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. C. Schruiase
Geschichte
bildenden Künste im littelalter.
Von
Dr. Carl Schnaase.
Zweite vermehrte und verbesserte Auflage.
Dritter Band.
Entstehung und Ausbildung des gothischen Styis.
Bearbeitet vom Verfasser unter Mithülfe
von Dr. Alfred Wo 1 1 m a n n.
Düsseldorf.
Verlagshandlung von Julius Buddeus.
1872.
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Vorrede.
Der fünfte Band meines Werkes, dessen neue Bearbeitung ich hiermit
■dem kunsthistorischen Publikum vorlege, hat keiner grossen Aenderungen
bedurft. Der Ideengang und die Resultate sind im Wesentlichen dieselben
geblieben wie früher; die seit dem ersten Erscheinen dieses Bandes (1856)
gewaltig angewachsene Literatur hat nur Bestätigung und Erläuterung dieser
Resultate gebracht. Die Aufgabe, welche ich mit der treuen und energischen
Hülfe meines Freundes, des Herrn Prof. A. Weltmann, zu erfüllen gesucht
habe, bestand daher in sorgsamer Benutzung und Berücksichtigung der An-
schauungen, welche uns diese Literatur und eigene Studien darboten, in
vollständigerer Aufzählung und Beschreibung der Monumente, in Berichtigung
einzelner Irrthümer und besserer Gruppirung der Thatsachen. Am Stärksten
war diese Vermehrung des Materials in Beziehung auf den deutschen Ueber-
gangsstyl; die vielen provinziellen Eigenthümlichkeiten , welche ich in der
ersten Auflage zum Theil nur andeuten konnte, waren seitdem Gegenstand
umfassender Forschungen geworden und durch zahlreiche neue Publicationen
vollständig festgestellt. Der meiner Anordnung zum Grunde liegende Ge-
danke, dass die Mannigfaltigkeit dieses Uebergangsstyles die Wirkung zweier
sich gesondert regender Triebe, eines plastisch decorativen und eines archi-
tektonisch constructiven sei, war zwar durch diese neuen Forschungen keines-
weges widerlegt, sondern nur bestätigt. Er konnte aber nun genauer aus-
geführt und durch etwas veränderte Gruppirung der Monumente besser
dargethan werden. Hier ist daher auch die stärkste Aenderung des früheren
Textes nöthig gewesen.
Ich benutze diese Stelle, um einige Irrthümer, die sich in den Text
eingeschlichen haben und erst nach der Vollendung des Druckes bemerkt
worden sind, zu berichtigen.
Dazu gehört zunächst die S. 369 Anm. 1 gemachte und S. 426 Anm. 1
wiederholte Angabe, dass die Choranlage von St. Bavo in Gent der der
-Stiftskirche in Xanten gleiche. Der Grundriss bei Wiebeking Taf. ^'oy der
VI Vorrede.
mich zu dieser Angabe verleitete, ist unrichtig. Vgl. Organ für christl. Kunst
1856 Nr. 19.
Der S. 550 Zeile 11 von oben beginnende; die Fenster der Sainte-
Cha pelle zu Paris betreffende Satz sagt zu viel. Diese Fenster befanden sich
beim Beginne der Restauration des Gebäudes (1837) in sehr verwahrlostem
Zustande. Die unteren Scheiben waren während der Revolution behufs der
Befestigung von Actenschränken herausgenommen und zum Theil verloren
oder in den Privatbesitz übergegangen (Labarte Album Taf. XCV), die oberen
bei Reparaturen so gedankenlos zusammengestellt, dass selbst die Gegen-
stände und ihre Beziehungen nicht mehr verständlich waren. Die ganze
Glasmalerei der Kapelle erhielt daher eine gründliche Restauration und Er-
gänzung nach einem neuen, möglichst im Geiste des 13. Jahrhunderts ent-
worfenen Plane, und befindet sich also nicht mehr im ursprünglichen Zu-
stande. Aber diese Herstellung ist mit Vorsicht und mit sorgfältiger Be-
nutzung der zahlreichen alten Ueberreste ausgeführt, welche noch jetzt
sehr wohl erkennbar sind und sich durch edeln Styl und durch wirksame,,
wenn auch oft kühne und leichte Behandlung auszeichnen. Vgl. Guilhermy
Itineraire archeologique de Paris p. 319 und Viollet-le-Duc. Dict. IX. 399.
410. 428.
Die Seite 566 Zeile 1 von unten erwähnte Kirche Notre-Dame, von
deren Fa^ade zwei Statuen in die Gruft von Saint-Dlnis gekommen, ge-
hörte nicht zu einer Abtei, sondern war eine Pfarrkirche in einem Städt-
chen des Departement Seine und Oise, dessen Name nicht Corbeille, son-
dern Corbeil lautet.
S. 595 Zeile 3 von oben. Das Grabmal Heinrich's IV. in der Kreuz-
kirche zu Breslau ist nicht in gebranntem Thone gearbeitet, sondern aus
Sandstein mit Anfügung aller plastisch hervorragenden Theile in einem
feinen weissen Stuck. Dies ist in dem gegenwärtig erschienenen, bereits citirten
Werke von H. Luchs, Schlesische Fürstenbiider, nachgewiesen, wo auch
ein andres, in gleicher Weise ausgeführtes Monument, das des 1301 ge-
storbenen Herzogs Bolko von Schlesien- Schweidnitz im Kloster Grüssau,
publicirt ist.
Eine Liste von Druckfehlern, welche wenigstens beim Lesen Anstoss
geben könnten und deren Berichtigung daher gewünscht wird, folgt hierbei.
Wiesbaden im November 1872.
€. Sehiiaase.
Druckfehler- Yerzeichniss.
Seite 56 Zeile 3 von oben statt Nachnichteu lie* Nachrichten.
jedersetis Hes jederseits.
schliesen lies schliessen,
stammmt lies stammt.
Kreuzzeug-e lies Kreuzzuge,
(ilassllüssen lies Glasflüssen.
Fasimile lies Facsiraile.
Jallhundert lies Jahrhundert,
ursprüdlich lies ursprüng-lich.
Stammet lies Stammes.
Stammes lies Stamme,
früheng-lich lies friihenglisch.
t'ranzöische lies französische,
haibreisförmigen lies halbkreisförmigen,
tjedankeu lies Gedanke,
französche lies französische.
mannifachen lies mannigfachen.
könne lies können,
verbreite lies verbreitete.
Benetictinerkirche lies Benedictinerkirche.
Leben lies Lebens,
and lies und,
fanden lies handen.
Rechädigungen lies Beschädigungen,
hineigte lies hinneigte,
das lies dass.
Boppart lies Boppard.
Heiligssprechung lies Heiligsprechung,
iler Kernes lies des Kernes.
1539 lies 1339.
dreizehntenten lies dreizehnten.
Controvorse lies Controverse.
matheniathischen lies mathematischen.
Abeiten lies Arbeiten,
der lies der.
von einen lies von einem,
einma lies einmal.
Queurhausarmes lies Querhausarmes.
Pfeile lies Pfeiler,
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mirautur lies mirantur.
angestammmten lies angestammten,
enhalten lies enthalten.
lies lies Hess.
gefärbte lies gefärbter.
mumienartige lies mumienartigen.
aus der Kirche der alten A.btei Notre-Dame-de-Cor-
beille lies: von der Facade der alten Kirche Notre
Dame zu Corbeil.
Schoose lies Schoosse.
entschieneres lies entschiedeneres,
Masse lies Maasse.
Äusserung lies Aeusserung,
Inhalt des fünften Bandes.
Achtes Buch. Die Zeit der Entstehung und Ausbildung des
gothisclien Styls. Ton der 3Iitte des zwölften bis gegen
das Ende des dreizehnten Jahrhunderts.
Erstes Kapitel. Historische Einleitung. S. 1.
Gesteigerte religiöse Begeisterung. S. 2. Neue Richtung der Frömmig-
keit. 3. Die Hierarchie. 4. 'Die Scholastik. 5. Ritterliche Sitte. 6.
Einfluss der Araber. 8. Fortschreitende Reife der Charaktere. 10.
Lebenslust und Ascetik. 13. Wundergläubigkeit und Symbolik. 14.
Lebensweise. 15. Poesie. 16. Architektur, ihr Verhältniss zu den
geistigen Elementen der Zeit. 20. Darstellende Kunst. 23.
Zweites Kapitel. Ausbildung des gothischen Styls in Frankreich, S. 26.
Bedeutung des französischen Königsthums. 27. Die Stellung der
nordfranzösischen Provinzen, 28. Paris schon jetzt eine Weltstadt. 29.
Mischung der Provinzialstyle. 30. Preuilly, St. Pere in Chartres;
St. Martin des champs in Paris, St. Etienne zu Beauvais, 32. Abt
Suger in St, Denis bei Paris, 33. Eifer für kirchliche Bauten. 37.
Fagade der Kathedrale von Chartres. 38. Gewölbrippen und Strebe-
werk. 40. Erste vorbereitende Stufe des gothischen Styls. Die
Kathedrale von Noyon. 43. (Kreuzconchen in Frankreich: Cambray,
Soissons u. a. 47.) Abteikirche St. Germer. 46. St. Remy zu
Rheims und N. D. von Chälons s. M. 47» Klosterkirche zu Orbais
und St. Germain des Pres .53. Die ersten frühgothischen Kathedralen.
Paris und Laon, 55. Sens. 60. Senlis. 62. Ausbildung des Thurm-
baues. 64. Einfluss dieser Kathedralen, St. Martin und St. Pierre au
Parvis in Soissons, Montier-en-Der, Longpont, Ourscamp, Mantes. 6S.
X liiliah des fi'mflen Bandes.
Weitere Fortschritte, Verschwinden der Emporkirche. Kathedrale zu
Meaux. 71. Erfindung des Maasswerks. 7.3. Kathedrale von Sois-
sons. 76. St. Yved in Braine. 77. Zweite Generation gothischer
Kathedralen, Chartres, Rheims, Amiens, Beauvais. 78. Steigerung der
Maasse. 81. Ausbildung des Grundplans. 82. Kathedrale von
Bourges. 87. Von Mans. 88. Weitere Fortschritte. Der kantonirte
Rundpfeiler. 90. Kapitale. 91. Mannigfache Pfeilerformen, Troyes,
Auxerre, St. Omer, Mans, Bourges. 92. Herstellung von St. Denis,^
Bündelpfeiler. 94. Die h. Kapelle zu Paris. 96. Aehnliche Bauten
zu St. Germain des Pres, St. Germer, St. Martin aux bois. 99. St.
Germain- en-Laye. 100. St. Martin des Champs zu Paris. 101. Aus-
bildung der Fa^ade. Kathedrale und St. Nicaise zu Rheims. 102.
St. Urbain zu Troyes. 108. Kathedrale von Cambray, Chalons s. M.
Tours, St. Julien zu Tours. 112. Kreuzgänge und Klostergebäude. 113.
Schlösser und städtische Gebäude. 114. Schneller Betrieb der
Bauten. 115. Princip der Ornamentation. 117. Stellung der
Künstler. 118. Skizzenbuch des Villard de Honnecourt. 119. Auf-
zählung berühmter Architekten dieser Epoche. 123.
Drittes Kapitel. Der gothische Styl in den übrigen Provinzen Frank-
reichs und in Belgien. S. 125.
Normandie. S. 125. Romanische Bauten bis um 1183, Osmoy, St. Thomas-
le-Martyr, Vallasse. St. Julien bei Ronen. 125. Uebergang, Kapitel-
saal von St. George in Bocherville. 126. Abteikirche zu Fecamp und Eu.
127. Chor von St. Etienne in Caen. 128. Dom zu Rouen. 130.
Mortain, Louviers, Lisieux, S6ez, Bayeux, Coutances. 132. — Pro-
vence. Cistercienserbauten zu Thorouet, Sylvacane, Senauque. 135.
Anhänglichkeit an romanische Form. Grenoble, Vignogoul, Romans,
St. Maximin, Kathedrale von Lyon. 136. — Languedoc. Früheres
Auftreten des gothischen Styls. Vallemagne und Narbonne. 137.
Beziers und Carcassonne. 138. — Auvergne. Kathedrale zu Clermont-
Ferrand. 140. — Romanische Schweiz. Kathedralen zu Lausanne
und zu Genf. 141. Kirche zu Sitten u. a. 142. — Bretagne.
Beauport, Dol, St. Pol-de-Leon. 143. — Aquitanien. Englisch-
normannischer Einfluss unter Heinrich IL, Ste Croix in Bordeaux. 145.
Kathedrale von Poitiers. 146. Angers. 150. Dorat. 151. Kathe-
drale von Bordeaux und von Limoges. 152. — Burgund. Vezelay,
Montreal, Pout-Aubert. 154. K D. zu Dijon. 155. — Lothringen.
Templerkirche und St. Martin zu Metz, St. Nicolas in Verdun , Kathe-
drale und St. Gengoul in Toul, St. Vincent in Metz, Veseliz, Pont-ä-
Mousson. 156. — Belgien. Rhoiiiischer Styl an St. Servals und
Iiitiali des fnnfien Bandes. XI
N. D. in Maestricht^ StcCroix inLütti';h und N. D. zu Ruremonde, 158.
Uebergangssfyl in der Kathedrale zu Tournay. 160. Kirchen zu
Tournay, Gent;, Brüssel, Ypern, Audenaerde. 1('.4. Klosterkirche zu
Villers. 167. St. Leonhard in I.eau. 16«. Seit 1240 goth. Styl.
Kathedrale von Brüssel, Kirche zu Tongern, Gent , Löwen, Diest^
Ypern, Brügge, Dinant, Furnes, Maestri cht, Huy, Chor der Kathedrale
zu Tournay. 169. ff.
Viertes Kapitel. Der frühgothische Styl in England. S. 171.
Decorativer Reichthum des späteren normannischen Styls, Kapitelhaus
zu Bristol. 173. Schlankere Formen, Kathedrale zu Ely, Norwich^
Oxford. 174. Anwendung des Spitzbogens in den Klosterkirchcö von
Kirkstall, Buildwas, Fountains, Byland, Malmsbury. 175. Gleichzeitig
mit hochsäuligen norman. Bauten (Gloucester,Hereford, Oxford, Tewkes-
bury, Romsey). 177. Chorbau der Kathedrale zu Canterbury durch
Wilh. von Sens. 180 ff. Uebergang zu gothischer Formbildung, Temp-
lerkirche zu London, Vorhalle zu Durham, Kathedrale von Chichester
und "Winchester, Abteikirchen St. Albans und Fountains, Kathedrale zu
LiHcoln und Worcester. 185 — 189. Frtihenglischer Styl. Kathe-
drale von Salisbury. 190. Münster zu Beverley. 193. Kirche zu
Southwcll, Kathedrale von Wells und Rochester, York, Lincoln, Peter-
borough, FAy , Kirche zu Romsey u. a. 194 ff. Abweichender Styl von
Westminster. 196. Eigenthümlichkeiten des frühenglischen Styls.
Grundriss. 198. Fagadenbildung. 199. Inneres. 203. Pfeiler. 204.
Kapitale. 20ö. Ornamente. 206. Fenstermaasswerk. 208 ff. Gewölb-
formen. Kapitelhäuser zu Worcester, Lichtield, Salisbury, York, Lincoln,
Westminster in London. 211 ff. Charakteristik des früh englischen
Styls. 217.
Fünftes Kapitel. Der deutsche Uebergangsstyl ; die Schulen decorativer
Tendenz. S. 220.
Anhänglichkeit an den romanischen Styl und deren Ursachen. S. 221.
Si)ätromanischer Styl in Sachsen. 225. Die goldene Pforte zu Frei-
berg. 227. Arabische Motive. Schlossbauten zu Gelnhausen, Münzen-
berg, Wartburg, Wimpffen am Neckar, Seligenstadt, Nürnberg, Eger,
Landsberg, Freiburg a. d. Unstrut. 230. Die Michaeliskirche zu Hildes-
heim. 233. Gandersheim , Wunstorf, Hamersleben, Königslutter,
Richenberg, Aegidienkirche zu Nürnberg. 233.
Gewölbebauten, Dom zu Braunschweig und verwandte Bauten. 234.
Kirche zu Melverode. 236. Heiningen, Kloster Neuwerk in Goslar
u. a. 238. Conradsburg. 240. ,
XH Inhalt des fünften nandes;
Rheinischer Uebergangsstyl, Entstehen und Charakteristik'. 2411?.
Klosterkirche zu Knechtsteden , Chor von St. Gereon in Köhi. 246.
St. Martin und St. Apostel zu Köln. 247. Dom und St. Mathias zu.
Trier. Kirchen zu Roth und Merzig. 251. St. Thomas a. d. Kyll. 253.
Kirche zu Heisterbach. 255. St. Quirin zu Neuss, Kirche zu Sayn,
St. Castor zu Coblenz, Lyskirchen, St. Maria im Kapitol, St. Pantaleon
zu Köln, Brauweiler. 257 ff. St, Georg zu Köln, Ramersdorf. 259.
Kobern, Schlosskapelle zu Vianden. 261. Andernach. 262. Boppard,
Bacharach, Sinzig, Heimersheim, Linz, Erpel, Münstermaifeld. 263 ff.
Münster zu Bonn. 264. Kirche zuSayn, Gerresheim, St. Andreas,
St. Apostel, Sion, St. Martin zu Köln, Abteikirche Rommersdorf. 265 ff.
St. Cunibert in Köln. 267. Provinz Mainz; Speier, Dom und St. Paul
zu Worms , Westchor zu Mainz. 268. Klosterkirchen zu Enkenbach
und Otterberg. 270. Kirche zu Gelnhausen. 270. Seligenstadt,
Pfaffen -Schwabenheim, St. Leonhard zu Frankfurt, Kreuzgang zu
Aschaffenburg. 272.
Frühe Gewölbebauten im Elsass, zu Gebweiler, Neuweiler, Pfaffen-
heim. 273 ff. Münster zu Strassburg. 277. Langsameres Fortschreiten
in Schwaben; Altbreisach, Petersliausen , Basel. 278. Phantastische
Sculpturen in Schwaben und Bayern. 279. Schottenkirche zu Regens-
burg. 280 ff. Altenstadt bei Schongau. 282.
Oesterreichische Provinzen. 283. Rundbauten als Todtenkapellen
oder Pfarrkirchen. 284. Phantastische Decoration in Schöngrabern.
285. Prachtportale in Wien u. a. a. 0. 286. Portal an St. Maria
Magdalena in Breslau. 288. Böhmen. Kirche zu Mühlhausen bei
Tabor, zu Altbunzlau, Tepl u. a. 289.
Sechstes Kapitel. Der deutsche Uebergangsstyl ; die Schulen mehr con-
structiver Richtung. S. 290.
Westi)halen. Gegensatz gegen die Rheinlande. 2-91. Ausbildung
der gewölbten Basilika. Boke, Horste, Dortmund, Brakel, Koes-
feld u, a. 291 ff". Rechtwinkeliger Chorschluss , Dome zu Osnabrück,
Minden, Münster. 293. Ausbildung der Hallenkirolie. 294. Derne,
St, Servatius zu Münster u. a. 295. St. Maria zur Höhe und St. Thomas
in Soest, Ober-Marsberg, Münster zu Herford u. a. 296. Spitzt>ogigc
Arcaden bei rundb. Fenstern, Elsey, Barsinghausen u. a. 297. De-
tails. 298. Dom zu Paderborn. 299. Dom zu Bremen. 300. Nörd-
liches Deutschland, Ziegelbauten. Einfluss des Materials auf
die Formbildung. 301. Volkscharakter. 304. Kirche zu Jerichow. 305
Dom und St. Nicolai zu Brandenburg. 306. Kirche zu Dobrilugk,
liiliah de& lüiifieii Baoclcs. XIII
Treuenbrietzen und Arendsee. 307. Marienkirche bei Brandenburg. 309.
Dom zu Ratzeburg, Gadebusch, Vietlübbe u. a. 310. Pommern.
Bergen, Eldena, Colbatz, Oliva. 311.
Der Cistercienserorden. 312. Verfassung und Tendenz des-
selben. Einfachheit der Bauten. 316. Einflüss des frühgothischen
Styls auf ihren Styl. 317. Verbreitung des Ordens in Deutschland. 319.
Verschiedene "Weisen des Chorschhisses. 320. Bronnbach bei Werth-
heim. 322. Choranlage mit parallelen Kapellen in Frankreich, Italien
und Deutschland; Eberbach, Loccuni, Zinna. 326 ff. Rechtwinkeliger
Chor mit zahlreichen Kapellen. Riddagshausen. 328. Ebrach. 330.
Arnsburg. 331. Marieufeld, Marienthal, St. Burchard, Amelunxborn,
'. Salem. 332. Viereckige Cliorräume, Heilsbronn, Roda, Hayna,
Pelplin, Otterberg. 333. Andere Formen des Chorschlusses. Lilien-
feld, Ileisterbach u, a. 333 ff. Einflüss der Cistercienser auf den
deutschen Baustyl. 336.
Uebergangsbauten strengerer Richtung mit Gewölben und spitz-
bogigen Arcaden. 337. Fritzlar. 339. Dom zu Naumburg. 340
Mildenfurth. 343. Dom zu Bamberg. 345 ff. St. Sebald zu Nürn-
berg. 348. Münster zu Basel. 349. Neufchatcl, Zürich, Chur. 351.
Gewölbanlagen in Oesterreich, Salzburg, "Wiener Neustadt u. a. 352.
Verbreitung rheinischer Decoration. Halberstadt, Nordhausen, Mühl-
hausen, Arnstadt, Vorhalle zu Maulbron^i, Kapelle zu Heilsbronn. 354 ff.
Siebentes Kapitel. Der deutsche frühgothische Styl. S. 358.
Der Dom zu Magdeburg. 359. St. Georg zu Limburg. 361. verglichen
mit der Kathedrale von Noyon. 363. Kirche zu Werden. 364. St.
Gereon zu Köln. Die Liebfrauenkirche zu Trier. 365. verglichen mit
St. Yved in Braine. 368. Kreuzgaug zu Trier. 370. Offenbach am
Glan, Garden, Münstcrmaifeld, Hirzenach, Dominikanerkirche zu Coblenz,
Carmeliterk. zu Kreuznach. 371 ff. St. Elisabeth in Marburg. 373.
Die hessischeSchule, "Wetzlar, Geisnidda. 377. Westphalen, St.Nico-
laikapelle zu Ober-Marsberg, Jacobikirche zu Lippstadt, Dom zu Pader-
born, Pfarrkirche zu Hamm. 377 ff. Nienburg a. d. Saale. 379.
Rheinlandc, lange Beibehaltung des Uebergangsstyls , Remagen,
Schloss Reichenberg. 380. Marienstatt. 382. Allerheiligen. 383.
Elsass. Neuweiler, Ruffach, Schlettstatt. 384. Münster zu Strass-
burg und Freiburg. 385. Mauresmünster, Colmar, AVeissenburg. 393.
Der Dom zu Köln, seine Geschichte. 394 ff. Baumeister des Chors.
411 ff. Vergleichung mit den Kathedralen von Araiens und von Beau-
•; . yais. 415. Kirche zu Altenberg. 420, Dominikaner und Minoriten
XIV [iilialt des fünften Bandes.
ZU Köln. 421. München-Gladbrch. 422. Sf. Victor in Xanten. 423.
Ahrweiler. 424. Stiftskirche zu Oppenheim. 425. Kathedrale zu
Utrecht. 426. St. Barbarakapelle zu Mainz. 427. Westphalen.
Dom zu Minden. 428. Minoritenkirche zu Soest. 432. Sachsen-
Klosterkirchen zu Pforta und Heiligenkreuz. 432. Dom zu Magde-
burg. 433. Westchor zu Naumburg, Dom zu Halberstadt. 434. zu
Meissen. 437. Kreuzgang des Doms zu Erfurt. 439. Die Bettel-
orden. 440. Prediger- und Barfüsserkirche zu Erfurt. 441. St.
Aegidienkirclie zu Braunschweig. 442. Schwaben. St. Dionysiu?,
Dominikaner und Franciskaner zu Esslingen, Schwäbisch-Hall, Reut-
lingen. 443. Stiftskirche zu Wimpfen im Thale. (Opus francigenum).
444. Cistercienserkirclie zu Salem. 446. Franken. Chorbauten
zu Bamberg, Heilsbronn, Eichstädt. 448. Lorenzkirche zu Nürn-
berg. 449. Bayern. Regensburg: alte Pfarrkirche. 451. Domini-
kanerkirchc. 452. Dom. 453. Bölimen und Mähren. Agnes-
kloster in Prag, Tischnowisc, Bartholomäuskirche zu Kolin, Synagoge
2U Prag. 455. Oesterreich. Langes Beibehalten des romanischen
Styls und vereinzelte Anwendung des gothischen. Klosterneuburg. 457.
Die Länder des Ziegelbaues, Gestaltung des gothischen Styls unter
dem Einflüsse des Materials. 458. Holland. 461 ft'. Zwischen Weser
und Elbe Hallenkirchen, Dom zu Verden, Kirche zu Lüneburg. 464.
Marienkirche zu Lübeck. 465. Mark Brandenburg. Frankfurt,
Lehnin, Chorin, Klosterkirche zu Berlin. 467 ft". Schlesien. Doia-
chor, Kreuzkirche , St. Martin zu Breslau , Schlosskapelle zu Ratibor.
472 fi". Pommern. Colbatz, Cammin, Stralsund, Greifswald. 475 tf,
Rückblick. 476.
Achtes Kapitel. Die Malerei in ihren verschiedenen Zweigen. S. 477.
Enge Verbindung der darstellenden Kunst mit der Architektur. 478.
Verhältniss zur Natur; die Bet^tiarien. 480. Vorherrscheud stylistischo
Auffassung. 481. Das Symbolische in neuer Gestalt. 482. Die
Miniaturmalerei. 483. In Deutschland 1150—1200. Hortus
deliciarum u. a. Evangelienbuch für Heinrich den Löwen u. a. 488.
Initialen mit figürlichen Darstellungen. 490. — 1200 — 1250. Psal-
terium aus Trebnit/, Mater verborum zu Prag. 491 ff. Psalterium des
Landgrafen Hermann u. a. 493. Werner von Tegernsee und Conrad
von Scheyern. 495. Leichtere, dramatische Zeichnung in poetischen
Werken. Tristan der Münchener Bibliothek; Bilderbibel des Welleslaus in
Prag. 497. — 1250 — 1300. Stylgemässe, aber gleichgültigere Behand-
lung. 498. Frankreich. 500. Gewerblicher Betrieb der Miniatur-
malerei in Paris. 501. Ausbildung eines festeren Styls. 503. Der
lulialt lies fiiiiftea Bandes. XV
Psalter des li. Ludwig. 503. England. 505 ff. Deutsche Wand-
Malerei. 507. Schwarz-Rheindorf. 508. Brauweiler, Kapitelsaal.
510 ft'. und Kirche. 512. Rheinlande, 514 ff. Soest, Münster und Nico-
laikapelle. 516. Methler. 517. Liebfrauenkirche zu Halberstadt. 519.
Meraleben. 520. Deckengemälde zu Hildesheim. 522. Dom zu
Braunschweig. 523. Holland, Kirche zu Gorkum. 526. Süddeutsch-
land, Forchheim, Kentheim, Bamberg, Regensburg. 527. Oesterreich.
Im Dome zu Gurk. 528 ff. Schweiz. 531. — Tafelmalerei noch
wenig geübt. 531 ff". Einzelne üeberreste aus dieser Epoche, besonders
in der Wiesenkirche zu Soest. 534. Teppiche und gravirte Platten.
536. Teppiche zu Quedlinburg, Beispiele antiker Tradition. 537.
Wandmalereien in England unter Heinrich HL 539. Französische
Wandgemälde. 541.
Glasmalerei. 543. Wo ist sie erfunden? 544. Frühe Ver-
breitung in Frankreich. 545. Üeberreste des 12. Jahrhunderts in
St. Denis. 546. In Angers u. a. a. 0. 547. Blüthe dieses Kunst-
zweiges im 13. Jahrhundert. 548. Deutschland. Augsburg. 550.
St. Cunibert in Köln u. a. 551.. England. 554. Technik der da-
maligen Glasmalerei. 555. Durchgeführte Polychromie. 557. Ihre
Bedeutung erklärt aus einer Aeusserung des Theophilus. 558. Fuss-
böden mit historischen Darstellungen. 560. Mosaik in glasirten
Ziegeln. 561. Frankreich und England. 563. Deutschland. 564.
Die s. g. Labyrinthe. 565.
Neuntes Kapitel. Die Plastik. S. 566.
Frankreich. Strenger architektonischer Styl in Chartres, St,
Denis u. a. a. 0. 567 ff. Aufkommen des freieren Styls am Anfange
des 13. Jahrh. 569. (Grabsteine, Fontevrault, Amiens, St. Denis. 570.
Kirchliche Sculpturen, Laon, N. D. von Paris, Amiens. 571 ff. Die
Zeit Ludwigs IX. St. Chapelle zu Paris, Kreuzschiffe zu Chartres,
Kathedrale von Rheims. 573 ff. — Deutschland, auch hier ein
strenger Styl. Georgenchor zu Bamberg. 577. Schottenkirche zu
Regensburg u. a. süddeutsche Sculpturen strengeren Styls. 579. Gal-
luspforte am Münster zu Basel; Freising, Reichenhall, Seligenthai, 580.
Die sächsische Schule, Gernrode, Kanzel zu Wechselburg. 581.
Goldene Pforte zu Freiberg. 582 ff. Altar zu Wechselburg. 584.
Eindringen der gothischeu Plastik, Liebfrauenkirche zu Trier. 586.
Wetzlar und Dom zu Bamberg. 587. Standbilder in den Domen zu
Naumburg und zu Meissen. 589 ff. Portale zu Münster und zu Pader-
born. 591. Münster zu Freiburg und Strassburg. Fagade Erwin's
XVI liilialt des fiinftcii Bandes.
von Steinbach; die Bildnerin Sabina. 592 ff. Der bewegte Styl auf
Grabsteinen. 594. — England, plötzlicher Uebergang aus stylistischer
Rohheit zu feiner Behandlung. 597 ff. Grabsteine 569. Ritterliche.
600. Gräber der Westminsterkirche. 601. Ein italienischer Meister.
6"02. Grössere kirchliche Sculpturen, Kathedrale von Wells. 603.
Der Engelchor zu Lincoln. 604. Charakterköpfe in decorativer An-
wendung. 607.
Elfenbeinplastik. — Erzguss und Goldschmiedekunst vor-
zugsweise in Deutschland und Lothringen geübt. 608. Eherne Thüren
von deutscher Arbeit zu No\gorod und Gnesen. 609. Kronleuchter
des Münsters zu Aachen u. a. a. 0. 610 ff. Weihrauchgefässe. 615.
Taufbecken zu Osnabrück, Hildesheim, Würzburg. 616 ff. Email.
Der Altaraufsatz des Nicolaus von Verdun zu Klosterneuburg. 619.
Reliquienschreine, vorzugsweise in Köln und am Niederrhein. 622 ff.
in den Niederlanden und in Nordfrankreich. 624. Metallarbeiten und
Emails der Schule von Limoges, 627. Grabmäler in England. 629.
Stylvolle Schmiedearbeiten und Tliürbeschläge. 630.
Verzeichniss der Abbildungen.
Fig. Seite
1. Inneres der Kathedrale von
Noyon 45
2. Grundriss des Chors von St. Remy
in Rheims 48
3. Choransicht von Notre-Dame zu
Chälons sur Marne .... 51
4u.5. Fenster aus derselben Kirche 52,53.
6u.7. Inneres und Grundriss der
Kathedrale von Laon . . .57, 58
8. Grundriss der Kath. von Paris . 60
9. Desgl. der Kath. von Sens . . 61
10. Thurm der Kath. von Laon . . 66
11. Fenster v. St. Leu d'Esserent . 74
12. Fenster aus der Ste Chapelle zu
Paris 75
13. Grundriss von St. Yved in Braine 77
14. Grundriss des Chors der Kathe-
drale in Rheims 84
15. Grundriss der Kath. von Amiens 85
16. Grundriss des Chors der Kath.
von Chartres 86
17. Grundriss der Kath. zu le Mans 88
18. Pfeiler der Kath. zu Rheims . 90
19. Desgl. der Kath. zu Amiens . 91
20u.21. Grundriss und Durchnitt der
Ste Chapelle zu Paris . . 97-98
22. Facade der Kath. von Rheims . 103
23. Portal derselben Kirche . . . 105
24. Facade von St. Nicaise zu Rheims 108
25. Grundriss v. St. Etienne in Caen 128
Fig. Seite
26. Aussenansicht des Chors derselben
Kirche 129
27. Grundriss von St. Nazaire zu Car-
cassonne 139
28 Desgl. der Kath. von Poitiers . 147
29. Aus dem Seitenschiffe ders. Kirche 149
30. Ansicht der Liebfrauenkirche zu
Ruremonde 159
31. Seitenansicht der Kathedrale von
Tournay 161
32. Inneres derselben 162
33u. 34. Fenster aus St. Jacques in
Tournay 164-65
35. Facade von St. Quentin daselbst 165
36. Fenster ausNotre-Dame de la Cha-
pelle zu Brüssel 166
37. Choransicht von Notre-Dame zu
Audenaerde 167
38-41. Durchschnitt und Details der
Klosterkirche von Villers , 168-69
42. Bogenstellung von der Kath. von
Canterbury 173
43. Desgl. von der Kath. von Oxford 175
44. Arcade aus der Klosterkirche zu
Malmesbury 176
45. Desgl. aus der Kirche zu Romsey 178
46. Grundriss der Kath. von Canter-
bury 183
47. Desgleichen der Kathedrale von
Salisbury 191
XVIII
Verzeichniss der Abbildungen.
Fig. Seite
48n.49. Pfeiler und Triforium ders.
Kirche 192
50. Aeusseres des Münsters von Be-
verley 193
.51u.52. Inneres und Triforium ders.
Kirche 194-195.
53. Triforium der Kathedrale von
Salisbury 203
54. Pfeiler aus der Kathedrale von
Lincoln 204
55. Kapitälaus der Kirche zu Romsey 205
56. Pfeileraus derKath. v. Salisbury 205
57. Sternornamont 206
58. Zahnornament 206
59. Arcade aus dem Kapitelhause
von Salisbury 207
60. Fenster vom Dome zu Halberstadt 208
61. Desgl. der Kath. zu Oxford . 209
62. Desgl. aus Merton -College zu
Oxfoi-d 210
63. Desgl. a.d. Kapitelhause zuWells 210
64. Grundriss des Kapiielhauses zu
Lichfield 213
65. Desgl. des Kapitelhauses von
Salisbury 214
66. Arcade a. d. Kapitelhatise von
Salisbury ...'•.. 215
67. Die goldene Pforte am Dome zu
Freiberg 229
68. Kapital a. d. Kaiserhause zu Geln-
hausen 230
69u.70. Grundriss und Durchschnitt
der Kirche zu Melverode 237 u. 238
71. Fächerfenster in der Kirche zu
Neuss 243
72. Basis a. d. Kapelle zu Kobern . 244
73. Ringsäule aus der Kirche zu
Ramersdorf 244
74. Grundriss der Apostelkirche zu
Köln 250
75. Choransicht derselben . . . 251
76. Grundriss und Durchschnitt der
Kirche zu Heisterbach . . . 254
77. Grundriss der Kirche zu Bamers-
dorf 260
78. Giebel vom Chore der Kirche zu
Gelnhausen 271
79 u. 80. Grundriss und Durch-
Fig. Seite
schnitt der Peter und Panlskirche
zu Neuweiler .... 275 u. 276
81. Aus dem Kreuzgange des gros-
sen Münsters zu Zürich . , . 277
82 u. 83. Grundriss u. Durchschnitt
von St. Servatius in Münster . 295
84 u. 85. Würfelkapitäl und Bogen-
fries aus Jerichow 302
86. Grundriss der Marienkirche bei
Brandenburg 309
87. Durchschnitt der Klosterkirche
von Bronnbach 323
88. Säulenbasis aus ders. Kirche . 324
89. Grundriss der Klosterkirche zu
Loccum 326
90 u. 91. Grundriss U.Durchschnitt der
Klosterkirche zu Riddagshausen 328
92. Console aus derselben Kirche . 329
93. Grundriss der Kirche zu Lilien-
feld 334
94. Desgl. des Doms zu Bamberg 345
95. Portal zu Heilsbronn .... 356
96. Kapital aus dem Domchore zu
Magdebm-g .... . . 359
97. Grundriss des Chorschlusses
derselben Kirche . , . . 360
98. Durchschnitt von St. Georg zu
Limburg 362
99. Desgl. der Kathedrale zu Noyon 363
100. Grundriss der Liebfrauenkirche
zu Trier 366
101. Desgl. von St. Yved in Braine . 367
102 u. 103. Grundriss u. Durchschnitt
der Elisabethkirche zu Mar-
burg 373-374
104. Chor der Kirche zu Marienstatt 381
105. Grundriss des Münsters zu Strass-
burg 387
106. Desgl. desMünsters zuWeissen-
burg 393
107. Desgl. der Kathedrale v. Amiens 406
108. Desgl. des Doms zu Köln . . 408
109-111. Pfeiler, Kapital, Fenster-
giebel derselben Kirche . 417-418
112. Chorgrundriss der Stiftskirche
zu Xanten 423
113. Desgl. der Kirche zu Ahrweiler 424
114. Fenster aus dem Dome zu Minden 430
Verzeichniss der Abbildungen.
XIX
Fig. Seite
115 u. 116. Grundriss ii. Diirclischnitt
des Doms zu Halberstadt . 436-437
117 u. 118. Grundriss der Kloster-
kirche zu Salem 445
119. Desgl.derMarienkirche zuLübeck 466
120. Facade der Kirche zu Chorin . 470
121. Grundriss der Klosterk. zu Berlin 472
122. Miniatur aus dem Hortus delici-
arum 487
123. Initiale aus dem Psalter des Land-
grafen Hermann 489
124. DesgL aus der Mater verborum 491
125. Miniatur aus dem Tristan der
Münchner Bibliothek .... 496
126. Wandgemälde ans Schwarz-
rheindorf 508
127. Gewölbmalerei aus dem Kapitel-
saal zu Brauweiler . . . . 512
128. Wandgemälde aus der Kirche
daselbst 513
129. Desgl. aus St. Gereon zu Köln 514
130. Deckenmalerei aus St. Michaelis
zu Hildesheim 521
131. Wandmalerei a. d. Dome zu Gurk 529
Fig. Seite
132. Tafelbild aus der Wiesenkirche
zu Soest ^ 535
133 u. 134. Statuen von der Westseite
der Kathedrale zu Chartres . . 567
135. Statuen vom Kreuzschiffe ders.
Kathedrale 572
136 u. 137. Statuen von der Kathe-
drale zu Rheims 576
138. Engeiskopf vom Georgenchor zu
Bamberg 578
139. Statue der Kaiserin Kunigunde
von demselben Dome .... 587
140. Statuen aus dem Dome zu Naum-
burg 588
141. Statuen vom Münster zu Strass-
burg 593
142. Grabgestalt aus der Kathedrale
zu Gloucester 600
143. Gravirte Platte vom Kronleuchter
in Aachen 613
144. Email aus Klosterneuburg bei
Wien 620
145. Schrein der heil, drei Könige
im Dome zu Köln 623
Achtes Buch.
Die Zeit der Entstellung und Ausbildung des gothischen
Styls. Von der Mitte des zwölften bis gegen das Ende
des dreizehnten Jahrhimderts.
Erstes Kapitel.
Historisclie Einleitimg.
Die vorige Epoche giebt, so stürmisch und gCAvaltsam es im Einzelnen
hergehen mochte, ein Bild geistiger Ruhe; die Anschauungen und Anforde-
rungen, die Institutionen und Verhältnisse blieben dieselben, entwickelten
sich nur allmälig mit grösserer Klarheit. Die, welche wir jetzt beginnen,
zeigt dagegen bis zu ihrem Schlüsse eine fortwährende Bewegung; vielleicht
kann kein anderes Zeitalter im ganzen Umfange der Geschichte ein so jugend-
lich frisches Treiben und Fortschreiten aufweisen. Das Ritterthum bildete
sich aus und gab feste gesellige Verhältnisse ; bürgerliche Sitte und städtische
Verfassungen entstanden, die fürstliche Gewalt fasste ihre Aufgabe richtiger
ins Auge, das ganze complicirte System bedingter Selbstständigkeit und
aristokratischer Gliederung im Staate und in der Kirche entwickelte sich.
Das Nationalgefühl erwachte, die Landessprachen tönten lustig und feierten
ihre Jugend in kühner Poesie, die Scholastik bemächtigte sich nicht bloss
der Schule, sondern wirkte auch vielfach auf das Leben ein, das religiöse
Gefühl wurde inniger, hingebender und zugleich klarer. Eine Fülle von
scheinbar einander widersprechenden Kräften regte sich gleichzeitig, und
das Ganze bildete dennoch, statt von ihnen gesprengt zu werden, einen
wohlgeordneten Organismus mit allseitiger Wechselwirkung seiner einzelnen
Theile.
Fragen wir nach den Ursachen und der Richtung dieser Bewegung, so
ist zunächst zu bemerken, dass sie ganz auf dem Grunde fusste, der in der
vorigen Epoche gelegt war, auf dem Begriffe eines christlichen Weltregi-
ments, einer sichtbaren, mit dem Staate in Wechselwirkung stehenden
Schnaase's Kimstgeseh. 2. Aufl. V. l
9 Historische Einleitung.
Kirche. Dieser Begriff war in der vorigen Epoche einseitig, aber auch so
kräftig ausgeprägt, dass er für eine Reihe von Jahrhuudeiteu als uner-
schütterliche Voraussetzung feststand. Aus ihm ging nun. wie aus einem
harten aber kräftigen und gesunden Stamme der reiche Schmuck von Aesteu
und Zweigen mit ihren Blättern und lieblichen Blüthen, die weitere Ent-
wickelnng hervor, imd rasch, wie vom Hauche des Frühlings angeweht,
stand der ganze Baum in der vollen Pracht seiner Erscheinung da. "Wenn
man betrachtet, in wie verhältuissmässig kui-zer Zeit diese Umgestaltung des
öt^entlichen und des imlividuellen Lebens auf allen Gebieten vollbracht
wurde, muss man über die Fülle von Begeisterung, Kraft und Ausdauer er-
staunen, welche dieser Zeit verliehen war.
Es war nicht etwa das fortreissende Beispiel einzelner gi-osser Männer,
auch nicht gerade der Eintluss erschütternder Ereignisse, was dieses Wunder
bewirkte, es war das Eeifen der inneren Kraft, das plötzlich auf allen Gebieten
neue Erscheinungen her vortrieb.
Allerdings hatten die Kreuzzüge und ihre Folgen, die nähere Bekannt-
schaft der abendländischen Völker mit der alten Civilisatiou der Griechen und
mit der praktischen Gewandtheit und Lebeusklugheit der Araber, die Eröff-
nung neuer Handelswege, das durch die Geldbedürfnisse des Adels bedingte
Emporkommen der Städte und der fürstlichen Macht, wesentlichen Einfluss aut"
die Umgestaltung der bisherigen Zustände. Aber alle diese Umstände wurden
nur durch die veränderte Stimmung der Völker so wichtig, sie bildeten nur
Beförderungsmittel, nicht die eigentlichen Ursachen dieser Entwickelung.
Die Kreuzzüge selbst gleichen den Aequinoctialstürmen, welche dem Erblühen
der Erde vorhergehen, es scheinbar hervorrufen, aber dennoch nur die
Folge des Sonnenlaufs luid der dadurch bewirkten Erdwärrae sind, welche
nach diesen Stürmen, aber nicht vermöge derselben in tausend Blüthen
hervorbricht.
Der innere Grund des ganzen Prozesses war die religiöse Begeistenmg,
welche, durch die Entwickelung der Kirche genährt, durch die starre Auf-
fassung des Begriffs der Tradition tmd durch die ascetische Behandlung des
Lebens wie diu'ch einen Winterfrost bisher zurückgehalten aber auch er-
starkt, nun, durch die äusseren Ereignisse und namentlich auch durch die
Kreuzzüge von diesem Zwange befreit, ihre Flügel mächtig regte. Die Völker
machten die Erfahrimg, dass auch im weltlichen Kleide ein christliches, für
die Sache des Glaubens und der Kirche thätiges Wirken möglich sei, und
diese Erfahi'ung gab ihnen den Autrieb, sich auf allen Gebieten des Lebens
freier zu bewegen. Ein Gefühl erfüllte sie, ähnlich dem der ersten Liebe;
die Welt erschien ihnen, obgleich dieselbe und von demselben Standpunkte
aus betrachtet, in verändertem Lichte, sie traten ihr mit unbestimmtem,
aber hoffnimgsvoUem Verlangen entgegen, sie waren sich bewusst, nach
Bewegeude Ursachen. Kirchliche Verhähoisse. 3
«iuem höhereu, jedes Opfers würdigeu Gute zu ringen, und erlaugten da-
durch den Muth und die Ausdauer, auch das Schwerste zu wagen. Diesem
geistigen Streben kamen denn auch, nach dem in der "Weltgeschichte stets
erkennbaren "Walten der Vorsehung, die äusseren Umstände begünstigend
entgegen und gabeu Erfolge, die zu neuen Schritten ermuthigten.
Obgleich der Grund dieser umgestaltenden Thätigkeit ein einiger war,
äusserte sie sich doch in zwei verschiedenen Richtungen und Formen, in der
des abstracteu, kalten und reflectirenden Verstandes und in der des über-
schwänglichen Gefühls. Allerdings sind bei allen concreten Erscheinungen
beide Kräfte wirksam, aber gewöhnlich so, dass die eiue oder die audere
überwiegt und den Lebensäusserungen ihi'en Charakter giebt. Hier dagegen
finden wir beide gleich thätig und in einzelnen Erscheinungen das Gefübl,
in anderen den abstractesteu Verstand vorwaltend, oft beide zugleich in
äusserster Schärfe ausgeprägt. Offenbar ist dies die "Wii-kung des grossen
Gegensatzes der Tradition gegen die Naturki-aft der Völker, der sich nun iu
veränderter, minder schi-offer Gestalt zeigte. Die Tradition trat nicht niehr
als unerörtertes Gesetz auf, sondern liess sich in verständigen Argumenten
vernehmen, das Xaturelement entwickelte sich zu feineren Gefühlen. Die
verständige Thätigkeit zeigte sich am reinsten iu der scholastischen "Wissen-
schaft, und wirkte hauptsächlich auf die Umgestaltung der kirchlichen und
politischen Verhältnisse ein, das Gefühlsleben bildete das Ritterthum und
gab dem Volksleben in allen Beziehungen eine veränderte Gestalt. Die
Keime beider liegen allerdings schon iu der vorigen Epoche, ihre Blüthe
und ihre Einwirkung auf das Gesammtleben der Zeit gehört aber der gegen-
wärtigen an.
Betrachten wir zunächst die kirchlichen Verhältnisse, so war schon
die Entstehung der scholastischen "Wissenschaft ein folgenschweres Ereiguiss_
Es lag in ihr eine uubewusste Protestation gegen die unbedingte Herrschaft
der Tradition; mau wollte den Glauben erobern, ihn nicht mehr in der Form
des Buchstabens, sondern mit innerem Verständniss besitzen. Der Eifer,
mit welchem die Schüler den Hörsälen zuströmten, beweist, dass man die
Wissenschaft in diesem Sinne auffasste, dass diesem geistigen Streben ein
Bedürfniss des Gefühls zum Grunde lag. In der That war die Frömmigkeit
zwar nicht eine geringere, aber wohl eine andere geworden, als iu der vori-
gen Epoche. Sie begnügte sich nicht mehr mit blinder Unterwerfung unter
das Gesetz der Kirche, sie war inbrünstiger, selbstthätiger, trat in wäi'meren,
persüülicheu Aeusseruugeu hervor, strebte sich dem Heihgeu zu nähern. Sie
blieb wundergläubig und ^vundersüchtig, aber sie verlangte Wunder anderer
Art, begreiflichere und aumuthigere. Phantasie uud Poesie drangen mehr
in die Gebiete des Glaubens ein; die Vergangenheit trat zurück, die Sage
5chloss sich an die Gegenwart an. Die Kirche musste dieser schwärmeri-
4 Historische Einleitung.
sehen Erregung nachgeben; ihre Glieder waren selbst davon ergriffen; sie
musste subjectivere Aeussernngen der Frömmigkeit gestatten, sich ihnen
anbequemen, neuen Anforderungen genügen, anderen Heiligen den Vorrang
einräumen. Der Mariencultus, freilich schon seit Jahrhunderten in steigen-
der Bedeutung, wiu'de immer mehr vorherrschend, man dachte sich die
Mutter Gottes doch fast in der Weise einer edeln ritterlichen Frau, milde
und nachsichtig, fern von der unerbittlichen Strenge der älteren Kirche, auch
weltlichen Empfindungen, die nicht ohne Eitelkeit und Sünde sein konnten,,
schonende Berücksichtigung gewährend^). Die ritterlichen Heiligen erhielten
immer zahlreichere Altäre; die Feste wurden vermehrt und mit grösserem
Prunk gefeiert, die Dogmatik blieb nicht mehr dieselbe, das Wunder musste
der Gegenwart näher gebracht, die sühnende Kraft zugänglicher werden.
Die Lehre von der Transsubstantiation, die bei ihrer ersten Aufstellung im
neunten Jahrhundert wenig Anklang gefunden hatte, ging jetzt in das Volks-
bewusstsein über; die Scholastik gab ihr den Namen, ein lateranensisches
Concil unter Innocenz HI. die kirchliche Bestätigung. Die Lehre vom Ab-
lass, früher von den Theologen gemissbilligt oder beschränkt, wurde durch
die grossen Scholastiker Albertus magnus und Thomas von Aquino geregelt
und zum System erhoben.
Besonders aber wurde die Stellung der Hierarchie eine andere. Zu-
nächst schien sie zu gewinnen. Indem die Nationen sich ausbildeten und
mächtige Königreiche entstanden, war sie gegen das Uebergewicht der
Kaiser mehr als bisher gesichert. Sie konnte als Vermittlerin und Richterin
zwischen den grossen weltlichen Mächten auftreten, sie erlangte dadurch
das Recht und gewissermaassen die Pflicht, sich auch mit den Zeichen welt-
licher Macht zu umgeben. Es war ihre glänzendste aber freilich nicht mehr
ihre grossartigste Zeit. Sie musste sich auf die Wirklichkeit, auf weltliche
Händel und rechtliche Deductionen einlassen, konnte die Reinheit und Con-
sequenz des Hildebrandinischen Systems nicht bewahren, eine unbedingte,,
auch die weltlichen Gebiete umfassende Herrschaft nicht mehr in Anspruch
nehmen. Sie musste theilen. konnte der Lehre von zwei auf Erden walten-
1) Wie sehr diese Auffassung nicht bloss iu ritterlichen Kreisen, sondern selbst
im Kloster herrschte, beweisen die überhaupt höchst lehrreichen und anziehenden Dia-
loge des Caesarius von Heisterbach (ed. Strange 1851). Der strenge Novizenlehrer
nimmt keinen Anstand, seinem Schüler zu erzählen, wie die heilige Jungfrau (Dist. 7,
cap. 38, Vol. n, p. 49) für einen edeln Ritter, der, um die Messe zu hören, den An-
fang des Turniers versäumt, in den Schranken aufgetreten sei, und in seiner Gestalt
Siege erkämpft habe, wie sie ferner (daselbst cap, 34) die Stelle einer entlaufenen
Nonne im Kloster vertreten, bis diese bussfertig zurückkehrt, wie sie endlich den
von sündhafter Liebe entzündeten Ritter durch ihre Schönheit und durch ihren Knss
geheilt habe (daselbst cap. .82).
Veränderte Stellung der Hierarchie. 5
den Schwertern nicht anhaltend widersprechen. Auch die Fürsten waren
besser berathen, wussten die Consequenzen ihrer von Gottes Gnaden stam-
menden Gewalt besser zu ziehen, hatten die Völker oft auf ihrer Seite.
Selbst der heilige Ludwig unterwarf die über ihn verhängte Excommunica-
tion dem Spruche seiner Richter, und einzelne Städte hielten sich berechtigt,
päpstlichen Aussprüchen Anerkennung und Folgeleistung zu versagen ^). Der
Kampf weltlicher und geistlicher Herrschaft währte daher noch fort, ent-
brannte heftiger wie je, aber er bewegte sich in festen Bahnen, vermochte
nicht mehr die Gemüther zu verwirren. Es handelte sich nicht mehr um die
Allgewalt der einen oder der andern Macht, sondern um die Grenzen beider;
man stritt nicht mehr über allgemeine Begriffe, sondern über bestimmte
Hechte; man stützte sich auf Urkunden und Präcedentien. Und ebenso
verhielt es sich in staatsrechtlicher Beziehung. Das Einzelne war noch, viel-
fach dunkel und uugewiss, aber die allgemeinen Begriffe des Lehnsstaates,
der städtischen Freiheiten, der königlichen Gewalt standen fest, man hatte
Analogien und urkundliche Entscheiduugsquellen. Alle Verhältnisse begannen
sich zu ordnen. Ueberall war man aus der Sphäre des Unbedingten und Theo-
retischen auf den festen Boden des W^irklichen und Ausführbaren gelangt.
Bei allem diesem war denn die Scholastik höchst wichtig. Die
Uebung im Distinguiren, im Umgrenzen und Feststellen von Begriffen, welche
sie an schwierigen Glaubenslehren erlangt hatte, machte sie höchst geeignet,
das Chaos rechtlicher Ansprüche zu ordnen. Sie führte daher wie in der
Theologie so im öffentlichen Leben das Wort und blieb auch den Spitzfindig-
keiten ritterlicher Courtoisie nicht fern, so dass auf der Oberfläche des
Lebens, in Staat und Wissenschaft, in rechtlichen und staatlichen Verhält-
nissen, in der Schule und in vornehmen Kreisen der scharfe Ton scholasti-
scher Dialektik herrschte.
Dies abstracto Element erforderte und erhielt dann aber sein Gegen-
gewicht durch die Natürlichkeit der Sitte und durch die Wärme und Frische
des Gefühls, welche sich im Volke und bei den höheren Ständen, in reli-
giöser Beziehung wie in der Freude des Genusses geltend machte. Das
Leben war noch keinesweges milde und geebnet. Die ritterliche Sitte
musste manche Härten gestatten und war jedenfalls ausser Stande, die
rohen Gewohnheiten, welche seit Jahrhunderten bestanden, zu vertilgen
und die Ausbrüche der Leidenschaft und Begierde zu bändigen. Selbst
in der höchsten Sphäre, an den Höfen der Könige, unter Staatsmän-
nern und Kirchenfürsten, geht es noch oft her wie in den Kreisen
roherer Stände oder halbgebildeter Jugend. Aus unbedachten oder über-
1) Zürich (Joh. V. Müller, Schw. G. Bd. I, Kap. 16, S. 373), Parma (v. Raumer's
Hoheiistaufen III, 341) und sonst häufig.
ß Historische Einleitung.
müthigen Worten, aus iiberschwänglichen Aeusserungen des Gefühls entstehe»
Missverständnisse und Unschicklichkeiten, die sofort von der andern Seite
in gleicher Weise erwiedert werden, und bei dem allseitigen Mangel an
Selbstbeherrschung und Klarheit schnell zu aufgeregten Scenen, zum blutigen
Streite oder auch zu Thränen und gewaltsamen Ausbrüchen wärmeren Ge-
fühls führen.
Allein diese jugendlichen Schwächen wurden durch die Vorzüge der
Jugend aufgewogen. Die Welt war mehr als je begeisterungsfähig und von
grossen Ideen bewegt; die kleinlichen Rücksichten des bürgerlichen Lebens,
die conventioneile Lüge angelernter Formen, der geregelte, kalte Egoismus,
den die Civilisation begünstigt, kamen noch nicht auf; das Wort entsprang
noch aus dem Herzen, wenn nicht aus der tiefsten bleibenden Wahrheit,
doch aus der Stimmung des Moments. Liebe und Hass, Beständigkeit und
Wankelmuth, Kraft und Milde traten, wo sie vorhanden waren, unverkenn-
bar ans Licht. Selbst die tragischen Ereignisse, zu welchen die leiden-
schaftlichen Verirrungen führten, dienten dazu, die Tiefen der menschlichen
Natur zu erschliessen und das Mitgefühl wach zu erhalten. Es herrschte
eine poetische Stimmung, welche den wirklichen Ereignissen für die Mit-
lebenden, wie für uns Entfernte, den Reiz der Dichtung verlieh.
In anderen Zeiten stehen die poetischen Elemente in einem Gegensatze
zu den Regeln gesetzlicher Ordnung, oder suchen sich doch ihnen zu ent-
ziehen. Hier dienten gerade die Institute höherer Gesittung zur Entwicke-
lung des poetischen Sinnes. Das Ritterthum, ungeachtet seiner aristokrati-
schen Absonderung von den unter ihm stehenden Ständen, gab doch wieder
Motive, welche die Unterschiede aufhoben und ausglichen. Es beruhete
seinem Gedanken nach auf einer Erhebung über äusserliche Rücksichten.
Macht, Reichthum und alle Gaben des Glückes sollten moralischen Vorzügen
nachstehen, ein gemeinsames Band des Gelübdes verschiedene Stufen des
Ranges umfassen. Die Fürsten, die über Land und Leute geboten, die Be-
sitzer ausgedehnter Güter gehörten mit den vermögenslosen Söhnen ritter-
bürtiger Häuser, welche Dienste suchend umherzogen, zu demselben Stande,
erkannten sich als gleichberechtigt mit ihnen an, hatten wenigstens gleiche
Pflichten. In Beziehung auf diese war sogar der Arme im Vortheil; der
Fürst, den politische Verhältnisse banden, der reiche Erbe, der seine Güter
zu bewahren und zu vermehren bedacht sein musste, konnte sich den An-
forderungen der Ehre und des Ruhmes nicht so unbedingt hingeben, wie der
einfache Rittersmann, dessen ganze Habe in seinem Ross, seinen Waifen
und seinem Namen bestand. Dieser hatte dadurch Gelegenheit, sich jenem
gleichzustellen, ihn an Ruhm zu übertreffen und den Werth jener sittlichen
Anforderungen durch Wort und That zu steigern.
Vor Allem äusserte sich die poetische Richtung des Ritterthums in der
Ritterliche Sitte. Idealität der Liebe. 7
gesteigerten Verehrung der Frauen und in der idealen Auffassung der Liebe,
die mit dem Anfange dieser Epoche begann cder doch allgemeiner wurde.
An die Stelle der leidenschaftlichen Begierde, welche in der vorigen Epoche
zum Frauenraube und zu anderen stürmischen Ereignissen geführt hatte,
trat jetzt eine Ansicht, welche die Frauen wie höhere Wesen, die Liebe als
unwiderstehliche Macht, als höchste Blüthe und Zierde des Lebens, als wür-
digsten Gegenstand des Denkens und Dichtens betrachteto. Zwar übte diese
Ansicht keineswegs einen tiefen und bleibenden Einfluss auf die Gestaltung
fester sittlicher Verhältnisse; die Ehen wurden nach wie vor mehr nach
äusseren Rücksichten, als nach den Bedürfnissen der Herzen geschlossen,
sie wurden nicht unglücklicher, aber auch nicht inniger und reiner als zuvor.
Aber dies schwächte die Bedeutung der Liebe nicht, diente vielmehr dazu,
ihr einen Schein höherer Idealität zu verleihen. Die ganze ritterliche Welt
verhielt sich wie erregte Jünglinge, für welche die Liebe an und für sich
und ohne Hinblick auf die Ehe einen Gegenstand der Begeisterung bildet,
deren Leidenschaft durch den Widerspruch, welchen die Wirklichkeit ihr
entgegensetzt, nur zur höchsen Gluth gesteigert w-ird. Und diese Steigerung
war für jetzt noch wirkliche Wahrheit, kein Scheingefühl, nicht blosse Cour-
toisie. Die tragischen Geschichten, welche seitdem so viele Herzen gerührt
haben und bis auf unsere Tage im Liede nachklingen, beruhen meistens auf
wirklichen Begebenheiten dieser Tage. Jetzt fasste Jaufre Rudel für die
nie gesehene Gräfin von Tripolis eine glühende Leidenschaft, die ihn er-
kranken machte und zu Schiffe trieb, um zu ihren Füssen Sehnsucht und
Leben auszubauchen; jetzt gab die Eifersucht dem Herrn vonFayel die rohe
Grausamkeit ein, welche die keusch verborgene Flamme seiner Gattin zum
tödtlichen Ausbruche brachte^). Mag auch die Sage in diesen Fällen den
wirklichen Hergang ausgeschmückt und entstellt haben, so ist Abälard's
Geschichte streng historische Wahrheit, und Heloise, die gelehrteste Frau
nicht bloss ihres Jahrhunderts, spricht in den strengen Worten klassischer
Latinität eine Entschlossenheit der Leidenschaft aus, welche selbst die
Grenzen der Weiblichkeit überschreitet-).
Wie sehr hatte sich die Welt im Laufe von etwa fünfzig Jahren ver-
ändert. Was vor den Kreuzzügen noch als Frevel aufgefasst, ja durch die
Strenge des entgegenstehenden Gebots wirklich zur Verzweiflung und zum
1) Jaufre Rudel, Prinz von Blaya , 1140 — 1170. Guillem von Cabestaing, dessen
Geschichte die Quelle der Sage vom Castellan von Coucy zu sein scheint, starb zwi-
schen 1180 — 1196. Diez, Leben und Werke der Troubadours, S. 52 und 77.
-) In einem ihrer Briefe sagt sie: Deum festem invoco, si me Augustus nniverso
praesidens mundo matrimonii honore dignaretur, totumque mihi orbem confirmaret in
perpetuum praesidendum, carins mihi et dignins videretur tua dici meretrix quam
illius imperatrix.
g Historische Einleitung-.
Frevel gesteigert worden wäre, hatte jetzt einen Ansi^ruch auf Schönheit
oder doch auf Entschuldigung und Theilnahme. Man darf diese poetische
Stimmung nicht aus vereinzelten Ursachen erklären; sie entstand durch die
ganze Lage der Dinge, als ein nothwendiges Glied des Entwickelungsganges
der Völker, sie erhielt von allen Seiten Anregung und Nahrung.
Es ist wahr, dass schon die äussere Geschichte seit den Kreuzztigen
eine hochpoetische war; mit ihrer kühneu Begeisterung, mit allen Episoden
von Glück und Unglück der Einzelnen, mit der reichen Scenerie orien-
talischer Länder mussteu sie die Phantasie im höchsten Grade reizen. Allein
diese äusseren Ereignisse erzeugten jene poetische Stimmung nicht, sie gingen
vielmehr aus derselben hervor, und auch die Rückwirkung, welche sie auf
die Gemüther ausübten, war durch die Empfänglichkeit derselben bedingt.
Eine alternde Welt, welche jene kühnen, aber schlecht vorbereiteten Züge
mit Kopfschütteln, den Enthusiasmus mit Zweifeln betrachtet hätte, wäre
auch durch diese Ereignisse nicht fortgerissen worden.
Man hat ferner manche Elemente dieser poetischen Stimmung, die
Lust an Abenteuern und selbst die Auffassung der Liebe, aus der Berüh-
rung der christlichen Ritter mit den Arabern erklären und von diesen her-
leiten wollen. In der That war das Beispiel dieser feurigen Orientalen nicht
ohne Einfluss auf das Abendland, dieser Einfluss war selbst bei weitem be-
deutender als der, welchen byzantinisches Wesen jemals gewonnen hatte.
Die Byzantiner erschienen, obgleich Christen, verächtlich und hassenswertb,
die Araber, obgleich Ungläubige, nöthigten Achtung und selbst Neigung ab.
Ihr Geist war dem germanischen verwandt, freiheitsliebend, aufopferungs-
fähig, ritterlich; ihre poetische Richtung hatte Vieles mit der, die sich im
Abendlande auszubilden begann, gemein; ihre Religiosität beruhete auf Ge-
danken, die dem Christenthume entlehnt, und auf orientalischen Anschau-
ungen, die den hebräischen Ueberlieferungen verwandt waren. Dabei
aber hatten sie bei geringerer Tiefe des Gemüths eiue grössere Eleganz
der Sitte und eine schon weiter vorgeschrittene Civilisation als die Abend-
länder. Diese konnten daher ihren ungläubigen Gegnern Anerkennung nicht
versagen und mussten ihren Vorzügen nachstreben. Sehr tief war aber
dennoch dieser Einfluss nicht, wir können ihm weder eine wesentliche För-
derung, noch eine Hemmung der bereits begonnenen Entwickelung zu-
schreiben. Allerdings nahmen die im Orient geborenen Nachkommen der
Kreuzfahrer, theils durch das Beispiel der Araber, theils durch das ver-
führerische Klima bestimmt, orientalische Sitten an, aber die Erfahrung
zeigte alsbald die Unvereinbarkeit derselben mit dem abendländischen
Charakter; sie wurden weichlich, charakterschwach und hinterlistig, und
waren den nachfolgenden Kreuzfahrern verhasst und verächtlich. Nur ein-
zelne Aeusserlichkeiten der Tracht und der häuslichen Bequemlichkeit oder
Einfluss der Araber. 9
auch polizeiliche Einrichtungen ^) gingen bleibend in das Abendland über, aber
ohne tiefereu Einfluss zu üben. Ebenso gestaltete es sich auf wissenschaft-
lichem Boden. In der Medicin, der Mathematik und anderen Fachwissen-
schaften waren die Araber eine Zeitlang die Lehrer der Christen, aber die
Scholastik, obgleich sie die arabischen Schriften nicht unbeachtet Hess und
durch sie mit einigen Werken griechischer Philosophen bekannt wurde, ging
doch ihren selbstständigen Weg. In der Poesie können wir den Umfang
dieses Einflusses sehr genau ermessen. Die ritterlichen Dichter sind keines-
wegs intolerant, sie nehmen nicht Anstand einzelne Heiden in ehrenwerther
Gestalt auftreten zu lassen, sie mischen statt der Gnomen und Elfen der
nordischen Fabelwelt Feen und Zauberer ein, sie haben endlich den schlich-
ten, strengen Ton der altern abendländischen Dichtungen verlassen und eine
Neigung zum Uebertriebenen, W^eichlichen und Schwülstigen angenommen,
welche einigermaassen an den Orient erinnert. Allein sie haben kein orien-
talisches Gedicht, nicht einmal aus denselben entlehnte Stofie oder Gestalten
übernommen'-), und jene Neigung zum Uebertriebenen und Sentimentalen
findet sich in der abendländischen Sitte von selbst und zwar schon sehr
frühe und neben den Zügen sehr primitiver Naivetät und selbst Derbheit.
Schon am Ende des zwölften Jahrhunderts wird es gerügt, dass die Damen
die rothe Farbe der Wangen als bäuerisch betrachten, dass sie fasten, um
bleich zu werden, dass sie dies als die Farbe der Liebenden bezeichnen^).
Und diese Sentimentalität wurde nicht durch arabische Vorbilder, sondern
vielmehr durch recht christliche und abendländische erzeugt. Die klöster-
lichen Vorstellungen hatten den wesentlichsten Einfluss anf die Gestaltung
der ritterlichen Sitte; der edelste der weltlichen Stände wetteiferte mit dem
geistlichen, die Courtoisie wurde eine Regel wie die der geistlichen Orden^
^) So waren z. B. die Araber die Erfinder des Passwesens, das von ihnen auf die
abendländischen Fürsten überging. Im Vertrage zwischen Richard Löwenherz und
Saladin wurde namentlich bestimmt, dass nur solche Pilger in Jerusalem zugelassen
werden sollten, welche Briefe des Königs oder seines Stellvertreters bei sich führten
(qui suas literas haberent vel comitis Henrici).
-) Die didaktischen Eriählungen und Märchen des Orients, die allerdings in die
abendländische Literatur übergingen, kamen mehr in den Gebrauch des Volkes als
der höheren Stände und hatten anf die ritterliche Sitte keinen Einfluss. Auch ist ihr
Inhalt überwiegend ein rein menschlicher, der nur den Sinn für Erfahrung und Lebens-
klugheit anregte, ohne neue Elemente herbeizuführen.
3) Es ist der Engländer Alexander Neckam oder Nequam (7 1215), bei dem wir
diese Rüge finden:
Altera jejunal mense, minuitque cruörem
Et prorsus quare palleat ipsa facit.
Nam quae non pallet sibi rusticaquaeque videiur,
Hie decet, hie color est verus amantis ait.
JQ Historische Einleitung.
die Liebe eine Verehrung, welche ihren Maassstab und Ton von der inbrün-
stigen Frömmigkeit entlehnte, der Spiritualismus des Klosterlebens führte
auch im gesellschaftlichen Leben dahin, dass man die einfache Natürlichkeit
verschmähte und sich in künstlicher Steigerung gefiel. Der so oft wieder-
kehrende Irrthum, das Ungewöhnliche und Unnatürliche für vornehm zu
halten, findet sich schon jetzt.
Allein noch waren die gesunden Elemente zu kräftig, um dieser falschen
Richtung tiefern Einfluss zu gestatten. Es lag denn doch in dieser Weich-
lichkeit ein zu schroffer Gegensatz gegen die Festigkeit und Beharrlichkeit
der Heiligen und Kirchenfürsten, gegen die ruhige, männliche Kraft des
germanischen Charakters, gegen den Ernst des Kampfes, der noch fortge-
setzt wurde, gegen die logische Gründlichkeit, die aus den Hörsälen der
Scholastiker mehr und mehr in das Leben überging. In der That bildete
jene weiche Sentimentalität nur eine Seite der Entwickelung, und neben ihr
trat, besonders in der ersten Hälfte der Epoche, in allen ernsten und recht-
lichen Beziehungen noch eine grosse Schroffheit und selbst Härte hervor.
Die Extreme standen auf dem sittlichen Gebiete nahe neben einander. Aber
eben dadurch entstand eine grosse Mannigfaltigkeit und allmälig, je mehr im
Laufe der Zeit diese beiden widerstrebenden Elemente verschmolzen, eine be-
wundernswürdige Kraft und Schönheit der hervorragenden Charaktere. Diese
Epoche gewährt uns daher auch in dieser Beziehung ein Bild des Fort-
schrittes; wir können es an den hervorragenden Gestalten der Geschichte
beobachten, wie die Charakterbildung allmälig zu grösserer Reife gedeihet.
Schon am Anfange dieser Epoche finden wir bei den weltlichen Leitern
der politischen Verhältnisse nicht mehr jenes unsichere Schwanken, wie
früher, aber sie bleiben sich denn doch noch selten treu und verfahren
selbst bei wohlbegründeten Ansprüchen mit Härte und Gewaltsamkeit. Dies
zeigt sich besonders bei Briten und Franzosen; ihre Könige Heinrich IL
und Philipp August führen die Rechte ihres weltlichen Berufs mit eiser-
ner Consequenz und selbstbewusster Kühnheit durch, verschmähen aber auch
kein Mittel, und verrathen noch die frühere Rohheit der Gesinnung. Milder,
gehaltener, würdiger ist schon die Gestalt des grossen Hohenstaufen,
Friedrichs L; auch er scheut zwar die äusserste, selbst grausamste Strenge
nicht, aber er wendet sie nur da an, wo die Härte seiner Gegner ihm einen
politischen Grund giebt, nicht aus blinder Leidenschaft. Es geht sogar ein
Zug von Gemüthlichkeit und Weichheit durch sein Wesen. Die Kontraste
treten grell hervor, wenn der Zerstörer Mailands vor seinem mächtigen Va-
sallen, Heinrich dem Löwen, fussfällig bittet. An Richard Löwenherz
sehen wir die höchste Steigerung ritterlicher Bravour, aber er sucht seinen
Ruhm nur in der Kraft des Armes, nicht in edler Sitte, seine Habsucht und
Gewaltthätigkeit äussert sich in unverschleierter Rohheit.
Fortschreitende Reife der Charaktere. IJ
Mit dem Beginne des dreizehnten Jahrhunderts finden wir uns in einer
milderen Atmosphäre. Der üeberrest des Gewaltsamen und Starren, der
den Helden des vorigen Jahrhunderts noch anhaftete, verschwindet nun
auch; man handelt nicht bloss nach verständiger Ueberlegung, sondern mit
Leichtigkeit und Sicherheit. Die Grenzen des Erlaubten und Verbotenen
sind bereits besser festgestellt, die Sitten ausgebildet. Man begnügt sich
nicht damit, das Nützliche und Richtige zu thun, sondern fordert auch eine
würdige und anständige Form. Auch jetzt noch fehlt es nicht an Härten
und Uebergriflfen, aber sie tragen nicht mehr den Stempel des Unsichern,.
Leidenschaftlichen, man berücksichtigt die Anforderungen der Mensehlich-
ksit und der Sitte auch da, wo man sie verletzt, man will von der Welt
verstanden und beurtheilt werden. Die wissenschaftlichen und poetischen
Elemente sind in das Leben eingedrungen und geben, verbunden mit der
noch immer vorherrschenden Jugendlichkeit, den Thaten den Ausdruck ge-
nialer Kühnheit. Eine hervorragende, charakteristische Gestalt dieser Zeit
ist Friedrich H., ein Fürst von durchdachten Planen, das Staatsleben
schon in allen Beziehungen überblickend, einsichtiger Gesetzgeber, für Wis-
senschaft und Kunst empfänglich, dabei aber ein wahrer Ritter, die Welt-
händel wie kühne Abenteuer durchkämpfend, prachtliebend, geistreich, von
Sängern umgeben, auf den Ruhm edler Sitte Anspruch machend und selbst
den eines Meisters in der nobeln Passion der Falkenjagd nicht verschmähend.
Sein grosser Gegner, Innocenz HL, ist ihm, so viel es die Verschiedenheit
ihrer Stellung gestattet, ganz ebenbürtig, klug, kühn und prachtliebend wie
Friedrich, gelehrt, ein Meister scholastischer Kunst und symbolischer Deu-
tung, auf theoretischem Gebiete ebenso gross wie auf politischem, in seinen
Ansprüchen über das Maass des Richtigen und Ausführbaren hinausgehend,
aber dennoch im Ganzen im guten Glauben seines Rechts, nicht unzugäng-
lich für Gegengründe. Eine schönere Erscheinung auf geistlichem Gebiete
ist freilich der Bürgerssohn von Assisi, der heilige Franciscus, aber auch
er ist ganz diesem Zeitalter angehörig und charakteristisch für dasselbe.
Seine Frömmigkeit, die tiefste und innigste, hat sich dennoch von der Auto-
rität losgei'issen, seine Opposition gegen den Reichthum der Kirche athmet
den demokratischen Geist des aufkommenden Bürgerthums und wird mit
ritterlicher Kühnheit durchgeführt, und seine schwärmerische Liebe, ob-
gleich der Armuth Christi als seiner Braut gewidmet, hat eine innere Ver-
wandtschaft mit der weltlichen Leidenschaft des Troubadours. Weniger
genial, aber nicht weniger liebenswürdig als dieser Apostel der Armuth ist
sein Genosse in den Schaaren der Heiligen, Ludwig IX. von Frankreich.
Der sorgfältigste Beobachter aller kirchlichen Vorschriften, ein Vorbild tiefer^
demüthiger Frömmigkeit und christlicher Tugend, strenge gegen sich selbst^
nachsichtig gegen Andere, zärtlicher Sohn und Gatte, treuer Freund, ist er
J2 Historische Einleitung.
zugleich ein kräftiger Fürst und mannhafter Ritter, gerechter, aber auch, wenn
es sein muss, strenger Richter seiner Unterthanen, tapferer, wenn auch un-
glücklicher Streiter gegen die Ungläubigen, ein gehorsamer Sohn der Kirche
und dennoch wieder unerschütterlich fest, wenn es gilt, die Rechte seiner
Krone und seines Landes gegen die Ansprüche der Hierarchie zu vertreten.
Wenn in diesen grossen und edeln Gestalten die jugendliche Frische
des Zeitalters allmälig mehr und mehr zu männlicher Kraft erstarkt, so zeigt
die Geschichte freilich auch die Kehrseite dieses Bildes. An die Stelle der
früheren Rohheit ist jetzt eine fast raffinirte Bosheit getreten, auch das
Böse hat System und äussert sich mit einer frechen Genialität. Das stärkste
Beispiel finden wir auf italienischem Boden, in dem Tyrannen von Padua,
dem berüchtigten Ezzelin von Romano, dessen Klugheit und Kühnheit mit
seiner Ruchlosigkeit gleiches Maass hielt. Aber alle Länder, besonders
auch Deutschland, waren voll von solchen kleinen Tyrannen, welche den
ritterlichen Muth nur in Räubereien und Gewaltthaten zeigten und sich dafür
durch äussere Kirchenbussen mit dem Himmel abfinden zu können glaub-
ten^). Allein selbst diese gesteigerte Anmaassung und Bosheit giebt einen
Beweis für den idealen und kräftigen Charakter dieser Epoche. Es war
eben eine Zeit, welche alles auf die Spitze trieb; die Verbindung des scho-
lastischen Elements abstracter Consequenz mit der Jugendkraft der Völker
erzeugte die Neigung und den Muth, jede Anlage und Richtung einseitig und
schroff auszubilden. Es entsteht dadurch eine plastische Anschaulichkeit der
Charaktere und eine Mannigfaltigkeit der Gestaltungen, welche der Geschichte
den höchsten Reiz verleiht.
Nicht bloss unter den hervorragenden Gestalten, sondern in allen Krei-
sen des Volks standen die schärfsten Gegensätze im Ganzen wie im Einzelnen
neben einander. Das Leben schmückte sich mit der sinnlichsten Farben-
pracht, alle Stände wetteiferten in rauschenden Genüssen. Kampfeslust und
Minnedienst erhielten die ritterlichen Kreise in beständiger Bewegung, Un-
ternehmungsgeist, Kraftgefühl und Reichthum trieben die Städter an, mit
ihnen zu wetteifern und sie im üppigen Genüsse zu überbieten. Selbst das
Landvolk feierte seine Feste mit rauschender Musik und Reigentänzen, beim
Becher und in derben Gelagen, und die Weltgeistlichkeit, im Besitze reicher
Pfründen, in steter Berührung mit allen Klassen des Volks, konnte oft den
Lockungen der Sinnlichkeit nicht widerstehen und gab dem strengeren Be-
obachter vielfaches Aergerniss. Daneben stand aber auch die klösterliche
Ascetik in vollster Blüthe; der strenge Orden der Cislercienser verbreitete
^) Der schon erwähnte Cäsar von Heisterijach eifert gegen mehrere derselben,
gegen Landgraf Ludwig den Eiserneu von Hessen (Dist. I. c. 27. 34. XII. 2), den
■Grafen Wilhehn von Jülich (XH. 5) und Andere. Er nennt sie ausdrücklich Tyrannen.
Lebenslust und Ascetik. 13-
sich mit imglaublicher Schnelligkeit. Zahllose Jünger strömten zu den ein-
samen Thälern, in denen seine Klöster aufstiegen^ und wetteiferten in Ent-
sagung und Kasteiung; Bussprediger durchzogen die Städte, Einsiedler flohen-
aus dem geräuschvollen Treiben in Berge und Einöden, zarte Frauen büss-
ten ihre Sünden in härtester Abtödtung. Und dieselben Ursachen, welche
den Charakteren jene Entschiedenheit gaben, bewirkten auch plötzliche Be-
kehrungen und Uebergänge; ein Augenblick, ein flüchtiges Wort, ein Gleich-
niss gab den leicht erregbaren Gemüthern eine andere Richtung, welche sie
mit derselben Energie verfolgten, wie ihr bisheriges Treiben. Wie reich
war das Leben an anziehenden Zügen und Ereignissen, wie viel Stoff bot es
dem aufmerksamen Beobachter! Schon aus Geschichtschreibern und Dich-
tern können wir auf diese bunte Vielgestaltigkeit des Lebens schliessen:
aber anschaulicher und zuverlässiger wird sie uns iu manchen bescheideneren
Aufzeichnungen vorgeführt, von denen ich vorzugsweise die schon wiederholt
von mir angeführten Dialoge des Cisterciensers Caesarius von Heisterbach
nennen will. Der Verfasser, Novizenmeister des Klosters, beabsichtigt in
diesem um 1220 geschriebenen Buche nur die Belehrung der jüngeren
Brüder für ihren klösterlichen Beruf. Aber er belegt jeden Satz, jede Di-
stinction mit Beispielen und zwar nicht mit erfundenen oder aus dem Schatze
der Legenden oder alter Geschichten entnommenen, sondern mit selbst er-
fahrenen oder ihm berichteten aus der jüngsten Vergangenheit, meist aus
seiner Nähe, aus den Städten und Klöstern des Rheinlandes, von deutschen
oder höchstens französischen Fürsten und Grossen; er nennt gewöhnlich die
handelnden Personen, er oder sein Gewährsmann hat sie selbst gekannt; er
versichert nur Wahres berichten zu wollen^). Dass er dennoch auch bei
dieser Beschränkung so Aiel Anziehendes, so viele bald romantische, bald
lehrreiche, bald auch komische Hergänge zu erzählen hat, ist ein Beweis
theils der Lebensfiüle und Thatkraft dieser Zeit, theils aber auch der ver-
breiteten Neigung zum Erzählen, durch welche solche Beobachtungen von
Ort zu Ort verbreitet wurden und auch in die Zelle des Mönchs drangen.
Allerdings nehmen unter seinen Geschichten die Wunder eine grosse
Stelle ein, und zwar oft Wunder, bei denen nicht bloss unsere Kritik, son-
dern auch unsere Moral Bedenken findet, weil sich die Himmelsmächte all-
zuweit zu menschlichen Ansichten und Schwächen herabzulassen scheinen.
Allein auch diese Wundergläubigkeit ist ein charakteristischer, mit den Vor-
zügen der Zeit zusammenhängender Zug. Man mag in ihr ein Zeichen des
^) Ich benutze diese Gelegenheit, um auf die kleine aber iuhaiireiche Schrift von
Alexander Kaufmann , Caesarius von Heisterbach, ein Beitrag zur Culturgeschichie des
12. und 13. Jahrh. Köln, 1862, aufmerksam zu machen, welche mit Gelehrsamkeit und-
poetischer Anschaidichkeit die interessantesten Resultate aus dem Buche des Caesarius-
zusammenstellt und ein Sittengemälde seiner Zeit »iebt.
^A Historische Einleilung.
Leiclitsinnes erblicken, welcher vermeintlich höhere Erscheinungen ohne den
erforderlichen Ernst der Prüfung aufnimmt, eine Aeusserung der Sinnlich-
keit, welche äussere Zeichen fordert, die Folge einer unklaren Religiosität,
weiche die auch zum Verständniss der Offenbarung unentbehrliche Kennt-
niss der wirklichen, gottgeschaffenen Natur verschmäht oder vernachlässigt.
Aber sie hängt auch mit den besten Eigenthümlichkeiten des Zeitalters zu-
sammen, mit der überwiegend frommen Stimmung, welche nur von höheren
Dingen wissen will und alles Andere dahingestellt sein lässt, mit der gläu-
bigen Gesinnung, welche nur von oben Hülfe erwartet, mit der Wärme,
welche die heiligen Gegenstände stets in der Erinnerung hat, mit der Kraft
der Phantasie, welche das Erhofl'te oder Gefürchtete wirklich zu sehen
glaubt. Die Wundergläubigkeit nimmt im gemeinen Bewusstsein dieselbe
Stelle ein, wie die symbolische Weltauffassung, welche ich früher als die
Blüthe mittelalterlichen Gedankens geschildert habe, in der Wissenschaft.
Beide beruhen auf dem erwachenden Gefühle für die Natur bei noch unge-
schwächtem und ausschliesslichem Glauben an die aus der Offenbarung her-
geleitete kirchliche Tradition, beide wollen den Einklang zwischen den That-
sachen der Wirklichkeit und der göttlichen Weltregierung herstellen. Sie
unterscheiden sich nur, indem diese auf das Allgemeine gerichtet, den blei-
benden, tieferen Zusammenhang, die Siiiegelung des göttlichen Wesens in
der Natur, zu schauen strebt, jene am Einzelnen haftend ein i)lützliches,
sinnliches Eingreifen der höheren Mächte in den Weltlauf voraussetzt. Beide
beruhen auf einer tieferen Wahrheit; denn gewiss sind Spuren des göttlichen
Geistes in den allgemeinen Einrichtungen der Natur und göttliche Fügungen
in den menschlichen Schicksalen vorhanden. Sie gestalten diese Wahrheit
allerdings sinnlich und einseitig, aber um so lebendiger. Sie lassen sich
nicht Zeit, Erfahrungen über die wirkliche Beschaffenheit der Natur und
über die Wirksamkeit des göttlichen Einflusses zu sammeln, aber sie werden
auch durch diese Arbeit nicht gehemmt, verlieren sich nicht im Einzelnen,
sondern fassen die wesentlichen Züge mit frischem Blicke, wenn auch nicht
ohne subjective Willkür auf. Sie gerathen dabei in Irrthümer, aber diese
Irrthümer sind entschuldbar und unvermeidlich, weil der Augenblick drängt,
weil man zum täglichen Handeln eine Vorstellung von dem Verhältnisse
göttlicher und menschlicher Dinge haben muss, weil man das langsame
Reifen der Erfahrung nicht abwarten kann. Die Fehler, die wir zugestehen
müssen, sind wiederum Fehler der Jugend, und werden durch die Vorzüge
der Jugend aufgewogen. Denn derselbe feste Glaube, welcher voreilig Zeichen
und Wunder annahm, gab auch den festen Boden für die Ausführung kräf-
tiger Thaten, für die Entwickelung freier und mannigfaltiger Charaktere,
für genossenschaftliches Wirken. Man grübelte und zweifelte nicht, hielt
sich nicht bei dem Untergeordneten und Zufälligen auf, sondern griff" kühn
Wunderglaubigkeit und Symbolik. — Einfache Lebensweise. 15
und ohne Aufenthalt nach dem* Höchsten. Jene Nichtbeachtung der Natur,
die bei beschränkten Personen zu thörichter und schädlicher Leichtgläubig-
keit ausarten konnte, gewährte edeln Gemüthern eine beneidenswerthe, ge-
wissermaassen ktiustlerische Unbefangenheit, welche der gestaltenden Kraft
ethischer Motive günstig war.
Es bleibt mir noch eine Seite des Lebens zu berühren, die materielle,
und da ist es merkwürdig, dass diese in allen geistigen Beziehungen so rüstig
fortschreitende Epoche in Beziehung auf Tracht und Lebensweise im Wesent-
lichen die alte Sitte beibehielt. Zwar eifern auch jetzt noch die strengeren
Moralisten und selbst polizeiliche Vorschriften gegen den Kleiderluxus, aber
wir finden nicht, dass bedeutende Veränderungen eintraten. Die Rüstung
war noch so schwer, dass man sie Verwundeten nicht so bald wieder an-
legen konnte, dass sie, wie Joinville bei einem ihn selbst betreffenden Vor-
falle erzählt, nicht gestattete, das Schwert rasch zu ziehen. Es scheint
sogar, dass die strenge, religiöse Sitte des Eitterthums auf eine Verein-
fachung der Trachten führte; wenigstens verschwinden auf den Monumenten
die verzierten Ränder der Kleider und wir sehen durchweg schlichte, in
graden Falten herabfallende Gewänder. Erst nach der Mitte des dreizehn-
ten Jahrhunderts kommen wieder reichere Verzierungen vor; Joinville be-
merkt, indem er die in seinen späteren Tagen aufkommende grössere Klei-
derpracht rügt, dass er auf dem ganzen Kreuzzuge Ludwigs IX. keine
Stickerei an Kleidern oder Sätteln gesehen habe. Erst jetzt erfand man
auch technische Mittel, die Kettenharnische leichter und bequemer zu machen,
und es wurde nun allgemeine Sitte, ein leichtes Oberkleid, an dem man auch
wohl schon das Wappenzeichen anbrachte, über der Rüstung zu tragen.
Auch die Frauentracht war noch sehr einfach und natürlich, das Obergewand
noch ohne Taille, entweder frei herunterfallend oder durch einen Gürtel zu-
sammengehalten, der Hals frei, der Kopf von einem Schleiertuche umhüllt,
welches das Haar an Stirn und Gesicht unbedeckt Hess und frei auf die
Schultern herabfiel. Die Pracht des Kirchendienstes und der öffentlichen
Feste wurde zwar gesteigert, die Fürsten waren bei ihren Aufzügen von
grösserem Trosse von Reisigen und Rossen begleitet, sie umgaben sich zu-
weilen mit einer schon gleich gekleideten und bewaffneten Mannschaft; man
liebte geräuschvolle Freuden, reich besetzte, stark gewürzte Mahlzeiten,
bunte Pracht. Aber diese Lust befriedigte sich bei Gelegenheit öffentlicher
Feier; im Innern des Hauses herrschte noch sehr einfache, strenge Sitte.
Die Kirchen und Klöster wurden grösser und mit vermehrtem architektoni-
schen Schmucke errichtet, die Wohnungen blieben enge und niedrig, die
häuslichen Bequemlichkeiten beschränkten sich auf das Nothwendige, die
Bedürfnisse waren sehr bescheiden. Alle Stände waren noch unverwöhnt
und von uugeschwächter Kraft. Die Ritter, in ihrem Kriegs- und Wander-
16
Historische EinleHnn£
leben auf Entbehrungen angewiesen, waren überdies von den Pflichten ihres
Berufes noch zu sehr erfüllt, um sich auf ihren Burgen einer weichlichen
Lebensweise hinzugeben; auch fehlten ihnen die Mittel, um sich Genüsse,
welche das eigene Land nicht bot, zu verschaffen. Der Bürgerstand war
erst im Entstehen und fühlte die Aufgabe, seinen Reichthum durch Spar-
samkeit zu begründen. Die reichen Kaufherren versuchten es wohl schon,
sich den Rittern gleich zu stellen, aber ihr Luxus erstreckte sich dann auch
nur auf Waffen und Pferde, nicht auf üppige Lebensgenüsse oder auf häusliche
Bequemlichkeiten. Ich werde später Gelegenheit haben zu zeigen, wie gering
in dieser Beziehung selbst in Italien, dem civilisirtesten Lande, die Ansprüche
waren. Auch konnte es nicht fehlen, dass der durch den neu gegründeten
Orden der Cistercienser eifrig angeregte Geist ascetischer Enthaltsamkeit
auf die Laien einwirkte. Diese Einfachheit der Sitte kam aber wiederum
den idealen Bestrebungen zu Statten, indem sie die Gemüther von einer
Menge kleinlicher Sorgen befreite.
Ueberblicken wir die ganze Gestaltung des Lebens, so linden wir überall
eine Fülle künstlerischer Motive. Die Idealität der Ansichten und Vorsätze,
die edle und kühne Sorglosigkeit um materielles Detail, die Festlust neben
der Einfachheit des häuslichen Lebens, das Wohlgefallen an der Form und
die Neigung zum Phantastischen, alles weist auf einen künstlerischen Beruf
hin. Selbst wo der trockenste Verstand herrscht, in der Scholastik, zeigt
sich dies künstlerische Element in dem Begnügen an formeller Wahrheit, in
der Betonung der symmetrischen Gestalt der Schlüsse. Wir Neueren neigen
dahin, die Kunst nur als das unvollkommene Abbild des Lebens zu betrach-
ten, von dieser Epoche kann man umgekehrt sagen, dass das Leben nur ein
unvollkommenes, in ungünstigem Stoffe ausgeführtes Kunstwerk war.
Alles drängte daher zur Kunst hin, sie musste nothwendig als die
höchste Spitze nnd Blüthe des Lebens unmittelbar aus demselben hervor-
gehen, den Versuch machen, seine idealen Tendenzen in reinerem Stoffe zu
vollkommenerer Ausführung zu bringen.
Vor Allem gilt dies von der Poesie, die ja in allen Zeitaltern dem
Leben näher steht, als die anderen Künste, und daher bei naturgemässer
Entwickelung den Reigen der Künste zu eröffnen pflegt. Die sich stets und
auch hier wiederholende Erscheinung, dass die Literatur der Völker nicht
mit der Prosa, sondern in dichterischer Form beginnt, beruht theils darauf,
dass in dieser Jugendzeit die Völker mehr Empfindungen als Gedanken,
mehr Begeisterung als Kritik haben, theils aber auch darauf, dass die Be-
deutung und innere Schönheit der Sprache, dies grosse, in späteren Tagen
übersehene Wunder, ihnen plötzlich aufgeht, dass sie sich mit Erstaunen
im Besitze des mächtigsten Mittels zum Gedankenaustausch und zur Erre-
gung des Gefühls sehen, und es mit Anstrengung aller Kräfte und mit Auf-
Wirklichkeit und Kunst. 27
merksamkeit auf die Verschiedenheit des Klanges gebrauchen. Beide Ur-
sachen wirkten jetzt gemeinschaftlich zu Gunsten der Nationalspraclien.
In demselben Augenblicke, wo die Laienwelt von neuen Gedanken und
Gefühlen mächtig erregt war, machte sie auch die Entdeckung, dass ihre
Sprache, die bisher verachtete und von der lateinischen zurückgedrängte,
nicht bloss bildungsfähig, sondern für den Ausdruck eben dieser Gedanken
und Gefühle an sich und durch- die Musik ihres Tonfalls und des Reimes
fähiger sei, als jene. Daher bemächtigen sich denn alle Stände dieses
neuen Besitzthums mit Begeisterung. Von den Liedern, die in den unteren
Schichten des Volkes um diese Zeit entstanden, ist^ wenigstens in ursprüng-
licher Fonn, nichts auf uns gekommen; ohne Zweifel waren es mehr
Naturlaute, als künstlerisch durchbildete Dichtungen. Die Gelehrten hielten
sich im Ganzen dieser Bewegung fern, obgleich auch sie, wo es darauf
ankam, den innigsten Empfindungen Worte zu leihen, die Landessprache
nicht verschmäheten, wie wir denn wissen, dass Abälards Lieder an Heloise,
die Liebeslieder des Meisters der abstractesten Philosophie an die gelehr-
teste Frau, Gemeingut wurden und auf allen Strassen von Paris erschallten ^).
Indessen war dies nur eine Ausnahme; im Ganzen blieb die kunstmässige
Ausbildung der Poesie auf die ritterlichen Kreise beschränkt, hier aber
erreichte sie auch gerade innerhalb dieser Epoche ihre höchste Blüthe.
Die Provenzalen, die einzigen, bei denen der Minnegesang schon früher
erwacht war, hatten jetzt ihre drei grössten Dichter, die drei Illustren,
wie Dante sie nennt, Bertrand de Born, Arnault Daniel und Girault de
Borneil, die Sänger der Waffen, der Liebe und der Tugend, wie er sie
bezeichnet 2). Bei den Nordfranzosen bildete sich die erzählende Dichtung
aus; Chretien de Troyes und unzählige Andere wussten ihre Zuhörer durch
den Vortrag mannigfaltiger, phantastischer Sagen zu begeistern. Etwas
') Heloise selbst berichtet es: Frequenli carmine tuam in ore omnium Heloi'sam
ponebas; me plateae omnes, me domus singuiae resonabant. Sie bemerkt dabei, dass
unter allen Eigenschaften Abälards, durch welche er die Herzen der Frauen gewann,
keine mächtiger wirkte, als seine Sängergabe (dietandi et cantandi gratia). Sie nennt
seine Lieder amatorio metro vel rhytmo verfasst. (Petri Abaelardi Opp. Epist. II,
p. 46.) Die von Greith publicirten religiösen Hymnen (welche dieser als Allegorien
für seine Liebe betrachtet) könnten hienach wohl schwerlich gemeint sein. Auch war
das Verständniss des Lateinischen schwerlich so verbreitet, dass jene Liebesgedichte,
wenn sie (wie Leroux de Lincy, Recueil de chants historiques, 1841, S. VI annimmt)
lateinisch gewesen wären, Abälard die Gunst der Frauen, von denen Heloise im All-
gemeinen spricht, verschafft haben könnten.
2) Dante, Vulg. eloqu. lib. II, cap. 2. Circa quae sola [arniorum probitatem,
amoris ascensionem et directionem voliintatis] si bene recolimus, illustres invenimus
vulgariter poetasse, seil. Beltramum de ßornio arma, Arnoldum Danielem amorem,
Gerardum de Bornello rectitudinem. — Diez, Leben und Werke der Troubadours, S. 180-
Schuaase's Knnstgesch. 2. AtiA. V. 2
23 Historische Einleitung.
später, nicht oLne Anschluss an diese Vorgänger, aber mit unendlich
grösserer Gedankentiefe, Zartheit und Kraft, erhob sich auch die deutsche
Dichtung; der kurze Zeitraum von 1180 bis etwa 1220 umfasst, ausser
einer grossen Zahl anderer bekannter und unbekannter Sänger, die grossen
Namen des Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogelweide und
Gottfried von Strasburg, denen kein gleichzeitiger Dichter einer anderen
Nation, kein deutscher bis auf die neuere Blüthezeit unserer Poesie an
die Seite zu stellen ist.
Allein so bedeutend die Werke dieser Dichter sind, hatten sie dennoch
für die weitere Entwickelung der geistigen Bildung nur einen bedingten
Werth. Ein wahrhaftes Volksgedicht, das wie ein grosser Strom von der
Gesammtkraft des Volkes angeschwellt ruhig dahin fliesst, die ursprüng-
lichen Anschauungen von göttlichen und menschlichen Dingen zusammenfasst
und gestaltet, und so die Quelle künftiger Entwickelung wird, eine Ilias
und Odyssee, konnten die neueren Nationen nicht hervorbringen. Die
romanischen Völker nicht, weil sie den Naturzustand, aus welchem allein
solche Urdichtung hervorgehen kann, gar nicht gehabt hatten, weil sie sich
erst jetzt durch die Mischung verschiedener Volksstämme zusammenschlös-
sen, wo die Einzelnen nicht mehr vollständig und naturkräftig mit dem
Ganzen verwachsen waren. Die Deutschen waren zwar aus natürlicher
Wurzel entsprossen und einigen Stammes; aber dieser Stamm war durch
das Christenthum veredelt und ein neuer geworden, seine geistige Wieder-
geburt war von seiner natürlichen Entstehung durch eine weite Kluft ge-
sondert. Zwar war es ein unschätzbarer Vorzug, dass die deutsche
Heldensage, nachdem sie drei Jahrhunderte hindurch zurückgedrängt und
übersehen, aber nicht gänzlich untergegangen war, jetzt wieder belebt wer-
den und angestammte Gefühle und Anschauungen wieder erwecken konnte.
Aber volles Leben konnte sie doch nicht wieder gewinnen, das religiöse
Element, das Lebensblut der Sage war aus ihr gewichen, nur ihr Körpen
so ehrwürdig seine Züge sein mochten, konnte auferstehen. Das Geschlecht,
unter das sie zurückkehrte, war nicht an ihr herangewachsen, hatte Gefühle
und Bedürfnisse, die in ihr keine Befriedigung fanden. In der That
waren die Ursachen, welche das Entstehen einer wahren Nationalpoesie
hinderten, bei allen Völkern in gleichem Maasse vorhanden. Durch den
Gegensatz des Göttlichen und Irdischen, der Kirche und des natürlichen
Lebens, in Folge der von oben herunter sich senkenden, nicht von unten
herauf wachsenden Bildung, war eine Scheidung der Stände eingetreten,
welche, so nothwendig und heilsam sie sein mochte, doch die Einheit der
Nationen brach. Es gab keinen Stand, welcher das ganze Volksthum
poetisch vertreten konnte. Nicht bloss das Volkslied musste sich, seiner
Natur nach, in bescheidenen Grenzen halten; auch die Ritter waren Laien,
Die Dichtkunst. 19
■welche die Geheimnisse der Kirche über sich sahen, denen die höhere
wissenschaftliche Bildung verschlossen war. Jenes prophetische Element,
welches der Nationalpoesie ihre Weihe giebt, war ihnen versagt. Sie hatten
nicht das Gefühl des ganzen Volkes, sondern nur das eines, sich von dem-
selben aussondernden Standes zu schildern, und dieser Stand, obgleich der
Nation auf der Bahn neuer Gesittung voranschreitend, war vermöge seiner
bevorzugten Stellung auf eine künstliche, conventiouelle Sitte, auf eine
Steigerung gewisser Gefühle über das natürliche Maass hinaus angewiesen.
Seine Dichter waren daher auf diese Rücksichten beschränkt, sie konnten
nicht aus der Fülle der menschlichen Natur schöpfen, nicht die Töne er-
schütternder Tragik anschlagen, sie fühlten sich nicht als die Yerkündiger
ewiger allgemeiner, sondern bedingter, nur für die augenblickliche Stellung
ihres Standes gültiger Wahrheiten. Sie hatten es mit idealen Zuständen
zu thun, die niemals volle Wirklichkeit erlangen konnten, deren Schilderung
nur einen Anreiz zu einem einseitigen Fortschritte geben sollte. Die Kraft
und Gediegenheit der grossen historischen, im Kampfe mit den tiefen
Gegensätzen des Lebens gereiften Charaktere, die Demuth der klösterlichen
Heiligen, der Ernst der Wissenschaft, die Inbrunst einfacher Frömmigkeit,
selbst die Innigkeit der natürlichen Gefühle des Volkes fand in der ritter-
lichen Dichtung keine Stelle. Sie giebt nicht die Urgeschichte des Volkes,
nicht die geheiligte Ueberlieferuug ; sie hat keine Heimath, schweift in
allen Ländern und Zeitaltern umher. Ihre Sänger treten als Einzelne auf,
als Berichterstatter, nicht von göttlichen Dingen oder von der grossen
Vergangenheit, sondern von vereinzelten Abenteuern und persönlichen Ge-
fühlen, oder höchstens von phantastisch entstellten Sagen, welche sie selbst
nicht verbürgen, die sie nur scheinbar auf fremde Zeugnisse stützen.
Diese anspruchslose Haltung ist ein wesentliches Element der romantischen
Poesie, alle ihre Vorzüge hängen damit zusammen; sie gestattet dem Dichter,
sich kühner zu bewegen. Unerhörtes zu wagen, sich mit anrauthiger Leichtig-
keit zu unterbrechen, der eigenen Phantasie freiesten Aufschwung zu ge-
währen, die der Zuhörer zu reizen und zu steigern. Aber sie ist auch
aicht bloss ein künstlerisches Mittel, sondern eine innerlich begründete,
nothwendige Folge der ganzen Stellung der Poesie; sie schloss jene höhere
künstlerische Objectivität aus, durch welche die klassische Durchbildung
der Poesie bedingt ist, gab den Dichtern eine dilettantische Richtung, ver-
leitete und nöthigte fast zu Ungleichheiten, zur Geschwätzigkeit, zu Künste-
leien des Verses und des Gedankens, so dass auch diese Fehler, welche
nach Maassgabe der grösseren oder geringeren Fähigkeit der einzelnen
Dichter mehr oder minder hervortreten, nicht vereinzelte oder zufällige
^Erscheinungen, sondern in der Natur der Verhältnisse begründet sind.
Bei alledem haben diese Gedichte doch grosse Vorzüge, die edelsten
20 Historische Einleitung.
Motive aufopfernder Begeisterung und einer grossartigen Weltanschauung
liegen vielen zum Grunde, Jugendvvärme und Waldfrische wehen uns aus
ihnen entgegen. Und noch wichtiger waren sie für ihre Zeit. Die Poesie
befreite den Geist von seinen Banden^ wagte sich, je laienhafter und dilet-
tantischer desto kühner, auf die Gebiete religiöser und philosophischer
Gedanken; sie löste der Phantasie die Flügel, gab den Gefühlen Worte
und dadurch ein berechtigtes Dasein, kräftigte und läuterte sie. Aber
freilich die höchste Aeusserung ihrer Zeit konnte sie dennoch nicht werden.
In ganz anderer, fast entgegengesetzter Stellung befand sich die
Architektur. Die Poesie war neu und ignorirte die Vorbildung, welche
die in ihr ausgesprochenen Gefühle und Gedanken unter der Herrschaft
des traditionellen lateinischen Elements erhalten hatten. Die Baukunst
hatte schon eine Vergangenheit; der Styl der vorigen Epoche, wenn auch
auf traditionellen Grundlagen beruhend, war doch ein Erzeugniss des
Volksgeistes, der hier ein Mittel der Aeusserung gefunden hatte, während
die Sprache ihm noch versagt war. Auch die Architektur erfuhr zwar
durch das neue, selbstbewusste Erwachen der Nationalität einen mächtigen
Impuls, der aber doch nur eine Umgestaltung der bisher gebrauchten
Formen, nicht wie bei der Nationaldichtung ein völlig neues, von den bis-
herigen Leistungen unabhängiges Erzeugniss hervorbrachte. Der ganze
Schatz von Erfahrungen, welche bisher gemacht waren, die ganze noch
jetzt bestehende Kraft des lateinischen Elementes blieb ihr unverkürzt.
Während die Poesie nur einem Stande angehörte, während das religiöse
Leben sie kaum berührte, jedenfalls nicht mit seiner vollen Strömung
durchfloss, stand die Architektur im Dienste der Kirche, wurde aber durch
die Frische und Kraft der Nationalität, durch die Mitwirkung und Theil-
nahme aller Stände gefördert. In der vorigen Epoche war auch sie von
einem einzigen Stande ausgegangen, aber doch von der Geistlichkeit, von
dem Stande, welchem alle Quellen des geistigen Lebens zuflössen, der sich
aus allen Klassen des Volkes ergänzte, der nicht, wie die Ritterschaft, die
anderen ausschloss. Diese Beschränkung hörte jetzt auf. Seitdem das
Selbstgefühl eigener Bildung unter den Laien erwacht war, begannen auch
die weltlichen Bauherren und Wohlthäter der Kirchen, Fürsten, Grosse,
städtische Obrigkeiten, selbst mitzusprechen, fanden auch die geistlichen
Bauherren die tüchtigsten Meister uud Werkleute nicht mehr unter ihren
Standesgenossen, sondern unter den freien, städtischen Handwerkern. Die
Baukunst ging daher, ohne dem kirchlichen Einflüsse entzogen zu sein,
mehr und mehr in die Hände der Laien über, und wurde von der ganzen
Kraft und Wärme des unter ihnen neu erwachten Lebens durchdrungen.
Sie musste überdies dem ganzen Volke verständlich sein, hatte in gewissem
Sinne die Aufgabe, ihm die religiösen Geheimnisse anschaulich zu machen.
Architektur. 21
blieb daher stets mit allen Klassen im Wechselverkehr. Sie stand in der
Mitte des Lebens, wo alle Richtungen und Thätigkeiten zusammenflössen
und verschmolzen. Die ritterliche Poesie und die Scholastik bilden gewis-
sermaassen die Pole des ganzen reich und breit entwickelten Daseins; jene
überwiegend Gefühl und Phantasie, diese eben so entschieden abstracter
Verstand. Die Architektur stand beiden gleich nahe. Sie ging zwar von
religiösen Empfindungen, nicht von dem persönlichen Selbstgefühl aus, das
in der ritterlichen Dichtung herrschte. Aber auch die religiösen Empfin-
dungen hatten vom Beginne dieser Epoche an eine Färbung angenommen,
welche den ritterlichen Anschauungen sehr nahe stand; in beiden dieselbe
Innigkeit, derselbe Schwung der Phantasie, derselbe Drang nach persön-
licher Thätigkeit und Mitwirkung. Selbst die Geistlichen waren von solchen
Gefühlen ergriffen, und noch mehr die Laien, welche in ihrem Dienste die
Bauten leiteten. War daher auch ein unmittelbarer Einfluss der Poesie
auf die Architektur nicht denkbar, so waren doch beide einander verwandt.
Während nun die Baukunst mit dem harten Stoffe und mit eingewurzelten
technischen Gewohnheiten zu kämpfen hatte, und nur mit langsamen Schrit-
ten weiter ging, schwang sich die Poesie auf den Flügeln des Wortes
und im Bewusstsein gefahrloser Unternehmung kühn und leicht empor,
und gab schon ihr Bestes und Höchstes, als jene sich erst anschickte, die
letzten Stufen zu erklimmen. Da konnte es dann nicht fehlen, dass sie,
die, wenn auch auf die ritterlichen Kreise berechnet, doch kein Geheim-
niss war und eben so wenig der Geistlichkeit als den leicht erregbaren
Künstlern fremd blieb, diese begeisterte und steigerte, sie antrieb. Grös-
seres zu unternehmen und mit jenen Ritterdichtungen zu wetteifern. In
der That sind die Spuren dieser Eniwirkung ungeachtet der grossen Ver-
schiedenheit des Stoffes und der Aufgaben kaum zu verkennen, sie treten
besonders in der zweiten Hälfte der Epoche hervor, wo der Widerstand,
den das spröde Material entgegensetzte, mehr überwunden war. Es ist
überall dieselbe Gefühlsrichtung; in dem Aufschwünge der schlanken Glie-
der und der weitgespannten Gewölbe dieselbe Kühnheit, wie in den ritter-
lichen Wagnissen, in den weichen Profilen dieselbe Empfindung, wie in
den Liebesklagen, in den Fialen und Strebebögen der hochstrebende, in
allen Theilen der kriegerische Sinn, welcher die Ritterwelt durchdrang.
Und endlich findet sich selbst im Technischen eine gleiche Aehnlichkeit.
Der rastlose Unternehmungsgeist, welcher die Baumeister antrieb, stets
Neues und Ueberraschendes zu geben, eine gewisse Eilfertigkeit^), welche
sich auch in den prachtvollsten Werken an der leichten Behandlung und
^) Die lange Dauer mancher Bauten war nur eine Folge von Unlerbrechungea,
welche durch den sparsamen Zufluss der Mittel oder aus anderen Ursachen entstanden.
22 Historische Einleitung.
selbst an der Vernachlässigung der Details zeigt, entspricht nur allzusehr
der kühnen dilettantischen Weise der Ritterpoesie.
In einem ähnlichen Verhältnisse steht die Architektur zur Scholastik.
Es versteht sich, dass ein unmittelbarer Verkehr zwischen der Bauhütte
und den Lehrsälen der Philosophen nicht bestand, dass Meister und Ge-
sellen nicht Schurzfell und Meissel ablegten, um den Disputationen zu
lauschen. Aber das Bestreben der Forschung und der Geist scholastischer
Distinction und Bestimmtheit theilte sich allen Klassen so weit mit, als
ihr Beruf dafür empfänglich war, und von keinem galt dies in höherem
Grade, als von dem der Architekten. Daher denn bei ihnen das Betonen
des geometrischen Elements, die erwachende Neigung zu einem principiel-
len und theoretischen Verfahren, zu Unterscheidungen und Gegensätzen
der Formen.
Beide Richtungen, die phantastisch-ritterliche und die pedantisch-scho-
lastische, traten indessen in dieser Epoche noch nicht einseitig und störend
hervor*, sie standen noch völlig unter der Herrschaft sowohl des religiösen
Geistes als der Naturkraft des Volkes, und der durch beide bedingten
Einheit des Gefühls. Die Architekten waren eben schlichte, aus dem
Handwerk hervorgegangene Meister, die sich im Dienste der Kirche fühlten
und zunächst mit ihrer technischen Aufgabe vollauf zu thun hatten. Sie
verfuhren zwar freier als die früheren geistlichen Baumeister, sie kamen
nicht aus der Klosterschule, waren nicht von den Traditionen der Antike
beherrscht, liebten es, sich in neuen Erfindungen zu versuchen. Aber sie
waren Empiriker, die nicht luftigen Theorien folgten, sondern von der er-
lernten Form ausgingen, diese nur zu verbessern suchten und sich daher
mit langsamen Schritten von ihr entfernten. Sie führten überdies selbst
den Meissel, ihre Hand hatte sich mit dem Steine vertraut gemacht, ihm
die Formen abgelernt, welche ihm am natürlichsten waren; sie dachten
gleichsam im Geiste des Materials. Daher der unschätzbare Vorzug ihrer
Die Arbeit selbst wurde rasch vollführt. Sn^-er's bedeutende Bauten in St. Denis
waren in wenig Jahren vollendet. In dem 1175 begonnenen Chore der Kathedrale
von Canterbury konnte der Dienst schon im Jahre 1180 anfangen; der Bericht des-
Gervasius, dessen luiten ausführlich erwähnt wird, ergiebt Jahr für Jahr das Fort-
schreiten des Baues. Bei dem Neubau des Klosters Bec in der Normandie verzögerte
der Baumeister Ingelramnus, der zugleich am Dome zu Rouen beschäftigt war, nach
anderthalbjähriger rascher Arbeit den unternommenen Neubau; der Abt entliess ihn
daher mid nahm einen andern Meister an, welcher das ganze Werk innerhalb dreier
Jahre vollendete (Chronicon Beccense, p. 214, im Glossary, Vol. III ad annum 1214).
Der Bau der Sainte-Chapelle zu Paris, im Jahre 1243 beschlossen, war, ungeachtet des-
reichsten plastischen Schmuckes, schon nach acht Jahren beendet. Einfachere, nament-
lich klösterliche Bauten wurden gewiss noch schneller ausgefüiirt.
Architektur. 2 3
Arbeiten, dass sie nichts verhüllten, dass alle ihre Formen eine unmittel-
bare, natürliche Wahrheit hatten. Ueberdies gingen sie aus dem Volke
hervor, und zwar aus einem Volke von noch sehr einfachen Sitten, das
der Natur nahe stand und mit ihrer Weise der Production bekannt war;
sie bildeten daher ein so feines Gefühl für organische Entwickelung der
Form aus, wie es mit Ausnahme der Griechen kein anderes Volk gehabt
hatte. Ihre Werke machen den Eindruck innerer Nothwendigkeit, sie
scheinen aus dem Boden zu wachsen, wie die Erzeugnisse der Natur selbst.
Die Willkür, welche in den Ritterdichtungen herrscht und ihnen selbst einen
Reiz verleihet, fand hier keine Stelle.
Um so merkwürdiger ist es, dass diese schlichten Meister das kühne
und künstliche Constructionssystem des gothischen Styles erfanden, welches
dem Steine statt der horizontalen Lagerung auf der Fläche des Erd-
bodens den Ausdruck aufstrebender Kraft verleihet, und so von den un-
mittelbaren Andeutungen der Natur weit abweicht. Allerdings lag diesem
luftigen Systeme eine weise Benutzung statischer Gesetze zum Grunde,
und es entstand nicht aus theoretischem Uebermuth oder aus symbolischen
Rücksichten; aber es konnte nur in einer Zeit entstehen, welche an
künstliche Systeme gewöhnt war, welche auch in der Wirklichkeit über
die gemeine Natur hinwegsah, und sich eine Welt von Ansichten und
Sitten erschuf, die auf kühnen Voraussetzungen beruhete und durch künst-
liche Mittel zusammengehalten wurde. Es giebt einen höchst merkwür-
digen Beweis der schweigenden, aber mächtigen Einwirkung, welche die
geistige Richtung der Zeit selbst auf die statischen Grundlagen der Archi-
tektur ausübt.
Auf der Verbindung jener naturgemässen Entwickelung und dieser
geistigen Richtung beruhet die Schönheit dieser Architektur; sie- löste
eben durch ihr Constructionssystem die Aufgabe, das ideale Element als
wirkliche Realität, als schlichte Wahrheit darzustellen. Sie wurde da-
durch geeignet, auch den feinsten Regungen des Zeitgeistes einen Ausdruck
zu verleihen, an seiner weiteren Entfaltung Theil zu nehmen, und auf sie
zurückzuwirken. Sie giebt daher das reichste und sprechendste Bild dieser
edeln und inhaltreichen Zeit, und hat zugleich durch ihre innere Conse-
quenz und Vollendung eine hohe ästhetische Bedeutung für alle Zeiten.
Die darstellenden Künste dieser Epoche stehen nicht auf gleicher
Höhe; sie sind zu sehr auf das Detail der Erscheinung angewiesen, welches
in jener idealen Auffassung nicht vollständig verstanden und ausgebildet
werden konnte. Aber sie haben doch ungefähr den Werth der Poesie,
mit der sie ja auch der Natur der Sache nach in viel näherer Beziehung
stehen, als die Architektur. Freilich war der unmittelbare Einfluss der
Dichtung nur ein sehr geringer. Wenn Phidias seinen olympischen Zeus
24 Historisclie Einleitung-.
nach den Versen Homers bildete^ so konnten die ritterlichen Dichter sich
höchstens schmeichehi^ den Zeichner, welcher ihre Handschriften zu illustri-
ren hatte, durch die Wärme der poetischen Schilderung zu lebendigeren
und ausdrucksvolleren Bewegungen zu begeistern. Dagegen war der mittel-
bare Einfluss der Poesie auf diese Künste nicht unbedeutend. Wenn die
Minnesänger die Anmuth ihrer Damen und die Lieblichkeit des Frühlings
feiern, sprechen sie freilich nur leichte, subjective Empfindungen aus; aber
ihre Lieder führten doch dahin, das Auge für die Natur zu öffnen, den
traditionellen Begriff der Schönheit mit dem Wohlgefallen an der natür-
lichen Erscheinung in Verbindung zu bringen. Die Spuren eines zuneh-
menden Gefühls für psychologische Wahrheit, für Lebendigkeit und Aus-
druck der Bewegungen finden sich daher in den plastischen Werken bald
nachdem die neue Dichtung mehr und mehr Gemeingut geworden war.
Vom Anfange des dreizehnten Jahrhunderts an zeigen auch die Pflanzen-
ornamente statt der bisherigen conventionellen Form mehr und mehr eine
Aehnlichkeit mit einheimischen Gewächsen. Aber erst noch später, als
die Dichtkunst schon auf ihrer Höhe stand und tiefer eingewirkt haben
konnte, äussert sich ein stärkeres und richtigeres Gefühl für die Schön-
heit der menschlichen Gestalt; die Formen werden voller und gerundeter,
die Mienen und Bewegungen sprechender und anmuthiger. Und dies ge-
schieht in einer den ritterlichen Dichtungen sehr verwandten Weise, mit
derselben Leichtigkeit der Production, mit denselben Schwächen. Die
Körperverhältnisse und Ausdrucksmittel sind unbestimmt, wie dort die
psychologischen Motive, das Charakteristische ist noch wenig ausgebildet.
Tiefere Studien sind überall nicht gemacht, und das Verständuiss der
Natur äussert sich mehr an weiblichen, als au männlichen Gestalten, be-
friedigender im Holdseligen und Freundlichen, als im Ausdrucke des
Schmerzes oder ruhiger Würde. Können wir daher auch nicht annehmen,
dass diese verwandten Aeusserungen direct durch die ritterliche Dichtung
hervorgerufen sind, so beruhen sie doch auf der herrschenden Auffassung
der Natur und der Lebensverhältnisse, welche durch die Poesie bestärkt
und mehr zum Bewusstsein gebracht war.
Das naturalistische Element ist indessen in den darstellenden Künsten
nicht so überwiegend, wie in der Poesie, weil es durch den Einfluss der
Architektur und der architektonischen Stylgesetze beschränkt wurde. Die
Plastik kam grösstentheils nur im Zusammenhange mit kirchlichen Ge-
bäuden vor, sie ging, wie die Architektur, von der Ueberlieferung des
strengeren Styles der vorigen Epoche aus, sie wurde von denselben Stein-
metzen ausgeführt, welchen die architektonische Arbeit oblag. Auch kann
sich ein plastischer Styl stets nur nach dem Vorgange der Architektur
bilden; erst wenn das Auge in ihr Formen und Verhältnisse würdigen
Die darstellenden Künste. 25
gelernt hat, findet es dieselben auch in der organischen Natur. Diese
Einwirkung des architektonischen Elements war aber jetzt um so stärker,
weil das subjective Naturgefühl noch unbestimmt und forjnlos war und
der Regelung durch geometrische Linien und architektonische Gesetze be-
durfte. Und gerade dadurch stand auch diese Kunst in Uebereinstimmung
mit dem gesammteu Leben der Zeit. Denn auch in diesem forderte das
subjective Gefühl auf allen Gebieten noch immer die höhere Regel der
Autorität, und entfernte sich von ihr nur zögernd und mit dem Bewusst-
seiu seiner Gebundenheit. Jene ritterliche Poesie konnte mit so leichter,
phantastischer Kühnheit umherschweifen, weil sie sich nur als den harm-
losen Gegensatz eines ernsten, wohlgeregelten Lebens wusste, und ebenso
verrathen alle naturalistischen Aeusserungen im Leben das Gefühl, dass
sie nicht der tiefe Ernst, sondern vielmehr harmloses Spiel sind. Die
bildende Kunst aber, welche den Schein der Wirklichkeit giebt und im
Dienste der Kirche auftrat, musste diese höhere Regel, welche jene nur
voraussetzten, an sich selbst durch ihre architektonische Strenge aus-
sprechen. Diese findet sich daher auch an den Werken, welche nicht
mit der Architektur selbst zusammenhängen, namentlich an den Miniaturen
der Manuscripte, und zeigt auch hier das Element des abstracten Ver-
standes, das in der Scholastik seinen bestimmtesten Ausdruck hat, aber
im tiefsten Wesen der Zeit begründet war. Gerade auf dieser Verbindung
eines strengen stylistischen Princips mit dem erwachenden Naturgefühl
beruht die Eigenthümlichkeit und der Werth der Darstellungen dieser
Epoche. Sie erhalten dadurch den Ausdruck einer jugendlichen und an-
spruchslosen Naivetät. Die Natur macht sich noch nicht mit eigenwilliger
Gewalt geltend, sie erkennt die höhere Regel an und unterwirft sich ihr,
sie äussert sich wie der zarte Hauch, mit dem die ersten Frühlingskeime
den Wald überziehen, wie das leichte Erröthen auf jungfräulichen Zügen
Alle diese Eigenschaften der Architektur und der darstellenden Künste
sind indessen nicht gleich anfangs im vollen Maasse vorhanden, sondern
werden allmälig ausgebildet und haben erst am Schlüsse dieser Epoche
eine gewisse Reife erlangt. Diese Entwickelung zu beobachten, ist die
Aufgabe der folgenden Kapitel.
26 Frankreich.
Zweites Kapitel.
Ausbildung des gotliischen Styls in Frankreicli.
Durch die neue Richtung des Zeitgeistes erlitt auch die Stellung der
Nationen eine Aenderung. In der ersten Epoche, wo alle Gegensätze
einfach und schroff aufgefasst wurden, wo römische Traditionen und ger-
manische Kraft sich völlig gesondert gegenüberstanden, hatte die reine,
ungemischte Nationalität der Deutschen den Vorzug nicht nur der poli-
tischen Macht, sondern auch der gediegensten Bildung; jetzt wo sich eine
neue, aus römischen und germanischen Elementen verschmolzene Civili-
sation bildete, nahm das Volk, in welchem beide Elemente schon factisch
in genügendem und gleichem Maasse vorhanden waren, die erste Stelle
ein. Es war dies kein anderes als das französische, dessen Nationalität
erst unter dem Einflüsse der neuen Richtung entstand. In der vorigen
Epoche sahen wir das alte Gallien durch den Gegensatz der Abstammung
seiner Bewohner zerrissen; es gab keine herrschende Region, der Süden
war dem Norden fremd, jede Provinz stand für sich. Als aber mit dem
Ritterthume und der Scholastik germanische Freiheitsbegriffe eine grössere
und allgemeinere Geltung erhielten, ging die Herrschaft mehr und mehr
auf die nördlichen Provinzen über, hauptsächlich auf die, welche die un-
mittelbare Domäne des französischen Königthums ausmachten. Auch hier
hatte die Römerzeit tiefe Eindrücke hinterlassen, Paris, Rheims und an-
dere Städte trugen ihre bleibenden Spuren; aber die dichtere Ansiedlung
der Franken, und die Verbindung mit den reingermanischen, flandrischen
Provinzen und mit den Normannen kräftigte das germanische Element und
hielt es mit dem romanischen im Gleichgewichte. Diese Gegenden waren
daher berufen, in socialer und politischer Beziehung eine Centralstelle zu
werden. Machtlos, so lange die Auffassung der Gegensätze in ihrer Rein-
heit vorwaltete, stiegen sie rasch und von selbst, als die Zeit der neuen,
durch Mischung gebildeten Nationalität gekommen war. Es ist merk-
würdig, wie deutlich sich dies in der politischen Geschichte zeigt. Das
Haus Hugo Capets erlangte seine Grösse nicht durch die Kraft eines ein-
zelnen aus ihm entsprossenen grossen Fürsten, nicht durch eine mächtige
That, welche die Völker betäubt und unterjocht hätte, nicht vermöge
eines allgemeinen aus der Erbschaft der Cäsaren oder durch die Weihe
der Kirche überkommenen Rechtes; es hatte keinen anderen Titel, als dass
es das Haus der Grafen von Paris, der Herzöge von Francien, der Herren
der Centralgegend war, in welcher sich die Neigungen der äusseren Pro-
vinzen begegneten. Nur dadurch bekam jene zweifelhafte Wahl der Pairs
Das französische Königthum. 27
und der verächtlich gewordene Königsname einen Werth. Die Könige
stützten sich zunächst auf ihre Hausmacht, sie erweiterten dieselbe all-
mälig, durch privatrechtliche Verträge und Benutzung günstiger Umstände,
ganz in derselben Weise wie die Lehnrechte ihrer Vasallen entstanden
waren. Sie wurden begünstigt durch den Geist ihres Volkes, der, dem
Süden wie dem Norden verwandt, auf die Interessen beider eingehen, die
Rolle des Vermittlers spielen konnte, und durch das Entgegenkommen
der anderen Volksstämme, welche hier verwandte Empfindungen vorfanden
und das Bedürfniss der Einigung hatten.
Das Leben der Provenzalen und Normannen war glänzender und
poetischer, als das der Bewohner von Francien; aber die Poesie beider
war eine verschiedene. Bei den kühnen Eroberern von England war die
Kraft und die That, der Waffendienst, das Abenteuer des Kampfes, in
dem Kreise der Troubadours die feine Sitte, die Sprache der Gefühle,
das persönliche Wohlleben vorwaltend. Jene gaben mehr den Stoff,
diese mehr die Form der ritterlichen Anschauung. Bei beiden waren ver-
schiedene politische Gedanken gefördert; bei den Normannen der Lehns-
staat mit seiner Einheit und regelrechten Ordnung, aber auch mit seiner
Härte, bei den Provenzalen das Städteleben, die Mischung und freie Be-
wegung verschiedener Stände. Im mittleren Frankreich trafen diese Gegen-
sätze zusammen. Auch hier waren alte Communen, wie im Süden, wenn
auch weniger mächtig, dafür aber jung, strebsam, durch die Könige und
durch die Macht der Umstände begünstigt. Diese Könige waren aber
auch die Führer einer Ritterschaft, welche, der des Südens wie der des
Nordens gleich nahestehend, mit den Eigenschaften beider wetteiferte und
daraus einen Kanon gestaltete, welchen beide anzuerkennen genöthigt
waren. Es entstand hiedurch in der Hauspolitik der Könige und in ihrem
Volke ein verständiger, massiger Sinn, der geeignet war, das Gute der
Nachbarn anzunehmen und zu verarbeiten. Ein wichtiger Vorzug war
endlich die Sprache. Der romanische Dialekt dieser mittleren Gegend,
auf die Normannen übergegangen und durch sie auch in England herr-
schend geworden, gewann durch die Kreuzzüge eine weitere Verbreitung;
französische und normannische Ritter bildeten den Kern des Kreuzheeres^
ihre Sprache, den Provenzalen und Italienern verständlich, aber doch mehr
mit germanischen Elementen versetzt und daher auch den Deutschen zu-
gänglicher, wurde das vorherrschende Mittel der Verständigung, erlangte
bald in dem neugestifteten Königreich Jerusalem eine officielle Geltung,
erhob sich so zum gemeinsamen Organ der Völker des Mittelmeers, und
gewann durch diese Verbreitung und durch die damit verbundene An-
Avendung auf mannigfaltige Verhältnisse eine schnelle Ausbildung. Nirgends
folgte so rasch wie hier die Prosa der Poesie; schon am Anfange des
28 Frankreich.
dreizehnten Jahrhunderts konnten französische Ritter die Geschichte ihrer
Zeit und ihre eigenen Schicksale in der Muttersprache lesbar nieder-
schreiben. Sie war also die erste unter den Nationalsprachen und fand
so bei dem regen Verkehr der Völker und bei dem Einflüsse der fran-
zösischen Ritterschaft auf die der anderen Länder überall Eingang, so
dass sie in weltlichen Beziehungen fast eine ähnliche Allgemeingültigkeit
erlangte, wie die lateinische in der Kirche. Auch für die ritterliche
Poesie wurden die Franzosen, obgleich an sich mehr verständig und pro-
saisch als dichterisch begabt, die Vermittler; sie verarbeiteten die Stoffe
und Gedanken der Provenzalen und führten sie den Deutschen zu. Endlich
nahmen sie auch in wissenschaftlicher Beziehung die erste Stelle ein. Die
erste Anregung der Scholastik ging vom Norden aus. Aus den irischen
und angelsächsischen Klöstern war strengere Wissenschaftlichkeit schon
unter den Karolingern durch Alcuin, Johannes Scotus und Andere zu den
Nordfranzosen gelangt. Auch die Normannen wussten die Vortheile der
Wissenschaft zu schätzen, beriefen berühmte Gelehrte aus dem Auslande
in ihre Abteien und Bischofssitze und begünstigten die von ihnen gestif-
teten Schulen. Unter ihnen hatte Anselm, der Begründer der scho-
lastischen Wissenschaft gelebt, welche auch ferner ihre Jünger hauptsächlich
aus diesen nördlichen Gegenden erhielt. Im Süden dagegen war bei ge-
ringerer Gelehrsamkeit und Tiefe mehr allgemeine Bildung, Anwendung
des Gedankens, Redefertigkeit. Das mittlere Frankreich verarbeitete auch
hier wieder diese Elemente, gab der Philosophie Methode, machte sie
populär und leicht zugänglich^), und ergriff sie mit jenem leidenschaft-
lichen Eifer, welcher, nach dem Ausdrucke eines Zeitgenossen, auf allen
Kreuzwegen den Streit der Disputationen ertönen Hess. Unter den her-
vorragenden Meistern sind mehrere Italiener, Engländer und- Deutsche,
aber die grosse Menge stammt aus Frankreich. Jedenfalls fand die Scho-
lastik nirgends so anhaltende Pflege als hier. Durch ihren Eiufluss aber
nahmen auch alle anderen Wissenschaften einen populären Anstrich, eine
encyklopädische Gestalt an. Paris wurde bald der ausschliessliche Sitz
der Gelehrsamkeit, die Wissbegierigen aller Länder strömten dahin als
zu der Quelle, es wurde schon jetzt zur Weltstadt-). Alle Nationen er-
kannten in dieser Beziehung die Superiorität der Franzosen an=^); Paris
1) Joliannes von Salisbury spottet über diese schnell zu erwerbende Gelehrsamkeit.
Fiebant repente summi philosophi; nam qui illiteratus accesserat nou morabatur ulterius
in scholis, quam eo cuniculo temporis, quo avium pulli plumescunt.
2) Vgl. besonders die lehrreiche kleine Schrift von A. Springer, Paris im XIII.
Jahrhundert, Leipzig 1856.
3) Otto von Freising (praef. in lib. 5. Chron.) bemerkt, dass um diese Zeit die
Wissenschaften nach Gallien übergegangen seien. Caesar von Heisterbach (Dialogi
Paris eine Weltstadt. 29
erlangte eine sagenhafte und sprüchwörtliche Bedeutung; man sprach von
den Meistern von Paris fast wie in Griechenland von den sieben Weisen i).
Es konnte nicht ausbleiben, dass die von hier heimkehrenden Schüler die
Vorliebe für französische Sprache und Sitte steigerten. Die Franzosen
waren daher wirklich die Tonangeber in jeder Beziehung, im Ritterthume-
wie in der Wissenschaft, in der Ausbildung des Lehnrechts und in einer
klugen, volksthümlichen Politik, endlich selbst in der Poesie. Man machte
nirgends ein Geheimniss daraus. Unsere deutschen Dichter, ihren eigenen
höheren Werth nicht kennend, berufen sich nicht bloss auf französische
Quellen, sondern gefallen sich in geschmacklos angebrachten französischen
Phrasen. Italienische Gelehrte schrieben sogar ganze Werke in franzö-
sischer Sprache, weil sie die erfreulichste sei und durch die ganze Welt
gehe. Kein Wunder, dass den Franzosen selbst dieser Vorzug ihrer Nation
nicht entging, dass ihr Selbstgefühl und ihr Muth dadurch wuchsen. Auch
hob sich das Land nicht bloss in geistigen Dingen; die Beute der Kreuz-
züge, der Ertrag der Länder und Güter, welche französische Piitter im
gelobten Lande und später auf dem Boden des eroberten byzantinischen
Reiches erwarben, flössen nach Frankreich zurück, die Fremden aller Art,-
welche hier Bildung lernten, belebten den Verkehr, und die städtischen
Gewerbe, von einer mehr geordneten und durchgreifenden Regierung ge-
schützt, gaben einen solideren Reichthum.
Es konnte nicht fehlen, dass alle diese günstigen Umstände auf die
Kunst und namentlich auf die Architektur zurückwirkten. Allein auch an
sich wurde sie, wie alle anderen Thätigkeiten, durch jene mittlere Stellung
lib. 5. c. 22): In Parisiense civitate, in qua est fons totius scientiae et puteus divinoruni«
scriptorum. Kein Wunder dass die Franzosen selbst sich noch emphatischer ausdrücken.
Jacobus de Vitriaco (t 1244) Hist. occid. c. 7.: Civitas Parisieiisis — fons hortorum
et puteus aquarum vivaruin, irrigabat universae terrae superficiem, panem delicatura
et delicias praebens regibus et universae Ecclesiae super mel et favum ubera dulciora
propinans. — Guil. Armoricus de gestis Phil. Augusti in Scr. Rer. Gall. XVII. 82.:
In dlebus illis Studium litterarum florebat Parisiis, nee legimus tantum aliquando fuisse
scholarium frequentiam Athenis vel Aegypti, vel in qualibet parte mundi quanta locuni
praedictum studendi gratia incolebat.
1) Wackernagel in Haupts Zeitschrift für deutsche Alterthümer lY. S. 496 theilt
eine Schrift mit, in welcher „die zwölf Meister von Paris" über die höchsten An-
forderungen christlicher Tugend Sätze aufstellen. Interessante Nachrichten über die
frühe Blüthe von Paris im 13. Jahrb. giebt Guerard im Resume zu der Steuerrolle
von 1292 in der Collectiou des documents inedits sur l'hist. de France, p. 468. Im.
J. 1292 hatte es schon über 200,000 Einw., und noch früher bei dem Einznge Lud-
wigs IX. und seiner Mutter war die Strasse von Paris bis Montlehery, 7 bis 8 Lieues^
nach Joinville's Erzählnng durch die herausströmenden ßfwohner von Paris ge-
drängt voll.
30 Frankreich.
des Landes befördert. Die nördlichen und südlichen Provinzen hatten
auch in baulicher Beziehung verschiedene Richtungen eingeschlagen, ver-
schiedene Systeme ausgebildet, jedes mit eigenthümlichen Vorzügen. Diese
mittleren Gegenden waren schwankend geblieben; sie waren daher in der
Lage von beiden anzunehmen, und mussten, da ihre entlegensten Theile
mit dem einen oder dem anderen jener Systeme in Berührung standen,
in ihrer Mitte beide unwillkürlich verschmelzen. Zudem entsprachen die
architektonischen Eigenthümlichkeiten beider Regionen den geistigen Ver-
schiedenheiten derselben, die Centralgegend, welche diese in sich aus-
geglichen hatte, konnte mithin auch nur in der Verschmelzung beider
einen Ausdruck ihres Wesens finden. Sie brachte aber auch ihre eigenen
Gaben mit; jenen vermittelnden Sinn, der sich in der Politik bewährt
hatte und für die Architektur nicht minder wichtig war, die gleichmässige
Empfänglichkeit für die grossartige Einheit des Ganzen und die freie
Ausarbeitung des Einzelnen. Die vorherrschende Stimmung war, obgleich
mehr verständig als poetisch, dennoch eine enthusiastische und unter-
nehmende, und jener Zusatz des Verständigen grade für die Baukunst
und grade in diesem phantastischen Zeitalter nur vortheilhaft. Ueberdies
gaben Wohlhabenheit, königliche Macht und das auf die Anerkennung
uller Nationen gegründete Selbstgefühl Antrieb und Muth zu den kühnsten
Unternehmungen, für welche dann auch der grosse Reichthum an Bau-
materialien der verschiedensten Art, der in diesen Ländern gefunden wird,
die vortheilhaftesten Mittel gewährte.
Das Resultat aller dieser Elemente ist der gothische Styl in seiner
primitiven, in Frankreich ausgebildeten Gestalt. Wir können an ihm die
einzelnen, aus den bisherigen Systemen der Normannen und der Provenzalen
entlehnten Bestandtheile aufzeigen. Aus südlicher Quelle und zum Theil
aus antiker Reminiscenz stammt die volle Anordnung des Chors mit seinem
Umgange, die Ausbildung der Säule und des Kelchkapitäls, überhaupt im
Gegensatze gegen den normannischen Stj'l die Neigung für plastische Run-
dung, für feineres und freies Ornament, für dr.s Vegetabilische, endlicli
auch der Spitzbogen. Der nordischen Architektur dagegen verdankt er
das Kreuzgewölbe, die regelmässige Anordnung des Ganzen, namentlich
der Fagade mit ihren Thürmen, die gleichmässige senkrechte Gliederung
der Mauerflächen, die rüstige, aufstrebende Lebendigkeit. Dennoch ist
dieser Styl keinesweges eine blosse Compilation; jene entlehnten Einzel-
heiten dienten nur als vorbereitende Studien, welche durch die künst-
lerische Kraft dieser centralen Gegenden zu einem organischen Ganzen
verschmolzen wurden und in dem neuen Systeme eine ganz andere Be-
deutung erhielten als sie bisher gehabt hatten. Er war vielmehr eine
neue Erfindung, die aber nicht plötzlich als gerüstete Minerva aus dem
Miscluing der Proviiizialstyle. 31
Hanpte eines einzelnen Meisters hervorsprang, sondern als das Erzeugniss
vereinter Kräfte langsam und allmälig reifte^).
Den Ausgangspunkt für diese spätere künstlerische Thätigkeit bildete
allerdings die Vermischung südlicher und nördlicher Styleigeuthümlichkeiten,
welche seit dem Beginne des zwölften Jahrhunderts in diesen Gegenden
ganz von selbst, durch ihre geographische Lage eintrat. Die Klöster
nahmen vermöge ihrer Verbindung mit den grossen Ordenshäusern Bur-
gunds, namentlich mit Cluny, bei ihren Kirchenbauten die grossartigere
Anlage, die dort aufgekommen war, zum Vorbilde. In den südlichen
Theilen unseres Gebiets schlössen sie sich denselben unbedingt an. So
ist die Klosterkirche von Preuilly (Prulliacum) an der Südspitze des
Gebiets von Tours völlig den burgundischen Kirchen gleich, im Mittel-
schiffe ein Tonnengewölbe mit regelmässigen Quergurten, in den Seiten-
schiffen halbe Tonnengewölbe; viereckige Pfeiler mit angelegten Halbsäulen,
der ChoruHigang mit drei radianten Kapellen, ausserdem senkrecht gestellte
Kapellen an der Ostwand des Kreuzschiffes-). In den nördlicheren Gegen-
den verband man indessen diese Anlage mit den decorativen Formen der
Normandie und mit dem Kreuzgewölbe. So hat der Chor der Abteikirche
^) Ueber die Literatur der französischen Archäologie vgl. oben Band IV. S. 486.
Eine genaue Darstellung des Entwickelungsganges dieser nordfranzösischen Bauschule
ist von den französischen Schriftstellern überall noch nicht gegeben, obgleich sie im All-
gemeinen über ihre Bedeutung und den Hergang einverstanden sind und im Einzelnen
auch wohl die allmälige Veränderung gewisser Formen nachweisen. Die ersten Andeu-
tungen des richtigen Verhältnisses hatte schon der frühverstorbene Engländer Whit-
tington (An historical survey of the ecclesiastical antiquities of France, London 1809,
4*^ und 1811 8'^) gegeben, während Didron, der (Annales archeol. XVI. 307.) für sich
das Verdienst in Anspruch nimmt, den französischen Ursprung des gothischen Styles
zuerst in Frankreich ausgesprochen zu haben, nur vereinzelte, in den Jahren 1830 —
1841 gedruckte Zeitungsartikel citirt, welche keine genauere Ausführung enthalten
konnten. Vollständigeres lieferte Mertens in seinen in Düsseldorf im J. 1841 gehal-
tenen Vorlesungen, deren Inhalt in dem bereits angeführten Aufsatze: Paris bau-
geschichtlich im Mittelalter, in der Wiener Bauzeitung 1843, p. 159, und 1847, p. 62
weiter ausgeführt ist. Seine Annahmen sind im Allgemeinen richtig, obgleich in über-
treibender Sprache vorgetragen, im Einzelnen weiche ich, wie eine Vergleichung er-
giebt, vielfach von ihm ab. Eine reiche Quelle der Belehrung ist der Dictionnaire
raisonne de l'architecture francaise du XI. au XVI. siecle von Viollet-le-Duc, Paris
1854 — 1868, welcher die Geschichte jedes einzelnen Baugliedes und in den Haupt-
artikeln höchst bedeutende Bruchstücke einer Geschichte der französisch -gothischen
Architektur giebt, und endlich seine Annahmen mit vortrefflichen und anschaulichen
Zeichnungen belegt.
2) Vgl. Corblet, Mnnuel elementaire d'archeologie nationale. Lyon 1831, und
die in Audige, Histoire de Preuilly enthaltene Notice archeologique von Bourasse.
Dieser hält das gegenwärtige Gebäude für das in den Jahren 1001 bis 1009 erbaute,
die ganze Anlage lässt indessen darauf schliessen, dass sie nach dem Neubau von
Cluny, also etwa im ersten \'iertel des zwölften Jahrhunderts, entstanden sei.
32 Frankreich.
St. Pere in Chartres, dessen untere Theile aus einem nach einem Brande
vom Jahre 1134 begonnenen Bau herstammen, die Anlage mit radianten
Kapellen, neben normannischer Ornamentation der Kapitale^). Am auf-
fallendsten zeigt sich diese Mischung an dem aus der Anfangszeit des
zwölften Jahrhunderts stammenden Chore der vormaligen Prioratskirche
St. Martin des champs zu Paris. Die Anlage mit radianten Kapellen,
die Bildung der korinthisirenden Kapitale und endlich die Verbindung der
Halbsäulen am Aeusseren des Chors mit dem Gesimse ohne Vermittelung
durch Bögen, mithin entschieden südliche Elemente, kommen zugleich mit
dem Zickzack und ähnlichen normannischen Ornamenten vor-).
Die Stephanskirche zuBeauvais giebt endlich sogar ein Beispiel
der Aufnahme nicht bloss normannischer sondern auch deutscher Formen.
Sie hat den ausgebildeten Pfeiler der normannischen Bauten, ein Triforium
mit überwölbten Doppelarcaden, erhöhte Scheidbögen, Kelchkapitäle ohne
Reminiscenz an das korinthische, dabei aber im Aeusseren in der Behand-
lung des Rundbogenfrieses und der als kleine Säulen gestalteten Lisenen
überraschende Aehnlichkeit mit manchen deutschen Bauten ^). "Wir sehen.
^) Mertens a. a. 0. giebt dieser Kirche das Datum von 940. Das Kloster war
aber, wie Ordericus Vitalis erzählt, durch eine Feuersbruiist vom J. 1134 cum reliquis
officinis so sehr zerstört, dass die Mönche sich zerstreuten, und die Gallia christiana
(Vol. VIII, col. 1226) schreibt daher wohl mit Recht erst dem Abte Fulcherius (1150
bis 1171) die Errichtung dieses Chors zu, welcher Rundsäulen mit schweren und schmuck-
losen Kelchkapitälen, stumpfe Spitzbügen, und in den Seitenschiffen Kreuzgewölbe mit
spitzen Diagonalgräten und runden Transversalbögen hat, und daher der zweiten Hälfte
des 12. Jahrh. wohl entspricht.
") Die erste an dieser Stelle erriclitete Stiftskirche war im Jahre 1060 gegründet
und schon 1067 geweiht. Allein durch eine Urkunde vom Jahre 1097 schenkte König
Philipp die ganze Stiftung (locum quem pater mens fundavit qni dicitur Sancti Martini
ad campos) dem Abte Hugo von Cluny und seinen Nachfolgern, so dass sie nun zu
einem von Cluny aus besetzten Priorat wurde. Vgl. Mich. Felibien, Hist. de la ville
de Paris (fol. 1725). Vol. I. p. 130 und Vol. III. p. 49 ff. In den Jahren 1097 und
1137 sicherten andere Urkunden des Erzbischofs von Paris und des Königs dem Kloster
seine reichen Besitzthümer und Rechte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass jene erste
schon in sieben Jahren vollendete Kirche den klösterlichen Bedürfnissen nicht entsprach
und dass daher die älteren Theile des Chors (das Schiff ist im Jahre 1240 erneuert
und auch der Chor hat um diese Zeit einige leicht erkennbare Aenderungen erhalten)
aus einem Neubau stammen, welcher unmittelbar von den aus Cluny gekommenen
Mönchen geleitet wurde, wodurch sich auch die südlichen Formen erklären. Die An-
lage des Kapellenkranzes ist indessen ziemlich complicirt und abweichend von der
älteren Weise.
•'') Das Gebäude enthält Theile sehr verschiedener Zeiten, deren völlige Sichtung
den Gegenstand einer anziehenden Monographie bilden könnte. Audi die sehr eigen-
thümüche Symbolik ihres Bildwerks würde dabei in Betracht kommen. Vgl. einige
Abbildungen bei Gaiihal)and und in der Voyage dans l'ancienne France.
Abt Suger von St. Denis. 33
wie begierig diese mittlere Gegend nach brauchbaren Formen war, wie sie
dieselben von allen Seiten herbeizog.
Diese Mischung heterogener Elemente und diese schwankenden Ver-
suche erzeugten dann aber sehr bald in consequenteren Geistern das be-
wusste Bestreben nach Bildung eines in sich harmonischen, technisch
befriedigenden Styls. Zuerst und in sehr merkwürdiger Weise tritt uns
dies in den Bauunternehmungen des berühmten Abts Suger an der Abtei
St. Denis bei Paris, der reichen Stiftung und Grabstätte der franzö-
sischen Könige, entgegen. Suger ^), 1121 zum Abte gewählt, fand die
bestehende, auf den Grundmauern eines noch älteren Baues von Pipin be-
gonnene und unter Karls des Grossen Regierung vollendete Kirche für
den Andrang der Gläubigen zu klein und begann sofort einen Erneuerungs-
bau, den er mit höchster Sorgfalt betrieb und über dessen Hergang er
einen ausführlichen Bericht, eines der interessantesten Documente mittel-
alterlicher Kunstgeschichte 2), hinterlassen hat. Sehr merkwürdig ist schon
der Eifer des Abts; er nimmt sich des Baues und der Ausschmückung
der Kirche in allen Theilen an, geht mit in den Wald, wo die Bäume
gefällt werden, versucht selbst seine künstlerischen Schulstudien anzuwen-
den. Er zieht aber auch auswärtige Künstler soviel er kann, aus Lo-
thringen und aus anderen Ländern herbei, und wetteifert mit allen grossen
Werken, die er kennt oder von denen er gehört hat. So wünscht er
Säulen zu haben, wie er sie im Palast des Diocletian in Rom gesehen hat,
überschlägt schon die Kosten, wenn er sie (wie er ausdrücklich erwähnt)
vielleicht mit Hülfe von Saracenen aus Italien kommen Hesse, ist aber
dann so glücklich, in einem benachbarten Thale taugliche Steine zu finden-^).
Er zeigt die bereits beschafften Kunstwerke gern denen, die aus dem ge-
lobten Lande zurückgekehrt sind und die Schätze der Sophienkirche kennen,
und fühlt sich geschmeichelt, wenn sie seinen Besitz für vorzüglicher er-
klären. Er beginnt seinen Bau mit der Fagade, der er drei Portale giebt,
nebst der Vorhalle und einigen daran stossenden Kapellen, lässt neue Thürme
^) Auch liier ist Whittiiigton der Erste, welclier auf die kunslliistorische Wichtig-
keit der Bauten Sugers aufmerksam gemacht hat, denen Mertens a. a. 0. insofern eine
zu grosse Bedeutung beilegt, als er Suger als den Schöpfer des gothischen Systemes
darstellt. — Vgl. auch F. de Verneilh, le premier des monuments gothiques, mit Ab-
bildungen, Annales archeologiques, ß. XXIII, 1863.
2) Suger, de rebus in administratione sua gestis, bei Duchesne Scr. IV. p. 343,
imd bei Feiibieu, Histoire de l'abbaye royale de Saint-Denis, Paris 1706, im Anhange
p. 172.
^) Zappert, über Antiquitätenfunde im Mittelalter (Sitzungsberichte der Wiener
Akademie, Bd. V., S. 761) nimmt an, dass er ein antikes Gebäude entdeckt, welches
er geplündert. Es scheint dies aber ein Missverständniss des Textes (bei Felibien,
p. CCXXXIX). Er sagt nur, dass in diesem Thale vor Alters Mühlen waren.
Schnaase's Kunstgescli. 2. Aufl. V. 3
34 Das nördliche Frankreich.
errichten, zwei eherne Thüren ausser der alten, die er beibehält, giessen.
Im Jahre 1140 konnte er seine Inschrift auf der vollendeten Vorderseite
anbringen, und die feierliche Einweihung dieses westlichen Theiles bewirken.
Dann schreitet er zur Erneuerung des Chors und ist so glücklich, in der
kurzen Zeit von drei Jahren und drei Monaten die Krypta und den oberen
Bau, ein prachtvolles Werk, an welchem er selbst die Höhe der Gewölbe,
die Mannigfaltigkeit der Bögen und Säulen (voltarum sublimitatem, tot ar-
cuum et celumnarum distinctionem) rühmt, zu vollenden (1144). Durch
diesen Erfolg und durch das Zureden Anderer ermuthigt beschliesst er dem-
nächst, auch den mittleren Theil, das Schiff, neu herzustellen, und den
beiden anderen, erneuerten Theilen ähnlich zu machen. Hier indessen, wie
er angiebt aus Ehrfurcht vor der früheren Weihe, vielleicht auch mit dem
Wunsche schnellerer Beendigung, behielt er einen Theil der älteren Mauern
bei^), und dieser Umstand erklärt es, dass gerade dieser mittlere Theil
schon nach kaum neunzig Jahren unter Ludwig IX. erneuert werden musste,
während die Fagade, die Krypta und der untere Theil des Chors, so wie
das Portal des nördlichen Kreuzschiffes ungeachtet der schmachvollen Ver-
wüstung dieses Heiligthums des französischen Königshauses in der Revolution
und der späteren nicht überall discreten Restauration im Wesentlichen noch
aus Sugers Zeil erhalten sind.
Die Westseite, ein Mittelbau zwischen zwei kräftigen, wenig verjüngten
Thürmen mit drei Portalen und Fenstergruppen, erinnert in den Grund-
zügen ihrer Eintheilung an die von St. Etienne in Caen. Aber die Ver-
hältnisse sind schon leichter, die Portale weiter, stärker vertieft und reicher
mit plastischem Schmucke ausgestattet, die Massen besser gegliedert. Wäh-
rend dort nur die verticale Theilung hervortritt, und dieThürme vom Boden
■bis zum Beginne des Helmes schwer und unvermindert aufwachsen-), werden
hier ihre unteren Stockwerke mit dem Mittelbau durch gemeinsamen hori-
zontalen Abschluss zu einem Ganzen eingerahmt, auf welchem die oberen
Stockwerke der Thürme in etwas vermindertem Umfange aufsteigen. Der
Spitzbogen wechselt an dieser Facade mit dem Rundbogen. Am Mittel-
portale sind die reichgegliederten Archivolten halbkreisförmig, während die
Bögen der Seitenportale eine leichte, aber bestimmt ausgesprochene Zu-
spitzung haben. Dasselbe wiederholt sich merkwürdiger Weise an den drei
Fenstern über dem Mittelportale, indem auch hier das mittlere rund, die
beiden äusseren dagegen, wie die meisten über den Seitenportalen, spitz-
1) Da Suger (a. a. 0. cap. 29) diese Beibehaltung; nur bei diesem Theile und zwar
ausführlich erwähnt, wird man annehmen dürfen, dass sie nur liier stattfand.
-) Vergl. die Abbildung der Facade von St. Etienne in laibke's Atlas, Taf. 42,
Nro, 9.
Suger's Bauten in St. Denis. 35
togig sind ^). Die mächtigen Pfeiler der Vorhalle unter den Thürmen,
rechtwinkeliger Anlage, mit einer grossen Zahl von Halbsäulen nach der
Richtung der ihnen entsprechenden Gewölbgurten umstellt, zeigen schon
das Bestreben einer organischen Verbindung der Pfeiler mit den Gewölben.
Sie tragen jetzt durchweg Spitzbögen, welche indessen zum Theil durch
spätere Aenderung an die Stelle früherer Rundbögen getreten zu sein
scheinen.
Während die Fagade in ihrer Anordnung und sogar in manchen Details,
namentlich in den Wandmustern zwischen den Fenstern, an die Norman die
■erinnert, schliesst sich die Choranlage dem grossartigeren südlichen Systeme,
^ber ebenfalls mit bedeutenden Verbesserungen, an. Sie hat nämlich nicht
bloss, wie selbst der kolossale Bau von Cluny, fünf, sondern sieben radiante
Kapellen, und nicht wie dort vereinzelt, sondern eng aneinandergerückt und
nur durch Strebemauern getrennt, so dass sie einen wirklichen, geschlos-
senen Kranz bilden. Acht Rundsäulen umstehen, und zwar nach der Mitte
zu mit wachsender Annäherung, den inneren Chorraum, um den sich, da
zwischen ihnen und den Kapellenmauern eine zweite Säulenstelluug ange-
bracht ist, ein doppelter Umgang herumzieht-). In der Krypta finden wir
im Wesentlichen rein romanische Formen, rundbogige Fenster und Arcaden,
schwere Kapitale mit roher Nachahmung der korinthischen Form und mit
historischen Darstellungen. Im oberen Chore ist diese antike Reminiscenz
noch deutlicher und vielleicht durch nähere Berücksichtigung alter Vor-
bilder aufgefrischt, aber die Kapitale sind leichter und, ungeachtet wech-
selnder Verzierung, meist mit knospenartigem Blattwerk ausgestattet. Zu
dieser Verbesserung der decorativen Plastik kommen dann die sehr viel
Avichtigeren constructiven Neuerungen. Alle Felder des Chores sind mit
Kreuzgewölben bedeckt, welche, im Spitzbogen construirt, aus kräftigen
Steinrippen mit leichtgehaltenen Kappen bestehen, und durch starke in die
Ecken der Kapellen gelegte Strebepfeiler gesichert sind, von welchen dann
oben Strebebögen zur Stütze der mittleren und höheren Theile des Chores
ausgehen. Jenes bequeme, leicht ausführbare und fügsame System der
Ueberwölbung, nach welchem man so lange gesucht hatte, dem der Meister
jener Kreuzgewölbe im Langhause der Kirche zu Vezelay schon nahe ge-
kommen war, ohne es zu erreichen, (vgl. oben Band IV, S, 513) war daher
gefunden. Dazu kam dann, dass hier, wahrscheinlich zum ersten Male in
^) Die drei Fenster über dem nürdliclien Seitenportal sind alle spitz, von denen
über dem südlichen dagegen, ohne erklärbares Motiv, nur eines,
-) Der äussere Umgang ist jedoch zu den Kapellen gezogen und dient also eigent-
lich uur als innere Verbindung derselben. Die Anordnung ist ähnlich, aber docli nicht
:ganz gleich, wie auf dem weiter unten mitzutheilenden Grundrisse von St. Remy in
Jliieims.
3*
3() Das nördliche Frankreich.
Frankreich, der Spitzbogen nicht bloss an den tragenden Bögen, sondent
auch an den Fenstern ganz durchgeführt ist. Die Meinung, dass Suger
diesen Bogen als eine Verschönerung oder Verbesserung aus dem Orient
oder aus Sicilien, welche Gegenden er nach seinen ziemlich ausführlichen
Lebensnachrichten nie betreten zu haben scheint, entlehnt habe, verdient
kaum mehr eine Widerlegung. "Wir haben gesehen, dass er in Frankreich
schon oft angewendet war; schon früher an den Tonnengewölben der süd-
lichen und westlichen Provinzen, in Cluny und neuerlich in der Kathedrale-
von Autun an den Scheidbögen, an vielen Orten endlich neben Rundbögen
an einzelnen Stellen, wo man den Bogen auf engerem Räume zu gleicher
Höhe hinaufführen wollte. In diesem Sinne erscheint der Spitzbogen auch
an Suger's Fagade bei den Seitenportalen; er ist auch hier gleichsam durch
Zusammendrängen entstanden, um die Höhe des breiteren Mittelportals zu
erreichen. Aber schon an den Fenstern der Fagade hat er eine andere-
Bedeutung; er kommt zwar wechselnd vor, aber nicht in Folge der Raura-
beschränkung, sondern aus rein ästhetischem Grunde, um den Wechsel der
Bogenformen der Portale auch an den oberen Theilen zu wiederholen. Eine-
ähnliche Rücksicht scheint auch für die vollständigere Durchführung des
Spitzbogens im Chor maassgebend gewesen zu sein. Bei den Gewölben war
er aus technischen Gründen, bei den mittleren Säulenpaaren am Rundpunkte-
durch ihre enge Stellung gefordert; die Zusammenstellung verschiedenartiger
Bögen, welche sich hier nicht, wie an der Fagade, auf einen bedeutsamen
Rhythmus zurückführen liess, sagte aber Suger's ordnendem Sinne nicht zu..
Er zog daher vor, ihn allen Arcaden und demnächst zu weiterer Gleich-
förmigkeit auch den Fenstern zu geben. Wir können annehmen, dass der
unternehmende Geist, der Sinn für Ordnung, welchen Suger als Staatsmann
und Rathgeber des Königs ausgebildet hatte, auch auf seine künstlerische
Wirksamkeit Einfluss hatte, und ihn zu einer Consequenz ermuthigte, zu
der sich seine Zeitgenossen noch nicht entschliessen konnten. Sie behielten
vielmehr, obgleich sie nun fast allgemein den Spitzbogen an den Arcaden
anwendeten, für die Fenster und Portale noch längere Zeit den Rund-
bogen bei.
Nicht allen Baumeistern standen die reichen Mittel zu Gebote, welche
der Abt von St. Denis durch die Beihülfe seines königlichen Herrn erlangte..
Dagegen war der ausserordentliche Eifer für kirchliche Bauten, für Neue-
rungen und Verbesserungen, der ihn beseelte, auf anderen Punkten Frank-
reichs nicht minder gross. Wir können ihn schon seit dem Anfange des
zwölften Jahrhunderts wahrnehmen. Die gewaltigen Opfer von Kräften und
Geldmitteln, welche die Kreuzzüge in Anspruch nahmen, lähmten ihn nicht,
dienten ihm vielmehr nur zur Steigerung. Die Zurückbleibenden, welche
sich den Kreuzzügen nicht anschliessen konnten, fanden eine Beruhigung^
Eifer für kirchliche Bauten. 37
-ein stellvertretendes Opfer, darin, wenn sie wenigstens durch Beisteuern
■oder noch besser durch thätige Beihülfe bei kirchlichen Bauten für die
:Sache des Christenthums mitwirken konnten, und die Begeisterung liess sie
dabei keine Anstrengung und Entsagung scheuen. Auch wurde diese Be-
geisterung auf alle Weise genährt und angespornt. Robert d'Aubrissel
(t 1117), ein feuriger Mönch, der als Kreuzzugsprediger durch das Land
wanderte, stellte es sich zugleich zur Aufgabe, die Anlage von Klöstern,
namentlich für Frauen, zu befördern, und sein Bestreben war so wenig
fruchtlos, dass eine Menge solcher Institute durch ihn ins Leben traten.
In der kleinen Provinz Picardie wurden von 1107 bis 1124 acht, von 1128
bis 1145 noch elf neue Klöster gegründet i). Aber nur Wenige hatten die
Mittel zu so kostspieliger Frömmigkeit, und auch diese begnügten sich nicht
mit blossen Opfern zeitlicher Güter, ein jeder wollte, wie die Kämpfer des
Kreuzheeres, persönlich, körperlich für die Sache Gottes und der Kirche
mitwirken. Ich habe schon früher-) von der eigenthümlichen Erscheinung
gesprochen, dass alle Stände herbeiströmten, um Bauhülfe, selbst die nie-
<irigsten Dienste zu leisten. Sie gehört dieser Zeit und dieser nordfranzö-
sischen Gegend an. Schon Suger kam sie zu statten; als er nach der Auf-
.findung jener Säulenstämme, deren ich erwähnte, wegen der Herbeischaifung
ihrer gewaltigen Last besorgt war, eilten Vornehme und Geringe herbei,
um mit ihren Armen, den Lastthieren gleich, sie heranzuziehen-^). Dies
wiederholte sich demnächst einige Jahre später, 1145, bei dem Bau der
Kathedrale von Chartres in grossartigerer Weise; hier wurde diese Hülfe
völlig organisirt, man behielt die herbeiströmende Menge längere Zeit bei-
sammen, liess sie beichten, unbedingten Gehorsam geloben, begeisterte sie
durch geistliche Gesänge und vermochte dadurch das Werk mehr zu be-
schleunigen, als es selbst durch die reichsten, königlichen Geldspenden
möglich gewesen wäre, und Hindernisse zu überwinden, vor welchen blosse
Lohnarbeiter zurückgeschreckt wären. Dies erbauliche Schauspiel erweckte
Nachahmung, alle Stände und Geschlechter wollten Theil nehmen, ein from-
mer Wetteifer verbreitete sich durch das ganze Land, und die Aebte und
Bischöfe konnten sich rühmen, dass edle Männer und Frauen den stolz und
weich gewöhnten Nacken unter Riemen und Tauwerk gefügt hätten, um
«chwer beladene Karren zu ziehen, dass Berge und Sümpfe, und selbst die
drohende Meeresfluth die Glaubenseifrigen nicht zurückhalte, dass sie mit
ehrerbietigem Schweigen und ohne Murren alle Lasten ertrügen^).
^) Woillez in den Mem. des Antiquaires de la Picardie, Vol. VI, p. 190 ff.
2) Band IV, S. 213.
') Er beschreibt es selbst, wie sie, „brachiis et lacertls immensas illas columuas
tfunibus adstricti' vice trahentium animalium ex Ulis antris extrahebant".
*) Eine Reihe von Zeugnissen bestätigen diesen Hergang und den Anfang dieses
.*? 17692
33 Das nördliche Frankreicli.
Es ist begreiflich, dass dieser Eifer auch die, welche den Bau leiteten
und die Formen zu bestimmen hatten, begeistern und ermuthigen musste.
Auch sie wollten und konnten nicht im alten Geleise bleiben, fühlten sich
angespornt. Neues und Kühneres zu leisten, um der werkthätigen Menge
zu zeigen, dass ihre fromme Beihülfe nicht verloren gehe. Gewiss wurde
daher an vielen Orten mit demselben Eifer geforscht und gearbeitet, wie in
St. Denis.
Dies beweist auch der andere, eben erwähnte und gleichzeitige Bau,
welcher mit so grossartiger Laienhülfe unternommen wurde, dieKathedrale
von Chartres^), die mau, um 1145 und zwar nicht, wie es später üblich
wurde, mit dem Chore, sondern wie in St. Denis mit der Fagade begann.
Bald aber muss das Unternehmen in Stocken gerathen sein. Das Schiff
der Kirche gehört ganz dem dreizehnten, die bewundernswerthe Aus-
schmückung der Seitenportale dem vierzehnten Jahrhunderte an, der nörd-
liche Thurm an der Westfronte hat erst im sechszehnten Jahrhundert seinen
Aufsatz erhalten. Was aus der Zeit um 1145 stammt, ist der grösste Theil
der Fagade, mit Einschluss des Unterbaues beider Thürme und des oberen
Tieils vom südlichen Thurm-). Nur das Radfenster scheint erst im drei-
zehnten Jahrhundert hinzugefügt zu sein"^). Diese Fagade zeugt von über-^
laschender Kühnheit und Klarheit des Gedankens. Sie setzt eine Mittel-
schiffbreite voraus, über welche auch die späteren Baumeister nicht leicht
hinauszugehen wagten, sie enthält in der consequenten Anwendung des
Spitzbogens, in der Begründung der Thürme durch Strebepfeiler, in der
Anordnung der Portale viele Grundzüge der späteren gothischen Fagaden.
Aber darin weicht sie von diesen und selbst von der Kirche von St. Denis^
Eifers bei dem Dombaii vou Chartres. So der Brief des Erzbischofs Hugo von Ronen-
an Theodorich Biscliof von Amiens bei Mabiilon, Annal. ord. S. Bened. VI, p. 392,.
das Chron. Normanniae bei Duchesne Hist. Norm. Script, p. 982, und besonders der
ausfülirHche Brief des Abts von S. Pierre sur Dive bei Mabiilon a. a. 0. 1. 78, c. 67.
1) Abbildungen in Chapuy Cathedrales franc. und sonst häufig-. Besonders aber
in J. B. A. Lassus et A. Didron, Monographie de la Cathedrale de Chartres. Paris-
1842 etc.
2) Der Abt von S. Pierre sur Dive a. a. 0. bemerkt ausdrücklich, dass man da-
mals (1145) an den Thürmen gebaut habe.
'') Viollet-le-Duc (II. p. 313, HI. p. 359) nimmt an, das Langhaus habe ursprüng-
lich früher geendigt, die Thürme seien vor demselben angelegt und durch eine Vorhalle
verbunden gewesen. Bei der Verlängerung des Mittelschiffs im dreizehnten Jahrhundert
sei die Vorhalle verschwunden, aber die drei Portale, welche anfangs aus dieser in
das Innere führten, habe man ihres reichen Schmuckes wegen nicht aufgeben wollen
und nebst den drei Fenstern über ihnen in die neue Facade versetzt. Trotz aller Be-
stimmtheit, mit welcher Viollet-le-Duc dies aufstellt, giebt er keine Beweise an; eine
solche Anlage wäre höchst ungewöhnlich gewesen.
Facade der Kathedrale von Chartres. 39
ab, dass ihre drei Portale nicht in je eines der drei Schiffe führen, sondern
eng aneinander gerückt die Breite des Mittelschiffs einnehmen. Augen-
scheinlich entstand dies hier dadurch, dass man die beabsichtigten mächtigen
Thürnie durchweg auf solide Mauern stützen und diese nicht durch einen
Portalbau schwächen wollte, wodurch man dann als Zugang des Schiffes nur
den der Mittelschiffbreite entsprechenden Raum zwischen den Thürmen
behielt, dem man nun, wegen seiner bedeutenden Breite und grösserer Pracht
halber, drei Portale gab. Diese Anordnung, wenn man auch später von ihr
abging, gab doch eine Anschauung der durch die Annäherung und Verbin-
dung der Portale entstehenden günstigen Wirkung und veranlasste daher
die späteren Meister, eine solche auch da zu erstreben, wo die Seitenportale
unter den Thürmen angebracht und von dem Mittelportale durch die mäch-
tigen Strebepfeiler des Thurmbaues getrennt wurden.
Die Anordnung und Eintheilung der Fagade war es indessen nicht, was
die Baumeister im Anfange unserer Epoche am meisten beschäftigte; die
christliche Architektur ging immer vorzüglich vom Innern aus, und gerade
in dieser Beziehung brachten die veränderten Verhältnisse neue Anforde-
rungen hervor. In der voi'igen Epoche waren die Klöster die hervor-
ragenden Sitze der Bildung; ihre Bedürfnisse und ihr Geist hatten daher
auch überwiegenden Einfluss auf die Ausbildung der Architektur gehabt.
Jetzt handelte es sich mehr um Kirchen für die angewachsene Bevölkerung
der Städte, namentlich um Kathedralen, welche die Würde des Bischofs,
als des Vertreters der in der Hauptstadt einer Gegend concentrirten geist-
lichen Gewalt, erkennen lassen, zugleich aber auch als städtische Monumente
durch ihre grossartige und glänzende Erscheinung die Macht und den Reich-
thum der Bürgerschaft versinnlichen sollten. Gerade damals erlangten die
Comraunen in Folge der Kreuzzüge grössere Bedeutung und in Aner-
kennung derselben umfassende Privilegien, und dies neugewonnene politische
Selbstgefühl verband sich mit dem religiösen Sinne und verursachte, dass die
Pracht der Hauptkirche ein Gegenstand des Wetteifers und des Stolzes der
Bürger wurde. Man bedurfte geräumiger und heller beleuchteter Kirchen,
besonders auch mit einer für den zahlreichen Klerus der Dorastifter hin-
reichenden Choranlage; man wollte sie aber auch vollständig überwölben,
um sie gegen schnellen Verfall und gegen die bei der dichten Umgrenzung
städtischer Wohnhäuser zu befürchtende Feuersgefahr zu sichern. Es war
also eine zugleich technische und ästhetische Aufgabe, bei der jedoch das
Technische, Constructive, der Natur der Sache und dem verständigen Sinne
städtischer Handwerker entsprechend, überwog. Es kam vor Allem darauf
an, hohe Gewölbe in solider und leicht ausführbarer Construction herzu-
stellen. Nun hatte man zwar in den südlichen Kirchen zahlreiche Beispiele
vollständiger Ueberwölbung, aber man musste, um den Erfordernissen des
40 Dfs nördliche Frankreidi.
nordischen Klimas zu genügen, vielfach von dem Systeme derselben ab-
weichen. Die Bedeckung mit Tonnengewölben war nicht anwendbar, weil
der dunklere Winter Oberlichter nöthig machte, die damit nicht wohl zu
verbinden waren, das Kuppelgewölbe von Perigueux nicht, weil man Seiten-
schiffe haben wollte, welche dieses ausschloss. Die transversalen Tonnen-
gewölbe, welche man, wie wir gesehen haben, an verschiedenen Orten ver-
sucht hatte, gaben ein unbefriedigendes Resultat und hatten daher nirgends
weiteren Anklang gefunden. Die einzige geeignete Wölbungsart war das
Kreuzgewölbe, aber die Ausführung desselben in grossen Dimensionen war
den Bauleuten dieser Gegend noch keinesweges geläufig und bedurfte noch
mancher Ueberlegungen. Zwar die Erfindungen, welche wir an dem Chor-
bau von St. Denis schon in Ausführung fanden, blieben keinesweges un-
bemerkt und verbreiteten sich ziemlich rasch über das ganze nördliche
Frankreich. Der Spitzbogen, zunächst als Mittel zur Verminderung des
Seitenschubs und zur Ausgleichung der Bogenhöhe verschiedener Grund-
linien, die Rippenconstruction und das Strebewerk wurden von nun an überall
in Anwendung gebracht. Aber während man schon in Vezelay den Versuch
gemacht hatte, rechteckige Gewölbfelder zu überwölben, hielt man in diesen
nördlichen Gegenjien noch längere Zeit an dem Systeme der quadraten Wöl-
bung fest, nach welchem auf jedes Gewölbe des Mittelschiffes je zwei des
Seitenschiffes kamen und die Pfeilerabstände also die Hälfte der Mittelschiff-
breite betrugen. Es kann sein, dass die Gewöhnung an dieses rhythmische
Verhältniss, das hier bereits bei der Anwendung der Balkendecke das vor-
herrschende gewesen war, dazu mitwirkte; ohne Zweifel aber sprach auch
die Rücksicht auf Solidität und auf die Uebung der Bauleute mit. Man
wagte es nicht, die Last des Gewölbes auf weiter entfernte Stützen zu legen
und man hielt die Ausführung des quadraten Gewölbes für leichter. Man
verwandte daher die neue Erfindung der Rippenc nstruction nur dazu, jenen
weiten Gewölben grössere Haltbarkeit zu verleihen, indem man den diago-
nalen Graten starke Rippen unterlegte und überdies die beiden von den
Seiten wänden ausgehenden grossen Gewölbdreiecke durch eine weitere, den
Zwischenpfeilern entsprechende Rippe theilte und verstärkte. Die sechs-
theiligen Gewölbe, welche schon oben beschrieben sind, kamen daher in
allgemeine Aufnahme, obgleich sie dem Wunsche nach stärkerer Beleuchtung
nicht entsprachen, da sie vielmehr den Raum für die Fenster beschränkten
und selbst das Eindringen des Lichtes hemmten. Diese Rippen bedurften
dann ferner einer selbstständigen, mit den Pfeilern in Verbindung stehenden
Unterstützung, und es kam somit die Form der Pfeiler in Frage. Hier findet
sich nun die auffallende Erscheinung, dass der frühgothisch -französische Styl
den bisher üblichen, aus viereckigem Kerne gebildeten Pfeiler, obgleich er
die Bildung der Gewölbdienste erleichterte, aufgab, und eine entschiedene
Erfiiiduiii^ des Strebesystems. 41
Vorliebe für die Rundsäule zeigte, welche bisher zwar namentlich in den
burgundischen Kirchen häufig, aber nur an der Chorrundung, und selten im
Langhause angewendet war. Man zog sie ohne Zweifel vor, weil sie die
nöthige Tragkraft mit grösserer Rauraersparniss verbindet und breitere
Durchgänge und stärkeres Eindringen des Lichtes aus den Seitenschiffen
gewährte. In einigen Fällen brauchte man sie nur zu den mittleren, minder
belasteten Stützen, so dass sie mit den stärkeren, gewölbtragenden Pfeilern
wechselte, häufiger aber, sei es der Gleichförmigkeit wegen oder aus an-
deren Gründen, wandte man sie durchgängig an. Man musste nun aber
diese Säulen, um ihnen hinlängliche Tragkraft zu geben, sehr stark bilden
und konnte die Gewölbdienste nur von ihren Kapitalen ziemlich unmotivirt
aufsteigen lassen. Diese Dienste, deren schlanke Höhe die gedrungenen
Verhältnisse der darunter stehenden Säule um so auffallender machte,
sicherten aber noch nicht gegen den Druck der mächtigen Gewölbe auf die
Seitenmauern. Daher behielt man denn zunächst die Gallerien über den
Seitenschiffen bei, welche als natürliche Streben schon weiter hinaufreichten
und zugleich den Vortheil gewährten, die Mauer über den unteren Arcaden
zu erleichtern. In den südlichen Bauten, wo man auf Oberlichter verzich-
tete, und die Bedachung bloss durch flache, unmittelbar auf dem Gewölbe
aufliegende Steinplatten bewirkte, stiessen die halben Tonnengewölbe gerade
an den Ausgangspunkt des Mittelgewölbes und gewährten demselben mithin
wirklich eine ausreichende Stütze. Im Norden konnte man diese flache
Bedachung nicht brauchen, da das dabei schwer zu verhütende Eindringen
der Feuchtigkeit die Gewölbe gefährdete; man musste vielmehr durch An-
legung eines Dachstuhls einen freien und trockenen Raum über denselben
gewinnen. Hiedurch ergab sich dann aber weiter, dass die Oberlichter erst
oberhalb der Stelle angebracht werden konnten, wo sich das Pultdach der
Gallerien anlegte, und dass also die Wölbung der Gallerte nicht die Punkte
erreichte, welche gegen den Seitenschub der Kreuzgewölbe gesichert werden
mussten. Man bedurfte vielmehr zu diesem Zwecke einer anderen Hülfe,
welche man endlich durch die Anlage von Strebepfeilern und Strebebögen
erlangte^). So künstlich dies System erscheinen mag, ergab es sich doch
aus der bisherigen Praxis und den vorgenommenen Aenderungen fast von
selbst. Strebepfeiler waren aus römischen Bauten bekannt und als ein natür-
liches Mittel gefährdeter Mauern schon sonst angewendet; die romanischen
Lisenen, welche, namentlich in der Normandie, schon eine ziemliche Stärke
erhalten hatten, gaben das Vorbild für ihre regelmässige Anlage. Auf die
Erfindung der Strebebögen wurde man aber durch die halben Tonnengewölbe
1) Vgl. bei Viollet-le-Duc die Artikel Contrefort und Arc-Boutant, B. III, S. 284
und B. I. S. fiO.
49 Das iiördliclie Frankreich.
des Südlichen Systems sehr leicht geführt, da sie in der That schon wirk-
liche, nur auf der ganzen Länge des Gebäudes durchgeführte Strebebögen
waren, welche man jetzt, da das Kreuzgewölbe nur an seinen Ausgangs-
punkten einer Widerlage bedurfte und da man ohnehin über dem Dache
derGallerien nicht eine vollständige Ueberwölbung anbringen konnte, gleich-
sam brach und die entbehrlichen Theile fortliess. So naheliegend die&
scheint, bedurfte die Erfindung aber doch immer eines glücklichen Ge-
dankens, der sieh bekanntlich nicht so leicht einstellt, und überdies lagen
zwischen dem Gedanken und der vollkommenen Ausführung noch viele zu
überwindende Schwierigkeiten. Es kam darauf an, die nöthige Stärke der
Strebepfeiler und Strebebögen und die richtige Stelle zu finden, an welcher
sie die Wand des Oberschiffes berühren mussten, um dem Seitendruck in
wirksamer Weise zu begegnen. Wenn das von Suger construirte Langhaus-
von St. Denis schon Strebebögen hatte, was nicht unwahrscheinlich ist, so
entstand der schnelle Verfall, welcher nach achtzig Jahren einen Neubau
veranlasste, ohne Zweifel durch die unzureichende Anlage derselben. Die-
einfachen Strebepfeiler gaben ferner nur den in einer Richtung davon aus-
gehenden Strebebögen eine Stütze; man musste daher anfangs das Kreuz-
schiff, obgleich es die Höhe des Mittelschiffes erhielt, ohne Strebebögen
errichten, da der Raum für die Anbringung eigener Strebepfeiler fehlte,
bis man das Mittel erfand, den Strebepfeilern in diesen und ähnlichen
Winkeln eine kreuzförmige Anlage und somit eine zwiefache Widerstands-
kraft zu geben. Demnächst führte die Erfahrung, dass die Dächer des
Seitenschiffes und die offenliegenden Strebebögen durch das von dem hohen
Dache des Mittelschiffes herabströmende Regenwasser litten, auf die Er-
findung, diese Bögen selbst zu Kanälen für den regelmässigen und von den
Mauern entfernten Abfall des Wassers zu benutzen. Endlich musste man
auf Mittel denken, die Aufsicht und Instandhaltung der oberen Theile des
hohen Gebäudes zu erleichtern, und zu diesem Zwecke Gänge in den Mauern
im Inneren und neben denselben am Aeusseren zu erhalten, deren Anbringung
und Einrichtung wieder mannigfachen Bedingungen unterlag. Dazu kam dann
noch, dass die grosse Zahl der zu berücksichtigenden Abtheilungen Schwierig-
keiten und Bedenken erweckte. Ueber den unteren Seitenschiffen und den
Gallerien lag der Raum, an welchen das Pultdach der letzten anstiess, dann
erst der für die Oberlichter und endlich der bei der grossen Spannung
quadrater Gewölbe sehr hohe Schildbogen. Das Gebäude erhielt daher durch
die Zahl dieser Abtheilungen eine sehr bedeutende Höhe, welche die Schwie-
rigkeiten des Strebesystems vermehrte und Bedenken erregte. Man hielt
deshalb jede dieser Abtheilungen möglichst niedrig, wodurch aber, abgesehen
von dem Nachtheile der Häufung gedrückter Formen, die Beleuchtung des
Inneren sehr erschwert wurde, so dass man auf Mittel denken musste, sie
Aubbilduiig des frühg-othischen Styls. 45
ZU verstärken. Neben allen diesen eigentlich technischen Aufgaben hatten
dann aber die Baumeister auch die gesteigerten Anforderungen des Cultus
und mithin die Verhältnisse des Grundplans, der Kreuzarme und des Chors
zum LanghausC; der Seitenschiffe zum Mittelschiffe, besonders die Ausbildung
des Chors und Kapellenkranzes zu überlegen und in Harmonie zu setzen^,
und auch in allen diesen Beziehungen kamen sie erst nach vielfachen Ver-
suchen zum Abschluss. Vielweniger finden wir sie mit der Ausbildung des
Ornaments beschäftigt. Allerdings lag der ganzen architektonischen Be-
wegung neben dem Streben nach Solidität und Raumerweiterung auch der
Wunsch nach grösserer Schönheit und Pracht zum Grunde; aber zum Theil
wurde derselbe schon durch die imposanteren Verhältnisse und durch die
Menge und kräftige Ausbildung der statisch nöthigen Glieder, der Gewölb-
dienste und Säulen an Gallerien, Triforien und Fenstern und der Rippen an
den Gewölben befriedigt, welche das Ganze sehr vollständig, wenn auch in
sehr ernster Weise, beleben und erfüllen. Jedenfalls aber hielt ihr eigener
richtiger Takt oder der nüchterne und praktische Sinn des Landes die
Meister von einem äusserlich decorativen Verfahren zurück. Sie warteten
gleichsam die Reife des Styls ab, um die geeigneten Stellen zu finden, wo
das Ornament sich mit Nothwendigkeit entwickele, und begnügten sich mit
dem hergebrachten Schmucke der Kapitale. Der Ausdruck ihrer Werke ist
dadurch ein sehr strenger und ernster.
Das Gebiet, auf welchem sich dieser Styl bildete, umfasst die Erz-
diöcesen von Paris, Sens und Rheims, jene beiden ausser Isle- de -France
noch die Bisthümer Chartres, Orleans und Auxerre, die letzte die Provinzen
Picardie und Champagne enthaltend. Gerade in diesen beiden östlichen
Provinzen von Nordfrankreich, wo sich burgundische und normannische Ein-
flüsse mit belgisch-germanischen kreuzen, finden wir eine Zahl von Kirchen,
welche nach den historischen Nachrichten älter zu sein scheinen, als die
freilich bedeutenderen Bauten der inneren Gegenden, deren Formen die
Annahme gestatten, dass hier die ersten Schritte auf der neuen Bahn ge-
macht wurden, und die wir daher als Beispiele für die erste vorbereitende
Entwickelung des gothischen Styles betrachten können. Es sind dies die-
Kathedrale von Noyon und die Abteikirche St. Germer, beide in der Picardie,
und die Kirchen St. Remy in Rheims und Notre Dame in Chälons-sur-Marne,,
beide in der Champagne. Diese Kirchen haben sämmtlich den Chorumgang
und einen Kranz von halbkreisförmigen Kapellen, durchweg spitze Scheid-
bögen, aber noch mehr oder weniger rundbogige Fenster, im Inneren meistens
den Wechsel von Pfeilern und Säulen, endlich die gemeinsame Eigenthüm-
lichkeit, dass über der Gallerie und unter den Oberlichtern noch ein Triforiura
hinläuft, also das Motiv der Gallerie gewissermaassen verdoppelt ist.
Die älteste dieser Kirchen, die Kathedrale von Noyon, ist zunächst
A^A Erste Regiing-en des g-othisclieii Styls.
dadurch merkwürdig, dass ihre Kreuzarme in halbkreisförmiger Gestalt an-
gelegt sind; eine Form, die wir am Rheine am frühesten und häufigsten
finden, und die in der That von dort, wenn auch nicht unmittelbar, hieher
gelangt ist. Die Kreuzconchen von Noyon zeigen nämlich die genaueste
Uebereinstimmung mit denen an der Kathedrale von Tournay, jedoch in
mehr entwickelten, weniger primitiven Formen, s-o dass wir eine Herleitung
von dort vermuthen können. Diese Vermuthung wird aber durch die histo-
rischen Verhältnisse zur Gewissheit. Das Kapitel des Bisthums Tournay
war nämlich nach der Zerstörung der Stadt durch die Normannen mit dem
von Noyon vereinigt worden, und diese Vereinigung wurde erst im Jahre 1146
.gelöst, wo wahrscheinlich der Neubau der zerstörten Kathedrale von Tour-
nay, gewiss aber auch der, nach einem Brande vom Jahre 1131 begonnene
Neubau von Noyon schon weiter vorgeschritten war, da der Bischof hier
im Jahre 1153 einigen Altären die Consecration ertheilte'). Ausserdem ist
der Einfluss des Chorbaues von St. Denis w^ahrzunehmen, was um so näher
liegt, als Bischof Balduin II., der Gründer des Neubaues von Noyon, mit
Suger befreundet war. Aus der eben genannten Bauzeit stammt vielleicht
der Chor, offenbar der älteste Theil des Gebäudes; er hat den Umgang und
Kapellenkranz, aber noch fast ganz romanische Formen. Schwere Rund-
säulen tragen auf ihren, zum Theil mit Figuren oder phantastischen Thieren
ausgestatteten Kapitalen die freistehend gebildeten Dienste des Gewölbes,
welche durch Ringe mit der Mauer verbunden sind. Die Scheidbögen und
■die schmaleren Fenster an der Rundung sind spitz, alle übrigen Bögen rund;
der Spitzbogen ist also noch ausschliesslich aus Gründen der Zweckmässig-
keit angewendet. Am Aeusseren der Kapellen vertreten, wie wir es an
mehreren der anderen sogleich zu erwähnenden Kirchen finden, Säulen die
Stellen der Strebepfeiler. Etwas jünger scheinen die Kreuzconchen, welche,
wie die von Tournay, vier Stockwerke haben, den auf Säulen ruhenden Um-
1) Vgl. die auf Kosten der französischen Regierung- herausgegebene Monographie
de TEglise Notre Dame de Noyon. Plans, coupes, elevations, et details par D. Ramee.
Texte par L. Vitet. Fol. et 4**. Paris 1845. Bearbeitet für die AUgem. Bauzeitung,
1849 u. 1852, Textbände, 1852, Atlas. — Der Verfasser des Textes setzt die Voll-
endung erst nach 1221, weil die Bischöfe von 1167 bis 1221 in der Abtei Ourscamp
und erst der im Jahr 1228 verstorbene Bischof in der Kathedrale begraben wurde.
Der Grund scheint indessen nicht ausreichend; es ist wohl denkbar, dass die nach dem
Brande von 1131 herkömmlich gewordene Bestattung der Bischöfe in der Abtei auch
noch eine Zeitlang nach der Vollendung des Domes beibehalten wurde. Viollet-le-Duc
•(Artikel Cathedrale, II, S. 298 f.) setzt Chor und Querhaus in die Zeit Balduins II.
und nimmt an, dass das Langhaus vor Abschluss des zwölften .Jahrhunderts vollendet
worden. Das Gebäude litt übrigens 1293 wiederum durch einen Brand, der eine Her-
stellung herbeiführte.
Kathedrale von Noyon.
45-
Fig. 1.
gang; die Gallerie, das Triforium und die Oberlichter. Die schlanke Bildung-
der unteren Säulen und der an der Gallerie stehenden ^ der fühlbare Rhyth-
mus in den abnehmenden Höhenverhältnissen der Etagen, verrathen schon
eine aufstrebende, dem gothischen Style verwandte Tendenz. Die Strebe-
pfeiler, welche das oberste Stockwerk stützen, werden, da sie durchbrocheß.
sind und einen äusseren Umgang bil-
den, schon fast zu Strebebögen; der
Wechsel runder, spitzer und kleeblatt-
förmiger Bögen in den verschiedenen
Arcadenreihen zeigt ein noch willkür-
liches Spiel, aber doch ein Bewusstsein
von der ästhetischen "Wirkung dieser
Bogenarten, welche von unten nach oben
mit abnehmender Höhe oder doch, da
das Fensterstockwerk natürlich höher
ist als das Ttiforium, mit zunehmender
Leichtigkeit aufsteigen. Im Langhause
werden die Formen nach Westen zu
immer leichter und regelmässiger, so
dass der Bau offenbar nach dieser Seite
hin fortschritt; doch deutet noch die
Fagade, der muthmaasslich letzte Theil,
auf die Entstehung im Anfange des
dreizehnten Jahrhunderts hin. Das
Mittelschiff ist von wechselnden Pfeilern
und Säulen begrenzt, jene mit hohen
vom Boden aufsteigenden Halbsäulen,
diese mit Gewölbdieusten auf den kelch-
förmigen, mit dickem knospenartigem
Blattwerk besetzten Kapitalen. Die
unteren Arcaden und die Bögen der
Gallerie sind spitz, diese schon mit
einem Versuch birnförmiger Profilirung,
die Triforienbögen und die Oberlichter
halbkreisförmig. Auch hier sind also
vier Stockwerke, welche mit ihren
wechselnden Formen und gedrängten Theilen die Wand höchst vollständig
beleben. Die Gewölbe, obgleich jetzt in schmalen Feldern, waren wie man
aus mehreren Spuren erkennt, ursprünglich quadrat und in sechs Kappen
getheilt. Manches deutet auf einen Einfluss der Normandie, namentlich die
grimassirenden Köpfe, auf denen das Gesimse im Aeusseren ruhet. Der
Kathedrale von Noyon, Langhaus.
•46 ' Erste Reg-ungen des g-othisclieii Styls.
Kreuzgang und das daranstossende Kapitelhaus sind in den anrauthigen Formen
der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts errichtet.
Die Anlage der Kreuzconchen fand in Frankreicli geringen Anklang.
Vollständig bestanden sie nur an der im Anfange unseres Jahrhunderts ab-
gebrochenen Kathedrale von Cambray, wo sie längere Zeit vor dem im
-Jahre 1230 begonnenen Chore, etwa gleichzeitig mit dem Bau von Noyon
entstanden sein müssen ^). An der Kathedrale von Soissons, die wir weiter
unten näher betrachten werden, ist der eine, südliche, im Jahre 1175 be-
gonnene Kreuzarm als Concha und ganz übereinstimmend mit denen von
Noyon errichtet, während der andere, nördliche, wiewohl nur dreissig oder
vierzig Jahre später gebaute, in gewöhnlicher eckiger Gestalt angelegt ist,
so dass wir sehen, wie der französische Geist jene von Deutschland herüber-
gekommene Form später, selbst mit Verletzung der Symmetrie, zurück-
stiess -).
Theilweise gleichzeitig mit der Kathedrale von Noyon und ihr in vielen
Beziehungen, wenn auch nicht in der Gestalt der Kreuzarme, ähnlich ist
die Abteikirche zu St. Germer, in der Diöcese Beauvais, an der Grenze
der Normandie gelegen, deren Einfluss sich auch, in der Anwendung des
Zickzacks und der sich durchkreuzenden Bögen, an einigen Stellen zeigt.
"Wir kennen nur das Stiftungsjahr 1036, aus welchem nur einzelne Frag-
mente des gegenwärtigen Gebäudes herstammen können. Die Mauern des
Langhauses mit ihrem Rundbogenfriese und der viereckige Kern der Pfeiler
scheinen die ältesten Theile; indessen sind die letzten bei der gewiss erst
im dreizehnten Jahrhundert erfolgten Anlage der schmalen Kreuzgewölbe
^) In der Modellkamnier zu Berlin findet sicli auf einem Refiefplane der Festung^
Camliray vom Jahre 1695 ein ziemlich genaues Modell dieses Domes, nach welchem
Grundriss und Aufrisse in der von J. B. A. Lassus veranstalteten Publication des
„Album de Villard de Honnecourt" mitgetheilt sind. (PI. LXVII— LXIX).
") Ausserdem finden sich rund gebildete Kreuzarme an einigen kleinen Kirchen
in entfernteren Gegenden Frankreichs, so in St. Germain de Querqueville (Manche),
St. Saturnin de St. Waudrille (Seine inf.). S. von beiden den Grundriss bei A. Lenoir,
Architecture monastique, II, p. 8, die Aussenansiclit p. 10 u. p. 63. Im Süden in
St. Sauveur de St. Macaire (Gironde), einer grösseren aber einschiffigen Kirche, wo
die drei Conchen sämmtlich die Breite des Langliauses haben und gicichgebildet sind,
in St. Liphard in Meung-sur-Loire (Loiret), in St. Jean-Baptiste de Riotord in der
Auvergne. Die kleine Kirche von Germigny-les-Pres (Loiret; vgl. III, 536), ein Quadrat
mit vier kleinen Nischen, und die Rotunden von St. Croix de Quimperle in der Bretagne
und St. Croix zu Montmajour (Bouches du Rhone), welche ^'itet in der angeführten
Monogr. de la Cath. de Noyon noch citirt, gehören nicht hieher, da sie kein Langhaus
und nicht die Kreuzform im gewöhnlichen Sinne des Wortes haben. Ausser der oben
angeführten Kirche von Saint- Macaire finden sich im Perigord noch mehrere Kuppel-
kirchen mit runden Kreuzconchen. F. de Verneilh, des intluences byzantines; Ann. arch.
Vol. XIV. p. 185.
Saiiil-Remy zu Rlieims und N. D. zu Cliäloiis. ' 47
nicht ohne Veränderung geblieben. Dagegen ist der Chor jünger und dem
■von Noyon etwa gleichzeitig, mit welchem er die steilen lancetförmigen
'Scheidbögen bei rundbogigen P'enstern und Gallerieöffnungen gemein hat.
Fünf halbkreisförmige Kapellen lehnten sich an den Umgang, deren mittlere
in der Folge durch die zierliche Marienkai^elle verdrängt wurde. Uebcr
der Gallerie findet sich zwar kein Triforium, wohl aber eine Reihe von
schmalen, horizontal geschlossenen fensterartigen Oeffnungen, welche unter
das Dach führen, darüber endlich unter den Fenstern noch ein starkes Ge-
simse, welches wiederum einen Gang bildet. Man sieht, wie sehr man hier
darauf bedacht gewesen ist, die Mauer zu erleichtern und vielfache Umgänge
in derselben zu erhalten, wie wenig man aber eine feste Regel dafür besass.
Die Verhältnisse sind hier minder edel als in der Concha von Noyon ^).
Eine weitere Entwickelung des Styls finden wir in zwei interessanten,
nicht weit von einander belegenen Bauten der Champagne, in der Abtei-
kirche St. Reray zu Rheims und der Stiftskirche Notre Dame zu Chu-
lons an der Marne. In St. Remy hatte der Architekt die Aufgabe, die ältere,
aus dem vorhergehenden Jahrhundert stammende Kirche, eines der grossesten
und bedeutendsten Gebäude jener Zeit, mit neuer Fagade und neuem Chore
zu versehen; diese Arbeit wurde in den Jahren 1164 — 1168 angefangen und
war um 1181 vollendet-). In Chälons dagegen gab der Einsturz der. alten
Kirche im Jahre 1157 Gelegenheit zu einem völligen Neubau, welcher im
Jahre 1183 eine Weihe erhielt-'*). Beide Bauten sind daher gleichzeitig, sie
sind aber überdies in ihren Details so ähnlich, dass sie wahrscheinlich von
einem und demselben Baumeister herstammen. In St. Remy*) ist der grössere
^) Eine Ansicht des Chors hei Caumont Bull. mon. XIII. 393. Andere Abbildungen
in der Voyage dans l'ancienne France, Picardie, Lief. 47. 53. 54. 60. 63. 67. 69. — Vor-
zügliche Publication in den Archives de la comm. des monuments historiques.
-) Gall. Christ. Vol. IX. col. 23 und 286. Zwar scheint die Grabschrift des spä-
teren, im Jahr 1198 verstorbenen Abtes diesen als Erbauer zu nennen: Erexit, rexit,
<iispersit, respuit, emit Ecclesiam, monachos, danda, cavenda, Deum. Allein das
Wortspiel: Erexit und rexit berechtigt nicht zu einem positiven Schlüsse; der Verfasser
konnte dabei auch an blosse Ausstattung des Gebäudes denken. Jedenfalls ist die
Thätigkeit dieses Abtes nicht auf Facade und Chor, sondern vielleicht nur auf die Um-
gestaltung des älteren Langhauses zu beziehen, welche allerdings später zu sein scheint,
^Is diese neuen Theiie.
^) Gall. Christ. IX. col. 882. Zufolge der Voyage dans l'ancienne France p. 229
findet sich in einem alten Manuscript der Abtei St. Pierre zu Chälons die Notiz: Anno
MCLXXXI. Guido episcopus benedixit ecclesiam B. Mariae in Vallibus. Im Jahre
1234 stürzte ein Theil der Mauer in Folge des Frostes ein und 1322 wird eine neue
Weihe berichtet.
*) Verschiedene Abbildungen von St. Remy in der Voyage dans Tancienne France,
Champagne (der Grundriss Lief. 1). Einige Details bei Viollet-le-Duc a. a. 0. I, S. 62
48
Anfänge des gothischen Styls.
Theil des Langhauses und der Kreuzschiffe mit seinen rundbogigen
Arcaden, Gallerieöffnungen und Oberlichtern noch aus dem Bau des elften
Jahrhunderts erhalten, die jetzt bestehenden schmalen Gewölbe scheinen das
Werk einer Aenderung vom Ende des dreizehnten Jahrhunderts; dagegen
dürfte die Ueberarbeitung der unteren Theile zum Behufe der Anlage von
Gewölben von unserem Meister gleich nach der Vollendung des Chors vor-
genommen sein. Es ist interessant, sein Verfahren zu beobachten. In die
Steinmasse der schweren älteren, auf eine Balkendecke berechneten Pfeiler
hat er hineingemeisselt und sie zu einem ringsum von Halbsäulen begrenzten
Bündelpfeiler gestaltet, an welchem die vordere monolithe Säule auf ihrem
Kapital die Gewölbdienste trägt; über den Rundbögen der Gallerie ist als
zweite Archivolte ein Spitzbogen, über den Oberlichtern noch ein kreis-
Fig. ->.
St. Kemy , Rheims.
förmiges Fenster angebracht. Man sieht überall die Absicht, die Mauern z«
erleichtern, zu schmücken, zu beleben. Wichtiger ist der Chor, bei dem wir
den Meister, unbeschränkt durch eine ältere Anlage, in voller erfinderischer
und S. 178, II, 127 und 468, IV, 284, VII, 154, 155, IX, 240. Der Grundriss bei
Wiebeking, Taf. 86, ist in sofern fehlerhaft, als er die Durchgänge, welche die Ka-
pellen des Chorumgangs verbinden, nicht angiebt. — System des Langhauses in
J. Gailbabaud, L'architecture du V^e au XVIIme siecle et les arts qui en dependeut.
I. Paris 1858.
St. Remy in Rheims. 49
Thätigkeit sehen. Es ist eine Anlage mit Umgang und Kapellenkranz^
aber in neuer, sehr merkwürdiger Weise. Die innere Rundung ruht auf
sechs starken Rundsäulen, mit attischer Basis und ausgebildetem Eck-
blatte, mit grossen Kapitalen, deren flaches aber reichverziertes Blattwerk
in der Anordnung die Reminiscenz des korinthischen Kapitals zeigt. Ueber
den Seitenschiffen liegt eine Gallerie, die höher und leichter ist als im Lang-
hause, darüber ein blindes Triforium, endlich das Oberlicht, das in jeder Ab-
theilung aus drei verbundenen lancetförmigen Fenstern besteht. Die Anlage
des Kapellenkranzes zeigt, dass der Meister bereits die Vortheile des Strebe-
systems sehr genau erkannte und zu benutzen verstand. Den sechs Säulen,
welche den inneren Halbkreis der Chorrundung umschliessen, entsprechen
nämlich jenseits des einfachen, herumlaufenden Seitenschiffes die Spitzen von.
eben so vielen, nach aussen keilförmig zunehmenden Strebepfeilern, zwischen
denen dann fünf von diesen Strebepfeilern begrenzte, und am äusseren Ende
derselben halbkreisförmig hervortretende durchweg gleiche radiante Kapellen
angebracht sind. Der Kapellenkranz ist mithin völlig abgerundet und die
mächtigen dadurch gewonnenen Strebepfeiler dienen zur völlig ausreichenden
Stütze für die Strebebögen, welche sich zwar noch einfach, aber schon ganz
ausgebildet an die obere, ebenfalls halbkreisförmige Chorhaube anlegen, und
neben der Mauer, mit richtiger Berechnung der erforderlichen Tragekraft,
von einer freistehenden Säule getragen werden, Die Anlage entsprach dem
Zwecke so sehr, dass sie bedeutend später dem Architekten der Kathedrale
von Rheims zum Vorbilde diente, und an den Kathedralen von Amiens,
Beauvais und Köln nur weiter ausgebildet wurde. Indessen unterscheidet sie
sich von diesen späteren Bauten in mehrfacher Weise. Zunächst dadurch,
dass der Schluss der Kapellen nicht wie dort polygon, sondern halbkreis-
förmig ist, dann aber besonders dadurch, dass ihr Eingang nicht frei, son-
dern mit zwei sehr schlanken, freistehenden Säulen besetzt ist, welche den
Eingangsbogen tragen und mit anderen vor die innere Spitze der Strebe-
pfeiler gestellten Säulen ^) eine zweite Säulenstellung um die innere des Chor-
raumes, und dadurch gewissermaassen einen zweiten Umgang bilden. Man
bezweckte hierdurch die Ueberwölbung der Kapellen, da bei ihrer grösseren
Tiefe eine Halbkuppel nicht ausreichte, zu sichern Diese Anordnung, welche
mit der des Chors von St. Denis grosse Aehnlichkeit hat und sich an N. D.
von Chälons in genauer Wiederholung und in der Klosterkirche zu Vezelay^
an dem Chore von St. Etienne in Caen, an der Chorkapelle der Kathedrale
von Auxerre so wie in der etwas späteren Kirche von St. Quentin mit einigen
Veränderungen wiederfindet, wurde indessen, wie wir sehen werden, sehr
') Es sind, was unser Holzschniit nicht erkeuneü lässt, Bündel von drei Siinleu.
Vgl. den Grundriss der Kapellen bei Viol!et-le-Duc, Dict. II, p. 468.
Suhnaase's Kunstgesch. 2. Aufl. V. "^
5Q Anfänge des golliisclien Styls.
bald aufgegeben, weil sie künstlichere Wölbungsarten nöthig machte und
vermöge der vor die Oeffnung der Kapellen gestellten Säulen den Durchblick
hemmte, was besonders bei der mittleren, vom Langhause aus am meisten
sichtbaren Kapelle störend war.
Der Spitzbogen ist hier schon durchgängig angewendet. Dagegen sind
die Details noch unverändert dem älteren Style entnommen, die Diagonal-
rippen als kräftige Rundstäbe, die Quergurten als breite, von kleineren Rund-
stäben eingefasste Bänder gebildet, die Kapitale korinthisirend und mit
wechselnder Verzierung, die Gesimse auf Kragsteinen ruhend. Auffallend ist
die häufige Anwendung kannelirter Säulenstämme; sie kommen aniAeusseren
des Chors als Stützen der Strebebögen, an der Fa(;ade sogar, im grossesten
Maassstabe und eben nicht mit glücklicher Wirkung, als Strebepfeiler vor
Diese Vorliebe gründete sich offenbar auf die Anschauung eines antiken
Thors in Rheims, dem der Meister so genau folgte, dass er bei den Strebe-
pfeilern der Fagade die Kapitale, welche an den Halbsäulen jenes Thors
zerstört sind, ebenfalls fortlassen zu können glaubte.
Bei N. D. von Chälons konnte der Meister freier verfahren und war
namentlich an den Theilen, die in St. Remy aus dem alten Bau übernommen
wurden, ungehindert. Es ist ein Kreuzbau von ziemlich grossartiger und
übereinstimmender Anlage, im Langhause mit einer Gallerie, im Kreuzschiffe
ohne solche und ohne Seitenschiffe; vier Thürme, zwei an der Fagade, zwei
auf der Ostseite des Kreuzschiffes würden, wenn sie vollendet wären, dem
Ganzen ein höchst imposantes Ansehen gegeben haben. Die östlichen Thürme
ruhen auf älteren Grundmauern, deren dem Meister gebotene Beibehaltung
ihn bei dem Bau des Chors beschränkte und ihm nur die Anlage der drei
mittleren von den fünf den ganzen Halbkreis umschliessenden Kapellen ge-
stattete, die er dann aber ganz nach dem Vorbilde von St. Remy ein-
richtete ^). Das Aeussere (Fig. 3) zeigt ein völlig durchgeführtes Strebesystem;
zwei Reihen von Strebebögen stützen die Gallerie und das Oberschiff, und in
den Winkeln des Kreuzschiffes findet sich schon die kreuzförmige Anlage
der Strebepfeiler, welche die Entsendung von Strebebögen nach beiden Seiten
möglich machte. Bei der Einrichtung des Inneren sehen wir den Meister
bemüht, eine organische Verbindung der Pfeiler mit dem Gewölbe und eine
bessere verticale Gliederung zu erlangen. Er hat zwar auch hier, wie in
St. Remy, ein Triforium zwischen der Gallerie und dem Oberschiffe ange-
bracht, dasselbe jedoch nicht als eine fortlaufende Bogenreihe gebildet,
sondern nur durch vereinzelte, je aus zwei Bögen bestehende Oeftnungeu
unter den Fenstern angedeutet. Die Pfeiler sind eckigen Kerns und mit acht
Halbsäulen besetzt, von denen vier den Transversalgurten der Gewölbe und
1) Vgl. VioUet-le-Duc, IV, S. 57G, Abbildung des Chorumgangs S. 77.
Notre Dame in Chalons s. M.
51
den Untergurten der Scheidbögeu, vier andere den Archivolten derselben
entsprechen. Sieben dieser Halbsäulen haben ihre Kapitale in gleicher Höhe
Fig. 3
N. D. in Chälons s. M.
unter den Sc'ioidbögen, nur die mittlere der Frontseite steigt höher hinauf,
aber auch nicht bis zum Gewölbe; sondern nur bis über das Gesimse der
4*
52
Anfänge des gotliischeu Styls.
unteren Arcaden, mit welchem die Deckj^latte ihres Kapitals eine Linie bildet.
Auf diesem Kapitale beginnen dann die eigentlichen Gewölbdienste ohne
Basis. Man sieht, es ist ein neuer Versuch; der Meister hat noch keine pas-
sende Form gefunden, um die drei Dienste, deren er für Quer- und Diago-
nalrippen bedurfte, schon in die Pfeilerbildung aufzunehmen, er erreicht aber
doch den Vortheil, dass die Pfeiler die Wand den Gewölbfeldern gemäss
vertical theilen, und dass naturgemäss Kleineres und Leichteres auf Schwe-
rerem und Grösserem ruhet. Zwischen diesen Pfeilern ist dann die Wand
durch zwei kräftige Gesimse in drei Stockwerke getheilt, das der unteren
Arcaden, das bedeutend niedrigere der Gallerie mit Doppelöffnungen unter
einem blinden Bogen, endlich das der Oberlichter, welche paarweise unter
jedem Schildbogen gruppirt je zwei Triforien-
bögen in eckiger Einrahmung unter sich haben.
Die Wand ist daher sehr vollständig belebt,
und die Einheit jedes Wandfeldes durch das
rhythmische Verhältniss der Stockwerke, durch
die vermittelst der Pfeiler und Schildbögen
bewirkte Einrahmung, und durch die Stellung
der P'enster in der Spitze des Bogens sehr
genügend und mit verticaler Bedeutung aus-
gesprochen. Die beibehaltenen Horizontal-
linien tragen nur dazu bei, die Gliederung
reicher und kräftiger zu machen. Auch in
den Details ist das Streben nach kräftigen
und reichen Formen überall consequent durch-
geführt. Die Basis hat kräftige attische Form
mit derben Eckblättern, die Archivolten und
Gewölbrippen sind in Rundstäben profilirt,
die Kapitale endlich zwar alle in korinthi-
scher Kelchform und in der Anordnung
gleich, aber in ihren Verzierungen höchst mannigfaltig, indem sie das
Thema der sich verschlingenden, zu einem Mittelpunkte vereinigenden, auf-
wärts strebenden und abwärts fallenden Bänder, Rankengewinde und Blätter,
den Waldgedanken durchblickender Thiergestalten stets verändert und
mit lebendigster Phantasie und gewandtem Meissel ausgeführt zeigen. Von
Maasswerk ist noch keine Spur. Am Chore haben die drei in jeder Abthei-
lung jeden Stockwerks an einander gereihten Lancetfenster keine gemein-
same EinSchliessung '), am Oberschiffe des Langhauses sind die Fensterpaare
N. D. in Clialons.
1) Abb)!»!, vom Innern der Cliorfenster uebtt dem Tril'oriom bei A'iollet-)e-L>iie
V, p. 378.
Notre Dame in Chälous s. M.
53
Fig. 5.
im Aeussereu und an der Gallerie die Doppelöffnungen gegen das Mittel-
schiff von einem Spitzbogen umschlossen, aber das etwas schwere Bogenfeld
ist in keiner Weise durchbrochen oder verziert. Ebenso ist noch kein An-
fang zur Fialenbildung gemacht; die Absätze der Strebepfeiler schliessen mit
«inem einfachen Wasserschlage , die Spitzen mit einem kleinen Dache. Die
kannelirte Säule ist auch hier mit Vorliebe augewendet, an den Chorkapel-
len als äussere Wand Verstärkung, an den Strebepfeilern der Kreuzfarade
als Verzierung der oberen Absätze, sogar an minder zugänglichen Stellen,
namentlich an den Treppen der Thürme, nicht aber im Inneren der Kirche.
