculatur  vor,  Peritoneum  hinter  sich,  das 
Letztere  tief  in  den  Bauchraum  hineingedrängt  hatte. 

Das  Hauptmerkmal  der  cystischen  Ovarial-Tumoren,  die  Fluctuation 
erscheint  entsprechend  der  verschiedenen  Natur  der  Kystome  betreffs  anatomi- 
schen Baues  ihrer  Wandung  und  chemisch-physikalischer  Eigenschatt  ihres 
Inhaltes,  in  verschiedener  Weise.  Freie,  grosswellige  Beweglichkeit  der 
Flüssigkeit  ergibt  sich  in  den  folliculären,  dann  parovarialen,  zuweilen  auch 
in  den  einkämmerigen  dermoiden  Cysten;  unregelmässig  sich  ausbreitende, 
kurzwellige  Fluctuation  in  den  proliferen,  oft  coUoiden  Inhalt  einschliessenden. 
Dermoide,  die  solide  Massen,  wie  Haare,  Knochen  enthalten,  behindern  die 
freie  Fluctuation.  Ein  wichtiges  diagnostisches  Merkmal  der  parovarialen 
Cysten  ist  ausser  der  freien,  grosswelligen  Fluctuation  das  Vorhandensein  des 
Ovariums  neben  der  Cyste,  welches  bei  bimanueller  Untersuchung  zuweilen 
durchgefühlt  werden  kann. 

Die  selten  vorkommenden  Tubo-Ovarialcysten  charakterisiren  sich,  wie 
bereits  oben  erwähnt  durch  periodische  Verkleinerung  während  des  Ausflusses 
ihres  Inhaltes  durch  Uterus  und  Vagina  {Hydrops  ovariorum  profluens).  In- 
dessen können  auch  hierbei  Täuschungen  unterlaufen. 


584  OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN. 

Im  Jahre  1S93  operirte  ich  eine  Patientin,  bei  welcher  unter  jedesmaliger  Verklei- 
nerung des  kopfgrossen  Abdominaltumors  periodenweise  eine  dünne  schleimige,  hie  und  da 
rothtingirte  Flüssigkeit  sich  entleerte,  nachdem  ich  auf  Grund  dieses  Symptoms  die 
"Wahrscheinlichkeitsdiagnose  auf  eine  Tubo-Ovariakyste  gestellt  hatte.  Die  diagnostische 
Schwierigkeit  war  dadurch  bedingt,  dass  bei  der  Patientin  im  Jahre  1885  in  Budapest  eine 
Ovario-  oder  Myotomie  (?)  mit  extraperitoneeller  Stielbehandlung  vollführt  worden  war, 
über  welche  ich  keinen  näheren  Aufschluss  erhalten  konnte.  Bei  der  nun  meinerseits 
vollführten  Operation  ergab  sich  am  üternskörper  ein  Fibromyom  und  gleicherzeit  in 
dessen  Höhle  ein  Carcinom,  die  nachträglich  den  Ausfluss  aus  dem  Uterus  und  die  jewei- 
lige Verkleinerung  der  Geschwulst  klarstellten.  Nach  supravaginaler  Amputation  des 
Uterus  nebst  extraperitonealer  Stielbehandlung  verbheb  der  Verlauf  ein  aseptischer  und 
konnte  die  Patientin  am  11.  April  vollkommen  geheilt  entlassen  werden. 

Die  Vorbereitung  zur  0  v  a  r  i  o  t  o  m  i  e  bezieht  sich  auf  Alles,  was  zu 
ihrer  Ausführung  in  Hinsicht  auch  auf  deren  sicheren  Erfolg  derzeit  als  noth- 
wendig  erscheint,  also  ebenso  auf  die  passive,  als  active  Persönlichkeit  ■  oder 
Persönlichkeiten,  als  auf  die  anderen  nothwendigen  Behelfe. 

Die  Räumlichkeit  sei  nicht  zu  gross  und  nicht  zu  klein  von  klarem 
diffusen  Lichte  erhellt  und  auf  19 — 20  "  C.  erwärmt,  damit  der  Abkühlung  des 
Körpers  bei  längerer  Operationsdauer  auch  hiedurch  vorgebeugt  werde.  Was 
die  Grösse  anbelangt,  ist  ein  kleiner  Operationssaal  mit  guter  Ventilations- 
Vorrichtung,  abwaschlDaren  Wänden,  Plafond  und  Fussboden  sehr  beliebt,  im 
Nothfalle  thut  es  auch  ein  grösserer  Operationssaal,  wenn  man  die  vorherige 
Lüftung  und  Reinigung  vermittelst  Carbol-Salicyl-,  oder  Sublimat-Spray  durch- 
geführt hat.  In  letzterer  Zeit  lasse  ich  über  dem  Operationsfelde  einen  mit 
sterilisirtem  Leintuche  hergestellten  Baldachin  spannen,  um  allen  fallenden 
Staub  und  dessen  schädliche  Beimengungen  abzuhalten.  Zur  Lagerung  der 
Patientin  während  der  Operation  ist  ein  gewöhnlicher,  gepolsterter,  mit  Carbol- 
oder  Sublimatlüsung  desinficirter  Operations-Tisch  wohl  am  zweckmässigsten, 
und  ebenso  vortheilhaft  jene  Eimichtung,  wonach  Patientin  nach  vollendeter 
Operation  von  diesem  direct  in  das  im  Voraus  herbeigestellte  Bett  gelegt  und 
damit  in  eine  gut  gelüftete  und  temperirte  andere  Räumlichkeit  getragen  wird. 
Patientin,  deren  Darmcanal  einige  Tage  vorher  mit  Ricinusöl,  am  Tage  der 
Operation  überdies  mit  einer  Clysma  -  Irrigation  entleert  wurde,  nimmt  1 
oder  2  Tage  vorher  ein  Bad  mit  Seifengeist  —  1  Liter  —  bereitet.  Etwaige 
Lungen-  und  Darmkatarrhe  müssen  natürlich  auch  vorher  sistiert  werden 
(Ipecacuanha,  Opiate,  Bismuth).  Unmittelbar  vor  der  Operation  wird  die  Blase 
spontanerweise  oder  vermittelst  Katheter  entleert,  letzteren  Falles,  wenn  es 
nicht  schon  früher  bei  der  Untersuchung  geschehen,  gleicherzeit  die  Contrac- 
tilität  der  Blase  und  mithin  das  Fehlen  von  Adhärenzen  constatirt  —  und 
nachdem  auch  die  Schamhaare  rasirt,  die  Vagina  mit  einer  2^0  Borsäurelösung 
ausgespült  wurde,  wird  der  Bauch  mit  einer  Seifenlösung  unter  Anwendung 
von  Bürste  oder  Holzwolle,  nachher  von  Alcohol  und  zuletzt  Sublimatlösung 
(1:1000)  gewaschen,  besonders  der  Nabelring  auf  die  minutiöseste  Weise  gerei- 
nigt. Leibwäsche  der  Patientin  sei  ein  sterilisirtes  Hemd;  überdies  werden  zum 
Schutze  gegen  Wärme-Verlust  die  Unterextremitäten  in  reine  Flanelldecken  oder 
Strümpfe  gehüllt  und  unmittelbar  vor  Beginn  der  Operation  der  ganze  Körper 
mit  einem  in  der  Mitte  geschlitzten  sterilisirten  Leintuche,  das  Operations- 
gebiet mit  ebenfalls  sterilisirten  und  nachher  in  Sublimatlösung  getauchten 
Compressen  bedeckt.  Vertrauenerweckende  Zuspräche  ist  bei  psychisch  auf- 
geregten Patientinnen  besonders  nothwendig,  da  hiedurch  die  Narcose  erleichtert 
wird.  Operateur  und  Hilfspersonale  seien  nach  einem  vorher  genommenen 
Bade  rein  gekleidet,  vorne  mit  einer  sterilisirten  Schürze  bedeckt,  Hände  und 
Arme  mit  antisept.  (Kreolin)  Seife  und  Bürste,  rohem  Flanell  oder  Holzwolle 
gewaschen,  besonders  Nagelfalz  und  Nagelunterhöhlung  vollkommen  gereinigt 
und  endlich  mit  obiger  Sublimatlösung  desinlicirt.  Zur  Assistenz  ist  ein 
ganz  verlässlicher  Narcotiseur,  zwei  Assistenten,  ein  Instrumentarius  und  ein 
Wartgehilfe  genügend;  zu  zahlreiches  Hilfspersonale  stört  oft  den  raschen  Gang 


OVAßlOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN.  585 

der  Operation.  Instrumente,  Verband  und  Tupfmaterial  seien  vollkommen  steri- 
lisirt,  erstere,  nachdem  sie  vorher  von  Staub  und  etwaigem  Host  gereinigt, 
in  kochendem  Wasser,  letztere  in  strömendem  Dampf.  Nach  dieser  Sterilisa- 
tion werden  die  Instrumente  sogleich  in  eine  antiseptische  —  2V2  °/o  Car- 
bollösung,  Verband  und  Deckmateriale  in  gut  schliessende  sterilisirte  Behälter 
gelegt.")  Der  Instrumentenapparat  kann  den  gegebenen  Fällen  entspre- 
chend ebenso  einfach,  als  complicirt  sein.  Ein  Scalpell,  Bistouri,  Scheere,  einige 
Schieberpincetten,  Nadel  und  Faden,  zum  Ueberflusse  etwa  noch  ein  Troicart 
reichen  hin,  um  eine  einfache,  langgestielte,  nicht  adhärente  Cyste  zu  entfernen, 
überhaupt  die  ganze  Operation  zu  vollenden,  während  complicirtere  Fälle  eine 
weit  grössere  Anzahl  von  den  verschiedensten  Instrumenten  erfordern.  Diese 
in  vorausbestimmter  Anzahl  zusammengestellt  und  gewöhnlich  nur  für  Ovario- 
tomien  verwendet,  bestehen  aus:  Messer,  Bistouris,  Scheeren,  Schieberpincetten, 
dann  sog.  Pinces  hämostatiques,  Hohlsonde,  Kornzangen,  DECHAMP'sche  Umste- 
chungs-Nadel  und  Muzeux;  chirurgische  Nadeln  in  verschiedener  Grösse, 
Nadelhalter;  zur  Entleerung  der  Cyste  benützt  man  mit  Vorliebe  den  Troicart 
von  Spencer  Wells  mit  seiner  haken-  oder  krallenartigen  Vorrichtung  be- 
hufs gleichzeitiger  Fixirung  und  Extrahirung  der  Cyste,  welch  letztere  auch 
mit  der  Zange  nach  Nelaton  oder  Nyrop  geschieht;  unter  weiteren  Instru- 
menten und  Apparaten  zur  Behandlung  der  Adhäsionen  und  des  Stieles  wären 
noch  Paquelin's  Thermocauter,  Spencer's  Klammer,  Pean's  Zangen  zu  erwäh- 
nen. Behufs  gieichmässigeren  circulären  Druckes  lege  ich  nach  Entwickelung 
der  Cyste  um  deren  Stiel  gewöhnlich  ein  elastisches  Drainrohr,  welches  ich 
bei  intraperitonealer  Stielbehandlung  nach  Abtrennung  der  Cyste  und  Ver- 
sorgung des  Stieles  entferne,  bei  extraperitonealer  Stielbehandlung  aber  bis 
zur  Selbstlösung  am  Stielstumpfe  zurücklasse.  Zur  Aufsaugung  von  Blut 
und  Cystenflüssigkeit  kommen  präparirte  und  desinficirte  feine  Schwämme,  die 
in  lange  Zangen  oder  sogenannte  Schwammhalter  gefasst  werden,  in  Anwendung; 
ich  benütze  zu  diesem  Zwecke  am  liebsten  Tupfer  aus  sterilisirter  hydrophiler 
Oaze  bereitet.  Das  Näh-  und  Unterbindungsmaterial  ist  Catgut  und  Seide  in 
verschiedener  Stärke  und  sterilisirtem  Zustande. 

Narkose.  Zur  Ausführung  einer  Ovariotomie  werden  wir  die  Patientin 
immerhin,  u.  z.  tief  narkotisiren;  verschiedene  Operateure  verwenden  hiezu  ver- 
schiedene x^nästhetica,  so  Spencer  Wells  das  Methylen-Bichlorid,  welches  weniger 
Brechen  erregen  soll,  andere  Aether,  oder  Chloroform  oder  ein  Gemisch  von  Beiden 
(Billroth);  ich  verwende  zu  den  Narkosen  überhaupt  immer  reines  Chloro- 
form, eine  Morphin-Injection  von  1  cg  vorausschickend;  im  Allgemeinen  wird 
die  Narkose  von  den  Patientinnen  gut  vertragen,  Brechneigung  und  Erbrechen, 
welche  anfänglich  schon,  besonders  aber  nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  dui'ch 
Netz  und  Darm- Vorfall,  die  Operation  verzögern,  sind  vereinzelte  Erschei- 
nungen, welche  durch  tiefe  Narkose  bald  schwinden. 

Den  Spray  benütze  ich  seit  langer  Zeit  nicht  mehr;  abgesehen  von  einer  Intoxication 
besonders  beim  Carbolspray,  wenn  derselbe  nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  fortspielt,  kann 
durch  die  Carbolsäure  das  Epithel  des  Peritoneums  derart  zerstört  werden,  dass  Letzteres 
dadurch  für  Infectionsstoffe  empfänglicher  wird. 

Ist  die  Narkose  eingetreten,  so  schreite  man  unverweilt  zur  Operation, 
welche  so  rasch,  als  nur  möglich  bis  zum  vollkommenem  Verschlusse  der  Bauch- 
höhle zu  vollführen  ist.  Sie  verdient  sowohl  in  ihrer  Einfachheit,  als  in  ihren 
Complicationen,  ferner  in  all'  ihren  Phasen  eine  eingehende  Würdigung,  welcher 
wir  in  folgenden  Einzelheiten  Ausdruck  geben. 

Bau  eh  schnitt.  Die  Grösse  (Länge)  desselben  richtet  sich  immer  nach 
der  im  Voraus  bestimmten  Grösse  und  möglichen  Verkleinerung  des  Tumors. 
Ein  6—8  cm  langer  Schnitt  kann  hinreichen,  so  wie  ein  von  der  Symphyse 

*)  Bezüglich  der  näheren  Details  vergl.  den  Artikel  „Antisepsis  und  Ase2:>sis  in  der 
operativen  Gynaelcologie,''^  pag.  47.  ds.  Bd. 


586  OVAEIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN. 

bis  zum  Nabel,  ja  bis  zum  Proc.  xypli.  hinaufreichender  nothwendig  werden 
kann,  um  eine  Ovariotomie  zu  vollt'ühreu.  Wurde  ein  grösseres  proliferes 
Kystom,  oder  gar  ein  grösserer  fester  Tumor  mit  voraussichtlichen  Adhäsionen 
vorher  bestimmt,  so  ist  ein  gleich  anfänglich  dem  entsprechend  angelegter, 
etwa  die  Distanz  zwischen  Symphyse  und  Nabel  einnehmender  Schnitt  am 
zweckmässigsten;  derselbe  kann  nöthigenfalls  links  vom  Nabel,  um  dem  Lig. 
rotundum  hepatis  und  einer  in  demselben  etwa  offen  gebliebenen  Vene  aus 
dem  Wege  zu  gehen,  weiter  hinaufgeführt  werden. 

Die  Schnittführung  in  den  Bauchdecken  geschah  meistentheils  —  besonders 
durch  Spencer  Wells  zum  Dogma  erhoben  —  in  der  weissen  Bauchlinie;  es  ist 
dies  der  kürzeste  Weg  nämlich  zur  Bauchhöhle,  aus  der  Haut,  Fase,  superf., 
linea  alba,  als  bandartige  Yereinigang  der  Aponeurosen  der  breiten  Bauch- 
muskeln (Hyrtl),  subseröser  Fetttschichte,  die  am  Nabel  gänzlich  fehlt  ---  und 
dem  Peritoneum  bestehend;  zugleich  ist  es  die  gefässärmste  Gegend  und  daher 
zur  blutlosen  Durchtrennung  am  geeignetsten.  Nun  ist  es  aber  in  vielen  Fällen 
schwierig,  immer  und  überall  diese  Linie  einzuhalten,  denn  nur  bei  grösseren 
Tumoren  und  daher  stark  ausgedehnter  Bauchwandung  ist  sie  breit,  gegen  die 
Symphyse  geAvöhnlich  schmal,  so  dass  man  unwillkürlich  doch  bald  in  den 
einen,  oder  anderen  geraden  Muskel  hineinkommt.  Sowohl  frühere,  als  spätere 
Operateure  stellten  dem  gegenüber  wieder  die  Regel  auf:  parallel  der  weissen 
Bauchlinie  im  Muse.  rect.  durchzudringen  (Stover  in  Boston),  auch  Dowell 
in  seinen  ersten  Fällen;  andere  führten  halbkreisförmige  Schnitte  von  den 
lilschen  Rippen  zur  Crista  ilei  (Bäheing),  von  der  Symphyse  zur  Crista  ilei 
(Atlee),  oder  parallel  dem  PouPART'schen  Bande  gelegen  (Haardtmann).  — 
Maassgebend  hiefür  war  der  Sitz  des  Tumors  im  Abdomen.  Ich  selbst  legte 
bei  meiner  ersten  Ovariotomie,  nachdem  ich  im  Voraus  eine  rechtseitige  Der- 
miidcyste  des  Ovariums  diagnosticirt  hatte,  den  Schnitt  an  den  äusseren  Rand 
des  rechten  geraden  Bauchmuskels,  um  der  damals  üblichen  extraperitonealen 
Stielbehandlung  günstige  Chancen  zu  bieten.  Im  Laufe  der  Zeit  ist  nun  bald 
aus  theoretischen,  bald  aus  Erfahrungsgründen  einer  ausserhalb  der  Linea  alba 
in  die  Muskelschichten  verlegten  Schnittführung  Gewicht  beigelegt  worden. 
(Siehe  „Ztw  Technik  der  La2:)arotomie"  von  Dr.  Abel,  Archiv  f.  Gijnäkol. 
Bd.  45,  1894.) 

Die  blutarme,  weisse  Bauchlinie  soll  zum  raschen,  die  Wundränder  ver- 
einigenden plastischen  Processe  nicht  jene  günstigen  Chancen  bieten,  als  es  die 
gefässreicheren  Muskel  schichten  thun,  die  Narbe  im  ersten  Falle  nicht  so  fest 
und  massig  sein,  wie  im  zweiten  und  daher  den  nachträglich  sich  entwickelnden 
Unterleibsbrüchen  eher  Vorschub  geleistet  werden.  Ich  habe  bei  Gelegenheit 
der  radicalen  Behandlung  der  freien  Unterleibsbrüche  noch  Anfangs  der  80-ger 
Jahre  Studien  zur  Verhütung  von  Recidiven  gemacht  und  auf  Grund  dieser  — 
die  Inscriptiones  tendineae  der  Muse,  recti  nachahmend  —  in  die  breite  Bauch- 
musculatur  durch  transversal  angelegte  Resection  einzelner  Bündelstückchen 
und  nachheriger  Vernähung  der  Schnittränder  sehr  feste,  das  Peritoneum 
fixirende  Narben  erzielt.  Die  Anlegung  des  Bauchschnittes  bei  der  Ovariotomie 
ausserhalb  der  Linea  alba,  wobei  die  Fasern  der  Mm.  recti  nicht  geschont, 
besonders  nicht  scharf  und  nicht  parallel  ihrer  Richtung,  sondern  eher  schief 
und  stumpf  durchtrennt  werden,  dürfte  daher  ein  rationelles  Verfahren  sein. 
In  dem  erwähnten  Falle  meiner  ersten  Ovariotomie  (1869),  in  welchem  ich 
den  Schnitt  an  den  äusseren  Rand  des  rechten  geraden  Muskels  gelegt  hatte, 
ist  an  der  heute  noch  lebenden  Patientin  keine  Spur  einer  Hernie  zu  sehen, 
auch  in  den  anderen  Fällen  nicht,  in  welchen  ich  nicht  absichtlich,  sondern 
zufällig  mit  dem  Schnitte  in  die  Musculatur  gelangte,  oder  diese  in  schwierigen 
Fällen  durch  Hacken  und  Hände  gequetscht  wurde. 

Zur  Orientiruug  ist  es  gut,  die  einzelnen  Bauchschichten,  als  Haut,  super- 
ficiale Fettschichte,  Linea  alba,  Fascia  transversa  mit  präperitonealer  Fettschichte 


OVARIOTOMIE  -  OVARIALTUMOREN.  687 

und  Peritoneum  während  ihrer  Durchtrennurij^  genau  in  Augenschein  zu  nehmen. 
Die  Fettschichten,  auch  präperitoneale,  sind  bei  jüng(!ren  und  gut  genährten 
Frauen  überaus  dick,  bei  älteren  und  mageren  und  sehr  grossen  Frauen  sehr 
dünn,  besonders  das  Fett  der  Fase,  subserosa  gänzlich  geschwunden,  welch' 
letzterer  Befund  zugleich  als  ein  Zeichen  festerer,  parietaler  Adhärenzen 
gedeutet  werden  kann.  Haut  und  Unterhautgewebe  ist  unterhalb  des  Nabels 
viel  derber,  als  oberhalb  desselben  und  bei  grossen  Tumoren  gewöhnlich 
hypertrophirt  und  hydi'opisch  infiltrirt.  Beim  Schnitt  durch  den  geraden 
Bauchmuskel  kommen  ausser  den  Muskelbündeln,  seine  Scheidenblätter  in 
Betracht.  Alle  genannten  Schichten  werden  mit  Messer  rasch  bis  zum  Peri- 
toneum durchtrennt,  Blutgefässe  —  aus  der  Epigastrica  und  Mammaria  stammend 
—  in  Schieberpincetten  gefasst  und  sogleich  oder  nachher  unterbunden.  Ist 
die  Blutung  dieser  nunmehr  durchtrennten  Schichten  gänzlich  gestillt,  so  fasst 
man  mit  einer  Hakenpincette  das  Peritoneum  und  dasselbe  in  einen  Kegel 
erhoben;  wird  dieser  angeschnitten  und  die  so  gebildete  Oeffnung  mit  stumpfem 
Bistouri  oder  Scheere  so  weit  vergrössert,  dass  zwei  Finger  eingeführt  werden 
können,  zwischen  welchen  nun  unter  gehöriger  Spannung  des  Peritoneums, 
dasselbe  bis  zur  Grenze  der  äusseren  Schnitte  durchtrennt  wird.  Wäre  die 
Spannung  zwischen  Bauchwand  und  Cyste  zu  gross  und  daher  für  die  Finger 
kein  Raum  vorhanden,  so  wird  die  Hohlsonde  eingeführt,  unter  deren  Leitung 
das  Peritoneum  gespalten  und  dessen  Spaltränger  jederseits  mit  einer  Hacken- 
Sperrpincette  gefasst.  Sogleich  drängt  sich  der  blassbläuliche,  oder  weiss- 
glänzende,  zuweilen  stark  erweiterte  Venen  enthaltende  Tumor,  besonders  wenn 
ein  Assistent  von  oben  und  den  Seiten  her  die  Bauchwand  mit  Hand  und 
Arm  an  denselben  anpresst,  was  ich  stets  befolgen  lasse,  in  den  Bauch- 
spalt und  v/ird  nun  im  Falle  er  von  cystischer  Natur  ist,  seines  Inhaltes  bis 
auf  jenes  Volumen  entleert,  bei  welchem  er  durch  den  Bauchspalt  heraus- 
schlüpfen kann,  was  unter  erwähntem  Händedruck  des  Oefteren  auch  geschieht. 
Ist  dies  nicht  der  Fall,  so  schiebt  der  Operateur  seine  Hand  zwischen  Bauch- 
wand und  Tumor  bis  zu  dessen  Scheitel  hinauf  und  diesen  erfassend,  stülpt 
er  ihn  aus  der  Bauchhöhle  heraus  oder  aber  er  fasst  denselben  gleich  nach 
der  Punction  mit  einer  PEAx'schen  Zange  und  befördert  ihn  durch  Anwendung 
eines  langsam  wirkenden  Zuges  heraus.  Sind  keine  Adhäsionen,  oder  deren 
nur  vereinzelte  und  lockere  vorhanden,  so  läuft  all'  dies  glatt  ab  und  können 
sofort  die  weiteren  Acte  der  Operation  eingeleitet  werden. 

Behufs  deren  Beschreibung  nehmen  wir  vorerst  den  einfachsten  Fall 
einer  Cyste  an.  Sie  liegt  durch  die  Hände  eines  Assistenten  gestützt  schon 
ausserhalb  der  Bauchhöhle;  ihr  hinreichend  langer  Stiel  im  unteren  Bauch- 
wundewinkel, während  ein  Assistent  den  übrigen  Theil  der  Bauchwunde 
geschlossen  erhält.  Nun  wird  gleich  unterhalb  der  Cyste  um  den  Stiel 
herum  ein  elastisches  Drainrohr  geführt  und  derselbe  damit  zusammen- 
geschnürt, oder  aber  mit  der  Klammer  zusammengedi'ückt,  darüber  die 
Cyste  mit  Messer  abgetrennt  und  aus  dem  Operationsterrain  entfernt.  Auf 
der  Schnittfläche  des  Stieles  sichtbare  Arterienstümpfe  werden  isolirt  mit 
Catgut  oder  aseptischer  Seide  (kleinere  mit  Catgut,  grössere  mit  Seide) 
unterbunden,  nachher  unterhalb  der  Klammer  oder  des  Draim'ohrs  der  Stiel 
je  nach  seiner  Dicke  in  1,  2  oder  3  Partien  mit  starker  aseptischer  Seide 
unterbunden,  um  dadurch  auch  einer  parenchymatösen  Blutung  aus  dem 
Stiele  vorzubeugen;  behufs  Unterbindung  des  Stieles  in  mehreren  Partien  ist 
natürlich  die  Durchführung  des  Unterbindungsfadens  vermittelst  DECHAMP'scher 
Umstechungsnadel  nothAvendig.  Nun  wird  das  Draim-ohr,  oder  die  Klammer 
gelöst,  während  der  Stiel  an  seinem  noch  unabgeschnittenen  Unterbindungs- 
faden nach  aussen  fixirt  erhalten  bleibt.  Das  zweckmässigste  Weitere  nun  ist 
die  Deckung  der  Stielschnittfläche  mit  Peritoneum,  was  möglicherweise  der- 
massen  geschieht,  dass   die   Schnittränder   des   Stielperitoneums   mit  Catgut- 


588  OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN. 

knopfnähten  vereinigt  werden;  lässt  sich  dieser  Ueberzng  nicht  bilden,  so  kann 
die  Schnitttiäche  mit  Thermocauter  —  ohne  dabei  die  Gefässligaturen  zu  lösen, 
verschorft,  oder  aber  mit  Jodoformpulver  bestreut  werden.  Zeigt  sich  keine 
Blutung  mehr  aus  dem  Stiele,  wird  derselbe  nach  Abtrennen  der  Unterbin- 
dungsfäden —  knapp  über  deren  Knotung  —  bei  gleichzeitiger  Jodoformirung 
der  Stielseitenflächen,  in  die  Bauchhöhle  versenlit  und  nachher  die  ganze 
Bauchwunde  vermittelst  Naht  geschlossen.  Diese  Schliessung  nun  geschieht 
je  nach  der  Vorliebe  des  Operateurs  und  der  Beschaffenheit  der  Bauchwunde 
selbst  derweise,  dass  zuerst  die  Schnittränder  des  Peritoneums  für  sich  mit 
fortlaufender  Naht,  darüber  jene  der  Musculatur  sammt  Fascien  in  Form  von 
Knopfnähten  mit  Catgut  und  endlich  jene  der  Haut  mit  Seide  abermals  in 
fortlaufender  Naht  vereinigt  werden.  Bestreuung  der  Wundrandlinie  mit  Jodo- 
formpulver, Belegung  derselben  mit  einer  Borsalbe  und  darüber  mehr- 
schichtigen Jodoform-  oder  Sublimatgaze,  dann  mehreren  Schichten  von  Bruns- 
watte,  die  vermittelst  Scultet-Flanellbinde  befestigt  werden,  bilden  den  Schluss- 
act  der  Operation,  auf  welchen  die  Lagerung  der  Kranken  in  das  vorher 
bereitete  Bett  erfolgt. 

Betrachten  wir  nun  die  Fälle  der  Complicationen,  welch'  letztere 
gleich  beim  Bauchschnitte  in  Erscheinung  treten  können.  Von  den  Unzu- 
kömmlichkeiten, die  sich  durch  stärkere  Blutungen  aus  durchtrennten  grösseren 
Gefässen  der  Bauchwand  —  hauptsächlich  Venen  —  ergeben  und  die  vermittelst 
Schieb erpincetten  bald  gestillt  sind,  abgesehen,  sind  es  die  Verwachsungen  der 
Cyste  mit  dem  parietalen  Peritoneum,  welche  Schwierigkeiten  bereiten,  w^enn 
dieselben,  wie  sehr  häufig,  gleich  vorne  im  Schnittgebiete  liegen.  Im  Glauben, 
die  Cyste  vor  sich  zu  haben,  löst  man  das  Peritoneum  selbst  ab.  Die  gleich- 
massig  lockere  parietale  Adhärenz,  sowohl  des  normalen,  als  eines  infolge 
entzündlicher  Processe  verdickten  Peritoneums  gegenüber  den  in  ihrer  Dicli- 
tigkeit  und  territorialen  Ausbreitung  ungleichmässig  entwickelten  Tumor- 
Adhärenzen  führt  uns  nur  bald  auf  die  rechte  Fährte.  Sistirung  der  w^eiteren 
Ablösung,  Fixirung  des  abgelösten  Peritoneums  an  seine  parietale  Unterlage 
mit  einer  Catgut -Matrazzennaht,  Verlängerung  des  Bauchschnittes  bis  zu  einer 
Stelle,  die  frei  von  Adhäsionen  ist,  ist  unsere  nächste  Aufgabe.  Vor  Kurzem 
kam  mir  ein  derartiger  Fall  vor,  in  welchem  ich  den  primitiv  bis  zum  Nabel 
angelegten  Schnitt  nach  und  nach  bis  zum  Proc.  xyph.  führen  musste,  um 
eine  freie  Partie  des  Tumorscheitels  zu  erreichen  und  um  sofort  Adhärenzen 
mit  Leber,  Magen,  Milz,  wie  nicht  minder  die  parietalen  Verwachsungen  von 
oben  nach  unten  lösen  zu  können.  Zuweilen  ist  man  genöthigt,  die  anfäng- 
liche Schnittlinie  zu  verlassen  und  die  Eröffnung  der  Bauchhöhle  an  eine 
andere  Stelle  zu  verlegen;  manche  Operateure  suchten  in  derart  verzweifelten 
Fällen  darin  einen  Behelf,  dass  sie  die  Cyste  eröffneten,  ihren  Inhalt  ent- 
leerten und  nun  mit  der  Hand  eingehend,  deren  innere  Wand  erfassten  und 
Adhäsionen  gleichsam  von  rückwiirts  nach  vorne  zu  lösend,  die  Cyste  heraus- 
zogen. Dass  man  bei  solcher  Manipulation  die  Adhäsionsblutungen  nicht  con- 
troliren  kann,  liegt  auf  der  Hand  und  ist  das  Verfahren  daher  auch  nicht 
anzurathen.  Nachdem  Bauch  und  Cystenwand  durchschnitten  sind,  wird  man 
sich  durch  genaue  anatomische  Zergliederung  der  einzelnen  Schichten  doch 
endlich  orientiren  und  nun  die  mögliche  Lösung  von  vorne  an  beginnen.  Dem 
Gesagten  zufolge  fehlt  uns  zuweilen  die  in  der  fetthaltigen  subserösen  Schichte 
gegebene  Directive  zur  Unterscheidung  des  Peritoneums  von  der  Cystenwand, 
andererseits  bietet,  aus  diesem  Gesichtspunkte  betrachtet,  wieder  ein  fettreiches 
und  dem  Netze  ähnlich  in  Läppchen  zusammengedrängtes  subseröses  Gewebe, 
oder  umgekehrt,  nachdem  das  Peritoneum  bereits  durchtrennt  ist,  das  vor  der 
Cystenwand  liegende  adhärente  Netz  Orientirungs-Schwierigkeiten,  Mächtigkeit 
und  der  Längsrichtung   des  Körpers   entsprechender  Verlauf  der  Gefässe   des 


OVARIOTOMIE  -  OVARIALTUMOREN.  •  589 

Netzes  unterscheiden  dasselbe  von  den  blutarmeren  Fettlüppclien  der  Lamina 
praeperitonealis,  deren  Gefässe  überdies  einer  transversalen  Kiclitung  folgen. 

Eine  Verwechslung  der  Cystenwand  mit  dem  Peritoneum  kann 
auch  geschehen,  wenn  letzteres  in  Folge  Ascitesflüssigkcit  cystenartig  in  die 
Bauchwunde  sich  drängt.  Dünnheit,  dunklere  Farbe  und  kegelförmige  Vorwölbung 
desselben,  die  bei  der  Cystenwand  mehr-weniger  fehlen,  schützen  vor  Irrthum. 
Momentane  Verlegenheit  bereitete  mir  ein  am  16.  Juli  1892  operirter  Fall, 
in  welchem  infolge  Dehiscenz  des  parietalen  Peritoneums  eine  extramurale 
Tochtercyste  in  präperitoneale  Lage  gelangt  war;  vorsichtige  Lösung  aus  ihrer 
Umgebung,  nebst  genauer  Beobachtung  der  anatomischen  Schichten  dieser  Um- 
gebung geleiteten  mich  aber  bald  auf  die  rechte  Spur. 

Viel  grössere  und  häufigere  Schwierigkeiten  als  jene,  die  in  der  Unter- 
scheidung des  Peritoneums  von  der  Cystenwand  gelegen  sind,  bieten  die  Ad- 
häsionen dar.  Der  Häufigkeit  nach  in  eine  Keihenfolge  gestellt,  sind  es  parie- 
tale, Netz-,  Darm-Adhäsionen,  Adhäsionen  mit  dem  kleinen  Beckenboden  oder 
Ligg.  latis,  Mesenterium,  Harnblase,  Uterus,  Proc.  vermif,,  Fossa  iliaca,  Leber, 
Magen,  Milz,  der  Form  nach  flächen-  oder  strangartige  und  ihrer  organisch 
physikalischen  Structur  nach  feste,  narbenähnliche  oder  lockere;  den  Ernährungs- 
verhältnissen gemäss  blutreiche  und  blutarme. 

Behufs  Entfernung  der  Cyste  nun  sind  diese  Adhäsionen  ohne  schädliche 
Folgen  seitens  einer  Blutung,  oder  Verletzung  des  adhärenten  Organs  zu 
trennen,  was  gewöhnlich  durch  stumpfe  Kraftwirkung  vermittelst  unserer  Hände 
und  Finger,  nothwendigerweise  mit  Messer  und  Scheere  am  zweckmässigsten 
folgendermaassen  geschieht :  Sind  die  Bauchschichten  bis  zur  Cystenwand 
durchtrennt,  so  dringt  man  zwischen  dieser  und  der  Bauchwand,  die  vola  gegen 
die  Geschwulst  gewendet,  mit  etwa  4  Fingern  ein  und  streichende  Bewegungen 
mit  deren  Spitzen  und  Ulnarrand  ausführend,  reisst  man  die  Adhäsionen  rings- 
herum durch.  Hierauf  punctirt  man  die  Cyste  und  während  der  durch  das 
Ausfliessen  ihres  Inhaltes  erfolgenden  Verkleinerung,  zieht  man  den  gelösten 
Theil  der  Wandung  aus  der  Bauchhöhle  heraus,  wodurch  die  weiteren  adhären- 
ten Partien  gleichsam  zu  Gesichte  gelangen  und  wie  vorhin  weiter  abgelöst 
werden  können.  Zeigt  sich  hiebei  am  Peritoneum  eine  geringe  capilläre  Blu- 
tung, so  wird  diese  am  besten  dadurch  gestillt,  dass  eine  sterilisirte  Gaze  auf 
die  blutende  Fläche  gelegt  und  dort  angedrückt  erhalten  wird;  blutende  ein- 
zelne Gefässe  aber  werden  sofort  mit  Catgut  unterbunden;  sehr  ungelegen  sind 
anhaltende  parenchymatöse  Adhäsions-Blutungen,  sie  werden  von_  vielen  Opera- 
teuren durch  Betupfen  mit  Eisenchlorid,  oder  mit  dem  Thermocauter  gestillt; 
was  ich  dagegen  zweckmässig  erachte  und  principiell  auch  befolge,  ist  eine 
Knopfnaht,  die  ich  nach  Einstülpung  der  blutenden  Fläche  an  die  Einstülpungs- 
ränder des  Peritoneums  anlege,  somit  die  blutende  Fläche  aus  der  Peritoneal- 
Höhle  ausschalte.  Das  Netz  ist  sehr  häufig  an  der  vorderen  und  den  Seiten- 
flächen der  Cyste  sträng-  oder  flächenartig  angewachsen  und  enthält  bei  Weitem 
die  stärksten  Gefässe,  hauptsächlich  Venen,  deren  Verletzung  auch  eine  ent- 
sprechende heftigere  Blutung  folgt  und  doch  ist  sowohl  dessen  Lösung  als 
Blutstillung  am  zugängigsten.  Nachdem  eine  freie,  oder  leichter  lösbare  cen- 
trale Partie  desselben  in  der  Entfernung  von  einigen  Centimetern,  gegebenen 
Falles  in  kleinfingerdicken  Portionen  zwischen  zwei  Pinces  haemostatiques 
gefasst  wurden,  wird  zwischen  diesen  mit  Messer,  Scheere,  oder  noch  zweck- 
mässiger mit  dem  Thermocauter  durchtrennt  und  hinter  der  centralen  Pince 
eine  Ligatur  —  sogleich,  oder  am  Schlüsse  der  Operation  —  angelegt,  während 
am  peripheren,  der  Cyste  adhärirenden  Netztheile  die  Pince  liegen  bleibt  und 
schliesslich  sammt  der  gelösten  Cyste  entfernt  wird.  Hiedui'ch  ist  einer  Blu- 
tung sowohl  aus  dem  centralen,  als  peripheren  Netztheile  vorgeschützt.  Einige 
Schwierigkeiten  ergeben  sich  dann,  wenn  das  Netz  in  seiner  ganzen  Breite  die 


590  OVARIOTOMIE  -  OVARIALTUMOREN. 

vordere  und  theihveise  auch  die  seitlichen  Flächen  des  Tumors  bis  tief  hin- 
unter in  den  Beckenraum  deckt,  ja  sogar  an  dessen  Wand,  an  der  Blase,  u.  a. 
Organtheilen  angewachsen  ist;  da  strebe  man  von  den  Seiten  her,  oder  in  der 
Mitte  nach  stumpfer  Durchtrennung  unter  dasselbe  an  den  Tumor  zu  gelangen 
und  so  die  weiteren  Lösungen  zu  vollführen. 

Als  höchst  unangenehme,  meistentheils  rückwärts  und  an  den  Seiten  des 
Tumors  vorkommende,  zum  Glücke  seltenere  Complicationen,  erscheinen  die 
mesenterialen  und  Bann- Adhäsionen,  da  bei  deren  Lösung  sehr  leicht  Ver- 
letzungen des  Darmes  sich  ergeben  können.  Solcher  Eventualität  auszu- 
weichen, trenne  man  sträng-  und  membranartige  Adhäsionen  immer  erst 
nach  vorläufiger  doppelter  Unterbindung  derselben  zwischen  den  beiden 
Ligaturen,  bei  Üächenartigen  und  straffen  aber  geschehe  die  Lösung  ver- 
mittelst Messers  derart,  dass  man  den  am  Darme  adhärenten  Theil  der 
Cystenwand  in  einzelnen,  oder  all'  ihren  Schichten  abtrennt.  Im  letzteren  Falle 
ist  der  epitheliale  Ueberzug  dieser  Partie  abzulösen,  eventuell  vermittelst  Schab- 
löffels und  überdies  deren  Wundfläche  durch  Vernähung  der  Ränder  zu  decken. 
Wird  bei  aller  Vorsicht  der  Darm  verletzt  in  erster  Eeihe  etwa  nur  dessen 
peritonealer  Ueberzug,  so  vernähe  man  seine  Ränder  mit  Catgut;  im  Falle  einer 
penetrirenden  Verletzung  aber,  lege  man  eine  regelrechte  Darmnaht  an.  Aus- 
gebreitetere  feste  Adhäsionen,  die  zu  ihrer  Lösung  eine  Darmresection  erheischen, 
und  welche  nöthigenfalls  auch  gemacht  werden  muss,  gehören  zu  den  Aus- 
nahmsfällen. Dass  bei  diesen  Darmresectionen  die  Besudelung  des  Peritoneums 
mit  Darmkoth  auf  das  strengste  vermieden  werden  muss,  versteht  sich  von  selbst. 

Adhärenzen  mit  dem  Mesenterium  unterliegen  im  Allgemeinen  derselben 
Behandlungsart,  wie  jene  des  Darmes.  In  nähere  Beziehung  zu  demselben 
tritt  ein  Ovarialtumor  gewöhnlich  bei  seiner  subserösen  Entwicklung,  wovon 
später. 

Die  Lösung  der  Adhäsionen  an  Leher  und  Milz  verdient  eine  besondere 
Aufmerksamkeit,  da  Anreissung  des  Parenchyms  von  erheblicher  Blutung  gefolgt 
sein  kann.  Trennung  der  Adhäsionen,  wenn  mit  dem  Finger  nicht  leicht 
möglich,  so  mit  dem  Messer  im  Tumor  selbst,  ist  hier  besonders  geboten. 
Stillung  der  Blutung  an  diesen  Organen  übrigens  kann  auch  mit  Eisenchlorid 
oder  Thermocauter  bewerkstelligt  werden. 

Adhäsionen  am  Uterus,  hauptsächlich  dessen  hinterer  Fläche,  sind  ge- 
wöhnlich breit  und  straff  und  deren  Lösung  und  Blutstillung  schwierig.  Letz- 
teres, weil  isolirte  Ligatur  auf  fester  Unterlage  schwer  anwendbar  ist.  In 
vielen  Fällen  hielt  ich  es  für  gerathener  den  Uterus  mitzuentfernen,  als  dessen 
schwierige  Loslösung  zu  vollführen.  Die  Blutstillung  übrigens  gelingt  in  den 
meisten  Fällen  ganz  prompt  mit  der  Glühhitze. 

Am  gefährlichsten  sind  die  Verwachsungen  mit  der  Harnblase,  weil  diese 
sehr  häufig  nicht  erkannt  und  dann  eröffnet  wird  und  weil  nach  angelegter 
Naht  eine  „Prima "-Heilung  so  schwer  erfolgt;  dann  sind  Urämie,  im  günstigen 
Falle  eine  Bauchwand-Urin-Fistel  häufige  Folge-Erscheinungen.  Der  Rath,  die 
Harnblase  vor  der  Operation  nur  halb  zu  entleeren,  um  während  derselben  sie 
rechtzeitig  zu  erkennen,  hat  eine  rationelle  Begründung.  Die  grössten  Schwie- 
rigkeiten bereiten  uns  die  häufig  breiten  und  festen  Adhäsionen  am  kleinen 
Beckenboden  in  Bezug  auf  deren  Lösung,  Blutstillung  und  Verhinderung  einer 
Verletzung  der  grossen  Beckengefässe  und  der  Ureteren.  Demzufolge  sind  wir 
oft  genöthigt,  den  adhärenten  Theil  der  Cystenwand  unter  später  zu  erwäh- 
nenden Behandlungs-Cautelen  zurückzulassen,  oder  aber  das  Diaphragma  pelvis 
zu  zerstören,  worauf  dessen  Completirung  durch  Herbeiziehen  des  Peritoneums 
zu  geschehen  hat.  Ureter- Verletzung  hatte  in  vielen  Fällen  einen  günstigen 
Ausgang  in  der  Fistelbildung,  die  ihrerseits  wieder  durch  die  Nierenexstirpation 
geheilt  wurde.  Anreissung  grösserer  Beckengefässe  dürfte  höchst  VN^ahrscheinlich 
eine  rasch  tödtende  Blutung  zur  Folge  haben;  indessen  wird   der  gewandte 


OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN.  591 

Chirurg  durcli  rasche  Unterbindung  einer  Arterie,  Tamponirung  einer  Vene 
bei  gleichzeitiger  Anwendung  einer  regelrechten  Operation.s-Technik  auch  hierin 
das  Ptichtige  treffen.  Absolute  Unlösbarkeit  parietaler  Adhäsionen  ist  eine 
Seltenheit.  Ein  einzigesmal  begegnete  ich  dieser  Unzukömmlichkeit,  derent- 
halber  die  Operation  unvollendet  blieb.  Bei  der  am  7.  Tage  nach  der  Ope- 
ration erfolgten  Section  hatte  der  pathol.  Anatom  mit  derselben  Schwierigkeit 
zu  kämpfen,  da  Parietal-  und  Cysten-Wand  durcli  straffes,  narbenähnliches 
Bindegewebe  derart  miteinander  verwachsen  waren,  dass  eine  Trennung  beider 
auch  auf  dem  Seziertische  zur  Unmöglichkeit  Avurde. 

Gleichzeitig  mit  der  Behandlung  der  Adhäsionen  nimmt  unsere  Aufmerk- 
samkeit der  aus  der  Bauchhöhle  herauszubefördernde  Tumor  in  An- 
spruch. Da  sein  Umfang  meistentheils  grösser,  als  der  Ausgang  ist,  so  muss 
er  verkleinert  werden.  Besteht  derselbe  aus  einer  Cyste,  so  wird  die  Ver- 
kleinerung durch  Entleerung  ihres  Inhaltes  bewerkstelligt,  u.  z.  je  nach  der 
Dichtigkeit  der  Flüssigkeit  vermittelst  Troicarts  oder  Bistouris.  Dieser 
Inhalt  darf  besonders,  wenn  er  Eiter  oder  Jauche  enthält,  nicht  in  die  Bauch- 
höhle gelangen,  was  des  Oefteren  erreicht  wird,  wenn  die  Schnittränder  der 
Bauchwand  während  der  Function  mit  dicken  Jodoformgaze-Bauschen  be- 
deckt, vom  Assistenten  gleicherzeit  fest  an  den  Tumor  angedrückt  werden. 
Sobald  die  Cyste  nach  dem  Ausflusse  eines  Theiles  ihres  Inhaltes  soweit  col- 
labirt  ist,  dass  ihre  Wand  gefaltet  werden  kann,  so  wird  eine  solche  Falte  mit 
der  Zange  nach  Nelaton  oder  Nykop  gefasst  und  während  der  Assistent  damit 
den  nothwendigen  Zug  nach  aussen  besorgt,  schreitet  der  Operateur  in  der 
Lösung  der  Adhäsionen  weiter.  Ist  die  Cystenwand  dick  und  fest,  so  kann 
dieser  in  Hinsicht  Entleerung,  Lösung  und  Extraction  der  Cyste  so  bedeutungs- 
volle Operationsact  ganz  glatt  ablaufen;  ist  sie  aber  dünn  und  zerreisslich,  so 
haben  wir  in  all'  diesen  Richtungen  mit  den  grössten  Schwierigkeiten  zu 
kämpfen.  Die  Zerreisslichkeit  der  Cyste  wird  gleich  anfänglich  bei  der  Func- 
tion erkannt,  da  die  Stichwunde  von  selbst  sich  erweitert  und  der  Cysteninhalt 
neben  dem  Troicart  herausfliesst.  Sind  keine,  oder  nur  lockere  Adhäsionen 
vorhanden,  so  ist  die  Herausbeförderung  der  Cyste  noch  immer  leicht  möglich, 
wenn  man  mit  der  Hand  in  ihren  Innenraum  eingeht  und  die  Extraction  an 
einer  resistenteren  Partie  vollführt.  Zuweilen  aber  ist  die  Cystenw^and  überall 
so  dünn,  dass,  ob  von  innen,  oder  aussen  gefasst,  dieselbe  überall  in  Fetzen 
auseinanderreisst,  wobei  ihr  Inhalt  die  Peritonealhöhle  tiberflutet;  sind  gleicher- 
zeit festere  Adhäsionen  vorhanden  und,  w^as  dem  Schlimmen  die  Krone  aufsetzt, 
die  Lösung  und  das  Einreissen  der  Cystenwand  von  heftigen  Blutungen 
begleitet,  so  werden  Geduld  und  Geistesgegenwart  des  Operateurs  auf  eine 
wahre  Probe  gestellt.  Rasches  Vordringen  auf  einer  freien,  oder  leicht  frei 
zu  machenden  Bahn  zum  Stiele,  Compression  desselben  mit  der  einen  Hand, 
während  die  andere  Cystenwandfetzen  und  Cysteninhalt  aus  der  Bauchhöhle 
räumt,  sind  zur  möglichen  Bewältigung  dieser  Schwierigkeiten  die  einzigen 
rationellen  Handlungen.  Die  Verkleinerung  solider  Tumoren  geschieht  in  der 
Weise,  dass  einzelne  Partien  desselben  vorerst  mit  Gummischnüreu  umfasst 
und  diese  dann  abgetragen  werden,  oder  wenn  das  der  Form  des  Tumors  halber 
nicht  möglich  ist,  durch  Pean's  Verfahren  vermittelst  Drahtschnürung.  Zweck- 
mässiger ist  es  aber,  den  Bauchdecken-Schnitt  zu  vergrössern. 

Ein  wichtiger  und  oft  schwieriger  Moment  liegt  in  der  Behaudlimg  des 
Stieles,  welche  in  eine  intra-  und  extraperitoneale  zerfällt;  bei  ersterer  wird 
der  Stielstumpf  in  die  Bauchhöhle  versenkt,  bei  letzterer  in  der  Bauchwunde 
vermittelst  Klammer,  durchgeführter  Nadeln  oder  Einnähen  fixirt. 

Das  zweckmässigste,  weil  zur  raschesten  Heilung  führende  Verfahren  ist 
die  Versenkung,  zu  deren  Ausführung  als  erste  Vorbedingung  die  sichere 
Blutstillung  gilt;  diese  aber  wird  erzielt  durch  isolirte  Unterbindung  der  Ge- 
fässe,    durch    Massenligatur  und  durch  Abbrennen   des  Stieles,   am  allerver- 


592  OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN. 

lässlichsten  durch  die  Combination  aller  drei  Verfahren.  N'achdem  nämlich  die 
sichtbaren  Arterien  des  Stielstumpfes  isolirt  unterbunden  sind,  wird  um  denselben 
ein  starker  Seidenfaden  geführt,  dieser  fest  zugeschnürt  und  geknüpft,  die 
Wundfläche,  ohne  die  Ligaturfäden  zu  zerstören,  oberflächlich  mit  Thermo- 
cauter  verschorft  und  nun  versenkt.  Was  ich,  womöglich  am  liebsten  übe,  ist 
die  isolirte  und  ;,en  masse"  Ligatur  und  die  Deckung  der  Stielwundfläche  mit 
Stielperitoneum  durch  Vernähuug  dessen  Ränder.  Ist  der  Stiel  dünn,  so  ge- 
nügt eine  Ligatur;  ist  er  dick  und  breit,  so  wird  er  in  mehreren  Partien  mit 
Hilfe  der  DECHAMP'schen  Nadel  unterbunden.  Das  unterbundene  Stück  stirbt 
nicht  ab;  der  Unterbindungsfaden,  wenn  in  aseptischem  Zustande  angewendet, 
ebenso  der  Brandschorf  reizen  nicht  zur  Entzündung. 

Bei  der  extraperitonealen  Behandlung  wird  der  Stiel  gewöhnlich 
mit  der  Klammer  im  unteren  Wundwinkel  fixirt.  Da  dieselbe  häufig  1 — 2  Wochen 
auf  der  Bauchwand  liegend,  den  Kranken  durch  Druck  und  Schwere  unbequem 
wird,  verwende  ich  zur  Zuschnürung  des  Stieles  ausnahmslos  ein  elastisches 
Drainrohr  und  zur  Fixirung  an  den  BaucliAvundrändern  einige  Knopfnähte.  Die 
Nachtheile  der  extraperitoneellen  Stielbehandlung  liegen  in  der  längeren  Hei- 
lungsdauer (4 — 6  Wochen),  möglichen  Verschlingung  von  Därmen  und  even- 
tueller Wundinfection  (Eitersenkung),  der  Vortheil  aber,  bei  längerer  Ope- 
rationsdauer, in  rascherer  Vollendung  der  Operation. 

Ist  der  Stiel  sehr  kurz,  so  wird  ein  Theil  der  Cystenwand  dazu  ver- 
wendet, w^obei  aber  ihre  innere  Schichte  (Epithel-Ueberzug)  vorerst  abgelöst 
werden  muss;  oder  aber  es  wird  nach  Olshausen's  Rath  ein  Stiel  (haupt- 
sächlich bei  einer  zweiten,  im  anderen  Ovarium  liegenden  Cyste,  auf  deren 
etwaiges  Vorhandensein  bei  jeder  Operation  untersucht  werden  muss)  dadurch 
gemacht,  dass  das  Lig.  lat.  von  seinem  Rande  her  zwischen  Fimbrienenden 
und  Ovarium  bei  möglicher  Vermeidung  von  Gefässverletzungen  2 — 3  cm 
weit  mit  der  Scheere  eingeschnitten  und  nun  zwischen  Ovarium  und  Uterus 
unterbunden  wird.  Sind  zwei  Stiele  vorhanden,  so  unterliegen  beide  dem 
gleichen  Verfahren.  Was  ist  aber  zu  thun,  wenn  derselbe  überhaupt  fehlt? 
Nun,  wenn  er  in  Folge  von  Torsion  fehlt  und  die  Ernährung  auf  dem  Wege 
gefässreicher  xidhäsionen  geschieht,  wird  bei  Lösung  dieser  die  Blutstillung 
besorgt;  fehlt  er  wegen  subserösen  (interligamentären)  Standes,  wie  es  so  häufig 
bei  den  Parovarial-Cysten  der  Fall  ist  (siehe  oben),  so  spalte  man  nach  dem 
von  Miner  (Buöalo)  bereits  1869  empfohlenen  Verfahren  den  peritonealen 
Ueberzug  der  Cyste  an  ihrem  prominentesten  Theile  und  löse  sie  stumpf  aus 
diesem  Ueberzuge  heraus,  was  wegen  häufig  lockerer  und  gefässarmer  Ver- 
bindung derselben,  ohne  Schwierigkeit  gelingt.  Bei  heftiger  Blutung,  wird 
solche  am  zweckmässigsten  dadurch  gestillt,  dass  die  Spermatical-Gefässe  am 
etwa  erkennbaren  Lig.  infundibulo-pelvicum  durch  Umstechung  unterbunden 
werden. 

Der  zurückbleibende  Peritoneaisack  wurde  früherer  Zeit  bald  nach  der 
Bauchwand,  bald  nach  der  Vagina  zu  drainirt,  was  gemäss  unserer  heutigen 
Erfahrungen  weder  nothwendig,  noch  zweckmässig  ist.  Verkleinerung  des 
Sackes  durch  Ausschneiden  einiger  Theile,  Auswaschen  seiner  Innenfläche  mit 
Carbollösung,  überdies  noch  etwaige  Vereinigung  der  Schnittränder  schützen 
für  gewöhnlich  vor  nachheriger  entzündlicher  Reaction,  während  die  Drainage 
einer  späteren  Infection  Thür  und  Thor  öffnet.  Ist  die  Auslösung  (Enucleation) 
wegen  strafferer  Adhäsions-Verhältnisse  nicht  möglich,  dann  bleibt  die  Operation 
unvollendet,  was  aber  mit  einem  nothwendig  ungünstigen  Ausgange  nicht 
gleichbedeutend  ist.  In  diesem  Falle  wurden  nämlich  nicht  nur  bei  paro- 
varialen,  sondern  bei  einkämmerigen  (Dermoid-)  Cysten  überhaupt,  nach  Ent- 
fernung des  Inhaltes  und  Auswaschen  mit  einer  Carbollösung,  die  Schnittränder 
der  Cyste  mit  jenen  der  Bauchwunde  vernäht,  die  Höhle  drainirt  und  in  Folge 
davon    auf   dem    Wege    der    Eiterung,'   wenn   auch    erst   nach   langer   Zeit 


OVABJOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN.  593 

(ein  Jahr)  Heilungen  erzielt.  Seit  vielen  Jahren  übe  ich  znr  radicalen  Heilung 
der  Hydrokelen  ein  Verfahren,  wobei  ich  den  llydrokelensack  seiner  ganzen 
Länge  nach  spalte,  nachher  dessen  innere  (epitheliale)  Wand  vorerst  mit  einer 
in  gesättigte  (ö^o),  wässerige  Carbollösung  getauchten,  hydrophilen  und  dann 
mit  trockener  Jodoform-Gaze  fest  abreibe  (hei  Gewebswucherungen  vermittelst 
Schablöffels)  und  nun  von  der  Tiefe  an  nach  aussen  zu,  in  Etagen,  mit 
Catgutknopfnähten  die  gegenständigen  Wandpartien,  zuletzt  deren  Schiiittränder 
und  darüber  die  Schuittränder  der  Hodensackschichten  vernähe.  Da  ich  mit 
diesem  Verfahren  in  allen  Fällen  eine  primäre  Heilung  (ohne  Eiterung)  erzielte, 
so  kann  ich  dasselbe  auch  für  unexstirpirbare  einkämmerige  Ovarialcysten  nur 
'warm  empfehlen. 

Grosse  technische  Schwierigkeiten  in  der  operativen  Entwicklung  (Aus- 
lösung) bieten  jene  Tumoren,  welche  zum  Theile  intraperitoneal,  zum  Theile 
subserös,  unter  dem  Peritoneum  des  Beckenbodens  im  Retroperitoneal-Raume 
oft  bis  in  das  Mesenterium  coli  aufsteigend,  gelegen  sind.  Die  Operation 
blieb  in  diesen  Fällen  früher  gewöhnlich  unvollendet;  heutzutage  werden  wir 
nach  der  Entwicklung  des  intraperitonealen  Theiles  sofort  zur  Auslösung  des 
subserösen  übergehen,  indem  wir  vorerst  das  Peritoneum  an  der  Tumorbasis 
umschneiden  und  nun  die  Herausschälung  des  Tumors  vollführen  nebst  auf- 
merksamer Vorsicht  gegen  Verletzung    der  Beckengefässe   und   der  Ureteren. 

Einer  der  Fälle  dieser  Art  war  jener,  dessen  Status  ich  oben  beschrieben  habe 
und  den  ich  nun  als  Typus  für  die  möglichen  Schwierigkeiten  in  Folgendem  er- 
gänze. Die  Operation  der  60  Jahre  alten  Marie  Kupsa  wird  am  8.  November  1894 
im  Hörsaale  vor  dem  Auditorium  nach  tiefer  Narcose  mit  einem  Bauchschnitte 
begonnen,  welcher  in  der  weissen  Linie  1  cm  oberhalb  der  Symphyse  beginnt  und 
links  neben  Nabel  bis  4  cm  oberhalb  desselben  reicht.  Bauchmusculatur  wird  durch 
denselben  auch  getroffen  und  einige  Venen,  die  in  Schieberpincetten  gefasst  werden. 
Die  Fascia  subserosa  kaum  zu  erkennen,  wohl  aber  das  Peritoneum,  welches  ange- 
schnitten, auf  der  Hohlsonde  weiter  gespalten  wird.  Schon  mit  der  Hohlsonde  sind  Ad- 
häsionen zu  entdecken,  die  durch  die  Finger  im  Schnittbereiche  gelöst  werden.  Nach  auf- 
wärts zu  sind  dieselben  fester  und  ausgebreiteter,  weshalb  der  Bauchdeckenschnitt  bis  auf 
4  cm  unterhalb  des  aufgebogenen  Proc.  syph.  geführt  wird.  Am  rechten  oberen  Wund- 
rande anhaltende  Blutung,  die  durch  eine  durch  den  Rand  des  Peritoneums  und  der  Haut 
geführte  Fadenschlinge  bald  gestillt  ist.  Im  oberen  „Bauchschnitt-Rayon"  an  Cyste  und 
Bauchwand  adhärirendes  Netz.  Function  der  Cyste  und  Entleerung  einer  dünnflüssigen,  licht- 
braunen Flüssigkeit,  die  zur  raschen  Collabirang  des  grossen  Bauches  führt ;  Fixirung  und 
Vorziehen  der  gelösten  Cystenwand  mit  PEAN'scher  Zange  erleichtert  die  weitere  stumpfe 
Lösung  der  Adhäsionen,  die  vorerst  am  Netz  —  welches  in  5  Partien  mit  Catgut  doppelt 
unterbunden  und  dazwischen  durchtrennt  wird  —  und  dann  am  Scheitel  und  den  seit- 
lichen Flächen  der  Cyste  mit  harter  Mühe  nur  vollführt  werden  kann,  unter  ziemUcher 
Flächenblutung,  welche  theils  durch  Einstülpung  vermittelst  Naht  und  durch  Jodoformgaze- 
Compressen  gestillt  wird.  Herausstülpung  der  Cyste  vom  Scheitel  aus  und  weitere  Lösung 
der  seitlichen  Parietal-Adhäsionen  nach  abwärts  (viscerale  Adhäsionen  fehlen,  die  hintere, 
die  Gedärme  deckende  Cystenwandpartie  erscheint  in  zwei  Handtellerbreite  ganz  glatt), 
lassen  bald  erkennen,  dass  am  Eingange  der  grossen  Beckenapertur  die  Tumorbasis  ringsum 
vom  Peritoneum  parietale  bedeckt,  ihr  unterer  im  Becken  liegender  Theil  mithin  subperi- 
toneal gelegen  ist.  An  der  linken  seitlichen  Partie  des  Tumors,  ebenfalls  vom  Peritoneum 
bedeckt,  eine  derbfeste,  dicke,  länglichrunde  Masse,  die  im  ersten  Moment  als  Niere  impo- 
nirt,  nach  genauerer  Untersuchung  aber  als  ausgedehnter,  mit  der  Cystenwand  fest  ver- 
wachsener, einige  haselnussgrosse,  intramurale  und  subseröse  Myofibrome  enthaltender 
Uterus  sich  darstellt.  Circumcision  des  peritonealen  üeberzuges  und  stumpfe  Loslösung 
des  Tumors  aus  der  Beckenhöhle  geht  mühsam  vor  sich,  da  rechterseits  vom  Peritoneum 
bedeckt  ein  kleinfingerbreiter  fester  Strang  im  Wege  steht,  welcher  als  ureterverdächtig 
geschont  wird,  unter  weiterer  Lösung  des  Tumors  aber  doch  durchreisst.  Das  Rissende 
zeigt  eine  Lichtung,  die  einem  starken  Gefässe,  aber  auch  dem  Ureter  entsprechend  aus- 
sieht; vorläufig  in  eine  Pince  gefasst,  leite  ich  denselben  im  späteren  Operationsacte  sub- 
peritoneal knapp  über  dem  rechten  Darmbeinkamm  durch  die  Bauchwand  durch  und  fisire 
ihn  an  dieser  mit  Nähten  zum  Zwecke  einer  eventuellen  Fistelbildung.  Nunmehr  umschnüre 
ich  den  aus  seiner  peritonealen  Hülle  gelösten  Tumor  tief  unten  mit  einem  starken  ela- 
stischen Drainrohr  und  unterbinde  ihn  überdies  knapp  unterhalb  des  Drains  in  zwei  Par- 
tien mit  starkem  Seidenfaden,  und  trenne  nun  die  Cyste  sammt  Uterus  ab.  Während  der 
Stumpf  im  Weiteren  an  den  Enden  des  Drainrohrs  und  der  Unterbindungsfäden  nach  Mög 
lichkeit  aus  der  Beckenhöhle  nach  aussen  gestülpt  wird,  lässt  sich  diese  genau  überbHcken 
und  erkennen,  dass,  nachdem  der  DouGLAs'sche  Boden  und  beiderseits  das  Lig.  infundibulo- 

Bibl.  med.  Wissenschaften    I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  «j8 


594  OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUiMOREN. 

pelvicum,  welche  durch  die  Geschwulst  kuppelartig  emporgehoben  waren,  in  Folge  Ampu- 
tation dieser  Kuppel  nun  fehlen,  die  kleine  Beckenhöhle  nach  rückwärts  und  den  beiden 
Seiten  vom  Peritoneum  entblösst  und  dadurch  das  Rectum  und  der  freie  Rand  der  medialen 
Lamelle  des  Mesocolons  (Flexura  sig.)  frei  zu  sehen  ist.  Nun  werden  die  freien,  ziemlich 
zerfetzten  Ränder  des  Beckenperitoneums  unterhalb  der  Drainrohr-Seiden-Ligatur  an  die 
Basis  des  Stielstumpfes  ringsherum  angenäht.  Hiedurch  war  der  Beckenboden  neugebildet 
und  der  nach  aussen  verlegte  Stielstumpf  in  extraperitoneale  Lage  gebracht,  worauf  der 
Schluss  der  Bauchhöhle  erfolgte.  Die  mehrkämmerige  Cyste  sammt  ihrem  Inhalte  wog 
26  Kilo  und  die  nach  ihrer  Untersuchung  im  pathologischen  Institute  von  Professor  Dr.  Anton 
V.  Genersich  gestellte  Diagnose  lautet:  „Kystoma  ovarii  glanduläre  peritoneo  adcretum  et 
resectio  partialis  uteri  deformati  elevati."  Der  gleich  nach  vollendeter  Operation  mikro- 
skopisch untersuchte  Hohlstrang  stellte  sich  als  ein  Blutgefäss  dar. 

Es  würde  zu  weit  führen  und  auch  zwecklos  sein,  wollte  ich  den  detaillirten  Verlauf 
dieses  schwierigen  Falles  von  vollführter  Operation  an  bis  zur  Genesung  darstellen.  Es  sei 
in  den  Hauptzügen  nur  soviel  erwähnt,  dass  weder  im  Anfang,  noch  später  eine  Tempera- 
turerhöhung, überhaupt  welche  besondere  allgemeine  und  örtliche  Anomalie  sich"  zeigte ; 
dass  die  Kranke  48  Stunden  nach  der  Operation  während  Einschlafens  der  neben  ihrem 
Bette  sitzenden  Wärterin  —  ohne  Schaden  —  aufgestanden  und  im  Zimmer  herumgegangen 
war,  um  das  Wasser  der  anderen  Kranken  auszutrinken,  dass  der  Bauch  bei  dem  am 
14.  November  —  also  5  Tage  nach  der  Operation  —  nur  in  Folge  der  Verrutschung  des 
ersten  Verbandes  nothwendig  gewordenen  Verbandwechsel  dieselbe  Einsenkungsform  wie 
gleich  nach  der  Operation  besass  und  die  Bauchwunde  vollkommen  „per  primam"  geheilt 
war;  dass  der  extraperitoneale  Stielstumpf  —  auch  jener  des  vermeintlichen  Ureters  — 
unter  zeitweilig  gewechseltem  Jodoformgaze- Verbände  langsam  und  ohne  jede  störende 
Local-Reaction  nekrotisirte  und  endlich  sammt  elastischen  Drainrohr  und  Fadenligatur  am 
13.  December  sich  loslöste,  worauf  die  granulirende  Bauchwandwunde  rasch  heilte  und  die 
Patientin  vollkommen  gesund  und  in  wohlgenährtem  Zustande  am  30.  December  die 
Klinik  verliess. 

Ein  unangenehmes  Vorkommnis  während  der  Operation  ist  der  Vorfall 
des  Darmes,  befördert  besonders  durch  Erbrechen  der  Kranken.  Inder  Ab- 
kühlung, traumatischen  Belästigung  und  Besudelung  mit  unreiner  Cystenflüssig- 
keit  und  Blut  liegen  die  Nachtheile.  Für  gewöhnlich  kann  dieser  Vorfall 
durch  oben  erwähnte  geschickte  Assistenz  verhindert  werden.  Ist  das  aber 
nicht  möglich,  so  bedecke  man  die  vorgefallenen  Därme  beständig  mit  steri- 
lisirten  und  in  Borsäurelösung  getauchten  warmen  Compressen. 

Die  Toilette  war  vor  den  durch  Wegner  über  die  Kesorptionsfähigkeit 
des  Peritoneums  gemachten,  interessanten  Studien,  eine  der  wichtigsten  Ope- 
rations-Aufgaben. Minutiöseste  Entfernung  von  Ascites-,  Cysten-  und  Blut- 
flüssigkeit wurde  bald  durch  Lagerung  der  Kranken  auf  die  Seite,  oder  auf 
den  Bauch  (Mc.  Dowell,  Nussbaum),  bald  durch  Schwämme  bewerkstelligt.  Da 
nach  Wegners  Versuchen  das  Peritoneum  in  einer  Stunde  2  —  6  Liter  Flüssig- 
keit zu  resorbiren  vermag,  so  ist  die  genaue  Entfernung  einer  aseptischen 
Flüssigkeit,  als  welche  unzersetztes  Blut,  Ascites-  und  Cysteninhalt  gelten 
können,  ganz  überflüssig,  ja  infolge  der  durch  diese  Manipulation  verlängerte 
Operationsdauer  und  durch  die  mechanische  Beleidigung  der  Bauchhöhlen- 
Oberflächen  möglicherweise  nachtheilig.  Wir  beschränken  uns  daher  in  der 
Toilette  der  Bauchhöhle  bei  der  heutigen  aseptischen  Operations-Methode,  bei 
welcher  schon  im  Voraus  der  von  Aussen  her  mögliche  Zutritt  septischer 
Erreger  verhindert  wird,  blos  auf  die  Entfernung  stark  gequetschter  Gewebs- 
(Adhäsions-)  Theile,  Blut-Coagula,  Dermoidcysten-Inhalt,  Eiter  und  Jauche  als 
möglicherweise  veränderter  Inhalt  anderer  Cysten.  Aseptische  Schwämme,  oder 
wie  ich  es  übe,  Tampons  aus  hydrophiler  Gaze  bereitet  und  in  lange  Tupfer- 
hälter  oder  Zangen  gefasst,  sind  zur  raschen  Beseitigung  eines  flüssigen  Inhaltes 
dar  Bauchhöhle  sehr  geeignet  und  wenn  die  Einführung  derselben  für  Darm 
uid  die  anderen  Organe  in  schonender  Weise  geschieht,  auch  ohne  nachtheilige 
Folgen.  Gequetschte  Gewebspartikelchen  werden  am  besten  mit  der  Scheere, 
Blutcoagula  mit  Fingern  und  Pincetten  entfernt. 

Vor  einigen  Jahren  begegnete  mir  ein  eigenthümlicher,  ein  zweitesmal  nicht  mehr 
vorgekommener  Fall,  in  welchem  ich  nach  leichter  Lösung  einer  allseitig  adhärenten  Cyste 
am  parietalen  und  visceralen,  auffällig  verdickten  Peritoneum,  zwischen  den  einzelnen 
Darmschlingen  und  auf  den  Mesenterialflächen  eine    5-6»???^   dicke,    flächenartig    ausge- 


OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN.  595 

breitete  fibrinöse  Laraelle  antraf  (wahrsclieinlich  als  eine  Folge  einer  plastischen  Peritonitis). 
Die  Lamelle  war  von  ihrer  Unterlage  sehr  leicht  a})zulösen  und  so  befVirderte  icli  mit  den 
Fingern  eine  fibrinöse  Masse  im  Gewichte  von  wenigstens  1  hj  aus  der  IJauchhöhle  heraus, 
ohne  Alles  zu  entfernen  und  trotz  dessen  erzielte  ich  in  diesem  Falle  eines  der  schönsten 
Heilresultate.  Ein  eclatanter  Beweis  dafür,  dass  ein  entzündlich  verdicktes  Peritoneum 
gegen  septische  Infection  viel  weniger  empfänglich  ist  als  ein  normales. 

In  inniger  Beziehung  zur  Toilette  steht  die  Drainage  der  Bauch- 
höhle. Ihr  Zweck  ist  die  Entfernung  jener  Flüssigkeit,  welche  während, 
oder  nach  der  Operation  in  der  Bauchhöhle  sich  ansammelt,  ihre  Anwendung 
eine  primäre  oder  secundäre  und  die  Richtung,  nach  welcher  sie  geschieht, 
die  Bauchwunde  oder  die  Vagina.  Die  Drainage  hat  im  Laufe  der  Zeit  ver- 
schiedene Phasen  durchgemacht.  Während  dieselbe  im  Anfange  der  Ovarioto- 
mien  keine  Anwendung  fand,  waren  es  später  die  gediegensten  Ovariotomisten, 
wie  Peaslee  (1855),  Spencer  Wells,  Koeberle,  Marion  Sims,  die  sich  ihrer 
bemächtigten  und  derselben  eine  mehr-weniger  allgemeine  Geltung  ver- 
schafften, was  in  einer  Zeit,  in  welcher  die  Technik  der  Antiseptik  noch  un- 
entwickelt war,  seine  Berechtigung  hatte.  Anfänglich  war  es  die  Bauchwunde, 
durch  welche  der  Drain  (Kautschuk,  Silber,  Glas)  herausgeleitet  wurde,  da 
aber  hiebei  die  abzuleitende  Flüssigkeit,  welche  sich  naturgemäss  immer  an 
dem  abhängigsten  Theile,  also  am  Beckenboden  ansammeln  musste,  einen  weiten 
Weg  nach  aussen  hatte,  schlug  Marion  Sims  (1872)  die  Vaginal-Drainage  vor 
und  befürwortete  deren,  sogleich  bei  der  Operation  zu  vollführende  Anwen- 
dung mit  der  Begründung,  dass  die  meisten  Kranken  nicht  an  diffuser  Perito- 
nitis, sondern  in  Folge  Resorption  jener  putriden  Flüssigkeit  sterben,  welche 
schon  während  der  Operation  als  Blut  und  Cysteninhalt  in  die  Bauchhöhle  ge- 
langt, nachher  als  entzündungsloses  Exsudat  aus  den  Adhäsionswundflächen 
und  dem  Peritoneum  selbst  darin  sich  ansammelt  und  eine  Zersetzung  er- 
leidet. Die  Technik  dieser  Vaginal-Drainage  ist  die,  wonach  mit  einem 
leichtgebogenen  Troicart  (25  cm  Länge,  1  cm  Lumen)  nach  gehöriger  Desinfi- 
cirung  der  Vagina  entweder  von  dieser  aus  in  der  Richtung  nach  der  Becken- 
höhle, oder  umgekehrt  der  Boden  des  Cavum  Douglasii  durchstochen  und  nun 
mit  Hilfe  der  Canüle  das  Drainrohr  eingeführt  wird.  Marion  Sims  führte  das 
Drainrohr  (silbernes)  nun  bis  in  das  Cavum  Douglasii,  das  andere  Ende  ragte 
in  die  Vagina,  während  andere  Operateure  das  obere  Ende  auch  bei  der  Bauch- 
wunde herausleiteten,  welches  Verfahren  den  Vorzug  gewährte,  dass  das  ge- 
fensterte  Kautschukrohr  und  mithin  das  Cavum  selbst  durchspült  werden 
konnten 

Da  die  Erfahrung  gelehrt  hat,  dass  die  Bildung  und  Ansammlung  einer 
septischen  Flüssigkeit  in  der  Bauchhöhle  in  Folge  septischer  Erreger  statt- 
findet, welche  gewöhnlich  während  der  Operation  dorthin  gelangen,  nach  der 
Operation  aber  gerade  durch  diese  Drainröhren  ihren  freien  Zugang  finden;  da 
ferner  die  Flüssigkeiten,  welche  während  der  Operation  in  die  Bauchhöhle  ge- 
langen, auf  die  bei  der  Toilette  erwähnte  Weise  entfernt  werden  können,  jene 
aber,  die  nach  Schluss  der  Bauchhöhle  und  Adhäsionsflächen  aussickern,  sehr 
rasch  resorbirt  werden;  da  endlich  in  vielen  Fällen  von  letalen  Ausgängen 
kaum  mehr,  als  ein  feiner,  eiterig-fibrinöser  Belag  auf  dem  Peritoneum  und 
keine  grössere  Ansammlung  flüssiger,  septischer  Exsudate  in  der  Bauchhöhle 
gefunden  werden:  so  ist  man  heutzutage  von  der  primären  Drainage  im 
Allgemeinen,  speciell  aber  von  jener  durch  die  Vagina  mehr  und  mehr  abge- 
kommen. Wenn  solche  von  einigen  Operateuren  noch  benützt  mrd,  so  ge- 
schieht es  nur  in  Fällen,  in  welchen  den  Umständen  gemäss  nur  eine  un- 
reinliche Operation  vollführt  werden  konnte.  Viele  Operateure  di'ainiren  auch 
dann  nicht,  von  der  Ueberzeugung  geleitet,  dass  sie  auch  hier  nutzlos,  ja  eher 
schädlich  sei.  Ich  meinerseits  habe  die  primäre  Drainage  nie  angewendet  und 
die  secundäre  im  Falle  einer  diffusen  Peritonitis  ganz  nutzlos  gefunden.  Was 
indessen  circumscripte,  mit  der  Bildung  von  abgesackten,  eitrigen  und  jauchigen 

38* 


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OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN. 


Exsudaten  einhergeliencle  Peritonitiden  canbelaiigt,  da  ist  die  seciindäre  Drainage 
am  Platze.  Während  der  Operation  gelangt  zuweilen  auch  Luft  in  die  Bauch- 
höhle, die  ohne  Nachtheil  resorbirt  wird,  soferne  sie  keine  septischen  Er- 
reger enthält.  Gerne  sehen  wir  deren  Eindringen  nicht  und  sind  daher  be- 
müht durch  Streichen  und  Andrücken  der  Bauchwände  solche  herauszu- 
befördern. 

Der  Schluss  der  Bauchhöhle  kann  hier  kurz  berührt  W' erden,  da  die 
Technik  desselbeii  in  diesem  Aufsatze  des  Oefteren  berührt  w^urde.  Wie  wir 
gesehen  haben,  bezogen  sich  die  Unterschiede  im  Verfahren  hauptsächlich  auf 
das  Nähmateriale  und  darauf,  ob  das  Peritoneum  mit  oder  nicht  mit  in  die 
Naht  gefasst  werden  solle.  Was  das  Nähmateriale  anbelangt,  ist  es  ganz  gleich- 
giltig,  ob  solches  aus  Draht,  Seide,  Fil  de  Florence,  oder  Catgut  besteht,  wenn 
es  nur  genug  stark  ist  und  in  aseptischem  Zustande  zur  Anwendung  kommt 


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%U'>* 


Doppelseitiges,  ijapilläres  Kystom. 
{Nach  einer  von  dem  Präparat  aufgenommenen  Photographie.) 


und  bezüglich  des  Peritoneums  können  wir  sagen,  dass  dessen  Mitfassung  heut- 
zutage allgemein  angenommen  ist.  Die  Art  der  Naht  ist  jene  der  Knopfnaht 
auf  einmal  durch  alle  Schichten  durchgeführt,  die  gebräuchlichste;  ich  nähe, 
wie  KovÄcs,  immer  vorher  das  Peritoneum  mit  einer  Catgut-Kürschner-Naht, 
dann  die  Musculatur  mit  Catgutknopfnähten  und  darüber  die  Haut  mit  Seiden- 
Kürschner-Naht.  Bei  extraperitonealer  Stielbehandlung,  presse  ich  den  Stiel 
in  den  unteren  Wundwinkel,  den  ich  übrigens  zuweilen  auch  mit  einer  Naht 
versehe;  oberhalb  fasse  ich  die  Seiten  des  Stieles  in  die  letzte  Naht  mit  ein. 
Der  Verband  nach  vollführter  Naht  ist  jener,  welcher  eine  massige  Com- 
pression  des  Leibes  erfüllt  und  sicheren  Schutz  gegen  spätere  Infection  ge- 
währt, besteht  mithin  aus  einer  regelrechten  antiseptischen  Gaze-  und  Watta- 
decke, die  mit  einer  um  den  Leib  geführten  elastischen  Flanellbinde  be- 
festigt wird. 

Ovariotomia  duplex.  Da  die  Erkrankung  der  Ovarien  sehr  häufig 
eine  gleichzeitig  beiderseitige  ist,  wie  es  besonders  bei  den  malignen 
Tumoren  und  den  diesen  nahestehenden  papillären  Kystomen  vorkommt 
(v.    Fig.)    so  entsteht    die    Frage,     ob   auch   die   Entfernung    eine    gleich- 


OVARIOTOMIE  —  OVAPJALTUMOKEN.  597 

zeitige  sein  soll,  oder  nicht?  Im  allgemeinen  kann  hierauf  nur  die  Antwort 
gegeben  werden,  dass  es  zweckmässiger  ist,  die  Kranke  auf  einmal  von 
einem  schweren  Leiden  zu  befreien.  In  relativer  Hinsicht  aber  steht  die 
Sache  anders.  Spencer  Wells  Hess  ein,  zwei  kirschcngrosse  Cysten  ber- 
gendes, zweites  Ovarium  stehen;  die  Kranke  heiratete  und  gebar  nachher 
4  Kinder.  Hätte  die  Kranke  das  klimakterische  Alter  überschritten  gehabt, 
so  wäre  die  Entscheidung  je  nach  der  Altershöhe  auf  ganz  andere  Gründe 
basirt  worden.  In  den  50-ger  Lebensjahren,  wo  eine  Conception  bereits 
ausschliessbar  erscheint,  wäre  das  zweite,  sozusagen  nur  halb  erkrankte  Ova- 
rium mit  entfernt  worden,  in  den  Jahren  über  60,  nach  welcher  Zeit  das 
Leben  eine  hochgradige  Entwicklung  der  anderseitigen  Ovarien-Erkrankung 
kaum  überdauern  würde,  aber  nicht.  Die  Entfernung  des  zweiten,  noch 
mindergradig  erkrankten  Ovariums  hat  wegen  ungünstiger  Stielverhältnisse  in 
der  Technik  seine  Schwierigkeiten,  die  eine  präcise  Indication  für  die  Ent- 
fernung nothwendig  machen.  Eine  solche  kann  unter  Umständen  auch  für  die 
Entfernung  eines  zweiten,  ganz  gesunden  Ovariums  gelten,  w^enn  z.  B.  bei 
Uterus-Myomen  die  Cessirung  der  Ovulation  und  Menstruation  für  nothw^endig 
erachtet  wird.  Die  gleichzeitige,  beiderseitige  Exstirpation  der  Ovarien  ist  im 
Allgemeinen  kein  tiefergreifender  Eingriff,  als  die  einseitige,  und  wenn  nach 
derselben  ungünstige  Resultate  sich  ergeben,  so  sind  dieselben  den  ungünstigen 
Stielverhältnissen,  hauptsächlich  aber  jenem  Umstände  zuzuschreiben,  dass  es 
die  operativ  ungünstigen  Tumoren  sind,  wegen  welchen  die  Ovariotomia  duplex 
zu  machen  ist.  Die  Ovariotomia  duplex  werden  wir  unter  den  erwähnten  Ver- 
hältnissen immerhin  machen  und  zu  dem  Behufe  es  als  Regel  betrachten 
müssen,  nach  Entfernung  der  einen  Cyste  das  andere  Ovarium  auf  etwaige 
Erkrankung  zu  untersuchen. 

Die  Ovariotomie  von  der  Vagina  aus  wurde  besonders  von  ame- 
rikanischen Operateuren  seit  dem  Jahre  1857  empfohlen  und  in  einigen 
Fällen  auch  mit  günstigem  Erfolge  in  der  Weise  vollführt,  dass  das  hintere 
Scheidengewölbe  im  rinnenförmigen  Speculum  angehakt  und  mit  der  Scheere 
sammt  dem  Peritoneum  durchschnitten,  darauf  die  Cyste  angehakt,  punktirt, 
der  leere  Sack  in  die  Vagina  hereingezogen,  dessen  Stiel  doppelt  ligirt, 
dann  reponirt  und  nun  die  Vaginalwunde  mit  Silberdraht  geschlossen 
wurde  (Thomas  1870). 

Battay  operirte  in  der  Weise,  dass  er  den  Uterus  bis  in  die  Vulva 
herauszog  und  nun  in  der  Seitenlage  der  Kranken  im  Rinnenspeculum  das 
Scheidengewölbe  in  der  Mittellinie  knapp  am  Uterus  mit  der  Scheere  bis  auf 
die  Weite  von  1 — Vj^"  trennte,  darauf  mit  dem  Finger  eindringend,  das 
Ovarium  unter  gleichzeitigem  Drucke,  welchen  ein  Assistent  auf  die  Bauch- 
decken übte  und  dadurch  die  Beckenorgane  herabdrückte,  hervorholte  und 
abtrennte.  Die  Indication  für  diese  Operation  wäre  in  jenem  Falle  gegeben, 
in  welchem  eine  kleine,  kurzgestielte,  oder  stiellose,  im  kleinen  Becken  ein- 
gekeilte, auf  dem  hinteren  Scheidengewölbe,  oder  sogar  in  einem  Prolapsus 
vaginae  lagernde  Cyste  vorhanden  ist.  Da  indessen  in  technischer  Hinsicht 
deren  Vollt'ührung  auch  in  günstigen  Fällen  kaum  leichter  ist,  als  jene  ver- 
mittelst Laparotomie,  überdies  die  dabei  leichtmöglichen  Verletzungen  der 
Nachbarorgane,  unstillbare  Blutungen  und  erschwerte  Antiseptik  zu  ihrem  spe- 
ciellen  Nachtheile  gereichen,  erfreut  sie  sich  keines  Anklanges. 

Verlauf  und  Behandlung  der  Krankheits-Erscheinungen 
nach  einer  Ovariotomie,  sind  verschieden,  je  nach  der  Complicirtheit 
des  Falles  und  je  nach  den  verschiedenen  Einflüssen,  denen  der  Organismus 
während  und  gleich  nach  der  Operation  unterworfen  ist.  Lange  Narkosen  und 
Operationsdauer,  profuse  Blutung  während  und  nach  der  Operation,  toxische 
Wirkung  der  Antiseptica,  besonders  der  Carbolsäure  und  der  Sublimatlösung, 
Abkühlung  des  Körpers,  Erbrechen,  u.  s.  w. 


598  OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN. 

Der   gewöhnlichste   Verlauf   ist   jener,    welcher   zu    rascher    Genesung 
(85 — 90%),  oder  aber   zu   raschem  letalem  Ausgange  führt  und  selten  jener, 
bei  welchem  Genesung   oder   letaler  Ausgang  langsamer  und  nach  vorläufigen 
verschiedenartigen  Erkrankungen  eintreten.    Wollen   wir  die  Fälle  der  Gene- 
sungen kurz  skizziren,  so  stellen  sich  solche  in  folgenden  Verlaufsformen  dar. 
Gleich  nach  der  Operation  ist  das  Gesicht  —  auch  bei  geringerem  Blutverluste  — ■ 
blass,  sein  Ausdi'uck  aber  gewöhnlich  unverändert,  zuweilen  noch  etwas  besser^ 
als  vor  der  Operation,  Puls  kleiner,  weicher  und  etwas  frequenter,  Temperatur 
verändert,  in  der  Achselhöhle  gemessen  von  37''  zuweilen  bis  auf  35"5°,  und  noch 
tiefer  gesunken.    In   den   folgenden  6  —  12  Stunden  ändert  sich  das  Bild  vor 
Allen  durch  die  Erhöhung  der  Temperatur  bis  zur  normalen,  ja  etwas  darüber 
und  jener  der  Pulsfrequenz;  der  Puls  wird  voller  und  frequenter,  an  Zahl  bis  zu 
80 — 90  aufsteigend,  Gesicht  zugleich  etwas  röther.  Dazu  gesellen  sich  Ueblich- 
keiten  und  Erbrechen  —  wohl  als  Folgen  der  Narcose  —  und  bald  erheblicher 
Durst,  nicht  minder  Unbehagen   und  Schlaflosigkeit;   Schmerzen   aber  nur  in 
Ausnahmsfällen.    Am  folgenden  Tage  steigt  die  Temperatur  bis  zu  38° — 38-5 ^ 
Puls  dem  entsprechend  bis  zu  100.  Der  Temperaturerhöhung  nicht  entsprechende 
Pulsfrequenz  ist  —  wenn  solche  nicht  als  frühere  Eigenthümlichkeit   gedeutet 
werden  kann,  kein   gutes  Zeichen.    Abgang   von  Flatus   und   spontane  Harn- 
entleerung während  dieser  Zeit,   Nachlass   des  Erbrechens,   feuchte   und   nur 
leicht  belegte  Zunge,   Schmerzlosigkeit   und  Flachheit   des  Bauches  sind  gün- 
stige Erscheinungen.    Die  Temperatur  und  Pulsfrequenz  erhalten  sich  auf  dieser 
Höhe  3 — 4  Tage  lang  und  sinken  dann  auf  den  normalen  Stand  zurück.  Beide 
sind  eine  Begleitung  des  sogenannten  Wundfiebers,  wie  solches  auch  nach  an- 
deren Operationen   auftritt,   als  eine   Folge   der  Eesorption  von  Zerfallstoffen 
ohne  septische  Agentien.    In  gleichem  Maasse  verliert  sich  der  Dm'st,  bessert 
sich  der  Appetit,  besonders  nach    einer  spontanen   Stuhlentleerung,   die  nicht 
selten  schon  am  4. — 5.  Tage  erfolgt,  wenn  der  Darm  nicht  vor  der  Operation 
durch  Laxantien  und  Klystiere  entleert  worden  war.  Zugleich  bessert  sich  der 
Schlaf  und   damit   auch   das  Allgemeinbefinden   in   erhöhtem   Kräftezustande, 
welcher  es  erlaubt,  dass  die  Kranke  am  5. — 6.  Tage  schon  im  Bette  aufsitzen,. 
am  12.  — 14.  Tage  aus  dem  Bette  aufstehen  kann.    Das  ist  der  ideale  Verlauf 
zur  raschen  Genesung,  welcher  ohne  örtliche  Entzündung  und  ohne  specifische 
Allgemein-Erkrankung  erfolgt,  wie  wir  ihn  heutzutage  unter  aseptischem  Ope- 
rations-Verfahren am  allerhäufigsten  in  fi^appantester  Weise  beobachten,  ja  im 
Voraus  schon  in  den  ersten  24  Stunden  in  erwähntem  Anfangsbilde  erkennen 
können.    Dies  Krankheitsbild   kann   bald,    oder  später  ohne  Ausschluss  einer 
Genesung,  eine  Störung  erleiden,    die  sich   in  den  verschiedenen  Formen  fol- 
gendermaassen  gestaltet:  die  Temperatur  steigt  schon  in  den  ersten  Tagen  auf 
39—40°;  Puls  dem  entsprechend   auf  120 — 130,  der  Bauch  wird  schmerzhaft, 
etwas  aufgetrieben  und  gespannt,  damit  die  Athemnoth  erhöht,  der  Durst  ver- 
mehrt, Appetit,  Schlaf  und  die  Ruhe   vermindert.    Dieser   Zustand,  als  wahr- 
scheinliche  Folge   leichterer,  mnschriebener  Entzündungen,  oder  zufälliger  an- 
derer Störungen,  dauert  einige  Tage,  um  dann  unmerklich  zu  verschwinden. 
Zuweilen  ist  die  Dauer  eine  längere,  oder  anders  geartete.    Das  Fieber  steigt 
rasch  an  und  wurde  vielleicht  von  Schüttelfrost,  oder  Frösteln  eingeleitet,  Puls 
accelerirt  und  klein,    Abdomen  an  irgend   einer  Stelle  auffallend  schmerzhaft, 
Gesicht  unter  den  Erscheinungen   von   Ohnmacht,   oder   Collaps   mit   kaltem 
Schweiss-Ausbruch   verfallen,  Zunge    stark  belegt  und  trocken,   Durst  erhöht. 
Diese  Erscheinungen   bis  zum    Culminationspunkte   gelangt,   schwinden   rasch 
nach  spontaner  Entleerung  eines  eiterigen,  jauchigen,  nekrotische  Gewebsstücke 
enthaltenden  Stuhles,  Urines,  oder  eines  Bauchabscesses,  oder  aber  sie  werden 
zum  Schwinden  gebracht  durch  einen  operativen  Eingriff,  den  wir  ausführen, 
wenn  wir  durch  genaue  Untersuchung  der  Vagina  am  hinteren  Scheidengewölbe 
im  DOUGLAs'schen  Baume,  oder  aber  irgendwo  an  den  Bauchdecken  eine  Fluc- 


OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN.  599 

tuation  entdeckten,  indem  wir  incidiren  und  eine   sogenannte  secundäre  Drai- 
nage appliciren. 

Als  ich  vor  einigen  Jahren  einen  subserös  entwickelten  Tumor  operirte,  welcher 
zwischen  die  Blätter  des  Mesenterium  coli  gestiegen  war  und  die  Flcxura  sigmoidea  von 
links  nach  rechts  in  einer  Weise  verlagert  hatte,  dass  sie  oinem  zweiten  Colon  transversum 
glich,  wurde  bei  der  Entwickelung  auch  die  Serosa  verletzt.  Die  Deckung  der  Muscularis 
durch  Vernähung  der  Serosa,  besonders  aber  die  Stillung  der  parenchymatösen  Blutung  aus 
der  Muscularis  war  schwierig  und  gelang  mir.  Letzteres  nur  durch  Anwendung  der  Forci- 
pressur,  zu  deren  Behufe  ich  mit  einer  pince  haemostatique  die  gegenständigen  Wund- 
ränder faaste,  somit  die  blutende  Fläche  deckte  und  nun  die  Pince  subperitoneal  durch  die 
Bauchdecke  nach  aussen  leitete.  Patientin,  eine  sehr  intelligente  Dame  blieb  bei  einer  Tem- 
peratur-Erhöhung bis  zu  38°  5  Tage  hindurch  im  besten  Allgemeinbefinden.  Am  6.  Tag  in 
der  Frühe  fand  ich  sie  in  kalten  Schweiss  gebadet  mit  verfallenen  Gesichtszügen,  kleinem, 
frequenten  Pulse  und  hohem  Fieber.  Ich  erfuhr,  dass  dieser  Zustand  am  vorherigen  Nach- 
mittage mit  einem  Frösteln  begonnen,  hatte.  Nach  Lösung  des  Verbandes  fand  ich  an  der 
Bauchdecke  neben  der  Pince  eine  faustgrosse  entzündliche  Anschwellung.  Incision  beför- 
derte den  Ausfluss  einer  immensen  Menge  jauchigen,  mit  Koth  untermischten  Eiters,  welchem 
bald  Nachlass  der  Collaps-  und  Fiebererscheinungen,  freilich  auch  Kothfistelbildung  folgten. 
Patientin  genas,  die  Kothfistel  heilte  spontan  im  Verlaufe  von  8  Wochen. 

Solche  fieberhafte  Zustände  können  sich  auch  später  in  der  2.  ja  3.-4. 
Woche  ergeben,  als  eine  Folge  circumscripter  eiteriger  Peritonitiden,  welche 
durch  zurückgelassene  Cystenstücke,  Adhäsionsfetzen  oder  Instrumente,  Schnür- 
stück des  Stieles,  Ligaturen,  u.  s.  w.  eingeleitet  werden,  indessen  aber  spon- 
tanerweise, oder  in  Folge  operativen  Eingriffes  zu  dauernder  Heilung  gelangen. 
Den  Abgang  einer  Stielligatur  durch  die  Harnblase  beobachtete  Thomas  3  Mo- 
nate nach  der  Operation,  ich  nach  6  Wochen  aus  einem  Bauchwandabscesse. 
E  i  t  e  r u  n  g  s  p  r  0  c  e  s  s  e  unter  phlegmonösen  Entzündungserscheinungen  und  er- 
höhter Temperatur  gingen  früherer  Zeit  sehr  häufig  von  den  Stichkanälen  aus, 
was  unter  heutiger  Aseptik  nur  selten  der  Fall  ist;  die  Heilung  der  Bauch- 
wunde wurde  dadurch  sehr  verzögert.  Wie  ich  selbst  noch  nicht  beobachtet 
habe  und  aus  der  Literatur  anführe,  sind  es  Parotitiden  —  nicht  septische  — 
welche  mit  hohen  Fiebererscheinungen  schon  am  5—7  Tage  nach  einer  Ova- 
rotomie  ein-,  oder  beiderseitig,  auftreten  und  durch  Zertheilung  oder  Absce- 
dirung  heilen.  Andere,  oft  fieberlos  verlaufende  Erscheinungen  sind  hef- 
tige Darmkoliken;  ob  durch  Stagnirung  von  Faecal-Massen,  oder  Heizung 
des  Darmes  während  der  Operation  oder  aus  irgend  einer  anderen  Ursache 
entstanden,  ist  oft  nicht  zu  bestimmen.  Sie  sind  den  Kranken  lästig  durch 
wie  heftigsten  Schmerzen,  starke  Blähung  und  Athemnoth,  schwinden  aber  oft 
mald  nach  spontaner  Stuhl entleerung,  Abgang  von  Winden,  der  auch  befördert 
erden  kann  durch  Einlegen  eines  elastischen  Kohres  in  den  Mastdarm.  In 
dbanchen  Fällen  müssen  wir  auch  zum  Morphin  greifen,  innerlich,  oder  noch 
besser,  in  subcutaner  Injection  verabreicht,  wie  ich  es  in  einem  Falle  von  hoch- 
gradiger Hysterie  thun  musste,  deren  Anfälle  nach  der  Ovariotomie  sich  wieder- 
wolten. 

Blasenkatarrhe  infolge  öfterer  Katheterisation  —  Metrorrhagien, 
hahrscheinlich  durch  collaterale  Fluxion  entstanden  — ,  kommen  hie  und  da 
bald  nach  der  Operation  vor,  sind  aber  von  keiner  besonderen  Bedeutung,  da 
letztere  bald  von  selbst  und  die  ersteren  nach  Einstellung  des  Katheterismus 
verschwinden.  Unruhiges  Verhalten  der  Kranken  in  den  ersten  Tagen, 
Brechanstrengungen,  Husten  und  Messen  können  zu  einer  Nachblutung,  auch 
Sprengung  der  Bauchwunde  führen. 

Die  Behandlung  der  Operirten  in  den  Fällen,  in  w^elchen  Genesung 
eintritt,  sei  vor  Allem  eine  abwartende.  Weder  warme,  noch  Eis-Umschläge, 
wie  es  einige  Operateure,  so  Bakee  Brown  liebten;  weder  Opium,  noch  Ana- 
leptica  sind  nothwendig;  sondern  nur  absolute  physische  und  psychische  Euhe. 
War  der  Darm  schon  vor  der  Operation  gut  entleert,  so  bleibt  er  auch  nach- 
her —  ohne  Narcotica,  in  der  für  die  erste  Zeit  nothwendigen  peristaltischeu 
Ruhe,   während   häufiges   Trinken,   Eispillen,   Klystiere    dieselbe  natürlicher- 


GOO  OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN. 

weise  stören.  Ueblichkeiten  und  Erbreclien,  die  sieh  in  Folge  der  Nareose 
einstellen,  können  leicht  durch  tiefere  Lagerung  des  Kopfes,  oder  mit  etwas 
kaltem  schwarzem  Kaffee  bekämpft  werden.  Ist  das  Erbrechen  sehr  häufig,  so 
greife  man  zur  Morphininjection.  Verabreichung  von  Nahrung  —  die 
wenig  feste  Bestandtheile  im  Darme  zurücklassen  —  wie  kräftige  Fleischbrühe, 
Milch  und  jNIilchkatfee,  Weinsuppe,  Biscuit  mit  Wein  geschehe  erst  nach  einigen 
Tagen,  überhaupt  dann,  wenn  der  bei  diesen  Kranken  gewöhnlich  herabgesetzte 
Appetit  sich  einstellt.  Blähende  Speisen  müssen  Wochen  lang  gemieden 
Averden,  während  Eier,  Kalbs-  und  Hühnerbraten  Ende  der  ersten  Woche  schon 
nach  und  nach  verabreicht  werden  können.  Beförderung  des  Stuhles  und  Wind- 
abganges ist  auch  nur  ausnahmsweise  in  oben  erwähnten  Fällen  und  darauf 
bezüglicher  Weise  nothwendig.  Spontane  Oeffnung  ist  für  den  ungestörten 
Verlauf  viel  vortheilhafter  und  sie  erfolgt  auch  gewöhnlich  zwischen"  dem 
fünften  und  siebenten  Tage.  Coli apser scheinungen  werden  mit  Analep- 
ticis,  wie  Champagner,  warmem  Kothwein  und  schwarzem  Kaffee,  warmen  Ein- 
wicklungen,  eventuell  mit  Moschus-  und  Aetherinjectionen  behandelt. 

Gegen  Fieber  und  E  n  tz  ü  n  d  u  n  g  e  n  ist  die  Therapie  ziemlich  macht- 
los. Ist  ersteres  die  Folge  einer  septischen  Infection,  so  hat  kaum  irgend 
welche  Therapie  einen  heilenden  Einfluss;  im  Gefolge  einer  örtlichen  Entzün- 
dung aber  schwindet  das  Fieber,  wie  diese  mit  der  Eliminirung  der  Eutzün- 
dungserreger.  Das  einzige,  was  wir  gegen  Entzündung  thun  können,  ist  das 
Bestreben,  die  Einkapsekmg  der  deletären  Entzündungserreger  zu  erzielen  und 
das  erreichen  wir  durch  die  Aufhebung  der  Peristaltik  des  Darmes  mit  grossen 
Dosen  Opiums. 

Was  die  örtliche  Behandlung  der  Bauchwunde  anbelangt,  ergibt 
sich  darin  ein  Unterschied  zwischen  intra-  und  extraperitonealer  Stielver- 
sorgung. Im  ersteren  Falle  erfolgt  eine  vollständige  „prima "-Heilung  in 
8 — 10  Tagen  unter  dem  ersten  antiseptischen  Deck-  und  Compressions- Verbände 
und  braucht  dieser  daher  auch  bis  dahin  nicht  gewechselt  zu  werden.  Nur 
zufällige  Verrutschung  oder  Inficirung  desselben  mit  Excrementen,  oder  von 
Aussen  kommenden  Agentien  machen  einen  Wechsel  nothwendig  und  dabei 
sehen  wir  dann  schon  in  den  ersten  Tagen  den  ganz  reactionslosen  Verlauf 
der  Wundheilung,  dass  der  Bauch  ganz  flach,  oder  eingesunken,  die  Haut  in 
Falten  gelegt  erscheint,  wie  wir  ihn  nach  der  Operation  gelassen  und  auf 
Druck  nirgends  eine  Schmerzhaftigkeit  sich  zeigt.  Erst  nach  5 — 7  Tagen  ist 
im  linken  Hypochondrium,  in  der  Beckengegend  eine  flache  Erhöhung  zu 
bemerken  vom  Colon  descendenz  herrührend,  welches  sich  anschickt,  einen 
Stuhl  herauszubefördern. 

Die  Bauch  nähte  entfernen  wir  erst  nach  dem  achten  Tage,  zuerst 
nur  einzelne  und  in  den  folgenden  Tagen  nach  und  nach  die  anderen.  Das 
aseptische  Nähmaterial  ist  nicht  schädlich,  ein  längeres  Verweilen  aber  kräftigt 
die  Narbe. 

Die  extraperitoneale  Stielbehandlung  erheischt  öfteren  Verband- 
wechsel. Schon  in  den  ersten  24  Stunden  kann  durch  das  Aussickern  von 
Blut-  und  Gewebsflüssigkeit  aus  einem  besonders  massigen  Stiele  der  Verband 
durchnässt,  die  Klammer  angerostet  sein  und  dadurch  die  Patientin  Jucken 
und  Brennen  empfinden,  hauptsächlich  aber  kann  hiedurch  eine  Infection  von 
Aussen  eingeleitet  werden.  Nach  einigen  Tagen  entwickelt  sich  um  den  Stiel 
herum  die  Eiterung  und  durch  Zerfall  des  Stieles  entstehen  Fäulnissstoö'e,  die 
längs  desselben  in  die  Bauchhöhle  gelangen  können.  Zeitgemässe  Entfernung 
dieser  Secrete  erfordern  oft  täglichen  Verbandwechsel,  welcher  zu  einem  sel- 
teneren nur  dadurch  werden  kann,  wenn  wir  die  Secretion  und  den  schnelleren 
Zerfall  mit  Jodoform-,  Salicylsäure-,  Natrium-benzoicum-  Pulver- Aufstreuung 
beschränken.  Die  Klammer  fällt  am  7.  bis  15.  Tage  ab;  nun  ist  darunter  eine 
rein  granulirende,  guten,  dicken  Eiter  secernirende  Wunde,  die  sich  in  kurzer 


OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN.  601 

Zeit  (3.,  4.  Woche)  schlicsst.  Ich  wende  die  Klairiiiier  nicht  mehr  an;  sie  ist 
durch  Schwere  lästig,  überdies  unreinlich;  ein  dickes  iJruinrolir  ist  die  beste 
Klammer,  Jodoformpulver  das  beste  Streupulver,  unter  welchen  ein  Verband- 
wechsel und  zwar  schon  der  erste,  erst  in  5— 6  Tagen  nothwendig  wird.  Die 
Verminderung  der  Stielausschwitzung,  dessen  raschere  Mumification  und  Lösung 
bewerkstellige  ich  des  Oefteren  auch  vermittels  Thermocauters. 

Ein  Wiederaufplatzen  der  Ikuchwunde,  welches  in  Folge  von  Husten, 
Erbrechen  oft  noch  nach  dem  achten  Tage  erfolgt  ist,  hatte  frülier  immer  eine 
tödtliche  Folge.  Wird  es  heutzutage  frühzeitig  bemerkt  und  die  Wieder- 
vereinigung der  Wundränder  bewerkstelligt,  kann  immer  noch  Heilung  ein- 
treten. 

Verlauf  und  Behandlung  der  Fälle,  in  welchen  die  Gene- 
sung nicht  erfolgt,  soll  nachfolgend  kurz  dargestellt  werden.  Die  Krank- 
heiten, W'elche  nach  einer  Ovariotomie  entstehen  und  den  Tod  in  rascher  oder 
langsamer  Weise  bedingen,  sind  der  Reihe  nach  betrachtet:  Shok,  Verblutung, 
Septikämie,  Peritonitis,  Darmocclusion,  Tetanus,  Emholie^  erschöpfende  Eiterung 
und  endlich  zufällige  Compjlicationen. 

Am  raschesten  führt  zum  Tode  der  Shok,  in  seinem  Wesen  als  jene 
Herzschwäche  betrachtet,  welcher  bald  die  Lähmung  folgt.  Die  Ursachen  des 
Shokes  sind  in  verschiedenen,  vielleicht  noch  nicht  genau  gekannten,  aber 
jedenfalls  zusammenwirkenden  Momenten  gelegen.  Langdauernde  Xarcosen 
bei  vielem  Chloroformverbrauch,  profuser  Blutverlust,  lange  Operationsdauer, 
starke  Abkühlung  des  Körpers,  besonders  der  peritonealen  Oberfläche  der 
Gedärme,  mechanische  und  chemische  Ueberreizung  derselben  werden  als 
Hauptbedingungen  dafür  angesehen.  Wenn  wir  zu  den  Todesfällen  durch  Shok 
nach  dem  Grundsatze  von  Czeeny  und  Nussbaum  nur  jene  rechnen,  in  w^elchen 
die  Kranken  nach  der  Operation  sich  nicht  mehr  erholten,  sondern  in  einem 
anhaltenden  Zustande  von  Collaps  bei  niederer  Körpertemperatur  bis  zum  Tode 
verblieben,  so  ist  diese  Todesart  eine  nicht  sehr  häufige.  Der  Tod  erfolgt  für 
gewöhnlich  in  den  ersten  Stunden  bis  zum  zweiten  Tage,  selten  später.  Die 
Behandlung  geschieht  nach  jenen  therapeutischen  Massregeln,  die  für  Collaps 
überhaupt  gelten.  Ich  konnte  durch  Autotransfusion  einmal  eine  Patientin 
retten.  Vielleicht  wäre,  besonders  nach  starkem  Blutverluste  eine  Bluttrans- 
fusion oder  Infusion  einer  Kochsalzlösung  angezeigt. 

Erhebliche  Blutungen  nach  der  Operation,  die  zum  Tode  führen, 
kommen  fast  immer  aus  dem  versenkten  Stiele  und  zwar  am  1. — 2.  Tage, 
selten  später  —  in  Folge  Lösung  der  Ligatur,  die  ihrerseits  wieder  durch 
Erbrechen,  Husten,  überhaupt  Anstrengung  befördert  wird.  Früher  ein  öfteres 
Ereignis,  wird  dasselbe  durch  die  vollkommenere  Operationstechnik  immer 
seltener;  die  Diagnose  ist  nicht  immer  leicht,  da  ein  plötzlicher  Collaps  auch 
andere  Ursachen  haben  kann.  Feste  Umschnürung  des  Leibes  mit  Compression 
des  Bauches,  eventuelle  rasche  Oeffnung  desselben  und  neue  Stielunterbindung, 
bilden  das  einzig  rationelle  Verfahren. 

Septikämie  und  Peritonitis  stammen  aus  einer  und  derselben 
Quelle;  Zersetzungsstoffe  in  der  Bauchhöhle  sind  es,  die  durch  örtliche  Rei- 
zung am  Peritoneum  eine  Entzündung  anregen,  w^ährend  sie  auf  dem  Wege 
der  Resorption  in  die  Gefässbahnen  gelangt,  in  den  allgemeinen  Ernährungs- 
verhältnissen ihre  deletäre,  meistentheils  tödtende  Wirkung  entfalten.  Oertliche 
und  allgemeime  Wirkung  stehen  in  keinem  parallelen  Verhältnisse.  Die  all- 
gemeine Erkrankung  kann  sich  entfalten  und  einen  rasch  tödtlichen  Ausgang 
nehmen  ohne  gleichzeitige  Peritonitis,  und  umgekehrt  kann  letztere  nebst 
Bildung  und  Ansammlung  einer  in  Zersetzung  begriffenen  Flüssigkeit  in  der 
Bauchhöhle  sich  entwickeln,  ohne  jene  Erscheinungen,  die  dem  Bilde  einer 
allgemeinen  septischen  Erkrankung  entsprechen.  Rasch  sich  entwickelnde 
diffuse  Peritonitis  indessen  ist  für  gewöhnlich  mit  allgemeiner  septischer  Er- 


602  OVARIOTOMIE  —  OVARIALTUMOREN. 

krankung  verbunden.  Der  Beginn  der  allgemeinen  Erkrankung  fällt  meisten- 
theils  auf  den  ersten  Tag,  ihr  tödtlicher  Ausgang  manchmal  schon  auf  den 
2.,  für  gewöhnlich  aber  erfolgt  er  zwischen  dem  3.  und  7.  Tage.  Leichtes 
Frösteln  —  selten  Schüttelfrost  —  mit  hohen  Temperaturen  von  40 — 41^,  die 
nur  geringen  Morgenremissionen  unterworfen  sind,  schneller,  erregter  Puls  von 
130 — 140,  beschleunigte  Kespiration,  psychische  Unruhe,  welcher  bald  eine 
Trübung  des  Sensoriums  mit  leichten  Delirien  und  endlich  ein  soporöser  Zu- 
stand folgen,  Kopfweh,  Erbrechen  einer  schmutzig  braunen,  oft  galligen  Flüs- 
sigkeit, Schluchzen  (Singultus),  trockene  und  schmutzig  belegte  Zunge,  heisse, 
trockene  Haut  —  und  wenn  gleichzeitig  Peritonitis  im  Anzüge  ist,  Schmerz- 
haftigkeit  des  Bauches  und  Meteorismus  sind  die  Begleiterscheinungen.  Hohe 
Temperaturen  aber  haben  für  Septikämie  keine  absolut  charakteristische  Be- 
deutung. Oft  sinkt  die  Temperatur  von  ihrer  Höhe  rasch  herunter,  sogar 
unter  den  normalen  Stand,  um  dann  wieder  rasch  anzusteigen;  zuweilen  ist 
überhaupt  keine  Temperaturerhöhung  zugegen,  oder  höchstens  nur  am  Beginne 
der  Agonie. 

Vor  Kurzem  hatte  ich  einen  solchen  Fall,  in  welchem  nach  einer  Laparotomie  — 
nicht  wegen  einer  Ovarien  Cyste,  sondern  wegen  durch  Blinddarm-Carcin  cm 
bedingter  Darmocclusion  vollführt  —  der  letale  Ausgang  in  Folge  von  Septikämie 
am  7.  Tage  erfolgte.  Die  höchste  Temperatur  wurde  am  Tage  nach  der  Operation  abends 
mit  37'5°,  und  am  Tage  des  Todes  8  Stunden  vorher  mit  38'b",  in  der  Zwischenzeit  constant 
in  der  Früh  und  Mittags  mit  36-ö— 36'8,  abends  mit  37"  gezeichnet,  während  der  Puls 
schon  am  ersten  Tage  abends  die  Frequenz  von  100  und  in  den  folgenden  Tagen  von  120 
bis  140  erreichte;  Brechreiz,  hie  und  da  Erbrechen,  besonders  Schluchzen,  ferner  die  anderen 
oben  erwähnten  charakteristischen  Symptome  sich  einstellten  und  in  constanter  Weise  an- 
hielten. Bei  der  Section  war  nur  in  der  nächsten  Umgebung  jener  Darmschlinge,  die  be- 
hufs Bildung  eines  widernatürlichen  Afters  aus  der  Bauchhöhe  nach  aussen  verlagert  und 
an  der  Bauchwunde  fest  angewachsen  war  —  die  Erscheinung  einer  septischen  Peritonitis 
—  mit  auffallend  geringem  eitrig-fibrinösen  Exsudate  zu  constatiren.  Wäre  in  diesem 
Falle  der  Tod  in  Folge  der  septischen  AUgemein-Erkrankung  bereits  am  2.  oder  3.  Tag,  wie 
es  so  häufig  der  Fall  ist,  eingetreten,  so  hätte  man  bei  der  Section  von  der  Peritonitis 
höchstwahrscheinlich  keine  Spur  gefunden. 

Die  Prognose  der  septischen  Allgemeinerkrankung  ist  höchst 
ungünstig  und  finden  wir  nach  einer  Ovariotomie  schon  am  ersten  Tage  die 
dafür  sprechenden  charakteristischen  Symptome,  hauptsächlich  einen  frequenten, 
der  Temperatur  nicht  adäquaten  Puls,  wiederholtes  —  nicht  dem  Chloroform 
zuzuschreibendes  Erbrechen,  so  wissen  wir  auch,  dass  hiemit  für  gewöhnlich 
das  endgiltige  Schicksal  der  Patientin  beschlossen  ist. 

Die  Therapie  ist  dagegen  sozusagen  machtlos;  Antipyretica  und 
Analeptica,  die  wir  zu  verabreichen  pflegen,  haben  keinen  Erfolg.  Von  Bädern, 
Priessnitz-Einwicklungen,  mit  welchen  wir  jenen  Vorgang  im  Organismus  ein- 
leiten wollen,  wonach  die  septischen  Allgemein-Erscheinungen  nach  einer  pro- 
fusen Schweissabsonderung  hie  und  da  spontan  nachlassen,  habe  ich  wohl  eine 
vorübergehende  Besserung  des  Allgemeinbefindens,  besonders  des  getrübten 
Sensoriums  gesehen,  nie  aber  eine  Heilung  damit  erzielt. 

Die  Prognose  der  circumscripten  Peritonitis  —  ohne  septische  Allge- 
meinerkrankung, ist  gewöhnlich  günstig.  Das  sind  jene  Fälle,  die  wir  des 
Oefteren  erwähnt  haben  und  die  ihren  günstigen  Verlauf  durch  unser  zeit- 
gemässes,  operatives  Eingreifen  vermittelst  Incision  und  secuudärer  Drainage, 
nehmen. 

Diffuse  Peritonitis  ist  schon  in  Folge  ihres  allgemeinen  septischen 
Charakters  tödtlich,  der  Tod  wird  aber  durch  sie  noch  beschleunigt  in  Folge 
hochgradigen  Meteorismus,  der  seinerseits  Respiration  und  Herzthätigkeit  behin- 
dert. Der  Tod  in  Folge  septischer  Peritonitis  kann  auch  später  —  Wochen 
nach  der  Operation  —  durch  Darmperforation,  oder  auf  anderen  Wegen  zu 
Stande  kommende  septische  Infection  des  Peritoneums  erfolgen. 

Darmocclusionen  —  früher  oder  später  auftretend  —  sind  im  Ge- 
folge einer  Ovariotomie  nicht  ganz  seltene  Erscheinungen.    Die  Ursache  kann 


OVAPJÜM.  603 

in  einer  während  der  Operation  zu  Stande  gekommenen  Axendrehung  des 
Darmes,  oder  aber  darin  liegen,  dass  sich  der  Darm  zwischen  dem  Stiel  (be- 
sonders bei  extraperitonealer  Behandlung  desselben)  und  der  Bauchwand,  oder 
einem  anderen  Organe,  oder  aber  zwischen  Adhäsionen  einklemmt.  Bei  ge- 
stellter Diagnose,  die  nicht  immer  leicht  ist,  hat  man  so  zu  verfahren,  wie  bei 
Darmocclusionen  überhaupt,  nämlich  den  Bauch  zu  öffnen  und  die  Lösung  zu 
vollführen. 

Tetanus  ist  nach  Ovariotomie  relativ  häufig  beobachtet  worden. 
Als  Ursache  davon  ist  besonders  die  Klammerbehandlung  des  Stieles  ange- 
nommen worden,  hauptsächlich  in  jener  Deutung,  dass  keine  hinreichend  feste 
Umschnürung  des  Stieles  und  somit  auch  keine  raschere  und  totale  Zerstörung 
der  Stielnerven  stattgefunden  habe.  Die  Therapie  ist  dieselbe,  wie  solche 
überhaupt  gegen  Tetanus  in  Anwendung  kommt. 

Thrombosen  reihen  sich  an  umschriebene  Eiter-,  und  Jauche-Herde 
in  der  Bauchhöhle  an.  Zerfall  des  Thrombus  führt  durch  Pyämie,  oder  Em- 
bolie  zum  Tode. 

Tod  in  Folge  erschöpfender  Eiterung  kommt  bei  unserer  heutigen 
Antiseptik  und  operativen  Technik  höchst  selten  vor.  Jene  Zustände,  die  dazu 
führen  könnten,  als:  Eiteransammlung,  Eitersenkung,  unterliegen  dem  allgemein 
bekannten  chirurgischen  Verfahren. 

Unter  den  Nachkrankheiten,  die  sich  nach  einer  Ovariotomie  zu  ent- 
wickeln pflegen,  will  ich  hier  nur  noch  der  Hernien  gedenken,  deren  häu- 
figes Entstehen  an  die  Nachgiebigkeit  und  Ausdehnung  der  Bauchnarbe  ge- 
bunden ist.  Wie  wir  dies  schon  bei  der  Operation  durch  Erzielung  einer 
festen  Narbe  verhindern  können,  habe  ich  oben  erörtert;  was  nach  der  Ope- 
ration als  unsere  Aufgabe  erscheint,  ist  unsererseits  die  Verordnung  einer  be- 
ständig zu  tragenden  Leibbinde,  seitens  der  Genesenen  aber  die  Meidung  über- 
grosser körperlicher  Anstrengung.  beaxdt. 

Ovarium.  Der  Eierstock  (Ovarium)  ist  die  Keimstätte  der  Eier.  Nach 
dem  FLEMiNG'schen  Schema  der  Drüseneintheilung  werden  die  Ovarien  zu 
den  alveolären  Drüsen  gerechnet.  Da  jedoch  die  Ovarien  keine  eigentliche 
secernirende  Function  besitzen,  ihre  Thätigkeit  vielmehr  darin  besteht,  aus 
den  Follikeln,  einem  integrirenden  Gewebsbestandtheil,  functionsfähige  Zellen, 
die  Eier,  auszustossen,  so  sollten  nach  Schieferdecker  die  Ovarien  rich- 
tiger nicht  zu  den  Drüsen  gerechnet  werden. 

Die  Anatomie  des  Ovariums  ist  in  der  Einleitung  zu  diesem  Bande 
dargestellt;  die  Topographie  des  Organes  rücksichtlich  seiner  Lage  zum 
Uterus  und  den  Eileitern,  seine  Verbindungen  zu  den  letztgenannten 
Bestandtheilen  des  weiblichen  Genitalapparates  und  die  Art  der  peritonealen 
Bekleidung  ist  in  dem  Aufsatze  „  Ovariotomie  —  Ovarialtumoren^''  ausführlich 
beschrieben  und  in  dem  Artikel  „  Uterus'-''  durch  eine  entsprechende  Figur 
illustrirt. 

Die  Histologie  des  Ovariums  ist  ein  Gebiet,  das  noch  bis  in  die 
Gegenwart  eine  Reihe  von  Autoren  beschäftigte.  Auf  einem  Längsdurchschnitte 
unterscheidet  man  zunächst  eine  einfache  Keihe  cylindrischer  Epithelzellen, 
Keimepithel,  dicht  unterhalb  derselben  eine  Bindegewebslage,  in  welcher 
keine  Follikel  vorhanden  sind,  Rindenschicht,  centralwärts  hievon  ein 
bindegewebiges  Stroma,  welches  die  Follikel  trägt,  Parenchymzone.  In 
dieser  finden  sich  nun,  sofern  die  Ovarien  geschlechtsreifer  Individuen  in  Be- 
tracht kommen,  dicht  unter  der  äusseren  Rindenschicht  die  noch  unentwickelten 
Follikel,  Primordialfollikel,  genannt;  gegen  das  Centrum  zu,  werden  die  Fol- 
likel an  Zahl  spärlicher,  nehmen  aber  an  Grösse  zu,  das  ist  die  Zone  der 
reifen,  sogenannten  GRAAP'schen  Follikel. 

um  die  Entwicklung  der  GRAAF'schen  Follikeln  zu  verstehen,  ist  es  angezeigt,  die 
Anlage  des  Eierstockes  kurz  zu  skizziren.     Das  Ovarium  kennzeichnet  sich  in  seiner 


604  OVARIUM. 

ersten  Anlao'e  als  ein  Epithclwnlst,  der  dadurch  entstellt,  dass  in  der  Leibeshöhle  neben 
den  iVlesenterialplatten  die  Epithelialzellen  sich  stärker  entwickeln.  Diese  Epithelzellen 
fahren  den  Namen  Keimepithel  und  wachsen  schlauchartig  in  die  Tiefe  (Ovarialschläuehe). 
Hierauf  schnüren  sich  dieselben  vom  oberflächlichen  Keimepithel  ab  und  bilden  so  ver- 
schieden umfangreiche  Zellenhaufen  im  Stroma.  Dieses  letztere  entsteht  durch  eine  Wu- 
cheiunw  von  Bindegewebe,  das  vom  ^YoLFF'schen  Körper  her  gegen  den  Keimepithelwulst 
wächst?  In  den  genannten  Epithelzellenhaufen  tritt  nun  oine  Differenzirung  derart  ein, 
dass  einige  durch  besonderes  Wachsthum  grösser  werden  und  die  Primordialeier  bilden, 
während  die  anderea  die  bisherige  Grösse  beibehaltend  jene  als  Epithelbekleidung  um- 
hüllen. So  entstehen  die  Primordialfollikel.  Später  wuchert  das  Follikelepithel  und 
bildet  mehrere  Schichten  bis  endlich  durch  Verflüssigung  einzelner  Zellpartien  ein  Spalt 
entsteht,  der  allmälig  immer  grösser  wird  und  mit  einer  Flüssigkeit  dem  Liquor  folli- 
culi gefüllt  ist.  Die  eigentliche  Eizelle  bleibt  an  der  einen  Wand  des  Follikel  zurück  und 
i  t  von  einem  kuppeiförmigen  Zellenhaufen  umgeben,  den  man  Cumulus  ovigerus 
nennt.     So  entwickelt  sich  aus  dem  Primordialfollikel   der  GRAEF'sche  Follikel. 

Centrahvärts  von  der  Parencliymzone  befindet  sich  die  sogenannte  Mark- 
substanz des  Ovariums,  Avelche  ^Yegen  der  mächtigen  Entwicklung  der 
daselbst  verlaufenden  Blutgefässe  auch  Gefässzone  genannt  wird.  Ausser 
diesen  besteht  sie  noch  aus  derbem  Bindegewebe,  elastischen  Fasern  und 
glatten  Muskelzellen. 

Die  Blutgefässe  treten  am  Hilus  in  das  Organ  ein,  bilden  ein  die 
Follikel  umschliessendes  Netz  und  sind  wie  eben  bemerkt,  in  der  Marksubstanz 
stark  entwickelt.  Die  Vertheilung  der  Lymphgefässe  ist  die  gleiche,  wie 
die  der  Blutgefässe.  Die  mit  den  Gelassen  in  den  Hilus  eintretenden  Nerven 
durchziehen  die  dicken  Bündeln  mit  Markschichten  und  treten  von  dieser  in 
die  Rindenschicht  über.  Um  die  Gelasse  bilden  die  Nervenfasern  dichte 
Geflechte.  In  der  Follikularzone  umspinnen  die  Nervenfasern  die  grossen 
und  kleinen  Follikel  und  endigen  mittels  frei  auslaufender  Fäden  an  und  in 
der  Wand  der  Follikel.  Nach  v.  Herfp  treten  die  Nervenfasern  bis  in  das 
Follikelepithel  ein,  eine  Beobachtung  welche  L.  Mandl  in  daraufhin  ge- 
richteten Untersuchungen  nicht  bestätigen  konnte. 

Die  physiologische  Thätigkeit  der  Ovarien  ist  in  den  Aufsätzen 
„Menstruation'-^  und  Ovulation^^  ausführlich  dargelegt.  Der  Abbruch  dieser 
normalen  Function  ist  an  gewisse  regressive  Veränderungen  in  der  Structur 
des  Eierstockes  gebunden.  (Vergl.  Artikel  „Klimaderimn^,  pag.  472.) 

Die  Atrophie  der  Ovarien  kann  durch  Allgemeinerkrankungen  be- 
dingt sein,  die  mit  schweren  Stoff  Wechselstörungen  einhergehen  {luberculose, 
Chlorose,  Diabetes,  Morbus.  Basedoivi  etc.).  Bei  gynäkologischer  Untersuchung 
findet  man  die  Ovarien  gegen  die  Norm  verkleinert  und  schlaff.  Diese  Atro- 
phie kann  auch  wieder  dem  Normalzustand  Platz  machen,  wenn  der  Gesammt- 
organismus  sich  erholt. 

Zu  den  Bildungsfehlern  der  Ovarien  rechnet  man  die  Ueberzahl 
von  Eierstockanlagen;  oft  sind  dies  nur  „abgesprengte  Keime,"  die  als  „acces- 
sorische  Ovarien"  zur  Entwicklung  gelangen,  in  einigen  Fällen  wurde  aber 
auch  ein  vollkommen  ausgebildetes  drittes  Ovarium  gefunden  (v.  Winckel, 
Bassini).  Angeborener  totaler  Defect  der  Eierstöcke  ist  eine  Theilerschei- 
nung  einer  bedeutenden  Bildungshemmung  des  ganzen  Genitalapparates.  Das- 
selbe gilt  von  der  rudimentären  Bildung  der  Ovarien.  Sie  finden  sich 
also  meist  nur  bei  Mangel  des  Uterus,  bei  Uterus  unicornis  (nur  auf  der 
einen  Seite),  bei  rudimentärem  Uterus. 

Die  Lageveränderungen  der  Ovarien  betreffen  zunächst  eine 
Verlagerung  in  herniöse  Säcke.  Am  häufigsten  sind  die  ovarialen  Inguinal- 
hernien, viel  seltener  die  ovarialen  Cruralhernien.  Nach  Englisch's  Beobach- 
tungen ist  das  Verhältnis  beider  Bruchformen  zu  einander  wie  cca.  1  :  4.  Von 
den  Inguinalhernien  sind  die  angeborenen  häufiger  als  die  erworbenen;  sie 
entstehen  durch  die  Bildung  eines  Proc.  vaginalis  peritonei,  der  offen  bleibt 
und  in  den  die  Ovarien  gegen  das  Labium  majus  zu  hineingleiten.  Dieser 
Eintiitt  in  den  vorgebildeten  Bruchsack  wird   oft  erst  durch  ein  Puerperium, 


OVULATION.  605 

in  dem  ja  eine  gewisse  Schlaffheit  aller  Fixati onsmittel  des  Genitalapparates 
und  auch  der  Bauchdecken  vorhanden  ist,  direct  veranlasst.  Das  (Jvarium 
im  Bruchsack  entzündet  sich  sehr  leicht  und  die  P^nt/ündung-  saninit  den  hie- 
mit  verbundenen  Beschwerden  macht  oft  erst  den  Arzt  auf  die  A'erlagerung 
aufmerksam.  Als  Hernia  abdominalis  ovarica  bezeichnet  man  die  Verlagerung 
des  Ovariums  in  eine  hernienartig  ausgestülpte  Partie  der  Bauchdecken.  Selten 
ist  die  Hernia  ovarica  ischiadica  (Routier);  eine  Hernia  ohturatoria  hat  Kiwiscii 
beobachtet.  Die  Diagnose  der  Ovarialhernien  ist  die  gleiche  wie  die  aller 
übrigen  Brüche;  Gestalt,  Consistenz  und  Zusammenhang  mit  dem  Uterus 
weist  auf  den  Eierstock  als  Inhalt  des  Bruchsackes  hin.  Ein  Bruchband  mit 
Hohlpelotten  soll  das  Ovarium  gegen  äussere  Insulte  schützen,  eine  Entzün- 
dung muss  antiphlogistisch  behandelt  werden,  an  eine  Herniotomie  kann  nur 
bei  Möglichkeit  der  Eeposition  gedacht  werden,  sonst  ist  bei  besonderen  Be- 
schwerden die  Exstirpation  indicirt. 

Abnormer  Tiefstand  des  Ovariums  kommt  ziemlich  häufig  vor, 
erzeugt  oft  kolikartige  Schmerzen  und  ist  ursächlich  durch  Erschlaffung  des 
Ligamentum  latum  bedingt.  Dieser  Descensus  ovarii  gegen  den  DouGLAs'schen 
Raum  zu  ruft  oft  besondere  Beschw^erden  bei  der  Defäcation  hervor,  so  dass 
auch  bei  dieser  Lageveränderung,  wenn  Massage,  Jodoformgaze  -  Tamponade 
der  Scheide,  Einlegen  eines  Hebelpessars  nicht  wirksam  sind,  nur  die  Exstir- 
pation entscheidende  Hilfe  bringt. 

Blutungen  in  das  Ovarialgewebe  haben  wegen  der  begleitenden 
Erscheinungen  klinisches  Interesse.  Mit  dem  Platzen  eines  GRAAF'schen 
Follikels  ist  regelmässig  eine  geringe  Blutung  verbunden.  Pathologisch  sind 
bedeutende  Blutergüsse,  welche  den  Follikel  zu  einer  Blutcyste  umgestalten. 
Platzt  der  Follikel,  so  tritt  das  Blut  in  die  Bauchhöhle  aus  und  kann  so 
direct  den  Tod  veranlassen  (ohne  oder  mit  begleitender  Peritonitis)  oder  einen 
abgekapselten  Blutherd  bilden,  der  zuw^eilen  die  Stelle  einer  Haematocele  retro- 
uterina  '^')  einnimmt.  Findet  keine  Ruptur  statt,  dann  etablirt  sich  eine 
sogenannte  Ovarialblutcyste,  welche  bis  wallnussgross  werden  kann.  Zu- 
weilen können  sich  dieselben  vollständig  rückbilden,  in  anderen  Fällen  führen 
sie  zu  den  Beschwerden  eines  Ovarialtumors  und  müssen  operativ  entfernt 
werden,  wie  dies  auch  schon  wiederholt  geschehen  ist  (Sänger,  Munde,  Dorax 
Gottschalk  u.  a.).  —  Viel  seltener  sind  interstitielle  Blutungen  in  das 
Stroma,  insbesondere  bei  allgemeiner  hämorrhagischer  Diathese.  —  Eine  eigen- 
thümliche  Art  von  „cavernöser  Blutgeschwulst  des  Ovariums"  beschrieb  Gott- 
schalk, indem  beide  Ovarien  von  blutgefüllten  wandungslosen  Räumen  durch- 
setzt waren,  w^elche  mit  dem  Gefässystem  in  Communication  standen. 

Die  Entzündug  der  Ovarien  und  die  Bildung  von  Eiterherden  inner- 
halb des  Eierstockgewebes  (Ovarialabscesse)  sind  in  dem  Artikel  ,, Oopho- 
ritis^'' abgehandelt.  Bezüglich  der  Neubildungen  des  Ovariums,  der 
Symptomatologie  und  Diagnose  derselben  und  der  Methoden  ihrer  operativen 
Entfernung  muss  auf  den  Artikel  „Ovariotomie  —  Ovarialtumoren'',  bezüglich 
der  Tuberculose  der  Ovarien  auf  den  Artikel  „Titberculose  der  weiUichen 
Genitalien"  verwiesen  werden.  c-r. 

Ovulation.  ""■")  Wenn  es  auch  feststeht,  dass  schon  bei  Neugeborenen,  ja 
selbst  bei  Föten  fertige  GAAF'sche  Follikel  vorkommen  können  (Bischoff, 
SiNETY,  Slaviansky,  Raciborsky,  Haussmann,  Nagel),  so  ist  dies  doch  als 
eine  Ausnahme,  nicht  als  die  Regel  anzusehen.  Erst  mit  dem  Herannahen  der 
Pubertät,  in  unserem  Klima  ungefähr  vom  12.  oder  13.  Lebensjahr,  fangen 
die  Follikel  an  zu  reifen.  Es  bildet  sich  in  ihnen  eine  freie  Höhle,  von  dem 
Liquor  folliculi  gefüllt.  Das  Epithel  der  Membrana  granulosa  häuft  sich  an 
der,  der  Aussenseite  des  Ovarium  gegenüberliegenden  Seite  zu  dem  das  Ei  um- 

*)  Siehe  diesen  Artikel,  pag.  332. 
**)  Vergl.  auch  Artikel  „Menstruation'^. 


606  PARAMETRITIS. 

scliliessenden  Cumulus  proligerus.'^  Die  allmälig  waclisenclen  Follikel  üben 
auf  die  sie  nicht  nur  umspinnenden,  sondern  in  die  Membrana  granulosa  der 
grösseren  eindringenden  Nerven  (v.  Herff)  einen  Eeiz  aus,  welelier  auf  reflectori- 
scliem  Weg  eine  Hyperämie  der  Sexualorgane,  insbesondere  der  Ovarien  her- 
beiführt (Pflüger).  Unter  dem  Einfluss  der  letzteren  nimmt  die  Follikel- 
flüssigkeit  schneller  zu,  die  Spannung  in  dem  Follikel  Avird  grösser;  er  rückt 
an  die  Peripherie  des  Ovarium  heran  und  birst,  das  Ovulum  entleerend,  auf 
der  Höhe  der  Cohgestion.  Das  Eichen  wird  entweder  von  der  Ampulle  der 
Tube  direct  aufgenommen  oder  durch  die  seröse  Strömung,  welche  die  Flimme- 
rung der  Tubenschleimhaut  hervorruft,  dem  Eileiter  zugeführt. 

Nachdem  der  GnAAF'sche  Follikel  geplatzt  und  das  Ei  ausgetreten  ist, 
beginnt  er  sich  zurückzubilden.  Es  entsteht  aus  ihm  das  sogenannte  Corpus 
luteum;  wird  das  Ei  befruchtet,  das  Corpus  luteum  verum,  wenn  nicht,"  das 
Corpus  luteum  falsiim.  Ein  principieller  Unterschied  zwischen  beiden  besteht 
nicht.  Bei  dem  Corpus  luteum  verum  findet  unter  dem  Einfluss  der  Schwan- 
gerschaftshyperämie der  Genitalien  zunächst  eine  stärkere  und  länger  anhaltende 
Zellwucherung  statt;  die  Eückbildung  erfolgt  langsamer.  Bei  dem  Corpus  luteum 
falsum  dagegen  tritt  sie  in  der  Eegel  bald  nach  dem  Platzen  des  Follikels  ein. 

Während  man  früher  dem  in  den  Follikel  ergossenen  Blut  die  Hauptrolle 
bei  der  Bildung  des  Corpus  luteum  zuschrieb,  stimmen  jetzt  alle  Autoren 
darin  überein,  dass  dies  von  keiner  wesentlichen  Bedeutung  ist.  Dagegen 
sind  die  Ansichten  noch  getheilt,  ob  die  Zellen  des  gelben  Körpers  von  der 
inneren  Schicht  der  Theca  folliculi  oder  von  der  Membrana  granulosa  oder  von 
beiden  herrühren  (s.  Benckisser:  Zur  Entwicklungsgeschichte  des  Corpus  lu- 
teum. Ärch.  f.  Gyn.  Bd.  XXIII,  pag.  350).  Wahrscheinlich  gehen  die  Zellen  der 
Membrana  granulosa  bei  der  Berstung  des  Follikels  zu  Grunde  und  nur  durch 
Wucherung  der  Zellen  der  Theca  interna  (Granulationsschicht  Slaviansky's) 
bildet  sich  das  Corpus  luteum.  Allmälig,  bei  Schwangeren  ungefähr  vom  vierten 
Monat  der  Gravidität  an,  verkleinert  sich  dasselbe  wieder,  bis  schliesslich  nur 
noch  eine  narbige  Einziehung  an  der  Oberfläche  des  Eierstockes  von  ihm 
übrig  bleibt. 

Ob  die  Ovulation  nur  in  regelmässigen,  ungefähr  den  menstruellen 
Perioden  entsprechenden  Zwischenräumen  oder  auch  ausserhalb  derselben  er- 
folgt, ist  eine  bisher  noch  nicht  mit  Sicherheit  entschiedene  Frage.  Dass  sie 
nicht  stets  an  die  Menstruation  gebunden  ist,  beweisen  die  zahlreichen  Fälle, 
in  welchen  bei  Amenorrhoe  in  Folge  von  Lactation,  Chlorose,  ja  bei  überhaupt 
noch  nicht  menstruirten  Mädchen  Schwangerschaft  eintrat.  Trotzdem  ist  die 
Annahme  gerechtfertigt,  dass  die  Ovulation  in  der  Kegel  mit  der  Menstruation 
in  einem  zeitlichen  Zusammenhang  steht,  d.  h.  kurz  vor,  während  oder  nach 
derselben  ein  GRAAF'scher  Follikel  platzt.  Dies  schliesst  nicht  aus,  dass  ge- 
legentlich, dann  wohl  infolge  einer  plötzlichen  starken  Hyperämie  der  inne- 
ren Geschlechtsorgane,  z.  B.  bei  sehr  heftiger  sexueller  Erregung,  stürmischem 
Coitus  auch  zu  anderer  Zeit  ein  reifer  Follikel  birst.  Auch  bei  Schwangeren 
sind  springfertige  Follikel  gefunden  worden.  Es  ist  dies  aber  jedenfalls  eine 
Ausnahme.     Gewöhnlich  ruht  die  Ovulation  während  der  Gravidität. 

GRAEFE. 

ParametritiS.  (Siehe  Art.  „Adnexentumor"  und  „Beckenexsudate".)  Unter 
Parametritis  oder  Pelveocellulitis  verstehen  wir  diejenigenEntzündungsvorgänge 
und  deren  Folgezustände,  welche  sich  in  dem  den  Uterus  ringsum  umgebenden 
Beckenbindegewebe  abspielen.  Nach  oben"" ")  wird  der  als  Parametrium  bezeich- 
nete Raum  vom  Beckenperitoneum  begrenzt,  nach  unten  von  dem  das  sogenannte 


*)  Vergl.  auch  Artikel  „Ovarium'^. 
**)  Vergl.  die  in  den  Artikel  „Uterus"  eingefügten  Figuren. 


parametritis.  607 

Diaphragma  pelvis  bildenden  Levator  ani;  lilase  und  Uterus  mit  den  Ligg. 
rotundis  und  den  Ligg.  sacro-uterinis  oder  Douglasii  bilden  in  gewissem  Sinne 
eine  mittlere  Scheidewand  und  trennen  den  Raum  in  eine  rechte  und  linke 
Hälfte;  zwischen  beiden  bestehen  jedoch  Verbindungsbrücken  und  zwar  vorn 
zwischen  vorderer  Bauchwand  und  Blase,  sowie  zwischen  Blase  und  Uterus,  und 
hinten  zwischen  Uterus  und  Mastdarm,  respective  Kreuzbein;  man  könnte 
demnach  also  eine  Parametritis  dextra  und  sinistra,  und  eine  Parametritis 
anterior  und  posterior  unterscheiden;  derartige  streng  abzugrenzende  Ent- 
zündungsherde gehören  allerdings  zu  den  Seltenheiten,  namentlich  was  die 
vorderen  und  hinteren  Parametritiden  anbetrifft;  letztere  kommen  ausser- 
ordentlich selten  isolirt  vor  und  sind  meist  mit  einer  rechts-  oder  links- 
seitigen verbunden. 

Das  mit  der  oberen  Hälfte  des  Uterus  fest  verwachsene  Peritoneum, 
welches  sich  nach  vorn  bis  ungefähr  zur  Höhe  des  Orificium  internum  uteri 
erstreckt,  während  nach  hinten  der  festhaftende  Theil  desselben  etwas  höher 
inserirt  und  dann  locker  sich  nach  abwärts  noch  über  das  Collum  und  den 
oberen  Theil  der  Vagina  fortsetzt,  verhindert  eine  Ausdehnung  der  parametri- 
tischen  Entzündungen  nach  dieser  Richtung  hin  und  bedingt  bei  grösseren 
Exsudaten  die  charakteristische  Form  derselben.  Wichtig  ist  also  vor  allen 
Dingen,  dass  es  sich  bei  der  Parametritis  in  erster  Linie  um  extraperitoneale 
Entzündungsherde  handelt. 

Der  parametrane  Raum  wird  von  meist  lockerem  Bindegewebe  und  ver- 
einzeltem Fettgewebe  gebildet,  in  welchem  zahlreiche  Arterien,  Venen  und 
Lymphgefässe  verlaufen;  besonders  ausgedehnt  sind  die  Venennetze,  welche  in 
den  Ligg.  latis  den  Plexus  pampiniformis  bilden.  Die  Verbreitung  der  Lymph- 
gefässe sind  in  letzter  Zeit  eingehend  von  Poieier  studirt  und  beschrieben 
worden. 

Interessante  Injectionsversuche  über  die  in  diesem  Bindegewebe  verlau- 
fenden Spalträume  sind  von  König  und  Schlesinger  ausgeführt  worden;  sie 
ergaben  eine  bemerkenswerthe  Uebereinstimmung  mit  der  Art  und  Weise  der 
Verbreitung  entzündlicher  Vorgänge;  natürlich  darf  hierbei  die  Wichtigkeit 
und  Bedeutung  der  Blut-  und  Lymphgefässe  nicht  ausser  Acht  gelassen  werden. 

Aetiologie:  Man  hat  meist  zwei  Formen  von  Parametritis  unterschieden: 
eine  gutartige,  nicht  infectiöse  und  eine  bösartige,  infectiöse;  das  Vorkommen 
der  ersteren  wird  von  manchen  Forschern  geleugnet,  namentlich  nachdem 
BuMM  auf  experimentellem  Wege  versucht  hat,  Klarheit  in  die  Entstehungs- 
weise der  Parametritis  zu  bringen.  Bumm  versuchte  durch  mechanische  und 
chemische  Reize  Entzündungen  im  Parametrium  des  Kaninchens  zu  erzeugen, 
aber  ohne  Erfolg;  dagegen  gelang  es  ihm  leicht,  eine  Parametritis  durch  In- 
fection  mit  Eitercoccen  hervorzurufen;  auf  Grund  dieser  Versuche,  glaubt  er, 
dass  eine  einfache,  traumatische,  nicht  infectiöse  Parametritis  nicht  vorkommt. 
Es  entspricht  allerdings  auch  der  allgemeinen  Erfahrung,  dass  die  bei  weitem 
meisten  Parametritiden  auf  infectiöser  Basis  beruhen.  Diejenigen  Eitercoccen, 
welche  man  bisher  vorwiegend  als  die  eigentliche  Ursache  hat  nachweisen 
können,  sind  die  Streptococcen,  die  Staphylococcen,  die  Gonococcen,  die  Tu- 
berkelbacillen  und  der  Actinomycespilz.  Die  Wege,  auf  denen  diese  Mikroorga- 
nismen in  das  Parametrium  gelangen  können,  sind  vorwiegend  zweierlei  Art, 
entweder  vom  Genitaltractus  oder  vom  Darm,  respective  Peritoneum  aus.  Die 
erstere  Verbreitungsweise  ist  die  häufigste,  wir  beobachten  dieselbe  am  meisten 
bei  Verletzungen  nach  Geburten  und  Aborten,  w^eiterhin  nach  operativen  Ein- 
griffen in  der  Scheide  oder  am  Uterus.  Eine  w^eitere,  in  der  Regel  vom  Geni- 
taltractus ausgehende  Infectionsquelle  ist  die  Gonorrhoe;  diese  Form  der  Infec- 
tion  ist  jedoch  dadurch  charakterisirt,  dass  sie  selten  allein  zur  Parametritis 
führt,  sondern  in  fast  allen  Fällen  gleichzeitig  auch  die  Eileiter  und  Ovarien 
in  Mitleidenschaft  zieht,  da  die  Gonococcen  sich  mit  Vorliebe  auf  der  Schleim- 


"608  PARAMETRITIS. 

hautaiiskleidung  des  Genitaltractus  weiter  aiiszudelmen  pflegen.  In  einer 
seltenen  Zahl  von  Fällen  ist  eine  Infection  von  Seiten  des  Darmes  nicht  von 
der  Hand  zu  weisen;  man  hat  sowohl  Fälle  beobachtet,  wo  sich  Parametritiden 
im  Anschluss  an  eine  Paratyphlitis,  als  auch  vom  Mastdarm,  respective  der 
Flexura  sigmoidea  aus  entwickelt  haben;  wahrscheinlich  spielt  hierbei  das 
Bacterium  coli  commune  eine  Kolle;  ein  derartiger  Fall  ist  kürzlich  von 
Eisenhart  beobachtet  worden. 

Pathologische  Anatomie:  Es  gibt  eine  eitrige  und  eine  nicht  ei- 
trige Parametritis,  letztere  ist  jedoch  meist  nur  das  Vorstadium  von  ersterer. 
Anfangs  handelt  es  sich  meist  um  eine  hochgradige  Hyperämie  mit  nachfolgen- 
der seröser  oder  ödematöser  Durchtränkung  und  Infiltration  des  parametranen 
Bindegewebes,  wodurch  dasselbe  eine  derbe,  schwielige  Beschaffenheit  annimmt; 
es  kommt  nun  entweder  zur  Ptesorption,  wobei  jedoch  namentlich  bei  chro- 
nischem Verlauf  noch  lange  schwielige  Verdickungen  im  Parametrium  zurück- 
bleiben können,  welche  mannigfache  Verlagerungen  und  Verwachsungen  des 
Uterus  bewirken,  oder  die  Infiltration  geht  in  Eiterung  und  Abscessbildung 
über,  die  häufig  mit  ausgedehnten  Nekrotisirungen  des  Gewebes  oder  Ver- 
jauchung, namentlich  in  der  Nähe  des  Darmes  verbunden  sind. 

Die  Form  und  Ausdehnung  der  eitrigen  Processe  kann  sehr  verschieden 
sein;  sie  kommen  ein-  und  doppelseitig  vor;  sie  können  sich  auf  die  unmittel- 
bare Umgebung  des  Uterus  beschränken,  sie  nehmen  aber  olt  auch  eine  ganz 
bedeutende  Ausdehnung  an,  so  dass  nicht  nur  das  ganze  Lig.  lat.  ergriffen 
wird,  sondern  das  Exsudat  auch  den  Mastdarm  vollkommen  umgreift,  nach  den 
Bauchdecken  zu  vordringt  und  ebenso  zur  Blase;  secundär  können  sodann 
auch  die  Beckenknochen  und  Gelenke  ergriffen  werden.  Die  hauptsächlichen 
Verbreitungswege  sind  aus  den  in  den  Artikel  ;,  Utejms"  eingefügten  Figuren 
leicht  ersichtlich.  Schliesslich  kommt  es  zu  Perforationen:  nach  aussen  gewöhn- 
lich über,  seltener  unter  dem  PouPART'schen  Bande;  ferner  nach  der  Scheide,  dem 
Mastdarm,  der  Blase,  seltener  durch  die  Fossa  ischiadica  unter  die  Mm.  Glutaei. 
Nach  dem  Durchbruch  des  Eiters  kann  es  zur  langsamen  Ausheilung  kommen, 
allerdings  unter  Zurückbleiben  meist  ausgedehnter  schwieliger  Verdickungen, 
oder  die  Perforationsöffnung  schliesst  sich  nur  vorübergehend,  um  sich  nach 
erneuter  Eiteransammlung  wieder  zu  öffnen.  Bei  so  ausgedehnten  Formen 
der  Parametritis  fehlen  auch  selten  pelveo-peritonitische  Erscheinungen,  welche 
zu  mannigfachen  Verwachsungen  mit  den  umliegenden  Organen  Veranlassung 
geben. 

Besondere  Formen  der  Parametritis  sind  beschrieben  worden  von  W.  A. 
Freund,  der  eine  gewisse  Art  als  Parametritis  chronica  atrophicans  bezeichnet 
hat;  hierbei  kommt  es  zu  narbiger  Schrumpfung  des  Beckenbindegewebes  und 
nachfolgenden  atrophischen  Zuständen  des  Uterus,  der  Scheide  und  auch  der 
Ovarien;  ferner  von  B.  S.  Schultze  die  Parametritis  posterior,  welche  sich 
vorwiegend  auf  die  Ligg.  sacro-uterina  beschränkt  und  hier  zu  starker  Ver- 
kürzung und  secundär  zu  pathologischer  Anteflexion  des  Uterus  führen  kann. 
Schliesslich  sind  namentlich  von  französichen  Forschern  (Courty)  Fälle  be- 
obachtet worden,  bei  denen  es  sich  um  starke  Drüsenschwellung  in  den  Pa- 
rametrien  gehandelt  hat ;  hierbei  zogen  sich  die  geschwollenen  Drüsen  rosen- 
kranzähnlich zu  beiden  Seiten  des  Uterus  bis  zur  Beckenwand  hin;  diese  Er- 
krankungsform wird  als  Adenitis  periuterina  bezeichnet;  ähnliche  Fälle  sind 
auch  von  A.  Martin  beobachtet  worden. 

Symptome  und  Verlauf:  Die  Symptome  der  Parametritis  sind  ver- 
schiedener Natur,  je  nachdem  es  sich  um  einen  acuten  oder  chronischen  Fall 
handelt.  Im  acuten  Stadium  sind  die  Hauptsymptome  Fieber  und  Schmerz- 
haftigkeit  in  der  Tiefe  des  Beckens;  meist  setzt  die  Erkrankung,  namentlich 
in  den  ausgesprochen  infectiösen  Fällen  mit  einem  heftigen  Schüttelfrost  ein; 
das  Fieber  erreicht  bald  darauf  eine  Höhe  von  40 — 41"  C,  unter  gleichzeitiger 


PARAMETPJTIS.  609. 

starker  Steigerung  der  Pulsfrequenz  auf  120—140;  das  Fieber  kann  sich  ei- 
nige Tage  auf  ziemlicher  Höhe  halten,  bis  allinälig  langsam  Kemissionen  ein- 
treten. Die  Schmerzen  (die  vorwiegend  auf  eine  gleichzeitige  lieizung  des 
Beckenperitoneum  zurückzuführen  sind)  gehen  gewöhnlich  mit  dem  Fieber 
Hand  in  Hand;  bei  zunehmendem  Exsudat  treten  dann  Druckerscheinungen 
und  dadurch  bedingte  Schmerzen  im  Bereich  der  benachbarten  Nervenplexus, 
namentlich  des  Plexus  sacralis  auf,  sowie  Functionsstörungen  von  Seiten  der 
Blase  und  des  Mastdarms.  Kommt  es  zur  Resorption,  so  gehen  die  Erschei- 
nungen allmälig  zurück,  während  schwielige  Verdickungen  in  den  Parametrien 
noch  lange  zurückbleiben  können. 

Bei  einigermaassen  chronischem  Verlauf  kommt  es  fast  stets  zur  Eiterung 
unter  meist  hektischen  Fiebererscheinungen  nebst  starkem  Kräfteverfall. 
Während  man  Anfangs  bei  innerer  Untersuchung  meist  nur  eine  empfindliche 
Infiltration  auf  einer  oder  zu  beiden  Seiten  des  Uterus  findet,  bildet  sich 
jetzt  alsbald  ein  leicht  palpabler  Tumor  von  zunächst  teigiger,  später  harter, 
knolliger  Beschaffenheit,  und  häufig  bis  zum  Nabel  reichender  Ausdehnung; 
Uteras,  Blase  und  Rectum  werden  von  den  starren  Exsudatmassen  oft  voll- 
kommen eingemauert;  im  weiteren  Verlauf  kommt  es  zu  umfangreichen  Eiter- 
bildungen, welche  mehr  oder  weniger  Neigung  zum  Durchbruch  in  die  benach- 
barten Organe,  namentlich  Scheide,  Mastdarm  oder  Blase  haben  (cf.  Artikel: 
„Beckenexsudate^').  —  Häufige  Exacerbationen  auch  nach  erfolgtem  Durch- 
bruch gehören  keineswegs  zu  den  Seltenheiten. 

Während  im  acuten  Stadium  die  langandauernde  Höhe  des  Fiebers, 
pyämische  Metastasen  oder  Durchbruch  in  die  Peritonealhöhle  zum  Tode  führen 
können,  stellen  sich  beim  chronischen  Verlauf  häufig  amyloide  Degenerationen 
in  den  parenchymatösen  Organen,  namentlich  den  Nieren  ein,  welche  ein  lang- 
sames Siechthum  und  schliesslich  den  Tod  zur  Folge  haben. 

Diagnose:  Von  grosser  Bedeutung  für  die  richtige  Stellung  der  Diag- 
nose ist  die  Berücksichtigung  der  Anamnese.  Treten  die  Krankheitserschei- 
nungen im  unmittelbaren  Anschluss  an  eine  Geburt  oder  einen  Abort  auf, 
sowie  nach  operativen  Eingriffen,  so  ist  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  es  sich 
um  eine  reine  Parametritis  handelt,  grösser,  wie  bei  dem  Verdacht,  dass  die 
Erkrankung  die  Folge  einer  gonorrhoischen  Infection  ist.  Mit  Nichts  sind 
und  werden  noch  heutzutage,  namentlich  in  chronischen  Fällen,  die  Parametri- 
tiden  häufiger  verwechselt,  wie  mit  Erkrankungen  der  Tuben  und  Ovarien, 
wenn  letztere  eine  gewisse  Ausdehnung  gewonnen  haben  (cf.  Artikel:  „Adnexen- 
tumor"),  hier  ist  es  vor  allen  Dingen  von  grösster  Wichtigkeit  unter  Zuhilfe- 
nahme der  Narkose  die  genaue  Lage  und  Gestalt  des  Tumor  festzustellen. 
Während  die  parametritischen  Exsudate  eine  mehr  gleichmässige,  rundliche 
Gestalt  haben,  nimmt  man  an  der  Sadosalpinx  (Sammelbegriff  für  Hydro-, 
Hämato-  und  Pyo-Salpinx)  eine  mehr  knollige,  durch  die  verschieden  stark 
hervortretenden  Windungen  und  Knickungen  der  Tube  bedingte  unregel- 
mässige Gestalt  wahr;  während  erstere  zunächst  in  dem  unteren  Ab- 
schnitt des  Lig.  latum  dicht  neben  der  Uteruswand,  etwa  in  der  Höhe 
des  inneren  Muttermundes  und  unmittelbar  über  dem  Scheidengewölbe 
sich  entwickeln  und  sich  breit  der  Uteruswand  anlegen,  liegen  letztere 
einerseits  mehr  in  dem  oberen  Theil  des  Lig.  latum,  wobei  der  über  dem 
Scheidengewölbe  liegende  Theil  des  Lig.  latum  Anfangs  ganz  frei  und 
unbetheiligt  bleibt,  und  anderseits  stehen  sie  mit  der  betreffenden  Uterus- 
horn  durch  einen  meist  bleistift-  bis  fingerdicken  Stil,  dem  verdickten  Isthmus 
tubae,  in  Verbindung.  Ln  weiteren  Verlauf  dehnt  sich  gewöhnlich  das  para- 
metritische  Exsudat,  dem  Lig.  latum  folgend,  bis  dicht  an  die  Beckenwand  und 
mit  dieser  fest  verwachsend,  aus,  während  die  Sactosalpingen  bald  nach  hinten 
sinken  und  mit  dem  Boden  des  Douglas  und  der  hinteren  Fläche  des  Uterus 
Verwachsungen  eingehen;  es  bleibt  jedoch  meist  immer,  im  Gegensatz  zu  der 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  39 


610  PARAMETRITIS. 

Parametritis  posterior  eine  deutliche  Furche  zwischen  Tumor  und  hinterer 
Uterusfläche  erlvennbar.  Schwieriger,  ja  ganz  unmöglich  kann  natürlich  die 
Unterscheidung  werden,  wenn  es  sich  um  eine  zuweilen  vorkommende  Com- 
plication  von  Sactosalpinx  und  Parametritis  handelt. 

Weniger  schwierig  ist  die  Differential-Diagnose  zwischen  intra-  und 
extraperitonealem  Exsudat,  zumal  wenn  man  die  Entstehung  der  Erkrankung 
verfolgen  kann,  da  erstere  meist  ihren  Anfang  liinter  dem  Uterus  im  Douglas- 
Bchen  Räume  nehmen,  und  sodann  auch  in  der  Regel  nicht  so  unmittelbar 
in  den  Uterus  übergehen,  wie  die  letzteren.  "Weitere  Verwechselungen  sind 
möglich  mit  einer  Haematocele  retrouterina  oder  einem  Haematoma  extra- 
peritoneale; hierüber  dürfte  alsbalb  die  Anamnese  und  die  Art  der  Entstehung 
Aufschluss  geben;  ebenso  lassen  sich  etwaige  Verwechselungen  mit  Geschwül- 
sten des  Uterus  oder  der  Ovarien  bei  eingehender  Untersuchung,  wenn  nöthig 
in  Narkose,  meist  leicht  vermeiden. 

Prognose:  Die  Prognose  ist  im  Grossen  und  Ganzen  nicht  als  ungün- 
stig zu  bezeichnen.  Leichtere  acute  Formen  kommen  zur  Heilung,  ohne  zu- 
weilen irgend  welche  Spuren  zurückzulassen;  bei  chronischem  Verlauf  besteht 
die  Gefahr  einerseits  in  der  die  Kräfte  allmälig  erschöpfenden,  zu  lange 
dauernden  Eiterung,  oder  wenn  diese  zur  Ausheilung  kommt,  in  den  fast  stets 
zurückbleibenden  mehr  oder  weniger  ausgedehnten,  narbigen  Schrumpfungen 
und  Verwachsungen  mit  den  benachbarten  Organen,  welche  mannigfache  Lage- 
veränderungen und  Functionsstörungen  der  Beckenorgane  zur  Folge  haben 
können. 

Therapie:  Die  acute  Parametritis  erfordert  eine  streng  antiphlogistische 
Behandlung:  Ruhe,  Eisblase  oder  PRiESSNiTz'sche  Umschläge;  Narcotica,  na- 
mentlich Opium;  Regelung  der  Stuhlentleerungen.  Antifebrilia  und  locale 
Blutentziehungen  sind  in  der  letzten  Zeit  mehr  und  mehr  verlassen  w^orden. 

Im  chronischen  Stadium  haben  wir  zu  unterscheiden,  ob  es  sich  um  ein 
starres  Exsudat  oder  um  Uebergang  in  Eiterung  handelt,  die  allerdings  zu- 
w^eilen  auch  schon  nach  wenigen  Tagen  auftreten  kann.  Im  ersteren  Fall 
sind  vor  allen  Dingen  resorbirende  Mittel  in  der  verschiedensten  Form  am 
Platze;  unter  diesen  nimmt  das  Jod  und  seine  Präparate  die  erste  Stelle  ein; 
innerlich  als  Jodkali,  äusserlich  Jodtinctur  zum  Bepinseln  der  Bauchdecken, 
sowie  des  Scheidengewölbes,  Jodkali-Salbe  oder  Suppositorien;  Jodoform,  Jod- 
glycerintampons,  in  letzter  Zeit  werden  vom  Ichthyol  auch  sehr  günstige  Er- 
folge berichtet;  daneben  heisse  Scheiden-Injectionen  ebenfalls  mit  Jodzusatz 
(Jod.  piiri  2-5;  Kai.  jodat.  5-0;  Äq.  destill.  200-0.  1 — 2  Theel.  auf  1  Liter 
Wasser),  oder  Soole.  Von  grossem  Vortheil  sind  auch  häufig  Moorbäder  oder 
Sitz-  und  Vollbäder  mit  Soole,  sowie  Badecuren  in  jod-  und  bromhaltigen 
Bädern  (namentlich  Tölz,  Kreuzenach  etc.)  Schliesslich  ist  auch  in  geeig- 
neten Fällen  ein  günstiger  Einfluss  von  vorsichtig  ausgeführter  Massage  und 
elektrischer  Behandlung  nicht  zu  verkennen.  Bei  alledem  darf  die  Allge- 
meinbehandlung der  Kranken  nicht  aus  dem  Auge  gelassen  werden,  da  von 
derselben  oft  der  günstige  Erfolg  obiger  Curen  zum  grössten  Theil  mit  ab- 
hängt. 

Ist   deutliche  Eiterung  nachzuweisen,    so  tritt  die  chirurgische  Behand- 
lung  in   ihr  Recht;    hierüber  dürfte  kaum  eine  Meinungsverschiedenheit  be- 
stehen. Anders  liegt  die  Sache  bei  der  Frage,  wann  ist  der  richtige  Zeitpunkt 
für  die  Eröffnung  gekommen  und  auf  welchem  Wege  soll  man  dem  Eiterherd 
beizukomraen    suchen.    Am    einfachsten    sind  die  Verhältnisse,   wenn  bereit 
ein  Durchbruch    zu  Stande   gekommen   ist  oder  nahe  bevorsteht;  bei  Durch 
bruch  nach  Aussen  in  der  Gegend  des  PouPAHT'schen  Bandes  oder  nach  d 
Scheide   zu,    wird   die  Oeffnung  hinreichend  erweitert,   um  dem  Eiter  gen 
genden  Abfluss  zu  verschaffen;  bei  drohendem  Durchbruch  wird  die  betreffent 
Stelle  baldigst  incidirt.    Besteht  eine  Perforation  in   die  Blase    oder   in  de 


PARA-  UND  RETRO  PERITONE ALTUMOREN.  611 

Mastdarm  und  zieht  sich  die  Eiterung  zu  sehr  in  die  Länge,  so  empfiehlt  es 
sich,  eine  Gegenöffnung  nach  der  Scheide  hin  zu  machen;  dies  gilt  ebenfalls  für 
anderweitige  Perforationen,  wenn  keine  spontane  Auslieilung  eintritt. 

Während  die  meisten  Autoren  rathen,  sich  mit  der  Eröffnung  der  para- 
metritischen  Abscesse  nicht  zu  sehr  zu  beeilen,  hat  Fiirrscii  empfohlen,  auch 
ganze  frische  parametritische  Exsudate,  wenn  dieselben  Kindskopfgrösse  erreicht 
haben,  von  der  Scheide  aus  zu  eröffnen.  Veit  will  keinen  grossen  Nutzen 
hievon  gesehen  haben;  er  lässt  die  frühen  operativen  Eingriffe  höchstens  dann 
gelten,  wenn  schwere  Allgemeinerscheinungen  eintreten  und  man  bald  neben 
dem  Uterus  Schwellungen  im  Bindegewebe  nachweisen  kann;  er  hält  dagegen 
die  Incision  für  nothwendig,  wenn  das  Fieber,  nachdem  es  bereits  vollkommen 
verschwunden  war,  von  Neuem  längere  Zeit  in  verstärktem  Maasse  auftritt, 
wenn  sich  an  irgend  einer  Stelle  Oedem  der  Haut  zeigt  oder  wenn  sich  bei 
den  typischen  Temperatursteigerungen  das  Exsudat  nicht  zurückbildet,  sondern 
sich  deutlicher  gegen  seine  Umgebung  abgrenzt. 

Die  bisher  üblichen  Methoden  der  Eröffnung  sind  diejenigen  von  der 
Scheide  oder  vom  Mastdarm  aus;  ferner  nach  Laparotomie:  Eröffnung  und  Ent- 
leerung des  Exsudates  von  oben  mittelst  Potain  und  dann  Naht  der  Einstich- 
öffnung und  Drainage  nach  der  Scheide  (Martin),  oder  extraperitoneale 
Laparotomie  oberhalb  des  PouPAET'schen  Bandes  und  von  hier  Eindringen  in 
die  Tiefe,  wie  bei  der  Unterbindung  der  A.  iliaca  communis  (Veit). 

Eine  ganz  neue  Methode  ist  in  der  letzten  Zeit,  namentlich  in  Frank- 
reich geübt  worden,  um  Beckenabscesse  zur  Heilung  zu  bringen,  nämlich  die 
sogenannte  Hijsteredomie  par  morcellement  oder  die  Castration  uUrine  von 
Pean  und  Segond;*)  in  Deutschland  ist  diese  Operation  namentlich  von  L.  Lan- 
dau sehr  empfohlen  worden,  der  allerdings  im  Gegensatz  zu  ersteren  betont,  dass 
es  nöthig  sei,  alles  Krankhafte  von  der  Scheide  aus  zu  entfernen;  vor  Kurzem 
hat  L.  Landau  über  33  Fälle  von  complicirten  Beckenabscessen  berichtet, 
die  er  durch  die  vaginale  Radicaloperation  zur  Heilung  gebracht  hat;  in  den 
meisten  dieser  Fälle  handelte  es  sich  gleichzeitig  um  eitrige  Erkrankungen  der 
Tuben  und  Ovarien. 

Für  rein  parametritische  Abscesse  wird  immer  noch  die  bewährteste 
Methode  bleiben:  ausgiebige  Eröffnung  an  der  tiefsten  Stelle  von  der  Scheide 
aus  und  Drainage  mit  antiseptischen  Ausspülungen  oder  Tamponade,  wobei 
allerdings  eine  vollkommene  Ausheilung  oft  noch  Monate  lang  auf  sich  warten 
lassen  kann.  E.  G.  Oethmann. 

Para-  und  RetroperitOBiealtumoren.  Paraperitoneale  Ge- 
schwülste stehen  selten  mit  den  weiblichen  Sexualorganen  in  Zusammen- 
hang. Wenn  sie  trotzdem  an  dieser  Stelle  eine  Besprechung  finden,  so  ge- 
schieht dies,  weil  sie  einerseits  zu  Verwechslungen  mit  Tumoren  der  letzteren 
Anlass  geben  können  und  andererseits  zum  Theil  überwiegend  bei  Frauen  vor- 
kommen. Dies  gilt  besonders  von  den  desmoiden  Geschwülsten  der  Bauch- 
wand, von  welchen  nur  ungefähr  lO'^/o  auf  das  männliche  Geschlecht^  ent- 
fallen. Eine  sehr  ausführliche  Arbeit  über  dieselben  (Arch.  f.  Gyn.  Bd.  XXIV, 
pag.  1)  danken  wir  Sänger.  Er  theilt  sie  ein  in  solche:  1.  des  subcutanen 
Zellgewebes,  2.  in  perichondrale  und  periosteale,  ausgehend  vom  Perichondrium 
und  Periost  der  Bippen  und  des  Beckens,  3.  in  solche  der  Aponeurosen  der 
Bauchmuskeln  (besonders  des  Rectus  abdominis,  4.  in  solche  der  Muskeln  selbst 
(Entstehung  aus  Muskelhämatomen  nach  Herzog),  5.  in  solche  des  praeperito- 
nealen  Bindegewebes  (Cavite  de  Retzius)  6.  in  solche  des  Peritoneum  selbst. 
Von  letzteren  sagt  Sänger  selbst,  dass  ihr  scharfer  anatomischer  Nachweis 
bisher  nicht  erbracht   sei.     Auch    die  Ansicht  Herzog's    {Ueler  Fibrome  der 


*)  Vergl.  Artikel  „Myotomie'^. 


612  PARA-  UND  RETROPERITONEALTÜMOREN. 

Bauchdecken.  München,  M.  RiEGER'sclie  Uuiv.-Buchli.  1883),  nach  welcher  sich 
Bauchdeckenfibronie  aus  Muskelhämatomen  infolge  partieller  oder  totaler  Eup- 
turen  des  M.  rectus  bilden  sollen,  hat  bisher  keine  Bestätigung  gefunden. 
Ohne  Zweifel  hat  Säxger  Ptecht,  wenn  er  den  Ursprung  der  Bauchwanddes- 
moide  in  erster  Linie  in  dem  Sehnengewebe,  in  den  Aponeurosen  der  Bauch- 
muskeln sucht.  Hiefür  spricht  besonders  die  Thatsache,  dass  jene  stets  in 
eine  der  letzteren  aufgegangen  sind. 

In  der  grossen  Mehrzahl  der  Bauchdeckendesmoide  handelt  es  sich  um 
reine,  derbe  Fibrome  (s.  auch  Artikel  „Fibrom",  ixig.  242  ds.  Bd.),  doch  sind 
auch,  aber  nur  in  ganz  seltenen  Fällen  Fibrosarcome,  weiche  Rundzellensar- 
kome,  Cjstotibrome,  myxomatöse  Fibrome  und  Cysto-  Fibro-Sarcome  beobachtet 
worden. 

Die  Diagnose  dieser  Geschwülste  ist  in  der  Regel  unschwer  zu  stellen, 
indem  sich  bei  genauer  Untersuchung  feststellen  lässt,  dass  sie  in  den  Bauch- 
decken, nicht  unter  denselben  ihren  Sitz  haben.  Die  Oberfläche  ist  meist 
glatt,  die  Consistenz  fest;  die  Geschwulst  selbst  in  der  Regel  wenig  beweglich, 
wohl  aber  die  Haut  über  ihr  verschieblich.  Wenn  von  manchen  Seiten  lang- 
sames Wachsthum  als  charakteristisch  bezeichnet  wird,  so  ist  dies  nicht  zu- 
trefiend.  Wiederholt  ist  eine  sehr  schnelle  Grössenzunahme  dieser  Geschwülste 
beobachtet  worden. 

Differentialdiagnostische  Schwierigkeiten  entstehen  meist  nur 
dann,  wenn  der  Tumor  zur  Zeit  der  ersten  Untersuchung  bereits  sehr  gross 
ist  und  sich  mehr  nach  der  Bauchhöhle,  als  nach  aussen  entwickelt  hat.  Es 
kommen  dann  mit  der  Bauchwand  verwachsene  oder  ihr  fest  anliegende  Darm-, 
Nieren-,  Ovarialgeschwülste  in  Betracht.  Auch  ein  präperitoneales  Exsudat, 
welches  ursprünglich  die  Fortsetzung  eines  parametritischen  bildete,  kann,  wenn 
letzteres  resorbirt  ist,  zu  Verwechslungen  Anlass  geben.  Meist,  aber  nicht 
immer  wird  die  Anamnese  hier  den  wünschenswerthen  Aufschluss  geben.  Wenn 
dies  nicht  der  Fall,  versuche  man  in  zweifelhaften  Fällen  eine  resorbirende 
Behandlung,  welche,  handelt  es  sich  um  ein  den  Bauchdecken  anliegendes 
Exsudat,  dasselbe  zum  Verschwinden  bringen  wird. 

Die  Prognose  dieser  Geschwülste  ist  entsprechend  ihrem  histologischen 
Bau  in  der  Regel  eine  günstige.  Doch  kommen  Fälle  vor,  in  welchen  sie 
ausserordentlich  schnell  wachsen  und  gleichzeitig  das  Allgemeinbefinden  leidet. 
Meist  handelt  es  sich  dann  um  Neubildungen,  welche  zwischen  Fibromen  und 
Fibrosarcomen  stehen.  Auch  Rundzellensarkome  kommen,  wie  schon  er- 
wähnt, vor. 

Die  Behandlung  wird  bei  kleinen  Tumoren  eine  abwartende  sein. 
Manche  Autoren  empfehlen  mit  Rücksicht  auf  die  mögliche  Umwandlung  der 
an  sich  gutartigen  Geschwülste  in  bösartige  auch  die  Exstirpation  dieser. 
Schnelles  Wachsthum  indicirt  nach  dem  vorhin  Gesagten  stets  die  operative 
Entfernung  der  Geschwulst,  welche,  je  grösser  die  letztere,  umso  schwieriger 
sein  kann,  zumal,  wenn  ihre  Rückseite,  was  ziemlich  häutig  der  Fall  ist,  fest 
mit  dem  Peritoneum  verwachsen  ist.  Mehr-minder  ausgedehnte  Resectionen 
desselben  sind  dann  nöthig.  Die  Erfahrung  hat  ergeben,  dass  dieselben,  auch 
wenn  sich  der  Defect  der  Serosa  nicht  schliessen  lässt,  auf  den  Heilungs- 
verlauf ohne  Einfluss  bleiben. 

Stets  zu  achten  ist  darauf,  dass  die  Exstirpation  der  Geschwulst  eine 
vollständige  ist,  da  bei  Zurücklassung  selbst  kleiner  Reste  ein  Recidiv  eintreten 
kann.  Nach  Entfernung  grosser  Tumoren  empfiehlt  es  sich  (nach  dem  Vor- 
gang Sänger's)  die  überschüssige  Haut  nicht  zu  reseciren,  sondern  durch 
Etagennaht  einen  Hautkamm  zu  bilden,  welcher,  wie  eine  Pelotte  wirkend,  der 
Entstehung  eines  Bauchbruches  vorbeugen  soll. 

Nächst  den  Desmoiden  der  Bauchdecken  sind  Lipome  derselben  ver- 
hältnismässig häufig  beobachtet  worden.    In  der  Regel  gehen  sie  von  dem  sub- 


PARA-  UND  RETROPERITONEALTUMOREN.  613 

serösen,  richtiger  präperitonealen  Fettgewebe  aus,  welches  sich  durch  einen 
Spalt  zwischen  den  Fascien  oder  der  Linea  alba  durchgedrängt  hat  und  dann 
unter  der  Haut  pilzförmig  weiterwuchert.  Erwähnt  sei,  dass  das  subseröse 
Fett  auch  nach  anderen  Richtungen  zur  Lipornbildung  führen  kann,  so  nach 
dem  Labium  majus,  am  Schenkelring,  am  Foramen  ovale.  Zu  beachten  ist, 
dass  an  diesen  Stellen  sich  nicht  selten  hinter  dem  Lipom  ein  Bruchsack 
findet.  Die  eigentlichen  präperitonealen  Lipome  machen  keine  oder  nur  sehr 
geringe  Beschwerden.  Anders  die  Netzhernien,  welche,  zwar  intraperitonealen 
Ursprungs,  ihres  präperitonealen  Sitzes  wegen  aber  hier  erwähnt  zu  werden  ver- 
dienen, zumal  sie  bisher  die  ihnen  zukommende  Beachtung  gerade  seitens  der 
Gynäkologen  nicht  gefunden  haben.  Es  mag  dies  seinen  Grund  darin  haben, 
dass  ilire  Diagnose  eine  sehr  schwierige  sein  kann.  Wo  sie  sich  vor  die 
Fascie  gedrängt  haben,  werden  sie,  selbst,  wenn  wenig  umfangreich,  bei  sorg- 
fältiger Untersuchung  stets  nachzuweisen  sein.  Sind  sie  dagegen  subfascial 
geblieben  (s.  Wild,  lieber  Fetthernien.  Verhandig.  d.  deutsch.  Gesellsch.  f.  Gyn. 
IV.  Leipzig  1892,  Beeitkopf  &  Haertel,  pag.  MO),  so  lassen  sie  sich  aus  dem 
Tastbefund  kaum  diagnosticiren,  sondern  nur  aus  den  durch  sie  hervorgeru- 
fenen heftigen  Beschwerden,  vor  Allem  in  Magenschmerzen,  Druckempfindlich- 
keit einer  bestimmten  Stelle  der  Bauchwand,  Schmerzempfindung  an  dieser 
und  in  der  Magengegend  bei  bestimmten  Körperbewegungen  bestehend. 

Während  die  präperitonealen  Lipome  der  Bauchdecken  nur  bei  schnellem 
Wachsthum,  beziehungsweise  erheblicher  Grösse  die  operative  Entfernung  er- 
fordern, ist  diese  bei  den  Netzfetthernien  stets  indicirt,  auch  dann,  wenn  sie 
sich  reponiren  lassen,  da  es  kaum  gelingt  sie  durch  Bandagen  reponirt  zu  er- 
halten. Ausserdem  ist  zu  beachten,  dass  die  Reposition  eine  scheinbare  sein 
kann,  indem  es  wohl  gelingt  den  Netztumor  hinter  die  Fascie,  nicht  aber  in 
die  Bauchhöhle  zurückzubringen.  Auch  bei  der  Operation,  welche  in  Abtra- 
gung der  Fettmasse,  exacter  Vernähung  des  peritonealen  Ringes,  der  Fascie 
und  der  Bauchdecken  besteht,  hat  man  hierauf  sein  Augenmerk  zu  richten. 

Die  sich  in  das  Labium  majus  entwickelnden,  subserösen  Lipome  können 
sehr  umfangreich  werden.  Bei  ihrer  Exstirpation  darf  man  nicht  vergessen, 
dass  sie  durch  eine  Hernie  complicirt,  beziehungsweise  dass  es  sich  überhaupt 
um  eine  Netzhernie  (Hernia  labialis  anterior)  handeln  kann. 

An  dieser  Stelle  sei  eine  kurze  Besprechung  der  sich  in  dem  extra- 
peritonealen Theil  des  Lig.  rotundum  selbst  oder  fn  seiner 
Umgebung  entwickelnden  Tumoren  angeschlossen,  w^elche  auch  für 
die  letzterwähnten  Geschwülste  in  differentialdiagnostischer  Hinsicht  in  Betracht 
kommen.  Nur  selten  sind  sie  fester  d.  h.  fibröser,  fibromyomatöser,  auch  sar- 
comatöser  Natur.  Häufiger  kommt  die  sogenannte  Hydrocele  feminae 
eine  Flüssigkeitsansammlung  in  dem  Canalis  inguinalis  Nuckii  vor,  welche 
anfänglich  wohl  meist  mit  der  Bauchhöhle  in  Verbindung  steht,  durch  Ver- 
wachsung des  oberen  Theiles  des  Canals  zu  einer  extra-,  beziehungsweise  prä- 
peritonealen werden  kann.  So  lange  sie  klein  ist,  verursacht  sie  selten  Be- 
schwerden. Sie  kommt  daher  meist  erst  dann  zur  Beobachtung  des  Arztes, 
wenn  sie  grösser  geworden  ist  oder  sich  entzündet  hat.  Im  ersteren  Fall 
schützt  die  glatte  Oberfläche  des  sich  in  das  Labium  majus  erstreckenden 
Tumors,  seine  prallelastische  Beschaffenheit  vor  Verwechslungen  mit  Netz- 
hernien, beziehungsweise  Lipomen,  sein  Sitz  vor  der  mit  einer  Cyste  der 
BARTHOLiN'schen  Drüse,  welche  sich  stets  nach  dem  Scheideneingang  hin  ent- 
wickelt. Hat  sich  eine  Hydrocele  entzündet,  so  können  Zweifel  entstehen,  ob 
es  sich  um  eine  incarcerirte  Hernie  handelt.  Die  beiden  einzigen  Anhalts- 
punkte sind  hier:  1.  die  Gestalt  der  Geschwulst,  welche  immer  nach  unten 
breiter,  gegen  den  Leistenring  hin  schmäler  wird,  2.  die  Durchgängigkeit  des 
Darms  bei  Erscheinungen  einer  örtlichen  Peritonitis  (Smital,  Wiener  Min. 
Wochenschr.  1889,  Nr.  42— M) 


614  PARA-  UND  RETROPERITONEALTUMOREN. 

Aufgabe  der  Behandlung  ist  die  Exstirpation  sowohl  der  soliden  wie  der 
cystischen  Geschwülste  des  Ligamentum  rotundum.  Sind  die  letzteren  sehr 
fest  mit  ihrer  Umgebung  verwachsen,  so  ist  die  Eröffnung  des  Sackes  und 
Tamponade,  beziehungsweise  Drainage  desselben  bis  zur  Verödung  vorzuziehen. 

Kehren  wir  zu  den  in  den  Bauchdecken  vorkommenden  Tumoren  zurück, 
so  sind  noch  die  cystischen  zu  erwähnen.  In  Folge  der  von  Jahr  zu  Jahr  sich 
mehrenden  Coeliotomien  hat  man  wiederholt  die  Beobachtung  gemacht,  dass 
ein  Theil  des  Urachu's  offen  bleiben  kann.  Obliterirt  derselbe  nach  der 
Blase  zu,  so  entsteht  eine  präperitoneale  Cyste  zwischen  Nabel  und  Symphyse, 
welche  zuweilen  sogar  Kindskopfgrösse  erreicht.  In  derselben  Gegend  sind 
des  öfteren  Echinococcen  gefunden  worden.  Bei  sorgfältiger  Untersuchung 
wird  eine  Verwechslung  mit  intraperitonealen  Cysten  kaum  vorkommen.  Wenn 
möglich,  sind  auch  diese  Geschwülste  zu  exstirpiren.  Für  Echinococcen,  welche 
unmittelbar  dem  Peritoneum  aufsitzen,  kommt  auch  die  einfache  Incision  be- 
hufs Verödung  des  Sackes  in  Betracht. 

Häufiger  noch  als  in  den  Bauchdecken  kommen  im  Beckenbinde- 
gewebe subperitoneal  sich  entwickelnde  Echinococcen  vor.  Be- 
sonders oft  finden  sie  sich  unter  der  Serosa  des  DouGLAs'schen  Raumes  als 
prallgespannte,  cystische  Tumoren  von  verschiedener  Grösse.  Das  gleichzeitige 
Vorkommen  mehrerer  Geschwülste  noch  an  anderen  Stellen  des  Beckens  der- 
selben Patientin  giebt  einen  Anhaltspunkt  für  die  Diagnose.  Sonst  ist  diese 
vor  der  Operation  oder  dem  nicht  selten  erfolgenden  Durchbruch  nach  den 
Nachbarorganen,  der  Blase,  dem  Rectum,  der  Scheide,  dem  Uterus  und  dem 
Abgang  von  Tochterblasen  mit  Sicherheit  nicht  zu  stellen,  es  sei  denn,  dass 
man  auf  dem  Weg  der  Probepunction  eine  wasserhelle,  Traubenzucker,  Bern- 
steinsäure, im  günstigsten  Falle  auch  Hakenkränze  enthaltende  Flüssigkeit  von 
geringem  specifischem  Gewichte  (1008 — 1010)  erhält.  Man  darf  sich  aber 
mit  der  Entleerung  des  Sackinhaltes  nicht  begnügen,  sondern  muss  sofort  die 
Incision  anschliessen  und  den  Sack  durch  Drainage  zur  Verödung  bringen. 
Bei  nicht  in  unmittelbarer  Nähe  der  Scheide  sitzenden  Blasen  ist  die  Coelio- 
tomie  indicirt.  Ist  es  zur  Spontanperforation  gekommen,  so  erweitert  man, 
wenn  möglich,  die  Oeffnung,  spült  aus  und  drainirt. 

Ausser  Echinococcen  sind  im  Beckenbindegewebe  des  Oefteren  Dermoid- 
cysten beobachtet  worden,  bei  welchen  ein  Zusammenhang  mit  dem  Ovarium 
ausgeschlossen  war.  Nach  Sänger  (Arch.  f.  Gyn.  Bd.  XXXVII,  Hft.  1) 
sind  sie  z.  Th.  vom  Achsenstrang  z.  Th.  vom  Ektoderm  abzuleiten. 

Der  Sitz  der  Cyste,  der  Nachweis,  dass  sie  den  Uterus  ohne  Entfaltung 
der  Ligamenta  lata  nur  emporgedrängt  hat,  das  Vorhandensein  normaler  Eier- 
stöcke, das  langsame  Wachsthum  der  Geschwulst  geben  Anhaltspunkte  für  die 
Diagnose.  Gesichert  wird  sie  auch  hier  durch  die  Probepunction.  Zur  Exstir- 
pation dieser  Geschwülste  bedient  man  sich  am  Besten  der  sagittalen  Peri- 
neotomie (die  mediane,  transversale  hat  Sänger  nur  an  der  Leiche  versucht), 
indem  man  den  Schnitt  vom  inneren  Rand  der  rechten  grossen  Schamlippe 
leicht  schräg  nach  innen  über  den  Damm  weg  bis  ca.  2  cm  über  den  After 
hinausführt,  das  Cavum  ischiorectale  eröffnet,  den  M.  levator  ani  und  die 
Fascia  pelvis  durchtrennt.  Nach  Ausschälung  der  Cyste  tamponirt  oder  drainirt 
man  die  Wundhöhle. 

Eine  Art  von  Geschwülsten,  welcher  man  erst  im  Laufe  des  letzten  Jahr  - 
zehntes  mehr  Beachtung  geschenkt  hat,  sind  die  des  Mesenteriums.  Ent- 
sprechend den  in  demselben  enthaltenen  Geweben  kommen  hier  Lipome,  Fi- 
brome, Myxome,  Sarcome,    Carcinome,    vor  Allem  aber  Cystenbildungen  vor. 

Die  Lipome  können  eine  enorme  Grösse  erreichen.  Die  Exstirpation  hat 
bisher  wenig  günstige  Resultate  ergeben.  Doch  hat  z.  B.  Pean  {Gaz.  des 
hopitaux  1886,  Nr.  39)  einen  Fall  mitgetheilt,  in  welchem  bei  einer  Schwan- 


PARA-  UND  RETßOPERITONEALTUMOREN.  615 

geren  ein  25  kg  schwerer  Tumor  entfernt  wurde  und  die  Gravidität  normal 
weiter  verlief. 

Die  malignen  Tumoren  des  Mesenterium  werden  von  manchen  Autoren 
für  secundäre  gehalten.  Zu  operativem  Eingreifen  haben  sie  sehr  selten  Anlass 
gegeben.  Umgekehrt  die  cystischen,  bei  welchen  es  sich  um  ßlut-,  Chylus-, 
seröse  und  Echinococcus-Cysten  handeln  kann.  Diesen  allen  gemeinsam  ist  das 
Fehlen  eines  InnenÜächenepithels. 

Als  wichtige  Merkmale  für  die  Diagnose  gibt  Hahn  {Berl.  Min.  Wochen- 
schr.  1887,  Nr.  23)  folgende  an:  Glatter,  runder,  prallelastischer  Tumor,  welcher 
bei  verticaler  Körperstellung  in  der  Medianlinie  ein  klein  wenig  nach  rechts 
zwischen  Nabel  und  Symphyse  liegt;  schon  bei  äusserer  Untersuchung  grosse 
Beweglichkeit  im  Gegensatz  zu  uterinen  oder  Adnexentumoren.  Bezüglich  eines 
eventuellen  Zusammenhanges  mit  den  letzteren  wird  die  combinirte  Untersuchung 
sicheren  Aufschluss  geben. 

Nach  den  bisher  gemachten  Erfahrungen  (s.  Hahn  1.  c.)  empfiehlt  sich  die 
Function  der  Mesenterialcysten  zum  Zweck  der  Ausheilung  derselben  nicht, 
wohl  aber  die  Probepunction  nach  Freilegung  der  Geschwulst  durch  Coeliotomie. 
Wird  durch  jene  eine  seröse  oder  Echinococcencyste  festgestellt,  so  ist  die 
Incision,  Anheftung  der  Cystenwand  und  Drainage  der  Höhle  vorzunehmen, 
bei  Blut-  und  Chyluscysten  dagegen,  falls  keine  ausgedehnten  Verwachsungen 
bestehen,  die  Exstirpation. 

Wir  wenden  uns  nun  zu  den  retroperitoiiealen  Tumoren.  Auch  hier 
begegnen  wir  wieder  Lipomen,  w^elche  sich  aus  dem  neben  der  Wirbelsäule 
befindlichen  subperitonealen  Fettgewebe  entwickeln.  Als  für  die  Diagnose 
charakteristisch  wird  bei  der  Palpation  ein  eigenthümliches  Fluctuationsgefühl 
und  trotzdem  negatives  Punctionsergebnis  bezeichnet;  ferner  quer  über  dem 
Tumor  nachweisbarer  Darmton  (Colon  transversum),  übrigens  Merkmale,  w^elche 
auch  dem  Mesenteriallipomen  zukommen  können,  wie  denn  auch  die  einen  häufig 
in  die  anderen  übergehen.  Wie  die  Mesenterialipome  können  auch  die  retro- 
peritonealen  durch  ihre  Grösse  die  Gesundheit  ihrer  Trägerinnen  schwer  schä- 
digen, indem  sie  Verdauungs-  und  Athmungsthätigkeit  behindern,  Blut-  und 
Lymphgefässe  des  Darmes  comprimiren.  Auch  Darmverschluss  kann  durch  sie 
herbeigeführt  werden.  So  ist  die  Prognose  dieser  an  sich  gutartigen  Geschwülste, 
keine  günstige.  Auf  der  Hand  liegt,  dass  je  grösser  sie  sind,  umso  schwie- 
riger ihre  Entfernung  sein  wird.  Man  hat  deswegen  vorgeschlagen  frühzeitig 
zu  operiren,  ein  Rath,  welcher  deswegen  meist  nicht  zu  befolgen  sein  wird,  weil 
diese  Tumoren  erst  dann  zur  Kenntnis  des  Arztes  kommen,  wenn  sie  infolge 
ihrer  erheblichen  Grössenzunahme  Beschwerden  hervorrufen  und  sich  dadurch 
oft  erst  den  Patienten  bemerkbar  machen.  Die  Operationsergebnisse  sind  übri- 
gens bis  jetzt  wenig  befriedigende  zu  nennen. 

In  derselben  Gegend  wie  die  retroperitonealen  Lipome,  meist  in  der  Nähe 
der  Niere,  entwickeln  sich  zuweilen  auch  seröse  Cysten  mit  sehr  dünner,  aber 
fester  Wand.  Ihr  Inhalt  ist  wässrig  und  enthält  wenig  feste  Bestandtheile. 
Obalinski  (Gaz.  lekarska  1891,  ref.  Centralbl.  f.  Gyn.  1894,  Nr.  24)  nimmt 
an,  dass  sie  aus  Besten  der  WoLFF'schen  und  MüLLER'schen  Körper  entstehen. 
Sie  sollen  langsam  wachsen  und  selten  sehr  gross  werden.  Ihre  Exstirpation, 
welche  der  Punction  vorzuziehen  ist,  gelingt  in  der  Regel  leicht,  da  sie  sich 
meist  aus  ihrer  Umgebung  ohne  Schwierigkeit  ausschälen  lassen.  Am  häufig- 
sten entstehen  retroperitoneale  Tumoren  aus  der  Niere.  Sie  können  sich  aus 
der  Kapsel  (Lipome,  Fibrome,  Sarcome)  oder  aus  dem  Parenchym  (Carcinom, 
Tuberkulose,  cystische  Geschwülste)  bilden.  Auch  Echinococcen  der  Niere  sind 
beobachtet  worden. 

So  lange  Nierengeschwäilste  noch  keine  erhebliche  Grösse  erreicht  haben, 
werden  sie,  sofern  sie  überhaupt  entdeckt  werden,  durch  ihren  Sitz  auf  einer 
Seite  der  Wirbelsäule  in  der  Nierengegend,    durch   ihre   geringe    oder  völlig 


616  PAROVARIALTUMOREN. 

fehlende  Beweglichkeit  (falls  es  sich  nicht  um  eine  Wanderniere  handelt)  und 
den  Kachweis  des  mangelnden  Zusammenhanges  mit  den  Sexualorganen  unschwer 
als  solche  diagnosticirt  werden.  Anders,  wenn  der  Tumor  zur  Zeit  der  ersten 
Untersuchung  bereits  ein  sehr  grosser  ist.  Dann  sind  Verwechslungen  nicht 
nur  mit  anderen  retroperitonealen  Geschwülsten,  sondern  auch  mit  solchen 
der  Eierstöcke  sehr  leicht  möglich  und  sind  thatsächlich  sehr  häufig  vor- 
gekommen, zumal  bei  Cystenniere  und  Hydro-,  seltener  Pyonephrose.  Während 
bei  der  letzteren  die  Anamnese  des  öfteren  wenigstens  ergibt,  dass,  ehe  die 
Geschwulst  bemerkt  wurde,  entzündliche  Erscheinungen,  Fieber,  Schmerzen  in 
einer  Nierengegend,  ab  und  zu  nach  der  Blase  ausstrahlend,  vorausgegangen 
sind,  fehlen  bei  den  ersteren  irgendwelche  charakteristische  Symptome  völlig. 
Auch  die  Untersuchung  des  Urins  ergibt  selbst  bei  Pyonephrose,  sofern  der 
betreffende  Ureter  völlig  verschlossen  ist,  ein  gänzlich  negatives  Resultat.  Stets 
zu  beachten  ist  der  Verlauf  des  Dickdarms.  Lässt  er  sich  vor  der  Geschwulst 
nachweisen,  so  spricht  dies  für  den  renalen  Ursprung  derselben.  Zumal  gilt 
dies  für  linksseitige  Tumoren,  da  der  Dickdarm  bei  rechtsseitigen  häufig  nach 
der  Mitte  zu  gedrängt  wird. 

Ueber  den  Weg,  auf  welchem  Merengeschwülste  zu  entfernen  sind,  gehen 
die  Ansichten  zur  Zeit  noch  auseinander.  Während  manche  den  Lumbarschnitt 
(nach  Schede  soll  derselbe  am  äusseren  Rand  des  Sacrolumbalis  5  cm  unter 
der  letzten  Rippe  beginnen  und  mit  dieser  parallel  25  cm  lang  nach  vorn  ver- 
laufen) den  Vorzug  geben,  empfehlen  andere  die  abdominale  Nephrectomie.  Für 
die  grossen  Nierengeschwülste  —  diese  wenn  auch  nicht  allein,  so  doch  haupt- 
sächlich kommen  in  Folge  falscher  Diagnosenstellung  in  die  Behandlung  des 
Gynäkologen  —  ist  entschieden  die  transperitoneale  Entfernung,  d.  h.  auf  dem 
Wege  der  Coeliotomie  vorzuziehen.  Die  mit  der  letzteren  erzielten  Resultate 
haben  sich  in  den  letzten  Jahren,  besonders  in  der  Hand  einzelner  Operateure, 
so  Thoenton's  (Brit.  med.  Journ.  1889  L),  welcher  unter  25  Operationen 
20  Heilungen  hatte,  wesentlich  gegen  früher  gebessert. 

Bei  Hydronephrose  scheint  die  Nephrectomie  die  Nephrotomie  zu  ver- 
drängen. Dass  es  auch  bei  Pyonephrosen  das  ideale  Verfahren  ist,  das  ver- 
eiterte Organ  in  toto  zu  entfernen,  liegt  auf  der  Hand.  Doch  darf  man  nicht 
vergessen,  dass  auch  die  einfache  Eröffnung  des  Eitersackes  auf  dem  Wege 
des  Lumbarschnittes  und  Drainage  mit  günstigem  Erfolg  angewandt  worden  ist. 

Eine  ausführlichere  Besprechung  werden  diese  wichtigen  und  interessan- 
ten Fragen  in  dem  die  Chirurgie  behandelnden  Theil  dieses  Werkes  finden. 

Zum  Schluss  sei  noch  der  sich  am  Kreuzbein,  seltener  an  der  Darmbein- 
schaufel entwickelnden  retroperitonealen  Geschwülste,  Fibrome,  Enchondrome, 
Osteosarcome  gedacht.  Enchondrome  finden  sich  an  der  Innenfläche  des  Os 
sacrum  gar  nicht  so  selten.  Ein  Irrthum  in  der  Diagnose  ist  kaum  möglich. 
Höchstens  kommen  im  Douglas  eingekeilte,  verkalkte  Myome  oder  zum  grössten 
Theil  aus  Knochengewebe  bestehende  Dermoide  in  Betracht. 

Dem  Gynäkologen  werden  die  genannten  Geschwülste  kaum  zu  einem 
operativen  Eingreifen  behufs  ihrer  Entfernung  Veranlassung  geben.  Wohl  aber 
kommen  sie  für  ihn  gelegentlich  als  Geburtshindernis  in  Betracht.  Auch  beim 
Einlegen  von  Pessarien  wegen  Lageveränderungen  des  Uterus,  beziehungsweise 
bei  Prolaps  können  sie  stören,  ja  es  unmöglich  machen. 

Die  sich  prä-  und  retroperitoneal,  sowie  intraligamentär  entwickelnden 
Tumoren  der  weiblichen  Sexualorgane  z.  B.  Fibrome  des  Cervix  und  Corpus 
uteri,  Parovarialcysten,  intraligamentäre  Eierstockstumoren  finden  sich  in  den 
entsprechenden  Capiteln  dieses  Werkes  besprochen.  graefe. 

Parovarialtumoren.  Zwischen  den  Blättern  der  Ala  vespertilionis 
{Mesosalpinx),  welche  von  Tube  und  Eierstock  begrenzt  wird,  liegt  der  Neben- 
eierstock {Farovarium,  Epoophoron).  Er  wird  gebildet  von  15 — 20  länglichen, 


PAROVARIALTUMOREN.  617 

blind  endigenden  Canälclien,  in  deren  Wand  sich  nach  einigen  Autoren  Muskel- 
fasern finden  sollen;  von  anderen  wird  dies  bestritten.  Ausgekleidet  sind  sie 
mit  Flimmerepithel.  Sie  sind  der  liest  des  WoLFF'schen  Körpers.  Aus 
ihnen  können  sich  die  sogenannten  Parovarialcysten  bilden,  welche  im 
Vergleich  zu  Ovarialcysten  relativ  selten  sind  (Olshau.sen  ll-S'Vo  Fiütsch 
9^lo).    Sie   sind   von  den  letzteren  unschwer  zu  unterscheiden. 

Die  grosse  Mehrzahl  der  Parovarialcysten  zeichnet  sich  durch  erhebliche 
Dünne  ihrer  Wandungen  aus.  Dickwandige  sind  sehr  selten.  Fritscii  gibt 
als  ein  Charakteristikum  der  Parovarialcysten  an,  dass  in  ihren  Wandungen 
zwei  sich  kreuzende  Gefässysteme  zu  sehen  sind;  das  eine  gehört  dem  Perito- 
neum, das  andere  der  Cyste  selbst  an.  Selten  überschreiten  diese  Geschwülste 
die  Grösse  eines  Kindskopfes.  In  der  Regel  sind  sie  einkammerig;  nur  ganz 
ausnahmsweise  mehrkammerig.  Ihre  Innenwand  ist  glatt  und  trägt,  entsprechend 
ihrer  Entstehung  Flimmer-,  bezw.  Cylinderepithel.  In  ganz  vereinzelten  Fällen 
sind  kleine  Papillen  an  ihr  gefunden. 

Auch  der  Inhalt  der  Parovarialcysten  ist  meist  ein  charakteristischer.  Er 
ist  wasserhell;  sein  specifisches  Gewicht  schwankt  zwischen  1002  und  1007. 
Er  enthält  kein  Eiweiss  oder  nur  Spuren  desselben.  In  ganz  vereinzelten 
Fällen  soll  ein  dem  Inhalt  von  Ovarialkystomen  ähnlicher  gefunden  sein.  Es 
ist  nicht  ganz  ausgeschlossen,  dass  hier  diagnostische  Irrthümer  hinsichtlich 
des  Ursprunges  der  Geschwulst  untergelaufen  sind. 

Die  Parovarialcysten  entwickeln  sich,  wie  es  bei  ihrem  Ursprung  selbst- 
verständlich ist,  intraligamentär.  Unter  Entfaltung  der  Blätter  des  breiten 
Mutterbandes  können  sie  bis  auf  den  Beckenboden  wachsen.  Die  meist  lang 
ausgezogene  und  nach  der  Peripherie  hin  abgeplattete  Tube  liegt  ihnen  ge- 
wöhnlich dicht  an.  Das  Ovarium  findet  sich  an  ihrer  hinteren,  bezw.  unteren 
Seite  mit  ganz  kurzem,  seltener  längerem  Stiel. 

KossMANN  hat  jüngst  (CentralU.  f.  Gyn.  1894  Nr.  28,  34,  42)  die  Behauptung  aul- 
gestellt, die  bisher  als  ParoYarialcysten  gedeuteten  Cysten  des  breiten  Mutterbandes  seien 
nichts  anderes  als  „Hydroparasalpinges",  d.  h.  cystische  Entartungen  einer  accessorischen 
Tube ;  ihre  Wandung  bestehe  nicht  aus  Bindegewebe,  sondern  aus  einem  kompacten  Geflecht 
glatter  Musculatur.  Diese  Ansicht  hat  energischen  Widerspruch,  besonders  seitens  Gebhard's 
(Centralbl.  f.  Gyn.  1894,  Nr.  29  und  38)  gefunden,  welcher  an  der  alten  Auffassung  festhält. 

Die  Diagnose  kann  auf  Grund  der  klinischen  Erscheinungen,  welche 
eine  Parovarialcyste  hervorruft,  nicht  gestellt  werden,  da  sie  sich,  an  sich 
meist  gering,  von  den  durch  Ovarialtumoren  bedingten  nicht  unterscheiden. 
Dagegen  vermag  der  Untersuchungsbefund  Anhaltspunkte  zu  gewähren.  Be- 
sonders bei  kleineren  ist  der  seitliche  Sitz,  die  Verdrängung  des  Uterus  nach 
der  entgegengesetzten  Seite  zu  beachten.  Letztere  findet  sich,  wenn  auch  we- 
niger ausgesprochen,  auch  bei  grösseren  Parovarialcysten,  welche  mit  fort- 
schreitendem Wachsthum  sich  mehr  nach  vorn,  häufiger  nach  hinten  vom 
Uterus  entwickeln.  Sie  bieten,  wenn  die  Palpationsverhältnisse  günstige  sind, 
deutliche  Fluctuation.  Charakteristisch  ist,  wie  schon  oben  erwähnt,  in  der 
grossen  Mehrzahl  der  Fälle  der  Inhalt.  Bei  dem  Beckenboden  anliegenden 
Cysten  würde  also  eine  Function  die  Diagnose  sichern.  Man  könnte  umsomehr 
versucht  sein  eine  solche  vorzunehmen,  als  Fälle  beobachtet  worden  sind,  in 
welchen  die  Cyste  nach  der  Function  definitiv  verschwand.  Trotzdem  ist  von 
ihr  abzurathen.  Denn  mit  Sicherheit  ist  auf  eine  definitive  Ausheilung  auf 
diesem  Wege  keineswegs  zu  rechnen.  Sowohl  nach  spontaner  Ruptui'  wie  nach 
Function  kann  dem  jahrelangen  Verschwinden  der  Cyste  erneutes  Wachs- 
thum folgen. 

Auch  für  die  Parovarialcysten  gilt  heute  dasselbe  Behandlungsprincip  wie 
für  ovarielle  Tumoren:  sie  sind  auf  dem  Weg  der  Laparotomie  zu  entfernen. 
Wenn  man  an  ihm  festhält,  dann  ist  eine  Probepunction  völlig  übei-flüssig,  da 
ja  die  Erkenntnis,  dass  es  sich  um  die  eine  oder  die  andere  Art  einer  Cyste 
handelt,  unsere  Behandlung  doch  nicht  beeinflusst. 


618  PARTUS  PRAECIPITATUS. 

Die  E n t f e r n iin g  der  P a r o  v a r i a  1  c y  s t e n  (vergl.  auch  ,, Ovariotomie " ) 
nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  bietet  manchmal  einige  Schwierigkeiten.  In  vielen 
Fällen  gelingt  es  ZAvar  durch  starkes  Anziehen  des  Tumors  trotz  seines  intra- 
ligamentären  Sitzes  eine  Art,  wenn  auch  etwas  breiten  Stiels  zu  bilden,  welcher 
dann  in  mehreren  Partien  unterbunden  wird.  Ist  dies  nicht  möglich,  so  enucleirt 
man  die  Cyste  nach  Unterbindung  der  Spermaticalgefässe  und  Spaltung  des 
peritonealen  Ueberzuges  auf  der  Höhe  der  Geschwulst.  Bei  der  Verschieblichkeit 
desselben  über  der  lezteren  gelingt  die  Ausschcälung  oft  überraschend  leicht.  Nur, 
wenn  Spontanrupturen  oder  Punctionen  vorausgegangen  sind,  kann  sie  durch 
stellenweise  Verwachsung  der  Cystenwand  mit  dem  Peritoneum  auf  Schwierig- 
keiten stossen.  Nach  Entfernung  der  Cysten  wird  der  zurückbleibende  Sack  so  weit 
wie  möglich  resecirt,  stärker  blutende  Stellen  in  ihm  umstochen  und  unter- 
bunden, schliesslich  die  Höhle  mittelst  versenkter  Catgutnähte  geschlossen  oder 
nach  der  Vagina  zu  eröffnet,  mit  Jodoformgaze  drainirt  und  das  Peritoneum  über 
der  Drainage  durch  Nähte  fest  vereinigt.  Dies  letztere  Verfahren  ist  jedenfalls 
dem  Einnähen  des  Sackes  in  die  Bauchwunde  vorzuziehen,  obwohl  auch  auf 
diese  Weise  völlige  Heilungen  erzielt  worden  sind.  graefe. 

Partus  praecipitatUS.  Sturzgeburt.  Ungemein  rapid  beendigte  oder 
mit  Hinabfallen  des  Kindes  auf  den  Boden  verbundene  Geburten  hat  man 
Sturzgeburten  —  Partus  praecipitatus  —  genannt  und  im  Allgemeinen  mit 
zu  starken  Wehen  und  einigen  anderen  Verhältnissen,  wie  kleinem  Kinde,  weitem 
wenig  geneigtem  Becken  und  nachgiebigen  Weichtheilen  in  Berührung  gebracht. 

Wegen  der  praktischen  Bedeutung  sind  gleich  im  Voraus  diejenigen 
präcipitirten  Geburten,  welche  in  Bettlage  der  Mutter  erfolgen,  von  denen  zu 
unterscheiden,  die  bei  aufrechter,  hockender  oder  sitzender  Stellung  stattfinden. 
Bei  den  ersteren  ist  eine  ungewöhnliche  und  anhaltende  Wehenthätigkeit  das 
Hauptagens  und  ohne  die  kann  eine  überaus  schnelle  Geburt  nicht  von 
statten  gehen.  Anders  bei  den  Geburten  in  mehr  aufrechter  Stellung  der 
Gebärenden.  Hier  wirkt  die  Wehenthätigkeit  sehr  verschieden.  Es  können  sein: 

1.  Sehr  starke  Wehen  bei  kaum  merklichem  Widerstände 
der  Weicht  heile.  Das  Kind  wird  förmlich  herausgeschleudert  und  mit 
einer  gewissen  Vehemenz  zu  Boden  geworfen. 

2.  Gewöhnliche  Wehenstärke.  Das  Kind  tritt  im  Gehen  oder  Stehen 
der  Mutter  ziemlich  langsam  durch.  Es  würde  nur  durch  die  eigene  Schwere 
zu  Boden  fallen,  kann  aber  von  der  Mutter  noch  zuweilen  aufgefangen  werden. 

3.  Geringe  Wehen  vor  dem  Blasensprung.  Die  Blase  ist  tief 
herabgetreten  und  bringt  infolge  der  durch  sie  bewirkten  Ausdehnung  die 
noch  gehende  oder  stehende  Kreissende  zum  Mitpressen.  Auf  der  Höhe  der 
Wehe  springt  die  Blase,  das  Kind  tritt  schnell  in  den  Muttermund  und  löst 
einen  neuen  Drang  zum  Mitpressen  aus.  Die  durch  die  stehende  Blase  gut 
vorbereiteten  Weichtheile  geben  leicht  nach.  Mit  dem  Fruchtwasser  fällt  das 
Kind  hervor,  zerreisst  die  Nabelschnur  und  sinkt  zu  Boden  (v.  Winckel). 

Aetiologie:  Abgesehen  von  den  abnorm  starken  Wehen,  weitem,  wenig 
geneigtem  Becken,  nachgiebigen  Weichtheilen  der  Mutter  und  kleiner,  resp. 
macerirter  Frucht  sind  von  den  verschiedenen  Autoren  unter  anderen  Ursachen 
für  das  Zustandekommen  der  Sturzgeburten  auch  die  Reizbarkeit  der  sensiblen 
Nerven  und  die  Heredität  (Cazeaux)  herbeigezogen  worden.  Als  wirklich  prä- 
disponirend  dürfen  indessen  nur  Erkrankungen  der  Mutter,  wie  Lues,  Bron- 
chitis, Epilepsie;  Kleinheit  und  Maceration  der  Frucht,  abnorme  Kürze  der 
Nabelschnur  (Wigand,  v.  Winckel),  besonders  die  Bewegungen  der  Parturiens 
selber  nebst  der  beim  Gehen  und  durch  Erschüttern  des  Körpers  beim  Fahren  etc. 
erfolgten  Ruptur  der  Eihäute  angesehen  werden.  Natürlich  wirken  in  den 
meisten  Fällen  mehrere  Ursachen  zusammen,  worauf  auch  das  wiederholte 
präcipitirte  Niederkommen  einzelner  Frauen  hinweist. 


PARTUS  PRAECIPITATUS.  619 

Diese  rein  mechanischen  Ursachen  für  das  Zustandekommen  und  den 
Verlauf  eines  Partus  praecipitatus,  d.  h.  solche  Ursachen,  die  sich  theils  aus 
den  äusseren  Verhältnissen,  in  denen  sich  die  Gebärende  zur  Zeit  ihrer  Nieder- 
kunft befand,  theils  aus  der  eigentlichen  Geburtsthätigkeit  herleiten  lassen, 
genügen  für  die  praktisch  gerichtlich-medicinische  Beurtheilung  abnorm  beschleu- 
nigter Geburten  nicht,  8tkassmann  weist  deshalb  mit  Kecht  darauf  hin,  dass 
hierfür  noch  r  e  i  n  i  n  d  iv  i  d  u e  1 1  e,  r  e  s  p.  s  u  b j  e  c  t  i  v e  Ursachen  herangezogen 
werden  müssen,  d.  h.  solche,  die  von  der  Mutter  durch  ihr  beabsi(;htigtes  oder 
unbeabsichtigtes  Verhalten  herbeigeführt  sind.  Es  gehören  dazu  diejenigen 
Fälle,  wo  die  Schwangerschaft  von  der  Mutter  oder  auch  selbst  vom  Arzte 
verkannt  wurde,  ferner  wo  die  Presswehen  nur  als  Stuhldrang  empfunden 
wurden  und  sehr  weites  Becken  bei  abnorm  kleiner  oder  macerirter  Frucht 
vorhanden  ist. 

Prognose:  Je  nach  dem  Zustandekommen  der  präcipitirten  Geburt  sind 
auch  die  Gefahren  für  Mutter  und  Kind  verschieden. 

Die  Gebärende  ist  vor  allem  entsprechend  der  Nachgiebigkeit  und 
Rigidität,  sowie  der  vorhergehenden  Erweiterung  ihrer  Weichtheile  durch  die 
Fruchtblase  mehr-weniger  grossen  Verletzungen  in  der  Vagina  und  am  Damme 
ausgesetzt.  Nach  v.  Winckel  kommen  bei  Sturzgeburten  ausserhalb  des  Bettes 
Perinealrisse  auch  bei  Mehrgebärenden  doppelt  so  häufig  vor,  als  wenn  sie 
liegend  präcipitirt  niederkommen.  Es  kommen  als  weitere  Complicationen : 
Ohnmächten,  Collapse,  verzögerte  Placentarlösung,  Inversion  des  Uterus  und 
Vorfall  mit  Inversion  in  Betracht.  Blutungen  während  der  Nachgeburtsperiode 
infolge  von  Abreissen  der  Placenta  und  der  Eihäute  bei  diesen  Entbindungen 
sind  häufiger  stärker  und  öfter  gefährlich  als  sonst.  Diese  betreffen  wiederum 
häufiger  Erstgebärende,  während  bei  Multiparae  leichter  Atonia  uteri  post 
partum  auftritt.  Auch  Emphysem  am  Halse,  Nacken  und  Brust  der  Kreissenden 
ist   bei   übermässigem  Mitpressen  gesehen  worden. 

In  Bettlage  der  Gebärenden  fällt  eine  Gefahr  für  das  Kind  gewöhnlich 
von  selbst  weg,  obgleich  die  Möglichkeit  einer  solchen  immerhin  nicht  ganz 
ausgeschlossen  scheint  in  Anbetracht  folgenden  Falles.  Leonpachee  berichtet 
in  Feiedrich's  Blättern  f.  gericht.  Medic.  und  Sanitätspolizei  1892  Bd  XLIIL 
p.  206  von  einer  Erstgebärenden,  die  während  heftiger  DrangAvehen  vor  Schmerz 
im  Bette  in  die  Höhe  sprang.  Darauf  sprang  die  Blase,  das  Kind  stürzte 
herab  und  die  Nabelschnur  riss  an  der  Placenta-Insertion  ab,  keine  Blutung, 
Kind  unversehrt. 

Aber  auch  bei  den  präcipitirten  Geburten  extra  lectulum  ist  die  Lebensgefahr 
für  das  Kind  keine  so  grosse,  als  man  von  vorneherein  erwarten  könnte.  Bei 
dem  grossen  Uebergewicht  der  Kopfgeburten  berührt  auch  zuerst  der  Schädel 
des  herabstürzenden  Kindes  den  Boden.  Einmal  ist  nun  die  Sturzhöhe  that- 
sächlich  nur  eine  geringe,  denn  im  letzten  Augenblicke  der  Austreibung 
nimmt  die  Gebärende  gewöhnlich  unwillkürlich  eine  möglichst  tief  hockende 
Stellung  ein;  zudem  mildern  noch  die  Cohäsion  der  Nabelchnur  und  das  Zu- 
sammenklemmen der  mütterlichen  Schenkel  die  Fallkraft  und  dann  ist  der 
Schädel  des  Neugeborenen  vermöge  der  Elasticität  und  leichten  Verschieblich- 
keit der  Knochen  ausserordentlich  leistungsfähig  im  Ertragen  von  Verletzungen. 

Die  grössere  Mortalität  der  Kindernach  präcipitirten  Geburten (4-9 :2-5''/o)  ist 
viel  eher  herzuleiten  aus  zu  starkem  Gehirndruck,  Nabelschnurdruck,  Erstickung 
in  ungünstiger  Lage  etc.  und  wohl  auch  durch  Nabelschnurzerreissung  mit 
nachheriger  Verblutung.  Diese  Zerreissung  der  Nabelschnur"^')  geschieht  selten 
nahe  an  der  Insertion  in  den  Nabel,  meist  ziemlich  weit  ab  von  dieser;  und 
deshalb  ist  die  Blutung  —  wenn  sie  überhaupt  stattfindet  —  in  der  Ptegel 
nur  gering.    Die  Rissenden  sehen  stets    sehr   uneben    aus,    die  Nabelschnur- 


*)  Vergl.  Artikel  ^^Nabelschnur  —  Nahelsclinuranomalien."' 


620  PERIMETRITIS. 

scheide  l)ildet  meist  eine  lappige  Yerläugeriing  des  Stumpfes,  aus  welcher  die 
in  ungleicher  Höhe  zerrissenen  Gefässe  hervorragen. 

Zur  Vervollständigung  will  ich  hier  noch  erwähnen,  dass  man  nach  dem 
Orte,  wo  der  Partus  praecipitatus  stattgefunden,  auch  seiner  Zeit  die  Bezeich- 
nung dieses  Vorganges  gewählt  hatte.  So  wurde  von  Gassen-,  Treppen-,  Flur- 
geburten gesprochen.  Mit  der  Grösse  der  Literatur  wuchsen  dann  die  Auf- 
zeichnungen darüber  und  wir  lesen  von  Sturzgeburten  im  Tragkorb  und  im 
Schlitten,  in  der  Droschke  und  im  Omnibus  oder  der  Tramway.  Grigokow 
beschreibt  sog^ar  eine  solche  in  stehender  Stellung  auf  der  Plattform  eines 
Eisenbahnwagens  erfolgt.  Das  Kind  wurde  gleich  darauf  lebend  und  unmerk- 
lich verletzt  neben  dem  Zuge  aufgefunden. 

Therapie.  Wegen  Vermeidung  einer  Infection,  zu  der  die  präcipitirt 
Entbundenen  leichter  noch  als  andere  Wöchnerinnen  neigen,  enthalte  man  sich 
jeder  Manipulation  gleich  nach  derselben,  selbst  der  Einführung  des  Katheters. 
Auch  sonst  kann  man  in  Anbetracht  der  Verhältnisse  fast  nur  prophylaktisch 
thätig  sein,  Frauen,  die  schon  eine  Sturzgeburt  durchgemacht  haben,  müssen 
bei  den  ersten  Zeichen  von  Wehen  das  Bett  aufsuchen.  Zur  Vermeidung  von 
Presswehen  nehme  man  ihnen  jede  Handhabe,  eventuell  Anwendung  von  Nar- 
coticis  (Chloral,  Morphium,  Chloroforminhalation).  Stuhl-  und  Uriuentleerung 
darf  nur  liegend  im  Bett  vorgenommen  werden.  Sorgfältiger  Dammschutz. 
Eventuell  gegen  Atonia  uteri  prophylaktisch  Ergotin  gleich  nach  der  Geburt 
und  genaue  längere  Ueberwachung  der  Uteruscontraction  post  partum. 

Bodenstein. 

Perimetritis.  Unter  der  Bezeichnung  Perimetrium  versteht  man  jenen 
Theil  des  Bauchfelles,  der  die  Blase,  Gebärmutter  und  den  Mastdarm  im 
Becken  überkleidet  und  zwischen  diesen  Organen  Einsenkungen  (Taschen)  bil- 
det;") somit  unter  Perimetritis  die  Entzündung  dieses  Theiles  vom Becken- 
peritoneum,  welcher  althergebrachte  Name  richtiger  durch  das  Wort:  Pelveo- 
peritonitis  zu  ersetzen  wäre,  womit  dann  die  localisirte  Entzün- 
dung des  Peritoneums  im  kleinen  Becken  gekennzeichnet  würde. 

Entgegen  früheren  Anschauungen  von  der  Gefährlichkeit  eines  Eingriffes 
auf  das  Peritoneum  überhaupt,  wissen  wir  heute  erfahrungsgemäss,  dass  das 
Bauchfell  reine  Verwundungen  nicht  allein  sehr  gut  überdauert,  sondern  sich 
gegen  Infectionskeime  indifferent  erweist,  ihnen  gegenüber  sogar  eine  ge- 
Avisse  verdauende  Wirkung  (Fehling)  entfaltet.  Allerdings  wird  von  einem 
derartigen  Bauchfelle  verlangt,  dass  es  an  seiner  Oberfläche  nicht  alterirt, 
und  weder  durch  medicamentöse  Substanzen,  noch  es  berührte  Stoffe  (Schwämme, 
Tücher,  Instrumente)  an  seiner  Glätte  Schaden  genommen  hat.  So  gibt  das 
durch  die  Schwangerschaft  enorm  ausgedehnte  Beckenperitoneum  nie  zur 
Perimetritis  Veranlassung. 

Anders  verhält  sicli  aber  die  Sache,  sobald  im  Becken  durch  Circu- 
lationsstörungen  alterirte  Verhältnisse  entstehen.  Nach  Annahme  Einiger  sollen 
dieselben  durch  .^Erkältung'-''  hervorgerufen  werden,  ohne  dass  man  für  das 
Zustandekommen  einen  anderen  Grund  nachzuweisen  vermöchte.  Wir  stehen 
nicht  an  bei  Anführung  dieses  ätiologischen  Momentes  zu  bemerken,  dass  wir 
in  unseren  Fällen  noch  immer  einen  zweiten,  für  das  Zustandekommen  der 
Becken-Bauchfellentzündung  maassgebenderen  Grund,  als  die  Erkältung 
aufzuweisen  im  Stande  waren. 

Meistentheils  ist  hiebei  ein  Trauma  vorhanden;  so  haben  wir  be- 
schränkte Peritonitiden  im  Becken  nach  dem  Coitus  inter  menses  und  intet-- 
ruphis,  nach  Excessen,  Masturbation,  endlich  nach  chirurgischen  Eingriffen 
aufs  Peritoneum  (Ovariotomie,  Castration  u.  s.  f.)  entstehen  gesehen. 

*)  Vergl.  die  diesbezügliclien  Figuren  im  Artikel  „Uterus"  ds.  Bd. 


PERIMETRITIS.  621 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  liegt  jedoch  ein  in  seiner  Substanz  er- 
krankter Uterus  vor.  Die  mehrfachsten  Lageveränderungen  und  damit 
Circulationsstörungen  sind  dann  durch  letzteren  Vorgang  bedingt.  Die  ver- 
grösserte  und  schwere  Gebärmutter  legt  sich  an  das  Nachbarorgan  an,  übt 
durch  continuirlichen  Druck  einen  Reiz  aus,  dem  sehr  bald  eine  Ausschwitzung 
und  eine  Aneinanderklebung  auf  den  sich  berührenden  Flächen  folgt.  Dann 
treten  Gefässchen  in  diese  Ausschwitzungen.  Je  länger  der  Process  dauert 
und  je  massiger  letztere  sind,  umso  reichlicher  wird  die  Vascularisation, 
Entfernt  sich  später  das  Organ  aus  seiner  Lage  (Schwangerschaft),  so  dehnen 
sich  diese  flächenhaften  Gebilde  mitsammt  den  Gefässen  aus  {Stränge),  oder 
aber  die  Pseudomembranen  führen  zu  Verklebungen  der  einzelnen  Organe 
untereinander. 

Aehnliche  Entzündungszustände  mit  Veriöthung  des  Perimetriums,  also 
Verwachsung  des  Douglas,  kommen  bei  Verlagerungen  der  Gel)ärmutter  nach 
unten  zu  Stande  {Prolapsus  \mA  Inversion);  oder  umgekehrt,  wenn  der  über- 
mässig ausgedehnte  Mastdarm  durch  seine  Contenta  auf  die  Xachbarorgane 
drückt.  {Habituelle  Obstipation.) 

Endlich  werden  Entzündungsherde  der  Nachbargebilde  (Typhlitis,  Der- 
moidcysten, Echinococcus)  sich  auch  auf  die  Beckenbauchfelltaschen  erstrecken, 
wie  ja  auch  in  dieser  Region  wachsende  Neubildungen  mit  ihren  Folgezustän- 
den und  Verlagerungen  (Stieldrehung)  (Cystosarcoma  ovarii,  Carcinom)  locale 
Entzündungen  hervorrufen  können. 

Diese  sämmtlichen  Arten  der  Entstehung  von  Perimetritis  kennzeich- 
nen sich  durch  selteneres  Auftreten;  sie  bleiben  beschränkt  und  blos  die 
krebsartige  Nachbarschaft  führt  zumeist  zu  allgemeiner  Bauchfell-Entzündung 
(wenn  das  Individuum  nicht  früher  an  chronischer  Ichorämie  zu  Grunde  geht). 

Viel  gefährlicher  gestalten  sich  die  Verhältnisse,  wenn  das  Bauchfell  von 
Infectionskeimen  betroffen  wird.  Die  Mikroorganismen  können  entweder 
unmittelbar  darauf  abgelagert  werden,  oder  sie  wandern  aus  benachbarten 
Gewebszügen  auf  die  Excavationen  des  Peritoneums.  Gewöhnlich  ist  es  das 
Trippergift,  dem  man  die  Entstehung  der  Pelveoperitonitis  bei  jungen 
Frauen  zuschreiben  darf. 

Nicht  immer  ist  es  die  virulente,  sondern  zumeist  die  latente  Form 
der  G  0  n  0  rrh  oe, ")  welche  das  Wohlbefinden  der  Frau  bedroht;  wenngleich  dafür 
der  Mann  auch  nicht  verantwortlich  werden  kann,  da  er  sich  gesund  fühlt,  und 
keine  Erscheinungen  der  vor  längerem  Zeiträume  (bis  15  Jahren)  überstan- 
denen  Tripperansteckung  darbietet.  Auf  dem  Wege  aus  der  Urethra,  beson- 
ders den  perimetralen  Einbuchtungen  und  Drüsen  oder  der  BARTHOLiNi'schen 
Drüse  der  Vulva  gelangen  die  durch  Neisser  entdeckten  Gonococcen  in  die 
Vagina,  Uterus-  und  Tubenhöhle,  w^o  sie  reichlichen  Nährboden  vorfindend, 
durch  das  Ostium  abdominale  auf  den  Beckenboden  gelangen  und  sich  hier 
weiter  entwickeln. 

Die  andere  Art  des  Zustandekommens  bezieht  sich  auf  die  Strepto- 
und  Staphylococcusinvasion.  Wir  wissen  durch  die  schönen  Arbeiten 
Leopold's,  wie  sehr  sowohl  das  Parametrium,  als  das  Lymphgefässystem  des 
Uterus  und  seine  Schleimhaut,  der  Einwanderung  septischer  Keime  genügende 
Wege  darbieten,  auf  welchen  sie  bis  zum  Perimetrium  gelangen  und  beson- 
ders im  Wochenbette  (Miscliinfection)  zu  verheerender  Wirkung  ausreifen. 
Das  ohnehin  hyperämische  Bauchfell  des  Beckens  reagirt  dermaassen  rasch, 
dass  es  sehr  bald  zur  allgemeinen  Peritonitis   mit  letalem  Ausgange  kommt. 

In  gleicher  Weise  erkrankt  das  Perimetrium,  w^enn  durch  ärztliche 
Eingriffe  der  Infection  Zugang  verschafft  wird.  Bis  in  die  jüngste  Zeit 
waren  beim  früheren  Gebrauche   des  PresscJnvammes,  bei  Verwundungen  der 


*)  Vergl.  auch  Artikel  y,Gonorrhoe  der  iceihl.  Genitalien'^ ^  pag.  295. 


622  PERIMETRITIS. 

Uterussclileimhaut  gelegentlich  der  Sondeniinter suchung,  überhaupt  bei  Dila- 
tation der  Cervix  die  partielle  Entzündung  des  Beckenbauchfelles  keine  Sel- 
tenheit. 

Entgegen  dem  gutartigen  Verlaufe  der  mit  dem  Ausgange  in  Adhä- 
sionsbildung beschriebenen  Form  ist  die  infectiöse  Perimetritis  ent- 
schieden als  bösartig  zu  bezeichnen.  Hiebei  erleiden  die  stark  hyperämischen 
serösen  Häute  an  ihrer  Oberfläche  eine  Trttl)ung  und  Auflockerung,  sind  mit 
einem  fibrinösen  Belage  behaftet  und  verkleben  mit  einander.  Zwischen  den 
freien  Räumen  findet  aber  eine  Ausschwitzung  fibrinoseröser  Flüssigkeit  statt, 
die  bald  trüb,  flockig,  später  mit  blutigen  Stellen  durchsetzt  wird,  und  in  der 
man  die  unterschiedlichen  Colonien  verschiedenartiger  Mikroorganismen  zu 
erkennen  vermag.  Sobald  diese  Flüssigkeitsmengen  nach  oben,  von  den  ver- 
klebten und  mit  Fibrinbelage  überzogenen  Darmschlingen  abgegrenzt  werden, 
entsteht  ein  Tumor,  dem  stets  anfänglich  noch  eine  gewisse  Beweglichkeit 
innewohnt.  Die  Hauptmenge  der  Flüssigkeit  zieht  nach  dem  tiefsten  Theile 
des  Beckenbodens  (Douglas),  man  kann  das  Exsudat  darin  fühlen.  Es 
können  aber  auch  andere  höhere  Darmschlingen  das  Exsudat  zwischen  sich 
fassen,  es  kommt  zu  der  durch  Feitsch  charakteristisch  bezeichneten  „Darm- 
c  a  V  e  r  n  e. " 

Je  nach  der  Grösse  und  Ausdehnung  dieser  Exsudatmassen  erfolgt  dann 
die  Verlagerung  der  Beckeneingeweide.  Nur  in  sehr  geringer  Zahl  der  Fälle 
gelangt  ein  solches  Exsudat  zur  Resorption,  nicht  ohne  durch  Verklebung 
und  Ueberhäutung  der  Tuben  und  Ovarien  die  Function  derselben  zu  beein- 
trächtigen. {Perioophoritis,  Salpingitis  nodosa.)  Meist  wird  der  Inhalt  des  ab- 
geschlossenen Sackes,  sei  es  durch  die  ursprünglichen  Krankheitserreger,  sei 
es  durch  aus  der  Nachbarschaft  (Mastdarm)  eingewanderte  Mikroorganismen 
oder  Gifte  zum  Zerfalle  gebracht,  die  Folge  ist  ein  Jaucheherd,  der  sich 
nach  Aussen  Bahn   zu  brechen  anschickt. 

Erfolgt  der  Durchbruch  trotz  der  Abkapselung  in  die  freie  Bauchhöhle, 
so  ist  allgemeine  Peritonitis  die  Folge,  mit  den  bekannten  Ausgän- 
gen. Oder  der  Jaucheherd  usurirt  die  ihm  zunächst  liegende,  nachgiebigste 
Stelle.  Zumeist  geschieht  dies  in  den  Darm  (Darmfistel)  und  hier  wieder 
zu  öftern  in  den  Mastdarm;  aber  auch  in  die  Blase,  oder  auch  durch  die 
Bauchdecken  nach  Aussen. 

Mit  dem  Durchbruche  ist  die  langsame  Heilung  angebahnt.  Abgesehen 
davon,  dass  die  Abcesshöhle  sich  schwer  schliesst,  erfolgen  selbst  bei  günsti- 
gen Verhältnissen  sehr  leicht  Recidive;  sie  sind  eigentlich  ebenso,  wie  bei 
der  erfolgten  Resorption  des  Exsudates  die  Regel,  so  dass  man  bei  der  Peri- 
metritis selbst  in  günstigem  Ablaufe  nur  mehr  von  relativer  Heilung  spre- 
chen kann. 

Unter  den  Symptomen  der  Perimetritis  ist  zu  allererst  die  grosse 
Empfindlichkeit  im  Becken  zu  erwähnen;  sie  gibt  sich  als  Schmerzhaftigkeit 
beim  Gehen,  längeren  Stehen,  kurz  bei  stärkerer  Bewegung  kund.  Wenngleich 
derartige  Kranke  kaum  fieberhaft  sind,  so  leitet  der  rasche  Puls  mit  der  er- 
höhten Druckempfindlichkeit  im  Becken  die  Aufmerksamkeit  auf  die  Entzün- 
dung des  Bauchfelles  hin.  Hat  keine  Infection  stattgefunden,  so  schwinden 
diese  Erscheinungen  bei  Bettruhe  und  freiem  Leibe  verhältnismässig  rasch, 
um  mit  Eintritt  der  nächsten  Menstruation  wieder  aufzuleben. 

Kann  sich  die  Kranke  nicht  schonen,  oder  übt  sie  Coitus  aus,  so  ver- 
schlimmert sich  der  Zustand  gewöhnlich.  Selbst  ohne  höhere  Fiebergrade 
bieten  aber  solche  Patientinen  schon  das  Bild  von  schwerer  Erkrankten,  deren 
Leiden  durch  die  ungenügende  Thätigkeit  des  Darmes  gesteigert  wird. 

Schwindet  die  Druckempfindlichkeit,  so  gehen  auch  die  Schmerzen  lang- 
sam zurück,  man  kann  dann  blos  durch  die  —  mittelst  Untersuchung  constatir- 
bare  —  Verlagerung  der  Beckenorgane,  ferner  nach  der  vorhandenen  Dysmenor- 


PERIMETRITIS.  623 

j-lioe  und  Sterilität  (zu  mindest  aus  der  erschwerten  Conceptionsfähigkeit)  auf 
die  abgelaufene  Entzündung  des  Beckenbauchfelles  schlicssen. 

Schleichender  verläuft  die  Erkrankung  bei  gonorrhoi  scIier  Infec- 
tion.  Die  einzelnen  Erscheinungen  sind  den  angeführten  ähnlich. 

Stürmischer  tritt  die  Pelveoperitoneitis  bei  septischer  Infectionzu 
Tage.  Fehlt  auch  hiebei  im  Anfange  das  hohe  Fieber,  so  klagen  die  Kranken 
vom  Beginne  an  über  stechende  Schmerzen  im  Unterleib,  die  sich  schrittweise 
steigern  als  die  Ausdehnung  des  Bauches  erfolgt,  wodurch  sie  am  Athmen  be- 
hindert werden.  Zu  diesen  gesellen  sich  Störungen  in  der  Blasenfunction, 
fortwährender  Reiz  zum  Uriniren,  mit  Abgang  von  wenigen  Tropfen.  Hat  dann 
der  Tympanites  einen  gewissen  Grad  erreicht,  so  fehlt  ferner  das  Alier- 
quälendste:  das  Erbrechen  nicht,  das  erst  mit  Abkapselung  des  Tumors 
aufhört.  Dauert  aber  das  Erbrechen  und  Schlucksen  fort,  so  ist  die  Entzündung 
auf  das  weitere  Peritoneum  überschritten. 

Mit  Stabilisirung  des  Exsudates  kommt  für  die  Kranke  ein  Stadium  der 
Ruhe,  in  dem  mit  reichlichem  Schweisse  ein  gewisses  Wohlbefinden  vorhanden 
sein  kann;  steigt  hingegen  das  Fieber  an,  und  überfallen  die  Kranken  Schüttel- 
fröste, so  ist  das  ein  Zeichen  des  Zerfalles  vom  Exsudat. 

Aus  den  eben  geschilderten  Erscheinungen  ist  die  Diagnose  der  Peri- 
metritis selbst  dann  nicht  schwer,  wenn  noch  kein  Exsudat  gefühlt  wird. 
Ist  ein  Tumor  vorhanden,  so  gibt  er  häufig  Veranlassung  die  Pelveo- 
peritonitis  mit  der  ihr  ohnehin  leicht  zugesellten  Parametritis  zu  ver- 
wechseln. Zeigt  bei  ersterer  der  Tumor  im  Anfange  noch  grössere  Beweglichkeit, 
steht  er  nicht  so  tief  im  Douglas,  und  wölbt  dieses  mehr  kugelig  vor,  so 
haftet  bei  letzterer  das  Exsudat  als  mehr  derbe,  knollige  Masse  seitlich  am 
Uterus  fest,  verdrängt  den  Uterus  nach  vorne,  ist  bimanuell  leichter  austast- 
bar, während  das  perimetritische  Exsudat  das  Becken  wie  mit  einer  harten 
ausgegossen  erscheinen  lässt  (cfr.  Artikel  „Beckenexsudate"  und  „Parametritis"). 

Die  Prognose  kann  nach  diesem,  selbst  für  die  acute,  nicht  infec- 
tiöseForm  nicht  günstig  lauten.  Die  Verlagerung  der  Organe,  selbst 
wenn  die  Trennung  der  Adhäsionen  glücklich  gelang,  tritt  selten  ganz  zurück, 
die  Recidiven  sind  beinahe  permanent  und  werden  durch  die  subsequente, 
mangelhafte  Function  des  Darmes  erschwert.  Noch  ungünstiger  stellt  sich  die 
Vorhersage  bei  der  infectiösen  Form.  Die  gonorrhoische  Perimetritis 
führt  zwar  selten  zum  Tode,  aber  sie  wird  durch  die  stetigen,  oft  bis  über 
das  Climacterium  dauernden  und  bei  der  geringsten  Körperanstrengung  ein- 
tretenden Recidiven  zu  einer  Quelle  fortwährenden  Leidens.  Daneben  bergen 
die  den  Eierstock  und  die  Tuben  treffenden  Veränderungen  eine  Kette  von 
Gefahren  in  sich,  besonders  da  die  Verlöthungen  in  letzterem  Organe  zur  Eiter- 
sackbildung führen,  deren  Heilung  nur  auf  operativem  Wege  zu    erzielen  ist. 

Die  Therapie  der  Pelveoperitoneitis  hat  mit  der  Prophylaxe  gegen  das 
Leiden  zu  beginnen.  Dass  sich  die  Frau  den  in  der  Aetiologie  angeführten 
Schädlichkeiten  nicht  aussetze,  bedarf  nicht  weiterer  Auseinandersetzung.  Aber 
es  dünkt  uns  als  ganz  praktische  Maassregel  jungen  Männern  zu  empfehlen, 
eine  genaue  Untersuchung  ihrer  Genitalien  besonders  vornehmen  zu  lassen 
ehe  sie  in  die  Ehe  treten,  wie  man  Mittel  und  Wege  zu  finden  wissen  muss, 
dass  die  junge  Frau,  bezüglich  des  Verhaltens  während  der  Menstruation  des 
ehelichen  Lebens  und  des  Wochenbettes*)  der  nöthigen  Aufklärungen  nicht 
entbehre. 

Aerztlicherseits  wird  man  jeden  Eingriff  nurmehr  unter  strenger  Anti- 
sepsis vollziehen;  bei  vorhandener  Empfindlichkeit  des  Peritoneums  im  Becken 
ihn  bis  zum  Stillstehen  der  Erscheinungen  verschieben,  ja  sogar  die  Unter- 
suchung bei  Entzündungen  auf  das  nothwendigste  Maass  ijeschränken. 


*)  Vergl.  die  Artikel  ,,Z)^■«Ye^^7l;  (7es  Wochenbettes"  und   ^Prophi/laxe  der  Fraiierileidev- 


624  PERIMETRITIS. 

Gegen  die  nicht  infectiüse  Perimetritis  ist  vor  Allem  absolute 
Ruhe  indicirt.  Sorgt  man  dabei  für  gründliche  Ausleerung  des  Darmes,  sei 
es  durch  einen  aromatischen  Eingussj  (Kamillenthee,  mit  geringer  Druckhöhe) 
oder  durch  ein  Klystier  von  15 — 20  g  reinen  Glycerins;  umspannt  man  den 
Unterleib  mit  einer  fest  angelegten  und  gehörig  schliessenden  „Priessnitz"- 
binde,  so  wird  man  der  Darreichung  von  Calomel  und  Opium  in  diesem 
Stadium  der  Erkrankung  entrathen  können.  Hingegen  haben  wir  bei  Schmerz- 
haftigkeit  und  grösserer  Empfindlichkeit  des  Abdomens  von  der  Application 
einiger  (nicht  weniger  als  6 — 8)  Blutegel  und  nachfolgenden  kalten  Ueber- 
schlägen  oder  dem  Kühlapparate  vortreifliche  Wirkung  gesehen.  Ueberhaupt 
leistet  die  Kälte  ganz  vorzügliche  Dienste,  sei  es  durch  eiskalte  Compressen, 
die  Eisblase  oder  den  LEixER'schen  Kühlapparat;  nur  darf  die  Vorsicht  nicht 
ausser  Acht  gelassen  werden,  in  der  Kälteanwendung  Pausen  eintreten  zu 
lassen,  da  die  gespannte  Bauchhaut  leicht  zum  Erfrieren  neigt. 

Die  Zunahme  des  Volums  vom  Unterleib  deutet  auf  gänzliche  Unthätig- 
keit  des  Darmtractes  und  wird  gewöhnlich  bald  vom  quälendsten  Symptom 
der  Bauchfellentzündung,  dem  Brechreize  und  Erbrechen,  gefolgt.  Wir  lassen 
solchen  Kranken  nebst  grösseren  Gaben  Opiums  per  os  oder  als  Suppositorien 
wenig  Flüssigkeit  zukommen;  Eispillen,  kaltes  Sodawasser  mit  wenig  Cognac 
haben  sich  besser  bewährt,  als  warme  Getränke  oder  selbst  Cocainlösungen; 
am  besten  vertragen  die  Kranken  frappirten,  nicht  süssen  Champagner  oder 
Ausspülen  des  Mundes  mit  Sodawasser.  Ist  die  Exsudation  zur  Höhe  gediehen, 
so  beruhigt  sich  die  Kranke  in  der  Ptegel,  die  Schmerzhaftigkeit  im  Abdomen 
tritt  meist  nur  beim  Wechsel  der  Lage  und  bei    eventueller  Berührung   ein. 

Zeigt  die  Fiebercurve  Zerfall  des  Exsudates  an,  so  tritt  die  chirurgische 
Behandlung  zu  Recht,  und  ist  die  Eröffnung  des  Abscesses  angezeigt.  Man 
wird  zumeist  im  Scheidengewölbe,  aber  auch  durch  die  Bauchdecken  hindurch 
die  fluctuirende  Stelle  zu  finden  vermögen,  wo  die  Eröffnung  stattzufinden  hat. 

Meist  ist  die  Kranke  durch  das  Fieber  und  die  schlechte  Ernährung 
erheblich  herabgekommen.  Ist  die  Fluctuation  undeutlich,  so  wird  die  vor- 
sichtig ausgeführte  Prob  epunction  Klarheit  verschaffen,  der  wir  dann  die 
Eröffnung  des  Eitersackes  unmittelbar  nachfolgen  lassen.  Wo  immer  wir  dem 
perimetritischen  Eiterherde  freien  Abfluss  schaffen,  müssen  wir  uns  vor  zu 
ausgiebiger  Ausspülung  des  Sackes,  ebenso  vor  Ausdrücken  der  Eitermengen 
durch  die  Bauchdecken  hüten.  Denn  es  kann  ein  tieferer  Abscess,  und  nicht 
immer  ist  es  der  grösste,  mit  höher  gelegenen  „Darmcavernen"  in  Verbindung 
stehen,  deren  Inhalt  dann  in  den  Peritonealraum  gedrückt  wird.  Dasselbe 
kann  auch  die  Ausspülung  verursachen.  Räthlich  ist  beim  Eröffnen  mit 
dem  Messer  die  blutenden  Stellen  gleich  zu  unterbinden,  die  Fäden  aber 
recht  lange  zu  belassen;  sie  halten  die  Schnittränder  auseinander,  zwischen 
denen  man  das  Glas-Drainrohr  einfügen  und  für  Abfluss  Vorsorgen  kann. 
Letzterer  Zeit  haben  wir  die  Ausspülungen  ganz  unterlassen  und  die 
Abscesshöhle  blos  mit  Jodoformgazestreifen  ausgewischt.  So  behandelt  bleibt 
die  Kranke  oft  auch  48  Stunden  in  vollkommener  Ruhe,  was  für  die  Erhal- 
tung der  Kräfte  ein  nicht  zu  unterschätzender  Vortheil  ist. 

Schlimmer  steht  es  um  die  Behandlung  eines  nach  der  Blase  oder  dem 
Rectum  durchgebrochenen  Abscesses.  Man  erkennt  dies  an  der  reichlichen 
Entleerung  fötideu  Eiters  mit  dem  Urin  oder  dem  Stuhl;  bei  letzterem  oft 
mit  Fetzen  geronnenen  eiweissähnlichen  Massen  gemengt.  Die  Ausheilung 
findet  stets  sehr  langsam  statt.  Der  von  Schröder  eingeschlagene  Weg:  die 
in  die  Blase  erfolgte  Durchbruchstelle  durch  hohen  Blasenschnitt  aufzusuchen 
und  zu  schliessen,  dürfte  nur  in  seltenen  Fällen  zur  Wiederholung  gelangen; 
meist  wird  man  sich  mit  Blasenausspülungen  (Borsäure  4%,  Sublimat  V5000) 
und  häufigem  Katheterisiren  zur  Ableitung  des  Eiters  begnügen  müssen. 
Fisteln   in   dem  Mastdarm   heilen   verhältnismässig  noch  langsamer,  oft  erst 


PERIMETRITIS.  625 

nach  Jahren.  Sie  machen  keine  besonderen  Beschwerden,  jedoch  birgt  die 
fortgesetzte  Eiterung  die  consecutive  Gefahr,  dass  mit  Ab/.ehrung  der  Kräfte 
Nierenentartungen  (amyloide  Degeneration)  sich  entwickelt. 

Heilt  das  Exsudat,  sei  es  durch  üesorption  oder  nach  Durchbruch  durch 
Schrumpfung,  so  müssen  die  Folgezustände  in  Betracht  gezogen  werden  und 
den  Verlagerungen  der  Beckenorgane  entgegengearbeitet  werden. 

Die  Behandlung  der  Adhäsionen  hatte  bis  vor  nicht  langer  Zeit  unge- 
nügende Resultate  aufzuweisen.  Es  folgte  bei  nur  gewissermaassen  ener- 
gischeren Eingriffen  eine  Recrudescenz  der  Krankheit,  oft  mit  schlimmeren 
Zuständen,  als  bevor.  Man  hatte  die  latente  Entzündung  wieder  angefacht 
gehabt,  der  Kranken  also  durch  die  Behandlung  eine  Aveitaus  schwerere  Er- 
krankung „angeheilt."  Die  Kenntnis  der  Aetiologie  hat  in  der  Bezie- 
hung vieles  zu  Nutzen  gefördert,  und  auf  die  auf  Picsorption  hinzielenden 
Mittel  das  Hauptaugenmerk  gerichtet. 

Also  in  erster  Reihe  die  Jodpräparate,  und  das  neuerer  Zeit  trefflich  ein- 
geführte Ichthyol.  Wir  wenden  erstere  als  Einpinselungen  von  mitigirter  Tinctur 
{Tinctura  jodinae,  Tind.  gallar.  ää)  ins  Scheidengewölbe;  letzteres  nur  mehr  als 
Salbe  von  10 "/o  an.  Diese  wird  in  consistenter  Form  verordnet,  ein  wallnuss- 
grosses  Stück  in  sterile  Gaze  geschlagen,  und  so  als  Tampon  in  die  Vagina 
hoch  hinaufgeführt  und  durch  24  Stunden  darin  belassen.  Das  untere  Ende 
der  Gaze  fängt  die  abfliessende  Salbe  auf,  der  Tampon  gibt  dem  Uterus  einen 
gewissen  Stützpunkt,  der  die  Kranken  zu  der  Aussage  veranlasst:  „dass 
sie  sich  erleichtert"  fühlen.  Die  Verbindungen  von  Jod  oder  Ichthyol 
mit  Glycerin  haben  stets  rege  Reizzustände  im  Gefolge,  was  eben  zu  vermei- 
den ist;  aus  diesem  Grunde  sind  selbst  mit  grosser  Vorsicht  ausgeführte 
Vaginaldouchen  gegenangezeigt.  Alle  in  die  Vagina  eingeführten  Medica- 
mente von  harter  Consistenz  (Zäpfchen,  Globuli)  haben  keine  Wirkung. 

Unter  den  indirect  wirkenden  Resorptionsmitteln  kommt  dem  feuchten 
„PmESSNiTZ-Um schlage"  eine  Hauptrolle  zu.  Nur  darf  mit  der  feuchten 
Fläche  nicht  gespart  und  muss  die  Binde  fest  anliegend  um  das  ganze 
Becken  gelegt  werden.  Nichtsdestoweniger  kommt  es  vor,  dass  Kranke  die 
PRiESSNiTZ-Umschläge  nicht  vertragen  (sie  erwärmen  sich  nicht!);  in 
solchen  Fällen  können  Cataplasmen  (Mandelkleie)  in  Verwendung  gezogen 
werden. 

Die  Perimetritis  gonorrhoischen  Ursprunges  erfordert  die  gleiche  Thera- 
pie. Die  besten  Resultate  gab  uns  bisher  die  Behandlung  mit  Ichthyolsalbe 
und  consequent  durchgeführter  Bettruhe.  Daneben  wird  man  der  etwa  noch 
vorfindlichen  Gonorrhoe,  resp.  Blenorrhoe  gehörige  Beachtung  schenken  und 
sie  auf  geeignetem  Wege  bekämpfen. 

Als  kräftigste  Unterstützungsmittel  der  oben  angeführten  Medication  die- 
nen zur  Aufsaugung  perimetri tischer  Reste  noch  die  verschiedensten  Ther- 
mal-, Sool-  und  Moorbäder;  wenn  nicht  anders,  so  wirken  sie  durch  die 
Ruhestellung  des  Individuums,  durch  die  Anregung  und  Regelung  der  Darm- 
thätigkeit  und  Entlastung  des  Beckens.  Geradezu  vortrefflich  bewährte  sich 
uns  in  dieser  Beziehung  wiederholt  Karlsbad. 

Sind  durch  mächtige  Adhäsionen  im  Becken  derartige  Verlagerungen 
und  Erkrankungen  der  Organe  daselbst  erfolgt,  dass  diese  Nebenzustände 
entweder  eine  stetige  Quelle  der  Recidiven  (Perioophoritis)  schaffen  oder  durch 
Verklebungen  (Oophoritis,  Salpingitis)  nicht  allein  das  Wohlbefinden  herab- 
setzen, sondern  die  Arbeitsfähigkeit  vernichten  und  das  Leben  bedrohen 
(Pyosalpinx)  und  hat  man  durch  die,  nach  vollkommener  Ruhestellung  des 
Individuums  angewandte  gynäkologische  Massage  nach  Thure  Brandt*)  keinen 


*)  Vergl.  Artikel  „Massage  in  der  Gynaelcologie^ ,  pag.  514. 
ßibl   med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  40 


626  PERINEOPLASTIK, 

Erfolg  erzielt,  so  bleibt  nun  mehr  die  Trennung  der  Adhäsionen,  eventuell 
die  Entfernung  der  bedrohlichen  Organe  durch  das  Messer  oder  Glüheisen  auf 
dem  Wege  der  Laparatomie  übrig.  elischer. 

Perineoplastik  oder  DammUldimg  ist  die  operative  Wiederherstellung 
des  durch  Einrisse  bei  der  Geburt,  sehr  selten  durch  andere  Traumen,  defect 
gewordenen  Dammes. "")  Da  die  bei  der  Geburt  entstehenden  Dammrisse  von 
den  Hebammen  aus  nahe  liegenden  Gründen  gewöhnlich  verheimlicht  werden, 
so  ist  der  Arzt,  wenn  er  nicht  selbst  die  Geburt  geleitet  hat,  selten  in  der 
Lage  den  frischen  Riss  durch  Perineorrhaplüe  zu  schliessen.  Fast  stets  suchen 
die  Frauen  erst  ärztliche  Hilfe,  wenn  die  Verletzungen  längst  vernarbt  sind 
und  sich  die  Folgen  der  mangelhaften  Vereinigung  derselben  geltend  machen. 
Die  Aufgabe  der  Perineoplastik  ist  es  alsdann,  den  Status  quo  so  gut  wie 
möglich  wiederherzustellen. 

Wlihrend  oberflächliche  Einrisse,  auch  wenn  sie  nicht  genäht  w^erden, 
ohne  besondere  Difformität  der  Vulva  heilen  können,  führt  die  liächenhafte 
Vernarbung  tieferer  Dammrisse  zu  einem  Defect  des  Dammes,  zu  einer  Er- 
weiterung des  Introitus  vaginae  und,  wenn  sich  dieselben  auf  einer  oder  beiden 
Seiten  der  Columna  rugarum  posterior  in  der  Scheide  in  die  Höhe  ziehen, 
zu  einer  Erweiterung  des  Scheidenrohrs  und  in  Folge  davon  zu  chronischem 
Reizzustand,  zu  Erschlaffung  und  Prolaps  der  höher  gelegenen  Theile  der 
hinteren  Scheidenw^and,  zu  Rectocele  und  secundär  zum  Descensus  oder  Prolaps 
des  Uterus. 

In  dieser  Weise  können  schon  etwas  tiefer  gehende  incomplete,  den 
Damm  nur  theilweise  durchsetzende  Risse  wirken;  ist  jedoch  der  Dammriss 
ein  completer,  d.  h.  geht  er  durch  den  ganzen  Damm  und  den  Sphincter 
ani  bis  in  den  Mastdarm,  so  sind  natürlich  die  Verhältnisse  für  die  Frau  noch 
ungünstiger.  Wiewohl  manchmal  solche  ausgedehnte  Defecte  auffallender 
Weise  keine  oder  nur  unbedeutende  Symptome  verursachen,  so  ist  doch  häufig 
genug,  von  anderen  Unbequemlichkeiten  abgesehen,  Incontinenz,  w^enigstens  für 
Flatus  und  flüssigen  Stuhl,  die  Folge  dieses  Zustandes,  welcher  somit  zu 
schwerer  Beeinträchtigung  des  Lebensgenusses  und  oft  zu  bedenklichen  ner- 
vösen Depressionszuständen  führen  kann. 

Aber  auch  kleine  Dammrisse,  die  noch  keine  besonderen  pathologischen 
Störungen  mit  sich  bringen,  können  durch  Beeinträchtigung  der  physiologischen 
Functionen  der  Theile  unangenehme  Folgen  haben.  Das  Klaffen  Jö:'  Vulva 
und  die  Unwirksamkeit  des  Constrictor  cunni  kann  nicht  nur  Abfiuss  des 
Sperma  nach  dem  Coitus  und  Erschwerung  der  Conception  bedingen,  als  auch 
eine  Verminderung  des  Wollustgefühles  für  den  Mann  und  in  Folge  davon 
gar  nicht  selten  allerlei  Unannehmlichkeiten  für  beide  Theile  herbeiführen. 
Schon  aus  diesen  Gründen  sollten  die  frischen  Dammrisse  stets  durch  die 
Naht  vereinigt,  die  veralteten  viel  häufiger,  als  dies  geschieht,  durch  die  Pe- 
rineoplastik beseitigt  w^erden. 

Eine  Reihe  von  Operationsmethoden  ist  zu  diesem  Zweck  ersonnen 
worden.  Diese  Methoden  geben  gewisse  Schemata  ab,  welche,  wie  bei  allen 
plastischen  Operationen,  nach  der  Individualität  des  Falles  Modificationen  und 
Oombinationen  erleiden  können. 

Die  LANGENBECK'sche  Methode  besteht  bei  incompletem  Dammriss  in 
Abpräparirung  der  die  Narbe  bedeckenden  Schleimhaut  mit  Bildung  eines 
Vaginallappens,  seitlicher  Vernähung  der  Wundfläche  und  Deckung  des  neu- 
gebildeten Dammes  nach  der  Scheide  zu  mit  dem  Vaginallappen.  Bei  com- 
pletem,  in  den  Anus  sich  fortsetzendem  Riss  kommt  dazu  die  Ablösung  der 
Schleimhaut  vom  Mastdarm   aus,  Bildung  der  vorderen  Mastdarmwand  und 


Vergl.  Artikel  „Dammrisse  und  Dammnaht^^ ,  "pag.  180. 


PERINEOPLASTIK. 


C27 


.  1.     Perineopla.9til;  nach  Simon 
Ijei  incompletem  Dammriss. 


Vernähung  derselben  mit  dem  neugebildeten  Damm.  Dieses  Verfahren  ist, 
ebenso  wie  ein  ähnliches  von  Bisciioff,  wegen  seiner  Umständlichkeit  durch 
die  folgenden  Methoden  verdrängt  und  ersetzt  worden. 

Nach  der  SmoN'schen  Meth  ode  wird  beim  incompleten  Dammriss  (Fig.  1) 
die  Anfrischung  in  Form  eines  Dreiecks  vorgenommen,  dessen  Spitze  in  der  Va- 
gina, dessen  Basis  am  Damm  liegt.  Nachdem  die  Schenkel  in  der  Vagina 
umschrieben  sind,  werden  sie  durch  einen  am  Damm,  an  der  unteren  Grenze 
des  Defects,  quer  verlaufenden 
Schnitt  verbunden,  dessen  Mitte 
über  der  Analöffnung  liegt.  Nach 
Ablösung  der  Schleimhaut  wird  die 
dreieckige  Wundfiäche  in  der  Weise 
geschlossen,  dass  zuerst  innerhalb 
der  Scheide  die  Schenkel  des  Drei- 
eckes mit  einander  vereinigt  und 
hierauf  die  dadurch  aneinander 
gelegten  Hälften  der  Basis,  welche 
den  neuen  Damm  bilden,  von  aussen 
mit  einander  vernäht  werden.  Die 
Linien  ba  und  ha'  werden  in  der 
Vagina  durch  Nähte  vereinigt  und 
bilden  das  untere  Ende  der  hinte- 
ren Vaginalwand.  Dadurch  kommt 
a  auf  a' ;  ca  wird  mit  ca'  von  aussen 
vernäht  und  bildet  den  neuen 
Damm. 

Beim  completen  Dammriss 
(Fig.  2)  erfolgt  dieselbe  dreieckige 
Anfrischung  in  der  Scheide;  dazu 
kommt  eine  solche  von  der  Form 
eines  Schmetterlingsfliigels  nach 
jeder  Seite,  indem  die  Schleimhaut 
durch  Schnitte  abgelöst  wird,  die 
beiderseits  erst  nach  oben  divergi- 
rend,  dann  nach  unten  convergirend 
sich  bis  zu  den  vorderen  Enden 
des  eingerissenen  Sphincter  ani 
erstrecken  und  von  da  wieder  auf- 
wärts laufend  sich  am  oberen 
Winkel  des  Defects  der  vorderen 
Mastdarmwand  in  einem  convexen 
Bogen  treffen.  Zuerst  wird  nun 
wieder  wie  beim  incompleten  Eiss 
das  Dreieck  aha'  in  der  Scheide 

vernäht;  dann  werden  ac  und  a'c'  durch  tief  gelegte  Nähte  vereinigt,  wodurch 
die  Verlängerung  der  vorher  defecten  hinteren  Scheidenwand  gebildet  wird;  ed 
und  ed'  werden  (vom  Mastdarm  aus)  mit  einander  vernäht  und  bilden  die  vor- 
dere Mastdarmwand;  schliesslich  wird  noch  durch  oberflächliche  Nähte  cd  mit 
c'd'  vereinigt  und  so  mit  Bildung  des  neuen  Dammes  die  Operation  abge- 
schlossen. —  x\uf  dem  Princip  der  SiMON'schen  Methode  beruhen  auch  die 
von  Hegar  und  anderen. 

Die  SiMON'sche  Methode  ist  hauptsächlich  zu  empfehlen,  wenn  der  Ein- 
riss  in  der  Mittellinie  stattgefunden  hat  und  durch  die  Narbenbildung  das 
untere  Ende  der  Columna  rugarum  posterior  verloren  gegangen  ist.  Blieb 
aber  letztere,  wie  dies  meistens  der  Fall,  intact,  indem  der  Kiss  auf  einer  oder 


Fig.  2.     Perineoplastih  nach  Simon 
bei  comiiletem  Dammriss. 


628 


PERINEOPLASTIK. 


I'jg.  3.     Perineoplastik  nach  Freund 
bei  incompletem  Dammriss. 


beiden  Seiten  derselben  in  die  Höhe  ging,  so  erscheint  es  unzweclnnässig, 
durch  die  Ausschneidung  des  medianen  Dreiecks  gerade  diesen  wichtigsten 
Theil  zu  opfern,  in  welchem  die  hintere  Scheidenwand  ihre  hauptscächliche 
Stütze  findet,  und  der  durch  seine  Ausdehnungsfähigkeit,  wenn  er  erhalten 
bleibt,  bei  späteren  Geburten  am  besten  die  Vermeidung  der  sonst  leicht  ein- 
tretenden neuen  Einrisse  ermöglicht. 

Die  FREUND'sche  Methode  schont,  von  dieser  Erwägung  ausgehend 
principiell  die  Columna  rugarum  posterior;  die  Anfrischung  wird  seitlich  von 

der  letzteren  vorgenommen,  indem 
ein  der  Narbe  entsprechendes  zungen- 
förmiges  Stück  zu  einer  oder  zu  bei- 
den Seiten  der  Columna  aus  der  Va- 
ginalwand excidirt  und  somit  durch 
Umschneidung  und  Auslösung  der 
Narbe  die  ursprüngliche  Wundfläche 
annähernd  wiederhergestellt  wird. 
Beim  incompleten  Riss  (Fig.  3)  werden 
die  nach  aussen  gelegenen  Schenkel 
der  beiden  in  der  Vagina  rechts  und 
links  von  der  Columna  rugarum  um- 
schnittenen  Dreiecke  durch  einen  nach 
abwärts  geführten  und  quer  über  die 
untere  Grenze  des  Dammrisses  ver- 
laufenden Bogen  mit  einander  ver- 
einigt und  die  von  der  Figur  um- 
schriebenen narbigen  Schleimhaut- 
partien durch  Excision  entfernt.  Es 
werden  nun  zunächst  die  zungenför- 
migen  Defecte  in  der  Vagina  durch 
die  Naht  geschlossen,  h  a  kommt  an 
&  ot,  c  a'  an  c  a.  Hierauf  wird  der  noch 
klaffende  untere  Theil  der  hinteren, 
Scheidenwand  (durch  Vereinigung 
von  ad  mit  a'd')  vernäht  und  zum 
Schluss  der  durch  Aneinanderlage- 
rung  von  ed  und  ed'  gebildete  neue 
Damm  durch  äussere  Nähte  vereinigt. 
Beim  completen  Dammriss  (Fig.  4) 
werden  die  Schnitte  nach  Umschrei- 
bung der  beiden  die  Scheidennarben 
einbegreifenden  Dreiecke  beiderseits 
nach  aussen  und  unten,  zuerst  diver- 
girend,  dann  convergirend,  bis  zu 
den  vorderen  Enden  des  zerrissenen 
Sphincter  ani  und  von  da  nochmals 
convergirend  nach  oben  geführt,  so  dass  sie  sich  über  dem  oberen  Winkel 
des  Defects  der  vorderen  Mastdarmwand  treffen,  (wobei  zugleich  auch  die 
Mastdarmschleimhaut  angefrischt  wird).  Nach  Excision  der  so  umscliriebenen 
Schleimhautfigur  werden  die  Scheidendreiecke  ah  a  und  a'  c a  vernäht  {h  a  mit 
öor,  ca'  mit  c  a)\  dann  wird  der  Fiest  der  Scheidenwunde  unter  Anlagerung 
von  ac?  an  a'd'  durch  tiefgreifende  Nähte  geschlossen;  hierauf  wird  durch 
Vereinigung  von /e  und /e'  mittelst  vom  Mastdarm  aus  (oder  besser  früher 
von  der  Wundfläche  aus)  gelegter  Nähte  die  vordere  Mastdarmwand  gebildet 
und  schliesslich  der  neuentstandene  Damm,  durch  Vernähung  von  d  e  mit 
d'  e'.  vereinigt. 