Die Gesimse ruhen durchweg auf Kragsteinen, welche zum Theil die Gestalt
von Köpfen haben. Der Spitzbogen ist vorherrschend, doch kommen an den
Thiirmen und an der Kreuzfayade noch
rundbogige Fenster vor, in beiden Fällen
augenscheinlich nur deshalb, weil man die
concentrische, kräftig vertiefte Gliedernng
des Rundbogens für reicher und deshalb
an diesen Stellen passender hielt; an den
Kreuzfagaden auch noch aus dem Grunde,
weil man, um die Fenster mit denen des
Langhauses auszugleichen, an Stelle der
hier fehlenden Gallerie reich verzierte Ro-
setten anbrachte, welche nicht füglich über
der scharfen Spitze eines Lancetbogens
stehen konnten. Die Anordnung der Fa-
^ade gleicht der des Doms zu Chartres,
sogar darin, dass sie über dem Mittel-
portale (dessen Ausführung einer späteren
Zeit angehört) drei Lancetfenster und dar-
über eine Rosette hat. Das Ganze des
Gebäudes ist sehr eigenthümlich, es hat
fast ebensoviel mit dem romanischen Style als mit dem gothischen gemein,
es verbindet das Volle, Kräftige, Reiche des ersten, mit dem Aufstrebenden
des Gothischen. Es giebt aber auch nicht die unbehaglichen, unharmoni-
schen und gespreizten Formen welche dieser Uebergang häufig hervorbringt,
sondern gewährt den Eindruck eines zwar gesetzten und massigen, aber
rüstigen, thatkräftigen und angeregten Wesens.
N. D. in ChUous.
Neben diesen beiden Bauten ist auch die Klosterkirche zu Orbais in
der Champagne (1197 — 1211) zu erwähnen, deren halbkreisförmiger Chor,
von starken Rundsäulen mit darauf stehenden Gewölbträgern umstellt und
54 Anfänge des gotliischen Styls.
von fünf radianten Kapellen umschlossen, in seinen Details sehr an St. Remy
von Rheims erinnern solP).
Dass diese Neuerungen nicht auf die Picardie und Champagne be-
schränkt waren, ergiebt zunächst der Chor von St. Ger main- des -Pres in
Paris, welcher dem älteren Schilfe nach der Mitte des zwölften Jahr-
hunderts hinzugefügt ward, und im Jahre 1163, also etwa gleichzeitig mit dem
Beginne der Arbeiten an St. Remy in Rheims, bereits beendet war und ge-
weiht wurde-). Auch hier die Anlage mit einfachem Umgange und fünf ra-
dianten Kapellen, Strebepfeilern und Strebebögen, steilen Scheidbögen und
lancetförmigen Fenstern. Die Kapellen sind noch, wie in St. Denis, halbkreis-
förmig geschlossen und durch einen Strebepfeiler auf dem Scheitel der Peri-
pherie gestützt, aber ihre Seitenwände bilden eine undurchbrochene Masse^
so dass der zweite Umgang, der in St. Denis und St. Remy bestand, fortfällt.
Der ganze innere Raum ist von zehn freistehenden Rundsäulen begrenzt,
deren kräftige attische Basen starke Eckblätter in verschiedenen Formen
haben, und von deren Kapitalen drei Gewölbdienste aufsteigen. Diese Kapi-
tale sind nicht minder reich und phantastisch verziert wie in N. D. von Chä-
lons, meistens mit symmetrischen Gruppen von Thieren, Vögeln, die man
bald für Tauben bald für Schwäne halten könnte, Löwen, Greifen und anderem;
sie schliessen sich aber noch näher an korinthische Form an, indem sie Eck-
voluten und sogar zum Theil dem Akanthus nachgebildete Blätter haben.
Noch deutlicher als dort sieht man hier, dass die sehr geschickten Bildhauer
eine bewusste Freude an der Variation desselben Grundthemas gehabt und
nach sinnreichen und anregenden Gegensätzen und Verbindungen gestrebt
haben. Neben den Reminiscenzen des korinthischen Kapitals finden wir ein
anderes Zeichen der Rücksichtnahme auf antike oder südliche Vorbilder
darin, dass hier am Triforium, wie in St. Martin-des-champs an der Aussen-
seite, die Säulen ohne Vermittelung von Bögen ein gerades Gesims tragen.
Die lancetförmigen Fenster sind im Aeusseren mit Säulchen und Rundstäben
verziert, an den geraden Wänden des Chors, wie in Chälons, paarweise zu-
sammengestellt, und durch eine diamantirte Archivolte, welche zwischen
beiden Fenstern einen Zwickel bildet, zu einer Gruppe verbunden. Auch
die Bögen des Inneren sind alle von Rundstäben eingefasst, und die Diago-
^) Bulletin monumental XVJ. p 123.
2) Die bei Felibien, Hist. de la ville de Paris, Pieces justißeatives pag. 64 ab-
gedruckte Urkunde v. J. 1167, in welcher der Abt Hugo den Hergang der durch den
Papst Alexander HI. ausgeführten Weihe beschreibt, nennt die Kirche „novo schemate
reparata, necdum consecrata", was beiläufig gesagt, auch darauf hindeutet, dass das
Langhaus, welches der Abt Morard 1014 gebaut hatte, nicht uuverändert geblieben
war. Dom Bouillart, Histoire de l'abbaye royale de St. Germain des Prez, Paris 1724,.
giebt einen Grundriss der Kirche und einige (freilich sehr unbefriedigende) Ansichten.
Die Kathedralen von Paris und Laon. 55
nalrippen des Gewölbes bestehen schon aus zwei Rundstäben, zwischen denen
eine Ecke vortritt. Wir finden daher hier viele Motive, welche denen des
Meisters von St. Remy und der Stiftskirche von Chälons entsprechen, zu-
gleich aber doch manches Abweichende und namentlich eine grössere An-
eignung antiker Details.
Um diese Zeit, bald nach der Mitte des zwölften Jahrhunderts, entstand
in dieser Gegend eine wetteifernde Erneuerung der Kathedralkirchen, welche
wesentlich zur Förderung des neuen Styles beitrug. In erster Reihe sind
hier die Kathedralen von Paris, Laon, Sens und Senlis zu nennen, welche,
ungefähr gleichzeitig begonnen, so viele verwandte Züge zeigen, dass wir
ungeachtet der nicht unbedeutenden Entfernung ihrer Lage schon gegen-
seitige Mittheilungen annehmen müssen. Sie haben alle quadrate, sechs-
theilige Kreuzgewölbe '), diezwei ersten aber dessen ungeachtet nicht wechselnde
Pfeiler und Säulen, sondern durchgehend gleich starke freistehende Rund-
säulen mit hohen, nicht mehr verschieden verzierten, sondern gleichmässig
mit knospenförmigem Blattwerk ausgestatteten Kapitalen, endlich die attische,
durch das Eckblatt verzierte Basis. Die Gallerie über den Seitenschiffen
fehlt nur in Sens. Bei einer grossen Strenge und zum Theil selbst Schwer-
fälligkeit der Details zeigen sie sehr deutlich das Bemühen nach organischer
Durchführung des Strebesystems und nach grösserer Regelmässigkeit und
Uebereinstimmung des Ornamentes mit den constructiven Theilen.
Sehr nahe verwandt sind besonders die Kathedralen von Paris und
Laon, jene in ihren Dimensionen und ihrem Einflüsse die bedeutendere, diese
wahrscheinlich, wenn auch nur um wenige Jahre, die ältere. Die Geschichte
von N. D. von Paris ist ziemlich genau bekannt. Im Jahre 1163, in dem-
selben Jahre wo der oben erwähnte Chor von St. Germain-des-Pres geweiht
wurde, legte der Erzbischof Moritz von Sully den Grundstein, 1177 war der
Chor bis auf die Wölbung ausgeführt, 1182 wurde der Hochaltar geweihet,
bei dem Tode des Erzbischofs Odo von Sully im Jahr 1208 scheint das
Langhaus schon in seinen wesentlichen Theilen vollendet gewesen zu sein, so
dass man zum Bau der Fai^ade und der Thürme überging, der nun im ersten
Viertel des dreizehnten Jahrhunderts — mit Ausnahme der obersten Theile —
ziemlich rasch zu Stande kam. Die Kreuzschiffe nahm man, wie wir es an
fast allen französischen Bauten dieser Zeit finden, zuletzt in Angriff; 1257
wurde die Fac^ade des südlichen Kreuzes durch den Baumeister Johann von
') Die vier g-enannten Kirclien der Picardie (Nojon und St. Germer) und der
Champagne (St. Remy und N. D, von Chälons) haben zwar jetzt sämmtlich schmale
Gewölbe, die indessen wahrscheinlich alle (wie es in Noyon und St. Remy unver-
kennbar ist) jünger sind als der sonstige Bau, Es ist anzunehmen, dass man bis jelzl
nur quadrate Gewölbe kannte.
56 Erste Stufe des franz. gothischen Styls.
Chelles angefangen, die Kapellen am Chor wurden erst seit 1260, die an
der Rundung des Chors sogar cijt seit 1296 im Laufe des vierzehnten Jahr-
hunderts errichtet 1). Viel unbestimmter sind unsere Nachnichten über die
Kathedrale von Laon. Eine Weihe vom Jahre 1114 nach einem Repa-
raturhau, der nur zwei Jahre gedauert hatte, können wir nicht auf den gegen-
wärtigen Bau beziehen, und nur die vereinzelte Nachricht, dass der Bischof
Walther im Jahre 1173 zwei Kapellen gründete, deutet auf einen damals
und mithin vor der Vollendung des Pariser Chores im Jahre 1177 schon
weiter vorgerückten Bau 2). Zwar erscheint N. D. von Paris vermöge der
nicht ganz glücklich gewählten, schwerfälligen Verhältnisse auf den ersten
Blick alterthümlicher, aber dennoch lassen die Details keinen Zweifel, dass
die Kirche von Laon früher entstanden ist. In dieser finden sich noch Rund-
bögen eingemischt, während dort der Spitzbogen ausschliesslich und con-
sequent angewendet ist; hier besteht die Gallerieöffnung nur aus einem
Doppelbogen, dort ist sie schon dreifach, durch zwei sehr schlanke Säulen
getheilt, das Bogenfeld durch einen Kreis gebrochen. Auch sind die Gewölb-
stüzen, welche in beiden von den mächtigen Säulenkapitälen mit besonderer
Basis aufsteigen, in Laon zugleich alterthümlicher und kühner; sie sind näm-
lich unter den Quergurten fünffach, also dem Quergurt selbst, den Diagonal-
rippen und den Schildbögen entsprechend, unter den Zwischengurten dreifach
und bestehen aus einzelnen monolithen cylindrischen Stämmen, welche frei
auf einander gestellt und nur auf fünf Punkten durch Steinringe mit der
Mauer verbunden, während sie in Paris durchweg nur dreifach und ganz mit
der Mauer zusammenhängend sind. Maasswerk trat ebenso wenig an den
ursprünglichen Theilen von N. D. zu Paris auf, wie es an N. D. zu Laon, mit
Ausnahme der grossen Radfenster, vorkommt.
Bei beiden Kirchen war es auf grosseDimensionen, besonders auf eine grös-
sere Ausdehnung des Chores abgesehen, aber die Grundrissentwickelung ist in
ihnen verschieden (Vgl. Fig. 7 u. 8). Die Kathedrale von Laon ist dreischiffig, be-
^) Die Geschichte dieser Katliedrale ist vielfacli l)earbeitet, unter Anderen von
(jilbert, Description historique de Tegl. metrop. de Paris 1821. Belegstellen bei
Inkersley a. a. 0. Ausführliche architektonische Zeichnungen in dem Werke: N. D.
de Paris, recueil contenant les plans, coupes et elevations generales de cet (Ulifice,
par Emile Leconte, Fol. Paris 1841 — 1843. Die nördl. Querhausfavade in J. (lailhabaud
l'architecture du 5™^ au 17 siede. I. Paris 1858. — Die Kathedrale von Laon ist
publicirt in den archives de la comm. des monuni. bist.
-) Gallia christiana Vol. IX. col. 530. Auch heisst es in der Grabschrift di^'sps
Bischofs: Rexit, correxit, erexit oves et ovile, was wiederum auf einen durch ihn
vorgenommenen Bau der Kirche schliessen lässt. Die Nütice historique et archeo-
logique sur les egüses de l^aon par M. Melleville mit 13 Holzschnitten ist mir nicht
zugänglich geworden. — Essai historique et archeologique sur Pcgiise cathedrale de
N. D. de Laon, par J. Marion; 1843.
Die Kathedralen von Paris und I.aon,
57
•sitzt ein stark ausladendes Quer-
haus von ebenfalls drei Schiffen,
aus welchem östlich jedersetis
•eine polygoneKapelle heraustritt,
und einen geradlinigen Abschluss
des Chors, der ihr, in Verbin-
dung mit den Formen der reich
gruppirten Thürme, von welchen
später die Rede sein soll, ein
mehr weltlich-bürgerliches Ge-
präge verleiht. Bei N. D. zu
Paris ist das Vortreten des Quer-
hauses ein sehr massiges, aber
die ganze Anlage ist fünfschiffig
und die verdoppelten Seiten-
schitfe ziehen sich auch als Um-
gang um den Chor ^). Hier hatte
der Meister überdies die schwie-
rige und völlig neue Aufgabe,
eine fünfschiffige Anlage mit
dem Strebesj-steme zu verbin-
den. Er beschloss sie in der
Art zu lösen, dass er die äus-
seren Seitenschiffe möglichst
schmal machte, über sie fort
doppelte Strebebögen nach der
Gallerie der inneren Seiten-
schiffe aufführte, auf den die
beiden Seitenschiffe trennenden
Säulen Strebepfeiler über die
Gallerie hinaus aufsteigen Hess,
und von diesen einen steilen
Strebebogen nach der Wand des
Oberschiffes führte, der wieder-
um durch einen von den ge-
waltigen äusserenStrebep feilern
ausgehenden Bogen gestützt
wurde. Ungeachtet dieser Vor-
sichtsmaassregeln fürchtete der
Fig. 6.
Kathedrale von Laon.
*) Den ursprünglichen Grandriss giebt ViolIet-le-Duc, B. II, S. 287. — Später hat
die einfache Klarheit desselben dadui-ch Beeinträchtigungen erfahren, dass die Räume
58
Erste Stufe des franz. golhischen Styls
Fig. 7.
Meister dennoch die zu grosse Höhe, er beschränkte daher die verschiedenen
Theile, welche er zu berücksichtigen hatte^ die Seitenschiffe, die Gallerie^
auf das geringste Höhen-
maass, machte sogar die
Dächer der Seitenschiffe
möglichst flach; konnte es
aber doch nicht verhindern,,
dass die Höhe seiner Ge-
wölbe (lOG'j fast das Drei-
fache der höchst bedeuten-
den Mittelschiffbreite (36')
erreichte. Bei der Höhen-
bestimniung hatte er frei-
lich auch auf die Beleuch-
tung zu rücksichtigen. Da
er die Säulen wegen der
grossen auf ihnen ruhenden
Last sehr stark bildete, so
konnte durch ihre Doppel-
reihen aus den ohnehin ent-
fernten Fenstern des äus-
seren Seitenschiffs nicht viel
Licht in das Mittelschiff
dringen; um somehrmusste
er auf das von oben ein-
fallende und nähere Licht
der Gallerie rechnen. Er
gab ihr daher dieselbe Höhe
wie den Seitenschiffen, und
liess überdies ihre Gewölbe
von innen nach aussen zu
aufsteigen, um möglichst
grosse und hochgelegene Fenster zu erhalten, durch welche das Licht von
oben einfiel und so freilich nur vermittelst der dreitheiligen Oeffnungen der
zwischen den Strebepfeilern in das Innere gezogen und in Kapellen verwandelt winden
bind. Fast alle französische Kathedralen haben dadurch gelitten, mit Ausnahme von
Rheims, wo die Kapellen an dem nördlichen SeitenscliifF wenigstens nur bis zur Fenster-
brüstuiig reichen , nur durch Thiiren mit dem Innern in Zusammenhang stehen und
also den Organismus des Plans nicht berühren. Von dem Ende des Xlll. Jahrhunderts
an entsprach es der Stimmung der Zeit, dass die ehemals selbstlose Opferwilligkeit
des Volkes für den Kirchenbau nur noch um den Preis besocderer Heiligiliümer von
Brüderschaften, Genossenschaften, Familien zu Gewinnen war.
*. m #. *
Kathedrale von Laon.
Die Kathedralen von Paris und Laon. 5^
Empore das Mittelschiff beleuchtete. Ueber diesen Gallerieöffnungen waren
dann kreisrunde Fenster mit origineller Fünftheilung angebracht^ welche in
den Dachraum über der Gallerie führten, und endlich spitzbogige Oberlichter,
jedoch von geringer Höhe und unverziert. Diese Anordnung besteht indes-
sen schon lange nicht mehr. Um 1240, vielleicht nach einem Brande, dessen
Spuren man entdeckt zu haben glaubt, war eine Herstellung nöthig, bei der
man dann jene kreisrunden Oeffuungen und das steile Dach hinter denselben
beseitigte, und dafür die Oberlichter tiefer gegen die Gallerieöffnungen
herunterführte und ihnen so eine bedeutend grössere, durch zweitheiliges
Maasswerk verzierte Gestalt gab ^). Ob der Bau dadurch grosse Vortheile
erlangt hat, ist sehr zweifelhaft. Die Beleuchtung ist vielleicht stärker,,
aber doch noch immer unzureichend und die Verhältnisse haben durch die
Verminderung der Abtheilungen schwerlich gewonnen. Die geringe Höhe
der dichtgestellten Säulen wird durch die schlanke Gestalt der darauf ruhen-
den Gewölbdienste, das gedrückte Verhältniss der Seitenschiffe durch das
einfachere Aufsteigen des hohen Oberschiffes noch auffallender, und der
Eindruck, den das Innere giebt, ist vielleicht der des Ehrwürdigen, aber
auch des Finstern und Schwerfälligen.
Bei weitem leichter erscheint das Innere der Kathedrale von Laon, ob-
gleich die ebenfalls schweren Säulen nicht minder dicht gestellt, die Gewölb-
stützen noch kräftiger sind, das Verhältniss der Höhe zur Breite des Mittel-
schiffes sogar viel geringer ist. Allein die Gallerie ist niedriger, der Raum
zwischen ihr und den Fenstern durch ein kleines Triforium belebt, die Stock-
werke erheben sich daher in abnehmendem Verhältnisse übereinander, und
endlich erscheinen die freistehenden Gewölbstützen, weil sie durch fünf Ringe
getheilt und mit den Säulen der Gallerie in Uebereinstimmung gebracht sind,
leichter und weniger gegen die Säulenstärame contrastirend. Es ist gewisser-
maassen eine Verschmelzung der Gedanken, welche in Paris, mit denen,
welche in der hier benachbarten Kathedrale von Xoyon angewendet waren.
Statt der wechselnden Pfeiler und Säulen von Noyon ist hier wie in Paris
die regelmässige Folge gleicher, kräftiger Säulenstämme gewählt, die con-
structive Strenge also ebenso betont, zugleich aber diese Strenge durch die-
selben Mittel der Belebung und der Brechung der Massen gemildert,
welche schon inNoyon mit günstigem Erfolge angewendet waren. Sehr viel
günstiger erscheint an der Kathedrale von Paris das Aeussere; die ernsten
und unverzierten aber mächtigen Strebepfeiler und Bögen, die flach gedeck-
ten, über einander aufsteigenden Stockwerke der Seitenschiffe und Gallerien,
die durchgeführte strenge Regelmässigkeit, die einfachen und übersichtlichen
1) Die Spuren jener früheren Einrichtung hat Viollet-le-Duc entdeckt. Vgl. dessen
interessante, durch Holzsclinitte erläuterte Darstellung im Dict. II. p. 288 fl".
60
Erste Stufe des franz. gotliischeu Styls.
Eintheilungen machen, auch noch abgesehen von den bedeutenden Linien
der Fagade, von der ich weiter unten sprechen werde, einen der Würde einer
christlichen Kathedrale sehr wohl ent-
sprechenden Eindruck. Auch der Chor ist
höchst regelmässig und einfach gehalten,
indem er nach der ursprünglichen Anlage
(wie auch jetzt bei der durchgängigen
Hinzufügung von Kapellen) nur den halb-
kreisförmigen Schluss des Gebäudes, ohne
vortretenden Kapellenkranz, aber, da auch
das Langhaus fünf schilfig war, mit dop-
peltem Umgänge und dreifach über ein-
ander aufsteigenden, treppenförmig zu-
rückweichenden Massen bildete.
Der Bau der Kathedrale von Sens
war nach einem Brande vom Jahre 1152
begonnen und im Jahre 1164 schon so
weit gefördert, dass der zufällig anwesende
Papst Alexander IIL einen Altar weihen
konnte ^). Im Jahre 1184 wurde der
Thurmbau begonnen-), und dass in der
Zwischenzeit der Bau weiter vorgeschritten
und berühmt geworden war, ergiebt sich
daraus, dass im Jahre 1175 der Meister
Wilhelm von hier nach Canterbury zur
Herstellung des dortigen Domes berufen
wurde, und dass dies sein englisches Werk
unverkennbare Reminiscenzen der Kirche
zu Sens enthält, welche also damals im
Wesentlichen bestehen musste. Wir können
daher auch von dem Dome zu Canterbury
N. D. von Paris. g^^f ^jgj^ Ursprünglichen Plan der Kathe-
drale von Sens zurückschliessen und namentlich annehmen^), dass sich
am Chorumgang nur eine in der Längenaxe der Kirche gelegene Kapelle
^) Gallia clirist. Vol. XI[, col. 48, 49. 1164 — Alexander HI. ad preces Hugonis
(episcopi) cousecravit — altare iti ecclesia uova. Diese Ausdrücke deuten darauf hin,
■dass der Bau noch nicht sehr weit vorgeschritten war und wahrscheinlich noch ein
Rest der allen Kirche, der zum Gottesdienste gebraucht wurde, bestand.
2) Jolimont in Chapuy's Cathedr. franc. Vol. II, pag. 5.
^) Viollet-Ie-Duc, II, 348, stellt diese Vermuthung auf, wonach dann der ur-
sprüngliche Grundriss, so wie er Fig. 9 reproducirt ist, gerechtfertigt erscheint.
Kathedrale von Sens.
6t
Fig. 9.
befand. Jetzt liegt zu jeder Seite derselben noch eine Rundkapelle; die
späteren Ursprungs ist. Auffallend sind die Kapellen mit östlicher Apsis
in, den beiden Querhausarmen — vielleicht Reste eines noch älteren Baues.
Sonst gehören die Kreuzschiffe erst dem fünfzehnten Jahrhundert an, während
das Langhaus noch aus derselben Zeit, wie der Chor, stainmt. Auch hier
finden wir, wie bei jenen bei-
den anderen Bauten, sechs-
theilige Gewölbe, sonst aber
weicht vieles wesentlich von
ihnen ab. Namentlich ist hier
nicht eine fortlaufende Reihe
gleicher Säulen, sondern es
wechseln nach dem Vorbilde
der älteren Kirchen Pfeiler
von rechteckigem Kern mit
Säulen, die aber hier nicht
einfach, sondern gekuppelt
sind, eine Neuerung, welche
dem Meister das Mittel ver-
schaffte, bei schlankerer Bil-
dung der Stämme eine aus-
reichende Tragkraft zu er-
langen. Das Vertrauen auf
die Wirksamkeit des Strebe-
systems scheint hier schon
gewachsen; zum ersten Male
ist die Gallerie fortgelassen
und durch einTriforium er-
setzt, das zwar immer noch
einfach ist, aber doch nicht
mehr wie bisher aus einer
Bogenreihe , sondern aus
spitzen Doppelbögen mit un-
durchbrochenem Bogenfelde
besteht^); die Fenster end-
lich geben eines der frühesten Beispiele einfachen Maaswerks. Die Proti-
lirung der Bögen, die Ausstattung der Kapitale mit knospcnformigem Blatt-
werk, das Eckblatt der Basis ist ganz wie in Paris und Laon behandelt.
Die Stützen des Mitfelgurtes der Gewölbe, die auch hier auf dem Kapital
Grundriss von Sens.
>) Abbildung: bei Viollet-le-Duc, IX, ].. 288.
^2 Erste Stufe des franz. gotliischen Styls.
der Zvvischensäule stehen, haben Ringe, die Vorlage der Pfeiler, aus drei
l^räftigen Halbsäulen gebildet, steigt dagegen ununterbrochen bis zum Ge-
wölbe auf. Die schlankeren Säulen und die leichtere Bildung des Triforiums
geben dem Inneren einen feineren, minder schwerfälligen Ausdruck; aber
die Länge und besonders die Höhe sind der bedeutenden Breite des Mittel-
schiffes nicht entsprechend.
Die Geschichte der Kathedrale von Senlis ist noch weniger bekannt.
In den Jahren 1151 bis 1155 wurde die alte baufällige Kirche von Grund
aus erneuert; ein Rundschreiben König Ludwig's VII. fordert zur Mild-
thätigkeit für die sehr mittellose Kirchen fabrik auf^); aus dieser Bauzeit
dürfte der halbkreisförmige Chorumgang mit den ebenfalls halbkreisförmigen
aber sehr flachen Kapellen herstammen-). Das Schiff mit quadraten Ge-
wölben, Gallerien über den Seitenschiffen, abwechselnden Pfeilern und ein-
fachen, ziemlich schlanken Säulen, wird seiner Anlage nach gegen das Ende
des Jahrhunderts entstanden sein, auch die Fagade deutet auf diese Zeit
hin. Bedeutende Beschädigungen, welche die Kirche im Jahre 1304 durch
•einen Blitz erlitt, erklären die augenscheinlichen Veränderungen der Ober-
theile des Schiffes.
Bei allen Verschiedenheiten dieser Gebäude stehen sie doch auf un-
gefähr gleicher Stufe des Styles. Der Spitzbogen, die Rippenvvölbung, das
Strebesystem sind consequenter durchgeführt, als in den früher betrachteten
Bauten, die Verhältnisse sind höher und bedeutender geworden, man strebt
nach Reichthum und organischer Durchbildung aller Theile. Aber noch ist
viel des Alten beibehalten, die Dicke der Mauern und Pfeiler, die Höhe der
Kapitale, die breite, mit dem Eckblatt versehene Basis, die schweren Gurten
und Bogenprofile. Und auch die Neuerungen, die starken Säulen, die darauf
ruhenden derben Bündel von Gevvölbdiensten, die gewaltigen Gewölbrippen,
selbst die Richtung auf grössere Consequenz und auf reichere Ausstattung
und Belebung aller Theile führen keinesweges dahin, dem Ganzen einen
leichteren und zierlichen Charakter zu geben, steigern vielmehr den Aus-
1) Ecclesia Sanctae Mariae Silvaiiectensis media corruens vetustate iiiuovatur a
f iindamentis et usque adeo insigne inceperunt opus, quod sine caritate fidelium
nunquam potest consummari; Gallia christ. Vol. X, col. 1402. In der Grabschrift des
Bischofs Theobald (1151 — 1155) wird ang-eführt, qui haue innovavit ecclesiam. In der
Grabschrift seines Naclifolgers (f 1183) wird nur gerühmt, dass er die Kirche variis
ornamentis decoravit, crucifixum novum fecit etc. Er liess also wahrscheinlicli den
Bau, dessen Chor vollendet war, wegen Unzulänglichkeit der Mittel liegen. Im Jahre 1191
fand indessen eine Weihe statt. Eod. col. 1378.
2) Bei Viollet-le-Duc, Dictionn. II, p. 461 ff. Grundriss, äussere und innere Ansicht
dieser Kapellen, die, wie er S. 457 sagt „sich kaum zu entwickeln wagen". Das
Fenster jedesmal nicht in der Mitte des Halbkreises, sondern nach Osten gerichtet,
unter ihm der Altar.
Die Faoade. 63
druck des Vollen und Kräftigen. Bei alledem aber sind diese Bauten mächtig
und imponirend; namentlich die Kathedrale von Laon macht mit ihren gran-
diosen Verhältnissen, ihrer völlig durchgeführten Regelmässigkeit, der eigen-
thümlichen Verbindung von vollen , fast überkräftigen Formen mit der
Kühnheit ihrer schlanken Gevvölbträger einen bedeutenden Eindruck. Es
ist darin eine Strenge und Kraft, welche an den dorischen Styl erinnert.
Wir haben in Deutschland, wo dem ausgebildeten gothischen Bau der bunte
und in seiner Weise zierliche Uebergangsstyl vorherging, kein Gebäude, das
wir diesen an die Seite stellen könnten.
Die Fagade ist hier überall später als das Schiff, aber doch wieder an
allen diesen Kirchen ungefähr gleichzeitig ausgeführt, und auch an ihr kön-
nen wir einen Fortschritt bemerken. Die von Senlis erinnert durch die
strenge Abtheilung der Schiffe vermöge der Strebepfeiler noch sehr an die
von Chartres und von Noyon, nur dass, da das Mittelschiff nicht die grosse
Breite hat wie dort, die Seitenportale nicht mehr in das Hauptschiff, sondern
unter den Thürmen in die Nebenschiffe führen und dafür das Hauptportal
grösser und höher gebildet ist. Aehnlicb, obgleich in breiteren Verhältnissen,
ist die von Sens; indessen zeigt sie schon den Versuch, das Ganze der Breite
noch mehr zu verschmelzen, indem die Strebepfeiler an den Ecken abgefaset
und mit den oberen Gallerien verbunden sind. Vor allem zeigt sich aber
ein grosser und höchst bemerkenswerther Fortschritt an der unter der Re-
gierung König Philipp August's im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts
ausgeführten Faoade von N. D. von Paris, die dann auch für das System des
französischen Fa^'adenbaues maassgebend wurde '). Hier ist Alles klar und
harmonisch geordnet; die drei Portale, welche vermöge der fünfschiffigen
Anlage des Planes sämmtlich eine ansehnliche Breite erhalten haben, treten
schon zwischen den Strebepfeilern hervor und füllen somit die Vertiefung
aus. Sie bilden so einen Vorbau, der oberhalb der Archivolten durch eine
Arcadenreihe und Gallerie horizontal bekrönt ist. Ebenso ist das zweite,
dem (Jberschifte entsprechende Stockwerk durch eine horizontale Linie be-
grenzt, über welche drinn als drittes wiederum eine Reihe gleichhoher Ar-
caden auf der ganzen Breite der Facaden fortläuft. Besonders wichtig ist
aber die Anordnung dieses zweiten Stockwerkes, welches an den Seiten-
schiffen eine Doppelarcade von Spitzbögen, im Mittelschiffe aber ein mäch-
tiges, vertieftes Rosenfenster erhalten hat. Die ganze Haltung dieser Fagade
ist eine höchst strenge, alle horizontalen und verticalen Abtheilungen treten
mächtig hervor, die stark geformten Pfeiler und anderen Glieder werfen
ernste Schatten über die Fläche; aber sie spricht mit unvergleichlicher
1) Eine geistvolle Wiirdig-ung dieser Facade bei Violiet-le-Duc, EiUretieiis sur
rarchilecture, T. I, Paris 1863, p. 299 ff.
Q^ Der früligothisclie fraiizösisclie Styl.
Würde den kirchlichen Charakter aus, und enthält alle Momente^ aus^
welchen der spätere reiche Fa(;adenbau sich entwickelte. — Die Fagade der
Kathedrale von Laon ist verwandten Charakters. Ihre drei Portale sind noch
tiefer weil die Strebepfeiler unten mächtiger heraustreten. Drei kühne
Spitzgiebel ragen über den Eingängen empor. Dann" folgt keine durch-
laufende Arcadenreihe, sondern eine Flucht kleinerer Fenster, die aber durch
die schweren Fialen auf dem untersten Absatz der Strebepfeiler unter-
brochen wird. Im folgenden Absatz schliesen sich diese über den Fenstern
zu grossen, umrahmenden Nischen zusammen, an den Seiten spitzbogig, in
der Mitte rundbogig. So über der Rose, die auch hier das Hauptmotiv der
Front bildet, aber ziemlich schwerfällig in der Gliederung ist. Die krönende
Arcadenreihe läuft dann nicht in gleicher Flucht, sondern liegt vor dem
Mittelschift' etwas höher als unter den Thürmen.
Im Zusammenhang mit der Ausbildung der Facade erhielt auch der
Thurmbau in der französischen Gothik seinen ausgesprochenen Charakter.
An keiner anderen Stelle des Gebäudes tritt die ideale Seite der Architektur
so in den Vordergrund, die Rücksicht auf Bedürfniss und Nothwendigkeit
so sehr zurück wie bei den Thürmen. Käme es blos darauf an, ein Gerüst
für weithin schallende Glocken zu schati'eu, so würde ein Aufsatz auf dem
Giebel, wie man ihn an Klosterkirchen gewisser Orden und im Orient oft
findet, oder wenn dies nicht genügte und man den Zweck der Umschau oder
der Vertheidigung damit verbinden wollte, ein einfacher, gerade geschlos-
sener Thurm wie die italienischen ausgereicht haben. Allein dabei blieb
man nicht stehen. Der Thurm wurde vorzugsweise in seiner symbolischen
Bedeutsamkeit aufgefasst, er sollte recht eigentlich über das Nützliche
hinausgehen, zeigen, dass Gottes Ehre in dieser Gemeinde mehr gälte, als
blosser Nutzen. Dieses schon im romanischen Style vorhandene Gefühl erhielt
in der Gothik eine bedeutend stärkere Betonung. Denn da hier derselbe
symbolische Gedanke das ganze Gebäude durchdrang, alle Höhenmaasse
steigerte, auf allen Punkten gipfelte, musste der Thurm noch viel mächtiger
hinaufstreben. So gelang es der Gothik, dem Thurme in weit h-herem
Maasse den Charakter einer Entwickelung noch oben zu verleihen. Dabei
verstand sie es zugleich, die Anlage der Thürme noch vollständiger mit dem
räumlichen Organismus der Kirche zu verschmelzen, als es in der roma-
nischen Architektur geschehen war , in welcher die Thürme sich freilich an
bedeutsamen Stellen, aber immerhin noch wie eine äusserliche Zuthat er-
hoben. Anfänglich ging die französische Gothik noch von jener reichen
Gruppirung einer grossen Anzahl von Thürmen, wie sie dem romanischen
Styl eigen ist, aus, allmälig aber beschränkte sie sich nach dieser Seite hin,
legte jedoch um so grösseren Werth auf die Gestaltung des Thurmes, damit
er, als die ausgezeichneteste Erscheinung des ganzen Gebäudes, jenes Lebens-
Ausbildung des Thurmbaues. g^
princip desselben recht kräftig ausspreche. Dies lag so sehr im System der
Gothik, dass der Thurmgedanke eigentlich mit demselben heranwuchs und
daher in Frankreich, dem Entstehungslande dieses Systems, schon frühe in
seinen wesentlichen Erfordernissen verstanden wurde. Es ist der Gedanke
einer allmäligen Verjüngung, welche, anfangs kaum bemerkbar, weiter hinauf
mit wachsender Beschleunigung zunimmt und am Fusse des Helms soweit«
gesteigert ist, dass sie zur directen Zuspitzung werden kann. Eine weitere
Folgerung daraus ist dann, dass der Gegensatz zwischen dem senkrechten
viereckigen Unterbau und dem pyramidalen achteckigen Helm durch ein
senkrechtes achteckiges Stockwerk vermittelt und jeder dieser Theile nicht
nackt dem anderen aufgesetzt wird, sondern aus ihm herauswächst, so dass
der Anfang des achteckigen Stockwerkes von den Fialen der vier Ecken des
Unterbaues und der Anfang des Helms von den Giebeln oder sonstigen Ab-
schlüssen des senkrechten Achtecks begleitet ist.
So weit war man in Frankreich schon um die Mitte des zwölften Jahr-
hunderts i). Ein Beispiel dafür ist der alte südliche Thurm an der Fagade
des Doms von Chartres, dessen Anlage noch aus jener Zeit stammt-). Die
Entwickelung ist consequent, aber in schweren, gedrungenen Verhältnissen.
Ueber dem starken quadratischen Unterbau erhebt sich ein sehr kurzes
Achteck, zu dessen Seiten, über den Eckstrcbep feilern, vier Spitzbogenöff-
nungen schräg gegen die Ecken des Unterbaues heraustreten. Zwischen ihren
kleinen Pyramiden und den Spitzgiebeln über den Fenstern der vier andern
Achteckseiten, steigt ein auffallend hoher, mächtiger Steinhelm undurch-
brochen in die Höhe. Eine etwas spätere, elegantere Durchbildung dieses
Gedankens zeigt der Südthurm der Kathedrale von Senlis. Das Achteck ist
ungleich schlanker, an den Ecken entwickeln sich aus den Strebepfeilern
offene Tabernakel auf schlanken Säulen, aber nur in der halben Höhe dieses
Stockwerks; ihre Helme steigen, als Widerlager gegen letzteres, etwas ge-
neigt an, und sind durchbrochen gebildet, während die Hauptpyramide an
jeder ihrer acht Seitenflächen durch eine Luke mit hohem Giebel belebt ist.
Die Thürme von Chartres sind unten geschlossen, die von Senlis
aber schon mit dem Grundriss des Ganzen verschmolzen, sie bilden das Vesti-
bül des Seitenschiffes, und diese Anlage wird nun die herrschende; in dem
Unterbau der Thürme öffnen sich die Seitenportale, und an den Kathedralen
von Paris und Laon sehen wir daraus eine weitere Folgerung gezogen.
Das frühere Bestreben, den Thurm als etwas relativ Selbständiges zu halten,
ist verschwunden, bis zum Höhenabschluss der Fagade ist er als ein Theil
^) Vgl. Viollet-le-Duc, III, p, 286 — 408, s. v. clocher, die grüadliche und über-
zeugende Ausführung dieser frühen Entwickelung des Thurmbaues in Frankreich.
2) Vgl. oben S. 38.
Schnaase's Kunstgesch. 2. Anfl. V. 5
66
Der frühgolhische französische Styl.
Fig. 10.
fsä^M
Von dur Kathedrnlu zu Lo-on.
Thiirme zu Paris und Laon. (37
von dieser; von ihrer gesammten Anordnung und Gliederung aufgefasst.
Bei N. D. zu Paris ist, nach Art des normannischen Styls, das Glocken-
haus nicht im Achteck, sondern wie die unteren Geschosse im Quadrat ge-
bildet. Dann sollte der Haupthelm zwischen vier Eckpyramiden folgen i).
In Laon dagegen tritt das Achteck in reichster Ausbildung auf, wegen seiner
Schlankheit entwickeln sich neben ihm, aus den Strebepfeilern, sogar zwei
Stockwerke von leichten Tabernakeln, und die oberen werden mit dem Kern
des Thurmes in gleicher Höhe durch ein Gesims geschlossen; die fünf Helme
darüber sind theils nicht ausgeführt, theils wieder zu Grunde gegangen-).
Hier prägt sich die echt französische Tendenz im Thurmbau am consequentesten
aus, bei aller Kühnheit der Entwickelung nach oben ist immer noch die
bedeutsame Horizontalgliederung gewahrt. So kam es, dass schon ein
französischer Architekt des 13. Jahrhunderts, wie wir später hören werden,
hier das Ideal des Thurmbaues erreicht sah.
Nicht bloss in der allgemeinen Anlage und in dem Constructiven, son-
dern auch und besonders in den feineren Details und in ihrer plastischen
Ausführung sehen wir die schnelle Entwickelung des Geschmacks. Schon im
Chore von St. Germain-des-Pres in Paris von 1163 und in N. D, von Chä-
lons ist die Ausführung der Kapitale sehr vortrefflich und geistreich, aber
doch noch ganz im Sinne des romanischen Styls mit steter Beibehaltung der
korinthischen Grundform, mit bizarrer Vorliebe für Thiergestalten und mit
grösserer Freude an anregendem Wechsel als an harmonischer Ueberein-
stimraung. In N. D. von Paris dagegen ist die Ornamention fast durchweg
aus dem Pflanzenreiche genommen, das Blattwerk freier und natürlicher, oft
von überaus zierlicher Arbeit, und mit deutlicher Nachahmung einheimischer
Pflanzen stylistisch ausgebildet.
Es konnte nicht fehlen, dass die Zeitgenossen diese Fortschritte be-
merkten. Der Mönch Gervasius von Canterbury in seinem um diese Zeit
geschriebenen Berichte über den Neubau seines Domes rühmt ausdrücklich
die „sculptura subtilis", die man jetzt an den Kapitalen sehe. Einen so aus-
führlichen Bericht besitzen wir nun zwar aus Frankreich nicht, aber es fehlt
doch nicht ganz an enthusiastischen Aeussei'ungen : ein Chronist ruft im
Jahre 1177 bei der Erwähnung des damals im Bau begriffenen Chores der
Pariser Kathedrale aus: Wenn das Werk vollendet sei, werde man diesseits
der Berge nichts Gleiches sehen können '^l. Er hat also eine sagenhafte Yor-
^) Restauration auf Tafel XIV von Viollet-le-Duc, Entretiens sur l'arclniecture.
-) Noch zu sehen auf der Zeichnung in dem Album des Villard de Honnecourt,
herausgegeben von Lassus, Tafel XVIII. — Ein Helm, am Siidthurme, existirte noch
im Anfang dieses Jahrhunderts.
*) Robertus de Monte, der Fortsetzer der Chronik des Sigebertus (bei Inkersley
S. 72): An. Dni. 1177. Mauricius eps. Parisiensis jam diu est quod. muitum laborat
5'
gg Der früligothische französische Styl.
Stellung davon, dass Italien das Land der Schönheit sei, die wohl mehr auf
der traditionellen Verehrung antiker Kunst und auf der Kunde von der impo-
nirenden Grösse der ebenfalls fünfschiffigen römischen Basiliken als auf ge-
nauerer Kenntniss von dem Zustande der damaligen italienischen Leistungen
beruhet; aber er würdigt den neuen Bau richtig in seinen Vorzügen vor den
vorhandenen einheimischen Werken. Ein anderer Chronist giebt, indem er
den Verfall der klösterlichen Disciplin rügt, ein Zeugniss, dass die neuen
Bauten stolzer und namentlich luftiger und heller seien, als die alten i).
Jede dieser Kathedralen wirkte auf die Kirchen ihrer Umgebung. Die
rüstigen und strengen Formen des Domes zu Laon sind an den Kirchen
St, Martin daselbst-), namentlich an den mit der Ueberwölbung zusammen-
hängenden Theilen und an den Thürmen, an der Kapelle St. Pierre-au-Parvis
zu Soissons, und selbst noch an dem Chore der grossen Abteikirche za
Montier-en-Der^), in der Champagne zu erkennen. Die Kathedrale von
Noyon hat auf die Abteikirche von Longpont und in noch höherem Grade
auf die von Ourscamp*) — beide jetzt in Ruinen — gewirkt. Sehr merk-
würdig sind zahlreiche Kirchen von Flecken und Dörfern in den Departe-
ments Oise, Seine et Oise, Seine et Marne, die sämmtlich von N. D..
et perficit in aedificatione ecclesiae praedicte civitatis; cujus Caput jam perfectum
est, excepto majori tectorio; quod opus si perfectum fuerit, non erit opus citra montes
cui apte debet comparari. (Job. Pistorii, Scr. rer. germ. Tom. I).
1) Der Verfasser der Annales Novesienses vom Ende des zwölften Jahrhunderts
(bei Marlene und Durand, Ampliss. coli. IV, col. 356): Veteres monachi cellas quidem
ecciesias et alias mansiones humiles habebant et tenebricosas; sed eorum corda erant
lucida valde in amore Dei; novi autem ecciesias, cellas dom.osque — lucidas fabricant,
sed corda eorum, vitiis et desidia plena, tenebrica sunt.
~) Es ist ein nicht unbedeutender Bau, mit gerade geschlossenem Chor und mit
rechteckigen Kapellen auf der Ostseite der Kreuzarme. Die Fenster sind noch rund-
bogig, die Scheidbögen und die Ueberwölbung spitz. Vgl. Näheres bei Lübke, Arch.
Gesch. 4. Aufl. S. 495.
'^^ Archives des Monuments historiques. An das romanische Langhaus stösst der
frühgothische Chor mit Umgang und Kapellenkranz, dessen Grundriss einigermaassen
an den von St. Remy in Rheims erinnert, während die Gewölbdienste und die Säulen
an den Oberlichtern mit zahlreichen Ringen besetzt auf die Kathedrale von Laon hin-
weisen. Eine kleine Abbildung bei Caumont, Bull, monum. XVII, 325; grössere in
der Voyage dans l'ancienne France, Champagne. Auch hier findet sich die Verbindung
von Gallerie und Triforium (wie in den Kreuzconchen von Tournay und Soissons, in
den Kathedralen von Noyon und Laon, in St. Remy von Rheims und N. D. von Chalons),
welche ausserhalb der Picardie und Champagne, soviel ich weiss, in Frankreich nicht,
und in Deutschland, wie weiter zu erwähnen sein wird, nur in St. Georg in Limburg
vorkommt.
^) Nach der Gallia christiana IX, col. 530 ist sie 1154 gegründet, 1201 geweiht.
Ohne Zweifel war die Kirche bei dieser Weihe noch nicht vollendet. Abbildungen i»
der Voyage dans l'ancienne France, Picardie.
Einfluss der ersten frühg^othischen Kathedralen. ß9
ZU Paris abhängen, aber die herrschenden Formen mit Geschick und Eigen-
thümlichkeit auf kleinere Verhältnisse und veränderte Anlagen angewendet
zeigen. Starke Säulen als Träger der Arcaden und sechstheilige quadratische
Kreuzgewölbe sind den meisten dieser Kirchen aus dem Ende des XII. und
dem Anfang des XIII. Jahrhunderts gemeinsam. Die Emporen fehlen ihnen,
der Chor ist ganz einfach und zwar bald gerade, bald vieleckig geschlossen.
In der Kirche zuNesle^) entspricht jedem Gewölbequadrat nur eine Arcaden-
stellung, die Dienste auf welchen die Zwischengurte ruhen, steigen erst am
Triforium auf-). In der Kirche zu Angicourt wechseln eckige Pfeiler mit
vier Diensten und starke Rundsäulen ab, während die Wand zwischen Arcaden
und Oberlichtern ungegliedert ist. In der Kirche zu Champeau stehen zwei
schlanke Säulen, eine hinter der andern, zwischen den stärkeren, und die
Stelle der Triforien vertreten achttheilige Rosen, unverhältnissmässig gross,
•offenbar in Nachahmung der ursprünglichen Wandgliederung in N. D. zu
Paris^). Gewöhnlich aber sind Triforien von grosser Schlankheit vorhanden
und die Oberlichter haben radförmige Gestalt, theils klein und einfach, theils
reicher gegliedert, eine sehr zweckmässige Form, sobald auf grössere Höhe
des Mittelschiffes verzichtet wird. Beispiele gewähren die Kirchen von Fer-
rieres, Jouy-le-Moustier, Champagne^), nur in der letzten sind die
Strebebögen sichtbar, meist bergen sie sich in der Bedachung der Seiten-,
schiffe.
Eine unmittelbare und sehr interessante Leistung der Bauhütte von
Notre Dame von Paris ist endlich die KoUegiatkirche zu Mantes, an
der Grenze der Normandie, bei der ich etwas länger verweilen muss.
Diese Kirche ist zwar erst unter Ludwig dem Heiligen um die Mitte
des dreizehnten Jahrhunderts vollendet, aber, wie an manchen Eigeu-
thümlichkeiten zu erkennen, schon im Anfange dieses Jahrhunderts begonnen
und durch die Jugendfrische und Kühnheit, die sich in allen ihren Formen
offenbart, äusserst anziehend^). Das Stift war überaus reich und mächtig,
seine Aebte und Prälaten hatten die Ehrenrechte der Prinzen von könig-
1) A. de Baudot, t^lises de bourgs et villages, 2 Bde., Paris 1867.
2) Vgl. Viollet-le-Duc, Dict. IX, p. 250 f., mit Abbildung.
3) Vgl. oben S. 59. — Viollet-le-Duc B. IX, S. 306.
*) Abbildungen auch bei Dan. Ramee, Hist. generale de l'Arch. II, p. 929, 930.
^) Miliin, Antiquites nationales. Vol. II, uro. XIX, hat dieser Kirche einen langen
Artikel gewidmet, aus dem aber, wie aus allen Arbeiten dieses Schriftstellers, nicht
■viel Nutzen für das eigenthch Kunstgeschichtliche zu ziehen ist. Eine Abbildung der
Facade bei ihm und bei Chapuy, moyen-äge monum. uro. 51. Eine vollständige Pu-
blication dieser Kirche, die ich bei den französischen Archäologen selten erwähnt
ünde, gehört zu den wissenschaftlichen Desideraten. Einzelnes in Viollet-le-Duc,
Dictionnaire.
70 Der friihgothische französische Styl.
lichem Blute. Dem entspricht denn auch die Anlage der Kirche, die zwar
kein Kreuzschiif, aber in Westen einen mächtigen Portalbau mit zwei Thür-
raen, in Osten den Kapellenkranz, im Ganzen bedeutende Ausdehnung hat.
Das Langhaus enthält ausser der Vorhalle drei weitgespannte sechstheilige
Gewölbe, deren Diagonalgurten auf reichgebildeten Pfeilern viereckigen
Kernes ruhen, während schwere Rundsäulen die dazwischen liegenden Ar-
caden tragen. Diese Rundsäulen mit der flachen attischen Basis, dem Eck-
blatte und grossen Blattkapitälen, dann besonders die hohe, über den Seiten-
schiffen rings herum sich erstreckende Gallerie, endlich die Profile der Bö-
gen und Gewölbgurten gleichen völlig dem grossen Werke des Moritz von
Sully. Allein dennoch hat das ganze Gebäude im Gegensatze gegen N. D.
von Paris einen überaus leichten und luftigen Charakter. Schon in N. D.
von Laon hatten wir uns über den kühnen Gebrauch freistehender hoher
Monolithenstämrae zu verwundern, aber diese Kühnheit ist hier weit über-
boten. Dies zeigt sich besonders in der Vorhalle unter dem Thurmbau.
Die Gallerie nämlich ist bis an die Mauer der Fagade auf beiden Seiten
fortgefühlt und durch einen schmalen, an derselben entlanglaufenden Gang
verbunden. Sie hätte an dieser Stelle , wo kein Oberschiff zu stützen war
und ihre Ueberwölbung erst in der Höhe des Mittelschiffes erfolgen konnte,,
ganz ohne Arcatur bleiben können, welche, da die Thürrae auf den west-
lichen Strebepfeilern und auf sehr starken Pfeilern ruheten, zur Sicherheit
nichts beitrug; allein der Meister hat es vorgezogen, sie auch hier anzu-
bringen, so dass nun die schon im Langhause ziemlich schlanken Gallerie-
säulen in gleicher Stärke luftig zu der bedeutenden Höhe aufsteigen, welche
ihnen das obere Gewölbe anwies. Es ist nicht zu verkennen, dass diese
übermässig schlanken Säulenstämme den Eindruck des Gedehnten und man
möchte sagen Wagehalsigen machen, und dennoch liegt in der Kühnheit
dieses schlanken Aufschwunges, welcher den ohnehin schon luftigen Formen
des Ganzen eine unerwartete Steigerung giebt, eine Anmuth, die der Kritik
Schweigen auflegt^). Ist dies eine jugendliche Uebertreibung, so erkennen
wir in einer anderen Anordnung noch eine gewisse Schüchternheit und
Neuheit des Styles. Die westlichen Abtheilungen der Gallerie sind nämlich
mit Kreuzgewölben bedeckt, deren Diagonalgurten, um es beiläufig zu er-
1) Die Höhe des Gewölbes ist 96 Fuss. Miliin, a. a. 0. S. 19, erzählt, dass der
Baumeister Endes von Montrenil (dessen unten näher zu gedenken) über die Kühnheit
seines Werkes selbst so erstaunt gewesen sei, dass er bei der Fortnahme der Hülfs-
bogen des Gewölbes nicht gegenwärtig zu sein gewagt, daher nur seinen Neffen ge-
sendet habe. Ob Miliin diese Nachricht aus einem von ihm an einer anderen Stelle
seines Aufsatzes citirten Manuscript oder woher sonst genommen und welches Alter
dieses Manuscript habe, ist nicht gesagt, indessen ist die Anekdote auch als Erfindung
immerhin charakteristisch für die Kühnheit des Baues.
Verschwinden der Gallerie. 71
wähnen, auf Consolen mit ungemein frei und geistreich gearbeiteten Thier-
und Menschengestalten ruhen. Diese Art der Ueberwölbung scheint indessen
erst im Laufe des Baues beliebt, während in den sieben Abtheilungen über
dem Chorumgange und in den zwei daran anstossenden der nördlichen Gal-
lerie eine ganz andere Wölbungsart versucht ist. Sie haben nämlich spitze
Tonnengewölbe, nach dem Mittelschiffe zu geöffnet, zu deren Unterstützung
an der Grenze jeder Abtheilung förmliche Stcinbalken angebracht sind, die
von zwei in die Mitte der Gallerie gestellten Säulen getragen werden^).
Offenbar ein Versuch, um durch dieses Band von Tonnengewölben den
Pfeilern des Mittelschiffes, welche die Last der hohen Gewölbe tragen muss-
ten, ihren Dienst zu erleichtern.
Während die erwähnten Kathedralen langsam ihrer Vollendung näher
rückten, musste man wohl auf manche Mängel des dabei beobachteten Sy-
stems aufmerksam werden, ohne ihnen jedoch sogleich abhelfen zu können. Eine
Quelle solcher Mängel war die bisher noch immer beibehaltene Gallerie, da
sie das Langhaus verdunkelte und die niedrige Anlage der Seitenschiffe und
die schwerfällige Form der Säulen herbeiführte. Ein kirchliches Bedürf-
niss zu ihrer Beibehaltung war kaum vorhanden, höchstens boten sie an den
Tagen besonderer Feierlichkeiten für eine grössere Menge von Zuschauem
Raum, allein man betrachtete sie als eine Kräftigung des Mittelschiffes und
überdies als eine Verankerung der Pfeiler, und glaubte sie daher, obgleich
die Kathedrale von Sens sich schon darüber fortgesetzt hatte, bei grösseren
Anlagen nicht entbehren zu können. Endlich befreite man sich zwar von
diesem Vorurtheile, indessen geschah auch dies nur sehr allmälig, und wir
finden wenigstens an einigen Bauten einen eigenthümlichen Versuch, die
Vortheile der Gallerie ohne ihre Uebelstände zu erlangen. Man behielt
nämlich die Gallerieöffnungen als eine Verankerung der Pfeiler bei, ohne
wirkliche Gallerien anzulegen. Dies geschah in der Normandie, wo schon
das Langhaus von St. Etienne in Caen bei romanischer Ueberwölbung das
Beispiel einer solchen Anordnung gegeben hatte, an der Kathedrale von
Ronen (1200 — 1225) und an der Abteikirche zuEu, welche beide im folgen-
den Kapitel ausführlicher zu besprechen sind. Aber auch in der Nähe von
Paris geschah es an der Kathedrale zu Meaux, welche im Anfange dieses
Jahrhunderts ganz in der Weise der Kathedrale von Laon mit Gallerien und
Triforien errichtet war, aber wegen eines Fehlers bei der Fundamentirung
gleich darauf wieder umgebaut werden musste, wobei man dann das Zwischen-
^) Bemerkenswerth ist auch, dass diese Gewölbe, ganz ähnlich wie die der Gallerie
Ton N. D. zu Paris nach aussen zu aufsteigen und so eine grössere Fenslerwand er-
halten, in welcher hier ungewöhnlicher Weise je ein kreisförmiges Fenster angebracht
ist. Siehe die Zeichnungen bei VioUet-le-Duc a. a. 0. I, S. 196, IX, S. 285.
72 Der frühgothisclie französische Styl.
gewölbe fortliess, die Gallerieöffnung aber beibehielt ^). In der Picardie ging
man sogleich einen Schritt weiter und Hess den Pfeiler bis zum Beginn des
Scheidbogens freistehend aufsteigen, was dann nun auch in allen diesen Pro-
vinzen sogleich herkömmlich wurde, so dass keine im zweiten Decennium
des dreizehnten Jahrhunderts begonnene Kirche noch die Gallerien hat.
Das Verschwinden der Gallerien stand im inneren Zusammenhange mit
einer anderen, auch an sich wichtigen Yeränderung, die wir gleichzeitig
wahrnehmen, nämlich mit der Anlage schmaler Gewölbfelder. So lange man
nur die qnadraten Gewölbe kannte, deren weitgespannte Gurten eine ge-
waltige Scheitelhöhe hatten und daher auch sehr hohe Zwischenwände er-
forderten, glaubte man jedes Mittel benutzen zu müssen, um der bedeutenden
Last dieser oberen Theile entgegen zu wirken. Als man aber durch die
weitere Ausbildung des Spitzbogens und der Gewölbrippen schmale Gewölbe
von massiger Höhe anzulegen gelernt hatte, konnte man jedenfalls die Gal=
lerie entbehren. Dadurch wurde dann ferner die Behandlung der Pfeiler
verändert. Während der Säulenstamm bisher nur dem unteren Stockwerke
der Seitenschiffe entsprochen hatte, musste er jetzt bis zu dem oberen Ge-
wölbe derselben aufsteigen. Statt der früheren gedrückten Verhältnisse hatte
man nun die Gelegenheit, ihn schlanker zu bilden, welche nicht unbenutzt
bleiben sollte. Damit fiel aber auch der grosse Umfang des Kapitals , auf
w'elchem bisher die Gewölbdienste Raum gehabt hatten, fort, und man musste
darauf denken, diese anderweitig zu stützen, ohne den Umfang der Säule im
Ganzen auszudehnen und den Durchgang und Durchblick zu sehr zu be-
schränken. Dies führte auf den Gedanken, den Säulenstamm nur da zu
verstärken, wo die Gewölbdienste ruhen sollten, was man dadurch erreichte,
dass man schlanke Dreiviertelsäulen mit dem schwereren Säulenstamme
verband"). Anfangs geschah dies bloss da, wo es am nöthigsten war, näm-
lich an der Frontseite, wo die hohen Gewölbdienste aufsteigen mussten. So
1) Diesen Hergang bezeugt wenigstens Vioilet-le-Duc a. a. 0. S. 198, dessen
saclikundigem Auge man glauben kann, dass er ihn am Gebäude selbst erkannt hat.
"Wahrscheinlich wird auch in den andern, im Texte erwähnten Fällen ein ähnlicher
Hergang stattgefunden haben, so dass jene in das Seitenschifl' führenden Gallerie-
öffnungen immer damit zusammenhängen, dass man die Anlage einer Gallerie l)eab-
sichtigt, aber aufgegeben hat.
") Ein Beispiel für Umstellung des runden Schaftes mit schlankeren Säulen auch
'bei den bisherigen gedrungenen Verhältnissen gewähren vier Pfeiler der Kathedrale
von Laon. Sie sind, abweichend von den übrigen mit fünf freistehenden Säulen um-
geben, welche vom Sockel des starken Rundpfeilers bis zur Deckplatte seines Kapitals
aufwachsen und diese stützen helfen. Die drei vorderen Säulen entsprechen den fünf
Diensten, die vom Kapital zur Mittelschitl'wölbung aufsteigen, die zwei andern den
Diagonalrippen der Seitenschifl'- Gewölbe. — Vgl. Viollet-le-Duc, Dict. VH, p. 163 ff.,
Abbildung p. lOG.
Erfiiiduug des Maasswerks. 73
an den westlichen Pfeilern der Kathedrale von Paris und in der Kathedrale
von Soissons, beide etwa 1212. Hierbei musste dann aber der Hauptstamm
noch ziemlich stark gebildet werden; man fand daher bald heraus, dass eine
gleichmässige Umstellung eines schlankeren Säulenstammes mit mehreren,
etwa mit vier, der Längen- und Querachse und mithin den Gurt- und Scheid-
bögen entsprechenden Halbsäulen die schönere und zweckmässigere Form
sei, bei der man es dann auch lange beliess.
Eine weitere und noch wichtigere Folge der Anlage schmaler Gewölbe
war die Yergrösserung der Fenster und die Erfindung desMaasswerks.
Da man stärkere Beleuchtung erstrebte, so behielt man die zwei Fenster,
welche früher unter dem sechstheiligen Gewölbe angebracht gewesen waren,
-auch in dem jetzt schmaler gewordenen Bogenfelde des Spitzbogens bei,
rückte sie nun aber in die Mitte der Fensterwand eng aneinander und ver-
band sie zu einer Gruppe, bei der dann aber die leere Stelle zwischen den
beiden divergirenden inneren Schenkeln der Spitzbögen unangenehm auffiel.
Eine ähnliche Lücke ergab sich bei den Gallerien, deren Arcadenbögeu mit
dem Schildbogen ihrer Gewölbe ein Bogenfeld bildeten, das leer und lastend
erschien und dessen Durchbrechung den Yortheil stärkerer Beleuchtung des
Mittelschiffes aus den Fenstern der Gallerie gewährte. Hier kam man, wie
■es scheint, zuerst darauf, diese Durchbrechung durch eine kreisförmige Oeff-
nuug zu bewirken. Dies findet sich schon inNotre-Dame von Paris, aber in
4er Art, dass über den drei Arcaden jeder Abtheilung nur ein Kreis, also
über der Spitze des mittleren Bogens und ohne alle organische Verbindung,
angebracht ist. \V'irksamer wurde eine solche Kreisöffnung, wenn sie bei
der Zusammenstellung von nur zwei Spitzbögen in der Lücke zwischen den-
selben stand; sie gab dann eine annähernd vollständige Ausfüllung des Bo-
genfeldes unter dem Schildbogen. Auch hier liess man sie anfangs ohne alle
organische Verbindung mit den Spitzbögen *), kam aber bald darauf, sie
denselben näher zu rücken und die ganze Gruppe durch einen uraschlies-
«enden Bogen zu begrenzen. Dies war der erste Anfang zur Bildung des
Maasswerkes, von dem unter anderen die 1227 geweihte Klosterkirche zu
Longpont-) und die wahrscheinlich gleichzeitige von St. Leu d'Esserent,
beide in derPicardie, Beispiele geben. Gleichzeitig begann man aber schon
an andern Orten, statt zweier kleinerer ein grösseres Fenster anzulegen,
und dasselbe ähnlich jenen zusammengerückten Durchbrechungen durch frei-
stehende Steinarbeit zu theilen und auszufüllen. Damit war die Erfindung
^) Beispiele dieser Anordnung- sind nicht sehr häufig. Sie finden sich im Krenz-
schifi'e des Älünsters zu Strassburg und in den unten ZfU erwäluienden Kirchen zu
Fecamp und Louviers in der Normandie.«
-) Gallia christiana IX, 473. Abbildungen in der Voyage dans I'ancienne France,
Picardie. — Vgl. Kugler, Geschichte der Baukunst, Bd. III, Stuttgart 1859, S. 50.
74
Die zweite Generation gotliischer Kathedralen.
Fig. n.
des Maasswerkes vollbracht^). Anstatt der aufgemauerten Fenstereinfas-
sungen wie bisher (claires-voies btities) und anstatt der durchbrochenen grossen
Steinplatten, welche in den zuletzt erwähnten Beispielen die obersten Licht-
öffnungen bildeten, füllt man jetzt die gesammte Fensteröffnung, deren ab-
schliessender Bogen mit dem inneren Bogen der Wölbung zusammenfällt,
durch ein Gitterwerk aus Stein, welches nur die Bestimmung hat, sich selbst
zu tragen und die Glasscheiben aufzunehmen (claires-voies chässis). In der
Kathedrale zu Rheims, die uns die ersten Beispiele dieses Systems zeigt,
geht die Zweitheilung durch, bei der man anfangs stehen bleibt, und die sich
u. a. auch in den, um 1240 entstandenen, Oberlichtern der Kathedrale zu
Paris findet. In diesem Falle
haben die Oeffnungen zwischen
den Pfosten noch eine so grosse
Breite, dass Eisenstangen nö-
thig sind, um die Scheiben zu
halten. Um dies überflüssig zu
machen, theilte man später bei
grösseren Verhältnissen die Oeff-
nungen noch einmal und gewann
ein viertheiliges Fenster, indem
man zwei Nebenpfosten zu
den Seiten des Hauptpfostens
anbrachte. Von jedem Neben-
])fosten steigen wieder zwei
Spitzbögen, die eine Rose tra-
gen, auf und ordnen sich dem
bereits durch die Zweitheilung
gegebenen Systeme von Spitz-
bögen und Rose unter. Durch
nochmalige Zweitheilung lassen
sich dann achttheilige Fenster gewinnen, und so waltet auch bei Ver-
mehrung der Abtheilungen ein rhythmisches und organisches Princip. An-
fangs, namentlich noch in Notre Dame von Paris und im Chore der Kathe-
drale von Rheims, wo die Fenster noch eine nach Maassgabe ihrer Breite
sehr grosse Höhe hatten, wagte man es nicht, den mittleren Pfosten bis zu
dem Punkte hinauf zu führen, wo der Bogen an der Einrahmung des Fensters
begann. Der innere Bogen wurde daher etwas tiefer, an dem senkrechten
Theile der Fensterwände, angebracht und der Raum darüber durch einen
sehr grossen Kreis gefüllt, welcher im Vergleich mit den darunter liegenden
St. Leu d'Esserent.
1) VioUet-le-Duc (Fenetre), V, S. 383 ff. und VI, S. 320 (.Meneau). —
Ausbildung des Maasswerks.
75
Bögen leer und doch lastend erschien. Bald darauf fand man das richtige
Verhältniss der äusseren Bögen und der Kreise zu den kleineren inneren
Bögen, was annähernd schon die zweitheiligen Oberlichter des Langhauses
in N. D. zu Rheims, vollkommen die viertheiligen Fenster in der Sainte-
Chapelle zu Paris zeigen. Man Hess nämlich die Pfosten im Inneren der
Fenster eben so hoch hinaufsteigen, wie die senkrechten Theile der äusseren
Einrahmung, so dass alle Bogenanfänge Fig. 12.
in derselben geraden Linie lagen, nahm
dann die Breite des Raumes, welchen
jeder Spitzbogen zu überdecken hatte,
zum Radius der beiden Schenkel des-
selben, erhielt daher durchweg aus
dem gleichseitigen Dreiecke construirte,
gleichartige Spitzbögen, und gab endlich
dem Kreise den Radius, aus welchem
die unteren Spitzbögen construirt waren,
zum Durchmesser. Hiedurch hatte der-
selbe ein durchaus anschauliches Ver-
hältniss zu den verschiedenen Bögen,
berührte die beiden unteren Bögen an
den Stellen ihrer grössten Tragkraft, und
lag auf ihnen mit augenscheinlicher
Sicherheit, da seine Weite gerade der
mittleren Hälfte der gesammten Grund-
linie zweier Spitzbögen entsprach. Das
Ganze aber bildete auch bei Vermeh-
rung der Abtheilungen ein sehr rhyth-
misches und organisches System, indem
bei völlig gerader Zahl derselben, also
bei vier- oder achttheiligen Fenstern, die
Anordnung des Kreises sich stets wieder-
holte, bei einer Dreitheilung aber wieder-
um drei solche Kreise den oberen Raum
ausfüllten.
Das früheste Gebäude, an welchem wir einige dieser Aenderungen mit
Entschiedenheit ausgeführt sehen, und welches schon sehr bestimmt den
freieren und luftigeren Charakter dieser zweiten Generation gothischer
Kirchen zeigt, ist die Kathedrale von Soissons. Nachrichtlich wissen wir,,
dass ein Neuhau im Jahre 1175 begonnen wurde, und eine Inschrift im Chore
meldet, dass dieser im Jahre 1212 so weit vollendet war, dass der Dienst
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Fenster aus der Sainte Chapelle zu Paris.
"^Q Die zweite Generation gothischer Katliedralen.
darin beginnen konnte^), der Augenschein ergiebt aber, dass der älteste
Theil der Kirche; der südliche Kreuzarm, eine Nachahmung der Kreuzconchen
der Kathedrale von Noyon, von dieser jedoch durch einen schmalen Umgang
in zwei Stockwerken unterschieden ist. Mithin fällt dessen Ausführung bald
nach 1175, während die ganze übrige Kirche mit dem eben erwähnten Chore
sehr genau übereinstimmt und daher bald nach 1212 erbaut sein muss. Die
Gallerie, welche in jener Kreuzconcha noch pleonastisch mit einem darüber
hinlaufenden kleinen Triforium beibehalten war, ist in den späteren Theilen
überall fortgeblieben, dagegen sind die Seitenschiffe höher und das Triforium
schlanker gehalten, so dass das Gewölbe dieselbe Höhe erreicht, wie dort.
Die Ueberwölbung des Mittelschiffes ist in schmalen Feldern ausgeführt, die
Säulen haben zwar noch das hohe Knospenkapitäl und die Basis mit dem
Eckblatte wie in der Kathedrale von Laon, aber sie sind schlanker gehalten
und durch eine im Mittelschiffe vorgelegte Halbsäule verstärkt, von welcher
fünf Gewölbdienste aufsteigen. Das Triforium besteht noch aus fortlaufenden
Arcaden gleicher Höhe, deren Gesims mit den Gewölbdiensten durch Ver-
kröpfungen verbunden ist; die Fenster sind weit und hoch, das Oberschiff
hat schon die volle Leichtigkeit des gothischen Baues. Anfänge des Maass-
werks finden sich in soweit, als in dem geraden Theile des Chors die Fenster,
wie in Saint -Leu d'Esserent, paarweise zusammengestellt und durch einen
höheren Spitzbogen überspannt sind, den eine Rosette füllt 2). Die Profi-
lirung ist zwar noch durch Rundstäbe, aber doch schon mit starken Höh-
lungen zwischen denselben bewirkt. Bei der Anlage des Chores finden wir
endlich eine wichtige Neuerung; er ist nämlich nicht wie bisher halbkreis-
förmig, sondern polygon, nämlich sowohl am Oberschiffe als in den Kapellen
aus fünf Seiten des Zehnecks gebildet. Dabei ist die Ueberwölbung der
fünf radianten Kapellen, wie in St. Remy in Rheims, durch ein achttheiliges
Rippengewölbe bewirkt, aber in sehr verbesserter und sinnreicher Anord-
nung. Der Schlussstein liegt nämlich im Scheitelpunkte des Halbkreisbogens,
welcher den Eingang zur Kapelle bildet, so dass das Gewölbe nicht bloss
die Kapelle, sondern auch die darangrenzende Abtheilung des Umganges
bedeckt, und von den Säulchen zwischen den Fenstern der Kapelle und den
^) Anno milleno biscenteno duodeno liunc inirare choriim cepit grex Canonicorum.
Die Gallia Christiana, Vol. IX, col. 365, bemerkt sogar, dass aus Urkunden von 1210
bis 1212 hervorgehe, dass in diesen Jaliren die ganze Kirche vollendet und durch
Bischof Haimardus ausgeschmückt sei. Wahrscheinlich enthalten diese Urkunden die
Stiftung von Altären und würden sich daher auch aus der Vollendung des Chores
erklären lassen. — Vgl. Viollet-le-Duc, Dict., Bd. II, p. 309 f., nebst Grundriss.
-) Viollet-le-Duc, Dict. V, p. 376 f., nebst Abbildung. Es ist dieselbe, welche
oben Band IV, S. 157 — jedoch mit der irrigen Unterschrift: \ on St. Yved in Braisne
gegeben ist.
Kathedrale von Soissons und St. Yoed in Braisne.
7T
Säulen des Rundpunktes getragen wird. Die Nothwendigkeit eines zweiten
Umganges, dessen Säulen den Eingang und Durchblick in die Kapellen
hemmen, ist dadurch beseitigt, und die Strebepfeiler erstrecken sich so weit
in das Innere, dass sie die Kapellen vollständig begrenzen.
Einigermaassen verwandt mit dieser Choranlage, aber noch sehr viel
eigenthümlicher, ist die der nur w.enige Stunden von Soissons belegenen
und fast gleichzeitigen Abteikirche St. Yved in Braisne (1180— 1216).
Die Kirche hat nämlich ein Langhaus
mit schmalen Kreuzgewölben, Kreuz-
arme von gewöhnlichem Verhältnisse
und fünf aneinandergereihete radiante
Kapellen, aber ohne Sonderung eines
inneren Chorraumes und Umganges,
vielmehr in der Art, dass die mittlere
der fünf Kapellen die volle Breite
des Mittelschiffes einnimmt, ihre gerad-
linigen Seitenwände eine Verlängerung
der Pfeilerreihe des Mittelschiffes bil-
den und das Auge also vom westlichen
Ende des Langhauses ungehindert bis
zu dem durch fünf Seiten des Zehn-
ecks bewirkten Schlüsse jener Mittel-
kapelle hiublickt. Es ist hier also statt
des in Frankreich bei allen grösseren
Kirchen üblichen Umganges die in
Deutschland gewöhnliche Anordnung
wonach der Chor unmittelbar von den
Aussenmauern umgeben ist, angenom-
men, und nur dadurch modificirt und
der französischen Sitte genähert,
dass die zwischen dem Langschiffe
und den Kreuzarmen entstehenden Win-
kel in die Kirche hineingezogen und
nach aussen hin durch je zwei radiant gestellte Kapellen begrenzt sind, wo-
durch dann eine Anordnung entstand, welche fast die Bequemlichkeit und
den luftigen Anblick des gewöhnlichen Kapellenkranzes gewährte. Wahr-
scheinlich führte das Bestreben nach zweckmässiger Ueberwölbung der Ka-
pellen und der benachbarten Theile des Umganges auf die Erfindung die-
ser Anlage. Das Rippengewölbe der Kapellen bedurfte einer Widerlage aus
dem Inneren der Kirche, welche ihm nur in sehr künstlicher Weise gewährt
werden konnte, wenn die angrenzende Abtheilung des Seitenschiffes viereckig
liik.
Sit \\^^\ in 1 rai^ne
78 Die zweite Generation gotliischer Kathedralen.
war, sich dagegen sehr leicht herstellte, wenn sie die Hälfte eines Quadrates,
also ein rechtwinkeliges Dreieck bildete, welches den Diameter und Ein-
gangsbogen der Kapelle zur Hypothenuse und Grundlinie hatte. Die Rundung
der Kapelle war dann nur ein um ein gleiches Dreieck geschlagener Halb-
kreis, beide Abtheilungen zusammen bildeten ein nur durch diese herumge-
zeichnete Bogenlinie erweitertes Quadrat von derselben Grösse, wie die
anderen Quadrate der Seitenschiffe. Der Eingangsbogen war eine gewöhn-
liche Diagonalrippe, in deren Schlussstein die andere, von der inneren Säule
ausgehende Diagonale mit den von der Kapellenwand aufsteigenden Rippen
zusammenstiess. Offenbar hat diese Ueberwölbung die grosseste Aehnlich-
keit mit der in Soissons angewendeten, und man kann, besonders da auch
die Details dieser Kirche, ungeachtet ihrer etwas roheren Ausführung, denen
der Kathedrale von Soissons gleichen, wohl annehmen, dass derselbe Meister
an beiden Kirchen gearbeitet hat.
Es ist sehr merkwürdig, dass diese sinnreiche, solide und einfache An-
ordnung in Frankreich fast nirgend Nachahmung gefunden hat^); wie es
scheint, hielt die französische Geistlichkeit einen Umgang um den Chor für
€in so dringendes Erforderniss des kirchlichen Anstandes, dass sie nicht
davon abgehen wollte. Dagegen wurde die Anordnung von Soissons bald
vorherrschend und bleibend das Vorbild der späteren Choranlagen, Jetzt
nämlich, im zweiten Decennium des Jahrhunderts, hatten die Erfahrungen,
welche die bisherigen Bauten gewährten, zu einem klaren Verständniss der
Anforderungen des neuen Systems geführt. Wenige Verbesserungen ge-
nügten, um es völlig festzustellen, und dies geschah dann auch unmittelbar
darauf in einer zweiten Gruppe von Kathedralen, von denen die meisten,
die von Rheims, Amiens und Beauvais, wiederum der Champagne und Pi-
cardie angehören, während die vierte, die Kathedrale von Chartres, etwas
entfernter und mehr westlich gelegen ist.
Von der Baugeschichte des Domes von Chartres seit den eifrigen Ar-
beiten an der Westseite wissen wir nur, dass im Jahre 1195 ein bedeutender
Brand stattfand. Geistlichkeit und Volk, von dem päpstlichen Legaten zu-
sammengerufen, widmeten sich, auf dessen Mahnung, dem Neubau mit Be-
geisterung, und so wurde die Kirche, wie ein Chronist sagt, von den Gläu-
bigen als ein bewundernswürdiges steinernes Gebäude unvergleichlich aus-
^) Nur in der früher erwähnten kleinen Kirche zuFerrieres schliessen die Seiten-
schiffe mit einer schräg gestellten vierseitigen Kapelle. Ueber das Verhältniss der
Liebfrauenkirche in Trier zu St. Yved und über ähnliclie Choranlagen in Deutschland
wird weiter unten gesprochen werden. Die westlichen Abtheilungen des Langhauses
von St. Yved sind jetzt abgebrochen, so dass von jenem nur noch ein Joch auf-
recht steht.
Charlres, Rlieims, Amiens uikI Rpativais. 79
geführt^). Im Jahre 1220 waren bereits feste Gewölbe da, von denen ein
anderer Chronist^ Guillaume le Breton, sagt, dass sie einer Schildkröten-
schale zu vergleichen und fest genug seien, um «einer neuen Feuersbrunst zu
widerstehen. Dies bewährte sich in der That bei dem Brande von 1836,
der den Dachstuhl und den alten Thurm verzehrte" dem aber die Kirche
selbst, die solideste aller Kathedralen in Frankreich, widerstand. Die Weihe
fand erst 1260 statt, nachdem alles Wesentliche des Baues wohl schon längst
vollendet war. Da augenscheinlich die Fa^ade^) sehr viel älter ist als das
Langhaus und ,dieses wieder älter als das im vierzehnten Jahrhundert vol-
lendete Kreuzschiff, so darf man annehmen, dass jene durch den Brand nicht
gelitten hat und dass das Langhaus nebst dem Chore die von 1195 bis 1260 er-
bauten Theile sind. Die neue Kathedrale von Rheims wurde nach einem
Brande (1211) im Jahre 1212 begonnen; 1241 nahm das Kapitel Besitz vom
Chor, etwa um dieselbe Zeit begann erst der Bau der vorderen Langhaus-
Partien und der Fagade, 1295 war der Bau noch nicht ganz vollendet.
Einzelnes wurde noch im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert hinzu-
gefügt, dennoch hat der Bau, der die französische Gothik auf ihrer vollen
Höhe zeigt, das Gepräge grossartiger Einheit^). In Betreff der Kathedrale
von Amiens ergeben Inschriften, namentlich die auf den Grabmonumenten
der Bischöfe, dass der Bau, nach einem Brande der älteren Kirche (1218),
von 1220 bis 1288 dauerte. Wahrscheinlich begann man mit dem Chore
in seinem unteren Stockwerke, schritt dann zum Schiffe fort, dessen Wölbung
schon 1237 begann und 1247 fast vollendet war, und erbaute zuletzt die
Kreuzfagaden. Im Jahre 1269 wurden die Fenster des Chores mit Glas-
gemälden geschmückt, wie deren Inschriften beweisen, 1288 war die Fagade
bis zu den Thürmen aufgestiegen, an denen nun später gebaut wurde*).
^) Gallia christ. Vol. VIII, col. 1164. "Willi. Aremoricus, de gest. Phil. Aug. bei
Duchesne p. 77, ad annum 1194. In fine sequentis anni eccl. b. Mariae Carnotensis
casuali incendio cousumpta est, sed postea a fldelibus incoinparabiliter miro et mira-
culoso tabulatu lapideo reparata est. Vergl. du Somerard a. a. 0. IV, p. 385. —
M. F. Bulteau, Description de la Cathedrale de Chartres, suivie d'une courte notlce
sur les eglises de Saint-Pierre, de Saint- Andre, et de Saint- Aignan de la meme ville.
Chartres 1850. — Lassus, Duval et Didron, Monographie de la Catliedrale de Charlres,
Paris 1842.
2) Vgl. S. 38.
^ Tarbe, Rheims, essai historique, Rheims 1844, und Gallia ehrist. IX, cd. 104
— 107, 138. Noch in einer Bulle von 1451 bewilligt Nicolaus V. Induigenzen, weil
der Dom noch nicht vollendet sei, was sich nur auf Statuen des Aeusseren u. dgl.
bezogen haben kann, die man noch hinzufügen wollte. — Tourneur, la Cathedrale de
Reims, in de Caumont, Bulletin monumental, vol. XXIX, 1863. Publicationen von
N. D. in Reims bei Jules Gailhabaud, I'architecture du V^e au XVIIme siecle et les
arts qui en dependent. I. Paris 1858.
*) Jolimont im Text zu Chapuy's Cath. frainj, p. s. — Jourdain und Duval Portail
30 Die zweite Generation gothischer Kathedralen.
Einzelne Kapellen des Chorumganges waren aber noch unvollendet geblieben;:
von zweien derselben wissen wir, dass sie erst im Jahre 1402 fertig wurden ^),
Gewisse Theile, namentlich die Rosen der Kreuzfa^aden, wie man sie jetzt
sieht, sind wahrscheinlich erst nach einem Brande vom Jahre 1527 ent-
standen. Die Kathedrale zu Beauvais endlich wurde nach einem Brande
von 1225 begonnen; in den Jahren 1247 — 1269 war der Chorbau fast voll-
endet, 1272 konnten die Chorherren den Dienst beginnen, aber wegen zu
grosser Schlankheit und zu weiter Stellung der Pfeiler im Langchor stürzte
schon 1284 das Gewölbe ein, dessen Herstellung vierzig Jahre währte-). Jetzt
mussten überall Zwischenpfeiler die Arcaden haltbarer machen. Die weitere
Ausführung der in allzu grossartigen Verhältnissen angelegten Kirche ist
unterblieben, selbst der Fortbau im 16. Jahrhundert umfasste nur das
Querhaus.
Alle diese Bauten sind genau mit einander verwandt; ihre Abweichungen
von einander sind nur Modificationen derselben Grundzüge. Sie unterscheiden
sich von den bisher erwähnten Kirchen nicht durch ausserordentliche und
überraschende Neuerungen, vielmehr findet sich an ihnen kaum irgend eine
Form, die nicht schon in einer oder der andern derselben vorgekommen
wäre. Aber der bisher nur geahnete Grundgedanke ist nun mit vollem Be-
wusstsein harmonisch und consequent durchgeführt. Man sieht, dass diese
Meister die Arbeiten ihrer Vorgänger vor Augen hatten, dass sie daraus das
Richtige, dem neuen Geiste und Systeme Zusagende auswählten, das Spröde
und Harte milderten, das Ganze möglichst zu vollenden suchten. Die allzu-
weiten quadraten Gewölbfelder des Mittelschiffes, die breiten Gallerien haben
sie bleibend aufgegeben, schmale, mit jeder Arcade abschliessende Gewölbe
und leichte Triforien sind an ihre Stelle getreten. Durch diese, schon in
der Kathedrale von Soissons ausgeführte Neuerung wurde die völlige Durch-
führung des Strebesystems, die Herstellung gleicher und schlanker Pfeiler
und Traveen, die Verminderung der Zwischenwände und die Ausdehnung der
Fenster bis an den Schildbogen der Gewölbe, und endlich der Sinn für
organische Vollendung des Ganzen angeregt. Die Meister unserer Kathe-
dralen gingen in allen diesen Beziehungen auf dem gemeinsamen Wege
weiter, ohne sich allzu rasch von den Traditionen ihrer Vorgänger zu ent-
fernen. Die einfache Rundsäule, die man in Laon und N. D. von Paris an-
genommen hatte, genügte ihnen nicht mehr, aber der Grundgedanke derselben
St. Honore in den Memoires de la Societe des Antiquaires de Picardie, 1844. Gallia
christiana Vol. X, col. 1185.
1) Vgl. Inkersley a. a. 0. S. 92. Wahrschemlich überliess man die Sorge der
feineren Vollendung solcher gesonderten Kapellen der Frömmigkeit einzelner Gönner.
-) Die Gescliichte dieses Domes ist ausser Zweifel, die Nachrichten sind oft zu-
sammengestellt. Gall. Christ. IX, col. 745. Inkersley a. a. 0. S. 86 und 91.
Chartres, Rheims, Amiens und Beauvais. Q\
wurde festgehalten, und hieraus eines der wichtigsten Glieder dieses früheren
französischen Styls, der kantonirte, d. h. mit vier angelegten, den Schiffen
und den Scheidbögen entsprechenden Halbsäulen besetzte Rundiifeiler ge-
bildet. In Beziehung auf die statischen Mittel strebten sie danach, dem
Wesentlichen und Constructiven den feineren Ausdruck zu geben, in welchem
sich seine tiefere Bedeutung entwickelt. Daher gehört Manches, das in den
früheren Bauten schon angedeutet war, seinen feineren Beziehungen nach
erst diesen Meistern an. Erst sie bilden das Maasswerk, die feinere Profi-
lirung und den Fialenschmuck der Strebepfeiler, also die Formen aus, in
denen der Charakter des Stj-ls sich am Entschiedensten ausspricht.
Ich darf nicht unterlassen, das Verhältniss dieser neueren Generation
zu der vorhergegangenen an den einzelnen Theilen näher aufzuzeigen.
Zunächst bemerken wir eine Steigerung der Maasse. Die älteren Kirchen
Frankreichs hatten in der Regel keine bedeutende Höhe. Zwar gab es Aus-
nahmen; in derKii'che vonCluny erhob sich das Gewölbe auf fast 110 Fuss,
aber selbst in so bedeutenden Kirchen wie Ste. Trinite und St. Etienne in
Caen hatte es nur die Höhe von 50 und 60 Fuss. In N. D. in Chälons steigt
es auf etwa 70, in St. Remy in Rheims, freilich nach Anleitung der mäch-
tigen alten Basilika, welche zum Grunde lag, auf fast 100, aber im Dome
von Laon bleibt es bei 83, und in dem von Sens bei etwa 90 Fuss. Die
Pariser Kathedrale giebt zuerst das Beispiel des bisher ungewöhnlichen
Höhenmaasses von 10*1 Fuss, aber sie erscheint fast wider den Willen ihrer
Meister so hoch gesteigert, nur durch die Menge der einzelneu Abtheilungen
und ungeachtet jede von ihnen möglichst niedrig gehalten war. Erst jetzt,
wo man die Gallerie zu entbehren und das Strebesystem besser wtirdigen
gelernt hatte, überliess mau sich ungehindert dem Bestreben nach freien
luftigen Verhältnissen, das in der Zeitrichtung lag^). Die Gewölbhöhe der
^) Viollet-le-Duc a. a. 0,, I, p. 187, bestreitet sein- eifrig-, dass die Architekten
des frühgothischen Styls eine grosse Höhe erstrebt hätten, und sucht dagegen, nament-
lich an der Kathedrale von Paris, nachzuweisen, dass diese Höhe nur die unvermeid-
liche Folge des ganzen Constructionssystems gewesen, und dass man sich vielmehr
bemüht habe, sie durch möglichst niedrige Anlage der einzelnen Theile zu vermin-
dern. Allein er selbst muss zugestehen, dass man am Ende des dreizehnten und im
vierzehnten Jahrhundert diese Erhöhung absichtlich gesteigert habe, und schon dies
würde darauf schliessen lassen, dass die Erlangung imposanter Höhenverhältnisse in
der ursprünglichen Tendenz der Schule lag, wenn man auch eine allzugrosse und ge-
fährliche Höhe noch vermeiden zu müssen glaubte. Die im Texte enthaltenen Maass-
angaben zeigen aber auch, dass jenes bewusste und absichtliche Streben nach grösserer
Höhe nicht erst am Ende des dreizehnten Jahrhunderts, sondern schon von 1212 aa
eintrat. Allerdings hat Viollet-le-Duc darin Recht, dass er denen gegenüber, welche
dieses Streben nach kühnen und luftigen Verhältnissen rein ideal aus einer bestimmten
religiös symbolischen Tendenz erklären wollen , auch die technischen Gründe der
Sache betont.
Schnaase's Kunstgescb. 2. Aufl. V. 6
32 Die zweite Generation französischer Kathedralen.
Kathedrale von Chartres beträgt schon 108, die in Rheims 115 bis 120, in
Amiens 132, in Beauvais 146 Fuss. Dies war dann freilich auch das Aeus-
serste; nachdem das Gewölbe hier, wie erwähnt, eingestürzt war, „propter
artificii insolentiam", wie ein Chronist bei dem Einsturz des viel niedrigeren
Gewölbes am Dome zu Lincoln sagt, hat man in Frankreich keinen Versuch
gemacht, noch höher hinauf zu steigen.
Die Wirkung der Höhe hängt aber nicht bloss von ihrem Maasse, son-
dern auch von ihrem Verhältnisse zur Breite des Mittelschiffes ab; wollte
man also den Eindruck des Schlanken geben, so durfte die Breite nicht in
gleichem Maasse wachsen. Dennoch strebte man auch hier anfangs allzu sehr
ins Grosse. In St. Etienne in Caen ist das Mittelschiff nur 32' 6", in Ste.
Trinite gar n ur 23' breit, wie erwähnt bei einer Höhe dort von 60, hier von
50 Fuss; die Höhe enthielt daher ungefähr die doppelte Breite. Die Kathe-
drale von Laon hatte bei einer Breite von 3ß die Höhe von 83 Fuss, also
ein Verhältniss von 2^/3. In Chartres überbot man zwar diese Höhe, steigerte
aber dennoch, da auch die Breite und zwar bis auf 45 Fuss anwuchs, das
Verhältniss nicht bedeutend. In N. D. von Paris hatte dagegen die Höhe
(106) schon fast das dreifache Maass der Breite (36), und diesem Vorbilde
folgend und es übertreffend, gaben auch die Meister von Rheims und Amiens
ihren Kirchen bei einer etwas grösseren Breite (in beiden etwa 38') auch
eine grössere, mehr als das Dreifache betragende Höhe. Dies war das Ver-
hältniss, welches von nun an als das normale galt und nicht leicht verlassen
wurde. Der Meister von Beauvais steigerte nur die Maasse, indem er bei
einer Breite von 45 eine Höhe von 146 annahm; allein sein Beispiel war
eher abschreckend, da der bald darauf eintretende Einsturz des Gewölbes
zeigte, dass solche Dimensionen wenigstens ausserordentliche Vorsicht er-
forderten.
Auch die VerhäUnisse des Grundplans wurden näher festgestellt. Neben
der grossartigen Anlage des Chors erschien ein einfaches Kreuzschiff klein-
lich; man hatte es daher schon in den früheren südfranzösischen Bauten, wo
eine ähnliche Choranlage bestand, dreischiffig gebildet, so in St. Sernin in
Toulouse und in der Abteikirche von Conques. Da aber in diesen Bauten
die Seitenschiffe durch die Gallerien eine dem Mittelschiffe sehr nahe kom-
mende Höhe hatten, so bildete durch ihre Hinzufügung wenigstens das
Aeussere des Querschifts eine allzu grosse Masse, hinter welcher die niedrige
Concha, wenn auch mit Umgang und Kapellen versehen, unbedeutend und
kleinlich erschien. Die edle Form des Kreuzes Irat selbst in der einfacheren
Anlage der normannischen Kirchen deutlicher hervor. Man verband daher
jetzt die Vorzüge beider Systeme, indem man auch dem mittleren Theile
des Chors bis zum äussersten Punkte der Rundung die Höhe des Mittel-
schift'es gab und die Kreuzschiffe mit niedrigen Seitenschiffen ausstattete^ so
Chartres, Rheims, Amiens uud Beauvais. 83
<iass nun das Kreuz in dem hervorragenden, durchweg von niedrigeren und
gleichen SeitenschiÖeu eingerahmten Oberschiffe aller vier Arme deutlich zu
Tage trat. Diese Anordnung war so einfach und consequent, zugleich auch
für das Strebesystem des Ganzen so nützlich, dass sie von nun an für grös-
sere Kirchen maassgebend wurde.
Dass die Vorderseiten der Kreuzarme Eingänge und also Fagaden bilden
sollten, stand schon früher fest. Es fragte sich nur, wie sie auszustatten
seien. Die Meister unserer Dome fassten auch hier den grossartigsten Plan,
sie wollten jeder dieser Fagaden zwei mächtige viereckige Thürme bei-
geben, welche wie an der vorderen Fagade das Strebesystem abschlössen
und die Giebel einrahmten. Sechs Thürme würden dann also über dem Bau
sich erhoben uud die drei unteren Arme des Kreuzes nebst ihrer Breite
kräftig bezeichnet haben. Ein starker Thurm über der Vierung kam dann
wohl als siebenter hinzu. Diese Anlage, wenn auch unvollendet, tritt bereits
an der Kathedrale von Laon in grösster Stattlichkeit auf. Ebenso war N. D.
zu Rheims ursprünglich auf sieben Thürme angelegt ^), von denen wir nicht
wüssen, wie weit dieselben geführt waren, als der verhängnissvolle Brand des
Jahres 1481 das Dach und die obei'en Partien zerstörte. Meist sind die
Thürme an den Querhaus-Fronten höchstens bis zur Höhe des Mittelschiffes
hinaufgeführt. Spätere Baumeister, wie derjenige, welcher die Kreuzarme
"Von-K D. zu Paris nach der Mitte des 13. Jahrhunderts vollendete-), und
wie der Meister von Amiens, haben diese, schon in Beziehung auf die Kosten
zu anspruchsvolle Anlage aufgegeben. Man darf aber auch wohl zweifeln,
ob diese fast schwerfällige Pracht dem Geiste des gothischen Styls ent-
sprochen haben w'ürde.
Schwankend und mehr von individuellen Anforderungen abhängig blieb
das Längenverhältniss des Chors zum Langhause. Krypten wurden, wie be-
reits früher erwähnt ist, schon vom Beginne dieser Epoche an überall nicht
mehr angelegt; der Chor erhob sich höchstens um wenige Stufen über den
Boden des Langhauses. Aber die Bestimmung der Kathedralen erforderte
doch, dass er einen abgeschlossenen Raum bildete, in welchem sich die
Domherren ohne Vermischung mit der Gemeinde sammeln konnten. Dieser
Raum musste seine Begrenzung haben, aber doch gestatten, dass ausserhalb
desselben eine zahlreiche Gemeinde die in seinem Innern vorgenommene
gottesdienstliche Feier sehen und hören konnte. Früher hatte ausschliesslich
das Schiff zu ihrem Aufenthalte gedient, bei der jetzigen breiteren Anlage
des Kreuzschiffes konnte auch dieses dazu benutzt werden, und das Lang-
haus bedurfte daher nun nicht mehr so grosser Ausdehnung. Der Meister
>) Ansicht bei Viollet-le-Duc. II, p. 324.
-) Vgl. oben S. 55 f.
84
Die zweite Generation französischer Kathedralen.
Fig. 14.
von Rheims zog indessen das Kreuzschiff zum Gebrauche des Chores heraiT
und gab daher dem Langhause noch zehn Arcaden, Wcährend der Chor bis
zum Beginn der Rundung nur drei erhielt. Die Meister von Chartres und
Amiens hielten es mit Recht für angemessener, den Chor östlich von der
Vierung des Kreuzes beginnen zu lassen, verschafften sich nun aber den grös-
seren Raum, dessen derselbe nach den Anforderungen des Cultus bedurfte,
auf Kosten des Langhauses, welches sie ungefähr dem Chore gleich aus nur
sechs Arcaden bestehen Hessen.
Diese Anordnung hatte indessen
den Nachtheil, dass sie der Breite
ein zu grosses Verhältniss gegen
die Länge gab, weshalb denn die
späteren Meister/ in der Regel
dem Langhause wieder eine grös=
sere Arcadenreihe gaben.
In Beziehung auf die Anord-
nung des Chors selbst finden sich
mehrere Verschiedenheiten. In
K D. von Paris hatte die ganze
Kirche und also auch der Chor
doppelte Seitenschiffe. Die spä-
teren Meister fanden mit Recht
diese breite Anlage des Lang-
hauses überflüssig und nach-
theilig und begnügten sich daher
hier mit einfachen Seitenschiffen.
Dagegen behielt man an dem ge-
raden Theile des Chors die dop-
pelten Seitenschiffe bei, ohne
Zweifel zunächst um grösseren
Raum zu Umzügen zu erhalten.
In Rheims fand man es sogar
bequem ; diesem Theile des
Chors dieselbe Breite zu geben
wie dem Kreuzschiffe, so dass die Mauer hier wie in K D. von Paris
bis zur Rundung fast in einer Flucht fortlief und das Kreuzschiff nur durch
seine grössere Höhe sich kenntlich machte. Die Architekten der drei an-
deren Dome, und nach ihrem Beispiele die meisten der späteren, hielten es
dagegen für angemessen, dem Kreuzschiffe eine Ausladung, wenn auch nur
von einer Travee zu geben. Jedenfalls fragte sich dann aber, ob das äus-
sere Seitenschiff' auch als zweiter Umgang um die Rundung herumzuführen.
Kathedrale von Kheiins-
Charlies, Rhoims, Amiens und Beauvais.
85
Fig. 15.
sei, was allerdiugs consequent erschien, aber auch manche Schwierigkeiten
hervorbrachte; der Meister von Rheims und nach seinem Beispiele die von
Amiens uud Beauvais entschlossen sich daher, das zweite Seitenschiff am
Anfange der Rundung zu schliessen. Sie bildeten also die Chorrundung im
Wesentlichen ebenso wie es in Soissons bei bloss dreischiffiger Anlage des
geraden Chortheiles geschehen war, und einlangten nebenher durch jenes
äussere Seitenschiff eine statische Stütze für die daran anstossenden Kapellen
und die Veranlassung diese tiefer zu bilden, was dann auch die Bedeckung
derselben durch ein kuppeiförmiges
Rippengewölbe erleichterte. Es war
•dies ein durchaus einfaches, sicheres
und schönes System, welches daher
auch später allgemein befolgt wurde.
Der Meister von Rheims schloss sich
dabei auch in der Zahl der Kapellen
des Kranzes an das Vorbild von St.
Remy und Soissons an, während man
in Amiens und Beauvais dieselbe von
fünf auf sieben steigerte. Dem Meister
von Chartres schwebte dagegen die
Anlage der Kathedrale von Paris vor,
er gab dem oberen Theile der Run-
dung die halbkreisförmige ungebro-
chene'Gestalt und führte einen doppel-
ten Umgang heruni' Fig. 16). Dies hatte
die für die Ueberwölbung wichtige
Folge, dass die Abstände der äusse-
ren Säulenkreise bedeutend grösser
wurden, als die der inneren. Der
Meister von Paris hatte die hierdurch
entstehende Schwierigkeit noch da-
durch gesteigert, dass er in dem
bei ihm vorwaltenden Bestreben Kathedrale von Amiens.
nach Regelmässigkeit den lutercolumnien der Rundung die volle Grösse der
übrigen lutercolumnien gab; er hatte sie aber auch durch eine sehr sinn-
reiche Anordnung gelöst, indem er die Zahl der Stützen im zweiten und
dritten Kreise zunehmend vermehrte und so hinlänglich gesicherte Rippen
anlegen konnte. Diese Anordnung war aber nicht wohl ausführbar, wo man
radiante Kapellen anlegen wollte, weil die eingeschobenen Säulen den Ein-
gang der Kapellen maskirt und die Kapellen die Beleuchtung der inneren
Theile zu sehr geschwächt haben würden. Sie fand daher auch nirgends
86
Die zweite Generation französischer Kat\\edraleu.
Fig. 16.
Nachahmung; man zog es vielmehr überall vor, die unvermeidliche Er-
weiterung der Abstände des äusseren Kreises dadurch minder schädlich zu
machen, dass man dem inneren Kreise eine engere Stellung gab als den
Stützen des Schiffes. Dies war in der That, sofern man nur, wie es meistens
geschah, diese Stützen des Rundpunktes leichter bildete als die der geraden
Theile, nicht bloss
keine anstössige
Unregelmässigkeit,
sondern der rich-
tige und bezeich-
nende Ausdruck für
den schnelleren
Umschwung der
Säulenreihe bei
ihrer Umkehr zur
anderen Seite, und
zugleich praktisch
zweckmässig , da
diese Säulen oder
Pfeiler den inneren
Chorraum abgren-
zen sollten und auch
meistens durch eine
Einschliessungs-
mauer verbunden
wurden. Bei einem
einfachen Umgang
genügte eine solche
engere Pfeilerstel-
lung, um dieSchwie-
rigkeiten zu besei-
tigen, indem die
Kapellenöffnungen
nun zwar bedeutend grösser waren, als die Abstände des inneren Säulenkreises,,
aber doch nur so weit, wie es ihre Begrenzung durch die starken Massen der
Strebepfeiler gestattete und der Zweck des bequemen Zutritts wünschens-
werth machte. Bei dem doppelten Umgange erregte aber ein angeschlos-
sener Kapellenkranz Bedenken sowohl für die Sicherheit des Baues als für
die Beleuchtung. Der Meister von Chart res half sich in ziemlich com-
plicirter Weise, indem er den äusseren Umkreis zwar der inneren Säulcn-
stellung gemäss in sieben, jedoch nicht ganz gleiche Theile theiltc, aber nur
Kathrale von Chartres.
I
Die Kathedrale von Bourges. 87
drei grössere Kai3ellen anbrachte, zwischen denen sich kleinere, in flachem
Bogen heraustretende Nischen mit Fenstern befinden, die kaum als selb-
ständige Kapellen gelten können. Es ist dies ein Wechsel der noch au ro-
manische Anlagen erinnert. Ohne Zweifel ist die Choranlage von Rheims
und Ami e US in jeder Beziehung dieser Anordnung vorzuziehen, indessen
scheint es, dass jene bessere, augenscheinlich in der Champagne und Picardie
entwickelte Form in den westlicheren Gegenden entweder nicht so rasch be-
kannt wm'de, oder dass mau von dem Beispiele eines doppelten Umganges
um die Pamdung, welches die Kathedrale von Paris gegeben hatte, nicht
abgehen wollte, und küustlichere Mittel einschlagen musste, um sie mit dem
jetzt erforderlich gehaltenen Kapellenkranze zu verbinden.
Dies beweist vor Allem die Kathedrale von Bourges^), eines der gross-
artigsten Werke des XIII. Jahrhunderts. Der Gedanke, an Stelle der vor-
handenen Kirche von massigem Umfang einen stolzen Neubau zu setzen, wurde
bereits 1172 gehegt, doch die Errichtung desselben nahm wohl kaum vor Beginn
des XIII. Jahrhunderts ihren Anfang. Dass man genöthigt war, bis in den Graben
der Stadtmauer vorzurücken, hinderte die weiträumige Ausbildung des Chors
nicht, der aus diesem Grunde einen Unterbau uöthig hatte. Für die Anlage
des Plans wurde N. D. zu Paris als Vorbild gewählt, nur das Querhaus blieb
fort, trotz der bedeutenden Länge, und obgleich auf der Mitte jeder Lang-
seite Nebenportale angebracht wurden, die etwas später offene Vorhallen
erhielten. Der Eindruck nähert sich eher dem eines grossen Saales. Die
fünf schiffige Anlage ist auch im Chor durchgeführt, der, wie bei N. D. zu
Paris, von halbkreisförmiger Gestalt ist. Aber aus dem zweiten Umgange
treten noch fünf Apsiden heraus, deren Breite nur ein Drittel der Aussen-
wand jedes einzelnen Joches einnimmt, so dass noch für Fenster neben ihnen
Raum bleibt. Verglichen mit einem ausgebildeten Kapellenkranz, scheint
diese Anlage nicht aus dem ganzen räumlichen Organismus zu entspringen,
sondern nur aus äusserlicheu Zuthaten zu bestehen-).
Von X. D. in Paris unterscheidet die Kathedrale von Bourges sich da-
durch, dass die Gallerien fortgeblieben sind. Das innere Seitenschiif besteht
nicht aus zwei niedrigen Stockwerken, sondern bildet einen einzigen luftigen, auf
schlanken Pfeilern ruhenden Raum. Es ist daher auch, wie das Mittelschiff,
1) Viollet-le-Duc I p. 234, II p. 294, nebst Grundrissen.— A. de Girardet et
Hipp. Durand, La cathedrale de Bourges, Moulins 1849. — Ch. Cahier et A. Martin.
Monographie de la cathedrale de Bourges, 2 vol. Atlas Fol., Paris 1841. Hiernach ein
Durchschnitt in Guhl's [Lübke's] Atlas, Taf. 50, Nr. 2. — Ansicht des Inneren und der
Facade bei Chapuy, inoyen-äge monument. I, 206 u. 291.
-) Vielleicht hat auch hierfür die ursprüngliche Gestalt des Chors von N. D. zu
Paris das Vorbild gewährt. Viollet-le-Duc, II, p. 286, stellt als wahrscheinlich hin,
dass sich auch dort drei herausgebaute niedrige Apsiden am Chor befanden.
Französische Gothik.
mit einem, dem Pultdaclie des zweiten niedrigeren Seitenschiffes entsprechen-
den Triforium und mit darüber gelegenen Fenstern ausgestattet. Als Mängel
des vortrefflichen Gebäudes darf man es bezeichnen, dass die Triforien
durchgängig im Verhältniss zu den Fenstern zu hoch sind, ja dass überhaupt
die Mittelschiffhöhe gegen die grosse Schlankheit des inneren Seitenschiffes
nicht genügend gesteigert ist. Wohl möglich, dass ursprünglich eine bedeu-
tendere Höhe im Plane lag, die beschränkt ward, als in der Folge die Mittel
zum Bau minder reichlich
flössen. Zur Einweihung
kam es erst 1324.
Der Chor der^ Kathedrale
von L e M a n s ^), deren Neu-
bau 1217 — also gleich-
zeitig mit Chartres — auf
Befehl König Philipp Au-
gust's begonnen ward, zeigt
mit dem von Bourges eine
nahe Verwandtschaft. Auch
um ihn wird ein doppelter
Umgang durch ein höheres
und ein niedrigeres Seiten-
schiff, jenes gleichfalls mit
Triforien unter den Fen-
stern, gebildet. Auch hier
sind die Kapellen nicht dicht
an einander gestellt, son-
dern durch Zwischenwände
mit Fenstern verbunden,
aber sie bestehen nicht, wie
in Bourges, aus bedeutungs-
losen Nischen, sie sind viel-
mehr tiefe Anbauten mit
parallelen Seitenwändeu
und dreiseitigem Polygonschlusse. Die Mittelkapelle ist fast doppelt so
tief wie die übrigen. Die Ueberwölbung des äussern Seitenschiffes ist
sehr zweckmässig durch wechselnde, vor den Kapellen fast quadrate und
dazwischen dreieckige Felder bewirkt. Ton aussen her giebt dieser durch
divergirende Kapellen gebildete Schluss ein unruhiges und unerfreuliches Bild.
Kathedrale zu le Maus.
1) Viollet-le-Duc, I S. 326, II 355 f., mit Grundrissen, — Das System des Lang-
hauses IX,' p. 252.
Weitere Ausbildung der Details. 89
Das Innere aber zeigt den leichten, kühnen und doch ernsten und grossartigen
Styl dieser Zeit in so schöner Entwickelung, dass es neben dem finstern
romanischen Schiffe wie der Tempel einer andern Religion erscheinen kann ^).
In allen Beziehungen sehen wir um diese Zeit rasche Fortschritte. An
der Kathedrale von Paris sind die Strebepfeiler mit einfachem Wasserschlage
gedeckt, an der zu Chartres durch eine für eine Statue geeignete Nische
und ein Giebeldach bekrönt; an der zu Rheims haben sie schon einfache
Fialen über einem auf zwei Säulen ruhenden Heiligenhäuschen; in Amiens
entbehren sie zwar diesen etwas schwerfälligen Schmuck, heben sich da-
gegen schlanker und leichter in verschiedenen Absätzen und schliessen mit
der zwischen vier Giebeln aufsteigenden Fiale. In Chartres sind die Strebe-
bögen verdoppelt und durch eine sehr kräftige Arcatur von kleinen Säulen
verbunden, in Rheims einfach, aber mit gerader, zum Wasserablauf dienender
Bedeckung; in Amiens trägt der Bogen die Wasserrinue vermittelst einer
schon ziemlich leichten Arcatur. In Chartres hat der Chor noch einzelne,
aber ziemlich breite Laucetfeuster, am Oberschiffe ist über jedem Paare
solcher Fenster eine gewaltige Rose mit einzelnen durchbrochenen Kreisen
und Vierblättern angebracht; in Rheims haben die zweitheiligen Fenster
schon einfach ausgebildetes Maasswerk; in beiden Kathedralen besteht das
Triforium noch, wie in den Kirchen der vorhergehenden Generation, aus
einer fortlaufenden Reihe gleicher und einfacher Spitzbögen. In Amiens da-
gegen sind die Oberlichter viertheilig und reicher geschmückt, ist das Tri-
forium über jedem Scheidbogen aus zwei dreitheiligen Arcaden mit einem
Dreipas s im Bogenfelde gebildet. So ist hier das Ideal des gothischen Auf-
baues erreicht, indem die Mauer als solche vollkommen aufgehoben ist.
Selbst hinter den Triforien bildet sie nur eine leichte Füllung. Im Chor ist
sie aber sogar an dem Triforium ganz verschwunden, das hier zu einer
Fensterstelluug umgewandelt ist-).
In gleicher Weise ist bei allen anderen Details der Fortschritt bemerk-
bar. In der Profilirung kommt die Aushöhlung und die birnförmige Zu-
spitzung schon vor, aber doch noch so, dass das Runde und Kräftige vor-
herrscht. Die Ornamentation ist schon frei und eigenthümlich, die plastische
Ausführung mit grossem Geschick behandelt, das Laubwerk zeigt Naturnach-
ahmung, aber die Reminisceuz des korinthischen Kapitals und der Gebrauch
rautenförmiger und diamantartiger Verzierungen und manches Andere deutet
noch auf den nahen Ursprung aus dem romanischen Style, oder sogar auf
erneuerte Studien der Antike hin. Der Fuss der Säulen und Halbsäulen hat
1) Meriniee, Notes d'un vovage dans l'Ouest, p. 52.
2) Vgl. unteu S. 95. — Abbildung von Fenster und Triforium bei Viollet-le-Duc
Dict, Bd. y, p. 390.
90
Französische Golhik.
Fig. 18.
noch immer das Vorbild der attischen Basis nicht ganz verlassen^ sie wird
häufig, namentlich in Amiens, in einer der weiteren Consequenz des gothischen
Styles nicht zusagenden Weise mit Perlenreiheu in der Hohlkehle verziert;
das Eckblatt wird noch gewöhnlich angewendet.
In Betreff der Pfeilerbildung sind diese Meister einig, weder die
einfache Säule, welche sich zu sehr von der Wölbung trennt, noch den früher
üblichen gegliederten Pfeiler viereckigen Kerns anzuwenden, sondern die
Säule beizubehalten, aber, wie es schon in Soissons versucht war, zu ver-
stärken. Sie fanden es angemessen, diese Verstärkung nicht wie dort auf
eine einzelne angelegte Säule zu beschränken, sondern durch vier, nach den
Hauptrichtungen angefügte Stützen auszu-
führen. Dem Meister von Chartres behagte
jedoch die Zusammensetzung des runden
Säulenstammes mit eben solchen halben
oder Dreiviertel-Säulen nicht ganz; er fand,
dass beide weder ein organisches Ganze
ausmachten, noch sich gehörig sonderten.
Deshalb kam er auf den Gedanken, ihnen
eine grössere Verschiedenheit zu gebeu^
indem er nicht Rundes mit Rundem, son-
dern mit Achteckigem zusammenfügte,
also runde Ecksäulen an achteckigen, oder
achteckige an runden Kernpfeilern an-
brachte. Beide Formen sagten ihm zu,
auch wollte er vielleicht den Wechsel ver-
schiedener Pfeiler nach der Gewohnheit
des romanischen Styls beibehalten, genug
er wechselte mit dieser verschiedenartigen
Verbindung des Runden und Achteckigen
ab. Die Meister von Rheims und Amiens
und mit ihnen alle späteren verwarfen
jedoch diesen Wechsel und bildeten den Kern des Pfeilers durchgängig als runden
Säulenschaft. An dieser kantonirten Säule kam aber die Anordnung der Kapi-
tale in Frage; da man sie nicht als ein Ganzes ansah und die Kapitale der anlie-
genden und also dünneren Säulen ebenso wie das des Kernes nach Verhältniss
der Dicke des Säulenstammes bestimmen wollte, so standen kleinere Kapitale
neben grösseren. Schon der Meister von Soissons hatte, indem er der Rund-
säule eine schlankere Säule anfügte, dies als einen Uebelstand betrachtet
und beiderlei Kapitale dadurch in organischen Zusammenhang zu bringen
versucht, dass er das grössere durch einen in der Mitte desselben ange-
brachten Ring gleichsam in zwei Kapitale theilte und dadurch das der
Kathedrale zu Khciras.
Weitere Ausbilduno- der Details.
91
Fig. 19.
schlankeren Säule an dem der stärkeren reproducirte. Der Meister von
Chartres ging noch weiter, indem er an der Frontseite im Mittelschiffe, von
welcher die Gewölbdienste aufsteigen, das Kapital ganz fortliess und statt
dessen nur die Deckplatte um den Säulenstamm herumführte, auf welcher
dann aber die Gewölbträger noch mit besonderer Basis ruhen. Er that
somit einen, wenn auch noch schüchternen Schritt, die Idee des Yerticalen
durch einen vom Boden zum Gewölbe aufsteigenden Dienst auszudrücken.
Der Meister von Rheims gab dagegen allen Stämmen gleich hohe, nach der
Dicke der Kernsäule berechnete Kapitale, wobei er jedoch das der anliegen-
den Säulen durch einen Astragalus brach. Dies war allerdings eine mildere
und mehr harmonische Form. Allein durch
dieselbe wurde der Pfeiler zu sehr zu einem
abgeschlossenen Ganzen von gleicher Höhe,
an welchem dem Yerticalgedanken jeder Aus-
druck versagt war. Daher kehrten die Meister
von Amiens und Beauvais dann wieder zu dem
Gedanken des Meisters von Chartres zurück,
indem sie die Ungleichheit der angrenzenden
Kapitale bestehen Hessen, aber den mittleren
Gewölbdienst vom Boden auf als eine Halbsäule
bildeten, deren langer Schaft durch den Aba-
cus des Pfeilerkapitäls und durch die Gesimse
durchschnitten und nur oben unter den Ge-
wölben durch ein Kapital abgeschlossen wird.
Der kantonirte Rundpfeiler ist höchst
charakteristisch für diese Stufe der französi-
schen Schule. Man kann nicht behaupten,
dass er der Consequenz des gothischen Styles
völlig genügt; er steht sogar in dieser Be-
ziehung dem älteren Pfeiler nach, der in sei-
nen rechtwinkeligen Ecken und in der durch
die Spitzen derselben bezeichneten Rautenform die wesentlichsten Linien
des Grundrisses und in der Stellung seiner Säulen die Rippen des Kreuz-
gewölbes und ihre diagonale Bewegung andeutete, gewissermaassen den
Keim des ganzen Gebäudes in sich enthielt. Aber er ist jedenfalls der von
den älteren ]\reistern dieser Epoche adoptirten reinen Säule vorzuziehen 5^ er
bricht ihre allzu selbständige und abgeschlossene Gestalt, deutet durch die
vier kreuzweise gestellten Halbsäulen schon den Zusammenhang des Pfeilers
mit dem Gewölbe an, giebt dem organischen Lebensprincip, dem Aufwachsen
des ganzen Bausystems aus dem Boden schon einen, wenn auch unvollkom-
menen Ausdruck. Seine ganze Erscheinung hat etwas Rüstiges und Ritter-
Katliedrale vou Amiens.
Q2 Französische üotliik.
liches, was Jiiit der Kühnheit und Derbheit der ganzen Anlage wohl harmo-
nirt. Wenn er der systematischen Consequenz nicht völlig entsi)richt, so ist
diese Unvollkommcnheit ein Fehler der Jugend, der Fehler einer Zeit, wo
das PrinciiD noch mehr geahuet, als gewusst, wo es noch mehr eine Sache
des Gefühls, als des berechnenden Verstandes war.
Jener rechtwinkelig gegliederte Pfeiler, dessen Härte und Massenhaftig-
keit der Mehrzahl dieser Meister austössig gewesen war und sie bestimmt
hatte, zur Säule überzugehen, w^ar indessen noch nicht völlig ausser Ge-
brauch. An den Stellen, wo der Rundpfeiler für die darauf ruhende Last
nicht genügend erschien, oder wo es einer stärkeren Betonung der beiden
Axeu des Gebäudes bedurfte, unter den Thürmen und an der Vierung des
Kreuzes, wandte man ihn noch an, oft mit zahlreichen und unter den Dia-
gonalrii^pen diagonal gestellten Säuleu. Auch als durchgehende Form für
die Stützen des Langhauses wurde er noch einige Male, aber wohl nur da
beibehalten, wo er bei einer schon am Anfange des Jahrhunderts gemachten
Anlage begründet war. So an dem seit 1202 begonnenen Neubau der Kathe-
drale von Rouen, von der ich im folgenden Kapitel ausführlicher sprechen
werde, und an der Kathedrale von Troyes. Diese ist ein Bau von fünf
Schiffen und mit radianten Chorkapellen nach dem Muster von Rheims, aber
bei grossartigen Raumverhältnissen doch mit weniger reichlichen Mitteln
und desshalb auch mit geringerer Solidität gebaut. Sie wurde im Jahre
1208 begonnen; 1223 war der Chor schon soweit vollendet, dass der Be-
gründer, Bischof Hervaeus, darin begraben werden konnte. Bald darauf,
1227, wurde er zwar durch einen Sturm so beschädigt, dass eine bedeutende
Herstellung vorgenommen werden musste, welche jedoch, wie die Formen
vermuthen lassen, sich an die ältere Anlage anschloss und die Pfeiler der-
selben beibehielt 1). Der Bau des Kreuzschiffes währte bis 1314 und das Lang-
haus erhielt erst im Jahre 1429 die Einweihung, während die Fagade sogar
erst dem 16. Jahrhundert angehört. Das Schiff" trägt wirklich in seinen
oberen Theilen, namentlich im Maasswerk der Triforieu und Fenster, den
Charal^ter einer späteren Zeit, während die Pfeiler auch hier viereckigen
Kernes mit acht Halbsäulen besetzt und überhaupt strenger und von jenen
oberen Theilen abweichend behandelt sind. Eben solche Pfeiler stehen im
^) Arnaud, "S'oyage arclieologique et pitt. daus le depart. de l'Aube, Troyes 1843,
und lukersley a. a. 0. S. 78. Das Breve Gregor's IX. vom Jahr 1229 bezeichnet das
durch den Unfall von 1227 beschädigte Gebäude als nobile opus ac sumtuosum und
beschreibt die Zerstörung- als eine totale: ecclesia — tenebroso turbine convoluta, con-
cussis qiiatnor angulis ab imis corruit fundamentis. Indessen war dies ohne Zweifel
«ine in solchen Indulgenzschreiben gewöhnliche, auf Erregung der Theilnahnie berech-
nete Uebcrtreibung, welche der Erhaltung einzelner Tiieile nicht entgegensteht. — Grund-
riss bei "S'iollet-le-Duc, II, p. 342.
Die Kathedralen zu Troyes, Auxerre, St. Omer, 93
geraden Theile des Chores, während die Mauern der Rundung durch Rund-
pfeiler mit zwei (nicht vier) frei angelegten kleineren Säulen, die Gewölbe
des Seitenschiffes wie in Chartres durch achteckige Stämme mit vier runden
Halbsäulen getragen werden. Es scheint hiernach, dass der Bau mit der
Fundamentirung und Anlage aller Hauptpfeiler begonnen, und dann erst die
Vollendung des Chores erfolgt ist, bei der man nun die erwähnten unge-
wöhnlichen Formen anwandte.
Auch sonst wurde der kantonirte Rundpfeiler nicht überall angewendet,
man versuchte sich auch in anderen Formen. Der Chor der Kathedrale
von Auxerre, im Jahre 1215 begonnen und 1234 so weit vollendet, dass
der Bischof darin begraben werden konnte, hat durchaus verschiedene
Stützen; Rundsäulen nicht bloss an der Rundung selbst, sondern auch im
geraden Theile, daneben aber kantonirte Säulen und neben dem grossen
Pfeiler an der Vierung des Kreuzes einen wirklichen Bündelpfeiler von
schlanker Gestalt. Ein rhythmischer Wechsel wird dadurch nicht erreicht,
es scheint fast, dass die Meister über die zu wählende Form unschlüssig
waren,
Aehuliche Spuren des Suchens bemerkt man an der Kathedrale von
St. Omer, an der wenigstens der Chor aus den ersten Deceimien des drei-
zehnten Jahrhunderts stammt. Er hat neben dem Umgänge drei radiante
Kapellen von bedeutender Weite. Die rundbogige Arcatur, welche am Fusse
der Wände hinläuft, die derbe Profilirung der Bögen und Gurten, die Ober-
lichter, welche aus drei neben einander gestellten Lancetfenstern bestehen^
das hohe, aber einfache Triforium, die flache, weit ausladende, zum Theil
mit dem Eckblatt versehene Basis, die eigenthümlich gebildeten Knospen-
kapitale, alles dies trägt den primitiven und rüstigen Charakter der frühesten
gothischen Zeit. Besonders endlich deuten die Pfeiler auf eine solche Früh-
zeit, indem sie im Chore und in den dreischiffigen Kreuzarmen aus einem
schmalen viereckigen Mauerstücke und zwei auf den Schiffseiten angelegten,
ni^r leise damit verbundenen Säulen bestehen. Es ist fast derselbe Gedanke,
welchen der Meister der Kathedrale von Sens an den Zwischensäulen an-
wandte, nur dass die Säulen, weil sie hier nicht mit stärkeren Pfeilern
wechseln und selbständig das Gewölbe tragen, durch jenes verbindende
Mauerstück verstärkt sind. Im Langhause, welches jünger erscheint, aber
doch wohl noch um die Mitte des Jahrhunderts errichtet sein mag, sind
an Stelle dieser ungewöhnlichen Form stattliche kantonirte Rundsäulen ge-
treten.
Ohne Zweifel entstand dieses Suchen und Schwanken dadurch, dass
mau die ^Mängel der kautonirten Säule schon damals fühlte. An einigen
Orfen half man ihnen dadurch ab, dass mau die Säule beibehielt, aber die
Zahl der angelegten Halbsäulen auf acht oder mehr vermehrte. Man schritt
94 Französische Gothik.
also auf dem Wege fort, welchen die Meister von Rheims und Ciiartres an-
gedeutet hatten, indem sie die blosse Säule durch die Anfügung von vier
Halbsäulen verbesserten. Man erlangte dadurch eine noch grössere Brechung
der cylindrischen Gestalt und eine vollständigere Verbindung des Pfeilers
mit dem Kreuzgewölbe. Der erste Bau, bei welchem diese Form angewendet
wurde, war vielleicht der schon früher geschilderte Chorbau der Kathedrale
von le Mans (1212). Hier sind die Rundpfeiler in dem geraden Theile des
Chores nicht mit acht, sondern mit zwölf Halbsäulen umstellt, so dass nicht
bloss die Diagonalrippen, sondern auch noch die Archivolten der Scheid-
bögen eine selbständige Unterstützung haben. Bei den enger gestellten
Stützen der Rundung war indessen diese reichere Bildung zu schwerfällig,
sie haben daher nur an der inneren Seite drei eng aneinandergerückte Halb-
säulen, und erscheinen nach dem Seitenschiffe zu als blosse Säulen. Ebenso
sind bei der auch in der Anlage verwandten Kathedrale von Bourges die
Pfeiler durch acht anliegende Halbsäulen verstärkt^).
Noch einen Schritt vs^eiter ging man bei der Erneuerung des noch kein
volles Jahrhundert vorher von Suger erbauten Schiffes der Abteikirche von
St. Denis, welche im Jahre 1231 unter Ludwig dem Heiligen begonnen und
bis 1281 fortgesetzt wurde. Hier ist nämlich der Kern des Pfeilers, obgleich
mit Halbsäulen ziemlich dicht umstellt, zwar noch sichtbar, aber er hat kein
Kapital, dessen Ausgleichung mit denen der Dienste Schwierigkeiten ver-
ursacht hätte, und die drei im Mittelschiffe ununterbrochen zum Gewölbe
aufsteigenden Dienste deuten in ihrer Basis schon die Rautenform des Pfeilers
an und sind nicht mehr durch die convexe Linie des Kernes, sondern durch
Höhlungen verbunden. Der Gedanke des Bündelpfeilers war damit schon
gegeben, man brauchte nur die anderen Seiten des Pfeilers ebenso zu be-
handeln, wie die vordere, um eine Gestaltung desselben zu erlangen, welche
die Mängel der kantonirten Säule vermied, schlanker als diese erschien und
zugleich eine vollkommen organische Entwickelung des Gewölbes aus der
Gliederung des Pfeilers gestattete. Auch die Entwickelung des Maasswerks
finden wir hier gesteigert ; das Triforium besteht über jeder Arcade aus vier
zweitheiligen Bögen mit einem Dreiblatt im Bogenfelde -), die grossen Ober-
lichter füllen mit ihrem normalen viertheiligen Maasswerk den ganzen Raum
bis unter den Schildbögen. Dies Maasswerk hat die schönste und reichste
Bildung; die Pfosten sind noch mit Ka])itälen versehen, die Bögen durchweg
Rundstäbe, ihre Innenseite hat zwar noch nicht den angelegten Kleeblatt-
bogen, aber die geometrische Gliederung ist sehr bestimmt ausgesprochen,
und die grossen Kreise, welche in den Raum über jedem Bogenpaare ge-
1) System des Langhauses abgebildet bei Moiiet-le-Duc, Bd. IX, p. 252.
-) Abgebildet bei Yiollet-le-Duc. Dict. IX, p. 294, Triforium und Fenster V. p. 394.
Entstehung des Maasswerks. 95
spannt sind, haben nicht mehr den Anschein von Leere, wie in N. D. von
Paris, sondern sind durch ein inneres Sechsblatt genügend belebt. Da die
Oberlichter der Kathedrale von Amiens damals wahrscheinlich noch nicht
bestanden, so können wir annehmen, dass der Architekt von St. Denis das
Verdienst dieser ersten und schönsten Ausbildung des Maasswerkes hat*).
Daran reihet sich eine andere Neuerung, welche nicht so unbedingt lobens-
werth ist, aber doch zeigt, \yie vollständig man jetzt schon alle Consequenzen
des gothischen Systems kannte und verfolgte. Die Mauer hinter dem Tri-
forium ist nicht mehr wie sonst unbeleuchtet, sondern von Fenstern mit Glas-
gemälden durchbrochen; es erscheint daher durchsichtig, und da es in seiner
Eintheilung mit der der Fenster übereinstimmt, als eine Fortsetzung der-
selben. Diese Einrichtung stand allerdings mit der ursprünglichen Bestim-
mung des Triforiums nicht im Einklänge; dasTriforium sollte die Mauer des
Oberschiffes zwischen den Scheidbögen und den Fenstern, an welche das
Pultdach des Seitenschiffes anstiess, beleben und zugleich Zugäuge in dies
Dach und zu dem oberen Theile der Kirche gewähren. Mit diesem Zwecke
war die Anbringung der Fenster an dieser Stelle unvereinbar; sie setzte viel-
mehr voraus, dass man jenes Pultdach beseitigte und mithin entweder ein
ganz flaches oder, wo dies nicht thunlich war, ein selbständiges, nach zwei
Seiten abfallendes Dach über den Seitengewölben anbrachte, damit jene
Fenster von oben Licht hatten. Dies erforderte aber wieder, da nun ein
Theil des auf das Seitendach fallenden Regenwassers nicht nach aussen,
sondern nach der Mauer des Oberschiffes ablief, mancherlei Vorkehrungen,
namentlich die Anordnung ziemlich künstlicher Kanäle -). Aber der Wunsch,
die Zwischenwände immer leichter und luftiger zu bilden, das Licht im In-
neren und die Gelegenheit zur Anbringung gemalten Glases zu. vermehren,
war so gross, dass die unternehmenden Architekten diese Schwierigkeiten
nicht scheuten. Ob der Meister von St. Denis der Erfinder dieser Anord-
nung war, ist nicht ganz sicher; sie findet sich auch schon im Chore der
Kathedrale von Troyes (wahrscheinlich freilich nicht aus der Zeit ihrer
ersten Anlage im Jahre 1208, aber doch aus dem Herstellungsbau, der nach
der Zerstörung im Jahre 1229 begonnen war), und wir können nicht angeben,
wo man zuerst darauf kam. Jedenfalls aber fand sie sehr bald Nachahmung.
Selbst die Meister der Kathedrale von Amiens, welche im Langhause noch
ein unbeleuchtetes Triforium hatten, schlössen sich, wie wir oben gesehen,
im Chore (1255 — 1265 dieser neuen Sitte au. Man kann diese Neuerung
^) Eine perspectivisclie Ansicht bei Chapuy a. a. 0. nro. 236. Anderes aus dieser
Kirche daselbst nro. 235, 274, 400, 413.
2) ViolIet-ie-Duc, p. 204, macht dies an einem Durchschnitt von St. Denis an-
schaulich.
96 Französische Gothik.
schwerlich eine glückliche nennen; sie entfernt sich von dem richtigen Prin-
cipe den Schmuck aus dem Nothwendigen und Nützlichen zu entwickeln, sie
hehält eine ehemals einem bestimmten Zwecke entsprechende Anordnung
grossentheils als blosse Zierde bei, stattet sie wenigstens in solcher Weise
aus; sie steigert endlich den Ausdruck des Leichten und Luftigen schon all-
zu sehr. Allein sie ist jedenfalls merkwürdig, weil sie zeigt, wie sehr die
Architekten das neue System mit Kühnheit und Meisterschaft handhabten,
wie fruchtbar sie an Mitteln waren, wie schnell sie von dem .schweren und
fast trüben Ernst, der im Anfange des Jahrhunderts herrschte, zu den leich-
testen und luftigsten Formen gelangten.
Mit diesem Bau stehen wir schon in der Regierung Ludwig's des
Heiligen, dessen Name, wie ein französischer Archäologe von seinem Stand-
punkte nicht mit Unrecht gesagt hat, in der Geschichte der Kunst des Mit-
telalters fast eben so viel bedeutet wie der des Perikles in der griechischen-
Zuntächst war es die Frömmigkeit des Königs, welche ihn zur Gründung oder
Unterstützung einer grossen Zahl von klösterlichen und kirchlichen Bauten
antrieb. Bei Einweihungen, nicht bloss in der Nähe von Paris, sondern auch
an entfernteren Stellen, finden wir ihn und seine Mutter Bianca gegenwärtig-
Er erschien auch wohl auf den Baustätten, um die Arbeiter zu ermuthigen
und anzutreiben; sein Geschichtsschreiber Joinville erzählt den liebens-
würdigen Zug, dass er bei dem Bau des Klosters Roj'aumönt unfern Paris,
wo die Mönche nach Cistercienserregel Dienste leisteten, selbst mit eigener
königlicher Hand Steine und Mörtel getragen und seine Brüder genöthigt
habe, ein Gleiches zu thun^). Wie aber dieser ausgezeichnete Fürst überall
mit der reinsten Frömmigkeit weltliche Klugheit verband, wusste er auch die
Baukunst von ihrer weltlichen und Icünstlerischen Seite zu würdigen. Zum
ersten Male finden wir namhafte Künstler im Gefolge eines Fürsten. Jous-
selin von Courvault, ein geschickter Ingenieur, und Endes von Montreuil, ein
gewandter Baumeister, begleiteten ihn auf seinem Kreuzzeuge und leiteten
die Befestigung von Jaffa, und der noch bedeutendere Peter von Montereau
wurde nachher der Meister der heimischen Bauten des Königs. Von ihm
stammmt denn auch das zierlichste und anmuthigste Gebäude dieser Epoche,
die vorzugsweise sogenannte Heilige Kapelle von Paris, die neuerlich
durch die umsichtigste Restauration wieder ganz in ihrem ursprünglichen
Glänze erstanden ist. Es war die Kapelle des alten, auf der Seine-Insel,
dem dichtbevölkerten ältesten Theile der Hauptstadt, gelegenen königlichen
Schlosses. Sie sollte daher in beschränktem Räume dieser Bestimmung und
zugleich der wichtigen Reliquien wegen, deren Besitz der König erlangt hatte,
^) Joinville, Hist. de St. Louis, p. 357, bei Milllu Antiquites nationales Vol. II,
nro. XI, p. 2.
Die Sainte-Chapeile zu Paris.
97
Fig. 20.
würdig ausgestattet werden. Hierauf ist die geistreiche und eigenthümliche
Anlage berechnet. Eine Unterkirche zu ebener Erde, für den täglichen und
öffentlichen Gottesdienst bestimmt, wurde das Mittel, der für den Gebrauch
des Hofes dienenden, aus dem oberen Theile des Schlosses zugänglichen
Kapelle eine würdige, hellere Lage und ein festeres Fundament zu geben.
Diese Unterkirche (Fig. 21) ebenso wie die obere Kapelle 91 Fusslang, 32 Fuss
breit und mit einem polygonförmigeu Chorraume endigend, ist gewisser-
maassen dreischiffig, wenn man nämlich
den schmalen Seitengängen von nur drei
und einem halben Fuss Breite, welche
zwischen niedrigen monolithen Säulen
und den äusseren, durch eine Halbsäule
verstärkten Mauern entstehen, den Namen
von Seitenschiffen geben will. Jedes die-
ser drei Schifte hat indessen sein eige-
nes Kreuzgewölbe, dessen Schlussstein
nur 2 1 Fuss über dem Boden liegt. Man
begreift leicht, dass diese schmalen
Seitenschiffe mit ihrer Wölbung von so
geringer Spannung wesentlich zur
Stützung des oberen Baues beitragen.
Sie dienen aber auch dazu, den mitt-
leren Raum dieser unteren Kapelle in
einer ihrer geringen Höhe entsprechen-
den Weise zu beschränken, und gewähren
vermöge der zwar niedrigen, aber zwölf
Fuss breiten Fenster, die sich zwischen
den Strebepfeilern öffnen und deren Licht
durch die monolithen Säulen nur wenig
gehemmt ist, eine sehr eigenthümliche
und malerische Beleuchtung. Während
hier ein ernster und schlichter Charakter
vorherrscht, entwickelt die Oberkirche
die leichteste und reichste Anmuth. Sie
ist einschiffig und unter dem Schlussstein 60 Fuss hoch, also etwa
doppelt so hoch als breit. Die Wände sind leichter gehalten, als in
irgend einem früheren Gebäude, sie bestehen ausschliesslich aus den Bündel-
pfeilern von nur vier Fuss Breite, die, aus schlanken Säulchen zusammen-
gesetzt, 42 Fuss hoch aufsteigen, und zwischen denen über einer blinden
Arcatur von etwa 10 Fuss Höhe die gewaltigen, mit dem reichsten Maass-
werk geschmückten Fenster (13 Fuss Breite bei fast 45 Fuss Höhe) den
Schnaa.<€'s Kunstgesch. 2. Aufl. V. 7
Sainte Chapelle zu Pari-;.
98
Französische Gothik.
ganzen Raum einnehmen. Hier ist also der Gedanke, das Gebäude nur aus
dem Gerüst schlanker, senkrechter Stützen zu bilden, im vollsten Maasse und
in edelster und einfachster Weise ausgeführt. Vielleicht würde man das
Ganze schon zu luftig, das Verhältniss der schlanken Wandpfeiler zu den
breiten Glaswänden der Fenster schon übertrieben finden, wenn dieser Mangel
nicht durch die geschickte und zweckmässige Anwendung der Farbe gehoben
würde. Das Licht der Fenster ist durch den dunkeln Glanz ihrer Glas-
gemälde gemildert, der Stein durch eine
vollständige und geregelte Bemalung der
einzelnen Säulchen, Kehlen und Gewölb-
kappen, und durch Vergoldung der Ka-
pitale und der Rippen erhellt un(^ belebt,
das Element der Farbe verbindet also die
durchsichtigen und die undurchsichtigen
Theilezu einem harmonischen Ganzen, und
giebt doch wieder jedem Theile sein eigen-
thümliches Recht, indem sie die architek-
tonische Gliederung nicht durch gleich-
massige Färbung verhüllt, sondern durch
die Verschiedenheit der Töne und Muster
zu höherer Geltung bringt, und die Fenster
durch die Bedeutsamkeit der darauf dar-
gestellten heiligen Geschichten und durch
den helleren Glanz ihrer Farben als die
architektonisch bedeutungslosen, aber be-
leuchtenden Theile darstellt. Auch die
Plastik ist nicht ausser Anwendung ge-
blieben. Apostelgestalten, bemalt und
mit Glassflüssen wie mit Edelsteinen ver-
ziert, stehen aufConsolen an den Pfeilern,
und die Arcatur, welche den Fuss der
Wand unter den Fenstern bekleidet, viel-
leicht die schönste und reichste, die jemals
ausgeführt wurde, ist in ihren Zwickeln
und im Gesimse mit vollen, vortrefflich gearbeiteten Blumenkränzen ge-
schmückt, aus denen Engelsgestalten hervorsehen. So ist keine Stelle
des Inneren ohne Belebung und anmuthigen Schmuck geblieben, das
Ganze ist wie ein Juwel, an dem jeder Punkt in eigenthümlichem Glänze
leuchtet. Ebenso ist das Aeussere möglichst reich ausgestattet, die Strebe-
pfeiler strecken ihre Spitzsäulen, die Fenster, vielleicht zum ersten Male,
Spitzgiebel in die Luft, und eine Treppe, welche vom Boden auf zu
Sainte-Chapelle zu Paris.
Werke des Peter von Moutereau. QQ
einer Vorhalle und in das Innere der Oberkirche führt, dient dem Ganzen
znr Zierde^).
Der Bau der Kapelle wurde im Jahre 1243 beschlossen und war im
Jahre 1248 schon im Wesentlichen, im Jahre 1251 völlig vollendet. Man
hatte also nur einen Zeitraum von fünf bis acht Jahren dazu gebraucht,
was bei der sorgfältigen Ausführung aller Theile einen Beweis für die hohe
Ausbildung dieser Schule gewährt. Wie es scheint, war Peter von Monte-
reau gerade in solchen schlanken und zierlichen Gebäuden besonders aus-
gezeichnet, wenigstens hatten zwei Bauwerke, welche er theils vor, theils
nach jener Schlosskapelle ausführte, einen ähnlichen Charakter. Beide zu der
Abtei St. Germain-des-Pres (damals bei, jetzt in Paris) gehörig, sind
leider im Jahre 1794, in Folge der Einziehung dieses reichen Stiftes, abge-
brochen. Das eine war das Eefectorium, das er in den Jahren 1239 bis
1244 gebaut hatte, ein einschiffiger Saal, 115 Fuss lang, 30 Fuss breit,
48 Fuss unter den Schlusssteinen hoch, mit reich gegliederten Wandsäulen,
zwischen denen wiederum gewaltige Fenster von der ganzen Breite des
Raumes sich öffneten. Die Aufgabe, die ganze Tragekraft in die Strebe-
pfeiler zu legen und im Inneren nur leichte Anmuth zu zeigen, war in so
kühner und geschmackvoller Weise gelöst, dass selbst die späteren Schrift-
steller nur mit Bewunderung davon sprechen. Kann man dies Gebäude als
■eine Vorarbeit zu jener Schlosskapelle betrachten, so wird das andere als
€ine wirkliche Nachahmung derselben, jedoch ohne Krypta und in etwas
veränderten, minder kostspieligen Formen geschildert. Es war ebenfalls eine
der heiligen Jungfrau gewidmete Kapelle, nur in den Verhältnissen von der
des Schlosses abweichend, indem sie 100 Fuss lang, aber nur 29 Fuss breit
und 47 Fuss hoch war-). Auch in weiterer Entfernung von Paris können
^) Publ. iu J. Gailhabaiul l'architecture du o^e. au 17me. siecle. etc. I. Paris 1858;
u. IV. — Dann in dem selbständig-en Werk: La Sainte-Ciiapelle de Paris apres les
restaurations commencees par M. Duban, architecte, terminees par M. Lassus, architecte.
Ouvrage execute sous la direction de M, V. Callit, arcliitecte. Texte liistorique par M.
•de Guiihermy. Paris. 1857. Cliromolithographie in dem Werke von P. Lacroix, Les
arts au Moyen-Ag-e et ä l'epoque de la Renaissance. Paris 18G9. — Vgl. den Artikel
€liapelle bei ViolIet-le-Duc, II, p. 423 S., mit Grundrissen und Durchschnitt, die Ar-
catur Bd. I, p. 94. Ein Dachreiter ward erst unter Carl VII. aufgesetzt und scheint
nicht ursprünglich zu sein. Er wurde bei der letzten Restauration erneuert. Das
Archiv (tresor des chartes), eine ähnliche kleinere Anlage, die sich nördlich neben dem
€hor befand und mit der Kapelle in Verbindung gesetzt war, existirt nicht mehr.
"-) Vgl. Dom Bouillart, Hist. de l'abbaye de St. Germain, pag. 123 und 126, wo
auch Ansichten beider Gebäude, allerdings in ungenügender Weise, gegeben sind. Die
Kapelle wurde 1244 begonnen, 1255 geweihet. Näheres über ihre Eigenthümlichkeiten
nach Zeichnungen, die Alex. Lenoir vor dem Abbruche genommen, bei Viollet-le-Duc
Dict. II. 435.
"IQQ Französische Golliik.
wir den Einfluss erkennen, den der glänzende Bau des Peter von Monte-
reau ausübte. Als eine wirkliche Nachahmung der Sainte Chapelle von Paris
ist die überaus schöne der Abteikirche von St. Germer in der Picardie
angebaute Frauenkapelle ^) zu betrachten, ein reicher Bau aus dem Ende des
13. Jahrhunderts, mit edel gegliedertem Maasswerk, prachtvollem Radfenster
und schöner Glasmalerei, und mit der Apsis der Kirche, hinter der sie liegt,
durch eine anmuthige Gallerie in Verbindung gesetzt. Auch der Chor der
herrlichen Abteikirche von St. Martin -au x-bois unfern Noyon, ohne Um-
gang in einfacher Polygongestalt, wird im Maasswerk seiner Fenster und in
seinen schlanken Verhältnissen als der Sainte -Chapelle von Paris sehr ähn-
lich geschildert-).
Aehnliche Anlagen entstanden aber auch unabhängig von dem Werke
des Peter von Montereau. So die Kapelle des erzbischöflichen Palastes zu
Rheims, welche wie die Sainte-Chapelle einschiffig mit fünfseitigem Clior-
schlusse ist und aus zwei Stockwerken besteht. Der untere Raum, krypten-
artig, mit dicken Mauern, Rundbogenfeustern, aber spitzbogiger Wölbung,
soll schon 1196 vollendet sein, während die obere Halle in schlanken Ver-
hältnissen und im entwickelten Style des 13. Jahrhunderts erbaut ist-^). Sie
ist durch hohe Spitzbogenfenster beleuchtet und unterscheidet sich von jener
Pariser Kapelle besonders dadurch, dass nach einer in der Champagne öfter
vorkommenden Constructionsweise die Strebepfeiler stets in das Innere vor-
springen und dort die Wandpfeiler und einen durch eine Arcatur verzierten
Umgang unter den Fenstern bilden. Obgleich viel einfacher als jener könig-
liche Bau, dabei durch spätere Beschädigungen entstellt, ist diese Kapelle
durch ihre reine Form und ihre edlen Verhältnisse ein vorzügliches Beispiel
des reifen, aber noch frühen gothischen Styls und verdient selbst in unmittel-
barer Nähe der mächtigen Kathedrale von Rheims Beachtung.
Selbst die Kapelle des königlichen Schlosses zu Saint- Ger main-en -
Laye, unfern Paris, weicht von dem Bau des Peter von Montereau bedeutend
ab, obgleich sie ungefähr derselben Zeit angehört. Auch sie ist einschiffig
*) Abbildungen in der Voyage dans l'ancienne France, Picardie. — Piiblicirt in den
Arcliives de la comm. des monuments Iiistoriques.
2) Vgl. Bull, monum. IX, p. 43. Das .'^Iter ist unbekannt und wird gegen das
Ende unserer Epoche fallen.
3) Abbildungen in den Annale archeologiques. Vol. XIIF, p. 314, 233, 289; XIV,
p. 25 u. 124, XV. p. 232. Nach Didron's daselbst ausgesprochener, auf urkundliche
Nachrichten gestützter Annahme soll die Kry;.ta in dem eben mitgelheilten Jahre, die
Kapelle 1260 vollendet worden sein. Den Fornsen entspricht die Bauzeit um 1280
besser, welche VioUet-le-Duc annimmt (II p. 439 f., vvo auch Grundrisse und Durch-
schnitt). — Publicationen bei J. Gailhabaud l'architecture du 5"i«- au 17™^- siecle.
I. Paris. 1858.
Die Zeit Ludwig's des Heiligen. 1(31
mit fünfseitigem Schlüsse, jedoch ohne Unterbau, und zeichnet sich durch
eine sehr eigenthümliche Bildung der Fenster aus. Auch hier nämlich hatte man
nach jener vorzugsweise in der Champagne beliebten Bauweise die Strebe-
pfeiler weit in das Innere hineingebaut und dadurch die Möglichkeit erlangt,
die Fenster unabhängig vom Gewölbe und von den Schildbögen desselben zu
gestalten. Während nämlich die Gewölbdienste ganz vorn an den einsprin-
genden Strebepfeilern angebracht, die Fenster aber erst weiter nach aussen
eingefügt sind, war es möglich, den ganzen zwischen den Strebepfeilern und
dem Dachgesimse bestehenden viereckigen Raum durch ein reichgegliedertes
Fenster zu füllen, dessen Maasswerk freilich nach gewohnter Weise in spitz-
bogigen Arcaden aufsteigt, aber vermittelst einiger in die oberen Ecken ge-
legter Pässe sich vollkommen der viereckigen Oeffnung anfügt ').
Endlich ist hier noch das Kefectorium des ehemaligen Priorats von
St. Martin-des-Champs zu Paris, jetzt dem Conservatoire des arts et
metiers als Bibliothek dienend, zu erwähnen. Die gewöhnliche Annahme,
welche den Bau dem Peter von Montereau zuschreibt, ist nicht erweislich*,
die Formen deuten eher auf eine etwas frühere Zeit-). Wohl aber ist das
Ganze von einer kühnen Leichtigkeit und Eleganz, welche seines Namens
würdig wäre. Es ist ein Saal von ziemlich bedeutender Länge und Höhe bei
massiger Breite, der durch sieben überaus schlanke, in verhältnissmässig
weiter Entfernung stehende Säulen in zwei Schiffe getheilt ist, welche mit
den ihnen entsprechenden auf Kragsteinen ruhenden Halbsäulen der Aussen-
wände die Rippen der Gewölbe tragen. Zwei Spitzbogenfenster auf jedem
Joche mit einem darüber angebrachten Radfenster geben eine sehr genügende
Beleuchtung. Der Zweck möglichster Raumersparniss entschuldigt die fast
übermässige Schlankheit jener Säulen, und die vortreffliche Ausführung des
Blattwerks an den Kapitalen und aller sonstigen Details macht den Eindruck
seltener Zierlichkeit und Behaglichkeit.
Peter von Montereau starb 1266, seine Bestattung im Chore eben jener
Marienkapelle in der Abtei St. Germain, die er kurz vorher vollendet hatte
und die Grabschrift, welche man ihm gab, zeigen das Ansehen, in welchem
er stand % Noch zahlreicher waren die Bauten seines berühmten Zeitgenos-
sen Eudes de Montreuil; man kannte im siebenzehnten Jahrhundert in
Paris und der Umgegend noch acht oder neun Kirchen, die von ihm her-
^) Vgl. die Stliilderuiig nebst einigen Abbildungen bei Viollet-le-Duc a. a. 0.
11. 430 ff.
-) Viollet-le-l)iic, VIII. p. 10. Abbildungen bei Alb. Lenoir, Arcli. monastique,
II \K 334 ff. und Gnilliermy, Itineraire Archeologique de Paris, p. 243.
") Fios plenus moriim vivens doctor latomorum, Musterolo natus, jacet hie Petrus
tumulatus. Bouillart a, a. 0. p. 133.
2Q2 Französische Gotliik.
Stammten^), und dieselbe Leichtigkeit des Styles zeigten, die man an der
heiligen Kapelle bewunderte, welche aber sämmtlich untergegangen sind;
unter ihnen auch die schon im sechzehnten Jahrhundert abgebrannte Francis-
canerkirche zu Paris, in welcher sich der Grabstein des im Jahre 1289'
verstorbenen Künstlers befand.
Auch ausser den Werken dieser genannten Baumeister war Paris und
seine Umgegend durch die Freigebigkeit Ludwigs des Heiligen und durch,,
den Wohlstand, der sich in der schon damals so reichen und mächtigen Stadt
sammelte, der Schauplatz der regsten Bauthätigkeit; die Geschichte der
meisten damals bestehenden Klöster und Kirchen der Hauptstadt ergiebt neue
Bauaulagen aus dieser Zeit-). Die Bauhütte von Notre-Dame war ohne
Zweifel schon jetzt der Sammelplatz strebender Kunstgenossen; die jüngeren
Meister, die in ihr herangebildet waren, werden nicht unterlassen haben,,
die anderen grossen Bauten des Landes zu besuchen und ihre Fortschritte
sich anzueignen, und wandernde Gesellen aus entfernten Gegenden besuchten
ohne Zweifel diese Stelle, wo so viel zu lernen und zu gewinnen war.
Allein noch war Frankreich weit entfernt von jener späteren Centra-
lisation, welche die Provinzen zu Gunsten der Hauptstadt entnervte. Noch
waren auch die Bauhütten von Laon und Noyon, von Chartres, von Kheims
und Amiens und so vielen kleineren Kirchen thätig. Und auch von ihnen
gingen Neuerungen aus, welche der weiteren Entwickelung des Styles zu
Statten kamen. An den grossen Domen war man gegen das Ende der Epoche
überall mit dem Inneren und dem Gerüste des Gebäudes fsrtig und beschäf-
tigte sich mit der Ausschmückung des Aeussereu, der Strebepfeiler, Bögen,
Fialen, mit der Anbringung des Bildwerks und endlich mit der Vollendung
der Fagade. Auch hier können wir beobachten, wie die Meister, auf den
Schultern ihrer Vorgänger stehend, nicht nach völlig neuen, abweichenden
Ideen, sondern nach feinerer und edlerer Ausbildung des bereits Gegebenen
trachteten. Die Gedanken, welche die Fagade von N. D. von Paris schon
im ersten Viertel des Jahrhunderts angedeutet hatte, lagen auch den Zeich-
nungen der späteren Meister zum Grunde; drei mächtig vertiefte, reich aus-
gestattete und möglichst nahe an einander gerückte Portale, die Verdeckung-
der Strebepfeiler an den unteren Theilen, ihr Hervortreten und Abnehmen
an den oberen, die Ausschmückung der höheren Mauerfläche durch Arcaden-
reihen und endlich das Rosenfenster, dies ist das Thema, dessen Ausführung
allen diesen Meistern vorlag. Aber während in Paris das Ganze noch schwer
^) Felibien, Recueil historique de la vie et des ouvrages des plus celebres archi-
tectes, Paris 1687, pag. 210.
-) Viele Beispiele bei Miliin a. a. 0., namentlich Ausführlicheres über die schöne
Kirche der Abtei Royaumont daselbst II,, Nro. XI,
Facade von Rlieims.
103
Fiff. 22.
Kathedrale von Klieims.
JQ4 Französisclie Gothik.
und massenhaft, in viereckigen, kaum verminderten Abtheilungen aufsteigt,
werden in Amiens und in Rheims die Details leichter und freier, die Durch-
brechungen der Mauermasse grösser und häufiger, die pyramidalen Ab-
stufungen besser geregelt, und zahllose Details deuten in ihrer schnelleren
Zuspitzung den allgemeinen Aufschwung des Thurmbaues, der hinter ihnen
langsam und mächtig aufsteigt, im Voraus an. In N. D, von Paris treten
die Portale zwar schon bis an die äusserste Linie der Strebepfeiler vor, aber
sie bilden hier eine zusammenhängende Mauertläche, welche durch eine Gal-
lerie horizontal geschlossen ist. Schon in Laon, dann in Amiens sind die
drei Portale als selbstständige Vorhallen behandelt, welche mit freien Spitz-
giebeln in die Luft ragen und zwischen denen sofort in ihren Winkeln die
Strebepfeiler aufsteigen, um bald auf durchbrochenen Tabernakeln die erste
reiche Fiale zu bilden. Die Gallerie ist höher hinaufgerückt, in den zurück-
weichenden Theil der Thurmmauer verlegt, oft verdoppelt; die Rose, die dort
allzu nahe über dem Portale steht und fast darauf lastet, schwebt hier in
luftiger Höhe. Aber erst der Meister von Rheims^) erreichte die schönsten
Verhältnisse, deren der französische Fayadenbau fähig war. Die Spitzgiebel
der Portale sind in Amiens noch schwer und einfach, hier steigen sie mit
Bildwerk reich geschmückt empor. Dort stehen unmittelbar über den Spitzen
jener Giebel zwei Arcadenreihen, welche zwischen dem Geschoss der Portale
und dem der Rose, also zwischen zwei grösseren mitten inne liegend, gedrückt
erscheinen. Hier erhebt sich unmittelbar über und hinter den Spitzgiebeln
eine hohe, vielfach durchbrochene Abtheilung, in den Seitenschiften durch
je zwei schlanke Spitzbogenfenster, im Mittelschiffe durch ein Rosenfenster
belebt, so dass nur die Strebepfeiler als feste Massen stehen bleiben, und
auch das Thurmgeschoss, wie das Oberschiff der Kirche, völlig durchbrochen
ist. Darüber endlich eine Arcadenreihe mit Statuen, nun aber auch in weit
schlankeren Verhältnissen und nicht horizontal, sondern wieder durch eine
Reihe von Spitzgiebeln bekrönt, über welcher endlich die beiden freilich un-
vollendeten Thürme aufsteigen. Während dort vier zum Theil kleinere Ge-
schosse, bilden hier nur drei von abnehmender Höhe und schlanken Verhält-
nissen nach einem leicht erkennbaren Gesetze die ganze Fagade. Allerdings
fehlt es auch hier nicht an Missgriffen. Das Streben nach Leichtigkeit und
vielleicht nach stärkerer Beleuchtung des Schiffes hat den Meister verleitet,
das hohe, gewöhnlich mit Reliefs geschmückte Bogenfeld der drei west-
lichen Portale in ein mit rosenartigem Maasswerk gefülltes Fenster zu ver-
wandeln, eine Anordnung, welche in der Champagne öfter Wiederholung
gefunden hat, aber doch ganz verwerflich ist, da sie die Einheit des Portals
1) Vgl. Gailliabaud, rAiTliilectnre etc. Bd. 1. In Amiens scheint man die Facade
eiier als den Clior, in Rheims nnigelielirt diesen früher vollendet zu liaben.
Ausbildung der Facade.
105
Fig. 23.
Kathe.irale zu Bheims.
{QQ Französische Güthik.
bricht, den umrahmenden Bögen mit den darin angebrachten Statuetten ihre
Bestimmung und ihre Rechtfertigung entzieht, und endlich das unangenehme
Gefühl einer ganz zweckwidrigen, weil an dunkelster Stelle angebrachten
Fensteranlage giebt ^). Auch kann man mit Recht das Ueberwuchern der
allerdings unvergleichlich ausgeführten Sculpturen im Vergleich mit den
schwächer betonten umrahmenden Theilen rügen 2). Aber dennoch ist die
Schönheit der Verhältnisse überwiegend; Frankreich besitzt manchen reichen
Fa(;adenbau, aber keinen, der diesem an die Seite zu setzen wäre, England
bleibt durchweg weit dahinter zurück, Deutschland kann nur in dem Werke
Erwins von Steinbach mit den Meistern von Rheims wetteifern, und auch
da bleibt es, wenn man von dem sj^äteren Thurme absieht, dahingestellt,
ob die vielleicht allzu zarte Ausführung des Strassburger Münsters vor der
kräftigen des französischen Domes den Vorzug verdient oder ihr nachsteht.
Die Fa^ade des Kölner Doms können wir, schon weil sie nicht ausgeführt
ist, nicht in Rechnung bringen; allein es ist auch zweifelhaft, ob sie mit ihrer
zwar überaus mächtigen und consequenten, aber doch abstracten Durch-
führung des Spitzbogens der frischen Kraft der Fagade von Rheims vorzu-
ziehen sein würde.
In Beziehung auf den Thurmbau der Fac^ade folgt die Kathedrale von
Rheims noch dem Systeme, das namentlich an der von Laon in Anwendung
gekommen war; aus der mit einer Gallerie abschliessenden Fagadenmauer
wachsen die beiden Thürme mit einem achteckigen Mauerkörper hervor,
neben welchem luftige Tabernakel noch das Ausklingen der rechtwinkeligen
Ecken des Unterbaues aussprechen. Nur dass die Strenge des früheren
Styls nun durch flüssigere und leichtere Formen ersetzt ist. Uebrigens
kennen wir den Plan des Meisters nur unvollkommen, da seit einem Brande
im 15. Jahrhundert nur der unterste Theil beider Thürme besteht und durch
bedeutungslose Dächer geschlossen ist.
Rheims besass übrigens früher eines der schönsten Beispiele eines
durchgeführten Fa(;aden- und Thurmbaues. Es war dies die Klosterkirche
Saint Nicaise, ein Bau von kleineren Dimensionen, der aber wegen der
Schönheit und leichten Anmuth der Verhältnisse selbst in den Zeiten, wo
man die gothische Baukunst wenig verstand, gepriesen wurde. Sie ist in
der Revolution abgebrochen, aber es sind genügende Abbildungen erhalten'').
1) »Auch YioUet-le-Duc. IX. 337, erklärt sich dagegen.
-) YiolIet-le-Duc (H, S. 322), obwolil er die Facade von Rheims bewundert, kriti-
sirt sie dennoch wegen der Art, in welcher der Unterbau der Strebepfeiler verdeckt
ist und weil neben dem Reichthum an Bildwerk und Schmuck die ruhigen, blos um-
rahmenden Theile fehlen.
■■') Die unsrige, aus Viollet-le-Duc entnommen, ist nach einem Kupferstich von
1625 hergestellt, der im Gegensatz zu der Gewoiinheit der Zeit, das Gebäude mit
St. Nicaise in Rlieims. 107
Der Baumeister, Hugo li Bergier, erscheint als eines der bedeutendsten
Künstlertalente dieser Zeit. Der Xeubau dieser Kirche begann unter seiner
Leitung im Jahr 1229, und zwar mit vorläufiger Beibehaltung des alten
Chors, um den Gottesdienst nicht zu unterbrechen. Mit den westlichen Par-
tien wurde der Anfang gemacht. Bei dem Tode des Meisters im Jahre
1263 ^) war der grösste Theil des Schiffs nebst der Facade vollendet. Sein
Nachfolger wurde Robert von Coucy, der damalige Meister desDombaues^
welcher 1297 den Chor vollendete, bei seinem im Jahre 1311 -) erfolgten
Tode aber noch die Kreuzschiffe unvollendet hinterliess. In der Gestaltung
des Schiffes und seiner Pfeiler schloss sich Meister Hugo dem Style des
Doms an, gab aber seinem Bau durch die Anbringung grosser viertheiliger
Fenster schon die möglichst geringe Mauermasse. Besonders ist die Fagade
überaus reizend, ohne grossen bildnerischen Schmuck aber von unübertrof-
fener Klarheit der Gliederung und schönster Verbindung von kräftigen
Massen und Durchbrechungen. Die Art, wie die Vorhalle vor dem Haupt-
portal — leicht und zierlich wie eine Festdecoration — gestaltet und durch
fortlaufende Bogenstelhmgen mit den Nebenportalen verbunden ist, zeichnet
sich durch Geist und Originalität aus (Fig. 24). Es folgt darauf eine reiche Rose
und über derselben ein edelverzierter Giebel nebst einer durchbrochenen
Gallerie, die aber nicht vor, sondern hinter jenem sich hinzieht und so mit
dem unteren Geschosse au beiden Thürmen, welche sie verbindet, verschmilzt.
£s sind im Wesentlichen dieselben Motive, wie an der Kathedrale, zwar
schlichter, aber vollständiger durchgeführt. Auch stehen die Thürme von
Saint Nicaise in noch glücklicherem Verhältnisse zu den übrigen Theilen der
Fagade; obwohl sie mit derselben zu einem Ganzen verbunden sind, erkennt
man doch schon von unten auf die Kraftentwickelung, die sich oben zum
Thurme zuspitzen muss. Der Gedanke des gothischen Thurmbaues ist also-
hier mit seltener Klarheit und Anmuth ausgesprochen.
Wie weit der kühne und strebende Geist, der damals die Architekten
ergriffen hatte, in kurzer Zeit führen konnte, beweist eine andere kleine
Verstäiidniss und höchster Sorgfalt wiedergiebt-, sie zeigt die Hälfte der voUkommea
symmetrischen Facade. Ferner Abbildmigen in Lenoir, l'arch. monast, in du Somerard
l'Art au moyen-äge und in dem Werke Voyage dans Tanc. France. Cliampagne. Livr. 13>
1) Seine Grabschrift, welche den Anfangstag des Kirchenbaues und das Todesjahr
angiebt, schon französiscii lautend, ward bei Abbruch der Kirche in den Dom versetzt
(Jolimont in Chapuy's Cath. franc, Rheims p. 19). — Vgl. Didron in den Annales
archeol. I. p. 62 u. 117, wo auch eine Abbildung des Denkmals gegeben ist. Der
Name (HUES. LIBERGIER) heisst wolil nicht Libergier, sondern li Bergier, der Schäfer,,
als aus väterlicher Beschäftigung entnommener Beiname.
'-) Wie dies sein früher im Kloster St. Denis in Rheims bewahrter Grabstein
ergiebt, der ihn als Meister von N. D. und Saint-Nicaise bezeichnet, — Whittingtoa
a. a. 0. p. 129.
108
Französische Gotliik.
Fig. 24.
Saint-Nicaise in Rheim.s.
aber liöchst merkwürdige
Kirche, ebenfalls wie St. Ni-
caisc der Champagne angehörig,
nämlich St.Urbain in Troy es.
Urban IV., von hier gebürtig,
der Sohn eines armen Schusters,
beschloss, nachdem er im Jahre
1261 den päpstlichen Stuhl
bestiegen hatte, an der Stelle
desväterlichenHauseseineStifts-
kirche zu gründen, deren Bau
er sogleich begann und mit
Geldmitteln und Privilegien
reichlich versah. Er starb
zwar schon 1 264 und alle jene
Privilegien erweckten der neuen
Stiftung zahlreiche Feinde,
welche sogar das rasch geför-
derte Gebäude mit Waffenge-
walt angriffen und plünderten.
Aber der Nepote Urban's, der
Cardinal Ancherus, nahm sich
der Sache eifrig an uud wusste
bei Clemens IV., dem Nachfolger
Urban's, Hülfe und stets neue
Indulgentien zu erwirken, welche
einen im Ganzen ununterbro-
chenen und raschen Fortgang
des Baues ermöglichten. Bis
zum Jahre 1269 war, wie es
scheint, der Chor im Wesent-
lichen vollendet, aber nach
dem Tode des Cardinais (1286)
erlahmte der Betrieb und wurde
bald darauf ganz aufgegeben.
Das Langhaus ist nur bis zur
Höhe der Seitenschiffe hinauf-
geführt und durch ein hölzernes
Gewölbe geschlossen,dieFaQade
ist unvollendet,der beabsichtigte
Thurm auf der Vierung unter-
Saint Urbaiii in Troyes. ]09
blieben. In diesem Zustande erhielt die Kirche im Jahre 1389 die "Weihe i).
Die Aufgabe war in doppelter Beziehung eine schwierige; einmal weil es
galt im ziemhch beschränkten Räume (die Gesammtlänge ist 165 Fuss) etwas
Grossartiges, ein des Oberhauptes der Christenheit würdiges Denkmal zu
schalten, dann aber durch das Material, weil die nähere Umgebung von Troyes
nur schlechten Bruchstein bot, und der einzige, bei damaligen Transport-
mitteln erreichbare gute Kalkstein in langen und breiten, aber dünnen Platten
bricht, die sich wohl zu zierlichen Durchbrechungen, aber nicht zu vollen
Formen eigneten. Der Architekt, wie die Urkunden ergeben ein sonst unbe-
kannter Bürger von Troyes, Johannes Anglicus-), war aber ein Mann, der
auf der Höhe seiner Kunst stand, und diesen Schwierigkeiten zu begegnen
wusste. Der Grundriss ist höchst einfach*, ein dreischiffiges Langhaus in
den damals gewöhnlichen Verhältnissen des Pfeilerabstandes und der Seiten-
schiffe zur Mittelschiffbreite, aber von nur drei Jochen, das Kreuzschiff
nicht über die Flucht der Seitenschiffe hinaustretend, der Chor ohne Umgang,
in fünf Seiten des Achtecks geschlossen und von zwei ähnlichen Nischen
der Seitenschiffe tiankirt. Indem der Meister hierdurch den Vortheil erlangte,
dass die hergebrachten Abtheilungen freilich in massiger Zahl, aber in an-
sehnlichen Verhältnissen erschienen; kam es dann weiter darauf an, ihnen
durch ihre Ausstattung den Charakter des Reichen und Bedeutenden zu geben.
Er erreichte dies hauptsächlich dadurch, dass er die Beleuchtung möglichst
steigerte und durch eine ungewöhnliche Fülle von Maasswerk belebte. Die
Wände des Chors sind in dieser Weise mit Ausschluss des soliden, etwa
10 Fuss hohen Mauersockels ganz durchsichtig gebildet. Zwischen diesem
Sockel und den grossen, dreitheiligen Oberlichtern ist nämlich ein der Mauer-
dicke entsprechender überwölbter Laufgang angebracht, der sich nach innen
1) Eine genaue Geschichte der interessanten Kirche exislirt niciit, obgleicii in den
„Archives iiistoriques du Dep. de l'Aube" noch zaldreiche Urkunden vorhanden sind.
Auszüge aus denseiljen bei Inlversley in dem oben Bd. IV. S. 487 citirten Weriie, zu
welciien Adler in der deutsclien Bauzeitung, Jahrg. IV. (1870), S. 417, wie es sclieint
nach eignen ardiivaiischen Studien, einige Zusätze giebt. Zaidreiciie, aber freilicii ver-
einzelte Abbildungen und technische Bemerkungen verdanken wir Viollet-le-Duc. Vgl.
Dict. IV. 182— 192 (Grundriss und Details), V. 396 (Fensterbildung der Seitenschiti'e),
VI. 330 (Überlichter des Chors), VII. p. 171 (Pfeilerbildung), VII. 427, 453 (Bildung
der westlichen Portale), VII. 301, IX. 237 tt'., I. p. 80 (Anlage der Vorhallen an den
Kreuzschiffen). II. 83. Balustrade.
-) Nach den bei Inkersley a. a. 0. abgedruckten Urkunden war er im Jahre 1267
abgesetzt (Johannes Anglicus civis Trecensis — quondam magister Fabrice ipsius
ecclesiae sancti Urbani) und sollte zur Rechnungslegung über die erhobenen Gehler
angehalten werden. Wie Adler (,a. a. 0. S. 417, Note 155) ohne Zweifel auf Grund
der eingesehenen Urkunden versichert, war dies indessen nur die vorübergehende Ein-
wirkung einer Intrigue und er trat später wieder in sein Amt ein.
J \Q Französische Gotliik.
ZU mit einer triforienartigen Arcatur öffnet, nach aussen aber durch ein
grosses rechtwinkeliges, aus drei mit Spitzgiebeln bekrönten Bögen bestehen-
des Fenster bildet. Da hier das äussere und innere Maasswerk verschiedene
Zeichnung haben, da dann ferner das Oberlicht nicht wie diese Triforienw^and .
am äussern, sondern am inneren Rande der Mauer steht, und äusserlich durch
«inen zwischen den Strebepfeilern aufsteigenden spitzbogigen Rahmen be-
kleidet ist, der dann als Spitzgiebel in die Balustrade des Daches hinein-
wächst, so giebt das Ganze sowohl äusserlich wie innerlich ein durch den
Wechsel beleuchteter und beschatteter Stellen sehr reiches und pikantes
Bild. In ähnlicher Weise ist auch in den Seitenschiffen des wie erwähnt
unvollendeten Langhauses den Fenstern die möglichst grösste Ausdehnung
und eine reiche Maasswerkbildung verschafft, und überall sehen wir den
Meister mit grossem Geschick aber auch mit einer rücksichtslosen Consequenz
die Vortheile erschöpfen, welche ihm die genauere Kenntniss der construc-
tiven Gesetze des Styls verschaffte. Auf allen Punkten sehen wir ihn da über
seine Zeitgenossen hinausgehen. Der Meister, welcher unter Ludwig IX. die
Abteikirche von St. Denis herstellte, hatte dem Pfeiler eine Gestalt gegeben,
welche ohne den Gedanken einer selbstständigen Stütze auszuschliessen, seine
■Gliederung mit der des darauf ruhenden Gewölbes in Uebereinstimmung
brachte. Unser Meister fasste diese letzte Rücksicht ausschliesslich ins
Auge, und suchte dem Pfeiler genau die Gestalt und Ausdehnung zu geben,
welche den von ihm aufzunehmenden Gewölbtheilen entsprach. Die Dienste
treten daher vereinzelt hervor, und die Seiten der zu Grunde liegenden
rautenförmigen Gestalt bilden eine weiche concave Linie. Von einem das
Ganze umfassenden Kapitale ist schon bei den Pfeilern des Chors, die jeden-
falls der ersten Bauzeit angehören, abgesehen; sie haben nur an den drei
Diensten der Seitenschiffe kleine Blattkapitäle. Bei den Pfeilern des Lang-
hauses, die freilich schon im 14. Jahrhundert entstanden sein werden, sind
auch diese fortgeblieben. Noch auffallender zeigt sich die Richtung dieses
talentvollen Meisters an anderer Stelle. Ausser den drei Portalen der West-
seite, von denen das mittlere plastisch geschmückt ist, befinden sich auf den
beiden Fa^aden der Kreuzschiffe Eingänge, jeder aus zwei, durch einen
breiten Mauerpfeiler getrennten, und von einem spitzbogigen Maasswerk-
fenster bedeckten Thüren bestehend. Offenbar um ihnen grössere Würde
zu geben, ist nun vor jedem dieser Portale eine kleine, baldachinartige Vor-
halle angebracht, welche (den beiden Thüren entsprechend) aus zwei an-
einanderstossenden, auf drei Pfeilern ruhenden Kreuzgewölben besteht.
Statt nun aber diesen Stützen die dazu nöthige (an sich keineswegs bedeu-
tende, aber in dem vorhandenen Materiale vielleicht schwer zu erlangende)
Stärke zu geben, sind sie unglaublich schlanke steinerne Stangen ohne Kapital,
die an sich nicht haltbar sein oder doch Besorgnisse erregen würden. Dafür
Saint Urbain iu Tioyes. Hl
ist dann aber in der Entfernung einiger Schritte von jeder dieser Stützen
«in freistehender, ziemlich starker Strebepfeiler gewöhnlicher Form errichtet,
welcher bloss den Zweck hat durch einen von ihm ausgehenden Strebebogen
jenem zeltartigen Bau Haltung zu geben. Hier ist es dann sehr augenschein-
lich, dass unser Meister die Grenzen der Schönheit tiberschritten und sich
dem gefährlichen Spiel mit technischen Kunststücken und überraschenden
Effecten zu sehr hingegeben hat. Aber auch jene anderen oben erwähnten
Keuerungen, die einseitige Consequenz bei der Pfeilerbildung, die Vermehrung
der Maasswerkformen und Anderes sind bedenkliche Erscheinungen und
zeigen wie leicht der gothische Styl vermöge seines festen nnd durchgreifen-
den constructiven Princips die eigentlichen Ziele der Kunst aus dem Auge
verlieren und zu handwerklicher, äusserlicher Berechnung und bloss sinn-
licher Eleganz herabsinken konnte. Die Provinz, welcher unsere Kirche
und ihr Baumeister angehörte, die Champagne, zeichnet sich überhaupt durch
frühe und kühne Entwickelung der gothischen Formen aus, und unser Meister
war gewiss ein Manu von Genie, der die Consequenzen aus den erlangten
statischen Erfahrungen mit ungewöhnlicher SchneUigkeit und Schärfe zu
ziehen und bis au ihre äusserste Grenze zu verfolgen wusste. Aber schon
bei ihm litt dadurch das eigentlich künstlerische Gefühl, der feine Takt,
welcher durch die Verhältnisse im Grossen und durch die kräftige Charak-
terisirung der einzelnen Glieder in ihrer selbstständigen Bedeutung die eigent-
lich künstlerischen V^'irkungen erreicht. Man hat von ihm gerühmt, dass er
seinen Zeitgenossen, namentlich den IMeistern von Paris, um fünfundzwanzig
Jahre voraus gewesen, und das ist in der That richtig, ja vielleicht noch
nicht genug gesagt. Allein das heisst nur, dass die Vorzeichen des Verfalls,
der etwa fünfzig Jahre nach ihm in Frankreich fast überall eintrat, sich bei
ihm zuerst zeigten^).
^) Die Architekten sind leicht von dem Scharfsinn und der technischen Sicherheit,
welche dieser Bau erkennen lässt, so liingenommen, dass sie für seinen Urheber nur
Bewunderung und Lobsprüche haben. Namentlich ist dies der Fall bei Adler und in
gewissem Grade bei VioIlet-le-Duc, dessen rühmende Aussprüche jener a. a. 0. zu-
sammenstellt. Allein wenn dieser auch den Meister von St. Trbain als einen genialen
!\Ienschen (IV. 183), seine Kirche als ein Meisterstück der Steinconstruction (IV. 192),
bezeichnet und ihm einen 25j;ihrigen Vorsprung vor seinen Collegen zuschreibt (MI.
195), so unterlässt er nicht dies Lob näher zu bestimmen und zu beschränken. Ein
Meisterstück nennt er die Kirche „comme compositiou architectonique" also nicht unbe-
dingt; bei einer einzelnen Anordnung, die er in technischer Beziehung rühmt, fügt er
ausdrücklich hinzu, dass sie „vom künstlerischen Staudpunkte aus unerfreulich" sei
(fächeuse au point de rue de l'art. II. 83). Die vereinzelten Strebepfeiler an den Vor-
hallen der Kreuzarme tadelt er (VII. 300) als ganz ungehörig, und bei Beschreibung
des westlichen Hauptportais ereifert er sich darüber, dass man nach solchen ganz
liübschen, aber des Styls und der Grossartigkeit entbehrenden Compositioneu die
122 Französisclie Gothik.
Nicht alle Meister waren indessen so kühn und so neuerungssüchtig
wie dieser, und neben diesen Bauten, welche ich zusammengestellt habe um
ein Bild der fortschreitenden Ent Wickelung zu geben, wurden unzählige
andere unternommen. Der Bischof von Auxerre wurde nach der Bemerkung
eines Chronisten im Jahre 1215 zum Neubau des Chors seiner Kathedrale
dadurch bestimmt, dass er von Erneuerung der Kathedralen an allen Orten
hörte, und dies Gerücht war, wenigstens wenn man es auf den ganzen Um-
fang unserer Epoche bezieht, volle Wahrheit. Fast keine Kathedrale blieb
unverändert, an den meisten wurden umfassende Neubauten vorgenommen.
Einige Daten, sämmtlich aus den Provinzen, die ich in diesem Kapitel im
Auge habe, mögen hier noch zusätzlich eine Stelle finden. An der romani-
schen Kathedrale zu Cambray^) wurde von 1230 bis 1251 der neue
Chor nach dem Plane des Villard de Honnecourt, von dem ich weiter unten
zu sprechen habe, im engen Anschluss an N. D. zu Rheims, gebaut. Die
Kathedrale zuChälons an der Marne brannte im Jahre 1230 ab und wurde
in gewaltigen Dimensionen neu begonnen, jedoch erst 1399 vollendet. Theile
des Chors, der ursprünglich einfach polygon schloss und erst später Umgang
und Kapellenkranz erhielt, sowie die westlichen Pfeiler stammen noch aus
dieser Epoche, der grössere Theil des glänzend ausgeführten Gebäudes ge-
hört der folgenden an-). Die Kathedrale St, Gatien zu Tours wurde schon
im Jahre 1168 uurch Brand beschädigt; von 1170 bis 1266 wurden Chor und
Kreuzschiif vollendet. Es ist eine sehr schöne Anlage, mit reicher Chorent-
wickelung und durchsichtigem Triforium, bei massigen Dimensionen von
grösster Sorgfalt und Vollendung ='); die Formen zeigen genau dieselbe Be-
handlung wie die in Folge der Beschädigung durch einen Stürm im Jahre
1224 neu erbaute Abteikirche St. Julien derselben Stadt, kantonirte Säu-
len mit stumpfen Spitzbögen und schweren Profilen, so dass beide Bauten
wohl erst um 1230 — 1240, freilich aber in einem noch etwas alterthüm-
lichen Styl entstanden sein werden*).
gotliisclie Architektur beurtheile (VII. 429). Wenn auch Inkersley sicl> überaus günstig
über diese Kirche äussert, so erklärt sich dies theils aus dem eiiglischeu Geschmack
überhaupt (wie ihn die englische Gothik zeigt) theils daraus, dass er den Styl derselben
von vornherein als ,,decorated" bezeichnet und nun überall nur fragt, in wie weit sie
seinen ßegrirt'en von diesem englischen Style entspreche.
1) 1796 abgebrochen. Nach dem Berliner Modell, wie erwähnt, mit dem Album
des Villard de Honnecourt von Lassus publicirt.
-) Der ursprüngliche Gruiidriss bei VioUet-le-Duc, II. p. 353.
^) Grundriss bei Viollet-le-Duc, II. p. 344.
*) St. Julien zeigt in allen Theilen gleichen frühgothischen Styl und dieser Umstand
unterstützt mehr als die im Bull, monum. Vol. III. p. 279 beigebracliten sehr dunklen
Inschriften die Aimaiime, dass die ganze Kirche nach jen^m Umfalle neu erbaut sei
Ausgedehnte Bauthätigkeit. 113
Zu diesen Kathedralbauten kam dann eine noch grössere Zahl von
Kloster- und Pfarrkirchen, welche nach urkundlichen Nachrichten oder nach
dem Zeugnisse der Formen in dieser Epoche entstanden sind, dann die un-
zähligen kleineren Denkmäler, welche der Frömmigkeit oder dem Reichthume
der Stifter ihre Entstehung verdankten, Grabmonumente, Betsäulen am Wege
und Aehnliches, besonders aber die Stiftungen von Altären und anderen
Gegenständen des Cultus in den Kirchen selbst, und endlich die kirchlichen
Nebengebäude, Kreuzgänge, Kapitelhäuser, Refectorien und andere Säle, von
denen wir, ungeachtet grade hier die Revolution und die veränderten kirch-
lichen Verhältnisse den Abbruch sehr viel häufiger herbeigeführt haben als
bei den Kirchen selbst, noch sehr schöne Beispiele aus dieser Epoche be-
sitzen. Der Kreuzgang an der Kathedrale von Laon gehört dem Anfang
des XIII. Jahrhunderts an und entspricht in seinen strengen Formen der
Kathedrale, an deren Südseite er sich lehnt ^). Entwickelter sind die Kreuz-
gänge der Kathedrale von Noyon-) und von St. Nicaise in Rheims. Der-
jenige von Saint-Jean-des-Vignes zu Soissons •^), mit seinen grossen vier-
theiligen Oeti'nungen, dem prächtigen Maasswerk, den zahlreichen Säulen, die
auch den unteren Theil der Strebepfeiler schmücken, vertritt die höchste
Blüthe des Styls. In Laon ist der wesentlich im 13. Jahrhundert errichtete
erzbischöfliche Palast als Palais de Justice erhalten-^). InSens ist kürzlich
der Synodalsaal des Erzbisthums hergestellt worden, der, gegen Mitte des
Xlir. Jahrhunderts unter Ludwig dem Heiligen errichtet, schon 1263, durch
Einsturz des Südthurms der Kathedrale, schwere Beschädigungen erlitt. Der
Saal, welcher das ganze obere»Stockwerk füllt, gross genug um die 800 Welt-
priester der Diöcese zu fassen, ward in Kreuzgewölben, die sich ohne mittlere
Säulen von Wand zu Wand spannen, überwölbt. Ander westlichen Hauptfront
öffnen sich sechs viertheilige Fenster mit Maasswerk, an der schmalen Süd-
front sind zwei solche Fenster zu einer Gruppe verbunden, die ein breiter
Rundbogen überspannt. Die Strebepfeiler sind mit Bildwerken und Fialen
geschmückt. Ein Zinnenkranz und vier Eckthürmchen bilden die Krönung^).
Wahrsclieialicli hatte auch die bis dahiu uuvoUeudet gebliebene Kathedrale ebenfalls
durch jenen Sturm gelitten.
1) Viollet-le-Duc, Bd. III, Artikel cloitre, S. 428 f., mit Abbildung. — Archives
de la comm. des mon. hist.
■-) Abbildungen a. a. 0., S. 442 f.
3) Abbildungen a. a. 0., S. 444 f.
■*) Yerdier et Cattois, archit. civile et domestique, ßd. II. Vgl. aucli M. G. Boult,
Excursion ä ]Soyon, äLaon et a Soissons, mit Holzschnitten, im Bulletin monumental,
vol. 34, 1868.
3) Publicirt, mit Text, in den Archives de la comm. des monuments historiques. —
Vgl. auch Viollet-le-Duc, Bd. VIII, S. 74 tt"., mit Abbildungen.
Schnaasse's Kunstgesch. 2. Aufl. V. S
J24 Franzusische Gothik.
Von Hospitälern nennen wir den grossen dreischiffigen Saal, der zur Abtei
von Ourscamp gehört, und in dem die gothischen Formen noch mit Motiven
der romanischen Zeit gemischt sind^); dann das kleinere Hospital in Brie-
sur-Yeres, ein eleganter Bau aus dem Ende des XHL Jahrhunderts -).
Aber auch an weltlichen Bauten begnügte man sich nicht mehr mit den
hergebrachten, einfachen und schwerfälligen Constructionen. Die Schlösser
der Grossen, so bescheiden auch noch die Ansprüche an Bequemlichkeit und
Luxus waren und so sehr der Zweck kriegerischer Befestigung vorherrschte,
nahmen elegantere und imposante Formen an. Als hervorragende Beispiele aus
der Zeit erwähnen wir die im 17. Jahrhundert verwüstete Burg vonCoucy-^)
und von städtischen Palästen das Grafenschloss in Poitiers, von welchem
noch der grosse Saal und in dessen Nähe der Donjon bestehen, bei dem be-
reits der festungsartige Charakter gegen die fein ausgebildete Fensterarchi-
tektur und die Bildwerk-Decoration zurücktritt^). Von dem mittelalterlichen
Königspalast in der Cite von Paris, auf der Stelle des jetzigen Palais de
Justice, sind ausser der Sainte-Chapelle aus der Zeit Ludwigs IX. nur wenige
Beste erhalten. Der grösste Theil der Gebäude, aus denen er ehemals be-
stand, gehörte erst dem 14. Jahrhundert an'^). Aber auch die schlichten
Bürger der Städte verwandten ihre Ersparnisse, um das Aeussere ihrer
Häuser mit Säulen und Bögen zierlich schmücken zu lassen, wovon sich in
Frankreich noch manche Beispiele, vielleicht schon aus dem zwölften Jahr-
hundert, erhalten haben *^}. Die Sitte der Anlegung offener Gänge in den
unteren Stockwerken der Häuser, der Lauben wie man sie in gewissen Ge-
genden Deutschlands nennt, in denen die Vorübergehenden Schutz gegen
üble Witterung fanden und die dem Verkehr dienten, wurden ein Mittel zu
regelmässigerer Construction der Häuser. Bis zu welchem Reichthum der
Decoration sich mitunter der Privatbau im XHL Jahrhundert erhebt, be-
weist das Haus der Musikanten in Rheims, so genannt wegen der Sta-
tuen von Spielleuten in den Nischen des oberen Stockwerks "•). Auch blosse
Nützlichkeitsbauten, wie Pachthöfe und Scheunen, wurden wenigstens mit
solcher Solidität erbaut, dass sich mehrere derselben bis auf unsere Tage
1) Archives de la comm. des mouunieiit historiques. — "\'erdier et Cattois, B. II.
") Verdier et Cattois. B. II.
•') VioUet-le-Duc, Artikel Chäleau, Bd. III. p. 107 ff., mit Abbildungen.
*) VioUet-le-Duc, Artikel Palais, VII. p. 10 fE., mit Abbildungen. — Verdier et
Cattois, Bd. II. — Obwohl in einer schon südlicheren Provinz gelegen, hat das Schloss
von Poitiers doch entschieden den Charakter der nordfranzösischen Architektur.
•'■>) Viollet-le-Duc, a. a. 0., p. 4. ff'.
«) Vgl. Viollet-le-Duc, Artikel maison, Bd. VI, S. 214—300.
') Verdier et Cattois, Bd. I.-, Viollet-le-Duc, Bd. VI, S. 236 f.
Ausgedehnte Bautliätigkeil. 115
erhalten haben, und uns noch den Adel der Form zeigen, der dieser Epoche
zur anderen Natur geworden war^).
Der Geist dieser Schule war vor allem ein eifriger Geist, der rasch
zum Ziele strebte und sich bei Kleinigkeiten nicht lange aufhielt. Man baute
schnell; die Sainte-Chapelle von Paris, obgleich von nicht unbedeutendem
Umfange und mit dem reichsten plastischen Schmucke ausgestattet, ist in
acht Jahren vollendet; andere einfachere Bauten, Klöster, Schlösser und der-
gleichen, sind, wie ein Sachverständiger an ihrer Ausführung sehen kann, mit
wahrer Uebereilung errichtet-). Grössere Unternehmungen stockten zu-
weilen wegen des Ausbleibens der Mittel, aber so lange man arbeitete schritt
das Werk auch rasch vorwärts. Daher ist denn auch die Ausführung mit
Ausnahme einiger sorgfältiger behandelten Gebäude, namentlich der Kathe-
drale zu Rheims so wie der Sainte-Chapelle und einiger Theile der Kathe-
drale zu Paris, meistens eine ziemlich nachlässige. Mau denkt sich die
Künstler des Mittelalters gewöhnlich als bescheidene, fleissige Handwerker,
welche ihr Werk geduldig und mühsam zu Ende führen; die Architekten
dieser französischen Schule waren ganz anderer Art. Ihr Bestreben war auf
Förderung des neuen Constructionssystems und auf Erfindung harmonischer,
wirkungsvoller Details gerichtet; sie waren in einen Wetteifer des Erfindens
gerathen, der ihnen keine Ruhe Hess. Jeder Meister, der neu an ein be-
gonnenes Werk herantrat, glaubte sich berufen, das Neueste und Beste zu
geben, selbst wo sein Vorgänger ganz andere Wege eingeschlagen hatte,
selbst auf Kosten der Symmetrie, wie dies die ganz abweichende Gestalt der
beiden Kreuzarme der Kathedrale von Soissons als auffallendes Beispiel
beweist.
Aber dieser Eifer hat das Gute, dass er allen Arbeiten dieser Meister
das Gepräge individueller Frische und eines regen geistigen Lebens giebt,
dass jedes Gebäude ein neues Interesse hat, dass keines leer und langweilig
wird. Ihr Blick war zunächst auf das Constructive gerichtet, aber auch den
Schmuck vernachlässigten sie in keiner Weise, und ihre immer rege Phantasie,
verbunden mit der Uebung im Erfinden und mit der Gewandtheit der Aus-
führung, verstattete ihnen hier einen Reichthum, dessen kein anderer Styl
sich rühmen kann. Zunächst gingen sie dabei von dem sehr richtigen Grund-
satze aus, das Ornament aus den constructiven Gliedern zu entwickeln; sie
verdankten diese Regel der strengen Schule vom Anfange dieses Jahrhun-
derts, welche in dem ersten Eifer der Erfindung nur an die Herstellung des
Constructionssystems gedacht und dadurch einen gewissen ernsten Schmuck,
1) So aii dem der damaligen Abtei Marmoutier gehörigem Pachihofe von Meslay.
in der Nähe von Tours, Verdier und Cattois a. a. 0.
2) Wie dies als glaubhaftester Zeuge ViolIet-le-Duc, I. S. 152 bekundet.
Jlß Französische Golhik.
ohne ihn zu suchen, erlangt hatte. Sie fuhren aber auf diesem "Wege fort
indem sie nichts was nöthig oder nützlich war, verbargen, es aber überall
so gestalteten, dass es die Function des bestimmten Gliedes oder Theiles
lebendig und mit einem Anklänge an organisches Leben aussprach. In dieser
Weise entstanden alle die Formen, welche dem gothischen Bau einen so un-
vergleichlichen Reichthum geben; das Maasswerk der Fenster und Bogen-
reihen, die Fialen der Strebepfeiler, die Triforien, sie alle sind nicht blosse
Zierde, sondern zugleich nützlich. Selbst die phantastischen Thiergestalten^
welche von den Dächern der Kirchen in die Luft hinausragen, sind nichts
als ein zweckmässiges Mittel, um das Regenwasser in genügendem Abstände
von den Mauern herabfallen zu lassen, und so wurde denn auch sonst alles
Nützliche, bis auf den Eisenbeschlag der Thüren herunter, in einer Weise
ausgeführt, dass es zur Zierde gereichte. Die Menge statischer und kirch-
licher Bedürfnisse bildete unmittelbar den Reichthum des Schmuckes. Aber
neben dieser Aveisen Berücksichtigung des J^ützlichen machte sich auch das
höhere Princip der Ornamentik, welches schon aus dem Wesen architek-
tonischer Schönheit folgt und daher in allen Systemen mehr oder weniger
anerkannt ist, hier vorzugsweise und mehr als in anderen Stylen geltend.
Keine Stelle sollte leer, keine bloss lebloses Mittel zum Zwecke sein, jede,
wenn sie auch an sich selbst keine individuelle Leistung hatte, doch durch
ihre Gestalt andeuten, dass sie ein Theil eines lebensvollen Organismus sei.
Deshalb wurden denn auch die Mauerflächen, obgleich sie in dem Systeme
des gothischen Styls nur eine passive Bedeutung hatten, decorativ belebt.
In der romanischen Architektur, namentlich in Frankreich, hatte man am
Fuss der Wände im Inneren häufig eine Arcatur angebracht, welche stark
vertieft zur Verringerung der Mauermasse oder zur Unterstützung der Fenster-
brüstung wirkliche Dienste leistete. Im gothischen Style behielt man sie mit
flacherer Ausarbeitung aber mit reicherem Schmuck bei, obgleich sie bei
der geringen Stärke der Mauer entbehrlich war. Sie hatte daher hier nur
den ästhetischen Zweck, das Princip des Aufsteigens und Wölbens schon
von Boden auf und gleichsam im Keime darzustellen. Aus diesem Principe
entwickelte sich dann auch einerseits der grösste Theil des Fagadenschmucks,.
andererseits aber als feinste Aeusserung des Gefühls die Profilirung, in
welcher anfangs der Rundstab, die Aeusserung kräftiger Bogenschwingung,.
später die weiche, birnförmige Linie, als der Ausdruck organischen Lebens,
in verschiedenartiger Weise vorherrschte.
Bei der allgemeinen Theilnahme, welche der neue Styl erweckte, war
die Stellung der Künstler in dieser Gegend natürlich eine andere geworden
wie bisher. Sie gehörten jetzt, wie wir wissen, meistens dem Laienstande
an. Zwar kam es noch immer vor, dass Klosterbauten ganz von Geistlichen
und Mönchen geleitet und ausgeführt wurden. In der Abtei N. D.-des-Dunes
Stellung der Küustler. 117
in Flandern vermochten sechs aufeinanderfolgende Aebte von 1221 bis 1263
den Bau selbst zu führen und ihn, obgleich sie zuweilen 400 Personen
brauchten, bloss mit Hülfe ihrer Mönche, Laieubrüder und Dieustleute zu
vollenden 1), und an der Abtei von Roj'aumont, deren Plan wahrscheinlich
von einem der Meister im Dienste des Königs entworfen sein mochte, ver-
richteten die Mönche wenigstens die körperliche Arbeit, wie dies die oben
erzählte Anekdote über die Theilnahme Ludwigs IX. an diesem Bau be-
weist. Ueberhaupt kann man es fast als gewiss ansehen, dass der Cister-
€ienserorden, welchem beide Klöster angehörten, in seinem Schoosse noch
immer eine Schule von Bauverständigen '-) erzog, über welche ich später aus-
führlicher sprechen werde. Es lag also nicht an dem Willen oder der Träg-
heit der Geistlichen, wenn sie die Baukunst weniger übten, sondern in den
höheren Ansprüchen, welche die Kunst machte. Die schlichten Hand-
werker, welche an weltlichen Bauten gearbeitet hatten und auch wohl von
den Geistlichen zur Aushülfe herangezogen waren, hatten sie überflügelt;
hatten sich zu wahren Künstlern ausgebildet, erfanden, wo sie bisher nur
dienend ausgeführt hatten, brachten Bauten von solcher Schönheit, Conse-
■queuz und Solidität hervor, wie man sie bisher nicht gekannt hatte, und
gabtn allmälig die Ueberzeugung, dass die Baukunst nicht aus Büchern
und nebenher zu erlernen sei, sondern Männer erfordere, welche sie zu ihrem
Lebensberufe gemacht hatten. Neuere Schriftsteller^) haben diesen Ueber-
gang der Baukunst aus den Händen der Geistlichkeit in die der Laien und
den gothischen Styl selbst als eine Säcularisation der Kunst, als einen Sieg
der Freiheit über die Hierarchie betrachtet. Allein die Auffassung in jener
Zeit selbst Avar eine ganz andere; die Würdenträger der Kirche, die Bischöfe
und Aebte und der fromme König Ludwig gingen in der Begünstigung des
neuen Styls voran, und selbst die Cistercienser, obgleich sie die Pracht
desselben verschmähten, beförderten seine Verbreitung, indem ihre einfachen
Bauten nicht bloss den Spitzbogen, sondern überhaupt die constructiven
Tendenzen des neuen Styls frühzeitig in Gegenden brachten, wo er noch
unbekannt war. Aber wohl bewirkte er eine Emancipation der Kunst als
solcher, verlieh ihr Selbstbewusstsein und eine bisher unbekannte Freiheit
des Handelns. Der romanische Styl war gewissermaassen ein Naturproduct,
\ou localen Vorbildern, klimatischen Bedingungen und individuellen Zu-
^) Ant. Sanderüs Flaudria illustr. 1. 4. c. 1, bei Felibien, Recuei! historique de la
vie des plus celebres architectes. Paris 168,7, P- 213.
2) Obgleich, wie das unteu zu erwähnende Manuscript des Villard de Honuecourt
zu ergeben scheint, auch bei ihnen Architekten aus dem Laienstande concurriren
durften.
^) Daniel Ramee, Hist. de l'arch. II. p. 134.
]28 Französische Golhik.
fälligkeiten abhängig gewesen. Jetzt dagegen entstand ein Styl, der auf der
herrschenden Sinnesweise des Zeitalters, zugleich aber auch auf statischen
und ästhetischen Principien beruhete und die Ueberzeugung seiner allge-
meinen Anwendbarkeit gewährte. Die Kunst war als solche erstanden, sie
war nicht mehr an die Scholle gebunden, sie wurde die Aufgabe eines eigenen
Standes, dessen Jünger nach allen Seiten hin forschten und strebten, ihr-
Gefühl übten und kräftigten, nach den geeigneten Mitteln suchten. Zu diesen
Mitteln gehörte vorzugsweise die besser ausgebildete Zeichnung. Ohne Zweifel
wird man auch in der romanischen Epoche mehr oder weniger Plane und
Details gezeichnet haben; der Plan von St. Gallen aus dem neunten Jahr-
hundert giebt den frühesten Beweis. Aber sehr weit war man darin noch
nicht gekommen, jedenfalls diente die Zeichnung nur den gelehrten Leitern
des Baues, nicht den Werkleuten. Jetzt ging sie von diesen aus, wurde das
Mittel ihrer Belehrung und der Ausführung selbst, verband Meister und
Gesellen zur gemeinsamen Arbeit. Grosse Planzeichnungen aus dieser Zeit
sind zwar äusserst selten^), die in den Bauhütten von Strassburg und an
anderen Orten bewahrten, stammen aus dem vierzehnten und fünfzehnten
Jahrhundert-). Aber man darf nicht zweifeln, dass auch die Arbeiter des
dreizehnten Jahrhunderts sich schon nach Zeichnungen richteten. An der
Kathedrale von Limoges hat man auf den Fliesen, welche die Gewölbe der
Seitenschiflte decken, Zeichnungen von Pfeilern und allerlei Einzelheiten ge-
funden, nach welchen die Werkleute bei dem Aufbau des Oberschiffes ver-
fahren sollten-^}. Man bediente sich ihrer also statt des Papiers, wo dasselbe
seiner Grösse nach nicht ausreichte. Sehr viel anschaulicher aber lernen
wir die Studien dieser Meister aus einem in seiner Art einzigen Documente
kennen, das, aus der Abtei von Saint-Germain-des-Pres herrührend, in der
Bibliothek von Paris entdeckt ist, aus dem Manuscript des Villard de
Honnecourt, eines strebenden Architekten aus der ersten Hälfte des drei-
zehnten Jahrhunderts^). Es ist kein systematisches Werk, sondern ein
1) Die einzige Ausnahme bildet die Zeichnung-, welche in der Bibliothek von
Rhfinis und zwar als Palimpsest gefunden ist, indem man sie zu einem etwa 1270 ge-
schriebenen Necrologium benutzt hatte, wodurch denn auch ihr Alter feststeht. Die
Zeichnung stellt eine reiche Facade dar, ist jedoch in den Details nicht ausgeführt.
Diese Benutzung des Pergaments der entbehrlich gewordenen Zeichnungen erklärt voll-
kommen ihre Seltenheit. Vgl. den Bericht über diesen Fund und ein verkleinertes
Facsimile der Zeichnung in Didron Annales archeologiques. Vol. 5. p. 87.
-) Viollet-le-Duc, (Dict. I. p. 113) will unter den Plänen zu Strassburg auch einige
aus dem Xlil, Jahrhundert bemerkt haben, indessen bedarf dies näherer Untersuchung.
'') Annales archeol. VI. 139. Sie sind vom Ende des 13. oder Anfang des 14.
Jahrhunderts. — Viollet-le-Duc, II. S. -478.
^) Eine ziemlich ausführliche Nachricht über das „Album" des Villard giebt Jules
Quicherat in der Revue archeologique. Vol. VI. (1849) p. G5, 164, 209 und nach ihm
Villard de Honnecourt. 119
Skizzenbuch, wie unsere Künstler es noch jetzt führen, in das der Besitzer
eigene Erfindungen, Studien nach Kunstwerken und nach der Natur, auch
wohl gelegentlich andere Notizen eintrug. So findet sich hier zwischen Zeich-
nungen aller Art ein Recept zur Heilung von Verwundungen, eine Anleitung
zum Trocknen von Blumen, eine fabelhafte Erzählung über die Zähmung des
Löwen und Aehnliches. Dennoch hat er es später im Bewusstsein der Nütz-
lichkeit seiner Aufzeichnungen für den Gebrauch Anderer bestimmt. In
einer Art von Vorrede auf dem zweiten Blatte begrüsst er diejenigen, welche
das Buch gebrauchen wollen, bittet sie für seine Seele zu beten und seiner
zu gedenken, und bemerkt, dass sie darin wichtigen Rath über die Dauer-
haftigkeit des Mauerwerks und für die Anlegung von Gerüsten, sowie An-
leitung zum Zeichnen nach den Regeln der Geometrie finden würden i). Er
begleitet die Zeichnungen mit Beischriften in französischer Sprache, denen
manchmal eine lateinische Uebersetzung beigefügt ist. Aus ihnen entnehmen
wir zunächst Einiges über seine Person. Wilars de Honecort nennt er
sich selbst, seine Heimath ist also das Dorf Honnecourt an der Scheide, in
der Picardie, nahe bei Cambray. Es geht aus dem Buch hervor, dass er an
dem Chor der Kathedrale von Cambray, der, wie wir wissen, 1230 begon-
nen, 1251 vollendet wurde, gearbeitet hat; er giebt den Grundriss für den-
selben 2), und bemerkt dabei, später im Buche werde man auch den Aufbau
des Innern und des Auesseren finden, ebenso die Anlage der Kapellen, der
Mauern, der Strebebögen. Solche auf Cambray bezügliche Aufrisse finden
sich nun freilich nicht, wohl aber kommt bei den Studien nach der Kathe-
drale von Rheims eine Aeusserung vor, welche annehmen lässt, dass er bei
dem Chorbau von Cambray beschäftigt war. Es heisst nämlich bei Gelegen-
heit einer Zeichnung der zu Rheims befindlichen Kapellen: „So sollen die
die Wiener ßauzeitiing 1849, S. 309 tt'. Ich folge indessen auch eigener Anschauung.
Seitdem ist ein Fasimile des ganzen Buches , mit werthvollen Beigaben und ausführ-
lichem Text erschienen, welches der Architekt Lassus kurz vor seinem Tode vorbereitet
hatte: Album de Villard de Honnecourt, architecte du Xlllme siede, manuscript public
en fac-simile annote etc. etc. par J. B. Lassus etc. , ouvrage mis au jour apres la
mort de M. Lassus et conformement ä ses manuscripts par Alfred Darcel. Paris 1858.
^) Car en cest Hure puet on trouer graut consel de la grant force de niaconerie
et des engiens de carpenterie et si troueres la force de le porfraiture les trais ensi
come li.ars de jometrie les comaude et ensaigne.
'-) Vesci lesligement del chauet medame Sainte marie de canbrai; ensi com il est
de tierre. avant ea cest liure en trouueres les montees dedens et de hors. et tote le
maniere des capeles et des plains pans autresi. et li maniere des ars boteres. — Der
Grundriss des ausgeführten Bauwerks, wie solcher der Publication von Lassus beige-
geben ist (s. ob. 46) stimmt mit Villard's Entwurf bis auf eine kleine Abweichung,
welche die Anlage eines Treppenthiirmchens nöthig machte.
120 Französische Gothik,
von Cambray werden ; wenn man sie vollendet i). Das beweist, dass er diese
Studien gemacht hat, um sie bei dem eigenen Werke zu verwerthen. Er ist
in vielen Ländern gewesen, en mult de tieres^ Avie er an einer anderen
Stelle sagt. Er giebt zwar nur Zeichnungen aus den Kirchen von Laon,
Rheims, Chartres, Meaux und Lausanne; er war aber viel weiter. Bei einer
Studie nach dem Triforium von Rheims führt er an, dass, als er sie ge-
macht habe, er nach Ungarn berufen worden-), an einer anderen Stelle
erwähnt er des Aufenthalts in Ungarn, der lange Zeit (maint jor) gedauert
habe. Was er dort gemacht, ist zwar unbekannt % immerhin aber die Nach-
richt sehr merkwürdig, weil sie beweist, dass man französische Architekten
in so weite Ferne berief, und dass Yillard bedeutend genug war, um solchen
Ruf zu erhalten. Deutschland scheint er nur flüchtig berührt zu haben,
wenigstens finden sich keine dort gemachten Zeichnungen.
Der ganze Inhalt des Manuscripts ist dadurch so anziehend^ dass er
uns gestattet, die Künstler dieser Zeit gleichsam bei ihren Studien zu be-
lauschen, das Maass ihrer Kenntnisse an sich und nicht bloss an ihren Werken
zu beobachten. Man ersieht daraus, dass diese Studien noch ziemlich jung
waren. Die Kunst des Zeichnens und der Geometrie, auf die unser Villard
so viel Gewicht legt, ist noch nicht sehr entwickelt. Seine Grundrisse sind
ganz verständlich, in den Aufrissen mischt er aber perspectivisch gezeichnete
Theile in die geometrische Aufnahme. Man sieht, er hilft sich wie er kann.
Die architektonischen Theile des Buchs geben manche interessante Einzel-
heiten. Unter den Grundrissen befindet sich der des Chors der Kirche zu
Yaucelles, eines unfern seines Geburtsortes Honnecourt gelegenen Cistercien-
serklosters, mit dem Umgange und mehreren Kapellen, von denen jedoch
die mittlere, wie auch sonst an Cistercienserkirchen, einen rechtwinkeligen
Schluss hat. Auch auf dem Grundriss eines anderen Chors mit doppeltem
Umgang wechseln achteckige und halbkreisförmige Kapellen, eine schriftliche
Bemerkung sagt, derselbe sei aus dem Wetteifer zwischen Villard de Hon-
^) Et en cele autre pagene poes uus ueir las montees des capeles de le glize de
rains par de hors. tres le comencement desci en le fin ensi com eles sunt, dautretel
maniere doiuent estre celes de canbrai son lor fait droit (si on leur fait droit — wenn
man sie richtig ausführt).
-) Jestoie mandes en le tierre de hongrie qunt io le portrais per co lamai io
miex.
") Ouicherat a. a. 0., p. 71, bringt diese Sendung nach Ungarn in Verbindung
mit der heiligen Elisabeth, welche bekanntlich Schwester des Königs ßela von Ungarn
war und andererseits mit dem Dome von Cambrai in der Beziehung stand, dass sie
bei der Herstellung der KreuzschifFe im J. 1227 bedeutend beisteuerte, weshalb ihr
nacii ihrem Tode (1231) auch im J. 1239 in derselben Kathedrale eine Kapelle gewid-
met wurde.
Villard de Honnecourt. 121
nccourt und Pierre de Corbie entstanden i). Ausserdem giebt er noch ein
Mal einen Grundriss mit geradem Cborscbluss und bemerkt dabei ausdrück-
lich, dass er für jenen Orden entworfen worden-), was insofern bemerkens-
werth ist, als es zeigt, dass man schon damals auf die Eigenthümlichkeit
der Cistercienserkirchen achtete, und dass, wenn auch der Orden seine
eigene Bauschule hatte, auch andere Architekten für ihn zu arbeiten unter-
nahmen. Mehrmals begegnen uns Entwürfe, anscheinend ohne feste Bestim-
mung, aus denen hervorgeht, dass die Meister dieser Zeit sich gern mit
schwierigen Problemen beschäftigten. So giebt er ein Mal einen Thurm, an
welchem das Achteck aus dem Viereck entwickelt wird, ein anderes Mal
den Grundriss eines viereckigen Kapitelhauses, dessen Gewölbe einen acht-
eckigen Stern bildet und auf einer Säule ruhet; er bemerkt dabei ausdrück-
lich, dass dies nicht zu schwer laste und eine gute Construction sei. Es
scheint daher, dass dies Gewölbe eine neue Erfindung war, die indessen nicht
sofort weitere Verbreitung fand, wenigstens kennen wir kein Beisi^iel so
früher Sterngewölbe in Frankreich. Auch Entwürfe zu gezimmerten Dach-
stühlen, zu einem Lesepulte, zu Chorstühlen kommen vor. Besonders be-
stätigen aber diese Zeichnungen, dass die Architekten zu wandern und zu
vergleichen liebten, und dass sie die Kachahmung der als gut anerkannten
Formen keinesweges scheuten. Bei der Zeichnung eines Thurmes von Laon
bemerkt er, dass er der schönste sei, den er gesehen habe, obgleich er in
vielen Ländern gewesen^).
Viele Blätter sind der Plastik gewidmet, indem sie Blattornamente,
phantastische Figuren, Thierverschlingungen, aber auch grössere Gestalten,
Christus am Kreuz, die zwölf Apostel, eine der „Damoizeles", über welche
Salomons Urtheil erging, und auf dem folgendem Blatt auch den richtenden
König, den Stolz (Orgieuil), in Gestalt eines sehr lebendig gezeichneten
stürzenden Piciters, selbst grössere historische Compositioneu aus der Bibel %
enthalten. Auch das Vorbild der Antike ist nicht verschmäht; wir finden
ein Mal ein römisches Denkmal, welches er leider ohne Ortsangabe als ein
von ihm gesehenes Grab eines Sarazenen bezeichnet, so dass er sich des
heidnischen Ursprungs bewusst war"'). Auch eine andere Figur scheint nach
^) Istud bresbiterium iuueiieruat ulardus de Huuecort et petrus de corbeia iiiter se
disputando. — Deseure est une glize a double charole. ke vilars de Houecort trova
et pieres de corbie.
-) Veszi une glize desquarie ki fii esgardee a faire en lordeue de Cistiaux.
•■') „Jai este en mult de tieres si com uos pores trouer eu cest Hure, en aucun liu
onques tel tor ne vi com est cele de loon".
*) PI. XXIV wahrscheinlich Nathan vor David.
s) Sarazene bedeutet nach dem Sprachgebrauch der Zeit alle Heiden.
122 Französische Gotliik.
einer antiken Statue gemacht zu sein ^). Die meisten Zeichnungen sind ohne
Zweifel vorhandenen Bildwerken wie Glasmalereien entlehnt, sie haben alle
den strengen Styl, den wir an den Portalen von Paris und Rheims wahr-
nehmen. Er studirte aber auch schon die Natur; mehrere nackte mä,nnliche
Gestalten sind förmliche Aktzeichnungen, und bei einem Löwen, den er
mehrere Male von verschiedenen Seiten darstellt, bemerkt er ausdrücklich
und mit starker Betonung, dass er nach dem Leben gemacht sei (et sachiez
bien, quil fut contrefaist al vif). Diese Betonung beweist, dass das Natur-
studium damals noch etwas Ungewöhnliches war, wo es dann bei einem Thiere,
welches die Meisten nur aus Abbildungen kennen mochten, wohl der Erwäh-
nung wertli war, dass man hier ein treues der Natur entlehntes Bild habe.
üebrigens lässt sich nicht leugnen, dass dem Zeichner immer noch Drachen
und andere phantastische Ungeheuer besser als wirkliche Thiere gelingen.
Die Anwendung der Geometrie auf die Zeichenkunst besteht nur in sehr ein-
fachen Hülfsmitteln, indem er die Darstellung der natürlichen Form durch
die Einfügung einfacher geometrischer Figuren, des Kreuzes in das mensch-
liche Gesicht, des Dreieks in einen Pferdekopf, zu erleichtern, oder die
Bildung verschiedener runder und spitzer Bögen mit derselben Zirkelöffnung
herzustellen lehrt. Sehr viel beschäftigt er sich mit Maschinen zur Hebung
von Lasten und zu ähnlichen Zwecken, die indessen noch sehr einfach und
ziemlich unbeholfen scheinen. Er entwirft physikalische Spielereien, zum
Beispiel einen Siphon, und versucht sogar ein Perpetuum mobile zu erfinden.
Aber bei alledem sehen wir doch ein rüstiges, wahrhaft künstlerisches Stre-
ben, welches zur raschen Förderung der Kunst führen musste-).
Es kann sein, dass Villard sich vor Anderen durch eine theoretische
Richtung und bessere Vorbildung auszeichnete; vielleicht erklärt sich da-
durch, wenn er nicht frühe gestorben sein sollte, dass wir ausser dem Dom-
bau zu Cambray von anderen bedeutenden Unternehmungen, bei denen er
mitwirkte, nichts wissen. Allein seine Zeichnungen und Studien sind doch
so sehr mit den ausgeführten Werken anderer Meister verwandt, dass wir
bei ihnen Aehnliches voraussetzen müssen. Sie waren schon strebende Künstler
geworden, die sich alle erforderlichen Hülfsmittel zu verschaffen wussten,
sich aus der Wissenschaft aneigneten was ihnen nöthig war, offenen Sinn
^) Das Motiv zu PI. 57 ist waiirsclieiulicli ein antiker llerciir.
-) Icli moss mir versagen, liier weiter auf die Einzelheiten dieser für die Bau-
geschichte dieser Zeit merkwürdigsten Urkunde einzugehen; der Aufsatz von Quidierat
TUid die Publicatiou von Lassus, der ein Glossarium der technischen Ausdrücke beige-
geben ist, enthalten manches Nähere. In Beziehung auf die Terminologie will ich nur
anführen, dass er mit dem Worte: ogive die Diagonalrippen, mitfilloles die Strebe-
pfeiler bezeichnet. Vielleicht stammt dieser Ausdruck aus dem deutschen Worte
Pfeiler und ist in der fremdartigen Gestalt von Fiale zu uns zurückgekehrt.
Künstlernamea. 123
für die Schönheit der Natur hatten, aber dabei doch stets mit handwerks-
mässiger Treue und Sicherheit von dem Gegebenen ausgingen. Daher tritt
uns dann nun auch mit einem Male eine Reihe namhafter und anerkannter
Architekten entgegen. Im Anfange dieser Epoche sind die Namen noch
selten, den ausgezeichneten Meister von St. Remy in Rheims und N. D. von
Chalons, seine Kunstgenossen von St. Germer und Noyon, selbst die früheren
Architekten von N. D. von Paris kennen wir nicht. Den ersten Namen tinden
wir am Anfange des dreizehnten Jahrhunderts, aber ausserhalb dieser Central-
provinzen, in der Normandie, den Meister Ingelramnus, der an der Abtei zu
Bec und am Dome zu Ronen (1212) arbeitete. Später sind wir nicht mehr
auf die Angaben der Chronisten beschränkt, vielmehr wird fast überall der
Meister durch einen Grabstein oder eine andere Inschrift in seinem Werke
geehrt, und in dieser Weise uns überliefert. So wurden Hugo li Bergier in
St. Nicaise in Rheims (7 1263) M, Peter von Montereau (7 1266) in der von
ihm gebauten Kapelle von St. Germain- des -Pres, Eudes von Montreuil
(t 1289) in der Franziskanerkirche zu Paris beerdigt, Robert von Coucy
(7 1311) auf seinem Grabsteine im Kreuzgange von St. Denis in Rheims aus-
drücklich als Baumeister des Doms und von St. Nicaise bezeichnet-). Bei
Peter von Montereau ergiesst sich der Verfasser der Grabschrift, ohne
Zweifel ein Mönch von St. Germain, sogar in Lob, er nennt ihn eine volle
Blüthe guter Sitten und giebt ihm statt des Meistertitels den eines Doctors
der Werkleute ■^) An der Fagade des südlichen Kreuzes von Notre Dame
') Cigist Maistre Hues li Bergier qui a commeuce cetle eglise eu M. CC. et
XXIX . . et mourut l'an M. CC. LX. III ... . Pour Dieu priez pour luy.
^) Cy gist Robert de Coucy Maistre de Notre Dame et de Saint Nicaise qui tre-
passa l'an 1311.
3) Vgl. die Grabschrift oben S. 101, Note 3). — Zwei neuere Schriftsteller (J. See-
berg in Naumann's Archiv für die zeichneuden Künste Band XV. S. 160 ff. und F.
Adler in der deutschen Bauzeitung 1870. S. 368) glauben dem Titel Magister, mit
welchem die Baumeister bezeichnet werden , die Bedeutung eines akademischen Grades
beilegen und aus demselben schliessen zu dürfen, dass der Inhaber dieses Titels nicht
Handwerkmeister, etwa nur Steinmetz, sondern ein studirter und graduirter Ar-
chitekt gewesen. Adler bringt keinen Beweis für diese Behauptung bei, Seeberg
nur Wahrscheinlichkeitsgrüade, deren Widerlegung hier zu weit führen würde und
erspart werden kann, da sie in derThat entweder theils auf Voraussetzungen beruhen,
die des Beweises bedürfen, theils ganz andere Erklärungen gestatten. Jener nimmt
an, dass die Verleihung dieser Würde durch die Bauhütten der grossen Kathedralen
erfolgt sei; er denkt also doch (mit Recht) an eine Anerkennung durch die Genossen
seiner Kunst, wobei dann nur dunkel bleibt, worin der Unterschied dieser Würde
von der eines Handwerkmeisters bestehen soll. Seeberg bringt die Bezeichnung als
Magister in unmittelbare Verbindung mit dem durch die Universitäten verliehenen Titel
eines Magister artium liberallum, und begegnet dem Einwurfe, dass dieser Titel der
Baumeister schon vor der Entstehung der Universitäten vorkomme, durch die Vermuthung,
^24 Französische Gothik.
von Paris findet sich zuerst an dem ^Yerke selbst in einer prachtvollen
grossen Inschrift die Angabe des Baumeisters Johann von Chelles und des
Jahres 1257, in welchem dieser Theil begonnen wurde ^). In der Kathe-
drale zu Amiens giebt eine lange Inschrift vom Jahre 1312 -) die Geschichte
des Baues und die Namen der drei aufeinander folgenden Meister, Robert
von Lusarches, Thomas von Cormont, und dessen Sohn Meister Renaud. Für
die Kathedrale von Rheims kennen wir zwar nicht den Meister des Plans,
wohl aber den des glänzendsten Theiles der Ausführung, jenen schon ge-
nannten 1311 verstorbenen Robert von Coucy. Endlich werde ich weiter
unten des Johannes de Campis zu erwähnen haben, der ohne Zweifel aus
nordfranzösischer Schule stammend, im Jahr 1248 den Bau der Kathedrale
von Clermont in Auvergne begann. Freilich stehen diese Namen noch ver-
einzelt da, bei der Mehrzahl der Werke sind die Meister unbekannt; sie
gehörten noch dem Handwerke an, folgten der schweigsamen Gewohnheit
der verflossenen Jahrhunderte und suchten und fanden nicht den Annalisten,
dessen Mittheilungen über ihr Verfahren uns so interessant sein würde.
Aber auch so sehen wir an diesem erwachenden Selbstgefühle der Künstler
und an der ihnen zu Theil werdenden Anerkennung, dass die Kunst in ein
anderes Stadium eingetreten war.
dass die Verleihung- von den Benedictinern, die im Besitze der Baukuude geliliebeu
waren, aiisgeg-angen sei. Ich kenne keine Stelle, welche diese Yermiithung recht-
fertigte oder es wahrscheinlich machte, dass mit dem Worte Magister eine auf theo-
retischen Studien beruhende Würde bezeichnet sei, Gei-ade das war der Vorzug der
mittelalterlichen Architektur, dass sich die Theorie nicht von der Praxis sonderte, und
dass die leitenden Meister nicht schulmässig erzogene Gelehrte, sondern talentvolle
Handwerker waren, welche die Energie gehabt hatten, sich während der Praxis auch
die nöthigen allgemeinen Kenntnisse zu erwerben. Dies ist auch die Ansicht, welche
Friedrich Schmidt, der bedeutendste unter den heutigen Meistern gothischen Stjis, bei
seinem praktischen Studium der alten Gebäude gewonnen hat. ^Er weiss die „alle
Erwartung überschreitende Kraft der Darstellung und Klarheit der Begriffe" bei den
alten Meistern nur aus ihrer durchaus praktischen Bildung, und die vortreffliche lebens-
volle Ausführung ihrer Werke nur dadurch zu erklären, dass Meister und Gesellen
den gleichen Bildungsgrad durchgemacht hatten und daher in gesellschaftlicher Gleich-
heit und in innigster Verbindnng mit einander standen. Er findet gerade darin einen
Gegensatz gegen die heutigen „prosaischen" Verhältnisse, den man „vielleicht mit
Wehmuth" betrachten dürfe. Vgl. seinen im Wiener Alterthumsvereine gehaltenen
Vortrag in den Mittheilungen der k. k. Centr. Com. Bd. XII. (1867). S. 6 If.
^) Anno Dom. M. CG. LVII. mense Februario idus secundo hoc fuit inceptum
Christi Genetricis honore Kallensi lathomo vivente Johanne Magistro.
-) In Chapuy's Cath. franc. Vol. I., p. 5, und sonst vielfach abgedruckt. — Vgl.
den Artikel Architecte bei ViolIet-le-Duc, I. S. 107 ff'.
Normaridie. 125
Drittes Kapitel.
Der gotliisclie 8tyl in den übrigen Pro>inzen Frank-
reiclis und in Belgien.
Keine Gegend von Frankreich hat so bestimmten Anspruch auf die Er-
linduug des gothischen Styls gemacht als die Norman die; einige ihrer
einheimischen Forscher haben sogar geglaubt, ihn schon im elften Jahrhun-
dert nachweisen zu können. Diese Meinung ist nun durch Gally Knight und
Andere gründlich widerlegt; jene Annahme entsprang aus der Anwendung
der Stiftungsdaten auf spätere Neubauten, über deren Entstehung wir zwar
hier, wie so häufig, keine Nachrichten haben, welche aber nach der Ver-
gleichung mit anderen sicher datirten und benachbarten Gebäuden unmöglich
aus so früher Zeit stammen können. Allerdings hat aber die Normandie den
gothischen Styl aus den benachbarten Provinzen Picardie und Isle de France
sehr frühzeitig und schon auf seinen ersten Entwickelungsstufen angenommen
und ihn sich im hohen Grade angeeignet.
Allein dennoch ist er hier nicht entstanden. Wie allen Gegenden, welche
in der vorigen Epoche schon ein befriedigendes Bausystem erlangt hatten,
fehlte auch dieser der Antrieb zu neuen Versuchen. Der Styl, welcher unmit-
telbar nach dieser Zeit des Eroberers ausgebildet, von hier nach England
übertragen und von dort wieder bereichert und gemildert zurückgebracht
war, befriedigte auch noch im letzten Viertel des zwölften Jahrhunderts '^
wir können keine Zeichen eines- allmäligen Abgehens von demselben wahr-
nehmen, er wurde nur durch reichere Ornamentation oder bequemere Anord-
nungen verbessert. Ich habe schon früher^) der Herstellung der Kathedrale
von Bayeux gedacht, welche erst um 1183 erfolgte und durch welche die
rundbogigeu Theile, wenn auch nicht ihre erste Anlage, doch ihren noch
ganz normannischen Schmuck erhielten. Aber auch eine ganze Reihe be-
stimmt datirter, erst in dieser späteren Zeit des zwölften Jahrhunderts ent-
standener Kirchen zeigt noch keine Spur eines Ueberganges. So sind die
Kirchen von Osm oy (Seine infer.), St. Thomas-le-Martyre in Mont-
aux-Malades, die der Abtei Vallasse, welche nach Inschriften oder un-
zweifelhaften Nachrichten in den Jahren von 1170 bis 1183 geweiht wurden^
sogar die erst 1183 gegründete Kirche von St. Julien bei Rouen-), und
zwar die drei letzten nicht etwa arme Dorfkirchen, sondern königliche
1) Bd. IV. S. 562 f.
-) Inkersley p. 58 und 162. Naclirichlen und Beschreibung.
J26 Kormandie.
Stiftungen; noch ganz rundbogig und in jeder Beziehung romanisch ^j. Noch
wälirend der Herrschaft des frühgothischen Styles baute man Kirchen mit
romanischer Ornamentation und mit gerader Decke-), jedoch so, dass man,
wie in Jumieges und einigen anderen Bauten der vorigen Epoche, an den
Pfeilern hohe Halbsäulen anbrachte. Der grösste Kenner der Monumente
dieser seiner vaterländischen Gegend versichert, wohl hundert im ganzen
Laufe des dreizehnten Jahrhunderts gebaute Landkirchen zu kennen, an
welchen der Rundbogen vorherrsche; er bemerkt ferner, dass der früh-
gothische Styl sich von seiner ersten Aufnahme an bis zu 1266 wenig ver-
ändert habe -^j. Alles dies beweist, dass der Styl hier nicht völlig einheimisch
ist. Allerdings hatte aber der gothische Styl selbst einen Theil seiner Ele-
mente aus dem normannischen genommen, war daher demselben einiger-
maassen verwandt, und konnte leicht neben ihm Eingang finden. Das Kreuz-
gewölbe, der eigentliche Ausgangspunkt des gothischen Styles, war hier be-
reits einheimisch, der Fa^adenbau enthielt die Grundgedanken der gothischen
Fa^ade, die Lisenen hatten schon fast die Bedeutung von Strebepfeilern
erlangt. Ueberdies herrschte hier eine verwandte Gesinnung wie im nörd-
lichen Frankreich, derselbe romantisch ritterliche Geist, dieselbe Thatkraft,
dieselbe Freude am Entschiedenen und Rüstigen.
Etwa um 1170 beginnt hier die häufigere Anwendung des Spitzbogens
und eine Art Uebergangsstyl, jedoch von mehr decorativer als constructiver
Tendenz und mit manchen fremdartigen Anklängen, theils aus England theils
aus den anderen damals unter englischer Herrschaft stehenden französischen
Provinzen. Dies zeigt unter Anderem das Kapitelhaus von St. George
in Bocherville, dessen Begründer im Jahr 1157 die Würde des Abtes
erlangte und 1211 in diesem Hause begraben wurde*). Es ist eine recht-
winkelige Halle ohne Zwischenpfeiler, mit hochansteigender Spitzbogen-
Wölbung, die unteren Fenster sind rundbogig und über ihnen theilt ein
Rundbogenfries ab, die oberen Fenster sind spitzbogig und zeigen eine früh-
gothische Einfassung mit Säulen. Die Details, besonders der Statuenschmuck
der drei Eingangsthüren, sind aber so abweichend von dem Style der Nor-
mandie, so sehr dem von Anjou und Poitou entsprechend, dass man noth-
1) Bull, monum. XlII, S. 380.
-) Bull, monum. XVI ^ p. 520, werdon die Kirchen von Veulettes, Graville und
Aufay als Beispiele angeführt,
3) Caumont im Bull, monum, XVI, 441, und XIII, S. 386, in der Note. Er ver-
gleicht dabei die Abteikirchen des zwölften Jahrhunderts in Bures und Fecamp mit
den Kirchen von Neufcliatel, Gisors, St. Marie des Charaps und St. Ursule de Beuabec,
die von 1248 bis 12G6 entstanden sind.
*) Gallia christ, XI, col, 271. — Abbildung bei Lenoir, Architecture mouastiqne,
Paris 1856, B. II. S, 323.
Erste gothische Bauten. 127
wendig auf die Theilnahme von Künstleru aus dieser Gegend scliliessen
muss ^).
Das früheste Beispiel einer Annäherung an den französisch -gothischen
Styl giebt die Abteikirche zuFecamp-, welche nach einem Brande von
1170 neu erbaut, schon im Jahr 1181 eine Weihe, ohne Zweifel aber erst
des Chores, erhielt, und unter dem Abt Radolphus wahrscheinlich um 1200
vollendet sein soll. Man kann wahrnehmen, dass die Hinneigung zu den
neuen Formen erst während des Baues entstanden ist. Der Chor enthält
noch einige rein romanische Theile, das Kreuzschiff und die ersten Pfeiler
des Langhauses zeigen Uebergangsformen, Rundpfeiler, spitze Bögen, aber
noch eckige Profile; die neun westlichen Arcaden des Langhauses endlich
sind durchweg im edeln frühgothischen Style; kantonirte Säulen mit drei-
fachen, vom Boden aufsteigenden Gewölbträgern, Profile der Arcaden mit
tieferer Höhlung zwischen den Rundstäben, die Gallerieöftuung zweitheilig
und mit einem Yierblatt im Bogenfelde, die Oberlichter aus zwei einzelnen,
in stumpfen Sintzbögen geschlossenen Fenstern gebildet, zwischen denen,
aber nicht zu einem Ganzen verbunden, eine Ereisöffnung steht. DasAeussere
ist ziemlich einfach, aber doch schon mit Strebebögen und gothischem pro-
filirtem Gesimse versehen. Die Seitenschiffe und die darüber befindliche
Gallerie haben je zwei Fenster, welche unter einem fünftheiligen Gewölbe
stehen und durch dessen Stütze von einander getrennt sind; eine eigen-
thümliche, an die sechstheiligen Gewölbe des früheren einheimisch Styles
erinnernde Anordnung. Die Beibehaltung der Gallerie und die Verbindung
von Rundpfeilern und steilen Spitzbögen lassen darauf schliessen, dass die
östlichen Theile bis zum Jahre 1200 und nach dem Vorgänge der älteren
französisch-gothischen Bauten entstanden sind, während die westlichen Traveen
mit kantonirten Säuleu und primitivem Maasswerk erst dem Dome von Rheims
gleichzeitig sein können.
Der Neubau der Abteikirche zu. Eu-^j soll bald nach 1186, wo die Re-
liquien eines kurz vorher im Kloster verstorbenen heiligen Bischofs zahl-
reiches Zuströmen des Volkes verursachten, begonnen und um 1226, wo diese
Reliquien im Chore beigesetzt wurden, vollendet sein. Ein Brand vom
1) Inkersley, a. a. 0. S. 17, giebt nähere Beschreibung.
-) Nachrichten und ausführHche Beschreibung bei Inkersley a. a. 0. p. 78, 151,
232. Mertens (Baukunst d. M. A. 1850 S. 52) legt Gewicht darauf, dass zur Zeit des
Brandes Heinrich von Suliy, ein Bruder des Erzbischofs Moritz von Paris, der dort
gleichzeitig die Kathedrale neu erbaute, Abt von Fecamp war. Es kann dahingestellt
bleiben, ob dieser zufällige Umstand die Annahme der Formen des neuen Styles be-
fördert hat.. —
^) Viollet-le-Duc, II. S.361. — Pablicirt in den Archives de la comm. des monuments
historiques. — Abbildungen ferner in der Voyage dans l'ancienne France, Normandie.
128
Normandie.
Jahre 1426 hat nicht die Erneuerung des ganzen Gebäudes^), sondern nur
des oberen Theils des Chors und der Fagade herbeigeführt. Die Kreuzarme,
ohne Eingangsthür und mit der Theihing in zwei Stockwerke, welche in
älteren normannischen Kirchen öfter vorkommt, sind noch romanischen Ur-
sprungs. Das Langhaus hat zwar durchweg spitze Bögen und Fenster, auch
schon im Bogenfelde der
Gallerieöffnungen ein Vier-
blatt, aber mehr roma-
nische als gothische De-
tails. Eigenthümlich sind
am Aeussern die Rund-
bogenblenden, welche die
Paare schmaler spitzbogiger
Oberlichter überspannen.
Die Pfeiler sind viereckigen
Kerns und durch eine em-
porenartige Architektur
verbunden, d. h. durch Gal-
lerieöffnungen, die nur unter
das Gewölbe des Seiten-
schiffs und nicht in eine
wirkliche Gallerie führen,
wie in St. Etienne in Caen.
Man hatte eben Wcähreud
des Baues den Plan ge-
ändert, führte die Zwischen-
wölbung nicht aus und bil-
dete die Seitenschiffe in
einem höheren Geschoss,
statt sie in zwei niedrigere
Stockwerke zu theilen. Da-
gegen ist der Chor mit
starken Rundsäulen, steilen
Lancetbögen und einfachem
Triforium in der Weise der
französischen Bauten aus dem ersten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts
erbaut, und zwar in leichterem Style als in Fecamp.
St. Etienne, Caen.
') Wie dies die Gallia christ. XI, col. 293 annimmt. lulcersley, a. a. 0. p. 225,
bemerkt mit Reciit, dass diese Nachricht in der Uebertreibiiug eines auf Erlangung
reichliclier Beisteuern berechneten Ablassschreibens ihre Quelle liaben werde.
Chor von St. Etienne in Caen.
129
Fig. 26.
Um diese Zeit wird wahrscheinlich auch der schöne frühgothische Chor
an der altereu Abteikirche St. Etienne in Caen begonnen; wenn auch
erst um die Mitte des Jahrhunderts vollendet sein. Er hat einen Kranz
von sieben halbkreisförmigen Kapellen, deren Anlage und Ueberwölbung
sehr an die von St. Remy zu Rheims erinnert, an der Rundung Säuleu mit
Gewölbstützen auf den Kapitalen, knospenförmiges Blattwerk, die Basis mit
dem Eckblatte, eine Gallerie,
lancetförmige Arcadeu und Fen-
ster, dabei aber manche Eigen-
thümlichkeiteu der englischen
Gothik, welche entweder aus der
gemeinsamen Quelle des älteren
normannischen Styles auch hier
entstanden, oder von England
hierher eingeführt sein müssen.
Schon die Gallerieöffnung hat
eine englische, dem französischen
Style fremde Form, indem sie
aus einem grossen Rundbogen
besteht, au den sich die Schenkel
der zwei von ihm umschlossenen
Spitzbögen anlehnen ; indessen
mag dies durch die unverkenn-
bar beabsichtigte Accomodation 1)
an die im geraden Theile des
Chores beibehaltenen grossen
rundbogigen Gallerieöffnuugeu
des alten Gebäudes entstanden
sein. Unzweifelhaft aber zeigt
sich englischer Einfluss darin,
dass die Kapitale im Oberschiffe
und in den Seiteukapellen unter einer und zwar kreisförmigen Deckplatte
zusammeugefasst sind, auf welcher die sämmtiicheu Gewölbrippen ruhen, da
1) Gally Kuight, der diesen Chorbau (nach dem Abbe de la Rue) erst von 1316
bis 1354 ausgefülirt glaubt , will die frühgothische Form desselben überhaupt aus der
Rücksicht auf die älteren Theile der Kirche erklären. So weit ist indessen die Acco-
modation niemals gegangen, und die Keuuzeichen der Frühzeit des dreizehaten .Jahr-
hunderts sind hier zu unzweifelhaft, als dass die im Jahre 1316 bis 1354 (d. h. wäh-
rend der Lebenszeit eines bestimmten Abtes) vermerkteu Arbeiten am Chore mehr als
geringfügige Reparaturen gewesen sein könnten. Mit dieser Ansicht stimmen auch
Caumont im Bull, monum. VIII, p. 157, Jolimont in der Descripiion des monumens de.
Caen, und Osten in der Wiener Bauzeitung v. 1845, überein.
Sohnaase's Kunstgesch. 2. Aufl. Y. 9
St. Ktieiine , Caen.
230 Normandie.
diese unorganische Form in England überaus häufig und auf dem Continente,
mit Ausnahme der Normandie, fast niemals vorkommt i) Altnormannisches
Herkommen spricht sich dagegen in den Ketten-, Strick und Zickzackorna-
menten der Bögen und Gesimse des Inneren und in den glänzenden Schuppen
an der äusseren Balustrade aus. Hier kommen auch, und zwar an der Gal-
lerie, sich durchschneidende Bögen vor, aber nicht als kleiner Fries, sondern
in ungewöhnlich grossen Verhältnissen, als eine Einrahmung der lancetför-
migen Fenster und als eine Vermittelung ihrer scharfen Form mit dem
übrigens noch vorherrschenden Halbkreise -). Die ganze Anlage ist sinnreich
und die Ausführung von grosser Frische der Empfindung, aber allerdings mit
einer mehr decorativen Eichtung, und es ist bemerkenswerth, dass sie, ob-
gleich sie offenbar nicht ohne Kenntniss der französischen Bauten von St.
Remy in Rheims, Chalons oder Koyon entstanden ist, dennoch nur Strebe-
pfeiler, aber keine Strebebögen hat.
Der Dom zu Rouen, das mächtigste Gebäude der Normandie, ist das
Werk vieler Jahrhunderte. Er war im Jahre 1200 abgebrannt, erst 1207
wurde der Beschluss der Herstellung dem uneinigen und widerstrebenden
Kapitel durch päpstliche Sendschreiben abgenöthigt. Das neue Gebäude war
unter der Leitung des Baumeisters Ingelramnus, welcher 1214 auch an der
Abteikirche zu Bec arbeitete, um 1235 schon so weit vorgeschritten, dass
der Erzbischof darin begraben werden konnte. Die Einweihung erfolgte
indessen erst 1280, und einzelne Theile wurden noch später, die Fagaden
und Thürme sogar erst im fünfzehnten Jahrhundert vollendet^). Diese Spät-
zeit ist im Aeusseren, mit Ausnahme des südlichen Fagadenthurmes (St.
Romain), welcher aus dem zwölften Jahrhundert beibehalten ist, vorwaltend.
1) Caumont Bull, monum. XV, 509, XVI, 422.
-) Die ganze Choranlage zeigt die Vorliebe für den Halbkreis. Die halbrundeu
Kapellen und die Strebepfeiler zwischen ihnen sind so angeordnet, dass die Scheitel-
punkte der ersten und die äussersten Enden der letzten innerhalb einer durch sie an-
gedeuteten Halbkreislinie liegen-, diese Linie ist dann weiter oben in der Bedachung
des Kapellenkranzes wirklich dargestellt, indem von den Aussenseiten der Strebepfeiler
bis zu einer Console in der Mitte der Kapellennischen Bögen gezogen sind, welche ein
halbkreisförmiges Gesims und Dach tragen , das sich über die eingehenden Winkel
zwischen den Nischen und Strebepfeilern fortzieht. Diese Arcatur erscheint dann A-er-
doppelt und bereichert an den sich durchschneidenden Bögen der Gallerie, und die
ganze Choranlage giebt also in allen drei Stockwerken (und zwar, da keine Strebe-
bögen bestehen, unverdeckt) die Kreisform.
3) Den Brand bekunden Sigeb. Chron. p. 162, und das Chron. Rotomag. bei Lab-
beus. Das Uebrige erzählt die Gallia Christ. Vol. XI, col. 58 — 62. Weitere Nach-
richten bei Gilbert, Description historique de la cath. de Ronen, 1837. Chapuy moyen-
äge monumental Nro. 37 die Facade, Nro. 56 das Innere.
Kathedrale von Ronen. 131
das Innere trägt dagegen den Charakter des frühgothischen Styles. Einiges
weiset auch hier nach England hin, so der ge^Yaltige Thurm auf der Vierung
des Kreuzes und der weite Abstand der beiden Westthürme von einander,
welche wie ein vorderes Kreuzschiff über die Seitenwände des Langhauses
vorspringen; das Uebrige ist französischen Styls, jedoch mit manchen Eigen-
thüralichkeiten. Das Laughaus ist der ältere Theil. Bemerkenswerth ist
darin zunächst , dass die kräftigen Pfeiler, viereckigen Kerns und auf der
Frontseite mit drei hoch hinaufsteigenden Diensten, wie in der Abteikirche
zu Eu, durch eine emporenartige Architektur, durch Gallerieöffnungen ohne
wirkliche Gallerie, verbunden sind. An Stelle der Emporen läuft ein schmaler
Umgang auf den unteren Arcadeu hin, der sich auch um die Pfeiler herum-
zieht, wo er von ausgekragten schlanken Säulchen getragen wird^). Damit
steht denn auch die sonderbare Ausstattung dieser Pfeiler in den Seiten-
schiffen im Zusammenhange; die Halbsäulen haben hier nämlich durchweg
nur die Höhe jener anderen, welche die scheinbare Gallerieöffnung tragen,
während auf ihnen noch eine Zahl von freistehenden Säulen als Stütze des
oberhalb der gedachten Gallerieöffnungen liegenden Gewölbes steht, lieber
jener scheinbaren Gallerie liegt dann unter den niedrigen Oberlichtern ein
auch ungewöhnlich geordnetes Triforium. Es ist nicht unwahrscheinlich,
dass sowohl die Gestalt des Pfeilers als alle diese Eigenthümlichkeiten mit
der Benutzung älterer Ueberreste bei dem Bau des dreizehnten Jahrhunderts
zusammenhängen. Etwas jünger und mehr den französischen Bauten aus dem
zweiten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts verwandt ist der Chor. Er
ist im Innern durch fünf Seiten des Zehnecks geschlossen, und hat Umgang
und Kapellenkranz, diesen aber nur von drei halbkreisförmigen Kapellen-)
mit dazwischen gelegenen Fensterwänden. Rundsäulen mit Knospenkapitälen
und Eckblättern der Basis tragen die steilen, kräftig profilirten Scheidbögen,
über denen nach einem hohen, aber aus gleichen einzelneu Bögen bestehen-
den Triforium die hohen, dreitheiligen Oberlichter mit reichem Maasswerk
den Raum bis zum Schildbogen der Gewölbe füllen. Diese Fenster und die
Oberlichter und Gewölbe des Langhauses gehören jedoch wahrscheinlich erst
dem vierzehnten Jahrhundert au. Ungeachtet der Ungleichheit der Theile
^) Abbildung dieser originellen Anlage bei Viollet-le-Duc, VI. S. 18, welcher an-
nimmt, dass dieselbe den Zweck haben konnte , das Aufhängen von Teppichen an
den Festtagen zu erleichtern. Es ist kaum glaublich, dass man für diesen Zweck eine
so kostspielige Anlage gemacht; sie wird hauptsächlich ihren Grund in der Geschichte
und in den wechselnden Intentionen der Leiter des Baues gehabt haben, wie Viollet-
le-Duc selbst II. S. 3G4 dies bei der ganz ähnlichen Anlage in der Kirche zu Eu ver-
muthet.
2) Die mittlere Chorkapelle ist im 14. Jahrhundert in verlängerter Gestalt erneuert.
9*
232 Normandie.
macht das gewaltige Gebäude i) besonders auch durch die ernste Haltung
der Pfeiler und Arcaden des Langhauses einen sehr imposanten und be-
friedigenden Eindruck, welcher schwerlich bei der Annahme der kantonirten
Säule erreicht sein würde, und uns daher wieder auf die Bedeutsamkeit dieses
älteren Pfeilers hinweist.
Dennoch wurde gerade jetzt die Rundsäulo häufiger angewendet. la
der Stiftskirche zu Mortain, welche wahrscheinlich in Folge einer Zer-
störung der Stadt im Jahre 1216 neu erbaut wurde, findet sie sich bei übri-
gens romanischem Detail neben lancetförmigen Scheidbögen und Fenstern,.
In der 1226 geweihten Kathedrale von Louviers-) erinnern die kurzen
Rundsäulen, welche auf schweren Blattkapitälen die Dienste eines quadraten
Gewölbes tragen, an Notre-Dame von Paris. Indessen fehlt die Gallerie
und statt des Triforiums sind einzelne zweitheilige Oeffnungen angebracht.
Die Oberlichter bestehen, wie in der Kirche zu Fecamp, aus einer Gruppe
von zwei spitzbogigen Fenstern ohne Maasswerk mit einem dazwischen ge-
stellten, aber in keiner Weise damit verbundenen Kreise. Der Chor ist hier
nach der englischen, aber freilich auch in vielen kleineren Kirchen der Nor-
mandie beobachteten Sitte gerade geschlossen.
Dagegen hat die frühere Kathedrale, jetzt St. Pierre, in Lisieux")
welche nach einem Brande vom Jahre 1226 errichtet wurde, den Chorum-
gang, mit Doppelsäulen an der Rundung und einfachen, stämmigen, denen
der Kathedrale von Louviers gleichenden Eundsäulen im Schiffe. Die Fagade
ist ein gutes Beispiel frühgothischer Weise. Die Fenster sind durchweg
lancetförmig und ohne MaassAverk; die Scheidbögen haben stumpfere Zu-
spitzung und derbe Profilirung.
Von nun an schliessen sich die bedeutenderen Bauten näher dem
französischen Style an. Die Kathedrale von Seez hat noch Rundsäulen,
aber ein reicheres, durch drei Doppelbögen über jeder Arcade gebildetes
Triforium. An das Schiff, das, wenigstens in der ersten Anlag(?, noch roma-
nisch ist, lehnt sich der Chor mit fünf stärker heraustretenden Kapellen
ähnlich denen an der Kathedrale zu Le Mans^). Aehnlich ist der um diese
Zeit mit Umgang und Kapellenkranz erbaute Chor der Kathedrale von
Bayeux. Die Kathedrale von Coutances endlich, an welcher um 1250
der Chorbau schon bis zu den Nebenkapellen vorgerückt war, gehört schon
1) Die ganze Länge beträgt jetzt 408, die Hohe des Mittelseliilfs 84, die der Seiten-
schifte 42 Fuss. Ein Grundriss bei Viollet-le-Duc, Dict. 11. S. 362.
2) Gallia elirist. XI, 584. Ausführiiclie Beschreibung bei Inkersley a. a, 0. p. 263
— Osten a. a. 0.
^) Wiederum Naclirichten und Beschreibung bei Inkersley a. a. 0. p. 82 und 266.
— Perspectivisciie Ansicht in de Caumont, Bulletin monumental, Bd. XXXIIl. S. 88
*) Grundriss bei Viollet-Ie-Duc, II. S. 358.
Eigeuthümlichkeiten des gothischeu Styls. 133
-dem eleganteren Style au, welcher sich iu Paris unter Ludwig dem Heiligen
gebildet hatte. Sie hat durchweg schlanke Verhältnisse, eine Gewölbhöhe
von 100 Fuss, im Schiffe Bündelpfeiler, im Chore wieder gekuppelte Rund-
säulen ^). Der siebenseitig geschlossene Chor mit zwei Umgängen, von
welchen der äussere, Avie in St. Etienne zu Caeu, gemeinschaftlich mit den Ka-
pellen überwölbt ist, zeigt die französischen Einflüsse am sichtlichsten. An den
übrigen Theilen treten dagegen die normannischen Elemente stärker hervor,
die Pfeiler an derYierung sind auffallend kolossal, sie haben den mächtigen
achteckigen Centralthurm aus dem XIII. Jahrhundert, der nicht beendigt
nvorden ist, zu tragen. Die beiden mit Helmen gekrönten Faradenthürme
'erhielten ihre Vollendung im XIV. Jahrhundert-). Nicht minder elegant
sind die Kapelle des Seminars von Bayeux und einige kleinere Kirchen, wie
die von Laugrune und Norrey i^Dep. Calvados) die von Mouliueaux bei
Houen, die Kirche Saint-Sauveur zu Petit- Angely s).
Die Normandie war jetzt mit dem königlichen Frankreich vereinigt,
die Beziehungen zu England wurden durch die Gesetzgebuug Ludwigs des
Heiligen gelöst, dem Eindringen des in den älteren königlichen Provinzen
mit Leidenschaft gepflegten Styls stand kein äusseres Hinderniss entgegen.
Dennoch zeigt er hier manche fremde Eigeuthümlichkeiten. Das Maasswerk
und die reichere Gestaltung der Strebepfeiler und Strebebögen fanden hier
erst in ihrer späteren Entwickelung Eingang. Die kantouirte Säule, welche
in jenen anderen Provinzen so viel Beifall fand, kommt hier fast gar nicht
vor, sondern stets die einfache Säule mit den Gewölbträgern auf ihrem Ka-
I^itäl, und zwar meist ziemlich gedrungen, wenn auch nicht so schwer wie
in N. D. von Paris. Das Kapital ist ohne die nähere Beziehung auf die
korinthische Form und ohne reichere Entwickelung des knospenartigen
Blattwerks. Wenn der Umfang der Gebäude wächst, so ist dasjenige, was
sich in Folge dessen in den Formen steigert, nicht die Grösse der Glieder,
sondern eher die Anzahl derselben^). Im Allgemeinen ist der Styl schlanker.
1) Diese Kirche und die von Seez und Mortaiu waren es, auf welclie die Antiquare
der Normandie ilire Ansprüche auf die einlieimische und frühe Entstehung des Styls
stützten. Ueber die liauzeit von Coutances vgl. Gallia christiana XI, col. 837 mit den
Bemerkungen von Gally Kuight iu seinem Reisewerke. Uebrigens haben fasi alle diese
Kirchen in den Kriegen des vierzehnten Jahrhunderts Beschädigungen und deshalb
spätere Reparaturen erhalten, durch welche namentlich der Charakter des Aeusseren
verändert ist.
-) Grundriss bei Viollet-le-Duc, II. 361.
^) De Caumont, Bulletin monumental Bd. XX. p. 143, XXXII p. 667. An letzter
Stelle Ansicht des Inneren. — Osten a. a. 0.
*) Leon le Cordier, Note sur l'architecture de la Normandie au Xlllme siecle.
Bulletin monumental, Bd. XXIX. S. 511.
234 Normandie.
weniger mit Elementen des antiken Styls gemischt, die horizontalen Linien
treten nicht so stark hervor, die Neigung zu breiten, vollen Formen, welche
den französischen Bauten eigen ist, fällt hier nicht auf. Entschiedene Ent-
lehnungen aus dem in England sich bildenden Style sind seltener, als man
nach der ursprünglichen Stammes Verwandtschaft erwarten sollte, indessen
kommen die schon erwähnten runden Deckplatten und die Anordnung des
Maasswerks mit parallelen Bögen, wie wir sie in England näher kennen
lernen werden, auch hier häufig vor^). Jedenfalls aber besteht, vermittelst
der Nachwirkungen des beiden Ländern gemeinsamen früheren norman-
nischen Styls, eine gewisse Verwandtschaft des Geschmacks. Das Lancet-
f enster bleibt beliebt, die Ornamentation behält den scharfen, eckigen Charaker
der früheren normannischen Schule, der Zickzack, der frei gearbeitete ge-
brochene Stab werden noch häufig angewendet. Selbst der ungeregelte Ge-
brauch menschlicher und thierischer Köpfe kommt noch vor; in der Kirche
von Domblainville vertreten sie an schlanken gothischen Säulchen die Stelle
des Kapitals-). Die Fagaden lassen in den Gruppen ihrer Fenster noch
immer das Vorbild des Styls von St. Etienne erkennen, nur dass die Fenster jetzt
lancetförmig und reicher gegliedert sind. Endlich bleibt der Thurm auf der
Vierung des Kreuzes hier wie in England im Gebrauche. Dabei wird aber
die Ausbildung der Thürme hier mit besonderer Vorliebe gepflegt; sie er-
halten, selbst bei kleineren Kirchen, reich gegliederte Schallöffnungen und
einen hohen und schlanken steinernen Helm, und kommen in dieser Gestalt
und mit vielfachen Veränderungen so häufig vor, wie in keinem anderen.
Lande.
Den entschiedensten Gegensatz gegen die Normandie bilden die süd-
lichen Provinzen, Provence und Languedoc. Wenn jene den neuen Styl
bereitwillig empfing und sich vollkommen aneignete, verhielten diese sich
selbst dann noch spröde und ablehnend gegen ihn, als er schon seine Herr-
schaft über das ganze Abendland erstreckte. In der That war jener Styl
aus nordischen Bedürfnissen entstanden. Die* hellere Beleuchtung, welche
man dort suchte, widersprach d^n südlichen Gewohnheiten; man liebte viel-
mehr das Dunkel schattiger Hallen, hatte daher keinen Grund, behufs An-
legung der Oberlichter das Tonnengewölbe mit dem Kreuzgewölbe zu ver-
tauschen und brauchte weder Strebepfeiler noch Strebebögen. Das bisherige
System des bildnerischen Schmuckes war dabei so befriedigend, so sehr dem
^) Vgl. ein Beispiel der letzten Ai't aus dem Chor der Kathedrale von Bayeux in
Caumont's Abecedaire I, p. 316.
-) Caumont monum. im Bull. XV, p. 99.
Provence. 135
einheimischen Sinne zusagend, dass man auch nicht aus decorativer Neigung
zu Neuerungen veranlasst wurde. Der Spitzbogen endlich hatte nicht ein-
mal den Reiz der Neuheit, da man ihn an Gewölben und auch in einzelnen
Fällen an Fenstern angewendet hatte. Er widerstrebte aber der herge-
brachten flachen Bedachung und der antiken Ornamentation, die man bei-
behielt, viel zu sehr, als dass man ihn jemals als decoratives Mittel herbei-
wünschen konnte.
Ich habe weiter unten Veranlassung, ausführlich auf die Bauthätigkeit
der Cistercienser einzugehen und die Ursachen nachzuweisen, aus welchen
bei ihnen eine eigene Bauweise entstand, die manche Elemente des gothischen
Styls in sich aufnahm, und', bei der raschen Verbreitung des Ordens über
alle Länder, auch zur Ausbreitung dieses Styles beitrug. Auch im südlichen
Frankreich traten sie in dieser Weise auf. Die Klöster Thorouet, Sylva-
cane, Senauque (Dep. du Var, Bouches du Rhone, Vaucluse) in den Jahren
1146 — 1148 gestiftet 1), zeigen in ihren, im Laufe weniger Decennien ge-
bauten Kirchen eine sehr übereinstimmende Anlage, ein Langhaus von drei
Schiffen, Kreuzarme und neben dem eigentlichen Chorraume, auf jeder Seite
zwei, jedoch der Axe des Schiffs parallel gestellte Kapellen. In Thorouet
und in Senauque ist die Chornische halbkreisförmig, in Sylvacane ist auch
diese, an allen sind die Nebenkapellen rechtwinkelig geschlossen. Die Schiffe
sind mit spitzen Tonnengewölben gedeckt, die Seitenschiffe zwar nicht mit
einem halben Tonnengewölbe, aber doch mit einem unvollständigen, so dass
der innere Bogen bald nach der Spitze sich an die Wand des Mittelschiffes
anlehnt. Das einheimische System ist daher befolgt, aber so modificirt, dass
Oberlichter damit verbunden werden konnten. Die Gurtbögen der Gewölbe
rtfhen auf Consolen, die Pfeiler sind viereckigen Kerns, die Kapitale schmuck-
los kelchförmig, die Arcaden des Schiffes sämmtlich in breiten Spitzbögen
augelegt, die Fenster aber theils rundbogig gedeckt theils ganz kreisförmig.
Obgleich das südliche Wölbungssystem hier die Anwendung des Kreuz-
gewölbes entbehrlich machte, finden wir in diesen Kirchen doch eine Reihe
von Zügen, die auch an den Cistercienserkirchen anderer Gegenden vor-
kommen; die Vorliebe für Consolen und Kreisfenster, das einfache Kelch-
kapitäl, die eigenthümliche Choranlage , den Spitzbogen, theilweise den Ge-
brauch der Strebepfeiler, und überhaupt den Charakter knapper Zweckmäs-
sigkeit, den diese Ordensbauten mit den frühesten Bauten des • französisch
gothischen Styls gemein haben.
Wahrscheinlich zeigten fast zwanzig andere Cistercienserklöster, welche
im Laufe des zwölften Jahrhunderts in der Provence und im Languedoc
^) Vg]. die ßesclireibmif; dieser Kirclien und einige Abbildungen im Bull, monum,
XVIII, 107 ff.
J36 • Provence und Langnedoc.
entstanden; ähnliche Formen. Allein während sie in anderen Gegenden, in
England und in Dentschland, mehr oder weniger Einfluss auf die gesammte
Bauthätigkeit des Landes ausübten, waren sie hier unbeachtete Fremdlinge,
welche auf den einheimischen Styl ohne Rückwirkung blieben.
Diese Lage der Dinge änderte sich erst nach den Albigenserkriegen.
Als das verwüstete Land eine von Paris aus beherrschte Provinz geworden
war, als nordfranzösische Herren von seinen Schlössern, Günstlinge des
Königs von seinen Bisthümern und Abteien Besitz nahmen, als auch die ein-
heimischen Grossen in immer nähere Beziehungen zu der nördlichen Haupt-
stadt traten, wurde der nunmehr schon gereifte und zum fertigen Systeme
ausgebildete gothische Styl auch hier eingeführt. . Seine Vorzüge waren zu
auffallend, er entsprach der allgemeinen Richtung der Zeit zu sehr, als dass
man sich ihm hätte entziehen können. Aber niemals kam man dazu, ihn in
seiner ganzen Kraft und Schönheit anzuwenden; die Hand versagte gleich-
sam den Dienst, ihr wurde zugemuthet, was ihr nicht natürlich war. Dem
bequemen Sinne des Südländers widerstrebten die künstlichen Vei'bindungen,
die feine und mühsame Berechnung, die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit
kleiner Theile, die nur für den, der ihre Bedeutung fühlt, ein Ganzes bildet.
Die Richtung auf das Einfache, Breite, Horizontale war zu allgemein, zu
sehr mit allen Gefühlen und Gewohnheiten verwachsen, als dass man die
aufstrebenden Verhältnisse, den feinen Wechsel verticaler Glieder und Höh-
lungen sich wirklich aneignen konnte. Man baute im gothischen Style,
aber nicht mit Lust, nicht mit voller Ueberzeugung.
Auch blieb die Zahl der gothischen Kirchen in den östlichen Theilen
dieser Region klein und die meisten derselben gehören der späteren Zeit
nach der Beendigung der Albigenserkriege an. Bis dahin lässt sich keine
Veränderung des Styls bemerken. Noch St. Andre in Grenoble, obgleich
erst 1226 gegründet, ist fast ganz romanisch, mit schwach zugespitzten Ar-
caden und dem Rundbogenfriese, und auch wo man gothisch baute, geschah
es nur mit manchen Accomodationen an den früheren einheimischen Styl.
Das Tonnengewölbe und die viereckigen Pfeiler wurden noch immer häufig
angewendet. Die Seitenschiffe erhielten, dem früheren Gebrauche gemäss,
meist eine dem Mittelschiffe nahe kommende Höhe; man bedurfte daher
keiner Strebebögen und Fialen, die Oberlichter blieben klein. Der Chor
wurde gewöhnlich ohne Umgang mit polygonem Schlüsse gegeben, das Kreuz-
schiff blieb nicht selten fort, ja selbst grössere Kirchen wurden oft ein-
schiffig angelegt. So finden wir es an der Klosterkirche in Vignogoul,
unfern Montpellier, die bald nach 1220 augefangen sein soll, an St. Bernard
zu Romans in der Dauphine, und an der Klosterkirche von St. Maximin,
unfern Marseille, deren hohe Fenster als höchste Leistungen des gothischen
Styls in diesen Gegenden gerühmt werden, die aber erst 1279 angefangen
Anwendung des golhischen Styls. • 137
ist') Audi die mächtige Kathedrale von St. Jean zu Lyon, obgleich schon
nördlicher gelegen und im Wesentlichen gothischen Styls, zeigt durchweg
romanische Reminiscenzen. Der Chor, der älteste Theil des gegenwärtigen
Gebäudes und vielleicht noch in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahr-
hunderts entstanden, ist polygonförmig und ohne Umgang, aber in drei
Stockwerke getheilt, das untere aus grossen sintzbogigen Fenstern ohne
innere Gliederung, das obere aus Maasswerkfenstern, das mittlere dagegen
aus einer rundbogigen Arcatur, einer Art Triforium mit reichen roma-
nischen Säulchen, bestehend. Ausserdem ist noch ein Fries mit einer Art
musivischer Verzierung auf weissem Marmorgruude augebracht. Das Lang-
haus hat die eleganten Formen des vierzehnten Jahrhunderts, die Fa§ade
ist erst im fünfzehnten vollendet, die brillante Kapelle Karls von Bourbon
gehört sogar dem sechszehnten an; aber an allen diesen verschiedenen Thejlen
vom ersten Eindringen des gothischen Styles bis *in die Zeit der Renais-
sance mischen sich noch romanische Formgedanken ein. Und noch mehr
gilt dies von den südlicheren Gebäuden dieser Region. Selbst wo die De-
tails völlig gothisch sind, macht das Ganze, schon durch die breitere Anlage
des Schiffes und durch das flache Dach, einen von den nordischen Gebäuden
abweichenden Eindruck. Wir vermissen die Abstufung der verschiedenen
Theile, den Wechsel des Festen und des Lichten, und finden statt dessen ein-
fache, hohe Mauern mit wenigen und kleinen Fenstern, welche, zumal da sie
oft statt der Fialen und Balustraden mit Zinnen bekrönt sind, ein fast festungs-
artiges Ansehen haben. Ueberhaupt gelang die Ausführung des gothischen
Styls hier besser in kriegerischen Befestigungsbauten, als an Kirchen, was
bei den Modificationen und Beschränkungen der freien Entwickelung des
Styls, die dieser Zweck mit sich bringt, wohl erklärbar ist-).
Etwas früher und reiner tritt der gothische Styl. im Languedoc auf,
wo die nordischen Sieger ihn ebenso einführten, wie sie den Städten die
Statutargesetzgebung von Paris, die s. g. Coutumes aufnöthigten. Schon die
Abteikirche St. Paul in Narbonne, zu welcher 1229 der Grundstein ge-
legt wurde, ist gothischer Anordnung; aber ungeachtet ihrer ziemlich schlanken
Pfeiler und ihrer regelmässigen Kreuzgewölbe macht sie mit ihren sparsamen
und in weiten Abständen angebrachten Fenstern und ihren schweren, mit
Figuren geschmückten Kapitalen noch den Eindruck eines romanischen Ge-
bäudes. Erst nach der Mitte des Jahrhunderts entstand in diesen Gegenden
1) Merimee, Notes d'un voyag-e dans le Midi, p. 366 n. 226.
-) Das Schloss von Beavicaire, die Mauern von Aigues-Mortes, die Tliürme von
Vilieneuve und Montmajour (Merimee a. a. 0), vor allem die Befestigungen von Carcas-
sonne, (Archives des monumeiits historiques u. Viollet-le-Duc, Dict., an verschiedenen
Orten) sind hervorzuheben.
138 Lang-uedoc.
eine Gruppe von Kirchen, an denen die höchste Eleganz des neuen Styls^
unter directera Einfluss des nördlichen Frankreichs, entwickelt wurde. Zu
den berühmtesten derselben gehören die Klosterkirche von Vallemagne^
1257 gegründet und bald darauf mit einem schönen Kreuzgange versehen,
und die Kathedrale St. Just von Narbonne, zu welcher Erzbischof Maurin
im Jahre 1272 den Grundstein legte. Maurin war dem Hofe Ludwigs IX.
nahe getreten, er hatte den König noch auf seinem letzten Kreuzzuge nach
Tunis begleitet, es fehlte ihm daher weder an Veranlassung noch an Mitteln,
den Prachtbau, zu welchem ihm der Papst selbst den Grundstein sendete
und durch welchen er seine verdächtigte Rechtgläubigkeit bewähren wollte,
durch Meister aus den Gegenden ausführen zu lassen, welche jetzt die
blühendste Bauschule hatten. Schon im Jahre 1285 war der Bau so weit
vorgeschritten, dass Philipp der Kühne, der zn Perpignan gestorben war,
hier ein in der Revolution zerstörtes prachtvolles Grab erhielt; im Jahre 1318
baute man an den Kapellen des Kranzes, im Jahr 1332 war der Chor vol-
lendet. Er wird bei einfachen, schmucklosen, aber vortrefflich behandelten
Formen als eines der edelsten Werke des gothischen Styls gerühmt; die
gewaltige Höhe der Gewölbe (120 Fuss), die schlanken, reichgegliederten
Pfeiler, an denen man noch die Spuren ehemaliger Bemalung erkennt, die hohen
und weiten Maasswerkfenster erinnern deutsche Beschauer an den Kölner
Dom ^), mit welchem diese Kathedrale leider auch das Schicksal theilte, dass sie
nach der Vollendung des Chors liegen blieb Erst im vorigen Jahrhundert
hat man den verunglückten und wieder aufgegebenen Versuch gemacht, Kreuz-
schiff und Langhaus hinzuzufügen. Auch an diesem ausgezeichneten Ge-
bäude, das seinem Umfang wie seinen Formen nach in diesen Gegenden als
eine vereinzelte Schöpfung dasteht, bemerkt man aber in einzelnen Theilen
südliche Eigenthümlichkeiten. Die Thürme, welche neben dem Chore auf-
steigen, sind schwerfällig; die Strebepfeiler bilden nicht Fialen, sondern
schliessen nach dem südlichen Brauch, Kirchen zu befestigen, achteckig mit
zinnenartiger Bekrönung und sind überdies auffallenderweise durch Arcaden,
welche wie Brücken von einem Pfeiler zum anderen gezogen sind, ver-
bunden.
Die beiden anderen Gebäude, welche man als die ausgezeichnetsten
Leistungen des gothischen Styls in dieser Gegend nennt, die Kathedrale
St. Nicaise zu Beziers und die östlichen Theile der Abteikirche St. Na-
zaire zu Carcassonne, sind erst am Ende des dreizehnten Jahrhunderts
begonnen und gehören daher grösstentheils dem folgenden an. Das Lang-
1) K. Bernhard Stark, Städteleben, Kunst und Altertlmm in Frankreich, Jena 1855.
Vgl. übrigens auch Merimee a. a. 0, S. 373. — Grundriss bei Viollet-le-Duc, II,
S. 375. Der Chor wetteifert in den Verhältnissen mit denen von Beauvais und Köln.
Narbonne, Beziers, Carcassomie.
139
haus vou St. Xazaire ^) ist romanisch, vielleicht theilweise noch herstammend
von dem 1096 geweihten Bau, mit schweren Pfeilern, theils cylindrisch, theils
eckigen Kerns, im Mittelschiff mit spitzbogigen, in den Seitenschiffen mit
schmalen rundbogigen Tonnengewölben. Auch der Chor, dessen Neubau
hauptsächlich durch den Bischof Peter von Roquefort (f 1321) betrieben
wurde, scheint sich seinem Grundrisse nach, dem alten Bau anzuschliessen;
statt der im gothischen Style beliebten Anordnung hat er nämlich die, welche
hauptsächlich durch die Cistercienser im zwölften Jahrhundert vorbereitet
war. Neben der in der Breite
Tis ''7
des Mittelschiffes aber ohne
Umgang mit sieben Seiten
des Zehnecks heraustretenden
Chornische sind nämlich im
Osten des Kreuzschiffes auf je-
der Seite drei flache, recht-
winkelig schliessende Kapellen
angebracht, vor denen dann
noch eine Reihe von hohen und
kräftigen Pfeilern eine Art Sei-
tenschiff bildet. Dies alles ist
aber nicht bloss im elegantesten
gothischen Style, sondern mit
einer Schlankheit und Eleganz
ausgeführt, die fast zu über-
mtithiger Kühnheit wird. Sei-
tenschiffe und Kapellen sind
nämlich ungeachtet ihrer kleinen Abtheilungen bis zu der Höhe des
Mittelschiffes gesteigert und die hohen Fenster der ganzen Ostseite
stehen so dicht au einander gereiht, dass das Auge die dünnen Wandpfeiler
kaum bemerkt. Aber das Maasswerk dieser Fenster und der beiden grossen
Rosen des Kreuzschiffes hat schon nicht mehr die Reinheit des nördlichen
Styles, wälirend am Aeusseren des Chors noch Kragsteine in Gestalt von
weiblichen Köpfen eine Reminiscenz romanischer Decoration geben-). An
der Kathedrale zu Beziers endlich zeigt die Fagade mit ihren viereckigen
unverjüngten und zinnenbekrönten Thürmen und ihrer leeren, bloss durch
eine gewaltige Fensterrose durchbrochenen Wandfläche •^) die Umgestaltung
S. Nazaire, Carcassoene.
1) Archives des monnments liistoriques, mit Text. — Vgl. den Grundriss bei Viol-
let-le-Duc, Bd. II, S. 377 tf., und Näiieres IV, S. 198 ff. Die Kirclie ist neuerdings-
von Viollet-le-Duc restaurirt worden.
2) Stark a. a. 0. S. 180 und Merimee S. 418.
^) Eine Abbildung in der Voyage dans l'ancienne France, Languedoc.
140 Auvergiie.
und Vereinfachung; welcher der gothische Styl in diesen südlichen Gegenden
unterworfen wurde.
Auch in der Auvergne erhielt sich der ältere Styl fast in gleichem
Maasse wie in der Provence. Zwar wurde in Clermont-Ferrand, unfern
der alten einheimischen Kirche N. D. du Port, seit 1248 unter der Leitung
eines Meisters Johannes de Campis eine prachtvolle gothische Kathedrale
begonnen, deren Chor schon 1285 geweiht, deren Schiff nach langer Unter-
brechung im Jahre 1390 beendet wurde ^). Allein sie war und blieb ein
Fremdling im Lande. Die Heimath des Baumeisters kennen wir nicht, in-
dessen zeigt das Wappen der Königin Bianca, der Mutter Ludwigs des Hei-
ligen, an den frühesten Theilen des Baues, dass dieser mit ihrer Unter-
stützung und daher unter dem Einflüsse der nordfranzösischen Schule aus-
geführt wurde. Dieser entsprechen dann auch die schlanken Bündelsäulen,
das leicht gehaltene Triforium, die grosse Gewölbhöhe und die meisten De-
tails, so dass wir hier kein einheimisches Erzeugniss, sondern ein Monument
jener nordischen Schule vor uns haben. Die Verwandtschaft mit der Kathe-
drale von Narbonne ist so gross, dass man hier denselben Meister zu er-
kennen meint-). Dass die Kapellen und die Seitenschiffe mit flachen Ter-
rassen statt mit ansteigenden Dächern gedeckt sind, dass die Oberlichter
nicht den ganzen Raum zwischen den Pfeilern ausfüllen, sind Zugeständ-
nisse an den südlichen Brauch.
Von diesen südfranzösischen Provinzen aus will ich, wie in der vorigen
Epoche, einen Blick in die ihnen verwandte romanische Schweiz werfen.
Die Untersuchungen über das Aufkommen des gothischen Styls in dieser
Gegend sind noch mangelhafte^), aber schon die Kathedralen von Lausanne
und Genf zeigen, dass er hier auf einer ziemlich frühen Stufe, früher als in
der Provence Eingang fand.
Die Kathedrale von Lausanne lässt ungeachtet einiger Veränderungen
und Zusätze, welche sie bei Restaurationen in den Jahren 1509 und 1810
erhalten hat, im Wesentlichen einen Bau aus der Mitte des dreizehnten-
») Michel, rancien Auvergne et le Velay, gieht Abbildungen und Vol. III. p. 152
Nachrichten. Vgl. auch Gailiiabaud Denkmäler Vol. III.
2) Viollel-le-Duc, II, S. 472 f. Ebenda Grundriss.
3) Das Bd. IV, S. 494 erwähnte Werk von Blavignac beschränkt sich auf die ro-
manische Zeit, und die in der ersten AuOage gegebenen Beschreibungen der Dome
von Lausanne und Genf beruhten ausschliesslich auf meinen eigenen Anschauungen.
Neuerlicli sind die schweizerischen Monumente Gegenstände grösserer Aufmerksamkeit
geworden. Vgl. Ramee l'Art du moyen age en Snissc in Didron's An. Arch. B. XVI
1856), Lübke Arch. Gesch. 3. Auil, S. ;519.
Genf und Lausanne. 141
Jahrhunderts erkennen, der vielleicht schon im zwölften Jahhundert begon-
nen war oder Theile aus einem solchen früheren Bau beibehalten hat. Sie
wurde 1275 geweiht. Das Langhaus^) hatte ui-sprünglich quadrate sechs-
theilige Gewölbe, von denen noch eins erhalten ist, starke Bündelpfeiler,
eckigen Kerns und mit Halbsäulen nach der Richtung der Gewölbgurten um-
stellt, wechseln mit einfachen oder gekuppelten Säulen von verschiedener
Stärke. Die Scheidbögen und die Arcaden der Gallerie sind spitz, aber mit
einfacher romanischer Profilirung; die Kapitale sämmtlich mit knospenför-
migem Blattwerk versehen. Die Kreuzfagaden sind durch drei lancetförmige
und darüber gestellte kreisförmige Fenster belebt. Der Chor endlich ruht
auf sechs Rundsäulen, und ist von einem (wegen des abschüssigen Bodens)
niedriger gelegenen polygonen Umgange umgeben, in welchem an der "Wand
eine Arcatur mit kannelirten Pilastern und koriuthisirenden Kapitalen an-
gebracht ist. Nur eine Kapelle springt in Gestalt einer kleinen Apsis
aus dem mittelsten Joche des Umgangs heraus. Dies scheint der älteste
Theil, wie denn auch an der Gallerie des Chors noch Rundbögen vorkom-
men. Das Portal des südlichen Seitenschiffs hat zwischen Ringsäulen sechs
Statuen, Moses, Johannes den Täufer und Abraham auf der einen, Petrus,
Johannes den Evangelisten und einen anderen Apostel auf der anderen Seite,
in dem strengen byzantinisirenden Style, der in Frankreich im zwölften
Jahrhundert herrschte. Wir sehen daher hier Anklänge an französischen
Styl und mehr an den von Burgund als an den der Provence. — Die streng
gegliederte Fensterrose der südlichen Querhausfront hat Villard de Honne-
court in sein Skizzenbuch gezeichnet.
Die Kathedrale von Genf hat schwerlich noch Ueberreste aus dem
Bau, welcher von 950 bis 1034 ausgeführt wurde-), obgleich manche De-
tails noch sehr alterthümlich erscheinen, sondern gehört dem Ende des
zwölften und dem dreizehnten Jahrhundert an. Das Langhaus erinnert in
seiner Anlage fast an italienische Kirchen gothischen Styls, indem die Ab-
stände seiner fünf Pfeiler überaus gross, fast der Breite des Mittelschiffs
gleich sind. Diese Pfeiler sind zwar sämmtlich gleich, aber übrigens ähn-
lich wie die der Kathedrale von Lausanne, sehr stark, mit zwölf Halbsäulen
umstellt, zwischen denen die Ecken des Kerns kaum merklich hervortreten,
und von denen die mittleren ununterbrochen zum Gewölbe aufsteigen. Die
attische Basis hat das ausgebildete Eckblatt, die Kapitale sind sämmtlich
verschieden und mit sehr mannigfaltigem Schmucke ausgestattet; bald mit
*) Grundriss bei Lübke, Arcli. Gesch. 4. Aufl. S. 513, nach Aufnahme von
Lasius.
-) Wie dies Blavignac Histoire de l'Architecture sacree S. 277 annimmt. Derselbe
giebt übrigen s einen Grundriss, und Taf. LXV — LXXIJI einige Details.
142 D'ß romauisclie Scliweiz,
heiligen Darstellungen, bald mit Sirenen, Vögeln, geflügelten Greifen und
anderen grottesken Gestalten, bald endlich bloss mit Blattwerk oder Ver-
schlingungen, stets mit unverkennbarer Reminiscenz an das korinthische
Kapital. Die Gestalten, Christus, die drei Marien am Grabe, Melchisedek,
Abraham und Andere, sind unendlich roh behandelt, die phantastischen Fi-
guren, unter denen sich auch eine Chimaera mit der Namensbezeichnung
findet, lassen symbolische Beziehungen erkennen, aber das streng stylisirte,
reiche Blattwerk deutet unzweifelhaft auf spätronianische Zeit hin. Die
hohen, bald als Welle bald als Wulst gestalteten Deckplatten sind in ähnlicher
Weise mit Palmetten oder Rankengewinden ausgestattet. Selbst die in brei-
ter Zuspitzung hoch aufsteigenden Scheidbögen sind nicht unverziert geblie-
ben, sondern haben wechselnden Schmuck von schachbrettartigen Viertel-
stäben, Klötzchen oder Perlen. Die Oberlichter bestehen aus Gruppen von
drei Fenstern, vor denen eine freie Arcatur von fünf nach dem Scheitel des
Schildbogens aufsteigenden Spitzbögen angebracht ist. Der Chor ist mit
fünf Seiten des Zehnecks geschlossen, ohne Umgang, im Aeusseren mit dem
Rundbogenfriese, im Inneren unter den spitzbogigen Fenstern mit einer
rundbogigen Arcatur auf kannelirten Pilastern ausgestattet. Auch die Ar-
caden des Triforiums und die Fenster der Seiten- und Querschifle sind rund-
bogig, aber ebenfalls mit spätroraanischer Oruamentation, die letzten mit
Säulen und kräftigen Archivolten reich verziert. Wir finden also auch hier,
ungeachtet die ganze Anlage schon dem frühgothischen Style angehört, noch
den plastischen Reichthum, aber auch die rohe Behandlung der Figuren wie
in den früheren schweizerischen Bauten. Die Fagade ist im vorigen Jahr-
hundert ganz umgestaltet, ein Thurm im Jahre 1510 erneuert, einige Kapel-
len gehören dem vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert an, der Haupt-
körper der Kirche giebt aber mit seiner frischen und rüstigen Haltung im
Geiste des frühgothischen Styls einen sehr günstigen Eindruck.
Genf gehörte zur Diöcese von Vienne in der Provence, aber es muss
in baulicher Beziehung andere Verbindungen gehabt haben, welche die Hin-
neigung zum gothischen Style beförderten. Vielleicht waren diese durch
Lausanne vermittelt, welches unter dem Erzbischof von Besangon stand,
und somit schon nach Norden blickte. In der That gleichen die Oberlichter
in der Kathedrale von Genf denen, welche sich in der ursprüdlich romani-
schen, aber vielfach veränderten Kathedrale dieser Metropole befinden. Ne-
ben diesen Kathedralen sind nur noch ein Paar kleinere Denkmäler zu
nennen. Zuerst die Valerienkirche zu Sitten, eine Basilika mit ] oly-
gonera Chorschluss und mit Thürmen an Stelle der Kreuzarme; die Mittel-
schiffjoche sind quadratisch, Gewölbe und Fenster spitzbogig, aber die
reichgegliederten Pfeiler aus eckigem Kerne gebildet, das Ganze noch mit
starken romanischen Reminiscenzen. Die Kirche zu Moudon (Milden) im
Die Bretagne. 143
Canton Waadt gehört der Schule der Kathedrale von Lausanne an '). An
ein Langhaus von sechs rechteckigen, aber dem Quadrat sich nähernden
Spitzbogengewölben stösst ein gerad abschliessender Chor; starke cantouirte
Kundpfeibr tragen breite spitze Scheidbögen, das Dach der Seitenschiffe
steigt so hoch empor, dass nur in der obersten Spitze der Schildbögen für
ein ganz kleines Fenster Raum bleibt. Die Wandfläche über den Arcaden
ist durch eine Art Triforium, eine isolirt stehende Gruppe von drei säulen-
getragenen Bögen mit Kleeblattschluss, belebt. —
Nachdem wir so die südlichen Gegenden überblickt haben, beginnen
wir die Betrachtung der westlichen Provinzen Frankreichs mit der nörd-
lichsten derselben, der Bretagne-). Sie liefert den Beweis, dass das nor-
dische Klima allein nicht genügte, um dem gothischen Style schnellen Ein-
gang zu verschaffen. Ich habe schon in der vorigen Epoche bemerkt, dass
diese Provinz sich in baulicher Beziehung erst spät entwickelte, die Spuren
des gothischen Stj^ls beginnen daher hier auch erst nach dem Anfange des
dreizehnten Jahrhunderts. Sie zeigen aber merkwürdiger Weise mehr den
Einfluss englischer, als französischer Gothik. Die Kirche von Beauport-^),
w^elche, einige Zeit nach der im Jahre 1202 erfolgten Verlegung der Abtei
an diese Stelle, in der ersten Hälfte des Jahrhunderts entstanden sein wird,
hat noch Uebergangsformen ; schwere Pfeiler viereckigen Kerns, runde Fen-
ster in den Seitenschiffen, spitze Oberlichter. Aber ihre Kreuzarme haben
nur auf der östlichen Seite Seitenschiffe, was in Frankreich niemals, in
England gewöhnlich vorkommt, und das Maasswerk zeigt die in England
übliche Bildung aus concentrischen Bögen. Interessant ist das Kapitelhaus
mit seinen überaus schlanken, monolithen Säulen, und das um 1250 erbaute
Eefectorium, welches bei aller Eleganz gothischen Styls noch rundbogige
Fenster hat.
Die Kathedrale von DoH) ist völlig englischer Anlage; ein Kreuzbau
mit fast gleicher Länge des Laughauses und des Chores, rechtwinkeliger
Chorschluss mit einem grossen achttheiligen Fenster, dahinter eine kleinere
^) Wii- verdanken Herrn J. R. Rahn, der seit längerer Zeit mit einem Speciahverk
über die Denkmäler der Schweiz beschäftigt ist , die Mittlieilung einer Aufnahme
dieser Kirche.
-) Das Werk über die Alterthümer der Bretagne von Charles de la Momeraye ist
mic nicht zugänglich gewesen; ich folge hierMerimee, Notes d'un voyage dans l'Ouest,
den von Caumont im Bull. mon. XVI, 425 gegebenen Bemerkungen und der 'N'oyage
dans l'aucienue France, Bretagne.
•^) Merimee p. 136 und Caumont a. a. 0. S. 441, vg], mit Bull. mo:i. XV, p. 9.
•*) Merimee S. 170 und Caumont S. 458.
"l^^ Aquitanien.
Kapelle der Jungfrau. Die Pfeiler sind im Schiffe aus vier, im Chor aus
zehn Säulen zusammengesetzt, und tragen mit einem überschlanken, vom
Boden aufsteigenden Stamme die Gewölbe. Auch die Kapitale und Deck-
platten und die Details des Triforiums gleichen englischen Bauten. Nur die
Leichtigkeit der Strebebögen ist diesen fremd. Die Kirche ist, mit Aus-
nahme der Portale und zum Theil der Thürme, ganz in gleichem frühgothi-
schem Style gebaut und wird gegen das Ende der Epoche angefangen sein.
Auch an der Kathedrale von St. PoI-de-Leon, deren Chor und
Frauenkapelle erst aus dem vierzehnten Jahrhundert stammen, während im
Schiff die romanischen Pfeiler des älteren Baus benutzt sind, findet sich
Maasswerk englischer Form. Diese Einwirkung des englischen Styls ist,
da ein enger politischer Zusammenhang nicht bestand, nur durch den kelti-
schen Nationalcharakter zu erklären, welcher dieser Gegend fortwährend
eine Hinneigung zu dem benachbarten Insellande gab.
Auch in den südlicher gelegeneu Provinzen des Westens, die sich von
den Grenzen der Bretagne und Norniandie bis an die Garonne erstrecken,
im vormaligen Herzogthum Aquitanien, fand der gothische Styl wenig
Anklang. Bei den hier gehaltenen Versammlungen französischer Antiquare
mussten die einheimischen Alterthumsfreunde die Frage nach dem Vorhan-
densein frühgothischer Kirchen in den Diöcesen von Bordeaux, Saintes und
Angers unbedingt verneinen i). Die Bewohner dieser Provinzen, romanisirt
wie die der südlichen Gegenden, und daher in Sprache und Poesie sich an
diese anschliessend, hatten dagegen die Reinheit des keltischen Stammet
in viel höherem Grade erhalten, und widerstrebten mit der diesem Stammes
eigenen Zähigkeit dem germanischen Elemente. Wir sahen oben, dass dieses
unter der Herrschaft der Karolinger fast keinen Einfluss auf sie' geübt
hatte, dass sie namentlich die Traditionen römischer Architektur noch im
zehnten und elften Jahrhundert bewahrten. Die geistige Bewegung des
elften Jahrhunderts hatte diesen stationären Zustand zwar gebrochen; neue
Formen waren in Aufnahme gekommen, der Spitzbogen, den wir in decora-
tivem Sinne angewendet schon um 1100 in Moissac fanden, das Kuppel-
system, welches von St. Front in Perigueux ausging, endlich die phantastische
Ornamentation der Fayaden, von der wir Beispiele gesehen haben. Aber
diese Neuerungen schlössen sich dem bisherigen Systeme an, vermischten
sich mit den romanischen Traditionen, erzeugten nicht das Bedürfniss nach
weitereu Fortschritten und wurden mit derselben Beharrlichkeit festgehalten,
wie früher die unmittelbare römische Ueberlieferung -). Noch die Fagade
') Bull, moiium. VIII, 309, 311; X, 568-, VII, 522.
-) Noch unter Philipp August wurde die Kirciie zu Broisstu: mit Kuppeln wie in
Aquitanien unter Heinrich II. 145
Yon Notre-Dame la graude iu Poitiers, die ich des Zusammenhanges wegen
in der vorigen Epoche erwähnt habe, gehört gewiss erst der zweiten Hälfte
des zwölften Ja-hrhunderts an, und eine Reihe kleinerer Kirchen zeigt, dass
man noch im dreizehnten Jahrhundert an vielen Stellen ausschliesslich ro-
manische Formen, nur in milderer und mehr harmonischer Weise, anwendete ^).
Zu diesen Elementen kam im Anfange dieser Epoche noch ein anderes.
Durch die Vermählung Heinrichs H., Königs von England und Grafen von
Anjou, mit Eleonore, der Erbin von Poitou, Guyenne und Gascogne, im
Jahre 1152 wurden diese Provinzen nebst den dazwischen gelegenen Land-
schaften für Jahrhunderte zu einem Ganzen und mit England verbunden.
Zwar war dieses Band für den Anfang keinesweges ein sehr inniges, aber
der neue König war ein Freund der Architektur und beförderte besonders
auch in diesen, dem Königspaare angestammten Besitzungen bauliche Unter-
nehmungen, bei welchen wenigstens einzelne Formen der englischen Archi-
tektur um so eher in Aufnahme kamen, als auch sie zum Theil keltischen
Ursprungs und daher dem einheimischen Geschmacke verwandt waren-).
Zugleich aber war durch die gemeinsame Herrschaft auch eine nähere Ver-
bindung mit der Normandie begründet, welche allmälig auch dem gothischen
Style, so weit er hier schon bekannt war, Anwendung verschaffte. Es ent-
stand hiedurch eine Mischung mannigfacher Elemente, in welcher sich aber
auch wieder der einheimische Geschmack mit seiner Neigung zu breiten und
schweren Formen geltend machte.
Ein Beispiel dieser Mischung giebt die Fa§ade der Kirche St. Croix
in Bordeaux 3), zu einer alten, im zehnten Jahrhundert gegründeten Abtei
gehörig, anscheinend aus der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts stam-
mend. Der Mittelbau, von zwei unvollendeten Thürmen begrenzt, hat ein
S. Front gebaut. Vgl. F. de Verneilh , des iufluences byzantines en France, Aunales
archeologiques.
1) Beispiele solcher spätromanischen Kirchen sind die von Charlieu (Loire), von
St. Pierre in Chauviguy (Poitou) und endlich von Retaud und Riaux im Saintonge. Bull,
monum. VII, 582; IX, 517; X, 147, 559, 568. HiJchst merkwürdig ist, dass die Chor-
nische an der Kirche von Retaud eine Zwerggallerie nach rheinischer Weise hat, dass
mithin hier im äussersten Westen eine in Frankreich sonst durchaus unbekannte Form
vorkommt. Der Berichterstatter (X, 559) scheint von ihrer Existenz in anderen Ge-
genden nichts zu wissen, und beschreibt und bewundert die Erfindung des Baumeisters,
durch welche er Mauererleichterung und Zierde zugleich zu schaffen gewusst habe.
Auch scheint aus den Bemerkungen, welche Viollet-le-Duc, Dict. I, p. 98 macht, her-
vorzugehen, dass ihm in Frankreich fast nur blinde Arcaturen dieser Art vorge-
kommen.
-) Godard-Faultrier, in seinem Werke 1' Anjou et ses monuments, bezeichnet des-
halb den üebergangsstyl im Anjou und Poitou als: Style Plantagenet, um auf die
Verbindung französischer und englischer Elemente hinzuweisen.
•J) K. Bernhard Stark a. a. 0. S. 231.
Schnaase's Kunstgcsch. 2. Anfl. V. 10
246 Aquitanien.
prachtvolles Hauptportal zwischen zwei schmalen und blinden Seitenportalen,
darüber gekuppelte Bogenfenster und Gallerien, welche zur Aufnahme von
Bildwerken bestimmt gewesen zu sein scheinen. Die reiche Ornamentation
der Portale, Zickzack, Sterne, Schnabelspitzen, Schachbrettfriese, lässt den
englisch-normannischen Einfluss erkennen, auch die Bögen sind mit dem
Zickzack bedeckt; aber die Kragsteine und Blattornamente der Gesimse und
die Gruppen von Halbsäulen an den Stockwerken der Thürme zeigen den
antikisirenden südfranzösischen Geschmack.
In den nördlichen Gegenden Aquitaniens war diese antikisirende Rich-
tung schon in der vorigen Epoche mehr in den Hintergrund getreten und
dagegen durch klimatische Ursachen und nordische Einflüsse und zum Theil
durch die Nachwirkungen des fremden Kuppelsystems eine grössere Empfäng-
lichkeit für gothische Formbildung vorbereitet. Dies zeigt sich besonders
an einem Monumente, dessen Entstehung unmittelbar an Heinrich II. an-
knüpft, und dessen Geschichte für diese Provinz überaus wichtig ist, an der
Kathedrale von Poitiers ^). Der Neubau derselben wurde im Jahre 1162,
anscheinend ohne dringende Veranlassung, während der Anwesenheit der
einheimischen Fürstin Eleonore und ihres Gemahls, mit Unterstützung dieses
königlichen Paares begonnen-), schritt dann aber überaus langsam fort, so
dass die endliche Einweihung des vollendeten Gebäudes erst im Jahre 1379
stattfand. Indessen ergiebt sich aus den Feierlichkeiten dieses Aktes selbst,
dass eine provisorische Weihe lange vorher stattgefunden haben muss, und
die Kirche längst im Gebrauche gewesen war^). Auch lässt der Styl der
einzelnen Theile keinen Zweifel darüber, dass Chor und Kreuzarme noch im
zwölften, die unteren Mauern, die Grundlage der Pfeiler und die östlichen
Abtheilungen des Schiffes im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts entstan-
den und nur bei dem Ausbau der oberen Theile desselben längere Pausen
eingetreten sind. Die Anlage ist sehr einfach, aber doch sehr ungewöhnlich;
sie hat nämlich bei geradem Chorschlusse zwar die Gestalt eines Kreuzes,
aber nicht in gewohnter Weise. Der Hauptstamm dieses Kreuzes, der also
^) Auber, Histoire de la Cath. de Poitiers, Paris 1849, 2 Bände mit einigen (frei-
lich in architektonischer Beziehung nicht selir befriedigenden) Zeichnungen. — Viollet-
le-Duc, II, p. 370 f. und IX, p. 253 f., mit Abbildungen.
2) Inkei:^iey S. 67 und Auber p. 72. Urkundliche Bestätigungen dieser auf alter
Tradition beruhenden Nachricht scheinen nicht vorhanden zu sein.
•'') Auber a. a. 0. II, 122. Man brächte allen Schmuck der Altäre und die Re-
liquien, welche die Kirche bewahrte, einstweilen in eine andere Kirche, damit nichts
andeute, dass dese Stätte vermöge einer vor fast zweihundert Jahren eriheilien Weihe
dem Cultus gedient habe. Die ausführliche Erzäblcng zeigt deutlich, dass die Kirche
schon seit langer Zeit im Gebrauche war, und giebt einen sehr augenscheinlichen Be-
weis dafür, dass das Datum der Weihe keineswegs eiu' n zuverlässigen Aiilialispunkt
für die Entstellungszeit des Gebäudes darbietet.
Kathedrale von Püitiers.
147
Fig. 28.
^as Langhaus und den Chor bildet, besteht nämlich aus drei Schiffen von
fast gleicher Breite, welche durch je sieben Pfeiler von durchweg gleichen
und ungefähr auch der Schiffbreite gleichen Abständen geschieden sind.
Dieser ganze Raum zerfällt also in vierundzwanzig ähnliche Gewölbfelder,
und hat, da die auf der fünften Arcade, von Westen gerechnet, ange-
setzten Kreuzarme nur ungefähr die Grösse eines Gewölbquadrates haben,
kein die ganze Kirche theilendes Querschiff. Die Kreuzarnie erscheinen
vielmehr nur als angesetzte Kapellen, Dieser so überaus einfache Plan ist
nun aber sogleich mit der eigenthüm-
lichen Unregelmässigkeit verknüpft,
dass die Schlussmauer des Chores
schmaler ist, als die der Fa9ade (90
zu 105 im Lichten), und die Seiten-
inauern mithin nicht parallel laufen,
sondern von Osten nach Westen be-
deutend divergiren. Diese sonderbare
Anlage ist dabei aber so consequent
durchgeführt, dass sie nicht füglich
durch eine blosse Nachlässigkeit ent-
standen sein kann; bei einer solchen
würden die stumpfen Winkel, mit de-
nen die Seitenmauern von der Chor-
wand abgehen, nicht völlig gleich aus-
gefallen sein. Man wird sie also für
beabsichtigt halten und dadurch er-
klären müssen, dass die Erbauer durch
diese Verengung nach Osten zu eine
ähnliche Wirkung erreichen wollten,
wie sie bei anderen Kirchen die Chor-
nische gab, eine Concentration der
heiligsten Stelle, eine perspectivische
Nöthigung für die Gemeinde, das Auge nach ihr zu richten i). Eine
zweite Eigenthümlichkeit des Gebäudes ist, dass es durchweg fast gleich-
hohe Schiffe hat. Zwar beträgt die (xewölbhöhe des Mittelschiffes im
westlichen Theile der Kirche etwa 90, die des Chores und der Seiten-
schiffe etwa 75 Fuss, aber diese Differenz gestattete doch keine Oberlichter
und wirkt mithin fast wie völlige Gleichheit der Höhe. Man kann indessen
zweifeln, ob dies ursj rünglich beabsichtigt oder nur im Laufe des Baues
1" ■- -^-^ '1 I
Kathedrale von Poitiers.
j,ö i'LsfreT,
^) Im geringeren Grade findet man eine solche Verengung nach Osten zu anch in
■anderen Fällen, z. ß. au dem Langhause von St. Michele in Pavia.
10*
248 Aquitanien.
wegen Unzulänglichkeit der Mittel beschlossen worden. Ein Schriftsteller
des sechszehnten Jahrhunderts spricht sich für die letzte Annahme aus;
man sehe, bemerkt er, an den Strebepfeilern, dass Strebebögen und mithin
die Anlage eines höheren Mittelschiffes im Plane gelegen habe^). Er hat
Recht, wenn er von dem westlich des Kreuzschiffes im dreizehnten und vier-
zehnten Jahrhundert ausgeführten Theile der Kirche spricht, denn hier sieht
man wirklich auf den Strebepfeilern die Anfänge weiterer Absätze, die dar-
auf hindeuten. Allein anders verhält es sich mit der östlichen Hälfte des
Gebäudes, denn hier, am Chor und an den Kreuzarmen, sind die kräftigen
Strebepfeiler mit der Brüstungsmauer des Daches durch ein Gesims geschlos-
sen; auch lässt die Gestalt der Kreuzarme, die Decoration der Schlussmauer
des Chores so wie die schon bedeutende Höhe der Seitenschiffe des letzten
deutlich erkennen, dass man keine Erhöhung des Mittelschiffes beabsichtigt
hat. In der That ist eine solche Anlage in, dieser Gegend weniger über-
raschend, da auch die älteren Kirchen (selbst N. D. la grande und andere
in dieser Stadt) drei Schiffe ohne Oberlichter und unter einem Dache haben.
Erst als der gothische Styl, dem dies fremd war, zur Anwendung kam, wird
man daher daran gedacht haben, wenigstens dem Langhause die gewöhnliche
Anlage zu geben, ein Plan, auf den man dann wiederum später verzichtete,,
um die endliche Vollendung der Kirche nicht länger aufzuhalten-). Auf
diese Weise entstand dann hier die Anlage gleichhoher Schiffe, die sich,.
ausserdem in Frankreich in keiner Kathedrale, ja selbst bei keiner grösse-
ren Kirche findet^).
Chor und Kreuzschift' sind noch durchaus rundbogig, von gewaltiger
Mauerdicke, innerhalb welcher in den drei Schiffen des Chores und in den
Kreuzarmen auf der östlichen Seite Nischen angebracht sind. Dieser ältere
Theil des Gebäudes hat ein ziemlich kriegerisches, aber nicht ungefälliges
Ansehen; der Unterbau steigt ohne Fenster oder sonstige Belebung bis zu
bedeutender Höhe auf, worauf dann erst auf einem kräftigen, aber durch
1) Bouchet, Annales d'Aquitaine, bei hikersley a. a. 0. p. 67. Voyre na este pour-
suyvy Selon la prämiere entreprinse, car la voulte du niilieii ilevoit estre a arcs bou-
tans et dessus les aatres deux voultes comme on peult veoyr p. les piliers des dictz
arcs boutans.
2) Der Verlasser der S. 146 Nr. 1 angelührten weitläufigen Monographie berührt diese
Frage mit keiner Sylbe, erwähnt indessen bei der genauen Beschreibung des ganzen Baues
einer oberhalb der Gewölbe auf den Pfeilern des Schiif es ruhenden Mauer mit Oeffnungen,.
welche jetzt das Dach stützt. Eine sachverständige Untersuchung würde vielleicht die
Ueberzeugung gewähren, dass sie für das Oberschiff bestimmt gewesen, aber auch, dass
sie sich oberhalb des Chores nicht findet.
^) An kleineren Kirchen sollen sich auch in Frankreich gleichhohe Schiffe finden -y
man hat mir namentlich die Kirche von Vermanton, unfern Auxerre, genannt.
Kathedrale von Poiliers.
149
-eine einfache Welle gebildeten Gesimse das etwas zurücktretende Stockwerk
der ziemlich hohen Fenster ruht. An der Chorwand stehen hier drei, den
Schiffen entsprechende, weite, rundbogige Fenster, deren Kämpfergesimse
durch eigenthümliche, in die Mauer eingelassene Zwergsäulen mit dem Ge-
-simse des dritten Stockwerks verbunden ist, welches dann durch schlanke
Blendarcaden belebt, an den Ecken von achteckigen Thürmchen flankirt, und
über den Seitenschiffen mit einer schwachen Brüstungsmauer, über dem
Mittelschiffe mit einem nie-
drigen Giebel bekrönt ist. '^' '"''
Die Seitenwände des Chors
und das Kreuzschiff' haben
zwischen den sehr mäch-
tigen Strebepfeilern hohe
gekuppelte Rundbogen-
fenster. .Jenseits des
Kreuzes ist diese Anord-
nung fortgesetzt, nur dass
die Fenster hier theils ge-
kuppelt und in Lancetform,
theils zweitheilig mit ein-
facherem, theils vier- oder
sechstheilig mit reicherem
Maasswerk gebildet sind,
4ind dass die Mauerkrönung
statt der einfachen Krag-
-steine des älteren Baues
-ein mit gothischem Blatt-
werk verziertes Gesims ,
statt der schlichten, un-
durchbrochenen Brüstungs-
mauer eine Balustrade von
Vierpässen erhalten hat.
Wir sehen daher in der
Terschiedenheit dieser
"Theile , besonders in der
von Osten nach Westen ,
■der Fensterbildung
Kathedrale von Poitiers.
der Fenster, das Fortschreiten des Baues
gewissermaassen eine fortlaufende Geschichte
Die Fagade, von zwei Thürmen ungleicher Grösse und
"Stellung flankirt, namentlich ihre drei reichgeschmückten Portale und die
grosse Rose, gehören dem vierzehnten Jahrhundert an, während zwei andere,
am Langhause nächst den Kreuzarmen angebrachte Eingänge mit aus-
serordentlich schöner Sculptur aus dem dreizehnten stammen möchten.
;[50 Aqnitanien.
Im Inneren ist zunächst eine sehr zierliche Arcatur zu erwähnen^ welche^
im ganzen Bau gleich, an den Wänden angebracht ist und in jedem Joche
aus vier rundbogigen Blenden besteht, die ein Gesimse tragen und so einen
schmalen Umgang unter den Fenstern bilden. Die Kragsteine dieses Gesim-
ses sind sämmtlich mit zierlich gearbeiteten Figürchen von höchst verschie-
dener Bedeutung geschmückt, theils Engel und symbolische Gestalten, theils
Karrikaturen und Burlesken. Die Pfeiler sind viereckigen Kerns mit vier
Front- und vier Ecksäulen, mit Eckblättern und Knospenkai^itälen. Die
Gewölbegurten sind durchweg breit, eckig, mit schwachen Rundstäben einge-
fasst; die Gewölbe haben vier Diagonalrippen, einige sogar ausserdem noch
vier Scheitelrippen^ dabei aber eine der Kuppel ähnliche Ausführung. Man-
ches erinnert an englische Bauten; die solide, trotzige Schwere des Unter-
baues und der Strebepfeiler, der gerade Schluss und die Länge des Chors
endlich auch die Arcatur des unteren Stockwerks im Inneren mit ihren
Kragsteinen und Sculpturen, und selbst das achttheilige Rippengewölbe, das
in England so gewöhnlich ist. Indessen fehlen doch die charakteristischen
Merkmale des englischen Styls; die Pfeilerbildung, die gleiche Höhe der
Schiffe sind eher aus einheimischen Vorgängen zu erklären, das achteckige
Gewölbe und jene Arcatur kommen in der Uebergangszeit an Kirchen dieser
Gegend auch sonst vor, und selbst der gerade Chorschluss war hier nicht
unbekannt. Es sind daher höchstens englische und einheimische Elemente
gemischt und zu einem, man kann nicht leugnen, sehr eigenthümlichen Gan-
zen sinnreich verbunden. Aber auf jeden Fall ist in der ganzen Anlage,.
Haltung und Ausstattung der östlichen Theile noch keine Annäherung an
den gothischen Styl zu erkennen, und wir sehen vielmehr sehr deutlich, dass
er erst später dazu getreten ist und sich an Fenstern und Portalen geltend
gemacht, endlich aber doch dem einheimischen Provinzialismus a«como-
dirt hat.
Ich habe schon früher^) der Kathedrale St: Maurice von Angers^
als eines in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhundert entstandenen Ge-
bäudes erwähnt, welches noch die Nachwirkung des Systems der Kuppelge-
bäude zeigt, wie es von St. Front in Perigueux ausgegangen war. Bestimmte
historische Nachrichten, welche die erwähnte Bauzeit ergeben, besitzen wir
zwar nicht, und die Localforscher geben ein älteres Datum an. Allein der
Styl deutet auf diese Zeit, und es ist sehr wahrscheinlich, dass Heinrich II.,.
der in der Normandie so viel baute und sich an der Kathedrale von Poitiers
betheiligt hatte, die Hauptkirche seines Erblandes, Anjou, in gleicher Weise
begünstigt und so den Neubau des Langhauses veranlasst haben wird, der
dann im letzten Viertel des zwölften Jahrhunderts mit der Ausstattung des
') ß(l IV, S. 535.
Kathedrale vou Angers. 151
Westportals beendet sein mag. Dies ist nämlich im stumpfen Spitzbogen
geschlossen und durch Statuen von langgedehnter Gestalt und dichtgefalteten,
reichverzierten Gewändern in dem strengen Style der mittleren Provinzen
Frankreichs geschmückt, und unterscheidet sich sehr wesentlich vou der
üppigeren Ornamentation im Poitou. Das Langhaus ' selbst ist einschiffig*),
aber mit der bedeutenden Breite von 50 Fuss, und durch drei gewaltige
kuppeiförmige Kreuzgewölbe gedeckt, welche auf den Säulenbündeln der
Wandpfeiler ruhen, zwischen welchen die Mauer, wie in jenen Kuppelkirchen,
eine Reihe von flachen, von hohen Spitzbögen umgrenzten Wandnischen, und
über diesen unter jedem Schildbogen zwei rundbogige Fenster enthält. Die öst-
lichen Theile, Kreuzschiff und Chor, sind dem Langhause nicht gleichzeitig,
sondern erst in den Jahren 1225 bis 1240 gebaut, haben aber im Wesent-
lichen dieselbe Anordnung, nur dass alle Fenster ^paarweise und mit einer
darüber gestellten Rosette gruppirt) spitzbogig sind und an die Stelle jener
Wandnischen eine reich verzierte Arcatur, am Anfange des Chors von run-
den, weiterhin von spitzen Bögen getreten ist. Die Details sind dabei im
Wesentüchen romanisch; die Kapitale noch mit der Reminiscenz des korin-
thischen und mit Köpfchen von Engeln, Königen, Bischöfen zwischen dem
Laubwerk, die Profile der Bögen und Gurten aus Rundstäben und Zickzack
bestehend. Die Strebepfeiler gleichen den Waudpfeileru jener Kuppelkir-
chen, und für Strebebögen war natürlich keine Stelle. Einzelnes weiset nach
England hin; so kommt zwischen den Säulchen der Arcaden jenes Zahnor-
nament vor, welches im frühenglichen Style gerade an solchen Stellen wahr-
haft wuchert. Noch um 1240 hat also der gothische Styl im Anjou, unge-
achtet in dem benachbarten Maus der Chor schon seit 1217 in den reinsten
Formen dieses Styls erstand, noch keiueu Eingang gefunden.
Einzelne seiner Elemente, namentlich die praktisch nützlichen, waren
indessen doch schon an einigen Stelleu angewendet, wahrscheinlich durch
klösterliche Vermitteluug. Dies zeigt die merkwürdige Kollegiatkirche von
Dorat (Haute-Yienne) in der ehemaligen Provinz Marche, nahe an der Grenze
des Poitou gelegen, jetzt der Sitz eines Seminars. Die grosse und vollstän-
dig erhaltene Kirche hat die gewöhnliche Anlage; ein Langhaus mit schma-
len Seitenschiffen, den Chor mit Umgang und drei radianten, das Kreuzschiff
mit zwei anderen, dem Chore parallelen Kapellen. Unter dem Chore in sei-
ner ganzen Ausdehnung liegt eine Krypta. Auf der Vorhalle des Mittel-
schiffes erhebt sich ein schwerer, fast quadrater Thurm, auf der Vierung
des Kreuzes ein schlankerer, achteckiger, dessen Kuppel im Innern ungefähr
100 Fuss über dem Boden liegt, und dessen steinerner Helm, offenbar das
1) Grundriss bei Viollet-le-Duc, II, S. 369 und bei Felix de Verneilh, Arch. Byz.
ea France. Tab, XV.
252 Aquitanien.
Werk einer etwas späteren Zeit, die Höhe von 190 Fuss erreicht. Die Sei-
tenschiffe sind mit romanischen Kreuzgewölben, das Mittelschiff ist mit einem
spitzbogigen, durch Quergurten verstärkten Tonnengewölbe bedeckt. Schwere,
viereckige, auf jeder Seite mit einer Halbsäule besetzte Pfeiler trennen diese
Schiffe, während im Chor monolithe Rundsäulen stehen. Die inneren Arca-
den sind spitz, die Fenster meistens rundbogig; nur am Chore mit kleinen
Säulchen versehen, die Fa§ade ist dagegen mit stumpfgespitzten Blendarca-
den überzogen, und das Westportal von vier vertieften Archivolten über-
AYölbt, welche, wie es im mittleren Frankreich nicht selten vorkommt^), in
einer den rheinischen Fächerfenstern ähnlichen Weise gebrochen und ' in
mehrere kleine Bögen (hier in sieben) aufgelöst sind. Oberlichter fehlen;
die Kapitale sind mit Gestalten, Blattwerk oder anderen Ornamenten ziem-
lich roher Arbeit verziert; das Gesims ruht durchweg auf schlichten Conso-
len. Soweit also Alles im alten Style. Aber die Wände der Seitenschiffe
und Kapellen sind mit Strebepfeilern bewehrt, für den Wasserablauf von dem
flachen Dache der Seitenschiffe ist durch steinerne Rinnen gesorgt, und der
ganze Bau macht durch seine schwere, aber sorgfältige Construction einen
ähnlichen Eindruck, wie die Gebäude der ersten Stufe des frühgothischen
Styls-). Er wird daher wohl nicht eher als am Ende des zwölften Jahrhun-
derts entstanden sein, und begründete hier gewissermaassen eine Schule,
indem sich in der Umgegend mehr als fünfzig Kirchen sehr ähnlicher Art
finden, unter denen die Klosterkirche zu Benevent im Departement der
Creuse fast als eine Kopie im verkleinerten Maassstabe erscheint. Eine
weitere Ausbildung in der Richtung des gothischen Styls zeigt sich indessen
nicht, und man blieb bei dieser schweren und einfachen Bauweise, bis der
völlig ausgebildete Styl auch hier als ein Fremdling eindrang.
Dies geschah nicht eher als um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts,
wo wir ihn an der Kathedrale St. Andre in Bordeaux^) finden. Es ist
ein kolossales Gebäude, an welchem vom elften bis vierzehnten und sogar,
nachdem es im Jahre 1427 durch ein Erdbeben gelitten hatte, bis zum
sechszehnten Jahrhundert gebaut wurde, und das daher sehr verschieden-
artige Theile enthält. Die West fagade (1525) gehört der Renaissance an, die
Kordfagade des Kreuzes mit hoher Portalnische und schlanken Thürmen der
^) Graf Montalembert (Ana. arch. XIII, p. 327) führt Kirchen zu Menat und St. Hi-
laire-la-Croix, beide im Dep. Puy de Dome, an, welche, obgleich seiner Ansicht nach
aus der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts herrührend, diese Verzierung- haben.
Auch an der Kathedrale von Puy findet sie sich.
-) Nachricht von dieser Kirche und einige Abbildungen giebt Texier, damals Oberer
des dort errichteten Seminars, in den Annales archoologiques, Bd. XII, S. 250 ff.
^) Bulletin monumental VIII, 240. Bourasse, Cathedrales francaises, p. 572. Bern-
hard Stark a. a. 0. S. 234.
Kathedrale von Bordeaux. 153
Herstellung nach jenem Erdbeben, die übrigen östlichen Theile, namentlich
der Chor mit Umgang und sieben radianten Kapellen, zeigen die reichen,
aber noch reinen Formen des vierzehnten Jahrhunderts. Nur das Langhaus
stammt aus der gegenwärtigen Epoche; seine Anlage fällt sogar noch in die
Frühzeit derselben, denn sie verräth die Schule von St. Front. Es ist näm-
lich, wie jene Kuppelkirchen, einschiffig und dabei von der im gothischen
Style unerhörten Breite von 54 Fuss, aber auch von der kolossalen Länge
von 228 Fuss, und erscheint daher, obgleich seine sieben Gewölbe die Höhe
von 85 Fuss erreichen, im Vergleich mit den gothischen Kathedralen schwer-
fällig und monoton. Am Fusse der Wände läuft im Innern, wiederum wie
in jenen Kuppelkirchen, eine rundbogige Arcatur, über welcher die Ober-
lichter aus zwei Lancetfenstern mit einer dazwischen gestellten, aber noch
kein Maasswerk bildenden Rosette bestehen. Dieser Theil scheint der Bau-
zeit von 1252 zuzuschreiben und beweist, dass sich noch um diese Zeit der
Nachahmung nördlicher, gothischer Formen romanische Reminiscenzen bei-
mischten. Eine sehr elegante Arbeit dieser Zeit und reineren Styls in der-
selben Stadt ist dagegen das laut Inschrift von dem im Jahre 1260 verstor-
benen Canonicus Raimundus a fönte gestiftete südliche Seitenportal der
ursprünglich romanischen, aber vielfach veränderten Kirche St. Severin,
welches unter einer in Gestalt eines halben Achtecks vortretenden Halle
liegt und aus einer Gruppe von drei hohen Spitzbögen besteht. Nur unter
dem mittleren, der höher emporsteigt, öffnet sich ein breites Portal und zwar
nicht nach gewohnter Weise unter geradem Balken, sondern unter einem
reich mit Blattwerk verzierten Kleeblattbogen. Die Seitenfelder sind ohne
Thüröffnung, wohl aber reich geschmückt mit Statuen zwischen Säulen. Die
Giebelfelder und Archivolten der oberen Bögen sind ebenfalls reich mit
Bildwerk überdeckt ^).
Die höchste Leistung des gothischen Styls in diesen Gegenden, die Ka-
thedrale St. Etienue von Limoges, steht mi^ zwei früher beschriebenen
südlichen Kathedralen, denen von Clermont und Narbonne, im nächsten Zu-
sammenhange. Sie hat den Chorschluss mit Umgang und fünf unter sich
gleichen Kapellen und wetteifert an edler Ausbildung der Formen mit den
nördlichen Domen, von denen sie künstlerisch abhängig ist -). Sie wurde aber
erst 1270 begonnen; der Chor wurde im Laufe des vierzehnten, das Kreuz-
schiff und der östliche Theil des Langhauses erst am Ende des fünfzehnten
Jahrhunderts im spätgothischen Style erbaut, und seit 1537 die weitere Fort-
setzung aufgegeben.
1) Stark a. a. 0. S. 236. — Kleine Abbildung bei Viollet-le-Duc, IX, S. 336.
2) Gruiidriss bei VioUet-Ie-Duc, II, S. 374, Ansicht einer Cliorkapelle S. 479, eines
Kaphäls S. 538.
;[54 Burgund.
Wenden wir uns nun nach den östlichen Provinzen, so finden wir zu-
nächst in Burg und im Ganzen noch sehr wenige Spuren des gothischen
Styls. Die Kathedrale von Autun ^) hatte eine Verbindung einheimischer
Traditionen mit vortheilhafteu Neuerungen gezeigt, welche vor der Hand
noch genügte und noch zu neu war, um schon verlassen zu werden. Die
Kathedrale von Langres, welche in der vorigen Epoche angefangen, aber
bis 1180 oder 1190 fortgesetzt und vollendet wurde, schliesst sich diesem
Vorbilde an, nur dass sie statt des Tonnengewölbes Kreuzgewölbe und statt
der einfachen Concha, welche die Kathedrale von Autun damals hatte, einen
Umgang im Halbkreis, jedoch nur mit einer Kapelle, erhielt. Fenster und
Triforien sind rundbogig geschlossen, aber in den Gewölben herrscht der
Spitzbogen. Die Anlage der Gewölbe des Chorumgangs und die unbeholfene
und störende Verbindung der Halbkuppel der Chorrundung mit den Kreuz-
gewölben zeigt, dass diese Wölbungsart hier noch wenig bekannt war 2).
Im Ganzen dauerte dieser Zustand bis zum Ende dieser Epoche. Eine
Ausnahme macht nur der Theil der Diöcese Autun, welcher an die Diöcese
Auxerre gränzt. Hier war die bedeutende Abtei von Vezelay, von der ich
schon früher gesprochen habe-^), eine Stätte fortwährender Bauthätigkeit.
Schon die grosse dreischiffige Vorhalle, welche in den ersten Jahren dieser
Epoche gebaut sein muss, zeigt Anklänge des neuen Styls. Der Spitzbogen
und das Kreuzgewölbe sind darin durchgeführt; jedoch noch in einer Weise,
welche an das bisherige Wölbuugssystem erinnert, indem das Mittelschift
keine Oberlichter hat und die Gewölbe der Gallerie sich in aufsteigender
Richtung, also mit einer Anstrebung, an das Mittelschiif anlehnen. Dagegen
hat der wahrscheinlich von dem Abte Hugo (1198 — 1206) gebaute Chor
schon entschieden gothische Tendenz, Säulen mit daraufstehenden Gewölb-
diensten, spitze, lebendig profilirte Scheidbögen, ein Triforium von Doppel-
öffnungen, enggestellte, schlanke Lancetfenster, das Ganze von Rippengewöl-
ben bedeckt, und zwar so, dass die des geraden Theils mit einer etwas
künstlichen, aber sinnreichen Anordnung der Halbkuppel eine Widerlage
geben. Die Einrichtung der fünf radianten Kapellen erinnert an St. Reniy
in Rheims, indem sie auch hier durch Durchgänge mit einander verbunden
sind, und also eine Art zweiten Umgangs, jedoch ohne Säulenstellung vor den
Oeffnungen der Kapellen bilden. Der Rundbogen kommt nur noch an der
1) Vgl Bd. IV. S. 518.
-) Näheres darüber bei ViolIet-le-Duc, I, S. 230. Der jetzige polygonale Chor der
Kathedrale von Autun stammt erst aus dem 15. Jahrhundert. — Grundriss und Durch-
schnitt von Langres bei Viollet-le-Duc, II, S. 316 f.
*) Bd. IV, S. 513. Publication von Vezelay in den Aichives des monuments
historiques mit Text. — Viollet-le-Duc, Dict. über die Vorhalle. Bd. IV, p. 31', über
Schill' und Chor. I, p. 231, 232 und IX, p. 247.
Langres, Vezelay. 15^
Arcatur unter den Fenstern der Kapellen und als Umschliessimg der gekup-
pelten Spitzbögen des Triforiums wie der spitzbogigen Oberlichter vor.
Auch die Kirchen von Montreal und Pont Aubert, unfern von Vezelay^
haben einen Uebergangsstyl mit gothischer Tendenz, spitzbogige Gewölbe^
theils solche, theils rundbogige Fenster, Pfeiler eckigen Kerns, und endlich,^
wie auch in der Champagne an Dorfkirchen nicht selten, den graden
Chorschluss ^).
Unzweifelhaft endlich ist der Einfluss des nordischen Styls auf den um
1230 begonnenen Neubau der schönen Kirche N. D. zu Dijon-). Es ist
ein Bau von massigem Umfange und Aufwände, dem Charakter einer städ-
tischen Pfarrkirche entsprechend, dabei aber von grosser Frische der Er-
findung und Anmuth der Ausführung. Man erkennt, dass der Erbauer die
Principien des gothischen Styls sich ganz zu eigen gemacht hat, aber sie
mit Freiheit und ohne ängstliches Anschliessen an das Herkommen der nörd-
lichen Provinzen anwendet. Der Chor ist ohne Umgang, von fünf Seiten
des Achtecks begrenzt, von zwei Reihen ungetheilter spitzbogiger Fenster
und dazwischen durch kreisförmige Oeffnungen beleuchtet; im Aeussern mit
mächtigen Strebepfeilern rein constructiv gehalten, im Innern durch wech-
selnde Reihen schlanker Wandsäulen vollständig belebt. Das Kreuzschiff ist
ohne Seitenschiffe, jedoch mit zwei auf der Ostwand heraustretenden poly-
gonen Kapellen. Im Langhause tragen Rundsäulen auf achteckiger Basis
die Dienste, von denen sechstheilige quadrate Kreuzgew'ölbe aufsteigen; über
den spitzbogigen Arcaden ist ein einfaches, aus Spitzbögen gleicher Höhe
gebildetes Triforium, darüber unter jedem Gewölbe ein Paar spitzbogiger
Fenster ohne 3Iaasswerk. Soweit schliesst sich alles dem nordischen Style
an, dagegen tritt auf der Westseite ein südliches Element hervor. Hier ist
nämlich nach älterem burgundischen Herkommen (Band IV. S. 508) eine
weite, zweistöckige Vorhalle von der Breite des Langhauses und der Tiefe
eines quadraten Mittelgewölbes, mit einer eleganten, aber durchaus von
der nordischen Sitte abweichenden Fayade angebracht. Zunächst nämlich ist die
Anlage von Strebepfeilern durch ein künstliches Sttitzungssystem vermieden,
so dass sich die Halle jetzt mit einer Doppelreihe von überaus zierlichen Pfei-
lern und Bögen öffnet, dann aber steigt dieser Fagadenbau ganz nach italieni-
scher Weise über die Vorhalle hoch hinaus und ist dabei durch zwei Reihen
von spitzbogigen, auf sehr schlanken Säulen ruhenden Arcaden geziert,
1) Zeichnungen und Beschreibungen beider Kirclien in den Annales Archeologiques
Vol. VII, p. 169, und XII, p. 164 und 232.
-) Einige Abbildungen bei Chapuy cath. frauc. Vol. II. Genaueres bei Viollet-
le-Dnc, Dict. Bd. IV, S. 99 ff. (Vorhalle) u. S. 131 — 146 (Chor und Langhaus)
Bd. VI, S. 14 tf., Bd. VII, S. 283 tt., (Vorhalle) Bd. IX, S. 234 tf.
^PfQ Lotliringeii.
•welche ein Fries mit Blattwerk und figürlichen Darstellungen trennt. Es ist
hier also eine Anlage gegeben, welche sich ungeachtet der überaus schlan-
ken und zierlichen gothischen Details, durch das ausschliessliche Vorherr-
schen der Horizontale von der Tendenz des gothischen Styls scheidet und
^inen entschieden südlichen Charakter annimmt. Es scheint nicht, dass
diese Richtung sich von hier aus weiter verbreitet hat^).
Lothringen gehörte in dieser Epoche in politischer Beziehung zum
deutschen Reiche, in kirchlicher zur Provinz Trier, allein seine Bevölkerung
war theilweise romanisch, seine Fürsten und Ritter hatten sich schon in den
Kreuzzügen den französischen angeschlossen und richteten auch ferner ihre
Blicke nach Frankreich, es grenzte überdies in seiner ganzen Länge an die
Champagne und hatte dem dort aufblühenden neuen Style keine ausgebildete
und eigenthümliche Bauweise entgegenzusetzen. Dies alles erklärt es, dass
der neue Styl, so weit die schon früher berührte Seltenheit erhaltener Mo-
numente in dieser Gegend es erkennen lässt, hier ziemlich frühe Ein-
gang fand.
Die Verbreitung französischer Bauformen wurde in vielen Fällen durch
die geistlichen Orden vermittelt. Wie die Cistercienser gingen auch die
Templer von Frankreich aus, und so ist denn auch in Lothringen die von
ihnen erbaute Kapelle in Metz 2), welche bald nach der Gründung des Or-
denshauses im Jahre 1133, also etwa um die Mitte des Jahrhunders entstan-
den sein mag, das erste Gebäude, welches eine Art Uebergangsstyl zeigt.
Sie bildet, wie die meisten Kirchen dieses Ordens ein, wenn auch unregel-
raässiges, Achteck mit kleiner Chorvorlage und Nische, hat durchweg Spitz-
bögen, aber romanische Profile, Knospenkapitäle und selbst Würfelknäufe.
Wenn sie als ein Werk des ausländischen Ordens uns noch nicht berechtigt,
diese Formen als hier eingebürgert oder auf diesem Boden entstanden zu
1) Viollet-le-Duc ist so ausschliesslich mit dem Constructiven des gothischen Styls
beschäftigt, dass er diese auffallenden Eigenthümlichkeiten, selbst das Emporragen des
horizontalen Facadenbaues nicht einmal bemerkt hat, — Hinsichtlich der weltlichen Archi-
tektur in Burgund und im Süden ist zu dem S. 114 über Nordfrankreich Gesagten
nicht viel hinzuzufügen. Sehr ausgebildete Bürgerhäuser, schon aus dem 12. Jahr-
Jmndert, namentlich in der durch die mächtige Abtei wohlhabend gewordenen Stadt
€luny bei du Somerard l'art au moyen-äge, bei Gailhabaud, l'architecture etc. bei
Viollet-le-Duc, Bd. VI, p. 214 — 300, Artikel Maison, und bei Verdier et Cattois,
archit. civile et domestique. Ebenda, Bd. I. ein sehr zierliches gothisches Haus, noch
mit z. Th. romanischen Blattwerk-Formen in der Decoration, aus Figeac in der Guyenne,
Häuser aus dem Perigord und Limousin theilt Fei. de Verneilh in den Ann. archeol.
JV, p. IGl ff. mit.
-) Revue archeologique 1848. S. 60G. — Vgl, bereits oben Bd. IV, S. 547.
Katliedrale von Toul. J 5T
betrachteo, so gilt dies doch nicht von der kleinen Kirche St. Martin in der-
selben Stadt, deren Bauzeit wir nicht urkundlich kennen ^), aber mit Wahr-
scheinlichkeit in den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts setzen dürfen^
und deren schlanke Rundsäulen und Triforien ebenfalls auf einen westlichen
Einfluss schliessen lassen. Noch deutlicher sollen franzöische Einwirkungen
an der 1231 erbauten Kirche St. Nicolas de Graviere in V er dun hervor-
treten-). Endlich zeigt die schöne Kathedrale von Toul, mit Ausnahme der
erst im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert vollendeten Fagade, durch-
weg frühgothische Formen, kantonirte Säulen mit durchlaufenden Diensten
wie in Amiens, zweitheilige Fenster mit einfachem Maasswerk wie in N. D.
von Paris. Auch die sehr bedeutenden Verhältnisse deuten schon auf einen
Wetteifer mit den französischen Kathedralen""). Dagegen finden sich auch
mehrere Spuren einer Eeaction deutsclier Sitte gegen den fremden StyL
Der Chor ist ohne Umgang, mit sieben Seiten des Zehnecks geschlossen, in
denen hohe Fenster aufsteigen; die Seitenschiffe haben im Verhältnisse zum
Mittelschiffe eine grössere Höhe, als man ihnen in den französischen KircheA
seit der Fortlassung der Gallerien gegeben hatte. Den erhaltenen Nachrich-
ten zufolge bestand der Chor schon um die Mitte, während die Vollendung
des Langhauses erst später, gegen das Ende des dreizehnten Jahrhunderts
erfolgte^). Der schöne Kreuzgang mit sehr einfachem Maasswerk erinnert
an den des Trierer Doms und wird wie dieser noch in der ersten Hälfte des
Jahrhunderts entstanden sein •^). Diese Mischung französischer und deutscher
Form erhielt sich denn auch in dieser Gegend. Die Kirche St. Vincent
zu Metz, wahrscheinlich im Jahre 1248 begonnen, hat noch ziemlich frühe
Formen, steile Spitzbögen, Gewölbrippen, in deren Profil der einfache Rund-
stab vorherrscht, schmale, zweitheilige Fenster mit einfachem Maasswerk,
wohl gegliederte Bündelpfeiler mit cylindrischem Kern und ununterbrochenen
Diensten. Die Blendarcaden unter den Fenstern der Seitenschiffe erinnern
an den französischen Styl. Dagegen sind die Seitenschiffe wieder verhält-
1) Das an einem Kapitale befindliche Datum von 1202 soll unächt sein.
-) Bull, monum. XVI, p, 584.
") Bei einer Breite des Mittelschiffs von 38 , der Seitenschiffe von 20 Fuss. er-
reicht die Gewölbhühe, dort etwa 106, hier 63 Fuss.
*) Gallia christiana XIII, col. 1014. Bischof Roger (1231 — 1252) stiftete zufolge
seines Nekrologs gemalte Fenster im Chore (in cancellario hujus ecclesiae). Bischof
Conrad (1271 — 1296) bestimmte jedoch mit Zustimmung des Kapitels im Jahre 1280
(Revue archeologique 1848, S. 136) gewisse Einkünfte für die Dauer von drei Jahren
zur Vollendung der Kirche, namentlich der Gewölbe. Abbildungen und Beschreibungen
in Grille de Beuzelin, Statistique monumentale des Arrondissements de Toul et
de Nancy, 1837; eine Innenansicht bei Chapuy moyen-äge monum., Nro. 308. —
Revue arch. V, 145. — Grundriss bei Kugler. Gesch d. Baukunst, III, S. 231.
'") Abb. bei Viollet-le-Duc, III, S. 447. — Revue arch. V.
158 Belgien.
tiissmässig höher, statt des Triforiums ist noch nach deutsch-romanischer
Weise ein Gesims über den Arcaden angebracht und der Chor ist ohne Um-
gang mit drei Seiten aus dem Achteck geschlossen. Von. ihm durch Thürme
getrennt, die in den Ecken des Querhauses aufwachsen, lehnen sich zwei
pol ygone Nebenchöre an die Ostseite der Kreuzarme an. Von der herrlichen
Kathedrale zu Metz, welche nur in den unteren Arcaden den Einfluss des
französischen frühgothischen Styls zeigt, dann aber sich der rheinischen Gothik,
besonders dem Kölner Dom anschliesst, und wie dieser mit den reichsten
Bauten Frankreichs wetteifert, werde ich erst in der folgenden P^poche
sprechen, und bemerke nur, dass jene deutsche Form des Chorschlusses mit
einfacher Polygonanlage sich in kleineren Kirchen dieser Gegend, wie in St.
Gengoul in TouP), in der Kirche zu Veseliz und in St. Martin in
Pont-ä-Mousson, auch später erhielt.
Auch Belgien, das in der vorigen Epoche in architektonischer Be-
ziehung nur eine, und zwar nicht sehr bedeutende Provinz von Deutschland
bildete, neigt sich in der gegenwärtigen, wo es reicher und blühender ge-
worden, mehr nach Frankreich hin. Indessen war dieser französische
Einfluss keineswegs in allen Theilen des Landes gleich. An der Maas
herrschte der rheinische Styl vor. Schon die in der vorigen Epoche er-
wähnte Abteikirche St. Nicolas-en-Glain, unfern Lüttich, hat eineZwerg-
gallerie wie die rheinischen Kirchen. Eine solche findet sich auch an dem
Chor von St. Servatius in Maes triebt-), welcher zwischen zwei vier-
eckigen Thürmen stehend, dem der Apostelkirche in Köln sehr nahe kommt.
Auch das augenscheinlich später errichtete westliche QuerschiiF, welches im
Aeusseren mit dreifachen Arcaden und Rundbogenfriesen reich verziert ist,
und im Lmeren mit seiner dreifachen, früher nach der Kirche zu geöffneten
Empore, einen sehr pittoresken Anblick gegeben haben muss, hat in seiner
Ausstattung und Anlage rheinischen Charakter. Etwa gleichzeitig mag die
Concha der Frauenkirche daselbst angelegt sein, die ebenfalls zwischen
zwei viereckigen Thürmen steht, und mit zwei Arcadenreihen und reich ge-
arbeiteten Kapitalen geschmückt ist. Auch die westliche Concha der h. Kreuz-
kirche in Lüttich zeigt wiederum den rheinischen Styl, aber in seiner spä-
teren Gestalt, dem westlichen Vorbau der Apostelkirche in Köln entsprechend,
1) Diese scliöne, dem Dome selir äiinllclie Kirche , erhielt (zufolge der Gallia
«hristiana a. a. 0.) durch den Bischof Amadeas (1321 — 1330) eine neue Kapelle. Ihrer
Choranlage, welche der der Katharinenkirche in Oppenheim gleicht, werde ich weiter
unten erwähnen. Vgl. Grille de Beuzelin a. a. 0., p. 26.
") Schayes, Histoire de l'Architecture en Belgique II, 137.
Frauenkirche zu Ruremonde.
159
und vielleicht noch jünger, etwa von 1230. In reichster Entwickelung end-
lich finden wir diesen Styl an der Liebfrauenkirche zu Ruremonde, welche
im J. 1224 und zwar durch den Erzbischof Engelbert I. von Köln geweiht
wurde ^). Ueber den Seitenschiffen des Langhauses befinden sich Emporen.
Die Choranlage ist mit der der Apostelkirche und der des Münsters zu Bonn
verwandt. Um eine mächtige achteckige Kuppel lagern sich nämlich drei
Conchen, welche durch zwei in den Ecken angelegte viereckige Thürme,
ähnlich wie an der Apostelkirche, zu einem Ganzen verbunden sind; aber nur
die östliche Concha ist, wie an dieser Kirche, rund, indessen abweichend von
letzterer mit drei kleinen Halbkreisapsiden besetzt; die Querhausarme endigen
polygonförmig, wie im Münster zu Bonn. Auch ihre Ornamentation ist reicher
Fig. 30.
Nortro-Dame in Ruremonde.
und entwickelter, als die der Apostelkirche und gleicht der der östlichen
Concha jenes Münsters; sie besteht nämlich im unteren Stockwerke aus
Wandfeldern, die von Lisenen eingeschlossen und von Rundbogenfriesen
bekrönt sind, im zweiten aber aus breiten rundbogigen Fenstern, deren Archi-
volten, dicht gedrängt und vielfach gegliedert, eng aneinander stossen und
eine vollstimmige und harmonische Bewegung von Kreisformen geben. Dar-
über endlich findet sich wieder ganz nach der Weise kölnischer Kirchen
(namentlich der Marienkirche auf dem Kapitol) ein Plattenfries und dann
eine Zwerggallerie. Um die Aehnlichkeit mit der Apostelkirche noch grösser
zu machen, steht on der Westseite der bedeutenden Kirche ein mächtiger
Vorbau, der auch hier neben der rundbogigen Kirche ganz spitzbogig, aber
entwickelter und reicher als dort gebaut ist. Wenn die Haupttheile des
i) Daselbst IK, 50.
160 Belgien.
Baues wirklich erst kurz vor der Weihe des Jahres 1224 eiitstandeu sind,
so ist damit der Beweis gegeben, dass man hier noch mit grosser Vorliebe
an den romanischen Formen hing und sie auch da noch un vermischt an-
wendete, als im westlichen Belgien schon der frühgothische Styl Eingang
gefunden hatte ^).
Für die Baugeschichte dieser westlichen Gegenden ist die Kathedrale
zu Tournay, sowohl wegen ihrer wahrhaft ausgezeichneten Schönheit als-
auch wegen des Einflusses, welchen sie nach Westen hin auf die benachbarte
Picardie ausübte, bei Weitem das wichtigste Gebäude Leider ist ihre Ge-
schichte nicht genügend bekannt und schwer zu enträthseln '). Die Stadt
war im J. 882 von den Normanen zerstört und so verarmt, dass ihr Kapitel
mit dem von Noyon verbunden wurde und bis 1145 verbunden blieb. Erst
im elften Jahrhundert konnte daher der Bau einer neuen Kathedrale be-
gonnen werden, wo von einer Weihe im Jahr 1066 oder 1070 gesprochen
wird. Allein gewiss rührt das gegenwärtige Gebäude nicht aus so früher
Zeit her, auch finden wir, dass wiederum im Jahre 1146 von einer im Bau
begriffenen neuen Kirche, 1171 von einer Weihe durch Bischof Gualterius
gesprochen wird-^), und dass 1198 der damalige Bischof eine Geldsumme
für die anständige Ausführung der Balkendecke schenkte. Dies bezieht sich
ohne Zweifel auf das noch erhaltene Langhaus, welches bis zu seiner erst
im vorigen Jahrhundert erfolgten Ueberwölbung eine solche hatte und mit-
hin damals erst bis zu dieser vollendet war. Im Jahre 1213 wurde dem-
nächst der Chor geweiht, an dessen Stelle wir jetzt einen prachtvollen,
aber frühestens ein halbes Jahrhundert später begonnenen neuen Chor
haben. Dies die geschichtlichen Nachrichten, mit denen wir das Gebäude
zu vergleichen haben. Die ganze Erscheinung ist ungemein grossartig, eine
der imposantesten auf dem Gebiete der kirchlichen Architektur. Ein starker
Vierungsthurm bezeichnet die Mitte des Gebäudes, vier höhere, viereckig
und kräftig gebildete Thürme steigen an den Ecken der Vierung empor.
Die Fac^ade, jetzt durch schwerfällige grosse Spitzbogenfenster und eine
^) Eine photographische Ansicht und zwei Grundrisse in Weale, Beftroi, 1863,.
S. 243.
-) Vgl. meine Niederiändisciien Briefe, S. 409, 415 — Weder der Notice sur
l'äge de la cath. d. T. von Dumortier, in seinen Melanges d'histoire et d'archeologie,
pag. 90, noch der selir ausführlichen Monographie von Le Maistre d'Anstaing (Recher-
ches sur l'hist. de l'egl. cath. de Tournay, 1842) ist dies in befriedigender Weise ge-
lungen. Vgl. ausser derselben die von Osten in der Wiener Bauzeitung 1845, Taf.
679 gegebenen Abbildungen und Schayes a. a. 0., II, 103. Ferner: B. Renard, Mono-
graphie de N. D. de Tournay, Bruxelles, 1852. — Neueste Publication in E. Förster,
Denkmale deutscher Baukunst, Bildnerei und Malerei, Bd. X. — Vgl. auch die Be-
merkungen von Mertens in der deutschen Bauzeitung Bd. IV. (1870). S. 304.
'■') Dumortier a. a. 0., S. 121, bei Schayes p. 105.
Kathedrale von Touruay.
161
Fig. 31.
Vorhalle aus dem vierzehnten Jahrhundert entstellt, lässt noch ihre ursprüng-
liche romanische Anlage erkennen, die mit doppelten Fensterreihen in der
Linie der Gallerie und der Oberlichter und mit zwei Rundthürmchen an den
Ecken des Oberschiffs
verziert war ^). Hinter
ihr erstreckt sich das
Langhaus, mit drei
(den Seitenschiffen, der
Gallerie und dem Ob er-
schiffe entsprechen-
den) Fensterreihen, die
zum Theilrait Säulchen
und Archivolten reich
geschmückt sind. Dann
zwischen den Eck-
thürmen der Vierung
die Kreuzarme, hier
als hohe, schlanke Con-
chen gestaltet, und
endlich der herrliche,
hohe und schlanke
gothische Chor. Die
Dimensionen sind
durchweg höchst be-
deutend, die Länge
des Langhauses und
Kreuzschifies schon
2 1 0, die des gewaltigen
Chors nur etwa um 30
Fuss geringer, die vor-
dere Breite des Lang-
hauses 85 Fuss. Be-
trachten wir nun das
Innere, so ist es in
seinen Theilen merk-
würdig verschieden. Das Langhaus ist durchaus rundbogig, eine Pfeiler-
basilika mit einer Gallerie über den Seitenschiffen, deren Arcaden sich, wie
in den normannischen Kirchen des elften Jahrhunderts, mit gleicher Höhe und
Kathedrale von Tournay.
^) So ist sie nacii der Restauration des Architekten Renard bei Schayes If, 114:
gegeben.
Schnaase's Kunstgesch. 2. Aufl. V. 11
162
Belffiea.
Breite wie die unteren Pfeiler öffnen. Diese Pfeiler und ihre fast hufeisen-
artig geschwungenen Bögen sind sowohl unten als an der Gallerie überaus
kräftig und reich gegliedert, die Kapitale ihrer Säulen mit Voluten, Ara-
besken, Blattwerk oder Gestalten in vortrefflicher Sculptur sehr mannigfaltig
und verschieden geschmückt^), die Basis mit dem Eckblatt ausgestattet,
lieber diesen beiden Stockwerken läuft ein niedriges, rundbogiges Triforium,
dann die Reihe der in ihrer Zahl den Arcaden entsprechenden breiten Ober-
lichter. Jetzt ist das Langhaus mit Kreuzgewölben gedeckt, in alter Zeit
befand sich aber eine Holzdecke über dem Mittelschiff, und nur die Seiten-
schiffe waren von Anfang an gewölbt.
^^^' ^^' Die ganze einfache, regelrechte und
doch kräftige Gestaltung dieses Lang-
hauses, die bedeutungsvolle Wieder-
holung fast gleicher Formen in zwei
Reiben übereinandergestellter Arcaden
macht einen an antike Bauten erin-
nernden Eindruck, während die De-
tails, die treffliche Sculptur der Kapi-
tale, die reich gegliederte Arcatur doch
schon auf eine nicht ganz frühe Zeit
hinweisen. Einen anderen Charakter
trägt das Kreuzschiff. Auch hier
herrscht noch der Rundbogen; die
Conchen, mit denen es, wie erwähnt,
nach Süden und Norden ausladet, haben,
wie dort über den Seitenschiffen, so
hier über dem Umgang eine Gallerie
, und darüber ein Triforium, Allein statt
der Pfeiler tragen hier schlanke Säulen
mit überhöhten Rundbögen die Wöl-
bungen des Umgangs und der Gallerien, und überhaupt sind die Verhält-
nisse dieser Abtheilungen hier ganz andere als im Langhause. Während
in diesem die Gallerie dem unteren Stockwerke gleich, und das Triforium
höchst niedrig und unbedeutend erscheint, ist hier ein fühlbarer Rhythmus
abnehmender Höhenverhältnisse; das untere Stockwerk sehr schlank und
hoch, so dass sein Gesims mit den Kapitalen der dortigen Gallerie in einer
Linie liegt, die Gallerie dagegen sehr viel kleiner und in einem mittleren
Verhältnisse zu dem hier etwas bedeutender ausgebildeten Triforium, das
aus Säulen- und Pilasterstellungen ohne Bögen besteht. Während dort also
Kathedrale von Tonjnay.
(Längendurchschnitt.)
^) Beispiele bei Schayes, p. 27.
Kathedrale von Tournay. 163
<ier antike Horizontalge danke vorherrscht, ist hier schon ein schlankes Auf-
steigen beabsichtigt. Endlich ist die Anlage des ganzen Kreuzschiffes schon
ursprünglich auf durchgängige Ueberwölbung berechnet. An das Rippen-
gewölbe der Conchen schliesst sich zunächst je ein Tonnengewölbe, dann
ein quadrates Kreuzgewölbe an. Dagegen ist allerdings die Ausführung der
Details in den Kreuzconchen nicht so elegant und vollendet, die Basis hat
auch hier das Eckblatt, aber die Kapitale sind monoton und in spröderen
Formen, die Arcaden nicht so reich gegliedert. Dies alles macht die Frage
nach dem Verhältnisse des Alters beider Theile sehr zweifelhaft und hat
Einige sogar bestimmt, das Langhaus für jünger zu halten. In der That
kann man dieses nicht wohl früher als in die Mitte des zwölften Jahr-
hunderts setzen; erst um diese Zeit finden wir in Deutschland diese reiche
Gliederung concentrischer Rundbögen, welche in Frankreich während der
Herrschaft des romanischen Styls auch bei übrigens glänzender Ausstattung
nicht vorkommt. Dadurch wird aber das Yerhältniss des Kreuzschiffes zum
Langhause um so zweifelhafter, da die rohere Form der Details, die auf-
strebende Tendenz und die Häufung mehrerer rhythmisch geordneter Stock-
werke wiederum auf dieselbe Zeit hinweisen und es auffallen muss, dass man
an demselben Gebäude ungefähr gleichzeitig zwei sehr verschiedenen Rich-
tungen folgte. Vielleicht darf man annehmen, dass das jetzige Langhaus
kein völlig neuer Bau, sondern nur die Herstellung und Ausschmückung einer
älteren; nach der Weise der Abteikirche zu Soignies und der normannischen
Kirchen mit Pfeilern und mit der Empore über den Seitenschiffen angelegten
Kirche ist. Dies vorausgesetzt würde sich dann die vollendetere Ausführung
des Langhauses und zugleich die Anbringung des dem romanischen Style
sonst fremden Triforiums dadurch erklären, dass man, als das Domkapitel
gegen die Mitte des zwölften Jahrhunderts die Vergrösserung der unschein-
baren, 1066 geweiheten Kirche beschloss, mit dem Kreuzschiffe begann und
erst nach Vollendung desselben das Langhaus in Arbeit nahm, es aus-
schmückte und vermittelst des etwas gedrückten Triforiums den neuen Kreuz-
conchen ähnlich machte. Dies würde dann auch mit der Nachricht, wonach
1198 das Langhaus noch der Balkendecke bedurfte, übereinstimmen. Es
kann aber auch sein, dass man mit der Herstellung des Langhauses und
zwar unter deutschem Einflüsse begann, unter diesem Einflüsse auch die
Conchen des Kreuzes nach Kölner Vorbildern anlegte, dann aber bei der
weiteren Ausführung derselben französische Meister zuzog, welche nun die
mehr schlanke und constructive Tendenz verfolgten, dabei aber die Zierlich-
keit der Details, wie es bei solchem Streben und nach der Verschiedenheit
beider Schulen völlig erklärbar ist, vernachlässigten. Jedenfalls ist es merk-
würdig, wie sich hier deutsche und französische Elemente kreuzen und mischen.
Im Langhause die Anlage mit den weiten Gallerieöffnungen auf französisch-
11*
164
Belgien.
normannischen Ursprung, die Ausführung auf Deutschland hinweisend, in den
Oonchen die Anlage deutsch, die Ausführung französisch. Erwägt man nun
noch, dass augenscheinlich nach dem Vorbilde dieser Kreuzconchen und nicht
lange darauf die cähnlichen an den Kathedralen von Noyon und Cambray
entstanden sind, und dass mithin diese ursprünglich deutsche, aber in Tour-
nay durch die französische Verbindung von Gallerie und Triforium ver-
änderte Anlage von hier aus nach Frankreich kam, so sieht man deutlich,
dass Tournay eine wichtige Station
Fi'. 33.
in dem geistigen Verkehre beider
Völker bildete.
Ein Beweis dafür, dass die Kreuz-
conchen von Tournay jünger sind als
das Langhaus, liegt auch darin, dass
dieselbe derbe und fast rohe Behand-
lung der Formen, welche wir an ihnen
bemerken, sich in den meisten an-
deren, der wirklichen Einführung des
gothischen Styls vorhergehenden bel-
gischen Bauten wiederfindet. Sie hängt
mit der Aufnahme gewisser Details
des französisch gothischen Styls zu-
sammen, durch welche jene frühere,
mehr nach Deutschland hinweisende
Richtung verdrängt und ein Ueber-
gangsstyl von charakteristisch schwe-
ren und breiten Formen hervorge-
bracht wurde. Die Rundsäule, für
welche die belgische Architektur auch
später eine grosse Vorliebe behielt,
tritt nun, zunächst noch in sehr stäm-
miger Gestalt an die Stelle des Pfei-
lers. Der Spitzbogen wird vorherr-
schend, aber keinesweges' ausschliesslich angewendet. Die Fenster be-
stehen oft aus mehreren zusammengerückten Lancetbögen, die von einem
Halbkreisbogen bedeckt sind, zuweilen auch, namentlich an Thürmen, aus
einem spitzen Kleeblattbogen, der durch zwei innere Säulchen gestützt ist i).
Die Ornamentation ist überaus dürftig und roh. Dagegen giebt das Aeussere
in derber, fast kriegerischer Haltung einen malerischen Effekt. Der Haupt-
St. Jaques, Tournay.
1) Diese Form (Fig. 34) kommt aucli in der Normandie, z. B. am Chore von St.-
Etienne in Caen vor.
Uebergangstyl.
165
Fig. 34.
St. Jaqnes, Tournay.
Fig. 35.
thurm steht, wie iu der Normandie, gewöhlich auf der Vierung des Kreuzes,
während die Fagade nur von kleinen Rundthürrachen flankirt und durch
Fensterreihen über dem Portal belebt ist. Solche Fagaden
haben schon die im Wesentlichen noch romanischen,
nach einem Brande von 1120 erbauten Kirchen von St.
Nicolas undSt, Jaques in Gent. In Tournay wurden
die der abgebrochenen Kirche St. Pierre und die von
St. Piat zierlicher, nach dem Vorbilde der Kathedrale
.mit rundbogigen Fenstern und Arcaden geschmückt,
während die der einschiffigen Kirche St. Quentin jene
älteren Vorbilder mit Anwendung des Spitzbogens zu
einer kräftigen und gefälligen Gestalt ausbildet, indem sie zwischen zwei
Rundthürmen, deren Helme schon amFusse des Daches beginnen, über dem
rundbogigen Portal je zwei Stockwerke von drei verbundenen spitzbogigen
Fenstern hat, deren mittleres höher ist
und am oberen Stockwerke in den Giebel
hineingreift. Strebepfeiler kommen selten,
Strebebögen noch seltener vor. Ueber-
haupt stand dem weiteren Fortschritte in
4er Richtung des gothischen Styls der
Umstand entgegen, dass man, wie es
scheint, das Bedürfniss der vollständigen
Ueberwölbung der Kirchen noch nicht
erkannte. Wenigstens sind alle diese
älteren Kirchen erst später überwölbt und
ohne Spur einer ursprünglichen Gewölb-
anlage. Zu den interessantesten Resten
jener Epoche gehören die Ruinen des
.Sanct Bavo-Klosters in Gent^). Die
romanischen Formen herrschen noch in
der 1129 vollendeten Krypta der Maca-
rius-Kapelle, einer achteckigen Halle, die
sich nach allen Seiten in Rundbögen öffnet
und mit einer auf acht breiten Gurten
ruhenden Kuppel tiberwölbt ist. Aber der
nur wenig spätere Kreuzgang, an welchen
dieser Anbau sich lehnt, zeigt neben einem rundbogigen Doppelportal ge-
kuppelte Spitzbogenfenster, die von Säulen getragen und von Rundbogen-
blenden überspannt sind.
St. Quentin, Tournay.
1) E. Förster, Denkmale, Bd. IX. Leipzig 1866.
166
Belgien.
Dieser derbe und schwankende Uebergangsstyl erhielt sich bis weit m
das dreizehnte Jahrhundert hinein. Die Kirche Notre Dame de la Cha-
pelle inBrüssel, so benannt weil eine früher auf derselben Stelle stehende
Kapelle im Jahr 1216 zur Pfarrkirche erhoben wurde, zeigt wiederum eine-
eigenthümliche Mischung rheinischer und französischer Formen. Die Kreuz-
fagaden mit rundbogigen Arcaden und durch Rundbogenfriese verbundenen
Lisenen und die freistehenden Ziersäulen an den Wänden des polygonen
Chors erinnern an den rheinischen Uebergangsstyl , während die Maasswerk-
fenster dieses Chors denen der Kathedrale von Paris
ähnlich sind und nur dadurch von ihnen abweichen,,
dass der obere umschliessende Bogen nicht spitz ist,,
sondern sich enge an den Kreis des Maaswerks anlegt.
Die Kirche St. Jaques in Tournay enthält in ihrem in
den Jahren 1219 bis 1251 gebauten Langhause über
Rundsäulen ein zwiefaches Triforium, in offenbarer
Nachahmung der Kathedrale, an dem Thurme aber noch
theils Rundbögen, theils Fenster der oben beschriebenen
Art. Die Magdale nenkirche daselbst, obgleich erst
1251 begründet, hat im Schiffe rundbogige, im Chore-
wieder von drei durch einen Rundbogen umfasstenLancet-
bögen gebildete Fenster. Ein sehr schönes Beispiel dieses
Styls ist der nach erhaltener Inschrift im Jahre 1221
begonnene Chor der St. Martinskirche in Ypern.
lieber den Spitzbogenarcaden zieht sich ein Laufgang
mit Spitzbögen hin, welche abwechselnd auf Pfeilern
und auf schlanken Säulchen ruhen. Ein Gesims, welches
die Deckplatten der Dienste fortsetzt, trennt diesen
Theil von den runden Schildbögen, welche stets das
durch eine Gruppe von drei Lancetbögen gebildete
N.D.deiaChapaiie, Brüssel. Fcuster, wic bei den zulctzt beschriebenen Denkmälem,-
enthalten^). Der polygone Abschluss des Chors, dem
der Umgang fehlt, zeigt unter dieser Fensterreihe eine untere, die bloss aus
paarweise verbundenen Lancetbögen gebildet ist. Auch die Pfarrkirche Pa-
mele zu Audenaerde, nach der Familie ihres Stifters genannt und laut In-
schrift im Jahre 1234 durch Meister Arnulphus de Bincho -)• begonnen,.
*) Abbildung eines Joches aus dem Langchor, bei A. Esseiiwein, die Entwickeluiig
des Pfeiler- und Gewölbesystems, in dem Jahrbuch der k. k. Centralcommission , Bd. III..
Wien 1859, S. 74.
2) Mit Unrecht ist im Organ für christliche Kunst 1856, S. 279 bezweifelt worden^
dass dieser Meister (magister) Arnulpli der Baumeister gewesen.
Uebergangsstyl.
167
gehört noch dem Uebergangsstyl an; obgleich schon dem gothischen sich
nähernd. Sie hat im Langhause Rundsäulen, den polygonförmigen Chor mit
einem niedrigen Umgange, aber ohne Kapellenkranz und ohne Strebebögen,
ein Triforium, die Fenster lancetförmig theils einzeln stehend, theils drei
unter einem Rundbogen vereinigt (Fig. 37).
Zu den wichtigsten belgischen Denkmälern dieser Epoche gehört das
Cistercienserkloster Villers, unfern Nivelles, das, obgleich schon 1147
gegründet, doch erst seit 1197 solidere Gebäude erhielt. Bald nach diesem
Jahre mag das Refectorium ent-
standen sein, dessen Gewölbe im In- '^' ^''
neren durch eine Säulenreihe, im
Aeusseren durch starke Strebepfeiler
gestützt werden und dessen obere
Fenster einfach rundbogig sind, die
grösseren unteren aber schon Maass-
werk, zwei durch einen Kreis ver-
einigte und von einem Rundbogen
umschlossene Spitzbögen, enthalten.
Aber auch die Kirche, obgleich nach
neueren Ermittelungen erst in den
Jahren 1240 bis 1260 gebaut i), zeigt
noch und zwar sehr wunderliche
Uebergangsforraen. Das Schiff ist in
der That schon frühgothisch; Rund-
säulen, auffallenderweise mit runder
Basis und achteckigem aber unver-
ziertem Kapital, mit spitzbogigen,
aber derb und rund profilirten Ar-
caden, ein ähnliches, blindes Triforium,
einfache Lancetfenster (Fig. 38); das
Oberschiff im Aeusseren von ausgebildeten aber undurchbrochenen Strebe-
bögen gestützt, das Gesims aber noch auf Kragsteinen ruhend. Der Chor,
polygonförmig geschlossen, hat drei Reihen Fenster, oben und unten wieder
lancetförmige, in der Mitte dagegen unter einem Rundbogen zwei über-
einandergestellte kleine Kreisfenster, und diese auffallende Form wiederholt
sich an den Kreuzfa§aden noch Avunderlicher, indem hier drei verbundene
rundbogige Arcaden jede drei solcher Kreisfenster und überdies in ihren
Andenaerde.
1) Vgl. Schayes im Messager des scienses et des arts 1852, S. 3 fi'., der dadurcli
seine frühere, in der Hist. de l'arch. en Belgique III, p. 28 tf. enthaltene Angabe be-
richtigt.
168
Belgien.
Fig. as.
Zwickeln noch zwei derselben Art haben. (Fig. 39 ff.) Eine unschöne Form, die
hier um so auffallender ist, weil sie sich in französischen Bauten gewiss nicht
und überhaupt im Abendlande, so viel ich weiss, nirgends findet, dagegen sehr
an die kreisförmigen Oeffnungen in den Marmortafeln byzantinischer Fenster
erinnert, die namentlich an der Sophienkirche von Konstantinopel, am
Katholikon zu Athen und sonst häufig vorkommen^). Das ganze Gebäude
giebt uns wieder ein Beispiel des eigenthümlichen Erfindungsgeistes, der
sich überall in den Cistercienserbauten zeigt. "Während hier die Anwendung von
Strebepfeilern und Strebebögen auf einen fran-
zösischen Einfluss deutet, der bei den Verhält-
nissen dieses Ordens sehr erklärbar ist, geben
andere Bauten den Beweis langer Beibehaltung
romanischer Formen. So der Chor der Kirche
St. Leonhard in Leau (Zout-Leeuw) in Süd-
brabant an der Grenze der Grafschaft Limburg,
der im Jahre 1237 begonnen wurde. Er hat
nämlich wie die Kirche von Audenaerde den
Polygonschluss mit Umgang, aber ohne Kapellen
und Strebebögen, Rundsäulen, Maasswerkfenster
und überhaupt einzelne völlig gothische Formen,
dabei aber unter dem Dache des Umgangs noch
eine Zwerggallerie nach rheinischer Weise,
deren Säulchen hier jedoch Spitzbögen tragen.
Wir sehen also in diesen Gegenden einen
Uebergangsstyl , der zum Theil durch die
Mischung deutscher und französischer Formen
entsteht, aber doch auch manche Eigenthüm-
lichkeiten ausbildet. Dahin gehört zunächst
die aus inneren Spitzbögen und einem um-
schliessenden Rundbogen zusammengesetzte
Fensterform, dahin besonders die Neigung für
die einfache Rundsäule und zwar schon frühe mit runder Basis und achteckigem
Kapital; dahin endlich die Annahme des Umgangs, aber ohne Kapellenkranz.
Diese Eigenthümlichkeiten sind um so auffallender, weil sie sich weder aus der
Villers.
^) Vgl. Albert Lcnoir, Architecture nionastique, pag. 271, 283, 302. Es ist nicht
wohl denkbar, rtass liier wirklich ein Mal eine durch das Kaiserthnm Balduins von
Flandern vermittelte byzantinische Reminiscenz zum Grunde liege, da der Cistercienser-
orden kein geeigneter Vermittler mit dem Orient war. Das zufällige Zusammentreffen
erklärt sich vielmehr durch die Vorliebe für kreisförmige Oeffnungen, die wir in den
Bauten dieses Ordens überall finden.
Uebergangsstyl. — Kathedrale von Brüssel.
169
Anhänglichkeit an einen älteren einheimischen Styl, noch aus irgend einem
architektonischen Princip erklären lassen. Vielleicht sind sie zumTheil der
noch dunkelen Regung des malerischen Triebes zuzuschreiben, dem die con-
structive Richtung des französischen Styls fremd war, dem aber auch die
unruhigen Details des deutschen Uebergangsstyls nicht zusagten, und der
nur im Einzelnen wirksame, derbe oder gefällige Formen suchte, deshalb
die Fayade besonders ausbildete und die Rundsäule wegen ihrer weicheren
Schatten vorzog. Dazu kam dann aber auch ein Einfluss des französischen
Fig 3(*.
ViUers
T^^^^^^
Styls, welcher es verursachte, dass der Eindruck der Gebäude (mit Ausnahme
der Maasgegenden) ungeachtet der verschiedenen Tendenz mehr dem der
französischen als der deutschen Schule gleichkommt.
Endlich erlangt dann aber doch, etwa um die Mitte des dreizehnten
Jahrhunderts, der gothische Styl in französischer Weise die Oberhand, und
zwar zuerst vielleicht an der Kathedrale von Brüssel, St. Gudula. Der
mächtige Bau, in seiner hohen Lage und mit den zu ihm führenden Treppen
so imposant, ist das Werk mehrerer Jahrhunderte. Im Schiffe herrscht, mit
Ausnahme der Seitenmauern, der spätgothische Styl vor, der Chor aber war
im Jahre 1226 schon im Bau begriffen, obgleich er erst um 1280 vollendet
170 Belgien.
wurde. Die Fenster des Umgangs sind noch rundbogig, die Rundsäulen
schwer, das Triforiuni mit derbem, primitivem Maasswerk, die Oberlichter
einfache Lancetfenster, aber die Anlage ist doch die reichere, mit Umgang
und Kapellen, und die ganze Ausführung im Geiste der französischen Gothik.
Von nun an, etwa seit 1240, wird diese in allen Theilen Belgiens, aber
freilich nicht ohne manche Modificatiouen, angewendet. So in der Frauen-
kirche zu Tongern (angefangen 1240), in den Dominikanerkirchen zu
Gent und Löwen (um 1250), an der Kirche zu Diest (1253), im Schiffe
von St, Martin zu Ypern, einem der schönsten Gebäude dieser Zeit
1254 — 1256) ^), und endlich in der mächtigen fünfschiffigen Liebfrauenkirche
zu Brügge (1230 — 1297), bei denen das französische System dahin verein-
facht ist, dass Umgang und Kapellen gemeinschaftlich überwölbt sind. Auch
noch in diesen Bauten kommt fast durchweg die einfache Rundsäule mit
runder Basis und achteckigem Kapital vor, nur in der Frauenkirche von
Tongern finden sich und auch da nur vereinzelt kantonirte Säulen. Der ent-
wickelte Bündelpfeiler fand keine Aufnahme, man begnügte sich damit, die
Säule schlanker zu bilden. Auch bleibt der Chor noch meistens ohne Kapel-
lenkranz; in der Kirche von Dinant an der Maas und in St. Walburgis
von Furnes hat er den einfachen Umgang, in den meisten Fällen ist er
ohne solchen polygonförmig geschlossen. Die Fenster sind lancetförmig
oder doch mit einfachstem Maasswerk. Man begnügt sich noch immer mei-
stens mit einem Thurme, auf der Vierung des Kreuzes oder vor der Fa^ade.
Sculptur ist nur sparsam angebracht; die Kapitale sind kahl oder mit ein-
fachem knospenartigem Blattwerk besetzt, der Schmuck der Strebepfeiler
und Fialen, wo solche vorkommen, ist dürftig. Das schöne Seitenportal an
St. Servatius in Maestricht und die Portale von Dinant und Huy sind
wohl die einzigen Prachtthore, die schon in dieser Epoche mit Statuen ver-
ziert wurden. Und so sehen wir denn auch die plastische Neigung noch
wenig entwickelt, gleich als ob diese Gegenden ihre künstlerische Kraft für
die der Malerei günstige Zeit bewahrt hätten.
Nur in einem einzigen Gebäude sehen wir den gothischen Styl im vol-
len Glänze seiner Schönheit, in dem Chore der Kathedrale von Tournay,
welcher erst 1318 geweiht und, laut Inschrift, 1325 überwölbt, aber ohne
Zweifel schon 1242 begonnen wurde. Hohe und schlanke Bündelpfeiler mit
rundem Kern, deren Dienste in den Seitenschiffen während des Baues zu
grösserer Sicherheit der Zahl nach vermehrt wurden, trennen, überhöhte
Spitzbögen tragend, den Umgang von dem Mittelschiffe, das zu der bedeu-
tenden Höhe von 100 Fuss aufsteigt und durch mächtige Strebebögen ge-
stützt ist. Der TTmgang ist, wie bei der Liebfrauenkirche zu Brügge, mit
^) Ein Joch des Langhanses bei Essenwein a. a. 0.
England. 171
den fünf Kapellen zusammengezogen. Die viertheiligen Triforien sind ele-
gant, die Fenster, unten zweitlieilig, oben vier- und fünftheilig, haben zum
Theil noch ihr altes, schönes Maasswerk. Das Ganze ist in edler Formbil-
dung die bedeutendste Leistung des frühgothischen Styls in Belgien und
nicht unwürdig, dem gleichzeitigen Chore de sKölner Doms an die Seite ge-
stellt zu werden, so dass die Kathedrale von Tournay in ihren verschiede-
nen Theilen in der That den ganzen Entwickelungsgang der Architektur in
Belgien während dieser Epoche höchst vollständig repräsentirt.
Viertes Kapitel.
Der früligothisclie Styl in England.
Die älteren englischen Archäologen haben eifrig dafür gestritten, ihrenr
Vaterlaude die Erfindung des gothischen Styls zu vindiciren, meistens frei-
lich, indem sie den Spitzbogen für das einzige charakteristische Merkmal
dieses Styls ansahen, und überdies auf Grund unrichtiger, von der heutigen
Kritik auch in England selbst verworfener Daten. Es steht vielmehr fest,,
dass die ersten englischen Gebäude, denen man gothischen Styl zusprechen
kann, nicht eher als in den ersten Decennien des dreizehnten Jahrhunderts
entstanden sind, und dass ihnen Anregungen und Einwirkungen aus jenen
französischen Provinzen vorausgingen, welche wir als die Geburtsstätte des
Styls betrachtet haben. Allein es ist richtig, dass dennoch dieser Styl hier
sehr bald ein eigenthümlich englischer, von dem französischen verschiedener
wurde, und dass sich in ihm der britische Nationalcharakter mit gleicher
Entschiedenheit wie im normannischen Style, wenn auch von einer ganz an-
deren Seite, ausprägte^).
^) Die Literatur über England vgl. Bd. IV, S. 572. Ausserdem .1. H. Packer, au
intruction to the study of gothic achitecture, Oxford und London 1867. — Die Priorität
des englischen Styls wird jetzt, soviel ich weiss, nicht mehr behauptet, während schon seit
mehr alssechzig Jahren einzelne Engländer, Whittington in dem angeführten Werke, Hope
u. A., jener den Franzosen, dieser den Deutschen den Vorgang einräumten. Dass man
dennoch den dortigen frühgothischen Styl mit dem Namen des „frühenglischen" (early
english') zu bezeichnen fortfährt, ist durch die nationale Eigenthümlichkeit des Styls
und dadurch gerechtfertigt, dass das Entstehen dieses Styls in der That mit der Ver-
schmelzung des sächsischen und normannischen Stammes, und daher mit dem Ent-
stehen der englischen Nation gleichzeitig ist. Um den Schein einer Anmaassung zu
vermeiden und die anderen Nationen der eigenen gleichzustellen, haben einige englische
Schriftsteller angefangen, den frühgothischen Styl überall nach den Nationen, also als
,, frühdeutschen, frühfranzösischen" (early german, early french) zu bezeichnen, was
indessen keine Nachahmung verdient, da der gothische Styl im Allgemeinen mehr
■^12 England,
la Frankreich und selbst in Deutschland entstanden die ersten Abwei-
chungen von den romanischen Formen durch das Streben nach vollständiger
.und sicherer Ueberwölbung und nach geräumigen, höheren und schlankeren
Verhältnissen der Kirchen. In England finden wir keine Spur dieser Bedürf-
nisse. Die Wölbung, namentlich das Kreuzgewölbe, wurde allerdings ange-
wendet, aber nur bei kleineren und niedrigeren Räumen, in Seitenschiffen,
•Chören, Krypten, oder in befestigten Gängen der Schlösser. Für das Ober-
schiff der Kirche behielt man dagegen noch immer die Holzdecke bei; wir
wissen kein einziges sicheres Beispiel der Ueberwölbung vor der Einführung
des gothischen Styls^), ja wir finden die Holzdecke hier auch noch später
häufiger, als auf dem Continente; es scheint, dass die seemännische Gewohn-
heit hier wie in Holland eine Neigung für den Gebrauch des Holzes gab.
Allerdings bemerken wir indessen bald nach dem Schlüsse der vorigen
Epoche einige Neuerungen. Man fühlte das Schwerfällige und Harte des
älteren Styls und wollte durch saubere Behandlung des Steines, durch feinere
Details und reicheren Schmuck das Auge befriedigen. Man erfand daher
nun phantastische Verzierungen, aber man ging dabei durchaus von den
Elementen des älteren Styls aus. Die Würfelkapitäle, die Wandfelder und
Arcadenreihen wurden beibehalten; in der Anordnung blieb die horizontale
Theilung der Flächen, in den Ornamenten die geradlinige Bildung nach wie
vor herrschend. Es war nicht eine Umwandlung der älteren Bauweise, son-
dern nur eine Steigerung der schon in ihr vorhandenen decorativen Tendenz;
man behielt selbst alle Details bei, und suchte nur den Schmuck minder
barbarisch und willkürlich zu machen, seine Vertheilung und Ausführung
besser zu regeln.
Es gelang wirklich, einen in dieser Beziehung ganz befriedigenden
Styl zu schaffen, der namentlich an manchen kleineren Bauten von grosser
Anmuth und Zierlichkeit ist. Er gleicht in der Vorliebe für phantastische
Formenspiele einigermaassen der maurischen Architektur, und hat, wenn er
ihr auch in Beziehung auf Feinheit des Geschmacks und auf pikante Gegen-
sätze nachsteht, den Vorzug grösserer Ruhe und Würde. Daher finden wir
denn, dass man sich, auch als der Anstoss von aussen gegeben war, schwer
von ihm trennte und ihn noch gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts
anwendete, während man schon an einigen Stellen im gothischen Style baute.
.einen kosmopolitischen, als einen nationalen Charakter hat, und das nationale Element
ilieser schon früher bestehenden Völker sich schon im romanischen Style mit mindestens
gleicher Stärke ausgesprochen hatte.
^) Der Stelle des Giraldus Cambrensis, nach welcher die Ueberwölbung der Kathe-
.drale von Lincoln um 1143 erfolgt sein soll, und der Wahrscheinlichkeit, dass sie
hloss auf die Seitenschiffe zu beziehen sei, habe ich schon Bd. IV, S. 583 gedacht.
Kapitelhaus zu Bristol.
173
Ein Beispiel zierlichster Ausbildung dieses spätuormannischen Styls
giebt das Kapitelhaus der jetzigen Kathedrale von Bristol. Es ist ein
rechteckiger Raum, von zwei Kreuzgewölben bedeckt, dessen schmale Seiten-
die eine die Eiugangsthüre, die andere drei verbundene hohe rundbogige
Fenster, die einzigen des Raumes, enthalten. An den steinernen Bänken^
welche an den Wänden, mit Ausnahme der Thürseite, herumlaufen, bildet
eine Reihe von kleinen Nischen die Rücklehnen der einzelnen Sitze. Dar-
über steht auf einem strickförmig verzierten Gesimse eine kräftige Arcatur
von Säulen mit verflochtenen Bögen, alles daran reich verziert, die Stämme
regelmässig abwechselnd theils mit spiralförmigen Kanneluren theils glatt;
die Würfelkapitäle mit verschie-
denen Ornamenten , die Bögen *"'^- ^-•
zwar mit gleicher Verzierung,
aber stark vertieft, und mit
sorgfältiger Andeutung der Durch-
kreuzung der verschiedenen Bö-
gen^). Endlich sind dann auch
die Bogenfelder über diesen Säu-
lenreihen, und zwar in jedem
der sechs Wandflächen mit einem
anderen teppichartigen Muster,
und die spitzbogigen Rippen,
welche die Gewölbe tragen, mit
Zickzackformen reich ge-
schmückt. Im ganzen Räume ist
also keine unverzierte Stelle, er
ist behandelt wie die Arbeit
eines Goldschmieds; der Wech-
sel der Decoration, auf manchen
feineren Beziehungen und Ge-
gensätzen beruhend, regt die
Phantasie aufs Anmuthigste an -).
Der erste Prior der Abtei (denn die Kirche ist erst viel später zur Ka-
thedrale erhoben) wurde im Jahre 1148 eingesetzt, dieser elegante Bau
kann daher nicht wohl eher, als nach Beendigung der ersten nothwen-
Kathedrale von Canterbury.
1) Ich füge die bereits Bd. IV, S. 587 g-egebene Abbildung uochmals hier bei,
um die im Texte erwähnte Anorduung der durcliflochteuen Bögen anschaulich zu
machen, welche diesen in den englisclien Bauten niemals felilt und in Bristol sehr viel
eleganter ausgeführt ist, als in Canterbury.
-) Abbildungen bei Britton, Cath. Ant Vol. V, und bei Wiiikles English Cathe-
drals Vol. II. S 127.
J^74 England.
digen Einrichtung, etwa im letzten Viertel des zwölften Jahrhunderts,
begonnen sein, und zeigt uns also, dass um diese Zeit jener reiche spätnor-
mannische Styl auf seiner Höhe war.
Bei grösseren Bauten war nun zwar diese Zierlichkeit weder ausführ-
bar noch genügend. Dennoch blieb man auch hier im Ganzen bei den For-
men des bisherigen Styls und suchte nur die Schwere der tragenden Glieder
und den Contrast der Rundsäule gegen den Bogenansatz zu mildern. Häufig
wurden daher statt dieser Säulen mehr gegliederte Pfeiler angebracht. Auch
diese Aenderungen treten erst im letzten Viertel des zwölften Jahrhunderts
ein. Im Kreuzschiffe der Kathedrale von Ely, das um 1174 vollendet
wurde, sehen wir den alten Styl noch in seiner ganzen Derbheit, viereckige
kr euzförmige Pfeiler wechseln mit Rundsäulen, an welchen acht verschiedene
plumpe Würfelkapitäle ausladen. Im Langhause, welches unmittelbar nach-
her in Angriff' genommen und bis 1189 beendet wurde, ist schon alles gemil-
dert. Die Arcaden sind durchgängig von gegliederten und schlankeren Pfei-
lern getragen, die Bögen reicher mit mehreren Rundstäben profilirt, die
einen sanfteren Wechsel von Licht und Schatten geben; die Gallerieöffnun-
gen getheilt. Das Fensterstockwerk ist ziemlich leicht gehalten, und eine
dreifache, hohe Rundsäule steigt vom Boden bis zur Balkendecke auf und
verbindet alle drei Stockwerke. Das Ganze erscheint daher schlanker, har-
monischer, besser durchgebildet, als die bisherigen Bauten, obgleich alle De-
tails noch ganz die alten geblieben sind. Noch deutlicher ist das Bestreben
nach milderen Formen in dem Chore der Kathedrale von Norwich, der
nach einem Brande von 1171 bis 1191 erbaut wurde. Er ist halbkreisför-
mig und zwar mit dem Umgange und früher sogar mit drei angebauten Ka-
pellen. Die Details sind alle dem alten Style entlehnt, aber die Pfeiler
schon mit schlanken Säulen umstellt, und namentlich an der Gallerie in
solche aufgelöst, die Archivolten lebendig gegliedert, so dass das Innere
einen überaus befriedigenden Eindruck macht *■). Bei der Ausstattung des
Aeusseren liebte man zwar die trotzigen, kriegerischen Formen des bisheri-
gen Styls zu selir, um sie bedeutend zu mildern, aber selbst bei den engge-
stellten Säulen der Arcadenreihen bemerken wir doch statt der schweren
"Würfelknäufe schlanke und mannigfaltige Kelchkapitäle, an den gedrückten
Bögen den Versuch feinerer Profilirung, wie wir dies namentlich an dem um
1180 erbauten Glockenthurme der jetzigen Kathedrale von Oxford wahr-
nehmen können (Fig. 43).
Während in allen diesen Bauten, welche die Neigung zu feineren For-
men zeigen, der Spitzbogen nicht vorkommt, finden wir ihn in einigen
^) Ansichten bei Britton , Catli. Antiqii. Vol. 11, und in Winkles English Cathe-
arals Vol. II, p. 93.
Erste Anwendung des Spitzbogens.
175
ungefähr gleichzeitigen und selbst älteren Kirchen, und zwar in ganz bestimmter,
bewusster Anwendung und bei übrigens sehr viel einfacherer, selbst roherer
Behandlung. Auch hier kommt er indessen nur an den Scheidbögen vor,
und ist mit rein normannischen Formen, mit dem Rundpfeiler, der Balken-
decke, der rundbogigen Bedeckung von Thüren und Fenstern, mit schwer-
fälliger Gliederung und mit normannischen Ornamenten verbunden. Bedürfte
es noch des Beweises, dass diese Bogenform nicht der Ausgangsj^unkt des
gothischen Styls, sondern nur ein Hülfsmittel zu seiner Ausbildung bei einer
anderweitig vorhandenen Tendenz gewesen, so würden gerade diese Gebäude
ihn liefern. Denn er hat auf die Um ■
gestaltung der Formen so wenig '^' * '
Einfluss gehabt, hängt so wenig mit
einer Richtung auf das Schlanke und
Aufstrebende zusammen, dass die
Rundsäulen hier Aielmehr noch stärker
und kürzer gebildet sind, als sonst,
und begreiflicher Weise im Gegen-
satze gegen den steilen Bogen noch
schwerfälliger erscheinen. Es kann
daher nur die Meinung von der
grösseren Festigkeit dieser Bogenart
gewesen sein, welche ihr hier Ein-
gang verschaffte und ihre Verbindung
mit jenen gedrungenen und übermäs-
sig soliden Gliedern hervorbrachte.
Sehr merkwürdig ist nun, dass alle
Bauten, in denen wir den Spitzbogen
in dieser Weise finden, Klosterkirchen
sind und zwar fast sämmtlich dem
Cistercieuserorden angehörig. So die Kirchen der Abtei von K i r k s t a 11
(1152 — 1182)1), vouBuildwas -) und von Fountains, welche beide 1135
gestiftet sind, aber nach Yermuthungen, zu denen ihre Geschichte Veranlas-
sung giebt, wohl erst nach einem oder mehreren Decennien zum Kirchenbau
gelangten, dann die von Furness, nächst der Kirche zu Fountains die
Christ-church , Oxford.
1) BrittoD, arcliit. ant. IV.
2) Collectanea archeologica: Communications made to the British Archaeological
Association vol. I. London 1862, p. 99—112, Buildwas Abbey, by Goidon M. Hills,
mit Abbildungen. Ferner Buildwas Abbey. By the Rev. R. W. Eyton; Architectural
notices of the conventual church of Buildwas Abbey. By the Rev. John Louis Petit.
The archaeological Journal, vol. XV, 1858.
176
England.
f ig. 44.
wichtigste des Ordens, wohl erst nach 1160 begonnen, obwohl die Grün-
dung schon 1127 stattfand i), endlich die von Byland, 1143 gestiftet, aber
erst 1177 an die gegen-
wärtige Stelle verlegt. Nur
die Kirche zu Malras-
bury 2) gehört nicht die-
sem Orden, sondern einem
Benediktinerkloster, und
zwar sehr viel älterer
Stiftung an; die Gleich-
heit ihrer Formen mit
denen jener anderen Kir-
chen lässt indessen darauf
schliessen, dass ihre Bau-
zeit, über welche die
Nachrichten fehlen, jenen
nahe stehe. Ein Bau des
Augustinerordens, die
Abteikirche von Cart-
melj, Lancashire, gegrün-
det 1188, zeigt eine stete
Mischung des runden
und des spitzen Bogens; so kommen im Chor über runden Arkaden schlichte
Spitzbogentriforien vor '\
Malnistury.
^) E. Sliarpe, on the ruins of the cistercian mouastery of St. Mary in Furness,
mit Abljüdungen, vol. VI des Journal of the British Arcliaeological Association,
London 1851.
-) Abbildungen der Kirchen von Malmsbury und Buildwas in Britton's Arcliit.
Antiqu. Vol. I, 95, IV, 42 — 51, und V, p. 187, der meisten übrigen genannten Kirchen
in dem ausgezeichneten Werke von Edmund Sharpe, Architectural Paralleles or vievvs
of the principal Abbey Churches. London, gr. fol. Nachrichten über alle Cistercieuser-
klöster findet man in Dugdale, Monasticon Anglicanum (neue Ausgabe), Vol. V, mit
freilich sehr ungenügenden Abbildungen. Die Bauzeit von Kirkstall (p. 526 und 530)
scheint wohl beglaubigt. Buildwas (p. 355) wurde erst einige Zeit nach der Stiftung
dem Cistercienserorden übergeben, und wird erst da seine Kirche erhalten haben. Von
Fountains wird zwar (p. 286) in den Klosternachrichten ziemlich bestimmt berichtet,
dass der Bau erst 1205 begonnen und 1245 beendet sei; indessen zeigt die Kirche so
wesentlich verschiedene Theile, dass man wohl annehmen darf, dass diejenigen, welche
die Rundsäule und den schweren Spitzbogen haben, aus einer älteren Bauzeit stammen.
Dies nimmt auch Rickmann in seinem Verzeichniss der englischen Kirchen an.
•') Cartmel Priory Church, Lancashire. By the late Rev. J. L. Peiit. — Tiie Ar-
chaeological Journal, vol. XXVII. 1870, mit Abbildungen.
Aufkommen des Spitzbogens. ^11
Der Cistercienserordeu verbreitete sich, wie in allen Ländern, auch in
England um die Mitte des zwölften Jahrhunderts, die meisten seiner auch
hier sehr zahlreichen Stiftungen stammen aus den Jahren 1130 — 1160.
Alle diese Klöster wurden zuerst von Sendlingen aus französischen Mutter-
klöstern besetzt, welche mit anderen Traditionen des Ordens ohne Zweifel
auch die architektonischen mitbrachten. Zu diesen gehörte aber, wie wir
im südlichen Frankreich gesehen haben und in Deutschland wahrnehmen
werden, die spitze Form der Scheidbögen. Es ist daher überaus wahrschein-
lich, fast gewiss, dass diese dem normannischen Style mehr als dem romani-
schen der anderen Länder fremde Bogenart durch diesen Orden aus Frank-
reich hieher verpflanzt und nicht bloss in den genannten, sondern auch in
anderen gleichzeitigen, später veränderten Cistercienserkirchen angewendet
wurde. Dass sie sich nicht schneller verbreitete, ausser den Grenzen der
Cistercienserklöster zunächst nur ein Mal, und zwar wieder in einem Kloster,
Anwendung fand, erklärt sich wohl hinlänglich daraus, dass die Verbindung
des Spitzbogens mit den schweren P^ormen des normannischen Styls nur
diesen vorzugsweise auf Solidität bedachten mönchischen Baumeistern erträg-
lich schien.
Indessen war der spätnormannische Styl bei seiner überwiegend decora-
tiven Tendenz der Annahme neuer Formen nicht abgeneigt. Daher benutzte
man bald darauf auch den Spitzbogen, ohne constructive Tendenz, recht
eigentlich zur Abwechselung. Sehr deutlich erscheint er so in der bald nach 1189
erbauten Vorhalle der Kathedrale von Ely , wo von fünf Reihen übereinander-
gestellter, bald einfacher, bald durchflochtenerBögen die oberste den Spitzbogen
hat. Dagegen zog man zu den Fenstern noch immer den Rundbogen vor; so in
der St. Josephskapelle der damals noch bischöflichen Abtei zu Glaston-
bury, die, eines der Beispiele reichsten spätnormannischen Styls, bei rund-
bogigen, aber schlank gebildeten Fenstern und Portalen spitzbogige Gewölbe
und Scheidbögen hat *]. Die Urkunde, in welcher Heinrich IL für sich und
seine Erben die Herstellung der abgebrannten Kirche gelobt, ist vom Jahre
1178, der Aufbau dieser Kapelle scheint indessen nicht vor 1186 begonnen
zu sein-). Allein ungeachtet dieser späten Entstehung und der zierlichen,
fast überreichen Ausstattung sind die Details und die Wirkung des Ganzen
noch völlig die des älteren Styls.
Bedeutsamer als die vereinzelte Anwendung dieser Bogenform erscheint
eine andere Aenderung, die wir um 1180 oder nicht viel früher und an
einer kleinen Zahl von Kirchen, meistens im Westen Englands, namentlich
in den Kathedralen von Gloucester, Hereford, Oxford und in der Abtei
^) Abbildungen bei Britton Arcii. Ant. Vol. IV, 158 ff. Vetusta monumenta Vol. IV,
2) Monasticon Angl. I, p. 62.
Schnaase's Kunstgesch. 2. Aufl. V. 12
178
England.
Fig. 45.
kirche von Tewkesbury, endlich auch im Süden, in der Abteikirche vom
Romsey unfern Salisbury finden i). Hier nämlich hat man das Anstössige
und Schwerfällige der kurzen Rundsäule dadurch zu beseitigen gesucht^ dass
man sie in schlankeren Verhältnissen bildete, ähnlich denen der antiken
Säule. In Gloucester hat der Säulenstamm die Höhe von vier^ in Romsey
die von sechs Durchmessern. Diese Neuerung bedingte aber mannigfache
Veränderungen. Die stämmige Gestalt der Säule stand mit der ganzen bis-
her gebräuchlichen Anordnung im Zusammenhange. Sie gehörte nur den
unteren Arcaden an, über denen erst ein Stockwerk hoher Gallerien und
dann das der Oberlichter aufstieg. Wollte
man dies bewahren und ihr dennoch mit
Beibehaltung der für die Sicherheit des Baues
nothwendigen Stärke schlankere Verhältnisse
geben, so würde dies eine übermässige Höhe
des Ganzen verursacht haben. Man musste
daher die Verhältnisse der Stockwerke än-
dern, und dies finden wir nun in diesen
Kirchen in verschiedener Weise versucht. In
Gloucester, Hereford und Tewkesbury ruht
der Scheidbogen noch auf dem Säulenka-
pitäl, die Gallerie ist aber zu einem nie-
drigen Triforium zusammengeschmolzen. In
Oxford und in Romsey dagegen ragt die
Säule weit über die Scheidbögen hinaus,
welche in halber Höhe des Stammes hier
auf einem Kragsteine, dort auf einer an-
gelegten Halbsäule ruhen, während die Ka-
pitale der hohen Säulen durch eine höhere
Bogenreihe verbunden sind, über welcher
unmittelbar die Oberlichter liegen. Zwischen
diesen beiden Bögen ist dann das Triforium angebracht, in Oxford nur
in der Gestalt einfacher Arcaden, welche einzeln und unzusammenhängend
zwischen den starken Säulen stehen, in Romsey sehr viel harmonischer, in-
dem der auf den Säulenkapitälen ruhende Bogen zugleich die Triforien-
öffnung umschliesst, welche dann zwischen jedem Säulenpaar durch eine klei-
nere Säule getheilt ist, deren Kapital mit den Kapitalen der Schiffsäulen in
einer Flucht liegt und mit ihnen gemeinsam die kleineren, von jenen grösse-
ren umschlossenen. Bögen trägt. Diese Anordnung ist in der That sehr
würdig und schön, besonders aber auch sehr merkwürdig und bezeichnend
Komsey.
1) Britton, Arcliit. Ant. V.
' Versuche schlankerer Säulenbildung. J79
für die Richtung der englischen Kunst. In gewisser Beziehung möchte man,
namentlich in der Kathedrale von Oxford, wo an der grossen Säule kleinere
Halbsäulen angebracht sind, eine Annäherung an den gothischen Bündelpfeiler
annehmen, da auch hier ein hoch hinaufsteigender Stamm mehrere hori-
zontale Abtheilungen durchläuft und verbindet. Allein in der That ist der
Charakter ein ganz anderer, fast entgegengesetzter. Die Schönheit des
schlank aufsteigenden Dienstes am gothischen Pfeiler hängt mit seiner Un-
selbständigkeit zusammen; er ist nur der Keim, aus welchem das Gewölbe
aufwachsen soll. Jene obwohl ziemlich schlanke Säule hat aber keine Be-
ziehung auf das Gewölbe, welches gar nicht beabsichtigt war, sie ist durch-
aus selbständig und abgeschlossen, und unfähig, so organisch mit dem
Ganzen zu verschmelzen, wie es die Tendenz des gothischen Styls mit sich
brachte. Weit entfernt also demselben entgegenzukommen, w^ürde die eng-
lische Architektur, wenn sie auf diesem Wege fortgeschritten wäre, vielmehr
eine ganz andere Richtung erhalten haben, einigermaassen den Bauten des
sechszehnten und siebenzehnten Jahrhunderts ähnlich geworden sein, welche
die antike Säule den Bedürfnissen des christlichen Kirchenbaues an-
passen wollten. Freilich aber entsprach dies nicht dem Geiste der Zeit, der
daher auch der weiteren Entwickelung dieser Tendenz entgegentrat.
Denn ungefähr um dieselbe Zeit wui^de an einer anderen Stelle, an der
Kathedrale zu Canterbury, der gothische Styl in seiner frühesten Gestalt
schon angewendet, aber freilich nicht von einem einheimischen, sondern von
einem französischen Meister. Die Geschichte dieses Baues ist uns durch die
glückliche Erhaltung des Berichts, welchen Gervasius, ein Mönch des mit
dem Dome verbundenen Klosters, niederschrieb, vollständiger bekannt als
irgend ein anderer architektonischer Hergang dieser Zeit. Der Chor der
Kathedrale, welcher unter der bischöflichen Regierung des berühmten An-
selm dem durch Lanfrancus errichteten Schiffe der Kirche augebaut und im
Jahre 1130 geweihet war, wurde im Jahre 1174 ein Raub der Flammen.
Unser Berichterstatter Gervasius i) beginnt damit, den Schrecken seiner
Brüder zu schildern, als sie die Stätte ihrer täglichen Andacht einem unab wend-
lichen Untergange Preis gegeben sahen. Sofort dachte man auf Abhülfe
des Schadens und zog deshalb Werkverständige, und zwar, wie ausdrücklich
"bemerkt wird, Franzosen und Engländer herbei, die aber unter sich nicht
einig werden konnten. Einige gaben den Mönchen die angenehme Versiche-
^) Gervasü Tractatus de combustione ac reparatione Cantuariensis ecclesiae, in:
Twisden, Hist. Angl. Scr. p. 1289. In dem bereits erwähnten trefflichen Werke des
Professors Willis in Cambridge: The architectural history of Canterbury Cathedral
London 1845, findet sich eine englische Uebersetzung des Berichts. — Vgl. ferner:
Le style ogival en Angleterre et en Normandie, von F. de Verneilh, Annales archeol.
Bd. XXV.
12*
180 England.
rung, dass die Ueberreste der Pfeiler und Mauern für den Neubau brauch-
bar sein würden, Andere erklärten dies für gefährlich. Endlich fassten die^
Geistlichen den vernünftigen Entschluss, einen Obermeister zu wählen und
sich ihm anzuvertrauen, und nahmen dazu einen gewissen Wilhelm aus
Sens, der nicht nur als ein geschickter Künstler in Stein und Holz berühmt
war, sondern auch durch seinen sonstigen guten Ruf und durch seinen leb-
haften Geist Vertrauen einflösste. Er geht sorgsam zu Werke, beginnt ab-
zubrechen, zu untersuchen, überzeugt die Mönche allmälig, dass es nicht
rathsam sei, durch eine Beibehaltung der beschädigten Theile das neue Werk
zu gefährden, ermuthigt sie aber auch und schreitet sogleich mit Vorarbeiten
vor, indem er Steine herbeischafft, Maschinen zurüstet und den Steinmetzen
Vorbilder zur Bearbeitung des Steines übergiebt^). Im zweiten Jahre ist er
schon so weit gediehen, dass er die Aufrichtung des Gebäudes beginnen kann.
Er geht dabei von der Vierung des grösseren (westlichen) Querschiffes aus,,
welche nebst dem grossen Mittelthurme, der auf ihr ruhete, erhalten war,
schreitet also von Westen nach Osten vor. Hier errichtet er noch in
diesem Jahre sechs Pfeiler, drei auf jeder Seite^ nebst den entsi^rechenden
Mauern der Seitenwände, und vollendet auch sofort die dazu gehörigen sechs
Gewölbe der Seitenschiffe. Im folgenden Jahre fügt er auf jeder Seite zwei
Pfeiler hinzu, ist also bis zum östlichen Kreuzschiffe gelangt, überwölbt auch
hier die Seitenschiffe, führt dann die Mauern des Oberschiffes auf und
vollendet sogar noch die Gewölbe desselben, nämllich zwei quadrate und ein
schmales Gewölbe, welche so den fünf Arcaden, die er bisher errichtet, ent-
sprechen. Man sieht, er fördert sein Werk. Im vierten Jahre arbeitet er
jenseits des östlichen Kreuzschiffes weiter, beginnt also den östlichen Theil
des Chores, der aber, weil man die beiden neben demselben liegenden Thürme
beibehalten wollte, geringere Breite erhielt. Er errichtete hier zehn Pfeiler
nebst den entsprechenden Mauern und Seitengewölben und den Wänden des
Mittelschiffes, stürzte aber nun, als er das obere Gewölbe beginnen wollte,
vom Gerüste herab, und beschädigte sich so, dass er das Bett hüten musste ;,
aber auch von hier aus leitete er den Fortbau, indem er sich eines jungen
Mönchs, der bisher schon als Aufseher beim Bau mitgewirkt, bediente. So
wurden die östlichen Kreuzarme angelegt und zwei quadrate Gewölbe des
Chores vollendet. Im fünften Jahre verzweifelte Meister Wilhelm an seiner
Herstellung, kehrte daher nach Frankreich zurück, und ein Engländer, eben-
falls Wilhelm geheissen, klein von Körper, wie Gervasius bemerkt, aber in
verschiedenartigen Arbeiten sehr wacker, wurde dem Bau vorgesetzt. Dieser
*) Formas quoque ad lapides formandos liis qui convenerant sculptoribus tra-
didit. Es mag dahin gestellt sein, ob darunter Vorzeichnungen oder hölzerne Forme»
verstanden sind.
Die Kathedrale von Canterbury. 181
wölbte nun im fünften Jahre die Kreuzschiffe und die Chorrundung. Die
Krypta und die alten, in ihren Fundamenten beibehaltenen Thürme am
Chore waren noch nicht in Angriff genommen und beides musste geschehen,
ehe die Aussenmauer des Chores vollendet werden konnte. Allein die Un-
geduld der Geistlichen, die während des Baues ihre Hören im Schiffe der
Kirche absingen mussten und sich hier wie im Exile fühlten, gestattete dem
Meister nicht, den regelmässigen Gang einzuhalten; er beeilte sich daher im
sechsten Jahre, die herkömmlichen Einfassungswände des inneren Chorrau-
mes aufzurichten, schloss dann die noch offene Ostseite des Chores durch
eine hölzerne Mauer, und machte es so möglich, dass schon im Jahre 1180
€ine Weihe erfolgte, und Kapitel und Mönche ihren Einzug halten konnten.
Die folgenden Jahre waren nun dem weiteren Ausbau der Krypta und der
äusseren Theile gewidmet, im neunten Jahre trat wegen Geldmangels eine
Stockung ein, im zehnten aber war dieses Hinderniss beseitigt und der Bau
wurde vollendet.
Dieser Bericht, ohne Zweifel die wichtigste schriftliche Urkunde der
mittelalterlichen Baugeschichte, ist in vielfacher Beziehung lehrreich. Er
zeigt, dass um diese Zeit die Kunst schon ganz in die Hände der "Werkver-
ständigen aus dem Laienstande übergegangen war, dass die Geistlichen und
Mönche sich dabei nur als Bauherren verhielten, er gewährt aber auch ein
Zeitmaass für die Fortschritte solcher Bauten, wenn anders die Mittel vor-
handen waren. Selbst einzelne Ausdrücke dieses Berichtes sind wichtig, weil
sie erkennen lassen, auf welche Eigenschaften des Gebäudes man Werth
legte, wie man die Formen desselben betrachtete. So gebraucht Gervasius
schon das "Wort: Triforium, und erklärt es ausdrücklich als eine „via", als
einen Weg in der Mauer, so dass der historische Ursprung dieser Form aus
•der wirklichen Gallerie schon vergessen und nur die Brauchbarkeit ins Auge
gefasst war. So nennt er ferner nicht das ganze Kreuzschiö', sondern jeden
Arm des Kreuzes: Crux, und schliesst damit jede symbolische Hindeutung
auf das Kreuz Christi aus. So bezeichnet er das Kreuzgewölbe mit dem
Worte: Ciborium, das in der kirchlichen Sprache bisher den Baldachin über
dem Altare bedeutete^); man war sich also des Umstandes, dass diese Ge-
wölbe nur auf den vier Pfeilern ruheten und mit diesen ein selbstständiges
Ganzes ausmachten, völlig bewusst. Er fügt hinzu, dass er sich erlauben
werde, statt dieses damals üblichen Ausdrucks das Wort: Clavis, Schlüssel
oder Schlussstein, zu gebrauchen, weil dieser in die Mitte gestellte Stein die
1) Derselbe Ausdruck findet sich auch in der Chronik des Abts Menco zu Wernen
bei Groningen (in Mathaei Analecta, tom. II, p. 132 sqq., Lugduni Bat. 1738), bei der
interessanten Beschreibung der Erbauung dieser Kirche im Jahre 1238 durch Meister
Everhard von Köln. Vgl. Dr. Schölten im Domblatt 1850, Nro. 62.
182 England.
von allen Seiten herkommenden Theile zusammenschliesse, und zeigt dadurch^
dass er die Form und Bedeutung des Rippengewölbes wohl versteht.
Dabei ist er sich des Unterschiedes und der Vorzüge des neuen Styls
vor dem alten vollständig bewusst. Schon bei der Beschreibung des älteren^
durch den Brand zerstörten Baues, die er als Augenzeuge überliefern zu
müssen glaubt, bemerkt er die Dicke der Mauern und die kleinen und
dunkelen Fenster (murus solidus parvulis et obscuris fenestris distinctus), und
am Schlüsse seiner Erzählung macht er es sich zur Aufgabe, die Vorzüge
des neuen Werkes zu schildern. Er rühmt die grössere Pracht, die Zahl
der Marmorsäulen, die Verdoppelung des Triforiums ^). Die Pfeiler, fährt
er fort, seien bedeutend höher, die Kapitale, welche früher glatt, die Bögen,^
welche wie mit dem Beile behauen gewesen, jetzt mit zierlicher, angemes-
sener Bildnerarbeit ausgestattet; im Hauptschiffe habe sonst eine hölzerne-
Decke, freilich mit herrlicher Malerei, im Umgange des Chores ein Tonnen-
gewölbe bestanden, jetzt sehe man hier wie dort ein aus Stein und leichtem
Tuf gebildetes, mit Bogen und Schlussstein versehenes Gewölbe^). Im
alten Gebäude hätte eine auf den Pfeilern stehende Mauer die Kreuz arme
vom Chor gesondert, im neuen schienen Kreuzschiff und Chor in dem Schluss-
steine des mittleren Gewölbes zu verschmelzen ^j.
Man sieht also, er ist stolz auf die schlankere Form der Pfeiler, er be-
merkt die Erweiterung der Fenster und die Leichtigkeit der Mauern, er
kennt die Schönheit der Kreuzgewölbe und ihren innigen Zusammenhang
mit den Pfeilern, er weiss es zu schätzen, dass jedes von ihnen ein Ganzes
bildet und alle doch wieder mit einander zusammenhängen, er beachtet die
bessere Gliederung der Bögen und die Form der Kapitale; er legt dagegen
gar kein Gewicht auf den Spitzbogen, findet es nicht der Erwähnung
werth, dass dieser — nur mit Ausnahme der Oeffnungen und Blendbögen
der Empore — die Stelle des älteren Ptundbogens eingenommen. Bei der
Genauigkeit seiner Beschreibung, der Sorgfalt, womit er einzelne Unregel-
mässigkeiten der Anlage erwähnt und entschuldigt, und der lebendigen An-
schauung, welche seine Worte gewähren, müssen wir ihn, wenn er nicht
1) Er gebraucht auch hier das Wort zur Bezeichnung jedes Weges in der Mauer^
indem nicht ein zweites wirkliches Triforium (nach unserem Sprachgebrauche), sondern
n\ir über dem eigentlichen Triforium ein Weg am Fusse der Fensler angebracht war.
2) Ibi in circuitu extra chorum fornices planae (ich übersetze dies durch Tonnen-
gewölbe, vielleicht meint aber Gervasius einfache Kreuzgewölbe ohne Rippen) hie ar-
cuatae et clavatae. — Ibi coelum ligneum egregia pictura decoratum, liic fornix ex
lapide et tofo levi decenter composita est.
3) Ibi murus super pilarios directus cruces a clioro sequestrabat, hie vero nullo
intersütio cruces a choro divisae in unam clavem quae in medio fornicis magnae con-
sistit, quae quatuor pilariis principalibus innilitur, convenire videtur.
Die Kathedrale von Canterbury.
183
Fig. 46.
Kathedrale von Canterlniry. Oestliclie Tbeile.
184 England.
selbst bei dem Bau tbätig war^), wenigstens für einen Freund der Kunst
halten, der mit den Ansichten der Meister nicht unbekannt geblieben. "Wir
entnehmen daher auch hieraus, dass man in der That diese Bogenform nur
als ein Mittel der Construction, nicht als eine Zierde betrachtete, und kön-
nen uns um so mehr die Erscheinung erklären, dass sie zuerst nur an den
minder auffallenden, tragenden Theilen angewendet wurde.
Der Bau des Wilhelm von Sens -) ist noch erhalten, und zeigt eine ge-
naue Uebereinstimmung mit der Kathedrale von Sens; die Doppelsäulen, die
dort angewendet waren, die Verhältnisse der Säulenstämme und korinthi-
sirenden Kapitale, die Basen sind auch in dem englischen Bau beibehalten.
Der Chorschluss ist hier rund, während die meisten um diese Zeit in Eng-
land gebauten Kirchen schon geraden Schluss erhielten"'); er hat zwar eine
eigenthtimliche Anordnung, durch die Verengerung in schräger Richtung,
welche zwischen dem zweiten Querhause und dem Chorschluss eintritt, allein
wenn man daran denkt, dass zwei alte Thürme, die bei dem Neubau erhalten
werden sollten, denselben beengten, wird man finden, dass der Meister ge-
rade nur um so viel, als dieses Hinderniss ihn nöthigte, von dem Plane des
französischen Vorbildes abgewichen ist. Wie dort, tritt aus der Mitte des
Chorumgangs eine Rundkapelle heraus, welche hier den Namen „Beckets
Krone" führt.
Thomas Becket, der berühmte, bald heilig gesprochene Erzbischof, der
Stolz von Canterbury, der erst kurze Zeit vor dem Chorbrande (1170) ge-
mordet war, hatte sich, um den Verfolgungen des Königs von England zu
entgehen, längere Zeit in Sens aufgehalten, und es wäre daher denkbar,
dass man aus Pietät gegen ihn jene Kirche, die ihm ein Asyl gegeben^
1) Die besclieidene Erwähnung- des nicht genannten Mönchs, dessen sich Wilhelm
von Sens bediente, um den Bau von seinem Bette aus zu leiten, die Hindeutung auf
den Neid, mit welchem diese Auszeichnung des jüngeren Mannes betrachtet wurde,
könnte auf die Vermuthung führen, dass dieser Mönch kein anderer als Gervasius
selbst gewesen.
-) Nächst der Publication in Britton cathedral antiqu. I. einige Abbildungen bei
Arthur J. Stanley, Historical memorials of Canterbury. London 1855.
•'') Eine Andeutung des Gervasius lässt vermuthen, dass der runde Chorschluss
Widerstand fand. Der ältere Bau hatte ihn zwar ebenfalls gehabt, allein er war kürzer
gewesen. Zufolge der Beschreibung hatte der Chor auf jeder Seite neun Pfeiler und
dann die sechs der Rundung, während er jetzt nach der Weise, wie Gervasius rechnet,
zwölf Pfeiler ohne jene sechs enthält. Da man nun über die Fundamente hinausging,
war man auch nicht an dieselben gebunden. Meister Wilhelm machte aber darauf auf-
merksam, dass die beiden alten, der ehemaligen Chorrundung anliegenden und herzu-
stellenden Thürme eine Verengung der Breite des Chores bedingten, und dass diese
Unregelmässigkeit weniger auffallen werde, wenn man dahinter den Chor rund ab-
schliesse.
Die Kathedrale von Canterbury. Jg5
nachahmen wollen. Allein Gervasius sagt dies nicht und er würde es nicht
verschwiegen haben. Ohne Zweifel aber war durch jenen Aufenthalt des
Thomas Becket in Sens eine Bekanntschaft der Geistlichkeit beider Bischofs-
sitze entstanden, welche Veranlassung zu der Berufung jenes, wahrscheinlich
bei dem unlängst vollendeten Dombau in Sens erprobten Meisters gab, der
nun die ihm bekannten Formen ohne grosse Rücksicht auf englisches Her-
kommen anwendete.
Auch noch der östliche, nach seiner Entfernung gebaute Theil des
Chores zeigt im Ganzen die Nachahmung des französischen Domes; Wilhelms
Zeichnungen und die von ihm herangebildeten Arbeiter sind dabei gebraucht
worden. Allein daneben schleichen sich doch wieder Einzelheiten des alt-
englischen Styles ein, die unter Wilhelms eigener Leitung nicht vorgekom-
men waren. Gurten und Archivolten sind mit dem Zickzack und ähnlichen
Ornamenten geschmückt, die Basen ohne Eckblatt und auf runde Plinthen
gestellt, die starken Säulenstämme in der Krypta von Spirallinien umgeben.
Auch Neuerungen finden sich, die dem französischen Style unbekannt sind,
namentlich die Umstellung des runden Pfeilerkerns mit schlanken, freistehen-
den Säulen, eine Anordnung, die in England später nicht selten vorkommt.
Wir sehen, wie sofort, noch an demselben Bau, unter den Schülern des
fremden Meisters der einheimische Geschmack sich geltend macht.
Eine Nachahmung der Kathedrale von Canterbury an einem anderen
englischen Gebäude können wir ebenso wenig nachweisen, als eine weitere
Verbreitung der durch Wilhelm von Sens hier gebildeten Schule oder die
anderweitige Zuziehung französischer Architekten. Indessen zeigt der Be-
richt des Gervasius, dass sich gleich anfangs unter der Mehrzahl befragter
Werkverständigen mehrere Franzosen befanden, und so werden sie auch sonst
den Weg über den Kanal gefunden haben i). Auch die geistlichen Orden
unterhielten eine architektonische Verbindung mit Frankreich. Der Cister-
cienser habe ich schon gedacht. Eine ähnliche Rolle spielten die Templer,
auch sie verbreiteten sich seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts, auch
ihr Orden bestand Vorzugsweise aus Franzosen, auch sie hatten eigenthüm-
liche, in Frankreich ausgebildete Bauforraen, zu denen der Spitzbogen und
andere Elemente des frühgothischen Styls gehörten. Daher finden wir denn
gleichzeitig, aber unabhängig von dem Bau des Wilhelm von Sens, ein
zweites Beispiel französischer Formen in England in der Templerkirche
zu London, in ihrem älteren Theile, welcher schon 1185 die Weihe erhielt 2).
^) Ein Beispiel der Benutzung französischer Baumeister in England ist, dass König-
Johann zur Erbauung der Themsebiücke einen Meister Isembert aus Saintes nach
London sendete. — • Pauli, Geschichte von England, III, S. 488.
') Vgl. die Inschrift im Glossary III, ad anno 1185, p. 67. Abbildungen in B.
186 England.
Sie ist, wie die Templerkirchen gewöhnlich, ein Rundbau, im Allgemeinen
noch von romanischem Charakter, mit rundbogigen Fenstern, aber mit
spitzen Arcaden auf Pfeilern, die aus vier schlanken Säulen zusammengesetzt
sind, mit Knospenkapitälen und darauf gestellten Gewölbrippen.
Von nun an entstanden auch in England Gebäude, deren Styl man als
einen Uebergang bezeichnen kann, weil er nicht mehr ganz normannisch,,
aber auch noch nicht gothisch ist. Dies geschah dann bald in der Weise,
dass man Einzelnes aus dem neuen Styl aufnahm, bald aber so, dass man
die althergebrachten Formen beibehielt, aber in einer dem neuen Style ver-
wandten Tendenz behandelte Ein interessantes Beispiel der letzten Art ist
die Vorhalle, die s g. Galilaea^) auf der Westseite des Doms zuDurham,
wie wir genau wissen in den Jahren 1180 — 1197 entstanden-). Es ist ein
niedriger Raum, an Breite dem Langhause fast gleich, durch vier Reihen
von je drei Pfeilern in fünf Schiffe gleicher Höhe getheilt, und nicht ge-
wölbt sondern mit Balken gedeckt. Die Pfeiler bestehen, ähnlich wie in
der Londoner Templerkirche, aus vier sehr dünnen durch Kalk verbundenen
Säulenstämmen, zwei von Marmor, zwei von geringerem Steine, die Basis ist
eine blosse Abschrägung, die niedrigen Kapitale haben Kelchform mit breiten,
unausgebildeten Blättern, an denen man Spuren ehemaliger Bemalung wahr-
nimmt. Die Bögen sind sämmtlich mit reichem, stark vortretendem Zickzack
verziert, der in einer Höhlung liegt; sie sind halbkreisförmig, nur die äussere
Archivolte hat eine schwach angedeutete Spitze. Die Wand über den Bögen
ist schlicht, und nur durch eine rautenförmige Vertiefung verziert, welche
über den Säulen steht und den Zwickeln der Bögen entspricht. Das obere
Stockwerk über dieser niedrigen Halle ist allerdings schon gothisch , aber
auch entschieden bedeutend jünger und erst in der folgenden Epoche hinzu-
gefügt, der untere Raum dagegen enthält keine Details des neuen Styls.
Aber die schlanken Bündelsäulen mit ihren Kelchkapitälen, die rauten-
förmigen Vertiefungen in der Wand und die leichte und zierliche Haltung
des Ganzen geben den Eindruck eines gothischen Baues, ja selbst eines mehr
anmuthigen als strengen.
Eine ähnliche Tendenz bemerken wir in den ungefähr gleichzeitig mit
der Galilaea von Durham entstandenen unteren Theilen des Langhauses in
der Kathedrale von Chichester. Die Bögen sind halbkreisförmig, die
W. Billing, Architectural illustrations and account of the Temple church, und in
Brilton Arch. Ant. I.
') üalilaea, ein in England gebrauclilicher Ausdruck für Vorhallen der Kirchen,
ohne Zweifel mit einer etwas dunkeln Anspielung auf das Verhältniss von Galilaea zu
Jerusalem.
2) Abbildung in Winkles Cathedrals, Vol. III.
Uebergang. 187
Halbsäulen und Würfelkapitäle, die starken Untergurte des alten Styls bei-
behalten. Aber die glatte Frontseite des Pfeilers ist an den Ecken von
zierlichen monolithen Säulchen flankirt, die Scheidbögen sind mit kleinen
Rundstäben eingefasst, die Würfelsäulen der zweitheiligen Galleriearcaden
schon nach der Weise des frühgothischen Styles gruppirt. Man erkennt die
Absicht, die grellen Contraste des älteren Styls zu vermeiden, eine einfache
Eegelmässigkeit herzustellen, mildere Formen zu erlangen.
Viel entschiedener in der Hinneigung zu gothischer Formbildung ist der
Chor der Kathedrale von Winchester^), welchen Bischof Gottfried von
Lucy im Jahre 1202 mit Hülfe einer von ihm gestifteten frommen Brüder-
Schaft begann-). Der ältere Gebrauch, die Wände äusserlich und innerlich
mit blinden Arcaden zu schmücken, ist hier noch beibehalten, aber die untere
Arcadeureihe besteht, wie die innerhalb derselben gelegenen Fenster, aus
schlanken Lancetbögen, die obere hat die Kleeblattform. Die schlanken
Pfeiler sind ähnlich wie in jener Vorhalle in Durham, aber aus acht ein-
zelnen monolithen Säulchen zusammengesetzt, auch die Kapitale haben wie
dort die Form niedriger Kelche, jedoch ganz ohne Blattornament, eine
Form, die, wie wir sehen werden, im englischen Style sehr beliebt wurde.
Hieran reiht sich der neue Ausbau des westlichen Theils der früher
erwähnten grossen Abteikirche zu St. Albans, welchen der Abt Johann
von Cella (1195 — 1214) begann-^), jedoch, da der Abbruch des gewaltigen
normannischen Baues und die kostbaren Materialien, die er verwendete, seine
Mittel erschöpften, nur die Vorhalle vollendete. Auch hier wieder Säulchen
von Marmor auf flachen Basen, und spitze, jedoch eigenthümlich gebrochene
Bögen, dabei aber nun schon weit ausladende Knospenkapitäle. Dieser
Neubau, der ungeachtet der Festigkeit des alten Mauerwerks unternommen
wurde, beweist, wie allgemein jetzt die Gefühle waren, die Gervasius bei der
Vergleichung beider Bauten ausspricht. Man konnte die Derbheit des nor-
mannischen Styls nicht mehr ertragen, und warf sich mit einer Art von
Leidenschaft in die entgegengesetzte Richtung. Der Nachfolger des Jobann
1) Brittou, Cath. aiit. III.
2) Aniio 1202 Godfredus de Lucy coustituit confratriam pro reparatiüue ecclesiae
Winlonieusis duraturam quinque aniios completos. Annal. Winton. bei Whittington a.
a. 0., p. 131. Ich weiss nicht, ob man von dieser Stelle zum Beweise des Alters
der Bauhütten und der Freimauerei Gebrauch gemacht hat. Die Ausdrücke scheinen
es jedoch ausser Zweifel zu setzen, dass hier nur von mehrjährigen frommen Bei-
steuern die Rede ist. — Die Ostseite der Lady chapel ist erst im 16. Jahrhundert
ausgeführt.
^) Vgl. Buckler in der schon angeführten Hist. of tlie arcii. of the Abbey of St.
Albans, und die Publication der Society of Antiquaries: Some account of the abbey
church of St. Albans, London 1813, fol.
^38 Frühenglischer Styl.
Yon Cella, Wilhelm von Trampington (1214 — 1235), verstärkte die Anlage
der Fagade und setzte den Bau im Innern fort. Es war durchaus nur eine
Decoration der alten Wände, kein neuer Bau; die Construction, die Höhe,
die Balkendecke blieb dieselbe, die massigen Pfeiler und die rauhen Mauern
des alten Münsters erhielten nur ein neues, zierlicheres Kleid, sie wurden
wie Felsenstücke behauen, jene zu Bündelsäulen ungebildet, diese mit Arcaden
und Marmorsäulchen belegt. Der Styl ist hier schon ganz der, welchen wir
sofort als den frühenglischen kennen lernen werden; die Pfeiler sind mit
gleich hohen Säulen umgeben, die Kapitale von einfacher Kelchform mit
tellerartigen Ausladungen, die Bögen durch Rundstäbe ziemlich reich proti-
lirt; die Zwischenräume dieser Rundstäbe und der oberen Säulen mit dem
weiter unten näher zu erwähnenden Zahnornament ausgefüllt.
Und nun finden wir sofort in den verschiedensten Theilen Englands
mehrere Bauten, welche dieselben Formen, schlanke oder zusammengesetzte
monolithe Säulen, kelchförmige Kapitale, spitze oder kleeblattförmige Bögen
wiederholen. Das Monument des Abts Alanus in der Abtei von Tewkes-
bury V. J. 1202, allerdings nur ein Werk architektonischer Decoration, hat
schon den Kleeblattbogen und sonst reine frühenglische Formen; der im
Jahre 1204 neubegonnene Chor der Cistercienserkirche von Fountains
Lancetfenster , eine Arcatur mit Kleeblattbögen und kelchförmigen weit-
ausladenden Kapitalen, Formen, welche wir zum Theil auch in den Cister-
cienserkirchen anderer Länder finden, welche aber auch schon in den eben
erwähnten englischen Bauten vorgekommen waren. Sehr zierlich ist ferner die
innere Ausstattung der westlichen Vorhalle der Kathedrale von Ely (1200 —
1215). Ihre beiden Kreuzgewölbe haben leichte, als Rundstäbe profilirte
Rippen, die Wände eine Arcatur von freistehenden schlanken Säulen mit
kelchförmigen Knospenkapitälen, Kleeblattbögen und durchbrochenen Zwickeln.
Bedeutendere Bauten waren der des östlichen Kreuzschiffes und Chors der
Kathedrale von Lincoln, welcher durch den Bischof Hugo von Grenoble
(1185 — 1200) angefangen und von seinem Nachfolger fortgesetzt wurde, und
der des Chors der Kathedrale von Worcester*), welcher im Jahre 1218
schon soweit vorgeschritten war, dass er bei Gelegenheit der Anwesenheit
König Heinrichs III. eine Weihe erhalten konnte-). An beiden erkennen
wir sehr charakteristische Eigenthümlichkeiten des englischen Styls. Der
') Britton. Catliedral ant. IV. — The architectural history of the Cathedral and
monastery at Worcester. By the rev. R. Willis. The Arch. Journal, vol. XX. 1863.
-) Vgl. Monasticon Anglicanum I., p. 573. Im Jahre 1224 wurde schon die
Vorderseite des Schiffs in Arbeit genomnieu und wird der Chor also schon vollendet
gewesen sein.
Die Kathedralen von Lincoln und Worcester. 18&
Chor von Lincoln^) hatte zwar uoch eine den älteren coutinentalen Bauten
ähnliche Anlage; eine runde Concha', welche durch einen späteren Bau ver-
drängt, aber an den Fundamenten nachgewiesen ist, und auf der östlichen
Seite des daraustossenden zweiten Kreuzschiffes je zwei noch bestehende
halbkreisförmige Kai)ellen. Aber die Fenster sind durchgängig lancetförmig,
in den Kapellen einzeln, im Oberschiffe gekuppelt, die Pfeiler Säulenbündel,
die Arcaden spitz und mit vielen Rundstäben profilirt-). Noch reicher ist
der Chor von Worcester, dessen Pfeiler nicht bloss von acht monolithen,^
durch kupferne Ringe verbundenen Säulen umstellt, sondern auch noch am
Kern durch acht kleinere, zwischen jenen stärkeren Säulen sichtbare Säulchen
verziert sind. Die Kapitale sind schon mit dem weiter unten zu beschrei-
benden Blattwerk des englischen Styls versehen, das hohe Triforium hat
eine eigenthümliche Anlage, von der ich ebenfalls erst weiter unten sprechen
kann; die Oberlichter bestehen aus drei Lancetfenstern mit davorgestellten
schlanken Säulen. Im Kreuzschiffe liegen sogar zwei solche Fenstergruppen
übereinander, wodurch es denn sehr leicht und luftig erscheint. Beide Bauten
sind mit schmalen Kreuzgewölben bedeckt, deren Rippen aber von dem
überaus schwachen Dienste, der von den Kapitalen der vorderen Säulen auf-
steigt, nur scheinbar getragen werden. Die Strebepfeiler sind äusserst
schwach und Strebebögen nicht angebracht. Wir sehen also die decorativen
Formen des gothischen Styls schon ziemlich entwickelt, das constructive
System dagegen, aus Unempfänglichkeit für die Bedeutung desselben oder
im Vertrauen auf die Vortrefflichkeit des Materials, vernachlässigt.
Diese Bauten enthalten in der That schon die charakteristischen Züge
das neuen englischen Styls. Er hat sich in unglaublich kurzer Zeit ent-
wickelt. Nachdem noch die obenerwähnten Gebäude aus den letzten Jahren
des zwölften Jahrhunderts im Wesentlichen normannische, nur in einem an-
deren Sinne behandelte Formen erhalten hatten, hat man sie jetzt aufgegeben
und mit anderen vertauscht. Der nationale Geschmack hat sich sehr rasch
^) Brittoii, arcli. ant. V. — Wild, lilustralion . . . of tlie catli. chiirch of Lincoln.
London 1819.
-) Nach der Beendigung jenes von Bischof Hugo angefangenen Baues erlitt die
Kathedrale im Jahre 1237 durch den Einsturz des Mittelthurms eine bedeutende Be-
schädigung, welche eine umfassende Herstellung nöthig machte. Ein Chronist bemerkt
zwar ausdrücklich, dass die Kirche mit Ausnahme des Chors zur Ruine geworden sei,
indessen erfahren wir doch, dass auch an diesem gebaut und namentlich im J, 1256
eine Verlängerung desselben nach Osten zu begonnen ist. Indessen scheint doch
Einzelnes, z. B. das östliche Kreuzschitf noch im Wesentlichen aus dem Bau des Bi-
schofs Hugo zu stammen. Felix de Verneilh (Le style ogival en Angleterre et en Nor-
maudie in den Ann. arcli. Vol. 25) scheint zu weit zu gehen, wenn er eine totale Zer-
störung jenes früheren (durch einen wahrscheinlich französischen Architekten Geoffroy
da Noyers geleheten) Baues annimmt.
-iQQ Frühenglischer Styl.
orientirt, aus dem von Frankreich her ihm zugeführten und sonst bekannt
gewordenen gothischen Systeme einige Elemente sich angeeignet, andere
zurückgewiesen, und daraus den ihm zusagenden Styl gebildet, der nun auch
sofort mit der dem brittischen Stamme eigenen Entschlossenheit als etwas
Festgestelltes angenommen und bleibend angewendet wurde.
Fast gleichzeitig mit den Bauten von Worcester und Lincoln erstand
das bedeutendste Gebäude dieses Styls, die Kathedrale von Salisbury ^).