Kg. 


4.     Perineoplastik  nach  "Pheitkd 
bei  conix)letem  Dammriss. 


PERINEOPLASTIK. 


629 


Fig.  5a.   PerineoplastiJc 
nach  Tait   bei   incorapletem 
Dammriss  (Sclinittfülirung). 


TPig.  56.  Perineoplasti'k 

nacli  Tait   bei   incorapletem 

Dammriss  (NahtJ. 


Die  FiiEUND'sclie  Methode  ist  eine  ausgezeichnete,  da  bei  ihr  fast  nur 
entartetes  Narbengewebe  und  möglichst  wenig  von  der  gesunden  Schleimhaut 
entfernt  zu  werden  braucht.  Ausserdem  ist  sie,  wenn  zugleich  ein  Prolaps 
der  hinteren  Scheidenwand  vorliegt,  sehr  bequem  mit  der  Kolporrhaphia  posterior 
zu  verbinden,  indem  in  diesem  Fall  einfach  die  Anfrischungen  in  der 
Vagina  durch  zungenförmige  Verlängerung  der  beiden  Dreiecke  bis  gegen 
das  Scheidengewölbe  hin  ausge- 
dehnt werden.  (Bei  gleichzeitig 
bestehendem  Cervixriss  wird  die 
„EMMET'sche  Operation"  voran- 
geschickt). —  In  ähnlicher  Weise 
operirt  auch  A.  Martin. 

Der  Methode  von  Tait, 
die  in  Deutschland  hauptsächlich 
durch  Saenger  bekannt  geworden 
ist,  liegt  die  Vorstellung  zu  Grunde, 
dass  nach  den  plastischen  Opera- 
tionen, bei  denen  mehr-weniger 
ausgedehnte  Schleimhautpartieen 
excidirt  wurden,  im  Falle  des  Miss- 
glückens  der  Prima  intentio  der 
Defect  wieder  annähernd  einen 
Zustand  wie  vor  der  Operation  dar- 
bieten kann.  Desshalb  vermeidet 
diese  Methode  überhaupt  die  Ex- 
cision  von  Gewebstheilen. 

Die  Operation  besteht  beim 
incompleten  Dammriss  in  der 
queren  Spaltung  des  Septum  recto- 
vaginale,  und  zwar  in  der  Mitte 
zwischen  der  unteren  Grenze  des 
Dammdefectes  und  der  Analölf- 
nung,  in  der  Längsausdehnung  von 
3—4:  cm  und  in  der  Tiefe  von 
IV2 — 2  cm.  Auf  diesen  Querschnitt 
werden  nach  aufwärts  bis  zur 
Labionymphalgrenze  zwei  recht- 
winklige Seitenschnitte  gesetzt. 
Der  so  entstandene  Vaginallappen, 
der  sich  durch  Retraction  verklei- 
nert, wird  nach  oben  gezogen 
und  von  den  meisten  Operateuren 
sich  selbst  überlassen;  die  Wund- 
fläche wird  in  querer  Richtung 
durch  Dammnähte  geschlossen. 
Fig.  5a  zeigt  die  Schnittführung, 
Fig.  bb  den  durch  die  quere  Ver- 
nähung gebildeten  Damm. 

Beim  completen  Dammriss  wird  ebenfalls  zuerst  das  Septum  rectovagi- 
nale  gespalten  (wobei  man  sich  wegen  seiner  Dünne  vor  Verletzungen  der 
Scheiden-  und  der  Mastdarmwand  zu  hüten  hat)  und  ebenso  der  Vaginallappen 
nach  oben  abpräparirt.  Hierauf  werden  die  senkrechten  Schnitte  nach  unten 
bis  an  die  Enden  des  eingerissenen  Sphincter  verlängert  und  durch  Abprä- 
pariren  dieser  Partie  ein  Rectallappen  gebildet.  Der  (längere)  Vaginallappen 
wird  nach  oben,  der  (kürzere)  Rectallappen  nach  unten  gezogen;  beide  retra- 


Pig.  6a.   Perineoplastik 

nach  Tait  bei   completem 

Dammriss    (Schnittführiuig). 


Kg.  65.    Perineoplasti'k 

nach  Tait  bei   completem 

Dammriss  (Naht). 


630  PERINEOPLASTIK. 

hiren  sich  stark  und  werden  sicli  selbst  überlassen.  Die  übrige  Wundflcäclie 
wird  durch  tiefe,  unter  der  ganzen  Wunde  durchgeführte,  und  durch  dazwischen 
gelegte  oberflächliche  Nähte  in  querer  Kichtung  vereinigt.  Fig.  6a  zeigt  die 
Schnittführung,  Fig.  Qb  den  durch  die  Naht  geschlossenen  Damm. 

Es  wird  allerdings  bei  dieser  Methode  kein  neuer  Defect  gesetzt,  aber  es 
bleiben  schrumpfende  Lappen  zurück,  die  manchmal  gangränös  werden  und 
ausserdem  besonders  in  der  Vagina  zu  unregelmässigen  Verziehungen  der 
Wand  des  Introitus  führen  können.  Wenn  auch  mit  dem  relativ  einfachen, 
leicht  und  rasch  auszuführenden  Verfahren  von  verschiedenen  Operateuren 
befriedigende  Resultate  erzielt  worden  sind,  so  ist  doch  zu  bedenken,  dass 
durch  dasselbe  lange  keine  Restitutio  ad  integrum  erreicht  wird,  da  ja  die 
verunstaltende  und  das  Scheidenrohr  verzerrende,  starre  und  oft  empfindliche 
Narbe  erhalten  bleibt.  Schon  die  Thatsache,  dass  bei  dieser  Operation  phy- 
siologisch nicht  zusammengehörige  Theile  mit  einander  vereinigt  werden, 
spricht  im  Princip  gegen  dieselbe.  Es  sind  deshalb,  besonders  bei  tiefen 
Scheiden-Dammrissen  und  grösseren  Mastdarmdefecten,  als  chirurgisch  rich- 
tiger die  deutschen  Anfrischungsmethoden  vorzuziehen,  von  denen  haupt- 
sächlich die  in  vollkommenem  Sinne  plastische  FuEUND'sche  Methode  die  nor- 
malen anatomischen  Verhältnisse  am  besten  wieder  herstellt. 

Die  Ausführ  ungderPerineoplastik  geschieht  nach  vorhergehender 
gründlicher  Entleerung  und  Ausspülung  des  Darmes,  sowie  sorgfältiger  Des- 
infection  der  Vagina,  der  Vulva  und  ihrer  Umgebung,  in  Steinschnittlage 
(Beinhalter ;  Bozeman's  Speachim  oder  Seitenhehel)")  unter  Cocainanästhesie, 
bei  allen  ausgedehnteren  Operationen  unter  Chloroformnarkose.  Die  Operation 
wird,  wenn  möglich,  bald  nach  der  Geburt,  bei  welcher  der  Dammriss  ent- 
standen, nachdem  der  Lochialfluss  aufgehört  hat  und  die  Involution  vollendet 
ist,  also  nach  circa  8  Wochen,  vorgenommen.  Um  diese  Zeit  sind  die  Theile 
noch  blutreicher  und  bieten  günstige  Verhältnisse  für  die  Heilung  dar.  Aber 
auch  später  kann  man  jederzeit  mit  bestem  Erfolge  operiren. 

Die  Operation  beginnt  mit  der  Umschneidung  der  Anfrischungsfigur.  An 
den  Schnittgrenzen  wird  die  Schleimhaut  mit  Kugelzangen  oder  Pincetten 
gefasst  und  sorfältig  mit  dem  Messer,  am  besten  von  verschiedenen  Punkten 
der  Grenzen  aus  nach  der  Mitte  zu,  abpräparirt,  wobei  darauf  zu  achten  ist, 
dass  keine  Schleimhautinseln  stehen  bleiben.  Die  adhärente  Scheidennarbe  wird 
da,  wo  sie  am  dünnsten  ist,  oft  besser  mit  der  Scheere  ausgeschnitten;  ebenso 
wird  die  Anfrischung  des  Mastdarmdefectes  mit  der  Scheere  vorgenom-men, 
indem  man  denselben  stark  anspannt.  Wenn  ein  Assistent  einen  oder  zwei 
Finger  im  Rectum  hält,  so  wird  sowohl  die  Ablösung  der  Schleimhaut  als 
später  die  Anlegung  der  Nähte  sehr  erleichtert. 

Während  der  Operation  lässt  der  Verfasser  keine  Berieselung  mit  anti- 
septischen Flüssigkeiten  vornehmen,  da  dieselbe  die  Blutung  unterhält  und 
die  prima  Intentio  zum  Mindesten  nicht  begünstigt;  das  Operationsfeld  wird 
vielmehr  mit  trockener,  sterilisirter  Gaze  abgetupft,  da  auf  diese  Weise  die 
Blutung  am  leichtesten  gestillt  wird  und  die  besten  Vorbedingungen  für  eine 
sichere  und  rasche  Verheilung  gegeben  sind. 

Ueber  das  Nahtmaterial  ist  viel  gestritten  worden.  Die  Hauptsache 
ist  jedenfalls  eine  genaue  und  sorgfältige  Vernähung  der  zusammengehörigen 
Theile,  indem  mit  krummen  Nadeln  möglichst  viel  Gewebe  gefasst  wird.  In 
der  Scheide  werden  die  Nähte  bei  kleineren  Anfrischungen  unterhalb  der 
ganzen  Wundfläche  durchgeführt,  wobei  man  mit  der  Nadel  nahe  bis  gegen 
den  Mastdarm  vordringt;  bei  einer  grösseren  Wundfläche  ist  es  besser,  einmal 
in  der  Mittellinie  derselben  aus-   und  wieder  einzustechen.     Zur  Naht  kann 

*)  Vergl.  Fig.  105,  106  (Beinhalter)  und  Fig.  26  (Seitenhebel}  im  Artikel  Instrumen- 
tarium zur  Gynaekoloffie." 


PESSAPJEN.  631 

Seide,  Juniperuscatgut,  Fil  de  Florence  oder  weiclior  Silberdraht  verwendet 
werden.  Bei  der  Vereinigung  sehr  ausgedehnter  Defecte  ist  die  Anlegung 
versenkter  Nähte  (Etagennaht)  zweckmässig;  für  diese  wird,  wie  auch  für  die 
Darmnähte,  Catgut  das  beste  Material  bleiben.  Die  Naht  der  Mastdarmwand 
lässt  sich  mit  Schonung  der  Darmschleimhaut  von  der  Wundfläche  aus  vor- 
nehmen; diese  versenkten  Nähte  ragen  dann  nicht  ins  Mastdarralumen;  jeden- 
falls dürfen  die  Suturen,  wenn  man  sie  vom  Darm  aus  legt,  nicht  viel  Schleim- 
haut fassen  (wegen  der  Infectionsgefahr).  Die  Dammnähte  brauchen,  ausser 
bei  der  TAix'schen  Methode,  bei  der  sie  unter  der  ganzen  Wundfläche  durch- 
geführt werden  müssen,  nicht  besonders  tief  angelegt  zu  werden,  da  sie  ni''it 
viel  zu  halten  haben.  Vielfach  wird  bei  der  Perineoplastik  die  fortlaufende 
Naht  mit  sehr  gutem  Erfolg  verwendet.  Aber  auch  die  Knopfnaht  gibt  tadel- 
lose Resultate. 

Nach  Vollendung  der  Operation  kann  die  Nahtlinie  mit  Jodoform 
bestreut  werden;  vor  Vulva  und  Damm  kann  man  zum  Schutz  ein  Stück  Ver- 
bandbauniwolle  legen.  Doch  ist  beides  nicht  nöthig.  Ausspülungen  werden  bei 
der  Nachbehandlung  besser  unterlassen;  sorgfältige  Reinigung  der  zugänglichen 
Theile  durch  Abtupfen  mit  Watte  genügt  vollständig.  Die  Einlegung  eines  Darm- 
rohres ist  überflüssig.  Hintanhaltung  des  Stuhles  durch  Opium  ist  unzweck- 
mässig. In  Folge  der  vorher  künstlich  herbeigeführten  Entleerungen  und  der 
nach  der  Operation  verordneten  knappen  Diät  tritt  in  den  ersten  Tagen  über- 
haupt kein  Stuhl  ein.  Nach  5—6  Tagen  kann  durch  ein  Laxans  verbunden 
mit  einer  hohen  Wassereingiessung  die  Defäcation  erleichtert  werden.  Für 
zwei  bis  drei  Wochen  muss  die  Operirte  absolute  Bettruhe  mit  geschlossenen 
Beinen  einhalten.  Die  Nähte  werden  vorsichtig  und  allmälig  entfernt,  die 
Dammnähte  vom  6.  bis  8.  Tag,  die  Scheidennähte,  wenn  kein  Catgut  verwendet 
wurde  oder  wenn  sie  nicht  vorher  durchgeschnitten  haben,  von  der  zweiten 
bis  dritten  Woche  an.  Die  Mastdarmnähte  gehen,  wenn  sie  im  Darm  geknotet 
sind,  von  selbst  mit  dem  Stuhl  ab;  sind  sie  mit  sterilisirtem  Catgut  von  der 
Wunde  aus  bis  an  die  Grenze  der  Darmschleimhaut  gelegt,  so  werden  sie 
resorbirt.  Sehr  wichtig  ist  es,  wenn  man  nicht  ein  Wiederaufreissen  der  jungen 
Narben  erleben  will,  der  Operirten  noch  für  eine  Reihe  von  Wochen  jede 
schwere  Arbeit,  ganz  besonders  aber  die  Ausübung  des  Coitus  dringend  zu 
verbieten.  edgar  kurz. 

PeSSarien.*)  Um  die  vorgefallene  Gebärmutter  im  Becken  wieder 
zurückzuhalten,  mögen  nach  gelungener  Reposition  anfänglich  Linnenstiicke, 
Werg  und  dgl.  verwendet  worden  sein;  später  wurden  diese  Materialien  zu  einem 
Kranze  umgeformt,  und  dieser  durch  einen  harzigen  Ueberzug  wasserdicht 
•  gemacht.  Man  nennt  daher  auch  heute  noch  die  zu  diesem  Zwecke  con- 
struirten  Instrumente  Mutterkränze  oder  -Ringe,  Pessarien.  Der  neu- 
eren Zeit  war  es  vorbehalten  in  den  Pessarien  einen  Stützapparat  zu  sehen, 
der  in  die  Scheide  zu  dem  Zwecke  eingelegt  wird,  um  der  verlagerten  Gebär- 
mutter die  normale  Stellung  zu  verschaffen.  Zugleich  mit  diesem  traten  Ver- 
suche zu  Tage,  die  abgeknickte  Gebärmutteraxe  instrumenteil  gerade  zu  stellen, 
zu  welchem  Behufe  man  Stützapparate  in  die  Gebärmutter  höhle  ein- 
führte, die  ebenfalls  als  Uterus-Pessarien  benannt  wurden,  jedoch  rich- 
tiger als  Uterusstifte  bezeichnet  werden  sollten. 

Wurden  die  obenerwähnten  Pessarien  noch  mit  einer  Beckenbandage 
verbunden,  so  nannte  man  sie  Hysterophore. 

Der  Zweck  der  in  die  Scheide  eingeführten  Ringe  ist  demnach  der,  durch 
Spreitzung  der  Vaginal  wand  auf  den  Uterus  einzuwirken,  ihn  in  nor- 
maler Lage  zu  erhalten,  was  dadurch  erreicht  wird,  dass  der  Ring  über   den 


*)  Vergl.  den  A'bschniit  „Lageveninderiwgen'^  im  Artikel  „Uterus" 


632  PESSARIEN. 

Beckenboden  gelagert  und  vom  Musculus  levator  ani  getragen  ihn  am  Herab- 
oder nach  Hintensinken  hindert.  Für  ersteren  Zweck  reichen  die  ein- 
fachen Kinge  aus,  für  letzteren  —  die  Deviationen  des  Uterus  nach  hinten 
—  sind  die  Kinge  länglich  und  in  verschiedenen  Krümmungen  construirt 
worden."^") 

HoDGE  hat  seinem  Pessar  eine  S-förmige  Krümmung  gegeben,  dessen 
nach  oben  gerichteter  Bügel  hinter  die  Portio  vaginalis  kommt,  während 
der  nach  unten  gebogene  am  Schambeinaste  Stellung  findet.  Da  diese 
Biegung  jedoch  auf  die  Blase,  resp.  Urethra  von  schädlicher  Wirkung 
sein  könnte,  so  versuchte  man  durch  eine  Hufeisen-  oder  Lyraform 
die  genannten  Gebilde  zu  schützen.  So  entstanden  die  nach  unten  offenen 
oder  durch  Bänder  verbundenen  Pessarien,  die  im  Gebrauche  geradezu  noch 
gefährlicher  werden  als  die  HoDGE'schen.  Olshausen  gab  dem  Pessar  eine 
AViegen-,  Schultze  eine  Schlittenform,  Walcker  machte  am  vordem  Bügel 
für  die  Urethra  eine  Einbiegung.  Da  dem  die  Portio  vaginalis  aus  der  durch 
das  Pessar  geschaffeneu  Lage  abwich,  modificirte  Schultze  seinen  Ring 
dahin,  dass  er  ihm  eine  Achter-Form  gab,  und  die  Portio  in  der  kleineren 
Schlinge  befestigte. 

Die  nach  rückwärts  abgewichene  Gebärmutter  kann  durch  sämmtliche 
angeführte  Pessarien  in  Normalstellung  gehalten  werden,  um  überdies  dem  Ute- 
ruskörper einen  stärkeren  Halt  zu  geben,  formte  Thomas  in  seinem,  dem  Hodge- 
schen  ähnlichen  Pessar  den  hinteren  Bügel  zu  einem  dicken  Wulst  um  und 
intendirte  damit  eine  grössere  Stabilität  der  Gebärmutter. 

Neben  diesen  einfachen,  findet  man  noch  eine  Unzahl  verschiedenst 
gestalteter  Pessarien;  je  nach  vorgefasster  Meinung  von  besonderer  Wirkung, 
oft  auch  aus  dem  Grunde,  „Neues  zu  erfinden"  construirt,  wandern  sie  sehr  bald 
mit  dem  Verfasser  zugleich  in  die  Rüstkammer.  Für  die  prolabirte  Gebär- 
mutter hat  das  Pessarium  wie  ein  Tampon  der  Scheide  zu  wirken.  Die  vo- 
luminösen alten  Mutterkränze  aus  Werg  mit  Theer  oder  Colophonium  über- 
zogen, verfolgen  gerade  denselben  Zweck  wie  die  aus  G  u  m  m  i  gemachten,  soliden 
(Mayer)  oder  hohlen  (Galante)  Ringe;  letzteren  sollte  eine  im  Inneren  an- 
gebrachte Uhrfeder  grössere  Elasticität  und  Spannkraft  geben  (Meigs).  Als 
Tampons  im  weiteren  Sinne  sind  ferner  das  aus  Hartkautschuk  geformte 
Eierpessar  Breisky's  und  das  mehrfach  durchlochte  Schalenpessar 
von  Schatz  anzusehen.  Geradezu  verwerflich  waren  die  aus  zwei  flügeiförmigen 
Stücken,  durch  eine  Schraubenvorrichtung  auseinander  spreizbaren  Frank- 
ScHiLLiNG'schen  Pessarien,  die  heutzutage  wohl  nur  mehr  in  Lehrbüchern 
Curiosum  halber  noch  erwähnt  und  hoffentlich  in  Bälde  ganz  von  der  Bild- 
fläche verschwinden  werden. 

Wie  aus  dem  Vorhergesagten  ersichtlich,  ist  die  Anwendung  der  Pessa- 
rien heutzutage  nurmehr  eine  beschränkte,  sie  wird  es  täglich  noch 
mehr,  als  mit  der  Ausbildung  der  operativen  Eingriffe  die  Normallage  der 
Gebärmutter  sicherer  und  ohne  die  unangenehmen  Begleiterscheinungen  des 
Pessars  erzielt  werden  kann.  Ganz  der  Pessarien  zu  entrathen  wird  man 
kaum  in  der  Lage  sein,  besonders  wo  es  sich  um  eine  zeitweilige  Aushilfe 
.bei  messerscheuen  Personen  handeln  wird. 

Zur  Herstellung  der  Pessarien  kommt  heute  kaum  mehr  ein  anderes 
Material,  als  Hartgummi,  Celluloid  und  Aluminium  in  Frage.  Die  erstgenannten 
Substanzen  haben  den  grossen  Vortheil,  dass  sie  in  heisses  Wasser  gelegt  nach 
Belieben  gebogen  und  dem  Falle  adaptirt  zu  werden  vermögen.  Das  richtige 
Pessar  einzusetzen  gehört  anerkannt  zu  den  schwierigeren  gynaekologischen 
Maassnahmen. 


*)  Vergl.    den  Abschnitt    ^Pessare"    im  Artikel    ^Instrumentarium  zur  Gt/naekologie" 
mit  den   zugehörigen  Figuren,  pag.  425  u.  426. 


PESSARIEN.  633 

Das  Pessar  soll  aber  die  Gebärmutter  in  beweglicher  Anteflexio-Versions- 
stellung  (Schultze)  erhalten,  dabei  aber  weder  beim  Gehen,  Sitzen,  Liegen, 
auch  nicht  beim  Coitus  .störend  sein,  durch  die  Bauchpresse  aus  seiner  Lage 
nur  insofern  alterirt  werden,  dass  es  nach  Aufliören  des  Druckes  in  seine 
frühere  Lage  zurücktritt  („spielen"  FEiiLiNa),  vor  allem  aber  soll  es  nicht 
schaden.  Wenn  es  demnach  in  letzterem  Sinne  gehörig  gebaut  ist,  so  wirkt 
es  auf  die  Scheide  reizend,  und  bleibt  ein  immerhin  günstiger  Zustand, 
wenn  es  in  der  Vagina  blos  eine  erhöhte  Secretion,  einen  mehr  minder 
reichlichen  Fluor  erzeugt.  Gewöhnlich  bringt  aber  jedes  Pessar  —  sei  es 
aus  dem  reinlichsten  und  leichtesten  Material  erzeugt  —  auf  der  Vaginal- 
w^and  Druckerscheinungen  hervor.  Diese  erscheinen  zuerst  als  locale 
Anämie,  die  zur  Abschilferung  der  Schleimhautoberfläche  führt.  Sehr  bald 
entstehen  an  diesen  Stellen  kleine  oberflächliche  Substanzverluste,  meist  mit 
kleinen,  schwachen  Granulationen  am  Geschwürsgrunde.  Letztere  können 
jedoch  auch  stark  auswachsen  und  dann  das  Pessar  ein-  und  umfassen;  oder 
aber  die  Geschwüre  dringen  in  die  Tiefe  und  rufen  Entzündungen  im 
Scheiden-  oder  aber  auch  im  Beckenzellbindegewebe  hervor. 

Fehlerhaft  gebaute  und  schlecht  sitzende  Pessarien  machen  jedoch  auch 
echte  Druckgangrän  sowohl  gegen  die  Scheide,  als  auch  gegen  den  Mastdarm 
zu,  was  zur  Fistelbildung  einerseits,  andererseits  aber  zur  Entzündung  im 
Perimetrium,  sogar  zu  allgemeiner  Peritonitis  Veranlassung  geben  kann.  Wir 
müssen  auch  an  dieser  Stelle  die  Möglichkeit  der  Entstehung  von  Gar  ei- 
nem (in  87o  der  Fälle  nach  Neugebauee)  erwähnen.  Schliesslich  können 
diese  Zustände  noch  durch  Indolenz  und  Unsauberkeit  der  Trägerin  eines 
solchen  Instrumentes  arg  ausarten,  wie  die  mannigfachen  Uebelstände  bei 
der  Entfernung  von  alten,  eingewachsenen  (vergessenen!)  Pessarien 
lehren.  Jeder  beschäftigte  Gynäkolog  kann  hiezu  reichlich  casuistische  Beiträge 
liefern,  wenn  sie  auch  nicht  so  arg  auftreten,  als  bei  dem  aus  dem  Uterus- 
cavum  herausgeschälten  Eierpessar. 

Es  gilt  demnach  für  den  Gebrauch  der  Pessarien  als  Gesetz,  dass 
der  Arzt  nur  solche  Pessarien  einführe,  die  bezüglich  Reinlichkeit  ai3Solut 
sicher  sind;  dass  er  die  Patientin  anleite  für  Pieinhaltung  der  Scheide  Sorge 
zu  tragen  und  die  Entfernung  und  Wiedereinlegung  des  Instrumentes  persön- 
lich vornimmt.  Wenn  die  Pessarien  während  der  Menstruation  liegen  bleiben 
können,  so  empfiehlt  es  sich  dennoch  sie  nicht  länger  als  3 — 4  Wochen  in  situ 
zu  belassen.  Zu  mindest  haben  uns  genau  controlirte  Versuche  gelehrt,  dass 
bei  minutiöser  Reinlichkeit  selbst  Celluloidpessarien  nach  3  Wochen  an  der 
Oberfläche  rauher  werden.  Das  Pessar  in  situ  wird  durch  Vaginalirrigationen 
gereinigt.  Wir  verwenden  stets  Sublimatlösung  (1  :  5000)  dazu,  da  wir 
gefunden  haben,  dass  sowohl  Carbol,  Kali  hypermang.,  Lysol,  als  auch  Creolin 
die  Vaginalwände  angreift,  letzteres  hat  bei  einzelnen  Individuen  ein  dauern- 
des Brennen  im  Gefolge.  Stets  kommt  es  hiebei  weniger  auf  das  Mittel 
selbst,  als  auf  die  Menge  der  Spülflüssigkeit  an. 

Der  Vorgang  zur  Application  des  Pessars  ist  ein  einfacher.  Die 
Kranke  kann  ebenso  gut  die  SiMs'sche  Seiten-,  als  die  Rückenlage  mit  er- 
höhtem Becken  einnehmen.  Wendet  man  hohle  Gummiringe  an,  so  thut  die 
FRiTSCH'sche  Pessarzange  bei  der  Einführung  gute  Dienste;  bei  den  übrigen 
hat  man  das  Pessar  seitlich  in  die  Rima  pudendi  zu  bringen,  hüte  sich  vor 
allem  vor  Druck  auf  die  Urethra  und  drücke  es  gegen  den  nachgebenden 
Damm  an;  ist  es  in  die  Scheide  eingelegt,  so  hebelt  man  es  erst  hinter 
die  Portio,  und  gibt  dann  dem  vorderen  Bügel  die  gewünschte  Lage.  Die 
Patientin  wird  nun  angehalten,  in  der  liegenden  Stellung  zu  husten  und  zu 
pressen;  ändert  das  Pessar  darnach  seine  Lage  nicht,  so  lasse  man  die  Kranke 
noch  einige  Gehversuche  machen.  Ein  gut  eingelegtes  Pessar  tritt  dabei 
weder  vor  die  Vulva,  noch  darf  es  die  Kranke   überhaupt   spüren;   es 


634  PFLEGE  DES  NEUGEBORENEN. 

empfiehlt  sich  daher  anläDglich  lieber  Pessarien  kleineren  Kalibers  zu  wählen; 
unbedingt  ist  es  zu  entfernen,  sobald  es  im  Mindesten  Störungen,  sei  es 
beim  Uriniren  oder  Stuhlgang  hervorbringt  oder  schmerzlich  empfunden  wird. 

Aus  diesem  ergibt  sich,  dass  die  Einlegung  eines  Pessars  bei  jeglicher 
Entzündung  des  Genitalapparates  von  vorneherein  ausgeschlossen  ist.  Wenn- 
gleich Sch^YaDgere  unter  Umständen  ein  Pessar  ganz  gut  vertragen,  so  wird 
man  es  bei  ihnen,  ebenso  wie  im  Wochenbette,  wegen  der  Möglichkeit  einer 
Infection  bei  Seite  lassen.  Besondere  Aufmerksamkeit  erfordert  die  Pessar- 
behandlung  bei  Frauen,  deren  Genitalien  in  seniler  Rückentwicklung  be- 
griflen  sind. 

Die  Ut  er  in  stifte,  ob  solid  oder  hohl,  aus  Glas,  Metall  oder  Gummi 
oder  mit  Oeflfnungen  versehen  (diese  können  mit  Antisepticis  gefüllt  werden), 
erreichen  den  Zweck  einer  Dauerheilung  der  geknickten  Gebärmutter  nicht, 
und  sind  durch  dies  anstrebende  Operationen  heute  bereits  ganz  verdrängt, 
ihrer  Gefährlichkeit  wegen  mit  Recht  verlassen. 

Sie  haben  eben  noch  Berechtigung  in  Fällen  von  Amenorrhoe,  und  bei 
Anteflexion  vorkommenden  gewissen  Reflexneu r ose n,  die  durch  ihre  An- 
wendung manchmal  gebessert  werden.  Mit  Hinblick  auf  die  Vulnerabilität  der 
Uterusschleimhaut  und  die  consecutiven  Entzündungsprocesse  ersetzt  man 
diese  Stifte  lieber  durch  die  wiederholte  Application  von  Dilatations- 
sonden, die  sterilisirt  anzuwenden  sind  und  mit  denen  wir  dieselben 
günstigen  Erfolge  erzielten.  Ganz  der  Vergessenheit  zum  Opfer  zu  fallen 
verdienen  die  Beckenbandagen  mit  Gebärmutterträgern,  und 
sollten  endlich  auch  aus  den  Lehrbüchern  umsomehr  ausgemerzt  werden,  als 
das  Alter  der  Frauen  bei  der  Radicaloperation  des  Prolapsus  uteri  tota- 
lis, in  welchen  Fällen  sie  etwa  noch  in  Verwendung  kommen  könnten,  keine 
Contraindication  mehr  abgibt;  wie  auch  die  früher  für  obligat  gehaltene  Nar- 
cose  heutzutage  dabei  immer  mehr  entfällt. 

Der  Vollständigkeit  halber  haben  wir  den  Pessarien  noch  die  soge- 
nannten Occlusivpessarien  anzufügen.  Es  sind  dies  aus  Gummi  gefertigte 
Ringe,  die  durch  eine  membranöse  Kuppe  abgeschlossen  sind.  Sie  werden 
ins  Scheidengewölbe  eingelegt  und  umhüllen  den  Conus  der  Portio  vaginalis. 
(Fig.  99  im  „Instrumetitarium  zur  Gynaekologie" ,  pag.  426.) 

Der  Zweck  des  Instrumentes  ist  Verhinderung  des  Eintrittes  von 
Sperma  ins  Cavum  uteri.  Die  Beurtheilung  fällt  unter  dieselben  Gesichts- 
punkte, wie  der  Condom.  Die  Einführung,  Reinhaltung  und  Wechsel  derselben 
hat  genau  so  wie  die  der  übrigen  Scheidenringe  zu  erfolgen.        elischee, 

Pflege  des  Neugeborenen.  Das  reif  geborene  Kind:  „Der  Kampf 
um's  Dasein  beginnt  bereits  im  Mutterleibe"  sagt  PIyetl,  es  muss  also  schon 
dem  ungeborenen  Kinde  durch  ein  entsprechendes  Verhalten  der  Mutter  eine 
gewisse  Pflege  zu  Theil  werden,  die  allerdings  nur  eine  indirecte  sein  kann 
und  in  das  Capitel  der  „Diätetik  der  Schwangerschaft"  (s.  d.)  fällt.  Mit  dem 
Momente  der  Geburt  beginnt  die  directe  Pflege,  deren  erste  Acte  darin  bestehen, 
zunächst  Schleim  und  Fruchtwasser  aus  der  Rachenhöhle  zu  entfernen,  um 
die  Wege  für  den  Luftstrora  frei  zu  halten,  und  dann,  den  Nabel  zu  versorgen. 

Die  Pflege  des  Nabels  bedarf  einer  besonderen  Aufmerksamkeit,  da 
seine  Insertionsstelle  wohl  als  die  Haupteingangspforte  septischer  Infection  an- 
gesehen werden  muss.  Es  ist  daher  strenge  Asepsis  geboten,  Antisepsis  sollte 
nur  bei  Erkrankungen  desselben  Anwendung  finden. 

Als  Materiale   zur  Unterbindung   des   Nabels    dienen  am  besten    durch 
Auskochen  sterilisirte  Leinwandbändchen.     Selbst   die  sulzreichste  Nabel- 
schnur wird,  besonders  wenn    die  Bändchen  noch   feucht   verwendet   werden, 
mit    vollständiger   Gewähr   sicheren   Verschlusses    der   Gefässe    unterbunden' 
werden  können,  nur  dürfen  die  Bändchen  nicht  zu  schmal    sein   (mindestens 


PFLEGE  DES  NEUGEBORENEN.  635 

0'5  cm)  und  müssen  die  nothwendige  Festigkeit  besitzen.  Anderes  Unter- 
bindungsmateriale  als  carbolisirte  Seide,  lianlbindfaden  (SAiCNOEJi)  oder  Gummi- 
schnüi'chen  (Budix,  Crede,  Webek)  haben  keine  allgemeine  Verwendung  gefunden. 

Die  alte  Streitfrage  über  den  richtigen  Zeit])unkt  der  UnterljinduDg,''-;  ob 
unmittelbar  nach  der  Geburt  oder  nach  Aulliören  der  Pulsation  oder  endlich 
nach  Expression  der  Placenta  wird  wohl  von  den  meisten  Autoren  dahin  ent- 
schieden, dass  die  zweite  Methode  vorzuziehen  sei.  Durch  die  Abnabelung 
nach  dem  Verschwinden  der  Pulsation  wird  dem  Kinde  eine  gewisse  Menge 
Reserveblutes  zugeführt,  dessen  Menge  nach  den  verschiedenen  Angaben 
zwischen  13  und  150  </  schwankt  und  dem  mag  es  wohl  zuzuschreiben  sein, 
dass  der  initiale  Gewichtsverlust  bei  spät  abgenabelten  Kindern  ein  zweifellos 
geringerer  ist  (M,  Hopmeier,'  Porak).  Zur  sofortigen  Abnabelung  kann  der 
Arzt  durch  die  Asphyxie  des  Kindes  gezw^ungen  werden,  die  dritte  Methode 
hingegen  birgt,  wie  der  Fall  von  Illing  gezeigt  hat,  bei  welchem  cerebrale 
Blutungen  gefunden  wurden,  geradezu  eine  Gefahr  für  das  Leben  des  Kindes. 

Die  Dauer  der  Pulsation  ist  nun  eine  sehr  verschiedene  und  kann 
zwischen  der  gewöhnlichen  Zeit  von  2 — 3  Minuten  und  selbst  10  Minuten 
wechseln,  Ruxge  schlägt  daher  als  besseres  Merkmal,  dass  das  Pteserveblut 
von  dem  Kinde  aufgenommen  ist  das  Collabiren  der  Nabelvene  als  den  rich- 
tigen Zeitpunkt  der  Unterbindung  vor. 

Die  weiteren  Veränderungen,  welche  der  Nabelstrangrest  eingeht,  sollen 
in  Mumification  bestehen.  Dieser  physiologische  Vorgang  wird  durch  Trocken- 
halten, Wärme  und  freien  Luftzutritt  befördert.  Alle  Occlusivverbände  (Dohrn) 
sind  daher  zu  vermeiden,  da  dieselben  leicht  zur  Verjauchung  führen.  Der 
Nabelstrangrest  wird  eingerollt,  mit  einem  auf  trockenem  Wege  (GLEicn'sche 
Pappschachteln)  sterilisirten  Läppchen  aus  weicher,  alter  Leinwand  oder  Ver- 
bandwatte eingehüllt  und  auf  die  linke  Bauchseite  gelegt,  um  nicht  auf  die 
weit  herabreichende  Leber  einen  schädlichen  Druck  auszuüben.  In  dieser  Lage 
wird  derselbe  durch  eine  zweimal  um  den  Leib  gehende,  etwa  8  cm  breite 
Leinwandbinde  fixirt  gehalten.  Dieser  Verband  muss  mindestens  zweimal  im 
Tage,  im  Uebrigen  aber  so  oft,  als  derselbe  von  Urin  durchnässt  ist,  erneuert 
werden.  Bei  dem  Wechsel  soll  jede  Zerrung  und  mechanische  Beleidigung 
des  Nabelstrangrestes  vermieden  werden,  insbesondere  aber  ein  Versuch  den 
nur  mehr  an  einem  dünnen  Faden  hängenden  Rest  loszutrennen. 

Die  vollständige  Abstossung  des  Nabelstranges  erfolgt  normaler  W^eise 
zwischen  dem  5.  und  7,  Tage,  kann  sich  aber  durch  starke  Entwickelung  der 
Nabelstrangsulze,  durch  Lebensschwäche  des  Kindes  oder  infectiöse  Einflüsse 
bedeutend  verzögern.  Die  die  Abstossung  verursachende  reactive  Entzündung 
beginnt  schon  wenige  Stunden  nach  der  Geburt  als  leichte  Injectionsröthe, 
welche  sich  in  den  nächsten  Tagen  um  die  Einpflanzungsstelle  verbreitert. 

Nach  dem  Abfall  des  Nabelstrangrestes  bleibt  eine  kleine  mit  einzelnen 
Eiterpunkten  besetzte  Granulationsfläche  zurück,  welche  normaler  Weise  am 
10. — 13.  Tage  verheilt  ist.  Diese  Wunde  wird  mit  einer  3%  Borsalbe  bedeckt 
oder,  wenn  die  Secretion  reichlicher  ist,  wird  ein  Pulververband  (Acid.  salicyl. 
1-0,  Amyl.  5-0)  angelegt. 

Die  Einpflanzungsstelle  des  Nabels  wird  durch  diesen  physiologischen 
Vorgang  der  Abstossung  leicht  zur  Eintrittspforte  für  pathogene  Mikroorga- 
nismen. Intrauterine  Infectionen  sind  wohl  unstreitig  erwiesen,  aber  gewiss 
sehr  selten.  Durch  die  Erkenntnis  der  septischen  Infection  wird  dem  Arzte, 
der  Geburtsfrau  oder  Pflegerin  eine  schwerwiegende  Verantwortung  bei  der 
Pflege  'eines  Neugeborenen  aufgebürdet,  da  es  in  der  weitaus  grössten  Zahl 
der  Fälle,  Fehler  in  der  Anti-  oder  Asepsis  sind,  w^elche  eine  septische  Erkran- 
kung bedingen. 


*)  Vergl.  Artikel  nAhnabeln^. 


636  PFLEGE  DES  NEUGEBORENEN. 

Die  Prophylaxis  ergibt  sich  aus  der  Erkenntnis  der  Ursache  der 
Infection :  *)  Selbstinfection,  Infection  durch  Contact  oder  durch  die  Luft  (epi- 
demisches Auftreten.)  Es  müssen  daher  folgende  Punkte  besonders  beachtet 
Averden: 

1.  Sorge  für  regelmässige  Vertrocknung  und  Hintanhalten  der  Fäulnis 
des  Nabelstrangrestes. 

2.  Die  Hände  der  Person,  welche  den  Nabel  besorgt,  müssen  vorher  mit 
Bürste  und  Seife  gründlich  gereinigt  und  hierauf  mit  3"/o  Carholsäurelösung 
oder  1 :  1000  Suhlimat  abgespült  werden. 

3.  Zuerst  muss  das  Kind,  dann  erst  die  Mutter  besorgt  werden,  ausser 
ersteres  wäre  schon  septisch  erkrankt. 

4.  Das  Kind  muss  von  der  Mutter  getrennt  werden  und  zwar  nicht  nur, 
wenn  letztere  septisch  erkrankt  ist,  da  Kehrer  experimentell  nachgewiesen 
hat,  dass  das  normale  Lochialsecret  vom  Muttermunde  abwärts  infectiöse  Eigen- 
schaften besitzt.  Wenn  möglich  daher  getrenntes  Wartepersonale  für  Mutter 
und  Kind. 

5.  Sterilisirung  des  Verbandmateriales  und  Desinfection  der  Nabelschnur- 
scheere. 

Die  Pflege  der  Haut  erfordert  Bäder  und  locale  Waschungen.  Die 
Haut  des  Neugeborenen,  welche  in  Folge  des  Reizes  der  kalten  Luft  und  der 
rauhen  ungewohnten  Berührung  leicht  geröthet  erscheint,  ist  mit  der  käsigen 
Schmiere,  Vernix  caseosa,  bedeckt,  welche  aus  abgestossenen  Epidermiszellen, 
Talgschüppchen  und  feinen  Wollhärchen  besteht.  Am  4. — 5.  Tage  beginnt 
eine  leichte  Desquamation,  sowie  der  Ausfall  der  Lanugohärchen. 

Die  Temperatur  des  ersten  Bades  soll  35"  C,  oder  28°  Pt.  betragen  und 
immer  mit  einem  verlässlichen  Thermometer  bestimmt  werden.  Strenge  ist 
dem  Uebelstande  entgegenzutreten,  die  Temperatur  des  Badewassers  nur  durch 
das  Gefühl  zu  bestimmen,  da  die  Neugeborenen  weder  zu  niedrige  noch  zu 
hohe  Temperaturen  gut  vertragen.  Eine  stärkere  Abkühlung,  insbesondere 
bei  schwächlichen  Kindern,  wenn  dieselbe  ausserdem  noch  etwas  länger  dauert, 
ruft  bei  der  relativ  grösseren  abgekühlten  Fläche,  sowie  bei  dem  noch  unvoll- 
kommen functionirenden  Wärmeregulirungsapparate  der  Neugeborenen  leicht 
Schnupfen  mit  seinen  schweren  Folgen,  erschwertes  Saugen,  nachfolgende 
Bronchitis  hervor.  Doch  auch  zu  hohe  Temperaturen  der  Bäder  können 
schwere  Schädigungen  der  Gesundheit  nach  sich  ziehen,  wie  die  Trismus- 
epidemie  in  Elbing  lehrte  und  wenn  auch  nicht  immer  solch'  schwere  Erkran- 
kungen die  Folge  sind,  ruft  doch  der  fortgesetzte  Gebrauch  solcher  Bäder 
Schlaffheit  und  Blässe  hervor. 

Bei  dem  Umstände,  dass,  wie  Sommer  nachgewiesen  hat,  schon  bei  einem 
Bade  von  35*^  im  Mittel  eine  Temperaturabnahme  von  0-57°  C.  erfolgt,  ist  es 
selbstverständlich,  dass  das  Bad  so  kurz  als  möglich  sein  soll,  jedenfalls  nicht 
über  5  Minuten.  Wenn  es  auch  in  dieser  Zeit  nicht  möglich  sein  wird,  das 
Kind  vollkommen  rein  zu  bekommen,  so  muss  doch  der  Gepflogenheit  mancher 
Geburtsfrauen  so  lange  zu  waschen  bis  schon  bei  dem  ersten  Bade  dieses  Ziel 
erreicht  wird,  wegen  zu  starker  Abkühlung  entgegengetreten  werden. 

Zur  leichteren  Entfernung  der  käsigen  Schmiere  wird  vor  dem  Bade  die 
Haut  an  denjenigen  Stellen,  wo  dieselbe  am  stärksten  angehäuft  ist  mit  reinem 
Gel,  Vaselin  oder  ungesalzener  Butter  eingefettet  und  das  Kind  hierauf  in 
einer  reinen  Windel,  auf  dem  Arme  der  Wärterin  ruhend,  in  das  Bad  gebracht. 
Während  desselben  sind  noch  local  besondere  Waschungen  dort  vorzunehmen 
wo  sich  Unreinlichkeiten  am  leichtesten  halten  und  durch  Zersetzung  Anlass 
•zur  Reizung  der  Haut  geben  können.  Insbesondere  Halsfalten,  Achselhöhle, 
Schenkel  sowie  Kniebeuge,    Geschlechtstheile   und   After.     Schwämme   sollen 


*)  Vergl.  Artikel  „Nahelschnur  —  Nabelschnuranomalien'^. 


PFLEGE  DES  NEUGEBORENEN.  637 

hiezu  nicht  benützt  werden,  am  besten  eignet  sich  BiiUNs'sche  Watte.  Kopf, 
Gesicht,  Augen,  Ohren  sollen  nicht  mit  dem  Badewasser  gereinigt  werden, 
sondern  es  soll  zu  diesem  Behufe  etwas  kühleres,  reines  Wasser  in  einem 
eigenen  Gefässe  bereit  stehen.  Nach  dem  Bade  ist  das  Kind  rasch  in  erwärmte 
Tücher  einzuschlagen,  um  grösserem  Wärmeverluste  vorzubeugen  und  gründlich 
abzutrocknen,  ohne  aber  viel  die  Haut  zu  reiben. 

Besondere  Beachtung  verdient  hiebei  die  Gegend  der  Brustdrüsen.  Bei- 
nahe bei  allen  Neugeborenen  ohne  Unterschied  ob  Knabe  oder  Mädchen 
schwellen  am  dritten  oder  vierten  Tage  die  Brustdrüsen  etwas  an  und  können 
bis  Haselnussgrösse  und  darüber  erreichen,  wenn  durch  wiederholte  Ptcize  die 
Drüse  zu  stärkerer  Secretion  angeregt  wird.  Nach  den  Untersuchungen  von 
ScHLOSSBERGER,  QuEVENUE,  Haup  Und  Genser  hat  das  Secret  der  Milchdrüse 
der  Neugeborenen  am  meisten  Aehnlichkeit  mit  dem  Colostrum  vor  der  Geburt. 
Es  handelt  sich  demnach  um  ein  wirkliches  Secretionsproduct  der  Milchdrüse 
und  es  kann  analog  der  Brust  einer  stillenden  Frau  auch  hier  zur  Einwan- 
derung pathogener  Keime  durch  die  Milchgänge,  zur  Entwickelung  einer  Ma- 
stitis kommen.  Es  ist  daher  ebenso  wie  jedes  Ausdrücken  der  Milch  jede 
unzarte  rohe  Berührung  dieser  Gegend  beim  Abtrocknen  nach  dem  Bade 
zu  vermeiden. 

Die  Stellen  wo  Haut  und  Haut  sich  berühren,  werden  hierauf  zur  besseren 
Austrocknung  mit  Keismehl  eingestreut.  Letzteres  kann  eine  ganz  geringe 
Menge  von  Salicylsäure  beigemischt  enthalten  (0*50  :  lOO'O). 

Die  Bäder  werden  im  ersten  Jahre  täglich  wiederholt  und  zwar  am 
Morgen,  einige  Zeit  nachdem  das  Kind  erwacht  ist,  doch  ist  zu  berücksich- 
tigen, dass  manche  Kinder  selbst  diese  mit  grösster  Vorsicht  verabreichten 
Bäder  nicht  vertragen  und  ihr  frisches,  gesundes  Aussehen  verlieren;  in  solchen 
Fällen  muss  man  sich  mit  localen  Waschungen  begnügen.  Als  Zusätze  zum 
Badewasser,  um  die  reizende  Einwirkung  mancher  Wässer  auf  die  Haut  zu 
mildern,  kann  Milch  (2  Liter  für  das  Bad)  oder  Kleie  verwendet  werden.  Zur 
Herstellung  solcher  Bäder  wird  V2 — 1%  (2—4  Handvoll)  Weizenkleie  in 
einem  leinenen  Säckchen  mit  Wasser  gekocht  und  der  Absud  dem  Badewasser 
beigesetzt. 

Der  Pflege  der  Augen  gilt  die  nächste  Sorge.  Die  Hauptgefahr  für 
dieselben  besteht  in  der  Infection  mit  dem  NEissER'schen  Gonococcus  während 
oder  nach  der  Geburt.  Bei  jenen  Fällen,  in  welchen  die  Infection  noch  während 
der  Geburt  erfolgt,  wo  also  die  Kinder  inficirt  zur  Welt  kommen  wird  meistens 
die  aufmerksamste  Pflege  die  Entwicklung  einer  Blenorrhoe  nicht  aufhalten. 
Mit  Ausnahme  dieser  seltenen  Fälle  aber  sind  wir  mit  Hilfe  des  von  Crede 
im  Jahre  1881  angegebenen  Verfahrens,  unmittelbar  nach  der  Geburt  eine  2°,o 
Lapislösung  einzuträufeln,  in  der  Lage  die  Entstehung  einer  Ophthalmo- 
blenorrhoe  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  zu  verhüten. 

Crede  gibt  für  die  Ausführung  des  Verfahrens  folgende  Regeln  :  „Nach- 
dem die  Kinder  abgenabelt,  gebadet  und  dabei  die  Augen  mittelst  eines  reinen 
Läppchens  —  nicht  mit  dem  Badewasser  —  sondern  mit  anderem  reinem 
Wasser  äusserlich  gereinigt  sind,  namentlich  von  den  Lidern  aller  anhaftende 
Schleim  beseitigt  ist,  wird  vor  dem  Ankleiden  auf  dem  Wickeltisch  zur  Aus- 
führung des  Einträufeins  geschritten.  Jedes  Auge  wird  mittelst  zweier  Finger 
ein  wenig  geöffnet,  ein  winziges  an  einem  Glasstäbchen  hängendes  Tröpfchen 
einer  2''/o  Lösung  von  salpetersaurem  Silber  der  Hornhaut  bis  zur  Berührung 
genähert  und  mitten  auf  sie  einfallen  gelassen.  Jede  weitere  Berücksichtigung 
der  Augen  unterbleibt.  Namentlich  darf  in  den  nächsten  24 — 36  Stunden, 
falls  eine  leichte  Böthung  und  Schwellung  der  Lider  mit  Schleimabsonderung 
folgen  sollte,  die  Einträufelung  nicht  wiederholt  werden.  Das  Glasstäbchen 
soll  3  mm  dick  und  an  den  Rändern  rund  und  glatt  abgeschmolzen  sein." 


638  PFLEGE  DES  NEUGEBORENEN. 

Der  Neugeborene  ist  nahezu  3  Wochen  hindurch  lichtscheu,  erst  in  der 
vierten  Woche  verträgt  das  Auge  stärkeren  Lichtreiz,  was  sich  dadurch  ver- 
räth,  dass  bei  stärkerer  Beleuchtung  die  Augen  offen  gehalten  werden.  Es  ist 
daher  zu  empfehlen  in  der  ersten  Zeit  das  Zimmer  halbdunkel  zu  halten. 
Die  Stellung  des  Bettes  soll  eine  solche  sein,  dass  das  Kind  von  beiden  Seiten 
möglichst  gleich  viel  Licht  erhält. 

Das  Gewicht  eines  reifen  Neugeborenen  schwankt  zwischen  3000  und 
3500^,  w^obei  Mädchen  im  Allgemeinen  niedrigere  Werthe  aufweisen  als 
Knaben.  Genaue  Wägungen  haben  ergeben,  dass  bei  der  weitaus  grösseren 
Zahl  von  Kindern  in  den  ersten  vier  Lebenstagen  ein  Gewichtsverlust  von 
200  selbst  bis  zu  SOO  g,  zu  verzeichnen  ist.  Am  7. — 10.  Tage  niuss  aber 
unter  normalen  Verhältnissen  das  Anfangsgewicht  wieder  erreicht  sein.  Die 
Ursache  dieser  Gewichtsabnahme  ist  einerseits  in  der  Ausscheidung  der  Ex- 
crete  durch  Niere,  Darm,  Lunge  und  Haut  zu  suchen,  andererseits  in  der 
unvollkommenen  Aufnahme  der  Nahrung.  Es  wird  eben  mehr  ausgegeben  als 
eingenommen.  Dem  entsprechend  verlieren  Kinder,  welche  sofort  an  die  Brust 
gelegt  werden  können,  weniger  als  solche,  welche  längere  Zeit  ohne  Nahrung 
bleiben.  Künstlich  aufgezogene  werden  wegen  der  schwereren  Assimilirbarkeit 
der  Nahrung,  schwächliche,  wegen  der  functionellen  Untüchtigkeit  ihrer  Ver- 
dauungsorgane grössere  Gewichtsverluste  erleiden.  Regelmässiges  Wiegen 
alle  8  Tage  gibt  den  sichersten  Anhaltspunkt  über  die  normale  Entwicklung, 
doch  soll  hiebei  nicht  die  Controlirung  der  Grössenzunahme  verabsäumt 
werden.  Ebenso  wie  ein  regelmässiges  Wiegen  gehört  auch  ein  regelmässiges 
Messen  der  Körperlänge,  des  Schädel-  und  Brustumfanges  zu  den  Forderungen 
einer  exacten  Kinderpflege,  doch  genügt  es  diese  Massbestimmungen  in  jedem 
Vierteljahre  vorzunehmen.  Der  Neugeborene  hat  eine  durchschnittliche  Länge 
von  50  cm,  einen  Schädelumfang  von  33 — 34  cm,  der  Brustumfang  über 
die  Mamilla  gemessen  beträgt  ungefähr  31  cm,  derselbe  soll  im  Verhältnisse 
zur  Kopfperipherie  um  nicht  mehr  als  2Y2 — o  cm  zurückstehen,  eine  grössere 
Differenz  ist  nach  Feöbelius  und  Liharzik  als  Zeichen  der  Schwäche  zu 
deuten.  Dasselbe  gilt,  wenn  der  Brustumfang  die  halbe  Körperlänge  um 
weniger  als  9  cm  überragt. 

Pflege  des  Mundes.  In  den  ersten  Lebenstagen  ist  die  Mundschleim- 
haut bläulich  roth  und  auffallend  trocken.  Das  Fehlen  des  Speichels  mit 
seinen  antizymotischen  Eigenschaften  und  die  von  Epstein  erwähnte  Epithel- 
abschilferung  bedingen  eine  hochgradige  Vulnerabilität  derselben.  Es  wird 
daher  von  vielen  Autoren  und  zwar  mit  dem  besten  Erfolge  gerathen,  die 
Mundhöhle  eines  kräftigen  gesunden  Säuglings  überhaupt  nicht  auszuwaschen. 
Anders  liegen  die  Verhältnisse  bei  dem  unreifen  Kinde,  w^elches  in  Folge 
seiner  Schlafsucht  und  der  damit  verbundenen  längeren  Ruhe  im  Munde  viel 
eher  zur  Entwickelung  des  Soorpilzes  disponirt  erscheint. 

Die  Reinigung  der  Mundhöhlenschleimhaut  muss  wiegen  der  leichten 
Verletzlichkeit  mit  grösster  Zartheit  vorgenommen  w^erden,  da  durch  ein  rohes 
Vorgehen  hiebei  leicht  eher  geschadet  als  genützt  werden  kann,  wir  verdanken 
es  insbesondere  Epstein  auf  die  Gefahren  unzarter  Manipulationen  aufmerk- 
sam gemacht  worden  zu  sein. 

Zum  Reinigen  des  Mundes  kann  durch  Kochen  sterilisirtes  Wasser  oder 
l7o  Boraxlösung  genommen  werden,  desgleichen  müssen  die  aus  weicher 
Leinwand  gefertigten  Mundläppchen  durch  Auskochen  sterilisirt  sein.  Diese 
werden  um  den  Finger  gelegt  und  durch  zartes  Auswischen  die  Milchreste 
aus  den  Schleimhautfalten  des  Mundes  entfernt.  Zu  hüten  hat  man  sich  hie- 
bei einen  stärkeren  Druck  an  den  rückwärtigen  Seitentheilen  des  harten 
Gaumens  auszuüben,  wo  beim  Oeffnen  des  Mundes  durch  den  Zug  des  Liga- 
mentum pterygomandibulare  die  Schleimhaut  straff  über  den  Knochen  gespannt 
wird  und  daher  leicht  Verletzungen  des  Epithels  zu  Stande  kommen  können 


PFLEGE  DES  NEUGEBORENEN.  639 

(BEDNAR'sclie  Aphthen).  Die  Ileiniguiig'  des  Mundes  soll  jedesmal  nach  dem 
Trinken  vorgenommen  werden,  wenn  das  Kind  beim  Haugen  nielit  eingeschlafen 
ist.  Im  letzteren  Falle  muss  diese  Manipulation  nach  dem  PJrwachen  durch- 
geführt werden. 

Von  Wichtigkeit  ist  es  ferner  die  Brustwarzen  der  Säugenden  vor  und 
nach  dem  Trinken  zu  reinigen,  bei  Kindern,  welche  künstlich  ernährt  werden, 
müssen  die  Gummisauger  unmittelbar  nach  dem  Trinken  umgestülpt,  gründ- 
lichst gereinigt  und  bis  zur  nächsten  Mahlzeit  in  Wasser  auiliewahrt  werden. 
Schnuller,  Lutschbeutel  sind  auf  das  Energischeste  zu  verbieten. 

Kleidung.  Die  Kleidung  hat  den  doppelten  Zweck  zu  erfüllen,  die  A])gabe 
der  producirten  Wärme  zu  verhindern  und  andererseits  dem  Köper  Schutz  vor 
der  umgebenden  kalten  Luft  zu  gewähren.  Dieselbe  soll  vor  Allem  rein,  trocken 
und  warm  sein,  und  darf  nicht  mit  Nadeln,  sondern  nur  mit  Bändchen 
geschlossen  werden.  Sie  soll  nirgends  drücken,  besondere  Rücksicht  muss 
auf  den  Nabel  und  die  Brustdrüsen  genommen  werden.  Athmung,  Circulation 
und  Bewegung,  sowie  die  gewohnte  Haltung  der  Füsse  in  Beugestellung  soll 
nicht  durch  zu  festes  Anlegen  der  Kleidungsstücke  behindert  werden.  Das 
geeignetste  Materiale  ist  weiche  Leinwand  und  Flanell. 

Zunächst  wird  der  Bauch  des  Kindes  mit  der  Nabelbinde  umwickelt; 
dieselbe  hat  hauptsächlich  den  Zweck  den  Nabelschnurrest  in  der  richtigen 
Lage  zu  halten  und  soll  nur  locker  um  den  Leib  gelegt  werden.  Hierauf 
folgt  ein  aus  weicher  Leinwand  gefertigtes  Hemdchen,  welches  bis  über  den 
Bauch  hinabzureichen  hat,  dasselbe  wird  rückwärts  mit  Bändchen  geschlossen. 
Hals  und  Aermelweite  müssen  bequem  sein,  um  nicht  durch  localen  Druck 
die  Haut  zu  reizen.  Ueber  das  Hemd  wird  ein  Jäckchen  aus  Flanell  oder 
Wolle  angezogen,  welches  gleichfalls  hinten  oöen  und  mit  Bändchen  zu  schliessen 
ist.  Die  Windeln,  aus  weicher  Leinwand  gefertigt,  sollen  gegen  90  cm 
im  Quadrat  messen.  Die  erste  wird  dreieckig  zusammengelegt,  eine  Ecke 
zwischen  den  Schenkeln  auf  den  Bauch  hinaufgeschlagen,  während  die  seit- 
lichen von  rechts  und  links  über  den  Körper  gelegt  werden.  Eine  zweite 
solche  Windel  mit  einer  ilanellenen  dritten  bilden  dann  die  nächsten  Hüllen, 
welche  am  Körper  ziemlich  hoch  hinaufreichend  beim  Halten  des  Kindes  eine 
gewisse  Stütze  geben,  während  der  über  die  Füsse  hinabreichende  Theil  nach 
rückwärts  hinaufgeschlagen  ein  guten  Verschluss  nach  unten  bildet.  Darüber 
wird  nun  als  vierte  Schichte  ein  wasserdichter  Stoff  gelegt,  welcher  aber  nicht 
den  ganzen  Körper  einhüllen  darf,  um  nicht  die  Luftcirculation  vollständig 
zu  behindern.  Es  genügt  vollständig,  wenn  derselbe  über  Rücken  und  Seiten- 
flächen reicht  und  die  Vorderfläche  frei  lässt.  Damit  wäre  die  Toilette  des 
Neugeborenen  vollendet.  Eine  Wickelschnur  ist  überflüssig,  der  Kopf  bleibt 
unbedeckt,  nur  nach  dem  Bade  und  wenn  das  Kind  bei  kühlerer  Temperatur 
an  die  Luft  getragen  wird,  ist  ein  weitmaschiges  aus  Zwirn  gestricktes  Häubchen 
gestattet.  Steckbetten,  wie  sie  häufig  im  Gebrauche  sind,  können  gestattet 
werden,  sind  aber  nicht  unbedingt  nothwendig. 

Lager  des  Kindes.  Der  Neugeborene  soll  sein  eigenes  Bettchen 
haben,  da  bei  dem  Aufenthalte  des  Kindes  im  Bette  der  Mutter  die  Gefahr 
einer  Infection  der  Nabelwunde  droht  und  ausserdem  das  Kind  im  Schlafe 
von  der  Mutter  erdrückt  werden  kann.  Am  geeignetsten  ist  ein  feststehendes 
Korbbett.  Die  Auskleidung  im  Innern  soll  für  die  Luft  gut  durchlässig  sein, 
die  Farbe'  ist  am  besten  blau.  Jede  Art  von  Wiegen  ist  mindestens  über- 
flüssig. Als  Unterbett  dient  eine  Rosshaarmatratze,  über  welche  ein  wasser- 
dichter Stoff  und  ^veiter  ein  Leintuch  gelegt  wird.  Ein  kleiner  Rosshaai-polster, 
sowie  in  allererster  Zeit  ein  Federkissen  vervollständigen  die  Einrichtung. 
Das  Kind  soll  möglichst  horizontal  im  Bette  liegen,  der  Kopf  nur  wenig 
erhöht.  Ueber  die  Stellung  des  Bettes  zum  Lichte  wurde  schon  bei  der  Pflege 
der  Augen  gesprochen.  Das  dichte  Verhängen  des  Bettes  mit  Vorhängen  aus 


640  PFLEGE  DES  NEUGEBORENEN. 

Gaze,  Moiisseline  etc.  ist  wegen  ungenügender  Luftcirculation  zu  vermeiden. 
WärmeÜasclien  sollen  nur  zum  Auswärmen  des  Bettes  verwendet  werden,  nicht 
aber  in  demselben  liegen  bleiben,  da  ein  kräftiges,  gesundes  Kind,  genügend 
bekleidet,  hinreichend  Wärme   producirt,  um  dieselben  entbehren  zu  können. 

Zur  Kinderstube  soll  ein  grosses,  freundliches,  vor  Allem  trockenes 
Zimmer  gewählt  werden,  welches  dem  Sonnenlichte  zugänglich  ist.  Auf  pein- 
liche Reinlichkeit, der  Luft  ist  durch  Beförderung  der  Ventilation  auf  natür- 
lichem, wie  künstlichem  Wege  zu  achten  und  Alles  zu  vermeiden,  was  die  Luft 
verschlechtern  könnte,  Waschen,  Kochen,  Trocknen  von  Windeln  etc.  darf 
daher  nicht  gestattet  werden.  Der  Boden  soll  eingelassen  sein  oder  mit  einem 
wasserdichten  Teppiche  belegt  werden,  die  Wände  werden  am  besten  mit  einem 
bläulichen  Kalkanstriche  versehen,  keine  Tapeten,  kein  Oelanstrich.  Zweimal 
täglich  ist  auch  im  Winter  durch  Oeffnen  der  Fenster  für  eine  ausgiebige 
Erneuerung  der  Luft  zu  sorgen.  Zimmer  im  Souterrain,  Dach-  sowie  Hof- 
zimmer sind  zur  Kinderstube  ungeeignet.  Die  Fenster  müssen  mit  Jalousien 
und  Vorhängen  versehen  sein,  um  allzugrelles  Licht  abdämpfen  zu  können. 
Die  Beleuchtung  soll  mittelst  Hängelampe  geschehen.  Gasbeleuchtung  schädigt 
durch  zu  starke  Austrocknung  der  Luft,  elektrisches  Licht  ist  durch  Schirme 
abzuschwächen,  Nachtlampen  verschlechtern  durch  die  Producte  der  unvoll- 
kommenen Verbrennung  die  Luft,  sind  daher  nicht  zu  erlauben.  Zur  Beheizung 
sind  Kachelöfen  Allem  anderen  vorzuziehen.  Die  Temperatur  ist  auf  15°  R. 
oder  19°  C.  zu  erhalten.  Die  hohen  Temperaturen  zur  Sommerszeit  müssen 
durch  fleissiges  Lüften  und  Herablassen  der  Jalousien  gemässigt  werden. 
Ln  Zimmer  des  Kindes  soll  nur  noch  eine  erwachsene  Person  schlafen. 

Ernährung.  Es  würde  wohl  weit  den  Rahmen  dieses  Aufsatzes  über- 
schreiten, wenn  auch  nur  skizzenhaft  die  Ernährungsfrage  besprochen  würde, 
es  sollen  daher  nur  einige  wenige  ausschliesslich  den  Neugeborenen  betreffende 
Fragen  berührt  werden.*) 

Zunächst,  wann  soll  das  Kind  an  die  Brust  gelegt  werden.  Es  ist  noch 
nicht  lange  her  und  in  manchen  Ländern  wird  es  heute  noch  geschehen,  dass 
der  Neugeborene  in  den  ersten  24  Stunden  nach  der  Geburt  zum  Hunger  ver- 
urtheilt  ist,  in  der  Ueberzeugung,  dass  die  erste  Milch  dem  Kinde  schädlich 
sei.  Zuckersäfte  und  Thee  müssen  über  die  ersten  Lebensstunden  hinweg- 
helfen. Solche  tief  eingewurzelte  Vorurtheile  sind  nirgends  schwerer  zu 
bekämpfen  als  in  der  Kinderstube  und  wie  häufig  ist  auch  hier  gerade  das 
Gegentheil  von  dem,  was  als  Glaubensartikel  angesehen  wird,  das  Richtige. 
Die  colostrumhältige  Milch  dürfte  mit  ihrem  hohen  Gehalte  an  Salzen  sich 
geradezu  als  nützlich  für  den  Neugeborenen  erweisen,  da  ihre  abführende 
Wirkung  sehr  erwünscht  erscheint  zur  Entfernung  des  Meconiums.  Nach  dem 
Erwachen  aus  dem  ersten  Schlafe  und  wenn  das  Kind  durch  Geschrei  sein 
Nahrungsbedürfnis  verräth,  soll  dasselbe  befriedigt  werden.  Die  Milch  fliesst 
zwar  im  Anfange  sehr  spärlich,  doch  wird  es  trotzdem  zweckmässig  sein,  das 
Kind  an  die  Brust  zu  legen,  da  durch  das  Saugen  der  Zufluss  des  Blutes  ein 
reichlicher  und  damit  die  Milchsecretion  befördert  wird.  Ein  nicht  zu  unter- 
schätzender Vortheil  des  frühen  Anlegens  liegt  auch  darin,  dass  die  Erfahrung 
gezeigt  hat,  dass  Kinder,  welchen  bald  nach  der  Geburt  die  Brust  gereicht 
wird,  einen  geringeren  initialen  Gewichtsverlust  aufweisen  und  früher  ihr  An- 
fangsgewicht erreichen,  als  solche,  welche  24  oder  36  Stunden  warten  müssen. 
Eine  weitere  Frage  wäre  die,  was  soll  dem  Kinde  gereicht  werden,  wenn  es  nicht 
an  die  Brust  gelegt  werden  kann,  wenn  z.  B.  die  Mutter  aus  irgend  einem 
Grunde  nicht  selbst  ihr  Kind  zu  stillen  vermag  und  die  Beschaffung  einer 
Amme  sich  verzögert.  Das  landesübliche  Zuckerwasser  oder  Kamillenthee 
ist  zu  widerrathen.    In   einem  solchen  Falle   wird  es   wohl   am   besten   sein 


*)  Vgl.  auch  „Ernährung  ehr  Säiigliiige"  im  Bd,  ^Interne  Medicin  1.,  pag.  601." 


PFLEGE  DES  NEUGEBORENEN. 


641 


gute,  gewissenhaft  sterilisirte  Kuhmilch  zu  geben  und  zwar  Vi  Milch  ^4  Theile 
Wasser  mit  4*5^  Kandiszucker  auf  100  <^.  Mischungstiüssigkeit, 

Die  Angaben  über  die  Menge  der  in  den  ersten  Lebenstagen  nothwen- 
digen  Milchnahrung  schwanken  in  ganz  beträchtlichen  Verhältnissen,  gleich- 
massigere  Resultate  ergaben  erst  Wägungen  von  der  zweiten  Woche  an. 

Bouchaüd's  Tubelle  ergibt  folgende  Werthe: 


in  24  Stunden 

10  Mahlzeiten 

9 
Mahl- 
zeiten 

6—7  Mahlzeiten 

1. 

2. 

3. 

4. 

1 

2 

3 

4-9 

Tag 

Tag 

Tag 

Tag 

Monat 

Monat 

Monat 

Monat 

Milch  einer  Mahlzeit 

3 

15 

40 

55 

70 

100 

120 

150 

Milch  in  24  Stunden 

30 

150 

400 

550 

650 

700 

840 

950 

nach  Deneke  entfallen  für  eine  Mahlzeit: 

am  1.    Tage  19,9'    Milch,   am   6.    Tage  55  ^  Milch 

9  9^  7  fiO 

))       -"         11         ^'^      11  v  11        '  •       »       "^      ■)  ;) 

„    4.      „      40    „         „         „     9.     „     65 
„     0.       „       Ol 
8 — 9  Säugungen  im  Tage  angenommen. 

WerthvoUe  Angaben  über  diesen  Gegenstand  verdanken  wir  Uffeljiann, 
Cameeee,  Krüger  Snitkin,  Ahlfeld  etc.  Der  Versuch  aus  einer  grossen 
Reihe  von  Wägungen  ein  allgemein  giltiges  Gesetz  abzuleiten  muss  als  miss- 
lungen  bezeichnet  werden.  So  fasste  Snitkin  das  Resultat  seiner  Unter- 
suchungen in  folgendem  Satz  zusammen :  Ein  Säugling  soll  am  1.  Tage  bei 
jeder  Säugung  Vioo  seines  Körpergewichtes  bekommen,  und  jeden  folgenden 
Tag  um  1  Gramm  pro  Mahlzeit  mehr.  Doch  sind  die  daraus  gewonnenen 
Zahlen  für  die  ersten  5  Tage  zu  hoch,  für  die  folgenden  zu  niedrig.  Wir 
müssen  daher,  wie  Fleischmann  sagt,  den  empirischen  Weg  entschieden  dem 
der  Abstraction  vorziehen. 

24  Stunden  nach  der  Geburt  erfolgt  gewöhnlich  die  erste  Entleerung 
des  Kindspeches.  Dasselbe  besteht  aus  den  Darmsäften,  hauptsächlich  Galle, 
abgestossenen  Epithelien  und  Resten  des  verschluckten  Fruchtwassers.  Zwei 
bis  drei  Tage  zeigen  die  Fäces  die  vom  Meconium  herrührende  dunkelgrüne 
Farbe,  um  dann  den  gelben  Milchstühlen  Platz  zu  machen;  nur  bei  ungenügen- 
der Ernährung  oder  lebensschwachen  Früchten  kann  man  selbst  bis  zum 
achten  Tage  grün  gefärbte  Stühle  beobachten. 

Der  Urin  wird  häufig  unmittelbar  nach  der  Geburt  oder  nach  dem  ersten 
Bade  entleert,  doch  auch  nicht  selten  erst  nach  24  Stunden  und  selbst  später, 
so  dass  man,  wenn  die  Blase  nicht  übermässig  gefüllt  erscheint,  besser  jeden 
Eingriff  in  den  ersten  36  Stunden  unterlassen  wird.  Der  Urin,  welcher  An- 
fangs licht  gelblich,  später  klar  ist,  reagirt  leicht  sauer,  selten  neutral  und 
enthält  Anfangs  geringe  Mengen  Eiweiss,  Harnsäurekry stalle,  sowie  Epithelien 
der  gesammten  Harnwege.  Die  Häufigkeit  der  Entleerungen  steigt  schon  in 
den  ersten  Tagen  auf  5 — 6,  dann  auf  10  —  12. 


Das  unreife  Kiiid :  Die  grösste  Menge  der  unreifen  Neugeborenen  sind 
Frühgeburten,  die  geringere  Zahl  ist  zwar  zum  normalen  Termine  der 
Schwangerschaft  geboren,  tragen  aber  als  Zwillingskinder  oder  infolge  foetaler 
Erkrankungen  oder  endlich  infolge  elenden  Ernälu^ungszustandes  der  Mutter 
mehr  oder  weniger  die  Zeichen  der  mangelhaften  Entwickelung  an  sich. 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtsliilfe  und  Gynäkologie.  41 


642  PFLEGE  DES  NEUGEBORENEN. 

Solche  Früchte  documentiren  die  unvollständige  Reife  des  Organismus 
zunächst  durch  ihr  vermindertes  Gewicht  und  geringere  Länge.  Je  weiter  diese 
sich  von  den  normalen  Zahlen  entfernen,  desto  deutlicher  werden  die  Zeichen 
der  Unfertigkeit  zu  Tage  treten.  Früchte,  welche  ein  Gewicht  von  2000  </ 
oder  weniger  aufweisen  und  deren  Länge  40  cm  oder  darunter  beträgt,  werden 
w^ohl  immer  die  Merkmale  der  Debilitas  vitae  an  sich  tragen.  Der  Körper  ist 
klein,  der  Schädel  mehr  rund  als  bei  dem  reifen  Kinde  und  sein  Umfang  tiberragt 
um  mehr  als  3  cw  die  Brustperipherie,  während  letztere  nur  wenige  cm  grösser 
ist  als  die  halbe  Körperlänge.  Bei  reifen,  kräftigen  Kindern  beträgt  die 
Differenz  zu  Gunsten  des  Brustumfaages  9 — 10  cm.  Die  Fontanellen,  sowie 
die  Nähte  sind  breiter,  nicht  selten  die  Stirnnaht  noch  deutlich  fühlbar.  Der 
Nabel  steht  tiefer  als  bei  dem  reifen  Kinde,  ist  daher  dem  Becken  mehr 
genähert.  Das  Abstossen  des  Nabelstrangrestes  verzögert  sich  und  erfolgt  oft 
erst  gegen  Ende  der  zweiten  Woche  und  scliafft  dadurch,  dass  er  nicht  in 
normaler  Weise  vertrocknet,  sondern  mehr  verfault;  leichter  die  Möglichkeit 
einer  septischen  Infection. 

Die  Kinder  sind  mager,  die  Haut  bei  höheren  Graden  der  Lebensschwäche 
glänzend  roth  und  runzelig  infolge  des  Mangels  an  subcutanem  Fett.  Körper, 
sowie  Gesicht  sind  von  dichten  Lanugohärchen  bedeckt,  welche  sich  länger 
halten  als  bei  dem  reifen  Kinde,  desgleichen  erfolgt  der  Desquaniationsprocess 
langsamer.  Die  Nägel  an  den  Fingern  und  Zehen  sind  sehr  dünn,  brüchig 
und  erreichen  die  Fingerspitzen  nicht.  Bei  den  Knaben  enthält  der  Hodeu- 
sack  noch  keine  Hoden,  bei  den  Mädchen  sind  die  grossen  Schamlippen  noch 
wenig  entwickelt,  sie  werden  daher  von  den  Nymphen  überragt.  Die  Augen 
sind  meistens  geschlossen,  die  Haltung  des  Körpers  entspricht  der  Stellung 
im  Mutterleibe,  die  Kinder  liegen  zusammengekauert  mit  angezogenen  Füssen 
und  gebeugten  Armen,  ihre  Bewegungen  sind  wenig  energisch,  zumeist  bleiben 
sie  ganz  ruhig  und  theilnahmslos.  Ferner  finden  sich  häufig  ödematöse  An- 
schwellungen an  den  unteren  Extremitäten.  Entsprechend  diesen  äusseren,  auch 
dem  Laienauge  erkennbaren  Zeichen  unvollständiger  Entwicklung,  weisen  auch 
die  den  wichtigsten  Lebensfunctionen  dienenden  Organe  in  ihrem  anatomischen 
Bau  Veränderungen  auf,  welche  die  functionelle  Leistungsfähigkeit  derselben 
in  hohem  Grade  beeinträchtigen. 

Wärmebildung,  Athmung,  Kreislauf  und  Ernährung,  die  zum  Weiterleben 
nothwendigsten  Functionen  erfahren  bei  dem  lebensschwachen  Kinde  hoch- 
gradige Störungen,  auf  welche  bei  der  Pflege  besondere  Piücksicht  genommen 
werden  muss.  Infolge  der  relativ  grösseren  abgekühlten  Fläche  ist  die  Wärme- 
abgabe beim  lebensschwachen  Kinde  eine  grössere  als  bei  dem  reifgeborenen, 
dazu  kommt  noch,  dass  der  schützende  Fettpolster  fehlt  und  dass  die  Quel- 
len der  Wärmebildung  Respiration,  Circulation,  Ernährung  und  Bewegung 
sehr  darniederliegen,  so  dass  mehr  Wärme  abgegeben  als  erzeugt  wird  und 
ein  langsames,  aber  stetiges  Sinken  der  Temperatur  den  Tod  herbeiführt. 
Es  muss  daher  bei  der  Pflege  lebensschwacher  Früchte  in  erster  Linie 
darauf  Bedacht  genommen  werden,  die  Abgabe  der  Wärme  an  die  kühlere 
Umgebung  so  viel  wie  möglich  zu  beschränken,  in  zweiter  Linie  die  Thätig- 
keit  der  Lungen,  des  Herzens  und  der  Verdauungsorgane  zu  heben. 

Das  Einfachste,  aber  lange  nicht  genügende  Mittel  die  Kinder  warm  zu 
halten,  wäre  dieselben  ganz  in  Watte  einzuhüllen  und  ihnen  mit  heissem  Sand 
oder  Wasser  gefüllte  Behälter  ins  Bett  zu  legen,  doch  wird  damit  das  gewünschte 
Ziel  nur  höchst  unvollkommen  erreicht.  Bessere  Resultate  geben  die  eigens 
zu  diesem  Zwecke  angegebenen  Vorrichtungen.  So  beschreibt  Miller,  die  im 
Moskauer  Findelhause  in  Verwendung  stehenden  Apparate:  „Es  sind  zwei  in 
einander  gestellte  kupferne  Wannen,  zwischen  deren  Wände  heisses  Wasser 
hineingegossen  wird,  das  man  zweistündlich  erneuert.  Das  Kind  nebst  Bett- 
zeug befindet  sich  in  der  oberen  Wanne,  die  passend  gebogenen  Ränder  dieser 


PFLEGE  DES  NEUGEBORENEN. 


643 


inneren  Wanne  liegen  ganz  dicht  an  den  Rändern  der  äusseren  unteren  Wanne 
an.  Die  Länge  dieser  Wärmewannen  beträgt  72  cm,  die  Breite  am  Kopfende 
46  cm,  in  der  Mitte  43  cm  und  am  Fassende  38  cm,  die  Höhe  38  cm,  die  Tiefe 
der  inneren  Wanne  32—34  cm.  Am  Fussende  der  äusseren  Wanne,  nicht  weit 
von  dem  Boden  ist  ein  Hahn  angebracht  zum  Ausgiessen  des  abgekühlten 
Wassers.  Oben  am  Rande  dieser  Wanne  befindet  sich  ein  Trichter  mit  einer 
Oeffnung,  durch  die  das  heisse  Wasser  in  einer  Menge  von  10—12  Litern 
eingegossen  wird;  diese  Oeffimng  kann  man  durch  einen  Deckel  fest  hermetisch 
schliessen.  Dieses  ganze  Bettchen  wird  von  oben  mit  dichtem  Mousselin  ver- 
deckt, das  von  einem  an  den  Seiten  der  äusseren  Wanne  angebrachten  Draht- 
bogen gehalten  wird." 

Auf  demselben  Principe,  wie  diese  russischen  Doppelwannen,  beruht  der 
von  Crede  angegebene  Wärmeapparat.  Auch  bei  diesem  ist  es  nothwendig,  um 
eine  gleichmässige  Temperatur  zu  erhalten,  stündlich  oder  halbstündlich  warmes 
Wasser  nachzugiessen,  was  die  Bedienung  eines  solchen  Apparates  umständlich 
macht.  Prof.  v.  Winkel  sucht  das  Ziel  durch  permanente  Bäder  zu  erreichen 
und  sollen  die  damit  erzielten  Resultate  sehr  gut  sein. 

Der  dritte  Typus  der  Wärmevorrichtungen  ist  den  Brutapparaten  nach- 
gebildet. Hieher  gehört  zunächst  die  von  Tarnier  angegebene  Couveuse,  deren 
Modification  von  Dr.  Auvard  durch  die  Einfachheit,  sowie  durch  die  damit 
erzielten  günstigen 
Resultate  sich  beson- 
ders auszeichnet. 
Dieser  Apparat  be- 
steht aus  einem  Holz- 
kasten Fig.  I,  des- 
sen Lineres  durch 
eine  Scheidewand  in 
einen  oberen  Bett- 
und  unteren  Heiz- 
raum geschieden  ist. 
Die  Scheidewand, 
welche  als  Lager- 
stätte für  das  Kind 
dient,  reicht  nicht 
ganz  an  die  eine 
Schmalseite  des  Ka- 
stens, so  dass  da- 
durch eine  w^eite 
Communication  bei- 
der Abtheilungen 
geschaffen  ist.  Die 
innere    Länge    des 

Kastens  beträgt 
63  cm,    die   innere 

Breite  32cm,  die 
Höhe  47  cm.  Die 
Länge  der  horizon- 
talen Zwischenw^and, 
welche  die  Matratze 
trägt,  hat  eine  Länge 
von  52  cm  und  steht 

16  cm  von  dem  Boden  ab.  Die  Breite  des  Communicationsraumes  beträgt  dem- 
nach 11  cm.  Nach  oben  zu  wird  die  Kiste  durch  einen  ^'u  der  Länge  ein- 
nehmenden Glasdeckel  (Fig.   H  a  b)  geschlossen,   der  mittelst  zweier  Knöpfe 

41* 


Fig.  1.      Wärmeapparat  nach  AUVARD.     Ansicht  von  Innen. 


Fig.  2.  "Wärmeapparat  nach  AUVAED.     Ansicht  von  Aussen. 


644  PFLEGE  DES  NEUGEBORENEN. 

(c  c)  abgehoben  werden  kann.  In  dem  nicht  abnehmbaren  Theile  des  Deckels 
befindet  sich  eine  Oefthung-,  auf  Avelche  ein  Glascylinder  (Fig.  II  d)  mit 
einem  Rädchen  aufsitzt,  dessen  Rotation  die  Circulation  der  Luft  anzeigt. 
An  derselben  Seite  der  Couveuse  befindet  sich  im  Heizraume  eine  seitliche 
Oetfnung  (Fig.  I  und  11  e)  von  10  cm  Breite  und  6  cm  Höhe,  welche  mittelst 
eines  kleinen  Holzschiebers  theilweise  verschliessbar  ist,  doch  ist  dieser  kleiner 
als  die  Oefluung,  um  das  Zuströmen  der  Luft  reguliren  zu  können,  hiebei  aber 
einen  vollständigen  Verschluss  unmöglich  zu  machen.  In  den  Heizraum, 
welcher  durch  einen  Klappdeckel  (Fig.  I.  und  IL  f)  zu  verschliessen  ist,  werden 
im  Durchschnitt  dreieckige  Thonflaschen  (Fig  I  und  II  g)  gelegt,  welche  mit 
siedendem  Wasser  gefüllt  werden.  Es  genügen  auch  vollständig  runde,  72  Liter 
Flüssigkeit  fassende  Thonllaschen,  die  überall  erhältlich  sind.  Um  die  Cou- 
veuse zur  Aufnahme  eines  Kindes  vorzubereiten,  werden  3  von  den  5  Flaschen 
mit  siedendem  Wasser  gefüllt  und  der  ganze  Apparat  geschlossen.  Die  Luft 
tritt  durch  die  Oeftnung  e  (Fig.  I)  ein,  streicht  über  die  Flaschen,  wird  erwärmt 
und  steigt  in  die  Höhe.  Den  Communicationsraum  passirend,  wo  ein  nasser 
Schwamm  (Fig.  I.  h)  denselben  die  nöthige  Feuchtigkeit  mittheilt,  zieht  sie  dann 
über  das  Kind,  um  bei  dem  Thünnchen  (Fig.  I  i)  auszutreten.  Ein  Thermo- 
meter am  Fussende  des  Kindeslagers  angebracht,  zeigt  die  Lufttemperatur  im 
Bettraume  an.  Die  erwünschte  Höhe  von  30 — 32*^  C.  ist  meist  schon  in  der 
ersten  halben  Stunde  erreicht;  um  diese  Wärme  dauernd  gleichmässig  zu 
erhalten,  wird  nach  je  2  Stunden  die  4.  und  5.  Wärmeflasche  eingelegt  und 
weiterhin  jede  2.  Stunde  eine  Flasche  neuerdings  mit  siedendem  Wasser  gefüllt. 

Das  Kind  muss  in  der  Couveuse  angekleidet  sein,  das  will  sagen,  es  soll 
nicht  nackt  in  dieselbe  gelegt  werden.  Hemdchen  und  Jäckchen  anzuziehen 
wird  den  Nachtheil  haben,  dass  bei  dem  öfteren  Wechseln  dieser  Kleidungs- 
stücke viel  Wärme  verloren  geht  und  die  Kräfte  des  Kindes  consummirt 
werden.  Am  zweckmässigsten  ist  es  die  Kleinen  in  Watte  einzuwickeln  und 
darüber  eine  Flanellhülle  zu  geben.  Behufs  Trockenlegen  und  Ernährung 
müssen  die  Kinder  stündlich,  aber  auf  möglichst  kurze  Zeit  aus  der  Couveuse 
herausgenommen  werden.  Die  Furcht,  dass  dadurch  der  ganze  Effect  des  Wärme- 
apparates zu  Nichte  wird,  ist  eine  unbegründete,  da  Thierversuche  von  Edwards 
gezeigt  haben,  dass  die  Wirkung  einer  entsprechenden  Wärmezufuhr  sich  ver- 
längert auch  nach  dem  Aufhören  der  Ursache.  Die  Kinder  vertragen  daher 
nach  dem  Verlassen  der  Couveuse  die  Abkühlung  viel  besser  als  wenn  sie  aus 
einem  gewöhnlichen  Bette  genommen  werden. 

Die  Zeit  während  welcher  ein  Kind  in  der  Couveuse  gehalten  werden 
muss,  ist  durchschnittlich  3—4  Wochen.  Die  Kinder  werden  dann  schon 
selbst  durch  Geschrei  das  Unbehagen  verrathen,  wenn  sie  in  den  Wärme- 
apparat gelegt  werden.  Der  sicherste  Maasstab  bleibt  aber  die  Körpertempe- 
ratur. Hat  dieselbe  am  Ende  der  ersten  14  Tage  die  Höhe  von  37"  C. 
(Mastdarm)  erreicht,  dann  wird  die  Couveuse  überflüssig,  hält  sie  sich  constant 
unter  diesem  Niveau,  dann  wird  der  Apparat  noch  nicht  zu  entbehren  sein. 
Ist  die  Temperatur  nach  den  ersten  14  Tagen  nicht  über  35"  C,  dann  ist 
nach  Miller  die  Aussicht  auf  Erhalten  des  Lebens  eine  sehr  geringe. 

Durch  die  Anwendung  dieser  Apparate  gelingt  es  wohl  eine  grössere 
Wärmeabgabe  zu  verhindern,  es  muss  aber  auch  darauf  Bedacht  genommen 
werden,  dass  hinreichend  Wärme  producirt  wird.  Es  ist  daher  vor  Allem  die 
Athmung  zu  vertiefen.  Lebensschwache  Kinder  schlafen  nahezu  fortwährend, 
wobei  die  Respiration  eine  ungemein  oberflächliche  und  dabei  unregelmässige 
ist.  Bliebe  das  Kind  sich  selbst  überlassen,  so  würde  die  Athmung  immer 
seichter,  immer  grössere  Partien  der  Lungen  würden  atelektatisch,  so  dass 
dasselbe  schliesslich  infolge  Sauerstoftmangels  asphyktisch  zu  Grunde  gehen 
würde.  Das  Kind  muss  daher  stündlich  auf  künstlichem  Wege  dazu  gebracht 
werden,  tiefe  Athemzüge  zu  machen.     Oft  genügt  schon  ein  einfacher  Lage- 


PFLEGE  DES  NEUGEBORENEN.  645 

Wechsel,  um  dieses  Ziel  zu  erreichen,  wenn  nicht,  dann  kann  man  durch  mehr- 
maliges Ausstrecken  der  Arme  und  Andrücken  an  die  Thorax  wand  oder  durch 
Hinaufdrücken  der  Oberschenkel  nach  dem  Bauche  tiefe  Athemzüge  auslösen. 
Zu  demselben  Zwecke  ist  das  Kind  öfters  zum  Schreien  zu  bringen,  nur  darf 
man  nicht  das  krcäftige  Geschrei  eines  reifen  Kindes  erwarten,  die  Stimme 
solcher  Früchte  ist  sehr  schwach  und  nur  ein  leises  Wimmern  verräth  das 
Unbehagen.  Auch  durch  Reiz  des  Niesens,  sowie  durch  die  Anwendung  des 
Inductionsapparates  können  tiefere  Respirationen  hervorgerufen  werden. 

Infolge  der  ungenügenden  Respiration  liegt  auch  die  Leistungsfähigkeit 
des  Herzens  darnieder,  da  infolge  der  wenig  entfalteten  Lungen  der  kleine 
Kreislauf  sich  nur  mangelhaft  entwickeln  kann,  wodurch  den  einzelnen  Thei- 
len  des  Herzens  ungleichmcässige  Arbeit  aufgelastet  wird.  Die  Folge  davon 
ist  das  Oflenbleiben  des  Ductus  Botalli,  sowie  der  Communication  der  Vorhöfe, 
da  der  Druck  in  diesen  ein  ungleicher  ist.  Die  Kinder  sehen  daher  mehr 
oder  weniger  cyanotisch  aus,  die  Leber  ist  geschwellt,  Oedeme  an  der  Peri- 
pherie gehören  zu  den  Folgen  der  darniederliegenden  Functionen  von  Herz 
und  Lunge. 

Excitantien  in  Form  von  Liquor  ammonii  anisati  oder  Cognac  und  Mas- 
sage zur  Beseitigung  der  Oedeme  werden  sich  als  nothwendig  erweisen. 

Von  nicht  geringerer  Wichtigkeit  als  Erhalten  der  Wärme,  Anregung  von 
Circulation  und  Respiration  ist  die  Ernährung.  Zwei  Momente  sind  es  haupt- 
sächlich, die  hier  störend  in  den  Weg  treten.  Erstens  sind  die  Kinder  mit 
höheren  Graden  der  Lebensschwäche  nicht  im  Stande  zu  saugen  oder  es  werden 
selbst  nicht  einmal  Schlingacte  ausgelöst  und  zweitens  ist  infolge  der  Un- 
fertigkeit  des  Organismus  die  Quantität  und  Qualität  der  Verdauungsflüssig- 
keiten eine  mangelhafte. 

Von  Vorneherein  wird  daher  der  Versuch  ein  lebensschwaches  Kind 
künstlich  zu  ernähren  aufgegeben  werden  müssen  und  es  kommt  nur  die  Er- 
nährung durch  die  eigene  Mutter  oder  durch  eine  Amme  in  Frage.  Die  An- 
forderungen, welche  an  eine  solche  zu  stellen  sind,  wären  folgende.  Das  Alter 
des  Kindes  der  Amme  sollte  nicht  viel  über  14  Tage,  jedenfalls  nicht  über 
4  Wochen  sein,  die  Brust  der  Amme  muss  schon  bei  leichtem  Fingerdrucke 
die  Milch  ausfliessen  lassen  und  die  Warzen  sollen  leicht  fassbar  sein.  In 
den  ersten  Tagen  werden  lebensschwache  Früchte  weder  ein  Nahrungsbedürf- 
nis  äussern,  noch  lange  saugen  und  wenn  sie  schon  den  Versuch  machen, 
ermüden  sie  sehr  rasch  und  schlafen  nach  wenigen  Zügen  ein,  so  dass  nur 
kleine  Mengen  8 — 10  g  getrunken  werden.  Es  ist  daher  nothwendig  einer- 
seits solche  Kinder  stündlich  an  die  Brust  zu  legen,  andererseits  das  Saugen 
durch  regelmässiges  Zusammendrücken  der  Brüste  zu  erleichtern.  Erreicht 
die  Lebensschwäche  höhere  Grade  dann  wird  auch  nicht  einmal  der  Versuch 
des  Saugens  gemacht  und  die  Amme  ist  genöthigt  dem  Kinde  die  Milch  in 
den  Mund  zu  spritzen  oder  besser  die  Milch  wird  auf  einen  vorher  erwärmten 
Löffel  abgespritzt  und  bevor  sie  noch  abkühlt,  dem  Kinde  gegeben.  In  den 
ersten  Tagen  genügen  stündlich  2 — 3  Kaffeelöffel  für  eine  Mahlzeit.  Bei  den 
höchsten  Graden  von  Lebensschwäche  werden  selbst  Schlingacte  nicht  mehr 
ausgelöst  und  die  eingegossene  Milch  fliesst  zum  Munde  wieder  heraus.  Für 
solche  Fälle  empfiehlt  sich  das  von  Widerhofer  angegebene  Verfahren  die 
Milch  durch  die  Nase  einzugiessen  ganz  besonders.  Bei  etwas  nach  rück- 
wärts gebeugtem  Kopfe  wird  langsam  ein  Kaffeelöffel  abgespritzter  Milch  nach 
dem  andern  eingegossen.  Niesen  hindert  gewöhnlich  diese  Procedur  nicht, 
da  dasselbe  bei  Kindern  mit  solcher  Schwäche  infolge  der  geringen  Reflex- 
erregbarkeit nicht  ausgelöst  wird.  Jedenfalls  ist  dieses  Verfahren  der  Gavage 
(Einführen  der  Nahrung  mittelst  weicher  Schlundsonde)  schon  aus  dem  Grunde 
vorzuziehen,  weil  diese  Manipulation  Laienhänden  anvertraut  werden  kann, 
während  letztere  nur  von  einem  Arzte  ausgeführt  werden  sollte.    Ausserdem 


646  PHLEGMASIA  ALBA  DOLENS. 

ist  noch  in  Eeclmung  zu  ziehen,  dass  die  Kräfte  des  Kindes  durch  das  öftere 
Einführen  der  Sonde  in  den  Magen  in  übermässiger  Weise  in  Anspruch  ge- 
nommen werden.  In  beiden  Fällen  bei  der  Ernährung  durch  die  Nase,  sowie 
mittelst  Schlundrohr  darf  aber  nie  verabsäumt  werden  jedesmal  zu  versuchen 
das  Kind  saugen  zu  lassen,  gewöhnlich  reichen  2  Wochen  hin  um  das  Kind 
so  weit  zu  kräftigen,  dass  es  sich  selbst  seine  Nahrung  holen  kann. 

Bei  der  ungenügenden  Menge  und  Beschaffenheit  der  Verdauungssäfte 
wird  es  sich  empfehlen  durch  Verabreichung  geringer  Dosen  Pepsin  (0"10 
3mal  täglich)  die  Verdauung  zu  unterstützen,  desgleichen  muss  häutig  die  in- 
folge der  schwach  entwichelten  Darmmusculatur  und  geringer  Peristaltik  be- 
stehende Stuhl  Verstopfung  durch  Klysmen  mit  lauem  Wasser  behoben  werden. 

In  der  Zeit,  so  lange  die  Körpertemperatur  nicht  normal  ist,  sind  Bäder 
zu  widerrathen,  da  bei  denselben,  insbesondere  durch  die  nothwendige  Mani- 
pulation des  Abtrocknens  etc.,  Wärmeverluste  unvermeidlich  sind.  Später 
sind  Bäder  mit  Zusätzen  von  Kleie  oder  Milch  von  entsprechendem  Nutzen 
und  werden  auch  angenehm  empfunden. 

Die  Gewichtsverhältnisse  zeigen  geringe  Abweichungen  von  denen  reifer 
Kinder.  Zunächst  ist  der  initiale  Gewichtsverlust  ein  grösserer  und  es  bedarf 
einer  längeren  Zeit,  bis  das  Ursprungsgewicht  wieder  erreicht  ist.  Beginnt  aber 
die  Gewichtszunahme,  dann  sind  die  Zunahmen  grössere  und  betragen  nicht 
selten  30 — 50  g  pro  Tag,  so  dass  solche  Kinder  ihr  Anfangsgewicht  meistens 
vor  dem  5.,  oft  schon  im  3.  Monate  verdoppelt  haben.  Trotz  dieses  Bestrebens 
ein  dem  Alter  entsprechendes  Gewicht  zu  erreichen,  werden  solche  Kinder 
im  späteren  Alter  doch  immer  zarte,  für  alle  Schädlichkeiten  leicht  empfäng- 
liche Individuen  bleiben. 

Es  ist  schwer  zu  sagen,  wo  die  Grenze  liegt,  unter  welcher  selbst  die 
aufopferndste  Pflege  nicht  mehr  im  Stande  ist  das  Leben  zu  erhalten.  Nach 
Miller  sind  Fälle,  wo  Frühgeborene  aus  einer  früheren  Periode  als  der  29. 
Woche  erhalten  blieben,  äusserst  selten,  doch  würde  der  Glaube,  dass  selbst 
hochgradig  lebensschwache  Kinder,  nicht  nur  kurze  Zeit  am  Leben  erhalten, 
sondern  zu  gesunden,  wenn  auch  zarten  Menschen  aufgezogen  werden  können- 
mehr befestigt  sein,  dann  würden  viele  Leben  gerettet  werden.  Ist  erst  ein- 
mal der  Ausspruch  „die  Frucht  ist  lebensunfähig"  gefallen,  dann  erlischt  das 
Interesse;  solchen  Kindern  wird  dann  weniger  Aufmerksamkeit  gewidmet  als 
lebenskräftigen  und  sie  machen  schliesslich  den  über  sie  gefällten  Urtheils- 
spruch  zur  Wahrheit.  foltanek. 

Phlegmasia  alba  dolens,  {die  weisse  schmerzhafte  Schenkelschwellung) 
Phlegmone  cruralis  mit  oder  ohne  Thrombose.  Der  Name  ist  hergeleitet  von 
der  blassen  weissen  Hautfarbe  des  straff  geschwollenen  Schenkels  und  der 
Schmerzhaftigkeit.  (cpXsYjjia  bei  Hippokrates  Hitze,  sodann  weisser,  zäher, 
kalter  fleischiger  Saft,  Schleim);  Phlegmatia  sive  Phlegmasia  alba  nach  Eisen- 
mann, lactea  nach  Saüvages,  Oedema  lacteum,  Oedema  puerperarum  nach 
Callisen,  Infarctus  lactei  extreniitatum,  Ecchymoma  lymphaticum,  Ischias 
sparganosi  (Diosceorides),  besser  Spargasis  nach  Eisenmann  (cfirotpyaEiv  an- 
schwellen) Scelalgia  puerperarum  nach  v.  Siebold,  Bucnemia  sparganotica 
(Schmalz)  auch  Metastasis  lactea  cruralis  u.  s.  w.  sind  sämmtlich  in  der 
älteren  Literatur  gebräuchliche  Bezeichnungen  für  die  puerperalen  Erkran- 
kungen der  Schenkel  mit  oder  ohne  Thrombose  ihrer  Venen,  heute  wird  dafür 
zumeist  der  Name  Phlegmone  der  Schenkel  im  Wochenbette  und  Thrombose  der 
Schenkelvenen  gebraucht. 

Streng  genommen  werden  auch  heute  noch  von  einander  ätiologisch 
verschiedene  Processe,  resp.  Krankheitsformen  unter  diesem  einheitlichen 
Namen  von  vielen  Autoren  zusammengefasst,  andere  Autoren  wollen  eine 
schärfere     Trennung    duixhführen,    womöglich    verschiedene    Bezeichnungen 


HLEGMASIA  ALBA  DOLENS.  647 

wählen,  so  z.  B.  unterscheidet  v.  Winckel  die  Phlegmasia  alba  dolens  mit 
Venenthrombose  von  der  Phlegmone  cruralis  ohne  Venentlirombose,  Spieoel- 
BERG  wieder  gebraucht  die  Bezeichnung  Phlegmasia  alba  dolens  für  die  Venen- 
thrombose der  unteren  Extremität,  während  doch  derartige  Phlegmasien  durch- 
aus ohne  Venenthrombose,  selbst  ohne  secundäre  vorkommen.  .Spieoelberg 
will  mit  Recht  die  reine  gutartige  im  Anschluss  an  das  Puerperium  ent- 
stehende Thrombose,  die  in  causaler  Beziehung  nichts  mit  infectiösen  Vor- 
gängen zu  thun  hat,  von  der  septischen  Form  trennen.  Kehker  trennt  die 
Phlebitis  und  Phlebothrombosis  cruralis  von  der  Phlegmasie.  Er  will  die 
Frage  offen  lassen,  ob  nicht  vielleicht  die  Phlegmasie  einfach  den  höchsten 
Grad  der  durch  Cruralthrombose  eingeleiteten  Veränderungen  darstellt,  in 
welchem  Falle  es  nicht  mehr  gerechtfertigt  wäre,  die  Phlegmasie  als  ein  ge- 
sondertes Krankheitsbild  zu  betrachten.  Nach  Unterbindung  einer  Schenkel- 
vene, an  Thieren  aseptisch  ausgeführt,  erfolgt,  wie  Baumgarten  nachwies,  nur 
einfaches  Stauungsödem,  aber  keine  Blutgerinnung,  keine  Thrombose  in  der 
Vene,  das  hinterher  durch  einen  Einschnitt  nach  aussen  entleerte  Blut  gerinnt 
an  der  Aussenluft  wie  jedes  andere.  Es  kommt  bei  experimenteller  Unter- 
bindung der  Vene  beim  Thiere  nicht  zu  einer  Phlegmasie.  Entweder  ist  also 
nach  Kehrer  die  Phlegmasie  keine  gleichartige  bestimmt  abgegrenzte  Krank- 
heit und  kann  durch  verschiedene  Vorgänge  —  Verschluss  der  Blutadern  oder 
Lymphgetässe  —  hervorgerufen  werden  oder  es  muss  noch  eine  andere  Bedin- 
gung erfüllt  sein.  Man  hat  die  Phlegmasie  davon  abgeleitet,  dass  zur  Throm- 
bose mit  ihrem  Oedem  noch  eine  Phlegmone  hinzutrete,  allein  die  weisse 
Hautfarbe,  die  massige  und  nicht  diffuse  Schmerzhaftigkeit  bei  Druck,  der 
immerhin  seltene  Uebergang  in  Eiterung  sollen  dagegen  sprechen.  Man 
könnte  nach  Kehrer  daran  denken,  dass  die  Phlegmasie  nur  den  höchsten 
Grad  von  Stauungsödem  darstelle,  dass  sie  nur  bei  gleichzeitigem  Verschluss 
von  Venen-  und  Lymphgefässstämmen,  oder  nur  bei  Thrombose  von  Becken- 
und  Cruralvenen  oder  bei  gleichzeitigen  trophischen  und  vasomotorischen 
Nervenstörungen,  vielleicht  nur  unter  gewissen  individuellen  anatomischen 
und.  constitutionellen  Bedingungen  zur  Entwicklung  komme,  jedenfalls  sei 
heute  das  Wesen  der  Phlegmasia  alba  noch  nicht  völlig  klargelegt. 

Eine  einheitliche  Autfassung  der  hierhergehörigen  Kiankneitsprocesse 
existirt  bis  jetzt  nicht.  Am  einfachsten  erscheint  es,  eine  primäre  sep- 
tische Bindegewebsphlegmone  des  Schenkels,  welche  zu  einer 
secundären  Venenthrombose  führen  kann,  aber  nicht  muss,  zu  tren- 
nen von  einer  Phlebitis  und  Phlebothrombosis,  die  zu  einer 
secundären  Phlegmasie  führen  kann,  aber  nicht  muss.  Während  nun 
die  Bindegewebsphlegmone  stets  septischen  also  infectiösen  Ursprunges  und 
auf  Heteroinfection  beruht,  —  so  kann  die  primäre  Thrombose  auch  eine  gut- 
artige, nicht  auf  infectiöser  Basis  beruhende  sein,  auf  welch'  letztere  Form, 
wie  schon  erwähnt,  besonders  Spiegelberg  aufmerksam  giriiiacht  hatte. 

Die  weisse  Schenkelgeschwulst  im  Wochenbett  ist  ein  nicht 
gar  so  selten  vorkommendes  Leiden,  als  gemeinhin  angenommen  wird,  in 
Eussland  relativ  häufig  nach  meiner  Erfahrung.  Nach  v.  Winckel  kommt 
auf  635  Entbindungen  eine  Phlegmasie  als  Wochenbettscomplication,  es 
kommt  jedoch  die  Erkrankung  auch  in  der  Schwangerschaft  vor  sowie  auch 
ganz  unabhängig  von  Schwangerschaft  und  Geburt  im  klimakterischen  Alter, 
ja  sogar  bei  Männern.  White  sah  auf  8000  Entbindungen  4  Erki'ankungen 
an  Phlegmasie,  Bland  auf  1897  Geburten  5  Fälle,  Hamilton  rechnete  1  :  200 
als  häufigstes  und  1  :  2000  als  seltenstes  Vorkommen,  D'oütrepont  sah  im  Salz- 
burger Gebärhause  binnen  11  Jahren  3  Fälle  auf  518  Entbindungen,  v.  Siebold 
5  in  26  Jahren,  Olbels  4 — 5  in  40  Jahren,  Treviranus  sah  nur  einen  Fall 
in  30  Jahren,  Velpeau  sah  im  Ganzen  in  Paris  5  Fälle,  Struve  im  Hol- 
steinischen 12  Fälle  binnen  9  Jahren,  ich  selbst  sah  binnen  10  Jahren  6  puerperale 


648  PHLEGMASIA  ALBA  DOLENS. 

Fälle,  von  denen  einer  tödtlich  endete  mit  Vereiterung  beider  Kniegelenke; 
desgleichen  sah  ich  einen  tödtlich  verlaufenden  Fall  mit  Gangrän  des 
Unterschenkels  binnen  drei  Tagen  bei  Pyosalpinx  einer  nicht  Schwangeren. 
Die  so  verschiedenen  Angaben  bezüglich  der  Häufigkeit  lassen  es  wahrschein- 
lich erscheinen,  dass  von  den  verschiedenen  Autoren  nicht  immer  genau  die- 
selbe Krankheit  gemeint  war.  Wenn  von  einem  epidemischen  Auttreten  ge- 
sprochen wui'de,  so  ist  dies  wohl  so  zu  erklären,  dass,  wo  überhaupt  es  zu 
einer  Endemie  des"  Puerperalfiebers  kam,  auch  die  Zahl  der  dabei  auftretenden 
Phlegmasien  eine  grössere  gewesen  sein  mag.  Die  Zeitgenossen  dürften  eine 
solche  Endemie  von  Phlegmasien  nicht  mehr  erleben! 

Die  anatomische  Grundlage  der  Phlegmasie  mit  primärer  Venenthrora- 
bose  wurde  zuerst  von  Davis  (1817)  und  Bouillaud  (1823)  klargelegt,  dann 
von  Lee  (1829)  und  Bouchut  (1844)  erhärtet.  Maueiceau  beschrieb  jedoch 
die  Krankheit  zuerst  (1712)  und  erklärte  sie  für  eine  Metastase  der  Lochien. 
Die  Angaben  Wiesemann's  von  1676  lassen  es  fraglich  erscheinen,  ob  es 
sich  in  dem  von  ihm  berichteten  Falle  um  eine  Phlegmasie  handelte  oder 
um  einen  einfachen  Oberschenkelabscess. 

Die  Besclireibungen  der  früheren  Autoren  sind  ziemlich  ungenau  und 
wird  von  ihnen  die  Krankheit  meist  als  „Milchversetzung"  angesehen.  White 
(1784)  nahm  eine  Verstopfung,  Zerreissung  oder  anomale  Beschaifenheit  der 
Lymphgefässe  als  Ursache  an,  Hüll  sah  darin  eine  entzündliche  Affection, 
welche  eine  plötzliche  und  bedeutende  Ausschwitzung  von  Serum  und  coagu- 
abler  Lymphe  aus  den  exhalirenden  Gefässen  in  das  Zellgewebe  der  Extre- 
mität hervorrufe.  Davis  bezog  die  Krankheit  auf  die  Entzündung  eines  oder 
mehrerer  Stämme  der  Hauptvenen  in  der  Nähe  des  Beckens,  wodurch  die  Bil- 
dung vom  Pseudomembranen  auf  der  inneren  Oberfläche,  allmälige  Gerinnung 
ihrer  Contenta  und  zerstörende  Eiterung  ihres  ganzen  Gewebes  bedingt  werde. 
Weil  die  Krankheit  bei  weitem  am  häufigsten  im  Anschluss  an  den  Geburts- 
act  beobachtet  wird,  brachte  man  sie  in  einen  bestimmten  Zusammenhang 
mit  demselben,  sie  kann  aber  ebensogut  bei  Schwangeren,  sowie  ausserhalb 
von  Schwangerschaft  und  Geburt,  ja  auch  in  klimacterio  und  sogar  bei  Männern 
vorkommen,  sobald  eine  entsprechende  Infection  des  Schenkelzellgewebes  statt- 
findet bei  irgend  welcher  benachbarten  Wunde  am  Bein  selbst,  an  den  Geni- 
talien, Damm,  Gesäss  etc.,  wie  schon  oben  erwähnt  wurde. 

Es  scheint,  dass  die  primäre  Venenthrombose  zu  zwei  ganz  ver- 
schiedenen Krankheitsbildern  führt,  jenachdem  sie  aufseptischerln- 
fection  beruht  oder  nicht,  j  e  nachdem  eine  septische  Infection 
hinzugekommen  ist  oder  nicht,  während  die  Phlegmone  des  Beines,  sei 
sie  primär  oder  secundär,  stets  septischen  Ursprunges  ist. 

Die  meisten  Autoren  handeln  heute  die  Phlegmasie  unter  den  infectiösen 
Puerperalkrankheiten  ab,  nur  Spiegelberg  betont  ausdrücklich  das  Vorkommen 
einer  primären  Venenthrombose,  die  causal  mit  Sepsis  nichts  zu  thun  hat. 
Chaepentier  nennt  die  Phlegmasie  den  tardiven  Ausdruck  einer  gemilderten 
(„attenuee")  secundären  Septicämie.  Nach  Spiegelberg  kommen  ini  Wochen- 
bett häufig  genug  Venenthrombosen  vor,  die,  so  lange  sie  nur  die  Becken- 
venen betreffen,  wegen  symptomlosen  Verlaufes  latent  bleiben,  leichter  werden 
solche  thrombosirte  Venenstämme  am  Schenkel  entdeckt.  Da  der  Wochen- 
bettszustand, der  Wundzustand  des  Uterus,  die  puerperale  Blutbeschaffenheit 
eine  Blutgerinnung  in  den  Becken-  und  Schenkelvenen  ausserordentlich  be- 
günstigen, Venenthromben  im  puerperalen  Uterus  immer  vorhanden  sind, 
deren  centrale  Fortsetzung  und  auch  periphere  Ausbreitung  stets  möglich  ist, 
so  kommen  einfache  gutartige  (nicht  septische)  Thrombosen  im  Anschluss  an 
die  Thromben  in  der  Placentarstelle  oft  genug  vor,  aber  es  treffen  sich  auch 
dergleichen  Thrombosen  unabhängig  von  denen  der  Placentarstelle,  weil  durch 
die  häufige  abnorme  Erweiterung  dieser  Gefässe  (im  Becken  und  den  unteren 


PHLEGMASIA.  ALBA  DOLENS.  649 

Extremitäten  vorwiegend)  und  aucli  durch  die  anatomischen  Verhältnisse  am 
Ursprünge  der  Schenkelvenen  eine  Steigerung  der  Verlagsamung  des  rückläu- 
figen Blutstromes  gegeben  ist.  Da/u  kommt  noch  nach  SriiooKLUKRa  die 
lang  dauernde  Unthätigkeit  der  Schenkelmusculatur,  Verminderung  der  Ilerz- 
kraft  bei  ohnehin  schon  geschwächten  Individuen.  Diese  Thrombose  sei  ein- 
fach als  Dilatationsthrombose  aufzufassen,  eine  Art  marantischer  Thrombose; 
eine  Compression  der  Beckengefässe  will  Spiegelberü  als  Ursache  nicht 
anerkennen,  weil  diese  Thrombose  meist  erst  1 — 2  Wochen  post  partum  auf- 
trete, wo  der  venöse  Blutkreislauf  nicht  mehr  durch  den  gefüllten  Uterus 
erschwert  sei.  Nach  v.  Winckel  sind  diese  oft  schon  in  der  Schwangerschaft 
entstehenden  primären  Venenthrombosen  hingegen  auf  den  Druck  des  aus- 
gedehnten Uterus  auf  die  Iliacalgefässe  zurückzuführen  als  Stauungs-  oder 
Dilatationsthrombosen,  deren  Wachsthum  also  schon  in  der  Schwangerschaft 
oder  einige  Zeit  nach  der  Geburt  die  betreffenden  Gefässe  vollständig  ver- 
stopfen kann. 

Entgegen  der  Auffassung  Spiegelberg' s  führt  Kehrer  die  Ergebnisse 
der  Studien  von  Brücke,  Cohnheim  u.  A.  an,  dass  Blutgerinnungen  nur  bei 
anatomischen  Veränderungen  der  Gefässwand  und  ihres  Endothels  entstehen. 
Stromverlangsamung  könne  höchstens  begünstigend  wirken,  da  das  Blut  in 
einer  aseptisch  unterbundenen  Vene  nicht  gerinnt.  Für  die  von  einer  Metro- 
phlebitis,  schreibt  Kehrer,  oder  Pelvicellulitis  ausgehenden  absteigenden 
Thromben  der  Cruralvene  liege  in  den  entzündlichen  Veränderungen  der 
Gefässwände  genügende  Veranlassung  zur  Thrombosirung  vor.  Aber  auch 
von  den  Varices  wissen  wir,  dass  Endothelverluste  und  endophlebitische  Pro- 
cesse  häufig  Platz  greifen.  Während  es  dort  nicht  an  intra-  oder  peri- 
venös eingedrungenen  Mikroorganismen  fehlt,  welche  in  gewissen  Fällen  eitrige 
oder  jauchige  Schmelzung  der  Pfropfe  herbeilühren,  müssen  wir  für  die  eitrige 
Saphena-Phlebitis  annehmen,  dass  die  Pilze  durch  Hautabschürfungen  in  die 
Venenwand  und  -lichtung  eingedrungen  oder  aus  dem  kreisenden  Blut  in 
den  Venenpfröpfen  zurückgehalten  worden  sind. 

Die  Thrombose  der  Schenkelvenen  kann  sich  auch  im  Anschluss 
an  die  Thrombose  der  Vena  hypogastrica  entwickeln,  sobald  die  Blutgerinnung 
tiefer  herab  reicht,  ebenso  nach  Blutgerinnung  in  der  Vena  spermatica  interna, 
sobald  der  in  dieser  befindliche  Thrombus  bis  in  die  Vena  Cava  gewachsen 
ist  und  diese  verengt.  Solche  Thrombosen  sind  daher  oft  die  Folge  der 
Tkrombosis  placentaris  und  der  Ihromhose  des  plexus  pampiniformis.  Ist  die 
Vena  cruralis  und  iliaca  verstopft,  so  wird  die  Ableitung  des  venösen  Blutes 
durch  die  Vena  epigastrica  oder  circumflexa  ileum  und  ileolumbalis  oder  durch 
die  Venen  der  Gluttaen  besorgt.  Die  Stauungshyperämie  wird  in  solchen 
Fällen  einige  Zeit  hindurch  so  erheblich,  dass  nicht  blos  das  Blutplasma  aus- 
tritt und  die  ödematöse  Schwellung  des  Beines  verursacht,  sondern  auch,  wie 
dies  CoHNHEiM  durch  Unterbindung  der  Vena  femoralis  bei  Fröschen  bewirkte, 
die  rothen  Blutkörperchen  durch  die  Stomata  des  Capillarepithels  in  das  Pa- 
renchym  hinausgepresst  werden,  v.  Wixckel  theilt  die  interessanten  Ergeb- 
nisse einer  mikroskopischen  Untersuchung  der  Muskeln  des  befallenen  Bei- 
nes durch  den  verstorbenen  Collegen  Martini  mit,  welcher  den  Verlust  der 
Querstreifung  mit  Auftreten  einer  deutlichen  Längsstreifung  durch  Zerspal- 
tung  in  Fibrillen  im  Muskelgewebe  nachwies. 

Bei  einer  solchen  thrombotischen  Venenobliteration  kann  es  zur  völligen 
Ptesorption  des  Thrombus  kommen,  zu  einer  Canalisirung  eines  Thrombus  auf 
dem  Wege  der  Durchsetzung  des  Pfropfes  durch  neugebildete  Gefässe,  es  kann 
auch  der  Pfropf  in  einen  soliden  Bindegewebspfropf  sich  verwandeln  oder  aber 
es  kommt  zum  Zerfall  des  Thrombus,  zur  Zersetzung,  Eiterung  etc.  mit  all 
deren  secundären  Gefahren.  Das  Schicksal  des  Thrombus  hängt  hier  in  erster 
Linie  davon  ab,  ob  septische  Agentien  dazukommen  oder  nicht,  es  kann  also 


650  PHLEGMASIA  ALBA  DOLENS, 

auf  Grund  dessen  auch  die  primär  gutartige  Venenthrombose  den  schlimmsten 
Verlauf  nehmen,  sobald  es  zum  Zerfall  des  Thrombus  und  Embolien  kommt, 
geschweige  denn  bei  Complication  mit  Sepsis  und  jauchigem  Zerfall.  Einer- 
seits kann  es  bei  ausgedehnter  Verödung  der  Gefässe  am  Bein  zu  Stauungs- 
erscheinungen schlimmsten  Grades  bis  zur  Gangrän  kommen,  andererseits  zu 
metastatischen  Erkrankungen  in  Lunge,  Herz,  Leber,  Nieren,  Milz,  Gehirn 
und  Extremitäten  auf  dem  Wege  der  Embolie,  zur  Pyämie  mit  all  deren  Lo- 
calisationen. 

Eine  strikte  Grenze  zwischen  der  gutartigen  und  bösartigen  primären 
Veneuthrombose  lässt  sich  füglich  nur  dann  ziehen,  wenn  man  eine  Complication 
mit  Sepsis  als  Kriterium  zu  Grunde  legt.  Freilich  hängt  auch  bei  der  nicht 
septischen  Form  viel  von  der  Ausbreitung  der  Thrombose  ab,  der  Grösse  des 
aus  der  Circulation  ausgeschalteten  Gebietes;  die  Hauptgefahr  erwächst  aber 
stets  aus  der  Complication  mit  Sepsis.  Meist  tritt  die  Erkrankung  erst  nach 
Ablauf  der  ersten  Woche  des  Wochenbettes  auf,  gewöhnlich  zwischen  dem 
10.  und  21.  Tage  post  partum,  viel  seltener  später.  Varices  disponiren.  Der 
linke  Schenkel  ist  öfters  befallen,  weil  er  auch  häufiger  Varices  aufweist.  Le 
fand  auf  hundert  Fälle  60mal  Entstehung  in  puerperio,  40mal  ohne  voraus- 
gegangene Geburt,  und  zwar  waren  es  meist  Erst-  und  Zweitgebärende,  welche 
nach  vorausgegangener  protrahirter  Geburt:  erkrankten  33  mal  am  linken 
Bein,  23  mal  am  rechten,  selten  an  beiden  Beinen.  Das  Ueberwiegen  der  Er- 
krankung am  linken  Bein  will  v.  Winckel  gleich  Velpeau  mit  der  grösseren 
Häufigkeit  der  ersten  Schädellage  in  Beziehung  bringen.  Spiegelberg  be- 
zieht das  Vorwiegen  der  linksseitigen  Erkrankung  auf  die  Lagerung  der  Vena 
iliaca  sinistra  zur  Arteria  iliaca  communis  dextra  resp.  auf  den  Druck,  welchen 
erstere  von  der  über  sie  hinweg  nach  rechts  gehenden  Iliacalarterie  und 
weiter  unterhalb  auch  von  der  Arteria  hypogastrica  erleidet  —  man  habe  bei 
Autopsieen  an  der  Kreuzungsstelle  öfter  einen  von  der  Arterie  herrührenden 
Eindruck  im  Venenthrombus  beobachtet.  Sind  beide  Schenkel,  was  selten  vor- 
kommt, befallen,  so  existirt  meist  ein  Abhängigkeitsnexus.  Die  Thrombose  hat 
sich  meist  vom  einem  Stamm  auf  den  anderen  durch  die  Hohlvene  hindurch 
fortgesetzt  oder  es  ist  Thrombose  im  zweiten  Schenkel  erfolgt,  weil  er  sein 
Blut  in  die  thrombosirte  Cava  nicht  entleeren  konnte.  Fast  stets  tritt  die  Er- 
krankung des  zweiten  Beines  erst  nach  einem  gewissen  Zeitraum  nach  der 
Erkrankung  des  ersten  auf,  niemals  isochron.  Meist  handelt  es  sich  um  die 
Vena  cruralis  und  ihre  Verzweigungen,  besonders  die  Tibialis  und  Peronaealis, 
die  Saphena,  aber  auch  die  Profunda  können  theilnehmen. 

V.  WiNCKEL  führt  als  Beispiele  beiderseitiger  Erkrankung  einen  eigenen 
Fall  an  sowie  die  Beobachtungen  von  Boehr,  Sankey,  Davis,  Puzos,  Tre- 
viRANUs,  Struve,  persönlich  sah  ich  zwei  solche  Fälle,  von  denen  einer  mit 
Vereiterung  beider  Kniegelenke  tödtlich  endigte.  Als  besonders  interessant 
führt  v.  WiNCKEL  den  Fall  von  Baart  de  la  Faille  an,  wo  die  Erkrankung 
von  der  linken  Vena  saphena  m.  ausging,  die  Thrombose  durch  die  V.  cruralis, 
iliaca  communis  und  Vena  cava  bis  zum  ersten  Lendenwirbel  hinaufreichte  und 
durch  diese  auch  die  Vena  iliaca  communis  dextra  verstopft  war.  Die  Vena 
azygos  und  hemiazygos  waren  stark  erweitert,  das  rechte  Bein  erkrankte  erst 
12  Tage  später  als  das  linke.  Wenn  auch  die  Erkrankung  genuin  am  an- 
deren Bein  entstehen  kann,  so  doch  meist  wohl  als  Fortsetzung  der  Erkran- 
kung des  ersterkrankten  Beines,  wenn  der  Thrombus  einer  iliaca  communis, 
in  die  A^ena  cava  inferior  hineinreichend  die  Mündung  der  anderen  Vena  iliaca 
communis  verengt  oder  ganz  verschliesst.  Es  kann  sich  an  die  primäre  Venen- 
thrombose mit  auf-  und  absteigender  Verbreitung,  welcher  Art  auch  ihr  Ur- 
sprung sei,  autochtone  Entstehung  oder  Fortsetzung  einer  im  Becken  statt- 
gehabten Blutgerinnung  nach  der  Peripherie  bei  eitrigem  Zerfall  des  Thrombus 
eine  Phlebitis  mit  nachfolgender  phlegmonöser   Erkrankung   des   Beines  an- 


PHLEGMASIA  ALBA  DOLENS.  651 

schliessen.  Diese  primäre  Thrombose  kann  also  sicher  zur  Zellgewebsphleg- 
mone  des  ganzen  Beines  führen,  also  zu  einer  Phlegmasia  alba  dolens  im 
wahren  Sinne  des  Wortes,  sie  kann  aber  auch  ohne  die  secundäre  Thrombose 
verlaufen.  (Barker,  Simpson).  Im  Allgemeinen  ist  diese  Form  der  primären 
Venenthrombose  mit  secundärer  Phlegmasie  des  Beines  die  seltenere,  die  se- 
cundäre Bindegewebserkrankung  ist  hier  gleichbedeutend  mit  einer  infectiösen 
Complication. 

Der  Verlauf  dieser  Erkrankung  ist  dann  derselbe  wie  bei  einer  primären 
septischen  Zellgewebsphlegmone  des  Beines  mit  oder  ohne  secundäre  Venen- 
thrombose, also  ohne  primäre  Venenthrombose.  Es  handelt  sich  dabei  um 
eine  primäre  Erkrankung  der  Haut  oder  des  subcutanen  oder  intermusculä- 
ren  Zellgewebes,  eine  ohne  primäre  Venenthrombose  beginnende  Schen- 
kelphlegmone.  Dieser  Process  ist  entweder  einfach  eine  Fortsetzung  eines 
gleichen  entzündlichen  Processes  am  Uterus  und  dem  Beckenzellgewebe, 
Parametritis,  Pelveocellulitis  oder  die  Bindegewebsentzündung  ging  von 
irgend  welchen  Verletzungen  an  Vulva,  Damm,  Nates  etc.  aus.  Spiegel- 
berg fasst  diesen  Process  als  einen  secundären,  das  Puerperalfieber  beglei- 
tenden Zustand  auf.  Diese  Phlegmasie  beruht  also  auf  einer  längs  des  Zell- 
gewebes und  der  Lymphbahnen  vom  Infectionsorte  aus  auf  den  Schenkel  fort- 
schleichenden phlegmonösen  Entzündung. 

Sehr  verschieden  ist  der  Verlauf  dieser  Form  je  nach  Betheiligung  der 
Lymphgefässe  und  Venen  (secundäre  Thrombose  mit  all  ihren  eventuellen 
Folgen,  Embolien,  etc.)  Die  Beine  schwellen  an,  die  Haut  erscheint  dabei 
blass,  oder  schwach  geröthet,  gespannt,  verdickt,  das  subcutane  Zellgewebe 
ödematös  infiltrirt.  Es  bilden  sich  ab  und  zu  seruragefüllte  Blasen  auf  der 
Haut,  welche  platzen  und  nässen.  Die  Bindegewebserkrankung  greift  auf  das 
intermuskuläre  Zellgewebe  und  die  Gefässscheiden  über;  die  Lymphdrüsen 
schwellen  an,  es  bilden  sich  hie  und  da  Abscesse.  Hier  sind  sowohl  die 
Venen  als  auch  die  Lymphdrüsen  verdickt  und  hier  kommt  es  ganz  besonders 
leicht  zu  secundärer  Thrombose. 

Es  kommen  jedoch,  wie  v.  Winckel  schreibt,  auch  Formen  nach  Lee 
vor,  wo  nur  die  Adventitia  einer  beträchtlichen  Entzündung  unterliegt,  welche 
Entzündung  jedoch  nicht  auf  die  Innenfläche  der  Vene  übergreift.  Die  gebil- 
deten Exsudatlagen  gehen  entweder  rasch  in  Eiterung  über,  unterminiren  alle 
Muskelschichten,  isoliren  die  Gefässe,  perforiren  die  Haut,  oder  es  entsteht 
Nekrose  oder  Verjauchung  der  Haut,  der  Zellgewebsscheiden  und  Muskeln 
mit  nachfolgender  Blutvergiftung  und  Tod,  der  oft  erst  nach  wochenlanger 
Pyämie  die  schwer  geprüfte  Kranke  von  ihrem  Leiden  erlöst.  Es  ist  ver- 
ständlich, wie  leicht  es  hier  bei  secundärer  Phlebitis  und  Thrombose  zu  ei- 
trigem Zerfall  des  Thrombus  und  Embolie  und  Metastasen  der  schlimmsten 
Art  mit  Entstehung  metastatischer  Heerde  in  edleren  Organen  kommen  kann, 
welche  leicht  zum  Tode  führen. 

Die  Erkrankung  setzt  gewöhnlich  mit  einem  Schüttelfrost  ein,  Fieber  und 
allgemeinem  Missbehagen,  das  erste  charakteristische  Symptom  ist  gewöhnlich 
ein  ziehender,  spannender  Schmerz  im  ganzen  Gliede  oder  aber  nur  auf  die 
Wade,  Kniekehle,  Leistengegend  beschränkt.  Selten  hat  der  Schmerz  die  In- 
tensität neuralgischer  Anfälle,  wohl  aber  ist  er  meist  anhaltend  und  steigt 
bei  jeder  activen  Bewegung,  weniger  bei  passiven.  Druckempfindlich  ist  meist 
besonders  die  Wadengegend,  sowie  die  innere,  vordere  Fläche  des  Unterschenkels 
und  Oberschenkels,  besonders  die  dem  Verlaufe  der  erkrankten  Vene  entspre- 
chende Gegend.  Bald  folgt  eine  auf-  oder  absteigende  Schwellung  des  ganzen 
Gliedes  meist  eine  absteigende,  selten  bleibt  die  Schwellung  auf  den  Ober- 
schenkel beschränkt.  Anfangs  ist  die  Schwellung  mehr  hart  und  gespannt,  später 
mehr  teigig  und  ödematös,  wenn  bereits  durch  die  Lymphgefässe  ein  Theil  des 
Traiissudates  resorbirt  ist.    Die  Haut  ist  oft  matt,  glänzend  gefärbt,   hie  und 


652  PHLEGMASIA  ALBA  DOLENS. 

da  sieht  man  inselförmige  rotlie  Flecke,  einzelnen  Netzen  feiner  Hautvenen 
entsprechend.  Man  fühlt  die  obliterirten  Venen  als  harte  Stränge  durch 
mit  knotigen  Anschwellungen  (erstarrte  Varices)  sobald  sie  oberflächlich 
liegen,  am  leichtesten  im  ScAEPA'schen  Dreieck,  in  der  Kniekehle  etc.  Diese 
Stränge  sind  meist  druckschmerzhaft,  oft  die  Haut  längs  ihres  Verlaufes  ge- 
röthet.  Das,  geschwollene  Glied  fühlt  sich  im  Beginne  der  Erkrankung  heiss, 
später  kalt  an,  es  wird  im  Knie  flectirt  gehalten,  jede  Bewegung  selbst  der 
Zehen  ängstlich  vermieden.  So  lange  es  sich  um  eine  einfache  gutartige 
Thrombose  handelt,  sind  die  Allgemeinerscheinungen  geringe,  anders  verhält 
sich  die  Sache  bei  septischer  Complication,  die  zu  den  schwersten  Erkran- 
kungen gehört  trotz  aller  heut  geübten  Antisepsis  in  der  Behandlung.  Nach 
Kehrer  sehen  wir  bei  der  absteigenden  Thrombose  und  Phlebitis  cruralis.  nach 
vorausgegangenen  Erscheinungen  von  MetropJdebitis  die  Cruralvene  zunächst 
unter  dem  PouPART'schen  Bande  in  einen  dicken  prallen  schmerzhaften 
Strang  sich  verwandeln.  Diese  Veränderungen  schreiten  von  Tag  zu  Tag  weiter 
fusswärts  in  die  Aeste  und  Zweige,  die  Vena  poplitaea,  selbst  in  die  Vena  ti- 
bialis,  sowie  in  die  Saphenae.  Das  zuständige  Oedem  nebst  Ausweitung  der 
collateralen  Hautvenen  und  angrenzenden  Capillaren,  welche  zu  breiten  blauen 
Netzen  oder  rothen  gewundenen  Streifen  oder  Linien  werden,  bezeichnen  die 
Störung  der  Circulation,  der  erschwerten  Resorption  der  Lymphe  durch  die 
Venen  und  des  gehemmten  venösen  Blutstromes. 

Bei  primärer  Erkrankung  der  Saphena  macht  nach  Kehrer 
zuerst  ein  local  beschränkter  Schmerz  die  Kranke  auf  ihr  Leiden  aufmerk- 
sam, der  zunächst  nur  bei  Bewegungen  auftritt.  Man  findet  irgendwo  am 
Knöchel,  Unterschenkel,  Knie  eine  röthliche,  bläuliche,  verdickte,  schmerz- 
hafte, mit  dem  Finger  eindrückbare  Schwellung  und  tastet  darunter  liegend 
einen  thrombosirten  Venenknoten.  In  den  nächsten  Tagen  breitet  sich  die 
Thrombose  nach  oben  und  nach  unten  zu  aus,  jede  Bewegung  schmerzt  jetzt 
stark.  Fieber  meist  gering,  so  lange  es  sich  nur  um  Thrombose  handelt, 
sowie  aber  ein  eitriger  Zerfall  hinzukommt,  entsteht  das  Bild  des  pyämi- 
schen  Fiebers. 

Entstand  die  Schenkelvenenthrombose  in  der  Schwangerschaft,  so  fühlt 
gewöhnlich  die  Schwangere  einen  drückenden  Schmerz  an  der  Stelle  des 
Thrombus,  eine  Erstarrung  im  Fusse,  den  Zehen,  dem  Fussrücken  (nach 
V.  Winckel),  Otters  fiebert  die  Schwangere  vom  Beginne  der  Krankheit  an. 
Post  partum  entsteht  selten  die  Thrombose  ohne  irgend  welche  Vorläufer,  ein 
Stadium  prodromorum  mit  gastrischen  Beschwerden,  Druck  in  der  Herzgrube, 
grau  belegter  Zunge,  Verstopfung,  Aufstossen  etc.  Ab  und  zu  beginnt  die 
Schenkelschwellung  erst  nach  wiederholten  Frostanfällen  und  nachdem  eine 
Thrombose  der  Beckenvenen  schon  längere  Zeit  bestanden  hat.  Meist  beginnt 
die  Krankheit  schleichend  in  der  2.  Woche  am  12.— 13.  Tage,  nachdem  ein 
gewisses  Gefühl  der  Lahmheit  des  Beines  vorausgegangen  ist. 

Dann  beginnen  die  Schmerzen  und  die  Schwellung  des  Beines.  Bei  zu- 
nehmender Anschwellung  und  Spannung  des  Beines  bilden  sich  Blasen  auf  der 
Haut,  diese  platzen  und  die  Epidermis  stösst  sich  ab  und  eiternde  Stellen 
bleiben  zurück,  oder  es  röthen  sich  einzelne  Stellen  stärker  und  es  erfolgt 
mit  Perforation  derselben  eine  Eiterentleerung  nach  aussen.  Treten  wieder- 
holte Frostanfälle  auf,  so  ist  dies  meist  ein  ungünstiges  Zeichen  und  spricht 
für  Zerfall  des  Thrombus  und  embolische  Metastasen. 

Nach  V.  WiNCKEL  ist  bei  einer  uncomplicirten  Venenthrombose  mit 
Phlegmasia  alba  dolens  das  Fieber  anfangs  eine  Febris  continua  remittens, 
demnächst  eine  unregelmässige  Remittens,  welche  intermittirend  wird  und 
schliesslich  langsam,  lange  noch  ehe  die  Abschwellung  des  Beines  geschwun- 
den ist,  völlig  zur  normalen  Temperatur  absinkt.  Bei  Metastasen  jedoch  wird 
das  Fieber  coutinuirlich,   zuweilen   von   starken   Remissionen   unterbrochen 


PHLEGMASIA  ALBA  DOLENS.  653 

Puls  gewöhnlich  so  lange  secundüre  Erkrankungen  anderer  Organe  fehlen, 
92 — 116  Schläge  nach  v.  Winckel,  Respiration  20—80  pro  Minute.  iJiurese 
abgenommen,  hohes  specifisches  Gewicht  des  Harnes,  viel  Ilarnstoft',  wenig 
Kochsalz,  Eiweisspuren,  Verstopfung,  —  nur  bei  putridem  Zerfall  der  Throm- 
ben Durchfall.  Die  Temperatur  fällt  meist  ab,  sobald  die  Entzündung  be- 
grenzt ist  und  es  zur  Resorption  kommt. 

Der  weitere  Verlauf  und  Ausgang  kann  sehr  verschieden  sein,  gün- 
stiger ist  die  Prognose  bei  einfacher  primärer  Venenthrombose  ohne  septische 
Infection.  Im  Allgemeinen  endigt  nach  v.  Winckel  die  Phlegmasie  in  68-.57o 
Fälle  mit  völliger  Zertheilung  und  Resorption  des  Thrombus,  in  anderen 
Fällen  kommt  es  zur  Abscedirung  mit  lang  währender  Eiterung,  Pyämie  und 
doch  schliesslicher  Genesung,  wie  solche  wenn  auch  in  seltenen  Fällen  von 
Struve,  Kosack,  Simmons,  White,  v.  Siebold  und  v.  Winckel  beschrieben 
wurden  oder  aber  es  nimmt  die  Krankheit  durch  Gangrän  oder  Extremität 
einen  tödtlichen  Verlauf,  wie  ihn  Davis,  Boee,  Burns,  v.  Winckel  und  ich 
persönlich  beobachtet  haben  (in  meinem  schon  erwähnten  Falle  handelte  es 
sich  um  eine  Venenthrombose  mit  nachfolgender  Embolie  bei  Pyosalpinx  mit 
Phlegmasie  und  Gangrän  des  Beines).  Im  günstigsten  Falle  kann  durch  Auf- 
saugung und  Schwund  des  die  Vene  obliterirenden  Pfropfes  eine  restitutio 
ad  integrum  binnen  drei  bis  sechs  Wochen  erreicht  sein;  wenn  es  zum  tödt- 
lichen Ausgang  kommt,  so  erfolgt  der  Tod  gewöhnlich  zwischen  dem  9.  Tage 
und  der  sechsten  Woche  nach  v.  Winckel,  zuAveilen  noch  später,  nur  bei 
Complicationen  früher.  Wie  v.  Winckel  angibt,  soll  nach  Mauriceau,  Boer. 
Casper  und  Gittermann  in  einzelnen  Fällen  ein  höherer  oder  geringerer 
Grad  von  Lähmung  der  ergriffenen  Extremität  nachgeblieben  sein.  Chevalier 
und  Fricke  sahen  ein  jahrelang  dauerndes  Bestehen  der  Schenkelgeschwulst 
zurückbleiben,  eine  Art  Elephantiasis;  v.  Winckel  sah  zeitweiliges  Anschwel- 
len des  vor  Jahren  erkrankten  Beines.  Bei  der  primären  Phlegmasie  ohne 
primäre  Venenthrombose  kommt  es  gemäss  der  septischen  Aetiologie  entweder 
zur  tödtlichen  Toxämie  oder  der  Process  bleibt  mehr  weniger  localisirt; 
unter  Bildung  begrenzter  Gangrän,  Eiterung,  Abscessen,  Ausstossung  der 
necrotischen  Zellgewebsmassen  kommt  es  allmälig  zur  Heilung;  oft  aber  folgt 
Tod  an  Gangrän,  Septicämie,  Pyämie,  Erschöpfung,  secundären  Complicationen. 
Man  kann  zufrieden  sein,  wenn  die  Kranke  nach  3 — 4 — 6  monatlichem 
Krankenlager  mit  Decubitus,  Embolien  der  verschiedensten  Art,  Pneumonie 
etc.  schliesslich  doch  das  Bett  lebend  verlässt.  Es  gibt  wenige  Krankheiten, 
die  zuweilen  einen  so  schweren  und  langwierigen  Verlauf  nehmen,  wäe 
gerade  die  bösartige  septische  Phlegmasie. 

Nach  V.  Winckel  kommt  die  eigentliche  Schenkelphlegmone 
ohne  primäre  Venenthrombose  ungleich  seltener  vor  als  die  letztere. 
Die  Diagnose  ergiebt  sich  aus  den  erwähnten  Symptomen,  —  sehr  schwie- 
rig, zuweilen  unmöglich  ist  die  Entscheidung  für  den  erst  längere  Zeit  nach 
Beginn  des  Leidens  herbeigerufenen  Arzt,  ob  er  es  mit  einer  reinen  Schen- 
kelphlegmone zu  thun  hat  oder  mit  einer  solchen  auf  Grund  primärer  Venen- 
thrombose, ferner  ob  eine  secundäre  Veneuthrombose  vorhanden  ist  oder  nicht. 
Gelingt  es  in  der  Wade,  in  der  Kniekehle,  im  ScARPA'schen  Dreieck  unter 
der  Haut  etc.,  verdickte  Venenstränge  durch  Betastung  nachzuweisen,  so  bleibt 
es  oft  doch  noch  fraglich,  ob  diese  Thrombosen  primär  oder  secundär  waren. 
Eine  eingehende  Untersuchung  des  Beines  namentlich  aber  des  Beckeninhaltes 
darf  dabei  nur  mit  grösster  Vorsicht  ausgeführt  w^erden,  da  jede,  auch  die  geringste 
Bewegung  der  Kranken  die  heftigsten  Schmerzen  bereitet,  zudem  auch  eine 
Losreissung  eines  Blutgerinnsels  und  so  indirect  auch  eine  Embolie  zur  Folge 
haben  kann.  Eine  vorhandene  Thrombose  des  plexus  utero- vaginalis  oder  der 
Vena  hypogastrica  jedesmal  zu  erkennen  erscheint  leichter  ausgesprochen  als 
in  praxi   erhärtet.    Unregelmässige  starke  Remissionen   der  Temperatur  und 


654  PHLEGMASIA  ALBA  DOLENS. 

häufige  intensive  Fröste  sollen  nach  v.  Winckel  zu  Gunsten  der  Venen- 
thrombose sprechen. 

Die  Vorhersage  der  gutartigen  primären  nicht  mit  Sepsis  complicirten 
Thrombose,  auf  welche  Spiegelberg  besonders  die  Aufmerksamkeit  lenkte, 
ist  eine  gute,  indem  es  zu  einem  genügenden  collateralen  Blutstrome,  zu  einer 
Resorption  des  Thrombus  kommt,  weit  bedenklicher  ist  die  Prognose  bei  pri- 
märer Thrombose  mit  septischer  Complication,  am  schlimmsten  nach  v.  Winckel, 
an  dessen  Schilderung  ich  mich  zum  grössten  Theile  wörtlich  gehalten  habe, 
bei  der  primären  Schenkelphlegmone  besonders  bei  entkräfteten  Individuen, 
w^o  oft  der  Tod  sehr  rasch  erfolgt;  im  günstigsten  Falle  bleiben  langwierige 
Eiterungen,  Kachexie,  selbst  Contracturen  zurück. 

Gegenüber  der  Thrombose  des  plexus  uterovaginalis,  die  nach  v.  Winkel 
33°/o  tödtliche  Ausgänge  aufweist,  ist  die  Sterblichkeit  der  Phlegmasia-  alba 
nach  primärer  Venenthrombose  ungleich  geringer  und  würde  die  Prognose  für 
die  primäre  in  den  Schenkelvenen  selbst,  sagen  wir,  peripher  im  Beine  ent- 
standene Venenthrombose  nach  v.  Winckel  vielleicht  noch  günstiger  zu  be- 
zeichnen sein,  wenn  man  im  Stande  wäre,  diese  P'älle  zu  unterscheiden  von 
der  aus  der  Vena  hypogastrica  in  den  Schenkel  hinabsteigenden  Thrombose. 
Nach  V.  Winckel  ist  es  kaum  zweifelhaft,  dass  die  Gefahr  purulenter  oder 
putrider  Schmelzung  mit  der  grösseren  Entfernung  der  Thrombose  von  der 
Uterusinnenfläche  abnimmt.  Je  häufiger  die  Fröste,  je  stärker  das  Bein  an- 
schwillt, desto  schlimmer  die  Prognose,  günstiger  bei  ausbleibenden  Frösten 
und  allmälig  sinkender  Temperatur,  aber  auch  hier  kann  in  jedem  Augenblick 
eine  Verschlimmerung  und  tödtliche  Embolie  folgen.  Bei  der  Phlegmasie, 
die  zu  der  Metrophlebitis  hinzutritt,  erfolgt  der  Tod  oft  binnen  wenigen 
Tagen,  desto  früher,  je  eher  Metastasen  sich  einstellen,  es  kommen  doch  aber 
auch  nach  metastatischen  Erkrankungen  anderer  Organe  Genesungen  vor,  ja 
es  ist  vorgekommen,  dass  eine  und  dieselbe  Frau  in  mehreren  Wochenbetten 
hintereinander  an  Phlegmasie  erkrankte  (Macneeven,  Steuve,  Carlander.) 
Diagnostisch  ist  gegenüber  anderweitigen  Stauungsödemen  durch  Herzfehler, 
Nephritis  etc.  noch  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  dort  beide  Beine 
geschwollen  sind,  hier  aber  nur  eines,  wenn  aber  ausnahmsweise  beide,  so 
ungleichmässig;  auch  ist  die  Schwellung  des  anderen  Beines  erst  viele  Tage 
nach  der  des  ersten,  also  anisochron,  aufgetreten.  Dazu  kommt  als  Unter- 
scheidungsmerkmal die  bei  jenen  Leiden  rein  ödematöse,  weichere  Schwellung, 
die  überall  auf  Fingerdruck  eine  Delle  hinterlässt,  während  bei  Phlegraasie 
an  den  Stellen  der  härtesten  Spannung  kaum  eine  Delle  hinterbleibt,  sondern 
nur  in  der  Peripherie  Dellen  auftreten  bei  Fingerdruck.  Jene  Schwellungen 
betreffen  meist  beide  Beine,  sind  nicht  schmerzhaft  und  fieberlos  verlaufend, 
diese  das  Gegentheil. 

Nach  Kehrer  stirbt  bei  Ausschluss  einer  Pyämie,  an  der  von  der 
Iliaca  absteigenden  Cruraliserkrankung  ein  Drittel  der  Kranken, 
bei  coagulirender  Phlebitis  stehe  wenn  auch  nach  längerem  Kranksein  Gene- 
sung zu  erwarten,  die  meisten  Saphenaerkrankungen  kommen  zur  Heilung, 
nur  ausnahmsweise  führen  sie  zur  Pyämie.  In  den  einfachsten  Fällen  lasse 
nach  Kehrer  Schwellung,  .  Steifigkeit  Schmerz  nach  einer  bis  mehreren 
Wochen  nach.  Wird  das  thrombosirte  Gefäss  wieder  durchgängig,  so  erlangt 
das  Glied  seine  Brauchbarkeit  bald  wieder,  wird  der  Thrombus  con- 
solidirt,  so  entwickelt  sich  ein  Collateralkreislauf.  Die  Schenkelhaut- 
venen erweitern  sich  und  führen  das  Blut  durch  die  Venen  der  Bauch- 
decken, Hinterbacken,  Lenden  zu  den  V.  epigastricae  und  lumbares. 
Durch  die  Vena  profunda  femoris,  überhaupt  die  tiefen  Muskelvenen  geht 
ein  anderer  Theil  des  Blutes  in  die  Beckeugefässe  und  durch  die  V. 
sacrales,  vertebrales,  spinales,  lumbales  ascendentes  in  die  Azygos  und  Hemi- 
azygos,  die  lumbales  musculares  und  intercostales,   sowie  durch  Anastomosen 


PHLEGMASIA  ALBA  DOLENS.  655 

der  haemorrhoidales  selbst  in  Pfortaderäste  kurz  auf  den  verschiedensten 
Wegen  in  das  Gebiet  der  Vena  cava  superior.  Die  Kntwickclurig  dieses  colla- 
teralen  Kreislaufes  erfordert  jedoch  wie  Kehkku  mit  liecht  beliauptet,  lange 
Zeit,  oft  viele  Monate.  Verdickung  des  Pauniculus,  Steifigkeit,  Ermüdung 
nach  längerem  Stehen,  Schwere,  Kriebeln,  Stechen,  Schmerzen  im  Kreuz  und 
Gesäss,  zumal  beim  Stehen,  Knöchelödem  bleiben  oft  lange  zurück  und  ver- 
schwinden zuweilen  wegen  ungenügender  Ausbildung  des  collateralen  Blut- 
stromes niemals  wieder.  Die  folgenden  Menses  sind  häufig  profus  und  mit 
Steigerung  der  erwähnten  Beschwerden  verknüpft.  Jeder  Einfiuss,  der  eine 
Blutstauung,  einen  Blutandrang  zu  den  Beckenorganen  oder  dem  Beine  her- 
vorruft, ruft  aufs  Neue  Schmerzen  und  Steifigkeit  hervor.  An  die  Phlebitis 
saphenae  obliterans  schliessen  sich  öfter  an:  Neigung  zu  (Jedem,  neuralgische 
oder  jede  Bewegung  begleitende  hartnäckig  fortbestehende  Schmerzen.  Die 
Ablösung  von  Cruralisthromben,  fährt  Kehrer  in  seiner  Schilderung  fort, 
bedingt  Lungenembolie  sowohl  im  Anfang,  wenn  die  Thrombose  in  die  lliaca 
sich  verbreitet,  wie  später  bei  Zerfall  der  Pfropfe.  Plötzliche  Bewegungen, 
zumal  Beugung  in  der  Hüfte,  (de  Brun  sammelte  nach  Keiirer  47  Fälle  von 
Embolie  dabei),  Aufstehen,  Stuhl-  und  Urinentleerung,  Husten  u.  s.  w.  geben 
die  nächste  Veranlassung,  Bei  Aufsteigen  der  Thrombose  durch  die  V. 
haemorrhoidales  in  die  Vena  portarum  kann  diese  obliteriren  und  es  kommt 
zu  blutigen  Durchfällen.  Gelegentlich  hat  man  die  Venen  des  Halses,  eines 
Armes,  die  Sinus  des  Schädels,  im  letzteren  Falle  unter  Sprach-  und  Gesichts- 
störungen, Pupillenerweiterung,  Bindehautchemose  im  Verlauf  der  Phlegmasie 
thrombosiren  gesehen,  zuweilen  mit  Ausgang  in  Genesung.  Es  ist  wie 
Kehrer  sagt,  noch  fraglich,  ob  letztere  Erscheinungen  bedingt  waren  in  einer 
bis  in  die  Vena  cava  superior  aufsteigenden  Thrombose  oder  aber  in  Ver- 
schleppung von  Coccen,  welche  eine  metastatische  Phlebitis  erregten.  Meta- 
statische Erkrankungen  können  in  jedem  Organ  des  Körpers  folgen,  die  bei 
putridem  Zerfall  des  Thrombus  natürlich  die  schlechteste  Prognose  bieten. 
Kehrer  sah  eine  Frau  pyämisch  mit  Chorioiditis  zu  Grunde  gehen,  bei  der 
sich  längs  der  Saphena  minor  eine  Reihe  periphlebitischer  die  Haut  unter- 
minirender  und  siebförmig  durchbrechender  Abscesse  gebildet  hatte.  Ver- 
eiterungen der  sämmtlichen  Beckengelenke,  der  Kniegelenke  (einen  eigenen 
Fall  dieser  Art  habe  ich  bereits  erwähnt)  Fussgelenke  und  anderer  sind  be- 
obachtet worden.  Eine  sehr  häufige  Complication,  die  ich  jedoch  in  fast  keinem 
Lehrbuche  besonders  erwähnt  fand,  ist  der  Decubitus  am  Kreuz  und  Gesäss, 
ich  sah  in  einem  Falle  einer  sehr  schweren  beiderseitigen  Erkrankung  eine 
über  5  cm  tiefe  Wundhöhle  am  Kreuz  entstehen,  deren  Boden  die  hintere 
Wand  des  Kreuzbeines  bildete.  Welche  unendlichen  Qualen  der  Verband 
eines  hier  localisirten  Decubitus  bei  Phlegmasie  der  Beine  der  Kranken  be- 
reitet, das  muss  man  gesehen  haben,  schildern  lässt  es  sich  nicht! 

Kehrer  fügt  seiner  Schilderung  den  LeichenbefundbeiPhlebitis 
cruralis  an,  der  hier  wiedergegeben  sei:  Die  erkrankten,  in  ihrer  Wand  ver- 
dickten, innen  rauhen  Venen  sind  anfangs  prall  gefüllt  mit  einem  schwarz- 
rothen,  später  braunrothen,  zuletzt  schmutzig  gelb  entfärbten  Pfropfe.  Die  um- 
gebenden Gewebe  sind  von  Oedemflüssigkelt  durchtränkt,  die  Hautvenen  er- 
weitert. Später  findet  man  bröcklig  eitrige  Massen  oder  reinen  Eiter,  oder  den 
Thrombus  geschrumpft,  die  Vene  durchgängig,  oder  endlich  den  Thrombus 
consolidirt.  Nach  den  sorgfältigen  Untersuchungen  von  E.  Thoma  und  dessen 
Schülern  (Arbeiten  des  pathologischen  Institutes  in  Dorpat  1887)  kommt  hier 
ein  doppelter  Modus  vor.  Entweder  schrumpft  der  Blutpfropf,  es  lösen  sich 
die  rothen  Blutkörper,  das  Fibrin  wird  hyalin.  Der  entfärbte  Pfropf  zieht 
sich  stellenweise  von  der  Gefässwand  zurück,  von  der  Berührungsfläche  mit 
letzterer  wuchert  Bindegewebe  in  den  Thrombus  und  bildet  das  Endothel  der 
Intima   eine  Art  Kapsel   um   letzteren.    Das  Endothel  treibt  dann  weiterhin 


G56  PHLEGMASIA  ALBA  DOLENS. 

liolile,  netzförmig  zusammenfliessende  Fortsätze  in  den  allmälig  abschmelzen- 
den Thrombus  hinein.  So  entsteht  ein  Capillarsystem,  zusammenhängend  mit 
den  Gelassen  der  Adventitia,  andererseits  mit  den  nicht  thrombosirten  Ab- 
schnitten der  Vene.  Jedenfalls  ist  dieser  Modus  für  die  Circulation  der  gün- 
stigste. Andere  Male  bleibt  der  Thrombus  fast  überall  mit  der  Intima  in 
Berührung,  nur  stellenweise  findet  man  endothelial  ausgekleidete  Zwischen- 
räume. Nun  wuchert  die  Intima  mit  zahlreichen  Sternzellen  und  die  Gefässe 
der  Adventitia  init  Ausläufern  in  den  sich  allmälig  verkleinernden  Pfropf 
hinein  und  es  entwickelt  sich  schliesslich  ein  Capillarnetz  in  dem  „sich  con- 
solidirenden  Thrombus".  Von  dem  ursprünglichen  Venenlumen  bleiben  dann 
nur  kleine  Lücken  übrig,  ein  stark  vascularisirter  Strang  hat  im  Uebrigen 
die  Lichtung  ausgefüllt.  Dieser  Ausgang  ist  naturgemäss  für  den  venösen 
Rückfluss  weniger  günstig  und  erklärt  die  in  der  Folge  leicht  und  häufig 
auftretenden  peripheren  Stauungen. 

Was  nun  endlich  die  Behandlung  anbetrifit,  so  culminirt  dieselbe  so- 
weit die  Entstehung  der  Krankheit  auf  Grund  einer  Heteroinfection,  einer  In- 
fection  der  Puerpera  von  aussen  her  zurückführbar  ist,  in  der  entsprechen- 
den Prophylaxis  im  Verkehr  mit  der  Schwangeren  und  Gebärenden. 

Die  nicht  infectiösen  Formen  haben  im  Allgemeinen  eine  gute  Prognose, 
die  Hauptsache  in  der  Therapie  ist  eine  Ruhiglagerung  des  erkrankten  Beines, 
kühlende  Umschläge,  Analgetica  und  salinische  Abführmittel,  ebenso  Narcotica. 
SpiEGELBERa  legt  für  die  nicht  abscedirende  Erkrankung  den  Hauptwerth  auf 
die  absolute  Ruhigstellung  in  der  bequemsten  Stellung  des  Beines  in  sanfter 
Erhebung  der  Ferse  gegen  den  Rumpf.  Bestreichung  mit  narkotischen  Salben, 
spirituöse  Waschungen,  Watte-,  resp.  Flanelleinwickelung  (lockere),  dabei  diä- 
tetische und  tonisirende  Behandlung  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Regulirung  des  Stuhles  durch  Abführmittel.  Er  verwirft  die  früher  gebrauchte 
locale  Antiphlogose  sowie  cutane  Hautreize  (Jodtinctur  etc.);  sobald  Neigung 
zur  Abscedirung  eintritt,  werden  warme  Umschläge  gemacht,  Kataplasmen 
und  dann  Eröffnung  etwaiger  Abscesse  nach  rein  chirurgischen  Principien. 
Sowie  die  Schwellung  teigig  wird,  genügen  warme  Einwickelungen  und  spiri- 
tuöse Einreibungen  nebst  Ruhe  zur  Beförderung  der  Resorption.  Kehree 
will  bei  Cruralisphlebitiden  der  von  Vielen  heute  verlassenen  Inunctions- 
behandlung  mit  grauer  Quecksilbersalbe  das  Wort  reden,  die  auch  für  Spiegel- 
berg noch  werthvoll  war,  und  behauptet,  diese  öfters  bis  zur  eintretenden 
Salivation  wiederholten  Mercurialcuren  beschleunigen  die  Resorption.  Küh- 
lende Umschläge  jeder  Art,  Begiessung  der  lockeren  Flanellbindeneinwicke- 
lungen ist  vielfach  empfohlen,  Bleiwasser  mit  Opiumzusatz  wird  oft  gerühmt. 
Andere  greifen  zu  allerhand  fettigen  narkotischen  Einreibungen;  die  Franzosen 
zu  Ammoniakeinreibungen  bis  zur  Dermatitis  mit  Erythem  und  Phlyctänen- 
bildung.  Bei  Schwund  des  Fiebers  und  Consolidation,  resp.  wiederhergestellter 
Viabilität  der  obliterirten  Vene  treten  lauwarme  Bäder  und  feuchtwarme  Ein- 
wickelungen des  Beines  in  ihre  Rechte.  Behufs  der  Narcotica  werden  nach 
Kehrer  locale  subcutane  Injectionen  in  das  erkrankte  Gebiet  gefürchtet,  die 
leicht  zu  Nekrosen  an  der  Einstichstelle  führen  sollen.  Von  der  antifebrilen 
Behandlung  mit  Chinin,  Salol  etc.  ist  nicht  viel  zu  erwarten,  mehr  leistet  die 
Alkoholhehandlung  gepaart  mit  Abführmitteln  und  Analgeticis.  Sehr  wichtig 
ist  es,  diejenige  Lagerung  für  das  erkrankte  Bein  zu  finden,  welche  der  Kranken 
am  erträglichsten  erscheint;  Flexion  des  Kniegelenkes  etc.  ist  nicht  zu  em- 
pfehlen, die  Fusspitze  soll  nicht  nach  aussen  rotirt  liegen,  daher  entsprechend 
die  Unterschenkel  durch  seitlich  gelagerte  Kissen  zu  stützen  sind.  Sobald 
das  acute  Stadium  der  Krankheit  und  die  Gefahr  einer  Embolie  längst  vor- 
über sind,  darf  die  Kranke  ihr  Bett  verlassen,  Bäder,  Massage  mit  fettigen 
Einreibungen,  Gummistrumpf  u.  s.  w.  werden  alsdann  die  Behandlung  ergän- 
zen.   Latour's  Collodiumpinselungen  im  acuten  Stadium  haben  keinen  förder- 


PLACENTA-ANOMALIEN  UND  ERKRANKUNGEN.  657 

liehen  Einfluss  bewiesen  nach  v.  Winckel;  irj^end  welche  energische  Einrei- 
bungen im  acuten  Stadium  sind  aus  Rücksicht  auf  die  Gefahr  einer  dadurch 
erleichterten  Lossreissung  eines  Blutgerinnsels  mit  dai-auf  folgender  Embolie 
entschieden  zu  unterlassen;  welche  Gefahr  darin  liegt,  illustrirt  u.  a.  die  von 
Spiegelbeeg  erwähnte  von  Trousseau  (Clinique  de  THötel  Dieu;  Gazette 
des  Hopitaux  1860  S.  577)  beschriebene  Beobachtung "'). 

Franz  Neugebauer. 

Placenta-Anomalien  und  -Erkrankungen.  Eine  Reihe  der  häufig 

wiederkehrenden  Placentar-Anomalien  sind  klinisch  insoferne  bedeutungslos, 
als  sie  gewissermaassen  nur  Nebenbefunde  darstellen,  welche  der  Entwicklung 
des  Fötus  keinerlei  Einbusse  thaten.  Hieher  gehören  Formanomalien  wie  die 
Placenta  succenturiata,  besondere  Dünnheit  oder  Dicke  der  Placenta,  und 
Bildungsanomalien,  wie  Cystenbildungen,  Kalkeinlagerungen  in  derselben,  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  auch  der  sogenannte  „weisse  Infarct." 

Eine  eigenthümliche  Bildungsanomalie  der  Placenta  ist  die  „mehrfache 
Placenta."  "Während  normaliter  beim  Menschen  nur  eine,  discoidale Placenta 
auswächst,  findet  man  nicht  selten  zwei  gleich  grosse,  wohlgetrennte  Mutter- 
kuchen oder  häufiger  neben  einer  Hauptplacenta  eine  oder  mehrere  kleinere 
Nebenplacenten. 

Die  Entstehungsart  dieser  Formanomalie  ist  umstritten.  Küstner  glaubt, 
dass  durch  frühzeitigen  Schwund  von  Placentargewebe  Septa  zwischen  in  Er- 
nährung bleibenden  Inseln  entstehen;  andere  deuten  diese  Nebenplacenten  als 
abnorm  lebenszähe  Theile  des  in  der  Decidua  reflexa  inserirten  Chorion.  Ver- 
wächst die  Decidua  reflexa  mit  der  Decidua  vera,  so  erhalten  diese  Chorion- 
inseln von  der  üteruswand  aus  neue  Nahrung  und  persistiren  als  kleine  Pla- 
centen.  Da  bei  den  Affen  der  alten  Welt  mehrfache  Placentarbildung  zur 
Norm  gehört,  sahen  Autoren  in  dem  Vorkommen  der  Placenta  succenturiata 
beim  Menschen  Erinnerungsbilder  an  frühere  Entwicklungsperioden. 

Abnorme  Dicke  und  Grösse  der  Placenta  ist,  sofern  nur  deren  Ge- 
webe normal  gebildet  und  functionsfähig  ist,  ohne  Bedeutung.  Ln  Allgemeinen 
steht  die  Grösse  der  Placenta  im  Verhältnis  zu  der  Grösse  der  Frucht.  Ist 
eine  Placenta  sehr  dünn,  so  ist  sie  in  der  Regel  compensatorisch  in  die 
Fläche  gewachsen,  wie  dies  am  auffallendsten  bei  abdominaler  Gravidität, 
Insertion  der  Placenta  auf  dem  Peritoneum  zur  Beobachtung  kommt. 

Sclerös  oder  membranös  nennt  man  Placentargewebe,  welches  sich 
durch  Derbheit  und  Trockenheit  auszeichnet.  Küstner  wählt  für  diesen 
Zustand  den  treffenden  Ausdruck  „Ateledase  der  Placenta.^''  Er  fand,  dass 
es  sich  um  normale  Bildungen,  aber  um  völlige  Leerheit  der  intervillösen  Räume 
handelt.  Die  Entleerung  derselben  ist  Folge  einer  bei  der  Geburt  erfolgten 
Compression. 

Die  Cysten  sitzen  ausschliesslich  sub amniotisch,  wurden  in  verschie- 
dener Grösse  beobachtet.  Die  Entstehung  derselben  ist  noch  nicht  auf- 
geklärt. 

Die  so  ausserordentlich  häufig  vorkommenden  Kalkeinlagerungen 
findet  man  auf  der  uterinen  Fläche  der  Placenta;  in  ausgesprochenen  Graden 
hat  dann  diese  Oberfläche  ein  weisslich-graues,  körniges  Aussehen,  bei  leichtem 


*)  Bei  der  Schilderung  der  Phlebothrombosis  des  Beines  und  der  Phlegmasia  alba 
sensu  strictiori  habe  ich  mich  hauptsächlich  an  die  ausgezeichnete  Bearbeitung  dieser  Frage 
durch  Herrn  v.  Winckel  in  dessen  Lehrbuche  der  Geburtshilfe  (Leipzig  1889,  S.  826—835) 
und  die  Bearbeitung  der  Phlegmasie  durch  Herrn  Kehrer  (in  P.  Müller's  Handbuch  der 
Geburtshilfe  3.  Band.  Stuttgart.  J889,  S.  399 — -i06)  gehalten,  deren  Schilderung  ich  zum 
grossen  Theile  wörtlich  wiedergegeben  habe.  Gleichzeitig  sind  die  neueren  Bearbeitungen 
durch  andere  Autoren  berücksichtigt  worden,  soweit  der  für  dieses  vorliegende  Werk  dis- 
ponible Eaum  für  einen  Einzelaufsatz  es  gestattete. 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  42 


658  PLACENTA-ANOMALIEN  UND  -ERKRANKUNGEN- 

Darüberstreichen  fühlt  man  die  sandige  Beschaffenheit.  Die  Einlagerungen 
bestehen  aus  kohlensaurem  und  phosphorsaurem  Kalk.  Derselbe  ist  sowohl 
in  die  Zotten,  wie  auch  in  das  mütterliche  Gewebe  der  Placenta  eingestreut. 
Da  an  den  Stellen,  wo  reichliche  Verkalkung  auftritt,  eine  Ernährungsstörung 
des  Gewebes  sich  nachweisen  lässt,  ist  nicht  von  der  Hand  zu  weisen,  dass  bei 
ausgedehnter  Verkalkung  die  Entwicklung  des  Fötus  nothleidet.  Die  Ver- 
kalkung ist  aber  wohl  stets  ein  secundärer,  nicht  ein  primärer  Vorgang,  sie 
ist  dann  als  ein  Zeichen  des  vorher  eingetretenen  Gewebstodes  aufzufassen. 

Die  Anatomie  und  Aetiologie  des  weissen  Infarctes  ist  früher 
sowohl,  als  namentlich  in  letzter  Zeit  Gegenstand  eingehender  Studien  gewe- 
sen. Während  man  lange  Zeit  das  Gewebe  des  Infarctes  als  Fibrin  auffasste, 
entweder  entstanden  durch  Blutung  in  die  Placenta  oder  durch  entzündliche 
Exsudation,  ist  namentlich  durch  die  gründlichen  Untersuchungen  von  Steffeck 
das  Wesen  des  Infarctes  als  „deciduale  Wucherung"  festgestellt,  eine  An- 
schauung, die  zuerst  von  R.  Maiee  vertreten  wurde.  Damit  fällt  auch  die 
bekannteste  von  Ackermann  aufgestellte  Hypothese,  dass  der  Infarct  als  Coa- 
gulationsnecrose  in  Folge  einer  Periarteritis  aufzufassen  sei.  Auch  nach 
Steffeck's  Darlegungen  behält  der  Infarct  pathologische  Werthigkeit  insoferne, 
als  die  das  Wesen  des  Infarctes  bildenden  decidualen  Wucherungen  in  sicli 
den  Keim  des  Gewebstodes  tragen,  welchem  auch  die  vom  Infarct  umschlosse- 
nen Placentarzotten  anheimfallen. 

Bei  sehr  ausgebreiteter  Infarctbildung  kann  es  somit  zu  einem  dem 
Fötus  nachtheiligen  Degenerationsprocess  der  Placenta  kommen,  der  zu  man- 
gelhafter Entwicklung,  selbst  zum  vorzeitigen  Tode  desselben  führen  kann. 
In  den  meisten  Fällen  jedoch  erreicht  die  Infarctbildung  in  der  Placenta 
keinen  der  Entwicklung  des  Fötus  nachtheiligen  Grad. 

Auf  gleicher  oder  ähnlicher  Basis  entsteht  auch  die  sogenannte  Placenta 
marginata,  bei  welcher  ein  mehr  oder  weniger  breiter  Rand  vom  Placentar- 
gewebe  rings  um  den  Ansatz  der  Eihäute  vorragt.  In  diesen  Fällen  ist  die 
Placenta  unter  der  Abgangsstelle  der  Decidua  reflexa  in  die  Decidua  vera  hin- 
ausgewuchert. Sehr  häufig  ist  gerade  dieser  marginale  Rand  der  Placenta 
dann  der  Sitz  ausgedehnter  Infarctbildung,  welche  darauf  hinweist,  dass  die 
Decidua   besonderen  Antheil   an  dieser  abnormen  Bildung  nimmt. 

Entzündungen  in  der  Placenta  mit  dem  Ausgang  in  Eiterung 
sind  bis  jetzt  noch  nicht  einwandsfrei  nachgewiesen.  Eiterähnliche  Flüssigkeit 
findet  sich  nicht  selten;  so  sah  Verfasser  einmal  bei  einem  Kaiserschnitt,  wie 
sich  bei  der  Lösung  der  Placenta  aus  der  Mitte  derselben  eine  grössere 
Menge  einer  weisslich-gelblichen  Flüssigkeit  entleerte.  Dieselbe  wurde  auf- 
gefangen und  durch  das  Mikroscop  als  aus  Fettkügelchen  bestehend  erkannt. 

Nur  wenn  bei  protrahirten  Geburten  frühzeitig  eine  pyogene  Infection 
in  den  Eihäuten  platzgreift,  ist  hier  eine  Eiterbildung  beobachtet  worden.   (Fall 

von   DONAT.) 

Eine  pathologische  Anomalie  des  Sitzes  der  Placenta  ist  die  Insertion 
derselben  an  oder  über  dem  inneren  Muttermund  Placenta  praevia.  Dieselbe 
ist  an  anderer  Stelle  dieses  Werkes  eingehend  berücksichtigt.  ■^') 

Unter  Oedem  der  Placenta  versteht  man  eine  ungewöhnliche  seröse 
Durchfeuchtung  der  Placenta,  so  dass  aus  derselben  reichlich  blutig-wässerige 
Flüssigkeit  austritt.  Die  Ursache  ist  wohl  in  einer  im  fötalen  oder  mütter- 
lichen Kreislaufe  gelegenen  Stauung  zu  suchen. 

Apoplex ieen  finden  sich  retroplacentär  oder intraplacentär.  Die  retro- 
placentaren  Blutergüsse  führen  zur  partiellen  oder  gänzlichen  Ablösung  der 
Placenta;  erfolgen  sie  noch  zu  der  Zeit  des  intrauterinen  Daseins  des  Fötus, 
so  geht  derselbe  bei  dieser  vorzeitigen  Lösung  der  normalsitzenden  Placenta 


*)  Siehe  dieses  Stichwort. 


PLACENTA-ANOMALIEN  UND  -ERKRANKUNGEN.  659 

an  Erstickung  zu  Grunde.  Ursache  für  die  Bildung  rctroplacen tarer  Hämatome 
sind  Traumen  oder  Geiasserkrankung,  wie  solche  bei  Nephritis  bekannt  wurde. 
Intraplacentare  Apoplexieen  sind  sehr  selten;  es  können  sowohl  im  maternen 
wie  im  fötalen  Gewebe  bei  Gefässerkrankung  Rupturen  entstehen. 

Von  Neubildungen  in  der  Placenta  sind  einige  wenige  Fälle  von 
Fibrombildung  und  ein  Fall  von  Sarkom  bekannt.  Ilieher  zu  rechnen  ist  aber 
auch  die  nicht  selten  vorkommende  Erkrankung  der  Chorionzotten,  die  unter 
dem  Namen  Myxom  oder  Traubenmole  eine  der  wichtigsten  Bildungs- 
krankheiten  des  Eies  repräsentirt.  Nach  Virchow,  dem  wir  grundlegende, 
anatomische  Untersuchungen  über  diese  Erkrankung  verdanken,  ist  einMy- 
xoma  chorii  im  engeren  Sinne,  die  eigentliche  Blasen-  oder  Trau- 
benmole von  ein  Myxoma  chorii  fibrosum  zu  unterscheiden.  Das 
Myxoma  chorii  fibrosum  ist  sehr  selten,  besteht  in  einer  bindegewebigen 
Umbildung  eines  oder  einzelner  Cotyledomen  der  Placenta.  Da  der  übrige 
Theil  der  Placenta  functionsfähig  bleibt,  leidet  der  Fötus  keinen  Schaden. 
Bei  der  Traubenmole  dagegen  handelt  es  sich  um  eine  frühzeitig  ein- 
tretende, meist  das  ganze  Chorion  betreffende  Entartung  der  einzelnen 
Zotten,  so  dass  eine  heterologe  Neubildung  entsteht,  mit  welcher  die  Ent- 
wicklung einer  Frucht  unvereinbar  ist.  Nur  in  Ausnahmefällen  findet  man 
kleine,  faultodte,  dürftig  entwickelte  Föten  und  zwar  nur  dann,  wenn  nicht 
das  ganze  Chorion,    sondern  nur  ein  Theil  desselben  blasig  degenerirt  ist. 

Das  Aussehen  der  Traubenmole  ist  ein  unverkennbar  charakteri- 
stisches. Es  besteht  dieselbe  aus  einer  oft  Ungeheuern  Masse  von  beerenförmigen 
an  dünnen  Stielen  hängenden  Cystchen  der  verschiedensten  Grösse,  von  einer 
Eihöhle  ist  gewöhnlich  überhaupt  nichts  mehr  zu  sehen.  Der  Wucherungsgrad 
dieser  Blasen  ist  ein  enormer,  da  nicht  etwa  blos  die  normaliter  vorhandenen 
Chorionzotten  die  abnorme  Gestalt  der  cystischen  Degeneration  annehmen, 
sondern  ein  wahre  Neubildung  in  dieser  Mole  vorliegt  und  zwar  eine  Neu- 
bildung von  rapider  und  beinahe  unbegrenzter  Wachsthumstendenz.  Gewöhn- 
lich sitzen  die  der  Decidua  anhaftenden  Zottencysten  in  derselben  ähnlich 
wie  mit  derselben  die  normalen  Zotten  verbunden  sind.  In  glücklicherweise 
seltenen,  besonders  bösartigen  Fällen  aber  dringen  diese  Zottencysten  auch 
in  die  Uteruswand  tiefer  ein,  dieselbe  bis  zum  Peritoneum  unterwühlend  und 
bis  auf  Papierdünne  zerstörend.  Es  liegt  die  dadurch  bedingte  Gefahr  auf 
der  Hand,  dass  spontan  oder  bei  therapeutischem  Vorgehen  artificiell  die 
letzten  vielleicht  nur  mehr  mikroskopischen  Schichten  der  Uteruswand  an- 
gerissen werden,  wodurch  die  Peritonealhöhle  mit  der  Gefahr  der  intraperitonealen 
Blutung  oder  Sepsis  eröffnet  ist.  Diese  geradezu  bösartige  Blasenmole  hat 
von  R.  Volkmann,  der  sie  zuerst  beschrieb,  den  treffenden  Namen  erhalten: 
„Mola  Jiydatitosa  destruens  interstitialis}'- 

Die  Aetiologie  und  Pathogenese  der  Blasenmole  ist  noch  dunkel. 
Die  Aehnlichkeit  der  Neubildung  mit  manchen  durch  Blasenwürmer  entstan- 
denen Geschwülsten,  z.  B.  Echinococcus  mit  zahlreichen  Tochtercysten,  erregte 
einst  den  Gedanken,  dass  auch  hier  Entozoen  ihr  Unwesen  treiben.  Diese 
Hypothese  hat  nur  mehr  geschichtliche  Bedeutung.  Ob  die  Ursache  der  Ent- 
stehung einer  Blasenmole  im  Ei  liegt,  also  dass  das  Ei  diese  Wachsthumsten- 
denz bereits  vom  Follikel  her  mitbringt,  oder  ob  erst  bei  der  Entwicklung 
des  Eies,  etwa  von  einer  kranken  Decidua  her  der  Anstoss  zu  dieser  Neu- 
bildung ausgeht,  ist  nicht  entschieden.  Der  Sitz  der  Erkrankung  ist  im 
Chorion,  ob  das  Exo-  oder  Endochorion  mehr  Antheil  hat,  ist  ebenfalls  um- 
stritten. 

Die  Symptome  der  Blasenmole  sind  nicht  pathognomonisch,  so  dass 
die  Diagnose  und  daraus  die  rationelle  Therapie  oft  zum  schweren  Nach- 
theil der  Patientin  über  Gebühr  verzögert  wird. 


600  PLACENTA-ANOMALIEN  UND  -ERKEANKUNGEN. 

Frühzeitig  in  der  Schwangerschaft  einsetzender  blutig-wässeriger  Aus- 
fluss  mit  intercurrenten,  oft  profusen  Blutungen  sind  die  Folgen  des  succesiv 
eintretenden  Ablösens  einzelner  Blasen  aus  ihrer  Haftstelle,  Erscheinungen 
wie  sie  bei  chronischem  Verlauf  eines  aus  irgend  einer  Ursache  eingeleiteten 
Abortes  auftreten.  Bestimmend  für  die  Diagnose  „Blasenmole"  ist  dabei, 
wenn  der  Uterus  beträchtlich  grösser  ist,  als  der  angenommenen  Schwanger- 
schaftszeit entspricht,  so  dass  etwa  im  3.  Monat  der  Fundus  uteri  in  Nabel- 
höhe steht.  Das  grössere  Volumen  jeder  einzelnen  Zotte,  sowie  die  reich- 
liche Neubildung  solcher  pathologischen  Zotten  verursacht  dieses  überrasche 
und  übergrosse  Wachsthum.  Gesichert  ist  die  Diagnose,  wenn  der  Abgang 
einzelner  Bläschen  beobachtet  ist. 

Die  Prognose  bei  Blasenmole  ist,  sofern  die  Hilfe  nicht  zu  spät  ge- 
rufen wird,  günstig,  abgesehen  von  der  destruirenden  Blasenmole,  welche  durch 
die  Zerstörung  der  Uteruswand  und  der  Gefahr  der  Eröffnung  der  Peritoneal- 
höhle eine  schlechte  Prognose  gibt.  Auch  bei  der  einfachen  Form  der  Trauben- 
mole trübt  die  grosse  Neigung  zu  Blutungen,  zur  Zersetzung  der  etwa  noch 
in  utero  verbliebenen  Blasen  die  Vorhersage,  wenn  nicht  durch  eine  ratio- 
nelle Therapie  rechtzeitig  diesen  Gefahren  vorgebeugt  werden  kann. 

Das  Ziel  der  Therapie  muss  sein,  ohne  Schaden  für  die  Mutter  die 
Neubildung  in  toto  zu  eliminiren. 

Ist  die  Diagnose  etwa  durch  Abgang  einiger  Blasen  gesichert,  so  ist 
selbstverständlich  jeder  Versuch,  die  Schwangerschaft  zu  erhalten,  sinnlos. 
In  zweifelhaften  Fällen,  wo  nur  blutiger  Ausfluss  vielleicht  in  Verbindung 
mit  einer  auffallenden  Grösse  des  Uterus  den  Verdacht  auf  Blasenmole  erweckt, 
ist  zunächst  ein  Abwarten  mit  genauer  Beobachtung  angebracht.  Im  Falle 
stärkere  Blutungen  bei  noch  geschlossenem  Muttermund  auftreten,  muss  die 
Scheide  tamponirt  werden.  Wenn  man  auch  niemals  vorschnell  an  die  Ein- 
leitung eines  Abortus  gehen  soll,  so  ist  doch  andererseits  vor  zu  langem 
Warten  dringend  zu  warnen. 

Besteht  seit  längerer  Zeit  schon  blutiger  Ausfluss  oder  gar  Blutabgang, 
so  ist  das  Ei  auf  alle  Fälle  krank;  was  es  auch  sein  mag,  ein  gutes  Ende 
der  Schwangerschaft  wird  nicht  erreicht  werden,  durch  eine  über  Gebühr 
lange  Verzögung  der  Unterbrechung  wird  die  Gesundheit  der  Mutter  geschädigt. 

Muss  die  Eröffnung  des  Haiscanales  und  die  Wehenthätigkeit  bei  Blasen- 
mole erst  erregt  werden,  so  empfiehlt  sich  das  Einlegen  eines  in  Salicylalkohol 
oder  Jodoformäther  desinficirten  Laminariastiftes  mit  Jodoformgazetamponade 
der  Scheide.  Vor  den  Presschwämmen  ist  wegen  der  unvermeidlichen  In- 
fectionsgefahr  zu  warnen.  Ist  die  spontane  Lösung  und  Ausstossung  der 
Blasenmasse  im  Gange,  so  kann  dieselbe  unter  genauer  Controle  der  Tem- 
peratur abgewartet  werden.  Tritt  Fieber  ein  oder  stellen  sich  abundante, 
durch  Tamponade  nicht  zu  stillende  Blutungen  ein,  so  muss  die  Einlasse  manu- 
ell in  Narcose  ausgeräumt  werden. 

Wie  bei  jeder  Abortausräumung  ist  auch  hier  das  Hinzukommen  von 
Infectionskeimen  sorgfältig  zu  vermeiden.  Die  Kreissende  muss  an  den  äusse- 
ren und  inneren  Genitalien  mit  einer  1%  Lysollösung  desinficirt  werden, 
die  Hände  des  Operateurs  müssen  zuverlässig  keimfrei  sein.  Die  Ablösung 
der  noch  an  und  in  der  Uteruswand  festhaftenden  Blasen  muss  vorsichtig 
geschehen,  damit  nicht  Durchbohrungen  stattfinden.  Strenge  verpönt  ist 
das  Arbeiten  mit  Instrumenten  im  Blinden  ohne  Controle  des  Fingers,  inson- 
derheit die  Anwendung  der  Kornzange  und  der  Curette. 

Ist  die  Masse  vollständig  entfernt,  muss  nochmals  die  Uterushöhle  mit 
Lysollösung  ausgespült  werden.  Blutet  es  weiter,  so  kommt  die  intrauterine 
Tamponade  mit  einer  wenig  Jodoform  enthaltenden  Gaze  in  Anwendung.  Die 
Rückbildung  des  Uterus  wird  zweckmässig  durch  längeren  Gebrauch  von  Er- 
gotin  befördert. 


PLACENTA  PRAEVIA.  661 

Im  Falle  bei  destruirender  Blasenmole  die  Uteruswand  durchbrochen 
ist,  kann  nur  Laporotomie  und  Nath  oder  Entfernung  des  Uterus  die  Frau  vor 
dem  Tod  an  Verblutung  oder  Sepsis  erretten.  döderlein. 

Placenta  praevia.    Unter  Placenta  praevia  versteht  man  die  Insertion 

der  Placenta  auf  oder  dicht  neben  dem  inneren  Muttermund.  Ohne  rationelle 
Behandlung  stellt  diese  Anomalie  einen  der  gefährlichsten  Zustände  für  das 
schwangere  Weib  und  ihr  Kind  dar.  Da  die  Placenta  den  unteren  Eipol 
bildet,  und  dieser  bei  auftretender  Wehenthätigkeit  abgelöst  wird,  so  kommt 
es  bei  Beginn  der  Geburt  zu  Ablösung  der  unteren  Partien  der  Placenta. 
Mit  jeder  Wehe  wird  ein  weiteres  Stück  der  Placenta  abgelöst,  und  somit 
stellt  sich  eine  immer  stärkere  Blutung  aus  der  früheren  Ilaftstelle  des  ab- 
gelösten Lappens  ein,  da  die  zur  Blutstillung  nöthige  Contraction  und  Kectrac- 
tion  der  Placentarinsertion  erst  nach  Geburt  des  Kindes  eintritt.  Frauen  mit 
Placenta  praevia  sind  also  der  Gefahr  des  Verblutungstodes  ausgesetzt. 

Man  unterscheidet  eine  Placenta  praevia  totalis^  lateralis  und  marginalis. 
Bei  der  ersten  Form  ist  der  innere  Muttermund  ganz,  bei  der  zweiten  nur 
theilweise  von  Placentargewebe  bedeckt,  bei  der  dritten  reicht  die  Placenta 
bis  an  den  inneren  Muttermund  heran.  Gebraucht  man  diese  Bezeichnungen, 
so  ist  es  zur  Verständigung  unerlässlich,  auch  gleich  die  Grösse  des  Mutter- 
mundes hinzuzusetzen.  Liegt  nämlich,  wie  das  gewöhnlich  der  Fall  ist,  nur 
ein  kleiner  Zipfel  der  Placenta  über  dem  inneren  Muttermund,  so  haben  wir 
bei  wenig  geöffnetem  Muttermund  eine  Placenta  praevia  totalis,  die  sich  bei 
fortschreitender  Eröffnung  in  eine  Placenta  praevia  lateralis  und  schliesslich 
marginalis  umwandelt,  weil  mit  der  Erweiterung  des  Muttermundes  immer 
grössere  Abschnitte  des  unteren  Eipols  in  den  Muttermund  eintreten,  und  die 
Placenta  nur  einen  Theil  des  unteren  Eipols  bildet.  Eine  Ausnahme  bildet 
nur  die  Placenta  praevia  centralis,  deren  Centrum  direct  über  dem  inneren 
Muttermund  liegt  und  somit  auch  die  unterste  Spitze  des  Eies  bildet.  In 
diesem  Falle  ist  auch  der  völlig  erweiterte  Muttermund  ganz  von  Placentar- 
gewebe überlagert.  Bei  je  grösserem  Muttermund  wir  also  eine  Placenta 
praevia  totalis  finden,  umsomehr  sind  wir  zu  der  Annahme  berechtigt,  dass 
diese  Placenta  praevia  totalis  zugleich  eine  centralis  ist.  Die  Placenta  prae- 
via centralis  ist  natürlich  prognostisch  am  ungünstigsten. 

Die  Ursache  für  die  Placenta  praevia  ist  in  einer  Endometritis  zu 
suchen,  welche  zu  einer  tieferen  Eiinsertion  *)  führen  kann  —  wie  und  wa- 
rum, wissen  wir  nicht,  Frauen  mit  Placenta  praevia  haben  ganz  gew^öhnlich 
an  Fluor  und  abnorm  starker  Menstruation  gelitten.  Man  findet  ferner  bei 
ihnen  abnorm  feste  Adhärenz  der  Placenta  und  der  Eihäute,  sowie  die  Margo- 
bildung  an  der  Placenta  —  Abnormitäten,  die  sämmtlich  auf  Endometritis 
beruhen.  Da  Mehrgebärende  häufiger  an  Endometritis  leiden,  so  trifft  man 
Placenta  praevia  auch  3mal  häufiger  bei  Mehr-  als  bei  Erstgel3ärenden.  Was 
die  Häufigkeit  überhaupt  anlangt,  so  kommt  auf  ca.  1500  Geburten  ein  Fall 
von  Placenta  praevia  (v.  Winckel). 

Die  Symptome  der  Placenta  praevia  bestehen  in  Blutungen.  Dieselben 
treten  sehr  häufig  schon  in  den  letzten  Monaten  der  Schwangerschaft  ein  und 
führen  in  der  Hälfte  aller  Fälle  von  Placenta  praevia  zur  Frühgeburt.  Diese 
Schwangerschaftsblutungen  beruhen  auf  der  Entwicklung  des  unteren  Uterin- 
segmentes in  den  letzten  Monaten  der  Schwangerschaft.  Hierbei  findet  eine 
derartige  Dehnung  der  Haftstelle  der  Placenta  statt,  dass  die  Placenta  abge- 
löst wird.  Durch  eine  abnorm  feste  Verbindung  der  Placenta  mit  der  Uterus- 


*)  Die  Theorie  von  Kaltenbach-Hofmeier,  wonach  die  Placenta  sich  auf  der  Reflexa 
weiter  nach  abwärts  entwickelt  und  erst  secundär  zur  Placenta  praevia  wird,  ist  von  Ahl- 
feld widerlegt  worden. 


662  PLACENTA  PRAEVIA. 

wand  kann  die  Entfaltung  des  unteren  Uterinsegmentes  ganz  verhindert  wer- 
den (Bayer),  und  dann  bleibt  jede  Blutung  bis  zu  dem  rechtzeitigen  Eintritt 
der  Geburt  aus,  was  natürlich  vortheilhafter  für  die  Kreissende  ist,  als  wenn 
sie,  durch  wiederholte  Seh wangerschaitsblutungen  geschwächt,  zur  Geburt  kommt. 
Die  Schwangerschaftsblutungen  können  nämlich  eine  bedeutende  Intensität  er- 
reichen: die  Frau  wacht  manchmal  im  Schlaf  auf  und  findet  sich  im  Blute 
schwimmend  — ja  es  kann  ohne  eine  einzige  Wehe  der  Verblutungstod  eintreten! 

Tritt  eine  Ablösung  der  Placenta  erst  durch  die  Geburt  ein,  so  beginnt 
die  Blutung  mit  der  ersten  Wehe  und  wird  immer  stärker,  da  ja  jede  fol- 
gende Wehe  die  Placenta  weiter  ablöst  und  dadurch  die  blutende  Fläche  der 
Uteruswand  vergrössert.  So  kann  vor  Geburt  des  Kindes  der  Verblutungstod 
eintreten.  Indessen  ist  eine  spontane  Blutstillung  während  der  Geburt  bei 
Placenta  praevia  lateralis  und  marginalis  dadurch  möglich,  dass  nach  dem 
Blasensprung  eine  weitere  Ablösung  der  Placenta  aufhört,  und  die  Blutung 
aus  den  schon  eröffneten  Uterusgefässen  stellt,  weil  der  tiefer  tretende  Kindes- 
theil den  abgelösten  Placentarlappen  fest  gegen  seine  frühere  Haftstelle  an- 
drückt. Bei  der  Placenta  praevia  centralis  ist  die  spontane  Blutstillung  wäh- 
rend der  Geburt  viel  seltener.  Im  günstigsten  Falle  tritt  sie  ein,  wenn  die 
Placenta  völlig  von  der  Uteruswand  abgelöst,  und  die  Kreissende  dem  Ver- 
blutungstode nahe  ist.  In  diesen  Fällen  kann  die  Placenta  vor  dem  Kind 
geboren  werden  {Prolapsus  placentae),  und  der  tiefer  tretende  Kindestheil 
tamponirt  die  Placentarstelle. 

Selbstverständlich  ist  auch  das  Kind  bei  Placenta  praevia  sehr  bedroht. 
Durch  das  Sinken  des  mütterlichen  Blutdrucks  erleidet  der  placentare  Gas- 
wechsel Störungen  (Runge),  und  das  Kind  geht  häufig  an  Asphyxie  zu  Grunde, 
ehe  die  Mutter  bedrohliche  Erscheinungen  von  Anämie  aufweist.  Ist  ein 
Drittel  der  Placenta  abgelöst,  so  stirbt  das  Kind,  weil  seine  Respirationsfläche 
zu  klein  ist,  um  seinen  Sauerstoftbedarf  zu  decken.  Die  restirende  Respi- 
rationsfläche kann  noch  weiter  dadurch  beschränkt  werden,  dass  der  vorlie- 
gende Theil  ausser  dem  abgelösten  Placentarlappen  auch  die  noch  adhärente 
Partie  der  Placenta  derartig  comprimirt,  dass  die  Circulation  des  Blutes  in 
grösseren  Bezirken  beschränkt  wird  (Selbstmord  des  Fötus).  Nur  ausnahms- 
weise verblutet  sich  der  Fötus  direct,  indem  die  Placenta  bei  der  durch  die 
Wehen  bewirkten  Ablösung  einreisst  oder  bei  der  Untersuchung,  resp.  der 
combinirten  Wendung  eingerissen  wird. 

Die  Diagnose  der  Placenta  praevia  ist  leicht.  Bei  Blutungen  in  den 
letzten  Monaten  der  Schwangerschaft  und  im  Beginn  der  Geburt  muss  man 
immer  an  Placenta  praevia  denken.  Sicheren  Aufschluss  gibt  die  in  solchem 
Falle  stets  vorzunehmende  innere  Untersuchung,  falls  es  gelingt  den  Finger 
bis  zum  inneren  Muttermund  in  die  Höhe  zu  führen.  Man  fühlt  alsdann  über 
diesem  rauhes  Placentargewebe,  statt  der  glatten,  elastischen  Eiblase  oder  (bei 
Placenta  praevia  lateralis)  beide.  Ist  der  Muttermund  geschlossen,  so  kann 
man  Placenta  praevia  vermuthen,  wenn  die  Portio  sich  ganz  auffallend  weich 
anfühlt,  und  der  vorliegende  Theil  hoch  steht  und  nur  wie  durch  ein  dickes 
Polster  vom  Scheidengewölbe  aus  durchzufühlen  ist. 

Mehrfach  wurde  übrigens  Verf.  zu  Fällen  von  diagnosticirter  Placenta 
praevia  hinzugezogen,  wo  thatsächlich  ein  Portiocarcinom  vorhanden  war. 
Einmal  constatirte  Verf.  einen  Hemicephalus,  wo  die  blutenden  schwammigen 
Hirnreste  für  Placenta  praevia  angesprochen  worden  waren.  (Ueber  die  übrigen 
Ursachen  für  Schwangerschaftsblutungen  siehe  den  Artikel:  y^Blutungen  in  der 
Geburtshilfe".) 

Die  Prognose  der  Placenta  praevia  sowohl  für  die  Mutter  als  auch 
für  das  Kind  richtet  sich  nach  dem  zeitlichen  Eingreifen  und  der  Art  der 
Kunsthilfe.  So  verlor  Verf.  unter  cca.  50  Fällen  von  Placenta  praevia  nur  eine 
Mutter    (also  2^0    Mortalität),    die   pulslos  in   seine  Behandlung   kam.     Die 


PLACENTA  PRAEVIA.  663 

Hebamme  hatte  nach  dem  Blasensprung  bei  geschlossenem  Muttermund  tam- 
ponirt,  und  die  Kreissende  sich  buchstäblich  in  ihren  Uterus  hinein  verblutet. 
Der  Uterus  war  prall  mit  Blut  gefüllt,  so  dass  die  combinirte  Wendung 
wegen  der  Spannung  nicht  möglich  war.  Ich  perforirte  dalier  rasch  und 
extrahirte  mit  dem  Kranioklasten.  Die  Placcnta  wurde  schnellstens  heraus- 
befördert,  die  Tamponade  des  Uterovaginalcanals  ausgeführt  und  eine  sub- 
cutane Kochsalzinfusion  gemacht.  Die  Frau  verlor  nach  der  Entbindung 
keinen  Tropfen  Blutes  mehr,  ging  aber  trotzdem  cca.  %  Stunde  später  an  den 
Folgen  des  erlittenen  Blutverlustes  zu  Grunde. 

Therapie.  Bei  Blutungen  in  der  Schwangerschaft,  welche  man  bei 
geschlossenem  Muttermund  nur  muthmaasslich  auf  Placenta  praevia  bezichen 
kann,  verordnet  man  absolute  Bettruhe  und  DovEE'sche  Pulver.  Dauert  die 
Blutung  trotzdem  fort  oder  wird  sie  stärker,  so  ist  die  Scheidentamponade 
indicirt.  Freilich  kommt  es  unter  dem  Einfluss  der  letzteren  oft  zur  Früh- 
geburt, was  indessen  für  die  Schwangere  des  Beste  ist,  weil  sie  dadurch 
weiteren  Schwangerschaftsblutungen  entgeht.  Finden  wir  den  Muttermund 
für  einen  Finger  durchgängig,  so  kann  man  die  Blutung  stillen: 

1.  Durch  die  Blasensprengung. 

Die  weitere  Ablösung  der  Placenta  hört  dann  auf,  die  Blutung  aus  der 
Anheftungsstelle  des  bereits  gelösten  Lappens  wird  ebenfalls  gestillt,  wenn 
der  vorliegende  Theil  tiefer  tritt  und  damit  den  gelösten  Lappen  zunächst 
gegen  seine  Anheftungsstelle  und  diese  gegen  den  Beckenrand  compri- 
mirt.  Hierzu  sind  aber  Wehen  nothwendig,  die  häufig  fehlen.  Und  selbst, 
wenn  Wehen  vorhanden  sind,  so  setzt  die  Placenta  praevia  totalis  ein  mecha- 
nisches Hindernis  für  das  Tiefertreten  des  vorliegenden  Theils.  Somit  ist 
diese  Therapie  nur  bei  Placenta  praevia  marginalis,  bei  welcher  die  Placenta 
gerade  den  Muttermundsrand  erreicht,  empfehlenswerth. 

2.  Durch  die  feste  Scheidentamponade  (selbstverständlich  ist  dieselbe 
wegen  der  Gefahr  der  inneren  Blutung*)  nicht  mehr  nach  dem  Blasensprung 
anzuwenden). 

Die  Gefahren  der  septischen  Infection  durch  die  Tamponade,  die  früher 
sehr  gross  waren,  fallen  durch  eine  antiseptische  Ausführung  derselben 
fort,  auch  die  Blutstillung  lässt  sich  durch  dieselbe  erreichen,  indem  das 
untere  Uterinsegment  gegen  den  Eisack  und  damit  auch  gegen  den  schon 
abgelösten  Lappen  der  Placenta  fest  angedrückt  wird  —  allein  bei  dem  Wechsel 
der  Tamponade  kann  die  Kreissende  viel  Blut  verlieren,  und  der  Wechsel 
muss  von  Zeit  zu  Zeit  geschehen,  um  nachzusehen,  ob  der  Muttermund  für 
die  Entbindung  weit  genug  geworden.  Die  Tamponade  värd  aus  äusseren 
Gründen  den  Geburtshelfer  leicht  dazu  verführen,  die  Entbindung  bei  mangel- 
haft eröffnetem  Muttermund  vorzunehmen.  Hierdurch  aber  entstehen  Risse 
in  das  abnorm  gefässreiche  untere  Uterinsegment  hinein,  welche  die  Frau  der 
Verblutungsgefahr  aussetzen. 

3.  Durch  die  combinirte  Wendung *"^")  auf  einen  Fuss  (Beaxton  Hicks). 
Infolge  der  Blasensprengung  hört  die  weitere  Ablösung  der  Placenta  auf, 

die  Blutung  aus  den  bereits  eröffneten  Gefässen  der  Uteruswand  wird  durch 
die  seitens  des  Steisses  ausgeübte  Tamponade  gestillt.  Die  Operation  wird 
durch  die  Narcose  bedeutend  erleichtert,  die  bei  anämischen  Kreissenden  sehr- 
leicht  einzuleiten  und  gefahrlos  ist,  da  sie  nicht  tief  zu  sein  braucht  und 
nicht  lange  dauert.  Sehr  selten  ist  es  bei  der  combinirten  Wendung  nöthig, 
die  Placenta  zu  durchbohren,  um  in  die  Eihöhle  zu  gelangen.  Meistens  kann 
man  an  irgend  einer  Stelle  die  Eihäute  erreichen,  indem  man  event.  ein  Stück 
der  Placenta  ablöst. 


*)  Vid.  Artikel  y,Blutungen  in  der  Geburtshilfe,"-  pag.  124. 
**)  Vergl.  Artikel  „Tfenrfim^". 


664  PLACENTA  PRAEVIA. 

Die  Yortlieile  der  combinirten  Wendung  sind  folgende: 

a)  Man  kann  dieselbe  anwenden,  sobald  man  zur  blutenden  Frau  hin- 
zukommt. (Der  innere  Muttermund  lässt,  sobald  bei  Placenta  praevia  eine 
irgendwie  stärkere  Blutung  aufgetreten,  einen  Finger  durch!). 

b)  Von  diesem  Moment  ab  findet  keine  weitere  Blutung  mehr  statt. 
(Geht  nach  der  combinirten  Wendung  noch  etwas  Blut  ab,  so  lasse  man  den 
Fuss  eine  Weile  angezogen  halten!). 

c)  Die  Gefähr  der  septischen  Infection  ist  auf  ein  Minimum  reducirt, 
da  der  Eingriff  ein  sehr  kurzer  ist. 

d)  Nach  der  Wendung  ermöglichen  sofort  dargereichte  Analeptica  eine 
Hebung  des  Kräftezustandes,  infolgedessen  die  Gebärende  den  physiologischen 
Blutverlust  der  Nachgeburtszeit  besser  erträgt. 

e)  Da  man  die  Extraction  nur  bei  lebendem  Kind  und  dann  erst  nach 
völliger,  spontaner  Erweiterung  des  Muttermundes  ausführt,  verläuft  die  Nach- 
geburtszeit viel  glatter  als  bei  der  alten  Methode  der  Tamponade  und  nach- 
folgender rascher  Entleerung  des  Uterus  bei  mangelhaft  erweitertem  Mutter- 
mund. 

f)  Die  Behandlung  ist  keine  so  zeitraubende  und  hat  vor  Allem  den 
bedeutenden  moralischen  Effect,  dass  nach  dem  kurzen  und  einzigen  Eingriff 
des  Arztes  die  Blutung  definitiv  steht. 

Die  Mortalität  der  Mütter  beträgt  bei  der  alten  sub  1  und  2  geschil- 
derten Methode  307o,  bei  der  neuen  Methode  der  combinirten  Wendung,  wie 
sie  besonders  in  den  beiden  Berliner  Kliniken  cultivirt  wird,  4*5 7o!  (Verfasser 
verlor  unter  35  Fällen  von  combinirter  Wendung  keinen  einzigen.) 

Die  Mortalität  der  Kinder  ist  bei  beiden  Methoden  gleich,  nämlich  607o- 
Diese  hohe  Kindermortalität  ist  ein  Nachtheil  der  combinirten  Wendung. 
Der  zweite  Nachtheil  besteht  darin,  dass  der  Praktiker  mit  der  combinirten 
Wendung  häufig  nicht  fertig  wird.  Zumal  wenn  der  Muttermund  nur  für 
1  Finger  durchgängig  ist,  gelingt  das  Herunterziehen  des  Fusses  mit  einem 
Finger  nur  dadurch,  dass  man  mit  dem  Finger  hinter  den  Fuss  geht,  ihn 
mitsammt  dem  Cervix  fest  gegen  die  Symphyse  andrückt  und  unter  stetem 
Andrücken  des  Fusses  gegen  die  Symphyse  Finger  und  Fuss  durch  den  Cervix 
durchzieht.  Die  Symphyse  ersetzt  in  diesen  Fällen  gewissermaassen  den 
zweiten  Finger. 

Die  erwähnten  Uebelstände  vermeidet  eine  Methode,  welche  Verf.  bisher 
in  6  Fällen  mit  dem  Erfolg  angewandt  hat,  dass  sämmtliche  Mütter  ein  nor- 
males Wochenbett  durchmachten  und  die  Kinder  lebend  zur  Welt  kamen,  von 
denen  nur  eine  Frühgeburt  von  1400^  Gewicht  an  Lebensschwäche  zu 
Grunde  ging. 

Die  Methode  besteht  in  der  Einführung  eines  dünnwandigen  Kolpeu- 
rynters  in  den  Uterus  und  unterscheidet  sich  von  ihren  Vorläufern  (Mad- 
ußowicz,  ScHAUTA,  Mäuree)  dadurch,  dass  die  Blase  gesprengt  und  der  Kolpeu- 
rynter  in  die  eröffnete  Eihöhle  eingeführt  wird,  und  zweitens  dadurch,  dass 
am  Schlauch  des  Kolpeurynters  ein  massiger,  aber  permanenter,  selbstthätiger 
Zug  angebracht  wird.  Die  Blutstillung  geschieht  in  der  Weise,  dass  der  Kol- 
peurynter  genau  wie  der  tiefertretende  Kindestheil  von  oben  her  den  gelösten 
Placentarlappen  an  seine  blutende  ehemalige  Haftstelle  andrückt.  Die  Blasen- 
sprengung ist  manchmal  nicht  ganz  leicht.  Statt  bei  Placenta  praevia  totalis 
die  Placenta  zu  perforiren,  ist  es  besser  den  vorliegenden  Lappen  abzulösen, 
bis  man  an  die  Eihäute  gelangt,  und  dann  dieselben  mit  einer  vorher  ausge- 
kochten Stricknadel  oder  eine  Kugelzange  zu  öffnen.  Den  zusammengefalteten 
Kolpeurynter  klemmt  man  in  eine  Kornzange  und  kann  ihn  dann  durch  jeden 
für  1  Finger  durchgängigen  Cervix  in  die  Eihöhle  hinaufführen.  Das  Ansatz- 
stück des  Kolpeurynters  wird  alsdann  mit  dem  Irrigator  schlauch  verbunden 
und  durch  Erheben  des  Irrigators  72  Liter  Wasser  in  den  Kolpeurynter  ein- 


PLACENTAE-  UND  EIIIAUTRESTE.  6G5 

getrieben.  Darauf  wird  das  Ende  des  Kolpcurynterschlauchs  durch  eine  am 
Bettende  angebrachte  Schlinge  so  stark  durchgezogen  und  angespannt,  als  es 
die  Kreissende  ohne  stärkere  Schmerzen  aushalten  kann.  An  der  Schlinge  wer- 
den beide  Schlauchschenckel  in  eine  Klemmpincette  gelegt. 

Bald  nach  der  Einführung  des  Kolpeurynters  treten  kräftige  Wehen  auf, 
die  in  3  meiner  Fälle  den  Kolpeurynter  binnen  3  Stunden  austrieben.  In 
2  dieser  Fälle  wurde  das  Kind  gleich  hinterher  geboren,  im  3.  wegen  wieder 
auftretender  Blutung  die  innere  Wendung  und  Extraction  vorgenommen.  Bei 
dieser  Art  der  Kolpeuryse  rauss  also  der  Arzt  stets  bei  der  Hand  sein,  um 
nach  spontaner  Geburt  des  Kolpeurynters  rechtzeitig  die  Blutung  durch  die 
Entbindung  stillen  zu  können.  Wird  der  Kolpeurynter  nicht  ausgetrieben,  so 
lässt  man  ihn  cca.  12  Stunden  liegen,  um  ihn  dann  durch  Zug  an  seinem  un- 
teren Ende  zu  extrahiren  und  sofort  die  innere  Wendung  und  Extraction 
anzuschliessen. 

Die  Blutstillung  bei  dieser  Methode  ist  eine  absolut  sichere,  ferner  macht 
sie  manche  Wendung  unnöthig.  Muss  man  aber  schliesslich  eingreifen,  so  ist 
nach  Extraction  des  Kolpeurynters  der  Cervix  so  dilatirt,  dass  man  die  innere 
Wendung  vornehmen  und  das  Kind  auch  gleich  extrahiren  kann,  wodurch  die 
Chancen  für  die  Erhaltung  des  Kindes  weit  bessere  werden.  Durch  Abbürsten 
mit  Sublimatlösung  lässt  sich  der  Kolpeurynter  so  sicher  desinficiren,  dass 
eine  Gefahr  der  septischen  Infection  durch  das  lange  Verweilen  des  Kolpeu- 
rynters im  Uterus  nicht  besteht. 

Was  die  Nachgeburtszeit  anbelangt,  so  muss  man  in  derselben  der 
schon  anämisch  Entbundenen  möglichst  Blut  sparen.  Diese  Aufgabe  ist  in- 
sofern schwieriger,  als  das  muskelarme  untere  Uterinsegment  sich  physio- 
logischer Weise  weniger  contrahirt,  und  daher  bei  Placenta  praevia  auch  bei 
normaler  Contraction  des  Uterus  der  Blutverlust  in  der  Nachgeburtszeit  ein 
grösserer  ist,  als  bei  normalem  Sitz  der  Placenta.  Man  sorge  daher  durch 
eine  schon  gegen  Ende  der  Geburt  gemachte  Ergotininjection  für  eine  mög- 
lichst feste  Contraction  des  Uteruskörpers.  Hierdurch  werden  die  das  untere 
Uterinsegment  versorgenden  Arterienäste,  welche  in  der  Höhe  des  Contrac- 
tionsringes  in  die  Uteruswand  eintreten,  comprimirt,  und  so  die  Blutzufuhr 
zur  Placentarstelle  herabgesetzt  (Hofmeier).  Man  sorge  ferner  für  Entleerung 
der  Blase,  überwache  ständig  durch  die  aufgelegte  Hand  den  Uterus,  reibe 
nur  bei  Blutung  und  exprimire  die  Placenta  erst  1  Stunde  post  partum. 
Gelingt  dieselbe  nicht  und  blutet  es  trotz  Massage,  so  ist  unter  streng  anti- 
septischen Cautelen  die  manuelle  Lösung  der  Placenta  vorzunehmen.  Dieselbe 
darf  ebenso  wie  die  combinirte  Wendung  bei  Placenta  praevia,  nicht  in  Seiten- 
lage vorgenommen  werden,  da  sonst  eine  tödtliche  Luftembolie  entstehen  kann 
(Olshausen).  Blutet  es  nach  der  Lösung  weiter,  so  ist  nicht  lange  mit  der 
Tamponade  des  Utero vaginalcanals  zu  zögern,  um  der  ausgebluteten  Frau 
auch  einen  geringen  späteren  Blutverlust  zu  ersparen.  Hierbei  muss  die 
Scheide  fest  mit  Watte  ausgestopft  w^erden  (s.  Artikel  .^Blutungen  in  der 
Geburtshilfe"). 

Zur  Ausführung  der  combinirten  Wendung  ist  die  Narcose  unbedingt 
nothwendig,  für  die  Placentariösung  sehr  angenehm.  Im  Princip  ist  in  diesen 
Fällen  die  Aethernarcose  gewiss  vorzuziehen,  ihre  Anwendung  in  der  Praxis 
stösst  jedoch  auf  Schwierigkeiten  (Feuersgefahr,  längere  Dauer  des  Excitations- 
stadiums,  grosse  Maske  und  grosse  Aetherflasche).  Dühessen. 

Placentar-  und  Eihautreste.  Betrachten  wir-  zunächst  die  ßetention 
von  Piacentarresten,  so  kommt  dieselbe  sowohl  nach  Aborten  als  auch  nach 
rechtzeitiger  Geburt  vor,  und  zwar  in  der  Form  der  Eetention  von  einzelnen 
nur  mikroskopisch  erkennbaren  Chorionzotten  als  auch  von  grösseren  Stücken, 
ganzen  Cotyledonen  der  Placenta.    Bei  Aborten  und  Fehlgeburten  sind  diese 


ö66  PLACENTAE-  UND  EIHAUTRESTE. 

Ketentionen  häufiger,  weil  hier  physiologischer  Weise  der  Zusammenhang 
zwischen  Placenta  und  Uteruswand  ein  festerer  ist,  als  gegen  Ende  der  Schw^anger- 
schaft,  wo  dieser  Zusammenhang  durch  Necrobiose  der  Decidua  (Klein)  ge- 
lockert ist.  Ist  durch  entzündliche  Veränderungen  der  Decidua  serotina  pa- 
thologischer Weise  dieser  feste  Zusammenhang  noch  am  Ende  der  Gravidität 
vorhanden,  so  liegt  hierin  eine  Prädisposition  der  Verhaltung  von  Nachgeburts- 
theilen  nach  rechtzeitiger  Gebiu-t.  Eine  fernere  Ursache  für  partielle  Pla- 
centarretention  bildet  Wehenschwäche,  die  nur  zu  partieller  Lösung  der  Pla- 
centa führt.  Wendet  unter  diesen  Umständen  die  Entbundene  stark  die  Bauch- 
presse an,  oder  wird  die  Placenta  zu  früh  exprimirt,  so  bleibt  der  noch  adhä- 
rente  Theil  zurück.  Neben  der  anatomischen  Veränderung  der  Decidua,  resp. 
Placenta  materna  und  der  functionellen  Störung  der  Uterusmusculatur  ist  als 
dritte  Ursache  der  partiellen  Placentarretention  eine  pathologische  Veränderung 
der  fötalen  Placenta  zu  nennen  —  nämlich  die  Placenta  succenturiata  oder 
Nebenj^lace^ita. 

Die  Nebenplacenta  ist  von  der  Hauptplacenta  völlig  getrennt,  dazwischen 
liegen  die  Eihäute.  Von  der  Hauptplacenta  laufen  zur  Nebenplacenta  fötale 
Gelasse,  welche  in  die  Zotten  der  Nebenplacenta  eindringen.  Während  die 
Lösung  der  Hauptplacenta  durch  das  retroplacentare  Hämatom  befördert  wird, 
fehlt  dieses  Hämatom  bei  der  Nebenplacenta,  die  daher  leicht  retinirt  bleibt. 
Mit  der  Nebenplacenta  bleibt  auch  ein  Theil  der  Eihäute  retinirt. 

Die  Retention  von  Placentartheilen  führt  in  erster  Linie  zu 
starken  Blutungen,  die  selbst  bei  der  Retention  von  zerstreuten  nur  mikros- 
kopisch nachweisbaren  Chorionzotten  einen  lebensgefährlichen  Grad  erreichen 
können.  Grössere  retinirte  Stücke  bilden  ferner  einen  günstigen  Nährboden  für 
Fäulnis  und  pathogene  Bacterien.  Sind  derartige  Keime  in  die  Uterushöhle  ein- 
geführt oder  reichen  die  retinirten  Massen  zum  Theil  in  die  keimhaltige  Va- 
gina hinein,  so  kommt  es  zu  saprämischem,  resp.  septicämischem  Fieber,  wel- 
ches zum  Tode  führen  kann.  Eine  Naturheilung  kann  dadurch  eintreten, 
dass  der  Uterus  die  Piacentarreste  ausstösst,  manchmal  erst  nachdem  sich 
der  Piacentarrest  durch  aufgelagerte  Blutgerinnsel  in  einen  Placentar- 
polypen   umgewandelt  hat. 

Bei  der  ungewissen  Prognose  der  partiellen  Placentarretention  ist  die 
Entfernung  der  Piacentarreste  dringend  geboten.  Eine  exacte  Diag- 
nose auf  partielle  Placentarretention  ist  in  den  Fällen  nicht  zu  stellen,  wo  die 
bereits  geborenen  Eitheile  nicht  mehr  vorhanden  sind.  Ist  dagegen  die  Placenta 
vorhanden,  so  muss  sie  einer  sorgfältigen  Besichtigung  unterzogen  werden,  in- 
dem man  sie  auf  eine  horizontale  Unterlage  oder  die  beiden  ausgestreckten 
Handflächen  legt.  Sind  nun  noch  ausser  den  die  Cotyledonen  begrenzenden  Fur- 
chen wirkliche  Defecte  auf  der  uterinen  Seite  oder  am  Rande  der  Placenta 
vorhanden,  avo  der  grauweisse  Ueberzug  der  Decidua  serotina  fehlt,  wo  das 
rothe  Zottengewebe  nackt  zu  Tage  tritt,  so  ist  der  Schluss  auf  partielle  Pla- 
centarretention gerechtfertigt,  und  in  diesem  Schluss  wird  man  bestärkt,  wenn 
der  Uterus  schlecht  zusammengezogen,  und  Blutung  vorhanden  ist.  Die  Diag- 
nose der  Placenta  succenturiata  wird  ermöglicht  durch  den  Nachweis  durchris- 
sener  fötaler  Gefässe  am  Rande  der  Placenta  und  zwar  dort,  wo  die  Eihäute 
abgerissen  sind.  Sind  die  Eihäute  um  die  Hauptplacenta  herum  erhalten,  da- 
gegen von  der  Nebenplacenta  abgerissen,  so  sieht  man  an  den  ausgestossenen 
Eihäuten  grössere  fötale  Gefässe,  welche  von  dem  Rand  der  Placenta  bis  zum 
Rand  der  Eihäute  verlaufen  und  dort  mit  einem  freien  Lumen  enden. 

In  zweifelhaften  Fällen  rechtfertigen  Blutung  und  mangelhafte  Contraction 
des  Uterus  oder  Fieber  mit  übelriechendem  Wochenfluss  die  directe  Austastung 
des  Uterus.  Hierzu  genügen  bei  Aborten  und  Fehlgeburten  1 — 2  Finger,  aber 
auch  nach  normaler  Geburt  braucht  man,  wenn  man  den  Uterus  ordentlich 
von  aussen  in  das  Becken  drückt,  nicht  immer  die  ganze  Hand  einzuführen 


PLACENTAE-  UND  EIHAUTRESTE.  667 

und  kann  dann  in  manchen  Fällen  die  Ablösung  des  Placentarrestes  ohne  Nar- 
cose  vollenden.  Dies  ist  besonders  von  Vorthcil,  wo  der  Arzt  keine  Assistenz  hat, 
und  die  Blutung  eine  sehr  starke  ist. 

Ist  der  Cervix  für  den  Finger  undurchgängig,  so  nehme  man  nach  vor- 
ausgeschickter Uterusausspülung  die  Tamponade  des  Uterus  mit  Jodoformgaze 
und  der  Scheide  mit  Salicylwatte  vor.  Die  Tamponade  stillt  die  Blutung, 
beschränkt  die  Fäulnis  und  eröffnet  den  Cervix.  Sind  Piacentarreste  retinirt, 
so  kann  man  sicher  darauf  rechnen,  dass  nach  24  Stunden  der  Cervix  durch 
die  Tamponade  für  1  Finger  durchgängig  geworden  ist.  Je  grösser  der  Pia- 
centarrest, desto  grösser  ist  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  die  durch  Tamponade 
erzeugten  Wehen  den  ganzen  Uterusinhalt,  Tampon  und  Piacentarrest,  aus- 
treiben. 

Sowohl  die  diagnostische  Austastung  als  die  manuelle  Lösung  der  Pia- 
centarreste darf  nur  nach  strengster  Desinfection  der  Entbundenen  und  des 
Operateurs  geschehen,  da  die  operirende  Hand  bei  der  Abschälung  des  Piacen- 
tarrestes mit  den  noch  oöenen  oder  frisch  thrombosirten,  mächtigen  Blut- 
bahnen der  Placentarstelle  in  innige  Berührung  kommt.  Sind  schon  Zer- 
setzungsvorgänge im  Uterus  vorhanden,  so  ist  vor  der  Lösung  eine  Uterus- 
ausspülung unbedingtes  Erfordernis.  Trotzdem  sieht  man  oft  genug  unter  diesen 
Umständen  nach  der  Lösung  Schüttelfrost  und  hohes  Fieber  nachfolgen  — 
als  ein  Zeichen,  dass  bei  der  Lösung  Coccen  oder  Ptomaine  in  die  Blutbahn 
übergeführt  wurden. 

Die  Technik  der  Lösung  von  Piacentarresten  entspricht  der- 
jenigen der  Lösung  der  ganzen  Placenta.  Die  äussere  Hand  muss  mit  ener- 
gischem Druck  den  inneren  Fingern  die  Haftstelle  des  Piacentarrestes  entge- 
gendrücken.  Die  Volarseite  der  inneren  Hand  muss  stets  nach  der  Placenta, 
nie  nach  der  Uteruswand  hin  gerichtet,  der  Piacentarrest  muss  von  der  Ute- 
ruswand in  toto  abgedrückt  werden,  indem  die  Finger  mit  sägeförmigen  Be- 
wegungen zwischen  Uteruswand  und  Piacentarrest  eindringen.  Zug  an  dem 
Piacentarrest  selbst,  mittels  der  Finger  oder  Instrumente  ist  zu  unterlassen. 
Lassen  sich  keine  deutlichen  Hervorragungen  über  die  Innenfläche  des  Uterus 
''mehr  constatiren,  so  höre  man  mit  der  Ausräumung  des  Uterus  auf  und 
bedenke,  dass  die  normale  Placentarstelle  sich  uneben  anfühlt  und  etwas 
über  das  Niveau  der  Umgebung  vorspringt.  Den  Gebrauch  der  Curette  zur 
Ablösung  grösserer  Piacentarreste  widerrathe  ich  auf  das  entschiedenste,  da 
man  hierbei  entweder  leicht  den  Uterus  perforiren  oder  Theile  der  Placenta 
zurücklassen  kann.  Das  Curettement  halte  ich  nur  in  den  Fällen  für  indicirt, 
wo  es  sich  um  Retention  von  Chorionzotten  bis  zur  Mitte  des  3.  Monates 
handelt.  Bis  zu  diesem  Termine  kann  man  eventuell  das  ganze  Ei  mit  der 
Curette  allein  entfernen. 

Ketentionen  der  Eihäute  sind  häufiger  als  partielle  Placentar- 
retentionen.  Diese  Thatsache  beruht  auf  dem  Umstand,  dass  in  den  ersten 
3  Monaten  die  Decidua  vera  allein,  später  die  zu  einer  Membran  vereinten 
sämmtlichen  Eihäute,  also  Decidua,  Chorion  und  Amnion  nicht  durch  die 
Wehen,  sondern  im  wesentlichen  durch  die  Schwere  des  nach  unten  sinkenden 
Eisacks,  resp.  der  Placenta  von  der  Uteruswand  losgelöst  werden.  Werden 
Eisack,  resp.  Placenta  entweder  durch  starke  Action  der  austreibenden  Kräfte 
oder  durch  forcirte  Expression  sehr  rasch  nach  abw^ärts  getrieben,  so  können 
die  Eihäute  sehr  leicht  am  Placentarrand  abreissen,  zumal  wenn  noch  eine 
pathologisch  festere  Verbindung  der  Eihäute  mit  der  Uteruswand  (bei  Endo- 
metritis decidua)  besteht.  Es  darf  also  nach  normalen  Geburten  die  Expression 
nicht  zu  gewaltsam  geschehen,  merkt  man,  dass  die  Placenta  tiefer  tritt,  so 
muss  der  Druck  vermindert,  und  die  Placenta  beim  Austritt  aus  der  Vulva 
aufffefanffen  werden. 


668  PLACENTAR-  UND  EIHAUTRESTE. 

Retentionen  der  Decidua  ver  aallein  beobachtet  man  am  häufigsten 
bei  Aborten  (in  den  ersten  3  Monaten  der  Schwangerschaft),  weil  in  dieser 
Zeit  die  Decidua  vera  ein  fast  ganz  von  den  übrigen  Eitheilen  getrenntes 
Gebilde  darstellt  —  hängt  sie  doch  nur  mit  dem  Rand  der  Placenta  zusammen. 
In  späteren  Schwangerschaftsmonaten  hat  die  Retention  der  Decidua  nur  dann 
eine  Bedeutung,  wenn  Decidua  vera  und  reflexa  abnorm  gewuchert  sind,  wie 
man  das  bei  Lues, nicht  selten  beobachtet.  In  diesen  Fällen  zieht  die  nach 
unten   sinkende  Placenta   das  Chorion  von  der  zurückbleibenden  Decidua  ab. 

Die  Diagnose  der  Deeiduaretention  ist  sehr  einfach,  wenn  man 
die  ausgestossenen  Eitheile  zu  Gesicht  bekommt.  Bei  Aborten  hat  man  dann 
nur  den  Eisack  vor  sich,  dem  der  charakteristische  von  der  Decidua  vera 
gebildete  Mantel  völlig  oder  ganz  fehlt.  In  späteren  Monaten  bieten  die  Eihäute 
sowohl  innen  wie  aussen  die  gleiche  glatte  Fläche  dar.  Die  Retention  der 
sämmtlichen  Eihäute  liegt  auf  der  Hand,  wenn  dieselben  an  der  Placenta 
ganz  fehlen.  Sind  die  Eihäute  nur  partiell  von  dem  Placentarrand  abgerissen 
oder  ist  der  Eihautriss  ein  sehr  grosser,  so  kann  die  Diagnose  einer  partiellen 
Retention  zweifelhaft  sein.  Praktisch  ist  dieser  Zweifel  von  keiner  wesent- 
lichen Bedeutung.  Es  gibt  übrigens  eine  Retention  von  Decidua  und 
Chorion  allein  —  nämlich  in  den  Fällen,  wo  zunächst  nur  das  Chorion 
einriss  und  sich  mit  der  Uteruswand  nach  oben  retrahirte,  während  der  nun 
vom  Amnion  allein  gebildete  Eisack  weiter  nach  abwärts  getrieben  wurde. 
Hierbei  findet  eine  Ablösung  des  Amnion  vom  Chorion  statt,  welche  sich 
bis  zur  Nabelschnur  erstrecken  kann.  Das  Amnion  wird  dann  stets  mit  der 
Placenta  geboren,  während  das  Chorion  umso  leichter  am  Placentarrand  ab- 
reisst,  als  diese  Verbindung  durch  das  Fehlen  des  festeren  Amnion  bedeutend 
geschwächt  ist. 

Sind  die  bereits  ausgestossenen  Eitheile  nicht  mehr  vorhanden,  so  kann 
die  Retention  der  Eihäute  nur  durch  Untersuchung  der  Frau  selbst  constatirt 
w'erden.  Handelt  es  sich  um  Deeiduaretention  allein,  so  fühlt  man  die  Uterus- 
innenfläche mit  einer  weichen,  dicken  Membran  ausgekleidet,  die  zum  Theil 
auch  in  das  Uteruscavum  frei  hineinragt.  Bei  den  übrigen  Eihautretentionen 
sieht  man  die  Eihäute  manchmal  vor  der  Vulva  oder  fühlt  sie  in  der  Scheide, 
resp.  imUterus  als  lange,  membranöse,  glatte  Gebilde.  Ist  der  Muttermund 
geschlossen,  so  lässt  sich  die  Diagnose  durch  das  Curettement  stellen,  welches 
man  aber  nur  bei  wenig  vergrössertem  Uterus  und  bei  Vorhandensein  von 
Blutungen  machen  darf. 

Symptome  der  Deeiduaretention  können  ganz  fehlen.  Nach 
Winter  kann  sich  die  retinirte  Decidua,  soweit  sie  der  Uteruswand  adhärirt, 
wieder  zur  normalen  Uterusschleimhaut  zurückbilden.  Häufig  treten  freilich  in- 
folge partieller  Lösung  der  Decidua  Blutungen  auf,  die  recht  profus  werden 
können  und  zur  Entfernung  der  Decidua  zwingen.  Ausserdem  beweist  die 
Endometritis  post  abortum,  bei  welcher  die  mikroskopische  Untersuchung 
Deciduainseln,  umgeben  von  kleinzelliger  Infiltration,  ergibt,  dass  die  Rück- 
bildung der  Decidua  nicht  immer  vor  sich  geht,  sondern  dass  die  retinirte 
Decidua  als  Fremdkörper  ein  Endometritis  erzeugen  kann.  Eine  andere  Mög- 
lichkeit ist  die,  dass  die  retinirte  Decidua  in  Fäulnis  übergeht  (s.  o.  Pla- 
centarretention),  und  Fieber  und  übelriechender  Ausfluss  ebenfalls  zur  Entfer- 
nung der  Decidua  zwingen. 

Die  Retention  der  Eihäute  in  späteren  Monaten  braucht  gar  keine  Symp- 
tome zu  machen,  vielmehr  werden  dieselben  nach  einigen  Tagen,  in  ein  Blut- 
gerinnsel eingehüllt,  spontan  ausgestossen.  Zwar  sieht  man  bei  Retention 
der  Eihäute  nach  normaler  Geburt  manchmal  atonische  Blutungen,  allein  dieselben 
sind  kaum  durch  die  Retention  bedingt,  sondern  Blutungen  und  Retention  sind 
Folgen  einer  Ursache,  nämlich  der  Wehenschwäche.  Fäulnis  der  retinirten  Eihäute 


POLYPEN  DES  UTERUS.  669 

tritt  nur  auf,  wenn  Fäulniskeime  in  das  Uteruscavum  eingebracht  sind  oder 
die  Eilläute  in  die  Scheide  herabhängen. 

Bezüglich  der  Prognose  der  verschiedenen  Retentionen  ist  ausser  dem 
schon  Angeführten  noch  hervorzuheben,  dass  sowohl  retinirte  Chorionzotten 
als  auch  Deciduazellen  Veranlassung  zur  Bildung  bösartiger  Geschwülste  sar- 
komatöser Natur  geben  können  (destruirende  Placentarpolypen,  maligne  iJeci- 
duome).  Die  klinischen  Erscheinungen  sind  profuse  Blutungen  und  trotz  gründ- 
licher Ausschabung  rasche  Wiederbildung  der  Geschwulstmassen,  welche  ohne 
mikroskopische  Untersuchung  für  retinirte  Eitheile  gehalten  werden.  Die  ein- 
zige Patientin,  bei  welcher  Totalexstirpation  des  Uterus  vorgenommen  wurde, 
ging  ebenfalls  an  Metastasen  zu  Grunde  (Gottschalk). 

In  therapeutischer  Hinsicht  sind  folgende  Momente  zu  berück- 
sichtigen: Bei  Deciduaretention  ist  die  Decidua,  falls  Blutungen  oder  Fieber 
eintreten,  zu  entfernen,  nachdem  man  vorher  auch  das  Uteruscavum  ausgespült 
hat.  Die  Entfernung  kann  manuell  oder  mittels  der  Curette  vorgenommen 
werden.  Im  ersteren  Falle  muss  der  Cervix  für  den  Finger  durchgängig  sein, 
und  meistens  die  Narcose  zur  Erschlaffung  der  Bauchdecken  angewandt  werden. 

Bei  Ptctention  des  Chorion  sind  die  Eihäute  stets  zu  entfernen,  falls  sie 
in  die  Scheide  herunterragen.  Man  fasst  sie  zu  dem  Zwecke  möglichst  hoch 
mit  einer  langen  Kornzange,  schliesst  die  Cremailliere  und  dreht  nun  mittels 
der  Kornzange  die  Eihäute  zu  einem  Strang  zusammen,  den  man  vorsichtig 
herabzieht,  bis  ein  stärkerer  Widerstand  eintritt.  Dann  fasst  man  die  Eihäute 
wieder  ein  Stück  höher  und  wiederholt  die  Drehungen.  Der  Uterus  ist  vor- 
her durch  Ergotin  oder  Reibungen  zu  fester  Contraction  zu  bringen  und 
während  der  Extraction  der  Eihäute  in  das  Becken  herunterzudrücken. 
Liegen  die  Eihäute  im  Uterus,  so  sind  sie  nur  bei  Blutungen,  Fieber  und 
übelriechendem  Ausfluss  manuell  zu  entfernen,  sonst  beschränkt  man  sich  auf 
Darreichung  von  Seeale.  Zur  manuellen  Entfernung  sucht  man  die  Ansatz- 
stelle der  Eihäute  im  Uterus  auf  und  schiebt  die  Finger  zwischen  Eihäute 
und  Uteruswand  unter  sägeförmigen  Bewegungen  vor.  Unentbehrlich  ist  auch 
hier  der  Gebrauch  der  äusseren  Hand.  Fühlt  man  die  Ansatzstelle  nicht,  so 
müssen  die  inneren  Finger  über  die  ganze  Innenfläche  des  Uterus  geführt 
werden,  wobei  die  Eihäute  abgelöst  werden.  dührssen. 

Polypßn  des  Uterus  kommen  in  den  verschiedensten  Formen  und 
Grössen  vor  und  können  ihren  Sitz  im  Verlauf  des  ganzen  Canals  der  Gebär- 
mutter vom  Orificium  externum  bis  zum  Fundus  uteri  nehmen.  Ihrer  Be- 
schaffenheit nach  lassen  sie  sich  im  allgemeinen  eintheilen  in  1 .  Schleimhaut- 
hyperplasien,  2.  fibromyomatöse  und  3.  maligne  Geschwulstbildungen  und 
müssen  demgemäss  nicht  nur  vom  anatomischen  sondern  auch  vom  sympto- 
matologischen  und  therapeutischen  Standpunkt  aus  gesondert  betrachtet  werden. 

1.  Die  häufigsten  Polypen  des  Uterus  sind  die  Schleimhautpolypen. 
{folliculären  Folypen).  In  ätiologischer  Hinsicht  sind  für  ihr  Entstehen  haupt- 
sächlich Cervixkatarrhe  und  Endometritis  corporis  (besonders  auch  bei  gleich- 
zeitigem Bestehen  von  Myomen)  verantwortlich  zu  machen.  Aus  der  gereizten 
hyperämischen  Schleimhaut  erheben  sich  circumscripte  Hyperplasieen,  welche 
die  morphologischen  Elemente  der  Schleimhaut:  feinfaseriges,  kernreiches 
Bindegewebe,  vor  allem  stark  hypertrophische  und  erweiterte  Follikel  und 
reichliche  Blutgefässe  enthalten;  auch  die  den  Polypen  überziehende  Schleimhaut 
ist  meist  sehr  blutreich. 

Am  und  im  Orificium  externum  finden  sich  diese  Polypen  als  kleine, 
.  kaum  erbsengrosse  Tumoren,  die  bald  nur  gestielte  Ovula  Nabothi,  bald  etwas 
derbere,  mehr  bindegewebshaltige  Knötchen  darstellen.  Meist  haben  sie  ihren 
Sitz  im  Cervicalcanal,  aus  dem  sie  bei  grösserem  Wachsthum  gestielt  hervor- 
ragen als  bald  rundliche,  bald  längliche,  kolbig  eingeschnürte  oder  verästelte 


670  POLYPEN  DES  UTERUS. 

Geschwulstbildungen,  welche  Eigrösse  erreichen  und  sogar  bis  in  die  Vulva 
herunterwachsen  können.  Indem  der  lang  ausgezogene  Stiel  reisst,  werden  sie 
manchmal  spontan  abgestossen. 

Diese  Cervixpolypen  sind  entschieden  die  häufigsten;  aber  auch  in  der 
üterushöhle  entwickeln  sich,  wohl  von  den  Uterusdrüsen  ausgehend,  oft  genug 
Schleimhautpolypen.  Dieselben  bleiben  gewöhnlich  klein,  da  die  starre  Uterus- 
wand sie  an  der  Ausdehnung  hindert.  Wachsen  sie  etwas  mehr,  wie  in  dem 
schlaffen  atrophischen  Uterus  älterer  Frauen,  so  nehmen  sie  annähernd  die 
Form  der  Uterushöhle  an.  Gar  nicht  selten  finden  sich  kleine,  kaum  erbsen- 
grosse  Polypen  in  den  Tubenecken. 

Die  grösseren  Schleimhautpolypen  haben  manchmal  infolge  reichlicherer 
Entwicklung  des  Bindegewebes  einen  fibromatösen  Kern  und  nähern  sich  somit 
den  fibrösen  Polypen.  Auch  können  sie  in  einzelnen  Fällen  nach  der  Ex- 
stirpation  recidiviren  und  malignen  Charakter  annehmen.  Der  Placentarpolyp, 
der  als  Grundstock  einen  nach  der  Geburt  oder  nach  dem  Abortus  zurückge- 
bliebenen Cotyledo  hat  und  in  der  Form  meist  einen  Abguss  des  Uterus- 
cavum  darstellt,  ist  kein  Polyp  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes.  Doch  macht 
er  häufig  die  gleichen  Symptome,  er  kann  ausserdem  destruirende  Wirkungen 
ausüben,  indem  die  Chorionzotten  in  die  Uterusvenen  hineinwuchern  und  die 
Uteruswand  zum  Schwund  und  sogar  zur  Perforation  bringen. 

Die  Symptome  der  Schleimhautpolypen  sind  vermehrter  Ausfluss,  Blu- 
tungen, Schmerzen,  Sterilität.  —  Die  kleinen  Polypen,  besonders  die  in  der 
Üterushöhle  sitzenden,  verursachen  oft  keine  Blutung  und  stellen  einen  zu- 
fälligen, bei  einer  Auskratzung  wegen  Fluor  albus  oder  auch  bei  der  Section 
gewonnenen  Befund  dar.  Dagegen  führen  die  kleinen  in  den  Tubenecken 
sitzenden  Polypen  gewöhnlich  zu  starken  Blutungen. 

Die  Cervixpolypen  haben  fast  stets  Blutungen  im  Gefolge,  und  zwar  je 
nach  Grösse,  Vascularisation  etc.  bald  nur  eine  leicht  verstärkte  Men- 
struation, bald  ein  an  die  normalen  Menses  sich  anschliessendes  Stillicidium 
sanguinis,  bald  Menorrhagieen  und  Metrorrhagieen.  Die  Schmerzen  äussern 
sich  manchmal  als  dumpfe  Kreuzschmerzen,  manchmal  als  wehenartige  Em- 
pfindungen. Sterilität  kann  durch  mechanische  Verlegung  des  Cervicalcanals, 
some  auch  durch  andauernden  Fluor  oder  Blutabgang  bedingt  werden. 

Ein   eigenthümliches  Symptom,  vorzugsweise   der  kleinen  im  Orificium 
oder  im  Cervicalcanal  sitzenden  Schleimhautpolypen,  die  im  Uebrigen  oft  nur 
einen  kaum  verstärkten  Menstrualfluss  oder  ein  leichtes  Stillicidium  sanguinis, 
oft  auch  keinerlei  Blut-  oder  Schleimabgang  verursachen,  stellen  die  Reflex 
erscheinungen, ")  besonders  der  ßeflexhusten,  dar. 

Da  auf  diese  interessante  Erscheinung  nirgends  aufmerksam  gemacht  wird,  so  mögen 
bei  der  Wichtigkeit  derselben  gerade  für  den  praktischen  Arzt  einige  prägnante  Bei- 
spiele aus  einer  grösseren  Pi,eihe  derartiger  Beobachtungen  des  Verfassers  hier  in  Kürze 
mitgetheilt  werden. 

Bei  einer  in  der  sechzehnten  Woche  schwangeren  Frau  bestand  seit  Monaten  ein 
continuirlicher,  äusserst  quälender  trockener  Husten,  der  durch  Narcotica  kaum  zu  lindern 
war  und  von  vielen  Aerzten  wegen  der  zunehmenden  Schwäche  und  Abmagerung  auf  eine 
beginnende  Tuberkulose  zurückgeführt  wurde.  Bei  der  Untersuchung  der  Genitalien  fand 
sich  ein  erbsengrosser  Polyp  im  Orificium  externum,  nach  dessen  Abtragung  der  Husten 
wie  mit  einem  Schlag  verschwunden  war. 

Eine  Jungverheiratete  Frau,  die  als  Mädchen  wegen  andauernden  Hustens  von  specia- 
listischer  Seite  fast  zwei  Jahre  lang  im  Kehlkopf  behandelt  worden  war,  bekam  nach  vor- 
übergehender Besserung  auf  der  Hochzeitsreise  heftige  krampfartige  Husten attaquen,  ver- 
bunden mit  starker  nervöser  Erregung.  Menses  schwach,  aber  von  8-tägiger  Dauer;  kein 
Ausfluss.  Die  mit  Mühe  durchgesetzte  Genitaluntersuchung  ergab  eine  Erosion  am  Mutter- 
mund und  einen  linsengrossen  Polypen,  dessen  Berührung  nervöse  Zuckungen  und  Husten- 
stösse  auslöste.  Nach  Abtragung  desselben  und  mehrmaliger  Touchirung  mit  Jodtinctur. 
blieb  Husten  und  Nervosität  dauernd  beseitigt. 


*)  Vergl.  auch  Artikel  „Interne  Krankheiten  während  der  Gravidität/'  pag.  4:37, 


POLYPEN  DES  UTERUS.  671 

Eine  dem  Klimakterium  nahestehende,  aber  noch  regelmässig  mcnstruirte  Frau,  bei 
der  sich  an  die  Menstruation  ein  spärlicher,  verzettelter  Abgang  von  Blut  und  wässrigem 
Schleim  anschloss,  litt  seit  geraumer  Zeit  an  grosser  Schwäche,  Magenkrämpfen,  Erbrechen, 
Ohnmachtsanfällen,  und  vor  allem  an  einem  Jiäufig  auftretenden  eigenthümlicbcn  trocknen 
Reizhusten.  Die  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  wurde  auf  Uteruspolyp  gestellt  und  fand 
ihre  Bestätigung  bei  der  Untersuchung.  Nach  Abtragung  eines  fast  haselnussgro.ssen, 
länglichen,  gestielten  Cervixpolypen  und  Auskratzung  der  mit  Wucherungen  bedeckten 
Cervicalschleimhaut  schwanden  sämmtliche  Erscheinungen  unter  vollkommener  Wiederher- 
stellung der  Kraft  und  Gesundheit. 

Die  Diagnose  der  Sclileimhautpolypen  ist,  wenn  dieselben  aus  dem 
äusseren  Muttermund  hervorragen,  durch  den  tastenden  Finger,  der  einen  mehr 
oder  weniger  beweglichen,  weichen  Tumor  fühlt,  leicht  zu  stellen.  Manchmal 
kann  es  vortheilhal't  sein,  während  der  Menses  zu  untersuchen,  da  dann  ein 
im  Cervicalcanal  versteckter  Polyp,  dadurch,  dass  er  succulenter  und  grösser 
wird,  tiefer  tritt  und  dem  palpirenden  Finger  besser  zugänglich  ist. 

Die  im  Uteruscavum  sitzenden  Polypen  können  in  günstigen  Fällen  mit 
der  Sonde  gefühlt  werden,  indem  man  auf  einen  Widerstand  stösst,  den  man 
mit  derselben  umgehen  und  abgrenzen  kann.  In  den  meisten  Fällen  ist  die 
Diagnose  schwer ;  sie  kann  gestellt  werden  durch  Abtastung  nach  vorher- 
gehender Dilatation  des  Uterus.  Häufig  wird  nur  die  Diagnose  Endo- 
metritis gestellt;  und  falls  wegen  Ausfluss  und  Blutungen  eine  Auskratzung 
vorgenommen  wird,  fördert  man  ausser  hypertrophischen  Schleimhautpartieen 
auch  polypöse  Wucherungen  oder  einzelne  gestielte  Polypen  zu  Tage. 

Die  Therapie  ist  immer  eine  operative,  und  zwar  die  dankbarste,  die 
sich  denken  lässt.  Lästige  Beschwerden,  ja  lebensgefährliche  Blutungen  können 
durch  kleine,  einfache,  jedem  Arzt  mögliche  Eingriffe  rasch  und  dauernd  ge- 
heilt werden,  oft  in  der  Sprechstunde  und  sogar  ohne  Vorwissen  ängstlicher 
Patientinnen. 

Kleinere  Polypen  werden  durch  Abkneifen  mit  einer  schneidenden  Zange 
entfernt,  bei  grösseren  sucht  man  den  Stiel  auf  und  schneidet  ihn  mit  einer 
Scheere  ab.  Ein  Speculum  ist  nicht  immer  nothwendig.  Meist  erfolgt  keine 
oder  eine  ganz  unbedeutende  Blutung,  die  durch  Andrücken  von  Watte  oder 
durch  eine  leichte  Jodoformgazetamponade  sofort  gestillt  wird.  Der  Abtragung 
kann  man  eine  Aetzung  mit  Jodtinctur,  Holzessig  etc.  folgen  lassen.  Wenn, 
wie  dieses  häufig  der  Fall  ist,  auch  die  übrige  Uterusschleimhaut  sich  in 
einem  hyperplastischen  Zustand  befindet,  so  verbindet  man  zweckmässig  die 
Abtragung  des  Polypen  mit  einer  Auskratzung  der  ganzen  Uterushöhle. 
Dieses  Vorgehen  ist  in  jedem  Falle  indicirt,  wenn  der  Polyp  seinen  Sitz  im 
Cavum  hat  und  nicht  direct  mit  der  Zange  gefasst  oder  mit  der  Scheere  ab- 
geschnitten werden  kann. 

2.  Die  fibrösen  und  fibromyomatösen  Polypen  bilden  sich 
aus  den  submucösen  Fibromyomen,  '^)  indem  diese  ins  Uteruscavum  hinein- 
wachsen, die  Schleimhaut  vor  sich  herdrängen  und  mit  der  Uteruswaud  nur 
noch  durch  einen  bald  dickeren,  bald  dünneren  Stiel  im  Zusammenhang  bleiben. 
Sie  können  eine  enorme  Grösse  erreichen. 

Ihrem  anatomischen  Bau  nach  sind  sie,  je  nach  Vorwiegen  des  Binde- 
gewebes oder  der  Muskelfasern,  das  einemal  mehr  Fibrome,  das  andremal 
mehr  Myome ;  scharfe  Grenzen  sind  hier  nicht  zu  ziehen.  Sie  können  die- 
selben Veränderungen  erleiden  wie  die  Fibromyome,  cystisch  degeneriren  oder 
auch  malignen  Charakter  annehmen,  sarkomatös  werden.  INIanchmal  werden 
sie  infolge  der  Ausziehung  und  des  Abreissens  ihres  Stiels  durch  die  Uterus- 
contractionen  in  toto  geboren,  Andremale  werden  sie  durch  Ernährungsstörung 
gangränös,  verjauchen  und  werden  unter  septischen  Erscheinungen  stückweise 
ausgestossen. 


*)  Vergl.  auch  Artikel  „Fibrom,  Fih'077ujom,  Mi/om,"  pag.  241. 


672  POLYPEN  DES  UTERUS. 

Die  Aetiologie  dieser  Polypen  ist  die  der  Fibromyome.  Sie  kommen 
in  jedem  Alter  der  geschlechtsreifen  Frau  vor,  aber  häufiger  gegen  das 
Klimakterium  hin.  Sie  finden  sich  vorzugsweise  bei  Multiparen,  aber  auch 
oft  genug  bei  Nulliparen.  Auch  im  Puerperium  nach  frühzeitiger  oder  recht- 
zeitiger Geburt  werden  fibröse  Polypen  des  Uterus  beobachtet,  die  schon 
während  der  Schwangerschaft  bestanden  haben. 

Wenn  die  Polypen  sich  aus  Myomen  des  Cervix  bilden,  so  treten  sie 
meist  bald  aus  dem  Muttermund  hervor,  ragen  in  die  Scheide  und  wachsen 
hier  weiter.  Während  sie  ursprünglich  ein  massiges  Volum  haben,  können 
sie,  da  sie  in  der  Scheide  Platz  zur  Ausbreitung  finden,  bei  längerem  Be- 
stehen eine  ansehnliche  Grösse  erreichen.  Manchmal  tritt  auch  der  Tumor 
direct  aus  einer  Muttermundslippe  heraus  und  zieht  dieselbe  durch  sein  Ge- 
wicht in  die  Länge,  so  dass  sie  den  Stiel  bildet. 

Werden  die  vom  Uteruskörper  ausgehenden  Myome  durch  Stielbildung  zu 
Polypen,  so  dehnen  sie  die  Uterushöhle  aus  und  bleiben  zunächst  in  derselben 
liegen.  Sie  wachsen  oft  zu  colossalen  Tumoren,  von  Kindskopfgrösse  und 
mehr,  an.  Durch  Contractionen  des  Uterus  können  sie  in  die  Scheide  ge- 
boren werden,  wobei  der  in  die  Länge  gezogene  Stiel  noch  in  der  Uterushöhle, 
oft  nahe  dem  Fundus  befestigt  ist.  Bei  schwacher,  verdünnter  Uteruswand 
kann  dieselbe  von  dem  Stiel  nachgezogen  werden,  so  dass  eine  unvollständige 
oder  vollständige  Uterusinversion  entsteht  (V.  „Inversio  uteri"). 

Der  Stiel  der  fibromyomatösen  Polypen  ist  meist  stark  vascularisirt, 
ebenso  der  Tumor  selbst  und  die  ihn  überziehende  hypertrophische  Schleimhaut ; 
letztere  kann  secundär  durch  den  Druck  der  wachsenden  Geschwulst  zu  einer 
atrophischen,  dünnen  Membran  werden.  Im  Stiel  können  die  fibrösen  und 
musculären  Elemente  schwinden,  so  dass  derselbe  nur  noch  aus  Schleimhaut 
besteht.  Diese  Polypen  erschweren  einerseits  die  Conception,  andrerseits  führen 
sie  leicht  zur  Unterbrechung  der  Schwangerschaft.  Sie  gefährden  Gesundheit 
und  Leben,  hauptsächlich  durch  Blutungen  und  Gangrän. 

Ihre  Symptome  sind  nach  Grösse  und  Sitz  verschieden.  Während  die 
kleineren  in  der  Uterushöhle  sitzenden,  sowie  selbst  grössere,  vom  Cervical- 
canal  ausgehende  und  in  der  Scheide  liegende  Polypen  oft  nur  vermehrten 
Ausfluss,  verstärkte  Menstruation  oder  irregulären  Blutabgang,  dabei  manchmal 
ein  Gefühl  von  Druck  und  Schwere  im  Becken  hervorrufen,  führen  grosse,  in 
der  Uterushöhle  sich  entwickelnde  Polypen  zu  weit  schwereren  Erscheinungen, 
indem  sie  reizend  auf  die  Uteruswand  wirken  und  Wehen  erregen.  Die 
Wehen  treten  haupsächlich  zur  Zeit  der  Menstruation  ein,  so  dass  diese 
ausserordentlich  schmerzhaft  wird  und  von  reichlichem  Blutabgang  (bald 
flüssiges  Blut,  bald  grosse  Coagula)  begleitet  ist.  Bei  stärkerem  Wachsthum 
treten  die  Contractionen  auch  in  der  Zwischenzeit  auf  und  können  mit 
heftigen  Metrorrhagien  verbunden  sein. 

Dabei  stellen  sich  oft  Erscheinungen  wie  in  der  Gravidität  ein,  nicht  nur 
subjective  Schwangerschaftssymptome,  wie  Uebligkeit  und  Erbrechen,  sondern 
auch  objective,  wie  Auflockerung  der  Scheide,  Pigmentirung  der  Linea  alba 
und  Milchsecretion.  Bei  grossem  Volumen  kommen  dazu  noch  Druck  auf 
Blase  und  Mastdarm,  neuralgische  Schmerzen,  Oedeme  etc.  Wird  der  Polyp 
infolge  von  Thrombose  der  Stielgefässe  oder  von  Einschnürung  des  Stiels  durch 
den  inneren  Muttermund  gangränös,  so  tritt  jauchiger  Ausfluss,  oft  verbunden 
mit  septischem  Fieber,  ein. 

Die  Diagnose  eines  fibrösen  Polypen  ist  leicht,  wenn  derselbe  bereits 
in  die  Scheide  getreten  oder  im  Orificium  fühlbar  ist.  Von  einem  grösseren 
Schleimhautpolypen  unterscheidet  er  sich  durch  die  härtere  Consistenz  und 
die  regelmässigere  Form.  Zu  vermeiden  ist  die  einigemale  vorgekommene 
Verwechslung  mit  einem  invertirten  Uterus. 


POLYPEN  DES  UTERUS.  673 

Sitzt  er  noch  in  der  Uterushöhle,  so  kann  er  manchmal  während  der 
Menstruation  vom  touchircndcn  Finger  erreicht  werden  wegen  seines  zu  dieser 
Zeit  grösseren  Volumens  und  der  besseren  Zugilnglichkeit  des  Cervicalcanals. 
Ist  dies  nicht  der  Fall,  so  lässt  si('h  zunilchst  nur  in  Hinblick  auf  die  Ver- 
grösserung  des  Uterus  und  die  übrigen  »Symptome  die  Diagnose  auf  Myom 
stellen.  lieber  den  Stiel  des  Tumors  muss  man  sich,  nach  vorheriger  aus- 
giebiger Dilatation  des  Cervix,  durch  die  Sonde  oder  den  Finger,  durch  Dre- 
hungen der  Geschwulst  eine  möglichst  genaue  Vorstellung  zu  verschaffen  suchen. 

Die  Therapie  kann  nur  in  der  operativen  Entfernung  des  Polypen  be- 
stehen. Diese  ist  bei  einem  vom  Cervicalcanal  ausgehenden  Polypen  ge- 
wöhnlich nicht  schwer.  Hier  kommt  man  bei  massiger  Grösse  desselben  neben 
ihm  ohne  weiteres  an  den  Stiel  und  kann  ihn  mit  einer  SiEHOLD'schen  Scheero 
abschneiden.  Ist  der  Tumor  zu  gross,  als  dass  dies  möglich  wäre,  so  zieht 
man  ihn  vor  die  Vulva  und  macht  so  den  Stiel  zugänglich. 

Bei  den  grossen,  vom  Fundus  ausgehenden,  aber  bereits  in  die  Scheide 
getretenen  Polypen  verfährt  man  ebenso.  Oft  sind  dabei  vorbereitende  Trac- 
tionen  mit  der  Geburtszange  nöthig,  bis  es  nach  mehreren  Sitzungen  gelingt, 
die  nicht  selten  über  kindskopfgrosse  Geschwulst,  manchmal  nach  Trennung 
von  Verwachsungen  mit  dem  Orificium  uteri  oder  der  Vagina  und  nach 
Spaltung  des  Perineums,  vor  die  Vulva  zu  bringen.  Der  Stiel  wird  dann,  nicht 
zu  nahe  am  Uterus,  abgeschnitten,  in  dessen  Wand  sich  sein  Piest  sofort 
zurückzieht.  Gewöhnlich  erfolgt  keine  oder  nur  eine  massige  Blutung,  die 
durch  Tamponade  leicht  zu  stillen  ist.  Lässt  sich  der  Polyp  nicht  herunter- 
ziehen und  ist  es  nicht  möglich,  an  ihm  vorbei  zum  Stiel  zu  gelangen,  so  kann 
die  sogenannte  operative  Verlängerung  oder  die  Verkleinerung  vorgenommen 
werden.  Erstere  besteht  in  seitlichen  Einschnitten  (Simon)  oder  Spiraltouren 
(Hegar),  durch  die  der  Polyp  verlängert  und  im  Dickendurchmesser  ver- 
kleinert wird,  so  dass  man  leichter  an  den  Stiel  kommt.  Letztere  besteht  in 
der  Excision  von  Stücken  aus  der  Masse  des  Tumors  mit  dem  Messer  oder- 
der  galvanokaustischen  Schlinge.  Beide  Verfahren  sind  schwierig  und  ge- 
fährlich und  müssen  auf  alle  Fälle  zur  Vermeidung  von  Blutung  und  Jauchung 
in  einer  Sitzung  vollendet  werden.  Ganz  zu  verwerfen  ist  die  allmähliche 
Entfernung  durch  partieenweises  Abbinden  oder  mit  Intervallen  ausgeführtes 
..Morcellement'^  \  ein  solches,  ab  und  zu  in  französischen  Journalen  publicirtes, 
durchaus  unchirurgisches  Verfahren  hat  gewöhnlich  den  letalen  Ausgang  zur 
Folge.  *) 

Befindet  sich  der  Polyp  noch  ganz  in  der  Uterushöhle,  so  ist  die 
Operation  meist  sehr  schwierig.  Man  kann  nach  genügender  Cervixdilatation 
versuchen,  eine  Drahtschlinge  oder  eine  galvanokaustische  Schlinge  um  den 
Stiel  zu  legen.  Durchaus  zu  widerrathen  ist  die  Anwendung  des  Ketten- 
ecraseurs  wegen  der  ausgedehnten  Schleimhautverletzungen,  die  man  mit  dem- 
selben verursachen  kann.  Wenn  bei  schwerzugänglichen  Polypen  nicht  sehr 
heftige  Blutungen  oder  Gangrän  die  sofortige  Operation  indiciren,  so  ist  eine 
vorbereitende  Behandlung  mit  Dilatation,  starken  Ergotindosen,  Tractionen  mit 
der  Zange  vorzunehmen,  um  so  die  weitere  Ablösung  von  der  Uteruswand, 
die  Verlängerung  des  Stiels  und  das  Tiefertreteu  des  Tumors  zu  befördern. 
Es  gelingt  auf  diese  Weise  allmählich,  denselben  so  mobil  zu  macheu,  dass 
man  den  Stiel  mit  Scheere  oder  Schlinge  durchtrennen  kann. 

3.  Die  malignen  Polypen  treten  als  adenomatöse,  carcinomatöse, 
sarkomatöse  Geschwulstbildungen  auf. 

a)  Den  Uebergang  zu  den  bösartigen  Formen  bilden  die  adenomatösen 
Polypen,  da  bei  denselben  sehr  häufig  gleichzeitig  eine  adenomatöse  Degene- 
ration  der  ganzen  Uterusshleimhaut    besteht,    die  später  leicht  in  Carcinom' 


*)  Vergl.  Artikel  „Myotomie"'. 
Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gyn?  .-kologie.  43 


674  POLYPEN  DES  ÜTERÜS. 

übergehen  kann.  Die  Aetiologie  dieser  ge^Yühnlicll  gegen  das  Klimacterium 
hin  auftretenden  Erkrankung  bilden  chronische  Katarrhe  des  Uterus.  Die 
adenomatösen  Polypen  gehen  meist  von  der  Schleimhaut  des  Cervix  aus  und 
können  manchmal  eine  ansehnliche  Grösse  erreichen.  Ein  solcher  aus  dem 
oft'enen  Cervicalcanal  eines  vergrösserten  und  empfindlichen  Uterus  hervor- 
ragender, etwas  unregelmässig  geformter,  nussgrosser  Polyp  zeigte  nach  der 
vom  Verfasser  vorgenommenen  Exstirpation  vollständig  die  mikroskopischen 
Charaktere  des  Adenoms,  er  bestand  fast  nur  aus  Drüsen  und  intraglandulärem 
Bindegewebe.    Dasselbe  Bild  ergab   auch  die  ausgekratzte  Uterusschleimhaut. 

Die  sichere  Diagnose  dieser  Neubildung  kann  stets  nur  durch  das 
INIikroskop  gestellt  werden,  da  auch  die  Symptome  sich  nicht  wesentlich  von 
denen  anderer  Polypen  unterscheiden.  Die  Blutungen  pflegen  massig  zu  sein, 
der  Ausfluss  kann  manchmal  ganz  fehlen. 

Die  Therapie  besteht  in  Abtragung  und  Aetzung  des  Stiels.  Derselbe 
enthält  entweder  auch  Drüsengewebe  oder  er  ist  rein  fibrös.  In  letzterem 
Falle  kann  damit  das  Uebel  beseitigt  sein,  ohne  dass  sich  ein  Beeidiv  zeigt. 
Wenn  Becidive  auftreten  oder  w^enn  der  adenomatöse  Process  die  ganze  Uterus- 
schleimhaut in  höherem  Grad  ergriffen  hat,  so  ist  wegen  des  stets  ver- 
dächtigen Charakters  dieser  Neubildung  die  vaginale  Hysterektomie  indicirt. 

h)  Carcinomatöse  PolypmUldungen  beobachtet  man  bei  der  sogenannten 
cancroiden  Form  des  Krebses  (Scheöder).  Dabei  ragt  der  meist  von  einer 
Muttermundslippe  mit  ausgesprochenem  Stiel  entspringende,  mit  hypertrophischer 
Schleimhaut  überzogene  und  oft  stellenweise  ulcerirte  Tumor  als  polypöse 
Wucherung  in  die  Scheide.  Die  Symptome  sind  dieselben  wie  bei  anderen 
Carcinomformen.  Die  Diagnose  ergibt  sich  aus  dem  palpatorischen  Nachweiss 
der  Krebsinfiltration  des  Collum,  sowie  aus  dem  mikroskopischen  Befund.  Die 
Therapie  kann  vielleicht  in  einzelnen  günstigen  Fällen  mit  der  hohen  Excision 
des  Collum  auskommen,  gewöhnlich  aber  erfordert  sie  die  Totalexstirpation 
des  Uterus. 

c)  Sarkomatöse  Polyimi,  kommen  als  in  die  Uterushöhle  vorspringende, 
von  der  Schleimhaut  ausgehende  Wucherungen  in  relativ  frühem  Alter  und 
vorzugsweise  bei  Nulliparen  vor.  Häufiger  aber  finden  sie  sich  in  späterem 
Alter  als  sarkomatöse  Degenerationen  fibromyomatöser  Polypen.  Die  Gewebs- 
elemente  der  letzteren  erscheinen  dann  durch  Bundzellen-  oder  Spindelzellen- 
wucherung verdrängt  oder  ersetzt. 

Was  Symptome  und  Diagnose  anbelangt,  so  verhalten  sie  sich  im 
Allgemeinen  wie  die  fibrösen  Polypen.  Doch  wachsen  sie  schneller  und  fühlen 
sich  meist  weicher  an.  Sie  verursachen  Schmerzen,  Blutungen  und  (manchmal 
jauchigen)  Ausfluss  und  können  eine  sehr  bedeutende  Grösse  erreichen.  Dabei 
entwickeln  sich  Störungen  des  Allgemeinbefindens,  die  ziemlich  bald  zur 
Kachexie  führen. 

Die  Therapie  erfordert  in  erster  Linie  die  Abtragung  dieser  Polypen, 
besonders  wenn  dieselbe  leicht  ausgeführt  werden  kann,  und  zw^ar  womöglich 
hart  an  der  Uteruswand.  Die  mikroskopische  Untersuchung  sichert  die 
Diagnose.  Wenn  sich  im  Stiel  keine  sarkomatösen,  sondern  nur  fibröse  Elemente 
finden,  so  kann  die  Entfernung  des  Polypen  von  definitiver  Heilung  gefolgt 
sein.  In  der  weitaus  grösseren  Anzahl  der  Fälle  aber  muss  möglichst  rasch 
zur  Exstirpation  des  ganzen  Uterus,  sei  es  von  der  Scheide  oder  von  den 
Bauchdecken  aus  geschritten  werden.  edgar  kurz. 


PORTIO-OPERATIONEN.  675 

Portio-Operationen.  Zu  den  typischen  Operationen  an  der  Cervix  uteri 

gehören:  1.  Die  Anipidatio  colli  uteri;  2,  die  iJiscissio  orificii. 

Amputjitio  colli. 

Die  Amputatio  colli  zählt  zu  den  frühesten  Eingriffen,  die  am  Gebär- 
organ selbst  vorgenommen  wurden.  Das  Hereinragen  des  unteren  Gebärmutter- 
abschnittes in  die  Scheide  als  Portio  vaginalis  erleichtert  das  operative  Handeln, 
während  andererseits  gerade  dieser  Theil  des  Uterus  am  häufigsten  der  Sitz 
gutartiger  Veränderungen,  wie  auch  bösartiger  Neubildungen  ist.  Die  erste 
Amputatio  colli  wird  Marschall  zugeschrieben,  welcher  im  Jahre  1783  einen 
prolabirten,  carcinomatösen  Uterus  angeblich  total  exstirpirte;  in  Wahrheit 
nahm  er  aber  nur  eine  partielle  Resection,  d.  i.  Amputation  des  erkrankten 
Theiles  vor.  Auch  Ossiander  vollführte  1801  nur  eine  hohe  Amputation,  als 
er  vermeinte,  den  Uterus  exstirpirt  zu  haben. 

So  lange  diese  Eingriffe  von  so  grosser  Gefahr  begleitet  waren,  durfte 
nur  eine  maligne  Neubildung,  das  so  überaus  häufige  Carcinom  zur  Veran- 
lassung chirurgischen  Vorgehens  dienen.  Erst  als  Sims,  Simon,  Hegar 
Schröder  u.  a.  die  Technik,  Schnittführung  und  Nahtmethode  so  verbesserten, 
dass  die  Gefahren  der  Blutung,  Sepsis,  Stenosenbildung  nicht  mehr  zu  fürchten 
waren,  dehnte  sich  die  Indication  zu  der  Amputatio  colli  immer  mehr  aus,  so 
dass  sie  heute  als  ein  harmloser,  ungefährlicher  Eingriff  eher  unterschätzt  und 
zu  häufig  geübt  wird. 

Streng  zu  trennen  ist  nun  bezüglich  der  Indication,  Prognose  und  Technik 
zwischen  Amputatio  portionis  vaginalis  seu  colli  infravaginalis  und  der  Am- 
putatio supravaginalis  seu  amputatio  alta  colli  uteri.  Während  man  im  erste- 
ren  Falle  lediglich  den  zapfenförmigen,  in  die  Scheide  hervorragenden  Theil 
des  Cervix  abtrennt,  also  unterhalb  des  Ansatzes  des  Scheidengewölbes  die 
Absetzung  der  Portio  vorgenommen  wird,  fällt  bei  der  hohen  Amputation  der 
ganze  Cervix  fort,  zu  welchem  Behufe  derselbe  erst  von  Scheide,  Blase,  Para- 
metrien,  Peritoneum  abgelöst  werden  muss,  wie  dies  der  erste  und  wesent- 
lichste   Theil   der   totalen   Exstirpation  des  Uterus  darstellt. 

a)  Amimtatio  portionis  vaginalis. 

Indication  zu  derselben  geben  vornehmlich: 

1.  Hypertropliia  portionis  vaginalis; 

2.  Erosionen  und  Follikelhildung ; 

3.  Stenosen. 

Carcinom  der  Portio  wird  wohl  niemals  mehr  zu  dieser  Operation  Indi- 
cation sein.  Wie  weit  die  hohe  Amputation  des  Collum  mit  der  Totalexstir- 
pation  des  Uterus  bei  Portio-  oder  Cervixcarcinom  concurrirt,  soll  weiter  unten 
besprochen  werden. 

Technik  der  Amputatio  portionis  vaginalis.  Nach  vielfachen 
Versuchen  ist  nunmehr  eine  Methode  der  Operation  zum  Typus  geworden,  die 
sich  sowohl  durch  Einfachheit,  als  durch  Sicherheit  auszeichnet,  es  ist-  dies  die 
keilförmige  oder  kegelmantelförmige  Excision  wie  sie  von  Simon,  Maekwäld, 
Hegar  ausgebildet  worden  ist. 

Die  Verfahren  mittelst  des  Ecraseurs,  einer  Drahtschlinge  oder  des  gal- 
vanocaustischen  Brenners  die  Portio  zu  amputiren,  gehören  der  Geschichte  an. 
Die  Unsicherheit  der  Blutstillung,  die  Gefährlichkeit  der  Nebenverletzung 
von  Blase,  Ureteren,  Peritoneum,  die  damit  nothwendig  werdende  Heilung  per 
secundam  intentionem,  endlich  die  Unmöglichkeit  die  spätere  Form  der  Portio 
und  Weite  des  Muttermundes  zu  beeinflussen,  verurtheilen  diese  Verfahren. 
p]benso  ist  völlig  obsolet  geworden  die  erst  geübte  Methode  von  Sims,  welche 
als  Ueberleitung  von  diesen  Verfahren  zu  den  rein  chirurgischen  der  Jetzt- 
zeit  zu   betrachten  ist,    nämlich  nach  Abtragen  der  Portio  durch  Horizontal- 

43* 


676 


POETIO-OPERATIONEN. 


schnitt,  die  Wuudfläclie  mit  einem  Lappen  der  Vaginalschleimliaut  zu  über- 
kleiden, wie  dies  etwa  bei  der  intraperitonealen  Stielbehandlung  bei  Myomecto- 
mie  mit  dem  Peritoneum  noch  geschieht. 

Die  Grundsätze  der  heutigen  Technik  sind:  erstens  die  Absetzung  der 
Portio  mit  dem  Messer  so  zu  gestalten,  dass  sich  die  entstandenen  Wund- 
flächen leicht  und  vollständig  an  einander  legen  lassen;  zweitens  die  Adaption 
der  Wunde  durch-  Nähte  zu  sichern,  so  dass  die  Blutung  dadurch  gestillt  wird 
und  die  Form  der  Portio  und  Weite  des  Muttermundes,  bez.  Cervicalcanals 
die  gewünschte  ist. 

Die  Schnittrichtung  ist  deshalb  von  Bedeutung,  weil  der  Cervix  in  seiner 
Wandung  völlig  starres  Gewebe  trägt,  und  die  Wundränder  umgrenzenden 
Schleimhäute  nur  geringe,  d.  h.  Cervicalschleimhaut  gar  keine  Verschieblich- 
keit besitzt.  Setzt  man  also  z.  B.  nach  dem  früheren  Brauch  die  Portio  durch 
einen  horizontalen  Schnitt  ab,  so  ist  es  unmöglich  die  Wunde  so  zu  vernähen, 
dass  sie  per  primam  zusammenheilt.  Die  Excision  muss  vielmehr  keilför- 
mig erfolgen. 

Die  Vornahme  der  Operation  gestaltet  sich  darnach  folgen- 
de rmaassen: 

Als  Instrumentarium  ist  nöthig:"") 
SiMON'sche  Specula,  Seitenhebel,  1 
MuzEux'sche  Zange,  1  amerikanische 
Kugelzange,  1  Messer,  1  Scheere,  1 
Hakenpincette,  1  Nadelhalter,  halb- 
kreisförmige nicht  zu  grosse  Nadeln, 
Catgut. 

Narcose  erwünscht,  doch  nicht 
unbedingt  nöthig.  Desinfection  der 
äusseren  Genitalien,  der  Scheide  und 
Cervix,  Steinschnittlage.  Die  Operation 
beginnt  damit,  dass  man  mittelst  der  in 
die  vordere  Muttermundslippe  einge- 
setzten MuzEux'schen  Zange  den  Ute- 
rus so  viel  als  möglich  herabzieht.  Ge- 
lingt es,  so  ist  nur  eine  kurze  breite 
SiMON'sche  Platte  zum  Zurückdrängen 
der  hinteren  Scheiden  wand  nöthig,  even- 
tuell ein  oder  beide  Seitenhebel,  ein 
vorderes  Speculum  ist  in  der  Regel 
nicht  erforderlich.  Die  SiMON'schen 
Halbrinnen  sind  wegen  ihrer  Länge  un- 
praktisch, erschweren  die  Operation. 
Vor  dem  Einsetzen  der  Zange  ist  mit- 
telst des  Katheters  zu  prüfen,  wie  weit 
herunter  die  Blase  an  der  vorderen 
Cervixwand  inserirt. 

Durch  eine   in  die  hintere  Mut- 
termundslippe  eingesetzte  Kugelzange 
wird  der  Cervix  möglichst  zum  Klaffen 
gebracht  und  durch  bilaterale  Schnitte  mit  dem  Messer  so  weit  aufgeschnitten, 
als  der  Länge  der  abzutragenden  Stücke  der  Portio  entspricht. 

Nun  wird  zunächst  die  hintere  Lippe  excidirt,  indem  zuerst  an  der 
Grenze  der  erkrankten  und   noch   gesunden   Cervixschleimhaut    ein   bis  etwa 


1.  Kreisförmige  Umsäumung  des  Muttermundes 
bei  Amputatio  colli  nach.  HEGrAE. 


Ka 


2.    Schluss  der  Nähte  bei  kreisförmiger 
Umsäumung  nach.  HEGAR. 


Icolocjie. 


*)  Vergl.  die  diesbezügliclien  Abbildungen  im  Artikel   „Insthimentariujn  zur   Gynä- 


POllTIO-OPEliATIONEN. 


Ö77 


in  die  Mitte  der  Cervixwand  gehender,  scliräg  nach  oben  gerichteter  Schnitt 
ausgeführt  wird.  Sodann  wird  unter  starkem  Erheben  der  Kugelzange  ein 
ebensolcher  Schnitt  von  der  Scheidenfiäche  der  hinteren  Muttermundslippe 
aus  angelegt.    Beide  Schnitte  müssen  sich  in  einem  spitzen  Winkel  treffen. 

Die  nun  einsetzende  Blutung  ist  nicht  selten,  namentlich  bei  grösseren 
Hypertrophieen  sehr  profus,  indem  eine  ganze  Anzahl  von  Gelassen  spritzen. 
Prophylactische,  blutsparende  Verfahren,  wie  sie  früher  z.  B.  in  der  Umgebung 
der  Portio  vermittelst  eines  Gummischlauches  angewandt  wurden,  sind  aber 
nicht  nöthig. 

Richtiger  und  einfacher  ist  es,  die  Blutung  durch  sofortige  Naht  zu 
stillen.  Es  müssen  deshalb  schon  beim  Beginn  des  ersten  Schnittes  mehrere 
eingefädelte  Nadeln  zurecht  sein,  so  dass  rasch  einige  Näthe  durchgeführt  werden 
können,  welche  die  Blutung  stillen  und  zugleich  die  Wunde  vereinigen.  Lässt 
sich  die  Portio  ganz  tief  in  die  Scheide  herunterziehen,  was  nur  bei  Ver- 
wachsung des  Uterus  und  parametranen 
Narben  behindert  ist,  so  ist  die  Naht- 
anlegung keineswegs  schwierig  und  er- 
fordert weder  besonderes  Geschick,  noch 
complicirte  Nahtapparate. 

Eingestochen  wird  stets  in  die 
Cervixschleimhaut.  Besonders  zu  beach- 
ten ist,  dass  die  Nadel  nicht  durch 
die  Wunde  geht,  sondern  hinter  der- 
selben durch  das  Cervixgewebe  geführt 
wird.  Im  ersteren  Falle  würde  nach 
dem  Knoten  in  der  Tiefe  der  Wunde, 
namentlich  seitlich  eine  Tasche  ver- 
bleiben, in  der  sich  Blut  verhält  und 
späterhin  zersetzt,  wodurch  nicht  allein 
die  Wundheilung  gestört  wird,  son- 
dern eventuell  Sepsis  veranlasst  wer- 
den kann.  Ist  durch  einige  Näthe  die 
Blutung  gestillt,  so  wird  in  derselben 
Weise  die  vordere  Muttermundslippe 
abgetragen  und  vernäht. 

Man  hat  es  leicht  in  der  Hand 
die  Weite  des  Muttermundes  so  weit  zu 
gestalten,  als  man  es  für  erforder- 
lich hält.  (Fig.  1.  und  2.)  Hat  die  Am- 
putation vorwiegend  plastischen  Zweck, 
ist  sie  also  wegen  Stenose  des  Mutter- 
mundes und  Cervicalcanales  ausgeführt 
worden,  so  empfiehlt  sich  die  kreisför- 
mige Naht  nach  Hegar,  bei  welcher 
auch  die  seitlichen  Vaginalränder  nicht 
aufeinander,  sondern  an  die  Cervix- 
schleimhaut angenäht  werden.*^  (Fig  3. 
u.  4.) 

Bei  Amputationen   wegen  Hyper- 
trophie würde  dies  einen  zu  sehr  klaf- 
fenden Cervix  erzengen;   hier  ist   es  richtiger  nur  in  der  Breite  der  Cervix- 
schleimhaut  die  Vaginalschleimhaut   anzunähen,    seitlich   hingegen   Vaginal- 
schleimhaut mit  Vaginalschleimhaut  in  Verbindung  zu  bringen  (siehe  Fig  2). 


Anlegung   der  Nähte  bei  der  kreisförmigen 
Amputatio  colli. 


Eig.  4.  Sobluss  der  Niitlie  bei  Amputatio  colli. 


*)  Vergl.  auch  Artikel  .,Cervix3tenose"  pag.  166. 


678 


PORTIO-OPERATIONEN. 


Es  muss  sorgfältig  und  solange  genäht  werden,  bis  die  Sclileimbäute  linear  an 
einander  liegen  und  die  Blutung  völlig  steht.  Blutende  Stichcanäle  sind  even- 
tuell zu  umstechen.    Nur  dann  ist  man  vor  Nachblutung  gesichert. 

Nach  Schluss  der  Naht  Aufstreuen  von  Jodoform,  Einlegen  eines  Jodo- 
formgazestreifens. Die  Nachbehandlung  ist  sehr  einfach.  Patientin  verbleibt 
8  —  10  Tage  zu  Bett.    Keine  Ausspülungen,    welche  die  Wundheilung  stören  ! 


Hat  man  mit  Catgut  genäht,  braucht 
gar  nicht  zu  kümmern. 


Kg.  5.    Excißio  cevvicis  nach  SCHEOEDER. 
a  6  horizontaler  Schnitt.  —  ac  senkrechter  Schnitt. 


man  sich  um  das  Schicksal  der  Fäden 

Eine  besondere,  gelegentlich  sehr 
empfehlenswerthe  Operationsmethode 
hat  Schröder  für  gewisse  Fälle  ange- 
geben. Der  Unterschied  zwischen  dieser 
und  der  vorigen  besteht  darin,  dass  hier 
nicht  aus  der  ganzen  Dicke  der  Portio 
ein  Keil  herausgeschnitten  wird,  son- 
dern dass  nur  die  erkrankte  Cervix- 
schleimhaut  eliminirt  wird.  Die  Ope- 
ration wird  hiezu  so  ausgeführt,  dass 
nach  starkem  Auseinanderziehen  der 
Muttermundslippen,  eventuell  unter  Zu- 
hilfenahme bilateraler  Discission,  ober- 
halb der  erkrankten  Cervicalschleimhaut 
ein  nicht  sehr  tiefer  horizontaler  Schnitt 
augelegt  wird.  Ziemlich  senkrecht  zu 
diesem  wird  nun  mehr  oder  weniger 
flächenhaft  die  zu  entfernende  Schleim- 
haut excidirt.  (Fig.  5.)  Durch  aus  Fig. 
6  ersichtliche  Nahtanlegung  wird  die 
vaginale  Fläche  der  Portio  nach  der  Cer- 
vixhöhle  zu  eingeklappt,  so  dass  also 
der  untere  Theil  des  neugebildeten 
Cervixcanales  mit  Vaginalschleimhaut 
ausgekleidet  wird. 

h)  Ämputatio  alta. 

Die  Indicationen  zu  der  hohen 
Amputation  sind : 

1.  Elongatio  colli  supravaginalis ; 

2.  beginnendes  Portiocarcinom. 
Beide  Indicationen   werden  mehr 

und  mehr  umstritten,  so  dass  die  Vor- 
nahme dieser  Operation  immer  sel- 
tener wird. 

V.  Rokitansky  und  neuerdings 
KtJSTNER  wiesen  nach,  dass  die  bei  to- 
taler Inversio  vaginae  ohne  Descensus 
uteri  sich  vorfindende  Verlängerung  der  Uterushöhle  auf  12 — 15 — 18  cm  nicht 
durch  eine  wirkliche  Hypertrophie  des  Collum  bedingt  ist,  sondern  vielmehr 
nur  eine  durch  den  Zug  des  herabgetretenen  Scheidenansatzes  am  Uterus 
entstandene  Ausziehung  und  Oedembildung  ist.  Keponirt  man  in  diesen  Fällen 
nach  Ausführung  der  Kolporrhaphie  den  Uterus,  so  verkürzt  sich  derselbe, 
begünstigt  durch  die  ruhige  Bettlage  in  wenigen  Tagen  so  wesentlich,  dass  eine 
operative  Kürzung   desselben  nicht  mehr  notwendig  erscheint. 

Die   Berechtigung  der   hohen   Amputation   wegen   Portiocarcinom   ver- 
fechten heute  nur  mehr  einzelne  Autoren,   wie  Hofmeiee  und  Wlstee,  dio 


Fig.   6. 


Wundvereinigiing  bei  Excisio  cervicis 
nach  SCHKOEDER. 


PORTiO-OPEKATIONEN.  679 

für  beginnende  Carcinome  nach  dem  Vorgange  Sciiköder's  dieser  partiellen 
Exstirpation  vor  der  totalen  Entfernung  des  Uterus  den  Vorzug  geben. 

Es  bleibt  abzuwarten,  in  welcliem  Verhältnis  das  Auftreten  von  lleci- 
diven  bei  beiden  Operationsverfahren  in  einer  grösseren  Zahl  von  Vergleiclis- 
fällen  stehen  wird.  Die  allgemeine  Meinung  tendirt  zur  Zeit  mehr  zu  der 
Totalexstirpation  des  Uterus,  wozu  ganz  besonders  die  Beobachtung  berechtigt, 
dass  in  einzelnen  Fällen  das  gleichzeitige  Vorkommen  von  Portiocarcinom  und 
Corpuscarcinom  beobachtet  wurde. 

Die  Technik  der  hohen  Amjnitation  ist  wesentlich  verschieden  von  der- 
jenigen der  vorbeschriebenen  Amputatio  portionis  infravaginalis.  Der  erste 
Act  dieser  Operation  besteht  in  dem  Auslösen  des  Cervix  aus  deren  Ver- 
bindung mit  Blase,  den  Parametrien  und  dem  hinteren  Peritonealüberzug  des 
Uterus,  welcher  bekanntlich  bis  auf  das  hintere  Scheidengewöll)e  herabreicht. 
Zu  diesem  Behufe  wird  zuerst  die  Portio  vaginalis  cca.  1  cm  unterhalb 
der  Blasengrenze  kreisförmig  umschnitten  und  unter  starkem  Herabziehen 
der  Portio  mit  MuzEUx'scher  Zange  der  Cervix  in  gewünschter  Länge 
stumpf  herauspräparirt,  wie  dies  auch  zur  Ausführung  der  Totalexstirpation 
nöthig  wird.  Selbstverständlich  ist  hiebei  grösste  Vorsicht  gegen  Blasen-  und 
Ureterenverletzung  anzuwenden.  Weniger  bedenklich  ist  ein  Einreissen  des  Pe- 
ritoneums, nur  muss  eine  Eröffnung  der  Peritonealhöhle  erkannt  und  sofort 
durch  Naht  verschlossen  werden. 

Die  Abtragung  des  abgelösten  Cervixstückes  geschieht  wieder  durch  keil- 
förmige Excision,  indem  die  ganze  Länge  der  Cervix  bis,  zu  der  Amputations- 
stelle bilateral  gespalten  wird  und  erst  die  hintere,  dann  die  vordere  Lippe 
abgeschnitten  wird.  Auch  wird  schliesslich  Vaginalschleimhaut  an  Cervix- 
schleimhaut  genäht.  Die  seitlichen,  Vaginalschleimhaut  mit  Vaginalschleimhaut 
vereinigenden  Nähte  müssen  sorgfältig  tief  hinter  der  Wunde  herumgeführt 
werden.  Da  hier  die  Parametrien  mit  ihren  zahlreichen  und  starken  Gefässen 
verletzt  werden,  ist  die  Blutung  eine  beträchtlichere  und  die  Stillung  der- 
selben sorgfältig  zu  handhaben.  Schröder  und  Martin  empfehlen  zum  Be- 
ginne der  Operation  tiefe,  durch  die  Parametrien  geführte,  prophylactische  Ab- 
stechungen der  Arteriae  uterinae  und  deren  Aeste. 

Discissioii. 

Unter  Discission  versteht  man  die  Erweiterung  des  äusseren  Muttermundes 
oder  des  ganzen  Cervicalcanales  durch  Schnitt. 

Als  Indication  hiezu  gilt  Verengerung  des  Muttermundes,  so  dass  der 
Austritt  des  Menstrualblutes  Schwierigkeiten  findet  und  Beschwerden  macht, 
„Dijsmenorrhoea  stenotica'^  und  die  Aufnahme  von  Sperma  behindert  ist,  „Ste- 
rilität'^. Namentlich  zur  Beseitigung  der  letzteren  war  lange  Zeit  die  Discissio 
das  typische  Vorgehen,  nachdem  im  Jahre  1843  Simpson  als  Erster  durch  diese 
Operation  einer  seit  7  Jahren  steril  verheirateten  Frau  die  4  Monate  später 
eintretende  Conception  ermöglicht  hatte.  Auch  heute  noch  wird  an  dieser 
Indication  zur  Discission  festgehalten,  im  Gegensatz  zu  früher  aber  wird  sie 
nur  dann  gegen  Sterilität  versucht,  wenn  einmal  die  Untersuchung  des  Spermas 
die  Zeugungsfähigkeit  des  Mannes  festgestellt  hat  und  andererseits  sonstige 
Veränderung  der  weiblichen  Genitalien,  Tuben-  und  Ovarienerkrankungen, 
Lageveränderungen  oder  Tumorbildung  des  Uterus  ausgeschlossen  ist.  Da  die 
anderen  Sterilitätsursachen  prävaliren,  ist  die  Discission  aus  dieser  Veranlassung 
wesentlich  seltener  geworden. 

Auch  bei  der  Dysmenorrhoe  ist  der  Erfolg  der  Discission  aus  dem  Grunde 
nicht  immer  der  gewünschte,  weil  auch  dieser  Störung  oftmals  andere  Ur- 
sachen zu  Grunde  liegen. 


.680  PROLAPS. 

Am  meisten  Erfolg  verspricht  die  Discission  in  den  Fällen,  wo  über  dem 
]\Iuttermund  im  Cervicalcanal  eine  ampulläre  Erweiterung  und  Anstauung  von 
Cervicalsecret  die  gestörte  Function  derselben  augenscheinlich  macht. 

Auch  in  Fällen  von  functioneller  Stenose  des  inneren  Muttermundes  in- 
folge von  hochgradiger  Anteflexionsknickung  desselben  findet  die  Discission 
noch  Anwendung.  Selbstverständlich  ist  aber  hier  besser,  wenn  möglich  die 
Correction  der  Lageveränderung  auzustellen. 

Von  Baker  Brown,  Mc.  Clintock  und  Nelaton  stammt  die  Beobachtung 
her,  dass  die  durch  submucöse  oder  interstitielle  Myome  erregte  Blutung  durch 
Spaltung  des  Cervicalcanals  beseitigt  werden  könne.  Es  wurde  dies  auf  eine 
unbeabsichtigte  Spaltung  des  Geschwulstbettes  zurückgeführt,  welche  eine  Ke- 
traction  der  congestionirten  Blutgefässe  herbeiführt.  Die  Inangriffnahme  der 
Geschwulste  selbst  dürfte  hier  die  Discission  mit  Recht  verdrängen. 

Endlich  findet  die  Discission  Anwendung,  um  das  Uterusinnere  behufs 
operativer  Maassnahmen  in  demselben  zugänglich  zu  machen,  sie  ist  also  dann 
nur  Mittel  zum  Zweck  und  concurrirt  mit  der  unblutigen  Erweiterung. 

Die  Technik  der  Discission  bestand  früher  darin,  dass  man  mittelst  schnei- 
dender Instrumente  meist  bilateral  einen  Einschnitt  machte.  Durch  Aetz- 
behandlung  der  Wunden  wurde  das  Wiederverwachsen  derselben  verhindert. 
Besondere  „Metrotome"  wurden  zu  diesem  Zwecke  construirt,  die  bekanntesten 
sind  diejenigen  von  Simpson,  Sims  und  E.  Martin.  An  deren  Stelle  wird 
jetzt  das  Aufschneiden  des  Cervix  mit  der  Scheere  oder  das  Einschneiden  der 
Wand  desselben  mit  einem  einfachen,  langen,  schmalen  Messer  vorgezogen, 
da  sich  damit  sicherer  als  mit  einem  Metrotom  die  Tiefe  der  Einschnitte  be- 
stimmen lasse.  Nach  der  Discission  wird  in  den  Cervicalcanal  ein  mit  Liquor 
ferri  sesquichlorati  oder  50 "^/o  Chlorzinklösung  befeuchteter  Wattebausch  ein- 
gelegt, welche  die  Blutung  stillt  und  gleichzeitig  durch  die  Verschorfung  der 
Wunden  die  prima  reunio  hindert.  Am  3.  Tag  wird  der  Tampon  entfernt  und 
fortan  8  Tage  lang   täglich  ein  solcher  mit  Jodoformglycerin  eingelegt. 

Bei  Anteflexionsstenose  wird  in  sagittaler  Richtung  die  linke  Lippe, 
bei  Retroflexionen  die  vordere  Lippe  eingeschnitten.  Zuverlässiger  als 
die  Discissio  erscheint  bei  angeborener  oder  erworbener  Stenose  des  Mutter- 
halses eine  plastische  Operation  entweder  in  Form  der  keilförmigen  Ampu- 
tation oder  ähnlicher  Verfahren.  döderlein. 

Prolaps.  Die  grosse  Mehrzahl  aller  Scheiden-  und  Uterusvor- 
f  all e  sind  puerperalen  Ursprunges.  Schon  während  der  Gravidität  werden 
die  Scheidenwände  derart  aufgelockert,  dass  sich  selbst  bei  Erstschwangeren 
die  vordere  Vaginalwand  oft  vorbuchtet.  Während  der  Geburt  wird  bei  Primi- 
paren,  zumal  bei  rigidem  Muttermund,  der  Cervix  stark  nach  unten  gezogen 
und  dadurch  seine  feste  Verbindung  mit  der  Blase  gelockert.  In  der  Aus- 
treibungsperiode wird  ferner  die  Scheide  durch  den  Kopf  sehr  erheblich  gedehnt 
und  infolge  dessen  auch  ihre  Verbindung  mit  den  Nachbarorganen  eine  losere. 
So  geht  selbst  nach  normalem  Geburts-  und  Wochenbettsverlauf  die  ursprüng- 
liche Festigkeit  und  Straffheit  der  Vagina  verloren.  Fehlt  in  Folge  eines 
nicht  geheilten,  grösseren  Dammrisses  der  vorderen  Scheidenwand  die  sonst 
vorhandene  Stütze  der  hinteren,  so  kommt  es  leicht  zu  einem  Herabgleiten, 
einem  Descensus  der  ersteren.  Er  wird  durch  starke  Füllung  der  Blase 
und  Anstrengen  der  Bauchpresse  befördert.  Auch  die  hintere  Scheidenwand 
kann  in  Folge  eines  Dammrisses  prolabiren.  Manchmal  bildet  sich  eine  Rec- 
tocele,  welche  die  Scheide  vortreibend,    dieselbe   secundär  zum  Vorfall  bringt. 

Auffällig  ist  es,  dass  isolirte  Scheidenvoiiälle  verhältnismässig  selten  sind. 
Die  Ursache  ist  darin  zu  suchen,  dass  die  Verbindung  der  vorderen  Vaginal- 
■wand  mit  dem  Cervix,  selbst  wenn  sie  gelockert,  doch  noch  eine  so  feste  ist, 


PROLAPS.  G81 

dass  jene  nach  unten  sinkend,  einen  '/av^  an  dem  letzteren  ausübt,  welcher  meist 
infolge  ungenügender  puerperaler  llückbildung  noch  hyperämisch  und  hyper- 
trophisch ist.  Während  das  Corpus  uteri  durch  seine  Ijcfestigungsmittel  an- 
nähernd in  normaler  Höhe  erhalten  wird,  wird  er  in  die  Länge  gezogen.  Sind 
aber  auch  jene,  d.  h.  der  peritoneale  Ueberzug  des  Corpus  wie  die  Ligamenta 
lata,  recto-uterina  und  rotunda  mangelhaft  involvirt,  so  sinkt  der  Uterus  in 
toto  nach  unten  und  das  umso  leichter,  wenn  er  massig  retrovertirt,  also 
annähernd  in  der  Scheidenaxe  liegt.  Letzteres  wird  wieder  durch  starke 
Füllung  der  Blase,  welche  das  Corpus  nach  hinten,  sowie  Anhäufung  von 
Kothmassen  im  Rectum,  die  den  Cervix  noch  verdrängen,  begünstigt.  Selbst- 
verständlich ist  es,  dass  ein  schwerer,  d.  h.  schlecht  involvirter  Uterus  unter 
den  geschilderten  Verhältnissen  leichter  descendirt  als  ein  solcher  von  nor- 
maler Griisse,  selbstverständlich  auch,  dass  starke  Anwendung  der  Bauchpresse, 
welche  chronische  Obstipation  so  oft  erfordert  oder  mit  heftigem  Erbrechen, 
starkem  Husten  verbunden  ist,  hier  begünstigend  wirkt. 

Nicht  selten  hört  man  von  älteren,  jenseits  des  Klimacterium  stehenden 
Frauen,  dass  sich  bei  ihnen  sehr  schnell  ein  Prolaps  entwickelt  habe.  Ge- 
nauere Erkundigungen,  beziehungsweise  die  Untersuchung  ergeben  aber  fast 
immer,  dass  bei  ihnen  bereits  geringe  Grade  von  Vorfall  bestanden  haben 
und  dass  ein  mehr-minder  tief  gehender  Dammriss  vorhanden  ist.  Die  schnelle 
Vergrösserung  des  Vorfalles  ist  hier  einerseits  auf  das  Schwinden  der  Elasti- 
cität  der  Gewebe  in  diesen  Jahren,  sowie  wieder  auf  eine  häufige  und  stär- 
kere Anwendung  der  Bauchpresse,  sei  es  in  Folge  schweren  Stuhlganges  oder 
körperlicher  Anstrengungen  zurückzuführen.  Letztere  spielen  überhaupt  da, 
wo  andere  begünstigende  Momente  bereits  vorhanden  sind,  eine  wichtige  Rolle 
bei  der  Entstehung  der  Vorfälle.  Auf  sie,  zumal  wenn  sich  ihnen  Frauen 
frühzeitig  in  Wochenbett  unterziehen,  ist  es  zuschieben,  dass  wir  dem  Pro- 
laps ungleich  häufiger  bei  den  niederen,  als  den  besitzenden  Classen  begegnen. 

Bisher  haben  wir  in  dem  Descensus  der  Scheide  das  Primäre,  in  dem 
Vorfall  des  Uterus  des  Secundäre  gesehen.  Auch  das  umgekehrte  kann  der 
Fall  sein.  Sind  die  bereits  erwähnten  Befestigungen  des  Uterus  erschlalft, 
liegt  er  selbst  leicht  retrovertirt,  so  sinkt  er  nach  unten  und  invertirt  die 
Scheide.  So  kann  ein  totaler  Uterusprolaps  entstehen,  d.  h.  die  ganze  Gebär- 
mutter vor  der  Vulva  liegen.  Ein  anderer  Entstehungsmodus  ist  der,  dass 
der  Prolaps  des  hypertrophischen  Uterus  längere  Zeit  durch  ein  zu  grosses 
Pessar  reponirt  erhalten  wurde  und  dieser  sich  inzwischen  wieder  zu  nor- 
maler Länge  zurückgebildet  hat.  Nach  Entfernung  des  Pessars  kann  er  dann 
plötzlich  wieder  und  jetzt  in  toto  vorfallen. 

Ein  ganz  plötzliches  Zustandekommen  eines  Uterusprolapses  gehört  sonst 
zu  den  grössten  Seltenheiten,  ist  aber  bei  sehr  starker  Anstrengung  der  Bauch- 
presse und  Vorhandensein  der  geschilderten  begünstigenden  Momente  möglich. 

In  seltenen  Fällen  auch  liegt  schliesslich  die  Ursache  der  Vorfall- 
bildung in  intraabdominellen  Geschwülsten,  welche  den  Uterus  nach  abwärts 
drücken  oder  solchen  —  besonders  sind  es  vom  Cervix  entspringende  — , 
welche  ihn  nach  unten  ziehen. 

Bei  isolirtem  Prolaps  der  vorderen  Scheidenwand  findet  sich  die 
letztere  in  der  Regel  verdünnt,  schlaff,  blassroth.  Stets  enthält  er,  gleich- 
viel ob  isolirt  oder  durch  Uterusvorfall  complicirt,  eine  Ausstülpung  der 
hinteren  Blasenwand,  eine  Cystocele,  deren  Grösse  von  der  des  Vorfalles 
abhängt.  Der  obere  Theil  der  Urethra  folgt  dem  Zug  der  Blase,  biegt  sich 
also  etwas  nach  hinten  um;  der  untere,  dem  Knochen  fest  angeheftete  behält 
dagegen  seinen  normalen  Verlauf. 

Während  die  Blase  dem  Vorfall  der  vorderen  Scheidenwand  stets  folgt, 
(Peitsch  macht  hierfür  nicht  nur  die  festere  Verbindung  beider  beziehungs- 
weise der  Blase  mit  dem  Cervix,  sondern  auch  den  intraabdominellen  Druck, 


682 


PROLAPS. 


pertto'"' 


eurrt 


■welcher  die  Blase  an  die  Vagina  angedrückt  erhält,  sowie  das  Fehlen  eines 
die  Erstere  oben  festhaltenden  Bandapparates  verantwortlich),  ist  ein  Gleiches 
nicht  mit  dem  Rectum  bei  Prolaps  der  hinteren  Wand  der  Fall,  da  hier  die 
Verbindung  des  einen  mit  dem  anderen  eine  sehr  lockere  ist.  Findet  sich 
eine  Rectocele,  so  ist  sie,  wie  oben  erwähnt,  das  primäre  gewesen,  der  Vor- 
fall durch  sie  herbeigeführt  worden.  Sie  kann  so  hochgradig  werden,  dass 
ein  Theil  des  Rectum,  in  welchem  sich  dann  Kothmassen  ansammeln,  unter- 
halb des  Anus  liegt.  Gewöhnlich  finden  sich  dann  stark  entwickelte  Hämor- 
rhoidalknoten, sowie  Schwellung  der  Rectalschleimhaut  als  Folge  venöser  Stase. 

Bei  Prolaps  des  Uterus  gestalten  sich  die  Verhältnisse  verschieden,  je 
nach  der  Betheiligung  der  einzelnen  Abschnitte  des  Cervix,  beziehungsweise 
des  ganzen  Organs.  Wenn  von  manchen  Autoren  von  einem  isolirten  Prolaps 
der  Vaginalportion  gesprochen  wird,  so  ist  dies  nicht  gerechtfertigt.  Es  han- 
delt sich  hier  nicht  um  einen  Vorfall,  auch  nicht  um  die  Folgen  eines  solchen, 
sondern  um  eine  primäre  Hypertrophie. 

Eine  von  Schröder  herrührende  schematische  Zeichnung  ist  am  Besten 
geeignet  die  in  Frage  kommenden,  anatomischen  Verhältnisse  zu  veran- 
schaulichen. 

Man  unterscheidet  nach  derselben  einen 
unterhalb  des  vorderen  Scheidenansatzes  liegen- 
den Theil  des  Cervix  (a)  als  Pars  vaginalis,  einen 
oberhalb  des  hinteren  Scheidenansatzes  liegen- 
den (c)  als  Pars  supravaginalis  und  den  zwischen 
beiden  liegenden  (b)  als  Pars  media.  Die  eben 
erwähnte,  reine  Hypertrophie  betrifit  die  Pars 
vaginalis.  Zerrt  die  prolabirende  vordere  Va- 
ginalwand die  Pars  media  nach  unten,  so  tritt 
der  Muttermund  tiefer  und  tiefer,  während 
das  hintere  Scheidengewölbe  annähernd  in  nor- 
maler Höhe  stehen  bleibt.  Fallen  vordere  und 
hintere  Scheidenwand  gleichzeitig  vor,  so  wird 
die  Pars  supravaginalis  ausgezogen;  vorderes  und 
hinteres  Scheidengewölbe  verschwinden.  Letzte- 
res ist  auch  bei  dem  viel  selteneren  totalen 
Prolaps  des  dann  meist  retroflectirt,  nur  ganz 
ausnahmsweise  anteflectirt  liegenden  Uterus  der  Fall.  Während  hier  die  Sonde 
eine  normale  Länge  der  Gebärmutterhöhle  ergibt,  findet  sich  diese  bei  der 
sogenannten  Hypertrophie  der  Pars  media  oder  supravaginalis  sehr  erheblich, 
bis  um  5  zu  7  cm  verlängert.  Hiervon  kann  man  sich  auch  durch  combinirte 
Untersuchung  sowohl  vor  wie  nach  der  Reposition  des  Vorfalles  und  des 
meist  retrovertirten  Uterus  überzeugen.  Nach  letzterer  liegt  das  Corpus 
stark  antevertirt. 

Das  es  sich  in  diesen  Fällen  von  Prolaps  nicht  etwa  um  primäre  Cervix- 
hypertrophien  handelt,  wie  von  einigen  Autoren  angenommen  wurde,  geht 
schon  aus  dem  über  ihre  Entstehungsweise  Gesagten  hervor.  Ausserdem 
finden  wir  eine  richtige  Hypertrophie  nur  an  der  oft  erodirten  oder  von  wirk- 
lichen Geschwüren  bedeckten  Pars  vaginalis,  während  die  Pars  media  und 
supravaginalis  in  der  Regel  auifallend  dünn  sind.  Das  Corpus  uteri  dagegen 
ist  meist  verdickt.  Die  Sondirung  gelingt  in  der  Regel  leicht.  Manchmal 
stösst  man  in  der  Gegend  des  inneren  Muttermundes  auf  einen  Widerstand. 
Während  er  von  manchen  Autoren  als  durch  Atresie  bedingt  angesehen  wird, 
führen  ihn  andere  auf  die  Rückwärtslagerung  des  Uterus  zurück.  Da  diese 
aber  meist  in  einer  Retroversion  besteht,  ist  die  erstere  Annahme  wohl  die 
richtige. 


Anatomisclie  Eintlieihmg  des  Cervix 
nach  SCHKÖDEE. 


PROLAPS-OPERATIONEN.  683 

Die  ersten  Erscheinungen  des  Vorfalles  bestehen  in  massigen 
Unterleibsschmerzen  bei  einem  gleichzeitigen  Gefühl  von  Drängen  nach  unten. 
Liegt  erst  die  prolabirte  Scheide  dicht  hinter  oder  vor  der  Vulva,  so  klagen 
die  Kranken  über  die  quälende  Empfindung,  als  wolle  unten  etwas  heraus- 
fallen. Sie  steigert  sich  im  Gehen  und  besonders  bei  körperlichen  Anstren- 
gungen, um  im  Liegen  zu  verschwinden.  Ziemlich  frühzeitig  machen  sich 
auch  Blasenbeschwerden,  in  häufigem  Harndrang  bestehend,  bemerkbar.  Lei 
grösseren  Vorfällen  macht  das  Entleeren  der  Blase  nicht  selten  Schwierig- 
keiten; in  manchen  Fällen  ist  es  erst  nach  Reposition  des  Prolapses  möglich. 

Ueber  starken,  eitrigen  Ausfluss  wird  oft  geklagt.  Er  rührt  meist  nicht 
von  einem  Cervix-  oder  Uteruskatarrh,  sondern  von  dem  den  Muttermund 
umgebenden  Erosionen  und  Geschwüren  her.  Greifen  die  letzteren  tiefer,  so 
wird  er  blutig  gefärbt  und  oft  ist  es  erst  diese  Erscheinung,  welche  in  den 
Patienten  die  Befürchtung  eines  beginnenden  Krebsleidens  erweckend  sie  zum- 
Arzt  führt. 

Macht  ein  Vorfall  an  sich  den  meisten  Kranken  schon  sehr  erhebliche 
Beschwerden,  so  steigern  sich  dieselben  in  hohem  Grade,  wenn  er  sich  in 
folge  der  mechanischen  Reizung  und  mangelhafter  Reinlichkeit  entzündet 
und  anschwillt.  Es  sind  Fälle  beobachtet,  bei  welchen  Gangrän  eintrat  und 
die  Patientin  an  Sepsis  zu  Grunde  ging. 

Auffallend  ist  es,  dass  erheblichere  Mentruationsstörungen  gewöhnlich 
fehlen;  Schwangerschaft  kann  eintreten.  Gewöhnlich  steigt  der  Uterus  mit 
dem  Fortschreiten  derselben  nach  oben,  so  dass  im  3.  oder  4.  Monat  spon- 
tane Reposition  des  Vorfalles  erfolgt. 

Bei  plötzlicher  Entstehung  eines  Prolapses  treten  meist,  wenn  auch  nicht 
immer  schwere  Collapserscheinungen  ein,  welche  aber  bald  wieder  rückgängig 
werden. 

Die  Diagnose  des  Scheiden-  und  Uterusvorfalles  macht  kaum  Schwierig- 
keiten. Gewöhnlich  haben  die  Kranken  selbst  sie  bereits  gestellt.  Gesichert 
wird  sie  durch  den  Nachweis  des  Muttermundes  an  der  äusseren  Kuppe  der 
hühnerei-  bis  mehr  als  faustgrossen  Geschwulst.  Isolirte  Vorfälle  der  vorderen 
oder  hinteren  Vaginalwand  können  zu  Verwechslungen  mit  Scheidencysten 
führen.  Die  Möglichkeit  vom  Rectum  her  den  Finger  in  die  der  hinteren 
Wand  angehörende  Geschwulst  einzuführen,  den  Katheter  von  der  Blase  aus 
in  die  der  vorderen  entscheidet  für  Prolaps. 

Nicht  selten  klagen  Patienten  über  einen  Vorfall,  ohne  dass  sich  ein 
solcher  sofort  findet.  Erst  bei  wiederholter  Anstrengung  der  Bauchpresse 
tritt  er  nach  unten,  am  schnellsten  und  vollkommensten,  wenn  die  Kranke 
steht.  Ueber  die  Art  des  Vorfalles  gibt  die  Stellung  der  Scheidengewölbe, 
die  Länge  des  Uterus,  seine  Lage  Aufschluss").  gkaefe. 

ProlapS-Operationen.  Trotz  mehrfacher  früherer  Versuche  den  Vor- 
fall der  weiblichen  Genitalien  auf  operativem  Wege  zu  heilen,  ist  der  nun- 
mehr erreichte  volle  Erfolg  eine  Errungenschaft  neuerer  Zeit  (Simon);  und 
hat  man  Hegar  die  Klärung  der  Principien,  nach  denen  die  Operation  vorge- 
nommen werden  solle,  zu  danken.  Durch  die  einleuchtende  Darstellung  der 
den  Descensus  uteri  hervorrufenden  ätiologischen  Momente  und  die  Würdi- 
gung des  Einflusses  der  Retroflexion  musste  man  einsehen  lernen,  dass  der 
Prolaps  vorkommen  wird,  wo  der  Schlussaparat  der  Scheide  nur  un- 
vollständig wirkt,  oder  die  Bauchfellbefestigungen  des  Uterus 
ihres  Tonus  verlustig  gingen.  Wir  nehmen  hiezu  noch  jene  Categorien 
von  Vorfällen,  die  auf   allgemeine  Erschlaffung   des  Beckenbinde- 


*)  Betreffs    der    Therapie    der   Prolapse    vergleiche    die    Artikel    „Pessarien"   und 
jProlapsojoerationen". 


684  PROLAPS-OPERATIONEN. 

gewebes,  —  Avie  eine  solche  nach  rasch  hintereinander  folgenden  Wochenbet- 
ten aufzutreten  pflegt,  selbst  wenn  der  Damm  keine  namhafte  Verletzung 
erlitt  —  zurückzuführen  sind. 

Von  diesen  Gesichtspunkten  ausgehend,  war  es  ermöglicht  die  lästigän 
Stützapparate  (Pessarien)  zu  vermeiden,  und  den  bisher  sehr  mangel- 
haften, unter  Umständen  nicht  ungefährlichen  Erfolg  zu  einem 
vollständigen,  gefahrlosen  zu  gestalten.  Dass  hiebei  nicht  stets 
einfache  Verhältnisse  vorwalten,  beweist  der  Verlauf  der  Erkrankung,  der 
nicht  allein  im  Ablösen  der  vorderen  Scheidenwand  (als  Cystokele);  dem 
Herabtreten  des  Uterus,  mit  und  ohne  Rückwärtsbeugung  (Descensus  uteri); 
dem  Ausweiten  der  hinteren  Wand  mit  Hervorstülpung  der  Ampulla  recti 
(Rectokele),  einzeln  oder  vereint  bestehen  kann,  sondern  der  auch 
durch  auf  Grund  von  Circulationsstörungen  basirten  histologischen  Veränderun- 
gen, zur  ödematösen  Schwellung  und  nachfolgender  Hypertrophie  der 
Cervix  führt. 

Die  Operation  niuss  also  der  Aufgabe  entsprechen:  palliative  Stütz- 
apparate ganz  entbehrlich  zu  machen,  dem  vorgefallenen  Organe  seine  Nor- 
mallage zu  sichern,  eventuell  seine  Rückbildung  zu  ermöglichen;  und  dies 
wird  nur  erreicht,  wenn  das  vergrösserte  Organ  verkleinert,  und  dem  Uterus 
in  der  verengten  Scheide  und  dem  verstärkten  erhobenen  Damme  ein  der- 
artiger Wiederhalt  gegeben  wird,  dass  er  in  der  normalen  Lage  zu  verbleiben 
vermag. 

Je  nach  diesen  Bedürfnissen,  theilen  wir  die  Prolaps-Operation  in  meh- 
rere Abschnitte  ein,  die,  wenn  auch  nicht  zeitlich  getrennt  zur  Ausführung 
gelangen,   in   vorbereitende   und  eigentliche  Maassnahmen  zerfallen. 

Zur  ersteren  rechnen  wir  die  Heilung  etwaiger  Vaginalgeschwüre,  wie 
solche  den  Prolaps  zu  einer  fortwährenden  Qual  und  Gefahr  gestalten 
{s.  „Prolaps p.  683'^)  und  die  Verkleinerung  der  hypertrophischen  Portio  vaginalis 
durch  Excision  von  Theilen  derselben  oder  Amputation  des  Collum  uteri;  zu 
letzteren  jene  Eingriffe,  durch  welche  die  Scheide  und  der  Beckenboden 
neu  gestaltet  werden  oder  durch  welche  eine  Fixirung  der  Gebär- 
mutter erfolgt.  Bei  Ersteren  wird  es  sich  zumeist  um  die  Frage  der  Ver- 
engerung oder  Verschlusses  der  Scheide,  und  eine  Versetzung  ihrer  Axe  und 
der  Verhältnisse  zu  derjenigen  der  Gebärmutter  handeln. 

Dieses  Ziel  durch  caustische  Mittel  erreichen  zu  wollen,  wird 
heutzutage  im  Ernste  wohl  Niemand  versuchen  wollen.  Ehe  wir  an  die  kurz- 
gefasste  Beschreibung  der  diesbezüglichen  blutigen  Methoden  schreiten,  möchten 
wir  noch  Einiges  über  die  Indication  der  Operation  vorbringen. 

Weniger  der  Unbequemlichkeit  und  der  Schmerzen  wegen,  die  zeitweilig 
im  Kreuze  und  Becken  gefühlt  werden,  suchen  die  mit  Vorfall  behafteten 
Frauen  ärztliche  Hilfe,  sondern  weil  sie  der  herabhängende  Tumor  bei  mil- 
derem Grade  durch  Störungen  der  Blasenfunction,  bei  höherer  Entwickelung 
an  jeglicher  Beschäftigung  hindert  und  ihnen  das  Ankleben  der  Wäsche 
an  die  Theile  sehr  peinlich  wird  und  sie  zum  fortwährenden  Liegen  ver- 
dammt. Wir  haben  oft  über  den  Gleichmuth  gestaunt,  mit  dem  selbst  Frauen 
besserer  Stände  die  mannigfaltigsten  Verbände  täglich  erneuerten,  mehr  noch 
über  die  Ausdauer  mit  der  immer  grössere  Pessarien  verlangt  wurden,  am  mei- 
sten jedoch  darüber,  dass  solche  Hilfsmittel  in  ausgedehntem  Maasse  von  Aerzten 
in  Anwendung  gebracht  wurden,  denen  im  operativen  Eingriffe  viel  sicherere 
Erfolge  zu  Gebote  stehen.  Allerdings  veranlassen  uns  die  Resultate  mehrerer 
Hunderte  von  Fällen  der  Indication  für  die  Prolapsoperation  die  weitesten 
Grenzen  zu  ziehen. 

Da  die  Narcose  zu  mindest  bei  den  von  der  Scheide  und  dem  Becken- 
boden in  Angriff  zu  nehmenden  Operationen  nicht  unumgänglich  nöthig  ist, 
und  durch  Injectionen  von  Cocainlösung  (5 — lO^o)   ersetzt  zu  werden 


PROLA  PS-OPERATIONEN.  685 

yermag,  so  wäre  nur  das  Alter  der  Patientin  in  Beriicksicliti^ung  zu  zie- 
hen. Wir  haben  deren  in  allen  Lebensjahren  (auch  über  die  70  hinausj  ohne 
Zwischenfall  einer  glücklichen  Heilung  zugeiiihrt. 

Es  bildet  demnach  nur  der  irreponible  Prolaps,  sei  es,  dass  er 
durch  peritonitische  Verklebungen  complicirt  ist,  oder  dass  der  Gebärmutter 
Tumoren  (meist  Fibromyome)  aufsitzen  oder  wie  es  bei  totalem  Vorfalle  vor- 
kommen mag,  dass  das  Organ  incarcerirt  ist  —  ein  wesentliches  Hindernis 
ihm  von  der  Scheide  aus  beizukommen,  und  erfordert  dann  freilich  gefähr- 
lichere, später  abzuhandelnde  Maassregeln. 

Als  Vorbereitung  für  die  Operation  lassen  wir  die  Kranke  vor- 
her tüchtig  den  Darm  entleeren,  und  geben  zu  diesem  Zwecke  mit  Vorliebe 
ein  Elektuarium  aus  Ricinusöl  und  Mannit  ä,ä  kaffeelöffel weise  bis  zur  aus- 
giebigen Wirkung.  Danach  bleibt  die  vorher  ebenfalls  gebadete  Kranke  im 
Bette,  und  nachdem  das  ganze  Gebiet  des  Vorfalles  gereinigt  und  gründlich  mit 
schwacher  Sublimatlösung  abgespült  wurde,  bepudert  man  die  vorfindlichen 
Geschwürsflächen  mit  Jodoform  und  reponirt  den  Vorfall.  Es  ist  erstaunlich, 
welche  Verkleinerung  die  geschwollenen  Theile  darnach  schon  nach  wenigen 
Stunden  aufweisen.  Doch  schnellt  in  vielen  Fällen  das  Organ  wieder  her- 
aus, worauf  es  mit  in  Sublimatlösung  (Vs^/oo)  getauchten  Compressen  be- 
deckt wird.  Stuhlverhaltende  Mittel  werden  nicht,  hingegen  am  Tage  vor 
der  Operation  blos  leichtere  Kost  verabreicht. 

Zur  Operation  kommt  die  Kranke  in  Steinschnittlage.  Nun  werden  zu- 
erst die  Verhältnisse  der  Blase  und  des  Rectum  dem  Uterus  gegenüber  durch 
gleichzeitiges  Katheterisiren  und  Austasten  des  Mastdarmes  (stets  von  der 
Assistenz  ausgeführt),  ebenso  die  Länge  des  Uterus  durch  Sondirung  fest- 
gestellt. Während  durch  erstere  Untersuchung  eine  Verletzung  der  Blase  und 
des  Douglas  vermieden  wird,  erfahren  wir  durch  letztere  ob  die  Gebärmutter 
hypertrophirt  oder  blos  ödematös  geschwellt  ist. 

Bei  der  (bis  auf  25  cw  Länge)  Hypertrophie  der  Cervix  schicken  wir 
stets  die  Amputatio  colli  voraus. 

Die  keilförmige  Excision  aus  den  Lippen  der  Portio  führt  nicht 
in  dem  Maasse  zur  Verkleinerung  des  Organes,  wenn  es  auch  der  erwünschten 
Depletion  entsprechen  würde,  als  die  c  i  r  c  u  1  ä  r  e  A  m  p  u  t  a  t  i  o  n,  in  deren  Bezirk 
man  etwaige  Geschwürsfläche  gleich  einzubeziehen  vermag.  Für  den  Nutzen 
ausgedehnter  Resection  der  Vaginalwand  hat  aber  Fritsch  ganz  tref- 
fende Belege  geschaffen. 

Für  diese  und  die  folgenden  Vorgänge  flnden  wir  beinahe  bei  jedem  der 
namhafteren  Gynäkologen  mehr-minder  abweichende  Operationsmethoden  und 
Modificationen.  Wir  haben  uns  auf  die  einfachsten  und  das  bescheidenste 
Instrumentarium  beschränken  zu  sollen  geglaubt. 

Zur  Amputation*)  haken  wir  die  hintere  Muttermundslippe  an  und  stellen  den 
Prolaps  wieder  her.  Nachdem  die  Grenzen  der  Blase  und  des  Mastdarmes  festgestellt  sind, 
ziehe  ich  das  Organ  fest  an  und  umkreise  die  Portio  mit  bis  an  die  Musculatur  reichendem 
Schnitte.  Spritzende  Gefässe  werden  in  Pin^es  gefasst  und  nun  die  Vaginalwand  von  der 
Cervix  so  hoch  auf  stumpfem  Wege  abgelöst  als  die  Verkürzung  zu  betragen  hat,  hierauf 
die  Cervix  glatt  abgetrennt.  Bei  metritischem  Uterus  blutet  es  aus  der  Amputationsfläche 
ganz  bedeutend,  und  einzelne  Arterien  ästchen  müssen  auch  zugehalten  werden,  bis  man 
an  eben  den  blutenden  Stellen  die  Vaginalwand  an  den  Rand  des  Cervicalcanales  festnäht. 
Sticht  man  vom  Vaginalwundrande  die  gekrümmten  Nadeln  recht  tief  durch  die  Cervix- 
mucosa,  so  lässt  sich  die  Vaginalwand  prompt  an  letztere  anlegen  und  nach  der  Lage  der 
spritzenden  und  auf  diese  Weise  gesicherten  Gefässe  bekommt  man  eine  Kleeblattfigur 
um  das  Orificium  uteri  herum.  Die  langgelassenen  Fäden  der  Nähte  geben  eine  vorzüg- 
liche Handhabe  zur  Fixirung  der  Gebärmutter  ab,  und  zwischen  denen  werden  die  noch 
klaffenden  Stellen  vernäht.  Ist  die  Blutung  vollkommen  aus  jeder  Stelle  gestillt,  so  ist 
die  vorbereitende  Operation  abgeschlossen  —    unstreitig  heroischer  als  die  keilför- 


*)  Eine   ausführliche   Darstelhmg   der  verschiedenen  Methoden  der  Amputatio   colli 
findet  sich  in  dem  Artikel  ^^Portio-O'perationen^ 


686 


PROLAPS-OPERATIONEN. 


mige  Abtrennung  aus  der  vordem  Lippe  nach  Schröder,  aber  den  Heilungsprocess  auch 
ganz  bedeutend  abkürzend.  Auf  eine  spätere  Schwangerschaft  und  Geburt  hat  diese  Maass- 
nahme  unserer  Erfahrung  nach  keinerlei  nachtheihgen  Einfluss. 

Dem  folgt  nunmehr  die  Verengerung  der  vorderen  Scheidenwand,  durch 
Ausschaltung  ovaler  oder  rhombischer  Stücke  aus  derselben,  mit  Vernähung 
der  Wundflächen  an  einander.  Man  nennt  diese  Operation  Kolpo-  oder 
ElyfroiTh.aphia  anterior.  (Figur  1.) 

Nachdem  man  sich  die  vorgefallene  Va- 
ginalwand in  situ  durch  eingesetzte  vier  Ku- 
gelzangen angespannt,  zeichnet  man  die  vor- 
fallende Stelle  im  Oval-  oder  in  Myrthen- 
blattform,  die  breitere  Stelle  nach  oben  — 
den  Harnröhrenwulst  nur  dann  miteinbezie- 
hend, wenn  er  stark  hypertrophisch  ist  — 
._.  -  vor.  Nun  beginnt  man  mit  der  Abtrennung 
des  Lappens  gewöhnlich  an  der  linken  Seite, 

zieht  das  Messer  in  langen  Zügen  gegen  den 

Lappen  und  nicht  gegen  die  Blase  gerichtet 
~-^  fort,  spannt  dabei  den  in  einer  Krallenpin- 
cette  gehaltenen  Lappen  fest  an  und  hilft 
erst,  an  die  rechte  Seite  gelangt,  in  der  Zeich- 
nungslinie nach.  Auf  diese  Weise  hat  man 
später  an  der  Wundfläche  wenig  mehr  zu 
glätten,  was  mittelst  CooPER'scher  Scheere 
geschieht;  von  spritzenden  Gefässen  werden 
die  transversal  verlaufenden  Arterien  der  vor- 
pig.  1.  Anfrischungsfigur  der  Koiporraphia    dcreu  Wand  zwcckdienlich  gleich  unterbunden. 

anterior  nach  FEHLIN  Gr.  -.r  ^  tt'-I'         i-  j.       • 

Die  punktirte  Linie  gibt  die  Figur  für  die  Mau   kanu  dio  Kolpormaphia  anterior 

Die  schwarze  LSrdi^renTge'nach  HEGAE.  übrigeus  mit  der  Amputatlo  colü  auf  einmal 

erledigen.  Hiebei  findet  die  Vorzeichnung 
der  abzutragenden  Fläche  eine  kleine  Umgestaltung,  indem  das  Oval  gleich 
in .  die  circuläre  Linie  übergeht  und  man  am  Lappen  selbst  die  zu  amputi- 
rende  Collumpartie  anzieht;  sie  ist  aus  der  Zeichnung  ersichtlich  (s.  Fig.  1). 
Da  bei  der  nachfolgenden  Naht  die  Wundränder  eine  bedeutende  Spannung 
auszuhalten  haben  und  ein  Auseinanderweichen  derselben  darnach  öfter  ein- 
tritt, so  muss  es  als  sehr  gelungene  Modification  bezeichnet  werden,  dass 
Fehling  seine  Anfrischungsfigur  in  zwei  Abschnitte  theilt,  die  von  ein- 
ander durch  eine  Brücke  von  1 — 1"5  cm  breiter  vaginaler  Wand  getrennt  er- 
scheinen (s.  Figur  1). 

Wie  bei  sämmtlichen  in  der  Scheide  vorgenommenen  Operationen  kommt 
es  behufs  erster  Heilung  auf  genauestes  Aneinanderpassen  der  Wundränder 
an.  Wir  ermöglichen  ein  bedeutendes  Zusammenrücken  der  Ränder  nun 
dadurch,  dass  die  Seitenkugelzangen  entfernt,  die  obere  und  untere  stramm 
angezogen  werden.  Wir  haben  bei  diesem  einfachen  Vorgange  weder  Mar- 
tin's  gezähnten  Stab  zum  Aufrollen  des  Lappens,  noch  die  Kleinpincetten 
Hegar's  oder  die  Forcipressur  Cheron's  vermisst;  die  Berieselung  des 
Operationsfeldes  —  selbst  mit  sterilisirtem  Wasser  —  halten  wir  für  un- 
nöthig ;  es  genügt  ein  Abtrocknen  mit  sterilen  Gazetupfern.  Genäht  kann  mit 
jedem  Material  werden,  vorausgesetzt  dass  es  rein  sei.  Die  Nähte  mit  Silber- 
draht und  Silkworm  haben  das  Angenehme,  dass  sie  die  Trockenheit  der 
Wunde  erhalten;  hingegen  dauert  die  Nahtanlegung  bei  ersterem  geraumere 
Zeit,  und  schneiden  bei  letzterem  die  Nähte  leicht  ein,  wodurch  beiden  der 
Uebelstand  anhaftet,  dass  die  Entfernung  der  Nähte  nicht  so  glatt  erfolgt 
als  bei  Seide.  Diese  hingegen  imbibirt  sich  leicht  und  reizt  die  Vagina  zu 
Fluor.    Catgut   knotet  sich  bei  Knopfnähten  leicht  auf,   hingegen  hat  es  sich 


PROLAPS-OPERATIONEN. 


687 


zur  sogenannten  forthiui'endon  oder  conti n  iiirliclicn  Ts^alit  sehr  bewährt, 
indem  man  es  gar  nicht  zu  entfernen  brauclit.  Die  ('atgutnaht  beginnt  mit 
einer  tiefgefassten  Schichte  und  zieht  in  dreifacher  Annäiierung  die  Wund- 
ränder zusammen.  Sie  erfordert  bei  grösseren  FUlchen  hie  und  da  trotzdem 
auch  noch  verstreute  Knopfnähte  sowohl  olierfiächlich  als  auch  in  der  Tiefe. 
Für  die  glatte  Heilung  kommt  es  bei  dieser  Operation  überhaupt,  nach  welcher 
Art  immer  genäht  wurde,  hauptsächlich  darauf  an,  in  der  Wundtläche  keine 
(sogenannten  todten)  Lücken  zu  belassen,  und  da  wird  der  weniger  Geübte 
doch  lieber  zu  Knopf  nähten  greifen,  die  ihm  eine  grösseren  Controle 
der  durch  die  Nähte  gesetzten  Spannung  der  Wundtlächen  gestattet. 

Die  Vereinigung  zu  linearer  Narbe  erfolgt  gewöhnlich,  nur  kann  die  er- 
wähnte Spannung  wie  auch  die  beim  Athmen  erfolgende  Bew^egung,  noch  mehr 
aber  die  Ueberfüllung  der  Blase  (und  manche  Frauen  erlernen  es  überhaupt 
nicht  liegend  zu  uriniren)  ein  Auseinanderweichen  der  Wunde  hervorrufen. 
Ist  der  Schaden  auch  nicht  gross,  so  wird  der  Heilungsprocess  durch  die 
spätere  Granulation  verzögert. 

Ist  auf  diese  Art  die  Vaginalwand  vorne  nicht  blos  verkürzt,  sondern 
hat  sie,  strammer  gemacht,  der  Blase  einen  Halt  verschafft,  so  geht  man  an 
die  Schaffung  der  Stützfläche  für  den  Uterus,  respective  an  die  Fort- 
schaffung des  Vorfalles  vom  hinteren  Theil  der  Scheide;  wobei  wir 
die  gleichzeitig  zu  behandelnden  alten  Dammrisse  ausser  Betracht  lassen  (s. 
„  Perineoplastik " ) . 

Soll  nur  die  vorfallende  hintere  Vaginalwand  zurückgehalten  werden,  so 
genügt  die  Verengerung  der  Scheide  an  dieser  Stelle,  durch  die  Kolporraphia 
posterior.  Das  Anfrischungsoval  im  hinteren  Scheidengewölbe,  ist  schmäler 
zu  halten  und  bis  zur  Comissura  posterior  auszudehnen.  Lappenablösung, 
Glättung,  Blutstillung,  Naht  wie  bei  der  Operation  an  der  vorderen  Wand. 
Soll  jedoch  gleichzeitig  ein  Stützpunkt  für  den  prolabirenden  Theil  geschaf- 
fen werden,  so  reicht  dieses  Verfahren  nicht  aus  und  es  muss  die  Vulva  und 
der  Damm  dazu  herangezogen  werden. 

Die  einfachste  aber  auch 
unzulänglichste  Methode  hiezu 
stammt  von  Feicke,  der  zu  die- 
sem Zw^ecke  eine,  aus  den  grossen 
Labien  gebildete  Brücke  verwen- 
dete;   sie  ist  heute   ganz  obsolet. 

Grundlegend  war  darnach 
die  Reconstruction  der  Verhält- 
nisse durch  Simon  und  seine 
Methode:  durch  Ausschaltung 
einer  trapezförmigen  Fläche  nicht 
allein  die  Verengerung  der  Scheide, 
sondern  durch  Verstärkung  des 
ganzen  Abschnittes  und  Verschie- 
bung der  Vaginalaxe  gegen  die 
Symphyse  zu,  den  Uterus  in  Ante- 
fiexionsstellung  zu  bringen,  end- 
lich durch  ein  an  das  Trapez  an- 
gelegtes Kreissegment  den  Damm 
zu  verstärken  (s.  Figur  2).  Wurde 
jedoch  bei  dieser  Operation  die 
oberste  Partie  des  Fünfeckes  mit  abgerundeter  Basis  (s.  Figur  2)  fest  an- 
gezogen, so  gestaltete  sich  die  Figur  mehr  minder  zu  einer  triangulären,  also 
zu  der  etwas  später  von  Hegae  erdachten,  weitaus  einfachsten,  gebräuchlichsten 
und  wie  es  sich  nach  vielen  Modificatiouen  herausstellt,  besten  Anfrischungs- 


Fisr.  2.  Schema  der  Anfriscliungsfignr 
nach  SIMOif  &  HEGAU  für  die  Kolporraphia  posterior. 


688 


PROLAPS-OPERATIONEN. 


\ 


rig.  3.  Anfrisclmngsfigiir  nach  MAETIN. 

Die  punktirte  Lienie  diejenige  nach 

BISCHOF. 


methode.  Man  ersieht  aus  der  Zeichnung  die  Nahtanlegung  zur  Genüge, 
durch  sie  wird  eine  5—6  cm  an  der  Basis  breite  Fläche  zu  einem  bis 
tief  in  die  Vagina  hineinreichenden  festen  Dreieck  umgewandelt  (s.  Fig.  2). 

Es  emphehlt  sich  bei  vorhandenem  in- 
completem  veraltetem  Dammriss,  den  unte- 
ren halbkreisförmigen  Schnitt  in  einen  ge- 
gen den  Mastdarm  zu  gerichteten  Winkel 
umzugestalten.  Der  Methode  haftet  blos  der 
Uebelstand  an,  dass  in  dem  Bestreben  einen 
möglich  festen  Damm  zu  erzielen,  leicht 
am  unteren  Vaginaltheile  in  dem  den  Labien 
angrenzenden  Abschnitte  ein  Auseinander- 
weichen der  Wundränder,  —  wohl  durch  die 
grosse  Spannung  verursacht  —  erfolgt. 

Martin   sucht   diesen  Nachtheil    nach 
dem  Vorbilde  Bischof's  in  der  Weise  abzu- 
helfen,   dass    er   die    Columna   posterior  zu 
erhalten  trachtet,    neben   ihr   zwei  seitliche 
Segmente  aus  der  Vagina  ausschält,  und  diese 
dann  in  ein  am  Damme  liegendes  Kreisseg- 
ment als  Anfrischungsfigur   übergehen  lässt. 
Die  seitlichen  Flächen  werden  nun  mit  fort- 
laufender   Naht    vereinigt    und    dann    der 
Damm  construirt.    Im  Wesen  also  ebenfalls 
eine   mit   Doppel-Kolporraphie   combi- 
nirte  Perineoauxesis  (s.  Figur  3  und  4). 
Das  Verlangen  möglichst  viel  der  Vaginalwand  zu  erhalten,  führte  eine 
Reihe   von  Operateuren     dahin   die   Perineoauxesis  durch   Lappenbil- 
dung erreichen  zu  wollen.    Hieher  zählen  die  in  Wesen  übereinstimmenden 
Methoden    von    Lawson    Tait-Sängee,    Doleris    und    Franck.      Letzterer 

schneidet  an  der  Grenze  zwischen  Damm  und  Vulva 
halbkreisförmig  ein,  löst  die  Scheide  vom  Mastdarm 
ab,  so  lange  bis  der  nach  oben  geschlagene  Lappen 
eine  rautenförmige  Anfrischungfläche  darstellt.  Nun 
näht  er  mit  continuirlicher  Naht  erst  in  der  Tiefe, 
dann  etagenförmig  umgreifend  die  höheren  Parthieen 
zusammen.  Hopmeier  umfasst  den  so  behandelten 
Damm  noch  mit  einer  Entspannungsnaht  aus  Silber. 
Hier  bleibt  also  alles  Gewebe  erhalten,  bei  den  übri- 
gen Methoden  dreht  es  sich  um  theilweise  oder 
ganze  Entfernung  des  Lappens.  Bei  vaginalem  Pro- 
laps leistet  diese  Art  des  Operirens  ganz  vorzügliche 
Dienste,  einen  ausgesprochenen  Uterusprolaps  hält 
man  durch  sie  auf  die  Dauer  nicht  zurück.  Gerade 
dem  Wunsche  einen  dauerhaften  Erfolg  zu  erzie- 
len, entspringen  noch  einige  Methoden  die  durch 
Schaffung  einer,  die  Vaginalwände  zusammenhalten- 
den Brücke  dem  Uterus  den  nöthigen  Halt  verschaffen 
wollen. 
Zwei  Arten  dieser  sind  es,  die  näheres  Eingehen  erheischen.  Die  eine 
stammt  von  v.  Winckel  und  besteht  in  einer  Kolporraphia  mediana,  in  der 
Weise  wie  die  Kolpokleisis  ausgeführt,  doch  in  der  Mitte  einen  engen 
Canal  zum  Abflüsse  der  Secrete  übriglassend,  v.  Winckel  schneidet  demnach 
aus  der  angespannten  Scheide  zwei  hufeisenförmige  Figuren  aus,  die  er 
miteinander  vereinigt  (s.  Fig.  5). 


Fig.  4.  Schema  der  Naht  nach 
MARTIN. 


PROLAPS-OrERATIONEN. 


689 


Fig.  5.  KolporrapUia  mediana 
nach  WINCKEL. 


Aehnliches  bezweckt  die  andere,  von  Gekardin  vorgeschlagene,  von  Lki-'Ojit 
und  Spiegelbekg  ausgeführte  und  neuerer  Zeit  von  Neugebauer  wieder 
propagirte  Methode.  Aus  der  vorderen  und  hinteren  Vaginalwand  wird  je  ein 
2 — 4  cm  breites  quadratisches  Stück  obertlächlich  excidirt  und  diese  Wund- 
fiächen  vernäht.  Der  prolabirende  Uterus  ruht  auf  der  so  geschaffenen  Brücke 
auf.  Als  Vortheile  dieser  Methode  wird  die  Kleinheit 
des  Eingriffes  und  die  Einfachheit  der  Ausführung  her- 
vorgehoben, auch  soll  die  Brücke  keinerlei  Verrichtung 
hinderlich  sein.  Bei  eingetretener  Schwangerschaft  muss 
sie  freilich  gelöst  werden.  Für  uns  barg  letzterer  Um- 
stand die  ganze  Kritik  des  Verfahrens  (s.  Figur  6). 

Ueberblicken  wir  die  angeführten  Methoden,  so 
nimmt  es  nicht  Wunder,  dass  die  ÜEGAR'sche  von 
Allen  als  die  Gebräuchlichste  erfunden  und  mit  gros- 
ser Uebereinstimmung   als   die  beste  geschätzt  wird. 

Weniger  findet  eine  Einigung  bezüglich  der  Naht 
und  des  Nähmaterials  statt.  Wir  können  an  dieser  Stelle 
abermals  nur  hinweisen,  dass  die  günstigen  Kesultate 
einzig  davon  abhängen,  dass  genau  —  gleichviel 
nach  welcher  Art  —  und  mit  sterilem  Material 
genäht  werde.  In  zu  kleinen  Abständen  gelegte,  zu 
viele  Nähte  hindern  durch  Circulationsstörung  die 
Prima  reunio,  ebenso  bleibt  sie  fort,  wenn  die  Nähte 
zu  stark  gespannt  sind  „einschneiden".  Gegen  letzteres  hat  sich  am  Damme 
noch  der  Silberdraht  am  besten  bewährt,  deren  Fäden  ebenfalls  lange  belassen, 
dann  in  Bündel  von  3 — 4  zusammengedreht  und  mit  durchlochten  Schrot- 
körnern versorgt  werden  können.  Diess  sichert  trefflich  gegen  die  Unbequem- 
lichkeiten des  Drahtes. 

Die  in  den  ersten  Tagen  auftretende  ödema- 
töse  Schwellung  am  Damme  hat  wenig  zu  bedeu- 
ten, sie  schwindet  nach  Entfernung  der  Entspan- 
nungsnähte. Eine  glatte  Heilung  war  mir  jedoch  in 
all'  jenen  Fällen  versagt,  wo  die  Dammcutis  an 
chronisch  entzündlichen  Processen  (Eczem  u.  d.  gl.) 
erkrankt  gefunden  wurde. 

Die  gesammte  Operation  nehme  ich,  in  der 
Regel  in  einer  Sitzung  vor;  die  Narcose  nur 
in  dem  Falle,  wenn  gegen  sie  nicht  die  gering- 
sten Anzeichen  vorhanden  sind,  und  das  Indivi- 
duum sehr  reizbar  und  empfindlich  erscheint. 
Hat  man  Cocainlösungen  eingespritzt  so  ist  es 
gut,  sich  dessen  bewusst  zu  sein,  dass  selbst 
kleine  Gaben  bei  manchen  Kranken  eine  grosse 
Aufregung  (Cocainrausch)  wachrufen,  die  ohne 
weitere  Bedeutung  nach  einigen  Stunden  vergeht. 

Sind  die  Nähte  festgemacht  und  hat  man  sich  überzeugt,  dass  es  auf 
dem  ganzen  Operationsgebiete  nirgends  blutet  (der  Uterus  kam  schon  ü'üher 
in  situ),  so  bestäuben  wir  die  Wunden  mit  Jodoform-  oder  Dermatolpulver 
und  befestigen  eine  Lage  Krüllgaze  über  den  Damm  mit  einer  J_-Binde.  Wo 
starke  Zusammenziehung  des  Dammes  ausgeführt  werden  musste,  kommt  auf 
diesen  statt  der  Gaze  eine  in  Sublimatlösung  getauchte  Compresse.  Die  Kranke 
hat  sich  möglichst  ruhig  zu  verhalten.  (Füsse  zusammenbinden!).  Wir  le- 
gen auf  diesen  Umstand  ein  grosses  Gewicht,  wenn  wir  auch  die  Patientin 
nicht  zwingen  in  Rückenlage  zu  verharren,  ja  die  oft  von  ihr  gewünschte 
Seitenlage  ist  sogar  aus  dem  Grunde  yortheilhafter,  weil  die  genähte  Vagina 
dadurch  bedeutend  entlastet  wird. 


Fig.  6.  KolpoiTapliia  nacli  LEFORT. 


ßibl    med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie. 


44 


690  PROLAPS-OPERATIONEN. 

Kann  die  Kranke  spontan  uriniren,  so  wird  darnach  die  Wunde  stets  neu 
eingestäubt,  kann  sie  es  nicht,  so  wird  regelmässig  (jede  4  Stunden) 
der  (reine!)  Katheter  eingeführt;  Ausspülungen  und  Compressen  kommen  blos 
in  Verwendung,  wenn  sich  —  wie  dies  bei  Seidennaht  nach  einigen  Tagen 
der  Fall  ist  —  reichlicher,  oft  mit  Geruch  versehener  Fluor  einstellt.  Zu  beiden 
Maassnahmen  wird  sehr  schwache  Subliraatlösung  verwendet.  Die  weitgreifen- 
den Dammnähte  entfernen  wir  vom  4.  Tage  an,  jedoch  nur  wenn  ödematöse 
Schwellung  vorhanden  ist,  sonst  bleiben  alle  übrigen  Nähte  (Seidennähte  etwa 
10  Tage)  länger  liegen. 

Obschon  wir  vollkommene  Heilungen  selbst  beträchtlicher  Vorfälle  gar 
nicht  selten  binnen  14  Tagen  beobachteten,  so  gestatten  wir  das  Verlassen  des 
Bettes  nicht  vor  drei  Wochen.  In  dieser  Frist  sind  die  Narben  gehörig  resi- 
stent geworden,  und  können  die  Nähte  ohne  Schaden  entfernt  werden;  während 
uns  früher,  wie  wir  einen  kürzeren  Terrain  gestatteten,  hie  und  da  eine,  wenn 
auch  nicht  grosse  Dehiscenz  der  vorderen  Vaginalwand  in  der  Narbe  erfolgte. 
Der  kleine  Spalt  schloss  entweder  durch  Granulation  oder  infolge  angelegter 
Secundärnaht;  wir  sind  aber  seitdem  zum  längeren  Schonungstermin  zurück- 
gekehrt. 

Viele  der  Kranken  klagen  unmittelbar  nach  der  Operation  über 
heftige,  krampfartige  Schmerzen  im  Mastdarm  (Tenesmus).  Dies  hängt  ent- 
schieden mit  Reizungszuständen  im  M.  sphincter  ani  zusammen,  und  pflegen 
wir  dagegen  nebst  den  bereits  erwähnten  Sublimatcompressen  abendlich  eine 
Morphium  inj  ection  zu  verordnen.  Oefter  werden  die  Operirten  von  Blähun- 
gen (und  der  Furcht  ihrer  ohne  Schaden  ledig  zu  werden)  gequält.  Dagegen 
empfiehlt  sich  ein  gut  geöltes,  nicht  zu  dünnes  Glasrohr  (unter  der 
Controle  des  Gesichtes  in  Seitenlage)  für  einige  Stunden  in  den  After  ein- 
zulegen, wodurch  stets  Erleichterung  geschaffen  wird.  In  den  ersten  Tagen 
nach  der  Operation  lasse  ich  die  Kranke  Milch  und  Speisen  nehmen.  Hat  sio 
darnach  Mahnungen  zu  Stuhlgang,  so  wird  ein  Einguss  von  Kamillenthee 
gemacht  und  erst  mit  Schluss  der  ersten  Woche  und  stets  vor  Abnahme  der 
Dammnähte  ein  Abführmittel  (meist  zusammen  mit  einem  Eingüsse)  gegeben. 
Nach  dem  Verlassen  des  Bettes  hat  sich  die  Kranke  jeglicher  Körperanstren- 
gung, —  besonders  vom  Stiegensteigen  —  zu  enthalten,  und  bedarf  längere 
Zeit  Schonung  in  geschlechtlicher  Beziehung. 

Da  bei  dem  von  uns  beschriebenen  Operationsverfahren  Verletzungen 
der  Blase  und  des  Piectum  kaum  vorkommen  können  —  auch  stets  allsogleich 
durch  die  Naht  geschlossen  werden  sollen  —  den  Schutz  gegen  Infection  der 
Wunde  eine  correcte  Antisepsis  abgibt,  so  wird  der  Eingrift  der  Prolapsope- 
ration  übereinstimmend  als  nicht  gefährlich  bezeichnet.  Es  würde  zuweit 
führen  an  dieser  Stelle  die  Vortheile  und  Schwierigkeiten  der  mannigfachen 
Methoden  ausführlich  abzuhandeln,  es  entscheidet  ihre  Brauchbarkeit  lediglich 
der  Dauererfolg.  Nach  genau  später  controlirten  Fällen  stellt  sich  ein 
solcher  bei  der  IlEGAR'schen  Methode  in  über  70%  (für  private  Kranke  sogar 
d2°/o,  Sonntag)  ein,  was  als  sehr  günstig  bezeichnet  werden  muss,  besonders 
wenn  man  mit  in  Rechnung  zieht,  dass  unter  den  Operirten  mehrere  später 
geboren  haben,  ohne  dass  die  durch  die  Operation  geschaffenen  Verhältnisse 
bedeutend  alterirt  worden  sind.  Da  aber  viel,  vielleicht  das  Meiste  von  dem 
Verhalten,  der  Schonung  und  Beschäftigungsweise  der  Operirten  abhängt,  so 
werden  theilweise  oder  auch  gänzliche  Misserfolge  ebenfalls  vorkommen. 
Zumeist  geschieht  dies  dort,  wo  das  Beckengewebe  nicht  genügend  Wider- 
stand leistet  und  der  Uterus  durch  den  intraabdominellen  Druck  tn  Retroposi- 
tion  gezwängt  wird.  Mit  der  Ausweitung  der  Dammstütze  geht  dann  die  Ver- 
engerung der  Scheide,  und  hier  wieder  zuerst  der  vorderen  Wand  verloren. 

Wo  demnacli  der  Uterus  in  toto  vor  die  Genitalien  in  einem  Sacke  ein- 
gelagert erscheint,  und  seine  Reposition  wegen  Mangels  an  Stützgewebe  ver- 


PROLAPS-OPERATIONEN.  691 

geblicli  ausgeführt  wird,  weil  er  stets  wieder  prolabirt,  muss  der  Angriffs- 
punkt zum  Zurückhalten  des  Prolapses  auf  die  Gebärmutter  selbst  ver- 
legt werden.  Für  das  operative  Vorgehen  unter  solchen  Umständen  war  die 
Behandlung   der  Eetroflexionen  maassgebend. 

Von  den,  in  dieser  Weise  auszuführenden  Openitionen  haben  wir  uns  mit 
der  Verkürzung  der  Ligamenta  rotunda  und  der  der  Lig.  sacro- 
uterina  ferner  mit  der  Ventrofixatio  uteri  zu  beschäftigen.  Der  Vor- 
schlag die  Normalstellung  des  Uterus  in  Antefiexioversio  durch  Verkür- 
zung der  Lig.  rotunda  (den  Leitbändern  für  den  schwangeren  Uterus) 
zu  erzielen,  stammt  von  Alexander.  Es  wird  die  Trennung  der  Haut  am 
äusseren  Leistenringe  vorgenommen,  die  Lig.  rotunda  aufgesucht,  mittelst  Häk- 
chen herangezogen,  um  mehrere  Centimeter  verkürzt,  d.  h.  soweit  resecirt  als 
die  Stellung  des  Uterus  erfordert  und  dann  die  Stümpfe  in  die  Hautwunde 
genäht.  Doleris  modificirte  dieses  Verfahren  dahin,  dass  blos  ein  Lig.  rotun- 
dum  gestrafft  und  abgekürzt  wird,  zur  Erhaltung  besserer  Verhältnisse  in 
Rücksicht  auf  die  Ausdehnung  der  Blase.  —  Nach  längerer,  streng  eingehal- 
tener Bettruhe,  die  für  diesen,  an  und  für  sich  nicht  grossen  Eingriff  erfor- 
derlich ist,  folgt  meist  günstiger  Verlauf.  Die  Methode  —  nach  überseeischen 
Meldungen  von  bestem  Dauererfolge  begleitet  —  hat  in  Deutschland  wenig 
Nachfolger  gefunden.  Aehnlich  erging  es  dem  Verfahren  durch  Verkür- 
zung der  Ligamenta  sacrouterina  oder  Verödung  des  Douglas 
eine  Fixation  der  Cervix  und  so  die  Normalstellung  des  Uterus  (Freund, 
Frommel,  Stratz)  anzubahnen.  Die  Ventrofixatio  uteri  zur  Behebung 
des  Vorfalles  hat  zuerst  Olshausen  in  der  Weise  ausgeführt,  dass  er  die 
Ligamenta  rotunda  an  der  Insertion  am  Uterus  aufsuchte  und  sie  an 
der  Bauchwand  anheftete.  Spätere  Operateure  (Czerny,  Leopold  u.  A.)  fixi- 
ren  den  Uterus  selbst  in  der  Bauchwunde.  Betreffs  der  speciellen  Technik  und 
Ausführung  der  Operation  muss  auf  den  Artikel  ^^Ventrofixatio  uteri'' 
verwiesen  werden. 

Der  Erfolg  dieser  Operation  allein  ist  kein  sicherer,  wenn  man  nicht 
durch  plastische  Operation  am  Becken  den  Halt  des  Organes  verstärkt.  Ge- 
schieht dieses  in  ausreichendem  Maasse,  so  sind  die  Resultate  zufriedenstellend, 
wenngleich  meine  eigenen  Erfahrungen  keine  absolut  guten  Erfolge  aufwiesen, 
da  der  Prolaps  nicht  länger  als  etwa  ein  halbes  Jahr  zurückgehalten  erschien. 

Erreicht  man  weder  durch  die  plastischen  Operationen,  noch  durch  die 
Ventrofixation  mit  oder  ohne  Combination  ersterer  Methoden  eine  Zurückhal- 
tung des  Vorfalles  und  fordert  die  daran  leidende  Person  die  Behebung  des 
Uebels  wegen  Unmöglichkeit  sonst  ihrem  Broderwerbe  nachgehen  zu  können, 
oder  bringen  Incarcerationserscheinungen  die  meist  älteren,  das  Klimacterium 
überschritten  habenden  Individuen  in  Gefahr,  so  erübrigen  nunmehr  die  E  x  s  t  i  r- 
patio  uteri  totalis  per  vaginam  mit  ausgedehnter  Resection  der  Scheide, 
Bildung  eines  strammen  Vaginalabschlusses  und  nachfolgender  ausgedehnter 
Perineoauxesis.  Man  wird  sich  zu  diesem  Eingriffe  nur  bei  ganz  stricter  In- 
dication  entschliessen;  er  bietet  bei  beweglichem  Organe  nicht  die  gering- 
sten Schwierigkeiten,  da  der  Fundus  uteri  sehr  leicht  auszutasten  und  zu 
erreichen  ist,  eigentlich  schon  herausgetreten  erscheint;  und  die  Auslösung  des 
Organes  hingegen  durch  den  Schwund  des  haltenden  Bindegewebes  geradezu 
spielend  erfolgt. 

Einer  unserer  Fälle  betraf  eine  69-iähiige,  auch  heute  noch  schwer  zu  arbeiten  ge- 
nöthigte  Person,  der  Erfolg  seit  drei  Jahren  noch  ein  in  jeder  Beziehung  vollkommener. 

Schwieriger  stellt  sich  die  Entscheidung,  wenn  es  sich  um  jüngere,  viel- 
leicht conceptionsfähige  Frauen  handelt.  Man  wird  sich  in  solchem  Falle  die 
Mühe  nicht  verdriessen  lassen  dürfen,  durch  Repositionsversuche  und  selbst 
umständliche  Bandage  den  prolabirten  Uterus  zur  Verkleinerung  zu  bringen, 
und  darnach  lieber  zur  wiederholten  plastischen  Operation  oder  zur  Ventro 

44* 


692  PROPHYLAXE  DER  FRAUENLEIDEN. 

fixation  zu  greifen  als  das  Individuum  der  Verstümmelung  und  den  daraus 
entspringenden  Folgen  auszusetzen.  Zu  dem  sind  Fälle  beobachtet,  wo  nach 
fruchtloser,  zweifacher  Scheidendammbildung  das  drittemal  ein  befriedigendes 
Zurückhalten  des  Uterus  erzielt  wurde.  Elischek. 

Prophylaxe  der  Frauenleiden.  Drei  grosse  Gruppen  von  Schädlich- 
keiten lassen  sich  aufstellen,  welche  vor  Allem  für  die  Entstehung  von  Frauen- 
leiden in  Betracht  kommen  und  deren  Ursachen  wir  kennen;  es  sind  dies 
1.  die  Gonorrhoe,  2.  die  Geburtsverletzungen  und  Wochenbetts- 
Infectionen  und '3.  eine  Reihe  von  Schädlichkeiten,  welche  durch 
Herkommen  und  Sitte  bedingt  sind.  Für  eine  4.  und  5.  Gruppe,  die 
der  angeborenen  Entwicklungsstörungen  und  der  Bildung  von 
Geschwülsten,  sind  wir  über  die  Ursachen  nicht  oder  nicht  genügend 
unterrichtet;  es  kann  also  dafür  auch  von  einer  Prophylaxe  noch  nicht  die 
Rede  sein.  Die  Verhütung  von  Gefahren,  welche  durch  verschiedene  Berufs- 
arten dem  Weibe  drohen,  ist  Aufgabe  der  Gewerbe-Hygiene;  diese  wird  aber 
für  das  Weib  nicht  zu  anderen  Folgerungen  kommen,  als  für  den  Mann,  sie 
kann  also  hier  nicht  Gegenstand  der  Besprechung  sein. 

Die  Aetiologie  der  Gonorrhoe,  der  Geburtsverletzungen  und  der  Wochen- 
bettsinfectionen  ist  in  den  Hauptzügen  bekannt  und  sie  hat  —  wenn  auch  in 
vielen  Beziehungen  leider  nur  theoretisch  —  zu  einer  brauchbaren  Prophylaxe 
der  durch  sie  bedingten  Frauenleiden  geführt.*) 

Noch  viel  zu  wenig  ist  dies  aber  der  Fall  bei  jenen  Schädlichkeiten, 
welche  der  Frau  durch  Herkommen  und  Sitte  in  so  mannigfacher  Weise 
erwachsen.  Nur  von  diesen  Gefahren  soll  im  Folgenden  die  Rede  sein.  Man 
kann  diese  Gefahren  nicht  in  den  Begriff  der  „socialen  Misstände"  zu- 
sammenfassen, denn  die  socialen,  d.  h.  gesellschaftlichen  Misstände  sind  es 
durchaus  nicht  allein,  welche  hier  in  Betracht  kommen.  Zahlreiche  Schädi- 
gungen der  Gesundheit  des  Weibes,  welche  in  Sitte  und  Herkommen 
begründet  sind,  haben  mit  unseren  gesellschaftlichen  Einrichtungen  nichts 
zu  thun.  Dazu  gehört  die  Kleidermode,  die  Hygiene  des  Geschlechtslebens, 
z.  B.  das  Vorurtheil,  während  der  Menses  dürften  keine  Waschungen  der 
Genitalien  vorgenommen  und  die  Wäsche  dürfte  nicht  gewechselt  werden 
u.  Ae.  —  Dieser  Unterschied  zwischen  „socialen"  Gefahren  und  den  durch 
Sitte  und  Herkommen  bedingten  Misständen  muss  nachdrücklich  hervorge- 
hoben werden,  da  heute  von  vielen  Seiten  alles  auf  „sociale  Misstände"  zurück- 
geführt wird,  die  meist  auch  nicht  das  geringste  damit  zu  thun  haben. 

Drei  Fehler  müssen  vor  Allem  klargelegt  werden:  durch  Herkommen 
und  Sitte  wird  gegen  unabweisbare  Forderungen  der  Natur  schwer  gesündigt; 
in  den  weniger  bemittelten  Kreisen  ist  von  einer  Hygiene  der  weiblichen 
Genitalien  und  zwar  besonders  in  der  Zeit  ihrer  wichtigsten  Functionen 
(Menses,  Fortpflanzung)  soviel  wie  gar  keine  Rede;  durch  unsere  Lebens- 
gewohnheiten ist  das  Weib  Schädlichkeiten  ausgesetzt,  welche  den  Mann  nicht 
oder  doch  nicht  in  gleichem  Maasse  treffen;  diese  Schädlichkeiten  bestehen 
theils  in  Begehungs-,  theils  in  Unterlassungssünden. 

Das  Weib  ist  an  der  Fortpflanzung  in  viel  einschneidenderer  Weise  be- 
theiligt, als  der  Mann.  Sexual-Trieb,  Menses,  Schwangerschaft,  Geburt  und 
Wochenbett  sind  Dinge,  welche  eine  ununterbrochene  Kette  von  Gefahren  mit 
sich  bringen.  Diesen  Gefahren  wird  durch  Sitte,  Gewohnheit  und  Lebensweise 
auch  nicht  annähernd  Rechnung  getragen. 

Aus  diesen  Thatsachen  ergeben  sich  vor  Allem  wichtige  Anhaltspunkte  für 
die  Beantwortung  eines  Theiles  der  Frauenfrage.    Man  strebt  für  das  Weib 


*)  Vergl.    ^Äntise])sis  in  der  Gehurtshüfe,"'    S.  M  u.  ff.,    sowie  „Prophylaxe  der  Go- 
norrlioe,"  S.  298. 


PROPHYLAXE  DER  FRAUENLEIDEN.  693 

gleiclies  Reclit  an,  wie  für  den  Mann.  Im  Vorhinein  soll  zubegeben  werden,  dass 
ein  grösseres  Maass  von  Hechten  für  das  Weib  zu  den  bejj:ründetsten  Forderungen 
gehört.  Diese  Forderungen  werden  sich  liauptsäclilich  auf  gleiche  körperliche  und 
geistige  Ausbildung  beziehe«;  wie  sie  der  Manu  gcniesst,  ferner  auf  eine  Zu- 
lassung zu  grösseren  socialen  und  pol  itisclien  Kcchten.  Es  dürfte  aber  wohl  nie 
zu  einer  vollkommenenGleich Stellung  von  Mann  und  Frau  kommen. 
Dies  ist  so  lange  unmöglich,  als  dem  Weibe  der  grössere  Antheil  an  der  Fort- 
pflanzung zugewiesen  bleibt. 

Zur  Zeit  der  Menses,  der  Schwangerschaft,  der  Geburt  und  des  Wochen- 
bettes ist  das  Weib  nicht  oder  doch  nicht  in  gleichem  Maasse  wie  der  Mann 
arbeitsfähig.  Rechnen  wir  für  das  Weib  durchschnittlich  nur  8  Schwanger- 
schaften, so  ergibt  das  einen  Ausfall  von  3mal  3  Monaten  (letzte  Monate  der 
Schwangerschaft)  und  3mal  14  bis  42  Tagen  (Zeit  bis  zur  Ilückbildung  der 
Genitalien)  an  verminderter  Arbeitsfähigkeit,  also  durchschnittlich  von  9  Mo- 
naten plus  84  Tagen;  ferner  —  nur  für  die  Zeit  vom  20. — 40.  Lebensjahre  be- 
rechnet —  für  die  Menses  einen  Ausfall  von  mindestens  20mal  12mal  3  Tagen 
=  720  Tagen,  von  welchen  für  die  Zeit  der  Schwangerschaft  (Cessiren  der 
Menses)  3mal  9mal  3  Tage  =  81  Tage  abzuziehen  sind;  für  die  Menses  sind 
also  720 — 81  =  639  Tage  verminderter  Arbeitsfähigkeit  zu  berechnen.  Im 
Ganzen  muss  man  also  für  das  Weib  vom  20.— 40.  Lebensjahre  mindestens 
9  Monate  -]-  84  -|-  639  Tage  rechnen,  d.  h.  ungefähr  274  Jahre,  während 
welcher  sie  in  der  Hauptsache  weniger  arbeitsfähig  als  der  Mann,  zum  Theil 
aber  gar  nicht  arbeitsfähig  ist.  Diese  Zahlen  sind  nieder  gerechnet  und  patho- 
logisclie  Zustände  im  Gefolge  der  Menstruation  und  Gravidität  überhaupt  nicht 
in  Betracht  gezogen. 

Man  kann  dagegen  nicht  einwenden,  dass  das  Weib  heute  vielfach  auch 
während  der  Menses  und  unmittelbar  bis  zur  Entbindung  hin  arbeite;  das  be- 
deutet eine  Gefahr,  welche  unbedingt  als  solche  anerkannt,  und  deshalb  auch 
beseitigt  werden  muss. 

Das  Weib  wird  also  wohl  nie  die  gleichberechtigte  Rivalin 
des  Mannes  auf  dem  Markte  der  körperlichen  und  geistigen 
Arbeit  sein  können.  Wegen  dieser  Inconstanz  der  Arbeits- 
leistung wird  jeder  Arbeitgeber  für  bestimmte  Arbeiten  so 
lange  männliche  Arbeitskräfte  vorziehen,  als  dem  Weibe  das 
L[oos  zufällt,  Kinder  zu  gebären. 

Der  Einwand,  dass  ja  auch  der  Mann  gewisser  Ruhepausen  (Ferien, 
Urlaub,  Feiertage)  bedarf,  ist  nicht  stichhältig;  denn  das  Weib  wird  neben 
■den  durch  die  Fortpflanzung  bedingten  Pausen  eben  auch  diese  Erholungs- 
pausen mit  gleichem  Rechte  fordern. 

Von  ärztlicher  Seite  ergibt  sich  daraus  eine  weitere  Folgerung: 
Eine  gleiche  körperliche  Ausbildung  wie  beim  Manne  ist  dem  Weibe  infolge 
-der  körperlichen  Beschaffenheit  und  physiologischer  Functionen  erschw^ert, 
wenn  nicht  unmöglich  gemacht;  die  Verwerthung  seiner  geistigen  Fähigkeiten, 
ist  aus  denselben  Gründen  eine  zeitw^eilig  unterbrochene.  Für  die  letzte  Zeit 
der  Schwangerschaft  wie  für  die  Zeit  der  Entbindung  und  des  Wochenbettes 
ist  das  Weib  social  und  politisch  einfach  unfähig  zur  Concurrenz  mit  dem  Manne. 

Einfluss  körperlicher  Arbeit  und  Nichtarbeit,  sowie  der 
Lebensweise  im  Allgemeinen.  Die  schädliche  Wirkung  verschiedener 
Gewerbe  auf  den  menschlichen  Organismus  im  allgemeinen,  also  auch  auf  den 
des  Weibes,  ist  in  hygienischen  Schriften  hinreichend  gew'ürdigt.  Hier  soll 
nur  auf  jene  körperlichen  Arbeiten  hingewiesen  werden,  w^elche  dem  Weihe 
heute  bei  uns  vorzugsweise  oder  allein  zufallen:  es  handelt  sich  um  Haus- 
wesen, Küche  und  die  sogenannten  weiblichen  Handarbeiten,  sowie  um  die 
ausschliesslich  oder  vorzugsweise  übliche  Verw^endung  weiblicher  Kräfte  in  ein- 
.zelnen  Erwerbszw^eigen, 


694  PROPHYLAXE  DER  FRAUENLEIDEN. 

Lässt  man  die  oben  angestellte  Rechnung  in  der  Hauptsache  gelten,  sa 
mrd  man  auch  folgendem  Satze  zustimmen  können:  Durch  Menses,  Schwanger- 
schaft und  Wochenbett  ist  das  Weib  in  höherem  Maasse  an  das  Haus  gebun- 
den, als  der  Mann.  Kann  die  Frau  während  dieser  Zeit  auch  nicht  alle  und 
jede  Arbeit  verrichten,  so  liegt  es  doch  sehr  nahe,  dass  sie  —  ohnedies  an  das 
Haus  gebunden  —  nun  auch  leichtere  Hausarbeit  verrichtet  oder  sie  beauf- 
sichtigt. Naturgemäss  entwickelt  sich  daraus  die  vorwiegende,  wenn  auch 
nicht  ausschliessliche  Verwendung  weiblicher  Kräfte  für  Küche  und  Haus.  Es 
bedarf  jedoch  keines  Beweises,  dass  männliche  Kräfte  ebenso  gut  dafür  ver- 
wendbar sind;  nur  werden  sie  mit  grösserem  Vortheile  zu  anstrengenderen 
gewerblichen  und  zu  solchen  geistigen  Arbeiten  herangezogen  werden,  welche 
eine  constante  Arbeitsleistung  beanspruchen. 

Bleibt  deshalb  dem  Weibe  auch  die  Besorgung  des  Hauswesens  und  der 
Küche  in  der  Hauptsache  vorbehalten,  so  bestehen  doch  heute  in  dieser  Hin- 
sicht grosse  und  gesundheitsschädliche  Misstände:  Das  Weib  ist  zu  viel  in 
Haus  und  Küche  thätig,  es  hat  kein  hinreichendes  Gegengewicht  für  die  Ge- 
fahren, welche  der  Aufenthalt  im  Hause  durch  den  Mangel  an  Luft  und  Licht 
bringt.  Es  ist  eine  der  wichtigsten  Forderungen  der  Gesundheitspflege,  dass 
jedem  Menschen  reichliche  Bewegung  in  freier  Luft  durch  ausgedehnte  Spa- 
ziergänge —  nicht  allein  durch  ein  Schlendern  von  Kaufladen  zu  Kaufladen,  — 
ferner  durch  alle  Arten  vernünftigen  Sports,  wie  Schwimmen,  Schlittschuh- 
laufen, Turnen  gewährt  werde.  Das  Radfahren  scheint  für  Frauen  weniger 
rathsam.  zu  sein  und  ist  während  der  Menses  und  Schwangerschaften  geradezu 
schädlich;  eine  besondere  Gefahr  des  Radsportes  liegt  einerseits  in  der  schlech- 
ten Körperhaltung  auf  den  gebräuchlichen  Niederrädern,  andererseits  in  der 
Uebertreibung,  zu  welcher  man  sich  durch  schlecht  angebrachten  Ehrgeiz  nur 
allzu  oft  verleiten  lässt.  Von  ausserordentlichem  Werthe  sind  die  besonders 
in  England  gepflegten  und  eingebürgerten  Bewegungsspiele  im  Freien, 
wie  Handball,  Lawn-Tennis  u.  Ae. 

Das  „zuviel  im  Hause  sein"  ist  aber  auch  bei  Frauen  bemittelter  Kreise,, 
die  nicht  durch  häusliche  Sorgen  und  Arbeiten  daheim  gehalten  werden,  der 
Ursprung  häufiger  Schädigung  der  Gesundheit;  obwohl  solche  Frauen  das 
Hauswesen  nur  leiten  (und  auch  dieses  „Leiten"  ist  oft  genug  der  Ausdruck 
für  ein  gefährliches  Nichtsthun),  haben  sie  nicht  genügende  körperliche  Be- 
wegung und  besonders  nicht  in  freier  Luft.  Sonnenschein  und  Bewe- 
gung in  freier  Luft  sind  zwei  Heilmittel,  die  viel,  viel  zuwenig 
gewürdigt  und  angewendet  werden.  Bedarf  es  des  Hinweises  auf  die 
blassen,  alles  Blattgrüns  entbehrenden  Pflanzen,  die  bei  mangelndem  Licht 
sich  kümmerlich  entwickeln?  Sollte  nicht  auch  das  frische  Wangenroth  mit 
unendlich  mehr  Nutzen  aus  der  sonnenfrohen  Werkstätte  der  Natur,  als  aus 
Puderfabriken  bezogen  werden?  Migräne,  Neurasthenie,  Chlorose  beruhen  ja 
nicht  allein,  aber  doch  oft  genug  und  zum  grossen  Theile  auf  diesen  Mis- 
ständen. 

Es  genügt  nicht,  dass  der  Arzt  zur  Kranken  sagt:  Nehmen  Sie  Eisen, 
kalte  Bäder  und  gehen  Sie  in  die  Luft."  Nein,  er  muss  genau  und  haarklein 
vorschreiben,  was  die  Patientin  thun  und  nicht  thun  darf;  er  muss  bestimmen, 
Avie  lange,  ja  selbst  wohin  sie  gehen  soll,  bis  sie  Willenskraft  genug  erlangt 
hat,  für  ihre  Gesundheit  in  hinreichendem  Maasse  zu  sorgen.  Es  ist  ganz  er- 
staunlich schwer,  fleissige  Hausfrauen  und  romanlesende  Nichtsthuerinnen  zu 
regelmässiger,  erspriesslicher  Körperbewegung  im  Freien  zu  veranlassen.  In 
den  ärztlichen  Verordnungen  müssen  Sonnenschein  und  frische  Luft  einen  viel 
grösseren  Raum  einnehmen,  als  dies  leider  so  oft  geschieht.  Man  hat  sich 
fast  daran  gewöhnt,  bei  Kopfweh  Antipyrin,  bei  Schlaflosigkeit  Chloralhydrat, 
bei  Neurasthenie  Bromkali,  bei  Chlorose  Eisen  zu  geben.  Diese  Mittel  können 
an   ihrem  Platze   segensreich   wirken;   aber   neben  ihnen  und  recht  oft  statt 


PROPHYLAXE  DER  FRAUENLEIDEN.  695 

ihrer  muss  Kegekmg  der  Lebensweise,  Sonnenschein  und  freie  Luft  verordnet 
werden.  Das  gilt  für  die  Frauen  der  ärmsten  und  der  reichsten  .Stände,  für 
Ladnerinnen,  welche  den  ganzen  Tag  lang  in  dumpfen,  dunklen,  staubigen 
Eäumen  zu  leben  gezwungen  sind,  für  Näherinnen  und  Stickerinnen,  für  Dienst- 
mädchen und  Köchinnen,  welche  aus  Zimmer  und  Küche  wöchentlich  nur  auf 
ein  paar  Stunden  hinauskommen,  aber  nicht  minder  für  Mädchen  und  Frau(;n 
bemittelter  Kreise,  welche  ihr  Leben  in  Salon,  Theater  und  Concertsaal  ver- 
bringen und  die  paar  Schritte  vom  einen  zum  anderen  kaum  mehr  selbst 
machen,  sondern  im  Wagen  zurücklegen;  ja  es  gilt  für  die  überwiegende  Mehr- 
zahl der  grossstädtischen  Bevölkerung  überhaupt.  Es  wäre  interessant,  aus- 
zurechnen, wie  viel  Stunden  lang  im  Jahre  ein  Dienstmädchen,  eine  Näherin, 
eine  Ladnerin  der  Grosstadt  frische  Landluft  und  frohen  Sonnenschein  ge- 
messt. 

Zu  den  meist  unterschätzten  Gefahren  für  die  Gesundheit  des  Weibes 
gehören  die  sogenannten  „weiblichen  Handarbeiten."  Zu  diesen  muss  auch 
clie  Thätigkeit  an  der  Nähmaschine  gerechnet  werden.  Schlimm  genug,  wenn 
des  Erwerbs  halber  Tausende  von  Frauen  und  Mädchen  12,  14,  ja  mehr  Stun- 
den täglich  über  ihre  Arbeit  gebeugt  im  Zimmer  sitzen  müssen.  Weshalb 
schädigen  auch  ungezählte  Frauen  und  Mädchen,  die  nicht  darauf  angewiesen 
sind,  mit  solchen  Arbeiten  ihre  Gesundheit?  Wer  es  des  Erwerbs  halber  nicht 
muss,  lasse  solche  Arbeiten  oder  beschränke  sie  auf  das  äusserste  Maass;  dann 
werden  auch  jene  ihr  Brod  leichter  und  mit  Vermeidung  der  gesundheitlichen 
Schädigung  verdienen,  welche  diese  Arbeiten  um's  tägliche  Brod  anfertigen. 
Dadurch  kann  und  soll  dem  Kunstsinne,  dem  Wunsche,  das  eigene  Heim  zu 
schmücken,  nicht  Abbruch  gethan  werden.  Aber  was  hier  schadet,  dem  Ein- 
zelnen wie  der  Gesammtheit,  ist  wieder  nur  das  zuviel.  Jede  Mutter  wird 
davon  erzählen  können,  wie  viel  in  der  Zeit  bevorstehender  Feste,  vor  Weih- 
nachten, Geburts-  und  Namenstagen  hierin  von  Frauen  und  Mädchen  gegen 
die  Gesundheit  gesündigt  wird. 

Einfluss  der  weiblichen  Kleidung.  Die  bei  uns  übliche  Beklei- 
dung des  Weibes  bedarf  einer  gründlichen  Aenderung.  Klimatische  Verhält- 
nisse sprechen  gegen  eine  Bekleidung  etwa  nach  Art  der  altgriechischen. 
Aber  warum  soll  sich  das  Weib  nicht  in  einer  Weise  kleiden,  welche  der  bei 
den  Männern  üblichen  nahekommt?  Es  ist  nicht  einzusehen,  weshalb  das 
Tragen  von  weiten  Pumphosen  und  von  tiefreichenden,  faltigen  Blusen  gegen 
den  Anstand  Verstössen  sollte.  Ja  selbst  in  der  Schwangerschaft  ist  dabei  die 
Vergrösserung  des  Leibes  eher  weniger  sichtbar,  als  bei  unseren  modernen 
Schnürkleidern.  Aber  solche  Wünsche  haben  zunächst  leider  wenig  Aussicht 
auf  Verwirklichung.  Es  ist  deshalb  besser,  vorläufig  nur  das  anzustreben,  was 
Aussicht  auf  unmittelbaren  Erfolg  hat. 

Am  schädlichsten  wirkt  in  der  heute  üblichen  Bekleidung  das  Schnür- 
mieder, das  Corset.  Chlorose,  Neurasthenie,  Magenleiden,  Verlagerung  der 
Brust-  und  Baucheingeweide,  wie  Wanderniere,  Wandermilz,  Schnürleber,  En- 
teroptose  u.  s.  w.  kommen  zu  einem  grossen  Theile,  wenn  auch  natürlich 
nicht  ausschliesslich  auf  Rechnung  des  Schnürmieders.  Weshalb  ist  es  so 
schwierig,  dasselbe  aus  dem  Kleiderschatze  der  Frau  zu  verbannen  ?  Eitelkeit, 
Mode  und  mangelhafte  Beschaffenheit  der  Oberkleider  ist  die  Ursache.  Wes- 
pen-Taille gilt  merkwürdiger  Weise  für  schön  —  und  doch  haben  weder  die 
Venus  von  Milo,  noch  andere  Frauengestalten,  welche  die  grössten  Künstler 
aller  Zeiten  geschaffen  haben  und  die  als  Vorbilder  der  Schönheit  gelten, 
einen  anderen  Lenden-Umfang,  als  er  dem  nicht  eingezwängten  Körper  des 
Weibes  entspricht. 

Man  sagt,  das  Corset  sei  nothwendig,  weil  es  den  Röcken  Halt  geben 
muss;  bei  schmalen  Hüften  sei  dieser  Halt  nicht  gegeben,  und  das  Corset 
schütze  ferner  die  Baucheingeweide  vor  dem  Druck  der  Rockbänder.    In  dieser 


696  PROPHYLAXE  DER  FRAUENLEIDEN. 

Beziehung  treibt  man  wieder  einmal  den  Teufel  mit  Beizebub  aus.  Denn  der 
Einwand  beweist  nicht,  dass  das  Corset  gut,  sondern  nur,  dass  die  bei  uns 
übliche  Form  der  Oberkleider  mit  ihren  schnürenden  Rockbändern  schlecht 
ist.  Weshalb  nimmt  man  also  nicht  statt  der  Roclvbänder  und  des  Corsets 
Rockträger  nach  Art  der  über  die  Schulter  laufenden  Hosenträger?  Man  kann 
das  Frauenbeinkleid  lose  mit  Bändern  knüpfen  —  ein  festes  Schnüren  ist  ja 
nicht  noth wendig;  den  untersten  Unterrock  befestigt  man  durch  Rockträger, 
und  an  ihm  die  ülDrigen  Röcke  durch  Anknöpfen.  Eine  ebenso  einfache  Lösung 
für  die  Befestigung  des  Oberrocks  ist  es,  ihn  aus  einem  Stück  mit  der  Jacke 
(„Taille")  zu  arbeiten,  wie  dies  bei  Frauenschlafröcken  geschieht.  Eine  andere 
Möglichkeit,  das  Schnürmieder  entbehrlich  zu  machen,  besteht  in  der  Ver- 
wendung von  Unterleibchen,  Untertaillen;  diese  können  so  gearbeitet  sein,  dass 
sie  der  Brust  durch  faltige  Einsätze  Spielraum  und  Halt  gewähren,  und  an 
ihnen  kann  man  mit  Knöpfen  die  Röcke  befestigen.  Jene  Balltoiletten,  welche 
Hals,  Nacken,  Schulter  und  Brüste  in  einer  Weise  entblössen,  die  unter  allen 
anderen  Umständen  für  unziemlich  gilt,  sind  dadurch  allerdings  unmöglich 
gemacht;  und  das  ist  kein  Nachtheil. 

Aber  selbst  unter  Beibehaltung  der  jetzt  üblichen  Bekleidungsart  ist  das 
Schnürmieder  durchaus  entbehrlich.  Trotz  dieser  Entbehrlichkeit  wird  es  jeder 
Arzt  mit  Recht  als  einen  Erfolg  ansehen,  wenn  es  ihm  gelungen  ist,  der  Mode 
huldigende  Patientinnen  zum  dauernden  Fortlassen  des  Schnürmieders  zu  be- 
wegen. 

Gleich  dem  Schnürmieder  sind  auch  die  Taillen  (enganliegende  Jacken) 
mit  Fischbein-  und  Stahleinlagen,  ferner  die  Strumpfbänder  und  die  mit  Gummi- 
zügen versehenen  Schuhe  in  die  Acht  zu  thun.  Statt  der  Strumpfbänder  aus 
Gummiband  oder  Leder  —  die  letzteren  sind  in  der  bäuerlichen  Bevölkerung 
ziemlich  verbreitet  —  sind  Strumpfträger  zu  benützen.  Man  befestigt  sie  seitlich 
am  Unterleibchen.  Gleich  den  Strumpfbändern  schaden  die  Schuhe  mit  Gummi- 
Zügen  dem  Blutumlauf.  Statt  solcher  Schuhe  („Stiefletten")  verwendet  man 
weiche  Halbschuhe  oder  Schnürschuhe;  ein  zu  festes  Schnüren  verbietet  sich 
wegen  der  rasch  auftretenden  Beschwerden  von  selbst  und  die  Erfahrung  zeigt, 
dass  man  zwar  erschreckend  häufig  zu  eng  geschnürte  Mieder  und  Röcke,  aber 
recht  selten  übermässig  geschnürte  Schuhe  findet.  Sandalen  bieten  ja  dem 
Blutkreislauf  vollkommene  Freiheit,  aber  sie  werden  sich  bei  uns  der  klima- 
tischen Verhältnisse  halber  wohl  nicht  einbürgern.  Schaftstiefel  eignen  sich 
für  Arbeiten  im  Freien.  Sie  sind  aus  diesem  Grunde  auch  vielfach  bei  der 
arbeitenden  w^eiblichen  Bevölkerung  im  Gebrauch. 

Jenes  Unfugs  muss  noch  gedacht  werden,  der  sich  in  der  Form  der 
Frauenhüte,  in  übermässiger  Benützung  des  Sonnenschirms,  des  Schleiers  und 
der  Handschuhe  von  Tag  zu  Tag  mehr  breit  macht.  Statt  eines  breitkräm- 
pigen  Hutes,  welcher  gegen  zu  heftige  Besonnung  schützt,  trägt  man  Spinn- 
gewebe aus  Draht,  Tüll  und  Blumen;  sie  gewähren  weder  den  Augen  noch 
dem  Kopfe  überhaupt  jenen  Schutz,  den  der  Hut  doch  seinem  Zwecke  ent- 
sprechend bieten  soll. 

Umgekehrt  wird  durch  Schleier,  Sonnenschirm  und  Handschuhe  wioder 
ängstlich  jeder  Lufthauch,  jeder  Sonnenstrahl  abgehalten,  statt  dass  man  dafür 
sorgt,  frische,  freie  Luft  zu  athmen  und  sich  der  belebenden  Wirkung  des 
Sonnenlichtes  zu  freuen.  Gegen  den  schädlichen  Einfluss  übermässiger  Beson- 
nung genügt  für  das  Gesicht  die  breite  Krampe  des  Hutes;  die  Hände  braucht 
man  nicht  Tag  aus,  Tag  ein  durch  Handschuhe  künstlich  zu  bleichen.  Man 
nehme  Handschuhe  im  Winter,  Sonnenschirm  und  Schleier  in  den  Tropen; 
aber  bei  Spaziergängen  kann  man  sich  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle 
hierzulande  die  liebe  Sonne  auf  Gesicht  und  Leib  scheinen  lassen;  das  wird 
unserer  Gesundheit  nützlicher  sein,  als  übertriebene  Furcht  vor  Sonne  und  Luft. 


PROPHYLAXE  DER  FRAUENLEIDEN.  697 

Hygiene  der  Sexual-Orj^ane.  Wie  die  Dinge  liegen,  ist  die  Be- 
sprechung mancher  Verhältnisse,  die  iiicher  gehören,  eine  der  schwierigsten 
Aufgaben.  Aber  man  wird  weder  dem  einzelnen  Weibe,  noch  der  Allgemein- 
heit nützen,  wenn  man  darum  vor  dieser  Aufgabe  zurückschreckt. 

Der  Fortpflanzungstrieb,  die  gewaltigste  aller  Leidenschaften,  fordert 
gebieterisch  mehr  Rechte,  als  die,  welche  ihm  dun^h  unsere  Cultur  heutzu- 
tage oft  gewährt  werden.  Die  erlaubte  Befriedigung  des  Geschlechtstriebes 
ist  für  das  Weib  nur  allzu  häufig  abhängig  von  der  Schönheit  seines  Gesichts 
und  den  Geldmitteln.  Findet  ein  armes  und  nicht  durch  körperliche  Vorzüge 
ausgestattetes  Mädchen  keinen  Gatten,  so  gibt  es  nur  zwei  Wege  für  sie:  der 
eine  führt  durch  Jahre  und  Jahrzehnte  langen,  Körper  und  Geist  häufig  aufs 
tiefste  schädigenden  Kampf  zum  theuer  erkauften  Sieg  über  die  mächtigste 
der  Leidenschaften.  Und  was  ist  der  Lohn?  Enttäuschung,  Einsamkeit,  Gering- 
schätzung und  ein  Geduldetsein,  das  mehr  verletzt,  als  offene  Kränkung.  Wie 
oft  aber  ist  ein  solches  Mädchen  geradezu  dem  Spott  ausgesetzt;  die  „alte 
Jungfer"  ist  das  dankbare  Object  der  Possendichter  und  Witzblätter  gewor- 
den. Wie  wenige  bedenken,  dass  jenes  alternde  Mädchen  seinem  guten  Rufe 
Jahre  der  schönsten  Blüthe,   ja    einen  Theil    seiner  Gesundheit  geopfert  hat. 

Beim  W^eibe  fallen  diese  Umstände  noch  viel  schwerer  ins  Gewicht,  als 
beim  Manne,  sie  wirken  auf  die  Gesundheit  noch  viel  schädlicher,  weil  es 
hunderttausenden  von  Mädchen  nicht  vergönnt  ist,  in  frei  gewählter  Thätigkeit, 
in  anstrengender  Arbeit  halbswegs  ein  Gegengewicht  für  diese  Gefahren  zu 
suchen. 

Der  erzwungene  Cölibat  führt  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  zur  Neura- 
sthenie oder  zur  Masturbation;  und  wenn  die  Gefahren  der  letzteren  in  popu- 
lären Schriften  auch  meist  übertrieben  werden,  so  dürfte  doch  kaum  jemand 
bestreiten,  dass  die  Masturbation  selbst  wieder  meist  nichts  anderes  darstellt, 
als  eine  erneute  Quelle  der  Neurasthenie. 

Der  andere  Weg  führt  das  Mädchen  der  besseren  Kreise  zum  Untergange 
seines  Rufes  und  seiner  Zukunft. 

Die  Frage  spielt  —  von  ihrer  überaus  ernsten  ethischen  und  socialen  Be- 
deutung abgesehen,  auch  unmittelbar  ins  ärztliche  Leben  herein.  W^ie  oft 
kommen  jene  Mädchen  mit  welker  Gesichtsfarbe  und  den  zahllosen  neurasthe- 
nischen  Beschwerden  in  die  Sprechstunde  des  Arztes.  Er  findet  trotz  genau- 
ester Untersuchung  keine  andere  Ursache  der  quälenden  Leiden,  als  den  er- 
zwungenen Cölibat  oder  die  dadurch  bedingte  Masturbation;  und  doch,  was 
vermag  er  zu  thun?  Er  weiss  sehr  wohl,  dass  alle  Rathschläge,  die  er  gibt 
und  geben  darf,  unzureichend  sind.  Nicht  im  Sprechzimmer  des  Arztes  kann 
diese  Frage  im  Einzelfalle  entschieden  w^erden;  sie  erfordert  das  vorurtheils- 
lose  Studium  der  Naturforscher  und  Social- Politiker.  Nachdrücklich  muss  her- 
vorgehoben werden,  dass  aber  nicht  in  der  „freien  Liebe,"  sondern  in  der  mono- 
gamen Ehe  die  Lösung  gefunden  werden  kann.  Die  Erleichterung  der  Ehe- 
schliessung und  die  Sicherung  des  Lebensunterhaltes  werden  dazu  unent- 
behrlich sein. 

Eines  wichtigen  Umstandes  ist  hier  zu  gedenken:  der  facultativen 
Sterilität.  Die  überwiegende  Mehrzahl  der  Aerzte,  Naturforscher  und  Social- 
Politiker  stimmt  darin  überein,  dass  sie  mit  verschwindend  w^enigen  Ausnahmen 
verwerflich  und  für  das  Einzelwesen  wie  für  die  Gesammtheit  schädlich  ist. 
Die  Fälle  sind  überaus  selten,  in  welchen  das  W^eib  ausser  Stande  ist,  ihrer 
Aufgabe  ohne  Gefährdung  des  eigenen  Lebens  gerecht  zu  werden.  Künstliche 
Fehl-  und  Frühgeburt  und  Kaiserschnitt  haben  in  ihre  Rechte  zu  treten,  wenn 
eine  rechtzeitige,  spontane  Entbindung  unmöglich  oder  die  Fortdauer  der 
Schwangerschaft  für  die  Mutter  lebensbedrohend  ist.  Das  Zweikinder- 
system verfällt  wie  jede  willkürliche  Beschränkung  der  Nachkommenschaft 
diesem   verdammenden  Urtheile;   so   hat  in  Frankreich  die  Gewalt   der  Ver- 


698  PRURITUS  VAGINAE  ET  VULVAE. 

liältnisse  über  dieses  System    schon    den  Stab  gebrochen.    Alles,  was    der 
Natur  zuwiederläuft,  rächt  sich  früher  oder  später. 

Während  der  Menses,  der  Schwangerschaft  und  des  Wochenbettes  ist  für 
das  Weib  Enthaltung  von  anstrengenden  körperlichen  und  geistigen  Arbeiten 
nothwendig.  Gegen  diese  Forderung  Verstössen  ganz  besonders  die  Frauen 
der  unbemittelten  Stände  unter  dem  Zwange  der  Noth. 

Es  gibt  aber  in  dieser  Beziehung  auch  sehr  verbreitete  Vorurtheile, 
welche  schädlich  wirken,  jedoch  wohl  zu  beseitigen  sind.  So  gilt  es  in  weiten 
Kreisen  für  schädlich,  während  der  Menses  die  Wäsche  zu  wechseln  und  die 
Vulva  zu  reinigen.  Allerdings  kann  vielleicht  einmal  durch  das  Anziehen 
eines  kalten  Leinenhemdes  auf  die  bestehenden  Menses  ein  Einfluss  ausgeübt 
werden.  Dieser  ist  aber  recht  gering  und  er  kann  ohne  weiteres  aufgehoben 
werden  durch  das  einfache,  vorherige  Erwärmen  des  Hemdes.  Reinigen  der 
Vulva  mit  lauwarmem  W^asser,  ja  selbst  Scheidenspülungen  mit  solchem,  be- 
sonders, wenn  es  vorher  abgekocht  wurde,  sind  unschädlich.  —  Im  Aufsatze 
„  Gonorrhoe'-''  wurde  auf  den  entsetzlichen  Aberglauben  hingewiesen,  dass  der 
Tripper  des  Mannes  durch  Cohabitation  mit  einem  unberührten  Mädchen 
geheilt  werden  könne. 

Die  Reihe  von  Gefahren,  welche  durch  mancherlei  Einrichtungen,  Ge- 
bräuche und  Ansichten  unserer  Zeit  und  unserer  Cultur  der  Gesundheit  des 
Weibes  drohen,  ist  damit  nicht  erschöpft.  Es  bedarf  noch  sorgfältiger,  vor- 
urtheilsfreier  Untersuchung,  um  in  dieser  Hinsicht  Wandel  zu  schaffen, 

GUSTAV   KLEIN. 

Pruritus  Vaginae  et  vulvae  ist  eine  durch  verschiedenartige  Ursachen 
bedingte  Erkrankung,  deren  wesentliches  Symptom  in  einem  lästigen  Jucken 
im  Bereich  des  Scheideneinganges  besteht.  Der  Pruritus  wird  bei  Frauen  jeden 
Alters  beobachtet,  sowohl  bei  sonst  gesunden,  als  bei  an  Genital-  oder  All- 
gemeinkrankheiten {Carcinonij  Diabetes)  leidenden  Frauen.  Er  tritt  auf  in  der 
Schwangerschaft,  sogar  während  der  Geburt,  auch  im  Wochenbett.  Relativ 
häufig  wird  er  bei  älteren  Frauen  vor  oder  nach  Eintritt  des  Klimakterium 
beobachtet.  Nicht  selten  kommt  ein  leichtes  vorübergehendes  Jucken  während 
der  Menses  oder  gleich  nach  denselben  vor,  was  wohl  nicht  dem  Pruritus  sensu 
strictiori  zuzuzählen  ist.  Letzterer  stellt  ein  meist  sehr  hartnäckiges  Leiden 
dar,  welches  symptomatisch  bei  abnormen  Secreten  (oder  auch  als  Reflex- 
erscheinung), seltener  essentiell  als  selbständige  Neurose  auftritt. 

Aetiologisch  hält  Küstner  den  abnormen  Reiz  pathologischer  Secrete 
für  die  häufigste  Ursache  des  Pruritus;  secundäre  Veränderungen  der  Schleim- 
haut, wie  Miliumknötchen,  Schleimhautsclerosen,  Geschwüre,  Eczeme,  herpe- 
tische Ausschläge,  Furunkel  (zum  Theil  durch  Reiben  und  Kratzen  veranlasst) 
unterhalten  dann  die  Irritabilität  der  Vulva,  während  in  selteneren  Fällen  das 
Jucken  seinen  Grund  in  einer  primären  Neurose  haben  soll.  Auch  nach 
Ohlshausen  existirt  ein  essentieller,  nur  durch  Erkrankung  der  Nerven- 
endigungen bedingter  Pruritus.  Sänger  dagegen  betrachtet  als  Ursache  der 
Affection  stets  eine  örtliche  Erkrankung  der  Schleimhaut  in  Folge  innerer 
oder  äusserer  Schädlichkeiten,  die  secundär  die  Nervenendigungen  in  Mitleiden- 
schaft ziehen  können.  Er  bezeichnet  die  Krankheit,  da  bei  einiger  Dauer  der- 
selben stets  Veränderungen  der  Schleimhaut  zu  constatiren  sind,  als  Dermato- 
neuritis  vulvae  lyruriginosa. 

Zur  Erklärung  der  Pathogenese  des  Pruritus  zieht  Seeligmann  die 
locale  mikroparasitäre  Infection  heran,  indem  er  bei  Diabetes  den  Sacha- 
romyces,  in  anderen  Fällen  das  Bacterium  ureae,  den  Coccus  ureae  und 
andere  Mikroben  für  die  Entstehung  der  Krankheit  verantwortlich  macht.  Da- 
gegen ist  mit  Recht  geltend  gemacht  worden,  dass  der  Sacharomyces  stets  nur 
auf   der  Oberfläche    der  Schleimhaut  und  nicht  im  Corion  gefunden  wurde, 


PRURITUS  VAGINAE  ET  VULVAE.  699 

dass  somit  einfache  Waschungen  zur  Beseitigung  des  Pruritus  hätten  genügen 
müssen,  dass  ferner  bei  Diabetes  (nach  v.  Wjnckel)  durchaus  nicht  in  allen 
Fällen  von  Pruritus  der  Pilz  zu  finden  war.  Gegen  die  Verallgemeinerung 
der  parasitären  Theorie  spricht  auch  die  Thatsache,  dass  im  Scheideneingang 
sich  stets  Mikroben  in  reichlicher  Menge  finden  und  trotzdem  nur  wenige 
Frauen  an  Pruritus  vaginae  leiden,  ebenso  dass  bei  Schwangeren  sehr  häutig 
Mycosis  ohne  alles  Jucken  und  andererseits  manchmal  Pruritus  ohne  jede 
Pilzablagerung  besteht.  Auch  die  Erfolge  der  Carbolbehandlung  sind  kein 
stricter  Beweis  für  die  parasitäre  Grundlage  des  Pruritus,  da  die  Wirkung 
des  Medicamentes  ebensogut  auf  der  Anästhesirung  der  afficirten  Theile  be- 
ruhen kann. 

Die  Ursachen  des  Pruritus  sind  jedenfalls  sehr  mannigfache.  Nach 
dem  heutigen  Stande  des  Wissens  muss  die  von  Sänger  aufgestellte  Ein- 
theilung  im  Allgemeinen  als  durchaus  objectiv  und  als  den  häufigsten  Beobach- 
tungen entsprechend  anerkannt  werden.  Derselbe  unterscheidet:  1.  Endogene 
Ursachen,  a)  Hämatogene:  Icterus,  Nephritis,  Diabetes  können  Pruritus  hervor- 
rufen durch  die  im  Blut  kreisenden  und  auf  die  Nervenendigungen  ein- 
wirkenden reizenden  Stoße.  Ebenso  können  auch  Medicamente  wirken,  wie 
Jodoform,  Morphium  u.  A.  h)  Fluxionäre:  Stauungshyperämieen  bei  Hämor- 
rhoiden, Schwangerschaft,  Tumoren.  2.  Exogene  Ursachen,  a)  Secretorisch- 
cliemisciie:  Abnorm  gesteigerte  Secretion  der  Hautdrüsen,  Benetzung  mit 
pathologisch  verändertem  Urin,  krankhafte  Secrete  der  Scheide  und  des 
Uterus  (z.  B.  bei  Carcinom,  auch  bei  Secretionsanomalieen  des  Uterus  ini 
Klimakterium),  h)  Parasitäre:  Pediculi,  Oxyuris,  Leptothrix,  Bacterium  ureae. 
3.  Mechanische  Ursachen.  Reiben,  Kratzen,  Masturbation  (diese  sind 
jedenfalls  häufiger  Folge  als  Ursache  des  Leidens). 

Es  kann  übrigens  nicht  jeder  Fall  von  Pruritus  als  Dennatitis pruriginosa 
bezeichnet  werden,  da  nicht  selten  sowohl  Anfangs,  als  auch  später,  besonders 
wenn  die  Kranken  nicht  kratzen,  jede  locale  Veränderung  fehlt.  Dass  eine 
solche  sich  schliesslich  im  Verlauf  der  Krankheit  durch  Reiben  und  Kratzen 
secundär  gewöhnlich  einstellt,  ist  nicht  zu  verwundern.  Das  Vorkommendes 
Pruritus  als  essentielle  primäre  Neurose  lässt  sich  so  lange  nicht  läugnen, 
als  nicht  für  jeden  solchen  Fall  eine  bestimmte  andere  Ursache  mit  Evidenz 
nachgewiesen  werden  kann.  Als  Reflexneurose  sah  Schultze  einigemale  den 
Pruritus  auftreten;  die  sehr  interessanten  Beobachtungen  betreffen  Fälle  von 
leichter  Endometritis.  Dass  hier  nicht  etwa  der  minimale  Ausfluss  das  Jucken 
hervorrief  (welches  ja  selbst  in  Fällen  schwerer  Endometritis  nicht  beobachtet 
zu  werden  pflegt),  sondern  dass  dasselbe  auf  dem  Wege  des  Reflexes  ausgelöst 
wurde,  konnte  durch  die  Untersuchung  mit  der  Sonde  sichergestellt  werden. 
Die  Einführung  derselben  in  den  Uterus,  respective  die  Berührung  einer  um- 
schriebenen Stelle  der  inneren  Uteruswand,  verursachte  sofort  heftiges  Jucken 
in  der  Vulva.  Nach  Beseitigung  der  Endometritis  war  auch  der  Prui'itus 
geheilt. 

Das  anatomische  Wesen  des  Pruritus  besteht  in  den  ausgebildeten 
Formen  nach  den  Untersuchungen  von  Webster  in  einer  Entzündung  des 
Papillarkörpers  der  Schleimhaut  des  Introitus  vaginae  mit  langsam  fort- 
schreitender Fibrosis  der  Nerven  und  ihrer  Endapparate,  besonders  in  der 
Klitoris  und  in  den  kleinen  Schamlippen.  Makroskopisch  sind  die  Ver- 
änderungen in  der  ersten  Zeit  meist  gering  und  bestehen  in  Röthung  und 
leichter  Schwellung  der  Schleimhaut  der  Vagina  und  Vulva,  selten  zeigt  sich 
eine  papulöse  Dermatitis.  Allmälig  aber  entwickelt  sich,  hauptsächlich  in 
Folge  des  Kratzens,  ein  Eczem  der  Schleimhaut  mit  Excoriationen  und  Schorfen, 
sehr  häufig  mit  starrer  Infiltration  der  Nymphen,  des  Präputium  klitoridis 
und  der  Klitoris  selbst.   Diese  Infiltration  führt  zu  Hypertrophie  und  elephan- 


700  PRURITUS  VAGINAE  ET  VULVAE. 

tiastischer  Yerdickuiig  der  Theile,  welche  den  Charakter  der  Schleimhaut  ver- 
lieren und  eine  eigenthümliche  harte    und  trockene  Beschaffenheit  annehmen. 

Das  Cardinalsymptom  des  Leidens  ist  ein  quillendes  Jucken  im 
Scheideneingang,  oft  auch  im  unteren  Abschnitt  der  Scheide,  hauptsächlich 
aber  in  den  kleinen  Schamlippen  und  in  der  Klitoris,  häufig  auf  den  Damm 
und  auf  die,  inneren  Schenkelflächen  sich  verbreitend.  Das  Jucken  ist  ge- 
wöhnlich am  stärksten  bei  Nacht,  in  der  Bettwärme.  Manchmal  tritt  es  auch 
in  Pausen  anfallsweise  auf.  In  schweren  Fällen  erreicht  das  Jucken  einen 
solchen  Grad,  dass  es  die  Frauen  zur  Verzweiflung  treibt  und  tiefe  psychische 
Depression  mit  Selbstmordgedanken  verursacht.  Die  Allerwenigsten  können 
dem  Reiz  zum  Reiben  und  Kratzen  widerstehen;  sie  verschalfen  sich  so  eine 
momentane  Erleichterung,  verschlimmern  aber  thatsächlich  nur  ihr  Leiden. 
In  manchen  Fällen  ist  das  Jucken  mit  erotischen  Empfindungen  verbunden 
und  führt  dann  leicht  zur  Masturbation.  Einige  Beispiele  seien  nachfolgend 
angeführt. 

Eine  Patientin  des  Verfassers  litt,  ohne  dass  locale  Veränderungen  bestanden,  und 
ohne  dass  eine  Ursache  nachzuweisen  war,  an  besonders  Nachts  auftretendem  heftigem 
Jucken  in  den  GenitaUen,  so  dass  sie  unzähligemale  aufstehen  und  durch  kalte  Sitzbäder 
Linderung  suchen  musste.  Die  Folge  war  Schlaflosigkeit  und  tiefe  Melancholie.  Das 
Leiden  wurde  durch  Galvanisation  beseitigt.  Eine  andere  Patientin  kratzte  sich  wegen 
intensiven  Pruritus  fortwährend  mit  den  Nägeln  und  zeigte  eine  enorme  Hypertrophie  der 
Klitoris,  des  Präputium  klitoridis  und  der  Nymphen  mit  blassrother,  harter  und  rissiger 
Epidermis;  die  Abtragung  der  Theile  wurde  verweigert,  eine  Salbe  aus  Ichthyol  20,  Ungu. 
Zinc.  30'0,  Menthol.  10  brachte  bedeutende  Linderung.  Eine  dritte  Patientin,  bei  welcher 
die  Erkrankung  im  Klimakterium  begonnen  hatte,  ebenfalls  verbunden  mit  Infiltration 
und  Hypertrophie  der  Klitoris  und  der  Nymphen,  empfand  zugleich  mit  dem  Jucken 
heftige  wollüstige  Erregungen;  sie  erkaufte  sich  häufig  den  Coitus,  und  wenn  dies  nicht 
möglich  war,  masturbirte  sie  bis  zur  Bewusstlosigkeit.  Die  hier  gewiss  indicirte  Exstir- 
pation  der  afficirten  Partieen  wurde  nicht  gestattet,  andere  Mittel  wurden  mit  palliativem 
Nutzen  verwendet. 

Die  Therapie  des  Leidens  besteht  in  Auffindung  und  Beseitigung  der 
Ursache,  wenn  dies  möglich  ist.  Bei  leichterem  Jucken,  wie  es  nach  der 
Menstruation  ab  und  zu  vorkommt,  genügt  Reinigung  der  Vagina,  kühlender 
Umschlag,  Tanninglycerintampon  etc.  Bei  Ausflüssen  aus  dem  Uterus  ist  die 
Grundkrankheit  durch  directe  Behandlung  zu  beseitigen,  und  wenn  dieses 
nicht  möglich,  durch  desinficirende  und  reizmildernde  Injectionen  der  Charakter 
der  Secrete  zu  modificiren.  Vor  Allem  ist  bei  Pruritus  auf  das  Vorhandensein 
von  Endometritis  zu  fahnden,  da  eine  solche  bei  ganz  in  den  Hintergrund 
tretendem  Ausfluss,  wie  die  Beobachtungen  von  Schultze  zeigen,  auf  dem 
Wege  des  Reflexes  das  Jucken  hervorrufen  kann.  Mit  Beseitigung  der  Endo- 
metritis durch  Jodoformgazetamponade  oder  durch  antiseptische  Ausspülungen 
des  Uterus  wird  dann  zugleich  auch  der  Pruritus  geheilt.  Noch  mehr  sind 
die  Antiseptica  bei  parasitären  Ursachen  des  Leidens  angezeigt  und  werden 
hier  in  energischerer  Weise  (Sublimat-  und  besonders  Carbollösung,  letztere 
nach  Schröder  1  :  40  bis  1  :  10)  angewandt.  Bei  inneren  Ursachen  können 
Bäder  und  Mineralwässer  in  Frage  kommen. 

In  den  hartnäckigen  Fällen,  wo  entweder  eine  primäre  Neurose  besteht 
oder  die  secundären  Veränderungen  der  Gewebe  durch  die  medicamentöse  Be- 
handlung nicht  beeinflusst  werden,  ist  zunächst  der  galvanische  Strom  (c.  20 
Milliamperes,  10  Minuten  Dauer,  Anode  in  der  Vulva,  Katode  labil  in  der 
Umgebung)  zu  versuchen.  Die  Resultate  sind  häufig  recht  gute,  viel  wahr- 
scheinlicher infolge  der  umstimmenden  Wirkung  auf  die  Nerven  und  Gewebe 
als  infolge  der  bakterientödtenden  Eigenschaft  der  Anode.  Bemerkenswerth 
ist  ein  Fall  von  Campe,  in  welchem  selbst  nach  vergeblicher  Excision  von 
Hautstücken  die  Galvanisation  rasche  Heilung  brachte.  Auch  die  Faradisation 
ist  schon  mit  Erfolg  angewendet  worden.  Als  Palliativmittel  sind  Cocain, 
Menthol,  kühlende  Salben  etc.  häufig  nicht  zu  entbehren. 


PUERPERALE  INFECTION.  701 

Wenn  der  Pruritus  jeder  Therapie  trotzt,  und  besonders,  wenn  er  dabei 
auf  Klitoris,  Nymphen  oder  umschriebene  Tlieilc  der  grossen  Sehamlippen 
oder  des  Scheideneinganges  beschrünld  ist,  so  tritt  die  operative  Jiehandlung 
in  ihr  Recht.  SciiiiöDEit  hat  zuerst  (1884)  die  Excision  der  juckenden  Ilaut- 
partieen  empfohlen  und  ausgeführt.  Ihm  folgte  Küstnek,  der  u.  a.  auch 
einmal  eine  Dammnarbe  als  Sitz  des  Pruritus  erkannte  und  durch  die  Perineo- 
plastik prompte  Heilung  erzielte.  Mautin,  Fkiiling,  Fiutsch,  Weij.S'I'Kk, 
nahmen  die  Excision  der  kranken  Stellen,  manchmal  mit  Entfernung  der 
Klitoris,  ihres  Präputium  und  der  Schamlippen  vor.  Sängku  heilte  zwei 
Fälle  durch  Abtragung  der  Nymphen  und  der  Klitoris.  Er  empfieJilt  bei 
jungen  Personen  womöglich  partielle  Excisionen,  bei  älteren  (wenn  nöthig) 
Exstirpation  der  ganzen  Vulva  mit  entsprechendem  plastischem  Ersatz. 

EDGAR  KURZ. 

Puerperale  Infection.  Der  Uterus  puerperalis  ist  vermöge  seiner 
anatomischen  Baucart  ausserordentlich  für  Infectionen  intra  et  post  partum 
prädisponirt.  Die  Mächtigkeit  der  Venen,  welche  bis  zu  1-4  cm  im  Durch- 
messer betragen  können  und  von  welchen  das  Wachsthum  des  Uterus  in 
gravididate  zum  grössten  Theil  abhängt,  der  Reichthum  an  Lymphgefässen, 
welche  in  ihrem  Laufe  meistens  den  Blutbahnen  folgen  und  von  denselben  nur 
durch  ihre  vom  Bindegewebsgerüste  gebildeten  Endothelscheiden  getrennt  sind, 
lassen  die  Gebärmutter  und  den  Geburtscanal  zu  einem  Haupt-Tummelplatz 
für  pathogene  Bacterien  werden. 

Als  Infectionserreger,  welche  die  puerperalen  Erkrankungen  bedingen, 
können  vor  Allem  der  Staphylococciis  pijogenes  aureus  und  albus  und  der  StrejJto- 
coccus  pyogenes  Rosenbach  und  Fehleisen  in  Betracht.  Weiterhin  werden 
in  der  Literatur  als  bei  puerperalen  Infectionen  gefundene  InfectionseiTeger 
das  Bacterium  coli  commune  und  der  Pneumococcus  genannt. 

Die  Eingangspforten  dieser  Eitererreger  sind  im  Wesentlichen  die  durch 
den  Geburtsact  selbst  geöffneten  Lymph-  und  Blutadern.  Als  bevorzugte 
Stellen  gelten  die  Risse  iili  Perineum,  die  Verletzungen  am  Collum  uteri 
und  als  häufigste  die  Placentarinsertion. 

Die  erste  Wirkung,  welche  die  in  das  Gewebe  eingedrungenen  Bacterien 
ausüben,  ist  in  einer  Anhäufung  von  Leukocyten  am  Infectionsherd  zu  suchen 
(Chemotaxis).  Gewebszerstörend  (leukolytisch)  wirken  die  Bacterien  erst  in 
2.  Linie.  Das  mikroskopische  Bild,  welches  wir  durch  diese  Bacterienthätig- 
keit  in  fast  allen  Infectionsfällen  erhalten,  wäre  also  in  umgekehrter  Reihe 
folgendes: 

1.  Ein  Centrum,  worin  die  Coccen  zuerst  lagen;  an  Stelle  des  Gewebes 
ist  Detritus  getreten; 

2.  eine  Wucherungszone  der  Pilze  in  der  Peripherie  des  centralen  Herdes. 
Hier  liegen  die  Coccen  dicht  gedrängt,  in  energischer  Proliferation  begriffen, 
in  die  lockeren,  anzugreifenden  Gewebspartieen  in  verschiedener  Richtung  Pa- 
trouillen sendend; 

3.  eine  Coagulationszone  über  die  Zone  2  hinaus  ragend  und 

4.  eine  Infiltrationszone.  Die  Coccen  sind  hier  mit  einem  Ringe  dicht 
gedrängter  Leukocyten  umgeben. 

Die  Möglichkeiten  des  Zustandekommens  einer  puerperalen  Infection 
lassen  sich  in  2  grosse  Gruppen  zusammenfassen:  1.  Die  vor  der  Infection 
ausserhalb  des  Genitalschlauches  befindlichen  Erreger  werden  durch  irgend 
eine  der  vielen  Handreichungen  bei  einer  Geburt  in  die  Wunden  der  Geschlechts- 
organe der  Wöchnerin  gebracht.  2.  Die  vor  der  Infection  schon  innerhalb  des 
Geburtscanais  anwesenden  Bacterien  verursachen  in  loco  selbst  die  puerperael 
Infection. 

Die  e X a n t h r 0 p e n  f ür  unser  Capitel  in  Betracht  kommend enpathogenen 
Bacterien  sind  durch  eine  Menge  von  Untersuchungen  an  allen  im  Wochen- 


702  PUERPERALE  INFECTION. 

Zimmer  und  in  Operationssälen  befindlichen  Gegenständen,  in  der  Luft  und 
auf  dem  Fussboden  nachgewiesen  worden.  Dieselben  haften  ferner  auf  der 
Haut  des  Menschen,  unter  den  Fingernägeln,  im  Sputum,  im  Nasenschleim, 
in  den  Haaren,  Kleidern  etc.  etc.  des  behandelnden  Arztes,  der  Hebamme 
und  des  Wartepersonals,  der  Kreissenden  und  der  Wöchnerin  selbst.  Es  lässt 
sich  somit  leicht  erklären,  wie  bei  nicht  genügender  Desinfection  der  Hände 
und  Instrumente^  welche  bei  inneren  Eingriffen  während  der  Geburt  gebraucht 
werden,  puerperale  Infectionen  zu  Stande  kommen  können.*)  Auch  die  gründ- 
lichste Reinigung  der  Hände  und  Instrumente  und  Abtödtung  der  daran  hän- 
genden Bacterien  mittelst  Desinficientien  wird  nach  dem  eben  gehörten  zu 
Schanden  und  unwirksam,  wenn  der  betreffende  Arzt  oder  die  Hebamme,  sei 
es  in  der  Wichtigkeit  des  Augenblickes  oder  in  strafbarer  Unkenntnis  der 
Desinfectionslehre  vor  oder  während  der  intendirten  Manipulation  mit  Gegen- 
ständen in  Berührung  kommen,  welche,  undesinficirt,  mit  Bacterien  behaftet 
sind.  Und  gerade  in  dieser  leichtsinnigen  Ausserachtlassung  und  Vernach- 
lässigung der  wichtigsten  Paragraphen  der  Desinfectionslehre,  dass  wirklich 
desinficirte  und  sterile  Hände  und  Instrumente  nur  bei  peinlichstem  Ver- 
meiden von  der  Berührung  mit  undesinficirten  Gegenständen  für  eine  gewisse 
Zeit  steril  bleiben  —  gerade  dieser  Umstand  ist  es,  welcher  die  meisten  In- 
fectionen in  puerperio  bedingt.  Wenn  bei  erfolgter  Infection  sich  der  Arzt 
oder  die  Hebamme  zu  beruhigen  suchen,  dass  bei  der  Geburt  von  ihnen  Des- 
inficientien der  verschiedensten  Art  gebraucht  werden,  so  mögen  sie  sich 
vor  allen  Dingen  fragen,  ob  dieselben  gründlichst  angewendet  und  ob  nicht 
nach  Desinfection  von  Händen  und  Instrumenten  Dinge  angefasst  wurden, 
welche  die  ganze  Sterilisation  von  Neuem  unwirksam  machten.  Und  gewiss 
würden  in  den  meisten  Puerperalfieberfällen  das  Selbstbekenntnis  folgen:  Pater 
peccavi. 

Dass  in  den  äusseren  Schamtheilen  der  Geschlechtsorgane,  der  Vagina 
und  dem  Uteruscavum  pathogene  Mikroorganismen,  wie  Staphylococcen,  Strepto- 
coccen und  Gonococcen,  der  verschiedensten  Virulenz  vorkommen,  ist  eine 
Thatsache,  welche  die  verschiedensten  Arbeiten  unumstösslich  beweisen.  Au 
dieses  enanthrope  Bestehen  von  pathogenen  Spaltpilzen  reiht  sich 
die  Frage  an,  ob  nicht  durch  dieselben  auch  puerperale  Infectionen  vermittelt 
werden  können?  Zweifellos  !  Durch  völlig  aseptische  Finger  und  Instrumente  kön- 
nen demnach  in  Vagina  und  im  Uterus  präexistirende  Bacterien  in  Risse  und  Wun- 
den des  Geburtscanais  hineingebracht  werden  und  von  hier  aus  Infectionen  be- 
wirken oder  es  können  als  seltenerer  Infectionsmodus  die  Bacterien  als  selbst- 
thätige  Inf ections vermittler,  ohne  dass  irgend  welche  Untersuchung  oder  Mani- 
pulation an  der  Kreissenden  oder  Wöchnerin  vorausgegangen  wäre,  Puerperal- 
fieber erregen.  Es  ist  diese  letztere  Art  einer  puerperalen  Infection,  vor  vielen 
Jahren  schon  von  Semmelweis  erkannt,  erst  jetzt  jedoch  durch  eine  Reihe 
von  diesbezüglichen  Arbeiten  nach  langjähriger  Aufeindung  bewiesen  worden. 
Man  kann  also  mit  Recht  eine  „Selbstinfection'^  in  puerperio  annehmen,  wenn 
nach  Ausschliessung  jeder  inneren  Untersuchung  eine  Infection  in 
puerperio  Platz  greift.  Und  gerade  aus  diesem  Grunde  —  dass  nur  von  einer 
Selbstinfection  gesprochen  werden  kann,  wenn  der  strikte  Beweis  geliefert  ist, 
dass  in  die  inneren  Genitalien  weder  durch  Finger  noch  Instrumente  pathogene 
Bacterien  in  den  Organismus  gelangt  sind  —  ist  die  Gefahr  der  Anerkennung 
der  SEMMELWEiss'schen  Theorie  eine  nur  eingebildete.  Es  kann  ja  in  weitaus 
den  meisten  Fällen  zu  jeder  Zeit  von  der  Wöchnerin  durch  Nachforschen 
eruirt  werden,  ob  eine  innere  Untersuchung  stattgefunden  hat  und  ist  im 
Bejahungsfalle  jede  Entschuldigung  von  Arzt  oder  Hebamme  oder  Wärterin, 
dass  bei  eingetretenem  Puerperalfieber  ein  Selbstinfectionsfall  vorliege,  damit 


*)  Vergl.  auch  Artikel  „Antisepsis  in  der  Gehurtshilfe^^.    Pag.  34'. 


PUERPERALE  INFECTION.  703 

abzuweisen,  dass  eben  eine  Untersuchung  vorausgegangen  und  eine  Selbst- 
infection  in  diesem  Sinne  unmöglich  ist.  Für  den  gewissenlosen  Arzt  oder 
die  Hebamme  gibt  es  ausserdem  ja  Ausflüchte  und  Entschuldigungen  genug 
die  Ursache  eines  Wochenfiebers  von  den  eigenen  Händen  und  Instrumenten 
abzuschieben. 

Als  eine  Art  von  Selbstinfection  wären  noch  die  Fälle  zu  erwähnen,  in 
welchen  eine  schon  seit  langem  bestehende  Pyosalpinx  im  Wochenbett  acut 
exacerbirt,  zum  Platzen  kommt  und  eine  tödtliche  Peritonitis  verursacht. 

Vom  Verfasser  dieses  Aufsatzes,  wurde  in  einer  experimentellen  Arbeit 
gezeigt,  dass  die  Schwere  einer  Infection  nicht  von  besonderen  Bacterien 
abhängig  ist,  dass,  mit  anderen  Worten,  es  gleichgiltig  ist,  ob  Staphylococcen 
oder  Streptococcen  oder  beide  gemeinsam  oder  irgend  welche  andere 
Eitererreger  eine  Infection  bedingen.  Es  wurde  ferner  in  der  gleichen 
Arbeit  nachgewiesen,  dass  auch  nicht  von  der  Menge  der  Keime  die  Schwere 
der  Infection  abhängig  ist,  ja,  dass  schon  durch  eine  relativ  geringe  Keim- 
menge, eine  tödtliche  puerperale  Erkrankung  Platz  greifen  kann.  Die  verschie- 
dene Infectionsintensität  resultirt  lediglich  aus  der  Virulenz  der  zur 
Verwendung  gekommenen  Bacterien.  Alle  im  Wochenbett  vorkom- 
menden Krankheiten  des  Geschlechtsapparates,  mit  Ausnahme  der  Saprämie, 
sind  somit  durch  die  Virulenz,  welche  jeweils  den  inficirenden  Bacterien 
eigen  ist,  bedingt  und  wir  können  aus  Erfahrung  und  Experimenten  folgen- 
des Virulenzschema  für  die  genitalen  Wundkrankheiten  aufstellen: 

a)  Bacterienwirkung  bei  geringster  Virulenz:  Einfache  Endovulvitis- 
Kolpitis,  Mefritis  mit   Geschwürsbildung  etc. 

b)  Als  nächste  Steigerung,  Entzündung  derselben  Organe  mit  bald 
mehr,  bald  weniger  tiefgreifender  Eiterung  und  Abscessbildung:  Vulvitis,  Kol- 
pitis,  Metritis  parenchymatosa  etc. 

c)  Als  dritten  Virulenzgrad  mit  phlegmonöser  Eiterung  und  Eitersack- 
bildung: Die  Paravulvitis,  -kolpitis,  -metritis  und  der  daran  anschliessenden 
Peritonitis    ascendens. 

Ferner  die  thromholische  Form  des  Puerperalfiebers  die  Phlebitis  und 
Pyämie. 

e)  Endlich  als  höchster  Virulenzgrad:  die  Septicämie. 

Die  ersten  drei  Bacterienvirulenzgruppen  bedürfen  keines  weiteren  Com- 
mentars,  da  sie  der  Kenntnis  der  gewöhnlichen  Eiterung,  welche  schon  seit 
Jahren  anerkannt  ist,  unterstehen.  Auf  die  beiden  letzten  Gruppen  jedoch 
erübrigt  es  mit  einigen  Worten  kurz  einzugehen. 

Die  Pyämie  verdankt  bekanntlich  ihre  Entstehung  der  Phlebitis  einer 
Placentar-  oder  Wandvene  des  Uterus,  gelegentlich  auch  einer  entzündeten 
Vene  der  Scheide,  der  äusseren  Genitalien,  der  Vena  cruralis  und  saphena. 
Von  diesem  primären  Infectionsherd  aus  gelangen  Eiter  oder  eiterhaltige 
Pfropfe  (Emboli)  in  das  Gefässystem  und  verursachen  hier  jene  secundären 
Erscheinungen,  welche  durch  neue  Infectionsherde  und  Schüttelfröste  charak- 
terisirt  sind.  Die  Thrombophlebitis  purulenta  bei  Pyämie,  die  pathologische 
Fortsetzung  eines  physiologischen  Thrombus  nach  Venenzerreissung  ist  in 
ihrer  Ausdehnung  gleichfalls  von  der  Virulenz  der  Bacterien  abhängig.  Die 
nach  Zerfall  der  Infectionserreger  aus  dem  Zellleib  freigewordenen  Proteine 
sind  im  Stande  das  nach  Leukoly'se  der  durch  dieselbe  angelockten  Leukocyten 
ausgeschiedene  Nucleohiston  (Lilienfeld)  zu  spalten  und  nach  Verbindung 
des  Histons  mit  Kalksalzen  des  Blutes  das  gerinnungsfördernde  Nuclein  zur 
Wirkung  zu  bringen.  Durch  diesen  rein  chemischen  Vorgang  ist  die  eitrige 
Thrombose  der  verschiedensten  Venenstämme  bei  Pyämie  bedingt.  Es  lässt 
sich  hieraus  leicht  verstehen,  dass  wiederum  die  Virulenz  der  Bacterien  es 
f  ist,  welche  die  grössere  oder  kleinere  Ausdehnung  einer  Thrombophlebitis 
verursacht. 


704  Puerperale  infection. 

Die  Entstehung  der  Sepsis  ist  nach  den  neuesten  Forschungen  gleich- 
falls nicht  an  verschiedene  Bacterienarten  gebunden,  sondern  ebenfalls  wie 
alle  übrigen  genitalen  Wundkrankheiten  des  Wochenbettes  von  der  Energie 
der  Infectionserreger  abhängig.  Es  wohnt  jedoch  dieser  höchste  Virulenzgrad, 
welcher  sich  in  den  septischen  Erkrankungen  durch  einen  rapiden  Verlauf 
fast  ohne  jede  Localerscheinung  äussert,  dem  Bacterienleib  nicht  selbst  inne, 
sondern  wird  erst  im  Laufe  der  Infection  durch  Hilfskräfte  hervorgerufen. 
Diese  Hilfskräfte  sind  in  Gestalt  von  Fäulniserregern  gefunden,  welche  am 
Ort  der  Infection,  auf  bis  jetzt  noch  unbekannte  Art,  den  eigentlichen 
Infections-  und  Eitererregern  die  höchste  Infectionswirkung  verleihen.  Denn 
wir  sind  experimentell  im  Stande  eine  Infection  von  massiger  Schwere  durch 
nachträgliche  Infection  mit  Saprophyten  in  das  Ungemessene  zu  steigern. 

Die  als  Septico-Pyämie  bezeichnete  Mischform  einer  puerperalen 
Infection  würde  nach  Vorausgehendem  und  nach  den  klinischen  Erfahrungen 
folgende  Erklärung  finden:  Zu  einer  schon  bestehenden  Pyämie  tritt  eine 
septicämische  Steigerung  hinzu,  d.  h.  eine  neue  Infection  mit  Fäulniserregern 
steigert  die  ursprüngliche  Virulenz  der  schon  thätigen  Eitererreger  oder  facht 
diese  schon  abnehmende  Virulenz  von  neuem  an.  Diese  acute  Exacerbation 
führt  den  gewöhnlich  durch  langes  chronisches  Bestehen  einer  pyämischen 
Affection  stark  geschwächten  Organismus  in   den   meisten  Fällen   zum  Tode. 

Saprämie  ist  ein  reines  Kesorptionsfieber  der  durch  Saprophyten  an 
der  Infectionsstelle  selbst  erzeugten  Stoffwechselproducte.  (Hat  somit  einige 
Aehnlichkeit  mit  Diphtherie  und  Tetanus.)  Da  die  Infection  mit  Fäulnis- 
erregern allein  äusserst  selten  ist,  so  darf  Saprämie  nur  dann  diagnosticirt 
werden,  wenn  nach  genauer  bacteriologischer  Untersuchung  der  Uteruslochien, 
des  Infectionsbelages  und  des  Blutes  die  Anwesenheit  von  Eitererregern  aus- 
geschlossen ist. 

Das  bei  den  meisten  puerperalen  Infectionen  bestehende,  mehr  oder 
minder  hohe  Fieber  ist  durch  die  in  das  Blut  gelangten  giftigen  Stoffwechsel- 
producte der  Infectionserreger  bedingt. 

Die  Diagnose  der  einzelnen  genitalen  Wundkrankheiten  in  puerperio 
ist  aus  Geschwüren,  phlegmenösen  Eiterungen,  abgesackten  parametranen  oder 
pelveoperitonitischen  Exsudaten,  aus  entzündeten,  thrombosirten  Venen  und 
aus  den  embolischen  Processen  mit  mehr  oder  minder  hohem  Fieber  und 
Schüttelfi'östen  nicht  leicht  zu  verfehlen.  Schwieriger  kann  sich  die  Diagnose 
der  Sepsis  gestalten,  indem  wir  ausser  einem  grauschmutzigen  diphtherischen 
Wundbelag  —  welcher  in  manchen  Fällen  durch  seinen  Sitz  nicht  nachzu- 
weisen ist  oder  mitunter  ganz  fehlt  —  und  schweren  Allgemeinerscheinungen 
oft  keine  anderen  localen  Anhaltspunkte  haben,  welche  auf  eine  septische 
Infection  hindeuten.  Wir  sind  jedoch  neuerdings  im  Stande  auch  hierin  Klar- 
heit zu  schaffen,  indem  wir  aus  Untersuchungen  des  Blutes,  aus  dem  Nach- 
weis von  kreisenden  Eitercoccen  in  demselben,  jede  andere  Infections- 
krankheit  von  der  septischen  ausschliessen  können.  Eine  in  solchen  Krank- 
heitsfällen methodisch  durchgeführte  Blutuntersuchung  gibt  uns  zugleich 
werthvolle  Anhaltspunkte  für  die  Prognose  der  Infection.  Es  wurde  nämlich 
nachgewiesen,  dass  bei  massenhaftem  Vorhandensein  von  Streptococcen  oder 
Pneumococcen  im  Blut,  die  Krankheit  einen  ganz  besonders  deletären  Cha- 
rakter aufweise  und  dass  ferner  ein  Abnehmen  in  der  Keimzahl  oder  gar  Ver- 
schwinden derselben  ein  prognostisch  günstiges  Zeichen  sei. 

Das  Ausklingen  einer  puerperalen  Infection  ist  wie  die  Schwere  gleich- 
falls von  der  Virulenz  der  Bacterien  abhängig.  Rein  septische  Zustände  füh- 
ren fast  ausnahmslos  zum  Tode.  Ueberwindet  der  Organismus  die  Bac- 
terienüberschwemmung,  so  sind  langwierige  Organerkrankungen  (Nephritis, 
Cystitis  etc.)  die  in  vielen  Fällen  weiterhin  noch  letal  verlaufenden  Folge- 
zustände. 


PUERPERALE  INFECTION.  705 

Die  Pyämie  mit  ihren  thrombophlebitischen  Processen  scliickt  ihre  Em- 
boli in  die  verschiedensten  Organe,  woselbst  von  neuem  Abscesse  oder  phleg- 
monöse Eiterungen  entstehen.  In  Folge  dieser  embolischen  Neuerkraiikungen 
und  der  damit  verbundenen  Allgemoininfcction  des  Organismus  gfthör(m  Hei- 
lungen von  puerperaler  Pyämie  zu  dem  selteneren  Ausgang  derselben. 

Bei  den  para-  und  periuterinen  und  -vaginalen  Eiterungen  mit  phlegmo- 
nösem Charakter  wird  der  Eiter  entweder  abgesackt,  eingedickt  und  resorbirt 
oder  er  bricht  in  irgend  ein  Organ  (Vagina,  Darm,  Blase  etc.)  oder  nach  Auf- 
wärtskriechen im  retroperitonealen  Bindegewebe  oder  längs  der  Lig.  ut.  ro- 
tunda  und  Absackung,  durch  die  Bauchdecken  oder  an  der  Inguinalgegend  oder 
nach  Senkung  durch  die  Foramina  obturatoria  an  den  Glutäen  oder  Senkung 
durch  die  Lacuna  vasorum  am  Oberschenkel  {Pldegmasia  alba  dolens)  durch. 
Endlich  kann  durch  Lymphgefässe  bei  einem  retroperitonealen  Eiteraufstieg 
eine  Peritonitis  mit  gewöhnlichem  tödtlichem  Ausgang  vermittelt  werden. 

Die  parenchymatösen  Entzündungen  des  Geburtscanais,  charakterisirt 
durch  serös-eitrige  Durchtränkung  und  Abscessbildung  sind  durch  Granulations- 
bildung und  Ueberhäutung  einer  vollständigen  Heilung  fähig.  Gehen  diese 
rein  parenchymatösen  Eiterungen  durch  secundäre  Saprophyteninfection  in 
gangränös-septische  Erkrankungen  über,  so  haben  wir  ausser  den  localen, 
tiefen  und  oft  ausgedehnten  Gewebsläsionen  und  Abstossungen  {Mdritis  dis- 
secans), noch  schwere  Allgemeinerscheinungen,  welche  im  weiteren  Verlauf 
einen  mehr  pyämischen  oder  rasch  zum  tödtlichen  Ausgang  führenden  septi- 
schen Charakter  annehmen.  Heilungen  dieser  localen  Affection  kommen  meistens 
mit  ausgedehnten  Narbenstricturen  zustande. 

Die  einfache  entzündliche  Infiltration  der  Schleimhäute  des  Geburtscanais 
mit  Geschwürsbildung  hat  ausser  geringen  Fiebersteigerungen  für  den  Orga- 
nismus keine  nachtheiligen  Folgen.  Kriecht  jedoch  die  Entzündung  der 
Gebärmutterschleimhaut  weiter  in  die  Tuben  und  wird  weiterhin  der  hier  ge- 
bildete Eiter  abgekapselt,  so  entsteht  die  Pyosal/pinx,  aus  deren  Platzen  wieder- 
um schwere  peritonitische  Erscheinungen  mit  meistens  tödtlichem  Ausgang 
resultiren.  Das  Zusammenwirken  einer  gleichzeitigen  saprophytischen  Infec- 
tion  mit  der  schon  bestehenden  Strepto-  und  Staphylococceninvasion  kann 
deren  Virulenz,  wie  wir  gehört  haben,  in  einer  Weise  steigern,  dass  wir  aus- 
gesprochene septische  Erscheinungen  —  vom  diphtherischen  Belag  der  ursprüng- 
lichen Geschwürsstelle  mit  heftigen  Fieberbewegungen  bis  zu  jenen  gefüi'ch- 
teten  Allgemeinsymptomen,  welche  die  Prognose  der  Septicämie  zu  einer  pes- 
sima  gestalten  —  als  Ausgang  zu  verzeichnen  haben. 

Schliesslich  hätte  ich  noch  zu  erwähnen,  dass  aus  manchen  Fällen  von 
puerperaler  Infection  ein  „Hallucinatorisches  Irresein"  der  Wöchnerinnen  re- 
sultiren kann,  wie  es  FtJESTNEE  im  Jahre  1875  erstmals  beschrieb.") 

Die  Schutzvorrichtungen,  welche  dem  Organismus  gegenüber  dem  Ein- 
dringen und  der  zerstörenden  Wirkung  der  Bacterien  verliehen  sind,  haben 
wir,  nach  unserer  heutigen  Kenntnis,  1.  in  dem  für  die  Bacterien  schädlichen 
Einfluss  der  am  Entzündungsherd  angesammelten  Leukocyten,  2.  in  der  mikro- 
biciden  Kraft  des  Blutserums  zu  suchen. 

Die  METSCHNiKOFF'sche  Phagocytentheorie  ist  ad  acta  gelegt  und  auch 
die  neuesten  Anstrengungen  des  Erfinders  vermögen  derselben  keinen  Werth 
beizulegen.  Auch  die  Ansicht,  dass  der  an  jeder  Entzündungsstelle  sich  bil- 
dende Leukocytenwall  ein  mechanisches  Hindernis  für  das  Eindiingen  der 
Bacterien  abgebe  (Bumm),  ist  durch  gegentheilige  Beobachtungen  gründlich 
widerlegt  (Gäetner).  Die  nützliche  Wirkung  der  am  Infectionsherd  angesam- 
melten Leukocyten  ist  eine  chemische,  indem  nach  Zerfall  derselben  ein  für 


*)  Vergl.  Artikel  „Puefperalpsychosen",  pag.  713. 

Bibl.  med.    Wissenschaften.  I.  Geburtsliilfe  und  Gynäkologie.  40 


708  PUERPERALE  INFECTION. 

die  Bacterienvermehrung  ungünstiger,  ja  dieselben  abtödtender  Boden  geschaf- 
fen wird. 

Im  Gegensatz  zu  dieser  rein  chemisclien  Wirkung  steht  die  bacteri- 
cide  Kraft  des  Blutserums.  Dieselbe  ist  eine  Lebensäusserung,  d,  h.  eine 
Eigenschaft  lebendigen  durch  Zellen  freigewordenen  Eiweisses.  Das  von  Buch- 
ner entdeckte  antibacteriell  wirkende  Alexin,  dessen  Zusammensetzung  aller- 
dings noch  nicht  gekannt  ist,  wird  dadurch  im  Blute  frei,  dass  Bacterien- 
proteine  die  weissen  Blutkörperchen,  in  deren  Zellen  die  mikrobicide  Kraft 
schlummert,  zu  Zerfall  bringen  wodurch  die  im  Blute  kreisenden  Bacterien 
seinerseits  wieder  abgetödtet  werden.  Es  wird  dieser  Circulus  vitiosus  umso 
rascher  unterbrochen,  je  grösser  die  Virulenz  der  Bacterien  ist. 

Abgeschwächt  oder  ganz  aufgehoben  wird  die  mikrobicide  Kraft  des  Blut- 
Serums  durch  Hydrämie,  als  Folgezustand  der  Anämie,  durch  Chlorose  etc., 
d.  h,  durch  alle  dyskrasischen,  die  Blutmischung  verändernden  Krankheiten. 
Diese  durch  experimentelle  Untersuchungen  gewonnenen  Versuchsergebnisse 
(Gärtner)  können  wir  in  directen  Einklang  bringen  mit  der  Erfahrung,  dass 
Wöchnerinnen,  welche  intra  oder  post  partum  grosse  Blutverluste  erlitten 
haben,  mehr  zur  Infection  disponirt  sind  und  folglich  öfter  Temperaturstei- 
gerungen haben,  als  solche  mit  normalem  Geburtsverlauf.  Das  normale  Blut- 
serum einer  Wöchnerin  überwindet  eine  Infection  von  nicht  allzu  hoher  Viru- 
lenz der  eindringenden  Bacterien,  während  das  hydrämische  Blutserum  einer 
anämischen  Wöchnerin  nicht  mehr  im  Stande  ist  Bacterien  von  auch  gerin- 
gem Virulenzgrad  zu  tödten.  Aus  diesem  Prädispositionsnachweis  können 
wir  die  wichtige  Lehre  ziehen  bei  pathologischen  Geburten  mit  grossem 
Blutverlust   umso   peinlichere  Desinfectionsmaassregeln  zu  ergreifen. 

Die  Schutzvorrichtungen,  welche  Arzt  und  Hebamme  dem  Organismus 
gegen  Bacterieneinwanderung  zu  beobachten  haben,  bestehen  in  ausgedehn- 
ten Desinfectionsmaassregeln.  Hände  und  Instrumente  sind  gründlichst  zu 
desinficiren.  Als  bestes  Recept  gilt  für  Desinfection  der  Hände:  5  Minuten 
langes  Abseifen  in  lauwarmem  Wasser  hierauf  ca.  3  Minuten  langes  Bürsten 
in  Sublimatlösung  von  1  :  2000,  endlich  nochmaliges  kurzes  Eintauchen  der 
Hände  in  eine  Sublimatlösung  von  1:1000.  Für  die  Instrumente  gilt  als 
beste  Sterilisation  ein  halbstündiges  Kochen  in  Wasser  und  nachträgliche  Auf- 
bewahrung in  3^lo-igem  Carbolwasser. 

Der  Körper  und  die  äusseren  Genitalien  der  Kreisenden  sind  durch  Bad 
und  Abseifung  gründlichst  zu  reinigen. 

Für  die  Sterilisation  der  Vagina  als  Receptaculum  einer  Menge  patho- 
gener  Bacterien  werden  von  verschiedenen  Gynäkologen  desinficirende  Aus- 
spülungen mit  oder  ohne  gleichzeitigem  Abreiben  der  Vaginalwände  vor  und 
nach  jeder  inneren  Untersuchung  empfohlen. 

In  einer  ganzen  Reihe  von  Kliniken  wurden  ausserdem  Versuche  gemacht 
trotz  innerer  Untersuchungen  keine  Sterilisation  oder  Ausspülung  der  Vagina 
vorzunehmen,  sondern  nur  eine  Waschung  der  äusseren  Genitalien  vorausgehen 
zu  lassen.  Die  hierbei  erhaltene  Morbiditätsziffer  war  nicht  schlechter  als 
die  bisher  trotz  der  Desinfection  gewonnenen.  Hierin  einen  Gegenbeweis  für 
die  Möglichkeit  einer  Selbstin fe et ion  erblicken  zu  wollen,  ist  aus  dem 
Grunde  schon  allein  zurückzuweisen,  weil  die  Methode  des  Nichtausspülens 
vor  einer  Geburt  nie  bei  pathologischen  Entbindungen  angewendet  wird.  Erst 
wenn  auch  bei  gezwungenen  instrumenteilen  oder  manuellen  Eingriffen  eine 
vorausgehende  Desinfection  unterbleibt,  diejenige  der  Hände  und  Instrumente 
gleichzeitig  einwurfsfrei  ausgeführt  wird  und  auch  dann  der  Procentsatz  einer 
Infection  gleich  ist  dem  mit  peinlicher  vorausgehender  Desinfection,  dann 
könnte  man  daran  denken,  die  im  Geburtscanal  anwesenden  Keime  von  einer 
drohenden  Gefahr  auszuschliessen.  Ich  habe  jedoch  schon  erwähnt,  dass  das 
Vorhandensein  pathogener  Bacterien  im  Geburtscanal  keineswegs  gleichbedeu- 


PUERPERALE  INFECTION.  707 

tend  ist  mit  dem  imbedingten  Zustandekommen  einer  puerperalen  Infection. 
Im  Gegentheil!  Wir  haben  erfahren,  dass  dieselbe  sehr  bedingt  ist,  d.  h.  dass 
€S  ganz  bestimmter  Voraussetzungen  und  Prädispositionen  im  Organismus 
bedarf,  um  derselben  Thür  und  Thor  zu  öffnen.  In  diesem  Sinne  möchte  ich 
mit  Bockelmann's  Ansicht  übereinstimmen,  wonach  die  gesunde  Kreissende 
a  priori  als  aseptisch  angesehen  werden  kann.  Es  wären  demnach  bei  einer 
normalen  Geburt  auch  keine  antiseptischen  Maassregeln  nöthig,  was  ohne  wei- 
teres durch  die  klinische  Erfahrung,  dass  die  Morbiditätszilfer  bei  Unter- 
lassung von  Ausspülungen  ante  et  intra  partum  nicht  gestiegen  ist,  bestätigt 
wird.  Die  Desinfectionsraaassregeln  bei  solchen  Kreissenden,  welche  völlig 
gesund  und  ohne  zu  erwartende  Geburtscomplicationen  auf  das  Kreissbett 
kommen,  haben  folglich  nur  in  gründlicher  Reinigung  der  äusseren  Genitalien 
zu  bestehen.  Bei  jenen  Gebärenden  jedoch,  bei  welchen  durch  irgend  welche 
pathologischen  Zustände  (Chlorose,  Anämie,  fehlerhafte  Lagen  etc.)  der  Or- 
ganismus seiner  natürlichen  Schutzvorrichtungen  beraubt  oder  wenigstens 
theilweise  benommen  oder  deren  Fährdung  während  der  Geburt  erwartet 
werden  kann  und  dadurch  einer  intendirenden  Infection  zugänglich  geworden 
ist,  müssen  alle  jene  künstlichen  Hilfsmittel  der  Antiseptik  angewandt  werden, 
welche  Leopold,  Hofmeier  u.  A.  erschöpfend  angegeben  haben.  Das  Hin- 
und  Herstreiten  ob  das  STEFFECK'sche,  von  Döderlein  und  Günther  geübte 
Verfahren,  das  Ausreiben  der  Vagina  und  die  damit  verbundene  Beraubung 
derselben  ihres  physiologischen  Schleimes,  ein  richtigeres  Desinfectionsver- 
fahren,  als  die  blosse  Ausspülung  der  Vagina  ist  nach  statistischen  Angaben 
zu  Gunsten  der  letzteren  entschieden  worden.  Doch  haben  beide  ihre  Schatten- 
seiten. Und  wenn  betont  wird,  dass  die  STEFFECK'sche  Scheidensterilisation 
der  Schleimhaut  die  natürliche  Glätte  raubt  und  dieselbe  spröd  und  leichter 
einreissbar  gemacht  wird,  so  kann  der  einfachen  Ausspülung  entgegengehalten 
werden,  dass  die  mit  Belassung  des  physiologischen  Schleimes  auch  deren 
Inwohner,  die  Bacterien,  grösstentheils  in  der  Vagina  zurücklässt.  Ich  halte 
nun  als  Schlussfolgerung  aus  all'  diesen  Auslassungen  für  das  praktisch  ge- 
eignetste, wenn  der  Geburtshelfer  bei  einem  pathologischen  Zustande  des  Or- 
ganismus, bei  welchem  die  Geburt  noch  auf  natürlichem  Wege  ihre  Beendi- 
gung findet,  einfache  Vaginalausspülungen  mit  Sublimatlösung  von  1  :  2000 
macht,  bei  solchen  Zuständen  jedoch,  wo  bei  instrumentellem  Eingreifen  oder 
künstlicher  Vollendung  schwerere  Verletzungen  erwartet  werden  müssen,  das 
STEFFECK'sche  odcr  HoFMEiER'sche  Verfahren  für  die  richtigere  Desinfections- 
handhabung.  Denn  in  letzterem  Falle  ist  das  Fehlen  der  physiologischen 
„Bahnschmiere",  welche  übrigens  einen  gewissen  Ersatz  in  dem  Einbringen 
von  Oel  oder  Fett  der  eingeschmierten  Hände  und  Instrumente  findet,  das 
kleinere  Uebel  gegenüber  der  Infectionsgefahr  durch  noch  vorhandene  patho- 
geue  Bacterien. 

Die  puerperalen  Infectionskrankheiten,  welche  ausser  Pyämie  und  Septi- 
caemie  alle  durch  einen  mehr  oder  weniger  ausgedehnten  localen  Eiterherd 
ohne  Allgemeininfection  des  Körpers  ausgezeichnet  sind,  unterstehen  fast 
sämmtlich  chirurgisch  therapeutischen  Maassregeln.  Aetzmittel,  Cu- 
rette,  Scalpell  und  Desinfectionsmittel  sind  die  Waffen,  mit  welchen  wir 
meistens  erfolgreich  gegen  diese  Bacterieninvasion  geringerer  Virulenz  kämpfen. 
Bei  Pyämie  und  Sepsis  jedoch,  bei  welchen,  puerperalen  Infectionen  höchster 
Virulenz,  wir  die  Erreger  kreisend  im  Blute  finden,  bei  denen  der  Gesammt- 
organismus  in  hohem  Grade  durch  die  Bacterienüberschwemmung  gefährdet 
ist,  haben  locale  Eingriffe  am  Infectionsherd  nur  den  Werth  das  Nest,  von 
welchem  aus  ein  weiteres  Vordringen  in  die  Gewebssäfte  des  Körpers  erfolgt, 
durch  Raklage  zu  zerstören  und  zu  eliminiren.  Diese  unvollkommene  Be- 
handlungsweise  bietet  jedoch  wenig  Befriedigung  für  den  behandelnden  und 
leidenden  Theil,  da  bei  auch  gelungener  Zerstörung   der  Infectionseingangs- 

45* 


708  PUERPERALFIEBER  DER  NEUGEBORENEN. 

pforte  dennoch  die  grösste  Gefahr  für  die  Wöchnerin  bestehen  bleibt,  das'r 
Kreisen  und  Vermehren  der  Coccen  im  Blut.  Wir  müssten  folglich  auf 
Mittel  und  Wege  bedacht  sein,  die  Bacterien  und  ihre  schädlichen  Stoff- 
wechselproducte  aus  dem  Körper  zu  eliminiren. 

Und  in  der  That,  wir  haben  in  therapeutischer  Hinsicht  bei  puerperaler 
Pyämie  und, Sepsis  ausser  jener  vorerwähnten  Herdzerstörung  nichts  anderes, 
zu  thun  als  den  Organismus  in  seiner  selbstthätigen  Heilmethode  zu  unter- 
stützen. Alle  schweisstreibenden  Mittel  —  ausser  das  für  Septische  äusserst 
gefährliche  Pilocarpin  —  sind  hier  am  Platze.  Von  mir  selbst  wurden  in 
einigen  Fällen  mit  gutem  Erfolg  grössere  Tagesdosen  von  Phenacetin  (4-0— 6* 0) 
verordnet.  Um  eine  grössere  Diaphorese  und  Diurese  zu  erzielen,  ist  es 
weiterhin  geboten  grössere  Wassermengen  per  os  oder  clysma  dem  Körper 
zuzuführen.  Auch  phj'siologische  Kochsalzlösung  mittelst  Schlundsonde  in 
Mengen  von  2 — 3  Liier  täglich  in  den  Magen  gebracht,  leisteten  gute  Dienste. 
Um  den  Eiweisszerfall  hintanzuhalten  und  die  Herzthätigkeit  bei  gesteigerter 
Arbeitskraft  zu  heben,  sind  grössere  Dosen  Alkohol  (bis  Vs  Liter  Cognac  pro 
die)  äusserst  zu  empfehlen.  Oeftere  Darreichung  von  kräftigen  Brühen,  ent- 
sprechende Nahrungszufuhr  überhaupt,  und  laue  Bäder  sollen  endlich  dem 
Kräftezerfall  vorbeugen  und  den  Appetit  steigern. 

Von  Interesse  mag  noch  sein,  dass  Thikey  in  ca.  10  Fällen  der  schwersten 
puerperalen  Infection  ohne  Localerscheinungen,  in  w^elcher  die  herkömmlichen 
Behandlungsweisen  völlig  im  Stiche  Hessen,  kaum  noch  erwartete  Heilung 
durch  Unterhautzellgewebsabscesse  erzielte,  welche  er  durch  subcutane  Injection 
von  je  l'O  Terpentinöl  hervorrief. 

Anhang.  Eine  glücklicherweise  äusserst  seltene  Krankheit  ist  der  puerperale  Teta- 
nus. Verursacht  ist  derselbe  durch  den  bekannten  anaeroben  Bacillus  Kitasato's,  welcher 
sich  nur  local  am  Infectionsherd  vermehrt  und  dessen  schädliche  Wirkung  auf  den  Orga- 
nismus in  ausgeschiedenen  Toxalbuminen  besteht.  Das  Vorkommen  dieser  Krankheit  ist 
in  der  Privatpraxis  häufiger  beobachtet  als  in  Anstalten.  Die  Prognose  ist  äusserst  schlecht. 
Von  106  von  Vikay  zusammengestellten  Fällen  verliefen  S-ßy/o  letal.  Als  besonders 
prognostisch  ungünstig  bei  Infection  der  weiblichen  Genitalien  mit  Tetanusbacillen  wird 
von  Schreiber  ein  bei  der  Geburt  erfolgter  starker  Blutverlust  erwähnt.  Die  ersten  An- 
zeichen fallen  gewöhnlich  in  den  Anfang  der  zweiten  Woche  des  Puerperiums.  Eine  spe- 
cifische  Therapie  kennen  wir  noch  nicht,  doch  wird  die  Chloroformnarkose  in  manchen 
Fällen  als  heilwirkend  empfohlen. 

Mit  wenigen  Worten  will  ich  endlich  noch  erwähnen,  dass  die  Aetiologie  der 
Eclampsie*),  welche  nach  den  Untersuchungen  von  Blanc,  Faure  und  neuerdings  von 
Gerdes  an  einen  specifischen  Bacillus  gebunden  sei  und  deshalb  zu  den  puerperalen  Infec- 
tionskrankheiten  gerechnet  werden  müsste,  durch  die  Publicationen  von  Hofmeier,  Haegler, 
DÖDERLEiN,  CoMBEMALE,  Bu^  Und  Chamberlent  in  ihre  alten  Bahnen  zurückgedrängt  worden 
ist:  Die  Ursache  der  Eclampsie  ist  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  eine  Intoxication  des  Blutes 
(Eclampsia  hämatogenes)  von  Kreatin  oder  Kreatinin  oder  seltener  eine  Eclampsia  reflec- 
torica,  durch  Reizung  der  Krampfcentren  von  Seiten  sensibler  Nerven  (Dührssen).  Fehling 
stimmt  den  ätiologischen  Annahmen  von  Ohlshaüsen,  Dührssen  u.  A.  bei  und  äussert 
sich  dahin  dass  „der  Kliniker  zur  Erklärung  der  Eklampsie  keinen  bacillären  Ursprung 
bedarf."  GÄRTNEE. 

Puerperalfieber  der  Neugeborenen,   in  der  vorantiseptischen  Zeit 

gehörten  Puerperalfieber  in  den  Geburtsanstalten  zu  den  häufigeren  Erschei- 
nungen. In  gleicher  Weise,  wie  die  Wöchnerinnen  erkrankten  und  starben 
auch  die  Neugeborenen.  Die  Krankheitsursache  für  Mutter  und  Kind  glaubte 
man  in  einem  „flüchtigen  Miasma«  suchen  zu  müssen.  Unsere  Anschauungen 
haben  sich  insoweit  geklärt,  dass  wir  das  Puerperalfieber  jetzt  zu  den  schwe- 
ren Wundinfectionskrankheiten  rechnen.  Die  infectiösen  Stoffe  sind 
bacterieller  Natur,  sie  haften  an  unseren  Fingern,  Instrumenten,  Verband- 
material u.  s.  w.  Findet;  nun  unzweifelhaft  auch  eine  Uebertragung  von  der 
puerperal  erkrankten  Mutter  auf  das  Kind  statt,  so  geschieht  das  in  der  über- 


")  Vergl.  Artikel  „Eclampsie"'. 


PUERPERALFIEBER  DER  NEUGEBORENEN.  709 

wiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  doch  nur  indirect.  Grundfalsch  wäre  es  aber 
bei  dem  Puerperalfieber  des  Neugeborenen  eine  puerper-alo  Eikraukung  der 
Mutter  als  eine  Conditio  sine  qua  non  hinstellen  zu  wollen.  iJie  Wöchnerin 
kann  ein  völlig  normales  fieberfreies  Wochenbett  durchmachen,  das  Kind  selbst 
aber  an  Puerperalfieber  zu  Grunde  gehen.  Es  handelt  sich  eben,  wie  bei  dem 
Puerperalfieber  der  Wöchnerinnen,  auch  bei  den  Neugeborenen  um  schwere 
septische  Infectionen,  bedingt  durch  das  Eindringen  hochvirulenten  Strep- 
tococcus- und  Staphylococcusarten.  Diese  entwickeln  sich  in  dem  Lochialsecret 
ganz  gesunder,  in  potencirter  Menge  selbstverständig  in  dem  puerperal  er- 
krankter Wöchnerinnen.  Rationeller  wäre  es  daher  die  Bezeichnung  „Puer- 
peralfieber der  Neugeborenen"  ganz  fallen  zu  lassen  und  an  dessen  Stelle 
Septicaemie  oder  Sepsis  der  Neugeborenen  zu  setzen.  Ausge- 
schlossen ist  dabei  freilich  nicht,  dass  nicht  auch  ältere  Kinder  einer  Sepsis 
erliegen  können.  Wir  müssen  daran  festhalten,  dass  die  Sepsis  der  Neu- 
geborenen in  erster  Linie  eine  Wundinfectionskrankheit  ist. 
(Runge,  Epstein.)  Die  Infection  geht  mit  geringen  Ausnahmen  erst  post 
partum,  also  extrauterin  vor  sich. 

Die  Haupteingangspforte  für  die  septischen  Mikroorganismen  ist  der 
Nabel,  Hier  bildet  sich  infolge  der  Lostrennung  des  Nabelschnurrestes 
bei  jedem  Neugeborenen,  eine  „physiologische  Wundfläche",  Die  Gefahr  ist 
in  den  ersten  Tagen,  solange  der  Nabelschnurrest  noch  haftet,  am  grössten. 
Nach  Abfall  der  Nabelschnur  granulirt  die  Wunde,  und  als  solche  ist  dieselbe 
vor  einer  septischen  Infection  mehr  geschützt.*)  Mit  der  Infection  der  Wunde 
beginnt  der  erste  Act  des  Puerperalfiebers.  Wie  der  w^eitere  Verlauf  sich 
gestalten  wird,  lässt  sich  nicht  immer  voraussagen.  Die  Erkrankung  kann 
ihrön  Localcharacter  bewahren,  sich  abgrenzen  und  zur  Heilung  führen 
(Ulcus  umbilicalis,  Phlegmone  der  Bauchdecken  etc.).  Häufig  kriecht  aber  der  ent- 
zündliche Process  w^eiter  fort.  Das  perivasculäre  Bindegewebe  der 
Nabelgefässe  wird  ergriffen,  und  dann  die  Wandungen  der  Nabelarterien 
(Runge);  seltener  wird  die  Nabelvene  in  Mitleidenschaft  gezogen  (Arteriitis 
und  Phlebitis  umbilicalis^)  Auch  in  diesem  Stadium  ist  Stillstand  möglich, 
aber  die  Gefahr  einer  allgemeinen,  tödtlich  verlaufenden  Sepsis  ist  eine  un- 
gemein grosse.  Dabei  kann  aber  die  Nabelentzündung  anscheinend  w^enig- 
stens  völlig  zur  Ausheilung  kommen.  Es  wird  kein  Tropfen  Eiter  mehr 
secernirt,  die  Nabelwunde  verheilt  und  vernarbt.  In  den  Lymphbahnen  ge- 
langt aber  das  septische  Gift  zu  den  entfernteren  Geweben  und  Organen. 
Es  kommt  zur  Entwicklung  einer  septischen  Peritonitis,  Pericarditis,  Pleuritis, 
zu  Lungen-Nierenentzündungen  u,  s.  w.  Der  fortschreitenden  Infection  Einhalt 
zu  thun,  liegt  ausserhalb  unserer  Macht.  Weshalb  die  septische  Nabel- 
erkrankung in  den  einem  Falle  ihren  localen  Charakter  bewahrt,  in  dem 
anderen  sehr  schnell  eine  tödtliche  Allgemeininfection  eintritt,  ist  schwer  zu 
sagen.  Doch  scheint  die  Wiederstandsfähigkeit  der  Einzelindividuen,  oder 
präciser  ausgedrückt^  die  Wiederstandsfähigkeit  seiner  Gewebe  nicht  ohne  Ein- 
tiuss  zu  sein.  Soviel  steht  w^enigstens  fest,  dass  frühreife,  nicht  völlig  aus- 
getragene Kinder  fast  nie  eine  septische  Nabelentzündung  überstehen,  sondern 
•schnell  der  allgemeinen  Sepsis  erliegen. 

Bildet  somit  die  Nabelwunde  die  natürliche  Eingangspforte  für  die  von 
aussen  her  eindringenden  septischem  Mikroorganismen,  so  werden  dui-ch 
jede  anscheinend  auch  noch  so  unbedeutende  Verletzung  der  schützen- 
den Hautdecke,  durch  jede  La dirung  der  Schleimhäute  die  gleichen 
Chancen  geboten.  Schon  durch  den  touchirenden  Finger,  mehr  noch  durch 
die  zur  Beendigung  der  Geburt  nothwendigen  operativen  Eingriffe  (Druck  der 


*)  Vergl.    die    Artikel    „Nahelschnur-,   Nahelschnuranomalien"'    und    „Pflege  des  Neu- 
geborenen". 


710  PUERPERALFIEBER  DER  NEUGEBORENEN. 

Zangenlöffel  etc.)  können  Sclirunclen,  Excoriationen,  Abschilferungen  der  Haut 
herbeigeführt  werden.  Schleimhautdefecte  entstehen  bei  Neugeborenen  in- 
folge der  normaliter  vor  sich  gehenden  Losstossungen  der  oberen  Epithel- 
schichten leicht.  Hiermit  im  Zusammenhange  stehen  die  Aphthen  der  ]\Iund- 
schleimhaut,  die  leichten  Flächengeschwüre  an  den  grossen  Schamlippen  der 
Neugeborenen  u.  dgl.  Mechanisch  wird  die  Mund-  und  ßachenschleimhaut 
häufig  laediii:  und  eventuell  inficirt  durch  das  Herausholen  des  Schleimes  mit 
den  Fingern,  das- Einführen  des  Katheters  in  die  Trachea,  das  Auswaschen 
des  Mundes  mit  unsauberen  Läppchen,  Schwämmen  etc.  (Epstein).  Eine  Ueber- 
tragung  kann  übrigens  auch  durch  inficirtes  Badewasser  herbeigeführt  werden. 

Ist  somit  das  „Puerperalfieber  der  Neugeborenen"  in  erster  Linie  eine 
Wundinfectionskrankheit,  so  bleibt  freilich  noch  immer  eine  Anzahl 
Fälle  übrig,  wo  der  Infectionsmodus  auch  ein  anderer  sein  kann. 

Wir  haben  zunächst  an  die  Möglichkeit  einer  intrauterinen  Infec- 
tion  zu  denken.  Die  Annahme  einer  placentaren  Infection  d.  h.  der 
Uebertritt  des  septischen  Giftes  von  der  Mutter  auf  das  Kind  ist  aber  nur 
dann  zulässig,  wenn  die  Mutter  in  der  Schwangerschaft  oder  spätestens  wäh- 
rend der  Geburt  selbst  septisch  erkrankte,  das  Kind  aber  todt  geboren  wurde, 
oder  bald  nach  der  Geburt  starb  und  bei  der  Section  septische  Organerkran- 
kungen gefunden  wurden  (Runge). 

Leichter  verständlich  ist  die  Infection  des  Kindes  durch  Aspiration 
von  faulenden,  resp.  inficirten  Fruchtwassers  oder  Genital- 
schleim. In  diesem  Falle  kann  die  Mutter  völlig  gesund  bleiben.  Wird 
bei  vorzeitigen  Athembewegungen  zersetztes  Fruchtwasser  inspirirt,  so  ist  das 
Entstehen  primärer  septischer  Pneumonien  wohl  erklärlich.  Dass  aber  solche 
Streptococcen-Pneumonien,  wenigstens  in  geschlossenen  Anstalten  (Findelhaus 
in  Prag)  durch  Inhalation  „frei  in  der  Luft  suspendirter"  septischer 
Keime  hervorgerufen  werden  können,  scheint  doch  durch  die  neueren  bacte- 
riologischen  Untersuchungen  Fischl's  ausser  Frage  gestellt  zu  sein.  Ebenso 
ist  die  Möglichkeit  einer  intestinalen  Infection,  einer  Infection  vom 
Magen-Darmcanal  aus  nicht  von  der  Hand  zu  weisen.  Allerdings  muss  man 
annehmen,  dass  die  septischen  Mikroorganismen  durch  die  Verdauungssäfte  bei 
intacter  Magen-  und  Darmschleimhaut  auch  unschädlich  gemacht  werden 
können.  Hierfür  spricht  der  Umstand,  dass  die  Kinder  unbeschadet  eine  Zeit 
lang  an  der  Brust  puerperal  erkrankter  Wöchnerinnen  tranken  (Biedert), 
obschon  die  Milch  solcher  Mütter  nachgewiesener  Maassen  pathogene  Mikro- 
organismen enthält.  Die  gegentheilige  Beobachtung  Karlinski's,  dass  das 
Neugeborene  nach  dem  Genuss  solcher  Milch  an  Sepsis  zu  Grunde  ging,  steht 
ziemlich  vereinzelt  da.  Sind  aber  die  septischen  Magen-  und  Darmerkran- 
kungen der  Säuglinge  (Gastroenteritis  septica)  in  Findelanstalten  nicht  selten, 
so  ist  doch  kaum  der  Schluss  gerechtfertigt,  dass  in  allen  diesen  Fällen  eine 
„äussere  Wunde"  die  Eingangspforte  für  die  Krankheitserreger  gebildet  haben 
müsste.  Viel  näher  liegt  die  Annahme,  dass  die  Streptococcen  mit  der  Nah- 
rung in  den  Magen-Darmcanal  gelangten,  oder  eine  Infection  von  den  Lungen 
aus  stattfand. 

Die  Symptomatologie  und  der  Verlauf  des  „Puerperalfiebers  der 
Neugeborenen"  ist  ein  sehr  wechselndes  und  mannigfaltiges.  Gleich  im  Voraus 
sei  hier  darauf  hingewiesen,  dass  die  Erhöhung  der  Körpertemperatur  durch- 
aus nichts  Pathognomonisches  an  sich  hat.  Es  pflegen  sogar  die  schwersten, 
schnell  tödtlich  endenden  Formen  nicht  blos  bei  dürftig  entwickelten,  früh- 
reifen Kindern,  sondern  auch  bei  kräftigen,  ausgetragenen  Neugeborenen  völlig 
fieberfrei  zu  verlaufen.  Auch  schon  aus  diesem  Grunde  ist  die  Bezeich- 
nung „Pu  er  p  er  alfieb  er"  keine  sehr  glückliche.  Plötzlich  und  unvermuth et 
bricht  die  Krankheit  über  die  Kinder  herein.  Sie  werden  unruhig,  verweigern 
die  Nahrung,  collabken  und  verfallen  ohne  ausgesprochene  Krankheitserschei- 


PUERPERALFIEBER  DER  NEUGEBORENEN.  711 

nungen  einem  schnellem  Tode.  War  die  Nabelwunde  eitrig  und  übelriechend, 
der  Nabelschnurrest  verfault,  oder  constatirt  die  Section  eine  Arteriitis  umbi- 
licalis, so  liegt  die  Erklärung  solcher  Ereignisse  auf  der  Hand.  Fehlt  aber 
auch  dieser  Befund,  so  dürfte  wohl  nur  von  der  b acter iologi sehen  Unter- 
suchung der  Leiche  Aufschluss  über  die  Krankheits-  und  Todesursache  zu 
erwarten  sein.  Bei  diesen  foudroyanten  septischen  Intoxicationen  fällt  meistens 
die  livide,  bleigraue  Hautverfärbung  auf,  selten  fehlt  auch  ein  deutlich  aus- 
gesprochener Icterus  Letzterer  kann  ja  aber  auch  physiologischer  Natur 
sein!  In  anderen  Fällen  und  zu  anderen  Zeiten  äussert  sich  die  Sepsis  der 
Neugeborenen  als  eine  „hämorrhagische  Diathese''  (Pütter,  Epstein). 
Es  kommt  zu  Nabelblutungen,  subcutanen  Blutungen,  Blutungen  aus  den 
Schleimhäuten,  Magen-  und  Darmblutungen  etc.  Die  Häufung  solcher  Fälle 
in  Gebäranstalten,  Findelhäusern  u.  s.  w.  deutet  dann  schon  auf  die  wahre 
Natur  solcher  Vorkommnisse  hin. 

Durchsichtiger  und  leichter  verständlich  sind  uns  aber  solche  Fälle,  bei 
denen  die  normale  Mumification  und  Abstossung  des  Nabelschnurrestes  aus- 
blieb, derselbe  übelriechend  wurde  und  faulte,  locale  Entzündungen  und 
Vereiterungen  der  Nabelgegend  bestanden,  oder  an  irgend  einer  Stelle 
Geschwüre,  Furunkel,  Abscesse  oder  phlegmonöse  Entzündungen  der  Haut  sich 
bildeten.  Es  sei  hier  noch  einmal  flüchtig  auf  die  circumscripten  Phlegmonen  und 
die  Gangrän  der  Bauchdecken  in  der  Nabelgegend,  auf  die  Schleimhautgeschwüre 
des  Mundes  und  der  Schamlippen,  auf  die  Furunkelbildungen  bei  Neugebo- 
renen, auf  die  Mastitis  mit  Vereiterung  der  Brustdrüse  und  ähnliche  Zustände 
hingewiesen.  Alle  diese  Eiterungs-  und  Entzündungsprocesse  können  ja  auch 
beim  Neugeborenen  einen  günstigen  Verlauf  ohne  Miterkrankung  des  Gesammt- 
organismus  nehmen,  bisweilen  tritt  aber  schon  frühzeitig  die  septische  Natur 
derselben  zu  Tage.  Die  Geschwüre  zeigen  croupöse  oder  diphtheritische 
Belege,  eine  bis  dahin  circumscripte  phlegmonöse  Infiltration  greift  plötzlich 
und  unvermuthet  um  sich,  die  Haut  wird  oft  in  grosser  Ausdehnung  unter- 
minirt  und  schwappend,  es  entleert  sich  bei  der  Incision  ein  missfarbiges, 
seröses,  blutig  gefärbtes,  dünnflüssiges  Secret,  Neigung  zur  Hautgangrän  ist 
vorhanden  etc.  Fieber  und  Collapstemperaturen  wechseln  in  solchen  Fällen 
miteinander  ab;  ein  rapider  Kräfteverfall  tritt  ein;  die  Kinder  bekommen  ein 
greisenhaftes  Aussehen  und  ein  livides,  bleifarbenes,  gleichzeitig  aber  auch 
icterisches  Hautcolorit.  Der  Exitus  letalis  erfolgt  in  ein-  bis  zweimal  24  Stun- 
den. Blutig  seröse  Ergüsse  in  den  Peritonealraum,  die  Pleurahöhle,  ins 
Pericard  bisweilen  auch  in  einzelne  Gelenke  bilden  einen  häufigen  Sections- 
befund,  werden  aber  selten  bereits  intra  vitam  diagnosticirt. 

In  geschlossenen  Anstalten  (Findelhäusern  etc.)  gelangt  die  Infection 
des  Organismus  mit  eitererregenden  Microben  auch  unter  dem  Bilde  einer 
acuten  oder  subacuten  Gastro-Enteritis  oder  eines  capillaren  Bronchitis, 
resp.  einer  Lobulärpneumonie  zum  Ausdruck  (Fischl).  Die  Gastro- 
enteritis septica  unterscheidet  sich  von  den  einfachen  dyspeptischen 
Krankheitszuständen  der  in  den  ersten  Lebenswochen  stehenden  Säuglinge 
zunächst  dadurch,  dass  die  Häufung  der  Erkrankungsfälle  nicht  zur  Sommer- 
zeit auftritt,  sondern  gerade  in  den  Wintermonaten,  w^o  die  Kinder  dauernd 
und  in  grösserer  Anzahl  in  mangelhaft  ventilirten  Bäumen  internirt  sind. 
Trotz  der  sehr  heftigen  intravitalen  Krankheitserscheinungen  fehlt  aber  im 
Magen-Darmcanal  solcher  Säuglinge  jede  pathologisch- anatomische  Verände- 
rung, oder  es  deutet  nur  die  colossale  Hyperämie  darauf  hin,  dass  wir  es  mit 
einer  intensiveren  Wirkung  der  organisirten  Gifte  auf  die  Gefässnerven  zu 
thun  haben. 

Der  sicherste  Fundort  für  die  Krankheitserreger  {Staphylococcus  jpijogenes 
albus  et  aureus^  sowie  S/reptococcen)  sind  die  Lungen.  Hier  finden  sich  die- 
selben nicht  blos  in  infiltrirten  Partien  oder  etw^a  vorhandenen  kleinen  Eiter- 


712  PUEEPERALFIEBEß  DER  NEUGEBORENEN. 

lierden,  sondern  auch  in  den  makroskopisch  schei/ibar  normalen  Gebieten 
(Fischl).  Der  Schluss  ist  daher  gerechtfertigt,  d/.ss  die  in  der  Luft  des 
Krankenzimmers  befindlichen  Keime  mit  dem  InspirP/tionsstrome  in  die  Lungen 
gelangen  und  nicht  blos  prinicäre  septische  Entzündüngszustcände  des  Lungen- 
gewebes bedingen  p,ls  auch  allgemeine  septische  Infectionen  des  Gesammt- 
organismus  herbeiführen  können. 

Die  septischen  Lungenentzündungen,  mögen  sie  primär  i;*- 
treten  oder  secundär  sich  entwickeln,  bleiben  auf  der  Stufe  kleiner  die  Lun- 
gengewebe durchsetzender  Infiltrationen  stehen,  seltener  erreichen  diese  Herde 
durch  Coufluenz  eine  solche  Ausdehnung,  dass  sie  durch  die  Percussion  nach- 
gewiesen werden  könnten.  Im  günstigsten  Falle  deutet  die  beschleunigte 
Respiration  der  Scäuglinge  oder  circumscripte  feinblasige  Rasselgeräusche  auf 
das  Vorhandensein  solcher  disseminirten  Herdpneumonien  hin. 

Auch  die  Nieren,  Leber  und  Milz  werden  in  Mitleidenschaft  gezogen 
"Wir  dürfen  aber  eine  Nephritis  wohl  nur  dann  diagnosticiren,  wenn  sich  im 
Urin  solcher  Neugeborener  nicht  blos  Eiweiss,  sondern  auch  pathologische 
Formelemente  (Blutkörperchen,  Harncylinder,  Detritusmassen  etc.)  finden.  Vor- 
handener Icterus  lässt  nicht  immer  auf  eine  septische  Erkrankung  der  Leber 
schliessen.  Schwellungszustände  dieses  Organes,  sowie  der  Milz  werden  bei 
Lebzeiten  kaum  mit  Sicherheit  nachgewiesen  werden  können. 

Die  bei  weitem  grösste  Anzahl  der  Infectionen  tritt  ohne  Zweifel  in  der 
ersten  Lebenswoche  ein.  Ein  acuter  Verlauf  mit  letalem  Ausgang  bildet  die 
Regel!  Doch  gibt  es  auch  Fälle  mit  protrahirterem  Verlauf.  Fieber  fehlt 
dann  nie!  Die  Localerlo-ankungen  entwickeln  sich  in  ausgesprocheneren  For- 
men, so  dass  sie  der  Diagnose  intra  vitam  zugänglicher  werden.  Ausser  den 
Lungen-,  Nieren-,  Magen-  und  Darmaffectionen  sind  es  namentlich  die  Ent- 
zündungen der  serösen  Haute  (Peritoneum,  Pleura,  Pericard),  eventuell  auch 
der  Gelenke,  welche  der  septischen  Infection  eigen  sind.  Der  Nachweis  ihrer 
septischen  Natur  kann  mit  Sicherheit  aber  nur  auf  bacteriologischem 
Wege  geführt  werden. 

Die  Behandlung  wird  vorwiegend  eine  prophylactische  sein 
müssen.  Einer  streng  durchgeführten  Asepsis  gelang  es,  die  früher  mit 
Recht  so  gefürchteten  Puerperalfieberepidemieen  von  den  Gebäranstalten  fern 
zu  halten  oder  diese  im  Keime  zu  ersticken.  Selbstverständlich  haben  auch 
die  Neugeborenen  von  dieser  glänzenden  Errungenschaft  grossen  Nutzen  und 
Vortheil  gezogen.  Nur  muss  immer  und  immer  wieder  darauf  hingewiesen 
werden,  dass  sich  auch  im  Lochialsecret  ganz  gesunder,  fieberfreier  Wöchne- 
rinnen hochvirulente  Eiter-  und  Entzündungserreger  entwickeln  können;  der 
Neugeborene  aber  schon  durch  seine  Nabelwunde  zu  septischen  Infectionen 
ganz  besonders  disponirt  ist.  Daraus  folgt,  dass  der  Behandlung  des  Nabel- 
schnurstumpfes (vergl.  die  betreffenden  Artikel!)  eine  ganz  besondere  Auf- 
merksamkeit geschenkt  und  Alles  vermieden  werden  muss,  dass  den  normalen 
Nabelschnurabfall  irgendwie  störend  beeinflussen  könnte.  Es  würde  sich 
empfehlen,  das  Baden  der  Kinder,  das  Verbinden  des  Nabels  und  alle  Mani- 
pulationen, welche  zur  ersten  Pflege  der  Neugeborenen  erforderlich  sind,  .nie 
von  derselben  Wärterin  vornehmen  zu  lassen,  der  auch  die  Reinigung  der 
Wöchnerin  obliegt.  Falls  sich  dies  nicht  umgehen  lässt,  muss  zuerst  das 
Kind  gebadet  und  besorgt  werden,  und  dann  erst  die  Wöchnerin.  Selbstver  • 
ständlich  sind  alle  Waschutensilien  für  Mutter  und  Kind  gesondert  zu  halten. 
Schwämme  sollten  überhaupt  nicht  benutzt  werden,  sondern  nur  Wundwatte, 
die  nach  jedesmaligem  Gebrauche  verbrannt  werden  kann. 

Dass  mehrere  Kinder  dasselbe  Badewasser  benützen,  ist  immer  bedenk- 
lich. Solche  Kinder,  deren  Nabel  eitert,  sind  selbstverständlich  völlig  aus- 
zuschliessen.  Diese  müssen  in  besonderen  Badewannen  und  wo  möglich  von 
besonderen  AYärterinnen   gebadet   und   verbunden  werden.    Vor  Allem  muss 


PÜERPERALPSYCIIOSEN.  713 

aber  bei  dem  Pflege-  und  Wartcpcrsonal  auf  eine  peinliche  iJesi  nfecti  on 
der  Hände  gedrungen  und  die  Desinfection  auch  überwacht  und  controlirt 
werden.  Das  schablonenmässige  Auswaschen  und  Ausreiben  des  Mundes 
der  Neugeborenen  mit  leinenen  Läppchen,  harten  Schwämmen  etc.  ist  eben- 
falls zu  untersagen.  Leicht  wird  dadurch  die  zarte  Mundschleimhaut  des 
Kindes  lädirt  und,  wie  Epstein  gezeigt  hat,  ist  die  Gefahr  der  septischen 
Infection  auch  auf  diesem  Wege  ein  grosse.  Je  consequenter  und  peinlicher 
alle  die  Maassregeln  durchgeführt  werden,  welche  im  Grunde  genommen  auf 
eine  strenge  Asepsis  hinauslaufen,  umso  sicherer  wird  auch  „das  Puerperal- 
fieber" der  Neugeborenen,  soweit  es  sich  hierbei  um  eine  Wundinfecti  on 
handelt,  verhütet  werden  können.  Wir  dürfen  uns  aber  nicht  verhelilen,  dass 
neben  der  strengen  Asepsis  auch  die  hygienischen  Verhältnisse  sol- 
cher Anstaltsräume,  in  denen  eine  grössere  Anzahl  von  Kindern  der  ersten 
Lebenswochen  internirt  sind,  wesentlich  mit  in  Betracht  kommen.  Das  ende- 
mische Auftreten  von  septischen  Magen-Darmaffectionen,  Bronchitiden  und 
Pneumonien  deuten  doch  darauf  hin,  dass  die  Findelanstalten  wohl  nicht 
immer  den  nöthigen  hygienischen  Anforderungen   entsprechen. 

Der  einmal  ausgebrochenen  septischen  Infection  der  Neugeborenen  stehen 
wir  ziemlich  machtlos  gegenüber.  Eine  locale  Behandlung  event.  mit  den 
nöthigen  chirurgischen  Eingriffen  erforderen  alle  diejenigen  Fälle,  bei  denen 
Erkrankungen  des  Nabels,  Furunkel,  Abscessbildungen  oder  dgl.  vorliegen. 
Desinficirende  Ausspülungen,  Abwaschungen,  Verbände  sind  dabei  nicht  zu 
umgehen.  Gewarnt  sei  ausdrücklich  vor  der  Anwendung  der  Carbolsäure. 
Unschädlich  erweisen  sich  Thymollösimgen,  Borsäurelösungen  etc.  Trockene 
Verbände  mit  Salicyl-,  Bor-,  Jodoformpulver  sind  den  feuchten  Verbänden 
vorzuziehen;  bei  Nabel  Vereiterungen  sind  diese  geradezu  unerlässlich. 

Den  Blutungen  bei  den  hämorrhagischen  Formen  der  Sepsis  wird  man 
noch  allen  Regeln  der  Kunst  Rechnung  tragen.  Meist  sind  aber  alle  unsere 
Bemühungen,  der  Blutungen  Herr  zu  werden,  vergeblich.  Die  interne  Be- 
handlung erheischt  vor  Allem  die  Erhaltung  der  Kräfte  und  der  Lebensener- 
gie. Brustnahrung  ist  absolut  erforderlich.  Falls  die  Kinder  zu  schwach  sind, 
um  selbst  noch  saugen  zu  können,  muss  die  Milch  abgezogen  und  den  Kin- 
dern mittelst  des  Schnabeltässchens  eingeflösst  werden.  Mit  der  Anwendung 
der  Alcoholica  {Champagner^  Tokayer,  Cognac,  Spiritus  aeth.  in  Zucker- 
wasser etc.)  sei  man  nicht  zu  sparsam.  Warme  Bäder  (nicht  unter  30°  R.); 
PßiESSNiTz'sche  Einpackungen,  (Wasser  nicht  unter  20"  R.),  Wärmeflaschen 
leisten  bei  drohenden  Schwächezuständen  oft  gute  Dienste.  Eine  directe 
medicamentöse  Beeinflussung  der  septischen  Gastro-Enteritis  oder  Pneumonie 
ist  nicht  zu  erwarten.  Im  Allgemeinen  gestaltet  sich  die  Prognose  bei  Fällen 
mit  protrahirterem  Verlauf  etwas  günstiger.  Doch  gilt  auch  hier  der  Satz: 
Natura  non  medicus  sanat.  pott. 

PuerperalpsychOSen.  Das  Wort  „Puerperalpsgchose,''  deutet,  wenn 
man  das  Puerperium  nicht  rein  als  Zeitbestimmung  oder  als  allgemeine  Ur- 
sache der  Psychose  auffassen  will,  eigentlich  an,  dass  es  eine  bestimmte  kli- 
nische Form  von  Geistesstörung  gäbe,  aus  welcher  mit  Sicherheit  der  Rück- 
schluss  auf  ein  Puerperium  als  Ursache  der  Psychose  gemacht  werden  könnte. 
Eine  derartige  ausschliessliche  Puerperalpsychose  gibt  es  nun  in  der  That 
nicht,  sondern  das  Puerperium  kann  nur  im  Allgemeinen  als  directe  oder  in- 
directe  Ursache  einer  ganzen  Reihe  von  Geistesstörungen  aufgefasst  werden. 
Allerdings  ist  eine  Form  von  Geistesstörung  relativ  häufigem  Puerperium, 
nämlich  die  acute  hallucinatoris che  Verwirrtheit,  und  ferner  steht  in 
der  Aetiologie  der  hallucinatorischen  Verwirrtheit  das  Puerperium  im  Vorder- 
gründe.   Es  kommen  jedoch  einerseits  viele  Puerperalpsychosen  ohne  die  spe- 


714  PUERPERALPSYCHOSEN. 

cielle  Form  der  hallucinatorischen  Verwirrtheit  vor,  andererseits  gibt  es  hallu- 
cinatorisclie  Verwirrtheit  ohne  Puerperium. 

Die  symptomatischen  Hauptzüge  dieser  Krankheit  gleichgiltig  ob 
sie  im  Puerperium  oder  nicht  darin  auftritt,  bestehen  in  schwerer  Verwirrt- 
heit und  massenhaften  Sinnestäuschungen  mit  lebhaften  wechselnden  Gefühls- 
reactionen  und  heftiger  motorischer  Erregung.  Diese  Erkrankungsform  ist 
früher  meist  mit  Manie  zusammengeworfen  worden.  Es  ist  jedoch  nothwendig, 
dieses  Wort  auf  diejenigen  ebenfalls  manchmal  im  Puerperium  auftretenden 
Zustände  einzuschränken,  welche  eine  durch  lebhafte  Associationen  gekennzeich- 
nete Ideeniiucht  mit  motorischer  Erregung  bei  Fehlen  von  Verwirrtheit  zeigen. 

Bei  der  hallucinatorischen  Verwirrtheit  beherrschen  massenhafte  Sinnes- 
täuschungen bald  schreckhaften,  bald  heiteren  Charakters  das  klinische  Bild. 
Es  ist  umnöglich  den  wunderbaren  Pieichthum  von  Sinnestäuschungen  bei  dieser 
Krankheit  im  Einzelnen  aufzuzählen.  Dabei  zeigen  diese  Kranken  meist  eine 
nicht  durch  klare  Motive  bedingte,  oft  geradezu  sinnlose  Tobsucht. 

Dieses  Krankheitsbild  kann  als  Symptom  bei  bestimmten  Grundkrank- 
heiten (Infectionskrankheiten,  Alkoholismus,  in  sehr  seltenen  Fällen 
progressive  Paralyse,  ferner,  was  für  die  Wochenbetterkrankungen  in 
diagnostischer  Beziehung  wichtig  ist,  bei  Epilepsie)  auftreten,  ist  jedoch  nach 
Abzug  dieser  Fälle  und  nach  Abzug  der  Manie,  welche  früher  damit  zusam- 
mengeworfen worden   ist,    als  selbständige  Krankheit  sui  generis  aufzufassen. 

Das  relative  Verhältnis  der  beiden  wesentlichen  Symptomen:  Verwirrtheit 
und  massenhafte  Hallucinationen  ist  von  Bedeutung,  Wenn  man  die  chrono- 
logische Entwicklung  derselben  betrachtet,  so  scheint  es  manchmal  dass  die 
Verwirrtheit  durch  die  massenhaften  Sinnestäuschungen  bedingt  ist.  Es 
gibt  jedoch  Fälle,  wo  die  Sinnestäuschungen  weniger  ausgebildet  sind  und 
nur  eine  schwere  Verwirrtheit  mit  oder  ohne  motorische  Erregung  das  Bild 
beherrscht.  Dadurch  wird  eine  noch  grössere  symptomatische  Aehnlichkeit 
mit  Intoxicationszuständen  bedingt. 

Sehr  wichtig  ist  die  Coincidenz  von  Sinnestäuschungen  mit  Verwirrtheit 
in  Bezug  auf  die  Wahnbildung.  Alle  Sinnestäuschungen  haben  potentiell  die 
Fähigkeit,  Wahnbildung  zu  bedingen.  Je  verwirrter  ein  Mensch  bei  gleich- 
zeitigem Auftreten  von  Sinnestäuschungen  ist,  desto  weniger  ist  die  Möglich- 
keit zu  dauernden  Wahnbildungen  gegeben.  Man  kann  manchmal  beobachten, 
dass  Kranke  im  Ablauf  der  hallucinatorischen  Verwirrtheit,  wenn  das  Bewusst- 
sein  sich  etwas  aufliellt,  auf  Grund  ihrer  Sinnestäuschungen  viel  mehr  Wahn- 
bildung zeigen  als  vorher,  dass  diese  dem  Grade  der  Bewusstseinshelligkeit 
parallel  geht.  Wahrscheinlich  liegt  gerade  in  dem  Bestehen  der  schweren 
Verwirrtheit  bei  dem  Auftreten  von  Sinnestäuschungen  das  prognostisch  gün- 
stige Moment  der  Krankheit. 

Als  körperliche  Begleitsymptome  werden  auch  bei  den  nicht  durch  Puer- 
perium bedingten  Fällen  von  hallucinatorischer  Verwirrtheit  im  Beginn  öfter 
leichtes  Fieber  (38—39^)  und  Albuminurie  ohne  sonstige  Zeichen  von  Nieren- 
krankheit gefunden. 

Die  Prognose  ist  quod  vitam  zweifelhaft,  wenn  sich  die  körperlichen 
Symptome  längere  Zeit  halten,  wenn  sich  allgemeine  Erschlaffung  dazustellt 
und  das  Krankheitsbild  immer  mehr  die  Form  der  reinen  Verwirrtheit  an- 
nimmt. Auch  wenn  diese  in  der  Krankheit  selbst  unmittelbar  liegenden  und 
die  Prognosis  quoad  vitam  gefährdenden  Momente  w^egfallen,  sind  noch  mehrere 
die  Lebensfrage  berührende  Punkte  vorhanden:  1.  Die  oft  sehr  hartnäckige 
Nahrungsverweigerung  oder  besser  Nahrungsfurcht,  welche  die  Kranken  zeigen, 
2.  die  Gefahr  des  raptusartigen  Suicidiums,  3.  die  Gefahr  der  tödtlichen  Selbst- 
verletzung durch  die  sinnlose,  motorische  Erregung. 

Eine  Pteihe  von  Momenten,  welche  schon  bei  den  nicht  im  Puerperium 
auftretenden    Fällen  von   hallucinatorischer  Verwirrtheit   eine  differential-dia- 


PUERPERALPSYCHOSEN.  715 

gnostische  Rolle  spielen,  kommen  nun  im  Puerperium  zu  erhöhter  Geltung, 
so  dass  hier  die  diagnostischen  Schwierigkeiten  vermehrt  sind.  (Infections-  und 
Intoxicationsdelirien,  Epilepsie,  beziehungsweise  Eclampsie,  Nierenerkrankungen.) 

Es  muss  also,  wenn  eine  hallucinatorische  Verwirrtheit  im  Puerperium 
auftritt,  immer  genau  das  causale  Verhältnis  zu  diesem  ins  Auge  gefasst  werden. 

Es  muss  erörtert  werden: 

1.  Ob  eine  mit  dem  Puerperium  zufällig  coincidirende  Krankheit  vorliegt, 
welche  symptomatisch  hallucinatorische  Verwirrtheit  bedingen  kann. 

Beispiele:  Epileptisches  Aequivalent  bei  einer  längst  epileptischen  Person,  ferner 
hallucinatorische  Verwirrtheit  als  Symptom  eines  Typhus  abdominalis  oder  einer  Menningitis 
cerebrospinalis  (von  mir  in  der  Frauenklinik  in  Würzburg  beobaclitet,  Delirium  tremens). 

Diese  Fälle  sind  enorm  selten,  aber  es  ist  wichtig  daran  zu  denken. 

2.  ob  eine  durch  den  Geburtsact  indirect  bedingte  körperliche 
Erkrankung  vorliegt,  w^elche  hallucinatorische  Verwirrtheit  bedingen  kann.  An 
erster  Stelle  ist  hierbei  an  Nierenerkrankung  und  Eclampsie  zu  denken.  Er- 
schwerend fällt  für  die  Diagnose  ins  Gewicht,  dass  auch  bei  der  nicht  durch 
Nierenerkrankung  bedingten  und  nicht  im  Puerperium  auftretenden  hallucina- 
torischen  Verwirrtheit  im  Beginn  leichte  Albuminurie  vorkommt.  Es  ist  daher 
falsch,  bei  einer  an  hallucinatorischer  Verwirrtheit  erkrankten  Puerpera,  welche 
Eiweiss  im  Urin  zeigt,  ohne  Weiteres  Nierenerkrankung  anzunehmen. 

Anfängliches  Auftreten  und  rasches  Verschwinden  von  Eiweiss  spricht, 
wenn  gemeine  Epilepsie  und  Alkoholismus  ausgeschlossen  ist,  für  echte  hallu- 
cinatorische Verwirrtheit  mit  wahrscheinlich  günstigem  Verlauf.  Die  wirklich 
durch  Nierenerkrankung  bedingte  hallucinatorische  Verwirrtheit  kann  man  zu 
den  Intoxicationspsychosen  rechnen. 

Ebenso  handelt  es  sich  eigentlich  um  Intoxicationspsychosen  bei  den- 
jenigen Formen  von  hallucinatorischer  Verwirrtheit,  welche  bei  gleichzeitigem 
Bestehen  eines  relativ  geringen  localen  Processes  an  den  Genitalorganen  der 
Puerpera  ausbrechen.  Man  rechnet  jedoch  diese  nach  Art  einer  Intoxication 
verlaufenden  Erkrankungen  zu  den  Infectionspsychosen  im  w^eiteren  Sinne, 
(cfr.  Olshausen,  Zeitschrift  für  Geburtshilfe  tmd  Gynäkologie  XXI,  2.)  Zu 
diesen  zählt  man  auch  diejenigen  Formen  von  Geistesstörung  nach  puerperaler 
Infection,  w^elche  erst  indirect  durch  Folgezustände  der  localen  Infection 
bedingt  sind  (kapilläre  Embolien  bei  den  pyämischen  Formen  des  Puerperal- 
fiebers, meningitische  und  encephalitische  Processe),  obgleich  doch  hier  ent- 
schieden ein  viel  weiterer  Zusammenhang  zwischen  localer  Infection  und  Geistes- 
störung vorliegt  als  bei  den  einfachen  mit  Geistesstörung  einhergehenden  Puer- 
peralfiebern. 

Im  Allgemeinen  muss  also  an  zweiter  Stelle  an  die  Fälle  von  Verwirrt- 
heit gedacht  werden,  welche  durch  Ueberschwemmung  des  Gehirns  mit  into- 
xicatorischen  Stoffen  bei  den  eitrigen  und  septischen  Erkrankungen  nach  In- 
fection im  Puerperium  bedingt  sein  können.  Es  ist  jedoch  falsch,  wenn  im  Puer- 
perium eine  hallucinatorische  Verwirrtheit  mit  leichter  Fiebersteigerung  auf- 
tritt, sofort  ein  Puerperalfieber  anzunehmen  und  die  Geistesstörung  als  Symptom 
dieser  aufzufassen.  Es  kommen,  wie  schon  gesagt,  auch  bei  den  nicht  im 
Puerperium  auftretenden  und  nicht  durch  anderweitige  Erkrankungen  bedingten 
Fällen  von  hallucinatorischer  Verwirrtheit  leichte  Fiebersteigerungen  und  Al- 
buminurie vor.  Erst  dann,  wenn  sowohl  die  zufällige  Coincidenz 
von  anderen  Krankheiten,  welche  hallucinatorische  Verwirrt- 
heit bedingen  können,  als  diejenigen  Folgezustände  des  Puer- 
periums, bei  welchen  hallucinatorische  Verwirrtheit  als  Symp- 
tom auftreten  kann,  ausgeschlossen  sind,  darf  eine  echte  hallu- 
cinatorische Verw^irrtheit  als  unmittelbare  Folge  des  Puer- 
periums diagnosticirt  werden.  Das  Vorhandensein  einer  leichten 
Fiebersteigerung  und  Albuminurie  im  Beginn  darf,  wie  nicht  genug  hervor- 
gehoben werden  kann,  an  der  idiopathischen  Beschaftenheit  der  Psychose  nicht 


"^16  PÜERPERALPSYCHOSEN. 

irre  machen,  weil  diese  Symptome  auch  bei  den  nicht  durch  Puerperium  be- 
dingten Fällen  von  hallucinatorischer  Verwirrtheit  vorkommen. 

Die  Differenzierung  dieser  Zustände  ist  hauptsächlich  der  verschiedenen 
Prognose  wegen  wichtig.  Für  die  als  Symptom  der  puerperalen  Infec- 
tionen  und  Intoxicationen  auftretenden  Anfälle  von  hallucinatorischer  Ver- 
wirrtheit gilt  im  Allgemeinen  der  Satz:  Sublata  causa  tollitur  effectus.  Die 
idiopathische  Form  der  durch  das  Puerperium  bedingten  hallucinatorischen 
Verwirrtheit  hat  dagegen  einen  über  Wochen  und  Monate  sich  erstreckenden 
Verlauf. 

Die  Behandlung  hat  abgesehen  von  der  Therapie  der  eventuell  zu 
Grunde  liegenden  Krankheiten  folgende  Aufgaben: 

1.  Die  Selbstverletzung  der  motorisch  stark  erregten  und  von  massenhaf- 
ten Hallucinationen  beeinÜussten  Kranken  zu  verhüten.  Permanente  Bewa- 
chung ist  unbedingt  nothwendig.  Man  sieht  sich  manchmal  veranlasst  zur 
Bekämpfung  der  Unruhe  Narcotica  zu  gebrauchen.  Es  sind  jedoch  gerade  bei 
hallucinatorisch  Verwirrten  die  Erregungen  meist  so  stark,  dass,  wenn  man 
überhaupt  Schlafmittel  beibringen  kann,  diese  in  einer  toxischen  Dosis  gege- 
ben werden  müssen,  um  Ruhe  zu  erzielen. 

Es  handelt  sich  dabei  nicht  um  Schlaf,  sondern  um  Narcose,  welche  an- 
dauernd erhalten  werden  müsste.  Zudem  handelt  man  hierbei  gegen  die  In- 
dication,  die  hallucinatorisch  Verwirrten  in  einem  Zustand  zu  erhalten,  welcher 
der  Nahrungsaufnahme  am  günstigsten  ist.  Das  vorzüglichste  Mittel, 
diese  Kranken  vor  Selbstschädigung  zu  bewahren,  ohne  sie  durch  toxische 
Dosen  von  Narcoticis  zu  beruhigen,  ist  die  Einwickelung  in  feuchtwarme  Leinen- 
tücher. Sehr  oft  stellt  sich  gesunder  Schlaf  darnach  ein.  Isolirung  ist  bei 
dieser  Krankheit  ganz  zu  verwerfen.  Sie  endigt  meist  mit  furcht  erlichen  Selbst- 
verletzungen  und  häufig  mit  Inanition,  weil  die  Kranken  in  der  Isolirung 
überhaupt  nichts  zu  sich  nehmen;  hierbei  kommen  wir  auf  die  zweite  Auf- 
gabe der  Behandlung,  nämlich 

2.  Die  Erhaltung  der  Kräfte.  Zunächst  ist  die  oft  sehr  hartnäckige  Nah- 
rungsverweigerung zu  bekämpfen.  Dies  soll  nicht  dadurch  geschehen,  dass 
man  solche  Kranke  zu  einer  bestimmten  Zeit  zwingt,  etwas  zu  essen,  was 
ihnen  durch  die  sie  momentan  beherrschenden  Sinnestäuschungen  manchmal 
unmöglich  gemacht  wird.  In  der  nächsten  Nähe  des  Bettes  soll  immer  Milch 
oder  eine  Mischung  von  Milch  und  Eiern  mit  Cognac  bereit  stehen,  um  im 
richtigen  Moment,  wenn  die  Kranke  gerade  etwas  ruhiger  ist,  eingeflösst  zu 
werden.  Bei  dem  Füttern  soll  man  alle  Arten  der  Anrede  durchprobiren-  Man 
erlebt  gerade  bei  der  durch  hallucinatorische  Verwirrtheit  bedingten  Nahrungs- 
verweigerung die  sonderbarsten  Dinge.  Eine  solche  Kranke,  welche  durch 
48  Stunden  den  Anforderungen  zu  essen  mit  Schlagen  und  Schütteln  beant- 
wortet hatte,  trank  zum  erstenmal  wieder  nach  den  Worten:  „es  ist  verboten 
zu  essen,"  was  sich  dann  regelmässig  wiederholte.  Eine  andere,  die  alle  Ver- 
suche, ihr  Nahrung  beizubringen,  mit  Pusten  und  Spucken  beantwortet  hatte, 
trank  Milch,  wenn  man  den  Act  in  Theile  zerlegte:  „Mund  auf!  (dann  wurde 
Milch  eingegossen),  Mund  zu!  Schlucken!"  Das  Beibringen  von  Nahrung  ist 
bei  dieser  Krankheit  oft  eine  lebensretl  ende  Handlung  und  muss  in  den  Vor- 
dergrund der  Therapie  gestellt  werden.  Die  Schlundsonde  ist  bei  diesem  Zu- 
stand eine  grosse  Qual  für  den  Kranken  und  noch  mehr  für  den  Arzt.  Sehr 
zu  empfehlen  ist  die  Kochsalz transfusion  und  zwar  nicht  erst  dann,  wenn 
Collaps  droht. 

Neben  der  hallucinatorischen  Verwirrtheit  kommen  im  Puerperium  noch 
eine  Anzahl  anderer  nicht  durch  organische  Erkrankungen  oder  Intoxicationen 
bedingte  Psychosen  vor. 

Zunächst  sind  symptomatisch  mit  den  relativ  kurzen  Delirien  der  Puer- 
peralfieber am  meisten  verwandt,   die  kurzen  Bewusstseinstr Übungen  zu 


PYOMETRA.  717 

nennen,  welche  manchmal  während  oder  wenige  Stunden  nach  der  Entbin- 
dung auftreten  und  während  eines  wenige  Stunden  dauernden  Taroxysmus  oft 
zu  den  schlimmsten  Folgen  für  Wöchnerin  und  Kind  führen.  Praktisch  sehr  wich- 
tig ist  dabei  die  fast  immer  vorhandene  Amnesie.  JJiese  Anfälle  gleichen  voll- 
ständig einem  epileptischen  Aequivalent,  treten  allerdings  auch  bei  Frauen 
auf,  welche  keine  sicheren  Zeichen  von  Epilepsie  geboten  haben.  Vielleicht 
handelt  es  sich  um  nichts  als  um  ein  unter  bestimmten  Umständen  auftre- 
tendes Sichtbarwerden  larvierter  Epilepsie. 

Ferner  kommt  die  Manie  in  Betracht,  welche  in  einzelnen  Symjitomen 
(motorische  Erregung,  lebhafte  Gefühlsmotive)  mit  der  hallucinatorischen  Ver- 
wirrtheit übereinstimmt.  Das  Charakteristische  hiebei  ist  eine  aus  ungere- 
gelter, lebhafter  Association  hervorgehende  Ideenflucht  meist  mit  heiterer  Stim- 
mung und  motorischer  Erregung.  Charakteristische  Unterschiede  zwischen  der 
im  Puerperium  ausbrechenden  und  der  sonst  ausbrechenden  Manie  sind  nicht 
vorhanden.    Die  Prognose  ist  dieselbe,  vorwiegend  günstige. 

Dasselbe  gilt  für  die  im  Puerperium  ausbrechende  Melancholie.  Hier 
gehört  das  Puerperium  durchaus  wie  bei  der  Manie  in  die  allgemeine  Aetio- 
logie.  Schliesslich  muss  der  Fall  im  Auge  behalten  werden,  dass  irgend  eine 
Form  von  Geistesstörungen  in  zufälliger  Coincidenz  im  Puerperium  ausbricht. 
Wir  können  also  das  ganze  Gebiet  in  folgender  Weise  eintheilen: 

I.  Geistesstörung  im  Puerperium  als  Symptom  von  körperlichen 
K  r  a  n  k  h  e  i  t  e  n. 

1.  Von  solchen,  die  durch  das  Puerperium  indirect  bedingt  sind. 

Beispiele: 

a)  Delirien  nach  schweren  Blutverlusten. 

h)  Delirien  durch  Puerperalfieber. 

a)  Durch  Septicämie,  Pyämie  und  Endocarditis  ulcerosa. 

c)  Delirien  durch  Eclampsie, 

d)  Delirien  durch  Urämie  ohne  Eclampsie. 

2.  Von  solchen,  welche  das  Puerperium  zufällig  compliciren.  (Me- 
ningitis, Typhus,  progressive  Paralyse.) 

IL  Geistestörungen  im  Puerperium,  welche  ohne  verursachende 
körperliche  Krankheit  entstehen. 

a)  Geistesstörungen,  welche  ohne  vermittelnde  körperliche  Krankheit 
durch  das  Puerperium  veranlasst  sind,  (hallucinatorische  Verwirrtheit,  Manie, 
Melancholie). 

h)  Geistesstörungen,  welche  zufällig  das  Puerperium  compliciren.  {Pro- 
gressive Paralyse^  Epilepsie^  Delirium  tremens,  ]}rimärer  Schwachsinn) 

Während  man  von  einer  Puerperalpsychose  wenigstens  in  dem  Sinne  sprechen  kann, 
dass  das  Puerperium  eine  häufige  Ursache  einer  bestimmten  Form  von  Geistesstörung, 
nämlich  der  hallucinatorischen  Verwirrtheit  ist,  gehört  die  Schwangerschaft  ganz  in  die 
allgemeine  Aetiologie  der  Psychosen.  Vielleicht  kann  man  behaupten,  dass  einfache  De- 
pressionszustände,  öfter  ohne  melancholische  Wahnbildung  etwas  häufiger  sind  als  andere 
Formen.  Specielle  Merkzeichen  haben  die  in  der  Schwangerschaft  ausbrechenden  Psy- 
chosen nicht.  Auf  den  Verlauf  haben  weder  Abort  noch  zeitlich  normale  Entbindung 
einen  wesentlichen  Einfiuss,  so  dass  sie  ganz  nach  den  allgemeinen  diagnostischen  und 
prognostischen  Gesichtspunkten  der  speciellen  Psychopathologie  beurtheilt  werden  müssen. 

Sehr  häufig  ist  sogar  der  ätiologische  Einfiuss  der  Schwangerschaft  zweifelhaft. 
Wenn  Frauen  im  Alter  von  circa  18  bis  25  Jahren,  welche  so  wie  so  zu  Geisteskrankheiten 
disponirt,  öfter  in  Schwangerschaft,  Puerperium  oder  Lactation  sich  befanden,  so  handelt 
es  sich  vielfach  um  reine  Coincidenz  der  Zustände. 

Ganz  entsprechend  verhält  es  sich  mit  den  Lactationspsychosen,  welche  abge- 
sehen von  der  Häufigkeit  von  Depressionszuständen  nichts  Charakteristisches  zeigen  und 
durchaus  nach  den  allgemeinen  Regeln  der  Psychopathologie  beurtheilt  werden  müssen. 

EOBERT    SOMMER. 

PyOmetra,  Eiterretention  in  der  Gebärmutterhöhle.  Es  handelt  sich 
dabei  um  absoluten  oder  partiellen  Verschluss  des  Cervicalcanals,  infolge  dessen 
die  in  der  Uterushöhle  ausgeschiedenen    Secrete   nicht  abzufliessen  vermögen 


718  PYOMETRA. 

und  durch  irgend  welche  Veranlassung  in  Eiterung  übergehen.  Am  häufigsten 
ist  die  Pyometra  das  Ergebnis  einer  in  Eiterung  übergegangenen  Secretion 
des  Uteruskörpers  bei  Cervixcarcinom,  wo  die  wuchernden  Massen  den  Cer- 
vicalcanal  zeitweilig  verlegen  und  Infectionskeime  sehr  leicht  in  die  Uterushöhle 
gelangen.  Da  das  Cervixcarcinom  zumeist  von  einer  gutartigen  glandulären 
Endometritis  corporis  begleitet  ist  und  starker  Wucherung  der  Uterusdrüsen, 
papillenartigen  Erhebungen  in  das  Lumen  des  Uterus  hinein  und  vermehrter 
Secretion,  so  ist  das  Zustandekommen  einer  Pyometra  unter  diesen  Verhält- 
nissen leicht  verständlich.  Man  wird  in  solchen  Fällen  zuweilen  überrascht, 
wenn  bei  Untersuchung  der  Kranken  mit  Cervixcarcinom  z.  B.  plötzlich  eine 
Menge  stinkender  Jauche  sich  entleert,  wenn  z.  B.  eben  die  Sonde  eingeführt 
worden  war,  wodurch  die  verlegte  Bahn  frei  wurde.  Noch  häutiger  findet,  eine 
solche  Eiterretention,  respective  Jaucheretention  im  Uterus  bei  Corpuscarcinom 
und  Sarcom  älterer  Frauen  statt,  wie  ich  im  vorigen  Jahre  4  Fälle  in  meiner 
Klinik  sah,  —  die  eine  Kranke  klagte  über  fortwährende  wehenartige  Koliken. 
Ich  fand  bei  der  64-Jährigen  die  Vaginalportion  rein,  ohne  Wunden,  einen 
sehr  engen  Muttermund,  den  ich  künstlich  dilatirte.  Es  entleerte  sich  eine 
Masse  stinkender  Jauche  und  Gewebsdetritus,  eine  mikroskopische  Untersu- 
chung stellte  ein  Carcinom  fest,  der  ich  die  Totalexstirpation  per  vaginam 
folgen  Hess.  Das  dmxhschnittene  Präparat  wies  ein  verjauchtes  Corpuscarcinom 
auf.  Vor  der  Operation  wurde  eine  exploratives  Curettement  und  tägliche  Aus- 
spritzungen gemacht.  Die  Kranke  behauptete  nach  jeder  Ausspülung  grosse 
Erleichterung  zu  haben.  Pyometra  dieser  Art  bei  Verjauchung  endouteriner 
Neoplasmen,  Piacentarreste,  bei  Anwesenheit  von  Fremdkörpern  in  cavo 
uteri  und  erschwertem  oder  bei  Atresie  oder  Compression  des  Cervicalcana- 
les  zeitweilig  oder  ganz  aufgehobenem  Abfluss  der  Uterussecrete  kommt  viel 
öfter  vor,  als  gemeinhin  angenommen  wird.  Eine  zweite  Quelle  der  Pyometra 
ist  die  Vereiterung  einer  Hämatometra,  respective  Hydrometra,  namentlich  oft 
bei  Ketention  in  der  einen  Hälfte  des  zweigetheilten  Uterus,  (manche 
Autoren  wollen  die  Vereiterung  hier  erklären  durch  Eindringen  von  Infec- 
tionskeimen  vom  Mastdarm  aus  —  ob  wohl  mit  Recht?)  eine  dritte  Quelle 
ist  die  Operation  der  Hämatometra,  respective  Hämatokolpometra  bei  zu 
kleinem  Einschnitt,  respective  Einstich,  wenn  nur  ein  ungenügender  Abfluss 
erreicht  wurde  und  Luft  und  Infectionskeime  dazu  kamen,  besonders  wo 
nicht  aseptisch  operirt  wurde.  Endlich  ist  die  Pyometra  zu  erwähnen,  die 
hervorging  aus  Vereiterung  bei  Retentio  lochiorum,  sei  es,  dass  sub  puerperio 
eine  Atresie  des  inneren  oder  äusseren  Muttermundes  oder  des  Cervicalca- 
nales  folgte,  sei  es,  dass  die  Viabilität  des  Cervicalcanales  zeitweilig  durch 
Compression  durch  Tumoren  etc.  aufgehoben  wurde.  Ich  sah  kürzlich  eine 
Kolpopyometra  profluens  nach  sub  puerperio  erworbener  hochgradiger  Scheiden- 
stenose. 4 — 5  Tage  nach  jeder  Periode  begann  ein  eitriger  stinkender  Ausfluss 
unter  wehenartigen  Schmerzen,  ganz  besonders  reichlich  sub  exploratione, 
Uterushöhle  stark  erweitert,  Uterus  bedeutend  vergrössert.  Es  handelt  sich  in 
diesen  Fällen  um  partielle  oder  zeitweilige  Retention  der  Uterussecrete  mit 
Vereiterung,  seltener  sind  die  Fälle  von  Pyometra  bei  absolutem  Verschluss 
der  Abflussöfi'nung.  Die  Diagnose  der  Pyometra  bei  absolutem  Verschluss  dürfte 
kaum  jemals  mit  Sicherheit  ohne  Probepunction  gestellt  worden  sein,  meist 
wird  die  Pyometra  erst  sub  operatione  erkannt,  w^elche  ja  die  einzige  rationelle 
Therapie  ist.  Die  Operation  wird  mit  Troicart  oder  Messer  gemacht,  die 
Oeffnung  soll  genügend  gross  gemacht  werden  und  es  muss  um  Recidiven  oder 
Fortbestand  vorzubeugen,  dafür  gesorgt  werden,  dass  die  Oeffnung  nicht  wie- 
der verwachsen  kann.  Am  besten  sofort  reichliche  antiseptische  Ausspülung, 
wie  sie  Emmet  empfahl,  entgegen  dem  Rathe  Galabin's  „nicht  auszuspülen". 
Bei  Atresie  des  äusseren  Muttermundes  nimmt  man  die  Eröffnung  möglichst 
nahe  dem  hinteren  Scheidengewölbe  vor,  da  die  Erfahrung  bewiesen  hat,  dass 


QUERLAGEN.  719 

sonst  meist  die  vordere  Cervicalwand  angestochen  wurde.  Zur  Diagnose  ver- 
hilft bei  jüngeren  Frauen  die  Amenorrhoe,  der  kolikenartige,  anfangs  in 
Menstrualintervallen,  später  unausgesetzte  Schmerz,  die  bimanuelle  Unter- 
suchung, die  einen  kugeligen  Tumor  an  Stelle  des  Uteruskörpers  ergiebt  und 
die  Sonde,  welche  bei  vorsichtigem  Ausschluss  einer  Schwangerschaft  gebraucht, 
entweder  eine  Atresie  der  Cervix  an  irgend  einer  Stelle  aufweist  oder  zu  dem 
überraschenden  Phänomen  der  plötzlichen  Eiterentlcerung  während  des  Son- 
direns  führt.  So  gross  wie  bei  Hämatometra  wird  der  Uterus  bei  Pyometra 
nicht;  20 — 50  cm^  ßetentionsflüssigkeit  hat  man  jedoch  beobachtet. 

Die  Therapie  ist  genau  dieselbe  wie  bei  Hämatometra;  also  rein  chirur- 
gischer Natur.  Für  die  Diagnose  ist  natürlich  Fieber,  pyämisches  Aussehen 
wichtig,  jedoch  können  diese  Symptome  selbstverständlich  den  localen  Befund 
auch  noch  nicht  in  vollkommener  Weise  ergänzen.  Puech  berichtet  je  einen 
von  Chambon  und  von  Guy  beobachteten  Fall  von  Pyometra  auf  Grund  von 
Lochialretention.  Voisin,  Hüsson,  Puech,  Eppingee,  Norstroem,  Kuhn  und 
Schröder  sahen  Pyometra  bei  eitriger  Endometritis  entstehen.  Handelt  es 
sich  um  Verschluss  des  äusseren  und  des  inneren  Muttermundes  mit  Eiter- 
retention  im  Corpus  und  der  Cervix,  so  nimmt  der  Uterus  eine  Sanduhrform 
an,  anders  bei  Atresie  des  inneren,  respective  äusseren  Muttermundes.  Spontaner 
Durchbruch  der  Pyometra  kann  sowohl  in  die  Scheide  hinein  erfolgen,  als 
auch  in  die  Blase,  den  Mastdarm,  die  Bauchhöhle,  jedoch  sind  diese  Fälle 
überaus  selten;  derartige  Perforationen  sind  jedenfalls  viel  seltener  als  bei  der 
Hämatometra,  die  z.  B.  in  einem  PuEcn'schen  Falle  durch  Perforation  sich  in  den 
mit  dem  Uterus  verlötheten  Magen  hinein  entleerte.  Der  Grund,  w^eshalb  eine 
Pyometra  seltener  als  eine  Hämatometra  auf  diese  Weise  entleert  wird,  ist  der, 
dass  die  Flüssigkeitsansammlung  bei  Pyometra  nicht  so  gross  wird  und  dass 
die  Uterinwand  nicht  eine  Verdünnung,  sondern  im  Gegentheil  meist  eine 
Verdickung  aufweist.  Theoretisch  jedoch  muss  immerhin  die  Möglichkeit  eines 
spontanen  Durchbruches  einer  Pyometra  in  die  Nachbarorgane  zugegeben  wer- 
den. Bezüglich  der  Aetiologie  der  Pyometra  muss  man  also  vor  Allem  alle 
diejenigen  Umstände  betonen,  welche  einen  dauernden  oder  zeitweiligen  Ver- 
schluss des  Cervicalcanales  an  irgend  welcher  Stelle  herbeiführen  können;  nebst 
den  schon  genannten  Bedingungen  sind  also  hier  noch  die  ätiologisch  wichtigen 
Infectionskrankheiten:  Scharlach,  Pocken,  Typhus,  Cholera,  Erysipel  u.  s.  w. 
zu  nennen,  in  deren  Verlaufe  solche  Atresien  beobachtet  werden,  die  senile 
Atresie,  die  Atresie  als  Folge  von  Cervixentzündungen,  endlich  die  Atresie 
nach  chirurgischen  und  medicamentösen  Eingrifien  (allerhand  Operationen, 
Cauterisationen)  endlich  nach  zufälligen  Aetzungen  mit  Säuren,  Alkalien  etc., 
wie  die  Literatur  deren  genügend  aufweist,  welche  die  Folgen  von  Einspritzun- 
gen waren,  die  einen  künstlichen  Abort  zur  Folge  haben  sollten.  Der  Haupt- 
factor  in  der  Aetiologie  der  Pyometra  ist  Retention  der  Uterussecrete  aus  irgend 
welcher  Ursache  und  Infection.  In  der  Aetiologie  der  Retentionen  spielen  die 
angeborenen  Missbildungen  (rudimentäre  Doppelbildungen  des  Uterovaginal- 
canales)  eine  hervorragende  Rolle.  fr.  neugebauer. 

Uuerlayen.  *)  Ais  Querlage  bezeichnet  man  jene  Abnormität  der 
intrauterinen  Fruchtlagerung,  wo  die  Längsachse  des  Kindes  auf  die  Gebär- 
mutterachse im  rechten  Winkel  gestellt  ist.  Da  dieser  Zustand  —  strenge 
genommen  theils  sehr  selten  vorkommt,  und  wenn  vorhanden,  gewöhnlich 
mit  dem  eintretenden  Geburtsvorgange  eine  Aenderung  erleidet,  also  vor- 
übergehender Natur  ist,  so  wurde  die  Bezeichnung  Querlage  auch  auf 
jene  Fruchtlagerungen  ausgedehnt,  bei  denen  die  Kindeslängsachse,  mit  der 
^des  Uterus  einen  mehr-minder  grossen    spitzen  Winkel  bildet.   Mit  Rücksicht 

'^)  Vergl.  auch  Artikel  „Friiclitlagen",  pag.  260  mit  den  zugehörigen  Figuren. 


720  QUERLAGEN. 

auf  den  Geburtsvorgang  sprach  schon  die  Lachapelle  von  Schult  er  lagen, 
neuerer  Zeit  unterscheidet  man  genauer  die  echte  Querlage  von  der 
Schief-  oder  Schräglage,  in  welche  sich  erstere  gewöhnlich  umwandelt. 
Geht  man  den  Ursachen  nach,  die  diese  fehlerhafte  Lagerung  des  Kindes 
bedingen,  so  sind  sie  theils  in  den  mütterlichen  Theilen,  theils  in  der  Frucht 
zu  suchen;  es  können  aber,  wie  v.  Winckel  treffend  bemerkt,  Combinationen 
beider  Schädlichkeiten  ebenfalls  vorkommen. 

Manche  Frauen  erleiden  regelmässig  Schieflagen  (Hohl,  v.  Winckel)  ;  ebenso 
ist  es  erfahrungsmässig  festgestellt,  dass  sie  bei  Mehrgebärenden  öfter  als  bei 
Erstgebärenden  vorgefunden  werden.  Gewiss  sind  Hängebauch,  Diastase  der 
Bauchmuskeln  prädisponirende  Momente,  als  sie  Anlass  zu  einer  grösseren  Be- 
weglichkeit der  Frucht,  oder  richtiger  zum  Ausweichen  derselben  in  die  Lage, 
dass  Kopf  und  Steiss  zugleich  über  den  Beckeneingang  zu  liegen  kommen  — 
abgeben.  Krankhafte  Veränderungen  in  der  Musculatur  des  Uterus  (Carcinom 
der  Portio)  seine  fehlerhafte  Gestalt  und  Entwickelung,  Verlagerung  durch 
Geschwülste  (Myome)  kommen  hiebei  ebenso  in  Betracht,  wie  das  verengte 
Becken,  die  Anomalien  in  der  Insertion  der  Pia centa  (praevia  und 
lateralis  in  107o  der  Fälle.  Winckel)  oder  die  der  Nabelschnur.  Endlich 
werden  die  den  Körper  der  Schwangeren  treffende  Erschütterungen,  Stoss, 
Sturz  oder  Fall  nach  rückwärts,  möglicherweise  gewisse  Bewegungen  des 
Beckens  (Nähen  an  der  Nähmaschine)  auf  die  Verlagerung  vom  Einflüsse  sein. 

Von  Seite  der  Frucht  wäre  in  erster  Linie  die  abnorme  Menge  des 
Fruchtwassers  (Hydramnion  in  10'8%)  und  die  dadurch  bedingte  Schlaffheit 
des  Uterusschlauches  zur  Erklärung  der  erhöhten  Beweglichkeit  des  Kindes 
heranzuziehen.  Partielle  Vergrösserung  des  Kindskörpers  (Monstro- 
sitäten) ebenso  Mehrzahl  der  Kinder  bedingen  diese  Lagerung  ebenfalls, 
wenn  auch  in  letzterem  Falle  nicht  immer.  Kleine,  unreife  und  macerirte 
Früchte  finden  sich  zumeist  in  Querlage. 

Ueber  die  Haltung  der  Frucht  und  die  daraus  folgende  Eintheilung 
der  Querlagen  herrscht  unter  den  Geburtshelfern  noch  eine  gewisse  Meinungs- 
verschiedenheit. 

Naegele  nahm  die  Eintheilung  nach  dem  Rücken  vor,  und  erwähnt  die 
1.  dorso-anteriore  Lage,  mit  den  Unterabtheilungen  Kopf  rechts  und 
Kopf  links,  die  etwa  dreimal  häufiger  vorkommen  soll  als  die  2.  dorso- 
posteriore  Lage,  mit  denselben  Unterabtheilungen. 

Hohl  legt  auf  die  ätiologischen  Momente  ein  grösseres  Gewicht  und 
sondert  die  L  Querlage  mit  dem  Kopfe  links,  und  deren  Unterabtheilungen 
a)  Ptücken  vorne,  J^  Rücken  hinten,  von  der  H.  Querlage  (Kopf  rechts  und 
ihren  gleichen  Unterabtheilung)  ab. 

Um  die  Diagnose  der  Querlage  festzustellen,  muss  sowohl  die  äussere 
als  innere  Untersuchung  genau  ausgeführt  werden.  Fühlt  man  den  Leib 
der  Schwangeren  sehr  in  die  Breite  gedehnt,  und  vermag  man  die  flache  Hand 
recht  tief  über  der  Simphyse  einzudrücken,  ohne  dass  man  hiebei  einen  vor- 
liegenden Theil  zu  fühlen  bekommt,  so  liegt  der  Gedanke  an  eine  Querlage 
nahe,  und  kommt  es  nun  hauptsächlich  darauf  an,  nach  dem  Kopfe  oder  dem 
Steisse  zu  tasten.  Bei  schlaffen  Bauchdecken  wird  dies  bei  der  dorso- 
posterioren  Lage  wohl  leichter  gelingen.  Liegt  hingegen  der  Rücken  nach 
vorn,  so  erkennt  man  den  Kopf  bei  dünnen  Bauchdecken  an  den  Knochen, 
wird  auch  die  Herztöne  deutlicher  zu  vernehmen  in  der  Lage  sein. 

Der  praktische  Arzt  kommt  in  der  Privatpraxis  kaum  dazu,  die 
innere  Untersuchung  bei  noch  stehender  Fruchtblase  vornehmen 
zu  können.  Es  findet  sich  blos  das  Scheidengewölbe  hoch  hinaufgezogen. 
Stets  wird  die  Gebärende  durch  ihr  Benehmen  sehr  auffällig  erschei- 
nen. Nach  den  ersten,  stark  spannenden  Schmerzen,  lösen  sich  sehr 
kräftige  Wehen  aus,  die  bei  der  kaum  zu  beruhigenden  Frau  die  Anstrengung 


QUERLAGEN.  721 

zum  Pressen  hervorrufen.  Die  fruchtlose  Kraftanstrengung,  der  mit  Schweiss 
bedeckte  Körper,  das  rasche  Athmen,  das  geröthete  Gesicht  lassen  das  Ein- 
schneiden des  Kopfes  vermuthen,  während  der  untersuchende  Finger  blos  das 
Anfangsstadium  der  Geburt  constatirt.  Klarer  wird  der  Befund  erst  nach 
dem  Blasensprunge.  Gewöhnlich  senkt  sich  eine  Schulter  als  vor- 
liegender Theil  herab.  Er  ist  auf  seine  Grösse,  Beweglichkeit  und  Schwellung 
zuerst  zu  prüfen,  umsomehr  als  mit  der  Zunahme  der  letzteren  die  Unter- 
suchung ins  Maasslose  erschwert  sein  kann. 

Die  Ucächste  Handhabe  zur  Orientirung  über  die  Fruchtlage  gibt  die 
Feststellung  dessen,  wo  der  Rücken  liegt.  Man  sucht  demnach  durch  Aus- 
tastung der  Schulterhöhle  nach  den  Rippen,  und  nach  dem  Schlüsselbein. 
Es  gelingt  dies  selbst  bei  stark  geschwollener  Schulter  und  wird  die  Clavicula 
stets  die  Bauchseite  bezeichnen.  Gelangt  man  an  die  Extremitäten,  so  empfiehlt 
es  sich  denselben  entlang  zu  streichen.  Die  oberen  Extremitäten,  wird  man 
am  Olecranon  des  Ellbogens,  die  unteren  hingegen  am  scharfen  Rande  der 
Tibia,  wo  nicht,  an  der  Ferse  zu  erkennen  vermögen.  Schwieriger  steht  die 
Sache,  wenn  man  die  Finger  oder  Hände  des  Kindes  tastet.  Die  Erkennung 
der  betrefienden  Hand  (Arm)  ist  nicht  allein  für  die  Diagnose,  sondern  noch 
mehr  für  die  späteren  einzuleitenden  Maassnahmen  von  besonderer  Tragweite. 
Da  jedoch  blos  gleichnamige  Hände  aufeinander  passen,  so  versuche  man  die 
Kindeshand  mittelst  Handschlages  zu  fassen. 

Da  eine  ausgetragene  Frucht  in  Querlage  nicht  geboren  zu  werden 
vermag,  so  ist  es  unumgänglich  nöthig,  dass  diese  Lagerungsabnormität 
nicht  allein  vom  Arzte,  sondern  auch  durch  die  Geburtshelferin  zeitig  genug 
erkannt  werde;  wobei  bemerkt  werden  mag,  dass  man  sich  vor  zwecklosem 
Alarmiren  der  Gebärenden  wohl  zu  hüten  habe. 

Denn  zumeist  erfolgt  in  der  Eröffnungsperiode  und  bei  noch  stehender 
Blase  eine  Correctur  in  Längslage.  Wenn  diese  nicht  durch  Kunst- 
hilfe (Hand  des  Arztes,  Lagerung  der  Gebärenden)  stattfindet,  wird  von 
Selbstwendung  gesprochen  (nach  v.  Winckel  besser  als  „n  a  t  ü  r  1  i  c  h  e  Wen- 
dung"   bezeichnet),  die  dann  durch   die  zunehmenden  Wehen  bedingt   wird. 

Sonst  fliesst  nach  dem  Blasensprunge  gewöhnlich  das  gesammte  Frucht- 
wasser ab,  reisst  wohl  die  Nabelschnur  mit  sich  und,  da  diese  vorfällt,  muss 
zuvörderst  der  Placentarkreislauf  behindert  werden.  Handelt  es  sich  hiebei  um 
kleine,  etwa  der  25 — 26.  Schwangerschaftswoche  angehörige  oder  abgestorbene 
Früchte,  so  erfolgt  nun  die  spontane  Geburt.  {Evolutio  spontanea^  Selbst- 
entwickelung.) 

Bei  dieser  sogenannten  Selbstentwickelung  (v.  Art.  „Selhstent- 
wicklung  und  Selhstwendimg)  wird  die  eine  Schulter  durch  die  mächtigen 
Wehen  ins  kleine  Becken  gedrängt.  Es  kann  dabei  der  Arm  auch  vor- 
fallen, die  Frucht  wird  über  die  Seite  gebogen,  theilweise  um  ihre  Längs- 
achse gedreht;  während  nun  der  am  horizontalen  Schambeinast  gestemmte 
Kopf  in  die  Höhe  gezogen,  und  die  Schulter  an  die  Symphyse  gedi'ückt  wird, 
tritt  der  Steiss  ins  kleine  Becken  herab.  Die  nächste  Wehe  drückt  ihn  dann 
nach  rückwärts  und  unten,  ihm  folgt  der  Rumpf  nach  vorwärts,  dann  tritt 
die  zweite  Schulter  heraus,  nun  fallen  auch  die  Füsse  vor  und  es  bleibt  am 
sehr  gedehnten  Halse  nur  mehr  der  Kopf  zurück.  Die  Gebärmutter  entwickelt 
hiebei  eine  bis  zum  Tetanus  uteri  gesteigerte  Energie,  zieht  sich  über  die  Frucht 
zurück,  wobei  die  Cervix  ad  maximum  gedehnt  wird,  so  dass  die  Ruptur 
der  letzteren  unabweislich  erscheint,  auch  thatsächlich  erfolgt. 

Hiebei  müssen  nicht  alle  Kinder  zu  Grunde  gehen;  nach  Simji  bleiben 
14%,  nach  v.  Winckel  deren  S'ö^o  am  Leben.  (Die  meisten  sterben  jedoch 
bald  nach  der  Geburt  ab.) 

Unter  sonst  günstigen  Beckenverhältnissen  kann  die  Geburt  anderweitig 
ebenfalls   erfolgen,   u.  z.    Conduplicato    corpore.     Durch    die    mächtige 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtsliilfe  und  Gynäkologie  ifc> 


722  QUERLAGEN. 

Muskelaction  des  Uterus  wird  der  Kopf  des  Kindes  gewaltig  in  den  Bauch 
oder  in  den  Thorax  eingepresst.  Ohne  dass  eine  Correctur  der  Längsachse, 
oder  deren  Drehung  erfolgt,  knickt  der  Rumpf  ein,  und  wird  nun  als  ge- 
schwollene, bläulichrothe  Masse  ins  Becken  gedrängt;  unter  fortsteigernden 
Wehen  tritt  dann  das  vorher  abgestorbene  Kind  zur  Welt.  Dieser  Vorgang 
ist  freilich  der  seltenere,  und  kommt  nur  bei  sehr  biegsamen  Kindeskörpern  vor. 

Hat  der  Uterus  trotz  alledem  die  grosse  Spannung  ausgehalten,  so  drohen 
doch  der  Mutter,  besonders  bei  langdauerndem  Geburtsacte  und  mehr  noch 
durch  fruchtlose  Entbindungsversuche  weitere  Gefahren.  Das  durch  den 
Vorfall  der  Nabelschnur  oder  durch  vorzeitige  Placentalösung  bewirkten 
Blutungen  abgestorbene  Kind,  mehr  noch  durch  Lufteintritt  in  die  Gebär- 
mutterhöhle sich  entwickelnden  Fäulnisprocesse  daselbst,  führen  zur  Auf- 
saugung (Physometra-Septicaemie)  einerseits,  oder  es  kann  andererseits  Luft- 
eintritt in  die  Gefässe  erfolgen  (Luftembolie)  und  dann  raschen  Collaps  und 
Tod  zur  Folge  haben. 

Noch  grässlicher  wird  der  Zustand,  wenn  die  Cervix  reisst  (Uterus- 
ruptur) und  die  Frau  an  ihr,  rascher  als  bei  den  oberwähnten  septicämischen 
Processen,  unentbunden  zu  Grunde  geht  oder  der  Erschöpfung  und  den 
Blutverlusten  erliegt. 

Wie  aus  dem  Vorstehenden  erhellt,  kann  die  Prognose  im  Anfange 
der  Geburt,  und  bei  Mangel  an  gefährlichen  Ursachen,  insbesondere  bei  aus- 
gesprochener Schräglage  noch  genug  günstig  lauten;  mit  der  Verzögerung  des 
Geburtsverlaufes  und  bei  den  angezogenen,  bereits  erkennbaren  Misständen 
steigert  sich  die  Verschlimmerung  der  Vorhersage.  Aus  dem  Umstände,  dass 
die  Vorhersage  in  Kliniken  besser  als  in  der  Privatpraxis  ist,  wo  in  letzterer 
der  Arzt  in  der  Eegel  erst  zur  sehr  verschleppten  Geburt  zugezogen 
wird,  und  aus  der  beim  Geburtsvorgange  geschilderten  Momenten,  ist  der 
Schluss  ein  gerechtfertigter,  dass  die  Naturhilfe  für  die  Mutter  mehr  Ge- 
fahren birgt,  als  die  künstlich  verbesserte  Lage  des  Kindes.  Günstig  für  die 
Mutter  gestaltet  sie  sich,  wenn  das  Kind  vor  dem  7.  Schwangerschaftsmonate 
ausgetrieben  wird.  Nach  v.  Winckel's  auf  reicher  Praxis  beruhender  Berechnung 
sterben  sub  partu  etwa  33^0  der  Kinder  ab.  Ungünstig  für  das  Kind  stellt 
sich  die  Prognose  bei  Vorfall  der  Nabelschnur,  bei  Beckenenge  und  bei  zu 
spät  eingeholter  Kunsthilfe. 

Bei  der  Behandlung  der  Querlagen  kann  schon  prophylaktich  mit  Nutzen 
vorgegangen  werden.  Wenn  in  der  Schwangerschaft  erkannt,  ja  beim  blossen 
Verdachte  auf  Querlage,  wird  man  die  Lagenverbesserung  durch  geeignete 
Bandagen  des  Bauches  (durch  Lagerung,  Kissen,  Bauchbinden  mit  Keilein- 
satz, Fritsch)  anstreben,  eine  Maassnahme,  die  bereits  von  Soranus  an- 
empfohlen wurde.  Auch  wird  der  sorgsame  Arzt  der  Schwangeren  jede 
Erschütterung  des  Bauches  zu  verbieten  haben  (s.  Aetiologie).  Bei  der 
Geburt  wird  ebenfalls  die  für  den  Fall  passendste  Lagerung  im  Bette, 
bei  Beginn  derselben  und  stehender  Blase  die  äussere  Wendung  womöglich 
auf   den  Kopf  und  darnach  unmittelbar  der  Blasensprung  vorzunehmen  sein. 

Ist  der  Muttermund  hiebei  gehörig  erweitert,  so  nimmt  man  die  com- 
binirte  Wendung*)  und  die  nachfolgende  Extraction,  womöglich  in  der 
Narkose  vor.  Bei  nicht  gehörig  erweitertem  Muttermunde  sei  das  Bestreben 
auf  Herableitung  eines  Fusses,  und  der  darnach  folgenden  Beendigung  der 
Geburt  gerichtet. 

IBei  verschleppter  Geburt  wird  man  zumeist  die  Schulter  vorliegend 
finden.    Hier  handelt  es  sich  doch  zuerst  darum  den  mütterlichen  Organismus 


^)  Vergl.  Artikel  „Wendung". 


RIGIDITÄT  DES  ÄUSSEREN  MUTTERMUNDES.  723 

vor  Schaden  zu  bewahren  und  zu  retten;  da  ja  das  Kind  in  den  meisten 
Fällen  ohnehin  als  verloren  zu  betrachten  ist. 

Gelingt  es  nicht,  die  Mutter  durch  Morphiuminjectionen  zu  beruhigen, 
so  greift  man  zur  Narkose  und  versucht  durch  combinirte  Wendung  die 
Längsachsenstellung  des  Kindes  zu  erzielen.  Es  bleibt  gleichgiltig  in  welche 
Längslage  man  es  bringe  (ob  Kopf  oder  Steiss),  wenn  nur  die  Manipulation 
leicht  und  rasch  vor  sich  geht. 