Sie wurde durch den Bischof Richard Poore im J. 1220, gleichzeitig also
mit der Kathedrale von Amiens, auf neugewähltem Platze begonnen und so
eifrig gefördert, dass schon nach fünf Jahren darin Gottesdienst gehalten
werden konnte. Etwa dreissig Jahre später, um 1258, war der östliche Theil
des Gebäudes im Wesentlichen vollendet. Das Langhaus und die Fagade
wurden später, der Thurm erst im vierzehnten Jahrhundert ausgeführt, in-
-dessen sind diese späteren Theile mit den älteren so weit übereinstimmend,
dass das Ganze wie aus einem Gusse erscheint und mit Recht als ein Muster
des frühenglischen Styls betrachtet wird. Richard Poore war aus der Nor-
raandie gebürtig, und es wird ausdrücklich berichtet, dass er berühmte Werk-
leute von jenseits der See herbeigerufen habe-); allein, wenn dies wirklich
französische Baumeister, nicht etwa blosse Gehülfen und Steinmetzen waren,
so war doch ihr nationaler Geschmack hier nicht mehr maassgebend. Re-
miniscenzen oder gar Uebertragungen aus französischen Gebäuden, wie sie
Wilhelm von Sens in Canterbury wagte, kommen hier überall nicht mehr
vor. Es ist ganz dieselbe charakteristisch englische Auffassung des gothi-
schen Styls, welche wir an den beiden oben genannten Bauten und gleich
darauf an vielen Kirchen in den verschiedensten Gegenden Englands wieder-
finden. Die Anordnung ist sehr einfach und übersichtlich; ein Langhaus
von zehn Arcaden, dann mit geringem Zwischenräume zwei Querschiffe, das
östliche wie immer weniger ausladend, beide nur auf der östlichen Seite mit
einem Seitenflügel, darauf endlich der nur aus vier Arcaden bestehende grade
geschlossene Chor und die in den englischen Kirchen gewöhnlich am Ost-
ende angebrachte Kapelle der h. Jungfrau. In dieser Weise erreicht das
Gebäude die bedeutende Länge von 474 englischen Fuss, während die Breite
des Langhauses nur 78, die der Fagade ungeachtet ihrer beiden seitwärts
ausladenden Thürmchen nur 112, die Länge des grösseren Kreuzschiffes nur
206 Fuss misst. Alle Fenster sind lancetförmig, an den Seitenschiffen zu
zweien, am Oberschiff zu dreien gruppirt. An den westlichen und Front-
1) Britton, arch. ant. V. — Calhedral ant. II.
") So wenigstens von Godwyn, einem Schriftsteller aus Elisabeths Zeit, der aber
ältere Quellen gehabt zu haben scheint. Vgl. Winkles I, S. 3, und Britton, Cath.
Anliqu. -Vol. I.
Salisbury.
191
Fig. 47
Seiten der Kreuzschiffe, wo die Seitenschiffe fehlen, liegen drei Etagen
solcher Fenster übereinander. Die ziemlich starken Strebepfeiler verjüngen
sich in mehreren Absätzen mit Wasserschlägen, welche wie ein mit Brettern
belegtes Dach (oder wie die Brettchen einer s. g. Jalousie) gestaltet sind,
und schliessen in der östlichen Hälfte des Gebäudes in eben solcher Weise
am Dache der Seitenschiffe, während sie in dem (etwas später erbauten)
Laughause schwache Fialen und
unverzierte , dünne Strebebögen
erhallen haben. DieFagade lässt
in ihrer ziemlich klaren Anord-
nung fünf gesonderte Theile er-
kennen : das Mittelschiff etwas
vortretend, von Strebepfeilern be-
grenzt, mit einem der Dachhöhe
entsprechenden Giebel; dann et-
was zurückweichend die Aussen-
mauern der Seitenschiffe bis zur
Höhe des Oberschiffs hinaufge-
führt und rechtwinkelig bekrönt;
endlich auf beiden Flügeln, wie-
derum wie das Oberschiff vor-
tretend , zwei Treppenthürmchen
von quadratem Grundrisse, deren
ziemlich einfacher, zwischen vier
Fialen aufsteigender steinerner
Helm nicht viel höher ist als die
Giebelspitze des Mittelschiffs,
während der Thurm auf der Vier-
ung des Kreuzes schlank und
mächtig darüber hinausragt. Jedes
Schiff hat den gesonderten Eingang
durc]i ein Portal von geringer
Höhe und mit schwachem Spitz-
giebel, jedes ist durch eine Fenster-
gruppe, das mittlere durch drei Lancetfenster, die anderen durch ein zwei-
theiliges Maasswerkfenster beleuchtet. Die übrigen Wandflächen derFagade
sind mit Arcadenreihen bedeckt, welche aber an den Seitenschiffen und
Thürraen andere Eintheilung haben als am Mittelschiffe.
Im Inneren bestehen die Pfeiler des älteren Theiles aus einem inneren
Kern und mehreren völlig frei umhergestellten und ziemlich weit abstehenden
monolithen Säulen, deren cylindrische Stücke durch Bleiringe verbunden
Kathedrale von Salisbury.
192
Frühenglischer Styl.
Fig. 48.
sind und die mit dem Kernpfeiler nur durch die ausladenden tellerförmigen
Ringe des Kapitals und durch die Basis zusammenhängen. In der etwas
späteren Ladychapel ist der Kern ein einfacher Cylinder, im übrigen Bau
ein Bündel von vier Säulen. Die Basis ist das umgekehrte Kapital, ein un-
verzierter Kelch, der unten durch einen einfachen, oben
durch mehrere ausladende Ringe verziert ist. Die
Scheidbögen sind im Verhältniss zu diesen Pfeilern
etwas schwer, mit vielen Rundstäben und Verzierungen
ausgestattet. Das Triforium ist hoch und kräftig, in
den älteren Theilen durch zwei einfache, weite Bögen,
im Langhause durch zweitheilige, mit primitivem Maass-
werk verzierte Arcaden gebildet, die ein fast halbkreis-
förmiger Bogen paarweise überspannt. Die Fenster
haben wieder, wie in Worcester, eine Arcatur von frei-
stehenden überschlanken Säulen. Die Gewölbhöhe (81
engl. F.) ist im Verhältniss zu der sehr massigen Breite
des Mittelschiffs (34') ziemlich bedeutend. Die Rippen
bestehen aus zwei Rundstäben mit einer dazwischen
gestellten Ecke, und ruhen auf schwachen Diensten,
die oberhalb des Triforiums von Consolen getragen
werden. Das Ganze macht auf den ersten
Blick durch die Regelmässigkeit und durch
eine gewisse anspruchslose Anmuth der De-
tails einen günstigen Eindruck; indessen
lässt sich nicht leugnen, dass das ungebro-
chene Vorwalten der horizontalen Linien, die
stete Wiederholung gleicher nicht sehr kräftig
gebildeter Glieder, und die Verhältnisse selbst,
namentlich das der geringen Breite zu der
nimmer endenden Länge des Schiffes ermü-
dend wirken 1).
Durch diesen bedeutenden, bis über die
Grenze dieser Epoche hinaus fortgesetzten
Bau erhielt der frühenglische Styl seinen völ-
Kathedraie ron Saiisbury. Ugew Abschluss. Alle anderen innerhalb der
nächsten fünfzig Jahre entstandenen Bauten tragen, ungeachtet vieler kleiner
Abweichungen, ähnliche Züge. So zunächst das entfernt von Salisbury, in
Kathedrale von Salisbury.
Fig. 49.
^) So gesteht auch Britton (Salisbury Cath., p. 77) trotz aller N'orliebe für dies
Normalgebäude des frühenglischen Styls ein: The uniformily of style and suri'ace
renders it rather monolonous.
Der Münster von Beverley.
193
Fig. 50.
der Grafschaft York; jenseits desHiimber gelegene Münster von Beverley ^),
über dessen Alter wir keine urkundliche Nachricht besitzen. Auch hier die
gestreckte Anlage mit doppeltem Kreuzschiffe und geradem Chorschluss, mit
ähnlichen Strebepfeilern und schwachen Strebebögen, mit Gewolbdiensten,
die nicht vom Boden, sondern von einer Console in den Zwickeln der Ar-
caden aufsteigen, auch hier dasselbe Bestreben
durch schlanke, mehr anmuthige als strenge
und kräftige Formen zu wirken. Die Ab-
weichungen von jenem Kathedralbau bestehen
fast nur in decorativen Zusätzen, an welchen
diese Kirche besonders reich ist. Selbst die
Strebepfeiler sind eigenthümlich verziert, indem
in ihre Ecken schlanke Halbsäulchen einge-
meisselt sind, welche mit Blattkap itälen das
Gesims tragen und deren Basen an der Stelle
des Eckblatts mit einer Art von Volute aus-
laufen. Die Pfeiler bestehen nicht wie in der
reicher ausgestatteten Kathedrale aus freisteh-
enden Monolithen, sondern aus einem Bündel
von acht dicht an einander gerückten Säulen,
die keinen Kern sehen lassen und die Eigen-
thümlichkeit haben, dass nur die vier recht-
winkelig gestellten cylindrisch, die vier diago-
nal gestellten aber oval sind und in diagonaler
Richtung mit einer scharfen Spitze hervortreten.
Jene haben dann auch meistens Blattkapitäle,
diese die schon früher beschriebenen Teller-
kapitäle. Die Fenster sind wiederum lancet-
förmig, aber nicht in Gruppen, sondern einzeln
stehend, dagegen aber innerlich und äusserlich
von überaus steilen Bögen eingefasst, welche
im Inneren auf freistehenden Säulchen ruhen
und der Senkung des Schildbogens entsprechend
abnehmen. Die untere Wand der Seitenschiffe ist hier, wie in allen anderen
etwas reicher gebauten Kirchen mit einer Arcatur geschmückt, das Triforium
ist niedriger wie in Salisbury, hat aber eine sehr charakteristische Eigen-
thümlichkeit, welche sich auch in den Kathedralen von Lincoln und von
Worcester findet. Zwischen den vorderen den Bogen tragenden Säulen und
Beverley.
^) Abbildungen bei Britton, Arch. Ant. Vol. V. — Vgl. Petit, remarks on Bever-
ley Minster, memoirs , . . of the arch. Inst., 1846.
Sclinaase's Kunstgesch. 2. Aufl. V. 13
194
Frühenglischer Styl.
etwas hinter diesen zurückliegend; sind nämlich andere kleinere und niedrige
angebracht, deren Bogenspitze durch die erstgedachten Säulen verdeckt ist.
Es ist ein Formenspiel, das einigermaassen an die sich durchschneidenden
Bögen des älteren Styls erinnert, aber eine bestimmtere illusorische Tendenz
hat, indem es gleichsam eine perspectivische Durchsicht durch zwei neben
einander fortlaufende Arcadenreihenfingirt (Fig. 5 2). Dies wird in anderen Fällen
noch deutlicher dadurch, dass die kleineren Zwischen-
^i&- 51. Säulen keine Basis haben und daher so erscheinen,
als ob diese durch die vordere Säulenreihe verdeckt
werde ^).
Ein anderer Bau von grosser Reinheit dieses
Styls ist der Chor der KoUegiatkirche von South-
well (Nothinghamshire). Bemerkenswerth ist hier
die Schlusswand des Chors, indem sie durch zwei
Reihen von je fünf Lancetfenstern, die untere mit
gleicher, die obere mit nach der Mitte zusteigender
Höhe fast ganz durchbrochen ist. Ohne Zweifel
war dies während der Herrschaft des frühenglischen
Styls die gewöhnliche Anordnung, welche indessen
in den meisten Fällen (namentlich auch in Beverley)
in späterer Zeit durch das Einbrechen von kolos-
salen Maasswerkfenstern verdrängt ist.
Die Kathedrale von Wells-) wurde im Jahre
1214 begonnen und schon 1239 geweiht. 1242
wurde der Anfang mit dem Facadenbau gemacht.
Der Chor ist ohne Zweifel erst im vierzehnten Jahr-
hundert gebaut, Kreuz und Schiff stammen dagegen
im Wesentlichen aus dieser Epoche und enthalten
manches Abweichende. Die Pfeiler haben nämlich
Bevoiiey. einen runden Kern, an welchen statt der vorsprin-
genden acht Säulen ebenso viele Bündel von drei
überaus dünnen Stäben angelegt sind, deren Kapitale dann auch einen ge-
meinsamen Schmuck von überfallenden Blättern haben. Diesen Säuleubün-
deln entsprechend besteht dann die Profilirung der sehr steilen und hohen
') An dem Kreuzgange von Mont Saint-Michel in der Normandie (VioUet-le-Duc III,
S. 450 tt'.) kommt ein ganz ähnliches Motiv aber in wirklicher plastischer Ausführung
vor, indem die Begrenzung des Ganges gegen den Hof nicht wie gewöhnlich durch
eine, sondern durch zwei Reihen sehr schlanker Säulen bewirkt ist, welche so ge-
stellt sind, dass die Säulen der innern Reihe stets auf die Mitte von zweien der andern
treffen.
2) Britton, Cath. Antiq. Vol. IV und Winkles Engl. Cathedrals Vol. I.
Wells.
195
Fig. 52.
Scheidbögen aus mehreren gesonderten Gruppen dünner Rundstäbe, so dass
hier wie dort der kräftige Ausdruck tragender und wölbender Function
völlig verschwunden ist. Das Triforiura wird durch sehr hohe einfache
Lancetbögen gebildet, welche ununterbrochen, ohne die geringste Andeutung
der Stelle wo der vom Boden zum Gewölbe aufsteigende Pfeiler sie durch-
schneiden müsste, fortlaufen, und mit einem geraden Gesimse bedeckt sind,
auf welchem die Gewölbträger, kurze Cylinder mit grossem Kapital, derge-
stalt aufstehen, dass sie wie der obere Theil einer hinter dem Triforium
stehenden und von demselben verdeckten Halbsäule erscheinen. Es fehlen
mithin nicht nur die senkrechten, die Wand nach den Gewölbfeldern ab-
theileudeu Dienste, sondern das mächtige horizontale Band des Triforiums
macht auch die entfernte verticale Beziehung zwischen den Pfeilern und
Kreuzgewölben völlig unwirksam. Der Euhm dieser
Kathedrale beruht auf ihrer weiter unten zu erwäh-
nenden FaQade und auf der Schönheit der Sculpturen,
welche theils an dieser Westfront, theils auch im In-
nern, allerdings nicht immer an geeigneten Stellen,
augebracht sind; die Anordnung des Innern ist keines-
wegs rühmenswerth. Verwandtschaft im Aufbau
zeigt die Klosterkirche Saint John in ehester^),
lieber Arcaden normannischen Styls mit Rundsäulen
und Rundbögen steigen ein frühenglisches Triforium
und Obergeschoss auf, beide fast gleich, nämlich aus
je vier spitzbogigen Oeffnungen, getrennt von Säulen-
bündeln, bestehend, nur dass im Triforium Ring-
säulen etwas kräftiger Bildung mit höheren Kapitalen,
an den Oberlichtern dagegen leichtere Säulen mit
blattlosen Kapitalen erscheinen. Vom Triforium steigt
ein mit Ringen versehener Dienst zu der offenen Balkendecke auf.
Vom Boden aufsteigende Dienste sind in dieser Epoche überaus selten.
Sie finden sich, soviel mir bekannt, nur in zwei in den südlichsten Theilen
voii England gelegenen Kirchen, in dem schönen Chor der Kathedrale von
Rochester (1225—1239 2), und in dem westlichsten Theile der Stiftskirche
zu Romsey. Hier gaben ohne Zweifel die hohen Säulen des um 1180 be-
gonnenen romanischen Baues, der nach kurzer Unterbrechung im früh-
gothischen Style fortgesetzt wurde, die Veranlassung zu dieser Abweichung,
und ähnlich mag es sich in Rochester verhalten haben, wo das romanische
Beverley.
1) John Henry Parker, Medieval archit. of Chester, London, 1858.
-) Winkles Engl, catli. Vol. I. — Rochester Cathedral, by Arthur Ashpitel, Jour-
nal of the Brit. arch. assoc, IX, 1854.
13*
196 Früh englischer Styl.
Langhaus zwar niedrige Säulen, auf diesen aber eine" '(beim Maugel von
Gewölben völlig zwecklose) Halbsäule hat. ImUebrigen ist die Behandlung
der Pfeiler, Kapitale, Bögen und Lancetfenster auch hier dieselbe wie in
den vorhererwähnten Bauten, und namentlich wie in der Kathedrale von
Salisbury. An der berühmten Kathedrale von York stammen nur die
Kreuzschiffe ^) (und auch diese nicht ohne manche Aenderung) aus dieser
Epoche, und zwar das südliche aus den Jahren von 1227 bis 1250, das
nördliche von 1250 bis 1260. Die Lancetfenster und die sie am Aeusseren
und im Inneren begleitenden blinden Arcaden gleichen denen von Beverley,
die Pfeiler sind schlanke Bündelsäuleu der früher beschriebenen Art, auf
halber Höhe von einem Ringe umgeben und mit eleganten Blattkapitälen.
Endlich gehören sehr bedeutende Theile der Kathedrale von Lincoln-),
von Peterborough (geweiht 1238), der Chor der Kathedrale von Ely, mit
einer ähnlichen Schlusswand wie die Kollegiatkirche' von Southwell aber in
minder schönen Verhältnissen (1235 — 1252), zu den namhaftesten und
schönsten Leistungen dieses Styls, neben welchen der westliche Theil der
Tempelkirche (geweiht 1240), die Lady chapel der Kirche St. Saviours
(vormals St. Maria- Overy) und die Kapelle in Lambeth Palace in London^
die Lady chapel der Kathedrale von Bristol, die Kirche zu Ketton in
Rutlandshire 1232 — 1250), die von Ashbouru in Derbyshire (1235 —
1241) die von WenlockPriory inShropshire^) und die von Warmington
in Nothinghamshire (circa 1250) den Beweis liefern, wie allgemein er ver-
breitet war, und in wie grosser Uebereinstimmung und Gleichförmigkeit er
sich äusserte.
Ein einziges und zwar sehr bedeutendes Gebäude bildet eine Ausnahme
von dieser Regel, die berühmte Kirche der Westminster-Abtei in Lon-
don. Heinrich HL liess, wie ein gleichzeitiger und sehr glaubhafter Schrift-
steller berichtet, im Jahre 1245 die östlichen Theile der alten, von Eduard
dem Bekenner herrührenden Kirche niederreissen, und begann einen pracht-
vollen Neubau, zu dem er bedeutende Mittel anwies. Im Jahre 1269 er-
hielten Chor und Kreuzschiff die Weihe. Der König hatte anfangs befohlen,
den neuen Bau dem alten westlichen anzupassen und diesem Befehle wird
man es zuschreiben müssen, dass die Wand neben den Scheidbögen noch
nach normannischer Weise mit einem Muster verziert ist. ImUebrigen aber
folgten seine Architekten dem Geiste ihrer Zeit, und ihr Gebieter war auch
so wohl damit zufrieden, dass er nach jener Weihe den Bau nach Westen
1) Britton, Cathedral ant. I, pr. VIII, XIV, XV, XVIII.
-) In Britton's Werk über die Kathedralen nicht aufgenommen. Einzelnes in den
Arch. Ant. Vol. V. Winkles a. a. 0. Vol. II.
^) CoUectanea archaeologica. Vol. I.
m
Westminsterabtei in London. 197
ZU fortsetzte, was denn auch nach seinem Tode (1272) unter der Regierung
seines Sohnes fernerhin geschah, so dass die Kirche, von feineren Verschie-
denheiten und späteren Zusätzen^) abgesehen, in gleichem Style ausgeführt
ist. Allein es ist keineswegs geradezu der neuenglische Styl, vielmehr finden
sieh zahlreiche Abweichungen von demselben. Der Chor war polygonförmig
mit dem Umgang und fünf radianten Kapellen geschlossen, von denen nur
die mittlere der späteren Kapelle Heinrich's VII. gewichen ist. Von den
Querhausarmen hat der nördliche nicht bloss, wie in England gewöhnlich, in
Osten, sondern auf beiden Seiten Nebenschiffe, während der südliche, des
anstossenden Kreuzgangs wegen, sich mit dem östlichen Nebenschiffe begnügt.
Das Querhaus wird von starken, doppelten Strebebögen gestützt, die wir
sonst in englischen Bauten nicht kennen; seine beiden Fagaden haben präch-
tige Rosenfenster und hohe, schlanke Portale mit dem Mittelpfeiler, geradem
Deckbalken und spitzem Bogenfelde, die sehr verschieden von den niedrigen
und bis unter den Bogen geöffneten Portalen des englischen Styls sind. Die
Pfeiler, aus acht Halbsäulen gebildet und von zwei Ringen umfasst, gleichen
zwar einigermaassen den englischen Bündelpfeilern, aber sie sind bedeutend
höher uud schlanker und von dem Kapitale der Mittelsäule steigt ein starker
Dienst zum Gewölbe hinauf. Der Abstand der Pfeiler ist verhältnissmässig
kleiner als in den englischen Bauten, die Arcaden sind steiler und höher
und schliessen sich mit kräftigerer Gliederung dem Pfeiler an; die grossen
Pfeiler am Kreuze haben das in England ungewöhnliche Eckblatt der Basis.
Auch das Triforium ist anders gebildet und die zweitheiligen Fenster geben
das früheste Beispiel des bisher in England noch unbekannten französischen
Maasswerks-). Mit einem Worte, wir glauben eine französische Kathedrale
zu sehen, und finden bei näherer Betrachtung nur einzelne Concessionen,
welche dem englischen Herkommen gemacht sind, z. B. die tellerförmigen
Kapitale, die Scheitelrippen der Gewölbe. Höchst wahrscheinlich befanden
sich unter den Architekten, welche nach der Erzählung eines gleichzeitigen
und glaubhaften Chronisten der König, bevor er zum Bau schritt, herbei-
gerufen hatte •^), auch Franzosen, deren Entwurf den Vorzug erhielt, worauf,
vielleicht auch der Umstand deuten mag, dass bei einem Rechnungsabschlüsse
1) Zu denselben gehört, ausser der Kapelle Heinrich's VII., die Westfacade, welche
an Stelle der älteren unvollendeten durch Sir Christopher Wren errichtet wurde,
-) Wie dies Edmund Sharpe, Treatise on window tracery, London 1849, ausdrück-
lich anerkennt.
3) Matth. Paris. Hist. p. 661. Eodem vero auuo (1245) dominus rex, devo'tione
quam habuit adversus sanctum Aeduardum submoneute, ecclesiam sancti Petri West-
monasteriensem jussit ampliari; et dirutis autiquis cum turri muris partis orientalis,
praecepit novos, videlicet decentiores, suis sumptibus, subtilibus artificibus convocatis,
construi et residuo, videlicet occidentali, operi coaptari.
jgg Frühenglischer Styl.
auch ein Posten für französische Steine ausgeworfen wurde ^j. Wir haben
daher hier das Werk von Fremden, dessen Abweichungen nur dazu dienen,
die Eigenthümlichkeiten des wirklich englischen Styls recht ins Licht zu
setzen.
Diese Eigenthümlichkeiten beruhen zum Theil auf älteren einheimischen
Traditionen der Insel, welche jetzt in die neue Formensprache übersetzt
wurden, aber dennoch ihren Ursprung und die Fortdauer derselben Anschau-
ungsweise erkennen lassen.
Dies gilt zunächst von der Gesammtanlage. In der Spätzeit "des nor-
mannischen Styls hatte man die runde Apsis, selbst mit dem Umgange und
Kapellenkranze, wieder häufiger angewendet, so bei den Kathedralen von
Canterbury, Gloucester, Worcester, Norwich, und die heutigen Engländer,,
namentlich Britton, erkennen die Vorzüge dieser Anordnung im vollen
Maasse an. Ihre Vorfahren im dreizehnten Jahrhundert waren anderer An-
sicht, und kehrten ohne Ausnahme zu der altbritischen Tradition des ge-
raden Chorschlusses zurück. Damit verbanden sich andere, zum Theil
ebenfalls schon in der vorigen Epoche ausgebildete Eigenthümlichkeiten des
Grundplans: die gewaltige Länge des Hauptarmes und die fast gleiche des
Langhauses und Chores, welcher jetzt durch die üblich gewordene Hinzu-
fügung einer Marienkapelle noch grössere Ausdehnung erhielt, dann die
Anlage zweier Querschiffe von ungleicher, aber immer geringer Ausladung,
endlich noch der Umstand, dass beide nur auf der Ostseite Seitenschiffe er-
hielten. Alle diese Einrichtungen haben einen inneren Zusammenhang; die
gewaltige Länge des Schiffes machte die Chornische überflüssig und die dop-
pelten Querschiffe, theils als Eingänge theils auch in ästhetischer Beziehung
als Unterbrechungen der langen Linie des Hauptstammes und gleichsam als
aufrechthaltende Stützen, nöthig oder wünschenswerth. Aber durch dies
Alles wurde das rhythmische Verhältniss der Theile gelähmt; das Gebäude
erschien schon in seiner Anordnung nicht als ein in sich vollendeter Orga-
nismus, welcher sich von innen heraus nach allen Seiten entwickelt und be-
grenzt, sondern als eine lange und gedehnte, willkürlich abgeschnittene Linie
mit unbedeutenden Nebenräumen. Der Thurm auf der "Vierung des Kreuzes,
den man hier beibehielt während er auf dem Continent zu einem kleinen
Dachreiter zusammenschmolz, diente zwar dazu, die Monotonie dieser Linie
zu brechen. Aber die Verdoppelung und die geringe Ausdehnung der Kreuz-
schiffe und der Mangel eines harmonischen Chorschlusses bringt es mit sich,
dass dieser Thurm nicht als die Mitte einer reich gestalteten Centralanlage,.
als der Sitz der nach allen Seiten hin ausstrahlenden Kraft, sondern nur als
^) Wiilmore, History of Westminster Abbey.
Portale. 199
der Mittelpunkt jener langen, von Westen nach Osten fortlaufenden Linie
erscheint, welcher ihre Länge durch diese Theilung recht fühlbar macht.
Dazu kommt ferner, dass die Höhenrichtung in jeder Beziehung wenig betont
ist. Schon die absolute Höhe der Kirchenschiffe ist geringer als auf dem
Continent. Die Kathedralen von Salisbury und von Peterborough haben bei
einer lichten Breite des Langhauses von 78 und 79 eine Gewölbhöhe von
81 englischen Fuss. Die Kathedrale von York erhebt sich bis auf 92, die
Kirche der Westminsterabtei in London sogar bis auf 101 Fuss. Aber diese
beiden letzten Kirchen bilden Ausnahmen, und keine der anderen Kathedralen
erreicht die Höhe von Salisbury; die von Wells und mehrere andere spätere
haben sogar nur eine Höhe von 67 Fuss. Aber nicht bloss das Maass,
sondern auch die Behandlung der Formen giebt der verticalen Richtung
hier eine untergeordnete Bedeutung. Die Strebepfeiler sind schwächer als
auf dem Continent, vielfach aber nur mit einfachen Schrägen abgestuft, ohne
oder doch nur mit wenig bedeutenden Fialen, steigen selten weit über das
Dach der Seitenschiffe hinaus; die Strebebögen, wenn sie überhaupt vor-
kommen, sind unscheinbar und unverziert. Das verticale Element ist daher
nicht so mächtig, die Seitenschiffe des langen Gebäudes sind nicht durch so
viele und kräftige Schatten gebrochen, als bei den contiuentaleu Bauten;
die langen Reihen dicht gestellter Lancetbögen geben das Gefühl steter
Wiederholung und ermüdender Ausdehnung.
An den Fagaden vermissen wir zunächst die kräftigen und bedeutungs-
vollen Portale der contineutalen Münster. Sie sind hier niedrig, wenig
vertieft, an ihren Gewänden nur mit einigen dünnen Halbsäulen besetzt, zwar
durch einen Mittelpfeiler in zwei Oeffnungen getheilt, aber statt des geraden
Deckbalkens und des hohen, für grosses Bildwerk geeigneten Bogenfeldes
durch zwei kleinere offene Bögen bedeckt, so dass unter der mager profilir-
ten Archivolte nur ein kleiner, von divergirenden Curven begrenzter, und
durch eine Rose oder einen Vierpass genügend gefüllter Raum übrig bleibt.
Diese Anordnung ist an sich anmuthig und zierlich und als Eingang zu einem
kleineren Gebäude, etwa einem Kapitelsaale, ganz befriedigend. An der
Fagade einer mächtigen Kirche aber erscheint sie kleinlich und gedrückt,
zumal wenn nach der in England herrschenden Sitte darüber eine Gruppe
von sehr viel höheren Lancetfenstern steht. Da ein solches Portal die Breite
des Mittelschiffes zwischen den Strebepfeilern nicht ausfüllt, so ist es häufig
wie an der Kathedrale von Salisbury und am Münster von Beverley von zwei
blinden Bögen derselben Höhe begleitet, wodurch es denn aber noch mehr
an seiner Bedeutung verliert. Für den Bildschmuck, welcher die Portale des
Continents belebt, für die ernsten Statuen und den reichen Reliefinhalt des
Bogenfeldes ist hier keine Stelle, und statt der kräftigen Gegensätze von
Licht und Schatten, durch welche diese auf die mächtigen Hallen des Lineren
200 Frühenglischer Styl.
vorbereiten, ist hier nur mit etwas schwächliclier Zierlichkeit für das Bedürf-
iiiss des Eingangs gesorgt.
Noch übler ist für die Wirkung der Fagade, dass ihr meistens die
Thürme fehlen. Die Normannen hatten in ihrer Heimath schon frühe das
richtige Princip für die Gliederung der Frontseite und für die Verbindung
derselben mit den Westthürmen gefunden, sie statteten daher auch in Eng-
land ihre Kathedralen mit solchen aus, wie dies noch an denen von Peter-
borough, Lincoln und Durham, ungeachtet späterer Vorbauten, erkennbar
ist. Aber sie fügten sich auch hier, wie in anderen Beziehungen, den bau-
lichen Gewohnheiten des Landes, bildeten daher die Kirchthürme nicht so
schlank wie in der Normandie, sondern Hessen sie wie die Citadelleu der
Burgen breit und schwer, mit unverjüngten, durch gedrängte Arcaden be-
lasteten Stockwerken aufsteigen. Dadurch wurde die ganze Anlage reizlos
und schwerfällig, der mittlere Raum zu sehr beengt und der Durchblick auf
den von der Vierung des Kreuzes aufsteigenden Thurm, auf welchen das
brittische Gefühl grossen Werth legte, verkümmert. Dies war denn wohl
die Ursache, dass man schon unter der Herrschaft des normannischen Styls
anfing, thurmlose Fa9aden anzulegen, welche die Höhe der drei Schiffe bei-
behielten, und oben rechtwinkelig bekrönt w^aren, wie dies noch an der Ka-
thedrale von Rochester erhalten ist.
Der neue englische Styl schloss sich dieser Ansicht an und Hess, wenig-
stens in der Regel, die Westthürme fort, wahrscheinlich mit Rücksicht auf
den grossen Centralthurm, entweder wegen des bedeutenden Aufwandes, den
er erforderte, oder weil man es für schöner und imposanter hielt, wenn er
in seiner gewaltigen Masse einsam aufstieg. Man gab indessen der ganzen
Fa§ade auch vor den Seitenschiffen die Höhe des Mittelschiffes, und flankirte .
diesen Vorbau durch zwei kleine Treppenthürme, die man aber, um den
Anblick jenes Mittelthurmes nicht zu beeinträchtigen, nicht vor, sondern
neben den Seitenschiffen anbrachte. Dies ist der Grundgedanke bei den
bedeutendsten Kathedralen dieser Epoche, bei denen von SaHsbury, Lincoln
Peterborough und Wells; es sind recht eigentliche Fagadenbauten, ähnlich
wie wir sie in Italien finden, Decorationen ohne organischen Zusammenhang
mit dem ganzen Gebäude. Nur die Westseite des Münsters von Ripon,
wohl schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts angelegt, macht eine Aus-
nahme, indem das Mittelschiff über den drei Portalen mit zwei Reihen von
je fünf Lancetfenstern ausgestattet ist, während vor den Seitenschiffen zwei
Thürme in vier, freilich unverjüngten, den Abtheilungen des Mittelschiffes
entsprechenden und wiederum mit Lancetfenstern und gleichen Arcaden aus-
gefüllten Stockwerken aufsteigen^).
1) Eine Abbildung in Winkles, Catiiedrals, Band III, S. 113.
Facaden. 201
Dies Alles erschwerte es ungemein, ein befriedigendes System für die
Anlage der Fagade zu finden. Durch die Anfügung der Seiteuthürmchen
verlor die Vorderseite den inneren Zusammenhang mit den Abtheilungen des
Laughauses, zu dem sie einführen sollte, und erhielt zugleich eine so bedeu-
tende Breite, dass es schwer wurde, zumal bei dem Mangel bedeutender
Thürme, dem verticalen Element den nöthigeu Ausdruck zu geben ^). Daher
zeigt sich denn gerade in Beziehung auf diesen wichtigen Theil ein Schwanken
und Umhertappen, welches bei der sonstigen üebereinstimmung der Meister
dieses Styls sehr auffallend ist. Die Fagade von Salisbury ist, wie schon
erwähnt, fünftheilig, dergestalt, dass der Giebel des Mittelschiffes und die
beiden äusseren Thürmchen mit einander correspondiren, die dazwischen
gelegenen Frontmauern der Seitenschiffe aber die Gewölbhöhe des
Mittelschiffes erreichen, dann aber rechtwinkelig schliessen. Arcadenreihen
überziehen, wenn auch mit abweichender Eintheihmg des Mittelschiffes, die
ganze Mauer. Die Fagade von Lincoln schliesst sich, jedoch mit Benutzung
einer dem älteren Bau und seinen Thürmen noch unter der Herrschaft des
normannischen Styls angefügten Vorhalle, der von Salisbury an, nur dass der
Giebel des Mittelschiffes und die Eckthtirmchen hier kleiner und die recht-
winkelig begrenzten Theile vorherrschend sind, auch die Arcadenreihen
durchlaufende Linien bilden. Dabei aber hat man hier die Einförmigkeit
jener ersten Fagade dadurch zu vermeiden versucht, dass man den Zugang
der drei Portale mit offenen , ungefähr der Höhe der verschiedenen Schiffe
entsprechenden Hallen versehen hat, welche dann mit den tiefen Schatten
ihrer Höhlung die flache Mauer des ganzen Vorbaues unterbrechen und be-
leben. Vielleicht gab dieser Versuch die Anregung zu der sehr eigeuthüm-
lichen Anlage der Faeade von Peterborough. Hier begrenzen nämlich
die wiederum seitwärts gestellten und mit spitzbogigen, ziemlich barock an-
geordneten Arcaden bedeckten Eckthürmchen eine der Breite der drei
Schiffe entsprechende Vorhalle, welche sich mit drei mächtigen, auf gewal-
tigen Bündelpfeilern ruhenden, bis zur Höhe des Mittelschiffes aufsteigenden
Bögen öffnet und mit drei gleichhohen Giebeln bekrönt ist. Das Ganze
erinnert einigermaassen an die nicht minder grossartige Portalnische der
Moschee des Sultan Hassan in Kairo -), und hat in der christlichen Archi-
tektur nicht seines Gleichen. Es lässt sich diesen mächtigen, offenen
Hallen eine imponirende Wirkung nicht absprechen; allein der organische
^) Die nach dem englischen Systeme angelegte Facade der Kathedrale von Ronen
ist 188, die von Wells 147 Fuss breit, während die von N. D. von Paris 136, die
von Amiens gar nnr 116 Fuss Breite hat.
-) Band III, S. 401. Ansichten der Facade von Peterborough in Britton's Arch.
Ant. Vol. V, und in Wiukles' english Cathedrals Vol. II, S. 72.
202 Friiheuglischer Styl.
Charakter fehlt auch hier. Während die französischen Fagaden mit ihren
in die Strebepfeiler wie hineingewachsenen Portalen, ihren so naturgemäss auf-
steigenden Thürmen und ihrer grossen Fensterrose wirklich die nothwendige
und erschöpfende Aeusserung des Inneren sind, ist diese Vorhalle doch
immer nur ein willkürlicher, wenn auch sinnreicher und gewissermaassen
grossartiger Nothbehelf. Dagegen ist die Frontseite der Kathedrale von
Wells offenbar unter dem Einflüsse der continentalen Fagaden entstanden
und ihrer nicht unwürdig. Die Thtirme liegen auch hier neben den Seiten-
schiffen, die ganze Front ist also ftinftheilig, aber durch sechs kräftige
Strebepfeiler entschieden und übersichtlich geordnet, von denen die vier die
Thürme einfassenden an diesen ununterbrochen aufsteigen. Eben so gelungen
ist die Anordnung der horizontalen Abtheilungen, welche sich über die ganze
Breite der Front mit Einschluss der Strebepfeiler erstrecken. Das Basameut
und eine reich mit Maasswerk verzierte, von Fenstern durchbrochene Arcatur
bilden das untere Stockwerk, in welchem sich das Hauptportal befindet, das
zwar in der herkömmlichen Anordnung und niedrig, aber doch kräftiger ge-
bildet ist. Zwei kleine Seitenportale, deren Spitzbogen kaum vom Rundbogen
zu unterscheiden ist, schliessen unterhalb der Fenster dieses Untergeschosses.
Darauf folgt ein zweites, die ganze Fläche bis zur Gewölbhöhe des Mittel-
schiffes füllendes Stockwerk, das in der Mitte drei schlanke Lancetfenster,
an den Strebepfeilern herrliche, in zwei Reihen gestellte Statuen, an den
dazwischen gelegenen Theilen hohe, mit Maasswerk verzierte Blendarcaden
hat. Die Seitenschiffe sind oben wieder rechtwinkelig bekrönt, während das
Mittelschiff mit einer reichbelebten, freilich unvollendeten Giebelarchitektur
schliesst, und das einzige noch ausgeführte Stockwerk der Thürme etwas
verjüngt und ziemlich luftig gehalten, höher hin aufwächst. Es ist in der
That die schönste Fagade in England, aber sie steht dennoch den schöneren
des Continents nach. Auch hier ist das einzige Portal, obgleich etwas
schlanker und tiefer als sonst, weit entfernt von der Bedeutsamkeit, die
diesem Theile gebührt. Auch hier wird seine Wirkung durch die hohen
Lancetfenster über ihm geschwächt. Auch hier fehlt die Rose und über-
haupt das concentrirende Element; die gewaltige Breite und die Zusammen-
stellung von fünf Abtheilungen hindern auch hier ein kräftiges Aufstreben.
Der Einfluss der französischen Kunst ist nicht wohl zu bezweifeln, aber die
continentalen Vorbilder sind sogleich in charakteristisch britischer Weise
umgestaltet. Alles ist hier wohlgeordnet, verständig, geschmackvoll; der
Architekt hat es erkannt, dass den heimischen Werken der Ausdruck des
Kräftigen fehle, und sich bemüht, ihn zu erlangen. Aber die Lebensfrische,
den Hauch zeugender Begeisterung hat er seiner Conception nicht zu geben
vermocht; sie ist fast schon allzu regelmässig und systematisch, wir sind be-
friedigt, aber nicht wie vor anderen Bauwerken erwärmt.
Inneres.
203
Fig. 53.
So weit die Charakteristik des Aeusseren dieser Kirchen. Im Inneren
zeigt sich die Eigenthümlichkeit des Styls in etwas günstigerer Weise. Die
Details sind mit Mannigfaltigkeit der Erfindung, mit Eleganz und Sauberkeit
ausgeführt; die Wände sind vollständig gefüllt, und ungeachtet des reichen
Schmuckes hat das Ganze den Charakter der Mässigung und anspruchloser
Anmuth. Aber auch hier fällt uns sogleich der Mangel an kräftigen Formen^
an organischer Gliederung, an durchgeführtem Zusammenhange auf. Die
Pfeiler sind ohne unmittelbare und sichtbare Verbindung mit dem Gewölbe;
ihre Kapitale stehen alle in gleicher Höhe und die Gewölbdienste steigen
von Consolen auf, welche an verschiedenen Stellen, oft erst in den Zwickeln
der Triforienbögen angebracht sind. Triforien fehlen in reicher ausge-
statteten Kirchen nie; aber, wenn sie auch nicht, wie in Wells, in einer
Reihe gleicher und gleichgültig fortlaufender
Bögen, sondern in Bogengruppen bestehen,
welche den Arcaden und Gewölbfeldern ent-
sprechen, so entbehren sie doch einer orga-
nischen Verbindung mit den Gewölbdiensten.
Die verticalen Abtheilungen sind also gar nicht
betont, die Horizontallinien herrschen vor.
Die Scheidbögen sind zwar reich mit Rund-
stäben besetzt, aber ohne kräftige Gliederung,
ohne organisches Verhältniss zu den Pfeilern,
ihre Profilirung ist nicht der uaturgemässe
Ausdruck ihrer Function, sondern ein blosser
Schmuck. Dazu kommt, dass die Bögen nicht
gleichartig sind; die Scheidbögen breit, die
Fenster lancetförmig, die Arcatur unter den
Seitenfenstern gewöhnlich kleeblattförmig, die
Bögen der Triforien bald stumpfer, bald spitzer, oft verschieden und sogar
mit halbreisförmigen Bögen innerhalb derselben Gruppe verbunden. In dem
nördlichen Kreuzarme der Kathedrale vonHereford sind sämmtliche Bögen^
die grossen Arcaden, die Abtheilungen des Triforiuras und die Fenster so
steil und so wenig gegliedert, dass sie dem Auge wie gleichscheukelige Drei-
ecke erscheinen 1).
Geht man näher auf das Einzelne ein, so findet man an allen Gliedern
eine eigenthümliche, von der continentalen Auffassung abweichende Behand-
lungsweise und dabei vielfache Variationen derselben Grundgedanken, welche
beweisen, dass die Architekten diese Abwechselung ohne vorwaltende Berück-
sichtigung des Ganzen zu einer Aufgabe ihres Scharfsinnes gemacht haben.
Kathedrale von Salisburv.
1) Britton, Cath. Ant. Vol. III. Taf XI, XII. Winkles Cath. III. p. 4L
204
Frühenglischer Styl.
Fig. 54.
Die Pfeiler bestehen einige Male, wie in der Kathedrale von Salisbury und
im Chor der Kathedrale von Chichester, aus einem cylindrischen Stamme mit
mehreren schlanken, frei und weit abstehenden monolithen Säulen, häufiger
aus einer zusammenhängenden Grui^pe von mehreren, bald mehr, bald weniger
vortretenden, aber mit dem Kern zusammenhängenden Säulen, wobei dann
aber wieder sehr verschiedene Formen vorkommen. In der Kathedrale von
liincoln stehen diese Säulen weit ab und sind nur rückwärts verlängert und
so mit dem Kerne verbunden; in der von Wells sahen wir, dass statt der
acht Säulen eben so viele kleine Säulenbündel angebracht sind; im Chore
von Worcester stehen sogar zwischen den acht Säulen gleichsam in zweiter
Linie acht kleinere; im Langhause des Münsters zuBeverley haften sie dicht
aneinandergerückt an einem nicht sichtbaren Kerne, sind aber verschieden
gebildet, nur die den Axen entsprechenden cylindrisch,
die diagonalen dagegen mit einer hervortretenden Spitze.
Damit verwandt ist eine andere häufig vorkommende
Sonderbarkeit, die nämlich, dass die Säulen zwar
cylindrisch gebildet, aber vorn durch ein Leistchen
(fillet) verstärkt sind, wodurch sie sich der fast ovalen
Gestalt jener diagonalen Säulen in Beverley einigermassen
nähern. Man bezweckte dadurch, theils sie eleganter
zu machen, theils das verticale Element w'enigsteus an
dieser Stelle zu betonen. Indessen schwankte man über
die Art der Anwendung; zuweilen nämlich ist das Leist-
chen, wie dies im Kreuzschiffe desselben Münsters zu
Beverley und an den eben erwähnten Pfeilern der Ka-
thedrale von'Lincoln vorkommt, an allen Säulen, meistens
aber nur an der einen Hälfte derselben, aber bald an
den in der Richtung der Axen, bald an den diagonal ge-
stellten angebracht, so dass man offenbar nicht daran dachte, die Function
dieser verschiedenen Schäfte oder ihr Verhältniss zu den Archivolten auszu-
drücken, sondern nur eine Abwechselung in die Monotonie ihrer Wieder-
holung zu bringen. Ausserdem kommen dann noch manche andere Pfeiier-
formen vor; in der um 1250 entstandenen Kirche St. Saviour in London
(Southwark) sind die diagonalen Säulen durch flache Aushöhlungen ersetzt,
welche die senkrecht gestellten Säulen verbinden, in anderen Fällen
zeigt der Pfeiler, wie in der Templerkirche in London, bloss die Gestalt
von vier verschmolzenen Rundstämmen. ^
Auch die Kapitale unterscheiden sich von denen des Continents. Sie
haben durchweg Kelchform, aber nicht die des korinthischen Kapitals, son-
dern eine niedrigere, mit schlankem Halse und kecker Ausladung des oberen
Theils. Meistens ist der Hals nackt und die Ausladung durch mehrere teller-
Katliedrale von Lincoln.
Decoralive Ausstattung.
205
förmig vorspringende und als Eundstäbe profilirte Ringe gebildet. Wenn
sie Blattwerk haben, so besteht dies nicht, -wie in den frühgothischen Bauten
des Contineuts, aus kräftigen, kuospenförraigen, in zwei Reihen hintereinan-
der gestellten nnd alternirenden
Blättern, sondern aus dünnen, *^* ^"
den Hals umgebenden Stengeln,
von denen oben eigenthümlich
feines, aber couventionelles Laub
üppig und weit herabfällt. Die
Deckplatte ist nicht vier-
oder achttheilig, sondern kreis-
rund, die Basis nicht als kräf-
tiger Pfühl, sondern dem umge-
kehrten tellerförmigen Kapitale
ähnhch oder aus mehreren Ringen
gebildet. Basis und Kapital ge-
ben daher in keiner Weise eine Ueberleitung des runden Säulenstammes in
die eckigen Grundformen des Gebäudes, und der ganze Pfeiler mit allen
seinen Theilen hat einen leichten und zierlichen, aber schwächlichen Charakter.
Man hat darauf verzichtet, seine Function als kräf-
tiger Träger der hohen Wände anschaulich auszu-
sprechen.
Mit dieser nüchternen und uukräftigen Behand-
lung der wesentlichen und tragenden Glieder hing es
zusammen, dass der englische Styl auch in Beziehung
auf die Art und die Anwendung ornamentistischer
Ausstattang einen anderen Weg einschlug, als der früh-
gothische des Contiuents. Während dieser anfangs mit
fast spröder Keuschheit jeden überflüssigen Schmuck
zurückwies und auch später im Wesentlichen alle Zierde
aus dem Xothweudigen und Nützlichen herleitete, suchte
jener gleich bei seiuemBeginne nach leeren Stellen, welche
die Anbringung einer bedeutungslosen Decoration dul"
deten. Auch hier waren Reminiscenzen des normannischen
Styls maassgebend. Zwar verzichtete man darauf, die
Wandräume neben den Bögen mit teppichartigen
Mustern zu bedecken, auch konnte man den gegliederten, von schlanken
Säulchen umstellten Pfeiler nicht mehr wie die einfachen Rundstämme der
altern Kirchen mit Kanneluren oder Rauten völlig überziehen. Aber man
wich in der That nur der Nothwendigkeit und brachte daher an den Stellen
des Pfeilers, welche dafür zugänglich waren, namentlich an den abgefaseten
Fig. 56.
Kathedrale von Salisbury.
206
Frühenglischer Styl.
oder ausgehöhlten Seiten des Kerns, wo sie zwischen den Säulen sichtbar
waren, eine nun um so kräftigere Ornamentation an. Ebenso gab man es
auf, die Scheidbögen mit Zickzacklinien einzufassen, aber man gestattete
sich dafür, ähnliche Ornamente wie zwischen jene Säulen auch zwischen die
Rundstäbe der Bogengliederung zu legen. In beiden Fällen bestand dann
die Ornamentation in einem dort senkrecht, hier nach der Richtung des
Bogens mit einzelnen, uuverbundenen Blumen, Sternen oder ähnlichen Figuren
belegten Streifen. Besonders beliebt war dabei der s. g. Hundszahn (dog-
tooth oder schlechtweg tooth), eigentlich eine vierblätterige Blume, nur mit
herausgekehrter Spitze und dadurch an die Gestalt eines Spitzzahnes
erinnernd. Sieht man näher zu, so erkennt man, dass den meisten dieser
Figuren, und namentlich diesem, während dieser Epoche wahrhaft wuchern-
den Zahnornament noch immer der Gedanke zusammenstossender und aus-
-einandergehender Linien zum Grunde liegt, mithin derselbe Gedanken, welcher
das Zickzack mit seineu vielfachen Va-
^'^' ^'' riationen hervorgebracht hatte und jetzt
nur in milderer und mehr naturali-
stischer Gestalt auftrat. An den Trage-
pfeilern und Scheidbögen wurde der
Schmuck mit Mässigung behandelt, da-
gegen betrachtete man die Triforien als die geeignete Stelle
für den höchsten Luxus der Decoration. Sie haben meist
monolithe Säulen und zwar aus dem dunkeln Marmor von
Purbeck, Blattkapitäle auch da, wo die der Pfeiler teller-
förmig sind, Kleeblattbögeu mit verzierten Spitzen, Drei-
und Vierpässe oder Blumenwerk auf den Zwickeln, stark
hervortretende, bald' ernste, bald komische, oft sehr charak-
teristisch gearbeitete menschliche Köpfchen als Consolen, auf denen die
Archivolten ruhen. In gleicher Weise und oft noch reicher sind dann auch
die Arcaden am Fusse der Seitenwände ausgestattet (Fig. 59). An beiden findet
sich auch zuweilen jene oben bei dem Münster von Beverley erwähnte spielende
Form, welche die Illusion einer doppelten Säulenreihe giebt. Ein beson-
derer Gegenstand ornamentistischer Ausstattung sind auch die Kragsteine,
von denen die Gewölbdienste aufsteigen; sie sind zuweilen von unverhält-
nissmässiger Höhe und trichterförmiger Gestalt, einige Male auch schon
jetzt mit Häkchen oder ziemlich schwülstigem Blattwerk verziert.
Ungeachtet der vorwaltenden Neigung zu feinerem Schmucke kam das
Maasswerk, namentlich an den Fenstern, erst sehr spät in Aufnahme; auch
unterliegt es keinem Zweifel, dass es nicht auf englischem Boden entstanden,
sondern von aussen eingeführt und auch dann erst mit manchen Modificationen
Fig. 58.
Tooth -Ornament.
Maasswerk.
207
aufgenommen ist ^). Koch in den Kathedralen von Salisbuiy (1220 — 1258);
Ely (1235 — 1252), in den gleichzeitigen Theilen der Kathedrale von Lincoln
und in dem nördlichen Kreuzschiffe von York finden wir einfache Lancet-
fenster, entweder in gleicher Höhe, oder in Gruppen von dreien, oder sogar
von fünfen, mit grösserer Höhe des mittleren, aber ohne alle Verbindung.
An denTriforien dieser Kirchen ist wohl das Bogenfeld von einzelnen Krei-
sen oder Tierpässen durchbrochen, aber nicht in wirkliches Maasswerk auf-
gelöst. In anderen Fällen, z. B. in der Kirche zu Warmington um 1250,
ist zwar die Gruppe von drei Laucetfenstern durch einen grösseren Bogen
überspannt; allein dieser Bogen ist,
weil er der Form des Schildbogens ent-
sprechen musste, sehr viel flacher als
die Lancetbögen, streicht mithin nahe
über der Spitze des mittleren höhe-
ren Fensters hin und lässt nur ein
kleines Bogenfeld, welches keinen
Eaum für Durchbrechungen gewährt.
Das erste Beispiel wirklicher Maass-
werkfenster in England gab zwar
schon die Westminsterkirche in Lon-
don nach 1245; allein diese Fenster
zweitheilig und denen von Xotre-Dame
in Paris ähnlich, wurden au keinem
anderen Monumente wiederholt. Erst
nachdem an dem Kapitelhause dieser
Abtei bald nach 12 50 viertheilige Maass-
werkfenster angebracht waren, fand
diese Form an den Kapitelhäusern,
welche bald darauf bei anderen
Kathedralen wetteifernd angelegt vrar-
den, Nachahmung. In den Kirchen
dagegen behielten die Oberlichter und Seitenfenster noch die hergebrachte
lancetförmige Gestalt. Nur an einer Stelle entschloss man sich bald zur
Anlage von Maasswerkfenstern. Es war dies die gerade Schlusswand des
Chors, welche, wenn man ihr, ihrer nüchternen Form ungeachtet, einen der
Würde des Orts entsprechenden Ausdruck geben wollte, sehr hell beleuchtet
werden musste, und deshalb bisher eine oder zwei Reihen von fünf anstei-
Kapitelhaus, Salisbury.
^) Wie dies jetzt auch die englischen Schriftsteller ziemlich allgemein zugeben.
Vgl. Edm. Sharpe, Treatise on the rise and progress of decorated wiudow tracerj-
in England. London 1849. — Uebersicht von Maasswerkformen bei Britton, arch.
ant. V, Tafeln zu S. 215.
208
Frühenglisclier Styl.
Fig. 60.
genden Lancetfenstern erhalten hatte. Offenbar war es besser, diese durch
ein grosses, dann aber durch Maassvverk zu füllendes Fenster zu ersetzen,
was denn auch später allgemein und zwar oft in fast übermässiger Grösse^)
geschah. Frühe Beispiele solcher Fenster in der Ostwand sind die Cister-
cienserkirche vonNettley, welche bei ihrem 1240 begonnenen Bau doch wohl
erst um 1260 bis zu dieser Stelle gediehen sein mochte, dann die Kirchen
von Rounds, Grantham, die Kathedrale von Hereford schon mit sechstheiligem
die Prioratskirche vonBinham und die Kathedrale von Lincoln (1260 — 1282)
sogar mit achttheiligem Fenster. Alle diese Maasswerkfenster sind ganz
regelmässig nach dem französischen Systeme, die viertheiligen also mit zwei,
die achttheiligen mit drei Ordnungen von Bögen und Kreisen ausgeführt.
Bei weiterer Anwendung dieser neuen
Verzierungsweise kam man aber bald auf an-
dere Gedanken. Das continentale System be-
ruhet darauf, dass alle Bögen desselben Fen-
sters gleichartig sind, d. h. dass alle sich in
gleicher Weise zu dem Kreise verhalten, dem
sie angehören, woraus dann wieder folgt, dass
der grössere, umschliessende Bogen einen
grösseren Radius und ein anderes Centrum
haben muss, als der kleinere, und dass er
sich von diesem, wenn sie neben einander an-
fangen, sogleich ablöst und hoch über ihn
hinaufschwingt. Dies giebt aber nur dann eine
günstige Wirkung, wenn der Spitzbogen nicht
allzu steil ist, indem sonst der grössere Bogen,
wenn er dem kleineren gleichartig gebildet
wird, allzuhoch hinaufsteigen würde. Die Bau-
meister des Continents gaben daher sehr frühe den Lancetbogen auf, wählten
statt dessen den aus dem gleichseitigen Dreieck construirten Bogen und
Erhielten dadurch für die Ausfüllung der oberen Räume und die ganze An-
ordnung des Maasswerks ein völlig organisches Gesetz, welches, besonders
wenn die unteren Lichtöffnungen immer in gerader Zahl gepaart wurden
(zwei-, vier-, achttheilige, nicht drei- oder sechstheilige Fenster), eine unbe-
dingt ausreichende Regel gewährte.
Die englischen Architekten konnten sich nicht entschliessen, den beliebten
Lancetbogen aufzugeben, wenigstens nicht für die inneren Lichtöffnungen; sie
konnten sich daher auch jenes System nicht vollständig aneignen. Anfangs
Dom zu Halberstadt.
^) In den Kathedralen von York, Carlisle und anderen Orten erreichen diese
Fenster eine Höhe von sechzig (englischen) Fuss und darüber.
Maasswerk.
209
fig. 61.
halfen sie sich auch jetzt noch dadurch, dass sie den äusseren Bogen flacher
hielten. So sind die beiden inneren Spitzbögen des Portals am südlichen
Kreuzschiffe des Münsters zu Beverley mit einem Halbkreisbogen und die der
zweitheiligen Arcaden am Triforium der Kathedrale von Salisbury (vergl.
Fig. 49. S. 192) mit einem stumpfen Spitzbogen überdeckt. Dies gab in-
dessen eine sehr gedrückte Gestalt, welche die Anwendung von wirklichem
Maasswerk nicht wohl gestattete. Man machte daher verschiedene Versuche,
um die Beibehaltung steiler Bögen mit dem Maasswerk zu vereinigen. In
einigen Fällen bildete man die Bögen sämmtlich gleichartig und steil, dann
erhielt man aber ein zu grosses Bogenfeld, welches nur durch die schwierige
Häufung verschiedener Kreise und Pässe ausgefüllt werden konnte. Andere
schlugen daher einen anderen Weg ein, welcher in der That wieder zu einem
Systeme, aber zu einem von dem continentalen abweichenden, führte. Sie
verzichteten nämlich darauf, die Bögen gleichartig zu machen, und con-
struirten sie vielmehr alle aus demselben
Centrum, so dass der grössere Bogen
nicht derselbe Theil eines anderen Kreises,
sondern ein grösserer Theil desselben (nur
um die Dicke der Gliederung erweiterten)
Kreises ist, sich also nicht von dem klei-
neren Bogen ablöst, sondern ihm parallel
und anliegend bis zu seiner Spitze neben
ihm aufsteigt, und erst oberhalb derselben
seinen Weg bis zu seiner eigenen Spitze
allein fortsetzt. Auf diese Weise bildet sich
in einem zweitheiligen Fenster zwischen der
Innenseite des grösseren und den Aussenseiten der kleineren Bögen eine rauten-
förmige Oeffnung, und in einem mehrtheiligen Fenster ein Netz von solchen Rau-
ten, welches, besonders wenn man die einzelnen Rauten durch eingelegte Drei-
und Vierpässe belebte, alles weitere Maasswerk entbehrlich machte. Auch
hier liegt wieder eine Reminiscenz des alten Styls zum Grunde; denn dieses
Maasswerk besteht aus durchflochtenen Bögen, welche sich nur da-
durch von der älteren Wanddecoration unterscheiden, dass jetzt auch die
grösseren Bögen nicht halbkreisförmig, sondern spitz sind. Diese con-
sequente, aber spröde Form befriedigte indessen die Architekten nicht; sie
verkannten nicht, dass die Ausfüllung des oberen Raumes mit Kreisen oder
sphärischen Vierecken schöner sei, und suchten dieselbe sich anzueignen,
konnten aber dafür bei der Beibehaltung der steilen Bogenform kein durch-
greifendes Gesetz finden und mussten sich daher willkürlicher Auskunfts-
mittel bedienen. Dazu kam noch, dass sie an die Zusammenstellung von
drei Lichtöffnungen gewöhnt waren, mithin gern drei- oder sechstheilige
Schn.iasse's Kunstgesch. 2. Aufl. Y. 14
Kathedrale zu Oxford.
210
Frühenglisclier Styl,
Fig. 62.
Fenster bildeten, wodurch die Schwierigkeiten für die Ausfüllung der oberen
Käurae wuchsen. Wollte man nämlich über die drei verbundenen Bögen
mehrere Kreise legen, etwa zwei unmittelbar zwischen die Bögen und einen
in die Spitze, so wurden diese Kreise kleinlich ; begnügte man sich mit einem
Kreise, so rubete derselbe auf der Spitze des mittleren Bogens und gab auf
den Seiten Lücken, welche man durch
Dreipässe oder ähnliche Figuren ausfüllen
musste^). Daher kam man denn auf den
Ausweg, dem mittleren Bogen eine grös-
sere oder geringere Höhe zu geben, als den
beiden anderen. Anfangs geschah dies
wohl in der Weise, dass man ihn bis in
die Spitze des ganzen Fensters aufsteigen
liess, wo denn für Maasswerk fast gar
kein Raum blieb. Häufiger dagegen hielt
man den mittleren Bogen etwas niedriger,
als die beiden anderen, um den ganzen
oberen Raum dann durch einen Kreis oder
ein sphärisches Viereck auszufüllen. Mochte
man aber dreitheilige oder zweitheilige
Fenster haben, so führte die steile Form
der inneren Bögen schon an sich zu
manchen Willkürlichkeiten und zu einer
schnellen Entartung des Maasswerks. Die
Kapitale der Pfosten blieben frühzeitig
fort, da der Bogen so wenig von der
senkrechten Richtung abwich, dass es
unnatürlich erschien, ihn gegen dieselbe
zu begrenzen; die Leere innerhalb der ein-
zelnen Lancetbögen führte dahin, dass man sie durch einen Dreipass oder durch
müssige Flachbögen füllte; die correspondirende Lücke zwischen den auf-
liegenden Kreisen und den sie tragenden Bögen veranlasste wiederum die
Einfügung von langgestreckten und schlecht motivirten Figuren-). Ueberall
Merton-CoUege, Oxford.
Kapitelhaus zu Wolls.
^) Zu den frühesten grösseren Maasswerkfenstern mit concentrischen Spitzbogen
gehören die sechstheiligen in der Cistercienserkirche zu Tintern (Sharpe, Architec-
tural parallels, pl. 48) um 1287, deren drei Kreise fast gleichgross sind und wo der
Architekt die grosse Lücke zwischen der Peripherie des obersten Kreises und tlen
beiden grösseren Bögen durch senkrechte Verlängerung des mittelsten Pfostens aus-
zufüllen gesucht hat.
-) Das Kapitelhaus zu Wells (s. unten), aus welchem die beigefügte Abbildung
entlehnt ist, nähert sich schon mehr dem reichverzierten (decorated) Style der folgenden
I
Gewölbformen, 211
stand endlich die volle Rundung des Kreises mit den hohen und steilen Bögen
in einem zu starken Gegensatze, weshalb man sich mehr und mehr gewöhnte,
statt seiner sphärische Drei- oder Vierecke anzuwenden, welche man dann
mit Pässen und Nasen werk möglichst ausschmückte. Dazu kam nun noch,
dass die englischen Architekten das Bedürfniss organischer Gliederung der
Fensterbildung nicht empfanden, vielmehr gleich anfangs, wie es auf dem
kontinent erst später geschah, das Maasswerk nur als eine Gelegenheit be-
trachteten, sich in mannigfaltigen Formspielen zu ergehen ^). Sie gingen
darin oft so weit, dass sie sogar die Fenster derselben Reihe nicht einmal
in derHauptauordnung gleich hielten, so dass z.B. in der Cistercienserkirche
St. Mary zu York zwei- und dreitheilige Fenster neben einander stehen.
Man sieht, die Auffassung der Architektur war unter der Herrschaft des
gothischen Styls dieselbe geblieben, wie vorher; man betrachtete noch immer
die Decoration als eine selbstständige, von dem Constructiven unabhängige
Aufgabe. Bei alledem unterscheidet sich aber das englische Maasswerk
dieser Epoche noch immer vortheilhaft von demjenigen, welches später, freilich
nur durch eine weitere Entwickelung der steilen Bogenform, aufkam; es ent-
hält noch mehr geometrische Elemente und bestimmtere Formen -).
Auch in einer anderen Beziehung führte diese decorative Richtung die
englischen Architekten schnell über das erste Stadium des Styls hinaus, in
Beziehung nämlich auf die Gewölbe, hier jedoch in vortheilhafterer Weise.
Während man nämlich auf dem Continent im ganzen Laufe des dreizehnten
Jahrhunderts bei dem einfachen Kreuzgewölbe stehen blieb, wurden in Eng-
land schon bald nach der Mitte desselben reichere und künstlichere Gewölb-
formen angewendet. Schon bei den gewöhnlichen Kreuzgewölben auf vier-
eckigen Räumen begann man sehr früh die Zahl der Gewölbrippen zu ver-
mehren, indem man zu den Quer- und Diagonalrijjpen noch eine Scheitelrippe
hinzufügte, welche ununterbrochen in der ganzen Länge des überwölbten
Raums fortläuft und die Schlusssteine der einzelnen Gewölbfelder verbindet.
Die Möglichkeit einer solchen Longitudinalrippe beruhete darauf, dass man
Epoche, giebt aber ein sehr deutliches Beispiel der Verlegenheiten , zu welchen die
steile Bogenform führte. — Der Chor der Kapelle von Merton College in Oxford,
welcher das andere Fenster entnommen ist, ward 1276 geweiht. Nach Ferguson
(a history of architecture, London 1865 — 67) ist dies vielleicht das schönste Beispiel
•eigentlich englischen Maasswerks.
1) Auch dies giebt wiederum Sharpe a. a. 0. S. 92 zu.
2) Die englischen Archäologen, namentlich Sharpe a. a. 0., nennen das Maass-
werk dieser Epoche daher das geometrische (geometrical tracery) im Gegensatze zu
dem geschweiften (flowing oder curvilinear) und dem geradlinigen (rectilinear oder
perpendicuUr). Das letzte, welchem Sharpe die Zeit von 1360 bis 1500 anweist, ist
in den englischen Kirchen jetzt bei Weitem das vorherrschende, namentlich an grösseren
Fenstern.
14"
222 Frühenglischer Styl.
die Kappen von den Quergurten zu den Diagonalrippen nicht, wie es auf dem:-
Contiuent häufig geschah, ansteigend, sondern horizontal wölbte, allein ein-
erheblicher statischer Nutzen war dennoch von einer solchen Rippe nicht za-
erwarten. Sie war im Wesentlichen eine blosse Decoration, und zwar keine
glücklich gewählte, da sie die beiden Hälften des Gewölbes schied, mitbin
die innere Einheit der einzelnen Gewölbfelder und das durch die Diagonal-
rippen angedeutete lebendige Entgegenkommen der beiden Seiten des Gebäudes
verdunkelte. Anders verhielt es sich', wenn man Räume ungewöhnlicher
Gestalt zu überwölben hatte, bei denen das einfache Kreuzgewölbe nicht
anwendbar war; hier konnte die Vermehrung der Rippen die Wölbung er-
leichtern und sichern. Eine Veranlassung zu solchen Anlagen gaben die-
Kapitelsäle der Kathedralen, welche bei der grossen Mitgliederzahl und dem
Reichthum dieser Stifter schon längst zu eigenen, innerhalb der Kloster-
mauer gelegenen, geräumig und mit möglichster Pracht ausgeführten Ge^
bänden geworden waren. Häufig gab man ihnen in späterer und in früherer
Zeit viereckige Gestalt, wie dies die noch jetzt bestehenden Kapitelhäuser
von Canterburj^, Bristol, Oxford, Exeter, Gloucester und Chester beweisen;
allein es Hess sich nicht verkennen, dass eine Centralanlage dem Zwecke der
Berathung sehr zusagte, hei welcher dann aber, wenn man sie überwölbeii
wollte, statt des Kreuzgewölbes eine andere Form gefunden werden musste
Eine solche hat schon das noch ganz im normannischen Style, wahrscheinlich
in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts erbaute Kapitelhaus der
Kathedrale zu Worcester^). Es ist ein äusserlich zehneckiges, im Innerext
fast kreisrundes Gebäude von 58 Fuss im Durchmesser, an den Wänden mit
runden Arcaden und durchschneidenden Bögen verziert, in der Mitte mit
einer starken Rundsäule, welche das Gewölbe trägt. Die Fenster sind im
fünfzehnten Jahrhundert verändert, aber das Gewölbe scheint ursprünglich
und ist sehr merkwürdig. Es ist nämlich ein kreisförmiges Tonnengewölbe,
indem es von den Wänden kuppeiförmig anhebt, dann aber durch ein
anderes, von dem Mittelpfeiler entgegenkommendes Gewölbe aufgenommen,
wird. Diese innere trichterförmige Wölbung ist nun aber so angelegt, dass
ihr Durchschnitt nicht eine Kreislinie, sondern zehn, mit scharfen Gräten
aneinander stossende Höhlungen, gleichsam Kanneluren, zeigt. Die Gräten
hören auf dem Scheitel des Gewölbes auf, dagegen ist in der Tiefe jeder
dieser Kanneluren ein als starker Rundstab gebildeter Gurt angebracht,
welcher sich von der Mittelsäule nach der Wand zu wölbt, und dort auf dena
Würfelkapitäl einer zu diesem Zwecke angelegten starken Halbsäule niht.
Zwischen diesen Halbsäulen schneiden dann (anscheinend ursprüngliche) Stich-
kappen über den Fenstern in das Gewölbe ein, welches auf diese Weise und
1) Brilton. Cath. ant. IV.
Eapitelhäuser. 213
■vermittelst jener Gurten in der That schon einen einfachen zehneckigen
'Stern bildet. Diese sehr primitive und ziemlich unbeholfene Anlage mag die
Anregung zu den künstlicheren und eleganteren gegeben haben, welche nach
der näheren Bekanntschaft mit dem Rippengewölbe im dreizehnten Jahrhundert
aasgeführt wurden.
Das älteste dieser späteren Kapitelhäuser, das der Kathedrale zu
Lichfield^), ist niclit eigentlich eine Centralanlage, sucht aber doch die
Vortheile derselben einigermaassen zu erreichen. Es bildet nämlich ein
längliches Achteck in der Art, dass sechs gegenüberstehende Seiten einander
gleich, die beiden dazwischen gelegenen aber doppelt so gross sind. Jede
Hälfte besteht daher aus fünf Seiten des Achtecks und das Ganze gleicht
zwei polygonen Choranlagen, welche mit ihren offenen Seiten aneinander
gerückt sind. Der Umfang enthält daher die Seite des Achtecks zehnmal,
bat demgemäss zehn Fenster und eben so viele dazwischengestellte Wand-
säulen, welche mit den zehn den Mittelpfeiler umge-
benden Marmorsäulen durch Gurten verbunden sind.
In die zwischen diesen Gurten entstehenden dreieckigen
Felder schneiden demnächst die Stichkappen der Fenster
ein, deren beide Rippen in ihrem Schlusssteine mit einer
vom Mittelpfeiler ausgehenden Scheitelrippe zusammen-
treffen, so dass ein länglich zehneckiges Sterngewölbe
entsteht, welches (abgesehen davon, dass es theils
kürzere, theils längere Strahlen hat und als Rippen-
gewölbe ausgeführt ist) jenem in Worcester sehr ähnlich
ist, indem auch in diesem von dem Mittelpfeiler apite lau» zu Lichneid.
aasser den zehn Gurten zehn Gräten, mithin zwanzig Strahlen ausgehen.
Die ganze Ausstattung des Gebäudes ist sehr reich und reizend, hat aber im
Einzelnen etwas von der Sprödigkeit, welche den frühenglischen Styl
charakterisirt. Die Bögen des zweitheiligen Portals sind lancetförmig und
parallel, die Zwischenräume der Säulen und dieArcaden des Innern reichlich
mit dem Toothornament in der scharfen Behandlung ausgestattet, welche
noch die Abstammung von der älteren Zickzackverzierung erkennen lässt.
Diese Arcaden, welche aus der Wand heraustreten und Baldachine über den
Sitzen der Chorherren bilden, sind dann aber mit vortrefflichen Sculpturen,
namentlich mit kleinen hervorragenden Köpfchen von höchst energischer
^) Die Nachrichten über den Bau dieser Katiiedrale sind dürftig, indessen wissen
wir, dass Heinrich III, durch Urkunden von 1235 und 1238 Steine dazu anwies. Es
£aad mithin um diese Zeit ein Bau statt, aus welchem die Seitenschiffe des Chores und
des Kreuzarmes, so wie der Gang, welcher das Kapitelhaus mit diesem verbindet, und
•eodlich dieses selbst stammen werden, da sie f'rühenglich und augenscheinlich jetzt
•die ältesten Theile sind. — Abbildungen bei Britton, Cath. ant. III.
214
Frühenglischer Styl.
Arbeit und charakteristischem Ausdrucke geschmückt. Die Verhältnisse des
Gebäudes sind massig; der grössere Durchmesser ist 43 Fuss, die Höhe wird
sich nicht über dreissig erheben. Ohne Zweifel war der Architekt hier durch
den ihm angewiesenen Raum beschränkt, und würde bei grösserer Freiheit
die einfachere und zweckmässigere Form des regelmässigen Achtecks ge-
wählt haben, wie dies bei dem, bald darauf gegründeten Kapitelhause der
Kathedrale von Salisbury^) (vollendet etwa 1270) geschehen ist, in wel-
chem eine schlanke, mit acht schwächeren Stämmen umstellte Mittelsäule ein
achteckiges, übrigens aber dem eben beschriebenen ganz ähnliches Stern-
gewölbe trägt. Dies kleine Gebäude ist durchweg in den reichsten und
edelsten Formen des englischen Styls gebaut, so dass es geradezu als das
Pracht- und Meisterstück desselben betrachtet werden kann. Schon das
Portal ist ausserordentlich schön; drei ziemlich kräftig gebildete Säulen
mit sehr frei gearbeitetem Laubwerk sind in die Ecken der Gewände ein-
gelegt, ein Bündöl gleicher Säulen bildet den
Mittelpfeiler. Der Intrados der Bögen ist mit
Bogenspitzen (feathering, foliation) besetzt, die
Archivolte des grösseren ist, was in England
selten vorkommt, mit in Nischen aufgestellten
Statuetten geschmückt, das Vierblatt des Bogen-
feldes enthielt früher eine plastische Arbeit^
welche aber in der Pievolution durch Cromwell's
puritanische Soldaten zerstört ist. Das Innere
ist von überraschender Leichtigkeit. Der schlanke
Mittelpfeiler steigt mit seinen Säulchen Avie ein
Wasserstrahl empor, die Fenster, viertheilig und
mit dem edelsten Maasswerk nach französischem Style geschmückt, füllen
die ganze Wand zwischen den Strebepfeilern, deren innere Seite mit drei-
zehn Säulchen überreich besetzt ist. Die Arcaden über den an der Wand
umherlaufenden Sitzen (Fig. 6Q.) sind wieder als Baldachine behandelt und mit
Bildwerk bedeckt. Thiere sind in dem Blattwerk der Kapitale, Charakter-
köpfe am Zusammenstoss der Archivolten, darüber endlich Reliefs angebracht^
welche die Geschichte des alten Testaments in sehr dramatischer Behand-
lung und in freiester Arbeit darstellen. Man erkennt an ihnen, ungeachtet
der Zerstörung, die sie erlitten haben, noch die Spuren der Bemalung,
welche wahrscheinlich das ganze Innere bedeckte, am Fussboden noch die
Reste einer eleganten Auslegung mit bunt glasirten Ziegeln. Der noch
unverletzte alte Tisch ruht auf acht wohlgebildeten hölzernen Säulen. Der
Kapitelhaus zu Salisbury.
*) Britton, arch. ant. V., cathed. ant. II.
modernes, Bd. II.
Gailliabaiul, Monuments anciens et
Kapitelhäuser zu York und Lincoln.
215
Fig. 66.
ganze Raum giebt den Eindruck heiterer "Würde und einer Zeit hoher
Kunstblüthe.
Auch die Kapitelhäuser der Kathedralen von Lincoln und von York
gehören noch dieser Epoche an, und sind etwa gegen das Ende des Jahr-
hunderts vollendet. Das von York ist ebenfalls achteckig, macht aber den
Eindruck noch grösserer Kühnheit, indem sein Sterngewölbe bei einer
Spannweite von 47 Fuss und der bedeutenden Höhe von 67 Fuss ganz frei
und ohne die Stütze eines Mittelpfeilers aufsteigt i). Dies ist denn freilich
dadurch möglich gemacht, dass die Steinrippen in grösserer Zahl angeord-
net und statt steinerner Kappen nur mit Brettern belegt sind. Dafür erscheint
denn aber das Gewölbe um so rei-
cher. Die Scheitelrippe läuft nicht
bloss bis zum Schlusssteine der
Stichkappen, sondern bis zum Schei-
telpunkte des Schildbogeus über den
Fenstern, die Rippen der Stichkap-
pen sind verdoppelt, die Schlusssteine
verdreifacht, und durch eine kreis-
förmig herumlaufende Querrippe ver-
bunden. Das Kapitelhaus von Lin-
coln hat zwar wieder ein steinernes
Gewölbe auf einem Mittelpfeiler, ist
aber zehneckig und dabei so luftig
und kühn errichtet, dass man es
(bald nach der Vollendung) mit stär-
keren Streben bewahren zu müssen
geglaubt, diese aber, ohne Zweifel
um den Fenstern kein Licht zu ent-
ziehen, in einer Entfernung von etwa
20 Fuss frei hingestellt und nur
durch Strebebögen mit dem Gebäude
verbunden hat. Das Innere dieser
Kapitelhäuser ist ähnlich ausgestattet wie in Salisbury, nur haben die Fen-
ster in dem von Lincoln nicht das schönere geometrische Maasswerk des
französischen Styls, sondern das spröde englische. Xeben diesen beiden
ist endlich das Kapitelhaus der Wes tminsterabtei in London anzu-
führen, welches, wahrscheinlich schon bald nach 1250 gebaut, ein auf einer
Mittelsäule ruhendes, achteckiges, aber einfacheres Sterngewölbe hat, aber
wie das von Lincoln durch entfernte Strebepfeiler und davon ausgehende
Kapitelhaus, Salisbnry.
^) Eine grössere Zeichnung des Gewölbes im Glossary III, Taf. 36.
Ölß Frühenglischer Styl.
Strebebögen gestützt ist i). Es dient jetzt als Archiv (Record Office) und
ist deshalb weniger zugänglich und übersichtlich. AmSchluss dieser Periode,
1293 bis 1302, wurde das Kapitelhaus der Kathedrale von Wells errichtet 2),
das zu den schönsten Gebcäuden dieser Gattung gehört, aber bei eleganten
Einzelformen, z. B, in dem schon oben berührten Maasswerk der Fenster,
in den Spitzgiebeln über der Arcatur, doch im Ganzen gedrungene Verhält-
nisse und einen ungewöhnlich massiven Mittelpfeiler zeigt.
Das Sterngewölbe ist hier überall auf Polygonbauten angebracht, bei
denen das Einschneiden der Stichkappen in die durch die Hauptrippen des
Gewölbes gebildeten Felder sehr leicht darauf führen konnte. Indessen war
es dennoch eine neue Erfindung. In Deutschland waren mit Rippen über-
wölbte polygone oder kreisförmige Räume wiederholt vorgekommen, nament-
lich an dem Zehneck von St, Gereon in Köln mit grösserer Spannung und
auf bedeutend grösserer Höhe als in jenen Kapitelhäusern. In Frankreich
hatte man bei der Ueberwölbung der halben Polygone des Chorschlusses
und der Kapellen des Kranzes vielfache Veranlassung gehabt, die Schwierig-
keit solcher Aufgabe zu prüfen. Dennoch hatte man am Schlüsse dieser
Epoche in beiden Ländern eine Vermehrung der Rippen noch nicht versucht.
Villard von Honnecourt giebt zwar in seinem Skizzeubuche das Project
eines Sterngewölbes, aber seine beigeschriebenen Bemerkungen zeigen, dass
die Sache neu war und dass er den Einwurf der Unausführbarkeit fürchtete.
In Deutschland, wo man später von diesen künstlicheren Gewölben nächst
den Engländern am meisten Gebrauch machte, kennen wir doch kein früheres
Beispiel als das der Briefkapelle bei d,er Marienkirche zu Lübeck vom
Jahre 1310. Man mag es dahingestellt sein lassen, ob diese Erfindung
eine sehr günstige war. Wenn sie auch technische Vortheile und in ge-
wissen Fällen wirklich schöne Motive gewährte, so entwerthete sie doch die
Gewölbrippe, machte sie aus einem constructiv wichtigen Gliede zu einem
blossen Mittel der Decoration und trug später zum Verfall der gothischen
Architektur bei. Aber wie dem auch sei, es leidet keinen Zweifel, dass es
die Engländer waren, welche in dieser Erfindung oder doch in ihrer An-
wendung den übrigen Nationen vorausgingen 3).
1) Es ist hier also eine ähnliche Verwendung von entfernten und freistehenden
Strebepfeilern wie an der oben (S. 111) erwähnten Vorhalle von St. Urbain in Troyes
VioUet-le-Duc. I. S. 80, 81. VII. S. 301. In York hat man sich begnügt, die Strebe-
pfeiler unten sehr stark zu machen und neben den Fenstern bloss als eine durch
einen kleinen Strebebogen mit dem Gebäude verbundene Fiale aufsteigen zu lassen.
2) Britton, Cath. ant. IV.
3) F. V. Quast, in den N. Preuss. Provinzialbl. XI, S. 120, hat zuerst auf diese
Priorität der englischen Architektur aufmerksam gemacht.
Allgemeine Charakteristik. 217
Auch diese Erfindung war ein Resultat ihrer ganzen Richtung. Sie
waren die ersten, welche den decorativen Charakter des gothischen Styls
herausfühlten, welche seinen constructiven Gliedern den ernsten Ausdruck
ihrer Function entzogen, und ihnen eine ritterlich kühne oder sentimentale
und weiche Haltung gaben. Sie begannen damit, den Pfeiler in eine Fülle
von schlanken Säulen, die früher eckig gebildete Archivolte in feine Rund-
stäbe aufzulösen, sie gaben dem Kapitale einen schlankeren Hals und Hessen
das Blattwerk wie weiche Mädchenhaare herabfallen. Sie benutzten die
Triforien zu einem pikanten illusorischen Spiele und gefielen sich in dem
scheinbaren ^Yagniss, starke Mauern auf vereinzelte schlanke Stützen zu
stellen. Diese decorative Richtung unterdrückte den Sinn für organische
Durchbildung und für die Betonung der constructiven Elemente, lehrte das
Ornament nach willkürlichen Nebenabsichten bilden, und entzog dem Ganzen
den ernsten, constructiven Charakter. Das Verticalprincip, auf welches die
ganze Anlage, die Strebepfeiler und Kreuzgewölbe, selbst die beliebten Lancet-
fenster hinweisen, ist nicht empfunden, die Horizontallinien herrschen aus-
schliesslich, die constructiven Glieder sind entweder als Nebensache be-
handelt, oder zu einem gleichgültigen Formenspiel gemissbraucht. Daher
fehlt selbst den Ornamenten, so viel an ihnen gekünstelt ist, der feinere
Ausdruck; die Profilirung der bedeutsamen Curveu ist roh oder trocken.
Daher auch der Mangel an wahrer Individualität, der dem Beschauer an den
englischen Gebäuden auffällt. Während jedes französche Bauwerk dieser
Epoche, ungeachtet der principiellen Uebereinstimmung, stets Neues und
Anziehendes bietet, sind die englischen Kirchen, trotz der mannigfachen
oft gesuchten Aenderungen und der zierlichen Details, ermüdend und ein-
förmig 1).
^) Wie stark selbst Engländer die Mängel ihrer einheimischen Architektur
«mpfinden, ergiebt ausser dem schon erwähnten älteren Buche von Whittingtou die iu
vieler Beziehung interessante, wenn auch oft bizarre Schrift von John Ruskin, Seven
Lamps of Architecture, London 1849. „Ich weiss nicht, woran es liegt", sagt der
Verfasser S. 92, „wenn nicht daran, dass unsere englischen Herzen mehr Eichenholz als
Stein in sich haben und mehr wahre Sympathie mit Eicheln als mit Alpen empfinden,
aber Alles, was wir machen, ist klein und schwächlich, wenn nicht schlechter; dünn,
verschwendet und ohne wahren Körper. Das gilt nicht von modernen Werken allein;
seit dem dreizehnten Jahrhundert haben wir (mit alleiniger Ausnahme unserer Schlösser)
wie Frösche und Mäuse gebaut. Welcher Contrast zwischen den erbärmlichen kleinen
Taubenlöchern, welche als Thüren an der Fronte von Salisbury stehen und die wie
Eingänge zu einem Bienenstock oder Wespennest aussehen, und den hoch geschwun-
genen, königlich bekrönten Portalen von Abbeville (?), Ronen und Rheims, oder den
wie in Felsen gehauenen Pfeilern von Chartres." Er geht dann auf die häusüche
Architektur über. „Welch ein sonderbares Gefühl von formulirter Hässüchkeit,
runzeliger Präcision, frostiger Genauigkeit, menschenfeindlicher Kleinlichkeit haben wir,
218 Englischer Styl.
Der Gegensatz dieses neuenglischen Styls gegen den unmittelbar vorher-
gegangenen normannischen ist überaus merkwürdig. Die Geschichte giebt
kaum ein zweites Beispiel eines so schroffen Geschmackwechsels. Dort
alles kraftstrotzend, plump, schwer, hier eine Vorliebe für schlanke, dünne,
zierliche Formen. Aber bei diesem augenscheinlichen Contraste liegt beiden
Stylen doch eine innere Einheit, dieselbe Auffassung des Architektonischen
zum Grunde; sie muss vorhanden sein, da ohne sie die grosse Entschieden-
heit und Uebereinstimmung, mit der sich die Nation dem neuen Style zu-
wendete, unerklärbar sein würde, und man fühlt sie auch sehr bald. Sie
liegt in der verständigen Richtung des englischen Volks, vermöge welcher
die Begriffe des Nützlichen und des Schönen, deren innige Durchdringung
gerade die Aufgabe der Architektur bildet, scharf auseinander gehalten
werden, wonach jenes allein als das Nothwendige, dieses als ein, wenn auch
edler und Wünschenswerther, aber für sich bestehender Luxus betrachtet
wird^). In der früheren Epoche äusserte sich diese Auffassung in naiver
Weise, indem man Constructives und Decoratives wirklich getrennt behan-
delte, die tragenden Glieder mit unverhüllter, selbst übertriebener Kraft
ausstattete, den Schmuck ganz selbständig an den leeren Wänden anbrachte.
Zur Zeit des gothischen Styls hatte man bei reiferer Kenntniss der stati-
schen Gesetze erfahren, dass es jener Derbheit nicht bedürfe; durch den
Anblick dieses Styls auf den Vorzug schlanker Formen und edler Mässigung
aufmerksam gemacht, verachtete man den Luxus überkräftiger Glieder und
bizarrer Ornamentation als etwas Barbarisches, vermied ihn daher sorgsam
und verfiel in das entgegengesetzte Extrem, steigerte den Ausdruck des
Schlanken und Zierlichen bis zum Spröden und Mageren, Eine verständige
Richtung dieser Art kann sich nicht leicht mit der reinen Form und ihrem
wenn wir aus den dunkeln Strassen der Picardie in die Marktplätze von Kent kommen."
In der That ist der Contrast zwischen den kräftigen Farben und Formen der nord-
französischen Städte und der nüchternen Zierlichkeit und Reinlichkeit, die wir jenseits
des rasch durchfahrenen Kanals finden, höchst überraschend und charakteristisch für
den Gegensatz der Nationen oder, allgemeiner gefasst, für den Gegensatz zwischen
dem continentalen Lande und dem seefahrenden Inselvolke.
^) Wie tief diese Auffassung im englischen Charakter liegt, beweist auch der
eben angeführte John Ruskin, der, obgleich er die Kunst des Auslandes wohl zu
würdigen versteht und die seines Vaterlandes mit den stärksten Waffen angreift und
ihr eine totale Reform zumuthet, dennoch keine Ahnung von dem Zusammenhange
von Construction und Ornamentation hat. Zu den sieben Leuchten, durch welche er
die Architektur aufklären will, rechnet er unter Anderem auch die Schönheit, allein
er versteht unter derselben ausschliesslich das Ornament und statuirt als solches nur
die Nachahmung natürlicher Gegenstände an der Architektur, über deren Beding-
ungen und die ihnen anzuweisende Stelle er manches sehr Beachtenswerthe beibringt,
die bei ihm aber doch immer ein fremder, willkürlich hinzugefügter Schmuck bleibt.
Allgemeine Charakteristik, 219
unmittelbaren Ausdrucke begnügen, sie hat Nebengedanken und sucht un-
willkürlich die Schönheit auf etwas Praktisches, das auch im wirklichen
Leben Geltung hat, zurückzuführen. Sie legt daher in die für sie bedeutungs-
losen Formen der Architektur eine symbolische Bedeutung hinein. Daran
war überdies die Nation gewöhnt; die derben Formen des normannischen
Styls waren wirklich der Ausdruck der Wehrhaftigkeit nud Kraftfülle der
Beherrscher dem besiegten Volke gegenüber. Jetzt hatten sich die Zeiten
geändert; die Stämme w^aren verschmolzen, die neugebildete Nation ordnete
ihre Verhältnisse in klarer und segensreicher Weise. Statt jenes Trotzes
liebte man jetzt ritterliche Eigenschaften, tapferen Muth, unbeugsamen
Willen, aber gepaart mit Gesetzlichkeit und Mässigung und mit der Em-
pfänglichkeit für zarte Gefühle. Dieser Sinnesweise konnten die alten, rohen
Formen nicht mehr genügen. Als daher der neue Styl über den Kanal kam
und entgegengesetzte Züge darbot, nahm man keinen Anstand, ihn mit
rascher Aufopferung des alten Geschmacks sich anzueignen, begann aber
auch sofort, ihn in jener symbolisch-decorativen Weise zu behandeln, be-
schränkte daher den constructiven Ausdruck und betonte die decorativen
Elemente, bis man die Formen gefunden hatte, welche die gewünschte Ideen-
verbindung gaben.
Dies erklärt die rasche und gleichmässige Ausbildung des englischen
Styls. Er entwickelte sich nicht aus den älteren Formen, sondern wurde
mit Verwerfung derselben aufgenommen. Er hatte nicht mit der Feststellung
der constructiven Erfordernisse und der Entwuckelung des Ornaments aus
denselben zu kämpfen; der Anforderung, in jedem Gliede seine Function
auszusprechen und doch das Ganze in Harmonie zu halten, war mau über-
hoben. Wie viele Versuche machten die Meister von Chartres, Rheims,
Amiens und ihre Zeitgenossen, um die richtigen Verhältnisse der Schäfte
und Kapitale an Kernpfeilern und anliegenden Säulen zu finden, wie schwer
wurde es ihnen, die schöne Form des korinthischen Kelchs aufzugeben, wie
ernstlich suchten sie das Bedürfniss einer organischen Begründung der
Gewölbstüzen mit jenen Ansprüchen an die Säulenform auszugleichen. Hier
war man sogleich fertig, indem man sich mit niedrigen, schmucklosen Ring-
kapitälen begnügte, ihnen überall gleiche Höhe anwies und die Gewölbdienste
auf Kragsteine stellte. Und ebenso verfuhr man mit der Durchbildung des
Grundplans, der strebenden Glieder und mit allen anderen Theilen.
Aus dieser Auffassung erklärt sich nicht bloss die rasche Verbreitung
dieses Styls, sondern auch die bleibende Anhänglichkeit der Nation an ihn.
Für die tiefere, geheimnissvolle Schönheit der Architektur sind immer nur
Wenige empfänglich; die Menge wird nur oberflächlich davon berührt. Wo
diese Kunst sich also in diesem ihrem höchsten Sinne ausbildet, bleibt sie
mehr oder weniger in den Händen der Künstler und der näheren Kunst-
220 Frühenglischer Styl.
freunde; und wird auch von der Nation verlassen , wenn jene sich anderen
rormen zuwenden. Hier hatte sie diese höhere Bedeutung nicht, sondern
war mehr eine symbolische Sprache, welche bald conventionell verständlich
wurde und von einer Generation auf die andere überging. Die Nachkommen
wussten darin die Gefühle ihrer Vorfahren zu lesen, die Dichter vermochten
sie in Worte zu bringen. Daher blieb sie Gemeingut, und wir finden in allen
folgenden Jahrhunderten, wie bei keiner anderen Nation, fortdauernde poetische
Beziehungen auf die mittelalterliche Architektur. Die dunklen Hallen, die
schweren Formen der normannischen Bauten erinnern den Dichter an die
eiserne Herrschaft der stolzen normannischen Barone über die besiegten
Sachsen , die milderen Züge des gothischen Styls an die glückliche Ver-
schmelzung der feindlichen Stämme zu einer einigen Nation, an die schlichte
und edle Sitte des frühen Ritterthums, an die religiöse Begeisterung und die
Romantik der Kreuzzüge. Die Lancetbögen, welche so kühn aufstreben
<iie schlanken Säulchen, welche so zierlich dienen, die reichen Ornamente,
in welchen die TJeberfülle der Kraft sich in anmuthiger und weicher
Empfindung äussert, die einfache und massige Haltung der meisten Glieder,
ihre ruhige Wiederholung sind Symbole der Eigenschaften geworden, nach
welchen die Edleren der Nation noch immer streben, auf welchen brittische
Sitte und das Bestehen des Volks beruhet, des festen und doch milden Sinnes,
der Kühnheit für gerechte Sache, der ritterlichen Grossmuth, derMässigung
und Gesetzlichkeit. Die Britten sahen darin stets die Jugendzüge ihrer
Nation und betrachteten sie mit Liebe, auch als die Kunst selbst auf andere
Wege fortgerissen wurde.
Und dies ist auch der Standpunkt, von welchem wir die englische
Architektur betrachten müssen, um sie zu würdigen. Wir mögen ihre
architektonischen Mängel anerkennen, aber wir dürfen unser Auge nicht
gegen ihre poetische Bedeutsamkeit verschliessen und werden darin eine
Befriedigung finden, indem wir sie als den Ausdruck der liebenswürdigen
•Seiten einer bedeutenden Nation betrachten.
Fünftes Kapitel.
Der deutsche Uebergangsstyl ; die Scluilen deeora-
tiver Tendenz.
In den meisten der bisher betrachteten Länder giebt es in der Tliat
keinen Uebergangsstyl. Im nördlichen Frankreich waren schon die ersten
Bauten, welche sich von der romanischen Tradition entfernten, gothischer
Deutschland. 221
Tendenz, wirkliche, wenn auch noch nicht völlig entwickelte Versuche dieses
Styls. In den südlichen Provinzen verliess man die einheimische romanische
Bauweise niemals völlig und gestattete nur dem schon gereiften gothischen
Style eine mehr oder weniger modificirte Anwendung. In England endlich
ging man plötzlich und ohne Zwischenstufe von der nur bereicherten norman-
nischen Bauweise zu der frühenglischen über. Anders verhält es sich in
Deutschland. Hier bildete sich seit dem Anfange dieser Ej^oche wenigstens
in einigen Provinzen eine Bauweise, welche weder ganz romanisch noch
wirklich gothischer Tendenz war, sondern Elemente beider Style in sich
verband, aber doch so viel Eigenthümliches hatte und sich so lange, selbst
noch neben dem schon bekannten gothischen Style erhielt, dass man sie als
einen eigenen, wenn auch nicht consequeut durchgebildeten Styl betrachten
muss.
Die Ursachen dieser Erscheinung liegen theils in den politischen Ver-
hältnissen, theils in der Geschmacksrichtung der Deutschen.
Auch Deutschland nahm an dem Aufschwünge Antheil, den wir im
ganzen Abendlande um die Mitte des zwölften Jahrhunderts bemerken. Die
wachsende Bevölkerung, der grössere Reichthum der Städte, die weitere
Verbreitung mannigfacher Bildungselemente führten auch hier zu milderen
Sitten, zu regerem geistigem Leben. Nach den Stürmen, welche das schwan-
kende und gewaltsame Benehmen der Kaiser des salischen Hauses hervor-
gerufen hatte, bestieg ein kräftigeres und würdigeres Geschlecht den Thron,
welches das Gefühl der Ruhe und des Behagens verbreitete und selbst Männer
erzeugte, für welche die Nation sich wieder begeistern konnte. Allein den-
noch nahm Deutschland gerade jetzt in politischer Beziehung eine ganz
andere Richtung als die westlichen Nationen. Während in England Nor-
mannen und Sachsen den alten Hader vergasseu und zu einem Volke ver-
schmolzen, während Frankreich im Bedürfniss nationaler Einheit sich um
das königliche Banner schaarte, zerfiel Deutschland mehr und mehr. Durch
den Kampf der Krone mit der Kirche, durch die Schwäche und Inconsequenz
der salischen Kaiser war die Macht der Territorialherren schon so erstarkt,,
dass es der ganzen Kraft der Hohenstaufeu bedurft hätte, um die Bande der
Einheit wieder fester zu ziehen. Aber ihre Blicke waren auf Italien gerichtet,,
ihre auswärtigen Kriege machten sie gegen die deutschen Vasallen nachgie-
big, und so kam es, dass gerade unter der Herrschaft dieser ausgezeichneten
Fürsten die Zersplitterung Deutschlands für immer begründet wurde.
Diese politischen Verhältnisse hatten einen unmittelbaren Einfluss auf
das ganze geistige Leben. "Während in Frankreich Paris schon jetzt in
wissenschaftlicher Beziehung die entscheidende Stimme hatte, während hier
und in England der Hof der Könige mehr und mehr eine tonangebende Be-
deutung erlangte, während das französische Ritterthum eine Gleichraässigkeit
222 Deutschland.
der Sitte hervorbrachte, entbehrte Deutschland jedes Centralpunktes, son-
derten sich die Provinzen in ihren Gewohnheiten und Lebensansichten, gab
diese Mannigfaltigkeit ohne höhere Einheit schon jetzt bald ein behagliches
Festhalten an localen Formen, bald ein willkürliches Auflehnen der Einzel-
nen gegen eine Sitte, die ihnen nicht imponirte. Auch erkannten die Deut-
schen die neuerlangten Vorzüge ihrer westlichen Nachbarn in vollem Maasse
an. Alle, welche höheren wissenschaftlichen Beruf zu haben glaubten,
Geistliche, die Söhne edler, selbst fürstlicher Häuser wanderten nach Paris,
um dort aus der Quelle der neuen "Weisheit zu schöpfen; die deutsche Rit-
terschaft suchte sich die damals in Frankreich ausgebildete Eleganz und
Courtoisie anzueignen; Kaiser Friedrich L, der selbst als Vorbild eines deut-
schen Charakters betrachtet werden kann, stellte in provenzalischen Versen,
die uns erhalten sind, geradezu den französischen Ritter als das Ideal der
Ritterschaft auf. Allein so gern man wollte, konnte man diesen fremden
Vorbildern dennoch nicht unbedingt nachkommen. Die Mannigfaltigkeit der
Verhältnisse, die freie Bewegung der Geister, Avelche der fast anarchische
Zustand gestattete, hatten die Neigung zu tieferem mystischem Denken, zu
innigerem, schwärmerischem Fühlen, die im deutschen Charakter liegt, stärker
angeregt, und diese Neigung machte sich jetzt den fremden, hier völlig
conventioneilen Formen gegenüber geltend. Die deutschen Dichter brauchen
französische Namen und Phrasen, sie entlehnen ihre Stoffe aus französischen
Dichtungen, aber sie legen ihre eigenen tiefen Gedanken hinein, behandeln
sie in einem höhern symbolischen Sinne. Französische Courtoisie erscheint
zuweilen mit der Uebertreibung des Copisten, aber im Ganzen zeigt der
Minnegesang eine höhere Innigkeit und Feinheit des Gefühls, und oft dient
er dazu, ernsten und tiefsinnigen Betrachtungen poetischen Ausdruck zu
leihen. Diese tieferen Gedanken und Gefühle konnten aber nicht in dem
Grade Gemeingut werden, wie jene äusserliche Auffassung. Sie waren noch
nicht durch das Element allgemeiner Bildung durchgegangen, trugen ein
höchst individuelles Gepräge und erregten den Widerspruch. Es wurde dem
Einzelnen Gewissenssache, seine innerste Ueberzeugung nicht bloss nicht zu
verleugnen, sondern möglichst genau und gründlich auszusprechen. Während
daher Franzosen und Engländer gemeinsame Formen, gleiche Gedanken
und Aeusserungen annahmen, herrschte in Deutschland die grösste Mannig-
faltigkeit.
Diese Richtung des deutschen Wesens prägte sich denn auch in der
Architektur aus. Auch in ihr fehlte es an einer centralen Gegend, welche
die Erfahrungen der anderen sich aneignen und mit einander verschmelzen
konnte. Auch hier herrschte der Individualismus und die Richtung auf das
Einzelne; statt gemeinsamer, organisirender Bestrebungen, welche zu einem
•durchgreifenden neuen Systeme geführt hätten, sehen wir vielfache verein-
Anhäng-'.ichkeit an den romanischen Styl. 223
zelte und auf das Einzelne gerichtete Versuche, die wohl eine grosse Man-
nigfaltigkeit der Formen aber kein Ganzes hervorbringen konnten.
Zu diesem Negativen kam noch ein positiver Umstand, eine grosse,
entschiedene Anhänglichkeit an die romanische Form, welche es verursachte,
dass man sich ungern von ihr trennte, und auch da wo man Verbesserungen
Kaum gab, so viel wie möglich von ihr zu retten suchte. Man darf sie nicht
aus blosser Beharrlichkeit oder Trägheit oder aus einem couservativen Sinne
erklären, der Neuerungen mit misstrauischem Auge betrachtete^); denn es
fehlte an Neuerungen nicht, nur dass sie mehr das Gepräge des romanischen
als des gothischen Styles hatten. Man behielt jenen bei, nicht weil er her-
gebracht war, sondern weil er dem Geiste des deutschen Volkes mehr zu-
sagte. Wäre der gothische Styl wirklich, wie man ihn genannt hat, der
deutsche oder germanische, so hätte dies in Deutschland sogleich verstanden
werden müssen, man würde ihn wie einen auswärts geborenen Bruder mit
Freuden aufgenommen haben. Er war aber das Erzeugniss nicht einer rein
germanischen, sondern einer aus Romanen und Germanen gemischten Nation,
er war das V^^erk des organisirenden, das Auseinanderstrebende verbindenden
Talentes, welches in gemischten Nationen schon im Leben und durch das
Bedürfniss der Einigung Uebung und Ausbildung erhält, und trug das Ge-
1) Man hat (namentlich mit den bestimmtesten Worten Ölte im Kunstblatt 1847,
Nro. 29) die Anhänglichkeit der Deutschen an romanische Formen dadurch erklären
wollen, dass die Baukunst bei uns damals noch ganz in den Händen der „meist cou-
servativen" Geistlichkeit beruhet habe. Diese Vorstellung ist in der That nur eine
andere Version derjenigen, welche in dem gothischen Style eine Opposition der Laien
gegen die Geistlichkeit sieht , und nach meiner Ansicht ebensowenig wie diese be-
gründet. Die couservative Richtung der Geistlichkeit des dreizehnten Jahrhunderts
(wenn sie überhaupt vorhanden war) erstreckte sich jedenfalls nicht auf bürgerliche
Zustände und am wenigsten auf die Formen der Kunst, namentlich auf die in den
Augen praktischer Menschen bedeutungslosen Formen der Architektur. Selbst im Zeit-
alter der Reformation waren die katholischen Geistlichen die Verbreiter der neu-
italienischen Kunst, während die protestantischen Gegenden sich in Beziehung auf den
Baustyl sehr „conservativ" verhielten. Auch im dreizehnten Jahrhundert waren der
heilige Ludwig und seine eifrige Geistlichkeit die entschiedeneu Beförderer des reichen
gothischen Styls. Wie sollte der deutsche Klerus allein auf den Gedanken gekommen
sein , in bequemeren und solideren oder selbst reicheren Formen eine Gefahr für die
Kirche zu sehen? Vielmehr ging die Richtung der Geistlichkeit damals überall auf
grössere Pracht. Sie wollte das A.uge der Laien befriedigen und fesseln, durch die
Architektur die Macht und Herrlichkeit der Kirche anschaulich machen; sie brauchte
für die grössere Zahl der Chorherren und dienenden Priester, für die vermehrten Al-
täre grössere Kirchen und namentlich grössere Chorräume, wie sie der gothische Styl
gewährte. Der Klerus richtete sich in diesen Bestrebungen aber natürlich theils nach
seinen Mitteln, theils nach dem Geschmacke des Volks, und nur in diesem ist daher
die Ursache des verschiedenen Eutwickelungsganges bei den einzelnen abendländischen
Nationen zu suchen.
224 Deutschland.
präge der künstlicheren Verhältnisse, welche durch den Gegensatz und die
allmälige Verschmelzung der Stämme entstehen. Er hatte denselben Cha-
rakter der Vermittelung und Ausgleichung wie die Scholastik und das fran-
zösische Ritterthum, und dieser Charakter trat gerade in der frühereu Ge-
stalt des gothischen Styls, wo die constructiven Elemente vorherrschten^
unverhüllt und unverkennbar hervor. Den Deutschen war dieser Begriff einer
höheren, durch Verschmelzung der Gegensätze gebildeten Einheit fremd*, sie
fühlten sich nur vermöge ihrer natürlichen Abstammung als ein Volk, nicht
vermöge ihres politischen Zusammenhanges. Sie hatten überall einfachere
Verhältnisse vor Augen und daher die Neigung, diese auch in der Architektur
wiederzufinden. Der romanische Styl sagte ihnen schon deshalb mehr zu,
weil er in der Construction und in derBogenform einfacher und natürlicher
ist, als der gothische. Es knüpften sich an diese Natürlichkeit poetische
Empfindungen, auf die man nicht verzichten konnte und für die man noch
keinen Ersatz kannte. In wie vielen Stellen legen nicht unsere Dichter des
dreizehnten Jahrhunderts gleichsam Protest gegen die künstlichen Zustände
ein, welche der Zeitgeist auch unserem Volke aufnöthigte, in wie vielen
sprechen sie nicht die Sehnsucht nach einfacheren und natürlicheren Ver-
hältnissen aus. Aber auch das antike Element, welches in der romanischen
Architektur ungeachtet der erlittenen Umgestaltung erhalten war, hatte für
die Deutschen noch einen höheren Werth. In Frankreich fiel der Beginn
des gothischen Styls mit einer Vernachlässigung,' der klassischen Literatur
zusammen; wir kennen die Klagen, welche die Anhänger derselben üher den
Verfall dieser Studien und über die barbarische Latinität der Scholastiker
führten. Die gothische Baukunst hat ungeachtet ihrer höheren Eigenthüm-
lichkeit doch darin eine Aehnlichkeit mit dieser Latinität, dass sie aus an-
tiken Formen hervorging, sie theilweise beibehielt, aber in einem ihrer
ursprünglichen Bedeutung entgegengesetzten Sinne behandelte. In Deutsch-
land wurden die klassischen Studien, wenn auch nicht mit dem Eifer wie
zur Ottonenzeit betrieben, doch nicht so völlig vernachlässigt. Das Gefühl,
dass die Tradition der römischen Welt ein nothwendiges Bildungselement,,
eine noth wendige Ergänzung der germanischen Natur sei, erhielt sich noch
immer und hatte auch auf die Baukunst einen, wenn auch unbewussten Ein-
fluss. Die Vorliebe für romanische Formen wurde endlich durch die Ver-
bindung Deutschlands mit Italien genährt. Ein Einfluss der italienischen
Kunst auf die deutsche fand allerdings in dieser Epoche noch weniger statt
als in der vorigen, jene war vielmehr gerade jetzt augenscheinlich die em-
pfangende. Aber auch die Italiener waren ein ungemischtes Volk, sie
konnten sich noch weniger als die Deutschen mit den künstlichen Schlüssen
der Scholastik, mit den conventionellen Begriffen des Ritterthums befreun-
den; das südliche Klima begünstigte einfachere Formen und Verhältnisse,
Anhänglichkeit an den romanischen Styl. 225
die Ueberreste antiker Kunst standen noch vielfach über dem Boden und
gaben den Städten ihr Gepräge. Tausende von Deutscheu, welche alljährlich
im Kriegsheere oder im kirchlichen Berufe, wegen Familienverbinduugen oder
im kaufmännischen Verkehre über die Alpen zogen, empfingen daher hier
eine Fülle von Eindrücken, welche dem romanischen Style verwandt waren.
Dies Alles begünstigte also die Beibehaltung des älteren Styles. Aber
freilich blieb er nicht ungemischt. Neben den italienischen Anschauungen
kamen während der Kreuzzüge auch orientalische auf, und in den Rhein-
landen fanden einzelne der in Frankreich ausgebildeten neuen Formen früh-
zeitige Aufnahme. Dies alles, dann wieder das praktische Bedürfniss neuer
bequemerer und soliderer Einrichtungen und endlich die poetische Regsam-
keit des Zeitalters wirkte in den verschiedenen Provinzen in verschiedener
Weise und erzeugte einen Reichthum mannigfaltiger Formen, dessen Be-
trachtung sehr anziehend ist.
In den meisten Provinzen Deutschlands, in Sachsen, Franken,
Bayern, Schwaben, finden wir im Anfange dieser Epoche das alte System
noch in voller und unbeschränkter Geltung, man dachte nur daran, es in
den Details reicher und aumuthiger auszubilden. Selbst die Wölbung fand
hier erst spät Eingang, man behielt die gerade Decke wenigstens im Mittel-
schiffe selbst bei mächtigen und prachtvollen Kirchen bei. Nur darin be-
merken wir eine Veränderung, dass der Wechsel von Pfeilern und Säulen,
der bisher so sehr beliebt war, fast ganz ausser Gebrauch, die Pfeilerbasilika
zu fast ausschliesslicher Anwendung kam. Ohne Zweifel deshalb", weil man
die Bögen reicher gliedern und mit der Pfeilerbildung in Zusammenhang
bringen wollte, was nicht wohl thunlich war, wenn sie auf ungleichartigen
Stützen ruheten. Es war also doch ein Bestreben, statt des rhythmischen
Gegensatzes der Theile eine lebendigere, mehr organische Einheit hervor-
zubringen. Demzufolge suchte man auch den Pfeilern nicht bloss reichere
Fuss- und Deckglieder, sondern auch entweder zierlichere und bedeutsamere
Auskerbungen an seinen Ecken oder gar eine reichere und künstlichere
Ausbildung zu geben. Beispiele solcher späteren Pfeilerbasiliken habe ich
schon bei der zusammenhängenden Schilderung des sächsischen Styls in der
vorigen Epoche angeführt. Die Kirchen zu Thalbürgel bei Jena, zu Wech-
sclburg, auf dem Petersberge bei Erfurt und zu Ilbenstadt in der Wetterau
gehören dahin. Sie stehen auf der Grenze beider Epochen oder sind, wie
die von Wechselburg, schon ganz in der gegenwärtigen begonnen. Wir
haben dort auch schon gesehen, wie sich die alte Vorliebe für wechselnde
Formen neben der ausschliesslichen Anwendung von Pfeilern geltend machte,
bald indem man sie in feineren, die innere Einheit des Baues nicht unter-
Schnaase's Kunstgesch. 2. Aufl. Y. 15
226 Sachsen.
brechenden Details mit rhythmischen Beziehungen verschieden gestaltete,
wie in Wechselburg, bald indem man ihnen sogar verschiedene Grundformen
gab, wie in Ilbenstadt und in der Nikolaikirche zu Eisenach i). Auch jene
sehr reiche, aber fast überladene Gestaltung des Pfeilers, welche durch die
nischenförmige Aushöhlung einer Seite desselben und durch Einfügung einer
Halbsäule in diese Nische bewirkt wurde, und die sich in der Vorhalle von
Paulinzelle ^) und in der Klosterkirche auf dem Petersberge bei Erfurt
üudet, gehört der gegenwärtigen Epoche an, und verräth ein Streben, das
sich mit den einfachen, reinen Formen des bisherigen Styls nicht mehr be-
gnügen wollte. Im Ganzen handelte es sich jedoch nur um geringe Aende-
rungen; der Ausdruck blieb derselbe, und namentlich in den sächsischen
Gegenden bemerken wir noch immer die gleiche Richtung auf eine ruhige
und bescheidene Anmuth. Die Portale wurden zwar reicher und mit voll-
ständigerer Gliederung der Archivolten ausgeführt, mit verzierten Säulen-
stämmen geschmückt, oder durch grössere Vertiefung bedeutsamer gemacht;
allein sie behielten noch durchweg sehr massige Dimensionen. Beispiele
reicherer Verzierung der Säulenstämme geben die Portale zu Wechselburg,
an der Neumarktskirche zu Merseburg und an St. Bartholomäus zu Zerbst^),
stärkerer Vertiefung bei einfacher Haltung die zu Paulinzelle, zuThalbürgel
und zu Altenzelle ^). Eigenthümlich und reich sind endlich die Portale der
Klosterkirche zu Vessera, wo Wandecken mit eingekerbten Säulchen und
vollere wirklich tragende Säulen wechseln, der Kirche zu Treffurt, wo
Gewände und Bögen mit einem derb profilirten Rautenornament überzogen
sind, wie es sonst in Deutschland nicht vorkommt, und endlich der Petri-
kirche zu Görlitz, wo indessen die reich aber barock verzierten Bögen
schon eine etwas zugespitzte Form haben •^). Die Archivolten sind über den
Säulen stets als starke Rundstäbe gebildet, über den Wandecken zuweilen
ausgekerbt, übrigens aber wenig verziert, und zeigen, dass man an dieser
Stelle mehr durch die Häufung concentrischer Halbkreislinien, als durch
Ornamente zu wirken beabsichtigte. Das Bogenfeld ist fast immer zu einer
plastischen Darstellung, meistens freilich sehr einfacher Art, aus einem
Kreuze oder einer symbolischen Thiergestalt bestehend, benutzt; in Vessera
1) Putlrich, Sachseu-Weimar-Eisenach, El. 17, a, Fig. 4, und Vignette 17.
2) Puttrich, Bd. I, Abth. 1, Bl. 11, 14 a, 14 b.
3) Puttrich a. a. 0. Bd. I, Abth. 1, Taf. 6, Bd. I, Abth. 2, Taf. 7, Bd. 1, Abtii. 1,
Serie AuliaU Taf. 6. Das Portal ist hier der einzige Ueberrest des älteren, dem Ende
des zwölften Jahrhunderts zuzuschreibenden Baues.
*) Daselbst Bd. I, Abth. 1, Serie Schwarzburg Taf. 11, Bd. II, Abth. 1, Serie
Weimar, Taf. 10, Serie Reuss, Taf. 9, Fig. c.
6) Daselbst Bd. II, Abth. 2, Serie Mühlhausen Taf, 13, Fig. d, Taf. 18. Vgl. auch
Puttrich's systematische Uebersicht Taf. 10.
Die goldene Pforte zu Freiberg. 227
und Altenzelle ist es indessen geöffnet, um die Höhe des Durchganges zu
steigern. Bei den einfacher gehaltenen und tieferen Portalen sind beide
Gewände symmetrisch, bei verzierten Säulenstämmen dagegen hat man die
Mannigfaltigkeit des Ornaments der Symmetrie vorgezogen. ,
Unendlich bedeutender als alle diese Werke und vielleicht die glän-
zendste Leistung romanischer Portalbildung ist die berühmte goldene Pforte
zu Freiberg im Erzgebirge, die ich hier anführe, obgleich sie wahrschein-
lich erst im zweiten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts entstanden ist^).
Fünf Säulen mit reich verzierten Stämmen und Kapitalen stehen auf jeder
Seite der Vertiefung des Portals, zwischen ihnen in den ausgekehlten Ecken
auf kleineren Säulchen je vier Statuen von etwa halber Lebensgrösse; dar-
über kreiset die zehnfach gegliederte Archivolte, über den Säulen in Rund-
stäben, die wie die Stämme verziert sind, (Fig. 67), über den Statuen mit Reihen
kleinerer Figuren von Engeln, Heiligen, Auferstandenen. Diese an sich schon
glänzende und wirksame Anordnung erhält aber durch die unübertreffliche
Ausführung einen sehr viel höheren Werth. Ich werde auf die nähere Be-
trachtung des Bildwerks später zurückkommen und habe es hier nur mit
dem Architektonischen zu thun, aber auch dies ist von so überraschender
Schönheit, dass es den edelsten Schöpfungen aller Zeiten an die Seite ge-
setzt werden kann. Die Kapitale sind sämmtlich kelchförmig, mit pracht-
vollem, unter der Deckplatte volutenähnlich und kräftig ausladendem Blatt-
werke, die Gesimse mit einem fein stylisii'ten Rankengewinde geschmückt.
Die Säulenstämme sind auf beiden Seiten übereinstimmend", die äusseren
glatt, die nächsten geradlinig kanuelirt, die beiden folgenden rauten- und
2ickzackförmig, die letzten, an der Thüröffnung stehenden endlich mit ge-
wundener Kaunelirung. Das Ganze bildet daher eine Steigerung von dem
Einfacheren, das der Aussenseite zukommt, zu dem Reichen und Centralen,
welches den Glanz des inneren Heiligthums charakterisirt, und giebt schon
an den senkrechten Theilen eine Andeutung der Concentration, welche in
den Archivolten ihre höchste Entwickelung hat. Freiberg, durch die wenige
Jahre vorher entdeckten Silberbergwerke wichtig geworden und bereichert,
erhielt um 1175 Stadtrechte, einige Zeit darauf wird daher auch diese
Stadtkirche, welche im fünfzehnten Jahrhundert die Bedeutung eines Domes
erlangte, gegründet sein. Sie ist im Jahre 1484 abgebrannt und bis gegen
1500 hergestellt; am Chore und Querhause sind aber üeberreste des alten
Baues erhalten, welche dem Style vom Ende des zwölften Jahrhunderts ent-
^) Die Abbildungen bei Puttrich, Abth. I, Bd. 1, Lief. 3 sind im Ganzen treu,
gestatten aber doch nicht eine Beurtheilung der feinen Züge. — Abbildungen der
Sculpturen bei E. Förster, Denkmale, Bd. I. — Vgl. auch Ed. Heuchler, der Dom zu
Freiberg. In geschichtlicher und kunsthistorischer Beziehung beschrieben etc. etc. —
Freiberg 1862.
15*
228 Sachsen.
sprechen, und Nischen auf den Kreuzarmen, den Rundbogenfries und an der
Vierung des Kreuzes kräftig gegliederte, anscheinend schon auf ein Kreuz-
gewölbe berechnete Pfeiler erkennen lassen. Ueber die Entstehung der in
das südliche Kreuzschiff führenden goldenen Pforte fehlt es an allen Nach-
richten, und die Schönheit ihrer Formen steht so weit über den anderen
Werken dieser Art, dass es schwer wird, ihr Alter durch Vergleichung zu
bestimmen. Sie ist daher der Gegenstand mancher Vermuthungen geworden;
man hat sie italienischen Künstlern zuschreiben wollen und sogar angenom-
men, dass die ganze Ausschmückung, an die romanischen Formen eines
älteren Portals sich anschliessend, erst im fünfzehnten Jahrhundert bei
Gelegenheit des Neubaues entstanden sei^). Allein bei näherer Prüfung kann
man nicht zweifeln, dass das Ganze, Architektonisches und Plastisches,
gleichzeitig und aus einem Geiste entstanden ist, und dass die Arbeiter
Deutsche und zwar aus diesen sächsischen Gegenden waren. Dies nicht bloss
aus dem Grunde, weil sich in der That ein fremdes Vorbild für dies Portal
nirgends auffinden lässt, sondern auch weil es ganz der Richtung auf An-
muth und feine plastische Formbildung angehört, welche dem sächsischen
Styl schon früher eigen war. Es ist nur die letzte und höcjiste Entwickelung
dieser Richtung, aber allerdings durch einen Künstler ersten Ranges, der
überdies seine Phantasie durch Anschauungen fremder Kunst bereichert
hatte. Manche Details, namentlich die Anordnung der Statuen zwischen den
Säulen, des freistehenden Bildwerks in den Archivolten, die kleinen Säul-
chen, auf denen jene Statuen ruhen, und endlich der plastische Styl wenig-
stens einiger Figuren und des Reliefs im Bogenfelde lassen nämlich keinen
Zweifel darüber, dass der Meister, welcher hier wirkte, schon gothische
Portale in ihrer reicheren Form und den freieren plastischen Styl, wie er
sich selbst in Frankreich erst im zweiten Viertel des Jahrhunderts bildete,
gekannt hat. Es ist sehr merkwürdig, dass er sich dennoch in der Haupt-
sache für die romanische Form entschied, sie nur durch einzelne, dem
gothischen Style entlehnte Motive bereicherte; wir sehen darin ein künstle-
risches Bewusstsein, eine Freiheit des Verfahrens, wie man es kaum in dieser
Zeit erwartet hätte. Allerdings war das Portal ein Zusatz zu einem roma-
nischen Gebäude, aber die Meister der gothischen Zeit pflegten bekanntlich
nicht so zarte Rücksicht auf die harmonische Verbindung ihrer Arbeiten
mit den älteren Theilen des Gebäudes zu nehmen, waren vielmehr meistens
so erfüllt und eingenommen von ihrer neuen Kunst, dass sie dieselbe fast
absichtlich im Contrast zu den älteren Formen geltend machten. Wir haben
daher hier einen augenscheinlichen Beweis, dass man in diesen Gegenden
1) So Rosenthal, Gesch. d. Baukunst (1850) IH. S. 595, wahrscheinlich bloss nach
Abbildungen nrtlieilend.
1
Die goldene Pforte zu Freiberg.
Fig. 67.
229
Von der goldenen Pforte zu Freiberg.
230 Deutschland.
bewussterweise die romanische Form, wenigstens in der wesentlichen Anord-
nung eines so wichtigen Theiles, der schon bekannten gothischen vorzog.
Ebenso bemerkenswerth ist, wie sehr dies eigenthümliche Werk an antik
römische Arbeiten oder doch an italienische Arbeiten der ersten Renaissance
erinnert. Es sind nicht etwa Einzelheiten, welche diesen Eindruck geben.
Zwar sind die geradlinigen Kanneluren völlig wie die der ionischen und
korinthischen Säulen, aber der volle Blätterschmuck der Kapitale ist nur
eine Reminiscenz, nicht eine vollständige Imitation des korinthischen Kapi-
tals, und alles Uebrige, was an antike Form erinnert, entspricht doch ganz
dem romanischen Style, es ist nur voller, frischer, freier behandelt. Es ist
möglich, dass der Künstler etwa in Italien römische Werke gesehen hatte,
aber im Wesentlichen entsteht dieser Anklang an Antikes doch nur dadurch,
dass die Elemente, die im romanischen Style enthalten und in der sächsi-
schen Schule besonders treu bewahrt waren, durch den frischeren Geist, der
die Kunst überhaupt durchdrang, auch höhere frische Farben erhielten, und
dass der Künstler, von dem dieses Werk stammt,
Fig. 68. diese antiken Elemente mit grösserer Zuneigung und
Wärme ausbildete, als seine Zeit- und Kunstgenossen.
Während wir hier also noch bis gegen die Mitte
des dreizehnten Jahrhunderts die romanische Form
mit vollstem Verständnisse behandelt sehen, machten
sich indessen au anderen Stellen fremde Einflüsse
geltend. Die gelehrte Richtung unter den Ottonen
hatte die Vorliebe für die altchristlich antike Kunst
erzeugt, der grosse Streit des Staates und der Kirche
„ .,.., T., . , . unter den fränkischen Kaisern auch auf künstlerischem
Kapital vom Kaiserpalast zu
Gelnhausen. Gebiete cinc feierliche Stimmung hervorgebracht.
Der romantisch bewegte Geist, der jetzt unter
dem hochgesinnten Geschlechte der Hohenstaufen aufkam, und durch die
Bilder südlicher Farbengluth und volleren Lebensgenusses im Orient und in
Italien genährt wurde, gab der Phantasie einen höheren Schwung, und for-
derte reichere, buntere und zierlichere Formen. In einigen Fällen scheinen
wirklich arabische Motive, wenn auch in freier Nachahmung, Eingang ge-
funden zu haben, in anderen ist es nur eine Ausbildung einheimischer Ele-
mente, aber mit einem Luxus, der wiederum an den Orient erinnert, mit
einer heiteren, fast übermüthigen Grazie, die sich selbst von den reichsten.
Bildungen des früheren romanischen Styls sehr scharf unterscheidet. Die
elegantesten Beispiele solcher Ornamentation kommen nicht in kirchlichen
Bauten, sondern in Schlössern vor*, man war sich bewusst, dass dieser Glanz
ein weltliches Element enthalte. Hier finden sich (Fig. 68) jene von den älteren
Würfelknäufen sehr verschiedenen Kapitale, die auf schlankem Halse Würfel-
Das Schloss zu Gelnhausen. 231
förmig ausladen und in arabischen Bauten ähnlich, aber minder kräftig
und mit üppigerem Schwünge der Linie vorkommen, hier ferner gekuppelte,
freistehende, unter einem Kapitale vereinigte Säulenstämme, reichverzierte
Deckplatten -in Gestalt eines Wulstes, der an den Turban erinnert, Wand-
felder mit fast so künstlichen Verschlingungen, wie in den maurischen Wand-
arabesken, ausgezackte oder hufeisenartige Bögen, freilich nicht mit so
starker Ausbauchung wie bei den Arabern ^). Daneben sieht man aber auch
Andeutungen des korinthischen Kapitals, sorgsam gearbeitete Palmetten und
ähnliche, der Antike vielleicht durch erneute Studien entlehnte Motive, an-
dererseits die gewöhnlichen Details des romanischen Baues, die attische
Basis mit dem Eckblatte, den Schachbrettfries, die diamantirten Pflanzen-
stengel und sonst das hergebrachte conventioneile Blattwerk, endlich auch
einen Reichthum von plastischen Gebilden, Menschen, Thieren, Sirenen und
anderen fabelhaften Gestalten eingemischt, die weder aus der Antike noch
aus maurischen Bauten entlehnt sind, aber doch an arabische Märchen er-
innern. Eine Nachwirkung der Anschauungen, welche die Kreuzzüge gewährt
hatten, ist daher nicht zu verkennen; aber sie sind durch abendländischen
Geist hindurchgegangen, haben kräftigere Formen und Verhältnisse ange-
nommen, geben nicht, wie in den maurischen Bauten, müssige, zerfliessende
Traumspiele, sondern den Ausdruck einer festlichen Freude und reichen
Pracht, aber doch auf einem ernsten Hintergrunde. Eine der glänzendsten
und vielleicht frühesten Aeusserungen dieses Geschmacks ist das Schloss des
Kaisers Friedrich I. bei Gelnhausen, in dessen Trümmern wir Einzelhei-
ten von unnachahmlicher Feinheit und meisterhafter Ausführung finden.
Dies gilt von den gekuppelten Säulchen mit reichen Kapitalen, auf denen
die Fensterbögen ruhen, sodann von dem Kamin des Hauptsaals, der von
zwei achteckigen Säulchen getragen wird und zu beiden Seiten durch Felder
mit teppichartigem Reliefornament umschlossen ist. Im Jahre 1170 geneh-
migte der Kaiser die Anlegung einer Stadt bei dieser seiner Burg, deren
Bau mithin schon einige Jahre früher fallen wird; wir dürfen daher viel-
leicht die Neigung zu dieser Ornamentation mit dem Kreuzzuge von 1147
und 1148 in Verbindung bringen, bei welchem Friedrich seineu Oheim, Kai-
ser Conrad, begleitet hatte. Dass dieser Geschmack auch anderen deutschen
Herren zusagte, und zuletzt der herrschende für Bauten dieser Art wurde,
zeigt sich au einer Reihe anderer Schlossbauten, namentlich an dem Schlosse
zu Münzenberg in der Wetterau, das in den Jahren 1154 bis 1174 ge-
^) Hufeisenartige Bögen finden sich am Entschiedensten in der Schlosskapelle zu
Freiburg an der Unstrut, in der Kirche zu Göllingen (Puttrich I, 1. Serie: Schwarz-
burg, Tafel 19) und in der Euchariuskapelle bei der Aegidienkirche zu Nürnberg
(Chlingensperg, Bayern II, 353).
232 Deutschland.
baut ist 1); in den älteren Theilen der Wartburg 2), an dem prachtvollen
Schlosse zu Wimpfen am Neckar'^), an dem Kaiserhause zu Goslar*), an
den Ruinen des Schlosses zu Seligenstadt, dann an mehreren Schloss-
kapellen, so an der oberen auf der Burg zu Nürnberg, an denen zu Eger
und zu Landsberg bei Halle, und endlich an der Kapelle des Schlosses zu
Freiburg an der Unstrut, welche letzte, die jüngste von allen, in phan-
tastischer Eleganz vielleicht von keinem Gebäude des Mittelalters übertroifen
wird. An allen diesen Bauten finden sich mehr oder weniger jene an ara-
bischen Styl erinnernden Züge. Es sind nicht unbedingte Nachahmungen,
sondern nur leichte, schon durch abendländischen Geist hindurchgegangene
Reminiscenzen, welche die ältere einheimische Form nicht verdrängen, son-
dern sich an sie wie etwas Verwandtes anschliessen. Die Empfänglichkeit
für dieses fremde Element ging offenbar aus der beiden Völkern gemein-
samen phantastischen Richtung und aus einem Bedürfnisse des abendländi-
schen Geschmacks hervor. Unter der strengen romanischen Regel hatte die
Phantasie sich nur in mehr oder weniger willkürlichen Ausbrüchen, in bi-
zarren Contrasten und grellen Schreckgestalten äussern können. Die mildere,
leichtere Sitte der neuen Zeit fand daran kein Wohlgefallen; sie liebte nicht
mehr das Spröde und Abgebrochene, das Dunkle und Schwere, sie unterhielt
sich gern mit anmuthigen Räthseln, aber sie wollte auch die Lösung sehen;
sie bewegte sich gern in dem Wagniss kühner, leicht geschwungener Linien,
aber doch nur im heiteren Spiele und im Gefühle der Sicherheit des Gelin-
gens. Dieser Richtung entsprach die arabische Kunst, der abendländische
und namentlich der deutsche Geist eignete sich daher aus ihr das Verwandte
an, übertrug es auf die einheimischen Verhältnisse und schuf daraus ein
Ganzes, welches wie die ritterliche Romantik auf dem ernsten Hintergrunde
christlicher Sitte anmuthige Kühnheit und graziösen Uebermuth entwickelt.
Ritter und Klerus waren zu sehr desselben Blutes, als dass dieser Ge-
schmack der weltlichen Bauten ohne Einfluss auf die kirchliche Architektur
1) Abbildungen des Kaiserpalastes zu Gelnhausen sind von Hundes hagen be-
sonders herausgegeben (Bonn 1832), und ausserdem bei Gladbach, Fortsetzung von
Moller's. deutschen Baudenkmälern Taf. 36 — 42 und bei E. Förster, Denkmale, I, zu
finden. Das Schloss Münzenberg bei Gladbach Taf. 25 — 33.
2) Abbildungen der Schlösser der Wartburg, zu Landsberg und zu Freiburg, bei
Puttrich in den Serien Weimar, Halle und Freiburg. Ueber die Kapelle zu Eger vgl.
F. V. Quast im Berliner Kunstblatt 1828, Heft 8 , und desselben Verfassers Vortrag :
Ueber Schlosskapellen. Berlin 1852, sodann B. Grueber, die Kaiserburg zu Eger und
die an dieses Bauwerk sich anschliessenden Denkmale. Mit 19 lith. Tafeln. Prag,
1864. — Eger siehe Förster, Denkm. Bd. X.
") Abbildungen von Kapitalen und Kämpfern in den Mittheilungen der k, k, Cen-
tralcommission, Bd. VI, S. 61.
*) Mithof, Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte III , Taf. 12 — 14.
St. Michaelis zu Hildeslieim. 233
bleiben konnte. Zuerst finden wir ihn hier an den Nebengebäuden, in Sälen
und Kreuzgängen, bald aber auch in den Kirchen selbst. Vielleicht geschah
dies zuerst bei Restaurationen, wo die Meister an die vorgefundene Anlage
gebunden waren und sich für den Mangel feinerer Gliederung durch reiche
Ausschmückung entschädigen wollten. Ein ausgezeichnetes Beispiel dieses
Verfahrens ist die Michaeliskirche zu Hildes heim, wie sie nach einem
im Jahre 1162 erfolgten Brande bis zum Jahre 1186 wieder aufgebaut
wurde ^). Die Anordnung wurde, aus Rücksicht für den Stifter Bernward,
oder weil einzelne Theile noch brauchbar waren, beibehalten; Pfeiler wech-
selten mit je zwei Säulen, und die Bögen mussten daher die einfache unge-
brochene Gestalt behalten. Aber während die wenigen älteren Säulen, die
man noch jetzt erkennt, den einfachen Würfelknauf zeigen, ist an den später
hinzugefügten die V^ürfelform bald zu kräftig ausladenden Blätterreihen,
bald zu Verschlingungen und Pflanzengewinden entwickelt. Menschliche und
thierische Gestalten drängen sich aus dem Laubwerke hervor, und die Man-
nigfaltigkeit phantastischer Bildungen giebt immer neuen Reiz. Eben so
reich sind die Deckplatten der Kapitale, die Gesimse, und an einzelnen
Säulen die Ringe der Basis geschmückt; sogar die Unteransicht der Bögen
ist mit anmuthigen, stets verschiedeneu Mustern ausgestattet-). Man sieht,
der Meister hat recht eigentlich nach Stellen gesucht, an denen er ohne
Störung der architektonischen Wirkung noch Schmuck anbringen konnte.
Ganz ähnlich, wenn auch minder reich, ist die Ausstattung der Klosterkir-
chen zu Gandersheim und zu Wunstorf, welche ebenfalls älteren Ur-
sprungs gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts, wahrscheinlich etwas
später als die Michaeliskirche, erneuert wurden. Auch die Kirche zu Ha-
mersleben^), der Kreuzgang zu Königslutter, die Krypta der Kloster-
kirche zu Riechenberg bei Goslar^), und die Euchariuskapelle an
der Aegidienkirche zu Nürnberg'^), geben ausgezeichnete Beispiele solcher
reichen und geschmackvollen Ornamentation, welche übrigens, wenn sie auch
mit der der Schlossbauten in phantastischem Reiz und in der Mannigfaltig-
keit wetteifert, in den Kirchen überall auf hergebrachten romanischen Mo-
^) Die Urkunde über die Einweihung der Kirche im Jahre 1186 ist mitgetheilt
von Kratz, bei Otte u. v. Quast, Zeitschrift für christl. Archäologie und Kunst, II, S. 82.
Hiernach ist die Angabe in Bd. IV, S. 350 näher zu bestimmen.
-) Abbildungen bei Gladbach, a. a. 0. Taf. 43 bis 48, bei Förster, Denkmale, III,
und in den miltelalterl, Baudenkmälern Niedersachsens, Heft I.
3) Quast u. Otte, Zeitschrift, Bd. II, S. 74 ff., mit Abbildungen. — Die mittel-
alterlichen Baudenkmäler Niedersachsens, Heft III.
■*) Die mittelalterl. Baudenkmäler. Niedersachsens, Heft II.
^) Abbildungen bei v. Rettberg, Nürnbergs Kunstleben (1854) S. 6, und bei
V. Chlingensperg a. a. 0. Die Anklänge an arabische Motive sind hier sehr stark.
234 Deutscliland.
tiven beruhet^ und meistens nichts enthält, was einen arabischen oder sonst
fremdartigen Ursprung andeuten könnte.
Die bisher bemerkten Neuerungen bezogen sich nur auf die Ornamen-
tik und liessen die Construction und die wesentlichen Formen des Gebäudes
unberührt. Auch diese konnten aber nicht dieselben bleiben, sobald man
das System durchgeführter Wölbung, welches bis dahin nicht über Rhein-
land und Westphalen hinausgegangen war, auch in den östlichen Gegenden
anwandte. Das erste Beispiel dieser wichtigen Neuerung gab in Sachsen
ein weltlicher Fürst, der mächtige Heinrich der Löwe am Dome zu Braun-
schweig ^), den er im Jahre 1172 oder 1173 bald nach seiner Rückkehr
aus dem gelobten Lande als ein Denkmal seiner Pilgerfahrt und als eine
würdige Behausung für die mitgebrachten kostbaren Reliquien gründete,
und dessen Einweihung nach einem der Grösse des Baues angemessenen,
Zeiträume im Jahre 1194 erfolgte. Heinrich hatte nicht bloss die Kuppel-
bauten des Orients, sondern auch gewölbte Basiliken in Italien und am
Rheine gesehen, und der praktische Sinn des kriegerischen Fürsten mochte
ihn bestimmen, dieser dauerhafteren Form den Vorzug zu geben ^j. Dabei
behielten indessen seine Meister, soviel es die Wölbung gestattete, auch hier
die hergebrachten sächsischen Details bei. Die Anlage des Grundrisses, die
Anordnung der Chornischen und des Kreuzes, die Rundbögen an Portalen,
Fenstern und Arcaden sind ganz wie bisher behandelt. Selbst die Pfeiler
haben die uns wohlbekannte viereckige Gestalt mit eingeblendeten Ecksäu-
len, Würfelkapitälen und Eckblättern der Basis; nur darin besteht eine
Aenderung, dass diejenigen, welche das Gewölbe tragen, nicht mehr ein
einfaches Viereck bilden, sondern eine kreuzförmige Gestalt, und mithin
Vorlagen haben, von denen die drei niedrigeren die Scheidbögen und das
Seitengewölbe, die nach dem Mittelschiffe zu gelegenen, höher hinauf stei-
genden aber die Wölbung des Oberschiffes stützen. Dadurch sind denn
auch die Ecksäulchen verdoppelt, indem nun jeder der vier vorliegenden
Theile als ein von zwei solchen Säulchen eingefasster Pilaster erscheint, der
oben durch ein Gesimse bekrönt wird. Da das Gewölbe aber ein quadrates.
^) Dr. Schiller, die mittelalterliche Architektur ßraunschweigs, 1852, giebt aus-
führliche und kritisch erörterte Nachrichten und zum Theil Grundrisse des Doms und
der weiterhin erwähnten Kirchen von Braunschweig und der Umgebung.
2) Dass Heinrich bemüht war, sich fremde Verbesserungen anzueignen, beweist
die (von Muratori Diss. 26 angeführte) Stell» des Arnold. Lubecensis, worin er erzählt,
dass Heinrich bei einer Belagerung einen beweglichen Thurm bauen lassen, wie er ihn
in der Lombardei, bei Como oder Mailand, gesehen hatte.
Der Dom zu Braunschweig. 235
über zwei Scheidbögen gespanntes ist, so war bei den mittleren Pfeilern
diese Neuerung nicht nöthig; sie haben daher ganz die ältere Form. Das
Gewölbe ist ein Kreuzgewölbe und zwar mit einer schwachen Zuspitzung,
aber in einer von den an anderen Orten und namentlich am Rheine ge-
brauchten abweichenden, allerdings jenen Pfeilern sehr angemessenen Ge-
stalt. Es hat nämlich keine Quergurten, ist daher eigentlich ein spitzes
Tonnengewölbe, in welches zwischen jedem Pfeilerpaar ein anderes, gleich-
gestaltetes Tonnengewölbe einschneidet und dadurch die diagonalen Gräten
bildet 1). Diese Gräten entsprechen den Ecksäulen, während die breite un-
getheilte Gewölbfläche zwischen ihnen auf dem Kämpfergesimse der Vorlage
ruht und als eine Fortsetzung ihrer Pilasterfläche erscheint. In den Seiten-
schiffen waren an der Fensterwand den Pfeilern gegenüber Pilaster ange-
bracht, und zwar so, dass den kreuzförmigen Pfeilern breitere, vortretende,
den Zwischenpfeilern schmalere Pilaster entsprachen; diese trugen nur die
Diagonalen, wie im Mittelschiffe, jene aber einen Gurtbogen, der also immer
nach zwei Kreuzgewölben wiederkehrte; eine constructiv nützliche Form,
welche überdies den Vortheil gewährte, die Gewölbtiefe des Mittelschiffes
im Seitenschiffe anzuzeigen und so das Verhältniss des letzten zu dem ersten
anschaulich zu macheu. Die Fenster haben die hergebrachte einfache Ge-
stalt, nur dass je zwei Oberlichter unter der Mitte des Gewölbes, bis dicht
an die auf der Aussenseite sie trennende Lisene, aneinander rückten, so
dass sie nur ihrer Zahl, nicht ihrer Stellung nach den Fenstern des Seitenschiffes
entsprachen -). Nur in einer Detailform könnte man einen auswärtigen Ein-
fluss vermuthen, und zwar einen Einfluss von England, dem Vaterlande der
Gemahlin Heinrich's des Löwen, mit der er erst seit 1168, also nicht lange
vor dem Beginn des Dombaues, vermählt war. Die Kapitale sind nämlich
zum Theil als gebrochene Würfel gestaltet, in der Form, welche die fran-
zösischen Antiquare gefältelt (godronne) nennen, die in der Normandie und
in England häufig, in Deutschland, so viel ich weiss, bis dahin noch nicht
gebraucht war. Allein abgesehen von dieser unscheinbaren Neuerung ist
Alles deutsch; Lisenen, Rundbogenfries, Profilirungen und Ornamente unter-
scheiden sich nicht von den früheren Bauten dieser Gegend, und das Ge-
bäude macht im Ganzen einen durchaus ähnlichen Eindruck wie diese. Es
^) V. Quast (Deutsches Kunstbl. 1850, p. 241) ist der Meinung, dass das Gewölbe
jünger sei, als die Weihe von 1194, und bringt es mit einer Einweihung von 1227
(denn so und nicht wie gedruckt 1127 wird es heissen sollen) in Verbindung. Da in-
dessen die Pfeiler augenscheinlich auf Gewölbe angelegt sind und nichts eine spätere
Veränderung anzeigt, so kann ich (mit Schiller a. a. 0.) diese Vermuthung nicht
theilen.
2) Dies beweist das weiter unten erwähnte Modell auf dem Grabsteine Heinrich'»
des Löwen.
236 Gewölbebauten in Sachsen.
zeigt recht deutlich; wie es sich hier mit der ersten Einführung des Spitz-
bogens verhielt. Denn nicht nur die Scheidbögen, Fenster, Portale, sondern
selbst die Gurtbögen unter dem Gewölbe an der Vierung des Kreuzes und
in den Seitenschiffen sind halbkreisförmig; der Meister gebrauchte daher
den Spitzbogen nur aus Nützlichkeitsgründen am Gewölbe, dessen hier an-
gewendete Form ihn in der That sehr zweckmässig erscheinen Hess. Denn
da es eigentlich ein Tonnengewölbe war, welches nur behufs der Anlage
von Fenstern durch einschneidende Kappen zum Kreuzgewölbe umgestaltet
wurde, so musste man wünschen, das Tonnengewölbe möglichst hoch zu er-
halten, damit der Raum für die Fenster nicht zu sehr beengt werde. Bei
dieser Anordnung war denn gewiss die Wahl des Spitzbogens höchst nahe-
liegend und ohne alle Berücksichtigung fremder Vorbilder denkbar. Im
vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert ist die Kirche durch Hinzufügung
eines zweiten Seitenschiffes auf jeder Seite verändert, indessen sind die
Wandpfeiler und die Gewölbe der früheren Seitenschiffe erhalten, und über-
dies giebt das Modell der Kirche auf dem dem dreizehnten Jahrhundert
zuzuschreibenden Grabsteine ihres fürstlichen Stifters die Gewissheit über
die Ursprünglichkeit der beschriebenen Anordnung.
Diese war so harmonisch und zweckmässig, dass sie das Vorbild für
die anderen Kirchen der Stadt wurde. Die zu St. Katharina, St. An-
dreas, St. Martin und wahrscheinlich auch die vielfach veränderte
St. Galluskirche waren, wie die inneren Theile ungeachtet der auch hier
später eingetretenen Erhöhung der Seitenschiffe^) zeigen, wahre Copien des
Doms in etwas verkleinertem Maassstabe. Das kleinste endlich der aus der
Filiation des Doms hervorgegangenen Gebäude, aber zugleich das merkwür-
digste, ist die Dorfkirche zu Mel veröde, wahrscheinlich bald nach 1178
erbaut, wo der damals dort bestehende Hof in das Eigenthum des Aegidien-
klosters zu Braunschweig überging. Es ist eine kleine gewölbte Pfeiler-
basilika nach dem Muster des Doms, nur mit denModificationeu, welche der
geringe Maassstab des kapellenartigen Gebäudes erforderte. Der Thurm
auf der Westseite nimmt daher die ganze Breite ein, ruht auf den Mauern
und ostwärts auf zwei Pfeilern, und ist mit einem einfachen Satteldache be-
deckt. Das Langhaus ist dreischiffig, aber nur aus zwei Abtheilungen be-
stehend, und, da niedrige Seitenschiffe bei der geringen Höhe nicht wohl
auszuführen waren, mit gleichhohen Schiffen. Das Kreuzschiff' fehlt, der
^) Auch bei der Martiuikirche ist dies vollständig nachzuweisen, und es ist irrig,
wenn Kallenbach (Chronologie Taf. 15) sie als einen ursprünglich mit gleichhoheu
Schiffen angelegten Bau darstellt. Uebrigens ist keineswegs gewiss, dass alle diese
Kirchen unmittelbar nach dem Dome gebaut sind, es scheint vielmehr, dass man dies
Vorbild hier lange als maassgebend beibehalten hat, wodurch sich dann erklärt, dass
die Einzelheiten manchmal einen späteren Charakter haben.
Dorfkirche zu Melverode.
237
Chor besteht wie am Dome aus einer einfachen Vorlage mit einer halbkreisför-
migen Concha, während sich am Ende der Seitenschiife ähnliche kleinere
Nischen befinden, die aber nicht bis zum Boden herabgehen. Sehr merk-
würdig ist nun die Ueberwölbung, weil an ihr deutlicher als bei den niedrigen
Seitenschiffen jener grösseren Kirchen erkennbar ist, dass die Meister dieser
Schule noch kein selbstständiges Kreuzgewölbe, sondern nur die Durchschnei-
dung zweier Tonnengewölbe im Auge hatten. Die Transversalgewölbe des
Fig. G9.
Melverodü.
Mittelschiffes gehen nämlich (Fig. 70) ununterbrochen bis zu den Seitenwänden
fort und werden in dem offenen Räume der schmalen Seitenschiffe, wo der
Kämpfer fehlt, durch kleine longitudinale Tonnengewölbe, die von den Pfei-
lern zu den Aussenmauern herüber gespannt sind, gestützt und durchschnit-
ten, welche, da die Breite des Seitenschiffes bedeutend geringer ist als der
Pfeilerabstand, spitzbogig werden mussten, um die Höhe des Transversalge-
wölbes zu erhalten, ebendaher aber auch einander nicht berühren, und mit-
hin keine vollständigen Diagonalen bilden, sondern nur auf beiden Seiten
mit etwas von einander entfernten Spitzen in das Gewölbe einschneiden^).
^) Kallenbach (Chronologie Taf. IV) giebt den Grundriss \invollständig und mit
Fortlassung der Gewölbe und inneren Pfeiler, die er wahrscheinlich, da er ohne allen
238
Gewölbebauten in Sachsen.
Auch die Wölbung der Vorlage des Chors ist kein vollständiges Kreuz-
gewölbe.
Etwas entferntere Nachbildungen der Wölbung des Braunschweiger
Domes zeigen die schon erwähnten Klosterkirchen zu Gandersheim und
Wunstorf 1), von denen jene im Jahre 1170 abgebrannt war. In beiden
erhielten die viereckigen Pfeiler des älteren Baues Vorlagen zur Stütze des
Gewölbes, das sich aber, da hier zwischen den Pfeilern je zwei Säuleu stan-
den, ganz ungewöhnlicher Weise über drei Arcaden erstreckt. Auch die
Fig. 70.
Augustinerkirche zu Hein in gen unfern Hildesheim 2) hat quadrate Gewölbe
ohne Quergurten, getragen von kreuzförmigen Pfeilern, zwischen denen in
den Arcaden je eine Säule steht. Die Klosterkirche auf dem Franken-
historischen Grund das Datum 1040 — 1050 angiebt, für einen späteren Zusatz hält.
Das Gebäude ist indessen augenscheinlich ganz aus derselben Zeit und nach allen
Zeichen nicht eher als gegen Ende des zwölften Jahrhunderts entstanden. Der bei-
gefügte Durchschnitt zeigt eine beachtenswerthe Eigenthümlichkeit, welche sich indessen
auch an anderen kleineren Kirchen (namentlich in Westphalen) findet. Die Nischen
am Schlüsse der Seitenschiffe dienten nämlich nur dazu, den unteren Theil der Mauern
als Altartisch brauchbar zu machen, und gewährten also eine Raumersparniss. Dass
die Stufen, welche auf den erhöhten Chor führen, nur an den Seiten angebracht sind,
und der mittlere Theil gegen das Langhaus vortritt, hatte wahrscheinlich einen ähn-
lichen Zweck, etwa behufs leichterer Austheilung der Hostie an die Communicanten.
^) Baudenkmale Niedersachsens, Heft VI.
2) Desgl. Heft VHI.
Kirchen zu Goslar. 239
berge ^) und die Marktkirche St. Cosmae und Damiani in Goslar
schliessen sich noch näher an die braunschweigischen Kirchen an, doch hat
die Wölbung neben einfachen Diagonalgräten hier schon Quergurten, welche
die Zuspitzung zeigen -). In reicherer Ausbildung zeigt sich dasselbe System
an der Kirche des Klosters Neu werk daselbst. Auch hier ruht das Ge-
wölbe auf viereckigen, von Ecksäulen eingefassten Pfeilern, allein es hat
schon durchweg Quer- und DiagonalriiDpen, erstere wiederum spitz, letztere
rundbogig. Diese Gurten und Rippen werden aber von einer dem Pfeiler
vorgelegten starken Halbsäulengruppe getragen, welche zum Theil höchst
phantastisch gebildet ist. Die Anordnung der Fenster ist noch dieselbe wie
am Dome zu Braunschweig, auch ist im Innern noch wie dort das bei der
Anlage von Gurtträgern nicht ganz angemessene, über den Bögen fortlau-
fende Gesims aus dem älteren Style beibehalten. Das Aeussere der Chor-
nische ist ungewöhnlich reich, in zwei Stockwerke und jedes wieder in fünf
Arcaden getheilt, das untere mit Lisenen und Halbsäulen, das obere, die
Fenster enthaltende mit freistehenden, kannelirten oder diamantirten Säu-
lenstäm men und üppigem Blattwerk der Kapitale, beide mit eleganten Rund-
bogenfriesen und kräftigen, nicht bloss schachbrettförmig, sondern auch in
Strickgewinden und mit anderen Ornamenten gezierten Gesimsen-^). Die Kirche
soll den historischen Nachrichten zufolge in den Jahren 1176 bis 1186 er-
baut sein; die Ausschmückung des Chores, vielleicht auch die der Gewölb-
träger, wird indessen erst in den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts
fallen^).
Im Vergleich mit den grossen rheinischen Domen haben diese, noch
überwiegend rundbogigen Gewölbebauten ^) massige Verhältnisse, selbst der
^) Sie wird 1108 als Pfarrkirche erwähnt, aber erst 1225 dem Kloster überwiesen.
Der Chor ist frühgothisch und mag aus der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts her-
stammen , die Zeit der Erbauung des Schiffes der Kirche ist nicht bekannt. — Ab-
bildungen der Kirchen zu Goslar in Mit ho f Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte
3. Abth. 1862.
2) An der Marktkirche finden sich Halbkreisgurten noch unter der Vierung.' fg
3) Sehr ähnlich ist die Chornisclie der Kirche zu Hamersleben.
■*) Es ist bemerkenswerth, dass sich hier eine Inschrift zum Lobe des Steinmetzen
findet. Auf der Südseite des Mittelschiffes ist nämlich am Zwickel der ersten Arcade
das Relief eines Engels angebracht, der eine Schriftrolle hält mit den Worten: Miri
facta vide Laudando, (sie — sollte heissen laudanda) viri lapicide. An der Console,
auf der der Engel steht, list man den Namen Wilhelmus. Vgl. Mithof a. a. 0. S. 22.
— Auf dem aus dem 15. Jahrhundert stammenden Denkmal der Gründer, des Volk-
mar von Wildenstein und seiner Ehefrau, ist angegeben, dass sie circa annos MCC. ge-
blüht hätten. Die Kirche war übrigens, wie man an mehreren Spuren sieht, ganz bemalt.
5) Zu den früheren Gewölbebauten in Sachsen möchte vielleicht die St. Ulrichs-
kirche zu Sangerhausen gehören, deren Stiftungszeit (1083) ohne Zweifel nicht (wie
bei Puttrich Serie Eisleben geschieht) auf den jetzigen Bau und dessen Wölbung zu
240 Sachsen.
Dom zu Braunschweig übertrifft an Mittelschiffbreite und Gewölbhöhe die
Maasse der Kirche von Paulinzelle und der Michaeliskirche in Hildesheim
nur um Weniges. Noch mehr aber entbehren sie des Schmuckes und sind
schlichter und einfacher, als selbst die früheren Kirchen von Hecklingen
und Hamersleben. Es scheint, dass man beim Fortfallen der grossen Wür-
felkapitäle keine andere, für plastische Ornamentation geeignete und dem
Wölbungssysteme entsprechende Stelle fand, oder dass man Aufmerksamkeit
und Geldmittel auf die neue constructive Aufgabe verwendete und ihr das
Decorative opferte. Jedenfalls bestanden in dieser Zeit hier zwei Systeme
nebeneinander, von denen das eine die alte, minder dauerhafte Structur mit
reichem Schmucke, das andere den Gewölbebau mit grösserer Einfachheit
verband. Indessen währte dies nicht lange. Die Neigung zu reicher Orna-
mentation war ebensowenig zurückzudrängen, wie die nach der schützenden
Wölbung, und man suchte bald beides zu verbinden. Ein Beispiel solchen
Versuchs giebt schon das ebengenannte Kloster Neuwerk, wo der Baumeister
sogar auf den Einfall kam, die Gewölbträger selbst ornamentistisch zu be-
handeln, indem er die grosse vordere Halbsäule vom Pfeiler abgebogen und
so einen schlangenartigen Ring tragend erscheinen lässt. Er war also noch
ganz im Unklaren, welche Glieder des Gewölbebaues für die Ornamentation
geeignet seien. In anderen Fällen blieb man von solchen Verirrungen frei,
indem man soviel wie möglich die Pfeilerform des älteren Styls beibehielt,
den Schmuck nur an Kapitalen, Deckplatten, Gesimsen anbrachte, und die
grosseste Sorgfalt auf die Harmonie der Verhältnisse und die Sauberkeit
der Ausführung wandte. Ein glänzendes Beispiel dieser Verbindung roma-
nischer Details mit der Wölbung geben die Ueberreste der Klosterkirche
von Conradsburg bei Ermsleben ^), wahrscheinlich schon vom Anfange des
dreizehnten Jahrhunderts.
Ebenso wie das Innere begann man nun auch dasAeussere, das früher
bei den sächsischen Kirchen sehr einfach gehalten war, reicher als bisher
auszuschmücken. Die Stelle, welche sich am Meisten dazu eignete, war die
Chornische, welche man durch Erhöhung, durch mannigfaltige Gesimse,
Nischen und Säulenstellungen, durch Abtheilungen in mehrere scheinbare
beziehen ist. Die kreuzförmigen starken Pfeiler sind, wenn mau nach den Abbildungen
bei Puttrich schliessen darf und sich nicht bei genauerer Untersuchung des Mauer-
verbandes eine spätere Verstärkung ergeben sollte, ursprünglich auf Gewölbe berechnet.
Die Ornamentation lässt eine Entstehung in der zweiten Hälfte des zwölften Jahr-
hunderts vermuthen, der auch die Wölbung im Mittelschiffe nicht widerspricht, während
die des Kreuzbaues mit Spitzbögen und Rippen jünger sein muss. — Ebenfalls zu
den früheren Gewölbebauten, vom Ende des XII. Jahrhunderts gehört die Dorfkirche
zu Idensen bei Wunstorf. Mittelalterl. Baudenkm. Niedersachsens Heft IV.
1) Puttrich, Band H, Ablh. 2, Serie Eisleben.
Steigender Reichthum der Ornamentalion. 241
Stockwerke und Wiederholung des Rundbogenfrieses verzierte, wie dies die
schon genannten Kirchen von Neuwerk in Goslar, zu Königslutter, zu
Hamersleben und viele andere zeigen. Gleichen Fleiss wandte man auf
die Portale, deren Säulenstämme man vermehrte und reich verzierte, indes-
sen behielten sie in diesen Gegenden meistens niedrige und dadurch weniger
wirksame Verhältnisse. Eine dritte Stelle, das Aeussere bedeutsamer zu
machen, bildeten die Thürme, denen man durch grössere, in den verschie-
denen Stockwerken wechselnd gestellte, durch eine oder mehrere Säulen
getheilte Oeffnungen oder blinde Arcaden, und durch die Wiederholung ver-
schiedenartig geformter Rundbogenfriese und Lisenen eine reichere Gestalt
zu verleihen wusste.
Hierauf beschränken sich aber die Veränderungen der Architektur, die
wir bis zum Jahre 1200 und über dasselbe hinaus in diesen Gegenden wahr-
nehmen.
In den Rheinlanden begann dagegen schon mit dem Anfange dieser
Epoche die Ausbildung des deutschen Uebergangsstyls ^). Die Rheinländer
selbst bilden gewissermaassen einen Uebergang von den westlichen, roma-
nisch gewordenen Franken zu den rein deutschen Stämmen der östlichen
Provinzen. Mit jenen haben sie das leichtere Blut, den praktischen, mehr
auf äusserliche Erfolge gerichteten Sinn, mit diesen deutsche Gemüthlichkeit
und Treue, aber auch deutschen Individualismus gemein. Auch die archi-
tektonischen Bestrebungen nahmen daher bei ihnen eine gewissermaassen
mittlere Richtung. Während die sächsischen Baumeister sich mit der
schlichten und anspruchslosen Basilikenform begnügten und allen ihren
Fleiss auf die Herstellung harmonischer Verhältnisse und auf die reiche
und würdige Ausführung der Details besonders des Inneren richteten, waren
die rheinischen schon mit mannigfacher Anwendung der Wölbung und mit
der Erfindung grossartiger neuer Gesammtanordnungen beschäftigt, neben
denen die Details als Nebensache erschienen und minder sorgfältig behandelt
wurden. Aber sie hatten dabei nicht wie die französischen Meister vor-
zugsweise die Constructiou und Haltbarkeit, sondern mehr die malerische
Wirkung im Auge; sie verfolgten auch nicht den constructiven Gedanken
*) Im Allgemeinen sind hier als Quellen nur die schon früher genannten Werke
von Boisseree, Denkmale der Baukunst am Niederrhein, Schmidt, Baudenkmale
der röm. Periode und des Mittelalters in Trier, v. Lassaulx, architektonisch-histo-
rische Bemerkungen über die Bauwerke am Rhein in Klein's Rheinreise und endlich
Kugler's fleissig gesammehe und lehrreiche Reisenotizen, in deij kleinen Schriften
11, S. 183 ff., anzuführen. Für die Kölnischen Kirchen vgl.^v. Quast in den Jahrb.
der rheinischen Alterthumsfr. Heft X u. XIII. — Dr. Franz Bock, Rheinlands Bau-
denkmale des Mittelalters, Cöln u. Neuss. — Derselbe, das monumentale Rheinland.
Sehnaase's K^nstgesch. 2. Anfl. V. 16
242 Rheinlande.
mit strenger Consequenz und gemeinsamer Arbeit, ihre Neigung war viel-
mehr wie die der sächsischen Meister eine decorative, nur dass sie dieselbe
mehr im Ganzen und am Aeusseren, als durch die Präcision und Feinheit des
plastischen Schmucks im Innern befriedigten. Diese Richtung war ebenso-
sehr durch die bisherige Baugeschichte als durch den Nationalcharakter
dieser Gegenden bedingt. Sie hatten nicht wie die französischen Meister
ein durchaus Neues zu schaffen, sie hatten vielmehr eine architektonische
Vergangenheit, an der sie mit Vorliebe hingen, und mussten die in dieser
gegebenen Motive zuerst vollständiger entwickeln, ehe sie sich Neuem zu-
wenden konnten. Der Gewölbebau, von dem sie ausgingen, gewährte keine
Stellen, welche zu sorgfältiger, plastischer Ausarbeitung geeignet waren; an
den hochgelegenen Kapitalen würde sie verschwendet, an der mit mächtigen
Pfeilern verbundenen Basis unpassend gewesen sein. Die Rheinländer
brauchten grosse, massenhafte Gebäude, welche neben ihren Bergen an den
Ufern des mächtigen Stromes noch bedeutend erschienen; sie waren auf
eine Behandlung angewiesen, welche auch in der Ferne wirkte, sie suchten
das Malerische in der Architektur und hatten weder Beruf noch Geduld zu
der langsamen und sauberen Ausarbeitung unscheinbarer Einzelheiten. Aber
sie waren doch zu sehr Deutsche, um ihre individuelle Neigung und das
Wohlgefallen an der Neuheit des Schmuckes der Consequenz eines durch
gemeinsames Streben zu erlangenden Systems zu opfern. Aus allem diesem
entstanden Gebäude, welche nicht mehr romanisch waren, aber auch keinem
anderen völlig durchgebildeten Style angehörten, welche freilich gemeinsame
Grundzüge und stylistische Eigenthümlichkeiten enthalten, aber doch auch
vorzugsweise durch ihre Mannigfaltigkeit und durch bunten wirksamen
Schmuck den Betrachter fesseln.
In Beziehung auf die Anordnung verfolgte man die in den älteren Ge-
bäuden schon gegebene Richtung; man suchte durch Zusammenstellung von
Kuppeln, Thürmen und Conchen grossartige Gruppen der äusseren Gestal-
tung zu erlangen, und den Gedanken eines Centralbaues, der am Schlüsse
der vorigen Epoche in der kleinen Kirche von Schwarzrheindorf schon so
bestimmt ausgesprochen war, noch weiter und im Anschlüsse an das bei
grösseren Kirchen unentbehrliche Langhaus auszubilden. Man erreichte
dies hauptsächlich durch mannigfaltige constructive und decorative Verwen-
dung von Bögen und Wölbungen. Da man in den älteren Bauten die Concha
als eine wirksame, entgegenstrebende Stütze für die Kuppel auf der Vierung
des Kreuzes kennen gelernt hatte, fiel man darauf, nun auch durch nach dem
Inneren zu geöffnete Nischen, welche man vorzugsweise in der Concha, dann
aber auch wohl an den geraden Wänden anbrachte, eine verstärkte Trage-
kraft mit Ersparung der Mauermasse und mit anmuthiger Belebung der
inneren Wände zu erlangen. Beides erreichte man demnächst im Aeusseren,
Entstehung des Uebergangsstyls.
243
Fi?. 71.
in noch höherem Grade durch die offenen Gallerien unter dem Dache, auf
deren Bedeutung ich schon früher aufmerksam gemacht habe, die aber erst
in dieser Epoche immer mehr in allgemeinen Gebrauch kamen und durch
den AYechsel von Säulen und beschatteten Hallen die beliebteste Zierde des
Aeusseren bildeten. Neben diesem bedeutsamen Theile erschienen dann bald
die einfachen Rundbogenfriese nicht mehr genügend; man begann sie zu
häufen, stärker und facetteuartig zu profiliren, in breiteren Zwischenräumen
aufzustellen, im Inneren der Bögen durch Blumen und andere Ornamente zu
schmücken. Die Gesimse wurden reicher und kräftiger gebildet und mit
Verzierungen bedeckt, welche durch den Wechsel von hervorragenden und
vertieften, lichten und beschatteten Stelleu mit der Wirkung der Zwerg-
gallerie harmonirten. Ueberdies brachte man unter dieser Gallerie einen
zwar flachen, aber aus dunkeln Schieferplatten gebildeten Fries au, bei dem
die Farbe dieser Platten im Gegensatze zu ihren
hervortretenden Einrahmungen wieder eine ähnliche
Wiederkehr dunkler Stelleu gab, wie die Gallerie
selbst. Bald erschien auch der grössere Rundbogen,
wie er an Blendarcaden, Fenstern und Portalen vor-
kam, selbst bei reicher concentrischer Gliederung zu
einfach; man umgab ihn an seiner inneren Seite
mit einem Kranze kleinerer Bögen, gleichsam mit
einem in die Rundung verlegten Bogeufriese. Diese
schon an den Blendarcaden derThürme von Kloster
Laach vorkommende Form führte dann später dahin,
den Bogen ganz zu brechen, ihn kleeblattförmig zu .
gestalten oder in mehrere, gewöhnlich fünf oder
sieben, kleinere gleiche Bögen aufzulösen, wodurch im Anfange des drei-
zehnten Jahrhunderts die dem rheinischen Style eigenthümlichen, allerdings
nicht sehr schönen Fächerfenster entstanden, ü eberall zeigt sich das
Bestreben, die vollen, einfachen Linien des romanischen Styls zu brechen,
und in mehrere gesonderte Theile aufzulösen. Diese Neigung brachte denn
endlich auch den Spitzbogen in Aufnahme. Wie überall erscheint er auch
hier zuerst an den Gewölben, als ein natürliches, fast sich von selbst er-
gebendes Mittel, den Schwierigkeiten auszuweichen, welche das aus reinen
Kreisbögen construirte Kreuzgewölbe verursachte. Dann finden wir ihn an
den Arcaden des Schiffes, während Fenster und Portale noch rundbogig
blieben; auch hier also nur in der Meinung von seiner grösseren Wider-
standskraft. Endlich begann man aber auch an seiner Form Gefallen zu
finden, ihn gleichsam zur Abwechselung an den Blendarcaden anzubringen.
Offenbar sagte er dem jetzt herrschenden Geschmacke zu, weil auch er statt
des Kreisbogens eine gebrochene Linie gab.
St. Quirin, Neuss.
244
Rheinlande.
Fig. 72.
Von einem Streben nach leichterer Construction finden wir wenig-
Spuren; die Gewölbfelder behielten die quadrate Form, die Mauern eine
solche Stärke, dass sie der Strebepfeiler entbehren konnten. Nur darin mag^
eine Rücksicht auf Sicherung der Gewölbe zu
erkennen sein, dass man jetzt häufig Emporen
über den Seitenschiffen anbrachte, die früher
nur in sehr seltenen Fällen angewendet waren.
Dagegen kommen Triforien nur später und auch
da nur blind vor. Im Uebrigen ist das Innere
einfach gehalten und ohne bedeutende plastische
Ausbildung. Die Chornische ist ohne Umgang
und nur durch Nischen, nicht durch einen Kranz
freistehender Säulen belebt. Die Pfeiler sind
meist viereckig und ohne Gliederung, nur unter
den Gewölben mit einer angelegten Halbsäule
besetzt, die Bögen eckig und schmucklos pro-
filirt. Der einzige, aber auch sehr beliebte
Schmuck besteht in kleinen, meist monolithen
Säulen aus einheimischem dunkelem Steine,
welche an Mauernischen, Emporen und Fenstern
angebracht sind und durch ihre abweichende
Farbe malerisch wirken, aber in keinem organischen Zu-
sammenhange mit dem Ganzen stehen, und, zumal man sie
bald aus Wohlgefallen an ihrer farbigen Erscheinung mög-
lichst häufte, einen etwas unruhigen Eindruck geben. Die
Kapitale erhalten dann, da die Würfelform diesen schlanken
Rundstämmen weniger entsprach, Kelchform mit derb ge-
arbeitetem knospenförmigem Blattwerk. Die einfache, kräf-
tige attische Basis erschien dem jetzigen Geschmacke zu
schwer, man begnügte sich nicht mehr mit dem Eckblatt,
sondern gab häufig dem Wulste eine gedrückte, über das
Fussgestell ausladende Gestalt, der Kehle geringeren Umfang
oder grössere Vertiefung, setzte also auch hier an die Stelle
der vollen Kreislinie andere mehr bedingte, weichere Curven.
Aus der Verwendung der monolithen Rundstämme und aus
der Neigung zu schlankeren und zierlichen Formen ergab
sich dann von selbst die Erfindung der Ringsäulen, die
aus ähnlichen Ursachen auch in Frankreich im frühgothischen
Style aufgekommen waren. Bildete man nämlich diese Schäfte sehr schlank,
oder wollte man, um den Anschein eines hoch hinaufgehenden Stammes zu
erlangen, mehrere übereinander stellen, so ergab sich, theilg um sie zu ver-
Kapelle zu Kobem.
Fig. 73.
Kirche von Ka
mersdorf.
Entstehung des Uebergangsstyls. 245
binden oder an bedenklichen Stellen zu sichern, theils um das Auge zu be-
ruhigen, die Nothwendigkeit, sie auf halber Höhe oder auf mehreren Stellen
mit Ringen zu umgeben, um sie an der Wand zu befestigen oder zu kräftigen.
Diese Ringe wurden dann oben und unten gleich, als einfacher Wulst oder
nach dem Vorbilde der attischen Basis, gebildet, und Hessen den Gedanken
zu, dass sie gleichsam zusammengewachsene Kapitale und Basen aufeinander
gestellter Säulen seien. Die Vorliebe für mannigfache Abtheilungen brachte
es dahin, dass man später auch Bögen der Blendarcaden oder Gewölbrippen
durch solche Ringe theilte.
Der Neigung zu gebrochenen Linien musste dann auch die Polygon-
gestalt im Grundrisse einzelner Theile zusagen. An Thürmen finden wir
sie schon im Kloster Laach, an Kuppeln wurde man leicht auf das Achteck
geführt, bald aber begann man auch die Concha des Chores in gleicher
Weise zu theilen. Besonders seit dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts
wurden solche polygonen Anlagen häufiger, bei denen man dann an Thürmen
xmd Kuppeln und zuweilen auch an Conchen jeder Polygonseite einen eigenen
spitzen Giebel gab, dem sich das Dach anfügte. Die Anlage polygoner
Conchen führte aber auch zu tiefer einwirkenden Neuerungen. Sie konnten
nämlich nicht füglich mit einer einfachen Halbkuppel, wie bisher bei halb-
kreisförmigen Nischen, gedeckt werden, erforderten vielmehr ein gebrochenes,
aus einzelnen Feldern zusammengesetztes und deshalb durch Rippen zu
verstärkendes Gewölbe, und endlich, um diesen Rippen Widerstand zu geben,
eine Verstärkung der Wandecken durch Strebepfeiler. So kamen denn
hier diese wichtigen Bestandtheile des gothischen Styls in Folge der Polygon-
anlage in Aufnahme.
Während diese Gebäude im Ganzen genommen durch Anordnung und
Reichthum des Schmuckes anziehen, zeugt die Ausführung im Einzelnen
keineswegs von dem feinen Stylgefühl, welches die sächsischen Bauten aus-
zeichnet. Die Behandlung ist meist überwiegend derb und auf die Ferne
berechnet, die Ausstattung oft überladen oder spröde, besonders am Aeusseren,
namentlich an Chornischen und Fagaden durch allzugrosse Häufung von ver-
schieden gestalteten Bögen mit wunderlichen Brechungen, Ringen, Ver-
kröpfungen bunt und unruhig. Indessen fallen diese Mängel mehr in die
Spätzeit, während die älteren Gebäude ungeachtet ihrer Richtung auf
malerischen Effect die ruhige Würde des romanischen Styls in vollem Maasse
behalten.
Die Feststellung des Chronologischen dieser zahlreichen und durch ihre
Variationen anziehenden rheinischen Bauten wird dadurch erschwert, dass
gerade dieser Styl wegen seiner decorativen Richtung sehr geneigt und ge-
eignet war, bestehenden Mauern neuen Schmuck anzufügen, so dass sich
246 Rheinlande.
Aelteres mit Neuerem mischt. Indessen haben wir doch eine hinlängliche-
Zahl von vollständig bekannten Beispielen für seine allmälige Entwickelung,
Im Anfange dieser Epoche finden wir auch hier Bauten, welche in
strenger Einfachheit nur die Solidität vollständiger Ueberwölbung ertreben..
So die noch jetzt erhaltene Kirche der Prämonstratenser Abtei Knecht-
steden bei Dormagen^). Das Kloster war 1130 gestiftet, der Bau der
Kirche soll bereits 1138 begonnen sein, wurde aber jedenfalls bis zum Ende
des Jahrhunderts fortgeführt. Dennoch bildet das Ganze eine strenge und
einfache Gewölbanlage, nicht unähnlich der von St. Mauritius in Köln ob-
gleich schon etwas besser durchbildet, (Band IV, S. 385). Kräftige Pfeiler,
noch allen vier Seiten mit ausladenden Diensten, tragen abwechselnd mit
Säulen die vier quadraten Gewölbe des Mittelschiffs und die auf jeder Seite
in doppelter Anzahl sie begleitenden Seitengewölbe; daran reiht sich ein
weit ausladendes Kreuzschiff mit achteckigem Thurme auf der Vierung und
endlich der Chor, ursprünglich ohne Zweifel mit halbkreisförmiger Concha,
die aber im fünfzehnten Jahrhundert eine Polygongestalt erhalten hat. Der
Haupteingang befindet sich auf der "Südseite, während die Westseite noch
ganz in der Weise der vorigen Epoche tine Chornische bildet. Alle Bögen
sind halbkreisförmig, alle Fenster schmucklos, die Oberlichter paarweise
unter jedem der grossen Gewölbe zusammengestellt, die Säulen mit würfel-
förmigem Kapitale und der einfachen Basis mit dem Eckblatt. Nur die
Kapitale der obern Dienste an der Vierung und die am Portale zeigen das
freiere Blattwerk, wie es der rheinische Styl am Schlüsse des Jahrhunderts
liebte.
Vielleicht hatte indessen die strenge Tendenz des Ordens, dem das
Kloster angehörte, auf die einfache Haltung eingewirkt, denn fast um die-
selbe Zeit treten an anderen Orten einzelne Züge jener decorativen Tendenz,
hervor. So finden wir an der Concha und den Thürmen der St. Gereons-
kirche in Köln, welche dem älteren Rundbau und dem durch Erzbischof
Anno im elften Jahrhundert angelegten Chore in den Jahren 1151 bis 1156
hinzugefügt sind-), in einem der Stockwerke die Ausfüllung des Blendbogens
durch einen Bogenkranz. In reinerem Style, selbst mit, strenger Form, aber
in reichstem Schmucke und schönsten Verhältnissen, ist die Concha des
Münsters zu Bonn um 1166 ausgeführt-^), welche von zwei mächtigen, pyra-
1) Vgl. Beschreibung und Abbildungen von Franz Bock im Organ für christliche
Kunst. 1860. S 241 und 267; 1861 S. 133 Vgl. aber auch Lotz, Kunsttopographie,.
Band I.
^) Dies ist durch v. 0«ast a. a. 0. Heft X festgestellt.
3) Die Grabschrift des in diesem Jahre verstorbenen Propstes Gerhard erwähnt
zwar nur, dass er die Kirche multis aedificiis et luminibus geschmückt habe, indessen
berechtigt die Stylverschiedenheit der einzelnen Theile des Münsters gerade diesen
St. Martin und St. Apostel zu Köln. 247
midalisch verjüngten Thürmen eingeschlossen, mit den kräftigen aneinander
gereiheten halbkreisförmigen Archivolten ihrer Fenster und dem reich ver-
zierten Kranze von offenen Arcaden den würdigsten Eindruck macht. Gleich-
zeitig kommen aber an dem Dome zu Trier an den Theilen, welche vom
Erzbischof Hillinus herrühren (1152 — 1169), schon Ringsäulen vor^);
welche dann bald in allgemeinen Gebrauch kamen und ein charakteristisches
Element des decorativen rheinischen Styles wurden.
In Köln sind um diese Zeit vorzugsweise die Abteikirche Gross St.
Martin und die noch grossartigere St. Apostelkirche zu nennen, beide
zugleich die ausgezeichnetesten Beispiele der besonders in dieser Stadt aus-
gebildeten Centralanlage der östlichen Theile. Die Vorzüge ähnlicher An-
lagen, wie man sie in römischen und karolingischen Bauten vor Augen hatte,
waren am Rheine nie verkannt'^), und bereits in der vorigen Epoche hatte
man an St. Marien im Kapitol (Bd. IV, S. 387, Fig. 112), den Versuch ge-
macht, sie mit der Anlage eines Langhauses in der Art zu verbinden, dass
man die Chornische und die beiden Kreuzarme als gleiche, um das Gewölbe
der Vierung gelagerte Conchen, also gleichsam als Ausstrahlungen aus einem
Centrum, bildete. Gerade die grossartigen Verhältnisse dieses Gebäudes,
namentlich der Umstand, dass jede der Conchen im Innern einen Umgang
hatte und daher Jm Aeussern oben zurücktrat, schwächten indessen die
Wirkung und waren vielleicht die Ursache, dass das Beispiel lange ohne
Nachahmung blieb. Wahrscheinlich gab das kleine, aber reiche und mit
künstlerischem Luxus gebaute Monument zu Schwarzrheindorf die Veran-
lassung, auf diesen Gedanken zurückzukommen, den nun nicht gar lange
darauf die mit dem Neubau des Chores jener Stiftskirchen zu St. Martin und
zu St. Aposteln beauftragten Meister in einer vollendeteren, den neuen An-
forderungen mehr entsprechenden Weise ausbildeten, Sie verzichteten näm-
lich auf die inneren Umgänge und auf die breiten Verhältnisse, rückten
daher die drei Conchen näher zusammen, errichteten auf der Vierung einen
Thurm oder eine Kuppel, in den beiden Ecken, in welchen die Conchen zu-
sammenstiessen, oder ausserdem auch noch in den Ecken zwischen dem
Langhause und den Querhausconchen schlanke, in achtseitiger Gestalt auf-
steigende Thürmchen, und statteten diese so energisch betonte Gruppe mit
gleichen horizontalen Abtheilungen aus, so dass die Blendarcaden, der Platten-
fries, die Zwerggallerie und die Gesimse das Ganze und seine Theile wie
Theil mit jeuer Notiz in Verbindung- zu bringen. — Vgl. v. Quast a. a. 0. Heft X>
und Kugler kl. Sehr. II, 118. — E. aiis'm Weerth, die Münsterkirche zu Bonn, in der
Festschrift des Bonner Congresses 1868.
^) Abbildung und Beweise des Chronologischen bei Schmidt a. a. 0. Lief. 2.
2) Vgl. Bd. IV, S. 389, Anm.
248 Rheinische Uebergangshauten.
vielfache Bänder umschlingen und zusammenhalten. Die Wirkung dieser
eigenthümlichen Anordnung ist höchst malerisch und bedeutsam; der Gedanke
einer belebten und wohlgeregelten Concentration kann kaum glücklicher
ausgesprochen werden. Wir sehen einen lebensvollen, reich ausgebildeten
Organismus, in welchem mannigfache selbstständige Kräfte in harmonischem
Einklänge sich um das sie beherrschende und vereinende Centrum herum be-
wegen. Es ist ein Anklang an das Sonnensystem mit seinen Planetenbahnen,
an eine christliche Weltordnung, in der die Völker gesondert und doch einig
dem Herren dienen.
In beiden Kirchen rühren die Pfeiler und Wände des Langhauses noch
von einem älteren Bau her; nun aber wurden zunächst die östlichen Theile
in rascher Bauführung vollendet, worauf dann die Beendigung des Mittel-
schiffs, verbunden mit der Umgestaltung, welche dessen früher nicht be-
absichtigte Ueberwölbung hervorrief, erfolgte. Die Apostelkirche gehört
wahrscheinlich in ihren Osttheilen noch wesentlich dem letzten Viertel des
12. Jahrhunderts an, obgleich ihre Ueberwölbung erst im Jahre 1219 durch
einen Laien Namens Albero erfolgte i). Die St. Martinskirche hatte zwar
*) Lassaulx (a. a. 0. S. 491) und Kugler (kl. Sehr. II, 198) nelimen an, dass
die ganze heutige Kirche, und also auch der östliche Theil, nach einem Brande von
1199 erbaut sei. Jener stützt diese Annahme ausschliesslich auf die Autorität von
Gelenius (de admir. magn. Col. p. 295), welcher allerdings nicht bloss dieselbe An-
sicht ausspricht, sondern auch in Beziehung auf jenen Brand sehr bestimmt sagt, dass
die Kirche durch denselben in Asche verwandelt sei (basilica in cineres abiit). Da
Gelenius (1645) der Bruder eines Canonicus dieser Kirche war, so ist höchst glaublich,
dass er diese Nachricht aus einer älteren Aufzeichnung genommen hat; allein bekannt-
lich sind solche Angaben sehr oft übertrieben , und diese ist es gewiss auch. Denn
augenscheinlich sind die Pfeiler des Schiffes und die unteren Theile des Thurmes und
der Mauern (wie auch Kugler und Lassaulx zugeben) älter als jener Brand; dersell)e
war daher nur ein partieller, und kann ebensowohl die Conchen wie die Pfeiler des
Langhauses verschont haben. Freilich theilt Gelenius an einer anderen Stelle eine alle
Nachricht mit, dass das Gewölbe im Jahre 1219 geschlossen sei (Testudo ejus ecclesiae
absoluta fuerat anno 1219 per Alberonem laicum. Vita S. Eugelberti p. 114), was sich
mit der Annahme eines nach dem Brande von 1199 begonnenen und bis 1219 völlig
beendigten Baues wohl vereinigen Hesse. Allein da in dieser Nachricht nur von dem
Gewölbe die Rede ist, nicht von der Beendigung eines grösseren Baues, so spricht
sie mehr dafür, dass durch den Brand von 1199 nur die oberen Theile des Gebäudes
zerstört waren, deren Herstellung verbunden mit der Ueberwölbung nach den Drang-
salen des bis 1206 dauernden Krieges erst bis 1219 bewirkt werden konnte. Dass dieser
Herstellungsbau kein sehr umfassender gewesen, findet auch darin eine Bestätigung,
dass Caesarius von Heisterbach, der von Kölnischen Angelegenheiten sehr wohl unter-
richtet ist, in seinen um 1220 geschriebenen Dialogen (Lib. VIII, c 63) desselben nicht
erwähnt, obgleich er eine diese Kirche betreffende Anekdote mittheilt, welche ihn wohl
dazu veranlassen konnte, und die vielleicht sogar auf die Entstehung der Conchen
Beziehung hat. Er erzählt nämlich, ein reicher Kölner Bürger habe, weil zwar die
St. Martin und St. Apostel zu Köln. 249
schon 1172 durch _deii Erzbischof Philipp von Heinsberg eine Weihe er-
halten. Indessen wurde auch noch im Anfange des folgenden Jahrhunderts
der Bau fortgesetzt, wo dann die gegenwärtige reicheAusstattung des Innern
ausgeführt sein wird ^) Die Choranlage geht hier unmittelbar von dem Vor-
bilde der Kirche von Schwarzrheindorf aus; wie diese bezeichnet sie den
Mittelpunkt durch einen Thunn, der aber durch vier auf seinen Ecken
heraustretende achteckige Treppenthürmchen und durch die Wiederholung
der Zwerggallerie reicher und bedeutsamer belebt ist, wie diese hat sie,
vermöge ihrer schlanken, sich innig an den Thurmbau anschmiegenden Conchen
die Concentration als eine höchst gedrängte, mächtig nach oben treibende
aufgefasst. Die Apostelkirche (Fig. 74) weicht von diesem Vorgange und zwar
in höchst gelungener Weise ab. Der Meister verzichtete auf die allzu ab-
«tracte Durchführung des Pyramidalgedankens. Er gab den schmalen,
rechteckigen Räumen, welche die Conchen mit der Vierung des Kreuzes ver-
binden, und mithin der ganzen Anlage im Verhältnisse zu den Conchen eine
grössere Tiefe-), Hess statt des Thurmes eine niedrigere achteckige Kuppel
Sünde schwer, Werksteine aber noch schwerer seien, eine Schiffsladung^ von solchen
gekauft, und da die Apostel seine Richter sein würden, neben der Apostelkirche hin-
legen lassen. Als ihn nun die Stiftsherren gefragt hätten, was er damit bezwecke,
habe er erwiedert, die Kirche würde doch irgend einmal einer Renovation bedürfen
(aliqua dierum renovanda est ecclesia), da würien sie ihnen nützlich sein. Und nun
fügt Caesarius hinzu, dass nicht lange darauf, als die Kirche vergrössert wurde,
und zwar, wie er meine, auf Veranlassung dieser Steine, dieselben zum Fun-
dament benutzt seien. Die Zeit, wo dieser ohne dringende Veranlassung begonnene
A'ergrösserungsbau stattgefunden, nennt er zwar nicht ausdrücklich; er bezeichnet aber
jenen Bürger als den Vater eines damals schon verstorbenen Abtes von Villers, den
er selbst noch gekannt hatte. Er weist also ungefähr auf die von mir angenommene
Zeit, das letzte Viertel des zwölften Jahrhunderts, und auf einen um diese Zeit statt-
gefundenen Bau hin, bei dem man neuer Fundamente bedurfte , und erwähnt nicht?
dass dieser nicht gar lauge danach niedergebrannt und durch einen anderen ersetzt
sei. Dieser Bau kann aber nach der Beschaft'enheit des Gebäudes kaum ein anderer
gewesen sein, als der der östlichen Theile, da das Langhaus seiner Anlage nach älter,
das westliche Querschiff aber jünger ist. — Eine von Eckertz im D. Kunstblatt 1858,
S. 263, mitgetheilte Notiz, wonach die Grundsteinlegung erst 1200 stattgefunden haben
und ein Subdiaconus Vogelo der Baumeister gewesen sein soll, bezieht sich nicht auf
diese sondern — wie aus dem Inhalt hervorgeht — auf die Cunibertskirche (nach
Widerruf von Eckertz, Dioscuren 1859, S. 115 f. Der frühere Irrthum beruhte nur
auf falscher Katalogisirung des Archivs).
^) Vgl. Enueu und Eckertz, tjuellen z. Gesch. Kölns, II. S. 41. Bock, Rheinlands
Baudenkm. Serie II. Heft 2. Zufolge der Urkunde des Abtes Simon (1206 — 1221)
war ein gewisser Rudengerus Leiter oder doch Wohlthäter des Baues.
2) In der Martinskirche wie in Schwarzrheindorf ist die Tiefe jener Räume dem
Radius (und mithin der Tiefe) der Nischen gleich, in der Apostelkirche dagegen be-
deutend grösser, jener 15', diese 19' 7".
250
Rheinische Ueberc-ancrsbautea.
aufsteigen, und gewann dadurch Raum, die achteckigen Thürrae, welche dort
dem Mittelthurme anlagen, frei emporstreben zu lassen. Den unteren Their
dieser Thürme, der dort viereckig heraustritt, bildete er dagegen rund, so
dass der Grundriss dieser östlichen Anlage aus den drei durch zwei runde
Thürme verbundenen Conchen, mithin aus grösseren und kleineren Kreis-
theilen besteht, die leicht ineinander übergleiten und die Umkreisung durch
die mannigfachen Arcaden noch anschaulicher machen. Aus diesem unteren
Theile wachsen zunächst (Fig. 75) die Giebel der Vierung, dann die achteckigen
Thürmchen, endlich die mächtige Kuppel empor, diese wiederum von Arcaden
„. ., undvon demPlattenfriese umgeben, so dass
Flg. i4. ° '
dasselbe Motiv der Umkreisung sich hier
noch immer wiederholt. Die Höhenvei'-
hältnisse dieser aufstrebenden Theile sind
ihrer Stelle gemäss verschieden. Die
Eckthürmchen, gleichsam durch den Druck
zweier mächtiger Conchen auf den be-
schränkten Raum der kreisförmigen Basis
hervorgetrieben, streben hoch hinauf,
während die Giebel, von denen jeder das
Andrängen nur einer der drei Conchen,,
und die Kuppel, welche zwar die vereinte
Einwirkung aller, aber auf den breiten
Raum der Vierung darstellt, nur massige
Höhe erreichen. Der Gedanke des Um-
kreisens ist daher besser durchgeführt,,
das Centrum in der achteckigen Kuppel
kräftiger, und doch die auftreibende Kraft
durch die beiden schlankeren Thürme
anschaulicher ausgedrückt, die dann ihrer-
seits wieder von dem starken Thürme über
der Westseite überragt werden. Die Ver-
hältnisse sind durchweg so glücklich ge-
wählt, dass keine andere der später nach ähnlichem Plane gebauten Kirchen
dieselbe Wirkung erreicht.
Noch vor dem Schlüsse des Jahrhunderts waren weitere Neuerungen
aufgekommen. Die Stelle, an der wir dies mit Bestimmtheit aufzeigen können,
ist wiederum der Trierer Dom, der in der That eine fast vollständige
Architekturgeschichte enthält, und zwar in seiner östlichen Chornische, welche
polygonförmig, mit fünf Seiten des Zehnecks geschlossen, mit einem Rippen-
gewölbe gedeckt, und mit Strebepfeilern besetzt ist. Die Ueberwölbung
erfolgte erst unter dem Erzbischof Johann (1190 bis 1212), allein die Anlage
HL
I»» r I I 'i • I I L-
Apostelkirche zu Köln.
Dom zu Trier.
251
des Chors in Polygongestalt und mit Strebepfeilern stammt aus der Zeit des
bereits erwähnten Erzbischofs Hillinus (1152 bis 1169), und setzt bereits
das Rippengewölbe voraus. Uebrigens sind die Details dieses Bautheiles
noch im Wesenllichen romanisch, die Bögen fast sämmtlich rund, die Säulen-
füsse, die Deckplatten der Kapitale, die meisten Gesimse nach dem Vorbilde
Fig. 75.
Apostelkirche zu Köln.
der attischen Basis gestaltet. Das Aeussere ist einfacher als an den er-
wähnten Kölnischen Kirchen, nur durch einen Rundbogenfries und durch
Gesimse, die auf theils einfachen, theils sogar als menschliche Köpfe ge-
bildeten Consolen ruhen, in mehrere Stockwerke getheilt, oben mit der
Gallerie und dem Plattenfriese verziert; die Fenster sind von Würfelsäulen
flankirt. Aber im Innern finden sich schon Gewölbträger auf Consolen und
252 Rheinische Uebergangsbauten.
die Kippen des spitzbogigen Gewölbes sind nicht mehr in der früher üblichen
gedrückten halbelliptischen Form, sondern als volle Rundstäbe gestaltet und
durch Ringe getheilt^).
Von nun an kommen verschiedene Elemente des gothischen Styles
häufiger, aber vereinzelt und gleichsam zufällig, ohne Bewusstsein ihres Zu-
sammenhanges vor. Der Spitzbogen ist noch immer sehr selten. Zwar
öffnen sich die Stadtthore von Köln, die um 1188 vollendet wurden, schon
mit einem mächtigen Bogen dieser Art, der hier, wo man auf den Durch-
gang hochbeladener Wagen oder prunkender Fahnen rechnete, besonders
zweckmässig erscheinen musste-). Aber an den Gewölben des Domes zu
Mainz, die nach dem Brande des Jahres 1191 erneuert wurden, ist er noch
nicht durchweg, sondern nur neben überhöhten Rundbögen gebraucht-^), und
selbst die erst seit 1212 errichteten Klostergebäude der St. Mathias -
kirche bei Trier haben ihn nur an den Gewölben des Kreuzganges, während
die der Säle und alle Lichtöffnungen noch rundbogig sind*). Einige Male
aber findet er sich, besonders in diesen westlichen Gegenden der Rheinlande,
sehr früh an völlig rundbogigen und romanischen Kirchen angewendet. So
haben in, der Kirche zu Roth an der Our unfern der Luxemburgischen
Grenze-^), wo (wie in der früher beschriebenen Kirche zu Echternach) Säulen
mit Pfeilern wechseln und diese letzten durch einen höheren Rundbogen ver-
bunden sind, die darunter gelegenen Arcaden einen spitzen Bogen. Alle
Details sind sehr roh aber streng romanisch, so dass man sieht, wie hier in
einer Dorfkirche sehr Alterthümliches mit der neu aufkommenden Form
sich mischte. Auch in der schönen Kirche zu Merzig an der Saar *^), deren
halbkreisförmige Concha reich im spätromanischen Style ornamentirt und
mit einem Rippengewölbe gedeckt ist, hat das Langhaus, bei übrigens völlig
romanischen Details, auf seinen Säulen spitze Arcaden, so dass hier die Ver-
bindung der Säulen mit dem Spitzbogen, die nur in Sicilien gewöhnlich war,
auch ein Mal auf deutschem Boden vorkommt.
Häufiger finden sich Strebepfeiler und zwar zum Theil offenbar ver-
suchsweise und ohne volle Kenntniss ihrer Erfordernisse angewendet. So
an der oben genannten St. Mathiaskirche bei Trier, welche noch im
zwölften Jahrhundert als eine mächtige Pfeilerbasilika errichtet wurde. Die
1) Vg-1. überall Schmidt, Trierische Baudenkmale, Lief. 2, Taf. 4, 5, G.
2) Boisseree a. a. 0. Taf. 37, S. 17 ff.
3) Wetter, der Dom zu Mainz, S. 30.
*) Schmidt a. a. 0. Heft 3, S. 94.
^) Angeblich erst von 1256 (?).
6) Schmidt a. a. 0. Heft 3, wo auch die anderen eben genannten Kirchen (mit
Ausnahme der von Roth) abgebildet, sind, über welche letzie nur Kugler in den kl.
Sehr. H, 187 u. 371 Nachricht giebt.
Vereinzelte Elemente des gothischen Styls. 253
Kreuzgewölbe der Seitenschiffe ruhen nur auf den dichtgestellten Pfeilern
und Wandpilastern, dagegen ist die Mauer des ziemlich hoch hinaufsteigen-
den, aber ursprünglich nur mit einer Balkendecke versehenen Mittelschiffes
mit Strebepfeilern bewehrt, welche auf den Gurtbögen der Seitenschiffe auf-
stehen ^). Eine noch eigenthümlichere Anordnung hat die Kirche des Cister-
cienser-Nonnenklosters zu St. Thomas an der Kyll, welche ungefähr 1190
begonnen und 1222 geweihet ist. Die ziemlich lange, aber nur 40 Fuss
breite und 46 Fuss hohe Kirche besteht nämlich in ihrer westlichen Hälfte
aus zwei gewölbten Stockwerken, von denen das obere als Nonnenchor diente
und auf einer in der Axe des unteren Raumes aufgestellten Säulenreihe ruht.
Die Südseite stiess an die Klostergebäude und hat eine einfache Mauer, die
Nordseite dagegen wirkliche und zwar ziemlich starke Strebepfeiler, aber in
der Art, dass ihr unterer, dem unteren Stockwerke entsprechender Theil
äusserlich durch Mauern verbunden, also in das Innere des Gebäudes gezo-
gen und mit einem fortlaufenden Dache gedeckt ist, aus welchem dann ihr
oberer, verjüngter Theil an der zurücktretenden Mauer des Nonnenchores
hervortritt und mit einem Wasserschlage abschliesst. Diese Anordnung der
Strebepfeiler ist denn auch an dem östlichen, ungetheilt aufsteigenden Lang-
hause fortgesetzt, wo zwischen den unteren Strebepfeilern kapellenartige
Räume entstehen, während die obere, auf einer abgestuften halbkreisförmigen
Arcade ruhende Wand unter dem Fenster noch durch aus der Gliederung
der Wandpfeiler hervorgehende Doppelbögen, eine Art grossen Bogenfrieses,
verstärkt ist. Der Chor, fünfseitig aus dem Zehnecke, hat wirkliche Strebe-
pfeiler. Der Spitzbogen kommt hier fast nur an den Gewölben und an der
oberen Aussenmauer zwischen den Strebepfeilern als eine Mauerverstärkung
vor. Die Fenster sind meistens kreisförmig, die oberen schon durch einen
Sechspass belebt. Das Ganze ist, obwohl in rohen Details, durchaus ver-
ständig und mit Kenntniss der constructiven Vortheile des Strebepfeilers
ausgeführt^). Wir sehen also, dass in diesem westlichen Theile der Rhein-
lande der Spitzbogen und die Strebepfeiler schon mannigfach, aber ohne
festes Princip und selbst bis 1222 noch ohne bewusste Hinneigung zum
gothischen Style angewendet wurden.
Wir sprachen schon im vorigen Bande von der Stiftskirche zu Kloster-
rat h (Rolduc), zwei Meilen von Aachen auf belgischem Gebiete, weil sie in
ihrem ersten, schon 1108 geweihten Bau, ähnlich den obenerwähnten kölni-
schen Kirchen eine aus drei Conchen bestehende, kleeblattförmige Choran-
lage hatte, welche jetzt zwar im Oberbau zerstört, in der Krypta aber
1) Schmidt a. a. 0. Heft 2, S. 86.
2) Vgl. Schmidt a. a. 0. Heft 3, S. 10, und Taf. 4, Fig. K, 0, P, Q.
254
Rlieinisclier Ueberganasbau.
noch erhalten ist^). Vom Jahre 1138 an wurde dieser Choranlage eine
ziemlich bedeutende, vollständig gewölbte Basilika angebaut, die im Jahre
1209 die Weihe erhielt und manche Eigenthümlichkeiten hat. Zunächst
nämlich, dass das dreischiffige Langhaus sich nicht, wie in jenen kölnischen
Kirchen unmittelbar an die
^'^' '^- kleeblattförmige Choranlage
anschliesst, sondern davon durch
ein mächtiges Querschiff ge-
trennt ist, dann aber, dass
das System rundbogiger, quadra-
ter Ueberwölbung nicht regel-
mässig, sondern mit einem rhyth-
mischen Wechsel ausgeführt ist.
Zum Theil nämlich sind die
grossen mittleren Gewölbe von
zwei auf einer Säule ruhenden
Arcaden und zwei dem ent-
sprechenden Seitengewölben be-
gleitet; zum Theil aber ist die
Seitenwand weiter hinauf ge-
öffnet und das betreffende Joch
des Seitenschiffes durch ein
höher liegendes Kreuzgewölbe
gedeckt, so dass es fast wie
ein zweites Querschiff erscheint.
Da die Formen übrigens ganz
übereinstimmen, hat man keine
Veranlassung, hier eine spätere
Aenderung anzunehmen , son-
dern mag auch darin das Be-
streben nach neuen Bauformen
erkennen -).
An einer anderen Stelle des
Rheinlandes finden wir gkich-
zeitig einen sehr merkwür-
digen Versuch, ähnliche constructive Resultate, wie sie der gothische
-Styl gab, aber durch andere Mittel, zu erlangen. Ich spreche von
Heisterbach.
1) Vgl. Band IV, S. 391 und 418.' Abbildungen und Nachrichten giebt Dr. Fr.Bock
im Organ für christliche Kunst 1859, Nr. 15, 16.
2) Der Chronist (Annales Rodenses bei Pertz, Scr. XVI, p. 688) schreibt der
Krypta einen lombardischen Ursprung zu (Construxerunt criptam-jacientes funda-
Die Kirche zu Heisterbach. 255
■der Cistercienserkirche zu Heister bach im Siebengebirge, von der jetzt
zwar nur noch die Concha aufrecht steht, wohl aber in Boisseree's Werk
über die Kirchen des Niederrheins vollständige Zeichnungen erhalten sind.
Das Kloster stand früher auf der Höhe des Berges, im Jahre 1191 beschlos-
sen aber die Mönche, es ins Thal zu verlegen, begannen sofort mit den
Klostergebäuden und gründeten nach Vollendung derselben im Jahr 1202
die Kirche, welche im Jahre 1227 die Weihung mehrerer Altäre, und im
Jahre 1233 ihre Vollendung erhielt. Der Plan ist sehr sinnreich und be-
ruht auf einem durchgeführten Strebesysteme, jedoch wiederum, wie in der
oben angeführten Kirche St. Thomas, nur in consequenterer und besser
durchdachter Weise, mit in das Innere gelegten Streben. Die Kirche war
kreuzförmig, mit dreischiffigem Langhause, in dessen Mitte sich aber, eini-
germaassen ähnlich wie in Klosterrath, noch ein zweites, zwar nicht vortre-
tendes, aber doch durch seine Höhe und die grössere Breite der Arcade
bezeichnetes Querschiif befand i). Die Wände der Seitenschiffe', wie gesagt
ohne Strebepfeiler, bildeten im Aeusseren zwei Stockwerke. Das untere,
äusserlich mit einer kleinen Bedachung versehen bestand aus einer fortlau-
fenden Reihe nach innen geöffneter Nischen, je zwei in jeder Travee und
jede (wenigstens auf der Nordseite, da auf der Südseite der daran anstos-
sende Kreuzgang es verhinderte) durch ein rundbogig geschlossenes Fenster
beleuchtet. Auf dem Gewölbe dieser sehr kräftig gebildeten Nischen stand
dann die leichtgehaltene und durch kreisförmige Fenster beleuchtete Wand
des oberen Stockwerks, in welchem kleine|, auf die Zwischenwände der
Nischen gestellte Säulen das sehr künstlich gebildete, gegen das Mittelschiff
strebende Gewölbe der Seitenschiffe trugen. Ueberdies waren unter dem
Dache der letzten noch kleine Strebemauern angebracht, w^elche sich an die
obere Wand über den Scheidbögen anlegten und dieselbe also ebenfalls
stützten. Während so die Seitenschiffe vermittelst jener beiden Stockwerke
eine verhältnissmässig grössere Höhe erhielten, die Scheidbögen also höher
wie gewöhnlich lagen und die Pfeiler schlanker gebildet \vurden, war das
Oberschiff nicht bedeutend hoch, auch nur durch kreisförmige, rosettenartig
mentum monasterii scemate loDgobardino), Dies mit Otte (Kunstarch. 4. Aufl. S. 311)
auf die quadrate Ueberwölbung zu beziehen, ist nicht wohl möghch, weil der Chronist
ausdrücklich von der Krypta spricht. Auf die kleeblattförmige Anlage kann man es
auch nicht beziehen, da eine solche in Italien niemals vorkommt. Wahrscheinlich ist
dabei bloss an die Anlage einer hohen, weiträumigen Krypta gedacht, welche damals
zwar auch wohl schon in Deutschland vorgekommen aber doch in Italien besonders
beliebt war (Bd. VI. S. 433) und von dorther den Mönchen von Klosterrath empfohlen
sein mochte.
^) Auch die kreisförmigen Fenster jener den QuerschiflFen ähnlichen Joche in
Klosterrath erinnern an Heisterbach.
25ß Rheinischer Uebergangsstyl.
ausgebildete Fenster beleuchtet. Die Pfeiler trugen vermöge einer tbeils
vom Boden aufsteigenden, theils auf einer Console ruhenden Halbsäule, die
Gewölbe. lieber jedem Scheidbogen lag (einigermaassen ähnlich wie in
St. Oermer in der Picardie) je eine fensterartige Oeffnung, welche Licht
unter das Dach der Seitenschiffe brachte. Es war daher hier, nur in ande-
rer Form wie im gothischen Systeme, die Last der Gewölbe durchaus auf
die Seitenmauern und ihre stärksten Theile zurückgeführt; ja dies war hier
vielleicht in noch soliderer "Weise geschehen, weil die Strebepfeiler durch
die überwölbten Nischen verbunden und die Strebebögen durch eben diese
Ueberwölbung und durch die Gewölbe der Seitenschiffe ersetzt waren. Auch
an der halbkreisförmigen Chornische ist dieses Strebesystem durchgeführt;
sie erhält dadurch einen Umgang, allein wiederum in einer Weise, die von
der der gothischen Kirchen völlig abweicht. Die innere Concha, an Höhe
dem Mittelschiffe gleich, ruht nämlich auf zwei Stockwerken von überaus
schlanken und zierlichen Säulen und wird von den Gewölben des Umgangs,
und wiederum von den sich ringsumherziehenden Nischen gestützt. Doch
sind hier auch im Aeusseren über dem Dache des Umgangs wirkliche Strebe-
mauern angelegt. Wir finden also in diesem Gebäude vielfache Verwandt-
schaft mit dem gothischen Style, oblonge Gewölbfelder, den Chor mit einem
Umgange, schlanke Pfeiler mit hohen Gewölbdiensten, ein durchgeführtes
Strebesystem und das Bemühen nach hellerer Beleuchtung. Allein diese
Resultate werden in ganz anderer Weise wie in Frankreich, hauptsächlich
durch die im rheinischen Style beliebten Nischen, hervorgebracht. Alle
Details gehören noch dem alten Style an. Die Kapitale sind würfelförmig,
die Profile der Bögen und Gurten eckig, die Säulenfüsse attisch, die Fenster
ungetheilt und (mit Ausnahme der durch einen Sechspass belebten kreisför-
migen Oberlichter) ohne eine Spur des Maasswerks, die Diagonalen der
Wölbung blosse Gräten. Die Gewölbe waren spitz, alle anderen Bögen
halbkreisförmig, nur an der Fagade, ohne Zweifel dem spätesten Theile,
waren zwei Fenster und das Portal, sowie der Bogenfries im Spitzbogen ge-
bildet. Das ganze Gebäude macht daher auch einen anderen Eindruck als
die gothischen; es hat das Schwere und Ueberkräftige des romanischen
Styls abgestreift, aber es hat auch nicht die elastische ritterliche Kraft des
gothischen Baues, sondern einen viel schlichteren,. strengeren, aber doch
zugleich weniger kräftigen Ausdruck.
Eine Wiederholung der constructiven Gedanken dieser Kirche findet
sich nirgends, und noch weniger nahm sich der einheimische Styl die Ein-
fachheit des Cistercienserordens zum Vorbilde, vielmehr steigerte er sich
gerade jetzt im Decorativen fast bis zum Ueberladenen.
Dies zeigt schon die wenig später, im Jahre 1209, unter dem in glaub-
St. Quiriii in Neuss. 257
bafter Inschrift namhaft gemachten Baumeister Wolbero ^) begonnene Stifts-
kirche St. Quirin zu Neuss 2). Es ist ein mit Aufwand ausgeführtes und
trotz mancher Künsteleien im Einzelnen doch höchst bedeutendes Werk, auf der
Westseite mit einem mächtigen Vorbau von der Breite der drei Schiffe, aus
dessen Mitte ein schwerer viereckiger Thurm aufsteigt, im Osten nach dem
Vorbilde der Kölner Kirchen St. Martin und St. Apostel mit drei gleichge-
stalteten Conchen schliessend und mit einem zweiten, achteckigen Thurme
auf der Vierung des Kreuzes. Die Chornischen, welche in ihrer Anordnung
an die der Martinskirche erinnern, sind iniAeusseren und Inneren mit über-
schlanken Säulchen, von derselben künstlichen Gestalt wie dort, versehen.
Im Langhause sind sowohl in der Gallerie als im Oberschiffe fächerför-
mige Fenster (Fig. 70 S. 243), die wir hier also zum ersten Male mit siche-
rem Datum treffen. Der Vorbau ist von allen Seiten mit Friesen und Ar-
caden bedeckt, welche im mittleren Theile der Vorderseite treppenförmig
atifsteigen.
Hier wie an den Osttheilen kommt der Spitzbogen abwechselnd mit
tiberhöhten und ausgezackten Rundbögen vor. Dagegen ist in den Arcaden
und Emporen der Spitzbogen bereits die herrschende Form, obwohl auch
in diesen der Rundbogen noch zweimal auf jeder Seite erscheint. Das Prin-
cip für diesen Wechsel sowie für die Ungleichartigkeit fast aller Arcaden
ist schwer zu erkennen; vielleicht dass ein Bestreben, die perspectivische
Wirkung zu unterstützen, der Grund war. In der Wölbung tritt der Rund-
bogen allein auf, aber die bedeutenden Höhenverhältnisse des Innern zeigen
bereits den Einfluss der Gothik, welcher sicherlich auch auf die überra-
schende Schlankheit und Beweglichkeit der Gliederung, besonders im Chor
und am äusseren Westbau, gewirkt hat. Nur dass die Einzelglieder hier
noch nicht die feste Mauermasse verdrängen, sondern sich innerhalb des
Rahmens, den diese bildet, auflösen.
Ein so häufiges Auftreten des Spitzbogens war aber, wie wir annehmen
dürfen, noch neu, da das Kreuzschiff der Klosterkirche zu Sayn, nach 1202
erbaut, und die Castorkirche zu Coblenz, nach einem bedeutenden Her-
stelluugsbau 1208 geweiht'^), noch keine Spur desselben zeigen, diese viel-
^) Vielleicht identisch mit dem Baumeister Albero (s. o.), welcher die Apostel-
kirche vollendete. Otte, Geschichte der deutschen Baukunst S. 375.
-) Die Pyblicationen bei Boisseree a. a. 0. und E. Förster, Denkmale, V, sind
nicht in allen Punkten correct.
■^) V. Lassaulx a. a. 0. S. 472 und 400. Der baukundige Verfasser vermuthet,
dass die decorative Aussenseite der Chornische der älteren Mauer nur als ein Mantel
umgelegt sei. Vgl. Moller I, Tafel 7 und 8. Dr. Richter, St. Castor zu Coblenz.
C. 1868 und Dr. Fr. Bock, Rheinlands Bandenkm. Heft I.
Sclinaase'e Kunstgesch. 2. Aufl. V. 17
258 Rlieinischer Uebergangsstyl.
mehr an ihrer Chornische nur die rundbogige Decoration mit kräftig geglie-
derten Fenstern, Arcaden und der Zwerggallerie hat.
Diese sicher datirten Gebäude mögen uns als Anhalt dienen, um da-
nach die grosse Zahl verwandter rheinischer Bauten, deren Eutstehungszeit
wir nicht nachweisen können, zu ordnen. Man hat angenommen, dass die
Mehrzahl derselben nach den Kriegen zwischen Philipp von Schwaben und
Otto IV., welche von 1198 bis 1206 das Rheinland verwüsteten, und bei
welchen häufige Feuersbrünste stattfanden^), erbaut sei. Indessen ist dies
natürlich nur eine Yermuthung, der man nicht zu grosse Ausdehnung geben
darf, da die starken Mauern der Kirchen von Feiudeshand nicht leicht ge-
fährdet werden und selbst einer Feuersbrunst widerstehen, da auch die Er-
schöpfung des Landes durch jene Kriege schwerlich die Herstellung in so
reicher \y eise zugelassen haben dürfte. Auch sind die Verschiedenheiten
dieser Werke zu gross, als dass man sie alle in einen so kurzen Zeitraum
setzen dürfte, und manche derselben werden daher dieser kriegerischen Zeit
schon vorhergegangen sein.