Vor  zu  brüskem  Vorgehen  ist  selbstverständlich  abzurathen,  da  mit 
Schonung  und  Ausdauer  bei  der  Wendung  Erfolg  erzielt  werden  kann. 

Findet  man  das  Collum  ad  maximum  ausgedehnt,  so  können  selbst  in 
der  Narkose  die  Füsse  über  dem  Contractionsringe  nicht  erreicht  werden; 
die  Narkose  lässt  hiebei  auch  im  Stiche,  es  bleibt  dann  nur  die  De- 
capitation,  eventuell  das  Exenteriren  der  wohl  stets  abgestorbenen  Frucht 
übrig.*)  Nie  darf  der  Arzt  bei  einem  schweren  oder  unüberwindlichen  Geburts- 
hindernisse die  Zeit  nutzlos  verstreichen  lassen  und  die  Gefahr  der  Uterusruptur 
heraufbeschwören,  sondern  muss  —  umsomehr  bei  todter  Frucht  —  zur 
Verkleinerung  derselben  schreiten  (Kaltenbach).  elischer. 

Rigidität  des  äusseren  Muttermundes.    Der  äussere  Muttermund 

kann  der  Sitz  pathologischer  Veränderungen  werden,  welche  der  andrängenden 
Fruchtblase,  beziehungsweise  dem  vorliegenden  Fruchttheil,  ein  bedeutendes 
Geburtshindernis  entgegenbringen  können.  Man  nennt  diesen  Zustand  Ri- 
gidität des  äusseren  Muttermundes. 

Pathologische  Anatomie:  Veranlasst  wird  die  Rigidität  durch 
narbige  Stenosen,  fibröse  Hypertrophie,  Stenose  der  äusseren 
Ringfasern,  sowie  durch  carcinomatöse  und  syphilitische  Indura- 
tionen des  Os  externum. 

Die  häufigste  Ursache  bilden  narbige  Stenosen,  wie  solche  nach  operativ 
beendigten,  mit  starken  Verletzungen  einhergegangenen  Entbindungen  zu 
Stande  gekommen  sind.  Die  in  früheren  Zeiten  mit  der  galvanocaustischen 
Schlinge  häufig  geübte  Amputation  der  Vaginalportion  hat  auch  ähnliche 
Narbenbildungen  am  Os  externum  zur  Folge  gehabt. 

Weiter  wären  zu  nennen  Narben,  entstanden  nach  lang  dauernden 
Aetzungen  des  Cervicalcanales  und  äusseren  Muttermundes,  sowie  nach  ulce- 
rösen  Processen  im  Wochenbett  oder  bei  syphilitischen  Affectionen. 

Die  fibröse  Hypertrophie  ist  eine  Folge  chronisch  entzündlicher  Processe 
an  der  Vaginalportion,  wie  solche  bei  catarrhalischen  Affectionen  der  Cervix- 
mucosa  häufig  beobachtet  werden. 

Eine  besondere  Form  der  Rigidität  bildet  die  Stenose  der  äusseren 
Ring  fasern  des  Os  externum  Erstgebärender,  ein  Zustand,  der  mit  dem 
Namen  Coiigliitinatio  oriöcii  exterui  bezeichnet  wird.  Der  Name  rührt  her 
von  der  früher  allgemein  herrschenden  Ansicht,  dass  durch  adhäsive  Entzün- 
dung bei  Endometritis  colli,  oder  durch  eingedickte  epitheliale  Massen,  eine 
Verklebung  des  Orificium  externum  zu  Stande  kommen  könne.  Gegenwärtig 
neigt  man  mehr  der  Ansicht  zu,  dass  derlei  Verklebungen  thatsächlich  nur 
auf  Täuschung  beruht  haben,  indem  bei  genauer  Einstellung  immer  das  wenn 
auch  ganz  winzig  kleine  Orificium  nachzuweisen  ist.  In  den  meisten  Fällen  sieht 
man  aus  dem  Orificium  einen  kleinen  Schleimpfropf  herausragen  und,  wo  dies 
nicht  der  Fall  ist,  gibt  eine  dünne  Knopfsonde  den  Aufschluss,  dass  das  nach- 
gewiesene Grübchen  auf  unblutige  Art  durchgängig  ist. 

Zu  den  selteneren  Ursachen  der  Rigidität  gehören  Induration  in  Folge 
carcinomatöser  oder  syphilitischer  Affectionen. 


*)  Vergl.  Artikel  ,.Embryotomie^ ,  pag.  210. 


46* 


724  RIGIDITÄT  DES  ÄUSSEREN  MUTTERMUNDES. 

Geburts  Verl  auf.  Ist  das  Hindernis  nur  auf  den  äusseren  Mutter- 
mund beschränkt' geblieben,  dann  entfaltet  sich  das  Collum  in  ganz  normaler 
Weise.  Erst  wenn  das  Ei,  beziehungsweise  der  vorliegende  Fruchttheil  gegen 
das  Orificium  externum  anzudrängen  beginnt,  kommt  es  zu  einer  Geburtsver- 
zögerung, in  manchen  Fällen,  wenn  nicht  rechtzeitige  Abhilfe  geschaffen 
wurde,  auch  zu  schwereren  Complicationen. 

Die,  in  Folge  der  Geburt  gesetzte  seröse  Transsudation  kann  wohl  mit- 
unter eine  solche  Erweichung  der  pathologisch  veränderten  Gewebe  bewirken, 
dass  dieselben  dem  auf  sie  ausgeübten  Druck,  wenn  auch  langsam,  nachgeben, 
so  dass  schliesslich  eine  spontane  Geburt  erfolgt.  Andererseits  muss  aber 
hervorgehoben  werden,  dass  trotz  kräftiger  Wehen  und  langer  Geburtsdauer, 
der  Muttermund  in  seiner  ursprünglichen  Grösse  verbleibt,  während  über  dem- 
selben die  Collumwand  eine  Dehnung  bis  zur  Papierdünne  erlangen '  kann 
und  falls  das  Orificium  weit  nach  rückwärts  steht  und  die  Spannung  in  Folge 
dessen  namentlich  die  vordere  Cervicalwand  betrifft,  Durchreissungen  der- 
selben oder  ein  vollständiges  Abreissen  des  Cervix  zu  beobachteten  Vorkomm- 
nissen gehört. 

Handelt  es  sich  um  eine  fibröse  Hypertrophie,  dann  erweitert  sich  das 
Orificium  ungefähr  auf  Thalergrösse,  um  bei  Fortdauer  auch  kräftiger  Wehen, 
auf  dieser  Weite  zu  verbleiben.  Dabei  ist  der  Muttermundssaum  straff  gespannt 
und  verdickt,  sein  Gewebe  durch  den  aufdrängenden  Fruchttheil  (meist  Kopf) 
anämisirt.     Gewöhnlich  erfolgt  ein  frühzeitiger  Blasensprung. 

Bei  der  Conglutinatio  orificii  wird  der  gespannte  Cervix  tief  auf 
den  Beckenboden  herabgetrieben  und  hat  oft  zu  der  Täuschung  geführt,  dass 
es  sich  um  die  gespannte  Fruchtblase  handle.  Vor  dieser  Täuschung  wird 
man  bewahrt,  wenn  man  mit  dem  touchirenden  Finger  hoch  hinaufgeht  und 
eine  Continuität  zwischen  dem  fraglichen  Theil  und  der  Vaginalwand   findet. 

Therapie.  Die  Hilfeleistung  ist  meist  verschieden,  je  nach  dem,  um 
welche  Art  der  pathologischen  Veränderung  es  sich  handelt. 

Narbige  Stenosen  können,  wenn  dieselben  schon  in  der  Schwanger- 
schaft bemerkt  wurden,  oft  zu  der  Erwägung  führen,  ob  nicht  die  Einleitung 
einer  künstlichen  Frühgeburt  am  Platze  sei;  jedenfalls  ist  es  angezeigt,  sobald 
die  Geburt  im  Gang  ist,  eine  Zeitlang  zuzuwarten,  ob  nicht  eine  Spontandeh- 
nung erfolgt.  Geschieht  dies  nicht,  dann  muss  durch  Einschnitte  an  jenen 
Stellen,  wo  die   Spannung  am  grössten  ist,  nachgeholfen  werden. 

Bei  der  fibrösen  Hypertrophie,  ist  es  angezeigt,  bei  Zeiten  rechts 
und  links  vorne,  eventuell  auch  rückwärts  nach  vorheriger  Einstellung  des 
Operationsfeldes,  mit  einer  SiEBOLD'schen  Scheere  oder  mittelst  Knopfmesser 
ungefähr  1  cm  weit  hinaufreichende  Incisionen  zu  machen.  Während  man 
auf  diese  Weise  die  Geburt  einem  rascheren  Ende  entgegenführt,  eventuell 
mit  dem  Forceps  nachhelfen  kann  und  ein  lebendes  Kind  gewinnt,  lehrt  die 
Erfahrung,  dass  beim  Zögern  die  meisten  Kinder  zu  Grunde  gehen  und  erst 
nachdem  die  Frau  fiebert,  die  Geburt  durch  Perforation  beendigt  werden  muss. 

Bei  der  Conglutinatio  orificii  genüget  meist  die  Durchstossung 
desselben  mit  dem  Finger,  eventuell  das  Anbringen  mehrerer  kleiner  Inci- 
sionen an  dem  zarten  Orificialsaum,  worauf  bei  Gegenwart  entsprechender 
Wehen  die  Geburt  oft  überraschend  schnell  erfolgt. 

Bei  carcinomatöser  oder  syphilitischer  Induration  verhalte 
man  sich  soviel  als  möglich  zuwartend,  da  eine  blutige  Erweiterung  un- 
berechenbare Dimensionen  der  Verletzung  zur  Folge  haben  kann,  sei  aber 
auch  auf  der  Hut,  hinsichtlich  eventueller,  nach  der  Geburt  zu  gewärtigender 
Blutungen,  w^elche  oft,  wenn  die  Tamponade  zu  keinem  Ziele  führt,  eine  Naht 
der  eingeschnittenen,  beziehungsweise  weiter  gerissenen  oder  zerrissenen 
Geburtstheile  nöthig  erscheinen  lässt.  piskacek. 


RIGIDITÄT  DER  SCHEIDE  UND  VULVA.  —  RUPTUR  DER  SYMPHYSEN.      725 

Rigidität  des  ganzen  Cervix  mit  melir-  oder  mindergracligcr  Stenose  des  Cer- 
vicalcanales  kann  durch  verschiedene  Ursachen  bedingt  sein:  Carcinomatöse  Degene- 
ration, Narbenbildung  nach  Verätzungen  oder  Operation  (Amputatio  colli  etc.j,  schwere 
und  langandauernde  Entzündungen,  die  sich  auf  der  Cervicalschleimhaut  abgc.'Spielt  haben. 
Diese  Cervix-Ptigidität  und  Stenose  zeigt  sich  als  Geburtshindernis,  indem  die  Eröffnung 
des  Cervicalcanales  schwierig  vor  sich  geht  und  oft  trotz  kräftiger  Wehen  vollkommen 
unmöglich  ist.  Incisionen  nützen  nichts,  wenn  die  engen  Partien  oberhalb  des  Bereiches 
der  Vaginalportion  liegen.  Die  Indication  der  Sectio  caesarea  kommt  in  solchen  Fällen 
vorwiegend  in  Fras;e. 


der  Scheide  und  Vuiva  findet  sich  bei  alten  Primiparis 
und  verzögert  oft  bedeutend  den  Entbindungsact.  Zunächst  verhalte  man  sich 
solange  expectativ,  bis  eine  Indication  zur  Beendigung  der  Geburt  eintritt. 
Steht  der  Kopf  noch  über  dem  unteren  Scheidendrittel,  so  nehme  man  nach 
DüHESSEN  Scheidendammincisionen  vor,  Einschnitte,  bei  welchen  Con- 
strictor  eunni  und  Levator  ani  gleichzeitig  durchtrennt  werden.  Diese  Inci- 
sionen werden  mit  der  SiEBOLD'schen  Scheere  gemacht,  circa  4  cm  lang  und 
3  cm  tief.  Die  Schnittrichtung  liegt  zwischen  Anus  und  Tuber  ischii.  Oft  ge- 
nügt auch  nur  eine  einseitige  Incision  von  etwas  grösserer  Länge  (5  — Gcw). 
Der  tiefer  tretende  Kindestheil  tamponirt  provisorisch  die  blutenden  Wunden, 
welche  nach  der  Geburt  der  Placenta  vernäht  werden.  Ein  streng  antisep- 
tisches Vorgehen  ist  selbstverständliche  Bedingung  der  Operation. 

Verengerungen  der  Scheide  (Narben,  Verwachsungen  etc.),  über 
deren  Aetiologie  in  dem  betreifenden  Abschnitt  des  Artikels  „Va(/ina" 
nachgelesen  werden  möge,  geben  oft  die  schwersten  Geburtshindernisse  ab,  so 
dass  bei  dem  Vorsatze,  das  Kind  lebend  zu  Tage  zu  fördern,  der  Kaiserschnitt 
nothwendig  wird  und  ob  dieser  Indication  auch  schon  wiederholt  ausgeführt 
wurde,  andernfalls  aber  nur  die  Extraction  der  perforirten  Frucht  übrig  bleibt. 

Narbige  Stenosen  der  Vulva  und  Verengerungen  der  Vulva 
durch  bei  früherem  Anlasse  künstlich  construirte  Dammbildung 
fordern  oft  gleichfalls  ein  operatives  Eingreifen,")  um  den  Austritt  des  Kindes 
zu  ermöglichen. 

Atresia  hymenalis  bildet  bei  der  Geburt  ein  Hindernis,  wenn  die 
Schamspalte  sich  auszudehnen  beginnt  und  die  vordringende  Fruchtblase  die 
widerstandsfähige  Hymenalmembran  nach  vorne  stülpt.  Ahlfeed  hat  einen 
Fall  beschrieben  und  abgebildet,  wo  bei  einer  Gebärenden,  die  schon  durch 
mehrere  Stunden  bemüht  war,  durch  kräftige  Anstrengungen  der  Bauchpresse 
das  atretische  Hymen  zu  dehnen,  die  Fruchtblase  stielförmig  durch  die  kleine 
Oeffnung  der  sonst  vollkommen  starren  Hymenalmembran  durchgetreten  war. 
In  solchen  Fällen  wird  deshalb  Sprengung  der  Fruchtblase  und  Anlegung  von. 
tiefen  Einschnitten  ins  Hymen  den  Geburtseintritt  sofort  ermöglichen  Ist  ein 
Hymenalbalken,  der  sich  quer  über  den  Introitus  spannt,  ein  Hindernis,  so 
genügt  ein  Scheerenschlag,  um  freie  Bahn  zu  schaffen.  c.  r. 


Iw  der  Symphysen.  Die  Zerreissung  eines  oder  mehrerer  Sym- 
physengelenke  der  Beckenknochen  ist  ein  relativ  seltenes  Ereignis.  Bis  zum 
Jahre  1878  sind  nach  Ahlfeld  gerade  100  Fälle  von  Zerreissung  der 
Beckensymphysen  in  der  Literatur  verzeichnet.  Bis  zum  Jahre  1888  sind 
nach  ScHAUTA  zwölf  Fälle  hinzugekommen;  in  der  Zeit  von  1888—1894  wer- 
den über  fünfzehn  Fällen  von  Symphysenruptur  berichtet.  Die  überwiegende 
Mehrzahl  dieser  Beckengelenksrupturen  betrifit  die  Symphysis  ossiiim  puUs,  viel 
seltener  ist  die  Lockerung  oder  Zerreissung  der  Symphysis  sacroiliaca.  Gleich- 
zeitige Ruptur  beider  Gelenke  kommt  vor,  ist  aber  keineswegs  Regel. 


*)  üeber  die  Indicationen   und  Technik  der    Episiotomie  vergleiche  Artikel  „Damm- 
schutz",  pag.  192. 


726  RUPTUR  DER  SYMPHYSEN. 

Was  die  IJrsachen  von  Symphysenruptiiren  anlangt,  so  muss  zunächst 
darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  dass  eine  gewisse  erhöhte  Beweglichkeit 
der  Symphysenenden  zu  einander,  also  eine  Art  „physiologische  Lockerung  der 
Gelenksapparate"  bei  fast  jeder  Schwängern  zu  beobachten  ist.  Nach  R.  v. 
Braun's  Untersuchungen  ist  die  Erscheinung  am  ausgeprägtesten  bei  jungen 
Mehrgebärenden,  geringer  bei  alten  Mehrgebärenden  und  jungen  Erstgebärenden, 
am  geringsten  bei  alten  Erstgebärenden.  Der  Grad  der  Lockerung  geht  somit 
ziemlich  parallel  -mit  jener  der  weichen  Geburtswege,  deren  Eigidität  bei  alten 
Primiparis  bekanntlich  oft  ein  wesentliches  Geburtshindernis  bildet.  Wenn 
nun  diese  physiologische  Symphysenlockerung  einen  gewissen  Grad  über- 
schreitet, so  wird  sie  pathologisch,  wobei  als  Maass  nicht  etwa  die  Distanz 
der  Symphysenenden,  sondern  die  in  jedem  Falle  sich  zeigenden  Beschwerden 
gelten  müssen  (R.  v.  Braun).  In  einem  Falle  Gmelin's  betrug  der  Abstand 
der  beiden  Schambeinenden  von  einander  1^1^  cm,  zwischen  ihnen  befand  sich 
„ein  mit  gelbem  Serum  gefüllter  Beutel."  Hochgradige  Auflockerung  der 
Gelenke  constatirte  Gusserow  bei  einer  Graviden,  bei  der  infolgedessen  abso- 
lute Unfähigkeit  zum  Gehen  bestand.  Nach  erfolgter  Geburt  gewann  das 
Becken  seine  frühere  Festigkeit  wieder. 

Die  Auflockerung  der  Symphyse  bildet  ein  praedisponirendes,  wenn  auch 
nicht  immer  nothwendig  vorhandenes  Moment  für  die  Ruptur.  Viel  häufiger 
sind  Veränderungen  der  Beckenknochen  als  Ursachen  der  Zerreissung 
anzusehen.  Jene  Beckenformen,  bei  denen  der  quere  Beckeneingangsdurch- 
messer bedeutend  verkürzt  ist,  geben  am  meisten  Veranlassung  hiezu:  es  sind 
dies  die  allgemein  verengten  Becken  und  die  osteomalacischen 
Becken.  Beim  rachitischen  Becken  sind  die  Rupturen  viel  seltener,  was 
hauptsächlich  auf  Rechnung  des  festen  Baues  der  Gelenke,  die  gerade  bei 
rachitischen  Becken  sich  findet,  zu  setzen  ist.  Caries  und  Sarcome  der 
Beckenknochen  bieten  selbstverständlich  eine  Begünstigung  zur  Ruptur,  wie 
dies  die  Fälle  Hüter's  und  Scharf's  zeigen. 

Ein  weiteres  Moment  für  die  Zerreissung  der  Symphyse  bildet  die  „all- 
zu energisch  wirkende  Kraft  bei  der  Austreibung  der  Frucht." 
Am  häufigsten  ist  es  der  Kopf,  der  eine  Keilwirkung  entfaltet,  in  den  Fällen 
von  DüHRSSEN-AscHENBACH  uud  ZwEiFEL  warcu  es  die  Schulter  einer 
abnorm  stark  entwickelten  Frucht  (über  5  Jcg  schwer),  welche  die  Ruptur, 
nachdem  der  Kopf  schon  mittels  Forceps  extrahirt  war,  veranlassten. 

Das  bedeutungsvollste  Moment  für  die  Entstehung  der  Beckendistorsionen 
bildet  die  Zangenextraction.  Am  häufigsten  geschieht  dies  dann,  wenn 
der  Kopf  zur  Zeit  der  Anlegung  der  Zange  noch  quer  im  kleinen  Becken 
stand,  das  Hinterhaupt  dem  Kreuzbein  zugewendet.  Wird  der  Kopf  in  dieser 
Stellung  durch  den  Beckenausgang  gezogen,  wird  der  Kopf  allzusehr  gegen 
den  Schambogen  gerichtet  oder  die  Elevation  der  Zange  zu  zeitig  oder  zu 
forcirt  ausgeführt,  so  wirkt  der  Kopf  als  Keil  und  treibt  die  beiden  Scham- 
beine auseinander  (Ahlb'eld). 

Martinelli  machte  darauf  aufmerksam,  dass  auch  eine  abnorme  Combination 
gleichzeitiger  Muskelcontraction  die  Veranlassung  zur  Symphysenruptur  geben 
könne.  Wenn  nämlich  während  der  Geburt  die  MuscuU  recti  et  obliqui  abdominis  einerseits 
und  die  Adductoren  des  Schenkels  anderseits  in  Contraction  versetzt  werden,  so  kann 
durch  diese  vereinte  Muskelwirkung  eine  Ruptur  der  Symphyse  eintreten. 

Die  Symptome  der  Symphysenruptur  sind  charakteristisch  genug,  um 
bei  einiger  Aufmerksamkeit  und  Untersuchung  die  Diagnose  zu  stellen. 
Häufig  haben  die  Frauen  im  Moment  der  Ruptur  „das  Gefühl  des  Zerreissens". 
Ein  hörbarer  Krach  signalisirt  oft  direct  das  Ereignis.  Die  Schmerzen  treten 
plötzlich  ein,  massigen  sich  später  etAvas,  sind  aber  lange  anhaltend.  Patho- 
gnomonisch  ist  in  manchen  Fällen  die  Stellung  der  Füsse:  die  Oberschenkel 
sind  nach  aussen  rotirt.  Bei  höheren  Graden  von  Verletzungen  kommt  es  zu 
Blasenstörungen  (unwillkürlicher  Harnabgang,  Schmerzen  beim  Urinlassen  etc.). 


RUPTUREN  UND  USUREN  DES  UTERUS.  727 

Die  manuelle  Untersuchung  der  Gelenke  liefert  endlich  die  directen 
Beweise  für  die  eingetretene  liuptur.  Nach  Anr.FEf;D  hat  man  hicbei  folgender- 
maassen  vorzugehen:  „Man  lege  die  Daumen  auf  die  .Schamfuge,  so  dass  die 
Daumenspitzen  über  der  Schamfugenverbindung  zu  liegen  kommen  und  drücke 
abwechselnd  mit  dem  rechten  und  dem  linken  Daumen  mit  der  Kichtung  nach 
den  Oberschenkeln  hin."  Derart  prüft  man  mit  einfacher  externer  Unter- 
suchung auf  „abnorme  Beweglichkeit  und  Druckschmerzhaftigkeit,"  indem  die 
innere  Untersuchung  (per  vaginam)  oft  ganz  überflüssig  ist  und  nur  zur  Be- 
stättigung  der  Diagnose  in  zweifelhaften  Fällen  gemacht  zu  werden  braucht. 
Lieg  der  Verdacht  einer  Ruptur  der  Hüft-Kreuzbeinfuge  vor,  so 
lasse  man  die  Wöchnerin  auf  die  Seite  legen  und  drückt  die  Spina  ilei  in  die 
gegenseitige  Richtung,  um  die  beiden  Cardinalsymptome  der  Symphysen- 
trennung  (abnorme  Beweglichkeit  und  Druckschmerz)  constatiren  zu  können. 

Selten  kommt  Ruptur  der  Symphysen  im  Puerperium  zu  Stande. 
Man  sah  solche  bei  Frauen,  die  frühzeitig  das  Bett  verliessen  und  beim  ersten 
Aufstehen  die  Zeichen  der  Symphysenzerreissung  darboten.  Für  solche  Fälle 
ist  eine  gewisse  Diastase  wohl  bereits  früher  (i.  e.  intra  partum)  zu  Stande  ge- 
kommen und  hat  das  Moment  des  Aufstehens  und  Gehens  nur  die  Veran- 
lassung zur  declarirten  Zerreissung  gegeben.  Einen  typischen  Fall  dieser  Art 
beschreibt  Galvagni:  Die  Ruptur  trat  in  dem  Moment  ein,  als  die  Wöchnerin 
zwei  Tage  post  partum  vom  Bette  auf  einen  Schemel  stieg,  um  Urin  zu  lassen. 

Eine  ernste  Complication  ist  die  Vereiterung  der  rupturirten 
Symphyse,  deren  Entstehung  durch  eine  nachträgliche  Infection  in  das 
geöffnete  Gelenk  zu  erklären  ist.  Eine  derartige  „Symphysenentzündung  und 
Vereiterung"  kann  auch  metastatisch  erfolgen  und  gehört  in  die  Reihe  der 
pyaemischen  Gelenksaffectionen  durch  puerperale  Infection.  Die  Lockerung, 
resp.  Trennung  der  Gelenksenden  erfolgt  dann  zuweilen  secundär,  gehört  aber 
streng  genommen  nicht  zu  den  „Rupturen",  da  hiemit  ja  immer  der  Begriff 
der  gewaltsamen  und  plötzlichen  Entstehung  verbunden  ist. 

Die  Prognose  der  einfachen  Symphysenruptur  ist  günstig,  nur  bei  der 
eben  besprochene  Complication  der  nachträglichen  Entzündung,  resp.  Verei- 
terung wird  sie  ernst.  Dühessen  meint  auch  in  solchen  Fällen  eine  gute 
Vorhersage  machen  zu  können,  wenn  die  Eiterung  eine  local  beschränkte  und 
frühzeitig  dagegen  eingeschritten  wird. 

Die  Therapie  der  Symphysem'uptur  bezweckt  eine  Immobilirung  der 
betroffenen  Gelenke,  was  am  einfachsten  durch  einen  gut  angelegten  Gyps- 
oder  blauen  Bin  den- Verband  um  das  Becken  erreicht  wird.  Statt  dessen  schlug 
Maetin  die  Application  einer  abnehmbaren  federnden  Gurtes  vor,  der  auch  in 
einigen  Fällen  Anwendung  fand.  Auf  etwaige  complicirende  Verletzungen, 
namentlich  die  Läsion  der  Blase  ist  stets  zu  achten  und  sowohl  gegen  das 
Symptom  des  Harnträufeins  als  auch  der  Harm^etention  entsprechend  vorzu- 
gehen. Bei  constatirter  Symphysenvereiterung  ist  Incision  möglichst  frühzeitig 
vorzunehmen.  Bei  Symphysenruptur,  die  sofort  nach  Eintritt  constatirt  wird, 
hat  DüHRSSEN  Anlegen   einer  Naht  vorgeschlagen,  c.  e. 

Rupturen  und  Usuren  des  Uterus.  Unter  Ruptur  des  Uterus 
versteht  man  Continuitätstrennungen,  welche  im  Bereiche  des  Corpus  und 
Cervix  uteri  während  der  Gebmt  auftreten  und  mit  dem  Gebm'tsacte  selbst 
in  ursächlichem  Zusammenhange  stehen.  Fälle  von  wahrer  Ruptur  des  Uterus 
während  der  Schw^angerschaft  kommen  kaum  je  vor.  Durch  die  Art  der  Ent- 
stehung von  den  Rupturen  wesentlich  zu  unterscheiden  sind  die  Usuren 
des  Uterus,  welche  ebenfalls  als  ein  Geburtstrauma  aufzufassen  sind.  Die 
Rupturen  des  Uterus  müssen  wir  zunächst  in  spontane  und  in  artificielle 
oder  violente  eintheilen.  Bandl  ist  es,  der  vor  nunmehr  fast  20  Jahren  die 
Lehre  von  der  Mechanik  der  Uterusruptur  auf  wissenschaftliche  Basis  gestellt; 


728  RUPTUREN  UND  USÜREN  DES  UTERUS. 

er  wies  nacli,  dass  es  die  eigentliümlichen  anatomischen  Verlicältnisse  am 
Corpus  und  Cervix  uteri  seien,  welche  bei  vorhandenen  disponirenden  Momen- 
ten den  Eintritt  der  Ruptur  begünstigen.  Wir  wissen  ja,  dass  das  Corpus 
uteri  nicht  dieselbe  Bauart  zeigt  wie  der  Cervix,  dass  während  bei  Erstereni 
die  musculösen  Elemente  den  Hauptantheil  der  Gewebe  darstellen,  die  Muskel- 
fasern im  Bereiche  des  Cervix  weiter  in  den  Hintergrund  treten  gegenüber 
den  elastischen  Fasern.  Das  prägt  sich  auch  bei  jeder  normalen  Geburt  aus; 
während  die  Wandung  des  Uteruskörpers  bei  der  Geburt  active  Contractionen 
zeigt,  finden  wir  an  der  Wandung  des  Cervix  passive  Dehnung,  ja  die  Con- 
tractionen der  Muskelelemente  des  Uteruskörpers  haben  die  Erweiterung  des 
Cervix  nicht  blos  auf  mechanischem  Wege  zur  Folge,  dadurch,  dass  der 
Inhalt  der  Uterushöhle  durch  die  sich  contrahirenden  Uterusmuskeln  unter 
einen  ausserordentlich  erhöhten  Druck  gestellt,  nach  der  Gegend  des  gering- 
sten Widerstandes  auszuweichen  versucht,  gegen  den  Cervix  vordringt  und 
denselben  somit  allmählich  dilatirt ;  vielmehr  reichen  die  Contractionen  des  Ute- 
rus allein  schon  hin,  eine  Erweiterung  des  Cervix  im  gewissen  Sinne  zu  Stande 
kommen  zu  lassen,  wie  wir  dies  in  Fällen  von  Extrauterin-Schwangerschaft 
finden,  wo  am  Schlüsse  der  Schwangerschaft  Contractionen  des  Uterus  auf- 
treten, welche  eine  Erweiterung  des  Cervicalcanales  soweit  zur  Folge  haben, 
dass  der  untersuchende  Finger  bequem  in  die  leöre  Uterushöhle  eindringen 
kann. 

Wir  müssen  demgemäss  annehmen,  dass  bei  der  normalen  Geburtsthätig- 
keit  jede  Contraction  des  Uterusmuskels  zur  Entfaltung  des  Collum  uteri  beiträgt; 
hiebei  erfolgt  eine  Spannung  im  Sinne  der  queren  wie  der  sagittalen  Rich- 
tung, mit  anderen  Worten,  es  wird  sowohl  das  Lumen  des  Cervicalcanales 
grösser,  als  auch  seine  Länge  bei  Andauer  der  Geburt  zunimmt  durch  die 
stärkere  Längsspannung  der  Gewebselemente.  Es  scheint  aber  nach  den 
neuesten  Untersuchungen  zumindest  als  Avahrscheinlich,  dass  eine  Art  Ueber- 
gang  in  der  Texturverschiedenheit  zwischen  Corpus  und  Cervix  uteri  in  einem 
Abschnitte  sich  findet,  welcher  den  untersten  Antheil  des  Corpus  darstellend 
und  bis  zur  Höhe  des  Orificium  internum  reichend  als  unteres  Uterin- 
segment bezeichnet  wird,  so  dass  der  Hauptantheil  an  jenem  Stücke  des 
Geburtsschlauches,  welches  vornehmlich  der  Dehnung  und  Entfaltung  unter- 
worfen ist,  dem  unteren  Uterinsegmente  zukäme  im  Widerspruch  mit  der 
Ansicht  anderer  Autoren,  welche  das  Vorhandensein  eines  unteren  Uterin- 
segmentes leugnen  und  annehmen,  dass  der  Cervix  uteri  allein  an  den  erwähn- 
ten Vorgängen  sich  betheilige.  Thatsache  ist  es,  dass  die  Grenze  des  activ 
contrahirten  Uteruskörpers  gegenüber  dem  passiv  gedehnten  Gewebe  des  unteren 
Uterinsegmentes  und  des  Cervix  einer  Stelle  entspricht,  welche  an  der  Aussen- 
seite  des  Uterus  mit  der  Grenze  der  lockeren  Anheftung  des  Peritoneums 
correspondirt.  Würde  man  den  unter  dieser  Bogenlinie  befindlichen  Antheil 
noch  dem  Cervix  zurechnen,  so  müsste  die  erwähnte  Grenzlinie  im  Innern 
des  Uterus,  dem  Orificium  uterinum  internum  entsprechen;  rechnen  wir  jedoch 
den  erwähnten  Uterusabschnitt  dem  Corpus  zu,  indem  wir  es  als  unteres 
Uterinsegment  bezeichnen,  so  muss  die  erwähnte  Grenze,  welche  sich  an  dem 
frisch  entbundenen  contrahirten  Uterus  als  wulstiger  Vorsprung  an  der  Innen- 
fläche repräsentirt,  mit  Schröder  als  ein  Contractionsring  bezeichnet  werden, 
•welcher  um  die  Höhe  des  unteren  Uterinsegmentes  über  dem  inneren  Mutter- 
munde gelegen  wäre.  Wenn  sich  nun  während  der  Geburtsthätigkeit  dem 
Austritte  der  Frucht  im  Bereiche  des  Beckencanales  ein  Hindernis  entgegen- 
stellt, welches  durch  die  andauernde  Uterusmuskelthätigkeit  nicht  überwunden 
werden  kann,  so  wird  bei  weiterer  Fortdauer  der  Contractionen  des  Uterus 
die  Folge  die  sein,  dass  der  sich  immer  mehr  contrahirende  Uteruskörper  sich 
über  den  Fruchtkörper  zu  retrahiren  sucht,  ihn  aus  seiner  Höhle  ausstösst, 
ohne  dass  dabei  der  Fruchtkörper  nach  abwärts  zu  in  den  Beckencanal  irgend 


RUPTUREN  UND  USüREN  DES  UTERUS.  729 

•welche  Fortschritte  machen  könnte.  Die  Folge  dessen  ist,  dass  die  Wandung 
des  unteren  Uterinsegmentes  und  des  Ccrvix  einer  ausserordentlichen  Spannung 
unterworfen  wird,  welche  bei  jeder  Wehe  sowohl  in  querer  wie  in  sagittaler 
Bichtung  gesteigert  wird.  In  Consequenz  dessen  muss  die  unter  solcher 
Spannung  stehende  Wand  eine  wesentliche  Abnahme  ihres  Dickendurch- 
messers erfahren,  und  wir  finden  unter  solchen  Umständen  den  Fruchtkörper 
aus  der  Uterushöhle  allerdings  ausgetreten,  jedoch  in  der  Höhle  des  papier- 
dünnen unteren  Uterinsegmentes  und  des  Cervicalcanales  liegend,  so  dass 
man  die  einzelnen  Fruchttheile  wie  unmittelbar  unter  der  Bauchdecke  liegend 
palpiren  kann.  Der  Uteruskörper  stellt  dabei  eine  harte,  stark  contrahiite 
Kugelkappe  dar,  die  hoch  oben  dem  Fruchtkörper  aufsitzt.  Die  Grenze  zwischen 
dem  stark  contrahirten  und  dicken  Mantel  des  Uteruskörpers  und  der  in  die 
Länge  gezogenen,  ausserordentlich  verdünnten  Wandung  des  unteren  Uterin- 
segmentes stellt  an  der  Aussenseite  des  Uterus  eine  Furche  dar,  welche  durch 
die  Bauchdecken  deutlich  sichtbar  quer  oder  schräg  über  die  vordere  Bauch- 
wand zu  verfolgen  ist,  an  der  Innenfläche  des  Uterus  dem  erwähnten  Con- 
tractionsring  entspricht  und  als  BANDL'sche  Furche  bezeichnet  wird.  Je  höher 
oben  gegen  den  Nabel  oder  oberhalb  des  Nabels  diese  Furche  verläuft,  umso 
stärker  muss  die  Dehnung  und  Entfaltung  des  unteren  Uterinsegmentes  sein, 
umsomehr  muss  sich  der  Uteruskörper  retrahirt  haben.  Es  ist  daher  das 
Auftreten  der  BANDL'schen  Furche  eines  der  wichtigsten  Symptome,  welche 
uns  die  Gefahr  des  Eintrittes  einer  Ruptur  anzeigen  und  uns  zwingen,  durch 
rasches  und  zielbewusstes  Handeln  die  Entbindung  in  einer  Weise  zu  leiten, 
dass  der  gefürchtete  Eintritt  der  Uterusruptur  vermieden  werde,  denn  es 
bedarf  nur  noch  einer  kleinen  Steigerung  der  fortdauernden  Contraction  des 
Uterus,  und  die  nächste  Folge  wird  die  sein,  dass  der  massive  Uteruskörper 
sich  von  dem  verdünnten  unteren  Uterinsegmente  abtrennt  und  somit  die 
Uterus-Ruptur  perfect  wird. 

In  solchen  Fällen  ist  in  der  Regel  der  Riss  ein  querer  und  verläuft  in 
der  Höhe  des  Contractionsringes;  der  Riss  kann  dabei  in  einer  solchen  Aus- 
dehnung erfolgen,  dass  der  Uteruskörper  blos  an  einer  handbreiten  Brücke 
mit  dem  übrigen  schlaffen  Antheile  zusammenhängt.  Die  Gefahr  der  Ruptur 
des  Uterus  wird  nun  ganz  besonders  begünstigt,  w^enn  das  Geburtshindernis 
abgegeben  wird  durch  eine  fehlerhafte  Fruchtlage,  wie  sie  insbesonders  die 
vernachlässigte  oder  eingekeilte  Schulterlage  darstellt.  Denn  in  diesen  Fällen 
kommt  zu  der  Längsspannung  des  unteren  Uterinsegmentes  noch  die  ausser- 
ordentliche durch  die  Fruchtlage  bedingte  Querspannung  hinzu;  der  die  eine 
Wand  ausserordentlich  stark  vorbuchtende  kindliche  Schädel  bewerkstelligt  an 
dieser  eine  immer  stärkere  werdende  Verdünnung  der  Wand,  und  die  Ruptur 
des  Uterus  erfolgt  unter  diesen  begünstigenden  Umständen  in  der  Weise, 
dass  entw^eder  blos  ein  Längsriss  an  der  Stelle  entsteht,  wo  sich  der  kindliche 
Schädel  befunden  oder  aber  dieser  Längriss  combinirt  erscheint  mit  dem  Quer- 
risse in  der  Höhe  des  Contractionsringes.  Die  prädisponirenden  Momente  für 
die  Entstehung  der  Uterusruptur  sind  zunächst  gelegen  in  Veränderungen 
der  Uteruswandung  selbst  infolge  von  traumatischen  Verletzungen  bei  ü'üherer 
Gelegenheit  acquirirt,  geringerer  Resistenz  infolge  von  Narbenbilduugen  an 
Stellen  ehemaliger  Abscesse,  Verdünnung  der  Uteruswandung  infolge  Ein- 
lagerung multipler  Fibromknoten  und  schliesslich  Schlaffheit  des  Gewebes  im 
Bereiche  des  unteren  Uterinsegmentes  und  Cervix  bei  gleichzeitiger  H^-per- 
trophie  der  Muskelwandung  des  Corpus  uteri,  Verhältnisse,  wie  wir  sie  bei 
Frauen  antreffen,  die  bereits  zahlreiche  schwere  Entbindungen  überstanden 
haben.  Dazu  kommen  die  verschiedensten  Hindernisse,  w^elche  sich  der  Aus- 
treibung der  Frucht  entgegenstellen,  seien  sie  gegeben  durch  abnorme  Grösse 
der  Frucht  oder  einzelner  Fruchttheile  (Hydrocephalus,  Steissgeschwülste  etc.), 
Missbildungen,  fehlerhafte   Einstellungen    des   kindlichen    Schädels    in  Stirn- 


780  RUPTUREN  UND  USUREN  DES  UTERUS. 

Gesichtslage,  Vordersclieitelbein-,  Hinterscheitelbeinstellung,  Ohrlage  oder 
schliesslich  bei  Querlage,  wenn  infolge  des  Wasserabflusses  die  vorliegende 
Schulter  in  den  Beckeneingang  hinuntergetrieben  und  daselbst  eingekeilt 
wurde,  ehe  die  Wendung  auf  den  Fuss  ausgeführt  worden  ist.  Am  häuflgsten 
linden  wir  ferner  Verengerungen  des  Beckens  entweder  allein  oder  in  Com- 
bination  mit  einem  der  früher  erwähnten  Momente. 

Auffallend  ist  es,  dass  eine  grosse  Anzahl  spontaner  Rupturen  des  Ute- 
rus bei  Frauen  beobachtet  wird,  welche  bereits  zahlreiche  Geburten  über- 
standen, und  bei  denen  man  nur  eine  massige  Verengerung  des  Beckens  con- 
statiren  kann,  ja  es  gibt  Fälle,  in  denen  die  Ruptur  des  Uterus  eintritt,  ob- 
wohl die  erste  und  zweite  Geburt  spontan  verlaufen,  die  nächsten  Kinder 
mit  der  Zange  und  Wendung  entbunden  wurden  und  bei  der  forschreitenden 
Zahl  der  Geburten  die  Hindernisse  immer  grössere  wurden,  so  dass  ein  oder 
das  andere  Kind  auch  perforirt  werden  musste,  bis  schliesslich  bei  der  10. 
oder  12.  Geburt  die  Ruptur  des  Uterus  eintrat.  Es  kann  da  in  solchen 
Fällen  nicht  die  Grösse  des  räumlichen  Missverhältnisses  allein  sein,  die  zur 
Uterusruptur  führt,  sonst  hätte  wohl  die  Ruptur  schon  bei  der  ersten  Geburt 
eintreten  müssen,  wenn  wir  auch  zugeben  müssen,  dass  bei  der  steigenden 
Anzahl  der  Geburten  ein  vorhandenes,  räumliches  Missverhältnis  in  der  Regel 
zu  immer  schwereren  Ereignissen  führt  deshalb,  weil  erfahrungsgemäss  die 
Kinder  wiederholter  Schwangerschaft  immer  grösser,  ihre  Schädel  immer 
härter  und  unnachgiebiger  werden.  Es  steigert  sich  daher  die  Grösse  des 
räumlichen  Missverhältnisses  von  Geburt  zu  Geburt;  dabei  treten  aber  all- 
mählig  Veränderungen  in  der  Bauart  des  Uterus  ein,  welche  die  Disposition 
für  die  Entstehung  der  Uterusruptur  abgeben.  Die  ersten  Geburten  hatten 
infolge  eines  wenn  auch  geringen  räumlichen  Missverhältnisses  eine  erhöhte 
Muskelarbeit  des  Uterus  zur  Folge,  die  sich  in  einer  bleibenden  Hypertro- 
phia  der  Muskelelemente  äussert,  wobei  das  untere  Uterinsegment  und  der 
Cervix  infolge  der  jedesmaligen  Dehnung  eine  grössere  Schlaffheit  bewahren. 
Je  mehr  Geburten  nun  folgen,  um  so  mehr  steigert  sich  dieses  Missverhält- 
nis,  der  Uteruskörper  erscheint ,  hypertrophisch,  das  untere  Uterinsegment 
und  der  Cervix  immer  schlaffer,  die  Folge  ist  dann,  dass  bei  Beginn  jener 
unglückseligen  Geburt,  in  deren  Verlauf  die  Ruptur  eintrat,  schon  bei  den 
ersten  Wehen  das  untere  Uterinsegment  und  das  Collum  eine  Entfaltung  er- 
fahren, deren  Steigerung  im  Verlaufe  der  Geburt  ohne  schwere  Gefahren  kaum 
mehr  denkbar  ist,  und  dennoch  muss  diese  Steigerung  eintreten,  da  ja  das 
räumliche  Missverhältnis  wieder  ein  grösseres  geworden  ist;  und  ist  dann  zu- 
fällig die  Einstellung  des  grossen,  harten,  kindlichen  Schädels  vielleicht  keine 
ganz  günstige,  so  wird  unter  den  schon  oben  erwähnten  Verhältnissen  die 
Uterusruptur  eintreten.  Wir  finden  in  solchen  Fällen  am  Secirtische  die 
Wandung  des  Uterusmuskels  sehr  verdickt,  oft  6—ß  cm  im  Durchmesser, 
während  die  Wandung  des  unteren  Uterinsegmentes  und  des  Cervix  kaum 
mehrere  Millimeter  im  Dickendurchmesser  besitzt.  Je  nachdem  ob  bei  einer 
solchen  Ruptur  sämmtliche  Schichten  der  Wandung  betroffen  sind,  oder  ob 
blos  die  Wandungen  bis  auf  die  Serosa  vom  Risse  durchsetzt  sind,  theilen 
wir  die  Rupturen  ein  in  complete  und  incomplete,  im  ersteren  Falle  ist 
die  Ruptur  eine  penetrirende,  es  entsteht  eine  freie  Communication  des 
Geburtschlauches  mit  der  Peritonealhöhle,  durch  welche  die  Frucht  oder  die 
Placenta  in  die  freie  Bauchhöhle  austreten,  im  letzteren  Falle  scheidet  oft 
blos  nur  die  dünne  Schichte  des  weit  abgehobenen  Peritoneum  _  den  Frucht- 
körper von  den  Därmen  und  durch  eine  ungeschickte  Manipulation  kann  die 
bisher  incomplete  Ruptur  zu  einer  completen,  penetrirenden  gemacht  werden. 
Die  artificielle  Ruptur  des  Uterus  entsteht  durch  irrationelle  ärztliche  Ein- 
griffe und  wird  umso  leichter  entstehen,  wenn  prädisponirende  Momente  für 
den  Eintritt  der  Uterusruptur  vorhanden  sind. 


RUPTUREN  UND  USUREN  DES  UTERUS.  731 

Die  meisten  artificiellen  Ituptnren  des  Uterus  kommen  zu  Stande,  bei 
ungeschickt  ausgeführter  Wendung.  Wir  wissen,  dass  in  solchen 
Fällen  von  Dehnung  das  untere  Uterinsegment  und  das  Collum  derart  gespannt 
sind,  dass  die  durch  das  Einführen  der  Hand  des  Operateurs  gesteigerte 
Spannung  bereits  den  Eintritt  der  liuptur  herbeiführen  kann,  und  so  ist  es 
klar,  dass  in  einem  solchen  Falle  jeder  Eingriff  verboten  ist,  welcher  etwas 
Anderes  erzielt  als  eine  momentane  Entlastung  der  stark  verdünnten  Wandung 
des  unteren  Uterinsegmentes  und  des  Collum. 

Die  Verletzungen,  welche  durch  die  Entstehung  einer  Uterusruptur 
verursacht  werden,  sind  verschieden  je  nach  dem  Sitze,  der  Form  und  der 
Grösse  des  entstandenen  Risses.  So  finden  wir  in  einzelnen  Fällen  von  in- 
completer  Ruptur  nicht  einmal  besonders  heftige  Blutungen  auftreten,  so  dass 
die  stattgehabte  Verletzung  ohne  irgend  welche  besondere  Folgeerscheinungen 
verläuft.  In  anderen  Fällen  kommt  es  jedoch  bei  incompleten  Rupturen  zu 
tödtlichen  Blutungen,  wenn  grössere  Gefässe  in  den  Riss  mit  einbezogen 
sind,  oder  es  bilden  sich  grosse,  sich  weit  verbreitende  subperitoneale  Hä- 
matome unter  dem  weit  abgehobenen  Peritoneum  des  Ligamentum  latum. 
Die  Hauptgefahr  für  die  Kranke  liegt  jedoch  nicht  in  der  Blutung  aus  dem 
Risse,  sondern  vielmehr  in  der  Infection  der  peritonealen  Höhle.  Von  dem 
aseptischen  Verlaufe  der  Geburt  hängt  in  der  That  der  weitere  Wundverlauf 
in  der  Regel  ab.  Ist  die  Ruptur  schon  vor  der  Entbindung  constatirt,  so 
wird  die  Wahl  des  vorzunehmenden  geburtshilflichen  Eingriffes  beeinflusst 
werden  von  der  Fruchtlage,  von  der  Grösse  des  räumlichen  Missverhältnisses 
und  von  dem  Verhältnisse  des  Fruchtkörpers  zu  der  Rissstelle.  So  werden 
wir  bei  einer  eingekeilten  Schulterlage  einzig  und  allein  an  die  Decapitation 
zu  denken  haben,  während  bei  einer  Schädellage  die  Zange,  Craniotomie  oder 
Sectio  caesarea  je  nach  den  individuellen  Verhältnissen  in  Frage  kommen 
wird,  stets  ist  jedoch  die  Wendung  contraindicirt,  wenn  es  sich  um  eine  ein- 
getretene oder  auch  nur  drohende  Ruptur  des  Uterus  handelt.  Ist  die  Frucht 
durch  die  Rissstelle  vollständig  oder  auch  nur  theilweise  in  die  Bauchhöhle 
ausgetreten,  so  würden  wir  eine  Entbindung  per  vias  naturales  nicht  em- 
pfehlen, da  durch  die  vorzunehmende  Manipulation  und  das  Zurückziehen  des 
Rumpfes  durch  die  Rissstelle  in  den  Geburtsschlauch  hinein  der  Riss  er- 
weitert und  die  Wundverhältnisse  ungünstiger  gestaltet  werden.  Es  ist  daher 
in  solchen  Fällen  am  zweckmässigsten,  die  Laparotomie  auszuführen,  das 
Kind  durch  die  Bauchwand  zu  entwickeln,  und  je  nach  dem  Grade  und  Sitze 
der  Verletzungen  entweder  die  Wundstelle  vollständig  zu  vernähen  oder  aber, 
wenn  nothwendig,  den  Uterus  zu  entfernen  durch  die  supravaginale  Ampu- 
tation mit  extra-  oder  retroperitonealer  Stumpfversorgung.  War  die  Entbin- 
dung auf  dem  natürlichen  Wege  erfolgt,  so  wenden  wir  auch  bei  completen 
Rissen,  wenn  nicht  eine  abundante  Blutung  uns  zur  Vornahme  der  Laparo- 
tomie zwingen  würde,  die  Tamponade  und  Drainage  des  Risses  gegen  die 
Vagina  hin  an.  Hiebei  wird  zunächst  die  Uterushöhle  tamponirt,  der  Tampon 
zur  Scheide  herausgeleitet  und  nunmehr  ein  drainirender  Gazestreifen  von 
der  Vulva  aus  locker  in  das  Wundbett  gestopft.  In  solchen  Fällen  hat  die 
Laparotomie  keinen  besonderen  Zweck,  denn  ist  die  Blutung  keine  zu  starke, 
so  wird  die  Heilung  eintreten,  solange  die  Aseptik  nicht  gestört  ist.  Die 
Verhältnisse  liegen  daher  für  die  Tamponade  ebenso  günstig  wie  für  die 
Ausführung  der  Laparotomie.  Der  tamponirte  Uterus  wird  durch  einen  Com- 
pressivverband  nach  abwärts  gedrängt,  und  daher  die  zwei  Risswundränder  ein- 
ander näher  gebracht.  Nach  Verlauf  von  zwei  Tagen  kann  man  die  Tampons 
allmählig  entfernen  und  beginnt  vom  achten  Tage  an  mit  Ausspülung  unter 
massigem  Drucke.  Je  weiter  die  Kenntnisse  in  der  Geburtshilfe  Verbreitung 
finden,  um  so  seltener  werden  wir  in   die  Lage  kommen,  eine  Uterusruptur 


732  SALPINGITIS. 

ZU  constatiren,  weil  durch  sorgfältige  und  vorschriftsmässige  Beobachtung 
der  Gebärenden  oft  genug  der  Eintritt  der  Ruptur  verhindert  werden  kann. 
Die  Usur  des  Uterus  entsteht  direct  durch  lang  andauernden  Druck, 
welchem  die  Cervixwand  durch  harte  Fruchttheile  gegen  den  unnachgiebigen 
knöchernen  Beckenring  ausgesetzt  ist.  So  finden  wir  Usuren  bei  Erstgebären- 
den und  hochgradig  verengten  Becken  eintreten,  wenn  nicht  rechtzeitig  die 
Entbindung  auf  kunstgemässe  Weise  vollzogen  wird.  Wenn  bei  verstrichenem 
Muttermund  der  kindliche  Schädel  noch  immer  im  Beckeneingange  eingekeilt 
oder  mit  einem  kleinen  Segmente  in  denselben  eingepresst  ist,  so  wird  es 
allmählig  zur  Durchreibung  der  Cervixwand  kommen  insoweit,  als  die  vor- 
dere Wand  gegen  die  Symphyse  oder  die  hintere  Wand  gegen  das  Promon- 
torium gepresst  wird.  Eine  derartige  Usur  entsteht  demgemäss  nicht  durch 
die  Eigenthätigkeit  der  Uterusmusculatur,  sondern  kommt  mechanisch  durch 
den  lang  andauernden  Druck  zu  Stande,  ihr  Sitz  ist  auch  demgemäss  ein 
anderer  wie  bei  der  Ruptur.  Wir  finden  sie  entweder  blos  an  der  vorderen 
oder  hinteren  Cervixwand,  sie  entspricht  nicht  der  Höhe  des  Contractions- 
ringes,  sondern  findet  sich  im  Bereiche  der  Cervixwandung  entsprechend  der 
Höhe  der  knöchernen  Beckenwand.  Auch  hier  kommt  es  in  der  Regel  zur 
Communication  mit  der  freien  Bauchhöhle,  und  sind  Verletzungen  infolge 
der  Mitbetheiligung  der  Blase  und  des  ungünstigen  Sitzes  der  Verletzungen 
oft  von  bedrohlicheren  Folgen  begleitet  wie  bei  Ruptur  des  Uterus.  Wenn 
demgemäss  durch  die  Vervollkommnung  der  Antiseptik  und  der  Aseptik  die 
Heilungserfolge  nach  einer  Ruptur  oder  Usur  des  Uterus  wesentlich  besser 
geworden  sind  als  sie  je  waren,  so  muss  andererseits  dennoch  unser  Haupt- 
augenmerk darauf  gerichtet  sein,  das  Zustandekommen  einer  Uterusruptur 
oder  Usur  zu  verhüten,  und  das  wird  bei  sorgfältiger  Beobachtung  des  Geburts- 
falles leicht  möglich  sein.  k.  a.  herzfeld. 

Salpingitis.  Unter  Salpingitis  versteht  man  die  Entzündung  der  Ei- 
leiter. Für  die  primären  entzündlichen  Erkrankungen  der  Tube  haben  wir 
fast  gar  keine  Anhaltspunkte;  wir  sehen  die  Salpingitis  vielmehr  als 
Folge  von  uterinen  oder  ovarialen  oder  peritonealen  Affec- 
tionen  auftreten. 

Vom  Peritoneum  her  beginnt  die  Erkrankung  einmal  bei  acuten  In- 
fectionsk  rank  helfen,  wie  Scharlach.  So  treffen  wir  gar  nicht  selten 
bei  Erwachsenen  auf  Residuen  einer  alten  Salpingitis  oder  Perisalpingitis.  Die 
Patienten  sind  erstaunt,  wenn  man  sie  demgemäss  ausforscht.  Erst  auf  Be- 
fragen der  Eltern  erfährt  man  dann,  dass  sich  in  der  Kindheit  im  Anschluss 
an  Scarlatina  eine  „Unterleibsentzündung"  entwickelt  hatte. 

Bei  Typhus  wandern  die  Streptococcen  wahrscheinlich  von  den  Darm- 
geschwüren, die  ja  theilweise  tief  die  Intestinal  wand  zerfressen,  über. 

Nicht  selten  findet  man  auch  bei  circumscripten  oder  allgemeinen 
Peritonitiden,  wenn  sie  nicht  zum  Verschluss  des  Ostium  abdominale  geführt 
haben,  die  Tubenschleimhaut  des  abdominalen  Endes  entzündet. 

Unstreitig  aber  bilden  die  Entzündungen  des  Uterus  die  Hauptquelle 
für  die  Entzündungen  der  Eileiter.  Jedenfalls  finden  wir  in  der  Regel  die  Tuben 
nicht  allein  erkrankt,  sondern  die  benachbarten  Genitalorgane  zeigen  die  ana- 
logen pathologisch-anatomischen  Veränderungen.  Für  den  Uterus  hat  A.  Martin 
nachgewiesen,  dass  unter  287  Fällen  von  tubarer  Erkrankung  bei  mehr  als 
2/3  die  Schleimhaut,  das  Parenchym  oder  das  Perimetrium  pathologisch 
afficirt  war. 

Der  Weg,  auf  welchem  die  Entzündung  von  der  Gebärmutter  aus  nach 
den  Tuben  fortschreitet,  kann  ein  zweifacher  sein.  In  der  Regel  wird  sich 
die  Infection  —  von  Schröder  wurde  das  als  einzige  Möglichkeit  hingestellt 


SCHWANGERSCHAFT.  733 

—  wohl  per  continuitatem  auf  dem  Wege  der  Mucosa  entfalten, 
mag  es  sich  mm  um  eine  specifische  oder   um  eine   andere  Infection  handeln. 

Andererseits  betheiligen  sich  auch  die  Lymphbahnen  an  der  Fort- 
leitung der  Entzündungsstoffe  und  zwar  besonders  bei  bestehender  Metritis. 
Oft  aber  werden  wohl  auch  beide  Wege  zusammen  eingeschlagen  werden. 
Fast  in  der  Hälfte  der  Fälle  tritt  die  Salpingitis  beiderseitig  auf;  unter  den 
einseitigen  prävalirt  die  linke  Seite.  Bei  beiderseitigem  Bestehen  der  Erkran- 
kung braucht  die  Art  derselben  nicht  die  gleiche  zu  sein.  Wir  finden  viel- 
mehr oft  auf  der  einen  Seite  einen  blutigen  oder  serösen  Tubeninhalt,  während 
die  andere  Tube  mehr  weniger  mit  Eiter  gefüllt  ist. 

Wie  schon  gesagt,  haben  vorzugsweise  infectiöse  Processe  das  Zustande- 
kommen einer  Salpingitis  hervorgerufen.  Am  häufigsten  trifft  das  von  der 
Gon^orrhoe  ein.  Und  auf  der  Basis  dieser  Infection  kommen  fast  alle  bis 
jetzt  bekannten  und  beschriebenen  Formen  der  pathologisch-anatomischen  Er- 
krankungen der  Tuben  vor,  wie  die  Salpingitis  catarrhalis  und  Sal- 
pingitis purulenta  mit  den  verschiedensten  speciellen  Unterarten.  (Vergl. 
die  Artikel  Gonorrhoe  der  weiblichen  Genitalien''^  (Absatz  VIII.:  Salpingitis 
gonorrhoica)  und  Artikel  „Ädnexentumor"). 

Von  anderen  bis  jetzt  bekannten  Keimen,  welche  zu  einer  Salpingitis 
führen,  sind  noch  der  Tuberkelbacillus  (vergl.  Artikel  ,,Tuberculose  der  weihl. 
Genitalien"),  der  Streptococcus,  der  FßÄNKEL'sche  Pneumonie-Kapsel- 
coccus  (Zweifel)  und  in  einem  Falle  von  Zemann  auch  der  Strahlenpilz 
Actin omyces  im  Tubeneiter  nachgewiesen  worden. 

Zw^EiPEL  fand  in  Fällen,  wo  nur  der  Streptococcus  anwesend  war, 
den  Eiter  an  Farbe  und  Consistenz  ganz  verschieden  von  dem  gewöhnlich 
bei  gonorrhoischer  Salpingitis  auftretenden  und  zwar  gelb  und  dick- 
flüssig. Aber  auch  das  mikroskopische  Bild  des  Tubendurch- 
schnittes war  ein  anderes.  Die  Falten  der  Schleimhaut  springen  unver- 
sehrt in  die  Höiilung  vor.  An  keiner  Stelle  war  trotz  starkzelliger  Infiltration 
der  Falte  das  Epithel  geschwunden,  wie  man  das  bei  der  gonorrhoischen  Ent- 
zündung sieht.  Dagegen  waren  eine  grosse  Menge  kleiner  Abscesse  regellos 
zerstreut  zwischen  den  einzelnen  Muskelschichten  der  Tubenwandung  vor- 
handen. 

Zv^^EiFEL  nennt  diese  Form  Salpingitis  interstitialis  disse- 
minata und  hat  3  solcher  einschlägiger  Fälle  beobachtet.  Darunter  war  auch 
eine  Virgo  intacta,  die  vier  Jahre  vorher  Typhus  durchgemacht  hatte  und 
von  dieser  Zeit  ihre  Beschwerden  her  datirte. 

Ueber  Symptome,  Verlauf,  Diagnose  und  Therapie  vide  die 
Artikel  „Gonorrhoe"  resp.  „Tubercidose  der  weibl.  Genitalien^'-  und  ,^Adnexe7i- 
tumor. " 

BODEXSTEIN. 

Schwangerschaft.  (Symptome  und  Diagnose).  Durch  eine  Schwanger- 
schaft werden  vom  Moment  der  Befruchtung  des  Eies  bis  zur  Ausstossung  der 
Frucht  in  den  Genitalien  sowohl  wie  auch  im  gesammten  Organismus  eine 
grosse  Eeihe  von  Veränderungen  ausgelöst.  Soweit  dieselben  der  Schwanger- 
schaft eigenthümlich  sind,  finden  sie  als  „Schwangerschaftszeichen" 
diagnostische  Verwerthung.  Ein  Theil  dieser  Veränderungen  kommt  der  Frau 
selbst  zum  Bewusstsein,  „subjective  Schwangerschaftserscheinun- 
gen;" ein  anderer  Theil  derselben  kann  nm^  durch  eine  schulgerechte  Unter- 
suchung nachgewiesen  werden  „objective  Schwangerschaftserschei- 
nungen." 

Bezüglich  der  diagnostischen  Werthigkeit  der  einzelnen  Erscheinungen 
unterscheidet  man  1.  muthmaassliche,  2.  wahrscheinliche,  3.  sichere 
Zeichen. 


734  SCHWANGERSCHAFT. 

Zu  den  mut  hm  aas  suchen  Zeichen  gehören  diejenigen  Verän- 
derungen, welche  auf  reflectorischem  Wege  als  der  Ausdruck  veränderter  Ner- 
venthätigkeit  sich  äussern,  wie  Uebelkeit,  Erbrechen,  Schwindel,  Kopf-  und 
Zahnschmerzen,  Ziehen  in  den  Brüsten,  Pigmentationen;  oder  welche  mecha- 
nisch, durch  den  Druck  des  vergrösserten  Uterus  erregt  werden,  wie  Urin- 
beschwerden, Varices  u.  a.  Da  dieselben  vornehmlich  subjective  Erscheinun- 
gen sind,  keineswegs  constant  auftreten,  durch  andere  Störungen  oder  Erkran- 
kungen ebenso  hervorgerufen  werden  können,  so  haben  sie,  namentlich  wenn 
nur  vereinzelt  zur  Beobachtung  kommend,  nur  einen  sehr  beschränkten,  diag- 
nostischen Werth.  Nur  insoferne  diese  Zeichen  zu  allererst  die  Vermuthung 
einer  vor  Kurzem  erfolgten  Conception  wachrufen,  kommt  ihnen  namentlich 
bei  Mehrgebärenden,  die  ihren  Zustand  aus  eigenen  früheren  Erfahrungen  zu 
beurtheilen  verstehen,  eine  gewisse  diagnostische  Bedeutung  zu.  Es  giebt 
Frauen,  welche  wenige  Tage  nach  der  Conception  aus  diesen  Zeichen  mit 
Bestimmtheit  den  Beginn  einer  neuen  Schwangerschaft  erkennen.  In  zweifel- 
haften Fällen  gelten  sie  als  werthlos,  namentlich  dann,  wenn  der  sehnliche 
Wunsch  nach  Schwangerschaft  diese  mit  Spannung  erwarteten  Zeichen  auslöst. 

Die  unsicheren  Schwangerschaftszeichen  sind: 

1.  Das  Ausbleiben  der  Menstruation. 

2.  Verfärbung  und  Auflockerung  der  Vulva  und  Vagina. 

3.  Vergrösserung  und  iveiche  Consistenz  des  Uterus  {supravaginale  Auf- 
lockerung, Hegar.) 

4.  Utering eräuscM. 

5.  Grösserwerden  der  Brüste  und  Auftreten  von  Colostrum. 

6.  Pigmentation  der  Linea  alba  und  des  Warzenhofes  (secundäre  Areola). 

7.  Auftreten  von  Striae  am  Abdomen,   Oberschenkel.,  eventuell  Brüsten. 

In  ihrer  Combination  deuten  diese  Zeichen  mit  allergrösster  Wahrschein- 
lichkeit auf  eine  Schwangerschaft  hin,  zumal  ja  die  meisten  derselben  objectiv 
nachweisbar  sind.  Sie  haben  für  Primigravidae  eine  grössere  Bedeutung  als 
für  Plurigravidae,  da  ein  Theil  derselben  längere  Zeit  nach  Ablauf  einer 
Schwangerschaft  persistiren  kann. 

1.  Das  Ausbleiben  der  Menstruation  ist  das  Signal  für  stattgehabte  Con- 
ception. Bei  Frauen  im  geschlechtsreifen  Alter  und  im  Geschlechtsverkehr 
ist  dieses  Symptom  äusserst  zuverlässig,  sofern  dieselben  gesund  sind  und  in  der 
vorangegangenen  Zeit  regelmässig  menstruirt  waren.  Dabei  ist  aber  folgendes 
zu  beachten. 

a.  Es  kann  Schwangerschaft  bestehen,  ohne  dass  die  Periode  ausgeblieben 
ist.  Nicht  selten  tritt  die  Menstruation  ein  oder  mehrere  Male  in  der 
Schwangerschaft  auf,  manchmal  besteht  sogar  bis  zum  Ende  der  Gravidität 
regelmässige  Periode. 

b.  Es  kann  eine  Frau  in  der  Pubertät  oder  z.  B.  nach  einer  Lactations- 
periode  gravida  werden,  ohne  dass  sie  je  oder  in  der  letzten  Zeit  menstruirt 
gewesen  wäre,  dann  fehlt  natürlich  ebenfalls  dieses  Schwangerschafts- 
zeichen. 

c.  Bei  jungen  Mädchen  sowohl  wie  bei  Frauen  kann  die  Periode  patho- 
logischer Weise  aus  mancherlei  anderen  Gründen  ausbleiben.  Von  Krank- 
heiten seien  als  typisch  in  dieser  Beziehung  genannt:  Chlorose,  Anämie, 
Adipositas,  ausserdem  irgend  welche  acute  oder  chronische  Erkrankungen,  wie 
Typhus,  Pneumonie,  Tuberkulose,  Carcinom,  Kystom.  Endlich  vermögen  psy- 
chische Affecte  eine  Suppresio  mensium  zu  veranlassen,  Schreck,  Trauer, 
eingebildete  bez.  gefürchtete  Schwangerschaft. 

Bei  Verwerthung  des  Ausbleibens  der  Menstruation  als  Schwanger- 
schaftszeichen ist  somit  Vorsicht  geboten.  Unter  Berücksichtigung  dieser  Um- 
stände bleibt  aber  dieses  Zeichen  eines  der  frühesten  und  werthvollsten. 


SCHWANGERSCHAFT.  735 

2.  Verfärbung  und  Auflockerung-  der  Vulva  und  Vagina  ist  Folge  des 
durch  Schwangerschaft  erregten  beträchtlichen  Aftiuxus  von  Jilut  und  weiterhin 
e-iner  Stauungshyperaeinie.  Die  vermehrte  Succulenz  ruft  eine  Quellung  der 
Schleimhaut  hervor,  die  Gefässe,  namentlich  Venen,  sind  erweitert,  strotzend 
gefüllt,  das  Blut  Kohlensäureüberladon,  daher  die  „bläuliche"  Verfärbung. 
Dies  Zeichen  ist  erst  in  der  2.  Hälfte  der  Schwangerschaft  prägnant. 

3.  Vergrösserung  und  weiche  Consistenz  des  Uterus  wird  erst  vom  Ende 
des  2.  oder  Anfang  des  3.  Schwangerschaftsmonats  ab  wahrnehmbar.  Wich- 
tiger als  die  ja  an  sich  individuell  sehr  schwankende  Grösse  des  Uterus,  ist 
die  Beachtung  der  Consistenz,  da  die  der  Schwangerschaft  eigene  Weichheit 
des  Organes  bei  Tumorenbildung  nicht  vorkommt.  Als  besonders  verwerthbar 
gilt  auch  Consistenzwechsel,  indem  der  Uterus  auf  den  Reiz  der  palpirenden 
Hand  mit  einer  leichten  Contraction  antwortet.  Als  ein  frühzeitiges  und 
werthvolles  Zeichen  ist  ferner  von  Hegar  die  Zusammendrückbarkeit  des  unteren 
Uterinsegmentes  erkannt  worden.  "'•) 

Durch  combinirte  Untersuchung  kann  man  eine  hochgradige  Verdünnung 
des  unteren  Theiles  des  Uterus,  soweit  derselbe  noch  nicht  vom  Ei  einge- 
nommen ist  und  dicht  über  dem  Ansatz  des  Scheidegewölbes  liegt,  fühlen.  In 
der  späteren  Zeit  der  Schwangerschaft  gibt  die  Grösse  des  Uterus  zugleich 
einen  Anhaltspunkt  für  die  Zeitbestimmung. 

4.  Uteringeräusche  sind  in  den  grösseren  Gefässtämmen  entstehende 
sausende  Blutgeräusche,  w^elche  bei  Auscultation  des  Abdomens  mit  dem  Ste- 
thoscop  leicht  wahrnehmbar  sind. 

5.  Grösserwerden  der  Brüste  und  Auftreten  von  Colostrum  ist  bei  Nulli- 
parae  ein  äusserst  werthvolles,  wenn  auch  sogar  hier  nicht  ganz  zuverlässiges 
Zeichen,  da  auch  durch  Tumoren  Entwicklung  von  Uterus  z.  B.  bei  Fibroiden 
eine  Secretion  der  Brustdrüse  erregt  werden  kann.  Bei  Frauen,  die  geboren 
haben,  ist  das  Zeichen  fast  ganz  werthlos,  da  nach  einer  Geburt  Jahre,  ja  sogar 
Jahrzehnte  lang  die  Drüse  fortsecerniren  kann. 

6.  Pigmentation  der  linea  alba  und  des  Warzenhofes  wird  besonders  bei 
Brünetten,  zu  Pigmentablagerungen  sehr  disponirten  Individuen  so  hochgradig, 
dass  das  Zeichen  ein  sehr  in  die  Augen  springendes  wird. 

8.  Striae  gravidarum  sind  die  Folge  von  Ueberdehnung  der  Haut,  hier 
veranlasst  durch  den  rasch  wachsenden  Uterus,  starke  Fettablagerung  und 
rasche  Hypertrophie  der  Mamma.  Sie  sind  als  Schw^angerschaftszeichen  nicht 
sehr  verwerthbar,  besonders  da  sie  erst  in  der  2.  Hälfte  auftreten. 

Im  Gegensatz  zu  diesen  wahrscheinlichen  und  unsicheren  Schwanger- 
schaftszeichen stehen  nun  die  sicheren  Zeichen,  welche  allerdings  den 
Vorzug  haben,  dass  sie  bei  richtiger  Erkenntnis  eine  Schw^angerschaft  mit 
Gewissheit  anzeigen,  aber  doch  die  ersten  Zeichen  deshalb  nicht  in  ihrer  abso- 
luten Werthigkeit  herabzusetzen  vermögen,  weil  sie  erst  in  der  2.  Hälfte  der 
Schwangerschaft  auftreten,  also  zu  einer  Zeit,  wo  der  Arzt  meist  nicht  zu  der 
Entscheidung  herangezogen  zu  werden  pflegt,  ob  Schwangerschaft  vorliegt  oder 
nicht.  Diese  sicheren  Zeichen  dienen  weniger  als  Grundlage  zu  der  Diagnose 
ob  die  Frau  überhaupt  schwanger  ist  oder  nicht,  als  vielmehr  zu  der  Difieren- 
tialdiagnose  zwischen  Schwangerschaft  und  Tumorbildung.  Hiezu  sind  sie  ge- 
radezu in  jedem  Falle  unentbehrlich,  um  verderbliche  und  folgenschwere  dia- 
gnostische und  therapeutische  Irrthümer  vermeiden  zu  helfen.  Die  sicheren 
Schwangerschaftszeichen  sind  die  Lebensäusserungen  der  Frucht.  Zum  Theil 
sind  sie  der  Mutter  und  dem  Untersuchenden  wahrnehmbar,  wie  die 
Kindesbewegungen,  zum  Theil  können  sie  nur  durch  eine  sorgsame,  geschulte 
Untersuchung   nachgewiesen  w^erden,    das  sind  die   kindlichen  Herztöne.    Da 


*)  cf.  Sonntag.  Das  HEGAR'sclie  SchwaHgerschaftszeichen  Samml.  Klin.  Vortr.  Xr. 


736  SCHWANGERSCHAFTS-  UND  GEBÜRTSCOMPLICATIONEN. 

hiebei  Täusdiungen  keineswegs  ausgeschlossen  sind,  haben  auch  diese  Zeichen 
keinen  absoluten,  sondern  nur  relativen  Werth,  sie  stehen  im  Verhältnis  zu 
der  Sicherheit  der  Untersuchungstechnik. 

Die  Kindsbewegungen  pflegen  der  Mutter  um  die  20.  Woche  wahr- 
nehmbar zu  werden,  Mehrgeschwängerte,  welche  dieses  Gefühl  zu  deuten 
wissen,  werden  die  Bewegungen  des  Fötus  früher  gewahr  als  Erstgebärende. 
Olshausen  hat  darauf^  aufmerksam  gemacht,  dass  man  die  kindlichen 
Bewegungen  höreü  kann,  bevor  sie  gefühlt  werden. 

Auch  das  Fühlen  von  kleinen  Theilen  der  Frucht  zählt  zu  den  sicheren 
Zeichen,  hier  ist  aber  mehr  noch  als  beim  Nachweis  der  Bewegungen  oder 
der  Herztöne  ein  Irrthum  des  Untersuchungsbefundes  möglich,  da  kleine  Fi- 
broide,  oder  Carcinom-Knollen  im  Ascites  manchmal  ganz  ähnliche  Tast- 
befunde erzeugen. 

Dass  man  durch  Auscultation  des  Abdomens  der  Mutter  vom  5.  Monat 
ab  die  kindlichen  Herztöne  wahrnehmen  kann,  wurde  im  Jahre  1878  von  dem 
Genfer  Arzt  Major  entdeckt;  auf  die  Bedeutung  dieses  Befundes  für  die 
Diagnostik  hat  Lejumeau  de  Kergaradec  1821  hingewiesen.  Wird  M^ährend 
der  Auscultation  die  Pulsfrequenz  der  Mutter  und  des  Untersuchenden  con- 
trollirt,  so  sind  Täuschungen  bei  zuverlässiger  Unsersuchug  sicher  ausge- 
schlossen. 

Bei  todten  Kindern  ist  von  diesen  sicheren  Zeichen  natürlich  nur  der 
Tastbefund  von  kleinen  Theilen  vorhanden,  so  dass  auch  hier  die  Beachtung 
der  anderen  Schwangerschaftszeichen  in  den  Vordergrund  tritt. 

Die  Diagnose,  ob  Schwangerschaft  vorliegt  oder  nicht,  unterliegt  vom 
3.  Monate  ab  auf  Grund  der  mannigfachen  charakteristischen  Schwanger- 
schaftszeichen in  der  Regel  keinen  Schwierigkeiten. 

Eine  vollständige  Schwangerschaftsdiagnose  hat  folgende  Punkte  in  sich 
zu  fassen: 

1.  Oh  die  Frau  eine  Erst-  oder  Mehrgebärende  ist. 

2.  In  ivelcher  Zeit  der  Schwangerschaft  sich  die  Frau  hefindet. 

3.  Oh  das  Kind  lebt. 

4.  Welche  Lage  das  Kind  einnimmt. 

5.  Welche  Beschaffenheit  der  Geburtscanal  hat. 

6.  (suh  ßnem  graviditatis).   Welche  ungefähre  Grösse  das  Kind  hat. 

Zur  Feststellung  dieser  Punkte  sei  auf  den  Artikel  ^Untersuchung  in 
der  Geburtshilfe''  hingewiesen.  döderlein. 

Schwangerschafts-  und  Geburtscomplicationen.  Bringt  schon  die 

Fortpflanzungsperiode  des  Weibes  eine  mächtige  Umwälzung  in  einzelnen  physio- 
logischen Functionen,  sowie  besonders  im  ganzen  Wesen  des  Weibes  hervor, 
so  ist  es  eine  bekannte  Thatsache,  dass  Störungen  in  Organen,  welche  sonst 
gar  nicht  das  Genitale  des  Weibes  beeinflussen,  während  der  Fortpflanzungs- 
periode ernste  Complicationen  hervorrufen."")  Andererseits  gibt  es  pathologische 
Zustände,  die  nur  in  der  Schwangerschaft  und  Geburt  ihren  Grund  haben. 
Von  allen  diesen  soll  im  Nachfolgenden  nicht  die  Piede  sein. 

Wir  wollen  nur  jene  wesentlich  in  Betracht  kommenden  Complica- 
tionen der  Schwangerschaft  und  Geburt  zusammenfassen,  die  von  den 
Genitalien  oder  deren  Nachbarschaft  ausgehen  und  ausserdem 
einer  Complication  Erwähnung  thun,  die  wohl  ihren  Grund  in  Organerkran- 
kungen hat,  deren  Begleiterscheinung  aber,  in  Folge  bestehender  Circulations- 
störung,  die  Schwangerschaft  und  die  Geburt  beeinflusst. 

Nach  dieser  Darlegung  können  Schwangerschafts-  und  Geburtscomplica- 
tionen entstehen: 

1.  durch  entzündliche  Processe, 

2.  durch  Lageanomalien  des  graviden   Uterus, 

*)  Vergl.  Artikel  „Interne  Krankheiten  ivälirend  der  Gravidität,"  pag.  437  u.  ff. 


SCHWANGERSCHAFTS-  UND  GEBURTSCOMPLICATIONEN.  737 

3.  durch  Jumoren, 

4.  durch  Narben^ 

5.  durch  eine  extrauterine  Schwangerschaft.^ 

6.  durch  Bildungsfehler  des  Genitcdes, 

7.  durch  den  Ascites. 

1,  Entzündliche  Zustände. 

Endometritis.  Diese  kommt  als  Complication  der  Schwangerschaft  liäufig  vor. 
Entweder  kann  es  sich  dabei  um  eine  von  früher  her  bestehende  oder  um  eine  nach 
der  Conception  erworbene  Endometritis  handeln,  (y.  „Endometritis",  pag.  211.) 
Ersteres  ist  der  häufigere  Fall.  Diese  durch  die  Schwangerschaft  gesteigerte 
Hyperplasie  des  Endometriums  wird  mit  dem  Namen  Endometritis  deciduae  be- 
zeichnet. "Wenn  zwar  dabei  die  Schwangerschaft  ihr  normales  Ende  erreichen  kann, 
kommt  es  dennoch  in  Folge  dieser  Erkrankung  zu  häufigen  Unterbrechungen,  da 
die  Haftfläche  des  Eies  einerseits  häufig  verkleinert  ist,  andererseits  der  mit  dem  Ei 
zusammenhängende  Theil  der  Decidua  das  Ei  nur  mangelhaft  mit  Blut  versorgen 
kann.  In  höheren  Graden  der  Endometritis  deciduae  haftet  solchermaassen  das 
Ei    polypenartig  der    Innenfläche    des  Uterus  an. 

Wegen  der  stärkeren  Secretion  des  Endometriums  kommt  es  zu  wässerigen 
Ausscheidungen  aus  der  Scheide  während  der  Schwangerschaft.  Entweder  sickert 
continuirlich  eine  wässerige  Flüssigkeit  aus,  oder  sie  kommt  in  kurzen  Zeitabschnitten 
stossweise  zum  Vorschein,  Letzteres  ist  der  Fall,  wenn  sich  die  Flüssigkeit  ent- 
weder zwischen  der  Decidua  vera  und  reflexa  oder  zwischen  der  Reflexa  und  dem 
Chorion  angesammelt  hat  und  durch  Abhebung  der  Schichten  bis  zum  Orif.  intemum 
vorgedrungen  ist.  Nach  der  vollständigen  Entleerung  eines  in  dieser  Weise  ent- 
standenen Sackes  kann  es  wieder  zu  einer  Verklebung  der  Schichte  in  der  Nähe 
des  Orif.  internum  kommen,  worauf  dann  nach  einiger  Zeit  sich  die  Flüssigkeit 
wieder  im  Stoss  entleert.  Solche  Säcke  können  auch  schleimige  Massen  enthalten., 
die  in  ähnlicher  Weise  von  Zeit  zu  Zeit  ausgeschieden  werden.  Begünstigt  wird  dieser 
Ausfluss  durch  den  Umstand,  dass  es  zur  Bildung  des  Schleimpfropfes  im  Cervical- 
canal  wegen  des  Bestehens  der  Endometritis  entweder  gar  nicht  gekommen,  oder,  dass 
dieser  Schleimpfropf  vorzeitig  abgegangen  ist.  Man  nennt  das  ganze  Bild  Hydror- 
rhoea   gravidarum,  (s.  d.) 

Beim  längeren  Bestehen  der  Endometritis  deciduae  pflanzt  sich  der  Entzün- 
dungsprocess  auf  die  Placenta  über  und  führt  zur  Obliteration,  entweder  einzelner 
Cotyledonen,  oder  des  Placeutarrandes.  Dadurch  wird  die  Respirationsfläche  der 
Placenta  wesentlich  vermindert  und  das  Absterben  der  Frucht  umso  leichter  ermög- 
licht. An  der  ausgestossenen  Placenta  sieht  man  dann  sehnige  Flecke  und  Knoten 
und  der  Rand  der  Placenta  stellt  einen  sehnigen  Ring  dar  (Placenta  marginata). 
,  Beim  Bestehen  der  Endometritis  ist  das  Uteruscavum  immer  vergrössert  und 
es  erklärt  sich  daraus,  dass,  wenn  Conception  erfolgt,  und  das  befruchtete  Ei  in  das 
Cavum  uteri  gelangt  ist,  die  Anheftung  des  Ersteren  im  unteren  Uterinabschnitt  und 
das  Zustandekommen  der  Placenta  praevia  (s.  d.)  zu  häufigen  Vorkommnissen 
gehört. 

Das  Uebergreifen  des  Entzünduugsprocesses  auf  die  Placenta  kann  die  weitere 
Folge  nach  sich  ziehen,  dass  es  zu  stärkeren  Verwachsungen  mit  dem  Uterus  kommt, 
was  wieder  Störungen  in  der  Nachgeburtsperiode  verursacht,  insbesondere  wegen 
der  erneuerten  Loslösung  der  Placenta  und  wegen  Zurückbleiben  von  Placentar- 
stücken  Veranlassung  zu  Blutungen  geben  kann. 

Primäre  Erkranliungen  des  Endometriums  während  der  Schwangerschaft  können 
entstehen  durch  eine  Infection  von  aussen;  häufiger  aber  bildet  Lues,  sowie  Morbus- 
Brightii  die  Grundlage  derselben.  Insbesondere  bei  Gegenw^art  des  letzteren  findet 
man  dann  häufig  in  der  Placenta  Infarcte. 

Das  Verhalten  bei  der  Endometritis  deciduae  während  der  Schwangerschaft  ist 
exspectativ. 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  47 


738  SCHWANGERSCHAFTS-  UND  GEBURTSCOMPLICATIONEN. 

Parametritis.  Wenn  auch  das  Bestehen  einer  Beckenzellgewehsentzüudung, 
oder  das  Vorhandensem  von  deren  Producten,  die  Conception  erschwert,  so  ist  den- 
noch der  Eintritt  der  Conception  dabei  ein  häufiges  Vorkommnis.  Es  hängt  aber 
letzteres  vom  Grade  der  bestehenden  Parametritis  ab.  Ist  die  Ausbreitung  der 
Exsudatmassen  keine  grosse,  dann  trägt  im  Gegentheil  die  Schwangerschaftscongestion 
vielfacli  zum  Verschwinden  der  Exsudate  bei,  so  dass  erstere  einen  ungestörten  Ver- 
lauf nehmen  kann  und  bei  einer  nach  beendigtem  Wochenbett  vorgenommenen  Unter- 
suchung kerne  Exsudate  nachgewiesen  werden  können.  Anders  verhält  es  sich, 
wenn  Schwangerschaft  eingetreten  ist  und  die  Exsudate  in  einer  erheblichen  Menge 
vorhanden  sind.  Ganz  abgesehen  von  der  Möglichkeit  der  Entstehung  einer  extra- 
uterinen Gravidität  bei  einem  solchen  Verhalten,  gehören  Störungen  im  Verlaute  der 
intrauterinen  Schwangerschaft  und  der  Geburt  zu  häufigen  Vorkommnissen.  Unter 
ersteren-  sei  erwähnt  die  Neigung  zum  Abortus,  welcher,  wenn  Conception  rasch 
hintereinander  erfolgt,  ohne  dass  die  Exsudate  resorbirt  worden  wären,  zu  einem 
habituellen  Abortus  werden  kann.  Dabei  sind  Blutungen  im  Wochenbett  wegen 
der  mangelhaften  Contractionsfähigkeit  des  Uterus  an  der  Tagesordnung.  Hat  die 
Gravidität  trotz  des  Bestehens  ausgebreiteter  Exsudatmassen  ihren  Fortgang  genommen, 
dann  stehen  während  der  Geburt  allerlei  Ueberraschungen  bevor,  welche  seitens 
der  schwieligen  Massen,  die  oft,  wie  im  Wege  stehende  Tumoren  wirken,  bereitet 
werden  können. 

Die  Hilfeleistung  richtet  sich  nach  dem  Grade  des  Geburtshindernisses  und 
kann  ein  solches  bis  in  einem  Maasse  vorhanden  sein,  dass  die  Sectio  caesarea  in 
Frage  kommt  und  thatsächlich  auch  bereits  wegen  Beckenexsudaten  ausgeführt  werden 
musste  (Beeisky,  Müllek). 

Peritonitis.  Eine  allgemeine  Peritonitis  kommt  während  der  Schwangerschaft 
selten  zur  Beobachtung.  Häufiger  sind  die  circumscripten  Peritonitiden.  Ob  es  sich 
nun  um  diese  oder  jene  handelt,  manifestiren  sich  die  Symptome  bei  bestehender 
Gravidität  in  einem  erhöhten  Maasse  und  kommt  es  zu  um  so  grösseren  Beschwerden, 
je  weiter  die  Schwangerschaft  fortgeschritten  ist.  Insbesondere  ist  es  neben  der  grossen 
Schmerzhaftigkeit  im  Unterleib,  der  Meteorismus,  welcher  in  Combination  mit  dem 
vergrösserten  Uterus,  zu  einem  bedeutenden  Hochstand  des  Zwerchfells  führt  und 
eine  bedrohliche  Kurzathmigkeit  mit  Cyanose  zur  Folge  hat. 

Die  in  der  Schwangerschaft  entstehende  Peritonitis  kann  entweder  genuinen 
Ursprunges  sein  oder  als  Folge  einer  inneren  Incarceration  von  Darmschlingen 
auftreten.  Die  Differentialdiagnose  ist  durch  die  Complication  der  Schwangerschaft 
sehr  erschwert,  nachdem  die  Symptome  beider  häufig  meist  unter  demselben  Bilde 
verlaufen.  Dass  die  Prognose  bei  einer  durch  nicht  diagnosticirte  Incarceration  ent- 
standenen Peritonitis  viel  schlimmer  ist  als  wie  bei  der  genuinen,  ist  selbstverständlich. 
Im  Ganzen  ist  die  Prognose  sehr  schlimm. 

Auf  den  Verlauf  der  Schwangerschaft  übt  die  Peritonitis  störenden  Einfluss 
dadurch  aus,  dass  bei  länger  dauerndem  hohen  Fieber  die  Frucht  an  Wärmestauung 
abstirbt,  was  die  nächste  Ursache  zur  Unterbrechung  der  Schwangerschaft  werden 
kann;  aber  auch  der  durch  den  entzündlichen  Process  des  peritonealen  Ueberzuges 
des  Uterus  auf  letzteren  ausgeübter  Heiz  kann  Contractionen  und  einen  Abortus, 
beziehungsweise  Frühgeburt  veranlassen.  Uebergrosse  Schmerzhaftigkeit  während  der 
Contractionen,  protrahirter  Geburtsverlauf,  sowie  schwere  Blutungen  in  der  Nach- 
geburtsperiode und  im  Wochenbette  steigern  die  Complicationen  einer  solchen  Geburt. 

Ist  die  Frucht  nicht  abgestorben  und  hat  die  Schwangerschaft  einen  ungestörten 
Fortgang  genommen,  dann  stehen  nach  geheilter  Peritonitis  sowohl  während  der 
Schwangerschaft,  als  auch  während  der  Geburt  allerlei  Beschwerden  und  Störungen 
bevor,  welche  in  den  Adhäsionen,  sowie  etwaigen  Exsudaten  ihren  Grund  haben. 

Die  Therapie  unterscheidet  sich  in  gar  nichts  von  jener,  wenn  Peritonitis  ohne 
Gravidität  besteht.  Auch  die  Einleitung  der  Frühgeburt  während  der  Peritonitis  ist 
nicht  angezeigt.  Hingegen  können  die  Producte  der  Peritonitis,  nach  dem  dieselbe 
abgelaufen  ist,  während  der  Geburt  Hindernisse  bereiten  und  zu  allerlei  operativen 


SCHWANGERSCHAFTS-  UND  GEBURTSCOMPLICATIONEN.  739 

geburtshilflichen  Eingriffen  Veranlassung  geben.  Bei  siclier  erkannter  innerer  In- 
carceration  ist  durch  Laparotomie  die  nötliige  chirurgische  Hilfe  zu  leisten. 

Gonorrhoische  Salpingitis.  Erkrankungen  der  Tuben  entzündlicher  Natur  setzen 
ohnehin  die  Conceptionsfähigkeit  herab,  da,  wo  diese  eintritt,  braucht  die  Schwanger- 
schaft im  weiteren  Verlaufe  nicht  alteriert  zu  werden. 

Ein  eitriger  Catarrh  der  Tuben  kann  während  der  ganzen  Scliwangerschaft 
latent  bestehen,  auch  bei  der  Geburt  werden  relativ  wenig  Störungen  von  dieser 
Seite  beobachtet,  wenn  man  bedenkt,  in  welcher  erschreckenden  Anzahl  die  gonor- 
rhoische Infection  der  Tuben  anzutreffen  ist.  Hingegen  müssen  viele  Fälle  von  puer- 
peraler Peritonitis,  sowie  exsudative  Processe  des  Pararaetriums  auf  eine  Infection 
des  Peritoneums,  beziehungsweise  des  Beckenbindegewebes  während  der  Geburt  in 
einen  Causalnexus  mit  einer  gonorrhoischen  Salpingitis  gebracht  werden,  insofern  als 
es  nachgewiesen  ist,  dass  durch  die  Contractionen  des  Uterus  einerseits  und  durch 
Manipulationen  während  der  Nachgeburtsperiode  andererseits,  der  Tubeninhalt  in 
die  Peritonealhöhle  ausgepresst  werden  kann,  und  selbst  durch  die  Wandungen  der 
Tuben  die  Gonococcen  in  das  Parametrium  im  Laufe  der  Zeit  gelangen  können.*) 

3.  Lageanomalien  des  graviden  Uterus. 

Unter  diesen  haben  die  Retroflexio  und  Retroversio  uteri  gravidi  die  meiste 

Bedeutung,  insofern  als  dieselben  wegen  des  häufigen  Vorkommens  des  nicht  graviden 
retroflectirten  oder  retrovertirten  Uterus  zu  nicht  seltenen  Vorkommnissen  gehören 
und  schwere  Schwangerschafts-  und  Geburtscomplicationen  veranlassen  können.  That- 
sächlich  aber  sind  die  Fälle  häufiger  als  sie  beobachtet  werden.  Meist  sind  es  erst 
die  belästigenden  Symptome,  welche  die  Kranken  veranlassen,  ärztliche  Hilfe  in  An- 
spruch zu  nehmen,  wobei  die  Anomalie  entdeckt  wird.  Solange  der  Uterus  klein  ist, 
pflegen  keine  Störungen  aufzutreten ;  erst  vom  Ende  des  dritten  Monates  an,  wenn 
das  Corpus  uteri  die  ganze  Beckenhöhle  einnimmt  und  der  Cervix  die  Harnröhre 
gegen  die  Symphyse  drängt,  stellen  sich  Störungen  seitens  des  Mastdarms  und  der 
Blase  ein.  Der  Stuhlgang  wird  erschwert,  der  Koth  bandförmig  entleert  und  in 
höheren  Graden  von  Retroflexion  bildet  sich  ein  starker  Meteorismus  aus.  Viel 
schlimmer  sind  die  Druckerscheinungen  auf  die  Urethra.  Während  eine  Zeitlang  die 
Blase  mühsam  noch  entleert  werden  kann,  wird  später  die  Entleerung  nur  tropfen- 
weise, unter  grosser  Anstrengung  möglich  und  schliesslich  kommt  es  zu  einer  voll- 
ständigen Harnverhaltung,  so  dass  sich  mehrere  Liter  Urin  in  der  Harnblase  an- 
sammeln können. 

Die  Diagnose  der  Retroflexio  oder  Retroversio  uteri  gravidi  ist  nicht  schwer, 
wenn  man  die  anamnestischen  Momente  berücksichtigt  und  eine  genaue  bimanuelle 
Untersuchung  vornimmt. 

Hinsichtlich  des  Verlaufes  und  der  Therapie  muss  gesagt  werden,  dass  die 
Retroversionen  mitunter  grössere  Beschwerden  verursachten  und  schwerer  zu  beheben 
sind  als  die  Retroflexionen.  Daran  ist  der  Umstand  Schuld,  dass  bei  einer  Retroversion 
der  Uterus  ohne  eine  besondere  Spannung  in  seinen  Wandungen  nach  rückwärts  ge- 
lagert ist,  während  bei  einer  Retroflexion  die  Spannung  der  vorderen  Uteruswand 
das  therapeutische  Vorgehen  wesentlich  erleichtert  und  die  oft  spontanen  Aufrich- 
tungen des  Uterus  erklärlich  macht. 

Ist  der  Uterus  in  der  Excavatio  sacri  nicht  eingekeilt,  dann  begegnet  die 
manuelle  Aufrichtung  desselben  von  der  hinteren  Vaginalwand  oder  vom  Rectum. aus 
keinen  Schwierigkeiten,  wenn  die  Blase  vorher  entleert  wurde.  Erleichtert  wird  diese 
Manipulation,  wenn  die  Aufi'ichtung  in  der  Knieellenbogenlage  vorgenommen  wird, 
wobei  beim  Eindringen  von  Luft  in  die  Vagina  der  Atmosphärendruck  mitwii'kt.  Ein 
in  dieser  Weise  bis  über  das  Promontorium  hinaufgeschobener  Uterus  sinkt  nicht 
mehr  zurück,  wenn  in  die  Vagina  ein  passendes  Hebelpessar  eingeführt  wird.  Sollte 


*)  Vergleiche    den    betreffenden  Abschnitt   im    Artikel  „Gonnoorhoe    der   iceiblichen 
Genitalien^',  pag.  310. 

47* 


740  SCHWANGERSCHAFTS-  UND  GEBURTSCOMPLICATIONEN. 

dennoch  eine  Retroflexion  oder  -version  sich  neuerdings  eingestellt  haben,  dann  muss 
die  beschriebene  Manipulation  wieder  vorgenommen  werden  und  der  Zweck  mittelst 
Jodoformgazetampous  angestrebt  werden. 

Wenn  der  aufgerichtete  Uterus  eine  Grösse  erreicht  hat,  die  das  Zurücksinken 
nicht  mehr  möglich  erscheinen  lässt,  dann  ist  sowohl  ein  Pessar  als  auch  die  Tam- 
ponade entbehiiich.  Die  weitere  Gravidität  nimmt  einen  ungestörten  Verlauf. 

Hingegen  verursachen  die  eingeklemmten  retroflectirten  und  retrovertirten 
graviden  Uteri,  wenn  die  Aufrichtung  nicht  möglich  ist,  allerlei  ernste  Beschwerden, 

Zunächst  seitens  der  gefüllten  Blase!  Ganz  abgesehen  von  den  unerträg- 
lichen Schmerzen,  kann  es  zu  Gangrän  und  einer  Abhebung  der  Blasenschleimhaut 
kommen,  die  dann  in  Fetzen  oder  im  Ganzen  ausgeschieden  wird.  Durch  die  blosliegende 
Muscularis  ist  die  Möglichkeit  einer  urämischen  Intoxication  gegeben.  Bei  einer 
bis  auf  das  Aeusserste  gestiegenen  Spannung  der  Blasenwand,  ist  eine  Spontanruptur 
der  Blase  nicht  ausgeschlossen,  insbesondere  wenn  auf  die  gefüllte  Blase  eine  äussere 
Kraft  plötzlich  einwirkt.  Durch  Cocceninvasion  kann  Cystitis  erzeugt  werden,  was 
insbesondere  durch  die  Manipulation  mit  dem  Catheter  begünstigt  wird.  Auch  sep- 
tische Infectionen  von  der  Blase  ausgehend,  sind  dabei  beobachtet  worden. 

Yon  Seite  des  Uterus  kann  es  durch  die  gestörten  Circulationsverhältnisse  zu 
Haemorrhagien  aus  der  Decidua  kommen  und  damit  der  Abortus  vorbereitet  werden, 
welches  Ereigniss  eigentlich  als  ein  günstiges  Omen  für  den  weiteren  Verlauf  zu 
betrachten  ist,  insofern  als  nach  der  Entleerung  des  Uterus  das  weitere  therapeu- 
tische Vorgehen  erleichtert  wird.  Seitens  der  Vagina  sind  Rupturen  und  Gangrän 
beobachtet  worden. 

Als  äusserstes  Mittel  wird,  wenn  die  Reposition  nicht  gelingt  und  behufs  Ein- 
leitung des  künstlichen  Abortus  eine  Bougie  in  den  Uterus  nicht  eingeführt  werden 
kann,  die  Function  des  Eies  von  der  hinteren  Vaginalwand  empfohlen. 

Die  Prognose  hängt  von  der  Schwere  des  Falles  und  von  der  Art  der  an- 
gewendeten Hilfeleistung  ab. 

Hinsichtlich  der  Anteversio  oder  Änteflexio  uteri  gravidi  als  Schwangerschafts- 
complication  wäre  zu  erwähnen,  dass  im  Falle  perimetritische  Adhaesionen  an  der 
vorderen  Uteruswand  im  Beginn  der  Schwangerschaft  die  Aufrichtung  des  Uterus 
nicht  gestatten,  ein  häufiger  Harndrang  die  Kranken  belästigt.  Ist  die  Schwanger- 
schaft weit  vorgeschritten,  dann  kann  sich  beim  Vorhandensein  emer  Diastase  der 
Recti  oder  allgemein  schlaffen  Bauchdecken  eine  Anteflexion  herausbilden,  welche 
mit  dem  Ausdrucke  Hängebauch  bezeichnet  wird,  wobei  in  den  höchsten  Graden 
der  Uterus  mit  dem  Fundus  bis  zu  den  Knieen  herabreichen  kann*).  Ist  dieser  Zu- 
stand an  und  für  sich  in  der  Schwangerschaft  im  höchsten  Grade  lästig,  so  gibt  er 
während  der  Geburt  zu  allerlei  Regelwidrigkeiten  Veranlassung,  von  welchen  wir 
hier  den  vorzeitigen  Blasensprung,  den  Vorfall  des  Armes  oder  der  Nabelschnur 
und  die  Vorderscheitelbeineinstellung  hervorheben. 

Therapeutis  ch  sei  zu  erwähnen,  dass  sowohl  in  der  Schwangerschaft,  als  auch 
während  der  Geburt  vor  Allem  der  Uterus  aufzurichten  und  in  der  aufgerichteten 
Lage  zu  erhalten  sei.  Die  übrigen  geburtshilflichen  Hilfeleistungen  richten  sich 
nach  dem  vorliegenden  Falle,  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  die  mit  einem  engen 
Becken  complicirte  Änteflexio  uteri  gravidi  die  Prognose  verschlimmert. 

Von  den  weiteren  Lageanomalien  sei  noch  der  Descensus  und  Prolapsus  uteri 
gravidi  erwähnt.  Der  letztere  bildet  sich  erst  nach  erfolgter  Conception  aus  und 
handelt  es  sich  dabei  immer  um  eine  Elongatio  colli  supravaginalis. 

Die  Beschwerden  beim  Descensus  uteri  gravidi  gleichen  im  Beginne  der 
Schwangerschaft  jenen  des  nicht  graviden  descendirten  Uterus,  welchen  durch  ein 
Pessar  begegnet  werden  kann.  Hingegen  erheischt  der  complete  oder  incomplete 
Prolaps  des  graviden  Uterus  eine  erhöhte  Aufmerksamkeit.  Wenn  auch  Incar- 
cerationen  im  Beginne  der  Schwangerschaft  selten  vorkommen,  so  muss  die  bei  einem 


*)  Vid.  Artikel  „Hängebauch'^  pag.  339. 


SCHWANGERSCHAFTS-  UND  GEBURTSCOMPLICATIONEN.  741 

jeden  Prolaps  sich  ausbildende  CoUumelongation  um  so  ernster  genommen  worden, 
als  bei  der  Geburt  daraus  oft  die  schwersten  Complicatioiien  resultiren.  Der  Cervix- 
canal  kann  oft  eine  Länge  von  10  cm  und  darüber  erreichen  und  das  Eintreten 
des  vorliegenden  Fruchttheils  in  demselben  oft  unmöglich  gemacht  werden,  so,  dass 
sogar  die  Sectio  caesarea  in  Frage  kommen  kann.  So  schwer  diese  Complication 
bei  der  Geburt  in  die  Waagschale  fällt,  so  leicht  ist  die  Hilfeleistung  beim  Fehlen 
einer  Incarceration  während  der  Schwangerschaft,  da  durch  Messungen  nachgewiesen 
wurde,  dass  das  Zurückschieben  des  prolabirten  Uterus,  beziehungsweise  der  prola- 
birten  Yagiualportion  allein,  eine  bedeutende  Verkürzung  des  elongirt  gewesenen 
Collums  sofort  zur  Folge  hat.  Wenn  dann  der  Uterus  durch  ein  passendes  Pessar 
vor  einem  abermaligen  Herabsteigen  aufgehalten  wird,  dann  kann  die  Schwanger- 
schaft einen  ungestörten  Verlauf  nehmen  und  auch  die  Geburt  bringt  keine  Ueber- 
raschung. 

3.  Tumoren. 

Die  Schwangerschaft  und  Geburt  können  vom  Uterus  oder  seinen  Adnexen, 
ferner  von  den  Beckenknochen,  dem  Mastdarm,  den  Bauchdecken,  den  Nieren,  der 
Leber  und  der  Milz  ausgehende  Tumoren  compliciren.  Auch  ein  in  der  Blase  ent- 
lialtener  Blasenstein  ist  im  Stande  ernstere  Geburtscomplicationen  hervorzurufen. 
Ferner  sei  erwähnt,  dass  auch  in  grösserer  Menge  angestaute  feste  Kothmassen  dem 
andrängenden  Fruchttheil  hinderlich  im  Wege  sein  können. 

Fibrome  des  Uterus.  Je  nach  dem  Sitz  derselben  pflegt  die  Complication 
durch  diese  eine  grössere  oder  mindere  zu  sein.  Subperitoneal  liegende  Fibrome 
pflegen  keine  Störungen  hervorzurufen,  wenn  sie  sich  am  oberen  Abschnitt  des  Uterus 
befinden.     Interstitielle   und  submucöse  Fibrome  bedingen   ernste  Gefahren. 

Gehören  schon  während  der  Schwangerschaft  häufig  vorkommende  Blutungen, 
welchen,  der  Abortus  zu  folgen  pflegt,  zu  gewöhnlichen  Vorkommnissen  bei  Gegen- 
wart interstitieller  und  submucöser  Fibrome,  so  sind,  wenn  die  Schwangerschaft 
nicht  unterbrochen  wurde,  diese  je  nach  der  Grösse  derselben  ein  ernstes  Geburts- 
hindernis, während  in  der  Nachgeburtsperiode  und  nach  der  Geburt  heftige  Blutungen 
dann  eintreten,  wenn  die  Placenta,  speciell  bei  interstitiellen  Fibromen  an  jener 
Stelle  gesessen  ist,  wo  der  Tumor   liegt. 

Die  Diagnose  ist  je  nach  dem  Sitze  des  Tumors  leicht  oder  schwer.  Während 
der  Schwangerschaft  pflegen  die  Tumoren  an  Grösse  beträchtlich  zuzunehmen. 
,^  Hinsichtlich  der  Therapie  sei  zunächst  erwähnt,  dass,  wenn  nicht  heftige  Blutun- 
gen zu  einem  activen  Vorgehen  auffordern,  in  der  Schwangersehaft  ein  zuwartendes 
Verhalten  zu  beobachten  sei,  jene  Fälle  ausgenommen,  wo  es  sich  um  eine  subperitone- 
ales im  Becken  liegendes  Fibrom  handelt.  Da  bei  einem  solchen  Fibrom  durch 
die  Schwangerschaftscongestion  leicht  eine^  Incarceration  des  Tumors  im  Becken  ent- 
stehen könnte,  muss  bei  Zeiten  dafür  gesorgt  werden,  denselben  aus  dem  kleinen 
Becken  emporzuheben,  was  in  der  Knieellbogenlage  leichter  möglich  ist.  Aehnliche 
Eepositionsversuche  müssen  auch  während  der  Geburt  vorgenommen  werden.  Gelingt 
die  Reposition  nicht,  so  sei  hier  gleich  bemerkt,  dass  bei  Fibromen  mittlerer  Grösse 
die  Compression  derselben  durch  den  andrängenden  Fruchttheil  in  einem  oft  so  über- 
raschendem Grade  zustande  kommen  kann,  dass  die  Geburt  spontan  erfolgt  oder 
durch  verkleinernde  geburtshilfliche  Operationen  beendigt  werden  kann.  Dabei  ge- 
hören Spontanrepositionen  des  im  Wege  gelagert  gewesenen  Fibroms  zu  nicht  seltenen 
Vorkommnissen.  Am  leichtesten  wird  Hilfe  geschaffen  bei  submucösen,  poh'pös  in 
den  Cervix  oder  in  die  Vagina  hineinragenden  Fibromen.  Eine  typische  Abtra- 
gung solcher  macht  die  Geburtswege  frei.  Auch  die  von  den  Muttermundslippen 
ausgehenden  Fibrome  lassen  sich  durch  Spaltung  der  Capsel  und  Ausschälung  des 
Tumors  in  typischer  Weise  leicht  entfernen. 

Da,  wo  das  Fibrom  eine  grosse  Ausdehnung  besitzt  und  keine  Aussicht  auf 
Freimachen  der  Gcburswcgo  durch  vaginale  Eingriffe  besteht,  tritt  die  Laparotomie 
aus  doppeltem    Grunde    in    ihre    Rechte :    erstens    als    entbindende    Operation    und 


742  SCHWANGERSCHAFTS-  UND  GEBÜRTSCOMPLICATIONEN. 

zweitens  als  Kadicaloperation  bei  Fibromen.  HinsicLtlich  der  letzteren  gelten  die 
für  die  Therapie  der  Fibrome  maassgebenden  Grundsätze  ;  hinsichtlich  der  ersteren 
sei  hier  bemerkt,  dass  da,  wo  ohne  Vorhandensein  der  Schwangerschaft  bei  der 
Myomotomie  die  supravaginale  Amputation  des  Uterus  indicirt  erscheint,  als  entbin- 
dende Operation  die  PoKEo'sche  Kaiserschnittinethode  zu  wählen  sei. 

Inbezug  auf  die  Fruchtlagen  bei  Complication  der  Schwangerschaft  mit  Fi- 
bromen sei  bemerkt,  dass  Querlagen  und  Beckenendlagen  zu  häufigen  Vorkommnissen 
gehören.  Toloczinow  fand  bei  48  Fällen  25  Mal  die  Kopflage,  13  Mal  eine  Becken- 
endlage und  10  Mal  eine   Querlage. 

Ovarialtumoren.  In  der  Schwangerschaft  entsteht  durch  dieselben  eine  Störung, 
wenn  der  Ovarialtumor  zu  gross  ist  oder  im  Becken  gelagert  ist.  Im  ersteren 
Falle  kann  durch  den  Druck  des  Ovarialtumors  auf  den  Uterus,  Abortus  hervor- 
gerufen werden,  ferner  wegen  mangelhafter  Blutversorgung  die  Frucht  absterben 
und  eine  Frühgeburt  nachfolgen;  im  letzteren  Falle  können  sich  Störungen  seitens 
des  Mastdarms  und  der  Blase  einstellen  oder  Incarceration  des  Tumors  ent- 
stehen. 

Der  Sitz  des  Tumors  ist  entweder  seitlich  vom  Uterus  (der  häufigste  Fall), 
hinter  demselben  oder  unterhalb  des  Uterus,  am  seltensten  vor  dem  Uterus.  Uebt 
der  Ovarialtumor  einerseits  auf  den  Uterus  einen  Einfluss  aus,  so  äussert  sich  der 
Einfluss  des  graviden  Uterus  auf  den  Ovarialtumor  in  einem  viel  höheren  Maasse  als  dies 
bei  Fibromen  der  Fall  ist.  Kann  schon  durch  den  Druck  eines  hochschwangeren 
Uterus  eine  Berstung  der  Ctjste  erfolgen,  so  ist  dieses  Ereignis  um  so  leichter 
möglich,  wenn  eine  Stieltorsion  erfolgt  ist.  Je  nachdem  der  Inhalt  der  Cyste  be- 
schaffen war  und  je  nachdem  der  Cysteninhalt  sich  intra-  oder  extraperitoneal  er- 
gossen hat,  ist  die  Prognose  verschieden.  Bei  parovarialen  oder  colloiden  Cj'sten 
bedeutet  die  Berstung  der  Wandung  und  Erguss  des  Cysteninhaltes  auch  in  das  Peri- 
tonialcavum  nicht  viel,  im  Gegentheil  durch  das  Verschwinden  des  Cystentumors 
hört  auch  die  durch  denselben  bedingte  Schwangerschaftscomplication  auf.  Anders 
verhält  es  sich,  wenn  der  Cysteninhalt  Eiter  oder  Jauche  war  und  der  Erguss  intra- 
peritoneal erfolgt  ist ;    letalverlaufende  Peritonitiden  sind  die  unmittelbare  Folge. 

Nebst  den  durch  die  Berstung  erfolgten  Complicationen  können  Stieltorsionen 
auch  Gangrän  der  Cystemvandung  zur  Folge  haben.  Auch  Berstungen  von  Blut- 
gefässen mit  intercystösen  Blutungen  können  sich  einstellen.  Die  letzteren  erreichen 
oft  einen  Grad,  dass  Verblutung  erfolgen  kann. 

Nicht  unerwähnt  seien  hier  auch  die  durch  das  Vorhandensein  einer  Cyste 
bedingten  Darmincarcerationen  mit  ihren  Folgen. 

Bei  der  Geburt  sind  insbesondere  jene  Ovarialtumoren  von  Bedeutung,  welche 
sich  im  Becken  befinden.  Sie  bilden  dann  ein  räumliches  Missverhältnis,  das  zur 
Entstehung  von  Uterusrupturen,  oder  Zerreissungen  des  Scheidengewölbes  Veranlas- 
sung geben  kann.  Spontanreposition  des  Tumors  nach  vorheriger  Abspaltung  desselben 
oder  Rupturen  der  Cystenwandung  gehören  nicht  zu  Seltenheiten.  Hingegen  kann 
durch  die  nach  dem  Austreten  der  Frucht  plötzlich  erfolgte  Raumvergrösserung  im 
Abdomen  wieder  eine  Veranlassung  zu  einer  Stieltorsion  gegeben  werden,  während 
andererseits  durch  das  Herabsinken  eines  bis  dahin  oberhalb  des  Beckeneingangs 
gewesenen  Ovarialtumors  in  das  kleine  Becken  die  Placentarperiode  eine  Störung 
erfahren  kann. 

Im  Wochenbett  kommen  Störungen  vor,  wenn  sich  eine  Stieltorsion  heraus- 
gebildet hat,  andererseits  kann  ein  im  Becken  befindlicher  Tumor  eine  Lochiometra 
bedingen.*) 

Die  Diagnose  der  Ovarialtumoren  während  der  Schwangerschaft  ist  nicht 
schwer,  wenn  der  Tumor  grösser  ist,  hingegen  entziehen  sich  oft  kleinere  Tumoren, 
oder  solche,  die  hinter  dem  Uterus  liegen,  der  Beobachtung.  Dass  der  Ovarial- 
tumor die  Schwangerschaft  complicirt  hat,  wird  aber  auch  oft  erst  bei  einer  wegen 


*)  Vergl.  Artikel  ..LoeJiien",  pag.  499. 


SCHWANGERSCHAFTS-  UND  GEBURTSCOMPLICATIONEN.  743 

einer  Ovarialcyste  vorgenommene  Laparotomie  diagnosticirt,  woljci  Schwangerschaft 
entdeckt  wird. 

Hinsichtlich  der  Therapie  während  der  Schwangerschaft  stciht  die  Laparotomie 
oben  an.  Sie  ist  schon  wegen  der  Cyste  allein  das  Hauptverfahren  und  soll  da, 
wo  zur  Vornahme  von  Laparotomien  Vorsorge  getroffen  ist,  schon  prophylactisch 
während  der  Schwangerschaft  ausgeführt  werden.  In  zweiter  Linie  kommt  die 
Function  in  Frage,  und  zwar  solche  durch  die  Bauchdecken  oder  durch  die  Vagina 
und  erst  in  dritter  Linie  muss  die  künstliche  Unterbrechung  der  Schwangerschaft 
in  Betracht  gezogen  werden. 

"Während  der  Geburt  muss  bei  kleinen  im  Becken  liegenden  Tumoren  immer 
der  Versuch  einer  manuellen  Reposition  entweder  von  der  Vagina  oder  vom  Rectum 
aus  in  der  Knieellenbogenlage  vorgenommen  werden.  Gelingt  die  Reposition  nicht, 
dann  muss  derselben  die  Function  oder  ein  diagnostischer  Punctionsversuch  folgen. 
Hier  sei  gleich  erwähnt,  dass  im  Becken  befindliche  durch  den  andrängenden  Frucht- 
theil  einem  starken  Druck  ausgesetzte  cystische  Tumoren  das  Vorhandensein  eines 
soliden  Tumors  vortäuschen  können,  weshalb  unter  allen  Umständen  ein  Punctions- 
versuch gemacht  werden  muss,  welcher  bei  Wahrung  aller  Regeln  der  Antiseptik  und 
Aseptik  als  ganz  gefahrlos  zu  betrachten  ist.  Wurde  die  cystische  Natur  des  Tumors 
durch  die  Function  erkannt,  hatte  sich  aber  gleichzeitig  dabei  herausgestellt,  dass  der 
Tumor  vielkämmerig  sei,  dann  empfiehlt  es  sich  an  jener  Stelle,  wo  die  Function 
versucht  wurde,  eine  Incision  zu  machen.  Dabei  kann  der  Vorschlag  berücksichtigt 
werden,  dass  vor  einem  tieferen  Eingehen  in  die  Cystenräume  die  Cystenwandung 
mit  der  Vaginalwunde  jederseits  vernäht  werde. 

Bei  Cj^sten,  die  von  der  Vagina  leicht  zugänglich  sind,  kann  auch  die  Mög- 
lichkeit einer  vaginalen  Ovariotomie  in  Betracht  gezogen  werden. 

Ist  durch  die  Function  das  Vorhandensein  eines  soliden  Tumors  erwiesen 
worden,  dann  stehe  man  von  einer  Incision  ab  und  gehe  so  vor,  wie  bei  Fibromen 
dargelegt  ^urde. 

Die  geburtshilflichen  Operationen  richten  sich  je  nach  dem  vorliegenden  Fall, 
am  häufigsten  kommt  es  zu  einer  Kraniotomie.  Wendungen  geben  schlechte  Resul- 
tate. Man  halte  aber  hinsichtlich  der  geburtshilflichen  Operation  an  dem  Grundsatz 
fest,  nie  roh  vorzugehen  und  lieber  da,  wo  ausgebreitete  Verletzungen  durch  eine 
vaginale  Entbindung  voraus  zu  sehen  sind,  eine  Laparotomie  und  Sectio  caesarea 
auszuführen,  welche,  unter  günstigen  Bedingungen  vorgenommen,  noch  immer  eine 
bessere  Prognose  gibt,  als  wie  andere  roh  angestellte  Entbindungsversuche.  Auch 
das  kindliche  Leben  kann  durch  die  Laparotomie  gerettet  werden. 

Es  wird  sich  bei  so  mancher,  zu  diesem  Zweck  vorgenommenen  Laparotomie 
herausstellen,  dass  man  mit  der  blossen  Entfernung  des  Tumors  sein  Auskommen 
findet  und  hierauf  die  Austreibung  der  Frucht  auf  dem  natürlichem  Wege  den 
Uteruscontractionen  überlassen  werden  kann.*) 

Von  anderen  die  Schwangerschaft  und  die  Geburt  complicirenden  Tumoren 
seien  hier  die  Bauchäeckentumoren  genannt  und  von  diesen  die  von  den  Fascien  aus- 
gehenden Fibrome  hervorgehoben,  welche  mitunter  den  Beckeneingang  derart  über- 
dachen können,  dass  die  Sectio  caesarea  in  Frage  kommt  und  auch  thatsächlich  aus- 
geführt werden  musste.  (Eheendoefer  u.  A.). 

Ferner  bilden  den  Gegenstand  einer  Schwangerschafts-  und  Geburtscomplication 
ab  und  zu,  die  vom  präperitonealen  Fett  ausgehenden  Lipome^  ferner  Nierensar- 
come,  Echinococcus  der  Leber,  eine  luxirte  zum  Beckeneingang  herabgelangte  leu- 
kämische Milz,  Hämatocele  retrouterina  etc. 

Relativ  häufiger  werden  in  der  Blase  befindliche  Steine  als  ein  Schwangerschaft- 
und  Geburtshindernis  gemeldet.  Gelingt  die  Reposition  über  den  Beckeneingang 
nicht,  dann  kann  in  der  Schwangerschaft  die  Litholapaxie  in  Frage  kommen,  wähi'end 


*)  „Carchiom  der  Scheide"  und  „Carcinom  des  Uterus"  als  Schwangerschafis-  und  Ge- 
burtscomplication vide  pag.  142,  bezw.  146. 


744  SCHWANGERSCHAFTS-  UND  GEBUETSCOMPLICATIONEN. 

in  der  Geburt  eventuell  durch  die  Entfernung  des  Steines   durch   den  Blasenschnitt 
mit  nachfolgender  Blasennaht,  angestrebt  werden  muss. 

4.  Narben. 

Dazu  gehören  Narben  von  geheilten,  conservativ  behandelten  Kaiserschnitten 
Narben  nach  geheilten  Uterusrupturen,  Narben  und  narbige  Stenosen  der  Vagina-, 
mit  ausgebreiteten    Narben  complicirte  Blasencervix-  und    Blasenvaginalfisteln. 

Das  Verhalten '  der  Kaiserschnittnarben  nach  Anwendung  der  alten  Methode 
(ohne  Uterusnaht)  bei  nachfolgender  Schwangerschaft  hat  Kkukenberg  genau  verfolgt. 
In  der  Literatur  fand  Kkukenbeeg  13  Fälle,  wo  die  Ruptur  im  Bereiche  der  alten 
Kaiserschnittnarbe  entstanden  war  und  zum  vollständigen  Austritte  des  Fötus  aus 
dem  Uterus  in  die  Bauchhöhle  führte.  Die  Ruptur  erfolgte  ausnahmslos  schon  in 
der  nächsten  Gravidität,  respective  Geburt  und  wiederholte  sich  noch  in  zwei  Fällen 
der  folgenden  Schwangerschaft.  In  vier  Fällen  erfolgte  die  Ruptur  in  der  zweiten 
Hälfte  der  Gravidität,  in  neun  Fällen  während  der  Geburt.  Ausserdem  fand  Kkuken- 
berg fünf  Fälle,  wobei  keine  völlige  Zerreissung  der  Narbe  erfolgte,  sondern  wo 
sie  nur  massig  auseinander  wich,  so  dass  der  Fötus  im  Uterus  blieb.  Winckel  sen. 
beobachtete  von  vier  Frauen,  welche  nach  dem  ersten  Kaiserschnitte  wieder  gravid 
wurden,  bei  zweien  eine  Uterusruptur  und  wiederholte  sich  bei  einer  derselben  die 
Ruptur  noch  einmal.  Kkukenbeeg  hält  Divertikel  der  Uteruswandung,  deren  Ent- 
stehung durch  Anwachsung  der  Uterusnarbe  an  die  Bauchdecken  begünstigt  wird, 
für  prädisponireud  für  die  Ruptur. 

Die  SÄNGEK'sche  Kaiserschnittmethode,  bei  welcher  eine  exacte  Uterusnaht  an- 
gelegt wird,  hat  diese  von  Kkukenbekg  erwähnte  Prädisposition  wesentlich  herabgesetzt. 
Trotzdem  aber  sprechen  einerseits  die  bei  nachfolgenden  Kaiserschnitten  gemachten 
Wahrnehmungen,  anderseits  jene  Beobachtungen,  dass  trotz  der  exacten  Uterusnaht 
bei  nachfolgenden,  den  Naturkräften  überlassenen  Geburten  oder  per  vias  natu- 
rales in  Angriff  genommenen  und  beendigten  Entbindungen,  sowohl  die  Prädisposi- 
tion zu  Rupturen  besteht,  als  auch  Rupturen  erfolgt  sind.  Aus  der  Literatur  ist 
ersichtlich,  dass  mau  die  Uterusuaht  des  letzten  Kaiserschnittes  während  der  Wehe 
durch  die  ganz  dünnen  Bauchdecken  in  „äusserster  Verdünnung"  mit  den 
verschiedenen  Nahteinschnitten  und  dazwischen  liegenden  Vorbuchtungen  beobachten 
und  die  Silberdrähte  deutlich  fühlen  konnte.  Die  letzteren  ragten,  wie  man  sich 
während  des  zweiten  Kaiserschnittes  überzeugen  konnte,  mit  ihren  Enden  in  die 
Gebärmutterhöhle  hinein.  Dass  aus  einer  „äussersten  Verdünnung",  wenn  nicht  bald 
die  Uteruswandung  künstlich  entspannt  wird,  eine  Ruptur  entsteht,  ist  wahrscheinlich. 

Birnbaum  berichtet  über  eine  Frau,  an  welcher  fünfmal  der  alte  Kaiserschnitt 
ausgeführt  wurde.  Es  wurde,  wenn  auch  nicht  wie  heute,  der  Uterus  genäht. 
Jedesmal  sah  man  am  unteren  Ende  der  Narbe  eine  mit  Blut  gefüllte  blasige  Ab- 
hebung des  Peritoneums  (subperitoneales  Hämatom)  als  erste  Andeutung  einer  bevor- 
stehenden Zerreissung  im  Bereiche  der  alten   Narbe. 

In  einem  vom  uns  beobachtem  Falle  von  conservativen  Kaiserschnitt,  wo  bei 
der  darauf  folgenden  Schwangerschaft  die  künstliche  Frühgeburt  eingeleitet  wurde  im 
Verlaufe  der  Geburt  aber  die  Wendung  ausgeführt  werden  musste,  konnte  eine  Ruptur 
der  alten  Narbe  constatirt  werden.  Dabei  hat  es  sich  herausgestellt,  dass  die  Narbe 
durch  eine  bandförmige  Adhaesion  an  die  Bauchdecken  fixirt  war.  Aus  all  dem  Ge- 
sagten wird  das  therapeutische  Handeln  dahin  zu  richten  sein,  durch  rechtzeitige 
Inangriffnahme  eines  neuerlichen  Kaiserschnittes  die  Berstung  der  alten  Narbe  zu 
verhindern. 

So  wie  mit  den  Kaiserschnittnarben  verhält  sich  ähnlich  mit  den  Narben  nach 
geheilten  TJterusrtipturen.  So  berichtet  Rosifi  über  eine  Frau,  bei  welcher  viermal 
die  Ruptur  erfolgte  mit  Austritt  der  Frucht  in  die  Bauchhöhle.  Albeets  behandelte 
eine  complete  Ruptur  bei  einer  Frau  mit  engem  Becken,  bei  welcher  früher  bereits 
eine  incomplete  Ruptur  entstanden  war.  Wenzel  beschrieb  zwei  Fälle,  wo  sich 
die  Ruptur  wiederholte  und  wollen  wir  bei  einem  dieser  Fälle  hervorheben,  dass  das 


SCHWANGERSCIIAFTS-  UND  GEBUßTSCOMPLICATIONEN.  745 

vorgefallene  Omentum  in  den  Riss  einheilte  und  zum  Tlieil  gangränescirte,  worauf 
dann  bei  der  nächsten  Gehurt  an  dieser  Stelle  neuerlich  eine  Ruptur  entstand. 
Sehr  interessant  ist  der  von  C.  Breus  mitgetheilte  Fall,  welcher  illustrirt, 
dass  nicht  alle  Uterusrupturen  in  der  Weise  ausheilen,  dass  eine  Continuität  der 
Muskelsubstanz  hergestellt  wird,  sondern,  dass  an  Stelle  der  Ruptur  ein  Spalt 
persistiren  kann,  der  zu  einem  gegen  die  Peritonealhöhle  abgeschlossenen  Cavum 
zwischen  den  Blättern  des  Lig.  lat.  führt.  Auch  Rokitansky  (Lehrbuch  der  path. 
Anatomie,  1861)  sah  solche  persistirende  Defecte  der  Uteruswandung  nach  Rupturen. 
Hingegen  wurden  von  Bandl,  Rakin  und  Lederer  u.  A.  Fälle  bekannt,  wo  die 
Frauen  bei  neuerlichen  Geburten  ohne  Uterusruptur  niederkamen.  In  dem  von  Bandl 
beschriebenen  mit  einem  engen  Becken  cemplicirten  Falle  wurde  die  künstliche  Früh- 
geburt eingeleitet.  Breus  hat  auch  aufmerksam  gemacht,  das  Oertlichkeit,  Grösse 
des  Risses,  Dauer  und  Ausdehnung  der  Extravasation,  sowie  verschiedene  andere 
Complicationen  auf  die  Art  der  Ausheilung  der  Rupturen  einen  Einfluss  üben. 

Es  scheint,  als  ob  jene  Fälle,  wo  der  Riss  sass  und  mit  einer  weiten  Abhebung 
des  Peritoneums,  sowie  einem  weiten  Auseinandergehen  der  Blätter  des  Lig.  lat. 
verbunden  war,  für  die  Entstehung  einer  neuerlichen  Ruptur  disponiren  möchten. 
Ferner  auch  jene  Fälle,  wobei  das  vorgefallene  und  in  die  Wunde  eingeheilte  Omen- 
tum eine  solide  Verwachsung  der  Rissränder  verhinderte.  Auch  ist  die  Annahme 
nicht  von  der  Hand  zu  weisen,  dass  das  enge  Becken,  welches  bei  der  Austreibung 
der  Frucht  eine  grössere  Anforderung  auf  die  Leistung  des  Corpus  uteri  stellt,  eine 
Wiederholung  der  Cervixrupturen  begünstigt. 

Bandl  schlug  vor,  bei  einer  neuerlichen  Gravidität  die  künstliche  Frühgeburt 
einzuleiten.  Wir  glauben,  die  Prophylaxis  bei  solchen  Fällen  dahin  zusammenfassen 
zu  dürfen,  dass  bei  Verhältnissen,  wie  sie  oben  geschildert  sind,  die  künstliche 
Frühgeburt  einzuleiten,  während  bei  normalem  Becken  zuzuwarten  w"äre.  Jedenfalls 
ist  sowohl  während  der  Gravidität,  als  auch  insbesondere  während  der  Geburt  die 
grösste  Vorsicht  dringend  geboten. 

Nach  Verletzungen  der  Vagina  bei  Geburten,  ferner  bei  Anwendung  starker 
Aetzmittel  auf  die  Schleimhaut,  sowie  nach  einer  diphtheritischen  Erkrankung  der 
Vaginalschleimhaut  und  nach  gangränösen  Processen  im  Wochenbett,  können  narbige 
Stenosen  der  Vagina  entstehen  und  sind  die  hochsitzenden  mit  einer  Stenose  des 
Cervicalcanals,  die  tiefsitzenden  mit  einer  Stenose  der  Vulva  meist  combinirt.  Je 
nach  dem  Grade  der  Verengerung  verursachen  sie  ein  grösseres  oder  kleineres 
Geburtshindernis.  Breitbasige  Narben  können  die  schwersten  Geburtscomplicationen 
veranlassen. 

Das  therapeutische  Handeln  wird  einerseits  vom  Sitz  der  Stenose,  anderer- 
seits von  deren  Grad  abhängen.  Bei  tiefsitzenden  wird  von  der  Einleitung  einer 
künstlichen  Frühgeburt  viel  zu  erhoffen  sein  und  kann,  wenn  der  andrängende  Frucht- 
theil  die  stenosirte  Partie  nicht  selbst  erweitert,  durch  Incisionen  nachgeholfen 
werden.  Bei  hochsitzenden  narbigen  Stenosen  kann  zu  diesen  Eingriffen  nur  bei 
Vorhandensein  nicht  zu  dicker  Narbenmassen  angerathen  werden.  Auch  würde  es 
sich  empfehlen  schon  während  der  Schwangerschaft  die  Dilatation  der  stenosirten 
Stelle  anzustreben;  da,  wo  dies  nicht  geht,  ist  es  rathsam  lieber  die  Schwangerschaft 
nicht  zu  stören  und  im  Beginn  der  Wehen  genau  zu  beobachten,  ob  nicht  jetzt  die 
Dilatation  vor  sich  gehe.  Doch  warte  man  nicht  gar  zu  laug,  sondern  entschliesse  sich 
lieber  zum  Kaiserschnitt,  der  in  vielen  Fällen  der  einzige  Ausweg  ist.  Je  früher  man 
den  Eingriff  unternimmt,  umsomehr  Aussicht  hat  man,  sowohl  das  mütterliche  als  auch 
das  kindliche  Leben  zu  erhalten.  Bei  Kaiserschnitten,  welche  durch  hochsitzende 
narbige  Stenosen  indicirt  sind,  ist  nur  die  PoEEo'sche  Methode  zu  wählen,  da  selbst 
in  jenen  Fällen,  wo  die  stenosirte  Stelle  eine  deutliche  Lücke  gebildet  hat,  bei 
einem  conservativen  Kaiserschnitt,  wenn  sonst  alles  glatt  verlauft,  imbehebbare 
Lochiometra  die  unausbleibliche  Folge  ist. 

Einen  Fall  von  hochgradiger  narbiger  Vaginalstenose  in  Combination  mit  einer 
«ervixstenose  bei  einer  Gebärenden  haben  auch  wir  in  jüngster  Zeit    zu  beobachten 


746  SCHWANGERSCHAFTS-  UND  GEBURTSCOMPLICATIONEN. 

Gelegeulieit  gehabt.  Alle  per  vaginam  angestellten  Versuche,  die  stenosirte  Stelle  zu 
dilatiren  blieben  erfolglos  und  auch  trotz  kräftiger  Wehen  hat  sich  die  stenosirte 
Stelle  nicht  dilatiren  lassen,  während  darüber  die  CoUumdehnung  immer  bedrohlicher 
wurde.  Auch  wir  haben  die  Geburt  durch  die  PoEKo'sche  Operation  beendigt  und 
können  sowohl  für  die  Mutter  als  auch  das  Kind  einen  günstigen  Ausgang  ver- 
zeichnen. 

Xarben,  die  in  Combination  mit  Blasenscheidenfisteln  vorkommen,  haben  nur 
dann  eine  Bedeutung,  wenn  durch  die  Narben  eine  Verziehuug  der  Vagina  ent- 
standen ist  und  die  Narben  sich  sehuenartig  gegen  das  Vaginallumen  vordrängen. 
Incisionen  je  nach  Bedarf  angebracht,  stellen  die  für  die  Geburt  nöthigen  räum- 
lichen Verhältnisse  her. 

5.  Extrauterine  Schwangerschaft. 

Fälle,  wo  die  intrauterine  Gravidität  gleichzeitig  mit  einer  extrauterinen  com- 
binirt  ist,  also  Zwillingsschwangerschaft  dieser  Art,  stehen  nicht  mehr  in  der  Be- 
obachtung vereinzelt  da.  Die  Literatur  weist  bis  zum  Jahre  1890  44  Fälle  auf.  Aus 
der  Beschreibung  dieser  Fälle  ist  zu  entnehmen,  dass  das  Zustandekommen  dieser 
Zwillingsschwangerschaft  auf  einer  Superfoetation  beruht,  wobei  aus  einer  Ovulations- 
periode  ein  befruchtetes  Eichen  sich  in  der  Tube  festgesetzt  hat,  während  ein  befruch- 
tetes Eichen  aus  einer  andern  Ovulationsperiode  sich  intrauteiiu  zu  entwickeln 
beginnt.  Hinsichtlich  des  sich  ektopisch  entwickelnden  Eichens,  wird  als  dessen  Sitz  in 
der  Literatur  nur  die  Tuba  genannt  und  von  dieser,  wie  es  bei  den  Tubenschwanger- 
schaften in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fall  ist,  die  linke.  Uebereinstimmender 
Weise  erfolgt  zunächst  die  Schwängerung  der  Tuba  und  erst  secundär  in  einer  der 
nächsten  Ovulationsperioden  jene  des  Uterus,  so  dass  der  tubare  Zwilling  immer 
der  ältere  ist. 

Der  Verlauf  der  Schwangerschaft  ist  selten  so,  dass  beide  Früchte  zur  Reife 
gelangen.  Beeinflusst  durch  den  extrauterinen  Fruchtsack,  können  sich  in  einer 
beliebigen  Schwangerschaft  Contractionen  des  Uterus  einstellen,  mit  welchen  das 
intrauterine  Ei  ausgeschieden  wird.  Vielleicht  trägt  zur  vorzeitigen  Unterbrechung 
der  intrauterinen  Gravidität  auch  der  Umstand  bei,  dass  es  zu  einem  vorzeitigen 
Absterben  der  intrauterinen  Frucht  kommt.  Wenigstens  ist  aus  den  44  aus  der 
Literatur  bekannten  Fällen  ersichtlich,  dass  von  den  intrauterinen  Früchten  nur 
7  lebend  geboren  wurden.  Ob  es  mit  dem  Absterben  des  uterinen  Zwillings  gleich- 
zeitig auch  beim  extrauterinen  ebenso  häutig  zum  Absterben  kommt,  konnte  bis  jetzt 
nicht  ermittelt  werden,  da  diese  Art  der  Zwillingsschwangerschaft  primär  erst  einmal 
zuverlässig  diagnosticirt  wurde,  während  nur  ein  Theil  der  übrigen  Fälle  als  solche 
erst  nach  der  Geburt  des  intrauterinen  Zwillings  erkannt  wurde.  Dass  der  tubare 
Zwilling  nach  der  Geburt  des  intrauterinen,  auch  wenn  letzterer  schon  vor  längerer 
Zeit  abgestorben  war,  fortleben  kann,  ist  aus  der  Beobachtung  erwiesen. 

Trotz  der  Thatsache,  dass  während  der  Contractionen  des  Uterus  die  gravide 
Tuba  mit  dem  Eisack  bersten  und  die  Frucht  in  die  Bauchhöhle  austreten  kann, 
worauf  dann  ein  secundärer  Fruchtsack,  bestehend  aus  Pseudomembranen,  Darm- 
wandungen und  Netz  sich  entwickelt,  kann  die  Frucht  weiter  fortleben,  wenn  der 
Tubarriss  an  einer  Stelle  erfolgt  ist,  wo  keine  namhaften  Blutgefässe  liegen  und 
wenn  er  nicht  in  dem  Bereich  der  Placenta  zu  liegen  kam.  Dass  die  Lebens- 
bedingungen nicht  so  sind,  wie  zur  Zeit  als  noch  das  Ei  intact  gewesen  ist,  erhellt 
daraus,  dass  von  den  tubaren  Zwillingen  keiner  lebend  gewonnen  wurde. 

Die  Diagnose  dieser  Anomalie  ist  selbstverständlich  sehr  schwer  zu  stellen. 
Wie  schon  erwähnt,  wurde  nur  ein  einziger  Fall  primär  diagnosticirt.  In  einer  An- 
zahl der  Fälle  halfen  die  Schwangeren  selbst  die  Diagnose  stellen,  indem  sie  nach 
der  Geburt  des  intrauterinen  Zwillings  die  Angabe  machten,  dass  sie  Fruchtbewe- 
gungen weiter  verspüren.  Dann  ist  die  Sicherstellung  der  Diagnose  nicht  schwer, 
wenn  man  eine  gründliche  Untersuchung  vornimmt,  wobei  auf  die  Benützung  des 
Stethoskopes  nicht  zu  vergessen  ist.    Dass  nach  dem    Absterben    der    Frucht    Ver- 


SCIIWANGERSCHAFTS-  UND  GEBURTSCOMPLICATIONEN.  747 

weclisluügen  mit  Ovarialgeschwülsten  oder  Uterustumoren  vorkommen   können,  liegt 
auf  der  Hand. 

Die  Therapie  muss  vom  Standpunkte  der  extrauterinen  Schwangerschaft  auf- 
gefasst  werden.  Hier  sei  nur  erwähnt,  dass  von  19  Müttern,  welche  nicht  operirt 
wurden,  11  starben, 

6.  Bildungsfehler  der  Genitalien. 

Uterus  hicornis.  Den  Doppelmissbildungen  des  Uterus*)  kommt  man  dann  am 
leichtesten  anf  die  Spur,  wenn  bei  der  Untersuchung  eine  Verdoppelung  der  Scheide 
constatirt  wird,  es  liegt  dann  die  Vermuthung  nahe,  dass  auch  der  Uterus  eine 
Störung  in  der  embryonalen  Entwicklung  erfahren  hat.  Dass  bei  den  Verdoppelungen 
des  Genitales  auch  Gravidität  eintreten  könne,  liegt  auf  der  Hand  und  existirt  in 
der  Literatur  bereits  eine  grosse  Beobachtungsreihe.  Je  nach  der  Art  der  Missbildung 
des  Uterus  wird  die  Diagnose  dieser  Complication  in  der  Schwangerschaft  und  während 
der  Geburt  verschieden  schwer  sein.  Auch  die  Schwere  der  Schwangerschafts-  und 
Geburtscomplication  bei  Verdoppelung  der  inneren  Genitalien  hängt  von  der  Art  der 
Missbildung  ab.  Bei  Verdoppelungen  des  Uterus,  sind  verschiedene  Unterarten 
möglich;  zunächst  die  volle  DupUcität,  bei  welcher  auch  zwei  Vaginen  anzutreffen 
sind.  Es  kann  entweder  ein  Uterus  geschwängert  werden  oder  beide  Uteri.  Durch 
die  doppelte  Vagina  aufmerksam  gemacht,  ist  die  Diagnose  nicht  schwer.  Man  findet 
den  geschwängerten  Uterus  entsprechend  verlagert  und  vergrössert  und  den  leeren 
Uterus  diesem  seitlich  aufsitzend.  Durch  eine  Sondenuntersuchung  lässt  sich  nach- 
weisen, dass  eben  der  zweite  Uterus  leer  ist. 

Sind  beide  Uteri  geschwängert  und  die  Schwangerschaft  etwas  vorgeschritten, 
dann  ermöglicht  der  tiefe  Einschnitt  zwischen  den  beiden  Uteruskörpern  die  Diagnose 
und  schliesst  die  Vermuthung,  dass  es  sich  um  einen  Uterus  arcuatus  handle,  aus, 
nachdem  bei  letzterem  nicht  eine  Trennung  der  Uteruskcrper,  sondern  nur  eine  Ver- 
tiefung im  Bereiche  des  Grundes  handelt,  welche  die  Andeutung  der  Zweitheilung 
hervorbringt. —  Bei  der  Schwangerschaft  nur  eines  Uterus  pflegen  keine  Störungen 
zu  entstehen.  Sind  beide  Uteri  gravid,  dann  kann  das  Ei  des  einen  durch  jenes  des 
andern  im  Wachsen  beeinflusst  werden  und  eine  vorzeitige  Unterbrechung  der 
Schwangerschaft  einer  oder  beider  Seiten  die  Folge  sein.  Auch  liegt  es  nahe,  dass 
bei  der  Geburt  Complicationen  seitens  der  Früchte  entstehen  können,  wenn  die 
Schwangerschaft  bereits  weit  fortgeschritten  war. 

Handelt  es  sich  um  einen  Uterus  duplex  septus,  dann  sind  hinsichtlich  der 
Schwängerung  desselben  ähnliche  Arten  möglich,  wie  bei  vollkommen  Getrenntsein  der 
Uteri.  Hinsichtlich  des  Verlaufes  der  Schwangerschaft  sei  aber  erwähnt,  dass  Abortus 
zu  häufigen  Vorkommnissen  gehört  und  die  Zerreissung  der  Scheidewand  während 
der  Geburt  verbunden  mit  starken  Blutungen  vorkommen  kann. 

Handelt  es  sich  um  eine  vollkommene  Trennung  der  Uteri  oder  um  einen 
Uterus  duplex  septus,  dann  kommt  es  immer  im  leergebliebenen  Uterus  während  der 
Schwangerschaft  zur  Bildung  einer  Decidua,  die  sich  im  Wochenbette  exfoliirt  und 
ausgestossen  wird. 

Der  Uterus  hicornis  arcuatus  ist  aus  der  Form  nicht  schwer  zu  erkennen.  Bei 
demselben  kann  es  auffallen,  dass  die  eine  Hälfte  weich,  die  andere  härter  ist,  wenn 
das  Fruchtwasser  nach  einer  Hälfte  verdrängt  ist,  während  sich  in  der  anderen  der 
Steiss  oder  der  Kopf  der  Frucht  befindet.  Bei  der  Geburt  ist  die  Frucht  meist  in 
einer  Querlage. 

Uterus  unicornis.  Ist  ein  Uterushorn  rudimentär  geblieben,  während  das  andere 
zu  einer  vollen  Entwicklung  gelangt  ist,  handelt  es  sich  also  um  einen  Uterus  uni- 
cornis und  wird  das  entwickelte  Hörn  geschwängert,  dann  kann  aus  der  Gestalt  und 
Lage  des  schwangeren  Uterus  auf  diese  Anomalie  geschlossen  werden.  Die  Schwanger^ 
Schaft  und  auch  die  Geburt  braucht  dabei  keine  nennenswerthen    Störungen   zu  er- 


*)  Vergl.  „Bildiüigsanomalien  der  weiblichen   Sexualorgane" ,  ]}ag.  101.  u.  ff. 


748  SELBSTENTWICKELUNG  UND  SELBSTWENDUNG. 

fallreu.  Anders  yerliält  es  sich,  wenn  das  rudimentäre  Hörn  geschwängert  wurde; 
zufolge  der  schwachen  Entwicklung  der  Wandungen  derselben  kommt  es  zu  häufigen 
Berstungen.  Bleibt  diese  aus  und  entwickelt  sich  das  Ei  im  rudimentären  Hörn 
weiter,  dann  ist  die  Diagnose  ungemein  schwer  zu  stellen  und  wird  meistens  eine 
Tubeugravidität  angenommen.  Für  die  Therapie  ist  dies  auch  gleichwerthig,  nachdem 
bei  einer  Schwangerschaft  im  rudimentären  Hörn  die  Exstirpation  des  Fruchthalters 
gerade  so  wie  bei  einer  Tubengravidität  angezeigt  erscheint. 

Von  den  häufigsten  Missbildungen  der  Scheide  wären  jene  zu  nennen,  wo  ent- 
tceder  das  ganze  Scheidenrohr  oder  ein  Theil  desselben  durch  eine  gerade  von  vorne 
nach  rüchvärts  gerichtete  Wand  getrennt  ist.  Bei  vollständiger  Wand  sind  zwei  Va- 
ginen anzutreifen  und  selbstverständlich  auch  zwei  Vaginalportionen  und  zwei  Hymen. 
Zwei  vollständig  getrennte  Hjanen  findet  mau  auch,  wenn  die  Scheidewand  den  unteren 
Antheil  des  Scheidenrohres  einnimmt,  während  im  oberen  Autheil  eine  Communication 
beider  Vaginen  besteht.  Es  kann  aber  auch  eine  von  den  Vaginen  in  dem  Sinne 
rudimentär  entwickelt  sein,  dass  nur  der  obere  Antheil  der  Vagina  besteht  und  seitlich 
von  der  vollkommen  entwickelten  Vagina  einen  Abschluss  findet.  Wenn  diese  rudi- 
mentäre Vagina  mit  einem  dazu  gehörigen  Uterus  communicirt,  dann  muss  sich  das 
Menstrualblut  in  der  einen  Vaginalhälfte  ansammeln  und  einen  Tumor  bilden,  welcher 
unter  dem  Namen  Haematokolpos  lateralis  bekannt  ist.  Es  braucht  nicht  erst  er- 
wähnt zu  werden,  dass  wenn  die  freie  Seite  geschwängert  wurde,  während  der  Ge- 
burt Complicationen  seitens  des  erwähnten  Tumors  resultiren  können,  die  in  operativer 
Weise  beseitigt  werden  müssen. 

Die  ganze  Vagina  durchsetzende  Septa  erzeugen  gewöhnlich  keine  Geburts- 
complicationen  bis  auf  den  Umstand,  dass  das  Septum  während  der  Geburt  zerreissen 
kann.  Septa,  die  nur  den  unteren  Abschnitt  der  Vagina  einnehmen,  verhalten  sich 
ebenso,  wie  die  eben  erwähnten,  wenn  der  andrängende  Fruchttheil  das  Septum  nach 
der  Seite  geschoben  hat;  geschieht  letzteres  nicht,  dann  kann  sich  der  Fruchttheil 
am  oberen  Kande  des  Septums  anstemmen  und  das  weitere  Vorrücken  verhindern, 
wie  wir  in  einem  Falle  zu  beobachten  Gelegenheit  gehabt  haben.  Durch  eine  partien- 
weise doppelte  Unterbindung  des  Septums  und  der  Trennung  der  dazwischen  liegenden 
Theile  wird  das  Geburtshindernis  beseitigt. 

7.  Ascites. 

Als  Complication  der  Schwangerschaft  kommt  der  Ascites  selten  vor  und  ist 
dann  immer  als  Begleiterscheinung  irgend  eines  anderen  Grundleidens,  insbesondere 
von  Herzfehlern  anzusehen.  Seltener  trifft  man  bei  Morbus  Brightii  während  der 
Schwangerschaft  trotz  anderweitiger  bedeutender  Transsudationen  einen  Ascites  an. 
Auch  Beckenexsudate  werden,  wenn  sie  Stauung  hervorrufen  als  Ursache  von  Ascites 
genannt. 

Geringer  Ascites  braucht  für  die  Schwangere  keine  weiteren  Belästigungen  zu 
bedingen,  hingegen  gibt  ein  hochgradiger  Ascites  Veranlassung  zur  Function.  Diese 
kann,  wenn  der  Uterus  noch  nicht  sehr  ausgedehnt  ist,  in  der  Linea  alba,  bei  vor- 
schrittener  Schwangerschaft  an  der  Seite  gemacht  werden.  Trotz  der  Entleerung  der 
ascitischen  Flüssigkeit  pflegen  dennoch  Frühgeburten  nachzufolgen,  was  im  Grunde 
genommen  als  günstig  zu  betrachten  ist,  da  nach  der  Entleerung  des  Uterus  auch 
bei  schwereren  Grundleiden  eine  Euphorie  beobachtet  wird.  Im  Uebrigen  hängt  die 
Prognose  von  der  Art  und  dem  Grade  des  Grundleidens  ab  und  richtet  sich  darnach 
auch  die  Therapie. 

Als  bedenklicher  sind  jene  Fälle  aufzufassen,  bei  welchen  der  Ascites  mit 
Hydrops  amnii  und  Hydrocephalus  complicirt  ist.  piskacek. 

Selbstentwickelung  und  Selbstwendung.  Unter  Seibstwendung  ver- 
stehen wir  eine  im  Gegensatze  zu  der  vom  Geburtshelfer  vollzogenen  von 
den  Naturkräften  allein  vollzogene  Wendung  („natürliche  Wendung"  nach 
Betschler,  versio  spontanea)  d.  h.  die  Verwandlung  einer  regelwidrigen  Kindes- 
lage in  eine  regelmässige  durch  alleiniges  Wirken  der  Naturkräfte. 


SELBSTENTWICKELUNG  UND  SELBSTWENDUNG.  749 

Bartholinus  berichtet  aus  dem  17.  Jahrhundert  eine  Geburt,  wo  die  vorgefallene 
Hand  und  Schulter  bei  einer  Querlage  mit  Zangen  abgerissen  wurden,  die  Frau  sich  wei- 
terem Operiren  widersetzte  und  in  der  folgenden  Nacht  spontan  niederkam.  Roedkrer  be- 
schreibt eine  Spontanaustreibung  der  Frucht  2  Stunden,  nachdem  eine  Hebamme  bei  Nabel- 
schnurvorfall einen  vorgefallenen  Arm  so  tief  als  möglich  in's  Becken  herabgezogen  hatte. 
Nannoni  beschrieb  1785  zuerst  die  Selbstwendung.  Velpeau,  Peu,  de  la  Motte,  Fischet 
DE  Flechy  beobachteten  sie  in  Frankreich.  Der  Wundarzt  Gyon  zu  Carpentras  theilte  1771 
der  Pariser  Akademie  einen  Fall  von  Spontanaustreibung  der  Frucht  bei  vorgefallenem 
Arm  mit.  Denman  beobachtete  1772,  1773,  1774  in  England  Selbst  Wendungen,  stellte  30 
Fälle  zusammen,  lenkte  die  Aufmerksamkeit  der  Fachgenossen  darauf.  Denman  nimmt  an, 
dass  der  Steiss  in  dem  Maasse  herabtritt  bei  Querlagen  mit  vorliegender  Schulter  als  die 
Schulter  in  die  Höhe  gedrängt  wird,  der  Körper  dreht  sich  also  um  eine  mediane  Axe,  die 
von  vorn  nach  hinten  geht,  vom  Rücken  zur  Bauchfläche.  Douglas  trat  gegen  die  An- 
nahme denman's  auf,  als  ob  hierbei  die  Schulter  wieder  in  die  Höhe  träte:  er  meint,  es 
könnte  unmöglich  die  obere  Extremität  in  den  sich  zusammenziehenden  Uterus  hinauf- 
treten, der  Arm  und  die  Schulter  kämen  vielmehr  immer  tiefer  herab  und  stemmten  sich 
gegen  die  Schamfuge  an,  während  Brust,  Bauch,  Steiss  und  Füsse  sich  über  den  Damm 
entwickelten,  ohne  dass  der  Arm  und  die  Schulter  sich  zurückzogen.  Es  käme  also  die 
Selbstwendung  nach  der  Ansicht  von  Douglas,  der  sich  Gooch  anschloss,  auf  einen  partus 
conduplicato  corpore  heraus,  entgegen  der  Annahme  einer  richtigen  Wendung  mit  Drehung 
des  Kindes  um  seine  antero-posteriore  Sagittalaxe  nach  Denman.  Seit  Denman  wurden 
die  Fälle  von  Selbstwendung  aufmerksamer  beobachtet  und  alle  Fälle,  wo  Schulter-  und 
Querlagen  spontan  sich  in  Steiss-,  Fuss-  oder  Kopflagen  umwandelten  mit  einbezogen. 
Ficker  beschrieb  eine  spontane  Wendung  auf  den  Kopf  bei  vorgefallenem  Fuss  einer  todt- 
faulen  Frucht  1797,  Vogler  eine  Selbstwendung  auf  den  Kopf  bei  vorgefallener  Hand. 
Münster,  Henschel,  Schmitt  sahen  ähnliche  Fälle,  Boer,  Rowland.  Rau,  Stein,  E.  v. 
Siebold,  Bigelow,  Busch,  Wiedemann,  Fleürant  beobachteten  Selbstwendungen  auf  den 
Steiss  bei  vorliegender  oberer  Extremität. 

BüscH  unterschied  3  Arten  von  Selbstwendung:  1.  Bei  stehender  Blase, 
indem  es  mit  oder  ohne  Hilfe  einer  entsprechenden  Lagerung  der  Frau  den 
Naturkräften  gelingt,  den  vorliegenden,  leicht  seitlich  abgewichenen  Kopf 
oder  Stirn  gerade  zu  stellen,  auf  den  Beckeneingang  zu  bringen,  also  eine 
regelwidrige  Lage  in  eine  regelrechte  zu  bringen.  Wollte  man  jedoch  diese 
Fälle  als  Selbstwendung  bezeichnen,  so  w^äre  die  Selbstwendung  ein  ungemein 
häufiger  Vorgang,  sagte  Scheoeder  mit  Recht.  Am  leichtesten  gelingt  diese 
Art  Selbstwendung  im  Anfange  der  Wehen,  so  lange  diese  noch  schwach  sind, 
da  der  vorliegende  Theil  nicht  sofort  fest  eingepresst  wird. 

2.  Die  zweite  Art  der  Selbstwendung  nach  Abfluss  des  Fruchtwassers  ist 
bedingt  in  dem  Herabtreten  des  höher  liegenden  Körperendes,  während  das 
ursprünglich  tiefer  liegende  zurücktritt,  in  die  Höhe  geht,  eine  richtige  Wen- 
dung —  Drehung  um  die  antero-posteriore  sagittale  Medianaxe  des  Körpers 
vollzogen  wird. 

Das  Eigenthümliche  dieser  Art  der  Selbstwendung  ist,  dass  der  vor- 
liegende oder  vorgefallene  Kindestheil  sich  zurückzieht  und  dafür  der  Kopf 
oder  der  Steiss  in  das  kleine  Becken  eintritt.  Tritt  der  Kopf  ein,  so  macht 
das  Kind  in  der  Gebärmutter  mit  seiner  Längsaxe  eine  geringe  Drehung, 
indem  es  nur  aus  der  schiefen  Richtung  in  eine  perpendiculäre  übergeht, 
so  in  den  nicht  seltenen  Fällen,  wo  der  vorgefallene  Arm  liegen  bleibt  und 
der  Kopf  neben  ihm  herabtritt.  Wird  der  Steiss  herabgetrieben,  so  beschreibt 
das  Kind  bei  vorliegender  oberer  Extremität  mit  seiner  Längsaxe  den  grösseren 
Theil  eines  Kreises  und  wenn  hier  der  Arm  vorgefallen  war,  so  zieht  er  sich 
in  der  Regel  zurück,  es  sei  denn  der  Foetus  sehr  klein,  weich  und  leicht 
compressibel.  Hierbei  wird  das  Kind,  also  bei  Selbstweudung  auf  den  Steiss,  meist 
todt  geboren,  während  bei  Selbstwendung  auf  den  Kopf  bei  nicht  allzu  starken 
Wehen  die  Geburt  eines  lebenden  Kindes  öfters  beobachtet  wurde.  Nachdem 
die  vorliegende  Schulter  bereits  tief  in  den  Beckeneingaug  hineingepresst 
ist,  findet  hier  die  Selbstwendung  nach  ScHRorDSR  nur  ausserordentlich  selten 
noch  statt.  Aber  selbst  wenn  der  Kopf  etwas  in  die  Höhe,  der  Steiss,  indem 
die  Schulter  das  kleine  Becken  wieder  verlässt,  tiefer  tritt,  kann  in  der 
Regel  die  Geburt  nicht  durch  die  Naturkräfte  bewirkt  werden  nach  Schroeder 


750  SELBSTENTWICKELUNG  UND  SELBSTWENDUNG. 

ausser  bei  kleinem,  unreifem  Kinde  (Zweiter  Zwilling)  und  in  dem  Querdurch- 
messer wenigstens  weitem  Becken.  Erleichtert  wird  dieser  Vorgang  durch 
Weichheit  und  Compressibilität  des  Kindes,  besonders  also  bei  todtfaulen 
macerirten  Früchten.  Nach  Schroeder  ist  der  Mechanismus  dabei  fol- 
gender: Durch  die  kräftigen  Wehen  wird  die  Schulter  immer  tiefer  in 
das  Becken  hineingepresst  und  dreht  sich  als  vorausgehender  Theil  nach 
vorn.  Sie  tritt,  während  der  Kopf  im  grossen  Becken  liegt,  unter  die  Sym- 
physe; die  Längsaxe  des  Kindes  ist  dabei  dermaassen  gekrümmt,  dass  Kopf 
und  Steiss  dicht  an  einander  liegen.  Durch  kräftige  Wehen  wird  nun  der 
ganze  Rumpf  des  Kindes  an  der  Schulter  vorbeigetrieben,  so  dass  erst  die 
gleichnamige  Seite  der  Brust,  dann  das  Becken  und  dann  die  Beine  geboren 
werden   und   der  Kopf  zuletzt   kommt. 

3.  Die  dritte  Art  der  Selbstwendung,  genauer  gesagt  Selbstentwicklung 
(evolutio  spontanea)  ist  nach  Busch  der  partus  conduplicato  corpore 
spontane  gewaltsame  Austreibung  des  fehlerhaft  gelagerten  Kindes,  das  doppelt 
zusammengelegt  geboren  wird.  Diese  Art  Selbstentwicklung  kommt  nach 
Wasserabfluss  bei  Schulter-  und  Seitenbrustlagen  vor  und  zwar  bei  denjenigen 
Unterarten  dieser  Lagen,  in  welchem  der  Kopf  des  Kindes  vorn  über  einem 
der  horizontalen  Schambeinäste  steht,  dass  untere  Rumpfende  aber  nach 
hinten  in  einer  der  Kreuzdarmbeinaushöhlungen  gelagert  ist.  Die  vorliegende 
Schulter  wird  immer  tiefer  in  das  kleine  Becken  herabgetrieben  und  stemmt 
sich  endlich  fest  hinter  der  Schambeinfuge  an,  während  das  Acromion  äusser- 
lich  sichtbar  wird. 

Indem  die  weitere  Geburt  der  Schulter  nun  durch  den  hochstehenden 
Kopf  verhindert  wird,  wird  der  übrige  Theil  des  Kindeskörpers  an  der  hin- 
teren Wand  des  kleinen  Beckens  herabgepresst,  und  so  tritt  zuerst,  gewöhnlich 
mehr  mit  der  einen  Seite  des  Körpers,  der  Thorax,  dann  der  Bauch,  der 
Steiss  und  die  unteren  Extremitäten  herab.  Erst  nachdem  diese  Theile  her- 
vorgetreten sind  unter  kugliger  Vorwölbung  des  Dammes,  folgen  die  zurück- 
gehaltene obere  Extremität  und  der  Kopf,  die  nunmehr  nach  der  vorausgegan- 
genen gewaltsamen  Ausdehnung  der  Scheide  leicht  geboren  werden;  viel 
seltener  entwickelt  sich  der  Thorax  statt  mit  der  Seite,  mit  dem  Rücken  vor- 
aus. Begünstigend  für  diese  Spontanevolution:  starke  Wehen,  weites  Becken, 
kleines  Kind  (Zwilling),  todtfaules  Kind.  Jedoch  sind  auch,  wenngleich  in 
seltenen  Fällen,  lebende  Kinder  so  geboren  worden  und  zwar  war  ist  es  meist 
der  zweite  Zwilling,  der  lebend  so  geboren  wurde,  nachdem  der  erste  durch 
Dehnung  der  Geburtswege  bereits  Bahn  geschaffen.  Die  für  das  Leben  des 
Kindes  gefährliche  Zusammenlegung  (Conduplication  des  Körpers)  dauerte 
nur  momentan.  So  war  es  in  den  Fällen  von  Ricker,  Vezin,  Betschler, 
wo  stets  ein  zweiter  Zwilling  conduplicato  corpore  lebend  geboren  worden. 
Hayx  unterschied  5  Arten  von  Selbstwendung,  Betschler  wollte  die  Geburt 
conduplicato  corpore  ganz  trennen  von  den  sogenannten  Selbstwendungen.  Die 
Prognose  der  Selbstwendung  ist  bei  der  ersten  Art  der  Eintheilung  von  Busch 
gut,  bei  der  zweiten  sehr  zweifelhaft,  fast  immer  für  das  Kind  tödtlich,  da 
nur  kleine  unreife  Kinder,  die  bald  nach  der  Geburt  an  Lebensschwäche 
sterben,  das  Becken  so  passiren  können.  Ausnahmsweise  kann  jedoch  ein 
Kind  diesen  Geburtsmechanismus  überleben,  so  z.  B.  in  dem  Falle  von  Kuhn, 
wo  ein  Kind  von  17V2  Zoll  Länge  und  4^2  U  Gewicht  durch  Selbstentwick- 
lung geboren  am  Leben  blieb.  Schlimmer  ist  die  Prognose  bei  Combination 
mit  engem  Becken  für  Mutter  und  Kind,  so  manche  Frau  ist  der  Sepsis  er- 
legen, (Uterusrupturen  u.  s.  w^),  viele  Frauen  sind  durch  die  Geburt  dauernd  geschä- 
digt worden.  Ich  hatte  in  meiner  Klinik  im  Evangelischen  Hospital 
in  Warschau  eine  30-jährige  Frau  im  Behandlung  wegen  post  partum  acqui- 
rirter  ausgedehnter  Scheidenatresie.  Kind  in  Querlage  mit  vorliegender  Hand, 
die  Hebamme  zog  die  Hand  bis  vor  die  Vulva  herab,    ein   Arzt  exarticulirte 


Busch 

6.180 

2 

Spaeth 

12.523 

5 

Kuhn 

17.375 

9 

Klein  WÄCHTER 

3.345 

5 

SELBSTENTWICKELUNG  UND  SELBSTWENDUNG.  751 

den  Arm,  am  nächsten  Tage  den  zweiten  Arm,  dann  1)1  ieb  er  fort,  3  Tage  später 
Spontanaustreibung  des  Kindes  nacli  Selbstwendung,  G  wöclientliclies  Kranken- 
lager mit  ausgedehnter  vollständiger  Scheidenatresie. 

Eine  gute  Bearbeitung  hat  1871  die  Selbstentwicklung  durch  Klein- 
wächter gefunden,  der  nach  seinen  Beobachtungen  die  Selbstentwicklung  für 
ein  nicht  so  überaus  seltenes  Ereignis  hält,  als  gemeinhin  angenommen  wird. 
Sie  wird  häufiger  beobachtet  in  Anstalten,  die  dem  abwartenden  Princip  hul- 
digen und  nicht  sofort  operativ  angreifen. 

Kieker  fand  auf    220.000  Geburten     10     Selbstwendungen  =  0-004 7o 

=  0-03«/o 
--=  0-037o 
=  0-05% 
--=  0-057o 

Während  seiner  2-jährigen  Assistentendienste  fand  er  auf  32  Quer- 
lagen 6  mal  spontane  Austreibung  1  mal  durch  Selbstwendung,  5  mal  durch 
Selbstentwicklung,  also  Spontangeburt,  in  18,  75  7o  ^on  Querlagen  u.  zw.  3  mal 
Selbstwendung  im  Beckenausgange  —  nachdem  der  Steiss  über  den  Damm  getre- 
ten, folgte  der  Kopf  mit  allen  4  Extremitäten  zugleich  —  und  2  mal  Durch- 
treten conduplicato  corpore.  Infolge  seiner  Erfahrungen  tritt  Kleinwächter 
gegen  die  Naegeli'sche  Lehre  auf,  im  gegebenen  Falle  operativ  auf  jeden  Fall 
anzugreifen  schon  der  Mutter  wegen,  und  will  bei  normalem  Becken,  nach 
Wasserabfluss,  bei  Unmöglichkeit  der  Wendung,  kleiner  nicht  ausgetragener 
Frucht,  stärkere  Wehen  abwarten  statt  sofort  zur  Embryotomie  zu  greifen. 

In  seiner  eigenen  Praxis  beobachtete  Kleinwächter  (1889)  auf  8000 
Geburten  die  Selbstwendung  einmal.  Lebend  geboren  wurde  die  Frucht  in 
den  Fällen  von  Thedenas,  Stanley,  Haynes,  Taylor,  in  den  Fällen  von 
Thedenas,  Genenil  war  der  Uterus  zweihörnig.  Seit  1879  beobachteten  auch 
noch  Underhill,  Cordes,  Murphy  und  Hine  Selbstwendung.  Die  Selbst- 
entwicklung ist  viel  häufiger,  d.  h.  also  eine  Selbstwendung  erst  im  Becken- 
ausgange, während  die  Selbstwendung  sensu  strictiori  im  grossen  Becken  ein 
Aufwärtstreten  des  vorliegenden  Theiles  in  sich  schliesst.  Spieoelberg  er- 
wähnt 14  Fälle  von  Selbstentwicklung  lebender  Kinder,  Kleinwächter  hat 
3  mal  Selbstentwicklung  einer  lebenden  Frucht  erlebt.  Auf  8000  Geburten 
sah  Kleinwächter  10  mal  Selbstentwicklung  also  0"127o-  In  3  von  10  Fällen 
betraf  die  Selbstentwicklung  einen  zweiten  Zwilling  sowie  in  den  Fällen  von 
Delmas,  Vezin,  Betschler,  Hinterberger,  Baudelocque,  Kerring,  Leopold, 
Velpeau,  Deligny,  Nelson. 

Bei  Spontanevolution  conduplicato  corpore  ist  nach  Kleinwächter  noch 
niemals  ein  lebendes  Kind  geboren  worden,  ich  möchte  sagen  ein  lebendes, 
lebensfähiges  Kind  geboren  worden. 

Während  Kleinwächter  unter  den  angegebenen  Umständen  bei  unmög- 
licher Wendung,  genügend  weitem  Becken,  kräftigen  Wichen,  kleinem  unaus- 
getragenen  Kinde  die  Selbstentwicklung  ab^varten  will  im  Interesse  der  Mutter, 
empfiehlt  die  Mehrzahl  der  Fachgenossen  ein  actives  Vorgehen,  eine  schonend 
ausgeführte  Embryotomie  oder  wenigstens  eine  Beförderung  der  Selbstent- 
wicklung durch  geeignetes  Ziehen  am  Arm,  resp.  am  Beckenende,  eventuell  auch 
Decapitation,  Excenteration  etc.,  indem  man  dann  die  Frucht  nach  dem  Modus 
der  Selbstwendung  oder  der  Selbstentwicklung  extrahirt.  Chiara  wollte  um 
durch  Zug  die  Selbstentwicklung  zu  unterstützen,  am  Arme  ziehen  oder  einen 
Haken  in  die  Kippen  einsetzen.  Busch  macht  auf  eine  Bedingung  für  das 
erlaubte  Abwarten  der  Selbstwendung  aufmerksam,  es  müsse  der  Kopf  des 
Kindes  nach  vorn  über  einem  der  horizontalen  Schambeinäste,  der  Steiss  aber 
nach  hinten  in  einer  der  Kreuzdarmbeinaushöhlungen  gelagert  sein,  da  nur 
unter  solchen  Umständen,  nie  aber  bei  entgegengesetzter  Lage  jener  Kindes- 
theile  die  Selbstwendung  erfolgt.  franz  neügebaüer. 


752  STERILITÄT. 

Sterilität.  Während  früher  die  Schuld  der  Unfruchtbarkeit  einer  Ehe 
so  gut  wie  immer  der  Frau  beigemessen  wurde,  hat  sich  in  dem  letzten  Jahr- 
zehnt mehr  und  mehr  die  Erkenntnis  Bahn  gebrochen,  dass  jene  sehr  häufig 
auch  an  dem  Mann  liegt.  Fehling  ist  sogar  auf  Grund  von  ihm  angestellter 
Sperma-Untersuchungen  zu  der  Ueberzeugung  gekommen,  dass  die  Ursache 
steriler  Ehen  in  fast  der  Hälfte  der  Fälle  bei  dem  Manne  zu  suchen  ist. 
Referent  zweifelt  nicht  daran,  dass,  wenn  erst  bei  jeder  unfruchtbaren  Ehe 
nicht  nur  die  Frau,  sondern  auch  das  Sperma  des  Mannes  untersucht  wird, 
diese  Ziffer  sich  als  nicht  zu  hoch  gegriffen  herausstellen  wird.  Leider 
scheuen  nicht  nur  viele  Ehemänner  —  und  diese  aus  naheliegenden  Gründen 
—  eine  solche  Untersuchung,  sondern  auch  viele  Aerzte  tragen  Bedenken, 
jenen  sie  zuzumuthen.  Ueberlegt  man  aber,  wie  viele  Frauen  grundlos  unter 
dem  Gedanken,  unfruchtbar  zu  sein,  psychisch  schwer  leiden,  wie  viele  sich 
infolgedessen  immer  wieder  und  wieder  einer  nutzlosen  gynäkologischen  Be- 
handlung unterwerfen,  so  muss  sich  uns  die  Ueberzeugung  aufdrängen,  dass 
es  die  Pflicht  des  Arztes  ist,  die  Behandlung  einer  sterilen  Frau  zu  verweigern, 
ehe  er  nicht  den  Samen  des  Mannes  untersucht  hat,  es  sei  denn,  dass  er  bei 
der  ersteren  pathologische  Zustände  der  Sexualorgane  findet,  welche  an  sich 
eine  Behandlung  erfordern.  Manche  unglückliche  Ehe  kann  dadurch  mit  einem 
Schlag  zu  einer  glücklichen  gemacht  werden,  dass  dem  Ehemann,  welcher 
seine  Frau  wegen  der  mangelnden  Nachkommenschaft  peinigt,  ad  oculos 
demonstrirt  wird,  dass  nur  er  selbst  die  Schuld  hieran  trage. 

Die  Sterilität  des  Mannes  ist  entweder  eine  Folge  einer  Impoten- 
tia  coeundi,  der  Unfähigkeit,  die  Begattung  derart  zu  vollziehen,  dass  durch 
sie  eine  Befruchtung  des  Weibes  ermöglicht  wird,  oder  einer  impotentia  gene- 
randi,  bei  welcher  überhaupt  kein  Sperma  in  die  weiblichen  Genitalien 
ejaculirt  wird  (Äspermatismus)  oder  dasselbe  ausserordentlich  wenig  (Oligozoo- 
spermie), häufiger  gar  keine  Spermatozoon  (Azoospermie)  enthält.  Wahrschein- 
lich kommen  auch  Fälle  vor,  in  welchen  zwar  Spermatozoon  gebildet  werden, 
ihre  Lebensfähigkeit  aber  eine  sehr  geringe  ist. 

Die  Ursachen  der  weiblichen  Sterilität  sind  weit  mannigfachere. 
In  jedem  Abschnitt  des  Genitaltractus  können  sich  Conceptionshindernisse  fin- 
den. Zunächst  wird  ein  solches  gar  nicht  selten  durch  ein  zu  festes,  oder 
mit  einem,  bezw.  mehreren,  zu  kleinen  Oeffnungen  versehenes 
Hymen  abgegeben.  Die  Zerreissung  desselben  auf  natürlichem  Weg  wird  noch 
dadurch  erschwert,  dass  die  fortgesetzten  Cohabitationsversuche  bald  zu  einer 
örtlichen  Entzündung  führen,  welche  jene  ausserordentlich  schmerzhaft  macht. 
Die  Behandlung  besteht  in  gewaltsamer  Durchtrennung  bezw.  Ausschneidung 
des  Hymen  in  Narkose. 

Dass  ein  völliger  Mangel  der  Scheide  oder  des  Uterus  oder  ein 
blindsackförmiges  Enden  der  ersteren  absolute  Sterilität  bedingt, 
liegtauf  der  Hand.  Bei  abnormer  Enge,  welche  in  der  Regel  durch  fort- 
gesetzten geschlechtlichen  Verkehr  verschwindet,  ist  dies  nicht  der  Fall.  Da 
sie  aber  sehr  oft  mit  einer  mangelhaften  Entwicklung  der  übrigen  Sexualor- 
gane Hand   in  Hand  geht,    so    ist  auch  bei  ihr  Unfruchtbarkeit  nicht  selten. 

Abgesehen  davon,  dass  eine  zu  enge  Scheide  die  Immissio  penis  behin- 
dert, kann  sie  ebenso  wie  erhebliche  Kürze  oder  auch  Weite  derselben  auch 
noch  dadurch  das  Zustandekommen  einer  Empfängnis  erschweren,  dass  der 
Samen  nicht  zurückgehalten  wird,  sondern  unmittelbar  post  coitum  wieder 
nach  aussen  abfliesst.  Um  dies  zu  verhindern,  soll  die  Frau  während 
der  Cohibatation  Beckenhochlagerung  einnehmen  und  auch  noch  län- 
gere Zeit  nach  der  Begattung  in  derselben  verbleiben.  Denn  es  ist  weniger 
wichtig,  dass  der  Samen  während  des  Coitus  selbst  in  eine  vorübergehende 
Berührung  mit  der  Portio,  bezw.  dem  Muttermund  kommt,  als  dass  er  nach 
demselben  jene  noch  benetzt. 


STERILITÄT.  753 

Ein  meist  nur  vorübergehendes  Conceptionshindernis  entsteht  durch 
Vaginismus.  (Ueber  Ursachen  und  Behandlung  desselben  s.  „VaginiHmus'% 
Von  manchen  Autoren  wird  eine  zu  saure  lieaction  des  Vaginal- 
schleims als  Sterilitätsursache  angenommen.  Auffallend  ist  es,  dass  bei 
manchen  Frauen  die  in  der  Scheide  befindlichen  Spermatozoen  sehr  schnell 
ihre  Beweglichkeit  verlieren.  Es  kann  die  abnorme  Beschaffenheit  des  Vagi- 
nalsecretes  allein  daran  die  Schuld  tragen.  Möglich  ist  es  aber  auch,  dass 
gerade  die  Spermatozoen  des  betreffenden  Mannes  eine  geringe  Wider- 
standskraft gegen  saure  Flüssigkeiten  besitzen  und  infolgedessen 
schon  durch  normal  reagirendes  Vaginalsecret  geschädigt  werden.  Wie  dem 
auch  sei,  ein  Versuch  mit  Scheidenausspülungen  mit  alkalischen 
Flüssigkeiten  z.B.  Natr.  bicarb.,  Natr.  chlor,  aa  72"/o  f^tler  Natr.  jjhosphor. 
6''/o  (Fehling)  oder  letztere  Lösung  unter  Zusatz  eines  Eiweisses  (chaeikee) 
ist  in  solchen  Fällen  anzurathen. 

Enge  des  äusseren  Muttermundes  kann  unzweifelhaft  ein  Con- 
ceptionshindernis abgeben,  allerdings  seltener  direct,  als  indirect,  indem  sich 
hinter  demselben  in  dem  erweiterten  Cervicalcanal  ein  zäher  Schleimpfropf 
festsetzt,  welcher  den  Spermatozoen  den  Weg  verlegt.  Sehr  empfehlenswerth 
ist  hier  ein  von  Fritsch  angegebener,  kleiner,  operativer  Eingriff.  Nachdem 
die  Portio  mit  einer  MuzEux'schen  Zange  gefasst  und  im  Binnenspeculum 
eingestellt  ist,  wird  der  Muttermund  mittelst  eines  in  ihn  eingeführten,  spitzen 
Messers  durch  vier  oder  mehr  Schnitte  radiär  gespalten,  dann  Jodoformgaze 
zur  Stillung  der  Blutung  fest  eingestopft  und  diese  durch  Tamponade  der  Scheide 
lixirt.  Am  folgenden  Tag  wird  die  Gaze  entfernt  und  die  durch  die  Incis- 
sionen  geschaffenen  Zipfel  mit  dem  Paquelin  abgebrannt,  so  dass  ein  Trichter 
entsteht.  Nach  Vernarbung  der  Wundflächen  hat  sich  ein  Muttermund  von 
normaler  Beschaffenheit  gebildet.  Letzteres  ist  nach  bilateraler  Discission 
nicht  der  Fall,  wenn  sie  genügend  tief  gemacht  wird. 

Eine  noch  grössere  Bedeutung  wie  der  Stenose  des  äusseren  Mutter- 
mundes maass  man  früher  der  des  inneren  (bezw.  des  ganzen  Cervical- 
canales)  bei.  Eine  gleichmässige,  hochgradige  Verengerung  des  Cervicalcanales 
ist  überhaupt  ausserordentlich  selten;  eine  solche  des  Innern  Muttermundes 
wird  oft  durch  eine  starke  Anteflexion  des  Corpus  vorgetäuscht.  Giebt  man 
der  Sonde  eine  stärkere  Krümmung  und  senkt  ihren  Griff  mehr  nach  dem 
Damm  zu,  so  gleitet  sie  in  solchen  Fällen  plötzlich  und  ohne  nennenswerthen 
Widerstand  in  die  Uterushöhle. 

Eine  Zeit  lang  wurden  die  wirklichen  und  die  vermeintlichen  Stenosen 
des  inneren  Muttermundes^')  mit  Vorliebe  durch  Discission  mittelst  eines 
sogenannten  Metrotoms  (gedeckt  einzuführendes  und  dann  zu  öffnendes  Messer) 
behandelt.  Man  ist  davon  wieder  zurückgekommen.  Wenn  sich  früher  an 
den  Eingriff  nicht  selten  Parametritiden  anschlössen,  so  würden  sich  dieselben 
heute  bei  strenger  Anti-,  bezw.  Asepsis  verhüten  lassen.  Dem  Verfahren 
haftet  aber  nach  wie  vor  ein  anderer  Mangel  an,  nämlich  die  Neigung  der 
Einschnitte  wieder  zu  verwachsen.  Um  dies  zu  verhüten,  ist  zum  mindesten 
nothw^endig,  dieselben  lange  Zeit  durch  fortgesetzte,  energische  Jodoformgaze- 
tamponade auseinanderzuhalten. 

Der  blutigen  Erweiterung  ist  entschieden  die  unblutige,  sei  es 
mittelst  HEGAR'scher,  FRiTScn'scher  oder  anderer  Diktatoren  oder  Laminaria 
(am  besten  in  Jodoformäther  aufbewahrter)  und  nachfolgende  Jodoformgaze- 
tamponade sowohl  des  Cavum  uteri  wie  des  Cervicalcanales  vorzuziehen.  Da 
in  den  fraglichen  Fällen  sich  ohne  Zweifel  in  Folge  von  chronischer  Secret- 
stauung    sehr   oft  katarrhalisch-endometritische  Processe  entwickelt  haben,  so 


*)  Vergl.  die  Artikel  „Cervixstenose'^  tind  „Portiooperationen," 

ßibl.   med.  Wiessenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie 


754  STERILITÄT. 

erfüllt  die  letztere  durch  Weiterhaltung  des  ganzen  Uteruscanales  sowie  eine 
fortgesetzte  Drainage  desselben  eine  doppelte  Indication. 

Erschwert  scheint  die  Conception  auch  bei  rüssel förmiger  Gestalt 
der  Portio  (Col  tapioroide)  zu  sein,  welche  oft  noch  durch  Stenose  des  äusseren 
Muttermundes  complicirt  ist.  Man  spaltet  hier  den  letzteren  bilateral,  excidirt 
aus  jeder  Lippe  einen  Keil,  vereinigt  die  dadurch  geschaffenen  Wundflächen 
vorn  und  hinten  und  schliesst  die  Seitenschnitte. 

Bei  manchen.  Frauen  ist  bei  starker  Anteflexio  die  Portio  vaginalis, 
so  gestellt,  dass  sie  bezw.  der  Muttermund  ganz  nach  vorn  sieht.  Führt  man 
den  Finger  in  die  Vagina,  so  gleitet  er  sofort  unter  die  letztere.  Ein  gleiches 
wird  bei  dem  Coitus  mit  dem  Penis  der  Fall  sein.  Infolgedessen  wird  der 
in  das  weite  hintere  Scheidengewölbe  ejaculirte  Samen  kaum  mit  dem  Mutter- 
mund in  Berührung  kommen.  In  solchen  Fällen  soll  der  Mann  die  Eichel 
während  der  Ejaculation  im  vordem  Theil  der  Scheide  belassen,  um  so  einen 
Contact  des  Samens  mit  dem  letzteren  zu  ermöglichen.  Da  hier  meist  die 
vordere  Scheidenwand  sehr  kurz  und  straff  ist,  würde  es  sich  vielleicht 
empfehlen,  dieselbe  an  der  vorderen  Lippe  wie  bei  der  vaginalen  Totalexstir- 
pation  quer  zu  durchtrennen,  die  Blase  einige  cm  hoch  abzulösen  und  dann 
den  queren  Schnitt  longitudinal  zu  vereinigen,  um  so  eine  Ablenkung  der  Portio 
nach  hinten  zu  bewirken. 

Auch  die  Rückwärtslagerungen  des  Uterus  können  Sterilität 
bedingen,  wenn  auch  keineswegs  so  oft,  wie  vielfach  angenommen  wird.  Man 
darf  nicht  vergessen,  wie  viele  virginelle  Retroflexionen,  da  sie  keine  Be- 
schwerden verursachen,  nicht  in  ärztliche  Behandlung  kommen.  Wenn  die 
betreffenden  Frauen  nach  ihrer  Verheiratung  concipiren,  so  reponirt  sich  ent- 
weder der  wachsende  Uterus  spontan  oder  er  fängt  an  nun  Beschwerden  zu 
machen,  welche  zu  einer  Untersuchung  und  damit  erst  zur  Erkennung  des 
Leidens  Veranlassung  geben.  Direct  conceptionbehindernd  wirkt  die  Retroflexio 
oder  Retroversio  uteri  nur  dann,  wenn  die  Portio  vaginalis  ganz  nach  vorn 
und  oben  sieht,  so  da-ss  auch  hier,  wie  in  den  oben  beschriebenen  Fällen  das 
Sperma  gar  nicht  oder  kaum  mit  dem  Muttermund  in  Berührung  kommt  oder, 
wenn  die  Lageveränderung  zu  chronischer  Metritis  und  Endometritis  geführt 
hat.  In  dem  einen  wie  dem  anderen  Fall  ist  eine  Beseitigung  der  Lage- 
veränderung die  nächste  Aufgabe  der  Behandlung.  Wird  der  Uterus  durch 
ein  Pessar  in  richtiger  Lage  erhalten,  so  schwindet  oft  die  Schwellung 
des  ganzen  Organs  sowie  des  Endometrium  schnell  von  selbst.  Wenn 
nicht,  so  sind  auch  jene  Veränderungen,  wie  in  den  Fällen,  wo  sie  bei  nor- 
maler Lage  der  Gebärmutter  die  Ursache  der  Sterilität  zu  sein  scheinen,  zu 
beseitigen  (s.  die  Artikel  „Retroflexio,  Metritis,  Endometritis"). 

Auch  des  auf  die  Cervixschleimhaut  beschränkten  Catarrhs 
ist  zu  gedenken.")  Seine  Entstehung  ist  besonders  bei  Nulliparen  sehr  oft  auf 
gonorrhoische  Infection  zurückzuführen.  Wie  ausserordentlich  häufig 
dieselbe  Frauen  steril  macht,  darüber  hat  auch  erst  die  neuere  Zeit  Aufklärung 
geschafft.  Leider  ist  nicht  nur  das  Secret  einer  frischen  Gonorrhoe, 
sondern  auch  das  einer  chronischen,  der  sogenannten  latenten 
gefahrbringend,  in  mancher  Beziehung  das  letztere  sogar  in  noch  höherem 
Grade  wie  das  erstere.  Es  ist  von  vornherein  erklärlich,  dass  ein  mit  einem 
frischen  Tripper  behafteter  Mann  sich  viel  eher  des  geschlechtlichen  Umganges 
enthalten  wird,  me  ein  an  einer  chronischen  Gonorrhoe  leidender.  Ist  doch 
leider  der  Glaube  ein  immer  noch  sehr  verbreiteter,  dass  das  spärliche  Secret 
des  letzteren  nicht  mehr  ansteckend  sei.  Und  in  sehr  vielen  Fällen  latenter 
Gonorrhoe  ahnen  thatsächlich  die  Patienten  nicht,  dass  sie  an   einer  solchen 


*)  Vergl.  Artikel  „Cervixcatarrh'-'  und  „Gonorrhoe  der  weiblichen  Genitalien.^' 


STERILITÄT.  755 

leiden.  Wird  sie  auf  die  weiblichen  Sexualorgane  übertragen,  so  hat  sie  meist 
zunächst  keiner  nennenswerthen  Erscheinungen  zur  P'olge,  während  die  Infection 
mit  einem  frischen  Tripper  in  der  Kegel  derartige  Beschwerden  verursacht, 
dass  die  Frauen  durch  sie  veranlasst  werden,  den  Arzt  zu  consultiren.  Hier 
wird  dann,  wenn  auch  nicht  immer,  so  doch  oft  dem  Weitergreifen  der  Er- 
krankung durch  geeignete  therapeutische  Maassnahmen  und  vor  Allem  durch 
Inhibirung  des  geschlechtlichen  Verkehrs  bis  zur  völligen  Heilung  sowohl  des 
Mannes  wie  der  Frau  Einhalt  gethan.  In  den  Fällen  latenter  Gonorrhoe 
dagegen  geschieht  dies  nicht.  Aerztliche  Hilfe  wird  oft  erst  wegen  der  bereits 
jahrelang  bestehenden  Sterilität  oder  dann  nachgesucht,  wenn  nach  dem  Fort- 
schreiten der  Gonorrhoe  auf  die  Tuben  und  die  Ovarien  allmälig  die  örtlichen 
Beschwerden  anhaltende  und  sehr  quälende  geworden  sind  und  auch  das 
Allgemeinbefinden  in  hohem  Grad  gelitten  hat.  Dann  aber  sind  die  in  den 
Sexualorganen  gesetzten  Veränderungen  meist  schon  derartige,  dass  weder  eine 
gänzliche  Hebung  der  örtlichen  Beschwerden,  noch  eine  völlige  Wiederher- 
stellung der  Functionsfähigkeit  und  damit  eine  Beseitigung  der  Sterilität  zu 
erwarten  ist.  In  erster  Linie  gilt  dies  von  den  Uterusanhängen.  In  Folge 
perimetritischer  Processe  kommt  es  zur  Verlagerung  derselben  und  zur  Bildung 
von  Verwachsungen,  sowohl  unter  einander  wie  mit  der  Umgebung.  In  manchen 
Fällen  schliesst  sich  an  den  Katarrh  der  Tubenschleimhaut  einer  Hypertrophie 
der  Wandungen  an;  man  fühlt  die  Eileiter  bei  combinirter  Untersuchung  als 
bleistiftdicke,  empfindliche  Stränge.  In  anderen  führt  der  Verschluss  ihres 
Lumen  an  zwei  oder  mehreren  Stellen  zu  Secretretention;  es  bildet  sich 
Hydro-  oder  Pyosalpinx. 

Doch  ist  es  nicht  nur  die  gonorrhoische  Infection,  welche  die  genannten 
pathologischen  Adnex-Veränderungen  und  durch  sie  Sterilität  zur  Folge  hat, 
auch  die  während  eines  Partus,  bezw.  Aborts  oder  bei  gynäkologischen  Ein- 
griffen gesetzten  Infectionen  können  in  derselben  Weise  wirken. 

Gelingt  es  auch  einer  sorgfältigen,  oft  sehr  mühevollen  und  langwierigen 
Behandlung  (siehe  die  Artikel:  „Perimstrüis,  Oophoritis,  Salpingitis'^)  die 
Folgen  der  einen  oder  der  andern  Infection  bis  zu  einem  gewissen  Grad  rück- 
gängig zu  machen,  die  Verwachsungen  zu  lösen,  den  Anhängen  ihre  normale 
Lage  wieder  zu  geben,  den  Inhalt  der  Tubensäcke  auf  dem  Wege  der  KesoiTD- 
tion  oder  durch  operative  Eingriffe  zu  entleeren,  so  werden  dadurch  die  Be- 
schwerden der  Kranken  wesentlich  gemildert,  ja  vielleicht  beseitigt,  die  Ste- 
rilität aber  nur  ausserordentlich  selten  gehoben.  Es  hat  dies  seinen  Grund 
wohl  darin,  dass  in  solchen  Fällen  entweder  die  Tubenschleimhaut  derart 
verändert  ist,  dass  das  Ovulum  durch  sie  nicht  mehr  fortbewegt  werden  kann 
oder  das  Lumen  an  einer  oder  mehreren  Stellen  verschlossen  bleibt.  —  Nach 
acuter  sowie  chronischer  Oophoritis  können  auch  die  sämmtlichen 
Follikel  zu  Grunde  gehen  und  dadurch  eine  Befruchtung  unmöglich  gemacht 
werden.  Ein  Gleiches  ist  natürlich  der  Fall  bei  Hypoplasie  der  Ovarien,  so- 
fern sich  in  denselben  überhaupt  keine  Follikel  entwickelt  haben.  Meist  ist 
dieselbe  mit  einer  solchen  des  Uterus  {Uterus  foetalis,  infantilis)  verbunden. 
Handelt  es  sich  hier  um  Entwicklungshemmungen,  so  kommen  auf  der  anderen 
Seite  auch  erworbene  Atrophien  sowohl  der  Ovarien  wie  des  Uterus  beson- 
ders im  Anschluss  an  das  Puerperium,  zu  lange  fortgesetztes  Stillen,  aber  auch 
ohne  nachweisbare  Ursachen  vor.  Bei  noch  nicht  zu  sehr  veralteten  Fällen 
bietet  die  Behandlung,  bestehend  in  häufigem  Sondiren,  besser  Einlegen  einer 
FEHLiNG^'schen  Glasröhre  in  den  Uterus,  warmen  Sitzbädern  und  Ausspülungen, 
regelmässigem,  geschlechtlichen  Verkehr,  innerlichen  Gebrauch  von  Eisen  und 
roborirender  Diät  Aussicht  auf  Erfolg.  Selbst  in  der  Entwicldung  zurück- 
gebliebene Uteri  vergrössern  sich  unter  der  Einwirkung  einer  solchen  manch- 
mal und  Schwangerschaft  tritt  ein. 

48* 


756  STERILITÄT. 

Von  den  Erkrankungen  der  weibliehen  Sexualorgane,  welche  Ursachen 
der  Sterilitcät  sein  können,  sind  nur  noch  die  Neubildungen  zu  erwähnen. 
Sie  alle,  das  Sarcom  und  Carcinom  des  Uteruskörpers  und  die  Tuberculose 
der  Eileiter  vielleicht  ausgenommen,  sind  kein  absolutes  Conceptionshindernis. 
Sind  doch  Fälle  genug  bekannt,  wo  bei  Polypen,  bei  Fibromyombildung,  bei  Car- 
cinom des  Cervix,  bei  Fibromen  des  Corpus  uteri  sowohl  submucösen,  inter- 
stitiellen wie  subserösen,  bei  Ovarialtumoren  der  verschiedensten  Art  Schwanger- 
schaft eingetreten  ist.  Die  Mehrzahl  dieser  Neubildungen  verlangen  schon 
aus  anderen  Gründen,  nicht  nur  der  vielleicht  durch  sie  bedingten  Sterilität 
halber  ihre  Entfernung  bezw.  Behandlung  auf  operativem  Weg.  Ob  die  Un- 
fruchtbarkeit allerdings  durch  diese  gehoben  wird,  ist  meist  mehr  als  fraglich, 
ganz  abgesehen  von  den  Fällen,  in  welchen  jene  durch  Aufhebung  der  Func- 
tionsfähigkeit  der  Genitalorgane  z.  B.  bei  Totalexstirpation  oder  supravaginaler 
Amputation  des  Uterus,  bei  doppelseitiger  Ovariotomie  oder  Castration  zu  einer 
absoluten  gemacht  wird. 

Der  Einfluss  constitutioneller  Krankheiten  auf  die  Fruchtbarkeit 
der  Frau  ist  früher  entschieden  überschätzt  worden.  Dass  tuberculose, 
dass  syphilitische  Frauen  concipiren,  erlebt  man  alle  Tage.  Nur  in 
ganz  schweren,  weit  vorgeschrittenen  Fällen  beider  Erkrankungen  pflegt  eine 
Conception  nicht  mehr  einzutreten,  aber  auch  die  Gelegenheit  zu  einer 
solchen  meist  zu  fehlen. 

Die  Chlorose  wird  häufig  als  Sterilitätsursache  angesehen.  Die  bei 
ihr  nicht  seltene,  zeitweilige  Amenorrhoe  macht  es  wahrscheinlich,  dass  die 
Ovulation  vorübergehend  stockt.  Damit  würde  das  Ausbleiben  einer  Empfängnis 
erklärt  sein.  Nicht  vergessen  darf  man  aber,  dass  hartnäckige  schwere  Chlo- 
rose gar  nicht  selten  mit  der  schon  erwähnten  Hypoplasie  der  Ovarien  und 
des  Uterus  verbunden  ist. 

Einen  unzweifelhaft  ungünstigen  Einfluss  auf  die  Zeugungsfähigkeit  des 
Weibes  hat  die  Fettsucht,  zumal  wenn  sie  sich  schnell  entwickelt.  Ist  sie 
hochgradig,  so  kann  sie  die  regelrechte  Ausführung  des  Coitus  und  damit  das 
Eindringen  des  Sperma  in  die  höher  gelegenen  Partien  der  Scheide  behin- 
dern. Häufiger  noch  ist  die  Ursache  der  Unfruchtbarkeit  in  Störungen  der 
Ovulation  bezw.  Menstruation  zu  suchen.  Denn  sehr  oft  klagen  fettsüchtige 
Frauen  über  postponirende,  sehr  spärliche  Menses  oder  völlige  Amenorrhoe. 
Diätetische  Entfettungscuren  oder  der  Gebrauch  einer  Marienbader  Cur  sind 
hier  zu  empfehlen  und  führen  auch  hie  und  da  zum  Ziel. 

Die  Diagnose  der  Sterilität  wird  in  der  Eegel  dem  Arzt  durch  die 
Patienten  selbst  mitgebracht.  Verheimlichen  sie  den  eigentlichen  Grund,  wes- 
wegen sie  ärztlichen  Rath  nachsuchen,  so  wird  die  Anamnese  sofort  die 
nöthigen  Aufschlüsse  geben.  Erhebliche  Schwierigkeiten  aber  kann  die  Dia- 
gnose der  Sterilitätsursachen  machen.  Nur  eine  sehr  sorgfältige  Untersuchung 
nöthigenfalls  in  Narkose  z.  B.  bei  der  Möglichkeit  von  Adnexerkrankungen, 
kann  davor  schützen,  dass  man  jene  nicht  in  unwesentlichen  Veränderungen 
sucht,  während  man  das  Wesentliche  übersieht.  —  Dass  man  in  Fällen,  bei 
welchen  sich  bei  der  Frau  Ursachen  der  Unfruchtbarkeit  mit  Sicherheit  nicht 
nachweisen  lassen,  stets  den  Samen  des  Mannes  untersuchen  soll,  wurde  bereits 
Eingangs  erwähnt.  Entweder  lässt  man  in  den  Morgenstunden  cohabitiren 
und  entnimmt  nicht  zu  lange  nachher  Vaginal-  und  Cervixsecret  zur  mikro- 
skopischen Prüfung  oder  der  Mann  benutzt  ein  Condom,  streift  dieses  vorsichtig 
ab  und  überbringt  es  baldmöglichst  dem  Arzt.  Dieser  letztere  Weg  ist  für 
Samenuntersuchungen  entschieden  der  sicherere.  Der  erstere  hat  nur  den 
Vorzug,  dass  er  unter  Umständen  darüber  Aufschluss  gibt,  ob  das  Vaginal- 
secret  die  Spermatozoen  sehr  schnell  zum  Absterben  bringt.  Eine  sorgfältige 
Untersuchung  des  Mannes  ist  auch  in  den  Fällen  geboten,  in  welchen  die 
Frau  Anzeichen  einer  gonorrhoischen  Infection  bietet,  zumal  wenn  sich  Gono- 


STERILITÄT.  757 

coccen  nicht  ohne  Weiteres  in  ihren  Secrcten  nachweisen  lassen.  Findet 
man  bei  ihm  die  Residuen  eines  alten  Trippers,  so  ist  dadurch  die  Diagnose 
bezüglich  der  Erkrankung  der  Frau  sichergestellt.  Aber  auch  noch  in 
anderer  Hinsicht  ist  es  von  Wichtigkeit,  festzustellen,  ob  der  Mann  gonor- 
rhoisch erkrankt  ist.  Ist  dies  der  Fall,  so  wird  die  Behandlung  der  Frau 
entweder  überhaupt  erfolglos  sein  oder  sie  wird,  wenn  die  Gatten  während 
der  Dauer  der  Behandlung  den  geschlechtlichen  Verkehr  mieden,  nach  Auf- 
nahme desselben  sehr  bald  wieder  erkranken. 

Die  Prognose  der  Sterilität  ist,  wenn  sogenannte  psychische  Impotenz 
des  Mannes  die  Ursache  ist,  günstig  zu  stellen,  ungünstig  bei  Aspermatismus 
und  Azoospermie,  obwohl  auch  hier  in  jüngster  Zeit  angestellte  therapeutische 
Versuche  die  Aussicht  eröffnet  haben,  dass,  wenn  auch  nur  in  einzelnen 
Fällen  die  normale  Beschaffenheit  des  Sperma  wieder  herzustellen  ist 

Ungleich  günstiger  ist  jedenfalls  die  Prognose  bei  derweiblichen 
Sterilität,  abgesehen  von  den  Fällen,  wo  Defecte  oder  hochgradige  Ent- 
wicklungshemmungen der  Sexualorgane  oder  schwere,  zumal  auf  gonorrhoischer 
Basis  beruhende  Adnexerkrankungen  die  Schuld  tragen.  Trotzdem  ist  es 
rathsam,  mit  seinen  Versprechungen  bezüglich  des  Erfolges  einer  Behandlung 
vorsichtig  zu  sein.  Denn  nicht  selten  bleibt  derselbe  auch  da  aus,  wo  man 
eine  sichere  Ursache  der  Sterilität  gefunden  zu  haben  glaubt  und  diese 
beseitigt. 

Die  Therapie  richtet  sich  nach  den  verschiedenen  der  Unfruchtbarkeit 
u  Grunde  liegenden  Erkrankungen,  zum  Theil  ist  sie  bereits  im  Vorhergehenden 
kurz  skizzirt,  zum  Theil  muss  sie  in  den  jene  behandelnden  Capiteln  eingesehen 
werden. 

Wenn  es  im  Allgemeinen  Aufgabe  des  Arztes  ist,  die  Ursachen  der  Sterilität 
der  Frau  zu  beseitigen,  so  können  doch  auf  der  andern  Seite  Verhältnisse  eintreten, 
welche  es  wünschenswerth  machen,  eine  Conception  zu  verhindern.  {Facul- 
tative  Sterilität.)  Diese  sind  entweder  socialer  oder  gesundheitlicher  Natur.  Es 
liegt  auf  der  Hand,  dass  ein  zu  grosser  Kindersegen  für  manche  Familie  mit 
beschränkten  Einnahmen  verhängnisvoll  werden  kann.  Gerade  der  Arzt  hat 
oft  genug  Gelegenheit  diesbezügliche  Beobachtungen  zu  machen.  Und  ebenso 
ist  er  oft  in  die  Lage  versetzt,  mit  Piücksicht  auf  das  körperliche  Wohlergehen 
einer  Frau  vor  erneuter  Schwangerschaft  w^arnen  zu  müssen.  Gibt  es  doch 
thatsächlich  Frauen,  welche  mit  jeder  Schwangerschaft,  jedem  Wochenbett  in 
ihrer  Ernährung  zurückkommen  und  zwar  nicht  nur  verblühen,  —  denn  dies 
würde  nicht  maassgebend  sein  —  sondern  derart  entkräftet  werden,  dass  sie 
ihre  Pflichten  als  Gattin  und  Mutter  nicht  mehr  in  vollem  Maasse  erfüllen 
können,  ganz  zu  schweigen  von  solchen,  welche  an  einem  Herzfehler  leiden, 
welche  tuberculös  sind,  bei  denen  eine  Nephritis  oder  Diabetes  besteht. 

Natürlich  wurde  und  wird  auch  noch  heute  von  Manchen  der  Standpunkt 
vertreten,  dass,  wenn  aus  einem  oder  dem  anderen  Grund  eine  Conception 
verhütet  werden  müsse,  der  geschlechtliche  Verkehr  zu  unterbleiben  habe. 
Gewiss  eine  ideale  Forderung,  welche  aber  selbst  von  sehr  willensstarken 
Leuten  gelegentlich  nicht  eingehalten  wird!  Und  das  Schlimme  ist  hier,  dass 
selbst  eine  einmalige  Ausserachtsetzung  des  Verbotes  sehr  oft  nicht  ohne 
Folgen  bleibt.  Ausserdem  liegt  darin  etwas  entschieden  den  natüiiichen  Ver- 
hältnissen Widersprechendes,  wenn,  zumal  gesunde  Eheleute,  zwischen  denen  eine 
innige  Zuneigung  besteht,  auf  jedes  geschlechtliche  Zusammenleben  verzichten. 

Ueber  diese  Fragen  ist  schon  viel  discutirt,  viel  geschrieben  worden,  ein 
Gleiches  wird  auch  noch  in  Zukunft  geschehen,  ohne  dass  an  der  Thatsache 
etwas  geändert  wird,  dass  von  den  Aerzten  anticonceptionelle  Mittel  ge- 
fordert werden  und  von  ihnen  auch  gewährt  w^erden  müssen.  Von  Alters  her  hat 
es  solche  gegeben.  Der  sogenannte  Coitus  interruptus,  das  Zm'ückziehen  des 
Membrum  virile  aus  der  Scheide  vor  Eintritt  der  Ejaculatio  seminis  wird  schon 


758  .  STEEILITÄT. 

in  der  Bibel  (Genesis  38,  7 — 10  V.)  erwähnt.  Noch  heute  ist  er  eines  der  weit- 
verbreitetsten und  meist  angewandten  Präventivmittel.  Ihm  haften  zwei  Uebel- 
stände  an;  einerseits  kann  es  passiren,  dass  etwas  Samen  in  den  Introitus 
gelangt  und  dadurch  doch  ausnahmsw^eise  eine  Befruchtung  zu  Stande  kommt; 
andererseits  scheint  diese  Art  des  geschlechtlichen  Verkehrs,  wenn  er  längere 
Zeit  geübt  ward,  sowohl  für  den  Mann  wie  die  Frau  nicht  ohne  schädliche 
Einwirkung  zu  sein.  Bei  dem  ersteren  sind  mancherlei  nervöse  Erscheinungen 
beobachtet  worden;  bei  der  letzteren  ebensolche  neben  chronischer  HjqDerämie 
des  Uterus  und  Oophoritis.  Aus  dem  einen  wie  dem  anderen  Grund  ist  der  Coitus 
interruptus  zu  widerrathen,  ganz  abgesehen  davon,  dass  er  häufig  beiden  Ehe- 
leuten nicht  die  volle  geschlechtliche  Befriedigung  bringt.  Um  letztere  zu 
ermöglichen,  und  doch  eine  Empfängnis  zu  verhüten,  sind  eine  ganze  Reihe 
Mittel  angegeben,  welche  aber  doch  zum  grössten  Theil  als  unsicher  in  ihrer 
Wirkung  zu  bezeichnen  sind.  So  vaginale  Ausspülungen  mit  einen  oder  mehreren 
Litern  reinen  Wassers  oder  verschiedener  Lösungen  (Zinc.  sulf.,  Cupr.  sulf., 
Alaun,  Chin.  mur.  etc.)  unmittelbar  post  coitum,  eventuell  auch  vor  demselben. 
Thatsächlich  verhindern  sie  oft  lange  Zeit  eine  Conception,  bis  schliesslich 
doch  eine  solche  erfolgt.  Ihr  Zustandekommen  ist  wohl  darauf  zurück- 
zuführen, dass  gelegentlich  Sperma  direct  in  den  Cervicalcanal  ejaculirt  wird 
oder  Spermatozoen  in  denselben  eingewandert  sind,  ehe  die  vaginale  Injection 
vorgenommen  ist.  Der  gleiche  Mangel,  d.  h.  die  Möglichkeit  der  directen 
Ejaculation  von  Sperma  in  den  Muttermund,  bezw.  der  Aufnahme  von  Sperma- 
tozoen in  dem  wahrscheinlich  inter  coitum  aus  dem  Os  externum  heraustretenden 
Schleimstrang  haftet  den  neuerdings  angepriesenen  Vaginalsuppositorien 
(Cacaobutter  mit  Chinin  und  anderen  Chemiealien)  an.  Als  unsicher  sind  auch 
die  in  die  Scheide  einzuführenden  mit  spermatödtenden  Mitteln  getränkten 
Schwämmchen  oder  Tampons  zu  bezeichnen.  Erstens  werden  sie  häufig  nicht 
an  den  Muttermund  gebracht  oder  sie  verschieben  sich  während  des  Coitus 
und  gestatten  dem  Samen  den  Eintritt  in  den  Cervix. 

Von  Capellmann  stammt  der  Rath,  zur  Verhütung  der  Conception  nur 
vom  15.  Tag  nach  Beginn  der  Menstruation  bis  zum  4.  Tag  vor  Beginn  der 
folgenden  den  Coitus  auszuüben.  Er  geht  von  der  Annahme  aus,  dass  in 
diesem  Zeitraum  der  Samen  kein  befruchtungsfähiges  Ei  vorfinde.  Eine  gewisse 
Wirksamkeit  scheint  die  Einhaltung  dieser  Abstinenzzeit  thatsächlich  zu 
besitzen,  keineswegs  aber  eine  sichere.  Es  erklärt  sich  dies  daraus,  dass 
wohl  in  der  Regel  Ovulation  und  Menstruation  annähernd  zusammenfallen, 
erstere  aber  gelegentlich  auch  unabhängig  von  der  letzteren  erfolgen  kann. 

Eine  sehr  weite  Verbreitung  haben  in  den  letzten  Jahren  die  men- 
SESTGA'schen  Ocdusivpessare*)  kugel-  oder  hutförmige,  in  ihrem  Rand  eine  Uhr- 
feder tragende  Gummikappen  verschiedener  Grösse  gefunden.  Sie  werden  so 
hoch  in  die  Scheide  geschoben,  bis  sie  über  der  Portio  vaginalis  liegen  und 
den  oberen  Theil  der  Scheide  vollständig  abschliessen.  Richtig  eingeführt 
werden  sie  ohne  Zweifel  eine  Conception  verhindern.  Aber  gerade  in  der 
Einführung  liegt  die  Unsicherheit  ihrer  Wirkung.  Wird  jene  von  der  Fran 
selbst  besorgt,  so  ist  es  auch  bei  Benützung  des  von  Mensinga  angegebenen 
Einführungsstabes  leicht  möglich,  dass  das  Pessar  die  Vagina  nicht  völlig 
abschliesst.  Der  Einführung  seitens  des  Mannes  ante  coitum  werden  sich 
feinfühlige  Frauen  mit  Recht  widersetzen  und,  auch  wenn  sie  dieselbe  gestattet, 
ist  es  fraglich,  ob  der  Laie  dem  Pessar  die  richtige  Lage  gibt.  Mensinga  lässt 
es  während  der  ganzen  intermenstruellen  Zeit  liegen.  Auch  wenn  dies 
geschieht,  müsste  jedesmal  ante  coitum  untersucht  werden,  ob  es  sich  nicht 
verschoben  habe.  Ausserdem  hat  das  Liegenlassen  den  Nachtheil,  dass  sich 
hinter  dem  Pessar  die  Vaginal-   und  Uterussecrete   ansammeln,   bei    Katarrh 


*)  Vid.  Fig.  99,  pag.  426. 


STIRNLAGEN.  759 

gewiss  nicht  gleichgiltig.  Ferner  klagen  viele  Frauen  über  das  Eintreten 
übelriechenden  Ausflusses  trotz  regelmässiger  Ausspülungen.  Schliesslich 
entstehen  auch  ab  und  zu  mehr  minder  tiefe  Druckmarken  in  der  Scheiden- 
schleimhaut. Aus  allen  angeführten  Gründen  ist  auch  in  dem  Pessarium 
occlusivum  kein  ideales  anticonceptionelles  Mittel  zu  sehen. 

Am  empfehlenswerthesten  ist  es  noch  immer,  den  Mann  ein  Condom 
benützen  zu  lassen,  zumal  der  Frau  dadurch  alle  Manipulationen  an  ihren 
Genitalien  vor  oder  nach  dem  Beischlaf  erspart  werden.  Sind  sie  aus  gutem 
Gummi  gefertigt,  so  ist  ein  Platzen  während  des  Gebrauches  ausgeschlossen. 
Deswegen  sind  sie  den  aus  Fischblase  hergestellten  vorzuziehen.  Die  letzteren 
haben  den  Vortheil,  dass  sie  kaum  gefühlsstürend  sind,  was  sich  bei  starken 
Gummicondoms  bemerkbar  macht.  gkaefe. 

Stirnlagesi.  Wenn  sich  im  ersten  Acte  des  Geburtsmechanismus  das 
Kinn  noch  mehr  von  der  Brust  entfernt,  wie  es  bei  der  Vorderscheitelbein- 
lage geschieht,  so  entsteht  eine  Stirnlage*).  Die  Stirnlage  ist  demnach 
also,  wenn  wir  hier  nur  den  Geburtsmechanismus  gelten  lassen,  ein  Zwischen- 
glied von  Hinterhauptslage  und  Gesichtslage.  Doch  müssen  wir  die  Stirnlage 
streng  von  der  Stirneinstellung  unterscheiden.  Letztere  wird  bei  sehr 
beweglichem  Kopfe  oberhalb  eines  verengten  Beckens  gewiss  häufig  zur  Beob- 
achtung kommen,  während  wir  unter  Stirnlage  xat'  s^o/tjv  nur  denjenigen 
Zeitpunkt  der  Geburt  verstehen  dürfen,  wenn  der  Kopf  bereits  mit  einer 
grösseren  Peripherie  im  Becken  steht,  wobei  die  Stirn  den 
tiefsten  Punkt  des  kindlichen  Schädels  bildet  und  die  Mitte 
der  Stirnnaht  in  der  Führungslinie  steht. 

Zum  Durchtritt  kommt  später  —  falls  das  überhaupt  möglich  ist  —  der 
grösste  Kopfdurchmesser.  Wegen  der  ausserordentlichen  Gefahr  und  Schwie- 
rigkeit dieses  Vorganges  hat  man  die  Stirnlage  als  „Querlagen  des 
Kopfes"  bezeichnet. 

Das  Vorkommen  dieser  Lageanomalie  ist  zum  Glück  ein  ausser- 
ordentlich seltenes,  da  für  gewöhnlich  noch  im  ferneren  Verlaufe  der  Geburt 
je  nach  der  weiteren  Drehung  des  Kopfes  eine  Gesichts-  oder  Schädellage 
erfolgt.  Sie  kommt  auch  mit  relativer  Häufigkeit  bei  kleinen  Früchten  vor. 
So  fand  Spiegelbebg  die  Stirnlage  unter  18  Fällen  bei  2  Frühgeborenen  von  je 
28 — 30  Wochen,  einmal  gleichzeitig  bei  beiden  Zwillingskindern,  einmal  beim 
ersten  Zwillinge. 

Aetiologie:  Das  Zustandekommen  der  Stirnlagen  findet  seine  Haupt- 
ursachen im  grossen  und  ganzen  aus  denselben  Gründen,  wie  das  bei  der 
Vorderscheitelbeineinstellung  geschieht.  (Vergl.  auch  die  Artikel  ^^Vorder- 
scheitelbeinlagen, "   „  Fruclitlagen, "   „  Gesichtslagen " ) . 

Diagnose.  Wir  erkennen  die  Stirnlagen  daran,  dass  man  zuerst  einen 
harten,  runden  Kopftheil  als  vorliegend  tastet.  An  tiefster  Stelle  fühlt 
man  ein  Tuber  frontale.  Nach  der  einen  Seite  ist  der  margo  supra- 
orbitalis,  nach  der  andern  das  hintere  Ende  der  grossen  Fontanelle 
zu  fühlen.  Die  Stirnnaht  liegt  im  queren  oder  schrägen  Durchmesser.  Ganz 
sicher  wird  die  Diagnose,  wenn  man  bei  tiefer  eindringendem  Finger  auch 
noch  die  oberen  Augenhöhlenränder  mit  der  dazwischenliegenden  Xasenwurzel 
berühren  kann. 

Dem  tiefliegendsten  Punkte  entsprechend  bildet  sich  die  Kopf  ge- 
schwul st  auf  der  Stirn  in  der  Umgebung  des  betreffenden  tuber  frontale. 

Ausgang  und  Prognose:  Ist  das  Verhältnis  von  Kopf  und  Becken 
ein  solches,  dass  eine  spontane  Geburt  noch  erfolgen  kann,  so  ist  der  Me- 


*)  Vergl.  Artikel  „Fruchtlagen,''  pag.  260. 


760  STIRNLAGEN. 

clianismus  beim  Austritt  des  Schädels  aus  dem  Becken  folgender:  In  der 
Schamspalte  erscheint  zuerst  die  Stirn,  dann  folgen  die  Augen.  Nun  stemmt 
sich  der  Oberkiefer  fest  gegen  den  Schambogen  und  das  Hinterhaupt  wird 
über  den  Damm  gewälzt.  Zuletzt  und  zwar  erst  nach  der  Geburt  der  ganzen 
Schädelwölbung  werden  Oberkiefer,  Mund  und  Kinn  unter  dem  Schambogen 
geboren. 

Aus  dem  Umstände,  dass  bei  dem  Austritt  des  Kopfes  der  mento- 
occipitale  (13'5  cm),  also  der  grösste  Durchmesser  des  kindlichen  Schädels 
den  Beckenausgang  (11  an)  passiren  muss,  geht  am  besten  die  Schwierigkeit 
und  die  Gefahr  dieses  Geburtsvorganges  hervor;  ebenso  dass  hierbei  sehr 
häufig  Geburtsstörungen  eintreten  müssen.  Für  eine  spontane  Geburt  in 
Stirnlage  sind  vor  allem  die  kräftigsten  Wehen  und  grösstmöglichste  Configura- 
tionsfähigkeit  der  Schädelknochen  unbedingt  nothwendig. 

Der  Kopf  eines  so  geborenen  Kindes  bietet  einen  geradezu  monströsen 
Anblick  dar.  Er  erscheint  sehr  hoch,  das  platte  Gesicht  wird  durch  die  fast 
gerade,  steil  aufsteigende  Stirn,  welche  meist  eine  sehr  starke  Kopfgeschwulst 
hat,  sehr  lang  und  hoch.  Dazu  kommen  dann  noch  die  blauroth  verfärbte 
Umgebung  des  einen  Auges  mit  der  StirngescIiwuJst^  Sugillationen  und  Becken- 
drucknarben am  Gesicht.  Von  der  grossen  Fontanelle  fällt  der  Schädel 
ziemlich  steil  nach  hinten  ab.  Treffend  wurde  ein  solcher  Kopf  mit  einem 
Dreieck  verglichen,  dessen  Winkel  von  Stirne,  Hinterhaupt  und  Kinn  gebildet 
werden. 

Allein  trotz  der  guter  Bedingungen  für  eine  solche  spontane  Geburt 
wird  doch  das  Ende  derselben  lange  hinausgezogen  und  mit  der  Länge  der 
Zeit  wachsen  hier  auch  die  Gefahren  für  die  Weichtheile  der  Mutter.  Solange 
der  Kopf  im  Becken  vorwärts  rückt,  bedroht  er  die  anliegenden  Weichtheile 
mit  Druckgangrän  (Fistelbildungen),  beim  Austritt  rupturirt  das  Perineum  bei 
der  kolossalen  Ausdehnung  desselben  auch  bei  kräftigstem  Dammschutz.  Das 
Kind  stirbt  meist  entweder  vor  der  Geburt  infolge  der  langdauernden  Aus- 
treibungsperiode oder  bald  nach  derselben  auch  infolge  der  erlittenen  Schädel- 
compression. 

Therapie:  Aus  obigen  Gründen  wird  man  jedenfalls  versuchen,  die 
Stirnlage  in  eine  andere  Fruchtlage  umzuändern.  Bevor  man  bezüglich  des 
weiteren  Handelns  einen  Entschluss  fasst,  sollte  man  sich  gerade  hier  erst 
über  2  Punkte  klar  sein:  1.  Lebt  das  Kind?  2.  Steht  der  Kopf  fest  oder  ist 
er  noch  beweglich? 

Bei  todtem  Kinde  führt  die  Perforation  am  'schnellsten  und  für  die 
Mutter  am  schonendsten  zum  Ziele.  Ist  der  Kopf  noch  beweglich,  so  haben 
wir  quoad  vitam  et  valetudinem  für  Mutter  und  Kind  die  besten  Chancen 
durch  Wendung  und  Extraction.  Natürlich  ist  stets  vorausgesetzt,  dass  die 
Geburt  beendet  werden  muss,  resp.  dass  die  Bedingungen  für  solche  Eingriffe 
(verstrichener  Muttermund  etc.)  erfüllt  sind.  Ebenso  bedarf  es  wohl  kaum 
der  weiteren  Ausführung,  dass  im  Falle  einer  Frühgeburt  wir  uns  abwartend 
verhalten  werden. 

Ist  die  Wendung  nicht  mehr  ausführbar,  so  versucht  man  aus  der 
Stirn  läge  eine  Kopflage  herzustellen,  indem  —  wie  es  schon  Hildebrand 
angegeben  hat  —  ein  Druck  nach  dem  Gesicht  zu  ausgeübt  wird;  oder  man 
drückt  nach  dem  Hinterhaupt  zu,  um  eine  Gesichtslage  zu  erwirken. 
Durch  entsprechenden  Gegendruck  auf  den  Körper  oder  den  Kopf  des  Kindes 
von  aussen  her,  sucht  man  die  Umwandlung  leichter  zu  ermöglichen.  Doch 
wird  dieses  Verfahren  nur  dann  gelingen,  wenn  es  während  der  Wehen 
ausgeübt  wird. 

Im  allgemeinen  werden  aber  alle  diese  Versuche  mehr  auf  die  Thätigkeit 
in  den  Kliniken  beschränkt  bleiben.  In  der  Praxis  kommen  wir  in  diesen 
Fällen  meist  in  die  Lage,   die  Geburt  möglichst  schnell  beenden  zu  müssen. 


SPÄTGEBURT.  761 

Ist  alsdann  bei  lebendem  Kinde  eine  Wendung  nicht  mehr  zu  machen,  gelingt 
auch  ein  etwaiger  Umwandlungsversuch  nicht,  so  tritt,  falls  ein  Abwarten  der 
spontanen  Entbindung  nicht  mehr  verantwortet  werden  kann,  die  Zange  in 
ihre  Kechte.  Nach  Anlegung  der  Löffel  zieht  man  zuerst  nach  unten,  bis  der 
Unterkiefer  sich  unter  die  Symphyse  stemmt.  Dann  wird  der  Zangengriff 
gehoben  und  nachher  das  Hinterhaupt  über  den  iJamm  gebracht. 

Ist  der  Zangenzug   erfolglos,   so  Perforation  auch  des  lebenden   Kindes. 

BODENSTEIN. 

Spätgeburt.  Unter  Partus  serotinus,  verspäteter,  überzeitiger  Geburt 
{Naissance  tardive,  retardie,  Backward-birth)  versteht  man  eine  Geburt  eines 
lebenden  oder  frischtodten  Kindes  nach  einer  abnorm  langen  Schwangerschafts- 
dauer. Wenn  im  Allgemeinen  die  normale  Dauer  der  Schwangerschaft  beim 
Weibe  auf  40  Wochen  =  280  Tage  bestimmt  wird,  so  kommen  doch  Fälle 
von  einige  Tage  längerer  Dauer  der  Schwangerschaft  oft  genug  vor.  Die 
Fälle  jedoch,  wo  von  dem  Beginn  der  Schwangerschaft  bis  zur  Geburt  des 
lebenden  Kindes,  resp.  frischtodten  Kindes  bis  300  Tage  und  mehr  verflossen 
sind,  sind  selten  (überreifes,  übertragenes  Kind).  Schon  frühere  Autoren  wie 
Louis,  Bouvart,  Metzger,  Rehmer  haben  das  Vorkommen  von  Spätgeburten 
absolut  geleugnet  und  die  als  Spätgeburten  bezeichneten  Fälle  auf  absicht- 
liche oder  zufällige,  falsche  Deutung  zurückgeführt,  andere  wieder  wie  J.  Bürns 
sehen  in  einem  verfrühten  oder  verspäteten  Eintreten  der  Geburt  des  reifen 
Kindes  nichts  Ausserordentliches,  da  der  Zeitpunkt  der  Geburt  nicht  bestimmt 
sei,  sondern  die  Geburt  vor  sich  gehe,  sobald  die  Frucht  ausgebildet  sei.  Das 
Wahre  liegt  in  der  Mitte.  Spätgeburten  bei  Thieren,  wo  der  Termin  der  Coha- 
bitation,  die  zur  Schwängeruög  führte,  genau  festgestellt  war,  sind  mehrfach 
erhärtet  worden,  wie  z.  B.  von  Wagner,  Heister,  Wildberg,  Harvey,  Lerot, 
Namentlich  gelten  für  die  Schwankungen  im  Geburtstermine  als  belegend  die 
von  Tessier  an  Kühen  gemachten  Erfahrungen.  Die  Kuh  trägt  —  am  ähnlich- 
sten dem  menschlichen  Weibe  —  ihre  Schwangerschaft  9  Sonnenmonate.  Tessier 
fand,  dass  von  160  Kühen  14  zwischen  dem  240.  und  266.  Tage,  3  am  270., 
50  zwischen  dem  270.  und  280.,  68  zwischen  dem  280.  und  290.,  20  am  300. 
und  5  am  305.  Tage  kalbten,  so  dass  zwischen  den  äussersten  Schwangerschafts- 
grenzen Schwankungen  von  1  bis  zum  67.  Tage  lagen.  Stellt  die  Mehrzahl 
der  Geburten,  die  zwischen  dem  270.  und  290.  Tage  nach  der  Empfängnis 
stattfanden,  die  Regel  dar,  so  sind  jene  25  am  300.  und  am  308.  Tage  erfolgten 
Geburten  als  Spätgeburten  zu  bezeichnen.  Aehnliche  Beobachtungen  sind  am 
menschlichen  Weibe  wiederholt  gemacht  und  wenn  auch  lange  nicht  alle 
unzweifelhaft  sind,  sachgemäss  und  wahr  geschildert,  so  gibt  es  doch  unzweifel- 
haft feststehende  Beobachtungen  von  Spätgeburten  beim  Menschen.  Aus- 
geschlossen sind  dabei  selbstverständlich  Zurückhaltungen  einer  abgestorbenen 
Frucht  in  utero  —  missed  labour  —  die  sich  ganz  einfach  erklären  lassen  als 
Analogen  der  Zurückhaltung  extrauteriner  Früchte.  Wie  so  oft  nach  Ab- 
sterben der  Frucht,  das  Ei  in  toto  sich  noch  einige  Zeit  fort  entwickeln  kann 
■ —  missed  abortion,  bis  es  schliesslich  zu  seiner  Ausstossung  kommt,  so  kommt 
Retention  abgestorbener  Früchte  nach  dem  normalen  Termin  des  Schwauger- 
schaftsendes  auch  vor.  Hier  aber  handelt  es  sich  nur  um  diejenigen  Fälle, 
wo  entweder  eine  lebende  oder  frischtodte  Frucht  geboren  wird.  Glaubhafte 
Beobachtungen  haben  schon  OsiANDER,d'OuTREPONT,undv.  Siebold,  Schneider. 
Henke,  Lobstein  und  Andere  in  früherer  Zeit  beigebracht.  Der  Arzt  Fodere 
beobachtete  bei  seiner  eigenen  Gattin  2mal  Spätgeburt,  einmal  40  Tage  nach 
dem  regelmässigen  Schwangerschaftsende,  das  zweite  Mal  auch  erst,  nachdem 
die  Schwangerschaft  lOVg  Sonnenmonate  gedauert  hatte.  Beide  Male  sollen 
nach  Ablauf  der  9  Sonnenmonate  falsche  Wehen  und  Abgang  seröser  Flüssig- 
keit beobachtet  sein.  Dr.  Klein  und   der  Geburtshelfer   Sabini  beobachteten 


762  SPÄTGEBURT. 

jeder  bei  ihrer  Frau  Uebertragung  der  Frucht  von  je  einem  Kalendermonat. 
MoxTGOMERY  berichtete  eine  Spätgeburt,  Riglek's  Fall  soll  nach  Schröder 
sehr  überzeugend  sein:  4  Wochen  nach  dem  erwarteten  Termin  wurde  ein 
19V2  Zoll  langer  und  10  74  Pfund  schwerer  todter  Knabe  mit  stark  entwickel- 
ten Haaren  und  Nägeln  geboren.  Die  spontan  ausgestossene  Placenta  wog 
über  3  Pfund  und  war  mit  Kalksalzen  wie  übersäet.  Fruchtwasser  fehlte  fast 
vollständig.  (Bond  gab  nach  Schröder  an,  dass  bei  Spätgeburten  zwischen 
Bauchdecken  und  Nabelschnurscheide  ein  rother  Ring  von  1 — 2  Linien  Breite 
sich  finde).  Beim  Kaninchen  wurden  Schwankungen  im  Geburtstermin  zwischen 
dem  27.  und  35.  Tage  der  Schwangerschaft  beobachtet,  beim  Schwein,  dessen 
Schwangerschaft  normal  120  Tage  dauert,  Schwankungen  vom  109. — 138.  Tage, 
beim  Schaf  (154)  zwischen  146.  bis  158.  Tage,  bei  der  Kuh  (285  Tage)  zwischen 
den  240.  bis  320.  Tage,  beim  Pferde  (340)  vom  287.  bis  419.  Tage.  Schlichting 
berechnete  auf  456  Frauen  mit  festgestelltem  Conceptionstermin  die  mittlere 
Schwangerschaftsdauer  des  Weibes  auf  269.5  Tage.  Die  Grenzen  schwankten 
zwischen  240  und  334  Tagen.  Veit  constatirte  Differonzen  in  der  Schwanger- 
schaftsdauer derselben  Frau  7mal  unter  10  Tagen,  4mal  unter  10 — 20  Tagen 
7mal  unter  20 — 40  Tagen,  2mal  über  40,  Imal  sogar  64  Tage.  Nimmt  man 
nach  V.  Winckel  an,  dass  das  Ei  der  zuletzt  dagewesenen  Menstruation 
befruchtet  worden  ist  und  rechnet  von  dem  ersten  Tage  derselben  an,  so  fand 

Mattei  als  mittlere  Dauer  der  Schwangerschaft  265      Tage 

ScHLiCHTiNG  in  440  Fällen 273-1       „ 

Matthews  Duncan        278         „ 

Wacht  (junior)   . 279*87    „ 

LöwENHARDT- Ahlfeld  (166  Fälle)     ...      .     281-6      „ 
Löwejsthardt  nach  Hecker 284-5  Tage. 

Alle  diese  Beobachteter  constatirten  zugleich  Schwankungen  von  min- 
destens 30 — 35  Tagen  nach  oben  oder  unten  von  280  Tagen  (J.  Veit). 
V.  Winckel  fand  auf  5010  Schwangerschaften  70mal  Schwangerschaft  von 
über  300tägiger  Dauer,  47mal  dauerte  die  Schwangerschaft  über  302  Tage, 
es  kamen  diese  117  Beobachtungen  von  Spätgeburt  auf  die  Zahl  von  1700 
Frauen,  bei  denen  der  Conceptionstermin  festgestellt  werden  konnte;  darnach 
berechnet  v.  Winckel  auf  Grund  seiner  Erfahrungen  die  Häufigkeit  der 
Spätgeburten  (über  300  Tage)  auf  6-87o,  berechnet  die  mittlere  Dauer  der 
Schwangerschaft  auf  280  Tage,  betrachtet  Schwankungen  in  der  Dauer  der 
normalen  Schwangerschaft  zwischen  240  bis  zu  320  Tagen  und  vielleicht  noch 
weiter  hinaus  als  erwiesen.  Ludvs^ig  und  Haller  lassen  die  Möglichkeit  einer 
Uebertragung  des  Kindes  von  einem  Monat,  Hebenstreit  von  2  Monaten  zu, 
Alberti,  Teichmeyer,  Buettner,  Osiander  von  3  Monaten,  Mende  bis  zum 
308.  Tage.  Die  Möglichkeit  einer  Dauer  der  Schwangerschaft  um 
eine  Menstruationsepoche  länger,  also  von  320  Tagen  ist  nicht 
von  der  Hand  zu  weisen. 

Welches  Kriterium  in  der  Beurtheilung  der  Wahrheit  einer  Spätgeburt  geben 
Grösse  und  Entwicklungsgrad,  Gewicht  des  Kindes,  Placenta  etc.?  Eine  über- 
mässige Entwicklung,  Kleinheit  der  Fontanellen,  geschlossene  Nähte,  Gewicht  bis 
zu  14  Pfund  u.  s.  w.  sprechen,  wo  sie  constatirt  werden,  zu  Gunsten  der  Annahme 
einer  Spätgeburt,  das  Fehlen  dieser  Bedingungen  schliesst  jedoch  eine  statt- 
gehabte Spätgeburt  keineswegs  aus,  da  alle  diese  Bedingungen  sich  bei  zu 
frühgeborenen  Kindern  finden  können,  andererseits  bei  den  stärksten  Kindern 
z.  B.  auffallend  Vv^eite  Nähte  und  grosse  Fontanellen  gefunden  werden.  Per- 
sönlich habe  ich  bei  einer  übertragenen  Schwangerschaft  ein  lebendes  Kind  von 
14  Pfund  russischen  Gewichtes  mit  der  Zange  entwickelt,  und  ein  sub  partu 
wegen  Dystokie  durch  übermässige  Grösse  (16  ^)  abgestorbenes  Kind  in 
der  Warschauer  Klinik  gesehen. 


SPASMUS  ORIFICII  INTERNI.  763 

Die  grösste  Wichtigkeit  hat  die  Frage  der  Spätgeburt  für  die  ge- 
richtliche Medicin.  Wie  lange  Zeit  kann  in  maximo  von  der 
Schwängerung  bis  zur  Geburt  verstreichen?  Gemäss  den  verschiedenen 
Ansichten  der  Geburtshelfer  haben  auch  die  Gesetzgeber  verschiedener  Zeiten 
den  äussersten  Termin  der  Möglichkeit  einer  Spätgeburt  verschieden  bestimmt. 
Das  römische  Recht  lässt  nur  für  den  10.  Monat  Spätgeburten  zu,  der  Codex 
Justinianus  erklärt  den  partum  undecimestrem  für  impiissimum  et  mirabilem. 
Der  Code  Napoleon  sagt,  dass  die  eheliche  Geburt  eines  Kindes,  welches 
300  Tage  nach  aufgelöster  Ehe  geboren  worden,  bestritten  werden  dürfe,  gibt 
also  bis  zum  Ablauf  der  300  Tage  die  Rechtmässigkeit  des  Kindes  zu.  Das 
Allgemeine  bürgerl.  Gesetzbuch  für  0 es ter reich  erklärt  Kinder,  die  nach 
geschlossener  Ehe  im  zehnten  Monat  entweder  nach  dem  Tode  des 
Ehemannes,  oder  nach  gänzlicher  Auflösung  des  ehelichen  Bun- 
des von  der  Gattin  geboren  werden,  unbedingt  für  ehelich,  die  nach  dem 
zehnten  Monat  geborenen  unterwirft  es  der  Untersuchung  der  Sachverstän- 
digen. Das  Allgemeine  Gesetzbuch  für  die  Preussischen  Staaten.  (Preuss. 
Allg.  Landrecht.  Th.  IL  Titel  2  §.  19)  sagt:  „Ein  Kind,  welches  bis  zum 
302.  Tage  nach  dem  Tode  des  Ehemannes  geboren  worden,  wird 
für  das  eheliche  Kind  desselben  geachtet,"  dagegen  lässt  es 
für  uneheliche  Geburten  eine  Verspätung  der  Niederkunft  nur  bis  zum 
285.  Tage  zu.  Von  med.  Facultäten  sind  (ob  mit  Recht?)  verschiedene 
Gutachten  abgegeben,  die  Facultät  in  Halle  hat  eine  Spätgeburt  nach  11  Mo- 
naten und  15  Tagen,  die  in  Giessen  nach  12  Monaten,  die  Helmstädter  nach 
13  Monaten,  die  Ingolstädter  nach  1  Jahr  und  8  Tagen,  die  Leipziger  nach 
]  Jahr  und  13  Tagen  nach  dem  Tode  des  Ehemanns  als  rechtmässig  erwiesen 
anerkannt.  Das  Preussische  Civilgesetzbuch,  Art.  315  sagt:  „Die  eheliche 
Geburt  eines  Kindes,  welches  300  Tage  nach  Auflösung  der  Ehe  geboren  ist, 
kann  bestritten  werden."  Das  Preussische  Gesetz  vom  24,  April  1854  §.  15 
lautet:  „AI s  Erzeuger  eines  unehelichen  Kindes  ist  Der- 
jenige anzusehen,  welcher  mit  der  Mutter  innerhalb  des 
Zeitraumes  vom  285.  bis  310  Tage  vorder  Entbindung  den 
Beischlaf  vollzogen  hat.  Auch  bei  einer  kürzeren  Zwischenzeit  ist 
die  Annahme  begründet,  wenn  die  Beschaffenheit  der  Frucht  nach  dem  ürtheil 
der  Sachverständigen,  mit  der  Zeit  des  Beischlafes  übereinstimmt."  Der 
Entwurf  des  neuen  deutschen  Civilgesetzes  hat  in  den  §§.  1467  und 
1572  eine  „Empfängniszeit"  bezw.  Schwangerschaftsdauer  gesetzlich  statuirt; 
und  zwar  die  Zeit  zwischen  dem  180.  und  300.  Tage  nach  dem  bewiesenen  Coitus 
als  Geburtszeit  eines  lebensfähigen  Kindes  festgesetzt.  Da  nun  Uebertragungen  vor- 
kommen, müsste  nach  H.  Fritsch  die  Zeitdauer,  wenigstens  bei  Post- 
humis  auf  324 — 336  Tage  verlängert  werden.  Andererseits  würde  eine  solche 
Bestimmung  der  „Verlängerung  der  Empfängniszeit"  manchen  Uebergriff  und 
Betrug,  ungerechtfertigte  Ansprüche  einer  von  einem  anderen  Manne  Geschwän- 
gerten auf  Alimente  etc.  zur  Folge  haben.  Den  längsten  Termin  lässt  die 
gerichtliche  Medicin  für  das  nach  dem  Tode  des  Vaters  geborene  Kind,  den 
Posthumus  gelten;  namentlich  für  Fälle,  wo  der  Gatte  durch  einen  Unglücks- 
fall plötzlich  um  das  Leben  gekommen,  ist  diese  Bestimmung  sehr  humane 
um  jede  Möglichkeit  einer  Ungerechtigkeit  durch  einen  langen  Termin  auszu- 
schliessen,  wie  Fritsch  sich  ausdrückt,  —  denn  bei  längerem  Siechthume 
wird  der  Ehemann  nicht  in  der  Lage  sein,  kurz  vor  dem  Tode  den  Beischlaf 
zu  vollziehen.  xeugebauee. 

Spasmus  orificii  interni.  Ob  partielle,  ringförmige  Contractionen  im 
Bereiche  gewisser  Abschnitte  des  Uterus  bei  der  Geburt  vorkommen  oder 
nur  dafür  gehalten  werden,  ist  eine  bis  jetzt  noch  nicht  gehörig  erledigte 
Frage.    Thatsächlich  werden  aber  spastische  ringförmige  Contractionen  des  Orif. 


764  SPASMUS  ORIFICII  INTERNI. 

intern,  und  extern,  als  auch  in  der  Nähe  der  uterinen  Mündungen  der  Tuben 
beschrieben. 

Es  scheint  jedoch  die  richtige  Ansicht  jene  zu  sein,  dass  die  sogenannte 
spastische  Contraction  eines  bestimmten  Theiles  nicht  bestehe,  sondern,  dass 
sich  der  Uterus  im  Ganzen  contrahire,  wobei  auch  jener  Theil  mit  contrahirt 
ist,  von  dem  man  glaubt,  dass  er  allein  contrahirt  sei. 

Der  Uterus  hat  während  der  Geburt  zwei  von  einander  physiologisch 
getrennte  Abschnitte.  Der  eine  derselben  hat  eine  active,  der  zweite  eine 
passive  Eolle.  Diese  zwei  Abschnitte  grenzen  sich  am  sogenannten  Contrac- 
tionsringe  ab.  Oberhalb  desselben  contrahirt  sich  das  Gewebe  während  der 
Wehen,  indessen  die  unterhalb  des  Contractionsringes  gelegene  Zone  beim 
Fortschreiten  der  Geburt  eine  Dehnung  erfährt,  die  beim  Vorhandensein 
räumlicher  Missverhältnisse  um  so  deutlicher  in  Erscheinung  tritt. 

Insolange  die  Wehen  ihren  normalen  Charakter  beibehalten,  und  auch 
weder  seitens  der  weichen,  noch  der  harten  Geburtswege,  noch  der  Frucht- 
lage und  der  Fruchtentwickelung  eine  Abnormität  besteht,  fällt  eine  ring- 
förmige Zusammenziehung  des  Contractionsringes  nicht  so  leicht  auf.  Anders 
verhält  es  sich  bei  den  Krampfwehen  und  namentlich  dann,  wenn  es  sich  um 
einen  Tetanus  uteri  handelt. 

Beim  letzteren  ist  der  ganze  contractile  Theil  zusammengezogen  und  das 
untere  Uterinsegment  mit  der  Cervixwandung  setzt  sich  von  diesem  ab.  War 
das  untere  Uterinsegment  noch  wenig  entfaltet  oder,  wenn  die  Entfaltung  des- 
selben eine  Störung  erfahren  hat,  dann  sitzt  der  Contractionsring  scheinbar 
dem  schlaffen  Cervix  auf  und  imponirt  so,  als  wäre  ersterer  das  Orificum  in- 
ternum.  Ein  ähnlicher  Befund  lässt  sich  beim  Tetanus  uteri  constatiren, 
wenn  nach  dem  Austritte  der  Frucht  das  früher  entfaltet  gewesene  untere 
Uterinsegment  collabirt  ist.  Dieser  sogenannte  Spasmus  orificii  interni  deckt 
sich  daher  mit  dem  Begriffe  der  Krampfwehen  und  des  Tetanus  uteri*). 

Bildet  sich  ein  solches  Verhalten  bei  noch  nicht  gesprungener  Blase 
heraus,  dann  kann  letztere  polypenartig  beim  Orificium  externum  herausragen 
(Valenta).    Meist  aber  hat  man  es  mit  der  gesprungenen  Blase  zu  thun. 

Die  beschriebene  Contraction  kann  sich,  wenn  die  Bedingungen  für  die 
Entstehung  derselben  gegeben  sind,  in  jeder  Geburtsperiode  ausbilden. 

In  der  ersten  Geburtsperiode  kann  man  sie  häufig  bei  Abortus  beob- 
achten; ferner  bei  Schulterlagen.  Bei  letzteren  umspannt  der  Contractionsring 
die  in  das  Becken  eingetretene  Schulter.  In  der  zweiten  Geburtsperiode 
legt  sich  bei  vorangehendem  Kopfe  der  Contractionsring  um  den  Thorax,  bei 
Steisslagen  um  den  Hals  des  nachfolgenden  Kopfes.  In  der  dritten  Geburts- 
periode schliesst  sich  der  Contractionsring  derart,  dass  er  selbst  für  den 
Finger  undurchgängig  erscheint.  Man  spricht  dann  von  einer  Incarceratio  'placentae. 

Die  Ursachen  zur  Entstehung  des  sogenannten  Spasmus  sind:  häufiges 
und  langdauerndes  Untersuchen,  ungeschickte  Wendungsversuche  oder  sonstige 
intrauterine,  geburtshilfliche  Eingriffe,  bei  Steisslagen  zur  Unzeit  angestellte 
Extractionsversuche,  in  der  dritten  Geburtsperiode  das  Ziehen  an  der  heraus- 
hängenden Nabelschnur,  übertriebene  Massage  des  Uterus,  Verabreichen  von 
Ergotin  während  der  Geburt,  Abusus  in  w^armen  Bädern  oder  warmen  Schei- 
denirrigationen etc. 

Die  Geburtsbeendigung,  sowie  die  sonstige  Therapie  richtet  sich  nach 
dem  vorliegenden  Fall.  Die  erste  Bedingung  ist  aber,  zunächst  den  Uterus 
in  Ptuhe  zu  lassen.  Man  vermeide  daher  jede  Untersuchung  und  jeden  forcier- 
ten Entbindungsversuch.  Der  Uterus  erholt  sich  dann  oft  auftallend  so, 
dass  die  Geburtsbeendigung  nach  dem  Aufliören  des  Spasmus  keinen  w^eiteren 
Schwierigkeiten  begegnet. 


*]  Vergl.  auch  die  beiden  Artikel  ^Tetanus  uteri"  und  „Wehen". 


SÜPERFÖCUNDATION.  765 

Bei  hartnäckigen  Formen  kann  mit  Morphium  subcutan  (0  01 — 0  03  pro 
dosi),  oder  durch  Chlor oformnarcose  nachgeholfen  werden.  Jedenfalls  muss  in 
letzterer  bei  Schulterlagen  ein  Wendungsversuch  gemacht  werden,  bevor  man 
an  die  Decapitation  geht. 

Wegen  der  durch  die  Contraction  des  Uterus  bedingten  Circulations- 
störung  sind  die  meisten  Kinder  bei  einem  solchen  Verhalten  in  Lebens- 
gefahr, viele  sterben  während  der  Geburt  ab.  Ist  die  Frucht  in  einer  Steiss- 
lage  gewesen  und  während  der  Extractionsversuche  abgestorben,  dann  mühe 
man  sich  mit  der  weiteren  Extraction  nicht  ab  und  warte  bis  der  Spasmus 
nachgelassen  oder  aufgehört  hat.  Man  wird  sehen,  dass  so  manches  Kind 
spontan  ausgestossen  wird,  wo  trotz  grosser  Kraftanwendung  die  Extraction 
nicht  gelingen  konnte.  Ebenso  zuwartend  verhalte  man  sich  beim  Spasmus 
in  der  dritten  Geburtsperiode  und  Incarceratio  placentae.  Nur  muss  sorg- 
fältig darauf  gesehen  werden,  dass  in  den  Uterus  keine  Luft  gelange  und  die 
Bedingungen  zur  Entstehung  der  Fäulnis  hintangehalten  werden.  Bei  dieser 
Vorsicht  kann  die  Placenta  auch  längere  Zeit  im  Uterus  verweilen,  ohne 
einen  schädlichen  Einfluss  auf  das  Befinden  der  Mutter  auszuüben.  Oft 
wird  sie  dann  spontan  aus  dem  Uterus  ausgestossen.  Hingegen  sind  auch 
Fälle  bekannt,  dass  bei  einer  spastischen  Contraction  alle  Versuche,  die  Pla- 
centa auf  natürlichem  Wege  zu  entfernen,  missglückt  sind  und  die  Patientin 
schliesslich,  ohne  dass  die  Placenta  entfernt  werden  konnte,  einer  septischen 
Infection  erlegen  ist.  piskacek 

SupGrfÖCUndätion,  Superfötation,  Superimprägnation,  JJeherschwängerung, 
Ueher fruchtung ^  Nachempfängnis  beruht  darauf,  dass  eine  bereits  schv/an- 
gere  Frau  durch  einen  abermaligen  Coitus  einer  zweiten  Schwängerung 
unterliegt,  es  handelt  sich  also  dabei  um  zeitlich  getrennte  Befruchtung 
zweier  Eier.  Gehören  dieselben  einer  und  derselben  Ovulationsperiode  an, 
so  sollte  eine  Ueberschwängerung,  superföcundatio  vorliegen,  gehörte 
aber  das  später  befruchtete  Ei  einer  späteren  Ovulationsperiode  an,  so  sollte 
eine  Ueberfruchtung  superfötatio  vorliegen.  Beide  lateinischen  Be- 
zeichnungen sind  gleich  schauderhaft,  sind  aber  so  eingebürgert,  dass  sie  uns 
überleben  werden.  Besser  ist  die  deutsche  Bezeichnung  Nachempfängnis 
und  zwar  frühe,  sobald  es  sich  um  zeitlich  von  der  Befruchtung  des  einen 
Eies  getrennte  Befruchtung  eines  zweiten  derselben  Ovulationsperiode  ange- 
hörigen  Eies  durch  zwei  zu  verschiedenen  Zeiten  von  einem  und  demselben 
oder  von  zwei  verschiedenen  Männern  ausgeführte  Cohabitationen  handelt,  und 
späte  Nachempfängnis,  sobald  das  später  befruchtete  Ei  einer  späteren 
Ovulationsperiode  angehörte. 

Kann  eine  bereits  schwangere  Frau  im  Laufe  dieser  Schwangerschaft  ein 
zweites  Mal  concipiren?  Bei  bereit»  vorhandener  Extrauterinschwangerschaft 
kann  eine  uterine,  ja  auch  eine  zweite  intrauterine  Schwangerschaft  erfolgen, 
da  der  Weg,  welcher  den  männlichen  Samen  zu  dem  zu  befruchtenden  Eie 
leitet,  durch  Uterus  und  eine  oder  beide  Tuben  offen  ist.  Diese  Fälle  werden 
darum  von  Manchen  als  falsche  Uebe  r  seh  w^ängerung,  super  foecundatio, 
foetatio  spuria  angesehen  und  aus  der  Betrachtung  ausgeschieden.  Kann  bei 
doppelter  Uterushöhle,  nachdem  in  der  einen  Schwangerschaft  bereits  besteht,  eine 
Schwangerschaft  in  der  andern  Uterushöhle  entstehen?  Ein  triftiger  Grund 
zur  Verneinung  liegt  nicht  vor,  wenn  auch  Osiander  behauptet  hat,  gerade 
bei  doppelter  Gebärmutter  kämen  keine  Ueberfruchtungen  vor.  Eisen:maxn 
fand  bei  der  Section  einer  Frau,  die  139  Tage  nach  der  Geburt  eines  Knaben 
ein  Mädchen  gebar  und  w^o  er  einem  Uterus  bifidus  vorausgesetzt  hatte,  diese 
Annahme  nicht  bestätigt.  Steinthal  theilte  jedoch  einen  Fall  mit,  in  dem 
eine  zum  7.  Male  Schwangere  im  5.  Monate  abortii-te  und  zwar  eine  872  und 
eine  31/2  Zoll  lange  Frucht.    Es   fand   sich   ein  Uterus   bilocularis,  bei  ein- 


766  SüPERFÖCUNDATION. 

facher  Scheide.  Es  ist  dieser  Fall  einzigstehend.  Die  verschiedene  Ent- 
wicklung der  beiden  Fötus  im  STEiNTHAL'schen  Falle  kann  aber  sehr  wohl 
auf  einer  gewöhnlichen  Zwillingsschwangerschaft  beruhen,  wo  infolge  un- 
gleicher Vertheilung  des  Nährmateriales  und  Raumbeschränkung  der  eine 
Fötus  früher  abstarb  als  der  andere.  Bei  Thieren  mit  normaler  Zwei- 
theilung des  Uterus  ist  eine  solche  Ueberfruchtung  sehr  häufig,  ja 
regelmässig :  es  sind  Fälle  bekannt,  wo  Katzen,  die  mit  verschiedenfarbigen 
Katern  rammeln,  verschiedenfarbige  Junge  werfen ;  eine  Hündin,  die  zur 
selben  Brunstzeit  mit  verschiedenen  Racen  angehörigen  Hunden  gestellt 
wird,  wirft  verschiedenen  Racen  angehörige  Bastarde. 

Es  lässt  sich  gegen  die  Möglichkeit  einer  Nachempfängnis  wenigstens 
einer  frühen,  ausnahmsweise  einer  späten,  bei  doppelter  Uterushöhle  kein 
stichhaltiger  Grund  anführen,  aber  wenn  eine  derartige  Ueberschwängerung 
auch  vorkommen  kann,  so  dürfte  dies  ein  höchst  seltenes  Ereignis  sein,  da 
doch  eine  doppelte  Uterushöhle  nichts  weniger  als  häufig  ist,  während  ana- 
tomisch erhärtete  oder  klinisch  bewiesene  Fälle  von  gleichzeitiger  Schwanger- 
schaft in  beiden  Uterushöhlen  bis  jetzt  nicht  vorliegen. 

Ganz  anders  liegt  die  Sache  bei  einfacher  Uterushöhle  und  ist  über  die 
Frage  der  Nachempfängnis  bei  einfacher  Uterushöhle  viel  gestritten   worden. 

Bedingungen  für  die  Ueberschwängerung  sind  erstens  Ausscheidung 
reifer  befruchtungsfähiger  Eier  während  der  Schwangerschaft,  a)  aus  der- 
selben, b)  aus  einer  späteren  Ovulationsperiode.  Spiegelbeeg,  der  behauptet, 
es  sei  noch  niemals  das  Fortbestehen  der  Ovulation  während  der  Schwanger- 
schaft beobachtet  worden,  leugnet  also  consequenter  Weise  die  Möglichkeit 
einer  späten  Nachempfängnis,  —  es  sei  eine  physiologische  Unmög- 
lichkeit. 

Auch  KLEiNWÄCHTEß  betont  als  feststehend  das  Sistiren  der  Ovulation 
nach  stattgehabter  Schwängerung,  man  habe  bei  zahlreichen  Sectionen  von 
Schwangeren  oder  Wöchnerinnen  noch  nie  einen  frisch  geborstenen  GßAAF'schen 
Follikel  angetrofien,  und  wenn  Slawjansky,  Negei  und  Parona  bei  drei 
Sectionen  Schwangerer  Follikel  in  verschiedenen  Stadien  der  Entwicklung  an- 
trafen, so  liefere  das  noch  keinen  Beweis,  dass  diese  Ovulation  während  der 
Schwangerschaft  stattgefunden  habe,  denn  kein  Follikel  war  geborsten  und 
diese  Entwicklungsgrade  jener  Follikel  konnten  noch  aus  der  Zeit  persistiren, 
wo  die  Frau  noch  nicht  schwanger  war.  Schröder  dagegen  sagt:  „Wenn 
man  aber,  wofür  Manches  spricht,  annimmt,  dass  auch  ausserhalb  einer  Men- 
struationsperiode Ausstössung  von  Eiern  aus  dem  Ovarium  statthaben  kann", 
so  liesse  sich  a  priori  nichts  gegen  die  Möglichkeit  einer  Nachempfängnis  ein- 
wenden, so  lange  bei  vorhandener  Schwangerschaft  noch  die  Möglichkeit  eines 
Contactes  zwischen  Sperma  und  dem  später  ausgeschiedenen  Eichen  existirt. 
Früher  wurde  auch  angenommmen,  dass  sofort  nach  erfolgter  Schwängerung 
der  Zustand  des  Uterus  sich  so  verändere,  dass  er  seine  specifische  Reiz- 
barkeit für  die  Conception  verliere,  der  Muttermund  sich  schliesse,  Wucherung  der 
Uterusschleimhaut  auftrete  etc.,  so  dass  das  Sperma  nicht  mehr  eindringen  könne, 
auch  der  die  Cervix  verstopfende  Schleimpfropf  sei  ein  Hindernis,  vollends  aber 
seien  die  Tuben  nicht  mehr  passirbar,  die  Flimmerbewegung  habe  aufgehört, 
die  Tube  könne  nicht  mehr  mit  ihrer  Bauchöffnung  das  Ovarium  umfassen 
u.  s.  w.,  Gründe,  die  sämmtlich  als  hinfällig  sich  erwiesen  haben.  Bis  zum 
3.  Monat  kann  gelegentlich  ein  Ei  durch  die  Tuben  in  den  Uterus,  das  Sperma 
zu  dem  Ei  gelangen,  ja  der  Schleimpfropf  in  der  Cervix  soll  sogar  nach 
Burdach  als  ein  Leiter  für  das  Sperma  dienen.  Diese  Viabilität  des  Weges 
für  das  Sperma  bis  zum  Ei  ist  die  zweite  Bedingung.  Faktisch  unmöglich 
wird  ein  Zusammentreffen  eines  später  in  den  Uterus  gelangenden  Eies  mit 
dem  Sperma  erst  von  der  12.  Woche  an,  sobald  Decidua  vera  und  reflexa  mit 
einander  verwachsen.    Bezüglich  der  späten  Nachempfängnis  nehmen  wir  dem- 


SUPEßFÖCüNDATION.  767 

gemäs  heute  an:  Existirt  eine  während  der  Schwangerschaft  fortdauernde  Ovu- 
lation, so  muss  auch  die  Möglichkeit  einer  späten  Nachcmpfängnis  bis  zur 
12.  Woche  spätestens  theoretisch  ancrl{:annt  werden,  bewiesen  ist  aber  vor- 
läufig eine  während  der  Schwangerschaft  fortdauernde  Ovulation  nicht,  somit 
also  die  Frage  nach  der  Mijglichlieit  einer  späten  Nachcmpfängnis  bis  jetzt 
eine  offene.  Alle  Fachgenossen,  welche  ein  Sistiren  der  Ovulation  während 
der  Schwangerschaft  annehmen,  müssen  somit  consequenter  Weise  die  Mög- 
lichkeit einer  späten  Nachempfängnis  in  Abrede  stellen. 

Wie  steht  es  mit  der  Möglichkeit  der  sogenannten  frühen  Nachempfängnis 
d.  h.  der  Befruchtung  eines  zweiten  aus  derselben  Ovulationsperiode  stam- 
menden Eies  durch  einen  von  dem  ersten  befruchtenden  Beischlafe  zeitlich  ge- 
rennten   zweiten  Beischlaf  mit  demselben  oder  einem  anderen  Manne? 

Bei  Thieren  ist  die  frühe  Nachempfängnis  (Supcrföcundation,  Ueber- 
tschwängerung)  sicher  nachgewiesen.  Stuten,  die  innerhall)  einer  Brunstperiode 
von  einem  Hengst  und  einem  Esel  belegt  sind,  werfen  gleichzeitig  Pferd-  und 
Maulthierfüllen.  Per  analogiam  übertrug  man  die  Möglichkeit  auf  den 
Menschen  und  stützte  sich  u.  a.  auf  die  Beobachtung,  dass  eine  Negerin,  die 
binnen  einer  Ovulationsperiode  in  kurzem  zeitlichen  Abstände  mit  einem 
Schwarzen  und  einem  Weissen  cohabitirte,  verschiedenfarbige  Kinder  gebar; 
dieser  Beweis  erscheint  jedoch  hinfällig,  da  bei  Eacenkreuzung  das  Kind  ein- 
mal mehr  dem  Vater,  einmal  mehr  der  Mutter  ähnelt  und  eine  Negerin  nach 
Befruchtung  durch  einen  Weissen  das  eine  Mal  ein  schwarzes,  das  andere  Mal 
ein  weisses  Kind  erfahrungsgemäss  gebären  kann,  ebenso  das  Kind  eines 
Negers  und  einer  weissen  Gattin  ein  weisses  sein  kann.  Es  handelt  sich  bei 
der  Nachempfängnis  um  Zwillinge  aus  Eiern  die  durch  zeitlich  getrennten 
Beischlaf  befruchtet  sind.  Da  eine  Ausscheidung  mehrerer  Eier  zugleich  vor- 
kommt, so  ist  auch  gegen  die  Möglichkeit  einer  zeitlich  getrennten  Schwän- 
gerung des  einen  und  andern  Eies  aus  derselben  Ovulationsperiode  theoretisch 
nichts  einzuwenden,  —  selbstverständlich  ist  aber  die  Möglichkeit  dieser  frühen 
Nachempfängnis  ebenso  wie  die  der  vielmehr  fraglichen  späten  Nachempfängnis 
gebunden  an  den  Termin  der  ersten  3  Monate  der  Schwangerschaft,  denn 
nach  Verwachsung  der  Decidua  vera  und  reflexa  ist  der  Weg,  der  zu  einem 
Contact  zwischen  Ei  und  Sperma  führen  kann,  gesperrt. 

In  früheren  Zeiten,  wo  die  Frage  vielfach  bearbeitet  wurde,  stützten  sich 
die  Vertheidiger  der  sogenannten  Nachempfängnis  in  ihrer  Beweisführung 
ausser  auf  die  Analogie  bei  anderen  Säugethieren  hauptsächlich  auf  3  Punkte: 

1.  Während  der  Schwangerschaft  zuweilen  andauernde  (wenigstens  in 
den  ersten  3  Monaten)  Menstruation  und  Ovulation, 

2.  auf  die  gleichzeitige  Geburt  von  Zwillingen,  Drillingen,  die  einen 
verschiedenen  Grad  der  Entwicklung  nachwiesen; 

3.  auf  die  Geburt  von  Zwillingen  in  zeitlich  weit  aus  einander  liegenden 
Zeitpunkten,  so  dass  ein  Kind  1,  2,  3  bis  6  Monate  nach  der  Geburt  des 
anderen  zur  Welt  kam.  (Baetholin  sah  gar  einen  Zwischenraum  zwischen  der 
Geburt  des  ersten  und  zweiten  Zwillinges  vom  31.  Juli  bis  9.  Februar), 

Bezüglich  der  während  der  Schwangerschaft  persistirenden  Menstruation, 
resp.  Ovulation  ist  schon  erwähnt,  dass  eine  fortdauernde  Ovulation  bis  jetzt  nicht 
erwiesen  ist,  eine  in  den  !Brsten  Monaten  der  Schwangerschaft  auftretende 
Menstruation  aber  stark  angezweifelt  *wird,  indem  die  Blutung  atj^Disch  und 
durch  pathologische  Processe  bedingt  sein  soll.  Der  zweite  Grund,  die 
gleichzeitige  Geburt  von  Zwillingen  und  Drillingen,  welche  verschiedene  Grade 
der  Entwicklung  aufweisen,  so  dass  z.  B.  die  eine  Frucht  lebend  ausgetragen  zur 
Welt  kommt,  die  andere  unreif  oder  abgestorben,  so  finden  derartige  häufig 
zu  beobachtende  Facta  nach  den  heutigen  Ansichten  eine  viel  einfachere  Er- 
klärung in  dem  Absterben  der  einen  Frucht  infolge  von  Beeinträchtigung  seiner 
Ernährung,    seines  Kreislaufes    durch    den   andern  Zwilling  u,  s.  w^,  die   im 


768  SÜPERFÖCUNDATION. 

Extrem  zu  der  Bildung  des  sog.  Foetus  painjracaeus  führt,  als  dass  wir  gezwungen 
wären,  hier  an  Nachempfängnis  zu  denken.  Jede  Zwillingsgeburt  liefert  uns 
ein  Beispiel  der  ungleichmässigen  Entwicklung  der  Früchte,  Schröder  citirt 
als  Beispiele  extremer  Art  die  Beobachtungen  von  Schultze,  der  neben  einem  fast 
ausgetragenen  Kinde  einen  dem  Anschein  nach  6wöchentlichen,  frischen  Embryo 
in  einem  gesonderten  Ei  fand,  Meissner,  sah  Zwillinge,  von  denen  der  eine 
2  und  4  Unzen  v,'og  und  circa  1472  Zoll  lang  war,  der  andere  aber  vollkommen 
ausgetragen  unter  der  Geburt  starb,  [gemeinschaftliches  Chorion !]  C.  Martin  sah 
lebend  geborene  Drillinge  von  344  und  920  Gramm  Gewicht  bei  26 
und  34  cwi  Länge,  D'Oütrepont  eine  19  Zoll  lange  und  eine  5V2  Zoll  lange 
Zwillingsfrucht,  Klybeninnek  sah  die  Geburt  eines  472  monatlichen,  Lebens- 
zeichen gebenden  Kindes,  Tags  darauf  wurde  ein  seit  einigen  Tagen 
abgestorbenes,  grosses  Kind  geboren,  dann  die  beiden  gemeinsamen  Nach- 
geburten, darauf  ein  drittes  ausgetragenes  Kind.  Bock  sah  die  Geburt  von 
Drillingen  aus  drei  Eier  stammend  (eine  ISzöllige  Frucht  und  2  ganz  frische 
4-,  resp.  ömonatliche  Früchte), 

Was  nun  die  Geburt  von  Zwillingen  in  zeitlich  weit  auseinanderliegenden 
Zeitpunkten  betrifft,  so  sind  einmal  viele  der  einschlägigen  beschriebenen 
Fälle,  was  die  Genauigkeit  der  Beobachtung  betrifft,  nicht  über  jeden 
Zweifel  erhaben,  andererseits  gehören  fast  sämmtliche  Fälle  älteren  Zeiten 
an  und  werden  desto  seltener,  je  näher  man  zur  Gegenwart  herabsteigt,  wie 
Kleinwächter  sagt.  Diese  älteren  Beobachtungen  halten  nach  Kussmaul 
und  Schultze  eine  strenge  Kritik  kaum  aus. 

Endlich  kommt  noch  ein  Factor  dazu,  der  eine  Erklärung  auch  dieser 
Fälle  ohne  Heranziehung  der  Hypothese  einer  Nachempfängnis  ermöglicht; 
nämlich  die  Beobachtung  eines  gewissen  physiologischen  Stillstandes  in  der 
Entwicklung  des  Samens  (resp.  Eies),  nicht  nur  in  der  Pflanzenwelt,  sondern 
auch  in  der  Thierwelt.  Bergmann  macht  auf  die  Beobachtungen  Ziegler's 
und  Bischoff's  aufmerksam,  nach  denen  die  Brunst,  Begattung  und  Be- 
fruchtung des  Kehes  Ende  Juli  und  August  erfolgt.  Das  Ei  macht  die  Fur- 
chung durch  und  gelangt  noch  in  seiner  ursprünglichen  Grösse  (kaum  7i2"0 
in  den  Uterus.  Hier  verweilt  jetzt  das  Ei,  ohne  sich  irgendwie  zu  ver- 
ändern 472  Monate  bis  nach  Mitte  December.  Es  ist  bis  dahin  sehr  schwer 
zu  entdecken,  und  auch  der  Uterus  geht  nicht  die  geringsten  Veränderungen 
ein.  Erst  nach  Mitte  December  beginnt  das  Ei  sich  schnell  zu  entwickeln 
und  die  Ausbildung  schreitet  in  der  gewöhnlichen  Weise  fort,  so  dass  40 
Wochen  nach  der  Befruchtung  die  Geburt  erfolgt.  Es  wäre  hiernach  wohl 
denkbar,  sagt  Schröder,  dass  ausnahmsweise  die  Entwicklung  einer  Frucht 
eine  hemmende  Ursache  für  die  Entwicklung  einer  Nebenfrucht  werden  könnte, 
so  dass  die  letztere  erst  nach  Ausstossung  der  ersteren  sich  weiter  zu  ent- 
wickeln vermöchte,  man  kann  also  erstens,  weil,  wie  die  Erfahrung  lehrt, 
Zwillingsfrüchte  niciit  immer  zur  selben  Zeit  ausgestossen  werden  müssen, 
weiters,  weil  es  denkbar  ist,  dass  nachdem  die  eine  gut  entwickelte  Zwillings- 
frucht geboren,  die  andere  in  der  Entwicklung  zurückgebliebene  einstweilen 
zurückgehalten  und  erst  nach  Monaten,  nachdem  sie  sich  gehörig  ausgebildet, 
ebenfalls  ausgestossen  wird,  recht  gut  eine  Erklärung  für  die  zeitlich  weit 
auseinanderliegenden  Termine  der  Geburt  von  Zwillingen  finden,  ohne  die 
Hypothese  der  Nachempfängnis  für  diese  Fälle  anzuziehen. 

Dass  eine  frühe  Nachempfängnis  bis  zur  12.  Schwangerschaftswoche  möglich 
ist,  lässt  sich  theoretisch  nicht  widerlegen,  ebensowenig  bis  zu  dem  gleichen 
Termin  die  Möglichkeit  einer  sogenannten  späten  Nachempfängnis,  falls 
eine  Fortdauer  der  Ovulation  in  der  Schwangerschaft  nach- 
zuweisen  wäre,    was  jedoch  bis  jetzt  noch  nicht  gelungen  ist. 

neugebauer. 


SYMPIIYSEOTOMIE. 


769 


Symphyseotomie  (Schamfur/enschnitt,  sedion  puhienne,  puhiofomie,  pel- 
veotomie,  ciecie  tonoive.)  Bei  räumlichem  Missverhältriis  zwisfhcn  Frucht 
und  Becken  wird  die  lür  Mutter  und  Kind  f,^elilhrliche  Entbindung 
durch  künstliche  Frühgeburt  oder  durch  Kaiserschnitt  am  Schwangerschafts- 
ende umgangen.  Bis  zu  einem  gewissen  Grade  dieses  Missverhältnisses  kann 
die  Geburt  durch  Zange,  resp.  Wendung  und  Extraction  per  vias  naturales 
erledigt  werden,  darüber  hinaus  jedoch  ist  eine  Geburt  auf  diesem  Wege  nur 
möglich,  wenn  man  die  Frucht  verkleinert  (Embryotomie,  Perforation)  oder 
aber  den  Beckenring  erweitert.  Letzteres  geschieht  durch  Spaltung  der  Scham- 
fuge. Jederzeit  sind  spontane  Symphysenrupturen  vorgekommen  und  dar- 
nach unmöglich  scheinende  Entbindungen  per  vias  naturales  beendigt  worden. 
Es  ist  daher  zu  verwundern,  dass  der  Vorschlag  der  künstlichen  Schamfugen- 
trennung nicht  eher  gemacht  wurde  als  1768. 

Thatsächlich  ist  die  Idee*)  viel  älter  als  allgemein  angenommen  wird,  denn  bereits 
1585  (nach  Winckel  1654,  nach  Charpentier  1655)  hat  der  französische  Arzt,  Jean  Claude 
DE  LA  CouRVEE  in  Warschau  sub  partu  beim  plötzlichen  Tode  der  Kreissenden  in  mortua 
die  Symphyseotomie  ausgeführt,  um  schnell  das  Kind  extrahiren  zu  können,  1766  hat 
unter  ähnlichen  Bedingungen  Plenck  in  Deutschland  den  Schamfugenschnitt  in  mortua 
ausgeführt.  Eine  gewisse  physiologische  Lockerung  der  Beckengelenke  bei  Schwangeren 
und  Gebärenden  war  schon  Hippokrates  bekannt,  ja  es  wurde  von  ihm  sogar  ein  Ausein- 
anderweichen der  Schambeine  sub  partu  angenommen,  wie  dies  neuerdings  bei  manchen 
Thieren  z.  B.  beim  Igel  constatirt  wurde;  auch  Avigenna  erwähnte  ein  physiologisches  Klaffen 
der  Gelenke  sub  partu.  Dass  man  im  Alterthum  kleinen  Mädchen  prophylaktisch  die 
Schamfuge  spaltete,  um  spätere  Geburten  zu  erleichtern,  ist  Legende.  Die  Griechen  hielten 
die  Schamfuge  für  ein  richtiges,  der  Bewegung  fähiges  Gelenk.  Vesal  trat  gegen  diese 
Anschauung  auf  und  erklärte  die  Symphyse  für  eine  einfache  Synchondrose.  Jacques  d' 
Amboise  war  der  Erste,  der  schon  1519  an  der  Leiche  einer  wenige  Tage  port  partum 
wegen  Kindesmord  hingerichteten  Wöchnerin  in  einer  öffentlichen  Vorlesung  die  Beweg- 
lichkeit der  Beckengelenke,  namentlich  der  Schamfuge  (Auseinanderweichen  um  einige 
Linien)  demonstrirte.  Er  bewies  schon  damals,  dass  es  keine  krankhafte  Anomahe,  sondern, 
eine  normale  Erscheinung  sei,  weil  die  Frau  sich  stets  zuvor  gesund  gefühlt  habe,  —  und 
zeigte,  dasS;  wenn  man  einen  Oberschenkel  erhob,  auch  auf  der  anderen  Seite  das  Scham- 
bein in  die  Höhe  stieg.  Severikus  Pinaeus,  der  zugegen  war,  gewann  der  Frage  grosses 
Interesse  ab  und  wollte  künstlich  bei  Gebärenden  eine  Auflockerung  der  Symphyse  her- 
vorrufen durch  Kataplasmen,  Oeleinreibungen,  Sitzbäder.  Er  will  sub  partu  die  Beine  auf 
den  Unterleib  beugen  und  dadurch  die  Symphyse  spreizen,  mit  jeder  Wehe  trete  dann  das 
Kind  tiefer  herab.  Ja,  er  geht  noch  weiter  und  sagt  schliesslich,  freilich  nicht  ohne  eine 
gewisse  Scheu,  man  könne  sogar  die  Schamfuge  durchschneiden  und  beruft 
sich  dabei  auf  Galen's  Ansicht,  dass  der  Inhalt  mehr  bedeute  als  das  Gefäss,  dass  man 
letzteres  zu  Gunsten  des  Inhaltes  erweitern,  ja  durchschneiden  dürfe.  Trotz  Galen's  Auto- 
rität trat  erst  Jacques  d'  Amboise  mit  Interesse  dieser  Frage  entgegen,  in  der  Folge  be- 
schäftigten sich  damit  Silvius,  Riviere,  Fernet,  Deleurye,  PuIOLAn,  die  sich  den  Anschauun- 
gen des  Pinaeus  anschlössen.  Duverney  demonstrirte  in  seinen  Vorlesungen  im  Jardin  du 
Eoi  das  Becken  einer  Puerpera,  bei  der  durch  die  alleinigen  Kräfte  der  Natur  sub  partu  die 
Schamfuge  zum  Klaffen  gelangt  war.  Auch  Morgagni  theilte  die  Ansicht  des  Pinaeus. 
Dennoch  vergingen  2  Jahrhunderte,  ehe  der  in  der  Theorie  längst  keimende  Vorschlag 
durch  Jeans  R6ne  Sigault,  zur  praktischen  Ausführung  gelangte.  Schon  als  Student  der 
Medicin  trat  er  für  die  Schamfugenspaltung  ein  und  muss  er  daher  als  intellectueller 
Erfinder  dieser  Operation  anerkannt  werden.  Sein,  1768  der  Pariser  Akademie  gemachter 
Vorschlag  wurde  durch  den  Secretär  Louis  dem  holländischen  Arzte  Peter  Camper  mit- 
getheilt,  der  sofort  an  einer  Sau  experimentell  den  Schamfugenschnitt  ausführte,  die  sich 
dann  beim  Saugen,  Fressen  u.  s.  w.  wenig  behelligt  zeigte  und  nach  14  Tagen  geheilt  war 


*)  Die  Literatur  der  Symphyseotomie  ist  schon  im  Beginn  ihrer  Geschichte 
sehr  reich  gewesen,  ist  aber  besonders  neuerdings  so  sehr  angewachsen,  dass  derselben  in 
vorstehendem  Aufsatze  nicht  anders,  als  soferne  sie  Interesse  für  den  ärztlichen  Prak- 
tiker hat,  gedacht  werden  konnte.  Ich  verweise  deshalb  auf  meine  1893  in  Verlage  von 
Otto  WiGAND  in  Leipzig  erschienene  Arbeit,  resp.  deren  ersten  Theil:  „Ueber  die  Reha- 
bilitation der  Schamfugentrennung  oder  Symphyseotomie  durch  die 
geburtshilfliche  Schule  zu  Neapel.  (L  Theil:  Die  Geschichte  des  Scham- 
fugenschnittes und  die  bisherige  Casuistik  von  437  Operationen  von  1777 
bis  Ende  Juni  1893),  wo  ich  die  gesammte  Literatur  bis  Ende  Juni  1893  zusammen- 
gestellt habe.  Sämmtliche  seither  erschienenen  Veröffentlichungen  finden  sich  in  dem 
zweiten  Theile  meiner  Arbeit,  welche  demnächst  erscheinen  wird. 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  49 


770  SYMPHYSEOTOMIE. 

Camper  stimmte  begeistert  Sigault's  Vorschlage  bei.  1773  erprobte  A.  Le  Roy  die  Trag- 
weite des  Schamfugenschnittes  auf  die  Erweiterung  der  Beckenmaasse  an  weiblichen  Leichen 
und  fand  bei  einer  Puerperalleiche  ein  Auseinanderweichen  der  Schambeine  bis  auf  6-77 cm 
bei  Männerleichen  auf  0*45— 0'68  cm  bei  Leichen  von  Frauen  ausserhalb  des  Puerperium 
0'61— 0'9  cm.  Am  2.  October  1777  nachts  fand  sich  für  Sigault  die  längst  erwünschte  Ge- 
legenheit zum  ersten  Male  an  der  Lebenden  die  Symphyseotomie  auszuführen.  Die  39-jährige 
Soldatenfrau  Souchot  hatte  4  schwere  Entbindungen  hinter  sich  und  —  kein  lebendes  Kind ! 
Als  einzige  Hoffnung  blieb  ihr  der  Kaiserschnitt.  Diesen  wollte  Sigault  durch  Symphyse- 
otomie umgehen  und  es  gelang  ihm!  Die  Frau,  die  von  Camper's  Versuchen  an  der  Sau 
gehört  hatte,  ging  auf  Sigault's  Vorschlag  ein  und  zupfte  selbst  die  Charpie  für  die  ihr 
bevorstehende  Operation.  Wenn  sie  auch  nach  der  Operation  eine  Zeit  lang  schlecht  ging 
und  an  Harnincontinenz  litt,  so  war  doch  das  ihr  gegebene  Versprechen  eines 
lebenden  Kindes  erfüllt.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  dieses  Factum  ein  kolossales 
Aufsehen  erregen  musste.  Das  gesammte  Pariser  Publicum  war  so  interessirt  für  die  Sache, 
dass  sogar  die  Mode  davon  Profit  zog  und  Herrenkrawatten,  Hüte  ä  la  Symphyse  im  Handel 
erschienen.  —  Uebertriebener  Enthusiasmus  von  der  einen  Seite,  übertriebene  Skepsis  von 
der  anderen  oft  mit  rein  persönlichen  gehässigen  Invectiven  gepaart,  führte  zu  einem  er- 
bitterten Streite,  der  sich  Jahre  lang  hinzog  und  in  den  beiden  Lagern  der  Cäsarianisten 
und  Symphysiotomisten  seinen  Ausdruck  fand.  Die  Akademie  that  das  Ihre  und  Hess 
Sigault  und  Le  Roy,  der  ihm  bei  der  Operation  half,  zu  Ehren  eine  besondere  Medaille 
prägen.  Der  schlimmste  weit  gewichtigste  Gegner  Sigault's  war  J.  L.  Baudeloque,  der 
durch  Leichenexperimente  nachzuweisen  suchte,  dass  die  durch  Schaamfugenschnitt  ge- 
wonnene Erweiterung  der  Beckenmaasse  eine  ungenügende  sei;  es  erfolge  Ruptur  der 
hinteren  Gelenke  bei  jeder  bedeutenderen  Diastase;  Lebensgefahr,  Hinken,  Läsionen  der 
Harnblase,  Vereiterungen  der  Gelenke  und  Knochen  wurden  ins  Feld  geführt  und  —  haupt- 
sächlich Dank  dem  Eifer  und  der  Autorität  Baudelocque's  wurde  schon  nach  wenigen 
Jahren  die  Symphyseotomie  in  Frankreich,  ihrer  Wiege,  proscribirt.  Während  anfangs  viel 
operirt  wurde  und  oft  genug  mit  für  jene  Zeit  überraschend  gutem  Erfolge,  waren  jedoch 
die  Misserfolge  in  jener  vorantiseptischen  Zeit  sehr  zahlreich,  die  Operation  wurde  in 
Frankreich  verlassen  und  nach  1810  überhaupt  nur  noch  8  Mal  bis  zur  Neuzeit  ausgeführt. 
In  Paris  hatte  der  italienische  Student  Domenico  Ferrara  der  Sache  ein  Interesse  abge- 
wonnen und  brachte  die  französische  Idee  nach  Italien,  wo  er  als  Erster  und  zwar  mit 
Glück  für  die  Mutter  operirte  (1787).  Während  in  Holland,  Belgien,  Deutschland  (in  Eng- 
land  und  in  Spanien  je  2  und  1  Mal  ausgeführt)  die  Symphyseotomie  nach  wenigen  Ver- 
suchen ebenso  scheiterte  wie  im  Mutterlande  und  es  so  weit  kam,  dass  sie  allmälig  als 
obsolet  u  s.  w.  bezeichnet  und  in  den  Lehrbüchern  der  80ger  Jahre  nur  noch  des  histo- 
rischen Interesses  wegen  oder  gar  nicht  erwähnt  wurde,  hat  sie,  in  Italien  als  „il  done 
di  cielo"  begrüsst,  einen  warmen  Empfang  gefunden  und  ist,  wenn  auch  zeitweilig  sel- 
tener ausgeführt,  dennoch  stets  mit  geburtshilflichem  Bürgerrecht  ausgesta,ttet  geblieben ; 
so  hat  sich  hauptsächlich  Dank  seinem  Pflegevater  Morisani  das  von  der  französischen  Mutter 
verstossene  Kind  zur  Reife  entwickelt  und  heute  seine  berechtigte  und  allgemein 
anerkannte  Stellung  erworben.  —  Zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  war  es  in  Paris  soweit 
gekommen,  dass  der  Arzt,  der  eine  Symphyseotomie  mit  Unglück  ausführte,  Bekanntschaft 
mit  dem  Strafrichter  machte.  Sigault,  des  Rechten  sich  bewusst,  schrieb  1776:  „Le 
temps  et  le  succes  me  vengeront  peut-etre";  er  hat  Recht  behalten  und  konnte 
keine  glänzendere  Genugthuung  erhalten,  als  dass  die  heutige  moderne  Resurrection  der 
einst  von  Baudelocque  geächteten  Symphyseotomie  gerade  von  der  ihm  zu  Ehren  benann- 
ten Clinique  Baudelocque  in  Paris  ausgehen  musste,  wo  Pinard  mit  Enthusiasmus  dem 
Vorgange  Morisani's  folgend  binnen  2  Jahren  38  Symphyseotomien  zum  Theil  selbst  aus- 
führte, zum  Theil  von  seinen  Assistenten  ausführen  Hess  und  dabei  nur  2  Mütter  verlor. 
Es  wurden  nach  meiner  Statistik  von  Jahre  1777  bis  1860,  die  ich  1893  veröffentlichte,  und  der 
ich  heute  einen  von  Gelauff  operirten  Fall  hinzufügen  könnte  im  Ganzen  136  Symphyse- 
otomien mit  Geburt  von  137  Kindern  ausgeführt.  3mal  wurde  die  begonnene  Symphyse- 
otomie nicht  durchgeführt,  der  Kaiserschnitt  folgte,  30mal  ist  das  Schicksal  des  Kindes  nicht 
angegeben.  Auf  104  Kinder  waren  13  vor  der  Operation  abgestorben,  1  todtfaul,  30  sub  partii 
abgestorben,  16  bald  nach  Geburt  gestorben,  34  am  Leben  erhalten,  zusammen  50  Kinder 
lebend  geboren.  Von  104  (resp.  90)  mit  Symphyseotomie  geborenen  Kindern  überlebten 
nur  34.  Das  Schicksal  der  Mütter  ist  25mal  nicht  angegeben,  3mal  Kaiserschnitt  hinzu- 
gefügt, bleiben  108  von  136  Operationen  zu  berücksichtigen:  39  Frauen  starben,  davon 
2  unentbunden.  69  Mütter  genasen  (36-lo/o  SterbHchkeit).  Auf  104  Kinder  bei  103  Ope- 
rationen betrug  die  Zahl  der  Todtgeborenen  44*4''/o,  einschliesslich  der  binnen  3  Tage  ge- 
storbenen 16  Kinder  62-2''/o.  —  Von  136  Operationen  von  1777  bis  1860  kommen  auf  Frank- 
reich 46  (29  auf  Pa.ris),  56  auf  Italien  (24  auf  Neapel,  7  auf  Mailand),  15  auf  Holland,  8  auf 
Deutschland,  7  auf  Belgien,  2  auf  England,  1  auf  Spanien,  1  auf  die  Küste  von  Afrika. 
In  Frankreich  operirte  Sigault  6mal,  Le  Roy  5mal,  Dubois  4mal,  Beclard,  Lauverjat,  De 
Mathiis,  Dufay,  Mansüy,  Vermandois  je  2mal,  Baudelocque  (der  Neffe),  Bonnard,  Cliet, 
Desmarest,  Despres  de  Menmeurs,  Verdier-Duclos,  Duret,  Dussausoi,  Fourcault  und 
Duiraux,  m.  g.  in  Battigny,  Giraud,  x  in  Yvors,  Lambron,  Lescarde  und  Retz,  Maslien- 
rat-Laguem.\rd,    Ozanam,  Petit,  Riollay,  Roussel  de  Vauzerme,  m.  v.  in  Paris  je    einmal. 


SYMPIIYSEOTOMIE.  771 

In  Italien  operirte  Galbiati  18mal,  Assalini  4mal,  Gianni  3mal,  Jaccolucci  3mal, 
Beluzzi  und  Cacciopuli  je  2mal,  Amantka,  Asdiiubali,  Baixentani,  BALocciir,  Carbonai, 
Cattolica,  Chianflone,  Ferrara,  Flejajmi,  Giovannetti,  Inkssi,  Lavagnino,  Malacabne, 
Mancini,  Marescotti,  Monerni.  Nannoni,  Palasciano,  Palleta,  Penza,  Persone,  Petrijnto 
de  PbENzis,  Rispou  je  einma.l. 

In  Deutschland  operirte  Mükinna  2mal,  Breit,  Dammann,  Güerard,  Metzger, 
Nagel  und  von  Siebold  je  2mal.  In  Holland  operirten  von  Münster  6mal,  van  Damen 
3mal,  BoLsiüs,  Brodthlag,  Gelauff,   Groshans,  de  Man,  Prillewitz  und  van  Wy  je  Imal. 

In  Belgien:  De  cambon  6mal,  Stock  Imal, 

In  Spanien:  Delando  Imal. 

In  England:  Welchmann  und  Bakker  je  Imal. 

In  Afrika:  der  russische  Marinearzt  Löffler  Imal. 

Für  den  Zeitraum  von  1866  bis  1880  hat  Morisani  50  Operationen  zusammengestellt, 
sämmtlich  in  Neapel  von  ihm  und  seinen  Schülern  ausgeführt.  41  Mütter  gerettet,  9  ge- 
storben (IS^/o),  41  Kinder  gerettet,  9  todt  geboren  (18%).  Für  den  Zeitraum  von  1880  bis 

1886  hat  Morisani  18  Operationen,  gleichfalls  sämmtlich  neapolitanisciie,  zusammengestellt. 
10  Mütter  genesen,  8  gestorben  (38-88o/„),  13  Kinder  gerettet,  5  todtgeboren  (27-77o).  Fasse 
ich  meine  Statistik  von  136  Fällen  von  1777—1860  mit  denen  Morisani's  von  1866— 188G 
zusammen,  so  fehlen  für  28  Operationen  Details;  auf  176  von  diesen  204  Operationen 
starben  56  Mütter  (31-87o)j  33mal  für  die  205  (einmal  Zwillinge)  geborenen  Kinder  fehlen 
Angaben.  Auf  172  Kinder  84  todt  =  48*8%  (theils  todtgeboren,  theils  innerhalb  3  Tagen 
gestofben). 

Morisani,  der  moderne  Apostel  des  Schamfugenschnittes,  der  von  1860  an  zu  wieder- 
holten Malen  für  seine  Ueberzeugung  eintrat  und  auf  mehreren  ärztlichen  Congressen  seine 
Ansichten  proclamirte,  hat  es  Dank  der  vortrefflichen  P^esultate  seiner  letzten  Statistik  von 

1887  an  soweit  gebracht,  endlich  das  Interesse  für  sein  Pflegekind  in  weiteren  Kreisen 
wachzurufen  und  schickte  seinen  Assistenten  Spinelli  zu  dem  Zweck  einer  Demonstration 
der  Operation  nach  Paris.  Vom  7  December  1891  an  gewann  Morisani  in  Pinard  einen 
begeisterten  Anhänger,    später   auch  in  Charpentier,  der  in  Neapel  der  Frage  näher  trat. 

Der  Anfang  war  gemacht.  Während  die  meisten  Operateure  zum  Theil 
in  alten  Vorurtheilen  befangen  nur  mit  Scheu  und  einem  gewissen  Widerwillen 
wie  Franck  an  die  Operation  gingen,  wurde  sehr  bald  zu  viel  operirt,  die 
Symphyseotomie  war  eben  in  das  experimentelle  Stadium  getreten. 

Ich  habe  von  1887  bis  Ende  December  1893,  also  für  die 
7  Jahre  278  Symphyseotomien  zusammengestellt,  247  Mütter  ge- 
nasen, 31  starben  (irP/o),  die  Sterblichkeit  der  Kinder  betrug 
19%.  4mal  Loos  des  Kindes  nicht  angegeben,  8mal  Operation  bei  schon  vor- 
her todtem  Kinde;  auf  266  Operationen  bei  lebendem  Kinde  wurden  253 
Kinder  lebend  geboren,  13  waren  sub  partu  abgestorben,  38  starben  inner- 
halb der  ersten  Tage,  es  gingen  also  von  266  während  der  Operation  noch 
lebender  Kinder  51  (=  197o)  trotz  der  Operation,  zu  Grunde. 

Morisani  gab  im  Congress  zu  Rom  (März  1894)  als  Gesammtzahl  der 
Operationen  1887—1893  =  241  an  und  ll^/o  Sterblichkeit  für  die  Mütter,  12^'o) 
für  die  Kinder.  Meine  Statistik  von  278  Operationen  ergibt  also  für  die 
Mütter  einen  ähnlichen  Procentsatz,  für  die  Kinder  aber  einen  viel  grösseren, 
beinahe  Yö  aller  Kinder  und  beinahe  Vg  aller  Mütter  gingen  zu  Grunde.  Da 
13  von  den  266  vor  der  Operation  noch  lebenden  Kindern  (also  5%)  sub 
partu  abstarben,  so  wurden  nur  253  lebend  geboren,  von  denen  jedoch  38  den 
Folgen  der  protrahirten  Geburt  oder  dabei  davongetragenen  Verletzungen  bald 
erlagen  (also  157o),  so  ergibt  sich  aus  meiner  Zusammenstellung  cca.  197o 
kindlicher  Sterblichkeit. 

Auf  diese  278  Operationen  fehlen  bezüglich  der  Kindeslage  20mal  die 
Angaben;  auf  die  übrig  bleibenden  258  Geburten  kommt  245mal  Schädellage 
[mehrmals  dabei  Wendung  auf  den  Fuss  gemacht]  5mal  Steiss  resp.  Fusslage, 
8mal  Quer-Schieflage.  Geburt:  15mal  spontan,  2mal  durch  Kitgen"s  Handgriff, 
2mal  durch  IvRiSTELLER'-sche  Expression  unterstützt  =  19;  Extraction  an  den 
Füssen  bei  Fuss-Steisslage  5mal,  nach  Wendung  auf  den  Fuss  23mal  [dabei 
2 mal  Zange  an  den  nachfolgenden  Kopf],  zusammen  19 -J- 28  =  47:  5mal 
wurde  trotz  Symphyseotomie  die  Perforation  und  Basiotrypsie  gemacht,  199mai 

49* 


772  SYMPHYSEOTOMIE. 

Zangenextraction  des  vorausgehenden,  Imal  des  nach  Decapitation  zurückge- 
bliebenen Kopfes;  für  26  fehlen  Angaben  über  Art  und  Beendung  der  Geburt. 

Auf  die  253  Geburten  wurde  also  nur  19mal  die  Spontanaustreibung  ab- 
gewartet und  zwar  mit  sehr  gutem  Resultat  für  Mütter  und  Kinder. 

Ergebnis  der  278  Symphyseotomien  (einschliesslich  einer  FARABEUF'schen 
unilateralen  Ischiopubiotomie)  von  1887 — 1893. 

A.  Bezüglich  der  Mütter. 

Operationen    Mutter  genesen     gestorben 

Frankreich 73  62  11  lö^/^ 

Italien 52  50  2  3-8°/o 

Deutschland     ....        48  44  4  8-3°/o 

Oesterreich-Ungarn       .37  30  7  19%     . 

Amerika 40  36  4  lO«/« 

Russland 14  12  2  14-20/„ 

England  und  Ostindien         4  4  0  .O^o 

Holland 2  1  1  50«/o 

Belgien 2  2  0  0«/o 

Dänemark 1  1  0  O«/« 

Rumänien 1  1  0  O^/o 

Schweden 1  1  0  0% 

Schweiz      ....              3 3 0  07o 

278  27  31  112«/o 

B.  Bezüglich  des  Kindes. 

ö       ö  .  ^  -  -ö  -2  ö        fi 

S      :f^    -Sä     ^-^      gg     .o         :S     1^    Si-^ 


O 


bC        m  .üi 


Frankreich 73      3         5       2        63     15      48     17      26% 

Italien 52      0        1        3        48       3      45       6    11-7% 

Deutschland 48      0         1       4        43       5      38       9      19% 

Oesterreich-Ungarn    ...     37      0         0        0        37       4      53       4    IM 7^ 

Amerika 40      0         0        4        36       5      31       9    22-5% 

Russland       ......     14      0         0        0        14       4      10       4      287o 

England  und  Ostindien       .41         10         20        20        07^ 

Holland 2      0         0        0  2       0        2       0        0% 

Belgien    .    ' 2      0        0        0         2       0       2       0       0% 

Dänemark 10        0        0         10        10       0°/, 

Rumänien 10        0        0         1       0        1       0       07, 

Schweden 10        0        0         10        10       0% 

Schweiz 3      0         10  3       2        12    666% 

278      4         8      13      251     37    214     51      197o 

Eine  Zusammenstellung  von  278  Operationen  von  1887  bis  Ende  1893 
ergiebt  eine  mütterliche  Sterblichkeit  von  11,1%,  immerhin  aber  ist  dieses  Sterb- 
lichkeitsprocent ein  ganz  anderes  als  in  der  vorantiseptischen  Zeit,  zweitens 
wird  auch  diese  Sterblichkeitszifler  noch  bedeutend  abnehmen  bei  grösserer 
Uebung  und  Erfahrung  der  Operateure  und  strengerer  Berücksichtigung  der 
Indicationen,  die  erst  im  Reifen  begriffen  sind.  Der  beste  Beweis  hierfür 
sind  die  Resultate  einzelner  Operateure  besonders  der  Italiener,  dann  Pinakd's, 
Zweifel's,  Schauta's,  Rubeska's.  —  Die  heutige  Statistik  ergiebt  also  11,1% 
Sterblichkeit  der  Mütter  und  197o  für  die  Kinder. 

Es  erscheint  räthselhaft,  dass  eine  Operation,  die  vor  100  Jahren  eine 
Zeitlang  grossen  Enthusiasmus  weckte  und  später  absolut  in  Verruf  kam,  nun 


SYMPHYSEOTOMIE.  773 

wieder  in  Aufschwung  kommt.  Der  Grund  des  BAUDELOCQUE'schen  Anathema 
waren  einmal  theoretisdie  Einwürfe:  der  Beckenring  lasse  sich  nicht  genügend 
erweitern  ohne  Sprengung  der  hinteren  Beckengelenke,  die  grosse  Sterblichkeit 
für  Mutter  und  Kind,  endlich  dauernde  Schädigung  der  Gesundheit  der  Mutter 
(unsicherer  Gang,  Arbeitsunfähigkeit,  Knochen-  und  Gelenkvereiterungen, 
Abscesse,  Harnincontinenz,  Vorfall  der  Gebärmutter  und  Scheide  u.  s.  w.). 
Ausser  den  zum  Theil  berechtigten  Einwürfen  trug  aber  zur  Zeit  Baudelocque's 
schon  viel  der  Brodneid  der  Aerzte  dazu  bei,  Sigalts  Operation  nicht  aner- 
kennen zu  wollen,  später  aber  namentlich  überkommene  Vorurtheile  und  das 
jurare  in  verba  magistri.  Als  Morisaxi  vom  Jahre  ISSG  an  immer  und 
immer  wieder  versuchte,  der  Symphyseotomie  zu  ihrem  Ptechte  zu  verhelfen, 
scheiterten  seine  Bemühungen  immer  aufs  Neue  an  theoretischen  Bedenken  und 
blinden  Vorurtheilen  selbst  der  hervorragendsten  Zeitgenossen,  von  letzteren 
heute  offenherzig  eingestanden.  —  Die  Symphyseotomie  sei  eine  zerstörende 
Operation,  die  Frau  werde  im  günstigsten  Falle  zum  Krüppel,  der  moderne 
Kaiserschnitt  bei  relativer  Anzeige  und  die  künstliche  Frühgeburt  würden  die 
Symphyseotomie  nicht  aufkommen  lassen,  auch  sei  die  Letalität  für  die 
Mütter  grösser  als  bei  der  Kraniotomie !  Hauptbedenken  blieb  aber  die  Angst 
vor  Platzen  der  hinteren  Beckengelenke,  Tod  in  der  Folge  oder  bleibende 
Schädigung,  Gefährlichkeit  der  Gelenksverletzungen.  Letztere  Bedenken  sind 
Dank  der  experimentellen  Arbeiten  Ahlfeld's  in  neuerer  Zeit  Walcher's, 
Klein's,  Pinard's  zerstreut,  zweitens  angesichts  der  glänzenden  Resultate  der 
neueren  Symphyseotomien,  mit  nach  3  bis  4  Wochen  angeblich  normalem 
Gehvermögen  fast  hinfällig  geworden.  Die  Hauptgefahr  für  die  Mütter  sieht 
der  Fachmann  heute  bei  strenger  Antisepsis  —  nicht  in  den  Gelenkverletzungen, 
sondern  in  der  Gefahr:  1.  der  Blutungen,  die  in  zwei  Fällen  bis  1893  und 
1  mal  im  Jahre  1894  fast  auf  dem  Operationstische  tödtlich  wurden,  2.  in 
ausgedehnten  Weichtheilrissen  namentlich  bei  Erstgebärenden.  Trotz  aller 
Antisepsis  und  Asepsis,  aller  modernen  Technik  etc.,  geht  heute  noch  jede  9. 
der  operirten  Frauen  zum  Hades  ein,  bei  ll'P  SterlDlichkeit  der  allgemeinen 
Statistik,  einer  Sterblichkeit  die  drei  mal  grösser  ist  als  die  der  Italiener. 
Dieser  Umstand  könnte  leicht  einen  neuen  Umschwung  zu  Ungunsten  der 
Symphyseotomie  hervorrufen,  andererseits  wirft  sich  die  Frage  auf,  warum 
haben  die  Italiener  eine  so  viel  geringere  Sterblichkeit,  und  so  unverhältnis- 
mässig weniger  Complicationen  mit  ausgedehnten  Weichtheilrissen  und  Gelenk- 
platzen zu  verzeichnen?  Offenbar  arbeiten  sie  mit  mehr  Erfahrung  und  folgen 
präciseren  durch  Morisanis  Schule  erhärteten  Indicationen,  deren  manche  der 
neuerdings  ausserhalb  Italiens  gemachten  Operationen  zuwiderlaufen.  — 
Morisani  sprach  seine  Kritik  in  dieser  Beziehung  sehr  offen  in  Rom  aus. 

Während  Pinard  und  Zweifel  der  Symphyseotomie  eine  Zukunft  pro- 
phezeien und  sie  für  eine  Operation  erklären,  die  bestimmt  ist,  Gemeingut 
aller  praktischen  Aerzte  zu  werden,  haben  die  Ergebnisse  des  fran- 
zösischen und  des  deutschen  Gynäkologen-Congresses  1893,  die  Verhandlungen 
der  wiener  geb.  gyn.  Gesellschaft  und  des  römischen  Congresses  von  1894 
diesen  Enthusiasmus  sehr  gedämpft.  Es  scheint  heute,  dass  der  Standpunkt 
Morisani's,  den  auch  Chrobak  theilt,  bezüglich  der  Indicationen  allgemein 
angenommen  werden  wird.  Die  Mehrzahl  der  deutschen  Geburtshelfer  verhält 
sich  heute  noch  abwartend  und  skeptisch  und  verlangt,  die  Symphyseotomie 
solle  vorläufig  nur  in  der  Klinik  gemacht  werden,  letzteres  mit  Recht.  Einmal 
muss  der  Geburtshelfer,  der  eine  Symphyseotomie  unternimmt,  gründlich 
chirurgisch  vorgebildet  sein  und  arterielle  Blutungen  nicht  durch  Tamponnade 
stillen  wollen,  wenn  er  es  nicht  riskiren  will,  den  Verlust  eines  oder  zweier 
Menschenleben  auf  sein  Gewissen  zu  laden,  —  zweitens  verlangt  die  oft  für* 
die  Operirte  qualvolle  Nachbehandlung  ein  geschultes  Personal.  Die  meisten 
Operationen  in  der  Privatpraxis   sind  in  Amerika  gemacht,  nur  w-enige   auf 


774  SYMPHYSEOTOMIE. 

europäischem  Boden.  —  Die  Technik  der  Operation  ist  in  glatt  verlaufenden 
Fällen  eine  sehr  einfache,  die  Operation  am  häutigsten  in  der  erhöhten  Steiss- 
rückenlage  an  der  Tischkante  bei  ventralwärts  gebeugten  Schenkeln,  ferner  in 
absoluter  horizontaler  Rückenlage  oder  in  halber  Rückenlage  mit  (nach  Walcher) 
herabhärgenden  Schenkeln  gemacht.  Zwei  Assistenten,  um  die  Beine  zu  fixiren, 
sind  unerlässlich,  ein  dritter  zur  Narcose,  also  vier  Aerzte  sind  wünschens- 
werth  und  Avomöglich  ein  fünfter,  falls  der  Operateur  sich  nur  mit  der  Syms 
phj'Seotomie  befassen  und  nicht  selbst  die  weitere  Geburt  beendigen  will,  \va- 
Viele  vorziehen,  im  Falle  die  Geburt  nicht  spontan  erfolgen  sollte.  Personal 
wird  also  nicht  weniger  verlangt  als  beim  Kaiserschnitt,  ja  eher  mehr  und 
zwar  Assistenten,  welche  nicht  ein  Bein  fallen  lassen,  wie  es  zweimal  vor- 
gekommen ist,  was  zum  Platzen  eines  lleosacralgelenkes  führte,  das  sonst  nicht 
erfolgt  wäre.  Eine  kleine  Unachtsamkeit  kann  hier  die  schwersten  Folgen 
haben.  Selbstverständlich  wird  nur  mit  Narcose  operirt.  Nach  der  gehörigen 
antiseptischen  Säuberung  und  Rasiren  der  Pubes  tritt  nach  Novi's  Vorgange 
der  Operateur  zwischen  die  Schenkel  der  Frau,  die  leicht  gespreizt  und  ge- 
streckt gehalten  werden,  nachdem  das  Gesäss  bis  an  den  Tischrand  ge- 
zogen ist,  spaltet  dann  mit  einem  etwa  3  cm  langen  Querschnitt  dicht  ober- 
halb des  oberen  Symphysenrandes  die  Weichtheile,  der  Finger  dringt  in  die 
Wunde  ein  zwischen  die  recti  abdominis,  die,  falls  nöthig,  an  der  Insertions- 
stelle  etwas  eingekerbt  werden,  und  sucht  die  Vertiefung  am  oberen  Pol  der 
Schamfuge  auf,  deren  Aufsuchung  erleichtert  wird  durch  alternirendes  Beugen 
und  Strecken  der  Beine.  Sobald  der  Finger  die  richtige  Stelle  entdeckt  hat, 
dringt  der  Finger  nach  Blosslegung  des  oberen  Schamfugenrandes,  in  das 
retrosymphysäre  Zellgewebe  ein  und  löst  die  Weichtheile  von  der  hinteren 
Symphysenfläche  ab.  Zuweilen  ward  das  Eindringen  des  Fingers  sehr  erschwert 
durch  den  in  den  Beckeneingang  sich  bereits  einpressenden  Schädel.  Der 
Finger  sucht  sich  nun  den  Weg  zu  bahnen  bis  zum  Schambogenscheitel. 
Dann  wird  nach  Morisani  ein  starkes  sichelförmig  gekrümmtes,  an  der  con- 
caven  Seite  schneidendes  Messer  (galbiati's  Falcetta),  das  am  Ende  ge- 
knöpft ist,  von  oben  unter  dem  Geleit  des  Fingers  so  weit  und  tief  hinter  die 
Schamfuge  eingeführt,  bis  der  Knopf  des  Messers  in  den  Schambogenscheitel 
zu  liegen  kommt,  indem  das  bisher  flach  (frontal)  gehaltene  Messer  jetzt  mit 
der  Schneide  nach  vorn  gerichtet  wird,  wird  mit  einem  kräftigen  Messer- 
zuge der  Schamknorpel  von  unten  nach  oben,  von  hinten  nach  vorn  ge- 
spalten. Die  Meisten  suchen  durch  einen  vorher  in  die  Blase  eingeführten 
männlichen  Katheter  die  Harnröhre  herabzudrängen,  um  sie  nicht  zu  verletzen. 
Die  Mehrzahl  der  Operateure  beginnt  jedoch  heute  mit  einem  sagittalen 
medianen  Längsschnitt  von  6 — 8  cm,  der  etwa  3  cm  oberhalb  der  Schamfuge 
beginnend  die  Weichtheile  bis  auf  den  Knorpel  schichtenweise  oder  mit  einem 
Zuge  durchschneidet,  wobei  der  Schnitt  oberhalb  der  Clitoris  etwas  zur  Seite 
abweichen  soll,  um  unnütze  Verletzungen  derselben  zu  meiden.  Etwaige  Varices 
können  dabei  unangenehme  Blutungen  veranlassen,  wie  es  einmal  in  Neapel 
vorkam.  Ob  man  mit  Galbiati's  Falcetta  operirt  oder  mit  Spinelli's  ori- 
ginell ersonnener,  auf  die  Höhe  der  Symphyse  vorher  eingestellter  Guillotine» 
oder  einem  gewöhnlichen  starken  Skalpell  ist  ganz  gleichgiltig,  ebenso  ob 
man  von  oben  nach  unten,  von  hinten  nach  vorne  schneidet  oder  umgekehrt. 
Der  geübte  Operateur  wird  mit  einen  einfachen  Bistouri  seinen  Zweck  er- 
reichen, nur  darf  es  nicht  zu  dickbauchig  sein  —  je  mehr  das  Messer  die 
Schambeine  oben  auseinanderdrängt,  desto  mehr  werden  sie  durch  das 
Messer  unten  zusammengepresst  — und  nicht  zu  dünn,  sonst  bricht  es  leicht. 
Pinard  beginnt  die  Operation  bei  gestreckter  Längslage  der  Frau  nahe  am 
Bettrande,  stellt  sich  dicht  neben  dem  Bette  an  der  rechten  Seite  auf  und 
schneidet  von  oben  nach  unten  und  vorn  nach  hinten  zu  nach  dem  Längs- 
hautschnitt  den  Knorpel  durch,    nachdem  vorher  der  Zeigefinger   der   linken 


SYMPHYSEOTOMIE.  775 

Hand  an  der  hinteren  Symphysenflüche  bis  zum  Schamwinkel  heraljgeglitteu 
ist.  Zuletzt  durchschneidet  er  das  Lig.  arcuatum  inferius  und  betrachtet  die 
Operation  nicht  eher  als  vollendet,  bis  nicht  der  Finger  zwanglos  zwischen 
den  beiden  Schambeinen  durchgeführt  werden  liann.  Dann  versucht  er  noch 
durch  vorsichtige  Schenkelabduction  sich  von  der  Bewegliclikeit  der  Ossa  ilci 
zu  überzeugen,  ob  Alles  durchschnitten  ist,  was  durchtrennt  werden 
muss,  damit  der  Schädel  des  Kindes  nicht  auf  einen  Widerstand  trifft,  den  es 
noch  zu  überwinden  hätte  auf  Kosten  seiner  Integrität.  Dann  legt  er  einen 
einfachen  Verband  an  und  wird  wieder  Geburtshelfer.  Etwaige  Blutungen 
werden  durch  directe  Ligatur,  Umstechungen,  meist  durch  einfache  Gazetam- 
ponade gestillt. 

Carjbonai  führt  nur  einen  3  cm  langen  Querschnitt  durch  die  Weich- 
theile  oberhalb  der  Schamfuge  aus,  führt  dann  durch  die  Wunde  ein  schmales, 
gerades,  gestieltes  Messer  subcutan  längs  der  vorderen  Schamfugenfiäche 
herabgleitend  ein,  wendet  dann  flach  liegend,  die  Schneide  gegen  den  Knorpel 
und  durchtrennt  ihn  mit  sägenden  Zügen,  meist  durchschneidet  er  dabei  das 
Lig.  arcuatum  inferius. 

PicciNiNi  legte  erst  einen  Schnitt  oberhalb  der  Clitoris  an  und  durch- 
trennte mit  einem  Schnitt  von  unten  nach  oben  die  Weichtheile,  durchschnitt 
dann  erst  den  Knorpel  von  vorn  nach  hinten  zu  wie  Carbonai,  aber  von  oben 
nach  unten  zu.  Die  Italiener  führen  den  Schnitt  meist,  aber  nicht  ausnahmslos 
von  hinten  nach  vorn  und  von  unten  nach  oben  und  zwar  operiren  sie  ohne 
die  m.  recti  abdominis  vorher  einzukerben,  ohne  die  Clitoris  und  die  Gefässe 
abzulösen  und  legen  das  Hauptgewicht  auf  digitale,  stumpfe  Ablösung  des 
retrosymphysären  Zellgewebes,  die  aber  nicht  zu  weit  getrieben  werden  darf, 
wegen  mehrfach  darnach  beobachteter  Taschenbildung,  Bluterguss  und 
Jauchung.  Grosses  Interesse  hätte  eine  subcutane  Durchführung  der  Symphy- 
seotomie  für  sich,  wie  sie  ja  schon  früher  vorgeschlagen  wurde  und  die  sich 
auch  durchführen  Hesse.  Der  Zweck  der  Operation  ist  ja  nur  den  Knorpel 
zu  durchschneiden,  dann  fielen  die  Nähte  ganz  fort  und  die  Gefahr  der  aus- 
gedehnten Weichtheilrisse  wäre  jedenfalls  geringer.  In  nicht  gar  zu  seltenen 
Fällen  hat  der  Operateur  grosse  Schwierigkeiten  gehabt  den  Knorpel  zu  treffen 
und  mehrfach  an  den  Schambeinknochen  herumgesäbelt,  weil  die  Symphyse 
verfehlt  worden  war,  was  ab  und  zu  in  etwas  schrägem  Verlauf  oder  nicht 
ganz  medianer  Lage  der  Symphyse  seine  Erklärung  fand;  schliesslich  nach 
langem  Suchen  wurde  der  Knorpel  getroffen  —  oder  auch  nicht !  Es  wurde 
dann  eine  Verknöcherung  irrthümlich  angenommen,  die  bei  Frauen  unter 
50  Jahren  colossal  selten  ist,  und  zur  Kettensäge  gegriffen  oder  Hammer  und 
Meissel  Mac  Ewen's,  oder  aber  der  Operateur  gab  nach  unvollendetem 
Schnitt  das  Suchen  auf  und  unternahm  entweder  eine  andere  geburtshilflichen 
Operation  (Embryotomie)  oder  legte  die  Zange  an  und  —  sprengte  durch  die 
blinde  Kraft  der  Zange  nicht  nur  die  angeschnittene  Symphyse,  sondern  auch 
die  hinteren  Gelenke,  wovon  er  sich  bei  der  krachend  erfolgten  Extraction 
des  Kindes  und  der  Nekropsie  der  Mutter  zu  überzeugen   Gelegenheit  hatte. 

Es  ist  auch  vorgekommen,  dass  nach  Durchschneidung  des  oberen  Theiles 
der  Schamfuge  der  Eintritt  und  Durchtritt  des  Kopfes  so  rapid  erfolgte,  dass 
der  Operateur  nicht  dazu  kam,  seine  Symphyseotomie  durchzuführen  (Fall  von 
Müller  und  van  Noorden)  [bei  künstlicher  Frühgeburt  in  der  32.  W^oche  bei 
einer  V-para  asphyct.,  nicht  belebtes  Kind,  Fieber,  ausgedehnte  Weichtheil- 
risse, Vesico- Vaginalfistel].  Manchmal  brach  das  Messer,  in  anderen  Fällen 
klemmte  sich  die  Kettensäge  ein  oder  der  Operateur  hatte  keine  solche  vor- 
bereitet und  sass  da  mit  seinem  Talent!  Solche  im  Entstehen  abortirte  Sym- 
physeotomien  sind  mehrere   verzeichnet. 

Gleich  nach  vollendetem  Knorpelschnitt  beim  Durchschneiden  des  Lig. 
arcuatum  inferius  fühlt  man  meist  ein  plötzliches  Nachgeben  des  Widerstandes 


776  SYxMPHYSEOTOMIE. 

und  hört  eine  Art  charakteristisches  Geräusch.  Sofort,  aber  nicht  immer, 
was  auf  unvollkommene  Durchschneidung  des  Ligamentes  hinweist  oder  bei 
Ileosacralankylose,  —  woran  man  immer  denken  soll,  um  sich  darnach  zu 
richten,  —  weichen  meist  die  Knochenenden  Yg — 1  cm  auseinander,  oft  aber 
nur  auf  wenige  Millimeter. 

Nach  vollendetem  provisorischen  Verbände  wird  die  Frau  in  die 
WALCHER'sche  Hängelage  gebracht,  das  heisst,  so  an  der  Tischkante  gelagert, 
dass  die  so  weit  als  nöthig  gespreizten  Schenkel  in  herabhängender  Stellung 
von  den  Assistenten  gehalten  werden,  falls  man  sofort  die  Extraction  des 
Kindes  folgen  lassen  will.  Viele  lassen  um  einer  übermässigen  Diastase  der 
Symphyse  vorzubeugen,  von  aussen  her  einen  Gegendruck  gegen  die  Trochan- 
tereugegend  ausüben.  Folgt  man  Galbiati's  Grundsätzen,  die  auch  Zaveifel 
vertritt  und  überlässt,  was  theoretisch  sehr  wichtig  ist,  die  weitere  Geburt 
unter  dauernder  Controlle  der  Herztöne  den  Kräften  der  Natur  —  das  vom 
engen  Becken  an  sich  gesetzte  Hindernis  und  daraus  entspringende,  die 
Geburt  autlialtende  Missverständnis  ist  ja  mit  beendigtem  Schnitt  theoretisch 
als  beseitigt  anzusehen  —  so  wird  man  nach  vollendeter  Symphyseotomie  jedes 
Spreizen  der  Beine  streng  vermeiden  und  die  Kreissende  in  Längslage  mit 
geschlossenen  und  genau  überwachten  Schenkeln  ins  Bett  legen;  15  mal  hat 
man  in  der  neueren  Kasuistik  mit  bestem  Erfolge  diesen  Grundsatz  Galbiati's 
befolgt,  zuweilen  nach  längerem  Zuwarten,  so  wie  sich  eine  dem  Kinde 
drohende  Gefahr  verrieth,  doch  hinterher  die  Extraction  mit  der  Zange  folgen 
lassen.  Andere  operirten  bei  gespreizten  und  ventralwärts  flectirten  Ober- 
schenkeln. Bequemer  für  den  Operateur  ist  dies,  ob  aber  richtig,  ist  fraglich? 
Während  also  Ga^biati  die  Erweiterung  des  durchschnittenen  Beckenringes  im 
Princip  dem  vordi'ängenden  Kopfe  überlassen  will,  geht  Pinaed  von  einem 
entgegengesetzten  Standpunkte  aus  und  will  womöglich  nicht  zur  Extraction 
schreiten,  bevor  nicht  die  genügende  Diastase  gesichert  ist.  Statt  des  von 
den  Meisten  angewandten  Aussendruckes  gegen  die  Trochanteren,  haben 
manche  provisorisch  einen  Gypsverband,  EssMARcn'schen  Schlauch,  Gummi- 
bänder, Flanellbinden  etc.  vor  der  Extraction  angelegt  (!)  Dieser  angebliche 
Schutz  rutschte  hin  und  her  und  störte.  Koffer  construirte  einen 
an  dem  Tische  zu  befestigenden  voluminösen  Apparat  aus  Metall  zur  Bitro- 
chanteralcompression  mit  concaven  Blechrinnen  für  den  oberen  Theil  der 
Schenkel.  Freund  jun.  schlug  zum  Schutz  der  Weichtheile  beim  Schnitt 
einen  blechernen  Hebel  vor,  wie  ihn  die  Damen  zum  Anziehen  der  Schuhe 
benützen.  Schauta  meint  recht  treffend,  die  Idee  sei  ganz  schön,  aber  das 
Instrument  zu  gross,  dass  man  erst  den  Schamfugenschnitt  ausführen  müsse, 
um  diese  Schutzplatte  einführen  zu  können. 

Ideal  erscheint  die  Idee  der  subcutanen  Symphyseotomie  ähnlich  wie 
die  Achillessehne  z.  B.  durchschnitten  wird.  Im  gegebenen  Falle  liesse  sich  ja  die 
Schnittwunde  durch  nach  vollendeter  Blutstillung  sofort  vorgenommenen  Naht- 
verschluss  der  Weichtheile  in  toto  schliessen,  die  Verhältnisse  werden  dann 
einer  subcutan  ausgeführten  Symphyseotomie  analog,  auch  könnte  man  zum 
Schnitt  die  galvanokaustische  Schlinge  subcutan  durchgeführt  benutzen.  Die 
Adaptation  der  Schambeinenden  wäre  damit  durchaus  nicht  ausgeschlossen, 
wie  die  reiche  Casuistik  spontaner  Symphysenrupturen  mit  rascher  Heilung 
beweist.  Jedenfalls  würde  damit  die  Gefahr  der  Weichtheilrisse  und  auch 
theilweise  der  Infection  während  der  folgenden  geburtshilflichen  Manipulationen 
vermindert.  Ich  Avürde  im  gegebenen  Falle  den  Versuch  für  rationell  halten, 
dabei  aber  selbstverständlich  auch  die  Weichtheile  vernähen,  ohne  den  Knorpel 
mitzufassen. 

Nach  vollendeter  Geburt  wird  die  Wunde  nach  allgemeinen  chirurgischen 
Grundsätzen  vernäht  und  zwar  wird  nur  die  Weichtheilnaht  nach  dem  Vorgange 
MoRiSANi's  gemacht,   indem   die  tiefen  Nähte  den  Knorpel   und  Periost   der 


SYMPHYSEOTOMIE. 


777 


Schambeinenden  mitzufassen  suclien.  Einzelne  nähen  etagenweise  mit  vei- 
seakten  Nähten,  Andere  ohne  versenkte  Nähte.  Manche  suchen  in  den  Nähten 
die  Ursache  des  bis  jetzt  unerklärt  gebliebenen  leichten  Fiebers,  das  sich  in 
den  meisten  neueren  Fällen  von  Symphyseotomie  zwischen  dem  5.  und  8.  Tage 
einstellte.  Einmal  wurde  die  Wunde  offen  gelassen  und  erst  nach  einigen  Tagen 
eine  Secundärnaht  gemacht.  Viele  benutzen  eine  Drainage  des  retrosym- 
physären  Zellgewebsraumes  mit  Jodoformgaze,  die  zum  unteren  Wundwinkel 
herausgeleitet  wird.  Andere  schliessen  die  ganze  Wunde.  Turetta  in  Messina 
schlug  zuerst  die  Knochennaht  vor.  Zuerst  ausgeführt  hat  sie  Sciiauta  zumeist 
mit  gutem  Erfolge  mittelst  Drillbohrer  und  Draht;  ihm  folgte  in  seinen  früheren 
Operationen  Zweifel;  Ciirobak  schlug  einen  Stahlstift  (beide  zu  einander 
convergirend  schräg)  in  jedes  Schambein  ein  und  brachte  dann  eine  Achtertour 
von  Silberdraht  um  die  Stifte  an,  die  nach  Lockerung  am  8. — 12.  Tage  entfernt 
wurden.  Die  PiNARD'sche  Schule  wendet  gleich  der  MoRiSANi'schen  keine 
Knochennaht  an,  dieselbe  macht  zuweilen  Schwierigkeiten  und  verlängert  ohne 
besonderen  Nutzen  zu  bringen  die  Operationsdauer.  Die  praktische  Erfahrung 
spricht  für  die  typischen  Fälle  gegen  die  Nothwendigkeit  der  Knochen- 
nah  t.  Fritsch  räth  theoretisch  ein  Liegenlassen  von  mindestens  drei  Monaten 
Dauer,  damit  die  Narbe  sich  nicht  dehne.  Ich  würde  dieselbe  nur  dann  zu 
Hilfe  ziehen,  wenn  eines  der  hinteren  Beckengelenke  geplatzt  ist,  was  sich 
durch  die  auffallende  Steigerung  der  Beweglichkeit  des  betreffenden  Hüftbeines 
verräth,  abgesehen  von  dem  beim  Platzen  gehörten  Krach,  so  lange  aber  die 
hinteren  Gelenke  ganz  sind,  federn  die  Schambeine  und  treten  spontan  in 
Contact,  der  gesichert  wird  durch  Innenrotation  der  Fussspitzen  bei  gestreckten 
Beinen,  weshalb  Fritsch  vorschlug,  am  unteren  Bettrande  ein  Brett  anzu- 
bringen mit  in  entsprechender  Stellung  fixirten  Schuhen,  in  die  die  Füsse 
gleich  nach  beendigtem  definitivem  Verbände  geschoben  werden  sollen.  Manche 
legen  auf  die  Wunde  einen  gewöhnlichen  Gaze-  und  Watteverband,  Mullgaze- 
Dindentouren  um  das  Becken,  blaue  Gypsbinden,  Flanellbinden,  gepolsterte 
Gürtel,  Heftpflasterstreifentouren  u.  s.  w.  Wegen  häufiger  Harndurchnässung 
sind  die  amobilen  Verbände  nicht  sehr  brauchbar,  viele  Frauen  vertragen 
überhaupt  keine  Binde,  schnallten  sie  sofort  los  oder  lockerten  sie,  auch 
Decubitus  auf  den  Trochanteren  wurde  beobachtet.  Vollends  sind  die  com- 
^pendiösen  Verbände  störend,  falls  z.  B.  Uterus-  oder  Scheidenspülungen  noth- 
wendig  werden  Man  hat  verschiedene  Vorrichtungen  ersonnen  zur  Immo- 
bilisirung  und  Sicherung 
des  Contactes,  eine  Doppel- 
rinne nach  Art  einer 
BoNNET'schen  Drahthose, 
Pinard  hat  ein  speciell  ein- 
gerichtetes Bett  für  Sym- 
physeotomirte,  Gueniot 
hat  den  hier  abgebildeten 
Contentionsgürtel  ange- 
geben, Krassowski  eine 
hölzerne  Vorrichtung,  v. 
Ott  eine  eigene  Vor- 
richtung, andere  wenden 
MARTiN'sche  Gummibinden 
und  den  EssMARcn'schen 
Schlauch  an,  wieder  Andere  ^^s- 1-  aujSNioT's  Gun. 

lagern  die  Frau  zwischen  zwei  Sandsäcken.  Morisaxi,  der  die  besten 
Resultate  mit  seinem  denkbar  einfachsten  Vorgehen  hat,  hält  alle 
diese  Fixationsvorrichtungen  für  überflüssig.  Ist  Contact  bei  dem 
Wundverschluss  erzielt,  so  sind  die  Vorrichtungen  nicht  nöthig, 


778  SYMPHYSEOTOMIE. 

ist  keiner  da,  so  werden  sie  ihn  nicht  erzwingen,  einfache  Mull- 
bindentouren genügen.  Koffer  demons-trirte  in  Breslau  einen  bitrochan- 
teralen  Compressor,  der  jedoch  schwerlich  praktische  Anwendung  linden  wird. 
So  lange  die  Beine  gespreizt  gehalten  werden,  ist  auch  mit  seitlicher  Com- 
pression  von  aussen  der  Contact  nur  schwer  zu  erreichen,  bei  Schenkel- 
streckung und  Innenrotation   der  Fusspitzen   macht  er  sich  ganz  von  selbst. 

Die  Resultate  der  bisher  mit  Knochennaht  behandelten 
Fälle  waren  in  nichts  bessere  als  die  Ergebnisse  ohne  Knochen- 
naht behandelter  Fälle. 

Die  Nachbehandlungin  glatten  Fällen  ist  eine  höchst  einfache,  Binden- 
touren, Bettruhe,  Katheter  u.  s.  w.,  kann  aber  höchst  unangenehm  werden, 
namentlich,  wenn  es  zur  Vereiterung  der  Symphyse  oder  der  hinteren  Becken- 
gelenke mit  Pyämie,  Abscessen  etc.,  Peritonitis  nach  Verjauchung  retrosym- 
physärer  Blutergüsse  kommt,  die  dann  Metastasen  in  der  Lunge  oder  nach 
langem  Siechthum  den  Tod  herbeiführen.  Ebenso  unangenehm  sind  die  ver- 
hältnissmässig  häufig  beobachteten  Phlegmasien,  Phlebothrombosen,  die  nach 
3 — 4  Wochen  schliesslich  den  Tod  durch  Embolie  der  Lungenarterie  nach  fast 
plötzlich  aufgetretener  Dyspnoe  herbeiführten  wie  im  4.  Falle  Leopold's  und 
anderen.  —  Endlich  wird  auch  die  Nachhandlung  oft  erschwert  durch  atonische 
Uterusblutungen,  die  hinterher  zur  Uterustamponade  führten,  und  den  überaus 
zahlreichen  Weichtheilrissen,  die  sich  zuweilen  von  der  Cervix  aus  bis  an  die 
Harnröhren-  und  Scheidenöffnung  erstreckten.  Oft  sind  mehrfache  Risse 
beobachtet  worden,  die  mit  der  Symphysenwunde  communicirten,  man  sah  Clitoris 
und  Urethra  abgerissen  vom  Schambogen  etc.  Zweifel  nähte  anfangs  jeden 
solchen  Riss,  um  der  Retention  in  Taschenbildung  vorzubeugen,  jetzt  will  er 
nur  tamponiren.  Ausgedehnte  Dammrisse,  Cervicalrisse  sind  mehrfach 
beobachtet,  hier  hängt  die  Complication  der  Nachbehandlung  hauptsächlich 
davon  ab,  ob  Infection  erfolgte  oder  nicht,  die  intrauterinen  Manipu- 
lationen nach  der  Symphyseotomie  sind  oft  für  die  Operirte  sehr  schmerzhaft. 
Auch  die  oft  beobachtete  Harnincontinenz  sei  es  infolge  von  Harnfisteln  durch 
Riss  oder  auch  zufällige  Verletzungen  durch  die  Nadel  bei  Umstechung  blu- 
tender Partien  an  der  Harnröhre  machen  den  Kranken  und  dem  Arzte  oft 
viel  zu  schaffen,  ebenso  die  Incontinenz  infolge  der  mehrfach  beobachteten 
Lähmung  des  sphincter  vesicae,  die  schon  zweimal  in  der  Folge  eine  Operation 
nach  Gersunv's  Vorgange  erforderte.  Die  Harnfisteln  wurden  gesondert  operirt 
nach  Convalescenz  von  der  Symphyseotomie,  so  lange  musste  die  Kranke  es 
sich  gefallen  lassen  nass  zu  liegen  in  dem  zersetzten  Urin. 

Die  unangenehmsten  Complicationen  der  Operation  sind: 
1.  wenn  der  Operateur  die  Schamfuge  nicht  finden  kann,  weil  er 
am  unrichtigen  Orte  suchte,  ohne  den  Fingerzeig  zu  berücksichtigen,  mit  Hilfe 
des  am  oberen  Schamfugenrande  aufgelegten  Fingers  zu  suchen,  während  das 
eine  Bein  abwechselnd  gebeugt  und  gestreckt  wird,  wenn  statt  in  den 
Knorpel  in  den  Knochen  eingeschnitten  wird,  das  Messer  zu  dickbauchig  sich 
in  der  oberen  Hälfte  des  Knorpels  einklemmt  oder  gar  weil  es  zu  dünn  ist, 
bricht,  die  Kettensäge  sich  einklemmt,  reisst  etc.  —  Alles  das  ist  vorgekommen. 
Es  kann  dann  passiren,  dass  der  Operateur  schliesslich  im  Schweisse  seines 
Angesichtes  von  der  unvollendet  gebliebenen  Symphyseotomie,  nachdem  an 
mehreren  Stellen  der  Knochen  ausgesäbelt  ist.  Abstand  nimmt,  und  nach 
dieser  überflüssigen  Verletzung  der  Frau,  doch  noch  zur  Embryotomie  greift. 
Von  dem  Gedanken  ausgehend,  dass  beim  platten  Becken  die  Hauptstrictur 
im  Beckeneingange  liegt  und  es  daher  genügen  müsse,  den  oberen  Theil  der 
Symphyse  zu  durchschneiden  und  um  das  Ligamentum  arcuatum  zu  schonen, 
schlug  Leopold  eine  partielle  Symphyseotomie  vor,  die  nach  Farabeuf 
auf  theoretisch  falschen  Voraussetzungen  beruht.  Wer  dem  Plane  folgte,  hatte 
dann  statt  einer  glatten  Schnittwunde  im  unteren  Theil  der  Symphyse,  den  er 


SYMPHYSEOTOMIE.  779 

schonen  wollte,  eine  gerissene  Wunde,  indem  während  der  Extraction  der 
Kopf  den  Rest  zersprengte,  sowie  das  Ligament,  arcuatum  inferius  und  häufig 
auch  die  hinteren  Gelenke,  so  dass  es  infolge  dieser  unvollständigen  Durch- 
schneidung zum  Schlotterbecken  kam,  wie  im  Falle  Kjjassowski's,  Baum's 
u.  a.  Leopold  war  schon  von  seinem  Vorschlage  zurückgekommen,  als  nach 
ihm  noch  andere  Operateure  Lehrgeld  zahlten. 

2.  Platzen  die  hinteren  Beckengelenke  bei  einer  übermässigen  Diastase 
der  Symphyse  (über  6cm  hinaus)  oder  bei  ungenügender  infolge  von 
Nichtdurchtrennung  des  Ligament,  arcuatum  inferius,  das  deshalb 
oft  hinterher  doch  noch  durchschnitten  werden  musste.  Dieses  Tlatzen  ist 
auch  zweimal  beobachtet  worden,  als  einer  der  Assistenten  das  von  ihm  ge- 
haltene Bein  zufällig  fallen  Hess  (Cave!).  Die  Folgen  einer  solchen  Ileosacral- 
ruptur  sind  glücklicherweise,  wo  es  nicht  zur  Eiterung  kommt,  nicht  immer 
so  deletäre  als  gemeinhin  früher  angenommen  wurde,  immerhin  liefern  in 
der  Casuistik  gerade  diese  Fälle  einen  hohen  Mortalitätprocentsatz,  vielleicht  weil 
dabei  meist  auch  anderweitige  ausgedehnte  Weichtheilrisse  stattfinden  und  der 
Infectionsgefahr  Thor  und  Thür  sperrweit  geöffnet  waren.  Vereiterungen  der 
hinteren  Gelenke  brechen  schliesslich  ins  Becken  oder  nach  aussen  durch  und 
können  ausheilen,  haben  aber  oft  Siechthum  und  Tod  gebracht. 

3.  Fatal  ist  die  Complication,  wenn  man,  ohne  es  zu  ahnen,  auf  ein 
Becken  mit  Ileosacralankylose  trijfft  oder  aber  auf  Ankylosirung  infolge  von 
Synostose  von  sacral  assimilirten  Querfortsätzen  des  letzten  Lendenwirbels  mit 
einem  oder  beiden  Hüftbeinen,  einer  durchaus  nicht  seltenen  Beckenvariante. 
Schrägverengte  Becken  werden  aus  dem  Gebiete  der  Symphyseotomie  ge- 
strichen und  tritt  die  unilaterale  Ichio-pubiotomie  auf  der  verengten  Becken- 
seite an  ihre  Stelle. 

4.  Schwerwiegende  Folgen  hat  der  Beginn  der  Extraction  des  Kindes 
vor  genügender  Erweiterung  (bei  Erstgebärenden),  resp.  Erweiterungsfähigkeit 
(bei  Mehrgebärenden)  des  Muttermundes  und  unnachgiebigen  Weichtheilen, 
welche  zuweilen  den  für  die  Prognose  des  Kindes  aus  der  Symphyseotomie 
resultirenden  Vortheil  wieder  aufheben  durch  protrahirte  Geburt.  Andererseits 
aber  führt  die  ungenügende  Vorbereitung  der  Weichtheile,  wenn  die  Extraction 
trotzdem  forcirt  wird  zu  den  unheilvollsten  Weichtheilrissen,  die  wiederum 
trotz  Ligaturen,  Umstechungen,  Tamponnade  etc.  schon  dreimal  den  Verblu- 
tungstod der  Operirten  fast  auf  dem  Operationstisch  oder  binnen  kurzer  Frist 
veranlassten.  Zweimal  fanden  sub  vita  unbemerkt  gebliebene  retrosymphysäre 
Blutansammlungen  nach  Schluss  der  Wundnaht  noch  statt,  —  eine  haematoma 
retroperitoneale,  —  die  einen  tödtlichen  septischen  Verlauf  nahmen,  me  im 
ersten  Todesfalle  Pinaed's.  Auch  die  angeblich  ex  atonia  uteri  stammenden 
Blutungen  dürften  vielleicht  rein  traumatischen  Cervixläsionen  ihren  Ursprung 
verdankt  haben.  Teeub,  Tellier  und  Onufejew  (1894  in  Warschau) 
verloren  ihre  Operirten  durch  Verblutung. 

Erw^ähnt  sei  endlich  eine  Complication  sub  operatioue :  das  Dazwischen- 
drängen  der  Blase  zwischen  die  Schambeinenden.  Steckt  man  die  Hand 
hinter  die  Symphyse,  um  sich  davor  zu  schützen,  so  begiebt  man  sich  theil- 
weise  der  durch  Symphyseotomie  erzielten  Ptaumvergrösseruug.  Gegen  die 
Weichtheilrisse  sind  mehrfach  Collumincisionen,  auch  Scheideneinschnitte  im 
Eingange  gemacht  worden,  Episiotomien,  die  hier  sehr  am  Platze  sind.  Die 
Hauptquelle  der  Weichtheilrisse  bei  ungenügender  Vorbereitung,  —  sie  be- 
treffen hauptsächlich  die  vordere  Wand,  —  sah  man  in  der  mangelnden  Sus- 
pension am  Knochen,  im  Mangel  der  knöchernen  Stütze  für  die  Weichtheile. 
Die  retrosymphysäre  Ablösung  der  Weichtheile  bringt  es  mit  sich,  dass  während 
der  Extraction  des  noch  in  der  Cervix  stehenden  Kopfes  die  Weichtheile  mit 
herabgezogen,  gezerrt  werden  und  dabei  Abreissungen  der  Clitoris,  Durch- 
reissungen   ihrer  Corpora   cavernosa,   Abreissungen   der   Harm'öhre    erfolgen. 


780  SYMPHYSEOTOMIE. 

Die  Weiclitheile  reissen  entweder  bei  übermässiger  Längszerrung  oder  Aiis- 
ziehung  in  die  Breite  und  der  Ideinste  Einriss  einer  Stelle  führt  momentan 
zu  einem  weitgehenden  Riss,  so  weit  reichend,  wie  die  Weichtheile  über- 
mässig gespannt  waren,  ähnlich  wie  der  Commis  im  Seidenwaarengeschäft  das 
Stück  von  der  Rolle  ohne  Messer  trennt.  Schaüta  hält  die  flach  auf  die  vor- 
dere Weichtheilwand  des  Genitaltractus  von  aussen  aufgelegte  Hand  für  den 
besten  Weichtheilschutz,  die  Hand  soll  auch  die  Weichtheile  zurückstreifen 
über  den  vordringenden  Kindestheil.  Einzelne  warnen  vor  allzuweit  gehender 
Ablösung  der  retrosymphysären  Weichtheile,  Blase  und  Bänder.  Man  soll 
deshalb  ja  nicht  extrahiren  vor  genügender  Vorbereitung  der 
Weichtheile,  namentlich  bei  Erstgebärenden  und  lieber  etwas 
zuwarten,  an  den  LEOPOLD'schen  Rath  denken,  möglichst  lange 
die  Fruclitblase  zu  erhalten,  eventuell  durch  den  Kolpeurynter 
zu  ersetzen,  und  überhaupt  die  Symphyseotomie  nicht  vor 
Eröffnung  der  Weichtheile  ausführen. 

Die  nächst  der  Verblutungsgefahr,  die  ein  gewiegter  Operateur  meist 
beherrschen  wird,  schlimmste  ist  die  der  Sepsis,  wie  bei  jedem  und 
chirurgischen  geburtshilllichem  Eingriffe  überhaupt.  Hier  gelten  die 
strengen,  allgemein  giltigen  Cautelen.  Wer  vorsichtig  ist,  wird  eine 
inficirte  Kreissende  nicht  noch  neuen  Verletzungen  aussetzen  und  hier  auf 
die  Symphyseotomie  verzichten  mit  Opferung  des  Kindes,  ebenso  wenig 
wie  er  an  Inficirten  den  Kaiserschnitt  vornehmen  wird ;  so  stehen 
MoRiSANi,  Leopold,  Pinard  zur  Sache,  Feitsch  dagegen  meint,  die  Infection 
sei  vom  Genitalschlauch  ausgegangen,  man  könne  daher  die  Symphyseotomie- 
wunde  infectionsfrei  erhalten,  sieht  also  in  bereits  stattgehabter  Infection  der 
Kreisenden  keine  Gegenanzeige  gegen  die  Symphyseotomie,  um  doch  das  Kind 
zu  retten!  —  Die  weitaus  meisten  Symphyseotomirten  fieberten  trotz  aller 
Asepsis  und  Antisepsis  im.  Wochenbett  leicht  einige  Tage  lang.  W^aren  sie 
von  der  Operation  oder  sub  operatione  oder  nach  der  Operation  inficirt 
und  woher? 

Bei  typisch  verlaufenden  Fällen  fand  meist  prima  reunio  der  Wunde 
statt.  Die  Nähte  wurden  am  8.  bis  10.  Tage  entfernt,  am  15.  bis  30.  Tage 
ging  die  Frau  wieder  herum.  Binnen  drei  Wochen  erfolgte  eine  genügende 
bindegewebige  Consolidation  und  das  Gehvermögen  zeigte  sich  ungestört. 
Dabei  hinterblieb  zuweilen  eine  geringe  Diastase  am  oberen  Schamfugenrande 
und  eine  noch  nach  Monaten  oft  constatirte  geringe  Beweglichkeit  zwischen  den 
Schambeinen.  In  anderen  seltenen  Fällen  kam  es  zum  Schlottergelenk, 
welches  jedoch  den  Gang  auch  nicht  immer  bedeutend  erschwerte,  es  sind 
jedoch  auch  Fälle  von  totalem  Auseinandergehen  der  Wundnaht,  Vereiterung 
der  Symphyse  beobachtet  worden,  die  tödtlich  endigte  wie  in  einem  Falle 
Frank's.  In  anderen  Fällen  blieb  die  Eiterung  beschränkt,  es  trat  unter  Aus- 
scheidung von  Sequestern  Heilung  mit  Fistelbildungen  ein.  Solche  Compli- 
cationen  haben  mitunter  die  Mutter  selbst,  ohne  den  Preis  eines  lebenden 
Kindes  erlangt  zu  haben,  für  3—4  Monate  an  die  Klinik  gefesselt. 

Was  die  Heilung  des  Knorpelschnittes  betrifft,  so  mag  es  wohl  auf  Selbst- 
täuschung beruhen,  wenn  einzelne  Operateure  von  Ausheilung  mit  „solidem 
wuchernden  Callus"  erzählen,  da  eine  Knorpelwunde  keinen  Callus  liefert, 
oder  es  war  der  Knochen  neben  dem  Knorpel  verletzt.  Die  Thierexperimente 
von  Rubeska  und  Andern  ergeben  durchweg  nur  eine  bindegewebige  Verheilung, 
«s  entsteht  ein  fibröses  Band  zwischen  den  Antheilen  des  zerschnittenen  Knor- 
pels, es  hinterbleibt  regelmässig  eine  geringe  Diastase  und  eine  gewisse  Be- 
weglichkeit in  der  Symphyse,  die  in  verschiedenem  Grade  ausgesprochen  ist  — 
einmal  kaum  bemerkt,  stört  sie  den  Gang  der  Frau  nicht  —  in  anderen  Fällen 
giebt  es  ein  Schlottergelenk  mit  oder  ohne  Verurtheilung  zum  Stock.  Gerade 
Dank  dieser,    so  oft  fälschlich  angegebenen,  festen  Ausheilung,    die    de   facto 


SYMPHYSEOTOMIE. 


781 


Iveine  feste,  sondern  eine  lockere  Vereinipjun^  giebt,  sind  nach  Symphyseo- 
tomiegeburt  nachfolgende  Entbindungen  öfters  spontan  verlaufen.  Bu.mm  fand 
bei  seinen  Thierversuchen  theils  Ausheilung  mit  neugebildetem  Faserknorpel  — 
bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  war  kaum  die  Narbe  zu  erkennen;  bei 
unvollständiger  Adaptation  finde  nur  eine  bindcgcwebartige  Ausheilung  statt, 
bei  ersterer  erlange  das  Becken  die  frühere  Festigkeit  wieder,  bei  letzterer 
nicht.  Bei  Messungen,  die  man  Monate  nach  der  Symphyseotomie  ausführte, 
fand  man  meist  gar  keine  oder  nur  eine  sehr  geringe  Vergrösserung  der 
Beckenmaasse.     Der  Wunsch,    der  Symphyseotomie    einen   Einfluss   auch    für 


rig.  2a.    Beckeneingang  vor  der  Spaltung  der  Scliamfiige.  ^^^^  2^_    Beckeneingaiig  nach  der  Spaltung  der  Schamfnge. 


Fig.  3a.    Beokenatisgang  vor  der  Spaltung  der  Schamfuge.  Fig  3b.     Beckenausgang  nach,  der  Spaltung  der  Schamfuge. 


spätere  Entbindungen  zu  sichern,  d.  h.  die  Eaumvergrösserung  des  Beckens 
dauernd  zu  machen,  hat  Einzelne  veranlasst  zu  verschiedenen  osteoplastischen 
Versuchen  meist  mit  Einpflanzung  von  aus  den  Schambeinen  mit  partieller 
Kesection  entnommenen  Knochenstücken  zwischen  die  Schamfugenwimden, 
die  nach  der  Diastase  zu  umgeklappt  werden.  Der  Erste,  der  an  der  lebenden 
Frau  mit  Erfolg  diese  bleibende  Erweiterung  des  Beckeminges  ausführte,  war 
Feank  in  Köln  (bei  seiner  3.  Symphyseotomie);  Phäxomenoff  und  Koczotkow 
in  Kazan  haben  ähnliche  Vorschläge  gemacht  zur  Einpflanzung  di'eieckiger 
oder  rechteckiger  aus  den  Schambeinenden  entnommener  Fragmente  in  die 
Diastase  {„aiitoplastie  par  glissement").  Ddia^t?  experimentirte  an  Thieren, 
suchte  bei  Hunden  und  Kaninchen  Rippenstücke  einzupflanzen;  nur 
an  Kaninchen  glückte  es,  beim  Hunde  nicht.  Der  Vorwui'f  des  krüppelhaften 
Ganges  findet  in  den  Ergebnissen  der  modernen  Symphyseotomie  keine  Be- 


782  SYMPHYSEOTOMIE. 

gründung,  andererseits  wird  er  auch  entkräftet  durch  zahlreiche  Beobachtungen 
gut  ausgeheilter  spontaner  Symphysenrupturen  auch  durch  viele  Beobachtungen 
völlig  sicheren  Ganges  bei  angeborenem  Spaltbecken. 

Eine  hochinteressante  Beobachtung  von  fracturärer  Spaltung  des  Becken- 
ringes mit  syndesmotischer  Ausheilung  und  völlig  sicherem  Gange  habe  ich 
persönlich  beschrieben  (Centralbl.  für  Gyn.  1892  Nr.  17).  Ueber  die  in  der 
älteren  Literatur  qft  angeschuldigten  Vorfälle  des  Uterus  und  der  Scheide 
nach  S3^mphyseotomie  ist  in  der  neueren  Casuistik  bis  jetzt  weniger  verlautet 
als  zu  erwarten  steht. 

Der  Zweck  der  Schamfugenspaltung  ist  Auseinanderweichen  der 
Schambeine,  wodurch  die  Peripherie  der  linea  innominata  eine  grössere,  das 
Lumen  des  Beckeneinganges  erweitert  wird.  De  facto  hört  die  Conjungata  -vera 
auf  in  Betracht  zu  kommen,  da  zwischen  den  Schambeinen  eine  Lücke  entsteht. 
Statt  der  Conjungata  vera  kommen  jetzt  die  Abstände  eines  jeden  Scham- 
beinendes von  Promontorium,  die  Divergenz conjugaten  in  Frage, 
zwischen  die  auseinandergewichenen  Schambeinendeu  drängt  sich  ein  Segment 
des  Schädels  ein,  wodurch  der  Raumgewinn  noch  etwas  vergrössert  wird. 
Beifolgende  Zeichnungen  stellen  nach  Charpentier  den  Beckenein-  und  -aus- 
gang  vor  und  nach  der  Symphyseotomie  dar. 

Die  Vergrösserung  des  Beckens  erfolgt  nicht  nur  im  Beckeneingange, 
sondern  im  ganzen  Becken,  erstreckt  sich  auf  sämmtliche  Maasse  und 'erfolgt 
nicht  nur  durch  die  Diastase  der  Schambeine,  deren  Enden  ein  Stück  Kreis- 
bewegung nach  aussen  vollziehen  mit  dem  Radius  des  Abstandes  vom  Centrum 
des  Ileosacralgelenkes  vom  Schambeinrande,  sondern  auch  durch  eine  nach 
Lockerung  der  Ileosacralgelenke  erfolgende  Drehung  des  Sacrum,  resp.  der 
Hüftbeine  die  schräg  verlaufende  Axe  eines  jeden  Ileosacralgelenkes.  Es  findet 
also  im  Ileosacralgelenke  eine  doppelte  Drehung  statt,  um  eine  vertikale  und 
um  eine  schräg  verlaufende  Axe.  Wird  das  Kreuzbein  fixirt,  so  vollziehen 
die  Hüftbeine  beide  Bewegungen,  ist  das  Kreuzbein  bei  den  Experimenten  an 
der  Leiche  nicht  fixirt  worden,  so  sinkt  infolge  der  Drehung  der  Hüftbeine 
das  Promontorium  nach  vorn  herab,  während  die  vorderen  Hültbeinenden  sich 
etwas  erheben.  Baudelocque,  dessen  Anathema  hauptsächlich  die  Sigault"- 
sche  Operation  seiner  Zeit  stürzte,  motivirte  seinen  Einspruch  durch  2  Argu- 
mente: Eine  genügende  Erweiterung  des  Beckenringes  sei  an  die  conditio 
sine  qua  non  der  irreparablen  Verletzungen,  d.  h.  Sprengung  der  Ileosacral- 
gelenke gebunden,  eine  geringere  Diastase  der  Symphyse  gebe  nicht  genug 
Raumgewinn,  um  das  Kind  lebend  zu  extrahiren,  die  Operation  sei  nicht  nur 
verstümmelnd  und  lebensgefährlich  deshalb,  sondern  nutzlos;  man  schwur  in 
verba  magistri.  So  ging  ein  Jahrhundert  beinahe  über  die  Frage  hinweg 
fast  mit  Stillschweigen  bis  auf  einige  wenige  Autoren,  die  Baudelocque's 
Vorurtheile  objectiv  beurtheilten  und  anderer  Ansicht  waren.  Neuerdings 
sind  schon  von  Ahlfeld's  Experimenten  an,  namentlich  seit  1892  zahlreiche 
Leichenversuche  von  Pinard,  Wehle,  Dödrlein,  Schwarz,  Zweifel  und 
vielen  Anderen,  auch  von  mir  an  puerperalen  und  nicht  puerperalen  Leichen 
gemacht  worden,  welche  mehr  Licht  in  die  Sache  gebracht  haben. 

Die  Grundlage  zu  allen  diesen  neuen  Forschungen  bilden  die  Untersuchungen  des 
Ileosacralgelenkes  von  Megkel,  Barkow,  Kölliker,  Luschka  und  H.  v.  Meyer  die  nach- 
wiesen, dass  die  sogenannte  Synchondrosis  sacroiliacca  ein  wahres  Gelenk  sei.  Auf  der 
damit  verbundenen  Erhärtung  einer  physiologischen  Beweglichkeit  fussten  dann  die  hoch- 
interessanten Versuche  Walcher's,  der  eine  Vergrösserung  der  Conj.  vera  des  normalen 
Beckens  bei  herabhängenden  Schenkeln  der  horizontal  gelagerten  Frau  nachwies,  Klein's, 
Tejodoroff's  und  Andere.  Bei  4;  cm  Diastase  der  Schaambeine  spreizen  sich  die  Ileosacral- 
gelenke an  ihrer  vorderen  Fuge  etwas  unter  Anspannung  der  Ligamente  ileosacralia  anteriora,, 
bei  6  cm  betragt  das  vordere  Klaffen  derselben  Querüngerbreite  unter  Abhebung  der  Ge- 
lenkbänder vom  Hüftbeine  oder  Lockerung  ihrer  Insertion  (Dehiscenz,  Dehnung,  Einreissen), 
bei  Diastase  über  6— 7  cm  kommt  es  zum  Platzen  der  Gelenkbänder  vorn,  offenem  Klaffen 


SYMPHYSEOTOMIE  783 

des  Gelenkes  vorn,  Bluterguss  und  anderen  Folgen,  während  die  straffen  hinteren  Bänder 
unverletzt  bleiben.  Bei  Schwangeren  und  Gebärenden  ist  die  Dehnbarkeit  dieser  Bänder 
viel  grösser  als  bei  nicht  Schwangeren.  Dödehlein  constatirte  bei  seinen  Versuchen  stets 
eine  asymmetrische  Vergrösserung  der  Beckenmaasse,  indem  die  Maasse  von  links  hinten 
nach  rechts  vorn  die  Maasse  von  links  vorn  nach  rechts  hinten  übertrafen.  Das  rechte 
Hüftbein  machte  eine  ausgiebigere  Rotation,  was  Dödkrlkin  durch  grössere  physiologische 
Beweglichkeit  des  rechten  Hüftgelenkes  erklärt.  Interessant  ist,  dass  Fritscii  und  Andere 
auch  bei  Leichenversuchen  in  ganz  auffallend  häufiger  Weise  ein  Platzen  des  Bandapparates 
immer  am  rechten  Ileosacralgelenk  vorherrschend  fanden.  Die  Drehung  des  Hüftbeins  am 
Kreuzbein  findet  um  eine  schräge,  von  aussen  oben  nach  innen  unten  verlaufende,  Axe 
statt,  es  müssen  also  nach  der  Symphyseotomie  die  Schamfugenenden  in  die  Höhe  steigen, 
im  Verhältnis  zum  Promontorium,  welche  Stellung  sie  auch  bleibend  einnehmen  beim 
Becken  mit  angeborenem  Symphysenspalt.  —  Wehle  beobachtete  bei  seinen  Versuchen  ein 
Abwärtssteigen  der  vorderen  llüftsbeinenden,  weil  er  das  Kreuzbein  durch  Schrauben  an 
einem  Pfosten  fixirt  hatte.  Döderlein  berechnete  bei  seinen  Experimenten  den  Piaumza- 
wachs  der  Fläche  nach,  z.  B.  fand  er  die  Beckeneingangsebene  von  155  cm"^  in  einem  Falle 
bei  6  cm  Diastase  um  50cm'''  vergrössert.  Mittelst  Polarplanimeter  hatte  er  den  Flächen- 
inhalt in  einzelnen  Ebenen  des  Beckencanales  berechnet,  im  zweiten  Falle  bei  8  cm  Diastase 
66  cm  Raumzuwachs  im  Beckeneingange,  in  der  Beckenenge  ebenfalls  66  cm'*.  Auch  hat 
Döderlein  graphisch  durch  Curven  die  Excursionsweite  der  einzelnen  Punkte  eines  jeden 
Hüftbeins,  d.  h.  der  vorderen  Endpunkte  der  verschiedenen  Beckendurchmesser  bestimmt. 
Wenn  das  Promontorium  nach  vorn  und  herab  sinkt  gegen  die  vorderen  "Schambeinenden, 
so  treten  eo  ipso  letztere  gegen  das  Promontorium  zu  in  die  Höhe.  Die  Experimente 
Döderlein's  bestätigten  die  treffenden  Angaben,  welche  schon  1807  Vrolik  gemacht  hatte, 
der  der  Behauptung  van  Wy's  (1804)  entgegentrat,  es  fände  ein  Zurücktreten  des  Promon- 
toriums nach  hinten  statt.  Schon  Baüdelocqe  hatte  übrigens  das  Nach-Vorn  und  Herab- 
treten des  Promontoriums  bemerkt  und  notirt.  Der  Widerspruch  zwischen  den  entgegen- 
gesetzten Angaben  verschiedener  Autoren,  das  Promontorium  sinke  nach  vorn  herab,  es 
trete  nach  hinten  (Schauta),  dürfte  seine  Erklärung  in  verschiedener  Art  und  Weise  der 
Lagerung  der  Leiche,  Fixation  oder  Nichtfixation  des  Kreuzbeines  etc.  finden.  Abgeschlossen 
sind  diese  Untersuchungen  noch  nicht.  Die  Erweiterung  der  Conjugata  vera  wird  allge- 
mein auf  2mm  für  jeden  Centimeter  Diastase  der  Schamfuge  angegeben,  also  beträgt  sie 
bei  8cm  Diastase  15 — 16  mm  Verlängerung,  wozu  noch  ein  weiterer  Raumgewinn  von  b—6m?n 
dadurch  dazu  kommt,  dass  der  Kindeskopf  mit  einem  Segment  in  die  Diastase  sich  ein- 
drängt, wodurch  der  biparietale  Durchmesser  also  relativ  5 — 6?Km  weniger  Raum  im  Becken 
in  Anspruch  nimmt.  Der  Raumzuwachs  der  die  Conjugata  vera  vertretenden  Linie  wächst 
also  nicht  ganz  proportional  der  zunehmenden  Diastase,  sondern  mehr  bei  den  5. — 8.  C7n 
Diastase  als  bei  erstem  bis  vierten.  Die  Erweiterung  des  Beckens  erstreckt  sich  auf  sämmt- 
liche  Beckenmaasse,  nur  nehmen  die  Ausgangsmaasse  weniger  zu,  selbstverständlich  wach- 
sen auch  die  Quermaasse  und  zwar  sehr  bedeutend,  weniger  die  Schrägmaasse,  was  ja  leicht 
verständlich  ist,  es  entfernen  sich  beide  Endpunkte  der  Quermaasse  von  ihrer  früheren 
Lage  nach  aussen  fast  gleichmässig,  bei  den  Endpunkten  der  Schrägmaasse  aber  machen 
die  hinteren  Endpunkte  der  Schrägmaasse  eine  geringere  Excursion  nach  aussen  als  die 
vorderen.  Die  Details  dieser  noch  nicht  abgeschlossenen  Untersuchungen  können  hier  nicht 
erörtert  werden,  ebensowenig  sei  hier  der  Geburtsmechanismus  im  künstlich  gespaltenen 
Becken,  der  ein  wesentlich  abweichender  ist,  besprochen,  der  auch  noch  nicht  endgiltig 
festgestellt  ist  trotz  den  Untersu.chungen  Fochier's.  Chiarleoni  sah  sich  veranlasst,  eine 
besondere  Zange  nach  Symphyseotomie  anwendbar  anzugeben.  Wichtig  ist,  dass  bei  der 
Zangenextraction  die  Zange  nicht  wie  sonst  zum  Schluss  erhoben  werden  darf,  um  nicht 
die  Weichtheile  desto  mehr  zu  gefährden.  In  der  bisherigen  Kasuistik  ist  sehr  häufig  die 
Achsenzugzange  mit  bestem  Erfolg  verwandt  worden. 

Wehle  (siehe  Fig.  4),  der  durch  Schrauben- 
ßxation  des  Kreuzbeines  bei  seinen  Experimenten 
^ie  Bewegung  desselben  nach  vorn  und  unten 
ausschloss,  giebt  ein  Nachabwärtstreten  der  vor- 
deren Schambeinenden  an  und  illustrirt  den 
Zuwachs,  der  die  Conjugata  vera  vertretenden 
Linien  folgendermaassen :  Auf  einer  Linie,  welche 
auf  der  Ebene  des  Becken  einganges  a  Si  senk- 
recht steht,  ist  von  S^  nach  SU  die  spontane 
Senkung  auf  2  cjn,  von  S^  nach  S™  das  künst- 
liche Herabdrücken  (durch  Wehendruck  oder  Zug 
der  extrahirenden  Zange)  um  0"5  chj  abgetragen. 
S  der  vordere  Endpunkt  der  Conjugata  vera 
hat  also  den  Weg  SS^  gemacht  (Componenten 
SSii  und  SS'H).  Die  Conjugata  vera  PSi  ist  also  ^ig-  *•    Schraubentixation  nacii  -^ehle. 

durch    die    Schambeintrennung     nicht     um     das    Stück    SSl,     sondern    um     das     Stück 
SSiJ^i    verlängert. 


784 


SYMPHYSEOTOMIE. 


Pig.  5.    Die  Kaumgewinnung  durch  Sympbyseotomie. 


PiNARD  (s.  Fig.  5)    giebt  folgende  schematische  Zeichnung    des  Puiumgewinnes    nach 
Symphyseotomie    bei    einem  platten  Becken   von  6  cm  Conjngata  vera  (vorheriges  Flächen- 

maass  grau,  nach  Sym- 
physeotomie weiss).  Bei 
Diastase  von  6  cmj  wies 
die  (6  cm)  Conjugata 
Vera  84  cm  also  einen 
Zusatz  von  24  7nm  auf. 

Flächenumfang  der 
grauen  Sphäre  113,  der 
weissen  310,  also    fast 
Smal     so     gross.     Bei 
einem  massig  verengten 
Becken  mit  gata  Conju 
vera    8  cm    wuchs   die- 
selbe bei  Diastase   von 
6  cm  auf   9"8  c?n.     Also 
80 :  98  mm    Flächenum- 
fang der  grauen  Fläche 
(vor     der     Symphyseo- 
tomie) zur   weissen 
(nach   Symphyseotomie) 
wie267:488,  also  Fläche 
fast   doppelt    so    gross 
geworden.  Ein  Kind  von 
3000  g    wird     also    im 
Verhältnis  zu  dem  erweiterten  Becken 
kleiner  sein  als  ein  Kind  von  2000  ff 
in  Verhältnis  zu  demselben  Becken 
vor  der  Symphyseotomie. 

Farabeuf  (siehe  Fig.  6  a-f)  stellte 
den  Raumzuwachs  nach  Symphyseo- 
tomie schematisch  dar  für  Becken 
von  5,  6,  7,  8,  9,  10  cm  Conjugata 
vera.  Die  graue  Fläche  stellt  einen 
im  Beckeneingange  gelagerten  Kreis 
vor  bei  der  Conjugata  vera  als 
Durchmesser  vor  der  Symphyseo- 
tomie. Bei  jedem  Experiment  sind 
die  weiss  vorgestellten  Kreise  der 
Erweiterung  angegeben  für  die 
Diastase  von  5,  von  6  und  von  7  c?« 
zwischen  den  Schambeinen. 

Farabeuf  wies  zuerst  nach,  dass 
die  Zunahme  des  Grössenzuwachses 
der  Conjungata  vera  eine  nicht  der 
Zunahme  der  Diastase  proportionale 
ist,  sondern  eine  im  Verhältnis  zur 
Zunahme  der  Diastase  steigend 
grössere;  während  bei  Diastase  von 
3  an  der  Zuwachs  8  mm  betrug,  so 
betrug  er  bei  6  cm  20  mtn,  der  Zu- 
wachs für  4 — 6  cm  Diastase  betrug 
nicht  8  mm,  sondern  12  ?wm. 

Farabeuf  verlangt,  man  solle 
vor  Beginn  der  Extraction  die  Diastase 
manuell  auf  6  cm  bringen  und  hat 
einen  zur  Messung  der  Diastase  be- 
stimmten Tasterzirkel  angegeben  und 
einen  „ecarteur  interpubien" 
mit  Schraube,  dessen  Wirkung  darin 
besteht,  dass  er  durch  Auseinander- 
treibung der  Schamfugenenden  die 
Ileosacralgelenke  zu  einem  gewissen 
Grade  von  Klaffen  am  vorderen 
,     ^„       ,  .    .     ^    ,  Randebringt,  was  er  „symphyseo- 

'  durcii  feympluyseotomie  für  Becken         ■,        •  „   j  „,,  i^l  ^n   ■nonnf 

9,  10  cm  Conjugata  vera.  clasiodouble    nennt. 


'- 6 .i 

-  '  7 . 


SYMPHYSEOTOMIE.  785 

Was  die  Indicationen  anbelangt,  sagt  Ci-monAK,  so  gebe  es  fast 
keine  geburtshilfliche  Operation,  bei  der  die  Sy inphyseotomie 
nicht  zur  Anwendung  kommen  könne  und  darin  liege  die  grosse 
Gefahr.  Heute,  wo  die  Symphyseotomie  sich  noch  in  experimentellem  Stadium 
befindet,  ist  sie  oft  genug  ohne  stricte  Indication  ausgeführt  worden,  was 
auch  schon  zu  Polemik  der  unerquicklichsten  Art  geführt  hat.  Die  moderne 
Symphyseotomie  hat  schon  manches  Menschenleben  dahingerafft,  wo  die 
Operation  nicht  unumgänglich  nothwendig  war.  Morisani  nennt  ganz  offen 
eine  Reihe  von  Operationen  in  seiner  Statistik  mit  Namensnennung  der 
Operateure:  „ingiustificabile"  und  hat  Recht. 

Ich  würde  dem  Operateur  die  Frage  vorlegen,  ehe  er  zum  Messer  greift: 
„Würden  sie  unter  den  gleichen  Verhältnissen  bei  Ihrer  Frau 
die  Symphyseotomie  ausführen  lassen?"  Eine  Operation  für  die 
Privatpraxis  ist  die  Symphyseotomie  heute  nicht  und  wird  es  kaum  je  werden 
—  das  wird  durch  die  namentlich  in  Amerika  in  der  Privatpraxis  vollzogenen 
Operationen  nicht  widerlegt. 

Die  Symphyseotomie  erfordert  viel  und  geübte  Assistenz,  eine  erfahrene 
Nachbehandlung  und  ist  durchaus  nicht  eine  so  einfache  und  gefahrlose  Operation, 
wie  sie  von  Enthusiasten  geschildert  wird,  erlebt  doch  dabei  auch  der  geüb- 
teste Operateur  verschiedene  Ueberraschungen  wie  Treüb  oder  wie  Pixard  bei 
der  Nekropsie  nach  der  20.  Operation  in  der  Clinique  Baudelocque.  Und  was 
Morisani,  Zweifel,  Pinard  und  Schauta  mit  geübter  Hand  glatt  von  statten 
geht,  hat  auch  Andere  mit  fortgerissen,  fünf  Frauen  sind  einfach  verblutet, 
mehrmals  konnte  der  Operateur  die  Symphyse  nicht  finden,  sägte  dann  im 
Schweisse  seines  Angesichtes  hier  und  da  an  dem  Knochen  herum,  mit  Messer, 
Meissel,  Säge  hantirend  —  unter  dem  Verwände  einer  unvorhergesehenen 
Verknöcherung  der  Symphyse  liess  er  dann  von  seinem  Plane  ab  und  machte 
nach  unvollendet  gebliebener  Symphyseotomie  die  Basiotrypsie,  Perforation  etc. 
Oft  wurde  operirt,  wo  des  Kindes  Lebensfähigkeit  schon  weniger  als  fraglich 
war,  ja  oft  bei  todtem  Kinde  nach  mehrtägiger  Geburtsdauer  nach  Wasser- 
abfluss.  Dergleichen  Erfahrungen  haben  allmälig  gewisse  Indicationen  ge- 
zeitigt, die  freilich  heute  noch  lange  nicht  feststehen  und  allseitig  acceptirt 
sind,  sondern  zum  Theil  bestritten  werden.  So  verwerfen  Viele  gleich 
Leopold  absolut  die  Symphyseotomie  bei  Erstgebärenden,  während  Morisani 
und  Fritsch  z.  B.  keinen  triftigen  Grund  dazu  finden,  sobald  die  Weichtheile 
genügend  vorbereitet  sind  oder  schon  erweitert.  Die  Hauptgefahr  der  Operation 
liegt  aber  notorisch  in  der  Weichtheilverletzung  und  diese  ist  und  bleibt  einmal 
bei  Erstgebärenden  am  grössten,  das  wird  doch  niemand  bestreiten! 

Viele  wollen  die  Symphyseotomie  noch  da  unternehmen,  wo  sie  vom 
Kaiserschnitt  wegen  schon  bestehender  Infection  Abstand  nehmen.  Andere 
verlangen  mit  Recht  für  die  Symphyseotomie  die  gleiche  Freiheit  von  Infection 
und  betrachten  das  Gegentheil  als  Gegenanzeige.  Die  Meisten  verwerfen  mit 
Recht  strict  die  Symphyseotomie  bei  todtem  Kinde,  sobald  irgend  eine  Mög- 
lichkeit der  Embryotomie  und  Extraction  vorliegt,  die  ja  bei  dem  modernen 
Instrumentarium  selbst  da  noch  sich  ausführen  lässt,  wo  man  früher  nothge- 
drungen  zum  Kaiserschnitt  greifen  musste.  —  Wo  aber  füi'  die  Ausiuhi'ung  der  Em- 
bryotomie am  todten  Kinde  zu  wenig  Raum  ist,  in  solchen  Ausnahmsfällen  wird  die 
Symphyseotomie  mit  günstigeren  Chancen  als  der  Kaiserschnitt  ausgeführt 
werden. 

Die  Operation  soll  bei  Erstgebärenden  nicht  vor  voller  Er- 
weiter ung  des  Muttermundes,  bei  Mehrgebär  enden  nicht  vor  Er  Wei- 
terungsfähigkeit gemacht  werden,  ebensowenig  bei  protrahirten 
verschleppten  Entbindungen  nach  Vorausgehen  zahlreicher 
anderer  Entbindungs-,  namentlich  forcirter  Zangenversuche,  weil 
meist  das  Leben  eines  solchen  Kindes    schon  zu  stark  compromittirt  ist  und 

Bibl.  med.  Wissenscliaften.  I.  G-eburtahilfe  und    Gynäkologie.  oO 


786  SYMPHYSEOTOMIE. 

im  günstigsten  Falle  das  Kind  seine  Geburt  nur  um  Stunden  oder  Tage 
überlebt.  Namentlich  hat  man  in  der  Statistik  der  todtgeborenen  oder  bald 
p.  partum  verstorbenen  Kinder  oft  Schädelimpressionen,  Fracturen  und  menin- 
geale  Blutergüsse  angegeben  und  dieselben  auf  vorhergehende  forcirte  Zangen- 
versuche bezogen.  Einzelne  verlangen,  man  soll  ebenso  wie  vor  dem  Kaiser- 
schnitt auch  vor  der  Symphyseotomie  keinerlei  andere  Entbindungsversuche 
vorausgehen  lassen,  die,  wenn  einmal  an  der  Mutter  operirt  werden  soll  zu 
Gunsten  des  Kindes,  die  Prognose  für  das  Kind  nur  verschlechtern;  Andere 
aber  rathen  stets  eine  vorsichtig  ausgeführte  Versuchszange  (Moeisani  bis 
Conjugata  vera  von  Sl  milL);  falls  der  Kopf  nicht  folgt,  lassen  sie  die 
2ange  in  situ  liegen,  spalten  die  Schamfuge  und  vollenden  dann  die  Extrac- 
tion,  oder  lassen  sie  durch  einen  anderen  Arzt  vollenden. 

Galbiati's  Grundsätzen  folgend  überlassen  manche  Operateure  nach 
vollendeter  Symphyseotomie  die  Austreibung  des  Kindes  der  Natur,  wobei 
Kind  und  Mutter  in  gewöhnlichen  Verhältnissen  gewiss  weniger  Gefahr  laufen, 
soweit  dieselbe  nur  vom  Gebärprocesse  abhängt.  Theoretisch  ist  ja  das 
richtig,  der  Zweck  der  Symphyseotomie  war,  das  räumliche  Miss- 
verhältnis zu  beseitigen,  das  Becken  zu  erweitern  resp.  erwei- 
terungsfähig zu  machen.  Mit  Vollendung  der  Symphyseotomie 
ist  bei  erwiesener  Beweglichkeit  der  Hüftbeine  dieser  Zweck 
erreicht  und  die  sofortige  Extraction  des  Kindes  theoretisch 
nur  dann  zu  verlangen,  sowie  allarmirende  Symptome  auf- 
treten. Viele  haben  also  — und  zwar  mit  meist  gutem  Erfolge  —  nach  der 
Operation  den  weiteren  Verlauf  6—8,  12—24  Stunden  abgewartet  und  spontane 
Geburt  erfolgen  sehen.  Auch  Zweifel  hatte  auf  diesem  Wege  gute  Resultate 
zu  verzeichnen.  Man  darf  diesen  Weg  mit  vollem  Recht  betreten 
in  der  Klinik,  jedoch  hat  die  Sache  auch  ihre  Bedenken.  Einmal 
bezüglich  dessen,  dass  die  Infectionschancen  grössere  werden  bei  längerer 
Dauer  der  Geburt,  besonders  aber,  dass  es  mit  den  Begriffen  der  Humanität 
sich  schlecht  verträgt,  die  Frau  stundenlang  mit  gestaltener  Symphyse  liegen 
zu  lassen,  schliesslich  werden  die  Angehörigen  kaum  ein  weiteres  Zuwarten 
gestatten.  Hier  hängt  eben  Alles  von  der  individuellen  Denkungsart  des 
Arztes  ab.  Gut,  w^enn  nach  längerem  Zuwarten  die  Geburt  eines  lebenden 
Kindes  spontan  erfolgt,  wenn  aber  nach  12  Stunden  schliesslich  doch  noch  die 
Zange  nothwendig  wird,  ein  asphyktisches  Kind  nach  zwei  Stunden  zu  Grunde 
geht,  dann  wird  der  Arzt  sich  Vorwürfe  machen  deshalb,  weil  er  nicht  sofort 
extrahirte.  Will  man  also  abwarten,  so  darf  der  Operateur  die 
Operirte  nicht  verlassen,  muss  stündlich  die  Herztöne,  Meconium- 
abgang  etc.  überwachen,  und  zu  sofortigem  Eingreifen  allzeit 
bereit  sein.  In  der  Praxis  stösst  aber  dieses  theoretisch  gerechtfertigte 
Zuwarten  auf  Schwierigkeiten. 

Bezüglich  der  Indication  stehen  sich  heute  noch  die  widersprechendsten 
Ansichten  verschiedener  Autoritäten  ziemlich  schrofi  gegenüber.  Ursprünglich 
war  die  Symphyseotomie  zur  Vermeidung  des  mit  grosser  Sterb- 
lichkeit verbundenen  Kaiserschnittes  vorgeschlagen  worden.  Diese 
Indication  bei  lebendem  Kinde  wird  heute  als  gefallen  betrachtet  bei  einem 
Becken  unter  6-7—6  cm  Conjungata  vera. 

1.  Symphyseotomie — Kaiserschnitt  bei  lebendem,  bei  todtem 
Kinde: 

Symphyseotomie  und  Kaiserschnitt  bei  absoluter  Indication  bei  lebendem 
Kinde  schliessen  einander  aus,  die  Symphyseotomie  unter  6*6  c?w  conjugata 
vera  hat  dann  keine  Berechtigung  mehr.  Anders  bei  todtem  Kinde  oder 
wahrscheinlich  schon  absterbendem  (infolge  protrahirter  Geburt).  Hier  ist  es 
unmenschlich,  wo  durch  eine  minder  gefährliche  Operation  das  mütterliche  Leben 
zu  retten  ist.    den  Mutterleib  zu  öffnen,  um  daraus   einen  Cadaver  herauszu- 


SYMPHYSEOTOMIE.  787 

holen.  Sclion  1867  trat  Jaccolucci,  neuerdings  Caruso  für  die  Com- 
bination  der  Symphyseotomie  mit  der  Embryotomie  am  todten 
Kinde  ein,  letztere  wurde  durch  den  mit  der  Symphyseotomie  verbundenen 
Kaumgewinn  selbst  da  noch  ermöglicht,  wo  sie  ohne  Symphyseotomie  trotz 
der  vorzüglichen  modernen  Instrumente  (Basiotrib,  Kranioklast  etc.)  nicht 
mehr  oder  wenigstens  nur  als  für  die  Mutter  oft  lädirende  Operation  ausführbar 
gewesen  wäre.  Fochier  führte  zweimal  die  Symphyseotomie  bei  Schulterlage 
des  todten  Kindes  aus.  Pinard  und  Morisani  billigten  diese  Indication  als 
eine  ausnahmsweise  für  die  Fälle,  wo  die  Ausführbarkeit  der  Embryotomie  eine 
Erweiterung  des  Beckenringes  um  einige  Centimeter  erheischte.  Die  Combi nation 
der  Symphyseotomie  mit  Embryotomie  am  todten  Kinde  sei  weniger  gefährlich 
als  der  Kaiserschnitt  oder  die  Porro-Operation,  ganz  besonders,  wo  die  Kreissende 
nicht  mehr  absolut  infectionsfrei  und  bei  noch  frischen  Kräften  sei.  Novi, 
Morisani,  Carbonelli  und  Andere  haben  unter  dieser  Indication  operirt  in 
Fällen,  wo  zur  Einführung  des  Basiotribes  oder  des  Kranioklasts  kein  Platz  war. 
Andere  wollen  bei  stattgehabter  Infection  ebensowenig  die  Symphyseo- 
tomie erlauben  wie  den  Kaiserschnitt,  so  soll  also  dann  die  Frau  unentbunden 
bleiben?  Somit  wird  also  wohl  auch  bei  absoluter  Indication  zum 
Kaiserschnitt  bei  todtemoder  imAbsterben  begriffenen  Kinde 
die  Symphyseotomie  mit  nachfolgender  Embryotomie  das  Vor- 
recht behalten;  der  Kaiserschnitt  daher  in  Zukunft  auf  die 
absolute  Indication  bei  lebendem  Kinde  bei  gesunder  Mutter 
beschränkt  bleiben,  während  bei  relativer  Indication  zum 
Kaiserschnitt  und  lebendem  Kinde  die  Symphyseotomie  zu 
machen  ist.  Die  grösste  Einschränkung  w^ird  also  durch  die 
Symphyseotomie  der  Kaiserschnitt  bei  relativer  Anzeige  bei 
lebendem  Kinde  erfahren  und  eine  bedeutende  der  Kaiser- 
schnitt bei  absoluter  Indication  bei  todtem  Kinde. 

IL  Symphyseotomie — künstliche  Frühgeburt:  Leopold,  ein 
warmer  Anhänger  der  künstlichen  Frühgeburt,  nimmt  auf  Grund  seiner  Sta- 
tistik folgendermaassen  Stellung  zum  engen  Becken: 

Conjugata  vera  bis  minimum  l^j^  und  7  cm  künstliche  Frühgeburt; 
w^enn  schon  am  Ende  der  Schwangerschaft  so  Wendung  und  Extraction. 

'     Conjugata  ve ra  bis  6  cm  Perforation  des  lebenden  Kindes,  Kaiserschnitt 
bei  relativer  Anzeige,  Symphyseotomie. 

Conjugata  vera  unter  6cm:  Absolute  Anzeige  zum  Kaiserschnitt. 
Leopold  verlor  vom  1.  Sept.  1881  bis  Juli  1892  infolge  von  Infection 
nach  künstlicher  Frühgeburt  1-2%  der  Mütter  und  rettete  63-4''/o  der  Kinder 
„      Wendung  u.  Extraction  0-9 %     »         „         «         „         66-67o  » 

„      Perforation  l-67o     „         „         „         „  0-0»/o 

„      Kaiserschnitt  4-1%     „         „         „         „         84-0— 95-3  7o„ 

„      Symphyseotomie  1-7  %     „         „         „         „         89-4''/o 

er  verlor   also  bei  künstlicher  Frühgeburt    l"27o5    bei  Symphyseotomie  l'77o 
der  Mütter  und  rettete  63-47(,  uud  89-4%  der  Kinder. 

Wie  1893  so  trat  auch  1894  in  Rom  Leopold  zu  Gunsten  der  künstlichen 
Frühgeburt  bei  Mehrgebärenden  und  Conjugata  vera  bis  zu  7  cm  auf. 

Pinard,  der  vor  2  Jahren  noch    ein   w^armer  Anhänger  der  künstlichen 
Frühgeburt  war,  gab  in  Rom  1894  an: 
auf  38  Symphyseotomien  von  1892  und  1893:  36  Frauen  gerettet,  2  verloren 

34  Kinder        „        4        „ 
„    64  künstliche  Frühgeburten:  62  Frauen        „        2         „ 

30  Kinder        ,,      34         „ 
Zusammen  also  bei  Symphyseotomie  70  Menschenleben  erhalten,  6  verloren 
5,  „       „   künstl. Frühgeburt  92  ,,  „      36         ,, 

50* 


788  SYMPHYSEOTOMIE. 

und  will  in  Zukunft  die  künstliche  Frühgeburt  durch  die  Symphyseotomie  am 
Schwangerschaftsende  ersetzen. 

Bringt  man  die  grosse  Kindersterblichkeit  im  Laufe  des  1.  Lebensjahres 
nach  künstlicher  Frühgeburt  in  Eechnung,  so  verliert  die  künstliche  Frühgeburt 
ungemein  viel  von  dem  ihr  von  Vielen  gezollten  Rufe,  es  hängt  aber  hier  der 
Nutzen  der  künstlichen  Frühgeburt  hauptsächlich  von  dem  Schwangerschafts- 
termin ab.  Zwfjfel's  Vertrauen  zur  künstlichen  Frühgeburt  ist  ebenfalls 
stark  erschüttert,  da  er  bezüglich  der  Lebensdauer  solcher  Kinder  trostlose 
Resultate  hatte.  Nur  ein  einziges  Kind  der  mit  künstlicher  Früh- 
geburt geborenen  Kinder  lebte  noch  am  Schluss  eines  Jahres, 
alle  anderen  waren  an  Lebensschwäche,  Tabes  mesaraica,  Verdauungskrank- 
heiten etc.  zu  Grunde  gegangen  und  zwar  gilt  das  bezüglich  der  künstlichen 
Frühgeburt  vor  der  36.  Woche.  Morisani  steht  ebenso  zur  künstlichen  Früh- 
geburt, da  die  im  7.  Monat  oder  der  ersten  Hälfte  des  8.  Geborenen  fast  stets 
bald  zu  Grunde  gehen,  besser  sei  die  Prognose  für  die  am  Ende  des  8.  Mo- 
nates geborenen  Kinder.  Für  die  Becken  von  70 — 81  mm  Conjugata  vera, 
wo  Frühgeburt  im  7.  Monat  oder  der  ersten  Hälfte  des  8.  indicirt  wäre,  will 
Morisani  statt  dessen  die  Symphyseotomie  am  Schwangerschaftsende  machen 
und  nur  dann  zur  künstlichen  Frühgeburt  greifen,  wo  eine  in  der  ersten  oder 
zweiten  Woche  des  9.  Monates  eingeleitete  Frühgeburt  zur  Compensation  der 
räumlichen  Missverhältnisse  genüge,  hier  also  nicht  Symphyseotomie,  sondern 
künstli'che  Frühgeburt. 

FßiTSCH  hingegen,  der  ein  warmer  Anhänger  der  künstlichen  Frühgeburt 
ist,  schreibt  1894:  „Den  richtigen  Zeitpunkt  für  die  künstliche  Frühgeburt 
verstreichen  zu  lassen,  halte  ich  einfach  für  eine  Gewissenlosigkeit  und  einen 
Fehler."  Schroffer  können,  wie  wir  sehen,  die  Gegensätze  in  den  Ansichten 
nicht  sein. 

Jaccolucci  schlug  1867  auch  bei  lebendem  Kinde  die  Combination  der 
künstlichen  Frühgeburt  mit  Symphyseotomie  statt  Kaiserschnitt  vor;  Novi  hat 
2mal,  Morisani  Imal  diesen  Vorschlag  befolgt.  Andere  haben  die  Symphyseo- 
tomie bei  spontaner  Frühgeburt  ausgeführt  wie  Lepage.  Heute  verA\irft 
Morisani  diese  Comb.ination  einmal  wegen  der  schlechten  Lebensaussichten 
vor  der  2.  Hälfte  des  9.  Monates  geborener  Kinder,  zweitens  angesichts  der 
im  Verhältnis  zu  1867  heute  so  bedeutend  verringerten  Sterblichkeit  der 
Mütter  nach  Kaiserschnitt.  Nur  ausnahmsweise  wie  im  Falle  seiner  Operirten 
AiELLO  hat  Morisani  diese  Combination  benützt,  sonst  aber  würde  er  sie  nur 
billigen  bei  spontaner  Frühgeburt,  wenn  die  Conjugata  vera  nur  wenig  geringer 
ist,  als  sie  als  Minimalgrenze  für  die  Symphyseotomie  angenommen  ist  (also 
67  mm). 

HL  Symphyseotomie  —  Embryotomie  am  lebenden  Kinde  — 
Perforation. 

Pinard  verlangt,  die  Embryotomie  am  lebenden  Kinde,  den 
Kindsmord,  als  ein  unmenschliches  Verfahren  ein  für  allemal 
aus  der  Zahl  der  geburtshilflichen  Operationen  zu  streichen 
und  durch  die  Symphyseotomie  zu  ersetzen. 

Leopold  will,  falls  für  eine  künstliche  Frühgeburt  der  Termin  schon  ver- 
strichen ist,  bei  platten  Becken  bis  7  cm  und  allgemein  verengtem  bis  7V2  om 
Conjugata  vera  bei  Mehrgebärenden  die  Spontangeburt  abwarten  unter  streng- 
ster Schonung  der  Fruchtblase  und  Ersatz  der  vorzeitig  gesprungenen  durch 
den  Kolpeurynter  bis  zur  vollen  Erweiterung  des  Muttermundes,  falls  aber 
auch  dann  Spontangeburt  nicht  eintritt,  hofft  er  durch  Wendung  und  Extrac- 
tion  doch  noch  ein  mittelgrosses,  reifes  Kind  lebend  zu  entwickeln;  die  Per- 
foration discutirt  Leopold  erst  bei  Becken  von  7-5 — 6  cm  Conjugata  vera, 
sie   ergibt   nach   ihm  4— 57o  mütterliche  Sterblichkeit,   die  Symphyseotomie 


SYMPHYSEOTOMIE.  789 

12705  flßr  Kaiserschnitt  bei  relativer  Anzeige  IS^/o-  Bei  bereits  oder  wahr- 
scheinlich absterbendem  Kinde  will  er  unter  allen  Umständen  die  Perforation 
erhalten  wissen,  und  lieber  einmal  zu  viel  als  einmal  zu  wenig  perforiren, 
weil  der  Preis  für  ein  in  seiner  Erhaltung  fragliches  Kindesleben  bei  Sym- 
physeotomie  (mit  12*'/o  mütterlicher  Sterblichkeit)  zu  hoch  ist. 

Leopold  betrachtet  als  der  Symphyseotomie  gehörig  nur  die  kleine 
Gruppe  der  Becken  mit  Conjugata  vera  von  7 '4 — G  cw  bei  absolut  gesunder 
Mutter  und  lebensfähigem,  nicht  schon  beschädigtem  Kinde,  hier  allein 
sei  die  Symphyseotomie  berechtigt  und  gebe  gleich  gute  Ptesul- 
tate  wie  der  Kaiserschnitt  bei  relativer  Anzeige  für  die  Kinder, 
für  die  Mütter  aber  bessere,  jedoch  verlangt  er  auch  hier  noch  die  ge- 
wichtige Einschränkung,  die  Symphyseotomie  solle  nicht  in  der  Privatpraxis, 
gondern  nur  in  der  Klinik  gemacht  werden,  also  nicht  vom  praktischen 
Arzte!  Dieser  solle  weiterhin  in  solchen  Fällen  mit  gutem  Gewissen 
das  Kind  der  Mutter  opfern.  Morisani  stimmt  damit  nicht  überein,  da  nach 
seiner  Ansicht  das  Sterblichkeitsprocent  der  Mütter  trotz  der  besten  Instru- 
mente und  Technik  bei  der  Perforation  doch  ziemlich  bedeutend  sei,  da  über- 
dies dabei  100°/o  der  Kinder  zu  Grunde  gehen,  zieht  er  die  Symphyseotomie 
vor.  Zweifel  hatte  bei  der  Perforation  3%  todte  Mütter  und  100°/o  todte 
Kinder,  bei  der  Symphyseotomie  aber  hatte  er  persönlich  auf  23  Operationen 
bis  jetzt  07o  Sterblichkeit  der  Mütter  und  nur  2  todte  Kinder  (S'T^o)-  Es 
ist  also  nach  seinen  Ergebnissen  natürlich,  dass  Zweip^el  das  Gebiet  der 
Perforation  des  lebenden  Kindes  weit  mehr  einschränkt  als  Leopold  es  will, 
umsomehr  als  Zweifel  der  Ansicht  huldigt,  die  Symphyseotomie  sei 
mehr  noch  als  der  Kaiserschnitt  berufen,  Allgemeingut  derAerzte 
zu  werden,  während  Leopold  und  gleich  ihm  die  Wiener  Schule  den  Satz 
aufstellt,  „die  Symphyseotomie  sei  keinesfalls  berufen  über  Stadt 
und  Land  zu  ziehen." 

IV.  Symphyseotomie— prophylaktische  Wendung  und  Extrac- 
tion.  Hauptvertreter  der  prophylaktischen  Wendung  und  Extraction  gegen- 
über der  Symphyseotomie  bei  Mehrgebärenden  ist  Leopold  bei  Beckenenge 
von  9 — 7  cm  conjugata  vera,  wobei  er  wie  auch  sonst  beeonderen  Werth  auf 
möglichst  lange  Erhaltung  der  Fruchtblase  legt  oder  Kolpeurynter  statt  derselben 
anwendet.  In  der  Dresdener  Klinik  wurden  bei  25  Wendungen  und  Extractionen 
bei  Conjugata  vera  von  7 — 8  cm  beinahe  907o  grosse,  kräftige,  lebende  Kinder 
zur  Welt  gebracht,  ntb.  bei  volleröffnetem  Muttermund  und  herabhängenden 
Beinen  der  Gebärenden.  Leopold  vollzieht  also  bei  Mehrgebärerdea  bei  platten 
Becken  bis  zu  7  cm  conjugata  vera,  bei  allgemein  verengten  Becken  bis  7Y2  cm 
die  Wendung  und  Extraction.  Zweifel  hatte  bei  Wendung  und  Extraction 
07o  Sterblichkeit  der  Mütter  bei  297o  Sterblichkeit  der  Kinder,  will  daher  die 
prophylaktische  Wendung  beschränken  auf  Becken  von  9'5 — 8-5  cm  Conjugata 
vera,  umsomehr  als  nach  Wendung  bei  noch  engeren  Becken  oft  doch  noch 
Perforation  des  nachfolgenden  Kopfes  nothwendig  wird.  Persönlich  empfiehlt 
er  für  Fälle,  wo  die  Wendung  ausgeführt  ist,  die  Extraction  aber 
sich  als  unmöglich  erweist,  als  lebensrettend  für  Mutter  und 
Kind  eine  schnell  ausgeführte  Symphyseotomie.  Morisani,  der 
schon  bei  normalem  Becken  die  Kindersterblichkeit  bei  Wendung  und  Extrac- 
tion für  gross  hält,  schliesst  sich  Zweifel  an  (297o  Kindersterblichkeit)  und 
hält  um  so  weniger  von  der  Wendung  bei  mittleren  Graden  der  Beckenenge 
ausser  bei  schrägverengten  Becken. 

V.  Symphyseotomi  e — h  oheZange:  Zweifel  hatte  bei  hoher  Zange 
0^0  Sterblichkeit  der  Mütter  und  7-8o/o  (5  von  68)  des  Kindes  bei  engen 
Becken,  und  betrachtet  den  Versuch  mit  der  hohen  Zange  für  erlaubt,  — 
scheiterte   derselbe,   so   ist   die  Symphyseotomie  ausgeführt  worden.    Es  ist 


790  SYMPHYSEOTOMIE. 

aber  nicht  zu  verschweigen,  dass  bei  vielen  Symphyseotomien,  wo  ein  Kind 
mit  fracturirtem  Schädel  todtgeboren  wurde  oder  bald  zu  Grunde  ging,  der 
Tod  gerade  dem  vorausgegangenen  Versuche  der  hohen  Zange  zugeschrieben 
wurde.  Die  Zange  leistet  im  gegebenen  Falle  viel  —  aber  auf  Kosten  der 
Integrität  des  Kinderschädels.  Nach  Moeisani  ist  die  Zange  in  diesem  Falle 
bei  Becken  von  85 — 84: mm  Conjugata  vera  nicht  mehr  ein  „Instrument 
de  vie",  sondern  „de  m ort"  und  bedeutet  soviel  als  eine  „Kephalotrypsie 
masquee"  mit  dem  Unterschiede,  dass  eine  richtige  Kephalotrypsie  für  die 
Mutter  weniger  gefährlich  wird.  Moeisani  verwirft  also  hier  die  hohe  Zange 
zu  Gunsten  der  Symphyseotomie  bei  Becken  mit  Conjugata  vera  unter  8'8  cm 
und  geht  wohl  damit  etwas  zu  weit,  —  zuweilen  und  zwar  nicht  so  selten 
wurde  in  Fällen,  wo  nach  seinen  Principien  schon  Alles  zur  Symphyseotomie 
vorbereitet  war,  bei  einem  gleichwohl  vorausgeschickten  Zangenversuche 
schliesslich  doch  ein  lebendes,  reifes  Kind  extrahirt.  Im  Allgemeinen  aber 
ist  der  Einspruch  gegen  die  hohe  Zange  bei  engen  Becken  ganz  gerechtfertigt: 
ein  Kind  extrahirt  man  schon,  aber  lange  lebt  es  meist  nicht 
mit  seinem  zerbrochenen  Schädel;  Leopold  fasste  in  Rom  1894  seine 
Anschauungen  in  3  Thesen  zusammen: 

I.  These:  Keine  Symphyseotomie  bei  Erstgebärenden  bei 
Becken  von  11 — lern  Conjugata  vera,  sondern  Blase  erhalten,  wenn  ge- 
platzt Kolpeurynter,  eventuell  später  Zange  und  Weichtheilincisionen!  Bei 
Mehrgebärenden  bei  einer  Conjugata  vera  bis  zu  7  cm. 

a)  wenn  der  Termin  noch  nicht  verstrichen  ist,  Frühgeburt,  aber  nicht 
vor  34  Wochen! 

b)  bei  ausgetragenem  lebenden  Kinde:  bei  Conjugata  vera  von  11 — 9  cm 
abwarten,  9 — 7  an  Wendung  und  Extraction,  selten  hohe  Zange!  Auch  hier 
so  lange  als  möglich  Blase  erhalten! 

Walchee's  Hängelage  [lO^o  lebender  Kinder  bei  25  Wendungen  in 
Dresden  erzielt.] 

IL  These:  Bei  Beckenenge  bis  zu  7  cm  Conjugata  vera  bei  Mehrgebä- 
renden künstliche  Frühgeburt,  wenn  aber  ausgetragen,  so  bei  platten  Becken 
bis  zu  7  cm  und  bei  allgemein  verengtem  bis  7^2  cm  Conjugata  vera  durch 
Wendung  und  Extraction  lebendes  Kind. 

Bei  Conjugata  vera  von  7-5—6  cm  spontane  Geburt  eines  lebenden 
reifen  Kindes  ausgeschlossen: 

Perforation  (4— ö"/»  mütterliche  Sterblichkeit)  Symphyseotomie 
(127o)  Kaiserschnitt  (15— 20''/o),  bei  abgestorbenem  Kinde  selbstverständ- 
lich Embryotomie  und  nicht  Symphyseotomie;  bei  absterbendem  oder 
schon  fast  todtem  Kinde  Preis  zu  hoch,  hier  Perforation  am  Platze!  Bei 
lebensfrischem  Kinde,  sobald  die  Mutter  irgendwie  krank  oder  gefährdet  ist, 
lieber  dieses  lebensfrische  Kind  opfern  und  perforiren! 

Es  blieben  also  nach  Leopold  nur  Fälle  von  Conjugata  vera  7*5  — 6  c;» 
übrig.  Bei  lebendem  Kinde  und  ganz  gesunder  Mutter  zur  Wahl  zwischen 
Symphyseotomie,  die  für  das  Kind  ein  gleich  gutes,  für  die  Mutter  ein  besseres 
Resultat  gibt,  auch  Kaiserschnitt  bei  relativer  Anzeige.  Unterhalb  6  cm  Con- 
jugata vera  nur  Kaiserschnitt.  Bedingungen  zur  Symphyseotomie: 
Infectionsfreiheit  der  Mutter,  Sicherheit,  dass  keine  Schräg- 
verengerung des  Beckens  vorliegt  oder  gar  Ankylose  eines  Ileo- 
sacralgelenkes,  —  genügende  Oeffnung  und  gute  Herztöne.  Nach 
der  Operation  WALCHER'sche  Hängelage  und  nicht  abwarten,  sondern  Zange! 
Für  den  praktischen  Arzt  ist  die  Symphyseotomie  eine  grosse 
und  gefährliche  Operation,  für  die  Klinik  eine  grossartige  Er- 
rungenschaft, in  einzelnen  wenigen  Fällen  die  allein  richtige 
Operation. 


SYMPHYSEOTOMIE. 


791 


III.  These.  Bei  Conjugata  vera  von  7*5 — G  cm  ist  die  Perforation  des 
lebenden  Kindes  in  der  Klinik  zu  ersetzen  durch  Symphyseotomie.  In  der 
Klinik  können  sich  ab  und  zu  specielle  Indicationen  einstellen,  Eklampsie, 
drohende  Uterusruptur,  hintere  Scheitelbeineinstellung,  feststehende  Gesichts- 
lage mit  nach  hinten  gerichtetem  Kinn,  zu  grosses  Kind  bei  normalem  Becken  etc. 

Als  Grenze  für  das  Gebiet  der  Symphyseotomie  gibt  Leopold  eine  Con- 
iugata  vera  von  8*5 — 6'7  cm  an;  neuerdings  hat  man  gegen  Morisani's  War- 
nung die  untere  Grenze  bis  auf  6  cm  verschoben,  andererseits  ist  nach 
MoRiSANi  die  Operation  unter  Umständen  auch  bei  Conjugata  vera  von  9 — 9"5  cm 
indicirt  bei  zu  grossem  Kinde  oder  wenn  der  Kopf  nicht  in  den  Beckeneingang 
eintritt.    Die  Grenzen  sind  also  dehnbar. 

Als  Indication  kann  sowohl  Beckenverengerung  durch  Difformität  gelten 
als  auch  durch  para-  oder  periuterine  oder  pelvine  Tumoren  und  sind  bei 
derartigen  Anzeigen  schon  mehrere  Operationen  gemacht  worden,  (Rein);  auch 
angesichts  beabsichtigter  Geburtsbeschleunigung  bei  Eklampsie,  drohender  Uter- 
usruptur mit  Hochstand  des  Contractionsringes  ist  operirt  worden.  Sciiwartz  hat 
einmal  operirt  behufs  Extraction  des  nach  Decapitation  zurückgebliebenen  Kopfes. 

Die  Beckenverengerungen  waren  bei  weitem  am  häufigsten  rachi- 
tischen Ursprunges  und  zwar  waren  es  meist  platte  Becken,  el  enso  auch 
allgemein  verengte,  ungleichmässig  verengte,  osteomalacische,  ein  Zwergbecken, 
drei  spondyloliosthetische,  ein  Luxationsb ecken  darunter,  sowie  ein  durch 
Kyphoskoliosis,  mehrere  durch  Beckenexostosen  verengte,  endlich  ein  soge- 
nanntes kyphotisches  Trichterbecken. 

Zu  verschiedenen  Zeiten  sind  verschiedene  Modificationen  der  Operation 
vorgeschlagen  worden,  die  erwähnt  werden  müssen,  so  die  öfters  vorgeschlagenen 
Versuche  einer  subcutanen  Ausführung  der  Symphyseotomie,  die  Versuche 
statt  der  Durchschneidung  des  Knorpels  rechts  und  links  davon  die  knöcherne 
Beckenwand  zu  durchsägen,  also  eine  mobile  Barriere  in  der  vorderen  Becken- 
wand zu  schaffen,  ebenso  der  Vorschlag  der  präventiven  Symphyseotomie  von 
Olliee,  der  übrigens  nie  zur  praktischen  Ausführung  gelangte.  Diese  Vor- 
schläge haben  heute  mehr  historisches  Interesse. 

Farabeuf  hatte  die  anzuerkennende  Idee  für  das  schräg  verengte  Becken  mit  Ileo- 
sacralankylose  auf  der  verengten  Seite  eine  unilaterale  Durchsägung  der  vorderen  Becken- 
wand: „IscMopubiotomie"  vorzuschlagen,  welchen  Vorschlag  kurz  darauf  Penard  mit 
glücklichem  Ausgange  für  die  Frau  Tremoulet  und  ihr  Kind  ausführte  am  9.  November  1892, 
Fig.  7  stellt  die  der    Ope-  ""• 

ration  zu  Grunde  liegende 
Idee  ikonographisch  dar. 
An     die     Veröffentlichung 

dieser  FARABEUP'schen 
Operation  durch  Pinard 
schloss  sich  ein  Prioritäts- 
.streit  für  einen  früheren 
Üperaiiuusvort,t.iiia^  von 
Stoltz  in  Strassburg  an, 
der  jedoch  der  Berechtigung 
entbehrt,  insofern  als  der 
FARABEUP'schen  Operation 

eine  andere,  durchaus 
eigenartige  Idee  zu  Grunde 
liegt,    als   den  von  gegne- 
rischer   Seite    angeführten 

Operationsvorschlägen 
älteren   Datums,    wie    das 

Varnier    (Annales    de 
Gynecol.  et  d'Obst.  Fevriet 
1893)  dargethan  hat.     Da- 
selbst   finden     sich       auch  ^     IscMopubiotomie  nach  FAEABEUF. 
Details  des  Streites. 

Dem  Märzheft  desselben  Journals  sei  eine  Zeichnung  aus  dem  Aufsatze:  .Historique 
de  la  Pelvitomie"  entnommen,  welche  die  früheren  Modificationen  der  SiGAULx'schen  Sym- 


792 


SYMPHYSEOTOMIE. 


physeotomie  darstellen  soll  (aus  Farabeuf's  „Fragments  sur  les  pelvitomies';).  Die 
Zeiclinun<^en  Fis;.  8  stellen  die  Symphyseotomien  von  Sigault  177^  und  gleichzeitig  die 
°  mediane  und  juxtamediane 

Pelvitomie  mittelst  Säge 
von  V.  Siebold  (1778), 
AiTKEN  (1785),  Champion, 
Imbert,  Petrequin,  Pitois, 
Stoltz  dar. 

Was  nun  die  ent- 
fernten Kes,ultate 
der  Sympliyseo- 
tomie  anbetrifft,  so 
wird  erst  die  Zeit  Ge- 
legenheit geben, .  die 
verschiedenen  sich  auf- 
drängenden Fragen  zu 
beantworten. 

Wird  das  Becken 
nach    der   Symphy- 

seotomie  blei- 
bendweiter? Wo  kein 
Schlottergelenk  mit  Di- 
astase  zur  Entwicklung 
gelangte,  nicht,  wohl 
GALBiATi's  Pelvitomie.  PITOIS'  Bipubiotomie.         aber  behält  das  Becken 

pig.  8.  X— IV.  Vier  Arten  der  Peiviotomie.  eine    grösscre   Beweg- 

lichkeit in  seinen  Gelenken,  die  namentlich  bei  der  physiologischen  Zunahme 
der  Beweglichkeit  in  der  Schwangerschaft  bei  einer  nächsten  Geburt  eine  spontane 
Vergrösserung  des  Beckenlumens  ermöglicht. 

Es  sind  thatsächlich  Fälle  bekannt,  wo  nach  Symphyseotomie  bei  einer 
vorausgehenden  Entbindung  bei  der  nächsten  spontan  ein  lebendes  ausgetragenes 
Kind  geboren  wurde  oder  nach  Wendung  extrahirt  wurde,  der  letzte  Fall 
dieser  Art  betrifit  die  3.  der  von  FßiTSCHnoch  in  Breslau  am  18.  Februar  1893 
operirten  Frauen  (C.  vera  8-5  cm).  Dieselbe  Frau  wurde  am  12.  Februar  1894 
wieder  in  der  Breslauer  Frauenklinik  jetzt  von  Küstner  entbunden  bei  massiger 
Verschiebbarkeit  der  Schambeinenden.  Zwillinge  von  2200  und  2400  Gramm,  jeder 
nach  Wendung  extrahirt;  die  Extraction  des  Kopfes  vom  zweiten  machte  Schwierig- 
keiten (Prager  Handgriff  in  der  WALCHER'schen  Hängelage).  Namentlich  in  der 
älteren  Kasuistik  von  1777—1860  sind  mehrere  solche  Fälle  beschrieben.  Die 
Gegner  der  Operation  zogen  daraus  eine  neue  Waffe  gegen  die  Symphyseotomie,  die 
Natur  habe  hier  bewiesen,  dass  die  Symphyseotomie  bei  der  vorigen  Ent- 
bindung überflüssig  gewesen  sei  und  dass  jede  Geburt  eines  lebenden  Kindes 
somit  nicht  der  Operation  zu  verdanken  sei,  das  Kind  wäre  auch  ohne  Ope- 
ration spontan  lebend  geboren  worden.  —  Das  Gangvermögen  und  die  Festig- 
keit, der  Halt  des  Beckens  ist  nach  den  neuesten  Erfahrungen  in  glatt  ab- 
laufenden Fällen  meist  schon  nach  15—30  Tagen  wieder  normal,  jedoch  gibt 
es  zahlreiche  Ausnahmen,  die  namentlich  die  Fälle  mit  Läsion  der  hinteren 
Beckengelenke  einerseits  und  Vereiterung  der  Symphysenknorpel-Wunde 
andererseits,  die  zu  Schlottergelenken  führt,  betreffen.  Mehrere  Operirte 
gingen  schon  am  12— 15.  Tage  wieder  einher,  eine  der  von  Fritsch  operirten 
Frauen  verliess  gar  in  der  ersten  Nacht  schon  das  Bett  und  ging  zur  Wasser- 
leitung, um  ihren  Durst  zu  löschen,  ging  dann  wieder  zurück  und  legte  sich 
ohne  fremde  Hilfe  zu  Bett,  als  ob  sie  gar  nicht  operirt  wäre.  Zahlreich  sind 
die  Angaben,  dass  die  Frauen  schon  nach  zwei  Wochen  aus  der  Klinik  nach 
Hause  gingen,  ihr  Kind  auf  dem  Arm,  dass  sie  nach  einem' Monat  schon  in 
gewohnter  Weise  ihrer  Wirthschaft   oblagen,    Treppen   stiegen,    Feldarbeiten 


SYMPHYSEOTOMIE.  793 

verrichteten  etc.  Fereara's  Operirte  (1787)  fungirte  noch  1807  als  Zeitung.s- 
austrägerin  !  Es  fehlt  aber  auch  nicht  an  Krücken  und  .Stöcken  in  der  Kasuistik, 
Lähmungserscheinungen  in  den  Beinen  in  der  ersten  Zeit,  starken  Schmerzen 
in  den  untern  Extremitäten  und  den  Becken.    Eine  Gangspur  hei  durch  Sym- 
physeotomie  gespaltenem  Becken  habe  ich  bis  jetzt  noch  nicht  erlangen  können, 
der  Gang  wird  meist  als  normal  bezeichnet  ohne  seitliche  vermehrte  Oscilla- 
tionen  des  Rumpfes.    Dass  beim  angeborenen  Symphysenspalt  der  Gang  absolut 
unbehelligt  sein  kann,  ja  auch  bei  nach  Beckenfractur   ohne  knöcherne  Con- 
solidation  ausgeheilter  Spaltung  des  vorderen  Beckenringes,  habe  ich  persön- 
lich beobachtet  und  seinerzeit  beschrieben  (Wilhelmine  Greger).    Bei  der  von 
Baumm  operirten  Frau  stiegen  beim  Gehen  die  beiden  Schambeine  alternirend 
aneinander  auf  und  ab  wie  bei  Wilhelmine  Greger,  es  lag  eine  Syndesmose  in 
der  Diastase  vor;  wenn  die  Diastase  gering  ist,  kann  es  zur  Pseudoathrosen- 
bildung  im  durchschnittenen  Knorpel  kommen.     Zahlreiche  Fälle  von  Harn- 
incontinenz  folgten  früher,  aber  auch  heute  noch  der  Operation  und  zwar  bald 
nur  wenige  Tage  dauernd  oder  auch  Monate  lang  und  länger  zwar  auf  Grund 
von  Lähmung  des  sphincter  vesicae,  weshalb  in  Wien    schon  zweimal 
die  GEKSUNY'sche  Operation  dagegen  ausgeführt  wurde.     Meist   aber  ist  das 
Harnträufeln  durch  Fisteln  verursacht,  die   so  ziemlich    an  jeder   Stelle   der 
Harnröhre  beobachtet  werden;  verhältnismässig  oft  ereigneten  sich  ausgedehnte 
Harnröhren-  und  Blasenscheidenwandrisse,  die  dann   mit  Hinterlassung   einer 
Fistel  partiell  spontan  heilten.    Es   sind   aber  auch   Fisteln   instrumentellen 
Ursprunges  beobachtet  worden,  so  wie   endlich  Harnfistelbildung  durch  Um- 
stechungsnähte  blutender  Stellen,  wo  diese  Naht  zufällig  ein  Stück  der  Blasen- 
wand mitfasste,  so  erklärt   wenigstens  Feitsch   die   Fistelbildung   in  seinem 
Falle.    Das  Kriterium  für  die  Aetiologie  der  Fistelbildung   ergibt  nicht  nur 
der  Sitz  und  die  Form  der  Fistel,  sondern  sehr  wesentlich  auch  das  Moment, 
wann  der  Harnfluss  begann,  ob  sofort  p.  partum  oder  erst  nach  6 — 8   Tagen 
u.  s.  w.  Die  Fisteln  werden  dann   meist  in   der  Folge    operativ  geschlossen. 
Ln  Gegensatz  zu  den  Spontangeburten  nach  vorausgegangener  Symphyseo- 
tomie  haben  in  der  Kasuistik  von  1777 — 1860:  6  Frauen  (später   eine)  zwei- 
mal die  Symphyseotomie,  auch  das  zweite  Mal  glücklich  durchgemacht.  Morisaxi 
hat    bei    mehreren    Frauen     zweimal    operirt.     Weiters    sind    aber     wieder 
Fälle  von  Symphyseotomie  bekannt,  bei  Frauen,  die  vorher  spontan  glücklich 
geboren  hatten. 

Es  sind  mehrere  Fälle  von  unbeendigt  gebliebener  Symphy- 
seotomie beschrieben,  wo  aus  irgend  einem  Grunde  die  Durchführung  der  Ope- 
ration scheiterte  und  schliesslich  doch  zum  Kaiserschnitt  oder  Embryotomie  ge- 
griffen wurde,  hieher  gehören  auch  die  nach  Leopold's  heute  zurückgezogenem 
Vorschlage  angeführten  partiellen  Durchschneidungen  des  Knorpels,  d.  h.  seiner 
oberen  Hälfte,  wo  dann  entweder  hinterher  der  Piest  des  Knorpels  und  das  den 
Kopf  aufhaltende  straffgespannte  Ligamentum  arcuatum  inferius  durchschnitten 
werden  musste  oder  aber  mit  einem  Krach  und  Riss  bis  in  die  Weichtheile 
des  Genitalschlauches  hinein  platzte,  wobei  diese  Keilwirkung  des  gewaltsam 
mit  der  Zange  extrahirten  Kopfes  oft  gleichzeitig  auch  eines  oder  beide  Ileo- 
sacralgelenke  mit  einem  Krach  und  plötzlich  leicht  gewordener  Zangen  extrac- 
tion  sprengte. 

Zwei  Frauen  sind  trotz  der  Symphyseotomie  unentbunden 
gestorben.  Werfen  wir  einen  Blick  auf  die  Leichentafel  der  Symphyseo- 
tomie, auf  die  31  mütterlichen  Todesfälle  von  1887  bis  1893,  so  sind  die 
verschiedenartigsten  Todesursachen  von  Enthusiasten  angezogen  worden,  um 
nur  nicht  den  Credit  der  Symphyseotomie  zu  belasten. 

Im  Gegentheil,  wer  die  Symphyseotomie  unternimmt,  soll  alle  die  Ge- 
fahren kennen,  denen  die  Frau  ausgesetzt  wird  und  die  unglücklich  verlaufenen 
Fälle  genau  studiren.     „Hie  est,   ubi   mors  succurrere  gaudet  vitael" 


794  SYMPHYSEOTOMIE. 

MoRisANi  bezog  in  März  1894  im  Anschluss  an  Varnier  nur  zwei  der  ihm  zur  Zeit 
bekannten  28  Todesfälle  direct  auf  die  Operation  (Tod  durch  Verblutung)  und  lässt 
für  11  weitere  Fälle  einen  Zusammenhang  zwischen  Operation  und  dem  Tode  gelten,  durch 
vor  oder  während  der  Operation  stattgehabte  Infection,  in  den  übrigen  15  Fällen  sei  der 
Tod  erfolgt  ganz  unabhängig  von  der  Operation.  Der  Enthusiasmus  für  die  Sym- 
physeotomie  führt  meines  Erachtens  Varnier  und  Pinard  zu  weit,  denn  kann  man  mit 
outem  Gewissen  in  den  zwei  Fällen,  wo  der  Tod  durch  Embolie  der  Arterie  pulmonalis 
nach  Phlegmasia  alba  eintrat,  den  Causalnexus  zwischen  letzterer  und  der  Symphyseotomie 
ausschliessen?  Doch  sicher  nicht,  der  Causalnexus  ist  sogar  mehr  als  wahrscheinlich.  — 
Ebensowenig  kann  ich  ausnahmslos  für  jeden  einzelnen  der  übrigen  Todesfälle  eine  solche 
Deutun«^  ohne  Vorbehalt  acceptiren.  Lässt  sich  z.  B.  der  Causalnexus  zwischen  der  Sym- 
physeotomie und  dem  tödtlich  gewordenen  Darmverschluss  in  dem  2.  Todesfalle  der 
PiNARD'schen  Kasuistik  bestimmt  ausschliessen  ? 

Meine  Statistik  ergiebt  auf  278  Operationen  von  1887  bis  Ende  1893  31  mal  Tod  der 
Mutter  und  zwar  starben: 

8  Frauen  an  Verblutung  (2  Stunden  und  ^j^  Stunde  nach  der  Operation  in  den  Fällen 

von   TELLIER   UUd   TrEUb). 

1  Frau  an  Uterus  und  —  Blasenruptur,  Tod  nach  12  Stunden  (Lusk). 

1  Frauan  vorausgegangenen  Collumperforation  in  die  DouGLAs'sche  Tasche  durch  die 
im  geraden  Durchmesser  vor  der  Symphyseotomie  mehrfach  angelegte  hohe  Zange  (7  Zangen- 
anlegungen!) Scheidenrisse  bis  zur  Symphysenwunde,  Tod  nach  22  Stunden  (Porak). 

2  infolge  von  Embolie  der  Lungenarterie  nach  Phlegmasia  (Maygrie's  Operirte  starb 
am  21.  Tage,  Leopold's  4.  Operirte  in  der  4  Woche). 

1  an  Darmvers chliiss  (Pinard). 

1  an  Perforation  eines  acuten  ulcus  ventriculi  und  Phlegmone  des  Beckenzellgewebes 
am  5.  Tage  (Pt.  v.  Braun). 

2  an  Eklampsie  bei  Nephritis  (Kaschkaroff's  Operirte  am  10.  Tage,  Olshausen's 
Operirte  in  Coma  nach  dem  6.  Anfalle). 

2  angeblich  an  Cor  adiposum  (?)  und  Chloroformwirkung  (?)  (Törngren's  Operirte 
starb  am  2.  Tage,  Egkstein's  am  11.  Tage).  .,.^.^         ,^.. 

•i  an  Pneumonie:  1  mal  an  hypostatischer  Pneumonie  bei  Sepsis    (Franks  Operirte 

starb    am  22.  Tage). 
1  mal  nach  2  Tagen  nach  Beginn  einer  am  10.  Tage  nach  der  Operation 

aufgetretenen  Pneumonie  (Eustache). 
1  mal  an  Pneumonie,  für  welche  specifische   Pneumococcen  als  Ursache 

nachgewiesen  wurden  (Ribemont,  —  Dessaignes:  Tod  am  12.  Tage». 
1  mal  angeblich  an  nicht  septischer  Pneumonie  (Davis:  Tod  am  4.  Tage.) 
1  Frau  an  septischer  Metrophlebitis  (Martino:  Tod  am  12.  Tage). 
1  an  eitriger  Pelveoperitonitis  (Schwarz:  Tod  am  8.  Tage). 
1  an  septischer  Peritonitis  (Kreider:  Tod  am  12.  Tage). 
1  an  Septicaemie  mit  U  Iceration  mit  diphtheritischem  Belage  im  Dickdarm 

(Puech:  Tod  am  9.  Tage). 
1  an  Pyoseptikaemie  mit   metastatischen   Pleuraabscessen  (E.    v.  Braun) 

Tod  am  34.  Tage). 
1  an  Sepsis  mit  Verjauchung  eines  Blutextravasates  im'Cavum  Retzii  und 

Nachweis  von  Staphylococcen  (Pinard:  Tod  am  9.  Tage). 
1  an  septischer  ulceröser  Phlegmone  der  Beckenzellgewebe  und  Marasmus 

(R.  V.  Braun:  Tod  am  9.  Tage). 
1  an  Vereiterung  des  geplatzten  rechten  Ileosacralgelenkes  mit  multiplen 

Abscessen  in  der  Lunge  (Koffer). 
1  an  septischer  Endometritis,  Thrombophlebitis  purulenta  (Werthheim).  _ 
1  an  Endometritis  purulenta,  Ruptura  urethrae,    vaginae,    cervicis    uteri, 

Septicaemie,  Anaemie  und  Ruptur  beider  Ileosacralgelenke  (^Chrobak  : 

Tod  nach  20^2  Stunden). 
4  mal  ist  einfach  nur  Septicaemie  als  Todesursache  angegeben  (Olivieri, 

Ribemont-Dessaignes    [inficirt   in    die  Klinik  eingetreten]   (Tod   am 

15.  Tage),  Broomall:  Tod  am  12.  Tage), 
i  an  Sepsis  nach  brandigem  Sphacelus  der  Vulva  und    Vagina    (Porak: 

Tod  am  5.  Tage. 

Die  Tabelle  zeigt  also,  dass  zwei  Frauen  infolge  von  Nephritis  und 
Eklampsie  starben,  zwei  an  Verblutung  infolge  der  Operation,  1  an  Uterus- 
und  Blasenruptur  von  31,  also  26  an  Sepsis  bei  den  mannigfaltigsten  Ver- 
letzungen des  Uterus,  der  Scheide,  Blase,  Vulva,  Darm,  Peritoneum  und 
theilweise  der  Beckengelenke,  in  mehreren  Fällen  kam  es  zu  metastatischer 
Pneumonie,  Pleuritis  mit  Abscessen,  zu  Peritonitis,  ausgedehnten  Phlebitiden 
mit  eitriger  Zersetzung,  Embolie  der  Arteria  pulmonalis,  Infarcten  etc.  Varnier 


SYMPHYSEOTOMIE.  795 

hat  Recht,  wenn  er  behauptet,  die  septischen  Todesfälle  kämen  nicht  auf 
Rechnung  der  antiseptisch  ausgeführten  Symphyseotomie,  sondern  nur  auf 
Rechnung  der  Infection. 

Das  ist  doch  aber  schliesslich  nur  eine  Phrase,  denn  die  Ilauptgefahr 
für  die  Frau  nächst  der  eines  sofortigen  Verblutungstodes  ist  ja  eben  nur  die 
Infection  (wenn  die  Frau  sonst  frei  war  von  tödtlichen  Constitutionskrank- 
heiten,  Herzfehler,  Tuberculose  etc).  Schliesslich  würde  uns  eine  Rechnung  des 
Lethalitätsprocentes  der  Symphyseotomie  nach  solchen  Principien  dazu  führen, 
in  der  Symphyseotomie  einen  leichten  und  ungefährlichen  Eingriff  zu  sehen, 
was  sich  mit  der  unumstösslichen  Thatsache  nicht  verträgt,  dass 
bisher  auf  8  gerettete  Mütter  stets  eine  begraben  wurde,  also 
jede  9.  Frau  starb! 

Der  Hauptfeind  der  Operation  ist  selbstverständlich  die  Sepsis,  deren  Eintritt 
nur  erleichtert,  deren  Bekämpfung  nur  erschwert  wird  durch  ausgedehnte 
Weich th eilrisse,  Taschenbildung  etc.  Die  Infectionsgefahr  wächst  mit  der  Anzahl 
und  Grösse  der  Verletzungen,  den  zeitraubenden  therapeutischen  Manipulationen, 
wobei  ein  bedeutender  Blutverlust  das  Loos  der  Operirten  noch  verschlechtert. 
Die  Gelenksverletzungen  an  und  für  sich  geben  ohne  stattgehabte  Infection 
durchaus  nicht  die  ihnen  früher  zugesprochene  schlimme  Prognose.  Die 
meiste  Gefahr  sub  ipsa  operatione  bringt  natürlich  eine  ungestillte  Blutung 
mit  sich.  —  Es  soll  nur  Derjenige  zur  Symphyseotomie  greifen,  der  die  Ope- 
ration gründlich  an  der  Leiche  studirt  hat,  mit  den  anatomischen  Verhältnissen 
gut  vertraut  ist,  der  womöglich  Symphyseotomien  hat  ausführen  sehen,  der 
in  der  Lage  ist,  einer  septischen  Infection  am  vollkommensten  vorzubeugen 
und  mit  der  Sachkenntnis  und  den  Mitteln  ausgerüstet  ist,  einer  unerwarteten 
Blutung  gegenüber  das  Feld  zu  behaupten.  Erfahrung  macht  wie  überall 
den  Meister!  Die  Symphyseotomie  ist  aber  bisher  keine  Operation  für  den 
praktischen  Arzt  in  der  Privatpraxis.  Damit  ist  das  Gebiet  der  Symphyseo- 
tomie gegenwärtig  noch  an  die  ad  hoc  eingerichteten  geburtshilflichen 
Kliniken  und  Anstalten  gebunden. 

Die  Sterblichkeit  der  Kinder  (19%)  war  zumeist  darin  begründet, 
dass  zu  spät  operirt  wurde,  nach  protrahirter  Geburt,  oft  2 — 3  Tage  nach 
Wasserabgang,  nach  Vorausgehen  der  verschiedensten  anderen,  oft  forcirten 
Entbindungsversuche,  namentlich  forcirten  Zangen  versuchen.  In  einzelnen, 
verschwindend  wenigen  Fällen  war  der  Tod  des  Kindes  ganz  unabhängig  von 
der  Operation  (1  mal  Missbildung,  1  mal  Syphilis,  Abreissen  der  Nabel- 
schnur etc.).  Die  Statistik  erweist  eine  besonders  grosse  Anzahl  asphyktisch 
geborener  Kinder,  von  denen  die  grosse  Mehrzahl  belebt  wurde.  Bei  den 
todtgeborenen  oder  bald  verstorbenen  wurden  meist  Schädelverletzungen, 
intracranielle  Blutergüsse,  Fracturen,  Impressionen  der  Schädelknochen, 
Lungenatelektase  etc.  nachgewiesen. 

Es  sei  nun  noch  erwähnt,  dass  auch  für  rein  chirurgische  Zwecke  neuerdings 
die  Symphyseotomie  zur  Anwendung  gelangte.  Albarran  in  Paris  führte  zuerst  die  Sym- 
physeotomie mit  Glück  beim  Manne  aus  zur  Erleichterung  der  Extirpation  eines  Blasen- 
tumors (Mercredi  medical,  25  Janvier  1893  —  Acad.  de  med.  de  Paris  16.  II.  und  20.  III.  1893 
—  siehe  auch:  Gallet  —  Duplessis:  „De  la  symphyseotomie  chez Thomme".  These  Paris  1893) 
Wickhoff  studirte  die  Symphyseotomie  an  der  männlichen  Leiche  (\Yiener  klin. 
Wochenschrift  1893  Nr.  11).  Schauta  wandte  zuerst  die  Symphyseotomie  behufs  der 
Erleichterung  einer  wegen  Narbenadhärenz  eines  Fistelrandes  an  einem  der  absteigenden 
Schambeinäste  sehr  erschwerten  Blasenscheidenfisteloperation  an.  Er  erreichte  kaum  1  cm 
Diastase  der  Schambeine,  so  dass  er  nicht  den  erwarteten  Nutzen  aus  dieser  Hilfsoperation 
ziehen  konnte,  doch  gelang  es  ihm,  dann  den  Fistelrand  vom  Knochen  abzulösen  und  später 
auch  die  Fistel  zu  heilen.  Zweifel  (Centralblatt  f.  Gyn.  1894;  Nr.  1  S.  22)  führte  zuerst 
in  Deutschland  1893  die  Symphyseotomie  zur  Erleichterung  der  Extirpation  eines  Blasen- 
und  Harnröhrenkrebses  aus  und  erreichte  dabei  eine  Diastase  von  4  cm.  Nach  vollendeter 
Operation  Knochennaht  der  Symphyse  mittelst  Drillbohrer.  Die  ganze  Operation  war  sehr 
schwierig,  complicirt  und  sehr  blutig,  gab  aber  ein  zufriedenstellendes  Resultat. 

FEANZ   L.    XEUGEBAUEE. 


796  SYPHILIS  DES  NEUGEBORENEN- 

Syphilis  des  Neugeborenen.  Die  in  utero  erworbene  Syphilis  ist 
eine  ">  iel  verderblichere  Krankheit  wie  die  durch  directe  Infection  entstandene, 
denn  sie  bedingt  häufig  das  Absterben  der  Früchte  und  rafft  viele  Kinder  in 
der  ersten  Lebenszeit  dahin.  Die  pathologisch-anatomische  Untersuchung  er- 
giebt  zwar,  dass  bei  den  hereditär  syphilitischen  Früchten  die  Krankheitser- 
scheinungen ebenso  wie  beim  erwachsenen  Luetischen  entweder  durch  ent- 
zündlich und  hyperplastische  Processe  oder  durch  Syphilombildung  bedingt 
sind,  aber  dennoch  ist  das  Krankheitsbild  in  vielen  Punkten  von  dem  gewöhn- 
lichen Befund  bei  Syphilis  verschieden.  Da  das  fötale  Gewebe  dem  Syphilis- 
gift einen  verhältnismässig  geringeren  Widerstand  entgegensetzen  kann,  finden 
wir  in  den  Organen  der  Früchte  viel  hochgradigere  Veränderungen  und  be- 
merken bereits  bei  wenige  Monate  alten  Föten  Krankheitsbilder,  welche  sonst 
den  Spätformen  schwerer  Infectionsfälle  entsprechen.  Des  Weiteren  bewirkt 
beim  Fötus  dort,  wo  die  Infection  durch  das  Nabelvenenblut  erfolgt,  die  an- 
dersgeartete Blutvertheilung,  dass  sich  das  Syphilisgift  in  Organen  festsetzt 
(Leber,  Lunge),  welche  sonst  viel  seltener  Krankheitsherde  enthalten;  der  fö- 
talen Syphilis  ausschliesslich  zugehörende  Befunde  erhalten  wir  dort,  wo  Ge- 
webe erkrankt  sind  (Knochen),  die  im  erwachsenen  Körper  andersartig  be- 
schaffen sind. 

Da  zur  Entwickelung  der  syphilitischen  Krankheitserscheinungen  eine 
geraume  Zeit  erforderlich  ist,  so  ist  es  unmöglich,  an  Früchten  aus  den  ersten 
Schwangerschaftsmonaten  zu  erkennen,  ob  sie  syphilitisch  sind  oder  nicht. 
Die  zuerst  bemerkbaren  Veränderungen,  welche  die  Lues  hervorruft,  beziehen 
sich  auf  das  Gewicht  der  Milz;  während  bei  einem  Fötus  unter  1000  ^r  die 
Milz  ca.  Veoo  des  Körpergewichtes  wiegt,  betragen  diese  Zahlen  bei  syphili- 
tischen, nicht  macerirten,  resp.  macerirten,  Früchten  V210  und  Vsoo!  der  Ge- 
wichtsunterschied zwischen  gesunder  und  syphilitischer  Leber  gewinnt  erst  in 
späteren  Monaten  grosse  Bedeutung,  bei  frischtodten  Föten  unter  2000  gr 
steigen  die  Zahlen  von   V21  ^uf  Viö^  bei  macerirten  sogar  von  1/46  auf  ^/gs- 

Am  Ende  der  ersten  Schwangerschaftshälfte  begegnen  wir  ausserdem 
noch  der  charakteristischen  Osteochondritis  syphilitica  sowie  den  Erkrankun- 
gen der  Nabelschnurgefässe.  Letztere  Affection  wird  im  5. — 7.  Schwanger- 
schaftsmonat in  ^/4  der  Fälle  angetroffen;  da  sie  aber  in  hochgradigen  Fällen 
das  Absterben  der  Frucht  bedingt,  so  wird  sie  gegen  Ende  der  Schwanger- 
schaft bedeutend  seltener.  Auch  die  anderen  Organe  sind  bei  Früchten  vor 
und  nach  dem  8.  Monat  nicht  in  gleicher  Häufigkeit  erkrankt;  ordnet  man 
in  dieser  Hinsicht  die  Fälle  von  Mewis,  so  erhält  man  folgende  Tabelle. 

33  Früchte  5—7  Monate  alt    120  Früchte  8—1  Monate  alt 

Erkranktes  Organ:  Nabelschnur  76Vo  22%0 

Knochen  64"/o  627o 

Milz  52%  837o 

Leber  4870  65% 

Nebenniere  2  Fälle  237o 

Lunge  1  Fall  147o 

Pankreas  1     „  3l7o 

Haut  (bei  nicht  macerirten  Früchten)  50^/0 
Aus  der  obigen  Zusammenstellung  erhellt,  dass  bei  Syphilis  der  Frucht 
keineswegs  am  selben  Individuum  alle  Organe  die  charakteristischen  Zeichen 
dieser  Krankheit  darbieten;  manchmal  stösst  sogar,  besonders  wenn  durch 
Maceration  der  Organe  die  Gewebsconturen  verschwommen  sind,  die  Diagnose 
auf  grosse  Schwierigkeiten.  Die  Maceration  an  sich  ist  kein  Zeichen  der 
Syphilis,  denn,  wenn  es  auch  richtig  ist,  dass  bei  der  grossen  Mehrzahl  der 
macerirten  Früchte  Symptome  von  Lues  gefunden  werden,  so  unterliegen  doch 
auch   in   utero   abgestorbene   Früchte   gesunder  Eltern   der   nämlichen  Um- 


SYPHILIS  DES  NEUGEBORENEN.  797 

Wandlung;  diejenigen  Merkmale,  welche  am  längsten  dem  Macerationsprocess 
widerstehen,  sind  die  Knochenaffection  und  das  vergrösserte  Gewicht  von 
Leber  und  Milz. 

Die  lebendgeborenen,  resp.  frischtodten  Früchte  syphilitischer  Eltern  sind 
in  der  Regel  in  der  Entwickelung  zurückgeblieben;  die  trockene,  graugelb- 
liche Haut,  welche  des  Unterhautfettgewebes  fast  gänzlich  entbehrt,  ist  in 
greisenhafte  Falten  gelegt.  In  Folge  der  Sprödigkeit  der  Haut  zeigen  sicli 
an  den  Beugestellen  der  Gelenke  und  dort,  wo  Haut  in  Schleimhaut  übergeht, 
Risse  und  Schrunden.  An  Handteller  und  Fusssohle  ist  jedoch  die  Haut 
auffallend  zart,  glatt  und  glänzend;  hier  ist  auch  der  Lieblingssitz  des  für 
hereditäre  Syphilis  charakteristischen  Exanthems. 

Das  bullöse  Syphilid,  welches  bei  acquirirter  Lues  ausserordentlich 
selten  beobachtet  wird,  ist  die  Hautaflection,  welche  syphilitische  Kinder  am 
häufigsten  mit  auf  die  Welt  bringen;  in  der  ersten  Lebenswoche  kommt  der 
Pemphigus  noch  öfters  bei  anscheinend  gesund  geborenen  Kindern  zum  Aus- 
bruch, fast  nie  nach  der  zweiten  Woche,  je  später  er  sich  einstellt,  um  so 
günstiger  ist  die  Prognose  quoad  vitam.  Die  mit  Eiter  gefüllten  erbsengrossen 
und  grösseren  Blasen  confluiren  nicht  selten;  platzt  dann  die  Epidermisdecke 
und  tritt  dadurch  das  nässende  rothe  Corium  zu  Tage,  so  sehen  bisweilen 
grössere  Hautpartien  wie  geschunden  aus;  hierdurch  und  durch  die  für 
syphilitische  Exantheme  eigenthümliche  symmetrische  Anordnung,  sowie  durch 
die  erwähnte  Vorliebe  für  die  sonst  selten  befallenen  Handteller  und  Fuss- 
solilen,  unterscheidet  sich  der  syphilitische  von  dem  nicht  syphilitischen 
Pemphigus  der  Neugeborenen. 

Das  maculöse  und  papulöse  Syphilid  ist  in  den  ersten  Lebens- 
tagen entschieden  viel  seltener  als  das  bullöse,  doch  kommen  öfter  solche 
HautaiEfectionen  zusammen  mit  Pemphigus  palmaris  et  plantaris  vor.  Das 
maculöse  Exanthem  unterscheidet  sich  von  der  Roseola  Erwachsener  dadurch, 
dass  es  statt  lebhaft  roth,  schmutzig  braun  ist  und  das  sonst  meist  freiblei- 
oende  Gesicht  bedeckt,  welches  auch  von  dem  papulösen  Ausschlag  nicht 
verschont  wird.  Der  tertiären  Periode  angehörige  Erscheinungen  werden  auf 
der  Haut  in  den  ersten  Lebenstagen  nicht  beobachtet. 

Erkrankungen  der  Schleimhäute  spielen  beim  Neugeborenen  ab- 
gesehen von  der  Coryza  syphilitica,  welche  bisweilen  in  der  ersten  Lebenszeit 
schon  so  heftig  ist,  dass  sie  am  Saugen  hindert,  eine  untergeordnete  Rolle; 
bemerkenswerth  ist  jedoch,  dass  die  bei  Erwachsenen  seltene  .Danws^/p/wY^'s  bei 
der  Section  syphilitischer  Neugeborener  hin  und  wieder  angetroflen  wird. 
Ausser  speckigen  Geschwüren  mit  infiltrirten  Rändern,  welche  einzeln  aber 
auch  in  grosser  Anzahl  im  Dünndarm  auftreten,  kommen  diffuse  Infiltrationen 
der  Darmwand  vor;  es  mag  dahingestellt  bleiben,  ob  solche  Affectionen  mit 
der  öfters  bei  syphilitischen  Kindern  beobachteten  Verstopfung  in  Zusammen- 
hang zu  bringen  sind. 

Eine  Form  der  Syphilis,  die  ausschliesslich  dem  Neugeborenen  zukommt, 
ist  die  Syphilis  des  Nabe  Ist  rang  es.  Bei  vielen,  namentlich  macerirten 
Früchten  hat  eine  gummöse  Wucherung  der  Nabelvene  (hauptsächlich  der  In- 
tima)  zu  diffusen  Verdichtungen  der  Gefässwandungeu  oder  auch  zu  ringför- 
miger Stenosirung  geführt;  weiteren  Untersuchungen  ist  es  noch  vorbehalten, 
die  Beziehungen  der  manchmal  vorkommenden  Periarteriitis  zur  Syphilis 
sicherzustellen.  Von  Wichtigkeit  ist  die  Syphilis  der  Nabelgefässe  in  klinischer 
Beziehung,  da  die  s,  g.  idiopathische  Nabelblutung  öfters  Kinder  betrifit, 
deren  Section  die  Merkmale  der  Syphilis  erkennen  lässt.  Auf  einer  Erkran- 
kung der  kleinen  und  kleinsten  Gefässe  beruht  auch  wahrscheinlich  die  recht 
seltene  Syphilis  hämorrhagica;  bei  dieser  Krankheitsform,  welche  meist  früh- 


798  SYPHILIS  DES  NEUGEBORENEN. 

geborne,  frisclitodte  oder  höchstens  wenige  Tage  lebende  Früchte  betrifft,  findet 
man  neben  den  Zeichen  heftiger  Syphilis  zahlreiche  Blutungen  in  der  Haut 
auf  den  Schleimhäuten  und  in  den  inneren  Organen. 

Specifisch  für  hereditäre  Syphilis  ist  die  Koche n erkrank ung  in  der 
Ossicationszone;  am  häufigsten  und  ausgesprochensten  erscheint  diese 
Affection  an  der  unteren  Epiphysengrenze  des  Femui-,  an  welcher  Stelle  nor- 
maler Weise  der  Knochenbildungsprocess  am  energischesten  vor  sich  geht. 
Durchschneidet  man  einen  Röhrenknochen  eines  neugeborenen  Kindes,  so 
findet  man  zwischen  Diaphysen-Knochen  und  Epiphysen-Knorpel  eine  feine 
bläulichweise  Linie,  welche  deutlich  sichtbar  wird,  wenn  man  den  Knochen 
längere  Zeit  in  Wasser  legt  (Gueein'sche  Linie);  bei  macerirten,  nicht  syphi- 
litischen Früchten  kann  diese  Schicht  ^/^  bis  V2  '>n'>'^  Dicke  erreichen.  Nach 
Wegener  besteht  nun  die  Osteochondritis  syphilitica  darin,  dass  die  Wucherung 
der  Knorpelzellen  das  physiologische  Mass  überschreitet,  während  gleichzeitig 
die  Umwandlung  der  verkalkten  Knorpelsubstanz  in  Knochen  verzögert  ist. 
Im  ersten  Stadium  des  Krankheitsprocesses  ist  die  Gueein'sche  Linie  bis  auf 
2  mm  verbreitert,  weisslichroth  gefärbt  und  gezackt,  im  weiteren  Verlauf 
wird  diese  Schicht  immer  dicker  und  in  Folge  vorspringender  Zacken  un- 
regelmässiger begrenzt;  in  hochgradigen  Fällen  kommt  es  zur  Lockerung,  so- 
gar Abtrennung  zwischen  Epi-  und  Diaphyse  als  Folge  einer  durch  ungünstige 
Circulationsverhältnisse  eintretenden  Nekrobiose. 

Während  beim  Erwachsenen  Syphilis  der  L u n g e  nur  selten  beobach- 
tet wird,  ist  diese  Erkrankung  für  den  Neugeborenen  von  grosser  Bedeutung; 
ein  beträchtlicher  Theil  der  syphilitischen  Kinder  geht  zu  Grunde,  weil  in 
Folge  von  ausgebreiteter  Lungensyphilis  dieses  Organ  zum  Athmen  ungeeignet 
geworden  ist.  Bei  hochgradiger  Erkrankung  ist  das  Volumen  vergrössert, 
Rippeneindrücke  zeichnen  sich  auf  der  blassrothen,  zum  Theil  weissen  Ober- 
fläche ab  (weisse  Hepatisation);  auf  dem  Durchschnitt  ist  das  Gewebe  blass,  derb, 
luftleer.  Das  Mikroskop  lässt  Wucherung  des  Bindegewebes,  einmal  mehr 
des  interal volaren,  das  andermal  mehr  des  interlobulären  erkennen.  Gummöse 
Knoten  treten  seltener  und  meist  nicht  sehr  zahlreich  in  der  Lunge  auf,  sie 
werden  am  häufigsten  im  unteren  Lappen,  oft  in  der  Nähe  der  Pleura  ge- 
funden; die  Syphilome  sind  meist  nicht  grösser  als  eine  Erbse  und  zeigen  auf 
dem  Durchschnitt  einen  gelblichen  Kern,  bisweilen  erreichen  sie  Wallnuss- 
grösse  und  gehen  im  Inneren  in  käsigen  Zerfall  über. 

Eines  der  constantesten  Zeichen  für  angeborene  Syphilis  ist,  wie  bereits 
erwähnt,  die  Erkrankung  der  Leber;  in  ihrem  geringsten  Grad  besteht 
diese  Affection  in  einer  Wucherung  des  periportalen  Bindegewebes.  Ist  die 
Leber  stärker  ergriffen,  so  ist  sie  bedeutend  vergrössert,  von  derb  elastischer 
Consistenz,  mattbraun  bis  gelb  gefärbt;  auf  der  Schnittfläche  sind  die  Con- 
turen  je  nach  Intensität  der  Erkrankung  mehr  oder  weniger  verwischt.  Die 
mikroskopische  Untersuchung  ergibt,  dass  es  sich  um  hochgradige  Wucherung 
des  Bindegewebes,  namentlich  in  der  Umgebung  der  Gefässe  handelt.  Mit 
dieser  Hyperplasie  zusammen,  aber  auch  allein,  kommt  es  durch  insulare  Wu- 
cherung zur  Bildung  grauer  oder  gelblicher,  feiner  bis  stecknadelkopfgrosser, 
miliarer  Knötchen,  aus  denen  bisweilen  durch  Confluenz  grössere  Gummaknoten 
entstehen.  Beschränkt  sich  die  gummöse  Wucherung  auf  das  die  Pfortader 
und  die  grossen  Gallengänge  begleitende  Bindegewebe,  so  sehen  wir  die  für 
die  Neugeborenen  charakteristische  Peripylephlebitis  syphilitica;  vom  Leber- 
hilus  aus  ragen  dicke  weisse  Schwielen  ins  Innere,  welche  die  Pfortader  und 
Gallengänge  so  hochgradig  verengen  können,  dass  Ascites,  respective  Icterus 
entsteht. 

Noch  häufiger  wie  die  Vergrösserung  der  Leber  ist  bei  syphilitischen 
Früchten  die  Volumszunahme  der  Milz. 


SYPHILIS  DER  SCHWANGERSCHAFT.  799 

Bei  gesunden  todtgeborenen  Früchten  über  2500^  ist  das  Milzgew.  V320  des 
„  frischtodten  syphil.  „  „       „         „     „         „         Vin    > 

„  macerirten  nicht  syphilit.    „  „       „         „     „         „         Vöac    > 

„  ))  sypnil.  „  „       „         „     „         „  /]^24    ) 

BiRCH  -  HiRSCHFELD  hat  sogar  bei  einer  todtfaulen  Frucht  aus  dem  9. 
Monat  ein  Milzgewicht  von  40  g  constatirt,  während  das  Normalgewicht  9  g 
beträgt.  Makroskopisch  bietet  der  Milztumor  keine  besonderen  Erkennungs- 
zeichen, nur  beträchtliche  Consistenzvermehrung  ist  zu  bemerken,  Gummata 
kommen  nicht  vor;  die  mikroskopische  Untersuchung  ergibt,  dass  es  sich 
hauptsächlich  um  Hyperplasie  des  Milzstromas  handelt.  Bei  den  übrigen 
Organen  können  wir  uns  kurz  fassen: 

In  den  Nebennieren  sehen  wir  ziemlich  oft  diffuse  fibröse  Hypertrophie, 
daneben  bisweilen  Gummata  auftreten.  In  der  Bauchspeicheldrüse  kommen 
Syphilome  nur  ausserordentlich  selten,  dagegen  hochgradige  Wucherung  des 
interstitiellen  Gewebes  recht  häufig  vor;  meist  ist  der  Kopf  der  Drüse,  welcher 
hierdurch  beträchtlich  vergrössert  wird,  Hauptsitz  der  Krankheit.  —  Die  Thy- 
mus ist  manchmal  stark  vergrössert,  mit  kleinen  Gummaknoten  durchsetzt, 
welche  in  Folge  von  Erweichung  das  Aussehen  von  Abscesshöhlen  erhalten 
können.  —  Kleine  bis  erbsengrosse  Syphilomknoten  kommen  auch  in  der 
Thyreoidea  vor.  —  Hodensyphilis  analog  der  Erkrankung  Erwachsener  wird 
hin  und  wieder  beobachtet.  Erwähnen  wir  noch,  dass  die  Mesenterialdrüsen 
häufig,  die  übrigen  Lymphdrüsen  bisweilen  angeschwollen  sind,  so  bleibt  nur 
noch  zu  berichten,  dass  in  einzelnen  Fällen  Syphilis  im  Gehirn,  Herz,  Magen, 
Peritoneum,  in  der  Niere  und  Brustdrüse  des  Neugeborenen  beschrieben 
worden  ist. 

LITTAÜER-DÖDERLEIN. 

Syphilis  der  Schwangerschaft.  Unter  den  Folgen  der  syphilitischen 
Infection  ist  keine  in  socialer  Beziehung  von  solcher  Wichtigkeit  wie  der  Ein- 
fluss  dieser  Erkrankung  auf  die  Fortpflanzung.  Syphilis  zerstört  nicht  allein 
das  Individuum,  sondern  auch  das  Geschlecht.  Eigenthümlich  ist  hierbei,  dass 
nicht  Unfruchtbarkeit  im  Sinne  der  Conceptionsbehinderung  bedingt  wd, 
sondern  dass  die  seitens  des  männlichen  oder  weiblichen  Erzeugers  auf  das  Ei 
übertragene  Syphilis  die  Ausbildung  gesunder,  lebensfähiger  Früchte  hindert. 
Es  veranlasst  die  Syphilis  also  nicht  Sterilität  durch  Störung  der  Befruchtungs- 
möglichkeit, wie  dies  z.  B.  bei  der  gonorrhoischen  Infection  bei  beiden  Ge- 
schlechtern der  Fall  ist,  sondern  sie  führt  gewöhnlich  zu  Sterilität  durch  In- 
fertilität. Nur  in  den  Fällen,  in  welchen  der  Mann  durch  Hodensyphilis  seine 
Zeugungskraft  eingebüsst  hat  oder  wo  bei  der  Frau  etwa  durch  syphilitische 
Stricturen  der  Scheide  oder  der  Cervix  der  Cohabitations-  oder  Couceptions- 
mechanismus  gestört  ist,  kann  Syphilis  zu  Sterilität  im  eigentlichen  Sinne  führen. 

DerEinfluss  der  Syphilis  auf  die  vorzeitige  Unterbrechung 
der  Gravidität  ist  ein  ganz  enormer.  Kassowitz  sah  bei  330  Gebuiteu 
in  2/5  der  Fälle  Abort  oder  Frühgeburt  eintreten;  Mewis  hat  nach  dem  Ma- 
terial der  Berliner  Frauenklinik  herausgefunden,  dass  bei  syphilitischen  Frauen 
in  33%  der  Fälle  Abort,  in  3 6^0  Frühgeburt  erfolgt.  Bedenkt  man,  dass  bei 
vielen  Aborten  in  den  ersten  Schwangerschaftsmonaten  keine  ärztliche  Hilfe 
verlangt  wird,  so  ist  es  entschieden  noch  zu  niedrig  gerechnet,  wenn  man  an- 
nimmt, dass  in  %  der  Fälle  die  Gravidität  vorzeitig  unterbrochen  wird;  unter 
den  übrigbleibenden  %  befindet  sich  noch  eine  grosse  Anzahl  todtgeborener 
oder  lebensunfähiger  Kinder. 

Den  richtigen  Eindruck  von  der  verheerenden  Wirkung  der  Syphilis  erhält 
man  erst  dann,  wenn  man  bei  der  statistischen  Zusammenstellung  specifisch 
behandelte  von  den  nicht  behandelten  Fällen  trennt,  wie  es  Etienne  gethan  hat: 


800 


SYPHILIS  DER  SCHWANGERSCHAFT. 


17     CIO    •  1,+  1.^-ko^     Von  15  vor  (5)  oder 
delten  Frauen        gchwngsch.beh.Fr 


haben  abortirt 


sind  frühzeitig  niedergekommen 


mit  todter  Frucht 
mit  lebend. Frucht 


0 


sind  frühzeitig  niedergekommen 


mit  todter  Frucht 


mit  lebend.  Frucht 


12 


Die  Zahlen  sind  zwar  niclit  gross,  doch  sprechen  sie  deutlich. 

Als  charakteristisches  Zeichen  für  S'yphilis  gilt,  dass,  falls  nach 
einer  Fehlgeburt  abermals  Schwangerschaft  eintritt,  auch  diese  wieder  vor- 
zeitig unterbrochen  wird,  jedoch  bei  einem  späteren  Entwicklungsstadium  der 
Frucht.  Stellen  sich  später  rechtzeitig  geborene  Kinder  ein,  so  ist  das  fol- 
gende immer  schwächer  afficirt  als  das  vorhergehende;  auf  todtgeborene  und 
lebensunfähige  Kinder  folgen  immer  weniger  syphilitisch  kranke  bis  schliesslich 
Kinder  geboren  werden,  die  gesund  sind  und  bleiben.  Mit  dem  Erlöschen  der 
Ansteckungsfähigkeit  erlischt  auch  die  Vererbungsfähigkeit  der  Syphilis,  aber 
während  beim  Manne  diese  Regel  nur  selten  Ausnahmen  zulässt,  kommt  es 
noch  oft  vor,  dass  tertiär  syphilitische  Frauen  Kinder  gebären,  welche  früher 
oder  später  der  ererbten  Krankheit  verfallen.  So  wie  die  Zeit  die  Gefahr  der 
Syphilisvererbung  mindert,  thut  es  auch  eine  richtig  geleitete  Behandlung; 
nach  einer  schwier  syphilitisch  kranken  Frucht  kann  ein  vollkommen  gesundes 
Kind  gezeugt  werden,  wenn  sich  inzwischen  die  Eltern  einer  Quecksilbercur 
unterzogen  haben. 

Etwas  eingehender  müssen  wir  noch  die  Fälle  betrachten,  in  denen  eine 
zur  Zeit  der  Conception  gesunde  Mutter  eine  syphilitische  Frucht  erzeugt. 
Trotz  genauester  Untersuchung  und  lang  fortgesetzter  Beobachtung  lässt  sich 
nicht  gar  so  selten  keinerlei  Zeichen  von  Syphilis  an  solchen  Frauen  entdecken; 
dass  aber  die  Mütter  syphilitischer  Kinder  auch  in  diesem  Fall  nicht  für  gesund 
erklärt  werden  können,  wird  dadurch  bewiesen,  dass  das  Säugen  ihrer  oder 
anderer  luetischer  Kinder  ebensowenig  wie  eine  Impfung  mit  virulentem 
syphilitischem  Gift  specifische  Krankheitserscheinungen  hervorruft.  Ob  nun  die 
Mutter  von  Seiten  der  Frucht  durch  die  Placenta  hindurch  inficirt  worden  ist 
und  dieser  Infectionsmodus  einen  abnorm  leichten  Verlauf  bedingt,  oder  ob  eine 
durch  Stoffaustausch  zwischen  Foetus  und  Mutter  erfolgte  Immunisirung  vor- 
liegt, mag  dahingestellt  bleiben.  Das  Schicksal  der  Frucht  hängt  unter  diesen 
Umständen  allein  vom  Alter  und  der  Schwere  der  väterlichen  Erkrankung  ab. 

Wenn  aber  auch  Vater  und  Mutter  bei  der  Zeugung  gesund  waren,  so 
kann  doch  noch  die  Frucht  syphilitisch  erkranken,  falls  sich  die  Mutter  nach 
erfolgter  Befruchtung  noch  inficirt;  in  je  früherer  Schwangerschaftszeit  die 
Ansteckung  erfolgt,  um  so  schwerer  wird  die  Frucht  erkranken,  je  später  die 
Mutter  die  Lues  acquirirt,  um  so  günstigere  Aussicht  hat  das  Kind,  von  der 
Syphilis  verschont  zu  bleiben.  Ein  besonderes  Missgeschick  gehört  dazu,  wenn 
sich  das  Neugeborene,  wie  einmal  beobachtet,  am  mütterlichen  Primäraffect 
inficirt. 

Die  eben  dargelegte  Auffassung,  welche  annimmt,  dass  die  Placenta  für 
das   Syphilisgift  durchlässig   ist,   hat  nicht  wenige  und  dabei  manche 


SYPHILIS  DER  SCHWANGERSCHAFT.  801 

hervorragende  Gegner  gefunden.  Nach  deren  Ansicht  wird  die  Syphilis  der 
Frucht  nur  bei  der  Conception  durch  Ei  oder  Sperraa  zugetragen;  blieb  das 
Ovulum  bei  der  Befruchtung  gesund,  ■so  wird  es  auch  durch  eine  während  der 
Tragzeit  der  Mutter  erworbene  Syphilis  nicht  inficirt,  ebensowenig  inficirt  eine 
syphilitische  Frucht  die  Mutter  während  des  intrauterinen  Lebens. 

Unrichtige  Beobachtungen  und  fehlerhafte  Schlussfolgerungen  werfen  die 
Verfechter  der  beiden  Theorien  sich  gegenseitig  vor. 

Es  will  uns  nicht  richtig  erscheinen,  die  Placenta  als  eine  Schutzmauer 
gegen  Syphilis  zu  betrachten;  für  Gase  und  eine  Pteihe  löslicher  Substanzen 
ist  der  Beweis  der  Durchlässigkeit  geliefert,  auch  dieselben  Bakterienarten  sind 
mehrfach  in  mütterlichen,  placentaren  und  fötalen  Geweben  gefunden  worden, 
sogar  für  Malaria  will  Rollock  den  Uebergang  sichergestellt  haben  und  das 
unbekannte  Virus  der  Syphilis  sollte  die  Placenta  nicht  durchdringen  können. 
Es  muss  freilich  zugegeben  werden,  dass  noch  nicht  bewiesen  ist,  dass  die 
normale  Placenta  für  corpusculäre  Elemente  durchgängig  ist,  es  muss  weiter 
zugegeben  werden,  dass  die  Verfechter  der  Permeabilitäts-Theorie  für  ihre  Be- 
hauptung bisher  keine  pathologisch-anatomischen  Beweise  haben  beibringen 
können,  aber  die  pathologische  Anatomie  der  Placenta  liegt  überhaupt  noch 
etwas  im  Argen. 

Die  Placenta  syphilitischer  Früchte  ist  verhältnissmässig  grösser 
und  schwerer  als  der  normale  Mutterkuchen,  was  besonders  bei  der  meist 
unter  der  Norm  bleibenden  Entwicklung  der  Früchte  auffällt;  das  Gewebe  ist 
weniger  intensivroth  gefärbt,  zeigt  einen  blassgrauen  Schimmer;  die  Coty- 
ledonenzeichnung  ist  mehr  weniger  verschwommen,  auch  die  Schnittfläche  ho- 
mogener als  gewöhnlich.  Amnion  und  Chorion  sind  ab  und  zu  durch  Einla- 
gerung feinkörniger  Massen  verdickt  und»  getrübt,  stellenweise  miteinander 
verklebt.  Oefters  finden  sich  im  Placentargewebe  Syphilitischer  zahlreiche 
kleine  bis  bohnengrosse  Knötchen  eingesprengt,  welche  viel  Aehnlichkeit  mit 
dem  weissen  Infarct  der  Placenta  haben.  Nach  den  Einen  (z.  B.  Küstner) 
sind  sie  charakteristisch  für  Syphilis,  sie  unterscheiden  sich  von  der  erwähnten 
Affection  dadurch,  dass  sie  verhältnismässig  kleiner  sind,  dass  sie  auf  dem 
Durchschnitt  weniger  weiss  erscheinen  und  meist  an  der  uterinen  Fläche  vor- 
gefunden werden,  während  die  fötale  der  Lieblingssitz  für  den  Infarct  ist. 
Andere  geben  zwar  zu,  dass  Fibrinbildungen  in  den  Placenten  Syphilitischer 
häufiger  als  gewöhnlich  vorkommen,  erklären  aber  die  erwähnten  Knötchen 
als  ebensowenig  specifisch  für  Lues  wie  die  oft  beobachtete  fettige  Degene- 
ration. Für  die  vermehrte  Fibrinausscheidung  will  Peinzing  eine  Erkrankung 
der  Placentargefässe  in  Analogia  der  endarteriitischen  Processe  bei  Hirnlues 
verantwortlich  machen. 

Als  echt  syphilitische  Veränderung  gilt  die  zuerst  von  Viechow  beschrie- 
bene Endometritis  placentaris  gummosa^  welche  jedoch  recht  selten  beobachtet 
wird.  Diese  Erkrankungsform  betrifft  nur  mütterliches  Gewebe,  sie  geht  hervor 
aus  einer  gummösen  Wucherung  der  'Serotina.  Die  in  das  Gewebe  der  Coty- 
ledonen  sich  versenkenden  Knoten  bestehen  aus  einer  weissgrauen,  festen, 
fibrösen  Schale  und  einer  gelblichen,  w^eicheren  Mittelmasse. 

Von  grösserer  Wichtigkeit  ist  die  deformirende  Granulationszellwucherung 
der  Placentarzotten  (E.  Fraenkel)  deren  Nachweis  für  die  meisten  Pathologen 
und  Geburtshelfer  (Ausnahme  z.  B.  J.  Veit)  die  Diagnose  Syphilis  sicherstellt. 
Die  Zotten  sind  geschw^ollen,  von  plumper  Gestalt,  dicht  aneinander  gedrängt; 
das  Zottenepithel  ist  zum  Theil  zerstört,  an  anderen  Stellen  lässt  sich  eine 
Proliferation  des  Epithels  erkennen.  Der  Zottem-aum  ist  mit  kleinen  bis 
mittelgrossen  Zellen  angefüllt,  welche  aus  den  Gefässen  stammen;  wo  diese 
Zellwucherungen  besonders  stark  sind,  können  dadurch  Gefässe  comprimirt 
werden,  so  weit,  dass  sie  ganz  unw^egsam  w'erden.  Wenn  die  Verödung  der 
Zottenräume  in  grösserer  Verbreitung  vorkommt,   so  ist  Fruchttod  die  Folge. 

Bibl.  med.  Wissenschaften.     I.  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  '^'- 


802  SYPHILIS  DER  SCHWANGERSCHAFT. 

Hat  trotz  bestehender  Syphilis  die  Schwangerschaft  ihr  normales  Ende 
erreicht,  so  verläuft,  falls  nicht  luetische  Affectionen  der  Geschlechtstheile  ein 
Hinderniss  abgeben,  die  Geburt  ungestört.  Ausgebreitete  Induration  um  den 
Primäraffect,  ödematöse  Schwellung  der  grossen  Labien,  syphilitische  Narben, 
können  zu  heftigen  Verletzungen  und  starken  Blutungen  Anlass  geben,  wenn 
nicht  durch  Incisionen  geholfen  wird.  Luetische  Erkrankungen  der  Scheide 
disponiren  ebenfalls  zu  Verwundungen  in  Folge  der  Elasticitätsverminderung; 
bei  der  seltenen  perivaginitis  syphilitica  ist  sogar  die  Scheide  in  ein  dick- 
wandiges starres  Eohr  verwandelt  (Biech-Hirschfeld). 

Die  Hauptstörungen  der  Geburten  Syphilitischer  gehen  aber 
von  der  Portio  vaginalis  uteri  aus.  Weniger  das  syphilitische  Geschwür  der 
Portio,  als  die  nach  erfolgter  Heilung  zurückbleibende,  manchmal  sehr  beträcht- 
liche Narbe  wird  zum  Geburtshinderniss.  Bisweilen  mag  auch  eine  Spätform 
der  Syphilis,  wie  bei  einer  Patientin  von  Mesnard  der  Entfaltung  des  Mutter- 
mundes hinderlich  sein;  vielfach  aber  documentirt  sich  bei  Syphilitischen  eine 
Rigidität  der  Portio,  ohne  dass  ein  localer  Krankheitsherd  an  dieser  Stelle  nach- 
zuweisen wäre.  Die  häufige  Starre  des  Cervicalgewebes  erklärt  auch,  dass 
Sigmund  bei  Luetischen  verhältnismässig  oft  Cervixrisse  constatiren  konnte. 
Gelingt  es  der  Kraft  der  Wehen  nicht  den  Widerstand  des  indurirten  Gewebes 
zu  überwinden,  so  wird  Kunsthilfe  nöthig;  selbst  tiefe  Incisionen  genügen  nicht 
immer,  Wendung  (Pütegnat)  oder  Zange  {Putegnat,  Martinetti,  Mesnard,  Blanc) 
kann  erforderlich  w^erden. 

Die  erwähnten  Geburtstraumata  sind  auch  die  Hauptursache  davon, 
dass  Fieber  im  Wochenbett  Syphilitischer  recht  häufig  ist,  auch  bilden 
Wunden  im  syphilitischen  Gewebe  eine  um  so  grössere  Gefahr,  weil 
sie  eine  geringe  Heilungstendenz  haben,  ein  Umstand,  der  selbst  bei  grösseren 
Weichtheilsverletzungen  Anlass  gibt  von  der  Wundnaht  Abstand  zu  nehmen; 
finden  sich  nun  noch  an  den  Genitalien  eiternde  Geschwüre  oder  nässende 
Papeln,  so  ist  reichlich  Gelegenheit  zu  einer  Infection  gegeben. 

Das  Fieber  syphilitischer  Wöchnerinnen  ist  nicht  auf  andere  Weise 
zu  erklären  wie  Temperatursteigerungen  in  sonstigen  Fällen;  für  ein  specifisches 
Wochenbettfieber,  von  dem  Mewis  redet,  gibt  es  keine  Anhaltspunkte.  Die 
Puerperalaffectionen  verlaufen  meist  leicht;  verhältnismässig  häufig  sind,  wohl 
in  Folge  von  Cervixverletzungen,  Parametritiden.  An  Sepsis  starb  von  625 
syphilitischen  Wöchnerinnen  des  Hopital  Loucrine  Pastal  nur  eine,  welche  in- 
ficirt  ins  Krankenhaus  gebracht  war. 

Der  Verlauf  der  Syphilis  in  der  Schwangerschaft  zeigt  einige 
Abweichungen  vom  Normalen,  weil  die  vermehrte  Fluxion  nach  den  Genitalien 
diese  Gewebe  blut-  und  saftreicher  macht,  sie  auflockert  und  anschwellen  lässt. 
Der  Primärajffect  erscheint  intensiver  gefärbt,  secernirt  reichlicher,  ruft  grössere 
Gewebsdefecte  hervor  und  zeigt  eine  geringere  Heilungstendenz;  ausserdem 
zeichnen  sich,  in  Folge  der  vermehrten  Absonderung  der  Genitalien  die  breiten 
Condylome  durch  starke  Entwicklung  aus. 

Ein  weiterer  Einfluss  der  Schwangerschaft  auf  den  Krankheits verlauf  wird 
von  vielen  geleugnet:  nach  anderen  aber  (Augagneur)  ist  das  Eruptionsfieber 
von  besonderer  Intensität  und  Hartnäckigkeit,  und  das  universelle  Exanthem 
sehr  ausgebreitet  und  stark  pigmentirt.  Augagneur  betrachtet  auch  bei  solchen, 
welche  ante  graviditatem  inficirt  wurden,  die  Schwangerschaft  als  Gelegenheits- 
ursache für  Syphilisrecidive. 

Was  die  Therapie  anbetrifft,  so  ist  die  Allgemeinbehandlung  mit  Queck- 
silber in  der  Schwangerschaft  nicht  nur  gestattet,  sondern  sowohl  im  Interesse 
von  Mutter  als  Kind  dringend  erforderlich;  wir  brauchen  diesbezüglich  nur  auf 
die  Statistik  von  Etienne  und  das  über  Geburt  und  Wochenbett  Syphilitischer 
Gesagte  zurückzuweisen.  Bei  der  localen  Behandlung  ist  wegen  der  in  der 
Schwangerschaft  gesteigerten   Aufsaugungsfähigkeit   der   Genitalien   Vorsicht 


TETANUS  UTERI.  803 

beim  Gebrauch  des  Sublimats  erforderlich;  erschwert  wird  die  Tjohandlunj^  durch 
die  überreichliche  Secretion.  Seihst  einer  energischen  Therapie  leisten  aber 
die  localen  Krankheitserscheinungen  in  der  Gravidität  bisweilen  Widerstand, 
während  sie  im  Wochenbett  entsprechend  der  gesteigerten  Ilesorptionsthätigkeit 
manchmal  ohne  jede  Behandlung  verschwinden.  littauer-döderlein. 

Tetanus  uteri.  Unter  diesem  Namen  versteht  man  einen  tonischen 
Contractionszustand  des  Uterus.  Der  Uterus  ist  andauernd  bretthart,  liegt 
dem  Kind  fest  an,  so  dass  ein  Eindringen  der  Hand  zwischen  Kind  und 
Uterus  unmöglich  ist.  Ein  Wechsel  zwischen  Contraction  und  Erschlaffung 
fehlt  vollständig,  die  Kreissenden  haben  andauernd  heftige  Schmerzen.  Die 
Ursachen  des  Tetanus  sind  folgende:  Unüberwindliche  Widerstände  (enges 
Becken,  Querlage,  Hydrocephalus),  missglückte  Entbindungsversuche,  rohe  und 
häufige  manuelleDehnungen  des  Muttermundes,  Seeale.  Da  ein  Musl^el  bei  an- 
dauernder Contraction  keine  Arbeit  mehr  leistet,  so  steht  die  Geburt  still.  In- 
folge dessen  kommt  es  auch  nicht  zur  Uterusruptur,  falls  nicht  etwa  vor  Ausbil- 
dung des  Tetanus  schon  eine  stärkere  Ausziehung  des  unteren  Uterin  Segmentes 
bestand.  Sehr  häufig  stirbt  dagegen  die  Kreissende,  selbst  nach  glücklicher  Entbin- 
dung an  Sepsis,  für  deren  Entstehung  die  aetiologischen  Vorbedingungen  des 
Tetanus  ebenfalls  günstige  sind,  insofern  die  zum  Tetanus  führenden  schweren 
Geburten  häufige  interne  Explorationen  veranlassen.  Auch  für  die  Kinder  ist 
der  Tetanus  uteri  sehr  ungünstig,  weil  die  Kinder  infolge  der  Beschränkung  der 
Sauerstoffzufuhr  zur  Placenta  in  der  Regel  an  Asphyxie  zu  Grunde  gehen. 
Ein  wirklicher  Tetanus  uteri  wird  durch  Chloroformnarcose  nicht  beseitigt, 
ebensowenig  hat  Verfasser  diesen  Erfolg  nach  den  von  Feänkel  empfohlenen 
combinirten  Injectionen  von  Morphium-  0-01— 0' 03  und  Atropin  0-001  ein- 
treten sehen. 

Verfasser  hält  daher  die  Anwendung  von  verschiedenen  narcotischen 
Mitteln  bei  Tetanus  uteri  für  contraindicirt,  da  sie  den  Tetanus  doch  nicht 
beseitigen  und  die  schon  geschwächte  Kreissende  durch  die  Möglichkeit  einer 
fettigen  Degeneration  lebenswichtiger  Organe  in  Lebensgefahr  bringen.  Es  ist 
daher  bei  Tetanus  uteri  nur  eine  kurze  Narcose  zum  Zweck  der  schleumigen 
Entbindung  als  rationell  zu  bezeichnen:  denn  ohne  Entbindung  geht  die 
Kreissende,  falls  nicht  Uterusruptur  erfolgt,  an  Sepsis  zu  Grunde. 

Die  entbindende  Operation  kann  niemals  in  der  Wendung  bestehen. 
Denn  wenn  wirklich  die  operirende  Hand  bis  zu  den  Füssen  gelangt,  so  ist 
eine  Umdrehung  wegen  fester  Umschnürung  der  Frucht  unmöglich,  höchstens 
kann  es  bei  einem  forcirten  Wendungsversuch  zur  Uterusruptur  oder  zur 
Abreissung  des  Uterus  von  der  Scheide  kommen  (perforirende  Scheidenruptur, 
Kolpaporrhexis).  Handelt  es  sich  um  eine  Querlage,  so  ist  bei  todter  Frucht 
die  Zerstückelung  des  Kindes  indicirt.  Dieselbe  kann,  weil  bei  Tetanus  uteri 
der  vorliegende  Theil  manchmal  sehr  hoch  steht,  und  der  Cervix  nur  mangel- 
haft entfaltet  ist,  recht  schwierig  sein,  so  dass  unter  diesen  Umständen  Ver- 
fasser bei  lebendem  Kind  und  unter  günstigen  äusseren  Verhältnissen  (genü- 
gende Assistenz,  Möglichkeit  des  Transportes  in  eine  Klinik)  den  Kaiserschnitt 
für  die  technisch  einfachere  Operation  hält. 

Liegt  der  Schädel  vor  und  steht  er  im  Becken,  bezw.  lässt  er  sich  in 
das  Becken  hineindrücken,  so  ist  bei  lebendem  Kind  die  Zangenextraction 
indicirt.  Ist  das  Kind  todt,  so  ist  die  Perforation  in  all  den  Fällen  vorzu- 
nehmen, wo  die  Zange  schwierig  erscheint,  ferner  in  allen  Fällen,  wo  dei' 
Schädel  über  dem  Becken  steht,  mag  das  Kind  leben  oder  nicht.  Wenn  ausser 
dem  Tetanus  auch  Erscheinungen  von  Sepsis,  bezw.  Sapriämie  vorhanden  sind  wie 
Fieber,  übelriechender  Ausfluss,  Tympania  uteri,  so  ist  nach  der  Extraction 
des  Kindes  auch  die  Placenta  bald  zu  exprimiren,  um  dann  den  Uterus  mit 
mehreren  Litern  einer  l"/oigen  Lysol-  oder    S^oigen   Carbolsäurelösung   aus- 

51* 


804  THROMBUS  VAGINAE  ET  VULVAE. 

zuspülen.  Misslingt  der  CuEDE'sche  Handgriff,  so  ist  die  Uterusspülung  sofort 
auszuführen,  die  Placenta  manuell  zu  lösen  und  der  Uterus  nochmals  auszu- 
spülen. DÜHRSSEN. 

Thrombus  Vaginae  et  vulvae.  (Aneurysma  spurium,  besser  gesagt, 
Haematoma,  respective  Haematoma  dissecans  vulvae  et  vaginae.)  Unter  diesem 
Namen  versteht  man  eine  in  der  weitaus  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle 
sub  partu  oder  sehr  bald  nach  Ausstossung  des  Kindes  entstehenden  Blut- 
ergiessung  in  das  perivaginale  also  die  Scheide  umgebende  Zellgewebsparenchym, 
sowie  in  die  subcutanen  Zellgewebsschichten  der  Vulva  und  des  benachbarten 
Dammes.  Derartige  Apoplexien  zu  parenchymatösen,  submucösen  und  subcu- 
tanen Blutergüssen  führend,  sind  die  Folge  submucöser  und  subcutaner  Blut- 
gefässzerreissung,  Angiorrhexis.  Entweder  plötzlich  entstehend  durch  einen 
heftigen  traumatischen  Insult  auf  vorher  intactes  Gewebe  oder  schon  vor- 
bereitet durch  vorausgegangene  langandauernde  Compression,  Zerrung,  Quet- 
schung der  Gewebe,  die  zur  Drucknekrose  führen  kann  und  damit  leicht  zu 
einer  Gefässläsion.  Diese  Blutergüsse  sind  in  der  weitaus  grössten  Mehrzahl 
venöser  Natur  und  liegt  eine  gewisse  Prädisposition  in  der  Stauungshyperämie 
sub  graviditate,  namentlich  sub  partu,  denn  wenn  auch  die  äussere  Wand- 
schicht der  Venen  eine  Verdickung  erfahren  hat,  so  befindet  sich  die  Media 
in  einem  Zustande  der  Atrophie.  Es  ist  verständlich  wie  es  gelegentlich  bei 
präcipitirtem  Vorrücken  des  Kopfes,  Sturzgeburten,  schweren  Geburten  bei 
räumlichem  Miss  Verhältnis  zu  derartigen  Blutgefässusureu,  Quetschungen  und 
Zerreissungen  kommen  kann. 

Erfolgt  die  Gefässzerreissung  ohne  eine  gleichzeitige  äussere  Wunde,  so 
wird  ein  intraparenchymatöser  Bluterguss  entstehen,  ist  aber  gleichzeitig  eine 
äussere  Wunde  gesetzt  in  die  Schleimhaut  oder  den  äusseren  Hautbedeckungen, 
welche  mit  der  Gefässzerreissung  in  Verbindung  steht,  also  correspondirt,  so 
wird  eine  Blutung  nach  aussen  erfolgen.  Bei  momentan  wirkenden,  stärkeren 
traumatischen  Insulten  wird  sofort  eine  völlige  Gefässzerreissung  und  Blutung 
entstehen,  falls  aber  der  traumatische  Insult  nur  eine  Druckusur  setzte,  die 
erst  später  zur  Nekrose  des  Gefässes  führte  oder  bei  einem  neuen  nachfol- 
genden Trauma,  so  wird  die  Lücke  in  der  Gefässwand  und  Blutung  natürlich 
erst  später  entstehen.  Davon  also  hängt  es  also  ab,  wenn  einmal  die  Blutge- 
schwulst sofort  während  der  Geburt  entsteht,  ein  andermal  erst  einige  Stunden 
später.  Selbstverständlich  können  solche  Blutungen  an  jeder  Stelle  des  Ge- 
nitaltractus  stattfinden,  welche  traumatischen  Einflüssen  ausgesetzt  ist,  die  in 
dieser  Weise  durch  Abscheuerung,  Quetschung  etc.  wirken  können. 

Sowie  die  periuterinen  Blutergüsse  bei  Perforation  des  Peritoneum  also 
bei  einer  perforirenden  Uterusruptur  entstehen,  sowie  die  subserösen  Blut- 
ergüsse entstehen  bei  inkompleten  Rupturen  ohne  Perforation  des  Peritoneum, 
ebenso  ist  ein  weites  Feld  für  allerhand  perivaginale,  subraucöse,  und  vulväre, 
subcutane,  parenchymatöse  Verletzungen  und  Blutungen  sub  partu  gegeben. 
Je  nach  dem  Sitze  solcher  Blutergüsse  ist  die  Bezeichnung  eine  verschiedene. 
Zu  dem  Hämatoma  vaginae  gehören  unter  anderen  auch  Blutergüsse,  welche 
hoch  hinauf  in  das  grosse  Becken,  ja  bis  in  die  Nierengegend  hinauf,  bis  zur 
Nabelhöhe  etc.  das  Bauchfell  ablösen,  Cazeaux  beschrieb  z.  B.  einen  solchen 
Bluterguss,  der  vorn  bis  zur  Nabelhöhe  das  Peritoneum  parietale  abgelöst 
hatte,  hinten  bis  in  das  eine  Hypochondrium  hinaufreichte.  Streng  genommen 
ist  die  Nomenclatur  nicht  ganz  richtig,  solche  Fälle  als  Hämatoma  vaginae 
et  vulvae  zu  rubriciren,  ein  Kriterium  könnte  sich  wohl  daraus  ergeben,  wo 
das  zerrissene  Gefäss  sich  befand,  von  wo  die  Blutung  ausging,  aber  wie  oft 
gelingt  es  denn  spCciell  bei  so  grossen  Blutergüssen  selbst  bei  einer  Nekropsie 
die  Quelle  der  Blutung  auch  vdrklich  festzustellen?  Die  Bezeichnung  muss 
also  cum  grano  salis  aufgefasst  werden!  Hugenberger  wollte  in-  und  ausser- 


THROMBUS  VAGINAE  ET  VULVAE.  805 

halb  des  Beckens  liegende  Blutergüsse  unterscheiden,  eine  Eintheilung,  die  sich 
jedoch  nicht  halten  liess,  da  der  Blutcrguss  sich  einmal  nacl)  oben,  ein  ander- 
mal mehr  nach  unten  gegen  den  Beckonausgang  hin  ausbreitete.  Gewöhnlich 
ragen  grosse  Thromben  in  den  Beckenausgang  hinein  aber  niclit  immer. 
V.  WiNCKEL  wollte  deshalb  Blutungen  oberhalb  und  unterhalb  des  Diaphragma 
pelvis  auseinanderhalten,  weil  dieses  Diaphragma  für  gewöhnlich  diesen  Blut- 
ergüssen eine  Grenze  setze ,  falls  nicht  auch  in  diesem  Diaphragma 
durch  Verletzung  Gewebslücken,  Spalten  etc.  entstanden  seien.  Kach 
König's  und  Schlesinger's  Injectionsuntersuchungen  setzen  jedoch  die  Becken- 
fascien  der  Ausbreitung  eines  Hämatomes  kein  wesentliches  Hindernis  ent- 
gegen. Es  gibt  thatsächlich  Fälle,  wo  es  absolut  nicht  gelingt,  das  zerrissene 
Gefäss  aufzufinden,  also  die  Quelle  der  Blutung  festzustellen,  wo  also  von  einer 
derartigen  Classificirung  nicht  die  Rede  sein  kann.  Nichtsdestoweniger  hat 
die  Bezeichnung  Hämatoma  vaginae  et  vulvae  ihre  klinische  Berechtigung, 
weil  thatsächlich  häufig  eine  Lokali sation  dieser  Blutung  gerade  um  die  Va- 
gina und  Vulva  herum  auch  bei  tiefer  entstandenen  Blutungen  stattfindet. 
Tritt  der  Schädel  bei  stürmischen  Wehen  rasch  herab  und  schiebt  so  die  ihm 
eng  anliegende  Schleimhaut  der  Scheide  mit  herab,  zieht  sie  mit  sich,  so  er- 
klärt sich  aus  dieser  forcirten  und  übertriebenen  Verschiebung  der  aufein- 
ander liegenden  Weichtheilschichten  an  einander  eine  übertriebene  Längs- 
spannung, die  leicht  zur  Zerreissung  gesteigert  werden  kann  oder  aber  zu  einer 
Drucknekrose  führt,  wenn  der  Zustand  dieser  übertriebenen  Längsspannung 
sehr  lange  andauert,  umsomehr  als  auch  eine  Compression  der  betreffenden 
Weichtheile  gleichzeitig  statt  hat.  Communicirt  die  Höhle  des  Blutergusses 
mit  einer  oberflächlichen  Haut-  respective  Schleimhautwunde,  so  ergiebt  sich 
natürlich  zugleich  eine  Blutung  nach  aussen,  die  sehr  rasch  den  Tod  dmxh 
Verblutung  herbeiführen  kann;  bei  bedeutender  Verschiebung  der  Weichtheile 
an  einander  kann  jedoch  diese  Blutung  nach  aussen  unterbleiben,  trotzdem 
ursprünglich  Communication  der  Wunden  da  war.  Halliday  Ceom  führte 
als  eine  Prädisposition  den  Venter  propendens  an  bei  verringerter  oder  stark 
vermehrter  Beckenneigung  mit  Diastase  der  geraden  Bauchmuskeln  u.  s.  w. 
Da  hier  die  gefüllte  Gebärmutter  über  den  Schamfugenrand  nach  vorn  über- 
hängt, so  kommt  die  ganze  Schwere  des  gefüllten  Fruchthalters  zur  Geltung 
als  Kraft,  welche  das  hintere  Scheidengewölbe  respective  die  hintere  Scheiden- 
wand ad  maximum  in  die  Länge  auszieht  und  verdünnt.  Gerade  so  wie  unter 
diesen  Bedingungen  besonders  leicht  eine  Kolpoahorrhexis  Hugenberger's  zu 
Stande  kommen  kann,  wie  ich  sie  kürzlich  erst  bei  einer  kyphotischen 
Multipara  sah,  wo  alle  diese  Bedingungen  erfüllt  waren.  (Die  Frau  war 
etwa  12  Stunden  nach  erfolgter  querer  Abreissung  der  Scheide  im  hinteren 
Scheidengewölbe  in  das  Gebärasyl  des  Dr.  Bieganski  in  Warschau  gebracht 
worden,  wo  das  Kind  nach  Perforation  und  Kranioklasie  extrahirt  wurde.  Die  ster- 
bende Frau  wurde  zu  mir  in  die  Klinik  gebracht  und  entschloss  ich  mich, 
da  mir  eine  einfache  Tamponade  wegen  nicht  ausgeschlossener  vorherigen 
Infectionsgefahr  nicht  am  Platze  schien,  andererseits,  weil  an  eine  Nahtverei- 
nigung der  zerfetzten  Ränder  auch  nicht  gedacht  werden  konnte,  dazu,  schnell 
den  gesammten  Uterus  per  vaginam  zu  entfernen.  Leider  handelte  es  sich 
um  eine  Moribunda  ohne  Puls,  so  dass  trotz  regelrechten  Verschlusses  der 
Blutungsquellen  und  Analepticis  jeder  Art  (zu  einer  Kochsalzinfusion  blieb  kaum 
die  Zeit)  die  Frau  schon  2/4  Stunden,  nachdem  man  sie  gebracht  hatte,  starb; 
die  technisch  auffallend  leichte  Operation  der  vaginalen  Exstirpation  des  puer- 
peralen Uterus  hatte  kaum  mehr  als  20 — 25  Minuten  gedauert.  Wenn  nun 
eine  solche  Gewalt  sogar  eine  Kolpoaporrhexis  zu  Wege  bringen  kann  bei  einer 
entkräfteten  Multipara  unter  den  angegebenen  Bedingungen,  um  wie  viel 
leichter  kann  ein  geringerer  Grad  dieser  Verletzung  eintreten,  ein  submucöses 
Einreissen . der  hinteren  Scheidenwand,  w^elches  zur  Bildungeines  Hämatoma 


806  THROMBUS  VAGINAE  ET  VULVAE. 

vaginae  oberhalb  des  Diaphragma  pelvis  führt  und  zwar  geschieht  hier  die 
Gefässzerreissung  noch  unterhalb  des  noch  hoch  stehenden  Kopfes,  also  ohne 
das  eigentliche  Geburtstrauma  im  engeren  Sinn  des  Wortes,  Einzelne  Autoren 
legen  aetiologisch  vielen  Werth  auf  eine  Prädisposition  durch  Varices,  die 
grosse  Mehrzahl  der  Beobachter  ist  aber  direct  entgegengesetzter  Ansicht  und 
behauptet,  gerade  mit  Varices  behaftete  Frauen  unterliegen  höchst  selten  der 
uns  beschäftigenden  Erkrankung;  auch  prädisponirende  Phlebtitiden  hat  man 
niemals  konstatirt.-  Scheöder  und  Andere  suchen  ein  prädisponirendes  Moment 
in  vorausgegangenen  Geburten,  wonach  also  das  Leiden  häufiger  bei  Mehr- 
gebärenden auftreten  müsste.  Diesen  Angaben  stehen  aber  entgegengesetzte 
gegenüber,  wonach  gerade  Erstgebärende  häufiger  erkranken  sollen. 

V.  WiNCKEL  gab  ein  Verhältnis  von  12  Erstgebärenden  auf  18  Mehrgebärende  an, 
Mc.  Clintock  von  13  Erstgebärenden  auf  12  Mehrgebärende,  zusammenkämen  hier  25  Erst- 
gebärende auf  30  Mehrgebärende ;  de  facto  kommt  aber  diese  Geburtscomplication  bei  Erst- 
gebärenden häufiger  vor  wegen  der  weniger  nachgiebigen  Weichtheile!  Johnston  und  Sin- 
CLAiRS  sahen  auf  IST^S  Geburten  3  solche  Erkrankungen,  Dubois  in  Paris  auf  1400  Geburten 
ebenfalls  nur  drei  Fälle,  also  ein  ähnliches  Frequenzverhältnis,  v.  Scanzqni  sah  persönlich 
15  Fälle,  Mc.  Clintock  sogar  25  Fälle.  Spiegelberg  sah  auf  3000  Geburten  in  der  Klinik 
binnen  10  Jahren  nur  drei  Fälle,  in  der  Poliklinik  mehr;  in  Wien  wurden  auf  33291  Ge- 
burten 18  Fälle  beobachtet,  Hugenberger  zählte  auf  14000  von  ihm  beobachtete  Geburten 
11  Fälle,  Wucher  fand  auf  6000  Geburten  binnen  zwei  Jahren  in  Spaeth's  Klinik  absolvirt 
4  Fälle  (bei  zwei  Erstgebärenden  und  zwei  Mehrgebärenden.)  Coulhon  giebt  die 
Häufigkeit  als  1  Fall  auf  5000  Geburten  an  (er  führte  die  Entstehung  des  vulvo-vaginalen 
Thrombus  wohl  irrthümlich  auf  eine  in  der  Schwangerschaft  entstandene  Leukocytämie 
zurück.)  Bossi  zählte  auf  5060  Geburten  nur  zwei  Fälle,  v.  Winckel  zählt  im  Allgemeinen 
auf  1600  Geburten  einen  Fall,  persönlich  sah  er  6  Fälle  von  Hämatoma  vulvae.  Sehr  auf- 
fallend ist  die  Angabe  verschiedener  Autoren,  dass  diese  Hämatome  besonders  häufig  bei 
Zwillingsgeburten  auftreten  sollen  zwischen  der  Austreibung  des  ersten  und  zweiten  Kindes, 
wie  das  z.  B.  Frau  Sasonoff  aus  Petersburg  beschrieb  (1884),  welche  85  Fälle  von  Thrombus 
vaginae  et  vulvae  zusammenstellte  und  die  Frequenz  von  1:  2375  Geburten  angab.  Der 
Tumor  wurde  hier  nach  Austreibung  des  zweiten  Kindes  noch  grösser  und  platzte  nach 
8  Tagen  nahe  dem  Schambogenscheitel.  Frau  S.  fand  allerdings  nur  5  ähnliche  Fälle,  von 
denen  4  tödlich  endigten.  Bei  dieser  Gelegenheit  spricht  sich  Frau  Sasonoff  gegen  die 
Incision  des  Tumors  nach  der  Geburt  des  ersten  Zwillinges  aus  und  räth  den  zweiten  so 
rasch  als  möglich  zu  extrahiren. 

Sitz  des  Blutergusses  ist  meist  eine  grosse  Schamlefze,  selten  eine 
der  kleinen  oder  aber  das  perivaginale  Zellgewebe,  wo  jedoch  der  Bluterguss 
meist  in  der  Folge  sich  in  die  Schamlefze  fortsetzt.  Dill  (1886)  sah  ein 
kindskopfgrosses  Haematoma  labii  minoris  nach  Austreibung  des  Kindes 
bei  einer  Erstgebärenden  rechterseits  entstehen  mit  Ecchymosen  auf  der  Bauch- 
haut und  an  der  Haut  des  Schenkels  bis  zum  Knie  herab.  Es  gibt  freilich 
auch  Formen  von  Hämatomen,  welche  oberhalb  des  Diaphragma  pelvis 
auf  ihren  ursprünglichen  Ausbreitungsbezirk  auch  beschränkt  bleiben.  Oft 
aber  breitet  sich  der  Bluterguss  nach  dem  Damm  und  After  zu  aus,  Barnes 
sah  sogar  ein  solches  Hämatom  an  Clitoris  und  Urethra,  meist  aber  findet  sich 
der  Sitz  in  der  einen  grossen  Schamlippe  und  breitet  sich  von  hier  aus  nach 
oben  und  nach  unten  zu  längs  der  Zellgewebsräume  aus.  Zuweilen  setzt  sich 
der  Bluterguss  der  einen  Seite  auf  die  andere  per  continuitatem  fort,  sehr 
selten  ist  die  Coincidenz  solcher  Blutergüsse  auf  der  rechten  und  linken  Seite, 
in  dem  sie  gleichzeitig  aber  unabhängig  von  einander  entstanden  sind.  Der 
Bluterguss  entsteht  viel  häufiger  primär  im  Zellgewebe  der  Vulva  als  im  peri- 
vaginalen, kommt  jedoch  auch  hier  oft  genug  primär  vor,  anderemale  betrifft 
das  Hämatom  die  Hymenaireste,  zuweilen  allein  den  Damm,  es  sind  auch 
Fälle  beobachtet  worden,  wo  eine  Art  gestielten  Tumors  an  der  einen  Scheiden- 
wand sich  vorfand,  der  sich  später  als  sogenanntes  Scheidenhämatom  entpuppte. 
(So  beschrieb  z.  B.  Auvard  ein  gestieltes  Scheidenhämatom  der  hinteren 
Scheidenwand  aufsitzend  und  bis  vor  die  Vulva  heraushängend  bei  einer 
8  Monate  schwangeren  Frau.  Die  Geschwulst  stiess  sich  binnen  kurzer  Zeit 
bei  abwartender  Behandlung  brandig  ab;  in   einem    anderen  Falle   beschrieb 


THROMBUS  VAGINAE  ET  VULVAE.  807 

AüVARD  bei  einer  32-jährigeii  IV.  para  einen  Tumor,  der  nach  Austreibung 
des  Kindes  vor  die  Vulva  trat,  die  Geschwulst  ging  aber  von  der  vorderen 
Muttermundslippe  aus;  nach  dem  Blascnsprunge,  dem  wegen  placenta  praevia 
lateralis  eine  profuse  Blutung  folgte,  entstand  zwischen  Kopf  und  hinterer 
Symphysenwand  ein  weicher  wallnussgrosser  Tumor.  Der  im  Wochenbett  resor- 
birte  Tumor  wurde  von  Auvard  für  ein  Hämatom  der  vorderen  Muttermunds- 
lippe erklärt,  konnte  jedoch  auch  wohl  einfach  in  einer  ödematösen  Anschwel- 
lung der  vorderen  Muttermundslippe  bestehen.  Auvakd  macht  darauf  auf- 
merksam, dass  bei  Thrombus  vaginae  die  Hämorrhagie  immer  in  der  Columna 
rugarum  selbst  stattfinde,  wobei  vielleicht  ein  unvollkommenes  Verschwinden 
der  Scheidewand  der  MüLLER'schen  Gänge  eine  ätiologische  Holle  spiele. 
Aehnliche  Angaben  sind  bisher  von  anderer  Seite  nicht  gemacht  worden  bis 
auf  eine  Beobachtung  von  Budin  (1887)  der  ein  gestieltes  von  der  columna 
rugarum  der  hinteren  Scheidenwand  ausgehendes  hühnereigrosses  Hämatom 
beschrieb,  das  ohne  irgend  eine  nachweisbare  Ursache  im  8.  Monate  der 
Schwangerschaft  entstanden  war;  es  entsprang  unter  der  Schleimhaut  und  Hess 
das  Septum  rectovaginale  intact.  Aehnliche  Beobachtungen  von  gestielten 
Scheidenhämatomen  namentlich  in  der  Schwangerschaft  gibt  es  in  der  Lite- 
ratur nur  einige  wenige!  Auch  Fleischmann  und  Reich  haben  unter  Anderen 
gestielte  Hämatome  beschrieben.  Braun  und  Mc.  Clintock  sahen  niemals  Hä- 
matome bei  mit  Varices  behafteten  Frauen,  jedoch  sind,  wenn  auch  spärlich 
doch  einige  Fälle  von  Coincidenz  mit  Varices  beschrieben  worden.  Ein  ätio- 
logischer Zusammenhang  ist  jedoch  nicht  erwiesen  und  nur  von  wenigen  Au- 
toren vermuthet.  Am  Damm  ergiesst  sich  das  Blut  zwischen  die  Fascia  super- 
ficialis und  media,  in  der  Scheide  in  das  submucöse  und  perivaginale  Gewebe, 
in  den  Fällen  von  Cazeaux,  Hugenberger  und  v.  Winckel  blieb  es  nicht  bei 
einem  Bluterguss  im  Zellgewebe  unterhalb  des  Diaphragma  pelvis,  sondern 
derselbe  erstreckte  sich  die  Scheide  entlang  bis  zu  dem  periuterinen  Zell- 
gewebe und  setzte  sich  subperitoneal  an  der  hinteren  und  vorderen  Wand  der 
Bauchhöhle  fort.  Da  der  Bluterguss  sich  nach  allen  Richtungen  hin  aus- 
breiten kann,  ist  es  oft  unmöglich  das  zerrissene  Blutgefäss  selbst  sub  necrop- 
sia  aufzufinden,  geschweige  denn  dass  dies  an  der  Lebenden  stets  gelingen  sollte. 
Mackintosh  in  Glasgow  sah  1881  ein  solches  falsches  Aneurysma  einer  Schaam- 
lippe  bei  einer  Erstgebärenden  2  Stunden  post  partum  entstehen;  da  dasselbe 
an  Grösse  zunahm,  schnitt  er  es  ein,  entleerte  anderthalb  Liter  flüssiges  Blut 
und  fand  das  zerrissene  Gefäss  auf  und  unterband  es,  die  Frau  genas. 
Auch  Rau  fand  in  einer  solchen  Wundhöhle  nach  Ausräumung  des  Blutes 
das  zerrissene  Gefäss, 

Grosse  perivaginale  Blutergüsse  senken  sich  regelmässig  nachdem 
Beckenausgange  zu;  v.  Winckel  schreibt  wie  schon  gesagt,  diese  Aus 
breitung  einer  Lockerung  oder  präxistirenden  Lücken  im  Diaphragma 
pelvis  zu  oder  einer  im  Verlauf  der  Krankheit  bei  Abscedirung  auftreten- 
den eitrigen  Perforation  der  betreffende  Fascie.  Diese  Blutergüsse  ent- 
stehen in  867o  der  Fälle  bei  spontanen  Geburten,  w^o  also  jede  trauma- 
tische Einwirkung  instrumenteller  oder  manueller  Eingriffe  ausgeschlossen  ist 
und  zwar  entsteht  die  Erkrankung  meist  so  plötzlich,  unerwartet  und  über- 
raschend, dass  von  einer  Prophylaxe  füglich  nicht  gesprochen  werden  kann, 
höchstens  auf  dem  Papier!  Schnelle  Beendigung  der  Geburt  eventuell  unter 
Chloroform  wird  am  Platze  sein,  sobald  man  Grund  hat  einen  Thrombus 
dieser  Art  zu  befürchten.  Ausser  den  erwähnten  spontanen  Gebui'tstraumen 
verzeichnet  die  Literatur  eine  Beobachtung  von  Engelmann  (1885),  w^o  ein 
haematoma  labii  majoris  sub  partu  durch  eine  Inguinalhernie  veranlasst 
wurde.  Es  handelte  sich  um  eine  o4jährige  10-para  mit  doppelseitigem  Leisten- 
bruche, der  bei  den  früheren  Geburten,  selbst  bei  einer  Zangengeburt  von 
einem  Bruchbande  zurückgehalten,  nicht  die  geringsten  Störungen  veranlasst 


SOS  THROMBUS  VAGINAE  ET  VULVAE. 

hatte.  Varices  am  linken  Bein.  Geburt  spontan  und  Bruch  leicht  zurück- 
gehalten, sowie  aber  der  Kopf  im  Durchschneiden  war,  trat  der  linksseitige 
Leistenbruch  plötzlich  heraus  und  tief  herab.  Eine  halbe  Stunde  post  partum 
glich  das  linke  Labium  einer  7  Centimeter  dicken  Geschwulst  prall  gespannt 
mit  glänzender,  dunkelblaurother  Haut  bedeckt  —  diese  Geschwulst  zog  sich 
wurstförmig  bis  zum  Leistenring  hin.  Dem  Gefühle  nach  sprach  die  Con- 
sistenz  für  Darminhalt,  so  dass  Engelmann  annahm  bei  dem  Pressen  sei  der 
Bruch  so  tief  herabgetreten.  Taxis  wurde  versucht,  die  Reposition  gelang  auch 
theilweise,  plötzlich  jedoch  war  die  Hand  blutig,  —  ein  haematoma  labii 
wurde  erkannt;  starke  Blutung  aus  einem  Hauteinrisse.  Die  Wunde  wurde 
zuerst  mit  den  Fingern  zugepresst  und  die  Reposition  vollendet,  wobei  ein 
neuer  Hauteinriss  erfolgte.  Grosse  Blutklumpen  und  flüssiges  Blut  entleert, 
wodurch  die  Geschwulst  zusammensank,  Ausspülung,  fest  angelegter  Subli- 
mat druck  verband,  Genesung.  (Einzelne  Autoren  warnen  vor  Compression 
gegen  die  Knochen  der  vorderen  Beckenwand). 

Waeszawski  sah  bei  einer  22  jährigen  Erstgebärenden  am  11.  Tage 
post  partum  eine  plötzliche  Erkrankung  mit  Fieber  und  Bauchschmerzen;  ein 
Arzt  machte  eine  Uterusausspüllung,  eine  Stunde  darauf  Ohnmacht,  Anämie, 
grosse  plötzlich  entstandene  Anschwellung  der  rechten  grossen  Schamlefze  und 
des  Dammes:  Endometritis  puer  peralis  und  hämatoma  vaginae  et  vulvae  am  11. 
Tage  post  partum  entstanden.  Am  13.  Tage  bei  -f-  40'^,  C.  platzte  das  Häm  atoma 
an  der  Innenseite  des  Labium.  Zahnfleischblutungen  treten  gleichzeitig  auf.  Nach 
Wochen  wurde  dieselbe  Frau  wieder  in  das  Spital  gebracht  nach  einer  neuen  vor 
einer  Woche  erfolgten  Blutung,  fieberhafter  Zustand  mit  zalhreichen 
Petechien  —  nach  zwei  Monaten  ganz  geheilt  entlassen.  Es  handelte 
sich  um  einen  Morbus  maculosus  Werl  hoff  ii  als  Ursache  des 
Thrombus.  Loviot  sah  einen  apfelsinengrossen  Thrombus  vaginae  nach 
dem  Blasensprunge  entstehen  rechts  vorn  in  der  Scheide,  welcher 
deutlich  pulsirte.  Der  Tumor  verkleinerte  sich  allmählig  im  Wochenbette. 
Nach  drei  und  einer  halben  Woche  plötzlich  Lungenembolie  und  Pleuro- 
pneumonie, wahrscheinlich  von  jenem  Thrombus  ausgehend.  Genesung.  Der 
Tumor  war  70  Tage  post  partum  ganz  resorbirt.  Hier  war  die  Ursache  Hämo- 
philie; beide  Grosseltern,  Vater  und  zwei  Brüder  waren  an  Verblutung 
gestorben,  zwei  Schwestern  verschont.  Freund  sah  sub  partu  nach  seiner 
ersten  Symphyseotomie  nach  Anwendung  des  Ritgen' sehen  Handgriffes  zur 
Beendigung  der  spontanen  Austreibung  ein  Hämatom  der  rechten  Schamlefze 
entstehen  (gleichzeitig  Hämaturie). 

Häufig  ist  namentlich  bei  Entstehung  des  Hämatoms  in  der  Schwanger- 
schaft ein  Trauma  direct  nachgewiesen,  Sturz,  Fall,  Eindringen 
von  Fremdkörpern,  Quetschungen  etc.  So  sah  Bastaki  in  Jassy  ein 
Hämatom  entstehen  bei  einer  im  1.  Monate  schwangeren  Frau  nach 
einem  Aufschlagen  mit  dem  Gesäss  gegen  einen'  scharfen  Rand.  Starke 
Blutung,  24  Stunden  später  Anschwellung  der  Geschlechtstheile,  kinds- 
kopfgrosser  blauschwarzer  Tumor  an  den  Genitalien  mit  einer  klein- 
fingergrossen  blutenden  Wunde  an  der  Innenseite.  Nach  Reinigung,  Aus- 
spülung und  Tamponade  folgte  Heilung  und  kein  Abort !  Chunn  in  Baltimore 
beschrieb  ein  traumatisches  Hämatom  in  der  rechten  Schamlefze  bei  einer 
20jährigen  Nullipara  nach  einem  Aufschlagen  auf  die  scharfe  Kante  eines 
Stuhles,  —  apfelgrosse  sehr  schmerzhafte  Geschwulst,  Incision,  Entleerung, 
Tanninlösung,  Heilung. 

Auch  Fruitnight  sah  zwei  Fälle  von  Thrombus  vulvae  nach  Trauma 
bei  nicht  schwangeren  Personen.  Im  Ganzen  sind  jedoch  die  Fälle  von 
Hämatoma  vulvae  et  vaginae  ausserhalb  der  Schwangerschaft  und  Geburt  selten 
und  stets  traumatischen  Ursprunges,  meist   mit   äusseren  Verletzungen   ver- 


THROMBUS  VAGINAE  ET  VULVAE.  ^09 

bunden,  aber  nicht  immer,  ja  manche  Paravaginitis  dissecans  abscedens^  verdankt 
vielleicht  ihren  Ursprung  einem  traumatischen  Hämatom   der  Scheidenwand. 

Gänzlich  abzutrennen  von  diesen  Hämatomen  sind  natürlich  die 
thrombosirten  Varices,  geplatzte  Varices,  die  eventuell  schon  bei 
Schwangeren  den  Tod  durch  Verblutung  veranlasst  haben  wie  in  dem  P'alle  von 
Nahmmacher  (1890). 

Der  zur  Bildung  eines  Hämatoma  vaginae   resp.  vulvae   führende  Blut- 
erguss  ist  die  Folge  einer   traumatisch   begründeten    Gefässzerreissung    oder 
auch  Druckläsion,  welche  nach  kurzer  Zeit  schon    eine   Nekrose    und    damit 
die   Gefässläsion    setzt.     Derartige    Verletzungen    entstehen    gewöhnlich    sub 
partu  in  der  Austreibungsperiode,  können  jedoch  schon  vor  vollendeter  Aus- 
treibung sich  kundgeben  oder  aber  gleich  nach  Austritt  des  Kindes  oder  noch 
später.    Die  Gebärende  empfindet  zunächst  einen  starken  bohrenden,  stechen- 
den Schmerz  in  der  Schamgegend,  alsbald  darauf  entsteht  eine  Anschwellung 
der  einen  Seite  der  Vulva  resp.  zugleich  auch  des  Dammes,  welche  sehr  selten 
schnell  an  Grösse  zunimmt  —  die    Hautdecken  werden   dunkelblau    wie  mit 
Blut  unterlaufen  aussehend,  der  Tumor  ist  stets  prall  gespannt,  elastisch,  stark 
fluctuirend ;  im  weiteren  Verlaufe  mindern  sich  bei  passender  Behandlung  die 
Schmerzen,  die  Spannung  lässt  nach,  der  Bluterguss  wird  allmählig  resorbirt 
und  schwindet,  wenn  auch  langsam,  vollständig.    In   anderen    Fällen  jedoch 
bleibt  es  nicht  bei  der  submucösen  resp.  subcutanen  Gefässzerreissung,  sondern 
auch  die  stark  gespannten  Weichtheile  reissen  ein,  wobei  es  sobald  die  Gefäss- 
wunde  und  die  Aussenwunde  einander  decken,    also  mit   einander   communi- 
ciren,  zu  einer  starken  Blutung  nach  aussen  kommen  kann,  die  binnen  kurzem 
unter  dem  Bilde  der   foudroyanten   Anämie   die  Frau   dahinrafft.    (Fälle  von 
JosENHANS,  Seulen).    Der  plötzliche   durch   nichts   zu    erklärende   Schmerz, 
der  binnen  kurzer  Zeit  erscheinende  und  schnell   wachsende    Tumor    an  der 
Vagina,    Vulva,  Damm  mit  charakteristischer  Consistenz,  Ausbreitungsgebiet, 
Aussehen  etc.  bei  dem  gleichzeitigen  Bilde    der   acuten  Anämie  ohne  nach- 
weisbare Uteruserschlaöung,  Blutung   nach  aussen    oder  in   die   Bauchhöhle 
hinein,    ohne   nachweisbare   Uterusruptur,    Scheidenruptur    in   das  Bauchfell 
hinein  etc.  lassen  die  Diagnose  fast  immer  leicht  stellen  um  so  leichter  natür- 
lich, wenn  zugleich  ein  äusserer  Riss  der  Weichtheile  erfolgt  ist  und  Blutung 
direct  nach  aussen.    Es  kann  aber  wie  gesagt  auch  bei  Verschiebung  der  ein- 
zelnen Weichtheillagen  gegen  einander  eine   äussere  Verletzung  gleichzeitig 
mit  der  Gefässzerreissung  stattgefunden  haben  und  es  kommt  trotzdem  nicht 
zu  einer  Blutung  nach  aussen,  sondern  zur  Bildung   eines   submucösen   oder 
subcutanen  Blutergusses.    Dieser  Tumor  kann  hinterher   durch   Nachblutung 
noch  zunehmen,  nach  Stunden  und  Tagen  noch  platzen,  durch  neue  Blutungen 
abermals  zunehmen  etc.  oder  auch   durch   sein   Platzen   nach   Stunden   oder 
Tagen  noch  den  Verblutungstod  herbeiführen.  Haase,  Bau,  d'OuTEEPONT  und 
Dewees  sahen  neue  Blutfüllung  des  schon  einmal  durch  Platzen  resp.  frühere 
Incision  entleerten  Hämatomes.  Cazeaux,  Lubanski,  Beoers,  Seulex,  Josex- 
HANS,  C.  Braun  und  Andere  th eilten  Todesfälle  durch  Verblutung  mit.    Die 
Kuptur  erfolgt  wenn  nicht  sofort  während  der  Entstehung  des  Hämatoms  ent- 
weder bald  durch  Zerreissung  oder  erst  nach  einigen  Tagen  meist  auf  Grund 
eines  Brandigwerden  der  Weichtheile,  gangränöser  Perforation,  im  Allgemeinen 
ist  aber  eine  bei  irgend   welchen   Anstrengungen   zum    Beispiel   in  späterer 
Zeit  des  Wochenbettes  noch  erfolgende   Ruptur   eine   grosse    Seltenheit,  nur 
Helfer  beschrieb    eine    erst   am  21.  Tage    erfolgte   Ruptur.    Ebenso    selten 
findet  eine  Ruptur  schon   in   der  Schw^angerschaft  statt,   doch  hat  C.   Braux 
einen  Fall  von  Ruptur  in  der  letzten  Zeit  der  Schwangerschaft  mitgetheilt  — 
meist  beginnt  die  Ruptur  erst  bei  Durchtritt  des  Schädels,  also  sehr  bald  nach 
der  Entstehung  des    Tumors.     Trotz    momentan   eintretender   hochgradigster 
Anämie  mit    Ohnmächten,  Collaps  etc.  tritt  der    Tod   bei   einem   nicht   zum 


810  THROMBUS  VAGINAE  ET  VULVAE. 

Platzen  kommenden  frischen  Hämatom  durch  Verblutung  in  das  Zellgewebe 
hinein  niemals  ein,  wohl  aber  kann  selbst  dieses  geschlossen  bleibende  Häm- 
atom, namentlich  wenn  es  sehr  gross  ist,  durch  Vereiterung,  Gangrän,  Septi- 
cämie,  Pyämie,  schon  vorher  durch  Embolie  deletäre  Wirkung  erlangen,  im 
günstigsten  Falle  eine  lange  Convalescenzperiode  bedingen,  sobald  es  zu  der- 
artigen Complicationen  kommt;  ja  auch  die  Kesorption  eines  uncomplicirten 
Hämatoms  kann  sich  wochenlang  hi-nziehen  und  gelegentlich  noch  eine  Com- 
plication  hinzutreten,  die  man  längst  zu  fürchten  aufgehört  hatte.  Geringe 
Tumoren  werden  meist  resorbirt  oder  eingedickt,  eingekapselt,  organisirt,  so 
dass  für  die  Zukunft  nur  eine  schwielige  Verhärtung  nachbleibt,  oft  aber  über- 
haupt keine  Spur  hinterbleibt.  Hecker,  Nussee,  Kretzschmar  und  v.  Winckel 
sahen  glatt  verlaufende  Entbindungen  bei  Frauen,  welche  bei  einer  voraus 
gegangenen  Entbindung  dieses  Leiden  durchgemacht  hatten,  ohne  jetzt  irgend 
welche  Narbenspuren  nachweisen  zu  können.  In  anderen  Fällen  kommt  es, 
wie  gesagt,  leider  zu  septischen  Infectionen  mit  all  deren  Gefahren.  C.  Braun 
und  LuBANSKi  verloren  jeder  eine  Wöchnerin  nach  gangränösem  Zerfall  des 
Thrombus  an  Sepsis  (Broers  soll  Typhus  als  Todesursache  angegeben  haben?) 
In  wieder  anderen  Fällen  kommt  es  zur  Abscedirung  und  Eiterentleerung 
nach  aussen  oder  in  den  Mastdarm,  durch  die  Schamlefzenwand,  durch  den 
Damm  etc.  mannigfaltigen  Fistelbildungen  bis  schliesslich  die  Abscesshöhle 
vernarbt,  was  zuweilen  Wochen  oder  Monate  dauert.  d'OuTREPONT  sah  z.  B. 
eine  Dammfistel  nach   vereitertem  Hämatom  entstehen. 

Bezüglich  der  Entstehung  des  Hämatoms  bei  Zwillingsgeburten  nach 
Austreibung  des  ersten  Kindes  wird  gerathen  eventuell  unter  Chloroform  die 
Geburt  des  zweiten  zu  beschleunigen,  aber  davor  gewarnt  behufs  leichterer 
Extraction  des  zweiten  Kindes  den  Tumor  einzuschneiden,  was  eine  gefähr- 
liche Blutung  setzen  könne,  nur  Spiegelberg  räth  eventuell  eine  Incision 
und  Entleerung  des  Tumors,  falls  derselbe  der  Austreibung  des  Kindes  sei  es 
des  ersten  oder  zweiten  ein  Hindernis  entgegensetzt;  sollte  spontan  nach  der 
Austreibung  des  ersten  Kindes  Buptur  eingetreten  sein,  so  heisst  es  schnell 
das  zweite  Kind  extrahiren,  da  die  Blutung  erst  aufhören  kann  und  wird, 
wenn  die  durch  den  Fruchtdruck  verursachte  Stauung  behoben  ist. 

Bezüglich  Erschwerung  der  Nachgeburtsperiode  erwähne  ich  die  Be- 
obachtung Vincent's,  dem  ein  Scheidehämatom  Schwierigkeiten  bei  Entfernung  der 
Placenta  machte,  was  ja  leicht  verständlich  ist,  indem  das  Scheidenlumen  fast  ganz 
von  der  durch  den  submucösen  Bluterguss  vorgedrängten  Scheidenwand  verschlos 
sen  werden  kann.  Coulhon  sah  unter  solchen  Umständen  sogar  Ischurie  durch 
Harnretention  und  zugleich  Lochialretention  bei  einer  Erstgebärenden,  die 
spontan  geboren  hatte.  4.  Stunden  post  partum  plötzlich  perivaginaler  Blut- 
erguss und  Hämatom  des  einen  Labium  majus,  nach  wenigen  Tagen  Tumor 
kindskopfgross,  Urin-  und  Lochialretention,  dabei  +39^  C.  Temperatur  bei 
120  Pulsschlägen.  Coui-hon  sah  die  Frau  am  dritten  Wochenbettstage  und 
entleerte  durch  eine  Incision  IV2  Liter  geronnenes  Blut.  Es  folgte  Gaugraen, 
Septicämie,  nach  5  Tagen  eine  medicamentöse  Carbolintoxication  und  schliess- 
lich am  22.  Tage  Genesung. 

Intra  vaginal  begrenzte  Hämatome  könne  leicht  übersehen  werden,  da 
doch  nicht  jede  Vagina  post  partum  mit  dem  Finger  untersucht  wird !  Hier 
werden  die  acute  Anämie,  die  Schmerzen  eventuell  einen  Verdacht  rechtzeitig 
wachrufen  und  eine  Untersuchung  veranlassen.  Es  wäre  noch  zu  erwähnen, 
dass  die  Piuptur  zuweilen  schon  in  der  Schwangerschaft  vorbereitet  ist  und 
im  Beginn  der  zweiten  Geburtsperiode  erfolgt,  durch  die  Tamponade  durch 
den  vorrückenden  Kindestheil  aber  momentan  die  Blutung  unterdrückt  oder 
auch  maskirt  wird;  sowie  die  Compression  mit  Austritt  des  Kindes  aufgehört 
hat,  melden  sich  Blutung  oder  Tumor;  selten  tritt  der  Tumor  erst  später  als 


THROMBUS  VAGINAE  ET  VULVAE.  811 

in  den  ersten  Stunden  und  Tagen  post  partum,  auf  —  irgend  eine  brüske  Be- 
wegung, ein  Drängen,  Pressen  beim  Stuhlgange,  ein  brüskes  Aufsetzen  im 
Bett  etc.  kann  eine  neue  Blutung  veranlassen  oder  auch  die  Ruptur  herbei- 
führen. Es  liegt  in  der  anatomischen  Beschaffenheit  der  Gefässwände  die 
Ursache,  warum  diese  Hämatome  fast  immer  venöser  Natur  sind  —  wegen 
der  grösseren  Widerstandsfähigkeit  der  Arterienwand! 

Was  nun  die  Prognose  anbetrifft,  so  gehen  die  Ansichten  früherer  Autoren 
weit  auseinander  mit  denen  der  Zeitgenossen.  Es  wird  zwar  der  Thrombus  vaginae 
et  vulvae  wegen  unmittelbarer  Verblutungsgefahr,  ferner  wegen  der  Möglichkeit 
septischer  Infection,  drittens  der  eventuell  langwierigen  mit  Eiterungen,  denFolgen 
der  hochgradigen  Anämie  etc.  verbundenen  Convalescenz,  embolischen  Gefahren 
u.  s.  w.  immer  noch  als  ein  ernstes  und  gefährliches  Leiden  angesehen  werden, 
jedoch  hat  auch  hier  die  Asepsis  und  Antisepsis  sowie  ein  rechtzeitiges  ziel- 
bewusstes  chirurgisches  Eingreifen  die  einstige  Sterblichkeitsziffer  stark  herab- 
gedrückt. Freilich  gehört  von  Seiten  des  Arztes  ein  entschlossenes  Vorgehen 
ohne  zu  warten  bis  es  zum  Handeln  zu  spät  ist,  dazu.  Deneux,  der  1835 
eine  Monographie  herausgab,  fand  22  Todesfälle  auf  60  Erkrankungen!! 
GiRAED  fand  auf  120  der  französischen  Literatur  entnommene  Fälle  nur  24- 
mal  tödtlichen  Ausgang,  aber  auch  seine  Ergebnisse  geben  keinen  genauen 
Aufschluss,  da  Complicationen  mit  eingezählt  sind!  v.  Scanzoni  verlor  von 
15  Erkrankten  nur  eine  und  zwar  an  Puerperalfieber,  Balkee  verlor  von  13 
im  Spital  Entbundenen  zwei  an  Puerperalfieber,  von  9  Wöchnerinnen  in  der 
Privatpraxis  dagegen  keine  einzige.  Hugenbergee  sah  auf  1 1  Fälle  4mal  tödtlichen 
Ausgang!  Blot  auf  19  Fälle  5mal  Tod  also  über  20°/o  Letalität,  v.  Winckel 
fand  auf  50  Fälle  6mal  tödtlichen  Ausgang  also  12**/o  (von  jenen  6  Todes- 
fällen heisst  es,  dreimal  war  Verblutung  die  Todesursache !)  40/0  der  Fälle 
heilten  nach  v.  Winckel  mit  Fistelbildungen.  Im  Allgemeinen  wird  heute 
nach  den  Angaben  v.  Winckel's  eine  Sterblichkeitsziffer  von  12''/o  angenommen 
für  die  Erkrankung  an  Thrombus  vaginae  et  vulvae.  Die  Prognose  der  sub- 
peritonealen Blutergüsse  für  Wöchnerinnen  ist  nicht  so  gut  wie  für  die  intra- 
peritonealen Blutergüsse  nicht  Schwangerer,  weil  bei  den  Puerperae  durch 
Anwesenheit  zahlreicher  nekrotischer  Gewebsfetzen  u.  s.  w.  eine  Quelle  für 
Infection,  putriden  Zerfall  etc.  gegeben  ist;  immerhin  ist  die  Prognose  heute 
nicht  mehr  so  schlimm  zu  stellen,  wie  noch  vor  15  Jahren.  Chaintee,  der 
seine  drei  Fälle  bei  antiseptischer  Behandlung  gut  verlaufen  sah,  hält  über- 
haupt die  Erkrankung  für  eine  unschuldige;  immerhin  muss  man  daran  denken, 
dass  sub  puerperio  die  Infectionsgefahr  stets  vorhanden  ist,  ja  gerade  hier 
wegen  der  zahlreichen  Verletzungen,  und  Extraviasate  eine  grössere  ist  als  bei 
normalen  Geburten.  Dazu  kommt  eventuelle  Erschwerung  des  Lochialabflusses, 
Nothwendigkeit  therapeutischer  intravaginaler  Manipulationen,  ferner  die  Anä- 
mie und  Entkräftung  der  Frau,  welche  eventuell  für  die  Prognose  nicht  gleich- 
giltig  bleibt,  auch  ist  eine  prompte  Desinfection  der  zuweilen  buchtigen  Wund- 
höhlen eines  geplatzten  Hämatomes  nicht  immer  leicht  durchführbar.  Von 
einer  Prophylaxe  ist  leider  nicht  viel  zu  erwarten,  es  sei  denn,  dass  man  schon 
vor  der  Austreibung  des  Kindes  sichere  diagnostische  Anzeichen  eines  be- 
ginnenden Hämatomes  findet,  was  ja  mitunter  vorkommen  kann.  Was  nun 
die  Behandlung  anbetrifft,  so  gilt  es  bei  einem  unter  der  Geburt  entstehenden 
Hämatome  zunächst  die  Geburt  schnell  zu  beendigen.  Ist  das  Hämatom  erst 
sub  partu  entstanden  und  alsbald  geplatzt,  so  gilt  es  hier  zunächst  der  Blutung 
einen  Halt  zu  gebieten !  Kälte,  Compression  mit  der  Hand,  Umstechungs- 
nähte  werden  eventuell  in  ihr  Recht  treten  nächst  Analepticis,  Kochsalz- 
infusion in  der  sog.  physiologischen  Lösung,  sei  es  intravenös,  subcutan  oder 
auch  nur  im  Clysma.  Es  hängt  hier  das  Vorgehen  von  dem  Stadium  der 
Anämie  ab  und  davon,  was  sich  in  den  gegebenen  Verhältnissen  am  schnellsten 
durchführen  lässt. 


812  TUBENERKRANKUNGEN. 

Früher  griff  man  bei  rupturirten  Hämatomen  zu  Wattebäusclien  mit 
Eisenchloridlösung  die  nach  unseren  heutigen  Begriffen  für  frische  Wunden 
ein  Gift  ist,  indem  sie  langwierige  Eiterungen  veranlasst  u.  s.  w.,  besonders 
warnt  Vincent  davor,  während  Spiegelberg  dieselbe  noch  1878  empfahl.  Sehr 
wichtig  ist  natürlich  ein  aseptisches  Vorgehen,  das  als  selbstverständlich  eigent- 
lich nicht  mehr  speciell  erwähnt  zu  werden  brauchte.  Ist  es  bei  dem  Hämatom 
nicht  zum  Platzen  gekommen,  so  wartet  man  zunächst  am  besten  die  ersten 
Wochenbettstage  ab  —  sobald  irgend  ein  Anzeichen  für  drohende  Ruptur  spricht 
geschweige  denn  beginnende  Gangrän  der  Haut  und  Schleimhaut  sich  meldet, 
oder  sobald  das  Hämatom  eine  solche  Grösse  hat,  dass  auf  Resorption  füglich  nicht 
gerechnet  werden  kann,  sobald  Ausgang  in  Eiterung,  Gangrän  zu  befürchten 
ist,  sofort  Einschnitt  und  Behandlung  nach  rein  chirurgischen  Grundsätzen. 
So  lange  kein  absolut  zum  Einschneiden  zwingender  Grund 
vorliegt,  unbedingt  die  ersten  Wochenbettstage  abwarten! 
Mit  jedem  Tage  des  Zuwartens  mindert  sich  die  Gefahr  einer  Nach 
blutung  nach  Incision.  Bei  noch  andauernder  Blutung  wird  allge- 
mein ^er  Kälte  die  grösste  Bedeutung  zugeschrieben:  Eisblase  auf 
den  Leib,  Kolpeurynter  mit  Eiswasser  in  die  Scheide,  Eisblase  auf 
den  Damm,  dabei  larga  manu  Narcotica  um  die  heftigen  Schmerzen  zu  mildern, 
der  Kranken  Schlaf  zu  verschaffen,  eventuell  Compression  des  Tumors  durch 
die  Eisblase.  Das  Eis  soll  auch  die  Thrombosirung  des  zerrissenen  Gefässes 
befördern.  Kleine,  sogar  bis  faustgrosse  Tumoren  resorbiren  sich  bei  passen- 
der Behandlung  durch  Ruhe,  Bleivv'asserumschläge  mit  Zusatz  von  15  Tropfen 
Tincturae  Opii  auf  ein  Liter  Bleiwasser,  Fomentationen  etc.  Hügenberger 
wollte  bei  jedem  Hämatom  einschneiden  und  den  Tumor  entleeren,  heute 
sind  die  meisten  Fachgenossen  gleich  v.  Winckel  für  das  Abwarten;  Ein- 
schneiden erst,  sobald  die  Schmerzen  ganz  unverhältnismässig  zunehmen,  die  Haut 
dunkel  sich  verfärbt,  Durchbruch  droht,  —  ebenso,  wo  wegen  der  Grösse  des  Er- 
gusses Resorption  ausgeschlossen  erscheint,  wo  aber  immerhin  noch  mit  der 
Eröffnung  besser  gev^artet  wird  bis  die  ersten  drei  bis  vier  Wochenbettstage 
vorüber  sind;  bei  kleinem  Erguss,  nicht  drohender  Ruptur,  fehlender  Haut- 
verfärbung, resp.  Schleimhautverfärbung  besser  zuwarten!  Wird  ein  Einschnitt 
nöthig,  so  wählt  man  dazu  die  am  meisten  vorgewölbte  und  am  tiefsten  ge- 
lagerte Stelle  des  Tumors,  beim  grossen  Labium  die  Innenseite;  im  Uebrigen 
sind  die  Verhältnisse  des  einzelnen  Falles  maassgebend. 

FR.    NEUGEBAUER. 

Tubenerkrankungen.  Die  Tuben  entwickeln  sich  aus  den  oberen 
Antheilen  der  MtJLLER'schen  Gänge,  während  die  unteren  Antheile  in  der 
8.  Woche  des  Embryonallebens  mit  einander  zu  Uterus  und  Scheide  ver- 
schmelzen. Die  Anatomie  der  Tuben  ist  in  der  Einleitung  zu  diesem 
Bande  (pg.  6.)  eingehend  behandelt  worden  und  möge  hier  nur  noch  ergänzend 
hinzugefügt  werden,  dass  die  Länge  der  Tuben  beim  geschlechtsreifen  Weibe 
8— 9V2  cm  beträgt,  dass  ihr  Weg  durch  das  obere  Bereich  des  breiten  Mutter- 
bandes gegen  die  laterale  Beckenwand  hin  zieht  und  ihr  Endabschnitt  sich 
etwas  nach  abwärts  gegen  das  Trompetenende  des  Eierstockes  krümmt. 

HouLTAiN  ist  der  Ansicht,  dass  die  Bezeichnung  Tube  oder  Salpinx  eine  ganz  falsche 
Vorstellung  von  der  Gestalt  des  Organes  hervorrufen.  Es  gleiche  nicht  so  sehr  einer  Trom- 
pete als  einem  zusammengefalteten  Regenschirm  ohne  Griff. 

Der  Verlauf  der  Tube  ist  ein  unmerklich  wellig  gekrümmter.  Ab- 
norme starke  Windungen  und  winklige  Abknickungen  kommen  zuweilen  an- 
geboren vor,  wie  ja  auch  die  foetalen  Tuben  Pferde,  beim  Schwein,  Hund, 
Schaf  und  Menschen  spiralig  gewunden  sind  (Freund,  B.  Robinson,  Whitridge). 
Derartige  abnorme  Biegungen  können  aber  auch  durch  pathologische  Processe 
zustande  kommen,  sie  sind  dann  durch  eine  Subinvolution  der  longitudinalen 
Muskelfasern  bedingt. 


TÜBENERKRANKÜNGEN.  813 

Frauen  mit  solchen,  winklig  geknickten  Taben  leiden  häufig  an  Tubenkoliken,  da  die 
monatliche  Tubenperistaltik  gestört  ist  und  andererseits  die  Krümmungen  auch  ein  Hin- 
dernis für  die  Weiterbewegung  des  Eies  gegen  den  Uteras  bin  bilden,  demnach  auch  die 
Ursache  von  Sterilität  abgeben  können. 

Der  histologische  Bau  der  Tuben  gleicht  dem  der  meisten  schlauch- 
förmigen Eingeweidebestandtheile:  Peritoneum,  Muscularis,  Submucosa,  Mucosa. 
Die  Schleimhaut  trägt  Längs-  und  Querfalten.  Hennig's  Schilderung  über 
das  Vorhandensein  von  Drüsen  in  der  Tubenschleimhaut  fand  keine  allgemeine 
Anerkennung.  Das  verkleidende  Epithel  ist  nach  Hennio  mehrschichtig,  nach 
PIenle  und  Okthmann  einschichtig.  Die  Wimpern,  welche  die  Flimmer- 
zellen der  Schleimhaut  tragen,  sind  sehr  lang,  länger  als  die  sie  tragenden 
Zellen,  erzeugen  einen  vom  Ostium  abdominale  gegen  das  Ostium  uterinum 
gerichteten  Strom  und  dienen  so  zur  Fortbewegung  der  Ovula.  Milroy  hat 
an  den  Fimbrien  des  Tubarostiums  Drüsen  beschrieben,  die  einen  klebrigen 
Stoff  absondern  und  durch  diese  Secretion  die  Fixation  der  Fimbrienenden 
an  den  aus  dem  Ovarium  ausgestossenen  Ovulum  unterstützen. 

In  der  Schwangerschaft  gehen  in  den  Tuben  beträchtliche  Ver- 
änderungen vor:  das  Bindegewebe  wird  blutreicher,  succullenter  und  nimmt 
etwas  an  Masse  zu.  Die  Muskulatur  hypertrophirt,  ähnlich  wie  die  Uterus- 
muskulatur, nur  in  geringerem  Grade.  Im  Puerperium  bilden  sich  alle  diese 
Veränderungen  wieder  zurück.  (H.  Thompson).  Welche  Metamorphose  die 
Tube  bei  der  Festsetzung  eines  Ovulums  innerhalb  ihres  Bereiches  eingeht, 
und  inwieferne  die  Tubargravidität  pathologische  Störungen  veranlasst,  findet 
in  den  Aufsätzen  „ExtrauterinscJiwangerschaft"  (pag.  234)  beziehungsweise 
„Schwang  er  Schafts-  und  Gehurtscomplicationen'-''  (pag.  746)  Besprechung. 

Die  Erkrankungen  der  Tuben  sind  ungemein  häufig.  Processe 
geringeren  Grades  bleiben  unserer  Diagnose  oft  verborgen,  doch  zeigen  na- 
mentlich die  Sectionsbefunde,  wie  häufig  die  Erkrankungen  der  Tuben  vor- 
kommen. So  fand  v.  Winkel  unter  500  Frauenleichnamen  205  mal  patho- 
logische Veränderungen  an  den  Eileitern. 

Von  den  Bildungsanomalien  seien  zunächst  jene  erwähnt  welche 
durch  Abnormitäten  in  der  Vereinigung  der  MüLLEK'schen  Gänge  zustande 
kommen,  jene  Formen,  welche  beim  Uterus  didelphys,  hicornis  und  hilocularis 
sich  vorfinden  und  jene,  welche  bei  einseitiger  und  doppelseitiger  Entwicklungs- 
hemmung der  MüLLEK'schen  Gänge  gefunden  werden  (vgl.  Artikel  „Bildungs- 
anomalien  der  weihlichen  Sexualorgane  pg.  101  u.  ff.).  Hieran  reihen  sich  jene 
seltenen  Befunde  von  ungleiche  Länge  der  beiderseitigen  Eileiter, 
welche  v.  Winckel  25  mal  unter  500  Frauenleichen  fand.  Abnormitäten 
der  Tubarostien  kommen  dadurch  Zustande,  dass  herniöse  Ausbuchtungen 
am  äusseren  Ende  der  Tuba  (Tuharhernien)  an  ihrer  Kuppe  einen  Schlitz 
tragen  und  derart  gleichsam  ein  zweites  Ostium  darstellen.  Vollkommen  aus- 
gebildete, mit  Fransen  versehene  abdominale  Tubarostien  wurden  wiederholt 
beschrieben.  Haultain  erwähnt  einer  Tube,  die  äusserlich  völlig  einer  nor- 
malen gleichend  auf  dem  Querschnitte  2  Lumina  aufwies.  Die  Beschaffenheit 
des  Tubarostiums  wird  nicht  erwähnt.  Als  Tubardivertikei  werden  Aus- 
stülpungen der  Tubenwandung  bezeichnet,  die  wie  die  Tube  mit  einfacher 
Cylinderepithel  ausgekleidet  sind  und  in  einzelnen  Fällen  die  geeignete  Ver- 
anlassung zur  Tubar Schwangerschaft  abgeben. 

Die  Anomalien  in  der  Lage  der  Tuben  sind  von  den  Bildungs- 
fehlern des  Uterus  und  der  Ovarien  abhängig.  Bei  Ovarialhemien  ist  meist 
nicht  nur  das  Ovarium,  sondern  auch  der  grösste  Theil  der  Tube  in  den  Leisten- 
ring hinabgezogen.  Ebenso  begreiflich  erscheint  es,  dass  auch  die  erworbenen 
Lageveränderungen  des  Uterus  und  der  Ovarien  von  gleichzeitigen  Verände- 
rungen in  der  Lage  der  Eileiter  begleitet  sind.  Bei  Ovarialcysten  und  Myomen 
des  Uterus  werden  die  Tuben  mit  der  Entwicklung  der   Geschwülste   gezerrt 


814  TUBENERKRANKÜNGEN. 

und  erleiden  dabei  selbst  hyperplastische  Veränderungen.  Endlich  sind  es  die 
perimetritischen  Adhaesionen,  welche  die  Tuben  verziehen,  und  häufig  auch 
durch  gleichzeitige  Abknickung  des  Lumens  zu  Stauung  von  Flüssigkeit  in 
demselben  Veranlassung  bieten. 

Praktisch  wichtig  ist  das  Capitel  von  den  Blutungen  der  Tuben, 
kleinere  Blutergüsse  {Apoplexia  tubarum)  finden  sich  zuweilen  an  Leichen  von 
Personen,  die  an  schweren  Infectionsprocessen  {Cholera^  Variola,  Puerperal- 
jjrocessßw)  oder  an"  Bluterkrankungen,  die  mit  allgemeiner  haemorrhagischer 
Diathese  einhergehen,  gestorben  sind.  Nach  RoiaxANSKY  kann  es  auch  zu 
Blutungen  in  die  Tuben  kommen,  wenn  schwere  allgemeine  Circulationsstö- 
rungen  mit  Blutstasen  bestehen. 

Kleinere  Blutergüsse  gehen  selbstverständlich  symptomenlos  vorüber. 
Ernster  Natur  sind  namentlich  jene  Blutungen  „denen  eine  beginnende 
Tubargravidität  zugrunde  liegt.  Bei  Verschluss  eines  oder  beider  Tubarostien 
kommt  es  zu  Blutansammlungen  innerhalb  der  Tube  (Haematosalpinx).  Die 
Veranlassung  hiefür  liegt  in  denselben  Ursachen,  welche  für  die  Entstehung 
der  Haematometra  und  HaematoMpos  (vid.  pag.  336)  angeführt  werden.  Je 
höher  im  Uterovaginalschlauch  die  Atresie  sitzt,  desto  eher  kommt  es  zur 
Bildung  von  Haematosalpinx.  Das  in  dem  Tubensacke  enthaltene  Blut  hat  sich 
aber  nicht  allein  durch  Rückstauung  aus  dem  Uterus  angesammelt,  sondern 
stammt  auch  von  der  Schleimhaut  der  Tube  selbst  ab,  da  bei  dem  menstrualen 
Processe  auch  die  Tubarschleimhaut  Blut  absondert. 