Der Spätzeit des zwölften oder den ersten Jahren des dreizehnten Jahr-
hunderts mögen unter Anderen der Ausbau des Langhauses von S. Panta-
leon in Köln, die dortige kleine Kirche S. Maria in Lyskirchen, eine
schlichte Pfeilerbasilika mit Emporen und spitzbogigem Gewölbe, jedoch
mit einem schönen Rundbogenportale, die obere Chorhaube von S. Maria
im Capitol, deren Ausstattung der Apostelkirche verwandt ist, und endlich
die mächtige Kirche der Abtei Br au w eiler bei Köln angehören. Mit Aus-
nahme der älteren Krypta stammt diese aus einem im Jahre 1193 begonne-
nen Bau, der jedoch im Jahre 1226 durch Brand beschädigt und hergestellt
AYurde. Sie ist ein schon ursprünglich auf Gewölbe angelegtes Werk des
Uebergangsstyls, an dem sich die Derbheit, ja selbst Rohheit der Orna-
mente, welche man in rheinischen Bauten dieser Zeit oft findet, in eigen-
thümlicher Weise mit einem Streben nach Reichthum und Effect paart. Die
Chornische ist mit langgezogenen Säulchen, ähnlich wie die der Martins-
kirche in Köln, geschmückt und wird später als diese entstanden sein.
Dagegen ist die Sculptur der Kapitale, an denen zum Theil kleine Figuren
karyatidenartig die Deckplatten tragen, und die Anordnung eines Triforiums
mit verschiedenartigen Bögen auf bald niedrigeren, bald höheren Säulen-
stämmen sehr ungewöhnlich, und deutet auf eine Zeit, wo dieser rheinische
Uebergangsstyl noch nicht die Reife hatte, die er im zweiten Decennium des
dreizehnten Jahrhunderts erlangte-).
1) Caesar von Heisterbach II, 30. Provinciae incendiis vastantur et eccleslae de-
praedantur, sanguis multus funditur. V. 37. Terra rapinis et incendiis vastatur.
Andernacliuni, Remage, Bonna aliaeque villae plurimae exustae sunt.
-) Kiigler, Baukunst II, S. 336, will den ganzen Bau in die Zeit nach jenem
Taufkapelle von St. Georg zu Köln und Ramersdorf. 259
Ein sehr ausgezeichnetes, aber einigermaassen räthselhaftes Gebäude
■dieser Zeit ist die Taufkapelle der Stiftskirche St. Georg zu Köln.
Sie liegt innerhalb eines gewaltigen Thurmes von vortrefflich behauencn
Quadern, der auf der Westseite der Kirche aufsteigt, und besteht aus einem
Quadraten, mit einem Kuppelgewölbe gedeckten Räume, dessen Wände unten
durch reich gegliederte und mit Säulen umstellte Nischen (auf jeder Seite
eine grössere zwischen zwei kleineren), oben durch einen neben den breiten
rundbogigen Fenstern umherlaufenden Umgang belebt sind. Alles ist darin
von vollendeter Ausführung und edelster Haltung. Das burgartige Ansehen
der glatten, undurchdringlichen Mauern dieses Gebäudes hat die Sage ver-
anlasst, dass Erzbischof Anno es in feindlicher Absicht errichten lassen,
dadurch aber den Argwohn der Bürger hervorgerufen und seine Vertreibung
aus der Stadt veranlasst habe. Allein es unterliegt keinem Zweifel, dass
diese edle und mächtige Construction nicht der schlichten und selbst rohen
Säulenbasilika aus Anno's Zeit, der sie angebaut ist, gleichzeitig sein kann.
Andererseits aber sind die Formen noch rein romanisch, ohne jede Bei-
mischung von entschiedenen Zeichen des Uebergangs, so dass wir sie wohl
nicht später als in die letzten Jahre des zwölften Jahrhunderts setzen
dürfen ^).
Nicht wie dieser stolze und prachtvolle Bau von Drachenfelser Trachit,
sondern von schlichtem Tufstein, auch nicht mit so ausgezeichneter Technik
ausgeführt, aber durch sinnreiche und zierliche Anlage interessant, ist die,
jetzt auf den Friedhof zu Bonn versetzte Kapelle der ehemaligen Deutsch-
herren-Commende zu Ramersdorf. Sie hat drei Schiffe von gleicher
Höhe, was an Kirchen dieser Gegend sonst noch nicht vorkommt, aber bei
einer so kleinen Kapelle ebensowenig wie bei Krypten auffallen kann. Ihre
spitzbogigen Rippeugewölbe werden von vier schlanken Ringsäulen (s. oben
Fig. 73 S. 244) und von Gewölbdiensten getragen, welche auf gleicher Höhe
mit jenen Ringen von Consolen an Wandpilastern aufsteigen. Die Chor-
nische hat eine ungewöhnliche Grösse, indem ihr Umfang etwa drei Viertel
eines Kreises enthält, also gewissermaassen einen hufeisenartigen Bogen be-
Brande von 1226 setzen. Die Willkür und Rohheit der Formen und der Mangel des
Spitzbogens im Hauptkörper des Gebäudes machen (abgesehen von den im IG. Jahr-
hundert erneuerten Gewölben) eine so späte Entstehung unwahrscheinlich. — Giersberg,
die Kirche zu Brauweiler, Organ für christl. Kunst, 1851, 1852.
1) F. V. Quast (in dem angeführten Aufsatze Heft X, S. 214) entwickelt scharf-
sinnig die Vermuthung, dass jene Sage nur die Namen verwechselt, und einen Her-
gang ans der Zeit des Erzbischofs Engelbert 11. auf den Erbauer der Georgskirche
übertragen habe. Allein dann würde gewiss nicht das künstliche Kuppelgewölbe,
sondern das im dreizelinteu Jahrhundert geläufige Rippengewölbe angewendet sein.
Boisseree a. a. 0. Taf, 21 — 24.
17*
260
Rheinischer Uebergangsstyl.
Fig.
schreibt und sich über die Breite des Mittelschiffes hinaus erweitert. Die
Fenster des Langhauses sind dicht unter den Schildbögen als vierblätterige
Kosen angebracht, offenbar um bei der geringen Höhe des Gebäudes das
Licht mehr von oben zu erhalten. Die durch die Schaftringe der Säulen
und die Consolen an den Wänden angedeutete Linie wiederholt sich im
Chore als Gesims der Fensterbrüstung, Die Rippen sind noch rund profi-
lirt, der Spitzbogen findet nirgends eine Stelle, es lässt sich mithin keine
Spur der Einwirkung des gothischen Styls aufzeigen, aber das ganze kleine
Gebäude macht schon den Ein-
druck des Heiteren und Schlanken,
der diesen Styl sonst von romani-
schen Bauten unterscheidet. Wir
werden nicht irren, wenn wir es
in die ersten Jahre des dreizehnten
Jahrhunderts setzen ^).
Die Mehrzahl der rheinischen
Uebergangsbauten scheint etwas
jünger, im zweiten oder doch ge-
gen das Ende des ersten Viertels
des dreizehnten Jahrhunderts ent-
standen. Unter ihnen will ich
zuerst wieder eine Kapelle nennen,
die nicht bloss wie die zu Ramers-
dorf durch ihre Zierlichkeit, son-
dern auch durch sichtbares Stre-
ben nach Eleganz bei massigen
Mitteln überrascht. Es ist die
StMathiaskapelle zuKobern
an der Mosel , nach Lassaulx's
Vermuthung in Folge des Erwerbes
einer bedeutenden Reliquie durch
die Burgherren bald nach 1218 er-
baut -). Sie hat im Grundi'isse eine
sechseckige Gestalt; in der Mitte steigt eine hohe Kuppel von geringem
Durchmesser auf, welche oben durch ein auf Kragsteinen und Ecksäulchen
Kirche zu Ramersdorf.
^) Vgl. Näheres in meinem Aufsatze hi Kinkel's Tasclienbuche: Vom Rhein, und
im Domblatt 1847. Der verstorbene v. Lassaulx liat das Architektonische mit allen
Details in sehr zweckmässiger Weise auf einem radirten Blatte dargestellt, das jedoch
nicht in den Handel gekommen ist. — Publicirt bei Gaiihabaud, l'architectm-e etc. Bd. I.
-) V. Lassaulx, die Mathiaskapclle zu Kobern. Koblenz 1837. Vgl. aucli Kugler
a. a. 0. S. 344. — A. Reichensperger in Bock, Rheinland? Baudenkin. Bd. I.
Kapellen zu Kobern und Viandeii. 261
ruhendes Gewölbe gedeckt, unten aber durch sechs, von spitzen Bögen ver-
bundenen Bündeln von je fünf freistehenden Säulen gestützt ist. Diesen
mittleren Raum umgiebt dann ein ebenfalls sechseckiger Umgang, dessen
Eippengewölbe sich im Viertelkreisbogen an die Wand des Oberschiffes an-
legt. An der einen Seite des Sechseckes öffnet sich eine einen vollen Drei-
viertelkreis bildende ApsiS; die wahrscheinlich ein etwas späterer Anbau ist.
Die vielen Ringe der Säulen, die elegante. Phantastisches schon mit Natu-
ralistischem mischende Sculptur der Kapitale, die auf Säulen ruhenden Klee-
blattbögen, welche im Innern eine Arcatur an den Wänden des Umgangs
bilden und die aus drei entsprechenden Kreistheilen zusammengesetzten
Fächerfenster einrahmen, die kräftigen Schildbögen, auf welchen über dieser
Arcatur die einzelnen Gewölbkappen des Umgangs ruhen, — alles dies giebt
dem Innern einen überaus heiteren, reichgeschmückten Charakter, aber auch
schon fast den Eindruck des Unruhigen und Ueberladeneu.
In der Grundrissanlage, zum Theil auch in den Formen, ist diese Ka-
pelle einem merkwürdigen kleinen Gebäude verwandt, das zwar im Luxem-
burgischen, aber schon auf deutschem Sprachgebiet und dicht an der
preussischen Grenze gelegen ist: der Schlosskapelle zu Vianden, wahrschein-
lich um 1220, oder nicht viel später, erbaut^). Sie bildet ein Zehneck von
etwa 30 Fuss Durchmesser und 23 FussHöhe, dessen Gewölbe in der Mitte
durch sechs Pfeiler gestützt werden-), mit einem fünfseitig geschlossenen
Chorraum. Jede Seite der inneren Wand enthält unten zwei vertiefte Ar-
caden und oben zwei eben solche Fenster, beide mit freistehenden Säulen
besetzt; zwischen den angrenzenden Säulen steigen dann als Gewölbträger
in allen Ecken sehr schlanke, in halber Höhe durch Ringe getheilte Halb-
säulen auf. Die mittleren Pfeiler sind viereckig, aber theils mit fünf, theils
mit vier freistehenden, jenen Gewölbstützen ganz entsprechenden Säulen
umstellt. Die Fenster sind spitzbogig, die Arcaden rund, auch die Bögen,
welche die sechs mittleren Säulen verbinden, nur überhöhte Rundbögen. Die
etwas flach gebildete attische Basis hat das Eckblatt. Die Verzierung ist
^) Publicirt vou Daniier, Förster'sche Allgemeine Bauzeitiuig, Doppeljahrgang
18G8, 1869, Taf, 41, 42, Text S. 208 — 214. — Vgl. Reicheiispcrger iu deu Jahrb.
des Vereins der Rliein, Altertlmmsfreunde, Heft XIII, XIV mit Grundrissen. — Nach
1849 restaurirt.
2) Diese Mittelpfeiler stehen auf einer ßrustmaner, innerhalb welcher der Fuss-
boden geöffnet ist. Da aber die darunter gelegenen Räume, durch die gewaltigen,
hauptsächlich als Substructionen der Kapelle dienenden Mauermassen gebildet, zu
Vorrathskammern oder Gefängnissen, nicht aber etwa für die Theilnahme'des Schloss-
gesindes am Gottesdienste eingerichtet waren, so diente diese (teffnung nur zur Be-
leuchtung jener unteren Räume, und die Kapelle gehört daher nicht iu die Reihe der
s. g. Doppelkapellen.
2ß2 Rheiuisclier Uebergangsstyl.
sehr sparsam angebracht^ nur die Kapitale an den unteren Säulen des Chor-
raums und am Portal haben Blattwerk, alle übrigen sind schlicht, die der
Fenster würfelförmig, die anderen schlanke aber nackte Kelche. Da indes-
sen die kräftig gebildeten Säulenringe und die ungewöhnlich hohen Deck-
platten der Kapitale überaus reich gegliedert und mehr als Jmndert Säulen
und Ilalbsäulen in dem nicht sehr grossen Räume angebracht sind, macht
das Ganze ungeachtet dieser Einfachheit einen überaus reichen, aber auch
kräftigen und würdigen Eindruck. Im Wesentlichen gehört dieses Denkmal
dem rheinischen Uebergangsstyl an, es zeigt die Ringsäulen, die hochge-
schwungenen Kelche der Kapitale, die vielfach gegliederten Deckplatten.
Aber insofern die Eigenthümlichkeit des rheinischen Styls sich vorzugs-
weise in gewissen decorativen Formen, in Kleeblattbögen und gehäuften
Friesen, in einer vorherrschenden Zierlichkeit und Feinheit ausprägt, nähert
sich die Kapelle zu Vianden eher den derberen Formen und der constructi-
ven Tendenz der französischen Bauten, wie sie bald darauf, freilich schon
entschieden gothisch, in der Liebfrauenkirche zu Trier erscheint.
Zu den schönsten Kirchen des Rheinlandes gehört die Pfarrkirche zu
Andernach^), ein nicht unbedeutender Bau, zwar ohne Kreuzschiff, aber
mit vier kräftigen Thürmen, zwei an der Fagade, zwei an der halbkreisför-
migen Concha, im Inneren mit einer Empore über den Seitenschiffen. Aus
einer früheren Bauzeit, und zwar aus der ersten Hälfte des elften Jahrhun-
derts, mag vielleicht der südliche Thurm der Ostseite stammen, alles Uebrige
ist jünger-). Die Chornische mit Arcaden von Pilastern und Säulen, mit
der Gallerie, dem Plattenfriese, und sehr reich ornamentirteu Gesimsen aus-
gestattet, gleicht einigermaassen denen des Münsters zu Bonn und der
Kölner Kirchen von St. Martin und Aposteln, doch deutet schon die schlanke
Haltung der Fenster und der sie umgebenden Arcaden auf eine etwas spä-
tere Zeit. Noch deutlicher zeigt sich diese im Langhause, obgleich der
Spitzbogen nur im Gewölbe vorkommt, in den kräftigen Vorlagen der Haupt-
pfeiler, den gekuppelten Säulen der Empore und ihren mit phantastischem
Laubwerk reichgeschmückteu Kapitalen, endlich besonders in dem Rippen-
gewölbe, dessen Diagonalgurten schon das birnförmige Profil, das entschei-
dende Zeichen gothischer Tendenz, haben. Können wir daher jene Chor-
nische auch vielleicht ganz an den Schluss des zwölften Jahrhunderts ver-
weisen, so gehört doch das Schiff' entschieden schon dem dreizehnten
^) F. Bock, Rlieinlaiids Baiulenkinale; deiselbe, das momimentale Rlieiiilaiid. Audi
bei Boisseree Tf. 44—48. Vgl. auch Kngler, kl. Sdir. II, 212 und Lassaulx a. a. Ü.
S. 474.
-) Wahrsdieinücli war Biscliof Johann I. von Trier (t 1212) der Erbauer. Vgl.
Organ liir christl. Kunst, 1808 S. 13 ü'.
Kirchen zu Roppard, Baeharach, Sinzig- etc. 263
Jahrhundert, die Ueberwölbung selbst erst der Zeit gegen die Mitte desselben
an; ebenso der Westbau, gegliedert von drei Reihen Blenden, über denen
erst die selbständige Entwicklung der Thürme beginnt. Die oberen Stock-
werke derselben weisen den Kleeblattbogen nebst entsiirechender Umrahmung
aus gebrochenen Stäben, und den Spitzbogen auf. Sehr schön ist das süd-
liche Portal, rundbogig, mit zwei durch die vorspringende Ecke getrennten
Säulen auf jeder Seite, mit reich verzierten Kapitalen und Archivolten, und
dem von Engeln getragenen Lamme in der Glorie ^).
Ungefähr gleichzeitig ist der Chor und die Ueberwölbung der Kirche
zu Boppard. Das Langhaus mit schweren niedrigen Pfeilern und breiten
Rundbögen scheint ursprünglich nicht auf Gew'ölbe angelegt und in einer
früheren Zeit des zwölften Jahrhunderts entstanden zu sein. Auch das
Portal der Westseite, mit kräftiger Profilirung und sehr schönem Blattwerk,
ist von zu strenger Form, um es schon dem dreizehnten Jahrhundert zuzu-
schreiben 2). Dagegen hat die mit drei Seiten des Achtecks geschlossene
Apsis, ausser den sehr schlanken rundbogigen Fenstern, schon durchweg
den Spitzbogen, selbst an der Zwerggallerie des Aeusseren, dabei sehr lang-
gedehnte Ringsäulen und zierliche Gurtprofile. Diesem Anbau wird die
Ueberwölbung des Mittelschiffes und die äussere Decoration der Fenster
desselben gefolgt sein. Jene ist sehr ungewöhnlich. Das Schiff ist nämlich
durch starke Quergurten getheilt, hat aber zwischen denselben statt wirk-
licher Kreuzgewölbe ein mit Rippen besetztes spitzbogiges Tonnengewölbe
das im eigentlichen Mittelschiffe auf dem oberen Gesimse der Empore, in
der Vorlage des Chores aber auf kleeblattförmigen Schildbögen ruht. Noch
wunderlicher ist die äussere Ausstattung der Oberlichter, bei denen rund-
bogige Arcaden mit rechtwinkelig gebrochenen Stäben, wenn ich so sagen
darf mit geradlinigen Kleeblattbögen, wechseln, derselben Form, welche an
dem Westthurme von Andernach vorkommt. Im Ganzen gehen hier die
rheinischen Formen mehr als gewöhnlich in das Barocke über.
Auch die Kirchen zu Baeharach, zu Sinzig und in dem benachbar-
^) Abg-ebildet bei E. aus'm Weerth, Denkm. des MiltelaUers in den Rheinl. Bd. III,
Tai. LH. Fij-. 12.
2) Abbildungen bei Gladbach (Möller III) Taf. 19 — 21. Kugler, kl. Sehr. II.
S. 213, giebt Zeichnungen charakteristischer Details. — Dr. Karl Rössel, die Pfarr-
kirche St. Severus in Boppard, Wiesbaden 1861, publicirt ein Siegel der Stadt B.,
welches in verhältnissmässig guter Ausführung die Kirche, und zwar vollständig- wie
sie noch jetzt ist, mit den Thürmen und dem Chor darstellt. Da dies an Urkunden
von 1236 vorkommt , war die Kirche um diese Zeit vollendet. Damit stimmt überein,
dass die im Hochaltar bewahrten Reliquien das Siegel des Erzbischofs Theodorich von
Trier (1212 bis 1242) trugen; die Niederlegung der Reliquien geschah bei der Weihe.
264 Rheinischer üebergangsstyl.
ten Heiraersheim, zu Linz und zu ErpeP), sämmtlich mit Emporen
über den Seitenschiffen, mit Ringsäulen, Kleeblatt- und Spitzbögen, mit Ar-
cadenreihen am Aeusseren, tragen denselben Charakter eines decorativen,
nicht gerade mit besonderer Feinheit behandelten, aber malerischen Styls,
der sich dann an dem (muthmaasslich 1225 begonnenen) Chore der St. Mar-
tinskirche zu Münstermaifeld-) in besserer Ausführung zeigt. Zu be-
merken ist, dass alle diese Kirchen einen fünfseitigen Schluss aus dem Zehn-
ecke, also eine künstlichere, aber auch dem Halbkreise sich mehr nähernde
Polygonform haben, welche an der zuletztgenannten Kirche durch Verstär-
kung der Ecklisenen eine den Strebepfeilern ähnliche Sicherung erhält.
Hieher gehört endlich auch das Querschiff des Münsters zu Bonn,
wahrscheinlich der Anfang eines neben dem älteren Ostchore ^) begonnenen
Neubaues der ganzen übrigen Kirche, welcher zufolge einer Bemerkung des
damals schreibenden Caesarius von Heisterbach im Jahre 1221 noch nicht
vollendet war. Die Kreuzconchen haben auch hier wieder die fünfseitige
Gestalt. Starke Ecklisenen und mehrere Gesimse theilen das Ganze in
Wandfelder, die sämmtlich mit einem langgezogenen Bogenfriese gedeckt
sind, und unten kreisrunde, rosettenartige, oben sehr schlanke rundbogige
Fenster, unter dem Dache endlich die Zwerggallerie haben. Der Plattenfries,
die plastische Verzierung der Gesimse, die Säulen und Halbsäulen, welche
man bisher an solchen Conchen anzubringen pflegte, sind hier fortgelassen;
man erkennt eine Tendenz auf gleichmässigere, mehr geregelte Ornamenta-
tion, die aber nun, da man doch reiche und gehäufte Verzierungen brauchte,
nach Kugler's richtigem Ausdrucke, in eine Tautologie verfällt, indem ausser
der Arcadengallerie drei Rundbogenfriese vorkommen, so dass das Motiv
kleiner decorativer Bögen sich vier Mal wiederholt. Der Thurm auf der
Vierung, achteckig und mit acht Giebeln versehen, hat schon durchweg spitz-
bogige Fenster. Noch deutlicher zeigt sich die Tendenz zum gothischen
Style am Laughause, das wahrscheinlich nach der Vollendung des Kreuz-
schiffes und bis gegen die Mitte des Jahrhunderts ausgebaut wurde. Die
Fenster der Seitenschiffe sind fächerförmig, aber siebentheilig, die Ober-
lichter im Aeusseren durch eine überaus leichte spitzbogige Gallei'ie verziert.
Hier finden sich auch kleine Strebebögen, welche in Ermangelung von
Strebepfeilern auf den starken Wandpfeilern der Seiteuschiffe ruhen. Im
Linern sind die Gewölbe spitzbogig, die Arcaden noch halbkreisförmig, aber
*) Kugler a. a. 0. S, 204. Die Petrildrche zu Baeharach in den oben angefülirten
Werken von Bock, die Kirche zu Sinzig bei Boisseree, Tf. 53 — 55, die zu Heiniers-
lieim im Organ für christl. Kunst 1864, S. 1 ff.
') Kugler a. a. 0. S, 217. Näheres unten Ivap. 7.
3) Vgl. oben S. 246 citirten Werke.
Die Münster zu Bonn, Kirchen zu Köln. 265
weit und kühn geschwungen, die Pfeiler kräftig gebildet, 'mit hochhinauf-
gehenden Diensten im Mittelschiffe, mit Bündelsäulen auf ihren anderen
Seiten. Ueber ihnen zieht sich ein Triforium mit Rundbögen gleicher Hohe.
Die Oberlichter bestehen unter jedem Gewölbe aus drei halbkreisförmig
gedeckten Fenstern, von denen das mittlere höher und vor denen ein mit
Säulen geschmückter Umgang angebracht ist. Das Ganze ist reich verziert,
hell beleuchtet, kräftig und würdig und theilt die Vorzüge des gothischen
Styls, ohne ihm bestimmt anzugehören^). Das Hauptportal, in das nördliche
Seitenschiff" führend, ist dagegen schon völlig frühgothisch, mit tiefgeglie-
dertem Spitzbogen und mit den kleinereu diesem Styl zusagenden Kapitalen.
Das Laughaus der Klosterkirche zu Sayn, deren im Jahre 1202 erbautes
Kreuzschiff schon erwähnt ist, soll dem dieses Münsters sehr gleichen-).
Andere gleichzeitige und verwandte Bauten sind die Stiftskirche zu
Gerresheim bei Düsseldorf, über deren Bauzeit die Nachrichten fehlen,
dann das Langhaus und der als Concha angelegte nördliche Kreuzarm der
St. Audreaskirche zu Köln, welche nach dem Brande von 1220 erneuert
wurden^), endlich das westliche Querschiff der Apostelkirche daselbst,
dessen Entstehung wahrscheinlich sich gleich an die im Jahre 1219 erfolgte
LTeberwölbung des Langhauses anschloss. In diesen Gebäuden sind die
Gewölbe und Arcaden spitz, die Fenster rundbogig oder fächerförmig, das
Innere mit dunkelen Marmorsäulen, das Aeussere mit dem Rundbogenfriese
verziert. Aber gothische Profile und Gliederungen kommen schon häufiger
vor und diese verschiedenen, theils romanischen, theils gothischen Elemente
sind harmonischer verschmolzen, so dass das Ganze mehr den Eindruck des
gothischen als des romanischen Styls macht, nur freilich in anderer Weise
als in den frühgothischen Gebäuden Frankreichs. "Während in diesen die
constructive Tendenz sich durch höchst solide und selbst schwere Gliede-
rung fühlbar macht, war man am Rheine sofort für die malerische "Wirkung
des Spitzbogens empfänglicher, suchte ihr entsprechend auch die mit den
Spitzbögen in "Verbindung stehenden Theile schlanker und zierlicher zu bil-
den, und wurde dadurch in der ohnehin schon vorherrschenden decorativen
Tendenz nur noch mehr gesteigert. Ein sehr auffallendes Beispiel hiefür
ist die Klosterkirche Sion zu Köln, im Jahre 1221 gegründet und, ob-
gleich schon vor längerer Zeit abgebrochen, uns durch die von Boisseree
*) Eine gute Abbildung des Ijinern in Chapuy's Moyen äge monumental Nro. 206,
uud bei E. aus'm W'eerth a. a. 0. — Eine Aussenansicht bei Boisseree a. a. 0. Taf. 56.
-) Kugler, kl. Sehr. II, 216, welcher an einer anderen Stelle darauf hinweist, dass
es Grafen von Sayn waren, welche als Pröpste des Bonner Stiftes den dortigen Bau
leiteten.
^) Wie dies Caesarius von Heisterbach a. a. 0. üb. 10, c. 27 als Zeitgenosse
erzählt. Nähere Beschreibuuij bei Kugler a. a. 0. S. 203.
266 llhcinischrr Ueberg-aiig-sstyl.
publicirten Zeichnungen wohl bekannt ^). Man kann sie als eine einfache,
spitzbogige Pfeilerbasilika betrachten, an deren glatter, nicht einmal durch
Kämpfer oder Gesimse unterbrochener innerer Wand die ganze mit dem
Gewölbe verbundene und durch dunkelen Marmor belebte Architektur nur
angelehnt, gleichsam angeklebt ist. Das ganze Mittelschiff ist nämlich von
fünf Kreuzgewölben bedeckt, von denen das erste durch einen kräftigen Pfeiler
gesondert, gleichsam eine Vorhalle bildet, die vier anderen aber paar-
weise verbunden und gewissermaassen wie die quadraten oder sechstheiligen
Gewölbe behandelt sind, indem stärkere Pfeiler, an welchen eine pilaster-
artige, von schlanken Ecksäulchen begleitete Vorlage einen ähnlich gebil-
deten breiten Quergurt trägt, mit schwächeren Pfeilern wechseln, welche
die glatte Fläche zeigen, und oberhalb deren am Triforium ein kleiner Dienst
aufsteigt, der nur eine gothisch protilirte Gewölbrippe unterstützt. Sehr
eigenthümlich ist auch das übrigens blinde Triforium, indem es aus lauter
vereinzelten, nicht dicht aneinander gereiheten Arcaden besteht. Offenbar
diente die neue Ausstattung des Langhauses der Apostel kirc he, welche
der nach der Nachricht des Gelenius im Jahre 1219 vollendeten Ueber-
wölbung vorhergegangen war"-), hier zum Vorbilde, nur dass man statt der
sechstheiligen Gewölbe des älteren Baues verbundene Doppelgewölbe, statt
des rundbogigen Triforiums spitze Arcaden anbrachte, die man, weil sie den
Raum nicht füllten, auseinanderrückte. Auch das Langhaus der alten
St. Martinskirche erhielt eine neue Bekleidung des Inneren, indem man
über den rundbogigen Scheidbögen ein Triforium von Spitzbögen auf ge-
kuppelten Säulchen anbrachte, und zugleich ein reiches mit Ringsäulen,
romanischen Verzierungen und kräftigen spitzbogigen Archivolten verziertes
Westportal. Noch stärker ist die Hinneigung zum gothischen Style an den
Klostergebäuden der Abtei Rommersdorf •^), welche unter dem von 1214
bis 1236 regierenden Abte Bruno erbaut sind. Die Säulen des Kapitelsaals
haben noch romanisches Blattwerk an den Kapitalen, aber ihre runde Basis
ohne Plinthe und der achteckige Aufsatz, von dem die Gewölbrippen auf-
steigen, zeigen den Gedanken der Verticalcntwickelung sehr deutlich, die
Rippen haben eine Andeutung der birnförmigen Profilirung, und selbst an
^) Boisseree, Denkmale der Baukunst am NiedeiTheiii Taf. 64 — 66.
-) Lassaulx, a. a. (). S. 491, bezieht die im Jalire 1219 erfolgte Uebenvölbniig
mii' auf den Chorraum, weil die Gewölbe des Langhauses jünger zu sein schienen.
Allein die bei Gelegenheit der Ueberwölbung bewirkte Verstärkung der Pfeiler durch
aufsteigende Halbsäulen mit Würfelkapitälen und das damit in Verbindung stehende
rundbogige Triforium entsprechen zu sehr der Zeit von 1219, als dass man nicht an-
nelunen sollte, dass jene Nachricht sich auch auf die Einrichtung des [.anghauses für
Gewölbe bezogen haben sollte.
•'') Vgl. auch hier Boisseree a. a. 0. Taf. 57, 58.
Annäherung- an den gotliischen Slyl. 267
den noch rundbogigen Theilen des Kreuzganges finden sich schon kleine
Rosetten im Bogenfelde, Vorzeichen des Maasswerks.
In anderer Weise, nämlich mit engem Anschluss an die Formen des^
rheinischen Uebergangsstyles zeigt sich die Annäherung an die Gothik in
der Stiftskirche St. Cunibert zu Köln, deren Bau im Jahre 1200 nach
dem Plane des Subdiaconus Vogelo begann und im Jahr 1247 geweiht
wurde^). Die Anlage der östlichen Theile ist abweichend von der der ande-
ren gleichzeitigen grösseren Kirchen in Köln; die Querhausarme haben nicht
die Gestalt von Conchen, sondern sind quadratisch, aber am Aeusseren nicht
als Kreuzschiff sichtbar, weil sie den Unterbau von zwei Thürmen bilden. Der
Chorschluss besteht aus einer Apsis mit kleinen Wandnischen und mit
schmalem Umgang in zwei Stockwerken, der sich unten in Säulengruppen mit
Schaftringen und Rundbögen, oben in ähnlichen Säulen aber ohne Ringe
und mit Spitzbögen öffnet, die als Stichkappen in die Halbkuppel einschneiden.
Schon hier nähert sich das Höhenverhältniss der Gothik, aber noch stärker
ist diese Annäherung in der Anlage des Langhauses. Es ist, wie die früh-
gothischen französischen Kirchen, in drei Doppeljochen mit sechstheiligen
Kreuzgewölben überdeckt, die Arcaden, die triforienartigen, paarweise ge-
stellten Blenden über denselben, die Oberlichter und die Schildbögen sind
rund, aber die Gurten der Wölbung spitz, die Rippen in der Weise des
gothischen Styls profilirt; vor den schlichten Hauptpfeilern steigen Vorlagen
in Gestalt von Pilastern mit schlanken Ecksäulen ununterbrochen in die
Höhe; die Mittelrippen ruhen auf Halbsäulen, die vom Arcadengesims em-
])orwachsen. Die Wände der rundbogig überwölbten Seitenschiffe sind durch
Nischen mit kleinen Achtpassfenstern gegliedert. Der Westbau, der wie in
der Apostelkirche ein zweites Querhaus bildet und aus dessen Mitte der
Hauptthurm aufsteigt, zeigt den Spitzbogen auch schon in den Fenstern und
im Portal. Mit Ausnahme der Apsis ist das Aeussere von grösster Schlichtheit.
Neben diesen gothischen Tendenzen erhielt sich aber der romanische
Uebergangsstyl noch in voller Geltung, er wurde nur durch den Einfluss
jenes regelmässigeren Styls geläutert und gekräftigt, indem er, ohne den
Reichthum von Detailforraen aufzugeben, sie harmonischer zu gestalten
suchte. Namentlich bildete sich jetzt auch eine bessere plastische Schule,
welche, wenn sie auch die Feinheit und Präcision mancher sächsischere
1) Diese Nachrichten finden sicli in einem von Dr. Eclierlz entdeckten Necrologinm^
welches sich nicht wie er anfangs meinte (D. Kunstbl. 1858, S. 263) auf die Apostei-
kirclie, sondern nach seiner Berichtigung (Dioskuren 1859, S. 115) auf St. Cunibert beziriit.
Die Notiz über den Baumeister lautet: VI Kai. Maji obiit Vogelo subdyacoiius ....
Hujus consilio et magisterio inchoata et promota est nova fabrica ecciesie. — Auf-
nahme bei Boisseree a. a. 0. Taf. 67 — 71.
2(38 Rheinischer Uebergangsstyl.
Sculpturen nicht erreichte, doch in freiem Schwünge und in Eleganz der
Ornamentation Ausserordentliches leistete, und die stylvolle, kräftige Hal-
tung romanischer Gliederung wie mit einem vollen Blüthenkranze üppiger
Vegetation umgab. Beispiele solcher Leistungen geben ausser dem schon
angeführten schönen Portale von St. Maria in Lyskirchen in Köln die Ka-
pitälsculpturen von Rommersdorf und Münstermaifeld, vor Allem aber die
herrliche Eingangshalle des Kreuzganges vor der westlichen Apsis von
Kloster Laach, wo sich an dem Rankengesimse unter üppigem Laubwerk
eine Fülle der schönsten plastischen Motive findet ^).
Die bisher genannten Kirchen gehören sämmtlich den Diöcesen von
Köln und Trier an; in ihnen war der Hauptsitz dieses Styls. Doch ver-
breitete er sich auch über dieDiöcese von Mainz, indessen mit etwas
derberen und schwereren Formen. Der Gewölbebau fand hier, von wo er
ausgegangen war, verhältnissraässig frühe Verbreitung, behielt aber auch
seine schwere und einfache Gestalt. So finden wir ihn an einigen Dorf-
kirchen des Oberhessischen Gebietes, in Oberwerba, Battenfeld, Broms-
kirchen-), mit schweren viereckigen Pfeilern, runden Scheidbögen und
Fenstern, aber spitzbogigen Gewölben. Bei reicheren Gebäuden wandte
man aber auch die Zierformen des niederrheinischen Styls an. Ich habe
schon erwähnt'^), dass die prachtvolle Ausstattung, welche der Dom zu
Speyer durch eine und zwar um das ganze mächtige Gebäude umherlau-
fende Gallerie erhielt, der Herstellung nach dem Brande von 1159 zuzu-
schreiben ist. Gleichen Schmuck hat auch der Dom zu Worms an seiner
westlichen, poIygonen Nische *), die Paulskirche daselbst an ihrer ähnlichen
östlichen, jener zugleich mit kreisrunden Fenstern, deren rosettenartige
Verzierung schon an gothisches Maasswerk erinnert. An der schönen west-
lichen Vorhalle der Paulskirche ist zwar die Anlage, in Gestalt eines Quer-
schiffes mit achteckigem Kuppelthurm und mit einem durch Ringsäulen
reich verzierten rundbogigcn Portale, noch romanisch. Aber die vier Strebe-
pfeiler, welche an der Vorderseite aufwachsen, und die Gliederung und
Profilirung des Maasswerks in den grossen und kleinen Rosenfenstern sind
schon entschieden dem gothischen Style entlehnt, und es ist nicht unwahr-
scheinlich, dass, wie man vermuthet hat, diese Formenmischung in Folge
^) Abbiidung-en bei Geier und Görtz, sowie bei Fr. Bock, das monumentale Rhein-
land.
-) Abbildungen enthalten die Denkmäler der deutschen Baukunst, dargestellt von
dem hessischen Vereine für die Aufnalime miltelalterlicher Kunstwerke. Band I.
Darmstadt 1858.
») Bd. IV, S. 383.
*) Möller I, Taf. 18.
Uebergangsstyl am Oberrheine. 269
einer im Jahre 1261 stattgefuiidenen grossen Reparatur dieser Vorhalle
entstanden ist^). Eine sehr eigenthümliche Mischung von Elementen des
decorativen rheinischen Styles mit der Tendenz des gothischen finden wir
an dem westlichen Chore des Domes zu Mainz, der nebst dem daranstehen-
den Querschiffe bald nach 1200 angefangen, 1239 geweiht ist 2). Schon
derGrundriss ist sehr künstlich, indem er aus einem Quadrate besteht, dessen
eine Seite den Zugang nach der Vierung des Kreuzes darstellt, dessen andere
Seiten aber in flache, durch je drei Seiten des Achtecks gebildete Nischen
ausladen. Es ist eine Anwendung des Gedankens kreuzförmig verbundener
Conchen, wie er an den Kölnischen Kirchen im Grossen durchgeführt war,
auf die neben ein rechteckiges Querschiff gestellte Chornische, mithin eigent-
lich ein Pleonasmus, denn jene kleeblattartige Anlage ist eben eine Ver-
schmelzung der Kreuzarme mit der Chornische und hat daher neben einem
wirklichen Kreuzschiffe keine Berechtigung'^). Auf diesem künstlichen
Grundplane ist dann die Ausführung sehr derb und doch phantastisch. Die
polygonförmige Anlage der drei "Nischen des Chores, die langgezogenen, wenn
auch rundbogigen Fenster auf jeder Polygonseite und die völlig ausgebildeten
Strebepfeiler erinnern an den gothischen Styl, während die Ornamente des
rheinischen Styls, Rundbogenfriese, Plattenfries und eine Zwerggallerie von
ziemlich gedrückten Verhältnissen, sich häufen und neben der achteckigen
Kuppel schlanke achteckige Thürmchen aufsteigen.
Wie es scheint, durchkreuzten sich in diesen Gegenden verschiedene
Einflüsse. Die imposante Erscheinung der alten Dome von Mainz und
Speyer reizte zur Nachahmung, während man doch auch mit dem zierlichen
Style der nördlichen Rheingegend wetteifern wollte und andererseits von
dem neuaufkommenden französischen Systeme entlehnte. Dieses Schwanken
erkennt man schon an dem Dome zu Worms, welcher, im Jahre 1181 ge-
weiht, im Ganzen noch die Gedanken jener älteren Nachbardome verfolgt,
dabei aber in den Details weichliche Linien und eine unharmonische De-
coration zeigt. Bei den Klosterkirchen dieser Gegend wurde dann die Mischung
stylistisch verschiedener Formen noch durch den langsamen Baubetrieb ge-
steigert. So schon an der Kirche des vor 1150 gestifteten Klosters Enken-
bach bei Kaiserslautern. Ihre Anlage, kreuzförmig, mit einfach quadratischem
'^) F. V. Quast in seiner augefülirteii Schrift über die romanischen Dome zu Mainz,
Speier und Worms S. 53, weist eine alte Nachricht nach, zufolge welcher im Jahre
1261 bedeutende Reparaturen (a fundamentis) stattgefunden liaben. — Abbildung in
Moller's Denkmälern Bd. II, und in Förster's Denkm. Bd. II.
2) Vgl. Wetter S. 33, und v. Quast a. a. 0. Kallenbach Taf. 25, 26.
') An der oben erwähnten Kirche zu Klosterrath beruht die ähnliche Verbindung
des Kleeblattes mit dem Kreuzschift'e nicht auf ursprünglichem Plane, sondern auf der
Verschiedenheit der Bauzeit.
270 Rheinischer Ueberg-angsstyl.
Altarraum und quadratischer Uebervvölbung bei kolossaler Dicke der Mauern
und Pfeiler entspricht dieser Frühzeit. Auch sind die Fenster rundbogig
und runde Blendbögen verbinden die Pfeiler; aber über den zwischen diesen
Pfeilern stehenden Säulen lehnen sich die Arcaden spitzbogig an jenen Blend-
bogen an, die Gewölbe sind nicht bloss spitzbogig, sondern mit starken
Kippen versehen und im Aeussern durch kräftige Strebepfeiler gestützt,
und das gegen die westliche Vorhalle sich öffnende Portal ist zwar rund-
bogig, aber reich gegliedert, und mit Blattwerk und besonders im Tympanon
mit Weinlaub geschmückt, dessen Behandlung schon ganz die des gothischen
Styls ist^). Noch stärker zeigt sich der Gegensatz von strengen und gran-
diosen neben leichten und zierlichen Theilen an der vielleicht einige Jahre
später begonnenen Kirche des benachbarten Cistercienserklosters Otter-
berg, ebenfalls in der bayrischen Pfalz-). Stärkere und schwächere Pfeiler
wechseln in dem aus fünf quadraten Gewölben bestehenden Langhause,
diese einfach viereckig, jene durch eine Vorlage verstärkt und mit Ecksäulen
und einer von einer Console aufsteigenden Mittelsäule die Gewölbrippen
tragend. An das Kreuzschiff schliesst sich der viereckige, hinten aber mit
flacher Polygonnische ausladende Chor an. Alle Fenster sind rundbogig,
die Arcaden dagegen sehr einfach gehaltene unverzierte Spitzbögen. Dies
Alles giebt den Eindruck des Kräftigen und Strengen, aber die Kapitale, in
korinthisirender Form mit schlankem Halse und eckiger Ausladung sind
geschmackvoll und üppig verziert, und die Westfa^ade, nach der Regel der
€istercienser ohne Thurm, hat ein reizendes überaus reich gegliedertes rund-
bogiges Portal rheinischen Styls, während das darüber befindliche grosse
Radfenster schon dem Gothischen verwandtes Maasswerk enthält, und ein
im Giebel ausgebrochenes Fenster dem entwickelten gothischen Style an-
gehört.
In den auf der rechten Seite des Stromes gelegenen Gegenden der
Mainzer Diöcese erscheint der rheinische Styl etwas feiner ausgebildet, so
namentlich in der von seinen Ufern schon ziemlich entfernten Hauptkirche
zu Gelnhausen^). Die kleine Reichsstadt erfreute sich, seitdem Friedrich I.
in ihrer Nähe seinen oben erwähnten Palast erbaut hatte, der Gunst des
1) S. Abbildungeil bei Sig-hart, Gesciiichte d. b. Künste in Bayern, S. 247. Audi
in den vom hessischen Vereine lierausgegebenen Denkmälern , sowie bei Förster,
Denkmale Bd. X.
2) Vgl. Sighart a. a. 0., S. 249, Gladbach a. a. 0. Taf. 12 — 15, E. Förster,
Denkmale Bd. X.
••') Moller, Denkmäler Taf. 19-25. Kallenbach a. a. 0. Taf. 22 und 23. Mertens,
in seinen Tabellen, setzt diese Kirche, wohl nur vermöge seines allgtMiieinen Princips
ßpäter Datirung, nicht auf Grund specieller Naciirichten, um 125C\
Kirche zu Gelnhausen.
271
Fig. 78.
Hohenstaufischeii Hauses. Zahlreiche, von diesem Schlosse datirte Urkunden
beweisen, dass Friedrich selbst, Heinrich VI., Philipp von Schwaben und
König Hehirich, Friedrichs II. Sohn, hier häufig Hof hielten. Dies wurde
die Grundlage zunehmender "Wohlhabenheit, von welcher die für eine blosse
Pfarrkirche ungewöhnlich reiche Ausstattung dieses Gebäudes Zeugniss
ablegt. Das Langhaus, ohne Zweifel der älteste Theil, ist ziemlich einfach,
sogar noch, was bei rheinischen Kirchen ähnlichen Umfanges in dieser Zeit
nicht mehr leicht vorkam, mit einer Balkendecke versehen. Die Fenster
sind rundbogig und unverziert, die Scheidbögen spitz, die viereckigen
Pfeiler haben auf der Stirnseite eine Ringsäule. Das Kreuzschiflf und der
ziemlich lang gestreckte, mit drei Seiten des Achtecks geschlossene Chor
sind dagegen durchweg gewölbt und in
jeder Beziehung reich gehalten. Auf der
Vierung des Kreuzes öffnet sich eine acht-
eckige Kuppel, über welcher ein mächtiger
Thurm zwischen zwei anderen in den
Winkeln des Kreuzschiffes und der Chor-
vorlage angebrachten, ebenfalls achteckigen,
aber schlankeren Thürmen hervorragt. In
der Decoration ist das Motiv gebrochener
Bögen fast im Uebermaasse gebraucht. Im
Inneren sind die Doppelreihen von Blend-
arcaden im Kleeblattbogen gebildet, die
Schildbögen an den Polygonseiten des
Chorschlusses fünffach ausgezackt, endlich
die Gewölbkappen von Rosenfenstern mit
innerem Vierpasse durchbrochen. Das
Aeussere der Chornische hat zw'ar im
unteren Stockwerke schlichte Fenster mit
stumpfem Spitzbogen und den einfachen Rundbogenfries, dafür aber Strebe-
pfeiler. An den Giebeln der Polygonseiten tritt dann eine um so stärkere
Häufung jenes Bogenmotivs auf, ein treppenförraig aufsteigender Bogenfries,
Kleeblattbügen au derGallerie und au den Fenstern, und endlich noch, durch
die Säulen der Gallerie durchscheinend, der Vierpass jener Rosenfenster.
Dazu kommt, dass sämmtliche Kleeblattbögen, mit Ausnahme der oberen
Arcatur des Inneren, keine Einrahmung durch einen einfachen Bogen haben,
so dass die unruhige, ich möchte sagen hüpfende Bewegung kleiner Bögen
jeder Unterbrechung und Milderung entbehrt. Wenn sich in diesem Theil
des Schmuckes die Schwächen dieser decorativen Richtung zeigen, ist da-
gegen die Ausführung und namentlich die Plastik au den Kapitalen und
Consolen des Inneren des höchsten Lobes werth. Es sind noch die bekannten
Kirche zn Gelnhausen.
272 Rheinischer Uebergangsstyi.
Rankenverschliugungen des romanischen Styls, aber in so freien und kühnen
Schwingungen, mit so feinem Gefühle für die Schönheit der Linie, und mit
solcher Präcision und Schärfe ausgeführt, dass sie das Auge entzücken und
kaum von irgend einer anderen Arbeit ähnlicher Art übertroffen werden.
Nachrichten über den Bau besitzen wir nicht; die Aehnlichkeit der Formen,
der kelchförmigen Kapitale, der gedrückten und ausladenden Basis und selbst
jenes Missbrauchs gebrochener Bögen, weist auf ^die Zeit hin, in welcher die
Kapelle von Kobern, die Herstellung der Kirche zu Boppard und andere der
oben erwähnten Bauten entstanden sind, so dass wir auch hier die Bauzeit
von 1220 bis 1210 annehmen können^).
Auch in anderen gleichzeitigen Bauten dieser ostrheinischen Gegend
herrscht diese decorative und plastische Richtung, wenn auch in minder
vollkommener Ausführung. So in den Chorbauten der Abteikirchen zu
Seligenstadt-), wo die Bogenmotive und das leicht gearbeitete Blattwerk
der Kapitale an Gelnhausen erinnern, und zu Pfaffen- Seh wabenheim^)
im Darmstädtischen, wo die Fenster im Langchor spitzbogig, im polygonen
Chorschluss rundbogig und innen reich mit Ringsäulen besetzt sind und die
Zwerggallerie ungewöhnlicher Weise keine Bögen, sondern gerades Gebälk
trägt. Gleichzeitig und in manchen Beziehungen verwandt sind auch das in
einem späteren Bau erhaltene Portal der St. Leonhardskirche zu Frank-
furt am Main, der Kreuzgang der Stiftskirche zu Aschaffenburg und
endlich die in die Sakristei führende Thür des Domes zu Mainz^). Sie
alle haben die Eigenthümlichkeit, dass ihre halbkreisförmigen Bögen etwas
überhöhet und fast hufeisenförmig sind, was aber gewiss nicht aus maurischen
Reminiscenzen, sondern aus der Absicht zu erklären ist, höhere, luftigere
und schlankere Oeffnungen zu gewinnen. Sehr augenscheinlich tritt dies an
dem Kreuzgange zu Aschaffenburg hervor, welcher, obgleich niedrig und
beschränkt, dennoch durch die eigenthümliche Bogenconstruction, welche
sehr schmale Pfeiler und Säulchen von nur sechs Zoll Dicke anzuwenden
gestattete, starke Beleuchtung und freien Zutritt der Luft erhält, und so
den Anforderungen, welche man an diese Gänge machte, entspricht. Er
scheint die früheste der erwähnten Anlagen ; die Kapitale, schlank und üppig
ausladend, sind bei massiger Ausführung in ungünstigem Material überaus
reich und nach einem gewissen Rhythmus wechselnd mit mannifachen, aber
durchweg romanischen Motiven verziert, die flache, über die Plinthe hinaus-
ragende Basis gleicht der in der Kirche zu Gelnhausen. Noch auffallender
*) Eine Inschrift an einem Strebepfeiler bekundet ein Erdbeben vom Jahre 1223.
") Kallenbach a. a, 0. Taf. 29.
'') Vgl. die vom hessischen Vereine herausgegebenen Denkmäler Taf. 15 — 18.
') SämmtHch bei Moller Bd. I, Taf. 9, 11, 12, 14 — 16. Vgl. Wetter a. a. 0.
S. 47. Kapitale aus dem Kreuzgange von Aschaffenburg bei Kallenbach Taf. 29.
Elsass. 273
ist die Ueberhöhung des Bogcns an der Sakristeithüre des Mainzer Domes^
welche wahrscheinlich gleichzeitig mit dem "Westchor um 1230 — 1236 ge-
baut wurde und in ihren schlanken Verhältnissen, sowie in der Bildung der
Säulenfü^se schon eine Aveitere Annäherung an die Tendenzen des gothischen
Styls zeigt. Auch am Portal der Leonhardskirche, an welchem die Kapitale
mit würfelartiger Ausladung auf schlankem Halse, die reichverzierten und
weit vorragenden Deckplatten, die Rankengewinde noch völlig dem spät-
romanischen Style angehören, verräth die eigenthümliche Bildung der Säulen-
stämme und des achtseitig kannelirten Säulenfusses dasselbe Bestreben nach
schlankeren Verhältnissen und nach einem mehr organischen Hervorwachsen
der oberen Theile aus den unteren.
So sehen wir also die rheinische Bauschule vom Beginn des dreizehnten
Jahrhunderts bis um 1240 in einer rüstigen und erfreulichen Thätigkeit;
überall sind neue Gebäude erstanden oder ältere verschönert. Die Mehr-
zahl der malerischen Kirchen, welche die Ufer oder Nebenthäler des Rheines
zieren, tragen das Gepräge dieses kurzen Zeitraumes. Die Technik hat sich
verbessert, die Ueberwölbung ist auch bei kleineren Kirchen angewendet,
die 3Iannigfaltigkeit der einheimischen vulkanischen Steinarten in glück-
lichster Weise benutzt. Die Plastik bewegt sich innerhalb der Grenzen
des architektonischen Styles mit kühnem Schwünge and feinstem Schönheits-
gefühl; eine Fülle neuer Erfindungen und Combinationen giebt jedem Ge-
bäude einen eigenen, individuellen Charakter. Allein bei allen diesen Vor-
zügen bemerken wir den Mangel eines festen, architektonischen Princips.
Das vorherrschend decorative Bestreben macht schon jetzt zuweilen den
Eindruck des Spielenden oder des Ueberladenen und es ist wenigstens sehr
zweifelhaft , ob man ein weiteres Fortschreiten auf diesem Wege wünschen
durfte.
Der Elsass zeigte schon in der vorigen Epoche^) eine etwas andere
architektonische Richtung als die Gegenden des Nieder- und Mittelrheins.
Neben der Neigung zu einer effectvollen, selbst barocken Ornamentation
machte sich auch das Streben nach strenger und solider Construction geltend.
Kirchen mit quadrater Ueberwölbung auf Stützen von wechselnder Stärke
waren schon im zwölften Jahrhundert entstanden; einige, z. B. St. Fides in
Schlettstadt, sogar schon mit spitzbogigen Arcaden. Am Schlüsse des 12.
und im Beginne des 13. Jahrhunderts bildete sich diese Richtung mit
grösserer Consequenz aus. Eine interessante Leistung des hierdurch ent-
1) Band IV, S. 397.
Schnaase's Knnstgesch. 2. Aiifi. V
274 üebergangsstyl im Elsass.
standenen Styles ist die Kirche zu Gebweiler, St. Legerius ^), ursprünglich
eine dreischiffige, kreuzförmige Anlage mit drei Doppeljochen im Mittel-
schiffe, später durch zwei weitere Seitenschiffe und eine spätgothische
Chornische vergrössert. Die Fenster sind rundbogig, die Gewölbe und
Arcaden in sehr entschiedenem Spitzbogen, diese mit einem Untergurt. Die
Hauptpfeiler sind auf allen vier Seiten, die Nebenpfeiler mit Ausnahme der
Frontseite mit Halbsäulen als Diensten der Bögen und Gewölbgurten be-
wehrt, alle Details aber schlicht und strenge, die Kapitale durchweg in
schmuckloser Würfelform, und die Verhältnisse, wie es schon in romanischer
Zeit im Elsass vorherrschte, gedrungen. fNur die Westseite zeigt elegantere
Formen, ein von je drei schlanken Säulen eingefasstes Rundbogenportal,
und davor, nach einem im Elsass beliebten, schon an St. Fides in Schlett-
stadt und besonders in Mauresmünster angewendeten Motive, eine offene
Vorhalle von drei Bögen, welche hier der ganzen Breite der drei Schiffe
entspricht, und an welcher der mittlere Eingang rund, die beiden schmaleren
Seiteneingänge aber ihrer geringeren Weite gemäss spitzbogig gehalten sind.
Zwei viereckige Thürme über dieser Vorhalle und der mächtige, achteckige
Vierungsthurm bekrönen das Ganze.
Ungefähr gleichzeitig entstanden und ähnlich wie St. Legerius von
Gebweiler, aber grossartiger ist die Stiftskirche St. Peter und Paul zu
Neuweiler-), welche mit ihrem zu diesem Zwecke rechtwinkelig schliessen-
den Chore an die oben (Bd. IV, S. 398) erwähnte sehr viel ältere Doppel-
Kapelle (St. Sebastian) anstösst. Dieser Chor, das Kreuzschiff und das öst-
liche der drei das Langhaus bildenden Doppeljoche sind noch im Style des
zwölften Jahrhunderts erhalten. Kreuzförmig gestaltete und mit streng-
gebildeten Halbsäulen ausgestattete Hauptpfeiler, durch spitze, aber recht-
winkelig umrahmte Arcaden mit den achteckigen Nebenpfeilern verbunden,
tragen das schwere spitzbogige Rippengewölbe, welches durch einfache, von
starken Strebepfeilern ausgehende Strebebögen gestützt wird. Das Lang-
haus ist durch paarweise unter jedem Schildbogen zusammengestellte rund-
bogige Oberlichter, das Kreuzschiff aber (wie in Gebweiler) durch Radfenster
beleuchtet. Die westlichen Joche tragen die Spuren einer späteren Ent-
stehung, die Seitenschiffe haben zwar noch romanische, aber eleganter
behandelte Formen, die des Mittelschiffes gehören schon der Frühgothik an.
^) Publicirt in den Archives de la commissiou des monumenft historiqiies. Vgl.
Lübke, eine Reise im Elsass, in der Wiener Bauzeitung 1866. S. 346 — 368.
-) Vgl. auch hier die Publication in den Archives des monuments historiques und
Besciireibung und Zeichnungen bei Lübke a. a. 0. sowie bei Woltmann , Streifzüge
im Elsass, Zeitschrift für bildende Kunst, 1872, S. 271 ff. — Neuvveiler liegt bei Zabern,
also in der nördlichen Hälfte des Elsass, Gebvveiler in der Nälie von Tliann, also im
Süden.
St. Peter und Paul zu Neuweiler.
Fig. 79.
275
St. Peter und Paul zu Nenweiler.
18*
276
üebergangsstyl im Elsass.
Am siidlichen Seitenschiffe befindet sich ein rundbogiges, zierlich ge-
gliedertes Portal mit schlanken Ringsäulen. Der westliche Frontbau ist ein-
Zusatz des vorigen Jahrhunderts. Die jetzt dem protestantischen Gottes-
dienst gewidmete St. Adelphikir che zuNeu weilerzeigt in ihren erhaltenen
Theilen den Einfluss der Stiftskirche, jedoch mit durchgängiger Anwendung
Fig. 8ü.
3 4 5 6
St. Peter und Panl zn Neuweiler.
des Spitzbogens und mit etwas plumper Formbildung. Sie wird der ersten-
Hälfte des 13. Jahrhunderts angehören.
Neben diesen Bauten mehr constructiver Richtung kommen dann hin
und wieder zierlichere Anlagen vor. So der an der übrigens modernisirten
Kirche zu Pfaffc.nheim bei Ruffach erhaltene Chor. Er ist von schlankea
Osttlieile des Strassburger Münsters. 277
Terhältnissen , mit drei Seiten des Achtecks geschlossen, mit regelmässig
gebildeten Strebepfeilern bewehrt, mit reich gegliederten Fenstern, Rund-
bogenfriesen und endlich mit einer Zwerggallerie ausgestattet , die aber
abweichend von dem niederrheinischen Gebrauche nur aus Blendbogen be-
steht 1).
Zu den wichtigsten Leistungen des elsassischen Uebergangsstyles gehört
dann auch der Umbau, welchen die östlichen Theile des berühmten Strass-
burger Münsters seit dem Anfange des 13. Jahrhunderts erlitten. Die
Anordnung selbst ist höchst alterthümlich, basilikenartig und wahrscheinlich
aus der Gründung der Kathedrale unter den Karolingern oder Merowingern
stammend. Sie besteht (über einer ganz romanischen Krypta) aus einer
Apsis, welche äusserlich rechtwinkelig ummauert sich an die Stiftsgebäude
anschliesst, innerlich aber die Gestalt eines vertieften Halbkreises bildet,
und ohne den im romanischen Style Deutschlands üblichen Vorraum unmittel-
bar in ein Querschiff von ungewöhnlicher Breite mündet. Bei der Apsis,
deren Gestalt eben wegen ihres Zusammenhanges mit den Stiftsgebäuden
keine Veränderung duldete, musste sich der Meister, der mit ihrer Wieder-
herstellung im neueren Style beauftragt war, damit begnügen, sie durch eine
reiche spitzbogige Wandarcatur zu beleben, welche ihm zugleich dazu diente,
an den Eckpfeilern der Chorvvand eine Erweiterung des Mittelschiffes vor-
zubereiten. Schwieriger war es, das Querschiff, das bisher ohne Zweifel
nur eine Balkendecke gehabt hatte, wie es der Anstand und die Sicherheit
jetzt forderten, mit einer Kuppel über der Vierung und mit vollständiger
Ueberwölbung zu versehen. Da nämlich die Kreuzarme sehr weit ausladend,
von grösserer Breite als Tiefe sind, schien es nicht thunlich, jeden mit einem
einzigen grossen Gewölbe zu bedecken. Der Meister gab ihnen daher je
vier kleine Kreuzgewölbe, welche in der Mitte auf einer freistehenden hohen
Rundsäule ruhen. Diesen Säulen entsprechend ist dann auch zwischen jedem
Paare der vier mächtigen, an den Ecken der Vierung stehenden Pfeiler eine
kleinere Säule gestellt, so dass das ganze Kreuzschiff in seiner Längen-
Tichtung durch eine Säulenreihe getheilt ist, und neben dem grösseren Räume
der Vierung auf jeder Seite vier kleinere Abtheilungen entstanden sind-).
Wenn auch bei dieser Anordnung zunächst die Sicherung des Gewölbes be-
stimmend gewesen war, so gewährte sie doch den Vortheil, jene weiten
Räume des Kreuzschiffes zu theilen, neben der Vierung kleinere Gewölbfelder
zu bilden, und so ohne wesentliche Steigerung der Höhe des ganzen Raumes
schlankere, dem neueren Geschmack mehr zusagende Verhältnisse und
Formen zu erlangen. Auch in den Details erkennen wir neben den her-
^) Vgl. den Holzschnitt bei Lübke, Arch. Gesell S. 391.
-) S. unten Fig. 105 den Grundriss des Strassburger Münsters.
278 Uebergangsstyl.
gebrachten romanischen Formen schon einzelne derGothik angehörige, z. B.
spitzbogige, zweigetheilte, wenn auch noch nicht durch Maasswerk belebte
Fenster, und empfinden das unruhige Suchen und Ringen, welches durch
den Widerstreit des neuen Styls uud der alten Gewöhnung entstand. Nament-
lich gilt dies von den Fagaden des Querhauses, bei denen sich spitzbogige
Fenster, dann romanisch gebildete Radfenster, und endlich auf der Nordseite
noch eine Zwerggallerie übereinander erheben. Das Doppelportal, das sich
auf der freiliegenden Südseite erhalten hat, ist rundbogig, aber sehr schlank.
Der Einfluss dieser energischen Schule erstreckte sich nicht auf die-
benachbarten Gegenden. Schon das Langhaus des Münsters zu Altbrei-
sach, obgleich nur durch den Rhein vom Elsass getrennt, erinnert mehr an
die mittelrheinischen Dome als an den pikanten Uebergangsstyl des Elsass
und das Kreuzschiff des Freiburger Münsters, obgleich reich ausgestattet,,
zeigt durchweg die ruhigen Formen des spätromanischen deutschen Styls,.
rundbogige Portale und Fenster, den Rundbogenfries u. s. f. "Weiterhin, in
der deutschen Schweiz, in Schwaben und Bayern tritt die constructive Tendenz,
das Suchen nach neuen, kräftigen Formen noch mehr zurück*, der einfache
romanische Styl, das Würfelkapitäl, die Balkendecke bleiben noch lange be-
liebt. Hin und wieder kommen wohl gewölbte Kirchen vor, aber vereinzelt,^
mit wechselnden Formen, welche keinesweges als Leistungen einer in sich
einigen Localschule erscheinen, sondern auf fremden Einfluss deuten. Das
Streben der einheimischen Bauleute scheint vielmehr ausschliesslich auf
Herstellung einer reicheren Ornamentik gerichtet, bei der sie dann aber
nicht von so sicherem Geschmack geleitet sind, wie die niederrheinische
Schule, sondern mannigfach schwanken. Zum Theil nämlich geben sie
geometrisches Ornament, das mit feinem Stylgefühl ausgeführt ist, häufiger
aber gefallen sie sich in ziemlich unmotivirter Ausstattung der Gebäude
mit phantastischen Gestalten, thierischer und menschücher Bildung. Die
bedeutendsten Leistungen dieser decorativen Schule, deren Anfänge wir schon
in der vorigen Epoche (Band IV , S, 405) bemerkten , finden sich an dem
grossen Münster zu Zürich, besonders am Nordportale und an dem Kreuz-
gange^). Auch das Portal der Klosterkirchezu Petershausen bei Constanz -)
1) Vögelin, der Kreuzgaug beim Grossmünster in Zürich. Vögelin und Keller, der
Grossmünster in den Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. I u. II.
2) Abbildungen in den Denkmalen deutscher Baukunst am Oberrhein und im
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1860 S. 286 und 321. An dem Relief im
Friese des Portals findet sich ohne weitere Bezeichnung der Name Wezilo, welchea
Würtemberg.
279
and die sehr ähnliche, aber reicher ausgeführte Galluspforte am Münster
zu Basel gehören dieser Schule an, die übrigens trotz ihrer Vorliebe für
Figurenbildung in dieser sehr roh und ungeschickt auftritt, während das
eigentliche Ornament frei und leicht behandelt ist.
Im Würtembergischen sind nur geringe Spuren des üebergangsstyls
nachzuweisen. Die Stiftskirche zu Ellwangen, die einzige, auf quadratische
Ueberwölbung angelegte grössere Basilika, unterscheidet sich so sehr von
allen anderen schwäbischen Bauten, dass man einen fremden Einfluss, etwa
von Sachsen her, annehmen muss. DieKirchenzu Denkendorf, zu Obersten-
feld und zu Weinsberg haben
bei rundbogigen Fenstern spitz- Fig- 8i.
bogige Arcaden, aber ohne
weitere bauliche Entwickelung.
Dagegen sind häufig auch
kleinere Kirchen mit phantasti-
schen Sculpturen ausgestattet;
an der Kirche zu Plieningen
bei Stuttgart ist die Unterseite
des weitausladendeu Kreuzge-
simses mit Thieren oder mensch-
lichen Gestalten besetzt, an den
Kirchen zu Schwärzloch bei Tübingen, zu Brenz, Faurndau und
B eisen tragen Kapitale und Friese so phantastisches Bildwerk, dass man
sie lange für heidnischen Ursprungs gehalten hat. Selbst in der streng-
gehaltenen Klosterkirche zu Alpirsbach sind zwei Säulen in dieser Weise
verziert 1). Nicht minder verbreitet ist diese phantastische Ornamentik in
Bayern. An den Kirchen zuBiburg bei Abensberg, an denen zu Tollbath
und zu Weiss endorf, beide im Bezirk von Ingolstadt, tragen rohe Menschen-
oder Thierköpfe den Rundbogenfries -}. In der nach einem Brande von 1159
hergestellten Krypta des Doms zu Freising sind alle Pfeiler und Säulen
verschieden ausgestattet und an Kapitalen und Sockeln, zum Theil sogar am
Stamme mit Sculpturen von Vögeln, Seethieren, Teufeüi, mit Thier- und
Menschenköpfen oder auch mit kämpfenden oder als Karyatiden behandelten
Gestalten bedeckt -^l
Zur. .11.
ins dem Kreuzgange des grossen Monsters zu Zürich.
das von Mone herausgegebene Chronicon Petershusanum als den des Meisters des im
J. 1162 begonnenen Neubaues nennt (Wenzilone quodam de Constancia ex clerico opifiee).
1) V. Stillfried, Hohenzollernsche Alterthümer. Bd. I. Vgl. über die übrigen
genannten Kirchen die Programme der polytechnischen Schule zu Stuttgart von Mauch
(1849) und Leins (1864) so wie oben Bd. IV, S. 406.
2) Sighart, Gesch. d. bild. Künste in Bayern I, 160.
') Sighart a. a. 0. S. 154; derselbe, der Dem zu Freising, Landshut 1852. Der
280 Uebergangsstyl in Bayern.
Ebenso reich; auffallend und fremdartig, aber von grösserer künstle-
rischer Bedeutung ist die Ausschmückung des Schottenklosters St. Jacob in
Regensburg. Die Anlage der Kirche hat nichts Ungewöhnliches. Es ist
eine dreischiffige Säulenbasilika ohne Querschiff, im Osten durch drei eng
an einander gereihete Conchen geschlossen, auf der Westseite mit einem
Vorbau, dessen oberes Stockwerk sich als Loge nach dem Inneren der
Kirche öffnet. Das Mittelschiff hat eine Balkendecke, die Seitenschiffe sind
mit einfachen Kreuzgewölben versehen, auf denen eine Empore ruhet. Allein
schon die sehr schlanke Bildung der Säulen und die hochstrebenden Ver-
hältnisse der ganzen Anlage unterscheiden sie von den Bauten der vorigen
Epoche. Auch sind die Kapitale anders gestaltet, niedriger, würfelartig oder
ausgekehlt, aber mit einem wulstigen Aufsatze versehen, reich geschmückt
mit Blattwerk, Ketten, Schuppen, Rankengewinden, mit menschlichen und
thierischen Gestalten. Die Basis hat statt des Eckblattes Thierköpfe. Ihren
grossen Ruf verdankt die Kirche indessen nicht diesen inneren Theilen,
sondern den phantastischen Sculpturen des Portals und seiner Umgebungen.
In plastischer Beziehung werde ich von ihnen weiter unten sprechen, aber
auch die architektonische Anordnung ist sehr auffallend. Das Portal selbst
hat eine reiche, aber gewöhnliche Form, je drei Säulen mit verzierten Stäm-
men zwischen ausgekehlten Ecken, durch eine grosse Zahl rund profilirter
Archivolten verbunden, das Bogenfeld mit Sculptur in hergebrachter Weise.
Am Fusse der Archivolten lagern hier, was sich auch in Freiberg findet,
kleine Löwen. Dies Portal ist aber nur ein Theil einer grossen Fa^aden-
architektur, wie sie sonst in Deutschland nicht vorkommt. Es liegt am
nördlichen Seitenschiffe , von welchem jederseits noch ein geräumiges Feld
durch breite Lisenen abgesondert und mit dem Portal zu einem gemein-
schaftlich umrahmten Ganzen verbunden ist. Die Seitenfelder sind durch
glänzende deeorative Gliederung in drei Stockwerke getheilt, von denen das
untere die Höhe der Portalsäulen hat und jederseits durch ausgemeisselte
Gestalten von Menschen und thierischen Ungeheuern, welche freischwebend
erscheinen, gefüllt ist. Beiderseits bilden drei muschelähnlich verzierte
Rundbögen den Abschluss dieses Theils, und über einem Gesimse, das die
Deckplatten der Portalsäulen fortsetzt, folgen nun auf jeder Seite der Archi-
volten des Portals zwei Reihen kleiner Arcaden, die untere mit grottesken
Karyatiden, die obere mit Pilastern. Endlich schliesst ein kräftiges Gesims,
Neubau wurde IIGO beg-onuen und erhielt im Jahre 1205 eine Weilie, welche jedoch
sciiwerlich (wie F. v. Quast im deutschen Kunstblatt 1852, S. 173 annimmt) die erste
nach der Vollendung- des Baues war, da derselbe (Sighart p. 47) schon 1181 einen
Altar in der Gallerie hatte. Die Kirche ist übrig:ens eine einfache Pfeilerbasiiika ohne
KrenzschifF, mit einer Apsis auf jedem der drei Schiffe, und mit Gallerien auf den
Seitenschiffen. — Die Krypta publicirt bei E. Förster, Denkmale, Bd. XII.
Schotlenkirche in Regensburg. 281
über dem Scheitel jener Archivolten noch mit Figuren verziert, den ganzen
Portalbau ab^). Das Kloster war, wie gesagt, ein Schottenkloster, d. h. eine
jener zahlreichen Stiftungen, welche schon vom siebeuten Jahrhundert an
uud mit erneuertem Eifer wieder im elften Jahrhundert auf dem Festlande
für irische Mönche gegründet ^wurden. Die Niederlassung dieser Schotten
in Regensburg fällt in das Jahr 1076; ihr Kloster lag aber anfangs an einer
anderen Stelle und wurde erst später auf die jetzige verlegt. Die erste hier
von 1090 bis 1111 gebaute Kirche war, wie ein gleichzeitiger Chronist
selbst sie bezeichnet, ein ungeordnetes und hinfälliges Werk (opus incom-
positum et fragile), und so begann denn bei etwas günstigeren Verhältnissen
des Klosters der Abt Gregor schon um 1150 einen Neubau. Der Chronist
rühmt an diesem Bau, dass er von wohlbehauenen Steinen (quadris et politis
lapidibus) aufgeführt, mit Blei gedeckt war, einen der Erwähnung würdigen,
aus geglätteten Steinen (quadris lapidibus superficia tenus laevigatis) ge-
bildeten Fussboden und einen Kreuzgang mit plastisch verzierten Kapitalen
und Basen (claustrum capitellis sculptis ac basibus) hatte. Wir dürfen nicht
zweifeln, dass dieser Bau der gegenwärtig erhaltene ist. Die Kirche wird
von einem um 1184 schreibenden Chronisten schon als vollendet erwähnt-),
indessen kann es sein, dass der Portalschmuck erst etwas später, immer
aber doch vor dem 1204 erfolgten Tode jenes Abtes hinzugefügt ist. Da
■diese Schottenklöster sich stets durch neu ausgewanderte Mönche ihrer
Nation ergänzten, hat man geglaubt, die auffallenden Eigenthümlichkeiten
des Gebäudes aus der fremden Abkunft seiner Erbauer erklären zu müssen-^);
allein, mit Ausnahme des Zickzackornaments, das sich an einem Seitenportale
und im Kreuzgange findet, kommt hier nichts vor, was auf die britischen
Inseln hinwiese. Die altirischen Kirchen sind einschiffig; der normannische
Styl, welcher um diese Zeit in Irland Eingang fand, liebt überaus schwere
Säulen, und eine zwar reiche, aber geradlinige Ornamentation; hier sind die
Säulen schlank, die decorativen Theile mit einer Fülle von Blattwerk und
menschlichen und thierischen Gestalten verziert. Dort sind Sculpturen selten
^) Abbildungen besonders bei Popp und Bülau , Denkmäler von Regensburg,
bei E. Förster, Denkmale, IX. und in Otte Gesch. der deutschen Baukunst S. 446.
Einzelnes bei Quaglio, Denkmäler der Baukunst des Mittelalters in Bayern, und bei
Kallenbach Chronologie Taf. 17. Der Portalbau in kleiner Dimension in Guhl's Atlas
Taf. 46, Nro. 3. Nachrichten über neu entdeckte Theile des Kreuzganges in der
Wieirer Bauzeitung 1848, S. 316. Vgl. v. Quast im deutschen Kunstblatt 1852.
-) Wattenbach, die Congregation der Schottenklöster in Deutschland, in v. tjuast u.
Otte, Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst, Bd. I. Der oben erwähnte
Chronist ist der Auetor vitae S. Mariani Scoti (Acta SS. Febr. II, 365 — 372), der,
wie sich aus speciellen Andeutungen ergiebt, zwischen 1177 und 1185 schrieb.
') Namentlich nennt Förster, Geschichte der deutschen Kunst I, 88, das (lebände
geradezu ein Werk englisch-normannischer Architektur.
282 Uebergangsstyl in Süddeutschland.
und von rohester Ausführung, während sie hier verschwendet und mehr con-
ventionell und strenge als roh behandelt sind. Ein Portalbau dieser Art
würde in England, geschweige denn in Irland ganz unerhört erscheinen.
Allerdings hat die Vertheilung und besonders der Inhalt der Sculpturen an
der Fagade etwas Fremdartiges, aber er erinnert eher an den Styl des
westlichen Frankreichs oder an italienische als an britische oder irische
Bauten. Man mag es daher als möglich zugeben, dass der altnordische, aus
den Miniaturen uns bekannte Geschmack an bizarrer Ornamentation , oder
dass die Eindrücke, welche diese Schotten als wandernde Mönche im west-
lichen Frankreich erhalten hatten, auf ihre deutschen Arbeiten eingewirkt
haben könne, aber eine dringende Veranlassung zu solcher Annahme ist nicht
vorhanden. Das Architektonische, namentlich die Profilirung der reich ge-
gliederten Archivolten, Gesimse und Basamente, ist ganz ähnlich wie in
anderen gleichzeitigen deutschen Werken. An dem Westportale und im
Kreuzgange der Carmeliterkirche zu Bamberg, damals zu einem Bene-
diktiner Nonnenkloster gehörig, kommen Zickzackornamente, liegende Löwen
auf den Gesimsen, üppiges Blattwerk und phantastische Darstellungen an den
Kapitalen vor, wie an dem Kegensburger Bau, und noch nähere Verwandt-
schaft mit demselben scheint das Portal der kleinen achteckigen Kirche zu
Ober-Wittighausen bei Würzburg sowohl in der reichen Gliederung und
plastischen Behandlung, als in der bizarren Wahl der dargestellten
Gegenstände zu haben ^). Viel eleganter dagegen sind die beiden, ursprüng-
lich für eine Vorhalle bestimmten Säulen, welche im südlichen Seitenschiffe
des Doms zu Würzburg stehen und mit den Namen der Säulen im salo-
monischen Tempel Jachim und Boas bezeichnet sind-).
Durchgängig verbindet sich mit dieser ornamentistischen Neigung eine
Schwäche des architektonischen Triebes. Grössere Kirchen mit romanischen
Gewölbenkommen namentlich im eigentlichenBayern ausserordentlich selten vor,
die beiden einzigen, welche man kennt, sind die angeblich um 1181 gegründete
Pfarrkirche St. Nicolaus zu Reichenhall % in welcher Pfeiler und Säulen wech-
seln, und endlich die St. Michaelskirche zu Alten Stadt bei Schongau,
ihrem Grundrisse nach ein Oblongum von drei Schiffen mit halbkreisförmigen
1) Vgl. F. V. Quast im deutschen Kunstblatt 1852, S, 189, und 1854, S. 134.
Die daselbst erwähnte Urkunde im Pfarrarchive von 1285 bezieht sich, zufolge brief-
licher Mittheilung des verst. Becker in Würzburg, nicht auf diesen Bau, sondern auf
die dortige Pfarrkirche. Die kleine achteckige Kirche wurde erst in neuester Zeit
Eigenthum der Gemeinde Ober-Wittighausen und gehörte früher der Gemeinde Pappen-
hausen. — Ansicht des Portals in der Zeitschrift des histor. Vereins für das würtem-
bergische Franken. Bd. 3.
^) Förster, Denkmäler, Bd. IX.
3) Sighart, Bayern, S. 159.
Oesterreich. 283
Nischen, ohne Querschiff, von ziemlich bedeutenden Dimensionen (140 F. L.,
64 F. Br.). Die Pfeiler sind aus vier gleich starken Halbsäulen zusammen-
gesetzt, von denen die dem Mittelschiff entsprechende zum Gewölbe aufsteigt.
Die Basis ist attisch mit Eckblättern, die Kapitale haben mehr oder minder
schwere Würfelform und sind mit conventioneilen Palmetten verziert. Auch
das reiche Portal hat noch Würfelkapitäle mit hohem verziertem Aufsatze;
die äussere "Wand zeigt ausser den einfachen rundbogigen Fenstern nur den
schlichten Bogenfries ohne Lisenen. Die Arcaden und die Bögen der
Wölbung sind gebrochen und neigen sich zur Spitzbogenform. Auffallend
ist, dass die Gewölbe des Mittelschiffes nicht qaadrat sind, sondern über
jedem Pfeiler schliessen. Diese Gewölbform, dann die Gestalt der Pfeiler ge-
statten nicht, die Entstehung des Baues früher als in den Anfang des 13. Jahr-
hunderts zu setzen; die schwerfällige, eckige Behandlung der Details scheint
für diese Zeit zu sprechen, schliesst aber die Möglichkeit einer noch späieren
Entstehung durch eine zurückgebliebene Bauschule nicht aus^).
Auch die östlichen Gegenden von Süddeutschland, Oesterreich und
die benachbarten später zum österreichischen Staate vereinigten Provinzen,
geben nicht das Schauspiel raschen architektonischen Fortschreitens. Schon
ihre Lage und ihre Schicksale erklären dies vollkommen; sie waren gleich-
sam später geborene Kinder Deutschlands, später zu den friedlichen Zu-
ständen gelangt, deren die Anfänge der Civilisation bedürfen. In der vorigen
Epoche hatten sie nur vereinzelte Spuren architektonischen Lebens gezeigt,.
und auch dies nur an besonders bevorzugten Orten, in den Metropolitan-
städten Salzburg und Prag oder in Klöstern, welchen die auswärtigen
Stiftungen ihres Ordens Vorbilder und Hülfe gewährten. Jetzt, besonders
seit dem Anfange des 13. Jahrhunderts, wurden die Zustände günstiger; es
erwachte ein neues, frisches Leben und mit ihm eine rege Bauthätigkeit, bei
der man dann aber natürlich, statt der mühsamen und zeitraubenden Arbeit
eigner Entwickelung, sich der Formen bediente, welche die vorangeschrittene
Kunst der andern deutschen Länder darbot. So geschah es denn, dass
verschiedene Einflüsse sich gleichzeitig geltend machten und eine einige
Bauschule auch jetzt nicht entstand.
Auffallend ist, dass dennoch gewisse gemeinsame Bausitten sich über
alle diese Provinzen verbreiteten, obgleich sie noch keine politische oder
kirchliche Einheit bildeten. Dahin gehört zunächst die Vorliebe für kleine.
1) Bernh. Grueber, vergleichende Sammlung christlicher Baukunst, I, 3 u. 4.
II, 16 und 28, und E. Förster, Denkmale II. — Dort kommen Ungenanigkeiten vor,
z, B. schwache Strebepfeiler am Mittelschitf. Vgl. Sighart S. 158, wo der Bau den
Jahren 1160 — 1180 zugeschrieben wird. Otte , Geschichte, S. 438 ist geneigt den-
selben in die erste Hälfte des 13. Jahrliunderts, sogar bis gegen 1250 zu setzen.
234 Uebergangsstyl.
kuppelartig überwölbte Rundbauten, die, fast immer mit einer der Ostseite
angebauten balbkreisförmigen Altarnische versehen, neben Pfarrkirchen oder
auch alleinstehend vorkommen. Meistens haben sie einen kellerartigen,
gewöhnlich überwölbten Unterraum, der zur Aufbewahrung von Leichen
geeignet war und sie als Todtenkapellen kennzeichnet; darauf bezieht sich
denn auch der Name Karner (Carnarium, von Caro, das Fleisch), den sie in
diesen Gegenden meistens tragen. Zuweilen aber sind sie auch ohne solche
Gruft und mithin zu anderer Bestimmung erriclitet, und es steht fest, dass
sie als ländliche Pfarrkirchen dienten, wie die Kapellen zu St. Lorenzen
bei Markersdorf im Wiener Walde, zu Scheiblingskirchen in Niederöster-
reich, zu Petronell bei Deutsch-Altenburg ^). An heidnischen Ursprung, den
die Volksmeinung diesen Gebäuden zugeschrieben hat, ist nicht zu denken;
bei der Bestimmung zu Grabkapellen hat die runde Form nichts Auffallendes,
man hielt sie für eine Nachahmung der Kirche des heiligen Grabes zu Jeru-
salem und wählte sie daher gern zu diesem Zwecke. Dass man sie dann
auch auf andere kleinere kirchliche Bauten übertrug, erklärt sich vielleicht
daraus, dass man in diesen dem Holzbau ergebenen Gegenden die solidere
Constructionsweise zuerst nur an Grabkapellen (welche die Gebeine bis zum
jüngsten Tage bewahren sollten) angewendet hatte und daher, mit Ausnahme
von einigen durch fremde Hülfe erbauten bischöflichen oder klösterlichen
Kirchen, nur in dieser Form kannte, Ueber die Entstehungszeit dieses Ge-
brauchs haben wir keine Andeutung; in Böhmen, wo solche Rundbauten am
häufigsten vorkommen, sind sie höchst einfach und können daher schon früher
Entstehung sein. In den andern Provinzen haben sie oft reichen Schmuck
von verzierten Bogenfriesen und Säulenbündeln, von Portalen, die theils der
Chornische gegenüber, theils seitwärts gelegen sind, alles in spätromanischen
Formen und also auf die zweite Hälfte des 12. oder die erste des 13, Jahr-
hunderts hindeutend. Zu den bedeutendsten Gruftkapellen gehören die zu
Deutsch-Altenburg an der Ungarischen Grenze, zu Wiener Neustadt,
zu St Lambrecht und Hartberg in Steiermark; durch die elegante Be-
handlung der späteren Uebergangsformen zeichnen sich die zu Mödling bei
Wien, zu Pulkau, zu Oedenburg und besonders die Dreikönigskapelle zu
Tuln-) aus, bei welcher in der Wandgliederung durch Blenden schon der
Spitzbogen neben dem Kleeblattbogen auftritt.
^) Vgl. oben Band IV, S. 195, Heider, über die Bestimmung der romanischen
Rundbauten in den Mittheil. d. k. k, Centr.-Comm. I. 53. Vgl. auch ebenda I. 251,
III. 263, IV. 47, V. 337 und besonders Dr. K. Lind, ebenda Bd. XII. (1867), S. 162
11'. — Ueber S. Lorenzen, vgl. Jaiirbnch der Centr.-Comm. II. S. 138, über Petronell
Mitth, XV. S. IV.
-) Ernst und Oesclier, Bandenkmale des Mittelalters im Erzlierzogtlium Oesterreiclj.
Oesterreich, 285^
Auf die Entwickelung des coiistructiven Sinnes hätten übrigens diese
kleinen soliden Bauten keinen Einfluss. Die Ueberwölbung grösserer Kirchen
fand sehr langsam Eingang. Die Cistercienser, also fremde, mit auswärtigen
Bausitten hierher kommende Mönche hatten zwar schon in der 1187 ge-
weihten Kirche zu Heiligenkreuz und in andern Bauten dieses einflussreichen
Ordens Beispiele grossartiger Gewölbeanlagen gegeben, aber noch um das
Jahr 1200 war die flache Decke und die rein romanische Form in aus-
schliesslicher Anwendung. Erst in den folgenden Jahrzehnten entstanden
einige weiter unten näher zu erwähnende Kirchen veränderter Form, meistens
mit quadraten Gewölben, spitzbogigen Arcaden und mehr oder weniger aus-
gebildeter Gliederung der Pfeiler, welche dann auch im Aeusseren mit
mannigfaltig gestalteten Rundbogenfriesen und mit wirkungsvollen Thurm-
gruppen geschmückt sind und überhaupt den Charakter des deutschen
Uebergangsstyls zeigen. Aber trotz dieser allgemeinen Uebereinstimmung
sind diese Bauten in den constructiven Einzelheiten so verschieden, dass
man sie keinesweges der Entwickelung einer localen Schule, sondern nur
mannigfach sich durchkreuzenden auswärtigen Einflüssen zuschreiben kann,
welche dann durch den Zusammenhang der verschiedenen Mönchsorden oder
durch den Einfluss der angrenzenden Gegenden auf diese zum Theil zerstreut
gelegenen Kirchen wohl zu erklären sind. Nur in einer Beziehung finden
wir dann aber eine weit verbreite Uebereinstimmung, Jene Vorliebe für
phantastische Ornamentation, die wir über das ganze südliche Deutschland
verbreitet fanden, zeigt sich nämlich auch hier, aber in etwas anderer Weise
und mit einigermaassen wiederkehrenden Formen. Zum Theil gefällt sich
auch hier der decorative Trieb in bedeutungsvollen, räthselhaften mensch-
lichen und thierischen Gestalten, wie wir sie in Rosheim im Elsass, an der
Schottenkirche in Regensburg und an andern Orten wahrnahmen, welche
dann, mit sehr mangelhafter Plastik ausgeführt, an beliebigen Stellen der
Aussenmauern angebracht sind. So zunächst die sehr roh gearbeiteten
Sculpturen an der in reichem romanischem Style und wahrscheinlich erst in
den Jahren 1210 — 1230 erbauten Chornische der Kirche zu Schön-
grab er n in Niederösterreich. Einige derselben lassen bestimmte Gegen-
stände der heiligen Schrift, den Sündenfall, das Opfer Abels und Kains u. A.
erkennen, andere aber sind so phantastisch und willkürlich, dass es nicht
gelungen ist, ihren Sinn zu errathen^). Auch an der romanischen West-
fagade des Stephansdomes zu "Wien, am Giebel der Stiftskirche zu
Wiener Neustadt und an andern Orten finden sich solche phantastische
Figuren regellos und mit schwachen symmetrischen Beziehungen eingemauert.
1) Abbildungen und gelehrte Untersuchungen bei Dr. Heider, die romanische Kirche
zu Schüiigrabern , 1855.
286 Uebergangsstyl.
Wichtiger als diese verfrüheten plastischen Versuche sind dann aber die
rundbogigen Portale, welche an einigen dieser Kirchen erhalten sind und
an denen sich diese süddeutsche Neigung für reiche Ornamentation in
edelster Anwendung und bereits unter der Zucht eines weiter ausgebildeten
Stylgefühls zeigt. Das berühmteste dieser Portale ist das auf der West-
seite von St. Stephan in Wien, die sogenannte Eiesenpforte. Sie ist,
wenn auch an sich nicht von sehr grossen Dimensionen (die lichte Höhe der
Thüröffnung bis zum Deckbalken beträgt 14 Fuss, die lichte Breite kaum
8 Fuss), doch durch Ausdehnung und Anordnung wahrhaft grossartig. Die
Verhältnisse sind höchst regelmässig; die Breite jeder Seitenwand und die
Höhe des Bogenfeldes mit allen seinen Archivolten sind einander und der
lichten Höhe der Thüröffnung fast gleich. Jede der Seitenwände enthält
zwischen den kräftig hervortretenden und zierlich ausgekehlten Wandecken
fünf, ausserdem stehen an den beiden äusseren Wandpfeilern noch zwei, im
Ganzen also auf jeder Seite sieben Säulen, deren Stämme alle reich verziert
sind und zwar in regelmässiger Abwechselung mit sehr kräftigen, rauten-
förmigen Bandverschlingungen oder mit leichterem Blattwerk. Darüber
kreisen ausser dem den äusseren Wandpfeilern entsprechenden glatten Bogen
zehn concentrische Rundstäbe, wiederum regelmässig wechselnd, theils glatt,
theils mit reichen schattenden Verzierungen, den Säulenstämmen ähnlich.
Die Kapitale sind mit knospenartigem und diamantirtem Blattwerk aus-
gestattet, aus welchem hier und da Köpfe hervorschauen. Auf dem hohen
Öeckgesimse sind die Halbfiguren der Apostel und anderer Heiligen in etwas
freierer Behandlung angebracht, während das Bildwerk des Bogenfeldes,
Christus in der Glorie von zwei Engeln getragen, noch völlig den strengen
Styl der romanischen Epoche hat. Die ganze architektonische Anlage wirkt
durch das regelmässige Alterniren verzierter und glatter Theile und vermöge
der dadurch belebten Kreisbewegung der Archivolten höchst imponirend und
gehört zu den prachtvollsten Leistungen dieses reichen Styls. Nachrichten
über die Entstehungszeit fehlen; man wird sie bei der späten Entwickelung
dieser Gegend nicht früher als in das erste Viertel des dreizehnten Jahr-
hunderts, vielleicht sogar noch etwas später, setzen dürfen i).
Aehnliche Portale, zum Theil mit genauer Wiederholung der ornamen-
^) Man weiss nur von einem im Jalire 1144 geweihten Bau und von Herstellungen
nach den Bränden von 1258 und 1275, denen dies Portal nicht zugeschrieben werden
kann. — Der Spitzbogen, welcher äusserlich die rundbogigen Archivolten umgiebt, ist
eine charakteristische Zuthat, welche die Entstehung an der Grenze zweier Style be-
zeichnet. Abbildungen bei Tschischka, der Stephans-Dom. Wien 1832. Taf. 15,
bei Lichnowsky, Denkmale Taf. 3 ff. , L. Förster. Allg. Bauzeitung 1853, Tafel 537,
E, Förster, Denkmale Bd, VI, Mittheilungen der k. k. Central-Commission, Band IX,
Taf. XIII, XIV.
^Oeslerreich, 287
tistischen Motive finden sich dann sowohl in der näheren Umgebnng von
Wien als in entfernteren Provinzen. So in Oesterreich selbst an der Stifts-
kirche zu "Wiener Neustadt, an der Rundkapelle zu Mödling bei Wien,
an der Kirche zu Klein-Mariazell, an der Dreikönigskapelle zu Tuln^).
Zwei sehr bedeutende Prachtportale dieser Art besitzt Mähren, das eine
am nördlichen Seitenschiffe der unten erwähnten Benetictinerkirche zu Tre-
bitsch '-), das andere an der Cistercienserkirche zu Tischnowitz. Dieses,
obgleich noch in überwiegend romanischer Form, doch schon nach 1238,
vielleicht schon um die Mitte des Jahrhunderts entstanden und mit der styl-
vollen aber naturalistischen Behandlung des Laubwerks, die sich erst im
gothischen Style entwickelte-^). Mehrere Portale dieser Art finden sich in
Ungarn. So zunächst das an der Klosterkirche St. Jak im Oedenburger
Comitate*), welches an den drei inneren Archivolten noch ganz rundbogig,
dann aber nicht bloss wie in Wien und in Neustadt von einer schmucklosen
Spitze umrahmt ist, sondern in seiner äussern Hälfte mit drei reich verzierten
Spitzbögen sich erhebt. Die Ornamentation am Portal selbst besteht aus-
schliesslich in gebrochenen oder sich rautenförmig durchschneidenden Linien,
dagegen sind an dem Giebel, der oben die Ausladung des Portals bekrönt,
in kleeblattförmig geschlossenen Nischen die Statuen Christi und der Apostel
aufgestellt. Aehnlich, fast bis zur Ueberladung mit gewundenen Kanneluren
und anderen Ornamenten geschmückt, ist das Portal der benachbarten Kirche
zu Horpacz''); geringeren Umfangs, aber schöner das an der Kirche des
im Jahre 1202 gegründeten Benedictinerklosters zu Lebeny (Leiden) bei
Raab^). Hier, wie in der schon erwähnten Kirche desselben Ordens zu
Trebitsch in Mähren sind im Gegensatze zu der Ornamentation des Wiener
Portals die Säulenstämme und Archivolten glatt geblieben, dagegen die
vertieften Stellen dazwischen mit kräftigen, starke Gegensätze von Licht
und Schatten gebenden Verzierungen ausgestattet. Auch Böhmen hat zwei
solche Portale aufzuweisen, das eine an der Kapelle zu Podvinec, das
andere zu Zabor.
Endlich finden wir auch noch in Schlesien, am Weitesten gegen Nord-
osten vorgerückt, ein Beispiel dieses decorativen Styls, nämlich an dem
1) Ansicliten und Risse bei Ernst und Oesciier Heft 4. Vgl. Dr. Lind über Rund-
bauten etc. in den Mitth. der k. k. Centr.-Conim. Bd. XII. 1867. S. 1G2 fl'.
2) Mittelalterllclie Kunstdenkmale des össterreichischen Kaiserstaates II, Taf. 17.
3) Wocel im Jahrbucii d. k. k. Centralcomm. 1858.
*) Eitelberger in den mittelalterl. Kunstdenkmalen des österreichischen Kaiser-
staates Bd. I und Jahrb. d. k. k. Centr.-Comm, Bd. I.
5) M. A. Kunstdenkm. a. a. 0. S. 90.
•5) Vgl. die Zeichnungen von Essenwein in den Mittheilungen der k. k. Central-
Comm. II, S. 9.
288 Uebergangsstyl.
Prachtportale, welches im Jahre 1546 von der abgebrochenen Kirche des
St, Vincenzklosters an die Kirche zu St. Maria Magdalena in Breslau
versetzt ist ^). Drei Säulen, deren Stämme, mit Ausnahme der beiden letzten
mit Rankengewinden, Streifen oder gebrochenen Kanneluren geschmückt
sind, stehen auf jeder Seite; auch die Thürpfosten sind mit Rankenge winden
bedeckt, welche Medaillons mit phantastischen Gestalten umschliessen. Die
steile attische Basis hat das ausgebildete Eckblatt, die Kapitale sind noch
würfelförmig, aber meist mit abgerundeten Ecken und zwischen Ranken-
gewinden überreich mit menschlichen Gestalten, Drachen, Greifen und Vögeln
ausgestattet. Die hohe, kräftig profilirte Deckplatte ist dagegen ohne
Sculptur. Die Archivolten wölben sich, den drei Säulen und den Thür-
pfosten entsprechend, in vier zurückweichenden Ordnungen und sind wiederum
reich verziert, besonders die über dem innersten Säulenpaare, indem sie in
sieben Reliefs mit fast zu zwei Drittheilen heraustretenden Figuren ohne
alle Trennung durch Baldachine oder andere Begrenzung die Geschichte
Christi von der Verkündigung bis zur Taufe enthält. Die Wahl dieser un-
gewöhnlichen Stelle für die Anbringung des Bildwerks scheint damit zu-
sammenzuhängen, dass Thürsturz und Bogenfeld fehlen, und die Thüröffnung
denBogenraum mit umfasst, so dass die Erbauer auf diese Weise den Mangel
des gewöhnlichen Reliefs im Bogenfelde ersetzen wollten. Die Entstehungs-
zeit ist auch hier unbekannt, und wird bei der späten architektonischen Ent-
wickelung dieser östlichen Gegenden, nicht eher als in das dreizehnte Jahr-
hundert gesetzt werden dürfen. Der romanische Styl, der überhaupt in
Schlesien spärlich vertreten ist, gelangte nicht vor dem Ende des zwölften
und dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts zu grösserer Ausbildung,,
und blieb auch dann noch hinter den Schöpfungen des westlichen Deutsch-
lands zurück.
In noch höherem Grade gilt dies von Böhmen-), dessen architektonische-
Entwickelung unter dem Einflüsse des slavischen Nationalcharakters spät
begonnen hatte und auch in dieser Epoche sich nur langsam über die alte
Formlosigkeit erhob ^). Dazu kommt dann, dass die wenigen, meistens zu
Klöstern gehörigen, grösseren und reicher ausgestatteten Kirchen der roma-
nischen Epoche fast sämmtlich in den stürmischen Religionskriegen zerstört
^) Eine ausfülirliche Beschreibung bei Dr. Luchs, über einige mittelalterliche
Kunstdenkmäler von Breslau. (Besonderer Abdruck eines Schulprogramms, 1855.)
S. 41. — Abbildung bei Dr. H. Luchs, romanische und gothisdie Stilproben aus
Breslau und Trebnitz, Breslau 1859, Taf. L
-) B. Grueber, die Kunst des Mittelalters in Böiuiien, Mittheiluiigeu d. k. k.Ceiilral-
Commission 1871, Beiblatt, mit zahlreichen Hulzschnilten. — Verschiedene Aufs-iitze
von Wücel und von Grueber in friiiieren Jahrgängen der Mittheiiungeii.
3) Bd. IV, S. 411.
Böhmen. 289
worden sind oder erhebliche Umgestaltungen im Geschmack anderer Epochen
erlitten haben. Das ist in Prag mit der Kirche des Prämonstratenser-Stiftes
S tr ah ow geschehen, und von einem andern interessanten Bauwerke Prags aus
der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, von der Kirche St. Johann in
vado (unfern der Brücke), sind nur wenige, zu Privathäusern verwendete
Mauern erhalten. Das gänzlich verschwundene Langhaus scheint, nach
Maaspgabe der noch erkennbaren Choranlage, einschiffig gewesen zu sein.
Der Chor bestand nämlich aus einer Concha, die aber, sehr ungewöhnlicher-
weise, mit zwei als Kreuzarme hervortretenden, ganz gleichen Conchen ver-
bunden war. Eines der grossesten und besterhaltenen Denkmäler Böhmens,
die ehemalige Prämonstratenserkirche zu Mühlhausen ^) bei Tabor
— um 1184 gegründet — zeigt mit wie schmucklosen Formen man sich
damals noch begnügte. Der Chor und das Querhaus sind frühgothisch, aus
dem ursprünglichen Bau ist nur das Langhaus erhalten, in welchem Mittel-
schiff und Seitenschiffe durch fünf Säulenpaare getrennt sind. Die Basen
der starken Rundsäulen sind jetzt im Fussboden verborgen, die Kapitale, durch
einen Ring getrennt, gleichen fast einer umgekehrten Basis, auf einem
Wulst mit Eckblättern ruht ein schwerer Abacus. Die Kreuzgewölbe ohne
Gurten und Rippen sind wohl nur in den Seitenschiffen ursprünglich, das
Mittelschiff war anfangs auf eine flache Holzdecke angelegt. Die Ober-
mauern des Schiffs sind völlig ungegliedert, ebenso das Aeussere, dem Lisenen
und Bogenfriese gänzlich fehlen, selbst an den beiden mächtigen Thürmen
der "Westfront. Die Formen sind also der alten Georgskirche in Prag-)
kaum überlegen. Noch roher sogar ist die St. Wenzelskirche zu Altbunz-
lau, von der nur die Krypta, auch diese aus dem Schluss des 12. Jahr-
hunderts, erhalten ist. Die Kreuzgewölbe sind durch Gurten getrennt, welche
unmittelbar ohne Deckplatten von den auf das Derbste zugehauenen Würfel-
kapitalen der 32, meist völlig schmucklosen Säulen aufwachsen. Die nächste
Uebereinstimmung mit Mühlhausen zeigt die 1193 gegründete und 1232
vollendete Prämonstratenserkirche zu TepP), bei welcher die mittlere der
drei Apsiden durch einen gothischen Chorschluss verdrängt worden ist und
die völlige Entstellung, welche das Innere im 18. Jahrhundert erfahren, nicht
mehr erkennen lässt, ob die Anlage ursprünglich auf Gewölbe berechnet war.
Daneben verdienen, ausser den auch in Böhmen häufig vorkommenden
Rundcapellen, einige kleinere Kirchen Beachtung, welche, meist in schlichter
Form, und grösstentheils einschiffig, manchmal höchst originelle Züge
in ihrer Grundrissanlage aufweisen. Die Details haben zwar die Elemente
») Wocel in den Mittheilungen Bd. VIII, S. 11 ff. u. 36 ff. mit Abbilduagen.
2) Bd. IV, S. 412.
3) Ürueber, Milth. Bd. XVI, S. XLVI.
Schnaase's Kunstgeech. 2. Aufl. V. 19
290 Uebergangsstyl.
der früheren böhmischen Architektur, wie die Würfelkapitäle deren Seiten-
flächen von Bändern eingerahmt sind, beibehalten, aber an Stelle der ehe-
maligen Schmucklosigkeit ist doch bereits eine Anwendung von Blattwerk
und von reicherer Decoration getreten. So die Kirchen von Tisnitz bei
Böhmisch Brod, von Hostivar bei Prag, von St. Jacob bei Kuttenberg ^),
in welcher zwei Säulen, auf denen die innere Empore ruht, eine reiche
ornamentale Ausstattung ^zeigen und namentlich die Kirche zu Zabor bei
CoUin -), dreischiffig, von vier Säulen getragen, aber in Charakter eines Central-
baues. Der quadrate Mittelraum wie die Nebenräurae sind von rippenlosen
Kreuzgewölben zwischen breiten Gurten überdeckt, über den vier Mittel-
säulen steigt der Thurm auf, dessen Last durch Bögen auf die Aussenwände
abgeleitet wird. Ebenso wie diese Kirche haben wir ihres Portals wegen
auch die zu Podvinec bei Jungbunzlau bereits erwähnt, die vielleicht erst
aus der Mitte des 13. Jahrhunderts herrührt-^). Sie besteht aus einem drei-
seitig geschlossenen Chor und einem quadratischen Raum, der eine Vorhalle
mit Empore darüber und das flachgedeckte Schiff umfasst.
Sechstes Kapitel.
Der deutsche Uebergangsstyl ; die Schulen mehr
constructiver Richtung.
Während in den Rheinlanden der eben geschilderte decorative Styl und im
südlichen Deutschland die Neigung zu phantastischer Ornamentation sich
verbreiteten, entstanden auf anderen Stellen Neuerungen fast entgegen-
gesetzter Art, welche, anstatt auf vermehrten Schmuck hinzuführen, eher
die Einfachheit und Strenge der älteren Bauten noch steigerten. Ihren
localen Sitz hatte diese Richtung hauptsächlich in den niederdeutschen,
flachen und nach der Meeresküste zu gelegenen Provinzen, allein sporadisch
und aus besonderen Ursachen trat sie auch in anderen Theilen Deutschlands
auf, und gewann mehr und mehr an Einfluss.
Schon in Westphalen*), also in unmittelbarer Nähe des Rheinlandes,
1) Publicirt von Passavant, in der Zeitschrift von v. Quast u. Otte, Bd. I, S. 149
u. Taf. 3.
2) Publ. V. Wocel, Mittheil. II, S. 116 S; Grueber, Mitth. I, S. 199.
») Grueber Mittheil. Bd. XVI, S. CXXII ff. - Förster, Denkmale, Bd. XII. —
Angeblich sogar erst 1316 geweiht.
*) Vgl. hier überall das bereits angeführte vortreffliche Werk von W. Lübke, die
mittelalterliche Kunst Westphalens.
Westphalen. 291
lernen wir diese Richtung kennen. Nirgends zeigt sich die unvertilgbare
Verschiedenheit einzelner Bruderstämme desselben Volkes auffallender, als
wenn man, nur wenige Stunden vom Laufe des Rheines, die Grenze über-
schreitet, welche die Wohnsitze des fränkischen Stammes von denen des
sächsischen scheidet, und sofort andere Sprachtöne, andere Sitten und An-
sichten findet. Während die Rheinländer manche Eigenschaften mit den roma-
nischen Völkern gemein haben, während ihr rascher fiiessendes Blut, ihr leicht
erregbarer Sinn sie für Fremdes und Neues empfänglich, nach Lebensgenuss
and heiterem Schmuck begierig macht, ist in Westphalen der ruhige, ver-
ständige, nüchterne Sinn des niedersächsischen Stammes, das treue, fast
eigensinnige Festhalten am Hergebrachten reiner und entschiedener aus-
geprägt als in irgend einer anderen Gegend. Früher bekehrt und civilisirt
als das östliche Deutschland, besass Westphalen schon im elften Jahrhundert
reiche und gelehrte Klöster, deren Herrschaft sich zum Theil über weite
Gebiete erstreckte, bischöfliche Schulen, in denen Wissenschaft und Kunst
eifrige Pflege erhielten. Aber so lange die Bewohner d^s Landes fast aus-
schliesslich auf ihren einsamen Höfen hauseten, blieb diese Bildung auf jene
geistlichen Mittelpunkte beschränkt, und erst in dieser Epoche, als die
Städte zahl- und volkreicher, und durch die diesem Stamme eigene Betrieb-
samkeit und Sparsamkeit mächtiger geworden waren, erwachte ein höheres
geistiges Leben, in welchem sich die Eigenthümlichkeiten des Volkscharak-
ters bestimmter entwickelten und Gestalt annahmen. Wie wir gesehen haben,
war die Wölbung, deren Vortheile dem praktischen Sinne dieser Gegend
vorzugsweise einleuchteten, schon früh in Aufnahme gekommen. Ihre aus-
gedehntere Anwendung führte jetzt zu weiteren Fortschritten, in welchen die
Rücksicht auf einfache Zweckmässigkeit vorwaltet, zugleich aber auch der
Freiheitssinn und die individuelle Selbständigkeit, welche den Bewohnern
dieser Gegend eigen ist, sich in sehr mannigfaltigen Formen und Versuchen
reicherer Ausstattung, immer aber mit einer charakteristischen Einfachheit
und Derbheit des Schmuckes äussert. Dies Alles ergab denn einen Ueber-
gangsstyl, der aber von dem rheinischen sich wesentlich unterscheidet, und
dem Provinzialcharakter Westphalens so sehr zusagte, dass er sich noch
lange erhielt und dass manche seiner Formen auch auf den gothischen Styl
bei seiner späteren Annahme übergingen.
Die gewöhnlichen Basiliken, welche am Schlüsse der vorigen Epoche
hier entstanden, hatten, wie wir gesehen haben, häufig die von der rheinischen
Weise abweichende Eigenthümlichkeit , dass darin Säulen mit Pfeilern
wechselten. Von diesem Anfange ausgehend schritt man nun zu weiteren
Versuchen und weiterer Ausschmückung. In einer Reihe meistens wiederum
kleinerer Kirchen ist nämlich an die Stelle dieser einen Säule ein Säulenpaar
getreten, das mit einem gemeinschaftlichen Kapital in der Dicke der Mauer
19*
292 Westphälischer Uebergangsstyl.
die Arcadenbögen trägt ^). So in den Kirchen zu Boke, Horste, Del-
brück, Verne, sämmtlich zwischen Paderborn und Lippstadt gelegen, und
dann etwas entfernter in denen zu Opherdike bei Dortmund und B öle
bei Hagen 2), die letzten wohl schon vom Ende des zwölften Jahrhunderts.
In der Kirche zu Horste zeigt sich darin eine sinnige Variation, dass die
zusammengestellten Säulen ungleich, die eine rund die andere achteckig, und
zwar mit wechselnder Stellung gebildet sind und ihre Verbindung durch eine
ausgemeisselte Hand, die ihre Kapitale umfasst, ausgedrückt ist. Auch in
reinen Pfeilerbasiliken wurden die Arcadenpfeiler zierlicher gestaltet, indem
sie an den abgefaseten Ecken eine feine Halbsäule erhielten. So in den
Klosterkirchen zu Lippoldsberg (auf dem rechten Weserufer) und zu
G ehr den, so wie in der Stadtkirche zu Brakel bei Höxter. Während
diese Bauten an der östlichen Grenze Westphalens sich dem sächsischen
Style nähern, zeigt die Marienkirche zu Dortmund schon eine Pfeiler-
bildung, welche, von jener obenerwähnten eigenthüralich westphälischen Form
ausgehend, eine organische Verbindung mit der Wölbung ausdrückt. Die
Pfeiler haben nämlich auf den Stirnseiten je eine Halbsäule als Gewölb-
träger, unter den Scheidbögen dagegen (ähnlich wie, nur mit freistehenden
Säulen, in Boke und den anderen damit verwandten Kirchen) zwei verbundene
Halbsäulen, die an der Pfeilerhöhe hervortreten und den die Arcade unter-
fangenden Bogen tragen. Noch reicher und eigenthümlicher ist dies in der
benachbarten Dorfkirche zu Brakel, indem hier auch die Gewölbträger des
Mittelschiffes verdoppelt sind und zwar dergestalt, dass sich diese Ver-
doppelung in zwei aufeinandergestellten Stockwerken wiederholt. Um diese
Zeit, gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts, werden auch die Portale
oft überaus reich und geschmackvoll. Sie sind meist nicht von be-
deutender Höhe und weichen häufig darin von der gewöhnlichen Form ab,
dass die Thüröffnung nicht durch einen geraden Sturz, sondern durch einen
Kleeblattbogen gedeckt ist, so dass das Bogenfeld auf die dadurch ent-
stehenden Zwickel beschränkt wird. Das schönste dieser Portale ist das
der St. Jacobskirche zuKoesfeld^), welches durch den rhythmischen
Wechsel von glatten und verzierten Theilen und dadurch einen besonderen
Werth erhält, dass die polychromische Färbung, mit welcher die Gliederung
ausgestattet war, noch sehr wohl erhalten ist. Aehnliche Portale sind das
nördliche des westlichen Kreuzschiffes am Dome zu Paderborn, so wie die
1) Es ist also dieselbe Anordnung wie in der Kalhedraie von Sens in Frankreich
(S. 60), ohne dass man an einen Einfluss von dorther denken darf.
2) Lübke a. a. 0. S. III und Taf. 5.
3) Lübke a. a. 0. S. 147 und 87. — Abgebildet bei Kalleubach u. Sclimitt,
Taf. XIV.
Chorschluss. 293
der Pfarrkirchen zu Vreden, Recklinghausen, Metelen, Lette und
St. Johannes zu Billerbeck.
Gleichzeitig wurde aber eine Form herrschend, welche ein sehr ent-
schiedenes Zeugniss für die Richtung auf das Nützliche und Einfache giebt,
der rechtwinkelige Chorschluss. Schon in der vorigen Epoche kommt
er einige Male vor, jedoch nur ausnahmsweise neben der halbrunden Apsis;
in der gegenwärtigen bildet er dagegen mit seltenen Ausnahmen die Regel
und wurde so beliebt, dass er aus dem üebergangsstyle in den gothischen
Styl dieser Provinz übertragen wurde. Der Grund für die Annahme dieser
Form war wohl schwerlich ein ästhetischer; man zog sie vielmehr vor, weil
man eine durchgängige Ueberwölbung haben wollte und die Schwierigkeiten
scheute, welche die runde oder polygone Apsis für eine solche verursachte.
Aber immerhin zeigt die Wahl dieses Mittels und das Beharren bei dieser
Form, dass man an ihrer nüchternen Erscheinung nicht Anstoss nahm. In
einigen Fällen wusste man indessen diese schlichten Chorwände sehr anmuthig
und constructiv richtig zu behandeln. Man versah nämlich die drei Wände
des viereckigen Chorraums mit mehr oder weniger reich gegliederten Wand-
arcaden, über deren Gesims je ein oder mehrere Oberlichter standen. Dies
gab dann die Veranlassung, dass man die Wand oberhalb desj Gesimses ver-
jüngte und mit einer davor gelegten Gallerie versah. So findet es sich sehr
schön und belebt in den Domen von Osnabrück und Minden gegen Ende
des zwölften oder vielleicht am Anfange des dreizehnten Jahrhunderts. Sie
beide übertrifft an edler Form und Zweckmässigkeit der Chor des Domes
zu Münster. Er ist nämlich ausnahmsweise nicht rechtwinkelig, sondern
mit fünf Seiten aus dem Zwölfeck geschlossen und von einem niedrigen Um-
gange begleitet. Dadurch erhält dann die auch viel reicher gebildete Gallerie,
welche sich durch die aufsteigenden Pfeiler durchzieht, eine höhere Bedeutung
und reichere Entwickelung. Die Gewölbe jund theilweise auch die Schild-
bögen sind rund, die Arcadenbögen spitz, die Anlage wird daher schon
einige Jahrzehnte jünger sein als die der beiden anderen Dome ^). Wir
sehen also, dass die westphälischen Meister, wie die Erfinder des gothischen
Styles, darauf bedacht waren, die Mauermassen zu erleichtern und eben da-
durch plastisch zu beleben, sie schlugen aber den entgegengesetzten Weg
ein, indem sie der leichter gehaltenen oberen Mauer ihre Stützen im Inneren
gaben, während der gothische Styl sie nach Aussen verlegte. Sie erlangten
dadurch an der Stelle, wo sie es versuchten, sehr schöne und harmonische
Formen, aber freilich nicht ein so fruchtbares und vielseitig anwendbares
Princip, wie es der gothische Styl besa'ss.
Während dessen war aber eine andere, viel folgenreichere Neuerung
1) Lübke S. 126, 236, 128.
294 Westphälischer Uebergangsstyl.
aufgekommen, die Anlage der Kirchen mit gleichhohen Schiffen, wie man sie-
zweckmässig benannt hat der Hallenkirchen. In Krypten, in Refectorieis-
und anderen Sälen, auch in kleineren Kapellen ') kannte man die Zusammen-
stellung gleichhoher Wölbungen schon längst, bei grösseren Kirchen hatte
man sie, sei es aus Anhänglichkeit an den Basilikentypus, sei es wegen der
davon befürchteten Schwierigkeiten, noch nicht angewendet. Wir können
als gewiss annehmen, dass es zuerst in Westphalen geschah. Nur hier finden
wir diese Form schon im romanischen Style, nur hier ist sie dem Volksgeiste
in dem Grade zusagend, dass sie die Basilikenform im Uebergangsstyle fast
ganz und im gothischen Style völlig verdrängt. Schon diese Vorliebe lässt
auf eine einheimische Entstehung schliessen, völlig entscheidend für eine
solche ist aber, dass wir ihre Genesis hier und nur hier vollständig verfolgen
können, sie nach mannigfaltigen Versuchen allmälig zu der völligen Aus-
bildung gelangen sehen, mit der sie in anderen Gegenden unvorbereitet und
immer erst in Verbindung mit dem gothischen Style auftritt. Wahrscheinlicli
entstand der Gedanke anfangs aus haushälterischer Neigung zur Benutzung
des Vorhandenen. Wie man früher die alten Pfeilerbasiliken nicht durck
neue gewölbte Kirchen ersetzt, sondern überwölbt und dadurch gelernt hatte^
die Wölbung vorhandenem Mauerwerk anzupassen, wollte man bei zu-
nehmender Bevölkerung auch den Raum luftiger machen, ohne ein ganz
neues Gebäude anzulegen, und erreichte dies durch Erhöhung und später
zugleich durch Erweiterung der Seitenschiffe. In einer grossen Zahl vor
Fällen, und zum Theil in solchen, die sehr frühzeitig scheinen, können wir
dies Verfahren wirklich nachweisen, mehrere Male finden wir sogar, dass
nur ein Seitenschiff erhöhet, das andere in der alten Gestalt gelassen ist.
Es ist daher, wenn auch nicht erwiesen, doch sehr wahrscheinlich, dass solche
Aenderungen dem Neubau ähnlicher Kirchen vorhergegangen sind.
Auch bei diesen schloss man sich anfangs noch völlig an den Basiliken-
typus an, und entfernte sich erst nach und nach von demselben, als man die
Vortheile und Erfordernisse der neuen Anordnung besser kennen lernte.
Zuerst behielt man die Grundverhältnisse der Basilika vollständig bei, die
schmale Anlage der Seitenschiffe, die quadraten Gewölbe, sogar mit Rück-
sicht auf den bisherigen Gebrauch die zwischen die Gewölbpfeiler gesetzte
Arcadensäule. Die Seitenschiffe hatten daher ganz dieselben Gewölbstützen
und Gewölbfelder wie bisher; man legte diese nur etwas höher, wodurch
dann die Säule bei gleicher Stärke schlanker und die obere Wand des
Mittelschiffes über den beiden Arcaden jedes quadraten Gewölbes auf ein
kleines unausgefülltes Bogenfeld beschränkt wurde, dem natürlich die Ober-
1) Die Bartholomäuskapelle in Paderborn, die Kirche zu Melverode bei Brano--
schweig und die Kapelle von Ramersdorf sind schon in dieser Beziehung angeführC
Ausbildunfir der Hallenkirchen.
295
g^^a;i^a,^.;^aa:^^lm^g^
lichter fehlten i). Dies findet sich in der kleinen Kirche zu Derne bei
Dortmund nicht lange nach dem Anfange dieser Epoche mit durchgängiger
Anwendung des Rundbogens, in St. Servatius zu Münster, St. Jacobus
zu Koesfeld, in der Klosterkirche von Langenhorst, in St. Johannes
in Billerbeck, in Leg-
den, in St. Marien (der Fig. 82.
sogenannten Marktkirche)
undSt.NicoIaus zuLipp-
stadt mit Spitzbögen an
den Arcaden und meistens
auch an den Gewölben bei
rundbogigen Fenstern. In
den beiden letztgenannten
Kirchen ist zu erkennen,
dass die Seitenschiffe früher
niedriger waren, bei den
anderen scheint ihre jetzige
Höhe ursprünglich. Bei mehreren Fig. 83.
derselben ist es erweislich, bei allen
wahrscheinhch , dass sie im letzten
Viertel des zwölften Jahrhunderts ent-
standen sind. Die Anwendung des
Spitzbogens empfahl sicli hier schon
dadurch, dass sie jenes unbeleuchtete
Bogenfeld verkleinerte und dem Mittel-
schiffe mehr von dem Lichte der Seiten-
schiffe zukommen Hess. Da dies Bogen-
feld das Mittelschiff verfinsterte und
die Zwischensäule als Stütze der oberen
Wand unentbehrlich war, so musste
man wünschen, beide zu beseitigen
und den Durchblick bis zu der Ge-
wölbhöhe des Seitenschiffes offen zu
lassen. Dies war indessen unmöglich,
so lange man neben dem quadraten
Gewölbe zwei Seitengewölbe anlegte,
und konnte nur geschehen, wenn man, von dem Herkommen quadrater
Wölbung abgehend, den länglichen und schmalen Raum neben jedem Gewölb-
felde des Mittelschiffes mit einer Wölbung bedeckte, welche keiner mittleren
1) Vgl. Lübke S. 144 ö'. und Taf. X.
296 Westphälischer Uebergang-sstyl.
Stütze bedurfte. Dies geschah dann anfangs in sehr originellei' "Weise. In
einigen Kirchen (St. Maria zur Höhe und St. Thomas in Soest, nebst
den Kirchen zu Ruthen und zu Enniger im Münsterlande) hat man den
Seitenschiffen halbe Kreuzgewölbe gegeben, deren Scheitelpunkt sich an
das Mittelschiff anlehnt und die, da zu den Diagonalgurten eine von einem
Wandpilaster aufsteigende mittlere Gurte hinzukommt, eine muschelförmige
Gestalt haben. Diese Anordnung ist zwar ganz zweckmässig, da dies Ge-
wölbe sich dem Schub der mittleren Kreuzgewölbe entgegenstemmt, allein
sie gewährte zu sehr den Eindruck eines Nothbehelfs, als dass man sich
dabei beruhigen konnte. Man gab daher den Seitenschiffen Tonnengewölbe
mit einschneidenden Stichkappen, wie sich dies unter anderen an den Kirchen
zu Bai VC und Plettenberg in ähnlicher Weise wie an der früher be-
schriebenen Dorfkirche zu Melverode bei Braunschweig findet. Endlich
kam man auf den Gedanken, den Seitenschiffen, abweichend von dem bis-
herigen Gebrauche, fast gleiche Breite mit dem Mittelschiffe zu geben, wo-
durch man in ihnen Gewölbe erhielt, welche bei fast quadratischer Form
mit Hülfe des Spitzbogens ohne Schvrierigkeit fast dieselbe Höhe erlangten
wie die des Mittelschiffes. Wahrscheinlich kam man auch auf dieses Aus-
kunftsmittel zuerst nicht bei Neubauten, sondern bei Herstellungen älterer
Kirchen, wo man durch Hinausrücken der Seitenwände bis an die Vorderseite
des Kreuzschiffes zugleich eine Vergrösserung des Flächenraumes und die
Erleichterung der Gewölbanlage erlangte. Diese Art der Erweiterung hat
namentlich an der Stiftskirche zu Ober-Marsberg im Jahre 1233^) und,
wahrscheinlich etwas früher, an der Münsterkirche zu Herford statt-
gefunden, an welcher letzten die mannigfaltigen Wölbungsarten und Fenster-
formen sehr augenscheinlich zeigen, dass der Meister seiner Sache nicht
sicher war und Versuche anstellte.
Indessen yab man sehr bald auch bei neuerbauten Kirchen den Seiten-
schiffen eine grössere, der des Mittelschiffes sich annähernde Breite. So in
der Klosterkirche zu Barsinghausen am Deister, bei welcher das Stiftungs-
jahr 1203 überliefert ist, in der Kirche zu Methler und einigen anderen
kleineren Kirchen in der Gegend von Dortmund, und endlich in der schönen,
leider nur als Ruine bestehenden Stiftskirche St. Marien zu Li pp Stadt,
deren P'enster zwar auf eine etwas spätere Zeit hinweisen, deren Pfeiler und
Grundmauern aber schon gleich nach der Vollendung des noch völlig roma-
nischen Nonnenchors, mithin spätestens um 1230, angelegt zu sein scheinen.
In anderen Fällen, wie bei der Dominikanerkirche und bei St. Johann zu
') C. Becker tlieilt im D. Kunstblatt 1855, S. 141 eine (sowohl Lübke als mir
selbst entgangene) Inschrift mit, nach welcher die Kirche nach einem Brande von
1230 drei Jahre darauf hergestellt sei.
Details. 297
Warburg uud bei den Kirchen zu Wickede und Huckarde sind die
Seitenschiffe zwar wieder von schmalerer Form, indessen wurde doch jene
breitere Anlage so beliebt, dass sie sich iu Westphalen, abweichend von dem
Herkommen der meisten anderen Gegenden, in welchen Hallenkirchen auf-
kamen, auch unter der Herrschaft des gothischen Styles erhielt.
In den meisten dieser Kirchen sind nur die Gewölbe und Arcaden spitz,
die Fenster dagegen rundbogig. So findet es sich namentlich noch in der
erst 1223 gestifteten, freilich sehr rohen und schmucklosen Kirche zuElsey
an der Lenne. Bald wandte man aber auch an den Fenstern, theils um sie
auf beschränktem Räume zu erhöhen, theils wie es scheint bloss zur Ab-
wechselung, den Spitzbogen an. An der Kirche zu B ar sing hausen sind
die Fenster innerlich rund, äusserlich mit einer schwach hervortretenden
Spitze, am Münster zu Herford höchst verschieden, theils rund, theils spitz,
theils mit einem Kleeblattbogen bedeckt, in St. Maria zur Höhe in Soest
auf der einen Seite rundbogig, auf der andersn spitz, hier aber äusserlich
von einem Kleeblattbogen umschlossen, dessen Ecken sich über den oberen
Theil des Fensters hineinbiegen und dasselbe theilweise verdecken. An den
Kirchen zu Wickede, Huckarde, Methler, Albersloh i), w^elche indessen
säramtlich wohl schon dem zweiten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts
angehören, sind endlich alle Fenster spitz. Häufig sind sie mit einem Rund-
stabe eingefasst, der ohne Kapital herumläuft aber an verschiedenen Stellen
durch Ringe getheilt ist. Meistens stehen sie gruppenweise, zu zweien oder
dreien zusammengestellt; in Methler und Wickede sind diese Fensterpaare
mit spitzbogigen Blenden bedeckt, die zwischen beiden auf einer Console
ruhen. Die Aussenmauern sind mehrentheils mit Lisenen und mit demBogen-
friese in runder oder spitzer Form ausgestattet. Die Ornamentation ist
nicht gerade arm, oft vielmehr wild phantastisch, aber ohne feineres Gefühl,
und, besonders an der schon genannten Höhenkirche zu Soest, ungewöhnlich
derb und bizarr. Die Gewölbfelder sind immer von schweren eckig pro-
filirten Gurten getrennt, meistens auch mit Rippen in Gestalt eines derben
Rundstabes versehen, die aber oft bloss als Zierden zum Scheine vorgelegt
sind. Häufig sind die Wölbungen sogar kuppeiförmig, aber doch mit Rippen
in Stuck bekleidet 2). Mehrere Male sind diese Rippen vermehrt und zu
1) Vgl. Organ für christl. Kunst, 1869, mit Abb.
2) Dies ist in dem spätromanischen Nounenchor der Stiftskirche St. Maria zu
Lippstadt, wo die Rippen und der Bewurf zum Theil abgefallen sind, vollständig zu
sehen. Aehnlicli wie VioIlet-le-Duc (Dict. I. S. 186), und noch stärker als dieser hat
sich ein anderer berühmter Architekt, Hübsch, im D. Kunstbl. 1855, S. 186 in der
Anm., für die Ansicht ausgesproclien , dass die Rippen „nicht aus einem construetiven
Beweggrunde entstanden sind , sondern lediglich eine decorative Veranlassung haben,
um nämlich den beliebt gewordenen, vom Boden aufsteigenden vielen dünnen Blend-
298 Westphälischer Uebergangsstyl.
einer eigenthümlicheu Verzierung benutzt, indem die Diagonalen zwar bis
zum Schlusssteine fortgesetzt, die von den Seiten der Quergurten und Schild-
bögen ansteigenden Rippen aber, ^ ehe sie jene erreichen, abgebrochen sind,
indem sie innerhalb eines durch einen Rundstab in einiger Entfernung vom
Schlussstein gebildeten Kreises mit einer Blume endigen. Dies findet sich
namentlich an der Kirche St. Johannes zu Billerbeck, im Chor der Kirche
zu Legden und an der Vierung des Kreuzes in der Pfarrkirche St. Maria
zu Lippstadt, ähnliches, z. B. die Umschliessung des Schlusssteines mit
einer Raute und einem Kreise, an anderen Orten. Häufig sind auch in einer
und derselben Kirche einige Gewölbe mit Rippen, andere ohne solche, und
eben so häufig die Rippen mit einzelnen, an gewissen Stellen angelegten
Schilden verziert^). Auch herabhängende Schlusssteine finden sich einige
Male, so dass der Gedanke decorativer Benutzung der Gewölbe, der in
anderen Gegenden erst im vierzehnten Jahrhundert aufkommt, hier, freilich
in anderer Weise, frühzeitig auftaucht. Dagegen sind die Pfeiler in den
meisten dieser Bauten gleich und in einer dem Systeme der Hallenkirchen
wohl entsprechenden, sehr regelmässigen und constructiv richtigen Gestalt
aus viereckigem Kern kreuzförmig gebildet, in den Ecken schwächere, auf
den vier Seiten stärkere Halbsäulen, alle mit attischer Basis und mit dem Eck-
blatte und von einem kurzen Kapitälgesimse umgeben, das mit gleichmässigem
Säulen einen Scheindienst zu verleihen." Vielleicht soll damit mehr eine teclmische
Meinung über den wirklichen Nutzen der Rippen, als eine historische über die Absicht
der Baumeister des Mittelalters ausgesprochen sein. Vom historischen Standpunkte
würde sich dagegen einwenden lassen, dass gerade die französischen Meister des früh-
gothischen Styls keine Blendsäulen vom Boden aufführten, sondern die Gewölbdienste
sehr mühsam auf den Kapitalen der Säulen anbrachten, was sich nur durch ihre
Meinung von der constructiven Bedeutung dieser Dienste und der auf ihnen ruhenden
Rippen erklären lässt. Vom technischen Standpunkte aus dürfte zu bemerken sein»
dass wenigstens die frei untergelegten Rippen, welche sich selbst tragen, dem Gewölbe
als Verstärkung, oft auch als Lehrbögen dienen mussten, und dass in vielen Fällen
(wie Viüllet-le-Duc es schon für die Bauten aus der zweiten Hälfte des zwölften Jahr-
hunderts bezeugt und wie es später oft augenscheinlich der Fall ist) die Kappen wirk-
lich auf den Rippen ruhen. Einen Beweis dafür, dass die deutschen Meister vom
Anfange des dreizehnten Jahrhunderts die Rippen nicht als eine Rechtfertigung der
Säulen, sondern diese als Stützen der Rippen ansahen, geben viele Bauten des Ueber-
gangsstyles, z. B. die Vorhalle im Kloster Maulbronn (s Eisenlohr's Werk über dasselbe),
in welchen auch die Diagonalrippen halbkreisförmig, aber, weil sie einen grösseren
Halbmesser haben als die Quergurten, bedeutend grösser und deshalb auch die Säulen,
welche sie tragen, bedeutend niedriger gehalten sind, als die für die Quergurten und
Schildbügen bestimmten; eine Ungleichheit, die man aus decorativen Gründen vermieden
haben würde und später wirklich vermied, die daher zeigt, dass man es mit dem
Constructiven sehr ernsthaft meinte.
1) Lübke a. a. 0, Taf. X.
Der Dom zu Paderborn. 299
einfachem und derbem Blattwerk besetzt ist. Der Chorschluss ist , wie
erwähnt, in den meisten Fällen rechteckig, das Innere im Ganzen schlicht,
hell beleuchtet, regelmässig, die Breitenrichtung vermöge der grösseren
Breite der Seitenschiffe, des Fortfallens oder doch der verminderten Be-
deutung der Kreuzschiffe und der meist nicht bedeutenden Höhe der Schiffe
überwiegend. Der Uebelstand, der in dem Systeme der Hallenkirchen durch
die grosse Masse des gemeinsamen Daches entsteht, ist mehrere Male dadurch
beseitigt, dass die einzelnen Abtheilungen der Seitenschiffe eigene Giebel
und Dächer erhalten haben.
Dieser einfache Uebergangsstyl erhielt sich in Westphalen sehr lange
und vermischte sich zum Theil noch mit den Formen des entwickelten go-
thischen Styls. So zeigt er sich auch an dem bedeutendsten Gebäude dieser
Gruppe, amDomezuPaderboru^). Offenbar ist dieser nicht aus einem Gusse,
sondem durch die Arbeit verschiedener Jahrhunderte entstanden. Das
Langhaus hat wieder die einfache Anlage der Hallenkirchen, im Mittelschiffe
fast quadratische Gewölbfelder, da der Pfeilerabstaud etwa vier Fünftel der
Breite beträgt, Seitenschiffe von fast zwei Dritteln der Breite des Mittel-
schiffes, Pfeiler von kreuzförmiger Anlage mit breitgestalteter Basis, 'Eck-
blättern und Kapitälgesimsen, ähnlich wie in Ober-Marsberg, dabei aber
mächtige Fenster mit derbem, aus Rundstäben gebildetem Maasswerke, wel-
ches die Kenntniss des entwickelten gothischen Styles verräth. Der Chor
ist rechtwinkelig geschlossen, ebenso das südliche Kreuzschiff, während das
nördliche polygouförmig mit fünf Seiten des Zwölfeckes und durchweg in
frühgothischen Formen errichtet ist. Die Geschichte berichtet zuerst von
einem 1068 geweihten Bau, aus welchem nur der alterthümliche mächtige
Westthurm erhalten ist -;. Eine an ihn anstossende Pfeilerstellung zeigt
noch einfach romanische, aber doch schon spätere Form, und wird daher
dem Bau, der eine Weihe im Jahre 1143 zur Folge hatte, zuzuschreiben
sein. Aus späterer Zeit wissen wir nur von einem bedeutenden Brande im
Jahre 1263, und von einer nach demselben erfolgten Herstellung, aus welcher
ohne Zweifel die jetzigen Gewölbe und die Seitenmauern mit ihren Strebe-
pfeilern und Maasswerkfenstern stammen. Zweifelhaft ist dagegen, ob man
diesem Herstellungsbau auch die ganze Anlage des Langhauses und die Ver-
wandlung der älteren Basilika in eine Hallenkirche beilegen muss, wie Einige
angenommen haben, wogegen aber die Form der Pfeiler und die dadurch
bedingte sehr massige Gewölbhöhe zu sprechen scheinen. Wahrschein-
licher ist daher, dass schon vor jenem Brande eine Hallenkirche bestand,
welche entweder in langsamer Fortsetzung des Baues nach der irgend einem
1) Lübke a. a. 0. S. 173 und Taf. XIII.
2) Vgl. Bd. IV, S. 394.
30C) Westphälischer L'ebergangsstyl,
Theile im Jahre 1143 ertheilten Weihe, oder durch einen von derselben
unabhängigen, historisch nicht überlieferten Neubau in der ersten Hälfte des
dreizehnten Jahrhunderts errichtet war, und deren solide Pfeiler ^den Brand
von 1263 überdauerten und für die nach demselben erfolgte Herstellung
raaassgebend waren ^). Dies wird man um so mehr anzunehmen geneigt sein,
wenn man mit ihnen den polygonen Ausbau des nördlichen Kreuzarmes
vergleicht, dessen Wandsäulchen schon zierliche Kapitale mit frühgothischem
Laubwerk haben, während das Fenstermaasswerk noch in ganz gleicher
Weise wie das reichere in den Fenstern des Langhauses aus Rundstäben
mit Kapitalen gebildet ist und auch die Gewölbrippen noch nicht die
scharfe gothische Profilirung zeigen. Dieser Ausbau möchte daher eben so
wie jene Fenster der Herstellung vom Jahre 1263 zuzuschreiben sein, welcher
dann aber die in ganz anderem Geiste behandelten Pfeiler unmöglich ange-
hören können. Auf einen Bau in der Zwischenzeit von 1143 bi« 1263
deutet auch das nördliche Portal des westlichen Querarms, welches den voll-
endeten, aber noch rein romanischen Styl vom Ende des zwölften Jahrhun-
derts zeigt, während das südliche-) zwar noch rundbogig (sei es mit Be-
nutzung einer älteren Anlage oder im Anschluss an die rundbogigen Formen
der spätromanischen Vorhalle), aber in einer Weise verziert ist, welche die
Kenntniss des entwickelten gothischen Styls voraussetzt.
Diese Beispiele werden genügen, um die Eigenthümlichkeit des west-
phälischen Uebergangsstyls zu zeigen, der, wenn auch weniger malerisch
und reich als der rheinische, doch in vielen Beziehungen, namentlich durch
die Erfindung der Hallenkirchen, einen wesentlichen Einfluss auf die ganze
spätere Entwickelung der Architektur in Deutschland ausgeübt hat. Auch
sehen wir ihn schon jetzt auf dem Wege weiterer Verbreitung in der Me-
tropolitane des Nordens, in Bremen, wo der Chor des Domes •'^), rechtwin-
kelig mit Mauernischen und einem darauf ruhenden Umgange, denen von
Minden und Osnabrück gleicht.
Eine verwandte, aber doch wieder abweichende Richtung bildete sich
in den übrigen Ländern des nördlichen Deutschlands, welche sich von
der Weser an bis zu den östlichsten Grenzen deutscher Zunge, der Meeres-
küste entlang und weiter binnenwärts bis zum Fusse der nächsten Berge
hinziehen. Die Bewohner dieser Gegenden gehören, wie die von Westphalen,
dem niedersächsischen Stamme an, sie unterscheiden sich aber von diesen
1) Dr. W. E. Giefers, der Dom zu Paderborn, 1860, S. 20, giebt die Ablassurkunde
vom Jahr 1267, welche von einer Zerstörung durch Brand spricht.
-) Moller's Denkmäler Theil I, Taf. 17.
^) Abbildungen bei H. A. Müller, der Dom zu Bremen, 1861.
Die Gegenden des Ziegelbaues. 3< •!
insofern, als sie nicht in uralten Sitzen hausen, sondern mehr oder weniger
Kolonisten sind, welche das Land den Wenden oder doch der unwirthlichen
Xatur abgewonnen haben. Dazu kommt in baulicher Beziehung der wich-
tige Unterschied, dass der natürliche Stein, der dort in Fülle gebrochen
wird, in diesen Flachländern fehlt, und dass daher grössere Bauunterneh-
mungen hier nur mit Hülfe künstlicher Steine gedeihen konnten. In der
vorigen Epoche hatten diejenigen Theile dieses grossen Gebietes, die damals
schon zu Deutschland gehörten, in künstlerischer Beziehung noch nichts
geleistet. Sie waren zu arm, zu dünn bevölkert, zu sehr mit der harten
Arbeit, Wälder und Sümpfe in urbares Land zu verwandeln, beschäftigt
gewesen. Man hatte daher auch die Kirchen meistens nur nothdürftig aus
Holz erbaut und in den seltenen Fällen, wo man über reichere Mittel ver-
fügen konnte, mit weit hergeholten Hausteinen^) in der Weise der südlicheren
Gegenden gearbeitet. Sehr bald wird man wohl auch Ziegel angewendet
haben, da die Fabrication dieses für solche Gegenden so nützlichen Materials
am Rheine aus römischer Zeit her in fortwährender üebung geblieben und
in anderen Gegenden Deutschlands auch wenigstens versucht war-). Allein
wie selten oder unbedeutend diese Bauten gewesen sein müssen, ergiebt sich
schon daraus, dass sie sämmtlich durch spätere Anlagen verdrängt sind.
Anders gestalteten sich die Verhältnisse seit dem Beginne dieser Epoche,
als die Länder an der Elbe und östlich von derselben, die bisher theils
ganz von Wenden bewohnt, theils doch durch die beständigen Einfälle dieser
heidnischen Nachbaren beunruhigt waren, von deutschen und niederländischen
Kolonisten besetzt und so grosse geschlossene Territorien gebildet wurden, in
welchen Ortschaften und Klöster mit baulichen Bedürfnissen und mit grösseren
Mitteln zur Befriedigung derselben erstanden. Den Mangelan Hausteinen ersetzte
man auch hier anfangs theils durch Holz, theils durch Feldsteine. Bald aber
wurde die Anwendung von Ziegeln allgemein. Feldsteine wurden nunmehr nur
zu kleineren Gebäuden oder zu Grundmauern verwendet , Hausteine anfangs,.
wo es die Mittel gestatteten, aus den sächsischen Gegenden herbeigeführt,
um daraus die feineren, der Sculptur bedürftigen Details zu bilden, später
aber, um diese Kosten zu ersparen, durch Ornamente, welche sich mit Form-
steinen bilden Messen, ersetzt-^').
1) So nach ausdrücklichen Zeugnissen (Fiorillo a. a. 0. II, 107) unter den Erz-
bischöfen Bezelin und Adalbert in der MiUe des elften Jahrhunderts am Dome zu
Bremen und später unter Heiuridi dem Löwen an dem zu Bardewjk im Lüne-
burgischen.
-) Schon Bischof Bern ward von Hildesheim legte im Anfange des elften Jahr-
hunderts Ziegelbreunereien an. (Lateres ad tegulam , propria industria . nullo
monstrante, composuit. Leibnitz Scr. I, 444).
*) Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die niederländischen Kolonisten, welche in
302
Norddeutschland.
Fig. 84.
Schon der romanische Styl erhielt hier durch den Einfluss des Materials
einen anderen Charakter. Die Zufälligkeiten, welche bei der Anwendung
des natürlichen Steins durch die verschiedene BescbaflPenheit desselben und
durch die Individualität der Arbeiter herbeigeführt waren, fielen fort, der
Bau wurde regelmässiger und einfacher. Auf den Reichthum von Sculpturen,
auf die Ornamente, in welchen die runde
Linie vorherrschte, musste man verzichten,
alles auf gerade Linien reduciren. Selbst
das Würfelkapitäl, so einfach es war, büsste
die volle Rundung seines unteren Theiles
ein, und verwandelte sich in einen mehr
geradlinigen Körper, dessen Ecken nach
unten zu abgeschrägt waren. Es entstand
an Stelle des rundschildigen ein trapez-
förmiges Kapital, welches freilich durch den
Mangel der Ausladung die "Wirkung des
Würfelkapitäls nicht erreichte und den Ein-
druck des Nüchternen macht. Dennoch war
diese, mancher Abwechselung fähige Form
dem Ziegelbau so zusagend, dass sie sich
über das ganze nordöstliche Deutschland
verbreitete und sich bis zur Mitte des drei-
zehnten Jahrhunderts neben
manchenElementen desfrüh-
gothischen Styls erhielt^).
Wie das "Würfelkapitäl
erlitt auch der Run dbogen-
fries hier eine Veränderung,
aber in entgegengesetzter
Richtung ; während jenes
einfacher wurde, wurde er
reicher, indem man ihn statt
aus einer einfachen Reihe
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Kloistei-kirche zu Jerichow.
Bogenfries aus Jerichow.
der Mitte des 12. Jahrhunderts sich in der Mark Brandenburg niederliessen, die Fabrikation
und Anwendung von Backsteinen befördert haben. Adler, die niederländischen Kolonien
der Mark Brandenburg, Märkische Forschungen, Bd. VII, 1861; ders, Mittelalter). Back-
stein-Bauwerke des Preussischen Staates, Berlin 1862, S. 33 f., 36 f. — A. v. Wersebe,
Niederländische Kolonien im nördlichen Teutschland. Allein die weitere Ausbildung
des Ziegelbaues fällt in eine spätere Zeit und erlangte eine Höhe, welche sie in den
Niederlanden niemals erreichte.
1) Beispiele und Abbildungen in dem lehrreichen Aufsatze von v. Quast: „Zur
■Charakteristik des älteren Ziegelbaues in der Mark Brandenburg", im deutscheu Kunst-
Die Gegenden des Ziegelbaues. 303
aus zwei, gleichsam übereinander gelegten und sich durchkreuzenden Bogen-
reihen bildete. Dieselbe Form haben wir in England kennen gelernt, sie
findet sich aber auch in der lombardischen Ebene, und ist gewiss nicht, wie
man annehmen könnte, aus einer dieser entfernten Gegenden in die andere
übergegangen, sondern überall selbständig, aber aus gleicher Ursache ent-
standen. Sie hatte überall den Zweck, den Mangel kräftiger plastischer
Ornamente durch reicher gebildete flache zu ersetzen. In England war
dieser Mangel eine Folge des einheimischen Geschmackes, in der Lombardei
aber bediente man sich, wie in unserem deutschen Norden, der Ziegel, welche
freie Plastik versagten, dafür aber, sobald man Formsteine zu bilden gelernt
hatte, die Ausführung reicherer Linienornamente ohne grosse Anstrengung
gestatteten ^).
Einige der Formen, welche in anderen Gegenden den üebergangsstyl
charakterisiren und dem gothischen Style vorarbeiteten, kamen hier ziemlich
früh in Aufnahme. Die Wölbung erregte schon dadurch geringe Schwierig-
keiten, dass man nicht, wie in den Gegenden des Steinbaues, verschiedener
Materialien, eines stärkeren und schwerereu Steines zu den Mauern und eines
leichteren zu den Gewölben, bedurfte, und dieselben Ziegel hier wie dort
genügten. Nachdem man an den senkrechten Mauern die verbindende Kraft
des Mörtels kennen gelernt hatte , lag es nahe, darüber hinauszugehen und
nach der gegenüberstehenden Mauer hin eine ähnliche Arbeit zu versuchen.
Gab es doch, um die Thüröffnungen in Ziegeln zu decken, kein anderes
Mittel als die Wölbung; wie leicht wurde man darauf hingeführt, auch ganze
Wände in ähnlicher Weise zu verbinden. Auch der Spitzbogen sagte
dem Material zu; die gebrochene Linie ist in Ziegeln leichter herzustellen,
als die kreisrunde. ländlich kam der Backsteinbau ganz von selbst auf ein
Vorherrschen des Verticalen, weil er bedeutende Ausladungen nicht ge-
stattet, und weil die natürliche Horizontallinie mächtiger Steinlagen ihm
fehlt. Aber freilich unterschied sich dieser üebergangsstyl sehr wesentlich
von dem der westlichen Gegenden, Er war nicht der Nachfolger geschmückter
blatte 1850, S. 229 ff. Kugler', der diese Kapitälform in Pommarn und auf der Insel
Rügen fand, vcrmuthet, dass sie aus Dänemark stamme, von woher Rügen das Christen-
thum empfangen hatte und zu welchem Pommern im Anfange des dreizehnten Jahr-
hunderts noch in abhängigem Verhältnisse stand (Kunstgesch. 2. Aufl. S. 500); indessen
spricht die weite Verbreitung gegen diese Herleitung. — Hauptwerk für den nord-
deutschen Backsteinbau, zunächst der Mark Brandenburg, das angeführte Werk von
F. Adler, Mittelalterliche Backsteinbauwerke des Preussischen Staates, I. Band, Berlin
1862, nebst Fortsetzung als Suppl. der Zeitschrift für Bauwesen,
^) Ausser den unten näher beschriebenen Kirchen sind die St. Marienkirche zu
Salzwedel und die Klosterkirche zu Neu-Ruppin Beispiele früher Anwendung des sich
kreuzenden Rundbogenfrieses, v. Quast a. a. 0. S. 240.
^Q^ Nürcldeutsehland.
romanischer Formen, er hing nicht mit dem Bestreben nach Mannigfaltig-
keit und Zierde zusammen, er behielt den strengen Charakter der bisherigen
rundbogigen Bauten bei, steigerte denselben sogar durch den spröden Aus-
druck des schlichten Spitzbogens.
Neben der Eigenthümlichkeit des Materials hatten'aber auch der Charakter
der Einwohner und die Gestaltung der Verhältnisse einen wesentlichen Ein-
fluss auf die architektonischen Formen. Die deutschen Kolonisten, welche
sich in diesen wendischen Marken niederliessen und die Eingeborenen ent-
weder verdrängten oder mit sich verschmolzen, kamen meistens aus Nieder-
deutschland, aus Holland, Westphalen oder aus den früher kolonisirten
Gegenden zwischen der Weser und Elbe ; sie brachten daher den schlichten
und nüchternen Sinn des niederdeutschen Stammes mit sich, dessen Ein-
wirkung auf die Architektur wir in Westphalen kennen gelernt haben, und
bildeten ihn durch ihre Eigenschaft als Ansiedler, die vor Allem auf das
Nützliche und Zweckmässige bedacht sein mussten, noch mehr aus. Dazu
kam aber no«h, dass diese Niederlassungen einen völlig militärischen Charakter
hatten. Der Markgraf trat nicht mit den bedingten, allmälig nnd privat-
rechtlich erworbenen Rechten auf, wie die Landesherren in den inneren
Provinzen Deutschlands; er war mit militärischer Obergewalt vom Kaiser
beliehen, hatte keine Dynasten, keine freien Städte, nicht einmal freie Bauern
zu berücksichtigen. Seine erste Aufgabe war, das Land zu besetzen, es
gegen Einfälle und Aufstände der besiegten Wenden zu sichern. Ueberall
stiegen daher Burgen auf, deren Befehlshaber und Besatzung statt des Soldes
zu ihrem Unterhalte mit den umherliegenden Ländereien belehnt wurden und
diese durch die unterworfenen Wenden oder mitgebrachte deutsche Hörige
bearbeiten Hessen. In den Burgen waren die Kirchen der Umgegend, neben
ihnen lagen die Wohnungen der belehnten Burgmannschaft, sammelten sich
die Gewerb treibenden, deren man bedurfte; sie wurden die festen Punkte
deutscher Civilisation im slavischen Lande, die späteren Städte. Das ganze
Land stand also unter militärischer Disciplin, alle Verhältnisse waren gleich-
förmig wie der flache Boden, auf dem sie entstanden; von jener Mannig-
faltigkeit verschiedener Berechtigungen, welche die älteren deutschen Pro-
vinzen enthielten, war hier eben so wenig eine Spur, wie von den Bergen,
welche jene oberen Gegenden beleben. Diese eigenthümlichen Verhältnisse
gaben natürlich auch dem Charakter der Bewohner ein bestimmtes Gepräge,
eine knappe, militärische Haltung|, welche auf die Architektur um so mehr
übergehen musste, als sie ihre erste Schule an den Burgen und an befestigten
Kirchen machte, als selbst die Klöster, welche in diesen Gegenden gegründet
wurden, Befestigungen nicht entbehren konnten. Ueberdies gehörten die
meisten dieser Klöster dem neugestifteten Cistercienserorden an, der auch
hier in gewohnter einfacher Weise baute und auf den einheimischen Geschmack
Mark Brandeiibuig. 305
in dieser Richtung einwirkte i). Es entstand ans allem diesem ein Styl, welcher
auf den Luxus plastischer Ornamente verzichtete, dafür aber das Verdienst
einer consequenten, wo möglich grossartigen Haltung und präciser Aus-
führung hatte.
Von den ältesten Bauten in Feldsteinen ist nur weniges erhalten, und
dieses beschränkt sich meist auf den Unterbau der Thürme, welche vor der
Front später erneuerter Kirchen emporstiegen. Die unteren Partien des
Westbaues der St. Godehardskirche zu Brandenburg^) sind noch ein
Rest der zwischen 1158 — 1161 errichteten Kirche, auch der Westbau des
Doms in Havelberg") gehört dem 12. Jahrhundert an. Verhältnissmässig
spät, in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts, ist der Westbau der
Nicolaikirche in Berlin entstanden, welcher bereits Formen des Ueber-
gangsstyls, allerdings bei sehr derber Behandlung, in diesem spröden Material
zeigt, das sich auch noch längere Zeit hindurch an Dorfkirchen und an
Nebengebäuden erhielt. Der Granitbau, theilweise schon mit dem Back-
steinbau verbunden, herrscht sodann in der kleinen Klosterkirche zu Kre-
wese in der Altmark, die 1157 begonnen, aber nach späteren Bränden
vielfach umgestaltet ist. Hier treten, mit viereckigen Pfeilern wechselnd,
derbe Rundpfeiler auf, grob aus Granit zugehauen, mit einer Schräge unter
der Deckplatte, welche die einzige Kunstform bildet. Während Mittelschiff
und Langchor ursprünglich flach gedeckt waren, besassen die Seitenschiffe
schlichte Tonnengewölbe, so dass wir hier den ältesten Gewölbebau der
Mark haben*).
In der Mitte des 12. Jahrhunderts bürgerte sich nun der Ziegelbau
ein, aber zunächst kam die Wölbung keineswegs mit ihm zugleich in Auf-
nahme, man begnügte sich vielmehr, wie es damals im östlichen Deutschland
meistens geschah, mit gerader Decke. Dies zeigt die älteste consequent
durchgeführte Backstein-Kirche der Mark Brandenburg, die Kirche des 1144
gestifteten Prämonstratenserklosters zu Jerichow'), welche bald nach
dieser Zeit angefangen wurde und wahrscheinlich um 1159 bereits vollendet
^) Nur in der Ahmark bestanden ßenediktinermünchsklöster; in der Mark Branden-
burg und in der Lausitz waren dagegen 26 Cistercienserklöster, während die anderen
Klöster hauptsächlich den Augustinern, Prämonstratensern und den im dreizehnten
Jahrhundert gestifteten Bettelorden angehörten. Klöden, zur Geschichte der Marien-
verehrung in der Mark Brandenburg, Berlin 1840, S. 33 ff.
'^) Adler, Mitlelaltierl. Backstein-Bauw., S. 25, mit Holzschnitt.
3) Adler a. a. 0. Taf. LH.
*) Adler a. a. 0. S. 44 f., Taf. XXV.
^) Aussenansicht bei Strack und Meierheim , architektonische Denkmaie der Alt-
mark. Nähere kritische Beschreibung bei v. Quast in dem angeführten Aufsatze. —
Adler, a. a. 0. Taf. XXI — XXIII.
Schnaase's Knnstgesch. 2. Aufl. V. 20
306 Uebergaiigsstyl in Norddeutschland.
war. Es ist eine Basilika mit höherem Mittelschiffe und Querschiffe, nur
in der Krypta und in der runden Chornische gewölbt, die Aussenwand an
Seitenschiffen und Apsis mit senkrechten, rechtwinkelig vorspringenden
Lisenen und mit Rundbogenfriesen ausgestattet. Ausser den Basen und
Kapitalen der Krypta und den Deckplatten auf den Säulen des Schiffes ist
alles in Ziegeln ausgeführt. Die Kapitale des Langhauses haben schon hier
jene eckige Würfelgestalt, die Basis entbehrt des Eckblattes. Der ganze
Bau ist zwar höchst einfach, giebt aber die feierliche und doch harmonische
Wirkung, welche auch bei den späteren Wandlungen des Styles den Ge-
bäuden dieser Gegend blieb. Auffallend ist, dass man statt der damals in
den Ländern des Hausteines üblichen Pfeiler freistehende Rundsäulen als
Arcadenträger anwendete, obgleich ihre Herstellung in Ziegeln grössere
Schwierigkeiten hatte; da wir aber dieselbe Form inKrewese gefunden, mag
sie aus dem älteren Granitbau übernommen sein. Die ziemlich hohe Krypta
öffnet sich in je zwei Bögen gegen das Langhaus und die Querhausarme. —
Die Nebenchöre und derThurmbau der Westfront, dessen üebergangsformen
sich bereits der Gothik nähern, sind ein Zusatz aus späterer Zeit.
Im Jahre 1179 wird der Dom zu Brandenburg als im Bau begriffen
erwähnt, und wahrscheinlich war er 1194 bereits vollendet^). Auch hier
tritt der Ziegelbau auf, nun aber, unter Beseitigung der schwierigen Rund-
säule, mit viereckigen Pfeilern, zum Theil mit Ecksäulchen, Einige Theile
der Mauern und die Arcaden des Schiffes sind aus jenem Bau erhalten, der
später überwölbt und auch sonst verändert ist. Auch die Krypta, wie in
Jerichow von bedeutender Höhe, gehört noch der ursprünglichen Bauzeit
an und zeigt in ihren Wandpfeilern eine höchst merkwürdige Form: sie
bestehen aus Paaren von Halbsäulen mit rundschildigen Würfelkapitälen und
ebensolchen Basen, und mit Pfeilerkanten, welche jedesmal zwischen den
beiden Säulen übereck heraustreten. Die freistehenden Sandsteinsäulen mit
reichen Kapitalen in der Mitte der Krypta und ebenso ihr polygoner Ab-
schluss sind erst ein Zusatz des Uebergangsstyls aus dem zweiten Viertel
des 13. Jahrhunderts-). — Ein kleinerer Bau, die Nicolaikirche bei
Brandenburg, vor 1173 gegründet, besteht noch jetzt in ursprünglicher
Gestalt. Sie ist wiederum eine einfache, in allen Details noch ganz roma-
nische Basilika; das Langhaus von fünf Arcaden auf jeder Seite mit kreuz-
förmigen Pfeilern auf attischer Basis, mit kreisrunden Fenstern und gerader
Decke, ein Kreuzschiff, jedoch in gleicher Flucht mit den Aussenmauern der
1) Adler a. a, p. 10. — Ein 1165 begonnener, schon 1166 geweihter Dombau
war höchst wahrscheinlich nur eine Herstellung der nahe gelegenen Peterscapelle als
provisorischen Domes.
■2) Adler a. a. 0. Taf. V — VII.
* Länder des Backsteinbaues. 307
'Seitenschiffe, dies und die Vorlage des Chores mit zwei auf Wandpfeilern
ruhenden Kreuzgewölben ohne Rippen, die Concha endlich halbkreisförmig
von drei rundbogigen Fenstern beleuchtet. Die Bogenfriese sind zum Theil
rundbogig oder aus sich durchschneidenden Bögen gebildet, zum Theil spitz-
bogig oder spitzgiebelig, und selbst die Arcaden des Langhauses haben
theihveise eine leichte Zuspitzung.
Bald darauf, ungefähr gleichzeitig mit der Anlage des Braunschweiger
Domes, wurde die "Wölbung auch bei grösseren und in Basilikenform ange-
legten Kirchen angewendet. Beispiele sind der Dom in Lübeck und die
Cistercienserkirche zu Dobrilugk in der Lausitz ^j, jener schon 1173 -),
diese wahrscheinlich 1181 gegründet, beide mit quadraten Gewölben und
viereckigen, durch Vorlagen verstärkten Pfeilern. Von jenem ist nur noch
im Mittelschiffe die ursprüngliche Gestalt erkennbar, die Kirche zu Dobrilugk
dagegen ist noch wohl erhalten und zeigt schon interessante Abweichungen
von dem herrschenden Style. Sie hat sehr regelmässige Kreuzgestalt, das
Langhaus aus vier doppelten zwischen zwei einfachen Jochen, das Kreuzschifl'
mit der Vierung aus drei Quadraten, der Chor aus quadratischer Vorlage
und der runden Nische bestehend, die Seitenschiffe des Langhauses von
halber Mittelschifl'breite. Die Halbsäuleu, welche nur an den östlichen
Vierungspfeilern vorkommen, haben schwere, unten wenig abgerundete "Wür-
felknäufe und volle schwere Stämme. Während dies ihnen aber ein alter-
thümliches Ansehen giebt, haben andere Theile schon feinere Formen.
Besonders zeigt sich dies an der Chornische, welche aussen durch zwei
Halbsäulen mit Würfelkapitälen in drei Abtheilungen getheilt ist, deren jede
ein ziemlich grosses, mit doppelten Säulen und vorspringeaden Ecken reich
abgestuftes Fenster enthält, und die besonders auch im Innern sehr günstig
wirken. Darüber läuft am Rande des Daches unter einem zierlich gebilde-
ten Friese von sich durchkreuzenden Bögen, der sich auch an den übrigen
Theilen des Gebäudes findet, eine eigenthümliche Verzierung von kleinen
.fensterähnlichen Oeffnungen hin, die in ihrer Wirkung einigermaassen an
die Zwerggallerien der rheinischen Kirchen erinnert. Bemerkenswerth ist
-auch die Form der Fenster im Oberschiffe und in den Kreuzarmen. Sie
sind nämlich gross und zweitheilig, so jedoch, dass das Bogenfeld zwischen
den kleineren und den sie umschliessenden grösseren Bögen undurchbrochen
ist. Sie geben daher ungefähr die Form, welche in anderen Gegenden auf
die Bildung der Maaswerkfenster hinwirkte. Auch die Nicolaikirche zu
Treue nbriezen, kreuzförmig und mit drei Apsiden, von denen zwei vor
1) Puttrich 11, 2, Serie Lausitz, — Adler Taf. LXII, LXIIL
-) Deecke, die freie Stadt Lübeck, S. 27. Vgl. Schlosser und Tischbein, Denk-
male aUdeutscher Baukunst in Lübeck, Taf. VIIL
20»
308 Uebergangbslyl in Norddeulschlaiul.
der Ostseite des Querhauses liegen, zeigt ein ähnliches Bestreben nach
reicherer Ausstattung, indem die Lisenen an der Chornische kannelirt und die
gekuppelten Fenster der Kreuz schiffe durch zierliche, aus vor- und zurück-
tretenden Steinen gebildete Archivolten bekrönt sind. Sie mag, da sie schon
in einzelnen Theilen Spitzbögen zeigt, im Anfange des dreizehnten Jahrhun-
derts entstanden sein *).
Sehr merkwürdig ist die Klosterkirche zu Arendsee in der Altmark
(1184 gestiftet, 1208 bereits vollendet)-), weil auch sie zeigt, wie die An-
wendung von Ziegeln die Wölbung beförderte, aber zugleich auch zu Ver-
suchen und Neuerungen antrieb. Hier ist nämlich der Chor mit glatten
Kreuzgewölben, jedes Seitenschiff mit einem Tonnengewölbe, das Mittelschiff
und die Querarrae aber mit Kuppeln gedeckt. Man sieht, der Baumeister
versuchte sich in mannigfaltigen Wölbungsarten und scheute auch die unge-
wöhnliche Kuppelform nicht. Die schlanken Arcaden ruhen auf ganz
schlichten quadratischen Pfeilern , nur die Vierungspfeiler srnd kreuzförmig
und haben Halbsäulenvorlagen mit trapezförmigen Würfelkapitälen. Das
Aeussere, im Ganzen sehr schlicht, zeichnet sich durch ein schön ge-
gliedertes Portal an der südlichen Querhausfront aus, welches zwischen
eckiger Gliederung auch Säulen enthält; das Westportal ist schmal und
niedrig, aber gemeinschaftlich mit den drei Fenstern des oberen Stockwerkes
durch einen hohen Blendbogen eingefasst, welcher das Hauptmotiv der thurm-
losen Fa^ade bildet.
Die nahe gelegene Kirche zu Diesdorf-^) ist dieser sehr verwandt,
aber ruhiger und einfacher. Die Bauzeit gehört ebenfalls dem Ende des
zwölften Jahrhunderts an, nur die Osttheile könnten bereits in den Jahren
1157 — 1161, unter dem Einfluss der Kirche von Jerichow, zunächst unge-
wölbt, entstanden sein. Das rippenlose Kreuzgewölbe geht durch, die
Fenster sind schon paarweise gestellt, zur Wölbung steigen schlanke Halb-
säulen an allen Hauptpfeilern empor, die zugleich, ebenso wie die schmal-
rechteckigen Nebenpfeiler, nach den Arcaden zu mit Halbsäulen besetzt
sind. Auch hier wie in Arendsee hat das südliche Querhaus ein reicheres
Portal, während an der westlichen Fa^:ade das niedrige Portal durch einen
Blendbogen mit den oberen Fenstern, die aber hier schon spitzbogig sind,
zu einer Gruppe verbunden wird.
Den ausgebildeten Uebergangsstyl zeigt die Kirche St. Lorenz zu
Salzwedel. Dem ursprünglichen, noch dem ersten Viertel des 13. Jahr-
hunderts zugehörigen Bau entstammt nur das dreischiffige Langhaus, dessen.
1) PuUricli II, 2, Serie Jüterbog, Taf. 12, S. 27 und 35. — Adler, B!. LXX.
2) Adler a. a. 0. Taf. XXVI — XXVIII, S. 47 IF.
3) Adler, Taf. XXVIII, XXIX, S. 49 ff.
Mark Brandenburf
309
Fig. «6.
Seitenschiffe nicht mehr existiren. Der Westbau und der gerade geschlos-
sene Chor kamen etwas später hinzu. Die Oberlichter des Langhauses sind
kreisförmig, der Schildbügen spitz und theilweise kleeblattförmig, die Wöl-
bung selbst rührt erst aus der spätgothischen Epoche her. Ursprünglich
bestanden offenbar sechstheilige quadratische Gewölbe, denn nicht nur die
Hauptpfeiler, auch die Nebenpfeiler haben nach allen vier Seiten Halbsäulen-
vorlagen, von welchen die gegen das Mittelschiff' gerichteten bis zur Wölbung
emporsteigen, ja das östlichste Nebenpfeilerpaar kommt sogar dadurch der
frühen französischen Gothik nahe, dass es nur aus einfachen, stärkeren
Rundsäalen besteht, über deren Kapital erst die nach oben steigende Halb-
säule beginnt.
Der bedeutendste Uebergangsbau
■der Mark: die Marienkirche auf
dem Harlungerberge bei Branden-
burg^), ist im Jahre 1722 abgebrochen
und uns nur durch Abbildungen und
durch ein nach diesen gemachtes Modell
bekannt. Ihre Anordnung war eine
sehr ungewöhnliche; ein fast quadrati-
scher Grundplan, auf jeder Seite mit
einer halbkreisförmigen Concha, die
im Altarraume noch durch drei kleinere
daran angebrachte Nischen erweitert
war. Vier mächtige Pfeiler bildeten
im Inneren neun durch Kreuzgewölbe
überdeckte Felder von verschiedener
Grösse, und waren theils durch runde,
theils durch spitze Bögen verbunden.
Xleber den vier quadratischen Eck-
gewölben und neben der den Mittelraum bedeckenden Kuppel stiegen vier
Thürme auf. Paarweise gestellte rundbogige Fenster beleuchteten ^ das
Innere, die Aussenwand war mit Lisenen und dem einfachen Rundbogenfriese
^^erziert. Die Kirche soll nach einer glaubhaften Sage an der Stelle eines
ehemaligen Götzentempels gegründet sein und dieses Anknüpfen an eine
■dunkle Vorzeit und ihre ungewöhnliche Gestalt hat zu der Meinung verleitet,
dass sie nach einem byzantinischen Vorbilde gebaut sei-). Allein schon die
unvollkommene Kenntniss des Baues, welche die erhaltenen Zeichnungen uns
gewähren, steht dieser Annahme entgegen und gestattet nicht einmal, diesen
Marienkirche In.'i liranderiliurg-.
1) Adler a. a. 0. p. 5 f., Taf. I, II. — Kursier, Denkmale, Bd. X,
'^) \g\. die bereits oben Bd. IV, S. 72G, Aiini. 2 jeg-ebeneii Nachrielileii.
310 Nördliches Deutschland.
Bau der ursprünglichen Gründung durch den bekehrten Wendenfürsten
Pribislav in den Jahren 1136 bis 1144 zuzuschreiben. Er scheint vielmehr
erst im zweiten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts entstanden und ver-
dankt seine allerdings sehr sinnreiche Anordnung dem "Wunsche der beliebten
und mit hochverehrten Reliquien reich ausgestatteten Kirche, eine zur Auf-
nahme grosser Volksmassen und zu Bittgängen an den einzelnen Altären
geeignete Localität zu schaffen.
Auch in Mecklenburg und den anstossenden Landschaften finden
wir eine Reihe rundbogiger gewölbter Kirchen, deren Ursprung in das letzte
Viertel des zwölften Jahrhunderts fällt. Dahin gehört der Dom zu Ratze-
burg, dessen Gewölbe zwar in spätgothischer Zeit erneuert sind, der aber
schon ursprünglich auf solche angelegt war. Er ist eine genaue Kopie des
Braunschweiger Domes mit den durch das Ziegelniaterial bedingten Aende-
rungen^), und stimmt wiederum mit dem Dome von Roeskilde auf der Insel
Seeland sehr nahe tiberein. Andere Beispiele früher Wölbung in dieser
Gegend sind die Kirche zu Gadebusch mit spätgothischem Chore, aber
völlig rundbogigem und merkwürdiger Weise aus drei gleich hohen und
breiten Schiffen bestehendem Langhause-), die Kirche zu Vietlübbe bei
der genannten Stadt, welche die Gestalt eines gleicharmigen griechischen
Kreuzes hat^), und die zu Schlagsdorf bei Ratzeburg, deren Gewölbe auf
Säulen ruhen und deren etwa] jüngerer Chor polygonförmig schliesst^j. Wir
sehen auch hier, dass der Ziegelbau zu mannigfaltigen Versuchen führte.
Die Kirche zuNeuklo ster, gegründet 1219, und die ungefähr gleichzeitige
zu Bruel^'j, beide einschiffig und mit geradem Chorschluss, zeigen auch den
Spitzbogen, und zwar nicht bloss an den Gewölben, sondern auch an den-
Fenstern, jedoch nur schwach angedeutet und fast wie zufällig entstanden.
Ueberhaupt ist die Zahl früher Backsteinkirchen, meistens schon mit An-
wendung des Spitzbogens, im Mecklenburgischen sehr gross, so dass ein.
einheimischer Forscher sie auf etwa zweihundert schätzt.
') Lisch, Jalirbücher für mecklenburgische Geschichte VII (Jaliresbericht des Vereins-
S. 61) und XI, 420. F. v. Quast, a. a. 0. S. 242, setzt in Folge seiner schon oben
erwähnten Ansicht über die späte Ueberwölbung des Domes zu Braunschweig auch
den Dom zu Ratzeburg erst in das dreizehnte Jahrhundert.
-) Lisch a. a. 0. III, 125, und VII, 65. Ich kenne die mecklenburgischen Kirchen
nicht aus eigener Anscliauung, und muss es dahingestellt sein lassen, ob die ilmen
von Lisch gegebenen Daten sich bewähren.
3) Daselbst IV, 82, und VII, 65.
*) Daselbst VII, 63.
■') Daselbst VII, 75, und III, 147. Vgl. auch L=sch in der Zeitschrift für Bau-
wesen 1852, S. 313.
Pommeru. 311
In Pommern^) gehören schon die ältesten Kirchen dem Uebergangs-
style an. So im Dome von Cammin die älteren Theile des Chores und des
Kreuzschiffes, ferner die Klosterkirchen zu Bergen auf der Insel Rügen, zu
Eldena und zu Colbatz-), und endlich noch weiter östlich die des Klosters
Oliva bei Danzig. Dies letzte Kloster ist eine Stiftung des Klosters Col-
batz, dessen Formen es genau nachahmt; es ist in den Jahren 1235 bis
1239 erbaut") und ^lässt daher auf eine frühere Entstehung des Mutter-
klosters schliessen. Nur einzelne Theile der Kirche zu Bergen mögen noch
in die letzten Jahre des zwölften Jahrhunderts fallen, die übrigen genannten
Kirchen aber sämmtlich aus den ersten Decennien des dreizehnten Jahrhun-
derts stammen. In allen diesen Bauten ist die Anlage noch im Wesentlichen
romanisch; niedrige Seitenschiffe, Pfeiler mit viereckigem Kern, Kapitale in
schmuckloser Kelchform oder als Würfel der früher beschriebenen, dem
Backsteinbau eigeuthümlichen Art, ruudbogige Portale und Fenster; doch
giebt ihnen die Wölbung, der wenn auch gedrückte Spitzbogen der Arcaden,
endlich selbst die einfache, aber straffe Form der Ornamente schon den
Charakter des Uebergangsstyls, und zwar eines sehr strengen und ernsten.
Nur in einzelnen Fällen sehen wir auch hier das Bestreben, zierlichere For-
men zu erlangen. An der Kirche zu Colbatz erscheint dies noch in sehr
bescheidener Weise, am Dome zu Cammin dagegen zeigt das romanische
Portal schon und zwar in Stuck gebildete Blattkapitäle und Rankengewinde.
Aber auch ausserhalb der Wohnsitze des niedersächsischen Stammes
waren inzwischen an vielen Stellen des deutschen Bodens Gebäude entstan-
den, welche von dem romanischen Style abwichen und gewisse Elemente
des gothischen Styles annahmen, dabei aber sowohl von den französisch-
gothischen Bauten als von denen des rheinischen Uebergangsstyles sich
wesentlich unterschieden, und eine grosse Einfachheit, man kann fast sagen,
zur Schau trugen. Es sind dies die Kirchen des Cistercienserordens*),
^) Quelle ist hier Kugler's Pommersche Kunstgeschichte (Stettin 1840), in ihrem
Wiederabdrucke in den kl. Schriften I, 652 ff. mit sehr nützlichen Zeichnungen ver-
sehen.
■-) Kugler, S. 40 ff. (kl. Sehr. S. 669), bezweifelt, dass die älteren Theile dem um
1188 erwähnten Kirchenbau angehören, und setzt sie in den Anfang des dreizehnten
Jahrhunderts. F. v. Quast (Beiträge zur Geschichte der Baukunst in Preussen, in den
Neuen Preuss. Prov. ßl. Bd. IX, S. 20) verweist sie in die Jahre 1220 — 1230.
') Vgl. V. Quast in den Neuen -Preuss. Prov. Bl. Bd. IX (1850), S. 1. Dr. Theod.
Hirsch daselbst Bd. X, S. 1, und in einem besonderen Werke, Beiträge zur Geschichte
westpreussischer Kunstbauten, erster Theil, Kloster Oliva, Danzig 1850.
■*) Auf die Eigenthümlichkeiten der Cistercienserbauten haben bereits Lübke im
Organ für claistliche Kunst 1853, Nro. 1 ff., von Quast, daselbst Nro. 7, und endlich
312 D'*' Cistercieiiser.
auf deren Eigenthtimlichkeiten ich schon wiederholt gelegentlich hingewiesen
habe. Die Heimath dieses abweichenden Styles wie des Ordens selbst war
zwar Frankreich, er zeigt sich aber nirgends so bedeutsam, als in Deutsch-
land, und hier scheint daher die geeignete Stelle, von ihm ausführlicher zu
sprechen, obgleich wir zu diesem Zwecke nach Frankreich zurückblicken
müssen.
Der Orden entstand bekanntlich aus dem Wunsche nach einer Reform
des Klosterwesens. Er ging von Cluny in Burgund aus, dessen Verfassung
selbst aus einem ähnlichen Bestreben hervorgegangen war, das aber auf
dem Gipfel der Macht und des Keichthums strengeren Ansprüchen nicht
mehr genügte. Dies war die Veranlassung, dass Robert, ein eifriger Clu-
niacenser-Mönch, sich mit mehreren Gleichgesinnten zuerst in die Wüste
von Molesmes, dann im Jahre 1098 in die noch rauhere, wie die Beschreiber
sagen, nur von wilden Thieren bewohnte Einöde von Citeaux zurückzog.
Auf päpstlichen Befehl musste er zwar zu der verlassenen Hcerde von Mo-
lesmes zurückkehren, aber seine Gefährten setzten- ihr Einsiedlerleben zuerst
unter der Leitung seines Nachfolgers Alberich, dann unter der des Englän-
ders Stephan Harding fort. Es gelang ihrem angestrengten Fleisse, den
Wald zn lichten, den sumpfigen Boden in fruchtbares Ackerland zu ver-
wandeln, und nach wenigen Jahren hatte der Ruf ihrer Frömmigkeit ihnen
so viele Genossen zugeführt, dass es nicht rathsam schien, sie in denselben
Mauern zu behalten. Eine Kolonie wurde daher ausgesendet, welche sich
nicht gar weit davon wiederum in einer waldigen Einöde niederliess, und
der neuen Stiftung den Namen Firmitas (la Fertc) gab. Schon im fol-
genden Jahre (1114) wurde in entfernteren Gegenden der Wunsch nach so
frommen und nützlichen Bewohnern rege, und eine neue Kolonie in Pon-
tigny (Pontis nidus) gegründet. Bald darauf (1115) erfolgten sogar zwei
solche Entsendungen, nach Clairvaux (Clara vallis) und Morimond (Mors
mundi), jene unter der Leitung des berühmten Mannes, der später die Zierde
des Ordens wurde, des heiligen Bernhard. Wie Citeaux selbst wuchsen
auch diese, wie man sie nachher nannte, vier ältesten Töchter, und bald
waren auch sie in der Lage wegen eigener Uebervölkerung oder nach den
VioUet-le-Duc a. a. 0. aufmerksam gemadil. Historisclie Nachrichten ül)cr den Orden
und seine einzelneu Klöster finden sich am vollstiindigsteu bei Manrique Annales Ordinis
Cisterciensis, und (mit besonderer Ausführlichkeit inid Zuverlässigkeit für die deutsciien
Klöster) bei Jungelinus, Notitia Abbatiarum Ordinis Cist. , Colon. KiiO. — Vgl. Joseph
Feil, Andeutungen über die Eigenthümlichkeiten der Satzungen des Cistercienser-Ordens
in Bezug auf Bau und Einrichtung der Klöster und Kirchen dieses Ordens, Bd. 1, S. 1,
der Mittelalterlichen Kunstdenkmale des Oesterreich. Kaiserstaates. Stuttgart 1858. —
Besonders aber R. Dohme, die Kirchen des Cistercieiiserordeiis in Deutschland während
des Mittelalters. Leipzig, 1869.
Entstehung und landwirtlischaftüclie Richtung des Ordens. 313
Aufforderungen, welche mau au sie richtete, neue Kolouieu zu entsenden, so
dass schon um die Mitte des zwölften Jahrhunderts in allen Ländern zahl-
reiche Stiftungen bestanden, welche alle von diesen fünf ersten Klöstern
unmittelbar oder mittelbar abstammten und eines derselben als ihr Ober-
haupt anerkannten. Die Disciplin des Ordens brachte es mit sich, dass
ueue Stiftungen nur in dieser Weise entstehen durften ; die Kolonisation und
eine bedingte Abhängigkeit der Töchter vom Mutterkloster wurde zum
Systeme. Sobald die Zahl der Mönche es erforderte oder doch die Gewäh-
rung des von aussen her ausgesprochenen Wunsches es gestattete, ernannte
der Abt womöglich dreizehn Brüder, unter ihnen das erwählte Oberhaupt
des zukünftigen Klosters, welche dann mit festgestellter Förmlichkeit ihre
bisherige Heimath verliessen, um an neuer Stelle die Beschwerden der
Gründung zu übernehmen. Alle diese Klöster wurden in Einöden, gewöhn-
lich in Thälern angelegt; sie fingen mit den rauhest en Arbeiten an, mussten
öfter verlegt werden ; die Legende weiss gewöhnlich von einer Erscheinung
der heil. Jungfrau, welche dem Abte die richtige Stelle anwies. Der Name
des Klosters wurde dann nicht von dem hergebrachten Namen des Ortes
genommen, sondern frei und bedeutungsvoll gewählt, meistens mit Hindeutung
auf eine Eigenthümlichkeit des gewählten Fleckes (Clara vallis, Aqua bella\),
u. s. f.) oder mit Beziehung auf die Jungfrau Maria, als allgemeine Schutz-
patronin, der jede einzelne Stiftung gewidmet war (Portus Mariae, Locus,
Campus, Vallis Mariaej; zuweilen blieben die Namen, welche die Landes-
bewohner der gewählten Stelle gegeben hatten, neben jenen officiellen Namen
der Klostersprache im Gebrauche.
Die Gründer des Ordens hatten keine Neuerung beabsichtigt. Sie
wollten nur die Regel des heiligen Benedict in ihrer Reinheit herstellen und
sich den Versuchungen des Reichthums entziehen. Sie wählten deshalb Ein-
öden zu ihren Niederlassungen, aber sie konnten unter dem rauhen nordischen
Himmel nicht wie die Anachoreten der ersten Jahrhundertc in Höhlen
wohnen und sich von den Früchten ernähren, welche die Natur ihnen frei-
willig bot. Sie mussten also darauf bedacht sein, Hütten und Häuser zu
errichten und den Boden zu bebauen. Ihre Thätigkeit wurde daher eine
landwirthschaftliche, ihrem Eifer gelaug es, die wildesten und undankbarsten
-Stellen in fruchtbares Ackerland und Wiesen zu verwandeln. Diese Arbeit
sollte aber nicht bloss zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse dienen;
sie wollten auch die Mittel zu Werken der christlichen Liebe, zum Unter-
halte der Bedürftigen und der Wanderer erwerben, welche an ihre Thür
klopften. Sie durften also die Regeln einer geordneten Wirthschaft nicht
^) Selbst ristercium soll so benannt seiu , wegön der vielen Quellen, die mau
dort fand.
314 Der Cistercienserorden.
verschmähen, und dies machte wiederum mancherlei Einrichtungen nöthig.
Sobald sich das Gebiet durch Schenkungen und Rodungen ausgedehnt hatte,
war es nicht mehr thunlich, die entfernten Ländereien von dem Kloster aus
zu bebauen. Man legte daher Meierhöfe (grangiae) in einiger Entfernung
von demselben an, auf welchen die Wirthschaft durch dazu bestimmte
Mönche betrieben wurde. Dieser Umfang der Geschäfte setzte auch eine
Theilung der Arbeit voraus. Die Brüder unterschieden sich daher in zwei
Klassen, in solche, welche eine höhere Bildung hatten und das feierliche
Gelübde ablegten (professi), und in solche von minder feierlichem Bekennt-
nisse (couversi) ^), welche bei übrigens gleichen Rechten und Pflichten sich
mehr den körperlichen Arbeiten des Ackerbaues, der Viehzucht und der
nöthigen Gewerbe widmeten. Jene Meierhöfe waren dann immer mit der
erforderlichen Zahl von Conversen unter der Leitung eines professus als
Meister (magister conversorum) besetzt. Die Lebensweise der Ordensbrüder
war die strengste, grobe Gemüse, hartes Brod von Roggen, Gerste oder un-
gereinigtem Weizen waren ihre Kost, ein Strohsack ihr Lager, auf dem sie
sich mit dem rauhen wollenen Kleide, das sie am Tage trugen, bedeckten.
Diese Entsagungen waren aber nicht freiwillige Büssungen. Der Orden
ging von der Erfahrung aus, wie leicht die Regel verabsäumt wird, wenn sie
nicht strenge Ueberwachung erhält; er hielt daher die Zucht des strengen
Gehorsams für unerlässlich, und selbst in der Abtödtung und Entsagung
durfte kein Eigenwille die vorgeschriebenen Grenzen übertreten. Durch
alles dieses entstand neben der inbj'ünstigen Frömmigkeit zugleich der Sinn
für militärische Ordnung und praktisch nützliche Thätigkeit. Der Orden
wurde nicht bloss wegen des Beispiels ascetischer Strenge geehrt; die
tapferen Streiter gegen die Mauren auf der spanischen Halbinsel, die ritter-
lichen Orden von Calatrava und Alcantara, von Avis und Christo unterwarfen
sich der Regel von Citeaux, Fürsten und Volk begünstigten Niederlassungen
der Cistercienser, um durch sie ihre Einöden anzubauen und Vorbilder
wirthschaftlicher Verwaltung zu haben.
Die Erhaltung dieses Geistes konnte nur durch eine geeignete Verfas-
sung gesichert werden, und eine solche wurde dann auch bald nach der
Entsendung der vier ersten Tochterklöster berathen. Man hatte dabei
warnende Beispiele vor Augen. Die älteren Benedictinerabteien waren ei-
gentlich selbstständige, nur durch gleiche Institutionen und geistlichen Ver-
kehr verbundene Republiken gewesen. Die Congregation der Cluniacenser
bildete dagegen eine feste Hierarchie; sie hatte nur einen Abt, den des
^) Der Eintritt in den Orden wurde Bekehrung (conversio) genannt und das Ge-
lübde lautete: Ego promitto stabilitatem, conversionem et obedientiam seeundum regulam
St. Benedicti. Daher der Name: Conversi.
Verfassung des Ordens. 31 &
Mutterklosters, alle anderen Stiftungen bildeten nur Priorate, die von Cluny
aus besetzt und geleitet wurden. Allein diese Concentration hatte ebenso
wie jene Isolirung zum Verfall der Disciplin gefülirt. Cluny, der Sitz einer
ausgedehnten Herrschaft, hatte den Versuchungen des Reichthunis und der
Macht nicht widerstehen können und den unterworfenen Klöstern das Bei
spiel laxer Sitten gegeben. Die Cistercienser schlugen daher einen mittleren
Weg ein und suchten ihrer Verfassung durch die Mischung monarchischer
und demokratischer Elemente eine grössere Haltbarkeit zu geben. Citeaux
war der Sitz der obersten Leitung; unter dem Vorsitze seines Abtes wurden
die Generalkapitel des Ordens abgehalten, auf welchem die Mehrzahl der
versammelten Aebte allgemeingültige Beschlüsse fasste. Aber jedes Kloster
hatte seinen eigenen Abt und jedes Mutterkloster führte die Aufsicht über
alle von ihm ausgegangenen Klöster, so dass jede der vier ältesten Töchter
über zahlreiche Stiftungen gestellt war. In ihrer inneren Verwaltung und
bei der Wahl des Abtes war den einzelnen Klöstern Selbständigkeit gelas-
sen, aber alljährlich unterlagen sie einer Visitation, durch zwei von dem
Abte von Citeaux, aber aus Klöstern derselben Abstammung ernannte Aebte.
Selbst Citeaux war von dieser Regel nicht ausgenommen, die Aebte jener
vier ältesten Töchter übten das Recht der Visitation aus.
Die Aufgabe dieser Visitationen war nicht bloss, die Beobachtung der
positiven Vorschriften zu wahren, sondern auch eine Gleichheit des Sinnes
und der Sitten zu erhalten. Die Verfassungsurkunde vom Jahre 1119 war,,
wie ihre Urheber sie nannten, eine Urkunde der Liebe, Charta caritatis^
und die Brüderlichkeit forderte Uebereinstimmung. Der erste Artikel setzte
daher fest, dass alle Glieder des Ordens, in Einer Liebe, nach Einer
Regel, mit ähnlichen Sitten wie Citeaux leben sollten, und jene Visitationen
waren das wirksame Mittel, um diese geistige Einheit zu erhalten. Daher
erklärt sich, dass die Gleichheit der einzelnen Klöster aller Länder mit den
Mutterklöstern weiter ging, als die ausdrückliche Vorschrift es ergab. Allein
diese Gleichheit war doch keine absolute, sie äusserte sich mehr im Inner-
lichen nnd Wesentlichen, als in Zufälligkeiten, sie war durch den praktischen
und ökonomischen Sinn des Ordens beschränkt, der es nöthig machte, in
jeder Gegend die bereiten und bequemsten Mittel für jenen höheren Zweck
zu benutzen. Dazukam, dass zwar die ersten im Auslande gestifteten Tochter-
klöster von französischen Mönchen besetzt wurden, dass aber die weiteren.
Stiftungen meist von inländischen Klöstern ausgingen und gleich anfangs
eingeborene Mönche erhielten, und dass diesen unmittelbaren Mutterklöstem
auch die Aufsicht und die Visitation dieser ihrer Töchter zufiel. Der Geist
jedes einzelnen Landes machte sich daher, soweit es die allgemeine Regel
gestattete, in diesen engeren Verbindungen geltend.
Dies Alles hatte dann auch auf die architektonische Gestaltung der
21ß Der Cislercienserorden.
■Cistercienserkirchen Einfluss. Bestimmte Vorschriften für die Anordnung
und Ausführung der Bauten bestanden zwar nicht, aber der Geist des Ordens
führte doch auf das Princip möglichster Einfachheit, und die Beschlüsse der
Generalkapitel enthielten manche nähere Bestimmungen, welche auch auf die
Architektur zurückwirkten. Das Geläute durfte nur von einer Glocke aus-
gehen ; man folgerte daraus, dass grössere Thürme ein nicht zu rechtferti-
gender Luxus seien, und brachte gewöhnlich nur ein kleines Thürmchen
einen sogenannten Dachreiter, auf der Vierung des Kreuzes an. Gold und
Silber an Altardecken uud Geräthen waren im Allgemeinen verboten; selbst
für den Kelch nur vergoldetes] Silber gestattet. Seide durfte nur an bestimmten
Theilen der Messgewänder verwendet werden. Sculpturund Malerei zu üben war
den Brüdern untersagt, weil es sie von der Gewohnheit der Meditation uud
der Strenge der Disciplin abziehen könne'). Glasmalereien waren als Luxus
verboten-); um aber doch den beliebten Schmuck nicht ganz zu entbehren,
duldete der Orden in der Folge eine neue Technik, welche zwar die Viel-
farbigkeit verbannte, aber die Glasstücke so zuschnitt, dass der Bleiguss
der sie einschloss, Ornamente bildete. Ein Schritt weiter führte dann zu
der ornamentalen Fensterbemalung grau in grau, wie sie am schönsten im
Kreuzgang zu Heiligenkreuz in Oesterreich auftritt. Die herrschende Ansicht
ging noch über diese Vorschriften hinaus; der heil. Bernhard eiferte gegen
den weltlichen Inhalt der Bildwerke, seine Jünger machten den Mönchen
von Cluny den Schmuck ihrer Kirche als einen Dienst der Augenlust zum
Vorwurfe'^), sie rühmten sich der Niedrigkeit und Aermlichkeit ihrer
^) S. diese Vorschriften des Generalkapitels von 1134 hei Manrique a. a. 0. Tom.
I. p. 257 und 273. Jul. Paris, Monasticum Cisterciense, Paris 1664; — Vgl. H. H.
d'Arbois de Joubainville, Etudes sur l'etat interieur des abbayes cisterciennes, Paris
1858, S. 28 ff., und Dohme a. a. 0. S. 27 ff. — Fiorillo, G. d. z. K. in Deutschland I,
190, irrt, wenn er sagt, dass den Cisterciensern versagt gewesen sei, ihre Kirchen mit
Sculpturen und Malereien zu schmücken; es handelte sich nur von eigener Aus-
übung der Kunst. Sie verschmäheten solchen Schmuck keinesvveges, sobald er an
geeigneter Stelle und nicht mit übermässigem Luxus angebracht wurde. Bilder der
JnngfVau fehlten gewiss keinem Kloster. Caesarius von Heisterbach (Diaiogi MII,
ca[j. 24) erzählt von einem Benedictinermönche, welcher in den Klöstern herumgezogen
sei, und aus Frömmigkeit gratis Crucifixe gemacht habe, und fügt hinzu: nostros
crucifixos paene omnes fecit. Sie mussten also deren viele im Kloster haben. Ein Bild
<Jes heil. Nicolaus war im Cislercienserkloster zu Burtscheidt (eodem cap. 761
*) Der Wortlaut des Verbots: Vitreae albae fiant sine crucibus et picturis gestattete
eine decorative Ausstattung mit grau gezeichneten Mustern.
*) Martene et Durand, Thes. nov. auecd. Tom. V, col. 1570, geben ein zwischen
1153 und 1174 von einem Cistercienser verfasstes Gespräch mit einem Clui;iacenser,
worin er demselben vorhält: Pulchrae picturae, variae caelaturae, utraeque auro de-
coratae, pulehra et pretiosa pallia, pulchra tapetia variis coloribus depicta, pulchrae et
pretiosae fenestrae, vitreae saphiratae, Haec omnia non necessarius usus, sed ocu-
lorum concupiscentia requirit (col. 1584).
Eiiifaclilieil der Bauten. 31 T
Klöster, weil sie ihreDemuth zeige ^). Indessen konnte man doch bei diesem
Extreme nicht stehen bleiben. Man brauchte bald geräumige, zurAufnahme^
zahlreicher Pilger geeignete Kirchen, grosse, der Gastfreiheit des Ordens-
entsprechende Räumlichkeiten, strebte vermöge des praktischen und ver-
ständigen Sinnes nach Solidität und Zweckmässigkeit, und wählte aus diesem
Grunde die Kunstverständigen unter den Brüdern zu Baumeistern, bei denen
dann bald die Neigung erwachte, mit der erforderten Einfachheit eine gewisse
Anmuth der Formen zu verbinden. Die Vorzüge der Ueberwölbung waren
ihnen einleuchtend; wo die Mittel es irgend gestatteten, gaben sie ihren
Kirchen eine darauf berechnete Anlage. Dazu kam, dass der neue Orden
schon als solcher keine Veranlassung hatte, dem gleichzeitig neuaufkommen-
den gothischen Style abhold zu sein. Der kirchliche Luxus, gegen den sich
die Gründer von Citeaux aufgelehnt hatten, gegen den der heil. Bernhard
und seine Jünger eiferten, war der des romanischen Styls, die Anhäufung
von müssigem oder schwerverständlichem Bildwerk, die Verschwendung von
edeln Metallen und kostbaren Stoffen. Der gothische Styl war, besonders
bei seinem ersten Auftreten, keuscher, er strebte ebenfalls nach einer ge-
wissen Einfachheit, wenn auch aus anderen Gründen, er athmete einen Geist
der Ordnung, Consequenz und Zweckmässigkeit, welcher dem strengen, mili-
tärisch disciplinirten und wirthschaftlichen Sinne der Cistercienser nicht
fremd war. Ihre ersten Klöster lagen in Burgund, zum Theil an der Grenze-
der Champagne, ihre Kolonien verbreiteten sich bald auf dem heimathlichen
Boden des neuen Styles. Sie nahmen daher den Spitzbogen, die Strebe-
pfeiler und manche andere Mittel der Solidität oder besserer Beleuchtung-
aus dem gothischen Systeme an, welche die Billigung der Stimmführer des
Ordens erhielten und ein Gemeingut desselben wurden. Dabei aber waren
sie keinesweges blinde Nachahmer. Manche Eigenthümlichkeiten des früh-
gothischen Styles wiesen sie mit Entschiedenheit zurück. Die Gallerien über
den Seitenschiffen erschienen überflüssig; man gab vielmehr dem Mittelschiffe
eine massige Höhe, so dass sein Gewölbe durch das Halbgewölbe der
Seitenschiffe hinlänglich gestützt wurde. Mit den Gallerien tiel auch der
Säulenschmuck der Pfeiler fort, sie erhielten einfach viereckige Gestalt,,
selbst die Gewölbdienste wurden aus Sparsamkeit meist niclit bis zum
Boden geführt, sondern auf Consolen gestützt-). Die Kapitale erhielten die
zweckmässige Bildung schlanker Kelche, aber ohne Blattwerk. Die Fenster
*) Deus in domibus eorum cognoscebatur , cum simplicitute et humiliiate aedi-
ficioriim simplicitatem et humilitatem inhabitantium paiiperum Christi vallis muta
loqueretur. So Manrique, a. a. 0. I, p. 80, voa Morimond sprechend.
-) Dohme a. a. 0. S. 44 sucht den Grund dieser Bausitten darin, dass man Raum
für die Aufstelhuifc der Chorstühle der zahheichen Mönche gewinnen wollte.
^Jg Cistercienserkirchen.
<iurfteii nicht allzugross sein, da ihnen Glasmalerei versagt war; man bildete
sie anfangs rundbogig, dann auch lancetförmig, sehr häufig aber in Kreis-
Gestalt. Man suchte Alles auf das Nothwendige zu reduciren, die überflüssige
Fülle der Glieder, welche der frühgothische Styl aus dem romanischen über-
Jiommen hatte, zu vermeiden, und erhielt eben dadurch schlanke Formen,
■welche von selbst schon eine gewisse bescheidene Eleganz hatten. Manche
Eigenthümlichkeiten gingen dann aus bestimmten Sitten des Ordens hervor.
Der Grundplan besteht fast immer aus einem dreischiffigen Langhause von
ziemlich beträchtlicher Ausdehnung, einem Kreuzschiffe ohne Nebenschiffe
aber mit mehreren Kapellen auf der Ostseite, einem wenig heraustretenden
•Chorraume, der aber sehr wechselnde und häufig sehr eigenthümliche An-
lage hat. Die Ostkapellen hatten den Zweck, den Mönchen Räume für
ungestörte Privatandacht zu gewähren^); ja aus einer gelegentlichen Nach-
richt erfahren wir, dass die Mönche, nicht vermöge bestimmter Vorschrift,
sondern aus einem zur Sitte gewordenen Bedürfnisse, sich nach vollbrachtem
Chordienste einzeln vor den Altären niederzuwerfen, zu entblössen and zu
züchtigen pflegten-). Dies konnte nicht füglich in der Nähe des im west-
lichen Theile der Kirche versammelten Volkes geschehen und erforderte die
Anbringung vieler gesonderter und abgelegener Kapellen. Man zog daher
die ersten Abtheilungen des Langhauses zum Chordienste hinzu, behielt mithin
•das Kreuzschiff geschlossen und legte entweder hier oder an dem Chore
selbst jene Kapellen an. Dabei wurde aber die bei den Cluniacenserklöstern
und an den Kathedralen gebräuchliche Anlage des reichen, radianten Ka-
pellenkranzes als zu künstlich und prachtvoll anfangs verschmäht; man hatte
vielmehr eine Vorliebe für den rechtwinkeligen Chorschluss, als für die
-schlichteste Art, und suchte jenes Bedürfniss vieler Kapellen mit der ge-
wohnten Einfachheit zu vereinigen. Dies erzeugte mannigfaltige Formen,
von denen aber keine zur Vorschrift oder maassgebenden Regel erhoben
wurde, so dass auch der halbkreisförmige Schluss und im dreizehnten Jahr-
hundert selbst der volle Kapellenkranz häufig angewendet wurden. Schon die
ersten Mutterklöster wichen in dieser Beziehung von einander ab; Citeaux
schloss rechtwinkelig mit einem niedi'igen, gleichfalls rechtwinkeligen Um-
gänge, Clairvaux und Pontigny halbkreisförmig mit neun Kapellen, die aber
^) Ea comnioditate, ut si qui secretius orare velint aut celebrare sacerdotes, a
iiulio piüisus coiispiciantur — Brevis notitia monast. Ebracensis, Rom 1739.
'-) Caesarius von Heisterbacli, a. a. 0. I, S. 22, erzählt die Bekehrung eines Dom-
herrn von Köhi, der im Kloster Campen gesehen habe, wie die Mönche, alte und junge,
ad diversa discurrentes altaria ad disciplinas suscipiendas nudabant dorsa sua, confitentes
humiliter peccata sua. Mit dieser Sitte mag es auch zusammenhängen, dass diese
\Kapellen meistens sehr niedrig und schlecht beleuchtet sind.
Erste Alllagen in Deutschland. 319
auch hier die Gestalt von sphärischen Vierecken haben und zusammen eine
fortlaufende halbkreisförmige Aussenmauer bilden. Zwei rechtwinkelige
Kapellen auf der Ostseite jedes Kreuzarmes kamen hinzu^). Morimond, im
Anfange dieses Jahrhunderts abgebrochen, hatte auf dem Mittelschiffe eine
halbkreisförmige Concha, dagegen auf den Ostseiten dßs Kreuzes mehrere
rechtwinkelige Kapellen-). Auch die Tochterklöster dieser ersten Stiftungen
hielten sich keinesweges ängstlich an das Vorbild des Mutterklosters.
Deutschland stand vorzugsweise in Verbindung mit Morimond, dessen
erster Abt, Arnold, ein Deutscher und Bruder des damaligen Erzbischofs
Friedrich 1. von Köln, im Jahr 1122 selbst nach Köln pilgerte und durch
seine Predigt die Gründung des ersten deutschen Cistercienserklosters
Campen Uilt-Camp) bei Köln^) und die Bekehrung einer grossen Zahl von
Deutschen bewirkte, die ihm nach Morimond folgten. Bald darauf erwarb
Morimond ein höchst bedeutendes Mitglied. Otto, Sohn des Markgrafen
Leopold von Oesterreich und Oheim des nachherigen Kaisers Friedrich I.
als Geschichtschreiber unter dem Namen Otto von Freising wohl bekannt^
trat auf seiner Rückreise von der hohen Schule zu Paris mit seinem Bruder
Conrad und mehreren Söhnen deutscher fürstlicher und gräflicher Häuser
in das Kloster, welches er demnächst von 1131 bis zu seiner Berufung auf
den bischöflichen Stuhl von Freising im Jahre 1138 als x\bt leitete. Gleich-
zeitig legte ein anderer fürstlicher Gast in Morimond das Gelübde ab.
Graf Eberhard von Berg wurde, wie es in dieser bewegten Zeit so häufig
geschah, in der Mitte eines kriegerischen Leben von heftiger Reue ergriffen.
Er wallfahrtete im Bussgewande zu mehreren heiligen Stätten, langte endlich
auf einem der Meierhöfe von Morimond an und unterzog sich hier dem de-
müthigen Geschäfte eines Schweinehirten. Der Zufall führte zwei seiner
nach ihm ausgesendeten Diener in diese Gegend, welche ihren verloren ge-
^) Grundrisse oder Ansichten aller drei Kirchen bei VioUet-le-Duc Dictionnaire I,
S, 267, 270, 272. Die Kirchen von Citeaux und Ciairveaux existiren nicht mehr. Von
den Formen und dem Bestehen von la Ferte habe ich keine Kunde. — In Pontigny
bilden indessen die Kapellen im Inneren Polygone. Vgl. YioUet-Ie-Duc II, S. 465. —
Viollet-le-Duc (ebenda) leitet die Sitte der viereckigen Kapellen aus architektonischer
Oekonomie her, weil bei ihnen die Construction der Mauer und des Daches einfacher
war. — Abbildung von Pontigny, innere Ansicht des Chors, bei James Ferguson, A History
of Architecture vol. I, S. 505 f.
-) Dubois, Histoire de l'abbaye de Morimond, 1852, S. 194, giebt diese Nach-
richten theils nach den an Ort und Stelle aufgefundenen Spuren, theils nach Zeichnungen,
welche bei Gelegenheit einer Reparatur im Jahre 1475 aufgenommen imd noch im
Archive des Departements der Haute-Marne erhalten sind.
^) Siehe Notiz über Alt-Camp, von Ernst aus'mWeerth, in v. Quast u. Otte, Zeit-
schrift, I, S. 138, nebst Holzschnitt. Nur noch die rechteckige Apsis zwischen zwei
Thürmen besteht.
320 ^^^ Cisiereienserorden.
glaubten Herrn erkannten und zur Rückkelir zu bewegen suchten, aber gerade
dadurch die Veranlassung seines förmlichen Eintritts in das Kloster wurden.
Als Mönch besuchte er nun seine Heimath, bestimmte seinen Bruder Adolph
zur Stiftung des nachmals so berühmten Klosters von Altenberg (1133) und
einen anderen Verwandten, den Grafen Zizzo, zur Gründung des Klosters
St. Georgenberg (nachher Georgenthal) in Thüringen, dessen erster Abt er
wurde (1141), Wcährend Altenberg mit französischen Mönchen besetzt wurde,,
aus denen auch die beiden ersten Aebte hervorgingen^). Diese Verbindungen
mit deutschen Fürstenhäusern und überhaupt die östliche Lage von Morimond
auf der Grenze von Lothringen bewirkte^ dass der Wunsch nach Cister-
cienserstiftungen aus Deutschland sich meistens hierher richtete. Ausser
Campen gehörten Lutzell im Elsass (1122) und Ebrach in Franken (1124)
zu den ältesten Töchtern von Morimond. Während Otto's Verwaltung (11 34)
wurden auch nach Bayern (W\aldsassen) und nach Oesterreich (Heiligenkreuz)
Kolonien entsendet, und als er nach Freising ging, zählte Morimond in
Deutschland schon neunzehn unmittelbare oder mittelbare Töchter, deren
Zahl bis zum Schlüsse des Jahrhunderts auf mehr als 70 und später bis
auf 117 wuchs-). Nur siebzehn deutsche Cistercienserklöster waren von
anderer Abstammung, und zwar sämmtlich von der Linie von Clairveaux.
Die Abstammung von der einen oder anderen dieser ältesten Töchter hatte
indessen, wie eine Vergleichnng der noch erhaltenen Kirchen zeigt, keinen
Einfluss auf die bauliche Anordnung. Von mehr als vierzig Cistercienser-
kirchen, welche auf deutschem Boden erhalten oder wenigstens, wie Sion, in
Abbildungen bewahrt sind', haben mindestens 21 und darunter drei von
Clairveaux abstammende den geraden Chorschluss, aber in höchst ver-
schiedener Weise, und die übrigen eine halbkreisförmige oder polygon-
förmige Chornische, mehrere, allerdings erst im dreizehnten Jahrhundert
gebaute, sogar mit radianten Kapellen-"). Selbst in der Anlage dieses be-
deutungsvollen Theiles band man sich nicht an das Beispiel der gemeinsamen
Stammmutter, oder des unmittelbaren Mutterklosters.
^) Jongeliinis a. a. 0. Lib. II, p. 13.
-) Hierbei sind die Cisterciensernoniienklöster nicht mitgezählt.
*) Geraden Chorschluss haben Amelunxborn, Arusburg, Campen, Eberbach, Ebrach,
Eldena, Eiisserlhal, Haina, Heiligenkreuz, Heilsbronn, Hude, Lilient'eld, Loccum, Marieii-
feld, Marienthal, Neuberg (in Steiermark), Pelpiin, Riddagshausen, Roda, Salmansweiler,
Thennenbach. — Es ist unsicher, ob zu diesen auch Bebenhausen und Maulbronn zu
rechnen sind, die jetzt gerade schiiessen, bei denen aber vielleicht ursprünglich eine
halbkreisförmige Chornische bestand. Halbkreisförmigen oder polygonen Chorschluss
haben: Altenberg, Bronnbacli, Chorin, Colbatz, Doberan, Dobrilugk, Heisterbach, Kais-
heim, Lehnin, Marienstatt, Oliva, Porta, Sion, Victring, Walkenried, Zinna, Zvvetl. —
Manche aus letzterer Gruppe, wie Marienstadt, Altenberg und Dobberan liaben radiante
Capellen. — Die Denkmäler aus der folgenden Periode sind hierbei mitgerechnet.
Baustyl. 321
Ueberhaupt zeigen diese Bauten zwar eine Familienähnlichkeit, aber
doch wieder grosse Verschiedenheiten; sie sind Kinder desselben Geistes,
aber dabei höchst individuell. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Orden
schon aus ökonomischeu Gründen seine Baumeister selbst bildete; wir finden
auch die Nachricht, dass der heil. Bernhard den Bruder Achard, Novizen-
meister in Clairvaux, in viele deutsche und französische Klöster geschickt
habe, um ihre erste Einrichtung und ihre Bauten zu leiten i), und eine ähn-
liche Einwirkung auf die Bauten neuer Stiftungen werden, auch sonst die
Mutterklöster ausgeübt haben. Noch bei anderen Gelegenheiten finden wir
Baumeister aus dem Orden selbst genannt '2). In der Schule, die auf diese
Weise entstand, bildeten sich zwar bestimmte bauliche Traditionen; aber
der strebende, reformatorische Sinn des Ordens, die Selbständigkeit der
einzelnen Klöster, die schon aus Sparsamkeit gebotene Rücksicht auf das
vorhandene Material und auf die architektonischen Gebräuche jener Gegend
bewahrten sie vor sclavischer Nachahmung und Einförmigkeit. Die Aufgabe,
solide Formen mit augenscheinlicher Einfachheit und doch auch mit der der
Würde des Ortes zusagenden Anmuth zu verbinden, erzeugte vielmehr ein
wahrhaft künstlerisches Bestreben, aus welchem sehr originelle, anziehende
und mannigfaltige Erfindungen hervorgingen und das fast jeder Kirche ein
eigenthümliches Interesse verleihet.
Unter den älteren Cistercienserkirchen Deutschlands sind mehrere,
welche die Eigenthümlichkeit des Ordens kaum erkennen lassen, sondern
sich einfach der Bausitte der Provinz anschliessen, in der sie entstanden
sind. Dies tritt natürlich auch später da ein, wo eine bereits vorhandene
oder doch angefangene Kirche dem Orden übergeben wurde. Daher denn
eine ziemlich grosse Zahl solcher Kirchen mit flacher Decke und in Formen,
die später nicht wieder vorkamen. So ist die Kirche zu Heilsbronn bei
Nürnberg, welche Bischof Otto von Bamberg erbauen lassen und 1132 dem
Orden übergab, eine schlichte Säulenbasilika mit schweren Würfelkapitälen.
So ferner das Laughaus der Kirche zu Amelunxborn bei Stadtoldendorf
mit wechselnden Pfeilern und Säulen, die Kirche von Marienthal bei
Helmstedt, die ursprünglich den Prämonstratensern gehörige Kirche von
Bebenhausen in Schwaben, selbst die grosse Kirche von Maulbronn und
1) Jongelinus a. a. 0. und zwar in dem Manipnlus Hemmerodensis, Tit. XII, p. 21.
^) In Georgentlial wird im J. 1246 ein gewisser Wiegand, Mönch des Klosters,
mit dem Zusätze angefiilirt: „qui tunc magister lapidum vocabatur". Bei der Gründung
von Victring in Kiirnthen befanden sich unter den dahin gesandten Mönchen: „Con-
versi barbali diversis artibus periti." Der Bau von Walkenried wurde durch die
Klosterbrüder Jordan und Berthold angefangen, später aber durch den Abt Heinrich
geleitet, der „architecturae peritus" war; unter ihm arbeiteten 21 Laienbrüder als Stein-
metzen, Maurer und Zimmerleute. Vgl, Dohme a. a. 0. S. 79, 78, 106.
Schnaasse's Kunstgesch. 2. Aufl. V. 21
222 Cistercienserkircheii.
andere. Wie in dieser Zeit die Eigenthümlichkeit der Ordensbauten noch
nicht entwickelt ist; so verliert sie sich später wieder, etwa in der zweiten
Hälfte des 13. Jahrhunderts. Für die mittlere Zeit dagegen, etwa von
1150 bis 1250 bildet sich für die Kirchen des Ordens ein gewisser Typus,
der zwar stets mit Freiheit und mit Abweichungen angewendet wird, aber doch
im Wesentlichen wiederkehrt. Es ist der einer kreuzförmigen Pfeilerbasilika
mit quadraten Gewölben, deren Dienste meistens nicht bis zum Boden herab-
gehen , sondern, in kurzen, von einer Console getragenen Pfeilerstücken
bestehen. Das Langhaus pflegt ziemlich lang zu sein, aus vier oder fünf
quadraten Gewölben zu bestehen, die Seitenschiffe sind auffallend schmal.
Von der Eigenthümlichkeit der Ornamentation und von der Anlage der öst-
lichen Theile haben wir schon gesprochen.