In  3  Fällen  von  Haematosalpins  und  Hämatomstra,  die  von  Landau  und  Rheinstein 
macro-  und  microscopisch  genau  untersucht  warden,  lieferten  auch  die  anatomisch-histo- 
lof^ischen  Bilder  den  stricten  Nachweis,  dass  die  Tabe  thatsächlich  menstruirt  hat  und  nicht 
vom  Uterus  her  mit  Blut  gefüllt  wurde  (Archiv,  f.  Gynack.  Bd.  XLII.  H.  2.) 

Bezüglich  der  Erscheinungen,  welche  das  Vorhandensein  der  Haemato- 
salpinx  hervorrufen  und  bezüglich  der  Erwägungen,  welche  die  Therapie  zu 
bestimmen  haben,  sei  auf  den  Artikel  „Haematometra  und  Haematokolpos''  ver- 
wiesen. 

HaemorrhagischeTubennecrose  (lubeninfarct)  kommt  durch  Stran- 
gulation und  Torsionen  einzelner  Tubenpartien  zu  Stande.  Häufig  geschieht 
dies  bei  Stieltorsion  von  Ovarialcysten,  wenn  die  Tube  in  den  Drehungs- 
wirtel  hinein  gezogen  wird.  Selten  kann  die  strangulirende  Wirkung  von  Ad- 
haesionen haemorrhagische  Tubennecrose  erzeugen  (Sänger). 

Die  Entzündung  der  Eileiter  kann  nur  auf  die  Schleimhaut  be- 
schränkt sein  {Catarrh.  tubarum,  nach  E.  G.  Orthmann  Salpingit.  catarrhalis 
Simplex),  oder  sie  ergreift  alle  Schichten  des  Organs  {Salpingitis  a)  diffusa  s. 
interstitialis  catarrhalis  b)  purulenta).  Der  Katarrh  der  Tuben  ist  eine  seltene 
Erkrankung,  meist  der  abgeschwächte  Effect  eines  pathologischen  Agens,  welches 
die  benachbarten  Organe  (Uterus,  Ovarium)  oder  den  Gesammtorganismus 
(Allgemeininfection)  betroffen  hat.  Die  Salpingitis  hingegen  ist  das  Product 
eines  Processes,  der  sich  als  Aeusserung  eines  den  ganzen  Genitalschlauch 
ergriffenen  Infectes  (Puerperalinfection,  Gonorrhoe,  Tuberculose,  Actinomykose) 
entwickelt.  Die  Sypmptomatologie,  Diagnose  und  Therapie  der  Tubenentzün- 
dungen sind  in  den  Artikeln  „Adnexentumor''  (pag.  28'),  „Gonnorrhoe  der  weib- 
lichen Genitalien''  (pag.  310)  und  „Salpingitis''  (pag.  735.)  abgehandelt. 

Ist  infolge  von  Entzündungen  der  Tuben  partielle  Peritonitis  in  der  Um- 
gebung der  Ostien  entstanden,  so  kann  es  zum  vollständigen  Verschluss  dieser 
letzteren  kommen.  Hiedurch  stockt  der  Abfluss  des  unter  pathologischen  Ver- 
hältnissen vermehrten  Secretes  und  es  kommt  zu  Ausbuchtungen  der  Tuben- 
wand, wodurch  die  Eileiter  bald  ein  rosenkranzförmiges,  bald  ein  sackartiges 
Aussehen  erhalten.  Diese  pathologischen  Erweiterungen  enthalten  bei  ein- 
fachen katarrhalischen  Entzündungen  dickes  schleimiges  Secret  {Hydrosalpinx), 
bei  schweren  eitrigen,  namentlich  gonorrhoischen  Processen  dicken  mit  Fibrin- 


TUBENEllKRANKUNGEN.  815 

flocken  untermengten  Eiter  {Pyosulpinx)  oder  l)ci  g]eic?)zeitigen  Zerreissungen 
von  Schleimhautgefässen  eingedicktes  Jjlut  (Jkiematosalpinx).  Diese  Erwei- 
terungen der  Eileiter  mit  pathologischem  Inhalt  können  oft  ganz  bedeutende 
Ausdehnung  erhalten,  tauben-  bis  hühnereigrossc  Anschwellungen  sind  nicht 
selten,  aber  selbst  Kindskopfgrosse  kommen  vor.  Liese  Tubengeschwülste  ent- 
wickeln sich,  trotzdem  das  ostium  uterinum  offen  ist;  denn  das  Lumen  der- 
selben ist  meist  derart  verengt,  dass  durch  die  mit  dem  krankhaften  Processe 
einhergehende  Schwellung  der  Schleimhaut  ein  Abfiuss  des  angesammelten 
Secretes  unmöglich  ist.  Loch  kommt  es  andererseits  vor,  dass  der  Inhalt  der 
Tubensäcke  von  Zeit  zu  Zeit  in  den  Uterus  entleert  wird,  man  nennt  diese 
Erscheinung  Hydrops  tuhae  profluens. 

Price  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  Tubenerkrankungen  dieUrsache 
von  Darmverschluss  und  hiedurch  bedingte  Einklemraungserscheinungen  abgeben 
können.  Die  Adhaesionen  zwischen  Tuben  und  einzelnen  Darmschlingen  sind  selir  häufig, 
wie  sich  Price  wiederholt  bei  Tubenoperationen  überzeugen  konnte.  Wahrscheinlich  ver- 
anlassen diese  Verwachsungen  colikartige  Schmerzen,  die  in  Begleitung  von  Tubenerkran- 
kungen auftreten,  also  nicht  immer  in  der  Erkrankung  der  Tube  selbst,  sondern  in  der 
secundären  Laesion  des  Darmes  (Knickung,  Zerrung,  Veranlassung  zur  Antiperistaltik,  vor- 
übergehende Occlusion)  begründet  aind. 

Lie  Geschwülste  der  Tuben  sind  selten,  so  finden  sich  den  Uterus- 
fibroiden  ähnlich  gebaute  Geschwülste:  Fibrome  der  Tuben  (v.  pag.  2.52).  Sehr 
selten  sind  Lipome,  die  im  äusseren  Lrittheile  als  bohnen-  bis  wallnussgrosse 
Geschwülste  sich  vorfinden.  Zuweilen  sieht  man  polypenförmige  Papillome, 
die  bei  chronischem  Tubenkatarrh  sich  entwickeln,  ohne  ein  die  Grenzen  der 
Eileiter  wesentlich  überschreitendes  Wachsthum  darzubieten.  Von  den  cysti- 
schen Geschwülsten  am  häufigsten  ist  die  von  Moegagni  entdeckte  gestielte 
Hydatide.  Es  ist  der  Rest  des  obersten  Ende  des  MtJLLER'schen  Fadens  und 
stellt  ein  erbsengrosses  Bläschen  mit  einem  2  cm  langen  Stiele  dar.  Nur 
selten  wächst  dieses  Gebilde  abnorm  bis  zur  Wallnussgrosse. 

Neben  diesem  typischen  Gebilde  kommen  noch  weitere  ähnlichen  geformte 
Cystchen  an  der  Aussenfläche  der  Eileiter  vor  {äussere  Tuben- Cysten).  Noch  seltener 
sind  die  von  der  Innenfläche  der  Tuben  nach  auswärts  wachsenden  cystischen 
Neoplasmen  {innere  Tubencysten).  Bezüglich  des  Carcinoms  der  Eileiter  sei  auf 
den  Artikel  ,,Carcinom  der  tveiblichen  Sexualorgane'-''  pag.  153  verwiesen. 

Eine  ausführliche  Uebersicht  über  die  gegenwärtige  Kenntnis  von  den 
Neubildungen  der  Tuben  hat  Saenger  in  einem  in  November  1894  in  der 
Gesellschaft  der  Geburtshilf  ein  Leipzig  gehaltenen  Vortrage  gegeben:  Saenger 
theilt  die  Tubengeschwülste  ein,  jenachdem  sie  von  der  Schleimhaut,  der  Mus- 
cularis  und  der  peritonealen  Hülle  der  Tube  aus  ihren  Ursprung  nehmen. 
Am  zahlreichsten  und  mannigfaltigsten  sind  diejenigen  der  Schleimhaut:  Pa- 
pillome, Sarkome,  Carcinome.  Las  Tuhencarcinom  kommt  sicherlich  primär 
vor;  bisher  kennt  man  15  Fälle,  darunter  2  von  einem  Beobachter,  Zweifel, 

Knauer  erwähnt  16  Fälle,  die  bisher  als  primäre  Tubencarcinome  beschrieben  worden, 
indem  er  wohl  den  seiner  Zeit  von  Sänger  demonstrirten  Fall  hinzurechnet,  und  beschreibt 
selbst  ein  Carcinom  der  rechtseitigen  Tube  bei  gleichzeitiger  Tubovarialcyste  linkerseits. 

Seltener  sind  die  Sarkome,  die  auch,  von  der  Schleimhaut  ausgehen,  da- 
gegen entwickeln  sich  die  Myome  der  Tuben  von  der  Muscularis  tubae  aus; 
sie  sind  ebenso  selten  wie  die  des  Lärmes.  Lie  gleichfalls  seltenen  Lipome 
entstammen  unzweifelhaft  dem  fetthaltigen  paratubaren  Bindegewebe. 

Betreffs  der  Tuberkulose  der  Eileiter  sei  auf  den  Aufsatz  „luberculose 
der  weiblichen  Genitalien"  verwiesen. 

Syphilis  der  Tuben  kann  im  Anschluss  an  eine  syphilitische  Endo- 
metritis auftreten,  ist  aber  im  Allgemeinen  selten  (J.  Neumann).  Ueber  einen 
Fall  von  gummöser  Salpingitis  berichteten  Bouchard  und  Lepine:  beide  Tuben 
zeigten  den  Umfang  eines  Zeigefingers,  nach  der  Incision  fanden  sich  di-ei 
haselnussgrosse,  röthliche,  weiche  Gummata  in  jeder  Tube  vor.  c.  e. 


816  TÜBERCULOSE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

Tuberkulose  der  weiblichen  Genitalien.   Historisches:  Die  ersten 

Arbeiten  über  Tuberkulose  der  weiblichen  Genitalien  kamen  1831  aus  Frank- 
reich. Louis,  Kaynaud  und  besonders  Bkouardel  brachten  schon  pathologisch- 
anatomische Beobachtungen,  allerdings  noch  vorwiegend  makroskopischer 
Natur.  In  Deutschland  erschien  als  erstes  ausführliches  Werk  darüber  die 
Erlanger  Dissertation  von  Geil.  An  die  später  erschienenen  Arbeiten  knüpfen 
sich  dann  Namen  wie  Hegar,  Wiedow,  Cohnheim,  Weigert,  Cornil,  Williams 
und  andere  mehr.  Mit  den  Jahren  steigt  die  Zahl  der  Veröffentlichungen  aus 
allen  Ländern.  Der  Werth  der  einzelnen  hat  begreiflicher  Weise  seit  der 
Entdeckung  des  Tuberkelbacillus  an  Sicherheit  und  Vollständigkeit  zuge- 
nommen. 

Aetiologie  und  Pathogenese:  Die  primäre  Tuberkulose  des  weib- 
lichen Genitaltractus  ist  ein  so  seltenes  Vorkommnis,  das  es  selbst  noch  in 
jüngster  Zeit  von  einzelnen  Autoren  ganz  geläugnet  wird  z.  B.  von  Neiberg. 
Nach  den  bisherigen  Erfahrungen  aber  dürfen  wir  wohl  mit  ziemlicher  Be- 
stimmtheit auch  beim  Weibe  eine  primäre  Genitaltuberkulose  annehmen, 
deren  Infection  dann  auf  dreierlei  Art  und  Weise  erfolgen  kann. 

1.  Durch  den  Coitus  mit  einem  tuberkulösen  Manne. 

2.  Durch  den  untersuchenden  Finger  des  Arztes,  der  Hebamme,  durch 
Instrumente,  Mutterspritzen  etc.  besonders  bei  Kreissenden  und  Wöchnerinnen. 

3.  Durch  Selbstinfection  und  zwar  so,  dass  die  Infection  durch  diejenigen 
Bacillen  erfolgt,  welche  den  Körper  bereits  verlassen  haben  und  dann  wieder 
das  Individuum  inficiren.  Also  durch  Wäsche,  Closets,  Badewasser,  Faeces 
u.  s.  w. 

Cohnheim  war  der  erste,  welcher  auf  die  Möglichkeit  einer  Uebertragung 
der  Tuberkulose  durch  den  geschlechtlichen  Umgang  aufmerksam  machte. 
Um  nun  diese  directe  primäre  Infection  auch  experimentell  festzustellen,  haben 
Cornil  und  ebenso  Dobroronski  Culturen  von  Tuberkelbacillen  in  die  unver- 
letzte Vagina  von  Kaninchen  gespritzt  und  darnach  eine  typische  Genital- 
tuberkulose entstehen  sehen.  Gleiche  Versuche  von  Oncarani  und  Williams 
fielen  dagegen  negativ  aus.  Derville  hat  acht  Fälle  von  Genitaltuberkulose 
beim  Weibe  veröffentlicht,  wo  5  der  betreffenden  Gatten  harte  Knoten  in  der 
Epididymis  und  den  Testikeln  hatten.  Leider  wies  er  nicht  nach,  sondern 
nimmt  es  nur  an,  dass  hier  wirklich  Tuberkulose  bei  den  Männern  vorhanden 
war.  Von  Jani  ist  nachgewiesen  worden,  dass  bei  Phthisikern  innerhalb  der 
Drüsencanälchen  des  Hodens  und  in  dem  Nebenhoden  Tuberkelbacillen,  wenn 
auch  in  geringer  Anzahl,  vorhanden  sind.  Er  untersuchte  ferner  unter  Be- 
zugnahme darauf,  dass  nach  Weigert  die  Prostata  gar  nicht  so  selten  von 
infectiösen  Stoffen  als  Ablagerungsstätte  benutzt  wird,  dieses  Organ  ebenfalls 
auf  Tuberkelbacillen.  Bei  Miliartuberkulose  fand  sich  eine  Unmenge  vor. 
Dieser  auffallend  reiche  Bacillengehalt  liess  die  Annahme  als  möglich  erscheinen, 
dass  auch  die  geringen  Mengen  von  Tuberkelbacillen,  welche  bei  der  chronischen 
Phthise  im  Blute  circuliren,  in  gleicher  Weise  in  der  Prostata  gewissermassen 
„abgefangen"  würden.  Und  in  That  waren  bei  4  von  6  dieser  Fälle  Tuberkel- 
bacillen in  der  Prostata  vorhanden.  Einmal  glückte  deren  Nachweis  auch  im 
Secret  der  letzteren. 

Für  unsere  Betrachtung  ist  dabei  besonders  hervorzuheben,  dass  im 
Hoden,  wie  in  der  Prostata  weder  in  der  Umgebung  noch  an  anderen  Stellen 
auch  nur  die  Spur  einer  pathologischen  Gewebsveränderung  zu  constatiren 
war.  Es  waren  also  noch  vollständig  functionsfähige  Organe.  Damit  dürfte 
dann  wohl  bei  der  bekannt  häufigen  tuberkulösen  Affection  des  Hodens 
und  Nebenhodens  kein  Zweifel  obliegen,  dass  die  Infectionserreger  auch 
in  die  Vagina  ejaculirt  werden  können.  Noch  sicherer  allerdings  wird 
das  der  Fall  sein,  wenn  auch  die  männliche  Harnröhre  tuberkulös  afticirt  ist, 


TÜBERÜLKOSE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  817 

eine  Thatsache,  welche  erst  seit  kurzern  mehr  die  Aufmerksamkeit  erregt  hat 
und  zuerst  von  AiiiiENS  in  den  BiiUNs'schen  lieiträgen  zur  klinischen  Chirurgie 
B.  VIII.  ausführlich  behandelt  wurde. 

Wenn  es  nach  dem  vorigen  auch  noch  keine  ganz  sicher  beobachteten 
Thatsachen  dafür  giebt,  dass  der  Coitus  eventuell  tuberkulös  ansteckend  wird, 
so  lässt  doch  die  theoretische  Erwägung  bestimmt  die  Möglichkeit  zu.  Eben- 
sowenig sprechen   die   bis  jetzt   bekannten  Beobachtungen  gegen  eine  solche. 

An  dem  starken  Plattenepithel  der  gesunden  Vulva  und  Vagina  finden 
die  Tuberkelbacillen,  gleich  den  andern  Infectionserregern  einen  ungünstigen 
Boden  zum  Ansiedeln  und  ihre  Weiterentwicklung.  Dadurch  ist  wohl  auch 
das  seltene  Vorkommen  der  Tuberkulose  hier  zu  erklären.  Von  grösserer 
Gefahr  für  die  locale  Infection  sollten  die  in  den  Uterus  gelangten  Tuberkel- 
bacillen sein.  Aber  auch  in  der  Gebärmutter  scheint  für  gewöhnlich  die  An- 
siedelung derselben  erschwert  zu  sein.  Ob  die  Uterusmucosa  ebenfalls  zu 
resistent  für  dieselben,  ob  der  Flimmerstrom  die  Ablagerung  verhindert  oder 
die  Menstruation  die  Bacillen  herausschwemmt,  ob  alle  3  Momente  zusammen- 
wirken, wir  wissen  es  nicht.  Die  ausserordentliche  Seltenheit  der  primären 
Gebärmuttertuberkulose  beweist  hinreichend,  dass  im  Uterus  keine  günstigen 
Bedingungen  für  die  primäre  Arbeit  der  Tuberkelbacillen  vorhanden  sind. 

Anders  verhält  es  sich  mit  den  Tuben.  In  den  Buchten  der  dort  be- 
findlichen zarten  Schleimhaut  finden  die  Bacillen  ein  ruhiges,  ungestörtes  Ver- 
weilen und  die  besten  Bedingungen  für  ihre  Ansiedlung  und  Weitergedeihen. 
Es  braucht  wohl  kaum  hinzugefügt  zu  werden,  dass  analog  den  primären 
Tuberkulosen  an  allen  anderen  Körperregionen  die  Traumen  und  Verletzungen 
aller  Art  —  als  loci  minoris  resistentiae  —  für  das  Eindringen  des  Tuberkel- 
bacillus  zuvörderst  prädisponirend  einwirken. 

Daher  spielt,  was  von  allen  Autoren  zugestanden  wird,  das  Puerperium 
—  auch  das  nach  Abort  —  eine  unläugbare  Rolle  sowohl  bei  der  primären 
als  secundären  Infection  der  Genital-Tuberkulose.  In  dieser  Zeit  sind  durch 
den  Blutreichthum  und  die  Auflockerung  der  Gewebe,  die  zahlreichen  Epithel- 
verluste, kleinen  Einrisse  etc.  alle  für  eine  Infection  günstigen  Vorbedingungen 
in  wirksamster  Weise  erfüllt.  Jede  beliebige  andere  Infection  —  septische 
oder  gonorrhoische  —  ebnet  und  begünstigt  dann  noch  obenein  die  bacilläre 
Ansteckung.  Der  Finger  des  untersuchenden  Arztes  oder  der  Hebamme,  die 
Einführung  geburtshilflicher  Instrumente,  der  Gebrauch  von  Mutterspritzen 
bringen  den  Infectionsstoff  leicht  von  aussen  in  die  Genitalien,  ebenso  wie 
die  Selbstinfection  durch  Bacillen  des  eigenen  Körpers  mittels  Wäsche,  Unter- 
schieber, Badewasser  u.  s.  w.  am  ehesten  in  dem  Wochenbette  sich  abspielen 
wird.  Herrgott  fand  sogar  das  Fruchtwasser  Phthisischer  infectiös.  Versuchs- 
weise wurde  solches  in  die  Peritonealhöhle  eines  Meerschweinchens  gebracht, 
worauf  typische  Tuberkulose  mit  zahlreichen  Bacillen  eintrat. 

Schon  das  Ende  einer  Gravidität  bietet  der  Entwicklung  des  Tuberkel- 
bacillus,  —  sei  er  durch  Coitus  oder  auf  andere  Weise  hineingelangt  —  in 
den  Genitalien  einen  günstigen  Boden.  Ist  doch  in  jüngster  Zeit  für  das 
Auftreten  der  ascendirenden  Gonorrhoe  oder  einer  Puerperalinfection  öfters 
mit  Recht  der  Coitus  am  letzten  Ende  der  Schwangerschaft  beschuldigt  worden. 
Analog  dem  Vorgange  der  Infection  bei  diesen  Kranlvheiten  könnte  wohl  auch 
für  die  Genitaltuberkulose  der  geschlechtliche  Verkehr  kurz  vor  der  Entbindung 
als  mögliches  ätiologisches  Moment  dienen. 

Ungleich  häufiger  als  die  primäre  finden  wir  die  secundäre  Tuberkulose 
der  weiblichen  Genitalien  d.  h.  die  im  Verlauf  der  tuberkulösen  Entartung 
eines  anderen  Organes  auftretende  Tuberkulose  des  Sexualapparates.  Hier  sind 
ebenfalls  3  Infectionswege  ätiologisch  möglich. 

1.  Die  Infection  durch  die  Blutbahn. 

2.  Die  Infection  vom  Peritoneujn  her. 

Bibl.  med.  Wissenschaften     /.    Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  5J 


818  TUBERKULOSE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

3.  Die  Infedion  von  anderen  benachbarten  Organen  her.  Hierzu  sind 
auch  die  tuberkulösen  Fistelgänge,  welche  in  den  Genitaltractus  münden,  zu 
rechnen. 

In  der  Thatsache,  dass  die  Tuberkulose  in  der  grössten  Mehrzahl  der 
Fälle  durch  die  Blutcirculation  auf  den  Genitalapparat  verschleppt  wird  und 
zwar  meist  speciell  von  den  Lungen  aus,  liegt  auch  offenbar  der  schwächste 
Punkt  in  den  Publicationen,  welche  eine  primäre  Genitaltuberkulose  beweisen 
wollen.  Man  dürfte  demnach  eigentlich  —  um  ganz  sicher  zu  gehen  —  erst 
dann  die  Diagnose  auf  diese  stellen,  wenn  bestimmt  jede  Spur  einer  tuberku- 
lösen Lungenspitzenaffection  ausgeschlossen  werden  könnte,  ein  Befund  der  im 
Anfangsstadium  in  vivo  oft  gar  nicht  zu  ermitteln  ist.  Häufig  ist  selbst  post 
mortem  gar  nicht  mehr  zu  ergründen,  ob  die  Infection  durch  die  Blutbahn  erfolgt 
ist  oder  vom  Peritoneum  her  seinen  Weg  genommen  hat. 

Letzteres  kann  auf  zweierlei  Weise  vor  sich  gehen.  Einmal  geschieht 
dann  die  tuberkulöse  Ueberimpfung  in  Fällen  von  Darmtuberkulose  mit  Be- 
theiligung der  Beckenlymphdrüsen  und  zwar  allmähiig  per  contagium  oder  per 
propagationem  auf  dem  Wege  der  Lymphgefässe.  Oder  die  Bacillen  können, 
analog  dem  von  Pinner  auf  das  Peritoneum  gebrachten  Kohlenstaub,  resp. 
wie  das  weibliche  Ei  durch  den  Fimbrienstrom  des  Tubenostiums  bis  in  den 
Uterus  und  weiter  fortgerissen  werden.  Und  wirklich  sind  von  Jans  in  einem 
Falle  von  Lungen-  und  Darmtuberkulose  zahlreiche  Bacillen  in  den  noch  ganz 
gesunden  Tuben  gefunden  worden. 

Ueber  die  Häufigkeit  der  Tuberkulose  der  weiblichen  Genitalien  stehen 
entsprechend  der  verhältnismässig  kurzen  Zeit  ihrer  genauen  Kenntnis  und 
Beobachtung  noch  zu  wenig  statistisch  verwertbare  Zahlen  zur  Verfügung. 
Die  sich  aber  gerade  letzthin  ausserordentlich  häufenden  Litterat  urangaben 
aus  allen  Ländern  lassen  darauf  schliessen,  dass  dieses  Leiden  thatsächlich 
weiter  verbreitet  ist,  als  bisher  allgemein  angenommen  wurde.  Und  darum 
will  ich  auch  auf  die  der  Zeit  nach  weit  zurückliegenden  Procentzahlen  von 
Namias  und  Feerihs  aus  den  fünfziger  und  sechziger  Jahren  gar  nicht  mehr 
Bezug  nehmen.  Am  eingehendsten  hat  Williams  (1892)  darüber  Unter- 
suchungen angestellt.  Bei  169  Coeliotomien,  welche  aus  den  verschiedensten 
Ursachen,  einschliesslich  Pyosalpinx,  Perisalpingooophoritis,  Myome  etc.  etc., 
von  diesem  Autor  ausgeführt  wurden,  hat  er  in  allen  hierbei  gewonnenen 
Präparaten  sowohl  makroskopisch  als  mikroskopisch  auf  Tuberkulose  gefahndet 
und  4.75  7o  ^^s  tuberkulös  befunden.  In  den  6  Fällen  zeigte  sich,  wo  makros- 
kopisch überhaupt  kein  Zeichen  dafür  sprach,  erst  mikroskopisch  die  tuberkulöse 
Natur  der  Erkrankung.  Diese  letztere  Reihe  nannte  er  „unerwartete  Tuber- 
kulose" {insuspeded  tuberculosis).  Unter  96  wegen  sogenannter  chronischer 
Entzündungen  exstirpirter  Adnexe  waren  8"27o  tuberkulös.  Also  jeder  12.  Fall 
von  Coeliotomie  wegen  chronisch  entzündlicher  Affection  der  Adnexe  war  ein 
tuberkulöser.  Nur  in  2  Fällen  konnte  Williams  klinisch  auch  an  anderen  Organen 
die  Tuberkulose  nachweisen,  so  dass  er  die  anderen  Fälle  als  wirklich  primäre 
tuberkulöse  Genitalerkrankung  hinzustellen,  gich  berechtigt  fühlt. 

Die  Tuberkulose  der  weiblichen  Genitalien  ist  in  jedem  Lebensalter 
beobachtet  worden.  So  veröffentlichte  Brouardel  das  Vorkommnis  bei  einem 
20  Wochen  alten  Kinde,  Krzywicki  bei  einer  Frau  von  83  Jahren.  Die 
meisten  Beobachtungen  stammen  allerdings  aus  der  Zeit  des  häufigsten  Ge- 
schlechtsverkehrs, aus  der  Zeit  vom  20—40.  Jahre,  während  auch  wiederum 
Virgines  in  diesem  Alter  ebensowenig  verschont  geblieben  sind. 

Gewöhnlich  werden  die  secundären  Tuberkulosefälle  an  den  weiblichen 
Genitalien  erst  zufällig  bei  den  Autopsien  gefunden,  indem  der  Primärheerd 
die  von  den  Geschlechtstheilen  ausgehenden  Symptome  maskirt.  Ebenso  ist 
auch  bei  den  selteneren  Fällen  von  primärer  Genitaltuberkulose  die  Diagnose 


TUBERKULOSE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  819 

wegen  der  wenig  oder  gar  nicht  ausgesprochenen  speciellen  Symptome  dafür 
erst  bei  resp.  nach  der  Operation  oder  bei  der  Autopsie  gestellt  worden. 

Wir  wollen  nun,  unter  Beobachtung  der  anatomischen  Keihenfolge  eine 
specielle  Betrachtung  der  einzelnen  Organe  folgen  lassen. 

I.  Tuberkulose  der  Vulva,  Vagina  und  der  Cervix. 

Obgleich  die  Tuberkulose  der  Genitalien  im  Verlaufe  von  allgemeiner  Tuber- 
kulose kein  so  seltenes  Ereignis  bildet,  so  gehört  doch  die  Tuberkulose  der  Portio 
vaginalis,  der  Vagina  und  besonders  der  Vulva  zu  den  Seltenheiten. 

Der  Vollständigkeit  wegen  will  ich  hier  auch  den  Lupus  der  Vulva 
erwähnen  ;  ob  diese  Erkrankung  auch  die  Vagina  befällt,  konnte  ich  aus  der  mir 
zuständigen  Litteratur  nicht  eruiren.  An  der  Vulva  tritt  der  Lupus  in  gleicher 
Weise  wie  an  anderen  von  ihm  befallenen  Hautpartien  auf.  Durch  die  von  ihm 
bewirkten  Substanzverluste  und  das  sich  dann  bildende  Narbengewebe  kann  er  — 
falls  seine  Ausbreitung  in  deren  nächste  Nähe  fällt  —  die  Urethra  stenosiren  oder 
verlagern,  (Hermann,  Viatte). 

Die  tuberkulösen  Geschwüre  sind  bislang  noch  weniger  als  der  Lupus  zur 
Beobachtung  gekommen.  Der  erste  auf  Tuberkelbacillen  untersuchte  Fall  rührt  von 
Chiari  (1886)  her.  Zwei  Jahre  später  veröffentlichte  Zweigbaum  ebenfalls  einen 
und  konnte  ausser  dem  von  Chiari  nur  noch  einen  weiteren  heranziehen,  der  aber 
nicht  auf  Tuberkelbacillen  untersucht  war. 

Die  32  Jahre  alte  Patientin  Zweigbaums  war  an  Lungen-  und  Darmtuber- 
kulose zu  Grunde  gegangen.  Auch  in  der  Vagina  fand  sich  ein  Geschwür  und  die 
blumenkohlartig  veränderte  Portio  war  ebenfalls  mit  solchen  bedeckt.  Das  Aussehen 
der  Geschwürsflächen  war  grau,  speckig  belegt,  umgeben  von  einem  harten,  erhabenen, 
unregelmässigen  Rande.  In  einem  kleinen,  bei  Lebzeiten  excidirten  Stücke  des 
Vulvargeschwüres  wurden  eine  grosse  Menge  Tuberkelbacillen  nachgewiesen. 

Die  Schilderung  des  Befundes  bei  dem  einzigen  bis  jetzt  beobachteten  Falle 
von  primärem  isolirtem  tuberkulösem  Vaginalgeschwür  (Biekfreund)  ist  dem 
vorigen  ganz  ähnlich. 

Bei  acuter  Tuberkulose  wird  man  an  der  Vulva,  Vagina  und  Cervix  auch 
Miliartuberkeln  finden. 

Die  tuberkulösen  Vaginal  fisteln  können  Vesico-Urethro-  oder  Rectovaginal- 
fisteln  sein  und  unterscheiden  sich  durch  kein  charakteristisches  Merkmal  von  den 
gewöhnlichen  Fisteln  dieser  Regionen.  Nur  die  Gegenwart  von  Bacillen  oder  Tuber- 
keln in  der  Umgebung  ihrer  Oeffnung  lässt  ihre  wahre  Natur  mit  Sicherheit 
erkennen.  Gleich  den  vorigen  Beobachtungen  sind  auch  diejenigen  über  isolirte 
Cervixtuberkulose  sehr  selten,  Veit  fand  dabei  die  Portio  vaginahs  einem  Carcinom 
sehr  ähnelnd,  jedoch  erschien  die  Oberfläche  mehr  durchscheinend,  bläschenförmig, 
so  dass  er  schon  an  Sarcombildung  dachte. 

CoRNiii  beschreibt  einen  Fall,  wo  Peak  die  Hysterectomie  ausgeführt  hatte 
wegen  des  verdächtigen  makroskopischen  Befundes  an  der  Portio.  Dieselbe  war 
hypertrophisch  verhärtet,  mit  unförmlichen  Wucherungen  besetzt  und  schwamm 
gewissermaassen  in  einer  gelblichen,  dick  schleimigen,  krümligen  Flüssigkeit,  wes- 
halb Carcinom  befürchtet  wurde.  Mikroskopisch  fand  man  an  dem  exstirpirten  Organ 
dip  Drüsenschläuche  erweitert,  das  Bindegewebe  mit  kleinen  Zellen  überfüllt,  da- 
zwischen die  für  Tuberkulose  charakteristischen,  grossen  Riesenzellen.  Die  tuber- 
kulösen Bildungen  an  der  Vaginalschleimhaut  hatten  das  nämliche  Aussehen,  wie 
die  Tuberkel  an  der  Pharynxschleimhaut.  Tuberkelbacillen  wurden  nicht  gefunden. 
Dagegen  brachte  üeberimpfung  auf  Meerschweinchen  eine  bacilläre  Tuberkulose 
hervor. 

Pozzi  macht  noch  darauf  aufmerksam,  dass  zwischen  den  Veränderungen  der 
tuberkulösen  Cervixhöhle  und  denjenigen  der  tuberkulösen  Tubenschleimhaut  die 
grösste  Uebereinstimmung    gefunden  wird:    Gleicher  Sitz    der  Riesenzellen   auf    der 


820  TUBERKULOSE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

Spitze  der  Falten  und  Zotten  oder  in  deren  Bindegewebe,  gleiche  entzündliclie  Er- 
scheinungen, gleiche  Schleimabsonderuug,  gleiche  Veränderungen  der  Epithelial- 
z  eilen. 

Diagnose.  Nach  obigem  sind  die  tuberkulösen  Geschwüre  an  dieser  Stelle 
also  nicht  von  denen  anderen  Ursprungs  zu  unterscheiden.  Als  einziges  charak- 
teristisches Merkmal  könnte  man  höchstens  ihr  chronisches  Auftreten  und  ihre  ewige 
Tendenz  zur  Heilung  und  zum  Recidiv  hinstellen.  Diflferentialdiagnostisch  wird 
besonders  Syphilis  in  Betracht  kommen,  welche  beim  Bestehenbleiben  des  Geschwüres 
nach  eing-eleiteter  Quecksilberbehandlung  sofort  anszuschliessen  ist.  Alsdann  kämen 
noch  Vaginitis  granulosa,  Herpes,  Ulcus  molle  und  Carcinom  resp.  Sarcom  in  Be- 
tracht.    Die  Entscheidung  wird  meistens  nur  das  Mikroskop  stellen  können. 

Therapie:  Die  Behandlung  ist  bei  sehr  weit  fortgeschrittener  tuberkulöser 
AUgemeinerkrankung  eine  palliative.  Erlaubt  der  Zustand  der  Patienten  aber  noch 
ein  energisches  Vorgehen,  so  wird  bei  den  Geschwüren  der  Vulva  und  Vagina  — 
besonders  bei  den  etwaigen  primären  —  Paquelin  und  Messer  nach  den  Grundsätzen 
der  Chirurgie  bei  andern  tuberkulös  erkrankten  Körperpartien  angewandt  werden 
müssen.  Bei  der  Tuberkulose  der  Cervix  dürften  dieselben  Indicationen  für  eine 
Operation  maassgebend  sein,  wie  bei  dem  Carcinom  der  Portio  vaginalis,  resp.  der 
Cervix  uteri. 

II.  Tuberkulose  des  Uterus. 

Im  Uterus  wird  die  Tuberkulose  fast  immer  als  eine  secundäre,  von  den  Tuben 
her  inficirt,  gefunden.  Nach  Pozzi  wird  dieselbe  —  in  etwas  theoretischer  Weise 
—  in  drei  Formen  geschieden. 

1.  Eine  klinisch  wenig  interessante  und  seltene  acut  miliare  Form  als 
Begleiterscheinung  einer  allgemeinen  tuberkulösen  Infection  des  ganzen  Organismus 
und  mit  vorwiegend  allgemeinen  Symptomen. 

2.  Eine  ebenfalls  seltene,  schleichend  verlaufende  und  exquisit  chronische 
interstitielle  Form,  welche  unmöglich  diagnosticirt  werden,  die  sich  aber  plötz- 
lich durch  irgend  einen  schweren  Zufall  z.  B.  Buptura  uteri,  durch  Behinderung  des 
Geburtsactes  etc.  manifestiren  kann 

3.  Eine  ulceröse  Form,  die  häufigste  und  zugleich  wichtigste. 

Immer  wurde  die  Uterustuberculose  erst  auf  dem  Sectionstische  erkannt  und 
auch  dann  noch  in  einem  sehr  vorgeschritten  Stadium.  Das  Cavum  ist  mit  tuber- 
culösem  Detritus  angefüllt,  das  ganze  Organ  vergrössert,  die  Schleimhaut  des 
Epithels  beraubt  und  die  tuberculöse  Infiltration  mehr  weniger  stark  in  die  Tiefe 
gedrungen.  Gewöhnlich  bleibt  der  Process  genau  am  oberen  Ende  der  Cervix, 
welche  intact  bleibt,  stehen;  ein  scharf  begrenztes  Geschwür,  wie  mit  dem  Loch- 
meissel  herausgestochen,  kann  die  Grenze  bezeichnen. 

Von  einer  primären  Uterustuberkulose  verlautet  meines  "Wissens  in  der 
Litteratur  nichts.  Ueber  das  Initialstadium  dieses  Leidens  ist  aus  letzter  Zeit 
(1894)  nur  ein  Fall  bekannt  geworden,  der  auch  nur  zufällig  entdeckt  wurde. 
Nassauer  beschreibt  in  seiner  Dissertation  einen  von  Hofmeier  wegen  Cancroid 
der  Portio  exstirpirten  Uterus:  2  cm  oberhalb  des  inneren  Muttermundes  —  die 
krebsige  Infiltration  war  ganz  auf  die  Cervix  beschränkt  geblieben  —  erhob  sich 
a-us  der  sonst  völlig  normal  aussehenden  Schleimhaut  ein  kirschkerugrosser  markiger 
Knoten  von  röthlich  weisser  Farbe;  oberhalb  desselben  ein  zweites,  gleichartiges 
Knötchen.  In  der  unmittelbarsten  Umgebung  dieser  beiden  Knötchen,  die  makro- 
skopisch als  gleichzeitiges  primäres  Uteruscarcinom  angesprochen  wurden,  fanden 
sich  mikroskopisch  unter  intacten  Oberflächenepithel  Tuberkeln.  Die  Knötchen  selber 
waren  in  Eetentionscystchen  umgewandelte  Drüsen.  Schon  bei  schwacher  Vergrösse- 
rung  sah  man  Riesenzellen. 

Das  Epithel  der  Drüsen  hat  zum  Theil  normale  Cylindergestalt,  oder  ist 
durch  den  Druck  des  Secretes  abgeplattet.  Es  ist  in  lebhafter  Vermehrung  be- 
griffen. Zunächst  hat  man  so  den  Befund  eines  typischen  schleimig-eitrigen  Catarrhs. 
Aber  im  weiteren  handelt   es  sich  einerseits  um    einen  Process,  der  vollkommen  in 


TUBERKULOSE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN.  821 

Analogie  zu  setzen  ist  mit  der  Desquarnationspneumonio,  wie  wir  sie  bei  fortschreiten- 
der Tuberculose  der  Lungen  finden.  Denn  das  Epithel  wird  hier  nicht  necrotisch, 
sondern  verliert  seine  typische  Cylinderform.  Die  Zellen  werden  rundlich  polygonal, 
polymorph;  die  Kerne  grösser,  mehr  als  sonst  bläschenförmig.  Des  öftei'cn  treten 
2  oder  mehr  in  einer  Zelle  auf.  Statt  regelmässig  in  einer  Reihe  sind  die  Zellen 
ganz  unregelmässig  an  und  übereinander  geordnet  und  in  mehrere  Schichten  gehäuft, 
deren  innerste  vielfach  fortwährend  abgestossen  wird.  Andererseits  handelt  es 
sich  hier  um  directe  Umwandlung  der  wuchernden  Drüsenepithelien  in 
epitheloide  Elemente  im  Sinne  der  Tuberkulosenlehre.  Ein  Vorgang,  wie 
ihn  Rindfleisch  für  die  Leberzellen,  sowie  an  den  Gehirnarterien  con- 
statiren  konnte.  Es  kommt  nämlich  nicht  immer  zur  Abstossung  des  Epithels.  Dann 
bleiben  die  neugebildeten  Zellen  in  festem  Zusammenhang  mit  dem  Mutterboden 
und  kleiden  in  4 — lOfacher  Schicht  die  Drüsenwandung  aus,  entweder  gleichmässig 
ringsherum  oder  in  einzelnen  soliden  Erhebungen  ins  Lumen  vorspringend.  So  wurde 
streckenweise  das  Lumen  der  Drüse  verschlossen  und  in  einen  soliden  Tuberkel  um- 
gewandelt. Derart  veränderte  Drüsen  fand  man  auch  innerhalb  ganz  intacten,  inter- 
glaudulären  Gewebes,  so  dass  man  thatsächlich  von  einem  Fortschreiten  der  Tuber- 
kulose längs  des  Epithels  sprechen  kann. 

Es  konnte  auch  die  Entwicklung  echter  Riesenzellen  direct  aus  den  Epithelien 
beobachtet  werden.  Einmal  ragte  eine  Riesenzelle  förmlich  gestielt,  wie  ein  Polyp 
im  Epithel  W'urzelnd,  frei  ins  Lumen  hinein. 

Tuberkelbacillen  fanden  sich  ebenfalls  vor  und  zwar  meist  1 — 2  Bacillen  neben- 
einander in  den  Riesenzellen  sowohl  bindegewebiger  wie  epithelialer  Abkunft. 

In  den  vorgeschrittenen  Fällen  von  Uterustuberkulose  kommen  die  Bacillen  nur 
selten  zur  Beobachtung;  wahrscheinlich  weil  die  Processe  schon  zu  alten  Datums  sind. 

Diagnose.  Die  Symptome  werden  sich  begreiflicher  Weise  anfänglich  mit 
denjenigen  anderer  Uterinleiden  decken  ganz  analog  wie  beim  beginnenden  Corpus- 
carcinom.  Ii'gend  ein  charakteristisches  Merkmal,  um  auf  primäre  Uterustuberkulose 
im  Initialstadium  zu  fahnden,  ist  uns  bis  jetzt  nicht  gegeben.  Bei  sehr  chronischen 
Metro-Endometritiden  allerdings  sollte  man  nach  dem  jetzigen  Standpunkte  unseres 
Wissens  eine  mikroskopische  Untersuchung  resp.  einen  Impfungsversuch  an  Meer- 
schweinchen nicht  mehr  unterlassen,  besonders  wenn  bald  Recidive  des  Leidens  ein- 
treten. 

Anders  verhält  es  sich  mit  der  Diagnose,  wenn  bei  einem  bestehenden  Uterinleiden 
zu,  gleicher  Zeit  auch  andere  Symptome  auf  einen  tuberkulösen  Herd  im  Organismus 
schliessen  lassen.  Ich  will  nur  auf  bekannten  Zeichen,  wie  Husten,  Auswurf,  Appetit- 
losigkeit, Nachtschweisse,  Abmagerung,  Drüsenschwellungen  etc.  hinweisen.  Alsdann 
wird  sich  ein  Probecurettement  mit  nachheriger  Untersuchung  der  Mucosa  auf  Tuber- 
culose  von  selbst  verstehen. 

Besonders  wichtig  ist  plötzliches  Eintreten  einer  Amennorrhoe,  die  oft  als  das 
erste  Zeichen  der  beginnenden  Phthise  angesehen  werden  muss.  Die  Beobachtungen 
Williams  bezüglich  der  Menstruation  sind  folgende.  Er  fand  bei  8  seiner  Tuber- 
culosefälle,  dass  4  überhaupt  nicht  menstruirt  hatten,  2  hatten  sogar  Menorrhagieen, 
1  war  sehr  gering  menstruirt  und  nur  1  litt  an  Amennorrhoe. 

Therapie.  Wenn  es  der  Zustand  der  Patientin  noch  erlaubt,  Exstirpation 
der  Gebärmutter  per  vaginam  oder  die  FßEUND'sche  Operation. 

IIL  Tuberculose  der  Ovarien  und  Tuben. 

Während  wiederum  die  primäre  Tuberkulose  der  Eierstöcke  zu  den  grössten 
Seltenheiten  gehört,  werden  die  Tuben  am  leichtesten  und  in  der  allergrössten  Mehr- 
zahl der  Fälle  primär  ergriffen.  Sie  bilden  dann  die  weitere  Infectionsquelle  für 
die  Genitaltuberkulose. 

Einige  wenige  Fälle  von  erwähnter,  isolirter  Eierstockstuberkulose  sind  nicht 
ganz  beweisend.  Heibekg  behauptet  sogar,  dass  die  Ovarien  überhaupt  nie  von 
Anfang  an  ergriffen,  sondern  stets  von    den  Tuben    her  inficii't    w^erden.     In    einem 


822  TUBERKULOSE  DER  WEIBLICHEN  GENITALIEN. 

Falle  von  Jacobs  finde  ich  aus  der  Beschreibung  des  Präparates  auch  nicht  die  An- 
nahme, dass  eine  primäre  Ovarialtuberculose  vorliege,  bestätigt.  Die  tuberkulösen 
Bildungen  im  Ovarium  finden  sich  —  wenn  sie  nicht  schon  ganz  destruirend  gewirkt 
haben  —  gewöhnlich  in  Form  einzelner,  etwa  erbsengrosser  Knoten,  welche  in 
manchen  Fällen  nachweislich  aus  Follikeln  hervorgehen.  Einmal  wurden  nach  Klees 
auch  miliare  Tuberkeln  im  Stroma  nachgewiesen. 

Die  Art  und  Weise  des  Fortschreitens  der  Tuberculose  von  den  Tuben  aus 
nach  aussen  hin,  nach  der  Vagina  und  Vulva  zu,  dürfen  wir  uns  ebenso  vorstellen, 
wie  dieser  Process  bei  der  secundären  Tuberculose  des  Kehlkopfes  vor  sich  geht. 
Hier  dringen  die  Bacillen  über  die  gesunde  Kehlkopfmucosa  in  die  Lungen,  wo  sie 
alle  für  sie  günstigen  Bedingungen  finden.  Ist  nun  der  Kehlkopf  durch  die  Erkran- 
kung der  Lungen  in  seiner  Widerstandsfähigkeit  alterirt,  so  inficirt  das  tuberculose 
Sputum  rückwärts  die  Mucosa  desselben.  Im  Genitaltractus  wird  der  aus  den  Tuben 
in  den  Uterus  und  weiter  fliessende  Eiter  eine  arrodirte  Stelle  oder  sonst  einen 
locus  minoris  resistentiae  tuberculös  inficiren. 

Im  primären  Stadium  werden  die  Tuben  durch  die  Anhäufung  der  tuberculösen 
Zerfallsmassen  in  gewundene  und  gegen  die  peritoneale  Oeffnung  kolbig  anschwellende 
Stränge  verwandelt,  die  vermöge  ihrer  Schwere  in  den  DouGLAs'schen  Raum  herab- 
sinken. Der  Process  geht  von  der  Schleimhaut  aus  und  zuerst  in  derselben  vor 
sich.  Es  dauert  relativ    lange,  bis    derselbe    auf   das   Peritoneum   übertragen   wird. 

Spaltet  man  eine  solche  Tube  der  Länge  nach,  so  sieht  man  ein  dilatirtes 
Lumen,  entdeckt  in  ihrer  verdickten  Wandung  meist  schon  makroskopisch  sichtbare 
Tuberkelhäufchen.  Unter  dem  Mikroskop  erscheinen  hypertrophische,  vielfach  ver- 
ästelte Vegetationen,  Zotten  und  Falten,  deren  Oberfläche  mit  cylindrischem  Flimmer- 
epithel bedeckt  ist.  An  einzelnen  Stellen  finden  sich  die  Epithelialzelleu  in  schlei- 
miger und  körniger  Umwandlung  begriffen  oder  aber  frei  im  Schleime,  in  Gesell- 
schaft von  einigen  Eiterkügelchen.  Ausser  Riesenzellen,  Tuberkeln  in  den  Zotten 
kann  man  auch  mehr  oder  minder  grössere  Knötchen  mit  Riesenzellen  auch  in  der 
fibro-musculären  Eileiterwand  finden  (Pozzi).  Tuberkelbacillen  sind  —  allerdings  in 
geringer  Zahl  —  von  Okthmann,  Werth  und  Anderen  nachgewiesen  worden. 

Im  weiteren  Verlaufe  bilden  sich  Eitersäcke  aus  den  Tuben,  die  ebenso  wie 
diejenigen  anderer  purulenter  Salpingitiden  beträchtliche  Dimensionen  erreichen  können 
und  zu  allen  möglichen  Verwachsungen  mit  den  Nachbarorgan  führen. 

Diagnose:  Die  Diagnose  einer  Tubentuberkulose,  besonders  diejenige  einer 
primären  im  Initialstadium,  einzig  und  allein  durch  die  Palpation  festzustellen,  gehört 
wohl  noch  in  das  Reich  der  Unmöglichkeit.  Möglich  wird  die  Diagnose  erst  bei 
gleichzeitigem  Bestehen  einer  tuberculösen  Peritonitis  resp.  tuberkulösen  Affectionen 
an  anderen  Organen. 

Edebohxs  punktirte  einige  Male  per  vaginam  auf  Tuberkulose  verdächtige 
Eitertubensäcke  und  war  dadurch  wenigstens  in  einem  Falle  imstande  aus  dem 
Funde  von  Tuberkelbacillen  schon  vor  der  Operation  eine  positive  Diagnose  zu  stellen, 

Therapie.  Je  nach  dem  Befinden  der  Patienten  eine  möglichst  radicale  Ent- 
fernung der  erkrankten  Gewebe  und  Organe.  Elliot  lässt  auch  eine  tuberculose 
Peritonitis  nach  Berstung  des  Tubensackes  nicht  als  Gegenindication  für  die  Coelio- 
tomie  gelten,  da  gerade  diese  einen  günstigen  Einfluss  auf  jene  ausübt. 

Ueberhaupt  sollten  bei  Operationen  wegen  tuberculöser  Peritonitis  stets  die 
Tuben  untersucht  werden,  ob  dieselben  nicht  der  Ausgangspunkt  der  Erkrankung 
sind,  und  dann  entfernt  werden.  In  diesem  Sinne  hat  auch  Sängee  in  einem  Falle 
Heilung  erzielt. 

Selbst  Spätoperationen  sind  nach  den  Berichten  von  Hegae  und  Teebillon 
vom  besten  Einflüsse  auf  das  Befinden  der  Kranken  gewesen.  So  machte  Sachs  au 
einer  decrepiden,  hereditär  tuberkulös  behafteten  Person  die  Eröffnung  des  Douglas 
mit  nachheriger  Drainage  wegen  eines  voraussichtlichen  tuberculösen  Beckenabscesses.- 
Die  Patientin  genas. 


TYMPANIA  UTERI.  823 

Prognose:  Die  Prognose  ist  immer  ernst.  Denn  obgleich  die  primäre 
Genitaltuberkulose  nicht  direct  zum  Tode  führt,  so  ist  doch  stets  —  auch 
bei  den  Aftectionen  der  Vulva  und  Vagina  —  ein  Uebergreifen  resp.  eine 
Metastasirung  auf  andere  Organe  und  vor  allem  eine  plötzlich  ausbrechende 
Miliartuberkulose  zu  befürchten.  Beschränkt  sich  der  Process  auf  Tube  und 
Ovarium,  indem  eine  Absackung  des  Eiters  stattgefunden  hat,  so  ist  dennoch 
allgemeiner  Marasmus  oder  beim  Platzen  des  Sackes  allgemeine  Peritonitis 
die  Folge. 

Bei  den  secundären  Fällen  von  Genitaltuberculose  summiren  sich  noch 
die  Gefahren  des  primären  Infectionsheerdes  hinzu.  bodenstein. 

Tympänia.  uteri,  unter  Tympania,  Tympanites  uteri  oder  Physometra 
versteht  man  eine  Ansammlung  von  Luft  oder  Gas  im   schwangeren  Uterus. 

Aetiologie:  In  ätiologischer  Beziehung  kann  man  zwei  Formen  der 
Tympania  uteri  unterscheiden,  eine  exogene  und  eine  endogene;  die  erstere 
ist  an  und  für  sich  die  bei  weitem  weniger  gefährliche;  gefährlich  wird  die- 
selbe nur  dann,  wenn  die  Luft  gleichzeitig  in  die  Uterusgefässe  eindringt, 
da  in  Folge  dessen  ein  sofortiger  Tod  eintreten  kann.  Die  exogene 
Form  der  Tympania  uteri  kommt  zu  Stande  durch  einen  directen  Lufteintritt 
von  aussen  durch  die  Vagina  in  die  Uterushöhle;  dieser  Fall  kann  eintreten 
einerseits  auf  spontane  Weise  durch  Lageveränderungen  der  Schwangeren, 
wenn  der  intra- abdominale  Druck  ein  negativer  wird,  also  namentlich  beim 
Einnehmen  der  Knie-EUenbogenlage,  oder  auch  bei  Seitenlage  mit  erhöhtem 
Becken,  andererseits  kann  die  Luft  beim  einfachen  Untersuchen,  bei  Scheiden- 
ausspülungen, bei  operativen  Eingriffen,  namentlich  beim  Eingehen  mit  der 
Hand  in  den  Uterus  zur  Vornahme  der  Wendung  eindringen. 

Die  zweite,  endogene  Form  entsteht  durch  Zersetzung  des  Fruchtwassers 
und  hierdurch  bedingte  Bildung  von  Gasen,  wobei  eine  Mitwirkung  nicht 
nur  von  Fäulnisbacterien,  sondern  auch  von  anderweitigen  gasbildenden  Mikro- 
organismen wohl  stets  im  Spiele  ist.  Die  meisten  Autoren  nahmen  bis  vor 
Kurzem  an,  dass  gleichzeitig  mit  der  Luft  auch  zahlreiche  in  ihr  enthaltende 
Fäulnis  erregende  Bacterien  in  den  Uterus  eingeführt  wurden  und  so  die 
Tympanie  verursachten;  so  behauptet  Staude  und  viele  andere  mit  ihm,  dass 
nur  der  Luftzutritt  von  Aussen  als  Hauptursache  der  Tympania  uteri  anzu- 
nehmen ist,  da  er  die  Luft  für  den  wesentlichsten  Fäulniserreger  hält.  Geb- 
HAED  kommt  dagegen  auf  Grund  eingehender  Untersuchungen  zu  dem  Schluss, 
dass  die  in  den  Uterus  eingedrungenen  Fäulniserreger  in  den  seltensten 
Fällen  aus  der  atmosphärischen  Luft  stammen,  dass  sie  vielmehr  in  erster 
Linie  aus  der  Scheide  durch  Instrumente  oder  den  untersuchenden  Finger 
verschleppt  werden;  er  hält  deshalb  das  Eindringen  von  Luft  in  den  uterus 
nicht  für  nothwendig  zum  Zustandekommen  der  Tympania.  Weiterhin  ist 
es  Gebhaed  gelungen,  in  6  Fällen  von  Tympanie  uteri  das  Baderium 
coli  commune  nachzuweisen,  welches  er  in  Folge  seiner  gasbildenden  Eigen- 
schaften für  die  Entstehung  derselben  verantwortlich  macht;  er  hebt 
allerdings  hierbei  hervor,  dass  das  Bacterium  coli  commune  durchaus  nicht 
der  alleinige  Erreger  der  Tympanie  zu  sein  braucht,  sondern  dass  hiezu 
schliesslich  jeder  gasbildende  Mikroorganismus  im  Stande  ist;  das  häufige 
Vorkommen  des  Bacterium  coli  rührt  wohl  daher,  dass  dasselbe  fast  stets 
in  dem  Darminhalte  vorhanden  ist  und  deshalb  namentlich  bei  langdauernder 
Geburt  hinreichend  Gelegenheit  hat,  in  die  Scheide  und  weiter  in  den  Uterus 
zu  gelangen.  Für  die  Gefährlichkeit  des  Bacterium  coli  commune  spricht 
ausserdem  die  Thatsache,  dass  in  der  letzten  Zeit  verschiedene  Fälle  bekannt 
geworden  sind  —  so  von  Ahlfeld  undEiSEXHAET  — ,  in  denen  dieser  Miki'oor- 
ganismus  als  Hauptursache  einer  heftigen  puerperalen  Infection  anzusehen  war. 


824  UNTERSUCHUNG  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

Pathologische  Anatomie:  Die  Veränderungen,  welche  man  bei  an 
Tympania  uteri,  resp.  an  den  im  Gefolge  derselben  auftretenden  septischen 
Processen  Gestorbenen  vorfindet,  stimmen  mit  denjenigen,  welche  Avir  bei  an  Puer- 
peralfieber zu  Grunde  gegangenen  finden,  vollkommen  überein,  mit  dem  Unter- 
schied, dass  es  oftmals  noch  gelingt,  eine  mehr  oder  weniger  grosse  Menge  Luft 
resp.  stinkender  Gase  in  der  Uterushöhle  unmittelbar  nach  dem  Tode  nachzuweisen. 
Hennig  hat  einen  derartigen  Fall  beschrieben,  wo  nach  Einlegung  eines  elas- 
tischen Katheters  zur  Einleitung  der  Frühgeburt  bei  einer  Osteomalacischen 
eine  Physometra  entstand.  Die  Frau  starb  unentbunden;  bei  dem  gleich 
darauf  ausgeführten  Kaiserschnitt  entwich  nicht  nur  viel  stinkende  Luft  aus 
der  geöffneten  Bauchhöhle,  sondern  auch  aus  der  Gebärmutter,  an  welcher 
schon  während  des  Lebens  eine  deutliche  Tympanie  nachzuweisen  gewesen  war. 

Symptome  und  Verlauf:  Das  Eindringen  von  Luft  in  den  Uterus 
kann  im  ungünstigsten  Falle,  wie  bereits  erwähnt,  den  sofortigen  Tod  zur 
Folge  haben,  wenn  dieselbe  nämlich  einen  Weg  in  offene  Gefässbahnen  findet 
und  so  bis  in's  Herz  gelangt  (Olshausen,  Keamek  u.  a.) 

In  den  meisten  Fällen  bieten  die  an  Tympania  uteri  erkrankten  Frauen 
ganz  das  Bild  von  Septischen;  es  tritt  Schüttelfrost  ein,  hohes  Fieber  und 
die  bekannten  schweren  Allgemeinerscheinungen;  das  Abdomen  ist  ausser- 
gewöhnlich  stark  aufgetrieben  und  über  dem  Uterus  deutlicher  tympanitischer 
Schall  nachzuweisen.  Der  Uterus  kann  sich  schliesslich  in  Folge  der  Gas- 
ansammlung bis  zum  Zwerchfell  ausdehnen  und  so  starke  dyspnoische  Be- 
schwerden hervorrufen;  hiezu  kommt  noch,  dass  das  abfliessende  Fruchtwasser 
sich  durch  einen  äusserst  Übeln  Geruch,  sowie  durch  trübe  missfarbige  Be- 
schaffenheit auszeichnet;  bei  der  Entleerung  des  Uterus  entweichen  oft  noch 
intensiv  stinkende  Gase.  Die  Frucht  ist  meist  bereits  in  Fäulnis  über- 
gegangen; jedoch  sind  auch  Fälle  beobachtet  worden,  wo  trotz  alledem  noch 
lebende  Kinder  entwickelt  worden  sind.  Bei  beginnender  Tympanie  kommt 
meist    die    Wehenthätigkeit    zum  Stillstand. 

Bleibt  die  Zersetzung  auf  den  Uterus  beschränkt,  so  können  sich  die 
septischen  Erscheinungen  allmälig  zurückbilden;  anderenfalls  treten  alsbald 
die  Symptome  einer  schw^eren  Allgemein-Infection  auf  in  Gestalt  einer  acuten 
septischen  Peritonitis  oder  ausgedehnter  pyämischer  Processe,  welche  in  der 
Regel  bald  zum  Tode  führen. 

Diagnose:  Das  wichtigste  Zeichen  zum  Nachweis  der  Tympania  uteri 
ist  der  tympanitische  Percussionsschall,  namentlich  in  der  Gegend  des  Fundus 
uteri;  und  ausserdem  noch  das  zuweilen  mit  Gasblasen  gemischte,  intensiv  stin- 
kende Fruchtwasser. 

Prognose:  Die  Prognose  ist  immerhin  als  eine  ernste  aufzufassen, 
einerseits  wegen  der  Gefahr  eines  Eindringens  der  Luft  in  die  Uterus-Gefässe, 
andererseits  wegen  der  Gefahr  einer  allgemeinen  septischen  Infection. 

Therapie:  Die  Therapie  gipfelt  in  der  Forderung,  den  Uterus  möglichst 
schnell  zu  entleeren;  bei  hinreichend  erweitertem  Muttermund:  Wendung  oder 
Perforation  und  Extraction  mittelst  des  Kranioklasten,  wenn  keine  Herztöne 
mehr  hörbar  sind;  bei  mangelhaft  erweitertem  Muttermund:  manuelle  Dila- 
tation oder  tiefe  Licisionen  in  den  Muttermund.  Nach  sorgfältiger  Entleerung 
des  Uterus  ist  eine  möglichst  gründliche,  wiederholte  Desinfection  der  ganzen 
Uterushöhle  vorzunehmen  und  je  nach  dem  Stande  des  Allgemeinbefindens 
sind  die  nöthigen  Anordnungen  (Alkoholtherapie  etc.)  zu  treffen. 

E.    G.    ORTHMANN. 

Untersuchung  in  der  Geburtshilfe.  Der  geburtshilflichen  Unter- 
suchung hat  die  Erhebung  einer  Anamnese  vorauszugehen;  sie  gibt  uns  An- 
haltspunkte zur  Erkennung  der  Schwangerschaft,  sie  klärt  uns  über  den  Ver- 
kauf vorangegangener  Geburten  auf  und  weist  uns  auf  für  den  Gebur tsverlauf 


UNTERSUCHUNG  IN  DER  GEBURTSHILFE.  825 

wichtige  Erkrankungen  (Rachitis,  Nieren-  und  Iler/lcidcn  u.  s.  w.)  hin.  Die 
Schwangere  und,  wenn  nicht  sofortiges  Eingreifen  erforderlich,  auch  die  Ge- 
bärende ist  genau  zu  untersuchen;  schon  aus  Gestalt  und  Gang  lassen  sich 
bisweilen  wichtige  Schlüsse  auf  die  Becken])eschaftenheit  ziehen;  von  der  Con- 
stitution, von  dem  Vorhandensein  organischer  Leiden  kann  unser  Handeln  als 
Geburtshelfer  sehr  beeinÜusst  werden. 

Die  geburtshilfliche  Untersuchung  soll  Auskunft  geben  über  folgende 
Fragen: 

1.  Oh  Schwangerschaft  vorhanden  ist  oder  nicht;  oh  das  Ei  sich  in  der 
Gebärmutter  entwickelt  hat;  oh  erste  oder  wiederholte  Schwangerschaft  vorliegt; 
welcher  Zeitpunkt  der  Schwangerschaft  erreicht  ist. 

2.  Ob  die  Frucht  lebt;  wie  gross  sie  sei,  wie  Lage  und  Haltung  der  Frucht 
sei,  ob  mehrere  Früchte  vorhanden  sind,  ob  Bildungsanomalien  vorliegen. 

3.  Wie  die  Geburtsivege  beschaffen  sind; 

Während  des  Kreissens  soll  des  weiteren  beobachtet  werden: 

4.  Wie  der  vorangehende  Kindestheil  sich  ins  Becken  einstellt. 
Ausserdem   soll  es  uns  die  geburtshilfliche  Untersuchung   ermöglichen, 

den  Verlauf  der  Geburt  zu  verfolgen  und  Abweichungen  von  der  Norm  zu 
erkennen. 

Die  Methoden,  welche  uns  zur  Verfügung  stehen,  müssen  streng  in 
Hinblick  darauf  geschieden  werden,  ob  dabei  eine  Berührung  der  inneren  Ge- 
nitalien erfolgt  oder  nicht.  Nachdem  die  Hoffnungen,  welche  wir  während  der 
Herrschaft  der  Antisepsis  gehegt  hatten,  sich  nicht  erfüllt  haben,  sind  wir  in 
die  Aera  der  Asepsis  eingetreten'^").  Die  logische  Folge  davon  ist,  dass  die 
Forderung  erhoben  wird,  bei  der  Gebärenden  die  Vaginaluntersuchung  nur 
dann  auszuführen,  wenn  durch  Unterlassung  derselben  Mutter  oder  Kind  in 
Gefahr  gerathen  könnten.  Je  mehr  man  lernt,  die  einzelnen  Versuchsrae- 
-thoden  zu  gebrauchen,  um  so  mehr  wird  man  einsehen,  dass  die  Untersuchung 
per  vaginam  in  vielen  Fällen  ganz  entbehrlich  ist. 

I.  Die  äussere  Untersuchung. 

Wieweit  dielnspection  für  die  Schwangerschaftsdiagnose  verwerthbar 
ist,  wurde  bereits  besprochen**);  auch  für  die  Beurth eilung  der  Schwanger- 
schaftszeit kann  sie  Bedeutung  gewinnen  dadurch,  dass  in  Fällen,  wo  der 
Untersucher  zwischen  8.  und  10.  Monat  schwankt,  die  glatte  Beschaffenheit 
des  Nabels  für  ersteren  Termin,  die  blasenförmige  Hervorwölbung  für  letzteren 
spricht.  Wichtige  Aufschlüsse  gewährt  die  Besichtigung,  wenn  nach  voraus- 
gegangener Schwangerschaft  zu  forschen  ist;  hier  hat  man  zuerst  auf  feine, 
weisse,  alte  Narben  neben  den  frischen,  glatten,  bläulichrothen  Schwanger- 
schaftsstreifen in  Brust-  und  Bauchhaut  zu  achten;  bei  Vielgeschwängerten 
sind  bisweilen  die  Bauchdecken  und  die  Aponeurose  der  Becti  so  dünn,  dass 
man  die  Contouren  der  Gebärmutter  hindurchsehen  kann.  Sichere  x\uskunft 
über  diese  Frage  gewährt  die  Besichtigung  des  Frenulums  und  der  Hymenal- 
reste,  da  bei  einer  Geburt  durch  den  vorangehenden  Kopf  Einrisse  in  die 
hintere  Commissur  der  Schamlippen  entstehen  und  die  Hymenalbasis  fast  stets 
■derartige  Defecte  erleidet,  dass  nur  noch  kleine  Wärzchen  von  pyramidaler 
Form  (Carunculae  myrtiformes)  an  das  ehemalige  Hymen  erinnern.  Bei  Früh- 
geburt und  kleiner  Frucht  können  diese  Zeichen  ausbleiben,  nach  durchge- 
machten Operationen  können  sie  ehemalige  Schwangerschaft  vortäuschen. 

Für  die  Geburt  selbst  kann  die  Besichtigung  von  grosser  Bedeutung 
werden;  Querlage  der  Frucht,  ungünstige  Einstellung  bei  Gesichtslage,  Hinter- 


*)  Vergl.  Artikel  ^Antisepsis  in  der  Geburtshilfe,"  pag.  31  u.  ff. 
**)  Vergl.  Artikel  „Schivangerschaß,'^  pag.  733. 


826  '  UNTERSUCHUNG  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

Scheitelbeineinstellung  (s.  u.)  markiren  sich  häufig  schon  für  den  Gesichtssinn; 
Abweichungen  der  Gebärmutter  von  der  Normallage,  besonders  Hängebaucb 
werden  durch  Besichtigung  meist  besser  erkannt  als  durch  Betastung. 

Die  Percussion  ist  von  untergeordnetem  Werth;  nur  bei  der  Unter- 
scheidung von  wahrer  und  falscher  SchM'angerschaft,  bei  der  Diagnose  der 
Tympanites  uteri  und  in  den  Ausnahmefällen,  wo  die  Contouren  des  Uterus 
(z.  B.  wegen  hochgradiger  Fettleibigkeit)  nicht  palpabel  sind,  gewinnt  sie  Be- 
deutung. 

Die  Mensurati on  gewährt  uns,  abgesehen  von  der  Beckenmessung") 
keine  wichtigen  Aufschlüsse.  Der  Umfang  des  Leibes  ist  nicht  nur  von  der 
Beschaffenheit  der  Frucht,  sondern  auch  von  der  Menge  des  Fruchtwassers, 
der  Blähung  der  Eingeweide,  dem  Fettreichthum  der  Bauchdecken  u.  s.  w. 
abhängig;  einen  grossen  Leibesumfang  erkennen  wir  durch  die  Besichtigung 
ebenso  gut  wie  durch  die  Messung,  die  sonstigen  Kesultate,  welche  wir  durch 
Benützung  des  Bandmasses  erhalten  sind  ganz  unsicher.  Erwähnung  bedarf 
die  Fruchtachsenmessung  nach  Ahlfeld.  Da  bei  intrauteriner  Haltung  der 
Frucht  die  Kopf-Steisslänge  des  Kindes  annähernd  die  Hälfte  der  ganzen  Kindes- 
länge beträgt,  benutzt  Ahlfeld  dieses  Maass  zur  Bestimmung  des  Fruchtalters. 
Wenn  der  Kopf,  wie  bei  Mehrgeschwängerten  gewöhnlich,  auf  dem  vorderen 
Beckenrand  steht,    setzt  man  den  einen  Knopf  des  Tasterzirkels  oberhalb  des 

Steissesauf,  den  anderen  an  den  oberen  Symphysenrand;  (- ^- 

gibt  die  Monatszahl  der  Frucht  an.  Bei  leicht  beweglichem  Kopf,  oder  w^enn 
der  Kopf  wie  meist  bei  Erstgebärenden  bereits  ins  Becken  eingetreten  ist,""*) 
kann  die  Methode  nicht  angewendet  werden,  aber  auch  in  den  anderen  Fällen 
wird  ihr  Werth  vielfach  bestritten. 

Die  Auscultation  hat  in  der  Geburtshilfe  erst  1822  durch  Lejüme au 
DE  Kergekadec  Bedeutung  gewonnen,  welcher  in  seiner  Abhandlung  über  die 
Auscultation  Schwangerer  feststellte,  dass  man  den  kindlichen  Herzschlag 
hören  könne.*"^ "")  Die  übrigen  Phänomene,  welche  wir  durch  unser  Ohr  wahr- 
nehmen können,  sind  das  Placentargeräusch,  das  Nabelschnurgeräusch  und 
das  Schwirren  der  kleinen  Theile. 

Die  Auscultation  ergibt  die  sichersten  Kesultate  beim"  Auflegen  des 
Ohres  auf  den  blossen  Leib,  doch  wird  bei  lauten  Herztönen  das  Hemd  oder 
ein  über  den  Leib  gebreitetes  Handtuch  nicht  störend  sein ;  an  manchen  Stellen 
kann  auch  das  Stethoskop  mit  Vortheil  angewendet  werden. 

Das  Hören  der  Herztöne  zeigt  das  Leben  der  Frucht  an,  aus  dem  Nicht- 
hören  der  Herztöne  allein  aber  darf  nicht  auf  Fruchttod  geschlossen  werden. 
Erstens  wird  die  Auscultation  dem  Mindergeübten  und  Ungeduldigen  manchmal 
dort  misslingen,  wo  ein  Anderer  ein  besseres  Resultat  erhält,  dann  kommt  es 
auch,  wenn  schon  sehr  selten  vor,  dass  der  zwischen  Herz  und  Ohr  einge- 
schaltete Leitungswiderstand  noch  am  Ende  der  Schwangerschaft  so  gross 
ist,  dass  sich  der  Schall  nicht  bis  zum  Beobachter  fortpflanzen  kann  [am 
ungünstigsten  für  die  Auscultation  ist  die  Lage:  Rücken  w^eit  nach  hinten, 
rechte  Seite  nach  vorn,  IV.  Schädellage],  drittens  können  durch  lautes  Pla- 
centargeräusch oder  durch  Darmgurren  die  Herztöne  ganz  verdeckt  werden; 
während  der  Wehen  sind  die  Herztöne  nicht  gut  zu  hören.  Die  Zahl  der 
kindlichen  Herztöne  in  der  Minute  beträgt  am  Ende  der  Schwangerschaft 
130 — 144,    doch    kommen    auch    unter    nicht    pathologischen   Verhältnissen 


*)  Vergl.  Artikel  „Beclcenmessuncf"  pag.  98. 
**)  In  solchen  Fällen  führt   Ahlfeld  den  einen  Arm  des  Tasterzirkels   in  die  Vagina 
ein  tind  setzt  ihn  am  untersten  Punkt  des  Schädels  an. 

***)  Major   hatte   das  Herzgeräusch  bereits   einige  Jahre  früher  beschrieben,  ohne  es 
richtig  zu  deuten. 


UNTERSUCHUNG  IN  DER  GEBURTSHILFE.  827 

Schwankungen  zwischen  110  und  15G  vor.  Gleiclizeitiges  Fühlen  des  über 
dem  Abdomen  hörbaren  und  des  an  der  Kadialis  fühlbaren  Pulses  (in  zweifel- 
haften Fällen  durch  zwei  Beobachter)  schützt  in  der  Kegel  vor  Verwechslung 
von  kindlichem  und  mütterlichem  Herzschlag,  doch  können  Irrthümer  vor- 
kommen bei  hochgradig  aufgeregten  Frauen  (Aufklärung  eventuell  in  Narkose) 
bei  fiebernden  Kreissenden,  ausnahmsweise  auch  bei  abnorm  niederem  Foetalpuls. 

Aus  der  Häufigkeit  der  Herzschläge  glaubte  Frankeniiauser  auf  das 
Geschlecht  der  Frucht  schliessen  zu  können;  mag  es  auch  richtig  sein,  dass 
die  Herzthätigkeit  bei  Mädchen  etwas  rascher  ist  als  bei  Knaben,  so  ist  das 
doch  nur  für  grosse  Zahlen  wahr,  für  den  Einzelfall  können  diese  Beobach- 
tungen nicht  benützt  werden,  da  die  Frequenz  der  Herztöne  noch  von  vielen 
anderen  Umständen  als  dem  Geschlecht  allein  abhängig  ist. 

Werden  die  Herztöne  an  zwei  verschiedenen  Stellen  gut  gehört,  welche 
durch  eine  Zone  getrennt  sind,  an  der  das  Geräusch  gar  nicht  oder  nur  un- 
deutlich vernommen  wird,  so  entsteht  Verdacht  auf  Zivillingsschivangerschaft; 
das  Vorhandensein  einer  Doppelbefruchtung  wird  aber  durch  die  Auscultation 
erst  dann  sicher  erwiesen,  wenn  an  den  betreffenden  Stellen  die  Zahl  der 
Herzschläge  verschieden  gross  ist,  doch  ist  gleichzeitige  Beobachtung  durch 
zwei  zuverlässige  Personen  erforderlich  und  auch  dann  noch  bei  geringer 
Difierenzzahl  Vorsicht  in  der  Beurtheilung  angebracht. 

Da  an  der  Stelle,  wo  Herz  des  Kindes  und  Ohr  des  Beobachters  möglichst 
nahe  bei  einander  sind,  die  Herztöne  am  besten  gehört  werden,  bietet  uns  der  Ort 
der  deutlichsten  Wahrnehmung  ein  gewichtiges  Criterium  für  die  Lage  der 
Frucht.  Bei  Längslagen  sind  die  Herztöne  am  besten  an  der  Seite  zu  hören, 
wo  sich  der  Bücken  befindet,  bei  Querlagen  am  deutlichsten  über  dem  Fundus 
uteri;  ist  der  vorangehende  Theil  bereits  ins  Becken  eingetreten,  so  sind  bei 
Schädellage  die  Herztöne  unterhalb,  bei  Steisslage  oberhalb  des  Nabels  zu 
hören.  Auf  Stirn-  und  Gesichtslagen  deutet  der  Auscultationsbefund  hin;  da  in 
diesen  Fällen  die  vordere  Thoraxwand  den  Bauchdecken  näher  liegt  als  der 
Rücken,  werden  die  Herztöne  an  der  Seite,  an  welcher  die  kleinen  Theile  zu 
fühlen  sind,  am  deutlichsten  wahrgenommen. 

Während  der  Geburt  ist  die  oftmalige  Beobachtung  der  Herztöne  von 
allergrösster  Wichtigkeit,  da  andauerndes  Sinken  und  Steigen  des  Pulses 
ausserhalb  der  Normalgrenzen,  sowie  bleibende  Unregelmässigkeit  der  Schlag- 
folge Gefahr  für  das  kindliche  Leben  anzeigen.  Für  die  Beobachtung  des 
Geburtsverlaufes  ist  es  von  besonderem  Werth,  dass  das  Tiefertreten  des 
vorangehenden  Kindestheiles  durch  Hinuntersteigen  des  Auscultationsoptimums 
kenntlich  gemacht  wird;  auch  seitliche  Verschiebung  des  Hörcentrums  giebt 
Aufschluss  über  den  Geburtsmechanismus. 

Die  wichtigste  Untersuchungsraethode  ist  die  Palpation  des  Abdo- 
mens. Es  ist  ein  Verdienst  von  Crede  immer  wieder  die  Bedeutung  dieses 
Verfahrens  hervorgehoben  zu  haben;  zwar  ist  die  Befühlung  des  Leibes  keine 
Errungenschaft  der  Neuzeit,  doch  konnte  die  Palpation  so  lange  nicht  den  ihr 
gebührenden  Platz  einnehmen,  als  die  Methode  noch  mangelhaft  war.  Die 
Lehren  Credes  sind  in  den  letzten  Jahren  von  Leopold  eifrig  vertreten  und 
auch  erweitert  worden. 

Die  zu  untersuchende  Frau  soll  wagerecht  auf  dem  Bette  liegen,  unter 
den  Kopf  ist  ein  kleines  Kissen  zu  legen;  bei  straffen  Bauchdecken  kann  es 
vorth eilhaft  sein,  die  Beine  anziehen  zu  lassen;  der  Leib  ist  am  besten  un- 
bedeckt. Der  willkürlichen  Spannung  der  Bauchdecken  wird  durch  Ablenkung 
der  Aufmerksamkeit  und  durch  Ermahnung  zu  ruhigem  Athmen  begegnet,  ist 
bei  heftiger  Unruhe  die  Spannung  zu  gross  oder  kann  wegen  hochgradiger 
Schmerzhaftigkeit  nicht  genau  genug  palpirt  werden,  so  kann  eine  Morphium- 
injection  oder  die  Einathmung  einiger  Tropfen  Chloroform  den  Widerstand 
überwinden. 


828 


UNTERSUCHUNG  IN  DER  GEBURTSHILFE. 


Der  Untersucher  setzt  sich  so  an  die  Seite  der  Frau  hin,  dass  er  sie 
anschaut;  der  Gang  der  Untersuchung  ist  nach  Leopold*)  folgender; 

I.  Griff,  (cf.  Fig.  1): 
Beide  Hände  werden  mit 
ihren  Fingerspitzen  anei- 
nander geschoben,  dann 
die  Handflächen  quer  über 
die  Bauchdecken  der  Frau 
gelegt;  hierauf  gleitet  man 
mit  den  Handflächen  über 
die  schwangere  Gebär- 
mutter nach  oben  bis  zur 
Herzgrube. 

H.  Griff,  (cf.  Fig.  2): 
Von  der  Herzgrube  gleiten 
die  beiden  Hände  —  aus- 
gestreckt, mit  aneinander- 
gelegten Fingern  —  nach 
der  Seite  des  Bauches  und 
legen  sich  flach  an  die 
Längsseite  der  Gebär- 
mutter. 

Durch  den  1.  Grift 
diagnosticiren  wir  in  der 
Schwangerschaft  das  Alter 
der  Frucht : 

Der  Stand  des  Fundus 
uteri  ist  in  den  einzelnen 
Schwangerschaftsmonaten 
folgender : 

Gegen    Ende     des      IV. 
Monates  gerade  über  der 
Symphyse. 
Gegen  Ende  des    V.  Mo- 
nates   etwas    über   der 
Mitte    zwischen    Sym- 
physe und  Nabel. 
Gegen  Ende  des  VL  Mo- 
nates in  der  Nabelge- 
gend. 
Gegen  Ende  des  VH.  Mo- 
nates steht  der  Fundus 
uteri  2 — 3  Quer-Finger 
über  dem  Nabel. 


ipig.  1.     Aeussere  TJntersuchung.     I.  Griff  (IiEOPOLd.) 


Pig.  2.     Aeussere  Untersuchung.     II.  Griff.  (LeopoiiD). 


Gegen  Ende  des  VHL  Monates  3  Finger  unter  dem  Rippenrand. 

Gegen  Ende  des    IX.  Monates  am  Rippenrand. 

Gegen  Ende  des      X.  Monates  wieder  2—3  Finger  unter  dem  Rippenrand. 

Während  der  Geburt  orientirt  der  1.  Griff  über  die  Grösse  der  Gebär- 
mutter (Grösse  der  Frucht),  darüber  ob  die  Gebärmutter  in  die  Breite  aus- 
gedehnt ist  (Anzeichen  für  Querlage)  und  wie  der  Kindestheil  beschaffen  ist, 
welcher  im  Fundus  uteri  liegt.    Der  2.  Griff  soll  bei  Längslage   der  Frucht 


*)  Leopold  und  Spoerlin.  Die  Leitung  der  regelmässigen  Geburt  nur  durch  äussere 
Untersuchung.    Archiv  f.  Gi/n.  Bd.  XIV.  Die  folgenden  i  Bilder  sind  hieraus  entnommen. 


UNTERSUCHUNG  IN  DER  GEBURTSHILFE. 


829 


Aufschluss   darüber  geben,   welche  Seite  vom   lUicken  der  Frucht  ausgefüllt 
wird,  bei  Querlage,  an  welcher  Seite  der  Kopf  zu  fühlen  ist. 

Der  Bücken  der  Frucht  macht  sich  als  ein  mehr  weniger  deutlich  fühlbarer, 
langer  und  breiter,  walzenförmiger,  dabei  resistenter  Körper  geltend.  Manchmal 
kann  man  auf  die  Lage  des  Rückens  nur  dadurch  schliessen,  dass  der  einen 
Hand  auf  der  entsprechenden  ganzen  Seite  ein  grösserer  Widerstand  begegnet 
wie  der  anderen  Hand;  wird  in  zweifelhaften  Fällen  durcli  Auflegen  der  Hand 
auf  die  Nabelgegend  ein  massiger  Druck  auf  den  Uterusinhalt  ausgeübt,  so 
wird  der  Rücken  der  Frucht,  da  er  den  Bauchdecken  der  Mutter  genähert 
wird,  deutlicher  palpabel. 

Auf  der  dem  Rücken  gegenüberliegenden  Seite  wird  man  meist  in  der 
Schwangerschaft,  nicht  ebenso  sicher  während  der  Geburt  kleine  Theile  unter 
der  untersuchenden  Hand  fühlen,  durch  Grösse,  Verschieblichkeit  auch  spon- 
tane Ortsveränderung  als  kindliche  Extremitäten  charakterisirt.  In  der 
Mitte  des  Leibes  fühlt  man  die  kleinen  Theile  bei  Querlage  mit  nach  vorn 
gerichtetem  Bauch;  sind  auf  der  einen  Seite  kleine  Theile  in  einem  grösseren 
Convolut  zu  fühlen,  während  der  Rücken  nicht  deutlich  abtastbar  ist,  so  ist 
Vorderhauptslage  zu  vermuthen,  bei  Stirn-  oder  Gesichtslage  sind  sie  auffallend 
deutlich,  manchmal  wie  direct  unter  der  Bauchhaut  liegend  zu  fühlen;  liegt 
tiefer  Querstand  vor,  so  kann  Arm  und  Schulter  der  einen  Seite  über  der  Sym- 
physe gefühlt  werden. 

Kopf  und  Steiss  UTiterscheiden  sich 
vom  Rücken  dadurch,  dass  sie  nicht 
als  walzenförmige,  wenig  verschiebbare 
■Körper,  sondern  als  bewegliche  Kugel- 
segmente zu  fühlen  sind;  da  der  Kopf, 
mit  dem  übrigen  Körper  durch  den  Hals 
verbunden,  leicht  beweglich  ist,  so  ver- 
schwindet er,  wenn  ein  kurzer  Stoss  gege^i 
ihn  ausgeübt  wird,  schnell,  um  rasch 
wieder  an  seinen  Platz  zurückzukehren, 
der  mit  dem  Rücken  fest  verbundene  Steiss 
„ballottirt"  nicht.  In  zweifelhaften  Fällen 
kann  zur  Differentialdiagnose  noch  heran- 
gezogen werden,  dass  an  der  Stelle,  w'o 
der  harte  Kopf  der  Bauchwand  anliegt, 
der  Druck  der  untersuchenden  Hand  die 
meisten  Schmerzen  bereitet,  dass  die 
kleinen  Theile  näher  dem  Steiss  als  dem 
Kopf  zu  liegen  und  dass  bisweilen  an  den 
Kopfknochen  ein  als  Pergamentknittern 
bezeichnetes  Phänomen  wahrnehmbar  ist. 
Nicht  unerwähnt  darf  gelassen  werden, 
dass  dann,  wenn  2  Rücken,  2  Köpfe  oder,  j, 
an  von  einander  weit  entfernten  Stellen, 
kleine  Theile  zu  fühlen  sind,    an  Doppelbildung  zu  denken  ist. 

In  letzter  Zeit  ist  auch  der  Palpation  der  Tuben  und  der  runden  Mutter- 
bänder Bedeutung  beigelegt  worden;  besonders  deutlich  werden  sie  (bisweilen  auch  die 
Ovarien)  bei  Vielgebärenden  mit  dünnen  "auchdecken  wahrnehmbar.  Der  Verlauf  der  Tuben 
zeigt  den  Sitz  der  Flacenta  an ;  Leopold  fand  bei  38  Fällen  von  Kaiserschnitt  .36mal  bestä- 
tigt, dass  bei  Placentarinsertion  an  der  hintere:\  Uteruswand  die  Tuben  in  spitzem  Winkel 
nach  der  Symphyse  zu  verlaufen,  während  sie  bei  Sitz  der  Flacenta  an  der  vorderen  Fläche 
annähernd  parallel  der  Längsachse  des  Körpers  an  den  Seitenkanten  der  Gebärmutter  zu 
fühlen  sind.  Für  die  Differentialdiagnose  zwischen  uteriner  und  estrauteriner  Schwanger- 
schaft ist  es  wichtig  zu  wissen,  dass  der  eventuell  erkennbare  Abgang  der  Gebärmutter- 
anhänge vom  Fruchtsack  den  Sitz  des  Eies  sicher  anzeigt. 


Aeussere  Untersucliung.  III.  Griff  (Leopold). 


830 


UNTERSUCHUNG  IN  DER    GEBURTSHILFE. 


Zur  Diagnose  des  vorangehenden  Kindestlieiles,  wenn  derselbe  noch  über 
oder  gerade  im  Beckeneingang  steht,  dient  der 

III  Griff:  (cf.  Fig.  3.)  Der  Daumen  wird  durch  Spreizen  der  Hand  soweit 
wie  möglich  vom  Mittelfinger  entfernt,  dann  diingt  die  Hand  nahe  über  dem 
Beckeneingang  ein  und  sucht  den  vorangehenden  Kindestheil  zwischen  Daumen 
und  Mittelfinger  zu  fassen. 

Der  Köpf  fühlt  sich  als  eine  harte  Kugel  an,  die  sich,  wenn  noch  Hoch- 
stand vorhanden  ist,  wie  ein  Ball  hin  und  her  bewogen  lässt;  der  Steiss  ist 
weniger  beweglich,  unebener,  dabei  weicher.  Bei  undeutlichem  Tastbefund  ist 
die  Harnblase  zu  entleeren. 

Ist  entschieden,  dass  Längslage  vorliegt  und  dass  der  Kopf  vorangeht, 
so  ist  weiter  danach  zu  forschen,  wie  sich  der  Kopf  ins  Becken  eingestellt 
hat,  respective  in  welcher  Beckenebene  er  sich  befindet:  Anhaltspunkte  für 
diese  Fragen  gewährt  die  Palpation  von  Hinterhaupt  und  Stirn;  letztere  ist 
ein  deutlich  fühlbarer,  scharf  hervorspringender,  harter  Höcker,  ersteres  ist 
weniger  hart,  springt  nicht  so  vor  und  ist  weniger  gewölbt. 

Am  Anfang  der  Entbindung 
kann  bei  Mehrgebärenden  Stirn 
und  Hinterhaupt  mit  dem  3.  Griff 
gleich  gut  gefühlt  werden, 
während  bei  Erstgeschwängerten 
der  Kopf  bereits  im  letzten  Monat 
ante  partum  so  weit  ins  Becken 
eingetreten  ist,  dass  mit  diesem 
Griff  nur  noch  die  Stirn  gut  zu 
palpiren  ist;  steht  also  der  Kopf 
bei  Erstgebärenden  am  Beginn 
der  Geburt  noch  hoch  oder  bleibt 
er  bei  Mehrgebärenden  trotz 
guter  Wehen  über  dem  Becken 
stehen,  so  liegt  ein  Hinderniss 
entweder  von  der  mütte:  liehen 
(z.  B.  enges  Becken,  Tumoren) 
oder  von  der  kindlichen  Seite 
(ungünstige  Einstellung,  abnorm 
grosser  Kopf  u.  s.  w.)  vor. 

Für  die  Fälle,  in  denen  der 
3.  Griff  nicht  genügende  Klarheit 

Pig.  4.     Aeussere  Untersucliung.  IV.  Griff    (Leopold).  VerSChafft,    daUU    Steht   UOCh    ClU 

weiterer  Griff  zur  Beobachtung  des  Geburtsverlaufes  zur  Verfügung. 
Beim  IV.  Griff  {cf.  Fig.  4.)  stellt  sich  der  Untersucher  so  an  die 
Seite  der  Frau,  dass  er  ihr  den  Rücken  zukehrt;  dann  dringt  er  mit  den 
Fingerspitzen  beider  Hände  oberhalb  der  Weichen  unter  vorsichtigem  Tasten 
in  das  Becken  ein,  bis  die  Finger  auf  den  Kopf  stossen.  Kann  man  durch 
das  Befühlen  noch  nicht  sicher  unterscheiden,  welche  Seite  des  Schädels  der 
Stirn,  welche  dem  Hinterhaupt  entspricht,  so  bewegt  man  die  Hände  langsam 
und  leicht  über  den  unterliegenden  Theil  hinstreichend,  nach  aufwärts;  die 
Stirn  erkennt  man  daran,  dass  der  vorspringende  Theil  nach  oben  hin  plötzlich 
aufhört  —  das  Gesicht  ist  nicht  zu  fühlen  —  während  der  Hinterhauptshöcker 
allmälig  in  den  weniger  resistenten,  aber  doch  palpablen  Nacken  übergeht. 

Bei  normaler  Kopfhaltung  der  Frucht  steht,  wenn  der  Kopf  ins  Becken 
eintritt,  der  Hinterhauptshöcker  etwas  tiefer  als  die  der  Stirn  entsprechende 
Resistenz;  dies  ändert  sich  bei  Vorderhauptslage  insofern,  als  dann  die 
beiden  Prominenzen  gleich  hoch,  der  Stirnhöcker  sogar  auch  etwas  tiefer  zu 
fühlen  ist.     Ist  das  Kinn  von  der  Brust  abgewichen,  so  ist  bei  Betastung  der 


UNTERSUCHUNG  IN  DER  GEBURTSHILFE.  831 

Stirn  diese  weniger  deutlich  i'ülilhar;  beim  höchsten  Grad  dieser  Anomalie, 
der  Gesichtslage,  ist  selbst  bei  tiefem  Eindringen  der  Hand  ins  Becken  von 
der  Stirn  gar  nichts  zu  fühlen,  während  das  Hinterhaupt  auffallend  deutlich 
als  ein  grosser  harter  Theil  sich  vom  Rumpf  absetzt;  die  ungünstige  Ein- 
stellung bei  Gesichtslage  macht  sich  besonders  dadurch  kenntlich,  dass  oberhalb 
des  sich  über  die  Symphyse  vorwölbenden  Hinterhauptes  eine  Einbuchtung 
zu  fühlen,  wohl  auch  zu  sehen  ist.  Auch  die  Ilinterscheitelbeineinstellung 
kann  durch  ausschliesslich  äussere  Untersuchung  erkannt  werden,  da  bei  dieser 
Anomalie  sich  der  Kopf  über  der  Symphyse  wie  eine  Kugel  vordrängt  und 
mit  dem  Rumpf  einen  deutlich  wahrnehmbaren  Winkel  bildet. 

Ist  Beckenverengerung  vorhanden,  was  aus  „Beckenmessung"  und  „Iloch- 
stand  des  Kopfes  trotz  guter  Wehen"  geschlossen  werden  kann,  so  gibt  die 
äussere  Untersuchung  auch  näheren  Aufschluss  über  die  Beckenbeschaffenheit, 
da  bei  allgemein  verengtem  Becken  das  Hinterhaupt  durch  die  Wehen  abnorm 
tief  gepresst  wird,  während  man  beim  platten  Becken  im  Beckeneingang  beide 
Kopfhöcker  gleichhoch,  das  Hinterhaupt  eher  noch  höher  fühlen  wird. 

Auch  der  Verlauf  der  Geburt  kann  durch  äussere  Handgriffe  verfolgt 
werden;  normale  Beckenverhältnisse  und  regelrechte  Kopfeinstellung  voraus- 
gesetzt, haben  wir  für  die  räumlichen  Beziehungen  zwischen  Becken  und 
Schädel  folgende  Anhaltspunkte  (Leopold): 

Kopf  mit  kleinem  Segment  ins  Becken  eingetreten  —  Hinterhaupt  und 
Vorderhaupt  stehen  oberhalb  der  Schambeinäste,  sind  mit  3.  Griff  gleich  gut 
zu  fühlen. 

Kopf  im  Beckeneingang  —  Hinterhaupt  steht  tiefer  wie  Vorderhaupt; 
werden  beim  3.  Griff  die  Finger  parallel  gehalten,  so  ist  über  der  Symphyse 
nur  die  Stirn  zu  fühlen.     (Regel  bei  Erstgebärenden  schon  im  X.  Monat). 

Kopf  tief  im  Beckeneingang  —  Kopf  für  den  3.  Griff  nicht  mehr  zu 
fühlen;  bei  abwärts  gerichteten  Fingerspitzen  kann  der  Stirnvorsprung  noch 
gefühlt  werden. 

Kopf  in  Beckenmitte  —  Mit  dem  4.  Griff  gelingt  es  auf  der  einen  Seite 
die  Stirn  auf  der  anderen  den  flachen,  weniger  resistenten  Nacken  zu  palpiren. 

Kopf  unterhalb  der  Beckenmitte  —  Kopf  weder  durch  3.  noch  4.  Griff 
zu  fühlen.  Ist  der  Kopf  von  oben  nicht  mehr  zu  fühlen,  so  ist  er  oftmals 
schon  bei  Auseinanderziehen  der  Schamlippen  während  der  Wehe  zu  sehen; 
mehr  aber  als  die  Besichtigung  leistet  jetzt  „Die  äussere  Untersuchung 
von  der  hinteren  Wand  des  Beckens  aus". 

Veit  gibt  an,  dass  unter  normalen  Verhältnissen  beim  Beginn  der  Press- 
wehen —  wodurch  die  völlige  Erweiterung  des  Muttermundes  angezeigt  würde  — 
der  vorangehende  Kopf  neben  dem  Kreuzbein  in  der  Incisura  ischiadica  major 
während  der  Wehe  fühlbar  werde.  Die  Untersuchung  wird  in  Seitenlage  vor- 
genommen. Der  Kopf  ist  in  der  Incisur  zu  fühlen^  nach  welcher  das  Hinter- 
haupt gerichtet  ist;  von  hier  aus  lässt  sich  andauernd  das  Fortschreiten  des 
Kopfes  verfolgen,  welcher  nach  und  nach  seitlich  vom  Steissbein,  dann  auf 
dem  Hinterdamm  und  weiter  von  Damm  aus  tastbar  wird. 

•X- 

Wir  haben  nun  die  Frage  zu  erörtern,  wie  weit  ist  es  möglich, 
eine  Geburt  nur  durch  äussere  Untersuchung  zu  leiten? 

Dass  dies  überhaupt  möglich,  dafür  braucht  es  wenig  Worte;  früher 
kamen  fast  alle  Frauen  nieder,  ohne  innerlich  untersucht  zu  werden  und  jetzt 
noch  werden  ausserhalb  der  sogenannten  civilisirten  Länder  die  Kinder  ohne 
jeden  kunstverständigen  Beistand  geboren.  Auch  in  geburtshilflichen  Kliniken 
wurden  bereits  in  den  letzten  Jahrzehnten  bei  herrschenden  Puerperalfieber- 
epidemien  sämmtliche  Entbindungen,  die  nicht  dringend  ein  Eingreifen  er- 
forderten, ausschliesslich  mittelst  der  äusseren  Untersuchungsmethoden  über- 
wacht. 


832  UNTERSUCHUNG  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

Neuerdings  hat  Leopold  bei  1000  Geburten  nur  die  äusseren  Methoden, 
angewendet  und  ist  dabei  zu  dem  Resultat  gekommen,  dass  bei  weit  über  der 
Hälfte  aller  Entbindungen  jede  innere  Untersuchung  unnöthig  sei  und  darum, 
als  ein  nicht  ungefährliches  Mittel,  nur  anzuwenden  sei,  erstens,  wenn  der 
Hilfeleistende  sich  mit  der  äusseren  Untersuchung  nicht  zurecht  gefunden  habe, 
zweitens  wenn  die  Geburt  eine  regelwidrige  sei. 

Ad  1."")  Undeutliche  Befunde  können  bedingt  sein  durch: 

A.  Anomalien  von  Seiten  der  Mutter. 

a)  Uehermässige  Empfindlichkeit.  (Lagerung,  Suggestion,  Narcotica) 
h)   Uehermässige  Fettan Sammlung 
c)  Oedeme 

B.  Anomalien  des  Uterusinhaltes: 

a)  hei  Hydramnios  " 

h)  hei  ahgestorhener  Frucht 

c)  hei  wasserleerem   Uterus  nach  langem  Kreissen 

d)  hei  Tetanus  uteri 

e)  hei  Missbildungen  {auch  Zwillingsschwangerschaft). 

Ausser  diesen  Fällen,  in  denen  eine  Diagnose  durch  äussere  Untersuchung 
bisweilen  unmöglich  ist,  müssen  wir  noch  die  Falsch-Diagnosen  berücksichtigen. 
Leider  ist  in  dieser  Beziehung  die  LEOPOLD'sche  Statistik  nicht  zu  verwenden; 
er  berichtet  über  1000  Geburten,  welche  nur  unter  Anwendung  äusserer 
Untersuchungen  geleitet  wurden,  erwähnt  aber  nicht,  wie  oft  man  bei  Ent- 
bindungen, an  welche  mit  der  Absicht  herangetreten  wurde,  ohne  innere 
Berührung  auszukommen,  genöthigt  war,  von  diesem  Vorhaben  Abstand  zu 
nehmen.  Unter  diesen  Fällen  würde  wohl  manch'  diagnostischer  LTthum 
gefunden  werden.  Ohne  Berücksichtigung  solcher  Geburten  wurden  dennoch 
an  der  LEOPOLD'schen  Klinik,  an  welcher  diese  Methode  penibel  ausgeübt 
wird,  wo  Schülerinnen,  Hebammen,  Volontaire  und  Assistenten  jeden  Fall  unter- 
suchen, immer  noch  in  5%  der  Fälle  diagnostische  Fehler  begangen.  Wie 
hoch  möchte  sich  da  wohl  diese  Zahl  in  der  Praxis,  speciell  in  der  Hebammen- 
praxis belaufen?  Besonders  ein  Umstand  muss  zu  Bedenken  Anlass  geben; 
während  Leopold  bei  Besprechung  des  Palpationsbefundes  bei  Gesichtslage 
bemerkt  „wer  in  einem  solchen  Fall  überhaupt  an  die  Möglichkeit  einer 
Gesichtslage  denkt,  kann  hieraus  ohne  Schwierigkeit  die  richtige  Diagnose 
machen"  gibt  er  an  anderer  Stelle  zu,  dass  alle  6  Gesichtslagen  unter  den 
1000  Fällen  nicht  erkannt  worden  sind;  auch  2  Beckenendlagen  wurden  nicht 
diagnosticirt  unter  12  Fällen. 

Soll  nun,  wenn  die  äussere  Untersuchung  kein  sicheres  Resultat  ergibt, 
innerlich  untersucht  werden? 

Was  die  Hebamme  anbetrifft,  so  wäre  es  sehr  erstrebenswert,  dass 
sie  angewiesen  würde,  zu  diesem  Zweck  nicht  innerlich  zu  untersuchen, 
sondern  stets  dann,  wenn  Betastung  und  Behorchung  keine  sichere 
Diagnose  gestatten,  zum  Arzt  zu  schicken;  doch  ist  bei  der  jetzigen 
Ausbildung  der  Hebamme  und  bei  den  in  manchen  Gegenden  vorhandenen 
Schwierigkeiten,  ärztliche  Hilfe  zu  erlangen,  an  die  Erfüllung  dieses  Wunsches 
zur  Zeit  nicht  zu  denken.  Der  Arzt  muss  zu  einem  sicheren  Resultat  ge- 
langen; in  vielen  Fällen,  wo  die  Hebamme  scheitert,  wird  er  die  Diagnose 
stellen  können;  andere  Male  wird  er  bei  abwartendem  Verfahren  zum  Ziel 
gelangen;  keinesfalls  aber  darf  er  die  Gebärende  verlassen,  ohne  sich  über  die 
Geburtsverhältnisse  klar  geworden  zu  sein. 

Ad  2.  Bei  allen  regelwidrigen  Geburten  ist  es  erforderlich,  per  vaginam 
zu  untersuchen,  wenn  man  durch  die  innere  Untersuchung  Aufschluss  über 
Verhältnisse  erwarten  kann,  welche   durch   die   äussere  Untersuchung  nicht 


*)  cf.  Strassmann:  Anleitung  zur  aseptischen  Gehurtshilfe. 


UNTERSUCHUNG  IN  DER  GEBURTSHILFE.  833 

mit  Sicherheit  oder  überhaupt  nicht  festzustellen  sind,  deren  Kenntnis  aber 
für  die  Beurtheilung  des  betreffenden  Falles  und  für  seine  weitere  Behandlung 
von  Wichtigkeit  ist  (LEoroLo).  Bemerkt  mag  hierbei  werden,  dass  die  Diagnose 
„enges  Becken"  an  sich  noch  keine  innere  Untersuchung  erfordert;  in  Dresden 
sind  168  Frauen  mit  conj.  ext.  unter  18,5  cm,  sogar  Frauen  mit  Conj.  diago- 
nalis  IOV2  und  9^4  cm  innerlich  nicht  berührt  worden. 

Bei  ernsthaften  Störungen  im  Allgemeinbefinden  der  Mutter  (Eklampsie, 
Lungenoedem,  hohem  Fieber  u.  s.  w.),  bei  Gefahr  fürs  kindliche  Leben,  bei 
regelwidriger  Lage,  überhaupt  stets  dann,  wenn  die  Hebamme  an  und  für 
sich  verpiiichtet  ist,  ärztliche  Hilfe  herbeizurufen,  sollte  sie  die  innere  Unter- 
suchung dem  Arzt  überlassen. 

Hat  die  Hebamme  durch  äussere  Untersuchung  Querlage  ausgeschlossen 
und  bemerkt  sie  einen  regelmässigen  Fortgang  der  Geburt,  so  liegt,  bevor 
die  Blase  gesprungen  ist,  kein  Anlass  zu  einer  inneren  Untersuchung  vor; 
würden  die  Hebammen  daran  gewöhnt,  bei  normalen  Entbindungen  erst  nach 
erfolgtem  Blasensprung  zu  untersuchen,  so  würde  die  Untersuchung  leichter, 
daher  auch  kürzer  und  vor  allem,  wenn  der  Muttermund  verstrichen  ist, 
weniger  gefährlich  sein;  gleichzeitig  würde  hierdurch  dem  beliebten  Unfug 
der  vorzeitigen  Blasensprengung  vorgebeugt  werden. 

Ist  die  Blase  gesprungen,  so  muss,  wenn  nicht  die  Geburt  als  nahe 
bevorstehend  zu  erkennen  ist,  von  der  Hebamme  innerlich  untersucht  werden, 
erstens  zur  Controlle  der  Diagnose,  zweitens  um  zu  erkennen,  ob  die  Nabel- 
schnur vorgefallen  ist  oder  eine  Hand  neben  dem  Kopf  liegt. 

1.  Wenn  auch  die  Hebammen  nur  in  völlig  klarliegenden  Fällen  auf 
die  innere  Untersuchung  verzichteten,  so  würden  Selbsttäuschungen  doch  sicher 
noch  mit  unterlaufen.  Ist  einmal  Querlage  nicht  erkannt  worden,  so  ist  das 
Unglück,  wenn  direct  nach  dem  Blasensprung  untersucht  wird,  meist  noch 
aufzuhalten;  häufiger  könnte  Steisslage  verkannt  w^erden  (2mal  bei  Leopold). 
Würde  in  einem  solchen  Fall  ein  Kind  todtgeboren,  weil  in  Folge  verfehlter 
Diagnose  die  Herbeiholung  eines  Geburtshelfers  verabsäumt  worden  wäre,  so 
hätte  sich  die  Hebamme  eine  grobe  Pfiichtvernachlässigung  zu  Schulden 
kommen  lassen. 

2o  Der  Vorfall  der  Nabelschnur  kann  ohne  innere  Untersuchung  nicht 
erkannt  werden;  wäre  ein  Arzt  bei  der  Geburt  zugegen,  so  würde  ihn  bei 
regelmässiger  Beobachtung  der  Herztöne  die  Verschlechterung  des  Pulses  in 
solchem  Fall  zur  inneren  Untersuchung  und  nachfolgenden  Hilfeleistung  ver- 
anlassen; wenn  aber  die  Hebamme  hierbei  erst  dann  zum  Geburtshelfer  schicken 
kann,  wenn  die  Circulationsstörungen  für  sie  hörbar  werden,  dann  wird  wohl 
recht  oft  das  kindliche  Leben  verloren  sein. 

Fast  vollkommen  im  Unklaren  lässt  uns  die  äussere  Untersuchung  über 
die  Beschaffenheit  und  Weite  des  Muttermundes  (s.  0.);  wir  sind  in 
Folge  dessen  nicht  im  Stande  zu  entscheiden,  ob  wir  die  Frauen  vom  vor- 
zeitigen Pressen  (Cervixruptur)  zurückhalten  sollen,  oder  ob  wir  sie  bei  ti'äger 
Bauchpresse  zu  energischer  Mitarbeit  aufzumuntern  haben.  Auch  über  die 
Entstehung  und  das  Wachsen  einer  Kopfgeschwulst  w^erden  wir  ohne  innere 
Untersuchung  nicht  genügend  aufgeklärt;  Kopfgeschwulst  könnten  wir  nur 
dann  diagnosticiren,  wenn  in  der  Wehe  der  Kopf  sichtbar  wird,  während  die 
Palpation  von  der  hinteren  Beckenwand  aus  erkennen  lässt,  dass  der  Schädel 
noch  nicht  den  Beckenboden  erreicht  hat. 

Die  eben  berührten  Mängel  der  ausschliesslich  äusseren  Untersuchung 
werden  zum  grossen  Theil  paralysirt,  wenn  noch  die  Untersuchung  per  rectum 
hinzukommt.  Da  diese  Methode  in  der  Gynäkologie  Bürgerrecht  erworben 
hat  und  da  weiter  vielfach  bei  Herausbeförderung  des  Kopfes  ins  Kectum 
mit  dem  Finger  eingegangen  wird,  lag  es  nahe  dieses  Verfahren  für  die  Dia- 
gnose der  Lage  und  zur  Orientirung  über  den  Geburtsverlauf  heranzuziehen. 

Bibl.  med.    Wisseii:chaffcen.  I.  Geburtshilfe  und  G-ynäkolosie.  Oo 


834  UNTERSUCHUNG  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

Die  Untersuchung  der  Gebärenden  per  rectum  ist  zuerst  an 
der  Leipziger  Klinik  methodisch  geprüft  worden;  Keönig")  hat  daselbst  in  einer 
Serie  von  215  Fällen  sämmtliche  Gebärende  äusserlich  und  per  rectum  unter- 
suchen lassen  und  eine  Vaginaluntersuchung  nur  vorgenommen  bei  bestimmter 
Indication.  Es  ist  ihm  gelungen  bei  OO^/o  der  Kreissenden  jegliche  Berührung 
der  inneren  Genitalien  fernzuhalten,  ein  Resultat,  welches  sogar  in  der  Strass  • 
burger  Klinik  noch  übertroffen  wurde. 

Keönig  berichtet,  dass  jede  Hebammenschülerin  nach  2Y3  monatlichem 
Unterricht  im  Stande  gewesen  sei,  per  rectum  zu  fühlen: 

1.  Oh  €171  Kindestheil  ins  Becken  eingetreten  sei. 

Fühlt  sie  bei  Erstgebärenden  im  Anfang  der  Geburt  nicht  den  Kopf 
oder  tritt  er  bei  Mehrgebärenden  trotz  kräftiger  Wehen  nicht  ins  Becken  ein, 
so  soll  die  Hebamme,  da  der  Geburtsverlauf  regelwidrig  sei,  zum  Arzt  schicken. 
(Enges  Becken,  Querlage  u.  s.  w.) 

2.  Oh  der  vorangehende  Theil  der  Kopf  sei. 

Die  Fontanellen  sind  per  rectum  nicht  zu  diagnosticiren,  so  dass  die 
Hebamme  den  Kopf  nur  an  den  Nähten  erkennen  kann;  sind  Nähte  nicht  mit 
Sicherheit  zu  fühlen,  so  soll  pervaginam  untersucht  werden. 

3.  Wie  weit  der  Muttermund  sei. 

Bei  Mehrgebärenden  gelingt  es  gut,  die  Weite  des  Muttermundes  fest- 
zustellen, bei  Erstgebärenden  kommen  jedoch  häufig  Irrthümer  vor,  wenn  die 
Portio  verstrichen  ist;  darum  soll  bei  Erstgebärenden,  falls  die  Presswehen 
länger  als  2  Stunden  dauern,  innerlich  untersucht  werden,  wenn  der  Rectal- 
befund  unzulänglich  ist. 

Darüber,  ob  man  eine  etwa  vorgefallene  Nabelschnur  fühlen  kann,  be- 
richtet Krökig  nichts. 

RiEss  (Strassburg),'"*)  welcher  mit  dem  blossen  Finger  ins  Rectum  eingeht, 
• —  Krönig  zieht  einen  Condom  über  den  Finger  —  erhält  noch  viel  genauere 
Untersuchungsbefunde.  Er  fühlt  bereits  bei  ca.  fünfmarkstückgrossem  Mutter- 
mund durch  diesen  hindurch  sowohl  Nähte  als  Fontanellen  so  deutlich,  dass 
er  kleine  und  grosse  Fontanelle  unterscheiden  kann.  Die  verschiedenen  Ein- 
stellungen des  Kopfes  sind  mit  voller  Sicherheit  zu  erkennen;  Vorfall  kleiner 
Theile  kann  nicht  unbemerkt  bleiben,  sogar  der  Fuss  kann  von  der  Hand 
unterschieden  werden.  Nabelschnurvorfall  hat  Puess  zwar  nicht  beobachtet, 
doch  hält  er  die  Diagnose  dieser  Anomalie  für  leicht,  da  er  post  partum  die 
in  der  Vagina  befindliche  Nabelschnur  gut  fühlen  konnte  und  bei  um  den 
Hals  geschlungener  Nabelschnur  nicht  nur  diese  abtasten,  sondern  auch  ihr 
Pulsiren  constatiren  konnte.  Das  einzige,  worüber  man  manchmal  keine  volle 
Klarheit  erlange,  sei  die  Weite  des  Muttermundes  bei  Erstgebärenden,  speciell 
solange  die  Blase  noch  steht. 

Auf  Grund  seiner  Beobachtungen  kommt  Riess  zu  dem  Resultat,  dass 
eine  normale  Geburt  in  allen  ihren  Stadien  als  normal  vom  Mastdarm  aus 
erkannt  werden  könne;  da  die  Hebamme  nur  normale  Geburten  leiten  soll, 
so  habe  sie  zum  Arzt  zu  schicken,  so  wie  sie  Abweichungen  von  der  Norm 
bemerke.  Die  vaginale  Untersuchung  sei  demnach  für  die  Hebamme  unnöthig 
und  müsse  ihr  als  gefährlich  ganz  verboten  werden. 

Man  muss  zugestehen,  dass  Riess  der  consequentere  ist,  denn  es  ist 
gewiss,  dass,  wenn  man  den  Hebammen  gestattet,  in  den  von  Keönig  er- 
wähnten Ausnahmefällen  per  vaginam  zu  untersuchen,  sie  sich  dann 
in  der  Praxis  recht  oft  mit  der  Diagnose  per  rectum  nicht  abquälen  werden, 
sondern  es  vorziehen  werden,  von  der  gewährten  Erlaubnis,  den  Finger  in  die 
Scheide  einzuführen,  Gebrauch  zu  machen. 


*)  Centralblatt  f.  Gynaekologie  189^  Nr.  10. 
**)  Centralblatt  f.  Gynaekologie  1894  Nr.  17. 


UNTEBSUCI-IUNG  IN  DER  GEBURTSHILFE.  835 

In  der  Klinik  sind  solche  Versuche  leicht  auszuführen;  auch  da,  wo 
ärztliche  Hilfe  schnell  zu  schaffen  ist,  mag  die  Hebamme  mit  äusserer  und 
rectaler  Untersuchung  wohl  auskommen  können.  Anders  liegen  die  Verhält- 
nisse auf  dem  Lande;  hier  muss  die  Hebamme,  wenn  die  äussere  Unter- 
suchung keine  genügende  Klarheit  ergibt,  sich  sofort  darüber  entscheiden,  ob 
eine  solche  Geburtsstörung  vorliegt,  dass  der  Arzt  herbeigeholt  werden  muss. 
Für  diesen  Zweck  ist  die  Methode  die  beste,  welche  die  sichersten  Resultate 
ergibt  und  dass  die  vaginale  Untersuchung,  bei  welcher  der  Finger  direct 
die  in  Betracht  kommenden  Gebilde  berührt,  einen  sichereren  Befund  gewährt, 
wie  die  Palpation  mit  einem  von  (Riess)  oder  zwei  (Krönici)  Membranen 
umhüllten  Finger,  leuchtet  ein. 

Der  Hebamme,  welche  bei  Rectaluntersuchung  sich  nicht  genügend  hat 
orientiren  können,  zu  erlauben,  vaginal  zu  untersuchen,  geht  nicht  an,  dazu 
ist  das  Bacterium  coli  doch  nicht  harmlos  genug;  es  ist  schon  mehrfach  als 
Eitererreger  erkannt,  bei  Tympanites  uteri  gefunden  und  auch  von  Kraxig 
selbst  in  einigen  Fällen  von  Wochenbettsfieber  (wenn  auch  leichten  Grades) 
als  alleinige  Krankheitsursache  bezeichnet  worden.  Wird  gegen  dieses  Be- 
denken eingewendet,  dass  die  Erfahrung  der  Geburtshelfer  dafür  spräche,  dass 
das  Eingehen  ins  Rectum  (Ritgen'scher,  Olshausen'scher  Handgriff)  keine 
Schädigung  der  Gebärenden  herbeiführe,  so  muss  beachtet  werden,  dass  nach 
Anwendung  dieser  Expressionsmethode  meist  kein  Anlass  vorhanden  ist,  den 
Finger  in  die  Scheide  einzuführen.  Wenn  aber  die  Hebamme  bei  Rectal- 
untersuchung sich  nicht  genügende  Klarheit  verschafft  hat,  würde  sie  nicht 
nur  mit  ihren  Fingern  in  der  Scheide  herumtasten,  sondern  auch,  falls  die 
Desiufection  mangelhaft  wäre.  Keime  in  den  unteren  Gebärmutterabschnitt 
verschleppen  können.  Der  Vorschlag  Krönigs,  zur  Vermeidung  der  Beschmu- 
tzung einen  Condom  über  den  Finger  zu  ziehen,  ist  theoretisch  gut;  in  der 
Praxis  wird  sich  aber  beim  Ab-  und  wieder  Anstreifen  desselben  ein  Rein- 
halten der  Hände  nicht  erzielen  lassen.  Wie  schwer  es  ist,  einen  einmal 
mit  Koth  beschmierten  Finger  wieder  zu  reinigen,  das  sehen  wir  daran,  wie 
hartnäckig  der  Faecalgeruch  haften  bleibt;  der  Arzt  muss  sich  desinficiren 
können,  bei  der  Hebamme  dürfen  wir  uns  in  dieser  Beziehung  nicht  in  Sicher- 
heit wiegen. 

IL  Die  innere  Untersuchung") 

der  Kreissenden  muss  unter  Beobachtung  aller  Regeln  der  Antisepsis 
und  Asepsis  geschehen.  Hiezu  gehört  1.  Desinfection  der  Hände,  2.  Reinigung 
der  äusseren  Genitalien,  3.  Beobachtung  der  Vorschrift,  dass  nach  erfolgter 
Desinfection  Finger  und  Vulva  nicht  mit  undesinficirten  Gegenständen  (Hand- 
tuch, Hemd,  Unterlage,  Körperoberfläche  in  Berührung  kommen.  Da  es  schwer 
angeht  die  äusseren  Genitalien  einer  nicht  narkotisirten  Frau  sicher  keimfrei 
zu  machen,  so  ist  es  nothwendig,  die  Untersuchung  so  auszuführen,  dass  eine 
Berührung  dieser  Theile  beim  Eingehen  der  Finger  in  die  Vagina  vermieden 
wird.  Es  ist  nicht  mehr  erlaubt,  wie  es  die  Geburtshelfer  früher  thaten,  zur 
Schonung  des  Schamgefühls  unter  der  Bettdecke  zu  untersuchen;  die  Rück- 
sicht auf  das  Empfinden  der  Patientin  muss  in  den  Hintergrund  treten,  wenn 
es  sich  um  ihre  Gesundheit  handelt;  wenn  der  Arzt  nicht  roh  und  rücksichts- 
los, sondern  mit  Takt  und  Energie  vorgeht,  wird  er  auch  so  das  Schamgefühl 
kaum  verletzen. 

Am  geeignetsten  zur  Untersuchung  ist  die  Lagerung  im  Querbett,  doch 
gelingt  es  auch  in  gerader  Lage,  bei  gebeugten  Knieen,  eventuell  nach 
Unterschieben  eines  Kissens  unters  Kreuz,  die  Vulva  für  Augen   und  Finger 


*)  Ueber  die  bimaniielle  Untersuciiung,  soweit  sie  für  die  Schwangerschaftsdiagnose 
vrichtig  ist.  cf.  Artikel  „Schivangcrsclicift" ,  pag.  733. 

US* 


836  UNTERSUCHUNG  IN  DER  GEBURTSHILFE. 

gut  zugänglich  zu  machen.  Die  Besichtigung  der  äusseren  Genitalien  ist 
auch  im  eigenen  Interesse  des  Untersuchers  nothwendig,  wenn  er  sich  vor 
der  Gefahr  einer  syphilitischen  Infection  schützen  will;  in  solchem  Fall  thut 
der  Geburtshelfer  gut,  seine  Finger  dick  mit  einer  aseptischen  Salbe,  wie 
Borocjlycennlanolin  zu  bestreichen;  sonst  ist  es  so  gut  wie  stets  unnöthig  und 
auch  nicht  angebracht,  die  Finger  einzufetten,  da  jede  Manipulation  nach 
erfolgter  Desinfection,  dieselbe  wieder  gefährden  kann. 

Während  mit  der  einen  Hand  die  Vulva  so  entfaltet  wird,  dass  der 
Scheideneingang  sichtbar  gemacht  wird,  führt  man  den  touchirenden  Finger  unter 
Vermeidung  jeder  Berührung  der  äusseren  Genitalien  in  die  Scheide  ein;  in 
vielen  Fällen  genügt  es,  den  Zeigefinger  allein  zur  Untersuchung  zu  benützen, 
manche  ziehen  es  vor,  mit  Zeige-  und  Mittelfinger,  was  meist  möglich,  zu 
untersuchen.  Macht  sich  nach  Einführung  des  einen  Fingers  ein  Nachunter- 
suchen mit  2  Fingern  oder  der  halben  Hand  nöthig,  so  ist  selbstverständ- 
lich nochmalige  Desinfection  erforderlich.  Nach  erfolgter  Untersuchung  eine 
Ausspülung  vorzunehmen,  ist  nicht  nur  unnöthig,  sondern  kann  sogar  schäd- 
lich werden,  indem  etwa  in  der  Scheide  deponirte  Keime  in  den  Uterus  hin- 
aufgespült werden  können. 

Bei  Untersuchung  der  nicht  kreissenden  Schwangeren  dürfen  die  erwähn- 
ten Vorsichtsmaassregeln  auch  nicht  ausser  Acht  gelassen  werden,  denn  erstens 
kann  bald  nach  erfolgter  Untersuchung  Geburt  oder  Frühgeburt  eintreten  und 
dann  ist  das  Einimpfen  von  Keimen  in  die  Vagina  nicht  unbedenklich.  Wenn 
auch  bei  normalem  Scheidensecret  die  eingeführten  Krankheitserreger  nach 
Stunden  bis  Tagen  wieder  eliminirt  werden,  so  ist  dies  doch  nicht  so  sicher  bei 
Schwangeren  mit  dem  pathologischen  Secret  (Döderlein)  zu  erwarten.  Eine 
Untersuchung  in  der  Schwangerschaft  sollte,  besonders  bei  Erstgebärenden, 
wenn  irgend  möglich  vorgenommen  werden,  um  zu  erkennen,  ob  einem  nor- 
malen Geburts verlauf  Hindernisse  im  Wege  stehen. 

Die  innere  Untersuchung  soll  über  folgende  Punkte  Aufschluss  geben: 

a)  ßeschafenheit  des  Dammes,  Weite  der  Scheide,  Consistenz  der  Scheiden- 
schleimhaut (Vaginitis  granulosa). 

h)  Grösse  der  Beckenmaasse  (Tumoren  im  Becken). 

c)  Beschaffenheit  der  Portio  vaginalis  und  des  Muttermundes. 

1.  Das  Eindringen  des  Fingers  in  den  noch  nicht  eröffneten  Cervical- 
canal,  wodurch  der  schützende  Schleimpropf  zerstört  wird  und  Mikroorganis- 
men (spec.  Gonococcen)  in  höher  gelegene  Partien  der  Gebärmutter  verschleppt 
werden  könnten,  soll  unterlassen  werden. 

2.  Von  Wichtigkeit  ist  es,  bei  der  Schwangerenuntersuchung  auf  Cervix- 
risse  und  Muttermundsnarben  als  Kennzeichen  einer  überstandenen  Geburt 
zu  achten  (über  etwa  vorausgegangene  Operationen  gibt  die  Anamnese  Auf- 
schluss), 

Während  der  Entbindung  erfahren  wir  durch  die  Vaginaluntersuchung, 
wie  weit  der  Muttermund  ist,  und  wie  seine  Ränder  beschaffen  sind,  ob  die 
Blase  noch  vorhanden  ist,  und  ob  etwa  vorliegende  Nachgeburt,  kleine  Theile 
oder  die  Nabelschnur   im  Bereich  des  Muttermundes  zu  fühlen  sind. 

d)  oh  ein  Theil  der  Frucht  ins  Becken  eingetreten  ist,  resp.  ivelches  der 
vorangehende  Theil  ist.  (Ueber  Steisslage  cf.  „Beckenendlagen'-'-  pag.  84.) 

Gleichmässige  Rundung  und  Härte  des  vorangehenden  Theiles,  manchmal 
Pergamentknittern,  bei  hohem  Stand  auch  Ballotement  lassen  auf  Schädel- 
lage schliessen;  absolute  Gewissheit  gewährt  das  Fühlen  von  Nähten  und  Fon- 
tanellen. 

e)  Wie  die  räumlichen  Beziehungen  des  vorangehenden  Theiles  zum 
Becken  sind. 

Bei  der  inneren  Untersuchung  ist  man  leicht  wie  bei  der  äusseren  Täu- 
schungen darüber  ausgesetzt,  wie  tief  der  Kopf  mit  seinem   grössten  Durch- 


UNTERSUCHUNG  IN  DER  GEBURTSHILFE.  837 

tnesser  ins  Becken  eingetreten  ist;  namentlich  wenn  bei  Beckenverengerung 
Verschiebungen  der  Schiidelknochen  stattgefunden  haben,  ghiubt  der  Touchirende 
manchmal  schon  einen  tiefen  Stand  diagnosticiren  zu  können,  während  die 
von  aussen  fühlende  Hand  noch  sicher  constatiren  kann,  dass  sich  ein  Theil 
des  Kopfes  über  dem  kleinen  Becken  befindet.  Aus  der  Leichtigkeit,  mit 
welcher  man  an  den  vorliegenden  Theil  gelangt,  kann  nicht  geschlossen  werden, 
wie  weit  derselbe  ins  Becken  eingetreten  ist;  abgesehen  davon,  dass  eine  Kopf- 
geschwulst Tiefstand  vortäuschen  kann,  muss  beachtet  werden,  dass  das  eine 
Becken  niedrig,  das  andere  hoch,  mehr  dem  männlichen  Typus  sich  nähernd, 
gestaltet  sein  kann.  Zur  sicheren  Orientirung  sind  feste  Anhaltspunkte  erfor- 
derlich; dies  sind  die  hintere  Symphysenwand,  das  Promontorium,  die  Spinae 
und  Tubera  ischii.  Ist  das  Promontorium  weder  mit  gestrecktem,  noch  mit 
gekrümmtem  Finger  zu  fühlen,  so  geben  die  Spinae  ischii  den  besten  Anhalt; 
befindet  sich  der  grösste  Umfang  des  Schädels  noch  über  dem  Beckeneingang, 
so  kann  man  zwischen  Leitstelle  des  Kopfes  und  Sitzbeinstachel  gut  zwei 
Querfinger  legen;  ist  die  Leitstelle  in  der  Höhe  der  Spinae,  so  steht  der 
grösste  Umfang  des  Schädels  in  der  Beckenweite;  bei  tiefstehendem  Kopf  ist 
von  der  Spina  nichts  mehr  zu  fühlen  (Zweifel). 

Entschieden  überlegen  ist  die  innere  Untersuchung  der  äusseren,  wenn 
es  sich  darum  handelt,  die  Richtung,  resp.  Stellung  des  Schädels  zu  bestimmen; 
zur  Orientirung  dienen  in  erster  Linie  die  Nähte  und  Fontanellen.  (Vergl.  Artikel 
„Nähte"  pag.  550). 

Die  grosse  Fontanelle  ist  leichter  zu  fühlen  wie  die  kleine,  welche  keine 
eigentliche  Knochenlücke  darstellt;  am  sichersten  werden  sie  voneinander  dadurch 
unterschieden,  dass  von  ersterer  4  Nähte  annähernd  senkrecht,  von  letzterer 
3  Suturen  in  stumpfen  Winkeln  von  einander  abgehen.  Die  vordere,  schwer 
durchfühlbare  Seitenfontanelle  wird  zu  Irrthümern  keinen  Anlass  geben,  die 
hintere  ist  durch  ihre  unregelmässige  Gestalt  und  die  Nähe  des  Ohres  cha- 
rakterisirt. 

Die  Pfeilnaht  ist  daran  kenntlich,  dass  sie  grosse  und  kleine  Fontanelle 
verbindet;  sie  kann  in  manchen  Fällen,  besonders  in  der  Eröffnungsperiode 
mit  Stirn-  oder  Lambdanaht  verwechselt  w^erden,  vor  welchem  Irrthum  man 
jedoch  durch  Beachtung  folgender  Punkte  geschützt  wird.  Die  Stirnnaht  ist 
dadurch  charakterisirt,  dass  der  ihr  entsprechende  Zipfel  der  grossen  Fonta- 
nelle spitzwinkelig,  der  der  Pfeilnaht  zugehörige  stumpfwinkelig  ist;  die  Lam- 
bdanaht verläuft  mehr  im  Bogen,  die  Pfeilnaht  gestreckter;  der  von  den 
Lambdanähten  eingeschlossene  AVinkel  ist  kleiner,  wie  der  von  einer  Lambda- 
naht mit  der  Pfeilnaht  gebildete;  die  an  der  Pfeilnaht  gelegenen  Knochen- 
theile  fühlen  sich  häufig  an  umschriebenen  Partien  weicher  an,  als  die  angi'en- 
zenden  Knochentheile  an  anderen  Stellen.  (Ueber  Diagnose  der  Gesichtslage 
cf.  ^Gesichtslagen^\  pag.  287). 

Ist  es  (z.  B.  in  Folge  grosser  Kopfgeschwulst)  unmöglich,  durch  Betastung 
der  Nähte  und  Fontanellen  zur  Klarheit  zu  kommen,  so  müssen  andere  Punkte 
wie  die  Tubera  parietalia,  die  Hinterhauptsschuppe,  die  Nasenwurzel,  ein  zu 
fühlendes  Ohr  zur  Orientirung  herangezogen  werden;  das  Eingehen  mit  der 
halben  oder  ganzen  Hand,  eventuell  unter  zu  Hilfenahme  der  Narkose,  kann 
erforderlich  werden. 


Unter  normalen  Verhältnissen  findet  man  beim  Eintritt  des  Kopfes  ins 
Becken  die  Pfeilnaht  in  der  Pachtung  des-  queren  Durchmessers,  gleichweit 
von  Promontorium  und  Symphyse  entfernt,  verlaufen.  Sehr  häufig  kommen 
Abweichungen  hiervon  vor,  indem  die  Richtung  der  Pfeilnaht  sich  mehr  einem 
schrägen  Durchmesser  nähert,  oder  diese  Naht,  in  Folge  seitlicher  Neigung 


838 


UNTERSUCHUNG  IN  DER  GEBURTSHILFE. 


Fig.  5.    Befund  bei  pathologischem  Einstellungsmechanismus. 

Vordere  ScheitelbeinsteUung  aus  Döderlein,  Leitfaden  für  den 

geburtshilflichen  Operationskurs  II.  Auflage.  Leipzig  1895. 


des  Kopfes,  zum  Promontorium  zu  verschoben  wird.  (Nägele'sche  OhUqiiitäf; 
Vordere  Scheitelbeineinstellung  cf.  Fig  5.) 

Diese  Anomalie  kann  beim 
glatten  Becken  so  hochgradig 
werden,  dass  der  touchirende 
Finger  Schwierigkeiten  hat,  die 
in  der  Nähe  des  Promontoriums 
verlaufende  Pfeilnaht  zu  erreichen; 
der  Scheitelbeinhöcker  ist  nicht 
mehr  wie  gewöhnlich  an  der  Sym- 
physe zu  fühlen,  sondern  hat  sich 
der  Beckenmitte  genähert,  manch- 
mal soweit,  dass  das  Ohr  der  vor- 
deren Seite  tastbar  wird. 

Dreht  sich  der  Kopf  im  entge- 
gengesetzten Sinn  um  seine  Fron- 
troocipitalachse,  was  selten  ge- 
schieht, so  rückt  die  Pfeilnaht  von 
der  Beckenmitte  nach  der  Symphyse 
zu  (Litzmann 'sehe  Obliquität);  vor- 
angehender Theil  wird  das  hintere 
Scheitelbein  (Hintere  Scheitel- 
beineinstellung), bei  hoch- 
gradiger Abweichung  kann  sogar 
das  Ohr  innerhalb  des  Mutter- 
mundes zu  lühlen  sein  {OJirlage). 
Beim  Eintritt  des  Kopfes  ins 
Becken  verläuft  die  Pfeilnaht 
so,  dass  kleine  und  grosse  Fonta- 
nelle gleich  hoch  stehen,  doch 
kommt  schon  unter  der  Einwir- 
kung der  ersten  kräftigen  Wehen 
eine  Drehung  des  Kopfes  um  seinen 
biparietalen  Durchmesserzu  Stande 
derart,  dass  die  kleine  Fontanelle 
tiefer  tritt.  Dann  haben  wir  z.  B. 
bei  erster  Schädellage  folgenden 
Befund  {cf.  Fig.  6):  die  Pfeilnaht 
verläuft  quer  oder  mehr  weniger 
schräg;  tastet  man  die  Pfeilnaht 
nach  der  linken  Körperseite  hin 
ab,  so  gelangt  man  an  die  kleine 
Fontanelle,  w^elche  meist  etwas  nach 
vorn  gerichtet  ist;  die  auf  der 
rechten  Seite  befindliche  grosse 
Fontanelle  ist  für  den  Finger,  weil 
hochstehend  und  oft  nach  hinten 
gerichtet,  schwer  zu  erreichen. 

Die  Drehung  des  Kopfes  um 
den  biparietalen  Durchmesser  wird 
verstärkt,  d.  h.  die  kleine  Fonta- 
nelle tritt  abnorm  tief,  wenn  sich 

dem  Schädel  ein  gleichmässig  auf  ihn  einwirkender  Widerstand  entgegensetzt; 

beim  allgemein  verengten  Becken  macht  sich  der  Tiefstand  der  kleinen  Fonta- 


Fig.  6. 


Befund  bei  normalem  Einstellungsmechanismus. 
I.  Schädellage.  Aus  Dödeklein  1.  c. 


UNTERSUCHUNG  IN  DEll  GEBURTSniT/FK. 


839 


Fig.  7.     Befund  bei  pathologibchem  Binstellungsmecha- 
nismus.    Hinterhauptbein-Stellung  aus  Dödeelein   1-  c. 


nelle  (Hintcrliauptsbein-Stollung  {cf.  Fi;/.   7)  schon  boiin  pjntritt  ins 

kleine  Becken  geltend.    Den  entgegengesetzten  Zustand,  Tiefstand  der  grossen 

Fontanelle  finden  wir  vorwiegend  beim  geradverengten  Becken,  in  ausgesprochenen 

Fällen  ist  die   grosse   Fontanelle 

in  der  Führungslinie  zu  fühlen. 

Diese  Scheitelstellung  bildet 

den  Ueb ergang  zur  Stirnlage, 

welche  im   Beckeneingang   unter 

abnormen  Verhältnissen  ziemlich 

oft  gefunden  wird ;  hierbei  stösst  der 

untersuchende  Finger   zuerst  auf 

die  Stirnnaht,  in  deren  Verfolgung 

er  auf  der  einen  Seite  zur  grossen 

Fontanelle,  auf  der  anderen  Seite 

manchmal    bis    zur   Nasenwurzel 

und  Orbitalrand  gelangen    kann. 

Diese  fehlerhaften  Einstellun- 
gen des  Kopfes  finden  sich  im 
späteren  Geburtsverlauf  seltener, 
da  sie  unter  Einwirkung  einiger 
kräftiger  Wehen  häufig  in  Normal- 
haltung übergehen. 

Steht  der  Kopf  auf  dem  Becken- 
boden, so  ist  die  kleine  Fontanelle 
nach  vorn  gedreht  in  der  Nähe 
des  Foramen  obturatorium  zu 
fühlen,  meist  kann  man  auch  die 
in  der  Gegend  der  entgegen- 
gesetzten xirticulatio  sacroiliaca 
befindliche  grosse  Fontanelle  ab- 
tasten. Gelangt  der  Kopf  an 
den  Beckenausgang,  so  verläuft 
die  Pfeilnaht  annähernd  im  sagit- 
talen  Durchmesser;  die  kleine 
Fontanelle,  welche  sich  der  Sym- 
physe weiter  genähert  hat,  wird 
zuerst  in  der  Schamspalte  fühl- 
und  sichtbar. 

Abweichungen  von  diesem  Ge- 
burtsverlauf treten  ein,  wenn  die 
kleine  Fontanelle  nicht  die  Führung 
übernimmt;  bleiben  die  Fontanellen 
gleich  hoch,  so  unterbleibt  auch 
die  Drehung  der  Pfeilnaht  nach 
vorn;  noch  auf  dem  Beckenboden 
verläuft  sie  annähernd  quer. 
(Tiefer  Querstand  c/. -FY^.  8) 
Bleibt  bis  zuletzt  die  grosse  Fon- 
tanelle tiefstehend,  so  dreht  sie 
sich  immer  mehr  nach  vorn,  der 
Kopf  tritt  dann  mit  dem  Hinter- 
haupt nach  rückwärts  in  Vorder- 
scheitellage aus. 

Zu  berücksichtigen  sind  noch  die  Stirnlagen;  nicht  gar  selten  gehen  die- 
selben dadurch,  dass  die  kleine  Fontanelle  immer  tiefer  tritt,  in  Hmterhaupts- 


Befund  bei  tiefem  Querstand  der  PfeilnaM, 

DÖDEBIiEIN   1.    C. 


.■840 


UNTERSUCHUNG  IN  DER  GYNAEKOLOGIE. 


Fig  9.     Befund  bei  Btirmage  aus  UöDERiiEiN  1.  c. 


■lagen  über,  bleibt  aber  die  Stirn  vorangehender  Tlieil,  so  rückt  der  Kopf  mit 
querstehender  Stirnnalit  bis  auf  den  Beckenboden,  woselbst  sich  diese  Naht  in 
einen  schrägen  Durchmesser  stellt;  beim  Touchiren  ist  die  ganze  Stirn  mit 
Nasenwurzel    und   grosser   Fontanelle    zu    fühlen   (cf.  Fig.    9.).    Wie   durch 

Beugung  des  Halses  aus  der  Stirn- 
lage Hinterhauptslage  wird,  so 
entwickelt  sich  durch  vermehrte 
Streckung  Gesichtslage;  bei 
der  Gesichtslage  dient  an  Stelle 
der  Pfeilnaht  zur  Orientirung  die 
durch  Kinn  und  Nase  markirte 
Verlängerung  der  Stirnnaht  (Ge- 
sichtslinie). Entprechend  der  Sen- 
kung der  kleinen  Fontanelle  bei 
Hinterhauptslage,  erfolgt  bei  Ge- 
sichtslage im  Weiterschreiten  der 
Entbindung  ein  Tiefertreten  des 
Kinnes;  dreht  sich  dieses  nach 
vorn,  so  steht  am  Ende  der  Geburt, 
bei  annähernd  sagittalem  Verlauf 
der  Gesichtslinie,  das  Kinn  unter- 
halb der  Symphyse;  dreht  sich 
das  Kinn  nach  hinten,  so  kommt 
es  in  die  Gegend  der  einen  Sym- 
physis sacroiliaca. 

Fassen  wir  zum  Schluss  unsere  Ansichten  über  die  Untersuchungs- 
methoden zusammen: 

1.  In  Kliniken  und  Gebäranstalten,  wo  die  Kreissenden  andauernd 
unter  ärztlicher,  stets  hilfsbereiter  Aufsicht  stehen,  würde  es  im  Interesse 
der  Gebärenden,  —  wenn  auch  nicht  der  Lernenden  —  liegen,  die  innere  Unter- 
suchung nur  dann  vorzunehmen,  wenn  eine  besondere  Indication  dazu  vor- 
handen ist,  sei  es,  dass  es  die  sichere  Diagnosenstellung  erfordert,  sei  es, 
dass  Störungen  des  Geburtsverlaufes  vorliegen  oder  dass  es  im  Interesse  von 
Mutter  oder  Kind  nöthig  wird  festzustellen,  ob  und  wie  die  Geburt  beendet 
werden  kann. 

2.  Wenn  auch  der  Arzt,  welcher  eine  Gebärende  „andauernd"  beobachtet 
und  die  kindlichen  Herztöne  sorgfältig  controllirt,  fähig  ist,  eine  normal  ver- 
laufende Entbindung  ohne  Anwendung  von  Vaginaluntersuchung  zu  leiten,  so 
gibt  doch  die  Combination  von  innerer  und  äusserer  Untersuchung  ein  kla- 
reres Bild  über  den  Geburtsverlauf.  Eine  Untersuchung  im  Anfang  der  Geburt, 
eine  v^eitere  nach  erfolgtem  Blasensprung  wird  in  der  Hegel  genügen  und 
weiteres  Eingehen  nur  bei  besonderem  Anlass  nöthig  werden.  Da  der  Arzt  im 
Stande  sein  muss,  die  Uebertragung  von  Krankheitserregern  auf  die  Gebä- 
rende zu  vermeiden,  Verstössen  wir  mit  der  Zulassung  der  Vaginaluntersuchung 
nicht  gegen  die  Regeln  der  Asepsis, 

3.  Den  Hebammen  die  innere  Untersuchung  ganz  zu  verbieten,  wäre 
zwar  erstrebenswert,  ist  aber  zur  Zeit  unmöglich;  ob  es  gelingen  wird,  durch 
Anwendung  der  Rectaluntersuchung  dieses  Ziel  zu  erreichen,  muss  die  Zukunft 
lehren.  A.  Littauer. 

Untersuchung  in  der  Gynaekologie.  Die  moderne  Gynaekologie  hat 
durch  Vervollkommnung  der  Diagnose  ganz  ausserordentliche  Fortschritte  ge- 
macht, die  sie  zum  grossen  Theile  der  Vervollkommnung  der  Untersuchungs- 
methoden verdankt.  Während  früher  dem  untersuchenden  Arzte  nur  grössere 
Geschwülste  des  Abdomens  und  der  Beckenhöhle,  des  Ferneren  Veränderungen 


UNTERSUCHUNa  IN  DER  GYNAEKÜLOGIE.  841 

an  der  Portio  vaginalis,  am  Scheidengewölbe  und  in  der  Scheide  oder  am 
äusseren  Genitale  zugänglich  waren,  sind  wir  derzeit  im  Stande,  sämmtliche 
Organe  des  Beckens  abzutasten,  auf  ihre  normale  anatomische  Form,  Lage- 
rung und  Grösse  zu  prüfen,  die  Beweglichkeit  der  einzelnen  (Jrgane  und  ihr 
Verhältnis  zu  einander  wie  zu  denen  der  Bauchhöhle  festzustellen  und  aucli 
die  Innenhöhlen  des  Uterus  und  der  Blase  bezüglich  ihres  Inhaltes  und  der 
Beschaffenheit  der  auskleidenden  Schleimhäute  zu  controliren;  wie  bei  jeder 
anderen  medicinischen  Untersuchung  soll  der  eigentlichen  physikalischen 
Untersuchung  stets  die  Aufnahme  der  An  am  n'ese  vorangehen.  Man  wird, 
wenn  man  die  Anamnese  angehört,  von  Vorne  herein  mit  einer  gewissen 
Wahrscheinlichkeit  nach  einer  bestimmten  Erkrankungsform  zu  suchen  haben, 
und  die  gefundenen  pathologisch-anatomischen  Veränderungen  in  Einklang  zu 
bringen  trachten  mit  den  angegebenen  Symptomen  und  dadurch  gezwungen 
sein,  die  Diagnose  auf  das  Sorgfältigste  zu  stellen. 

Der  eigentlichen  Untersuchung  geht  nach  Aufnahme  der  Anamnese  die 
Inspection  zuvor,  welche  Grösse  und  Form  des  Abdomens,  der  Beschaff'enheit 
des  äusseren  Genitales,  der  grossen  und  kleinen  Schamlippen,  der  Urethra  und 
des  Vestibulum  zu  berücksichtigen  hat.  Soll  aber  die  gynaekologische  Unter- 
suchung eioe  vollständige  sein,  so  darf  man  sich  auf  die  Untersuchung  der  Geni- 
talorgane allein  nicht  beschränken,  die  Wechselbeziehungen  zwischen  den  Organen, 
welche  der  Geschlechtsfunction  vorstehen,  und  den  übrigen  Organen  des  Körpers 
sind  so  verschieden,  dass  die  Berücksichtigung  des  Gesammtzustandes  der  Kran- 
ken von  ausserordentlicher  Bedeutung  ist,"^')  und  wir  uns  demgemäss  von  dem 
Zustande  auch  entfernterer  Organe  oft  zu  überzeugen  haben.  Immerhin  wird 
unser  Hauptinteresse  sich  auf  die  Organe  des  Bauches  und  Beckens  und  der 
äusseren  Geschlechtstheile  beziehen.  Wir  werden  hiebei  durch  die  Inspection 
über  einzelne  Dinge  bereits  wichtigen  Aufschluss  bekommen,  so  bezüglich  der 
Ausdehnung  der  Bauchdecken,  der  Form  und  Lagerung  eines  Tumor,  dem 
Grade  des  Fettgehaltes,  der  Beschaffenheit  der  Bauchdecken  selbst,  der  Form 
des  Beckens  u.  s.  w. 

Der  Inspection  folgt  die  Percussion  des  Abdomens.  Sie  wird  uns 
über  den  Füllungsgrad  der  Därme,  über  einen  der  Norm  nicht  entsprechenden 
Inhalt  der  Bauchhöhle  orientiren,  dabei  werden  die  Percussionsgrenzen  uns 
darüber  aufl^lären,  ob  es  sich  um  einen  abgesackten  Tumor  oder  eine  An- 
sammlung freier  Flüssigkeit  in  der  Bauchhöhle  handelt  oder  nicht,  sie  wird 
uns  lerner  darüber  Aufschluss  geben,  ob  ein  eventuell  vorhandener  Tumor  von 
Darmschlingen  bedeckt  sei  oder  nicht  u.  s.  w.  Die  hierauf  vorzunehmende 
Palpation  wird  in  der  Weise  ausgeübt,  dass  die  auf  die  Bauchdeckenfläche 
nebeneinander  aufgelegten  Hände  die  Resistenz  prüfen,  auf  diese  Weise  einen 
abnormen  Inhalt  der  Bauchhöhle  mit  Sicherheit  nachweisen,  die  Grösse,  Form 
und  Resistenz,  Consistenz  und  Beweglichkeit  eines  eventuell  vorhandenen 
Tumors  bestimmen  helfen.  Durch  die  Palpation  wird  es  uns  ferner  möglich 
sein,  zu  erkennen,  ob  ein  nachweisbarer  Tumor  den  Bauchdecken  oder  den 
Organen  des  Bauches  oder  der  Beckenhöhle  angehört. 

Die  eigentliche  Untersuchung  der  Beckenorgane  ist  nun  zunächst  möglich 
durch  die  digitale  Untersuchung  von  einem  der  Hohlorgane  des  Beckens 
aus.  Ehe  wir  jedoch  an  eine  solche  digitale  Untersuchung  gehen,  ist  es  zu- 
nächst nothwendig,  einige  Vorbereitungen  zu  treffen.  Sie  beziehen  sich  auf 
die  Desinfection  der  eigenen  Hand  und  des  äusseren  Genitales,  soll  doch  jede 
vaginale  Untersuchung  mit  antiseptischen  Cautelen  vorgenommen  werden, 
ähnlich  wie  bei  einer  schwangeren  oder  gebärenden  Frau.  Des  Ferneren  ist 
es  nothwendig,  dafür  zu  sorgen,  dass  die  Untersuchung  bei  leerer  Blase  und 
bei   wo   möglich    entleertem  Darme  vorgenommen  werde.     Wissen  wir  doch, 


^)  Vergl.  Artikel  „Interne  Kranhheiten  tvährend  der  Gravidität,"  pag.  43 i 


842  UNTERSUCHUNG  IN  DER  GYNAEKOLOGIE. 

wie  grossen  Lageveränderungen  der  Uterus  infolge  der  Verschiedenheit  des 
Füllungsgrades  der  Blase  und  des  Mastdarmes  ausgesetzt  ist.  Wir  werden 
daher  eine  richtige  Vorstellung  von  den  Lageverhcältnissen  des  Uterus  nur 
bei  entleerter  Blase  bekommen,  während  andererseits  bei  stärkerem  Füllungs- 
grade des  Darmes  die  Spannung  der  Bauchdecken  eine  so  beträchtliche  ist, 
dass  eine  sorgfältige  gynaekologische  Untersuchung  nahezu  unmöglich  gemacht 
wird.  Von  grosser  Bedeutung  ist  ferner  die  Lagerung  der  Kranken  zum 
Zwecke  der  Untersuchung.  Soll  dieselbe  einen  sicheren  Erfolg  haben,  so  ist 
es  nothwendig,  dass  die  Kranke  alle  beengenden  Kleidungsstücke  ablege;  die 
Untersuchurig  einer  durch  das  anliegende  Corset  stark  geschnürten  Frau  kann 
keinen  Erfolg  haben,  wenn  wir  bedenken,  unter  welcher  Spannung  dadurch 
die  Organe  der  Bauchhöhle  gesetzt  werden.  Wir  müssen  daher  darauf  drin- 
gen, dass  die  Kranke  das  Mieder  ablege,  die  Unterkleider  öffne,  so  dass  der 
Leib  durch  keine  Umschnürung  beengt  werde.  Die  Untersuchung  erfolgt 
entweder  am  Divan,  im  Bette  oder  auf  dem  gynaekologischen  Untersuchungs- 
stuhle; die  letztere  Art  der  Untersuchung  ist  nur  in  der  Sprechstunde  mög- 
lich, während  bei  der  Consultation  im  Hause  der  Kranken  die  Untersuchung 
im  Bette  oder  auch  am  Divan  vorgenommen  werden  muss.  Hiebei  soll  der 
Kopf  massig  erhöht  sein,  die  Beine  werden  gestreckt  gehalten  während  der 
Inspection,  Percussion  und  Palpation  des  Abdomens,  sie  müssen  jedoch  im 
Hüft-  und  Kniegelenk  gebeugt,  aufgestellt  und  abducirt  werden  in  dem  Mo- 
mente, wo  die  innere  Untersuchung  beginnt,  wobei  die  Kranke  an  den  Band 
des  Untersuchungsbettes  gerückt  wird.  Viel  zweckmässiger  ist  die  Unter- 
suchung auf  dem  gynaekologischen  Tische,  weil  wir  dann  der  Digitalunter- 
suchung viel  zweckmässiger  die  Spiegel-  und  eventuell  die  Sondenuntersuchung 
nachfolgen  lassen  können;  dabei  ist  es  in  der  Begel  genügend  die  gewöhnliche 
Rückenlage  mit  aufgestellten  und  abducirten  Beinen  einnehmen  zu  lassen,  in 
anderen  Fällen  wird  die  erhöhte  Steiss-Rückenlage,  in  speciellen  Fällen  die 
Knie-Ellhogenlage  oder  schliesslich  die  Beckenhochlagerung  von  Vortheil  sein. 

Die  Digitaluntersuchung  soll  stets  bimanuell  vorgenommen  werden. 
Ohne  palpatorische  Mitwirkung  der  zweiten  Hand  von  den  Bauchdecken  aus  kann 
der  in  die  Scheide  eingeführte  Finger  blos  über  die  Beschaffenheit  der  Schei- 
denwände, der  Portio  vaginalis  und  des  äusseren  Muttermundes  Aufschluss 
geben;  die  Grösse,  die  Form,  die  Consistenz  des  Uterus,  die  Beschaffenheit 
der  Adnexe,  der  Parametrien,  die  Lageverhältnisse  der  Beckenorgane  zu  ein- 
ander, kann  nur  auf  dem  Wege  bimanueller  Untersuchung  ermittelt  werden, 
wobei  1—2  Finger  von  einem  Hohlorgane  aus  untersuchen,  während  die  andere 
Hand  durch  Palpation  von  den  Bauchdecken  aus  die  bezüglichen  Organe  dem 
untersuchenden  Finger  näher  bringt.  Dabei  können  verschiedene  Combinationen 
des  einzuschlagenden  Weges  in  Frage  kommen.  Am  gev^öhnlichsten  und  in 
der  Regel  ausreichend  ist  die  Untersuchung  von  der  Vagina  aus  unter  Bei- 
hilfe der  von  den  Bauchdecken  palpirenden  Hand,  In  anderen  Fällen  ist  es 
nothwendig  mit  dem  Finger  vom  Mastdarme  aus  zu  untersuchen,  während  die 
andere  Hand  auf  die  Bauchdecken  aufgelegt  wird,  oder  wir  sind  schliesslich 
gezwungen,  mit  dem  einen  Finger  in  die  Blase  zu  dringen  und  unter  Beihilfe 
der  von  aussen  palpirenden  Hand  unsere  Diagnose  zu  stellen.  Schliesslich 
wird  es  in  einzelnen  Fällen  nothwendig,  von  zwei  Hohlorganen  aus  gleich- 
zeitig die  Untersuchung  vorzunehmen,  entweder  von  der  Blase  und  der  Vagina 
aus,  oder  von  der  Vagina  und  dem  Rectum  aus,  oder  schliesslich  von  der  Blase 
und  dem  Rectum  gleichzeitig  ausgehend. 

Wir  wollen  zunächst  den  gewöhnlichen  Fall  der  bimanuellen  Unter- 
suchung von  der  Scheide  und  der  Bauchdecke  aus  annehmen.  Es  ist 
bisweilen  nicht  ganz  gleichgiltig,  ob  man  die  linke  oder  die  rechte  Hand  zur 
Vaginaluntersuchung  benützt;  es  ist  allerdings  zweckmässiger,  die  linke  Hand 
zur  vaginalen  Untersuchung  und  die  in  der  Regel  kräftigere  rechte  Hand  zu 


UNTERSUCHUNG  IN  DER  «YNAEKOLOGIE.  843 

der,  einige  Kraftentfaltung  erfordernden  ralpation  von  der  Bauchdecke  aus  zu 
benützen,  wenn  hiebei  eine  individuelle  Disposition  auch  eine  Holle  spielen 
mag.  Wollen  wir  jedoch  die  Adnexe,  die  Iieckcnl)uchten,  die  Beckenwände 
genau  abtasten,  so  müssen  wir  erwägen,  dass  wir  mit  der  linken  Hand  die 
linke  Beckenhälfte,  mit  der  rechten  Hand  die  rechte  Beckenhälfte  viel  genauer 
prüfen  können  und  es  demgemäss  im  Laufe  der  Untersuchung  in  speciellen 
Fällen  zweckdienlich  werden  wird,  die  untersuchende  Hand  zu  wechseln. 
Der  explorirende  Finger  —  es  soll  womöglich  blos  mit  einem  Finger  unter- 
sucht werden  —  ist  der  Zeigefinger;  seiner  Einführung  geht  zunächst  die 
genaue  Inspection  des  äusseren  Genitales  voraus,  da  pathologische 
Veränderungen  der  Beschaffenheit  der  Clitoris  und  der  Schleimhäute  des  äusseren 
Genitale  und  des  Vestibulum,  Formveränderungen,  Condylome,  Ulcera,  Narben- 
bildungen, Defecte  etc.  für  die  Diagnose  von  Bedeutung  sind.  Veränderungen  an 
der  Harnröhrenmündung,  Röthung  der  Ausführungsgänge  der  Bartolinischen 
Drüsen,  Abscesse  und  Cystenbildungen  an  diesen,  die  Form  eines  erhaltenen 
Hymenairinges  oder  der  vorhandene  liest  desselben  müssen  unserer  Beobachtung 
zugänglich  sein.  Hiebei  muss  sofort  durch  den  auf  den  Urethralwulst  auf- 
gelegten und  die  Urethra  bis  zur  Urethramündung  ausstreifenden  Finger  das 
Secret  der  Urethra  auf  seinen  Eitergehalt  geprüft  werden.  Dem  aufmerksamen 
Auge  des  Gynaekologen  wird  es  auch  nicht  entgehen,  ob  das  Vestibulum  stark 
klaffend  ist  oder  niclit,  ob  die  vordere  oder  hintere  Scheidewand  oder  beide 
Wände  der  Scheide  in  das  Vestibulum  prolabiren  oder  nicht.  Der  unter- 
suchende Zeigefinger  wird  nun  in  der  Art  eingeführt,  dass  die  tastende  Finger- 
beere gegen  die  vordere  Scheidewand  zu  sieht,  der  Daumen  der  entsprechen- 
den Hand  stark  abducirt  ist,  während  die  übrigen  drei  Finger  entweder  ein- 
gezogen oder  gestreckt  auf  den  Damm  aufgelegt  werden  und  denselben  leicht 
in  die  Höhe  schiebend  auf  diese  Weise  gestatten,  dass  der  untersuchende 
Finger  weiter  hinauf  vordringe.  Hiebei  wird  der  untersuchende  Finger  über 
die  Weite,  die  Länge  der  Scheide,  die  Beschaffenheit  der  Schleimhäute  und 
das  Vorhandensein  der  normalen  Scheidenfalten  sich  orientiren  können.  Ist 
nun  der  untersuchende  Finger  bis  zur  Höhe  der  Portio  vaginalis,  längs  der 
vorderen  Scheidewand  vordringend,  gelangt,  so  wird  die  zweite  Hand  auf  die 
Bauchdecke  aufgelegt  und  nun  versucht,  die  einzelnen  zu  untersuchenden 
Organe  dem  von  der  Scheide  aus  explorirenden  Finger  näher  zu  bringen. 
Hiebei  darf  der  von  der  palpirenden  Hand  ausgeübte  Druck  kein  zu  plötz- 
licher und  brüsker  sein,  weil  sonst  die  Kranke  reflectorisch  die  Bauchdecken 
spannt  und  dadurch  die  bimanuelle  Untersuchung  vollständig  illusorisch  macht, 
vielmehr  wird  die  sanft  aufgelegte  Hand  durch  leicht  rotirende  Bewegung  nach 
Art  der  Massagebewegung  den  Widerstand  der  Bauchdecken  allmählich  über- 
winden, ohne  dass  der  Druck  von  Seiten  der  Kranken  unangenehm  empfunden 
würde.  Allerdings  muss  man  hiebei  mit  der  Intelligenz  und  dem  guten  Willen 
der  Kranken  rechnen,  welche  im  Stande  sind,  die  Vornahme  der  Untersuchung 
wesentlich  zu  fördern.  Der  von  der  Scheide  aus  untersuchende  Finger  wird 
dabei  zunächst  die  Lage  der  Portio  eruiren;  der  normale  Stand  der  Portio 
vaginalis  entspricht  dem  Halbirungspunkte  einer  Linie,  welche  die  beiden  Spinae 
ossis  ischii  mit  einander  verbindet;  wir  werden  somit  in  der  Lage  sein,  zu 
constatiren,  ob  die  Portio  ober  oder  unter  dieser  Linie  steht,  mit  einem  Worte, 
ob  der  Uterus  elevirt  oder  descendirt  erscheint.  In  anderen  Fällen  werden  wir 
Abweichungen  der  Portio  gegen  die  linke  oder  rechte  Beckenhälfte  finden,  ent- 
weder in  Form  einer  frontalen  Verschiebung,  wenn  der  ganze  Uterus  nach 
der  einen  oder  anderen  Seite  hin  verschoben  ist,  oder  in  Form  der  Drehung 
dann,  wenn  blos  das  Corpus  uteri  nach  der  einen  oder  anderen  Seite  hin 
gezogen  ist,  während  die  Portio  nach  der  entgegengesetzten  Seite  hin  ab- 
weicht. Die  Portio  kann  auch  nach  vorne  verlagert  sein  bei  einer  Retroflexio 
oder  Ptetroversio,  oder  wenn   der   ganze   Uterus   durch    einen  rückwärts  ge- 


844  UNTERSUCHUNG  IN  DER  GYNAEKOLOGIE. 

legenen  Tumor  gegen  die  vordere  Beckenwand  gepresst  wird.  Wir  werden 
die  Portio  rückwärts  finden  bei  einer  Anteversio  oder  bei  einem  grösseren, 
vor  dem  Uterus  gelegenen  Tumor.  Dabei  ist  die  Form  der  Portio  von  Be- 
deutung: die  conisclie  Form,  wie  wir  sie  beim  Uterus  einer  Nullipara  finden, 
wulstig  und  li3'-pertrophiscli  wie  bei  einer  Multipara,  kolbig  aufgetrieben, 
riisselartig  oder  in  einen  grossen  Tumor  verwandelt  wie  beim  Bluuienkohl- 
gewächs  oder  zerklüftet  und  nahezu  fehlend  wie  beim  zerfallenen  Carcinome 
der  Portio  und  des  Cervix.  Dabei  ist  die  Consistenz  eine  verschiedene :  Von 
der  normalen  derben  Consistenz  einerseits  bis  zur  Auflockerung  bei  einer  Ge- 
bärenden, bis  zur  derben  Infiltration  beim  chronischen  Infarcte  des  Uterus 
und  der  Knorpelhärte  des  Scirrhus  andererseits,  finden  wir  verschiedene  Va- 
rianten. Der  äussere  Muttermund,  eng  und  rund  bei  einer  Nullipara,  spalt- 
förmig  bis  in  das  eine  oder  in  beide  Scheidengewölbe  reichend  nach  wieder- 
holten Geburten.  Hierauf  bringt  man  den  Finger  vor  die  Portio  in  das  vor- 
dere Scheidengewölbe;  die  von  aussen  palpirende  Hand  ist  nun  im  Stande, 
den  Fundus  uteri  dem  touchirenden  Finger  näher  zu  bringen.  Unter  nor- 
malen Umständen  findet  man  auf  diese  Weise  an  der  vorderen  Wand  das  nach 
vorne  geneigte  Corpus  uteri,  welches  auf  diese  Weise  zwischen  den  beiden 
untersuchenden  Händen  soweit  gefühlt  wird,  dass  seine  Grösse,  seine  ober- 
flächliche Beschafienheit,  seine  Consistenz  und  seine  Form  genau  geprüft  und 
erkannt  werden  kann.  Hiebei  fühlt  man  ganz  deutlich  den  Winkel,  welchen 
unter  normalen  Umständen  der  anteflectirte  Uterus  mit  seinem  Körper  gegen- 
über dem  Cervix  bildet,  w^obei  der  Scheitel  des  Winkels  in  der  Höhe  des 
inneren  Muttermundes  liegt,  während  die  Schenkel  nach  vorne  divergiren. 
Liegt  der  Uterus  nicht  entsprechend  seiner  normalen  Lage,  so  wird  das  so- 
fort dadurch  constatirt,  dass  der  im  vorderen  Scheidegewölbe  liegende  Finger 
beim  Herabdrücken  der  Bauchdecken  durch  die  palpirende  Hand  die  Finger 
dieser  Hand  fühlt,  wodurch  das  Fehlen  des  Corpus  uteri  an  seiner  normalen 
Lage  constatirt  wird.  Gehen  wir  in  solchen  Fällen  mit  dem  touchirenden  Finger 
in  das  hintere  Scheidengewölbe  ein,  so  fühlen  wir  oft  genug  das  Corpus 
uteri  hinten  gegen  das  Rectum  zu  gewendet,  so  dass  der  früher  erwähnte 
Knickungswinkel  zwischen  Corpus  und  Cervix  uteri  nunmehr  nach  hinten  zu 
sieht  (Retroflexio  uteri).  Je  nach  der  Grösse  des  Winkels  werden  wir  dann  von 
einer  stumpf-  oder  spitzwinkligen  Anteflexio,  resp.  Retroflexio  uteri  zu  sprechen 
haben.  Dabei  wird  stets  auch  gleich  die  freie  Beweglichkeit  des  Uterus  geprüft, 
und  im  Falle  der  Behinderung  derselben  das  Maass  der  Fixation  bestimmt.  In 
anderen  Fällen  findet  man,  dass  der  Uterus  in  toto  um  seine  quere  Axe  ent- 
weder nach  vorne  oder  nach  hinten  gedreht  ist,  wobei  die  Portio  entweder 
nach  hinten  oder  nach  vorne  ausweicht,  Anteversio,  resp.  Retroversio  uteri. 
In  anderen  Fällen  wiederum  werden  wir  durch  diese  combinirte  Untersuchung 
finden,  dass  sowohl  das  vordere  wie  das  hintere  Scheidengewölbe  leer  ist, 
vielmehr  der  Uteruskörper  von  der  Medianlinie  nach  rechts  oder  links  ab- 
gewichen erscheint;  je  nachdem,  ob  dies  unter  lateraler  Knickung  über  die 
Kante  geschieht  oder  die  Drehung  des  ganzen  Uterus  mit  Ausweichen  der 
Portio  nach  der  entgegengesetzten  Seite  erfolgt,  sprechen  wir  dann  von  einer 
Lateroflexion  oder  Lateroversion  des  Uterus,  wobei  wieder  auf  die  Beweglich- 
keit des  verlagerten  Uterus  genau  geachtet  werden  muss.  Durch  die  bimanuelle 
Untersuchung  sind  wir  des  Ferneren  in  der  Lage,  nachzuweisen,  ob  die  Para- 
metrien  frei  sind  oder  nicht.  Im  ersteren  Falle  wird  der  palpirenden  Hand 
beim  Versuche,  dem  explorirenden  Finger  näher  zu  kommen,  sich  kein  Wider- 
stand entgegensetzen,  im  anderen  Falle  werden  wir  entweder  durch  eine 
stärkere  Druckempfindlichkeit  oder  durch  das  Vorhandensein  eines  verschieden 
stark  resistenten  Tumors  mit  mehr  weniger  präcisen  Grenzen  daran  verhindert 
werden.  Findet  sich  dabei  eine  Resistenz,  welche  von  der  Uteruskante  her 
gegen  die  Beckenwand  sich  verbreiternd  und   diffus   an   derselben   sich   ver- 


UNTERSUCHUNG  IN  DER  GYNAEKOLOGIE.  845, 

lierend  vorhanden  ist,  dann  müssen  wir  an  eine  parametrane  Infiltration  donken 
In  anderen  Paulen  werden  wir  in  der  Lage  sein,  die  geschwellte  oder  zu  einem 
Tumor  umgewandelte  Tube  zu  constatiren  und  die  Vergrösserung  und  grössere 
Druckempfindlichkeit  des  Ovariums  nachzuweisen.  In  solchen  Fällen  chronischer 
Entzündung  der  Adnexe  werden  wir  hiebei  die  verschiedensten  Lageveränderungen 
der  Organe  nachzuweisen  im  Stande  sein.  In  einzelnen  schwierigen  Fällen 
wird  zur  Stellung  der  Differentialdiagnose  die  Einleitung  der  Narkose  un- 
erlässlich  erscheinen;  in  anderen  Fällen  wird  die  Grösse  des  Uterus  uns 
zwingen,  die  Diöerentialdiagnose  zu  machen  zwischen  Fibrom  und  Gravidität, 
und  da  werden  es  die  speciellen  Consistenzverhältnisse  im  Zusammenhange 
mit  den  anamnestischen  Daten  und  Symptomen  sein,  welche  uns  die  Ditfe- 
rentialdiagnose  stellen  lassen.  Die  Art  der  Verlagerung  und  Fixation  des 
Uterus  wird  uns  erkennen  lassen,  ob  ein  vorhandenes  Fibrom  oder  ein  vor- 
handener Ovarialtumor  interligamentär  entwickelt  sei  oder  nicht.  Bisweilen 
wird  es  wichtig  sein,  zu  diagnosticiren,  ob  ein  vor  oder  hinter  dem  Uterus 
gelegener  Tumor  der  Blase  oder  dem  Ptectum  angehöre  oder  auf  diese  Or- 
gane übergegriffen  habe.  Man  wird  dann  gezwungen  sein,  der  vaginalen  Unter- 
suchung die  von  der  Blase  oder  vom  Rectum  aus  folgen  zu  lassen. 

Die  Untersuchung  durch  die  Blase  kann  entweder  durch  sonden- 
artige Instrumente  oder  durch  den  Finger  geschehen,  doch  müsste  dieser 
letzteren  Art  der  Untersuchung  die  Dilatation  der  Urethra  unbedingt  vorangehen. 

Die  digitale  Untersuchung  vom  Rectum  aus  ist  nicht  zu  schwer; 
sie  soll  vorgenommen  werden  in  allen  Fällen  von  retrouterin  gelegenen  Tu- 
moren, in  allen  Fällen  von  Tumorenbildung  unter  Mitbetheiligung  des  Septum 
rectovaginale,  in  allen  Fällen  von  stärkerem  Prolaps  der  hinteren  Scheiden- 
wand, um  zu  constatiren,  ob  ein  Divertikel  des  Rectum  in  den  Vorfall  mit 
einbegriffen  sei  {Redokele  vaginalis)  und  ferner  in  allen  Fällen  von  Carcinoma 
uteri,  weil  durch  diese  Untersuchsmethode  sich  am  besten  nachweisen  lässt, 
ob  das  Beckenbindegewebe  von  der  carcinomatösen  Infiltration  bereits  ergrifien 
sei,  welcher  Umstand  uns  das  Vorhandensein  einer  Contraindication  gegen 
die  totale  Exstirpation  des  Uterus  zum  Zwecke  der  Radicaloperation  des  Car- 
cinoms  abgeben  wird. 

Die  Untersuchung  durch  das  Rectum  wird  des  Ferneren  in  solchen 
Fällen  die  vaginale  Untersuchung  ersetzen  müssen,  wo  ein  vorhandenes  Hymen 
oder  ein  atreti scher  Verschluss  des  Vaginallumens  die  vaginale  Untersuchung 
unmöglich  macht,  des  Ferneren  in  solchen  Fällen,  wo  bei  Defect  der  Vagina 
constatirt  werden  soll,  wie  weit  die  Defectbildung  reicht,  und  w-elche  Theile 
der  inneren  Genitalorgane  zur  Entwicklung  gekommen  seien. 

In  sehr  vielen  Fällen  genügt  nun  diese  Art  der  Untersuchung  nicht, 
sondern  halten  wir  es  für  nothwendig,  die  Scheidenwände,  die  Portio  und 
den  Muttermund  zu  inspiciren,  sei  es  dass  wir  uns  über  Defecte  an  der 
Scheidenwand,  über  Veränderungen  in  der  Schleimhautoberfläche  der  Portio, 
Formveränderungen  des  Uterus  und  die  Secretbeschaftenheit  des  Uterus  näher 
Orientiren  wollen.  Dies  kann  nur  durch  die  Spiegeluntersuchung  ge- 
schehen, welche  allerdings  gleich  zum  Zw^ecke  des  gynäkologischen  Hei- 
lungsverfahrens dient.  In  der  Regel  werden  zum  Zwecke  der  Diagnose 
die  Röhrenspecula  und  das  Cusco'sche  Blattspeculuni  verw'endet,  da  zum  Ge- 
brauche eines  Rinnenspiegels  und  der  dazu  gehörigen  Spatel  Assistenz  noth- 
wendig ist,  die  man  nicht  immer  zur  Verfügung  hat.  (Unnötig  wird  dieselbe 
blos  beim  Gebrauch  der  Neugebauer — SAENGER'schen  Spateln.)  Beim  Ein- 
führen des  Speculums  hat  man  dabei  die  Inspection  der  am  oberen  Lumen  des 
Speculums  allmählich  sich  entfaltenden  Scheidenwände  vorzunehmen.*) 


*)  Vid.  die  Fig.  7—28  im  Artikel  „Instrumentarium  zur  Gynäkologit",  pag.  397 — 400. 


846  UNTERSUCHUNG  IN  DER  GYNAEKOLOGIE. 

Zur  vollständigen  Klarstellung  der  Diagnose  ist  es  häufig  nothwendig, 
die  Grösse  und  Weite  der  Uterushöhle,  ihren  Inhalt,  ihre  Lagerung  im  Ver- 
hältnisse zu  in  die  Wand  des  Uterus  eingelagerten  Tumoren  und  die  Schleim- 
liautoberfläche  des  Uteruskörpers  zu  prüfen.  Dies  geschieht  durch  die  Son- 
denunter suchung;  A'Or  jeder  Sondirung  des  Uterus  soll  stets  nach  sorg- 
fältigster Aufnahme  der  Anamnese  die  Kranke  nach  dem  Zeitpunkte  der  letzten 
Menstruation  gefragt  werden,  und  auch  schon  bei  der  geringsten  Wahrschein- 
lichkeit einer  vorhandenen  Schwangerschaft  die  Sondirung  unterlassen  werden. 
Des  Ferneren  muss  speciell  die  Sondirung  des  Uterus  unter  aseptischen  Cautelen 
vorgenommen  werden,  da  sonst  leicht  infectiöse  Keime  an  die  Uterusschleim- 
haut gebracht  werden.  Es  ist  daher  der  Modus,  wie  er  manchenorts  ausgeübt 
wird,  die  Sonde  {Fig.  29  und  30,  pag.  403)  einfach  längs  des  in  die  Scheide 
eingeführten  Fingers  ohne  Controlle  des  Auges  in  die  Uterushöhle  zu  bringen 
strengstens  zu  widerrathen;  vielmehr  soll  dies  stets  nach  Freilegung  der  Portio 
durch  Specula,  wozu  sich  allerdings  die  langen  Röhrenspecula  nicht  eignen, 
und  nach  vorhergegangener  Desinfection  der  Scheide  und  der  Portio  vor- 
genommen werden.  Mit  dem  Cusco'schen  Speculum  lässt  sich  diese  Mani- 
pulation leicht  vollziehen,  sonst  müsste  man  nach  Einführung  eines  kurzen 
BANDEL'schen  Speculums  die  Portio  mit  einem  Häckchen  fassen  oder  her- 
imterziehen,  will  man  nicht  das  von  Saenger  neuerdings  beschriebene  Neu- 
GEBAUEK'sche  Spcculum  verwenden.  Mit  der  Sonde  prüft  man  die  Länge  der 
Uterushöhle,  ihre  Weite  wird  durch  die  freie  Beweglichkeit  der  Sonde  be- 
stimmt, ihre  Lagerung  durch  die  Richtung,  gegen  welche  die  Sonde  vordringt; 
wenn  z.  B.  bei  Vorhandensein  eines  Fibroma  uteri  die  Sonde  nach  hinten  zu 
ausweicht  und  man  mit  Sicherheit  annehmen  kann,  dass  der  Tumor  vor  der 
Sonde  liegt,  so  folgt  daraus  der  Schluss,  dass  der  Tumor  in  der  vorderen 
Wand  des  Uterus  entwickelt  sei.  Durch  die  Sondirung  des  Uterus  werden 
wir  z.  B.  in  der  Lage  sein  zu  constatiren,  ob  ein  retrouterin  gelegener, 
dem  Uterus  angehöriger  Tumor  der  retroflectirte  Uteruskörper  sei  oder 
ob  nicht  vielmehr  dem  anteflectirten  Uterus  ein  Tumor  in  seiner  hinteren 
Wand  opponirt  sei.  Während  bei  normaler  Beschaffenheit  der  Uterus-Schleim- 
häute die  Oberfläche  derselben  glatt,  sammtartig  und  unempfindlich  ist,  werden 
wir  durch  die  Sondirung  bei  kranker  Mucosa  die  acute  Endometritis  an  der 
Empfindlichkeit  des  Endometriums,  die  hypertrophische  Endometritis  an  den 
Rauhigkeiten  erkennen,  über  welche  die  Uterussonde  gleitet.  Vorhandene 
Abortusreste,  Placentar-  und  Fibrompolypen  und  vorgeschrittene  Corpuscar- 
cinome  werden  wir  durch  die  Sondirung  zu  erkennen  in  der  Lage  sein. 

In  sehr  häufigen  Fällen  ist  es  nun  nothwendig,  die  Difterentialdiagnose 
zu  stellen,  ob  eine  vorhandene  Erkrankung  der  Uterusmucosa  entzündlichen 
Ursprunges  sei  oder  einer  Neubildung  entspreche;  dann  genügen  die  bisherigen 
Untersuchungsmethoden  zur  Feststellung  der  Diagnose  nicht,  dann  ist  es  noth- 
wendig, dass  wir  durch  das  Mikroskop  die  feinere  Bauart  der  Mucosa 
uteri  ermitteln,  welche  wir  zu  diesem  Zwecke  durch  das  Curettement  in  ein- 
zelnen Stücken  herausbefördern.  Es  ist  daher  die  Excochleatio  mucosae  uteri 
in  zahlreichen  Fällen  ein  wichtiger,  diagnostischer  Behelf,  wobei  sie  allerdings 
in  ebenso  zahlreichen  Fällen  zugleich  den  therapeutischen  Eingriff  darstellt. 
Eine  diagnostische  Excochleation  muss  unter  denselben  antiseptischen  Cautelen 
und  mit  derselben  Exactheit  ausgeführt  werden  wie  der  gleiche  therapeutische 
Eingriff",  da  ja  derselbe  in  den  Fällen,  wo  die  mikroskopische  Untersuchung 
das  Vorhandensein  einer  entzündlichen  Endometritis  kund  gibt,  zugleich  auch 
die  volle  Therapie  darstellen  muss.  Das  ausgeschabte  Gewebe  wird  dann 
nach  Herstellung  von  Mikrotompräparaten  und  der  üblichen  Färbung  unter 
dem  Mikroskope  aufs  Genaueste  geprüft.  Schliesslich  wird  es  in  einzelnen 
Fällen  nothwendig,  die  Uterushöhle  direct  auszutasten,  um,  die  Diagnose  voll- 
ständig sicher  zu  stellen.     In  diesen  Fällen  müsste  die  Dilatation  des  Cervix 


URETIIRA-KRANKIIEITEN  DES  WEIBES.  847 

mit  den  HEGAR'sclicn  Stiften  vorgenommen  werden,  wie  .sie  in  dem  betreffen- 
den Capitel  beschrieben  ist  (V.  par/.  200  u.  453).  Die  weitere  Entwicklung, 
welche  die  Bacteriologie  in  unseren  Tagen  zeigt,  und  die  Bedeutung,  welche  sie 
für  die  richtige  Erkennung  mancher  Krankheitsionnen  des  weiblichenGeschlcchts- 
apparates  erlangt,  weist  auch  der  bacteriologischen  Untersuchung  der 
Secrete  des  Uterus,  des  Cervix,  der  Vagina  und  Urethra  in  der  gynaekologi schon 
Diagnostik  für  die  Zukunft  einen  hervorragenden  Platz  an. 

K.    A.    IIEUZFELD. 

Urethra-Krankheiten  des  Weibes.    Der  Umstand,  dass  die  Affec- 

tionen  an  der  Harnröhre  häufig  mit  solchen  des  weiblichen  Genitalapparates 
in  enger  Beziehung  stehen,  rechtfertigt  ein  gesondertes  Besprechen  der  weib- 
lichen Urethralerkrankungen  in  der  Frauenheilkunde,  So  sehen  wir  z.  B. 
nach  schweren,  aber  auch  gar  nicht  selten  nach  ganz  normalen  Geburten 
eine  Ischurie  auftreten,  die  durch  eine  Knickung  der  Harnröhre  ent- 
standen. Einfacher  Katheterismus  —  Nelaton,  resp.  starrer  Katheter  —  be- 
seitigen dieselbe.  Durch  die  Geburt  erfährt  auch  die  Harnröhre  eine  Er- 
weiterung. Hart  fand  durch  Messungen,  dass  am  10.  Tage  des  Wochen- 
bettes ihre  Weite  noch  um  1  mm  mehr  beträgt  als  am  Ende  der  Schwanger- 
schaft. Bekannt  ist  die  vollständige  Harnverhaltungbei  Retrover- 
sio  uteri  gravidi.  Aber  auch  bei  der  Retroversion  der  nicht  schwan- 
geren Gebärmutter  zieht,  resp.  drückt  die  dann  hoch  und  vorne  stehende 
Cervix  auf  die  Urethra  und  veranlasst  häufigen  Urindrang. 

I.  Blldungsfehler. 

Von  der  10.  Foetal- Woche  ab  tritt  das  zwischen  Blase  und  Geschlechtsstrang 
befindliche  Septiim  tiefer,  und  mit  diesem  Herabwachsen  des  Septums  wird  auch  die 
Blasenöffnung,  die  Ausmündung  der  Allantois  in  den  sinus  urogenitalis  zu  der  spä- 
teren Urethra  ausgezogen.  Je  nachdem  nun  dieser  Vorgang  eine  Hemmung  erfährt, 
werden  sich  viele  Missbildungen  der  Urethra  erklären.  Die  weibliche  Harnröhre 
selbst  entspricht  beim  Manne  dem  Theil  der  Urethra,  der  zwischen  Orificium  inter- 
num  und  der  Einmündungsstelle  der  ductus  ejaculatorii  liegt.  Dieser  Abschnitt  der 
Harnröhre  ist  eng  mit  der  Entwicklung  der  Harnblase  verbunden  und  wird  durch 
das  Hinaufrücken  der  Uretermündungen  gebildet  (Nagel). 

Ausser  1.  dem  vollständigen  Mangel  der  Harnröhre  mit  der  oberen 
Oeffnung  der  Urachusmündung  am  Nabel  sind  zuvörderst  die  ebenfalls  sehr  seltenen, 
der  Hypospadie  und  Epispadie  beim  Manne  entsprechenden  Bildungshemmungen  zu 
erwähnen. 

2.  Bei  der  Hypospadie  ist,  soweit  es  die  Literatur  ausweist,  der  Defect 
der  unteren  Urethralwand  nie  soweit  ausgedehnt,  dass  durch  ihn  auch  der  Sphincter 
vesicae  gespalten  wird.  Gewöhnlich  ist  hierbei  auch  die  Coutinenz  der  Blase 
erhalten,  und  ein  operatives  Einschreiten  wird  meist  erst  dann  erforderlich,  wenn 
wie  in  dem  Falle  von  Lebedeff  infolge  Eindringens  des  Penis  in  die  Blase  spon- 
taner Urinabgang  eintritt,  während  vorher  der  aus  der  Vagina  entleerte  Urin  — 
bei  bestehender  Continentia  vesicae  —  die  Aufmerksamkeit  der  Frau  nicht  erregt 
hatte.  Vielleicht  beruht  übrigens  auch  auf  diesem  Umstände  der  Symptomlosigkeit 
die  ausserordentliche  Seltenheit  der  Beobachtung,  Doch  gibt  es  auch  einige  Fälle, 
wo  selbst  ohne  Affection  des  Sphincter  bei  Hypospadie  eine  Incoutinenz  vorhanden 
ist.  Bitner  führt  diese  Incontinenz  auf  die  Entwicklung  und  Contractionsfähigkeit  des 
Muse,  bulbocavernosus  zurück.  Er  empfiehlt  daher  die  unmittelbare  Vereinigung, 
auch  bei  Hypospadie  ohne  Incontinenz,  da  letztere  sich  unter  dem  Einfluss  von 
Schädlichkeiten  (Coitus,  Masturbatio)  leicht  entwickeln  kann. 

Therapie.  Nach  der  Beschaffenheit  des  Defectes  richtet  sich  die  Ausführung 
der  Operation.  Lebedeff  machte,  da  die  vordere  Urethralwand  vorhanden  war, 
durch  Anfrischuug    und  Naht  aus  der  Ilalbrinue  ein  geschlossenes  Bohr.  Schkoedek 


848  URETHRÄ-KRANKHEITEN  DES  WEIBES. 

und  Pawlik  verkleinerten,  je  nachdem  die  Oeffnung  in  der  Blase  dieselbe  durch  seit- 
liche Excision  keilförmiger  Stückchen  und  suchten  durch  allmähliches  Ausziehen  der 
hintern  Blasenwand  eine  Art  Harnröhre  zu  schaffen.  Beide  xiutoren  gingen  von  der 
Ansicht  aus,  dass  zur  Herstellung  einer  normalen  Continenz  ausser  einem  functions- 
lahigen  Sphincter  auch   eine    möglichst    fest   aneinanderliegende    Harnröhre    gehöre.: 

3.  Häufiger  wird  die  Epispadie  beobachtet.  Fälle,  bei  denen  nur  das 
untere  Viertel,  resp.  Drittel  der  Harnröhre  nach  oben  geöffnet  ist,  verlaufen  symp- 
tomlos. Ich  sah  einen  solchen  einschlägigen  in  der  SÄNGER'schen  Klinik,  wo  die 
Patientin  wegen  congenitaler  Atresie  der  Scheide  Hilfe  gesucht  hatte.  Bei  tiefer- 
gehenden Defecten  der  Urethra  tritt  In  continenz  ein.  Schroeder  frischte  zur 
Heilung  solcher  Epispadieen  längsoval  an  und  bildete  durch  die  Naht  so  eine  neue 
vordere  Urethral  wand.  In  seinen  4  Fällen  erreichte  er,  dass  der  Urin  wenigstens 
für  Stunden  zurückgehalten  werden  konnte. 

Gleichen  Erfolg  hatte  Aujffret  bei  einem  19jährigen  Mädchen.  Die  Harnröhre 
bestand  nur  aus  einem  10 — 12  mm  langen  linearen  Spalt,  nur  die  untere  Lippe  der 
Urethralmündung  war  erkennbar  und  darüber  bildete  die  Schleimhaut  eine  rothe  vor-; 
springende  Partie.  Wegen  der  gleichzeitigen  Incontinenz  bildete  Auffret  aus  den 
seitlichen  oberen  Partien  der  kleinen  und  grossen  Labien  zwei  dreieckige  Lappen, 
die  er  vernähte. 

Nöthigenfalls  sind  auch  mehrere  aufeinanderfolgende  Plastiken  zu  machen,  um 
eine  möglichst  functionsfähige  Harnröhre  herzustellen.  So  bildete  Himmelfarb 
zuerst  ein  Orificium  extern,  und  den  vordem  Theil  der  Urethra,  Dann  mitteist  eines 
Vaginalschleimhautstückes  aus  der  Nähe  des  Blasenhalses,  den  obern  Theil.  Zuletzt 
wurde  durch  Excision  eines  Kegelmantels  an  der  vordem  Umrandung  der  Harnröhre 
diese  mehr  abgebogen  und  das  Orific.  extern,  mehr  nach  oben  verlegt. 

Sind  bei  den  Epispadien  der  Urethra  zugleich  tiefer  gehende  Bauchspalten 
vorhanden,  so  findet  dieselbe  chirurgische  Behandlung  statt,  wie  sie  für  die  Opera- 
tionen beim  männlichen  Geschlecht  maassgebend  sind. 

4.  Eine  Duplicität  der  weiblichen  Harnröhre  ist  2  mal  beobachtet 
worden.  Fürst  fand  eine  solche  an  der  Leiche,  wo  0'3  cm  hinter  dem  orificium  extern, 
ureth.  die  Harnröhre  gabiig  durch  ein  feines  Septum  getheilt  wurde.  Schauta  sah 
diese  Hemmungsbildung  in  vivo.  Die  Urethra  besass  2  Mündungen.  Die  zweite  führte 
9  mm  höher  als  die  normale  in  das  Vestibulum. 

5.  Der  Vollständigkeit  wegen  möchte  ich  noch  den  Fall  von  SiMOisr  hier  an- 
führen, wo  eine  doppelte  Vagina  beiderseits  in  die  stark  erweiterte  Urethra  ein- 
mündete. Die  bestehende  Incontinenz  wurde  dadurch  gehoben,  dass  die  dicht  dem  Rectum 
anliegende  Blase  vom  Darm  abgelöst  wurde  und  beide  Vaginen  zu  einer  vereinigt 
wurden. 

6.  Die  Atresia  ureth rae  —  von  dem  Defecte  der  Urethra  wohl  zu 
unterscheiden  —  ist  wohl  in  der  Mehrzahl  aller  Fälle  auf  entzündliche,  intra- 
uterine Vorgänge  zurückzuführen.  Die  Atresie  kann  sich  auf  den  oberen  oder  unteren 
Abschnitt  beschränken,  aber  auch  die  ganze  Länge  der  Harnröhre  einnehmen.  Diese 
Früchte  werden  entweder  todt  geboren  oder  sterben  bald  nach  der  Geburt,  wenn 
sich  nicht  ausnahmsweise  noch  in  utero  der  Urachus  geöffnet  hat,  und  von  hier  aus 
die  Urinentleerung  erfolgt.  In  der  Literatur  sind  2  Fälle  bekannt,  wo  dadurch, 
dass  in  der  Ptichtung  der  nicht  vorhandenen  Urethra  ein  Troikart  bis  in  die  Blase 
gestossen  wurde  und  dieser  Kanal  wegsam  erhalten  wurde,  die  Operation  insoweit 
glückte,  dass  der  Urin  durch  denselben  abfloss.  Ueber  eine  spätere  Continenz  der 
Blase  verlautet  nichts.  Die  Fälle  stammen  aus  dem  16.  Jahrhundert,  resp.  aus 
dem  Jahre  1868. 

II.  Veränderungen  des  Lumens. 

Abgesehen  von  Knickungen  nach  der  Geburt  oder  bei  stark  ausgebildeter 
Cystokele  vaginalis,  sowie  Retroversio  uteri  gravidi  kann  die  Urethra  auch  durch  die  ver- 
schiedenen Tumoren  in    der    Nachbarschaft    dislocirt,  resp.    verlegt    werden.     Eine 


URETHRA-KRANKHEITEN  DES  WEIBES. 


^49 


Knickung,  die  durcli  den  Katheter  wieder  ausgeglichen  werden  inusste,  sali  ich  auch 
einmal  infolge  einer  Scheidentaraponade  eintreten.  Doch  wichtiger  als  diese  Vorgänge 
ganz  secundärer  Natur  sind 

1.  die  Dilatation:  a)  Eine  allgemeine  gleichmässigc  Erweiterung  des 
Urethrallumens  findet  man  ziemlich  häufig  iin  Alter  als  Zeichen  der  Altersatrophie 
und  bei  Frauen,  welche  viel  und  schnell  hintereinander  geboren  haben.  Das  Puerperium 
wurde  nicht  schonend  ausgehalten  und  ebenso  wie  die  Vagina  sind  auch  die  Urethral- 
wände  schlaff.  Das  Orificium  ist  weit  geöffnet.  In  der  grüssten  Mehrzahl  macht 
diese  Erweiterung  keine  Störungen,  da  der  Sphincter  vesicae  seine  Schlussfähigkeit 
behalten  hat.  Dieses  geschieht  auch,  wenn  infolge  einer  Atresie  oder  hochgradiger 
Stenose  der  Vagina  unbeabsichtigt  die  Urethra  zum  Coitus  gemissbraucht  wurde. 
Eine  Thatsache,  die  häufig  in  der  Literatur  mitgetheilt  wird.  Incontinentia  urinae 
tritt  meist  nur  dann  auf,  wenn  durch  den  I'enis  der  Sphincter  lädirt  oder  gedehnt  wird. 
Sonst  wird  nur  vorübergehend  Dys-  oder  Strangurie  beobachtet.  Einen  einschlägigen 
Fall  konnte  ich  vor  kurzem  beobachten.  Die  4^/2  Jahre  verheiratete  Frau 
bekam  plötzlich  Urinbeschwerden.  Diesetwegen  und,  weil  sie  keine  Kinder  hatte, 
suchte  sie  Hilfe.  Das  Orificium  extern,  ureth.  klaffte  als  ein  2  cm  langer  Spalt 
weit  auseinander.  Die  Harnröhre  war  gewissermaassen  nach  vorne  vorgezogen  und 
die  hintere  Wand  hing  sackförmig  zum  Introitus  vaginae  herab.  Letztere,  nur  durch 
einen  sehr  niedrigen  Damm  vom  Anus  getrennt,  lag  nach  hinten  zu  und  hatte  ein 
ein  starres,  ringförmiges  für  den  Zeigefinger  schwer  durchgängiges  Hymen.  Als  ich 
die  Eheleute  auf  die  Anomalie  im  Geschlechtsverkehr  aufmerksam  machte  und  ihnen 
die  Therapie  vorschlug  wurde  dieselbe  von  Seiten  des  Mannes  mit  den  Worten  ver- 
weigert: „Es  geht  ja  auch  so!" 

In  letzter  Zeit  wurde  von  Bakee  ein  Fall  von  urethraler  Incontinenz  und 
abnormer  Weite  der  Harnröhre  congenitalen  Ursprungs  beschrieben.  Die  Ur- 
sache sucht  er  in  mangelhafter  Entwicklung  bei  Trennung  der  Harnwege  von  der 
Vagina  im  Sinus  urogenitalis.  Das  Bindegewebe  war  rareficirt,  so  dass  das  Septum 
urethro-vaginale  in  dünn  erschien,  wie  sonst  die  Vaginalschleimhaut  allein.  Ziemlich 
derselbe  Befund  war  in  meinem  Falle  und  deshalb  scheint  es  mir  nicht  ganz  sicher, 
dass   diese  Dilatation  wirklich  rein  congenitalen  Ursprungs  war. 

Gegen  die  Incontinenz  kann  man  zuerst  Massage  und  Elektricität  des  Sphincter 
versuchen.  Sonst  muss  operativ  eingeschritten  werden.  Je  nach  Ausbildung  der 
Dilatation  ist  die  einfache  Verengerung  der  Harnröhre  angezeigt  durch  mehr  weniger 
ausgedehnte  Keilexcision  mit  oder  ohne  Schonung  der  Urethralschleimhaut.  Auch 
aus  dem  Sphincter  und  der  Blase  sind  zur  Heilung  der  Incontinenz  Stücke  excidirt 
worden  (B.  S.  Schulze). 

Gersuny  präparirte  die  Urethra  frei,  drehte  sie,  um  spiralige  Längsfalten  zu 
erzeugen  bis  1^4  um  die  Längsachse  und  nähte  den  Urethralcanal  in  dieser  neuen 
Lage  wieder  ein. 

1.  Das  Paradigma  einer  partiellen  Dilatation  ist  die  Urethrocele, 
das  Diverticulum  urethrae,  und  besteht  in  der  sackartigen  Ausbuchtung  eines 
Theiles  der  hintern  Urethralwand  nach  der  Scheide  zu.  Als  ätiologische  Momente 
werden  einmal  starke  Phlebectasien  der  Urethralmündung  angegeben,  wodurch  die 
Harnröhre  dicht  am  Orificium  ausgezerrt  und  erschlafft  wurde,  dann  Verletzungen 
durch  Geburten,  indem  entvr'eder  bei  intact  bleibender  Vaginalwaud  nui*  die  Urethra- 
schleimhaut  zerreist  (Piedpeemier),  oder  ein  Theil  der  Muscularis  durcli 
Quetschung  gelähmt  wird  (Heyder).  Auch  durch  festgeklemmte  Steinpartikel  wurde 
infolge  ihres  Wachsthums  die  Entstehung  eines  Divertikels  beobachtet,  ebenso  wie 
ein  Scheidenfibrom  eine  Urethrocele  nach  sich  zog. 

Für  die  Diagnose  bestimmend  ist,  dass  sich  eine  von  normaler  Scheiden- 
schleimhaut bekleidete  Geschwulst  durch  Fingerdruck  entleeren  lässt,  indem  der 
mehr  weniger  blutige  oder  mit  Eiter  vermengte  Urin  aus  dem  Orificium  ureth. 
herausspritzt  und  man  bei  genauerer  Palpation  auch  eine  Art  von  Bruclmng  Inder 
Urethra  findet,  resp.  dass  man  mit  dem  Katheter  in  den  Sack  gelangt. 

Bibl.  med.  Wiessenschaften    I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie  ö* 


850  ÜRETHRA-KRANKHEITEN  DES  WEIBES. 

Die  einfachste  Therapie  ist  die  vom  Sänger  ausgeführte  Operation.  Ohne 
Verletzung  des  Sackes  wurde  genau  wie  bei  Kolporrhaphia  anterior  ein 
ovales  Stück  Scheidenschleimhaut  excidirt,  doch  so,  dass  die  Auffrischung  überall  die 
Sackgrenze  breit  überragte.     Dann  wurde  die  Wunde  wieder  vernäht. 

2,  Stenosen:  Von  einigen  englischen  und  französischen  Autoren  werden 
auch  congenitale  Verengerungen  der  Urethra  angenommen.  Gewöhnlich  werden 
sie  nach  Verletzungen  bei  schweren  Geburten  beobachtet  oder  sie  sind  als  Stricturen 
meistentheils  gonorrhoischen  Ursprungs.  In  2  Fällen  ist  von  Otis  gichtische  Diathese 
als  Aetiologie  angeführt,  indem  durch  den  Reiz  dieses  anomalen  Harnes  an  einer 
Stelle  eine  schleichende  Entzündung  mit  nachfolgender  Strictur  entstand.  Ebenfalls 
sehr  selten  sind  sie  Folge  von  Syphilis  oder  von  Lupus,  während  sie  wiederum 
öfter  entstehen,  wenn  durch  langjährig  bestehende  Vesico-Vaginalfisteln  die  Urethra 
ausser  Thätigkeit  gesetzt  wurde. 

LouBEAu  gibt  einen  Fall  bekannt,  wo  eine  hochgradige  Narbenstrictur  hervor- 
gerufen wurde  durch  die  frühere  Operation  eines  Harnröhrenpolypen  mit  nachfolgen- 
der Kauterisation.  Ueberhaupt  ist  in  letzter  Zeit  den  Harnröhrenstricturen 
mehr  Aufmerksamkeit  geschenkt  worden.  Die  Symptome  derselben,  welche  ganz 
denen  bei  Stricturen  der  männlichen  Harnröhre  analog  sind,  wurden  beim  Weibe 
auf  Reizungen  der  Blase  zurückgeführt.  Schmerzen  beim  Uriniren,  Brennen,  Harn- 
drang, gelegentlich  bemerkte  geringere  Abgänge  von  Blut  und  Eiter  Hessen  einen 
Blasenstein  argwöhnen.  Dass  aber  alle  diese  Erscheinungen  von  dem  Bestehen  einer 
Harnröhrenstrictur  abhängen,  beweist  deren  völliges  Schwinden  nach  der  Behandlung 
der  Strictur.     Die  Therapie  besteht  wie    beim  Manne  in  allmählicher  Dilatation. 

3.  Den  Prolaps  der  Urethralschleimhaut  können  wir  ebenfalls  als  eine 
Anomalie  des  Lumens  ansehen.  Er  kommt  bei  Kindern  und  Greisinnen  am  häufigsten 
vor  und  stellt  sich  als  eine  mehr  weniger  grosse,  rothe,  rosettenartig  über  dem  introitus 
vaginae  liegende  Geschwulst  dar.  Ist  der  Prolaps  nur  ein  partieller,  so 
sieht  man  die  Harnröhrenraündung  als  eine  d  eilen  artige  Einbuchtung,  welche  bei 
totalem  Prolaps  meist  fehlt,  besonders,  wenn  Entzündungserscheinungen  an  der 
prolabirten  Schleimhaut  aufgetreten  sind.  Misslingen  Repositionsversuche  mit  dem 
Finger,  so  wird  die  Diagnose  erst  dann  gesichert,  wenn  man  mit  dem  Katheter 
in  die  Blase  gelangen  kann.  Aetiologisch  wirkt  bei  Kindern  der  trichterförmige 
Uebergang  der  Blase  in  die  Urethra  mit,  bei  alten  Frauen  löst  sich  die  Mucosa 
infolge  der  senilen  Gewebsatrophie  von  der  Unterlage  ab.  Ferner  begünstigen  poly- 
pöse Wucherungen  durch  ihren  Zug  die  Entstehung.  Ich  sah  einen  solchen  Fall, 
wo  bei  starkem  Husten  plötzlich  aus  der  Harnröhre  „etwas"  herausgeschleudert 
worden  sein  soll.  Es  befand  sich  ein  bohnengrosser  Polyp  vor  dem  Orificium.  Dieser 
hatte  ein  circa  2  cm  langes  Stück  der  hintern  Urethralwand  mit  hervorgewölbt.  Nach 
Abtragung  des  Tumors  zog  sich  der  Prolaps  innerhalb  einiger  Tage  spontan  zurück 
und  ist  nicht  recidivirt. 

Die  Therapie  des  urethralen  Prolapses  richtet  sich  nach  der  Aetiologie,  seinem 
Bestehen  und  den  Veränderungen  infolge  des  letzteren.  Ist  die  Mucosa  lädirt,  so 
müssen  die  Excoriationen  etc.  etc.  vor  der  Reposition  erst  geheilt  werden.  Dann 
wird  eventuell  nach  Excision  von  Stücken  aus  der  Mucosa  diese  reponirt  und 
uöthigenfalls  auch  das  Orificium  extern,  resp.  die  ganze  Urethra  nach  Bedarf  ver- 
kleinert, um  die  reponirte  Schleimhaut  auch  dauernd  in  situ  zurückzuhalten.  Gelingt 
die  Reposition  nicht,  so  muss  der  ganze  Prolaps  abgetragen  werden. 

III.  Urethritis. 

Von  den  Entzündungen  der  weiblichen  Harnröhre  wird  am  häufigsten  beobachtet. 

1.  die  Urethritis  gonorrhoica.  (S.  Artikel:  ,, Gonorrhoe  der  weiblichen 
Genitalien'^. 

2.  als  Folge-  und  Begleiterscheinung  von  acuten  Infectionskrankheiten, 
wie  Masern,  Scharlach,  Diphtherie,  Typhus. 

3.  Durch  Masturbation. 


URETHRA-KRANKIIEITEN  DES  WEIBES.  851 

4.  als  Folge  von  Entzünduiigsvorgängcn  benachbarter  Organe,  in 
erster  Linie  bei  Krankheiten  der  Blase  und  Niere,  wenn  eitriger,  animoniakalischer 
oder  an  Harnsalzen  reicher  Urin  durcli  die  Harnröhre  al)fliesst.  In  diesen  Fällen 
bildet  sich  auch  ebenso  wie  bei  Gonorrhoe  und  den  naclihor  zu  beschreibenden  Ca- 
runkeln  eine  Periurethritis  aus,  welche  dem  ganzen  Verlauf  der  Urethra  entlang  geht 
und  diese  als  einen  starren,  oftmals  sehr  schmerzhaften  Strang  von  der  Vagina  aus 
palpiren  lässt. 

Die  Therapie  richtet  sich  nach  der  Actiologie. 

5.  Syphilitische,  tuberkulöse,  lupöse  Geschwüre  und  das  von  Landau 
beschriebene  Ulcus  rodens,  das  wahrscheinlich  auch  luetischen  Ursprungs  ist. 

IV.  Fremdkörper  in  der  Urethra. 

1.  Urethralsteine.  In  den  letzten  Jahren  wird  das  Vorkommen  von  Con- 
crementen  in  der  Harnröhre  öfter  mitgetheilt.  Die  Bildung  derselben  wird  wahr- 
scheinlich durch  das  Bestehen  der  sinuösen  Krypten,  die  fälschlich  als  Drüsen 
beschrieben  worden  sind  (Loumeau),  begünstigt.  Nach  Girand  entstehen  sie  auch 
dadurch,  dass  sich  in  einem  Divertikel  (Urethrocele)  Harnconcremente  nieder- 
schlagen oder  dass  Steinbildung  am  Neoplasma  eintritt.  (Winckel), 

2.  Von  aussen  hineingelangte  und  steckengebliebene  Fremdkörper  sind 
theils  zu  therapeutischen  Zwecken,  theils  zur  Ausübung  der  Onanie  eingeführte  In- 
strumente oder  Gegenstände.  Sie  bringen  dieselben  Eeizerscheinungen  hervor,  wie 
Fremdkörper  in  der  Blase  und  geben  auch  Veranlassung  zur  Bildung  von  Urethral- 
steinen.  Katheterstücke,  Nadeln,  Steinpartikel,  Theile  eines  Strohhalmes  etc.  etc. 
sind  aus  der  Urethra  entfernt  worden. 

3.  Leicht  erklärlich  ist  das  Steckenbleiben  von  Fremdkörpern,  die  aus  dem 
Innern  des  Körpers  durch  die  Urethra  hindurch  ihren  Weg  nach  aussen  nehmen 
wollen.  Nieren  und  Blasenconcremente,  auch  losgelöste  Stücke  eines  Blasenpapilloms, 
ebenso  Knochenstücke,  Haare  etc.  von  einem  nach  der  Blase  durchgebrochenen 
Fruchtsack,  resp.  einer  Dermoidcyste. 

Die  Diagnose  ist  durch  die  bequeme  Abtastung  der  weiblichen  Urethra  per 
vaginam  sehr  erleichtert. 

Die  Entfernung  wird  man  zuerst  mit  passenden  Greifinstrumenten,  Korn 
7;ange  und  Pincette,  versuchen,  nöthigenfalls  nach  vorausgeschickter  Dilatation  der 
Harnröhre.  Die  ControUirung  des  Sitzes  vom  Fremdkörper  und  des  in  die  Urethra 
eingeführten  Instrumentes  von  der  Scheide  aus  erleichtert  solche  Manipulationen 
natürlich  sehr.  Nach  erfolglosen  Versuchen  dieser  Art  führt  die  Eröffnung  der 
Urethra  von  der  Vagina  aus  bestimmt  zum  Ziel.  Jedenfalls  ist  besonders  nach  Ent- 
fernung eines  Urethrasteines  die  Exploration  der  Blase  indicirt,  um  sich  zu  ver- 
gewissern, ob  nicht  darin  ebenfalls  noch  ein  Concrement  vorhanden  ist. 

V.  Verletzungen  der  Urethra. 

Directe  Verletzungen  von  aussen  her  durch  Sturz  oder  Fall  kommen  bei  der 
versteckten  Lage  der  Harnröhre  selten  zur  Beobachtung.  In  der  Literatur  konnte 
ich  nur  3  finden.  Borakowski  sah  bei  einer  Gravida  durch  Sturz  auf  ein  Ge- 
länder die  Urethra  von  ihrer  Anheftung  an  der  Symphyse  losgerissen,  KLEixvrÄCHTER 
einen  Fall,  wo  Verletzungen  der  Urethra  durch  Strohhalme  zustande  kamen,  indem 
die  Frau  auf  eine  Garbe  fiel.  Neugebauer  beschreibt  einen  Fall,  wo  es  ausser 
anderen  Verletzungen  zum  Abreissen  der  Urethra  vom  Schambogen  kam. 

Bei  stürmischen  Coitusversuchen,  besonders  wenn  der  Introitus  vaginae  durch 
irgend  eine  Anomalie  nicht  zugänglich  ist,  können  ebenfalls  Verletzungen  entstehen. 
Tessipow  erzählte  einen  einschlägigen  Fall,  wo  der  berauschte  Gatte  in  der  Braut- 
nacht  einen  2  cm  langen  Riss  der  Urethra  zustande  brachte. 

Am  häufigsten  werden  aber  Verletzungen  der  Harnröhre  durch,  resp.  nach 
schweren  und  besonders  nach  instrumeutellen  Entbindungen  beobachtet.    Sie  äussern 


852  URETHRA-KEANKHEITEN  DES  WEIBES. 

sich  dann  als  mehr  weniger  ausgedehnte  Urethrovaginalfisteln,  resp.  als  Vesico-urethro- 
vaginalfisteln.  Es  kann  dabei  auch  die  Urethra  am  Blasenhalse  abgerissen  werden 
(Bunge). 

Falls  der  Sphiucter  vesicae  nicht  in  Mitleidenschaft  gezogen  ist,  bestehen  die 
Störungen  nicht  in  Incontinentia  urinae,  sondern  mehr  dadurch,  dass  der  Urin  nicht 
mehr  im  Strahl  entleert  wird.  Er  spritzt  dann  allerseits  aus  der  Vagina  heraus,  so 
dass  die  betreffende  Frau  die  Flüssigkeit  nicht  abfangen  kann  und  an  den  Schenkeln 
und  Unterkleidern  benässt  wird. 

Einfache  Verletzungen,  welche  nur  in  einem  Kiss  bestehen,  sollen  sofort  genäht 
werden.     Später  bedarf   es   ausgedehnter,   plastischer  Operationen. 

VI.  Neiibikluiigen  der  Urethra. 

Die  Neubildungen  an  der  Urethra  kommen  häufiger  beim  Weibe  vor,  als  beim 
Manne. 

1.  Condylome.  Als  häutiges  Vorkommnis  bei  Gonorrhoe  entstehen  sie  durch 
die  Reizwirkung  des  gonorrhoischen  Secretes  besonders  um  die  Urethralöftnung  herum 
und  wachsen  auch  theilweise  in  diese  hinein.  Je  reinlicher  das  betreffende  Individuum 
seine  äusseren  Genitalien  hält,  um  so  geringer  ist  die  Entwicklung  der  kleinen, 
bald  gestielt,  bald  auch  mehr  breit  aufsitzenden,  nicht  schmerzhaften  Wucherungen. 
Ihre  beste  Behandlung  geschieht  mit  der  Scheere  und  Betupfung  der  kleinen  Wund- 
fläche mit  dem  Argentumstift.  Manchmal  kommen  allerdings  besonders  an  der 
Urethralmündung  nach  der  Abtragung  verhältnismässig  stärkere  Blutungen  vor.  Mit 
einer  Umstechung  wäre  derselben  sofort  abzuhelfen.  Doch  stehen  sie  auch  auf  Com- 
pressiou  mit  einem  Wattebausch.  Man  lässt  diesen  von  den  Patienten  dadurch 
selbst  andrücken,  dass  sie  ein  Bein  über  das  andere  schlagen. 

2.  Für  den  Praktiker  besonders  wichtig  sind  die  Gar  unk  ein,  welche  nach 
den  spitzen  Condylomen  wohl  die  häufigsten  Neubildungen  der  Urethra  nnd  am 
Orificium  sind,  Sie  bestehen  aus  kleinen,  weichen,  hochrothen  Excrescenzenzen  — 
ausnahmsweise  bis  zur  Dicke  eines  Daumens  - — ,  sie  sitzen  öfters  dicht  gedrängt 
breitbasig  an  der  Urethralmündung  und  ragen  auch  zuweilen  ziemlich  weit  aus  der- 
selben hervor.  Ihrer  Form  und  dem  Aussehen  nach  möchte  man  sie  dann  mit  an- 
gerissenen Himmbeeren  verglichen.  Infolge  ihres  Gefässreichthums  bluten  die  Ca- 
runlieln  ziemlich  leicht,  neigen  bald  zur  Ehagadenbildung  und  sind,  besonders  wenn 
der  Urin  über  sie  wegfliesst,  ausserordentlich  schmerzhaft.  Einige  Male  beobachtete 
ich  auch  eine  enorm  starke  Secretion,  wegen  welcher  gerade  die  Patientinnen  Hilfe 
suchten.  Sie  glaubten  an  Leukorrhoe  zu  leiden.  Es  waren  das  Frauen  in  den  vierziger 
Jahren.  In  diesem  Alter  ist  auch  das  Vorkommen  der  Carunkeln  am  häufigsten. 
Betreffs  der  Aetiologie  ist  nichts  Bestimmtes  zu  verzeichnen.  In  ihrem  anato- 
mischen Bau  unterscheiden  sie  sich  von  den  Teleangiectasien,  dass  die  Gefässe  keine 
verdickte  Wandung  besitzen  und  auch  nicht  ectatisch  sind  (Klein wächtee).  In 
einzelnen  Fällen  wuchern  die  Carunkeln  bis  tief  in  die  Urethra  hinein.  Ich 
sah  zweimal  eine  fingerdicke,  kolbige,  harte  Schwellung  des  äusseren  Theiles 
der  Urethra  dabei,  so  dass  anfangs  an  eine  maligne  Neubildung  gedacht  wurde  und 
zur  Sicherung  der  Diagnose  das  Mikroskop  befragt  werden  musste.  Excision  und 
Paquelin  helfen  am  schnellsten  und  sichersten.  Einmal  gelang  es  mir  auch,  da  jeder 
Eingriff  verweigert  wurde,  durch  Aetzungen  mit  reiner  Carbolsäure,  die  im  Gegensatz 
zu  Argent.  nitr.  hier  fast  schmerzlos  wirkt,  der  Neubildung  Herr  zu  werden.  Wenn 
sie  vereinzelt  und  gestielt  auftreten,  so  machen  sie  den  Eindruck  kleiner  Po- 
lypen. Ihre  Grundmasse  besteht  aus  weichem  Schleim-  oder  Bindegewebe  mit  nur 
vereinzelten  Drüsen.  In  der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  sind  sie  symptomlos,  doch 
erzeugen  sie  auch  nach  allen  Eichtungen  hin  ausstrahlende  Schmerzen,  welche,  wenn 
sie  durch  Berührung  exacerbiren,  sogar  Vaginismus  vortäuschen  können.  Mit  einem 
Scheerenschlag  sind  sie.  entfernt. 

3.  Die  Varicec,  Haemorrhoiden,  deren  Aussehen  demjenigen  an  anderen 
Organen  entspricht,    sind  dadurch  wichtig,    dass   sie  beim  Katheterisiren  zu  heftigen 


UTEEüS.  853 

Blutungen  Veranlassung  geben  und,  falls  ihr  Sitz  sich  innerhalb  der  Urethra  befindet, 
eine  Blasenblutung  vortäuschen  können.  Winckel  beschreibt  einen  Fall,  wo  ein 
Varix  beim  Heben  einer  Last  si^ontan  barst;  ohne  dass  die  ihn  überziehende  Schleim- 
haut mit  zerriss.  Es  entstand  durch  die  Blutung  in  das  Gewebe  eine  .haselnuss- 
grosse  Geschwulst,  ein  Haematoma  polyposum  urethrae. 

Auch  Angiome,  Teleangiectasien  sind  am  Orificium  externum  beobachtet  worden. 

Die  Therapie  besteht  in  Umstechung,  Paquelin,  Thermokauter,  Abbindung.  Bei 
Blutungen  eines  in  der  Urethra  befindlichen  Varix  kann  man  auch  von  der  Vagina 
aus  Compression  anwenden. 

4.  Fibrome,  Fibromyome,  Papillome  kommen  nur  vereinzelt  hier  vor 
ebenso  ist  nur  einmal  ein  Myxadenom  beschrieben  worden.  Die  Therapie  besteht 
in  der  Abtragung,  eventuell  mit  nachheriger  Vernähung  des  Mutterbodens. 

5.  Lupus  und  Tuberkulose,  vergl.  Artikel  „Tuberkulose  der  iveihlichen 
{jrenitaUen''^ . 

6.  Maligne  Neubildungen. 

a)  Carcinom.  Man  muss  zwischen  urethralen  und  periurethralen 
Carcinomen  unterscheiden.  Letztere  sind  zu  den  Vulvacarcinomen  zu  rechnen  (Dietzer, 
Veit)  und  gemäss  ihrer  Entwicklung  in  3  Stadien  zu  theilen.  Im  ersten  dringt  der 
Krebsknoten  im  periurethralen  Gewebe  nicht  über  die  halbe  Länge  der  Hai-nröhre 
in  die  Tiefe;  im  zweiten  erreicht  die  Geschwulst  die  Beckenfascie  und  den  Blasen- 
hals; und  im  dritten  werden  Symphyse  und  Schambeinäste  überschritten.  Das 
dritte  Stadium  ist  nicht  mehr  operabel. 

Das  Vorkommen  eines  primären  urethralen  Carcinoms  ist  kaum  in  einem 
Dutzend  der  Fälle  sicher  gestellt.  Das  Alter  der  Patienten  war  stets  ein  ziemlich 
hohes,  meist  sind  60-ger  Jahre  angegeben.  Das  Carcinom  nimmt  seinen  Anfang  im 
Urethralgewebe  an  der  Mündung  der  Urethra  als  rundlicher,  harter  Knoten,  der 
weiterhin  rings  die  ganze  Harnröhrenschleimhaut  ergreift  und  sich  gewöhnlich  nach 
vorne  stärker  entwickelt.  Die  Ausbreitung  scheint  meistens  langsam  vor  sich  zu 
gehen. 

Die  Therapie  besteht  in  möglichst  weitgehender  Exstirpatiou,  nöthigenfalls 
mit  Zuhilfenahme  der  Symphyseotomie  (Zweifel).  Muss  die  ganze  Harnröhre  ent- 
fernt werden,  so  ist  nachher  die  Anlegung  einer  Blasenbauchdeckenfistel,  am  besten 
einer  extraperitonealen,  nothwendig. 

h)  Sarcom.  Es  sind  bisher  nur  2  einschlägige  Fälle  beobachtet  worden. 
■Der  erste  von  Beigel  war  ein  wallnussgrosser,  aus  3  Lappen  bestehender  Tumor, 
der  vor  dem  äusseren  Saume  der  Urethralmündung  sass.  Ob  er  nach  der  Exstir- 
pation  recidivirte,  ist  nicht  angegeben.  Der  von  Eheendorfer  operirte  Fall  war 
bis  zur  4.  Woche  recidivfrei.  Die  Geschwulst  bestand  aus  mehreren,  lebhaft  in- 
jicirten,  theils  rundlichen,  theils  hahnenk ammartigen  Wülsten.  Das  Ganze  hing  an 
einem  Stiel,  der  durch  die  ganze  Umrandung  der  Harnröhre  gebildet  wurde.  Die 
Geschwulst  secernirte  stark  und  neigte  besonders  durch  die  Cohabitation  zu  Blu- 
tungen. Die  Therapie  bestand  in  der  Exstirpatiou  und  darauffolgender  Vernähung 
der  Urethralmucosa  mit  der  vulvären  Schleimhaut.  bodeiststetn'. 

UtßrUS.  Uterus  (die  Gebärmutter,  Mutter  oder  FrucUhalter)  nimmt  den 
oberen  Theil  des  kleinen  Beckens  ein  und  liat  die  Gestalt  einer  Birne,  deren 
Vorderfläclie  abgeplattet  und  deren  Seitenflächen  in  2  stumpfwinklige  Kanten 
verändert  sind.  Die  Länge  des  Uterus  beträgt  bei  erwachsenen,  niclit  graviden 
Frauen  50 — 70  mm,  seine  Dicke  im  Bereiche  des  Körpers  18 — 30  mm. 
Bezüglich  aller  jener  Bezeichnungen,  welche  die  Anatomie  den  einzelnen 
Theilen  der  Gebärmutter  zuerkannt  hat,  sei  auf  die  Einleitung  zu  diesem 
Bande  verwiesen  (pag.  4 — 6).  Der  Uterus  entsteht  aus  dem  oberen  Antheile 
jenes  Schlauches,  der  durch  die  Vereinigung  der  MüLLER'schen  Gänge  ent- 
standen ist.  Von  dieser  Zeit  an  erfährt  der  Uterus  bis  zur  Zeit  der  Pubertät 
eine   allmähliche  Veränderung  seiner. Gestalt  und  Form,  die  gleichzeitig  mit 


854  .  UTERUS. 

seinem  Wachsthume  einliergeht.  Im  3.  Monate  der  Gravidität  zeigt  die 
foetale  Gebärmutter  bereits  die  Differenzirung  eines  Halses  und  Körpers. 
Im  frühesten  Kindesalter  besteht  der  Gebärmutterkörper  aus  den  vereinigten, 
trichterförmig  erweiterten  uterinen  Tubenantheilen.  Er  zeigt  eine  von  vorne 
nach  hinten  abgeplattete  Höhle  von  beinahe  dreieckiger  Form.  Ein  Fundus 
ist  noch  nicht  ausgebildet,  dagegen  sieht  man  in  der  Mittellinie  eine  Ein- 
kerbung, welche  auf  das  foetale,  bicorne  Stadium  hindeutet.  Erst  ungefähr 
um  das  15.  Lebensjahr  bildet  sich  der  eigentliche  Fundus,  die  Gebärmutter 
hat  die  Zeit  ihrer  Functionsfähigkeit  erreicht. 

Die  Histologie  liefert  uns  von  dem  ausgebildeten,  nicht  graviden 
Uterus  folgende  Beschreibung:  Die  Uterussubstanz  ist  eine  compacte  Gewebs- 
masse,  die  einer  Durchflechtung  von  Muskelbalken  und  Bindegewebe  ihre 
Festigkeit  verdankt.  In  Schnitten  findet  man  Längs-,  Quer-  und  Schrägschnitte 
von  Muskelbündel,  welche  durch  lockeres,  zahlreiche  Gefässdurchschnitte  ent- 
haltendes Bindegewebe  getrennt  sind.  Man  unterscheidet  3  Muskellagen, 
eine  innere  mit  circulär-,  eine  mittlere  mit  longitudinal-  und  eine  äussere 
mit  unregelmässig  verlaufenden  Fasern. 

Die  Schleimhaut  des  Uteruskörpers  besitzt  innerhalb  eines  Grundgewebes 
zahlreiche  geschlängelte  Drüsenschläuche,  welche  von  einem  Flimmerepithel 
ausgekleidet  sind.  In  der  Cervix  bildet  die  Schleimhaut  Falten  und  enthält 
schlauchförmige,  mit  Cylinderepithel  ausgekleidete  Schleimdrüsen.  Die  untersten 
Theile  der  Cervix  tragen  ein  geschichtetes  Pflasterepithel. 

Die  Gefässe  der  Schleimhaut  sind  zahlreich  und  bilden  dichte  Capil- 
laren-  und  Venennetze.  Grössere  Stämme  finden  sich  in  den  äusseren  und 
mittleren  Muskellagen.  Die  Nervenverzweigungen  sind  in  den  Muskulatur 
leicht  zu  verfolgen,  ihre  Endigungen  in  der  Mucosa  sind  unbekannt. 

Die  Bildungsanomalien  des  Uterus  lassen  sich  in  folgendes 
Schema  bringen: 

Die  MüLLER'schen  Gänge: 

a)  fehlen  vollständig  (vollständiger  Mangel  des  Uterus), 

b)  sind  frühzeitig  atrophirt  (Rudimentäre  Bildung  des  Uterus), 

c)  auf  einer  Seite  fehlend  oder  unvollständig  ausgebildet  {Uterus  uni- 
cornis), 

d)  sind  gar  nicht  oder  mangelhaft  mit  einander  vereint  und  zwar: 

a)  gar   nicht  mit   einander  verschmolzen   {Uterus  duplex  separatus 
s.  didelphys.) 

ß)  nur  in  ihrem  unter  Antheil  verbunden  {Uterus  Ucornis), 
7)  mit    einander    verschmolzen,    aber    die    Scheidewand    erhalten 
{Uterus  septus). 

Ausführlich  sind  die  Entwicklungstörungen  des  Uterus  in  dem  Artikel 
„ Bildung sanomidien  der  weiblichen  Sexualorgane"  {pag.  101)  abgehandelt, 
während  ihre  Bedeutung  als  Schwangerschafts-  und  Gehurtscomplication  in 
dem  letztgenannten  Titel  tragenden  Aufsatz  beschrieben  ist. 

Die  Atrophie  des  Uterus  kann  zunächst  eine  primäre  i.  e.  an- 
geborene sein,  der  Uterus  bleibt  in  jener  Form  und  Gestalt  bestehen,  welche 
er  vor  der  Zeit  der  Pubertätsperiode  besessen.  Dieser  Uterus  infantilis  ist 
durch  das  Missverhältnis  zwischen  Corpus  und  Cervix  charakterisirt,  indem 
ersterer  nur  ein  Drittel  der  gesammten  Länge  beträgt  und  seine  Wand 
schwach  entwickelt  st,  während  der  Cervix  eine  dicke  Muscularis  besitzt. 
Infantil  ist  wohl  auch  jene  Uterusform,  die  man  bei  Chlorose  findet;  die  zur 
Zeit  des  Pubertätsalters  erwartete  Entwicklung  bleibt  aus.  Die  senile  Atrophie 
ist  eine  Theilerscheinung  jenes  regressiven  Processes,  der  die  weiblichen 
Genitalien  zur  Zeit  der  Menopause  befällt.  Der  Uterus  ist  klein,  schlaff,  die 
Wände  dünn,  die  Vaginalportion  fast  vollkommen  verschwunden.  Eine  weitere 
Form  der  Atrophie  ist   die  puerperale,  indem  eine  weitgehende  Rückbildung 


UTERUS.  ßoo 

(fettige  Degeneration)  der  Muskelfasern  stattfindet,  ohne  dass  sich  hiefür 
neue  Muskelfasern  anbilden.  Ein  mehr  weniger  ausgesprochener  Zustand  der 
Atrophie  gehört  nach  Schröder  zu  den  regelmässigen  r.egleiterscheinungen 
der  Lactation,  macht  aber  sofort  Halt,  wenn  die  Lactationsperiode  vorüber 
ist.  Pathologisch  wird  die  Atrophie  erst  dann,  wenn  sie  noch  weiter  an- 
dauert, so  dass  die  Uteruswände  schlaff  und  dünnwandig  bleiben  und  zu  den 
mannigfachsten  Beschwerden,  namentlich  auch  psychischer  Qualität,  Veran- 
lassung geben. 

Puerperalprocesse  können  selbstverständlich  das  Zustandekommen  einer 
derartigen  Atrophie  wesentlich  fördern  und  verschlimmern  jedenfalls  die 
Prognose  einer  eventuellen  Regeneration.  Ein  Hauptsymptom  der  Atrophie 
ist  die  Amenorrhoe  und  sei  diesbezüglich  sowie  auch  betreffs  der  Therapie 
auf  den  Artikel  „Menstruation"  (pag.  526)  und  auf  den  Aufsatz  „Sterilität" 
(pag.  752)  verwiesen. 

Die  Hypertrophie  des  Uterus  in  Form  einer  gleichmässigen 
Grössenzunahme  sämmtlicher  Gewebsbestandtheile  findet  sich  während  der 
Gravidität,  bei  Haematometra  und  bei  Myomen.  Eine  Hyperplasie  des  Binde- 
gewebes allein  findet  sich  als  Folgezustand  von  Entzündungsprocessen  und 
bildet  das  anatomische  Substrat  der  chronischen  Metritis.  Aus  welcher 
Ursache  immer  ein  abnormer  Zufluss  von  Ernährungsmaterial  zum  Uterus- 
gewebe stattfindet,  sei  es  dass  Geschwulstbildung  denselben  veranlasst,  sei  es 
dass  häufige  Congestionen  (active  Hyperaemien)  oder  Stauungszustände  die 
Ursache  hiefür  abgeben,  immer  ist  die  Folge  diffuse  Bindegewebswucherung 
und  hiedurch  allgemeine  Volumenzunahme  des  Uterus  (Hyperplasie  bei  Mere- 
trices,  bei  Coitus  reservatus,  bei  Prolaps  und  Lageveränderungen,  bei  Herz- 
und  Lungenleiden).  Klinisch  lässt  sich  der  durch  die  Hypertrophie  bedingte 
Zustand  von  jenem  durch  chronische  Entzündung  veranlassten  kaum  unter- 
scheiden. 

Hypertrophie  der  Cervix  betrifft  entweder  nur  die  Vaginalportion, 
oder  auch  die  beiden  oberen  Antheile  der  Cervix.  Letztere  ist  nur  secundär 
durch  Vaginalprolaps  bedingt  (v.  ,,ProIa/ps''  mit  der  zugehörigen  Figuren  pag.  682) 

Die  Hypertrophie  der  Portio  vaginalis,  gleichmässige  abnorme 
Verdickung  und  Verlängerung  der  Vaginalportion  („penisartig")  kommt  merk- 
würdiger Weise  bei  Nulliparen  vor  und  wird  aetiologisch  auf  den  Reiz  ona- 
nistischer  Proceduren,  ebenso  wie  die  Hypertrophie  der  Clitoris  und  Nymphen, 
zurückgeführt.  Bezüglich  der  Operation  dieser  Anomalie  vergl.  „Portioope- 
rationen"  pag.  675. 

Die  Entzündungen  des  Uterus  können  das  Uterusgewebe  allein  be- 
treffen (v.  „Metritis^'  pag.  529),  können  sich  ferner  auf  dem  ganzen  Schleim- 
hautgebiete der  Gebärmutterhöhle  ausbreiten  (v.  „Endometritis"  pag.  211) 
oder  sich  nur  auf  der  Schleimhaut  des  Cervixcanales  etabliren  (v.  .^Cervix- 
Jcatarrh'^  pag.  159).  Sehr  häufig  pflegt  der  von  aussen  her  eingedrungene 
oder  von  der  Blutbahn  aus  abgelagerte  Entzündungsreiz  Schleimhaut,  Uterus- 
substanz und  umkleidende  Hülle  (Peritoneum)  gleichzeitig  zu  ergreifen  und 
wir  localisiren  dann  nur  da  oder  dort  je  nach  den  ausgesprochendsten  Symp- 
tomen. Eine  schwere  Complication  bilden  die  Entzündungen  der  Gebärmutter 
bei  eintretender  Schwangerschaft,  zumal  sie  oft  das  Eintreten  derselben  über- 
haupt hindern  oder  zum  Abortus  Veranlassung  geben  (v.  .^Schicangerschafts- 
und  Geburtscomplicationen'-^  pag.  737). 

Seitdem  B.  S.  Schultze  durch  unermüdliche  Untersuchungen  die  normal 
anteflectirte  Lage  des  Uterus  nachgewiesen  hat,  hat  man  auch  mehr  Klarheit 
über  die  Lageveränderungen  des  Organes  erlangt.  Peritoneum  und  Binde- 
gewebe bilden  die  Fixation  für  die  normale  Position  des  Uterus,  wie  dies  in 
dem  Aufsatze  „Anatomie  der  weihlichen  Sexualorgane"  (pag.  6)  und  in  dem 
Artikel  „Parametritis^^  (pag.  607)  genau  beschrieben  wurde.    Lockerung  dieser 


856 


UTERUS. 


Fi".  1.     Sc-lioraatisclier  rrontalschnitt  durch  das  weibliche  Becken. 


a,  cavum  peritoneale;    b,  cavum  siibperitoneale 
rectale.        «,  Uterus ;  v,  vagina  ;  p^  Peritoneum  : 


rator  internus  ;  l  a,  m.  levator  ani. 


Parametrium  ;    c,  cavum  ischio- 
j  p,  m.  ileo— psoas  ;    oi,  m.  obtu- 


Fixationsmittel  einerseits  und  exsudative  oder  solide  Tumoren  andererseits, 
die  sich  in  der  Nachbarschaft  oder  im  Uterus  selbst  entwickeln,  bedingen  die 
mannigfachsten  Lageveränderungen.  Eine  topographische  Uebersicht  über 
das  ganze  Gebiet  liefern  beistehende  Illustrationen. 

Die    Lage- 
^"^-■^  -  Veränderungen 

der  Gebärmut- 
ter bilden  als  ^n- 
teversio,  Änte- 
fiexio,  Antepo- 
sitio,  wie  als 
Befroversio,  Be- 
troflexio,  und  Be- 
tropositio  die  Ver- 
anlassungzu  einer 
Reihe  verschie- 
denartiger Be^ 
schwerden  (v. 
„  Uteruslageano- 
mallen" ])?ig.  860), 
indem  namentlich 
die  Retrcäexio 
eine  besonders 
ernste  Bedeutung 
beim  Eintreten 
einer  Gravidität 
erlangt  (v.  pag. 
739). 

Eine  selbstän- 
dige Lageverän- 
derung des  Uterus 
nach  unten  (;;Pro- 
lapsiis  et  Descensus 
«<feri")  kommt  un- 
abhängig vom 
Scheidenvorfall 
sehr  selten  vor, 
und  ist  deshalb 
gem.einsam  mit 
diesem  in  den 
Aufsätzen  ,^Pro- 
laps"  (pag  G80) 
und  „Prolaps- 
operationen"  (pag. 
683)  abgehandelt. 
Da  die  Inversion 
der  Gebärmutter  hauptsächlich  im  Anschlüsse  an  den  Gebäract  vorkommt,  und 
daher  wesentlich  geburtshilfliches,  wenig  gynaekologisches  Interesse  (Inversion 
bei  Myomen)  besitzt,  so  ist  die  „Inversio  uteri"  in  einem  selbständigen  Aufsatz 
(pag.  454)  abgehandelt.  Die  Elevation  des  Uterus  d.  h.  die  abnorm  hohe  Lage 
der  Gebärmutter,  tritt  ein,  wenn  eine  unterhalb  desselben  sich  entwickelnde 
Geschwulst  ihn  hinaufdrängt  oder  den  Adnexen  und  den  Parametrien  ange- 
hörige  Tumoren  oder  peritonitische  Verwachsungen  ihn  in  die  Höhe  ziehen. 
Bezüglich  der  Häufigkeit  des  Vorkommens  von  Geschwülsten  wird 
der  Uterus  kaum  von  irgend  einem  anderen  Organ  übertroffen.    Die  Neoplas- 


rig.  2.     Schematischer  Querschnitt  durch  das  weibliche  Becken. 


u,  Uterus;    v,  veslca;    r,  rectum.  1,  2,  3  Parametrane  Bindegewebsspalten ; 

1  Bindegewebsspalte  des  lig.  rotundum,  2  des  lig.  latum,  3  des  lig.  saerto-uteri- 

num  Douglasii;  4  paravesioaler  Raum. 


UTEJIUS.  857 

men  der  Gebärmutter  theilt  man  in  solclic,  die  von  der  Sclileimliaut  aus- 
gehen, und  solche  die  von  dem  übrij^cn  Gewebe  ihren  Ursprung-  nehmen. 
Zur  ersten  Gruppe  rechnet  man  die  Schksimhautpolypen  als  benigne,  und  die 
Carcinome  als  maligne  Neoplasmen;  rück  sichtlich  der  Malignität  unbestimmt 
tsind  die  Adenome  und  Papillome.  Zur  zweiten  Gruppe  gehören  die  P'ibromyome 
und  Myxome  als  gutartige,  und  die  Sarkome  als  bösartige  Geschwülste. 

Die  Aetiologie,  die  Symptomatologie,  die  pathologische  Anatomie, 
Diagnostik  und  Prognose  der  Fibromyome  des  Uterus  sind  in  dem  Artikel 
^^Fibrom,Fibroinyome,]\Iyom"  (pag.  241u.  fit".)  behandelt  worden.  Die  operativen  Me- 
thoden zur  Entfernung  der  Uterusmyome  wurden  in  den  beiden  Aufsätzen  ,^Lapa- 
rohysterotomie — Laparoniyotomie"  (pag.  490)  und  „Myotomie"  (pag.  582)  be- 
sprochen. Inwiefern  die  Fibromyome  Schwangerschaft  und  Geburt  compliciren,  ist 
in  dem  Artikel  „Schwangerschafts-  und  Geburtscomplicationen"   dargestellt. 

Von  den  Myomen  getrennt  werden  die  Cystofibrome,  eine  Ptcihe  von 
Uterusgeschwülsten,  die  histologisch  keineswegs  zusammengehören  und  nur 
dadurch  gemeinschaftlich  charakterisirt  sind,  dass  in  ihrem  Stroma  eine  An- 
sammlung von  Flüssigkeit  stattgefunden  hat. 

In  der  Literatur  finden  sich  unter  diesem  Namen  zunächst  Myxomyone 
beschrieben,  Neoplasmen,  die  histologisch  die  Beschaffenheit  der  Myxome  dar- 
bieten, ferner  lymphangiectatische  Myome  {Fibroma  lymangiectodes),  die  durch 
pathologische  Wucherungen  von  Lymphgefässen  innerhalb  des  Myomgewebes 
entstanden  sind,  endlich  ursprünglich  normal  gebildete  Fibromyome,  in  denen 
durch  degenerative  Processe  eine  Erweichung,  Verflüssigung,  eine  Höhlen- 
oder Cystenbildung  zustande  gekommen.  Die  Symptomatologie,  Diagnose,  The- 
rapie ist  selbsverständlich  wie  die  der  Fibromyome,  Wegen  ihrer  cystenartigen 
Beschaffenheit  haben  sie  manchmal  Anlass  zu  Verwechslungen  mit  Ovarial- 
kystomen gegeben. 

Trotzdem  es  sicher  nachgewiesen  ist,  dass  die  so  häufigen  Fibromyome 
sich  in  Sarkome  umwandeln  können,  sind  die  Uterussarkome  doch  relativ 
selten,  jedenfalls  bedeutend  seltener  als  die  Myome.  Ein  Uterussarkom  kann 
sich  aber  auch  primär  als  solches  entwickeln  und  zwar  ebenso  wie  das  reine 
Myom,  submucös,  subserös  und  interstitiell. 

Die  Sarkombildung  geht  gewöhnlich  vom  submucösen  Bindegewebe  der 
Uterushöhle  aus,  indem  sich  unter  üppiger  Neubildung  von  kleinen  Ptundzellen 
eine  lappige  Geschwulst  bildet,  die  gegen  die  Uterushöhle  zu  wuchert.  Viel 
seltener  entwickeln  sich  Sarkome  von  der  Portio  aus;  sie  haben  ein  papilläres 
Aussehen  und  sind  durch  ihre  besondere  Malignität  und  Neigung  zur  Recidive 
ausgezeichnet.  Im  Laufe  ihres  Wachsthumes  erleiden  sie  eine  eigenthümliche 
hydropische  Beschaffenheit;  solche  Fälle  von  papillären  hydi'opischen  Cervix- 
sarkomen  sind  von  SpiEGELBEßG,  Winkler,  Schroeder  und  Kuhnert  be- 
schrieben worden.  Eine  derartige  papilläre  Geschwulst  mit  reichlicher  Ent- 
wicklung von  Knorpelgewebe  hat  Thiede  als  Fibroma  papilläre  carti- 
laginescens  bezeichnet.  Einer  Statistik  Güsserow's  zufolge  kamen  von  73 
Fällen,  die  er  aus  der  Literatur  zusammenstellen  konnte,  die  Mehrzahl,  nämlich 
28  zwischen  dem  40.  bis  49.  Lebensjahre,  also  zur  Zeit  des  Klimakteriums  vor. 
Die  Symptome,  welche  die  Fibrosarcome  hervorrufen  sind  dieselben  wie  die 
der  Myome  (Schmerzen,  Blutungen,  Fluor),  häufig  macht  erst  die  Recidive 
darauf  aufmerksam,  dass  es  sich  nicht  um  ein  Fibrom,  sondern  um  ein  Sar- 
kom handle.  Diagnostisch  am  schwierigsten  sind  jene  Sarkome,  wo  die  Uterus- 
substanz diffus  sarkomatös  degenerirt  ist,  also  äusserlich  kein  distincter  Tumor 
nachweisbar,  der  Uterus  nur  in  toto  vergrössert  und  schwerbeweglich  erscheint. 
Erst  wenn  der  Zerfall  der  sarkomatöseu  Wucherung  eintritt  und  ein  foetöder 
Ausfluss  sich  zeigt,  wird  man  auf  die  Malignität  aufmerksam.  Ein  diflerential- 
diagnostischer  Moment  zwischen  Fibrom  und  Fibrosarkom  bildet  immer  das 
Verhältnis   zwischen  Lebensalter   und  Wachsthum,    d.  h.    ist  die  Geschwulst 


858  UTEEÜSBLUTUNGEN. 

.erst  während  des  Klimakteriums  entstanden  oder  macht  sie  während  der 
klimakterischen  Lebensperiode  besondere  Fortschritte,  so  spricht  das  immer 
für  Sarkom,  da  die  Fibrome  sich  meist  früher  entwickeln  und  während  des 
Klimakteriums  innehalten.  Bezüglich  der  Therapie  des  Uterussarkomes  gelten 
selbstverständlich  alle  jene  Grundsätze,  die  für  die  Behandlung  der  malignen 
Neubildungen  überhaupt  Geltung  haben. 

Von  der  Uterusschleimhaut  gehen  manchmal  Wucherungen  aus,  die  vor- 
zugsweise aus  neugebildeten  Drüsen  bestehen  und  die  man  daher  als  Adenome 
bezeichnet.  Sie  kommen  in  zweierlei  Formen  vor,  als  diffuses  Adenom,  adeno- 
matöse Degeneration  der  Schleimhaut,  die  häufig  nur  den  Beginn  einer  atypi- 
schen Wucherung  (Carcinom)  bildet  oder  in  Form  wohl  ausgebildeter  Poli/pen, 
die  aus  langgestreckten,  durch  Bindegewebe  zusammengehaltenen  Drüsen- 
schläuchen bestehen  und  zuweilen  auch  einen  derben,  fibrösen  Stiel  besitzen.  *) 
Die  Diagnose  des  diffusen  Adenoms  der  Schleimhaut  wird  hauptsächlich  durch 
hartnäckige,  uterine  Blutungen  erweckt.  „Stehen  die  Kranken  in  höheren 
Jahren,"  sagt  Schroeder,  haben  sich  die  Blutungen  allmählich  ohne  nach- 
weisbare Ursache  entwickelt,  fehlt  ein  stärkerer  Ausfluss,  so  wird  es  umso 
wahrscheinlicher,  dass  es  sich  um  adenomatöse  Zustände  der  Schleimhaut 
handelt.''  Hat  man  durch  mikroskopische  Untersuchung  eines  mit  der  Curette 
geholten  Schleimhautstückes  die  Diagnose  gesichert,  so  wird  man  wohl  unver- 
züglich an  die  Totalexstirpation  des  Uterus  schreiten  müssen. 

Die  häufigste  aller  Uterusneubildungen,  das  üteruscarcinom,  ist  nach 
seinen  3  von  Euge  und  Veit  unterschiedenen  Formen,  Portio-,  Cervix-  und 
Corjmscarcinom  auf  pag.  142 — 153  ausführlich  besprochen. 

Bezüglich  der  Tuberculose  der  Gebärmutter,  sei  auf  den  Artikel 
^Tuhercidose  der  iveihlichen  Sexualorgane  (pag.  816)  verwiesen. 

Die  Syphilis  des  Uterus  ist  selten.  (Gummen  an  der  Vaginalportion, 
Endometritis  und  Metritis    syi^hilitica).  c.  E. 

UterUSblutungen.  {Metrorrhagien).  Es  gibt  physiologische  und 
pathologische  Uterusblutungen.  Die  physiologischen  haben  bereits  in  dem 
Artikel  ,^ Menstruation"  (v.  pag.  525j  ihre  Besprechung  gefunden,  ebenda  auch  ihr 
zu  starkes,  zu  langes,  in  zu  kurzen  Zwischenräumen  erfolgendes  Auftreten, 
die  sogenannten  Menorrhagien.  Im  Gegensatz  zu  den  letzteren  bezeichnet 
man  die  zwischen  zwei  menstruellen  Perioden  auftretenden  oder  überhaupt 
nicht  oder  nur  auf  ganz  kurze  Zeit  aussetzenden  Uterusblutungen  als  Metrorr- 
hagien. 

Die  Ursache  der  Metrorrhagien  ist  meist  in  einer  örtlichen  Erkrankung, 
der  Sexualorgane  zu  suchen.  In  seltenen  Fällen  begegnen  wir  ihnen  bei 
anderweitigen  Organerkrankungen,  bei  Herzfehlern,  Morbus  Brightii,  Schrumpf- 
niere, bei  welchen  es  weit  häufiger  zu  Menorrhagien  kommt.  Dagegen  werden 
sie  ziemlich  oft  bei  manchen  der  acuten  Infectionskrankheiten,  so  bei  Cholera, 
Pocken,  Scharlach,  vor  Allem  aber  bei  Influenza  beobachtet. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  sind  Metrorrhagien,  wie  schon  gesagt,  ein 
Symptom  einer  Erkrankung  in  einem  Gebiet  der  Sexualorgane.  Wir  finden 
sie  als  ein  solches  bei  cervicalen  (sowohl  Schleim-  wie  fibrösen)  Polypen,  bei 
Myomen  beziehungsweise  Fibromyomen  und  zwar  in  erster  Linie  bei  submuoösen 
und  interstitiellen,  seltener  bei  subserösen,  bei  acuter,  besonders  aber  chro- 
nischer Endometritis,  bei  Erosionen  der  Portio  vaginalis  (hier  meist  nur  in 
Folge  von  Traumen,  besonders  beim  beziehungsweise,  nach  dem  Coitus)  bei 
Prolaps  des  Uterus,  bei  Adnextumoren,  häufiger  bei  tubaren  als  ovariellen,  bei 
para-  und  perimetritischen  Exsudaten,  bei  Haematocelen,  vor  Allem  aber  bei 
dem  Carcinom  des  Uterus,  sowohl  dem  des  Cervix  wie  dem  des  Corpus.  Auf 


*)  Vgl.  Artikel  ^Polypen  des  Uterus"-  pag.  674;. 


UTERUSBLUTUNGEN.  859 

diese  verschiedenen  Erkrankungen  an  dieser  Stelle  einzugehen  erübrigt  sich, 
da  sie  alle  in  besonderen  Artikeln  bereits  ihre  Besprechung  gefunden  haben 
und  somit  auf  diese  verwiesen  werden  kann. 

Sollten  schon  bei  Frauen,  welche  sich  in  dem  Lebensabschnitt  der  Ge- 
schlechtsthätigkeit  befinden,  Metrorrhagien  stets  den  Verdacht  auf  eine  Affection 
der  Sexualorgane  erwecken,  so  gilt  dies  noch  vielmehr  bei  solchen,  welche  das 
Klimacteriuro.  hinter  sich  haben,  bei  welchen  die  Menses  schon  seit  längerer 
Zeit  ausgeblieben  sind.  Sehr  häufig  werden  sie  hier  nicht  nur  von  den  Frauen 
selbst,  sondern  auch  von  Aerzten  für  die  wieder  eingetretene  Menstruation 
angesehen.  Und  thatsächlich  kann  es  sich  um  dieselbe  handeln,  worauf 
Neumann  (Monatsschrift  für  Geburtsh,  und  Gyn.  1895.  He/t.  2  und  Cen- 
tralhlatt  für  Gyn.  1895  Nr.  3)  hingewiesen  hat.  Selbst  nach  jahrelanger  Pause 
ist  eine  Wiederkehr  der  Menses,  ja  einer  Conception  in  postklimakterischer 
Zeit  beobachtet  worden.  Man  darf  aber  nicht  vergessen,  dass  es  sich  bei  der- 
artigen Vorkommnissen  nicht  um  die  Regel,  sondern  um  Ausnahmen,  noch 
dazu  sehr  seltene  Ausnahmen  handelt.  Daher  ist  es  unabweisbare  Pflicht 
des  Arztes,  Frauen  in  vorgerückterem  Lebensalter,  bei  welchen  nach  längerer 
Cessation  der  Menses  uterine  Blutungen  eintreten,  einer  sorgfältigen  Unter- 
suchung zu  unterwerfen. 

Neumann  (1.  c.)  hat  ein  Material  von  500  Fällen  postklimakterischer 
Blutungen  bezüglich  der  Aetiologie  derselben  gesichtet.  Er  fand,  dass  in 
0,8%  ein  Uterusmyom  oder  eine  Ovarialcyste,  in  l**/o  Kolpitis  senilis  und  senile 
Veränderungen  der  Genitalien,  in  l,67o  Schleimhautpolypen  des  Uterus,  in 
3,6%  Carcinoma  corporis  uteri,  in  4,87o  Prolaps  der  Vagina  oder  des  Uterus, 
in  207o  Carcinoma  port.  vag.  uteri  das  ursächliche  Moment  abgeben.  In 
manchen,  sonst  nicht  erklärlichen  Fällen  scheinen  die  Blutungen  nur  auf  vaso- 
motorischen Störungen  zu  beruhen. 

Eine  gewisse  semiotische  Bedeutung  kommt  der  Art  des  Auftretens  der 
Blutungen  zu.  Bei  Prolaps  und  Kolpitis  senilis  sind  sie  nur  geringfügig; 
meist  machen  sich  nur  Blutspuren  in  der  Wäsche  bemerklich.  Manche  der 
an  Kolpitis  senilis  leidenden  Frauen  klagen  über  Blutabgang  nach  dem  ge- 
wöhnlich schmerzhaftem  Coitus. 

Uterusmyome  machen,  wenn  erst  die  Menopause  eingetreten  ist,  in 
der  Regel  keine  Erscheinungen,  da  sie  sich  zudem  meist  zurückbilden,  be- 
ziehungsweise verkalken.  In  seltenen  Fällen  führen  sie  aber,  nachdem  die 
Menses  bereits  seit  Jahren  verschwunden  waren,  doch  noch  zu  Blutungen. 
Diese  sind  meist  nicht  auffallende,  können  aber  recht  profus  auftreten,  wie 
Referent  in  einem  I'all  von  submucösem  Myom,  welches  er  später  enucleirte, 
beobachtete. 

Bei  Schleimhautpolypen  sollen  die  Metrorrhagien  nach  Neumann  periodisch 
wiederkehren  und  manchmal  recht  starke  sein.  Referent  fand  sie  in  mehreren 
Fällen  im  Gegentheil  schwach  und  mit  ganz  kurzen  Unterbrechungen  von 
wenigen  Stunden  oder  Tagen  auftretend. 

Anhaltende,  starke,  die  Patienten  schwächende  Blutungen  müssen  bei 
Frauen,  welche  das  Klimacterium  hinter  sich  haben,  stets  den  Verdacht  auf 
ein  Uterus- carcinom  erwecken  und  zwar,  findet  sich  kein  solches  der  Portio, 
auf  ein  solches  des  Corpus  uteri. 

Um  im  letzteren  Falle  die  Differentialdiagnose  zwischen  Myom  be- 
ziehungsweise Polyp  des  Uterus  und  Corpuscarcinom  mit  voller  Sicherheit  zu 
stellen,  empfiehlt  es  sich,  sich  nicht  mit  einem  Probecuretiement  und  nach- 
folgender Untersuchung  entfernter  Schleimhautstückchen  zu  begnügen,  sondern 
mittels  (in  Jodoform-Äther  aufbewahrter)  Laminariastifte  das  Cavum  uteri  zu 
eröffnen  und  mit  dem  Finger  auszutasten. 

Die  Behandlung  der  erwähnten  verschiedenen  Ursachen  der  Metrorr- 
hagien findet  sich  in  den  betreffenden  Artikeln  besprochen.  Hier  sei  nur  noch 


860  ÜTERUSLAGEANOMALIEN. 

einmal  betont,  was  leider  von  vielen  practischen  Aerzten  auch  heute  noch 
nicht  als  geboten  erachtet  wird,  dass  U  t  e  ru  s  b  1  u  t  u n g  e  n  nie  sympto- 
matisch behandelt  werden  dürfen,  sondern  dass  man  stets  durch  sorgfältige 
Untersuchung  ihre  Ursache  feststellen  und  dann  diese  angreifen  soll. 

GRAEFE 

Uteruslageanomalien,  in  dem  Capitel  „Anatomie  der  weiblichen  Ge- 
schlechtsorgane'^ haben  wir  die  normale  Lage  des  Uterus  und  seine  Be- 
ziehungen zu  den  Nachbarorganen  ausführlich  geschildert.  Anomalien  in  der 
Lage  des  Uterus  kommen  nun  bei  dem  Umstände,  dass  nirgends  feste  Auf- 
hängebänder den  Uterus  unter  normalen  Umständen  fixiren  und  eine  Reihe 
von  das  Zustandekommen  von  Lageveränderungen  begünstigenden  Momenten 
stets  vorhanden  sind,  ausserordentlich  häufig  vor.  Allerdings  werden  zu  den 
Lageveränderungen  der  Einfachheit  halber  auch  Zustände  des  Uterus  gemein- 
hin gerechnet,  die  man  eigentlich  im  wahren  Sinne  des  Wortes  als  Form- 
veränderungen zu  bezeichnen  hätte. 

Wir  können  die  Lageveränderungen  des  Uterus  zweckmässig  ein- 
th  eilen  in  Flexionen,  welche  ein  der  Norm  nicht  entsprechendes 
Verhältnis  des  Corpus  uteri  zum  Cervix  uteri  bedeuten.  Sie  sind  dem- 
gemäss,  wie  eben  erwähnt,  eigentlich  Formveränderungen  des  Uterus. 
Unter  normalen  Verhältnissen  bildet  ja  die  Axe  des  Corpus  und  des  Cervix 
uteri  mit  einander  einen  nach  vorne  offenen,  stumpfen  Winkel,  dessen  Spitze 
gegen  das  orificium  uteri  internum  fällt.  Entsprechend  dieser  normalen  Flexion 
sieht  die  vordere  Fläche  des  Uterus  zugleich  auch  etwas  nach  abwärts,  während 
die  hintere  Fläche  des  Uterus  gleichzeitig  nach  oben  zu  gekehrt  erscheint.  Ist 
nun  dieser  Anteflexionswinkel  ein  rechter  oder  gar  ein  spitzer,  so  bezeichnen 
wir  diesen  Zustand  als  pathologische  Anteflexio  uteri.  In  andern  Fällen 
finden  wir  wieder,  dass  der  Uteruskörper  mit  seinem  Fundus  nicht  nach  vorne 
oben,  sondern  nach  hinten  unten  gerichtet  ist,  so  dass  das  Corpus  mit  dem 
Cervix  einen  nach  hinten  zu  geöffneten  Winkel  bildet  —  ein  Zustand,  den 
wir  alsRetroflexio  uteri  zu  bezeichnen  haben  werden.  Desgleichen  kommen 
Deviationen  nach  der  Seite  hin  vor,  welche  den  Uteruskörper  allein  betreffen, 
bei  normaler  Stellung  des  Cervix,  so  dass  wir  dann  von  Lateroflexionen 
und  zwar  speciell  von  Dextroflexion,  wenn  der  Uterus  nach  rechts,  von 
Sinistroflexion,  wenn  der  Uterus  nach  links  gekehrt  ist,  sprechen 
werden. 

Eine  andere  Art  der  Lageveränderungen  bilden  die  Ver  s  i  o  nen  des  Uterus, 
bei  welchen  nicht  blos  der  Uteruskörper  als  solcher,  sondern  der  ganze  Ute- 
rus gegenüber  den  Nachbarorganen  andere  Lagebeziehungen  eingeht.  Während 
bei  Flexionen  die  Lage  der  Portio  vaginalis  nur  wenig  verändert  ist,  muss 
dieselbe  bei  Versionen  nach  der  entgegengesetzten  Richtung  hin  ausweichen, 
als  der  Uteruskörper  sich  bewegt  hat.  Wir  werden  es  daher  als  eine  Ante- 
version  zu  bezeichnen  haben,  wenn  der  Uteruskörper  nach  vorne  zu  über- 
fällt, so  dass  seine  vordere  Fläche  direct  abwärts  sieht,  während  die  Portio 
vaginalis  nach  hinten  zu  gegen  die  Kreuzbeinhöhlung  gerichtet  erscheint. 
Dabei  kann  bei  dieser  Anteversion  die  normale  Anteflexion  bestehen  oder 
auch  aufgehoben  sein,  so  dass  dann  der  Uterus  nahezu  gestreckt  verläuft. 
Im  anderen  Falle  finden  wir  wieder  den  Uterus  nach  hinten  zu  umgekippt, 
so  dass  er  mit  seinem  Fundus  in  der  Kreuzbeinhöhlung  oder  gar  im 
DouGLAs'schen  Räume  sich  befindet,  während  die  Portio,  nach  der  entgegen- 
gesetzten Richtung  ausweichend,  mit  dem  Orificium  entweder  nach  vorne  oder, 
im  extremen  Falle,  nach  vorne  oben  gewendet  ist  —  Retroversio  uteri. 
In  gleicher  Weise  finden  wir  Lateroversionen  zustande  kommen,  wenn 
der  Uteruskörper  nach  der  einen  oder  anderen  Seite  hin  ausweicht,  während 
die  Portio  einer  entgegengesetzten  Richtung  folgt. 


UTERUSLAGEANOMALIEN.  861 

Eine  andere  Lageveränderun^,  oft  nur  einen  geringeren  Grad  der 
Yersion  darstellend,  bilden  die  Antepositio  und  die  Ketropositio  uteri, 
wobei  der  Uterus  parallel  zu  seiner  normalen  Lage  entweder  nach  vorne 
gegen  die  hintere  Symphysenwand  oder  nach  hinten  gegen  die  vordere  Mast- 
darmwand gerückt  erscheint.  Erwähnen  wir  noch  die  Lageveränderung  des 
Uterus  in  der  sagittalen  Richtung,  so  müssen  wir  sagen,  dass  der  Uterus 
entweder  seine  normale  Stellung  in  der  Kichtung  nach  unten  verändert 
(Descensus  uteri)  oder  aber,  dass  er  in  der  sagittalen  Ebene  weiter  nach 
oben  verrückt  erscheint,  als  es  der  Norm  entspricht  (Elevatio  uteri). 
Eine  ganz  ausserordentlich  selten  vorkommende  Lageveränderung  des  Uterus 
stellt  die  Inversion  dar,  bei  welcher  der  Uterus  vollständig  umgestülpt, 
seine  Innenfläche  nach  aussen  gewendet  erscheint.  Wir  wollen  nun  die  ein- 
zelnen Arten  der  Lageveränderungen  bezüglich  ihrer  Aetiologie,  Symp- 
tomatologie und  Therapie  besprechen. 

Die  Anteflexio  uteri,  bei  welcher  der  normalerweise  stumpfe  Winkel 
zwischen  der  Axe  des  Corpus  und  Cervix  uteri  um  ein  Bedeutendes  spitzer  ge- 
worden ist,  kommt  häufig  als  angeborener  Zustand  vor.  Infolge  einer  mangel- 
haften Entwickelung  des  Uterus  finden  Avir  diesen  Zustand  mitunter  combinirt 
mit  ausserordentlicher  Verkleinerung  des  Uterus  und  Enge  des  Orificium  uteri 
externum  mit  leichter  Verlängerung  der  Portio  combinirt;  ferner  kommt  die 
spitzwinkelige  Anteflexion  zustande  bei  entzündlichen  Processen,  welche 
sich  an  der  vorderen  Wand  des  Cervix,  respective  des  serösen  Ueberzuges  in 
der  Plica  vesicouterina  abspielen  oder  schliesslich  kann  eine  straffe  Adhäsion, 
welche  bandartig  von  der  Höhe  des  Orificium  internum  hinten  von  der  rück- 
wärtigen Wand  des  Cervix  gegen  das  Kreuzbein  oder  das  Rectum  zieht,  den 
Uterus  so  nach  vorne  winkelig  abknicken,  dass  dadurch  eine  spitzwinkelige 
Anteflexio  uteri  zustande  kommt.  Die  Erscheinungen,  welche  die  Anteflexio 
(die  pathologische  Anteflexio)  uteri  macht,  sind  nun  zunächst,  abgesehen  von 
vereinzelt  auftretenden  Druckerscheinungen  von  selten  der  Blase,  der  Sympto- 
mencomplex  der  Dysmenorrhoe.  In  solchen  Fällen,  wo  der  Zustand  ein 
angeborener  ist,  werden  wir  demgemäss  diese  dysmenorrhoischen  Beschwerden 
vom  ersten  Erscheinen  der  Menstruation  an  vorfinden.  Sie  äussern  sich  in 
häufig  kolikartigen  Schmerzen,  welche  in  der  Regel  vor  dem  Beginne  der 
Blutung  auftreten  und  während  des  Blutablaufes  ein-  oder  das  anderemal 
wiederkehren.  Diese  Contractionen  des  Uterus  (sie  verursachen  diese  Koliken) 
sind  bedingt  entweder  dadurch,  dass  infolge  der  starken  Abknickung  das  Ori- 
ficium uteri  internum  ein  Passagehindernis  für  das  Menstualblut  ist,  das 
sich  in  der  Uterushöhle  ansammelt,  dieselbe  erweitert  und  somit  einen  Reiz 
für  die  Auslösung  von  Uteruscontractionen  abgibt,  welche  die  Austreibung 
des  angesammelten  Blutes  zur  Folge  haben. 

Andere  Autoren,  darunter  insbesondere  Fritsch,  behaupten  jedoch,  dass 
diese  kolikartigen  Schmerzen  schon  zu  einer  Zeit  auftreten,  da  in  der  Uterus- 
höhle, wie  eine  vorgenommene  Sondirung  oft  beweisen  kann,  noch  kein  Tropfen 
Blutes  angesammelt  ist,  daher  der  Schluss  erlaubt  ist,  dass  es  nicht  die  ka- 
sammelung  des  Blutes,  sondern  dass  die  durch  die  Raumbeschränkung  in  einem 
solchen  Uterus  in  dem  durch  die  Menstruationscongestion  bedingten  An- 
schwellen behinderte  Schleimhaut  es  ist,  welche  den  Reiz  für  die  Auslösung 
dieser  wehenartigen  Schmerzen  abgibt.  Immerhin  finden  wir  bei  der  Son- 
dirung manchmal  infolge  der  Abknickung  an  der  Stelle  des  Orificium  uteri 
internum  ein  wahres  Passagehindernis  vor,  w^elches  eben  uns  auch  nebstbei 
eine  allerdings  nur  kurze  Zeit  andauernde  Behinderung  des  Blutabflusses  er- 
klären könnte. 

Eine  weitere  Erscheinung  im  Symptomencomplexe  der  Dysmenorrhoe  ist 
das  häufige  Vorkommen  der  Sterilität,  bei  solcher  angeborener,  patholo- 
gischer Anteflexion.    Man  stellte  sich  in  früherer  Zeit  in  solchen  Fällen  von 


862  UTERÜSLAGEANOMALIEN. 

Sterilität  stets  vor,  es  handle  sich  am  Orificium  internum  auch  um  ein  Passage- 
hindernis tür  das  Eindringen  des  Sperma  virile  und  trachtete  daher  in  solchen 
Fällen  stets,  durch  Erweiterung  des  Orificium  internum  dieses  Hindernis  für 
die  Conception  zu  beseitigen.  Ferner  schliesst  sich  an  solche  Fälle  von  Dys- 
menorrhoe sehr  häufig  ein  starker  Fluor  albus  an,  der  einerseits  bedingt  sein 
kann  durch  die  Chlorose,  mit  welcher  häufig  derartige  Entwicklungsanomalien 
verbunden  sind  oder  aber  es  kommt  infolgeades  lange  andauernden  Reizes, 
welchem  die  Uterusmucosa  w^ährend  der  Menstruationszeit  und  durch  den  be- 
hinderten Abfluss  des  normalen  Uterinsecretes  ausgesetzt  ist,  zu  einem  so- 
genannten Stauungskatarrhe. 

Die  Diagnose  der  Anteflexio  uteri  kann  durch  die  Untersuchung  leicht 
gemacht  werden,  indem  man  bei  der  bimanuellen  Untersuchung  einen  stär- 
keren Knickungswinkel  nachweisen  kann.  Allerdings  ist  diese  Diagnose  er- 
schwert, durch  den  Umstand,  dass  wir,  indem  es  sich  um  einen  angeborenen 
Zustand  handelt,  häufig  genug  gezwungen  sein  werden,  die  Diagnose  an  vir- 
ginalen  Individuen  zu  stellen,  bei  welchen  die  vaginale  Untersuchung  ent- 
weder unmöglich  oder  nicht  gestattet  ist,  so  dass  wir  dann  per  rectum  und 
vom  Abdomen  aus  die  Untersuchung  vornehmen  müssen.  Wäre  die  vaginale 
Untersuchung  durchführbar,  so  käme  man  im  vorderen  Scheidengewölbe  an 
den  Scheitel  des  spitzen  Knickungswinkels,  und  eine  vorgenommene  Son- 
dirung  des  Uterus  würde  erweisen,  dass  wir  nur  bei  starker  künstlicher 
Krümmung  der  Sonde  nach  vorne  im  Stande  sind,  das  Orificium  uteri  inter- 
num zu  passiren,  um  mit  dem  Sondenknopf  in  die  Uterushöhle  zu  gelangen. 
Was  die  Prognose  dieses  Zustandes  anbelangt,  so  müssen  wir  sagen,  dass  der 
Zustand  ausser  den  erwähnten  dysmenorrhoischen  Schmerzen  und  dem  ver- 
mehrten Katarrhe  und  eventuell  der  Sterilität  keine  Folgen  nach  sich  zu 
ziehen  in  der  Lage  ist.  Aber  gerade  dieser  Symptomencomplex  ist  so  lästig, 
dass  die  Hilfe  des  Gynaekologen  sehr  häufig  in  Anspruch  genommen  wird.  Es 
kommen  allerdings  Spontanheilungen  vor,  in  solchen  Fällen,  wo  es  dennoch 
zu  einer  Conception  gekommen  ist,  somit  die  dysmenorrhoischen  Schmerzen 
selbstverständlich  mit  dem  Ausbleiben  der  Menses  sistiren  und  dann  post 
partum  nicht  mehr  wiederkehren,  indem  infolge  der  durch  die  Geburt  be- 
dingten Erweiterung  der  Uterushöhle  alle  Ursachen  des  Auftretens  der  Dysme- 
norrhoe verschwinden.  Wir  dürfen  daher  nicht  jede  Sterilität  auf  eine  zu- 
fällig vorhandene  stärkere  Anteflexio  uteri  beziehen. 

In  früherer  Zeit,  wo  man  Sterilität  der  Ehe  stets  nur  mit  Passagehin- 
dernissen am  orificium  externum  und  internum  in  Verbindung  brachte,  musste 
man  nothwendigerweise  die  Heilung  des  Zustandes  in  einer  blutigen  Erwei- 
terung des  orificium  externum  und  internum  suchen.  Heute  aber  wissen  wdr, 
dass  in  einer  überaus  grossen  Anzahl  von  Fällen  die  Gonorrhoe  des 
Mannes  ein  wichtiges  aetiologisches  Moment  in  der  Frage  der  Sterilität  ist, 
sei  es,  dass  durch  die  abgelaufene  Gonorrhoe  des  Sperma  virile  untüchtig 
geworden  ist,  sei  es,  dass  bei  Funktionstüchtigkeit  des  Sperma  virile  in  dem 
durch  die  männliche  Gonorrhoe  inficirten  weiblichen  Genitale  sich  solche  Ver- 
änderungen {Endometritis,  Salpingitis,  Oophoritis,  Perimetritis)  entwickelt 
haben,  dass  das  Zustandekommen  einer  Schwangerschaft  auf  diese  Weise 
unmöglich  gemacht  erscheint.  Man  wird  demgemäss  alle  diese  Fälle  auszu- 
scheiden haben,  will  man  wissen,  ob  eine  vorhandene  Sterilität  bedingt  ist 
durch  eine  gleichzeitig  constatirte  Anteflexio  uteri  oder  nicht.  Den  ganzen 
Symptomencomplex  kann  man  beseitigen  entweder  durch  regelmässig  vor  der 
Menstruation  vorzunehmende  Sondirung  der  Uterushöhle  oder  durch  stumpfe 
Dilatation  des  Cervicalkanales  und  des  Orificium  uteri  internum  mittels  der 
HEGAR'schen  Dilatatorien  oder  durch  eine  blutige,  hoch  hinauf  reichende  Dis- 
cissio  cervicis.  Doch  sind  das  ja  alles  Eingrifie,  zu  denen  man  sich  bei 
virginalen  Individuen  wird  schwer  entschliessen  können  und  wir  sind  daher 


UTERUSLAGEANOMALIEN.  863 

in  solchen  Fällen  blos  auf  die  symptomatische  Behandlung  angewiesen,  indem 
wir  einerseits  bei  chlorotischen  Individuen  durch  entsprechende  Kegime-Ein- 
leitung,  andererseits  bei  ausserordentlich  heftigen  dysmenorrhoischen  Beschwer- 
den eventuell  mit  leichten  Dosen  von  Morphin  oder  Cocain  Linderung  ver- 
schaffen und  über  die  häufigen  Krampfanfälle  hinüberhelfen,  was  durch  die 
Application  warmer  Ueberschläge  auf  das  Abdomen  in  der  Kegel  leicht  möglich 
ist.  In  solchen  Fällen  von  Antefiexion,  wo  irgendwie  entzündliche  Processe 
bereits  abgelaufen  sind  und  zu  Adhaesionsbildung  geführt  haben,  welche  als 
Veranlassung  der  Anteflexio  uteri  anzusehen  sind,  muss  sich  selbstverständlich 
unser  therapeutisches  Verfahren  gegen  diese  Entzündungsreste  kehren  und 
wir  trachten  durch  Balneotherapie,  und  eventuell  durch  Massage  die  Fixationen 
zu  lösen  und  dadurch  die  Möglichkeit  der  Wiederherstellung  der  normalen 
Form  des  Uterus  zu  schaffen. 

Wenn  auch  die  Retroflexio  uteri  gleichwie  die  Anteflexio  uteri  an- 
geboren sein  kann,  so  ist  sie  bei  Weitem  häufiger  als  die  Anteflexio  uteri 
ein  erworbener  Zustand.  Bei  der  Retroflexio  uteri  bildet  der  Uteruskörper 
mit  dem  Cervix  einen  nach  hinten  zu  offenen  Winkel.  Der  Uteruskörper 
muss  daher  gegen  den  Cervix  nach  hinten  zu  umgekippt  erscheinen.  Bei 
Weitem  am  häufigsten  finden  wir  diesen  Zustand  erworben  und  zwar  entweder 
im  Anschlüsse  an  ein  Puerperium  oder  bei  stärkerer  Belastung  des  unteren 
Abschnittes  der  Beckenorgane  oder  schliesslich  im  Anschlüsse  an  entzündliche 
Processe,  welche  sich  am  Beckenbauchfelle  abspielen.  Wir  wissen,  wie  sehr 
auch  die  normale  Lage  des  Uterus  unter  normalen  Verhältnissen  einem 
Wechsel  unterworfen  ist,  bei  dem  stets  wechselnden  Füllungsgrade  der  Nach- 
barorgane: der  Blase,  des  Rectums  und  der  übrigen  Theile  des  Darmes.  Ins- 
besondere ist  es  eine  habituell  stark  gefüllte  Blase,  welche  den  Uteruskörper 
aus  seiner  normalen  Position  nach  hinten  zu  bringen  muss.  Die  Folge  dessen 
ist,  dass  der  Uterusfundus,  der  bei  normaler  Anteflexio  uteri  nach  oben,  aber 
zugleich  auch  nach  vorne  gerichtet  ist,  unter  solchen  Umständen  direct  nach 
oben  oder  auch  nach  oben  und  hinten  zu  sehen  muss.  Wenn  eine  stark  und 
durch  lange  Zeit  angefüllte  Blase  den  Uteruskörper  in  der  Weise  verdrängt, 
so  wird  der  auf  den  Uterus  auflastende  abdominelle  Druck,  der  bei  stärkerem 
Füllungsgrade  des  Darmes,  wie  ihn  die  bei  weiblichen  Individuen  so  häufig 
vorkommende  habituelle  Obstipation  schafft,  dann  aus  der  Retroposition  des 
Uterus  mit  der  Zeit  eine  Retroflexion  oder  eine  Retroversion  gestalten  müssen 
—  des  Ferneren  kommt  das  Belastungsmoment  bei  der  Entstehung  der  Retro- 
flexion in  Frage  im  Verlaufe  des  Puerperiums,  dann,  wenn  bei  Vorhandensein 
eines  massiven  Uteruskörpers  der  Cervix  infolge  der  Geburt  schlaff  bleibt, 
sich  schlecht  involvirt  und  dem  Gesetze  der  Schwere  folgend  der  Uteruskörper 
nach  hinten  zu  übersinkt.  Allmälig  gelangt  der  schwere  Uteruskörper  hiebei 
in  die  Kreuzbeinhöhlung,  welche  Lageveränderung  durch  die  in  den  ersten 
Tagen  des  Wochenbettes  so  häufig  vorkommende  stärkere  Füllung  der  Blase 
begünstigt  wird  und  verharrt  dann  nach  Beendigung  des  Involutionsprocesses 
in  dieser  Stellung,  wenn  infolge  der  ungleichen  Belastung  die  hintere  Cervix- 
wand  mit  der  vorderen  Cervixwand  in  der  Involution  nicht  gleichen  Schritt 
hält,  wobei  das  Zustandekommen  der  Retroflexion  umsomehr  erleichtert  wird, 
wenn  im  Anschlüsse  an  das  Puerperium  die  Erschlaffungszustände  jener  Organ- 
theile  sich  geltend  machen,  ^velche  sonst  die  normale  Lage  des  Uterus  garan- 
tiren,  dass  heisst,  wenn  infolge  der  Erschlaffung  der  hinteren  Scheidenwand 
und  des  Beckenbodens  wie  des  Beckenbauchfells  der  Uterus  leicht  descendirt, 
da  ja  erfahrungsgemäss  ein  Descensus  uteri  ausserordentlich  häufig  mit  Retro- 
flexions-  und  Retroversionsstellung  des  Uterus  combinirt  ist.  In  all  diesen 
Fällen  wird  jedoch  der  Uteruskörper  trotz  seiner  veränderten  Position  be- 
weglich sein,  in  seiner  Zwangslage  nirgends  durch  Adhaesionen  fixirt,  so  dass 
einer  Aufrichtung  durch  kunstgerechte  Handgriffe  keine  grossen  Hindernisse 


864  ,  UTERUSLAGEANOMALIEN. 

sich  entgegenstellen  können.  Die  grosse  Anzahl  der  Fälle  jedoch,  in  welchen 
ein  retroflectirter  Uterus  an  die  Umgebung  ringsum  tix.irt  erscheint,  verdankt 
aetiologisch  ihren  Ursprung  Entzündungsprocessen,  welche  am  Uterus  oder 
seiner  Umgebung  sich  abspielen,  wobei  der  puerperalen  und  gonorrhoischen 
Intection  eine  grosse  Rolle  zukommt,  sei  es,  dass  es  sich  um  reine  Pelveo- 
Peritonitiden  mit  flächenhafter  Adhaesionsbildung,  sei  es,  dass  es  sich  um  fort- 
gesetzte Entzündungen  vom  Endometrium,  der  Tubenmucosa  und  dem  Ova- 
rium  her  handelt,  "  nach  welchen  es  entweder  zu  breiter  flächenhafter  und 
straffer  Adhaesion  des  Uteruskörpers  an  Kectum  und  Beckenbodenperitoneum 
und  an  einzelne  Dünndarmpartieen  kommt  oder  es  bilden  sich  zeltartige 
Pseudomembranen  von  wechselnder  Dicke  und  Breite  und  Länge,  welche 
den  Uteruskörper  in  Retroflexionsstellung  erhalten.  Des  Weiteren  kann  es 
vorkommen,  dass  durch  straffe  Adhaesionen  zwischen  der  hinteren  Wand  des 
Uteruskörpers  und  der  hinteren  Wand  des  Cervix  eine  starre  spitzwinkelige 
Pietroflexio  uteri  entsteht.  Wir  können  daher  zweckmässig  von  der  Retro- 
flexio  uteri  mobilis  und  der  Retroflexio  uteri  fixata  sprechen,  welche  Zustände 
sowohl  in  ihrer  Prognose  wie,  was  die  Therapie  anbelangt,  verschieden  auf- 
gefasst  werdene  müssen.  Die  Symptome,  welche  die  Retroflexion  darbietet, 
hängen  in  ihr  r  Schwere  von  dem  Grade  der  Retroflexion  und  von  dem  Um- 
stände ab,  ob  es  sich  um  eine  einfache  bewegliche  nicht  complicirte  oder 
aber  um  eine  fixirte,  als  Theilerscheinung  eines  Entzündungsprocesses  auf- 
tretende Retroflexion  handelt.  Das  hervorstechendste  Symptom  sind  die  Kreuz- 
schmerzen, über  welche  derartige  kranke  Frauen  in  der  Regel  klagen.  Die 
Schmerzen  sind  ausserordentlich  heftig,  insbesonders  bei  Lageveränderungen, 
nach  langem  Sitzen  oder  langem  Stehen,  mitunter  ausstrahlend  gegen  die 
unteren  Extremitäten  und  gegen  den  Mastdarm.  Dabei  steigern  sich  diese 
Schmerzen  in  der  Regel  zur  Zeit  der  Menstruation.  Diese  ist  viel  reichlicher, 
als  es  der  Norm  entspricht,  mitunter  ausserordentlich  profus,  dauert  häufig 
6 — 8  Tage  und  noch  länger  an  und  tritt  anteponirend  nach  dem  Verlaufe 
von  di'ei  Wochen,  ja  mitunter  auch  schon  nach  14  Tagen  wieder  ein.  Diese 
lästigen  und  schwächenden  Blutungen  sind  es,  welche  häufig  genug  die  kranken 
Frauen  dem  Gynaekologen  zuführen.  Diese  Blutungen  sind  bedingt  durch  die 
stärkere  Hyperaemie,  in  welcher  sich  der  Uterus  bei  hochgradiger  Retroflexion 
andauernd  befindet.  Die  Hyperaemie  ist  bedingt  durch  eine  Torsion  der  beiden 
frontal  vom  Uterusfundus  zur  seitlichen  Beckenwand  laufenden  Peritoneal- 
duplicaturen  des  ligamentum  latum,  wie  sie  bei  starker  Retroflexion  und  Retro- 
version vorkommt,  wodurch  der  venöse  Abfluss  wesentlich  gehindert  wird. 
Das  Organ  befindet  sich  demgemäss  im  Zustande  der  constanten  venösen 
Hyperaemie,  erscheint  grösser,  oedematöser  und  nach  längerem  Bestände  derber 
als  es  der  Norm  entspricht.  Die  Hyperaemie  der  Schleimhaut,  die  sich  daraus 
ergibt,  veranlasst  die  profusen,  mitunter  auch  unregelmässigen  Blutungen 
und  den  in  der  Regel  sich  anreihenden  stärkeren  Ausfluss.  Bei  langem  Be- 
stände der  hyperaemischen  Zustände  kommt  es  zu  einer  Art  von  bindegewe- 
biger Induration  des  Uterusgewebes,  welche  durch  vermehrte  Volumszunahme 
die  Druckerscheinungen  (Kreuzschmerzen  etc.)  wesentlich  steigert.  Dabei  besteht 
in  der  Regel  Stuhlverstopfung,  sei  es  als  Folge  der  Retroflexion  oder  aber 
als  ein  die  Retroflexion  begleitendes,  ja,  sie  verursachendes  Moment,  wobei 
die  Bildung  von  Hämorrhoidealknoten  eine  ausserordentlich  häufig  zu  beobach- 
tende Complication  bei  bestehender  Retroflexio  uteri  darstellt.  Selbstverständ- 
lich werden  bei  fixirter  Retroflexion  uteri,  welche  die  Folge  von  im  Bereiche 
der  Beckenorgane  sich  abspielenden  Entzündungsprocessen  sind,  die  Symptome 
in  einem  Grade  und  in  einer  Combination  auftreten,  welche  dem  Stadium 
und  der  Intensität  des  Entzündungsprocesses  entsprechen. 

Hat  die  Retroflexio  uteri  an  und  für  sich  schon  ausserordentlich  lästige 
Symptome  im  Gefolge,  so  wird  der  Zustand  ganz  besonders  complicirt  durch 


UTERUSLAGEANOMALIEN.  865 

den  eventuellen  Eintritt  einer  Schwanf^crschaft  in  einem  retroHectirten  Uterus. 
Bei  beweglicher  Retroticxion  kann  man  allerdings  häufig  beobachten,  dass  der 
rasch  wachsende  Uterus  im  Verlaufe  des  dritten  iSchwangerschaftsmonates 
gegen  den  Beckenausgang  zu  und  darüber  hinaus  sich  entwickelt,  wodurch 
bei  gleichzeitiger  Zunahme  der  Succulenz  der  Gewebe  der  Uterus  sich  spontan 
aufrichtet.  Findet  diese  Aufrichtung  nicht  statt,  oder  ist  sie  behindert  durch 
Fixation  des  Uteruskörpers,  so  kommt  es  zu  ausserordentlichen  Druckerschei- 
nungen, welche  die  Folge  der  Behinderung  in  der  freien  Wachsthumsent- 
wicklung  des  Uterus  durch  Organe  des  Beckens  und  den  knöchernen  Becken- 
ring darstellen  müssen.  Es  kommt  hiebei  zu  Incarcerationserscheinungen  von 
Seiten  der  Blase  und  des  Rectum  wie  des  Uterus  und  die  bekannten  Erschei- 
nungen der  Ischuria  paradoxa  etc.,  wie  sie  in  dem  Capitel  „Bchwjngerschafts- 
und  GeburtscompUcationen,  fag.  739^    beschriel)en  sind,  treten  ein. 

Die  Diagnose  der  Betroflexion  ist  leicht  zu  stellen.  Bei  der  bima- 
nuellen Untersuchung  finden  wir  das  vordere  Scheidengewölbe  leer,  den  Uterus- 
körper nicht  an  seiner  normalen  Stelle.  Gehen  wir  mit  dem  touchirenden 
Finger  in  das  hintere  Scheidengewölbe,  während  die  von  den  Bauchdecken  her 
palpirende  Hand  versucht,  den  Uteruskörper  hinabzudrängen,  so  sind  wir  im- 
stande, den  nach  hinten  zu  offenen  Flexionswinkel  des  Uteruskörpers  zu  er- 
kennen. Ist  dabei  der  Uterus,  wie  es  häufig  der  Fall  ist,  insbesonders  bei 
mangelhafter  Involution  des  Uterus  oder  bei  stärkerer  Hyperaemie  des  Organs 
und  bindegewebiger  Induration,  ausserordentlich  gross,  so  ist  oft  die  Differen- 
tialdiagnose nothwendig,  ob  es  sich  um  einen,  dem  Uterus  in  seiner  Wandung 
hinten  apponirten  Tumor  oder  um  den  retroflectirten  Uterus  handelt.  Die 
Differentialdiagnose  kann  dann  nur  durch  die  rectale  Untersuchung  und  die 
Sondenuntersuchung  des  Uterus  festgestellt  w^erden.  Dringt  die  eingeführte 
Sonde  mit  ihrer  Krümmung  nach  hinten  gegen  den  durch  die  Untersuchung 
festgestellten  Körper  ein,  so  ist  es  gar  kein  Zweifel,  dass  es  sich  um  eine 
Retroflexio  uteri  handelt.  Wir  dürfen  uns  jedoch  bei  der  bimanuellen  Unter- 
suchung nicht  damit  begnügen,  die  Diagnose  Retroflexio  uteri  zu  stellen,  sondern 
müssen  gleichzeitig  feststellen,  ob  der  Uterusfrei  beweglich  ist  oder  nicht,  und, 
w^enn  beweglich,  ob  die  Adnexe  des  Uterus  frei  sind  oder  nicht  und 
ob  Residuen  entzündlicher  Processe  nachweisbar  sind  oder  nicht.  Bei  ein- 
facher, nicht  fixirter  Retroflexio  uteri  werden  die  lästigen  Symptome  behoben 
durch  die  Aufrichtung  des  Uterus  und  die  Fixation  des  Uterus  in  normaler 
Anteflexio- Versionsstellung.  Die  Aufrichtung  eines  retroflectirten,  nicht  fixirten 
Uterus  kann  nur  durch  straffe  Bauchdecken,  starken  Füllungsgrad  der  Därme, 
und  Adipositas  erschwert  werden. 

Es  gibt  verschiedene  Methoden  der  Aufrichtung  der  beweg- 
lichen Retroflexio  uteri.  Die  gangbarste  Methode  ist  wohl  die, 
bei  welcher  man  mit  zAvei  Fingern  in  das  hintere  Scheidengewölbe  vor- 
dringt, von  da  aus  den  Uterusfundus  zu  heben  versucht,  während  die  auf  die 
Bauchdecken  hackenförmig  aufgesetzten  Finger  durch  allmäliges  Eindi'ücken 
derselben  zum  Uterustundus  gelangen  und  von  da  durch  die  Bauchdecken  hin- 
durch den  Uterusfundus  fassend,  denselben  nach  vorne  zu  heben  versuchen, 
während  gleichzeitig  in  dem  Momente,  wo  der  Uteruskörper  aus  dem  Dou- 
glas-schen  Räume  infolge  seiner  Aufrichtung  verschwindet,  die  im  hinteren 
Scheidegewölbe  liegenden  zwei  Finger,  an  die  vordere  Lippe  der  Portio  ge- 
bracht, dieselbe  nach  hinten  zu  drängen.  Nunmehr  kann  man  sich  leicht 
überzeugen,  dass  die  normale  Stellung  des  Uterus  hergestellt  ist.  In  ein- 
zelnen Fällen  Avird  man  zur  Aufrichtung  den  rectalen  Weg  anstatt  des  vagi- 
nalen oder  den  rectalen  und  vaginalen  Weg  benützen  müssen.  Wesentlich 
erleichtert  wird  die  Aulgabe,  zum  Uterusfundus  zu  gelangen,  um  ihn  aus  der 
Excavatio  utero-rectalis  herausheben  zu  können,  wenn  man  die  Portio  vaginalis 
mit  einer  Kugelzange  an  ihrer  vorderen  Lippe  fasst,  durch  starkes  Anziehen 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  00 


866  UTERUSLAGEANOMALIEN. 

an  derselben  den  Uterus  streckt  und  weiter  nach  unten  bringt.  In  dem  Mo- 
mente, wo  der  Uterusfundus  nach  vorne  zu  ausweicht,  müsste  die  Portio  durch 
Verschieben  des  oberen  Endes  der  Kugelzange  nach  oben  und  hinten  in  die 
Kreuzbeinhöhlung  gebracht  und  nunmehr  die  Kugelzange  abgenommen  werden. 
Ganz  ausgezeichnet  eignet  sich  für  die  Aufrichtung  der  beweglichen  Retro- 
flexio  uteri  die  Knie-Ellenbogenlage,  wobei  man  einen  Retractor  perinei  ein- 
führt und  damit  das  Perineum  stark  hebt.  Die  sich  somit  plötzlich  erwei- 
ternde Vagina  lüUt  sich  mit  Luft  und  die  Veränderung  der  Druckverhältnisse 
in  der  Scheide  wie  in  der  Bauchhöhle  in  Combination  mit  der  Knie-Ellen- 
bogenlage reichen  in  zahlreichen  Fällen  hin,  dass  sich  der  Uterus  spontan 
wieder  aufrichtet.  In  einzelnen  Lehrbüchern  wird  empfohlen,  eine  bewegliche 
Retroflexio  uteri  in  der  Weise  aufzurichten,  dass  man  unter  Wahrung  anti- 
septischer Cautelen  die  Sonde  in  die  Uterushöhle  mit  nach  hinten  gekehrter 
Krümmung  einführt  und  dann  durch  Drehung  der  Sonde  den  Uterus  auf- 
zurichten versucht.  Wenn  auch  diese  Manipulation,  von  der  kundigen  Hand 
eines  Fachmannes  ausgeführt,  in  der  Regel  zum  Ziele  führt,  ohne  irgend  einen 
Nachtheil  zu  stiften,  so  kann  doch  bei  etwa  bestehender  Fixation  des  Uterus, 
w^elche  vielleicht  der  genauesten  Untersuchung  entgangen  ist,  eine  Perfo- 
ration einer  vielleicht  etwas  mürben  Uteruswandung  dadurch  herbeigeführt 
werden.  Bei  straffer  Bauchdecke,  starkem  Füllungsgrade  des  Darms  oder 
grosser  Empfindlichkeit  kann  mitunter  die  Aufrichtung  des  Uterus  so  wie  bei 
den  Fällen  fixirter  Retroflexio  uteri  blos  in  der  Narkose  vollzogen  werden. 
Mit  der  Aufrichtung  des  Uterus  und  der  Fixirung  des  Uterus  in  seiner  nor- 
malen Lage  sind  in  der  Regel  alle  die  lästigen  Symptome  beseitigt,  welche 
im  Gefolge  der  Retroflexion  auftreten.  Aber  diese  Aufrichtung  ist  ganz  ausser- 
ordentlich erschwert  bei  fixirtem  Uterus,  umsomehr,  wenn  es  sich  darum  han- 
delt, etwa  noch  bestehende  Entzündungserscheinungen  vorher  zum  Schwinden 
zu  bringen. 

Handelt  es  sich  um  eine  fixirte  Retroflexio  uteri,  so  wird  man 
zunächst  nur  dann  an  die  Lösung  der  Adhaesionen  auf  nicht  operativem  Wege 
zum  Zwecke  der  Aufrichtung  des  Uterus  schreiten  dürfen,  wenn  acute  Ent- 
zündungserscheinungen oder  schwere  Veränderungen  an  den  Tuben  und  Ova- 
rien oder  das  Vorhandensein  von  Eiteransammelungen  in  diesen  Organen  mit 
Sicherheit  ausgeschlossen  werden  können.  Ist  dies  nicht  der  Fall,  so  wird  es 
unsere  Hauptaufgabe  sein,  nicht  so  sehr  die  Retroflexio  uteri,  welche  nur 
eine  Theilerscheinung  des  ganzen  Erkrankungsprocesses  darstellt,  als  vielmehr 
diesen  selbst  der  Beliandlung  zuzuführen.  Fehlen  jedoch  die  acuten  entzünd- 
lichen Erscheinungen,  sind  schwerere  Deformitäten  an  den  Adnexen  nicht  vor- 
handen und  ist  das  Vorhandensein  von  Eiter  mit  Wahrscheinlichkeit  auszu- 
schliessen,  dann  kann  die  Lösung  der  Adhaesionen  zum  Zwecke  der  Aufrichtung 
des  Uterus  auf  zweifachem  Wege  erfolgen:  auf  blutigem  und  auf  unblutigem 
Wege.  Was  diesen  letzteren  anbelangt,  so  gibt  es  wieder  zwei  Methoden: 
die  eine  der  forcirten  Lösung  der  Adhaesionen  und  Aufrichtung  des  Uterus  in 
der  Narkose  und  der  zweite  Weg,  der  der  allmäligen  Lösung  der  Adhaesionen 
und  Aufrichtung  des  Uterus  durch  Massage  in  Verbindung  mit  andern  thera- 
peutischen Maassregeln.  Man  kann  daher  bei  fixirter  Retroflexio  uteri,  wenn 
schwerere  Entzündungserscheinungen  oder  Veränderungen  der  Adnexe  fehlen, 
in  tiefer  Narkose  durch  bimanuelle  Handgriffe  den  Uterus  gewaltsam,  jedoch 
stets  vorsichtig  aus  seinen  Adhaesionen  loslösen,  ihn  somit  aufrichten  und 
durch  ein  Pessarium  fixiren;  oder  aber  man  wählt  den  langsameren  und 
schonenderen  Weg  der  Loslösung  des  Uterus  durch  die  Massage*)  nach 
Thure  Brandt,  indem  man  dieselbe  gleichzeitig  durch  Bäder,  Ausspülungen, 
Application  von  Ichthyol- Glycerin    etc.    unterstützt.    Jedenfalls  muss  der  aus 


*)  Vergl.  Artikel  ^Massage  in  der  Gynaekologie'*  p.  514. 


UTERUSLAGEANOMALIEN.  867 

seinen  Fixirungen  gelöste  Uterus,  ebenso  wie  der  in  beweglicher  Ketroflexion 
befindliche  Uterus  nach  seiner  Aulrichtung  durcli  ein  l'essarium  gestützt  wer- 
den und  zwar  sind  es  die  HoDGE-ressarien,  die  Pessarien  von  Thomas  und 
die  Achter-Pessarien  von  Schultze,  die  hiebei  in  lictracht  kommen.'^';  Ihr 
Princip  beruht  vornehmlich  auf  einer  Ausspannung  der  hinteren  Scheidenwand 
und  des  hinteren  Scheidengewölbes,  wodurch  die  Portio  nach  hinten  zu  ge- 
drängt erscheint.  Mit  der  Aufrichtung  des  Uterus  und  der  Einführung  des 
Pessariums,  wenn  dasselbe  gut  gewählt  ist  und  nirgends  drückt,  werden  bei 
Fehlen  irgendwelcher  Entzündungserscheinungen  die  Symptome,  welche  die 
Ketroflexion  gemacht,  in  der  Regel  plötzlich  verschwinden.  An  Stelle  der 
Pessarbehandlung  kann  auch  bei  beweglicher  Ptctroflexion  die  operative  Be- 
handlung treten  entweder  durch  die  ALEXANDER'sche  Operation,  welche  in 
einer  Verkürzung  des  ligamentum  rotundum  besteht  (nicht  üblich)  oder  die 
vaginale  Fixation  des  Uterus  (Methoden  von  Schückixg,  Mackexrodt 
und  Dürhssen)  oder  man  macht  die  Ventrofixation,  bei  welcher  nach  ?>- 
Öffnung  der  Bauchhöhle  der  Uterusfundus  an  der  vorderen  Bauchwand  angenäht 
wird.  Dieser  Weg  der  operativen  Behandlung  der  Ptetroflexio  uteri  wird 
jedenfalls  der  sicherste  und  rationellste  sein,  wenn  die  Ptetroflexion  l^egleitet 
oder  richtiger  verursacht  ist  durch  schwere  Erkrankungen  am  Pelveo-Peri- 
toneum,  welche  in  der  Regel  nicht  ohne  schwerere  Veränderungen  an  den 
Adnexen  einhergehen,  so  dass  in  solchen  Fällen  oft  genug  die  Ventrofixation 
als  zweiter  Act  der  vorzunehmenden  Adnexenexstirpation  erscheinen  wird. 
Viel  seltener  sind  und  weniger  Beschwerden  machen  die  Latero- 
flexionen,  bei  denen  der  Uteruskörper  gegen  den  Cervix  nach  der  Seitenkante 
geknickt  ist.  Sie  kommen  in  der  Regel  vor,  ebenso  wie  Torsionen  des  Uterus, 
bei  denen  der  Uteruskörper  gegen  den  Cervix  wäe  mit  einer  Spiralen  Windung 
nm  seine  sagittale  Axe  gedreht  erscheint,  am  häufigsten  bei  einseitiger  oder 
jedenfalls  einerseits  überwiegender  Erkrankung  der  Adnexe  oder  Infiltration 
der  Ligamente.  Je  nach  der  Art  und  dem  Grade  der  sie  bedingenden  Ent- 
zündung wird  eventuell  die  Exstirpation  der  erkrankten  Organe  oder  auch 
blos  die  Massage  im  Stande  sein,  Heilung  zu  bringen. 

Unter  Ante-  und  Retroversio  uteri  versteht  man  jenen  Zustand,  bei 
welchem  der  Uterus  in  toto  eine  Verlagerung  erfährt,  wobei  der  Uteruskörper 
nach  der  einen,  die  Portio  nach  der  anderen  Seite  hin  ausweicht.  Fällt  der 
Uteruskörper  nach  vorne  über  (Anteversio  uteri),  so  sieht  die  Portio 
gegen  die  Kreuzbeinhöhlung,  während  bei  einer  Retroversion  der  Uterus- 
körper in  der  Kreuzbeinhöhlung  sich  befindet,  die  Portio  vaginalis  der  Sym- 
physe genähert  erscheint.  Auch  hier  müssen  wir  zwischen  beweglicher 
und  fixirter  Ante-  und  Retroversio  uteri  unterscheiden.  Die  ätiologischen 
Momente  sind  dieselben  wie  bei  den  Flexionen,  nur  dass  viel  häufiger  Infil- 
tration und  Fixation  an  den  Ligamenten,  insbesondere  an  den  Ligamentis 
sacro-uterinis  die  Version  bedingen.  Auch  in  diesen  Fällen  von  Lageverän- 
derungen des  Uterus  wird  die  Massage  in  der  Regel  derartige,  die  Version 
bedingende  Zustände  zu  beseitigen  in  der  Lage  sein,  worauf  dann  die  An- 
legung eines  ringförmigen  Pessariums,  eventuell  mit  excentrischer  OeÖnung 
bei  Anteversion,  und  die  Anlegung  eines  Pessariums  nach  Hodge,  Thomas 
oder  Schultze  bei  Retroversion  Heilung  bringen  wird. 

Die  Elevation  des  Uterus  ist  in  der  Regel  Folge  von  Verdi'ängung 
des  Uterus  in  der  Richtung  nach  oben  durch  Tumoren,  welche  in  der  hin- 
teren Collumwand,  im  hinteren  Scheidengewölbe,  im  Douglas  oder  im  Septum 
recto-vaginale  sich  entwickeln  und  bei  weiterem  Wachsthum  die  Beckenhöhle 
vollständig    ausfüllend,    den  Uteruskörper   nach  oben  zu  verdrängen.     Insbe- 


*)  VergL  „Pessarien"  pag.  631  und  die  einsclilägigen  Figuren  auf  pag.  425  und  i26. 

55* 


868  UTERUSLAGEANOMALIEN. 

sondere  aber  sind  es  die  interligamentös  entwickelten  Tumoren,  Avelche  die 
Verschiebung  des  Uterus  in  dieser  Richtung  nach  sich  ziehen. 

Der  Descensus  uteri,  das  heisst  das  Herabgleiten  des  Uterus  in  tiefere 
Ebenen  des  Beckens,  ist  in  der  Regel  begleitet  und  oft  bedingt  durch  den 
Prolaps  der  Scheide.  In  hochgradigen  Fällen,  bei  vollständiger  Inversion  der 
vorderen  und  hinteren  Scheidenwand  kann  dabei  der  Uterus  die  Beckenhöhle 
passirend,  aus  dem  Becken  austretend  und  von  dem  Beutel  der  invertirten 
Scheidenwände  umgeben,  vollständig  ausgetreten  sein  (totaler  Prolaps  des 
Uterus).  Dass  Erschlaffungszustände  des  Beckenbauchfells  im  Anschlüsse 
an  das  Puerperium  oder,  bei  schlechten  trophischen  Verhältnissen,  gesteigerter 
Abdominaldruck  häufig  die  erste  Veranlassung  abgeben,  liegt  auf  der  Hand. 
Dennoch  wird  in  solchen  Fällen  der  Descensus  uteri  nur  ein  massiger  sein, 
solange  der  Beckenboden  und  somit  die  hintere  Scheidenwand  sich  als  suffi- 
cient  erAveisen.  Bei  Aufrechtstellung  der  Frau  verläuft  die  vordere  und  die 
hintere  Scheidenwand  parallel  miteinander,  nahezu  horizontal,  nur  wenig  nach 
oben  hinten  aufsteigend.  Die  leeren  Scheidenwände  berühren  sich  demgemäss, 
so  dass  die  vordere  Scheidenwand  auf  der  hinteren  Scheidenwand,  welche  ihre 
Stütze  am  Beckenboden  findet,  ruht.  Es  muss  demgemäss  die  normale  Be- 
schaffenheit des  Beckenbodens  und  der  hinteren  Scheidenwand  in  Verbindung 
mit  den  verschiedenen  Druckverhältnissen  sein,  welche  den  Uterus  am  Her- 
untergleiten verhindert.  Bei  Schlaffheit  des  Beckenbodens  infolge  trophischer 
Störungen  oder  bei  narbigen  Verziehungen  am  Perineum,  bei  Defecten  des 
Perineums  infolge  traumatischer  Zerstörungen  (Geburtstrauma,  Combustionen, 
mechanische  Verletzungen)  wird  nun  diese  Stütze  defect  erscheinen  und  es 
kann  bei  gesteigertem  Abdominaldrucke,  insbesondere  bei  bestehender  Er- 
schlaffung der  Bauchdecken  und  des  Bauchfells  ein  Descensus  leicht  zustande 
kommen. 

Bei  stärkerem  Descensus,  wobei  der  Uterusfundus  in  tiefere  Becken- 
ebenen herabgerückt  erscheint,  ist  diese  Lageveränderung  häufig  combinirt  mit 
einer  Retroversionsstellung  des  Uterus.  Normalerweise  befindet  sich  die  Portio 
vaginalis  in  der  Höhe  einer  Linie,  welche  die  beiden  Spinae  ossis  ischii  mit 
einander  verbindet,  und  es  wird  daher  leicht  zu  constatiren  sein,  ob  die  Portio 
tiefer  steht,  als  es  der  Norm  entspricht,  oder  nicht.  Jedenfalls  aber  müsste 
bei  Tieferstehen  der  Portio  ausgeschlossen  werden,  dass  die  Ursache  für  diesen 
Zustand  in  einer  Elongation  des  Cervix  besteht,  welche  bei  normal  hohem 
Stande  des  Uterusfundus  durch  Tiefertreten  des  Orificium  externum  den  Zu- 
stand eines  Descensus  vortäuschen  kann.  Darüber  wird  die  Sondirung  der 
Uterushöhle  und  die  bimanuelle  Untersuchung  uns  Aufklärung  verschaffen 
können.  Bei  geringfügigem  oder  auch  stärkerem  Descensus  uteri  werden  wir 
oft  genug,  wenn  nur  der  Beckenboden  soweit  suöicient  ist,  durch  die  An- 
legung eines  ringförmigen  Pessars  nach  Hodge  oder  Schatz  die  Beschwerden,, 
welche  in  dem  Gefühle  des  häufigen  Drängens  und  Zerrens  nach  unten, 
Schmerzen  in  den  Seiten,  welche  gegen  die  Beine  ausstrahlen,  Behinderung 
des  Gehens  und  Beschwerden  bei  langem  Stehen  gefunden  werden,  beheben 
können.  Ist  jedoch  der  Beckenboden  defect,  dann  kann  das  Pessar,  welches 
den  Zweck  hat,  durch  Ausspannung  des  Scheidengewölbes  die  Scheide  und 
somit  den  Uterus  in  der  normalen  Lage  zu  erhalten,  keine  genügende  Stütze 
finden  und  wir  sind  dann  gezwungen,  um  die  Steigerung  der  Symptome  und 
das  Zustandekommen  eines  wahren  Prolapses  des  Uterus  zu  verhindern,  auf 
operativem  Wege  den  Stützapparat  zu  verbessern  {Kolporrhaphie,  Perineo- 
rrJiaphie).  Handelt  es  sich  blos  um  trophische  Störungen  am  Perineum,  so  wird 
die  Massage  nach  Thure  Brandt  in  Verbindung  mit  gymnastischen  Bewe- 
gungen und  Faradisation  des  Levator  ani  bei  fortgesetzter  Dauer  vielleicht  ei- 
nigen Erfolg  haben,  Avelchen  wir  uns  in  der  Regel  nicht  versprechen  können, 
wenn   wir   die  Heilung   des  Descensus    durch  Ausführung  der  Ventrofixation 


VAGINA.  869 

allein  versuchen  wollen.  Bei  vollständigem  Austreten  des  Uterus  aus  der 
Beckenhöhle  ist  wohl  die  Totalexstirpation  des  Uterus  der  radicalste 
Eingrift',  der  bei  der  günstigen  Lagerung  des  Organs  einen  verliältnisraässig 
leichten  und  ungefährlichen  Eingriff  darstellt. 

Eine  andere  Lageveränderung  des  Uterus  ist  die,  wobei  der  Uterus  voll- 
ständig umgestülpt  erscheint,  so  dass  seine  mit  Mucosa  bekleidete  Innenfläche 
nach  aussen  gekehrt  ist:  Tnversio  uteri,  ein  Zustand,  der  allerdings  nur 
selten  zur  Beobachtung  kommt  und  dann  in  der  PtCgel  unmittelbar  nach  der 
Geburt  sich  einstellt,  so  dass  man,  wenn  von  Inversio  uteri  gesprochen  wird, 
in  der  Regel  nur  den  puerperalen,  frisch  entbundenen  Uterus  hiebei  im  Auge 
hat.  Bezüglich  der  Gefahren,  welche  dieser  Zustand  im  Gefolge  hat  und 
betreffs  der  Therapie  sei  auf  den  ausführlichen  Aufsatz  „Inversio  uteri*  (pag. 
454)  verwiesen. 

Bei  Vorhandensein  einer  Inversio  uteri  eines  nicht  puerperalen 
Uterus  muss  man  stets  die  Differentialdiagnose  machen  zwischen  Inversio 
uteri  und  Fibroma  uteri  polyposum,  da  ein  in  den  Cervixcanal  geborenes 
Fundusmyom  ähnliche  Symptome  macht  und  ähnliche  diagnostische  Merk- 
male aufweist  wie  ein  invertirter  Uterus  oder  aber  in  Fällen,  wo  der 
Uterus  zur  Selbstenucleation  des  Myoms  häufige  Contractionen  aufweist, 
dadurch  auch  eine  Inversion  seiner  Wandungen  zustandebringen  kann, 
der  Zustand  Myoma  et  Inversio  uteri  demgemäss  combinirt  vorkommen 
kann.  Die  Diagnose  wird  in  solchen  Fällen,  wo  man  bei  der  Spiegelunter- 
suchung die  Tubenlumina  an  der  glänzend  rothen,  sammtartigen  Oberfläche 
des  in  der  Scheide  liegenden  Tumors  nachweisen  kann,  nicht  schwer  sein. 
Des  Ferneren  wird  die  bimanuelle  Untersuchung  bei  der  Inversio  uteri  nach- 
weisen können,  dass  der  Fundus  an  seiner  normalen  Stelle  sich  nicht  be- 
findet, vielmehr  da  selbst  der  Inversionstrichter  deutlich  nachgewiesen  werden 
kann.  Wenn  andererseits  die  neben  dem  fraglichen  Tumor  in  den  Cervixcanal 
eingeschobene  Sonde  den  Tumor  umkreisend  nachweisen  wird,  dass  in  der 
Höhe  des  Orificium  internum  die  Höhlung  des  Uterus  ein  Ende  nimmt  und 
die  Wand  umgeschlagen  erscheint,  dann  ist  wohl  die  Diagnose:  Inversio  uteri 
unzweifelhaft  geworden.  Die  Totalexstirpation  des  Uterus  wird  dann  radicale 
Heilung  bringen.  k.  a.  herzfeld. 

Vagina.  Zwischen  der  12.  und  16.  Woche  des  Foetallebens  tritt  die 
Trennung  des  aus  der  Verschmelzung  der  MtiLLEß'schen  Gänge  entstandenen 
Genitalschlauches  in  Uterus  und  Scheide  ein.  In  der  17.  bis  19.  Woche 
schreitet  das  Längswachsthum  der  Vagina  derart  fort,  dass  die  früher  glatte 
Wand  zahlreiche  Falten  erhält.  Das  Hymen,  als  Abschluss  der  Scheide,  ent- 
wickelt sich  erst  in  der  19.  Woche.  Bei  neugeborenen  Mädchen  bildet  die 
Vagina  einen  relativ  weiten  und  langen  Schlauch  mit  stark  entwickelten 
Papillen.  Bei  erwachsenen  Jungfrauen  hat  die  Scheide  eine  Weite  vorn  von 
70 — 80,  hinten  von  80— 100  mm.  Die  makroskopische  Anatomie  der 
Scheide  ist  in  der  Einleitung  zu  diesem  Bande  (pag.  4)  dargestellt  und  er- 
übrigt es  nur  die  mikroskopische  Beschaffenheit  kurz  zu  schildern. 
An  Durchschnitten  unterscheidet  man  eine  Schleimhautschichte  (Mucosa), 
eine  musculäre  Schichte  mit  einer  Lage  circulärer  und  einer  peripher  davon 
gelegenen  longitudinaler  Muskelfasern,  eine  fetthaltige  submusculäre  Schichte 
und  schliesslich  eine  bindegewebige  Umhüllungsschichte,  welche  die  gröberen 
Gefäss-  und  Nervenverzweigungen  trägt.  Die  Schleimhaut  trägt  zahlreiche 
Papillen  und  ist  von  einem  mehrfach  geschichteten  Pflasterepithel  überzogen. 

V.  Preuschen  beschrieb  im  oberen  Scbeidenabsclmitte  kolbige,  mit  Flimmerepithel  aus- 
gekleidete Drüsen;  Löwenstein,  Toldt,  Chiari  beschrieben  LymphfoUikeln  ähnliche  Einla- 
gerungen in  die  Schleimhaut. 


870  VAGINA. 

Der  Blut  zu  flu  SS  zur  Scheide  erfolgt  durch  die  an  der  Hinterwand 
derselben  verlaufenden  Arteriae  vaginales,  die  nach  Gussenbauer  als  Aeste 
der  A.  haemorrhoidalis  media  gelten  müssen,  die  Nerven  stammen  vom  plexus 
pudendus  des  Sympathicusgeiiechtes. 

Innerhalb  normaler  Grenzen  zeigt  die  Vagina  der  Erwachsenen  bedeu- 
tende Verschiedenheiten  rücksichtlich  ihrer  Form,  Lage,  Beschaffenheit  ihrer 
Wandungen,  die  nicht  nur  von  dem  Geschlechtsleben,  den  Lebensaltern  und 
der  individuellen  Constitution  abhängig  sind,  sondern  häufig  auch  von  ver- 
schiedenen Abnormitäten  in  der  Lage  und  Beschaffenheit  der  Gebärmutter 
abhängen. 

Die  Bildungsfehler  der  Vagina  sind  zusammen  mit  denen  des 
Uterus  in  dem  Aufsatze  „Büdunc/sanomaUen"  (pag.  101  u.  ff.)  besprochen. 
Gewisse  Bildungsfehler  der  Scheide  hängen  mit  Bildungsanomalien  der  Harn- 
röhre zusammen  und  sei  diesbezüglich  auf  [den  Artikel  „  Urethrakrankheiten. 
des  Weihes'^  verwiesen.  Inwiefern  die  Bildungsfehler  der  Vagina  Störungen 
für  den  Eintritt  und  Verlauf  einer  Gravidität  bilden  können,  ist  in  dem  Ar- 
tikel ^^Schumngerschafts-  und  GehurtscompUcationen  (pag.  748)  dargestellt.  Die 
Folgen  der  Vaginalatresien  zeigen  sich  erst  dann,  wenn  zur  Zeit  der  Puber- 
tät eine  regelmässige  menstruale  Blutung  sich  einstellt,  resp.  ausbleibt.  Eine 
Blutansammlung  ohne  Möglichkeit  des  normalen  Abflusses  bedingt  die  Ent- 
wicklung der  HaematoJwlpos  (v.  pag.  336).  Bei  halbseitiger  Atresie  mit 
doppelseitigem  Genitalrohr  kommt  es  zu  einseitiger  Entwicklung  der  men- 
strunlen  Blutstauung  {Haematokolpos  lateralis)  und  es  zeigen  sich  Molimina  ex 
retentione  neben  regelmässsig  fliessenden  Menses.  Durch  infectiöse  Einflüsse 
kann  sich  aus  einer  Haematokolpos  lateralis  eine  Pyokolpos  lateralis  entwickeln. 

Eine  weniger  ernste  Bedeutung  als  die  Atresien  haben  die  angebore- 
nen Stenosen  der  Scheide;  sie  bilden  häufig  Begattungs-  und  Geburts- 
hindernisse. Im  Gegensatze  zu  den  Atresien  fehlt  hier  der  Befund  von  men- 
strualen  Blutstauungstumoren,  obwohl  das  Fehlen  derselben  nicht  dazu  aus- 
reicht die  Atresie  auszuschliessen,  und  muss  bei  bedeutenden  Verengerungen 
immer  die  Sonde  den  Nachweis  des  Lumens  liefern. 

Die  erworbenen]  Atresien  und  Stenosen  werden  durch  Narben- 
schrumpfungen veranlasst,  solche  entstehen  auf  der  Basis  entzündlicher  und 
geschwüriger  Processe,  diese  wieder  werden  veranlasst  durch  traumatische 
Insulte,  die  das  betreffende  Individuum  gelegentlich  einmal  erlitten  hat  oder 
die  während  des  Entbindungsactes  spontan  oder  durch  Kunsthilfe  veranlasst 
w^urden.  Einen  weiteren  Anlass  bilden  Fremdkörper,  zu  welchen  auch 
Pessarien  gehören,  schliesslich  zählt  man  hieher  Veraetzungen,  diphtheritische 
Processe  im  Verlaufe  von  Infectionen  (Cholera,  Typhus,  Erysipel,  Variola) 
und  endlich  ausgebreitete  syphilitische  Ulcerationen.  Nicht  unerwähnt  darf 
ferner  gelassen  werden,  dass  besondere  Entzündungen  der  Scheide  zu  nar- 
bigen A'^erwachsungen  führen  können,  so  die  von  Simpson  bei  Kindern  be- 
schriebene Vaginitis  adhaesiva  und  die  von  Hildebeand  beschriebene  ulce- 
röse  Form  der  Vaginitis  iDei  Erwachsenen. 

Die  pathologischen  Lageveränderungen  der  Scheide  beruhen 
sämmtlich  auf  mehr  weniger  bedeutende  Einstülpungen  der  Wandung  gegen 
das  Scheidenlumen.  Hiedurch  entsteht  die  Senkung  (descensus)  oder  der  Vor- 
fall (prolapsus),  je  nachdem  die  Vorstülpung  innerhalb  der  Schamspalte  ver- 
borgen bleibt  oder  aus  derselben  hervorragt.  Die  Aetiologie  und  Symptoma- 
tologie des  Scheidenprolapses  und  die  Behandlung  desselben  ist  in  den  Ar- 
tikeln „ProlajJs'^  (pag.  680),  „Pessarien''  (pag.  631)  und  „Prolapsoyerationen'-'' 
(pag.  683)  ausführlich  dargestellt. 

Rupturen  der  Scheide  kommen  durch  von  aussen  einwirkenden 
Traumen  (Sturz  auf  die  Genitalien,  Fremdkörper  etc.)  zu  Stande.  Rohe  Coitus- 
versuche,  Manipulationen  bei  Schändungsversuchen,  ärztliche  und  Hebammen- 


VAGINA.  871 

Instrumente  können  schwere  Continuitätstrennungen  der  Scheidenwände  er- 
zeugen. Bei  pathologischen  Veränderungen  (seniler  Schrumpfung,  Stenosen 
etc.)  ist  die  Möglichkeit  von  Vagina-Verletzungen  eine  Ijcdeutend  grössere, 
als  bei  normaler  Wandung.  Unter  der  Geburt  ereignen  sich  Vaginalrupturen, 
wenn  ein  Missverhältnis  zwischen  Grösse  des  vorliegenden  Kindestheiles  und 
des  Vaginalrohres  besteht.  Kisse  im  Scheidengewölbe  schliessen  sich  an 
Cervixrupturen  an.  Die  circulare  Abtrennung  der  Vagina  vom  Uterus  wird 
Kolpaporrhexis  bezeichnet.  Hagenbekger  konnte  40  Fälle  dieser  Art  der 
Scheidenverletzung  in  der  Literatur  finden,  bezüglich  der  Symptomatologie, 
Prognose  und  Therapie  der  Scheidenrupturen  gelten  dieselben  Elrfahrungen 
und  Principien,  wie  für  die  Rupturen  des  Uterus  (s.  d.).  Die  Haeraatome 
der  Scheide  sind  in  dem  Aufsatze  „Thrombus  vaginae  et  vulvae^'-  ausführ- 
lich behandelt. 

Die  entzündlichen  Erkrankungen  der  Vagina  betreffen  haupt- 
sächlich die  Schleimhautschichte  (Vaginitis),  seltener  sind  auch  die  tieferen 
Schichten  der  Scheiden wandung  mitbetheiligt,  oder  es  dringt  die  Entzündung 
gar  bis  in  die  äusseren  bindegewebigen  Lagen  (s.  o.  „Histologie")  vor.  (Peri- 
vaginitis).  Sämmtliche  Formen  der  Scheidenentzündung  behandelt  der  Ar- 
tikel ^.Kolpitis'-'-  (p.  474),  die  häufigste  und  wichtigste  derselben  der  Ab- 
schnitt „Kolpitis  gonorrhoica"  im  Aufsatze  „GonnorrJioe  der  weiblichen  Geni- 
talien."' (pag.  304.) 

Fremdkörper  der  Scheide  bilden  ein  fortlaufendes  Capitel  in  der 
gynaekologischen  Casuistik.  Büchsen,  Zwirnspulen,  Nadeln,  Geldbörsen,  Steine 
etc.  etc.  wurden  in  der  Vagina  gefunden.  Ascariden  gelangen  häufig  vom 
Mastdarm  aus  in  die  Scheide.  Waldenström  fand  einen  Regenwurm,  Schröder 
einen  Maikäfer.  Von  Hysterischen  wird  speciell  behauptet,  dass  sie  sich  in 
der  Absicht  Aufsehen  zu  erregen  Thiere  (Käfer,  Würmer)  in  die  Vagina  ein- 
führen. Zufälle,  Spiel  (bei  Kindern),  onanistische  Zwecke  sind  meist  die 
Ursachen  des  Befundes  von  Fremdkörpern.  Das  Eindringen  in  die  Scheide 
erzeugt  oft  direct  Verletzungen,  fehlen  auch  diese,  so  kommt  es  zu  catarrha- 
lischen  Processen,  zu  Harnbeschwerden  und  Menstruationsstörungen. 

Darmfisteln  der  Scheide  kommen  meistens  als  Mastdarmscheiden- 
ßsteJn  (vid.  pag.  520)  vor.  Viel  seltener  kommt  eine  Communication  der 
Scheide  mit  anderen  Darmabschnitten  zu  Stande.  Im  letztgenannten  Falle 
sind  es  hauptsächlich  im  Douglas  lagernde  Heumschlingen,  welche  mit  der 
Scheide  in  Verbindung  kommen  {Dünndarmscheidenfisteln).  Wird  hiebei  dui'ch 
die  Fistel  die  Continuität  des  Darmrohres  völlig  unterbrochen,  dann  entleert 
sich  der  gesammte  Darminhalt  durch  die  Fistel  in  die  Vagina,  es  besteht 
ein  Anus  praeternaturalis  vaginalis. 

Von  den  Neubildungen  der  Scheide  gehören  die  Cysten  zu  den 
seltenen  Tumoren.  Sie  variiren  in  ihrer  Grösse  von  der  einer  Erbse  bis  zu 
der  eines  Kindskopfes.  Ihr  Inhalt  ist  serös,  schleimig  oder  blutig.  Der 
Ausgangspunkt  der  Vaginalcysten  sind  Reste  der  MüLLER'schen  und  Wollf- 
schen  Gänge,  die  von  Preuschen  beschriebenen  Vaginaldrüsen  (s.  o.  „Histo- 
logie der  Vagina"),  oder  dilatirte  Lymphgefässe  (Lymphcysten). 

Verneuil  beschrieb  die  Entwicklung  eines  „serösen  Sclileimbeutels"  in  dem  lasen 
Gewebe  zwischen  Rectum  und  Vagina,  Hygroma  rectovaginale,  eine  Geschwulst  die  von  den 
Vaginalcysten  zu  trennen  ist.  Schultz  hat  in  einer  Arbeit  über  die  Echinococcen  der 
weiblichen  Genitalien  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  EcMnococcusblasen  zwischen 
Vagina  und  Harnblase  und  zwischen  Vagina  und  Rectum  sich  entwickeln  können.  Dieselben 
müssen  auch  von  den  Vaginalcysten  unterschieden  werden. 

Nur  grössere  Vaginalcysten  verursachen  durch  mechanische  und  die 
Vaginalschleimhaut  reizende  Einflüsse  besondere  Beschw^erden.  Zur  Behand- 
lung genügt  oft  die  einfache  Punktion,  radical  hilft  die  Exstirpation, 

Die  Fibrome  und  fibrösen  Polypen  der  Scheide  sind  in  dem  Ai'tikel 
„Fibrom^  P'ibromyom,  Myom''  (pag.  241)  abgehandelt,  Eine  seltene  Geschwulst- 


872  VAGINISMÜS. 

form  ist  das  Myoma  striocellulare  s.  Rahdomyoma  myxomatodes.  Ein  Praeparat 
von  einem  solchen  Falle  befindet  sich  in  der  Prager  pathologisch-anatomi- 
schen Sammlung  und  ist  von  Klees  genau  studirt  und  beschrieben  worden. 
Es  enthält  verschiedene  Entwicklungsformen  quergestreifter  Muskelfasern  ein- 
gebettet in  myxomatöses  Gewebe. 

Papillome  der  Seheide  kommen  von  der  Grösse  einzelner  Papillarhyper- 
plasien  bis  zu  hühnereigrossen  Tumoren  vor. 

Lipome  entwickeln  sich  sehr  selten  im  Septum  rectovaginale. 

Sarkome  kommen  nach  Säkger  primär  vor,  besonders  relativ  häufig  im 
frühesten  Kindesalter  und  sind  sehr  malign.  Das  Carcinom  der  Scheide  ist  im 
Aufsatze  ^^Carcinom  der  weiblichen  Sexualorgane'-^  (pag.  136)  beschrieben. 

Bezüglich  der  ,,Tubercidose  der  Scheide'^  sei  auf  den  Artikel  „Tubercidose 
der  iveiblichen  Genitalien^''  verwiesen. 

Die  Syphilis  der  Scheide  gehört  ganz  in  das  Gebiet  des  Syphilidologen 
und  ist  in  der  betreffenden  Specialdisciplin   dieses   Sammelwerkes   behandelt, 

Noma  der  Scheide  kommt  neben  Noma  der  Wange  (wahrscheinlich  durch 
Uebertragung)  vor.  Eine  Seltenheit  ist  das  Ulcus  rotundum  simplex  vaginae, 
ein  kreisrundes,  scharf  abgegrenztes  Geschwür,  das  nach  Zahn's  Unter- 
suchungen dem  runden  Magengeschwür  gleich  zu  stellen  ist  und  der  localen 
Behinderung  des  arteriellen  Blutzuflusses  bei  gleichzeitiger  Unmöglichkeit 
eines  collateralen  Kreislaufes  seine  Entstehung  verdankt.  c.  e. 

YaginismUS.  Wenn  die  Vagina  dermaassen  hyperaesthetisch  ist,  dass  die 
blosse  Berührung  ihres  Einganges  unter  lebhaftem  Schmerz  zu  krampfhafter 
Contraction  der  sie  umgebenden  oder  der  benachbarten  Beckenmusculatur  führt, 
so  nennt  man  dieses  Krankheitsbild  Vaginismus.  (Sims).  Es  gehört  zu  den 
häufigeren  Vorkommnissen  in  der  Praxis  und  ist  meist  traumatischen 
Ursprunges  (Traumatische  Neurose). 

Erfolgt  die  Immissio  penis  nicht  vollständig,  so  kann  ein  derbes,  resi- 
stentes Hymen,  besonders  wenn  es  eine  grössere  Oeffnung  besitzt,  dem  ein- 
dringenden Gliede  einen  grössern  Widerstand  entgegensetzen;  dabei  erfolgt 
dann  die  Zerreissung  der  Membran  nicht,  sondern  es  kommt  zu  einer  Deh- 
nung der  letzteren  mit  oberflächlicher  Abschürfung  des  Epithels  am  Hymenal- 
saume.  Die  weitere  Folge  ist  —  besonders  bei  wiederholtem  Coitus  —  eine 
intensive  Röthung  der  Membran,  der  Schleimhautpartieen  des  Vorhofes,  reich- 
liche Secretion  auf  derselben,  endlich  Entzündung,  Empfindlichkeit  und 
Schmerz  beim  Berühren. 

Diese  Erscheinungen  treten  aber  auch  am  eingerissenen  Hymen 
auf,  wenn  die  Ränder  der  carunculae  myrtiformes  nicht  vernarben,  sondern  — 
wie  dies  auf  Hochzeitsreisen  gewöhnlich  der  Fall  —  durch  mangelhafte  Rein- 
haltung, wohl  auch  durch  häufigem  geschlechtlichen  Umgang,  mit  kleinen  Ge- 
schwüren besetzt  werden. 

Eine  weitere  Ursache  für  den  Vaginismus  findet  sich,  wenn  bei  stark 
nach  vorn  gerichteter,  enger  Scheide  und  hohem  Damme  der  Penis  statt  in 
die  Vagina  einzudringen  auf  die  Urethralmündung  aufdrückt,  sie  nach 
abwärts  zieht,  um]  im  Vorhofe  aufgehalten  zu  bleiben.  Hiebei  treten  die  oben 
erwähnten  Erscheinungen  an  der  Urethra  und  der  F  o  s  s  a  n  a  v  i  c  u  1  a  r  i  s   auf. 

Je  öfter  nun,  bei  der  ohnehin  schon  empfindlichen  Frau,  und  durch 
ihren  Widerstand  erschwert  fruchtlose  Cohabitations- Versuche  angestellt  wer- 
den, um  so  weiter  dehnt  sich  das  Gebiet  der  sich  krampfhaft  contrahirenden 
Muskeln  aus,  so  dass  die  mm.  transversus  perinei  und  levator  ani  in 
tonischer  Zusammenziehung  verharren.  Damit  wird  die  allgemeine  Sensibilität 
der  Frau  derart  gesteigert,  dass  sie  unter  lautem  Schreien  schon  bei  der  Zu- 
muthung  den  Coitus  auszuüben  —  in  Reflexkrämpfe  verfällt. 


VAGINISMUS.  873 

Die  gleichen  Symptome  findet  der  untersuchende  Arzt,  wenn  er  die 
Vagina  berührt.  In  der  That  sind  es  zumeist  Neuverniältc,  die  dieser  Zu- 
stände wegen  ärztliche  Hilfe  in  Anspruch  nehmen,  obsclion  man  Vaginismus 
ausgesprochenster  Art  auch  bei  Virginibus  intactis  als  Ausfluss  von  Neu- 
rasthenie findet.  Bei  letzteren  wird  es  der  vorsichtig  und  taktvoll  ausgeführten 
Untersuchung  zumeist  gelingen,  Masturbation  zu  constatiren. 

Endlich  gibt  die  Infection  bei  acuter  Gonorrhoe  —  mit  und  ohne 
Laesion  des  Hymen  —  im  Anfangsstadium  den  gleichen  Symptomencomplex. 

Wird  das  Leiden  nicht  zu  Anfang  behoben,  so  steigert  sich  die  Nervo- 
sität der  Frauen  ins  Maasslose,  und,  da  sie  zumeist  an  »Schlallosigkeit  und 
Appetitmangel  leiden,  kommen  sie  in  der  Ernährung  rasch  herunter,  wonach 
dann  die  psychische  Verstimmung  leicht  bis  zu  Melancholie  ausartet. 

Die  Prognose  des  Leidens  lautet  —  selbst  für  gonorrhoische  Fälle 
—  meist  günstig.  Der  von  den  jungen  Ehegatten  oft  gefürchteten  Sterilität 
folgt  nach  Ausheilung  des  Zustandes  gewönlich  rasch  Conception. 

Es  kann  aber  Vaginismus  auch  in  der  Schwangerschaft  und  im  Wochen- 
bette vorkommen.  Wir  fanden  ihn  bei  einer  rhachitischen  Primigravida 
mit  unverletztem  Hymen  (!)  in  ausgesprochenster  Form.  Die  Geburt 
(Zwillinge)  erfolgte  vorzeitig. 

Bei  der  Behandlung  des  Vaginismus  fällt  dem  Hausarzte  mehr  als 
dem  Specialisten  in  prophylaktischer  Beziehung  eine  grosse  Aufgabe 
zu;  es  obliegt  ihm  das  junge  Ehepaar  sowohl  vor  Excessen  zu  warnen,  als 
auch  auf  die    Reinhaltung   besonders  der  weiblichen  Genitalien    hinzuwirken. 

Ist  das  Uebel  einmal  aufgetreten,  so  beginnt  man  mit  einer  gründlichen 
Inspection  der  Vagina.  Gonorhoe  und  Blenorrhoe  erfordern  specielle 
Behandlung.  Bei  Vulvitis  traumatica  wird  vollständige  Abstinenz  vom  Coitus 
und  dessen  Versuchen  verordnet.  Daneben  empfehlen  sich  gegen  die  Schwel- 
lung und  Röthung  der  Theile  Bähungen  mit  Aqua  Goulardi,  schwachen 
Alumnol-,  Lysol-,  oder  Creolinlösungen. 

Ist  jedoch  das  Hymen  ungemein  empfindlich,  so  führt  das  abwartende 
Regime  ebensowenig  zum  Ziele,  als  die  von  Einigen  vorgeschlagene,  stets 
äusserst  schmerzhafte  und  missliche  dilatatorische  Einführung  von 
konischen  Röhren  (Milchglasspecula),  Der  Rath,  letztere  stundenlang 
liegen  zu  lassen,  wird  wohl  kaum  befolgt  werden. 

Bessere  Erfolge  gibt  die  brüske  Erweiterung  des  untern  Vaginal- 
theiles  durch  die  eingesetzten  Daumen  (Zerreissung  des  Hymens),  ist 
aber  geradezu  ein  barbarischer  Vorgang,  wenn  man  die  Empfindlichkeit  der 
Partieen  in  Anschlag  bringt. 

Der  galvanische  Strom  wird  nach  dem  Vorgange  Lomer's  ebenfalls  gegen 
das  Leiden  wirksam  gefunden. 

Am  raschesten  erzielt  man  die  Heilung  durch  Excision  des 
Hymen.  Hiezu  ist  wegen  der  Schmerzhaftigkeit  wohl  zumeist  eine  tiefe  Narkose 
erwünscht.  Nachdem  die  Kranke  in  Steinschnittlage  gebracht  ist,  werden  die 
Schamtheile  gründlich  ab-  und  ausgespült;  dann  fasst  man  den  obern  Rand 
des  Hymen  mit  der  Pincette  und  schneidet,  unter  Spannung  der  Membran, 
an  der  Basis  sowohl  aussen  als  innen  entlang  des  ganzen  Ringes  ein. 
Die  derart  vorgezeichneten  Partieen  können  nun  mit  zwei  Scheerenschlägen 
abgetragen  werden,  wonach  die  Vernähung  der  glatten  Wundränder  mittelst 
dünner  Catguttfäden  ausgeführt  wird.  Wir  legen  grosses  Gewicht  auf  die 
scharfe  Umschneidung,  weil  nur  bei  diesen  (nicht  gequetschten)  Rändern 
die  Heilung  sozusagen  ohne  Narbe  erfolgt;  wobei  es  gleichgiltig  ist,  ob  die 
continuirliche  oder  die  Knopfnaht  angewendet  wird,  da  die  Fäden  kaum  je 
entfernt  zu  werden  brauchen.  Nun  wird  die  Wunde  mit  Dermatol  eingestäubt 
und  durch  einige  Tage  (3 — 4)  Ruhe  anempfohlen,  während  w^elcher  Zeit  auch 
die  Heilung  vollständig  zu  sein  pflegt. 


874  VAGINOFLXATIO  -  VENTROFIXATIO  UTERI. 

Von  einigen  Autoren  wird  nach  diesem  Eingriffe  noch  eine  regehnässige 
Dilatation  des  Yaginalrohres  empfohlen. 

Xachdem  uns  jedoch  diese  Methode  in  einigen,  wenigen  Fällen  sehr 
unangenehme  Erfahrungen  sogar  Verschlimmerung  des  Zustandes  gebracht, 
verbinden  wir  nunmehr  die  Excision  mit  einer  kleinen  Dur  cht  rennung 
der  Schliessmuskeln  der  Scheide  (im  gewissen  Sinne  Sphinkterotomie) 
dort,  w^o  es  sich  um  intensivere  Krampfzustände  handelt,  indem  wir  zwischen 
die  beiden  Schnitte,  gegen  den  Damm  zu  in  schiefer  Richtung  also  eigentlich 
subcutan  die  Bündel  des  zum  Constrictor  cunni  ziehenden  Sphinkter  ani  durch- 
trennen. Die  Stelle  wird  ebenso  wie  etwaig  spritzende  Gefässchen  des  Hymen 
durch  die  Naht  geschlossen.  Heilung  in  einer  Woche.  Karunkeln  der  Harn- 
röhre, Geschwüre  an  denen  der  Vulva  werden  gleichfalls  excidirt. 

Wurde  bei  den  vergeblichen  Versuchen  zur  Jmmissio  die  Harnröhre  über- 
mässig dilatirt,  so  ist  dagegen  chirurgisch  vorzugehen. 

Die  Behebung  der  Folgezustände  von  Vaginismus,  oft  erheblichen  Zeit- 
aufwand beanspruchend,  decken  sich  mit  der  Behandlung  der  Neurasthenie; 
vorzüglich  wirkt  roborirende  Diät,  Ruhe  und  kühle  Fluss-  oder  Seebäder. 

ELISCHEE. 

Vaginofixatio-VentrofixatiO  uteri.  Die  operativen  Verfahren  zur 
Heilung  der  Retroflexio  und  Retroversio  uteri,  sowie  jener  Uterusprolapse,  bei 
denen  das  Zurückhalten  des  Vorfalles  nur  durch  die  Fixation  des  Uterus 
möglich  erscheint,  sind  folgende:  1.  die  Alex  ander' sehe  Operation;  2.  die  Ven- 
troßxatio  uteri,  3.  die  vaginale  Fixation  des   Uterus. 

Die  Alexandee's c h e  Operation  besteht  in  der  Verkürzung  der 
aus  dem  Leistencanal  hervorgezogenen  Ligamenta  rotunda.  Die  Technik 
dieser  Operation  ist  im  Aufsatze  j^Prolapsoperationen''  (pag.  691)  ausführlich 
beschrieben,  sie  hat  in  Deutschland  viel  weniger  Beachtung  gefunden  als  in 
anderen  Ländern;  nach  P.  MtjLLER  in  Bern  ist  das  Resultat  der  Operation, 
Fixation  des  Uterus  nach  vorne,  ganz  zufriedenstellend.  Als  Nachtheile  wären 
nur  das  Zurückbleiben  von  Narben  an  der  äusseren  Bedeckung  und  die  oft 
ziemlich  bedeutenden  Schwierigkeiten  bei  der  Aufsuchung  der  Ligamenta  ro- 
tunda zu  erwähnen. 

Die  Ventrofixation  des  Uterus  besteht  in  einer  Laparatomie  und 
in  der  Vernähung  des  Uteruskörpers  oder  seiner  Seitenbänder  mit  der  vor- 
deren Bauchwand. 

Herzfeld  beschreibt  die  Technik  der  Operation  folgendermaassen. 
In  Beckenhochlagerung  wird  nach  gemachten  Bauchschnitte  der  Uterus  aus 
seinen  Adhäsionen  entweder  stumpf  oder  mit  der  Scheere  lospräparirt,  worauf 
der  Assistent  den  Uterus  mit  den  Finger  fasst  und  in  die  Höhe  zieht.  Die 
ventrale  Fixation  wird  nun  vorgenommen  entweder  durch  die  mediane  die 
vordere  Wand  des  Uteruskörpers  fassende  Naht  oder  durch  zwei  seitliche  die 
Hörner  des  Uterus  fassende  Nähte  und  zwar  in  der  Weise,  dass  die  Naht  am 
Uterus  das  Ligamentum  rotundum  uteri  umgreift  und  hiebei  von  der  Substanz 
der  vorderen  Uteruswand  noch  genügende  Partien  mitnimmt.  Die  Tube  in 
die  Ligatur  mitzunehmen  muss  vermieden  werden.  Die  Naht  selbst  wird  in 
der  Weise  gemacht,  dass  zunächst  im  unteren  Wundwinkel  des  Bauchschnittes 
die  tieferen  Schichten  der  Bauchdecke  nevertirt  werden  und  hierauf  dass  Peri- 
toneum und  die  Muskelfascie  der  vorderen  Bauchwand  1 — 1 7  2^"^  vom  Schnitt- 
rande entfernt,  entsprechend  dem  unteren  Winkel  der  Bauchwunde,  in  der 
Richtung  von  der  Symphyse  nach  aufwärts  durchstochen  wird,  so  dass  die 
Nadel  wieder  am  Peritoneum  parietale  zum  Vorscheine  kommt.  Nunmehr 
wird  mit  derselben  Nadel  der  Faden  durch  den  Uterus  in  der  Weise  durch- 
gestochen, dass  die  Nadel  in  der  Substanz  des  Muskels  von  oben  nach  unten 
geführt  wird.     Ist  auch  auf  der  zweiten  Seite  der  Faden  in  derselben  Weise 


VERGIE'TUNGEN  SCHWANGERER.  875 

angelegt  worden,  so  wird  unter  Anspannung  der  beiderseitigen  Fäden  der 
Uterus  elevirt  und  in  den  unteren  Wundwinkel  gepresst.  Hierauf  knotet  man 
die  beiderseitigen  Fäden,  indem  darauf  gerechnet  werden  muss,  dass  der  freie 
Peritonealwundrand  nicht  mitgefasst  werde. 

Die  Technik  der  Ventrofixation  ist  wie  ersichtlich  eine  ganz  ein- 
fache, jedenfalls  eine  einfachere  als  die  der  ALEXANDioii'schen  Operation  und 
der  Vaginofixation.  Die  Nachtheile  der  Operation  liegen  nicht  in  der  Gefähr- 
lichkeit einer  Laparatomie  an  und  für  sich  (Infectionsgefahr),  als  vielmehr  in 
der  Möglichkeit  der  Adhäsionsbildung  mit  ihren  Folgen  und  in  der  späteren 
Bildung  von  Bauchbrüchen. 

Die  Vaginofixation  wird  gegenwärtig  als  das  zweckmässigste  Ver- 
fahren unter  den  3  genannten  Operationsmethoden  gehalten.  Die  Idee  für 
diese  Operation  ist  ursprünglich  von  Sänger  angegeben  worden,  später  aber 
hauptsächlich  durch  DtJHRSSEN's  Verfahren  zur  allgemeinen  Anerkennung 
gelangt. 

DüHRSSEN  beschreibt  die  Technik  der  Operation  wie  folgt.  Man 
eröffne  das  vordere  Scheidengewölbe,  dränge  die  Plica  vesico-uterina  stumpf 
in  die  Höhe.  Nachdem  man  hierauf  mittels  einer  dicken  Uterussonde  den 
Uterusfundus  nach  vorne  gedrängt,  lege  man  3 — 4  provisorische  Fadenzügel 
quer  durch  die  vordere  Uteruswand,  bis  der  oberste  Zügel  dicht  unter  der 
fühlbaren  Sondenspitze  den  Fundus  durchsetzt.  Nunmehr  wird  der  Fundus 
durch  diesen  Zügel  in  die  Laquearwunde  heruntergezogen  uud  durch  3  Chrom- 
Catgutnähte  mit  der  vorderen  Vaginalwand  vernäht.  —  Müller  räth  vor 
Beginn  der  Operation  wegen  der  meist  gleichzeitig  vorhandenen  Endometritis 
eine  Auskratzung  der  Uterushöhle  und  eine  Ausspülung  mit  50 %  Carbolsäure- 
lösung  vorzunehmen. 

Durch  diese  Operation  wird  eine  Dauerheilung  der  Retroflexio, 
resp.  der  Retroversio  ohne  Störung  in  der  Conception  und 
Gestation  erzielt. 

In  jenen  Fällen,  wo  gleichzeitig  eine  Adnexenoperation  indicirt  er- 
scheint, empfiehlt  Dührssen  die  Eröffnung  des  Peritoneums  von  der  Vagina 
aus  und  die  Entfernung  der  Adnexe,  woran  erst  die  Vaginofixation  ange- 
schlossen wird.  Dieses  Operationsverfahren  ist  eine  vaginale  Lapara- 
tomie {v.  pag.  535.)  c.  r. 

Vergiftungen  Schwangerer.  Vergiftungserscheinungen  können  im 
Graviditätszustande  auftreten,  wenn  ein  Gift  absichtlich  (suicidii  causa)  oder 
zufällig  (durch  besondere  Versehen)  eingenommen  wurde.  Die  Symptomato- 
logie und  Prognose  dieser  Vergiftungen  ist  selbstverständlich  dieselbe,  wie  die 
bei  anderen  Individuen.  Nur  mit  Rücksicht  darauf,  als  das  Gift  den  Foetus 
schädigen  kann,  durch  Anregungen  von  Wehencontractionen  oder  durch 
Affection  der  Uterusschleimhaut  eine  Fehlgeburt  herbeizuführen  vermag, 
haben  diese  Intoxicationen  Interesse  für  den  Gynaekologen.  Hievon  sind 
jene  Fälle  von  strafgerichtlicher  Bedeutung,  in  denen  das  Gift  in  der  Inten- 
tion einen  Abortus  herbeizuführen  genommen  wurde. 

Experimentelle  Untersuchungen  haben  ergeben,  dass  es  zahlreiche  Gifte  gibt,  welche 
auf  den  nicht  schwangeren  Uterus  so  gut  wie  gar  nicht  einwirken,  auf  den  schwangeren 
aber  umso  intensiver,  je  näher  das  Thier  dem  Ende  der  Geburt  ist  (Kobert). 

Um  die  Wirkung  verschiedener  Gifte  auf  den  Uterus  zu 
studieren,  wurden  Versuche  am  freigelegten  Uterus  des  im  Kochsalzbade  be- 
findlichen Thieres  ausgeführt.  (A.  Röhrig,  Basch  Hoffmann  u.  a.\ 
Wenn  man  nach  subcutaner  oder  intravenöser  Injectiou  des  Giftes  Uterus- 
bewegungen auftreten  sieht,  so  handelt  es  sich  um  Reizung  des  Lenden- 
markscentrums,  der  Uterusganglien  oder  der   Utejusmusculatur.    Wenn  das 


876  YEKGIFTÜNGEN  SCHWANGERER. 

Gift  auch  noch  nach  Ausbohrung  des  Lendenmarkes  mit  dem  Glüheisen  Uterus- 
contractionen  hervorruft,  so  liegt  der  Angriffspunkt  der  Reizwirkung 
im  Uterus  selbst. 

KoBERT  hat  den  Weg  angegeben,  auf  dem  es  in  Zukunft  vielleicht  möglich  sein 
wird,  genauere  Kenntnisse  über  die  Einwirkung  gewisser  Gifte  auf  den  Uterus  zu  erhalten. 
Man  bediene  sich  bei  derartigen  Experimenten  des  von  C.  Jakob y  construirten  Haemati- 
sators,  eines  Apparates  zur  Durchblutung  isolirt  überlebender  Organe.  Zunächst  eruire 
man,  ob  der  Uterus,  der  gravide  und  der  nicht  gravide,  sich  überhaupt  zusammenzieht.  Ist 
dies  der  Fall,  so  wähle  man  zu  weiteren  Versuchen  das  ganglienfreie  Hörn  eines  Kaninchen- 
oder Kuhuterus.  Tritt  hiebei  wehenartige  Contraction  des  Organstückes  ein,  so  handelt 
es  sich  um  ein  Gift,  welches  die  glatte  Musculatur  direct  reizt.  Bleibt  hingegegen 
dieses  Hörn  ohne  Bewegung,  während  der  ganze  Uterus  in  Contraction  geräth, 
so  handelt  es  sich  um  ein  Gift,  welches  das  an  der  Vorderwand  der  Vagina  ge- 
legene Uterusganglion  von  Dembo  in  specifischer  Weise  reizt.  Tritt  gar  keine  Bewegung 
in  beiden  Fällen  ein  und  findet  bei  Einverleibung  in  das  ganze  Thier  Abortus  statt, 
so  handelt  es  sich  um  ein  Gift,  welches  das  im  Lendenmark  gelegene  Uteruscentrum  reizt. 

Vergiftungen  Schwangerer  können  weiters  durch  die  Einnahme  von 
Medicamenten,  die  wegen  Erkrankungen  irgend  welcher  Art  verordnet 
wurden,  zu  Stande  kommen.  Die  Möglichkeit  einer  Schädigung  des  Foetus  muss 
der  Arzt,  der  einer  Graviden  ein  stark  wirkendes  Arzneigift  verschreibt,  sich  immer 
vor  Augen  halten.  Je  empfindlicher  das  weibliche  Individuum  seiner  Constitution 
nach  ist,  desto  grössere  Vorsicht  ist  am  Platze.  Ebenso  gefährlich  wie  die  interne 
Einnahme  von  Arzneigiften,  kann  auch  die  externe  Application  von  Salben, 
Klysmen,  Suppositorien,  Irrigationen  werden,  eine  Thatsache,  die  auch  im 
Allgemeinen  viel  zu  wenig  gewürdigt  wird.  Bei  der  heutzutage  in  Mode  ge- 
kommenen Art,  wie  Aerzte,  gegen  geringfügige  Kopfschmerzen  die  mit  toxi- 
schen Eigenschaften  begabten  Nervina  (Antipyrin,  Antifebrin  etc.)  leichthin 
verordnen,  bei  „etwas  Magendrücken"  Belladonna  und  Canabis  indica  nelimen 
lassen,  gegen  vorübergehende  Schlaflosigkeit  gleich  mit  dem  schweren  Ge- 
schütz der  Hypnotica  (Chloral,  Amylenhydrat,  Trional  etc.)  anrücken,  endlich 
insbesondere  mit  dem  Morphin  ziemlich  freigebig  verfahren,  muss  ganz  be- 
sonders betont  werden,  dass  namentlich  bei  Graviden,  wo  oft  der  Schwan- 
gerschaftszustand als  solcher  die  Ursache  eines  oder  des  andern  der  genannten 
Symptome  bildet,  diaetetische  und  hydrotherapeutische  Maassregeln 
in  erster  Linie  Verwendung  finden  sollen  und  nur,  wo  diese  versagen,  Arznei- 
gifte vorsichtig  gebraucht  werden  dürfen. 

Die  Frage,  welche  Arzneigifte  den  placentaren  Kreislauf  leicht  passiren  und 
derart  den  Foetus  schädigen  können,  ist  noch  nicht  eingehend  genug  studirt. 
Immerhin  ist  der  Uebergang  einer  Reihe  von  medicamentösen  Substanzen 
auf  die  Frucht  mit  Sicherheit  erwiesen. 

Intoxicationsgefahren  für  die  Schwangeren  werden  ferner  durch  jene 
Agentia  herbeigeführt,  die  als  Antiseptica  in  der  chirurgischen  und  ge- 
burtshilflichen Therapie  gebraucht  werden.  So  sind  jene  Fälle  berücksichtigens- 
werth,  wo  es  nothwendig  ist  bei  Graviden  chirurgische  Eingriffe  vorzunehmen, 
die  das  Genitale  zwar  nicht  direct  betreffen,  aber  dennoch  aus  besonderen 
Indicationen  an  irgend  einem  Körpertheil  vorgenommen  werden  müssen. 
Nach  den  strengen  Principien  der  modernen  Chirurgie  sind  wir  gezwungen 
den  Körper  der  Graviden  mit  Giften  in  Berührung  zu  bringen,  deren  Resorp- 
tion, wenn  auch  nicht  auf  den  mütterlichen,  so  doch  auf  den  kindlichen  Or- 
ganismus von  unheilvollen  Einflüsse  zu  sein  vermag.  Bei  Operationen, 
die  an  graviden  Frauen  ausgeführt  werden  müssen  —  die  Frage,  ob  der 
chirurgische  Eingriff  unbedingt  indicirt  und  nicht  bis  nach  Ablauf  der 
Gravidität  durch  eine  andere  Art  der  Therapie  ersetzt  werden  kann,  muss  vorher 
stricte  beantwortet  sein  —  wird  es  die  Aufgabe  des  Operateurs  sein,  womöglich 
„aseptisch"  statt  „antiseptisch"  zu  verfahren  und  von  den  Antiseptica  jene  an- 
zuwenden, denen  der  geringste  Grad  der  Giftigkeit  zukommt.  Dasselbe  gilt 
selbstverständlich  für  die  Behandlung  der  Erkrankungen  der  weiblichen  Geni- 


VERGIFTUNGEN  SCIIWANGERRR.  877 

talien  z.  B.  der  gonorrhoischen  Affection  l)ei  Graviden,    soforiic  stark    giftige 
antiseptische  Lösungen  als  therapcutisclio  Agentien  üblich  sind. 

In  der  geburtshilfliclien  Therapie  droht  die  Gefahr  der  Intoxica- 
tion  post  partum,  wenn  Uterus  oder  Scheidenausspülungen  aus  irgend  welchen 
Gründen  nothwendig  sind.  In  den  Bestrebungen  Antiseptica  von  mögliclist 
geringen  toxischen  Nebenwirkungen  zu  gebrauchen,  hat  das  Sublimat  dem 
Creolin  und  Thymol  und  in  neuester  Zeit  dem  Lysol  Platz    machen    müssen. 

Welche  Principien  hinsichtlich  des  Gebrauches  von  Antiseptica  in  der 
Geburtshilfe  in  Deutschland  und  Oesterreich  gegenwärtig  Geltung  haben,  ist 
in  den  beiden  Theilen  des  Aufsatzes  y,Äntisepsis  in  der  Geburtshilfe'-^  aus- 
führlich dargelegt  (vid.  pag.  34.  und  pag.  41). 

Im  Nachfolgenden  sei  über  den  Einlluss  der  wichtigsten  Arzneistoffe  auf 
den  Graviditätszustand  berichtet,  soferne  über  diese  Frage  im  Einzelnen  be- 
sondere Beobachtungen  vorliegen. 

Aetherisclie  Oele  sind  während  des  Scliwangerschaftszustandes  jedenfalls  mit 
besonderer  Vorsicht  zu  verordnen,  da  sie  erwiesenermaassen  abortive  Eigenschaften 
besitzen.  Der  Repräsentant  dieser  Stoffe  bildet  das  Ol.  Sabinne,  das  ätherische  Gel 
des  Juniperus  Sabina,  seit  der  ältesten  Zeit  im  Rufe  und  Gebrauche  eines  Aljorti- 
vums.  Das  Gleiche  gilt  vom  Ol.  Thuyae,  Ol.  succini,  Ol.  terehinthinae  u.  a.  In 
England  ist  als  Volksabortivum  unter  dem  Namen  Pennyorayl  ein  Kraut  Poley, 
Mentha  Pulegium  L.  (Labiatae)  in  Gebrauch  dessen  wirksamer  Bestandtheil  ein 
ätherisches  Oel  Ol.  Pulegli  bildet.  Maechall  sah  bei  einer  Graviden  nach  Einnahme 
dieses  Oeles  schweren  Collaps  und  Abortus  eintreten. 

Alcohol  kann  in  Form  von  Bier  und  leichter  VVeinsorten  graviden  Frauen 
gestattet  werden,  dagegen  sind  „andere  Formen  der  Alcoholeinnahme"  entschieden 
zu  meiden. 

Die  Frage  ob  stillende  Frauen  Alkohol  zu  sich  nehmen  dürfen  erscheint 
deshalb  wichtig,  weil  die  mit  der  Milch  elimenirte  Alkoholmenge  direct  schädlich 
auf  den  Gesundheitszustand  des  Säuglings  einzuwirken  vermag.  Die  von  Klingemanx 
unter  Binz  angestellten  Untersuchungen  an  Thieren  (Ziegen)  und  stillenden  Frauen 
ergaben,  dass  nach  massigem  Alkoholgenuss  überhaupt  kein  Alkohol  in  der  Milch 
nachzuweisen  ist  und  selbst  bei  bedeutender  Aufnahme  von  Alkohol  geht  nur  eine 
geringe  Quantität,  bis  höchstens  O-ö^/o  des  aufgenommenen  Quantums  in  die 
Milch  über. 

'  Gleichzeitig  zeigte  sich  aber,  dass  nach  reichlichem  Alkoholgenuss  der  Nähr- 
werth  der  Milch  abnimmt,  in  dem  das  Verhältnis  zwischen  Eiweiss  und  Fett  sich 
verändert.  Amylalkohol,  wie  er  in  schlechten  Branntwein  vorkommt,  wirkt  ent- 
schieden schädlich,  wie  z.  ß.  ein  Fall  Demme's  beweist,  in  dem  ein  Kind  heftige 
Convulsionen  bekam,  nachdem  die  Amme  reichlich  Schnaps  getrunken  hatte.  Dezime 
folgert  daraus  das  praktische  Gebot,  Stillende  nur  massige  Quantitäten  von  alkoholischen 
Getränken  (aber  jedenfalls  keinen  Branntwein)  trinken  zu  lassen. 

Aloe  in  grossen  Dosen  wird  als  Abortivmittel  gebraucht,  als  stark  wh'kendes 
Drasticum  ist  es  ärztlicherseits  während  der  Schwangerschaft  nicht  zu  verordnen. 
Dasselbe  gilt  von  allen  jenen  Abführmitteln,  die  der  Aloe  an  Wirkungsintensität  an 
die  Seite  zu  stellen  sind.  Man  warne  stets  vor  dem  Gebrauch  der  als  Specialitäten 
verkäuflichen   „Blutreinigungs-,  Entfettungs-,  etc.  pillen". 

Ammoniak.  Es  sind  Fälle  bekannt,  aus  denen  abortive  Eigenschaften  des 
Ammoniak  zu  erschliessen  sind.  Nach  Röhrig's  experimentellen  Untersuchungen 
wirkt  das  freie  Ammoniak  auf    Uterusmusculatur  und  Uterusganglien  stark  reizend. 

Arsenik  soll  während  der  Gravidität  womöglich  nicht  verwendet  werden, 
zumalja  nur  schwere  Anaemien  und  chronische  Hautaffectionen  eine  besondere  Indi- 
cation  für  die  Arseneinnahme  abgeben  und  in  diesen  Fällen  während  der  Zeit  der 
Gravidität  wohl  durch  andere  Arzueistoff'e  ersetzt  werden  kann.  Rebee  berichtete 
über  einen  Fall,  in  dem  Arsen  in  abortiver  Absicht  genommen  wurde,  es  erfolgte 
letaler  Ausgang  ohne  vorherige  Ausstossung  des  Kindes. 


878  VERGIFTUNGEN  SCHWANGERER. 

Belladonna.  In  einem  Falle  von  Atropinvergiftung  wurde  die  im  5.  Monate 
bestehende  Gravidität  nicht  unterbrochen. 

Benzoesäiu'e.  Von  diesem  Arzneistofl"  ist  es  direct  nachgewisen,  dass  er  vom 
mütterlichen  Organismus   aus  durch  die  Placenta  in  die  Frucht  übergehen  könne. 

Blei.  Die  chronische  Bleivergiftung  wirkt  auf  den  Schwangerschaftszustand 
eminent  schädlich.  Aborte  sind  bei  mit  Blei  hautirenden  Arbeiterinnen  sehr  häufig. 
Nach  C.  Paul  kamen  bei  81  Frauen  mit  123  Schwangerschaften  64  Aborte  und  6  Früh- 
geburten vor.  Sehr  häufig  wurden  auch  Todtengeburten  beobachtet  und  selbst  unter 
den  lebend  geborenen  Kindern  herrscht  in  den  ersten  Lebensjahren  ein  bedeutendes 
MortalitätsiDcrcent. 

Caspee  berichtet  über  einen  Fall  von  acuter  Bleivergiftung,  in  der  nach  zwei 
Tagen  Frühgeburt  und  später  letaler  Ausgang  erfolgte. 

Cantliariden  stehen  nicht  nur  im  Rufe  eines  Aphrodisiacums,  sondern  auch 
in  dem  eines  Abortivums.  Sie  besitzen  aber  selbst  in  toxischen  Gaben  keine  directe 
Wirkung  auf  den  Uterus  und  führten  in  den  beschriebenen  Fällen  wohl  nur  durch 
hochgradige  Irritation  der  Gedärme  und  der  damit  verbundenen  Blutcongestion  den 
Abortus  herbei. 

Carbolsäure.  Die  Casuistik  der  Carbolsäurevergiftungen  nach  geburtshilflicher 
Anwendung  ist  sehr  reichhaltig.  Küstner,  Fhitsch,  Olshausen,  Kbuckenberg 
u.  A.  haben  hiezu  publicistisches  Material  geliefert. 

Nach  Ausspülen  der  Uterushöhle  mit  Carbolsäure  beobachtete  man  plötzlichen 
Collaps.  Später  kam  es  zu  Delirien,  Ohrensausen,  Pupillenverengerung,  profusen 
Schweissen  und  letalem  Exitus. 

Keuckenbeeg  sah  Haemoglobinaemie  und  Haemoglobinurie  nach  intraute- 
riner Ausspülung  einer  3°/o  Carbolsäurelösung  in  der  Quantität  von  2 '7  Liter. 

Chinin  wird  als  wehenbeförderndes  Mittel  angesehen.  In  Amerika  soll  das 
Chinin  nach  Boenbcken  als  criminelles  Abortivmittel  gebräuchlich  sein.  Nach 
Pollax  kommen  in  Malariagegenden  in  Folge  Einnahme  grosser  Chinindosen  Aborte 
häufig  vor.  Dagegen  berichtet  v.  Goth,  dass  er  bei  46  wegen  Malaria  behandelten 
Schwangeren  vom  Chinin  keinen  Schaden  für  die  Frucht  beobachten  konnte. 

Chloroform.  Bei  der  Häufigkeit,  mit  der  in  der  Gegenwart  Narcosen  bei  Schwan- 
geren und  Gebärenden  vorgenommen  werden,  scheint  die  Berechtigung  zu  bestehen, 
das  Chloroform,  in  massigen  Gaben  angewandt,  als  für  Schwangere  ungefährlich, 
resp.  ebenso  gefährlich  wie  für  andere  Individuen  zu  bezeichnen.  Ebenso  ist  es  für 
den  Foetus  in  den  geringen  Mengen,  in  den  es  nach  Zweifel  erwiesenermaassen 
übergeht,  ohne  Bedeutung. 

Digitalis  ist  Schwangeren  jedenfalls  nur  mit  Vorsicht  zu  verordnen,  da  Fälle 
bekannt  sind,  in  denen  selbst  nach  geringen  Dosen  Abortus,  resp.  Frühgehurt  eintrat. 

Kampher.  Die  Kampherarten  stehen  chemisch  und  toxisch  den  ätherischen 
Oelen  nahe.  Demzufolge  ist  auch  ihr  Gebrauch  als  Abortivmittel  erklärlich.  Kubt 
berichtet  über  einen  Fall,  in  dem  ein  V.  para  Kampher  zur  Herbeiführung  eines  crimi- 
nellen Abortus  eingenommen  hatte,  worauf  Tobsuchtsanfälle  und  Convulsionen  auftraten, 
aber  bald  wieder  vorübergingen,  ohne  dass  die  Gravidität  unterbrochen  wurde.  Der 
Tanacetkampher,  ein  dem  gewöhnlichen  Kampher  isomerer  Stoff,  ist  der  wirk- 
same Bestandtheil  des  als  Volksabortivumviel  gebrauchten  Rainfarns,  Tmiacetum  vulgare. 

Kohlenoxyd.  Lässt  man  nach  Fehling  trächtige  Thiere  Kohlenoxyd  ein- 
athmen,  so  kann  man  dasselbe  im  foetalen  Blute  nachweisen,  v.  Hofmann  und  Ludw^ig 
konnte  diese  experimentelle  Beobachtung  nicht  bestätigen.  Falk  fand  bei  einer  an 
CO-Vergiftung  verstorbenen  Schwangeren  wohl  im  mütterlichen,  aber  nicht  im  fötalen 
Blute  CO.  In  den  Fällen,  in  denen  der  Foetus  bei  erhaltenen  Leben  der  Mutter 
ausgestossen  wurde,  scheint  der  Tod  der  Frucht  blos  durch  Ei-stickung,  nicht  durch 
üebergang  des  Gases  in  den  foetalen  Kreislauf  erfolgt  zu  sein. 

Morphin.  Dieses  unentbehrlichste  aller  Arzneimittel  muss  während  der 
Schwangerschaft  jedenfalls  mit  Vorsicht  angewandt  werden.  Kleine  Dosen  haben 
keine  Wirkung  auf  die  Gravidität.     Nach  grösseren  Gaben  tritt  Abortus  ein.  Nach 


VERGIFTUNGEN   SCHWANGE  HEU.  879 

V.  Hofmann  dürfte  die  durch  Gefässlähmung  bedingte  Jioliinderung  des  foetalen  Gas- 
austausches  die  Ursache  hiefür  abgeben.  Ein  dirccter  (lebergang  des  Morphins  in 
den  Fötus  ist  nach  Waltek's  Thierexperiruenten  niclit  anzunelnnen. 

Nicotin.  Chronische  Nicotinintoxication  soll  Veranlassung  zu  Abortus  geben, 
nach  KoBERT  auch  die  acute  Intoxication. 

Lysol.  Das  Lysol  wird  gegenwärtig  wohl  am  häufigsten  von  allen  Antisepticis 
in  der  geburtshilflichen  Praxis  verwendet.  Allgemein  wird  seine  relative  „Ungiftig- 
tigkeit"  gegenüber  anderen  Desinficientien  hervorgehoben.  Vergleichende  Versuche 
zwischen  der  Anwendung  von  Carbol-  und  Lysollösungen  sprechen  entschieden  zu 
Gunsten  der  letzteren.  Pelzek  konnte  durch  uterine  Ausspülungen  mit  2'%  Lysol- 
lösungen in  707o  der  Fälle  Abfall  des  Fiebers  bis  zur  Norm  erzielen,  während  dies 
nur  in  5 3' 3 3^0  mittels  3%  Carbol  gelang. 

RossA  sah  nach  einem  1%  Lysolsitzbad  bei  einer  Graviden  eine  Urticaria,  nach 
1%  Vaginalausspülungen  bei  einer  anderen  Schwangeren  ein  Lysoleczem  regel- 
mässig auftreten. 

Pilocarpin  hat  entschieden  wehenerregende  Eigenschaften,  da  es  ja  selbst 
von  Geburtshelfern  als  medicamentöses  Abortivum  empfohlen  wird.  Vergleiche  hier- 
über den  Aufsatz  ,, Frühgeburt  (künstlich)'',  pag.     277. 

Phosphor  gilt  unerklärlicher  Weise  im  Volke  als  Abortivmittel.  Eine  grosse 
Anzahl  von  Phosphorvergiftungen  kommt  in  der  Absicht,  mit  der  Einnahme  von 
Phosphor  Abortus  hervorzurufen,  vor.  Dass  bei  Phosphorvergifteten  im  Graviditäts- 
zustande Abortus  eintritt,  erklärt  sich  aus  der  deletären  Wirkung  des  Phosphors, 
die  zu  Hämorrhagien  in  allen  Organe  Veranlassung  gibt,  eine  directe  Einwirkung 
des  Phosphors  auf  die  Gebärmutter  besteht  nicht.  Wenn  es  zur  Fehlgeburt  kommt, 
dann  haben  sich  auch  meistenstheils  anderweitige  irreparable  Folgen  der  Intoxica- 
tionen  eingestellt  und  die  Vergifteten  sind  meistentheils  verloren.  Es  kann  aber 
auch  der  Tod  noch  früher  eintreten,    bevor  die  Ausstossuug  der  Frucht  stattfindet. 

Quecksilber.  Von  diesem  Arzneistoff  wird  behauptet,  dass  sowohl  die  acute 
als  auch  die  chronische  Intoxication  Abortus  veranlassen  kann.  Selbst  die  Inunctions- 
curen  bei  Syphilitischen  werden  als  für  die  Frucht  gefährlich  erklärt.  Demgegenüber 
äussern  sich  die  Syphilidologen  vollkommen  ablehnend,  v.  Siegmund  betont,  dass 
Schmiercuren  bei  luetischen  Frauen  ohne  Schaden  für  die  Frucht  vorgenommen  werden 
können  und  Fehlgeburten  nicht  wegen,  sondern  trotz  der  Schmiercur  vorkommen. 
Nach  F.  Weber,  der  129  Gravide  antiluetisch  behandelte,  kamen  von  35  mittels 
Inunctionen  behandelten  keine  einzige  frühzeitig  nieder,  während  bei  anderen  Me- 
thoden 15 — 36*^/0  abortirten. 

Salicylsänre.  Ein  sicherer  Einfluss  der  Salicylsäure  auf  die  Gebärmutter  ist 
nicht  erwiesen,  trotzdem  einzelne  Beobachtungen  und  die  Ergebnisse  einzelner  Thier- 
experimente  dafür  sprechen.  Binz  hat  die  praktisch  wichtige  Frage  über  die  Wir- 
kung des  Salicyls  auf  die  Gebärmutter  ausführlich  studirt  (Berl.  Hin.  Wochenschrift 
Nr.  41.  1893)  und  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  das  Salicyl,  wenn  es  wegen  Eheu- 
matismus  angezeigt  erscheint,  nur  mit  Vorsicht  da  zu  geben  ist,  wo  Neigung  zu 
Fehl-  oder  Frühgeburt  besteht.  Dieselbe  Regel  lässt  sich  wohl  auf  alle  Derivate 
des  Salicyls  übertragen  (Salipyrin,  Salol  etc.j. 

Seeale  cornutum  ist  insoferne  ein  „wahres  Abortivmittel,  als  ihm  direct 
contractionserregende  Wirkung  auf  den  Uterus  zugeschrieben  werden  kann".  Die 
Ursache,  warum  dieses  Mittel  relativ  wenig  zu  criminellen  Absichten  gebraucht  wii'd. 
liegt  w^ohl  darin,  dass  dasselbe  dem  Publicum  durch  Handverkauf  nicht  zugänglich 
und  von  den  berufsmässigen  Abtreiberinnen  vielleicht  wegen  seiner  bekannten  giftigen 
■Eigenschaften  gefürchtet  wird.  Immerhin  sind  eine  Reihe  von  Fällen  bekannt,  in 
denen  Seeale  als  Abortivmittel  gebraucht  wurde.  Von  Taylor,  Otto  u.  a.  wird  berichtet, 
dass  selbst  grosse  Dosen  wohl  den  Tod,  aber  nicht  den  gewünschten  Abortus  her- 
beiführten.   Hiemit  stimmen  die  Erfahrungen  der  Geburtshelfer   überein,  demzufolge 


*)  Vgl.  „Si/philis  der  Schwangerschaft^ ,  pag.  802, 


880  VERLETZUNGEN  DES  KINDES. 

die  "Wirkung  der  Seeale  auf  den  Uterus  niclit  als  eine  „absolut  sichere"  bezeichnet 
werden  darf,  Bei  der  chronischen  Intoxication  (Kriehelkrankheit)  kommen  habituelle 
Aborte  vor. 

Sublimat.  Sublimatintoxicationen  bei  Schwangern,  Kreissenden,  und  Wöchne- 
rinnen sind  in  der  Literatur  zahlreich  besclirieben.  In  allen  diesen  Fällen  handelte 
es  sich  um  die  Anwendung  gi'osser  Mengen,  1 — 6  und  noch  mehr  Liter  concentrirter 
Sublimatlösungen,  von  denen  ein  Theil  durch  Stagnation  zurückblieb  und  sowohl  von 
offenen  Stellen  als  auch  von  der  intacteu  Schleimhaut  aus  zur  Resorption  kam. 

Die  überwiegende  Mehrzahl  der  Geburtshelfer  (die  Deutschen  schon  seit  einigen 
Jahren,  die  Franzosen  erst  in  letzter  Zeit)  wenden  das  Sublimat  überhaupt  nicht 
mehr  au  und  warnen  vor  dessen  Application.  Bemerkenswert!!  ist  ein  Fall  von 
ScECRADEE,  in  dem  schwere  Sublimatintoxication  nach  Einführung  einer  längeren 
Zeit  in  Sublimatlösung  (1:1000)  gelegenen  Bougies  behufs  Einleitung  der  Frühgeburt 
eintrat.  Jul.  Weiss. 

Verletzungen  des  Kindes.  Die  Verletzungen,  weiche  das  Kind  in 
manchen  Fällen  während  der  Geburt  erleidet,  können  ihre  Ursachen  in 
Beckenahnormitäten,  in  einem  fehlerhaften  Geburtsmechanismus  und  opera- 
tiven Eingriffen  haben.  Manche  sind  so  charakteristisch,  dass  man  aus  ihnen 
sofort  auf  die  Art  ihrer  Entstehung  schliessen  kann.  Während  viele  so 
geringfügig  sind,  dass  sie  überhaupt  keine  Erscheinungen  hervorrufen,  ge- 
fährden, ja  vernichten  andere  das  Leben  des  Kindes. 

Verletzungen  der  Kopfhaut  werden  sehr  häuüg  beobachtet,  wenn 
der  Kopf  durch  ein  enges  Becken  gegangen  ist,  in  der  Eegel  aber  nur  dann, 
wenn  das  Kind  in  Schädellage  geboren  ist.  Es  hat  dies  seinen  Grund  darin, 
dass  ein  längerer  Druck  einwirken  muss,  um  jene  Verletzungen,  Druck- 
marken genannt,  hervorzubringen;  der  kurze  Druck,  welchen  der  nachfolgende 
Kopf  bei  dem  Durchziehen  durch  die  verengte  Stelle  erleidet,  reicht  hierzu  in 
der  Eegel  nicht  aus.  Während  es  sich  meist  um  einfache  Hautröthung,  um 
Sugillationen  handelt,  kann  die  Haut  bei  sehr  lange  einwirkendem  Druck  in 
grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung  nekrotisch  werden. 

Gewöhnlich  ist  es  das  Promontorium,  durch  dessen  Einwirkung  jene 
Druckmarken  entstehen.  Doch  können  auch  die  vorderen  Beckenpartien  solche 
an  den  ersteren  entgegengesetzten  Partien  des  kindlichen  Schädels  herbei- 
führen. Entweder  finden  sich  nur  Druckpunkte  und  zwar  mehrere  dann,  wenn 
der  Kopf  seine  Stellung  auf  dem  Beckeneingang  änderte,  oder  Druck- 
streifen, w^enn  das  Promontorium  auf  den  an  ihm  vorbeirückenden  Schädel 
nicht  an  einer  Stelle,  sondern  in  fortlaufender  Linie  einen  Druck  ausübte. 
Die  Druckstreifen  verlaufen  gewöhnlich  vom  vorderen,  oberen  Winkel  des 
Scheitelbeines  der  Kreuznaht  annähernd  parallel  nach  der  Gegend  des  Ohres 
zu  und  setzen  sich  manchmal  hier  in  einem  stumpfen  Winkel  auf  das  Ge- 
sicht fort. 

Beim  platten  Becken  finden  sich  auch  wohl  zwei  einander  parallele 
Streifen.  Entweder  verdankt  der  eine  derselben  einem  falschen  Promontorium 
seine  Entstehung  oder  der  Kopf  erlitt  durch  Aenderung  seiner  Stellung  auf 
dem  Beckeneingang  an  zwei  Stellen  einen  Druck. 

Einer  Behandlung  bedürfen  die  Druckmarken  nur  dann,  wenn  sie  ne- 
krotisch werden.  Unter  Verbänden  mit  Ichtyolsalbe,  Jodoformgaze,  Dermatol 
u.  s.  w.  heilen  sie  stets,  wenn  auch  oft  langsam. 

In  der  Regel  gleichfalls  belanglos  ist  das  Kephalhaematoma,  die 
K  0  p  f  b  1  u  t  g  e  s  c  h  w  u  1  s  t,  " )  ein  Bluterguss  zwischen  Pericranium  und  Schädel- 
knochen. In  Folge  der  festen  Anheftung  des  ersteren  an  den  Rändern  der 
einzelnen   Schädelknochen  überschreitet  der  Bluterguss   nie   die  Grenzen  des 


*)  Vergl.  Artikel  „GeburtsgescJiiviilst,"  pag.  284. 


VERLETZUNGEN  DES  KINDES.  881 

Knochens,  auf  welchem  er  entstanden  ist.  Am  liilofigsten  kommen  Kephal- 
haematome  auf  den  Scheitelbeinen  vor.  Sie  können  auf  verschifidene  Weise 
entstehen.  In  manchen  Fällen  sind  sie  die  Folge  von  Schädelfracturen,  be- 
ziehungsweise Fissuren;  in  anderen  die  des  J)ruck(5S  der  mütterlichen  Geburts- 
wege. Nach  Fritsch  weicht  in  dem  Augenblick,  in  welchem  die  Wehe  aufhört, 
der  Schädel  zurück,  während  das  Pericranium  von  dem  eng  anliegenden 
Genitalcanal  festgehalten  wird,  hiedurch  reissen  die  kleinen  Gefässchen,  welche 
vom  Periost  zum  Knochen  gehen.  Auch  die  intrauterine  Asphyxie  mit  der 
aus  ihr  resultirenden  passiven  Hyperaemie  der  Schädelde(;ke  wird  als  ätiolo- 
gisches Moment  angesehen. 

Häufig  wächst  der  Bluterguss  noch  in  den  ersten  Stunden,  auch  wohl 
Tagen  nach  der  Geburt.  Später  bildet  sich  an  seiner  Peripherie  eine  ring- 
förmige Leiste,  welche  bald  Knochenhärte  annimmt.  Thatsächlich  ist  sie  Folge 
eines  periostalen  Entzündungsprocesses.  Der  Bluterguss  ist  dunkel,  dicklich. 
In  der  Regel  tritt  spontane,  wenn  auch  langsame  Picsorption  ein.  In  neuerer 
Zeit  hat  man  die  Heilung  durch  Aspiration  oder  Incision  mit  nachfolgender 
Anlegung  eines  Druckverbandes  beschleunigt.  Kommt  es  zur  Vereiterung  des 
Blutergusses,  so  ist  baldige  Spaltung  des  Abscesses  geboten. 

Bedingen  die  Kephalhaematome  keine  Gefahr  für  das  kindliche  Leben, 
so  ist  dies  anders  mit  den  sich  innerhalb  des  Schädels  bildenden 
Blutergüssen.  Nicht  selten  finden  sich  solche  als  Complicatiouen  eines 
Kephalhaematoms,  sei  es  in  Folge  oder  ohne  eine  Knochenverletzung.  Sie 
kommen  keineswegs  nur,  wie  man  annehmen  sollte,  nach  sehr  schweren, 
spontan  verlaufenen  oder  auf  operativem  Weg  beendeten  Geburten  vor.  Grosse 
Blutergüsse,  wie  sie  in  Folge  Zerreissungen  des  Sinus  transversus  und  longi- 
tudinalis  bei  Nahttrennungen  entstehen,  führen  immer  zum  Tod  des 
Kindes.  Aber  auch  kleinere  können  in  gleicher  Weise  wirken,  zumal  wenn 
sie  sich  an  der  Schädelbasis  bilden.  Wenn  bei  allen  während  oder  bald  nach 
der  Geburt  gestorbenen  Kindern  die  Schädelsection  gemacht  würde,  so  würde 
ohne  Zweifel  bei  den  meisten  die  Todesursache  in  solchen  intracraniellen  Blut- 
ergüssen gefunden  werden.  In  neuester  Zeit  hat  von  Peeuschen  die  letzteren 
auch  für  das  Auftreten  von  M e  1  a e n a  neonatorum  verantwortlich  gemacht. 

Die  schon  erwähnten  Schädelfissuren  und  Fracturen  können 
ebenso  wie  die  Impressionen  sowohl  in  Folge  spontaner  wie  operativ  be- 
endeter Geburten  (Zange,  Extraction  des  nachfolgenden  Kopfes)  entstehen. 
Im  ersteren  Fall  handelt  es  sich,  von  seltenen  Ausnahmen  abgesehen,  um 
Geburten  bei  verengtem,  insbesondere  plattem  Becken.  Man  unterscheidet 
rinnen-  und  löffel-(trichter-)förmige  Impressionen.  Die  flacheren, 
rinnenförmigen  finden  sich  meist  an  dem  die  Sutura  coronalis  begrenzenden 
Scheitelbeinrand;  die  tiefen,  löffeiförmigen,  je  nach  der  Stellung  des  Kopfes 
bei  seinem  Eintritt  in  das  Becken,  entweder  auf  dem  Stirnbein  oder  dem 
Scheitelbein  zwischen  Tuber,  grosser  Fontanelle"  und  Sutura  coronalis. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  rühren  die  Impressionen  vom  Promontorium 
her.  Sehr  selten  danken  sie  ihre  Entstehung  dem  Druck  der  fest  ange- 
legten Zange  und  zwar  haben  sie  dann  meist  ihren  Sitz  auf  dem  Stirnbein. 

Die  Prognose  ist  keine  so  ungünstige,  w^ie  vielfach  angenommen  wii'd. 
Zwar  geht  ein  grosser  Theil  der  Kinder  zu  Grunde,  nicht  an  der  Schädel- 
verletzung, auch  nicht  etwa  an  durch  diese  direct  bedingten  Störungen  des 
Centralnervensystems,  sondern  durch  die  bereits  besprochenen  Gehirnblutungen. 
Bei  Anderen  dagegen  haben  die  Impressionen  Erscheinungen  irgend  welcher 
Art  überhaupt  nicht  zur  Folge;  bei  manchen  verschwindet  der  Eindruck  all- 
mälig,  bei  vielen  wird  er  wohl  etwas  flacher,  bleibt  aber  doch  dauernd  er- 
halten. Besonders  ist  dies  bei  den  auf  dem  Stirnbein  sich  findenden  Im- 
pressionen der  Fall. 

Bibl.  med.  Wissenschaften  I,  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  OD 


882  VERLETZUNGEN  DES  KINDES. 

Oft  sind  die  Impressionen  durch  kleine  Fissuren  und  Fracturen  com- 
plicirt,  welche  bedeutungslos  sind.  Dagegen  kommen  Brüche  und  Nahtzer- 
reissungen  vor,  welche  durch  intracranielle  Blutergüsse,  durch  Anreissen  eines 
Sinus  den  Tod  des  Kindes  herbeiführen.  Letztere  Complication  ist  bei  Tren- 
nung des  Scheitel-  und  Schläfenbeines  in  der  Sutura  squamosa  nicht  selten, 
welche  zwar  auch  bei  Extraction  des  vorausgehenden,  häufiger  noch  bei  der 
des  nachfolgenden  Körpers  durch  den  verengten  Beckeneingang  beobachtet  wird. 
Noch  bedenklicher  ist  die  Lösung  der  Partes  condyloideae  vom 
Hinterhauptbeine,  welche  gieichfalls  ihr  Zustandekommen  öfter  der  Ex- 
traction des  nachfolgenden  als  des  vorangehenden  Kopfes  dankt.  Hier  wird 
entweder  das  Hinterhaupt  durch  den  directen  Zug  der  Zange  von  den  Gelenk- 
theilen  abgerissen  oder  dasselbe  wird  von  den  Seiten  her  derart  comprimirt, 
dass  es  sich  von  den  Partes  condyloideae  trennen  muss  und  dann  zuweilen 
unter  sie  geschoben  wird.  Tödtlich  wirkt  diese  Verletzung  meist  durch  die 
sichanschliessende  Blutung,  in  manchen  Fällen  durch  die  Compression  der  Medulla. 

Auch  ein  Bruch  des  Nasenbeines  ist  wiederholt  beobachtet  worden, 
sowohl  nach  spontaner  als  besonders  mit  der  Zange  beendeter  Geburt.  Ueber- 
haupt  ist  die  letztere  Ursache  mancherlei  Verletzungen  des  Gesichtes.  Schon 
nach  leichten  Zangenextractionen  beobachtet  man  nicht  selten  von  den  Bändern 
der  Löffel  herrührende  Druckmarken,  bei  schweren  nicht  minder  tiefe  Druck- 
usuren  an  der  Haut  des  Schädels  oder  Gesichtes.  Auch  Zerquetschungen 
eines  Augenlides  kommen  vor.  Ferner  ist  die  Zange  oft  Ursache  einer  aus- 
gesprochenen Facialisparese,  welche  von  einem  Druck  auf  den  Nerven 
bei  seinem  Austritt  aus  dem  Foramen  stylo-mastoideum  herrührt.  In  der 
Mehrzahl  der  Fälle  verschwindet  sie  nach  wenigen  Tagen,  spätestens  Wochen. 
Wenn  nicht,  ist  Faradisation  am  Platz. 

Ausnahmsweise  ist  eine  Facialislähmung  centralen  Ursprungs.  Sie  hat 
dann  ebenso  wie  Lähmungen  anderer  motorischer  Gesichtsnerven  (Oculomo- 
torius,  Trochlearis,  Abducens)  ihren  Grund  in  Blutungen  an  der  Gehirnbasis. 
Die  Prognose  für  das  kindliche  Leben  ist  hier  eine  sehr  schlechte. 

Schliesslich  sind  als,  wenn  auch  seltene  Verletzungen  am  Kopfe  des 
Kindes  solche  zu  erwähnen,  welche  durch  Anwendung  des  VEiT-SMELiE'schen 
Handgriffes  im  Mund,  bezw.  am  Kiefer  entstehen,  Einreissen  an  den 
Mundwinkeln,  Quetschungen  der  Zunge,  Fracturen  des  Unterkiefers.  Natürlich 
werden  sie  nur  dann  zu  Stande  kommen,  wenn  die  Extractionsversuche  mit 
zu  grosser  Kraft  und  mit  Ungeschick  ausgeführt  werden. 

Am  Hals  kommt  es  nicht  selten  zu  subcutanen  Gewebszerreissungen  und 
Blutergüssen,  besonders  solchen  in  der  Scheide  'des  M.  sternocleidomastoideus 
(Haematoma  m.  sternocleidomastoidei).  Sie  entstehen  nicht  nur 
nach  Extractionen  am  vorangehenden  oder  nachfolgenden  Kopf,  sondern 
auch  bei  spontan  verlaufenden  Geburten.  Im  letzteren  Fall  sind  sie  klein 
und  meist  auf  den  Sternocleidomastoideus  beschränkt. 

In  der  Kegel  danken  diese  Verletzungen  ihre  Entstehung  einer  zu 
starken  Dehnung  der  betreffenden  Theile  entweder  in  Folge  directer  Zug- 
wirkung oder,  was  zumal  bei  den  Haematomen  des  Sternocleidomastoideus  der 
Fall  ist,  einer  übermässigen  Drehung  des  Kopfes. 

Gewöhnlich  tritt  in  den  fraglichen  Fällen  innerhalb  einiger  Wochen  eine 
vollständige  Resorption  des  Blutergusses  ein,  ohne  irgend  eine  dauernde 
Störung  zu  hinterlassen.  Doch  kann  sich  bei  ausgedehnten  Zerreissungen  durch 
Narbenbildung  ein  Caput  obstipum  ausbilden. 

Zerreissungen  derWirbelsäule  kommen  heutzutage  relativ  selten 
vor,  am  häufigsten  noch  solche  der  Halswirbelsäule  (mit  Abtrennung  des 
Kopfes)  gelegentlich  der  Extraction  am  Steiss  oder  den  Füssen  bei  unge- 
nügend erweitertem  Muttermund,  bezw.  Cervix,  zumal  wenn  es  sich  um  ein 
abgestorbenes  oder  macerirtes  Kind  handelt. 


VERLETZUNGEN  DES  KINDES.  883 

Bei  schweren  Extractionen  kann  es  zu  Blutungen  i  n  die  Peritoneal-, 
seltener  in  die  Pleurahöhle,  auch  zur  Bilduufi^  von  subperi  tonealen 
Haematomen  der  Leber  kommen.  Doch  sind  letztere  wahrscheinlich  nicht 
so  oft  traumatischen  Ursprungs  als  Folgen  der  hochgradigen  Stauungshyperämie, 
welche  sich  in  dem  Organ  asphyktisch  gestorbener  Neugeborener  findet.  Auch 
ein  Fall  von  Milzruptur  (Ballantyne)  und  eine  Nierenruptur  mit  retroperi- 
tonealer  Blutung  (Smith)  ist  beobachtet  worden. 

Zerreissungen  der  Nabelschnur  während  der  (ieburt  kommen 
entweder  bei  Insertio  velamentosa  oder  relativer  (Umschlingungen j  oder  ab- 
soluter Kürze  des  Stranges  vor.  Zerreisst  der  letztere  noch  vor  der  Geburt  des 
Kindes,  bezw.  des  Kopfes,  so  kann  das  Leben  desselben  durch  die  aus  den  ver- 
letzten Gelassen  eintretende  Blutung  gefährdet  werden.  Die  bei  Sturzgeburten 
ziemlich  häufige  Zerreissung  der  Nabelschnur  führt  verhältnismässig  selten  den 
Tod  des  Kindes  herbei. 

Unter  den  Verletzungen  der  Extremitäten  ist  dicFractur  des 
Schlüsselbeines  diejenige,  welche  am  häufigsten  vorkommt.  Sie  kann 
durch  directe  oder  indirecte  Gewalteinwirkung  entstehen,  durch  directe,  wenn 
vor  der  Armlösung  die  Schulter  stark  heruntergedrückt  wird  oder  bei  der 
Extraction  des  Kopfes  durch  Druck  der  über  den  Nacken  gehakten  Finger  auf 
den  Knochen;  durch  indirecte,  wenn  die  zur  Armlösung  in  das  Becken  ein- 
geführte Hand,  um  neben  der  Schulterbreite  Platz  zu  finden,  diese  so  stark 
comprimiren  muss,  dass  das  Schlüsselbein  einknickt.  In  diesem  Fall  findet 
sich  die  Fracturstelle  an  der  Grenze  des  mittleren  und  äusseren  Drittels,  an 
der  medialen  Seite  des  Ligamentum  coraco-claviculare,  im  ersteren  mehr  in 
der  Mitte. 

Die  Behandlung  besteht  in  Fixation  des  betreffenden  Armes  durch  ein 
dreieckiges  Tuch,  besser  durch  einen  SAYKE'schen  Heftpflasterverband,  welcher 
beim  Baden  des  Kindes  liegen  bleiben  kann.   ■ 

Wie  der  Bruch  des  Schlüsselbeines  kann  auch  die  Trennung  seiner  Dia- 
physe  von  der  sternalen  Epiphyse  in  der  beschriebenen  Weise  auf  indirectem 
Weg  entstehen.  Auch  eine  übermässige  Spannung  des  Sternocleidomastoideus 
kann  diese  Folge  haben. 

Eine  andere,  gleichfalls  häufig  vorkommende  Verletzung  ist  die  Fra  ctur 
des  Humerus,  beziehungsweise  die  Trennung  seiner  oberen  Epiphyse  von 
der  Diaphyse.  Beide  kommen  ausschliesslich  bei  der  Armlösung  zu  Stande 
und  zwar  erstere  bei  regelrechter  Armlösung  am  Gesicht  vorbei  durch  direc- 
ten  Druck  des  Fingers.  Erklärlicherweise  erfolgt  sie  leichter,  wenn  die 
Lösung  nur  mit  einem  Finger  als  mit  2  oder  4  Fingern  bewerkstelligt  wird. 
Zur  oberen  Epiphysentrennung  kommt  es  besonders  häufig  bei  Lösung  des 
in  den  Nacken  geschlagenen  Armes,  aber  auch  bei  Extraction  des  Kindes  mit 
dem  in  die  Achsel  eingehakten  Finger  bei  Kopflage.  Gewöhnlich  reisst  das 
Periost  ein  und  die  Diaphyse  tritt  durch  den  Riss.  Verwechslungen  mit  Luxa- 
tionen des  Humerus  können  hier  leicht  vorkommen  und  sind  ohne  Zweifel  vorge- 
kommen. Denn  jene  sind  ausserordentlich  selten;  möglich  sogar,  dass  es  sich 
stets  in  den  Fällen,  in  welchen  sie  angeblich  beobachtet  worden  sind,  um  Ver- 
wechslungen mit  den  fraglichen  Epiphysentrennungen  gehandelt  hat.  Als  charak- 
teristisch für  die  letztere  bezeichnet  Küstner  entschiedene,  manchmal  starke 
Einwärtsrotation  des  Humerus  mit  consecutiver  Hyperpronation  des  Unter- 
armes. Die  Einwärtsrotation  ist  Folge  der  Wirkung  des  an  der  Diaphyse 
inserirenden  Pectoralis  major,  Latissimus  dorsi  und  Teres  major.  In  difi:eren- 
tial-diagnostischer  Hinsicht  beachtenswerth  ist  auch  das  Fehlen  einer  Ab- 
fiachung  der  Schulter.  Ist  es  zu  einer  Dislocation  des  Diaphysenendes  nicht 
gekommen,  so  lässt  sich  weiche  Crepitation  nachweisen. 

Erwähnt  muss  noch  werden,  dass  nach  den  beschriebenen  Humerusver- 
letzungen   sehr   häufig    Lähmungen    der   betreÖenden   Extremität   beobachtet 

56* 


884  VERLETZUNGEN   SCHWANGERER. 

werden.  Man  hat  sie  auf  Nervenläsionen  zurückgeführt,  so  Seligmüller  auf 
die  des  N.  suprascapularis,  Erb  auf  die  des  Plexus  braehialis  am  sogenannten 
ERß'schen  Punkt  (oberhalb  des  Schlüsselbeines).  Mit  Recht  bezweifelt  KtiSTNER 
(in  dem  sehr  lesenswerthen  Abschnitt  über  die  Verletzungen  des  Kindes  bei 
der  Geburt  (in  ]\Iüllers  Handbuch  der  Geburtshilfe)  die  Richtigkeit  dieser 
Erklärungen  und  spricht  die  muthmasslichen  Nervenlähmungen  als  schlecht- 
geheilte, epiphysäre  Diaphysenfracturen  an. 

Die  Behandlung  der  letzteren  hat  die  Aufgabe,  nach  Einrichtung  des 
Bruches,  welche  auf  Anziehen  des  Armes  in  der  Regel  leicht  erfolgt,  den- 
selben so  zu  fixiren,  dass  die  Diaphyse,  ebenso  wie  es  die  Epiphyse  bereits 
ist,  nach  auswärts  rotirt  wird.  KtJSTNER  empfiehlt  zu  diesem  Zweck  den 
Unterarm  in  starker  Supination,  ganz  spitzwinklig  flectirt  an  den  verletzten 
Humerus  zu  bandagiren,  so  dass  die  Hand  auf  die  verletzte  Schulter  zu  liegen 
kommt  und  Ober-  und  Unterarm  mit  Unterschiebung  eines  Achselkissens  an  den 
Thorax  zu  fixiren.  Bei  einfacher  Humerusfractur  genügt  Fixation  des  zuvor 
unterpolsterten  Armes  in  rechtwinkliger  Stellung  am  Thorax. 

In  seltenen  Fällen  sind  Fracturen  und  Epiphysentrennungen  an  der 
Scapula  beobachtet  worden,  meist  auch  nach  schweren  Armlösungen. 

Eine  Trennung  der  Articularis  sacroiliaca  hat  Rüge  in  3  Fällen  nach 
schweren  Extractionen  am  Steiss  oder  den  Füssen  gefunden.  Weichtheilver- 
letzungen  an  der  Hüftbeuge  oder  Oberschenkel,  meist  nur  in  oberflächlichen  Haut- 
abschürfungen bestehend,  entstehen  bei  Extractionen  unter  Anwendung  des 
Hakens  oder  der  Schlinge.  Weit  seltener  wie  die  Fracturen  der  Oberextremitäten 
sind  die  der  unteren.  Auch  der  Bruch  des  Femur  kommt  in  Folge  instrumen- 
teller  Extractionsversuche,  aber  auch  einfacher  Anwendung  des  Fingers  bei 
Beckenendlagen  dann  zu  Stande,  wenn  der  letztere,  beziehungsweise  Haken 
oder  Schlinge  nicht  genau  in  der  Hüftbeuge  bleiben,  sondern  auf  den  Ober- 
schenkel gleiten;  dieser  bricht  dann  im  oberen  Drittel.  Da  eine  Behandlung 
mittels  Extension  bei  Neugeborenen  nicht  möglich  ist,  so  folgt  man  am  besten 
dem  Vorschlag  Credes  und  fixirt  den  Oberschenkel  durch  ein  durch  die  Knie- 
kehle geführtes  Tuch,  besser  einen  Heftpflasterstreifen  am  Rumpf  während 
zweier  Wochen. 

Auch  Fracturen  und  Epiphysenlösungen  an  den  Unterschenkeln  kommen, 
wenn  auch  selten,  vor.  Sie  kommen  durch  drehende  Bewegungen  oder  Druck, 
vielleicht  also  schon  bei  dem  Versuch,  den  Fuss  bei  Wendungen  herabzuholen, 
zu  Stande.  Graefe. 

Verletzungen  Schwangerer,  wie  bereits  an  jener  steile,  wo  von 
dem  Einflüsse  der  Gehirnkrankheiten  die  Rede  war,  hervorgehoben  wurde, 
pflegen  Hirnaffectionen  mit  Ausnahmen  umfangreicher  Hämorrhagien  keinen 
Einfluss  auf  den  Verlauf  der  Schwangerschaft  auszuüben.  Das  Gleiche  gilt 
merkwürdiger  Weise  auch  von  den  schweren  Hirn-  und  Schädelver- 
letzungen. 

Verletzungen  des  Halses,  des  Thorax  und  der  Brustorgane 
stören  die  Gravidität  nur  insoferne  als  sie  überhaupt  einen  lebensgefährlichen 
Charakter  besitzen. 

Fracturen  der  Beckenknochen  sind  wiederholt  beobachtet 
worden,  in  solchen  Fällen  kann  das  Trauma  als  solches  sofort  Abortus 
oder  Absterben  des  Foetus  und  später  erfolgende  Todtgeburt  veranlassen.  Durch 
die  Heilung  von  Beckenfracturen  kann  eine  bedeutende  Misstaltung  des 
Beckens  eintreten,  welche  später  ein  Geburtshindernis  vorstellt.  Otto  be- 
schreibt einen  Fall,  wo  durch  ein  Trauma  beide  Oberschenkelköpfe  durch  die 
fracturirten  Pfannenböden  in    das   Becken  vortraten  und   derart  ein  schweres 


VERLETZUNGEN  SCHWANGERER.  885 

Geburtshindernis  bildeten,  die  llupturen  der  Beckensymphysen  haben  ein  spe- 
cielles  geburtsliilfliches  Interesse  und  sind  deshalb  in  einem  eigenen  Aufsatze 
abgehandelt,  {v.  pag.  725.) 

Bezüglich  der  während  der  Gravidität  zugefügten  abdominalen  Ver- 
letzungen existirt  eine  reiche  Casuistik.  Contusionen  des  Abdomens  können 
zur  Unterbrechung  der  Gravidität  führen,  v^enngleich  auch  oft  ziemlich  be- 
deutende Traumen  ohne  Schaden  vertragen  werden,  wie  dies  jene  Fälle  be- 
weisen, wo  derartige  Quetschungen  des  Bauches  aus  crimineller  Absicht  zur  Herbei- 
führung des  Abortus  zugefügt  wurden.  Es  kommt  feriicr  vor,  dass  die  Mutter 
durch  das  Trauma  keinerlei  Verletzung  erleidet,  während  der  Foetus  hievon 
betroffen  wird.  Dies  zeigt  sich  an  den  Früchten,  indem  dieselben  an  ver- 
schiedenen Stellen  geheilte  oder  in  Heilung  begriffene  Fracturen  aufweisen. 
Jene  Traumen,  welche  die  Eröffnung  der  Bauchhöhle  veranlassen,  haben  selbst- 
verständlich stets  eine  ernste  Prognose;  wird  auch  der  Uterus  nicht  lädirt, 
so  tritt  meist  Frühgeburt  ein,  abgesehen  davon,  dass  die  Schwangere  durch 
die  Wunde  selbst  aufs  Höchste  gefährdet  erscheint.  Ist  die  Gebärmutter  selbst 
betroffen,  wie  dies  bei  Gravidität  in  den  späteren  Monaten  der  Fall  ist,  dann 
tritt  auch  bald  die  Ausstossung  der  Frucht  ein,  und  wenn  die  Wunde  gross 
genug,  so  kann  der  Foetus  durch  diese  austreten. 

Verletzungen  der  Extremitäten  haben  keinerlei  directen  Einfluss 
auf  den  Graviditätszustand  und  bedrohen  denselben  nur  insofern,  als  sie  das 
Individuum  überhaupt  gefährden. 

Bei  allen  Arten  von  Verletzungen  kann  Abortus,  respective  Frühgeburt 
eintreten  durch  die  Einwirkung  des  Shokes,  welches  das  Trauma  mit 
sich  bringt.  Freilich  spielt  die  Individualität  dabei  ein  grosse  Rolle.  Von  Seiten 
der  Frauen  selbst  werden  sehr  häufig  Traumen  als  Ursachen  von  Fehlgeburten 
angegeben.  Hieher  gehört  das  Fallen  über  einen  Gegenstand,  das  Anschlagen, 
das  Heben  oder  Tragen  schwerer  Lasten  u.  s.  w.  Nicht  in  allen  diesen  Fällen 
ist  wirklich  das  angegebene  Trauma  die  Ursache  des  Abortus;  wie  hei  anderen 
Krankheiten  zeigt  sich  auch  hier  das  Bestreben  der  Laien,  in  äusseren 
Momenten  den  Grund  eines  pathologischen  Zustandes  zu  suchen,  während 
doch  bedeutungsvolle  innere  Ursachen  vorhanden  sind,  nach  denen  zu  fahnden 
die  Pflicht  des  Arztes  ist. 

Da  die  Geschwülste  als  Anomalie  der  Gravidität  in  A&ra.  kriikoi  Schicangerschafts- U7ifl 
Gehurt scomplicalionen^  (pag.  741)  Besprechung  fanden,  wollen  wir  von  den  übrigen  cliiriu"- 
gisclien  Krankheiten  nur  zwei  besprechen :  Die  Struma  und  d  i  e  H  e  r  n  i  e  n.  Es  ist  fest- 
gestellt, dass  eine  früher  normale  Schilddrüse  während  der  Schwangerschaft  hypertrophirt 
(H.  W.  Freund).  Ein  derartiger  Kropf  kann  dauernd  bestehen  bleiben  oder  auch  nach  der 
Geburt  wieder  verschwinden,  um  in  späteren  Schwangerschaften  aufs  Neue  aufzutreten. 
Ist  bereits  von  früher  her  eine  Struma  vorhanden,  so  wird  dieselbe  demzufolge  durch  die 
Gravidität  vergrössert,  zuweilen  erfahren  diese  Kröpfe  einen  derartigen  Umfang,  dass  sie 
die  unangenehmsten,  selbst  bedrohlichsten  Erscheinungen  hervorrufen,  ja  selbst  zur  Unter- 
brechung der  Schwangerschaft  Veranlassung  gegeben  haben.  Während  des  Geburtsactes 
findet  in  der  infolge  der  Wehenthätigkeit  hervorgerufenen  Blutstauung  in  der  oberen  Körper- 
hälfte ein  bedeutendes  Anschwellen  der  Struma  statt  und  erzeugen  oft  intra  partum  be- 
drohliche Respirationsstörungen.  Es  sind  Fälle  bekannt,  wo  selbst  der  letale  Ausgang 
stattfand.  Zu  einer  Exstirpation  der  Struma  während  der  Gravidität  wird  man  sich  wohl 
schwer  entschliessen  können,  obwohl  solche  Operationen  stattfanden.  Bei  Vorhandensein 
drohender  Erscheinungen  während  der  Gravidität  wird  die  Indication  der  künstlichen  Früh- 
geburt oder  die  Sectio  caesarea  in  Frage  kommen,  theoretisch  wäre  die  letzgenannte  Ope- 
ration vorzuziehen,  da  ja  auch  der  Gebäract  bei  künstlicher  Frühgeburt  die  vorhandenen 
Gefahren  von  Seite  der  Struma  steigert.  Zur  Beseitigung  drohender  Beschwerden  während 
der  Geburt  heisst  es  den  Gebäract  schnell  vollenden,  also  eventuell  durch  Kunsthilfe  unter- 
stützen, in  manchen  Fällen  wird  die  Tracheotomie  nicht  zu  umgehen  sein  (P.  Müller). 

Für  die  Entstehung  von  Hernien  bildet  die  Gravidität  eines  der  wichtigsten 
praedisponirenden  Momente  (Dehnung  der  Bauchwand,  Erschlaffung  der  Bauchdecken  und 
hiedurch  bedingte  Erweiterung  aller  natürlichen  Lücken).  Während  der  Gravidität  kommt 
es  selten  zu  Hernien,  da  der  wachsende  Uterus  die  Gedärme  von  den  Bruchpforten  weg- 
drängt. Nur  dann,  wenn  der  schwangere  Uterus  stark  nach  der  Seite  abweicht,  werden 
einzelne  Darmpartien  oft  direct  in  die  erweiterten  Bruchpforten  hineingepresst.  Viel  häufiger 


886  VORDERSCHEITELLAGEN. 

entstehen  die  Brüche  erst  im  Wochenbette  oder  noch  später  unter  dem  besonderen  Ein- 
flüsse specieller  Ursachen.  —  Die  Behandlung  der  während  der  Gravidität  entstandenen 
oder  von  früher  her  bestandenen  Hernien  ist  dieselbe  wie  die  der  Hernien  überhaupt.  Um 
Incarcerationen  zu  verhüten,  müssen  Bruchbänder  getragen  werden.  In  einem  geringen 
Bruchtheile  jener  Fälle,  wo  die  Herniotomie  nothwendig  war,  erlitt  die  Schwangerschaft 
eine  Unterbrechung,  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  erreichte  sie  ihr  normales  Ende. 

Vorderscheitellagen.  Die  Vorderscheitelbeineinstellung'-) 
ist  eine  Geburtsaiiojiialie,  die  darin  besteht,  dass  nicht  wie  bei  normaler  Ge- 
burt sich  im  ersten  Act  des  Gebiirtsmechanismus  das  Kinn  der  Brust  nähert, 
sondern  sich  vielmehr  von  derselben  ^entfernt,  so  dass  die  grosse  Fon- 
tanelle, die  Gegend  des  Scheitels,  zum  tiefstehendsten  Punkte  des  Kopfes 
wird.  Es  kann  nun  der  Kopf  in  dieser  Stellung  geboren  oder  in  der  Becken- 
höhle noch  das  Hinterhaupt  sich  nach  vorne  wenden.  Dieses  ist  in  der  Regel 
der  Fall  und  wird  stets  eintreten,  wenn  der  Schädel  bei  seiner  Progressiv- 
bewegung von  allen  Seiten  des  Beckens  einen  gleichmässigen  Druck  erfährt, 
das  Hinterhaupt  nirgends  durch  irgend  welche  Anomalie  zurückgehalten  wird. 

Aetiologie:  Das  Zustandekommen  dieser  Geburts- Anomalie  hat  nicht 
in  allen  Fällen  eine  genügende  Erklärung  finden  können.  Als  hauptsächliche 
Grundursachen  sind  anzusehen: 

1.  Gering  ausgebildetes  plattes  Becken,  wenn  die  Conjugata 
nicht  ganz  die  normale  Weite  hat.  Hier  ist  der  Widerstand,  welchen  der 
Kopf  in  dem  Beckeneingange  findet,  näher  zum  Hinterhaupte  gelegen  und  hält 
diesen  zurück. 

2.  Sehr  kleiner  Kopf  und  weite  Geburtswege;  wenn  also  die 
Widerstände  fehlen,  wie  bei  Frühgeburten  und  Zwillingen. 

3.  Grosser  Kopf;  besonders  bei  stark  entwickeltem  breiten  Hinter- 
haupt oder  schmaler  Stirn.  (Nach  Böehr  auch  bei  Hydrocephalus).  Alsdann 
wird  der  gleiche  Widerstand  im  Becken,  auf  den  verlängerten  hintern  Hebel- 
arm eine  stärkere  Wirkung  ausüben  können. 

Als  weitere  aetiologische  Momente  werden  genannt: 

4.  Erschlaffung  des  Uterus  und  der  Bauchdecken.  Hänge- 
bauch. 

5.  Uebermässige  Beckenneigung  und  Straffheit  der  Bauch- 
decken. 

6.  Wenig  Fruchtwasser,  resp.  geringe  Beweglichkeit  des 
Kindes. 

7.  Litzmann  sah  diese  Abnormität  einmal  bei  bis  zur  Nabelhöhe  gefüllter 
Harnblase  nach  dem  Abgang  des  Fruchtwassers  entstehen  und  nach  Entleerung 
der  Harnblase  wieder  verschwinden. 

8.  Allgemein  verengtes  Becken    (3  X  von  Biddek    beobachtet). 

9.  Geringe  Unregelmässigkeiten  der  seitlichen  Becken- 
wand. 

10.  Auch  länger  fortgesetzte  unrichtige  Lagerung  der  Frau 
und  zwar\auf  der  dem  Vorderhaupte  der  Frucht  entsprechenden  Seite;  oder 
unglückliche  Versuche  mit  der  Zange,  namentlich  fehlerhafte  Zugrichtung 
sind  im  Verein  mit  sehr  kräftigen,  rasch  aufeinanderfolgenden  Wehen  die 
directen  Ursachen  dieser  fehlerhaften  Stellung  des  Kindes   gewesen. ' 

Was  die  Häufigkeit  dieser  Vorderscheitellagen  betrifft,  so  wird  sie 
nach  Spiegelberg  in  1 — 2^0  aller  Schädellagen  beobachtet,  so  zwar  dass 
der  Austritt  in  der  3.  Lage  doppelt  so  häufig  ist  als  in  der  4.,  wie  ja  auch 
der  Eintritt  mit  nach  hinten  rechts  stehendem  Hinterhaupte  viel  häufiger 
vorkommt,  als  der  mit  hinten  links  stehenden. 


*)  Vergl.  „ Fruchtlagen ",  pag.  260. 


VORDERSCHEITELLAGEN.  887 

Diagnose:  Durch  die  innere  Untersuchung  erkennen  wir  die  Vorder- 
scheitelbeineinstellung daran,  dass  der  palpirendc  Finger  die  Vorderscheitel- 
tläche  mit  der  grossen  Fontanelle  nach  unten  gekehrt  und  fast  in  der  Mitte 
stehend  zuerst  fühlt,  während  die  kleine  Fontanelle  nicht  erreichbar  ist.  Bei 
nachgiebigen  Weichtheilen  erreicht  man  dann  nach  vorne  zu  au(;h  wohl  die 
Stirnhöcker  und  den  Nasengrund.  Doch  gibt  es  auch  Fälle  dieser  Art,  wo 
grosse  und  kleine  Fontanelle  ziemlich  auf  gleicher  Höhe  palpirt  werden  können. 
Vergl.  auch  den  Aufsatz  ^^Untersuchung  in  der  Gehurtshüfe" . 

Bei  der  äusseren  Untersuchung  kann  man  den  Kopf,  solange  er  noch 
in  normaler  Haltung  auf  dem  äussern  Schambeinrande  ruht,  hier  äusserlich 
vorspringend  fühlen.  Später  entzieht  er  sich  mehr  und  mehr  der  Betastung, 
doch  nur  insofern  als  der  vor  der  Schambeinwand  hervorragende  Theil  des 
Kopfes  allmählich  verschwindet.  Der  andere  Theil  des  Kopfes  bleibt  noch 
lange  stehen  und  zu  fühlen. 

Ist  nun  infolge  protrahirter  Geburt  eine  grosse  Kopfgeschwulst  entstan- 
den, welche  ihren  Sitz  entsprechend  dem  tiefen  Stande  des  Vorderhauptes  auf 
dem  vordem  obern  Winkel  von  Scheitel-  und  Stirnbein,  sogar  auf  der  Stirn- 
fontanelle selber  hat,  so  wird  die  Untersuchung  ausserordentlich  schwierig 
werden.  Und  gewöhnlich  kommt  man  gerade  in  der  Praxis  zu  solchen  Fällen, 
wo  durch  die  überall  vorquellende  Kopfgeschwaüst  keine  Abtastung  des  darun- 
ter liegenden  Schädels  und  seiner  Nähte  möglich  wird.  Zuvörderst  fällt  dann 
für  die  Diagnose  ins  Gewicht,  dass  trotz  kräftigster  Wehen  die  Geburt  gar 
nicht  weiter  geht.  Ferner  gibt  auch  manchmal  das  genaue  Abtasten  des 
Kopfrandes  durch  das  Auffinden  eines  Tuber  parietale  Aufschluss.  In  vielen 
dieser  Fälle  aber  gibt  uns  erst  das  kindliche  Ohr  die  positive  Diagnose. 
LoMER  gebührt  das  Verdienst,  darauf  aufmerksam  gemacht  zu  haben,  dass 
man  durch  die  Betastung  des  kindlichen  Ohres  sich  schnell  darüber  orien- 
tiren  kann,  wo  das  Gesicht  liegt.  Es  kommt  also  in  zweifelhaften  Fällen 
darauf  an,  ob  man  das  Ohr  auch  wirklich  erreichen  kann.  Gelingt  das  nicht 
durch  die  gewöhnliche  Untersuchung  mittelst  1  oder  2  Finger,  so  führt  man 
die  halbe  resp.  ganze  Hand  (eventuell  in  Narcose)  ein  und  kommt  dann  wohl 
stets  zum  Ziel. 

Ausgang  und  Prognose:  Die  Vorderscheitelbeineinstellung  wird 
naturgemäss  oft  im  Anfang  der  Geburt  übersehen  werden,  besonders  wenn  im 
weitern  Verlauf  eine  Correction  dieses  anormalen  Vorganges  durch  die  Geburts- 
kräfte stattfindet.  Die  Drehung  zur  normalen  Kopfstellung  kann  in  jeder 
Ebene  derJBeckenhöhle  vor  sich  gehen,  in  und  über  dem  Beckenausgange 
noch  erfolgen^je  nach  der  Beschafienheit  des  Beckens,  resp.  des  kindlichen 
Schädels  manchiiial  ganz  unerwartet  und  schnell,  bisweilen  sehr  langsam.  Im 
besondern  geschieht  das  letztere,  wenn  die  Correction  erst  im  Beckenausgang 
geschieht,  weil  dann  der  Schädel  schon  gewöhnlich  eine  der  ungewöhnlichen 
Schädelstellung  entsprechende  Configuration  erlitten  hat. 

Bei  dem  Tiefstande  des  Kopfes  hat  sich  der  Uterus  bereits  verkleinert 
und  die  aus  diesem  Grunde  drohende  Asphyxie  des  Kindes  bedarf  relativ 
häufig  des  Eintretens  der  Kunsthilfe,  auch  wenn  der  endliche  Verlauf  der 
Geburt  in  normaler  Kopflage  vor  sich  geht.  Ist  letzteres  nicht  der  Fall,  so 
ist  der  Mechanismus  beim  Austritt  des  Schädels  aus  dem  Becken  folgender. 
Unter  die  Symphyse  treten  allmählich  die  nach  vorne  liegende  Stirnbeine 
hervor,  wobei  dann  die  grosse  Fontanelle  genau  diejenige  Stelle  einnimmt, 
welche  die  kleine  bei  der  Hinterhauptslage  inne  hat.  Nachdem  die  Stirn  so 
bis  zur  Hälfte  geboren  ist,  gebraucht  die  Gegend  der  Tubera  den  untern 
Symphysenrand  als  Hypomochliou  und  das  Hinterhaupt  wälzt  sich  über  den 
Damm.     Dann  folgt  das  Gesicht  unter  dem  Schambogen. 

Aus  dem  Umstände,  dass  der  ganze  frontooccipitale  Durchmesser  des 
Kopfes  (11  cm)  in  den  geraden  Durchmesser  des  Beckenausgauges  (10-5 — llcy;^ 


888  WACHSTüMSSTÖßüNGEN  UND  MISSBILDUNGEN. 

fällt,  lassen  sich  die  enormen  Schwierigkeiten  dieses  Geburtsvorgang-es  am 
besten  ermessen.  Mit  der  Grösse  des  Kopfes  und  der  Härte  seiner  Knochen 
steigert  sich  das  Missverhältnis  noch  mehr,  das  nur  durch  starke,  rasch  auf- 
einanderfolgende und  ausdauernde  Wehen  im  günstigsten  Falle  überwunden 
werden  kann. 

Durch  die  lang  protahirte  Geburt  besteht  in  der  drohenden  Asphyxie 
die  Hauptgefahr  für  das  kindliche  Leben.  Der  andauernde  Druck,  den  der 
Kopf  zu  erleiden  hat,  bewirkt  ferner  eine  Verschiebung  der  flachen  Schädel- 
knochen, wodurch  auch  Zerreissungen  der  Sinus  beobachtet  worden  sind. 
Aber  auch  die  Gefahren  für  die  Mutter  dürfen  bei  diesen  Geburten  nicht 
unterschätzt  werden,  wenn  auch  quoad  vitam  nur  dann  zu  fürchten  ist,  wenn  durch 
Ausbleiben  der  Hilfe  die  Kreissende  unentbunden  an  Erschöpfung  zu  Grunde  geht. 

Die  mütterlichen  Weichtheile  leiden  infolge  des  Missverhältnisses  .zwi- 
schen Schädel  und  Beckenausgang  stark  bei  der  verzögerten  Geburt.  Druck- 
gangrän, Fisteln  nach  Blase  und  Mastdarm,  verschieden  weitgehende  Damm- 
und Scheidenrisse  sind  die  gewöhnlichen  Endergebnisse,  falls  nicht  rechtzeitig 
eingeschritten  wird. 

Von  31  Vorderscheitellagen  musste  v.  Winckel  13  künstlich  beenden, 
5  Kinder  unterlagen  und  1  Mutter  starb. 

Therapie.  Da  sowohl  Mutter  als  Kind  durch  die  lange  und  erschwerte 
Austreibung  stark  gefährdet  sind,  ist  die  Kunsthilfe  häufig  indicirt.  Die 
Zange  räth  Scheoeder  mit  Recht  in  solchen  Fällen  nur  in  wirklicher  jSToth 
zu  appliciren,  weil  die  Zangenoperation  hierbei  besonders  schwierig  ist  und 
leichter  noch  als  sonst  durch  sie  geschadet  werden  kann.  Es  gelingt  auch 
öfter  während  der  Wehen  das  nach  vorn  gelegene  Scheitelbein  allmählich 
hinter  die  Schamfuge  zurückzupressen.  Bei  Wehenschwäche  suche  man  daher 
das  Auftreten  derselben  möglichst  zu  fördern.  Güandin  empfiehlt  neuerdings, 
wenn  die  Drehung  des  Hinterhauptes  ausbleibt  und  die  Erschöpfung  des  Uterus 
zur  Beendigung  drängt,  mit  der  ganzen  Hand  einzugehen  und  dann  das  Hinter- 
haupt nach  vorne  zu  drehen.  Die  Drehung  durch  die  Hand  ist  jedenfalls 
sicherer  und  schonender  als  mit  Zange;  doch  ist  dabei  zu  bemerken,  dass  ein 
wirklicher  Erfolg  nur  dann  eintreten  wird,  wenn  die  Ptectifications versuche  bei 
schon  feststellendem  Kopfe  vorgenommen  werden.  Nur  mit  der  Zange 
diese  vorzunehmen  muss  strengstens  verpönt  werden.  Gewöhnlich  wird  das 
combinirte  Verfahren  zum  Ziele  führen.  Bei  vergeblichen  Bemühungen  bleibt 
nur  die  Perforation  übrig. 

Steht  der  Kopf  in  Vorderscheitelbeineinstellung  noch  nicht  fest  im 
Beckeueingang  und  ist  durch  den  ganzen  Status  ein  Eingreifen  indicirt,  so 
wird  die  Wendung  und  Extraction  wohl  die  besten  Resultate  geben. 

Bodenstein. 

WachsthumSStÖrungen  und  WliSSbildungen.  Der  menschliche  Or- 
ganismus kann  bereits  zur  Zeit  seiner  Entwicklung  und  zwar  in  den  ersten 
Anfängen  derselben  innerhalb  des  Uterus  geschädigt  werden.  Diese  Schädi- 
gungen des  werdenden  Organismus  lassen  ihre  Spuren  zurück,  indem  an  einem 
solchen  Organismus  im  Ganzen  oder  in  seinen  Theilen  Abweichungen  des 
anatomischen  Baues  vom  normalen  Typus  erkennbar  sind,  es  finden  sich  Ent- 
wickln n  g  s  f  e  h  l  e  r.  Wenn  sie  unbedeutend  sind,  keine  Functionsstörungen 
verursachen,  so  nennt  man  sie  Natur  spiele,  Lusus  naturae,  Varietäten, 
Anomalien.  Sind  sehr  bedeutende  Gestaltabnormitäten  vorhanden,  so  werden 
sie  Monstra,  Missgeburten  genannt. 

Unter  Missbildungen  kurzweg  verstellt  man  die  ursprünglichen  und 
damit  angeborenen  Älissbildungen,  Vitia  congenita,  das  sind  Anomalien  des 
Gesammtorganismus  oder  einzelner  Theile  desselben,  welche  in  Störungen  der 
embryonalen  Entwicklung  begründet  sind. 


WACHSTÜMSSTÖRUNGEN  UND  MISSBILDUNGEN.  889 

Der  menschliche  Organismus  entsteht  aus  dem  Ei,  einer  einfachen  Zelhj  mit  einem 
Kern.  Bei  der  Befruclitung  dringt  in  das  weibliclie  Ei  ein  männlicher  Samenfaden  und 
zwar  bei  normaler  Befruchtung  nur  ein  einziger. 

Der  Kopf  dieses  Samenfadens  wandelt  sicJi  zum  Samenkern  um.  Eikern  und  Samen- 
kern wandern  auf  einander  zu  und  verschmelzen  zu  dem  Furchungskern.  Es  beruht  also 
die  Befruchtung  auf  der  Verschmelzung  zweier  geschlechtlich  differenzirter  Zellkerne.  Diese 
enthalten  die  befruchtende  Kernsubstanz.  Nach  der  Befruclitung  folgt  der  sogenannte 
Furchungsprocess,  bei  welchem  sich  die  Eizelle  in  immer  zahlreicher  werdende  Zellen 
theilt.  Diese  Zellen  differenziren  sich  späterhin  und  beginnen  .sich  zu  gruppiren  [IIkktwio]. 

Die  Eizelle  und  die  Samenzelle  sind  einfache  Zellen,  aber  sie  tragen  eine  gesetz- 
mässige  Organisation  in  sich. 

Die  Befruchtung,  die  Furchung,  die  Differenzirung  im  Ei,  die  spätere  Anordnung  der 
differenzirten  Zellen  und  Zellgruppen  sind  Vorgänge,  welche  nach  ganz  bestimmten  Gesetzen 
vor  sich  gehen.  Sie  erfolgen  vermöge  gewisser,  den  Zellen  innewohnenden,  ererbten  Eigen- 
schaften; sie  setzen  aber  auch  gewisse  äussere  Bedingungen  voraus,  damit  die  ganze  Reihe 
von  Vorgängen  bis  zur  vollendeten  Entwicklung  eines  neuen  Individuums  führt. 

Dadurch,  dass  sich  nach  jeder  Befruchtung  dieselbe  Ptcihe  von  Vor- 
gängen typisch  wiederholt,  ist  die  Erhaltung  der  Art  gesichert.  In  einem 
gewissen  Grade  gehen  auch  individuelle  Eigenschaften  der  Erzeuger  auf  das 
Kind  über.  Diese  Uebertragung  der  Eigenschaften  von  den  Erzeugern  auf 
den  Keim  nennen  wir  Vererbung  im  weitesten  Sinne.  Es  zeigt  aber  das 
neue  Individuum  nie  völlig  die  individuellen  Eigenschaften  der  Eltern;  es 
trägt  wohl  die  allgemeinen  Eigenschaften  des  Typus,  aber  als  Individuum 
unterscheidet  es  sich  doch  immer  durch  gewisse  nur  ihm  allein  zukommende 
Eigenschaften  von  allen  anderen  Individuen  seines  Typus,  seiner  Gattung  und 
seiner  Art. 

Es  ist  also  unzweifelhaft,  dass  bei  jeder  Befruchtung,  bei  jeder  Entwick- 
lung eines  neuen  Keimes  sich  Factoren  geltend  machen,  durch  deren  Ein- 
wirkung dem  neuen  Keime  diese  individuellen,  ihn  von  den  anderen  Indivi- 
duen seines  Typus  unterscheidenden  Eigenschaften  aufgeprägt  werden.  Inner- 
halb der  von  uns  als  normal  bezeichneten  Grenzen  finden  war  demnach  schon 
stetig  Variationen  in  der  Entwicklung  des  Keimes.  Die  uns  unbekannten 
Factoren  können  aber  die  Keimentwicklung  so  w^eit  beeinflussen  und  abändern, 
dass  in  einer  Eeihe  von  Generationen  scheinbar  ganz  spontan  ein  Glied  er- 
-sclreint,  welches  wegen  seiner  vom  Typus  wesentlich  abweichenden  Merkmale 
als  atypisch,  als  abnorm,  pathologisch  bezeichnet  werden  muss.  Man 
führt  eine  solche  Erscheinung  auf  eine  primäre  Keim  es  Variation  zurück. 
Hiemit  sagen  wir,  dass  wir  die  Ursachen  für  die  Entstehung  solcher  atypischen 
Bildungen  des  Keimes  in  Anomalien  der  im  Samen-  und  Eikern  enthaltenen 
männlichen  und  weiblichen  Kernsubstanzen  annehmen  müssen. 

Solche  anscheinend  primär  auftretende  Missbildungen  können,  insbeson- 
dere dann,  wenn  sie  die  Lebensfähigkeit  des  Individuums  oder  die  Function 
seiner  Organe  nicht  wesentlich  beeinträchtigen,  als  individuelle  Merkmale  auf 
den  Keim  übertragen  werden,  sie  können  vererbt  werden.  Wir  beobachten 
dies  bei  den  Pigmentmälern,  bei  überzähligen  Fingern  und  Zehen  und 
Brustwarzen,  auch  bei  Hasenscharten,  Hypospadien. 

Als  classisches  Beispiel  sei  der  von  s.  y.  meckel  citirte  Fall  hier  angeführt:  .In 
der  Maltesischen  Familie  mit  sechs  Fingern  hatte  Gratio  Kalleja,  der  Vater,  überall  sechs 
Finger  und  sechs  Zehen,  die  alle  beweglich  waren.  Von  seinen  vier  Kindern  hatte  Sal- 
vator,  der  älteste,  Finger  und  Zehen  wie  der  Vater  gebildet.  Bei  Georg,  Andreas  und  der 
Tochter  Maria  waren  sie  der  Zahl  nach  normal,  nur  bei  Georg  und  der  Tochter  etwas 
difform.  Salvator  hatte  drei  Söhne  und  eine  Tochter,  von  denen  zwei  Söhne  und  die 
Tochter  alle  sechs  Finger  und  sechs  Zehen  hatten.  Georg  hatte  drei  Töchter  und  einen 
Sohn.  Unter  diesen  hatte  die  erste  und  die  zweite  Tochter  zwölf  Finger  und  zwölf  Zehen. 
die  dritte  Tochter  zwölf  Finger,  aber  nur  an  dem  einen  Fuss  sechs  Zehen,  der  Sohn  war 
normal.  Andreas  hatte  blos  regelmässig  gebildete  Kinder.  Das  Mädchen  hatte  zwei  Söhne 
und  zwei  Töchter,  von  denen  nur  ein  Sohn  an  einem  Fuss  sechs  Zehen  hatte." 

An  diesem  Beispiele  ist  ersichtlich,  dass  die  Ursache  für  die  Entstehung  dieser  Miss- 
bildung an  Händen  und  Füssen  in  einer  abnormen  Organisation  des  Samen-  oder  Eikernes 
gelegen,  und  dass  diese  abnorme  Organisation  auch  auf  den  Samen-  oder  Eikern  der  Nach- 
Icommenschaft  übertragbar  war. 


890  WACHSTÜMSSTÖßUNGEN  UND  MISSBILDUNGEN. 

Insoferne  wir  bei  der  p  r  i  m  ä  r  e  n  K  e  i  m  e  s  v  a  r  i  a  t  i  o  n  und  bei  der  V  e  r- 
erbiing  die  Ursachen  für  die  Entstehung  von  Missbildungen  in  der  abnor- 
men Organisation  von  Samen-  oder  Eikern  oder  beider  annehmen  müssen, 
bezeichnen  wir  die  primäre  Keimesvariat  ion  und  die  Vererbung  als 
innere  Ursachen  der  Entstehung  von  Missbildungen.  , 

Für  eine,  wenn  auch  nicht  sehr  grosse  Reihe  von  Missbildungen,  konnte 
theils  durch  die  anatomische  Untersuchung,  theils  durch  das  Experiment  die 
Ursache  nachgewiesen  werden  in  Schädlichkeiten,  welche,  ausserhalb  des 
Keimes  liegend,  den  normal  angelegten  Keim  in  seiner  Entwicklung  störten. 
Solche  äussere  Ursachen  sind  für  die  Entstehung  von  Missbildungen  von 
weit  grösserer  Bedeutung  als  die  vorerwähnten,  inneren  Ursachen,  da  durch 
sie  vielfach  die  hochgradigsten  und  complicirtesten  Bildungsanomalien  bedingt 
werden.  Erschütterungen  des  Uterus  können  die  Keimanlage  unmittel- 
bar schädigen  oder  auch,  und  das  viel  mehr,  dadurch  nachtheilig  werden,  dass 
sie  Entzündung  des  Uterus  und  der  Eihäute,  Blutungen  in  letztere  im  Ge- 
folge haben,  wodurch  die  Entwicklung  des  Embryo  beeinträchtigt  wird. 

Raum  enge  der  Uterushöhle  oder  der  Eihäute  macht  sich  durch  abnor- 
men Druck  auf  den  Embryo  geltend  und  führt  zu  Verbildung  und  Verküm- 
merung besonders  der  Extremitäten:  Klump-  und  Plattfüsse,  Defecte  der 
Rippen. 

Anomalien  der  Eihäute  besonders  des  Amnions  erzeugen  die 
mannigfachsten  Missbildungen.  Das  Amnion  umhüllt  als  Sack  den  Embryo 
und  ist  anfangs  nur  durch  eine  geringe  Menge  von  Flüssigkeit  von  ihm 
getrennt.  Ist  das  Amnion  zu  enge,  so  kann  der  Druck  allein  Hemmnisse  für 
die  Entwicklung  abgeben.  Häufiger  jedoch  geben  Verwachsungen  des  Amnion 
mit  der  Oberfläche  des  Embryo  Anlass  zu  Missbildungen.  Die  Missbildungeß 
kommen  zustande  dadurch,  dass  unmittelbar  an  Ort  und  Stelle  der  Verwach- 
sung eine  Wachsthumsbehinderung  eintritt,  oder  dass  auch  nach  der  Ver- 
wachsung durch  Druck,  Zug  und  Zerrung  Verlagerung  entfernterer  Partien 
hervorgerufen  wird.  Am  leichtesten  verwächst  das  Amnion  mit  den  am 
meisten  vorragenden  Punkten  des  Embryo  z.  B.  mit  dem  Kopfende.  Bisweilen 
kommen  ganz  umschriebene  Verwachsungen  und  dann  häufig  mehrfach  vor. 
In  solchen  Fällen  wird  das  Amnion  in  Form  von  Fäden  „amniotische  Fäden^' 
ausgezogen,  welche  an  den  betreffenden  Stellen  der  Oberfläche  durch  Zerrung 
Gestaltanomalien  hervorrufen  oder  durch  Umschnürung,  Verkümmerung  oder 
sogar  völlige  Amputation  von  Fingern  und  Zehen  und  ganzer  Extremitäten 
herbeiführen  können. 

Erkrankungen  des  Uterus  und  der  Placenta  können  die  Ent- 
stehung von  Missbildungen  begünstigen,  besonders  wenn  die  Blutzufuhr  und 
damit  die  Ernährung  des  Embryo  alterirt  wird. 

Ob  abnorme  Temperaturen  von  Wirksamkeit  sein  können,  z.  B. 
bei  fieberhaften  Erkrankungen,  ist  nicht  erwiesen.  Desgleichen  ist  der  Ein- 
fluss  heftiger  psychischer  Affecte,  das  „Versehen  der  Mutter"  als 
unmittelbare  Ursache  für  das  Entstehen  von  Missbildungen  nicht  sichergestellt. 

Foetale  Erkrankungen  in  gleicher  Art,  wie  wir  sie  am  ausgebildeten 
Organismus  extrauterin  finden,  besonders  Entzündungen  mit  ihren  Begleit- 
erscheinungen und  Folgeveränderungen  können  die  Entwicklung  der  Organe 
erheblich  beeinträchtigen,  aber  auch  bereits  angelegte  und  selbst  ziemlich 
entwickelte  Organe  wieder  zerstören.  So  können  Ostien  und  Canäle  verengert 
oder  vollständig  verschlossen  werden.  Auch  können  einfache,  regressive  Meta- 
morphosen einzelner  Zellgruppen  in  den  frühesten  Stadien  der  Entwicklung 
beträchtliche  Anomalien  des  Embryo  veranlassen. 

Nach  unseren  gegenwärtigen  Kenntnissen  der  normalen  Entwicklung  ist  es  uns  noch 
nicht  möglich  in  jedem  Falle  feststellen  zu  können,  zu  welcher  Zeit  und  in  welcher  Art 
eine  Störung   in  der  Entwicklung  eingetreten   sein   muss,   um  eine  bestimmte  Missbilduns 


WACHSTÜMSSTÖEUNGEN  UND  MISSBILDUNOEN.  891 

hervorzurufen,  zumal  wir  ja  in  den  weitaus  meisten  Fällen  auch  die  wirkenden  Ursachen 
nicht  kennen.  Es  steht  aber  fest,  dass  je  frülier  Schädlichkeiten  auf  den  Keim  einwirken, 
die  Störungen  in  der  Entwicklung  um  so  bedeutsamer  und  auffällit<er  sein  werden.  Wenn 
z.  B.  bei  beginnender  Differenzirung  im  Keim  einige  Zellen  zu  Grunde  gehen,  so  kann 
damit  die  Entwicklung  eines  ganzen  Systems  des  Organismus  ausfallen  und  damit  die  Ent- 
wicklung des  Gesammtorganismus  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden. 

DieEintheiliingderMissbildungen  bietet  grosse  Schwierigkeiten 
und  ist  in  exacter  Weise  wohl  niclit  möglich,  weil  es  nach  unseren  gegen- 
wärtigen Kenntnissen  sowohl  der  Anatomie  als  auch  der  Aetiologie  und  Ge- 
nese der  Missbildungen  an  einem  durchgreifend  ausführbaren  Eintheilungs- 
principe  fehlt. 

Die  Mehrzahl  der  Missbildungen  sind  Bildungshemmungen  in  mechani- 
schem Sinne.  Durch  die  Zusammenfassung  aller  Hemmungsmissbil- 
dungen  an  einem  Individuum,  Monstra  per  defectum,  stellen  wir  die 
1.  Gruppe  von  Missbildungen  auf.     Als  weitere  Gruppen  folgen: 

1.  Älissbildungen  durch  excedirendes  Wachsthura,  Monstra 
per  excessum. 

3.  Missbildungen  durch  Lageveränderung  innerer  Organe, 
Monstra  per  fabricam  alineam. 

4.  Missbildungen  durch  Vermischung  der  Geschlechts- 
charaktere, Zwitterbildungen,  Hermapliroditismus . 

5.  Doppelmissbildungen,  Monstra  duplicia. 

I.  Hemmuiigsmissbilclungen. 

Die  Hemmung  der  Entwicklung  kann  die  Gesammtanlage  betrefien  oder 
sie  betrifft  nur  einzelne  Theile  derselben. 

Ist  die  Schädlichkeit  sehr  bedeutend,  so  wird  der  Keim  entweder  ganz 
zerstört  oder  seine  Entwicklung  erreicht  einen  gewissen  Grad  und  er  geht 
dann  zu  Grunde.  Der  abgestorbene  Embryo  wird  in  der  Regel  ziemlich  bald 
sammt  den  Eihäuten  ausgestossen  {Abortus);  verweilt  er  jedoch  noch  längere 
Zeit  im  Uteruv  so  wird  er  regressive  Veränderungen  eingehen  und  kann 
schliesslich  gänzlich  resorbirt  werden.  Durch  den  Abortus  wird  dann  der 
leere  Eihautsack  ausgestossen  (taubes  Ei),  Das  Lithopädion  ist  ein  ziemlich 
ausgebildeter  Fötus,  welcher  lange  Zeit  abgestorben  im  mütterlichen  Organis- 
mus getragen  wird,  wie  dies  bei  Extrauteringraviditäten  geschieht,  und  im 
Laufe  der  Zeit  verschiedene  Veränderungen  eingeht,  indem  er  entweder  all- 
mälig  von  einer  fibrösen  Kapsel  umhüllt  und  in  eine  fettigbreiige  Masse 
umgewandelt  wird  oder  aber  durch  Ablagerung  von  Kalksalzen  in  ein  wirk- 
liches „ Steinkind^''  umgestaltet  wird. 

Zu  den  die  Gesammtanlage  betreffenden  Hemmungsbildungen  gehört 
auch  die  Zwergbildung  (Mikrosomie^  Nanosomie,  Nanus). 

Trifft  die  Schädlichkeit  nur  einzelne  Theile  der  Gesammtanlage,  so  wird 
der  betreffende  Theil  des  Organismus  entweder  überhaupt  nicht  zur  Ent- 
wicklung kommen  und  vollständig  fehlen  {Ägenesie,  Aplasie,  Defed)  oder  er 
wird  sich  nur  unvollständig,  kümmerlich  entwickeln,  im  Wachsthum  zurück- 
bleiben {Hijpoplasie).  Die  Zwergbildung  wäre  darnach  eine  Hypoplasie  der 
Gesammtanlage.  Es  kann  aber  auch  ein  bereits  ziemlich  entwickeltes  Organ 
durch  Atrophie  sich  wieder  zurückbilden. 

Die  Spaltung  und  Verdopplung  kommt  dadurch  zu  Stande,  dass 
doppelt  angelegte,  zur  Vereinigung  bestimmte  Organe  oder  Gebilde  in  ihrer 
Vereinigung  gehemmt  werden.  So  entstehen  durch  mangelhaftes  Wachsthum 
der  llumpfwand  Bauchspalten  oder  'durch  Behinderung  der  Vereinigung  der 
doppelten  Anlage  des  Uterus  die  verschiedenen  Grade  der  Verdoppelung  des 
Uterus  und  der  Vagina. 

Sind  zwei  Organe  symmetrisch  angelegt,  so  kann  es,  wenn  die  Anlagen 
dicht  aneinanderliegen,  zur  Verschmelzung  der  Organe  kommen.    Ein  nicht 


892  WACHSTUMSSTÖRUNGEN  UND  MISSBILDUNGEN. 

seltenes  Beispiel  liiefür  ist  die  Hufeisenniere.  Es  können  aber  auch  Gebilde 
verschmelzen,  welche  nicht  symmetrisch  gelagert  sind  z.  B.  die  Finger 
einer  Hand. 

Die  einzelnen  Formen  der  Hemmungsmissbildungen. 

1.  Missbildungen  des  ganzen  Körpers. 

Acardie,  Acardiacus.  Hochgradige  Missbildung  des  ganzen  Rumpfes, 
der  Extremitäten  und  des  Kopfes  bis  zu  völliger  Unkenntlichkeit  der  Menschen- 
gestalt. Vollständiger  Defect  des  Herzens  oder  nur  rudimentäre  Entwicklung 
desselben.  Kommt  immer  bei  Zwillingsschwangerschaft  vor.  Brusteingeweide 
fehlen  gewöhnlich  gänzlich,  bisweilen  auch  Leber,  Milz,  Pancreas.  Manchmal 
ist  nur  der  Kopf  allein  vorhanden  oder  es  wird  ein  unförmlicher  Klumpen 
geboren. 

Unterarten   des   Acardius    sind:    A.    Amorphus,    gestaltloser   Klumpen; 

a.  Acephalus,  Defect  des  Kopfes,  rudimentärer  Thorax;  untere  Körper- 
hälfte mehr  oder  weniger  ausgebildet; 

h.  Aconnus,  nur  der  Kopf  mehr  oder  weniger  entwickelt,  alles  andere 
rudimentär  oder  fehlend. 

2.  Mangelhafter  Verschluss  der  Cerebrospinalhöhle;  Hem- 
mungsmissbildungen am  Kopfe  und  am  Rücken. 

Crcmio-RhachiscMsis,  AnencephaUe,  Acranie,  HemicepJialie.  Diese  Miss- 
bildungen gehören  zu  den  häufigsten  und  werden  auch  als  Katzenköpfe  oder 
Krötenköpfe  bezeichnet.  Schädeldach  vollständig  fehlend;  auf  der  Schädel- 
basis an  Stelle  des  Gehirnes  stark  vascularisirtes  Bindegewebe,  bisweilen  mit 
Hirnresten.  Behaarte  Kopfhaut  ganz  fehlend  oder  als  schmaler  Streifen  am 
Rande  der  Schädelbasis  sich  absetzend.  Stark  vortretende  Glotzaugen,  Gesicht 
mit  Mund  und  Kiefern  kräftig  entwickelt,  Nasen-  und  Stirngegend  völlig 
zurückgeschoben  und  abgeplattet.  Foramen  occipitale  magnum  in  Folge  De- 
fectes  der  Hinterhauptschuppe  nicht  geschlossen,  oft  auch  noch  die  4 — 5 
obersten  Halswirbel  offen. 

Acranie  mit  Exenceplicdie^  wenn  bei  einer  wie  oben  gestalteten  Missbil- 
dung  grössere  Antheile  von  Gehirn  vorhanden  sind. 

Hemicranie:  vollständig  geschlossene  Halswirbel,  Hinterhauptsschuppe 
und  Stirnbein  rudimentär  entwickelt,  beide  meist  gegen  die  Schädelbasis  ge- 
neigt. Das  Gehirn  mehr  entwickelt,  bisweilen  bis  zur  Anlage  von  Windungen. 
Die  Hirnnerven  fast  immer  vollständig  nachweisbar. 

Die  zu  diesen  Gruppen  gehörigen  Missbildungen  sind  meist  ausgetragene, 
sehr  kräftig  entwickelte  Kinder,  welche  bisweilen  auch  noch  andere  Bildungs- 
fehler (Hasenscharte,  Gaumenspalte)  zeigen.  Ihre  Lebensdauer  beträgt  einige 
Stunden  bis  zu  mehreren  Tagen. 

Die  Defecte  an  den  Knochen  des  Hirnschädels  finden  sich  bisweilen  nur 
an  bestimmten,  umschriebenen  Stellen,  über  der  Nasenwurzel,  an  der  kleinen 
Fontanelle,  an  den  Seitenfontanellen  (Ossificationsdefecte,  Verwachsungen  mit 
dem  Amnion).  Aus  diesen  kann  der  Schädelinhalt  hervorgedrängt  werden, 
Ilernia  cerebri,  Kephalocele.  Bildet  nur  Arachnoidea  und  Pia  die  Wand  des 
mit  Serum  gefüllten  Sackes,  dann  bezeichnen  wir  sie  als  Meningocele\  als 
Enceplialocele,  wenn  Gehirn  allein  prolabirt,  als  Hydrencephalocele^  wenn  zu- 
gleich ein  Hirnventrikel  in  den  prolabirten  Theil  sich  erstreckt. 

Nach  der  Lage  wird  die  Cephalocele  als  anterior,  posterior  oder  late- 
ralis bezeichnet.  Die  Hirnbrüche  sind  meist  klein,  können  sich  aber  nach 
der  Geburt  enorm  vergrössern. 

Auf  mangelhafter  Entwicklung  der  vorderen  Hirnblase  und  der  beiden 
Augenblasen  und  der  Ringnerven  beruht  die  Entstehung  der 

Cyclopie  oder  Synophthalmie  und  Arkinencephalie:  In  der  Nasenwurzel- 
gegend eine  einfache  Orbitalhöhle.  Bulbus  fehlend  oder  in  verschiedenem 
Grade  entwickelt   oder   zwei  Bulbi    dicht   nebeneinander  gelagert.    Zwischen 


WACHSTUMSSTÜRÜNGEN  UND  MISSBILDUNOEN.  893 

diesen  drei  Graden  viele  Uebergänge.  Nase  vollständig  fehlend  oder  ober  der 
Orbita  bis  zu  einem  oft  recht  langen  rüsselförrnigen  Fortsatz  entwickelt. 

Hydrencephalie  ist  die  Ansammlung  von  Flüssigkeit  in  den  liirnven- 
trikeln,  welche  so  weit  gehen  kann,  dass  die  Hemisphären  grosse,  ]nit  Wasser 
gefüllte  Blasen  darstellen  und  secundäre  Defectbildungen  in  den  Knochen  des 
Schädels  entstehen. 

Mikrocephalie  ist  die  mangelhafte  Entwicklung  des  Schädels  und  des 
Gehirnes  in  der  Art,  dass  die  Schädelhöhle  wohl  vollständig  geschlossen  wird, 
dass  aber  Gehirn  und  Schädel  im  Wachsthum  merklich  zurückbleiben. 

Der  Wirbelcanal  entsteht  dadurch,  dass  die  symmetrischen  Anlagen  der 
Wirbelsäule  sich  zu  einem  Rohre  schliessen.  Tritt  diese  Vereinigung  zu 
einem  Rohre  gar  nicht  oder  nur  stellenweise  ein,  so  entstehen  die  verschie- 
denen Grade  von  Rhachischisis. 

Bkachischisis  totalis,  Holorachischisis.  Vollständiges  Offenbleiben  des 
Wirbelcanales,  Defect  des  Rückenmarkes,  Rudimente  der  Meningen. 

Bkachischisis  partialis,  Merorhachischisis,  Spina  bifida.  Letztere  Bezeich- 
nung wird  für  jene  Fälle  gewählt,  bei  denen  an  Stelle  des  Defectes  der 
Wirbelbögen  eine  sackförmige  Geschwulst  sich  findet.  Die  Geschwulst  ist  meist 
von  dünner  Haut  überkleidet.  Sie  ist  eine  Hijdromeningocele,  wenn  sie  blos 
aus  den  durch  Flüssigkeit  vorgewölbten  Rückenmarkshäuten  besteht  {Hydro- 
rliachis  externa)  oder  eine  Myelomeningocele,  wenn  gleichzeitig  auch  das  Rücken- 
mark nach  aussen  gedrängt  wird.  Die  Ausstülpung  einer  solchen  Meningocele 
findet  sich  am  häufigsten  am  Kreuzbein  oder  am  Hiatus  sacralis,  bisweilen 
auch  am  Halstheile,  selten  am  Brusttheile  der  Wirbelsäule. 

3.  Hemmungsmissbildungen  des  Gesichtes  und  Halses. 

Die  Theile,  welche  die  Mundhöhle  begrenzen,  gehen  hervor  aus  dem 
ersten  Kiemenbogen  und  dem  Stirnfortsatz;  ersterer  ist  eine  symmetrische 
Anlage  und  begrenzt  die  primitive  Mundhöhle  von  unten;  letzterer  entwickelt 
sich  als  unpaarer  Fortsatz  in  der  Sagittallinie  von  oben  gegen  die  Mund- 
höhle. Der  erste  Kiemenbogen  bildet  zwei  Fortsätze,  einen  kürzeren  oberen 
und  einen  längeren  unteren.  Der  untere  vereinigt  sich  mit  dem  der  Gegen- 
seite zum  Unterkiefer.  Aus  dem  oberen  Fortsatze,  der  sich  an  die  Unter- 
fläche des  Vorderkopfes  anlegt,  entwickelt  sich  aus  dem  vorderen  Abschnitte 
der  Oberkiefer,  während  aus  dem  hinteren  Abschnitte  die  Gehörknöchelchen, 
die  Processus  pterygoidei  und  die  Gaumenbeine  entstehen.  Die  Oberkiefer- 
fortsätze vereinigen  sich  nicht,  sondern  es  bleibt  zwischen  ihnen  ein  w^eiter 
Raum.  In  diesen  wächst  von  oben  herein  der  Stirnfortsatz  mit  seinen  seit- 
lichen Nasenfortsätzen,  aus  welchem  ersteren  der  Vomer  und  das  die  vier 
Schneidezähne  tragende  Os  intermaxillare  entstehen,  während  aus  den  beiden 
letzteren  die  Siebbeinlabyrinthe,  das  knorpelige  Dach  und  die  Seitentheile 
des  vorderen  Abschnittes  der  Nasenhöhle  hervorgehen.  Diese  Knochen  treten 
mit  den  Oberkieferfortsätzen  und  ihrer  Bedeckung  ungefähr  in  der  Mitte  des 
dritten  Fötalmonates  in  Verbindung. 

Bleibt  nun  diese  Verbindung  ganz  oder  theilweise,  einseitig  oder  beider- 
seitig aus,  so  entstehen  jene  Spaltbildungen,  welche  man  als  Cheilo-, 
Gnatho-,  Palato-Schisis  bezeichnet. 

Cheiloschisis,  labium  leporinum,  einfache  Hasenscharte,  ein  von  Lippeu- 
scMeimhaut  umsäumter  Spalt  in  der  Oberlippe  über  dem  inneren  Rande  der 
Eckzahnalveole.  Meist  linkerseits,  manchmal  auch  beiderseitig,  bisweilen  bis 
in  das  Nasenloch  hineinreichend. 

Palatoschisis,  Gaumenspalte.  Spalte  im  weichen  oder  im  harten  und 
weichen  Gaumen,  einseitig  oder  beiderseitig;  dadurch  bedingte  Communication 
zwischen  Mund-  und  Nasenhöhle. 

Cheilognathopalatoschisis,  Wolfsrachen.  Ein  weit  klaffender  medianer 
Spalt  in  der  Decke  der  Mundhöhle  sagittal  vom  meist  verkümmerten  Vomer 


894  WACHSTÜMSSTÖEUNGEN  UND  MISSBILDUNGEN. 

durchsetzt.  Zwisclienkiefer  mit  den  Oberkieferfortsätzen  nicht  vereinigt, 
frei,  oft  weit  vorragend,  häutig  nur  zwei  Schneidezähne  tragend.  Die  Spaltung 
bisweilen  auch  auf  weichen  Gaumen  und  Uvula  sich  fortsetzend. 

ProsoposcMsis,  Gesichtsspalte,  zustandekommend  durch  das  Ausbleiben 
der  Vereinigung  zwischen  Oberkieferfortsatz  und  Stirnfortsatz,  vom  Ober- 
lippensaum nach  aussen,  von  der  Nase  in  die  Nasenhöhle  ziehend. 

Aprosojne,  völliges  Ausbleiben  der  Gesichtsbildung  durch  mangelhafte 
Entwicklung  der  Oberkieferfortsätze  und  des  Stirnfortsatzes. 

Brackygnathie,  starkes  Zurücktreten  des  Unterkiefers  durch  mangelhafte 
Entwicklung  des  Unterkieferfortsatzes. 

AgnatUe,  völliger  Mangel  des  Unterkiefers,  sehr  kleine  Mundöffnung. 

Sijnoüe,  eine  Agnathie,  bei  welcher  die  Ohren  in  der  Medianlinie  an- 
einandertreten  oder  verwachsen. 

Die  Anomalien  der  Grösse  der  Mundspalte  als  Makrostomie,  Mikrostomie, 
Atresia  oris  und  Distomie  sind  selten. 

Fistula  colli  congenita,  partielle  Persistenz  der  äusseren  Kiemenfurchen 
in  Form  einer  kleinen  Oeffnung  1 — 3  cm  ober  dem  Sternoclaviculargelenk, 
meist  rechts,  bisweilen  symmetrisch  beiderseitig,  oder  in  der  Medianlinie. 
Diese  Oeffnung  führt  in  einen  Blindsack  oder  in  einen  längeren  Canal, 
welcher  von  Schleimhaut  ausgekleidet  bisweilen  bis  in  die  Trachea,  den 
Larynx,  Pharynx  oder  gegen  das  grosse  Zungenbeinhorn  führt. 

Die  als  Hydrocele  colli  congenita  beschriebene  Cystenbildung,  ferner  die 
am  Halse  vorkommenden  Atherome  und  Dermoide  sind  mit  obenangeführter 
Missbildung  in  Zusammenhang  zu  bringen. 

4.  Mangelhafter   Verschluss   der  Pleuro-Peritonealhöhle. 

Fissura  sterni,  totale  oder  partielle  Spaltung  des  Brustbeines,  bisweilen 
mit  Defect  der  Haut  und  der  Rippen  verbunden. 

Ektopia  cordis,  Spaltung  des  Brustbeines  mit  Vorfall  des  Herzens  mit 
oder  ohne  Herzbeutel. 

Fissura  abdominalis  completa,  Gastroschisis,  Offenbleiben  der  Bauchhöhle, 
durch  mangelhafte  Entwicklung  der  Bauchdecken,  welche  in  das  Amnion  über- 
gehen. Vorlagerung  der  Eingeweide  {Eventratio)  in  einen  Sack,  welcher  aus 
Peritoneum  und  Amnion,  bisweilen  aus  Amnion  allein  besteht.  Nabelstrang 
manchmal  fehlend,  die  Nabelgefässe  getrennt  zur  Placenta  verlaufend.  Häufig 
mit  Thoracoschisis  combinirt. 

Nur  graduell  unterschieden  von  ersterer  ist  die  Hernia  funiculi  umbili- 
calis congenita,  bei  welcher  der  Defect  der  Bauchdecken  nur  die  Umgebung 
des  Nabels  betrifft.  Bisweilen  prolabiren  die  Eingeweide  zum  Theil  in  das 
Anfangsstück  des  Nabels. 

Erstreckt  sich  die  Spaltung  nur  auf  den  unteren  Theil  der  Bauchwand, 
so  kommt  es  zu  einer  Ektopia  vesicae  urinariae,  wobei  die  vordere  Blasen- 
wand gleichfalls  gespalten  ist,  während  die  hintere  Blasenwand  durch  den 
Druck  der  Eingeweide  als  Wulst  aus  dem  Spalte  hervorgetrieben  wird  (Jn- 
versio  vesicae  urinariae). 

Eine  tiefgreifende  Spaltung  ist  die  Fissura  abdominalis  vesico-genitalis^ 
Diastase  der  Schambeine,  vollständig  gespaltene  Harnblase  mit  widernatür- 
lichem After  dazwischen,  vollständiges  Fehlen  des  Colon;  Prolaps  des  Coecums 
und  Dünndarmes,  Rectum  fast  stets  vorhanden,  vollständige  Spaltung  der  Ge- 
nitalien. 

Das  Diverticulum  Meckeli,  als  handschuhfingerförmiger  Anhang  am  Ileum 
circa  60^ — 100  cm  von  der  Ileo-coecalklappe  entfernt  vorkommend,  ist  der 
Rest  des  Anfangstheiles  des  Ductus  omphalo-mesaraicus. 

5.  Hemmungsmissbildungen  am  äusseren  Genitale  und  am 
Anus. 


WACHSTUMSSTÖRUNGEN  UND  MISSBILDUNGEN.  895 

Vollständiger  Mangel  des  äusseren  Genitales  kommt  nur  bei  anderweitigen 
Missbildungen  des  Abdomens  und  der  inneren  Genitalien  vor. 

Partielle  oder  totale  Spaltung  des  Penis  ist  selten. 

Rudimentäre  Entwicklung  des  Penis  meist  mit  llypospadie  verbunden. 

liypospadie,  Verlagerung  des  Orificium  urethrae  an  die  Unterseite  der 
Glans  oder  des  Penis  oder  an  die  Wurzel  des  Penis  oder  hinter  das  Scrotum 
auf  das  Perineum. 

Epispadie,  Ausmündung  der  Harnröhre  nach  oben,  auf  der  Glans  oder 
auf  dem  Rücken  des  Penis. 

Bei  weiblichen  Individuen  ist  Epispadie  mit  Spaltung  der  Bauch-  und 
Blasenwand  verbunden.    Bei  Hypospadie  mündet  die  Harnröhre  in  die  Scheide. 

Defect  der  Harnröhr,  Atresie  derselben  kommt  bei  männlichen  und 
weiblichen  Individuen  vor. 

Abnorme  Enge  der  Urethra  wird  bisweilen  als  congenitale  Missbildung 
beobachtet. 

Atresia  ani,  vollständiges  Fehlen  der  Afteröffnung;  das  Endstück  des 
Rectums  mündet  in  den  Blasengrund  oder  Blasenhals,  Atresia  ani  vesicalis  — 
oder  in  die  Harnröhre  Atresia  ani  urethralis  —  oder  an  der  Ansatzstelle  des 
Hymens,  Atresia  ani  vaginalis.  Es  kann  das  Rectum  aber  überhaupt  blind 
enden,  ohne  jede  Verbindung  nach  aussen,  wobei  es  meist  mangelhaft  ent- 
wickelt ist,  Atresia  ani  simplex. 

Kloakenbildung,  ÄllantoisUoake,  nennen  wir  einen  Zustand,  bei  welchem 
Ureteren,  Geschlechtsgänge  und  Ileum  nebeneinander  ausmünden.  Meist  ist 
Bauch-  und  Blasenspalte,  bisweilen  auch  Dickdarmdefect  damit  combinirt. 

6.  Hemmungsmissbildungen  der  Extremitäten. 

Die  Defectbildungen  der  Extremitäten  beruhen  theils  auf  mangelhafter 
Anlage,  theils  auf  mangelhafter  Wachsthumenergie  der  vorhandenen  Anlage, 
theils  auf  B^nderung  des  Wachsthums  oder  Verstümmelung  der  bereits  in 
Entwicklung  begriffenen  Extremitäten  oder  ihrer  Theile.  Letzteres  pflegt  durch 
Abschnürung  der  Extremitäten  durch  Eihautstränge  oder  durch  die  Nabel- 
schnur zu  geschehen.    Die  wichtigsten  Formen  sind: 

Amelus,  vollständiges  Fehlen  der  Extremitäten,  meist  bei  wohlausgebil- 
detem Rumpfe. 

Peromelus,  die  Extemitäten  sehr  verkümmert. 

Phocomelus,  Defect  der  Arme  und  Beine;  die  Hände  und  Füsse  sitzen 
unmittelbar  der  Schulter  und  dem  Becken  auf. 

Mikromelus,  abnorme  Kleinheit  der  Extremitäten  (Mikrobrächius,  Mikropus). 

Abrachius,  Apus,  Defect  der  oberen  oder  der  unteren  Extremitäten. 

Monobrachius,  Monoptus,  Defect  der  einen  oberen  oder  unteren  Extre- 
mität. 

SgmjMS,  Sirenenbildung,  Verschmelzung  der  unteren  Extremitäten  in 
ganzer  Ausdehnung,  so  dass  die  Füsse  noch  vorhanden  sind,  S.  dipus,  oder 
dass  nur  ein  Fuss  vorhanden  ist,  S.  tnonopus,  oder  dass  die  Füsse  vollständig 
fehlen  und  entweder  noch  einzelne  Zehen  angedeutet  sind,  oder  dass  an 
Stelle  der  unteren  Extremitäten  ein  spitzzulaufender  Stumpf  sich  findet, 
S.  apus.    Meist  auch  Defectbildungen  am  Becken  und  den  Beckenorganen. 

AcJiirus,  Apus  und  Perochirus,  Peropus,  vollständiger  Mangel  oder  Ver- 
kümmerung einer  Hand  oder  eines  Fusses. 

Perodactylie,  Mangel  oder  Verkümmerung  der  Finger  und  Zehen. 

Syndactijlie,  Verschmelzung  der  Finger  oder  Zehen. 

II.  Missbilduiigeii  durch  excedireude  Entwicldimg. 

Die  hieher  gehörenden  Missbildungeu  sind  darauf  zurückzuführen,  dass 
aus  inneren  Ursachen  die  Masse  und  Wachsthumsenergie  des  fötalen  Bildungs- 
materiales    eine    abnorm    grosse    ist.     Diese  Anomalie   betrifft    den   ganzen 


896  WACIISTUMSSTÖRUNGEN  UND  MISSBILDUNGEN. 

Körper  oder  einzelne  Theile  desselben.  Betrifft  sie  den  ganzen  Körper,  so 
sprechen  "wir  von  allgemeinem  Riesen  wuchs  {Gigantismus,  Makrosomie). 
Der  Riesenwuchs  tritt  entweder  schon  intrauterin  auf,  wobei  es  zur  Production 
eines  abnorm  grossen  Fötus  kommt,  dessen  Körpergewicht  bis  zu  10  Kilo 
erreichen  kann,  oder  er  beginnt,  was  häufiger  vorkommt,  in  den  Kinderjahren 
und  ist  meist  vor  dem  21.  Lebensjahre  beendet. 

Partieller  Riesenwuchs  findet  sich  auf  eine  ganze  Körperhälfte 
oder  häufiger  auf  einzelne  Extremitäten  oder  deren  Theile  beschränkt.  Bis- 
weilen nimmt  die  Masse  der  die  einzelnen  Körpertheile  zusammensetzenden 
Gewebe  in  ungleichem  Maasse  zu;  es  überwuchert  z.  B.  das  Fettgewebe,  oder 
es  entwickelt  sich  eine  abnorm  reichliche  Vascularisation.  Diese  abnorme 
Wucherung  einzelner  Gewebsarten  bildet  den  Uebergang  zu  den  congenitalen 
Geschwülsten. 

Die  fötale  Hyperplasie  und  die  abnorm  grosse  Wachsthumsenergie 
äussert  sich  weiterhin  in  einer  U eberzahl  von  Organen,  T heilen  des 
Skeletes  und  des  Muskelsystems  oder  in  einer  abnorm  früh- 
zeitigen Entwicklung  derselben.  Letzteres  wird  am  häufigsten  am 
Genitalapparat  beobachtet.  Zu  den  ersteren  Formen  der  Missbildungen  ge- 
hören: die  Pohjdactylie,  Vermehrung  der  Zahl  der  Finger  und  Zehen;  die 
Polymastie,  überzählige  Brustdrüsen,  bei  Männern  und  Weibern  vorkommend, 
häufig  mit  Verlagerung  der  überzähligen  Brustdrüsen  in  entfernte  Körper- 
regionen z.  B.  in  die  Inguinalgegend  verbunden;  die  Polythelie,  Ueberzahl  der 
Brustwarzen;  Ueberzahl  der  Wirbel,  der  Rippen,  der  Zähne.  Ferner  sei  hier 
auf  das  Vorkommen  der  Nebenmilzen,  auf  die  Verdoppelung  der  Ureteren 
u.  s.  w.  hingewiesen. 

III.  3Iissl)ildungen  durch  Lageveränderung  der  inneren  Organe. 

Situs  visceriim  transversus.  Die  Brust-  und  Baucheingeweide  sind  der- 
artig umgelagert,  dass  ihre  Lage  das  Spiegelbild  des  normalen  Situs  darstellt, 
dass  demnach  alle  Organe,  welche  rechts  zu  liegen  ptiegen,  nach  links  zu 
liegen  kommen  und  umgekehrt.  Diese  Lageanomalie  kann  sich  auch  auf  die 
Brust-  oder  Bauchorgane  allein  beschränken.  Sie  findet  sich  bei  Doppelmiss- 
bildungen, aber  auch  bei  sonst  wohlgebildeten  Einzelindividuen,  bei  Männern 
häufiger  als  bei  Weibern. 

LTnter  den  Lageveränderungen  einzelner  Organe  ist  zu  erwähnen  die 

Ektopia  testis  als  vollständige  Retentio  test.is  (Kryptorclmmus) ^  als  Ekt. 
inguinalis,  Ekt.  pubica,  je  nachdem  der  Hoden  innerhalb  der  Bauchhöhle,  inner- 
halb des  Leistencanales  oder  unmittelbar  vor  demselben  gelagert  ist.  Andere 
Dislocationen  des  Hodens  sind  sehr  selten.  {Ekt.  cruro-scrotalis  pemiealis,  cruralis). 

Dystopia  renis:  Anomale  Lage  der  Niere  als  Tieferlagerung  derselben, 
als  Verlagerung  derselben  im  Becken  oder  vor  der  Wirbelsäule  meist  vor  dem 
Promontorium.  Lagern  beide  Nieren  zur  Zeit  ihrer  ersten  Entwicklung  dicht 
aneinander,  so  verschmelzen  sie  zur  Hufeisenniere,  oder  wenn  sie  an  beiden 
Polen  zusammentreten  zur  kuchenförmigen  Niere. 

Auch  die  die  Gelenke  constituirenden  Knochen  und  Knochenenden  zeigen 
congenitale  Lageanomalien.  Von  besonderem  Interesse  ist  die 

Luxatio  coxae.  congenita  meist  beiderseitig,  häufiger  bei  Mädchen,  in  der 
Regel  eine  Luxatio  iliaca. 

An  den  Füssen  beobachten  wir  nicht  selten  den  angeborenen  Klumpfuss 
Pes  equinovarus,  auch  den  Pes  calcaneus  und  Pes  valgus. 

IV.  3Iis8bildnngen  durch  Vermischung  der  Geschlechtscharaktere 

(Zwitterbildungen). 

Es  sei  zunächst  darauf  hingewiesen,  dass  der  Genitalapparat  im  Embryo 
aus  drei  Anlagen  hervorgeht.    Diese  sind  getrennt  für  die  Geschlechtsdrüsen, 


WACHSTUMSSTÖRUNGEN  UND  MISSBILDUNGEN.  897 

für  die  Geschlechtsgänge  und  für  die  äusseren  Genitalien  vorhanden  und 
linden  sich  als  solche  in  jedem  Embryo. 

Die  Geschlechtsdrüse  entwickelt  sich  an  der  medialen  vorderen  Seite 
der  Urnierc  oder  des  WoLFF'schen  Körpers.  Zugleich  mit  der  Geschlechts- 
drüse entsteht  der  zum  Sinus  urogenitalis  führende  MüLLKii'sche  Gang,  welcher 
neben  dem  gleichfalls  in  den  Sinus  urogenitalis  mündenden  Woi.FF'schen 
Gang  zu  liegen  kommt.  Zu  dieser  Zeit  besteht  noch  keine  Differenzirung  des 
Geschlechtes.  Gegen  Ende  des  zweiten  Monates  findet  die  Differenzirung  statt. 
Aus  der  Geschlechtsdrüse  entwickelt  sich  der  Hode  oder  der  Eierstock. 

Entwickelt  sich  ein  Hode,  dann  verschwindet  der  MüLLEii'sche  Gang. 
An  der  Zusamraenflussstelle  beider  MüLLEii'schen  Gänge  bleibt  die  Vesicula 
prostatica  {Uterus  masculinus)  als  Rest  derselben  übrig.  Der  WoLFF"sche 
Gang  wird  zum  Vas  deferens  und  der  WoLFF'sche  Körper  theilweise  zum 
Kopfe  des  Nebenhodens. 

Beim  weiblichen  Geschlecht  entsteht  aus  der  Geschlechtsdrüse  das  Ova- 
riura.  Die  MüLLEE'schen  Gänge  legen  sich  in  ihrem  unteren  Theile  an  ein- 
ander, werden  dort  dickwandiger  und  wandeln  sich  nach  dem  Schwinden  ihrer 
Scheidewand  in  Uterus  und  Vagina  um,  die  WoLFF'schen  Gänge  kommen 
dagegen  gar  nicht  zur  Entwicklung. 

Das  ausser  eGenitale  geht  aus  dem  Geschlechtshöcker  hervor,  welcher  in 
der  sechsten  Woche  als  kleiner  Wulst  vor  der  Kloake  entsteht.  An  den  AVulst 
legen  sich  zwei  Falten  seitlich  an,  die  Geschlechtsfalten.  Später  wird  der 
Wulst  zu  einem  deutlichen  Höcker,  der  an  seiner  unteren  Fläche  eine  sagittal- 
gestellte  Furche  erhält,  die  Geschlechtsfurche. 

Bei  männlichen  Individuen  schliesst  sich  die  Geschlechtsfurche  zu  einem 
Rohr,  der  Geschlechtshöcker  wird  zum  Penis,  während  sich  die  Genitalfalten 
zum  Scrotum  vereinigen. 

Bei  weibMchen  Individuen  bleibt  die  Vereinigung  der  Geschlechtsfurche 
und  der  Geschlechtsfalten  aus.  Der  Geschlechtshöcker  wird  zur  Clitoris,  die 
Geschlechtsfalten  zu  den  grossen  Labien,  während  aus  den  Rändern  der  Genital- 
furche die  kleinen  Labien  hervorgehen. 

Die  Störungen  der  Entwicklung  des  Genitalapparates  können  dahin 
gehen,  dass  Zustände  entstehen,  bei  welchen  der  durch  die  Verschiedenheit 
der  Genitalorgane  bedingte  differentielle  Geschlechtstypus  nicht  rein  vor- 
handen ist,  dass  also  der  Genitalapparat  desselben  Individuums  charakteristische 
Theile  sowohl  des  männlichen  als  auch  des  weiblichen  Genitales  enthält.  Einen 
solchen  Zustand  bezeichnet  man  als  liermaphroditismus,  Zwitterbildung. 
Man  trennt  jedoch  den  echten  Hermaphroditismus  vom  falschen  und  bezeichnet 
als  Hermaphroditismus  verus  nur  jene  Missbildung,  bei  welcher  in  einem  und 
demselben  Individuum  männliche  und  weibliche  Geschlechtsdrüsen  vorhanden 
sind.  Besteht  dagegen  nur  eine  Mischung  männlicher  und  weiblicher  Ge- 
schlechtsgänge mit  andersgeschlechtlichen  äusseren  Genitalien  oder  eine 
Mischung  männlicher  und  weiblicher  Geschlechtsgänge  allein,  während  die 
Geschlechtsdrüsen  nur  einem  bestimmten  Geschlechtstypus  angehören,  so 
bezeichnet  man  einen  solchen  Zustand  als  Hermaphroditismus  spurius  oder 
Pseudohermaphroditismus. 

Man  unterscheidet  drei  Formen  des  Hermaphroditismus  vei'us: 

1.  H.  V.  Ulateralis,  beiderseits  je  ein  Hoden  und  ein  Eierstock.  Bisher 
nur  ein  Fall  (Heppner)  beobachtet. 

2.  H.  V.  vnilateralis,  auf  einer  Seite  eine  Geschlechtsdrüse,  auf  der  andern 
zwei  differente  Geschlechtsdrüsen.     Beim  Menschen  noch  nicht  sichergestellt. 

3.  H  V.  lateralis  oder  alternans,  auf  der  einen  Seite  ein  Hode,  auf  der 
anderen  ein  Eierstock.  Die  zugehörigen  Geschlechtsgänge  sämmtlich_  vor- 
handen oder  zum  Theile  fehlend,  äussere  Genitalien  theils  den  männlichen, 
theils  den  weiblichen  Typus  tragend.    Beim  Menschen  mehrfach  beobachtet. 

Bibl.  med.  Wissenschaften  I. ,  Geburtshilfe  und  Gynaekologie,  0' 


898  WACHSTÜMSSTÖKUNGEN  UND  MISSBILDUNGEN. 

Der  Fseudohermapliroditismiis,  auch  als  Hermaphroditismus  transversalis 
bezeichnet,  \Yird  zunächst  eingetheilt  in  einen  männlichen  und  weiblichen, 
nach  dem  Charakter  der  Geschlechtsdrüsen;  und  jede  dieser  zwei  Arten  kann 
unterschieden  werden  in  einen  internen,  externen  und  completen.  Der 
Pseudohermaphroditismus  masculinus  ist  in  seinen  ausgesprochenen  Formen 
bei  Aveitem  häuttger  als  der  weibliche: 

Fseudo-H.  niasc.  internus,  äusseres  Genitale  von  männlichem  Charakter, 
Hoden,  Vasa  deferentia,  Prostata  vorhanden,  nebstbei  vaginaartige  Vesicula 
seminalis,  mehr  oder  weniger  ausgebildeter  Üteius,  auch  bisweilen  Tuben. 

Pseudo-H.  masc.  externus,  äusseres  Genitale  dem  weiblichen  in  verschie- 
denem Grade  ähnlich  gebildet.  Bei  diesem  auch  der  übrige  Körper  häufig 
von  ausgesprochen  weiblichem  Habitus,  deshalb  eine  Verwechslung  des  Ge- 
schlechtes in  diesen  Fällen  leicht  möglich. 

Pseiido-H.  masc.  comi)letus,  bei  mehr  oder  weniger  vollständiger  Aus- 
bildung von  Scheide,  Uterus  und  Tuben  oder  bei  rudimentärer  Entwicklung 
derselben  das  äussere  Genitale  mehr  oder  weniger  nach  weiblichem  Typus 
gebildet. 

Während  bei  echtem  Hermaphroditismus  häufig  im  Gesammtbau  des 
Körpers  neben  der  dem  weiblichen  Typus  eigenthümlichen  Rundung  der  Formen, 
der  Bildung  des  Nackens,  der  Entwicklung  der  Brüste,  auch  der  den  männ- 
lichen Typus  charakterisirende  Bartwuchs,  der  stark  entwickelte  Kehlkopf,  die 
schärfer  ausgeprägte  Gesichtsbildung,  also  männliche  und  weibliche  Eigen- 
schaften gemischt  hervortreten,  entspricht  beim  Hermaphroditismus  spurius 
der  Habitus  des  Körpers  nicht  immer  dem  Geschlechte  der  Keimdrüsen. 

V.  Doppelmissbildimgen,  Monstra  duplicia. 

Unter  Doppelmissbildungen  versteht  man  jene  Missbildungen,  bei 
welchen  sich  zwei  Individuen  entwickeln,  die  in  grösserer  oder  geringerer 
Ausdehnung  mit  einander  im  Zusammenhange  stehen  und  dadurch  einen 
Gesammtorganismus  constituiren,  wobei  es  in  der  Regel  an  der  Stelle  des 
Zusammenhanges  zu  einer  Beeinträchtigung  der  Entwicklung  kommt. 

Die  Entstehung  der  Doppelmissbildung  ist  noch  nicht  vollständig  klar- 
gestellt. Die  Schwierigkeit  liegt  darin,  dass,  die  Anlage  der  Doppelmissbil- 
dungen zweifellos  in  den  allerersten  Anfängen  der  Entwicklung  des  Eies  zu 
suchen  ist,  dass  diese  Stadien  der  Entwicklung  der  Untersuchung  fast  gar 
nicht  zugänglich  sind,  und  dass  auch  das  Experiment  in  dieser  Hinsicht  nur 
unzulängliches  leistet.  Immerhin  hat  das  sorgfältige  Studium  der  Missbildungen 
selbst  im  Vereine  mit  den  Erfahrungen  der  Embryologie  eine  gewisse  Klärung 
der  Anschauungen  herbeigeführt. 

Nach  erfolgter  Befruchtung  des  Eies  und  nach  dem  Furchungsprocesse 
bildet  sich  die  Keimblase.  In  der  Wand  dieser  entsteht  der  Fruchthof  {Area 
germinativa)  oder  der  Embryonalfieck  {Area  emhryonalis,  Kölliker).  An  dem 
hinteren  Ende  des  Embryonalfleckes  entwickelt  sich  allmälig  der  Primitiv- 
streifen, vor  welchem  späterhin  die  Rückenfurche  entsteht.  Diese  Anlage 
stellt  gleichsam  die  Axe  dar,  längs  welcher  sich  die  verschiedenen  Körper- 
theile  des  Embryo  entwickeln. 

Theoretisch  lässt  sich  nun  annehmen,  dass  in  der  Wand  der  Keimblase 
zwei  Embryonalflecke  entstehen.  Diese  stossen  bei  ihrer  Vergrösserung  an- 
einander, an  der  Berührungsstelle  fliessen  sie  mehr  oder  weniger  ineinander. 
Während  die  lateral  liegenden  Antheile  der  beiden  Embryonalflecken  sich 
ungehemmt  entfalten  können,  wird  an  der  Verschmelzungsstelle  in  verschie- 
denem Grade  eine  Hemmung  der  Entwicklung  eintreten  (Verwachsungstheorie). 
Es  ist  aber  auch  denkbar,  dass  innerhalb  desselben  Embryonalfleckes  zwei 
Primitivstreifen  und  dem  entsprechend  zwei  Primitivfurchen  entstehen,  die 
getrennt  bleiben  oder  mit  einander  verschmelzen  (Spaltungstheorie).    Es  wäre 


WACHSTÜM.SSTÖRUNGEN  UND  MISSBILDUNGEN.  899 

aber  auch  möglich,  dass  in  einem  Embryonalfleck  ein  Primitivstreifen  ent- 
steht, dass  sich  aber  die  Rückenfurche  der  ganzen  Länge  nach  oder  theil- 
weise  doppelt  entwickelt. 

In  allen  diesen  Fällen  wird  vorausgesetzt,  dass  diese  Missbildungen  aus 
einem  Ei  und  einer  Keimblase  hervorgehen,  dass  also  von  vornherein  eine 
einfache  Anlage  besteht.  Erst  zur  Zeit  der  Bildung  des  Embryonalflcckes  oder 
erst  zur  Zeit  der  Entstehung  des  Primitivstreifens  und  der  Primitivfurche 
tritt  die  Verdopplung  auf.  Dabei  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  nach  Ver- 
dopplung der  Anlagen  nachträglich  wieder  eine  Verschmelzung  derselben  er- 
folgen kann. 

Es  darf  jedoch  die  sogenannte  Verwachsungstheorie  nicht  in  dem  Sinne 
angenommen  werden,  dass  die  Verwachsung  zwischen  zwei  schon  ausgebildeten 
Früchten  zu  Stande  kommt  und  dass  durch  die  Verwachsung  schon  ausgebil- 
dete Organe  und  Ivörpertheile  zu  Grunde  gehen. 

Die  Trennung  der  Doppelmissbildungen  beginnt  entweder  am  oberen 
Körperende  (Katadidtjma)  oder  am  unteren  (Anadidyma)  und  geht  nach  der 
Längsaxe  verschieden  tief;  oder  aber  die  beiden  Individuen  sind  oben  und 
unten  getrennt  und  hängen  in  der  Mitte  in  grösserer  oder  geringerer  Aus- 
dehnung zusammen  (Anakatadidyma). 

1.  Katadidyma.  (Duplicitaa  anterior). 

Die  Spaltung  am  Kopfende  beginnend  kann  bis  an  das  Becken  hinab- 
reichen. 

Diprosopus,  Gesicht  mehr  oder  weniger  verdoppelt  als  Diprosopus 
diophthalmus,  triophtalmus^   Tetrophthalmus,  diotus. 

Dicephalus,  Verdoppelung  des  Kopfes  und  des  oberen  Theiles  der 
Wirbelsäule  Sils-J)icephalus  dibrachius,  tribrachius,  tetrabrachius,  tripus. 

Ischiopagus,  Verdopplung  des  Kopfes  und  Stammes  bis  an  das  Becken, 
die  Körperaxen  stehen  unter  einem  stumpfen  Winkel  zu  einander,  die  vier 
unteren  Extremitäten  stehen  je  zwei  und  zwei  in  einem  rechten  Winkel  nach 
den  Seiten  ab.     After  und  Genitalien  gemeinschaftlich  oder  getrennt. 

Pygopagus,  zwei  vollkommen  getrennte  Körper,  die  hinten  am  Kreuz- 
oder Steissbein  zusammenhängen.  After  und  Geschlechtsapparat  zum  Theil 
gemeinschaftlich.  Bisweilen  vollkommen  lebensfähige  Missbildungen  (die 
ungarischen  Schwestern  Helena  und  Judith,  die  amerikanischen  Schwestern 
Christie  und  Millie,  die  böhmischen  Schwestern  Rosalia  und  Josefa). 

Die  sacralen  Teratome,  die  bisweilen  äusserst  complicirt  in  der  Zu- 
sammensetzung verschiedenartigster  Gewebe  sind,  können  als  rudimentäre 
Pygopagi  parasitici  angesehen  werden. 

2.  Anadidyma  (Duplicitas  posterior). 

Die  Spaltung  am  untersten  Ende  der  Wirbelsäule  beginnend,  bisweilen 
bis  an  den  Kopf  reichend. 

Dipygus,  Kopf,  Hals,  Brust  einfach,  die  Bäuche  und  der  hintere  Theil 
des  Körpers  getrennt,  zwei  oder  vier  obere,  immer  vier  untere  Extremitäten. 
Beim  Menschen  sehr  selten. 

Synceplialus,  Dihypogastricus,  untere  Körperhälften  bis  an  den  Nabel 
getrennt,  Nabel  gemeinsam,  obere  Körperhälften  und  Köpfe  mehr  oder  weniger 
mit  einander  verschmolzen.  Vier  obere,  vier  untere  Extremitäten.  Innere 
Organe  theils  einfach,  theils  doppelt. 

S.  symmetros,  Janiceps,  der  Kopf  vollständig  verdoppelt,  so  dass  ein 
Gesicht  nach  vorn,  das  andere  nach  hinten  steht. 

S.  asymmetros,  ein  Gesicht  vollständig  entwickelt,  das  andere  mangelhaft 
{Iniops)  oder  gar  nicht. 

57* 


900  WEHEN. 

Craniopagus,  am  Kopfe  vereinigte  Zwillingsmissbildung;  die  Körper  in 
einer  Axe,  mit  den  Fussenden  von  einander  abgewendet  liegend,  mit  den 
Scheiteln  zusammenstossend.  Die  Zwillinge  sind  vollständig  oder  von  dem 
einen  ist  blos  der  Kopf  entwickelt  {Craniopagus  parasiticus). 

3.  Anakatadidyma. 

An  Brust  und  Bauch  in  Zusammenhang  stehende  Zwillingsmissbildungen; 
obere  und  untere  Körperenden  getrennt,  manchmal  auch  theilweise  ver- 
schmolzen. 

Thoracopagus,  zwei  getrennte  Körper,  an  Brust  und  Oberbauch  vorn 
oder  mehr  seitlich  verbunden,  die  beiden  medianen  oberen  Extremitäten 
können  auch  verschmolzen  sein  {Th.  trihrachius). 

Xiphopagus,  die  Verwachsung  betrifft  nur  die  Schwertfortsätze  '  (die 
siamesischen  Zwillinge)  und  die  Oberbauchgegend  {Omphalopagus). 

Einer  der  Zwillinge  kann  in  der  Entwicklung  zurückbleiben  und  stellt 
einen  rudimentären  Anhang  am  Thorax  oder  am  Epigastrium  des  andern  dar 
{Epigastrius)  —  Ihoracopagus  parasiticus.  Die  Entwicklung  des  Parasiten 
kann  auch  subcutan  im  Epigastrium  oder  als  Inclusio  foetalis,  Foetus  in  foetu, 
Engastrius  in  Form  eines  Einschlusses  in  der  Bauchhöhle  erfolgen. 

Bachipagus,  an  der  unteren  Brust-  und  Lendenwirbelsäule  verschmolzene 
Zwillingsmissbildung,  sehr  selten. 

Prosopotho7~acopagus,  die  Köpfe  nur  oberflächlich  an  der  Seite  vereinigt, 
gemeinschaftlicher  Unterkiefer,  Hals,  Brust  und  Bauch  bis  an  den  Nabel  ver- 
schmolzen, Becken  getrennt,  vier  obere,  vier  untere  Extremitäten. 

EpignatJius,  parasitischer  Thoracopagus,  als  rudimentärer  Kopf  oder  als 
unförmliche,  polypöse  Masse  an  der  Schädelbasis  des  Autositen  fixirt  und  aus 
der  Mundöflnung  desselben  heraushängend. 

Drillingsmissbildungen  entstehen  nach  denselben  Principien  wie 
die  Doppelmissbildungen,  sind  jedoch  sehr  selten.  zemann. 

Wehen.  Man  versteht  unter  „Wehen"  die,  dem  Einflüsse  des  Willens 
entzogenen  und  von  Schmerzen  begleiteten  Zusammenziehungen  der  Gebär- 
mutter zum  Zwecke  der  Herausbeförderung  der  Frucht  aus  ihrer  Höhle;  und 
man  spricht  von  „Wehenthätigkeit",  wenn  die  Gebärmutter  mit  Unter- 
stützung der  Bauchpresse  die  der  Ausstossung  der  Frucht  sich  entgegen- 
stemmenden Widerstände  überwindet.  Die  Wehenthätigkeit  ist  eine  regel- 
mässige, wenn  das  Verhältnis  zwischen  der  austreibenden  Kraft  und  dem 
Widerstände  ein  normales  ist;  im  entgegengesetzten  Falle  wird  sie  regel- 
widrig. Die  Aufgabe  der  Wehen  ist  somit,  die  weichen  Geburtswege  zu- 
mindest auf  etwa  32  cm  Ringumfang  zu  erweitern,  was  durch  die  Muskelarbeit 
in  den  oberen  Abschnitten  der  Gebärmutter  erfolgt,  ferner  die  Verbindungen 
zwischen  Ei  und  Mutter  (Eihüllen)  zu  lösen  und  endlich  das  gelöste  Ei  gegen 
den  Ort  des  geringsten  Widerstandes  zu  drängen.  Bei  letzterem  Vorgange 
wird  mittelst  der  Loslösung  des  Eies  ein  steter  Reiz  für  neue  Wehen  gesetzt 
(Selbsteuerung  der  Wehenthätigkeit),  welche  die  Sprengung  der 
Fruchtblase  im  auseinandergedehnten  Muttermunde  erfolgen  lassen. 

Die  Centren  durch  deren  Reizung  Uteruscontractionen  ausgelöst  werden, 
liegen  beim  Menschen  in  der  Medulla  oblongata  und  dem  Lendenmarke,  sie 
können  durch  verschiedene  Mittel  in  Erregungszustand  versetzt  werden;  so 
durch  wechselnde  Körpertemperatur,  toxische  Reize,  Stauung  venösen  Blutes, 
ebenso  durch  Blutmangel,  endlich  durch  Gemüthsbewegungen,  es  können  aber 
nach  einzelnen  Erfahrungen  Uteruscontractionen  auch  unabhängig  von  den 
cerebro-spinalen  Centren  ausgelöst  werden.  (Kaltenbach).  Die  Wehen  über- 
greifen die  ganze  Gebärmutter  in  sehr  kurzer  Zeit,  die  Contraction  erfolgt 
in  peristaltischer  Art  und  nimmt  einen  typischen  Verlauf,  welcher  einer  Zeit- 


WEHEN.  901 

dauer  von  Va — IV2  Minuten  entspriclit,  der  dann  eine  Ruhezeit  folgt:  „Wehen- 
pause". Anfänglich  sind  diese  Intervalle  recht  lange  anhaltende,  später 
kürzen  sie  sich,  um  schliesslich  selbst  bei  normalen  Verhältnissen  verschwin- 
dend klein  zu  werden. 

Die  Intensität  der  Wehe  ist  am  Anfange  gering,  wächst  ver- 
hältnismässig langsam  an  (Stadium  incrementi),  um  sich  dann  eine  kurze  Zeit 
auf  der  Höhe  zu  halten,  (Stadium  acmes)  und  rasch  —  jedoch  oft  in  mehr 
minder  beträchtlichen  Nachschüben  abzufallen  (Stadium  decrementi).  (Wehe  n- 
curve  von  Schatz). 

Die  Wehenpause  dient  zur  Erholung  der  Musculatur  des  Organes.  Die  oben 
geschilderten  Contractionen  werden  von  eigenthüralichen  Schmerzen  begleitet; 
Geburten  ohne  Wehenschmerz  gehören  zu  den  grössten  Seltenheiten.  Die 
schmerzhaften  Gefühle  beginnen  als  kurze,  lancinirende  Schmerzen  im  Bauche, 
machen  sich  als  Ziehen  im  Kreuze  stabiler,  um  von  da  auf  das  ganze 
Becken  und  die  Schenkel  auszustrahlen.  Heftiger  werden  sie  mit  dem  Herab- 
treten der  Frucht,  wo  sie  als  Druck  auf  den  Mastdarm,  noch  mehr  als  Span- 
nung der  äusseren  Genitalien  allmälig  in  das  sogenannte  „Drängen"  über- 
gehen, und  dabei  oft  einen  so  hohen  Grad  erreichen,  dass  die  Kreisende  selbst  un- 
zurechnungsfähig wird.  Diese  Schmerzen  sind  jedoch  stets  von  kürzerer  Dauer 
als  die  Contractionen  der  Uterusmusculatur  selbst.  Man  leitet  sie,  von  den- 
jenigen abgesehen,  welche  durch  Zerrung  oder  Berstung  der  weichen  Gewebe 
gesetzt  werden,  von  Hyperaemie  des  Sacralgeflechtes,  und  solcher  im  Lenden- 
marke, wohl  auch  von  Druckerscheinungen  auf  die  Nervenendigungen  des 
Uterus  ab. 

Je  nach  der  Zeit  des  Auftretens  unterscheidet  man  mehrere  Arten 
der  Wehen." )  Schon  während  der  Schwangerschaft,  besonders  in  den  letzten 
Wochen  beobachtet  man  einzelne  kurze,  typische  Contractionen  des 
Uterus,  es  sind  die  „Vorwehen",  (dolores  i^raesagientes).  Bei  Mehr- 
gebärenden weniger,  werden  eben  diese  Wehen  von  Erstgebärenden  sehr 
schmerzlicl/  empfunden,  sie  gehen  als  „vorbereitende  Wehen",  (dolores 
praeparantes)  in  ein  recht  unangenehmes,  häufig  auf  den  ganzen  Unterleib 
erstrecktes  „Kneifen"  über.  Sie  werden  an  den  ziemlich  regelmässigen 
Intervallen,  an  der  längeren  Dauer  und  daran  erkannt,  dass  sich  der  Uterus 
gegen  die  Bauchwand  erhebt  („stemmt"),  sein  Längen-  und  Tiefendurch- 
messer zunimmt,  und  erfüllen  den  Zweck  die  Blase  einzustellen  und  den  ^lutter- 
mund  zu  erweitern. 

Auf  diese  folgen  die  „austreibenden  Wehen"  (dolores  ad  partum). 
Mit  langandauerndem  Stadium  der  Akme,  und  kurzen  Pausen  entwickelt  hier  die 
Bauchpresse  ihre  Mitaction.  Diese  Art  der  Wehen  ist  sehr  schmerzhaft, 
die  Kindestheile  rücken  in  die  Scheide,  drücken  nicht  nur  den  ^Mastdarm,  sondern 
quetschen  den  plexus  sacralis,  wodurch  die  Gebärende  derartige  Schmerzen  er- 
leidet, dass  sie  erschüttert  wird.  Daher  der  Name  „S chüttel wehen" 
(dolores  conquassantes),  unter  welchen  der  Austritt  des  Kindes  erfolgt.  Nach 
diesem  folgt  eine  Ruhepause,  bis  mit  einigen  neueren  Contractionen  die  Nach- 
geburt ausgestossen  wird  (dolores  ad  secimdinas).  Die  Zusammenziehung  der 
Gebärmutter  auf  das  Normale  wird  dann  durch  die  „N  a  ch  w  e  h  en"  {dolores  post 
partum)  bewerkstelligt.  Bei  Erstgebärenden  sind  die  Nachwehen  ganz  schmerz- 
frei, hingegen  bei  Mehrgebärenden  schmerzhaft,  und  dies  um  so  mehr,  je 
kürzer  die  Geburt  dauerte.  Es  ist  bereits  erwähnt,  dass  zur  Wehenthätigkeit 
die  Action  der  Bauchpresse  nicht  entrathen  werden  könne.  Sie  ist  eine  sehr 
mächtige  Unterstützung  für  den  Geburtsact,  und  wirkt  durch  Zusammenziehung 
sowohl  der  Bauch-  als  auch  der  Stammmuskeln,  am  meisten  jedoch  durch 
das  herabsteigende  Zwerchfell  in  der  Weise,  dass  die  ganze  Bauchhöhle  ver- 


")  Vergl.  Artikel  „Entbindung^,  pag.  226  u.  ff. 


902  WEHEN. 

kleinert  wird.  Indem  der  vordringende  Kindestheil  die  Contraction  der  Bauch- 
presse auf  reflectorischem  Wege  wachruft,  erfolgt  diese  ruckweise,  und  wird 
in  ihrer  Wirkung  verstärkt,  wenn  die  Kreisende  durch  Anstemmen  der  Füsse 
und  Hände  den  Stamm  fixirt,  die  Glottis  schliesst,  nachdem  sie  durch  rasche 
und  tiefe  Inspirationen  das  Zwerchfell  herabgedrängt  hat:  „Mitpressen". 
Erfolgt  dies  während  der  Wehe,  so  nennt  man  es  „Verarbeiten  der 
Wehe;"  dieAction  der  Bauchpresse  in  wehenlreien  Intervallen  ist  jedoch 
ein  unnützer  Kräfteverbrauch. 

Durch  die  ebenerwähnte  Muskelarbeit  muss  sowohl  der  intrauterine 
als  intraabdominale  Druck  eine  erhebliche  Steigerung  erfahren.  Nach  Schatzes 
Versuchen  steigt  ersterer  bis  auf  160  mm  Hg\  die  Kraft,  mit  welcher  die 
Fruchtblase  gesprengt  wird,  hängt  jedoch  auch  von  letzterer  ab  und  wird  mit 
2 — 17  kg  und  höher  angegeben  (Schatz,  Duncan,  Ribemont).  Auf  die  Zunahme 
der  Pulsfrequenz  während  der  Wehen  machten  E.  Martin  und  Maurer 
aufmerksam;  wir  verdanken  weiters  v.  Winckel  die  Beobachtung,  dass  die 
Respirationsfrequenz  während  der  Wehen  pausen  eine  Zunahme  auf- 
weist, hingegen  in  der  Wehe  selbst  abnimmt.  Nach  einigen  Beobachtern  soll 
auch  die   Temperatur    constant    eine  Steigerung   erleiden. 

Von  den  Veränderungen  an  den  äusseren  Genitalien  und  dem  Muttermunde 
absehend,  ebenso  denen,  die  durch  die  Aenderung  der  Lage  und  Configuration  des 
vorliegenden  Kindestheiles  erfolgt,  kann  die  Diagnose  der  Wehen  aus  der 
periodisch  wiederkehrenden  Erhärtung  des  Uterus,  der  Aufstellung  seines 
Fundus  {Aufbäumen)  und  den  früher  beschriebenen  Schmerzempfindungen 
gestellt  werden.  Die  Intensität  der  Wehen  hingegen  ist  eine,  oft  an  ein  und 
derselben  Person  bei  verschiedenen  Geburten  sehr  wechselnde,  und  steht  weder 
mit  der  Constitution  noch  mit  dem  Alter  der  betreffenden  Kreissenden  im 
Zusammenhange. 

Wir  wollen  nun  die  Anomalien  der  Wehenthätigkeit  besprechen. 

Stellen  sich  die  Wehen  im  Verlaufe  blos  in  langen  Pausen  ein,  so  be- 
nennt man  sie  als  „träge  Wehen";  sie  verzögern  wohl  den  Geburtsgang, 
sind  aber  bei  genügender  Energie  noch  nicht  als  krankhaft  zu  bezeichnen; 
zu  solchen  werden  die  Wehen  erst,  wenn  sie  zu  schwach,  zu  stark  oder 
krampfhaft  sind. 

Schwache  Wehen  sind  die,  die  bei  kurzer  Dauer  in  längeren  Pausen 
und  mit  geringer  Kraft  auftreten.  Der  Wehenschmerz  ist  dabei  entweder 
gering  oder  er  kann  gänzlich  fehlen.  Die  Geburt  wird  nicht  vorwärts  ge- 
bracht: Wehenschw^äche. 

Verfolgt  man  die  Ursachen  dieses  Zustandes,  so  liegen  sie  entweder 
ausserhalb  der  Gebärmutter  (indirecte  Wehenschwäche)  wo  der 
ganze  mütterliche  Organismus  und  damit  auch  die  Gebärmutter  geschwächt, 
heruntergekommen  ist.  Hieher  zu  zählen  sind  die  acuten  und  chronischen 
Infectionskrankheiten,  vor  allem  die  Tuberculose,  ungenügende  Blutbereitung 
(Chloroanaemie),  mangelhafte  Ernährung  (Hyperemesis  gravidarum).  Ebenso 
wirken  auf  die  Wehenthätigkeit  alle  jene  Zustände  lähmend,  durch  welche 
das  kräftigste  Unterstützungsmittel  derselben,  die  Bauchpresseaction  ausge- 
schaltet wird  und  der  Bauchhöhlenraum  nicht  verringert  werden  kann;  so 
Gasansammlung  im  Intestinaltracte,  Stauung  des  Harns  in  der  Blase,  Aus- 
einanderweichen der  Bauchmusculatur  bei  Hernien  u.  s.  w.  (Wir  haben 
übrigens  nach  Laparotomieen  die  Bauchpresse  trotz  der  grossen  Narbe 
regelmässig  functioniren  gesehen).  Nach  Einigen  erzeugen  psychische  Ein- 
drücke ebenfalls  Wehenschwäche;  die  Erfahrung  lehrt  jedoch  —  sowohl 
bei  civilisirten  als  auch  Naturvölkern  (Engelmaxn)  —  meist  das  Gegentheil. 
Die  directe  Wehenschwäche  wird  eintreten,  wenn  die  Musculatur  des 
Uterus  selbst  entweder   zu  schwach    entwickelt  oder  krankhaft  verändert  ist. 


WEHEN.  903 

Zu  ersterer  Ursache  zählen  wir  in  erster  Reihe  den  kindliclien  Uterus,  el)en- 
so  die  rudimentären  Bildungen.  Zu  letzteren  Mangel  an  Ernährung  oder 
fehlerhafte  Innervation  (Winckel),  wie  solche  bei  sehr  kindlichen  Indivi- 
duen oder  aber  bei  alten  Erstgebärenden  sich  einstellen.  Die  mit  den  i^age- 
veränderungen  der  Gebärmutter  eintretenden  Muskelveränderungen  (Metritis 
ehr.),  die  mangelhafte  Rückbildung  bei  rasch  folgenden  Geburten  (Hubinvolution), 
kommt  hiebei  ebenso  in  Anbetracht  als  etwaige  Neubildungen  im  Uterus  selbst; 
abgesehen  davon,  dass  diese  auf  die  Ernährung  des  Organes,  resp.  Schwächung 
desselben  durch  consecutive  Metrorrhagieen  von  Einfluss  sind.  Schliesslich 
müssen  Narbenbildungen,  Verwachsungen  des  Muttermundes,  wie  auch  eine 
übermässige  Ausdehnung  des  Uterus  durch  Hydramnion,  endlich  die  ungewöhn- 
liche Festigkeit  der  Fruchtblase  ebenfalls  zur  Erlahmung  der  Wehenthätigkeit 
führen.  Letzteres  tritt  jedoch  öfters  infolge  Unkenntnis  des  Geburtsvorganges 
auf.  Wir  sehen  die  Kreissende  durch  mehr  minder  „fachgemässen"  Zuspruch 
angeleitet  ihre  Kräfte  zu  einer  Zeit  aufzubrauchen,  wo  ein  Verarbeiten  (s.  o.) 
nicht  mehr  oder  noch  gar  nicht  am  Platze  ist,  am  häufigsten  bei  Hindernissen 
seitens  des  Beckens,  wobei  die  reflectorische  Thätigkeit  der  Wehe  in  Wegfall 
kommt  (Kaltenbach). 

Beide  Arten  der  Wehenschwäche  haben  Gefahren  für  die  Mutter  und 
für  das  Kind  im  Gefolge.  Die  grosse  körperliche,  zumeist  verfrühte  An- 
strengung reducirt  die  Körperkräfte  der  Kreissenden  auf  ein  Minimum;  gesellt 
sich  noch  vorzeitiger  Wasserabfluss  dazu,  so  kann  der  Rest  des  Fruchtwassers 
—  meist  durch  vieles  Untersuchen  —  mit  Keimen  inficirt  werden  und  sich 
zersetzen.  Dem  Kinde  erwächst  durch  die  Behinderung  des  placentaren  Kreiss- 
laufes Schaden,  es  wird  asphyktisch.  Selbst  nach  erfolgter  Ausstossung  des 
Kindes  kann  die  Wehenschwäche  durch  die  Blutungen  post  partum  gefährlich 
werden,  s.  Atonie  des  Uterus. 

Aus  dem  Gesagten  kann  man  sowohl  die  Diagnose  als  auch  die  Pro- 
gnose für/äie  Wehenschwäche  leicht  ableiten. 

Für  die  Behandlung  gilt  als  einzig  maassgebend  der  jeweilige  Zustand 
der  Frucht  blase.  So  lange  die  Blase  steht,  hat  der  Arzt  die  Patientin 
und  Umgebung  (!)  zu  beruhigen,  zur  Geduld  zu  ermahnen  und  solche  selbst 
in  ausreichendstem  Maasse  in  Anwendung  zu  bringen,  die  Blase  zu  schonen 
und  ja  nicht  eher  zu  sprengen  bis  der  Muttermund  nicht  mindest  für  zwei 
Querfinger  durchgängig  ist  und  die  Kindestheile  nicht  fest  ihm  anliegen. 

Nach  dem  Blasensprunge  ist  vorerst  die  Dehnung  des  Collum  abzu- 
warten, eventuell  diese  durch  w^arme  Scheiden-Douchen,  Bäder  in  toto  anzu- 
regen. Blutungen  in  der  Geburt  machen  eine  Scheidentamponade  (feuchte, 
sterile  Watte  oder  Gaze,  nicht  trockene  Watte!)  nöthig.  Die  Darreichung 
von  Mutterkornpräparaten  ist  überhaupt  zu  unterlassen;  man  erzielt  damit 
nur  die  entgegengesetzte  Wirkung,  und  schädigt  Mutter  und  Kind. 

Ebensowenig  sind  wir,  mit  Rücksicht  auf  die  Infectionsgefahr  für  das 
Einlegen  elastischer  Instrumente  oder  die  gewaltsame  Dehnung  der  Cervix. 
Dass  eine  überfüllte  Blase  entleert,  der  Gasansammlung  im  Bauche  durch 
einen  aromatischen,  lauen  Einlauf  entgegengearbeitet  werden  müsse,  ebenso 
dass  man  bei  fieberhaften  Erkrankungen  und  grossen  Schmerzen  mit  dem  ge- 
eigneten Mittel  vorzugehen  habe,  ergiebt  sich  von  selbst. 

Stillt  das  planmässige,  ausdauernde  und  kräftige  Massiren  des  entbun- 
denen Uterus  die  infolge  Wehenschwäche  aufgetretene  Blutung  nicht,  so 
greife  man  zur  Uterustamponade  nach  Dühessex  mit  Jodoformgaze, 
welchem  Verfahren  wir  ganz  ausgezeichnete  Erfolge  verdanken. 

Zu  starke  Wehen  sind  diejenigen,  wo  die  Pausen  innerhalb  der  Con- 
tractionen  so  kurz  ausfallen,  dass  letztere  in  einander  überzugreifen  scheinen, 
w^obei  ihre  Energie    den  Wehenschmerz    bis  ins  Unerträgliche  steigert.    Die 


904  WEHEN. 

Kranke  nimmt  hiebei,  um  dem  qualvollen  Zustande  ein  rascheres  Ende  zu  be- 
reiten, tiefste  Inspirationen  und  drängt  auf  das  kräftigste  mit,  wodurch  es  dann 
zur  Schwellung  der  Venen  am  Halse,  wohl  auch  zu  Brust-  und  Nacken- 
hautemphysem kommen  mag.  Meist  wird  auch  über  einen  sehr  heftigen, 
stechenden  Schmerz  in  der  Gebärmutter  geklagt.  Besteht  unter  sothanen 
Verhältnissen  eine  erhebliche  Behinderung  seitens  des  Beckens  oder  des  Kindes 
nicht,  so  wird  letzteres  während  eines  solchen  „Wehensturmes"  aus  den 
Genitalien  hinausgestossen :  „Sturzgeburt"""),  (partus praecipitatus). 

Die  Ursachen  dafür  liegen  wie  bei  der  Wehenschwäche  entweder  direct 
im  Organe  selbst,  u.  zw.  in  partieller  Hypertrophie  der  Musculatur  (Cazeaux) 
oder  in  entzündlichen  Processen  derselben;  oder  sie  sind  indirecter  Art. 
Zu  diesen  zählen  die  durch  mangelhafte  Entwickelung,  fehlerhaftes  Becken 
gesetzten  Uebelstände,  zumeist  aber  der  durch  wiederholte  (unnöthige!)' Un- 
tersuchung hervorgerufene  Reiz.  Dass  psychische  Eindrücke,  Angst  und 
Furcht,  so  das  Eintreten  des  Arztes  und  Vorbereitungen  zu  einem  instrumen- 
tellen  Eingriffe,  die  Wehenthätigkeit  in's  Uebermaass  steigern  können,  ist  er- 
fahrungsgemäss  bekannt.  Sturzgeburten  in  eklamptischen  Anfällen  haben  wir 
wiederholt  beobachtet. 

Der  Wehensturm  pflegt  sich  öfter  bei  Mehrgebärenden  einzustellen,  nach 
WiNCKEL  käme  er  überhaupt  beinahe  der  Hälfte  aller  Kreissenden  zu.  Den 
oben  erwähnten  fixen  Schmerz  in  der  Gebärmutter  bei  zu  starken  Wehen 
leitet  WiGAND  und  Winckel  aus  der  zu  kurz  gerathenen  Nabelschnur  ab. 

Von  Bedeutung  in  forensischer  Beziehung  ist  der  Wehensturm  und  die 
Sturzgeburt;  letztere  insbesonders  mit  Rücksicht  auf  die  dabei  gesetzten  Ver- 
letzungen der  Mutter  und  des  Kindes.  Bei  ersterer  erfolgt  ein  mehr  minder 
ausgiebiger  Dammriss,  doch  kann  es  auch  zum  Prolapsus  und  Inversion 
kommen;  oder  der  übermässig  angestrengte  und  gespannte  Uterus  in  Atonie 
verfallen,  (v.  Artikel  „Atonia  uteri'\  pag.  56). 

Diese  und  die  gesetzten  Puerperalgeschwüre  bergen  grosse  Gefahren, 
während  dem  Kinde  eine  Verblutung  durch  Zerreissung  der  Nabelschnur  bei 
dem  (oft  beabsichtigten)  Sturze  droht. 

Die  Therapie  des  Wehensturmes  hat  vor  allem  auf  die  Beruhigung  der 
Kreissenden  zu  wirken;  lässt  das  Drängen  trotz  Zuspruches  und  geeigneter 
Lagerung  nicht  nach,  so  ist  Opium  per  anum  oder  Morphium  hypodermatisch 
angezeigt,  nöthigenfalls  schafft  eine  leichte  (stets  mit  Assistenz  ausgeführte) 
Chloroform-Narkose  rasche  Hilfe.  Man  vermeide  jeden  Eingriff  und  sorge 
erst  bei  Vortritt  des  Kindes  für  Dammschutz,  wie  man  sich  nach  der  rapiden 
Entbindung  eine  genaue  Ueberwachung  der  Uteruscontraction  angelegen 
sein  lasse. 

Krampfhafte  Wehen  sind  diejenigen,  wenn  bei  erhöhtem  Schmerze 
und  Temperatur  die  Musculatur  des  Uterus  theilweise  oder  auch  in  toto  in 
Contraction  gelangt,  ohne  dass  dabei  die  nöthigen  Pausen  auftreten.  Solche 
Wehen  sind  ganz  ohne  Energie,  der  Geburtsverlauf  gehemmt. 

Die  krampfartigen  th eilweisen  Contractionen  kommen  am  Orificium 
internum,  auch  wohl  an  den  Tubenwinkeln  vor,  entwickeln  sich  zumeist  in 
dem  spätem  Geburtsverlaufe  und  werden  Trismus  uteri,  auch  spastische 
Strictur  genannt;. diese  Namen  erhielten  sie  daher,  weil  sie  die  Nachgeburt, 
aber  ebenso  auch  den  Kopf  und  Hals  des  Kindes  umschnürt  halten  können. 

Besteht  hingegen  die  Contraction  anhaltend  über  das  ganze  Organ 
verbreitet,  sind  die  Wehenpausen  nicht  nachweislich,  so  kommt  die  tonische 
Krampfwehe  zu  Stande,  auch  Tetanus  uteri  genannt,  (s.  Artikel:  „Te- 
tanus uteri'-''  pag.  803). 


*=)  Vergl.  Artikel  „Partus  praecipitatiis"  pag.  618. 


WENDUNG.  905 

Von  beiden  ist  der  Trismus  die  häufigere,  auch  günstigere  Forin;  ihre 
Entstehungsursachen  sind  so  ziemlich  die  gleichen;  beiden  fallen  die  gleichen 
Gefahren  für  Mutter  und  Ivind  (Uterusruptur  und  As])hyx)ej  zur  Last,  wie 
auch  ihre  Therapie  sich  deckt. 

Den  „Nach wehen",  richtiger  „Nachgebu  rtsweh  en"  kommt  weder 
eine  pathologische  Bedeutung,  noch  irgend  ein  besonderes  therapeutisches 
Verfahren  zu.  elischkk. 

Wendung:  Unter  Wendung  verstehen  wir  jenen  geburtshilflichen 
Eingriff,  welcher  zum  Zwecke  hat,  eine  vorhandene  Fruchtlage  in  eine  für 
den  betreffenden  Geburtsfall  günstigere  Fruchtlage  umzuwandeln.  Sie  wird 
daher  in  solchen  Fällen  vorgenommen,  wo  eine  Fruchtlage  besteht,  in  der  die 
Geburt  unmöglich  ist  oder  in  solchen  Fällen,  wo  die  vorhandene  Fruchtlage 
im  Interesse  des  mütterlichen  und  kindlichen  Lebens  weniger  günstig  für  den 
betreffenden  Fall  erscheint  als  eine  zweite  erst  herzustellende  Fruchtlage.  Je 
nachdem  wir  die  vorhandene  Fruchtlage  in  eine  Schädel-  oder  Beckenendlage 
verwandeln,  sprechen  wir  von  einer  Wendung  auf  den  Kopf  und  von 
einer  Wendungauf  dasBeckenende.  Die  Wendung  auf  den  Kopf  kann 
ausgeführt  werden  bei  Querlagen,  Schräglagen  und  Becken-Endlagen,  die  Wen- 
dung auf  das  Beckenende  bei  Quer-,  Schräg-  und  Kopflagen.  Abgesehen  von 
dieser  eben  erwähnten  Eintheilung  der  Wendung  müssen  wir  nach  der  Art 
der  in  Verwendung  kommenden  Methode  für  das  Capitel  Wendung  noch  fol- 
gende Unterabtheilungen  aufstellen: 

a)  Wendung  durch  äussere  Handgriffe,  h)  Wendung  durch  Lageveränderung, 
c)  innere  Wendung  (W.  durch  innere  Handgriffe)  d)  Comhinirte  Wendung  (W. 
durch  innere  und  äussere  Handgriffe). 

I.  Die  Wendung  auf  den  Kopf:  Die  Wendung  auf  den  Kopf  wird 
nur  in  seltenen  und  ganz  bestimmten  Fällen  zur  Ausführung  kommen;  wir 
haben  in  defr  Regel  keine  Veranlassung  eine  vorhandene  Becken-Endlage  in 
eine  Schädellage  zu  verwandeln,  und  wie  aus  dem  Nachfolgenden  hervorgehen 
wird,  ist  es  auch  bei  Querlagen  zweckmässiger,  die  Wendung  auf  das  Becken- 
ende vorzunehmen,  so  dass  für  die  Wendung  auf  den  Kopf  fast  nur  jene  Fälle 
übrig  bleiben,  bei  welchen  nur  ein  geringer  Grad  von  Schräglage  besteht,  d.  h. 
der  kindliche  Schädel  gegen  den  einen  oder  anderen  Darmbeinteller  abgewichen 
ist.  Wir  müssen  ja  bedenken,  dass  nach  einer  Wendung  auf  den  Kopf  sich 
der  weitere  Geburtsverlauf  ebenso  gestalten  muss  wie  bei  primären  Schädel- 
lagen, d.  h.  die  Beschleunigung  der  Geburt  durch  operative  Eingriffe  ist  bei 
Schädellagen  an  eine  Reihe  von  Bedingungen  geknüpft,  welche  erst  im  weiteren 
Verlaufe  der  Geburtsthätigkeit  eintreten,  während  wir  unter  gleichen  Um- 
ständen bei  Becken-Endlagen  viel  eher  die  Möglichkeit  haben,  den  Geburts- 
verlauf zu  beschleunigen.  Wenn  der  kindliche  Schädel  nach  der  einen  oder 
anderen  Seite  ausgewichen  ist,  so  werden  wir  die  Wendung  auf  den  Kopf  in 
den  Fällen  ausführen,  wo  nicht  die  Ursache  für  das  Abweichen  des  kindlichen 
Schädels  zugleich  ein  bedeutendes  Hindernis  für  den  Eintritt  des  Schädels  in 
den  Beckeneingang  abgibt,  d.  h.  in  den  Fällen,  wo  es  sich  um  ein  grösseres 
räumliches  Missverhältnis  handelt,  welches  das  Abweichen  des  kindlichen 
Schädels  verursacht,  werden  wir  die  speciellen  Verhältnisse  des  einzelnen 
Falles  wohl  zu  erwägen  haben,  um  zu  erkennen,  ob  die  Wendung  auf  den  Kopf 
zweckmässig  sei  oder  nicht.  Wenn  es  sich  z.  B.  um  ein  platt  verengtes 
Becken  mit  einer  Conjugata  vera  nicht  viel  über  S  cm  handelt,  so  würden  wir  in 
einem  solchem  Falle  die  Wendung  auf  den  Fuss  der  Wendung  auf  den  Kopf  vor- 
ziehen, weil  wir  ja  wissen,  dass  der  nachfolgende  Kopf  den  Eingang  eines 
platt  verengten  Beckens  leichter  passirt  als  der  vorangehende  Kopf,  andererseits 
würde  ein  allgemein  verengtes  Becken  uns  bestimmen,  die  Wendung  auf  den 
Kopf  derjenigen  auf  das  Beckenende  vorzuziehen.   In  anderen  Fällen  ist  das 


906  WENDUNG. 

Abweiclien  des  kindlichen  Schädels  bedingt  durch  eine  abnorm  grosse  Menge 
von  Fruchtwasser  (relatives  und  absolutes  Hydramnios);  in  solchen  Fällen  wird 
die  Vornahme  der  Wendung  auf  den  Kopf  allein  nicht  genügen,  um  den 
kindlichen  Schädel  in  den  Beckeneingang  zu  leiten  und  auf  diese  Weise  die 
Frucht  in  Schädellage  zu  fixiren,  sondern  man  wird  zugleich  die  Ursache  für 
das  Abweichen  des  Schädels  beseitigen  durch  Eröffnung  der  Fruchtblase  und 
Entleerung  des  Fruchtwassers.  Bei  Weitem  am  häufigsten  kommt  jedoch  das 
Abweichen  des  kindlichen  Schädels  vom  Beckeneingange  zustande  durch 
Schlaffheit  des  Uterus-Gewebes,  wie  wir  das  bei  Mehrgebärenden  so  häufig 
finden;  da  ist  wohl  die  Wendung  auf  den  Kopf  der  zweckmässigste  Vorgang. 

Die  W  endung  auf  den  Kopf  kann  zunächst  durch  äussere  Hand- 
griffe vollzogen  werden,  indem  der  Geburtshelfer  die  eine  Hand  von  der 
Bauchwand  der  Mutter  her  auf  den  kindlichen  Schädel,  die  andere  Hand-  auf 
den  kindlichen  Steiss  auflegt.  Während  nun  die  eine  Hand  den  kindlichen 
Schädel  herunter  gegen  den  Beckeneingang  bringt,  schiebt  die  andere  Hand 
den  Steiss  in  den  Fundus  uteri;  wird  nun  der  Schädel  nicht  bald  durch  die 
Wehenthätigkeit  im  Beckeneingang  fixirt,  oder  ist  ein  besonderes  Hindernis 
für  sein  Eintreten  vorhanden,  so  wird  diese  Art  der  Wendung  auf  den  Kopf 
sich  als  vollständig  zwecklos  erweisen.  Bei  geringem  Grade  des  Abweichens 
des  Schädels  vom  Beckeneingange,  wird  die  Wendung  auf  den  Kopf  durch  Lage- 
veränderung der  zweckmässigste  Vorgang  sein,  in  der  Art,  dass  man  die 
Gebärende  auf  jene  Seite  legt,  gegen  welche  der  kindliche  Schädel  ausgewichen 
ist,  d.  h.  auf  die  rechte  Seite,  wenn  der  Schädel  gegen  den  rechten  Dann- 
beinteller  hin  ausweicht,  auf  die  linke  Seite,  wenn  der  Schädel  zum  linken 
Darmbeinteller  sich  hinbewegt.  Es  sinkt  dabei  der  Fundus  uteri  mit  dem 
Steisse  nach  jener  Seite,  auf  welche  wir  die  Gebärende  gelagert,  und  der  kind- 
liche Schädel  wird  dadurch  gezwungen,  nach  der  entgegengesetzten  Seite,  d.  h, 
gegen  den  Beckeneingang  hin  sich  zu  bewegen,  woselbst  er  durch  die  bald 
kräftiger  einsetzenden  Wehen  fixirt  wird.  Es  ist  daher  zweckdienlich,  die 
Gebärende  durch  längere  Zeit  die  Seitenlage  einnehmen  zu  lassen,  damit  nicht 
die  vorher  vorhandene  Schräglage  sich  wieder  einstelle.  Die  innere  Wendung 
auf  den  Kopf  wird  in  der  Regel  nicht  ausgeführt,  viel  häufiger  die  com- 
binirte  Wendung;  sie  besteht  darin,  dass  man  mit  ein  bis  zwei  Fingern 
durch  den  Cervicalcanal  bis  zum  inneren  Muttermund  vordringt  —  Bedingung 
für  die  combinirte  Wendung  ist  daher  die  Durchgängigkeit  des  Cervicalcanales 
und  des  inneren  Muttermundes  —  und  dass  man  durch  die  von  aussen  her 
palpirende  zweite  Hand  den  kindlichen  Schädel  dem  vom  inneren  Mutter- 
munde aus  wirkenden  Finger  nahe  bringt.  Dieser  Finger  versucht  nun  den 
kindlichen  Schädel  gegen  den  Beckeneingang  concentrisch  herabzuleiten, 
während  die  äussere  Hand  vom  Schädel  weg  gegen  den  im  Fundus  liegenden 
Steiss  geht,  durch  äussere  Handgriffe  die  Längslage  vollständig  macht  und 
nunmehr  durch  Massage  des  Fundus  W^ehen  erregt,  welche  den  kindlichen 
Schädel  im  Beckeneingange  fixiren.  Zweckmässig  ist  es  hiebei,  mit  dem  im 
inneren  Muttermunde  befindlichen  Finger,  die  Fruchtblase  zu  sprengen,  wenn 
nicht  irgend  welche  Contraindicationen  den  vorzeitigen  Wasserabtiuss  ver- 
bieten. 

H.  Die  Wendung  auf  das  Beckenende:  Die  Wendung  auf  das 
Beckenende  ist  je  nach  dem  Fruchttheile,  welcher  nach  der  Wendung  als  der 
tiefst  liegende  erscheint,  eine  Wendung  auf  den  Steiss,  auf  das  Knie  oder  auf 
den  Fuss.  Entsprechend  dem,  dass  wir  bei  Becken-Endlagen  die  wenigsten 
Handhaben  zur  raschen  Beendigung  der  Geburt  bekommen,  wenn  es  sich  um 
Steisslagen  handelt,  werden  wir  wenn  möglich  die  Wendung  auf  den  Steiss 
vermeiden,  und  vielmehr  die  Wendung  auf  den  Fuss  vorziehen.  Nachdem 
wir  nun  wieder  wissen,  dass  die  einfachen  P'^usslagen  für  das  kindliche  Leben 
viel  günstigere  Verhältnisse  abgeben  wie  die  unvollkommenen  Fusslagen,  weil 


WENDUNG.  907 

bei  den  einfachen  Fusslagen  der  zweite  Fuss  längs  der  Bauchfläche  der 
Frucht  hinaufgeschlagen  gleichzeitig  mit  dem  Kurnpfe  den  Muttermund  passirt 
und  somit  denselben  für  den  nachfolgenden  Kopf  viel  besser  dilatirt,  als  dies 
bei  vollkommener  Fusslage  der  Fall  sein  kann,  so  macht  man  die  Wendung 
auf  das  Beckenende  stets  in  der  Weise,  dass  man  die  Wendung  aut 
einen  Fuss  ausführt. 

Indicatioiien  für  die  Wendung  auf  den  Fuss  sind  zunächst  die  fol- 
genden: 1.  Die  Querlage:  In  Querlage  kann  eine  über  den  8.  Schwanger- 
schaftsmonat hinaus  entwickelte  Frucht  nicht  mehr  oder  nur  in  den  seltensten 
Fällen  das  mütterliche  Becken  passiren.  Wird  nicht  rechtzeitig  die  Querlage 
durch  eine  Wendung  beseitigt,  so  wird  bei  Abfluss  des  Fruchtwassers  die 
vorliegende  Schulter  in  den  Beckeneingang  eintreten  und  durch  die  stürmi- 
schen Contractionen  des  Uterus  bald  im  Beckeneingange  fixirt  werden,  fein- 
gekeilte Schulterlage,  vernachlässigte  Querlage).  Der  Tod  der  Frucht  tritt 
bald  nach  dieser  Einklemmung  ein,  und  es  erscheinen  nun  schwere  Gefahren 
für  das  mütterliche  Leben,  wenn  nicht  rechtzeitig  noch  Hilfe  gebracht  wird. 
Die  Contractionen  des  Uterus  werden  in  dem  Bestreben,  den  Fruchtkörper 
auszutreiben,  bald  zur  Folge  haben,  dass  der  Fruchtkörper  zwar  aus  der 
Höhle  des  Corpus  uteri  nach  abwärts  getrieben  wird;  da  aber  die  vorhandene 
Schulterlage  ein  unüberwindliches,  räumliches  Missverhältnis  darstellt,  so  wird 
in  weiterer  Folge  das  ausserordentlich  stark  ausgedehnte  untere  Uterinsegment 
und  das  verdünnte  Collum  uteri  den  Raum  abgeben,  in  welchem  sich  der 
Fruchtkörper  nunmehr  befindet,  wodurch  die  Gefahr  einer  Uterusruptur  ausser- 
ordentlich imminent  geworden  ist.  Wir  haben  daher  die  Verpflichtung,  bei 
jeder  Querlage,  die  uns  zur  Beobachtung  kommt,  sobald  als  möglich  die 
Wendung  auszuführen,  falls  nicht  die  schon  bestehende  Gefahr  der  Uterus- 
rupturHie  Vornahme  der  Wendung  verbietet,  in  welchem  Falle  die  Embryotomie 
das  geeigneteste  Entbindungsverfahren  darstellt. 

2.  Der  Vorfall  der  Nabelschnur  oder  von  Extremitäten  neben  dem  im 
Beckeneingange  beweglichen  Schädel.  Dieses  Ereignis  tritt  ein,  wenn  der 
Blasensprung  erfolgt  bei  nicht  fixirten  Schädel  und  wird  besonders  begünstigt 
durch  das  platt  verengte  Becken;  wenn  die  Nabelschnur  neben  dem  im  Becken- 
eingange befindlichen  Schädel  pulslos  vorgefallen  ist,  so  entfällt  die  Noth- 
wendigkeit,  da  ja  der  Nabelschnurvorfall  nur  quoad  vitam  infantis  eine  In- 
dication  zur  Wendung  abgibt,  wir  daher  blos  den  Vorfall  der  pulsir enden 
Nabelschnur  neben  den  im  Beckeneingange  beweglichen  Schädel  als  eine  In- 
dication  zur  Wendung  bezeichnen  können,  da  Repositionsversuche  der  Nabel- 
schnur in  der  Regel  erfolglos  sind.  Ist  eine  Hand  neben  dem  im  Becken- 
eingange beweglichen  Schädel  vorgefallen,  so  werden  wir  bei  normalem  Becken 
die  Hand  reponiren,  bei  verengtem  Becken  jedoch  die  Wendung  vornehmen. 
Bei  Vorfall  eines  Fusses  neben  dem  Schädel  wird  die  Wendung  unter  allen 
Umständen  indicirt  sein. 

3.  Das  platt  verengte  Becken  wird  bei  Mehrgebärenden  eine  Indication 
zur  Wendung  vom  Kopfe  auf  den  Fuss  sein,  wenn  die  Conjugata  vera  nicht 
kleiner  ist  als  8  cm;  ist  sie  kleiner  als  8  cw,  so  haben  wir  in  der  Regel  keine 
Aussicht  mehr,  das  Kind  lebend  extrahiren  zu  können,  es  sei  denn,  dass  es 
sich  um  einen  kleinen  und  erweichten  Schädel  handle  oder  dass  wir  duiTh 
die  Symphyseotomie  oder  Sectio  caesarea  ein  lebendes  Kind  entwickeln  wollten. 

4.  Excentrische  Einstellung  des  kindlichen  Schädels  im  Beckeneingange. 
Wenn  der  kindliche  Schädel  in  Gesichtslage,  Stirnlage,  Vorderscheitelbein- 
oder Hinterscheitelbeineinstellung  im  Beckeneingange  noch  beweglich  steht, 
insbesondere  bei  noch  intacter  Fruchtblase,  wird  die  Wendung  auf  den  Fuss 
für  die  Geburt  günstigere  Verhältnisse  darstellen,  als  sie  sich  bei  weiter  fort- 
bestehender eben  erwähnten  Schädeleinstellung  ergeben  würden. 


908  WENDUNG. 

5.  Piacent a  praevia:  So^Yohl  bei  lateraler  als  bei  totaler  Placenta  praevia 
ist  das  hervorstechendste  und  gefahrdrohendste  Symptom  die  Blutung.  In 
einem  solchen  Falle  müssen  wir  zwei  Indicationen  zugleich  genügen,  einer- 
seits die  Quelle  der  Blutung  zu  verstopfen,  andererseits  die  Geburt  möglichst 
zu  beschleunigen.  Diesen  beiden  Indicationen  genügen  wir  durch  die  Wendung 
auf  den  Fuss,  die  zur  Folge  hat,  dass  einerseits  der  herabgezogene  Fuss, 
resp.  Steiss  auf  die  blutende  Stelle  drückt  und  dieselbe  demgemäss  tamponirt, 
während  andererseits  der  Fortgang  der  Geburt  dadurch  wesentlich  beschleunigt 
wird.  Sollten  jedoch  die  Geburtswege  für  die  Vornahme  der  Wendung  noch 
nicht  genügend  vorbereitet  sein,  so  musste  die  Tamponade,  resp.  die  Colpeuryse 
des  Cervicalcanals  und  der  Vagina  der  Wendung  vorausgehen. 

Schliesslich  kommen  noch  alle  jene  Indicationen  in  Frage,  welche  auch 
für  die  Zange  und  die  anderen  geburtshilflichen  Eingriffe  gelten,  wenn  eine 
Beschleunigung  der  Geburt  im  Interesse  der  mütterlichen  oder  kindlichen 
Gesundheit  erforderlich  ist  und  die  Bedingungen  für  eine  rasche  Entbindung, 
für  die  Vornahme  der  Wendung  viel  eher  gegeben  sind  als  für  einen  anderen 
geburtshilflichen  Eingriff,  d.  h.  wenn  für  die  rasche  Beendigung  der  Geburt 
eine  Fusslage  zweckdienlicher  erscheint  als  eine  andere,  vorhanden  gewesene 
Fruchtlage. 

Wie  bei  jedem  geburtshilflichen  Eingrifte  kann  eine  vorhandene  Indica- 
tion  uns  blos  anzeigen,  dass  Kunsthilfe  nothwendig  sei;  die  Wahl  des  in 
Frage  kommenden  geburtshilflichen  Eingritfes  hängt  jedoch  von  der  Erfüllung 
der  Bedingungen  für  die  einzelnen  geburtshilflichen  Operationen  ab.  Wir 
müssen  demgemäss,  ehe  wir  über  die  Ausführung  der  Wendung  sprechen, 
die  Bedingungen  anführen,  welche  nothwendig  erfüllt  sein  müssen,  soll  die 
Wendung  in  diesem  oder  jenem  Falle  in  Frage  kommen.  Da  die  Wendung 
eine  Lageveränderuug  der  Frucht  anstrebt,  so  ist  die  Hauptbedingung  für 
dieselbe  die  Beweglichkeit  der  Frucht,  es  darf  kein  Fruchttheil  so  weit 
in  den  Beckeneingang  eingetreten  sein,  dass  dadurch  eine  Fixation  der  Frucht- 
lage erfolgt  ist.  Die  günstigen  Bedingungen  für  die  Ausführung  der 
Wendung  sind  folgende:  1.  Die  Frucht  muss  beweglich  sein.  2.  Die 
Fruchtblase  soll  noch  intact  sein,  3.  Wenn  das  Fruchtwasser 
bereits  abgeflossen  ist,  so  darf  dies  noch  nicht  vor  so  langer 
Zeit  geschehen  sein,  dass  dadurch  die  Fixation  der  Frucht  zu- 
stande gekommen.  4.  Der  Muttermund  soll  wo  möglich  ver- 
strichen sein.  5.  Ein  absolutes  räumliches  Missverhältnis  muss 
fehlen.  6.  Eine  Dehnung  des  Collum  uteri  oder  sonst  irgend 
ein  die  Gefahr  der  Uterusruptur  anzeigendes  Symptom  darf 
nicht  vorhanden  sein.  In  einzelnen  Fällen  ist  es  nun  nicht  möglich,  mit 
der  Vornahme  der  Wendung  zu  warten,  bis  der  Muttermund  vollständig  ver- 
strichen ist;  dann  muss,  wenn  auch  unter  schwierigen  Verhältnissen,  die 
Wendung  auch  bei  noch  nicht  verstrichenem  Muttermunde  ausgeführt  werden, 
und  für  diese  wenigen  Fälle  müssen  wir  als  Axiom  aufstellen,  dass  der 
Cervicalcanal  für  mindestens  zwei  Finger  gut  passirbar  und  dehnbar  sei. 
Die  Wendung  wird  am  zweckmässigsten  am  Querbette  ausgeführt,  um  auf 
diese  Weise  sofort  auch  Alles  für  die  nachfolgende  nothwendig  werdende 
Manualhilfe  (eventuell  Extraction)  vorzubereiten.  Die  Gebärende  kann  dabei 
sich  in  Rückenlage  befinden,  während  es  zweckmässig  ist,  in  jenen  Fällen,  in 
welchen  die  Wendung  vollzogen  wird,  bei  schon  vorher  stattgehabtem  Wasser- 
abflüsse die  Seitenlage  zu  wählen,  wobei  die  zu  Entbindende  auf  jene  Seite 
gelagert  wird,  gegen  welche  die  kindlichen  Füsse  gerichtet  sind.  Wir  unter- 
scheiden die  innere  Wendung,  bei  welcher  wir  mit  der  ganzen  Hand  in 
den  Muttermund  eindringen  können,  von  der  combinirten  Wendung,  das 
ist  jener,  bei  welcher  nur  zwei  bis  drei  Finger  eingeführt  werden  können, 
und  die  äusseren  Handgriffe  demgemäss  die  Hauptrolle  spielen.    (Wendung 


WENDUNG. 


909 


nach  Braxton  Hicks.)  Es  ist  klar,  dass  die  innere  Wendung  leichter  aus- 
führbar und  im  Interesse  des  mütterlichen  und  kindlichen  Lebens  gelegen 
sei,  da  ja  einer  Wendung  bei  verstrichenem  Muttermunde  die  Ausstossung, 
resp.  Ausziehung  der  Frucht  viel  rascher  nachfolgen  kann,  als  wenn  die 
Wendung  bei  noch  engem  Muttermunde  vollzogen  worden  ist.  Man  muss 
daher  wenn  möglich  in  allen  Fällen,  in  denen  eine  Wendung  indicirt  ist,  mit 
derselben  warten,  bis  der  Muttermund  verstrichen  ist,  es  sei  denn,  dass  die 
Verhältnisse  ein  solches  Zuwarten  als  unthunlich  erscheinen  lassen  und  wir 
uns  demgemäss  aus  diesen  Rücksichten  trotzdem  zur  combinirten  Wendung 
entschliessen  müssen.  So  werden  wir  bei  einer  Tlacenta  praevia  wegen  der 
Blutung  das  Verstreichen  des  Muttermundes  nicht  abwarten,  sondern  sobald 
als  möglich  die  Wendung  ausführen  müssen.  Während  wir  bei  einer  (Querlage, 
solange  die  Fruchtblase  intact  ist,  mit  der  Wendung  wo  möglich  warten,  bis 
der  Muttermund  vollständig  verstrichen  ist,  werden  wir  in  dem  Momente,  wo 
die  Blase  springt,  die  Wendung  auch  bei  nicht  verstrichenem  Muttermunde 
vorzunehmen  trachten,  um  einen  Vorfall  der  Nabelschnur  oder  die  Einkeilung 
der  Schulter  zu  verhindern.  Bei  leichteren  Wendungen  ist  die  Narkose  nicht 
unbedingt  nothwendig,  in  jenen  Fällen  jedoch,  wo  die  Wendung  schwieriger 
durchführbar  und  schmerzhafter  ist,  soll  die  Narkose  nicht  vermieden  werden. 