Zu den ältesten und merkv/ürdigsten der noch erhaltenen deutschen
Cistercienserkirchen gehört die von Bronnbuch bei Wertheim. Das
Kloster wurde im Jahre 1151 und zw^ar als Fiale von Maulbronn gegründet,
und erhielt sofort bedeutende Schenkungen der Grafen von Wertheim und
des Erzbischofs von Mainz, lieber die Vollendung der Kirche besitzen wir
keine Nachrichten, indessen wird man nicht fehlen, wenn man sie etwa um
1200 setzt 1). Es ist ein ansehnlicher und solider Bau; ein Langhaus von
vier Gewölbquadraten mit Seitenschiffen von nicht völlig halber Breite des
Mittelschiffes, ein in gleicher Breite ausladendes Kreuzschiff, auf seiner Ost-
seite mit zwei viereckigen, durch starke Mauern geschiedenen niedrigen
Kapellen, über deren Aussenwände hinaus auf der Breite des Mittelschiffes
eine einfache, durch drei Fenster beleuchtete halbkreisförmige Apsis hervor-
tritt. Vor dem östlichsten Quadrate des Langhauses erhebt sich der Boden
um zw^ei Stufen, so dass wahrscheinlich der Chorraum sich bis hierher
erstreckte. Fenster und Arcaden sind rundbogig, dagegen die höchst merk-
1) Nachrichten über die Geschichte des Klosters geben Mone (Schriften des Badisclien
Alterthums -Vereins, Karlsruhe '1849, Band II, S. 307 — 386, und Zeitschrift für die
Geschichte des Oberrheins, Karlsruhe 1851, Bd. IL, S. 291 ff.), ferner Aschbach, Geschichte
der Grafen von Wertheim, 1843, im zweiten Bande. Für unseren Zweck ist aus den
vielen, von beiden mitgetheilten Urkunden zu bemerken, dass nach einem Memoriale
des um 1170 lebenden Abtes Diether von Maulbronu (Nro. IV und IX bei Aschbach)
der Bau des Klosters von Bronnbach (in den Urkunden auch Brunnebach und Bnrne-
bach genannt) im Jahre 1157 begann. Wahrscheinlich noch vor der Vollendung der
Kirche entstand indessen ein Zwiespalt im Kloster, weil der Abt Reginhard sich in dem
Streite zwischen Kaiser Friedrich und Papst Alexander III. für den ersten erklärte,
obgleich der gesammte Cistercienserorden die Partei des Papstes ergriffen hatte. Dies
veranlasste Widerstand der Mönche und vielleicht selbst das Verlassen des Klosters,
indem im Jahre 1174, nachdem Reginhard zfiu- Abdankung bestimmt worden war, ein
neuer Abt mit Mönchen von Maulbronn ausgesendet wurde. Wahrscheinlich wird daher
ei>6t nach dieser Zeit der Bau wieder aufgenommen und dann bald vollendet sein.
Bronnbacli.
323
•würdigen Gewölbe spitzbogig. Sie besteben nämlich im Mittelschiffe, in
den Kreuzarmen und in der Vorlage des Chores aus quadraten Kreuz-
gewölben mit blossen Gräten, die man aber in der That noch als spitzbogige
Tonnengewölbe mit grossen Stichkappen betrachten kann,, da die Gewölb-
felder nicht durch Tran^versalgurten geschieden sind und die über den Fenstern
einschneidenden Kappen wegen der grossen Stärke der Pfeiler nicht völlig
die Breite und Hohe des Longitudinalgewölbes haben. In den Kapellen an
den Kreuzarmen sind wirkliche Tonnengewölbe, die Seitenschiffe sind aber
mit halben Kreuzgewölben der erwähnten Art bedeckt. Offenbar ist es
das ältere französische System der Bedeckung mit ganzen und halben Tonnen-
gewölben, welches aber in Deutschland wegen des Bedürfnisses von grösseren
Fenstern und Oberlichtern und durch die Einwirkung des hier schon längst
bekannten Kreuzgewölbes modificirt ist. Dieses Auftreten einer französischen
Anordnung ist um so auffallender, weil sie sich in Maulbronn nicht findet,
wo das Mittelschiff' vielmehr die in Cistercienserkirchen seltene gerade Decke
hat, die Seitenschiffe aber mit ge-
FW 87
wohnlichen Kreuzgewölben bedeckt
sind. Maulbronn stammte von Neuen-
bürg im Elsass, welches eine Kolonie
von Bellevaux imBisthum Besangen,
der ältesten Tochter von Morimond,
war. Die Verbindung von Bronn-
bach mit Frankreich war also eine
ziemlich entfernte. Dennoch aber
muss sich ein Eiufluss aus der Central-
gegend des Ordens hierher erstreckt haben, der sich nur dadurch erklären
lässt, dass man von Maulbronn aus ältere in französischen Klöstern gebildete
Mönche mitgesendet hatte. Auch ist die Choranlage dieselbe wie in Mori-
mond. Im Uebrigen weisen die Details nicht gerade nach Frankreich hin.
In den beiden östlichen Gewölbfeldern des Langhauses wechseln Säulen, in
den beiden westlichen nur schwächere Pfeiler mit den gewölbetragenden,
welche kreuzförmig, unter dem anstrebenden Seitengewölbe mit einem unver-
zierten Pilaster ohne Kapital, unter den Scheidbögen mit Drei viert elsäulen,
auf der Frontseite wieder mit einer Halbsäule besetzt sind, welche letzte
aber nicht vom Boden, sondern von einem ziemlich hohen schlichten Pilaster
aufsteigt und dadurch dieselben Dimensionen wie die Zwischensäulen erhalten
hat. Auf dem Kapital dieser Säule liegt dann ein als Viertelstab oder als
"Welle gebildeter Abacus, auf welchem zwei treppenförmig ausladende Balken
den breiten Gewölbansatz stützen. Die Kapitale sind theils würfelförmig mit
derb gearbeiteten Rankenverschlingungen, theils kelchförmig mit schwacher
Anwendung breiter Blätter. Sehr eigenthüralich ist die Behandlung der
Bronnbach.
324
Cistercienserldrchen.
Fig. 88.
Basis und des die Stelle des Eckblattes vertretenden Theiles. Während
der romanischen Periode, besonders in Sachsen, kommt öfter der Versuch
vor^ das Eckblatt gewissermaassen organisch zu rechtfertigen, indem man
es wie eine Hülse behandelte, welche den Pfühl umschliesst und in den Ecken
der Plinthe weiter hinaufwächst. Hier hat man eijen ähnlichen Gedanken
durchgeführt, nur dass diese Hülse nicht von unten nach oben, sondern um-
gekehrt von oben nach unten wä(^st und sich anlegt, and dies mit mehreren
sinnreichen Variationen. In einigen Fällen erscheint sie nämlich wie eine
zarte Haut, welche am oberen Rande des Pfühls im ganzen Umfange anhebt
und in den Ecken sich zu Voluten aufrollt, dazwischen aber in wechselnden
Bogenlinien abstirbt. In anderen Fällen bildet sich dagegen eine stärkere
Schale, welche wie die der Nuss einen gleichgestalteten kleineren Kern um-
giebt und da, wo sie über die Plinthe überragen würde, abgeschnitten ist,
so dass sie hier den inneren Kern sehen lässt, während sie in den Ecken
neben dem Kerne mit einem kleinen Zwischen-
räume von demselben stehen geblieben ist und
so die Lücke ausfüllt. Besonders anmuthig
ist die Ausführung der Basis an den drei
ziemlich reich mit monolithen Säulen ge-
schmückten rundbogigen Portalen der West-
seite. Neben diesen feiner ausgebildeten
Theilen ist dann die fast bis zur Bohheit ge-
steigerte Einfachheit mancher anderen, nament-
lich der Wandpilaster in den Seitenschiffen,
,„,„,,„.^^i, sehr auffallend. Die Aussenmauern sind
schmucklos, auf der Nordseite mit schwachen
Strebepfeilern besetzt, nur an der Chornische mit einer Rautenverzierung
und einem auf Consolen ruhenden Runcibogenfriese ausgestattet, welcher in
seinen Details ganz denen am Dome und am Neumünster zu Würzburg gleicht.
Wir sehen daher hier sehr anschaulich die eigenthümliche Mischung von
französischen und deutschen Elementen und von Einfachheit und Zierlich-
keit, und zugleich die Selbständigkeit der Baumeister von älteren Tradi-
tionen und neu aufgekommenen Formen, welche die deutschen Cistercienser-
bauten charakterisirt. Auch der Kreuzgang, obgleich etwas jünger als die
Kirche, hat noch sehr primitive Formen. Jede seiner Abtheilungen besteht
nämlich aus drei auf Säulen ruhenden, stumpfen, aber stark überhöheten
Spitzbögen, von denen der mittlere die beiden anderen überragt und fast in
die Spitze des die ganze Gruppe umfassenden steilen Spitzbogens hinein-
reicht. Auch er wird daher noch ans dem zwölften Jahrhundert stammen.
Neben der Kirche zu Bronnbach ist die des 1156 gegründeten Klosters
zu Thennenbach (Porta Coeli) im Breisgau zu nennen. Sie ist zwar in den
, Tlienueubach. 325
Jahren 1829 bis 1830 abgebrochen, aber als evangelische Kirche nach dem
nicht weit entfernten Freiburg versetzt und daher auch in den Theilen,
welche bei dieser Uebertraguug verändert sind, uns durch die Beschreibung
des Architekten wohl bekannt^). Die Angabe entspricht im Ganzen jenem
vorherrschenden Typus; vier Quadrate^bilden das ISIittelschiff des Langhauses,
drei das Querschiff, an dessen Ostseite sich neben dem gerade geschlossenen
Altarhause je zwei rechtwinkelige Kapellen anlegen. Ungewöhnlich ist aber die
Ueberwölbung der Seitenschiffe; sie bestand nämlich ursprünglich (denn bei dem
Wiederaufbau in Freiburg sind statt dessen spitzbogige Kreuzgewölbe ange-
bracht) in quergelegten Tonnengewölben also in einer Wölbungs-
art, die in verschiedenen Gegenden von Frankreich, und unter Anderem
auch in der Cistercienserkirche von Fontenay angewendet-), in Deutschland
aber ganz unbekannt war und auch niemals wiederholt ist. Die Arcaden
sind schon Spitzbögen und das unbeschädigt nach Freiburg übertragene
Hauptportal zeigt , obgleich ruudbogig , schon eine Annäherung an den
gothischen Styl, die aber hier, bei der engen Verbindung mit Frankreich,
welche durch jene Seiteugewölbe bewiesen wird, uns noch nicht berechtigt,
dem Bau ein späteres Datum zu geben, als etwa um 1200.
Die Choranlage mit mehreren niedrigen, auf der Ostseite des Kreuzes
und in einer Flucht mit dem Chorraume angelegten Kapellen, wie wir sie in
Bronnbach finden, ist die beliebteste in den früheren Cistercienserkirchea;
man wechselte dabei aber mit dem halbkreisförmigen und dem rechtwinkeligen
Schluss des Chorraums und zuweilen auch der Kapellen. So haben die nahe
bei einander gelegenen südfranzösischen Kirchen Thorouet, Sylvacane und
Senauque, von denen ich früher sprach, sämmtlich vier solcher Seitenkapellen
neben dem Chore, die beiden ersten aber wie Morimond und Brounbach mit
halbkreisförmiger, die dritte mit geradliniger Schlusswand des Chorraumes.
Im nördlichen Frankreich hat Vaux-de-Sernay in der Diöcese von Paris
gerade den Chorraum viereckig, die Kapellen aber halbkreisförmig geschlossen;
Fontenay bei Montbord (Dep. cote d'or) dagegen durchweg rechtwinkelige
Schlusswände ^). Dies ist auch die vorherrschende Form in Italien, wo sie
sich, und zwar häufig mit grösserer Ausladung der Kreuzarme und daher
mit drei Kapellen auf jeder Seite des Chores, nicht bloss an Cistercienser-
kirchen, wie unter anderen an denen von Fossanova bei Auagni und
^) V^l. Hübsch, Bauwerke S. 12 und die dazu gehörigen Zeichnungen.
-) Vgl. Band IV, S. 512.
3) Viollet-le-Duc I, S. 274. — Auch die Kirche vou Beliaigue (Dep. Pny-
de-Dome), welche, nach Einführung der Cistercienser (1137) in das ehemalige Bene-
diciinerkloster, erbaut ist, hatte neben dem Chore vier demselben parallele Kapellen.
Mittheilung von Montalembert in den Annales archeologiques XII, p. 328.
326
Cistercienserkirche.n.
Casamari bei Veroli^), sondern auch in den Kirchen anderer Orden^.
namentlich der Franziskaner 2), findet. Auch in Deutschland haben wir
mehrere ähnliche Anlagen , jedoch, soviel ich weiss, nur an Cistercienser-
kirchen. Eine der ältesten ist die im Jahre 1186 gew-eihete Kirche von
Eberbach im Rheingau =^), mit
^'s- ^^- quadraten Gewölben, viereckigen,
meistens ganz schlichten Pfeilern,
rundbogigen Fenstern, Gewdlbträgern
aufConsolen. Die Zahl der Kapellen
ist hier auf jeder Seite auf" drei ge-
steigert. Aehnlich, jedoch nur mit
fünf Altarräumen, ist die Kirche von
Loccum bei Stadthagen östlich der
Weser. Das Kloster, dessen umfang-
reiche, im entwickelten gothischen
Style ausgeführten Gebäude noch
wohl erhalten sind, war schon 1163
gegründet; die Kirche ist bedeutend
jünger und wurde wahrscheinlich in
den Jahren 1240 — 1277 vollendet.
Ein gewisser Bodo wird als Bau-
meister genannt. Sie hat durchweg
spitzbogige, aber ungegliederte Ar-
caden, im Langhause eben solche, ia
den östlichen Theilen dagegen rund-
bogige Fenster, die auch hier wie in
Bronnbach paarweise unter den oberen
Schildbögen stehen. Die Pfeiler sind
viereckig und stark, die gewölbtragen-
den oben durch einen Vorsprung verstärkt, der als breite Console den Quer-
gurt trägt, die Zwischenpfeiler nach sächsischer Weise mit Ecksäulchen
Loccum.
1) Ich verdanke die Kenntniss dieser Kirchen den Mitiheilungea des verstorbenen
Bibliothekars Dr. Bethmann in Wolfenbiittel. — S. Vincenzo e Anastasio bei Rom
nur mit zwei Kapellen auf jeder Seite, Grundriss bei Lenoir, archit. monastique II
pag. 47.
-) In Frankreich haben die Klöster La Regle bei Limoges und La Couronne bei
Angouleme, obgleich nicht Cistercienser, die Form von Loccum.
") Vgl. Geier und Görz, Denkmale romanischer Baukunst am Rhein, Heft 1. Die
hier erwähnte Kirche ist die, welche die Herausgeber als die neuere bezeichnen. VgL
oben IV, S. 370, Anm. — Denkmäler aus Nassau, Heft2u. 3, Wiesbaden 1857, 1862.—
Urkundenbuch der Abtei Eberbach, herausgegeben von K. Rössel, Wiesbaden 1862 ff.
Eu&serthal, Zinna, Walkenried. 327
verziert. Die Kapellen an den Kreuzarraeu sind im Aeusseren durch eine
gemeinschaftliche gerade Mauer, im Inneren einzeln halbkreisförmig ge-
schlossen. Der ganze Bau ist sehr einfach und strenge, mit Ausnahme der
Chor- und Querhaus^Yände noch ohne Strebepfeiler, mehr romanisch als
gothisch 1). Dieselbe Anlage der östlichen Theile, nämlich je zwei niedrige
Kapellen neben dem rechteckigen Chor zeigt die Kirche zu Eusserthal
bei Kaiserslautern-), deren Langhaus nicht mehr besteht. Die Schlusswand
des Chores ist hier durch zwei Reihen rundbogiger Fenster würdig belebt.
Verwandt ist auch die Kirche des erst im Jahre 1170 gegründeten, aber
schnell aufgeblühten Klosters zu Zinna bei Jüterbog =^). Es ist eine
schlichte Pfeilerbasilika, und zwar von sehr sorgfältig behauenem Granit.
Strebepfeiler fehlen, die Fenster sind lancetförmig, die Arcaden spitz, das
Langhaus mit schmalen Kreuzgewölben; jedoch aus späterer Zeit, gedeckt,
während die Kapellen am Kreuze noch Tonnengewölbe haben. Diese Ka-
pellen, je zwei anf jeder Seite, und die Chornische selbst sind inwendig rund,
äusserlich polygonförmig geschlossen; sie sind indessen überaus niedrig und
sehr schwach beleuchtet. Schon das Material gebot hier die höchste Ein-
fachheit ; nur die Consolen der Gewölbträger zeichnen sich durch Verzierungen
von diamantirten Stengeln und stylisirtem Blattwerk spät romanischen Styles
aus, welche in gebranntem Thou gearbeitet und dem rohen Granitblock
angehängt sind. Auch die schöne, jetzt in Ruinen liegende Kirche von
Walkenried am Harze, die im Jahre 1207 begonnen, aber erst 1290
geweihet war und schon eine starke Annäherung au die Gothik zeigt, hatte
wahrscheinlich eine ähnliche Choranlage, wie dies theils die erhaltenen
Nachrichten, theils der jetzige, im vierzehnten Jahrhundert aufgeführte Chor-
bau vermuthen lassend Eine sonderbare Modification dieser Anlage zeigt
die Klosterkirche von Maulbronn. Hier sind nämlich auf jeder Seite des
viereckigen Altarraumes drei kleine Kapellen angebracht, jedoch so, dass
sie nicht neben dem Kreuzschiflfe , sondern an der Stelle desselben stehen
und im Aeusseren nicht sichtbar werden. Die Kreuzarme sind nämlich ge-
theilt, so dass die östliche Hälfte jene drei Kapellen enthält, die westliche
aber einen vor demselben liegenden Gang bildet. Es hängt damit zusammen.
') Mittelalter!. Baudenkmäler Niedei-saclisens. Heft 10. Hannover 1864. — Lübke
a. a. 0. S. 119 und Taf. VHI. — Derselbe im Organ für christliche Kunst 1853 S. 17bis
19, Bemerkung von v. Quast ebenda S. 51.
2) Abbild, bei Sighart, Gesch. d. Bild. K, in Bayern S. 253, der jedoch irrig das
Kloster den Benedictinern zuschreibt.
3) Otte, bei Puttrich, Bd. H, Abth. 2, Serie Jüterbog, S. 26, setzt sie um 1216.
Vgl. die Abbildungen das. Taf. 13 — 16.
*) Vgl. die Publication von Lotz bei v. Quast und Otte, Zeitschrift II, 193 und
die von Leuckfeld, Antiquitates Walkenriedenses, Leipzig 1705, gegebene Beschreibung.
328
Cistercienserkircheii.
Fig. 90.
Riddagsliausen, Chor.
Fig. 91.
dass die Kreuzarme nicht die Höhe des Mittelschiffes (die hei der Enge jener
Abtheilungen unverhältnissmässig gewesen sein würden), sondern nur die der
Seitenschiffe haben, wobei denn der dadurch ge-
wonnene obere Raum je einen, für klösterliche
Zwecke benutzten Saal bildet.
In einigen anderen Kirchen finden wir diese
Kapellenanlage sehr viel reicher entwickelt, indem
der Chor zwar rechtwinkelig, aber von grösserer
Tiefe und auf allen seinen drei Aussenseiten von
einem Umgange und daran stossenden Kapellen be-
gleitet ist. Das bedeutendste, wenn auch nicht das
älteste Beispiel einer solchen Anlage giebt die Kirche
zu Riddagshausen bei Braunschweig ^). Der
Grundplan besteht zunächst wiederum
aus einem Langhause von vier Gewölb-
quadraten, hier mit sehr schmalen,
noch nicht ein Drittel der Mittelschiff-
breite haltenden Seitenschiffen und
einem um etwas mehr als diese Seiten-
schiffbreite ausladenden Kreuzschiffe.
An dieses schliesst sich die Choranlage,
deren innerer rechtwinkelig umgrenzter
Theil durch zwei Kreuzgewölbe von
der Höhe des Mittelschiffes gedeckt,
und von einem, nach dem Kreuzschiffe
zu geöffneten Umgange von der Breite
und Höhe der Seitenschiffe, demnächst
aber von vierzehn niedrigen und kleinen
viereckigen Kapellen, und zwar sechs
auf der Ostseite und vier auf jeder
der beiden anderen ^Seiten, umgeben
ist, welche an die Ostseite des Kreuz-
schiffes anstossen, aber nur vom Chor-
1) Zeitschrift für Bauwesen, Berlin 1857. Tafel 65 ff., Text von Ahlburg,
S. 543 ff. — Schiller , die mittelalterliche Architektur Braunschweigs (1852), giebt
Grundriss und Beschreibung, Kallcnbach's Chronologie Tafel 31 eine Abbildung des
Chores. Vgl, auch Lübke im D. Kunstbl. 1851, S. 83. Riddagshausen gehörte zur
Linie von Morimond, dessen Choranlage, wie wir gesehen haben, eine andere war. Eher
scheint die hiesige der von Citeaux zu gleichen, indessen zeigt die bei Viollet-le-Duc
nach einer älteren Zeichnung gegebene Ansicht, dass daselbst (wie in der weiter unten zu
beschreibenden Kirche von Arnsburg) Umgang und Kapellen von gleicher, nicht wie in
Riddagshausen und Ebrach von verschiedener Höhe waren.
Riddagshausen.
329
Fig. 92.
umgange aus zugänglich sind. In französischen Gebäuden kommt eine solche
Anordnung des Chores nicht vor, ^Yohl aber in einem Entwurf des Villard
de Hounecourt, bei welchem dahin gestellt bleiben muss, ob er die Anregung
dazu bei seinen Reisen in Deutschland erhalten ^). Der Zweck dieser Anlage
war offenbar, abgesonderte und dem Volke verschlossene Kapellen für den
Gebrauch der Mönche zu erhalten. Zugleich [aber gab sie mit ihren zwei
stufenweise zu dem 'höheren inneren Raum aufsteigenden Dächern dem
Aeusseren des Chores eine sehr ernste, dem Sinne dieses Ordens ent-
sprechende Gestalt. Eben so ernst und einfach ist die ganze Anordnung
und Ausstattung des Inneren. Die Dimensionen sind nicht unbedeutend, die
allerdings unverhältnissmässig grosse Länge 271, die Breite des Querarmes
103, die des Mittelschiffes 32, die Gewölbhöhe über 70 Fuss. Die Pfeiler
sind kreuzförmig gestaltet, unter den Scheidbögen und in den Seitenschiffen
mit einer einfachen, im Mittelschiffe mit dreifachen vom
Boden aufsteigenden Halbsäulen. Alle Bögen an Ge-
wölben, Arcaden und Fenstern sind spitz, über den eckig
profilirten Scheidbögen aber ist noch nach romanischer
Weise ein schachbrettartig verziertes Horizontalgesims
angebracht. Die Oberlichter stehen paarweise und ohne
Verzierung unter den Scheidbögen der quadraten Ge-
wölbe; die Kapitale des Langhauses sind schmucklose
Kelche. Im Chore ist Alles reicher ausgestattet. Die
Oberlichter bestehen hier aus Gruppen nicht von zwei,
sondern von drei Fenstern unter jedem Gewölbe, und
sind von einem eigenen, auf zwei kleinen Säulchen ruhen-
den Gurtbogeu sehr zierlich eingerahmt. Die Kapitale
und Consolen sind wechselnd und geschmackvoll verziert.
An einigen der ersten findet sich der sonst nirgends
vorkommende Gedanke, den üebergang des Kelches in die Deckplatte durch
eine Eckverzierung, ähnlich dem Eckblatte der Basis, zu vermitteln 2), unter
diesen haben mehrere die auffallende und seltene Gestalt eines von der
Mauer abgebogenen Hornes^). Wir sehen daher wieder, ähnlich wie in
Riddagshausen.
1) Darcel et Lassiis, Album de Villard de Hoiinecourt, Paris 1858, p. XXVII:
„vesci une glize del quarie ki fu esgardee a faire eu lordene dcistiaux". — Vgl.
ebenda S. 113 ff., Text und Anmerkungen.
^) Nur in der- Kirche zu Roslieim im Elsass hat ein Säulenkapiläl ein ähnliches
Motiv. (Chapuy's moyen äge monumental uro. 312.) Da diese Kirche und dies Kapital
aber älter sind und ein Zusammenhang zwisclieu Rosheim und Riddagshausen nicht
denkbar ist, so ist dies wieder ein Beweis, dass ähnliche Formen im Mittelalter häufig
mehrmals unabhängig entstanden und dass man aus solchen Aehnlichkeiten nicht auf
eine Herleitung schliessen darf.
^) In Deutschland kommen solche Consolen, so viel ich weiss, nur noch in der
330 Cistercienserkirt'hen.
Brorinbach; höchst originelle Aeusserungen eines feinen Geschmackes un-
geachtet der hervorgebrachten Einfachheit der Grundformen.
Die Zeit des Baues steht nicht fest; das Kloster ist 1145 gegründet,
eine Weihe wird erst im Jahre 1278 berichtet, der ganze Charakter des
Baues lässt aber darauf schliessen, dass er in der Zwischenzeit, jedenfalls
vor 1250, im Wesentlichen vollendet und mithin im Anfange des Jahrhunderts
begonnen ist. Namentlich gilt dies von dem Chore. Wenn die Bauschule
des Ordens auch die reichere Gliederung des gothischen Styles verschmähet
hätte, so lag jedenfalls kein Grund vor, da, wo sie verzierte, sich an den
Geschmack des romanischen Styles zu halten. Hier ist aber noch kein Ein-
fluss des gothischen Styles zu erkennen, vielmehr bestehen die Verzierungen
der Kapitale durchweg aus romanischen Formen und stylisirtem Blattwerke.
Nur die Ausführung der drei westlichen Gewölbquadrate, vielleicht sogar die
ganze Ueberwölbung des Mittelschiffes mag, da ihre Rippen in einer dem
gothischen Style sich annähernden Weise profilirt sind, aus der jener Weihe
unmittelbar vorhergegangenen Zeit stammen^).
Eine merkwürdige Uebereinstimmung mit dieser Choranlage hat die
der reichen Cistercienserabtei zu Ebrach in Franken. Dieselbe Zahl der
Pfeiler und der Kapellen, dieselbe Abstufung der Höhenverhältnisse des
inneren Chores und der äusseren Theile, man glaubt den Chor von Riddags-
hausen zu sehen. Nur darin besteht eine Verschiedenheit, dass die
Kreuzarme in Ebrach weiter ausladen und daher auf ihren östlichen Seiten
noch eine fernere Nebenkapelle haben. Das Langhaus unterscheidet sich
von jenem, indem es nicht quadrate, sondern schmale Kreuzgewölbe, nicht
paarweise, sondern einzeln stehende und spitzbogige Fenster hat, auch schon
Sebalduskirche zu Nürnberg und in der Doniinikanerkirche zu Regensburg (Kalleabacli
Chronologie Taf. 32), ähnliche aber nicht ganz gleiche auch im westlichen QuerschifFe
des ßamberger Domes vor, ausserhalb Deutschlands weiss ich nur ein Beispiel in der
Kirche von Broadwater, Grafschaft Sussex; indessen sind in England die sehr ver-
wandten trichterförmigen Consolen in spätnormannischen und noch mehr in gothischen
Bauten dieser und der folgenden Epoche sehr gewöhnlich. (Glossary I, s. v. Corbel,
II, Taf. 34. 35.) Die mitgetheilte Zeichnung verdanke ich der Güte des Herrn Dr. C.
Schiller in Braunschweig.
1) Für die (auch von Schiller a. a. 0. S. 135 angenommene) Meinung, dass die
ganze Kirche der Zeit vor 1275 zuzuschreiben sei, liesse sich allerdings der Umstand
anführen, dass auch die Dominikanerkirche zu Regensburg, in welcher die vorher
erwähnten Consolen sich in ganz gleicher Weise finden, erst um 1265 gebaut ist. In-
dessen ist der Styl beider Kirchen übrigens so sehr verschieden, dass schon ihre Ver-
gleichung genügte, das frühere Alter von Riddagshausen zu erweisen. Auch war das
Kloster schon lange so blühend, dass es nicht wohl ohne grössere Kirche gewesen sein
kann, deren Erneuerung dann wiederum nicht nach so kurzer Zeit nöthig geworden
sein würde. Schon in einer Urkunde vom Jahr 1216 nennt Kaiser Otto das Kloster
„dilectissima nobis ecclesia". Jongelinus a. a. 0. Lib. III, p. 32.
Kloster Ebrach-, Arnsburg. 331
durchweg und zwar am Oberschiffe mit ziemlich ausgebildeten Strebepfeilern
versehen ist. Die Kirche ist um 1200 begonnen, aber erst 1285 geweihet ^),.
und die Ausführung des Langhauses mag daher erst in diese spätere Zeit
fallen, welcher jedenfalls die reichen Radfenster der Fagaden angehören
Der Chor stammt dagegen unzweifelhaft vom Anfange des Jahrhunderts^
was sich auch durch einen äusseren Umstand erweisen lässt. Dem nörd-
lichen Kreuzarme ist nämlich eine bedeutend niedrigere, aber in Kreuz-
gestalt angelegte Kapelle des heil. Michael 2) dergestalt angefügt, dass sie
erst nach Vollendung dieses Kreuzarmes, dessen Mauern ihr zum Theil als
Seitenwand dienen , errichtet sein kann. Diese Kapelle, mit Ringsäulen und
Kleeblattarcaden reich geschmückt, hat aber durchweg Formen des Ueber-
gangstyles, nicht unähnlich der Vorhalle von Kloster Maulbronn, wird mithin
spätestens von 1230 bis 1240 begonnen sein, so dass der Anfang des damals
vollendeten Chores in eine sehr viel frühere Zeit fällt.
Einige andere Kirchen haben dieselbe Choranlage in vereinfachter
Form. So zunächst die zu Arnsburg in der Wetterau^^), deren Grundplan
sich von dem von Riddagshausen nur dadurch unterscheidet, dass die Seiten-
schiffe etwas breiter sind und die Kapellen unmittelbar und ohne Umgang
an den inneren Chorraum austossen, so dass sich am Aeusseren nur ein,
tiefer als die Seitenschiffe gelegenes Dach um den rechtwinkeligen Chor
herumzieht. Sie sind sehr niedrig und nur durch Thüröffnungen mit einander
verbunden, auch in geringerer Zahl. Dafür ist aber neben ihnen auf jeder
Ostseite des Kreuzes noch eine mit einer kleinen Nische abschliessende
Kapelle angebracht, auch hat die mittlere Kapelle hinter dem Chore eine
solche Nische. Die Details deuten auf eine etwas frühere Entstehung. Die
Pfeiler sind einfach viereckig, nur in den Seitenschiffen mit einer vom
Boden aufsteigenden Halbsäule versehen, während im Mittelschiffe eine kurze
auf einer Console ruhende Säule die Gewölbgurten trägt; das Horizontalgesims
fehlt und an seiner Stelle sind kleine feusterartige und schmucklose Oeff-
nungeu, ähnlich wie in St. Germer in der Picardie und in Heisterbach an-
gebracht, welche den Dachraum der Seitenschiffe beleuchten. Die Basis ist
die attische, mit einfachem, wohlgebildetem Eckblatte, die Kapitale sind
theils würfelförmig, theils kelchförmig mit knospenartigem Blattwerk, die
1) Brevis notitia Moiiasterii B. V. M. Ebraceiisis, Romae 1793. Die Dimensionen-
sind noch bedeutender als in Riddagshausen, die gesanimte Länge 294, die Breite des-
Langhauses 81, die Höhe 90 Fuss.
-) Der Verfasser der ebengenannten Schrift vermuthet (S. 31), dass diese Kapelle
an Stelle der ursprünglichen kleinen Kirche des Klosters und zum Andenken an dieselbe
errichtet sei. Dadurch erklären sich sowohl die Kreuzgestalt wie die eigenthüralichen
und künstlich ausgeglichenen Unregelmässigkeiten der Anlage.
3) Gladbach a. a. 0. Taf. 52 — 60.
332 Cistercienserkirchen.
Fenster säramtlich rundbogig, ebenso die Arcaden mit Ausnahme der
in den drei westlichen Quadraten, welche aus einfachen, eckig profi-
iirten und mit einem Gurtbogen unterzogenen Spitzbogen bestehen.
Nach den historischen Nachrichten wurde das Kloster an dieser Stelle im
Jahre 1174 gegründet und um 1215 reich beschenkt. Wahrscheinlich
stammt daher der Bau ungefähr aus dieser Zeit; das Kapitelhaus, welches
dieselben Kapitale, aber übrigens frühgothische Formen zeigt, wird dann
etwa um 1250 den Schluss dieser Bauthätigkeit gebildet haben.
Aehnlich ist ferner die im Jahre 1222 geweihete Kirche zu Marien-
feld bei Güterslohe in Westphalen ^), auch sie mit rechtwinkeligem Chor-
schlusse und niedrigem Umgänge, in welchem sich jedoch keine Zwischen-
mauern zur Abtheilung der Kapellen befinden. Die Arcaden sind spitz, die
Fenster mit Ausnahme des Kreuzschiffes im Rundbogen geschlossen; die
Gewölbträger ruhen auch hier auf einem Bündel von kleinen, von einer
Console getragenen Säulen, deren Abacus in das Horizontalgesims fällt.
Die Anordnung weicht in sofern von den bisher genannten Cistercienserkirchen
ab, als die Pfeiler völlig unverziert und von ungewöhnlicher Breite sind;
und die Arcaden zwischen ihnen auf einer Säule ruhen. Die Erbauer haben
sich also in dieser Beziehung an den westphälischen Uebergangcstyl ange-
schlossen.
Aehnliche Choranlage hatte ursprünglich die Kirche zu Marienthal
bei Helmstedt, eine noch jetzt erhaltene flach gedeckte, sehr schmucklose
Pfeilerbasilika aus dem zwölften Jahrhundert, an deren Chorwand die ruud-
bogigen Oeffnungen der abgebrochenen Kapellen noch zu erkennen sind-),
und haben noch jetzt die freilich nur als Stall und Scheuer dienende Kirche
des ehemaligen Cistercienser-Nonnenklosters St. Burchard bei Halberstadt;
der dem romanischen Langhause angefügte frühgothische Chor der Kloster-
kirche zu Amelunxborn an der Weser, dieser jedoch ohne Scheidewände
der Kapellen, und in anderer Weise vereinfacht, und endlich die schon im
entwickelten gothischen Style erbaute, später ausführlich zu würdigende
Kirche des Cistercienserklosters Salem am Bodensee, wo der Chor jeder-
seits zwei Seitenschiffe hat, seine Ostseite aber mit gerader Wand schliesst.
Aehnliches scheint schon bei dem Kloster Hude im Oldenburgischen, aus
dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts, der Fall gewesen zu sein 2).
1) Lübke a. a. 0. S. 141 und Taf. VIII,
2) Lübke im Organ für christI, Kunst 1853, Nro. 1.
**) Von der Kirche zu Hude (in der Ordenssprache Portus S. Mariae) stehen nur
noch Ruinen, welche später ausführlicher gewürdigt werden sollen. Ein vorhandenes
Mauerstück deutet darauf hin, dass auf der Ostseite des rechtwinkeligen Chores keine
Andere Formen des Chorschlusses. 33S
In anderen Cistercienserkirchen ist die Choranlage minder eigenthümlich.
Die zu Heilsbronn in Franken^), zu Roda in Sachsen, zu Hayna in
Hessen, die erst im vierzehnten Jahrhundert erbaute zu Pelplin iuPreussen
haben zwar viereckige Chorräume, aber ohne Kapellen. Ebenso die schöne
Kirche zu Otterberg bei Kaiserslautern, die bereits oben (S. 270) be-
schrieben ist. An das Langhaus, dessen Formen völlig dem Styl der Cister-
cienser entsprechen, schliesst sich das sehr schmale Kreuzschiff und an dieses
ohne Nebenkapellen der viereckige Altarraum an, der jedoch im Osten mit
einer sehr flachen, aus drei Polygonseiten gebildeten Nische endet. Diese
Nische, die kaum eine Raumerweiterung oder sonst irgend einen praktischen
Nutzen gewährte, zeigt recht deutlich, dass die Vorliebe für den geraden
Chorschluss nicht auf irgend einer Vorschrift, sondern nur auf Gewohnheit
und Sparsamkeit beruhete. Auch verlor sich diese Sitte immer mehr und
während sie im zwölften Jährhundert in der That die Eegel bildet, kommt
im dreizehnten die runde oder polygone Apsis häufiger vor. Eine sehr
eigenthümliche Erscheinung giebt in dieser Beziehung die Kirche zu Lilien-
feld in Oesterreich, eine Stiftung Herzog Leopolds VH., der den Bau 1202
begann aber erst vier Jahre darauf den Cisterciensern übergab. Sie erhielt
schon 1220 in Verbindung mit der Beisetzung des kurz vorher verstorbenen
Stifters eine Weihe, ohne Zweifel nur der östlichen Theile. Diese bestehen
nur aus einem hohen von fünf Seiten des Zehnecks geschlosseneu Altarhause
das dann aber äusserlich auf allen drei Seiten von niedrigen, doppelten
Seitenschiffen umgeben, gewissermaassen rechtwinkelig eingerahmt ist.
Dieser Umgang des Chores scheint, obgleich er neben spitzen Arcaden noch
rundbogige Fenster hat, ein späterer Anbau zu sein, den man hinzugefügt
hat, um die ungewöhnliche, von dem fürstlichen Stifter angeordnete Chor-
anlage mit den Sitten des Ordens zu vereinigen. Um dieselbe Zeit begann
man aber an anderen Orten schon sich freier zu bewegen-). Die Kirche
zuHeisterbach vom Jahre 1202, die ich oben ausführlich beschrieben habe
Kapellen waren, während dahiogestelll bleiben mnss , ob die Nebenschitt'e des Chors
— nur eins befand sich an jeder Seite — offen oder in Capellen getheilt waren.
Vg-I, die Mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens. Neutes Heft. Hannover 1863.
') Der jetzige polygone Chor ist spätgothisch und eine Verlängerung des ursprüng-
lichen Gebäudes, welches anscheinend rechtwinkelig mit Seitenschiffen, aber ohne Ka-
pellen, schloss. Vgl. den Grundriss in des Freiherrn v. Stillfried Alterth. und Kunsl-
denkmälern des Hauses Hohenzollern.
2) Der nach den vorgefundenen Ueberresten der zerstörten Cistercienserkirche
Hradist (Gradii) bei Müuchengrätz restaurirte , in den Mitth. d. k. k. Centr.-Comni.
Bd. IX, (1864) S. 138 abgedruckte Grundriss dieser Kirche nimmt eine Clioranlage an,
welche mit der von Lilienfeld genau übereinstimmt. Allein jene Ueberreste berechtigen
dazu keineswegs, es ist nicht die mindeste Spur der polygonförmigen Anlage vor-
334
Cistercienserkirclien.
und deren interessante Eigenthümlichkeiten den strebsamen Geist des Ordens
von seiner günstigsten Seite zeigen, hat einen halbkreisförmigen Umgang
zwar mit tiefen Nischen, aber ohne Kapellen, welche jedoch auf der Ostseite
des Kreuzes nicht ganz fehlen. Nicht lange darauf wurde dann, wie dies
schon in Longpont in der Picardie geschehen war, die reiche Form des
Fig. Ö3.
Chor der Kirche zu Lilienfeld.
Kapellenkranzes auch in deutschen Cistercienserkirchen angewendet, wie
dies die später zu erwähnenden Kirchen von Marienstatt und Altenberg
beweisen ^)
fanden, und die sechs üstliclien Joche eines niedrigen Umganges, die man gefunden,
lassen sich ebensowohl und mit grösserer Wahrscheinlichkeit auf eine Choranlage wie
in Riddagsliausen, also mit durchaus rechtwinkeliger Anlage vereinigen.
1) An der freilich erst nach der Mitte des 13. Jalirh. erbauten Cistercienserkirclie
zu Hohen fürt im südlichen Böhmen bat man die Vorliebe für gerade Schlusswände
Länder des Backsteinbaues. 335
In den Ländern des Backsteinbaues treten die Eigenthümlichkeiten der
Cistercienser-Bauten minder deutlich hervor, weil das Material den künst-
lerischen Traditionen des Ordens von Hause aus fremd war und sie folglich
bei seiner Anwendung entschiedenere locale Einflüsse erfuhren. Dies gilt von
den Formen wie von dem Grundrisse. Die schon oben (S. 307) erwähnte
Kirche von Dobrilugk zeigt in ihrer Anlage kaum irgend eine der cha-
rakteristischen Eigenheiten der Cistercienser. Die schöne Kirchen-Ruine
des 1180 gestifteten Klosters Lehnin in der Mark Brandenburg i) hat
ebenfalls eine halbkreisförmige Apsis und zwar mit zwei Fensterreihen, in
den Ecken von Chor und Querhaus liegt jederseits eine quadrate Kapellen-
Gruppe, mit vier Kreuzgewölben bedeckt und nur in ihrer östlichen Hälfte
durch eine Zwischenwand geschieden. Die Vollendung erfolgte erst 1262,
aber die Osttheile, das zunächst liegende Doppeljoch des Langhauses ein-
geschlossen, sind viel früheren Ursprungs, ebenso die ruudbogigeu Arcaden
des Westbaues, die aber in der Folge von Spitzbogenblendeu umrahmt
wurden, und zwischen denen sich, über dem je zweiten Pfeiler, in mehreren
Abstufungen breite Dienste zur Aufnahme der Gewölbgurten auskragten;
auch die paarweise gestellten Oberlichter sind spitzbogig und in dem Gurt-
gesimse mit Blattwerk, das sich innen unter dem Fuss der Fenster hinzieht,
sowie in dem Felderfriese aniAeusseren der Ostseite zeigen sich neue orna-
mentale Formen. — Auch die schon erwähnten Ordenskirchen von Colbatz
in Pommern und von Oliva bei Danzig-) haben den polj"gonen Chor,
während die Ruinen von Eldena bei Greifswald wieder geraden Chorschluss
und jederseits zwei Ostkapellen zeigen^).
Ueberhaupt verschwindet die Eigeuthümlichkeit der Cistercienserbauten
allmälig; die ursprüngliche Scheu vor reicheren Formen Hess nach; die
Kirchen selbst behielten zwar einen einfacheren Charakter, aber man ge-
stattete sich Kebenkapellen, Vorhallen und Kreuzgänge decorativ zu schmük-
ken. Auch erhielt der locale Styl jeder Gegend jetzt grösseren Einfluss,
Die neuen Stiftungen gingen nicht mehr unmittelbar von Frankreich, sondern
von älteren deutscheu Klöstern aus und wurden gleich anfangs durchweg
mit einheimischen Mönchen besetzt; die französischen Mutterklöster behielten
zwar ihre hierarchische Obergewalt, aber sie fanden es nicht mehr nöthig
so sehr aufgegeben, dass neben der mit füuf Seiten des Achtecks geschlossenen Chor-
nische von den zwei auf jeder Seite sich anfügenden Kapellen die äussersien mit
einem spitzen Winkel , also mit der Spitze eines Dreiecks endigen. Mitth. der k. k.
C.-Com. Bd. VI. S. 15.
^) Adler , Mittelalter!. Backsteiubauw. Taf. 53 — GO (noch oline Text). —
Heffter, Geschichte des Klosters Lehnin, Brandenburg 1851.
2) S. oben S. 311.
^) Ebenda.
336 ^^"^ Einfluss der Cistercienser,
nnd angemessen, die unterrichteten und angesehenen deutschen Aebte auch
bei Gegenständen des praktischen Nutzens oder der Schicklichkeit einer
speciellen Leitung zu unterwerfen. I^ese waren daher selbständiger und
folgten mehr den Gebräuchen ihres Landes. Allerdings kam dann in archi-
tektonischer Beziehung auch dazu, dass die einheimischen Gewohnheiten sich
dem Herkommen des Ordens mehr genähert hatten. Der Spitzbogen, die
Wölbung, die Strebepfeiler waren nun schon allgemeiner geworden, die
Cistercienser wichen daher nicht mehr von der Landessitte ab, wenn sie in
diesen Beziehungen ihren eigenen Traditionen folgten. Aber dennoch be-
merkt man in ihren Bauten noch bis um die Mitte des dreizehnten Jahr-
hunderts manche Spuren eines engeren Zusammenhanges mit Frankreich,
vermöge dessen sie noch jetzt in gewissen Neuerungen den übrigen Bauten
ihrer Provinz vorangingen, und endlich trugen sie durch ihre Verbreitung dazu
bei, die Verschiedenheiten der einzelnen Theile Deutscljlands mehr und mehr
auszugleichen.
Dies Alles gestattet uns, die Bedeutung der Cistercienser für die
Baugeschichte überhaupt und namentlich für Deutschland näher zu würdigen.
In Frankreich übten sie keinen erheblichen Einfluss aus. Sie gaben eben
nur die vereinfachten Formen des einheimischen Styles, verhielten sich also
zu diesem wie die klösterliche Strenge zu dem allgemeinen Leben der Nation-
In Deutschland dagegen brachten sie neue und praktisch nützliche Formen
mit, welche sich zur Annahme empfahlen. Sie machten die Wölbung, welche
bis gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts in Deutschland nur selten
angewendet war, populär und lehrten, sie mit Hülfe des Spitzbogens und
anstrebender Stützen zu sichern. Sie waren gewisserraaassen Missionäre,
welche die Grundsätze der französischen Architektur bei anderen Völkern
verbreiteten. In Deutschland gelang ihnen dies um so mehr, als sie den
französischen Styl nicht vollständig, nicht als abgeschlossenes System, sondern
mit Vereinfachungen und Aenderungen ausübten, welche den einheimischen
Sitten und Ansichten zusagten. Der gothische Styl begann in Frankreich
mit der Anwendung der Säule; die Cistercienser zogen, wie es in Deutsch-
land üblich war, den einfachen Pfeiler vor. Er adoptirte die Gallerien über
den Seitenschiffen und behielt, als er sie aufgab, eine ähnliche Belebung des
Oberschiffes vermöge der Triforien bei; die Cistercienser hatten sie gleich
anfangs verworfen und nichts an ihre Stelle gesetzt^ und ebenso war man
in Deutschland meistens an schlichte, höchstens von einem Gesimse durch-
schnittene Wände des Oberscbiffes gewöhnt. Ueberhaupt hatte die deutsche
Architektur durchweg, wenn auch nicht überall in derselben Weise wie in
Westphalen und in den Ländern des Ziegelbaues, eine Neigung für ein-
fachere Formen, mit welcher die Richtung der Cistercienser übereinstimmte.
Dazu kam, dass auch bei diesen, wie in Deutschland, die Einfachheit der
Der Spitzbogen und die Wölbung. 337
wesentlichen Formen die Neigung zu sorgfältiger und anmuthiger Ausbildung
der Details erzeugte. Alles begünstigte daher eine Verschmelzung ihrer aus
Frankreich mitgebrachten Traditionen mit den einheimischen, welche dazu
beitrug, die noch vorherrschende Anhänglichkeit an den romanischen Styl
zu brechen und die Aufnahme von Elementen des gothischen Systems in
den deutschen Uebergangsstyl zu erleichtern. Mit der vollkommenen Herr-
schaft des gothischen Styles in Deutschland hörte diese Art des Einflusses
auf. Aber dennoch behielten die Bauten der Cistercienser auch jetzt noch
eine gewisse Eigeuthümlichkeit. Sie unterliegen nicht der Monotonie, welche
in den Bauten der weltlichen Meister bald eintritt; sie zeigen noch immer
das Geschick mit massigen Mitteln günstige und anmuthige Wirkungen her-
vorzubringen und den üblichen Formen durch eine neue, ungewohnte Ver-
wendung einen höheren Reiz zu geben, "Wir werden weiter unten Gelegen-
heit haben, auf mehrere dieser Bauten aufmerksam zu machen.
Das Aufkommen neuer und die Umgestaltung der romanischen Formen
hing fast überall mit der Einführung der vollständigen Ueberwölbung,
namentlich auch des Mittelschiffes grösserer Kirchen, zusammen. Diese
erfolgte aber in den meisten Gegenden erst sehr spät, und noch am Anfange
des dreizehnten Jahrhunderts gehörten ausserhalb der Kheinlande, West-
phalens, jener Gruppe sächsischer Kirchen, denen der Dom zu Braunschweig
zum Vorbilde gedient hatte, und einiger Bauten in den Ländern des Ziegel-
baues grössere Gewölbe zu den sehr seltenen Ausnahmen. Wir sahen schon
oben, wie isolirt im Würtembergischen die 'Stiftskirche zu Ellwangen, in
Bayern die zu Altenstadt bei Schongau als die einzigen grösseren rundbogigeu
und überwölbten Kirchen dastehen.
Wie es scheint, hielt mau in den meisten Gegenden die Anlegung von
einfachen, bloss durch das Durchschneiden zweier Tonnengewölbe gebildeten
Kreuzgewölbe über dem Mittelschiffe, wie man sie im Dome zu Braunschweig
noch hatte, für zu gewagt oder schwierig, und entschloss sich erst dann zur
Ueberwölbung dieser weiten Räume, nachdem man gelernt hatte, das Kreuzge-
wölbe durch Diagonalrippen zu verstärken und die abweichenden Höhenverhält-
nisse der verschiedenen Gurten mit Hülfe des Spitzbogens besser auszugleichen.
Diese Kenntniss verbreitete sich einige Zeit nach 1200 allmälig über ganz
Deutschland, und man versuchte nun, wo bedeutende Neubauten auszuführen
waren, diese Mittel einer solidereu Construction, zunächst noch mit Bei-
behaltung der romanischen Details, soweit sie nicht durch jene Neuerung
modificirt wurden, in Anwendung zu bringen. Es bildete sich dadurch eine
höhere Schule der Architektur; während die Meister bisher sich mit dem
Schnaase's Kunstgesch. 2. Aufl. V. 22
338 Weitere Verbreitung des Uebergangsstyls.
Herkommen ihrer Provinz oder ihres Ordens begnügt hatten und nur allmälig
und unvermerkt zu Neuerungen und Fortschritten gelangt waren, gab qs
nun nicht wenige, welche bewusster Weise nach Erweiterung ihrer statischen
Kenntnisse und nach einem constructiven Ziele strebten, und durch dies
Streben unter einander verbunden waren. Es schloss dies die Anhänglich-
keit an die einheimischen Formen nicht aus, aber es modificirte sie und
führte unvermerkt zu einem allgemein deutschen, die Provincialschulen ver-
bindenden Typus. Daher finden wir auf den entferntesten Punkten einzelne
Kirchen, welche nicht von einem Muster herstammen, sondern dem ab-
weichenden Herkoramen ihrer Provinzen gemäss verschieden sind, aber doch
sämmtlich in Hinsicht auf Wölbungsart und Verbindung runder und spitzer
Bögen übereinstimmen. Sie haben alle quadrate Gewölbe, gegliederte, aber
noch aus dem Rechteck entwickelte Pfeiler, spitze Scheidbögen und Gewölbe,
aber rundbogige Portale und Fenster. Die gewölbtragenden Pfeiler sind auf
der Frontseite gewöhnlich mit einer Gruppe von ununterbrochen aufsteigenden
Diensten, auf den drei anderen Seiten mit einzelnen kleinen Halbsäulen
besetzt. Die Nebenpfeiler haben nur diese und sind auf der Frontseite
meistens glatt. Der Würfelknauf ist meistens verlassen, und bald durch
ein einfaches Polstergesimse, bald durch ein Kelchkapitäl mit flachen
Eankenverschlingungen oder knospenförmigem Blattwerk ersetzt. Der
Bogenfries und die Friesornamente des alten Systems sind beibehalten, die
Gesimse eckig oder als Rundstab profilirt, ohne Spur der feineren Höhlungen
des gothischen Styles; das Fenstermaasswerk ist unbekannt. Leider fehlt
es bei vielen dieser Bauten an festen Daten; sie sind älterer Stiftung, und
die Nachrichten über ihren Um- oder Neubau fehlen oder sind mangelhaft.
Daher hat man sie wohl auf jene Stiftungszeiten zurückführen und die
Kenntniss des Spitzbogens in Deutschland in eine frühe Zeit verlegen
wollen^). Dieser Annahme widerspricht jedoch die ganze Gestaltung dieser
Kirchen ; auch abgesehen von dem Spitzbögen sind alle übrigen Formen,
Pfeiler, Profilirungen, Ornamente von der Art, wie sie nur an späteren
Monumenten vorkommen und nach dem naturgemässen Entwickelungsgange
der Baukunst nur später entstehen konnten, Wir müssen sie daher frühestens
in die letzten Jahrzehnte des zwölften, mit grösserer Walirscheinlichkeit in
1) Diese Hypothese ist besonders ausgeführt in einer Jugendarbeit des Dr. R. Lep-
sius, der sich später durch seine Forschungen auf dem Gebiete ägyptischer Kunst und
Chronologie berühmt gemacht hat, und zwar in einem Nachtrage zu der Uebersetzung
der Reise des Gally Knight durch die Normandie (Leizig 1841). Die Kirchen, welche
er als Beispiele anführt, sind die Dome zu Naumburg, Merseburg, Basel und Bamberg,
die Klosterkirche zu Memlebeu, die Stadtkirche zu Freiburg an der Unstrut, und die
Sebalduskirche zu Nürnberg. Kugler widersprach sogfleich (Kunstblatt 1842, Nro, 75;
kl. Sehr. II, S. 375) dieser Ansicht, welche jetzt keinen Vertheidiger mehr findet.
Stiftskirclie in Fritzlar. 339
■die ersten des dreizehnten Jahrhunderts verweisen, wo denn auch einige
dieser Gebäude ein ganz bestimmtes Datum haben.
Das älteste derselben ist vielleicht die Stiftskirche zu Fritzlar in
Hessen. Der Chor derselben, polygonförmig mit Lisenenfeldern und Zwerg-
gallerie, gleicht dem der Paulskirche zu Worms ^j, und ist entschieden
rheinischen Ursprungs; man wird ihn vielleicht der Herstellung, welche der
Erzbischof von Mainz im Jahre 1171 anordnete, zuschreiben können. Das
Schiff der Kirche wird dann nach Beendigung des Chorbaues um 1200 be-
gonnen sein. Es macht einen sehr ernsten, aber durchaus primitiven Ein-
druck; man sieht, dass die noch neue und schwierige Aufgabe der Her-
stellung eines Gewölbebaues den Meister ganz in Anspruch nahm und ihn
abhielt, auf feinere Formen zu denken. Die Pfeiler sind regelmässig aus
viereckigem Kern gebildet, die schwächeren mit Halbsäulen auf allen vier
Seiten, die stärkeren unter den Scheidbögen mit einer Pilastervorlage, unter
den Gewölben der Schiffe mit einem Bündel von drei kräftigen hoch hinauf-
steigenden Diensten. Die Basis hat steile attische Form und Eckblätter,
das Kapital, das gesimsartig um den Pfeiler herumläuft, die Gestalt eines
unverzierten Wulstes, dem dorischen Echinus ähnlich, mit einer reich aber
roh profilirteu Deckplatte. Die Scheidbögen sind spitz, aber wie früher in
einigen rundbogigen sächsischen Kirchen, namentlich in Drübeck und Ilsen-
burg, paarweise durch einen grösseren, die stärkeren Pfeiler verbindenden
Bogen überspannt, ohne Zweifel behufs Erleichterung der unteren und Ver-
stärkung der oberen Mauer. Die rundbogigen Oberlichter stehen paarweise,
aber unverbunden unter jedem Gewölbe. Die Profile der Gewölbgurten sind
schwer, eckig und im Chor mit Rundstäben eingefasst. Einer etwas späteren
Periode gehört die reiche westliche Vorhalle an, welche der Front in ihrer
ganzen Breite mit Ausnahme des südlichen Thurmes vorliegt, wo ursprünglich
wohl ein früherer Anbau ihr eine Grenze setzte. Wahrscheinlich ist sie erst
nach dem Jahre 1233 entstanden, in welchem Landgraf Konrad, der nach-
herige Hochmeister des deutschen Ordens, die Kirche zur Sühne für die im
Kriege entstandenen Bechädigungen beschenkte-). In allen Einzelformen,
*) Vgl. den Chor von Fritzlar, hei Gladhach a. a. 0. Taf. 24, mit dem von Worms,
bei Moller Bd. II, Taf. 15. — Näheres über die ganze Kirche nebst einigen Profil-
zeichnungen in Kugler's kl. Sehr. II, 158. — Neuerdings vortrefflich publicirt von H.
V. Dehn-Rotfelser und F. Hoffmann in Band I. der Mittelalter!. Baudenkmäler in Kur-
hessen. — Vgl. auch Dehn-Rotfelser und Lotz, die Baudenkmäler im Regierungsbezirk
Cassel. 1870. — Förster, Denkmale, Bd. XI.
^) Chronicon Erfordiense bei Böhmer, Fontes rer. germ. II, 399. Von einer gänz-
lichen Zerstörung der Kirche ist offenbar nicht die Rede; es wird zwar im Allgemeinen
von einem Brande der Kirchen von Fritzlar gesprochen, aber es wird als Hauptfrevel
die Zerstreuung der Hostien auf dem Bodeu der Kirche angeführt.
3^Q Weitere Verbreitung- des Uebergangsstyls.
in den Pfeilern, auf welchen innen die spitzbogigen, rippenlosen Kreuz
gewölbe ruhen, in den schlanken Säulen, welche die Fenster theilen und
die Wandungen gliedern, in dem mit Ringen besetzten Wulst der Bogen-
leibung über dem Portal, in der gleichzeitigen Anwendung von Rundbögen
Spitzbögen, Kleeblattbögen tritt der Einfluss des rheinischen Styles deutlich her-
vor. Aber die Verbindung dieser Bogenformen ist nicht bloss ein decoratives
Spiel, sie ist vielmehr in höchst geschickter Weise benutzt worden, um die
Unzuträglichkeit auszugleichen, dass die Halle um viele Stufen tiefer als die
Bodenfläche liegt. Die innere Fensteröifnung ist rundbogig, damit sie höher
in den Schildbogen hinaufgerückt werden konnte, aussen aber, wo die
Fenster bis zum Boden herabgehen, ist auch ihr Abschluss erhöht und
bildet einen Halbkreis von gleichem Radius aber mit höher gelegtem Mittel-
punkt als der innere Bogen, und der Unterschied zwischen beiden wird
durch Steinplatten verdeckt, in welche die drei schmalen Spitzbögen der
Fenstertheilung einschneiden; dann aber wird jede Fenstergruppe nochmals
von grossen Spitzbögen umschlossen, während am Portal, seiner grösseren
Breite wegen, auch die Umrahmung rundbogig ist^).
Etwas jünger als diese Kirche ist der Dom zu Naumburg 2). Er hat
die gewöhnliche Anlage grösserer deutscher romanischer Kirchen, ein drei-
schiffiges Langhaus mit östlichen Kreuzarmen und mit zwei Chören, die jedoch
schon völlig im gothischen Style, der westliche Chor in den Jahren 1249 —
1272, der östliche, als Erweiterung eines älteren, wahrscheinlich halbkreis-
förmig geschlossenen, im vierzehnten Jahrhundert erbaut sind. Nur das
Langhaus gehört in die Zeit, von welcher wir hier sprechen. Das Mittel-
schiff ist mit quadraten Gewölben von 32 Fuss Breite und 40 Fuss Tiefe
bedeckt, von denen nur das östlichste durch eine spätere Herstellung Rippen
erhalten hat, die anderen bloss in Gräten zusammenstossen. Die Pfeiler
sind schon ursprünglich auf Gewölbe angelegt, die stärkeren kreuzförmig
mit vier Halbsäulen auf den vortretenden Seiten und vier kleineren Säulen
in den Ecken, die schwächeren in gleicher Gestalt, doch so, dass nach dem
Mittelschiffe zu, wo sie kein Gewölbe tragen, die für dasselbe bestimmte
Vorlage nebst ihren Säulen fehlt und die breite Fläche des Pfeilerkernes zu
Tage liegt. Nur der östlichste schwächere Pfeiler jeder Reihe vor dem
1) Die Fenstertheilung ist nur noch an einer Stehe erhalten. — Meine i'rühere An-
nahme, dass die Vorhalle zwei verschiedene Bauperioden erkennen lasse, ist durch
Dehn-Rotfelser nach genauer Untersuchung des Fugenschnittes und durch Ermittelung
der Motive für diese eigenthümliche Formenmischung a. a. 0. S. 25 widerlegt worden.
— Die ältere Publication bei Gladbach Taf. 4 — 6, ist nicht ganz correct.
-) Vollständige Abbildung und Beschreibung bei Puttrich Abth. 2, Band, 1. Der
Verfasser des Textes (Lepsius der Aeltere) kämpft jedoch für die Entstehung im elften
.Jahrhundert. — C. Förster, Denkmale, Band IV.
Dom zu Naumburg. 341
Kreuzschiffe ist anders gestaltet, indem er die ältere, in sächsischen Kirchen
herkömmliche Gestalt eines einfachen Vierecks mit eingeblendeten Eck-
säulchen hat. Man hat also zuerst diese Form anwenden wollen und erst
demnächst eine andere, dem Wölbungssysteme mehr ensprechende gewählt.
Die Kapitale haben kelchförmigen Hals mit würfelförmiger Ausladung und
sind mit gutgearbeitetem, conventionellem Blattwerk geschmückt, die Basis
hat wohlgebildete Eckblätter, die Scheidbögen sind spitz mit einem Unter-
gurt in strenger eckiger Profilirung. lieber ihnen ist die Wand zwischen
■den hochhinaufsteigenden Diensten des mittleren (xewölbes leer und nur von
dem mit der Deckplatte der Kapitale in einer Flucht liegenden horizontalen
Gesimse durchschnitten, auf welchem die rundbogigen und von einem ein-
fachen Rundstabe eingefassten Oberlichter paarweise unter den Schüdbögen
stehen. Die Profilirung der Quergurten des Gewölbes gleicht der der Scheid-
bögen. Die Anordnung der Pfeiler und die Profile der Bögen erinnern
einigermaassen an das Langhaus des Münsters zu Bonn, nur dass das Tri-
forium und der Arcadenschmuck fehlen, und das Ganze einen einfacheren,
strengeren Charakter trägt, welcher durch die spröde Form des Spitzbogens
gesteigert wird. Das Aeussere ist sehr einfach, nur mit dem Bogenfriese,
und am Kreuzschiffe mit Lisenen verziert. Beide Chöre sind von Thürmen
flankirt, deren Ausführung allmälig im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts
erfolgt ist. Die neben dem Ostchor steigen bis zur Höhe des Schiffes vier-
eckig empor, haben auf ihrer Ostseite eine kleine Concha und nehmen dann
eine achteckige, durch Fenstergruppen und Bogenfriese belebte Gestalt an.
Am Westchore ist der allein ausgeführte südliche Thurm reicher gebildet,
indem er viereckig mit vier durchbrochenen Treppenthürmchen aufsteigt
und bereits den Einfluss des französischen Thurmbaues, etwa wie er in
Laon auftritt, verräth. Hier sind auch die Fenster spitzbogig. Der ganze
Bau hat eine eigenthümliche strenge und einfache Anmuth; die Details,
namentlich die Kapitale, sind von grosser Schönheit und freiem Schwünge
der Linie.
Die historischen Nachrichten über die Bauzeit sind wie gewöhnlich
mangelhaft. Unmittelbar nach der Verlegung des Bischofssitzes von Zeitz
nach Naumburg im Jahre 1030 begann ein Neubau, welcher schon in den
Jahren von 1040 — 1050 eine Weihe zur Folge hatte. Demnächst finden
wir keine urkundliche Erwähnung einer Herstellung oder Erneuerung, bis
im Jahre 1249 Bischof Dietrich in einem offenen Briefe seine Absicht ver-
kündet, das Werk des Dombaues zu vollenden, was sich, wie man aus dem
Inhalte der Urkunde schliessen darf, speciell auf die Erbauung des west-
lichen Chores bezog, welchen derselbe dann auch, nach dem Zeugniss eines
Ablassbriefes von 1254 und einer Schenkung von Bausteinen im Jahre 1272,
während seiner langjährigen Regierung fortsetzte und der Vollendung nahe
342 Weitere Verbreitung des üebergangsstyls.
brachte. Jene Urkunde von 1249 ergiebt also, dass das gegenwärtige Lang-
haus damals schon bestand , keineswegs aber , dass es noch jenem Bau aus
der Mitte des elften Jahrhunderts angehört. Vielmehr können wir aus dem
Style der einzelnen Theile des Baues und selbst aus Andeutungen der Ur-
kunden vermuthen, dass der westliche Chor sich an einen Neubau anschloss,
bei welchem er schon in dem Plane lag, der noch bei Menschendenken bis
dahin gediehen und dann unterbrochen war, und also etwa im Anfange des drei-
zehnten Jahrhunderts begonnen sein mochte ^). Der westliche Chor ist zwar
schon im entschiedenen gothischen Style, während im Langhause die roma-
nischen Elemente vorwalten. Aber wir wissen überhaupt, dass diese
Aenderung des Styles oft sehr plötzlich eintrat, und wir sehen auch schon
an einzelnen Theilen des Langhauses, dass man sich während der Bauzeit
mehr und mehr zu gothischer Behandlung hineigte. In der Vorlage des
3) Lepsius, bei Puttrich a. a. 0. S. 30, 40, 41, folgert den unmittelbaren Zu-
sammenhang der Urkunde von 1249 mit dem westlichen Chore und das unveränderte
Bestehen des Kirchenschift'es von 1050 — 1249 besonders daraus, dass der Bischof '\n
jenem offenen Briefe die fürstlichen "Wohlthäter der Kirche bei ihrer ersten Stiftung
(primi ecclesiae nostrae fundatores, promotores et benefactores) aufzählt, ohne der
Wohlthäter zu gedenken, welche zu dem späteren Neubau beitrugen, und das nur die
Statuen dieser genannten Personen im westlichen Chore aufgestellt sind. Allein der
letzte Umstand rechtfertigt wohl die Vermuthung, dass der westhche Chor noch von
dem Verfasser jener Urkunde herstamme, keineswegs aber die Annahme, dass, weil
nur diese ersten Wohlthäter gefeiert sind, kein weiterer Neubau stattgefunden habe.
Der Bischof gedenkt in jener Urkunde im Allgemeinen derjenigen, welche durch ihre
Spenden (per largitionem eleemosinarum suarum in aediftcationem) den Bau gefördert
haben, was sich sehr wohl auf einen Neubau des zwölften oder dreizehnten Jahr-
hunderts beziehen kann, da die Bauten dieser Zeit seltener durch die Gaben mächtiger
und namhafter Wohlthäter, als durch Ablassbriefe, kleine Beisteuern und regelmässige
Einnahmen des Kapitels bestritten wurden. Bischof Dietrich spricht ferner nur von
der Vollendung des Baues (consumare voluit episcopus — totius operis consumatio),
nicht von einer amplificatio oder dergleichen. Er gebraucht jenes Wort wiederholt,
und zeigt dadurch, dass es nicht ein unvorsichtig gewähltes, sondern das angemessene
gewesen ist. Dies lässt aber voraussetzen, dass es sich nicht von der Anfügung des
westlichen Chores an ein seit 200 Jahren bestehendes Gebäude handelte, sondern von
einem augenscheinlich unvollendeten, der Vollendung bedürfenden, noch bei Menschen-
gedenken unterbrochenen Bau. Auf einen solchen deuten dann auch die ebenfalls von
Lepsius citirten Urkunden des Bischofs Engelhard vom Jahre 1223, nach welchen der-
selbe von den Klöstern Pforta und ßosan Zahlungen ad ecclesiae aedificia instauranda
und ad opus fabricae ecclesiae nostrae stipulirt. Allerdings ist in der zweiten Urkunde
ausgesprochen, dass das Geld zum Kapitelsaale und Dormitorium verwendet werden
solle , und die Worte ad ecclesiae aedificia mögen zweideutig sein und sowohl auf die
Kirche selbst als auf ihre Nebengebäude bezogen werden können. Allein immerhin
geht doch aus diesen Urkunden'eine Bauthätigkeit hervor, und es ist wohl denkbar, dass
gerade die dringend nothwendige Herstellung der klösterlichen Localitäten den Bau
der Kirche selbst unterbrochen hat, bis Bischof Dietrich seine Vollendung übernahm.
Dom zu Naumburg. 343
Ostchors findet sich auf jeder Seite eiue in die Nebenräume führende Thür
mit Säulen und einer rund profilirten Archivolte; die eine dieser Thüren ist
rundbogig, die andere bei gleicher Gliederung und Kapitälbildung spitzbogig.
Sie zeigen uns also den Moment, wo man begann, den Spitzbogen, der im
Schiffe selbst nur zu den tragenden Arcaden diente, auch auf ornamentale
Theile zu verwenden. Noch deutlicher ist die Geschmacksveränderung an
dem in das südliche Kreuzschiff der Kirche führenden grossen Hauptportale.
Es ist spitzbogig und stark vertieft, mit je fünf Säulen zwischen vor-
springenden Ecken und entsprechender Gliederung der Archivolten, hat
aber dieser reichen Anordnung ungeachtet nicht mehr den plastischen Schmuck
der Stämme und Bögen, den man im romanischen Style liebte, sondern wirkt
nur durch den Wechsel von Licht und Schatten in schon tiefer unterhöhlter
Profiliruug der Bögen. Diese Behandlung zeigt ein Streben nach Conse-
quenz und Vermeidung überflüssigen Schmuckes, welches der Frühzeit des
gothischen Styles überall eigen ist und den bewussten Gegensatz gegen die
decorative Tendenz des spätromanischen Styles bildet. Dies Portal steht
daher in Beziehung auf das sich darin äussernde Stylgefühl dem Westchore
näher als den Details des Schiffes, und man kann aus den Formen schliessen,
dass es als letzte Arbeit den mehrere Jahrzehnte vorher begonnenen Bau
des Langhauses beendigt habe und nur wenige Jahre, vielleicht ein Decen-
nium, der Begründung des westlichen Chores vorhergegangen sei. Eine
neuerlich aufgefundene Nachricht gestattet es sogar, den Tag der Weihe
des Langhauses, wenigstens mit grosser Wahrscheinlichkeit, anzugeben, und
auf den Peter- und Paulstag (den 29. Juni) 1242 zu setzen^).
Eine Bestätigung für die angenommene Bauzeit des Kirchenschiffes
giebt uns die ehemalige Kirche des Klosters Mildenfurth-), welche jetzt
zu Wirthschaftsgelassen benutzt und verbaut, aber dennoch erkennbar ist.
Sie hat dieselbe Pfeilerbildung, aber schon spitzbogige Fenster. Das Kloster
war 1193 gegründet, der Bau der Kirche kann indessen auch nach den
geschichtlichen Verhältnissen nicht vor 1209 und wird wahrscheinlich noch
wenigstens ein Decennium später begonnen sein.
Auch die kleine Kirche zu Süpplingenburg bei Königslutter wird zu
den sächsischen Gewölbebauten dieser Zeit zu rechnen sein. Sie war
^) Auch diese Nachricht verdanken wir der Thätigkeit des Hrn. v. Quast, welcher
sie im Deutscheu Kunstblatt 1855, S. 202 bekannt gemacht hat. Sie gründet sich
zwar unmittelbar nur auf handschriftliche Notizen der Küster und zwar des vorigen
Jahrhunderts, ist aber von diesen mit solchen Details gegeben, und wird durch manche
Nebenumstände so sehr unterstützt, dass sie ohne Zweifel aus Urkunden oder älteren
Traditionen herstammen muss.
-) Puttrich, Theil II, Abth. 1, Serie Reuss, S. 5, Taf. 4 — 9.
344 Weitere Verbreitung des üebergang^sstyls.
ursprünglich nach der Schenkung Kaiser Lothar's an die Templer (1130) als
Pfeilerbasilika erbaut, wurde aber später mit Beibehaltung der nur erhöheten
Aussenmaueru und der Pfeiler in eine gewölbte Kirche verwandelt, welche
neben rundbogigen Fenstern und Portalen spitzbogige Arcaden und Ge-
wölbe hat^).
Aber nicht bloss an gewölbten Kirchen, sondern auch an solchen mit
gerader Decke wandte man den Spitzbogen an den Arcaden an, wenn man
aus besonderen Gründen einer stärkeren Tragekraft zu bedürfen glaubte. So
in der Pfarrkirche zu Pötnitz bei Dessau und in der Klosterkirche zu
Memleben. In beiden bestehen nur die Pfeiler, Bögen und Fensterein-
fassungen aus Werkstücken, die Mauern aber dort aus Ziegeln, hier aus
unregelmässigen ^Bruchsteinen von Thonschiefer , mithin aus Materialien,
welche eine solidere Gestaltung der Arcaden wünschenswerth machten. Jene
ist, ungeachtet der alterthümlichen Anlage wechselnder Pfeiler und Säulen,
nicht eher als im Anfange 'des dreizehnten Jahrhunderts erbaut, da die
Pfarrei selbst erst 1198 errichtet wurde. Diese gehört zu den Kirchen,
welche man, weil das Kloster schon im zehnten Jahrhundert gegründet war
und Nachrichten über einen Neubau fehlen, als Beweise frühzeitiger An-
wendung des Spitzbogens anführte. Allein die Bildung der Pfeiler mit
anliegenden Halbsäulen unter den Scheidbögen, die polygonförmigen Nischen
des Chores und der Kreuzarme, die künstliche Form des Rundbogenfrieses
und selbst die Gestalt der Kelchkapitäle lassen , auch abgesehen von dem
Gebrauche des Spitzbogens, keinen Zweifel übrig, dass der ganze Bau nicht
eher als etwa im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts entstanden sein
kann -).
1) Lübke im D. Kiinstbl. 1851. S. 75.
-) Bei Puttrich a. a. 0, wird darauf Gewicht g^'^?') dass das Kloster schon seit
1015 verarmt und der Abtei Hersfeld einverleibt war, und dass diese Verarmung auch
im dreizehnten Jahrhundert fortgedauert zu haben scheine, weil es in den Jahren 1202,
1244 u. s. f. Güter verkaufte, wobei in einer Urkunde von 1250 einer drückenden
Schuldenlast Erwähnung geschieht. Allein es fragt sich, ob diese Schuldenlast nicht
eben durch den Bau entstanden war, der keinesweges von Ueppigkeit zeugt und unge-
achtet der dürftigen Verhältnisse des Klosters unvermeidlich gewesen sein mochte. Die
an den Pfeilern beftndliclien Gemälde sind unzweifelhaft aus der Spätzeit des drei-
zehnten Jahrhunderts. Ausser dieser Kirche und den im Text bereits erwähnten oder
noch zu erwähnenden zu Naumburg, Bamberg, Nürnberg und Basel nennt Dr. R. Lep-
sius in der oben angeführten Abhandlung als Beweis der frühen Anwendung des
Spitzbogens noch den Dom zu Merseburg und die Pfarrkirche zu Freiburg an der
Unstrut. Beide sind aber mehrfach verändert ; die Kirche zu Freiburg im dreizehnten
Jahrhundert (Puttrich, Abth. II, Bd. 1), der Dom zu Merseburg in der zweiten Hälfte
desselben Jahrhunderts, wo im Jahre 1274 für seine reaedificatio gesammelt wurde.
Neue Mitth. des Thüring. Sachs. Vereins VI. 4. S. 76) und dann wieder im 15. Jahr-
Der Dom zu Bamberj
345
Das bedeutendste und reichste Werk dieser ganzen Gruppe, eine der
edelsten Leistungen des deutschen Uebergangsstyles und vielleicht der
Fig. 94.
Dom zu Bamberg
deutschen Architektur aller Zeiten, ist der Dom zu Bamberg^). Er be-
steht aus einem dreischiffigen Langhause mit zwei hochgelegenen Chören
hundert unter Bischof Thilo von Trotha (1468 — 1514), wo das Langhaus gleich hohe
Schiffe erhielt. Bei beiden wird daher der Spitzbogen erst aus diesen späteren Bauten
stammen.
^) Landgraf, der Dom zu Bamberg*, Heller, Geschichte d. Domk. zu B. 1837;
Kugler, kl. Sehr. I, 152 — 162; Waagen, Künstler u. K. \V. in Deutschland I, 75.
Eine Ansicht des Inneren in v. Chlingensperg's Königreich Bayern, 1840 ff. Ansichten
346 Weitere Verbreitung des Uebergangsstyles.
und Krypten, und einem, jedoch ungewöhnlicher Weise mit dem westlichen
Chore verbundenen Querschiffe. Die Dimensionen sind bedeutend; die Länge
in ganzer Ausdehnung 335 Fuss, die Breite 97 Fuss. Neben jeder Chorapsis
steigen zwei Thürme auf, welche dem Ganzen ein imposantes Ansehen ver-
leihen, die östlichen viereckig, durch Bogenfriese in viele, mit Fenstern
geschmückte Stockwerke getheilt, die westlichen, ähnlich dem westlichen des
Domes zu Naumburg, unter Einfluss des frühgothischen französischen Thurm-
baues, mit durchbrochenen Treppenthürmchen an ihren Ecken. Der west-
liche Chor nebst dem dazu gehörigen Querschiff, mit consequent durch-
geführtem und ausgebildetem Spitzbogen, ist offenbar der späteste Theil des
jetzigen Gebäudes, und wird aus der Zeit um 1274 herstammen, wo Bischof
Konrad von Freising zu Gunsten der Herstellung einen Ablass gewährte').
In dieser Zeit mag auch das quadrate Gewölbe des Mittelschiffes seine jetzige
Gestalt mit gothisch profilirten Rippen erhalten haben. Das Langhaus ist
augenscheinlich älter. Die Pfeiler sind nicht wie in Naumburg kreuzförmig,
sondern einfach viereckig mit eingelassenen Ecksäulchen, also wie das älteste
Pfeilerpaar des eben genannten oder wie sämmtliche Pfeiler des Braun-
schweiger Domes, denen sie auch darin gleichen, dass ihnen unter den Quer-
gurten des mittleren Gewölbes pilasterartige Vorlagen, wiederum mit ein-
gelegten Halbsäulen, angefügt sind; die spitzbogigen Arcaden und die
Quergurten des Gewölbes sind zierlicher als in den bisher genannten Kirchen
mit einem den Ecksäulchen entsprechenden Rundstabe als Archivolte profi-
lirt. Das Horizontalgesimse, das auch hier die einzige Belebung der oberen
Wand bildet, steht ziemlich nahe über den Scheidbögen. Die Oberlichter
sind rundbogig und schmucklos, die Kapitale klein, in der bekannten den
Kelch und den Würfel verbindenden Form, mit wohlgebildetem Blattwerk.
Das Aeassere ist mit Lisenen und Rundbogenfriesen ausgestattet, beide aber
in sehr zierlicher Profilirung, die Rundbögen mit wechselnden Blumen-
ornamenten gefüllt, und durch ein kräftiges, reich ornamentirtes Gesimse
bekrönt. Besonders glänzend ausgestattet ist der östliche, der St. Georgen-
Chor. Er tritt äusserlich zwischen den östlichen Thürmen als polygone,
durch fünf Seiten des Zehnecks gebildete, durch kräftige Gesimse und Bogen-
friese in drei Stockwerke getheilte Apsis vor, von denen das mittlere durch
des Aeussereti häufig. Publicirt, doch nicht vollständig, bei E. Förster, Denkmale
Bd. III. Eine gründliche, mit genauen architektonischen Zeichnungen begleitete Publi-
kation bleibt um so wünschenswerther, als das ausgezeichnete Gebäude manches
Räthselhaftete enthält. — Interessant ist die hohe kimstierische Würdigung, welche
VioUet-le-Duc in seinen (freilich flüchtigen) Lettres adressees d'Allemagne diesem
Denkmale, gerade im Gegensatz zu den Leistungen der deutschen Gothik zu Theil
werden lässt.
1) Lang, Regesta III, 473: „pro restauratione ecclesiae Bambergensis".
Der Dom zu Bamberg-. - 347
fünf grosse rundbogige, mit Säulen und mit dem Perlenfriese belebte Fenster
gefüllt ist, und das obere eine Zwerggallerie unter dem Dachgesimse dar-
stellt, alles mit Thiergestalten und Arabesken vollständig belebt und in
vortrefflichem Steine mit schärfstem Meissel ausgeführt, ein Juwel romanischer
Ornamentation. Als würdige Einfassung dienen dieser Apsis zwei unter den
Thürmen in die Kirche führende Portale (A, B), rundbogig, stark vertieft,
mit kräftig umschwingender Gliederung, namentlich mit dem weniger ge-
wöhnlichen Zickzackornament, das nördliche auch mit gleichzeitiger Sculptur
versehen, das südliche offenbar ursprünglich nur in seiner architektonischen
Anlage vollendet, und erst später, vielleicht nach fast einem Jahrhundert,
mit Säulen und Statuen besseren Styles geschmückt. Grösser noch und
bedeutender ist die sogenannte goldene Pforte (C), welche von dem freien
Platze vor dem bischöflichen Palaste in das nördliche Seitenschiff führt;
in ihrer Anlage und in der Nachahmung antiker Kannelur und korinthischer
Kapitale der goldenen Pforte in Freiberg gleichend, aber minder harmonisch
und schön ausgeführt. Die verschwenderisch angebrachte Sculptur ist hier
(mit Ausnahme zweier offenbar späterer und ohne inneren Zusammenhang
mit der Architektur angefügter Statuen) noch sehr strengen Styles. Im In-
neren erheben sich beide Chöre auf einer Stufenreihe hoch über den Boden
des Mittelschiffes, dessen Breite sie einnehmen. Auch hier ist der Georgen-
chor besonders reich geschmückt, an der Brüstung, die ihn von den
niedrigen Seitenschiffen trennt, mit sehr merkwürdigen Reliefs, die ich
später als wichtige Monumente deutscher Sculptur näher betrachten werde,
an den Wänden der Apsis mit Nischen und Säulen, deren Stämme wech-
selnd, aber an beiden Seiten gleich, mit convexen und concaven, geraden,
gewundenen oder gebrochenen Kanneluren verziert sind. In der schwach
beleuchteten, aber hohen Krypta wird das Gewölbe von vierzehn Säulen
getragen, welche abwechselnd rund oder achteckig, verschiedene, zum
Th«l dem korinthischen genau nachgebildete Kapitale und eine attisch
gegliederte, aber der Form des Stammes entsprechende und mit dem Eck-
blatt versehene Basis haben.
Der Dom, bekanntlich die begünstigte Stiftung Kaiser Heinrichs IT.,.
brannte urkundlichen Nachrichten zufolge im Jahre 1081 bis auf die Mauern
ab, und erhielt im Jahre 1111 durch Bischof Otto den Heiligen, den Apostel
der Pommern, eine neue Weihe. Dieser Bauzeit hatte man auch früher, da
man keine Nachricht über andere Herstellungen bis zu den Ablassbriefen
vom Jahre 1274 besass, die Haupttheile des Gebäudes zugeschrieben»
Neuerlich aufgefundene Chronikennachrichten ergeben indessen, dass am 6. Mai
1237 eine feierliche Einweihung statt fand^), und man darf nicht zweifeln,
^) Chronicon Erfordiense in Böhmer's Fontes II, 397 : Anno 1237 in Babenberc
348 Weitere Verbreitung des Uebergangsstyles.
■dass diese Weihe sich auf den Bau bezog, bei welchem die spitzbogigen
Arcaden des Schiffes, die Gewölbanlage und zum Theil die äussere Ausstat-
tung der Portale entstanden sind. Allerdings werden dabei ältere Theile
benutzt sein, namentlich einige Pfeiler, an welchen die Pilastervorlagen später
hinzugefügt zu sein scheinen i). Nach dem gewöhnlichen Hergange bei
Bauten des Mittelalters ist es nicht unwahrscheinlich, dass die ^¥eihe von
1111 nach der Vollendung eines Theiles der Kirche, vielleicht des später
erneuerten westlichen Chores, ertheilt worden, dass man dann, sei es, dass
jener Brand von 1081 nicht das ganze Gebäude in Asche gelegt hatte oder
dass die Mittel augenblicklich kein weiteres Fortschreiten gestatteten, erst
in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts die Erneuerung der östlichen
Krypta und des Georgenchores begann, die äusseren Mauern aufführte, die
Seitenschiffe überwölbte, am Ende dieses Jahrhunderts und im Anfange des
folgenden die östlichen Thürme weiter hinaufführte, das Mittelschiff über-
wölbte, dem Dache die reichen Gesimse hinzufügte, die äussere Ausstattung
des Georgenchores und der Portale bewirkte und darauf, als diese Aus-
schmückung fast, aber noch nicht ganz vollendet war, im Jahre 1237 zur
Einweihung schritt, durch welchen Hergang sich die Verschiedenheit des
plastischen Styles an den Sculpturen der Portale erklärt.
Ziemlich gleichzeitig mit diesem Dome ist auch der Bau der St Se-
balduskirche zu Nürnberg, aus welchem das Mittelschiff nebst dem
Unterbau der Thürme und der dazwischen liegenden, später veränderten so-
genannten Löffelholzischen Kapelle herstammen. Die Grundsteinlegung fand
in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts statt, der Hauptbau war 1256
vollendet, erst 1274 aber wurde die Löffelholzische Kapelle gew^eiht^),
welche, als westlicher Chor mit fünf Seiten des Achtecks vortretend, durch
ihre Stellung zwischen zwei wohlgegliederten rundbogigen Portalen und durch
die Behandlung der Rundbogenfriese an die ähnliche, aber reichere Anlage
des Bamberger Domes erinnert. Die Pfeiler des Mittelschiffes sind vier-
eckigen Kernes, an den Ecken eingekerbt, aber auf der Frontseite und unter
den Scheidbögen mit je einer kräftigen Halbsäule besetzt, welche vermittelst
dedicatum est monasterium ab bis episcopis, Erbipolensi , Eystatensi, Nuvvesburgeiisi,
Merseburgeiisi ; domino papa ibidem magnam facicnte induigentiam. Das Wort
Monasterium bezeichnet , wie schon früher gesagt , in den Urkunden des Mittelalters
stets die Kirche und zwar die bischöfliche oder grosseste Stiftskirche. Diese Chroniken-
nachricht wird dadurch unterstützt, dass Papst Gregor IX. in deu Jahren 1232 und
1236 Ablassverkündigungen für den Besuch der Bamberger Domkirche erliess, und
dass Bischof Engelhard von Naumburg im Jahre 1237 einen Ablassbrief zu Gunsten
-des Würzburger Domes von Bamberg aus datirt. (Lang, Regesta II, 265.)
1) Vgl. Wilh. Stier in der Wiener Bauzeitung 1844, S. 309.
-) Baader in der Augsburger Postzeitnng, 1859, Nro. 123, vgl. Sighart, S. 235.
St. Sebaldus in Nürnberg. — Münster zu Basel. 349^
eines hohen, kelchförmigen; aber würfelförmig ausladenden, mit knospen-
artigem Blattwerk oder mit Verschlingungen und Perlschnüren verzierten
Kapitals das Gesims tragen. Die Scheidbögen sind entschieden spitz, durch
einen breiten Untergurt gestützt und mit einem Rundstabe verziert; die
Basen haben Eckblättchen, tiefe Aushöhlung und den flachen vortretenden
Wulst. Sehr eigeuthümlich ist die Triforiengallerie, über jeder Arcade vier
kleine Spitzbögen auf kurzen, stämmigen Säulchen. Die Gewölbe, nicht
mehr quadrat, haben kräftige, aber noch rundprofilirte Rippen und sind
durch starke eckige, spitzbogige Quergurten getrennt. Die Gewölbdienste
bestehen in drei Halbsäulen, welche jedoch erst oberhalb des Pfeilergesimses
und zwar von drei sehr verschieden gebildeten, meist hornförmigen Consolen
aufsteigen, ähnlich wie wir solche in Riddagshausen gefunden haben. Die
Fenster, sämmtlich rundbogig, sind im Chore gegliedert, mit Rundstäben
ohne Kapital, im Langhause dagegen, unter jedem Gewölbfelde einzeln
stehend, einfach abgeschrägt; der Schildbogen ruht, wiederum wie in Rid-
dagshausen, auf kleineu Säulchen i).
In Bayern und Schwaben können wir keine Kirche ähnlicher Art nach-
weisen, wohl aber gehört dahin das Münster zu Basel"^), dessen Langhaus
in vielen Beziehungen dem Naumburger Dome verwandte Züge trägt. Auch
hier sind die Pfeiler viereckigen Kerns mit einfachen Halbsäulen unter den
Scheidbögen und in den Seitenschiffen, auf den Frontseiten an den Haupt-
pfeilern mit hoch hinaufsteigenden dreifachen Diensten, an den Nebenpfeilern
glatt; auch hier sind sie durch spitzbogige starkgegliederte Arcaden ver-
bunden, während die Oberlichter, paarweise unter jedem Schildbogen, einfach
gehalten und halbkreisförmig geschlossen sind. Nur darin bestehen wesent-
liche Unterschiede, dass die Wand über den Arcaden, die in Naumburg bis
zum Fenstersimse kahl geblieben, hier durch rundbogige Triforienöffnungen
kräftig belebt ist, und dass andrerseits die ganze Haltung und die Behand-
lung der Details strenger und ernster erscheint, wozu freilich auch die Härte
des zu dem ganzen Gebäude verwendeten rothen Sandsteins wesentlich bei-
getragen haben mag. Namentlich haben die Kapitale, die dort von an-
muthiger Bildung und mit schwungvollen Blättern ausgestattet sind, einfache
Würfelform und keinen oder nur bedeutungslosen Schmuck. Dagegen ist
^) Vgl. über die Sebalduskirche Kallenbach, Atlas, Taf. 20, 21, und R. v. Rettberg,
Nürnbergs Kunstleben, Stuttgart 1854, S. 9. Die Uebereinstimmung jener hornförmigen
Consolen mit denen in Riddagshausen (s. oben S. 329) ist höchst auifallend. — E.Förster,
Denkmale, Band IV.
-) Abbildungen in (Burckhardt's) Beschreibung der Münsterkirche zu Basel, 1842,
bei Gailhabaud, monuments anc. et modernes, Bd. III. und bei E. Förster, Denkmale,
Bd. I. Vgl. auch (namentlich über das Chronologische) v. Quast in der Zeitschrift für
Christi, Archäologie und Kunst II, S. 128 ft'.
^^Q Weitere Verbreitung des Uebergangsstyls.
<iie räumliche "Wirkung eine sehr mächtige, indem die nicht unbedeutende
Breite des Mittelschiffes (42 Fuss) neben den verhältnissmässig schmalen Seiten-
schiffen (14 F.) noch grösser erscheint, und diese Verhältnisse jenseits des
Kreuzschiffes im Chore fortgesetzt sind, welcher bei einem Schlüsse mit fünf
Seiten des Zehnecks die in Deutschland seltene Anordnung eines vollständigen
niedrigen Umganges hat. Das Gewölbe, mit frühgothischen Ripi)en versehen, ist
wahrscheinlich nach einem Brande von 1258 erneuert; die obere Haube des
Chores, die Fagade und die äusseren Seitenschiffe, durch welche das Lang-
haus fünfschiffig geworden ist, stammen aus einem Herstellungsbau, der durch
das Erdbeben von 1356 veranlasst wurde und im Jahre 1363 eine Weihe
zur Folge hatte. Die Haupttheile des Gebäudes sind allerdings älter, können
aber ihre jetzige Gestalt nicht in dem Bau, zu welchem Kaiser Heinrich H.
beisteuerte, erhalten haben. Die in das nördliche Kreuzschiff führende St.
Galluspforte, rundbogig und mit romanischen Details, aber mit Statuen
zwischen den schlanken Säulen, und mit kräftiger Gliederung der Archivolten,
kann nicht früher als gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts gesetzt
werden. Das Langhaus wird erst im dreizehnten Jahrhundert entstanden
und jenen früher genannten Kirchen gleichzeitig sein. Wahrscheinlich
gab ein Brand vom Jahre 1185, von dem wir Nachricht haben,
die Veranlassung zur Erneuerung zuerst einzelner Theile und demnächst des
Ganzen. Der Chor, obgleich mit der Krypta organisch verbunden und daher
wahrscheinlich früherer Anlage, hat seine charakteristische Ausstattung mit
zum Theil völlig freistehenden Säulen und phantastischen Sculpturen wohl
erst' nach der Herstellung des Langhauses im Laufe des 13. Jahrhunderts
erhalten.
Auch die Stiftskirche zu Neufchätel in der Schweiz ist hier zu er-
wähnen; obgleich schon auf französischem Sprachgebiet liegend, trägt sie in
ihrem Chorbau noch völlig deutschen Charakter, nicht nur in der dreischif-
figen und mit drei Apsiden schliessenden Anlage, sondern auch im Aufbau,
welcher völlig der der bisher beschriebenen Kirchen ist. Die Arcaden und die
quadraten Gewölbe sind spitzbogig, die Fenster und das reich gegliederte
Portal rundbogig, die Ornamentation deutsch romanisch, aber mit Regungen
jenes phantastischen Geistes, den wir auch sonst in dieser Gegend wahr-
nehmen. Das Langhaus, nach einem Brande erneuert und 1276 geweiht,
zeigt dagegen den Einfiuss der französischen Gothik^j, welcher dann in den
1) Vgl. Blaviguac in dem Band IV, S. 494 citirten Werke, Hist. de l'arcliitecture
sacree, 1853 , der hier wie auch sonst zu frühe Entstehungsdaten annimmt. Kugler,
Gesch. d. Baukunst II, S. 491. — Nach den von Dubois de Montpereux in den Mit-
theihingen der aiitiquarisclien Gesellschaft zu Zürich Band 5 beigebrachten Nachrichten
Schweiz und Tyrol. 351
Südlicheren Tlieilen der westlichen Schweiz schon früher vorherrscht und so
der deutschen Schule eine Grenze setzt.
Auch in der östlichen Schweiz finden wir die Wirksamkeit derselben
gelähmt. Das Grosse Münster zu Zürich ist eine mächtige Basilika mit
einer grossen Empore über den Seitenschiffen und mit quadraten Gewölben,
aber durchaus rundbogig und von eigenthümlich voller, schwerer Formbildung
welche an lombardische Bauten, namentlich an S. Michele zu Pavia erinnert
und jedenfalls älter ist als diese Uebergangszeit. Einzelne Zusätze, nament-
lich der berühmte Kreuzgang und das grosse Portal der Nordseite ^), scheinen
indessen aus dieser Zeit und die Rippengewölbe des Mittelschiffes aus noch
späterer, vielleicht aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, zu stammen.
Auch der Dom zu Chur, dessen Chor in den Jahren 1178 bis 1208 gebaut
ist, gerade schliessend, in derb romanischen Formen und im gedrückten
Spitzbogen überwölbt, zeigt eine Mischung deutscher und italienischer Ein-
flüsse und ein dadurch abgestumpftes Formgefühl-). Noch stärker ist der
italienische Einfluss in Tyrol, auch in dem deutschen Theile des Landes -^j.
Wenn auch nicht kräftig genug, um Formschöpfungen im italienischen
Sinne hervorzubringen, reichte er doch aus, um die lebendige Theilnahme
an den von den mittleren Provinzen Deutschlands ausgehenden constructiven
Bestrebungen zu hemmen. Der Uebergangsstyl hatte daher hier so gut wie
gar keinen Erfolg und romanische, rundbogige Form erhielt sich bis zum
Anfange des 14. Jahrhunderts. Erst jenseits dieser Region finden wir daher
wurde die seit dem 10. Jahrhundert bestehende Kapelle zu Neufchätel erst um 1158
zur Collegiatkirche erhoben; wodurch dann die von mir angenommene Zeitbestimmung-
bestätigt wird. Vgl. auch daselbst die Abbildungen.
1) Die dünnen Säulen nnd schweren Kapitale dieses Portals verrathen eine Ver-
wandtschaft mit (fer Galluspforte am Münster zu Basel. Zahlreiche Abbildungen aus
dem Züricher Münster und Kreuzgang in den Mitlheilungen der antiquarischen Gesell-
schaft in Zürich Bd. I und II.
2) Siehe diese Mitlheilungen Bd. XI, Heft 7.
'') Einzelne italienische Motive sind durch Tyrol bis nach Salzburg und Bayern
vorgedrungen. So der Gebrauch von wechselnden Lagen weissen und rothen Marmors,
der sich selbst in Salzburg an Portalen der alten Pfarrkirche und an St. Peter findet,
und die Anlage von Vorhallen mit Säulen, die auf den Rücken von Löwen ruhen, wie
sie an der jetzt spätgothischen Kirche zu Botzen, aus einem älteren Bau herstammend, an
der Kirche zu Inichen und selbst an der von St. Zeno bei Reichenhall vorkommen. Vgl.
Messmer in den Mitth. d. k. k. Centr.-Comm. II, 101 und Heider in dem Jahrbuche
derselben II, 30. Es scheint, dass diese letzte Form von St. Zeno in Verona aus zu-
gleich mit dem Cultus dieses Heiligen, der für einen bewährten Helfer in Wassers-
gefahr galt, sicli über diese Gegenden verbreitet hatte.
352 Weitere Ausbildung des Uebergangstyls.
wieder Werke jener deutschen Schule. So zunächst die jetzt den Francis-
eanern überwiesene alte Pfarrkirche zu Salzburg. Auch sie zeigt noch
in ihrem, durch wechselnde Lagen rothen und weissen Marmors verzierten
Portale den italienischen Einfluss, aber das Langhaus (denn der Chor ist in
glänzenden spätgothischen Formen erneuert) ist ein Bau des Uebergangs-
styles mit quadraten Gewölben, spitzen Arcaden und gegliederten Haupt-
'pfeilern neben den auf den Frontseiten rechtwinkelig abschliessenden Zwischen-
pfeilern, also ganz ähnlich den früher beschriebenen Bauten, aber mit derber,
einfacher Ausbildung der Details. In Oesterreich selbst gehört zunächst die
Stiftskirche zu Wiener Neustadt in diese Reihe, wahrscheinlich im ersten
Viertel des 13. Jahrhunderts begonnen, aber langsam ausgeführt. Im Aeus-
seren von strenger romanischer Form, mit rundbogigen Portalen und Fenstern,
zeigt sie im Innern einen freilich ziemlich unregelmässigen Gewölbebau, mit
spitzen Arcaden zwischen schweren, wenig entwickelten Pfeilern und un-
gleichen, zum Theil dem Quadrate sich nähernden, zum Theil schmalen Ge-
wölbfeldern. Auch die Kirche St. Michael zu Wien, obgleich bei dem
Brande Wiens im Jahre 1275 von den Flammen verwüstet und erst 1288
hergestellt, lässt noch bedeutende Ueberreste ihres ersten im Jahre 1221
vollendeten Baues erkennen, wohlgegliederte Pfeiler viereckigen Kerns und
spitze Arcaden bei rundbogigen Fenstern. Aber die sehr ungleichen Ge-
wölb fehler sind nicht mehr quadratisch und haben gothisch profilirte Gurten
und Rippen. In Mähren gehören endlich hierher die Kirche der Bene-
dictinerzuTrebitsch und die derCistercienser zuTiscbnowitz. Die letzte
nähert sich schon mehr entwickelten frühgothischen Formen, während jene
die Kirche zu Trebitsch, mit spitzen Arcaden bei rundbogigen Oberlichtern
und mit charakteristisch schwerer Pfeilerbildung zu den Uebergangsbauten
gehört. Das Langhaus ist jetzt mit einem spätgothischen Tonnengewölbe
überdeckt, war aber ursprünglich, wie die Gestalt der Pfeiler ergiebt, auf
quadrate Ueberwölbung berechnet. Sehr eigenthümlich ist der Chor, der,
weil durch feste Mauern mit rundbogigen Oberlichtern von den Seiten-
räumen getrennt, eine einschiffige Fortsetzung des Mittelschiffes darstellt,
die mit fünf Seiten des Achtecks schliesst, und vor dieser Schlussabtheilung
zwei quadrate Felder enthält, welche dann aber nicht wie gewöhnlich mit
vier oder sechs Kappen quadratisch, sondern, indem quergelegte Rippen die
vier Ecken abschneiden, dem Polygonschlusse entsprechend, mit kuppei-
förmig ansteigenden achteckigen Rippengewölben überdeckt sind. Die derbe
Bildung dieser Rippen und ihrer von Wandconsolen aufsteigenden Dienste
beweist, dass diese Anlage die ursprüngliche, etwa dem Anfange des drei-
zehnten Jahrhunderts angehörige ist, und zeigt die Vorliebe dieser Zeit für
ungewöhnliche Formen. Die polygone Altarnische lässt dann endlich in der
zierlichen Belebung ihres Innern auch die decorativen Tendenzen dieser
Verbreitung- der streng-eren Richtung. 353
Zeit, und zwar in einer an rheinische Schule erinnernden Weise zum Ausdruck
kommen. Auf eine Spitzbogenarcatur folgen Radfenster, denen Säulen als
Speichen dienen, und darüber gekuppelte Rundbogenfenster, die in einen
Umgang in der Mauerstärke führen^). Viel schlichter ist die Klosterkirche
zu Trebnitz, die einzige erhaltene grössere Kirche romanischen Styles in
Schlesien, welche darthut, wie der Fortschritt in der architektonischen Ent-
wickelung, besonders die Ausbildung des Gewölbebaues hier zugleich mit
der Germanisirung des Landes begründet wurde. Wie die Cistercienserinnen,
denen Herzog Heinrich der Bärtige und seine Gemahlin, die heilige Hedwig,
im Jahre 1203 das Kloster gründeten, aus der Gegend von Bamberg kamen,
so werden auch deutsche Werkmeister den Bau ausgeführt haben, dessen
Weihe 1219 stattfand. Aber dieses Datum hat w^ohl nur auf Chor und
Querhaus Bezug, welche einfache Kreuzgewölbe mit breiten Gurten und Rippen
zeigen, während die Vierungsbögen spitz sind, und ebenso wohl ursprünglich
die Arcaden, obgleich die Modernisirung, welche die Kirche während der
-Zopfzeit erlitten, dies nicht mehr erkennen lässt. Bei ganz schlichten recht-
eckigen Pfeilern mit Vorlagen nur nach den Schiffen treten im Langhause
sechstheilige quadratische Gewölbe auf-).
Die meisten der bisher betrachteten Gewölbebauten zeigen augen-
scheinlich, dass ihre Erbauer ausschliesslich mit der Anwendung der neuen
constructiven Formen des Spitzbogens und der Wölbung beschäftigt waren
und von dem hergebrachten Style nur so weit abwichen, als sie dazu durch
diese genöthigt wurden. Die Ornamentation gehört noch ganz dem älteren
Style an, sie ist aber auch, vielleicht mit einziger Ausnahme des Bamberger
Domes, ziemlich dürftig, die ganze Erscheinung ist, weit entfernt von der
Anmuth und Harmonie früherer sächsischer Bauten , vielmehr strenge und
spröde. Wie einfach ist selbst der Naumburger Dom, der doch zu den
reicheren Gebäuden dieser Gruppe gehört, im Vergleich mit der St. Michaelis-
kirche zu Hildesheim, in der nicht bloss die Kapitale viel prachtvoller,
sondern auch die Säulenbasis und die Scheidbögen in ihrer Unteransicht
mit reichen Mustern , die Wände mit Relieffiguren geschmückt sind; man
vergleiche ferner alle eben beschriebenen Kirchen mit den viel älteren von
Paulinzelleoder von Huyseburg, um zu fühlen, wie sehr es diesen neuen Meistern
*) Vgl. Beschreibung und Abbildungen der Kirche zu Salzburg im Jahrbuch der
k. k. Centr.-Comm., Bd. II, S. 35 tt'., Portal Taf. IV.; St. Michael zu Wien in den
Berichten des Wiener Altertliumsvereins, Bd. III, und darnach in den Mittheilungeu
d. k. k. Centr.-Comm., Bd. IV, S. 305; Wiener Neustadt und Trebitsch in den Mhtel-
alterl. Kunstdenkmälern des österr. Kaiserstaates, II. S. 176 ff. u. Taf. XXXI— XXXV,
S. 67 fF. u. Taf. XIII — XVII; Tischnowitz im Jahrbuch, III, S. 249 ff. u. Taf. I— IV.
2) Luchs, Stilproben, S. 8 ff. u. Taf. I.
Sclinaaso's Kunstgcsch. 2. Aufl. V. 23
QR^. Deutscher Uebergangsstyl.
nur auf Solidität und Ernst der Construction ankam, wie sehr sie diesem
Zwecke den Reichthum des Schmuckes und selbst die Anmuth der Verhält-
nisse opferten. Sie unterscheiden sich dadurch sehr merklich von der deco-
rativen Tendenz des rheinischen Styles und nähern sich der strengeren
Richtung der Cistercienser und des Ziegelbaues. Unmittelbare architek-
tonische Entlehnungen sind zwar nicht nachzuweisen , wohl aber darf man
einen geistigen Einfluss annehmen, den der allverbreitete Orden und die aus
allen Gegenden Deutschlands stammenden Kolonisten der wendischen Länder
vermöge ihrer verwandten strengen sparsamen und militärischen Richtung in
weiteren Kreisen ausübten und der eineReaction gegen die Pracht der spät-
romanischen Zeit und eine Vorliebe für einfache und selbst spröde Solidität
hervorbrachte. Es ist nicht zu vergessen, dass nicht bloss die Städte , die
immer mehr aufblüheten, sondern auch die Verhältnisse der deutschen
Territorialherren; welche die Entfernung der Kaiser nutzten um ihre Haus-
macht zu begründen, einen bürgerlich sparsamen Sinn beförderten, der jener
strengen Richtung verwandt war und auch zu architektonischer Einfachheit
neigen mochte.
Allein diese Reaction war doch nur eine vorübergehende Strömung;
sobald der erste Eifer für jene neuen constructiven Formen vorüber war
und man sie mit grösserer Leichtigkeit handhabte, lebte auch die Neigung
für mannigfaltigen und individuellen Schmuck wieder auf. Aber sie äusserte
sich nun in anderer Weise, als bisher, man mochte fühlen, dass die halbkreis-
förmigen concentrischen Archivolten und die vollen Linien der romanischen
Architektur mit dem bereits vorherrschenden Spitzbogen nicht wohl über-
einstimmten, man nahm daher die schlankeren Decorationsformen des rhei-
nischen Styles auf, und wandte die Ringsäule, den Kleeblattbogen, gebrochene
Linien aller Art, und zwar in einer Weise an, welche eine Herleitung von
rheinischen Bauten nicht wohl bezweifeln lässt. Der Georgenchor des Domes-
zu Bamberg mit seiner fünfseitigen Apsis, mit den reich gegliederten und
gedrängten Fenstern und mit der Zwerggallerie erinnert an die ältere Concha
des Münsters zu Bonn, die östlichen Thürme dieses und des Naumburger
Domes in ihrer oberen achteckigen Hälfte, das Hauptportal der Kirche zu
Mildenfurth 1; mit Ringsäulen und feinerer Gliederung der Archivolten tragen
rheinische Züge. Dasselbe bemerken wir an vielen anderen Stellen. An
der Westseite des Domes zu Halberstadt sehen wir die Portale mit Ring-
säulen besetzt, die rundbogigen Oeffnungen der beiden inneren Flügel des
Mittelportals zu einem Kranze von kleinen Bögen ausgezackt, das grosse
Bogenfeld selbst statt mit Reliefs durch eine treppenförmig aufsteigende
Arcatur gefüllt, und überhaupt an der ganzen Fagade eine Verschwendung.
1) Puttrich, Ablh. I, Bd. II, Serie Reuss, Taf. 9, a.
Mischung der Provinzialismen. 355
unverhülltcr Kleeblattbögen, wie in Gelnhausen und in anderen rheinischen
Bauten 1). Der Dom hatte nach einem Brande vom Jahre 1181 eine Her-
stellung erhalten, welche im Jahre 1220 beendet war; indessen scheinen die
Formen des Portals, namentlich die reiche Gliederung der Archivolten, schon
über die Tendenzen selbst des rheinischen Styles dieses Jahres hinauszu-
gehen; man wird diesen Theil daher dem Bau zuschreiben müssen, welchen
der Probst Semeca im Jahre 1237 begann-). Gleichzeitig ist auch der
rechtwinkelig geschlossene Chor des Domes zu Nord hausen, dessen lancet-
förmige Fenster mit Ringsäulen besetzt sind, und der ungeachtet seiner
Uebergangsformen doch noch das eigenthümliche Gepräge bescheidener An-
muth hat, welches die älteren sächsischen Bauten charakterisirt. Er ist
der Ueberrest der nach einem Brande von 1234 begonnenen und 1267
geweiheten Kirche^). Der Zeit um 1230 — 1240 werden dann auch der
achteckige Thurm der St. Blasiuskirche zu Mühlhausen*), dessen
Kleeblattfenster wieder an die Kirche zu Gelnhausen erinnern, und das spitz-
bogige Portal mit schlanken Säulen und noch fast romanischen Kapitalen an
der Liebfrauenkirche zu Arnstadt-^) angehören. Auch hier mögen die
Mönchsorden und namentlich die Cistercienser, nachdem sich ihre Scheu vor
reicheren Formen verloren hatte, zur Verbreitung des rheinischen Styles bei-
getragen haben, indem wir in mehreren ihrer Bauten sehr zierliche Arbeiten
dieser Art finden. Dahin gehört zunächst die Vorhalle (das Paradies) der
Klosterkirche zu Maulbronn im Würtemb ergischen, welche in der zier-
lichen Behandlung der Ringsäulen und Kleeblattbögen einen unmittelbaren
Einfluss des rheinischen Styles verräth. Zwar ist hier noch vorherrschend
der Rundbogen angewendet, aber die Gewölbe und ihre Schildbögen sind
spitzbogig, ihre Rippen, wenn auch noch als Rundstäbe, doch schon in einer
der gothischen Weise annähernden Weise profilirt, die Aussenmauern mit
ausgebildeten Strebepfeilern bewehrt, und das Bogenfeld der Doppelfenster
ist mit einer kreisförmigen Oeffnung zwischen den Spitzen des Kleeblattes
verseilen, welche an gothisches Maasswerk erinnert"). Sehr wahrscheinlich
1) Abbildung bei Kallenbach a. a. 0. Tafel 19. Lucanus , der Dom zu Halber-
stadt. Förster, Denkmale, VIII.
-) Wie dies schon von Quast in der Zeitschrift für Bauwesen 1851 ange-
nommen hat.
3) Puttrich, Abth. II, Bd II, Serie Mühlhausen, Taf. 12 und S. 13.
4) Daselbst Taf. 7, 8, 11,
5) Puttrich, Abth. I, Bd. 1, Serie Schwarzburg, Taf. 4.
") Eisenlohr, Mittelalterliche Bauwerke im südwestl. Deutschland, Heft 1 — 4, giebt
eine Reihe von Abbildungen der einzelnen GebäuHchkeiten dieser grossartigen und
wohlerhaltenen Klosteranlage. Vgl. auch Kallenbach a. a. 0. Tafel 31. — Förster,
Denkmale, VII.
23*
356
Deutscher Uebergang^sstyl.
fällt daher der Bau in eine Zeit, wo die Meister den Spitzbogen sehr wohl
kannten und ihn da , wo sie seiner Tragkraft bedurften, wohl angewendet
haben würden, während sie hier bei kleineren und leichteren Verhältnissen
Fig. 95.
j^tim.
Kapelle zu Heilsl)ronn.
den Rundbogen vorzogen und gerade durch seine Verbindung mit dem
Kleeblattbogen und den schlanken Ringsäulen des rheinischen Styles ein
überaus reizendes und anmuthiges Werk hervorbrachten. Diese rheinischen
Miscliung der Provinzialismen. 357
Formen finden wir dann auch in grösserer Entfernung vom Rheine in den
österreichischen Cistercienserklöstern , in dem Kreuzgange von Heiligen-
kreuz ^), in denen'vonZwetl 2) und Lilienfeld ^), und auf fränkischem Gebiet im-
Cistercienserkloster zu Heilsbronn bei Anspach, an einer kleinen, aber
äusserst zierlichen Nebenkapelle, besonders an ihrem Portale. Dieses hat
im Ganzen noch romanische Anlage und Decoration; die vier Säulenstämme
auf jeder Seite sind nach dem Gesetze rythmischen Wechsels, das wir schon
sonst an romanischen Portalen kennen gelernt haben, theils glatt, theils reich
verziert, die Kapitale schlanke Würfel; von den vier Archivolten ist nur die
äussere als Rundstab dem Säulenstamme gleich gebildet, während die anderen
die sächsische Auskerbung der Ecken mit dem Ablaufe haben. Dabei aber
sind die stark verjüngten schlanken Stämme durch wohlgegliederte Ringe
getheilt und die Thüröffnung steigt kleeblattförmig in das Bogenfeld hinein.
Die Kapelle selbst hat einfache rundbogige Fenster, aber schon wirkliche
Strebepfeiler mit Wasserschlägen und Gesimse mit tiefen Auskehlungen, so
dass wir das kleine Gebäude gewiss nicht früher als um 1230 datiren
können.
So sehen wir denn etwa um 1230 die Tradition des romanischen Styles
und mit ihr die localen Traditionen der einzelnen Provinzen in allen Theilen
Deutschlands gründlich gebrochen. Zwar verschwanden die Reminiscenzen
an diese architektonische Vergangenheit nicht ganz; wir haben schon ge-
sehen, wie der Meister der goldenen Pforte in Freiberg ihnen in bewusster
Weise und mit Benutzung gothischer Formen huldigte. Aber es Avar dies
hier und in anderen Fällen doch nur eine individuelle Geschmacksäusserung,
nicht die Folge bleibender und unbeschränkter Herrschaft des Herkommens.
Zwar blieben Verschiedenheiten bestehen; die Bauten des Ziegelbaues, der
Rheinlande und Westphalens behielten noch immer ein charakteristisches
Gepräge. Aber es war doch eine grössere Einheit angebahnt; wie die deco-
rativen Formen des rheinischen Styles sich weithin verbreitet hatten, finden
wir auch am Rheine einzelne Bauten strengerer Richtung, wie beispielsweise
die schon erwähnte Stiftskirche zu Gerresheim bei Düsseldorf und die
St. Cunibertskirche zu Köln. Ein festes Princip, aus dem sich ein völlig
neuer Styl consequent entwickeln konnte, war freilich überall nicht gegeben;
eine vorherrschende Schule entstand nicht. Deutschland hatte eben keine
Centralgegend, in welcher die Nachrichten aus den Provinzen zusammen-
strömten, in der sich die Uebung rascher Combination, der Geist syste-
matischen Fortschrittes ausbilden konnte. Jeder einzelne Meister war auf
^) Mittelalterliche Kunstdenkmale des österreichischen Kaiserstaates, Bd. I.
2) Ebenda, Bd. K.
■'') Jahrb. der k. k. Centralcommission, Bd. II.
_"358 Erste Spuren gotliischen Styls in Deutscliland.
sich selbst, auf seine Fähigkeiten, auf die Kenntnisse beschränkt, welche sein
Lerneifer ihm verschaffte, zu welchen ihm Gelegenheit geworden war. Aber
gerade diese Lage der Dinge gewährte dem strebenden Architekten eine
Fülle von Mitteln, wie die Kunst sie kaum je besessen, und welche, von ge-
schickter Hand und in maassvoller Haltung angewendet, sehr bedeutende
Leistungen gestattete. Wer die Münster von Bonn und Bamberg, die Vor-
hallen von Kloster Laach und Maulbronn oder auch nur manche andere der
erwähnten Bauten gesehen hat, wird es begreiflich finden, dass viele der
.Zeitgenossen an diesen reichen, belebten und individuellen Formen hingen
•und keine Aenderung wünschten.
Siebentes Kapitel.
Der deutsche früligotliisclie 8tyl.
Wie wir gesehen haben, zeigt der deutsche Uebergangsstyl im Ganzen,
ausser der Anwendung des Spitzbogens und des Rippengewölbes, keine be-
stimmte Hinneigung zu den Tendenzen des eigentlich gothischen Styles.
Strebepfeiler kommen zwar hin und wieder, aber von geringem Umfange und
an untergeordneten Stellen, Strebebögen fast nur an einigen Cistercienser-
kirchen und als schwache Versuche vor, der Gedanke eines durchgeführten
Strebesystems scheint noch ganz unbekannt. Statt des Kapellenkranzes ist
die einfache Polygonnische, statt der Säule oder des kantonirten Rundpfeilers
der Pfeiler viereckigen Kernes, statt der kühnen, auf die einzelnen Gewölb-
gurte berechneten Dienste die hoch hinaufsteigende Halbsäule noch immer
wie in den älteren romanischen Gewölbebauten angewendet. Indessen finden
wir in einzelnen Fällen schon im ersten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts,
anfangs seltener, nachher häufiger Formen, die nach Frankreich hinweisen.
Da man einmal den Weg ruhigen Beharrens bei den überlieferten Local-
formen verlassen und den des Suchens und Strebens, des Erfindens und der
Aneignung fremder .Erfindungen betreten hatte, kann es nicht auffallen, dass
unsere Meister auch die Fortschritte des Nachbarlandes, wenn sie mit ihnen
bekannt wurden, benutzten, und dass der französische Stjd, der jedenfalls
den Vorzug grösserer Consequenz hatte, allmälig mehr und mehr Einfluss
gewann. Dies geschah aber nicht, wie man vermuthen könnte, in der Weise,
dass er zuerst über die westlichen Grenzen Deutschlands eindrang und dann
langsam weiter nach Osten vorschritt. Vielmehr tauchen schon ziemlich
irüh Anklänge an französische Form an verschiedenen, von einander ent-
Domchor zu Maffdebur«
359
fernten Stellen auf, und erst später entstehen Werke, welche eine voll-
ständigere Kenntniss des ganzen gothischen Systems verrathen. Die Mit-
theilung geschah also nicht vermöge der Berührung benachbarter Gegenden,
sondern durch einzelne wandernde Bauleute, welche, zufällig oder schon
durch den Ruf der französischen Schule bestimmt, sie an der Quelle kennen
gelernt hatten und bei ihrer Rückkehr das Erlernte mit grösserer oder ge-
ringerer Accomodation an deutsche Gewohnheiten in Anwendung zu bringen
suchten.
Schon die erste Spur eines solchen französischen Einflusses treffen wir
nicht am Rheine, sondern fern von den Grenzen, an der Elbe und zwar am
Dome zu Magdeburg^). Eine Feuersbrunst, welche im Jahre 1207 die
ältere, vielleicht noch aus der Stiftungs-
zeit unter Otto dem Grossen her- Fig. oe.
stammende Kirche einäscherte, ver-
anlasste einen Neubau, der im Jahre
1234 zur Vollendung des Chores
führte. Die Details dieses Chores,
mit dem wir uns hier allein be-
schäftigen, da der Bau des Langhauses
späterer Zeit angehört, entsprechen
im Ganzen dem deutschen Ueber-
gangsstyle; im Inneren Ringsäulen,
Kelchkapitäle mit conventionellem
oder knospenförmigem Blattwerk oder
mit jener üppigen, würfelartigen Aus-
ladung, im Aeusseren fa^ettenartig
ausgearbeitete Rundbogenfriese. Alle
diese hergebrachten Details sind
in grösster Vollendung und mit Liebe
ausgeführt, namentlich die Kapitale am Umgange des Chores von aus-
gezeichneter Schönheit. Daneben aber bemerken wir Spuren ungewöhn-
licher Studien, der Eierstab und die Akanthusblätter, welche an Kapitalen
und Gesimsen vorkommen, verrathen eine nähere Kenntniss antiker Formen;
auch ist der Spitzbogen schon durchgängig selbst an den Fenstern angewendet.
Völlig abweichend aber von allen deutschen Traditionen ist die Anlage des
mit einem L^mgange und Kapellenkranze versehenen Chores. Selbst der
blosse Umgang war bisher in Deutschland nur ausnahmsweise und meist unter
Umständen vorgekommen, welche eine besondere Veranlassung vermuthen
Kapital aus dem Chore des Doms zu Magdeburg.
^) Clemens , Melliii iiiul Rosenthal , der Dom zu Magdeburg in 30 Abbildungen
1S31 — 1838. — E. Förster, Denkm. V
360
Erste Spuren gothischen Styles in Deulschland.
lassen; so schon sehr frühe an der Kapitolskirche zu Köhi, später an der
Cistercienserkirche zu Heisterbach und am Dome zu Basel. Für die Anlage
eines Umganges mit Kapellen war bisher die St. Godehardskirche zu Hildes-
heim das einzige, unbefolgt gebliebene Beispiel, und auch hier sind nur drei
vereinzelte Kapellen angebracht i). Der Magdeburger Dom hat dagegen den
geschlossenen Kranz von fünf radianten Kapellen, und zwar in sehr ähnlicher
"Weise wie an den gleichzeitigen französischen Kathedralen, den inneren Chor-
schluss den Kapellen entsprechend fünfseitig, die Kapellen dreiseitig, über
dem Umgange eine Gallerie — den Bischofsgang — und an dieser aus-
gebildete, von einem Satteldach bekrönte Strebepfeiler. Die Anlage hat
namentlich eine grosse Verwandtschaft mit dem Chore der Kathedrale von
Soissons, der in Frankreich zuerst von der bisher üblichen halbkreisförmigen
Fig. 97.
li ni
Chor des Domes zu Magdeburg.
Anordnung des oberen Chores und der Kapellen abwich, und bei welchem
dieselben Polygone Avie am Magdeburger Dome, nämlich das Zehneck und
Achteck, zum Grunde gelegt sind. Da der Chor dieser Kathedrale im Jahre
1212 dem Dienst übergeben wurde, und der Bau zu Magdeburg höchst
wahrscheinlich nicht unmittelbar nach dem Brande von 1207, sondern erst
nach mehrjährigen Vorbereitungen begann, so ist eine Einwirkung des
französischen Gebäudes der Zeit nach vollkommen möglich, und dies um
so mehr, als der damalige Bischof Albert H., welcher wenige Tage nach
dem Brande von 1207 seinen Einzug in Magdeburg hielt, in Paris studirt
J) Vgl. den Grundriss Bd. IV, S. 357.
Magdeburg und Limburg. 361
hatte ^). Freilich finden sich aber auch nicht bloss in den feineren Details^
sondern schon in der Ausbildung des Grundplanes vielfache Abweichungen.
Die Pfeiler, welche die fünfseitige Wand des oberen Chores stützen, sind
zwar in Magdeburg völlig wie in Soissons gestellt, nämlich die vier öst-
lichen näher aneinander gerückt, die beiden westlichen weiter abstehend;
aber es sind nicht wie dort Rundsäulen, sondern eckige Pfeiler, auf der
Fronte mit Bündeln von Gewölbdiensten, auf den drei anderen Seiten mit
einzelnen Halbsäulen besetzt und so kräftig gebildet, dass sie noch an den
durch feste Mauern begrenzten Polygonschluss erinnern. Auf den Kapitalen
der Mittelsäulen sind verjüngte Säulenschäfte von polirtem Granit angebracht,
die wohl aus dem älteren Bau herrühren und dieser Stelle noch einen mehr
dem älteren Style entsprechenden Charakter geben. Die Kapellen sind im
Inneren unter den Fenstern, wie die der Kathedrale von Rheims, halbkreis-
förmig gebildet und erst oben dreiseitig; sie werden nicht durch keilförmige
Strebepfeiler, sondern durch breite, im Inneren mit rohen Bruchsteinen aus-
gefüllte und nur äusserlich mit Hausteinen bekleidete Mauermassen begrenzt,
welche allerdings w'ohl geeignet sind, die Last der Gallerie und des Ober-
schiffes zu tragen , aber diesen Dienst noch nicht mit Leichtigkeit leisten.
Das Rippengewölbe der Kapellen entspricht im Ganzen den frühgothischen
französischen Kirchen; der Chorumgang ist noch mit glatten und rund-
bogigen Kreuzgewölben bedeckt. Alles dies beweist , dass der Meister noch
an romanischer Formbildung hing oder mit der Kraft des Strebesystems und
den Vortheilen des spitzbogigen Rippengewölbes noch nicht so vertraut war,
wie seine Zeitgenossen in Frankreich, steht aber der Vermuthung, dass die
Plananlage von dort entnommen sei, keineswegs entgegen. — Unter Einfluss
des Domchors wird auch der innere Umbau der Liebfrauenkirche zu
Magdeburg (seit 1215)' ausgeführt sein, bei welchem die Rundbogenarcaden
der ursprünglichen romanischen Basilika durch höhere Spitzbögen umrahmt
wurden und das Mittelschiff sechstheilige gothische Kreuzgewölbe erhielt-).
Sehr viel deutlicher ist die Verwandtschaft mit einem bestimmten
französischen Bau an einer berühmten deutschen Kirche, welche nicht lange
nachher, aber ziemlich weit entfernt von dem Magdeburger Dome, entstand,
an der Stiftskirche St. Georg zu Limburg an der Lahn. Der Baumeister
derselben ist aus der rheinischen Schule hervorgegangen; die Zwerggallerie,
die Bekrönung der Thürme mit einzelnen Giebeln, die Knospenkapitäle, die
prachtvollen Laubgewinde an den Archivolten des Portals und überhaupt
alle Ornamente gehören ihr an; selbst die grossartige Gesammtanlage mit
^) V. Quast in der Zeitschrift für cliristl. Archäologie und Kunst, I, S. 172.
-) V. Quast, Zeitschrift, a. a. 0., mit Abbildungen. — Vgl. auch A. Hartmann in
Romberg's Zeitschrift für praktische Baukunst 1854, S. 137, Taf. XV — XXIII.
362
Erste Spuren goiliischen Styles in Deutschland.
zwei mächtigen Westthürmen, vier kleineren Thürmchen an den Kreuz-
fagaden, und einem hohen und schlankenachteckigenThurmeauf der Vierung
des Kreuzes ist in ihrem Geiste erfunden und ausgeführt. Der Grundplan
ist noch ganz der einer gewölbten romanischen Basilika, mit starken Aussen-
mauerD; quadratem Gewölbe in Haupt- und Nebenschiffen, nur darin von
ähnlichen rheinischen Bauten
Fig. 98. abweichend, dass die Apsis des
Chores mit einem Umgange
umgeben ist. Auch die An-
ordnung der unteren Theile
des Mittelschiffes trägt noch
den Charakter des rheinischen
Styles und stimmt namentlich
mit der St. Quirinskirche in
Neuss im Wesentlichen überein.
Wie in dieser sind auch hier
die Zwischenpfeiler einfach vier-
eckiger Gestalt, die auf ihrem
Kämpfergesimse ruhenden Ar-
caden spitzbogig mit eckiger
Leibung, wie dort ruht auf den
niedrigen Seitenschiffen eine
Gallerie mit zweitheiligen, spitz-
bogigen, von einem breiteren
Spitzbogen mit undurchbro-
chenemBogenfelde überwölbten
Oeffnungen. Allein die gewölb-
tragenden Pfeiler sind kräftiger
gebildet, nicht mit einer ein-
fachen Halbsäule auf der Front-
seite, sondern mit einer pilaster-
artigen Vorlage und zwei Eck-
säulen ausgestattet, die qua-
st. Georg: Limburg. drateu Gcwölbc durch eine
Mittelrippe in sechs hochan-
steigende, entschieden spitzbogige Kappen getheilt, die Rippen kräftig und
schon mit birnförmiger Zuspitzung profilirt. Vor allem aber ist bemerkens-
werth , dass ein Triforium von gleich hohen , schwach zugespitzten Arcaden
über der Gallerie hinläuft, welches die Wand zwischen dieser und den rund-
bogigen Oberlichtern völlig ausfüllt. Gallerien über den Seitenschiffen sind,
wie wir gesehen haben, dem rheinischen Uebergangsstyle wohl bekannt, auch
St. Geofor zu Limbur;
363
Fig. 99.
Triforien kommen nicht selten vor, wenn auch meistens nur als Blendarcaden,
nicht als wirkliche Gänge. Für die, einigermaassen pleonastische Verbindung
beider Formen aber giebt es am Rheine und überhaupt in Deutschland kein
zweites Beispiel^). Ueberhaupt kennen wir diese Verbindung nur an einer
kleinen Gruppe belgischer und fran-
zösischer, der Picardie und Cham-
pagne angehöriger Kirchen, an den
Kathedralen von Tournay, Noyon und
Laou, in St. Remy zu Rheims und
Notre-Dame von Chälons und am
Chore der Abteikirche zu Mon-
tier-en-Der. Wir werden daher auf
eine Beziehung zu diesen Kirchen
hingewiesen und finden, wenn wir
St. Georg zu Limburg mit ihnen ver-
gleichen, mit einer von ihnen, näm-
lich mit der Kathedrale von Noyon,
eine so grosse üebereinstimmuug, dass
wir an einem engeren Zusammenhange
beider Bauten nicht zweifeln können-).
Zwar hat die Kirche von Noyon statt
des Zwischeupfeilers eine Rundsäule,
auch stehen die rundbogigen Ober-
lichter dort eng gekuppelt, hier einzeln
unter jeder Abtheilung des Gewölbes.
Aber die Bildung der Gallerieöff-
nungen, die Zahl der Triforienbögen,
die Anordnung der sechstheiligen
Gewölbe und der mit ihnen verbun-
denen Schildbögen sind gleich, und
dem in Noyon von dem Kapital der
Zwischensäule auf steigenden Gewölbe-
dienste entspricht in Limburg eine
vom Fusse der Gallerieöffnung an-
hebende Halbsäule, so dass die
^) Nur in der Kirche zu ßoppard findet sich etwas Aehnliches, indessen sind docii
nur vereinzehe, unter das Dach der Seitenschifl'e fiihrende Oeffnungen, nicht fortlaufende
Arcadenreiiien üljer der Gallerie angebraclit, so dass die Wirkung eine ganz andere ist.
-) Abbildungen der Kirche von Limburg sind in Moller's Denkmälern Theil II, der
Kathedrale von Noyon in Vitet's Monographie über dieselbe und in der Voyage dans
l'ancienne France, Picardie, gegeben. — Für Limburg s. auch E. Förster, Denkmale,
Bd. I. und Fr. Bock, Rheinlands Baudenkmale, II. Serie, Lief. 6 u. 7.
Kathedrale von Noyon.
3g^ Erste Spuren gotliischen Styles in Deutschland. '
Wirkung der schlanken, den einzelnen Arcaden entsprechenden Wandfelder
fast ganz dieselbe ist. Der Bau der Limburger Kirche^) (geweiht 1235),
fällt in eine Zeit, in welcher die Kathedrale von Noyon wahrscheinlich der
Vollendung nahe, jedenfalls so weit vorgeschritten sein musste, dass sie als
Vorbild dienen konnte. Da eine kirchliche Verbindung beider geistlichen
Stifter nicht wohl denkbar ist, da auch die Rheinlande, aus denen der Meister
von St. Georg zu stammen scheint, kein Gebäude enthalten, welches eine Ver-
mittelung bilden könnte, so bleibt nichts übrig, als auch hier bei den oberen
Theilen der Kirche das Hinzutreten eines Meisters anzunehmen, der in
Frankreich und namentlich an jener Kathedrale Studien gemacht hatte.
Wahrscheinlich kannte er aber auch andere französische Kirchen, wie dies
die grosse Fensterrose an der Fa^ade, deren die Kathedrale von Noyon ent-
behrt, anzudeuten scheint. Eine grosse Verwandtschaft mit der Limburger
Kirche zeigt ein niederrheinisches Denkmal, das durch seine genaue, auf-
fallend späte Datirung für die Architekturgeschichte von besonderer Wichtig-
keit ist: dießenedictiner-Abteikirche zu Werden, deren Herstellungs-
bau 1257, nach einem Brande, begann und 1275 geweiht wurde-). Während
die Wests'eite des Schiffes und der Westthurm noch ein Ueberrest des älteren
romanischen Baues sind, gehören die Fortsetzung des Langhauses, das Quer-
haus und der polygone Chor der Erneuerung an. Das System des Aufbaues
stimmt in seinen unteren Theilen im Wesentlichen völlig mit St. Georg zu
Limburg; hier wie dort der Wechsel von stärkeren, mit hoch hinaufsteigen-
den Diensten versehenen und von einfachen , viereckigen Pfeilern , spitzbogige
Arcaden und Emporen mit ebenfalls spitzen Doppelöffnungen bei undurch-
brochenem Bogenfelde, zwischen denen auch hier über den Zwischenpfeilern
der zum Gewölbe aufsteigende Dienst erst vom Fussgesimse der Gallerie
anhebt. So weit also ganz die Anordnung, wie in Limburg, welche beweist,
dass auch hier ursprünglich eine Wölbung von sechstheiligen Doppeljochen
beabsichtigt war. Während das Mauerwerk aufstieg, scheint man den Plan
geändert zu haben; das Triforium, welches in Limburg über der Empore
1) Müller's Beiträge I, 41. Eine in einem Reliquienkästchen im Hauptaltare der
Kirche gefundene, mit dem Siegel des Erzbischofs Dietrich von Trier (1213 — 1242)
versehene Schrift, nennt einen Grafen Heinrich als Erbauer der Kirche. Friilier hatte
man angenommen, dass dies Graf Heinrich IL, genannt der Reiche, von Nassau (1197 —
1247) sei, da dieser aber weder Besitzungen in Limburg, noch auch Beziehungen zum
Collegiatstift St. Georg daselbst hatte, ist eher an den damaligen Besitzer von Limburg,
Grafen Heinrich von Isenburg (von 1179 bis 1220 vorkommend) zu denken. — Vgl.
J. Ibach bei Bock a. a. 0. u. Dr. K. Schwarz in den Annalen des Nassauischen Alter-
thums-Vereins. Bd. IX, S. 368.
-) Publicirt von Stider, mit Text von Lohde, Zeitschrift für Bauwesen 1857. —
Vgl. auch E. Wulff im Organ für christl. Kunst, 1866.
St. Gereon zu Köln. 365
angebracht war, ist fortgeblieben und statt der quadraten, sechstheiligeu
sind schmale rechteckige Kreuzgewölbe ausgeführt, deren spitze Schildbögen
kreisförmige Oberlichter mit Achtpässen enthalten, während die Fenster der
Seitenschiffe, soweit sie noch vorhanden, schmal, lancetförmig, und zu dreien
gruppirt sind.
Eine erheblich frühere Spur von der Kenntniss des französisch-
gothischen Styls finden wir an dem zehneckigen Theile der Stiftskirche
St. Gereon zu Köln, der auf den Fundamenten eines älteren, wohl noch
aus römischer Zeit stammenden Baues in den Jahren 1212 bis 1227 auf-
geführt Avurde^). Er hat nämlich schon hohe, spitzbogige und zweitheilige
Fenster mit einer maasswerkartigen Durchbrechung des Bogenfeldes und frei
aufsteigende, durch einen Bogen die Kuppel stützende Strebepfeiler, beides
Neuerungen, denen wir hier zum ersten Male auf deutschem Boden begegnen,
die aber hier noch völlig vereinzelt neben den fächerförmigen Fenstern, den
wiederholten Rundbogenfriesen, der Zwerggallerie mit dem Plattenfriese und
anderen Details des rheinischen Styles erscheinen. Das Gebäude gehört
daher auch ungeachtet jener gothischen Elemente in seinem Totaleindrucke
noch ganz diesem Style an. Ohne Zweifel hatte nur die schwierige Aufgabe,
eine so grosse und hohe Kuppelwölbung genügend zu stützen, Studien des
französischen Strebesystems und dadurch auch die Aufnahme der hohen
Maasswerkfenster veranlasst.
Während die bisher erwähnten Gebäude ungeachtet mancher Einzel-
heiten des gothischen Styles das Gepräge des deutschen Uebergangsstyles
tragen, dessen Mannigfaltigkeit durch diese neuen Elemente nur vermehrt
wird, nahmen die Dinge nun eine andere Gestalt an. Es fanden sich Meister,
welche nicht bloss Einzelnes, sondern die tiefere Bedeutung des neuen Systems
aufgefasst hatten und zur Geltung brachten. Noch in demselben Jahre 1227,
in welchem das Kuppelgewölbe von St. Gereon geschlossen wurde, begann
der erste Bau in wirklich gothischem Style, die Liebfrauenkirche in
Trier. Der gesteigerte Mariencultus dieser Zeit begnügte sich nicht damit,
der heiligen Jungfrau Altäre in den bestehenden Kirchen zu errichten oder
ihr diese Kirchen selbst zu widmen, sondern verlangte eigene Gebäude für
ihren ausschliesslichen Dienst, welche dann neben den weiten und ernsten
Hallen der Hauptkirche als besondere Kapellen oder kleinere Kirchen
errichtet und ihrem Zwecke gemäss möglichst anmuthig und reich aus-
1) Vgl. V. Quast in den Jahrb. der rliein. Altertliumsfreunde Heft XIIL, S. 168,
und die daselbst S. 184 angeführte alte Nachricht, welche das Jahr 1227 als das der
Vollendung des Gewölbes ausser Zweifel setzt. Sonstige Nachrichten und Abbildungen
bei Boisseree, Niederrliein, S. 34 und Tafel 61 ff. und bei Bock, Rheinlands Bau-
•denkmale, mit Text von A. Reichensperger.
366 Früheste g-othische Bauten in Deutsclilaud.
gestattet wurden. Eine solche wurde nun auch dem alten Dome zu Trier,
den wir als eine Stätte fortdauernder lebendiger Bauthätigkeit schon kennen
gelernt haben und der uns schon feste Daten für den Beginn und die
weiteren Fortschritte des Uebergangsstyles gewährt hat, angefügt 2). In
England und Frankreich pflegte
'^" ■ man diese Kapellen gewöhnlich
"^ in länglicher Gestalt an der
^^ Ostseite der Kathedralen anzu-
bringen. Hier nöthigte die
Lage der älteren Klostergebäude
zu einem anderen Plane; man
r\ I /"^k hatte über einen Raum auf der
;y-^''' "•■■•■M^ ä^^m' Südseite des Domes von etwa
i./T-, /B\ 's^'^x W. i^^m
\ i y jii; "ix-^ Pv'i >^~MiI quadratischer Gestalt zu ver-
'-'^^■'^^^^m^^^^''^-^ fügen, der zu einer kreisrunden
"■' X/HlX X^^'^^ /^ '■■ / ^^^ ^^^^ polygonen Anlage einlud.
Ä f||\"7*^:~>|| \ ! y>'.... fl Die letzte lag dem Geiste des
.^. ^#v ■ ••' /^ \!/ \^^^^ Uebergangsstyles nahe; man
Würde, wenn man den alten
Traditionen gefolgt wäre, die
^^ Mauern als Seiten eines Poly-
gons mit Anschluss einer Chor-
nische gebildet, und eine mittlere
Kuppel auf Pfeilern, welche
Liebfrauenkirche in Trier. ■, -.nr. i , i -n i i.
den Wnikem des Polygons ent-
sprachen, errichtet haben. Ein
^) Schmidt, a. a. 0. Lief, 1, dessen Text und Abbildungen hier überall als Quelle
gelten, nimmt S. 13 auf die Autorität der Herausgeber der Gesta Trevirorum an, dass
die Liebfrauenkirche nur eine Erneuerung einer älteren Marienkirche auf derselben
Stelle sei. Allein die Urkunde vom Jahr 1243, auf welche sich diese Annahme stützt,
rechtfertigt sie nicht. Der Erzbischof von Köln bewilligt in derselben die Sammlung
von Beiträgen für die ecclesia beate Marie Virginis gloriose majori s in Treveris, que
Caput mater et magistra est omnium ecclesiarum provincie Trevirensis, welche in
Folge des Alters eingestürzt und in schönem und grossartigem Style neu erbaut sei,
aber der Vollendung bedürfe (vgl, die Urkunde selbst auf dem letzten Blatte des ersten
Bandes der neuen Ausgabe der Gesta Trevirorum). In dieser Weise konnte er aber
nur von dem Dome selbst reden, den er, wenn auch nicht ganz genau, aber dem vor-
herrschenden Gebrauche entsprechend als Kirche der heiligen Jungfrau benennt. Es
scheint daher, dass bei der Redaction des Ablassbriefes der Gegenstand, welcher der
Vollendung bedurfte, nicht genau bekannt war, was in ähnlichen Urkunden uicht selten
vorkommt. — Abbild, auch bei Fr. Bock, Rheinlands Baudenkmale, Bd. I, bei Gail-
habaud, monuments a. et m. II, u, E. Förster, Denkmale, I,
Die Liebfrauenkirche in Trier.
367
Fig. 101.
solcher Plan genügte jedoch den Ansichten des Meisters nicht; er hatte-
ohne Zweifel seine Schule in Frankreich gemacht, war von dem Geiste des
gothischen Styles durchdrungen und kam dadurch auf den Gedanken , die
Umfangsmauern nicht als einfache Polygonseiten zu bilden, sondern jede
derselben wieder in polygoner Gestalt hervortreten zu lassen und diese
einzelnen Nischen in der Weise des französischen Kapellenkranzes zu ver-
binden. Die gewöhnliche Form des-
selben war aber doch dem Zwecke
nicht entsprechend; eine innere
Pfeilerstellung nebst Umgang und
dahinter angebrachten Kapellen
gleicher Grösse würde den inneren
Raum zu sehr beschränkt haben und
Hess sich mit der polygonen Gestalt,
welche eine wenigstens annähernde
Gleichheit der gegenüberliegenden
Theile des Umfanges erforderte,
nicht recht vereinigen. Er zeichnete
daher zwei sich im rechten Winkel
durchkreuzende Hauptschiffe gleicher
Länge, gab jeder Endseite dieser
Kreuzarme einen polygonförmigeu
Schluss und zog die zwischen den-
selben entstehenden Quadranten in
das Innere, indem er sie durch je
zwei kleinere polygonförmige Nischen
abschloss, so dass das Ganze eine
Art von Rotunde bildet. Die gros-
sen Pfeiler an der Vierung tragen
einen Tlmrm, die Wände der Haupt-
schiffe sind hoch hinaufgeführt, die
dreieckigen Räume und Nischen
zwischen den Armen des Kreuzes
haben die Höhe gewöhnlicher Seitenschiffe. Die Peripherie besteht daher
aus zwölf, nämlich aus vier grösseren und acht kleineren Nischen, der obere
Bau lässt ein griechisches Kreuz nur mit verlängertem Chorraum und mit
Ausfüllung der Ecken erkennen, und der Grundriss gleicht ungefähr, in
welcher Richtung man ihn auch betrachte, der Zusammenstellung zweier
Choranlagen französischen Styles. Man kann nicht im Mindesten zweifeln,
dass der Meister solche Anlagen kannte und ihnen nachstrebte; ja, es scheint
sogar, dass er ein bestimmtes Vorbild im Auge hatte. Es ist dies die Stifts-
n%h
St. Yved in Braisne.
363 Frülicste gothlsche Bauten in Denlscliland.
kirche St. Yved inBraisne bei Soissons, die ich oben beschrieben und dabei
bemerkt habe, dass sie gevvissermaassen eine Verschmelzung französischer und
deutscher Gewohnheiten , des Kapellenkranzes mit dem Chorschluss ohne
Umgang, darstelle. Die Kirche von Braisne ist zwar kein Polygonbau, sie
hat das gewöhnliche Langhaus und rechtwinkelig gestellte Kreuzarme, aber
der Chor gleicht dem der Liebfrauenkirche durchweg, auch in den Verhält-
nissen des weiter hervortretenden, mit fünf Seiten des Zehnecks geschlos-
senen Altarraumes und der einzelnen Abtheilungen der Gewölbanlage so
vollständig, dass man ein zufälliges Zusammentreffen unmöglich annehmen
kann. Die französische Kirche ist in den Jahren 1180 bis 1216 erbaut,
also älter als die Liebfrauenkirche, und wir müssen daher annehmen, dass
der deutsche Meister sie gekannt und benutzt hat^). Diese Uebereinstimmung
beider Kirchen erstreckt sich aber keinesweges auf die Details, welche in
St. Yved ziemlich roh und in der schweren Weise des frühgotbischen Styles,
in der Liebfrauenkirche dagegen theils an rheinische Uebergangsbauten
erinnernd, theils im Geiste des gothischen Styles sehr viel feiner entwickelt
sind. Die Pfeiler an der Vierung sind kantonirte Rundsäulen, die hier zum
ersten Male auf deutschem Boden erscheinen, die übrigen einfache, überaus
schlanke Säulen, diese auf rundem, jene auf achteckig gestaltetem Sockel,
welcher die Ptuudung des Kernes in die Achsenlinien des Gebäudes über-
leitet. Das Maasswerk der zweitheiligen Fenster ist noch sehr einfach und
gleicht dem im Chore des Doms von Rheiras und im Herstellungsbau von
Notre-Dame von Paris, indem der (hier indessen durch einen Sechspass be-
lebte) Kreis nach Verhältniss der Bögen etwas zu gross gehalten ist. Da-
gegen ist die Bildung des Kapitals schon mehr dem Geiste des neuen Styles
entsprechend, als in den Kathedralen von Rheims und Amiens, ein den
ganzen Pfeiler mit Einschluss der Ilalbsäulen in stets gleicher Höhe um-
fassendes schmales Gesims, das mit zwei Reihen theils auf ihren Stielen
stehender, theils frei angelegter Blätter geschmückt ist. Die Profile der
Gurten und Bögen sind sämmtlich schon leicht und tief unterhöhlt und zum
Theil birnförmig, die Rippengewölbe mit grosser Kühnheit meisterlich aus-
geführt. Das Aeussere ist durchweg an allen Winkeln der Nischen mit
Strebepfeilern bewehrt, die mit einfacher Abdachung schliessen; Strebebögen
sind nicht vorhanden, aber auch nicht nöthig, da halbkuppelförmige Gewölbe
von allen Seiten nach der Mitte zu stützend anstreben. Die Pfeiler haben
sämmtlich leichte Schaftringe, die aber nicht auf mittlerer Höhe stehen,
^) Das Verdienst, die Aeliniichkeit beider Kirchen entdeckt zu haben, gehört
Mertens, der in seinen zu Diisseklorf 1841 geliaitenen Vorlesungen zuerst darauf auf-
merksam niaclite, und mich dadurcii veranlasste, bei euier späteren Reise in Frank-
reich St. Yved zu besuchen.
Die Liebi'rauenkirclie in Trier. 369
sondern dem Kafsimse der unteren und oberen Fenster entsprechen. Auch
haben die hohen Pfeiler sowohl unten bei dem Ansätze der Scheidbögen, als
oben bei dem der Gewölbe ihre Kapitälgesimse, so dass vier Horizontallinien
durch das ganze Innere fortgeführt sind, was bei dem leichten üeberblick
über sämmtliche Pfeiler, den die Rundgestalt gewährt, sehr vortheilhaft
wirkt. Sämmtliche Portale sind rundbogig. Das Hauptportal auf der West-
seite hat schon nach französischer Weise an den Seitenwänden grosse
Statuen unter Baldachinen, in den fünf Archivolten Statuetten. Die beiden
anderen, das eine vom Dome, das andere vom Kreuzgange her in die Kirche
führend, schliessen sich dagegen noch ganz an romanische Bildung an, indem
ihre schrägen Gewände mit schlanken, zum Theil mit Schaftringen versehenen
Säuleu, ihre Archivolten mit reichen Kränzen besetzt sind. Das letzterwähnte
Portal hat sogar im Bogenfelde nicht wie die anderen historische Reliefs,
sondern einen bloss decorativen Kleeblattbogen von Weinlaub. Sämmtliches
Laubwerk ist aber keinesweges romanisch stylisirt, sondern sogar leichter,
kühner und mit deutlicherer Nachahmung einheimischer Pflanzen gearbeitet,
als in den gleichzeitigen französischen Kirchen. Wir erkennen also in allen
Beziehungen einen Meister, der sehr frei und selbständig verfuhr. Er hatte
sich mit dem frauzösisch-gothischen Style vertraut gemacht und war für ihn
begeistert, aber diese Begeisterung machte ihn nicht zum sclavischen Nach-
ahmer. Schon die Benutzung eines blossen Chores zu der Rotundengestalt
der Liebfrauenkirche ist so sinnreich und genial, dass sie einer völlig neuen
Schöpfung gleichgestellt werden kann. Erwägt man dabei, dass die Chor-
anlage von St. Yved gewissermaassen die Mitte zwischen dem französischen
Kapellenkranze und dem in Deutschland üblichen einfachen Chorschluss hält,
dass sie in Frankreich ganz isolirt dasteht, dass dagegen in Deutschland
später und, soviel wir ersehen können, unabhängig von St. Yved und von
der Liebfrauenkirche, bloss durch die Verschmelzung gothischer und deutscher
Elemente mehrmals ganz ähnliche Anlagen entstanden sind ^), so könnte man
auf die Vermuthung kommen, dass schon jene französische Choranlage das
Werk eines deutschen , aber in französischer Schule gebildeten Meisters
gewesen, der dann später dasselbe Motiv in reicherer Weise an der Lieb-
frauenkirche anwandte. Jedenfalls aber, wenn dies nicht der Fall war.
1) Au der Stiftskirclie in Xanten und in etwas vereinfachter Weise an den Kirchen
zu Ahrweiler und Oppenheim, die sämmtlicli unten besprochen werden. Ausserhalb
Deutschlands finden sich solche Choranlagen in Belgien und in Lothringen-, die von
St. Bavo in Gent gleicht genau der von Xanten (Wiebeking Tafel 86), die von
St. Gengoul in Toul genau der von Oppenheim. Indessen gehörte Gent wie Xanten
damals zur Kölner, Toul wie Oppenheim zur Mainzer Provinz, so dass hier unbedenk-
lich eine durch geistliche Verbindung vermittelte Einwirkung der östlichen Kirchen
auf die westlichen angenommen werden kann.
Sclinaaso's Kunstgcsch. 2. Aufl. V. -■!
g'JQ Frülieste gotliische Bauten in Deutschland.
beweist schon die Wahl jenes halb deutschen Vorbildes eine ungewöhnliche
Klarheit und Sicherheit des künstlerischen Bewusstseins, die uns denn auch
tiberall in der Ausführung entgegentritt. Der Meister wagt es, die in Frank-
reich längst aufgegebene Form des rundbogigen Portals beizubehalten , weil
sie dem anmuthigen Charakter seines Werkes zusagt, er nimmt auch im
Obergeschoss des Thurmes den Rundbogen Avieder auf, zugleich geht er aber
in der Bildung des Kai^itäls im Geiste des gothischen Styles weiter, als die
meisten seiner französischen Zeitgenossen, er wendet sich, wo ihn weder die
deutschromanische noch die französische Ornamentik befriedigen, unmittelbar
an die Natur. Er verräth an keiner Stelle die Mattigkeit des Nachahmers;
jede Linie derProfilirung, jedes kleinste Detail athmet vielmehr eine Wärme
der Empfindung, welche dem ganzen Werke einen Cliarakter der Jugend-
frische und anspruchsloser Schönheit verleiht, die jeden empfänglichen Be-
schauer entzückt. So trat also der gothische Styl, obgleich von französischen
Vorbildern hergeleitet, schon bei seinem ersten Erscheinen auf deutschem
Boden mit voller Selbständigkeit und mit tieferem Verständniss des Princips
auf; der deutsche Geist behandelte ihn nicht als eine fremde, fertige Schöpfung,
sondern als sein Eigenthum.
Sehr interessant ist auch der Kreuzgang des Domes ^), dessen Kapitale
und Profile zum Theil mit denen der Liebfrauenkirche so genau überein-
stimmen, dass man sie für Arbeiten desselben Meisters halten möchte, dessen
eigenthümliche Mischung romanischer und gothischer Elemente aber zweifel-
haft macht, ob er später oder früher entstanden ist. Seine dreitheiligen
Lichtöffnungen sind nämlich rundbogig, und zwar in der Art, dass der Um-
fassungsbogen des ganzen Fensters und die beiden äusseren Bögen überhöht
sind, während der mittlere niedriger gehalten ist und eine Kreisöffnung mit
einem Sechspasse trägt. Wir sehen also den Rundbogen mit Maasswerk-
formen verbunden, welche die Kenntniss des gothischen Styles voraussetzen,
wie denn auch die regelmässigen Strebepfeiler und die schon unterhöhlten
Profile der Gewölbrippen darauf hindeuten. Nur an einer auf der Westseite
des Kreuzganges und unmittelbar neben der Liebfrauenkirche angebauten
Kapelle haben die Lichtöffnungen (bei übrigens gleicher Anordnung und mit
Beibehaltung des Halbkreises an dem mittleren Bogen, welcher den Kreis
trägt) durchweg Spitzbögen. Im Jahre 1215 wurde, zufolge einer Ueber-
lieferung, das an den Kreuzgang anstossende Refectorium hergestellt 2), aber
noch im Jahre 1258 bewilligte Papst Alexander IV. einen Ablass zu Gunsten
der Trierer Domkirche, in welcher ausdrücklich das „Kloster" als vor Alter
1) Vgl. Schmidt a. a. 0. Lief. 2, Taf. 3 und 7, S. 45 und 61, u. Bock a. a. 0.
2) Schmidt a. a. 0. S. 46.
Einfluss der Liebfrauenkirche. 371
verfallen bezeichnet wird^). Indessen ist diese letzte umfassende Bezeich-
nung nicht gerade auf den Kreuzgang, sondern auf andere Klostergebäude,
vielleicht auf jene erwähnte Kapelle zu beziehen , welche ihrer Lage nach
erst nach Beendigung der Chornische der Liebfrauenkirche erbaut sein kann,
50 dass die rundbogigen Theile des Kreuzganges früher, zum Theil vor, zum
Theil während des Baues dieser Kirche entstanden sein mögen. Sie geben
■einen merkwürdigen Beweis, wie man um diese Zeit die Elemente beider
Style zu verschmelzen suchte.
Um 1243 war, wenigstens nach überlieferter und wahrscheinlicher An-
nahme, der 1227 angefangene Bau der Liebfrauenkirche ziemlich beendet,
ohne dass bis dahin in der Rheinprovinz ein anderer bedeutender Neubau
im neuen Style begonnen war. Wohl aber können wir an näheren und ent-
fernteren Stellen bemerken, wie zu bereits in romanischer Weise angefangenen
Bauten Schüler der Trierer Hütte hinzugetreten sind, welche nun in mehr
oder weniger umfassender Weise dort das Erlernte zur Geltung brachten.
Sehr auffallend erscheint dies an der benachbarten Klosterkirche zu Offeu-
bach am Glan, deren Bau am Ende des zwölften oder am Anfange des
dreizehnten Jahrhunderts in romanischer Weise begonnen, aber unterbrochen
war, und nun später von den im neuen Style gebildeten Werkleuten so rück-
sichtslos fortgesetzt wurde, dass sie auch solche Bögen, die schon in roma-
nischer Profilirung angefangen waren, in gothischer beendeten-). Die
Gewölbrippen, Fensterbildungen und Strebepfeiler des Kreuzschiffes und
Chores lassen keinen Zweifel, dass diese Werkleute aus der Hütte zu Trier
hervorgegangen waren. Ebenso finden wir dieselbe Schule an entfernteren
Orten des Mosel- und Rheinthales. In der Stiftskirche zu Garden •'), wo
der Chor und das Kreuzschiff zwar mit spitzbogigen Arcaden und Gewölben,
aber sonst in romanischer Weise errichtet waren, hat das Langhaus, obgleich
gewiss eine unmittelbare Fortsetzung des Baues, sehr kurze und weitgestellte
iantonirte Rundsäulen mit Blattkapitälen und hoch hinaufgehendem Mittel-
dienste, zweitheilige Fenster mit ganz einfachem Maasswerk und dabei an
den noch in schwerer Form angelegten Scheidbögen einzelne birnförmige
Profile; es ist in der That schon ausgesprochen gothisch. Aehnlich, aber
') In den Annales archeologiques XH, p. 161 wird der Text dieser bis daliin
unedirten Uriiunde mitg^etheilt. Die Worte: „ecclesia et claustrum nimia vetustate
consumptum" sind wieder offenbare Uebertreibiingen der Ablassurkunde und lassen
ilaher den wahren Sinn zweifelhaft, zumal das Wort „claustrum" alle Gebäulichkeiten
des Domes umfasst.
2) Sclimidt a. a. 0. Lief. 3. — v. Quast, Zeitschrift für christliche Arcliäolog-ie
tind Kunst, möchte in diesem Werke vielmehr eine Vorstufe der Liebfrauenkirche, viel-
leicht ein früheres Werk desselben Meisters sehen.
•') Vgl. Abbildung bei v. Quast und Otte, Zeitschrift, l. S. 90.
24*
372 Früheste gothische Bauten in Deutschland.
viel edler und bedeutender und zugleich von stärkerem Einfluss der Lieb-
frauenldrche zeugend ist die St. Martinskirche zu Münstermaifeld.
Der Chor ist wieder in Uebergangsformen erbaut, die aber hier schon dem
Gothischen sehr nahe stehen. Zwar hat er an seinem unteren Stockwerke
den Bogenfries und unter dem Dache die Zwerggallerie , aber beide schon
mit spitzen Bögen. Er schliesst fünfseitig aus dem Zehnecke, aber seine
Ecklisenen, deren Aussenlinien dem Winkel der beiden von ihnen berührten
Polygonseiten parallel laufen, sind so stark gebildet, dass sie fast die Be-
deutung von Strebepfeilern haben, und oben zu Spitzbögen verbunden, in
w^elchen die hohen spitzbogigen Fenster in vertieftem Felde, also in einer
bloss ausfüllenden Mauer, stehen. Im Inneren sind die Ecken mit zierlichen,
von Ringen durchschnittenen Säulenbündeln besetzt, die vor den Fenstern
über dem stärkeren Unterbau einen Umgang bilden. Das Langhaus dagegen,
mit niedrigen Seitenschiffen und drei schmalen Gewölbfeldern des Mittel-
schiffes, ist in allen Beziehungen ein gelungenes Werk des frühgothischen
Styles. Die kantonirten Rundpfeiler, mit ziemlich kurzer Kernsäule aber
hoch hinaufgehendem Mitteldienste, haben, wie in der Liebfrauenkirche,
niedrige Laubkapitäle und eine rautenförmige Basis, sind aber zum Theil
schon entwickelter wie dort, indem der Mitteldienst am westlichen Pfeiler-
paare von unten auf, am östlichen wenigstens oberhalb des Kapitals der
Kernsäule von zwei Gurtträgern flankirt ist. Die Maasswerkfenster gleichen
völlig den einfacheren in Trier; Scheidbögen und Gewölbgurten sind von
guter, selbst eleganter gothischer Profilirung. Die Strebepfeiler und Strebe-
bögen endlich sind noch sehr schlicht gehalten. Ueber die Zeit des Baues
wissen wir nur, dass derselbe 1225 begonnen ist, und erst 1330 ganz beendet
sein soll. Ohne Zweifel bezieht sich die erste Jahreszahl auf den Chorbau,
die zweite auf die Vollendung des Kreuzschiffes, dessen grosse Maasswerk-
fenster einer späteren Zeit angehören, während das Schiff mit seinen schönen,
frühgothischen Formen wohl unmittelbar nach dem Chore, etwa um 1240,
in Angriff genommen sein wird. Etwas früher mag der Chorbau fallen,
welcher der älteren Pfeilerbasilika zu Hirzenach (zwischen Boppart und
St. Goar) um diese Zeit angefügt ist. Er ist fünfseitig aus dem Achteck,
in den Ecken mit ziemlich reich gebildeten Bündelpfeilern, dazwischen mit
zweitheiligen Maasswerkfenstern, wiederum nach Art der Liebfrauenkirche,
an beiden aber, an Pfeilern und Fenstern, die einzelnen Säulchen noch sehr
selbständig und mit fast voller Rundung hervortretend. Die Gewölbgurten
sind von guter birnförmiger Profilirung, unter den Fenstern ist aber eine
sehr derbe und noch an romanische Behandlung ei'innernde Arcatur an-
gebracht. Aehnliche Pfeiler, Fenster und Profilirungen finden sich auch
in der ehemaligen Dominikanerkirche zu Coblenz, jetzt Militairmagazin,
welche im Jahre 1245 einen Ablassbrief zur Förderung des Baues erhielt,
Elisabethkirche zu Marburi
373
und, wenn auch in sehr roher Weise; au der etwa gleichzeitigen Carmeliter-
kirche zu Kreuznach'). Wir sehen also in allen diesen Bauten, die freilich
sämmtlich nicht vor 1240 entstanden sein werden, den Einfluss 'der Lieb-
frauenkirche, wenn auch zum Theil noch in romanisirender Behandlung.
Fig. 102.
Elisabethkirclie zu Marburg.
Früher als diese rheinischen Bauten, und noch während der Bauzeit
der Liebfrauenkirche war aber ausserhalb des Rheinlandes und ziemlich ent-
fernt von Trier, in Hessen, ein sehr viel bedeutenderes und ihr einiger-
maassen verwandtes Werk begonnen. Es ist dies die mit Recht berühmte
St. Elisabethkirche zu Marburg^), welche zwar erst 1283 vollendet,
1) Notizen über alle diese Kirchen bei Kugler kl. Sehr. II, 239 S.
1) Bekanntlich in MoUer's Denkmalen Bd. II vortrefflich edirt. Vgl. auch Kug-ler
kl. Sehr. II, 161, und E. Förster, Denkmale, II.
374
Früheste g-othische Bauten in Deutschland.
Fig. 103.
aber schon 1235; unmittelbar nach der Heiligssprechuug der verehrten-
Fürstin, mit dem Chore angefangen wurde und, geringe Verschiedenheite»
abgerechnet, so sehr wie aus einem Gusse gebildet ist, dass ihr ein fest-
gestellter Plan oder die Wirksamkeit einer durch einen hervorragenden.
Meister gestifteten Schule zum Grunde liegen muss. Ihre Anlage ist nicht
wie die jener Frauenkirche eine ungewöhnliche; sie sollte nicht das Neben-
gebäude eines mächtigen Domes, sondern eine selbständige, einer ein-
heimischen, hochverehrten Heiligen gewidmete Kirche sein. Sie hat daher
die herkömmlichen Theile, ein dreischiffiges Langhaus, Kreuzarme und Chor,
alles aber mit manchen Neuerungen. Die
Schiffe des Langhauses sind gleicher Höhe,
die Kreuzarme schliessen dem Chore gleich
mit polygonförmigen , durch fünf Seiten
des Zehnecks gebildeten Nischen. Es
ist also eine Hallenkirche, die erste
des gothischen Styles, verbunden mit
einer Choranlage kleeblattartiger Form;
in einer Weise, wie sie im gothischen
Style, selbst an der Kathedrale von Noyon
noch nicht vorgekommen war. Die Ver-
hältnisse sind durchaus regelmässig; die
Seitenschiffe von halber Breite des Mittel-
schiffes, die Höhe des letzteren unter dem
Gewölbe der gesammten Breite gleich.
Die Pfeiler sind wie in Trier cylindrischen
Kernes mit vier angelegten Halbsäulen,
aber ohne Schaftring; die Kapitale wie
dort schmale Kapitälgesimse mit freiem,
sich ablösendem Blattwerk. Zwei Reihen
massig grosser, zweitheiliger, mit einem
einfachen Kreise über den inneren Bögen
verzierter Fenster ziehen sich um das ganze Gebäude herum. Die Kreuz-
gurten der Gewölbe sind schon nach gothischer Weise birnförmig profilirt,.
die Basis schliesst sich bei einigen Pfeilern der Rundung der Kernes und
der Halbsäule an , während sie bei anderen , wie in der Liebfrauenkirche,
bereits rautenförmige Gestalt hat. Das Ganze trägt einen durchaus harmo-
nischen, aber auch primitiven Charakter.
Die Verwandtschaft mit jener Trierer Kirche ist unverkennbar. Nicht
bloss die Pfeiler, das Maasswerk der Fenster und der Chorschluss mit fünf
Seiten des Zehnecks weisen dorthin, sondern auch die Anordnung zweier
Reihen gleicher, übereinander gestellter Fenster. In der Liebfrauenkirche
I I I — I I I 1 ,i\
Elisabetlitirclie zu Marburg.
St. Elisabetli in Marburi,'. 375
besteht diese Anordnimg nur in den höheren Theilen und zwar mit dem
Zwecke, die unteren Fenster dieser höheren Theile als eine Fortsetzung der
Fensterreihe in den niedrigen Theilen erscheinen zu lassen. Hier fehlte
dieser Grund und es wäre bei der Anlage gleich hoher Schiffe viel natür-
licher gewesen, nur ein schlankes Fenster in jeder Abtheilung anzubringen.
Man darf daher vermuthen, dass bei der Neuheit solcher Anlage das Vorbild
der Trierer Kirche und die Reminiscenz an die Doppelreihen der Fenster
bei niedrigeren Seitenschiffen den Meister bestimmt haben. An der Lieb-
frauenkirche sind sämmtliche Portale, hier wenigstens die beiden kleineren
Thüren der Seitenschiffe, welche unter den Fenstern liegen und mithin
möglichst geringe Höhe erhalten mussten, rundbogig. Sie sind im Wesent-
lichen romanisch und zeigen, dass man diesen älteren Styl bei Annahme
des gothischen noch sehr wohl zu handhaben wusste und keineswegs un-
bedingt verwarft). Sehr auffallend ist die Nischengestalt der Kreuzarme.
Die viereckige Anlage dieser Theile ist so natürlich, dass man sich noth-
wendig fragen muss, was den Meister bewogen haben mag, davon abzugehen.
Bei den früher beschriebenen romanischen Kirchen in und um Köln und an
der Kathedrale von Tournay hing diese Anordnung mit dem Centralisations-
gedanken zusammen, welcher Chor und Kreuz zu einer um die Kuppel ge-
lagerten Gruppe verbinden wollte. Davon ist hier aber keine Spur; ein
schwaches Thürmchen, ein sogenannter Dachreiter, bezeichnet den Kreuzungs-
punkt, und das ganze Gebäude erstreckt sich hinter den Thürmen der West-
seite in länglicher Gestalt und ununterbrochener Höhe. Der Grund, welcher
den Meister bestimmte, muss daher ein anderer gewesen sein; vielleicht darf
man annehmen, dass er den Abschluss des Ganzen durch polygone Nischen,
wie ihn die französische Architektur in ihrem Kapellenkranze hatte, kannte,
und etwas Aehnliches, aber ohne so weitschichtige Anlage, zu erlangen
suchte. Jedenfalls gab diese Anordnung, wie in der Trierer Kirche, wenn
auch in anderer Weise, eine Verschmelzung der französischen Nischenbildung
mit dem deutschen Chorschlusse ohne Umgang. Ungeachtet aller Ueber-
einstimmung mit der Liebfrauenkirche kann man indessen nicht annehmen,
dass beide von demselben Meister herstammen. Die Details sind andere,
das Ganze athmet hier einen strengeren Charakter; der Meister ist sich des
Princips der gothischen Kunst in vollem Maasse bewusst, er weicht aber in
der Anwendung desselben noch mehr von der französischen Weise ab, als
der Trierer. Grossentheils entstanden diese Abweichungen durch die An-
ordnung gleich hoher Schiffe, welche hier vermutblich nach dem Vorgange
der westphälischen Schule angenommen wurde; der kantonirte Rundpfeiler
erhielt dadurch sofort eine andere Bedeutung, er wurde die einzige, unmittel-
1) Wie dies schon Kugler a. a. 0. S. 1G3 ricluig bemerkt hat.
376 Früheste gotliische Bauten in Deutschland.
bare Stütze der Gewölbe, hing mit keiner Oberwaud, mit keinem aufsein
Kapital zu stellenden Gewölbdienste zusammen. Das Kapital wurde zu
einem gleichmässig um die ganze Pfeilermasse herumlaufenden Gesimse, die
Triforien, die Oberlichter fielen fort, die gesammte Anordnung des Inneren
wurde einfacher. Die Anlage des Kapellenkranzes wäre, da es kein niedriges,
um den höheren Chorraum herumzuführendes Seitenschiff gab, ein müssiger
und unorganischer Zusatz gewesen. Der ganze ritterliche Prunk frei auf-
steigender Fialen, kühner Strebebögen, breiter, reicheres Maasswerk er-
fordernder Fenster war ausgeschlossen. Dagegen trat das Verticalprincip
in jenen einfacheren Pfeilern und hohen Seitenwänden, in den Strebepfeilern,
welche ununterbrochen vom Boden bis zum hohen Dache aufsteigen, deut-
licher zu Tage. Es war dadurch die Richtung auf eine schlichtere Behand-
lung aller Thcile gegeben, welche weniger durch Mannigfaltigkeit und Kühn-
heit, als durch übersichtliche Anordnung, klare und strenge Gesetzlichkeit,
richtige und harmonische Verhältnisse und Anmuth der Details zu wirken
suchte. Schon die Annahme der Hallenform zeugt von der Neigung für
eine solche Auffassung. Dass diese aber nicht bloss durch jene bedingt war,
ergiebt sich aus der davon unabhängigen Fagade. Denen der französischen
Kirchen ist sie sehr unähnlich; der Schmuck der Statuen, der Arcadenreihen,
der Rose fehlt; das Portal steigt nicht mit einem Spitzgiebel frei empor,
sondern ist nur mit schlanken Säulchen, mit Archivolten, die noch nach dem
Gesetze des romanischen Styles abwechselnd nackt und mit Blätterreihen
verziert sind, mit einem Rankengewinde im Bogenfelde sehr einfach, aber
anmuthig geschmückt. Darüber bildet ein breiteres Fenster mit reichem
Maasswerk die einzige Ausstattung der Wand unter dem Giebel des Mittel-
schiffes, während die beiden Thürme, durch kräftige Strebepfeiler begrenzt
und bloss durch schlanke Spitzfenster verziert, in schwacher Verjüngung
aufsteigen und amFusse des achteckigen Helmes durch vier einfache Fialen
abschliessen. Die ganze Fagade ist also höchst anspruchslos und einfach,
macht aber durch ihre klaren und regelmässigen Verhältnisse einen be-
deutenden, würdigen und ernsten Eindruck und zeigt das Verticalprincip in
einer Klarheit und Reinheit, wie kaum irgend ein anderes Gebäude.
Bei diesen Eigenschaften kann es nicht überraschen, dass die Bauhütte
dieser Kirche einen bedeutenden Einfluss auf andere Bauten ausübte. Eine
Reihe von Kirchen mit gleich hohen Schiffen und entschiedener Familien-
ähnlichkeit beweist, wie lange man noch in Hessen diesem Vorbilde folgte.
Die meisten derselben , wie die Marienkirche in Marburg selbst, die
Kirchen zu Frankenberg, Grünberg, Alsfeld, Friedberg sind erst
nach der Vollendung der Elisabethkirche , zum Theil selbst im vierzehnten
Jahrhundert und sogar in der Spätzeit desselben gegründet. Dagegen hat
dieKirchezu Wetter noch Dienste mit Schaftringen und sonst noch unsichere
Die hessische Schule. 377
und alterthümliche Details , ebenso die Cistercienserkirclic zu Hayna, die
gleichzeitig mit der Elisabethkirche, vielleicht selbst früher als diese, be-
gonnen ist^) und in ihren Osttheilen bei grosser Aehnlichkeit mit derselben
zum Theil primitivere Formen enthält. Dass die Thürme fehlen und der
Chor und dem entsprechend die Kreuzarme nicht Avie in der Elisabethkirche
polygonförmig , sondern rechtwinkelig geschlossen sind, erklärt sich schon
aus der Sitte des Ordens und gestattet daher keinen Schluss auf das Zeit-
verhältniss beider Bauten.
Der Einfluss dieser Schule erstreckte sich sehr bald über die Grenzen
von Hessen hinaus. Die Stiftskirche zu Wetzlar, deren Thurmanlage und
Westportal aus früher romanischer Zeit stammen, lässt im Chore erkennen,
dass der im Uebergangsstyle begonnene Bau während der Arbeit in gothischer
Weise fortgeführt und mit Maasswerkfenstern und tiefer unterhöhlter
Protilirung versehen, während das Langhaus sofort im Style der Elisabeth-
kirche und mit gleich hohen Schiffen angelegt wurde-). Die Kirche zu
Geissnidda in derWetterau, welche zwar niedrige Seitenschiffe, aber theil-
weise wenigstens Pfeiler von ähnlicher Bildung hat wie die Marburger Kirche,
zeugt von dem Einflüsse, den diese hier auf einen im Uebrigen noch im
Uebergangsstyle ausgeführten Bau ausübte^).
Auch in Westphalen weist das früheste Beispiel gothischen Styles auf
die hessische Schule hin. Es ist dies die reizende St. Nicolai-Kapelle
zu Ober-Marsberg^), im südlichsten Theile Westphalens, auf hohem Berge
gelegen, von dem man die Spitzen der hessischen Gebirge in ziemlicher
') Die Geschichte des Klosters ist ziemlich dunkel. Nach dem bei Jongelinus
(Notitia abb. Ord. Cist. Lib. III, p. 60) abgedruckten Visitatioiisrecesse vom Jahr 1244
war das Kloster vor seiner Verlegung nacli Hayna an fünf anderen Stellen gewesen.
Die Stiftung war indessen schon 1144 erfolgt und zufolge einer Urkunde von 1215
{bei Jongelinus und bei Gudenus Cod. dipl. uro. Iß4, p. 432) seheint die Verlegung
nach Hayna damals schon beschlossen. Nach Kuchenbecker, Annal. Hass. Coli. IV,
p. 309, soll diese Verlegung im Jahre 1221 ausgeführt und der Bau der Kirche so-
gleich mit aller Macht angefangen und vullendet sein. — Publicationen der Kirchen
von Griinberg und Friedberg in Moller's Denkmalen, I. Ausführliche Beschreibung
der Kirche von Alsfeld in Lotz, Statistik der deutschen Kunst, der übrigen erwähnten
Bauwerke in dem vortrefflichen Werke von H. v. Dehn-Rotfelser und Lotz, die Bau-
denkmäler im Regierungsbezirk Cassel, 1870. Abbildungen in Ungewitter, Lehrbuch
goth. Constr., an verschiedenen Stellen.
2) Vgl. Kugler kl. Sehr. II, 165 und Geschichte der Bavüuinst III, S. 238.
•'') Gladbach, Forts, von Moller's Denkm. Taf. 16 — 17.
*} Lübke a. a. 0. S. 233, Taf. 17 mid 15.
378 Früheste golliische Bauten in Deutsclilaud.
Nähe sieht. Der Chor, geradlinig geschlossen, hat Eckpfeiler mit recht-
winkeligen Auskantungen , Ringsäulen mit dem Eckblatt der Basis, im
Aeusseren Lisenen mit spitzbogigen Wandarcaden, in denen Reliefköpfe an-
gebracht sind; er trägt noch ganz das Gepräge des Uebergangsstyles. Das
Langhaus dagegen , drei fast gleich hohe Schiffe von je zwei Gewölbfeldern,
hat völlig gothische Form und, wie die Elisabethkirche, Rundpfeiler mit vier
vom Boden aufsteigenden Halbsäulen, zwischen denen aber noch, um den
kleineren Raum reicher zu schmücken, vier kleinere auf Consolen ruhende
Dienste angebracht sind. Einzelne romanische Reminiscenzen sind mit
gothischen Formen von höchster Vollendung gemischt. Die Gewölbrippen
sind noch rund profilirt, die Basis ist noch der attischen Basis ähnlich, aber
die Kapitale und Consolen haben schon die Nachahmung natürlicher Blätter
und Früchte im reinsten Style, und die Fenster zeigen ein zwar noch ein-
faches , aber wohlgebildetes Maasswerk. Auch stehen Chor und Schiff un-
geachtet der Verschiedenheit des Styles in vollster Harmonie, in beiden
dieselbe stylvolle Haltung, dieselbe Freiheit und Wärme der Ausführung.
Der Uebergang von einem Style zum andern ist nicht gewaltsam, wenn auch
rasch; man glaubt es wahrzunehmen, wie derselbe Meister durch seine
Studien schon für die Aufnahme des neuen Styles vorbereitet, während des
Baues zu näherer Kenntniss desselben gekommen, und sofort zur Anwendung
geschritten ist. In der That übertrifft dies kleine Gebäude vielleicht alle
gleichzeitigen und früheren Bauten Westphalens an Feinheit und Geschmack
der Behandlung, und man mag daher wohl annehmen, dass der Einfluss aus
dem benachbarten Hessenlande, wo gerade jetzt die Elisabethkirche zu
Marburg in ähnlichen reinen Formen entstand , einen begabten jüngeren
Meister zu diesen Leistungen angeregt hat.
Unter dem Einflüsse der Nicolaikapelle und nicht viel später scheint
die Jacobikirche zu Lipp Stadt entstanden zu sein. Sie hat ganz die-
selbe Anlage; ein Langhaus von drei gleich hohen Schiffen mit je zwei Ge-
wölbfeldern, Rundpfeiler mit vier ganzen und vier auf Consolen ruhenden
Halbsäulen, den Chor von der Breite des Mittelschiffes, aber mit zwei poly-
gonen Seitennischen , in welche 'die Seitenschiffe auslaufen ^). Nur darin
weicht sie ab, dass der Chor hier nicht geradlinig, sondern mit drei Seiten
des Achtecks geschlossen und mit gothisch gebildeten Wandsäulen versehen
ist, und dass die Gewölbfelder des Mittelschiffes Quadrate bilden. Die
1) Auch in der Nicolaikapelle von Ober-Marsberg sind solche Nebenchöre, aber
beide im Aeusseren rechtwinkelig und nur der eine im Inneren mit fünf Seiten des
Achtecks geschlossen, während sie in der Jacobikirche beide polygonförmig und durch
schräg gestellte Zwischenwände mit dem Chore verbunden sind. Diese ist also auch
in dieser Beziehung eine verbesserte Copie der Nicolaikapelle.
Westphalen, 379
Kapitale sind einfaclier, aber doch zum Theil mit Eichenlaub und anderem
gothischen Blattwerk geschmückt.
Auf eine Einwirkung der Elisabethkirche deutet auch der nördliche
Kreuzarm des Domes zu Paderborn, indem er als Polygon mit fünf
Seiten des Zwülfecks heraustritt^ ^Yas sich neben dem rechtwinkelig ge-
schlossenen Chore des Domes selbst und in einem Lande, wo mau diese Form
des Chorschlusses liebte, kaum anders als aus der Befolgung des in Marburg
gegebenen Beispiels erklären lässt. Das Maasswerk der zweitheiligen Fenster
ist ganz wie dort, nur nach westphälischer Weise in etwas roher Ausführung
gebildet, und die fast hufeisenartige Schwingung der äusseren Bögen wohl
schwerlich eine bewusste Abweichung von jenem Vorbilde, sondern eher
durch ungenügende Berechnung der Raumvei-hältnisse entstanden. Nur darin
findet sich ein wesentlicher Unterschied, dass hier im Inneren unter den
F.enstern eine Arcatur von Kleeblattbögcn angebracht ist, die in Marburg
nicht vorkommt, und auf eine weitere Kenntniss des französischen Styles,
in dem sie üblich ist, schliessen lässt. Endlich verräth auch der Chor der
Pfarrkirche zu Hamm^) den Einfluss der Elisabethkirche, indem er mit ihr
den fünfseitigen Schluss und die Bildung des Fenstermaasswerks und der
Bündelsäulen in den Ecken gemein hat.
Ausserhalb der hessischen Lande selbst und \\^estphalens findet sich
nur in Sachsen und auch da nur vereinzelt eine Spur des Einflusses dieser
Schule, und zwar an der Klosterkirche zu Nienburg an der Saale-), welche^
da das Kloster erst seit 1239 durch Schenkungen der Anhaltischen Fürsten
zu besserem Vermögen gelangte, um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts
neu erbaut sein mag. Der Chor schliesst wiederum mit fünf Seiten des
Zehnecks, hat aber einfache Lancetfenster und romanische Details, das Lang-
haus dagegen besteht wie in der Elisabethkirche aus drei gleich hohen Schiffen
mit kantonirten Rundpfeilern von ähnlichen Verhältnissen und ähnlichem
Blätterschmucke der Kapitale wie dort.
In den Rheinlanden blieb inzwischen ungeachtet der Trierer Lieb-
frauenkirche und einzelner unter ihrem Einflüsse entstandener gothischer
Bauten der hier beliebte Uebergangsstyl noch lange, bis gegen die Mitte
des dreizehnten Jahrhunderts, in vorherrschender Geltung. Der Kapitelsaal
am Dome zu Mainz, der um 1243 vollendet wurde, hat zwar das gothisch
zugespitzte Gurtprofil, ist aber im Ausdruck und in allen Details romanisch.
1) Lübke S. 299 und Taf. XX, Das Langhaus dürfte bedeutend jünger sein.
2) Putlrich a. a. 0. Abtli. 2, Bd. I. Serie Anhalt, S. 17, Taf. 12 — 14.
330 Früheste gothisclie Bauten in Deutschland.
Der Chor der Kirche zu Remagen, zufolge erhaltener Inschrift i) im Jahre
1246 geweiht, hat zwar spitzbogige Fenster, aber sonst völlig romanische
Formen. Ja sogar noch bedeutend später kommen in einzelnen Fällen,
namentlich an Burgen, entschieden romanische Formen vor, wie dies die
€rst im Jahre 1284 gegründete, mit grossem Aufwände und in ausgedehnten
Verhältnissen gebaute Burg Reichenberg bei St. Goarshausen beweist-).
Der grosse Rittersaal, der sich in drei Stockwerken wiederholt, ist im
untersten halbkreisförmig, sonst polygon geschlossen und mit spitzbogigen
Kreuzgewölben bedeckt, aber die Reihe von drei monolithen Säulen, welche
ihn theilt, zeigt in allen Geschossen Würfelkapitäle. Die Kapelle, welche
auf der entgegengesetzten Seite, über dem Durchgang zum Burggarten
gelegen ist und in ihren beiden Geschossen Tonnengewölbe hat, enthält, neben
den Würfelkapitälen der Säulen, oben auch ein schlichtes Knospenkapitäl.
Man könnte vielleicht annnehmen, dass diese Säulen von einem älteren
Gebäude herrührten, aber auch die Rundbögen der Portale, die Fenster und
Friese sind wesentlich romanisch. Noch auffallender ist, wie sich bei
decorativen Architekturwerken noch lange eine seltsame Mischung romanischer
und gothischer Formen erhielt. Dies zeigt der Baldachin über dem Grabe
des Stifters im Westchore der Abteikirche zu Laach, welcher von dem
Abte Theodorich (1282 — 1295) errichtet wurde, und au welchem sechs Säulen
vermittelst kleeblattförmiger und herzförmiger Steinrippen eine Zwerggallerie
tragen, auf der dann wieder vermittelst herzförmigen Maasswerkes die offenen
Steinrippen der Decke ruhen. Die Ausarbeitung des Steines zu freien, dem
Maasswerk ähnlichen Gliedern, die Kenntniss des Rippengewölbes sind dem
Erbauer dieses kühnen Zierwerkes geläufig gewesen, aber viele Details und
der Ausdruck des Ganzen sind noch völlig romanisch"^).
1) Abgedruckt in Müller's Beiträgen Heft I, S. 41.
-) Sie wurde durcli den Grafen Wilhelm I. von Katzenellenbogen gegründet (Wenk,
Hessische Geschichte I, p. 354)-, das Gründungsjahr ist auch auf dem Grabe des
Stifters in Erbach angegeben. Herr Burkart, der Verfasser der von Zeichnungen be-
gleiteten Notiz in der (Berliner) Zeitschrift für Bauwesen 1853, S. 483, Taf. 71 und
73 hält die gedachten drei Säle für eine Doppelkapelle nebst Unterkirche. Ebenso
Kugler, kl. Schriften, II, S. 220, Cohausen, die Bergfriede, 1860, und Lotz, Statistik,
Bd. I. Aber es ist ein anderer Raum vorhanden, der nach Lage und Gestaltung weit
eher Kapelle zu sein scheint, und es scheint ausserdem midenkbar, dass man bei einer
wesentlich auf Vertheidigung berechneten Burg einen so überflüssig grossen Raum für
den Gottesdienst bestimmt haben sollte, da jedenfalls einer dieser Säle schon für eine
sehr grosse Besatzung genügt haben würde.
^) Publicirt bei E. aus'm Weerth , Kunstdenkmale des christlichen Mittelalters in
den Rheinlanden, Taf. LH. Die Zeit der Errichtung steht allerdings nicht ganz fest,
da die Inschrift, auf welcher unsere Kunde beruhet, nur den Namen des Abtes Theo-
dorich nannte, und ein früherer Abt desselben Namens von 1235 — 1247 regiert
Klosterkirche Marienslatt.
381
Fig. 104.
Innenansicht des Chores der Kirche zu Marienstatt.
382 Gotliischer Styl in Deutschland.
Bis zum Jahre 1248 weiss ich in diesen Gegenden nur einen Bau zu
nennen, der entschieden gothischen Styles und zugleich von der Trierer
Schule unabhängig ist, die Kirche des Cistercienserordens Marien statt
(Locus Mariae) bei Hachenburg im Nassauischen. Schon im Jahre 1215
wurde auf den "Wunsch eines frommen burggräflichen Ehepaares die übliche
Zahl von zwölf Mönchen unter Leitung des Abtes Hermann hierher geschickt,
aber erst später, wie gewöhnlich durch eine Vision des Abtes, die zur Gründung
des jetzigen Klosters geeignete Stelle gefunden, worauf dann im Jahre 1227 der
Grundstein der Kirche gelegt wurde i). Aber 1243 hatte nochmals die
Grundsteinlegung eines grösseren Klosters statt und die Weihe erfolgte erst
im Jahre 1324. Indessen lassen die Formen der Kirche kaum einen Zweifel,
■dass das Gebäude bedeutend älter, und die Einweihung, wie es so häufig ge-
schah, wegen der damit verbundenen Kosten aufgeschoben und erst spät bei
gelegentlicher Anwesenheit des Bischofs vorgenommen ist.
Die Kirche besteht aus einem Langhause von sieben schmalen Gewölb-
feldern mit niedrigen Seitenschiffen, einem Kreuzschiffe, der mit fünf Seiten
des Zvvölfecks geschlossenen, also fast halbkreisförmigen Chornische mit
Umgang und sieben radianten kreisförmigen Kapellen, an welche sich noch
auf der Ostseite jedes Kreuzarmes zwei andere, viereckige Kapellen an-
schliessen. Abgesehen von dieser letzten, dem schon früher erwähnten
Gebrauche der Cistercienser entsprechenden Anordnung, ist also die Anlage
ganz die der frühesten französisch-gothischen Kirchen. Damit stimmen auch
die Details überein , nur dass sie , wie es die Strenge des Ordens und viel-
leicht die Dürftigkeit des Klosters mit sich brachte, einfacher und zum Theil
roh behandelt sind. Am Aeusseren steigen von den durch einen blossen
Wasserschlag geschlossenen Strebepfeilern schmucklose Strebebögen auf;
im Inneren ruhen die hohen Mauern auf niedrigen Rundsäulen, mit mehr
oder weniger ausgebildeter attischer Basis ohne Eckblatt, mit kelchförmigen
Kapitalen, die im Langhause schmucklos, im Chore von flachen, fast nur ge-
zeichneten Blättern umgeben sind. Auf ihrem achteckig und an der Chor-
rundung zwölfeckig weit ausladenden Abacus stehen mit besonderer Basis
kräftige Gewölbdienste, im Langhause einfach, im Chore drei- oder vierfach
gruppirt, und hier durch kurze Ringe getheilt, welche mit einem einfachen,
von Kleeblattbögen gedeckten Triforium zusammenhängen. Die Scheidbögen
hatte. Die kühne Behandlung- des Steines lässt aber eher auf die spätere Zeit
schliessen. Anderer Ansicht ist Boisseree, Niederrhein, S. 11.
1) Jongelinus, Notitia, Lib. XII, p, 24. Brower et Masenius, Anliqu. Trevir.
(1670) II, p. 125. Caes. Heisterb. Dialogi VII , 7 und 29. — Organ für christliche
Kunst, 1860, S. 217, 229. Endlich und besonders Görz , die Abteikirche zu Marien-
Statt bei Hachenburg, Piibl. des Nassauischen Alterthumsvereins, Wiesbaden 1866.
Baden. 383
sind roh, die Gewölbgurten etwas feiner jirofilirt, an den Diagonalen als
Rundstäbe mit einem Leistchen , die Fenster (je eines unter jedem Gewölb-
felde) lancetförmig ohne Maasswerk. Wir sehen also durchweg den älteren
französisch - gothischen Styl, und zwar in so primitiver Gestalt, wie er in
Deutschland sonst nirgends vorkommt. Es ist auffallend, dass diese Formen
hier zu einer Zeit, wo sie in Frankreich schon durch neuere Erfindungen
verdrängt waren, und bei einem Tochterkloster von Heisterbach vorkommen,
dessen so eben neu erbaute Kirche sich dem rheinischen Style anschliesst.
Vt'^enn man indessen erwägt, dass die Cistercienser in steter Verbindung mit
Frankreich standen, dass^auch der Abt Heinrich von Heisterbach, unter
dessen langer Regierung (1208 — 1244) die Kirche von Marienstatt erbaut
wurde, in Paris studirt hatte, so ist es sehr begreiflich, dass er und vielleicht
auch diejenigen seiner Brüder, welchen die unmittelbare Leitung des Baues
anvertraut war, sich nach französischen Bauten richteten, die während ihrer
Jugend entstanden und ihnen bekannt geworden waren. Ebenso begreiflich
ist es aber, dass dieser einsam gelegene und überdies schmucklose und fast
rohe Bau kein grosses Aufsehen erregte und nicht dazu beitrug, den reichen
Uebergangsstyl der niederrheinischen Lande zu verdrängen.
Auch in Baden kommt nur ein vereinzeltes Beisj^iel früher Gothik vor,
wiederum eine Klosterkirche, nämlich die des 1196 gestifteten Prämon-
stratenserklosters Allerheiligen im Schwarzwalde ^), deren Ruinen wenig-
stens noch die Grundzüge der alten Anlage erkennen lassen. Aus der Zeit
der Gründung rührt wohl nur die im Tonnengewölbe geschlossene Vorhalle
her, neben deren Rundbogenportal aber auch schon kleine Spitzbogenfenster
auftreten. Die Kirche selbst gehört dagegen mit ihren ausgesprochen gothi-
schen aber noch sehr primitiven Formen dem zweiten Viertel des
13. Jahrhunderts an und zeigt die in diesen Gegenden seltene Form einer
Hallenkirche, indem die Seitenschiffe annähernd die Höhe des Mittelschiffes
haben. Auf ein Langhaus mit drei quadraten Jochen im INIittelschift' und
ebenso viel rechteckigen in den Seitenschiffen folgt ein Querhaus und ein
gerade geschlossener Chor, die Pfeiler sind achteckig, mit Halbsäulenvorlagen
nach den Schiffen, die Vierungspfeiler stehen dem romanischen Style noch
näher, indem sie aus dem Quadrat gebildet sind, durch Halbsäulen an der Mitte
jeder Seite sowie durch Ecksäulen gegliedert werden und Eckblätter an der
Basis zeigen. Eine kleine aus fünf Seiten des Achtecks gebildete Kapelle,
welche aus der Ostwand des südlichen Querarms heraustritt, ist am meisten
1) Kein Cistercienserkloster, wie in Lotz, Statistik der deutschen Kunst, angegeben
ist. — Erwähnt von Mertens und Lohde, Zeitschrift für Bauwesen, 1862, Sp. 348, und
zuerst eingehend gewürdigt von Lübke, Architekturgeschichte, 4. Auflage, Leipzig 1870,
S. 544.
384 Gotliischer Styl in Deutschland.
in den Formen entwickelt, sie hat ein ausgebildetes Piippengewölbe , das
durch kräftige Strebepfeiler gestützt wird, und schmale, in spitzem Kleeblatt-
bogen geschlossene Fenster, welche mit einem darüber stehenden Dreipass
durch einen Blendbogen zusammengefasst sind. Ein Treppenthürmchen lehnt
sich an die nördliche Querhauswand, die gleichfalls ein hohes, schmales,
kleeblattförmig geschlossenes Fenster enthält. Ein schlichter viereckiger
Thurm erhob sich ehemals über der Vierung.
Im Elsa ss^), wo wir schon in der vorigen Epoche einen stärkeren
Einfluss aus den benachbarten romanisch redenden Gegenden wahrnahmen,
fand auch der frühgothische Styl eher und häufiger Anwendung. In der
bereits oben geschilderten Kirche St. Peter und Paul zu Neu weil er-)
nehmen die Formen der bereits im Bau begriffenen Anlage in den beiden
westlichen Jochen des Langhauses gothisches Gepräge an. Die Spitzbögen
der Arcaden steigen höher empor, die sechstheilige Wölbung und der
Wechsel von Haupt- und Nebeupfeilern bleibt, aber diese sind als Gruppen
von vier Halbsäulen, jene als kantonirte Ptundpfeiler gebildet. Die spitz-
bogigen Oberlichter sind schlicht und ohne Maasswerk. Aehnlich ist das
Langhaus der Kirche zu Ruf fach, welches in der ersten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts dem romanischen Querschiff angebaut wurde. Auch hier quadratische
Gewölbfelder, an denen kräftige, wohlgegliederte Hauptpfeiler mit hochauf-
steigenden Diensten abwechseln mit einer sehr schlank gebildeten Säule.
Alle Bögen sind spitz und mit feinen Rundstäben eingefasst, die Oberlichter
noch ohne Maasswerk, aber unter jedem Schildbogen zu einer engen Gruppe
mit höherem Mittelfenster zusammengestellt. Strebepfeiler und einfache
Strebebögen stützen den Bau, dessen westliche Theile nun schon die Formen
des reifen und eleganten gothischen Styls tragen. Auf einer weiteren Ent-
wickelungsstufe finden wir diesen Styl in dem Münster St. Georg zu Schlett-
stadt. Auch hier zwar noch (wenigstens in den östlichen Jochen des Lang-
hauses) ein sechstheiliges Gewölbe und 'demgemäss der Wechsel von stärkeren
und schw^ächeren Pfeilern, aber jene bestehen schon aus acht durch Hohl-
kehlen verbundenen, diese aus vier Diensten, von denen alle dem Mittel-
schiff angehörigen schlank und hoch zum Gewölbe ansteigen. Die Ober-
lichter sind schon mit zweitheiligem Maasswerk versehen, und der Raum
zwischen ihnen und den Arcaden ist, wenn auch nicht durch ein Triforium,
so doch durch unter das Dach der Seitenschiffe führende Oeffnungen belebt.
Sehr merkwürdig ist auch die Grundrissbildung: dem Langhause geht ein
^) Lübke in der Allgemeinen Bauzeitung-, Wien, 1866. Seite 346 — 360.
Taf. 40 — 44.
-) Vgl. oben S. 274. — Publ. in den Archives de la comm. des monuments
historiques.
Die Münster zu Slrassburg und zu Frei bürg-. 385
westliches Querbaus vorher und an die Ecken der Querarme und des gerade
geschlossenen Chors lehnt sich jederseits eine polygone Kapelle.
Jedenfalls hatten in den oberen Gegenden des Rheinlandes alle Versuche
in der Richtung des gotbischen Styls noch etwas Schwankendes, als derselbe
am Dome zu Strassburg und ungefähr gleichzeitig an dem benachbarten
Münster zu Fr ei bürg im Breisgau ^j plötzlich in sehr reiner und aus-
gebildeter Gestalt auftrat. Die genauen Daten, welche wir in Beziehung
auf beide Kirchen besitzen, fallen zwar schon in die zw'eite Hälfte des Jahr-
hunderts , die Vollendung des Freiburger Münsters , mit Ausnahme des
Thurmes und des sehr viel späteren Chores, um 1270 -), die des Schiffes des
Strassburger Domes in das Jahr 1275^;. Indessen ist es bei dem Umfange
der Arbeit, obgleich in beiden nur das Langhaus gothischen, das Kreuzschiff
älteren Styles ist, ausser Zweifel, dass auch diese neueren Theile schon um
die Mitte des Jahrhunderts begonnen sein müssen.
Der Meister, welcher etwa um 1240 die Ueberwölbung des Querschifies
im Strassburger Münster vollendete, hatte, wie wir oben gesehen haben, bereits
einige Kenntuiss des gothischen Styles gehabt. Aber er war in den Tra-
ditionen des romanischen Stj'les aufgewachsen und legte diese seinen Ent-
würfen zum Grunde, obgleich er ihnen gothische Einzelheiten einmischte.
Sein uns dem Namen nach unbekannter Nachfolger^), dem etwa ein
^) Das Münster zu Freiburg bekanntlich bei Möller a. a. 0, Bd. 2, und mit Text
von Schreiber in den Denkmälern des Oberrheins,. Karlsruhe 1829, das zu Strassburg
in dem letztgenannten Werke mit Text von Schreiber, und in Chapuy's Cath. franc.
Vol. I, mit Text von Schweighaeuser. — Ganz ausreichende Publicationen des Strass-
burger Münsters fehlen noch immer.
■-) Schreiber S. 5. Die Annahme dieses Schriftstellers, dass der westliche Theil des
Langhauses schon bis zum Jahre 1218 vollendet gewesen sein müsse, knüpft sich an
das an einer Stelle desselben eingemauerte Gi'abmal des in diesem Jahre verstorbenen
Herzogs Berthold V. von Zähringen. Allein der Grabstein stammt , wie schon die
Tracht des Verstorbenen beweist, aus dem vierzehnten oder frühestena dem Ende des
dreizehnten Jahrhunderts.
^) Nach der Chronik des Künigshofen, der zwar erst im vierzehnten Jahrhundert
schrieb, aber ein glaubhafter Berichterstatter ist, und noch zuverlässige Kunde haben
konnte. Schreiber a. a. 0. S. 24. Wichtiger ist die hiermit übereinstimmende Nach-
richt in einem Lectionarium aus dem 13. Jahrhundert, in der Bibliothek zu Wolfen-
büttel. Pertz S. S. XVII, 90. Vgl. besonders Adler's kritischen und gründlichen
Aufsatz ,,Das ]\Iünster zu Strassburg" in der deutschen Bauzeitung 1870. Hauptquelle
für die Geschichte des Baues waren die Collectaneen des Architekten Daniel Specklin
(1536 — 1589), welche mit der Strassburger Bibliothek verbrannt sind. Vgl. Hegel,
Städtechronikeu, Chroniken von Strassburg, Bd. II, 1013, Leipzig 1871, und J. See-
berg, die Juncker von Prag und der Strassburger Münsterbau, Leipzig 1871.
*) Erwin von Steinbach, 7 1318, war beim Beginn des Langhauses entweder noch
gar nicht am Leben oder doch nur ein kleiner Knabe.
Sclinaase's Kunstgesch. 2. Aufl. V. 25
3gg Gothischer Styl in Deutschland.
Decennium später die Aufgabe zufiel, jenen älteren Theilen das Langhaus
anzufügen, war bereits ein genauer Kenner und entschiedener Anhänger des
gothischen Styles, der die damals neuesten Leistungen der französischen
Schule an Ort und Stelle studirt, aber sich doch noch das Gefühl für die
Vorzüge der älteren, einheimischen Bauweise bewahrt hatte. Statt daher,
wie es später so häufig geschah, mit der ausschliesslichen Anwendung und
selbst Uebertreibung der Principien des neuen Styles zu prunken und ihren
Gegensatz gegen die älteren Bautheile recht stark zu betonen, suchte er sich
ihnen soviel wie möglich zu nähern und aus der Mannigfaltigkeit gothischer
Formen solche zu wählen, welche sich dem älteren Styl anschlössen. Wir
besitzen das Langhaus nicht mehr in dem unveränderten Zustande, in welchem,
dieser Meister es schuf. Eine verderbliche Feuersbrunst hatte im Jahre
1298, also drei und zwanzig Jahre nach der Vollendung, die oberen Theile
zerstört; Erwin von Steinbach, der damals seit 1277 Meister des Werkes
war, musste den bereits rüstig vorgeschritteaien Fagadenbau unterbrechen,
um hier eine Herstellung zu bewirken. Schon die Formen lassen erkennen
und eine glaubhafte Nachricht erzählt, dass die Oberlichter in ihrer jetzigen
Gestalt mit dem darunter befindlichen Umgange von ihm herrühren, und sichere
Zeichen am Bau selbst ergeben, dass er diese Gelegenheit benutzt, um dem
Mittelschiff eine grössere Höhe zu geben, als sein Vorgänger es gewagt
hatte ^). Erwin ging dabei bis an die äusserste Grenze; er Hess das Gewölbe
so hoch hinaufsteigen, dass der Vierungsbogen fast 20 Fuss unterhalb
desselben blieb und die westliche Hälfte der Vierungskuppel von dem Dache
bedeckt wurde. Er erreichte so die an sich ziemlich beträchtliche Höhe
von 96 Fuss, die aber bei der sehr bedeutenden Breite des Mittelschiffes
von mehr als 50 Fuss noch weit hinter den Ansprüchen an schlankes Auf-
steigen zurückblieb, an die man sich jetzt in Frankreich gewöhnt hatte, wo
die Gewölbhöhe oft, z. B. in Eheims und Amiens, mehr als das Dreifache
der Breite betrug. Verhielt es sich so bei der Steigerung, die Erwin ein-
treten Hess, so konnte sein Vorgänger, der sich enger an die Maasse der
älteren Theile anschloss, noch weniger daran denken, in dieser Beziehung
mit den französischen Kathedralen zu wetteifern. Offenbar war er sich
dessen bewusst gewesen und hatte sich bestrebt, durch engeres Anschliessen
an die Verhältnisse des Kreuzschiffes einen andern, dem deutschen Geschmack
1) Es ist Adler's Verdienst, dies nachgewiesen zu haben. Vgl. a. a. 0. S. 368,
die (von Specklin, t 1589, gegebene) Nachricht nnd S. 403, den architektonischen Beweis,
dass das Gewölbe jetzt hoher liegt, als es Erwin selbst bei dem vorhergegangenen
Thiirmbau vor sich gehabt hatte. Eine Mitwirkung Erwins bei der Ausbildung der
Oberlichter hatte ich schon, ohne diesen Beweis zu kennen, in der ersten Auflage meines
Buches vermuthet.
Das Müiistfr zu Strassburg.
387
mehr zusagenden Rhythmus; eine grössere Weiträumigkeit zu erlangen. Da
er seinem Mittelschiffe die Breite der Vierung geben musste, glaubte er
auch die Breite der Seitenschiffe nicht nach dem in Frankreich üblichen
Verhältnisse bestimmen, sondern sie ebenfalls aus dem älteren Kreuzschiffe
entlehnen zu müssen. Er gab ihr daher dasselbe Maass, welches die Ge-
Fig. 105.
HI=l=IMNS=l=+=i=i=4h
Das Münster zu Strassburg.
Wölbfelder der Kreuzarme durch die in ihrer Mitte aufgerichtete Säule
erhalten hatten. Es war das mehr, als gewöhnlich, aber es brachte das
Langhaus in Harmonie mit dem Kreuzschiffe und gewährte eine bei der
Beschränkung der östlichen Theile erwünschte Erweiterung des Raumes.
Dem Pfeilerabstande dagegen wagte er nicht dieselbe Breite zu geben, sie
25*
388 Gothischer Styl in Deutschland.
Würde die Zahl der Joche allzusehr verkleinert und ein Missverhältniss
gegen die zu erlangende Höhe hervorgebracht haben. Er bildete ihn der
Mittelschiff breite gleich, obgleich auch so die Wandfelder bei Weitem nicht
das schlanke Verhältniss erlangten wie in den französischen Domen. Bei
diesen ist ihre Höhe oft das Fünffache des Pfeilerabstandes, während sie
hier, selbst nach der Erhöhung durch Erwin, nur das Yiertehalb fache desselben
erreicht. Sehr wichtig war daher die Bildung der Pfeiler. In Frankreich
war der kantonirte Rundpfeiler jetzt vorzugsweise beliebt; er trug dazu bei,
den Charakter des Schlanken und Luftigen, den man erstrebte, zu betonen.
Eben deshalb aber wäre er hier nicht günstig gewesen, hätte Ansprüche
erweckt, denen die Verhältnisse nicht entsprachen. Statt dessen wählte er
den aus dem übereckgestellten Quadrate construirten Bündelpfeiler mit
sechzehn stärkeren und schwächeren Diensten, von denen fünf zum oberen
Gewölbe aufsteigen, in ganz ähnlicher Bildung wie er bei dem unter
Ludwig IX. (1231) begonnenen Herstellungsbau der Abteikirche von Saint-
Denis angewendet war^). Er erlangte dadurch mehrfache Vortheile, zuerst
den der Uebereinstimmung mit den Pfeilern der Vierung, dann den einer
breiteren, der Weiträumigkeit der Anlage mehr zusagenden und zugleich die
Lebensfülle des gothischen Styles vollkommener aussprechenden Form, an
welcher zugleich durch den Gegensatz der kleineren Dienste gegen die hohen,
durch kein Kapital unterbrochenen Gewölbträger des Mittelschiffes der kühne
Aufschwung des Gewölbes einen kräftigen Ausdruck fand. In der Bildung
dieser Pfeiler, in der edeln Profilirung der Scheidbögen, in dem schönen
Laubwerk der Kapitale und der kräftigen Arcatur unter den Seitenschiff-
fenstern zeigt er sich als einen höchst ausgebildeten Meister, von feinem
Gefühl für Schönheit und Harmonie. Wie er die Fenster gebildet hatte
wissen wir nicht; denn auch die der Seitenschiffe sind wie die Oberlichter
viertheilig und so sehr mit diesen übereinstimmend, dass man vermuthen
1) Herr Adler a. a. 0. S. 404 macht geltend, dass Mertens in seiner Abhandlung
Paris baugeschichtlich im Mittelalter (1847) und in seiner Schrift: Die Baukunst in
Deutschland (1850), also früher als ich in der ersten Auflage dieses Buches (185G) die
Uebereinstimmung der Pfeiler von Strassburg mit denen von Saint -Denis hervor-
gehoben, und scheint mir einen Vorwurf daraus zu machen, dass ich jenen dabei nicht
citirt habe. Ich habe zu wenig Sinn für den Ruhm, eine solche Wahrnehmung zuerst
gemacht zu haben, um die Verpflichtung anzuerkennen, bei jeder Erwähnung derselben
die Priorität festzustellen. Ich citire in der Regel nur da, wo ich eine Thatsache auf
fremde Autorität hin anführe oder dem Leser die Möglichkeit verschaffen will, sich
darüber näher zu informireii, und bedurfte hier, wo ich die einfache Thatsache der
Uebereinstimmung auf Grund wiederholter eigner Anschauung selbst verbürgen kann,
keines Chats, Auf die Priorität der Wahrnehmung habe ich keinen Anspruch gemacht
und bin auch weit entfernt, Herrn Mertens diesen Vorzug zu bestreiten, obgleich ich
natürlich nicht wissen kann, ob Andere ihm darin vorangegangen sind.
Die Münster von Strassburg und Freiburg. 389
muss, dass beide aus derselben Zeit stammen mid dass also auch die unteren
Fenster bei dem Herstellungsbau von 1298 durch Erwin vergrössert und
verändert sind. Unter den Oberlichtern, welche schon an sich möglichst
weit gestaltet sind und den ganzen Raum zwischen den Pfeilern füllen, ist
überdies ein hohes , durch entsprechende Anordnung des Maasswerks mit
den Fenstern verbundenes, und durch nach aussen führende Fenster be-
leuchtetes Triforium angebracht. Es ist bemerkenswerth , dass auch diese
Anordnung sich in Saint -Denis vorfindet, also in derselben Kirche, aus
welcher der Erbauer des Langhauses die Form seiner*Pfeiler entlehnt hatte.
Allein dennoch entspricht sie den Verhältnissen des Baues nicht genug, um
sie schon von jenem angewendet zu glauben. Sie wird vielmehr erst von
Erwin herrühren, der durch die Fülle und den Glanz der Beleuchtung das
Innere luftiger zu machen und so den Contrast seiner massigen Höhe gegen
die kolossalen und kühnen Verhältnisse der Fagade zu vereinigen strebte.
Das Langhaus des Freiburger Münsters zeigt mit dem des be-
nachbarten Strassburger Domes eine Uebereinstimmung, die kaum auf einem
Zufall beruhen kann. Auch hier hatte der Meister mit den Dimensionen
der älteren östlichen Theile zu kämpfen und setzte sich mit denselben ganz
so auseinander, wie es in Strassburg geschehen war; er gab nämlich den
Seitenschiffen mehr als die Hälfte der beibehaltenen Mittelschiffbreite und
lehnte das neue Gewölbe so an die ältere Kuppel an, dass es diese verdeckt.
Das Kreuzschiff des Freiburger Münsters hatte aber in allen Beziehungen
kleinere Dimensionen als das des Strassburger, und veranlasste daher den
Meister hier zu noch umfangreicherem Gebrauche jener Mittel. Die Aussen-
mauern des Langhauses hat er so weit hinausgerückt, dass sie mit den Front-
wänden des Kreuzschiffes in einer Flucht liegen und den Seiteuschiffen die
ganz ungewöhnliche Breite von fünf Sechsteln der Mittelschiffbreite geben.
Auch das Gewölbe ist so weit als möglich, bis zum äussersten Fiande der
senkrechten Kuppelmauer, hinaufgeführt, so dass die Kuppel nicht bloss auf
ihrer Westseite verdeckt ist, sondern ganz unter dem Dache liegt. Auch
so ist noch nicht die absolute Höhe des Strassburger Münsters (96 Fuss),
sondern nur die von 84 Fuss erreicht, aber dennoch sind die Verhältnisse
günstiger, weil die hier wie dort beibehaltene Mittelschiff breite nur 37 Fuss
beträgt, und der Pfeilerabstand, ebenfalls wie in Strassburg, nicht nach
Maassgabe der Seitenschiffe, sondern auf wenig mehr als die Hälfte der
Mittelschiffbreite bestimmt ist. Die Höhe ist daher bedeutend mehr als
das Doppelte der Breite und als das Vierfache der einzelnen Wandabtheiluugen,
und das Innere erscheint, ungeachtet der geringen absoluten Höhe, schon
viel schlanker. Noch unzweifelhafter zeigt sich die Uebereinstimmung beider
Bauten in den Details. Die Pfeiler sind hier wie dort mit sechzehn eng
aneinandergereiheten Halbsäulen rautenförmig umstellt, von denen die fünf
390 Gothischer Styl in Deutschland.
vorderen kräftig und ununterbrochen zum oberen Gewölbe aufsteigen, aber
die Dienste stehen in Freiburg nicht zwischen eckigen Vorsprüngen, sondern
sind bereits durch Hohlkehlen verbunden. Dagegen ist hier das Blattwerk
der Kapitale weniger leicht behandelt und die Basis der attischen ähnlich,
auch an den vorderen Diensten noch mit dem Eckblatt versehen. Von den
Fenstern sind die beiden östlichen Paare der Oberlichter die ältesten; sie
sind zweitheilig und noch ohne Pfostensäulen, vielmehr nur durch abgeschrägte
Wandungen gegliedert ; ihnen folgen die dreitheiligen mit tief herabgehendem
Maaswerk im nördlichen Schiff, während die viertheiligen Fenster des süd-
lichen Seitenschiffes offenbar schon unter Einfluss des Strassburger Münsters
entstanden sind und wenigstens an den Ecken und an dem mittelsten Pfosten
mit Säulchen geschmückt sind. Die dreitheiligen westlicheren Oberlichter
gehören dagegen schon dem 14. Jahrhundert an. Das Triforium ist fortge-
blieben und die Wand zwischen den Scheidbögen und Oberlichtern ist, wie
es in Deutschland herkömmlich war, unbelebt und leer. In der Ausstattung
der Seitenschiff- Wände übertrifft dagegen der Freiburger Meister selbst sein
überrheinisches Vorbild. Er hat nämlich die Arcatur am Fusse dieser Wände
nicht bloss beibehalten, sondern dieselbe auch noch mit einer hohen Ba-
lustrade von wechselndem und anmuthigem Maasswerk bekrönt, welche unter
den Fenstern einen Gang bildet und mit denselben die Wand vollständig
und ungewöhnlich reich belebt.
Der Freiburger Meister, dessen Namen man nicht kennt, wurde offenbar
von dem Strassburger Langhause in dessen ursprünglicher Anlage beeinflusst,
ging aber in der Formbehandlung, in der Wahl der Höhenverhältnisse, in
der Pfeilerbilduug über dieses Vorbild hinaus, und machte überdies während
der Weiterführung des Baues unverkennbare Fortschritte. Die Ostpartien
zeigen in den Details viel stärkere romanische Reminiscenzen, als die weiter
nach Westen gelegenen Theile , und in den Fenstern zwar Maasswerk , aber
von sehr roher Ausführung. Von dem Herstellungsbau Erwins können
höchstens die Fenster des südlichen Seitenschiffs und von seinem Fayadenbau
die kleinen Rosen in quadratischer Umrahmung an den Westenden beider
Seitenschiffe entlehnt sein, falls hier nicht etwa das umgekehrte Verhält-
niss obwaltet, und Erwin von Freiburg her Anregungen empfangen hat.
Wenn das Langhaus des Freiburger Münsters ungeachtet seiner Ab-
hängigkeit von dem Strassburger einen günstigeren Eindruck macht, so
entsteht dies zunächst durch die, vielleicht nicht freiwillig, sondern mit
Rücksicht auf die älteren Theile angenommenen besseren und schlankeren
Verhältnisse, dann aber auch durch die Behandlung der Details. Das Innere
des Strassburger Domes ist fast zu gefüllt; bei der nach Verhältniss der
Breite nur massigen Höhe, bei der reichen Gestalt der Pfeiler ist es fast zu
viel, dass das hohe Triforium nahe über den Scheidbögen beginnt und mit
Die Münster von Strassburg und Fieiburg-. 391
■den hohen und breiten Fenstern zu einer Masse verschmilzt. Eine so reiche
Ausstattung der Wand erfordert auch die schlanken Verhältnisse der franzö-
sischen Kathedralen. Das Innere des Freiburger Münsters ge\Yinnt dagegen
gerade durch seine Einfachheit; es ist wahr, dass die grosse Wandfläche
zwischen den Scheidbögen und den Oberlichtern leer erscheint, dass die
Oberlichter selbst nicht so reich und glänzend sind, wie dort, aber gerade
4iese Anordnung macht die adele Bildung der Bündelpfeiler und den Auf-
schwung der schlanken Gewölbdienste um so fühlbarer, und giebt den Aus-
druck gehaltener, kirchlicher Würde, der auf den Beschauer mächtig wirkt,
und diesem Münster eine bedeutende Stelle unter den schönsten Schöpfungen
des gothischen Styls in seiner Blüthezeit anweist. Allerdings kommt dem
Freiburger Langhause aber auch das zu Statten, dass es nicht, wie in Strass-
burg, mit einer engen Concha älteren Styles, sondern mit einem, wenn auch
erst im fünfzehnten Jahrhundert und nicht mehr in den reinsten Formen
erbauten, aber freien und luftigen Cliore verbunden ist, der eine angemessene
Perspective gewährt.
Von dem Thurme des Freiburger Münsters, also von dem Theile,
welcher den Ruhm dieses Baues in weiteren Kreisen am meisten begründet,
W'ird erst später die Rede sein, da seine Ausführung wesentlich dem vier-
zehnten Jahrhundert angehört. Dagegen muss der berühmteste Theil des
Strassburger Baues, die Fagade, obwohl auch sie theilweise in die nächste
Epoche hineinreicht, schon jetzt berücksichtigt werden.
Schon 1277, wie eine jetzt nicht mehr vorhandene Inschrift am Portale
sagte, hatte Erwin von Steinbach diesen glorreichen Frontbau begonnen, er
widmete sich der Arbeit zuerst als Werkmeister (magister operis), dann aber
wurde ihm auch die ganze geschäftliche Oberleitung übertragen, da ihn seine
Grabschrift gubernator fabrice nennt. Nicht nur die Erfindung, sondern
auch die Ausführung der Fagade, soweit sie unter Erwins eigener Leitung
-geschehen, gehört, wenn er auch erst 1318 starb, wohl noch dem letzten
Viertel des dreizehnten Jahrhunderts an, da seit dem Brande von 1298 ihn
wohl mehr die Herstellungsarbeiten am Langhause beschäftigten. Innen
bildet dieser Vorbau eine Fortsetzung des Langhauses, dessen Höhe er
freilich weit überragt, denn der Scheitel des Mittelschift's reicht nur bis zu
dem Mittelpunkt des Radfensters. Das Aeussere erinnert durch die Anord-
nung der HaupttheiJe, die Stellung und Einrahmung der Portale, die Sonderung
der Stockwerke durch Gallerien, und die bedeutsame Fensterrose an die
Fagaden der französischen Kathedralen, etwa an die von Rheims und Amiens.
Die Ausführung aber hat einen anderen Charakter. Während dort die
horizontalen Abtheilungen noch sehr stark betont sind, die Strebepfeiler sich
in derben Aufsätzen zurückziehen und zu kräftigen Fialen aufschiessen, die
Portale mit ihren gewaltigen Spitzgiebeln mächtig vortreten, während also
392 Gothischer Styl in Deutschland.
alle Theile so derb gehalten sind, dass sie sich selbständig geltend machen
und dem Ganzen eine etwas schwere Haltung geben, hat der deutsche Meister
den Gedanken der Einheit, des leichten Emporspriessens von unten an
consequent verfolgt. Die Horizontallinien sind zwar unverhüllt, aber von
massiger Ausladung, und die ganze Fagade ist mit Verticalstäben bedeckt,
welche schon neben den Portalen anfangend sich durch leichtes Maasswerk
den Gesimsen anschliessen, dann als Gitterwerk von schlanker und über-
raschender Kühnheit vor den Mauern und Fensteröffnungen sich fortsetzen,
und so das Auge beständig beschäftigen und allmälig und sanft nach oben
hinleiten. Auch dieser glänzende decorative Gedanke war durch französische
Vorbilder angeregt worden, sichtlich ist namentlich der Zusammenhang
mit der Kirche St. Urbain in Troyes, besonders mit ihrem frei vor die
Oberlichter gestellten durchbrochenen Rahmenwerk i). Wie jener Johannes
Anglicus , der uns als Baumeister von St. Urbain genannt wird , behandelt
auch Erwin den Stein fast wie Metallguss, er geht an die äusserste Grenze
dessen was das Stylgefühl erlaubt, aber er übertrifft sein Muster durch den
Geist, mit welchem er dies Motiv anwendet und durch die Wirkung, die er
mit demselben erreicht. Die Kritik mag diese Ausstattung eine ver-
schwenderische nennen, an ihr die übermässige Betonung des Verticalen,
das Vorwalten des Decorativen über das Constructive rügen, aber man muss
die Reinheit der Formen, die Consequenz in der Durchführung, den Geist
und die technischen Kenntnisse des Meisters anerkennen, und wird sich dem
bedeutenden Eindruck des Werkes nicht entziehen können. Die unverhält-
nissmässige Höhe, in welcher jetzt der Frontbau neben der Kirche erscheint,
kommt nicht ganz auf Erwins Rechnung. Nach seiner Absicht sollte der
breite Unterbau der Thürme nur aus zwei mächtigen Stockwerken bestehen
und darüber das Aufsteigen der beiden getrennten Thürme zu den Seiten
eines Giebels beginnen. Erst längere Zeit nach seinem Tode, etwa um
1350, als an die Stelle freier künstlerischer Empfindung mehr und mehr ein
handwerklicher Geist getreten war, der sich in Uebertreibungen und Künst-
lichkeiten gefiel, beschlossen seine entfernten Nachfolger eine bedeutende
Höhensteigerung, welche sie dann dadurch bewirkten, dass sie zwischen die
beiden freistehenden rechtwinkeligen Thurmgeschosse, auf denen sich wahr-
scheinlich auf jeder Seite noch ein kurzes Geschoss als Träger des Helmes
erheben sollte-), einen gleichen Mauerkörper einschoben, durch den jene
Anfänge der Thürme verbunden und zu einem dritten Stockwerke der Fagade
umgestaltet wurden, welches ziemlich schwer auf dem leichten Stabwerk
und der so unvergleichlich zart ausgeführten Fensterrose lastet. Noch
1) S. oben S. 108. Dieser Zusammenhang ist zuerst nachgewiesen von Adler a.a.O.
2) S. Adler a. a. 0. Nro. 52, einen Versuch, Erwin's Frontentwurf herzustellen.
St. Peter und Paul zu Weissenburs
39a
Fig. 106.
weniger ist der zwar mit bewimderswerther Technik und Eleganz ausgeführte
aber an sich bizarre und geschmacklose Thurm mit seinen zierlich durch-
brochenen Schneckenstiegen und der stufenförmig gebildeten Spitze von Erwin
ausgehend ; er gehört erst der Spätzeit des vierzehnten Jahrhunderts an, und
wurde 1439 vollendet. Aber auch die edleren, von ihm herstammenden
Theile der Fa^ade beweisen, dass er es war, der die spätere, einseitige und
abstracte Auffassung des gothischen Princips aus Frankreich nach Deutsch-
land einführte, wo sie vermöge der
Eigenthümlichkeit des deutschen Geistes
weit gefährlicher war^).
Der Einfluss, welchen Erwins
Werk weithin ausübte, ist erst in der
folgenden Epoche bemerkbar. Die
Bauten im Elsass aus der zweiten Hälfte
des dreizehnten Jahrhunderts zeigen
zwar den gothischen Styl in reiferer
Anwendung, aber selten mit Zügen,
die auf Strassburg hinweisen. In der
Stiftskirche zu Maure smtinster, wo
sich dem imposanten romanischen West-
bau-) ein Langhaus frühgothischen
Styls anschliesst, haben die Bündel-
pfeiler noch romanische Anklänge,
während in der Ornamentik, nament-
lich im Laubwerk der Kapitale, der
neue Styl mit seltener Jugendfrische
undLebensfülle hervortritt. Im üebrigen
herrscht im Elsass die Form des kan-
tonirten Rundpfeilers vor, wie in dem Langhause der St. Martinskirche
zu Colmar^), deren Formen aber grösstentheils noch ziemlich derb und
Abteikirche zu Weissenbnrg.
^) Nachrichten und Muthmassungen über die Lebensverliähnissc und Studien Erwin's
s. bei Adler a. a. U. S. 368, 418 und sonst. Nach Erwin waren noch zwei Archi-
tekten gleichen Namens Werkmeister des Münsters; der Sohn eines dieser Erwine ist
ein Meister Johannes, der 1539 starb. Als Sohn Erwins wird endlich noch ein Archi-
tekt genannt, der 1330 als Baumeister der Kirche zu Haslach starb und dessen Name
auf seinem Grabsteine offen gelassen ist, vielleicht aber (Adler a. a. 0. S. 370) Winning
lautete. Schneegans in der Revue d'Alsace, 1852, S. 78 ff.
2) Vgl. Bd. IV, S. 402.
•'') Nach Golbery a, a. 0. wurden seit 1263 Ablassbriefe zu Gunsten des Baues-
erlassen. Mertens in seinen Tabellen setzt die Haupttheile um 1280. Am Portale des
südlichen Kreuzschiffes ist eine halbverlöschte Inschrift , die keine Jahreszahl , wohl
aber den Namen eines Magister Humbertus augiebt. Vgl. Revue d'Alsace, 1852, S. 270.
^Q^ Gothischer Styl in Deutschland.
unentwickelt sind; und in der Abteikirche St. Peter und Paul zuWeissen-
burg^), welche nächst dem Strassburger Münster das schönste gothische
Denkmal dieser Provinz ist. Die Grundrissbildung ist eigenthümlich mit
den unsymmetrisch angelegten Nebenchören an der Ostseite des Querhauses,
mit der westlich eingebauten Empore und der Verdoppelung des südlichen
Seitenschiffes, die aber nur in den vier östlichen Jochen in das Innere ge-
zogen ist, mit den drei westlichen aber eine offene Vorhalle bildet, als Ersatz
für die Portalentwickelung, welche an der eng gelegenen und verbauten
Westseite nicht möglich war. Die Behandlung des Laubwerks an den Kapi-
talen, und die derConsolen, von welchen die Dienste der stärkeren Vierungs-
pfeiler aufwachsen, ist von hoher Meisterschaft, die breiten viertheiligen
Oberlichter mögen erst unter Einfluss von Erwins Herstellungsbau in Strass-
burg entstanden sein; sie dienen nur zur Belebung der Oberwand, indem
wegen der ungewöhnlichen Höhe der Seitenschiffdächer nur der oberste
Theil des Maasswerks mit Verglasung versehen ist, die Pfosten aber nur als
Blenden bis zum Arcadengesims herabgeführt sind. Der kräftige achteckige
Thurm, der über der Vierungskuppel aufsteigt, lässt uns ahnen, welche
Wirkung einst der Vierungsthurm in Strassburg machte. Bei sonst gothischen
Formen kommen noch Lisenen und Rundbogeufriese an ihm vor; leider
wächst anstatt des Helmes ein plumpes Zopfdach aus seinen acht Giebeln
heraus, von denen vier durch Fenstergruppen belebt sind, während vor der
Mitte der vier anderen schrägstehende schlanke Treppenthürmchen ange-
bracht sind.
Ungefähr gleichzeitig mit dem Anfange der Arbeiten von Strassburg
und Freiburg wurde an einer anderen Stelle der Rheinlande ein sehr viel
bedeutenderes Werk, die höchste Leistung des gothischen Styles in Deutsch-
land, begonnen, der Dom zu Köln.
Die Geschichte des berühmten Monumentes ist nicht unbestritten, und
die Wichtigkeit des Gegenstandes erfordert ein näheres Eingehen auf die
verschiedenen Darstellungen. Die ältere, welche, im Westlichen schon von
den früheren Localschriftstellern herstammend, von dem hochverdienten und
begeisterten Herausgeber des Domwerkes Sulpiz Boisseree") weiter aus-
geführt und vertheidigt wurde, nahm folgenden Hergang an.
^) Für alle diese Denkmäler vgl. Lübke a. a. 0. Bl. 43.
2) Sein Prachtwerk über den Kölner Dom , auch als mächtiges Anregungsmittel
der Liebe für mittelalterliche Kunst höchst wichtig, erschien nach dreizehnjährigen
Vorarbeiten seit 1821, der Text (Geschichte und Beschreibung des Kölner Domes)
1823, und im Wesentlichen wiederholt in dem kleineren Werke gleichen Titels 1842. Eine
Der Dom zu Köln. 395
Schon im Anfange des dreizehntenten Jahrhunderts habe man die da-
malige, aus dem neunten Jahrhundert stammende^ in den einfachen Formen
dieser frühen Zeit und nur mit hölzernen Thürmen errichtete Kirche unzu-
reichend gefunden; die einflussreiche Stellung der Erzhischöfe, der steigende
Luxus der reichen Handelsstadt, das Beispiel anderer Kathedralen, endlich
derZudrang von Pilgern, welche zu den seit 1166 hierher gelangten Reliquien
der heiligen drei Könige wallfahrteteu , habe den Wunsch nach einem neuen
und prachtvollen Gebäude erweckt. Erzbischof Engelbert I. (1216 — 1225)
habe daher einen solchen Bau beabsichtigt, die Domherren dazu zu be-
stimmen gesucht und selbst einen jährlichen Beitrag von 500 Mark ver-
heissen^). Sein früher Tod habe die Ausführung verhindert, indessen
hätten seine Nachfolger den Gedanken im Auge behalten. Erzbischof Conrad
von Hochstaden, ein kluger und mächtiger Kirchenfürst, dessen politischer
Einfluss Deutschland beherrschte, habe daher den Plan zu einem Gebäude
entwerfen lassen, welches alle anderen Kathedralen an Grösse und Bedeutung
übertreffen sollte, dessen Ausführung aber vielleicht verschoben sein würde,
wenn nicht im Jahre 1248 eine zufällige Feuersbrunst die alte Domkirche
bis auf die Mauern zerstört und den Neubau zur dringenden Nothwendigkeit
gemacht hätte. Sehr bald nach diesem Brande, schon am 21. Mai, habe
Papst Innocenz IV. von Lyon aus, ayo er damals weilte, eine Ablas?sbulle
erlassen, welche des neuerlichen Brandes und der Absicht einer prachtvollen
Herstellung gedenkt; und sofort, am 14. August desselben Jahres, Erzbischof
Conrad in Gegenwart König Wilhelm's von Holland und vieler weltlichen
und geistlichen Fürsten den Grundstein gelegt. Allein der Fortschritt der
Arbeit habe diesem beschleunigten Anfange nicht entsprochen. Der alte
Dom der dichtbevölkerten Stadt sei von Kapellen und Wohnhäusern eng
umgeben gewesen , welche anderen kirchlichen Instituten und Privaten ge-
hörten und an welchen mancherlei Rechte hafteten, und deren für den
beabsichtigten Neubau erforderliche Fortschaffung daher langwieriger Unter-
handlungen bedurfte, ehe die schon an sich weitläufige Fundamentirung der
beabsichtigten kolossalen Mauern beginnen konnte. Ueberdies seien heftige
Feindseligkeiten zwischen der Stadt und dem Erzbischofe dem friedlichen
Unternehmen störend entgegengetreten, und die Einnahmequellen nicht immer
so reichlich geflossen , wie es der immense Bau erforderte. So sei es ge-
mustergiiltige Publication giebt das ueue Werk von Franz Schmitz: Der Dom zu Köln,
seine Construction und Ausstattung, der als Text eine historische Einleitung von
Dr. Leonard Ennen dient. Köln und Keuss (1871).
1) Diese Thatsache ist allerdings richtig, und wird durch das Zeugniss des wohl-
unterrichteten Lebensbeschreibers Engelbert's Caesar von Heisterbach (Vita S. Engelberti
Lib, I, c. 9, bei Böhmer, Fontes rer. Germ. II, 304) ausser Zweifel gesetzt.
396 Gothischer Slyl in Deutschland.
kommen, dass man erst im Jahre 1322 bis zur Vollendung und Einweihung^
des Chores gelangt sei, erst dann und wiederum langsam die westlichen
Theile und die Thürme in Angriff genommen, und endlich, nachdem der fromme
Eifer des Mittelalters erkaltet war, das Ganze so unvollendet gelassen habe,
wie es auf unsere Tage gekommen ist.
Man nahm hiernach für gewiss an, dass die völlige Zerstörung des
alten Domes auch einen totalen Neubau erfordert und die Grundsteinlegung
sich auf einen solchen bezogen habe, der Plan zu demselben aber, da seine
Verabredung und Anfertigung in der kurzen, seit dem Brande verflossenen
Zeit nicht füglich geschehen können, schon vorher ausgearbeitet gewesen
sein müsse.
Die weiteren Fortschritte der archäologischen "Wissenschaft und be-
sonders die gründlichen archivalischen Forschungen, welche neuerlich über
diesen Gegenstand angestellt wurden i), erweckten jedoch erhebliche Bedenken
gegen diese ganze Annahme. Selbst der Brand von 1248 und die Grund-
steinlegung erschienen zweifelhaft. Die weiteren Nachforschungen scheinen
nun zwar diese wichtigen Punkte jener älteren Erzählung zu bestätigen, aber
sie geben doch dem ganzen Hergang eine veränderte Gestalt und zugleich
höchst lehrreiche und genaue Anschauungen von dem Betriebe des Dombaues
selbst und von der Art, wie man solche Unternehmungen damals behandelte.
Eine kritische Beleuchtung der einzelnen Momente des Hergangs wird dies
näher zeigen.
Ein Brand hat im Jahre 1248 wirklich stattgefunden. Die Bulle vom
21. Mai 1248 spricht von einem neuerlich stattgefundenen Brande^). Eine
Urkunde König Heinrich's HI. von England vom Jahre 1257, in welcher er
gestattet, dort für den abgebrannten Dom zu sammeln, nennt zwar das Jahr
des Brandunglücks nicht s)^ wird indessen in dieser Beziehung durch den
1) Lacomblet, zuerst (1846) im Vorbericht zum zweiten Bande seines Urkunden-
buches für die Geschichte des Niederrheins, S. XVI — XXVII, dann, nachdem Boisseree
"in den Jahrbüchern der rheinischen Alterthumsfreunde Heft XII, S. 130, und im Dom-
blatt 1846, S. 21 seine frühere Ansicht vertheidigt liatte, im Archiv für die Geschichte
des Niederrheins Bd. II, Heft I, (1854) S. 103, Bd. III (1860) S. 175. — Vgl. auch in
demselben Archiv VI, 1867, S. 9 eine Uebersicht und weitere Ausführung der durcli
Lacomblel's Forscliungen gewonnenen Resultate von Dr. W, Harless.
-) Lacomblet, Urkundenbuch II, Nro. 332. Innocenz IV. sagt darin: Sane famosa
et honorabilis Colonlensis ecciesla de novo, slcut acceplmus, casu mlserabill, per
iacendlum est consumta. Cum autem f rater noster venerabilis Archiepiscopus et
dilecti filli capltulum Col. ecclesiam ipsam, in qua tria beatorum magorum corpora
requiescunt, reparare cupiunt opere sumtuoso etc.
•'') Bei Rymer, Foedera et acta publ. regni Angl. Ed. nov. 1816, I, P. 1, pag. 88':
Cum ecciesla Col., in qua corj)ora trium regum requiescunt, per Incendium sit
consumpta.
Geschichte des Kölner Domes. 397
■Geschichtsschreiber Mathaeus Parisiensis ergänzt i), da derselbe ohne Zweifel
ebenso wie der König keine andere Quelle über den Brand hatte, als den
Erzbischof Conrad, der sich in diesem Jahre 1257 in England befand, um
dem Bruder des Königs, Richard, die deutsche Krone anzutragen, oder seine
Begleiter. Unmöglich kann der Erzbischof, der jene beiden Urkunden
veranlasste und das Material dazu lieferte, die Thatsache des Brandes völlig
erdichtet haben. Ueberdies ist aber neuerlich in Köln selbst und zwar in
den sogenannten Annales Sti. Gereonis eine offenbar gleichzeitige Notiz
über einen Brand und zwar des Dom-Chores entdeckt, welche das Datum
desselben auf den Quirinstag, das ist den 30. April feststellt -). Allein dieser
Brand, den schon diese Xotiz auf den Chor beschränkt, war keinesweges ein
so zerstörender, dass er einen gänzlichen Neubau der Kirche nöthig machte;
er muss vielmehr höchst unbedeutend gewesen sein. Die gleichzeitigen
deutschen und belgischen Schriftsteller, selbst Gottfried Hagen, der Verfasser
der Kölner Reimchronik, erwähnen seiner nicht; auch in einer ehemals über
der Domkirche befindlichen Inschrift, welche die Grundsteinlegung und Weihe
des Chores ziemlich ausführlich referirt, deutet kein Wort auf eine Feuers-
brunst. Urkundliche Nachrichten ergeben, dass selbst die hölzernen Thürme
des alten Domes nicht vom Feuer gelitten hatten, und es scheint sogar, dass
im Jahre 1252 der Hochaltar noch bestand, da man in demselben Münz-
proben niederlegte^). Wohl aber sehen wir, dass die Bauherren diesen
1) Matth. Paris, (Hist. maj. p. 653. Londin. 1684:) bemerkt zum Jahre 1148, dass
damals durch den Zorn Gottes mehrere Feuersbrünste entstanden seien und in Deutsch-
land ausser anderen, cathedralis eccl. beati Petri in Colouia, quae est omuiuni eccle-
siarum quae sunt in Alemannia quasi mater et matrona, usque ad muros incendio
consumta est. Schon die prunkende Bezeichnung' der hierarchischen Bedeutung des
Domes weist darauf liin, dass der Chronist seine Nachrichten von den Begleitern des
Erzbischofs erhalten hat, welche Interesse hatten, die Wichtigkeit ihrer Kirche zu
übertreiben.
-) Die Notiz lautet wörthch: Anno Dni MCCXL octavo, die quirini combustus est
summus Colonie. Vgl, Lersch in den angef. Jahrb. XIV, S. 13. Lacomblet, Archiv
a. a. 0. S. 117, macht es mindestens höchst wahrscheinlich, dass unter dem Ausdi'ucke
summus Colonie der hohe Chor der Domkirclie, im Gegensatz gegen die chori
parvi, wie man gewisse Kapellen des Domes nannte, verstanden sei. Da summum
(sc. teraplum) Colonie sonst häufig zur Bezeichnung des Domes vorkommt, ist es erklärlich,
dass jenes Masculinum auch in Aufzeichnungen-, welche sich niciit ausschliesslich auf
den Dom bezogen, der Kürze halber gebraucht wurde. — Um die Zweifel zu häufen,
ist auch noch der Quirinstag unsicher. Die übrige*" katholische Kirche feiert ihn am
30. März, Köln aber am 30. April, und man wird daher dies Datum annehmen müssen,
obgleich dadurch der Zeitraum zur Extrahirung der Bulle vom 21. Mai ein sehr
kurzer wird.
^) Lacomblet, Archiv S. 110 und 109. Die Niederlegung geschah zufolge der
Ui'kunde „in sacrario S. Petri majoris ecclesie in Colonia", was Boisseree durch
398 Gothischer Styl in Deutschland.
unbedeutenden Brand benutzten, um Theilnahme für den Neubau ihrer Kirche
zu erwecken und Beisteuern zu erhalten.
Der Gedanke eines Neubaues war seit der Zeit P^ngelbert's I. nicht
aufgegeben; es bestand darüber, wie wir durch eine Urkunde vom 25. März
1247 gelegentlich erfahren, ein Beschluss des Domkapitels. Freilich wohl
noch ohne nähere Bestimmung über den Umfang oder die Art des Neubaues,
nur als eine Grundlage für Ansammlung eines Baufonds ^). Jene 400 Mark,
welche Engelbert I. jährlich dazu bewilligt hatte, werden bei seinem frühen
Tode nicht viel ergeben haben und freiwillige Beiträge sparsam geflossen
sein; man erwärmt sich nicht für unbestimmte, noch unreife Pläne. Indessen
gab es eine baulustige Partei unter den Domherren, welche, wie jene Urkunde
von 1247 zeigt, den früheren Beschluss benutzten, um den Thesaurar des
Doms für einige Jahre zu einem Beitrage aus seinen Einkünften zu bestimmen,
was ihnen dann auch trotz seines Sträubens gelang. Im Januar und Februar
1248 finden wir-) drei Schenkungen zusammen von 175 Mark, welche von
Geistlichen des Stiftes dem Baufonds zuflössen. Indessen konnten diese
Mittel noch nicht weit geführt haben, als jener Brand vom 30. April desselben
Jahres den baulustigen Domherren die günstige Gelegenheit zu umfassenderen
Sammlungen bot. Schon am 2 I.Mai, kaum vier Wochen nach dem Unfälle,
haben ihre Boten den zum Glück in Lyon weilenden Papst erreicht und zur
Bewilligung eines Ablasses bestimmt; noch nach neun Jahren, bei seinem
Aufenthalte in England', macht der Erzbischof den Brand geltend, um eine
erneuerte Sammlung wirksam einzuleiten. Bemerkenswerth ist auch, dass
schon in der Bulle vom 21. Mai der Entschluss einer prachtvollen Her-
stellung (reparare cupiuntopere sumtuoso) ausgesprochen wird, der schwer-
lich aufgekommen sein würde, wenn man den Brand nur als einen Unglücks-
fall, nicht als einen für die Ausführung des längst beabsichtigten Neubaues
günstigen Umstand angesehen hätte.
Darauf deutet denn auch die in so kurzer Zeit nach dem Brande am
14. August erfolgte Grundsteinlegung. Denn auch sie kann nicht wohl
bezweifelt werden. Die schon erwähnte Inschrift, welche sich über einer
„Sakristei" übersetzt, Lacomblet aber mit überzeugenden Gründen durch die Worte:
„im Altare des h. Petrus in der Domkirche."
') Die Urkunde v. 25. März 1247 ist abgedruckt bei Pertz, Monum. Germ. XVI,
734, bei Ennen und Eckertz, Quellen zur Gesch. d. St. Köln II, Nro. 255, und bei
Harless a. a. 0. S. 23. Jener frühere Beschluss dös Neubaues ist darin nur mit den
"Worten erwähnt: Cum de communi consilio diffinitum esset, ut major ecclesia de
novo construeretur.
2) Harless a. a, 0. S. 27, 28.
Geschichte des Kölner Domes. 399
Thüre des Domes befand ^), giebt diesen Tag, den Tag der Himmelfahrt
Mariae, ausdrücklich an und muss für glaubhaft erachtet werden, zumal sie
ihrem Inhalte nach im Jahre 1320, wo der Dienst im neuen Chore begann,
noch vor der Einweihung geschrieben zu sein scheint-;. Sie erhält eine
Bestätigung durch" Levolt von Northoff, der als Domherr von Lüttich und
Stellvertreter seines Bischofs der Einweihung des Kölner Domes selbst bei-
wohnte und daher sehr glaubwürdig ist, indem er in seinem Verzeichnisse
der Kölner Erzbischöfe von Conrad von Hochstaden an bemerkt, dass dieser
in" der neuen Kirche an der Stelle begraben sei, wo er selbst den Grundstein
gelegt hatte '^). Man darf annehmen, dass diese Feierlichkeit von dem stolzen
und prachtliebenden Erzbischofe wegen der Anwesenheit vornehmer Gäste ^)
beeilt wurde, und es ist nach anderen weiter unten auszuführenden Umständen
sehr wahrscheinlich , dass die Vorbereitungen zum wirklichen Bau damals
noch sehr im Eückstande waren. Aber irgend welche Vorbereitungen müssen
doch vorhanden , eine Stelle des neuen Chores muss doch schon festgestellt
gewesen sein, damit der Grundstein gelegt werden konnte.
Das Dunkel, welches auf diesem Hergange ruhet, würde völlig beseitigt
sein, wenn man einer neuerlich aufgefundenen Stelle in einer noch aus dem
sechzehnten Jahrhundert stammenden Geschichte der Kölnischen Erzbischöfe
vollen Glauben beimessen dürfte^). Nach dieser Erzählung ist nämlich
1) Anuo milleno bis C. quatuoi- X dabis octo
Dum colit assiimptam Clerus populusque Mariam
Presul Conradus ab Hochstaden generosus
Ampliat hoc teniphim, lapidem locat ipse primum
Anno milleno ter C. vigenaque junge
Tunc iiovus iste chorus coepit resonare sonorus.
-) Vergleiche Lacomblet Archiv a. a. 0. S. 104. Nach Crombach, Historia trium
regum S. 698, war die Inschrift in Stein gehauen und bestand seiner Zeit (1654) noch.
Ihre früheste Erwähnung ist in Koelhofi's Chronica van der hillige Stad von Coellen
vom Jahr 1499.
•■') Sepultus est in ecdesie majoris nova domo, eodem in loco ubi presul ejusdem
operis primum posnit fundamentum. (Böhmer Fontes rer. Germ. II, 292.) Er bestätigt
daher wenigstens eine Grundsteinlegung durch Conrad, wenn er auch nicht das
Jahr 1248 nennt.
■*) Die Beschreibung der Feierlichkeit bei Boisseree ist eine imaginäre; die An-
wesenheit Wilhelm's von Holland und der andern von ihm genannten fürstlichen
Personen bei der Grundsteinlegung ist nicht bloss unerwiesen sondern auch unwahr-
scheinlich. Lacomblet Urkundenbuch II, p. XVIII und Harless a. a. 0. S. 13.
5) Diese Erzählung (von Boisseree im Cölner Domblatt 1846, S. 21 und in den
Jahrbüchern der rheinischen Alterthumsfreunde XII. S, 130 und bei Ennen luid Eckertz
a. a, 0. II, S. 280 abgedruckt) findet sich in der von einem gewissen Conrad Iseren-
hoeft um 1526 verfassten Redaction der Cölner Bischofschronik, jedoch nur in zwei
(in der "Würzburger Bibliothek und im Kölner Stadiarchive befindlichen) und zwar beide
aus dem siebzehnlen Jahrhundert stammenden Abschriften. Harless a. a. 0. S. 12.
^QQ Gothischer Styl in Deutschland.
jener Brand bei den Arbeiten zum Behufe einer prachtvollen Erneuerung des
Domes und zwar dadurch entstanden, dass die Werkleute, welche mit dem
Abbruche der östlichen Mauern beauftragt waren, den Einsturz derselben
dadurch herbeiführen wollten, dass sie den Boden aushöhlten, mit Holz füllten
und dieses anzündeten, Ihre Unvorsichtigkeit und ein ungünstiger "Wind
hätten dann ein Umsichgreifen der Flammen verursacht, durch welches das
alte, aber edle Gebäude bis auf die Mauern abgebrannt sei. Diese über-
treibende Schilderung, welche sich mit der durch so viele Urkunden bezeugten
Fortdauer des Gottesdienstes im alten Dom bis ins 14. Jahrhundert nicht
vereinigen lässt, und die Unwahrscheinlichkeit, dass eine so pikante Thatsachc
von allen früheren Localschriftstcllern übergangen und erst in Handschriften
des 17. Jahrhunderts uns überliefert sein sollte, lässt uns die ganze Erzählung
nur als eine späte, unglaubwürdige Sage betrachten.
"Wie es sich aber auch damit verhalten möge, gewiss ist , dass bald
nach 1248 wenigstens weitere Vorbereitungen zum Neubau des Chores ge-
macht wurden. Die Nachrichten, welche wir in Ermangelung einer fort-
laufenden Erzählung aus einzelnen Urkunden entnehmen, sind zwar spärlich,
lassen aber darüber keinen Zweifel. Im Jahre 1251 weist das Kapitel die
Vorsteher des Baues (magistri operis) an, die Zinsen, welche die Bewohner
gewisser Häuser zur Kirchenkasse gezahlt hätten, da diese Häuser wiegen
des Baues niedergerissen seien (cum propter opus et edificium ecclesie nostre
predicte domuncule per nos sint deposite et destructe), aus dem Baufonds
(de proventibus edificii) zu zahlen i). Man sieht daraus, dass ein besonderer
und wie es scheint nicht unzulänglicher Baufonds entstanden war, dass das
neue Gebäude sich weiter ausdehnte als das alte, und dass das Abreissen
jenerHäuser schon geschehen war. Im Jahre 1256 finden wir eine Schenkung
zum Baufonds (ad opus ecclesiae). Im Jahre 1257 muss schon Bedeutendes
geschehen sein, denn das Kapitel beurkundet dem Gerardus, der als Stein-
metz und Obermeister des Dombaues bezeichnet wird (lapicida, Rector fabrice
nostre), dass ihm gegen einen gewissen Zins ein Platz überlassen sei, auf
welchem er ein grosses steinernes Haus gebaut habe, und zwar erhält er
diese Begünstigung wegen seiner Leistungen im Dienste des Kapitels (propter
meritorum obsequium nobis factum). Da er ohne Zweifel das Haus nicht ohne
vorhergegangene Einwilligung des Kapitels gebaut hatte und da es als schon
errichtet bezeichnet wird, so bezieht sich die Urkunde auf eine wenigstens
zwei Jahre vorhergegangene Thatsache, welche voraussetzt, dass die Verdienste
des Meisters damals schon erkennbar gewesen sein müssen. Offenbar schritt
man indessen langsam vor und liess die Häuser, welche dem ausgedehnten
1) Lacomblet, Urkundeubuch II, Nro. 378.
I
Geschichte des Ki^er Domes. 401
Bau weichen mussten, so lange als möglich stehen: denn erst 12G1 verzichtet
das Kapitel der benachbarten Kirche St. Mariae ad gradus (Mariengraden)
zu Ehren des Domes auf seine Rechte an gewissen Häusern auf der Xord-
seite der Kirche. Diese Häuser standen also noch und die Verzichtleistung
lässt sich nur dadurch erklären, dass sie zum Zwecke des nunmehr auf dieser
Seite fortschreitenden Neubaues abgebrochen werden mussten. Inzwischen
sorgten die Erzbischöfe von Zeit zu Zeit für Vermehrung der Einkünfte des
Baufonds. Wie wir gesehen haben, hatte Erzbischof Conrad im Jahre 1257
seine Verbindung mit dem englischen Königshause benutzt, um im fremden
Lande eine Sammlung für den Dombau zu veranstalten. Sein Nachfolger
Engelbert II. wandte sich in einem Hirtenbriefe vom 26. April 1204 nur
an die Geistlichkeit der Diöcese, aber dafür mit um so kräftigeren Mitteln.
Der ausgedehnteste Ablass wird den Wohlthätern der Kirchenfabrik bewilligt,
an jedem Sonn- und Feiertage während der Messe soll er verkündet und
wegen des augenscheinlichen Bedürfnisses des Baufonds ein Wort der Er-
mahnung gesprochen werden, selbst in den mit Interdict belegten Kirchen
kann und soll dies geschehen. Der Bau wird darin als fabrica gloriosa,
als ein glorreicher, bezeichnet; er muss also doch schon so weit vorgeschritten
gewesen sein, dass sich seine Bedeutung erkennen liess. Fast um dieselbe
Zeit beginnt dann eine Reihe von Urkunden, welche sich auf einen dem
Kapitel gehörigen und nach ausdrücklicher Bemerkung für den Domban
dienenden Steinbruch im Siebengebirge beziehen. Im Jahre 1267 überlässt
der Burggraf von Drachenfels einen Weg von diesen Steinbrüchen zum
Rheine, 1273 arbeiteten drei Brecher und drei Vorschläger in diesem Stein-
bruche. 1285 und 1294 werden diese Verträge erneuert, und 1306 erwirbt
das Kapitel noch einen neuen Steinbruch i). Vom Jahre 1271 haben wir
wenigstens einen mittelbaren Beweis für das Fortschreiten des Baues, indem
das Siegel, welches der Urkunde der Versöhnung zwischen dem Erzbischofe
und der Stadt angehängt und in derselben ausdrücklich als neues Siegel
bezeichnet ist, die edeln Formen reichen gothischen Maasswerks enthält-).
Im Jahre 1279 gewährt uns der am 1. April erlassene Ablassbrief ein be-
stimmteres Zeugniss. Erzbischof Sifried erkennt darin an, dass der neue
Bau durch freigebige Beisteuern in prachtvoller und würdiger Schönheit auf-
gestiegen sei (de elleemosinarum vestrarum largitione — surrexit in decore
magnifico et decenti), aber zu seiner Vollendung noch reicher Beihülfe der
Gläubigen (subventione fidelium copiosa) bedürfe. Er fordert unter Anderem
auf, ungerecht erworbenes Gut, wenn man den, welchem es zurückzuerstatten
^) Vgl. alle diese Urkunden in Lacomblet Urkiindenbnch Bd. II, Nro. 426, 446,
603, 541, 570 und 652.
-) Eine Abbildung desselben in Lacomblel's Urkundenbucli Bd. I.
Schnaase's Kunstgesch. 2. Aufl. V. 26
402 Gothischer**tyl in Deutschland .
sei, nicht kenne, diesem Zwecke zuzuwenden. Im Jahre 1297 war der neue-
Chor so weit gediehen, dass Altäre darin gestiftet werden konnten, und seit
1306 mehren sich die Schenkungen zu Gunsten des Domes und finden sich
auch sonst Beweise eines rascheren Betriebes des Baues. Indessen kam es^
wie wir gesehen haben, erst im Jahre 1320 dahin, dass der Chordienst
beginnen konnte, und erst am 27. September 1322 zur feierlichen, im Bei-
sein vieler Bischöfe vorgenommenen Einweihung i).
Die Langsamkeit des Baues erklärt sich nicht bloss aus der Grossartig-
keit der Aufgabe, sondern auch aus den Feindseligkeiten zwischen den Erz-
bischöfen und der Stadt. Schon unter Conrad von Hochstaden kam es zu
Gewaltthätigkeiten , unter seinem Nachfolger Engelbert II. rief die Glocke
des Domes die Bürger zum Sturm auf die Befestigungen, die der Erzbischof
an denThoren errichten lassen, und es trat ein förmlicher Krieg ein, in Folge
dessen im Jahre 1270 der Erzbischof von dem Grafen von Jülich gefangen
genommen wurde. Zwar finden wir in den meisten Urkunden, mit Ausnahme
der Ablassbriefe , nicht die Erzbischöfe , sondern nur das Kapitel oder gar
im Namen desselben die Verwalter des Baufonds (procuratores oder provi-
sores fabrice) handelnd, und eine freilich erst von 1365 datirte Urkunde
ergiebt, dass das Kapitel sich als den eigentlichen Bauherrn betrachtete und
in dieser Stellung zuerst durch Erzbischof Walram (1332) beeinträchtigt zu
sein behauptete. Auch erkennt Erzbischof Sifried in der erwähnten Urkunde
von 1279 ausdrücklich die Freigebigkeit der Stadt in Beziehung auf den
Bau an. Die Feindseligkeit mit dem Erzbischofe hatte daher nicht unmittel-
bare Unterbrechungen der baulichen Unternehmungen zur Folge; aber bei
der Parteiung des Landes mussten die Beiträge sparsamer fliessen und die
Leiter des Baues von ihrem friedlichen Unternehmen abgezogen werden.
Diese Langsamkeit des Baues wäre aber dennoch unbegreiflich, wenn
der alte Dom wirklich ganz niedergebrannt oder so beschädigt gewesen wäre,
dass er nicht gebraucht werden konnte. Allein die neuerlich beigebrachten
urkundlichen Beweise-) lassen keinen Zweifel darüber, dass dies nicht der
Fall war, dass vielmehr während dieser Bauzeit von 1248 bis 1322 das
ganze Langhaus desselben noch bestand. Im Jahre 1251 oder 1252 rettete
sich bei einem Kampfe ein Verfolgter in den Dom, im Jahre 1261 wurde
die Leiche Conrad's von Hochstaden selbst, wie aus der schon angeführten
Stelle des Levolt von Northof hervorgeht, im alten Dome bestattet und erst
zur Zeit der Einweihung in das neue Gebäude versetzt. Im Jahre 1270
1) Wie dies der Augenzeuge Levolt von Northof bei Meibom Scr. I, p. 399 {jetzt
auch in Böhmer's Fontes Vol. 11) berichtet. — Die vorher erwähnten Urkunden bei
Lacomblet a. a. 0. Nro. 723 u. 974.
2) Lacomblet Archiv a. a. 0. S. 107 ff.
Geschichte des Kölner Domes. 4()3
war der Subdecan des Domes, Wilhelm von Stailburg, von dem päpstlichen
Nuntius beauftragt, den Bannspruch gegen die Urheber der Gefangenschaft
des Erzbischofs, die Grafen von Jülich und Geldern und die Stadt Köln, zu
verkünden. Er führte dies, wie sein noch vorhandener Bericht ergiebt, im
Dome und zwar in Gegenwart einer grossen zusammengerufenen Volksmenge
aus 1), obgleich der Procurator der Stadt Köln und ihrer Corporationen seinen
Protest und die Appellation au den päpstlichen Stuhl verlas. Der alte
Dom musste daher noch in seiner vollen Würde bestehen, da sonst die
Geistlichkeit eine andere Kirche für diese feierliche Handlung gewählt haben
würde-). Er bestand auch noch bei der Einweihung des Chores im Jahre 1322,
da erst bei dieser Gelegenheit der Schrein der heiligen drei Könige, wie eine
zwar nicht urkundlich beglaubigte, aber alte und durchaus glaubhafte Be-
schreibung der dabei beobachteten Processionsordnung ergiebt, aus der alten
Kirche in den neuerbauten Chor feierlich versetzt wurde =^).
Erst nach der Einweihung des neuen Chores, aber auch wohl bald nach
derselben, begann der Abbruch des alten Langhauses. Aus einem zwischen
dem Thesaurar des Domes und den Verwaltern der Baukasse über ihre
Ansprüche auf gewisse Einkünfte geschlossenen und vom Erzbischofe be-
stätigten Vergleiche vom 19. Juli 1325 ersehen wir zunächst, dass der Bau
als ununterbrochen fortgesetzt betrachtet wurde (fabrica Coloniensis, circa
quam continue laboratur magnis laboribus et expensis), dann aber auch
dass eine Vorhalle (porticus), aus welcher der Thesaurar bisher Einkünfte
bezogen hatte, wegen des behufs der Erbauung der neuen Kirche zu legenden
Fundamentes jetzt abgebrochen werden sollte*). Dies kann sich nur auf
das Langhaus bezogen haben, da der Chor vollendet war, das südliche Kreuz-
schiff, wie man bei der gegenwärtigen Fortsetzung des Baues gefunden hat,
in alter Zeit noch gar keine Fundamente erhalten hat, auf der Nordseite
aber nach der Localität kein Porticus stehen konnte '"). Ueberhaupt entstand
^) Convocato clero et populo qui haberi poterant, in majori ecclesia Colouieusi —
in presentia copiose multitudinis tarn clericorum quam populi solempniter publicavi.
-) Die Verlesung des Banuspruches und der Protestatiou war schon ein Mal vor
einer Versammlung der Domgeistlichkeit im Kapitelhause geschehen (Urkundenbuch
Nro. 603) und wnirde demnächst in der Domkirche wiederholt (Archiv a. a. 0. S. 127).
Hierdurch erledigen sich die von Boisseree in den Jahrbüchern a. a. 0. gegen die
frühere Ausführung von Lacomblei erhobenen Einwendungen.
'^) Bei Crombach a. a. 0. S. 816. Completo choro novo fabricae maj. eccl. Col.
deportabantur corpora SS. trium Regum de antiqua ecclesia S. Petri etc.
*) Lacomblet Archiv a. a. 0. S. 171: „quam porticum propter novum jam funda-
mentum pro ecclesiae nostrae constructione ponendum expedit demoliri".
°) Wie an den französischen Kirchen legte mau das Langhaus eher an als das
Kreuzschifl".
26*
404 Gothischer Styl in Deutsfhlaiul.
um diese Zeit eine neue und stärkere Begeisterung für den Dombau. Aus
einem Beschlüsse des im Jahre 1327 zu Köln abgehaltenen Diöcesankapitels ^)
erfahren wir^ dass sich in der Diöcese eine Petri-Brüderschaft gebildet hatte,
deren Mitglieder einen jährlichen Beitrag zur Baukasse des Domes zahlten
und dafür mancherlei Privilegien genossen; eine Bulle Papst Johanns XXII.
vom 1. Juli desselben Jahres deutet an, dass die Bereitwilligkeit der Diö-
cesanen . durch Betrüger oder Unberufene gemissbraucht wurde, indem sie
vorschreibt, dass Niemand ohne schriftliche Beglaubigung des Domkapitels
für den Dom sammeln dürfe-). Diese eifrige Stimmung dauerte auch noch
längere Zeit, so dass der Erzbischof Wilhelm von Gennep im Jahre 1357
theils deuZutrittzu jener Petri-Brüderschaft erleichterte und auch Aermeren,
wenn sie nur nach Verhältniss ihres Vermögens beisteuerten, gestattete, theils
denen, welche für den Dombau empfangene Gelder unterschlugen, Strafen
androhete -^j. Auch finden wir darin eine Spur rascheren Fortschreitens, dass
das Domkapitel im Jahre 1337, obgleich die bisherigen Steinbrüche im
Gebrauche blieben, ein neues Terrain zu diesem Zwecke erwarb, dessen
Steine man an den Fundamenten des südlichen Thurmes vorgefunden hat,
so dass bis dahin die Fundamentirung des ganzen gewaltigen Langhauses schon
vollbracht sein musste.
Steht es hiernach fest, dass das Langhaus des alten Domes bis zur
Einweihung des neuen Chores im Gebrauche blieb, so liesse sich doch denken,
dass dies nur eine provisorische Maassregel gewesen, um die Fortdauer des
Dienstes zu sichern, und dass man bei der Grundsteinlegung von 1248 den
Neubau, nicht bloss des Chores, sondern der ganzen Kathedrale, und mithin
auch den künftigen Abbruch des Langhauses im Auge gehabt habe. Allein
unsere urkundlichen Nachrichten widerstreiten auch dieser Annahme. Die
Bulle vom 21. Mai 1248 spricht nur von einer durch das Kapital beab-
sichtigten prachtvollen Reparatur des Domes*). Die Inschrift vom Jahre
1320, indem sie der Grundsteinlegung durch Conrad von Hochstaden erwähnt,
schreibt demselben nur das Verdienst der Vergrösserung (ampliat hoc
templum) zu. Nirgends findet sich eine Andeutung des schon ursprünglich
heabsichtigten Neubaues. Dazu kommt, dass die zahlreichen Memorien-
stiftungen im Dome, die wir aus den Jahren 1274 bis 1319 besitzen^) keine
Spur davon enthalten, dass die Stifter derselben den Abbruch des alten
Domes vorhersahen. Es ist zwar richtig, dass das blosse Schweigen dieser
1) Crombach a. a. 0. p. 821.
2) Lacomblet Archiv a. a. 0. S. 121.
3) Crombach a. a. 0. S. 823.
*) „Reparare cupiunt."
5) Bei Lacomblet im Archiv a. a. 0. abgedruckt und S. 111 11'. gewürdiget.
Gescliiclito des Kölner Doms. 405-
Urkunden, selbst dann, wenn darin bestimmte Altäre des alten Domes erwähnt
sind, au sich nicht entscheidend sind, da die Stifter voraussetzen durften,
dass die Altäre mit den daran haftenden Berechtigungen in dem neuen
Gebäude wieder aufgerichtet werden würden, und es ihnen gleich sein konnte,
ob ilire Gedächtnissfeier in alten oder neuen Mauern vorgenommen wurde ^).
Allein gewisse einzelne Anordnungen berechtigen doch zu bestimmteren
Schlüssen. Wenn der Domvicar Heinrich von Blankenburg im Jahre 1302
in der als Laienkirche dienenden und „in ambitu", unter den Nebengebäuden
des Domes, belegenen Kirche Maria in Pasculo ausser dem bereits bestehenden
einzigen Altare einen zweiten stiftet, wenn sich der 1306 verstorbene
Thesaurar Heinrich von Hagenberg in der alten Kirche vor dem Altare der
Heiligen Cosmas undDamian begraben lässt und das Domkapital sich gegen
die Testamentsvollstrecker verpflichtet, dem an diesem Altar messelesenden
Vicar eine gewisse Rente zu entrichten, so muss man doch wohl annehmen,
dass sie noch nicht ahneten, dass jene Nebengebäude und diese Grabstelle
so wesentlich alterirt werden würden, wie es der Neubau des Langhauses
mit sich brachte. Wenn ferner die Testaments\ollzieher des Chorbischofs
Johann von Rennenberg und der Domvicar Gerard von Xanten in den Ur-
kunden von 1296 und 1297, dieser, indem er zugleich einen neuen Altar im
neuen Chore „in novo opere'' stiftet, von achtzehn vorhandenen Altären
sprechen, wenn der Domdechant Hermann von Rennenberg noch im Jahre
1318 zugleich einem Altare im neuen Chore und dreien „in ambitu", in den
Nebengebäuden, weil sie noch nicht hinlänglich dotirt, Vermächtnisse zu-
wendet, so erscheint es doch wohl ausser Zweifel, dass sie den neuen und
den alten Theil des Domes mit Einschluss der alten Nebengebäude als ein
Ganzes betrachteten und dessen nahe Umgestaltung nicht voraussahen -), dass
also , da sie als Mitglieder des Domkapitels wohl unterrichtet sein mussten,
eine solche noch nicht beschlossen war.
Man kann es daher als gewiss annehmen, dass in der ganzen Zeit von
1248 bis 1318 nur beabsichtigt wurde, den älteren Bau durch einen grossen
und prachtvollen, in neuerem Style erbauten Chor zu vergrössern und zu
schmücken, ganz so, wie dies das ganze Mittelalter hindurch an so vielen
Kirchen, wie es namentlich auch in demselben Jahrhundert an der Kathedrale
zu Maus (1217) und etwa gleichzeitig mit dem Kölner Bau an der Kathedrale
zu Tournay mit dem glücklichsten Erfolge geschah.
Der Beschluss des weiteren Neubaues muss ungefähr mit der Vollendung
des Chores zusammenfallen, da die schon erwähnte Urkunde vom 19. Juli
^) Wie dies Spriuger im Archiv der rheinischen AllerthuinsfVeunde Heft XXII,
S. 105 gegen Lacomblet's weilergehende Folgerungen bemerkt hat.
-) Vgl. die erwähnten Urkunden bei Lacomblet Archiv a. a. 0.
406
Gothischer Styl in Deutschland.
Fig. 107.
1325, welche Anordnungen über neue Fundamentirungen enthält, den Bau
als ununterbrochen (continue) fortgesetzt bezeichnet. Ob er erst bei Gelegen-
heit der feierlichen Einweihung, wo allerdings die Zustimmung anwesender
fremder Prälaten dazu ermuthigen konnte, oder schon vor derselben gefasst
ist, muss dahingestellt bleiben. Indessen macht eine alte Nachricht es wahr-
scheinlich, dass die massive, stark verklammerte Mauer, welche noch in
unseren Tagen den Chor auf der
Westseite abschloss, und deren Anle-
gung sich nur durch den beabsich-
tigten Neubau der westlichen Theile
erklären lässt, schon am Tage der
Einweihung bestand i).
Endlich sprechen auch ge-
wichtige innere Gründe dafür, dass
der Plan der westlichen Theile, wie
wir ihn kennen, nicht gleichzeitig,
sondern sehr viel später und von
einem anderen Meister angegeben
ist, als der Plan des Chores. Dieser
ist nämlich, wie unzweifelhaft fest-
steht, im Wesentlichen eine genaue
Nachahmung des bei der Grund-
steinlegung des Kölner Domes im
Bau begriifenen und schon weit vor-
geschrittenen Chores der Kathedrale
von Amiens ^). Die westlichen Theile
dagegen bilden zwar mit diesem
Chore ein sehr harmonisches Ganzes,
aber in ganz anderer Weise als in
Amiens oder an anderen gleich-
zeitigen französischen Kathedralen.
Bei diesen ist nämlich der gerade
Theil des Chores, als Vorbereitung
Kathedrale von Amiens.
1) Die alte Beschreibung der bei der Translation des Reliquienschreins der drei
Könige aus der alten Kirche in die neue am Tage der Einweihung angeordneten Pro-
cession (Crombach a. a. 0. S. 817) ergiebt nämlich, dass diese über die Strasse ging,
was schwerlich geschehen sein würde, wenn man Chor und Langhaus verbunden hätte.
■-) Die einzige wichtige Verschiedenheit beider Chöre besteht darin, dass, während
in Köln alle Kapellen des Kranzes gleich sind, in Amiens die mittlere (als Kapelle der
Jungfrau) länger gebildet ist und weiter hinaustritt. Es scheint indessen, das-s dies
Geschichte des Köluer Domes.
407
anf den Umgang und Kapellenkranz der Rundung, fünfschiffig, das Langhaus
aber dessenungeachtet dreischiffig gehalten, und das Kreuzschiff eben des-
halb nur um ein Joch über die Breite des fünfschiffigen Chores ausladend.
Fig. 108.
Dom zu Köln.
Allerdings ist dadurch im gezeichneten Grundrisse die Kreuzgestalt nicht
sehr anschaulich, allein dieser Mangel verschwindet bei der wirklichen Aus-
eine spätere, wenn auch nicht viel spätere Aenderung ist. Der Chor von Amiens
erhielt erst um 1269 Glasgemälde , war aber schon 1220 begonnen und ohne Zweifel
unmittelbar in den unteren Theilen ausgeführt, so dass der Kölner Meister ihn wohl
kennen konnte. — Wer die Uebereinstimmung dieser Chöre zuerst entdeckt hat, wissen
wir nicht, jedenfalls war sie in Deutschland schon bekannt , als Felix de Verneilh sie
408 Gothischer Styl in Deutschland.
fühnmg vollkommen; da das Kreuzschiff durch seine Höhe sich von den
Seiteuschiffen ablöst und die grössere Breite des Chores sich augenscheinlich
als die Vorbereitung des Umschwunges darstellt. Auch lagen die Kapellen
des Langhauses, welche jetzt die westlichen Seiten der Kreuzarme verdecken,
nicht im ursprünglichen Plane. Der Meister des Kölner Langhauses folgerte
dagegen aus der fünfschiffigen Anlage des Chores, dass auch das Langhaus
fünfschiffig sein und das Kreuzschiff nicht bloss mit einer, sondern mit zwei
Arcaden ausladen müsse. Auch in Frankreich giebt es fünfschiffige Kathe-
dralen; die von Paris, wo das Langhaus bei der Gründung des Kölner
Domes schon vollendet, die von Bourges, wo es aber wahrscheinlich erst
nach 1280, die von Troyes, wo es im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts,
und endlich die von Clermont-Ferrand in der Auvergne und von Orleans,
wo es ohne Zweifel später als an unserem Dome begonnen wurde. Allein
keine dieser Kirchen hat die bedeutsame Ausbildung der Kreuzform, welche
den Kölner Dom auszeichnet. In Bourges fehlt das Kreuzschiff ganz, in Paris
hat es gar keine, in Clermont und in Orleans nur eine geringe Ausladung,
in Troyes ist es einschiffig. Der Plan des Kölner Meisters ist daher ganz
eigenthümlich und entspricht vermöge seiner grossartigen, aber etwas ab-
stracten Consequenz mehr dem Geiste des vierzehnten Jahrhunderts, als der
Frühzeit des gothischen Styles. Jedenfalls wird man annehmen dürfen, dass
der Meister, welcher bei der Choranlge dem Vorbilde von Amiens so genau
folgte, auch bei der Anlage des Langhauses sich den Grundsätzen der da-
maligen französischen Schule näher angeschlossen haben würde, wie denn
auch die weiter unten zu erwähnende Klosterkirche zu Altenberg bei Köln,
welche wir als ein Werk des ersten Dombaumeisters betrachten können,
wirklich wie in Amiens den fünfschiffigen Chor und das dreischiffige Lang-
haus hat^).
in den Annales arclieologiques Yll, 57, 225, und VIII, 117 ausführlicli nacliwies.
OefFentlicli ausgesprochen wurde dieser Hinweis auf die Abstammung- der Kathedrale
von Kühl zuerst durch Reichensperger im Domblatt 1845, Nro. 11.
^) Dr. Ennen in seiner vor Kurzem ausgegebenen historischen Einleitung zu dem
Kupferwerke von Franz Schmitz glaubt (S. 18) gegen meine Ausführungen die An-
sicht aufrecht halten zu müssen , dass die Zeichnungen für den ganzen Kölner Dum
schon im Laufe des Jahres 1247 entworfen worden. Er giebt dafür aber keine neuen
Beweise, sondern hält es nur für wahrscheinlich, dass das Kapitel, da es schon am
25. März 1247 den Beschluss eines Neubaues gefasst und einen Baufonds begründet
habe, auch für einen Plan des Neubaues gesorgt haben werde. Ich gluube diese
Gründe schon oben widerlegt zu haben. Uebrigens beschränkt Herr Dr. Ennen seine
Behauptung (im Gegensatze gegen die ähnlich lautende seiner Vorgänger) dadurch,
dass er zugesteht, dass der Plan des Langhauses und Querschiffes, welcher der in
unvollendetem Zustande auf uns gekommenen Ausfiihrung zum Grunde gelegen habe,
nicht der ursprüngliche, sondern ein im 14. oder 15. Jahrhundert nach den damals-
Geschichte des Kölner Domes. 409
Besonders diese, aus den vorausgeschickten historischen Daten fast
mit Xothwendigkeit hervorgehende Folgerung, dass der Grundplan des
Kölner Domes nicht das Werk eines, sondern zweier durch einen Zeitraum
von etwa 70 Jahren getrennten Meister sei, hat lebhaften Streit hervor-
gerufen. Boisseree war zu der Annahme eines schon im Jahre 1248 ge-
fertigten Gesammti)lanes nicht bloss durch die historische Voraussetzung
der totalen Zerstörung des alten Domes bei jenem Brande, sondern auch
durch ästhetische Gründe bestimmt worden. Er betrachtete diesen Gesamrat-
plan als eine so vollendete, so harmonische, so unvergleichliche Conception,
dass sie nur wie die gerüstete Minerva mit einem Male aus dem Haupte
eines Meisters hervorgegangen sein könne, er glaubte in diesem einen vor
allen seinen Zeitgenossen mächtig hervorragenden Genius, einen der grössten
Künstler aller Zeiten zu erkennen. Die stückweise Entstehung dieses Planes
schien ihm eine Unmöglichkeit, die Annahme einer solchen eine Lästerung.
Er konnte sich daher, auch als die oben erwähnten urkundlichen Ent-
deckungen schon zum Theil bekannt geworden waren, nicht von seiner älteren
Ansicht trennen, und vertheidigte sie auch da noch mit liebenswürdiger
Wärme '\
Ihm sind dann auch andere bedeutende Forscher beigetreten, indem
sie aus technischen Gründen beweisen zu können glaubten, dass der Erbauer
des Chores schon auf einen völligen Neubau und die Errichtung eines fünf-
schiifigen Langhauses von den gegenwärtigen Dimensionen gerechnet habe,
und diesen technischen Beweis für gewichtiger hielten, als die aus den Ur-
kunden entnommenen Gründe. Allein die unwidersprechliche Thatsache,
dass im Jahre 1319 oder doch 1306 selbst Mitglieder des Domkapitels
keine Ahnung davon hatten, dass das Langhaus des alten Domes durch einen
Neubau verdrängt werden sollte, ist mit der Annahme, dass damals schon
ein Plan für einen solchen Neubau vorlag, unvereinbar, und jene technischen
zur Geltung gekommenen Bauprincipien veränderter gewesen sei. Dadurch vei'liert
dann die Controvorse den wesenüichen Theil des Interesses, den sie bisher hatte, und
die Frage, ob die Domherren im Jahre 1247 einen uns unbekannten, verloren ge-
gangenen Plan anfertigen lassen oder nicht, wird eine ziemlich miissige. Nach den
sehr überzengenden Ausführungen, welche einer der grössten praktischen Kenner der
gothischen Baukunst, der Oberbaurath Schmidt in Wien, in seinem schon oben er-
wähnten Vortrage (Mitth. d. k. k. Centr.-Comm. Bd. XII, 1867, S. G) giebt, muss
man annehmen, dass man im 13. Jahrhundert „Pläne, wie wir sie gegenwärtig an-
fertigen, gar nicht gekannt", und erst im 14. oder 15. Jahrhundert augefangen habe,
die nach unseren Begriffen sehr unvollkommenen Planzeichnungen, wie sie in Strass-
burg, Wien u. a. a. 0. gefunden sind, auf Pergament auszuführen. Was man danach unter
einem im J. 1247 gefertigten Plane zu verstehen habe, ist noch sehr unklar, und wird
sich allenfalls auf die einfaclie Andeutung einer Grundrissform beschränken.
1) Domblatt 1846, Nro. 15.
^JQ Gothischer Styl in Deutschland.
Gründe entbehren der chronologischen Basis, indem die Anlagen, auf welche
sie sich beziehen, gewiss nach dem Jahre 1319, wahrscheinlich sogar erst
nach 1322 entstanden sein werden '). Man wird daher, bis sich eine bessere
1) Dieser bereits in der ersten Auflage dieses Bandes (1856) ausgesprochenen An-
sicht ist zunächst von Kugler in s. Gesch. d. Baukunst, Bd. III (1859) S. 221, dann
von Springer in den Mitth, d. k, k. Centr.-Comm. Band V (1860), S. 203 ff. wider-
sprochen worden. Beide beseitigen den Inlialt jener Urkunden durch eine kurze Be-
merkung. Kugler glaubt, dass sie „eine verschiedenartige Auffassung zulassen" dürften.
Springer giebt zwar zu , dass die in jenen Urkunden auftretenden Personen an einen
Neubau des Langhauses nicht geglaubt hätten , hält aber dafür , dass es auf solche
subjective Meinungen nicht ankomme. Auch ihre technischen Gründe sind (wenn ich
Kugler's kurze Andeutungen richtig verstehe) verwandt. Kugler findet in dem mon-
strösen Verhältnisse der Höhe zur Länge des Chorraumes, Springer in der statischen
Nothwendigkeit einer diesem kolossalen Bau entsprechenden Gegenstülze den Beweis
der ursprünglichen Absicht eines neuen Langhauses. Mir scheint dieser Beweis nicht
ausreichend, da wir über die Grösse, Structur und selbst Lage des alten Domes zu
wenig unterrichtet sind, um zu wissen, welche Mittel des Anschlusses und der Stütze
derselbe dem Baumeister bot. Man braucht nur an dem schon im Texte angeführten
Dome zu Tournay die gewaltige Differenz der Höhe des neuen Chores zu dem alten
Langhause zu betrachten, um sich zu überzeugen, dass die Baumeister des Mittelalters
in Beziehung auf Harmonie und auf statische Gründe nicht so schwierig und ängstlich
waren, um sich die Verschönerung eines einzelnen Theiles, wenn sich die Gelegenheit
dazu bot, zu versagen. Auch giebt das fünfhundertjährige fragmentarische Bestehen
des Kölner Domchores einen nicht verächtlichen Beweis dafür , dass der Baumeister
des Chors keinesweges „ein Stümper" gewesen zu sein braucht, um an die Haltbarkeit
desselben auch ohne ein gleich hohes Langhaus zu glauben. Ein zweites Argument,
in welchem sich beide Forscher begegnen, scheint auf den ersten Blick viel gewichtiger.
Es ist richtig, dass die Ostwände des Querschiffes, welche neben dem Chore schon im
14. Jahrhundert aufgeführt waren, und noch mehr, dass die von Zwirner entdeckten
alten Fundamente, welche bis zur mittleren Eingangshalle des südlichen Querschiffes
reichten, die Absicht anzeigen, dem Querschiffe die gegenwärtige Ausdehnung zu geben,
was wieder, wie im Texte auf S, 408 gezeigt, auf ein fünfschiffiges Langhaus schhessen
lässt. Allein es fehlt jeder Beweis , dass jene Ostwände und diese Fundamente vor
dem Jahre 1319, also vor der ZeV wo man den Beschluss fasste, den Neubau weiter
durchzuführen , entstanden sind. Zwirner (im Kölner Domblatt November 1843) hat
zwar diese Fundamente des Kreuzschiffes denen des Chores in der Steinbehauung und
Meisselführung gleich gefunden und schliesst daraus, dass sie g-Jeichzeitig errichtet
worden. Allein schwerlich hat er die Fundamente der östlichen Theile des Chors unter-
suchen können; seine Vergleichung bezieht sich daher nur auf die dem Kreuzschiffe
angrenzenden Theile des Chors, welche ohne Zweifel nicht der ersten Bauzeit (etwa bis
ziun Tode des Meisters Gerhard, 1302), sondern der letzten, der Einweihung des
Chores vorhergehenden Zeit angehören. Die Bauweise des Mittelalters war eben eine
andere wie die heutige; man arbeitete nicht mit völlig festgestelltem Plane und zu-
verlässig fliessenden Mitteln. Der Architekt musste vor Allem streben, sichtbare über
den Boden hinausragende Leistungen zu schaffen, um zu weiteren Beiträgen anzureizen.
Die Architekten der gothischen Schule kannten zwar die Wichtigkeil sorgfältig aus-
Geschichte des Köhier Domes. 411
Aufklärung der Sache findet, an der Annahme festhalten müssen, dass der
ursprüngliche Neubau sich nur auf den Chor beschränkt habe und erst im
vierzehnten Jahrhundert der Beschluss zur weiteren Ausdehnung des Neu-
baues gefasst und der Plan für das Langhaus ausgearbeitet sei.
Der künstlerische Werth des Gebäudes und das Verdienst der beiden
dabei mitwirkenden Meister wird durch diese Annahme keinesweges geschwächt.
Dies letzte erscheint vielmehr dadurch erst in seinem rechten Lichte. Erfinder
des bei diesem Dome angewendeten Systems waren sie beide nicht. Es
war bereits in Frankreich erfunden, wenn man es so nennen will. Denn
eigentlich darf man bei solchen Systemen von Erfindung nicht sprechen;
sie entstehen nicht im Kopfe eines einzelnen Meisters, sondern sind das
organische Resultat der geistigen und physischen Verhältnisse, das nur all-
mälig, durch die anhaltende gleichartige Thätigkeit vieler, im Anschluss an
einander arbeitender Künstler zu Tage gefördert, erkannt und festgestellt
wird. Diese Arbeit war nun in Frankreich vollendet und es kam nur darauf
an, ihre Resultate für Deutschland zu gewinnen, den neuen Styl dem deutschen
Geiste anzueignen. LTnd zu dieser künstlerischen Aufgabe haben beide
Meister kräftig und in gleichem Maasse mitgewirkt. Der von 1248, indem
er, die Erfahrungen der französischen Bauhütten an Ort und Stelle erforschte
und nicht bloss die besten Vorbilder wählte, sondern sie bereits mit kri-
tischem Sinne betrachtete, und sie in der Consequenz der Anordnung und in
der Feinheit der Ausführung zu übertreffen suchte. Der spätere Meister
aber, indem er, statt auf die französische Praxis zurückzugreifen, auf dem-
gefiihrter Fundamente sehr wohl; sie verfuhren nicht mehr so leicht, wie die des
romanischen Styls (vgl. VioIlet-le-Duc s. v. Fondation, Vol. V. p. 524). Aber sie
mussten sich doch nach den Umständen richten und hielten sich daher wo möglich
nicht lange bei den Fundamenten auf. Auch hier wird man diese keinesweges gleich
anfangs vollständig für den ganzen Chor, sondern nur nach und nach für einzelne,
in sich zusammenhängende Theile gelegt haben, um dann erst später, wenn diese bis
zu gewisser Höhe gediehen, weiter mit den Grundbauten fortzuschreiten. Mertens und
Lohde, welche in einem sogleich näher anzuführenden Aufsatze in der Zeitschrift für
Bauwesen, 1862, die Thätigkeit des ersten Dombaumeisters genau festzustellen suchen,
vermuthen (S. 352) gewiss mit Recht, dass man zuerst «ur das Rundhaupt, die sieben
Kapellen der Rundung des Chores nebst den ihnen entsprechenden acht Pfeilern funda-
mentirt, und erst sehr viel später, nachdem die Kapellen schon überwölbt und über-
dacht worden , die Langseite des Chores und zwar auf der Nordseite, in Angriff ge-
nommen habe. Sie nehmen an, dass dies etwa im Jahre 1260 und zwar nur auf der
Nordseite gesciiehen sei. Ohne Zweifel geschah aber auch dies nur stückweise und
mit Unterbrechungen, welche theils durch die Ausarbehung der oberen Wände des
Rundpunktes, theils durch die öfPentlichen Unruhen, denen Köln unterlag, herbeigeführt
wurden, so dass man erst spät zur Fundamentirung der westlichen Theile und somit
zu dem Anfange des Kreuzschiffes gelangte.
^22 Gothischer Styl in Deutschland.
selben Wege theoretischer Ergründung noch weiter fortschritt, und aus den
gefundenen Principien selbständige neue Consequenzen zog. Er vollendete
dadurch die Aneignung des neuen Styls und die Befreiung der deutschen
Schule aus der Abhängigkeit von der französischen. Obgleich er dabei
theoretisch nicht mehr ganz auf dem Boden seines Vorgängers stand, ver-
mochte er bei der Fortsetzung des gemeinsamen Werkes sich den Anfängen
desselben so genau anzuschliessen , dass seine Fortsetzung mit ihnen ein
völlig harmonisches Ganzes bildet. Dies Verdienst ist um nichts geringer,
als das der Erfindung des Ganzen, mit Einschluss des Chores, der dann doch,
da dem von Amiens nachgebildet, nur in sehr bedingter Weise das Eigen-
thum des ausführenden Meisters war. Die starke Betonung künstlerischer
Selbständigkeit und völliger Originalität ist nur die Folge falscher, unprak-
tischer Theorien. Die Kunst steht stets im historischen Zusammenhange;
sie ist keine Schöpfung aus dem Nichts, sondern geht überall von gegebenen
Verhältnissen aus. Vor Allem aber gilt dies von der Architektur; ihre
besten Werke sind nicht die, in welchen die künstlerische Individualität
hervortritt, sondern die, in welchen sie in die objective Gestaltung übergeht.
Und darin bestand hauptsächlich der Vorzug der mittelalterlichen Baumeister,
dass sie von jener falschen Prätention noch nicht berührt und vielmehr nach
besten Principien und im engsten Schulzusammenhange zu arbeiten gewohnt
waren. Diese Gemeinsamkeit ganzer künstlerischer Generationen ist aber,
wenigstens für die Architektur, etwas sehr viel Grösseres und Schöneres, als
die Genialität eines vereinzelten, seine Zeitgenossen weit tiberragenden
Künstlers, so dass wir auch in ästhetischer Beziehung diese neue Aufklärung
des Sachverhältnisses nicht zu bedauern brauchen.
Diese Betrachtung führt uns auf die Frage nach den Namen der Meister.
Denn wenn wir auch dem vermeintlichen Schöpfer des Planes nicht die für
ihn beanspruchte Stellung einräumen können, wenn auch das Verdienst sich
unter Mehrere vertheilt und am Chore nicht sowohl in der Erfindung, als
in der Ausführung besteht, so giebt doch eben diese unvergleichliche Aus-
führung, die weise Berechnung und Abwägung der Massen, das feine Gefühl,
welches sich in jedem Theile äussert, schon dem Chorbau eine ausgezeichnete,
in allen Zeiten anerkannte« Bedeutung, und es ist von hohem Interesse, die
Namen der Urheber desselben kennen zu lernen. Auch hier indessen haben
wir zunächst einige Prätendenten zurückzuweisen.
Nicht unbedeutende Stimmen haben es wenigstens für sehr wahrschein-
lich erklärt, dass kein Geringerer, als der berühmte Albertus magnus,
Albert von Bollstädt, der grösste deutsche Gelehrte und Philosoph des drei-
zehnten Jahrhunderts, den seine ungewöhnlichen physikalischen und mathe-
mathischen Kenntnisse in den Ruf der Zauberei brachten, der Schöpfer
Die Baunieiäter des Kölner Domchores. 413
fines so bedeutenden Werkes gewesen sein könne \). Albert lebte von 1249
bis 1260 als Mönch und Lehrmeister im Dominikanerkloster zu Köln^ zog
sich auch, nachdem er nur drei Jahre die bischöfliche ^yürde in Kegensburg
ertragen hatte, wieder in die Stille dieses Klosters zurück, und es scheint
auch, dass er hinlängliche architektonische Kenntnisse besass, um einen ein-
fachen Bau anzuordnen-). Allein unmöglich konnte der gelehrte, viel-
schreibende Mann sich auch die praktische Uebung erworben haben, welche
zur Ausführung der Details nöthig war-^j, und schwerlich würde er sich ent-
schlossen haben, den Chor von Amiens, wenn er ihn überhaupt kannte, nach
Köln zu übertragen. Da überdies eine bestimmte Nachricht über seine Mit-
wirkung am Dombau nicht existirt, da er im Jahre 1280 starb, und also an
der Erfindung des Langhauses keinen Antheil haben kann, da die Zahlen-
symbolik, welche man auch diesem Dome zuschrieb, wenn überhaupt beab-
sichtigt, von Amiens hierher gelangt war, so fallen alle Gründe für seine
Betheiligung fort *). Noch geringer sind die Ansprüche des Bischofs von
Paderborn, Simons von der Lippe, da sie sich bloss auf eine dunkle Notiz aus
später Zeit gründen^).
"Wohl aber erfahren wir aus einzelnen Urkunden, welche in den so-
genannten Schreiusbüchern der Stadt Köln enthalten sind und au sich, da
diese Bücher nur die amtliche Feststellung der Besitzveränderungen des
Grundeigenthums bezwecken, keine nähere Beziehung auf die Fortschritte
des Dombaues haben, eine Reihe von Namen der aufeinanderfolgenden Meister.
Es sind keinesweges hochgestellte Geistliche, sondern schlichte Steinmetzen,
1) Zuerst der Kanonikus Böcker mit Wallraif's Zustimmung in dessen Beiträgen
zur Geschichte der Stadt Köln, 1818, S. 195, dann (1844) mit bestimmterer Behauptung
Krauser in den Köhier Dombriefen S. 193 ö'.
2) Vgl. was weiter unten über den ihm zugeschriebenen Chor der Dominikaner-
kirche zu Köln mitgetheilt wird.
^) Weshalb Kugler in dem vortrefflichen Aufsatze iu der deutschen Vierteljahrs-
schrift 1842 (kl. Sehr. II, 131) die Hypothese aufstellte und geistreich ausführte, dass
Albertus mit einem sclilichten Steinmetzmeister gemeinschaftlich den Plan gefertigt
liabe.
*} Welche auch schon von Boisseree (Beschr. 1842, S. 11) und von Guhl im Texte
des Atlas zu Kugler's Kunstgeschichte mit triftigen Gründen bestritten worden ist.
°) Kreuser, Dombriefe a. a. 0., Melcher freilich von der ^'oraussetzung ausgeht,
<iass nur die Geistliclikeit damals den Plan erdenken konnte und musste, gründet diese
Ansprüche auf die Nachricht, dass Erzbischof Conrad am 15. August 1248 den Grund-
stein „cum consilio et industria Simonis, qui tunc in arte archhectouica praecipue cele-
brabatur", gelegt habe. Aliein diese au sich zweideutige Nachricht ist nur ein hand-
schriftlicher Zusatz zu der im Jahre 1418 verfassten Clironik des Gobelinus Persona.
Vgl. Domblatt 1842, Nro. 26. Auch zeigen die im Jahre 1262 begonnenen Reparaturen
des Domes zu Paderborn , bei deuen die Annahme einer Einwirkung dieses Biscliofs
viel näher lic2:t, einen ganz anderen Stvl als der Kölner Dom. .
414 Gothischer Styl in Deutschland.
unbekannte, von keinem Geschichtsschreiber überlieferte Namen. Zu ihnen
dürfen wir jedoch nicht den Heinrich Sunere von Köln rechnen, für welchen
man den Ruhm der Erfindung des Planes in Anspruch genommen hat, da die Be-
zeichnung als „Petitor structurae majoris ecclesiae", welche er in einer Urkunde
von 1248 erhält, eher auf einen angestellten Einsammler der Beiträge zum
Dombau, als auf einen Baumeister schliessen lässt^). Dagegen dürfen wir
als ersten Meister und somit als Urheber des Chorplanes jenen Meister Ger-
hard betrachten, welcher in der schon angeführten Urkunde vom Jahr 1257
und zwar rühmend erwähnt wird, indem das Kapitel ihm, der als Steinmetz
und Obermeister (Rector fabrice) bezeichnet wird, wegen seiner Verdienste
um den Dombau einen schon von ihm bebauten Platz gegen massigen Zins
verleihet-). Ueber seine früheren Lebensverhältnisse wissen wir nur, dass
schon sein Vater von dem benachbarten Dorfe Riel nach Köln gezogen und
anscheinend ein wohlhabender Mann war ^), dann, dass er selbst im Jahre 1247,
damals noch bloss als Steinmetz bezeichnet, einen Bauplatz erwarb und im
folgenden Jahre ein darauf erbautes Haus verkaufte. Im Jahre 1302 wird
er als verstorben erwähnt, und mehrere seine Kinder betreffende Urkunden
ergeben, dass er ein ziemlich bedeutendes Vermögen hinterlassen haben muss.
^) Fahne, dessen fleissiger Durchforschung der Schreinsbücher wir die meisten
der weiter unten anzugebenden Nachrichten verdanken, übersetzt in seinen: Diplo^
matischen Beirägen zur Geschichte der Baumeister des Kölner Domes, Düsseldorf 1849,
jenen Titel als „Bewerber um das Amt eines Domwerkmeisters" und erklärt den Hein-
rich Sunere deshalb für den Verfertiger des Planes. Allein es wäre unerhört , eine
Bewerbung zum Titel zu erheben, und die im Texte gegebene Erklärung ist jedenfalls
viel wahrscheinlicher. Vgl. andere Gründe gegen Fahne's Meinung bei Merlo , Nach-
richten über Kölnische Künstler, s. v. Sunere S. 472. Eine Urkunde vom Jahr 1343
(in Mone, Anzeiger für Kunde des Mittelalters 1838, S. 185) ergiebt, dass Petitio der
iiergebrachte Ausdruck für die CoUecten zum Kirchenbau war , und es ist sehr denk-
bar, dass statt der officiellen Bezeichnung Nuntius petitionum, welche in dieser Urkunde
vorkommt, der vulgäre Sprachgebrauch das Wort petitor gebildet hatte, welches dann
auch in die den Ankauf eines Hauses enthaltende Notiz des Kölner Schreinsbuches über-
gehen konnte. —
") Die Urkunde ist oft abgedruckt, von Boisseree in der Beschreibung des Domes,
von Fahne a. a. 0. S. 56, von Merlo u. a.
^) Daher führt Gerhard in den Urkunden meistens den Namen de Rile, zuweilen
auch nacli einer von seinem Vater erworbenen Besitzung in Köln selbst, auf welcher
er vielleicht geboren war, den Namen dictus de Ketwig. Man hat ihn früher mit einem
Gerhard von St. Tront (de Scto Trudone), der ebenfalls in Schreinsurkunden vorkommt,
verwechselt, Fahne a. a. 0. weist aber nach, dass beide nicht identisch sind. — Genaue
Nachrichten über ihn giebt der Aufsatz: Die Gründung de« CöinerDoms und der erste
Dombaumeister, von F. Mertens und L. Lohde in der Zeitschrift für Bauwesen Bd. XII
(1862) Sp. 163 ff. Die Verfasser versuclicn durch eine Reihe von erwiesenen That-
sachen und Hypothesen seine künstlerische Biographie , namentlich die Gebäude fest-
zustellen, an welchen er seine Studien oder für welche er den Plan gemacht habe.
Der Chor des Kölner Domes. 415
Vielleicht hatte seine Wirksamkeit am Dome schon früher aufgehört, denn
eine Urkunde von 1296 nennt einen gewissen Arnold als Dombaumeister.
Diesem Arnold folgte, wahrscheinlich bald, sein Sohn Johannes, welchen wir
seit 1308 als magister operis majoris ecclesiae oder als magist er operis de
summo, seit 1319 aber stets als Rector fabricae aufgeführt linden, so dass
dies eine höhere Stellung, etwa die des Obermeisters, anzudeuten scheint,
neben welchem dann muthmaasslich noch andere Werkmeister (magistri) an-
gestellt waren 1). Er starb erst 1330 oder 1331, war daher zur Zeit der
Einweihung des Chores im Amte und ist also aller Wahrscheinlichkeit nach
der Erfinder des Gesammtplaues -). Ihm und seinem Vater ist aber auch
die Ausführung der oberen Theile des Chores, der Oberlichter, der feinen,
in vollendeter Eleganz aufsteigenden Fialen und Strebebögen zuzuschreiben,
während der Plan des Chores und die strengeren Formen des unteren
Stockwerkes das Verdienst Meister Gerhard's sind.
Nach diesen umständlichen, aber bei der Wichtigkeit des Gegenstandes
nicht zu umgehenden Untersuchungen komme ich endlich zum Gebäude selbst.
Seine wundervolle Schönheit ausführlich zu beschreiben, kann nicht meine
Aufgabe sein. Alle Jahrhunderte haben sie anerkannt; schon Petrarca, ob-
gleich klassisch gebildeter Italiener , widmet ihr bei seiner Durchreise im
Jahre 1331 einige rühmende W^orte^), und die Ablassbriefe der Erzbischöfe
sprechen sich noch stärker aus*). Selbst in den Zeltender Renaissance behielt
der Kölner Dom enthusiastische Verehrer, und seit dem wiedererwachten
^) Neben und über den technischen Werkmeistern standen gewisse provisores oder
procuratores (wie in den Urkunden von 1273 und 1285 bei Lacomblet Urkundenbuch
Xro. 652 dieselben Personen abwechsehid genannt werden) , wie es scheint immer
(leistliclie, gewöhnlicli sogar Domherren , weiche meistens ebenfalls Magister genannt
werden. Vgl. Fahne a. a. 0. S. 73 Nr. XXVIII, wo im Jahre 1310 in derselben Ur-
kunde die magistri seu provisores fabrice und der magister operis seu fabrice vor-
kommen. In Xanten war magister fabrice stets der Vorstand der Kirchenfabrik , also
gleichbedeutend mit dem provisor fabrice , während der Baumeister magister lapicida
oder schlechtweg magister genannt wurde (vgl. die unten S. 428 citirte Schrift).
-) Einen Beweis der Achtung, in welcher Meister Johannes stand, giebt das Necro-
logium von Gross-St.-Martin, indem ihm darin (wie gewöhnlich ohne Jahresangabe) die
für einen Laien ohne bedeutenden Rang ungewöhnliche Ehre der Autführung zu Theil
geworden ist: 15. Mart. Johannes laicus rector operis majoris eccl. Colon. (Böhmer
Fontes hist. germ. III, 34:7).
3) In dem Briefe an den Kardinal Colonna, Epistol. famil. IV: Vidi templum arte
media pulcherrimum , quamvis incompletum, quod liaud immerilo summum vocant
(Boisseree, 1842, S. 20).
*) Wilhelm von Gennep in der Urkunde von 1357 bei Crombacii a. a. 0. S. 823:
Opus ditissimum fabricae nostrae, cum omni exactissima operariornm diligentia, miranda
pretiositate — jamdudum inceptum.
.^IQ Gotliischer Styl in Deutscliland.
Verständniss mittelalterlicher Kunst haben nicht bloss Deutsche, sondern auch
Ausländer ihn für die glänzendste Leistung des vollkommenen gothischen Styles
aller Länder erklärt^), ist in Deutschland die Riesenaufgabe der Vollendung
des gewaltigen Monumentes zur Nationalsache geworden. Ueberdies darf
ich darauf rechnen, dass die meisten meiner Leser schon unter diesen himmel-
hohen Gewölben und zwischen dem Walde von Fialen und Bögen der oberen
Theile gewandelt sind, oder sich doch aus dem Boisseree'schen oder dem
Schmitz'schen Prachtwerke eine lebendigere Anschauung verschaffen werden,
als blosse Worte ihnen zu geben vermögen. Ich beschränke mich also auf
wenige Bemerkungen. Im Wesentlichen hat, wie gesagt, der Meister des
Chores den Dom von Amiens zu seinem Vorbilde genommen; die ganze An-
ordnung, die Grundverhältnisse der Schiffe und des Pfeilerabstandes, die Höhen-
verhältnisse, namentlich auch die gewaltige Höhe des Mittelschiffes, welche
sich zu der der Seitenschiffe wie 5 zu 2 verhält, die Durchbrechung dieses
oberen Theiles durch ein durchsichtiges Triforium und durch hohe, bis an
den Rand der Scheidbögen gehende Oberlichter, selbst das Maasswerk
einiger Fenster sind völlig wie dort. Aber es ist die Nachbildung eines grossen
Meisters, der nichts ungeprüft annahm , sondern die Intentionen seines Vor-
gängers erforschte und besser auszudrücken suchte, und die Details so glück-
lich verbesserte, dass sein Werk neben jenem Vorbilde wie die reife, pracht-
voll entwickelte Blume neben der nur halbgeöffneten Knospe erscheint.
Meister Gerhard, indem er den Dom zu Amiens benutzte, kannte doch
auch andere französische Bauten . namentlich den Chor der Kathedrale von
Beauvais, welcher etwas früher als der von Köln ebenfalls mit genauem
Anschluss an den Plan von Amiens errichtet wurde und denselben in einigen
Punkten zu verbessern suchte. Aber gerade indem wir beide Nachbildungen
vergleichen, sehen wir, wie viel selbständiger der deutsche Meister ver-
fuhr , als ' der von Beauvais. In manchen Beziehungen stimmen beide
überein. Die Seitenwände der radianten Kapellen, welche in Amiens diver-
giren, haben sie durch Verstärkung der Strebepfeiler parallel gemacht;
die Pfeiler des Rundpunktes sind etwas enger gestellt, die Oberlichter über
denselben nicht mehr viertheilig, sondern zweitheilig, die absolute Höhe,
der Ausdruck des Schlanken und Aufstrebenden, ist gesteigert. Aber der
Meister von Beauvais übertrieb das Wagniss leichter und luftiger Anord-
nung, indem er auch die Breite des Mittelschiffes und den Pfeilerabstand
vergrösserte , und verstiess dadurch gegen die Harmonie der Verhältnisse
und sogar gegen die Solidität, so dass das Gewölbe einstürzte und man
Zwischenpfeiler einschieben musste. Der Meister von Köln behielt dagegen
1) Z. B. Wliewel, Arcliil. Noles of Gcrman chu-clies p. 128. Aelinlich Hope.
Der Chor des Kölner Domes.
417
Fig. 109.
"T"
die eugere und regelmässigere Pfeilerstelluiig bei, und suchte durcii reinere
und bestimmtere Verbältnisse zu wirken; während in Amiens die inneren
Seitenschiffe etwas breiter, als die äusseren, beide zusammen etwas weiter
als das Mittelschiff sind, gab der Kölner
Meister ihnen in beiden Beziehungen
völlige Gleichheit und erreichte dadurch
eine mehr harmonische "Wirkung.
Vor Allem aber tibertraf er seinen
Vorgänger in den Details. In Amiens
ist die Bildung der Pfeiler keine sehr
glückliche; es sind kantonirte Rund-
pfeiler, an denen die schlanke Haltung
der Dienste mit der Dicke des Kern-
pfeilers, das kleinere Kapital mit dem
grösseren contrastirt, deren hohe Dienste
durch die Deckplatte der unteren Ka-
pitale, durch ein Kapital am unteren
Gesims des Triforiums, und endlich
durch den Fenstersims der Oberlichter
durchschnitten sind. Meister Gerhard
hat die Function des Pfeilers vollständig
verstanden und aufs Schönste ausgedrückt.
Den runden Kern hat er zwar beibe-
halten, die Dienste noch wie dort als
Dreiviertelsäulen an ihn, zum Theil so-
gar, wie bei der Herstellung entdeckt
ist, frei angelegt, aber er hat ihre Zahl
vermehrt, zwischen die vier grossen
Dienste an den Hauptpfeilern je zwei
kleinere eingeschoben, so dass die Ge-
wölbgurten und Scheidbögen auf jeder
Seite durch drei Dienste getragen werden,
von denen die der Frontseite ununter-
brochen und kühn bis zu ihrem Kapitale
unter den hohen Gewölben hinauf-
steigen *). In den Seitenschiffen sind
statt dieser zwölf nur acht, an der
Rundung, wo die Pfeiler wegen ihrer
Dom zu Köln.
Boni zu Köln.
^) Pfeiler dieser Art linden sich auch in [der Kathedrale von le .Maus und in
St. Denis, vgl. oben S. 129 und 130.
Sclmaase's Kunstgescli. 2. Aufl. V. 27
418
Gothischer Styl in Deutschland.
Fig. 111.
engen Stellung eine mehr längliche Gestalt erhalten haben und eine einfache
Halbsäule zum hohen Gewölbe aufsteigt, zehn solcher Dienste angebracht.
Bei der weiteren Ausführung ist immer das schönste Maass der Verschmelzung
und Sonderung der Theile beobachtet. Die Basis schliesst sich in Amiens
noch an den Kern und die einzelnen Dienste an. Hier bildet sie unten eine
einige Gestalt; im Wesentlichen rautenförmig, aber mit vorspringenden Ecken,
aus welchen sich dann erst die
polygonförmigenFüsse der einzel-
nen Dienste entwickeln. Das Ka-
pital des Kernes ist verschwunden,
nur die Dienste haben Kapitale,
die aber säramtlich von gleicher
Höhe und unter sich und mit
dem Kerne durch den in gleicher
Weise herumgeführten Ring ver-
bunden sind. Endlich besteht
der Schmuck der Kapitale aus
zwei Reihen freier Blätter,
welche stets wechselnd und in
edelster Ausführung die Formen
einheimischer Pflanzen in die
Sprache des architektonischen
Styles übersetzen 1), während an
den Kapitalen von Amiens und
Beauvais noch der Grundgedanke
des knospenförmigen Blattwerkes
erkennbar ist. Das Maaswerk
der unteren Fenster ist reich,
aber noch in strengerer Weise
ausgeführt , im vorderen Chore
viertheilig , mit regelmässigen,
durch rundbogige Pässe gefüllten
Kreisen, in den Kapellen zwei-
theilig, mit drei über die Bögen gelegten Dreipässen"). In den Oberlichtern
wiederholt sich dieselbe Anordnung, aber die Behandlung ist überall eine
Domchor zu Köln.
^) Nur an einzelneu Kapitalen findet sich noch fast romanischer Scliuiuck. So an
einem zwei dichtgestellte aus einander hervorwachsende akanthusartige Blätter, an einem
anderen statt der oberen ßlätterreihe menschliche Köpfe , die aus einem Blumenkelche
hervorblicken.
^} Diese Art des Maassvverkes findet sich auch in der Ste. Cliapelle von Paris und
es ist allerdings möglich, dass die Kölner Hütte, bevor sie zur Ausfiiiu-ung der Fenster
Der Clior des Kölner Domes. 419
andere, die Formen sind nicht bloss in so weit reicher, als es die verschiedene
Bedeutung dieser Theile erforderte, sondern auch minder strenge aufgefasst
und dem Charakter der späteren Zeit entsprecliend, in welcher man zur
Ausführung des Oberschiffes gelangte ^). Auch im Aeusseren zeigt sich die
weitere Entfaltung des Styles; das Vorbild von Amiens ist hier in allen Be-
ziehungen überboten. Die Spitzgiebel über den Oberlichtern, welche sich
auch dort finden, sind hier mit reicherem Maasswerk gefüllt, mit frei ent-
wickelten Blumen besetzt, die Fenster in ihrer Gliederung mit einem reichen
Blätterkranze und mit zierlichen Figürchen geschmückt. Vor Allem aber
ist die Ausführung des Strebewerkes gelungen. Schon in Amiens sind die
oberen Strebepfeiler kreuzförmig gestaltet und die Strebebögen, aber nur
an den geraden Theilen des Chores, verdoppelt; in Köln sind diese Siche-
rungsraaassregeln auf allen Seiten durchgeführt. In beiden Kirchen tragen
die Strebebögen Wasserrinnen, in Amiens ist aber ihre Verbindung durch
Maasswerk bewirkt, welches die Form zweitheiliger Fenster hat, die unmittelbar
auf dem Bogen stehen und daher seiner Linie folgend theils grösser theils
kleiner sind. In Köln ist sehr viel schöner und zweckmässiger rosenartiges
Maasswerk zwischen parallelen Linien angebracht. Vor Allem aber ist die
prachtvolle Ausführung der Fialen zu bewundern, die regelmässige Ent-
wickelung, mit der sie aus dem schweren Körper des Strebepfeilers hervor-
wachsen, die schlanke Gestalt ihres Emporsteigens, die auf die Fernwirkung
aus ungeheurer Höhe so schön berechnete Behandlung des Blumenschmuckes
ihrer Pyramide. Man kann, wenn man auf den oberen Gängen zwischen
diesem Walde von edelsten Gebilden herumgeht, nicht genug erstaunen, mit
welcher Sicherheit und Kühnheit diese Steinmetzen den richtigen Grad der
Ausführung zu treffen , die wesentlichen auch von unten erkennbaren Züge
zu betonen, das Kleinliche, das nicht bloss unwirksam, sondern selbst nach-
theilig werden musste , zu vermeiden wussteu. Nur ein höchst einsichtiger
und zugleich grosser Meister konnte ein so feines Stylgefühl in seinen
Schülern erwecken und zum bleibenden Erbtheil der nachfolgenden Genera-
tionen machen, und Meister Gerhard verdient daher, obgleich erst Meister
Johannes die Ausführung leitete , einen Theil des Lobes , das diesen oberen
Abeiten gebührt.
Die Anlage des Langhauses und den Entwurf der Fagade und Thürnie
werde ich als Werke der folgenden Epoche erst künftig näher besprechen,
kam , von diesem Bau Kenntniss genommen hat, wie dies Felix de Venieilli in den
Aunales archeol. a. a. 0. annimmt.
1) Dies bemeriit schon Kugler a. a. 0., dem ich aber in sofern nicht beistimmen
kann, als er in dieser weicheren Behandlung ein höheres, mehr durchgebildetes Princip
erblickt, während mir jene strengere Weise schöner und mehr den Anforderungen des
-architektonischen Styles entsprechend scheint.
27'
420 Gothischer Styl in Deutschland.
und gehe sofort zu einigen anderen Gebäuden über, welche während des
langsamen Aufsteigens des Domchores als Nebenarbeiten der Kölner Hütte
oder unter ihrem Einflüsse entstanden. Das erste derselben ist die Kirche
der Cistercienserabtei zu Altenberg i). Der Stifter und der erste Abt des
Klosters (1133) waren aus dem mächtigen Geschlechte der Grafen von Berg,^
welches hier seine Grabstätte wählte und die Stiftung fortwährend begünstigte.
Auch Erzbischof Theodorich von Köln (f 1214) Hess sich hier begraben,
und überhaupt erscheinen die Erzbischöfe, meistens Verwandte oder doch
Verbündete des benachbarten Dynastenhauses, als Gönner der Stiftung. Dies
Alles macht es dann sehr erklärlich, dass bei dem im Jahre 1255 mit Unter-
stützung der Grafen begonnenen Neubau der Kirche die Meister der Kölner
Domfabrik zu Rathe gezogen wurden. In der That finden wir in der Anlage
und in den Details die grösste Uebereinstimmung, so weit sie zwischen der
kolossalen Metropolitane und der einsamen, im entlegenen Thale errichteten
Klosterkirche stattfinden konnte. Der Grundplan, die schlanken, aufstre-
benden Verhältnisse namentlich die bedeutende Höhe, mit der das Mittel-
schiff über die sehr niedrig gehaltenen Seitenschiffe emporragt, sind im
kleineren Maassstabe dieselben. Wie dort ist auch hier der Querarm drei-
schiffig und der Chor, mit (fünf Schiffen ansetzend, durch einen Kranz von
sieben Kapellen geschlossen. Das Langhaus ist dagegen dem Herkommen
gemäss dreischiffig. Die Details sind zwar minder reich als in der Kathe-
drale, aber dennoch sehr elegant und völlig im Geiste des neuen Styles.
Statt der Pfeiler sind hier, wie in anderen gothischen Cistercienserkirchen,
namentlich wie in Villers und Longpont, einfache Säulen angewendet, welche
auf kelchförmigen , mit einfachen Blättern belegten Kapitalen die Gewölb-
dienste tragen. Die Gewölbgurten haben die ausgebildete gothische Profi-
lirung, die meist viertheiligen, aber am Chorschlusse auch hier zweitheiligen
Fenster wohlgebildetes, zum Theil selbst reiches Maasswerk, unter ihnen ist
ähnlich wie in Köln eine den Pfosten derselben entsprechende, viereckig
eingerahmte Gallerie angebracht. Die Strebepfeiler und Strebebögen sind
zwar schlicht, aber dennoch giebt auch das Aeussere durch die verhältniss-
mässig bedeutende Höhe seines schlanken Oberschiffes den Eindruck des
Leichten und Kühnen, [während das Innere von vollendeter Eleganz und
Anmuth ist. Uebrigens ist nur ^der Chor und ein Theil des Kreuzschiffes
unmittelbar nach der Gründung ausgeführt, während das Langhaus in den
Details spätere Formen zeigt, und [die Weihe erst ihi Jahre 1379 erfolgte.
Auch die kolossalen acht- und sechstheiligen Fenster der Westseite und der
Kreuzfagaden werden erst dem vierzehnten Jahrhundert angehören, obgleich
ihr reiches Maasswerk noch durchaus regelmässige geometrische Bildung hat.
1) Schimmel, die Cistercieiiserabte, Altenberg-. — E. fürster, Denkmale, Bd. JX.
Werke der Kölner Hütte. 421
Zu den Arbeiten , welche unter dem P^influss der Bauhütte des Domes
-entstanden sind, Ivönnen wir ferner in Köln selbst den im Jahre 1262 be-
gonnenen und dem Albertus magnus zugeschriebenen^), im Anfange dieses
Jahrhunderts abgebrochenen Chor der Dominicanerkirche rechnen, der
nach Wallraff's Versicherung dem Donichore glich. Auch die augeblich
schon 1260 geweihete Minoritenkirche daselbst wird einem solchen Ein-
flüsse zuzuschreiben sein. Sie hat einen einfachen, fünfseitig geschlossenen
Chor, kantonirte Rundscäulen, Kelchkai3itäle, die zum Theil nackt, zuffl Theil
mit sehr einfachen Blättern ausgestattet sind, birnförmig profilirte Gurten,
aber roh und plump geschnittene Scheidbögen; die Oberlichter und die
Fenster des Chores sind mit einfachem, der Elisabethkirche von Marburg
ähnlichem Maasswerk ausgestattet. Der ganze Bau ist zwar licht und ge-
räumig, aber wie die Kirchen dor Bettelorden zu sein pflegen, bis zur
Dürftigkeit schlicht und von minder edler Form, sogar in Einzelnheiten
schon an den späteren entarteten Styl erinnernd. Indessen kann uns dies
nicht bestimmen, die Kirche selbst in eine spätere Zeit zu setzen, da es be-
greiflich ist, dass diese Ordensbrüder den neuen Styl nur in möglichst spar-
samer Weise anwandten-). In der Diöcese Köln giebt die Kirche der
1) Die älteste Nachriclit über diese Bauthätigkeit des gelehrten Scholastikers war
in einem Glasg-emälde des Chores selbst gegeben, wo sicii unter dem Rildniss des
Albertus die Inschrift fand :
Condidit iste chorum Praesul qui philosopliorura
Flos et Doctorum fuit Albertus, scholaeque morum
Lucidus errorum destructor obesque malorum
Hunc rogo Sanctorum uumero Dens adde tuorum,
welche es allerdings noch zweifelhaft lässt , ob die Mönche, welche sie nach seinem
Tode anfertigten , die Bauthätigkeit ihres grossen Mitbruders uicht übertrieben haben.
Auch die Chronik der Stadt Köln (1499) schreibt ihm zu, dass er diesen Chor
„meysterlich" gebaut habe, Noch bestimmter sagt sein, freilich erst im siebenzehnten
Jahrhundert lebender Biograph, Vincentius Justinianus: Chorum — tamquam optimus
architectus juxta normam et verae Geometriae leges — erexit , und an einer anderen
Stelle: Chori formam et ideam suis manibus expressit. Beide späteren Nachrichten sind
eigentlich keine Beweise, da sie ohne Zweifel nur auf der, schon durch jene Inschrift
begründeten Tradition rnheten. Vgl. Krenser a. a. 0. und Christlicher Kirchenbau I,
376, sowie Merlo Nachrichten von Kölnischen Künstlern S. 19.
2) Lassaulx (zu Klein's Rheinreise S. 496) bezweifelt, dass die gegenwärtige Kirche
ooch die um 1260 geweihete sei, ein Zweifel, der durch die im Text aufgestellte Be-
merkung beseitigt wird. Auch ist (wie v. Quast im D. Kunstbl. 1852 S. 196 anführt)
die ganz ähnliche Dominicanerkirche in Regensburg ungefähr gleichzeitig, um 1273,
gebaut. Mertens u. Lohde a. a. 0. S. 178 dagegen vermutheu auf Grund historischer
Nachrichten und daraus gezogener Schlüsse, dass der Chor dieser Kirche schon 1246
vollendet gewesen, und wollen (S. 183) dem späteren Dombaumeister Gerhard eine
Mitwirkung an demselben zuschreiben.
A.22 Gothischer Styl in Deutschland.
Benediktiner - Abtei zu München-Gladbach^) ein Beispiel der raschen-
Wandelung des Styles und des Einflusses, welchen der Kölner Donibau aus-
übte. Im Jahre 1242 war, wie wir urkundlich wissen, ein Neubau beab-
sichtigt oder vielleicht schon begonnen'^). Im Jahre 1275 erfolgte und zwar
durch den berühmten, damals wieder in Köln lebenden Albertus magnus die
Einweihung des Hochaltars im Chore. Zwischen diesen Jahren werden also
die Theile entstanden sein, welche sich nicht, wie die Krypta, als älteren, oder
wie das Öbergeschoss des Thurmes und das gegenwärtige Gewölbe des Mittel-
schiffes als späteren Ursprunges zu erkennen geben. Dennoch tragen gerade
diese Theile ein sehr verschiedenes Gepräge. Das Langhaus, augenschein-
lich auf drei Doppelgewölbe angelegt , obgleich diese wie es scheint damals
unausgeführt blieben, ist im rheinischen Uebergangsstyle erbaut, durchweg
mit rundbogigen Fenstern, aber spitzen Scheidbögen, und theils runden theils
spitzen Arcaden des Triforiums. Es zeigt ähnliche Formen, wie die Kirchen
zu Neuss und Andernach, wie das Langhaus der Apostelkirche und wie
St. Cunibert zu Köln. Dieser Bau wurde, vielleicht weil die Zuschüsse spar-
sam flössen, etwa im Jahre 1253 mit einer provisorischen Holzdecke bedeckt
und so abgeschlossen, bald darauf aber wahrscheinlich der Bau des Chores
begonnen, da er im Jahre 1275 schon soweit vollendet war, um wie die
Consecrationsurkunde ergiebt, die "Weihe des Altares zu gestatten. Hier
herrscht nun ein ganz anderer Geist. Der Chor ist zwar ohne Umgang und
Kapellenkranz, mit fünf Seiten des Zehnecks geschlossen, aber er ist im
entschiedenen, wohlverstandenen frühgothischen Style durchgeführt, mit
Strebepfeilern, deren Fialen den Dachrand tiberragen, mit schlanken zwei-
theiligen Maasswerkfenstern , mit Profilen und stylisirten Blättern , welche
die Schule des Kölner Domes deutlich zeigen. Da man nun überdies im
Kloster, wie die Notiz im Nekrolog desselben ergiebt, den Todestag des
„Dombaumeisters Gerhard" feierte, so ist es sehr wahrscheinlich, dass er
den Bau des Chores von Köln aus geleitet oder durch einen seiner Gehülfen
ausführen lassen und dadurch die Dankbarkeit der Mönche verdient habe^)..
1) Organ für christl. Kunst, 1859, S. 269, mit Abbildungen. — Bock, Rheinlands
Baudenkmale , Bd. f.
-) Zum Behufe eines Neubaues der aedificia et officinae ecclesiae Gladebacensis-
verleiht Erzbischof Conrad im Jahre 1242 der Abtei die Pfarrkirche der Stadt (Lacom-
blet Urkundenbuch II, Nro. 276). Die kleine Monographie von Eckertz und Növer (die
Benedictiner-Abtei M, Gl. 1853) giebt keine weitere Auskunft.
3) Die von Dr. Eckertz in Erbkam Zeitschrift für Bauwesen, Band XII, 1862
Sp, 367 publicirte Stelle des Nekrologs: ,,VIII Kai. Maji obiit Magister Gerardus de
Summo" lässt keinen Zweifel (vgl. oben S. 514, Anm. 3), dass damit der Dombau-
meister, eigentlich der Baumeister des Domchores, gemeint sei, dessen Todestag:
wir hierdurch leider ohne Angabe des Todesjahres erfahren. Die Mitwirkung
Die Stiftskirche zu Xanten.
423
Noch wichtiger ist die schöne Stiftskirche St. Victor in Xanten.
Schon im Jahre 1213 begannen die Stiftsherren einen Neubau, aus dem die
unteren Stockwerke der westlichen Thürme mit einem dazwischen gelegenen,
im Aeusseren nicht vortretenden Chore erhalten sind; sie haben im "Wesent-
lichen romanische Formen ^l Fünfzig Jahre später, 1263, wurde dann der
alte, nun völlig baufällige östliche Chor abgebrochen und der Grund zu
einem neuen gelegt, dessen Vollendung gegen Ende des Jahrhunderts erfolgt
sein kann, während das Langhaus und die Nebengebäude erst in der zweiten
Fig. 112
Stiftskirche zu Xanten.
Hälfte des vierzehnten und bis in das sechszehnte Jahrhundert, und zwar
wegen des sparsamen Zuflusses der Mittel sehr langsam erbaut wurden. Die
■vollständig erhaltenen und in vieler Beziehung höchst interessanten Rech-
Gerhards im Chore von Gladbach ist zuerst von Mertens nnd Lohde (a. a. 0. Sp. 187
behauptet , aber in die Zeit von 1242 — 1253 verlegt und als eine dem Dombau vorher-
gehende Thätigkeit des jungen Meisters aufgefasst, eine Annahme, welcher schon v. Quast
(ebenda Sp. 497) widersprach und welcher die Conseerationsurkunde des Altars ent-
gegensteht. Vgl. diese Urkunde bei Bock, Rheinlands Baudenkmale, Lief. 4, S. 11, 12.
^) Nach der Angabe des Vincentius Justinianus (wie erwähnt eines Schriftstellers
des siebenzehnten Jahrhunderts), hat Albertus magnus den Chor von Xanten geweihet
fBinterim Sutfraganei Colonienses p. 40, und Kreuser Christlicher Kirchenbau I, 377).
Da der Ostchor nach glaubhaften alten Notizen des Stiftes erst 1263 begonnen ist
(Anno 1263 VI. Kai. Sept. inchoata est nova aedificatio St. Victoris) , und Albertus
schon 1280 starb, kann jene Weihe (wie auch Zehe, BeschreibuDg des Domes zii
Xanten, Münster 1851, ainiimmt) sich nur auf den westlichen Chor bezogen haben.
424
Gothischer Styl in Deutschland.
nungen dieser späteren Bauzeit^) ergeben, dass man auch damals stets
fremde Meister zuzog, aus Mainz, aus Wesel, und wiederholt aus Köln; bei
schwierigen Aufgaben werden auch wohl andere Meister von Köln zur Be-
rathung herbeigerufen. Geschah dies noch im fünfzehnten Jahrhundert, so
wird der Bau des dreizehnten Jahrhunderts, also einer Zeit, wo der gothische
Styl in diesen Gegenden noch fremd war, gewiss nicht ohne Beihülfe von
Köln vorgenommen sein, wie dies denn auch die Details unzweideutig erkennen
lassen. Dagegen ist die Anlage eine abweichende und eigenthümliche (Fig. 112).
Die Kirche hat nämlich kein Kreuzschiff und keinen inneren, durch einen Umgang
Fig. 113.
Kirclie zu Ahrweiler.
umschlossenen Chorraum , wohl aber fünf Schiffe und neben der fünfseitig
geschlossenen Apsis auf jeder Seite zwei aus vier Seiten des Achteckes ge-
bildete, diagonal gestellte Kapellen. Es ist also im Wesentlichen dieselbe
Anlage wie an St. Yved in Braisne und an der Liebfraueukirche in Trier.
Es ist sehr merkwürdig, dass wir diese Anlage, nur vereinfacht, gleich-
zeitig auch an anderen Stellen finden. So zunächst an der überhaupt eigen-
^) Wir verdaukell die Mittlieiluug derselben {Auszüge aus deu ßaurechnuiigeu der
Victorskirche zu Xanten, 1852) dem zu früh verstorbenen Dr. Schölten. Vgl. darüber
Lübke im D. Kunstbl. 1852, S. 426, 434. Abbildungen giebt Schimmel in den Denk-
mälern Westphalens, Lief. 2, 7.
Stadtkirche zu Ahrweiler, Katharinenivirche zu Oppenheim, 425
thümlichen Stadtkirche zu A h r w e i 1 e r. Sie ist nämlich (Fig. 113) nur dreischiffig
und ebenfalls ohne Kreuzschiff, hat aber neben dem dreiseitig geschlossenen,
dem Mittelschiffe entsprechenden Chore am Ende jedes Seitenschiffes eine
durch fünf Seiten des Achteckes gebildete, diagonal gestellte und daher tiber
die Linie der Seitenraauern hinaustretende Nische, so dass diese drei Nischen
ein Ganzes bilden und nahebei die Wirkung eines Chorumganges geben. In
dieser Gestalt sehen wir deutlich, dass hier der Gedanke der radianten
Stellung im französischen Kapellenkranze mit einer einheimischen Remini-
scenz verschmolzen ist. Es ist die Zusammenstellung der drei Schlussnischen
des romanischen Styles, welche in der Zeit des Uebergangsstyles an der
Kapelle zu Ramersdorf und später an dem schon völlig gothischen Chore der
Petrikirche zu Soest durch eine erweiterte Haltung des Chores und engere
Verbindung der Nischen mit demselben bedeutsamer gemacht war und durch
die diagonale Stellung der Seitenkapellen noch mehr belebt wird. Der Chor
zu Ahrweiler scheint in den Jahren 1254 — 1274 gebaut zu sein, während
das Langhaus, das seltene Beispiel einer Hallenkirche in den Rheinlanden,
in den niedrigen runden Säuleustämmen mit schönem Blattwerk an den Kapi-
talen wohl auch noch den Charakter dieser Zeit, aber in dem Fenster-
maasswerk schon die Formen des 14. Jahrhunderts zeigt. Die eingebauten
Emporen gehören der spätesten Gothik an^).
Ich knüpfe hieran die Erwähnung einer dritten, bedeutenderen Kirche,
obgleich sie ausserhalb der Diöcese von Köln liegt und der Einfluss der
dortigen Schule auf sie zweifelhaft ist, der St. Kathar ine nki rohe zu
Oppenheim, die als eine der schönsten Leistungen des gothischen Styles
in Deutschland berühmt ist-). Der grössere Theil des Gebäudes gehört
zwar einer späteren Zeit an, der in Trümmern liegende westliche Chor dem
fünfzehnten , die Ausschmückung des Langhauses , namentlich der pracht-
vollen Maasswerkfenster und Spitzgiebel, dem vorgerückten vierzehnten
Jahrhundert. Der östliche Chor und die Anlage des Langhauses stammen
dagegen aus dem Bau von 1262 — 1317, von welchem eine handschriftliche
Chronik berichtet. Dieser östliche Chor hat nun im Wesentlichen dieselbe
') Abl)il<luiigen uud Beschreibung dieser interessanten Kirche bei Müller, Beiträge
II, Taf. 5 und ff, S. 36 und 53, welcher die ganze Kirche in das vierzehnte Jalir-
hundert, wie Lassaulx a. a. 0. S. 480 in das dreizehnte Jahrhundert setzt. — Organ für
Christi. Kunst, 1863, S. 269 mit Abbildungen. — Dem Chor der Kirche zu Ahrweiler
ist sehr ähnlich derjenige der Nicolaikirche zu Anclam (Kallenbach , Chronologie,
Taf. 59), Kugler, kl. Schriften I, S. 783. Der Chor von Xanten ist in dem des
St. Martinsdoms zu Ypern ^Mitth. der k. k. Ceutral-Commission, II, S. 245) und in dem
des Doms von Kaschau in Ungarn (ebenda S. 241) wiederholt.
2) Abbildungen in Moller's Denkmälern I, Taf. 31 — 37, und in dem musterhaft
ausgeführten Prachtwerke v. F. H. Müller: die Katharinenkirche zu Oppenlieim.
^26 Goihischer Styl in Deutschland.
Anlage wie der von Ahrweiler, von dem er sich nur dadurch unterscheidet^
dass die Seitenkapellen hier nicht wie dort von gleicher Höhe mit der Chor-
nische, sondern bedeutend niedriger sind. Das Maasswerk der zweitheiligen
Chorfenster gleicht dem der Kapellenfenster im Kölner Dome, auch die
Basis der Pfeiler des Langhauses ist der dortigen ähnlich, die Pfeiler selbst
haben aber nicht mehr den runden Kern, sondern sind wirkliche Bündel-
pfeiler mit tiefen Höhlungen zwischen den einzelnen Diensten, so dass dieser
Bau wie in geographischer, so auch in architektonischer Beziehung der
Schule von Köln und der von Strassburg gleich nahe steht ^).
Ausserhalb der Diöcese können wir den Eintiuss der Kölner Schule
nur in wenigen Fällen mit Gewissheit nachweisen. Sehr entschieden und
in grossartiger Weise zeigt er sich an der Kathedrale von Utrecht, deren
edle Formen auch dem flüchtigen Reisenden durch ihre Verschiedenheit von
dem gewöhnlichen Style der holländischen Kirchen auffallen ^). Seit dem
Einsturz bei einem Sturme im Jahre 1674 ist wenig mehr als der Chor
übrig, mit welchem dieser Bau begonnen worden war, und der nicht nur in
seiner Anlage mit Umgang und Kapellenkranz eine directe Nachahmung des
Kölner Domchors ist, sondern mit diesem auch in den Einzelformen über-
einstimmt, die ihr Vorbild allerdings an Vollendung nicht erreichen. Der
Zusammenhang beider Bauhütten ist sehr erklärbar, da bald nach der Mitte
des dreizehnten Jahrhunderts Heinrich von Vianden, Verwandter des Erz-
bischofs Conrad und bis dahin Domprobst zu Köln, den bischöflichen
Stuhl bestieg °), und den Neubau des Chores begann, dem dann im folgenden
Jahrhundert mit fortdauernder Verbindung beider Schulen das Langhaus
folgte. Auch die Kathedrale von Metz hat unläugbare Verwandtschaft mit
dem Kölner Dome, sie gehört aber (mit Ausnahme gewisser bedeutend älterer
Theile) ganz der folgenden Epoche an und ist daher erst später näher zu
erwähnen.
Als ein vereinzeltes merkwürdiges Beispiel des gothischen Profanbaues
aus dem 13. Jahrhundert verdient endlich das sogenannte Grashaus in
Aachen Beachtung, welches als das älteste Rathhaus der Stadt unter der
Regierung Richards von Cornwall (1257 — 1272), laut Inschrift von einen
Meister Heinrich errichtet wurde. Das unterste Stockwerk, jetzt von
einem Thorweg durchbrochen, hatte ehemals nur vermauerte Rundbogen-
^) Ich habe schon oben S. 369 erwähnt, dass der Chor von Xanten an St. Bavon
in Gent und der von Oppenheim an St. Gengoul in Toul wiederholt ist.
-I Abbildungen bei Wiebeking- bürgerliche Baukunst Taf. 113 und 120. — Vgl.
anch F. N, Eijck tot Zuylichem, kort overzigt van den Bouwtrant der middeleeuwsche
kerken in Nederland, aus den Berigten van het Historisch Gezeischap, II, S. 36.
•'') Noch als Bischof bezog er gewisse Einkünfte seiner Kölner Stelle. Lacdmblet
Urkundenbuch II, 396.
Grasliaus zu Aachen. 427
blenden und enthielt in seinen von schweren Tonnengewölben geschlossenen
Räumen die bürgerlichen Gefängnisse , während die Treppe zum Saal wahr-
scheinlich seitwärts emporführte. Vor diesem lag eine Bogenlaube, deren
Oeffnungen gegen die Frontseite des Hauses nicht mehr erhalten sind, und
darüber erhebt sich das dritte Stockwerk des Gebäudes, der reichste Theil
des Ganzen, sieben von Säulen umschlossene Spitzbogennischen mit den
Standbildern der geistlichen und der weltlichen Kurfürsten. In der kräftigen
Behandlung des Blattwerks, in den lebendigen Profilirungen tritt uns auch
hier die Einwirkung der Bauhütte von Köln entgegen^).
Mit dem Beginne des Kölner Dombaues verschwand auch jene Vorliebe
für den Uebergangsstyl, welche bis dahin noch bedeutende Bauten in über-
wiegend romanischer Weise hervorgebracht, und selbst den gothischen, unter
dem Einflüsse der Trierer Bauhütte entstandenen Werken einzelne roma-
nische Reminiscenzen aufgedrängt hatte. Um 1279^) wurde selbst am
Mainzer Dome, also an einer Stelle, wo der romanische Styl sich durch eins
seiner mächtigsten Monumente eingebürgert hatte, die St. Barbarakapelle
in den edelsten und elegantesten gothischen Formen errichtet, und wir können
im Allgemeinen diese Zeit als die Grenze bezeichnen , wo , ganz vereinzelte
Ausnahmen abgerechnet, die letzten Nachklänge des rein romanischen Styles
der Rheinlande verhallten. Nicht nur wurde die Zahl der Meister immer
grösser, welche in den Hütten von Trier, Köln oder Strassburg, oder an
anderen, von diesen abgeleiteten Bauten, oder endlich auf selbständigen
Wanderungen in Frankreich die Schule gothischen Styles gemacht hatten,-
sondern der Ruf von der Schönheit und von den technischen Vorzügen
dieses Styls war auch schon so gewachsen, dass die Bauherren ihn ver-
langten, und die Arbeit nur solchen Meistern anvertrauen wollten, die in ihm
erfahren waren.
Ohne Zweifel wanderten nicht bloss rheinische Werkleute, sondern auch
solche aus den inneren Gegenden Deutschlands nach Frankreich. Die Ver-
bindung dieser Gegenden mit dem Mutterlande des neuen Styles war daher
nicht durch die Rheinprovinzen vermittelt; fanden wir ja doch eher als in
diesen am Magdeburger Dome und an der St. Georgskirche zu Limburg
entschiedene Anklänge an französische Bauten. Daher erklärt sich, dass
der gothische Styl, etwa gleichzeitig mit dem Beginn der Bauten von Strass-
1) Die Annahme von Mertens und Lohde, Zeitschr. für Bauwesen 1862, Sp. 358,
welclie hier englischen Einfluss erkennen wollen, wird durch die Formen nicht im
mindesten unterstützt. Abbilduagen publicirt von R. Cremer, Zeitschrift für Bauwesen
1861, Taf 31 u. 32, sowie bei Bock, Rheinlands ßaiidenkmale, Bd. 1 (restaurirt).
-) Wie Wetter in dem Texte zu den Photographien des Domes, S. 9, angiebt,
seine frühere Annahme in dem Buche „Geschichte und Beschreibung des Domes zu
Mainz", S. 54, nach neueren Ermittelungen berichtigend.
428 Golliischer Sly! in Deutschland.
bürg und Köln^ in allen Gegenden Deutschlands bis zu den östlichen Marken
hin häufig und mit eigenthümlicher, nicht durch die rheinischen Bauten be-
dingter Auffassung vorkommt. Aber gewiss war in diesen entfernteren
Gegenden der Verkehr mit Frankreich nicht ein so reger, die Forderung
<lo3 fran;^ösischen Styles nicht eine so bestimmte, die Vorliebe für gewisse
einheimische, diesem Style fremde Formen eine grössere. Wenigstens be-
merken wir, man kann fast sagen so wie wir den Rhein überschreiten,
nirgends ein so genaues Anschliessen an den französischen Styl, als im
Chore von Köln und im Langhause von Strassburg. Vielmehr macht sich
fast überall ein mehr oder weniger bewusstes Bestreben geltend, den neuen
und auch hier beliebten Styl, wie es schon an der Elisabethkirche in Marburg
geschehen war, einheimischen Bedürfnissen und deutschem. Geschmacke
gemäss umzugestalten. Schon am Münster zu Freiburg ist das Triforium
fortgelassen und dagegen die Balustrade unter den Fenstern in eigenthüm-
licher Weise ausgebildet, und gewöhnlich fehlen dem Chore der Umgang und
der Kapellenkranz. Noch bedeutender sind diese Abweichungen in den
inneren Gegenden Deutschlands. Während der gothische Styl in Frankreich
zu einem festen Kanon ausgebildet war^ dem sich auch die entfernteren
Gegenden unterwarfen , wurde er in Deutschland fast in jeder Provinz selb-
ständig bearbeitet und selbst innerhalb der einzelnen Landschaften mit
individueller Freiheit behandelt. Daher geben denn auch die deutschen
Bauten, welche bis zum Schlüsse des dreizehnten Jahrhunderts entstanden,
keineswegs eine chronologische Reihe zusammenhängender Fortschritte, und
nur eine Uebersicht über die einzelnen Provinzen kann uns eine Anschauung
von der Auffassung und Gestaltung des neuen Styles in Deutschland ge-
währen.
Nach Westphalen warder gothische Styl, wie wir oben gesehen haben,
schon ziemlich frühe und zwar durch die hessische Schule gelangt, mithin
schon mit deutschen Elementen versetzt und namentlich der im westphälischen
I'ebergangsstyle ausgebildeten Form der Hallenkirchen angepasst. Allein
dennoch stand ihm die zähe Anhänglichkeit an den allerdings noch nicht
längst aufgekommenen Uebergangsstyl noch lange entgegen, bis man ihn an
einzelnen bedeutenden Werken der einheimischen Anschauungsweise noch
mehr genähert hatte. Dies geschah wahrscheinlich zuerst am Dome zu
Minden^).
Die Nachrichten über dies grossartige Gebäude sind so dürftig, dass
wir seine Geschichte fast ganz aus den Formen herauslesen müssen. Von
dem Chore habe ich schon gesprochen; er gehört (mit Ausnahme des erst
in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts angefügten polygonen
') Lübke a. a. 0. S. 236, Taf. XVIU.
Der Dom zu Minden. 429
Schlusses) dem Uebergangsstyle au, hat wie die Domchöre von Münster und
Osnabrück jene früher beschriebene schöne und zweckmässige Ausstattung
mit mehreren reich geschmückten Arcadenreihen , und mag am Anfange des
dreizehnten Jahrhunderts entstanden sein. Das Kreuzschiff, mit dicken
Mauern, starken, eckig gegliederten Wandpfeilern, romanischem Pflanzen-
schmuck der Kapitale und Eckblättern der Basis, scheint dem Chore gleich-
zeitig. Das Laughaus dagegen zeigt die edelsten Formen des frühgothischen
Styles : schlanke Rundpfeiler mit vier stärkeren und vier schwächeren Diensten,
ihre Basis an Kern und Diensten rund, die Kapitale von zwei Reihen leicht-
gebildeter Blätter umgeben; Gewölbgurten mit gothischer, wenn auch noch
dem Herkommen des Uebergangsstjies gemäss etwas derb gehaltener Profi-
lirung, hochgeschwungene Gewölbe, reiche Maasswerkfenster. Er ist eine
Hallenkirche, wie St. Elisabeth in Marburg, aber mit anderer Anordnung
des Grundplanes. Während in dem hessischen Münster der Pfeilerabstand
und die Seitenschiffe die halbe Breite des Mittelschiffes haben, die Gewölb-
felder des letzten also schmale Rechtecke bilden, die sich von der Vorhalle
bis zum Kreuze sechsmal wiederholen, bestehen hier nur drei solcher Felder,
aber von bedeutender Tiefe, fast Quadrate (38:35). Das Herkommen des
Uebergangsstyles, in welchem die Hallenform durch Fortlassung des Zwischen-
pfeilers ausgebildet und die quadrate Form des Mittelgewölbes beibehalten
war, ist also mit dem gothischen Style verschmolzen, der westphälischen
Neigung für breite und einfache Verhältnisse ist Rechnung getragen. Diese
Gewölbe sind dann von ungewöhnlicher Höhe und kuppeiförmig ansteigend,
so dass der Schlussstein der Diagonalen sehr viel höher liegt, als der Scheitel
der Quergurten. Während im Kölner Dome, in St. Elisabeth in Marburg
und in den meisten französischen Kirchen die senkrechte Gewölbhöhe vom
Kapital des oberen Dienstes gerechnet etwa zwei Siebentel der Gesammthöhe
beträgt, erreicht sie hier bedeutend mehr als drei Siebentel, fast die Hälfte.
Allerdings ist dies zum Theil nur scheinbar, indem sämmtliche Bögen stark
überhöht sind, so dass der untere Theil der dicht gedrängt aufsteigenden
Rippen in der That nur eine senkrechte Unterlage der erst weiter oben
sich abneigenden Wölbung bildet. Allein dies ist für die Wölbung gleich-
gültig, zumal jener wirkliche Anfang der einzelnen von demselben Pfeiler
getragenen Bögen nach Maassgabe ihrer grösseren oder geringeren Span-
nung tiefer oder höher liegt, und daher nicht sehr auffällt. Der Winkel,,
den der Bogen mit dem senkrechten Theile der Rippen bildet, erscheint dem
Auge daher nur als kühne und unberechenbare Schwingung der verschiedenen
Bögen, und macht sich nur in den Seitenschiffen, wo die üeberhöhuug sehr
viel grösser ist , um ungeachtet der sehr viel geringeren Breite den Ge-
wölben eine annähernd gleiche Scheitelhöhe mit denen des Mittelschiffes zu
geben, stärker geltend. Alles dies eriimert noch einigermaassen an den
430
Gothischer Styl in Deutsclilaiui.
Fig. 114.
Uebergangsstyl, der in Westphalen , wie wir gesehen haben , oft wirkliche
Kuppelgewölbe, oft aber auch, z. B. im Chore der Nicolaikapelle zu Ober-
Marsberg und in der Klosterkirche von Barsinghausen i), quadrate Kreuz-
gewölbe hatte, die bei der grossen Spannung ihrer halbkreisförmigen Diago-
nalen ein ähnliches Verhältniss zur Gesammthöhe wie hier erreichten. Auch
ist die Praxis, die Bögen nach Maassgabe ihrer Spannung an verschiedenen
Stellen der Höhe anheben zu lassen, dem Uebergangsstyle völlig geläufig,
nur dass er dann dies Verfahren nicht wie hier verbarg, sondern mit naiver
Offenheit zur Schau trug, indem
sich auch die Höhe der tragen-
den Säulen und die Lage der
Kapitale nach dem Bogenanfang
richtete, obgleich der Pfeiler,
zu dem sie gehörten, dadurch
eine etwas unregelmässigere
Gestalt bekam. Allein jeden-
falls ist der Meister von diesen
Reminiscenzen nicht beherrscht
worden, sondern hat sie nur,
und zwar mit grosser Gewandt-
heit und gründlicher Kenntniss
der Wölbung, bewussterweise
benutzt, um den Schwierigkeiten,
welche aus dem Grundplane
hervorgingen, in einer dem
Geiste des gothischen Styles
entsprechenden Weise zu be-
gegnen. Um die weiten qua-
draten Felder des Mittelschiffes
zu überwölben und den schma-
leren Gewölben der Seiten-
schiffe eine annähernde Hohe zu geben, ohne die schlank zu haltenden Pfeiler
übermässig hoch hinaufzuführen, musste er zu solchen Aushülfen seine Zu-
flucht nehmen-), und es ist nicht zu verkennen, dass der durch die Ueber-
höhung erreichte kühne Aufschwung der Gewölbe dem Ganzen ein leichteres
Ansehen giebt, als die breite Pfeilerstellung erwarten lässt. Diese Pfeiler-
stellung hat dann ferner auch die Behandlung der Fenster und ihres Maass-
Aus dem Domo zu Minden.
1) Lübke Taf. XII.
2) Auch in der Elisabctlikirche zu Marburg sind die Seitengewölbe bedeutend
überhöht.
Der Dom zu Minden. 431
Werkes bestimmt. Sie sindTiämlich, obgleich sie nicht den ganzen Raum
zwischen den Wandpfeilern und Schildbögen einnehmen, ungewöhnlich breit und
hoch und durch Maasswerk von sehr derber Profilirung und eigenthümlicher
Anordnung gefüllt. Starke, theils einfache, theils bündelartig gruppirte,
säulenartig mit Basis und Kapital versehene Pfosten bilden nämlich unten
vier, fünf oder sechs Abtheiluugen, welche, zu zweien oder dreien durch
darübergespannte Spitzbögen verbunden, vermöge derselben eine gewaltige
Rose oder doch strahlenförmiges Maasswerk eines halbirten Kreises tragen,
welches bis an den oberen Fensterbogen reicht. Die Ausfüllung dieser Rosen
durch radialgestellte, von einem inneren Kreise ausgehende, durch Spitzbögen
mit der Peripherie verbundene Säulchen erinnert noch sehr an romanische
Radfenster; der grosse Kreisbogen, den sie unterhalb der Spitze des Fensters
bilden und der die Ausfüllung des Zwischenraumes durch einige ziemlich
müssige Figuren erfordert, contrastirt mit der sonstigen consequenten Durch-
führung des gebrochenen Bogens. Das zierliche Nasenwerk fehlt gänzlich,
und man kann zugeben, dass die ganze Anordnung keinesweges, wie die
des französischen Styles, eine bis ins Einzelne durchgeführte organische Ent-
wickelung darstellt. Allein bei alledem ist die Wirkung dieser praclitvoUen,
stets wechselnden Muster, namentlich aucli dieser sonnenartig ausstrahlenden
Körper in dem Lichtfelde der Fenster eine bezaubernde, und wir fühlen,
dass eine auf Vergleich ung beruhende Kritik hier nicht angebracht ist. Das
ganze Gebäude ist wirklich eine in sich durchaus harmonische Conception,
deren Abweichungen von den gothischen Werken anderer Gegend durch die
Hallenform, die weite Pfeilerstellung, die quadraten Hauptgewölbe bedingt
sind. Die Kreisform innerhalb der Fenster steht in voller Analogie mit
den Quadraten der Gewölbfelder, der hohe Schwung der Gewölbe nöthigt
den breiten Grundverhältnissen den Ausdruck des Schlanken und Kühnen
ab, ihre überhöhte Form giebt durch die Mannigfaltigkeit der sich durch-
schneidenden Bogenlinieu dem perspectivischen Durchblick einen eigenthüm-
lichen Reiz und bringt ein bewegteres Leben in die an sich einfache und
schwere Haltung des Ganzen, lieber die Entstehungszeit dieses herrlichen
Baues wissen wir, wie gesagt, nichts Näheres. Die Wahrscheinlichkeit,
dass das Langhaus nicht lauge nach der Vollendung des Kreuzschiffes in
Angriff genommen, die mannigfachen Reminiscenzen an den Uebergangsstyl
und die Behandlung der gothischen Details rechtfertigen indessen die An-
nahme, dass es im dritten Viertel des Jahrhunderts begonnen sei.
Ungeachtet seiner Schönheit und der glücklichen Verschmelzung des
neuen Styles mit westphälischen Eigenthümlichkeiten scheint auch dieser
Bau noch keinen schnellen Einfluss gehabt zu haben. Zwar wurde er später-
hin maassgebend und eine Reihe westphälischer Kirchen sind ihm nach-
gebildet. Allein die meisten derselben gehören dem folgenden Jahrhundert
432 Gothischer Styl iu Deutschland.
an, und nur etwa die Minoritenkirche zu Soest i), welche in kleinerem
Maassstabe die Yerhältnisse des Grundplanes, der Gewölbhöhe, der Fenster
wiederholt und dabei einfache, nur mit vier Diensten besetzte Ruudpfeiler
hat, dürfte noch in das dreizehnte fallen.
Ganz anders verhielt es sich in Sachsen. Der Charakter dieses Volks-
stammes lebhaft, scharfsinnig, gewissenhaft, mehr verständig, als im Gefühle
lebend, gründlich und in der feineren Ausführung unübertrefflich, geschmack-
voll, aber mehr kritisch als schöpferisch, fordert auch in der Kunst vor Allem
die feste Basis eines Princips. Das Suchen und Streben nach einem unbe-
kannten Ziele ist nicht seine Sache. Den Gedanken der romanischen Basilika
mit gerader Decke hatte er mit so viel Glück wie Beharrlichkeit ausgebildet,
alle möglichen Consequenzen und Umgestaltungen desselben versucht, ihn
aber nun auch völlig erschöpft. Ein eigener Uebergangsstyl hatte sich nicht
gebildet, der rheinische nicht Wurzel gefasst. Hier war also in der That
ein Bedürfniss, zu dessen Befriedigung der gothische Styl sehr gelegen kam.
Zuerst war er auch hier, wie wir oben gesehen haben, in Nienburg an der
Saale, von Hessen aus eingedrungen; aber sei es, dass die Hallenform von
der alten Gewohnheit der Basiliken zu sehr abwich, sei es, dass man lieber
aus der Quelle als aus zweiter Hand empfangen wollte, die anderen säch-
sischen Bauten gothischen Styles folgten dieser Richtung nicht, sondern
scheinen eher aus unmittelbaren französischen Studien, wenn auch wiederum
mit manchen Modificationen, hervorgegangen zu sein. Auch zeigen sie, selbst
in nächster Nachbarschaft, grosse individuelle Verschiedenheiten.
Zu den frühesten gothischen Bauten in Sachsen gehört die Cistercienser-
kirche zu Pf orta (Schulpforte) bei Naumburg^). Die Gebäude dieses Klosters
geben im Kleinen eine Baugeschichte vom Ende des zwölften Jahrhunderts
an. Der Kreuzgang ist überwiegend romanisch, mit spitzbogigem Gewölbe,
aber mit runden Arcaden auf viereckigen Pfeilern mit eingeblendeten Eck-
säulchen. Eine abgesonderte Kapelle, die sogenannte Abtskapelle, hat schon
weiter entwickelte Uebergangsformen, rundbogige oder kreisförmige Fenster,
den Ruudbogenfries und Lisenen, aber Rippengewölbe auf Säulenbündeln,
welche schon ein Gefühl für die Betonung des verticalen Princips zeigen.
Die Kirche endlich ist entschieden gothisch und zwar mit ganz anderer Auf-
fassung wie in der hessischen Schule. Sie hat zwar noch wie die älteren
Cistercienserkirchen Pfeiler viereckigen Kernes von wechselnder Stärke, an
1) Lübke a. a. 0. Taf. XXI.
2) Puttrich a. a. 0. Abtli. II, Bd. I.
Der Dom zu Magdeburg. 433
welchen im Langhause Kragsteine die Quadraten Gewölbe tragen, aber die
Bündelpfeiler und das Maasswerk der zweitheiligen Fenster im dreiseitig aus
dem Achtecke geschlossenen Chore gehören schon dem neuen Style an, das
ganze Gebäude ist mit Strebepfeilern bewehrt, und das Oberschiff, schlank
über die niedrigen Seitenschiffe aufsteigend, wird von kühn geschwungenen
Strebebögen gestützt. Der Chor wurde, wie die darin betindliche Inschrift
bezeugt, im Jahre 1251 begonnen; eine Weihe erfolgte im Jahre 1268, und
nur die Ausschmückung derFa^ade, namentlich des ziemlich reich profilirten
Portales, mag in spätere Zeit fallen,
Aelter noch mag die Cistercienser-Nonnenkirche in Stadt Roda
sein, welche an den Langwänden die in dieser Gegend fremde Form gekup-
pelter Lancetfenster , an der Giebelwand des rechtwinkelig geschlossenen
Chores aber schon grössere, mit primitivem Maasswerk gefüllte Fenster
enthält^). Endlich zeigt auch die Kirche des Benedictiner - Nonnenklosters
Heiligenkreuz bei Meissen, die nach der imjahre 1217 erfolgten Anlage
schon im Jahre 1240 vollendet gewesen sein soll, das Eindringen gothischer
Formbildung. Die Klostergebäude haben noch den zierlichen spätromani-
schen Styl der sächsischen Gegend, Pfeilerecken mit Auskehlungen, Säulen
mit feineren Würfelkapitälen, die hohe Basis mit der sie umfassenden Hülse.
Auch der Grundriss der Kirche ist noch romanisch, aber die Kapitale der
Gewölbdienste, die Pappen der Gewölbe und die schlanken Fenster verrathen
schon gothische Tendenz-).
Auch bei dem Bau des Domes zu Magdeburg näherte man sich diesen
Tendenzen immer mehr. "Während die Kapellen des Chores, wie wir gesehen
haben, auf französisch-gothischem Grundplane, aber mit romanischen Details
und gewaltigen Mauern errichtet waren, hat die Gallerie schon leichteres
Mauerwerk mit Strebepfeilern, das Oberschiff endlich schlanke zweitheilige
Fenster, die jedenfalls auf Maasswerk angelegt waren, obgleich das gegen-
wärtig darin befindliche aus späterer Zeit herstammen mag. Für die Ge-
schichte des Gebäudes haben wir nur wenig leitende Daten. Eine Weihe
erfolgte, so viel wir wissen, erst im Jahre 1363, und in einer Urkunde von
1274 klagt der Erzbischof, dass der Bau stocke, die Seitenwände nicht
höher hinaufgeführt, die Kapitale nicht aufgesetzt, die Bögen nicht gewölbt
würden. Ohne Zweifel bezog sich diese Klage auf das Langhaus, dessen
Mauern bis zur Fensterhöhe von derselben Dicke wie die der Chorkapellen,
dessen Pfeiler viereckigen Kernes und mit kräftigen Halbsäulen unter den
Scheidbögen versehen sind und in so weiten Entfernungen stehen, dass man
1) Puttridi, .\btli. I, Bnud II, Serif Altenburg, Taf. 15. — Zeitschrift für Bau-
wesen, 1860, Taf. 57.
2) Puttrich, Serie Meisseu, Taf. 20 — 23.
Schnaase's Kunstgosch. 2. Aufl. V. 28
434 Gothischer Slyl in Deutschland.
bei der späteren Ueberwölbung über jeder Abtbeilung zwei schmale Kreuz-
gewölbe anbringen musste. Diese im Wesentlichen romanische Anlage lässt
darauf schliessen, dass man das Langhaus bald nach der Vollendung der
unteren Theile des Chores begründete, demnächst zur Vollendung des Chores
schritt, dann aber, da den Chorherren wiederum die Stätte des Dienstes ge-
sichert war, den Bau ruhen liess, bis ihn die Klage des Erzbischofs vom
Jahre 1274 wieder in Gang brachte. Ein Leichenstein im Osten des Lang-
hauses trägt die Jahreszahl 1294, ein anderer im Kreuzschiffe aber schon
die von 1266, so dass also dieses zur Zeit jenes Klagebriefes schon bestan-
den haben muss. Ohne Zweifel war zu dieser Zeit der Chor schon längst
vollendet, da man seiner zuerst bedurfte, so dass wir wohl annehmen dürfen,
dass auch die oberen Theile nicht später als um 1240 — 1250 entstanden
sind. Auch ist die Gewölbanlage der oberen Chorhaube noch sehr primitiv
und zeigt, dass die Bedeutung der Rippen noch nicht verstanden war, indem
diese mit der übrigens schon sehr leicht gehaltenen Wölbung nicht in Ver-
bindung stehen, sondern sie nur als diagonale Gurtbögen stützen^).
Jedenfalls war der gothische Styl in seiner reineren Form in dieser
Gegend schon um 1249 bekannt, wie dies der Westchor des Domes zu
Naumburg beweist, dessen Errichtung Bischof Dietrich in seinem bereits
oben erwähnten offenen Briefe angekündiget hatte. Obgleich der Bau erst
im Jahre 1254 sich der Unterstützung durch eine IndulgenzbuUe Papst
Innocenz III. erfreute und beim Tode des Bischofs im Jahre 1272 noch
nicht vollendet war, lag doch beim Erlasse des Briefes wahrscheinlich schon
der, wenigstens für die Anlage ausreichende Plan vor. Der Chor, einschiffig
und mit drei Seiten des Achteckes abschliessend, hat entwickelte Strebe-
pfeiler mit kleinen Fialen, hohe zweitheilige Fenster mit wohlgebildetem
Maasswerk, Bündelpfeiler mit leichten Blattkapitälen und birnförmig profi-
lirte Gewölbrippen -), Er gehört in allen Beziehungen dem reifen gothischen
Style an und ist eine wohlgelungene Leistung desselben.
Während dieses Baues erhob sich aber an der Nordseite des Harzes
ein sehr viel schöneres und wichtigeres Monument, der Dom zu Halber-
stadt, von dessen unter der Leitung des Propstes Semeca (1237 — 1245)
durch Errichtung der Thürme an der Fagade in den Formen des Ueber-
gangsstyles begonnenem Neubau wir früher (S. 354) gesprochen haben. Ohne
Zweifel war, da man an der Westseite begann, der ältere Chor und ein Theil
1) S. über die Geschichte des Domes Rosenthal Geschichte derBaultunst in Crelle's
Journal Bd. 26, S. 72, und im besonderen Abdrucke III, 759, so wie den Text zu dem
schon oben angeführten Kupferwerlie von Clemens, Mellin und Rosenthal. Fr. Wiggert
der Dom zu Magdeburg, 1815.
'-) Puttrich I, 1, Serie Naumburg, Taf. 4, 22, 23.
Der Dom zu Halberstadt. ' 435
•des Schiffes zum Behufe des Dienstes aufrecht gelassen, so dass die Fort-
setzung nicht drängte und nach dem Tode jenes eifrigen Propstes eine
Unterbrechung eintrat, nach welcher der Bau dann vom Jahre 1252 an und
zwar mit Hülfe einer Reihe von Ablassbriefen des Kardinal-Legaten und
näherer und entfernterer Bischöfe, welche bis in das Jahr 1276 fortläuft,
eifrigst und im neuen Style fortgesetzt wurde. Dann stockte er aufs Neue ;
erst im Jahre 1341 schritt man zur inneren Ausstattung und im Jahre 1345
zur völligen Vollendung, also muthmaasslich zur Ueberwölbung des Chores.
Die mittleren Theile waren aber noch unvollendet, so dass der Bischof sich
im Jahre 1366 zu der Maassregel entschloss, den Domherren einen Theil
ihrer Einkünfte zu Gunsten der Kirchenfabrik abzunöthigen. Aus der Bau-
zeit von 1252 — 1276, die uns hier interessirt, stammen die drei westlichsten
Abtheilungen des Langhauses vollständig, die östlichen Theile des Langhauses
aber, deren Ausführung im Inneren und Aeusseren eine spätere Zeit verräth,
nur der Anlage nach, welche man, schon um den Zusammenhang des Grund-
risses zu sichern, nicht bis nach der Vollendung des Chores aufgeschoben
haben wird ^). Ungeachtet der vielfachen Unterbrechungen des Baues ist
das Ganze und zwar vermöge der ursprünglichen Anlage eines der edelsten
"Werke des gothischen Styles aus seiner ersten und frischesten Zeit. Der
Meister hat sich offenbar an den besten Mustern gebildet, aber seine geistige
Freiheit bewahrt. Von der hessischen Schule weicht er völlig ab und bleibt
wie die französischen Meister den älteren Traditionen treuer; das Kreuz-
schiff hat rechtwinkelige Anlage, die Seitenschiffe sind niedrig gehalten.
Er hat ein durchgeführtes Strebesystem, Strebepfeiler mit Tabernakeln und
Fialen, Strebebögen, welche die steilabfallende Wasserrinne tragen, beide
an den drei westlichen Abtheilungen noch sehr einfach und denen der Ka-
thedrale von Rheims ähnlich, an den mehr östlich gelegenen Theilen des
Langhauses und am Chore dagegen reicher, aber weniger geschmackvoll.
Die \iertheiligen Fenster mit regelmässigem Maasswerk füllen den Raum
zwischen den Pfeilern vollständig aus, dagegen ist, wie es in Deutschland
häufig geschah, das Triforium fortgelassen. Die Plananlage hält gewisser-
maassen die Mitte zwischen französischer und deutscher Weise. Der Chor
ist nämlich von Seitenschiffen und einem Umgange umgeben, aber nur mit
drei Seiten des Achteckes geschlossen, ohne Kapellenkranz. Die vereinzelte
Kapelle auf der östlichen Schlussseite des Umganges hatte wohl nicht einma
im ursprünglichen Plane gelegen, da das Kapitel erst in einer Urkunde von
1345 dem Bischof gegenüber die Verpflichtung übernahm, sie an Stelle einer
') Vgl. über diese gescliiclitliclien Daten Lucanus, der Dom zu Halberstadt, 1837
(mit Abbildung-en), und die kritischen Bemerkungen in Kugler's kleinen Schriften I
S. 480, 489. — Abbildungen auch in Förster's Denkmalen, Bd. VIH.
2S*
436
Gothischer Styl in Deutschland.
anderen behufs des Baues abgebrochenen Kapelle zu errichten. Das Kreuz-
schiff hat nur die Breite des Mittelschiffes und ist ohne Seitenschiffe ; die-
ungewöhnliche Länge des Chores machte eine grössere Ausdehnung entbehr-
lich. Der Plan unterscheidet sich daher charakteristisch von dem der fran-
zösischen Kathedralen; er verfolgt fast ausschliesslich" die Längenrichtung .
ist minder reich und mannigfaltig. Wenn das innere Heiligthum, der Chor-
raum, dort wie im weiten, faltigen Gewände auftritt, sieht man es hier
schlicht, mit enganschliessendem Kleide. Aber diese Beschränkung giebt
dem Ganzen eine schlankere Haltung und eine edele Einfachheit, welche nicht
minder anspricht und den deutschen Traditionen zusagt. Im Inneren finden wir
Pfeiler runden Kernes mit angelegten Diensten, doch so, dass zwischen den vier
stärkeren sechs kleinere und frei angelegte Säulen'), und zwar auf der
Frontseite je zwei, nach den Seitenschiffen je eine, angebracht sind. Es ist
Fig. 115.
Dom zn Hallierstadt.
mithin, wie im Domchore zu Köln, jene weiter ausgebildete kantonirte-
Säule, die wir in Frankreich etwa um 1230 an mehreren Orten fanden, hier
jedoch mit eigenthümlicber und sorgfältiger Berücksichtigung des Bedürf-
nisses der verschiedenen Gewölbgurten angewendet. Die Dimensionen sind
minder bedeutend als an den Kathedralen von Rheims und Amiens, die Ver-
hältnisse aber ganz ähnlich; die Gewölbhöhe (84Fuss) übersteigt zwar nicht
wie dort das Dreifache der Mittelschiffbreite (32), sondern bleibt nicht uner-
heblich darunter, aber sie hat fast das Fünffache der Linie, welche haupt-
sächlich als Maassstab der Höhe dient, des Pfeilerabstandes von Kern zu
Kern (18), und das Ganze erscheint um so leichter und schlanker, als der
Kaum zwischen den Scheidbögen und den mächtigen Oberlichtern sehr gering
^) So findet es sich an den dieser Epoche angehörigen drei westlichen , während
an den übrigen späteren Pfeilern die Dienste mit dem Stamme aus einem Stücke ge-
arbeitet inid die nach dem Mittelschift' zn liervortretenden durch kleine Hohlkehlen
verbundeu sind.
Der Dom zu Halbcrstadt.
437
ist. Die Details endlich zeigen durchweg ein feines Verständniss des Ver-
ticalprincips und zum Theil schon weitere Consequenzen , als in den meisten
gleichzeitigen französischen Bauten. Die Frontsäulen der Pfeiler steigen
ununterbrochen zum oberen Gewölbe hinauf, die Kapitale sind niedrig und
mit leichtem Blattwerk verziert, die Basis steht auf rautenförmiger Plinthe
Fig. 116.
, 1-
^ -I
eo iöBh.r
Dom zu Halberstadt.
•die Gewölbgurten sind durchweg schon mit tiefer Unterhöhlung birnförmig
profilirt.
Endlich gehört auch noch der Dom zu Meissen^), wenigstens seiner
') PuttricU, a. a.O. I, 2.Lief. 10—12. — Schwechten,derDonizu M. — Förster, Denkm.l.
^3g Golhischer Styl in Deutschland.
Anlage nach and in einzelnen Theilen, dieser Epoche an, obgleich er vor-
herrschend das Gepräge des vierzehnten Jahrhunderts trägt. Bischof
Witigo I. begann wahrscheinlich bald nach seiner Erhebung auf den bischöf-
lichen Stuhl im Jahre 1266 den Neubau und betrieb ihn mit grossem Eifer
und mit Hülfe zahlreicher Ablassbriefe. Einer derselben vom Jahre 1272
bezeichnet das neue Werk schon als ein prachtvolles (fabricam opere novo
tarn sumtuoso inchoatam), ein anderer von 1290 setzt sogar eine theilweise
Vollendung voraus, indem der Ablass nur ertheilt wird, um die Kirche zu
ehren und ihren Besuch zu steigern (ut congruis honoribus veneretur, et a
cunctis fidelibus jugiter frequentetur). Wahrscheinlich waren, als der Bau nach
Witigo's Tode 1293 unterbrochen wurde, der Chor und das Kreuzschiff im
Wesentlichen vollendet, das Langhaus angelegt. Bald darauf erlitt aber die
Kirche in der Fehde zwischen Friedrich mit der gebissenen Wange und
Adolph von Nassau im Jahre 1295 eine in diesen Zeiten ungewöhnliche Ver-
wüstung, und dies mag erklären, dass nicht nur das ganze Langhaus, son-
dern auch manche Details des Chores und Kreuzschiffes, z. B. das Fenster-
maasswerk, den Charakter des vierzehnten Jahrhunderts tragen. Nach dieser
Zerstörung wurde erst unter Witigo IL (1312 — 1342) der Bau wieder auf-
genommen und das Langhaus ausgeführt; erst am Ende des vierzehnten und
am Anfange des fünfzehnten kam man zur Errichtung des westlichen Thurm-
baues. Auch die Zierde des Domes, der schlanke durchbrochene Helm eines
der beiden schon von Witigo L in den Ecken zwischen Chor und Kreuz
angelegten Thürme, ist erst gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts
entstanden. Der Grundplan, der wie gesagt wahrscheinlich schon der ersten
Bauperiode angehört ^) , gleicht einigermaassen dem des Halberstädter
Domes; ein dreischiffiges, hier nur um eine Abtheilung kürzeres Langhaus^
wenig ausladende einschiffige Kreuzarme, ein sehr langer, dreiseitig aus dem
Achteck geschlossener Chor, dem indessen hier die Seitenschiffe und der
Umgang fehlen. Ein wichtigerer Unterschied ist, dass das Langhaus hier
nicht, wie in Halberstadt, niedrige, sondern dem Mittelschiff an Höhe gleiche
Seitenschiffe hat ; allein offenbar war dies bei der ersten Anlage nicht beab-
sichtigt, sondern erst im vierzehnten Jahrhundert bei der Ausführung dieses
Theiles auf den bereits gelegten Fundamenten beschlossen. Schon die Enge
der Seitenschiffe und des Pfeilerabstandes, beide genau von halber Mittel-
■schiffbreite -), noch mehr aber die Gestalt des Pfeilerkernes, der nicht, wie
1) Die bedeutende Stärke der Mauern im ganzen Gebäude mit Ausnahme von vier
Abtheilung-en dernördlichen Wand, welche leichter gehauen sind, lässt darauf schliessen,
dass jene bis auf diesen kleinen Theil schon unter Witigo I. über die Fundamente-
hinausgeführt waren.
-) Zwar hat die Elisabelhkircbe in Marburg dasselbe Verhältniss, allein in spätere»
Hallenkirchen gab man fast immer den Seitenschiffen und dem Abstände grössere Breite.
Der Dom zu Meissen. 439
es diesem Systeme entspricht, rund oder poIygon ist, sondern ein im Sinne
der Breitenrichtung schmales Rechteck bildet, deuten darauf hin, dass man
bei ihrer Anlegung nicht an eine Hallenkirche dachte. Die Aufgabe, diese
ungünstigen Grundformen zu einer solchen zu verwenden, hat daher auch
manche Eigenthümlichkeiten hervorgebracht, welche diesen Bau von anderen
Kirchen dieses Systems unterscheiden, auf die ich aber erst in der nächsten
Epoche näher eingehen werde. Der gegenwärtigen gehören ausser dem Chore
zwei Kapellen an, die Johanniskapelle und die an den späteren Kreuzgang
anstossende Magdalenenkapelle. Jene ist offenbar die ältere , achteckig,
äusserlich durch ein einfaches Gesims in zwei Geschosse getheilt und daher
mit zwei Reihen kleiner Fenster ausgestattet, deren Maasswerk aus zwei
Kleeblattbögen und einem einfachen Kreise besteht; im Innern durch wohl-
gebildete Wandpfeiler und Gewölbrippen, durch eine am Fusse der Wand
hinlaufende Arcatur mit inneren Kleeblattbögen verziert, mit schlanken,
kelchförmigen Kapitalen mit zwei Blattreihen, durchweg im reinen und noch
strengen Style früher Gothik, entspricht sie völlig der Zeit um 1266. Ganz
ähnlich ist im Inneren des Chores die Bildung der Wandpfeiler und der als
Rücklehnen der Chorstühle dienenden Arcaden. Die Magdalenenkapelle
endlich, die schon 1274 als bestehend erwähnt wird ^), hat bei übrigens sehr
strenger, gothischer Form in ihren hohen zwei- und viertheiligen Fenstern
völlig ausgebildetes Maasswerk von reinster und edelster Art.
Wir sehen daher an diesen Domen den gothischen Styl zwar nicht mit
der genauen Nachbildung französischer Weise, wie am Rheine, aber doch
mit näherem Anschluss an dieselbe, als in Hessen und Westphalen, und mit
vollstem Verständniss seines Priucips angewendet. Nur darin bemerken wir
einen wesentlichen Unterschied, dass statt des Kapellenkranzes (mit Ausnahme
des frühen Versuchs in Magdeburg) stets die einfache polygone Chornische
angewendet und das Kreuz einschiffig gehalten ist, dass also statt der breiten
und massenhaften Grundverhältnissc der französischen Kirchen die Längen-
richtung vorwaltet; eine Aenderung, welche wohl zunächst aus Sparsamkeit
und aus der Gewöhnung an schlichtere Formen hervorging, zugleich aber
doch auch wenigstens in der Erscheinung des Aeusseren dazu beitrug, das
Moment schlanken, verticalen Aufsteigens zu betonen.
An den anderen Kathedralen und Stiftern des Sachsenlandes bestanden
die älteren Kirchen noch in guter Erhaltung, so dass an ihnen wenigstens
keine grösseren Bauten in dieser Zeit unternommen wurden. Doch zeigt der
schöne Kreuzgang am Dome zu Erfurt 2), wie sich hier unmittelbar an
die Ausübung des reichen spätromanischen Styles eine freie und elegante
1) Puttrich a. a. 0. S. 24, Taf. 4 und 5 a.
2) Puttrich II, 2, Lief 28 — 30, Taf. 7, 8.
440 Gotbischer Styl in Deutschland.
Gothik anschloss. Einzelne der viertheiligen Lichtöffnungen haben nämlich
noch ganz romanische Säulen, das Eckblatt der Basis und die üppig aus-
ladenden Kelchkapitäle mit romanischen Ranken, doch ist das Bogenfeld
schon durch offene Kreise durchbrochen. Andere und zwar an derselben
Seite des Kreuzganges zeigen dagegen reinen gothischen Styl, Säulchen mit
schlanken, reizend ausgeführten Kapitalen, freie Blattkränze, wohl gebildetes,
wenn auch noch primitives Maasswerk. Der gothische Styl scheint daher
während der Arbeit eingedrungen zu sein.
Die Neigung der Städte, sich mit grösseren Kirchen zu schmücken,
begann hier erst im folgenden Jahrhundert ; die meisten Bauten gingen jetzt
noch von Klöstern aus, hauptsächlich aber von den Bettelorden, welche gleich
nach ihrer Stiftung auch in Deutschland zahlreiche Niederlassungen grün-
deten, und in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts so viel Einiiuss
und Mittel erlangt hatten, um grössere Kirchen zu errichten. Wie früher
die Cistercienser schlössen sie sich an den der Entstehung ihres Ordens
gleichzeitigen Styl an ; hatten diese in einem mit den ersten Elementen des
Gothischen gemischten Uebergangsstyle gebaut, so nahmen sie den reifen
und principiellen gothischen Styl an. Es ist bemerkenswerth,dass die italienischen
Kirchen dieser Orden, namentlich zuerst die Kirche des h. Franziscus zu Assisi,
darin den Bauten diesseits der Alpen mit ihrem Beispiele vorangingen. Zwar
bildeten diese Orden nicht, wie die strenger disciplinirten Cistercienser, eine
eigene Bauschule aus, aber schon aus ihren Verhältnissen ergaben sich auch bei
ihnen gewisse Modificationen des allgemeinen baulichen Herkommens. Sie
waren völlig demokratische Institute, aus dem Volke hervorgegangen und
mit demselben in engster Berührung; sie standen in offener Opposition gegen
den Reichthum des Klerus und mussten daher selbst den Schein der Ueppig-
keit und Eleganz meiden ; ihre ganze Richtung war eine praktische, alle
Formen, welche mehr eine symbolische Bedeutung hatten oder nur als
herkömmlich und anständig beibehalten wurden, erschienen ihnen überflüssig.
Das Kreuzschiff blieb daher fort, Thürme erschienen entbehrlich, alle Details
wurden auf ihre einfachste Gestalt reducirt und, da sie eilig bauten, meistens
roh ausgeführt. Auch die herkömmlichen Verhältnisse der gothischen Plan-
anlage erlitten bei ihnen manche Aenderungen. Umgang und Kapellenkranz
des Chores kommen nicht vor, der einfache Polygonschluss genügte; auf die
schlanke Gestalt der Wandfelder verzichteten sie und zogen vor, durch
erweiterte Pfeilerstellung Raum zu gewinnen und Material zu sparen^). Aber
bei alledem machen ihre in dieser Frühzeit des gothischen Styles entstan-
1) Es ist nicht unmöglich, dass diese weite Pfeilerstellung von den Ordensbauten
in Italien, wo eine solche Anordnung allgemein vorherrschte, auf die diesseitigen Kloster-
kirchen übergegangen ist.
Prpdifi;er- iiiid Barfiisserkirche in Erfurt. 441
denen Kirchen durch ihre einfachen, übersichtlichen und luftigen Verliält-
nisse einen sehr günstigen Eindruck.
Zu den schöneren Bauten dieser Orden in Deutschland gehören die
einander sehr ähnlichen Kirchen der Dominicaner und Franziscaner (der
Prediger und Barfüsser) in Erfurt. Beide stammen zwar gewiss nicht
aus den Stiftungsjahren der Klöster (1228 und 1232), wohl aber werden sie
um die Mitte des Jahrhunderts begonnen sein, wie denn die Reihe der
Gräber in der Predigerkirche mit einem vom Jahre 1266, in der Barfüsser-
kirche'mit dem des im Jahre 1260 verstorbenen Erzbischofs Gerhard von
Mainz anhebt, dessen Bestattung offenbar nur bei vorhergegangener Voll-
endung wenigstens eines ansehnlichen Theiles der Kirche, etwa des Chores,
erfolgen konnte. Dieser Chor, einschiffig und dreiseitig aus dem Achteck
geschlossen, mit wohlgebildeten Wandpfeilern, Gurtprofilen und Rippenkapi-
tälen, und mit schlanken dreitheiligen Fenstern, die oberhalb der drei gleichen
Lancetbögen ziemlich derbes Maasswerk haben ^ i, entspricht in jeder Beziehung
dieser Bauzeit und scheint etwas älter als das Langhaus. Die Anordnung
ist in beiden Kirchen fast dieselbe; ein Langhaus ohne Querschiff, aber von
bedeutender Länge, die nicht durch die Zahl der Abtheilungen, sondern da-
durch bedingt ist, dass der Pfeilerabstand fast die Breite des Mittelschiffes
erreicht. Jede Abtheilung ist daher auch bei der späteren Ueberwölbung
durch zwei schmale Kreuzgewölbe bedeckt, deren trennender Quergurt auf
einer über der Spitze des hochaufsteigenden Scheidbogens angebrachten
Console ruht, welche in der Barfüsserkirche mit den an den eckigen Pfeilern
aufsteigenden Diensten alternirt, während in der Predigerkirche schon acht-
eckige Pfeiler vorkommen. Die ganze Länge besteht also in beiden Kirchen
aus sechszehn sehr schmalen Gewölben, und zählt auf jeder Seite eben so
viele Fenster. Die Seitenschiffe haben zwar nur halbe Mittelschifl'breite,
aber, in Folge des grossen Aufschwunges der weiten Schildbögen, eine mehr
als gewöhnliche Höhe, so dass die Oberlichter sehr klein sind. Die Anlage
hält also gewissermaassen die Mitte zwischen der hergebrachten Basiliken-
form und der Hallenkirche. Das bewegende Motiv ist offenbar die durch
die weite Spannung der Scheidbögen erlangte Ersparung von Pfeilern ; die
Kenntniss von der Tragekraft des Spitzbogens und der Wirkung der Strebe-
pfeiler ist also hier in eigenthümlicher Weise zur Verminderung der Mauer-
massen benutzt. Die Profilirung der Scheidbögen und Gurten und die Be-
handlung der Kapitale ist rein gothisch, wenn auch sehr einfach und fast
roh, und der Totaleindruck beider Kirchen durch ihre klaren und harmoni-
schen Verhältnisse ein völlig befriedigender. — Ganz übereinstimmend ist
der Chor der Seyeri-Stiftskirche in Erfurt, vom Jahre 1279, behandelt,
') Eine Iniieiiausiclit bei Puttricli a. a. 0., Taf. 16.
4A2 Gothischer Styl in Deutschland.
an welchen im 14. Jahrhundert ein Langhaus in Gestalt einer Hallenkirche
gefügt wurde.
Die Benedictiner waren meist im Besitze älterer Kirchen; gothische
Bauten kommen bei ihnen selten vor. Wo sie aber nothwendig wurden,
bewährt sich auch jetzt noch die grössere Prachtliebe dieses älteren Ordens.
Dies beweist die Kirche des Benedictinerklosters St. Aegidien zu Braun-
schweig, welche nach einem zerstörenden Brande vom Jahre 1278 sogleich ^j
in Angriff genommen wurde. Der Chor ist augenscheinlich der älteste Theil
und wahrscheinlich nebst dem wenig ausladenden Kreuzschiffe noch in die-
sem Jahrhundert vollendet; er hat niedrige Seitenschiffe, den Schluss mit
drei Seiten des Achteckes, aber auch einen Umgang und Kapellen, das erste
Beispiel einer solchen Anlage in diesen Gegenden. Indessen geben diese
Kapellen keinen wirklichen Kapellenkranz, sondern werden nur durch die
in das Innere gezogenen Strebepfeiler gebildet, und erscheinen äusserlich
wiederum nur als dreiseitiger Schluss des Umganges. Da der Boden hinter
dem inneren Chore sich senkt und der ganze Umgang tiefer liegt, so mag
dies die Veranlassung für diese ungewöhnliche Anordnung gewesen sein. Die
Pfeiler sind runden Kernes mit vier grösseren und vier kleineren Diensten,
die kelchförmigen Kapitale mit freianliegendem Blattwerk, die der Chor-
kapellen jedoch noch nach romanischer Weise mit phantastischen Thierge-
stalten geschmückt. Auch die Basis hat hier noch Formen des Uebergangs-
styles, indem sie aus einem Wulst und einer Rinne besteht. Die Pfosten der
Fenster sind noch mit Basis und Kapital versehen ; das Maasswerk ist über-
haupt noch sehr primitiv, rund profilirt und ohne Nasenwerk. Die Strebe-
pfeiler des Chorumganges sind mit schwerfälligen Fialen belastet und stützen
den oberen Chor durch einfache Strebebögen, welche mit dem Dachgesimse
durch rundgeformte Lisenen verbunden sind. Das Portal des Kreuzschiffes
ist von gothischen Säulchen und birnförmig profilirten Gurten eingefasst,
über demselben befindet sich aber noch ein Fries von gebrochenen, auf
Consolen ruhenden Bögen. Das Langhaus, wahrscheinlich erst im vierzehnten
Jahrhundert hinzugefügt 2), hat Hallenform, schliesst sich aber in allen Details
dem Chore an, nur überall mit Veränderung im Geiste der Gothik des vier-
zehnten Jahrhunderts. Der Sockel ist polygonförmig gestaltet, während er
dort rund ist, die anliegenden Dienste sind durch feinere Glieder mehr mit
1) Beides ergiebt sich daraus , dass noch in demselben Jahre ein Ablassbrief
erlassen wurde, welcher das coenobium als cum omnibus aedificiis et officinis suis in-
cendio miserabiliter lacrimabiüter destructum bezeichnet. Nachrichten über diese Kirche
und Beschreibung derselben bei Dr. Schiller, die mittelalterliche Architektur Braun-
schweigs, S. 119 ff.
-) An der letzten Säule nach Westen ist sogar die Jahreszahl 1434 eingehauen,
welche indessen vielleicht auf eine Reparatur hindeutet.
Schwaben. 443
dem runden Kerne verschmolzen, das Maasswerk der Fenster ist scharf-
kantig und durch Nasenwerk und eingelegte Pässe verziert. Sehr auffallend
ist die Nachlässigkeit, mit der man bei der Ausführung des Grundplanes
verfahren, überall finden sich Abweichungen von den Maassen oder von der
Fluchtlinie ^). Dessen ungeachtet machen die schönen, luftigen Verhältnisse,
die schlanken Formen, die zierlichen Details einen überaus günstigen, heiteren
Eindruck. Wir sehen daher hier den gothischen Styl, wenn auch mit Bei-
behaltung einiger beliebter romanischer Details, wie des Bogenfrieses und
der Thiersculpturen, mit grosser Sicherheit, ja selbst schon fast mit über-
müthiger Sorglosigkeit angewendet.
In Schwaben-) fand der gothische Styl, ungeachtet des Beispiels,,
welches das Freiburger Münster gab, keine sehr eifrige Aufnahme. Kurz
vorher, im zweiten Viertel des Jahrhunderts, hatte sich hier ein Uebergangs-
styl gebildet, welcher zwar in der Anordnung und in den Hauptgliedern
ziemlich nüchterne Formen annahm, die gerade Decke, einfache achteckige
Pfeiler, den Spitzbogen in strenger Form und mit eckiger Leibung, dabei
aber in der Ausschmückung des Aeusseren mit Arcaden und in der Ausstat-
tung der Kapitale mit phantastischen Ornamenten und Thiergestalten
malerische Effecte zu erreichen wusste, welche dem mehr poetisch als archi-
tektonisch begabten Stamme zusagten und ihn fesselten. Beispiele desselben
sind die Dionysiuskirche zu Esslingen, gegen Ende des 13. Jahrhun-
derts vollendet, und die Regiswindenkirche zu Lauffen am Neckar. Nur
die neugestifteten Klöster der Bettelorden errichteten ihre Kirchen in dem
nach ihrer Weise vereinfachten gothischen Style. Die Kirche der Domi-
nicaner zu Esslingen, St. Paul, welche nach der Gründung des Klosters
im Jahre 1233 begonnen und 1268 vollendet wurde, ist durchweg gewölbt,
mit weitgespannten Scheidbögen auf derben Rundsäulen und mit zweitheiligen
Fenstern, die an Stelle des Maasswerkes nur eine kreisförmige Oeffnung im
Bogenfelde haben. Edlere Formen hatte, nach dem allein noch stehenge-
bliebenen Chore zu urtheilen, die Franziscanerkirche derselben Stadt,
die wahrscheinlich mehrere Decennien nach der im Jahre 1237 erfolgten
Stiftung des Klosters erbaut wurde. Hier zuerst finden wir wirkliche Maass-
werkfenster und das scharfe, elastische gothische Profil. Das Langhaus
war übrigens auch hier, den erhaltenen Nachrichten zufolge, durch Rund-
1) Wie der bei Schiller a. a. 0. mitgetheilte Grundriss erg-iebt. Die Fundamente
sind nur einige Fuss tief und scheinen immer erst allmälig beim Fortschreiten des
Baues gelegt zu sein, was dann jene Unregelmässigkeit erklärbar macht.
") Heideloff' , die Kunst des Mittelalters in Schwaben , fortgesetzt von Fr. Müller.
Zusammenhängende Nachrichten giebt aber nur der Aufsatz von Merz , Kunstbl. 1845,
Nr. 84 S. — Vgl. auch Lübke, im Deutschen Kunstbl., 1855, S. 410.
AA^ Gothischer Styl in Deutschlant!.
Säulen gestützt. Dieser Vorgänge ungeachtet behielt man aber in der Nonnen-
kirche Gnadenthal bei Schwäbisch-Hall (begonnen um 1245) neben
gothischen Einzelheiten und Profilen auch jetzt noch die gerade Decke, den
achteckigen Pfeiler, den Bogeufries und andere romanische Details bei. Man
kann diese auffallende Erscheinung nur dadurch erklären, dass der Volks-
sinn mit einer fast eigensinnigen Anhänglichkeit an jenen hergebrachten,
schlichten Formen haftete und die consequente und solide Arbeit derGothik
als eiteln Prunk betrachtete. Endlich hat diese Kirche auch den geraden
Chorschluss, eine Eigenthümlichkeit, die sie mit der 1247 — 1343 erbauten
Marienkirche zu Reutlingen ^) theilt. Diese, vielfach noch streng in
den Formen, zeigt doch schon eine reine und ausgebildete Gothik. Die
achteckigen Pfeiler sind beibehalten, die schlanken, einfachen Fenster sind
im Oberschiife zu zweien, in den Seitenschiffen und am Chorschluss zu dreien
gruppirt, und unter dem Kranzgesimse des Mittelschiffs zieht sich noch ein
Spitzbogenfries hin, aber die Bögen der Arcaden sind schon reicher geglie-
dert, die Strebepfeiler mit ihren Fialen von eleganter Behandlung.
Einen sehr abweichenden Charakter trägt die Stiftskirche St. Peter zu
Wimpfen im Thal, indem wir hier statt der provinziellen Eigenthümlich-
keiten Formen antreffen, welche auf einen unmittelbaren Einfluss der fran-
zösischen Gothik deuten. Eine Nachricht, Avelche wir darüber besitzen,
giebt nicht nur die Erklärung dieser Erscheinung, sondern auch einen merk-
würdigen Beweis, dass man sich hier völlig bewusst war, dass der gothische
Styl kein deutsches Erzeugniss sei, sondern aus Frankreich stamme. Richard
von Ditenstein, Dechant dieses ritterlichen Stiftes Wimpfen am Neckar
während der Jahre 1261 — 1278, Hess die alte und baufällige Kirche ab-
brechen und eine neue erbauen; einer seiner Nachfolger, der schon im
Jahre 1300 starb und folglich sehr genau unterrichtet sein musste, erzählt
diesen Hergang in seiner Chronik und bemerkt, dass Richard zu diesem
Zwecke einen Baumeister, der erst kürzlich aus Frankreich und namentlich
aus Paris gekommen, herbeigerufen habe, um sie in französischer Arbeit
auszuführen. Das Werk, fügt er zu, innen und aussen mit Bildsäulen von
Heiligen, an Fenstern und Säulen mit erhabener Arbeit kostbar geschmückt,
sei von dem von allen Seiten herbeiströmenden Volke bewundert worden
und habe dem Künstler Ruhm verschafft \ Die Kirche besteht noch und
^) Abbildungen in Laib und Schwarz, Formenlehre des romanischen und gothischen
Baustyls, 2. Autl., 1858, Taf. VII u. VIII. — Die gerade Decke an Stelle der urspriing-
lichen Kreuzgewölbe in den Seitenschiffen rührt nur von der Herstellung nach einem
Brande von 1726 her.
-) F. H. Müller hat das Verdienst, in seinen Beiträgen zur deutschen Kunst- und
<ieschichtskunde, Bd. I, S. 73, zuerst auf diese, in Burchard's de Hallis Chronicon bei
Stiftskirclie zu Wimpfen im Thal. 44&
ist, bis auf die älteren romanischen Westthürme, in reinem gothischem Style
und in edlen Verhältnissen gebaut, mit runden, von vier stärkeren und vier
schwächeren Diensten besetzten Pfeilern, mit zierlichem Laubwerk an den
Kapitalen, während die Arcaden und die Vierungsbögen von glatten, aber
durch Einschnitte in drei Bänder zerlegten Gurten, also in ungewöhnlicher
Form, unterspannt sind. Das Strebewerk, welches freilich erst durch eine neuere
Eestauration vollendet wurde, ist bereits von eleganter Durchbildung, indem
die Strebebögen wie in Amiens von einer Arcatur durchbrochen sind ^). Die
Fenster des Langhauses wie des Chors und der kleinen Nebenapsiden sind
zweitheilig und schmal, und nach demselben Systeme ist das sechstheilige
Fenster des südlichen Querarmes angeordnet, das hier inmitten einer
reichen Fa^adenarchitektur, über einem schönen Portal mit Sculpturen und
zwischen Blenden und einer Arcadenreihe mit Statuen steht. Diese Chro-
nikenstelle ist allerdings vereinzelt, aber ihr Ton und ihre Worte lassen
darauf schliessen, dass sie einen sehr gewöhnlichen Hergang erzählt, der
sich aus der ganzen Lage der Dinge ergab, und in anderen Fällen nur des-
halb verschwiegen ist, weil er alltäglich war und weil die Geschichtsschrei-
ber des dreizehnten Jahrhunderts sich mit künstlerischen Dingen nicht viel
beschäftigten. Dass jener Baumeister ein Franzose gewesen, ist nicht anzu-
nehmen, der Chronist würde es seinem Zwecke gemäss erwähnt haben. Seine
Bemerkung, dass er erst kürzlich aus Frankreich gekommen, deutet vielmehr
auf einen deutschen Künstler, bei dem man darauf Werth legte, dass seine
Studien frisch und nicht durch die erneuerten Eindrücke der Heimath ver-
wischt waren. Wenn also die Bauherren den fremden Styl ausdrücklich
forderten, wenn sie denen, die ihn an der Quelle kennen gelernt hatten, den
Vorzug gaben, so war es natürlich, dass die strebenden Meister und Ge-
sellen sich die Wanderung nach Frankreich zur Regel machten, sie wo-
möglich wiederholten. Auch ergiebt der Umstand, dass unser baulustiger
Schannat Vindemiae litterariae II, p. 59 abgedruckte Stelle aufmerksam gemacht zu
haben. Sie lautet: Monasterium nimia vetustate ruinosum diruit, acciloque peritissimo
architecturae artis latomo, qui tunc noviter de villa Parisiensi e partibus venerat Fran-
ciae , opere Francigeno Basilicam ex sectis lapidibus construi jus&it: idem vero
artifex mirabilis ßasihcam, iconis Sanctorum intus et exterius ornatissime distinctam,
fenestras et columnas anaglici (ohne Zweifel für anaglyphi) operis multo sudore et
sumptuosis fecerat expensis, sicut usque hodie — apparet. Populis itaque undique
advenientibus, mirantur tarn opus egregium, laudant artifieem , venerantur Dei servum
Richardum etc.
^) An den restanrirten Partien hat man Maasswerk statt der Arcatur angewendet.
Kurze Bemerkungen über diese Kiiche giebt auch Kugler kl. Sehr. I, 96, und Geschichte
der Baukunst, 111, S. 296. — Vgl. A v. Lorent, Wimpfen am Neckar. Geschichtlicli
und topographisch dargestellt, Stuttgart 1870, nebst photographischem Album.
446 Gothischer Styl in Deutschland.
Dechant so schnell einen Rückkehrenden ermittelte, dass dergleichen Stu-
dienreisen sehr häufig gewesen sein müssen. Daraus erklärt sich denn auch,
dass wir am Strassburger und Kölner Dome schon eine Beziehung auf kurz
vorher entstandene oder gar noch in der Ausführung begriffene französische
Bauten, an den oberen Stockwerken des letzten auch auf solche Theile jener
Bauten finden , welche bei der Gründung des Chores noch nicht ausge-
führt waren.
In der schönsten und reichsten Entwicklung finden wir endlich den
gothischen Styl in der Cistercienserkirche zu Salem (oder Salmansweiler)
bei Mörsburg am Bodensee. Abt Ulrich IL (1282 — 1311) liess die vorhan-
dene alte Klosterkirche abreissen und setzte an ihre Stelle einen „edlen und
kunstvollen Bau", dessen Grundstein 1297 gelegt wurde. So eifrig er das
Werk betrieb, so war es doch bei seinem Tode noch nicht vollendet; das
reiche achttheilige Fenster des nördlichen Queurhausarmes trägt das Ge-
präge vom Anfange des vierzehnten Jahrhunderts, der Chor zeigt sogar noch
spätere Formen und die Weihe des Ganzen erfolgte erst 1414 ^). Aber die
Anlage und der Aufbau gehören im Wesentlichen noch der ersten Bauzeit
an und geben ein neues Beispiel des erfinderischen (jeistes, der sich in der
Bauschule dieses Ordens auch jetzt noch erhalten hatte. Die Arcaden werden
von höchst eigenthümlich gestreckten fünfseitigen Pfeilern getragen, welche
wegen ihrer bedeutenden Tiefe unter sich durch besondere schmale Kreuz-
gewölbe verbunden sind und welche gegen das Mittelschiff eine glatte Wand
bilden, an der erst in einer gewissen Höhe die Gliederung der Ecken und
das Aufsteigen der ausgekragten gewölbetragenden Dienste beginnt. Auf
ein sehr breites, einschiffiges Querhaus folgt dann ein Chor mit schlanken
Pfeilern und von fünfschiffiger Anlage, nach Brauch des Cistercienserordens
durch eine gerade Wand, die von einer Rose durchbrochen ist, geschlossen.
Das Fenstermaasswerk und die Strebepfeiler zeigen "bei der Schlichtheit,
welche die Ordenssitte verlangt, durchgängig schöne und correcte Ausbil-
') Jongelinus, Notitia abbatiarura Ordinis Cist. Col. 1640, II p. 92, 93. — Nach-
träge zu den Haus-Annalen von Salem, herausgegeben von Bader in Bd. 24 der Zeit-
schrift für Geschichte des Oberrheins, Carlsruhe 1872: „Anno domini MCCXCVII
scriptus est Über, in quo continentur Actus, Canonice epistole et Apocalipsis glossati.
Eodem anno , in mense Martis , scilicet idus Martii que tuuc erat proxima feria sexta
pracedens festum sanctissimi patris nostri Benedicti abbatis, positus est primus lapis
fuiMJamenti noui maioris monasterii ab Ulrico abbate dicto de Seluingen et per magnam
industriam eius et laborem , sicut nunc cernilur , est promotus alterius et eleuatus."
Vgl. die Chronik von Salmansweiler, Bad. Quellensammlung III, S. 31, wo es von dem
Abte und der Kirche heisst: „nobili et subtili opere cum maximis sumptibus construi
fecit et procuravit." — Eine Publication von Baurath Lang und Warth wird demnächst
in der Zeitschrift für Bauwesen erscheinen.
Cistercienserkirche zu Salem.
Fig. 117.
447
Cistercienser-Kirche .Salem (nach Stadler).
Fig. 118.
\ / ! \ /Hill
Aus Salem.
^4g Gothischer Styl in Deutschland.
dang. Dabei sind die Verhältnisse des Inneren von einer Schönheit, gegen
welche selbst die berühmtesten Dome in Süddeutschland zurückstehen
(Fig. 117, 118).
In Franken können wir nur wenige Beispiele frühgothischen Styles
nennen^). Dem Bamberger Dome wurde um 1274^der westliche Chor
nebst dem Querschiffe und den beiden Thürmen angebaut. Der Spitzbogen
ist hier consequent durchgeführt, die Gewölbdienste haben schon gothische
Gliederung ; aber die Consolen, auf welchen sie zum Theil ruhen, die Kapi-
tale an dem nördlichen Seitenportale und viele andere Details zeigen noch
romanische Reminiscenzen, die freilich schon durch den Anschluss an den
so glänzend ausgeführten Bau aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts herbei-
geführt werden mussten. Selbst die schönen Westthürme, mit ihren luftigen,
von schlanken Säulen getragenen Treppen, halten noch die Mitte zwischen
romanischer und gothischer Anordnung. Die Cistercienserkirche zu Ebrach,
deren ich schon früher gedacht habe, im Jahre 1285 vollendet und geweihet,
erhielt in dieser Zeit das prachtvolle gothische Rosenfenster an der Kreuz-
fayade. In den Jahren 1263 — 1280 wurde an die romanische Cistercienser-
kirche zu Heilsbronn ein dreifacher gothischer Chor-) gefügt, der in dem
'Mittelschiffe dreiseitig, in den Seitenschiffen gerade geschlossen ist und in
der Profilirung der Scheidbögen wie in den eckig gegliederten und mit vor-
gelegten Halbsäulen versehenen Bögen noch immer einen primitiven Cha-
rakter zeigt. Der Wilibaldschor des Domes zu Eichstädt zeigt bei
ausgesprochen gothischer Wölbung mit streng gegliederten Rippen, die auf
Gruppen von fünf runden Diensten mit höchst einfachen Blattkapitälen ruhen,
sogar noch rundbogige Fenster ^). Auch sonst sind es Ordenskirchen, wie
die Franziskanerkirche zu Rothenburg a. d. Tauber, die Deutschherren-
kirche zu "Würzburg, welche gegen Ende des Jahrhunderts als hervor-
ragendste Beispiele einer strengen aber völlig ausgebildeten Gothik dastehen *).
Die einzige bedeutende frühgothische Kirche in Franken ist dieSt. Lorenz-
^) Ueberreste frühgothischen Styls sind nocli in den Kirchen zu Fraueuthal bei
Creglingen (1231), Marienburghausen bei Hassfurth (1243) und Himmelpforten bei
Würzburg (1251), sämmtlich früher zu Cistercienser-Nonnenklöstern gehörig, erhalten.
Vgl. Mertens und Lohrie in der Zeitschrift für Bauwesen Bd. XII, (1862) S. 347.
2) R. V. Stillfried, Alterthümer und Kunstdenkmale des Erlauchten Hauses Hohen-
zoUern, neue Folge, Heft IV.
') Sighardt, Geschichte der bildenden Kunst im Königreich Bayern , S. 281 mit
Abbildung.
* Sighardt a. a. 0.
Frauken. 449
kirche in Nürnberg, deren Erbauung etwa um 1274^) und zwar wabr-
scheinlicb mit dem Unterbau der Tbürme und dem Langbause begann; der
Grundstein des Cbores wurde erst nach der Mitte des fünfzehnten Jahrhun-
derts, nach völliger Vollendung jener Avestlichen Theile gelegt. Die Anord-
nung der Westseite ist überaus regelmässig, die der Thürme enthält sogar
noch romanische Reniiniscenzen. Sie steigen nämlich, von massig starken
Strebepfeilern begrenzt, in der Breite der Seitenschiffe und viereckig mit
sieben uuverjüngteu Stockwerken auf, jedes nur durch ein zweitheiliges Fen-
ster belebt und von einem Gesimse mit einem spitzbogigen Bogenfriese be-
deckt; das untere etwas höher und mit seinem grösseren Fenster die Seiten-
schiffe beleuchtend, die fünf nächsten von geringerer aber zunehmender Höhe,
das oberste endlich schlanker und von zahlreichen schmalen Schallöifnungen
durchbrochen, auf seiner Plattform mit einem kleinen, achteckigen Thürm-
chen, zwischen dessen acht Giebeln der Helm aufsteigt. Um so reicher ist
dagegen der mittlere Theil ausgestattet ; ein hochgeschwungenes, durch einen
]\littelpfeiler getheiltes Portal mit tigurenreichem Relief des jüngsten Gerichts
im Bogenfelde, mit Statuen und Statuetten in den Höhlungen der Thür-
gewände, darüber hinter einer Balustrade ein gewaltiges Roseufenster von
reichster Ausführung, -welches bis zur Gewölbhöhe des Mittelschiffes reicht,
endlich ein hoher Giebel, durch Spitzsäulchen senkrecht getheilt, durch kleine
Arcaden belebt und mit einem ausgekragten Mittelthürmchen ausgestattet.
Die ganze Kraft reichsten Schmuckes ist also auf diesen mittleren Theil
concentrirt, dessen luftige Erscheinung in den ernsten und festen Massen
der Thürme eine günstige Einrahmung und die sichersten Stützen hat.
Das Laughaus selbst, in reinem, aber sehr streng und schlicht gehal-
tenem frühgothischem Style, steht gewissermaassen in der Mitte zwischen der
halbromanischen Einfachheit der Thürme und der reichen Ausstattung des
Einganges, Seine Anlage ist die herkömmliche mit Seitenschiffen von halber
Breite und Höhe des Mittelschiffes; die Hallenform hatte in dieser Gegend
noch nicht Aufnahme gefunden. Die Pfeiler sind zwar noch eckigen Kernes,
1) Uikuudliche Nacluichleu über die Entstehuugszeit der Kirclie sind gar uicht
bekauut geworden; die gewöhnliche Angabe, dass der Jseubau 1274 auf Betrieb des.
damals in Nürnberg lebenden kaiserlichen Hofrichlers Adolph von Nassau begonnen
und 1280 schon das schöne Portal (an welchem sein Wappen steht) ausgeführt sei,
leidet au der inneren Uuwahrsclieiulichkeit , dass mau schon sechs Jahre nach dem
Beginn des Baues au den Schmuck gedacht habe. Wahrscheinlicher ist, dass mau
schon vor dem angegebenen Jahre mit dem Unterbau der Thürme begann , dann das
Langhaus baute, dessen Styl dem Jahre 1274 sehr wohl entspricht, erst am Ende des
dreizehnten Jahrhunderts das bisher nur im Rohen augelegle Portal weiter ausführte,
uud noch später das mächtige Rosenfenster über demselben hinzufügte. — Vgl. R. v.
Rettberg, Nürnberg's Kunstleben, Stuttgart 1854.
Schnaase's Kunstgesch. 2. Aufl. V. '29
^50 Gothischer Styl in Deutsclilaud.
aber dicht besetzt mit gothischen Säulchen, welche auf der Frontseite
ununterbrochen bis zum Gewölbe aufsteigen^ die Kapitale schmucklose Kelche,
die Scheidbögen von reicher, aber derber gothischer Protilirung ; der hohen
Wand über ihnen fehlt das Triforium, die Fenster endlich haben einfaches,
regelrechtes Maasswerk. Durch die ziemlich bedeutende Höhe des Mittel-
schiffes, die einfachen und anschaulichen Verhältnisse, die Reinheit und
Gleichheit der Formen, den Mangel alles Ueberflüssigen macht das Innere
einen sehr würdigen, wahrhaft kirchlichen Eindruck, dessen Ernst durch die
dunkele Farbe des Steines noch erhöht wird. Auch hier finden wir also ein
vollkommenes Verständniss des gothischen Styles sowohl in seiner construc-
tiven Bedeutung, als im Reize seines Schmuckes ; aber zugleich eine sehr
freie und selbständige Auffassung, welche in einzelnen Fällen romanische
Reminiscenzen nicht verschmähet, und durch den vorherrschenden ernsten,
gemässigten und schlichten Sinn bei zweckmässiger Betonung der wesent-
lichen Verhältnisse sehr günstig wirkt und dem fremden Style ein nationales,
deutsches Gepräge giebt.
In Bayern war Regensburg der Schauplatz eifriger Bauthätigkeit.
In dem prächtigen Kreuzgange von S. Emmeram i) mischen sich die For-
men einer ausgebildeten Gothik mit denen eines effectvollen und phantasti-
schen Uebergangsstyls. Ein anderes Werk, welches ebenfalls noch bedeu-
tende Nachwirkungen des älteren Styls verräth, ist die nach 1250 begonnene
St. Ulrichs kir che oder Alte Pfarre, die sich auch durch eine sehr auf-
fallende Anlage auszeichnet-). Sie bildet nämlich ein einfaches Rechteck
von 174 Fuss Länge bei 74 Fuss Breite, das aus einem höheren, durch
Balken gedeckten, ebenfalls rechteckigen Mittelraume, und aus niedrigeren
Seitentheilen mit einer Empore besteht, welche denselben auf allen vier Seiten
umgiebt und nur auf der Mitte der Ostseite durch einen schmalen, hoch
hinaufreichenden Spitzbogen unterbrochen ist, unter welchem sich der sehr
enge Altarraum befindet. Es ist also eine Anlage, welche bei einer
hauptsächlich auf das Anhören der Predigt berechneten protestantischen
Kirche sehr begreiflich sein würde, die aber dem katholischen Gottesdienste,
1) Abbildungen bei Sighardt a. a. 0., S. 222 ff.
'^) Abbildungen bei Popp und Bülau, Heft 4, bei Grueber, vergleichende Samm-
lungen II, Tafel 16, 18, bei Sighardt a. a. 0. S. 220. — Vgl. übrigens in Betreff
aller hier erwähnter Kirchen z\i Regensburg die scliarfsinnigeu kritischen Bemerkungen
in dem Aufsatze von F. v. ÜLiast im D. Kunsilil. 1852 , S. 1G4 ff. , namentlich über
die alte Pfarre S. 195 und 207.
r>ie alte Pfarre zu Re»ensl)urg^. 451
in welchem das Sakrament des Altars den Hauptinhalt bildet ^ und dem Ge-
brauche cles dreizehnten Jahrhunderts wenig entspricht. Auch ergiebt die An-
ordnung der Emporen auf den vier Seiten Verschiedenheiten, welche es sehr
■wahrscheinlich machen, dass die ganze Anordnung nicht ursprünglich beab-
sichtigt, sondern erst durch eine spätere Aenderung, über welche wir freilich
keine ausführliche Auskunft haben, entstanden ist. Auf den Langseiten des
inneren Raumes ruhet nämlich die durch spitzbogige Oberlichter unter-
brochene Wand auf stämmigen, achteckigen Pfeilern, deren mit frühgothischem
Laubwerk verzierte Kapitale durch derbe, spitze Arcaden verbunden sind,
während die dazwischen eingebaute, nur 15 Fuss hohe Empore rundbogige
Kreuzgewölbe hat und mit jenen Pfeilern und Arcaden durchaus nicht har-
monirt. Hier scheint also eine ursprünglich nur auf einfache Seitenschiffe
berechnete frühgothische Anlage erst später die Empore aufgenommen zu
haben. Der westliche Theil, in welchem die Empore sogar die Tiefe zweier
Kreuzgewölbe hat, scheint auf eine frühere Zeit zu deuten ; das Portal ist
rundbogig, in der Empore linden sich Rundsäulen mit Eckblättern und aus-
gezeichnet schön gearbeiteten, aber romanischen Kapitalen. Dagegen lässt
die. Anordnung der östlichen Emporen und besonders das hohe, zweitheilige
Maasswerkfenster der Altarnische auf eine spätere Entstehung schliessen.
In der That findet sich hier auch eine inschriftliche Notiz über eine im
Jahre 1440 vorgenommene Herstellung, die freilich nach ihrem Wortlaute
nur das bereits bestandene Gewölbe betroffen zu haben scheint ^). Aber auch
ausser der ungewöhnlichen Anlage deutet der Umstand, dass der mittlere
Raum nur mit einer Balkendecke versehen ist, während die hoch iiinauf-
gehenden Wandpfeiler des Inneren und die Strebepfeiler des Aeussern eine
beabsichtigte Ueberwölbung anzeigen, auf eine während des Baues einge-
tretene Veränderung des Planes hin. Vermuthlicli war während des Baues
oder bald nach der Vollendung desselben ein Brand oder ein anderer Un-
fall eingetreten, von dem freilich keine urkundlichen Nachrichten erhalten
sind, welcher vielleicht eine früher bestandene Chornische zerstörte und eine
Herstellung veranlasste, bei der man aus Geldmangel diesen, sonst für unent-
behrlich gehaltenen Theil fortliess, dagegen aber die im Westen schon be-
stehende Empore auch auf den anderen Seiten herumführte, und eine An-
ordnung traf, um auch ohne jene zerstörten Theile dem Bedürfnisse der
•Gemeinde zu genügen. Nur in dem Avestlichen Theile der Kirche haben wir
daher den ursprünglichen, frühgothischen, aber noch mit romanischen Remi-
niscenzen gemischten Bau aus dem zweiten Viertel des dreizehnten Jahr-
') Anno dorn. MCCCCXL lioc opus trium testudüumi est renovatum tempore Wolf-
hardi plebani hujus eccl. Vgl. aucl: Sciuiegraf, Gesch. d. Doms zu Reyeasburg II. 192.
Sighart a. a. 0. S. 121.
29*
452 Gotliisclier Styl in Deutschland.
hunderts unentstellt, während in den übrigen Theiien das Alte durch Ueber-
arbeitung unkenntlich geworden ist ^). Indessen auch so ist das
Gebäude kunsthistorisch wichtig, weil es einen der ersten Fälle der Anwen-
dung des gothischen Styles in dieser östlichen Gegend und an einer
Pfarrkirche giebt, da er sonst fast nur an Kathedralen und Klosterkirchen
vorkommt.
Der zweite gothische Bau Regensburgs, die Dominica nerkir che
im Jahre 1273 hegonnen -), aber durch kräftige Ablassverleihungen und
durch den Eifer der Brüder gefördert, und wahrscheinlich schon in dem
kurzen Zeiträume von vier Jahren vollendet, ist wie die meisten gleichzeitigen
Kirchen der Bettelorden ein völlig regelrechtes, aber einfaches gothisches
Werk, geräumig, aber ohne Kreuz, das Mittelschiff 35 Fuss breit und gegen
90 hoch, die niedrigen Seitenschiffe je 20 Fuss breit. Sechs Gewülbfelder
bilden das Langhaus, vier den dreiseitig aus dem Achtecke geschlossenen,
nur die Breite des Mittelschiffes haltenden Chor. Die Pfeiler sind hier, wie
in der gleichzeitigen Kirche desselben Ordens in Erfurt, achteckig, mit
Halbsäulen an den vier Stirnseiten, die Kapitale schlanke, doch unverziertc
Kelche. An den Chorwänden fehlen diese Halbsäulen, und die ihnen ent-
sprechenden Gewölbdienste ruhen auf etwa halber Höhe aufConsolen, welche
die ungewöhnliche, bei Gelegenheit der St. Sebaldkirche zu Nürnberg und
der Klosterkirche zu Riddagshausen geschilderte Gestalt eines gekrümmten
Hornes haben. Die schlanken zweitheiligen Fenster des Chorschlusses haben
regelmässiges, die meisten übrigen Fenster dagegen unausgeführtes Maass-.
werk, indem nur Kreise oder Drei- oder Vierpässe in das Bogenfeld einge-
hauen sind. Das Hauptportal wird durch zwei innere Spitzbögen gebildet,
welche von einem durch eingelegte Kleeblattbögen verzierten Rundbogen um-
schlossen sind, was offenbar nicht sowohl eine romanische Reminiscenz, als
ein Versuch vereinfachter und leicht ausführbarer Ausstattung des gothisch
angelegten Eingangs ist. Man hat schon öfter die Bemerkung gemacht ■^),,
dass in den frühgothischen Kirchen der Bettelorden sich manche Formen
^) t'. V. Quast a. a. 0. sclieint das ganze Gebäude für ursprünglich zu hallen.
Auch er glaubt indessen, dass der mittlere Raum zur liöheren Hinaufführung bestimmt
gewesen, und erkennt somit an, dass das Ganze nicht vollendet sei.
2) Wie dies v. Quast a. a. 0. S. 19G If. mit überzeugender Wahrscheinlichkeit
nachgewiesen hat. Abbildungen bei Niedermayer, die Dominicanerk. z. R., Verhand-
lungen des liistor. Vereins für den Regenkreis, 18, S. 1, bei Kalienbach a. a. 0..
Taf. 32, Details bei Sighardt, S. 307 If.
") Namentlich ausführlich v. Quast a. a. 0., übrigens auch viertens u. A.
Der Dom zu Regensburg-. 453
finden, die erst beim Verfalle der gothischen Kunst herrschend wurden; der
Mangel an feinerem Gefühl, die Eile des Baues und das Streben nach
Wohlfeilheit und Einfachheit brachten schon frühe dasselbe Resultat
hervor, wie später die allgemeine Erschlaifung des architektonischen
^Sinnes. Auch dieser Bau giebt, ebenso wie die Minoritenkirche zu Köln
und die Predigerkirche zu Erfurt, eine Bestätigung dieser Bemerkung; die
achteckigen Pfeiler, die Profilirung der Gewölbrippen mit geschweiften
Viertelkehlen nebst anhängender Platte, die sich hier finden, wurden erst in
viel späterer Zeit verbreitet. Bei alledem geben aber die schlanken und
wohlgewählten Verhältnisse einen sehr günstigen Eindruck.
Während dieser anspruchslose Bau rasch seiner Vollendung entgegen-
schritt, wurde in seiner Nähe ein eben so prachtvolles, als weitaussehendes
Werk begonnen, der Neubau des Domes zu Regensburg ^). Die Geschichte
desselben hat eine entfernte Aehnlichkeit mit der des Kölner Domes. Nach-
dem nämlich wegen Baufälligkeit der alten Kathedrale bedeutende Repara-
turen unternommen und zu ihren Gunsten in den Jahren 1250 und 1254
bischöfliche und päpstliche Ablassbriefe erlassen waren, entstand im Jahre
1273 ein durch Blitz verursachter Brand, welcher den Bischof zur Vornahme
eines gänzlichen Neubaues bestimmte. Er benutzte seine Anwesenheit auf
dem im folgenden Jahre abgehaltenen Concile zu Lyon, um sich von nahen
und entfernten Amtsgenossen Ablassverleihungen zu verschaffen, mit deren
Hülfe dann die Vorbereitungen so schnell getroffen werden konnten, dass
schon im Jahre 1275 die Grundsteinlegung erfolgte. Unter ihm und seinem
Nachfolger wurden die Arbeiten mit gleichem Eifer fortgesetzt, später
stockten sie, im Jahre 1380 bestand noch die kleine alte Kirche St. Johann
Baptista auf einer Stelle des jetzigen Langhauses, und an der Fagade finden
sich die Jahreszahlen 1482 und 1486. Nur der Chor, das Kreuzschiff, die
Fundamente und vielleicht theilweise die Aussenmauern des Langhauses ge-
hören daher dem dreizehnten Jahrhundert an; die weitere Ausführung des
letzten liegt ganz ausserhalb desselben, und ist daher erst später zu wür-
digen. Der Erbauer hat es offenbar auf eine grossartige Kathedrale im
•Geiste der neuen Zeit und im neuen prachtvollen Style abgesehen ; die Breite
des Mittelschiffes kommt der des Kölner Domes fast gleich und die weiten
•dadurch gebildeten Hallen, der reiche Schmuck des Maasswerkes und der
Pfeiler verfehlen nicht, ungeachtet der zum Theil späten und ungleichen
Ausführung, einen bedeutenden Eindruck auf den Beschauer zu machen. Bei
näherer Betrachtung aber finden wir uns weniger befriedigt. Wie in den
^) Vgl. wieder das grosse Kupfervverk von Popp und Bülau und v. Quast a. a. 0.,
■dem ich bei der Beschreibung und kritischen Beurtheilung im Wesentllclien folge, —
Publicirt bei E. Förster, Denkmäler, B. III.
454 Goiliisclier Styl in Deutschland.
meisten bisher betrachteten gothischen Kathedralen der inneren deutschen
Lande hat man auch hier auf Umgang und Kapellenkranz verzichtet, der
Chor endigt mit fünf Seiten des Achtecks und ist von zwei kürzeren, polygen
geschlossenen Nebenchören umgeben. .lUein während man sich in anderen
Fällen für diese Beschränkung durch eine grössere Längenausdehnung des
Chorraumes entschädigte, enthält er hier ausser dem Polygonschlusse nur
zwei Gewölb felder, und auch die Kreuzarme, denen, wie es freilich dieser
einfache Chorschluss forderte, keine Seitensclüffe beigegeben sind, treten
nicht einmal über die Fluchtlinie der Aussenmauern des Langhauses hinaus.
Offenbar ist also die Anlage der östlichen Theile zu beschränkt für die
anspruchsvolle Breite des Mittelschiffes. Im Widerspruche damit hat nun
aber der Meister den Versuch gemacht, die reichere Anordnung französischer
Chöre wenigstens anzudeuten und ihrer Wirkung nachzustreben. Er hat
nämlich an der Chorwand die Doppelgeschosse der Fenster, welche dort
durch den Umgang entstehen, ohne solchen beibehalten, zwei Fensterreihen
übereinander gestellt, und sogar, während die obere sich in der glatten
Wandfläche belindet, die untere in die Vertiefung kleiner Nischen gelegt
welche durch einen am Eingange angebrachten durchbrochenen Spitzbogen
noch bemerkbarer gemacht werden. Die Oberlichter sind tiberdies durch ein
darunter angebrachtes durchbrochenes Triforium vergrössert, um so die
malerische Wirkung, welche bei der reicheren Anordnung durch den Gegen-
satz des hellbeleuchteten oberen Geschosses und der beschatteten Räume des^
Umganges hervorgebracht wird, annähernd zu erreichen. Allein in der That
ist dies Auskunftsmittel kein glückliches. Der einfache Polygonschluss
gestattet, ja, man kann fast sagen, fordert die Anlage grosser und schlanker
Fenster, welche durch ihre Lichtfülle dem Chore die ihm gebührende Aus-
zeichnung geben, und die Höhe des Raumes und das Princip des Aufstrebens
bedeutsam betonen. Man hatte daher auch da, wo das Langhaus niedrige
Seitenschiffe und mithin doppelte Fensterreihen erhielt, im Chore diese hohen
Fenster angebracht, wie dies noch neuerlich in Regensburg an der Domini-
canerkirche mit günstigem Erfolge geschehen war. Der Meister des Domes-
verscherzte diesen Vortheil, ohne die Wirkung der reicheren Anordnung zu
erreichen ; seine Fenster erscheinen breit, ihre Wiederholung bedeutungslos^
Noch weniger ist ihm eine ähnliche Nachahmung des Strebesystems am-
Aeusseren gelungen ; er lässt nämlich die Strebepfeiler oberhalb jener
Nischen nicht auf der äusseren, sondern auf der inneren Seite abnehmen
und sich zuspitzen, und verbindet sie hier mit der Wand des oberen Chores
durch eine schmale Zwischenwand, deren schräge Oberkante mit einer durch-
brochenen Gitterverzierung gekrönt ist. Allein er verfehlt auch hier seinen
Zweck völlig; was in grossen Verhältnissen und bei constructiver Nothwen-
digkeit imponirt und zur schönsten Zierde wird, erscheint hier als kleinliche
Bijlimeii. 455
iiiul überflüssige Decoration. Auch in dev Anlage des Laughauses bemerken
wir ein ähnliches Verkennen der wahren Principien des gothischen Styles.
In den Hallenkirchen hatte man aus guten Gründen, in den Kirchen der
Bettelorden aus Sparsamkeit oft die Breite der Seitenschiffe und der Pfeiler-
stellung erweitert, in Kathedralen mit niedrigen Seitenschiffen aber stets das
normale Verhältniss der halben Breite des Mittelschiffs festgehalten. So
namentlich in Köln und in Halberstadt. Der Meister von Regensburg ent-
fernte sich dagegen gerade hier von dem Herkommen des reicheren Stjies
und gab beiden breitere Verhältnisse, wodurch denn seinem Werke der Reiz
der schlanken Wandfelder und kühngeschwungenen Bögen, der gedrängten,
wirkungsreichen Perspective entging. Im ganzen Werke sehen wir daher den
Meister zwischen dem ursprünglichen Systeme der Gothik und der ein-
facheren deutschen Auffassung schwanken, vor Allem aber ist es merkwür-
dig, dass hier^ während die Architektur des dreizehnten Jahrhunderts auch
in Deutschland fast überall an constructiver Wahrheit festhält, schon so
frühe ein Versuch gemacht wird, bei sparsamer Anlage die Wirkung des
reicheren Styles durch bloss decorative Mittel zu erreichen.