Die  innere  Wendung 
wird  in  der  Weise  voll- 
zogen, dass  man  mit 
der  bis  über  den  Vor- 
derarm gut  desinficirten 
Hand  in  die  Vagina 
eingeht,  wobei  der  Dau- 
men durch  Gegenüber- 
stellung zu  den  anderen 
Fingern  adducirt,   und 

dadurch  die  Hand 
schmal  gemacht  wird, 
und,  um  ein  schmerz- 
haftes Einstülpen  der 
Schamhaare  und  Scham- 
lippen zu  vermeiden, 
die  Vulva  durch  zwei 
Finger  der  anderen 
Hand     eröffnet     wird. 

Es    ist    klar,     dass 
wie  bei  jedem  anderen 

geburtshilflichem  Eingriffe  auch  der  Vornahme  der  Wendung  die  Entleerung 
der  Blase  und  die  sorgfältigste  Desinfection,  welche  sich  in  diesem  Falle  auch 
auf  die  Bauchdecken  der  Mutter  erstrecken  soll,  vorangehen  müssen.  Hiebei 
muss  darauf  geachtet  werden,  dass  die  Wahl  der  eingeführten  Hand  die  rich- 
tige sei.  d.  h.  wir  gehen  zur  Wendung  mit  jener  Hand  ein,  welche  der  Seite 
der  Mutter  entspricht,  gegen  welche  die  kindlichen  Füsse  gerichtet  sind  d.  h. 
bei  erster  Querlage,  bei  welcher  der  Kopf  in  der  linken,  die  Füsse  in  der 
rechten  Uteruswandung  sich  befinden,  wenden  wir  mit  der  linken  Hand,  bei 
zweiter  Querlage  d.  h.  bei  Rechtslage  des  Kopfes  wenden  wii'  mit  der  rechten 
Hand.  Ist  die  betreffende  Hand  durch  den  Scheideneingang  hindurch  in  die 
Vagina  gelangt,  so  soll  die  zweite  Hand  sofort  auf  den  Fundus  uteri  auf- 
gelegt werden,  um  zu  verhindern,  dass  die  von  der  Scheide  aus  vordringende 
Hand  den  ganzen  Uterus  in  die  Höhe  schiebe  und  dadurch  zwecklos  Zerrun- 
gen der  Weich theile  bedinge;  andererseits  ist  es  zweckmässig,  wenn  die  von 
aussen  wirkende  Hand  die  Füsse  der  Frucht,  resp.  den  Steiss  der  innen  ynr- 


Fig.     Innere  Wendung  auf  den  Fuss,  Ergreifen  des  oberen  Fusses  bei 
dorso-posteriorer  Querlage.    Aus  Dödeklein's  Leitfaden  1.  c. 


910  WENDUNG. 

kendeu  Hand  entgegenbringt  und  in  dem  Momente,  wo  die  wendende  Hand 
den  herabzuziehenden  Fuss  erfasst  hat,  an  den  kindlichen  Schädel  geht  und 
denselben  gegen  den  Fundus  uteri  leitet. 

Wir    nehmen    zunächst    den    einfachsten    Fall     an,     es    handle     sich 
um    eine    Querlage    bei    verstrichenem    Muttermunde  und  stehender  Frucht- 
blase.    Die    eingeführte     Hand    gelangt    bis     an    den     Muttermund     und 
stösst    auf   die    Kuppe   der    sich   vorbuchtenden   Fruchtblase.     Man    sprengt 
nun    die    Fruchtbläse,    wobei    in    der    Regel    eine  grössere   Menge    Frucht- 
wassers   der    Hand     entgegenströmt.     Da   bemerkt     man     häufig,    dass    der 
Anfänger  von    diesem    Ereignisse    überrascht,    die    Hand    aus    der    Scheide 
zurückzieht,    was   zur  Folge  hat,    dass    das  ganze  Fruchtwasser  abfliesst,  die 
Nabelschnur  und  Extremitäten  vorfallen  können,  worauf  der  um  einen  grossen 
Theil  seines  Inhaltes  verkleinerte  Uterus  sich  contrahirt  und  der  weitere  Gang 
der  Wendung  wesentlich  erschwert  wird.   Wenn  man  jedoch  im  Momente  des 
Blasensprunges  mit  der  Hand  weiter  nach  aufwärts  in  das  Innere  der  Eihöhle 
vordringt,  so  wirkt  der  in  der  Scheide  liegende  Vorderarm  wie  ein  Tampon, 
die  Hauptmenge    des  Fruchtwassers   bleibt    erhalten    und  die  Wendung  voll- 
zieht sich  in  viel  leichterer  Weise,  indem  die  Hand  direct  den  herabzuziehen- 
den Fuss    aufsucht   und    erfasst.    Es   ist  nun  hiebet  nicht  ganz  gleichgiltig, 
welcher  Fuss    erfasst   und    herabgezogen   wird.     Wir   haben   in  dem  Capitel 
„Manucdhüfe  und  Extraction^'    erwähnt,    dass    der  normale  Mechanismus  bei 
der  Entwicklung   des  Rumpfes   einer   in  Becken-Endlage  befindlichen  Frucht 
der  sei,    dass    der  Rücken    der  Frucht    sich  nach  vorne  gegen  die  Symphyse 
drehe.     Wir   müssen   demgemäss  schon  bei  der  Wendung  dafür  sorgen,  dass 
das  Zustandekommen  dieses  normalen  Mechanismus  nicht  gestört  w^erde.    Zu 
diesem  Zwecke  befolgt  man  die  nachfolgende  Regel,  welche  besagt:  wenn  wir 
die  Wendung   mit   der   rechten  Hand  ausführen  müssen,    so    wird  auf  den 
linken  kindlichen  Fuss  gewendet  und  umgekehrt.   Je  nachdem  nun,  ob  der 
Rücken   des   in  Querlage   befindlichen  Kindes  gegen  die  vordere  Bauchwand 
der  Mutter  (erste  oder  dorsoanteriore  Stellung)  oder  gegen  die  Rückliäche  des 
Uterus   (zweite  oder    dorsoposteriore  Stellung)  gerichtet  ist,  wird  der  betref- 
fende,  herabzuziehende  Fuss    der  tiefer  gelegene,  d.  h.  dem  Beckeneingange 
zugewendete,  im  anderen  Falle  der  obere,  zwerchfellwärts  gelegene  sein.  Wir 
müssen    daher   stets  bestrebt  sein,    bei  Querlage  erster  Stellung  den  unteren 
Fuss,  bei  Querlage  zweiter  Stellung  den  oberen  Fuss  zu  ergreifen  und  herab- 
zuziehen, wodurch  der  normale  Mechanismus  in  günstigster  Weise  vorbereitet 
wird.     Wie   gelangen   wir   nun   am  zweckmässigsten  zum    erwähnten  Fusse? 
Die  Füsse  der  Frucht  liegen  entweder  im  Kniegelenke  gebeugt  oder  gestreckt 
an  der  Bauchwandung  der  Frucht,  so  dass  etwa  in  der  Gegend  des  Schwert- 
knorpels das  Knie  des  kindlichen  Fusses  gefunden  wird.     Bei  erster  Stellung 
der  Frucht   gehen   wir  demgemäss  in  der  Weise  vor,  dass  wir  mit  der  wen- 
denden Hand  gegen  den  nach  vorne  gekehrten  Rücken  der  Frucht  vordringen, 
unsere  Hand  nunmehr  längs  des  Rückens  gegen  den  Steiss  vorschieben    und 
entlang  der  nach  abwärts  gerichteten  Gesässbacke    an  den   unteren  Fuss 
weitergehen   und  denselben    entweder  am  Knie  oder  am  zweckmässigsten  am 
Fusse  selbst  erfassen.  Bei  zweiter  Stellung  würden  wir  den  Rücken  der  Frucht, 
der  nunmehr  nach  rückwärts  gekehrt  ist,  aufsuchen,  zum  Steisse  streben  und 
längs  der  oberen  Gesässbacke  den  nach  aufwärts  gerichteten  Fuss  ergreifen 
und   herabziehen.    Im  Momente   des  Herabziehens    des  Fusses   wird  die  von 
aussen  aufgelegte   zweite  Hand    den  kindlichen  Schädel  in  den  Fundus  uteri 
bringen,  da  erst  in  diesem  Momente  die  Wendung  vollzogen  ist.  Das  einfache 
Herabziehen   des  Fusses    genügt   nicht,    um  eine  Längslage,  Becken-Endlage 
herzustellen.     Würde   nach    dem  Herabziehen   des    einen  Fusses    die  weitere 
Geburt  nicht  von  statten  gehen,  weil  etwa  der  zweite  Fuss  sich   am  Becken- 
eingange anstemmt,    so  wäre  es  durch  Herabholen  des  zweiten  Fusses    noth- 


WINCKEL'SCHE  KRANKHEIT.  Oll 

wendig,  die  Wendung  auf  beide  Füsse  in  diesem  speciellen  Falle  auszuführen. 
Viel  schwieriger  ist  es,  wenn  die  Wendung  bei  schon  abgeflossenem 
Fruchtwasser  ausgeführt  werden  muss.  In  diesen  Fällen  ist  in  der  Kegel 
die  Narkose  unerlässlich,  und  erleichtert  man  sich  alle  Manipulationen,  wenn 
man  die  Gebärende  auf  die  Seite  lagert  u.  zw.  bei  erster  (Querlage  auf  die 
rechte,  bei  zweiter  Querlage  auf  die  linke  Seite,  während  sich  der  (Operateur 
an  den  Bücken  der  Gebärenden  stellt  und  die  Wendung  in  typischer  Weise 
vollzieht. 

Die  Wendung  nach  Braxton  Hicks  ist  dadurch  erschwert,  dass  man 
von  der  in  die  Scheide  eingeführten  Hand  nur  zwei  Finger  durch  den  inneren 
Muttermund  durchschieben  kann,  es  muss  daher  in  solchen  Fällen  die  von 
aussen  wirkende  Hand  die  Plauptarbeit  vollziehen,  zunächst  den  kindlichen 
Steiss  dem  inneren  Muttermunde  nahe  bringen,  und  dann,  wenn  ein  Fuss 
ergriffen  ist,  den  kindlichen  Schädel  in  den  Fundus  hinaufleiten.  Bei  der 
Wendung  von  dem  Kopfe  auf  den  Fuss  wird  bezüglich  der  Wahl  der  wen- 
denden Hand  die  schon  früher  erwähnte  Regel  in  Anwendung  kommen.  Dabei 
muss  die  in  den  Muttermund  eindringende  Hand  zuerst  den  kindlichen  Schädel 
in  die  Höhe  und  nach  jeuer  Seite  schieben,  gegen  welche  der  kindliche  liücken 
gekehrt  ist,  dann  erst  wird  der  betreffende  Fuss  vorgezogen.  Nachdem  bei 
einer  Wendung  vom  Kopfe  auf  den  Fuss  der  kindliche  Rumpf  einen  grösseren 
Bogen  beschreibt  als  bei  der  Wendung  aus  Querlage,  demgemäss  das  Collum 
uteri  einer  grösseren  Spannung  ausgesetzt  wird  als  bei  Querlagen,  muss  bei 
der  Wendung  vom  Kopfe  auf  den  Fuss  die  Aufmerksamkeit  des  Geburtshelfers 
in  erhöhtem  Maasse  auf  die  Intacterhaltung  des  Cervix  gerichtet  sein.  Wegen 
diftser  grösseren  Spannung  wird  auch  die  Wendung  vom  Kopfe  auf  den  Fuss 
lieb^bei  Mehrgebärenden  als  bei  Erstgebärenden  gemacht. 

\  K.    A.    HEEZFELD. 

WinckerSChe  Krankheit.  {Cyanosis  infantiUs  icterica  lierniciosa  cum 
haemoglohinuria.  —  Haemoglohinuria  neonatortmi.  Icterus  afehrilis  neonatorum.) 

Im  Jahre  1879  berichtet  Winckel  zuerst  über  eine  eigenthümliche,  in 
der  Dresdener  Entbindungsanstalt  endemisch  beobachtete,  acute  Infections- 
ki'ankheit  der  Neugeborenen,  die  einen  sehr  malignen  Verlauf  nahm.  Die- 
selbe war  vorher  niemals  beschrieben,  jedoch  mag  mancher  Fall  früher  als 
Icterus  neonatorum  betrachtet  worden  sein.  Die  Endemieen  müssen  aber  doch 
sehr  selten  sein,  da  auch  nach  der  WracKEL'schen  Mittheilung  niu'  sehr 
wenige  Publikationen  über  das  Leiden  erfolgt  sind.  Saxdxer,  Strelitz, 
WoLCZYNSKi,  Kamen  sind  als  Autoren  zu  nennen. 

Ich  folge  bei  der  mit  Rücksicht  auf  die  ünbekanntheit  der  Krankheit 
etwas  ausführlicher  gehaltenen  Darstellung  in  erster  Reihe  der  noch  immer 
mustergiltigen Darstellung  Winckel's,  der  dem  Leiden  den  Namen  Cyanosis 
infantilis  icterica  perniciosa  cum  haemoglohinuria  beilegte. 

Symptomatologie:  Die  gesund  geborenen,  kräftigen,  natürlich  oder 
künstlich  genährten  Kinder  erkranken  am  häufigsten  am  vierten  Lebenstage: 
jedoch  ist  der  Beginn  einerseits  noch  am  12.  Lebenstage,  andererseits  schon 
am  ersten  Lebenstage  beobachtet.  Sie  werden  unruhig,  verweigern  die  Nahrungs- 
aufnahme, zeigen  eine  deutliche  Benommenheit  des  Sensoriums;  gleichzeitig 
nimmt  die  Haut  eine  charakteristische  cyanotische  Färbung  an.  Wangen, 
Ohren,  Extremitäten,  besonders  auch  die  Füsse,  Rumpf,  Rücken  erscheinen 
blauroth,  livide.  Nach  Wolczynski  geht  eine  leichte  icterische  Färbung  der 
cyanotischen  voraus,  nach  Winckel  beschränkt  sich  der  Icterus  auf  Conjunc- 
tiva  und  die  Gegend  der  Nasenwurzel  und  ist  auch  hier  nur  spurweise  vor- 
handen. Auffallend  ist  der  starke  Urin-  und  Stuhldrang.  Der  Urin  wird 
häufig  und  in  kleinen  Mengen  entleert  und  ist  blass  bräunlich,  zuweilen  auch 
dunkelbräunlich;  Wolczynski  bezeichnet  ihn    als    dunkelviolett   bis  schwarz 


912  WINCKEL'SCHE  KRANKHEIT. 

und  gibt  an,  dass  die  Windeln  dunkelblaue  Flecken  bekommen,  welche  schwer 
auswaschbar  sind.  Die  Verfärbung  des  Urins  beruht,  wie  genaue  Untersuchung 
ergiebt,  auf  Haemoglobingehalt.  Daneben  findet  man  in  ihm  etwas  Eiweiss, 
Blasen-  und  Merenbeckenepithelien,  körnige  Cylinder  mit  Blutkörperchen, 
Detritusmassen,  harnsauren  Ammoniak. 

Die  Faeces  sind  ockergelb,  zuweilen  Meconium-ähnlich;  ihre  Consistenz 
ist  normal. 

Die  Temperatur  zeigt  keine  nennenswerthen  Abweichungen,  sie 
schwankte  in  den  WiNCKEL'schen  Fällen  zwischen  36'4  und  37"3;  nur  einmal 
fand  WiNCKEL  38-1  (Messung  im  After),  Strelitz  38*4.  Die  Pulsfrequenz 
betrug  ca.  136.  —  Das  Abdomen  ist  weich,  nicht  aufgetrieben,  die  Leber 
etwas  vergrössert  und  nur  wenig  schmerzempfindlich.  —  Die  Herztöne  sind 
etwas  dumpf,  aber  sonst  normal.  —  Das  Blut  tritt,  wenn  man  eine  cyano- 
tische  Hautstelle  leicht  anschneidet,  nur  langsam  auf  Druck  aus,  ist  schwärz- 
lich braun  und  hat  die  Consistenz  des  Syrups.  Mikroskopisch  findet  man  eine 
Vermehrung  der  farblosen  Blutkörperchen,  zahlreiche  kleine  Körnchen.  Birch- 
HiRSCHFELD  sah  ausserdem  kleine  Körperchen  mit  molecularer  Bewegung. 

Das  Krankheitsbild  spielt  sich  schnell  ab;  die  Kinder  verfallen,  verlieren 
rapide  an  Körpergewicht,  convulsivische  Erscheinungen  gesellen  sich  hinzu. 
Anfangs  sieht  man  nur  kurze  clonische  Zuckungen  an  den  Extremitäten,  die 
sich  nach  Winckel  besonders  auf  die  linke  Seite  erstrecken.  Fast  constant 
findet  man  starkes  Zucken  der  Augenmuskeln,  Strabismus  convergens,  Rotation 
des  Augapfels  nach  innen  und  unten;  dabei  ist  die  Lidspalte  weit  geöffnet. 
Unter  allgemeinen  Convulsionen  tritt  dann  meistens  der  Tod  ein,  nachdem 
das  Leiden  im  Durchschnitt  32  Stunden  gedauert.  Nur  sehr  selten  kommt 
es  zur  Genesung,  die  Krämpfe  hören  auf,  die  Benommenheit  schwindet,  das 
Kind  beginnt  wieder  Nahrung  zu  nehmen,  und  es  folgt  vollkommene  Resti- 
tutio ad  integrum.  Wie  selten  der  günstige  Ausgang  ist,  sehen  wir  aus  fol- 
genden Zahlen:  Winckel  sah  in  einem  Monat  23  Kinder  erkranken,  von 
denen  19  starben;  ein  Kind  wurde  sicher  geheilt,  zwei  Kinder  verliessen  die 
Anstalt  mit  deutlichen  Krankheitserscheinungen,  eins  auf  dem  Wege  der 
Besserung.  Die  Mortalität  betrug  also  im  günstigsten  Falle  82 7o-  Wol- 
czYNSKi  sah  1892  von  6  Kindern  alle,  1893  von  6  Kindern  5  sterben. 

A'etiologie:  Zunächst  ist  festgestellt,  dass  die  Krankheit  mit  dem 
Geburts verlauf  in  keiner  Weise  im  Zusammenhange  steht.  Die  Mütter  hatten 
alle  ein  normales  Wochenbett;  besondere  Kunsthilfe  war  nicht  angewendet.  — 
Auch  das  körperliche  Befinden  der  Kinder  konnte  keine  Veranlassung  für  die 
Erkrankung  geben,  denn  es  handelte  sich  fast  durchwegs  um  normal  geborene 
und  gut  gedeihende  Neugeborene.  —  Man  hätte  auch  an  eine  Vergiftung  denken 
können,  aber,  da  die  Kinder  keinerlei  Medicament  bekommen  hatten,  ist  das 
ausgeschlossen.  Vor  allem  kann  auch  der  Gebrauch  von  Kali  chloricum  aus- 
geschlossen werden,  welches  ja  ähnliche  Symptome  machen  kann. 

Das  Leiden  als  eine  Carbolintoxication  aufzufassen,  geht  nicht  an,  trotz- 
dem Haemoglobinurie  nach  Carbolsäurevergiftung  beobachtet  ist.  Allerdings 
hatten  die  Kinder  Unterlagen,  die  nach  dem  Waschen  in  5^0  Carbolsäure- 
loesung  getaucht  und  dann  getrocknet  waren,  aber  einerseits  ist  der  Gehalt  an 
Carbolsäure  in  diesen  Tüchern  ein  minimaler,  andererseits  hätte  man  dann 
wohl  häufiger  diesem  traurigen  Krankheitsbilde  begegnen  müssen.  Die  ganze 
Gestaltung  desselben,  das  endemische  Auftreten  deuten  mit  ziemlicher  Sicherheit 
auf  eine  Noxe  microbiärer  Natur  und  in  dieser  Richtung  ist  die  Arbeit  von 
Kamex  von  allergrösstem  Interesse.  Derselbe  kam  auf  Grund  eingehen- 
den Untersuchungen  zu  dem  Ergebnis,  dass  das  in  seiner  schadenbringenden 
Wirkung  so  vielseitige  Bacterium  coli  commune  der  Urheber  des  Leidens 
ist.  Aus  Leber,  Milz  und  Nieren  der  zu  Grunde  gegangenen  Kinder  konnte 
er  diesen  Microben  in  Reincultur  züchten.     Verimpfte    er   diese   dann  durch 


ZANGENOPERATIONEN.  913 

Fütterung  an  Mäusen,  dann  erlagen  7  von  8  geimpften  Thieren  unter  Erschei- 
nungen auffallender  Apathie,  Nahrungsverweigerung,  lähmungsartiger  Zustände 
besonders  an  den  hinteren  Extremitäten.  Aus  den  Organen  der  so  getödteten 
Thiere  konnte  er  wieder  Reinculturen  des  Bacterium  coli  commune  gewinnen. 
Aus  dem  Blute  der  erkrankten,  noch  lebenden  Kinder  gelang  KAiMEx  die 
Eeinzüchtung  nicht.  —  Kamen  und  Wolczynski  nehmen  an,  dass  die  Infec- 
tion  vom  Wasser  des  Brunnens  ausging,  der  die  Landes-Gebäranstalt  in  Czer- 
nowitz  versorgt,  in  welcher  sich  1892  und  1893  Epidemieen  abspielten.  Die 
Infection  soll  erfolgen  während  der  Pteinigung  der  Mundhöhle.  Es  gelang 
ihnen  auch  das  Bacterium  coli  commune  aus  dem  Wasser  zu  züchten.  —  Man 
wird  wohl  abwarten  müssen,  ob  sich  diese  Befunde  als  constant  erweisen. 

Pathologische  Anatom i e:  Bei  der  Obduction  zeigt  sich  zunächst  constant 
ein  normales  Verhalten  der  N  ab  e  Ige fä s  s  e.  —  Die  Le  b er  ist  stets  vergrössert, 
ockergelb  oder  dunkelbraun  mit  gelben  Streifen  auf  dem  Druckschnitte;  oft, 
aber  nicht  immer  besteht  körniger  Zerfall.  In  den  erweiterten  Capillaren 
und  thrombosirten  Aesten  der  ven.  port.  fand  Kamen  massenhaft  kurze  Stäb- 
chen {Bact.  col.  commune).  Auf  der  Leberoberfläche  sieht  man  Extravasate.  — 
Die  Gallenwege  sind  frei.  Die  Milz  ist  immer  bedeutend  vergrössert, 
verdickt,  derbe  und  fest.  Der  Magen  ist  dilatirt,  ballonartig  aufgetrieben, 
zeigte  stellenweise  Ecchymosen  in  Streifenform  Letztere  b,ind  oft  in  grösster 
Menge  im  Darme  unterhalb  des  Duodenum  vorhanden.  Die  PEVER'schen 
Plaques  sind  durch w^egs  geschwollen;  in  noch  viel  höherem  Masse  ausgesprochen 
findet  man  aber  eine  Schwellung  der  jNlesenterialdrüsen.  Die  Serosa  des 
Darmes  ist  hyperaemisch;  ebenso  das  Pankreas.  —  Die  Nieren  zeigen  in 
der  Corticalis  braune,  in  dem  Papillartheil  dunkelschwarze  Streifen;  letztere 
fasst  BiECH-HiRSCHFELD  als  durch  Haemoglobin  bedingt  auf,  während  Kamen 
sie  als  Harnsäureinfarcte  bezeichnet.  Am  Diaphragma,  an  der  Pleura, 
am  Pericard  findet  man  Ecchymosen,  stellenweise  sogar  starke  Blutergüsse. 
Das  Herzfleisch  ist  blass,  aber  nicht  verfettet.  —  Die  Lungen  fand 
WiNCKEL  abgesehen  von  einer  Hyperaemie  der  Bronchien  normal.  Kamen 
sah  die  Endverzweigungen  der  Bronchien  und  einzelne  Lungenalveolen  mit 
Blut  erfüllt;  in  diesem  und  in  den  Capillaren  fand  er  Haufen  kurzer  Stäbchen. 
Mamma  und  Thyreoidea  sehen  dunkelblauroth,  cyanotisch  aus.  —  Das 
Gehirn  ist  oft  stark  ödematös,  seine  Ventrikel  sind  erweitert;  starke  Hyper- 
aemie und  einzelne  kleine  Ecchymosen  findet  man  in  allen  Theilen  des  Hirns. 
An  manchen  Stellen,  so  an  der  Convexität,  ist  die  Färbung  eine  deutlich  icterische. 

Diagnose  und  Prognose  ergeben  sich  aus  dem    obigen   von    selbst. 

Therapie:  Die  Prophylaxe  wird,  falls  es  sich  bestätigt,  dass  das 
Wasser  die  Infection  vermittelt,  erheischen,  dass  die  Mundwaschungen  fort- 
gelassen oder  nur  mit  sterilem  Wasser  vorgenommen  werden.  —  Dringend 
nothwendig  erscheint  es  zumal  in  Gebäranstalten  jeden  Fall  sofort  strenge  zu 
isoliren.  —  Bei  ausgebrochener  Krankheit  wird  die  Therapie  sich  auf  symp- 
tomatisches Eingreifen  zu  beschränken  haben.  Vielleicht  würde  subcutane 
Infusion  von  Kochsalzwasser  Erfolg  haben.  jess:ser. 

Zangenoperation.  Einen  der  häufigsten  geburtshilflichen  Eingrifie 
stellt  die  Extraction  des  Kopfes  mit  der  Zange  dar;  sie  hat  den  Zweck,  die 
Geburt  zu  beendigen  in  solchen  Fällen,  wo  sie  spontan  nicht  von  statten  gehen 
kann  oder  in  solchen  Fällen,  wo  die  spontane  Geburt  entweder  im  Interesse 
der  mütterlichen  Gesundheit  oder  aber  im  Interesse  des  kindlichen  Lebens 
nicht  abzuwarten  ist,  so  dass  wir  gezwungen  sind,  die  Geburt  zu  beschleunigen. 
Die  Indicatioiien  fin-  die  Ausführung  der  Zangenoperation  sind  die  mannig- 
fachsten und  decken  sich  zum  Theile  mit  jenen  Indicationen,  wie  sie  auch  für 
andere  geburtshilfliche  Eingriffe  gelten.  Der  Piecapitulation  halber  seien 
jedoch  hier  die  wichtigsten  erwähnt. 

Eibl.  med.  Wissenschaften    I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie.  0" 


914  ZANGENOPEEATIONEN. 

1.  Zunächst  die  Wehenscliwäclie!  Hiebei  kommt  in  der  Regel  jener 
Zustand  in  Frage,  welcher  gemeiniglich  als  relative  WehenschAväche  be- 
zeichnet wird.  Man  spricht  von  einer  solchen  dann,  wenn  bei  Beginn  der 
Geburt  zwar  normal  kräftige  Wehen  vorhanden  gewesen,  im  Verlaufe  der 
Entbindung  jedoch  die  aufgewendeten  treibenden  Kräfte  als  nicht  hin- 
reichend erscheinen,  um  die  dem  Austritte  des  Schädels  sich  entgegenstellenden 
Widerstände  zu  überwinden.  Die  treibenden  Kräfte  bestehen  nun  aus  der 
Summe  der  von  dem  sich  contrahirenden  Uterus  aufgebrachten  Kräfte  so  wie 
der  durch  die  Wirkung  der  Bauchpresse  in  Frage  kommenden  wirksamen 
Kräfte.  Die  Widerstände,  die  bei  der  Geburt  zu  überwinden  sind,  bestehen 
in  den  anatomischen  Baum  Verhältnissen  des  Beckens,  sie  hängen  somit  auch 
ab  von  der  Grösse  und  Härte  sowie  von  der  mehr  oder  minder  normalen 
Stellung  des  kindlichen  Schädels,  des  Ferneren  in  den  Widerständen,  welche 
die  Weichtheile  des  mütterlichen  Beckens  und  Beckenbodens  liefern.  Sind 
die  Widerstände  die  normalen,  d.  h.  nicht  beträchtlicher  als  wir  es  bei  einer 
ph5'siologischen  Geburt  zu  erwarten  haben,  so  wird  bei  normalen  Triebkräften 
die  Geburt  durch  Ueberwindung  der  Widerstände  einen  physiologischen  Verlauf 
nehmen.  Dagegen  muss  der  normale  Fortgang  der  Geburt  gestört  werden, 
wenn  bei  normal  grossen  Widerständen  die  Triebkräfte  schwächer  sind  als 
sonst,  oder  wenn  bei  normalen  Triebkräften  die  Widerstände  sich  als  abnorm 
erweisen  und  demgemäss  nicht  überwunden  werden  können.  Da  nun  bei  der 
Grösse  der  Triebkräfte  sowohl  wie  der  Widerstände  eine  Reihe  von  Factoren 
interveniren,  wird  durch  die  Combination  dieser  einzelnen  verschiedenartigen 
Factoren  eine  grosse  Anzahl  von  Fällen  sich  ergeben,  in  welchen  ein  Miss- 
verhältnis zwischen  der  treibenden  Kraft  und  dem  zu  überwindenden  Wider- 
stand sich  einstellt,  so  dass  demgemäss  die  verschiedensten  Indicationen  unter 
dem  Titel  der  Wehenschwäche  zusammengefasst  werden.  So  gehören  in 
dieses  Capitel  alle  jene  Zustände,  welche  eine  normale  Mitwirkung  der  Bauch- 
presse bei  der  Geburtsthätigkeit  zu  verhindern  in  der  Lage  sind,  bei  Indivi- 
duen, welche  durch  chronische  Krankheit  in  ihrem  Körperzustande  sehr  herab- 
gekommen sind,  bei  Frauen,  welche  infolge  schwerer  Erkrankung  der  Athmungs- 
und  Circulationsorgane  nicht  im  Stande  sind,  die  Bauchpresse  in  gewöhnlicher 
Weise  arbeiten  zu  lassen,  da  sie  die  damit  verbundene  beträchtliche  Druck- 
steigerung nicht  auszuhalten  vermögen;  schliesslich  wird  bei  Frauen,  welche  in- 
folgeschwerer Erkrankung  der  Bauch  Organe  oder  desBeckenbauchlelles  verhindert 
sind,  die  Bauchmuskeln  zu  der  nothwendigen  Mithilfe  bei  der  Geburt  heran- 
zuziehen, der  für  den  physiologischen  Fortgang  der  Geburt  so  ausser- 
ordentlich nothwendige  Factor  der  Bauchpresse  in  Wegfall  kommen  und  somit 
die  Geburtsthätigkeit  gestört  sein. 

Ferner  finden  wir  als  Indication  zur  Beendigung  der  Geburt  eventuell 
durch  die  Zange  die  Endometritis  sub  partu  septica.  Wir  verstehen 
darunter  die  schon  während  der  Geburt  manifeste  Infection  der  Uterus-Innen- 
höhle, welche  sich  durch  Temperatursteigerung  wie  durch  den  Abgang  von 
übelriechendem  und  missfärbigem  Fruchtwasser  anzeigt.  In  einem  solchen 
Falle  sind  wir  gezwungen,  möglichst  rasch  die  Uterushöhle  zu  entleeren, 
eine  gründliche  Desinfection  derselben  vorzunehmen,  um  auf  diese  Weise  den 
Process  wo  möglich  zu  localisiren. 

In  anderen  Fällen  finden  wir  wieder  als  Indication  das  Oedem  des 
äusseren  Muttermundes.  Wir  verstehen  darunter  das  Anschwellen  des 
Muttermundwulstes  infolge  einer  venösen  Stauung  im  untersten  Bereich  des 
Cervix,  welche  zur  Folge  hat,  dass  die  Oeffnung  des  durch  die  Geburtsthätigkeit 
bereits  erweiterten  Muttermundes  allmälig  bei  sich  steigerndem  Oedeme  verengt 
Avird.  Das  Oedem  des  äusseren  Muttermundes  kommt  zustande,  wenn  infolge 
eines  räumlichen  Missverhältnisses  der  kindliche  Schädel  im  Beckeneingange 
stecken  bleibt  und  bei  Fortdauer  der  Geburtsthätigkeit  derart  in  den  Becken- 


ZANÖENOPEUATIONEN.  915 

eingang  eingestellt  wird,  dass  durch  ilm  die  vordere  Cervixwand  gegen  die 
Symphyse,  die  hintere  Cervixwand  jedoch  gegen  das  rromontoriuiii  gepresst 
wird.  Die  Folge  dieses  Zustandes  sind  Circuhitionsstörungeii,  die  sifli  zunächst 
in  einer  Stauung  des  unteren  Cervixantheik^s  manifestiren  und  zu  dem  (Jedem 
des  äusseren  Muttermundes  führen;  in  weiterer  Folge  müsste  dieser  Zustand 
zu  schweren  Ernährungsstörungen  an  der  vorderen  und  hinteren  Cervixwand 
führen,  so  dass  Nekrosenbildungen,  Blasencervix-  und  Mastdarmcervixfisteln  die 
Folge  wären.  Um  diese  schweren  und  gefahrdrohenden  Erscheinungen  abzu- 
w^ehren,  ist  man  demgemäss  verpflichtet,  das  Oedem  des  äusseren  Mutter- 
mundes als  eine  dringende  Indication  zur  Beendigung  der  Geburt  zu  be- 
zeichnen, und  man  wird  infolge  dessen  bei  gegebenen  Bedingungen  durch  die 
Zangenoperation  sehr  häufig  diesen  gefahrdrohenden  Zustand  beseitigen.  In 
anderen  Fällen  wird  wieder  ein  solches  räumliches  Missverhältnis  eine  stärkere 
Dehnung  des  Collum  und  des  unteren  Uterinsegmentes  zur  Folge  haben,  so 
dass  wir  im  Hinblicke  auf  die  Thatsache,  dass  diese  Erscheinung  das  wich- 
tigste Symptom  einer  drohenden  Ruptur  des  Uterus  bilden,  uns  beeilen  werden, 
die  Spannung  der  gefährdeten  Weichtheile  durch  eine  rasche  Beendigung  der 
Geburt  zu  vermindern. 

Des  Ferneren  wird  die  Beckenenge  sehr  häufig  als  Indication  für  die 
Zangenoperation  angegeben.  Allerdings  müssen  wir  hinzufügen,  dass  diese 
Indication  für  die  Zangenoperation  nur  mit  einer  gewissen  Reserve  zu  gelten 
hat.  Wir  wissen  nämlich,  dass  bei  zu  grossem  räumlichen  Missverhältnisse 
die  Anlegung  der  Zange  gefährlich  ist,  indem  einerseits  der  kindliche  Schädel 
einer  zu  starken  Compression  ausgesetzt  ist,  welche  Blutaustritt  in  das  Gehirn 
oder  Fracturen  der  Schädelknochen  zur  Folge  hat,  während  andererseits 
schwere  Quetschungen  der  Weichtheile,  ja  auch  Verletzungen  des  mütterlichen 
Beckengürtels  Folge  von  forcirten  Zangenoperationen  bei  grossem  räumlichen 
Missverhältnisse  sind.  Wir  werden  daher  in  solchen  Fällen  stets  zu  erwägen 
haben,  ob  ein  vorhandenes  räumliches  Missverhältnis  noch  ein  solches  sei,  bei 
dem  die  Zange  ohne  Schaden  für  das  Kind  und  die  Mutter  zur  Ausführung 
kommen  kann,  oder  ob  wir  gezwungen  sind,  durch  Kraniotomie,  Symphyseotomie 
oder  die  relativ  indicirte  Sectio  caesarea  die  Entbindung  zu  bewerkstelligen. 
Dass  zur  Beurtheilung  dieser  Factoren  nicht  blos  die  Weite  und  Form  der 
verschiedenen  Beckenebenen,  sondern  auch  die  Grösse  und  die  Consistenz  so 
wie  die  Art  der  Einstellung  des  kindlichen  Schädels  in  Frage  kommt,  ist 
selbstverständlich. 

Eine  andere  Indication  für  die  Zange  ist  die,  welche  wir  mit  dem  Xamen 
Thrombus  vaginae  bezeichnen.  Wenn  der  kindliche  Schädel  bereits  in  die 
tieferen  Beckenebenen  gelangt,  daselbst  stecken  bleibt,  ohne  den  Beckenausgang 
zu  passiren,  so  wird  der  unterste  Abschnitt  der  Vagina  unter  höherem  Drucke 
sich  befinden,  was  zur  Folge  hat,  dass  eine  starke  venöse  Hyperaemie  eintritt, 
welche  unter  dem  fortdauernden  Drucke  des  kindlichen  Schädels  zu  Zer- 
reissungen  der  submucösen  Venen  und  Extravasatbildung  im  paravaginalen 
Bindegewebe  führen  {Thrombus  s.  Haematoma  vaginae").  Wollen  wir  nun 
weitergehende  Quetschungen  des  Gewebes,  welche  eventuell  zu  Nekrosen- 
bildungen Anlass  geben  könnten,  vermeiden,  so  sind  wdr  verpflichtet,  mög- 
lichst rasch  zu  entbinden  und  zwar  wird  in  solchen  Fällen  die  Zangenoperation 
die  geeignetste  Entbindungsart  abgeben.  Wir  müssen  auch,  um  die  erwähnten 
schweren  Quetschungen  der  Weichtheile  zu  verhindern,  uns  für  berechtigt  er- 
achten in  den  Fällen,  wo  der  Durchtritt  des  bereits  tief  im  Becken  stehenden 
Schädels  im  Verlaufe  von  drei  Stunden  nach  dem  Verstrichensein  des  Mutter- 
mundes noch  nicht  vollzogen  ist,  die  Entbindung  künstlich  zu  beenden. 


>=)  Vergl.  auch  Artikel  „Thrombus  vaginae  et  ridrae^,    pag.  801. 

58* 


916  ZANGENOPERATIONEN. 

Eine  der  häufigsten  Indicationen  für  die  Zangenoperation  stellt  die 
Resistenz  des  Beckenbodens  dar.  Wir  finden  in  solchen  Fällen,  wo 
nach  vorausgegangenen  Verwundungen  oder  Ulcerationen  oder  Verbrennungen 
weitgehende  Narbenbildungen  am  Perineum  oder  in  der  Gegend  des  Scheiden- 
einganges sich  vorfinden,  den  Vulvarriug  so  derb  und  eng,  dass  eine  normale 
Dehnung  der  Gewebe,  wie  sie  nothwendig  ist,  wenn  der  kindliche  Schädel 
ohne  grössere  Weichtheilsverletzuugen  durchtreten  soll,  unmöglich  erscheint. 
Dieselben  Erscheinungen  finden  wir  bei  dem  unnachgiebigen  Damme  alter 
erstgebärender  Frauen,  bei  welchen  nicht  blos  die  Erhöhung  des  Widerstandes 
infolge  der  Resistenz  des  Beckenbodens,  sondern  auch  die  geringere  Intensität 
der  Uteruskraft,  wie  sie  eben  bei  alten  Erstgebärenden  vorkommt,  die  Ver- 
zögerung der  Geburt  verursachen.  In  solchen  Fällen  ist  die  Anlegung  der 
Zange  und  Ueberwindung  der  W^iderstände  eventuell  durch  Ausführung  der 
Episiotomie  vollständig  indicirt.  Aus  demselben  Grunde  werden  wir  bei  einer 
beginnenden  centralen  Ruptur  des  Dammes  die  Zange  unter  Ausführung  einer 
Episiotomie  anlegen  und  die  Geburt  rasch  beenden. 

Die  Eklampsie  wird  sowie  auch  die  anderen  geburtshilflichen  Eingriffe 
unter  gewissen  Umständen  auch  die  Zange  indiciren,  wenn  wir  auf  diese 
Weise  am  raschesten  und  zweckmässigsten  die  Geburt  werden  beenden  können. 
Aber  nicht  blos  die  Rücksicht  auf  das  mütterliche  Leben  und  die  mütterliche 
Gesundheit  zwingt  uns  zur  Ausführung  der  Zangenoperation,  ebenso  häufig 
wird  dieselbe  indicirt  erscheinen  mit  Rücksicht  auf  das  kindliche  Leben,  wenn 
die  vorhandenen  Symptome  uns  anzeigen,  dass  das  Leben  eines  in  Schädel- 
lage befindlichen  Kindes,  aus  welchem  Grunde  auch  immer  bedroht  sei,  und 
wir  befürchten  müssen,  dass  bei  längerer  Dauer  der  Geburt  das  kindliche 
Leben  vollständig  erlöschen  werde,  und  die  Zangenoperation  jenen  Eingriff 
darstellt,  durch  welchen  am  raschesten  und  zweckmässigsten  die  Geburt  be- 
endigt werden  kann. 

Aber  das  Vorhandensein  dieser  Indicationen  allein  berechtigt 
uns  nur  dann  die  Zange  anzulegen,  wenn  die  dazu  nothwendigen  Be- 
dingungen erfüllt  sind;  würde  das  nicht  der  Fall  sein,  so  dürfen  wir  trotz 
der  vorhandenen  Indication  von  der  Zange  keinen  Gebrauch  machen,  sondern 
müssten  je  nach  den  individuellen  Verhältnissen  des  Geburtsfalles  die  für 
diese  geeigneteste  Art  der  künstlichen  Entbindung  unter  den  anderen  geburts- 
hilflichen Eingriffen  auszuwählen  haben. 

Die  Bediiigimgeii  für  die  Zangenoperation  sind  die  folgenden:  1.  Der 
Muttermund  soll  vollständig  verstrichen  sein;  es  ist  das  eine 
Bedingung,  welche  nothwendig  erfüllt  sein  soll,  da  ja  die  Zangenanlegung  gar 
nichts  Anderes  bezwecken  soll,  wie  den  letzten  Theil  der  Geburt,  die  Aus- 
treibung des  kindlichen  Schädels  zu  beschleunigen  und  erst  in  dem  Momente 
in  Frage  kommen  kann,  wo  nach  vollständig  abgeschlossener  Eröffnungs- 
periode auch  bei  physiologischem  Fortgange  der  Geburt  die  Austreibung  im 
Gange  wäre.  Hie  und  da  allerdings  kann  man  es  wagen,  wenn  der  Mutter- 
mund bis  auf  einen  ganz  schmalen  Saum  verstrichen  ist,  die  Zange  anzulegen, 
doch  muss  in  solchen  Fällen  dann  die  Extraction  langsam  und  sorgfältig 
gemacht  werden,  um  bei  den  einzelnen  Tractionen  die  Dehnung  und  Dilatation 
des  Muttermundes  zu  vervollständigen;  bei  nicht  verstrichenem  Muttermunde 
müsste  sonst  die  Ausführung  der  Zangenoperation  zu  schweren  Cervixrissen 
Anlass  geben.  In  einzelnen  seltenen  Fällen  ist  allerdings  sowohl  nach  der 
Stellung  der  Indication  wie  nach  den  übrigen  Verhältnissen  die  Zangen- 
operation als  der  zweckmässigste  Eingriff'  zu  bezeichnen,  und  dennoch  zögern 
wir  mit  der  Ausführung  der  Operation,  da  der  Muttermund  noch  nicht  ver- 
strichen und  sein  Rand  derb  und  straft'  gespannt  erscheint.  Wenn  nun  in 
einem  solchen  Falle  die  Indication  zur  Entbindung  eine  dringende  ist,  dann 
werden  wir  die  Erweiterung  des  Muttermundes  auf  blutigem  Wege  vornehmen 


ZANGENOPERATIONEN. '  •:>  1 7 

durch  Incision  mit  der  Scheere  und  auf  diese  Weise  die  für  die  Zangen- 
anlegung  nothwendigen  Bedingungen  der  vollständigen  Erweiterung  des  Mutter- 
mundes künstlich  herstellen. 

2.  Die  Fruchtblase  soll  gesprungen  sein  und  die  Eihäute  über 
den  kindlichen  Schädel  bereits  retrahirt  ersclieinen.  Wir  sollen  mit  der 
Zange  blos  den  kindlichen  Schädel  fassen  und  bei  eben  erst  gesi)rungener 
Fruchtblase  zu  verhindern  trachten,  dass  die  angelegten  Zangenlöffel  mit 
dem  Schädel  gleichzeitig  auch  die  Eihäute  mitfassen  und  durch  diesen  Zug 
eine  vorzeitige  Lösung  der  Placenta  bewerkstelligen,  was  ein  rasches  Ab- 
sterben der  Frucht  zur  Folge  hätte  und  den  Zweck  der  Zangenoperation 
vollständig  vereiteln  würde. 

3.  Der  kindliche  Schädel  soll  im  B ecken kanal  fixirt  und  mit 
der  grössten  Circumferenz  den  Beckeneingang  passirt  haben. 
Das  Anlegen  der  Zange  an  den  über  dem  Beckeneingange  beweglichen 
Schädel  ist  demgemäss  nicht  gestattet;  abgesehen  davon,  dass  in  einem  solchen 
Falle  die  Anlegung  der  Zange  ausserordentlichen  Schwierigkeiten  begegnet, 
würde  durch  die  Gefahr  des  Abgleitens  der  Zange  der  Eingriff'  sehr  complicirt, 
ohne  dass  er  zu  dem  gewünschten  Resultate  führen  würde;  andererseits  ist 
es  für  den  Erfolg  der  Zangenoperation  umso  günstiger,  je  tiefer  bereits  der 
kindliche  Schädel  in  das  Becken  herabgetreten  ist. 

Als  günstigste  Bedingung  für  die  Anlegung  der  Zange  wird  der  zangen- 
rechte Stand  des  kindlichen  Schädels  bezeichnet.  Der  kindliche  Schädel  steht 
zangenrecht,  wenn  er  bereits  am  Beckenboden  rotirt  aufruht,  dann  sind  alle 
Chancen  günstig,  denn  die  früher  erwähnten  Bedingungen  müssen  bereits 
erfüllt  sein,  und  dem  Austritte  des  kindlichen  Schädels  durch  den  Scheiden- 
eingang steht  dann  bei  Ausführung  der  Operation  kein  Hindernis  mehr  ent- 
gegen. Ja  es  ist  durch  den  zangenrechten  Stand  des  kindlichen  Schädels 
von  vorn  herein  die  Annahme  einer  Contraindication  gegen  die  Zange 
ausgeschlossen,  welche  in  einem  zu  grossen  räumlichen  Missverhältnisse  gelegen 
wäre.  Da  nämlich  die  Zange  als  ein  Zug  Instrument,  nie  aber  als  ein  Druck- 
instrument gebraucht  werden  soll,  ist  sie  bei  zu  grossem  räumlichen  Miss- 
verhältnisse contraindicirt,  da  ja  ein  solches  blos  auf  Kosten  des  kindlichen 
Schädels  oder  aber  der  Continuität  des  Beckengürtels  überwunden  werden 
könnte.  Das  Vorhandensein  eines  zu  grossen  räumlichen  Missverhältnisses 
können  wir  aber  in  dem  Momente  ausschliessen,  da  der  kindliche  Schädel 
mit  seiner  grössten  Circumferenz  den  Beckeneingang  passirt  hat.  Es  könnte 
sich  denn  bloss  noch  um  eine  stärkere  Verengung  im  Beckenausgange 
handeln,  welche  jedoch  als  solche  leicht  erkannt  werden  kann.  Der  Aus- 
führung der  Zangenoperation  muss  natürlich  die  Desinfection  der  Gebärenden 
und  der  Hand  des  Operateurs  vorangehen;  die  Instrumente  werden  am  besten 
keimfrei  gestaltet  durch  Auskochen  im  siedenden  Wasser.  Die  Lagerung  der 
Gebärenden  ist  hiebei  entweder  in  Rückenlage  oder  in  Seitenlage,  welch" 
letztere  vornehmlich  von  den  Engländern  propagirt  wird.  Sicherlich  ist  es 
am  zweckmässigsten,  das  Querbett  herzurichten  und  die  Gebärende  mit  dem 
Steiss  an   den  Bettrand  herauszurücken. 

Die  Zaiigeiioperation  zerfällt  in  mehrere  Acte:  L  Anlegen  der  Zan- 
genlöffel. 2.  Schliessen  der  Zange.  3.  Extraction  mit  der  Zange.  4.  Das  Ab- 
nehmen der  Löffel. 

1.  Das  Aulegen  der  Zangenlöffel:  Die  Zange  muss  derart  an  den 
kindlichen  Schädel  angelegt  werden,  dass  die  Bauart  der  Zange  den  anatomi- 
schen Verhältnissen  des  Schädels  angepasst  wird;  die  Zange  entspricht  mit 
ihrer  Kopfkrümmung  dem  biparietalen  Durchmesser  des  kindlichen  Schädels, 
sie  muss  daher  womöglich  stets  derart  angelegt  werden,  dass  der  biparietale 
Durchmesser  des  kindlichen  Schädels  der  Kopfkrümmung  der  Zange  ent- 
sprechend verläuft.    Bei  rotirtem  Schädel  liegt  sein  biparietaler  Durchmesser 


918  ZANGENOPERATIONEN. 

im  queren  Durchmesser  des  Beckenausganges,  es  muss  daher  die  Zange  in 
den  queren  Durchmesser  des  Beckenausganges  gebracht  werden  in  der  Weise, 
dass  die  nach  der  Beckenkrümmung  gebogene  Zange  mit  ihrer  concaven 
Krümmung  gegen  die  vordere  Beckenwand  sieht,  so  dass  die  Zangenspitze 
stets  gegen  jenen  Theil  des  kindlichen  Schädels  gerichtet  ist,  welcher  un- 
mittelbar an  die  Symphyse  zu  liegen  kommt.  Bei  einer  normal  rotirten 
Hinterhauptslage  stellt  diesen  Punkt  das  Hinterhaupt  dar,  bei  Vorderscheitel- 
lage und  abnorm  rotirter  Hinterhauptslage  die  Stirne,  bei  Stirn-  und  Gesichts- 
lagen das  Kinn  dar.  Der  zwischen  den  gebeugt  gehaltenen  Füssen  der  Ge- 
bärenden stehende  Operateur  fasst  nun  zunächst  den  linken  Löflfel  der  Zange, 
der  stets  zuerst  eingeführt  werden  muss,  weil  er  das  Schloss  der  Zange  trägt. 
Hiebei  wird  der  Griff  des  Löffels  mit  der  linken  Hand  gei'asst  und  zwar  nach 
Art  eines  Scalpells  so,  dass  der  Daumen  an  die  Innenfläche,  die  andern 
4  Finger  auf  die  Aussenfiäche  des  Griffes  aufgesetzt  werden;  es  wird  per- 
horrescirt,  die  Zange  mit  der  vollen  Faust  zu  fassen.  Der  nun  so  gefasste 
Zangenlöffel  wird  derart  gegen  die  Vulva  gehalten,  dass  der  Zangengriti'  nach 
oben  parallel  mit  der  Symphyse  und  zwar  entsprechend  der  Schenkelbeuge 
der  Mutter  steht,  während  die  Zangenspitze  gegen  den  linken  Rand  des 
Vulvarostium  zu  strebt.  Um  nun  eine  Verletzung  der  Weichtheile  durch  den 
einzuführenden  Zangenlöffel  zu  verhindern,  gehen  zwei  Finger  der  rechten 
Hand  zwischen  Schädel  und  der  linken  Scheidenwand  ein,  und  längs  dieser 
Finger  gleitet  nun  der  Zangenlöffel  in  die  Scheide,  indem  der  Daumen  der 
rechten  Hand  an  die  untere  Rippe  des  gefensterten  Zangenlöffels  angelegt, 
denselben  allmählig  einschiebt,  während  die  linke  Hand,  welche  den  Zangengriff 
hält,  denselben  langsam  in  dem  Maasse,  als  der  Zangenlöffel  in  die  Scheide 
vordringt,  längs  des  rechten  Schenkels  der  Mutter  herabgleiten  lässt.  Nunmehr 
wird  in  der  gleichen  Weise  der  rechte  Löffel  am  Griffe  von  der  rechten  Hand 
gefasst  und  durch  die  an  die  rechte  Scheidewand  eingeführten  zwei  Finger 
der  linken  Hand  der  Zangenlöffel  in  gleicher  Weise  eingeschoben.  Sind 
nunmehr  beide  Zangenlöffel  eingeführt,  so  erfolgt  2.  Das  Seh  Hessen  der 
Zange  in  der  Weise,  dass  je  ein  Zangengriö'  in  die  volle  Hand  gefasst  wird, 
derart  dass  je  ein  Daumen  auf  den  Buscii'schen  Hacken  des  Zangengriffes 
aufgelegt,  an  demselben  einen  leichten  Druck  nach  auswärts  und  abwärts 
ausübt,  worauf  durch  Nähern  der  Zangengriffe  dieselben  im  Schlosse  aneinander 
gefügt  werden.  Das  vollständige  Schliessen  der  Zangenlöffel  erscheint  nun 
unmöglich  dann,  wenn  die  zwei  Zangenlöffel  nicht  in  derselben  Ebene  an  den 
Schädel  gebracht  wurden,  sie  stehen  dann  nicht  parallel  mit  einander,  man 
sagt,  die  Zangenlöffel  haben  sich  geworfen.  Man  muss  dann,  um  die 
Zange  richtig  zu  appliciren,  die  Griffe  mit  je  einer  Hand  fassen,  leicht  gegen 
den  Schambogen  erheben  und  kann  dann  durch  Senken  der  Griffe,  wobei  der 
Daumen  den  schon  oben  erwähnten  Druck  auf  den  Büscn'schen  Haken 
ausübt,  die  früher  geworfenen  Zangenlöffel  nunmehr  schliessen.  Des  Ferneren 
kann  es  unmöglich  sein,  die  Zange  vollständig  zu  schliessen,  wenn  das  ge- 
fasste Schädelsegment  für  die  Kopfkrümmung  der  Zange  sich  als  zu  gross 
erweist. 

Das  ist  dann  der  Fall,  wenn  entweder  der  kindliche  Schädel  an  und  für 
sich  zu  gross  ist,  oder  wenn  ein  zu  grosser  Durchmesser  des  kindlichen 
Schädels  wegen  der  Stellung,  die  der  kindliche  Schädel  im  speciellen  Falle 
einnahm,  gefasst  w^erden  musste  (hoher  Qu  er  stand,  tiefer  Qu  er  st  and 
des  kindlichen  Schädels.)  In  diesen  Fällen  ist  es  nicht  möglich,  den 
biparietalen  Durchmesser  des  kindlichen  Schädels  zu  fassen,  wir  sind  dann 
gezwungen,  die  Zange  entweder  an  den  fronto-occipitalen  oder  schrägen 
Durchmesser  des  kindlichen  Schädels  anzulegen,  und  da  diese  Durchmesser 
grösser  sind,  als  es  der  Koptkrümmung  der  Zange  entspricht,  divergiren  die 
Zangengriffe  an  ihrem  untersten  Ende.    Es  besteht  nun  die  Gefahr,  dass  bei 


ZANGENOPERATIONEN. 


919 


dem  während  der  Extraction  auf  die  Zanj^^engriffe  ausgeübten  Drueke  in  I'olge 
dessen  eine  zu  starke  Compression  des  kindlichen  .Schädels  bewerkstelligt  wird, 
so,  dass  man  gezwungen  ist,  um  eine  solche  zu  vermeiden,  zwischen  die  diver- 
girenden  Zangengritte  eine  mehrfach  zusammengelegte  Compresse  einzulegen, 
um  auf  diese  Weise  jeden  stärkeren  Druck  auf  den  kindlichen  Schädel  zu 
verhindern.  Das  Anlegen  der  Zange  erfolgt  bei  rotirtem  Schädel  stets  in  der 
beschriebenen  Weise  ohne  Kücksicht  darauf,  ob  es  sich  um  eine  Hinterhaupt-, 
Vorderscheitel-,  Stirn-  oder  Gesichtslage  handelt,  nur  müssen  wir  erwähnen, 
dass  es  bei  Anlegen  der  Zange  bei  Gesichtslagen  noth wendig  ist,  vor  dem 
Schliessen  der  Zangenlöffel  die  Griffe  derselben  hoch  bis  zur  Symphyse  zu 
erheben  und  hier  das  Schliessen  vorzunehmen,  worauf  die  Gritfe  gesenkt  wer- 
den, und  die  Extraction  beginnen  kann.  Bei  der  Extraction  des  Schädels  mit 
der  Zange  müssen  wir  uns  im  Interesse  der  mütterlichen  und  der  kindlichen 
Gesundheit  bestreben,  wo  möglich  den  physiologischen  Gelmrtsverlauf  nach- 
zuahmen. Nachdem  wir  nun  wissen,  dass  der  normale  Fortgang  der  Geburt 
hauptsächlich  durch  den  Umstand  gefördert  wird,  dass  die  einzelnen  Wehen 
von    einander   durch   gleichmässige  Wehenpausen  geschieden  sind,    und  dass 


1  Jhiitciliauptslage    Ans  Dödeelein,  Leitfaden  1-  c. 


die  Dehnung  der  Weichtheile  gerade  durch  das  Abwechseln  der  Wehe  und 
W^ehenpause  vollzogen  wird,  werden  wir  unsere  Kraft  in  ähnlicher  Weise 
wirken  lassen,  dass  wir  mit  der  Zange  nicht  einen  constauten  dauernden  Zug 
ausüben  lassen,  sondern  vielmehr  denselben  in  mehrere  Etappen  abtheilen. 
Wir  ziehen  daher,  wie  wir  sagen,  in  einzelnen  Tractionen,  und  ahmen  dabei 
die  Wehenthätigkeit  insoferne  nach,  als  wir  bei  jeder  Traction  mit  dem  Zuge 
allmählig  ansteigen  bis  zu  einer  gewissen  Höhe  und  dann  allmählig  mit  dem 
Zuge  wieder  nachlassen,  um  dann  eine  kleine  Pause  eintreten  zu  lassen, 
während  welcher  der  kindliche  Schädel  Zeit  hat,  sich  vom  Drucke  der  Zange 
zu  erholen.  Am  zweckmässigsten  werden  nun  die  Tractionen  in  der  Weise 
wirken,  wenn  wir  sie  mit  dem  Beginne  einer  Wehe  beginnen  lassen  und  in 
der  Wehenpause  mit  dem  Zuge  aufhören,  so  dass  unsere  Traction  durch  die 
Thätigkeit  des  Uterus  wirksam  unterstützt  wird.  Der  Zug  wird  nun  in  der 
W^eise  ausgeführt,  dass  wir  die  geschlossenen  Gritfe  der  Zange  mit  der  linken 
Hand  derart  fassen,  dass  dabei  die  Yola  manus  nach  aufwärts  sieht,  und  der 
Daumen  von  der  einen,  die  vier  Finger  von  der  anderen  Seile  her  die  Grifie 
nach    oben    umfassen.     Die   rechte  Hand  fasst  nun  folgendermaassen  an:  der 


920  ZANGENOPERATIONEN. 

z^Yeite  und  vierte  Finger  fassen  je  an  einem  BuscH'sclien  Haken,  während 
der  dritte  Finger  an  dem  Schlosse  zwischen  den  beiden  Zangenlöft'eln  ein- 
greift. Bei  am  Beckenboden  aufruhenden  Schädel  wird  die  Traction  zunächst 
solange  in  horizontaler  Kichtung  geführt,  bis  der  Führungspunkt  des  kind- 
lichen Schädels  unter  dem  Schambogen  erscheint,  dann  inuss  mit  der  Zange 
gehoben  werden,  auf  dass  die  Austrittsbewegung  sich  vollziehen  könne.  Am 
zweckmässigsten  ist  es  dabei,  nunmehr  zur  Seite  zu  treten,  mit  der  rechten 
Hand  die  Zange  folgendermaassen  zu  fassen:  während  der  kleine  Finger  am 
Schlosse  zwischen  die  Zangenlölfel  eingreift,  umfasst  der  Daumen  einerseits, 
die  drei  Finger  andererseits  den  Zangengritf,  welchen  nunmehr  die  linke  Hand 
verlässt,  um  auf  den  Damm  aufgelegt  den  Dammschutz  zu  besorgen.  Wenn 
wir  nun  bedenken,  dass  auch  unter  normalen  Verhältnissen  der  Dammschutz 
am  besten  in  der  Weise  ausgeübt  wird,  dass  er  das  Durchtreten  des  kind- 
lichen Schädels  durch  den  Vulvarring  während  der  Wehenhöhe  verhindert 
und  erst  während  der  Wehenpause  den  kindlichen  Schädel  sich  entwickeln 
lässt,  so  folgt  daraus,  dass  wir  auch  bei  der  Extraction  mit  der  Zange  in  dem 
Momente,  wo  der  kindliche  Schädel  zum  Durchschneiden  kommt,  während  der 
Wehenhöhe  den  Schädel  mit  der  Zange  zurückhalten,  um  ihn  während  der 
Wehenpause  allmählig  austreten  zu  lassen,  w^obei  wir  eventuell  durch  Episi- 
otomien eine  Zerreissung  des  Dammes  vermeiden  werden.  Dabei  wird  jede 
Traction  horizontal  beginnen  und  durch  allmähliges  Erheben  der  Zangengriffe, 
wobei  wir  mit  dem  Zuge  nicht  aufhören  dürfen,  bis  zur  Symphyse  die  Aus- 
trittsbewegung des  Schädels  bewerkstelligen,  indem  bei  normal  rotirter  Hinter- 
hauptslage der  Xacken,  bei  Yorderscheitellage  die  Stirne  und  bei  Gesichts- 
lagen der  Hals  sich  an  der  Symphyse  anstemmt.  Ist  der  kindliche  Schädel 
entwickelt,  so  wird  die  Zange  abgenommen,  in  der  Weise,  dass  der  Daumen 
der  rechten  Hand  zwischen  die  Zangengriffe  eingeht,  wodurch  die  Zangen- 
löffel sich  im  Schlosse  wie  in  einem  Charniergelenke  öffnen  und  leicht  ent- 
fernt werden  können.  In  Fällen,  wo  beim  Durchtritt  des  kindlichen  Schädels 
der  Damm  stark  gefährdet  erscheint,  ist  es  mitunter  zweckdienlich,  die  Zau- 
genlöffel  schon  abzunehmen,  ehe  der  grösste  Umfang  des  kindlichen  Schädels 
den  Vulvarring  passirt  und  dann  den  kindlichen  Schädel  mittelst  des  Kitc4en'- 
schen  Handgriffes  zu  entwickeln. 

Etwas  anders  erfolgt  die  Anlegung  der  Zange  und  die  Extraction,  wenn 
der  kindliche  Schädel  am  Beckenbogen  noch  nicht  rotirt  aufruht,  wenn  es 
sich  also  um  einen  tiefen  Querstand  handelt;  das  Hindernis  für  das 
Austreten  des  kindlichen  Schädels  bildet  dann  der  Umstand,  dass  der  fronto- 
occipitale  Durchmesser,  resp.  bei  einer  Gesichtslage  der  Höhendurchmesser  des 
kindlichen  Schädels  im  queren  Durchmesser  des  Beckenausganges  steht,  der 
für  diesen  kindlichen  Schädeldurchmesser  nicht  genügend  Raum  bietet;  man 
ist  daher  gezwungen,  der  Extraction  des  kindlichen  Schädels  die  Rotation  mit 
der  Zange  vorauszuschicken,  oder  richtiger  sie  mit  derselben  zu  combiniren. 
Entsprechend  dem,  dass  die  Zange  mit  der  Kopflalimmung  für  den  queren 
Durchmesser  des  Schädels  berechnet  ist,  und  dieser  beim  tiefen  Querstand 
im  geraden  Durchmesser  des  Beckenausganges  steht,  müssten  wir  beim  tiefen 
Querstand  des  Schädels  demgemäss  eigentlich  die  Zange  in  den  geraden 
Durchmesser  des  Beckenausganges  anlegen,  da  wir  beim  Anlegen  der  Zange 
in  den  queren  Durchmesser  des  Beckens  die  Rotation  nicht  vollziehen  könnten. 
Das  Anlegen  der  Zange  in  den  geraden  Durchmesser  hätte  aber  zur  Folge, 
dass  der  vordere  Löffel  die  Blase  gegen  die  Symphyse,  der  hintere  Löffel  den 
Mastdarm  gegen  das  Promontorium  quetschen  würde,  und  daher  legen  wir 
die  Zange  in  einen  schrägen  Durchmesser  des  Beckenausganges  in  der  Weise, 
dass  dabei  die  Zangenspitze  nach  vorne  und  nach  jener  Seite  gerichtet  ist, 
wo  bei  Schädellagen  das  Hinterhaupt,  bei  Gesichtslagen  das  Kinn  sich  befindet, 
d.  h.  bei  tiefem  Querstand  Schädellage  erster  Stellung  sieht  die  Zangenspitze 


ZANGENOPERATIONEN.  921 

nach  links  vorne,  bei  zweiter  Stellung  nach  reclits  vorne,  bei  tiefem  Quer- 
stande Gesichtlage  erster  Stellung  sieht  die  Zangenspitze  nach  rechts  vorne, 
bei  zweiter  Stellung  nach  links  vorne;  stets  wird  dabei  der  linke  Löffel  zuerst 
eingeführt,  und  zwar  gelangt  derselbe  bei  tiefci]!  Querstande  Scliiidelhige  erster 
Stellung  und  bei  tiefem  Querstand  Gesichtlage  zweiter  Stellung  nach  abwärts, 
bei  tiefem  Querstande  Schädellage  zweiter  Stellung  und  fjei  tiefem  (^uerstande 
Gesichtslage  erster  Stellung  nach  aufwärts.  Wenn  der  linke  Löffel  nach  ab- 
wärts gehört,  so  wird  er  in  der  üblichen  Weise  eingeschoben  nur  mit  der 
Tendenz,  gegen  die  Kreuzbeinhöhlung  geführt  zu  werden,  wobei,  wie  schon 
erwähnt,  die  Zangenspitze  gegeu  den  Führungspunkt  zu  sehen  hat.  Der  obere 
Löffel,  sei  es  der  rechte  oder  der  linke,  wird  nicht  direct  unter  die  Symphyse 
eingeschoben,  um  Quetschungen  der  Blase  zu  vermeiden,  vielm(;hr  wird  er 
wie  bei  der  gewöhnlichen  Zangenanlegung  seitlich  in  die  Scheide  eingeschoben 
und  dann  erst  unter  der  Leitung  von  zwei  Fingern  der  eingeführten  Hand 
nach  vorne  unter  die  Symphyse  geschoben,  wobei  sich  umgekehrt  der  Zangen- 
griff nach  abwärts  bewegt.  Das  Schliessen  der  nun  im  schrägen  Durchmesser 
liegenden  Zange  erfolgt  in  der  Weise,  dass  man  die  Zangengriöe  jener  Schen- 
kelbeuge der  Mutter  nähert,  gegen  welche  der  Führungspunkt  des  kindliclien 
Schädels  gerichtet  ist.  Bei  jeder  nun  nachfolgenden  Traction  versucht  man 
die  Rotation  des  kindlichen  Schädels,  indem  man  die  Zange  in  den  queren 
Durchmesser  dreht,  wobei  der  Führungspunkt  des  Schädels  unter  die  Sym- 
physe gelangt.  Ist  die  Rotation  vollzogen,  dann  erfolgt  der  Austritt  des  kind- 
lichen Schädels  in  üblicher  Weise.  In  einer  je  höheren  Beckenebene  der 
kindliche  Schädel  sich  befindet,  umsomehr  muss  der  Zug  mit  der  Zange  die 
Richtung  nach  abwärts  u.  zw.  durch  Senken  der  Zangengritie  einhalten,  um 
allmählig  in  die  Horizontale,  wenn  der  kindliche  Schädel  an  den  Beckenboden 
gelangt  ist,  und  dann  in  den  Zug  nach  aufwärts  überzugehen  und  die  Aus- 
trittsbewegung zu  gestatten. 

Ganz  speciell  gestaltet  sich  die  Anlegung  der  Zange  bei  Hochstand 
des  Schädels.  Sie  kommt  in  Frage,  wenn  bei  massigem,  räumlichen  Miss- 
verhältnisse der  kindliche  Schädel  im  Beckeneingange  mit  seiner  grössten 
Peripherie  steht  und  stehen  bleibt,  und  wenn  bei  verstrichenem  Muttermunde 
und  gesprungener  Blase  die  Indication  eintritt,  die  Geburt  künstlich  zu 
beenden,  um  das  bedrohte  kindliche  Leben  zu  retten;  doch  lässt  sich  im  Vor- 
hinein hiebei  oft  genug  nicht  bestimmen,  ob  das  räumliche  Missverhältnis  ein 
solches  sei,  dass  es  uns  bei  massigem  Zuge  mit  der  Zange  gelingen  könne, 
den  kindlichen  Schädel  ohne  Gefahr  für  denselben  oder  für  die  Weichtheile 
und  den  Beckengürtel  der  Mutter  zu  extrahiren.  Es  muss  daher  die  An- 
legung der  Zange  bei  Hochstand  des  Schädels  stets  von  Vorneherein  nur  als 
ein  Entbindungsversuch  angesehen  werden,  durch  welchen  wir  die  Acco- 
modationsfähigkeit  des  kindlichen  Schädels  prüfen,  um  in  dem  Momente,  wo 
wir  sehen,  dass  bei  massigem  Zuge  mit  der  Zange  die  Entbindung  ohne 
Gefährdung  des  Kindes  oder  der  Mutter  auf  diesem  Wege  sich  nicht  beenden 
lasse,  sofort  von  dieser  Entbindungsart  abzustehen,  und  zu  einem  Ein- 
griffe überzugehen,  welcher  entweder  die  Verkleinerung  des  kindlichen  Schädels 
oder  die  Erweiterung  des  mütterlichen  Beckens  zum  Zweck  hat :  Kraniotomie, 
Symphyseotomie.  Im  Allgemeinen  kann  man  eine  Conjugata  vera  von  8  cm 
beim  plattverengten  Becken  und  von  S^lc,cm  beim  allgemein  verengten  Becken 
als  die  untere  Grenze  für  die  Z  a  n  g  e  n  m  ö  g  1  i  c  h  k  e  i  t  ansehen,  doch  i  st  auch  das 
nicht  so  einfach  nach  der  Schablone  zu  bestimmen,  da  vielmehr  das  Verhältnis 
des  kindlichen  Schädels  zur  Weite  des  Beckens  die  Indicationsgrenze  angeben 
wird;  die  Zange  bei  Hochstand  des  Schädels  ist  keine  einfache  und  leichte 
Operation,  es  gehört  viel  LTebung,  viel  Erfahrung  dazu,  um  jene  Fälle  auszu- 
suchen, in  denen  die  Zange  bei  Hochstand  des  Schädels  indicii't  ist  und  ohne 
Gefahr  für  Mutter  und  Kind  ausgeführt  werden  kann.  Aber  auch  dann,  wenn 


922  ZANGENOPERATIONEN. 

wir  uns  zur  Anlegung  der  Zange  an  den  im   Beckeneingange  hochstellenden 
Schädel    entschlossen   haben,    muss    unsere  Erfahrung    uns    lehren,    dass    es 
gerathen  ist,  in  dem  einen  Falle  die  Extraction  mit  der  Zange  zu  Ende  zu 
führen  oder  aber  den  Eingriff   zu    unterbrechen    und    an    seine  Stelle    einen 
anderen  treten  zu  lassen.    Während    man    die    gewöhnliche  Zangenoperation 
auch  ganz  gut  ohne  Narkose  ausführen  kann,  lässt  sich  dieselbe  bei  der  hohen 
Zange"  nicht  leicht  vermeiden.     Der  hochstehende  Schädel  stellt  sich  in  den 
Beckeneingang  mit  dem  frontooccipitalen  Durchmesser  in  den  queren  Durch- 
messer des  Beckeneingangs  ein;  es  ist  dies  der  normale  Stand  des  kindlichen 
Schädels.    Er  kann  unter  normalen  Umständen  im  Beckeneingange  gar  nicht 
anders  stehen,  denn    die    Rotation    des    Schädels    vollzieht    sich    erst  in  den 
tieferen  Beckenebenen.     Wir  haben  daher  in  diesem  Falle  gar  nichts  anderes 
zu  thun,  wie  den  kindlichen  Schädel  in  die  tieferen  Beckenebenen  zu  bringen, 
in  denen  er  sich  dann  entsprechend  den  mechanischen  Verhältnissen  spontan 
rotiren  wird,  genau  so  wie  bei  einer  spontanen  Entbindung.  Wir  legen  daher 
die  Zangenlöffel  bei  Hochstand  des  kindlichen  Schädels  in  den  queren   Durch- 
messer des  Beckeneinganges  ein,  so  dass  der  eine  Zangenlöffel  über  die  Stirn-, 
der  andere  über  das  kindliche  Hinterhaupt  hinübergeht.     Die  Anlegung  der 
Zange  geschieht  im  Uebrigen  nach  den  oben  geltenden  Regeln  nur  mit  dem 
Unterschiede,    dass    entsprechend   dem    Stande  des    kindlichen   Schädels    die 
Zangenlöftel  viel  höher  hinaufgebracht  werden  müssen.  Auch  das  Instrument, 
das  in  Frage  kommt,  ist  ein  anderes;  wir   wenden   für  die    hohe  Zange    die 
Axenzugzange  von  C.  Breus  vornehmlich  an.     Soll  nämlich  der  hochstehende 
Schädel  in  die  tieferen  Regionen  des  Beckens  herabgebracht  werden,  so  muss 
man  versuchen,  zunächst  in  der  Axe  jener  Beckenebene  zu  ziehen,  in  welcher 
sich  der  kindliche  Schädel  befindet.    Bei   Hochstand   des    Schädels   wird   die 
betreffende  Axe  nahezu  senkrecht   auf  das  Perineum    stehen,   wir    sind  daher 
gezwungen  die  Zangengriffe  möglichst  gegen   den  Damm  zu   senken,   um   wo 
möglich  direct  nach  abwärts  zu  ziehen.    Das  kann  in  dem  Momente  geschehen, 
wo  die  BREus'sche  Zange  durch  denZug   nach  abwärts    mit   Aufliebung   der 
Beckenkrümmung  zu  einer  gerade  gestreckten  wird.  Es  wird  dabei  viel  Kraft 
erspart,  die  sonst  bei  Anwendung  der  gewöhnlichen  Schulzange  in  der  Com- 
ponente,  welche  den  durch  den  Widerstand  der  vorderen  Beckenwand  paraly- 
sirten  horizontalen  Zug  darstellt,  verloren  geht.     AVir  werden  daher   mit  der 
Axenzugzange  unter  gleichbleibender  Intensität  der  Zugkraft  viel  mehr   Wir- 
kung erzielen  als  mit  der   Schulzange.     In  der  That  finden  wir  bei  nicht  zu 
grossen  räumlichen  Missverhältnissen  das  Vorrücken  des   kindlichen  Schädels 
in  die  tieferen  Beckenebenen  nach  einigen  Tractionen.    Je   tiefer    der   kind- 
liche Schädel  herunterrückt,  desto    mehr    erheben  wir   die   Griffe  gegen  den 
Horizont,  um  in  der  betreffenden  Richtung   zu  ziehen,    bis  wir   in   dem  Me- 
mente,  wo  der  kindliche  Schädel  auf  dem  Beckenboden   angelangt  ist,   durch 
Erheben    der   Zangengriffe    die    Austrittsbewegung   in    derselben   Weise   von 
statten  gehen  lassen  wie  bei  gewöhnlichen  Zangenoperationen.  Die  Axenzug- 
zange, welche  abweichend  von  den  französischen  Instrumenten   gleicher  Art, 
dem  kindlichen  Schädel  innerhalb  ihrer  Branchen  freie  Beweglichkeit  gestattet, 
lässt   daher   die  durch    die    Widerstände    des   Beckens    und   der  Weiclitheile 
bedingte  innere  Rotation  des  kindlichen  Schädels  zustande   kommen,   so    das 
der  Schädel  rotirt  am  Beckenboden  anlangt,  wobei  im  Nothfalle  die  Rotation 
durch  leichte  Drehung  mit  der  Zange  vollständig  gemacht  werden  kann. 

Bei  Hochstand  des  Gesichtes  und  der  Stirne  wird  von  vorne 
herein  von  der  hohen  Zange  Abstand  genommen,  da  dieselbe  für  das  Kind 
ungünstige  Resultate  und  für  die  Mutter  schwere  Quetschungen  im  Gefolge 
haben  können.  Man  wird  sich  daher  bei  hohem  Querstand  des  Gesichtes  viel 
eher  zur  Kraniotomie  des  lebenden  Kindes  entschliessen  wie  bei  hohem  Quer- 
stand des  Schädels;  jedenfalls  müssen    wir   auch  in    diesem    letzteren   Falle, 


ZWILLINGS-DRILLINGS-SCHWANGERSCHAFT.  923 

wenn  auf  S — 10  kräftige  Tractionen  mit  der  Axenzugzange  der  kindliche  Schädels 
nicht  weiter  vorrückt,  von  dem  weiteren  Eritbindungsversuche  mit  der  Zange 
Abstand  nehmen;  und  da  wir  dadurch  den  Beweis  erbracht  haben,  dass  es 
nicht  möglich  ist,  den  kindlichen  Scliäde  ohne  Gefahr  des  Lebens  des  Kindes 
durch  das  mütterliche  Becken  durchzubriiigen,  so  wird  uns  nunmehr  die  Wahl 
zwischen  der  Symphyseotomie  und  Kraniotomie  des  lebenden  Kindes  l)leiben, 
und  es  ist  mehr  als  Avahrscheinlich,  dass  wir  uns  stets  für  den  letzteren  Ein- 
griff entscheiden  werden.  «•  a.  hehzi-eld. 

ZwillingS-DrillingS-SchwangerSChaft.  Das  Vorkommen  mehrfacher 
Schwangerschaften  gehört  beim  Menschen  immerhin  zu  den  selteneren  Vor- 
kommnissen, während  umgekehrt  bei  den  meisten,  namentlich  kleineren  Säuge- 
thieren  das  gleichzeitige  Tragen  und  Werfen  mehrerer  Früchte  zu  der  Kegel 
gehört.  Diejenigen  grösseren  Thierarten,  welche  wie  der  Mensch  in  der 
Regel  bei  jedem  Wurf  nur  1  Junges  zur  Welt  bringen,  (wie  z.  B.  Pferd, 
Rind,  Elephant,  Hirsch,  Reh)  zeigen  ebenso  wie  der  Mensch  mehrfache  Schwan- 
gerschaft als  Besonderheit. 

Umfangreiche  statistische  Arbeiten  haben  die  Thatsache  ergeben, 
dass  mit  geringen  Schwankungen  bei  allen  Völkern  und  Racen  die  Zwillings- 
Drillings-  und  Vierlingsgeburten  in  einer  gewissen  Gesetzmässigkeit  wieder- 
kehren. Fünflingsschwangerschaften  sind  beim  Menschen  noch  zuverlässig 
constatirt,  aber  enorm  selten,  glaubhafte  Beobachtungen  über  das  gleichzeitige 
Vorhandensein  von  mehr  als  5  Früchten  gibt  es  nicht.  In  den  Ländern  Eu- 
ropas ist  das  Verhältnis  der  mehrfachen  Geburten  zu  den  einfachen  fol- 
gendes: 

Diese  wie  auch  spätere  Zahlen  sind  entnommen  aus:  Mirabeau,  über  Drillings- 
gehurten,  Münchner  med.  AbJiandl.  IV.  Theil.  5.  Heft. 

41,8                          9.  Italien  1  :  81,6 

67,6  10.  Oesterreich  1  :  83,5 

67,6  11.  Schweiz  1  :  84,5 

69,2  12.  Frankreich  1  :  99,7 

73,6  13.  Belgien  1  :  101,4 

76.4  14.  Rumänien  1  :  113,1 

76.5  15.  Spanien  1  :  113,6 
79,4 

Im  Allgemeinen  rechnet  man  nach  der  von  Wappaeus  aus  19  Millionen 
Geburten  angestellten  Berechnung  98,83%  Einzelgeburten  gegen  1,1 7%  ^lehr- 
geburten. 

Mirabeau  gibt  für  einzelne  deutsche  Bundesstaaten  folgendes  Verhältnis 
der  Zwillinge  und  Drillinge: 

1.  Bayern                 1  :  59,7  1  :  5479 

2.  Mecklenburg       1  :  68,9  1  :  6436 

3.  Württemberg      1  :  86,2  1  :  6464 

4.  Baden                  1  :     89  1  :  6575 

5.  Preussen             1  :     89  1  :  7820 

6.  Sachsen               1  :     79  1  :  10000 
SiCKEL  berechnete  folgende  Zahlen. 
Zwillingsgeburt           1  :  83 

Drillingsgeburt  1  :  8077 

Vierlingsgeburt  1  :  385499 

Mirabeau  hat  die  Durchschnittshäutigkeit  der  Drillingsgeburt  aus  30 
Statistiken  verschiedener  Länder  zu  1  :  6558  gefunden.  Fünflingsgeburten 
fallen  ausser  Berechnung. 

Ausser  diesen  Häutigkeitszahlen  hat  die  Statistik  noch  einige  inter- 
essante,   gut  erhärtete   Thatsachen  über  mehrfache   Schwangerschaften   beim 


1. 

Russland 

2. 

Finnland 

3. 

Schweden 

4. 

Ungarn 

5. 

Dänemark 

6. 

Norwegen 

7. 

Niederlande 

8k 

Deutschland 

924  Z\YILLINGS-DRILLIXGS-SCmYANGEESCHAFT. 

]\Iensclieu  erbracht.  Duncan  hat  gefunden,  dass  die  meisten  Zwillinge  von 
Frauen  im  Alter  z^Yischen  25  und  29  Jahren  geboren  werden,  während  nach 
MiRABEAU  das  Praedilectionsalter  für  Drillinge  etwas  höher  liegt,  nämlich 
zwischen  30 — 34  Jahren.  Das  Durchschnittsalter  beträgt  für  Zwillingsmütter 
29,3,  für  Drillingsmütter  31,4  Jahre;  in  beiden  Fällen  liegt  dasselbe  höher 
als  das  Durchschnittsalter  der  Mütter  überhaupt. 

Mit  dem  Alter  und  der  Zahl  der  Schwangerschaften  nimmt  die  Wahr- 
scheinlichkeit einer  mehrfachen  Schwangerschaft  zu. 

Junge  Erstgebärende  neigen  sehr  wenig  zu  mehrfacher  Schwangerschaft, 
ältere  Erstgebärende  und  Multiparae  erzeugen  die  meisten  Zwillinge  bez., 
Drillinge. 

Entstehung    mehrfacher    Schwangerschaften. 

Es  kommen  folgende  Varianten  in  Betracht. 

1.  Es  platzen  zu  gleicher  Zeit  2,  bez.  mehrere  Follikel  und  zwar 
entweder  in  einem  Ovarium  oder  in  beiden  Ovarien. 

Die  zusammen  in  die  Tuben  einwandernden  Eier  werden  dann  zu  gleicher 
Zeit  befruchtet,  gelangen  gleichzeitig  in  den  Uterus  und  nisten  sich  dort  ge- 
trennt oder  nahe  bei  einander  ein.  Als  seltenes  Vorkommnis  ist  hiebei  zu 
erwähnen,  dass  gleichzeizig  ein  Ei  in  der  Tube,  ein  anderes  in  der  Uterus- 
höhle sich  entwickeln  kann,  gleichzeitige  uterine  und  ektopische,  tubare  Gra- 
vidität. 

Ferner  ist  beobachtet,  dass  bei  doppeltem  Uterus  jede  Uterushälfte 
gleichzeitig  ein  befruchtetes  Ei  aufgenommen  hat. 

Stammen  Zwillinge  aus  2  Follikeln,  so  sind  2  Corpora  lutea  vorhanden, 
und  zwar  befinden  sich  dieselben  entweder  in  einem  Ovarium,  oder  sie  sind 
auf  beide  Ovarien  vertheilt.  Die  Eianlage  ist  völlig  doppelt,  2  getrennte  oder 
aneinandergelagerte  Placenten,  2  Eihautsäcke  mit  je  einem  Chorion  und  je 
einem  Amnion,  eventuell  auch  getrennten  Deciduae  reflexae.  Die  Zwischen- 
wand der  beiden  Eihöhlen  besteht  aus  4  Membranen,  2  Amnien,  2  Chorien, 
zwischen  letzteren  eventuell  noch  Beste  der  Decidua  reflexa.  Nur  bei  doppelter 
Uterushöhle  ist  auch  die  Decidua  vera  doppelt.  Das  Geschlecht  der  beiden 
Früchte  kann  in  diesen  Fällen  gleich  oder  ungleich  sein;  die  Aehnlichkeit  der 
Zwillingskinder  ist  hier  am  wenigsten  ausgeprägt. 

2.  Ein  Follikel  enthält  2  bez.,  3  Eier. 

Das  Vorkommen  mehreiiger  Follikel  beim  Menschen  ist  nunmehr  ana- 
tomisch sichergestellt,  wie  diese  Thatsache  bei  Thieren  längst  erwiesen  war, 
so  von  V.  Baer  für  das  Schwein,  von  Bidder  für  das  Rind;  Waldeyer  hat 
beim  Hund  häufig  Follikel  mit  mehreren  Eiern,  „bis  zu  vier  Stück  in  einem 
Follikel  gesehen." 

Mehreiige  Follikel  sind  beim  Menschen  früher  von  Grote,  Klob,  v. 
KöLi;iKER,  neuerdings  mit  unanfechtbarer  Gewissheit  von  Nagel  und  Klien  auf- 
gefunden worden.  Klien  '')  hat  einen  besonders  interessanten  Befund  er- 
hoben, insoferne  er  in  einem  Ovarium  eines  Neugeborenen,  von  w^elchem  er 
etwa  Vs  iii  Serienschnitte  zerlegt  hatte,  8  Follikel  mit  2  Eiern  und  1  Follikel 
mit  3  Eiern  fand.  Er  hat  damit  einen  anatomischen  Beweis  für  die  klinisch 
bestätigte  Erfahrung  erbracht,  dass  einzelne  Individuen  zu  mehrfacher  Schwan- 
gerschaft besonders  disponirt  sind. 

Bei  dieser  zweiten  Entstehungsmöglichkeit  mehrfacher  Schwangerschaften 
findet  sich  nur  1  Corpus  luteum.  Die  befruchteten  Eier,  entwickeln  sich  ganz 
so  wie  im  ersten  Falle.  Getrennte  Eianlage,  eventuell  extra-  und  intrauterine 
Entwicklung,  gleiches  oder  ungleiches  Geschlecht. 


*)  Uebey   mehreiige    Graafsche    Follikel   heim  Menschen.     Münchner    med.  Ähhandl. 
IV.  Beihe,  4.  Heft. 


ZWILLING  S-DRILLINOS-SCHWANGERSCIIAFT.  925 

Bei  Drillingen  können  hier  die  2  Varianten  in  Frage  kommen,  dass 
entweder  ein  Follikel  3  Eier  enthielt,  oder  dass  gleichzeitig  2  Follikel  platzten, 
von  denen  der  eine  1  Ei,  der  andere  2  Eier  enthielt. 

o.  Das  Ei  eines  Follikel  enthält  2  bez.  3  Keimbläschen. 

Dass  es  Eier  mit  mehrfacher  Keimanlage,  mehreren  Keimbläschen  geben 
muss,  ist  längst  angenommen  aus  der  Thatsache,  dass  die  beiden  Zwillings- 
fruchtblasen von  einem  Chorion  umschlossen  sein  können,  in  welchem  Falle 
dann  die  Zwischenwand  nur  aus  2  Blätter,  den  beiden  Amnien  besteht. 

Verfasser  verfügt  über  2  Präparate  aus  Serienschnitten  eines  Ovariums 
von  einen  2-jährigen  Mädchens,  von  denen  das  eine  einen  ziemlich  weit- 
entwickelten Follikel  aufweist,  dessen  Ei  2  ganz  gleichgrosse,  völlig  getrennt 
nebeneinander  liegende  Keimbläschen  mit  wohlerhaltenem  Kerngerüst  enthält, 
während  das  andere  Präparat  einen  Primärfollikel  mit  o  ebensolchen  Keim- 
bläschen aufweist. 

(cf.  Centralhlatt  für  Gynaekologie  1S93,  Bd.  17  Nr.   7.) 

Es  ist  hiedurch  der  anatomische  Beweis  erbracht  dafür,  das  mehrfache 
Schwangerschaft  aus  einem  Ei  stammen  kann.  Andererseits  zeigt  auch  dieser 
Befund,  dass  eine  individuelle  anatomische  Disposition  zu  mehrfacher  Schwan- 
gerschaft bestehen  kann. 

PuECH  hat  bei  einer  Statistik  über  130000  Geburten,  worunter  1262  mal 
Zwillinge  vorkamen,  gefunden,  dass  darunter  die  Zwillingsschwangerschaft 
48  mal  zweimal,  3  mal  dreimal,  1  mal  viermal  sich  wiederholte. 

Es  gibt  eine  ganze  Reihe  gut  beglaubigter  Stammbäume,  welche  die 
hereditäre  Disposition  mehrfacher  Schwangerschaft  darthun. 

Ein  Beispiel  hiefür  ist:  (Brit.  med.  Journ.  1890  1,  541  nach  Mirabeau 
1.  c.  p.  16.) 

Urgrossmutter  —  3  mal   Drillinge 

I 
Grossmutter 

/     I     \ 
2  mal  Zwillinge    |      1  mal  Drillinge  (7  Kinder) 

Mutter  —  Schwester. 
2  mal  Zwillinge   |  1  mal  Drillinge  ^1  mal  Drillinge 
V  12  Kinder        1  7  Kinder 

Tochter 
10  Einzelgeburten    |    2  mal  Drillinge 
Enkelin 

/        \ 
4  Kinder,       1  mal  Drillinge 

Diese  mit  Nachwuchs  überaus  gesegnete  Familie  hiess  bei  den  Bekannten 
„Tripleas  and  twins  Famili/^^ 

Aehnliche  Beispiele  gibt  es  noch  eine  ganze  Reihe. 

Die  Entstehung  mehrfacher  Schwangerschaft  aus  1  Ei  ist  seltener  als 
die  aus  mehreren  Eiern.  Unter  429  Doppelgeburten  fanden  sich  383  aus 
2  Eiern  entstanden  und  nur  46  aus  1  Ei. 

In  diesem  Falle  sind  die  Zwillinge  stets  gleichen  Geschlechtes  und  zeigen 
die  weitgehendste  Aehnlichkeit. 

Als  4.  nicht  ganz  sichergestellte,  aber  wahrscheinliche  Entstehungs- 
möglichkeit mehrfacher  Schwangerschaft  muss  endlich  noch  erwähnt  werden, 
dass  durch  Theilung  einer  einzigen  Keimanlage  mehrfache  Fruchtbildung 
denkbar  ist.  Vielleicht  ist  diese  Entstehung  durch  eine  Eigenthümlichkeit 
des  männlichen  Samens,  des  das  Ei  befruchtenden  Spermatozoons  zu  erklären, 
oder  dadurch,  dass  in  ein  Ei  gleichzeitig  und  gleich  kräftig  2  Spermatozoen 
vordringen. 


926  ZWILLINGS-DRILLINGS-SCHWANGERSCHAFT. 

Es  liegt  nahe,  darauf  namentlich  die  sogenannten  „verwachsenen  Zwil- 
linge," das  sind  unvollständig  getrennte  Doppelbildungen  zurückzuführen, 
welche  durch  eine  nicht  ganz  gelungene  Spaltung  der  primär  einfachen  Keim- 
anlage erklärt  werden  müssen. 

Ueber  diese  Doppelmissbildungen  wie  auch  über  diejenigen  Abarten  mehr- 
facher Schwangerschaften,  wobei  die  eine  Frucht  normal  gebildet,  die  andere 
dagegen  rudimentär  entwickelt  ist,  Acardiaci,  Foetus  papyraceus  etc.  vergl. 
Artikel  „  Wachstumsstönwgen  und  Misshüdungen^^ 

Bei  der  Erörterung  über  die  Entstehung  mehrfacher  Schwangerschaften 
muss  endlich  noch  die  Frage  der  Nachempfängnis,  Superimprae- 
gnatio  kurz  erörtert  werden.  Hiebei  ist  zu  unterscheiden  zwischen  Super- 
foetatio  und  Superfoecundatio ""). 

Nach  Kussmaul  verstellt  man  unter  Superfoecundatio  oder  Ueber  Schwän- 
gerung die  nicht  ganz  gleichzeitig  mit  der  Befruchtung  des  ersten  Eies  eintretende  Im- 
prägnation eines  zweiten,  aber  bei  derselben  Menstruations-  und  Ovulationsperiode  elimi- 
nirten  Eies.  Die  Eier  entstammten  dann  natürlich  2  Follikeln,  welche  nicht  ganz  gleich- 
zeitig geplatzt,  aber  doch  zusammen  gereift  sind. 

Die  Differenz  in  der  Entwickelung  der  beiden  Früchte  wäre  hier  nur  eine  geringe, 
etwa  nach  Tagen  zählende. 

Da  die  Tuben  für  das  Sperma  eine  Art  Receptaculum  seminis  darstellen  und  die 
wenn  überhaupt,  dann  wohl  jedesmal  zahlreich  vorhandenen  Spermatozoen,  sich  gewiss 
mehrere  Tage  lang  in  den  Tuben  lebend  und  befruchtungsfähig  erhalten,  so  steht  der  An- 
nahme einer  Superfoecundatio  an  sich  Nichts  im  Wege.  Stricte  Beweise  hiefür  sind 
jedoch  nicht  erbracht.  Das  bekannte  Argument,  dass  eine  weisse  Frau  nach  Cohabitation 
mit  einem  Weissen  und  einem  Schwarzen  Zwillinge  und  zwar  einen  Mulatten  und  einen 
Weissen  geboren  hat,  ist  nicht  stichhaltig,  da  diese  Thatsache  recht  gut  mit  der  Annahme 
vereinbar  ist,  dass  der  Samen  des  Schwarzen  allein  befruchtet  hat.  In  diesem  Falle  würde  dann 
das  eine  Kind  dem  Vater,  das  andere  der  Mutter  „nachgeschlagen"  sein.  Schultze  ver- 
langt als  Beweis  für  eine  Superfoecundatio,  dass  eine  Weisse  nach  Cohabitation  mit  2 
untereinander  und  von  ihr  verschiedenen  Racen  2  verschiedene  Kinder  gebären  müsse, 
von  denen  jedes  die  Eigenthümlichkeiten  einer  der  beiden  väterlichen  Racen  aufweise. 

Einen  derartigen  Fall  gibt  es  bisher  nicht.  Aus  der  Thierwelt  besteht  allerdings  eine 
Analogie.  Eine  von  einem  Esel  und  einem  Hengste  belegte  Stute  warf  ein  Füllen  und 
einen  Maulesel  (Mirabeau  1.  c.  p.  26).  Da  man  hier  nicht  annehmen  kann,  dass  ein  von  einem 
Eselsspermatozoon  befruchtetes  Stutenei,  auch  wenn  die  Frucht  der  Mutter  nachgeräth, 
ein   Füllen  wird,  so  muss  doch  wohl  hier  jede  Samenart  zur  Geltung  gekommen  sein. 

In  welcher  Zeitfolge  alle  männlichen  Thiere  zugelassen  worden  waren,  ist  nicht  angege- 
ben. Da  die  Stuten  wie  die  Säugethiere  nur  zur  Zeit  der  Brunst  oder  kurz  nach  einem 
Wurf  „zulassen,"  erscheint  die  Annahme  gerechtfertigt,  dass  das  Belegen  rasch  hinterein- 
ander erfolgte. 

Im  Gegensatze  zu  der  Superfoecundatio  wird  Superfoetatio  oder  Ueberfruch- 
t  u  n  g  definirt  als  die  zu  einer  späteren  Zeit  der  Schwangerschaft  eintretende  Befruchtung 
eines  zweiten  Eies,  also  zu  einer  Zeit,  wo  das  erste  Ei  bereits  längere  Zeit  in  Utero  einge- 
nistet und  entwickelt  ist. 

Die  Möglichkeit  eines  derartigen  Vorkommnisses  wird  jetzt  allgemein  in  Abrede  ge- 
stellt und  zwar  durch  folgende  Begründung. 

1.  Nach  erfolgter  Conception  sistirt  für  gewöhnlich  Menstruation  und  Ovulation. 
Da  diese  Thatsache  allerdings  wohl  die  Regel  ist,  aber  nicht  ohne  Ausnahme  dasteht. 

darf  sie  doch  nicht  generell  gegen  die  Möglichkeit  einer  Superfoetatio  ins  Feld  geführt  werden, 

2.  Im  3.  Monat  der  Schwangerschaft  erfolgt  durch  Verwachsen  der  Decidua  vera 
mit  der  Decidua  reflexa  der  Verschluss  der  Uterushöhle. 

Bis  zu  dieser  Zeit  aber  ist  der  Weg  zu  den  Tuben  für  die  Spermatozoen  offen,  bis 
dahin  wäre  also  doch  Superfoetatio  theoretisch  denkbar,  wenn  Ovulation  intra  graviditatem 
stattfand. 

Bis  zu  einem  gewissen  Termin  der  Schwangerschaft  muss  also  doch  wohl  auch  die 
Annahme  der  Möglichkeit  einer  „Ueberfruchtung"  statthaft  erscheinen.  Auch  hier  würde 
auf  die  oben  angedeutete  Weise  der  Beweis  zu  erbringen  sein,  wenn  die  verschiedenen 
Cohabitationen  zeitlich  so  weit  auseinander  liegen,  dass  nicht  mehrere  Eier  derselben  Ovu- 
lationsperiode getroffen  sein  können. 

ungleiche  Gewichtsverhältnisse  der  Zwillinge,  dass  z.  B.  wie  in  dem  Falle  von  C. 
Martin  das  eine  Kind  344  </  das  andere  920  r/,  wiegt,  oder  auch  die  Geburt  ausgetragener 
Früchte  in  einem  Zwischenräume  von  mehreren  Monaten  hintereinander  beweisen   keines- 


*)  Vergl.   Artikel  „Superfoecundaiion,"-    der  die  im  Nachfolgenden   erörterten   That- 
sachen  ausführlich  bespricht. 


ZWILLINGS-DRILLINGS-SCHWANGERSCHAFT.  927 

wegs  eine  Superfoetatio,  da  die  Entwicklung  der  Früciite  bei  mehrfacher  Scliwangerschaft 
nie  ganz  gleichmässig  stattfindet,  Entwickelungshemmung  der  einen  Frucht  bei  ungleich- 
massiger  Anastomose  in  gemeinsamer  Placcnta  häufig  vorkommen;  andererseits  kann  die 
Ausstossung  einer  zweiten  Frucht  ausnahmsweise  einmal  abnorm  rctardirt  sein.  Wie  in- 
dolent in  dieser  Beziehung  der  Uterus  sein  kann,    zeigen  ja  die  Fälle    von    missed  labour. 

Die  anatomischen  Verhältnisse  der  Eihildung  bei  mehrfacher 
Schwangerschalt  wm^den,  soweit  dies  die  Eihäute  betrifft,  für  die  verschiedenen 
Entwicklungsarten  oben  bereits  angeführt.  Hinzugefügt  muss  dem  nocli  werden, 
dass  in  seltenen  Fällen  —  nach  Ahlfeld  3  mal  unter  45 G  Zwillingsnach- 
geburten —  die  Zwillinge  in  einer  einzigen  Eihöhle  liegen. 

Wahrscheinlich  ist  in  diesen  Fällen  die  aus  den  l)eiden  aneinander- 
gelegten Amnien  bestehende  Zwischenwand  in  früher  Entwicklungszeit  ein- 
gerissen oder  irgendwie  sonst  zu  Grunde  gegangen.  Dieses  an  sich  belang- 
lose Vorkommnis  kann  insoferne  sehr  bedeutungsvoll  für  die  Früchte  werden 
als  deren  Nabelschnüre  sich  miteinander  verwickeln  und  die  Kinder  an  dieser 
Complication  zu  Grunde  gehen  können. 

In  diesen  Fällen  rückt  meist  die  Insertion  der  Nabelschnüre  nahe  zu- 
sammen; in  einigen  Fällen  ist  sogar  eine  gemeinsame  Nabelschnnr  gefunden 
worden,,  welche  sich  erst  in  ihrem  freien  Verlaufe  theilte. 

Stammen  die  Zwillinge  aus  2  Eiern,  so  können  die  Placenten  völlig 
getrennt  sein,  oder  aber  sie  sind  am  Rande  miteinander  mehr  oder  weniger 
breit  verwachsen. 

Sind  die  Zwillinge  aus  einem  Ei  entstanden,  so  bildet  sich  nur  1  grosse 
Placenta;  dann  ist,  wie  Schatz  nachgewiesen  hat,  stets  ein  anastomotischer 
Placentarkreislauf  zwischen  beiden  Früchten  vorhanden,  der  ohne  Bedeutung 
ist,  wenn  die  herüber-  und  hinübergesandten  Blutmengen  etwa  gleich  gross  sind. 
Gibt  der  eine  Foetus  aber  dem  andern  mehr  Blut  als  er  von  diesem  erhält, 
so  entwickelt  sich  der  andere  auf  Kosten  seines  Bruders,  der  schwer  benach- 
theiligt  wird. 

Aus  dieser  Thatsache,  dass  neben  den  beiden  Placentarkreissläufen  der 
zwei  Früchte  noch  ein  dritter,  gemeinschaftlicher  bestehen  kann,  resultiren 
die  verschiedenartigsten  Folgezustände,  welche  erst  durch  die  Entdeckung 
dieses  anastomotischen  Blutlaufes  eine  aetiologische  Deutung  erfahren  konnten. 

Es  bezieht  sich  hierauf  die  oft  sehr  ungleiche  Entwickelung  eineiiger 
Zwillinge,  die  Entstehung  seltsamer  Missbildungen,  welche  als  zweite  Früchte 
als  eine  Art  von  Parasiten  durch  die  Herzthätigkeit  der  ersten  Frucht  eine 
gewisse  Ernährung  erfahren  durften,  wie  z.  B.  die  Acardiaci.  Es  bezieht  sich 
hierauf  ferner  das  nicht  selten  beobachtete  Vorkommniss  von  Polyhydramnie 
der  einen  überentwickelten  Frucht  bei  Oligohydramnie  des  anderen,  dürftig 
gediehenen  Zwillinges. 

Praktisch  bedeutungsvoll  wird  die  Thatsaclie  dieser  Anastomosen  weiter- 
hin dadurch,  dass  der  zweite  Zwilling  sich  nach  der  Geburt  des  ersten  aus 
dem  placentaren  Ende  der  durchschnittenen  und  nicht  unterbundenen  Nabel- 
schnur verbluten  kann. 

Was  die  Entwickelung  der  Früchte  selbst  anlangt,  so  ist  her- 
vorzuheben, dass  bei  mehrfacher  Schwangerschaft  die  einzelne  Frucht  kaum 
das  Vollgewicht  eines  ausgetragenen  Kindes  erlangt.  Das  Durchschnitts- 
gewicht der  Drillingskinder  z.  B.  ist  nach  IMirabeau  WöCyö  gr  und  zwar 
ist  dasselbe  für  Knaben  etwas  höher  als  für  Mädchen,  204:8  gr  gegenüber 
1899  ^r.  Die  Summe  der  Gewichte  aller  Foeten  übersteigt  aber  das  Durch- 
schnittsgewicht des  Foetus  einer  einfachen  Schwangerschaft. 

Für  Drillinge  würde  die  Summe  der  Durchschnittsgewichte  der  Foeten 
58 69* 5  ^r  betragen. 

Geht  das  Gewicht  der  einzelnen  Frucht  viel  unter  2000^/- herab,  so  ist 
die  Lebensfähigkeit  eine  sehr  geringe,    ein  Umstand,  welcher  namentlich  bei 


928  Z^YILLINGS-DRILLINGS-SCHWANGERSCHAFT. 

Drillingen  oder  gar  Vierlingen  erklärt,  warum  hier  selten  alle  Früchte  post 
partum  am  Leben  bleiben,  wobei  als  ungünstiges  Moment  noch  hinzukommt, 
dass  bei  Zwillings-  und  Drillingsschwangerschaft  häutiger  Frühgeburt  eintritt. 
Zwillingsi'rüchte  verhalten  sich  in  dieser  Beziehung  viel  günstiger,  da  bei  nur 
2  Kindern  auf  eines  immer  noch  leicht  ein  Gewicht  von  5 — %kg  kommen 
kann.  Wenn  die  Zwillingsfrüchte  ausgetragen  sind,  so  sind  sie  auch  bei 
kleinem  Gewicht  widerstandsfähiger  als  dies  das  Kind  einer  einfachen  Schwan- 
gerschaft mit  dergleichen  Gewichtszahl  wäre. 

Das  Geschlecht  der  Zwillinge  ist  in  36"47o  ungleich,  in  welchem 
Falle  sie  stets  aus  2  Eiern  stammen;  nächstdem  kommen  Zwillingsknaben 
32-57o5  während  Zwillingsmädchen  mit  STl^o  zuletzt  stehen.  Das  Verhältnis 
der  Knaben  zu  den  Mädchen  ist  bei  Zwillingen  104:100,  gegenüber  der  allge- 
meinen Verhältniszahl  von  105:100  bei  einfacher  Schwangerschaft,  in  beiden 
Fällen  überwiegt  die  Knabenproduction. 

Bei  Drillingen  dagegen  fand  Mirabeau  (1.  c.  p.  35  und  36)  umgekehrt 
mehr  Mädchen  als  Knaben:  unter  105  Drillingskindern  waren  56=53*337o 
Mädchen  gegen  4:9=46-677o  Knaben,  Verhältnis  also  87-5  Knaben  zu  100 
Mädchen,  eine  Erfahrung,  die  auch  anderweit  gemacht  werden  konnt^. 

In  35  Fällen  wurden  geboren: 

3  :\Iädchen  12mal  =  34-297o- 

3  Knaben  9mal  =  25- 7 P/o- 

2  Knaben,  1  Mädchen  Smal  =  22-867o. 

1  Knabe  2  Mädchen  6mal  =  17-147o- 

Demnach  sind: 

Gleichgeschlechtlich :        Ungleichgeschlechtlich : 
Zwillinge  (v.  Winckel)  63-287o  36-72V0 

Drillinge  60  7o  400;'o 

Verlauf  und  Diagnose: 

Im  Allgemeinen  bietet  der  Verlauf  mehrfacher  Schwangerschaft  an  sich 
Nichts  besonderes.  Häufig  genug  wird  auch  der  Mutter  erst  nach  der  Geburt 
des  ersten  Kindes  die  überraschende  Thatsache  bekannt,  dass  gleichzeitig 
mehrere  Früchte  sich  entwickelt  haben. 

Immerhin  sind  schon  aus  rein  mechanischen  Gründen  pathologische 
Ereignisse  in  der  Schwangerschaft  und  bei  der  Geburt  mehrfacher  Früchte 
häufiger  als  sonst.  Die  stärkere  Ausdehung  des  Abdomens,  welche  nicht  nur 
durch  die  grössere  Fruchtmasse,  sondern  gelegentlich  auch  durch  Hydramnie 
bedenklich  werden  kann,  führt  häufiger  und  frühzeitiger  zu  Stauungsödemen, 
Varicenbildung,  sowie  durch  Belästigung  der  anderen  Bauch-  und  auch  der 
Brustorgane  zu  mancherlei  Beschwerden. 

Die  stärkere  Ausdehnung  des  Uterus  ist  auch  die  Veranlassung  dafür, 
dass  bei  mehrfacher  Schwangerschaft  Frühgeburt  häufiger  ist  als  sonst.  Spie- 
GELBEEG  Sah  bei  Zwillingsschwangerschaft  unter  89  Fällen  27mal,  das  ist  in 
27-57o  Frühgeburt  eintreten,  Eeuss  berechnet  aus  der  Würzburger  Klinik 
26*57o.  MiEABEAU  fand  unter  105  Drillings-Kindern  54  =  51*437o  ausge- 
tragen gegenüber  51  =  48"577o  nicht  ausgetragenen,  von  welch  letzteren  29 
dem  Partus  praematurus,  13  dem  P.  immaturus  und  6  dem  Abortus  der  Zeit 
nach  zugehörten. 

Sehr  beachtenswerth  ist,  dass  Eklampsie  bei  mehrfacher  Schwangerschaft 
beträchtlich  häufiger  ist  als  im  allgemeinen,  eine  Thatsache,  welche  auf 
die  Aetiologie  der  Eklampsie  ein  beachtenswerthes  Streiflicht  wirft. 

Die  Diagnose  einer  mehrfachen  Schwangerschaft  wird  nicht  nur  seitens 
der  Frau,  sondern  auch  von  der  Hebamme  und  deren  Arzt  meist  erst  dann 
gestellt,  wenn  nach  der  Geburt  eines  Kindes  der  Uterus  durch  seine  Grösse 
die  Anwesenheit  noch  einer  Frucht  oder  noch  mehrerer  Früchte  verräth. 


ZWILLINGS-DPJLLINGS-SCHWANOERSCHAFT.  929 

Subjective  Zeichen  für  mehrfache  Schwangerschaft  sind  nicht  verwerthbar. 
Abnorm  starke  Auftreibung  des  Leibes  vermag  höchstens  den  Verdacht  auf 
eine  solche  zu  erregen,  kann  ja  aber  auch  durch  Hydramnie,  einfache  Monstre- 
bildung  oder  Erkrankung  der  Mutter,  Tumorbildung,  Ascites  etc.  veran- 
lasst sein. 

Anhaltspunkte  für  die  Diagnose  einer  Zwillings-  oder  Drillingsschwanger- 
scliaft  geben  vielmehr  nur  bestimmte  Auscultations-  oder  Palpations- 
befunde. 

Als  solche  Befunde  sind  zu  nennen: 

1.  An  zwei  verschiedenen  Stellen  des  Abdomens  z.  B.  links  oben  und  rechts 
unten  werden  ländliche  Herztöne  gehört.  Um  annehmen  zu  dürfen,  dass  die- 
selben von  2  verschiedenen  Herzen  erzeugt  werden,  muss  die  verschiedene 
Zeitfolge  der  vermeintlichen  Herzschläge  festgestellt  werden,  was  durch  gleich- 
zeitige Auscultation  seitens  zweier  Untersucher  oder  durch  möglichst  rasch 
einander  folgende  Feststellung  der  betreffenden  Frequenzen  durch  einen  Be- 
obachter geschehen  kann;  selbstverständlich  muss  auch  der  Herzschlag  der 
Mutter  in  Rücksicht  gezogen  werden.  Ein  anderes  Mittel  zur  Bestimmung, 
ob  die  an  verschiedenen  Stellen  zu  hörenden  Herztöne  einem  Kinde  oder 
mehreren  Früchten  zugehören  ist,  die  Verbindungslinie  zwischen  diesen  Aus- 
cultationspunkten  abzuhorchen.  Findet  sich  zwischen  diesen  Toncentren  eine 
Zone,  in  welcher  keine  Herztöne  gehört  werden  und  von  welcher  aus  nach 
den  beiden  Richtungen  hin  die  Stärke  der  Doppeltöne  gleichmässig  anschwillt, 
so  deutet  dies  auf  Zwillinge;  sind  aber  überall  auf  dieser  Verbindungslinie 
Herztöne  Avahrnehmbar,  so  ist  eine  Fortleitung  der  Herztöne  nur  eines  Kindes 
wahrscheinlich. 

2.  Es  werden  mehrere  grosse  Theile,  Köpfe,  oder  mehrere  kleine  Theile 
gefühlt. 

3.  Beim  Touchiren  findet  man  zwei  Blasen  im  Muttermund  oder  z.  B. 
8  Füsse  oder  zwei  rechte,  bez.  linke  Füsse  vorliegend. 

4.  Es  werden  kindliche  Herztöne  gehört  bei  Vorliegen  einer  macerirten 
Frucht. 

Alle  diese  Befunde  müssen  natürlich  kritisch  erhoben  werden,  Täu- 
schungen bei  der  Auscultation  sowohl  wie  bei  der  Palpation  laufen  Ungeübten 
leicht  unter.  Mit  der  Diagnose  „Zwillinge"  soll  man  vorsichtig  sein,  da 
Irrungen  die  Glaubwürdigkeit  des  Arztes  ganz  ungerechtfertigter  Weise  in 
den  Augen  der  Laien  in  Frage  stellen. 

Geburtsverlauf  und  Behandlungbei  mehrfacher  Schwangerschaft : 
Spiegelbeeg  fand  bei  1144  Zwillingspaaren  folgende  Lagen  der  Früchte. 
Beide  in  Schädellage  562  mal  =  49-l<'/o 

1  in  Schädellage,  1  in  Steisslage      362 
Beide  in  Steisslage  99 

1  in  Schädellage,  1  in  Querlage         71 
1  in  Steisslage,  1  in  „  46 

Beide  in  Querlage  4 

Bei  Drillingen  constatirte  Siebold  unter  27  Fällen: 
Alle  3  Früchte  in  Schädellagen,  8  mal 

2         „        „  „  die  3.  in  Beckenendlage  8  mal 

1.  Schädellage,  2.  Beckenendlage,  3.  Schädellage  4  mal 

1.  „  2.  und  3.  Beckenendlage  3  mal 

1.  „  2.  Querlage,  3.  Schädellage  1  mal 

1.  Beckenendlage  2.  und  3.  Schädellage  2  mal 

1.  und  3.  Beckenendlage   2.  „  1  mal 

Es  prävaliren  also  auch  bei  mehrfacher  Schwangerschaft  die  Schädel- 
lagen, das  nächsthäufigste  bei  Zwillingen  ist  die  Combination  von  Schädellage 

Bibl.  med.  Wissenschaften.  I.  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  59 


=  31-7% 

=     8-67o 

=     6-18«/o 

=     4-04«/o 

=     0-35°/o 

930  ZWILLINGS-DRILLINGS-SCHWANGERSCHAFT. 

mit  Beckenendlage,  wobei  gewöhnlich  das  in  Kopflage  befindliche  Kind  zuei'st 
geboren  wird.  Sind  beide  Früchte  in  Geradlage,  so  liegen  sie  häufiger  neben 
als  vor  einander. 

Werden  die  Kinder,  wie  dies  die  Regel  ist,  nach  einander  geboren, 
so  bietet  die  Geburt  keinerlei  Schwierigkeiten,  ja  sie  ist  sogar  gegenüber  der 
Geburt  bei  einfacher  Schwangerschaft  deshalb  günstiger  zu  prognosticiren, 
weil  die  einzelnen  Früchte  meist  klein  sind.  So  kann  es  z.  B.  bei  Frauen 
mit  verengtem  Becken  1.  oder  2.  Grades  vorkommen,  dass  sie  spontan  lebende 
Zwillinge  gebären,  wo  vorher  bei  einfacher  Geburt  stets  zerstückelnde  Opera- 
tionen sich  nöthig  machten,  wobei  noch  zu  Gunsten  der  Kinder  mitwirkt,  dass 
sie  auch  bei  kleinem  Gewicht  unverhältnismässig  lebenskräftig  sind. 

Unter  den  anderseits  durch  die  mehrfache  Schwangerschaft 
eventuell  veranlassten  Geburtscomplicationen  ist  in  erster  Linie 
primäre  Wehenschwäche  zu  nennen,  welche  durch  übergrosse  Ausdehnung  des 
Uterus  bedingt  sein  kann.  Sodann  kommt  fehlerhafte  Lage  des  zweiten, 
beziehungsweise  dritten  Kindes  in  Frage,  da  nach  der  Geburt  der  ersten 
Frucht  das  zweite  Kind  gewissermassen  „umfallen"  kann. 

Von  Bedeutung  für  das  Handeln  des  Geburtshelfers  ist  die  Frage,  in 
welchen  Zeitabschnitten  die  Geburt  mehrerer  Früchte  erfolgt,  resp.  erfolgen  soll. 

In  70 — 80%  der  Fälle  werden  die  Früchte  in  weniger  als  1  Stunde 
Intervall  ausgestossen,  ausnahmsweise  ist  aber  die  Geburt  der  2.  Frucht  über 
Gebür,  mehrere  Stunden  bis  Tage,  verzögert,  auch  wenn  die  Lage  derselben  keine 
abnorme  ist.  Als  eine  Merkwürdigkeit  verdient  hier  die  Beobachtung  erwähnt 
zu  werden,  dass  ein  Zwillingskind  als  Abortus  ausgestossen  worden  ist,  und 
dann  die  Schwangerschaft  mit  dem  zweiten  Kind  normal  zu  Ende  ging.  Hier 
liegt  dann  eine  abnorme  Toleranz  des  Uterus  vor. 

Es  ist  eine  allzulange  Verzögerung  der  Geburt  der  zweiten  Frucht  unter 
allen  Umständen  ursächlich  wie  in  den  Folgen  pathologisch  und  sind  hier 
gewisse  Normen  festzuhalten.  Die  diesbezüglichen  Verhaltungsmassregeln  für 
den  Geburtshelfer  ergeben  sich  aus  der  Annahme,  dass  nach  der  Geburt  des 
ersten  Kindes  die  Austreibungsperiode  für  den  zweiten  Zwilling  beginnt  und 
dass  wie  überhaupt  eine  abnorm  lange,  zweite  Geburtsperiode,  namentlich  bei 
gesprungener  Blase  die  Gefahren  einer  Infection  des  Uterusinhaltes  mit  sich 
bringt.  Es  hat  um  so  weniger  Sinn,  mit  der  Entwickeluug  der  zweiten  Frucht 
über  Gebür  zu  warten,  als  ja  nicht  nur  der  Muttermund,  sondern  auch 
Scheide  und  Scheideneingang  aufs  Beste  für  den  sofortigen  Durchtritt  einer 
Frucht  vorbereitet  sind. 

Wenn  wir  also  auf  der  einen  Seite  rathen,  bei  allzu  verzögerter  Aus- 
stossung  der  zweiten  Frucht  die  Geburt  operativ  abzukürzen,  so  muss  doch 
andrerseits  vor  zu  eiliger  Entleerung  des  Uterus  gerade  bei  mehr- 
facher Schwangerschaft  eindringlich  gewarnt  werden.  Selbst- 
verständlich soll  man  im  Hinblick  auf  atonische  Blutungen  den  Uterus  wo 
möglich  allein  „fertig  werden"  lassen,  die  übergrosse  Ausdehnung  der  Gebär- 
mutter erfordert  gerade  in  dieser  Beziehung  besondere  Vorsicht,  wozu  das 
relativ  häufige  Vorkommen  atonischer  Nachblutungen,  nämlich  in  S'5°/o,  der 
Fälle  mahnt. 

Die  Ausstossung  der  Placenta  oder  der  Placenten  erfolgt  gewöhnlich  erst 
nach  der  Geburt  der  Kinder,  in  seltenen  Fällen  wird  nach  der  Geburt  des 
ersten  Kindes  die  zugehörige  Placenta  geboren,  also  vor  Austritt  der 
zweiten  Frucht;  als  ernstes  Ereigniss  ist  beobachtet,  dass  vor  dem  zweiten 
Kind  beide  Placenten  ausgestossen  werden. 

Als  ein  glücklicherweise  selten  eintretendes,  die  Geburt  in  hohem  Masse 
complicirendes  Vorkommnis  ist  noch  die  „Einkeilung  der  Zwillinge,'-'  zu 
erwähnen.    Es  kommt  dies  zu  Stande,  wenn  beide  Kinder  zusammen  in  das 


ZWILLINGS-DRILLINGS-SCHWANGERSCHAFT.  931 

Becken  eintreten.  Entweder  liegen  dann  die  eineiigen  Zwillinge  in  einer 
Amnioshölüe,  oder  es  sind  beide  Fruchtblasen  zusammen  gesprungen.  Da- 
bei sind  folgende  Varianten  beobachtet: 

1.  Die  erste  Frucht  stellt  sich  in  Fusslage  zur  Geburt,  die  zweite  befindet 
sich  in  Schädellage.  Beim  Tieferrücken  der  ersten  Frucht  fängt  sich  die 
zweite  mit  dem  Kopfe  in  den  Hals  der  ersten,  so  dass  die  beiden  Unterkieler 
eingehackt  sind. 

Die  Geburt  kann  nur  so  erfolgen,  dass  zuerst  die  zweite,  in  Schädellage 
sich  einstellende  Frucht  an  der  ersten  vorbei  geboren  wird,  was  natürlich 
nur  bei  äusserst  günstigen  räumlichen  Verhältnissen  möglich  ist.  In  anderen 
Fällen  wurde  beobachtet,  dass  zuerst  nur  der  Kopf  der  in  Schädellage  befind- 
lichen Frucht  geboren  wurde,  dann  der  nachfolgende  Kopf  des  ersten,  in 
Fusslage  austretenden  Kindes,  und  zuletzt  erst  der  Körper  der  zweiten  Frucht. 
Für  die  Therapie  gilt  hier  als  Regel,  wenn  ein  Kind  abgestorben  ist,  was 
wohl  in  der  Regel  bei  dem  Fusslagenkind  der  Fall  sein  wird,  zuerst  dieses 
mit  Zuhilfenahme  der  Perforation  und  Kephalothrypsie  oder  Kranioklasie  zu 
holen.  Decapitation  wird  als  nutzlos  verworfen. 

2.  Die  seltenere  Art  der  „Einkeilung  von  Zwillingen"  ist,  dass  beide 
Kinder  gleichzeitig  in  Kopflage  in  das  Becken  eintreten,  Avobei  dann  ein  Kopf 
wiederum  im  Halsausschnitt  des  andern  liegt. 

Kleinwächter  fand  von  der  ersten  Art  50  Fälle  in  der  Literatur,  von 
der  letzteren  hingegen  nur  12 — 14. 

Hier  soll  der  tieferstehende  Kopf  zuerst  perforirt  werden,  dann  der  höher- 
stehende an  diesem  vorbei  mit  Forceps  entwickelt  werden.  Findet  man  ein 
Kind  bereits  abgestorben,  so  soll  dieses  perforirt  Averden. 

3.  Als  seltenste  Art  der  Einkeilung  ist  endlich  noch  diejenige  zu  erwähnen, 
welche  bei  gleichzeitigen  Eintritt  beider  Früchte  in  Fusslage  möglich  ist. 
Hier  soll  zuerst  das  tieferliegende  Fusspaar  herabgezogen  werden,  w^obei  aber 
zu  beachten  ist,  dass  man  ein  zusammengehöriges  Paar  erfasst. 

DÖDERLEIN. 


59" 


Sachregister. 


A. 

Abdominalcysten  105. 
Abdominalschwangerschaft 

234. 
Abdominaltyphus. 

—  Endometritis  bei  212, 
225,  439. 

—  während  der  Gravidität 
439. 

—  Kolpitis  bei  480. 

—  Oophoritis  bei  555. 

—  Salpingitis  bei  732. 

—  Urethritis  bei  850. 
Abdominale      Verletzungen 

885. 

Abfall  der  Nabelschnur  635, 
709. 

Abfülirmittel  bei  beginnen- 
dem Abortus  22. 

—  bei  Eclampsie  210. 

—  während  der  Gravidität 
194,  199. 

— ■  bei  acuter  Metritis  530. 
Ablösung  der  Eihäute  271, 

277. 
Abnabeln  13,  634. 
Abnorme  Enge  der  Urethra 

895. 
Abnormitäten  des  Eies  279. 
Aborterscheinungen  18. 
Abortiva  277,  877. 
Abortus,liabitueller  19,  225. 

—  künstlicher  25. 

—  —  Indicationen  für  25. 

—  —  Verfahren  zum  26. 

—  spontaner  14. 

—  —  Aetiologie  des  15. 

—  —  Diagnose  des   20. 

—  —  Frequenz  des  20. 

—  —  Prädispositionen  zum 
21,  31. 

—  —  Prognose  des  21. 

—  —   Symptome  des  17. 

—  —  Therapie  des    21, 
125,   170,   179. 

Abort  tubarer  127.   238. 


Abrachius  895. 

Abrasio  mucosae    50,   452. 

Abscesse. 

—  d.  Bartholin' sehen  Drüsen 
61. 

—  aus  Beckenexsudaten  9 1 . 

—  der  Myome  241. 

• —  des  Ovariums  556,  605. 

—  der  Parametrien  9 1 ,  609. 
Absterben   des   Foetus    15, 

555. 
Abtastung  des  Blaseninnern 

110. 
Acardiacus  892. 

—  acephalus  892. 
■ —  acormus  892. 

—  amorphus  891. 
Acardie  892. 
Accouchement  fOrce  26. 
Achsenzugzangen  383,  922. 
Achter-Pessar  426,  632. 
Acranie  892. 

—  mit   Exencephalie    892. 
Actinomyces   in   Tubeneiter 

733. 
Adenitis  periuterina  608. 
Adenoma  ovarii  154. 
Adenomatöse    Degeneration 

der       Uterusschleimhaut 

858. 
Adenome  136. 

—  des  Cervix  145. 

—  des  Uterus  146,  858. 
Adenomyxom     des     Cervix 

145. 

Adnexentumor  28, 606,  733, 
814. 

Adnexenoperation  32. 

Adnexitis  315. 

Aetherische  Oele  877. 

Aetiologie  (s.  auch  „Ursa- 
chen") 

—  des  Abortus  15. 

—  der  Atonia  uteri  57. 


Aetiologie  der  Beckenexsu- 
date 92,   607. 

—  der  Blasenmolc  659. 

—  der  Cervixstenosen  163 

—  der  Chorea  gravidarum 
440. 

—  der  Coccygodynie    168. 

—  der  Cystitis  119. 

—  der  Dammrisse   181. 

—  der  Eclampsie  203,  708. 

—  der    Endometritis    212. 

—  des     Erysipelas     puer- 
perale 441. 

—  der   Extrauterinschwan- 
gerschaft  234. 

—  der    Fruchtlagen    260, 
287,370,719,759,886. 

—  der  Frühgeburt  279. 

—  der  Haematokele  retro- 
uterina   333. 

—  des  Hängebauches  339. 

—  der  Harnfisteln  114, 340. 

—  des  Hydramnios  372. 

—  der  Hyperemesis  377. 

—  der  Inversio  uteri  454. 

—  der  Kolpitis  475. 

—  der  Metritis  529. 

—  der  Metrorhagien  858. 

—  der  Myome  243. 

—  der  Nephritis  gravidarum 
553. 

—  der  Osteomalacie    558. 

—  der  Parämetritis  607. 

—  der  Perimetritis  620. 

—  der     Phlegmasia      alba 
dolens  448,   646. 

—  des   Placentarinfarctes 
658. 

—  des  Puerperalfiebers  der 
Neugeborenen  709. 

■ —  der     Puerperalinfection 
701. 

Puerperalpsychosen 


der 
713. 
-  der  Pyometra 


'18. 


934 


SACHREGISTER. 


—  der  Rupturen  des  Uterus 
728. 

—  der  Salpingitis  732. 

—  des  Scharlachs  der  Wöch- 
uerinen  447. 

—  der  Sterilität  752. 

—  der  Sturzgehurt  618. 

—  der  Tuberkulose  d.  weibl. 
Genitalien  816. 

—  der  Tympania  uteri  823. 

—  der    Uro  -  Genitalfisteln 
114,  340. 

—  der  Uteruslageanomalien 
861. 

—  des  Vaginismus  872. 

■ —  der  Winckel'schen  Krank- 
heit 912. 

—  der    Zwillings-Drillings- 
schwangerschaft  924. 

Aetzmittel  213,  219,  224. 
Aetzmittelträger  402. 
Aetzwirkg.  d.  Antiseptica  46. 
Aequivalent,epilepisches  715 
Aftercanüle  392. 
Agalactie  489. 
Agenesie  891. 
Agnathie   884. 
Ala  vespertilionis  7. 
Alcohol  877. 

—  -behandlung    136,   656, 
708,   713,  824. 

—  -injectionen  153,  405. 
Alcoholismus  714. 
Alexander'sche      Operation 

691,  867,  874. 
Allantois  256. 
Allantoiskloake  895. 
Aloe  877. 
Alter  der  Carcinomkranken 

138. 

—  der  Myomkranken  244. 
Aluminiumpessare  632. 
Aluminiumsonden  323. 
Amazie  499, 
Amenorrhoe  526,  634. 
Amerika,  Hebammen  in  369. 

—  Myomoperationen    490. 

—  Ovariotomien  in   571. 

—  Symphyseotomienm772. 
Amerikanisches    Silberstäb- 
chen 403. 

Amme,  Ernährung  durch  die 

199. 
Ammoniak  877. 
Amnionnabel  256. 


Amuios  256. 
Amniossack   374. 
Arapulla  tubae  7. 
Amputatioaltal48,151,678. 
Amputatio  colli    532,  675, 

685. 
Amputation  der  Portio  162, 

675. 
Amputation,     supravaginale 

des  Uterus  470. 
Anadidyma   898. 
Anaemie  526. 

—  während  der  Gravidität 
439. 

—  der  Mutter  16. 

—  der  Niere  554. 
Anakatadidyma  899,   900. 
Anatomie 

—  der  Adnexentumoren  30. 

—  des  Beckens  9. 

—  der  Blase  106. 

—  der  Brustdrüse   11. 

—  des  Cervix  682. 

—  der  Frucht  255. 

—  des  Ovariums  7,  603. 
— desPlacentarinfarctes658. 

—  der  Scheide  4,  869. 

—  der  weiblichen  Sexual- 
organe  2. 

—  der  Tuben  6,  812. 

—  topographische  der  Ge- 
nitalien 575,  856. 

—  der  Vulva  3. 
Anencephalie  892. 
Aneurysma    spurium    vagi- 

nae  et  vulvae   804. 

Angeklagte,  Hebamme  als 
361. 

Anklägerin,  Hebamme  als 
361. 

Anlage  des  Geschlechtscana- 
les 101. 

—  des  Ovariums  603. 
Anlegen     der     Zangenlöffel 

917. 
Anodenbehandlung  324, 327. 
Anomalien  des  Beckens  61. 

—  der  Beckenknochen-Ver- 
bindung 72. 

—  der  Eihäute  890. 

—  der  Nabelschnur  538. 
- —  der  Placenta  657. 
Ansiedlungsgebiet    der    Go- 

nococcen  296. 
Anteflexio  uteri    754,  860. 


!  Anteriexio  uteri  gravidi  339, 
I      740. 

Anteflexionsstenose  680. 

Antepositio  uteri  861,  865. 

Auteversio  uteri  860,  867, 

Anteversio  uteri  gravidi 
339,  740. 

Antipyretica  96,  708. 

Antisepsis  in  der  Geburts- 
hilfe, Referat  34  — •  Cor- 
referat   41. 

—  in  der  operativen  Gynae- 
kologie   47. 

—  in  der  Hebammenpraxis 
353,  366,    368. 

—  prophylactische  44. 
Antiseptica  45,  391. 

—  Wirkungen  der  Antisep- 
tica auf  Gravide  877. 

Anus  praeternaturalis  vagi- 
nalis 871. 
Aplasie  891. 
Apnoe  des  Kindes  51. 
Apoplectische  Insulte 

—  während  der  Gravidität 
440. 

Apoplexia  tubarum  814. 
Apoplexien     der     Placenta 

658. 
Apostoli'sche      Behandlung 

245,  321. 
Apparate   s.   „Instrumente" 
Apparate,  electrische  322. 
Application    des    Katheters 

359. 

—  der  Pessarien  633. 
Aprosopie   894. 

Apus   895. 

Area  embrjronalis  898. 
Area  germinativa  898. 
Argentum  -  nitricum  -  Aetzun- 
gen 

—  der  Cervixschleimhaut 
219. 

—  der  Vaginalschleimhaut 
476. 

Arhinencephalie  892. 

Arsenik   877. 

Arsenwässer  gegen  Gonorr- 
hoe 319. 

Arterien  des  weiblichen  Ge- 
nitaltractus  9,    10,  854. 

Arterienklemmen  411. 

Arteriitis  umbilicalis  709. 

Arzt,  Herbeirufung  des  360. 


SACHREGISTER. 


935 


AscentlirendeGonorrhoe296. 
Ascites  252. 

—  als  Complication  der 
Gravidität   748. 

Asepsis,  Grundzüge  der  48, 

—  der  Hände    127. 

—  bei  Laparatomien  49. 

—  subjective  44. 
Aspermatismus  752. 
Asphyxie  des  Neugeborenen 

52. 
Assistenten  369. 
Asthenie   440. 
Asthma  gravidarum  440. 
Athelie  499. 
Athemzug,  erster  52. 
Athmungsprocess  der  Frucht 

259. 
Atonia  uteri  56,  133,  135. 
Atresia  ani  105,   895, 
Atresia  ani  simplex  895. 

—  —  urogenitalis  105. 

—  —  vaginalis  895. 

—  —  vesicalis  895. 

—  —  vestibularis  105. 

—  hymenalis  4,   725. 

—  oris   894. 

—  tubarum  336,  814. 

—  uteri  104,  386, 

—  vaginae  105. 
Atresien  der  Scheide,  erwor- 
bene 870. 

Atrophie  der  Blasenwand 
121, 

—  der  Ovarien   604. 

—  des  Uterus  854, 
Aufrichtung  der  beweglichen 

Retroflexio  uteri  865. 

—  der  fixirten  Retroflexio 
uteri  866. 

Aufsteigende  Uterusdouche 
272,  275, 

Augenpflege  der  Neugebo- 
renen   637, 

Ausbleiben  der  Menses  734. 

Auscultation  der  Herztöne 
85,  826. 

Ausführung 

— •  des  Accouchement  force 
27. 

—  der  Kraniotomie   484. 

—  der  Perforation  484. 

—  der  Perineoplastik  630, 

—  der  Placentarlösung  131, 

—  der  Tamponade  126. 


Auskochen  der  Instrumente 

40,   380, 
Auskratzung     s.     „Curette- 

ment". 
Ausräumung      des      Uterus 

125. 
Ausschabung     des     Uterus 

175,  223,  413,  452, 
Aeussere  Untersuchung  355, 

825. 
Ausspülungen 

—  der  Blase  116,  122,417. 

—  der    Scheide   38,    306, 
308. 

—  des  Uterus  223. 
Ausstossung    von    Fibringe- 
rinnsel 221. 

Austreibungsperiode   229. 
Auswahl  der  Hebammen  365, 
Autoplastie  par    glissement 

781. 
Auvard'scher  Wärmeapparat 

643. 
Azoospermie  752. 

B. 

Bacterien 

—  des  Carcinoms  137, 
Bacterieneinwanderung 

—  Schutzvorichtungen.gegen 
706, 

Bacterientoxine  439. 
Bacterienvirulenz  703. 
Bacterienwirkung  703. 
Bacteriologie 

—  der  Gonnorrhoe  292. 

—  des  Puerperalfiebers  Neu- 
geborener 711. 

—  der     Puerperalinfection 
701. 

Bacterium  coli 

—  bei  Endometritis  214. 

—  bei      Puerperalinfection 
701. 

—  bei  Tympania  uteri  823. 

—  bei  Winckelscher  Krank- 
heit 912. 

Badeorte 

—  für  Gonorrhoische  319. 
Bäder  für  Neugeborene  637. 
Bäderbehandlung 

—  bei  graviden  Typhuskran- 
ken 439. 

Ballon  für  den  Kolpeurynter 
388. 


Bandl'sche  Furche  729. 
Bandrsches  Si)eculura   400. 
Barner'sche    uterin  dilaters 

274 
Bartholinitis  61,  302. 
Bartholin'scher  Abscess  61. 
Bartholin'sche  Drüsen  1,297. 
Basiolysis  481. 
Basiothrypsie  481. 
Basiotrib  (nach  Tarnier)  385, 
Basilyst  fnach  Simpson)  385. 
Batterie  322. 
Bau,  histologischer 

—  des  Ovariums  603. 

—  der  Tuben  813. 

—  des  Uterus  854. 

—  der  Uterusschleimhaut 
249. 

—  der  Vagina  869, 
Bauchbinden  431. 
Bauchdecken 

—  Fibrome  der  242,  611. 

—  Phlegmone  der  709. 

—  Tumoren  der  743, 
Bauchhaut,  Desinfection  der 

45. 
Bauchhöhle 

—  Drainage  der  595. 
Bauchnähte  600. 
Bauchschnitt 

—  bei  Ovariotomie  585. 
Bauernhebammen  363. 
Becken 

—  allgemein     gleichmässig 
verengtes  63. 

—  allgemein  verengt  plattes 
65,  266,  786,  907. 

—  einfach  plattes  64,  266, 
482. 

—  Kilian'sches  73. 

—  Naegele'sches  66. 

—  osteomalacisches70,562. 

—  pseudo-osteomalacisches 
69. 

—  quer  verengtes  67. 

—  rachitisches  68. 

—  Robert'sches  67. 

—  schi'ägverengtes  66. 

—  spondylolistetisches    73. 

—  trichterförmiges  65. 

—  Vergrösserung  des  781, 
782. 

Beckenanomalien  61. 
Beckenausgang  99,  781. 
Beckenauseangszangen  381. 


936 


SACHREGISTER. 


Beckenbandagen  634. 
Beckenbindegewebe 

—  Echinococcen    des  614. 
Beckenboden  9. 

—  Resistenz  des  916, 
Beckenende,     Wendung  auf 

das  905. 
Beckenendlagen     84,,    260, 

504. 
Beckenenge  61,  266,  370, 

482,   786,   907,   915. 

—  Folgen  der  62. 
Beckeuexsudate    91,     606, 

623. 
■ —  Aetiologie  der  92. 

—  Diagnose  der  95. 

—  Prognose  der  96. 

—  Therai)ie  der  96. 
Beckenformen  75. 

—  bei  Coxalgie  79. 

—  bei  Fehlen  unterer  Ex- 
tremitäten 83. 

—  bei  Klumpfuss  83. 

—  bei    Kypboscoliose    77. 

—  bei  Kyi^hose  75. 

—  bei  Luxation  des  Schen- 
kelkopfes 80. 

—  bei  Scoliose  76. 
Beckengelenke,    Lockerung 

der  72. 
• —  Synostose  der  72. 

—  Trennung  der  72. 
Beckenhochlagerung 

—  beim  Coitus  752. 

—  bei  gynaekologischer  Un- 
tersuchung 842. 

Beckenhöhle   10. 
Beckenlvnochen,     Fracturen 
der  71,  884. 

—  Tumoren  der    71,   741. 
Beckenmesser  381,  394. 
Beckenmessung  98. 
Beckennerven  204. 
Bedingungen   für  die   Wen- 
dung 908. 

—  für    Zangenoperationen 
916. 

Befruchtung  173. 

Befugte  Hebammen  363. 

Behandlung    s.   „Therapie", 

Beinhalter 

- —  nach  Fritsch 

—  nach  Greder 

—  nach  V.  Ott 

—  nach  Schauta  430. 


Belgien 

—  Hebammenwesen  in  368. 

—  Mehrgeburten  in  923. 
— ■  Symphyseotomien  in  7  22 
Belladonna  878. 
Benennung 

—  der  Fibrome  241. 

—  der  Haematokele   332. 

—  der       Krebsgeschwülste 
137. 

Benzoesäure  878. 
Berufsgeheimnis  des  Arztes 

291. 
Beschleunigung 
I  —  der  Geburt  552,  908. 
Bettnässen  124. 
Bettruhe  306,  377. 
Bewegung 

—  Schwangerer  194. 
Bewegungsspiele  694. 
Bildung 

—  des  Corpus  luteum  606. 
Bildungsanomalien 

—  der  Genitalien  101,  747. 

—  der  äusseren  Geschlechts- 
theile  105. 

—  der  Ovarien  604. 

—  der  Tuben  813. 

—  der  Urethra  847. 

—  des  Uterus  102,  854. 

—  der  Vagina   104,  870. 
Billroths  Theorie  137. 
Bindegewebe 

—  Verhalten  des  Carcinoms 
zum  138. 

Bindegewebsphlegmone 

- —  des  Schenkels  647. 

Blase 

— ■  Anatomie  der  106. 

—  Bacterien  der  109,  119. 

—  doppelte  112. 

—  Fremdkörper  der    122. 

—  gefüllte  740. 

—  Lagefehler  der  113. 

—  Missbildungen  der  111. 

—  Neubildungen  der    117. 

—  Neurosen  der  122. 

—  Palpation  der  109. 

—  Parasiten  der  109. 

—  Percussion  der  109. 

—  Phj'siologie  der  107. 

—  reizbare  108,    123. 

—  Ruptur  der  117. 

—  Verletzungen    der    150. 
Blasenbacterien   119,  120. 


Blasencatarrh  119. 

Blasencervixfisteln  117,343. 

Blasendünndarmfistelu    117. 

Blasenentzündung  199. 

Blasenheruien   106,   113. 

Blasenkrampf  123. 

Blasenkrankheiten  des  Wei- 
bes 105, 

Blasenlähmung  124. 

Blasenmastdarmfisteln    117. 

Blasenmole  659. 

Blasenreizung  440. 

Blasenscheideufisteln  ,114, 
342,   417. 

Blasenschwäche   124. 

Blasenspalt  111. 

Blasensprung  721. 

Blasensteine   123,  440. 

Blasentuberculose    122. 

Blasenuntersuchung   108. 

Blechbüchsen   208. 

Blechkästchen  für  Instru- 
mente 394. 

Blei  878. 

Blennorrhoe  290. 

Blennorrhoea  vaginae   475. 

Blinddarmentzündung  315. 

Blumenkohlgewächse    136. 

Blut 

—  Herkunft  des,  bei  Hae- 
matokele  333. 

Blutalteration 

—  bei  Osteomalacie  560, 
564. 

—  während  der  Gravidität 
439. 

Blutentziehungen,  locale,  96. 
Blutergüsse 

—  intravaginale   810. 

—  perivaginale   807. 
Blutgefässe    der  weibl.  Ge- 
nitalien 9. 

—  des  Ovariums   604. 

—  der  Scheide  870. 

—  topographischer  Verlauf 
der  9. 

—  des  Uterus  9. 

—  der  Uterusschleimhaut 
854. 

Blutige  Dilatation  202,  453, 

753. 
Blutintoxication  201. 
Blutkopfgeschwulst   471. 
Blutserum  706. 


SACHREGISTER 


937 


Blutstillung 

—  beim  Abortus  125. 

—  Instrumente  zur  412. 

—  Mittel  zur  470. 
Blutungen 

—  aus  Cervixrissen  130, 
133. 

—  aus  Clitorisrissen  130, 
134. 

— -  beim  Curettement   178. 

—  aus  Dammrissen  130, 
134. 

—  Electrotherapie  der  329. 

—  bei  Endometritis  221. 

—  bei  Fehlgeburten  127. 

—  Folgezustände  der  135. 

—  während  der  Geburt  129. 

—  in  der  Geburtshilfe  124. 

—  in  das  perivaginale  Ge- 
webe  130,   135. 

■ —  bei  Inversio  uteri  130, 
134. 

—  bei  Myomen    247. 

—  in  der  Nachgeburtspe- 
riode 549. 

—  in  das  Ovarialgewebe 
605. 

- —  nach  Ovariotomien  601. 

—  in  die  Peritonealhöhle 
883. 

—  in  die  Pleurahöhle  883. 

—  beimPortiocarcinom  147. 

—  aus  Scheidenrissen  130, 
134. 

—  ,  während  der  Schwan- 
gerschaft 128. 

—  späte   135. 

—  der  Tuben  814. 

—  aus  dem  Uteruscavum 
130. 

—  beim  Uterusearcinom 
147,   152. 

Blutunterlaufungen 

—  im  Warzenhof  501. 
Blutverluste,  Delirien   nach 

717. 

Bock  zur  Beckenhochlage- 
rung 430. 

Bozeman'sche  Fistelscheere 
419. 

Bozeman-Fritsch' er  Katheter 
214,  217,  406. 

Bösartigkeit,  Diagnose  der 
156. 

Brauch  der  Hindu's  171. 


Braun'scher    Hacken    386, 

387. 
Braun'scher  Kranioclast  3 8 5 , 

485. 
JJraun'sche  Spritze  300, 405. 
Braun'scher  Trepan  387. 
Braun'sche  Zange  383. 
Braxton      Hick,     Kephalo- 

thryptor  385. 
Braxton    Hick,     Wendung 

nach  909,   911. 
Breisky'sche       Gabelsonden 

453, 
Breisky'scher  Kephalothryp- 

ter  386. 
Breisky'sche  Pessare  426. 
Breisky'sches  Speculum  398. 
Breisky'sche  Zange  418. 
Breus'sches  Speculum   402. 
Breus'sche  Zange  384. 
Brom    gegen     Hyperemesis 

369. 
Bromkieselguhr     zur    Des- 

odorisation  153. 
Brompräparate  378. 
Bruch 

—  der  Nabelschnur  542. 

—  des  Nasenbeines  882. 
Brüche=:Fracturen  s.  d. 
Brüche=Hernien  s.  d. 
Brust  175. 
Brustdrüse  1 1 . 

—  Entzündung  der  501. 

Brust-  und  Baucheingeweide 

• —  Verlagerung  der  695. 

Brünninghausen'sche  Me- 
thode der  Frühgeburts- 
einleitung 274. 

Brünnighausen'sches  Schloss 

381. 
Brüste,  in  Lactation  486. 

—  Myomkranker  248. 

—  Pflege  der  195. 

—  Puerperale        Verände- 
rungen der  197. 

—  Reizung  der  272. 
Bucnemia  sparganotica  646. 
Budin'sches   Uteruskatheter 

406. 
Busch' scher  Kephalothryptor 
385,  485. 

C. 

Cancroid  142. 
Canthariden  878. 


Caput  obstipuni   882. 

Caput  succedaneum  284,880. 

(!arbolinj(;ctioncn,  intraute- 
rine 222. 

Carbolsüure  878. 

Carcinom  der  Blase  118. 

Carcinom  des  Cervix  142, 
144. 

—  Diagnose  des    146. 
Carcinom    des    Eierstockes 

154. 

—  Diagnose  des   156. 

—  Pathologische  Anatomie 
154. 

—  Symptome  des  156. 

—  Therapie  des  157. 
Carcinom  der  Eileiter  153. 

—  Diagnose  des  154. 

—  Symptome  des  154. 

—  Therapie   154. 
Carcinom     der     weiblichen 

Sexualorgane  136. 

—  Allgemeine  Aetiologie 
des  137. 

—  Allgemeine  Benennung 
des  137. 

—  Eintheilung  des  138. 

—  Heredität  des  138. 

—  Histologie  des  136. 

—  Prophylaxe  des  138. 

—  Theorien  über  Entste- 
hung des  137. 

Carcinom  der  Scheide  141. 

—  Diagnose  des  141. 

• —  Pathologische  Anatomie 
des  141. 

—  Symptome  und  Verlauf 
des  141. 

—  Therapie  des   141. 
Carcinom  der  Uretlu'a  853. 
Carcinom  des  Uterus  142. 

—  Behandlung  nicht  radi- 
cal  heilbarer  152. 

—  Diagnose  des  146. 

—  Operationsmethodeu  bei 
operablen  148. 

—  Pathologische  Anatomie 
142. 

—  Prognose  des  148. 

—  Symi:)tome  des   147. 

—  Therapie  des  148. 
Carcinom  der  Vulva  139. 

—  Diagnose  des  139. 

—  Pathologische  Anatomie 
des  139.'' 


938 


SACHREGISTER. 


Carcinom  der  Vulva 

—  Symptome  und  Verlauf 
des  140. 

—  Therapie  des  140, 
Carciuomatöse      Induration 

des  äusseren  Muttermun- 
des 724. 

Carcinomatöse  Poly.penbil- 
dungen   674. 

Carunceln  der  Urethra  852. 

Carunculae  myrtiformes  825. 

Castration    157. 

—  Indicationen  zur  157. 

—  Technik  der  158. 
Catarrhus  tubarum   814. 
Catgut  als  Nahtmaterial  48. 
Cavite  de  Retzius  611, 
Cavum  cervico-uterinum 

—  Dilatation  des  452. 
Cavum  uteri   5. 
Cavum  utero-vesicale  8. 
Centralkanal    des     Nerven- 
systems  255. 

Centralruptur  180. 
Cerium  oxalicum  gegen  Hy- 

peremesis  378. 
Cervicitis  307. 
Cervikalkanal 

—  Electrische  Behandlung 
der  Stenosen  des  332. 

Cervix  5,   101. 

—  Blutige  Dilatation  des 
202. 

—  Erweiterung  des,  durch 
Quellmeissel   274. 

—  Hypertrophie   des    855, 

—  Tuberkulose  des  819. 
Cervixcarcinom  142. 
Cervix-Dilatation  M4,  219. 

—  Instrumente  bei  421. 
Cervix-Dilatator  nach 

—  Eicbholtz  421. 

—  Fritsch  421. 

—  Hegar  421. 

—  Schröder  421. 
Cervixgonorrhoe   307. 

—  Behandlung  der  368. 

—  Pathologische  Anatomie 
der  307. 

—  Symptome  der  307 
■ —  Verlauf  der  307. 
Cervixkatarrh  159. 

—  chi'onischer  160. 

—  Diagnose  des  chronischen 
160. 


Cervixkatarrh    Formen  des 
159. 

—  Pathologische  Anatomie 
des  chronischen  160. 

—  Prognose  des  159,  161. 

—  Symptome  des  159, 160. 

—  Therapie  des  159,  161. 
Cervixoperationeu  162. 

—  Instrumente  bei  419. 
Cervixpolj'pen  670. 
Cervixrisse   162. 

—  Blutungen  aus  130,  133. 
Cervixstenose   163. 

—  Prognose  der  164. 

—  Sj'mptome  der  164. 

—  Therapie  der  165. 
Cervixtuberkulose  819. 
Cheilognathopalatoschisis 

893, 
Cheiloschisis  893. 
Chinin  878. 
Chloasma  734. 
Chloroform  878. 
Chlorzinkätzungen  161,219, 

451. 
Cholera,    Endometritis  bei 

212,  440. 

—  während  der   Gravidität 
440. 

—  Kolpitis  bei  475. 

—  Metritis  bei  850. 

—  Oophoritis  bei  555. 

—  Salpingitis  bei  732. 
Chorda  dorsualis  255. 
Chorea 

—  während  der  Gravidität 
440. 

Chorion  256. 

—  frondosum  256. 

—  laeve  256. 
CieQie  tonowe  769. 
Circuläre  Amputation 

—  der  Portio  685. 
Cirkelreibungen  518, 
Clitoridectomie  167. 
Clitoris   3. 
Clitorisrisse 

—  Blutungen  aus  130,  134. 

—  Therapie  der  134, 
Cloakeubildung  895, 
Cocain  gegen  Hj'peremesis 

378. 
Coccobacillus  ureae  pyogenes 

119. 
Coccygodyuie  167, 


Coccygodynie,Aetiologie  der 
168. 

—  Verlauf    und    Prognose 
der  168. 

—  Therapie  der  168. 
Coelialgie  568. 
Coelom  256. 
Cohuheim'sche  Theorie  137, 

242. 
Coitus,  Beckenhochlagerung 
beim  752 

—  während  der  Gravidität 
195. 

—  inter  menses  620. 

—  interruptus  620. 
— •  a  posteriore  172. 
CoUector  434. 
Collins  Speculum  402. 
Colostrum  197,  486. 
Colpeurynter  388. 

— ■  Indicationenzum  Gebrau- 
che des  169. 
Colpeuryse   23,  169,  459. 
Columnae    rugarum  4. 
Compresseur  iliaque  569. 
Conception  171, 

—  Verhinderung  der   426, 
757, 

Conceptions-Störungen 

—  bei    chronischer    Endo- 
metritis 222. 

—  bei  chronischer  Metritis 
531. 

Conceptionstermin  174. 
Condom  759. 
Conduplicato  corpore    211, 

750. 
Condylome,  spitze  300. 

—  der  Urethra  852. 
Conglutinatio  orificii  interui 

723. 
Conjugata  diagonalis  100. 
Conjugata  externa  98. 

—  vera  100. 
Contactinfection  47. 
Contractionsring  728. 
Contraindicationen  gegen  die 

intrauterine  Auswischung 
des  Uterus  451. 

—  gegen  die  intrauterinen 
Injectionen  450, 

—  gegen    die    intrauterine 
Irrigation    449. 

—  gegen  die  gynaekolpgische 
Massage  516. 


SACHREGISTER. 


939 


Contraiudicationeu  gegeiiAn- 
weiidung  des  constanten 
Stromes   326. 

—  gegen  die  Zangenanle- 
gung 917. 

Corpus- Carcinom  142,  145. 
Corpus  luteum  falsum  606. 

—  —  verum  606. 

—  uteri  5. 

Correctur  in  Längslage  721. 
Coryza  syphilitica  797. 
Cowper'sche  Drüse  61. 
Coxalgie,  Beckenformen  bei 

79. 
Craniopagus  900. 
Cranio-Rhachischisis  892. 
Crede'sclier    Handgriff    59, 

134. 
Cremaillere  396. 
Cristae,  Messung  der  Distanz 

der  98. 
Cruralhernien,  ovariale  604. 
Curettement  172,  452. 

—  bei  Endometritis  223. 

—  Erfolg  des  223. 

—  Indicationen  zum  176. 

—  Technik  des  177. 
Curetteu  413. 

Curette  von  Martin  413. 
Cusco's  Speculum  402. 
Cyanosis    infantilis    icterica 

perniciosa  cum  haemoglo- 

binuria  911. 
Cyclopie  892. 
Cylinder  von  Bozemann  418. 
Cylinderepithelkrebs  136. 
Cysten,    proliferirende    des 

Ovariums  576. 

—  der  Scheide  871. 

—  -Zangen  424. 

—  -nach  Nelaton  224. 
Cystitis  119 

—  Aetiologie  119. 

—  Diagnose  121. 

—  Prophylaxe   121. 

—  Therapie  122. 

D. 

Dänemark 

—  Mehrgeburten  in  923. 

—  Symphyseotomie  in  772. 
Damm  105. 

—  Gefahr  für  denselben 
191. 

Dammbildung  626. 


Dammnaht  180. 
Dammplastik   626. 
Dammrisse  180.  ' 

—  Behandlung   183. 

—  Folgen  der  1H2. 

• —  oberflächliche   180. 

—  tiefe  180. 
Dammschutz  185. 
Darraadhaesionen  590. 
Darmaffectionen  438,    444. 
Darmcanal,  primitiver  255. 
Darmfaserplatte  255. 
Darmfisteln  der  Blase  117. 

—  bei  Perimetritis  622. 

—  der  Scheide  871. 
Darmocclusionen  602. 
Darmschleimhautverän- 
derungen 

—  bei  Melaena  neonatorum 
522. 

Darmtuberculose  447. 
Dauer  der  Menstruation  523. 
Dauerei'folge  der  Carcinom- 
operationen  150. 

—  der    Prolapsoperationen 
690. 

Decapitation  210. 

Decidua  11. 

Decidua  reflexa  11,  257. 

Decidua  serotina    11,    256. 

Decidua  vera  257. 

Decidualösung  179. 

Deciduaretention 

—  Symptome  der  668. 
Deciduazellen  220,  256. 
Decorticatio  myomatis  495. 
Defecte  891. 

—  des  Dammes  626. 

—  der  Harnröhre  895. 

—  der  Ovarien  103. 

—  der  Symphysen  68. 

—  des  Uterus  526. 
Degeneration,  amyloide  625. 

—  der  Chorionzotten    659. 

—  cystische  659. 

—  kleincystische      Hegar's 
557. 

Degeneratiouserscheinungen 
an  Carcinomen  138. 

Dehnung,  bimanuelle  517. 

Depression,    psychische 

—  im  Klimacterium  474. 

—  während    der  Lactation 
717. 


—  während  der  Menstrua- 
tion   525. 

— ,  bei  Oophoritis  557. 

—  während    des    l'uerpe- 
riuras  717. 

Depressor  von  Marion  Sims 
389. 

Dermatitis  pruriginosa  699. 

Dermatoneuritis  vulvae  pruri- 
ginosa 698. 

Dermoi dcy sten  576. 

Descensus  uteri  856,  861, 
868. 

—  nach  Perineoplastik  626. 
Desinfection  706. 

—  der  Genitalien  bei  Kra- 
niotomie  484. 

—  der  Hebammen  46,  355. 

—  der  Hände  37,  355. 

—  der  Instrumente  380. 

—  objective  der  Kreissen- 
den 44. 

Desinfection,  prophylactische 
39. 

—  subjective  192. 

—  bei  Vulvitis  gonorrhoica 
301.    . 

Desinfections-  Vorschriften 
für  Hebammen  46,  354, 
368. 

Detrusor  vaginae  108. 

Deutschland 

—  Hebammenwesen  in  46, 
364 

—  Mehrgeburten  in  923. 

—  Ovariotomie  in  572. 

—  Symphyseotomie  in  772. 
Dextroflexion     des     Utenis 

860. 

Diabetes  mellitus  441,  481. 

Diaetetik  der  Schwanger- 
schaft 193. 

—  des  Wochenbettes  196. 
Diagnostische  Excochleation 

846. 
Diagnose  des  Abortus  20. 
• —  der  Adenompolypen  673. 
■ —  der  Anteflexio  uteri  862. 

—  der  Asphyxia  neonato- 
rum 53. 

—  der  Atonia  uteri  58. 

—  der  Beckenendlagen  85. 

—  der  Beckenexsudate  95. 

—  der  Beckenformen  65, 
68,  69,   76. 


940 


SACHREGISTER. 


Diagnose  der  Beckenkuo- 
dientumoren  71. 

—  der  Blaseumole  659. 

—  der  Blasenneubildungen 
118. 

—  derBlasenspaltbildungen 
112. 

—  des  Carcinoms  der  weib- 
lichen Sexualorgane  136, 
139,   141,   146,   154. 

—  des  Cervixcatarrhs  160. 

—  der  Cervixrisse  134. 

- —  der  Dilatatio  urethrae 
849. 

—  der  Eclampsie  206. 

—  der  Fruchtlagen  288, 
371,  720,  759,  887. 

—  der  Frühgeburt  282. 

—  der  Gonorrhoe  der  weib- 
lichen Genitalien  315. 

—  der  Haematokele  retro- 
uterina   333. 

—  der  Harnfisteln  115, 
341. 

—  des  Hermaphroditismus 
104. 

—  der  Inversio  uteri  459. 

—  der  Kolpitis  gonorrhoica 
305. 

—  der  Mastdarmscheiden- 
fisteln 520. 

—  der  Metritis  530. 

—  der  Myome  248. 

—  der  Oophoritis  556. 

- —  der  Osteomalacie  565. 

—  der  Ovarialfibrome  252. 

—  der  Ovarialtumoren  581. 

—  der  Parametritis  610. 

—  der  Paraperitonealge- 
schwülste  612. 

—  der  Perimetritis  622. 

—  der  Phlegmasia  alba  do- 
lens 653. 

—  der  Placenta  praevia  652. 

—  der  Placentarretention 
666. 

—  der  fibrösen  Polypen 
672. 

—  der  Pyometra  718. 

—  derRetroflexiouteri865. 

—  der  Retroperitonealtu- 
moren  615. 

-^  der  Salpingitis  gonorr- 
hoica 312. 

—  der  Sarcompolypen  674. 


Diagnose  der  Scheidengan- 
gTän  480. 

—  der  Schleimhautpolypen 
671. 

—  der  Schwanger-schaft 
733. 

—  der  mehrfachen  Schwan- 
gerschaft 928. 

—  der  Sterilität  756. 

—  der  Symphysenruptur 
726. 

—  der  Tuberculose  der 
weiblichen  Genitalien  820 
822. 

—  der  Tj'mpania  uteri  824. 

—  der  Urethritis  299. 

—  der  Uterusruptur   129. 

—  der  Wehen  902. 
Diaphragma  pelvis    10. 

—  accessorium  10. 

—  urogenitale    10. 
Diastase     der     Schambeine 

894. 
Dicephalus  899. 

—  dibrachius  899. 

■ —   tetrabrachius   899. 

—  tribrachius  899. 

—  tripus   899. 
Dienstenthebung 

—  der  Hebammen   366. 
Digitale  Beckenmessung  99. 
Digitale  Lösung 

—  von  Eihautresten  667. 

—  von  Piacentarresten  667. 
Digitale  Untersuchung  836, 

841. 

—  vom  Rectum  aus  834, 
845. 

Digitalis  96,   878. 
Dihypogastricus  899. 
Dilateur     intrauterine     von 

Tarnier   277. 
Dilatation 

—  beim  spontanen  Abortus 
24 

—  beim  künstlichen  Abortus 
26. 

—  blutige  202,  208,  453. 

—  des  Cavum  cervico-ute- 
rinum  452. 

—  des  Cervix  164,  219. 

—  bei  Eclampsie  208. 

—  bei  Frühgeburt  272. 

—  bei  Hyperemesis  Gravi- 
darum 378. 


Dilatation 

—  Instrumente  zur  424. 

—  mechanische  167,   2.08. 

—  plötzliche  178. 

—  unblutige  200,  453. 

—  der  Ureteren  144,  147. 

—  der  Urethra  110,    118, 
123,   124,  414,  849. 

—  des  Uterus  208. 

—  beiUterus-carcinoml47. 

—  der  Vena  umbilicalis  541. 
Dilatationssonden  634. 
Dilatatoren    der   Harnröhre 

414. 

—  von  Hegar  201. 
Dilatatorium    von    Ellinger 

453. 
Diphterie  441. 

—  der  Scheide  475,  478. 
Diphteritische  Cystitis  121. 
Diplococcen  bei   Gonorrhoe 

292. 
Diplococcus  ureae  pyogenes 

—  bei  Cystitis  119. 
Diplomsformular  für  Hebam- 
men 348. 

Diprosopus  899. 
Dipygus  899. 
Discissio  cervicis  862. 
Discission,    bilaterale    166, 

202,  453. 
Disposition 
■ —  zum  Abort  16. 

—  zu    Beckengelenksver- 
letzungen 72. 

—  zum  Dammriss  181. 

—  zu  Fissuren   der  Brust- 
warzen 254. 

—  zum  Hängebauch  339. 

—  zur  Hysterie  443. 
Distanzen 

—  des  Beckenausganges  9  9 . 

—  der  Cristae  99. 

—  der  Spinae    ossium    ilei 
99. 

—  der  Trochanteren  99. 
Distomie  894. 
Distomum  haematobium  109. 
Divergenzconjugaten  782. 
Diverticulum  Meckelii  894. 
Diverticulum  urethrae  849. 
Divertikelbildung 

—  d.  Blase  113,   121. 

—  der  Tuben  813. 

—  der  Urethra  849. 


SACHREGISTER. 


941 


Dolores  conquassantes  230, 
901. 

—  ad  partum  901. 

—  post  partum  901. 

—  praeparantes  901. 

—  praesagientes    901. 

—  ad  secundinas  231,  901. 
Doppelcollector  434. 
Doppelmissbildungen  891. 
Doppelte  Blase  112. 
Dotterblase  256,   539. 
Douglas  9,   575,  856. 

—  Verlöthung  des  144. 
Douglas'sclie  Falten 

—  Anatomie  der  9. 
Drainage  der  Peritonealhöhle 

—  Instrumente  zur  424. 
Drehungen  der  Nabelschnur 

538. 
Drillinge 

—  Geschlecht  der   928. 
Drillingsmissbildungen  900. 
Drillingsschwangerschaft 

923. 
Druckgangraen 

—  durch  Pessarien  633. 
Druckmarken  880. 
Drucknekrose  336. 
Druckstellen  am  Schädel  62, 

65. 
Druckstreifen  880. 
Drüsen,  Bartholin'sche  3. 

—  des  Uterus  5. 
Drüsencarcinom  136,    139, 

143,   144.  ■ 
Drüsengeschwülste 

des  Ovariums  155. 
Ductus  arteriosus  Botalli  259. 

—  Thrombose  des  451. 
Ductus  omphalo-entericus 

539. 
Duplicitas  anterior  899. 

—  posterior  899. 
Duplicität     der    weiblichen 

Harnröhre  848. 

—  der  Scheide  102. 
Durchtritt 

—  des  Gesichtes  51. 

—  des  Kopfes  51,  63. 

—  Mechanismus    des    504. 
Durchschneiden  des  Kopfes 

231. 
Durchtrennung  der  Schliess- 
muskel  der  Scheide   874. 


Dünndarmscheidenfisteln 

871. 
Dysenterie  438,  441. 
Dysmenorrhoea  membrana- 

cea  221,   224,   331. 
Dysmenorrhoea    stenotica 

"  679. 
Dysmenorrhoe  164,527,861. 

—  Behandlung  der  528. 

—  Ursachen  der  528. 
Dystopia  renis  896. 

E. 

Ecchymoma  lymphaticum 
646. 

Echinococcen  im  Becken- 
bindegewebe 614. 

—  in  der  Blase   123. 

—  d. Dünndarmblasenfisteln 
117. 

—  der  Leber  als    Schwan- 
gerschaftscomplication 
743. 

—  der  Niere  615. 

—  im  Urin  109. 
Ectoderm  255. 
Edelmann' scher       Galvano- 
meter 322,   435. 

Eierstöcke  3. 

Eierstocksschwangerschaft 
240. 

Eihäute,  Anomalien  der  890. 

Eihautstich  bei  künstlicher 
Frühgeburt  271,  272. 

Eihüllen  257. 

Eileiter  3. 

Einbiegungen,  rinnenförmige 
des  Kindskopfes  63. 

Einblasungen  von  Mund  zu 
Mund   56. 

Eindrücke,  löffeiförmige  des 
Kindskopfes  63. 

Einfluss  der  Beckenanoma- 
lien auf  Schwangerschaft 
und  Frucht  61,   64. 

—  interner  Krankheiten  auf 
die  Gravidität  437. 

Einkeilung     der     Zwillinge 

930. 
Einkindersterilität  317. 
Einleitung  3. 

—  des  künstlichen  Abortus 
25. 

—  der  künstlichen  Früh- 
geburt 269. 


Einrisse  des  Fronulums,  183. 

Einschränkung  der  inneren 
Untersuchung   39,  «32. 

Einspritzung  von  Wasser 
zwischen  die  Eihäute  275. 

Einspritzungen  s.  Injectionen 

Eisenbäder  319. 

Eiterrctentionen  in  der  Ge- 
bärmutterhöhle 717. 

Eklampsie  202. 

—  Accouchcment  forco  bei 
27. 

—  Aetiologie203,  553, 708. 

—  Anatomische  Befunde 
205. 

—  Diagnose   205. 

—  Frühgeburtseinleitung 
bei  268. 

—  hämatogene  203. 

—  Häufigkeit  205. 

—  Nachkrankheiten  205. 

—  Prognose  205. 

—  reflectorische  203. 

—  Symptome  204. 

—  Therapie  206. 

—  Zangenoperation  bei  916. 
Ektopia  cordis  894. 

—  testis  896. 

—  —   cruralis  896. 

—  —  cruro-scrotalis    896. 

—  —  inguinalis  896. 

—  —  perinealis  896. 
pubica  896. 

—  vesicae  urinariae  113, 
894. 

Ektopische  Schwangerschaft 

234. 
Ektropium  cervicis  160. 

—  der  Portiolippen  218. 
Ekzema    areolae     mammae 

254. 

—  papillae  mammae  253. 
Electrode,  active  322,  436. 

—  inactive  323,  436. 
Electroden,  "Wirkungen  der- 
selben 324. 

Electrotherapie 

—  bei  Adnexenschwellungen 
331. 

—  bei    Amenorrhoe     331. 

—  bei  Dysmenorrhoe  331. 

—  bei  Endometritis  224, 
327,   331. 

—  bei  Metritis  331. 

—  bei  Metrorrhagien  332. 


942 


SACHREGISTER. 


Electrotlierapie 

—  bei  Myomen  329,  332. 
■ —  bei  Ovarie  332. 

—  bei  Para-Perimetritis  98, 
331. 

-^  bei  Pruritus  vulvae  332. 

—  bei  Stenosen  des  Cervix 
332. 

—  bei  Subinoolutio  uteri 
332. 

—  bei  Superinvolutio  uteri 
332. 

—  bei  Yaginismus  332. 
Elemente,  galvanische  433. 
Elevation  des   Uterus    856, 

867. 
Elytritis  =  Kolpitis 
Elytrorrhapia  anterior  686. 
EmbryonalÜeck  898. 
Embryotomie  210. 

—  Ausführung  210. 

—  Indicationen  210. 
Emmenagoga  526. 
Emmet'sche  Operation  163. 
Encephalocele  892. 
Enchondrome  desBeckensTl. 
Eudokolpitis  479. 
Endometritis  91,  211,  737. 

—  post  abortum  213,  224. 

—  durch  Aetzmittel  213. 

—  atrophicans  221. 

—  Behandlung  der  176. 

—  cervicis  159. 

—  chronische  217. 

—  deciduae  737. 

—  diffuse  200. 

—  Disposition  zum  Abort  1 6 . 

—  durch  Eitererreger  212. 
• —  Electrotherapie  bei  224, 

327,  331. 

—  exanthematica  439. 

—  exfoliativa  221. 

—  glanduläre  136,  220. 

—  durch  Gonococcen  212. 

—  gonorrhoische  215,  309. 

—  haemorrhagica  439. 

—  durch  acute  Infections- 
krankheiten  212,  225, 
439. 

—  influenzae  439. 

—  interstitielle  220. 

—  oophorogene  213. 

—  puerperale  213. 

—  putride  214. 

—  saprogene   214. 


Endometritis  als  Schwanger- 
schaftscomplication    737. 
Endometritis  senilis  221. 

—  sub  partu   septica   914. 

—  septische  213. 

—  syphilitische  858. 

—  durch  Tuberkelbacillen 
212,  224. 

—  durch  Vergiftungen  213. 
Endometrium  6,  219. 
Endoskop  von  Pawlik  414. 
Engastrius  900. 

Enge  der  Urethra,  abnorme 

895. 
England 

—  Hebammenwesen  in  369. 

—  Mehrgeburten  in  923. 

—  Ovariotomien  in  572. 

—  S.ymphyseotomien  in  772. 
Englische  Methode  der  Früh- 
geburteinleitung 272. 

Entbindung  226. 

—  gewaltsame  26. 

Entenschnabelspeculum  398. 

Enthirnung  481. 

Entoderm  255. 

Entstellung  der  Krebsge- 
schwülste, Theorien  über 
137. 

Entstehung  derOsteomalacie. 

Theorien  über  559. 
Entwicklung  der  Frucht  254. 

—  der  Früchte  bei  mehr- 
facher Schwangerschaft 
927. 

Entwicklung  des  nachfolgen- 
den Kopfes  508. 

Entwicklungsiehler  des  Be- 
ckens 63. 

Entwicklungshemmungen 
der  Müller'schen    Gänge 
102. 

Entwicklungsmodus  der  Ova- 
rialcysten  578. 

Enucleation  von  Myomen 
533. 

—  intraabdominale  490. 

—  intraperitoneale  494. 
Enuresis  nocturna  124. 
Epigastrius  900. 
Epignathus  900. 
Epilepsie     im     Puerperium 

717. 
Episiotomie    192. 
Epispadie  111,  895. 


Epithel,  in  Ovarialtumoren 
155. 

—  der  Portio  142. 
Epithelialgeschwülste       des 

Eierstockes  155. 
Epithelien  der  Blase  im  Urin 

109. 
Epithelwucherung    bei  Cer- 

vixcarcinom  143. 
Epoophoron  616. 
Erbrechen,  unstillbares  377. 
Ergotinin'äparate   131,  277, 

527,   528,   879.       " 
Ernährung  durch  eine  Amme 

199. 

—  des  Neugeborenen  640. 

—  Schwangerer  194. 
Eröffnungsperiode  226,  227. 
Erosion  der  Portio  146,  218, 

307. 

—  einfache  160,  675. 

—  folliculare  160. 

—  papilläre    160. 
Erschütterungen  des  Uterus 

890. 

Erweichung,  myxomatöse 
—  der  Fibrome  241. 

Erweiterung  des  Cervix,  In- 
strumente zur  201,  422. 

—  des  Cervix  durch  Quell- 
mittel 201,  274,  453, 
660. 

Erweiterung    des    äusseren 

Muttermundes  753. 
Erysipel  der  Genitalien  441. 

—  der  Scheide  477. 
Erysipelas  puerperale  inter- 
num  441. 

Erythema  papillae  mammae 

253. 
Eventratio  894. 
Eversio  vesicae    111. 
Excerebratio  481. 
Excision  der  Cervixschleim- 

haut  161. 

—  des  Hymens   873. 

—  der  Portio  162. 

—  —  kegelmantelförmige 
162. 

—  —  keilförmige   162. 
Excochleatio.  uteri  452. 
Exenteration    210. 
Exostosen  des  Beckens  71. 
Expression  bei    Beckenend- 

lagen   90. 


SACHREGISTER. 


943 


Exstirpatio  uteri  parasacra- 
lis  151. 

—  —  perinealis    151. 

—  —  sacralis  151. 

—  —     totalis      vaginalis 
149,   691. 

Exstropliia  vesicae  111. 
Exsudate  s.   „Beckenexsu- 

date". 
Extraction  502,   512. 
Extraction    des    perforirten 

Kopfes  485. 
Extraperitoneale   Stielbe- 

liandlung  490,   591. 

—  Antisepsis  bei  der  50. 

—  bei  Ovarialtumoren  574. 
Extrauterine  Myotomie  535. 
Extrauterinscliwangerscliaft 

234. 

—  Diagnose  237. 

—  als    Geburtscomplication 
746. 

—  Prognose  239. 

—  als     Schwangerschafts- 
complication  746. 

—  Therapie  239. 

—  wiederholte  237. 
Extremitäten 

—  Hemmungsmissbildungen 
der  895. 

■ —  Verletzungen  der  885. 

—  Yorfall  der  907. 

F. 

Facialisparese  882. 
Facultative  Sterilität  757. 
Falsches  Wasser  229. 
Fascia  perinei  propria  10. 
Fehlgeburt  14. 
Fetthernien  613. 
Fibrinöse  Polypen  19. 
Fibröse    Hypertrophie    des 

äusseren     Muttermundes 

723. 
Fibroma    papilläre    cartila- 

ginescens  145,  857. 

—  lymphangiectodes   857. 
Fibrome  241. 

—  der  Bauchdecken  242. 

—  Entstehung  der  242. 

—  der  ligamenta  lata  253. 

—  der    ligamenta    rotunda 
252. 

—  der  Ovarien  252. 

—  der  Scheide  242. 


Fibrome  der  Tuben  252. 

—  der  Urethra  853. 

—  des  Uterus  243. 

—  Veränderungen  der  241. 

—  der  Vulva   242. 
Fibrosarkome     des    Uterus 

857. 
Filaria  sanguinis  bei  Cystitis 

109. 
Fissura  abdominalis  completa 

894. 

—  • —  vesico-genitalis  894. 

—  sterni  894. 

—  vesicae  inferior   111. 

—  — •  superior   111. 

—  vesico-umbilicalis  111. 
Fissuren  der  Mamma  253. 
Fistula  colli  congenita  894. 
Fleischmolen  18. 
Flexionen  des  Uterus  860. 
Foetale  Erkrankungen  890. 
Foetus,  habituelles  Abster- 
ben des  267. 

—  in  foetu  900. 

- —  papyraceus  768. 

—  Wachsthum  des  258. 

—  Wachsthumsstörungen 
des  888. 

Follicularcysten  576. 
Fontanellen  550,  837. 
Fonticuli  laterales  anteriores 
550. 

—  Iateralesposteriores550. 
Fornix  vaginae  4. 

Fossa  ischiorectalis  10. 
Fracturen    der   Beckenkno- 
chen 71,  884. 

—  der  Extremitäten    883, 
885. 

—  des  Humerus  883. 

—  der  Kiefer  882. 

—  des  Nasenbeines  882. 

—  des  Schädels  881,  884. 

—  des  Schlüsselbeines  883. 
Frankreich 

—  Gynaeko-electrotherapie 
in  321. 

— •  Hebammenwesen  in  367. 

—  Mehrgeburten  in  923. 

—  Myomoperationen    in 
490,   533. 

—  Ovariotomien  in  572. 
Französisches    Schloss  383. 
Fraueuleiden,      Prophylaxe 

der  692. 


Fremdkörper  in    der   Blase 
122. 

—  der  Scheide  871. 
Frenulum  clitoridis  3. 

—  Einrisse  ins   183. 
— ■   hiI)iorum  3. 
Frequenz  des   Abortus    20. 

—  der  Beckenendlagen  84. 

—  der  Gonorrhoe  290. 

—  der  Selbstwendung  751. 
Freund'sche  Openitioii  151, 

821. 
Frucht,    Stadien    der    Ent- 
wicklung 258. 

—  -entwicklung  254. 

kalter  853. 

hof  898. 

lagen  260,  827. 

—  Wachsthumsstörungen 
der  888. 

—  -wasser  288. 
Frühgeburt  14. 

—  künstliche  25. 

—  —  Prognose  270. 
Methoden  der  271. 

—  ■ —   Indicationen  266. 

—  spontane 

Behandlung  282. 

—  • —  Prognose  282. 

—  —  Symptome  und  Ver- 
lauf 281. 

—  —  Ursachen  279. 
Fusslagen  84,  262. 

G. 

Galactorrhoe  489. 
Galactostase  489. 
Gallensteine  "  während    der 

Gravidität  442. 
Galvanometer  322,  435. 
GalvanischerStrom,Wirkung 

des  323. 
Gangraen  von  Fibromen  241 . 

—  der  Scheide   480. 
Gastroschisis   894. 
Gebärmutter  3. 

Geburt  s.    „Entbindung." 

—  bei  Eklampsie  205. 

—  bei  Hängebauch  340. 

—  verschleppte,  bei    Quer- 
lage 722. 

Geburtshilfliche  Untersu- 
chung 824. 


944 


SACHREGISTER. 


Geburtsoomplioationen  736. 

Gebiirtscomplicationeu  bei 
inehrfaclier  Schwanger- 
schaft 930. 

GeburtsKeschwulst   284. 

Geburtshilfliche  Taschen  390 

(Teburtsniechanismus  8  6 , 
229,  233. 

Gefässe  s.  „Bhitgefässe". 

Gehirnhyperaemie  während 
der  Gravidität  442. 

Gehirntumoren  während  der 
Gravidität  442. 

Geistesstörungen  im  Puer- 
perium 717. 

Gelenlisrheumatismus  wäh- 
rend der  Gravidität  442. 

Genitalien  weibliche  3. 

—  Bilduugsfehler  der  747. 

—  Carcinom  der  136. 

—  Gonorrhoe  der  290. 

—  Pflege  der  195. 

—  Rückbildung  der  198. 

—  Tuberculose  der  810. 
Geschichte  der  Gonorrhoe 

291. 

—  der  Myomoperationen 
490. 

-    der  Ovariotomie  571. 

—  derSymphyseotomie769. 

—  der  üterusexstirpatio- 
nen   151. 

Geschlechtsbildung 

—  Ursachen  der  174. 
Gesichtslagen261, 287,  840. 

—  Diagnose  der  288. 

—  Mechanismus  der  287. 

—  Therapie  289. 
Gesichtsspalte  894. 
(Gewicht  eines   reifen    Neu- 
geborenen 638. 

—  unreifen  Neugeborenen 
646. 

Glückshaube  228. 
(xonococcen   bei    Beckenex- 
sudaten 92. 

—  bei  Cervixkatarrh    159. 

—  bei  Cystitis  109. 

—  bei  Endometritis  212, 
214,  215. 

—  Färbungen  292. 

—  Form  292. 

—  Giftwirkung  der  298. 
— -  Mischinfection  295. 

—  bei  Parametritis   607. 


Gouococcen 

—  bei  Perimetritis  621. 

—  Vorkommen  in  den  weib- 
lichen Genitalien  297. 

—  Züchtungen  292. 
Gonorrhoe 

—  Bacteriologie  der  292. 

—  der  Bartholin'schen  Drü- 
sen 61,   302. 

—  Bäderbehandlung     der 
319. 

—  des  Cervix  159,   307. 

—  Coniplicationen  der  297. 

—  allgemeine  Diagnose  315. 

—  Formen  der   299. 

—  Frequenz  der  297. 

—  der   weiblichen    Genita- 
lien 290. 

—  Geschichte  der  291. 

—  •  Latenz  der  296. 

—  Metastasen  der    297. 

—  allgemeine  Prognose  316. 

—  Prophylaxe   der  298. 

—  der  Scheide   304. 

—  locale  Therapie  318. 

—  der  Vulva   300. 

—  der  Tuben   310. 

—  der  Urethra  299. 

—  Ursachen  der    Infection 
296. 

—  des  Uterus  307. 

—  und     Wochenbettfieber 
295. 

Gonorrhoischer    Cervixka- 
tarrh 159,  307. 

Gonorrhoische  Endometritis 
215,  309. 

—  Infection   296. 
bei  Kindern  303. 

—  Kolpitis  476. 

—  Metritis  309. 

—  Oophoritis  314. 

—  Parametritis  314. 

—  Perimetritis  314. 
Salpingitis  310. 

—  Urethritis  299. 
Gossypium,  Extr.  fluid.  527. 
Graafsche  Follikel   603. 
Gravidität    s.    „Schwanger- 
schaft". 

Gravi ditas  abdominalis  234. 

—  interstitialis  234. 

—  tubaria  234. 

—  tubo-abdominalis  234. 


Graviditas  tubo-ovarica  234. 

Grösse  des  Kindskopfes  269. 

Grösserwerden  der  Brüste 
während  der  Schwanger- 
schaft 734. 

Grundzüge  der  Asepsis  48. 

Güte  der  Frauenmilch  487. 

Gynaekologische  Untersu- 
chung 841. 

Gynaeko-Electrotherapie 
'321. 

—  Anwendung  der  331. 

—  Apparate  zur  434. 
Gynatresien  104,  336,  744, 

747. 

H. 

Haematokele      retrouterina 

236,  332. 
Haematokolpos  336. 

—  lateralis  870. 
Heamatometra  104,  336. 
Haematoma  dissecans  804. 

—  labii  minoris  806. 

—  musculi  sternocleidoma- 
stoidei  882. 

—  polyposum  urethrae853. 

—  vaginae  804. 

—  vulvae  804. 
Haematome  der  Leber  883. 

—  der  Scheide  871. 
Haematosalpinx  29,  336. 
Haemophilie    während    der 

Gravidität  442. 

—  bei  Neugeborenen    521. 
Haemorrhagische    Tuben- 

nekrose  814. 
Hängebauch  339. 
Häufigkeit  des  Abortus  20. 

—  der  Beckenendlagen  84. 

—  der  Eclampsie  205. 

—  der  Gonorrhoe  319. 

—  der  Kraniotomie  482. 
Hallucinatorische    Verwirrt- 
heit 713. 

Haltung  der  Frucht  720. 
Handgriff  von  Crede  59, 134. 

—  von  Kiwisch  509. 

—  von  Mauriceau  509. 

—  von  Prager  509. 

—  von  Smellie  508. 

—  vonWiegand-Martin  510. 
Handgriffe 

—  Untersuchung  durch 
äussere  828. 


SACHREGISTER. 


945 


Handgriffe 

—  Wendung  durch  äussere 
905. 

Hamfisteln  340. 
Harnleitercervixfisteln   340. 
Harnleitergebärmuttorfisteln 

344. 
Harnleiterscheidenfisteln 

340. 
Harnröhre  s.  „Urethra" 
Harnröhrenscheidenfisteln 

340. 
Harnverhaltung  124. 
Hasenscharte  893. 
Hautmusk  elplatte  255. 
Hautpflege       Neugeborener 

636. 

—  Schwangerer  195. 
Hautthätigkeit  197. 
Hebammenwesen 

—  in  Amerika  369. 

—  in  Belgien  368. 

—  in  Deutschland  46,  364. 

—  in  England  369. 

—  in  Frankreich  367. 

—  in  Holland  369. 

—  in  Italien  369. 

—  in  Oesterreich  344. 

—  in  Eussland  369. 

—  in  der  Türkei  370. 

—  in  Ungarn  363. 
Hegar'sches 

Schwangerschaftszeichen 
735. 

Hegar'sche    Untersuchungs- 
methode 581. 

HeiratenGonorrhoischer3  2  0 . 

Hemicranie  892. 

Hemicephalie  892. 

Hemmungsmissbildungen 
891. 

Heredität     der     Carcinome 
138. 

Hermaphroditismus        104, 
891,  897. 

—  bilateralis  897. 

—  spurius  897. 

—  transversalis  898. 

—  verus  alternans  897. 

—  verus  lateralis  897. 
- —  unilateralis  897. 
Hernia  cerebri  892. 

—  funiculi  umbilicalis  542. 

—  ovarica  abdominalis  605. 

—  ovarica  ischiadica    605. 


Hernien  885. 

—  Entstehung  der  —  bei 
Graviden  885. 

Herpes  areolae  papillae  253. 
Herpetisch-vesiculöse      Kol- 

pitis  475. 
Herzfehler  442. 
Hilus  ovarii  7. 
Hinterhauptsbein-Stellung 

839. 
Hinterscheitelbeineinstellung 

370,  838. 
Hinterscheitelbeinlagen  370. 
Histologie  des  Ovariums  603, 

605. 

—  der  Tuben  813. 

—  des  Uterus  854, 

—  der  Uterusschleimhaut  5, 
219. 

Histologische     Abstammung 
der  Carcinome  136. 

—  der  Fibrome  241. 

—  der  Ovarialtumoren  576. 
Hochstand  des  Gesichtes  922. 
Hochstand  des  Schädels  921. 

—  der  Stirne  922. 

Hohe  Amputation  148,  151, 

678. 
Holorachischisis  893. 
Holzessigätzungen  161. 
Horizontale  Septa  der  Blase 

113. 
Hufeisenniere  896. 
Hydatide,  Morgagnische  101. 

815. 
Hydramnios  26,  372. 

—  relatives  264. 
Hydrastininin  224. 
Hydrastis  canadensis  224, 

527. 

Hydrencephalie  893. 

Hydrocele  colli  congenita894 

Hydromeningocele  893. 

Hydrometra  337. 

Hydrouephrose  144. 

Hydroparasalpinges  617. 

Hydrops  folliculorum  Graafii 
576. 

Hydrops    ovariorum  proflu- 
ens  583. 

Hydi'orrhoea    uteri    gravidi 
375. 

Hydrosalpinx  29,  814. 

Hydrotherapie  bei  Gonorr- 
hoe 319. 


Bibl.  med,  "Wissenschaften  I.  Geburtshilfe  und  Gynaekologie. 


Hygiene    der   Sexualorgane 

697. 
Hygroma  rcctovaginale  871. 
Hymen  4. 

Hymen,  Excision  des  873. 
Hyperacmie     der     Uterus- 

mucosa  213,  227. 
Hyperemesis        gravidarum 

376. 
Hypertrophie  der  Blase  121. 

—  des  Cervix  855. 

—  des  Muttermundes  723. 

—  der  Portio  vaginahs  675, 
853. 

—  des  Uterus  855. 
Hypoplasie  891. 
Hypospadie  104,  895. 
Hysterectomie  493. 
Hysterie  437,  443,  567. 
Hysterophore  426,  631. 

I, 

Ichtyoltherapie  610,  625. 
Ichthyosis  uteri  221. 
Icterus  afebrilis  neonatorum 
911. 

—  während  der  Schwanger- 
schaft 443. 

Impressionen  des  Schädels 

—  löffeiförmige  881. 

—  rinnenförmige  881. 
Inactive  Electrode  322. 
Inclusio  foetalis  900. 
Incontinentia    urinae    847, 

848. 
Indicationen  zum  künstlichen 
Abortus  25. 

—  zumAcchouchementforce 
27. 

—  zur  Amputatio  alta  638. 

—  zur  Amputatio  colli  674. 

—  zur  Castration  157,  566. 

—  zum    Curettement    170, 
223,  452. 

—  zur    blutigen   Dilatation 
des  Cervix  202. 

—  zur  Dilatation  des  Uterus 
200. 

—  zur  Discission  679. 

—  zur    künstlichen    Früh- 
geburt 267. 

—  zu    intrauterinen    Injec- 
tionen  450. 

—  zu    intrauterinen    Irri- 
gationen 449. 

60 


946 


SACHREGISTER. 


Indicationen  z.  Kraniotomie 
482. 

—  zum  Kaiserschnitt  466. 

—  zur  Porro'schen   Opera- 
tion 470. 

—  zu     Prolapsoperationen 
684. 

—  zurSyniphyseotomie785. 

—  zur  Wendung  907. 

—  zu      Zangenoperationen 
913. 

Inducirter  Strom  325. 
Infarctus    lactei    extremita- 

tum   646. 
Infection,  gonorrhoisclie  296, 

303. 

—  puerperale  701. 

—  tuberculöse  817. 
Infiltrate,   periurethrale  bei 

Urethritis  gonorrhoica299 
Influenza       während       der 

Schwangerschaft  443. 
Infusion  mit  Kochsalzlösung 

135. 

—  Apparat  zur  subcutanen 
388. 

Ingluvin    gegen  Hypereme- 

sis  gravidarum  378. 
Iniops  899. 
Injectionen  intrauterine  271, 

450. 
Injectionsflüssigkeit,     Wahl 

der  451. 
Inneres       Kephalhaematom 

471,  472. 
Innere    Untersuchung    355, 

835. 
Insertion    der    Nabelschnur 

540. 

—  centrale  540. 

—  laterale  540. 

—  marginale  540. 

—  velamentosa   540. 
Inspection  841. 

—  des    äusseren   Genitales 
843. 

—  Schwangerer  825. 
Instrumentarium     für     die 

Blase  des  Weibes  414. 

—  für      die      Blasenfistel- 
Operationen  418. 

—  f.  d.  Cervixdilatation  42 1 . 
' —  für  Cervixoperationen 

419. 

—  zur  Geburtshilfe  379. 


j  Instrumentarium  z.Gynaeko- 
j      Electrotherapie  322,433. 

—  zur  Gynäkologie  395. 

—  für  die  Harnröhre  des 
Weibes  414. 

—  für  die  Laparotomie  423. 

—  bei  Ovariotomie  585. 

—  für  Portio  -  Operationen 
419. 

—  für  die  Uretheren  des 
Weibes  417. 

Instrumentelle  Reinversions- 
versuche  458. 

Insulte,  apoplectische  wäh- 
rend der  Schwangerschaft 
440. 

Interne  Krankheiten  wäh- 
rend der  Gravidität  437. 

Interpolare  Stromwirkung 
323. 

Interstitielle  Myome  246. 

—  Oophoritis  555. 

—  Ovarial-Blutungen    605. 

—  Salpingitis   310. 
Intraabdominale  Enucleation 

der  Myome  490,  494. 
Intraligamentäre      Fibrome 

252. 
Intraligamentär-subseröse 

Ovarialtumoren  574. 
Intramurale  Myome  246. 
Intraparietale   Myome  246. 
Intraperitoneale  Methode  der 

Stielbehandlung  490,  591. 

—  Ovarialtumoren  574. 
Intrauterine  Injectionen  271, 

450. 

—  Irrigation  449. 

—  Katheterisation  271. 

—  Therapie  448. 

—  Uterusauswischung  451. 
Intrauterinsp ritze,  Wahl  der 

451. 
Intrauterin-Spritzen  404. 
Inversio  uteri  454,  869. 

—  —  acute  457. 

—  —  nicht  puerperale  463. 

—  —  puerperale  455. 
Irritable  bladder  123. 
Irrigationflüssigkeiten,  Wahl 

der  450. 
Irrigationskatheter, Wahl  des 

450. 
Ischiopagus  899. 
Ischiopubiotomie  791. 


Isthmus  tubae  7. 
Italien 

—  Hebaramenweseuin  369. 

—  Mehrgeburten  in  923. 

—  Symphyseotorjienin  771. 


Janiceps  899. 
Jodglycerintampons  97, 161, 

610. 
Jodoformgazetamponade 

—  der  Scheide  126. 

—  des  Uterus  132.  " 
Jodtincturinjectionen,  intra- 
uterine 222,  451. 

Jodtincturpinselungen  97, 
610,  625. 

Juxtaperitoneale  Stielbe- 
handlung, 490,  493. 

K. 

Kaiserschnitt  465. 
— (classisch)  465. 

—  Indicationen  466,    470. 

—  Prognose  467,  471. 

—  Technik  467,  471. 

—  mit  supravaginaler  Am- 

—  putation  des  Uterus  470. 
Kalkeinlagerungen    in     der 

Placenta  657. 
Katadidyma  899. 
Katarrhalische  Cystitis  120. 

—  Endometritis  211. 

—  Salpingitis  733,  814. 

—  Vaginitis   481. 
Katheterisation,    intraute- 
rine 271,  275. 

Katheterismus  der  Harn- 
leiter  111. 

Kathode  324. 

Kegelmantelförmige  Exci- 
sion  der  Portio  162. 

Keilförmige  Excision  der 
Portio  162,  685. 

Keimblätter  255. 

Keimdrüsen  3,  101. 

Keimepithel  604. 

Keimesvariation,  primäre 


Kephalhaematoma,  471,880 

—  inneres  472. 

—  äusseres  472. 
Kephalokele   892. 
Kephalothrypsie  481. 
Kephalothryptoren  395,485. 


S/VCHREGISTER. 


947 


Kephalotrib  385. 
Kieferverletzungen  882. 
Kind,    Scli.ädelfissuren    des 
881. 

—  Yerletzungen  des  880. 
Kinderstube   640. 
Kleidung  der  Frauen    695. 

—  des  Neugeborenen  639. 

—  der  Schwangeren  193. 
Klemmen  408. 
Klimacterium  473. 

—  Veränderung  der  Geni- 
talien im  525. 

Kloakenbildung  895, 
Klysopompes  433. 
Knickung     der     Harnröhre 

847. 
Knie-Ellenbogenlage  842. 
Knielagen  84,  261,  262. 
Knochenbrücbe   s.  „Fractu- 

ren". 
Knocbenveränderungen    bei 

Osteomalacie  560. 
Knoten     der     Nabelschnur 

540. 

—  falsche,  540. 

—  wahre,  540. 
Körperpflege    der    Schwan- 
geren  195. 

Kohlenelectroden  323,  436. 

—  Verwendung  der  325. 
Kohlenoxyd  878. 
Kohlensäuredouche  272. 
Koilotomies.  „Laparatomie" 

—  Instrumente  für  die  423. 
Kolpaporrhexis  805,  871. 
Kolpeurynter  388. 
Kolpitis  475. 

—  chronica  305. 

—  emphysematosa  475. 

—  erysipelatöse  475. 

—  gonorrhoica   304. 

—  granulosa   305. 

—  gummosa  479. 

— herpetisch- vesikulöse  475. 

—  bei    acuten     Infections- 
krankheiten  475. 

—  bei  Insulten  475. 

—  luetische  475. 

—  papillaris  305. 

—  senilis  475. 

—  septische   475. 

—  tuberkulöse  475. 
Kolpokleisis  116,  343. 

—  rectalis  116. 


Kolporrhaphia  686,  868. 
Kolporrhapia  anterior  686. 

—  mediana  689. 

—  posterior  687. 
Kopf,  Wendung  auf  905. 
Kopfblutgescliwulst471 ,880. 
Kopfende  der  Frucht   25G. 
Kopfgeschwulst  284. 

—  bei  engem  Becken  62. 
Kopfhaut 

—  Verletzungen  der  880. 
Kopf  kappe  der  Frucht  256. 
Kopflagen  260. 
Krampfwehe,  tonische  803, 

904. 
Krampfwehen  904. 

—  Narkose  bei  552. 
Kranioklasie  481. 
Kranioklast   385,  485. 
Kraniotomie  481, 

—  Häufigkeit  482. 

—  Indicationen  482. 

—  Technik  484. 

—  des  nachfolgenden  Kop- 
fes  512. 

Krankhafte  Hyperaemie  der 
Uterusschleimhaut  227. 

Krankheiten,  interne  wäh- 
rend der  Gravidät  437. 

Kranznaht  550. 

Krebscachexie   138. 

Krebsgeschwülste,  Theorien 
der  Entstehung  137. 

Kreuznagel  395. 

Kronennaht  550. 

Kryptorchismus   896. 

Kugelzange  409. 

Kyphose,  Beckenformen  bei 
75. 

Kyphoskoliose ,  Beckenfor- 
men bei  77. 

Kystoma  carcinomatosum 
155. 

—  myxoides  glanduläre  155. 

—  proliferum  glanduläre 
154,   576. 

—  proliferum  papilläre 
154. 

Kystoskop  414. 
Kystoskopie   110,  416. 


Labien  3. 

Labium  leporinum  893. 

Lactation  486. 


Länge  des  Kreuzbeines  98. 
Längslage   260. 

—  Kintheilung  260. 

—  Entstehung  202. 
Lage  der  Frucht  200,  827. 
Lageanomalicn  der  Ovarien 

604. 

—  der  Tuben  813. 

—  der  Urethra  848. 

—  des  Uterus  856,  860. 

—  des  graviden  Uterus  739. 
Lagefehler  der  Blase  113. 
Lager     des     neugeborenen 

Kindes  639. 
Lagerung,  anatomische  von 

Adnexentumoren  230. 
Lageveränderungen 

—  bei  Adnexentumoren  29. 

—  bei  Beckenanomalien  6 1 . 

—  der  Ovarien  604. 

—  derScheide,pathologische 
870. 

Lambanaht  530,  550,  837, 
Laparatomie,  Asepsis  bei  49. 

—  bei    Extranterinschwan- 
gerschaft  239. 

—  bei     Haematokele     re- 
trouterina  335. 

—  bei  Haematometra  338. 

—  Instrumente  zur  423. 

—  beim  Kaiserschnitt  467. 

—  beiMyomoperationen490. 

—  bei  Ovarialtumoren  584. 

—  vaginale  535,  875. 

—  bei    Ventrofixatio  uteri 
874. 

Laparotomietische  429. 
Laparohysterotomie  490. 
Laparomyomotomie  490. 

—  supravaginale  491. 
Lappenbildung    bei     Ham- 

fisteloperationen  342. 

—  bei    der    Perineoplastik 
626. 

—  bei     Portiooperationen 
163,  675. 

—  bei    Prolapsoperationen 
683. 

Lappenverschluss  896. 
Latente  Gonorrhoe  307. 
Latenz  der  Gonococcen  295. 
Lateroflexionen   des   Uterus 

860. 
Lateroversionen  des  Uterus 

860. 

60* 


948 


SACHREGISTER. 


Lebensfähigkeit  der  Frucht 

278. 
Leclanche-Elemente  433. 
Leibbinden  431,   432. 
Leopold'sche  Griffe  829. 
Leptothrixvaginae475, 477. 
Leukaemie      während     der 

Gravidität  443. 
Leukocythose   während  der 

Gravidität  440. 
Leiücorrhoe  imKUmacterium 

474. 
Levator  ani  10. 
Lex  Heintze  291. 
Ligamentum       infundibiilo- 

ovaricum  6,   575. 

—  infundibulo-pelvicum    8. 

—  ovaricum  5. 

—  rotundum  5. 
Ligamenta  rotunda 

—  Tumoren  der  613. 

—  Verkürzung  der  691,874. 
Linea  alba,  Pigmentation  der 

735. 
Lipome    der     Bauchdecken 
612. 

—  des   Mesenteriums  614. 

—  retroperitoneale  615. 

—  der  Scheide  872. 

—  der  Tuben  815. 
Liquor  ammii  258,  259. 

—  Bellostii  161. 

—  folliculi  604,  606. 
Lithokelyphopaedion  497. 
Lithokeliphos  497. 
Lithopaedion  497,  891. 

—  im   engeren  Sinne  497. 
Lithopaedionbildung  235. 
Litzmann'sche        Obliquität 

838. 
Locale  Amenorrhoe  526. 
Local-Hysterie  567. 
Lochia  cruenta  197.  498. 

—  sanguinolenta  498. 

—  serosa  187,  498. 
Lochien  187,  497. 
Lochiometra  212,  499. 
Lockerung    der    Beckenge- 
lenke 72. 

—  der  Symphyse  726. 
Löffeiförmige    Impressionen 

881. 
Lösung   der  Partes    condj'- 
loideae  882. 


Lösung  der  Placenta  mittelst 
der  Hand  546. 

—  von  Piacentarresten  667. 
Luetische  Endometritis  858. 

—  Kolpitis  475  479. 
Luftröhren-Katheter  389. 

—  Luftinfection  47. 
Lungenemphysem    während 

der  Gravidität  444. 
Lungenentzündungen     beim 
Puerperalfieber  der  Neu- 
geborenen 712. 

—  als       Schwangerschafts- 
complication  445. 

Lupus  der  Urethra  851. 

—  der  Vulva  819. 
Lusus  naturae  888. 
Luxatio     coxae      congenita 

896. 

—  Beckenformen  bei  81. 
Lyniphangiectatische  Myome 

857. 
Lysol  878. 

M. 

Macula  gonorrhoica  302. 

Maculöses  Syphilid  des  Neu- 
j      geborenen  797. 
■  Magen-  und  Darmaffectionen 
während    der    Gravidität 
I      444. 

I  Makrostomie  894. 
I  Malaria  während    der  Gra- 
i      vidität  444,  801. 
1  Mamma  499. 

—  Entwicklungsfehler    der 
I      499. 

I  —  Erkrankungen  der  500. 

Mammakrankheiten  499. 
Mangel  des  äusseren  Geni- 
tales,   vollständiger  895. 

—  der  Harnröhre  847. 

—  der  Ovarien  604. 
• —  des  Uterus  854. 
Mangelhafter  Verschluss  der 

Cerebrospinalhöhle  892. 

—  der  Pleuro-Peritoneal- 
höhle  894. 

Manie  während  des  Puerpe- 
riums  717. 
Manualhilfe  502. 
— •  Ausführung  504. 

—  Methode  508. 
Markschwamm  138. 


Marksubstanz  des  Ovariums 
604. 

Massage  beiBeckenexsudaten 
97,  610. 

—  in  der  Gynaekologie  514. 

—  Lagerung  bei  515, 

—  Methoden  der  516. 

—  bei  Perimetritis  625. 
Mastdarm,       Untersuchung 

durch  den  834,  845. 
Mastdarmscheidenfisteln  520 
Mastitis   501. 
Mastodynie   500. 
Masturbation  697,  700,847. 
Mechanische   Ursachen   des 

Pruritus  vaginae   699. 
Mechanismus    partus    226, 

233. 

—  der  Placentaausstossung 
543. 

Mehrblättrige  Specula  401- 
Melaena    neonatorum    520» 

881. 
Melancholie    im    Klimacte- 

rium  474. 

—  während    der  Lactation 
717. 

—  während  des    Puerperi- 
ums 717. 

Menorrhagien  523." 
Menstruation  523. 

—  Schwangerer  826. 
Menstruationsbinden  301. 
Menstruationsstörungen  525. 
Menthol    gegen  Hypereme- 

sis  378. 
Mesenterialgeschwülste  614. 

—  Lipome   614. 

—  maligne  Tumoren  615. 
Mesoderm  255. 
Mesosalpinx  616. 
Mesovarium  7. 

Messung  des  Beckens  98. 

Metallelectroden  323. 

Metastasen  bei  Gonorrhoe 
297. 

Metastasis     lactea    cruralis 
646. 

Methoden    der  Beckenmes- 
sung 99. 

—  des  Dammschutzes  189. 

—  der    künstlichen    Früh- 
geburt 271. 


SACHREGISTER. 


949 


Methoden  der  Gynaekoelec- 
trotherapie  324. 

—  der  Myomoperationen 
490,  532. 

—  der  Perineoplastik  620. 

—  der  Portiooperationen 
161,  675. 

—  der   Prolapsoperationen 
685. 

—  der  Untersuchung,  ge- 
burtshilflichen  825. 

—  der  Untersuchung,  gynae- 
kologischen  841. 

—  der  Uteruscarcinomope- 
rationen  148. 

Metranoicter  201. 
Metritis  91,  529,  855. 

—  acute  529. 

—  chronische  310,  530. 

—  dissecans   705. 

—  Electrotherapie  der  331. 

—  gonorrhoische  309. 

—  septische  214. 

—  syphilitische   858. 
Metrophlebitis  bei  Phlegma- 
sia dolens  alba  652. 

Metrorrhagien  858. 

—  Electrotherapie  bei  329, 
333. 

—  Ursachen  der  858. 
Mikrocephalie  893. 
Mikrococcus     flavus    ureae 

pyogenes   119. 

Mikromelus   895. 

Miliroorganismus  der  Kitri- 
fication  560. 

Mikroskopische  Beschaffen- 
heit der  Scheide  869. 

Mikroskopische  Untersu- 
chung in  der  Gynaekolo- 
gie  846. 

—  des  Urins  109. 
Mikrosomie  891. 
Mikrostomie  894. 
Mikrothelie  499. 
Milch  486. 

—  Einfluss  der  Menstrua- 
tion auf  489. 

—  Güte  der  487. 

—  Mikroskopische  Bestand- 
theile  der  489. 

—  Quantität  der  489. 
Milchfieber  489. 
Miliartuberkeln  819. 


Milzl)rand  während  der  Gra- 
vidität 444. 

Milzkrankheiten  während 
der  Gravidität  444. 

Mischforiiicn  der  Eklampsia 
uraemica  und  reflectoria 
203. 

Mischinfection  bei  Adnexen- 
tumoren  30. 

—  bei   Perimetritis  621. 
Missbildungen  832,  888. 

—  der  Blase  111. 

—  doppelte  898. 

—  Eintheilung  der  891. 

—  durch  Entwicklungshem- 
mung 891. 

—  durch  excedirende  Ent- 
wicklung 895. 

—  durch  Vermischung  der 
Geschlechtscharaktere 
892,  896. 

—  des  ganzen  Körpers  892. 

—  des  Kindes,  Indication 
zur  Kraniotomie  483. 

—  durch  Lageveränderun- 
gen innerer  Organe  891, 
896. 

—  der  Scheide    748. 

—  durch  excedirendes 
Wachsthum  891. 

Missgeburten  888. 

Missfall  14. 

Mitpressen  902. 

Mittelfleisch  3. 

Mola  hydatitosa  destruens  in- 

terstitialis  659. 
Monat  der  Schwangerschaft 

828. 
Monilia  Candida  43. 
Monobrachius  895. 
Monopus  895. 
Mons  Veneris  3. 
Monstra   888. 
Monstra  duplicia  898. 

—  per  defectum  891. 

—  per  excessum  891. 

—  per  fabricam  alienam  891. 
Montgommery'sche  Papillen 

11. 
Morbillen  während  der  Gra- 
vidität 445. 

—  Endometritis  bei  212. 

—  Kolpitis  bei  475. 

—  Salpingitis  bei  732. 

—  Urethritis  bei  850. 


Morbus  Basedowii  während 
der  Gravidität  445. 

Morcellement  673. 

Morgagni'sche  Hydatide  101 

Morphin  878. 

Morphiiimnarkose  bei  Ek- 
lampsie 209. 

—  während  des  Tetanus 
uteri  803. 

—  zur  geburtshilflichen  Un- 
tersuchung 827. 

Morsus  diaboli  6. 

Mucosa  uteri   5,  219. 

Multiloculäre  Ovarialcystc 
154,   155. 

Mundpflege  beim  Neugebo- 
renen 638. 

Mundverletzungen  882. 

Musculus  ileo-psoas  856. 

—  recto-coccygeus  9. 

—  sphincter  externus  9. 

—  transversus  perinei  pro 
fundus  10. 

—  obturator  internus  856. 
Muskelatrophie  während  der 

Gravidität  445. 
Muskulatur    der    Harnblase 

107. 
Muthmaassliche  Zeichen  der 

Schwangerschaft  734. 
Mutterkränze  425,  631. 
Muttermund 

—  Enge  des  inneren    753. 

—  Oedem  des  äusseren  9 14. 

—  Eigidität  des  äusseren 
723. 

—  Stenose  des  inneren  165, 
166. 

—  Weite  des  äusseren  834. 
Mutterrohre  432. 
Müller' sehe  Gänge  7,  101, 

813,  854,  897. 

Myelitis  während  der  Gra- 
vidität 445. 

Mj^elomeningocele  893. 

Myoma  cavernosum  241. 

—  cj'sticum  241. 

—  striocellulare   871. 

—  teleangiectodes  241. 
Myome  241. 

—  der  Blase  118. 

—  des  Cervix  247. 

—  der  Scheide   242. 
-^    der  Tuben  815. 

—  des  Uterus  243. 


950 


SACHREGISTER. 


Myome  der  Aetiologie  243. 

—  Diagnose  der  248. 

—  Häufigkeit  der  244. 

—  interstielle  246. 

—  mjaomatöse  Erweichung 
der  241. 

—  Pathologische  Anatomie 
der   245. 

—  submucöse   246. 

—  subseröse  246. 
Myomohysterectomie,  totale 

493. 
Myomoperationen  490,  532. 
Myomotomie  490,  532. 

—  vaginale  Methoden  533. 
Myotomie  490,  532. 
Myrtiforme  Carunceln  825. 
Mj^Koma  chorii  fibrosum  659. 
Myxom    der    Chorionzotten 

659. 
Myxomyome      des      Uterus 
857. 

iSIabelarterien  258. 
Nabelring  258. 
Nabelschnur  538. 

—  Anomalien  538. 

—  Bruch  542. 

—  Druck  52. 

—  Eepositorium  388. 

—  Torsionen  54 1. 

—  Umschlingungen  541. 

—  Vorfall  der  833,  907. 

—  Zerreisung  der  883. 
Nabelstrang  257. 
Nabelvenen  258. 
Nachbehandlung  der  Damm- 
risse 184. 

—  Ovariotomirter  597. 

—  bei    Prolapsoperationen 
689. 

Nachempfängnis    765,  926. 
Nachgeburt  543. 

—  Aufbewahrung  der  357. 
Nachgeburtsperiode       226, 

231,   543. 

—  Behandlung  der  543. 

—  Störungen  im    Yerlaufe 
der  545. 

Nachgebui'tswehen  2  3 1 ,  90  5 . 
Nachwehen  901,  905. 
Naegele'sche  Becken  66. 
Nähte     am     Kindesschädel 
550,  837. 


Naegele'sche  Obliquität  838. 
Nahtmaterial,       aseptisches 
48. 

—  bei  Perineoplastik  630. 
Nanosomie  891. 

Nanus  891. 

Narben  als  Geburtshinder- 
nis 723,  725,  744. 

Narkose  in  der  Geburts- 
hilfe 551. 

—  bei  Eklampsie  207.        i 

—  bei  Ovariotomie  585.  ' 
Nasenbein,  Bruch  des  882.  | 
Naturheilung  bei  Uterusmy-  j 

Omen  246.  \ 

Naturspiele  888. 
Nebeneierstock  7,  575,  616. 
Nekrose  bei  Fibromen  241. 
Nephritis    gravidarum  553. 
Nerven 

—  des  Ovariums  60. 

—  der  Scheide  870. 

—  des  Uterus  854.  890. 
Nervus  pudendus  communis 

10. 
Neubildungen  der  Blase  118, 

—  der  Niere  615,  743 

—  des  Ovariums  576. 

—  paraperitoneal  gelegene 
611. 

—  in  der  Placenta  559. 

—  im  Ketroperitonealraume 
615. 

—  der  Scheide  871. 

—  der  Tuben  815. 

—  des  Uterus  856. 
Neugebauer'sches  Speculum 

400,  846. 

Neuralgien  Schwangerer445. 

Neurosen  der  Blase  123. 

Neurose,  traumatische  872. 

Nicotin  879. 

Niere,Tumoren  der  615,743. 

Nierenaffecttionen  Schwan- 
gerer 553. 

Noma  der  Scheide  872. 

0. 

Oberflächliche  Dammrisse 
180.  I 

Objective    Desinfection    der  | 
Kreissenden  44,  356.       | 

Objective  Schwangerschafts-  j 
erscheinungen  733.  | 


Obliquität  838. 
Obstipation,    habituelle    bei 
Perimetritis  621. 

—  während  der  Schwanger- 
schaft 445. 

Occlusiv-Pessare    426,  634, 

758. 
Oedem  der  Lungen  444. 

—  des    äusseren    Mutter- 
mundes 914. 

—  der  Uterusfibrome  241. 
Oedema  lacteum  646. 

—  puerperarum  646. 
Ohrlage  370,  838. 
Oidium  albicans  43. 
Oleum  sabinae  877. 

—  succini  877. 

—  terebinthinae  877. 

—  Thuyae  877. 
Oligozoospermie  752. 
Oophoritis  555. 

—  foUiculäre  555. 

—  gonorrhoica  314. 

—  interstitielle  555. 

—  serosa   555. 
Oophorogene     Endometritis 

213. 
Operation  (-en)   bei  Accou- 
chement  force  27. 

—  der  Adnexentumoren  32. 

—  Alexander'sche  691,874. 

—  bei     Blasencervixfisteln 
343. 

—  der  Blasenfistel  417. 

—  der  Blasenscheidenfistela 
342,  417. 

—  bei  Castratioü  158. 

—  bei  Cervixkatarrh  161. 

—  bei     Cervixrissen    162, 
218. 

—  bei  Cervixstenose  166. 

—  bei  Clitoridectomie  167. 

—  der  Dammrisse  183,626. 

—  blutiger   Dilatation   des 
Cervix  202,  421. 

—  der  Haematocele  retrou- 
terina  335. 

—  der  Haematometra  202, 
338. 

—  der  Inversio  uteri  459» 
Operation    (-en)    bei  Lapa- 

rohysterotomie  490. 

■ —  bei    totaler   Myomohys- 
terectomie 493. 

—bei  Myotomie  51,490,533. 


SACHREGISTER. 


951 


Operation 

—  bei  Perineoplastik  626. 

—  an  Portio  und  Cervix 
419,  675. 

—  des  Prolaps  der  weibli- 
chen Genitalien  683. 

— •  von  der  Scheide  aus  50. 
— desScheidencarcinomsl  42 . 
— ■  bei  Sectio  caesarea  467. 

—  der  Spaltbildungen  der 
Blase  112. 

—  der  Ureterenfisteln  117, 
- —  bei    Urethrakrankheiten 

847,849,850,851,  853. 

—  der  Urinfisteln  115. 

—  der  Uterusamputation 
nach  Porro  470. 

—  des  Uteruscarcinom  148. 

—  des  Uteruspolypen  673. 

—  des  Vulvacarcinoms  140. 

Operationsmethoden  bei  ope- 
rablen Carcinomen  der 
weiblichen  Sexualorgane 
148. 

Operati onsspecula  399. 
Operationstische  427. 
Orificium  urethrae  3. 

—  uteri  internum,  externum 
5. 

—  vaginale  3. 
Osteomalacie  558. 
— ■  Aetiologie  559. 

—  Beckenformen  bei  70, 
562. 

—  Blutveränderuugen  bei 
564. 

—  Diagnose  564. 

—  Harnveränderungen  bei 
664. 

—  Pathologische  Anatomie 
560. 

—  Prognose  564. 

—  Symptome  562. 

—  Therapie  565. 
Ostium 

—  tubae  abdominale  7. 

—  vaginale  3. 
Ovarialcysten  576,  583. 

—  Berstungen  von  588,742. 

—  Diflferentiadiagnose  249. 

—  Durchbruch  in  die  Blase 
117. 

Ovarialtumoren,  Allgemein- 
erscheinungen der  579. 

—  Diagnose  der  581. 


Ovarialtumoren,    Pathologi- 
sche Anatomie  der  576. 

—  während  der  Schwanger- 
schaft 742. 

Ovarie  567. 

—  Electrotherapie  bei  332. 
Ovarien,  Lageveränderungen 

der  604. 
Ovarientuberculose   821. 
Ovariocystitis  580. 
Ovariotomia  duplex  596. 
Ovariotomie  571. 

—  Bauchschnitt  585. 

—  Complicationen   bei  der 
588. 

—  Geschichte  der  571. 

—  -Nachbehandlung  600. 

—  Narkose  585. 

— ■  Stielbehandlung  591. 

—  Toilette  des  Peritoneums 
594. 

— •  von  der  Yagina  aus  597. 

—  Verlauf  nach  597. 

—  Vorbereitungen  zur  584. 
Ovarium,  Anatomie  575,603. 

—  Atrophie  604. 

—  Bildungsfehler  604. 

—  Blutungen  in  das  605. 

—  Carcinom  154. 

—  Defect  103. 

—  kleincystische  Degenera- 
tion 29. 

—  Fibrome  252. 

—  Fibromyome  252. 

—  Histologie  603,  605. 

—  Topographie  575. 
Ovula  Nabothi  160,  218. 
Ovulation  171,  524,  605. 
Oxyuris  699. 

P. 

Palatoschisis  893. 
Palpation 

—  des  Abdomens  827. 

—  der  Blase  109. 

—  dss  Uterus  843. 
Papillärer        Cervixkatarrh 

218. 
Papillome  der  Scheide  872. 

—  der  Tuben  815. 

—  der  Urethra  853. 
Paracystitis  121. 
Parametritis  91,  606, 

—  Aetiologie  607. 

—  clironicaatrophicans608 


Parametritis  als  Geburts- 
complication  738. 

—  Pathologische  Anatomie 
608. 

—  Symptome  92,  608. 

—  gonorrhoica  314. 

—  posterior   335. 

—  Therapie  96,  610. 
Parametrium  6. 
Paraperitoneal tumoren  611. 
Parasiten,     thierische      der 

Blase  109. 
Parasitischer   Thoracopagus 

900. 
Parese  des  Facialis  882. 
Parovarialcysten  577,  617. 

—  Entfernung  der  618. 
Parovarialtumoren  616. 

—  Diagnose  der  617. 
Pars   infravaginalis   cervicis 

6,  682. 

—  media  cervicis  6,  682. 

—  supravaginalis  cervicis 
6,  682. 

Partes  condyloideae,  Lösung 

der  vom  Hinterhauptbein 

882. 
Partielle     Spaltung     des 

Penis  895. 
Partus  conduplicato  corpore 

750. 
Partus  praecipitatus  618. 
Pathologische  Anatomie 

—  des  Carcinoms  der  weib- 
lichen Genitalien  139, 
141,  142,   154. 

—  des  Cervixkatarrhs  160. 

—  der  Endometritis  220. 

—  der  Haematokele  retrou- 
terina  332. 

—  der  Kolpitis  475. 

—  der  Metritis  530. 

—  der  Ovarialtumoren  576. 

—  der  Parametritis  608. 

—  der  Rigidität  des  äusse- 
ren- Muttermundes  723. 

—  der  Uterusmyome   245. 

—  derWinckel'schenKranlv- 
heit  913. 

Pathologisches  Scheidense- 
cret  43. 

Penis,  rudimentäre  Entwick- 
lung des   895. 

—  Stempelwii'kungdes  172. 
Percussion  d.  Abdomens  841. 


952 

Percussion  der  Blase  109. 

—  Schwangerer  826. 
Perforation  484. 
Perforativ-Trepans  387, 
Pericystitis  121. 
Perimetritis  91.  620. 

—  scortorum  294. 

—  Therapie   der  623. 
Perimetrium  6. 
Perineoplastik  626. 

' —  Ausführung  der   630. 

—  Methoden  der  627. 

—  ISTahtmaterial  bei  630. 
Periueorraphie  868. 
Perineum  3. 
Periophoritis  622. 
Peritonealepithel  49. 
l'eritonealhöhle,    Blutungen 

in  die  883. 

—  Drainage  der  50,  595. 
Peritonitis  als    Geburtscom- 

plication  739. 

—  gonorrhica  314. 
Periurethrale  Infiltrate  299. 
Perivaginitis  dissecans  480. 
Peromelus  895. 

Pes  calcaneus  896. 

—  equinovarus  896. 

—  valgus  896. 
Pessarien  425,  631. 

—  Application  von  633. 
Pfeilnath  550. 

Pflege  der  Augen  des  Neu- 
geborenen 637. 

—  der  Brüste  195. 

—  der  Haut  des  Neuge- 
borenen 636. 

■ —  des  Körpers  während 
der  Schwangerschaft  195. 

—  des  Mundes  des  Neuge- 
bornen  638. 

—  des  Nabels  634.     ■ 

—  des  Neugeborenen  634. 
Phagocytentheorie  705. 
Phlebitis  umbilicalis  709. 
Phlegmasia  alba  dolens  646, 

705. 

Phlegmone  der  Schenkel  im 
"Wochenbett  646. 

Phocomelus  895. 

Phosphor  879. 

Physometra  337,  823. 

Pigmentation  der  Linea  alba 
während  der  Schwanger- 
schaft 734. 


SACHREGISTER. 

[  Pilocarpin  277,  879. 
Pincetten  409. 
jPiskacek's  Katheter  407. 
jPlacenta  256. 
j  —  Anomalien      und       Er- 
krankungen der   657. 

—  Apoplexien  der  658, 

—  Atelectase  der  657. 

—  Entzündungen  658. 

—  mehrfache  657. 

—  Neubildungen  der  659. 

—  Oedem  der  658. 

—  Sitz  der  829. 

—  sjqjhilitischerFrüchteSOl. 
Placenta  praevia  661,  908. 

—  Blutungen  bei  128. 

—  Diagnose  der  662.    • 

—  Symptome  661. 

—  Therapie  663. 

—  Ursache  der  661. 
Placentae    succenturiatae 

546. 
Placentarlösung 

—  Ausführung  der  131. 
Placentarpolypen  7 9 . 
Piacentarreste  665. 
Plattenförmige  Specula  398. 
Pleurahöhle 

—  Blutungen  in  die  883. 
Plicae  palmatae  5. 
Pneumococcus 

—  bei  puerperaler  Infection 
701. 

Pneumonie 

—  während  der  Gravidität 
445. 

Poley  877. 
Polydactylie  896. 
Polyhydramnie   372. 
Polymastie  896. 
Polypen    des    Uterus    136, 
669,  858. 

—  Diagnose  der  671,  672, 
674. 

—  Symptome  670,  672. 

—  Therapie  671,  673,674. 
Polypenzangen  409. 
Polypöses  Cervixmyom  299. 
Polythelie  896. 
Portiocarcinom  142. 
Portio-Operationen  675. 
Praeputium  clitoridis  3. 
Primäre  Beckenendlage  504. 

—  Keimesvariation  889. 
Primitiver  Darmcanal  255. 


Primordialniere  101. 
Probetampon  222. 
Prognose  des  Abortus  21. 

—  der  Asphyxie  des  Neu- 
geborenen 54. 

—  der  Atonia  uteri  58. 

—  der  Beckenexsudate  96. 

—  der  Blasenmole   660. 

—  des  Carcinoms  der  weib- 
lichen Genitalien  140, 
148,   157. 

—  des  Cervixkatarrhes  159. 

—  der  Coccygodynie  168. 

—  der  Cystitis  121. 

—  der  Eklampsie  206. 

—  der  Endometritis  222. 

—  der  Extrauterinschwan- 
ger schaff  239. 

—  der  Fruchtlagen  89,289. 
271,  722,  759,  888. 

—  der  künstlichen  Frühge- 
burt 270. 

—  der  spontanen  Frühge- 
burt 282. 

—  der  Gonorrhoe  der  weib- 
lichen Genitalien  316. 

—  der  Haematokele  retro- 
uterina  334. 

—  der  Harnfisteln    341. 

—  des  Kaiserschnittes  469, 

—  der  Osteomalacie  564. 

—  der  Perimetritis  623. 

—  der  Phlegmasia  alba  dolens 
654. 

—  der  Placenta  praevia6  62. 

—  der  Puerperalpsychosen 
716. 

—  der  Querlagen  722. 

j  —  der  Sj'mphysenrupturen 

!      727. 

i —  der  Urinfisteln  115. 

I —  der  Uterusfibrome  251. 

1  —  des  Vaginismus  873. 

!  Progressive    Paralyse    wäh- 

I      rend  desPuerperiums  717. 

i  Prolaps  680. 

1  —  der  Urethralschleimhaut 

I      850. 

I  —  des  Uterus  682,856, 868. 

I  —  der  Vagina  681. 

I  Prophylaxe 

-  gegen  die  Carcinome  der 
weiblichen  Sexualorgane 
138. 

-  der  Frauenleiden  692. 


1 


SACHREGISTER. 


.ji)i} 


Prophylaxe 

—  der  Gonorrhoe  298. 

—  bei  Harnfistehi  341. 

—  der  Oophoritis  557. 
Prophylactische  Desini'ectioii 

39. 
Prosoposchisis  893. 
Prosopothoracopagus  900. 
Proteus  Hauseri    42,    120, 

214. 
Pruritus  vaginae    et  vulvae 

698. 

—  —  —  —  Symptome 
des  700. 

—  —  —  —  Therapie  des 
700. 

Pseudo-Hermaphroditismus 
897,  898. 

—  masculinus  completus 
898. 

—  —  externus  898. 
■ —  —  internus  898. 
Pseudomyxome    des  Perito- 
neums 155. 

Pubiotomie  769. 

Puerperal-Infectiou  701. 

Puerperale  Inversio  uteri 
455. 

Puerperaler  Tetanus  708. 

Puerperalfieber  des  Neu- 
geborenen 708. 

• —  Symptome  und  Verlauf 
711. 

—  Therapie  712. 
Puerperalpsychosen   713. 
Putride    Endometritis  214. 
Pyelitis  puerperalis  446. 
Pygopagus  899. 
Pyogene  Bacterien  bei  Cys- 

titis  119. 
Pyometra  717. 
Pyosalpinx  609. 

Q. 

<5uecksilber  879. 
Quecksilberbehandlung     bei 

Syphilis  Schwangerer  802 . 
Quellmeissel  422. 
Quellmittel,  bei  Frühgeburt 

274. 
Quellstifte  422. 
Querdurchmesser  desBecken- 

ausganges,Bestimmung  des 

92. 
Querlagen  263,   719. 


Querlagen 

—  Diagnose  der  720. 

—  Entstehung  der  263. 
Querstand,  hoher,  des  kind- 
lichen Schädels  918. 

—  tiefer,  des  kindlichen 
Schädels  839,  918. 

R. 

Rachischisis   partialis  893. 

—  totalis   893. 
Rectaluntersuchung        834, 

845. 
Reflexerscheinungen  bei  Ge- 
nitalaffectionen  437. 

—  bei  Uteruspolypen  670. 
Regressive     Veränderungen 

der  Genitalien  473. 

Reifgeborenes  Kind,  Pflege 
des  634. 

Reinigung  der  Untersuchen- 
den, subjective  44. 

Reinversion  458. 

—  instrumenteile  458. 
Reinzüchtung     der     Gono- 

coccen  293. 
Resistenz 

—  des  Beckenbodens  916. 
Retentio   der  Decidua  vera 

668. 

—  der  Eihäute  667. 

—  der  Placenta  548,  665. 

—  testis  896. 
Rectokele  680. 
Retrofixatio  verticis  vesicae 

113. 
Retroflexio  uteri  856.  860. 

—  Aufrichtung  der  beweg- 
lichen 865. 

—  Aufrichtung  der  fixirten 
867. 

—  Diagnose  der  865. 
Retroflexio     uteri      gravidi 

739. 

—  Therapie  der  739. 
Retroperitouealtumoren  611. 
Retropositio  uteri  856,  861. 
Retroversio  uteri  856. 

—  fixirte  867. 
Retroversio     uteri     gravidi 

739. 

—  Therapie  der  739. 
Rhabdomyoma  myxomatodes 

der  Scheide  872. 


Rhachipagus  900. 
Rhagaden  der  Mammilla  2  5  3 . 
Pihcostat  322. 
Richelot  410. 
Ricsenspeculumnach  Fritsch 

400. 
Riesenwuchs,    allgemeiner 

895. 

—  partieller  896. 
Rigidität  des  ganzen  Cervix 

725. 

—  des    äusseren    Mutter- 
mundes 723. 

Geburtsverlauf  724. 

Pathologische    Ana- 
tomie 723. 

—  —  Therapie  der  724. 

—  der  Scheide   725. 
Rima  pudendalis  3. 
Rinnenförmige  Impressionen 

881. 
Röhrenförmige  Specula  397. 
Rudimentäre      Entwicklung 

des  Penis  895. 

—  des  Uterus   854. 
Rückenrinne  255. 
Rücken  Wülste  255. 
Rückfällige      Scliwanger- 

schaftsniere  545. 
Rückwärtslagerungen  des 

Uterus   754. 
Rüsselförmige    Gestalt    der 

Portio   754. 
Rupturen  der  Blase  117. 

—  der  Kystome  580. 

—  der  Scheide   870. 

—  der  Symphyse  725. 

—  —  Prognose  der  727. 

—  —  Symptome  der  726. 
■ —  —  Therapie  der  727. 

—  —  Ursachen  726. 

—  des  Uterus  727. 

—  der  "Wirbelsäule.   63 

S. 

Sacrale  Teratome  899. 
Salicylsäure  879. 
Salpingitis  28,   732. 

—  catarrhalis  733. 

—  gonorrhoica  310. 

—  purulenta  733. 
Saphena, 

—  primäre  Erkrankung  der 
652. 


954 


SACHREGISTER. 


Sapraemie  42,  704. 
Saprogene  Endometritis  214. 
Saprophyten  214. 
Sargdeckelkrystalle   109. 
Sarkomatöse   Polypen   674. 
Sarkome 

—  der  Beckenknochen  71. 

—  des  Ovariums  578. 

—  der  Portio  145. 

—  der  Scheide  872. 

—  der  Tuben  815. 

—  der  Urethra  853. 

■ —  des  Uteruskörpers  146, 

857. 
Schädel, 

—  Hochstand  des  kindlichen 
921. 

—  Querstand  839,  920. 
Schädelfissuren    des   Kindes 

881. 
Schädellage  261. 
Schaltwirbelbildung  78. 
Schamfugenschnitt  769. 
Schamlippen   3. 
Scharlach,  Endometritis  der 

212,  225,  447. 

—  während  der  Gravidität 
447. 

—  Kolpitis  bei  475. 

—  Oophoritis  bei  555. 

—  Salpingitis  bei  732. 

—  Urethritis  bei  850. 

—  der  Wöchnerinnen  447. 
Schatz'scheWehencurve  901 
Scheel'sche     Methode     des 

Eihautstiches  272. 
Scheide  4. 

—  Anatomie  der  869. 

—  Atresien  der  870. 

—  Carcinom  der  141. 

—  Darmfisteln  der  871. 

—  Diphtherie  der 475,478. 

—  Entzündung  der  871. 

—  Erysipel  der  477. 

—  Fremdkörper  der  871. 

—  Gangrän  der  475,  480. 

—  Gelasse  der  870. 

—  Haematome  der  871. 

—  Hyperaemie  der  475. 

—  pathologische    Lagever- 
änderungen der  870. 

—  Lipome  der  872. 

—  Mikroskopische  Beschaf- 
fenheit der  869. 


Scheide 

—  Myoma  striocellulare  der 
872. 

—  Nerven  der  870. 

—  Neubildungen   der  871. 

—  Noma  der  872. 
— Papillome  der  872. 

—  Rhabdomyoma  myxo- 
matodes  der  872. 

—  Rigidität  der  725. 

—  Rupturen  der  870. 

—  Sarkome  der  872. 

—  angeborene  Stenosen  der 
870. 

—  erworbene  Stenosen  der 
870. 

—  Syphilis  der  872. 

—  Tamponade  der  274. 
Scheidenblasenschnitt     nach 

Simon  110. 
Scheidenirrigationen  59,476. 
Scheidenoperationen, 

—  Desinfectionsverfahren 
bei  50. 

Scheideurohre  433. 
Scheidensecret,       normales, 

pathologisches  43. 
Scheidenspiegel  397. 
Scheidensterilisation  707. 
Scheidentamponade, 

—  Technik  der  127. 
Scheidenrisse, 

Blutungen  aus  130,  134. 
Scheidewände  der  Blase  112. 
Scheitelbeineinstellung  838. 

—  hintere  370,  838. 

—  vordere  886,  839. 
Schenkelkopf 

—  Beckenform  bei  einseiti- 
ger Luxation  des  80. 

—  Beckenform  bei  doppel- 
seitiger Luxation  der  82. 

Schenkelschwellung,  weisse, 
schmerzhafte  646. 

Schenkelvenen,  Thrombose 
649. 

Schleimhaut  der  Blase  107. 

—  der  Tub?  7. 

—  des  Uterus  6,  219. 
Schleimhautpolypen       218, 

669. 

—  Diagnose  671. 

—  Symptome   670. 

—  Therapie  671. 
Schleimpolypen  218. 


Schlüsselbein 

—  Fractur  des  883. 
Schlüsselhacken   von  Braun 

387. 

Schrägstand  des  Kopfes  beim 
Trichterbecken  65. 

Schrumpfung  der  Uterus- 
schleimhaut 221. 

Schrunden  der  Brustwarze 
500. 

Schüttelwehen  230,  901. 

Schultz'sche  Schwingungen 
55. 

Schwammhalter  413. 

Schwangere, 

—  Vergiftungen  der  875. 

—  Verletzungen    der    884. 
Schwangerschaft 

—  Behandlung  der  mehrfa- 
chen 929. 

—  Blutungen  in   der    125. 

—  Diaetetik  der  193. 

—  Diagnose  der  733, 
der  mehrfachen  928. 

—  Einfluss  des  engen 
Beckens  auf  die  61. 

—  ektopische  234. 

—  Entstehung  der  mehr- 
fachen  924. 

—  extrauterine  746. 

—  Geburtscomplicationen 
736. 

bei  mehrfacher  930. 

—  Statistik  der  mehrfachen 
923. 

—  Symptome  der  733. 

—  Verlauf  der  mehrfachen 
928. 

Schwangerschaftscomplica- 

tionen   736. 
Schwangerschaitsniere   203 

553. 

—  rückfällige  554. 
Schwangerschaftsrechnung 

nach  Naegele  173. 

Schwangerschaftsstreifen 
825. 

Schwanzende  256. 

Schwanzkappe   256. 

Schwellung  der  Brustdrüsen 
bei  Neugeborenen  500. 

Schwingungen  nach  Mars- 
hall-Hall 55. 

—  nach  Schultze  55. 

—  nach  Silvester  56. 


SACHREGISTER. 


955 


Scirrhus  138. 

Scleröses    Placentargewebe 
657. 

Seeale  59,  131,  277,  527, 
528,  879. 

Section  pubienne  769. 

Sectionsbefunde    s.  „Patho- 
logische Anatomie". 

Secuüdäre       Abdominal- 
schwangerschaft 236. 

Seide  als  Nahtmaterial  48. 

Seitenfontanellen  550. 

Seitenhebel  nach  Simon  400. 

Selbstentwickelung  721,  748 

Selbstinfection  35. 

Selbststeuerung  der  Wehen- 
thätigkeit  900. 

Selbstwendung  721,  748. 

Septicaemie  42,  704. 

Septische  Endometritis  213. 

—  Kolpitis  475,  476. 
Septum  rectovaginale  4,  8. 

—  urethrovaginale  4. 

—  vesico-vaginale  4. 
Setangmeissel  201. 
Sexualorgane 

—  Anatomie  der  weiblichen 
3. 

—  Bildungsanomalien     der 
weiblichen  101. 

—  Carcinom  der  weiblichen 
136. 

—  Hygiene  der  597. 
Sichelmesser    von    Schnitze 

388. 
Silberstäbchen  403. 
Silvester'sche  Schwingungen 

56. 
Simon' sehe  Methode 

—  der  Perineoplastik  627. 
Simpson's  Basilist  385. 

—  Kranioklast  385. 
Sims'  Speculum  498. 
Sinistroflexion    des    Uterus 

860. 
Sinus  prostaticus  101. 
Sirenenbildung  895. 
Situs   viseerum    transversus 

896. 
Sitz  der  Placenta  829. 
Skoliose 

—  Beekenformen  bei  76. 
Skutsch'  Beckenmesser  381. 
Sondenuntersucbung  846. 
Sondirung  d.  Harnleiter  111. 


Soor  der  Vagina  477. 
Spätgeburt  761. 
Spaltbildungen  derBlasel  1 1 . 

—  Aetiologie  der  112. 

—  Symptome  der  113. 

—  Therapie  der  112. 
Spaltung  891. 
Spaltungstheorie  898. 
Spasmus  orificii  interni  763. 
Spatelhacken  vonUIrich  418. 
Speeula  397,  845. 

—  plattenförmige  398. 

—  röhrenförmige  397. 
Speculum  von  Breus   402. 

—  CoUin  402. 

—  Cusco  402. 

—  von  Neugebauer  400. 

—  Trellat  402. 

—  -Verschluss  401. 
Sphincter  vesicae  107,  847. 
Spiegelgalvanometer  435. 
Spiegeluntersuehung  845. 
Spina  bifida  893. 

Spinae 

—  Messung  der  Distanz  der 
98. 

Spitze  Condylome  301,  852. 
Spondylolisthesis  73. 

—  Diagnose  74. 
Spondyloparembole  78. 
Spontane  Geburt  bei  Quer- 
lagen 721. 

Spontane  Uterusruptur  727. 
Spülkannen  432. 
Stadium  acmes  der  Wehen 
901. 

—  deerementi    der   Wehen 
901. 

— incrementi  derWehen  901. 
Staphyloeoceen  bei  Beeken- 
exsudaten  92. 

—  bei  Cystitis  109,   119. 

—  bei  Endometritis  212. 

—  bei  Perimetritis  621. 

—  Puerperalfieber  des  Neu- 
geborenen 711. 

—  bei    Puerperalinfeetion 
701. 

Statistik  der  Ovariotomie  573 

—  der  mehrfachen  Schwan- 
gerschaft 923. 

—  der  Symphyseotomie  770. 
Steisslagen  84,  261. 

—  einfache  262. 

—  gedoppelte  262.  1 


Steinkind  497. 
Steiss-Kückenlagc  842. 
Stellung  der  Frucht  84. 
Stenosen    des    ganzen    Cer- 
vicalkanalcs    165. 

—  des  Cervix  723. 
Diagnose  165. 

—  —  Prognose   165 

—  —  Therapie   165. 

—  des     äusseren     Mutter- 
mundes 163.  733. 

—  —  angeborene  163. 
— ■  —  erworbene  164. 

—  —  relative  164. 

—  —  vorübergehende  164. 

—  des      inneren     Mutter- 
mundes 165. 

—  der  Scheide    725,   745. 
angeborene  870. 

—  —  erworbene  870. 

—  der  Vulva  725. 
Sterilität  31,164,317.752. 

—  Diagnose  756. 

—  facultative  697,  756. 

—  Prognose  757. 

—  Therapie  757. 

—  Ursachen  752. 

Stiel  der  Ovarialcyste  578. 
Stielbehandlung 

—  bei  Laparohysterotromie 
491. 

extraperitoneale  491. 

intraperitoneale  491. 

iuxtaperitoneale  491. 

—  bei  Ovariotomie  591. 

intraperitoneale  591. 

extraperitoneale  592. 

Stielnadel    von    Deschamps 

419. 
Stirnlagen  261,  759. 

—  Aetiologie  759. 

—  Ausgang  und   Prognose 
759. 

—  Therapie  760. 
Streptococcen   bei    Becken- 
exsudaten 92. 

—  bei  Cystitis  119. 

—  bei  Endometritis  212. 

—  bei  Perimetritis  621. 

—  bei  Puerperalfieber   des 
Neugeborenen  711. 

—  bei      Puerperalinfeetion 
701. 

Stricturen     der    Harnröhre 
850. 


956 


SACHREGISTER. 


Stricturen  des  Uterus   904. 
Strom,  galvanisclier  323. 

—  inducirter  325. 
Stromweclxsler  435. 
StructurderNabelsclinur540. 
Struma  bei  Graviden  885. 
Sturzgeburt  904. 
Sondeauutersucliuug  846. 
Sondirung  derHaruleiter  111 
Soor  der  Vagina  477. 
Subjectiver     Zustaud     der 

frisch  Entbundenen  198. 
Sublimat    36,   43,  44,  49, 

50,  96,  368,  450,  878. 
Submucöses       Bindegewebe 

107. 
Submucöse  Myome  247. 

—  der  Blase  107. 

—  der  Vagina  869. 
Subseröse  Myome  247. 
Substanz  des  Uterus  5. 
Superföcundation  765,  926. 
Superfoetation  756,  926. 
Superimpraegnation  926. 
Supravaginale  Laparoliyste- 

rotomie   491. 
Suppurative  Cystitis  120. 
Symphysen, 

—  Ruptur  der  725. 
Symphj-senspalt, 

Becken  mit  angeborenem 

68. 
Symphyseotomie  769. 
— •  Geschichte  der  769. 

—  Indicationen  785. 

—  Statistik  der  772. 

—  subcutane  776. 
Symptome  des  Abortus  17. 

—  der  Adncxentumoren  3 1 . 
• —  der  Blasemnole  659. 

—  der   Blasenneubildungen 
118. 

■ —  der  Blasenspaltbildungen 
112. 

—  der  Blasensteine  123. 

—  des  Cervixkatarrhs  160, 
218. 

—  der  Cystitis  120. 

—  derDeciduaretention  668. 
- —  desEileitercarcinomsl54. 

—  des    Eierstockcarcinoms 
155. 

• —  der  Ecklampsie  204. 

—  des  Endometritis  chronica 
221. 


Symptome  der  Endometritis 
septica  214. 

—  der  Fibrome  der  Bauch- 
decken 242. 

—  —  der  Ovarien  252. 

—  - —  der  Scheide  243. 

—  der    spontanen   Frühge- 
burt 280. 

—  der  Ilaematokele  retro- 
uterina   334. 

—  der  Krebscachexie  138. 

—  der  Metritis  529. 

—  der  Oophoritis  556. 

—  der  Osteomalacie  562. 

—  der  Ovarialtumoren  479. 

—  der     Parametritis     92, 
608. 

—  der  Perimetritis  622. 

—  der  Placenta  praevia  661. 

—  des  Puerperalfiebers  des 
Neugeborenen  711. 

—  d.Scheidencarcinoms  141. 

—  derSchwangerschaft733. 

—  der  Stenose  des  äusseren 
Muttermundes  164. 

—  der  Tympauianteri  824. 

—  der  Urinfisteln  114,  340. 

—  des  Uterus  carcinomsl  47 

—  der  Uterusmyome  247. 

—  der  Uteruspolypen  670, 
674,  857. 

—  derUterus-sarcome  857. 

—  des  Vaginismus  872. 

—  der         Winckerschen 
Krankheit  911. 

Sympus  895. 
Syncephalus  899. 

—  asymmetros  899. 
• —  symmetros  899. 
Syn Ophthalmie  892. 
Synostose    der    Beckenkno- 
chen 72. 

Synothie  894. 

Syphilis  der  Knochen  798. 

—  der  Leber  798. 

—  der  Lunge  798. 

—  des  Nabelstranges  797. 

—  des  Neugeborenen  798. 

—  der  Scheide  872. 

—  der  Schwangeren  799. 

—  der  Schwangerschaft,Zei- 
chen  der  800. 

—  der  Tuben  815. 

—  des  Uterus  858. 

—  der  Vagina  479. 


T. 

Tabes  während  der  Gravi- 
dität 446. 

Tait'sche  Methode  der  Peri- 
neoplastik 629. 

Tamponade  bei  spontanem 
Abortus  22. 

—  Ausführung  der  126. 

—  der  Scheide    127,  274. 
■ —  des    Uterovaginalcanals 

132. 
Tarnier'sche  Basiotrib  385. 
Tasche,  geburtshifliche  389. 
Tasterzirkel  vonCollin-Crede 

—  von  Martin  381.     ■ 
Technik   der   Adnexen- 

operation  32. 

—  der  hohen  Amputation 
149,  679. 

—  der  Ausräumung  des 
Uterus  125. 

—  der  Castration  158. 

• —  der  Clitoridectomie  167. 

—  des  Curettement  177. 

—  der  Discission  454,  680. 

—  der  intrauterinen  In- 
jectionen  451. 

—  der  intrauterinen  Irriga- 
tionen 449. 

—  des  Kaiserschnittes  467. 

—  der  gynaekologischen 
Massage  516. 

—  der  Lösung  von  Piacen- 
tarresten 667. 

—  der  Scheidentamponade 
127. 

—  der  Uterustamponade 
127. 

—  der  Vaginofixation  875. 

—  der  Ventrofixation  des 
Uterus  874. 

Teratome,  sacrale  899. 
Tetanie  während  der  Gravi- 
dität 446. 
Tetanus  n.  Ovariotomie  603. 

—  puerperaler  708. 

—  uteri  803. 

Theorien  über  die  Ent- 
stehung der  Krebsge- 
schwülste 137. 

Therapie    bei  spontanem 
Abortus  21. 

—  bei  Asphyxie  des  Neu- 
geborenen 55. 


SACHREGISTER. 


957 


Therapie  d.Bartholinitis  302. 

—  bei       Eeclienanomalien 

65,   67,  78. 

—  bei  Beckenexsudaten  90. 

—  derBlase-Lagefehler  113. 

—  der   Blasenneubildungen 
118. 

— ■  der   Blasenruptur    118. 

—  der  Blasenspaltbildungen 
112.. 

—  Blutungen  der  Geburts- 
hilfe 129. 

—  des  Carcinom  der  weib- 
lichen Sexualorgane  139. 

—  allgemeine  139. 

—  — ■  des  Eierstockes  137. 
der  Eileiter  154, 

—  — ■  der  Scheide   141. 

—  —  des  Uterus  148. 

—  —  der  Vulva  140. 

—  —  des  Cervixkatarrhs 
159,   161. 

—  der  Cervixstenose    165. 

—  der  Coccygodynie    168. 

—  der  Cystitis  122. 
— ■  der  Eclampsie  207. 

—  der    Endometritis    213, 
216,  218. 

—  der   Extrauterinschwan- 
gerschaft  239. 

—  allgemeine,  der  Gonorr- 
hoe 317. 

—  der   Fibrome    der  Ova- 
rien 252. 

-r:-  der  Haematokele  retro- 
uterina  335. 

—  der  Hinterscheitelbein- 
lagen 370. 

—  des  Hydramnios  374. 

—  der  Hyperemesis  gravi- 
darum 377. 

—  intrauterine  448. 

—  der  Inversio  uteri  457. 
— ■  des  Kephalhaematom 

472. 

—  der  Kolpitis  307,  476, 
480. 

—  der  Metritis  530, 

—  der  Myome    490,  532. 

—  der  Osteomalacie  565. 
112. 

—  der  Parametritis  610. 

—  des  Partus  praecipitatus 
620. 

—  derPelveoperitonitis  623. 


Therapie  der  Placenta  prae- 
via 663. 

—  der  l'laccntar-   und  Ei- 
hautrestc  669. 

—  des  Pruritus  vaginae  et 
vulvae  700. 

—  der  Pyometra  719. 

—  des  Spasmus  orificii  in- 
terni   764. 

—  der  Sterilität   757. 

—  der  Stirnlagen  760. 

—  d.  Syraphysenruptur727. 

—  der  Syphilis  der  Schwan- 
gerschaft 803. 

—  der  Urethritis  299. 

—  der  Urinfisteln  des  Wei- 
bes 114. 

—  der  Uteruspolypen  671, 
673,  674. 

—  der  Vorderscheitellagen 
888. 

—  der  Vulvitis  300. 

—  des  Wehensturmes  904. 

—  der Winckel' sehen  Krank- 
heit 913. 

Thoracopagus  900. 

—  tribrachius  900, 
■ —  parasiticus  900. 
Thrombosis  placentaris  649. 
Thrombosis  des  plexus  pam- 

piniformis  649. 

—  der  Schenkelvenen  649. 
Thrombus  vaginae  130,804, 

915. 

—  vulvae  804. 
Tiefstand 

■ — ■  abnormer  des  Ovariums 
605. 

—  des  Uterus  861. 
Tiemann's  Kugelzange  409. 
Toilette     des     Peritoneums 

49,   594. 
Topographie  der  Harnblase 
106. 

—  der     weiblichen      Ge- 
schlechtsorgane 8,  575. 

Torsionen  der   Nabelschnur 

541. 
Totale  Myomohysterectomie 

493. 
Totalexstirpation  des  Uterus 

50. 

—  vaginale,     des    Uterus 
149. 

Traubenmole  659. 


Traubenmole  Aetiologie  6  5  9 . 

—  Aussehen  659. 

—  Prognose  660. 

—  Therapie   660. 
Trennung  der  Beckenge]  enko 

72. 
Trichterbocken  65. 
Trichter  Hegar'scho  432. 
Trismus  uteri  904. 
Trochantcren 

—  Messung  der  Distanz  der 
98. 

Trocken-Operationen  49. 
Troicarts  423. 
Tubar- Abort  236. 

—  Diagnose  des  238. 
Tubardivertikel  812. 
Tuben  6,   101. 

—  Bildunganomalieu  813. 

—  Blutungen  813. 

—  Entwicklung  der  7. 

—  Entzündungen  28,  735, 
814. 

—  Histologie  der  813. 

—  Lagenanomalieu  der  813. 

—  Schleimhaut  der  7. 

—  in  der   Schwangerschaft 
813. 

—  Syphilis  der  815. 

—  Verlauf  der  812. 
Tubenerkrankungen  8 12-. 
Tubentuberkulose  821. 
Tuberkelbacillen  109,  119, 

212,  817,  819,  821,  822. 
Tuberkulose 

—  des  Cervix  829. 

—  der  weiblichen  Genitalien 
816. 

—  während  der  Gravidität 
447. 

—  der  Ovarien  821. 

—  der  Tuben  821. 

—  des  Uterus  820. 
— ■  der  Vagina  819. 

—  der  Vulva   819. 
Tuberkulöse 

—  Endometritis  224. 

—  Kolpitis  475. 

Tub  0-0  varial- Cysten,  29,577 
Tumoren  der  Adnexe  28. 

—  der  Beckenknocheu  71. 

—  als   Geburtscomplication 
741. 

—  der  Ovarien  576. 

—  paraperitoneale611. 


958 


SACHREGISTER. 


Tumoren,  retroperitoneale 
615. 

—  als    Schwangerschafts- 
comi^lication    741. 

Tupelostift  200. 
Tupfmaterial  48. 
Tympania  uteri  823. 

—  Aetiologie  der  823. 

—  Symptome  der  824. 

—  Therapie  der  824. 
Tympanites  uteri  823. 

U. 

Ueberdrehung   88. 
Ueberfrucbtuug  765,  926. 
Ueberscliwängerung       765, 

926. 
Ulcus  rotundum  vaginae  94. 
Unreifes  Kind  641. 
Unstillbares  Erbrechen  376. 
Unterbindung  der  Art.  ute- 

rinae  497. 
Untersuchung  bacteriologi- 

sche  847. 

—  des  Beckens  98. 
• äussere  98. 

—  —  innere  98. 

—  bei  Beckenendlagen  85. 

—  bei  Beckenexsudaten  93. 

—  in  der  Geburtshilfe  824. 

—  InderGynaekologie  840. 

—  der  Hebammen  833,840. 
- —  mikroskopische  846. 

—  des  Urins  108. 

—  —  chemisch  108. 

mikroskopisch    109. 

Untersuchungsmethoden  bei 

Blasenkrankheiten  108. 
Untersuchungstühle  427. 
Unvollkommene  Fusslage  89. 
Urachus  539. 
Ureter  9. 
Urethra,  Atresie  der  848. 

—  Bildungsfehler  der  847. 
• —  Carcinom  der  853. 

■ —  Carunkeln  der  852. 

—  Condylome  der  852. 

—  Dilatation  der   849. 

—  Duplicität  der  848. 

—  Enge  der  895. 

—  Entzündungen  der  850. 

—  Fibromyome    der    853. 

—  Fremdkörper  der   851. 

—  Krankheiten  der  847. 

—  Mangel  der  847. 


Urethra,  Neubildungen  der 
852.  ' 

—  Papillom  der  853. 

—  Stenosen  der  850. 

—  Stricturen  der  850. 

—  Varices  der  852. 

—  Verletzungen  der  Ure- 
thralschleimhaut  851. 

Urethral umen  849. 

—  Prolaps  der  850. 
Urethritis  299,  850. 
Urethrokele   849. 
Urinfisteln  des  Weibes  114, 

340. 

—  Aetiologie  114,  340. 

—  Diagnose  115,  341. 
-^  Prognose  115,  341. 

—  Symptome   115,  340. 

—  Therapie   115,  340. 
Ursachen  (s.  auch  „Aetiol-o 

gie"). 

der  Asphyxie    des    Neu- 
geborenen 52. 

—  der    Geschlechtsbildung 
174. 

—  Entstehung  des  Hydram- 
nios  372. 

—  der    gonorhoischen    In- 
fection  296. 

—  für  Placenta  praevia  661. 

—  des  Pruritus  699. 

—  der     Rückbildung     des 
Uterus  post  partum  197. 

—  von  Symphysenrupturen 
826. 

Urwirbel  255. 
Usuren  desUterus  727,  732. 
Uteringeräusche  734,    735. 
Uterinstifte  630,  634. 
Uterus  853. 

—  Adenome  858. 

—  Anteflexio  860. 

—  Anteposition  861. 

—  Anteversionen  860. 

—  Atonie  des  56. 

—  Ausschabung  des  452. 
- —  Auswischung  des  451. 

—  bicornis  854. 

—  —  arcuatus  747. 
bicoUis  102. 

—  —  bilocularis  102. 

—  —  septus  102. 

—  —  unicollis  102. 

—  bilocularis  unicollis  102. 

—  Descensus  868. 


Uterus  didelphys  102. 

—  Dilatation  des  200 

—  duplex  separatus  854. 

—  —  septus  747. 

—  Erschütterungen  890. 

—  Exstirpation    des    149, 
j      151. 

—  Flexionen  860. 

I  —  Inversio  des  170,  869. 
j—  Katarrh   211. 

—  Lageanomalien         739, 
I      860. 

!  —  Latero Versionen  860. 

—  Myome  des  243. 

■ —  —  Aetiolgie  243. 

Diagnose   246. 

Path.  Anatomie  345. 

—  —  Prognose  251. 

—  —  Symptome  247. 

—  Polypen  des  669. 

—  Prolaps  des  868. 

—  Retroflexion  860. 

—  Retroposition  861. 

—  Retroversionen  860. 

—  Sarkom  146,  857. 

—  septus  854. 

—  Sinistroflexion  860. 

—  Spastische    Strictur    des 
904. 

—  unicornis  103,  747,854. 

—  Trismus  des  904. 

—  Tuberkulose  820. 

—  Yaginofixation  des  874. 

—  Ventrofixation  des  874. 

—  Veränderungen  während 
der  Schwangerschaft   11. 

—  Versionen  860. 
Uterusblutungen  857. 
Uteruscarcinom  142. 

—  Diagnose  146. 

—  Behandlung  nicht  radical 
heilbarer  152. 

—  Prognose  148. 

—  Symptome  147. 

—  Therapie  148. 
Uterusdouche,    aufsteigende 

275. 
Uteruskatheter  405. 

—  nach   Bozemann-Fritsch 
406. 

—  Budin   406. 

—  Piskacek  406. 

—  Weinhold  406. 
Uterusschleimhaut  219. 


SACHREGISTER. 


959 


Uterussonden  402. 

- —  nach  Schnitze  403. 

—  nach  Simpson  und 
Schroeder  403. 

Utriculus  masculinus  101. 

V. 

Vagina  101,  869. 

—  Bildungsfehler  der  870. 

—  duplex  102. 

—  Ovariotomie  von  der  — 
aus  597. 

Vagina-electroden  823. 
Vaginafisteln  114,  343. 

—  tuberkulöse  819. 
Vaginale  Laparotomie  nach 

Dührssen  535. 

—  Myotomie  nach  Pean 
534". 

—  Total-Exstirpation   149. 
Vaginales,  Arteriae   superi- 

ores  et  posteriores  9. 
Vaginatuberculose  819. 
Vaginismus  872. 

—  Behandlung   873. 

—  Electrotherapie  bei  332. 

—  Prognose  873. 

—  Symptome  872. 
Vaginitis  474.  (s.  auch  „Kol- 

pitis".) 

—  adhaesiva  870. 

—  gonorrhoica  204. 

—  ulceröse  Form  der  870. 
Vaginismus  872. 
Vaginofixatio  uteri  874. 

—  Technik  der  875. 
Varices  der  Blase   448. 

—  an  den  unteren  Extre- 
mitäten während  der  Gra- 
vidität 448. 

—  der  Urethra  852. 
Varietäten  888. 

Variola  während  der  Gra- 
vidität 448. 

Vena  amphalo-mesenterica 
539. 

Venenentzündung  während 
der  Gravidität  448. 

Venter  propendens  339. 

Ventrofixätio  uteri  874. 

Verarbeiten  der  Wehe  902. 

Verdopplung  891. 

Vererbung  888. 

Vereiterung  der  Ovarial- 
cysten  580. 


Vergröcserung  des  Uterus 
während  der  Schwanger- 
schaft 734,   735. 

Verhalten  der  Gonococccn 
zu  verschiedenen  Geweben 
294. 

Vergiftungen  Schwangerer 
875. 

Verkalkung  der  Fibrome  241. 

Verkleinerung  des  perforir- 
ten  Kopfes  485. 

Verletzungen 

—  abdominale  885. 

—  der  Extremitäten  885. 

—  am  Kiefer  882. 

—  des  Kindes   880. 

—  der  Kopfhaut  880. 

—  am  Munde  882. 

—  Schwangerer  884. 

—  nach  Uterusruptur  731. 
Verschleppte     Geburt     bei 

Querlagen  722. 
Versionen  des  Uterus  860. 
Verwach  sungsthe  orie  898.' 
Vestibulum  3. 
Vitia  congenita  888. 
Vorboten    der    Entbindung 

226. 

—  bei  Frühgeburt   281. 
Vor  der  scheitelb  eineinstel- 

lung  838,  886. 
Vorderscheitellagen       261, 
839,  886. 

—  Aetiologie  der  886. 

—  Diagnose  der  887. 

—  Häufigkeit  der  886. 

—  Prognose  887. 

—  Therapie  888. 
Vorfall     der     Nabelschnur 

907. 
Vorschriften 

für  Hebammen  347. 
Vorwehen  901. 
Vulva 

—  Carcinom  der  139. 

—  Diagnose  139. 

- —  Fibrom  der  242. 

—  Pathologische  Anatomie 
131. 

—  Prognose  140. 

—  Eigidität  der  725. 

■ —  Symptome  und  Verlauf 
140. 

—  Therapie   140. 
Vulva-lupus  819. 


Vulva-tuberculose  819. 
Vulvitis  gonorrhoica    300. 

—  traumatica  873. 

W. 

Wachsthura  der  Frucht  258. 

—  von  Ovarialcysten  578. 
Wachsthumsstörungen  888. 
Wahrscheinliche  Zeichen  der 

Schwangerschaft  733. 

Wanderleber  583. 

Wandermilz  583. 

Wege  der  Infcctionsverbrei- 
tung  der  Gonorrhoe  295. 

Weiche  Consistenz  des  Mut- 
termundes 734. 

Weinhold's  Uteruskatheter 
406. 

Wendung  905. 

—  durch  äussere  Handgriffe 
905. 

—  auf  das  Beckenende  905. 

—  nachBraxton  Hicks  909. 

—  Combinirte  722,  905. 

—  auf  den  Fuss,  Indicati- 
onen  907. 

Bedingungen  908. 

—  bei  Hinterscheitelbein- 
lagen 372. 

■ — •  innere  905. 
Wendung  durch  innere  Hand- 
griffe 905. 

—  auf  den  Kopf,  Indica- 
tionen  905. 

Methode  der  906. 

—  durch  Lageveränderung 
905. 

Wehen  900. 

—  austreibende  901. 

• —  Diagnose  der  902. 

—  krampfhafte  904. 

—  schwache  902. ' 

—  zu  starke  903. 

—  träge  902. 

—  Verarbeiten  der  902. 

—  vorbereitende  901. 
Wehencurve  von  Schatz  901. 
Wehenthätigkeit, 

—  regelmässige  900. 

—  regelwidiüge  900. 

—  Selbststeuerung  der  900. 

Wehenpause  901. 

Wehenschwäche   902. 

—  Behandlung  der  903. 


960 


SACHREGISTER. 


"Wehenschwäche  directe  902. 

—  indirecte  902. 

—  relative  914. 
Wehenstärke,  Bedeutung  für 

tUe  Geburt  618. 
Weliensturm  904. 

—  Therapie  des  904. 
Winckel'sche  Krank]ieit909. 

—  —  Aetiologie  der  911. 

—  Pathologische  Anatomie 
918. 

Symptomatologie  911 

—  —  Therapie  913. 
Winckel's  Kolpitis  gummosa 

479. 
Wirbelsäule, 

—  Rupturen  der  63. 

—  Zerreissungen d.  63, 882. 
Wirkungen   der  Antiseptica 

auf  Gravide  877. 

—  des  elektrischen  Stromes 
323. 

—  des  inducirten  Stromes 
325. 

Wochenbett, 

• —  Diaetetik  des  196. 


Wo  ienbettfieber, 

—  Aetiologie  des  42,  701. 

—  und  Gonorhoe  295. 
Wolff'sche  Körper  101,  897. 
Wolfsrachen  893. 

X. 

Xerosis  vaginae  305. 
Xiphopagus  900. 

Z. 

Zange  von  Museux  409. 

—  am  nachfolgenden  Kopfe 
511. 

Zangen  408. 

Zangenextraction  als  Ursache 
V.  Symphysenrupturen  726. 
Zangenlöffel 

—  Anlegen  der  917. 
Zangenoperationen  913. 

—  Bedingungen  916. 

—  Indicationen  913. 
Zeichen  der  Schwangerschaft 

733. 

—  muthmaassliche,  733. 

—  sichere  733. 


Zeichen  d.  Schwangerschaft, 
wahrscheinliche  733. 

Zeit  der  Befruchtung    173. 

Zerreissungen  der  Nabel- 
schnur 883. 

—  der  Wirbelsäule  882. 
Zersetzung     der     Placenta 

549. 

Ziegler's  follikuläre  Hyper- 
trophie 557. 

Zottengeschwülste  der  Blase 
118. 

Zottenkrebs  der  Blase  118. 

Zottentransfusionsbezirke 
373. 

Zug,  Methode  des  manuellen 
508. 

Zweifel' s  Kephalothrypter 
385. 

Zweigläserprobe  299. 

Zwillinge 

— r  Einkeilung  der  930. 

—  Geschlecht  der  928. 
Zwillingsschwangerschaft 

827,  923. 
Zwitterbildungen  896. 


K.  u.  k.  Hofbuclidtuckeiei  Karl  Procliaska  in  Teschen. 


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