Auch in Böhmen, dessen architektonische Blüthezeit freilich erst
unter der Regierung Kaiser Karls IV. eintrat, tiuden sich interessante Spuren
frühgothischen Styles. In sehr anmuthiger Anwendung zeigt ihn das aufge-
hobene Agneskloster zu Prag, namentlich in demselben die Kirche selbst
und die von ihr gesonderte St. Barbarakapelle, beide jetzt zu Fabrikzwecken
benutzt, aber noch wohl erkennbar. Es sind einschiffige Räume mit wohlge-
gliederten Wandpfeilern, Ringsäulen und Knospenkapitälen, die erstgenannte
mit dreiseitigem Schlüsse aus dem Achteck. Alle Formen haben die kernige
Frische der ersten Gothik ^}. Die Gewölbrippen sind zwar noch aus Rundstäben
und dazwischen gelegten Ecken gebildet, ohne birnförmige Profilirung, in den
zweitheiligen schlanken Fenstern ist dagegen, wiewohl grösstentheils zer-
stört, einfaches, wohlgebildetes Maasswerk zu erkennen. Das Kloster ist
1233 gegründet, und zwar für die Prinzessin Agnes, Tochter des ersten Kö-
nigs von Böhmen, Przemysl Ottokars L; es ist daher nicht wohl denkbar,
dass der Bau der Kirche lange verschoben worden, und die Formen gestatten
uns auch die Annahme, dass er bald nach der Mitte des Jahrhunderts, ohne
Zweifel durch einen herbeigerufenen fremden Baumeister, ausgeführt sei. In
demselben Jahre 1233 gründete die Mutter dieser Prinzessin, Königin Con-
1) Vgl. ß. Graeber in den Mittheilungea der K. K. L'entralconimission, 1, S. 214,
mit Abbildungen einiger Kapitale.
A^Q Gothischer Styl in Deutschland.
stantia, das Cistercienserinnen-Kloster Tisclinowitz in Mähren, dessen
Kirche bereits 1239 vollendet war i). Sie ist eine Basilika mit langge-
strecktem Chor und zwei, wie dieser, polygon geschlossenen Capellen an der
Ostseite der Querhausarme. Die quadraten Pfeiler mit gekehlten Ecken,
mit drei Diensten gegen das Mittelscliiff und einer Halbsäule an der Mitte
jeder anderen Seite sind in der Anlage noch romanisch, aber der Spitz-
bogen geht in der Wölbung durch und die anfangs derbe Bildung der Gurten
und Rippen wird im Chor etwas entwickelter, der auch schon ganz einfaches
Maasswerk in den Fenstern zeigt. In dem Ornament tritt uns ein Schwan-
ken zwischen romanischer und frühgothischer Bildung entgegen, und während
die Formen sonst von strengerem Gepräge sind, herrscht ein grösserer lieich-
thum nur in dem Kreuzgang und in dem Portale, das wir wegen seiner Ver-
Avandtschaft mit den decorativen Glanzstücken der Uebergangs-Zeit bereits
oben erwähnt haben ^), das aber schon durchgängig den Spitzbogen und Sta-
tuen zwischen den Ringsäulen der Wandungen zeigt. Derselben Zeit gehört
der Chor an, welcher die ältere Kirche zu Mü hl hausen, von der wir spra-
chen, abschliesst •"'). Ein verwandtes Bauwerk ist die Decanatskirche
St. Stephan zu Kaurzim, die in der Pfeilerbildung an Tischnowitz erin-
nert, aber in dem realistisch-gothischen Blattwerk der Kapitale und des
Nordportals bereits entwickelter erscheint^), und als die wichtigste Leistung
dieser Epoche steht das Langhaus der Bartholomäuskirche zu Kolin ■'')
da, welches dem schlanken späteren Chor des Peter von Gmünd vorhergeht
und wohl in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts errichtet ist
Es ist das erste Beispiel einer Hallenkirche in Böhmen, die Pfeiler sind wie
bei den eben erwähnten Bauwerken Quadrate mit einer Halbsäule vor jeder
Seite und vier Ecksäulen, nur die Vierung ist rundbogig überwölbt, sonst
geht der Spitzbogen durch, die Fenster sind schmal und lanzetförmig, die
Strebepfeiler aussen von einem Umgang durchbrochen, das Blattwerk an
Kapitalen und Schlusssteinen, an dessen Stelle nur manchmal phantastische
Thiergestalten treten, ist hie und da primitiv und knospenförmig, noch häu-
figer aber entschieden gothisch, in vortrefflicher Nachbildung einheimischer
Pflanzen, behandelt.
Aber nicht nur an christlichen Kirchen, auch an einem Bau der hier
früh zu grossem Ansehen und Reichthum gelangten Judenschaft tritt die
1) .1. E. Wocel in dem Jahrbuch der K. K. Centralcommission, III, S. 251, mit
Abbildungen.
2) S. 287.
«) S. 289. Mittheilungen B. VIII, S. 37.
1) Mitth. B. II, S. 63.
s) Mitth. B I, S. 214, B. VI, S. 228.
Oesterreich. 457
Gothik in Böhmen auf, an der alten Synagoge (^^Altneuschul^^) zu Prag,
einem kleinen rechteckigen Raum, dessen Gewölbe von zwei Mittelsäulen und
von voi'gekragten Wandsäuleu auf Knäufen mit Blattwerkornament getragen
werden. Es fehlt sowohl an Nachrichten wie an feineren Eigenthümlich-
keiten, welche zu genauerer Bestimmung der Entstehungszeit führen könn-
ten, es wäre denkbar, dass mancherlei Rücksichten die jüdischen Bauherren
und den wahrscheinlich christlichen Meister bewegen konnten, hier auch
noch etwas später ungewöhnlich einfache und alterthümliche Formen anzu-
wenden, aber der Charakter der Architektur weist doch am ehesten auf das
Ende des dreizehnten Jahrhunderts hin.
Auffallend lange hielten die deutsch-österreichischen Länder am
romanischen Style fest, obgleich wir bereits neben dem Streben nach glän-
zender Decoration auch schon constructive Neuerungen, selbst mit Aufnahme
des Spitzbogens hier Platz greifen sahen. Manche der früher geschilderten
Denkmäler ^) reichten bereits bis in die zweite Hälfte des dreizehnten
Jahrhunderts hinein, welche Dauer aber die alten Formen in einigen ent-
legeneren Gegenden haben, zeigt namentlich die Kirche zu Inichen in
Tyrol (Pusterthal), nach urkundlichen Nachrichten 1257 im Bau begriffen
und 1284 geweiht-). Die Seitenschiffe sind in Kuppeln überwölbt, Mittel-
schiff, Querhaus und Chor in Kreuzgewölben, und wie hier in constructiver
Beziehung, so spricht sich auch in decorativer Hinsicht ein überschwäng-
liches Streben nach Mannigfaltigkeit aus. Nur die Vierungspfeiler bilden
schlichte Quadrate, von den übrigen Pfeilern entsprechen sich die gegen-
überstehenden, aber jedes Paar ist von den andern verschieden. Das
östlichste ist achteckig, das nächstfolgende kreuzförmig mit vier Halbsäulen
und stärker, um rhythmischen Wechsel herzustellen, das westlichste ein
Bündel von acht Säulen % die in ein gemeinsames Kapital übergehen. Die
Oberlichter hatten ursprünglich die Gestalt der halben Radfenster.
Dann treten gegen Ende des Jahrhunderts vereinzelte Erscheinungen
einer sehr reinen und eleganten Gothik auf, wie der schöne Kreuzgang zu
Klosterneuburg (1270 — 1292)^), mit zweitheiligen Maasswerkfenstern,
i) Vgl. oben S. 351.
-) G. Tinkliauser, Mittheilungen der K. K. Centralcommission Bd. III, S. 225 if.
Tf. X.
^) So nacli der Abbildung a. a. 0. Der etwas unverständliche Text spricht von
zwölf Säulen.
^) Ernst und Oescher, Baudenkmale des Mittelalters im Erzherzogthum Oesterreich,
Heft I. Offenbar kann die Anlage ihren Formen nach nicht, wie die Verfasser bei
der Erklärung ihrer Details annehmen, vom Anfange des 13. Jahrhunderts stammen.
Auch ergiebt die historische Einleitung, dass der Propst ßabo (1270 — 1292) den Kreuz-
gang gebaut hat.
^^g Güthisclier Styl in Deutschland.
schlanken Bündelsäulclien, leichtem einheimischem Laubwerk an Kapitalen
und Consolen, polygonen Säiilenfüssen und birnförmiger Profilirung der
Gurten. Im Ganzen wurde aber der gotbische Styl in Oesterreich erst im
vierzehnten Jahrhunderte als der herrschende und allein geltende aner-
kannt 1).
Auch in den norddeutschen Provinzen, im Gebiete des Ziegelbauesj fand
der gotbische Styl ungefähr gleichzeitig Eingang, indessen geschah es hier
doch mehr an einzelnen Stellen, und noch am SchUisse des Jahrhunderts
war seine Herrschaft nicht in dem Grade entschieden, wie in den südlicheren
Gegenden. Zwar war ihm hier nicht weniger vorgearbeitet, die Wölbung,
der Spitzbogen und selbst in gewissem Sinne das Verticalprincip waren, wie
wir gesehen haben, dem Material zusagend und leicht und mit Geschick an-
gewendet. Auch war an eine Vorliebe für den romanischen Styl, welche der
Gothik entgegentreten konnte^ hier weniger als irgendwo zu denken. Es
war ein Kolonistenland, eben erst aufblühend und gewohnt, dem Vorgange
anderer Gegenden zu folgen. Allein so sehr dem Backsteinbau jene eben
genannten Bestandtheile des gothischen Styles zusagten, so wenig entsprach
ihm der eigentliche Grundgedanke desselben, das Strebesystem, Dies
System, welches die ganze Last der Wölbung auf einzelne Pfeilermassen ver-
theilt und die Zwischenräume durch leichte Wände verschliesst, setzt mäch-
tige Werkstücke natürlichen Steines voraus, die sich durch ihre Schwere
und Elasticität im Gleichgewichte halten. Der ßacksteinbau dagegen hat
kleine Steine durch die Kraft des Mörtels zu verbinden, und eignet sich
mithin für starke, glatte Mauern, welche allenfalls durch Verstärkung an
besonders belasteten Stellen gesichert werden konnten, aber doch auch neben
denselben zu ihrer Haltbarkeit einer grösseren Stärke bedurften. Die grosse
Ausladung der Strebepfeiler war daher überflüssig, die Bedeutung der Strebe-
bögen fiel fast ganz fort. Ueberdies war der ganze Schmuck, der sich aus
jenem System entwickelte, die plastisch belebten, durchbrochenen Formen
der Fialen, Spitzgiebel, Strebebögen, die zierliche Ausbildung des freien
Maasswerkes, theils zwecklos, theils schwierig und nur unvollkommen herzu-
stellen. Dennoch wusste man diese Hindernisse durch Kunst und Fleiss zu
überwinden und mit Hülfe von Formsteinen gotbische Bauten hervorzubringen,
welche mit den in natürlichem Steine ausgeführten wetteiferten. Allein das
') In dem Jalubuch der Cenlralcüramission II. S. 36 erkennt Heider an, da.ss viele
Denkmäler, die er früher nocli dem 13. Jahrhundert zuwi-'s, z, ß. auch der Cluir von
Heiligenkreuz, aus späterer Zeit sind.
Das Gebiet dei^ Ziegelbaues. 459
widerstrebende Material verursachte doch, dass man meistens noch lange die
strengen und einfachen Formen des bisherigen Uebergangsstyles theilweise
beibehielt und sie mit einzelnen gothischen Gliederungen mischte. Erst
allmälig und nach vielfachen Versuchen kam der gothische Styl auch hier
zu allgemeiner und ausschliesslicher Geltung, musste sich dabei aber man-
chen Moditicationen unterwerfen, manche seiner Schönheiten aufopfern, manche
Zierden mit anderen, dem Steinbau fremden vertauschen, wurde im Ganzen
einfacher, strenger, erlangte aber auch zuweilen eine ungewöhnliche einfache
und grossartige Würde. Die Strebei^feiler sind minder stark, weniger ab-
gestuft, schliessen sich in einfacher Abschrägung oder mit einer Reliefver-
zierung an der Stirnseite dem Dachgesimse au, und werden später auch wohl
ganz fortgelassen oder doch in das Innere hineingezogen. Der Schmuck der
Fialen und der freistehenden Spitzgiebel musste aufgegeben werden, dagegen
sind die Friese reicher gehalten, mit mehreren Verzierungsreihen, noch spät
mit Bogenfriesen, namentlich mit sich durchkreuzenden, auch wohl mit Laub-
werk in edel gebildeter Form geschmückt. Anstatt der Balustraden hat die
Mauer am Fusse des Daches oft eine Zinnenbekrönung, deren kriegerischen
Ursprung man vergass, weil sie in Ziegeln leicht herzustellen und durch
vertiefte Felder und Stabwerk zu schmücken war. Eine andere solchen
Schmuckes fähige Stelle gaben die Giebel, die daher hier reicher, oft sehr
zierlich ausgestattet, auch wohl vermehrt und übei' den Kapellen und Abthei-
lungen der Seitenschiffe angebracht sind. Das Maasswerk der Fenster ist
anfangs zuweilen durch Formsteine sehr geschickt im Geiste der reinen Gothik
ausgeführt, später aber meist sehr vereinfacht, ja dürftig, indem es mit Ver-
zichtung auf die freiere Entwickelung mannigfacher Bogenlinien und auf
das Xasenwerk nur im spitzbogigen Abschluss der Pfosten, oft durch con-
centrische Bögen besteht, die man allenfalls, wie in England, nur freilich in
sparsamer, nüchterner Weise, sich durchschneiden Hess. Die Leibungen der
Fenster und Portale sind nicht selten reich gegliedert, aber freilich, da man
diese Gliederung durch Forrasteine bewirkte und die Zahl verschiedener
Formen nicht zu sehr vergrössern wollte, mit oft wiederholtem Wechsel der-
selben Rundstäbe und Höhlungen. Das Bogeufeld der Portale entbehrt des
Bildwerkes und ist höchstens durch Arabesken in Formsteinen verziert ;
dagegen wurde in späterer Zeit der Portalbogen oft durch Herumleitung des
Kämpfergesimses mit einer viereckigen Pjinrahmung versehen, die dann mit
Rosetten, Blumen und Mustern von glasirten oder durchbrochenen Form-
steinen reich ausgeschmückt ist. Im Anfange wandte man überall die her-
gebrachte Anordnung mit niedrigen Seitenschiffen an; in einigen Gegenden
erhielt sich dieselbe auch bleibend. In anderen lernte man dagegen schon
frühe die Hallenform kennen und fand, dass diese allen jenen Beschränkun-
gen der Details, welche das Material forderte, mehr zusagte; sie wurde daher
^QQ GüUiisclier Styl in Deutschland.
«päter hier vorherrschend und mit günstigstem Erfolge ausgebildet. Diese
Form bedurfte, weil sie jeder Abstufung in sich entbehrt und am Schiffe
gleiche hohe Mauern giebt, mehr als die andere des Abschlusses durch einen
oder mehrere Thürme. Zwar konnten diese nicht die mannigfache und be-
wunderungswürdige Gliederung des Ueberganges aus dem Viereck zur
Spitze, nicht den glänzenden Schmuck durchbrochener Helme erhalten; sie
haben festere Mauern, schwache Strebepfeiler, und steigen senkrecht in
wenig verjüngten Stockwerken, nur durch Gesimse, Fenster, Schallöffnungen,
durch Stabwerk und vertiefte Felder belebt, bis zu der Höhe empor, wo sich
<lie in Holz erbaute Spitze erhebt. Allein dennoch ist ihr kräftiges Auf-
steigen höchst nöthig, um den grossen Mauermassen der Kirche den Clia-
rakter der Schwere zu nehmen und den Ausdruck verticalen Aufstrebens zu
verstärken, weshalb denn Thurmbauten hier sehr beliebt waren, so dass man
■selbst einfachen Pfarrkirchen, gegen das Herkommen anderer Länder, wo
dies nur bei Domen und grossen Abteien üblich war, Doppelthürme auf der
Westseite gab. Das Innere ist zwar ebenfalls einfacher gehalten, aber durch
seine wohlgewählten Verhältnisse meist sehr wirksam und durch die Ein-
fachheit der Anordnung vor manchen Missgriffen bewahrt, die im Systeme
des Steinbaues vorkommen. Die schlankgehaltenen Pfeiler sind meist achteckig^
seltener rund, mit schwachen Diensten versehen, deren hochgelegene Kapitale
selten reicher verziert, oft fortgelassen und durch blosse Gliederung ersetzt
sind. Eigentliche Triforien kommen nicht vor, wohl aber statt ihrer in
einzelnen Fällen (meist des vierzehnten Jahrhunderts) Gänge mit Balustraden.
Die Gewölbe sind in der Regel minder hochaufsteigend, niemals, wie im
französischen Style gewölinlich, gestelzt, dagegen kommt hier die Bildung
reicherer, mit künstlich zusammengefügten Rippen ausgestatteter Gewölbe
ziemlich frühe im vierzehnten Jahrhundert in Aufnahme. Sie wurden später
so beliebt, dass sie in manchen Gegenden das einfache Kreuzgewölbe fast
ganz verdrängten. Man fand in den zierlichen Stern-, Netz- oder Fächer-
formen, welche sich in dieser Weise an der Decke bildeten, einen Ersatz
für den versagten Schmuck der Wände, und wusste in der That vermittelst
ihrer zuweilen den Räumen eine grosse und eigenthümliche Schönheit zu
verleihen.
Wenn das Material der plastischen Ausstattung Hindernisse in den Weg
legte, so gab es dagegen die Gelegenheit zu cigenthümlichen Farbenwir-
kungen. Die moderne Sitte, den Ziegelbau ganz mit Bewurf zu bedecken
und ihm dadurch eine ihm fremde Färbung, wohl gar den täuschenden Schein
eines Steinbaues zu geben, kannte man noch nicht. Die Mauern sind viel-
mehr gänzlich, wie man jetzt sagt, im Rohbau ausgeführt und zwar niciit
bloss im Aeusseren, sondern auch im Inneren, so dass nur die wirkliche
Farbe der Ziegel und die Steinfugen ihre Zierde bilden. Selbst Malereien
Die Güthik im Zit'golbau. 461
wurden meistens auf die blosse Wand gesetzt. Nur einzelne Tbeile, die man
sondern wollte, oder bei denen ein Verbauen der Ziegel und daber ein
unregelmässiger Verband eintrat, wie Gewülbfläcben, Bögen, Mauerblendeu
und Niscben, wurden mit Verputz überzogen. Dagegen liebte man, das
Aeussere durcb wecbselnde Farben der Steine zu beleben, und verwandte die
glasirten Ziegel uicbt bloss zu Ornamenten, sondern aucli in der glatten
Mauer, wo sie bald in horizontalen Lagen, bald schachbrettartig mit rauhen
Steinen wechseln, zuweilen auch verticale, gebrochene oder im Zickzack
bewegte Streifen bilden ; eine Verzierungsart, die, nur in dunkleren Farben
und daber milder, eine ähnliche Wirkung hervorbringt, wie der Wechsel ver-
schiedener Marmorarten an südlichen Bauten
Wir sehen nach allem diesem, dass der Ziegelbau seine selbständige
Entwickelung, seinen eigenthümlichen Styl hat, der aus gewissen Elementen
des Gothischen, aber mit Berücksichtigung des Materials und mit Entfernung
alles dessen, was ans der Beschaffenheit des Hausteins erwachsen war, sieb
bildete. Die Gothik steht vermöge ihrer Vereinfachung hier nicht in so
scharfem Gegensatze zu dem romanischen oder gar zu dem Uebergangsstyle,
als in anderen Gegenden; sie trägt allgemeinere Züge, war daher auch we-
niger wechselnd, weniger abhängig von dem jedesmaligen Zeitgeiste und
daher auch weniger der Entartung unterworfen, die in anderen Gegenden
später eintrat. Dies mag es rechtfertigen, wenn ich in der eben vorausge-
schickten Schilderung zum Theil über die Grenzen dieses Jahrhunderts
hinausgegriffen und auf Einzeluheiten hingewiesen habe, die sich erst später
entwickelten.
Ungeachtet der sehr entschiedenen Einwirkung des Materials und der
wenigstens im Allgemeinen gleichartigen Geistesrichtung der Bewohner sind
die Leistungen der einzelnen Landschaften des weiten Gebietes der nord-
deutschen Backsteinarchitektur doch sehr abweichend. Wir müssen sie daher
einzeln betrachten und beginnen unseren Ueberblick auf der westlichen
Grenze. Für das Wesen der Holländer ist es in vielen Beziehungen
charakteristisch, dass sie den niederdeutschen Volksgeist und zwar in
höchster Steigerung seiner Zähigkeit und Nüchternheit mit einer entschie-
denen Hinneigung zu der Weise der westlichen romanischen Völker ver-
einigen. Die geographische und dynastische Verbindung, in welcher sie seit
uralten Zeiten mit den .belgischen Provinzen standen, und die durch die
Eigenthümlichkeit ihres Landes gegebene Richtung nach Aussen, nach den
anderen Küsten der Nordsee, mag diese Erscheinung erklären. Von dieser
Vereinigung zeugen auch ihre mittelalterlichen Kirchen. Sie haben die Ein-
fachheit und Schmucklosigkeit, welche allen niederdeutschen Bauten gemein
462 Gotliischer Styl in Deutschland.
ist, und zwar im höchsten Maasse, und sind dennoch in der Anordnung
Nachbildungen der französischen Kathedralen. Sie sind meistens in geräu-
migen Dimensionen angelegt, in Kreuzgestalt, mit niedrigen Seitenschiffen,
im Chor mit Umgang und Kapellenkranz, aber von schwerfälligen, breiten
Verhältnissen, ohne organische Durchbildung und feineres Detail. Die
Leichtigkeit des "Wassertransportes bewirkte, dass man statt der mühsamen
Formsteine die Gewände von Thüren und Fenstern, die Gesimse und Ecken
der Strebepfeiler von Sandstein bildete, aber auch dies geschah ohne feinere
Steinmetzarbeit, Der Schmuck der Fialen und Strebebögen fehlt, das
Maasswerk, freilich häufig bei späteren Restaurationen ganz herausgeschla-
gen, ist in der Regel flach und bedeutungslos. Zum Theil erklärt sich diese
mangelhafte Behandlung des Styles daraus, dass ihm ausser dem Material
auch das architektonische Lebensprincip fehlte, die Wölbung. Denn nur
die Seitenschiffe haben wirkliche Kreuzgewölbe, während das Mittelschiff,
das Kreuz und selbst der Chor mit einer Holzdecke versehen sind, welche
in einigen Fällen die Gestalt einer Wölbung nachahmt. Auch lassen die
nackten, ungegliederten, meistens nur durch eine Reihe von Mauerblenden unter
den Fenstern belebten Oberwände keinen Zweifel darüber, dass eine Wölbung
nie beabsichtigt worden. Der innere Grund für die Ausbildung der streben-
den und tragenden Formen fehlt also ; nur der Schein, nicht das Wesen ist
gegeben. Diese Oberwände werden dann endlich nicht von gegliederten
Pfeilern, sondern — wie in Belgien — von schlanken Rundsäulen mit acht-
eckiger Basis und mit einem runden, durch Blattwerk verzierten Kapital
getragen, was bei manchen Durchsichten nicht ungünstig wirkt, und den
späteren holländischen Architekturmalern möglich machte, den Innenan-
sichten ihrer einheimischen Kirchen einigen Reiz abzugewinnen, aber doch
nicht den Mangel constructiver Kraft ersetzen kann.
Manche Bauwerke, die von holländischen Gelehrten wahrscheinlich zu
früh datirt werden und doch wohl erst dem vorgerückten 13. Jahrhundert
angehören, zeigen noch eine Art Uebergangsstyl und sind auch grösstentheils
noch in Sandstein oder in Tuffstein gehalten. So das Langhaus der
St. Simon- und Judaskirche zu Ootmarsum, eine dreischiffige Hallen-
kirche, nicht ohne Verwandtschaft mit westphälischeu Anlagen, mit wesent-
lich romanischen Einzelforraen, aber mit durchgehenden Spitzbögen in Arca-
den und Wölbung. Zwischen gut gegliederten Hauptpfeilern stehen schwä-
chere Nebenpfeiler, welche die niedrige fensterlose Oberwand tragen.
St. Nicolaus zu Deventer, 1198 gestiftet, ist in seinen älteren Partien
noch Tuffsteinbau; die dreischiffige, kreuzförmige Kirche enthält einen
schmalen Umgang um den polygon geschlossenen Chor, die Arcaden, im
Langchor rund, im Schiff und Chorschluss aber spitz, werden von runden
Säulen mit breiten Deckplatten getragen, von denen die Vorlagen der —
Holland. 463
nur noch in Erneuerung? vorhandenen — Ge'.völbe aufwachsen. Dagegen ist
der Unterbau des Westthurms, welcher sich vor der St. Johanneskirche
zu Herzogenbusch^); einem der prcächtigsten Werke der späteren hollän-
dischen Gothik, erhebt, vorherrschend in Backsteinen mit Details des Ueber-
gaugsstyls ausgeführt. Den Ziegelbau in Verbindung mit Sandstcindetails lin-
den wir dann in der Walpurgiskirche zu Zütphen, von welcher Mittel-
schiff und Chor aus dieser Epoche stammen. Sie zeigt noch immer den
Wechsel von stärkeren und schwächeren Pfeilern, sonst aber bereits gothische
Details und sechstheilige Gewölbe, Aus dem Ende des 13. Jahrhunderts
mag die Buurkirche zu Utrecht, eine Hallenkirche, stammen, welche
runde Schäfte, mit vier runden Diensten besetzt, Blattkapitäle und steinerne
Rippengewölbe aufweist. Später wurden noch zwei äussere Seitenschiffe
hinzugefügt und im 16. Jahrhundert wurden die beiden Chöre abgebrochen.
Vielleicht gehören auch noch einige andere Hallenkirchen, das Langhaus der
St. Martinskirche zu Groningen, die St. Cunerakirche zu Rhenen,
mit weitabstehenden Pfeilern in Gestalt übereckgestellter Vierecke und mit aus-
gekragten Diensten unter der Wölbung, in diese Zeit.
Den Chor der Kathedrale zu Utrecht haben wir, als eine von der
Schule von Köln beeinflusste Schöpfung, schon früher erwähnt, und es ver-
steht sich, dass sie von der obigen Schilderung nicht betroffen wird. Auch
muss ich zugeben , dass meine Anschauungen sich auf die Kirchen der grös-
seren holländischen Städte beschränken^ die meistens erst aus dem vier-
zehnten und fünfzehnten Jahrhundert zu stammen scheinen -), dass ferner
die Xüchternheit ihres Anblickes durch die Strenge des holländischen Pro-
1) Die Kirche, über welche historische Untersuchungen im Organ für christiicUe
Kunst 1854, Nrü. 3 If. mitgetlieilt sind, scheint zwar noch Ueberreste aus der Bau-
periode von 1280—1312 zu enthalten, ist aber jedenfalls durch den nach dem Brande
von 1419 begonnenen und später fortgesetzten Bau so umgestaltet, dass man über den
architektonischen Werth jenes früheren Gebäudes nicht urtheilen kann.
-) Niederländische Briefe S. 168 und 174, vergl. mit den im Wesentlichen über-
einstimmenden Bemerkungen F. v. Quast's in Kugler's Museum 1834, Nr. 37 imd 38
und Kugler, Geschichte der Baukunst, Bd. III von S. 428 an. — Dankenswerthe No-
tizen gibt F. N. Eijck tot Zuylichem , kort ovei'zigt van den bouwtrant der middel-
euwsche Kerken en Nederland , in den Berigten van het historisch Gezelschap, II, I,
1849. Aber auch die von ihm unter dem 13. Jahrhundert angeführteu Denkmäler
gehören meist wesentlich einer späteren Zeit an. Die (mir unbekannt gebliebene)
Martinskirche zu Bommel, von holländischen Schriftstellern (Kijst, De Kerkelijke Archi-
lekture en de Dodendansen, Leyden 1844, S. 31) als ausgezeichnetes Werk gepriesen,
ist auch erst ein Bau des 14. Jahrhunderts, 1300 begonnen und 1304 geweiht, was,
wie Kugler bemerkt, wohl nur vom Chore gelten mag. Schon der .Slangel an For-
schungen einheimischer Gelehrten über den holländischen Kirchenbau des Mittelalter?
spricht dafür, dass er überaus wenig Interesse haben muss.
4^4 Gotliischer Styl in Deutschland.
testantismus gesteigert ist, der nicht bloss jeden malerischen Schmuck sorg-
fältig zerstört, sondern auch bei der Zertrümmerung der Glasgemälde zugleich
in vielen Fällen das Maasswerk der Fenster geopfert hat. Aber die Werke
des vierzehnten Jahrhunderts, die sonst überall die des vorhergegangenen
an Keichthum und Schmuck übertreffen, berechtigen uns zu dem Schlüsse,
dass schon dieses dieselbe Richtung eingeschlagen habe.
In den östlich von Holland gelegenen Landschaften finden wir das auch
dort schon auftretende System der Hallenkirchen, welches ohne Zweifel von
Westphalen hieher gelangt war. Schon auf dem linken Ufer der Weser, im
Oldenburgischen, hat die Kirche des Fleckens Berne, mit eckig gebildeten
Pfeilern, romanischen Blattkapitälen, kleinen rundbogigen Fenstern und
flachzugespitzten Scheidbögen, also wahrscheinlich um die Mitte des drei-
zehnten Jahrhunderts entstanden^), drei gleichhohe, spitzbogig überwölbte
Schifte, obgleich die nicht weit entfernte schöne Cistercienserkirche von
Hude — jetzt Ruine ■ — kurz vorher (bald nach 1234) noch die alte An-
ordnung mit niedrigen Seitenschiffen in Erinnerung gebracht hatte. Diese
ist ein Backsteinbau von hoher Eleganz, aber zugleich dadurch merkwürdig,
dass sie von den übrigen norddeutschen Backsteinbauten gothischen Styles
abweicht und gewisse Anklänge an die französische Gothik wahrnehmen
lässt; so in dem Vorherrschen der Horizontallinien, in dem Aufsteigen in
gesonderten Stockwerken, endlich auch in der Form mancher Consolen und
Profile. Ueber den Arcaden ist die Wand jedesmal durch ein Paar schlanke
Blendbögen belebt, welche aber mit den Arcaden in einen gemeinschaft-
lichen Rahmen gefügt sind. Vor allen Pfeilern steigen nämlich breite Wand-
streifen zwischen Rundsäulchen ungebrochen in die Höhe, wo ein kräf-
tiges Gesims die unteren Partien vollständig von den obern sondert und
die Rippen des Gewölbes trägt, dessen Joche stets die Breite von zwei
Arcaden haben. Jeder Schildbogen enthält nur ein schlankes Oberlicht, das
also über den unteren Zwischenpfeilern steht und beiderseits von zwei nie-
drigeren Blendbögen eingeschlossen wird. Es ist mithin eine eigenthümliche
Mischung der baulichen Traditionen des Ordens mit den Anforderungen des
Backsteinbaues.
1) Wülil erst nach 1260, dem Text von \\. Stock in Heft IX der „mittelalter-
lichen BaudeukmiUer Niedersachsens" zufolge, wo sowohl Berne als auch Hude publi-
cirt sind. Die Kirche in Berne ist in Hausteinen gebaut und hier nur angeführt, um
das Vordringen des westphälischen Systems nach Norden zu erweisen. Vgl. auch
H. A. Müller im deutschen Kunstblatt 1854, S. 25G.
Der Ziegelbau. 465
Noch entschiedener herrscht die Hallenkirche jenseits der Weser, im
Herzogthunie Lüneburg. Das älteste gothische Werk dieser Gegend, von
bestimmtem Datum, der nach einem Brande von 1281 im Jahre 1290 ge-
gründete Chor des Domes zu Verden^), erinnert insofern noch an hollän-
dische Bauten, als auch hier bei übrigens vorherrschender Anwendung von
Ziegeln die Einfassungen der Fenster und Strebepfeiler in Sandstein gear-
beitet sind. Das Kreuzschiff ist sogar ganz in Quadersteinen gebaut. Allein
die Anlage ist sehr abweichend von holländischer Weise ; der Chor hat näm-
lich keinen Kapellenkranz, wohl aber einen Umgang und zwar von gleicher
Höhe mit dem inneren Räume, so dass die Absicht der Errichtung einer
Hallenkirche ausser Zweifel ist, die dann auch in dem freilich erst 1473 bis
1490 hinzugefügten Langhause zur Ausführung kam. Die Pfeiler im Chore
wie in diesem späteren Langhause sind kantonirte Rundsäulen mit schmalen
Kapitalen und runder, zweimal abgestufter Basis ; das Maasswerk der grossen
Fenster erinnert, wenn auch bei minder bedeutender Wirkung, an das des
Mindener Domes. Auch die übrigen Kirchen des Landes sind, so viel ich
weiss, mit einer einzigen, intei-essanten, aber erst in der folgenden Epoche
zu erwähnenden Ausnahme, durchweg in Hallenform errichtet, meist in ge-
räumigen Dimensionen, aber in sehr schlichter Form, welche die Unterschei-
dung älterer Theile und späterer Zusätze erschwert. Mehrere derselben,
namentlich die Klosterkirchen von Ebsdorf und Lüne und vielleicht selbst
die jetzt fünfschiffige Johanniskirche in Lüneburg, mögen noch Theile aus
dem dreizehnten Jahrhundert enthalten.
Weiter östlich, jenseits der Elbe, hört die Herrschaft der Hallenkirche
wieder auf; wir finden vielmehr eine Reihe von Backsteinkirchen mit
niedrigen Seitenschiffen und im Style der französischen Gothik, aber nun
nicht mehr in der verkümmerten Weise wie in Holland, sondern in reicher
und glänzender Gestalt, wenn auch mit manchen durch das Material beding-
ten Eigenthümlichkeiten. Der älteste Bau und das Vorbild dieser Gruppe
ist die Pfarrkirche zu St. Marien in Lübeck. Diese Stadt, seit Heinrich
des Löwen Zeiten eine Ansiedehmg deutscher Kaufleute im wendischen
Lande, war durch die Gunst der Umstände und den Unternehmungsgeist ihrer
1) Bergmann, der Dom zu Verden, 1833. Die Gründung und die erst im Jalire
1390 erfolgte Weihe sind durch eine Inschrift beglaubigt. Ohne Zweifel war aber
auch hier der Chor lange vor dieser "Weihe schon im Gebrauche gewesen, da der alte
Dom so gänzlich durch Feuer zerstört war, dass man nicht einmal die Reliquien
retten können.
Schnaase's KuEstgesch. 2. Aufl. V. ' 30
466
Gothischer Styl in Deutschland.
Fig. 119.
Bewohner rasch zu dem Range eines bedeutenden Handelsplatzes gestiegen.
Im Jahre 1266 als freie, nur dem Kaiser unterworfene Reichsstadt anerkannt,
siegreich gegen ihre Nachbarn, mit ihren Schiffen die Meere bedeckend,
spielte sie in der Ostsee ungefähr dieselbe Rolle, wie zweihundert Jahre
vorher Amalfi, Pisa, Genua im mittelländischen Meere. Nur mit dem gün-
stigen Unterschiede, dass, während diese italienischen Städte ihre Kräfte in
Kämpfen miteinander vergeudeten, unsere deutsche Kolonie sich durch
Bündnisse mit anderen Städten verstärkte, aus denen bald die mächtige
Hansa, deren Haupt sie wurde, hervorging. Wie dort wurde auch hier der
Reichthum und das Selbstgefühl der Kaufherren ein Antrieb, ihre Stadt durch
grossartige Bauten zu schmücken, zu denen sich eine Veranlassung ergab,
als im Jahre 1276 die bisherige, wahrscheinlich kleine Pfarrkirche abbrannte.
Lübeck hatte damals schon ansehnliche Factoreien in Brügge, Antwerpen
und London; Frankreich und die prachtvolle Architektur der westlichen
Länder war den reisenden Kaufleuten nicht unbekannt geblieben, und diese
wurde das Vorbild, mit dem sie bei der Ausführung ihrer städtischen Kirche
wetteiferten, wie einst die Pisaner bei
Erbauung ihres Domes mit den Kup-
pelbauten des Orients. Der Bau muss
unmittelbar nach dem Brande begon-
nen und sehr rasch betrieben sein,
denn schon in den Jahren 1304 und
1310 wurden die beiden westlichen
Thürme begonnen, wie darin befind-
liche Inschriften bezeugen. Er ist
ganz in Backsteinen ausgeführt, und
daher ohne jene reichen Verzierun-
gen namentlich des Aeusseren, welche
nur in natürlichen Steinen gelingen,
aber von so schönen Verhältnissen
und so luftigem und freiem Auf-
schwünge, dass man diesen Mangel
vergisst. Die Anlage ist mächtig und
von bedeutenden Dimensionen. Zwei
Thürme, gleichmässig vollendet, stei-
gen auf der Westseite in unverjüng-
ten und nur durch ihre Fensterpaare
verzierten viereckigen Stockwerken,
mit schlankem, voiv vier Giebeln ein-
geschlossenem, allerdings undurchbrochenem Helme bis zu der ansehnlichen
Höhe von 431 Fuss empor, und begrenzen den Giebel des Mittelschiffes.
Die Marienkirche zn Lübeck.
Dom zu Lübeck. 467
"VVie in Nürnberg an der St. Lorenzkirche setzte sicli also auch hier das
bürgerliche Selbstgefühl über das Herkommen fort und gab der blossen
Pfarrkirche den stolzen Thurmschmuck, der gewöhnlich nur den Kathedralen
und reichen Stiftskirchen zu Theil wurde. Höchst wahrscheinlich geschah
es in Lübeck gerade im Wetteifer mit dem Dome. Hinter den Thürmen
•erstreckt sich die Kirche in Kreuzgestalt, deren Mitte nur durch ein kleines
Thürmchen, einen sogenannten Dachreiter, bezeichnet ist, bis zur Schluss-
kapelle 354 Fuss lang, in den Kreuzarmen 197 Fuss breit. Das Mittelschiff,
im Langhausc ausser der Vorhalle unter dem Thurme sechs, im Chore vier
schmale Gewölbfelder enthaltend, erscheint ungeachtet seiner Breite von
40 Fuss sehr schlank, weil es sich zu der gewaltigen Höhe von 134 Fuss
erhebt, und überdies die ziemlich nahe gestellten Pfeiler schlanke ^Vand-
fclder bilden. Es ragt mit Oberlichtern von bedeutender Höhe über die
73 Fuss hohen Seitenschiffe empor, welche auch das Kreuzschiff umgeben
«nd den im halben Achteck geschlossenen Chor als Umgang mit einem Ka-
pellenkranze, jedoch von etwas vereinfachter Gestalt, umschliesscu. Die
Pfeiler sind im Kerne viereckig mit durchgehenden hohen Diensten, beson-
ders im Chore sehr reich gegliedert, die Kapitale klein, mit feinem Blatt-
werk verziert. Oberhalb der Scheidbögen ist die Wand dünner gehalten, so
dass ein Umgang unter den Oberlichtern entsteht, der statt der Triforieu
■durch eine wiederum im Chore besonders reich gegliederte Maasswerkgallerie
geschlossen ist. Das Maasswerk der Fenster ist freilich überall sehr ein-
fach, nur durch die Verbindung jedes Pfostenpaares zu einem an die Ein-
fassung anstossendcn Spitzbogen gebildet ; die Strebepfeiler sind zu niedrigen
Begräbnisskapellen benutzt und insoweit in das Innere gezogen ; die Strebe-
bögen lehnen sich unverziert an die ebenfalls schmucklosen lisenenartigen
Wandverstärkungen des Oberschiffes an. Aber ungeachtet dieser Einfach-
heit erscheint schon das Aeussere, besonders durch die schlanke Höhe des
JNIittelschiffes, höchst imposant, während das Innere in der That zu den
schönsten gothischen Kirchenschiffen zu zählen ist.
Für jetzt blieb dieser bedeutendste Bau an der Ostseeküste noch
■einsam; erst nachdem er vollendet war, imvierzehnten Jahrhundert, erweckte
•er, hauptsächlich im JMecklenburgischen, dann aber auch theils in Lüneburg,
theils in Vorpommern; zahlreiche Nachfolge, und wir werden hier in der
folgenden Epoche eine Reihe von bedeutenden Kirchen kennen lernen, welche
sich, wenn auch mit einigen weiteren Modificationen, genau an das Vorbild
des Lübecker Baues anschliessen.
Wenden wir uns jetzt dem ßinnenlande zu, so ist zunächst die Mark
Brandenburg zu nennen, welche seit der Mitte des Jahrhunderts unter der
:J0*
468 Gothischer Slvl in Deutschland.
kräftigen Herrschaft der anhaltinischen Markgrafen, Johann's I. und Otto's III.^
und durch die weitere Entwickelung des deutschen und städtischen Elemen-
tes mächtig aufblühete. Ein so plötzliches und entschiedenes Anlehnen an
französische Gothik, wie in der weitblickenden Handelsstadt Lübeck, konnte_
hier nicht stattfinden; es machten sich vielmehr in dem ausgedehnten und
durch verschiedene Colonisation bevölkerten Lande mancherlei Einflüsse
geltend. Der Uebergangsstyl erhielt sich noch lange, bis dann um 1270,
reiner frühgothischer Styl in Aufnahme kam ; aber die Mönchsorden
bauten ihren Traditionen gemäss mit niedrigen Seitenschiffen, während
städtische Kirchen, wie die St. Nikolauskirche zu Frankfurt an der Oder ^),
in frühgothischem, noch mit älteren Reminiscenzen gemischtem Style, schon
die Hallenform zeigten. Frühgothische Motive, mit solchen des Uebergangs-
stylcs gemischt; hatten wir bereits in dem Langhause der Klosterkirche zu
Lehnin kennen gelernt-). Eine weitere und charakteristische Entwickelung
des gothischen Backsteinbaues giebt die Cistercienserkirche zu Chorin ^)
die jetzt freilich nur als Ruine erhalten ist. Das Kloster, schon 1233 gestif-
tet, wurde im Jahre 1273 an diese Stelle verlegt, wo man, da es schon
früher begütert war und gerade jetzt reichlich beschenkt wurde, den Kirchen-
bau sehr bald begann. Er hat in gewohnter Weise Kreuzgestalt, den Chor
nicht mehr gerade, sondern mit fünf Seiten des Zehneckes geschlossen, die
Kreuzarme ohne Seitenschiffe, aber nach der Sitte des Ordens mit östlichen
Kapellen versehen, welche indessen, so wie das südliche Seitenschiff, jetzt
abgebrochen sind, das Langhaus, wie auch sonst in den Ordenskirchen, über-
aus lang und schmal, aus eilf Gewölbfeldern bestehend. Die niedrigen Seiten-
schiffe sind mit starken Strebepfeilern bewehrt, lehnen sich aber ohne
Strebebögen an das Mittelschiff an, dessen schlanke zweitheilige Maasswerk-
fenster darüber hinausragen. Sehr eigenthümlich ist die Westfagade, deren
mittlerer Theil von zwei thurniartigen Vorlagen begrenzt, durch zwei Strebe-
pfeiler in drei schlanke Felder getheilt, mit ebensoviel hohen Fenstern ver-
ziert, oben, weit über den abfallenden Seiten des Daches, mit drei kleinen
Giebeln abschliesst, und sich so von den niedrigen, von Mauerblenden be-
deckten AVänden der Seitenschiffe völlig sondert. Diese Verzierung mit
schlanken Mauerblenden, welche dem Backsteinbau so natürlich ist und ge-
wissermaassen für die Entbehrung der kräftigen Strebepfeiler und Fialen
') V. Quast in dem bereits aiigefnlirten Aufsätze im deutschen Kuiistblatte 1850,
S. 241.
2) Vgl. oben S. 335.
■'') Einige Nachrichten und gute Zeichnungen sind iu der Zeitschrift fi)r Bauwesen,^
1854, milgellieilt. — Pubücirt bei Adler, miltelalterliclie Backstein-Bauwerke, Bl. LXVIl
bis LXIX, bis jetzt noch ohne Text.
Die Klosterkirche zu Chorin.
469
•entschädigt, ist dann auch an den Giebeln der Kreuzfagaden und der Kloster-
gebäude reichlich und sehr geschmackvoll angewendet. Im Inneren sind
besonders die Pfeiler, namentlich im östlichen Theile der Kirche, bemerkens-
werth. Während nämlich die der westlichen Hälfte sämmtlich sehr einfach,
Fig. 120.
A 1- A
Westfa^ade von Chorin.
quadratisch mit Einkerbungen der Ecken gebildet sind, wechseln dort solche
einfache Pfeiler mit reichgegliederten, deren Peripherie aus grösseren
Kreistheilen und Rundstäben oder Ecken mannigfach zusammengesetzt ist,
so jedoch, dass die Frontseite nach dem Mittelschiffe zu, den viereckigen
470 Gothischer Styl in Deulseliland.
Pfeilern entsprechend, stets eine eckige Vorlage hat. Es ist offenbar ein
Versuch, ohne grossen Aufwand die Wirkung des gegliederten Bündelpfeilers
durch Formsteine zu erreichen. Die Basis hat noch fast die Gestalt der
attischen, und folgt mit ihrem senkrechten Untersatze dem Profile des Pfei-
lers ; die Kapitale, fast wie ein dorischer Echinus ausladend, sind mit flach
anliegenden, auf jedem der grossgebildeten Formsteine sich wiederholenden^
ziemlich stumpf stylisirten, aber doch zum Theil an einheimische Pflanzen
erinnernden BLättern verziert. Diese Kapitale haben aber rings umher
gleiche Höhe und tragen nur in den Seitenschiffen die Gewölbrippen, wäh-
rend für die oberen Gewölbe breite und kräftig gegliederte Dienste von
Consolen aufsteigen, welche über den Pfeilern angebracht, alle verschiedener
Gestalt und ähnlich wie die Kapitale mit Blattwerk verziert sind. Die
Scheidbögen sind einfach und derb, die Gewölbrippen feiner nnd birnförmig
profilirt, aber beide stehen auch in den Seitenschiffen, wo sie unmittelbar
von den Kapitalen aufsteigen, in keiner organischen Verbindung mit der
Gliederung der Pfeiler. An einem Portale im Inneren der Klostergebäude
sind Gewände und Archivolten mit fünf Ordnungen, also ziemlich reich, mit
wechselnden, theils runden, theils birnförmig profilirten Stäben und dazwi-
schen gelegenen Höhlungen gegliedert, die aber nur aus zwei Formen her-
vorgegangen sind und mithin sich wiederholen. Die Balustraden einiger
Giebelwände des Klosters und das Maasswerk der Fenster sind in gutem
Style aus leichten Formsteinen zusammengesetzt, aber die Pfosten, welche
die Fenster theilen, wieder einfach und derb profilirt. Man sieht, die orga-
nische Durchbildung der gothischen Bauten natürlichen Steines ist nicht völlig-
erreicht, es mischen sich überall wieder schwere Gliederungen ein, welche der
Wirkung nach denen des romanischen Styles gleichen; aber das Ganze giebt,
vermöge seiner schlanken und richtigen Verhältnisse und des massigen und
wohlgewählten Schmuckes, einen sehr würdigen und befriedigenden Eindruck,
und selbst jene Härten und Ungleichheiten finden eine harmonische Auf-
lösung, wenn man erkennt, dass sie nicht aus Willkür oder Stumpfheit des
Sinnes, sondern aus der Natur des Stoffes hervorgegangen sind. Sie tragen
das Gepräge der Wahrheit und erscheinen daher als organischer Ausdruck
des Materials. Gleichzeitig und ebenfalls in gutem frühgothischem Style,
mit geringen romanischen Reminiscenzen, sind die Klosterkirche zu Neuen-
dorf in der Altmark und zu Gramzow, letztere nur noch Ruine ^), und die
schöne Kirche Maria Magdalena zu Neustadt-Eberswalde ''^). In dem
letzten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts, nach einem Brande von 1269,.
1) Adler a. a. 0., Bl. LXXXXI f.
-) F. V. Quast a. a. 0., Adler Cl. LXXXVIII.
Klosterkirche zu Berlin. 471
wurde endlich auch das alte romanische Langhaus des Domes zu Havel-
berg umgebaut^). Die schlichten kreuzförmigen Pfeiler erhielten nach dem
3Iittelschiflfe zu eine starke Vorlage, aus einem grösseren halbkreisförmigen
Dienste und kleineren Rundsäulen, welche meist durch Hohlkehlen verbun-
den sind, bestehend. Diese Vorlagen schliessen sich in höchst eigenthüm-
licher Weise unter den Fenstern der erneuerten Oberwand in schwach spitz-
bogigen Blenden, die einen Umgang tragen, zusammen.
Ein Beispiel der eigenthümlichen Erscheinungen, zu welchen die Verbin-
dung gothischer Elemente mit Uebergangsformen führen konnte, giebt die
Klosterkirche zu Berlin 2). Die Stelle wurde schon im Jahre 1271 einem
Franciscanerkloster verliehen, aber erst 1290 erhielt das Kloster das Geschenk
eines Ziegelofens, und da die noch vorhandene Inschrift den Geschenkgeber
ausdrücklich mit zu den Stiftern zählt, so wird der Bau erst in dieser späteren
Zeit begonnen sein. Der Chor, welcher sich ohne Kreuzschiff an das Langhaus
anschliesst, und offenbar erst etwas später, im vierzehnten Jahrhundert, ange-
fügt wurde, ist durch sieben Seiten des Zehneckes gebildet (Fig. 121), hält da-
her mehr als die Hälfte eines Kreises, so dass er sich über das Maass seiner
östlichen Oeffnung hinaus erweitert; eine sehr vortheilhaft wirkende Anord-
nung, die sich später in diesen Gegenden Öfter findet und offenbar wie die
rheinischen Choranlagen von Xanten nnd Oppenheim den Zweck hat, den
Mangel des Chorumganges zu ersetzen und auch ohne ihn dem Chorraume
eine freiere und luftigere Haltung zu geben. Auch das westliche Haupt-
portal ist ganz dem edelsten gothischen Style entsprechend, reich profilirt
und mit einem zierlichen Raukenornameut als Kapital geschmückt. Dage;.rn
ist das Langhaus in schweren, düsteren Verhältnissen angelegt, im IMittel-
schifte 54, in den beiden Seitenschiffen nur 28 Fuss hoch, mit niedrigen,
theils vier-, theils achteckigen Pfeilern, welche durch weitgespannte, einfach
und eckig gegliederte spitze Scheidbögen verbunden sind. Ihre Kapitale,
sehr einfach in Form einer Welle oder auch bloss cylindrisch gebildet, aber
mit Rankengewinden in flachem Relief, unter anderem mit ^Wein- und
Eichenlaub in ziemlich freier Xaturnachahmung verziert, tragen die schwer,
aber doch meistens gothisch profilirten Gewölbrippen. Der Anblick dieses
Langhauses überrascht, wenn man es mit dem Gedanken an die Zeit seiner
Entstehung betritt; mau erwartet das leichte Aufstreben gothischer Bauten,
mindestens eine Stufe der Entwickelung, wie sie sich in dem gleichzeitigen
Bau von Chorin zeigt, und findet stämmige, gedrückte Pfeiler, breitge-
spannte, stumpfe Bögen, dunkle und niedrige Gewölbe, Formen, welche den
1) Adler a. a. 0., II, S. 3 S., BI. LI, LH.
-) Kugler, kleine Schriften zur Kunstgeschichte I, 102 ff., wo auch Zeichnungen
einzelner Details gegeben sind. — Adler Bl. LXXI f.
472
Gothischer Slvl in Deuischland.
Fig. 121.
Eindruck einer viel früheren Zeit machen. Allein bei näherer Betrachtung
sind auch sie im Wesentlichen aus gothischen Elementen gebildet, und nur
die Art ihrer Verwendung lässt sie so alterthümlich erschemen. Es war für
diese Gegenden noch eine Zeit
des Suchens, man kannte den go-
thischen Styl und wollte ihn an-
wenden; man war auch in der
Kunst des Formens weit genug
vorgeschritten, um selbst feinere
Details und manche Art des
Schmuckes darzustellen. Aber diese
Einzelheiten erhöhten die Kosten
und wollten doch nicht recht mit
der einfachen Haltung der grös-
seren Glieder harmoniren, und
man hatte noch nicht das Mittel
gefunden, diese Gegensätze aus-
zugleichen. Uebrigens darf nicht
unbemerkt bleiben, dass die fin-
stere Haltung des Schiffes die Wir-
kung des Chores erhöht, der sich
wie von einem Zwange befreit nach
beiden Seiten erweitert und durch
grössere Fenster hell beleuchtet ist.
Grundriss der Klosterkirche in Berlin.
Schlesien ^), obgleich nicht
bloss ein ursprünglich slavisches
Land, sondern noch immer von
polnischen Fürstengeschlechtern
beherrscht, war dennoch in seinen
niederen Gegenden von deutschen
Colonisten so dicht besetzt, dass
es allmälig als ein deutsches Land
betrachtet werden konnte. Diese
Colonisten stammten grossentheils
^) Die ältere, von Büsching ausgehende bändereiche Literatur ist in künstlerischer
Beziehung unbrauchbar. Neuerdings ist die Kenntniss der mittelalterlichen Kunst in
Schlesien durch einheimische Gelehrte vortrefflich gefördert worden, durch H. Luchs,
Die heil. Kreuzkirche in Breslau. 473
aus Niederdeutschland, und ihrem Einflüsse mag es zuzuschreiben sein, dass
auch hier der Backsteinbau aufkam, während man in dem oberen Landes-
theile entweder mit natürlichen Steinen baute oder gar hölzerne Kirchen,
den norwegischen nicht unähnlich, errichtete, von denen noch einige und
zwar aus dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts erhalten sind'). Die
Hauptstätte architektonischer Thätigkeit ist Breslau, wo der Bischof Thomas
(l232 — 1267) seit dem Jahre 1244 den noch jetzt vorhandenen Chor des
Domes, zwar nach rechtwinkeligem Plane und zum Theil mit der Ornamen-
tation des Uebergangsstyles, aber im Wesentlichen in frühgothischen Formen
gründete und bis zum Dache vollendete -). Die Wandsäulenbündel zeigen
schlanke, durch Hohlkehlen verbundene Rundstäbe und die schmalen, zwei-
theiligen Oberfenster gewähren Beispiele frühgothischen Maasswerkes. Ver-
wandte Formen treten in den älteren Theilen der Dominicanerkirche
St. Adalbert auf.
Ein anderer wichtiger Bau ist die Stiftskirche zum heiligen Kreuze,
welche durch den frommen Herzog Heinrich IV. im Jahre 1288 gegründet
und bei seinem bald darauf im Jahre 1290 erfolgten Tode durch ein ansehn-
liches Legat befördert, so rasch fortschritt, dass sie schon im Jahre 1295
eine Weihe erhalten konnte-^). Diese hatte indess sicher nur auf den Chor
Bezug und das Langhaus wurd« wohl erst im vierzehnten Jahrhundert
errichtet. Die Anlage der Kirche ist sehr eigenthümlich. Sie enthält näm-
lich gewissermaassen zwei Kirchen, indem die 20 Fuss hohe Krypta *) sich
besonders iu der Sclirift „romanische und gothisclie Stylproben aus Breslau und Treb-
nitz, Breslau 1859, und durch Dr. Alwin Schultz, Schlesiens Kunstlebeu im dreizehnten
und vierzehnten Jahrhundert, Breslau 1870. Vgl. über Breslau auch Lübke in der
Zeitschrift für Bauwesen 1859, S. 54 ff.
1) Vgl, Zeitschrift für Bauwesen 1852, S. 212 und Taf. 44, L. Dorst Reise-
skizzen I , Bl. 3, und Dr. H. Luchs, die obersclilesischen Holzkirchen und Verwandtes,
Rübezahl (Schlosische Provinzialblätter), X. B., 3. Heft, 1871.
-) Vgl. K. Drescher, Beiträge zur Geschichte des Kirchenbaues in Schlesien,
Mitth. der k. k. Centralcomniission, IX p. 47 ff. Hier das System des Domchors und
einige Details in Holzschnitt. Aber es ist dem Verfasser nicht beizustimmen, wenn er
den Chor theilweise noch dem Bau des Bischofs Walther (1149 — 1169) zuschrei-
ben will.
3) Dr. Hermann Luchs, über einige mittelalterliche Kunstdenkmäler Breslau's
(Schulprogramm von 1855 und besonders abgedruckt), giebt S. 24 ff. sehr gründliche
Nachrichten über die obengenannte Kirche , Abbildungen in den Stylproben, Tf. H
und bei E. Förster, Denkmale, B, VL
*) Es ist in der That nur eine solche, da die Stiftungsurkimde nur von einer
Kirche spricht. Die oft wiederholte Sage, dass Heinrich zuerst den Bau einer Bartho-
lomäuskirche vorgehabt, und nur durch eine bei der Fundamentirung gefundene kreuz-
förmig gestaltete Wurzel bestimmt worden sei, darüber eine obere, nach dem heiligen
Kreuze benannte Kirche zu bauen, ist ohne historischen Grund.
^1A Gothischer Styl in Deutschland.
nicht wie gewöhnlich nur unter einem Theile des Hauptgebäudes, sondern
unter der ganzen Oberkirche nach allen Dimensionen hin erstreckt, so dass
diese nur durch eine hohe Freitreppe zugänglich ist. Auch der beiden ge-
meinsame Grundplan weicht von dem Gewöhnlichen ab. An das dreischiffige
Langhaus schliessen sich nämlich der Chor und die Kreuzarme, beide ein-
schiffig und von der Breite des Mittelschiffes, an, und zwar so, dass diese
letzten nur wenig ausladen, während der Chor überaus lang, sogar noch
länger als das Schiff ist (81 zu 76^2 Fuss), dass aber ferner alle drei öst-
lichen Arme, der Chor und beide Seiten des Querschiffes polygonförmig, mit
drei Seiten des Achteckes, geschlossen sind. Wahrscheinlich war bei dieser
Abweichung von der gewöhnlichen rechteckigen Gestalt der Kreuzarme, da
die Länge des Chores eine Gesammtwirkung der drei Conchen, eine kiee-
blattartige Form, wie an der Elisabethkirche in Marburg, nicht gewährte,
nur die Absicht bestimmend, durch diese ungewöhnliche Form die Gestalt
des Kreuzes, dem die Kirche geweihet war, schärfer zu betonen. Das ganze
Gebäude ist in reinem gothischem Style; die Krypta hat zwar ziemlich
schwere Pfeile und flache Kreuzgewölbe mit halbkreisförmigen Diagonalen,
was aber bei der geringen Höhe dieses Unterbaues von nur 20 Fuss fast
nicht anders sein konnte. Das Langhaus der Oberkirche hat gleichhohe
Schiffe von 60 Fuss Scheitelhöhe und zwar so, dass die Gewölbfelder im
Mittelschiffe quadrat, in den Seitenschiffen länglich sind. Die Pfeiler sind
eckig gestaltet, nur mit Dreiviertelsäulen in den eingekerbten Ecken, also
in einer dem Backsteinbau bequemen Form, das Maasswerk der Fenster und
die künstlichen Gewölbe lassen aber schliessen, dass dieser Theil der Kirche,
wie oben erwähnt wurde, erst im vierzehnten Jahrhundert entstanden ist. Im
Chor und Kreuz sind dagegen schmale, einfache Kreuzgewölbe und über-
haupt schlichtere Formen. Ungefähr gleichzeitig, vielleicht selbst etwas
früher, wird auch die freilich später verwüstete und restaurirte St. Mar-
tinikirche entstanden sein. Sie war ursprünglich Kapelle der herzoglichen
Burg, wodurch sich ihre unregelmässige polygonförmige Anlage erklärt, und
hat im Chore an der Backsteinwand in Sandstein ausgeführte Blendarcaden
mit reichen Ornamenten in den Zwickeln, welche als die reinste und schönste
Leistung des frühgothischen Styles in Breslau geschildert werden ^). Aussei'-
halb der Hauptstadt Schlesiens sind neben einigen kleineren Pfarrkirchen -)
noch die elegante, 1268 gegründete Hedwigskapelle neben dem Chor der
Klosterkirche zuTrebnitz^) und die Schlosskapelle zu Ratibor zu nen-
1) Luchs über einige mittelalterl. Kunstdenkm., S. 15.
-) Luchs, zur Kunsttopograpliie Schlesiens (Schlesiens Vorzeit in Bild und
Schrift, II).
• 3) A. Schultz, die Klosterkirche zu Trebuitz, p. 300.
Pommern. 475
neu, welche wahrscheinlich um 1287 gebaut, sehr einfacher Anlage, ein-
schiffig und rechteckig, aber mit einer reichen Gallerie von Blendarcaden
und mit Maasswerkfenstern im edelsten gothischen Style erbaut ist ^).
Auch in Pommern-) begann man vielleicht bald nach der Mitte des
Jalirhunderts gothische Formen anzuwenden, doch wiederum in eigenthüm-
licher Weise, wie denn überhaui^t das Bestreben, den gothischen Styl den
Anforderungen des Ziegelbaues anzupassen und mit den bequemeren Formen
des bisherigen Uebergaugsstyles zu verschmelzen, in allen diesen Provinzen
selbständige Versuche veranlasste. Namentlich war man zu einer solchen
Verschmelzung geneigt, wenn, wie es häufig geschah, der gothische Styl bei
der Fortsetzung eines im Uebergangsstyle begonnenen Baues hinzutrat. So
sollte an der Klosterkirche zu Colbatz den östlichen, im Uebergangsstyle
und bis gegen die Mitte des Jahrhunderts erbauten Theilen das Langhaus
angefügt werden ; da behielt man dann im Wesentlichen die eckige Grund-
form der bereits vorhandenen Pfeiler bei, aber an Stelle der vorgelegten
Halbsäule tritt ein halber achteckiger Pilaster, die stumpfen Bögen werden
spitzer und die Fenster mit Ecken und Säulchen reicher gegliedert, zum
Theil schon zweitheilig angelegt und mit einer Kreisöffnung in dem übrigens
noch undurchbrochenen Bogenfelde versehen. Entschieden und eigenthüra-
licher ist der gothische Formgedanke im Langhause des Domes zu Cammin
durchgeführt, welches ebenfalls nur eine Fortsetzung der älteren östlichen
Theile war. Es hat nach alter Weise niedrige Seitenschiffe und quadrate
Gewölbfelder mit stärkeren und schwächeren Pfeilern. Jene, viereckig und
in der Längenrichtung breiter, haben auf der Frontseite eine einfache Drei-
viertelsäule, welche, bis zum Gewölbe aufsteigend, mit einem gothischen
Blätterkapitäl die Rippen trägt, während die Ecken abgeschrägt und mit
drei Halbsäulen verziert sind, die sich oben ohne Kapital zu einem Schild-
bogen zusammenziehen und so das ganze Wandfeld mit den beiden Arcaden-
bögen und einem darübergestellten dreitheiligen Fenster uraschliessen, das
aber nur drei Lancetbögen, den mittleren höher, und ein undurchbrochenes
Bogenfeld enthält. Das Ganze ist sehr strenge und schlicht, aber auch sehr
organisch und befriedigend.
1) Abbildungen in der Zeitschrift für Bauwesen 1852, Taf. 43, S. 210. Die Ge-
wölbe, quadrate und sechstheilig-e Kreuzgewölbe, macheu durch die Vertiefung der
schmalen einschneidenden Stichkappen eine sehr günstige Wirkung. — Vgl. Luchs,
Kunsttopographie, S. 29.
-) Vgl. überall Kugler's Pommersche Kunstgeschichte, jetzt in den kleinen Schrif-
ten I, namentlich S. G72, 686, 699 ff.
A'JQ Gotliischer Siyl in Deutschland.
"Während in diesen Bauten die Anlage niedriger Seitenschiffe und die
€ckige Grundform der Pfeiler beibehalten sind, kommt auch hier an städti-
schen Kirchen schon gleichzeitig die Hallenform mit anders gebildeten
Stützen vor. So an der St. Katharinenkirche zu Stralsund (jetzt Arsenal), in
welcher die Pfeiler abwechselnd rund und achteckig, und der Jacobi-
kirche zu Greifswald, in welcher sie durchweg rund sind. Offenbar ist
diese Gestalt der Pfeiler gewählt, weil sie der Gleichheit der Schiffe besser
•entsprach, als die in den bisher erwähnten Kirchen angewendete oblonge
Bildung, und doch in Ziegeln eher ausführbar war, als der gothische Bündel-
pfeiler. In der Marienkirche zu Greifswald, welche dem Ende des Jahr-
hunderts angehört, versuchte man dieser reicheren Form näher zu treten,
indem die Pfeiler theils zwar viereckig mit angelegten Halbsäulen, theils
aber achteckig mit acht zierlichen Säulchen in den eingekerbten Ecken,
theils auch aus zahlreichen verschiedenartigen Rundungen oder Ecken, ähn-
lich wie einige Pfeiler in Chorin, zusammengesetzt sind. An den meisten
dieser Kirchen finden wir auch ziemlich reiche, aus Formsteinen gebildete
Portale, freilich stets mit häufiger Wiederkehr von ein oder zwei Formen.
Wir sehen daher auch hier ein Schwanken zwischen der bequemen Einfach-
heit des bisherigen Uebergangsstyles und dem Bestreben, sich immer mehr
den reicheren Formen des westlichen Styles anzuschliessen, und es blieb dem
folgenden Jahrhundert vorbehalten, das rechte Maass und die dem Ziegelbau
günstigste Form der Gothik zu finden.
Preussen, das in der Architekturgeschichte des folgenden Jahrhunderts
■eine bedeutende Rolle einnehmen wird, war für jetzt noch ein Land wilden
Kampfes.
Wir haben das ganze Gebiet deutscher Civilisation, so weit es sich jetzt
erstreckte, durchwandert und können zurückblicken, um das Resultat zusam-
menzufassen. Da sehen wir dann am Schlüsse des dreizehnten Jahrhunderts
in ganz Deutschland, von den Alpen bis zum Meere und von der lothringi-
schen Grenze bis zu den äussersten Ostmarken, die Herrschaft des gothischen
Styles überall entschieden; wir haben keine Provinz, die ihm ein hart-
näckiges Widerstreben entgegensetzte, wie in Frankreich die südlichen Land-
schaften. Er war nicht bei uns entstanden, aber er entsprach schon vor-
handenen Tendenzen, gewährte ein Mittel, sie zu fördern und zum Abschluss
2ü bringen, wurde daher mit Gunst aufgenommen und nicht wie ein Fremd-
ling, sondern wie eigenes Erzeugniss mit Freiheit und Meisterschaft be-
handelt. Darum ist denn auch das Resultat ein sehr befriedigendes. Zwar
können wir nicht eine so grosse Zahl genügend ausgeführter Kathedralen
aufzeigen, wie das nördliche Frankreich auf kleinerem Räume; zwar hat
unsere Architektur nicht einen so scharf ausgeprägten nationalen Charakter,
nicht die verschwenderische Fülle zierlicher Details, wie die englische.
Ueberblick. 477
Aber sie übertrifft beide Länder in der "Vielseitigkeit und Individualität ver-
schiedenartiger Leistungen. Selbst die französische Schule, deren Energie
und Consequenz wir die Ausbildung des Systems verdanken, deren allgemein
verbreiteter; man möchte sagen unfehlbarer feiner Geschmack allen Werken
der Zeit Ludwig's IX. ein so bestimmtes Gepräge verleiht, bewegt sich doch
in einem viel engeren Gedankenkreise. Vergleichen wir nur den Kölner
Dom, der an Grossartigkeit der Conception und in gediegener Ausführung
mit den reichsten der französischen Kathedralen wetteifert und sie über-
trifft, mit der schlichten Anmuth der Elisabethkirche in Marburg, mit der
ausgebildeten Halienform der Kathedrale von Minden, mit der strengen
Backsteinarchitektur von Chorin, so haben wir schon eine Fülle von ver-
schiedenartigen, zum Theil der deutschen Kunst ausschliesslich angehörigen
und höchst fruchtbaren Motiven. Namentlich ist die Mannigfaltigkeit der
Choranlagen bedeutsam; während man in Frankreich an allen grösseren
Bauten nur das freilich fruchtbare Thema des Kapellenkranzes variirte,
finden wir bei uns auch diese Form, nicht bloss am Rhein, sondern selbst
im entfernten Osten in Lübeck, daneben aber den blossen Umgang ohne
Kapellenkranz, wie am Dome zu Halberstadt, den einfachen, aber durch die
vorwaltende Läugenrichtung der Vorlage und durch die lichte Höhe seiner
schlanken Fenster wirksamen Polygonschluss, die kleeblattförmige Anord-
nung von Marburg, die anmuthige Verbindung verschiedener Nischen wie in
Xanten und Oppenheim, die Erweitei'ung des Raumes innerhalb des sieben-
seitigen Umfanges wie in der Klosterkirche zu Berlin, und können selbst
die, wenn auch bizarre und nicht gelungene, doch eigenthümliche Anordnung
des Regensburger Domchores als einen Beweis der Vielseitigkeit und erfin-
derischen Thätigkeit anführen, welche der deutschen Kunst noch eine weite
Zukunft verhiess.
Achtes Kapitel.
Die Malerei in ihren verschiedenen Zweigen.
Im rein natürlichen Entwickelungsgange, wie wir ihn bei den Griechen
in seiner normalsten Weise wahrnehmen, beginnt die Blüthe der darstellen-
den Künste erst dann, wenn die der Architektur bereits ihr volle Reife
erlangt hat und sich zu entblättern anfängt. In dieser Epoche war es an-
ders, sie halten vielmehr mit jener gleichen Schritt, nehmen seit der Mitte
des zwölften Jahrhunderts einen neuen Aufschwung, durchlaufen eine Zeit
Aip, Die darstellenden Künste.
der Gährung und des Ueberganges, und gewinnen etwa hundert Jahre nach
jener ersten Erregung einen festen wohlgeregelten Styl. Diese ungewöhnliche
Erscheinung beruht darauf, dass beide Künste, die darstellenden und die
Architektur, eine ungewöhnliche Stellung zu einander hatten. In jenem bloss
natürlichen Zustande bilden sie in gewissem Sinne Gegensätze. Sie sind
verwandt und bedürfen eine der anderen ; die Baukunst fordert zu ihrer
vollendeten Erscheinung die Hülfe der darstellenden Kunst, und diese ge-
deihet nur auf der Grundlage des architektonischen Styles. Allein dennoch
können sie nicht lange mit voller Kraft neben einander bestehen; die Archi-
tektur bringt ihre edelsten Erzeugnisse hervor, während das individuelle
Leben noch unter der Herrschaft strenger Gesetzlichkeit beschlossen, die
darstellende Kunst gedeihet erst, wenn ihm eine grössere Freiheit gestattet
ist. Ihre Blüthe öffnet sich am schönsten, wenn jene schon den Keim des
Verfalles in sich aufgenommen hat. Beide gehören zwei auf einander fol-
genden Epochen des Volkslebens an; die eine der früheren, in welcher die
Gemüther vorzugsweise von den höchsten Dingen beschäftigt werden, die
andere der späteren, wo individuelle Verhältnisse grösseres Interesse in An-
spruch nehmen.
In unserer Epoche erscheint dieser Gegensatz wie im Leben so auch
in der Kunst gemildert. Das christliche Gesetz hat nicht die Sprödigkeit
des natürlichen, die christliche Freiheit löst das Gesetz nicht auf. Die ganze
mächtige Erhebung des Zeitalters ging von dem Freiheitsgefühl der Völker
aus, aber dies Gefühl war zugleich religiöse Begeisterung, war von der
Kirche selbt genährt und gab ihr neue Belebung. Beide schritten ein-
müthig fort.
Ebenso auf künstlerischem Gebiete ; die christliche Kunst hat nicht eine
einmalige Blüthe, sondern ist der Erneuerung fähig; sie stellt der Archi-
tektur nicht die unerlassliche Forderung reinster architektonischer Gesetz-
lichkeit, sondern gestattet ihr auch plastische und malerische Elemente in
reichem Maasse in sich aufzunehmen. Und von diesen ging die ganze
künstlerische Bewegung dieses Zeitraumes aus. Was die ruhige Würde des
romanischen Styles störte und ihm eine decorative Tendenz o,ufnöthigte, war
eben die Regung des plastisch-malerischen Sinnes, aber das Resultat dieser
Gährung war nicht der Verfall, sondern eine höhere Blüthe der Architektur,
ein neuer Styl, der jenes hinzutretende Element in sich aufgenommen und
bewältigt hatte. Der gothische Styl ist von plastischen und malerischen Mo-
tiven durchdrungen. Seine ganze Erscheinung, besonders die wunderbar
belebte Perspective des Inneren erstrebt malerische Wirkung; seine frei
aufsteigenden Fialen, seine reichgestalteten Bündelpfeiler sind plastische Ge-
bilde; die weichgeschwungenen Profile, das Maasswerk der Fenstei-, der
überall hervorbrechende Blätterschmuck atlimen freies, organisches Leben.
Einleitung. — Verhältniss zur Natur. 479
Die Leistungen der anderen Künste sind ihm nicht bloss ein zufälliger
Schmuck, sondern Theile seines Organismus; die tiefen Höhlungen der Por-
tale, die Tabernakel der Strebepfeiler, die Nischen der Gallerien fordern
mit Nothwendigkeit Statuen, die weiten Oeffnungen der Maasswerkfenster
figurenreiche Glasgemälde, Die Architektur kam also den darstellenden
Künsten mehr als je entgegen.
Eben so sehr aber waren diese zu ihrem Dienste bereit und geeignet.
Was sie in anderen Zeiten der Architektur entfremdet, der Sinn für die be-
lebte Natur, hatte jetzt eine Richtung, die sich noch enge dem Architekto-
nischen anschloss. Allerdings war das Selbstgefühl erwacht ; der Mensch in
seiner Kraft und Schwäche, in seinen Empfindungen und sittlichen Aeusse-
rungen war der Gegenstand eines warmen Interesses geworden, welches den
Blick schärfte und zu Beobachtungen führte. Dies erkennen wir denn auch
an den künstlerischen Darstellungen, so viel es die Eigenthümlichkeit der
verschiedenen Kunstzweige gestattet; die menschlichen Gestalten werden
lebendiger und ausdrucksvoller als bisher, zeigen feinere moralische Züge,
höheres dramatisches Leben, selbst ein besseres Verständniss des Glieder-
baues, und die häufigere Anwendung der gleichzeitigen Tracht verräth, dass
der Zeichner mehr aus der Wirklichkeit als aus früherer Kunsttradition
schöpfte. Auch für die äussere Natur war das Gefühl empfänglicher ge-
worden; die Minnesänger schwelgten in Frühlingswonnen, und die Frömmig-
keit war sich einer erhöheten Stimmung bewusst, wenn sie Gott nicht bloss
in Worten, sondern in den Wundern seiner Schöpfung erkannte. Aber diese
Regungen des Natursinnes gingen nicht weiter als das Interesse, w^elches sie
hervorbrachte, sie waren subjective, flüchtige Gefühle und gaben keine blei-
bende Anschauung. Der Glaube an die Richtigkeit der eigenen Empfindung
juid an die W^ahrheit der von der Kirche ausgelegten Offenbarung war so
stark, dass man in den Erscheinungen der Dinge nichts als die Bestätigung
beider suchte, und nicht ahnete, dass sie einen selbständigen, objectiven
Gehalt hätten. Man ging von dem schönen und in gewissem Sinne annehm-
baren Gedanken aus, dass die ganze Natur mit dem Zwecke geschaffen sei,
den Menschen im Glauben zu bestärken i), aber man fühlte nicht, dass es
dazu vor Allem eines richtigen Verständnisses der Schöpfung bedürfe ; man
erwartete auch diese Glaubensstärkung nur aus schriftlicher Ueberlieferung
und es war fast unbekannt, dass man das Auge zu eigener Beobachtung
öffnen könne. Dies Verhältniss zur Natur ist ein uns so fremdes, dass es
wohl der , Erläuterung durch ein ohnehin hieher gehöriges Beispiel bedarf.
1) Wie es Peter der Picarde in seinem sogleich näher zu erwähnenden Physio-
logus naiv ausdrückt: Car totes les creatures que Diex cria en tere, cria 11 par home
et par prendre essample de foi en eles et de creance.
4gQ Die darstellenden Küiibie.
Wir besitzen eine Reihe von Handschriften sogenannter Bestiarien,
in welchen Thiere freilich nicht sowohl beschrieben als wegen gewisser ihnen
beigelegter Eigenschaften als Symbole theologischer oder moralischer Sätze
betrachtet werden ; wahrscheinlich liegt ihnen ein älteres und zwar griechi-
sches Werk zum Grunde, das aber fortwährend bis in's fünfzehnte Jahrhun-
dert neue und sehr abweichende Bearbeitungen erhalten hat und an das nur
dadurch erinnert wird, dass die Bearbeiter sich stets auf den unbekannten
Verfasser des ursprünglichen Werkes beziehen, den sie schlechtweg als Phy-
siologus, als Naturlehrer, bezeichnen ^). Da kann es nun nicht überraschen,
wenn sie diesem Gewährsmanne bei fabelhaften oder orientalischen Thieren
unbedingt folgen; allein auch bei denen unserer Gegend und selbst bei ge-
wöhnlichen Hausthieren beziehen sie sich in gleicher Weise auf ihn und
sprechen ihm die unglaublichsten Dinge nach. Sie kennen also nur die
Autorität und haben noch keine Ahnung von der Pflicht eigener Prüfung
und Beobachtung. Zwar gab es einzelne schärfer blickende Männer; Albert
der Grosse bezweifelt manche dieser Fabeln des Physiologus als unglaub-
lich, stützt seinen Widerspruch bei anderen auf die Erfahrung, etwa auf die
Berichte der Jäger ; Roger Baco erklärt sogar in Worten, deren Klang in
ganz andere Zeiten versetzt, die Erfahrung (experimentum) für die beste
Weise des Erkennens. Allein diese Männer standen noch allein. Von einem
Schüler Alberts, dem Thomas Cantipratanus, besitzen wir ein Buch: de rerum
natura, welches ohne die in den Bestiarien vorwaltende symbolische Be-
ziehung eine ziemlich nüchterne Beschreibung von Thieren und Pflanzen ent-
hält. Dennoch sind in einer, auf der Universitäts-Bibliothek zu Prag be-
wahrten, in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts gefertigten
Abschrift die zahlreichen Miniaturen ohne die mindeste Rücksicht auf Natur-
wahrheit, selbst da, wo sie sich aufdringen musste; namentlich sind die
Bäume fast alle gleich, mit etwas gebogenem Stamme und einer birnförmig
zugespitzten Krone, ohne die entfernteste Andeutung der verschiedenen Bil-
dung ihrer Aeste gezeichnet. Die Fichte unterscheidet sich von der Eiche
nur durch etwas höheren Stamm und kleinere Krone und gleicht sowohl dem
Mandelbaum als der Cypresse. Nur dadurch kommt der Maler zuweilen der
Phantasie des Lesers zu Hülfe, dass er auf jener stets gleichgestalteten
1) Vgl. besonders Cahier und Martin, M<5Ianges d'Archeoiogie, Paris 1847 ff.,
Vdl. II, fi. 85, 106 — 232, Vol. III, p. 203 ff., wo Auszüge aus mehreren Bearbeitungen
zusammengestellt sind, namentlich aus der prosaischen Peters aus der Picardie und der
gereimten Wilhelms aus der Normandie, beide vom Anfange des dreizehnten Jahr-
hunderts. Die letzte ist später (Hippeau, le bestiaire divin de Guillaume, clerc de
Normandie, Paris 1852) ganz edirt. Vgl. ferner Dr. Heider, Physiologus nach einer
Handschrift aus GoUweih im Arcliiv für Kunde Österreich. Geschichtsquellen 1850
Bd. 2, Heft 3 u. 4.
Ihr Verhältniss zur Architektur, 481
Krone Einzelnheiten der wirklichen Pflanze, bei der Eiche Blätter und
Eicheln, bei dem Apfelbaum Früchte, bei dem Rosenstock Blumen aufge-
zeichnet hat. Freilich geht diese Nichtbeachtung der Wirklichkeit bei
Thieren nicht ganz so weit wie bei Pflanzen; schon die Thierfabel zeigt ein
reges Mitgefühl, welches auf die Darstellung einwirken musste. Aber wenn
auch die Bewegungen verständlich und lebendig sind, ist doch die Form
noch überall sehr ungenau, selbst bei dem Lieblingsthiere dieser ritterlichen
Zeit, dem Pferde, auch für das nachsichtigste Auge anstössig. Villard de
Honnecourt rühmt sich zwar, den Löwen nach der Natur gezeichnet zu
haben, aber wahrscheinlich hielt er dies nur bei dem fremden Thiere für
nothwendig, nicht bei den einheimischen, die jeder vor Augen hatte; und
auch bei dem Menschen bleiben seine Naturstudien, wenn es überhaupt
solche sind, nur bei dem allgemeinen Umrisse stehen. Man zeichnete nach
der Erinnerung oder nach älteren Kunstwerken, die ja auch in Villard's
Skizzenbuche vorherrschen, gönnte der äusseren Erscheinung nur eine flüch-
tige und befangene Betrachtung, und begnügte sich daher auch in der Kunst
mit unbestimmten oder unrichtigen Formen. Gerade aber hier, bei dem
edelsten und schwierigsten Theile der künstlerischen Aufgabe, bei der
menschlichen Gestalt, kam etwas Anderes zu Hülfe; das warme Gefühl, die
poetisch angeregte Stimmung der Zeit ersetzte in gewissem Grade, was an
objectiver Kenntniss fehlte, und lehrte die Künstler die angemessene und
selbst schöne Form finden. Und so wurde dieser Mangel fast zu einem Vor-
zuge. Denn da der Körper von innen heraus nach geistigen Motiven ent-
stand, wurde der Ausdruck derselben sehr viel inniger und wahrer; die^
Künstler konnten ungehemmt durch kleinliche Details unmittelbar auf ihr
geistiges Ziel hinarbeiten und sich mancher Mittel bedienen, welche einer
naturalistisch mehr durchbildeten Kunst versagt gewesen wären und doch
die Phantasie mächtig erregen, so dass diese in mancher Beziehung unvoll-
kommenen Kunstwerke durch die Wärme des Gefühls und durch den Ernst
der religiösen Ueberzeugung ihrer Urheber oft stärker wirken, als die Er-
zeugnisse einer viel vollendeteren Technik.
Ausserdem gewährte aber diese Schwäche des Naturalistischen den
Vortheil einer innigeren Verschmelzung der darstellenden Kunst mit der
Architektur. Eine völlig gereifte selbständige Plastik und Malerei wäre
nicht fähig gewesen, so in die architektonischen Zwecke einzugehen, wie es
der gothische Styl forderte; die unbestimmten und flüssigen Formen dieser
jugendlichen Kunst schmiegten sich leicht der architektonischen Gliederung
an und verschmolzen mit ihr zu einem Ganzen. Diese Verbindung war der
Architektur günstig, indem die diagonalen und gerundeten Linien der Plastik
die Strenge rechtwinkeliger Anordnung milderten; sie war aber auch für die
darstellende Kunst kein feindlicher Zwang, sondern ihr eigenes Bedürfniss.
Schnaase's Kunstgesch. 2. Aufl. V. 31
^QO Die darstellenden Künste.
Der Formensiun war hinlänglich gereift, um die Haltungslosigkeit ihrer
schwankenden Gestalten zu fühlen und eine Regel zu suchen, die er nur in
der Architektur finden konnte. Daher gab man den Bildwerken, auch da,
wo sie nicht mit den Gebäuden zusammenhingen, gern eine architektonische
Einrahmung und bildete die Gestalten selbst unter dem Einflüsse des archi-
tektonischen Styles. Dies geschah sogar anfangs mit einer einseitigen
Strenge, welche das Leben fast zu byzantinischer Starrheit herabdrückte.
Aber allmälig erlangte die Kunst durch diese strenge Schule ein feines Ge-
fühl für räumliche Verhältnisse und Reinheit der Linie, für Klarheit der
Anordnung und Harmonie des Ganzen, und endlich unter wachsender Erstar-
kung des Naturgefühls einen edlen, wirklich plastischen Styl und jene maass-
volle, schlichte Haltung, welche, gleichweit von kalter Gleichgültigkeit und
weichlicher Sentimentalität, bei der Darstellung religiöser Gegenstände un-
entbehrlich und auch für die künstlerische Auffassung des Lebens so günstig
ist. Dies Entgegenkommen der |Verschiedenen Künste, das Vorherrschen
des Stylistischen in der Darstellung und des Plastisch-Malerischen in der
Architektur war eben nicht ein zufälliges Ereigniss, eine Folge der Schwäche
und Unklarheit, sondern eine Aeusserung des mächtigen Bestrebens dieser
Zeit nach voller Einheit des Subjectiven mit dem Allgemeinen des geistigen
Lebens. Es gewährte daher auch den unschätzbaren Vorzug eines Zusam-
menwirkens der Künste, wie es keiner anderen Zeit gegeben war und das
zu den herrlichsten Resultaten führte.
Eine Wirkung dieses einenden Strebens war dann auch, dass das sym-
l^olische Element in dieser Epoche eine neue Gestalt annahm. Jene rohe
und dunkle Thiersymbolik, die stets wiederkehrenden, nur sehr unbestimmter
Deutung fähigen Kämpfe von Menschen und Ungeheuern, welche an Wänden
und Kapitalen hervorbrachen ohne in innerem Zusammenhange mit der Archi-
tektur zu stehen, verschwinden sofort. Nur die bekanntesten, durch alte Tradition
ehrwürdigen thierischen Symbole, die Taube, die Zeichen der Evangelisten, der
Pelikan, der Drachen unter den Füssen der Jungfrau und ähnliche werden bei-
behalten ; ausserdem wird die thierische Gestalt wohl zuweilen in einer, dem
Symbolischen verwandten Weise bald als leichter, phantastischer Schmuck,
bald in humorislischer oder satirischer Bedeutung gebraucht, meistens aber
dient sie vermöge einer natürlichen und rein künstlerischen Symbolik zur
Belebung gewisser Stellen des architektonischen Gerüstes und gewissermaassen
zur Erläuterung ihrer Function. Dahin gehört es, wenn die Regenrinnen,
welche, um das Gebäude gegen Beschädigung zu sichern, weit hinausragen
müssen, die Gestalt von ungeheuerlichen speienden Thieren annehmen, dahin
ferner, wenn an der Kathedrale zu Laon aus den obersten Arcaden der
Thürnie kolossale vierfüssige Thiere die langen Hälse vorstrecken, gleichsam
neugierig in die Tiefe hinabblickend, dahin auf anderem Gebiete die Ver-
Neue Gestaltung des Symbolischen. 483
Wendung von Drachen, Schlangen und anderen biegsamen Thierleibern zu
den Initialen der Handschriften. Dagegen bleibt die Personification abstrac-
ter Begriffe beliebt; die hergebrachten Figuren dieser Art werden meistens
beibehalten und durch neue vermehrt, aber auch bald in handelnde Bewe-
gung gesetzt, und es entsteht, an Stelle der bloss traditionellen Symbolik,
durch eine Verbindung scholastischer und poetischer Elemente die bewusste
Allegorie. Yor Allem aber ist jene feine Symbolik des Raumes, von der
ich schon früher gesprochen habe ^), für diese Epoche charakteristisch, in-
dem sie ganz auf der innigen Verbindung des Architektonischen und Bild-
lichen beruhet und besonders an Werken der decorativen Kunst ein sehr
eigenthümliches Mittel gewährt, durch abstracto Eaumverhältnisse feinere
geistige Beziehungen auszudrücken.
Der Zusammenhang der einzelnen Zweige der darstellenden Kunst war
nicht mehr derselbe wie in der vorigen Epoche. "Während sie dort alle in
den nämlichen Klosterschulen gelehrt, häufig von denselben Händen geübt
wurden, war jetzt die härtere Arbeit, namentlich die Steinsculptur, fast aus-
schliesslich auf die Laien übergegangen, die Miniaturmalerei dagegen, welche
noch immer die Schule der gesammten malerischen Technik bildete, den
Klöstern oder der Geistlichkeit verblieben. Dies schloss nun zwar nicht
aus, dass die verschiedenen Künste auf allen Entwickelungsstufen eine ge-
wisse Gleichförmigkeit behielten ; dieselben geistigen Einflüsse machten sich
in allen geltend; die Bildung war schon eine mehr verbreitete und allge-
meinere, und ein reger "Wetteifer trieb zur Beachtung der Schwesterkünste.
Aber jene technische Trennung und die nähere oder entferntere Beziehung
der einzelnen Kunstzweige zur Architektur bedingte doch einen verschie-
denen Gang der Entwickelung, welcher uns auch hier nöthigt, sie gesondert
zu überblicken.
Ich beginne hiebei mit den verschiedenen Zweigen malerischer
Technik und zunächst mit der Miniaturmalerei, weil sie am freiesten
von dem Einflüsse des architektonischen Elementes war und daher deutlicher
erkennen lässt, wie die geistigen Regungen und das Gefühlsleben der Zeit
an und für sich auf die darstellende Kunst einwirkten -).
Man wird natürlich keine plötzlichen und durchgreifenden Veränderun-
gen erwarten. Während des ganzen Laufes der Epoche bestanden • die
1) Band IV, S. 291 11'.
2) Auch über die Miniaturen dieser Epoche vgl. besonders das bereits oben ange-
führte Prachlwerk von Jules Labarie , Histoire des arts industriels au moyen dgc. et
ä l'epoque de la renaissance, Paris 1864, 4 vol. und 2 vol. Album.
31 •
484 Miniaturmalerei.
Malereien noch immer in blossen Zeichnungeil mit mehr oder weniger star-
ken, meist schwarzen Umrisslinien, in welche die Lokalfarben ohne oder mit
geringer Schattirang eingetragen waren. Architekturen und Bäume sind
noch immer conventionell gestaltet, die Hintergründe einfarbig, golden oder
teppichartig gemustert. Die Zeichnung der Figuren ist namentlich anfangs
keinesweges correcter; die Füsse sind meistens zu klein, die Hände, beson-
ders bei bedeutsamer Bewegung, oft zu gross, die Körper mager, die Bewe-
gungen eckig und gewaltsam, die Gesichter von regelmässig ovaler Form
mit sehr grossen Augen, geschwungenen Brauen, kleinem Munde, starken
Backenknochen, gerader, noch mit fast kalligraphischen Zügen gezeichneter
Nase. Aber mehr und mehr macht sich ein Gefühl für Ordnung, Regelmäs-
sigkeit und natürliche Bewegung geltend. Die Linien werden fester und
einfacher, die Falten der Gewänder weniger gehäuft, knapper dem schon
besser verstandenen Körperbau angefügt. Der erstarrte Mosaikentypus wird
aufs neue zu feierlicher "Würde belebt. Der Gedanke tritt deutlicher hervor,
die herkömmlichen Momente der heiligen Geschichte werden ausführlicher
charakterisirt, neue, bisher noch nicht dargestellte hinzugefügt, die ethischen
Motive stärker betont. Allegorische oder aus dem Leben genommene Ge-
genstände werden mit Liebhaberei eingeschaltet, in dem den heiligen Schrif-
ten vorausgehenden Kalender werden immer häufiger neben den Sternbildern
auch die genreartigen Scenen der häuslichen Beschäftigungen jedes Monats
angebracht. Auch bei den Darstellungen aus der heiligen Geschichte haben
die Nebenfiguren schon oft das Kostüm der Zeit.
Vor Allem regt sich der Farbensinn. In den zum kirchlichen Ge-
brauche oder zur Privatandacht vornehmer Personen bestimmten Manu-
scripten sind die Bilder in einer sehr sorgsam behandelten Guaschmalerei
ausgeführt, mit pastos aufgetragenen, auf der Oberfläche geglätteten kräf-
tigen Farben, deren Gegensätze durch die Anwendung eines glänzenden
Goldgrundes gemildert und harmonisch verschmolzen werden. Daneben bildet
sich dann eine andere, leichtere Manier, die besonders in wissenschaftlichen
oder poetischen Werken angewendet wird, indem die Zeichnung hier nur
leicht und mit wenigen Farben angetuscht, in den Lichtern das Pergament
ungedeckt gelassen ist. Und gerade bei dieser leichteren, mehr dilettan-
tischen Behandlung bewegt sich die Empfindung am freiesten; wir sehen ein
oft erfolgreiches Bestreben, das dramatische Leben, die geistigen Motive
eindringlich darzustellen.
In Deutschland^) war das wichtigste Denkmal aus der Frühzeit der
^) Für deutsche Malerei vgl. G. F. Waagen, Handbuch der deutschen und nieder-
ländischen Malerschulen, Bd. I, Stuttgart 1862, von S. 16 an, und Sighart, Gesch. der
bilil. Künste im Königreich Bayern, S. 261 S. u. 340 ff.
Hortus (leliciarum. 485
Epoche der von der Herrad von Landsperg, Aebtissin des elsassischen
Klosters Hohenburg oder St. Odilien, in den Jahren 1159 bis 1175 geschrie-
bene, lange in der städtischen Bibliothek zu Strasburg bewahrte, leider im
Jahre 1870 verbrannte Hortus deliciarum, eine Art Encyklopädie des
Wissenswürdigsten, welche die Verfasserin ohne Zweifel zum Gebrauche ihrer
Nonnen aus vielen Schriftstellern zusammengetragen hatte ^). Wenn der
Text daher auch keine selbständige Arbeit der Herrad 2) ist, so waren um so
mehr die zahlreichen und ausführlichen Bilder ihr eigenes Werk, und man
sieht deutlich, dass sie diese als den wesentlichsten und nützlichsten Theil
ihrer Arbeit betrachtete. Sie dienen nicht nur zur Belebung des trockenen
Wortes, sondern recht eigentlich zur Erklärung der darin enthaltenen
Lehren. Sie begleiten daher jedes Einzelne; so werden z. B. bei dem
Gleichnisse vom Gastmahle die Gegenstände, durch welche die Geladenen
sich entschuldigen, der verkaufte Meierhof, die fünf Joch Ochsen, das Weib,
welches der Eine freien will, dargestellt. Oft aber geht die Malerin auch
weit über den Text hinaus und giebt durch ausführliche Beischriften erklärte,
neue Gedanken. Die Anordnung des Werkes folgt der Bibel, beginnt mit
der Schöpfung, geht von da durch das alte und neue Testament bis zum
jüngsten Gerichte und schliesst mit philosophischen Betrachtungen. Wissens-
werthes mehr weltlicher Art ist dann gelegentlich eingeschaltet; so wird bei
dem Thurmbau zu Babel, als dem Anfange menschlicher Thätigkeit, von den
sieben Künsten und den neun Musen gehandelt, beim Durchgange durch das
rothe Meer ein Verzeichniss der Meere, Meerbusen und Flüsse, bei der
Apostelgeschichte eine Aufzählung der römischen Kaiser, bei Erwähnung
des himmlischen Jerusalems die Lehre von den zwölf vornehmsten Edel-
steinen und ihrer mystischen Bedeutung vorgetragen. Sehr reich und neu
ist die Verfasserin in symbolisch allegorischen Vorstellungen. Die Einheit
des alten und neuen Testaments wird durch eine Gestalt mit zwei Köpfen,
der eine des Moses, der andere Christi, versinnlicht, die Heilung der Sünde
durch die Geschichte eines siebenfach Aussätzigen, der durch siebenfache
Busse Genesung erlangt, die fortdauernde Wirksamkeit Christi in der Kirche
durch einen Weinkelter, in welchem Christus steht, während alle Glieder der
Kirche Trauben zuschütten. Nicht müde wird die Verfasserin, den Kampf
mit dem Laster darzustellen. Da sieht man in einer Reihe von Bildern die
Tugenden und Laster als bewaffnete Frauen mit einander streiten, dann
wieder erscheint der angefochtene Mensch als Ulysses, den die Sirenen locken.
') Eine gründliche Beschreibung und zahlreiche Abbildungen giebt Chr. H. Eugel-
hardt, Herrad von Landsperg, Stuttgart 1818.
-) Sie selbst sagt: . . . „Hüne libruoi qui intitulatur hortus deUciarum ex diversis
sacrae et philosophicae scriptiirae floribus, quasi apicula, Deo inspirante, comportavi".
AQQ Deutsche Miniaturen.
Besonders interessant ist die Darstellung der Himmelsleiter, die zu derfoone
des Lebens führt. Ritter und Weltdame, Geistliche und Mönche mancher
Art sind schon auf höheren oder niederen Stufen angelangt, werden aber
durch die Lockungen der Welt, der Ritter durch Ross und Reisige, die Dame
durch Kleiderpracht, der Priester durch Tafelfreuden und sein Liebchen, die
Nonne durch die buhlerischen Reden des Priesters, die Mönche durch ihren
verborgenen Schatz und durch die weichliche Ruhe des Bettes herabgezogen.
Selbst der Einsiedler, der schon hoch oben steht, erliegt der letzten Ver-
suchung, der übermässigen Freude an seinem Gärtchen. Sie fallen alle den
lauernden Teufeln entgegen, während nur die christliche Liebe, die Caritas,
von Engeln geschirmt, zum höchsten Lohne gelangt. Die Herrlichkeit der
triumphirenden Kirche, die Thaten des Antichrists, das jüngste Gericht mit
Hölle und Himmel werden dann, jeder dieser Gegenstände auf mehreren
Blättern, dargestellt, und andere vielfach interessante Allegorien hinzu-
gefügt.
Der künstlerische Werth dieser Malereien ist freiüch sehr bedingt.
Die Zeichnung ist dilettantisch ungleich und unvollkommen, die Gesichter
sind oft ausdruckslos, die Augen gross und stier, die Gewandfalten nach
byzantinisirender Weise gehäuft und oft unrichtig gelegt. Die ziemlich
dunklen Farben, mit denen die Blätter gedeckt sind, machen keinen Anspruch
auf Kraft oder Harmonie. Von Individualität hat die Malerin noch keine
Vorstellung-, auf dem Schlussblatte, wo alle zu ihrer und ihrer Vorgängerin
Zeit im Kloster lebenden Nonnen brustbildlich und mit Beischrift des Namens
dargestellt sind, gleicht eine völlig der andern ohne eine Spur von Charak-
teristik. Aber dennoch erkennt man an ander en Stellen eine scharfe Beob-
achtung des Lebens, und ein Gefühl für die ethische Bedeutung der Formen.
Die heiligen Gestalten sind in alterthümlicher Tracht und Haltung nicht
ohne Würde dargestellt, bei anderen Gegenständen dagegen Kleidung und
Geräthe nach damaligem Gebrauche sehr kenntlich gegeben. Die Gebehrden
und Bewegungen des Körpers sind durchweg sehr lebendig und sprechend;
oft findet man feine, der Natur abgelauschte Züge, oft eine gelungene Dar-
stellung schwieriger und ungewöhnlicher Erscheinungen. Dahin gehört z. B.
die Gestalt eines Besessenen, der mit unbekleidetem Oberkörper dahin-
taumelt, das lange Haar über das Gesicht fallend, die Hände gebunden. So
ist ferner die Superbia, der weltliche Stolz, sehr eigenthümlich und lebendig;
eine weibliche Figur in phantastischer Tracht mit fliegenden Gewändern,
auf gallopirendem Rosse sitzend, mit geschwungenem Speere. In den Kämpfen
ist das Gefühl für ritterliche Haltung unverkennbar, auf der oben erwähnten
Darstellung der Tugendleiter das Herabfallen charakteristisch verschieden
und lebendig dargestellt. Die reiche Phantasie und die Auffassungsgabe
der Verfasserin machen sich überall geltend, und das Ganze giebt, ungeachtet
Hurtus deliciarum.
487
der mangelhaften Technik, ein sehr anschauliches Büd von dem geistigen
Zustande der Zeit. Namentlich sehen wir darin recht deutlich , wie die
neuen Gedanken, welche Scholastik und Poesie erzeugten, auch neue Mittel
der Versinnlichung forderten und dadurch zu Vorstellungen führten, für
Hortus deliciaruin.
welche die ältere Kunst keine Vorbilder gab und die nur aus dem Leben
genommen werden konnten.
Aehnlich in der Kühnheit allegorischer Erfindung sind die Miniaturen
eines aus dem Kloster Niedermünster bei Regensburg stammenden Evan-
488 Deutsche Miniataren.
geliariums in der köuiglichen Bibliothek zu München i), vom Ende des
zwölften Jahrhunderts. Sehr merkwürdig ist darin namentlich eine Darstel-
lung der Kreuzigung als des Sieges über den Tod. Christus am Kreuze,
aber mit der Königskrone und dem Purpurgewande bekleidet, neigt sein
Haupt zur Rechten zu einer bekrönten weiblichen Gestalt in reichem Ge-
wände, die als Vita, das ewige Leben, bezeichnet ist, während auf der anderen
Seite des Kreuzes Mors, der Tod, schlecht bekleidet, mit zerbrochener Lanze
und Sichel, am Halse verwundet, umsinkt. Dabei ist aber die künstlerisclie
Ausführung sehr viel vollendeter; die Zeichnung, obgleich noch durchweg
byzantinisirend , verräth Schönheitssinn und feines Gefühl, die Farbe ist
sauber und harmonisch behandelt.
Eines der reichsten und bedeutendsten Werke der deutschen Miniatur-
malerei ist ein Evangelienbuch, welches^der Mönch Herimanus aus der
Benediktinerabtei Helmershausen |an der Diemel (coenobium Helwardense)
auf Befehl seines Abtes^Konrads H. (1170 — 1180), .'für Herzog Heinrich
den Löwen verfertigt'^). Von Karl IV. nach Prag entführt, befand es sich
dort im Doraschatz, bis es 1861 in den Besitz des Königs Georg von Han-
nover überging =^). Es ist in der That ein goldenes Buch (fulgens über
auro) mit der prächtigsten Ornamentik, mit zahlreichen Initialen und mit
Bildern ausgestattet, welche in den langen Gestalten, in dem Faltenwurf und
in dein Typus der Köpfe zwar noch byzantinischen Einfluss zeigen, aber
durch Verständniss der Bewegungen, durch Mannigfaltigkeit des Ausdrucks
überraschen. Die Gemälde sind biblischen und zum Theil allegorischen In-
halts (Tugenden, welche die Laster besiegen). Besonders merkwürdig ist
ein grosses Blatt, welches [eine allegorische Krönung Heinrichs des Löwen
und seiner Gemahlin darstellt. Oben thront Christus zwischen Heiligen, aus
den "Wolken zu seinen Füssen ragen zwei Hände vor und setzen Kronen
auf die Häupter von Heinrich und Mathilde, welche sie, von ihren fürst-
lichen Vorfahren umgeben, knieend empfangen"*).
Vom Ende des zwölften^ Jahrhunderts an mehren sich die Spuren tech-
1) Kugler Museum 1834, S. 164 (kl. Sehr. I, 83),''und Förster Gesch. d. d. Kunst
I, 104. Das im Text beschriebene Blatt publicirt bei E. Förster, Denkmale, Bd. II,
zu S. 13.
Q-) Ambros, der Dom von Prag ,-1858,^8. 293 ff._ und F. Culemann, das Evau-
geliarium Herzog Heinrichs des Löwen!, Neue Hannoversche Zeitung 1861, Nro. 222,
224, und in besonderem Abdruck.
^)j(iSicht im Weifenmuseum sondern im Privatbesitze des Königs (jetzt zu Hitzing)
befindlich.'
*) Mit Recht legt Culemann, im Widerspruch zu Höfler, dieser Krönung keine
politische sondern eine religiöse Bedeutung bei, die sich auf die Thatea des Herzogs
für das Reich Gottes bezieht.
1150 — 1200.
489
nischer und geistiger Verbesserungen. Man trennte sich zögernd vom Alten.
In [einem Poutificale des Erzbischofs zu Mainz vom Jahre 1183 in der
grossen Bibliothek zu Paris ^) und in einem Evangeliarium der herzoglichen
Bibliothek zu Wolfenbüttel vom Jahre 11 94-) zeigen sich bei noch sehr
roher und ungelenker Zeichnung schon glänzende Guaschfarben. In einem
Fig. 123.
Initiale aus dem Psalter des Landgrafen Hermann,
Gebetbuche aus dem Kloster der h. Ehrentrud zu Salzburg vom Anfange
des dreizehnten Jahrhunderts in der Bibliothek zu München finden wir sogar
die Jungfrau noch mit der Bleischrift: Sca Theotocos. Aber die Würde der
^) Waagen, Künstler und Kunstwerke in England und Frankreich III, 292.
-) Schönemann, Hundert Merkwürdigkeiten der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfen-
büttel, 1849. S. 36.
490 Deutsche Miniaturen.
altchristlichen Typen ist besser verstanden und oft so grossartig wiederbelebt,
dasswir an die Madonnen des Cimabue und des Guido daSiena erinnert werden^).
Daneben macht sich dann der Geist der neuen Zeit vornehmlich in den Ini-'
tialen geltend , welche jetzt, meistens mit schönem Schwünge der Linie und
kühner Phantasie, statt des Riemenwerks aus Pflanzen oder Thieren gebildet
und mit darin angebrachten Figuren in bedeutungsvolle Verbindung ge-
bracht sind, wie es das in der Abbildung mitgetheilte, aus einem geflügelten
Drachen gebildete S aus dem unten zu erwähnenden Psalter des Landgrafen
Hermann ;'zeigt-). In einem Manuscript in Wolfenbüttel enthalten die
Pflanzenwindungen des Buchstaben B den Stammbaum Christi, der aus
Abrahams Lende hervorwächst ^); in einer Handschrift der Confessionen
des h. Augustin in der öffentlichen Bibliothek zu Stuttgart giebt der Buch-
stabe M eine auch sonst häufig vorkommende Darstellung der Sünde, indem
zwei Säuleu und ein zwischen sie gestelltes nacktes Weib die senkrechten
Grundstriche, zwei Schlangen, welche, um jene geschlungen, sich zu den
Brüsten des Weibes herabbiegen und daran nagen, die oberen Verbindungs-
striche bilden. In einem Breviarium derselben Bibliothek aus dem Kloster
Zweifaltern ist vor der Legende der h. Margaretha der Anfangsbuchstaben
B sehr sinnreich zur Darstellung ihrer Geschichte benutzt, indem die runden
Theile des Buchstabens durch einen Drachen gebildet^ sind, der in der
unteren Abtheilung mit geöffnetem Rachen die kniende Heilige bedroht,
während im oberen Felde der Tyrann stolz auf einer römischen Selhi
curulis sitzt, indem er sich mit den Armen an den herumgeschlungenen
Ranken festhält*).
Auch das der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts angehörige Psalte-
rium nocturnum aus dem Cistercienserinuenkloster zu Trebnitz, jetzt
in der königlichen und Universitätsbibliothek zu Breslau, in welchem die
zwanzig Darstellungen aus der Geschichte des neuen Testamentes, alle in
ganzer Grösse der Blätter, sich trotz vieler Mängel in der Auffassung der
1) So Waagen im deutschen Kiinstbl. 1850, S. 147 u, Handbuch I, S. 20 bei
einem wahrscheinlich aus de» Rheingegenden stammenden Psaherium in der Stadi-
bibliothek zu Hamburg.
2) Der Buchstabe selbst kommt ganz ähnlich in eiuem Psaherium rheinischen
Ursprungs in der Bibliothek zu Paris (fonds de l'oratoire Nro. 32", vgl. Labarte, Album,
Bd. H, Taf. 91) vor, welches noch starke byzantinische Anklänge enthält und daher noch
dem An Fange des XH. Jahrhunderts angehören mag. Erst in dem im Texte ange-
führten Codex ist aber der Mann hinzugefügt, welcher in den Rachen des Ungeheuers
mit der Lanze stösst, und so ist dies ein interessantes Beispiel der Bereicherung über-
lieferter Typen durch die allmälige Arbeit der Phantasie.
^) Schönemann a. a. 0., Nro. 47, S. 39.
■1) Kugler a. a. 0. I, 59.
1200 — 1250.
491
Form durch die feierliche Würde der heiligen Personen auszeichnen, über-
rascht durch die ornamentale Schönheit der Initialen^). In dieser phanta-
sievollen Ausschmükung der Initialen steht endlich eine im böhmischen Museum
zu Prag bewahrte Handschrift der sogenannten Mater verborum, d. h.
eines lateinischen Universal-Lexicons , unerreicht da. Die Malereien be-
stehen nur darin, dass jedesmal bei Beginn eines Buchstabens in der lexi-
Fig. 124.
Ititials ans «lem Codex Mater verliornm zu Prag.
calischen Folge eine Initiale aus Pflanzengewinden und Thieren eintritt,
welche oft bildliche Darstellungen ebne Beziehung auf den Inhalt des Lexi-
cons enthält. Die Figuren sind unter Einwirkung byzantinischer Vorbilder
1) A. Schulz, Schlesiens Kunstlebeu, S. 9, und Abbildungen auf Tat. 1 und 11,
ders., Urkundliche Geschichte der Breslauer Malerinnung, Breslau 1866. S, 183.
AQ2 Deutsche Miniaturen,
lang gezogen und schwach in der Zeichnung, manchmal aber erwacht dennoch
ein selbständiges, sogar anmuthiges Naturgefühl und fast immer ist die
Bildung der Buchstaben aus Pflanzen- und Thiergestalten und die Verbindung
der historischen Scenen mit der Form der Initialen höchst sinnreich und
geschmackvoll. Der erste Buchstabe A füllt eine ganze Blattseite und hebt
sich in prächtigen Farben von dem goldenen Grunde ab ^). Sein Arabesken-
geflecht geht in geflügelte Drachen aus, und innerhalb der Ornameut-Ver-
schlingungen tauchen figürliche Bildungen auf: eine Halbtigur der Ceres , ein
lustiger Geigenspieler in eleganter Tracht, ein Teufelchen, das einen männ-
lichen Kopf an den Haaren reisst, eine Eule zwischen zwei Affen. Zwei
Priestergestalten stehen zu beiden Seiten des Buchstabens. In dem N erscheint
die Heimsuchung, in dem Q der Erzengel Michael, welcher auf den Drachen
tritt; die Form des R ist benutzt, um in der oberen Abtheilung den reichen
Mann bei Tafel, in der unteren den armen Lazarus darzustellen. Das darauf
folgende S giebt dann die Fortsetzung der Geschichte, unten den reichen
Mann im Höllenpfuhle, oben den Armen in Abrahams Schoosse, wobei der
Buchstabe selbst noch eine Art Commentar enthält, indem die beiden Enden
Oeffnungen bilden, in deren oberen eine menschliche Gestalt hineinsteigt, und
aus deren unterer eine Schlange herauszischt. An den Yerzierungen des
Y hängen Weintrauben und auf den Gewinden wiegen sich ein naschender
Affe und eine pflückende, halbnackte Gestalt mit langem Haar. (Fig. 124.) Mit-
unter ist das Historische bloss durch die Arabeske des Buchstabens gegeben, so
bei dem D, wo neben den Worten : Salva me doraine in den Rankengewinden
eine betende weibliche Gestalt und ein Mönch, der mit einem Fuchs ringt,
vorkommen, und bei dem L, wo einem Manne, der aus dem Rachen eines
Ungeheuers herausgezogen wird, die Worte beigeschrieben stehen: Ab in-
feris educe me. Einige Male bestehen die Initialen auch bloss aus Thier-
körpern, so dass dieselbe phantastische Richtung, welche noch in dem
Alphabet des Meisters E. S. von 1466 die Kupferstichliebhab^- anzieht,
schon so frühe eintritt. Von Bedeutung ist endlich der Buchstabe P, weil
er uns die Namen des Schreibers und des Malers sowie die Entstehungszeit
mittheilt. In der oberen Rundung erscheint die Madonna, unten zwei ver-
ehrende Mönche, der Scriptor Vacerodus und der Illuminator Mirozlaus
nebst der Jahrzahl 1202").
Wie das phantastische Element tritt auch das symbolische in neuer
1) V. Quast u. Otte, Zeitschrift, I, Taf, XI.
-) Nicht 1102, denn dass Zeichen über der mittleren Ziffer der Jahrzalil MCII
bedeutet deren Verdoppelung. Beschrieben von Wocel in den Mittheilungen der k. k.
Centralcommission, Bd. V., S. 33 ff., nebst Holzscluiitten. Vgl. auch Passavant bei
V. Quast u. Otte a. a. 0., S. 193 f.
1200 — 1250. 493
Weise hervor. So ist in einem Psalterium aus dem Kloster Wöltingerode
bei Goslar (Bibliothek zu Wolfenbüttel) Christus am Kreuze in bedeutsamer
Einrahmung gegeben; neben den Kreuzesarmen stehen nämlich zur Rechten
Maria und Johannes der Täufer, zur Linken Johannes der P^vangelist und
Melchisedek mit dem Kelche; beide Gruppen in kleiner Dimension und auf
der Aussenseite in runder Einfassung, so dass sie mit zwei Medaillons, am
oberen und unteren Rande des Rahmens, das eine die Gestalt der Kirche,
das andere die der Synagoge enthaltend , wieder ein Kreuz andeuten. Die
Gegensätze einerseits des alten und neuen Bundes, andererseits des Fleisches
und Blutes Christi, der Verheissung und Erfüllung sind also sinnreich mit
einander verflochten. Dazwischen sind dann noch friesartig oberhalb des
Kreuzes Moses mit der ehernen Schlange und die Träger mit der Traube
von Eskol, unten Abrahams Opfer und das Passahlamm vor dem Auszuge
aus Aegypten, also symbolische Beziehungen auf den Opfertod Christi, an-
gebracht, deren Verschiedenheit wieder an jene ersten Gegensätze erinnert.
Andere Vorzüge hat ein noch reicher 'ausgestattetes, aus Mainz stammendes
Evangeliarium in der Bibliothek zu Aschaffenburg ^). Der Maler steht
hier so sehr auf dem Boden der alten Kunst, dass er das Wasser des
Jordan bei der Taufe, des Sees, auf dem Christus wandelt, nur durch ein-
förmige Schnörkel angedeutet hat. Aber die Bewegungen der Figuren sind
ungeachtet einzelner Mängel der Zeichnung frei und leicht, die Köpfe aus-
drucksvoll, und die sehr vollständige Reihe von Bildern aus der evangelischen
Geschichte enthält eine Fülle neuer und Avohl beachtenswerther Motive.
Nahe verwandt ist ein in Bamberg befindliches und wahrscheinlich auch
dort entstandenes Psalterium-), in welchem sich bei gleicher technischer
Vollendung der neue Geist schon deutlicher ausspricht. David, die Lyra
spielend , sitzt, wie wir es auch sonst bei der Darstellung Musicirender im
dreizehnten Jahrhundert finden, mit zierlich gekreuzten Füssen, Goliath
giebt den Ausdruck plumpen Uebermuthes sehr treffend, Christus empfängt
die Taufe in einer fast ritterlichen Haltung, und entsteigt dem Grabe so
triumphirend, wie es dem Besieger des Todes geziemte. Nicht minder be-
deutend und den beiden eben genannten Werken ähnlich ist das in der
königlicheu Privatbibliothek zu Stuttgart befindliche, für den Landgrafen
Hermann von Thüringen (1196 — 1216) geschriebene Psalterium"), welches
uns auch wegen seiner sichern Zeitbestimmung wichtig ist. In der Zahl
^) Waagen, Kunstwerke in Deutschland I, 376 ff.
-) Waagen a. a. 0. I, 103 ff.
^) Waagen a. a. 0. II, 199, sowie Handbuch S. 20 und besonders Kugler kl-
Sehr. I, 69, mit Zeichnungen. Auch Dibdin, a bibliographical tour in France and
Germany, 1821, giebt eine Abbildung.
494 Deutsche Miniaturfin.
der Bilder und in der Mannigfaltigkeit neuer Motive steht diese Hand-
schrift zwar den beiden obenerwähnten, wahrscheinlich etwas jüngeren, nach,
übertrifft sie dagegen in der Ausführung, und besonders im Schönheits-
gefühle. Sehr eigenthümlich ist , wie hier nach der Verschiedenheit der
Gegenstände ältere byzantinisirende und neuere Formen wechseln. Der
Kalender enthält bei jedem Monate in der architektonischen Einrahmung
nuten einen Apostel, oben wie gewöhnlich die angemessene Wirthschafts-
beschäftigung; jene sind von überaus langen Proportionen, in der Gewand-
behandlung und im Schnitte des Kopfes völlig typisch , diese haben kurze
Gestalten und sehr genremässige Haltung. In den Bildern des Textes hält
die Zeichnung geMussermaassen die Mitte: sie schliesst sich an die typische
Auffassung an , v( rräth aber durch grosse Einfachheit und Bestimmtheit
einen Einfluss dei Sculptur. Am Schlüsse des Buches endlich befinden
sich die Bildnisse des Landgrafen und der Könige von Böhmen und Ungarn,
jeder mit seiner Gemahlin, und zwar mit augenscheinlichem Bestreben nach
Porträtähnlichkeit.
Neben diesen Miniaturen, in welchen der neue Geist sich nur gleichsam
verstohlen und schüchtern äussert, kommt dann jene zweite Klasse auf, in
welcher er frei und ungehemmt, fast gewaltsam hervorbricht. Sie gehören
alle zu Handschriften ritterlicher oder geistlicher Gedichte, oder beziehen
sich auf Legenden von poetischer Tendenz oder endlich auf die Apokalypse,
durchweg also auf Schriften, bei denen der Maler nicht durch die Ehrfurcht
vor der Tradition oder durch die Pflicht kirchlicher Pracht gebunden war,
und mit Gegenständen zu thun hatte, welche das Gefühl erregten. Die
technische Behandlung dieser Bilder ist sehr anspruchlos, es sind blosse
Federzeichnungen, zwar in farbiger Einrahmung und auf farbigen Hinter-
gründen, aber theils nur durch den Wechsel schwarzer und rother Tinte der
Umrisse belebt, theils mehr oder weniger, aber immer nur leicht, colorirt.
Auch die Zeichnung ist nicht vollendeter, als in jenen anderen Manuscripten,
die Gesichter sind statt des hergebrachten Ovals mehr eckig, mit hervor-
tretendem Untertheile, übrigens aber auch hier ausdruckslos, oder von zu
starkem, übertriebenem Ausdruck, die Augen zu gross, die Gewänder weniger
steif, aber dafür flatternd. Ein wesentlicher Vorzug dieser Zeichnungen
besteht dagegen in ihrer dramatischen Lebendigkeit und in der wirksamen
Benutzung der Gebehrden für den Ausdruck des Leidenschaftlichen, nament-
lich des Schmerzes. Man wird oft überrascht, wie diese Zeichner bei aller
Unvollkommenheit ihrer Körperkenntniss mit wenigen Strichen durch die
Biegung des Körpers, durch die Bewegung der Hände das Gefühl des Mo-
ments in sprechender, ergreifender Weise auszudrücken vermögen. Sie stehen
darin völlig auf dem Standpunkte der Dichter, von welchen sie angeregt
sind, die feinere psychologische Motivirung, die ihren Ausdruck im Gesichte
■ Eindringen des poetischen Elements. 495
finden müsste, ist schwach^ dagegen das Phantastische, Unvorbereitete,
Leidenschafth'che oft höchst wirksam. Wie es scheint, wurde diese Kunst-
weise vorzugsweise in Bayern geübt, also in Süddeutschland, wo auch die
Poesie vorzugsweise blühte; wenigstens stammen mehrere der Handschriften,
in denen wir sie kennen lernen, aus diesen Gegenden. So zwei Manuscripte
der Berliner Bibliothek: zuerst die deutsche Eneidt des Heinrich von
Veldegk, wo jene Gebehrdeusprache neben der Unvollkommenheit der
Zeichnung überrascht. Die Phantasie des Künstlers zeigt sich ungemein
thätig; ruhige Vorgänge, Gespräche, Liebesscenen haben in der That den'
Ausdruck von Zartheit und ritterlicher Sitte, bei lebhaften Momenten, wie
bei dem Sturm auf Troja und den Darstellungen von Kämpfen tritt das
energische Ringen nach lebendiger Schilderung in kühnen Bewegungen zu
Tage, bei denen es freilich an Verrenkungen und an Zügen von Lahmheit
und Ungeschick nicht fehlt. Dann das Gedicht des Mönchs Wernher von
Tegernsee vom Leben der Maria, bei welchem die Lebendigkeit der
Darstellung sich mit dem Ausdrucke sanfter Anmuth, den der Stoff erfor-
derte, verbindetji), mögen auch die Figuren zu lang, die Extremitäten oft
nach Art kalligraphischer Schnörkel verzogen sein. In einzelnen Fällen, be-
sonders in der Klage der Frauen nach dem Kindermord, treten sogar eine
überraschende Poesie der Auffassung, ein kühnes Pathos auf. Beide scheinen
am Anfange des dreizehnten Jahrhunderts entstanden.
Sehr verwandter Art sind die Arbeiten des Mönchs Conrad aus dem
ebenfalls bayerischen Kloster Scheyern, jetzt in der Bibliothek zu
München. Der Text ist hier nicht eigentlich poetischen, sondern wissenschaft-
lichen oder religiösen Lihalts ; eine mater verborum, also ein Lexikon, eine
Abhandlung über die freien Künste, die Werke des Josephus, die Historia
scholastica des Comestor, endlich die Evangelien, denen aber zwei phan-
tastische Legenden beigegeben sind, die eine von einer sündigen, aber
durch ihre Busse und den Schutz der Jungfrau geretteten Aebtissin, die
andere die auch sonst oft dargestellte Geschichte des Theophilus, eine Art
Faustsage. Die Bilder beziehen sich meistens auf diese Legenden oder sind
apokalyptischen^Inhalts.TDie Zeichnung ist hier sicherer, mehr naturgemäss,
nicht ohne Styl-^und Schönheitsgefühl, hat aber die eckigen Formen des
Gesichts, die flatternden Gewänder und die dramatische Lebendigkeit mit
jenen gemein. Auch reicht die Zeit der Arbeit schon bis in das zweite
1) Kugler in seiner Dissertation: De Werinhero, saeculi XII. Monacho (1831) und in
den kl. Sehr. I, S. 12 und 38, mit Zeichnungen. — Vgl. Sighart, Geschichte der
bildenden Künste im Königreich Bayern, S. 271 ff. und 266 ff. Dass der Mönch von
Tegernsee der Autor des „Liet von der Maget" sei, wurde zuerst bestritten von Fei-
falik, in der Publication des Textes, Wien, 1860.
496
Deutsche Miniaturen.
Viertel des Jahrhunderts ^). Der Mönch schrieb und malte im Auftrage des
Abtes Conrad (1206 — 1216) und seines Nachfolgers Heinrich (1216—1259)
und kommt im Jahre 1251 zum letzten Male vor.
In denCarminaBenedictoburana der Münchner Hofbibliothek, einer
aus dem Kloster Benediktbeuern stammenden Sammlung weltlicher Lieder, ist
die Schlankheit der Gestalten übertrieben, sonst aber das Naturgefühl
lebendiger, die Ausführung sauber und zierlich. Darstellungen des Glücks-
Fig. 125.
Miniatur aus dem Tristan der Bibliothek zn München.
rades, des Waldes mit seinen Thieren, einzelnes Mythologische, Trinkgelage,
Liebesscenen , zum Beispiel die anmuthige Gruppe eines Jünglings, welcher
einem Fräulein Blumen überreicht, sind herauszuheben 2).
1) Kugler a. a. 0., S. 84, wieder mit Zeichnungen. Sighart, a. a. 0. S. 274 fl'.,
desgl. Aehnlich, nur minder bedeutend sind die Miniaturen einer dritten Handschrift
der Berliner Bibliothek (Ms. theol. latin. 4», 140), welche Legenden und am Schlüsse
die Paraphrase des hohen Liedes von "Willeram enthält. Auch sie scheint aus den
bayerischen Gegenden zu stammen, wenigstens nennt sich darin in etwa gleichzeitiger
Schrift als Besitzer ein Gotscalcus aus Lambach. Kugler daselbst, S. 7 und 37.
2) Sighart, a. a. 0. S. 272. — Herausgegeben von Schneller in den Publicationen
des Literar. Vereins, Stuttgart, 1847, Bd. XVI, mit Abbildungen.
Böhmische Sdiule. 497
Den fortschreitenden Einfluss der ritterlichen Poesie erkennen wir in
den Bildern des in der Schweiz geschriebenen Tristan der Münchener
Bibliothek^), wo die langgestreckten Figuren, die etwas geschlitzten Augen,
die zierlichen und maassvollen Bewegungen schon einen Ausdruck der Sen-
timentalität des Geistes und ritterlicher Courtoisie geben (Vgl. die Abbil-
dung). Sehr merkwürdig ist endlich eine Bilderbibel in der fürstlich
Lobkowitz'schen Bibliothek zu Prag, in welcher sich ein Laie Welleslaus
als Stifter oder Maler nennt, und in der bei einer phantastischen Auffassung
der heiligen Gegenstände auch jene leichte und phantastische Zeichnungs-
manier durchgeführt ist. Das Werk besteht nur aus Bildern mit Inschriften,
ohne weiteren Text, im Ganzen in der Ordnung der Bibel, doch so, dass
nach dem Buche der Könige eine unbiblische Geschichte des Antichrists,
eine Art Merlinssage, eingeschaltet ist. Satan äfft darin das göttliche Er-
lösungswerk nach, ein Engel der Verkündigung, aber mit Krallenfüssen,
erscheint nicht einer reinen Jungfrau, sondern einem schon in sündlicher
Umarmung begriffenen Liebespaare; in Babylon wird dann der Antichrist
geboren, Teufel leisten die Geburtshülfe, er unterwirft sich, aber schon
erwachsen, der Beschneidung, lässt sich als Gott anbeten u. s. f. Dann
werden wir sogleich in die Mitte der evangelischen Geschichte eingeführt,
welche mit apokalyptischen Scenen schliesst, und an die sich die Geschichte
der Einführung des Christenthums in Böhmen und das Martyrium des
h. Wenceslaus anschliesst. Der Codex ist also in Böhmen entstanden und
zeigt, da man in der grossen Zahl von mehr als 700 Bildern verschiedene
Hände erkennt, dass sich hier eine jener benachbarten bayerischen ver-
wandte Schule gebildet hatte. Es sind leichte, aber flüssige Federzeich-
nungen, die durch stärkere und schwächere Linien den Unterschied des
äusseren Umrisses und der inneren Gliederung andeuten, mit höchst leben-
diger dramatischer Bewegung, im Naturalistischen schon weitergehend als
jene ersterwähnten Werke. Der Schönheitssinn ist auch hier keineswegs
vorwaltend, Hände und Köpfe sind oft zu gross, der Mund meist klein, und
dann wieder, wo er zum Reden geöffnet ist, zu gross. Die Pferde sind sehr
lebendig, die Reiter mit gesenkten Fussspitzen in guter, ritterlicher Hal-
tung. Die Erfindung ist phantastisch keck, doch auf möglichste Verständ-
lichkeit berechnet. Das rothe Meer ist wirklich dunkelroth gefärbt, die
dreihundert Wölfe mit brennenden Schwänzen in der Geschichte des Samson
sind wenigstens durch sechszehn in vier Reihen aufgestellte Thiere reprä-
sentirt, an denen die Flammen durch weisse Streifen mit rothen Rändern
') Kugler a. a. 0., S. 88, Sig-hart a. a. 0. S. 344. Da die Haudsclirift nicht
nur das Gedicht Gottfrieds von Strassburg, sondern auch die Fortsetzung des Ullrich
von Türheim enthält, wird sie erst nach dem 13. Jahrhundert entstanden sein.
Schnaase's Knnstgcsch. 2. Aufl. V. 32
498 Deutsche Miniatiireii.
dargestellt sind. Die Färbung ist im Anfange und P^nde des Codex sehr
leicht und oft graciös, in der Mitte voller aber schwerer. Tracht und Zeich-
nung lassen darauf schliessen, dass die Arbeit noch vor 1250 gefertigt sei ^).
Sehr anschaulich wird der Gegensatz zwischen der Zeichnuugsmanier und
den wirklichen Malereien, wenn Arbeiten beider Art in demselben Manu-
script zusammenstehen, wie in dem grossen Antiphonale des St. Petersstiftes
zu Salzburg, wo die Federzeichnungen als zart und geistvoll geschildert
werden, während die auf planirtem Goldgrunde mit fetten Guaschfarben
ausgeführten Gemälde ihnen nachstehen-).
Bald nach der Mitte des Jahrhunderts trat indessen eine Veränderung
ein, welche ohne Zweifel mit dem Aufkommen des gothischen Styles zusam-
menhängt, aber keinesweges unbedingt vortheilhaft ist. Sowohl diese
kecken, dilettantischen aber ausdrucksvollen Federzeichnungen, als die
kräftige, harmonische Guaschmalerei verschwinden, und an ihre Stelle tritt
eine neue Manier, welche gewissermaassen zwischen beiden die Mitte hält.
Die mit festen, breiten Strichen angegebenen Umrisse sind mit stark
deckenden, aber glanzlosen und oft grell neben einander gestellten Lokal-
farben ausgefüllt, in welche dann wieder die einzelnen Theile und die Ge-
wandfalten mit leichteren schwarzen Linien, ohne weitere Schattirung hinein-
gezeichnet sind. Die Fleischtheile sind weisslich gefärbt, mit rothen Flecken
der Wangen, der Farbeneindruck ist meist unruhig und bunt. Die Zeichnung
ist noch immer mangelhaft, aber . doch sicherer, gleichmässiger und freier
von auffallenden Unrichtigkeiten, die Haltung der Figuren meist gerade, oft
schon mit leichter Biegung der Hüften, die Füsse, fast immer zu klein und
stets schwarz bekleidet, sind auswärts gestellt, das Oval des Gesichts ist
voll, der Mund klein, das Auge zu gross; das Haar, mit kräftigen Feder-
strichen gezeichnet, fällt auf beiden Seiten des Kopfes mit gleicher, voller
Locke herab. Die letzten Ueberreste des byzantinisirenden Styles sind ver-
schwunden, aber dafür die Anklänge an die Würde der altchristlichen Typen
sehr viel seltener und schwächer geworden. Die Gewänder sind nicht mehr
flatternd, die Falten weniger gehäuft, mehr geradlinig; die Bewegungen
ruhiger, aber auch nicht mehr so sprechend und dramatisch wie in jenen
früheren Federzeichnungen; die Gesichter ohne oder mit grellem conven-
tionellem Ausdruck. Die Bäume behalten ihre bisherige, pilzartige Gestalt,
die Gebäude noch bis gegen das Ende des Jahrhunderts meist romanische
^) Vgl. Waagen im deutschen Kunsthl. 1850, S. 148, von dem ich in so weit
abweiche, als er die Jahre 1260 — 1280 annimmt,
'-) Vgl. über diesen Codex, der nach ziemlich zuverlässigen historischen Zeichen
um die Mitte des Jahrhunderts entstanden sein muss, eine ausführliche Beschreibung
von G. Petzold im deutschen Kuustbl., 1852, S. 301.
1250 — iboo. 499
Formen. Die Hintergründe sind nicht mehr einfach blau oder roth ge-
färbt, sondern entweder mit starkem Blattgold belegt oder mit tapetenartigen
Mustern verziert, meist schachbrettartig. Im Ganzen ist der Gewinn ein
sehr zweideutiger; die dilettantischen und unbeholfenen Aeusserungen leben-
diger Empfindung und typischer Würde, die Schönheit kräftiger Farbc]i
sind einer mehr gleichmässigen, aber auch oft handwerksmässig gleichgül-
tigen, stylgerechten Behandlung geopfert, ölan muss diese Aenderung
zunächst der Richtung zuschreiben, welche die Architektur und die von ihr
geleitete Plastik dem Geschmacke gaben; doch mögen auch andere Um-
stände darauf eingewirkt haben. Die Klöster, in denen die Miniaturmalerei
bisher ihren Sitz gehabt hatte, waren nicht mehr die Stätten der regsten
Kuustthätigkeit ; das städtische Gewerbe hatte sie überflügelt, sie empfingen
aus zweiter Hand. Ueberdies waren die Benediktiner erschlafft, die Cister-
cienser der Kunst weniger geneigt, sogar von eigener Ausübung derselben
durch ein ausdrückliches Verbot abgehalten, die Bettelorden durch ihre
ganze Stellung nicht dazu geeignet. Endlich hatte auch die Wissenschaft
statt der der Kunst günstigen Richtung auf klassische Literatur die scho-
lastische angenommen und beschäftigte die begabten Geister auf einem
anderen Felde. Daher erklärt sich auch, dass die Zahl deutscher Miniatur-
werke aus dieser Zeit geringer ist und dass nur wenige sich durch reichere
Pracht auszeichnen. Zu den grösseren und bestimmt datirten Handschriften
dieser Art gehört eine^Bibel in vier Bänden in der Bibliothek zu Würzburg
(fol. max. Nro. 9), welche nach der darin enthaltenen Inschrift im Jahre
1246 von den Mönchen des dortigen Dominikanerklosters geschrieben und
auf Kosten des Abtes mit derben, aber geistlosen Miniaturen auf Goldgrund
geschmückt wurde, dann eine andere Bibel in zwei Foliobänden auf der
Gymnasialbibliothek zu Coblenz, die im Jahre 1281 vollendet wurde, und
deren Miniaturen Kugler einfach, strenge, meist geradlinig, statuarisch in
gothischer Weise, aber ziemlich roh fand ^). Etwas besser sind die Zeich-
nungen in der Sammlung von Minneliedern aus Kloster Weingarten
in der königlichen Privatbibliothek zu Stuttgart, die jedenfalls älter ist als
der Manesse'sche Codex in Paris und vielleicht schon in das dritte Viertel
des Jahrhunderts fällt-). In einem böhmischen Werke aus dieser Zeit, in
der Breznicer Bibel im vaterländischen Museum zu Prag, wo sich der Maler
1) Kleine Schriften II, 344.
-) Waagen, Kunstwerke in Deutschland 11, 200, Handbuch I, S. 41 und Kugler
a. a. 0. I. 75, 76. — Herausgegeben von F. Pfeifer u. F. Fellner in der Bibliothek
des Literar. Vereins, Bd. ^', Stuttgart 1843, mit den Bildern. Pfeiffer setzt die Hand-
schrift in den Anfang des 14. Jahrhunderts, während Fellner, nach Styl und Tracht in
den Bildern, das Ende des 13. Jahrhunderts annimmt.
32*
gQQ Französische Miniaturmalerei.
Bohusse aus Leitomischl mit der Jahreszahl 1259 genannt hat, ist zwar die
Zeichnung, namentlich des Nackten, schwach, aber die Haltung der Figuren
weniger statuarisch als in jenen deutschen Arbeiten, vielmehr weich, sogar
ziemlich graciös, aber unkräftig ^). Die Hintergründe sind hier, das erste
Beispiel dieser Art in Deutschland, tapetenartig gemustert, und die ganze-
Behandlung nähert sich mehr der gleichzeitigen französischen, als der deut-
schen "Weise, so dass man versucht wird, einen unmittelbaren Einfluss der
französischen auf diese slavische Schule anzunehmen. In dieselbe Zeit mag
ein Missale deutschen Ursprungs gehören, das vor wenigen Jahren für das
germanische Museum erworben worden-). Die Initialen, deren Ornamentik
im Geist des romanischen Styls gehalten ist, zeigen im Blattwerk doch
schon gothische Motive und sind vielfach mit bildlichen Darstellungen aus
der heiligen Schrift von grosser Anmuth und Reinheit des Styles gefüllt.
Die französische Miniaturmalerei hat im Ganzen denselben Ent-
wickelungsgang wie die deutsche, aber mit etwas anderem Erfolge. Auch
hier unterscheiden wir jene beiden Klassen von Miniaturen, die eine mit an-
spruchslosen, leicht colorirten, aber lebensvollen und naiven Federzeichnun-
gen, die andere schwächer im geistigen Ausdrucke, aber mit ausgeführten-
Malereien in Guaschfarben und Gold. Allein auch jene Arbeiten in Zeich-
nungsmanier sind hier eleganter, mit feinerer Behandlung der Farben^
geringeren Verstössen der Zeichnung ^i , dagegen aber auch minder aus-
drucksvoll und lebendig. Das Bestreben nach formaler, technischer Eleganz
ist hier stärker als in Deutschland, das Bedürfniss individueller, geistiger
Aeusserung geringer. Die Guaschmalerei ist hier gleich vom Anfang der
Epoche an häufiger angewendet und besser ausgebildet, aber die typischen
Gestalten haben nicht die ergreifende Würde, die allegorischen Darstellungen
^) Waagen (deutsclies Kunstblatt 1850, S. 149) glaubt die Arbeit um 1300 setzen
zu müssen; allein auf Fol. 296 des Codex, wo der Schreiber Spignaus von Ratibor
und der Maler Bohusse dargestellt und genannt sind, findet sich ganz deutlicli die oben
angegebene Jahreszahl. Beide sind ihrer Tracht zufolge Laien. Der Maler ist mit
einer langen Tunica, einem nach antiker Weise umgeworfenen Mantel und einer herab-
fallenden Mütze bekleidet.
-) Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, 1867, Nro. 4, mit zwei Holzschnitten
(Nro. 21, 897 des Museums).
•'') Einen Psalter von 1200 — 1250, der in Frankreich, aber nach den darin vor-
kommenden Heiligen für England gemalt ist , jetzt im britischen Museum (Addit.
16,975) schildert Waagen in der englischen Bearbeitung seines Reisewerks (Treasures
of Art in Great Britain, London 1854. Vol. I, p. 111) als eine ausgezeichnete Leistung
dieser Art.
Gevverbliclier Betrieb. 501
nicht die Tiefe, die Initialen nicht den phantastischen Reichthum und freien
Schwung der Linien, wie in den deutschen Miniaturen. Dagegen bemerkt
man in der Haltung der Figuren frühe das Gefühl für Anstand und Zierlich-
keit, in den Genrebildern und komischeu Figuren, welche hier schon häufiger
vorkommen, eine behagliche Heiterkeit. Dies alles finden wir schon in der
Chronik des Klosters Cluny, welche von 1188 — 1215 fortgesetzt ist, in
«iuem aus dem ersten Drittel des dreizehnten Jahrhunderts stammenden
Psalter, welcher der Mutter Ludwigs IX. angehört haben soll, in einem
etwas späteren Psalter, wo die statuarische Haltung der Figuren und die den
Glasgemälden ähnliche Anordnung der Gruppen schon einen Eiufluss der
gothischen Architektur zeigt, und endlich in einer etwa um 1250 geschrie-
benen französischen üebersetzung der Apokalypse i). In dieser ist etwas
mehr dramatisches Leben, aber wir vermissen doch auch hier eine tiefere
Auffassung der phantastischen Gegenstände; die hell und grell gemalten
Bilder gehen nur auf grobe Versinnlichung der Textesworte aus, und die
graciöse, oft affectirte Haltung der Figuren contrastirt gegen den Ernst der
apokalyptischen Geschichte.
Aus diesen Anfängen entwickelte sich jedoch eine feste Schule. Dante
bringt in einer bekannten, oft angeführten Stelle die Miniaturmalerei in eine
besondere Verbindung mit Paris; bei der Begegnung mit einem italienischen
Miniaturmaler bezeichnet er nämlich dessen Kunst als die, welche in Paris
Illuminiren genannt werde ^). Diese Worte scheinen anzudeuten, dass zu
Dante's Studienzeit noch vor dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts die
Miniaturmalerei in Paris vorzugsweise blühete und, abweichend von anderen
Orten, einen eigenen technischen Namen hatte, ein wirkliches Gewerbe
bildete. Und dies ist auch aus anderen Gründen sehr wahrscheinlich. In
Paris, der einzigen Universität diesseits der Alpen, wo die Wissbegierigen
aller Länder zusammenströmten, musste nothwendig auch der stärkste Um-
satz von Büchern statt finden. Durch die längere Pflege der Wissenschaften
war hier ein Vorrath von Handschriften aufgehäuft, wie an keinem anderen
Orte, während andererseits das literarische Bedürfniss der Lehrer und Stu-
direnden und der Wunsch der Fremden, sich bei ihrer Rückkehr in ihre
Heimath das nöthige Material zur Fortsetzung oder Anwendung ihrer Studien
zu verschafi"en, eine Nachfrage erzeugte, welche durch diesen Vorrath nicht
^) Vgl. über diese und die später erwähnten Manuscripte ausführlichere Nach-
richten , freilich aber auch zum Theil von den mehligen abweichende Urtheile bei
Waagen, K. und K. in Frankreich III, 284 ff. Die zweite der genannten Handschrifteu
befindet sicli in der Bibliothek des Arsenals, die übrigen sind in der grossen Bibliothek
zu Paris.
^) Purgat. XI. 76: Non se' tu Oderisi — L'onor d'Agobbio, e l'ouor di quell'
arte — Ch' alluminare e chiamata in Parisi.
502 Französische Miniaturmalerei.
befriedigt werden konnte. Der Besitz von Büchern war sehr bald auch ein
Gegenstand der Prunksucht und Eitelkeit geworden; schon im Jahre 1189^
klagte man darüber, dass einzelne Studenten mit ihren, durch goldene Buch-
staben geschmückten Büchern den Platz auf den Bänken der Hörsäle
beschränkten^). Dieser gesteigerten Nachfrage konnte daher nur durch neue
Abschriften genügt werden, deren Anfertigung ausschliesslich oder doch vor-
zugsweise den Klöstern anheimfiel, da sie allein den dazu nötliigen Bücher-
vorrath besassen und an die Arbeit des Abschreibens gewöhnt waren. Es
lag nahe, aus dieser Thätigkeit, wie aus anderen minder geistigen, eine Quelle
der Einnahme zu bilden. Auch fehlte es dazu nicht au Aufmunterung.
Ludwig IX., durch das Beispiel eines saracenischen Fürsten bewogen, legte
gleich nach seiner Rückkehr von dem ersten Kreuzzuge eine Bibliothek zum
Gebrauche der Studirenden an , in welche er jedoch, um den Vorrath vor-
handener Bücher nicht zu vermindern, nicht aufgekaufte, sondern nur für
diesen Zweck neu abgeschriebene Exemplare aufnahm-). In seinem Testa-
mente vertheilte er diese Bücher an vier verschiedene Klöster, und diese
werden nicht ermangelt haben, daraus dem Sinne des Königs entsprechend
den Vortheil zu ziehen, dass sie Abschriften für den Verkauf anfertigten.
Hieraus erklärt sich auch, dass, ungeachtet jener Nachfrage, noch kein
eigentlicher, freier Buchhandel entstand. In der Sammlung von Statuten der
Pariser Gewerbe vom Jahre 1258 kommt noch keine solche Innung vor; in
der Steuerrolle von 1313 werden zwar mehrere Buchhändler genannt, die
aber alle noch mit einem anderen Gewerbe, namentlich als Schenkwirthe
oder Trödler, aufgeführt sind ■^). Auch waren sie, wie ein Beschluss der Uni-
versität vom Jahre 1275^) ergiebt, eigentlich nur Mäkler (Stationarii qui
vulgo librarii appellantur), bei welchen diejenigen, welche Bücher verkaufen
wollten, dieselben mit Bestimmung des Preises niederlegten, damit sie von
ihnen durch Anschlag angezeigt und demnächst den sich Meldenden verkanft
würden. Das gewerbliche Unternehmen ging also von den Abschreibern,
muthmasslich den Klöstern, aus, welche eben als Gewerbtreibende den Absatz
durch eine dem Geschmacke der Käufer entsprechende Ausstattung zu be-
fördern suchten. Ueberall aber war dieser Geschmack schon auf eine
gewisse Eleganz gerichtet. In Bologna, das für Italien ebenso den Bücher-
markt bildete wie Paris für die nördlichen Länder, sah man vorzugsweise
*) Wood, Hist. Ullivers. Oxon. bei Meiners, Historische Vergleichung II, 538.
2) Duboulay, Hist. Univ. Paris. III, p. 122, 392.
^) Depping, Reglements sur les arts et metiers de Paris (,iu der CoUection de-
documents inedits pour l'histoire de France) Introductioa p. LXXVIII.
^) Duboulay, Hist. Univ. Par. III 419, und Crevier, Hist. de l'Univ. .de P. II, 66.
Der Psalter Ludwigs des Heiligen, 503
auf kostbare, gleichsam gemalte Schrift ^), in Paris dagegen , wie Dante's
Aeiisserung imd die vorhandenen Manuscripte beweisen, auf Miniaturen.
Dieser gewerbliche Betrieb musste natürlich auch auf die Behandlung dieser
Malereien einwirken. Sie waren nicht mehr die langsame Arbeit eines
müssigen Mönchs, der seine zurückgehaltenen Empfindungen darin für künf-
tige Klostergenossen niederlegte, sondern wurden für Fremde und ohne
besonderes Interesse angefertigt •). Dagegen kam diesem Gewerbe zu statten,
dass es in einer Zeit aufblühete, wo die gothische Architektur dem Ge-
schmacke eine feste Richtung gab und die Plastik und Glasmalerei anschau-
liche Vorbilder gewährten. Schon in einem Manuscript vom Jahre 1266
über die Wunder der h. Jungfrau (Mss. franc, Nr. 7987) finden wir den
Styl, der hierdurch entstand, ganz ausgebildet, seine höchste Leistung ist
aber ein bilderreicher Psalter (Suppl. lat. 636), welcher nach einer darin
befindlichen, späteren, aber sehr glaubhaften Notiz für Ludwig den Hei-
ligen gefertigt war-^). Das Manuscript, ein Octavband, enthält zunächst auf
76 Blättern die biblische Geschichte von Abel und Kain bis zur Krönung
Saals, gleichsam als Einleitung zu den Psalmen, deren Text darauf folgt und
nur mit zum Theil historiirten Initialen verziert ist. Alle jene Bilder haben
denselben Hintergrund, eine zierliche Architektur reinsten gothischen Styls,
in den Details auffallend an die Sainte Chapelle von Paris erinnernd, zwei
^) Der Jurist Odofredus in Bologna klagt im Anfange des 13. Jahrhunderts, dass
die Schreiber zu Malern würden und die Kostbarbeit der Schrift die Bücher vertheuere.
Meiners a. a. 0.
-) Die Steuerrolle v. J. 1292 (CollÄtion de doc. ined. sur l'histoire de France)
zählt 13 Enlumineurs auf, deren gewerbliches Verhältniss schon daraus hervorgeht, dass
9 in einer und derselben Strasse wohnen, 12 wenigstens im Stadtiheile der Universität.
Es gab ausserdem ein rue aux ecrivains, in welcher 19 parcheminiers wohnten. Springer,
Paris im 13. Jahrhundert, Leipzig 1856, S. 110.
') Die wesentlichen Worte dieser Notiz lauten: Cest Psaultrier fu saint Loys et
le donna la royne Jehanne d'Evreux au roy Charles filz du roy Jehan l'an de nre.
S. mil troys cens soissante e nuef et le roy Charles present , fils dud't roy Charles,
le donna a madame Marie de France sa fille religieuse ä Poyssi, le jour Saiut-Micliel
l'an mil IIIIC. Die Notiz stammt aus dieser letzten Zeit (1400), und es ist diuxliaus
glaubhaft, dass sich im Königlichen Hause eine richtige Tradition über die Schicksale
des kostbaren Buches erhalten hatte. Auch giebt der Styl der Miniaturen, wenn er
auch einen üebergang von dem des dreizehnten zu dem des vierzehnten Jahrhunderts
bildet, keine dringende Veranlassung, ihre Anfertigung mit Waagen a. a. 0. S. 301
erst gegen 1300 zu setzen, da man annehmen darf, dass für den König ein aus-
gezeichneter Arbeiter ausgewählt wurde , dessen Weise später Nachahmung fand.
Mehrere Gründe, welche die Annahme des Ursprungs unter Ludwig IX. unterstützen,
werde ich im Texte anführen. Waagen hat dann auch selbst diese Ansicht später
zurückgenommen, wie dieNotizen für seine beabsichtigte Geschichte der Miniaturmalerei
in seinem handschriftlichen Nachlasse ergeben. — Proben in Labarte, Album, 11, pl. 92.
gQ^ Französische Miniaturmalei'ei.
Spitzbögen, deren Mittelpfeiler dazu dient, die zwei historischen Momente,
die auf den meisten Blättern zusammengestellt sind, zu scheiden. Die Leisten
dieser Architektur und die Gründe hinter den Figuren sind golden, die
Farben harmonisch und von kräftigem dunklem Ton, aber in geringer Zahl
und oft wiederholt. So ist jene Architektur stets azurblau und bräunlichroth
und zwar dergestalt von Blatt zu Blatt wechselnd, dass jede beider Farben
einmal den Fenstern, und dann den Füllungen gegeben ist, und ebenso kehren
dieselben Farben mit gleicher Abwechselung an den Gewändern wieder. Die
Gesichter sind weisslich mit aufgesetzter Wangenröthe und sehr pastos auf-
getragenen Lichtern, die Locken stets mit zierlichem Sch^^alnge. Die Zeich-
nung ist sicher und gewandt, die Darstellung stets auf wenige Figuren
beschränkt, deren Haltung ein Bestreben nach Anstand und ritterlicher Ele-
ganz verräth. In den Kämpfen und an einzelnen Nebenfiguren, namentlich
an Mönchen und Nonnen, finden wir Spuren eigener Beobachtung des Lebens,
im Ganzen hat aber die Darstellung eher etwas Conventionelles. Der Aus-
druck ist verständlich, aber matt, Jacob ringt mit dem Engel sehr sanft und
Samson bricht die Säule mit Grazie ; die „vaillant Dame qui a nom Debora",
wie sie in der auf der Rückseite des Blattes befindlichen Inschrift heisst,
sitzt sehr zierlich auf demselben Pferde mit einem wohlgerüsteten Ritter,
Ueberall ist die möglichste Decenz beobachtet; nicht bloss Cain und Abel,
sondern auch der trunkene Noah sind vollständig bekleidet, Potiphar ist in
vollem Kostüme und stehend, als sie dem keuschen Joseph den Mantel ent-
reisst. Selbst das geplagte Aegypten, oberhalb nackt, um an den Umrissen
seine Beulen zu zeigen, ist am unteren Theile des Körpers durch einen Mantel
züchtig verhüllt. Die Initialen der Psalmen enthalten Hergänge aus dem
Leben Davids auf gemusterten Hintergründen, welche bei geeigneten Momen-
menten, z. B. bei dem 27. Psalm, wo das: Dominus est illuminatio mea et
Salus mea durch einen auf den König herabfallenden goldenen Regen ver-
sinnlicht ist, oder da wo er anbetet, mit einer Hindeutung auf König Ludwig
selbst, seine gewöhnlichen Wappenzeichen, nämlich die Lilien abwechselnd
mit dem Thurme, dem Wappen seiner Mutter Blanka von Kastilien, ent-
halten 1).
Wir sehen also hier im Wesentlichen dieselbe Richtung, die wir auch
in Deutschland in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gefunden haben, aber
mit besserem Erfolge ausgeübt. Die Miniaturmalerei hat den Anspruch auf-
^)lGanz ähnlichen Styls sind die Miniaturen in dem in der anibrosianischen
BibUothek zu Mailand (sub H. 106.) bewahrten Codex moralischer Abhandlungen,
welcher nach der Inschrift für König Philipp III. im J. 1279 vollendet und ihm wie
das Dedicationsbild ergiebt, überreicht wurde. Der Verfasser, ein Dominikanermönch
Laurentius, hat darin die daizustellenden Gegenstände dem Maler vorgeschrieben.
Englische Miniaturen. 505
gegebeu, die Tiefe des in der Schrift ausgesprochenen Gedankens zu
erreichen oder gar weiter auszuführen; sie will nicht mehr belehren, sondern
dem Auge schmeicheln, sie strebt nach glatter, leichtfasslicher Form und
gefälliger Färbung. Die Ursachen dieser Geschmacksveränderung sind sehr
klar; aus einer Zeit unruhigen Strebens sind wir in eine Zeit fertiger und
selbstzufriedener Bildung gelangt. Durch den gothischen Styl , die scho-
lastische ^Yissenschaft und das Kitterthum hatte man feste Geschmacks-
regeln, Begriffe und Sitten, die alles beherrschten, und den schwankenden
aber lebendigen und individuellen Dilettantismus der ersten Hälfte dieser
Epoche weder brauchten noch duldeten. Alle diese Ursachen wirkten in
Frankreich viel früher und mächtiger, und es ist daher natürlich, dass die
Erfolge hier auch eher reiften als in Deutschland.
In den englischen Miniaturen bemerken w^r schon am Aufauge der
Epoche eine Annäherung an den französischen Styl; jene phantastische
Zeichnungsmanier der angelsächsischen Schule verschwindet, die Köpfe
erhalten das völlige Oval wie in Frankreich, die Zeichnung wird fester und
lehnt sich mehr an antike Motive an, endlich kommt auch die solide Guasch-
malerei auf Goldgrund, wie man sie jenseits des Kanals übte, mehr und mehr
in Anwendung. Es war ein Sieg der mehr formellen Sinnesweise der fran-
zösisch gebildeten Normannen über das mehr innerliche und phantastische
Wesen des sächsischen Stammes. Indessen erkennen wir noch Ueberreste
jeuer älteren Weise; die Gestalten sind noch schlanker als dort, die Ge-
wänder oft flatternd, die Bewegungen heftiger und ausdrucksvoller. Auch
äussern sich schon jetzt manche britische Eigenthümlichkeiten ; die reali-
stische Tendenz in den genreartigen Bildern des Kalenders und in der häu-
figen Anwendung der einheimischen Tracht, die starke Betonung von Motiven
der Herzlichkeit und Innigkeit, der ausgelassene Humor neben dem Ernst
der religiösen Darstellungen. Andererseits aber erhalten sich die Spuren der
byzantinisch-antiken Tradition, die hier erst so spät eingedrungen war, auch
länger als in anderen Gegenden. Beispiele des Uebergangs von jener älteren
zu dieser neueren Weise geben mehrere Miniaturwerke aus der zweiten
Hälfte des zwölften Jahrhunderts, namentlich eine Bibel (Cotton. Nero.
C. lY.), und ein reich mit sehr eleganten Initialen geschmücktes Psalterium
(Regia I. D. X.), beide im britischen Museum zu London, und der Kom-
mentar des h. Hieronymus über den Propheten Jesaias in der bodleyanischen
Biblothek zu Oxford, von etwa 1170, wo aber der Maler Hugo (denn er hat
sich darin porträtirt und geuaimt) einen ungewöhnlichen Sinn für Formen-
5Qg ' Englische Miniaturen.
Schönheit entwickelt^). Später finden wir dann die Guaschmalerei voll-
ständig ausgebildet und mit einer Schönheit und Mannigfaltigkeit der Far-
ben, wie bei keiner anderen Nation, freilich aber nun auch mit mehr schema-
tischer Zeichnung und mit geistlosen und lahmen Motiven. Beispiele dieser
Kunstrichtung sind ein Psalter des britischen Museums (Arundel, Nro. 157);
etwa um 1210, wo die Schwäche des geistigen Theiles der Arbeit mit der
geschmackvollen Farbenbehandlung auffallend contrastirt, und die etwas
spätere Bibel in der Bibliothek des Arsenals zu Paris, in der sich ein Laie
Manerius aus Canterbury als Schreiber nennt 2). In einem schon gegen 1250
geschriebenen Psalter des britischen Museums (Landsdown, Nro. 420)
interessirt uns, bei starker Rohheit der Zeichnung und grosser Schönheit der
Farben, das frühe Hervortreten des humoristischen Elements. So enthält
von zwei gegenüberstehenden Initialen die eine den singenden und von einem
Yiolinspieler begleiteten König David, die andere aber ein Concert, in
welchem Esel, Ochse, Hase, Schwein, Ziegenbock und andere Tliiere ver-
schiedene, mit bizarrer Absicht ausgewählte Instrumente spielen.
Die ausgezeichnetesten Leistungen englischer Miniaturmalerei finden
wir endlich in zwei Manuscripten des britischen Museums, beide mit Schriften
des bekannten englischen Historikers Matthaeus Parisiensis. Das eine, das
grössere Geschichtswerk des von 1241 bis 1259 arbeitenden Mönches und
zwar vielleicht in eigenhändiger Schrift (Mss. Regia, 14, C.VII), enthält ausser
anderen Malereien ein grosses Blatt, auf welchem der Verfasser selbst nebst
der von ihm angebeteten Jungfrau dargestellt ist, zwar nur in leicht colo-
rirter Federzeichnung, aber von grosser Schönheit und edler Bildung der
Jungfrau und des sie liebkosenden Kindes. In der zweiten Handschrift (Gott.
Nero, D. I) sind die kleineren Werke des Matthaeus von überaus lebendigen
Federzeichnungen historischen Inhalts begleitet, während eine, die ganze
Folioseite einnehmende Gestalt Christi als Weltrichter, obgleich nur mit der
Feder gezeichnet und leicht illuminirt, von so würdiger Auffassung, Haltung
und Gewandbehandlung ist, dass sie an italienische Kunst erinnert. Der
Urheber des Bildes nennt sich darauf als frater Wilhelmus, von Geburt ein
Engländer, aber zweiter Genosse des heil. Franciscus, so dass es nicht
unwahrscheinlich ist, dass italienische Vorbilder auf seinen Geschmack ein-
gewirkt haben.
Einigen Einfluss auf diese Blüthe der englischen Miniaturmalerei,
namentlich auf die Ausbildung des Farbensinnes, können wir der Kunstliebe
des Königs Heinrich IH. (1216 — 1272) zuschreiben, der, wie wir weiter
unten sehen werden, die Plastik und noch mehr die Wandmalerei vielfach
1) Waagen, Treasures of Art. Vol. I, p. 147, 149, 153. Vol. III, p. 91.
2) Waagen, K. und Kw. in England und Frankreich III, 288.
Die Wandmalerei. 507
beschäftigte, und auch die Miniaturmalerei nicht vergass, wie wir denn
namentlich wissen, dass er für die Kapelle zuWindsor schöne Antiphonarien
bestellte i).
Die Wandmalerei stand in dieser Epoche der Miniaturmalerei noch
sehr nahe; sie unterschieden sich in der That nur durch die Dimensionen.
Selbst die Technik war fast dieselbe; auch jene gab nur eine Zeichnung in
schwarzen Umrissen auf einfarbigem Hintergrunde mit Lokalfarben und
geringer Schattirung; auch sie arbeitete mit Wasserfarben, vielleicht mit
einem Zusätze von Leim, auf trockenem Grunde. Die Frescomalerei war
noch unbekannt. Nicht minder glich sich die geistige Aufgabe; das Beleh-
rende oder Erbauliche war die Hauptsache, und die Malerei gab an den
Wänden ebenso wie in den Büchern meist nur eine Uebersetzung gewisser
Textesworte. Ohne Zweifel war daher auch die Miniatur die Schule der
Wandmaler. Die Ausschmückung der Kirchen mit heiligen Gestalten Avar
noch nicht ein schwer zu erlangender kostbarer Schmuck, sondern ein
Erforderniss, auf das man nur bei höchster Dürftigkeit verzichtete und dem
man mit den bereiten Mitteln ohne ängstliche Kritik genügte. Gewiss wurde
daher oft der bewährteste der Miniaturmaler ohne Weiteres auf das Gerüste
berufen.
Allein aus der Sache selbst ergaben sich doch wichtige Unterschiede.
Die dilettantische Keckheit, mit welcher die Miniatoren ihr noch unsicheres
Naturgefühl auszusprechen wagten, die dramatische Lebendigkeit, welche sie
ihren Zeichnungen zu geben wussten, die phantastischen und humoristischen
Aeusserungen, welche sie sich erlaubten, waren hier ausgeschlossen; die
Grösse der Gestalten, die Heiligkeit der Räume, die Verbindung mit der
Architektur nöthigten zu grösserem Ernste und zu einer einfacheren mehr
statuarischen Haltung. Indessen auch so war die Malerei vermöge ihrer
leichteren 3Iittel und ihrer loseren Verbindung mit der Architektur nicht
so gebunden wie die Sculptur, und konnte eher als diese der Empfindung
Raum geben und die typische Strenge der Gestalten mildern und beleben.
Sie erlangte auf diesem Wege wirklich bedeutende Erfolge.
Vor Allem können wir dies von Deutschland rühmen, wenigstens
sind hier die meisten und bedeutendsten Ueberreste aufgefunden-). Der
1) Pauli, (leschiehte von Eugland, III, S. 855.
^) Eine sehr reiche Sammhing von Zeichnungen, Aquarellen und Durchzeichnungen
mittelalterlicher Wandgemälde ist für das Kupferstichcabinet des Berliner Museums
508
Deutsche Wandmalerei.
rasche Fortschritt des gothischen Styles entzog der französischen Malerei
die ihr nothwendigen Wandflächen, während in Deutschland das lange
Beharren bei den romanischen Formen entweder schon eine Folge der
malerischen Neigung oder doch ein dieser Kunst günstiger Umstand war,
indem es ihre Ausbildung in eine Zeit reiferen Stylgefühls hinein ver-
längerte. Die Zahl solcher Wandmalereien muss in Deutschland überaus
gross gewesen sein*, fast in allen alten Kirchen, wo man die spätere Tünche
Fisr. 12-5.
Zwei Evangelisten. Schwarzrheindoi-t'.
ZU entfernen versucht hat, sind wenigstens Sjyiren derselben zum Vorschein
gekommen.
Sehr bedeutend sind schon die, welche in der früher erwähnten
Kirche von Schwär z-Rheindorf bei Bonn, und zwar in der unteren
Kirche, aufgefunden und, da sie sich nur über den ursprünglichen Theil
der Anlage, der die Gestalt eines griechischen Kreuzes hatte, nicht über
die westliche Verlängerung erstrecken, nach der uns bekannten Ge-
schichte des Monumentes vor dem Tode des Stifters, also in den Jahren
von 1151 bis 1156, entstanden sein müssen. Dem entspricht auch ihr
angelegt vvordeu. — Ausführliche Würdigung der deutschen Wandmalereien bei
H. G. Hotho, Geschichte der christlichen Malerei , Stuttgart 18G7.
Schwarz -Rheindorf. 509
Styl völlig. Die Chornische enthält oben Christus in der Herrlichkeit^
umgeben von den zwölf Apostehi, einem heiligen Bischöfe und zwei Engeln,
während an der abschliessenden Wand darunter die vier Evangelisten, an
ihren Schreibpulten sitzend, und ausserdem in einer Nische noch eine
etwas grössere schreibende Gestalt zu sehen sind. Die südliche Halbkuppel
zeigt die Verklärung, die nördliche die Kreuzigung Christi, die westliche,
(damals über dem Eingänge des Gebäudes) die Vertreibung der Wechsler
aus dem Tempel. Die je vier Felder der rechteckigen Gewölbjoche in allen
Ki'euzarmen sowie das Mittelquadrat enthalten zwanzig Darstellungen, die
aus dem Buche des Propheten Ezechiel geschöpft sind und sich auf dessen
Visionen von der dritten Zerstörung Jerusalems und von dem neuen Jeru-
salem beziehen. In den Bildern des östlichen Kreuzarmes, von denen
zwei leider fehlen, und in denen des südlichen, sind verschiedene Offen-
barungen Gottes an den Propheten dargestellt , in dem westlichen seine
Visionen von den Greueln des Götzendienstes in dem Heiligthum des Herrn,
die der Prophet durch ein Loch in der Wand erblickt, und von der Ver-
ehrung der Baalstatue in dem Vorhofe; in dem nördlichen sein Gesicht von
dem hereinbrechenden Strafgerichte Gottes. Die grösseren Bildfelder der
Vierung sind den Weissagungen von dem neuen Jerusalem gewidmet:
der Prophet erblickt am Eingang der heiligen Stadt den Engel des Herrn,
er misst auf dessen Geheiss ihre Ringmauern, er sieht das neue Versöhnungs-
opfer am Altar, der Herr zieht durch das Ostthor in sein Heiligthum ein,
während erhabene Engelgestalten zu beiden Seiten schweben. Endlich
enthalten noch vier Nischen in den Schmalwänden des südlichen und des
nördlichen Kreuzarmes thronende Kaiser oder Könige und die Fenster-
wandungen des westlichen Armes bärtige Gestalten, welche von gewapp-
neten Kriegern niedergestossen werden. An den vier, das mittlere Gewölbe
einschliessenden Gurtbögen endlich ist die Unterseite an dem nach Osten
gelegenen mit fünf Medaillons, deren eines das Brustbild eines stattlichen
Flitters enthält, an den drei anderen mit Eankengewinden und städtischer
Architektur verziert. Der Styl dieser Gemälde ist sehr imponirend, die
Figuren sind von strenger, noch byzantinisirender Zeichnung, die Gewänder
mit Faltenstrichen überhäuft, die Rankengewinde vom schönsten Schwünge
der Linien. Der häufig vorkommende Mäander zeigt noch das Vor-
herrschen antiker Form, während die durch den typisch gehaltenen Christus
aus dem Tempel verjagten Handelsleute in ihren heftigen, karikirten Be-
wegungen schon eine naturalistische Regung zeigen. Auch die Evangelisten-
gestalten (vgl. die Abbildung) zeichnen sich durch die Lebendigkeit der
Motive, die sprechenden Bewegungen aus, wenn auch die Beinstellung meist
noch conventioneil ist. Auffallend ist, wie entschieden überall die Umrisse
der nackten Körperformen durch die Gewandung hindurchscheinen. Der
520 Deutsche Wandmalerei.
Farbenton ist dunkel, die Hintergründe sind blau mit grüner Einrahmung,
auch in den Arabesken sind diese beiden Farben vorherrschend ^l
Noch wichtiger sind die bereits vor einer Reihe von Jahren von der
Uebertünchung befreiten, wohl erhaltenen Deckengemälde im Kapitelsaale
des Klosters zu Brauweiler, unfern von Köln. Der Saal ist von sechs,
durch zwei Säulen getragenen und so in zwei Reihen getheilten Kreuz-
gewölben bedeckt, deren Kappen die Gemälde enthalten (Fig. 127). Auf dem
mittleren Gewölbe der zweiten, hinteren Reihe, dem Eintretenden gerade
gegenüber, sieht man das Brustbild des Erlösers in kolossaler Dimension
mit aufgehobener segnender Rechten, umgeben von Propheten und kriegeri-
schen Helden. Auf den fünf anderen Gewölben erkennt man Einsiedler,
Märtyrer verschiedener Art, kämpfende Helden und eine Reihe anderer
Scenen, welche dem oberflächlichen Beschauer kaum zusammenzugehören
scheinen, dennoch aber einen sehr bestimmten Zusammenhang haben-).
Das Ganze bildet nämlich eine Predigt von der Kraft des Glaubens zur
Ueberwindung der Welt, und zwar nach Anleitung einer bestimmten Schrift-
stelle, des elften Kapitels im Hebräerbriefe. Der Maler folgt fast Wort
für Wort seinem inhaltsschweren Texte, und hat sich aus dem ganzen
Schatze legendarischer Ueberlieferung die Belege für denselben gesucht.
Da sieht man zunächst auf zwei Gewölben solche, welche durch den Glauben
gesiegt haben; dann Magdalena und den guten Schacher, welche „Ver-
heissungen erlanget" (v. 33); Daniel und die h. Thekla, welche „der Löwen
Rachen verstopfet"; Cyprian, den wunderthätigen Magus, und Justina,
welche „des Feuers Kraft ausgelöscht" (v. 34); den h. Aemilian, welcher
„des Schwertes Schärfe entronnen", indem das Schwert der Legende zu-
folge durch ein Wunder sich in der Hand des Henkers zurückbog: den
König Ezechias, welcher durch seinen Glauben und Jesaias Fürbitte noch
^) Vg-1. Andreas Simons, die Doppell;irche zu Sclnvarz-Rheindorf, 1846, und in
dem Jahrb. der rhein. Alterthumsfreunde Heft X , welcher jedoch nur das von ihm
-enldeckle Bild der Vertreibung kannte , während die übrigen erst später durch Herrn
Hohe aufgedeckt sind. Die Erklärung der Wandgemälde ist geliefert worden von
P. J. Peiffer in der Bonner Zeitung, 1863, Nr. 221, 227, 239, 285. — Einige Ab-
bildungen auch bei Guhl u. Caspar, Atlas, Taf. 49 a, aber zum Theil nach früheren
incorrecten Zeichnungen von Hohe, die dieser später berichtigt hat, z. B, ist einer der
Engel des zuletzt beschriebenen Deckenbildes in eine Maria mit dem Kinde, der Evan-
gelist Fig. 126 links in eine Spinnerin verwandelt. — Die Malereien der Unterkirche sind
stark restaiirirt , die in der Oberkirche später zum Vorschein gekommenen , stehende
Heilige in der Chornische u. s. w., sind fast noch gänzlich durch die Tünche ver-
borgen.
^) Wir verdanken die Erklärung dem Scharfsinne A. Reichensperger's, der sie in
•den Jahrbüchern der rheinischen Alterthumsfreunde Bd. XI (1847) bekannt gemacht
hat. Einzelnes auch bei Guhl u. Caspar a. a. 0.'
Kapitelsaal zu Brauweiler. 511
Lebenserhaltung erlangt, und mithin „kräftig wird aus der Schwachheit";
Simson mit dem Eselskinnbacken, der „stark geworden im Streite", und
einen anderen alttestamentarischen Helden, welcher „der Fremden Heere
darniederlegt." Dann folgen auf zwei anderen Gewölben die Märtyrer,
welche für den Glauben muthig geduldet haben, der h. Simeon, der ge-
kreuzigt, der h. Hippel} t, der von Pferden geschleift wurde, und andere,
welche „sich haben lassen zerschlagen, auf dass sie eine bessere Auf-
erstehung erlangten" (v. 35). Petrus, welcher „Bande und Gefängniss erlitt"
(v. .36), Stephanus und der Prophet Jesaias, welche „gesteiniget und zer-
säget" sind (v. 37), Hiob, der „umhergegangen in Schafpelzen und Ziegen-
fellen, mit Mangel, mit Trübsal und Ungemach". Das fünfte Gewölbe end-
lich enthält die, „deren die Welt nicht werth war, die umhergeirrt in Wüsten,
auf Bergen und in den Klüften und Löchern der Erde", die Anachoreten,
welche als vollkommenste, die ganze Welt überwindende Sieger ausführlicher
behandelt sind. Selbst die, vielleicht malerisch weniger günstige Menge
der dargestellten Glaubenshelden entspricht dem Texte; es ist die „Wolke
von Zeugen", welche sich um den Erlöser als Anfänger und Vollender des
Glaubens sammelt. Die Deckengemälde werden durch grosse Bilder in den
Schildbögen ergänzt, von denen aber nur vier erhalten sind, so dass es nicht
möglich ist, ihre Bedeutung und ihren Zusammenhang zu erkennen. Schon
die Anordnung dieser Gemälde ist wieder ein höchst merkwürdiges Beispiel
der mittelalterlichen Auffassung ; wir sehen, die Künstler rechneten auch bei
den Wandmalereien nicht auf momentane Wirkung, sie verlangten sinnende
Betrachtung, sie setzten einen Text voraus , den der Beschauer mitbringen
oder ablesen und unter ihrer Führung langsam durchdenken sollte. Die
Anordnung unterscheidet sich aber von späteren Compositionen durch ihre
Einfachheit; sie ist nur schriftgemäss , ruhig forterzählend, nicht nach
scholastisch - architektonischen Gegensätzen gegliedert. Eben so wenig be-
merkt man den Hang zum Phantastischen und Ungeheuerlichen, oder die
naturalistische Naivetät der Miniaturen. Der Künstler ist durchaus ernst
und seiner Aufgabe auf geradestem Wege folgend. Die Raumvertheilung
ist ihm nicht überall geglückt; die einzelnen Compositionen sind oft ziemlich
ungeschickt in die freilich unbequemen dreieckigen Felder der Gewölb-
kappen gedrängt. Aber die Zeichnung ist fest, verständig und durch ihre
Einfachheit grossartig, das Nackte zwar steif und mager, aber keineswegs
schematisch; die Gewänder sind faltenreich, doch ohne Ueberladung, die
Bewegungen lebendig und sprechend. Die Verhältnisse sind nicht über-
mässig lang, die Gesichter haben wohl das mehr zugespitzte Oval bei brei-
terem Oberkopfe, aber doch nicht die charakteristisch hervorstehenden Backen-
knochen des byzantinischen Styles; überhaupt ist ein eigentlich byzantinischer
512
Deutsclie Wandmalerei.
Einfluss nicht bemerkbar ^). Wohl aber zeigen die knappe^ lakonische Weise
des Ausdrucks, die oft reliefartige Anordnung, die Gewandmotive, noch
Ueberreste antiker Tradition. Die Gestalt des Simson ist fast die eines
antiken Heros und die Gruppe des von den Rossen geschleiften Märtyrers
Hippolyt (vgl. die Abbildung) könnte, mit Ausnahme der steifen Gestalt des
Heiligen selbst, von einem, den Sohn des Theseus darstellenden Bildwerke
abstammen. Ueber die Entstehungszeit dieser Malereien besitzen wir keine
Nachricht; die Architektur des Saales deutet auf die letzten Decennien des
Fig. 127.
St. Hippolyt. Kapitelsaal zn Branweiler.
zwölften Jahrhunderts, und der Styl der Malereien entspricht dieser Zeit
sehr wohl.
Später (1855) hat man auch in der Chornische der Kirche desselben
Klosters sehr bedeutende Wandgemälde gefunden und aufgedeckt. In der
Halbkuppel der Nische sieht man Christi kolossale Gestalt in der Glorie auf
einem Throne sitzend, zwischen den Zeichen der vier Evangelisten, darunter
knieend in kleiner Dimension einen Abt mit dem Bischofsstabe und einen
Mönch, wahrscheinlich den Stifter und den Maler, zu beiden Seiten in ganzer
1) Reicliensperger glaubt an der aufgehobenen Hand des Erlösers den grie-
chischen Ritus des Segnens zu erkennen-, mir scheint auch hier die gewöhnliche
lateinische Form beabsichtigt und nur durch eine ungeschickte Verkürzung undeutlich
geworden zu sein.
Kirche zu Brauweiler,
513
Gestalt je drei Heilige. Das Ganze ist von Ornamentstreifen eingerahmt,
welche sich den Fenstern und den dieselben verbindenden kleineren Nischen
anschliessen und mit Medaillons von geflügelten Engeln ausgestattet sind.
Weiter unten sieht man noch zehn alttestamentarische oder allegorische
Figuren unter spitzen Kleeblattbögeu, mit Spruchbändern und mit dem Zeige-
finger der erhobenen Rechten nach oben weisend, in sehr mannigfaltigen,
durch die Rundung der Chornische motivirten Wendungen. Die eine dieser
Fig. 128.
Aus der Kirche zu Brauweiler.
Figuren ist als Sapientia bezeichnet. Dem Styl nach ist die Arbeit jünger
als die des Kapitelsaales (vgl. die Abbildung). Die Figuren, namentlich die
Heiligen neben der Glorie, sind übermässig lang, mit kleinen Köpfen und
dünnen Armen, die Gesichter haben ein gefälliges Oval und nicht sehr grosse
Augen. Die durchweg langen Haare fallen in der im dreizehnten Jahrhundert
üblichen wellenförmigen Weise herab. Der Wurf des Mantels ist bei allen
Gestalten charakteristisch verschieden und erinnert schon an die Plastik der
gothischen Schule. Die Falten sind massig und dem Körperbau wohl ent-
Schnaaso's Kunstgesch. 2. Aufl. Y-
33
514
Deutsche Wandmalerei.
sprechend. Besonders die Gestalt Christi ist in jeder Weise würdig und
imponirend, gerade aufblickend, ruhig und noch an den Mosaikentypus erin-
nernd, und das Ganze macht durch die geschickte Benutzung des Baumes
und den ernsten Ausdruck der Gestalten eine grossartige und befriedigende
Wirkung. Der Grund der oberen Darstellung ist blau mit goldenen Sternen,
Au-; dT Taufkapelle zu St. Üereon.
in den Einfassungen herrscht die grüne Farbe, doch kommt auch schon das
Mennigroth, das erst in der Zeit des gothischen Styles beliebt wurde, in den
Gewändern und Randverzierungeu häufig vor. An der Lehne des Sessels
steigen Spitzen empor, welche den Fialen gleichen, und die Epheublätter,
von welchen die Rauten und Medaillons der Einrahmung durchzogen sind,
erinnern au gothische Behandlung. Wir dürfen daher die Entstehungszeit
Rheinlande, 515
■^ohl erst in die zweite Hälfte des Jahrhunderts setzen, wo die gothische
Architektur schon einigen Einfluss auf die Malerei hatte ^).
Ausser diesen bedeutenden Werken finden sich in den Rheinlanden noch
vielfache, wenn auch an sich geringe Spuren der ehemals vollständigen Be-
malung von Kapellen und ganzen Kirchen aus dieser Epoche-). So in Köln
ia den Krypten von St. Maria im Kapitol und St. Gereon, in einer Neben-
Itapelle an St. Severin und am Triumphbogen in St. Ursula. In der
Meinen achteckigen Taufkapelle von St. Gereon in Köln ist sogar die voll-
ständige, sehr geschickt der unregelraässigen Architektur angepasste Wand-
malerei aufgedeckt; Gestalten von Heiligen, theils einzeln, theils paarweise,
von Säulen und Bogenumrahmung im Uebergangsstyl eingeschlossen: Catha-
rina, Helena, zwei Bischöfe, zwei ritterliche Heilige, Kaiser Constantinus,
Laurentius und Stephanus, über dem Eingang ein Engel, in den Gewölb-
feldern über dem flachen dreiseitigen Schluss der segnende Christus zwischen
Maria und Johannes dem Täufer, von schlichter, aber sehr edler Haltung,
mit geradliniger Gewandung, an den Mänteln noch mit ziemlich gehäuften
Falten. Sie werden bald nach der Beendigung der Kapelle selbst, im Jahre
1227, ausgeführt sein^). Auch St. Cunibert war ganz übermalt; die noch
an einigen Pfeilern erhaltenen überlebensgrossen statuarischen Gestalten
mehrerer Heiligen im reichen bischöflichen Ornat zeigen eine feste Zeich-
nung mit freiem, lebendigem Faltenwurf und gehören etwa der Zeit um 1270
^n; ebenso die imposante Composition des Weltgerichts in der Chornische
«nd einige Darstellungen aus der Legende der Heiligen Nicolaus und Anto-
nius'*). Zu den Wandmalereien dürfen wir auch die zehn auf einzelne
Schiefertafeln gemalten Apostel in St. Ursula zu Köln rechnen, welche
zufolge der auf einer derselben befindlichen Inschrift im Jahre 1224 aus-
geführt sind und höchst wahrscheinlich zur Bekleidung der Brüstung des
•Orgelchores, mithin zu architektonischer Verwendung, bestimmt waren. Die
Köpfe sind später übermalt, die Vei'hältnisse der Figuren breit und kurz,
4lie Gewandung aber, wie immer nur colorirte Zeichnung ohne Schatten, ist
ziemlich stylvoll und würdigt). Ausserhalb Köln sind noch in St. Castor zu
'Coblenz eine Verkündigung und mehrere Köpfe, in roherer Zeichnung aber
^) Auch diese Malereien hat Herr Hohe aufgedeckt. Vgl. seine Nachrichten im
•deutschen Kiiustblatt 1855, S. 326 und 355.
2) Vg-1. Kugler, kl. Sehr. H, 283.
3) Vg-l. auch Organ für christl. Kunst, 1860, S. 250, Abbildungen auch bei Gulil
«ttsd Caspar , und farbig bei Gailhabaud , l'architecture et les arts qui en dependent,
Ed. II.
■*) Hotho a. a. 0. S. 193 und Organ für chri&tl, Kunst, 1863. Nr. 9.
^) Eine Abbildung im Organ für christl. Kunst, 1858, Nr. 7.
33*
fy\R Deutsche Wandmalerei.
mit weiss aufgesetzten Lichtern, im Dome zu Worms mehrere Figuren^,
darunter eine Madonna von kolossaler Grösse, erhalten.
Nächst den Rheinlanden hat Westphalen die bedeutendsten Wand-
gemälde aufzuweisen ^), sämmtlich erst in neuester Zeit aufgedeckt. Die
ältesten derselben scheinen die im Chore und in den Seitennischen des
Patroclus-Münster in Soest zu sein; sie werden als überaus grossartig,,
dem Mosaikentypus entsprechend geschildert und gehören ohne Zweifel noch
dem zwölften Jahrhundert an. In der Halbkuppel Christus auf dem Regen-
bogen thronend, von einem riesigen, mandelförmigen Nimbus umgeben, mit
den Zeichen der Evangelisten; darunter kolossale Figuren von 15 bis 16
Fuss Länge, in welchen die volle Beherrschung der Form bei so gewaltigen
Dimensionen ein wichtiges Zeugniss für die Technik dieser Zeit giebt. Weiter
entwickelt sind die Malereien in dem Marienchörchen am nördlichen Kreuz-
arme: die thronende Madonna nebst den anbetenden Königen, Engeln und
Heiligen, unter denen auch St. Patroclus auftritt -), und vor Allem die Bilder
der zu demselben Stifte gehörenden, aber allein stehenden St. Nicolaus-
kapelle^). In der Halbkuppel des Chores der thronende Heiland mit
Maria, Johannes dem Täufer und den Bischöfen Ulrich und Patroclus, darun-
ter, zwischen und in den Fensterleibungen der Nische und an der daran
stossenden nördlichen Wand, die zwölf Apostel, an der südlichen dagegen
der h. Nicolaus von Engeln und verehrenden Personen kleinerer Dimension
umgeben. Die Apostel stehen jeder in einer gemalten kuppeiförmigen oder
mit einem Kleeblattbogen gedeckten Nische, welche oberhalb von Thürmcheö
geschlossen ist, aus denen kleine bartlose und also weibliche oder jugend-
liche Gestalten in halber Figur heraustreten. Diese sind ungeflügelt, doch
mit dem Heiligenscheine, führen Reichsapfel, Scepter, Kelch oder Palmzweig
in der Hand, und sollen daher Engel oder Tugenden darstellen. Die Aus-
führung besteht wieder nur in colorirter Zeichnung, ohne Spur von Schat-
tirung, mit Vergoldung an den Nimben und einzelnen Ornamenten. Die
Zeichnung ist sehr eigenthümlich. Die Hauptfiguren, sämmtlich ganz von
vorn dargestellt, ihre unter den Gewändern hervorstehenden Füsse etwas
auseinander gerückt, erscheinen fast wie schwebend. Das Oval des Gesichtes
ist unten fein zugespitzt, die Augen sind nicht zu gross, die Haare frei-
1) Vgl. W. Lübke, die mittelalterliche Kunst in Westphalen, Leipzig 1853, S. 321 ff.
Der Verfasser selbst hat durch die Entdeckung mehrerer dieser Wandgemälde die
Reihe der späteren Nachforschungen eröffnet.
-) Im Organ für christl. Kunst 1864, von S. 200 an, genau beschrieben.
3) Abbildungen einiger Figuren aus dieser Kapelle bei Lübke a. a. 0. Taf. 29,
bei E. Förster , Denkmale, Bd. V, in Guhl und Caspar's Atlas, und endlich in grösserer
Zahl im Organ für christliche Kunst 1851 und 1852. — Beschreibung im Organ für
clu-istl. Kunst, 1863 von S. 88, und 1864 von S. 115 an.
Nicolaikapelle in Soest. — Methler. • 517
wallend, noch ohne die spätere conventionelle Wellenlmie. Der ümriss des
Körpers, dem sich die Gewandung eng anschliesst, bildet eine weiche Bie-
gung, die Gewänder, gut fallend und dem Körper entsprechend, sind in viele
Falten gebrochen, und haben nach unten zu etwas Flatterndes. Einigemal
ist diese Häufung der Falten, besonders wo die geringe Kenntniss des
Körperbaues den Maler auf Abwege führte, unschön und überladen, im
Ganzen geben aber diese weichen, ich möchte sagen ätherischen Formen den
Gestalten einen grossen Reiz. Der Künstler liebt das Jugendliche, unter den
Aposteln sind mehrere bartlos, aber auch sonst ist er bestrebt gewesen^
ihnen sowohl in den Köpfen als in den Gewandmotiven Mannigfaltigkeit und
Individualität zu geben. Besonders sind die Engelköpfchen über den
Aposteln mit dem schön geschwungenen Fall ihres Lockenhaares überaus
jzart und reizend, offenbar ist die Arbeit um einige Decennien jünger als
<iie des Kapitelsaales, aber etwas älter als die der Chornische von Brau-
weilcr. Schon bei den Miniaturen konnten wir wahrnehmen, und bei den
Sculpturen, namentlich der Grabmonumente, werden wir diese Wahrnehmung
bestätigt finden, dass in Deutschland zwischen der byzautinisirenden Behand-
lung im Anfange der Epoche und der geradlinigen, statuarischen Haltung,
welche unter dem Einflüsse der gothischen Architektur aufkam, eine Zeit-
lang ein Geschmack an bewegteren Formen, an mehr rundlichen Linien und
üatternden Gewändern herrschte. Dieser Uebergangszeit gehören auch diese
Malereien an, nur dass sie ei^ie der schönsten Leistungen derselben sind.
Nach einer urkundlichen Notiz haben Dechant und Kapitel des Patroclus-
«tiftes im Jahre 1231 einem Maler Everwin ein Haus vergeben; es ist
daher nicht unmöglich, dass dieser Maler, der hiernach mit dem Stifte in
Verbindung stand, auch der Meister dieser Kapelle gewesen.
Dass diese Schule nicht auf Soest beschränkt war, ergeben die nicht
minder bedeutenden Wandmalereien in der Dorfkirche zu Methler bei
Dortmund ^). Wahrscheinlich waren die Wände der ganzen, aus drei unge-
fähr gleichhohen Schiffen von je zwei Kreuzgewölben bestehenden Kirche
mit Malereien bedeckt, indessen haben nur die des Chores und der die
beiden Seiteuschiffe abschliessenden Seitennischen aufgedeckt werden können.
Die letzten haben nur je eine Figur oder Gruppe, die eine St. Johannes den
Täufer mit dem Lamme, die andere einen Localheiligen mit Schutzflehenden.
In dem quadratisch gebildeten Chorraume waren dagegen die Gewölbkappen
ebenso wie die drei Wände bemalt. Am Gewölbe sieht man Christus in der
'Glorie von Engeln getragen, St. Johannes, den Lieblingsjünger des Herrn,
und zwei andere Heilige ; an den Wänden sind die Malereien um das Fenster
jeder Wand in zwei Reihen gruppirt. Die untere enthält die Apostel, paar-
') Einzelne Köpfe und Halbfiguren bei Lübke a. a. 0. Taf. XXX.
5Jg Deutsche Wandmalerei.
weise zusammengestellt; die obere auf der östlichen Wand die Verkündigung-^
der Engel durch das Fenster von der Jungfrau getrennt, auf den andereß
Wänden einzelne HeiUge. In technischer Beziehung sehen wir hier insofern
einen Fortschritt, als die Köpfe und Gewänder mit dunkleren Tönen der-
selben Farbe schattirt sind; an der Zeichnung vermissen wir das feine Schön-
heitsgefühl der Nicolaikirche in Soest; die Umrisslinien sind gröber, die-
Augen grösser, die Bewegungen eckig und gewaltsam, der Faltenwurf von;
kleinlichen Brüchen. Dagegen übertrifft der Maler jenen älteren Kunstge-
nossen in der Mannigfaltigkeit der künstlerischen Motive und in der Bedeut-
samkeit der Köpfe. De-r Engel der Verkündigung, welcher mit fliegendem
Gewände und ausgebreiteten Flügeln seinen Eifer in der Ausführung des
göttlichen Befehls ausdrückt und den Raum an der Seite des Fensters sehr
geschickt ausfüllt, die Jungfrau, die mit prachtvollem Purpurgewande be-
kleidet die offenen Hände erschrocken oder in demüthiger Abwehr vorstreckt^
sind gelungene Gestalten ; St. Johannes der Evangelist, mit edler Gesichts-
linie, grossen, dunklen Augen, hochgeschwungenen Brauen und fliegenden:
Locken, ist eine wirklich überraschende Conception. üebrigens waren auck
die Gewölbgurten, Gesimse und Fenstereinfassungen und die untere Arcatur
bemalt, die Kimbeu mit ihren Mustern in dem weichen Stuck vertieft ein-
gedrückt, sie sowie die Diademe, Säume und Verzierungen der Gewänder
reich vergoldet, so dass man über die Pracht dieser Ausstattung einer
blossen Dorfkirche im hohen Grade erstaunen muss. Die Kirche selbst
stammt erst aus dem zweiten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts, die-
Malereien werden daher um die Mitte desselben ausgeführt sein.
Dem künstlerischen Werthe nach untergeordnet, aber seines Inhaltes-
wegen merkwürdig, ist ein grosses, aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts
stammendes Wandgemälde im Nordarme des westlichen Kreuzschiffes des
Domes zu Münster^). Es hat nämlich mehr eine politische als religiöse
Bedeutung, indem es die Unterwerfung der Friesen unter die Landeshoheit
des Bischofs von Münster, der hier durch den h. Paulus als Patron des Donar-
Stiftes repräsentirt wird, darstellt, und ist durch das Kostüm der darauf
abgebildeten friesischen Landleute und durch die Gegenstände, welche sie
als Tribut darbringen, interessant.
Ausserdem finden sich noch in vielen Kirchen Westphalens, selbst in-
übrigens schmucklosen Dorfkirchen-), grössere oder geringere malerische
Ueberreste, welche, obgleich meistens nur von handwerksmässiger Ausführung,
doch zeigen, wie verbreitet das Bedürfniss malerischen Schmuckes hier war^
1) Vg-1. Kiinsiblatt 1843 , S. 123. — Abbildung bei E. Förster , Deiilim»Ie-
Band VII.
-) Die Aufzählung- bei Lübke a. a. 0. S, 333.
Liebfrauenkirche zu Halberstadt. 519
In den sächsischen Gegenden sind in der Krypta der Stiftskirche zu
Quedlinburg nur geringe Spuren des ehemaligen reichen malerischen
Schmuckes erhalten, welche auf historische Compositionen apokalyptischen
Inhaltes schliessen lassen. In der Klosterkirche Neuwerk zu Goslar ent-
hält die Halbkuppel der Chornische die Gestalt der Himmelskönigin, thronend
mit Krone und Scepter, das bekleidete Kind auf dem Schoose, von sieben
Tauben, den Gaben des heiligen Geistes, umgeben; daneben Petrus und
Paulus und zwei kniende Donatoren. Der Kopf der Jungfrau ist nicht ohne
Würde, die Gewandung noch mit vielen Strichen ausgeführt, aber doch
grosse Formen andeutend, das Ganze, wahrscheinlich bald nach Vollendung
der Kirche um 1200 ausgeführt i), nicht ohne Grossartigkeit. Viel umfas-
sender waren die Wandgemälde der Liebfrauenkirche zu Halberstadt -).
Die ältesten derselben sind die der sogenannten Capella sub claustro, einer
abgesonderten Kapelle neben dem Chore, Maria mit dem Kinde stehend im
blauen Kleide und Purpurmantel, neben ihr vier Apostel, diese in weissen
Untergewändern und verschiedenfarbigen Mänteln. Die gerade, ziemlich
steife Haltung der Figuren , die prachtvollen , zierlich gelegten Gewänder
die Farbenwahl und ein Mäander in der Einfassung deuten auf eine frühe
Entstehung, etwa gegen Ende des zwölften Jahrhunderts. Jüngeren und
vollendeteren Styles waren die Gemälde der Kirche selbst, welche wir jedoch
seit der im Jahre 1845 erfolgten Restauration des Gebäudes nur noch in
modernen, wenn auch mit Hülfe von Durchzeichnungen gefertigten Nach-
bildungen besitzen. Die Chornische war vollständig ausgemalt; in der Halb-
kuppel die Jungfrau mit dem Kinde thronend zwischen je drei Heiligen;
darunter zwischen und neben [den drei rundbogigen Fenstern vier Heilige.
Alle diese Figuren hatten jedoch mehrfache, auf einander gelegte Ueber-
malungen, die letzte noch im fünfzehnten Jahrhundert, erhalten, während
nur die darunter befindlichen vier Rundbilder, historischen, aber nicht mehr
erkennbaren Inhalts, unberührt geblieben waren. In den übrigen Theilen
der Kirche waren die Gemälde nur zwischen den Oberlichtern angebracht
und zwar, wie sich aus der Verbindung des Rankenornamentes mit dem au
den Gewölben ergab , erst nachdem diese statt der bisherigen Holzdecken
eingefügt waren, was wahrscheinlich von 1274 bis 1284 geschah, da damals,
wie Ablassbriefe dieser Zeit ergeben, ein bedeutender Bau stattfand. Auf
1) Ohne Zweifel sind die Donatoren des Genaäldes, welche wahrscheinlich (s. oben
S. 239) um 1200 lebten, auch die Gründer der Kirche.
2) Vgl. die ausführliche Beschreibung v. Quast's , der diese Bilder noch vor der
Restauraüoü sah, im Tüb. Kunstbl. 1845, S. 222, Publicationen bei Quast u. Otte,
Zeitschrift für christl. Archäologie u. Kunst, Bd. II, Taf. XII. — Der Prophet Daniel,
grösser, bei E. Förster, Denkmale, Bd. I.
520 Deutsche Wandmalerei.
einem unter den Fenstern fortlaufenden, mit romanischem Blattwerk ver-
zierten Bande stehen zwischen den auf die Ecke der Fenster und als Ein-
fassung derselben gemalten Säulen einzelne Gestalten, im Langhause die
kleinen, im Vorchore die vier grossen Propheten. Der Beschauer gelangte
also zwischen den Sehern, welche die Jungfrau vorherverkündigten, zu ihrer
Herrlichkeit, welche von christlichen Heiligen gefeiert wird. Von der Regel,
stets eine einzelne, ganze Figur zu geben, machen nur die westlichsten
Fensterpfeiler eine Ausnahme, indem hier je zwei Halbfiguren über einander
stehen, und zwar Salomon über der Königin des Morgenlandes (Regina
Austriae), David über einer weiblichen, nur durch ihre Locken geschmückten
Gestalt, welche die Inschrift als Ecclesia bezeichnet. Die Beziehung auf
die Jungfrau ist freilich bei der Königin von Saba nicht so klar als bei der
von dem Sänger der Psalmen vorausgeschauten Kirche, offenbar liegt aber
die Absicht zum Grunde , dem weiblichen Element , welches am Ziele der
Prophetenreihe erscheinen sollte, schon hier einen Ausdruck zu geben, das
Ende am Anfange schon malerisch anklingen zu lassen. Die Propheten
erscheinen als ernste, würdige, meistens bärtige Männer, fast alle in ruhiger
Haltung, doch auch einige in lebhaftem Vorschreiten, mit stets veränderten
Motiven der Stellung und des Faltenwurfes, dessen Bedeutsamkeit und
Schönheit bewundernswürdig ist. Nur eine der Gestalten hat nicht die langen,
weiten, feierlichen Gewänder der übrigen, sondern enganschliessende, bis zu
den Fussspitzen hinabreichende, mit goldenen Stickereien verzierte Bein-
kleider, einen kurzen, über der Hüfte gegürteten Rock, der sich über dem
Schenkel des zurücktretenden rechten Beines öffnet, und einen goldgesäumten
Mantel von gleicher Länge, das Haupt mit einer niederen Tiara bedeckt.
Es ist der Prophet Daniel und seine Tracht, ganz wie an der goldenen Pforte
in Freiberg, ein Nachklang der sogenannten phrygischen, also eine antike
Reminiscenz, aber in einer dem Geschmacke ritterlicher Eleganz angemessenen
Auffassung. Durchweg zeigen also diese Malereien in der stylvollen, ruhigen
Haltung der Figuren, in den einfachen und statuarisch geradlinigen Umriss-
linien schon einen Einfluss des gothischen Styles, zugleich aber den feinen
Schönheitssinn der sächsischen Schule und Spuren antiker Tradition, welche
diese, wie wir es auch in der Sculptur finden werden, länger als irgend eine
andere bewahrte.
Deutlicher und in anderer Weise bemerken v/ir den Einfluss des gothi-
schen Styles in den gekrönten Gestalten , welche je eine auf jedem Pfeiler
der Klosterkirche zu Me ml eben, Männer an der Nord- und Frauen an
der Südseite , unmittelbar auf den Stein , ohne Bewurf gemalt sind ^). Das
1) Abbildungen bei Puttricli, II. Abtiieilung, Bd I, und in Kugler's kl. Sehr. I,
175 f.
Deckenaremälde in Hildesheim.
521
etwas vollere Oval des Gesichtes, die schlanken Taillen, die geraden Falten-
linien, die ganz ritterliche Haltung, endlich auch die Linien auf den Kronen
und selbst die sparsamen Ueberreste der Ornamente am Fusse der Bildfelder
lassen keinen Zweifel, dass auch sie erst nach der Mitte des dreizehnten
Fig. 130.
Aus dem Deckengemälde der Micliaeliskirclie zu Hildeslieim.
Jahrhunderts entstanden sind. Wahrscheinlich sollen sie fürstliche Personen,
"NVohlthäter des Klosters, darstellen, bei denen das neue Element ritterlichen
Anstandes stärker als bei heiligen Gestalten hervortrat.
Etwas älter wird ein anderes, bedeutenderes Werk dieser Gegenden
^22 Deutsche Wandmalerei.
sein, die Malerei an der Balkendecke der St. Michaeliskirche zu Hildesheim,
merkwürdig auch als das einzige erhaltene grössere Beispiel dieses den
Nachrichten zufolge so oft angewendeten prachtvollen Schmuckes. Sie be-
steht aus drei neben einander herlaufenden Reihen, die von einem äusseren
Rande umgeben sind. Dieser enthält zwischen romanischen Rankengewinden
Medaillons mit den Halbfiguren von Propheten und Patriarchen, welche die
Geburt des Heilandes verkündigten oder vorbildlich andeuteten. Ihnen schliessen
sich in den beiden Seitenstreifen die Einzelgestalten von Evangelisten, Engeln,
Heiligen an. Zwei solche Figuren auf jeder Seite entsprechen einem der
acht Mittelfelder, die, theils kreis- oder vierpassförmig , theils in Gestalt
übereck gestellter Quadrate und mit kleineren Medaillons als Füllung der
Ecken, den Stammbaum Christi enthalten: Adam und Eva machen den An-
fang, es folgt der ruhende Abraham, von welchem der Stammbaum erwächst,
der thronende David und drei andere Könige seines Geschlechtes, die feier-
liche Gestalt der thronenden heiligen Jungfrau (vgl. die Abbildung), endlich
Christus selbst auf dem Regenbogen. Die architektonische Gliederung ist
streng und wirkungsvoll, die Farbe überaus schön und reich und doch wieder
nicht bunt, die Zeichnung fest und schon mit den geradlinigen Umrissen
und breiten Formen, weiche auf einen entfernten Einfluss des gothischen
Styles hindeuten, die Arbeit wird daher etwa gegen die Mitte des Jahr-
hunderts ausgeführt sein^).
Hieran mag sich die Erwähnung einer andern, wenigstens der Wand-
malerei verwandten Arbeit anschliessen, welche in noch höherem Grade wie
jenes Deckengemälde einzig in ihrer Art ist. Im Klosterhofe des Domes
zu Magdeburg sieht man nämlich an den oberen Stockwerken des Kreuz-
ganges Gruppen von je drei Figuren, von denen die mittlere, Kaiser Otto
zwischen seinen Gemahlinnen Adelheid und Edith thronend, erhalten ist,
während die übrigen, Erzbischöfe von Magdeburg darstellend, meist zer-
stört sind. Es ist für achtzehn Raum , und der achtzehnte Erzbischof war
Adalbert, Graf von Kafernberg, gestorben 1234, was vielleicht auf die
Entstehungszeit deutet. Unten zieht sich ein Thierfries, mit der Fabel vom
Fuchs und vom Storch nebst andern ähnlichen zwischen Blattwerk hin-).
^) Publiciit von J. M. Kratz, Deckengemälde der St. Mlchaelsk. zu H. , 1 Blatt in
Farbendruck , 1856. — Zwei Mittelfelder auch bei E. Förster , Denkmale B. V. Ein
anderes kleineres Deckengemälde fand Passavant in einem Saale des Hospitals zu
üent, der 1228 erbaut ist; es stellt Christus und die Jungfran nebst Engeln dar, und
ist von roher , den Tafelbildern in St. Ursula iu Köln ähnlicher Zeichnung. Tüb.
Kunstbl. 1843, Nr. 54.
2) Rosenthal, Dom zu Magdeburg , Lief. 5 , Taf. 6 , Nr. 17. — Mittelgruppe bei
E. Fürster, Denkm. B. V. — Zeichnungen im Berliner Museum.
Dom zu Braunschweig. 523
Die Art der Ansführung, blosse Umrisszeichnungen , die in den Mörtelgrund
geritzt sind , gestattete allerdings keine feineren Züge , aber sie zeigt
die Handfestigkeit, den Muth und die bildnerische Lust dieses Jahrhunderts^
welches alle Mittel und jede [Stelle benutzte und überall keine nackten
Wände duldete.
Das grösste Werk deutscher Wandmalerei ist im Dome zu Brauu-
schweig gefunden^). W^ahrscheinlich war die ganze Kirche bemalt, da man
auch an einzelnen Pfeilern des Langhauses Gestalten oder Farbenspuren
wahrnimmt; jedenfalls war der ganze östliche Theil der Kirche mit Male-
reien geschmückt, leider aber sind die der Chornische bei der im Jahre
1815 nothwendig gewordenen Erneuerung ihres Gewölbes unerkannt zu
Grunde gegangen, und auch im nördlichen Kreuzflügel blieben nur einzelne
Fragmente bestehen. Dagegen sind die Gemälde des [Chorquadrates vor
der Nische, des Gewölbes der Vierung und des südlichen Kreuzarmes erhal-
ten , freilich aber ^durch eine viel zu weit gehende Restauration , welche
manchmal eine völlige Erneuerung war', [entstellt. Wir; finden hier nicht,
wie in den meisten bisher betrachteten Kirchen, einzelne statuarische Ge-
stalten, sondern durchweg historische Hergänge die in innere Verbindung
gebracht sind. Im Mittelpunkte der Vierung als Schlussstein des Ganzen
sehen wir in einem Medaillon das Lamm mit Kreuzesfahne und Kelch; ihm
entsprechend am Rande dieses Gewölbes einen Mauerkranz mit zwölf Thür-
men , aus welchen die Apostel hervortreten , auf ihren Spruchbändern die
Worte des Glaubensbekenntnisses; unterhalb derselben, in den Ecken des
Gewölbes, acht Propheten mit Schriftstellen von der Herrlichkeit Zions. Sie
stehen daher hier als Grundsteine des himmlischen Jerusalems, das durch
jenen Mauerkranz versinnlicht wird. Der Raum zwischen dem Lamm und
der Mauer ist dann noch in sechs Felder getheilt, in welchen Anfang und
Ende der Heilslehre dargestellt sind; die Geburt, die Präsentation im Tem-
pel, die drei Marien am Grabe, Christus auf dem Wege nach Emmaus und
demnächst mit den beiden Jüngern am Tische, und endlich die Ausgiessung
des heiligen Geistes. Das Gewölbe des Chorquadrates zeigt dann den Stamm-
baum Christi, noch an dem trennenden Gurtbogen Adam und Eva, darauf
in von Weinlaub umrankten ilVIedaillons Abraham, David und endlich die
Mutter des Herrn. Von den daran stossenden Wänden enthält die nördhche
zunächst die Geschichte Abels und Cains, Opfer, Mord und Strafe, die süd-
^) Eine ausführliche Beschreibung gibt Dr. Schiller in seinem angeführten Werke
über die mittelalterlichen Bauten Braunschweigs , S. 26 — 47. — Zwei Figuren bei
E. Förster , Denkmale , Bd. I , ein Prophet und eine der tliprichtea Jungfrauen. In
Gailhabaud , l'architecture et les arts. Bd. II, eine Tafel in. Farben: die Enthauptung
des Johannes und die Geschichte der Herodias, in Bd. IV Ornamentales.
^24 Deutsche Wandmalerei.
liehe theils Moses, wie er den Herrn im feurigen Busche schaut und wie er
die eherne Schlange aufrichtet, theils Abraham, der die Engel bewirthet
und seinen Sohn zu opfern bereit ist. Auf beiden Seiten im Scheitel des
Bogenfeldes Gott Vater, dort vom Regenbogen umstrahlt das Opfer Abels
annehmend, hier im feurigen Busche. Im südlichen Kreuzarme enthält das
Gewölbe in seinen vier Kappen Christus mit der Jungfrau gemeinschaftlich
thronend nebst den vierundzwanzig Aeltesten und Engelchüren. An der
östlichen Wand, über der Seitenapsis, sind neben und zwischen den beiden
Fenstern die Auferstehung, die Himmelfahrt, die Niedersteigung zur Hölle
dargestellt , und zwar so , dass der zum Himmel auffahrende Heiland in die
Spitze des Bogens gerückt ist; an der südlichen Wand die klugen, an
der westlichen die reuig klagenden thörichten Jungfrauen, denen zwei
kolossale Engelsgestalten den Eingang in die Himmelspforte versagen.
Diese oberen Theile lassen hiernach einen Gedankeninhalt erkennen,
dessen Zusammenhang freilich durch den Untergang der Chornische lücken-
haft wird, sich aber mit grosser Wahrscheinlichkeit ergänzen lässt. Da
der Stammbaum Christi am Gewölbe des Chorquadrates schon mit der
Jungfrau schloss , kann die Halbkuppel der Chornische kaum etwas an-
deres als den thronenden, in seiner Gemeinde gegenwärtigen Erlöser
enthalten haben. Auf ihn bezogen sich dann die sämmtlichen Gemälde
des Chorquadrates als alttestamentarische , vorbildliche Hinweisungen auf
den Messias, während die Vierung ihn in seiner Zukunft und Verklärung
im hinimlischen Jerusalem zeigte, auf welches sich im südlichen Kreuzarme
die Lenre von der Auferstehung und von der Berufung der durch die klugen
Jungfrauen angedeuteten Seligen bezog. Im nördlichen Kreuzflügel war
dann vielleicht (da Norden in der Symbolik des Mittelalters stets die Be-
deutung des Finstern hatte) das Gericht mit seinen Schrecken weiter aus-
gemalt , während im Langhause , Avie die an dem ersten Pfeiler aufgefunde-
nen Kaiserbilder vermuthen lassen, die weltliche Pilgerfahrt zum himmlischen
Jerusalem versinnlicht war. Ausser diesen oberen in sich zusammenhängen-
den Gemälden befanden sich an den Wänden des Chorquadrates und des
südlichen Kreuzarmes andere, mehr historischen Inhalts und zwar in mehre-
ren durch Gurte getrennten über einander stehenden Reihen, reliefartig, in
chronologischer Folge ohne architektonische Gliederung. Unter der Ge-
schichte Abels ist die Johannes des Täufers sehr ausführlich gegeben, auf
der gegenüberstehenden Wand unten Moses und Abraham in den beiden
oberen Reihen die Legende des h. Blasius, des Schutzheiligen der Kirche,
dessen Reliquien Heinrich der Löwe aus dem Orient hierhergebracht hatte,
in der unteren dagegen die kürzer vorgetragene Geschichte des Thomas
Becket, der jenem später als Mitpatron beigegeben wurde. In gleicher
Weise sind an den unteren Wänden des südlichen Kreuzflügels die Legende
Dom zu Braunsclnveig. 525
der Auffindung des h. Kreuzes durch die Kaiserin Helena und Scenen aus
der Leidensgeschichte mehrerer Märtyrer, des h. Stephanus und Sebastian
und anderer, dargestellt. Endlich befinden sich an den Pfeilern der Vierung
kolossale Gestalten, an dem nordöstlichen Johannes der Täufer, mit Be-
ziehung zugleich auf das himmlische Jerusalem im Gewölbe und auf sein da-
neben dargestelltes irdisches Leben , an den beiden südlichen Pfeilern da-
gegen der heilige Blasius neben seiner Legende, und dann nach dem Kreuz-
arme gewendet, einander gegenüber, eine weibliche und eine männliche fürst-
liche Figur. Die Gegenüberstellung des Täufers und des Bischofs deutet
auf die Verbindung alttestamentarischer und christlicher Seligen in dem
Reiche des Herrn; übrigens ist eine nähere Beziehung dieser historischen
Gegenstände auf die darüber dargestellten symbolischen wenigstens nicht
klar. Nur wer — wie der Verfasser dieses Buches — die Bilder des süd-
lichen Kreuzarmes von der Tünche befreit und, wenn auch beschädigt, doch
noch vor der jetzigen Ueberarbeituug gesehen hat , kann einen Begriff von
der ursprünglichen Formauffassung, der Farbe und der Wirkung der schö-
nen ornamentalen Umrahmungen haben. Die Malereien bestanden in wenig-
mehr als in Umrissen, die leicht, fast nur andeutungsweise, mit Farbe ge-
füllt waren , und nicht den Eindruck des Harten und Grellen machten , der
jetzt das Auge verletzt. Den Hintergrund bildete meistens ein einfacher
blauer Farbenton, auf dem sich die Umrisse der Figuren leicht absetzten
und der die Localfarben nicht herabdrückte, sondern ihnen Relief gab. Die
feinen und edlen Typen der Köpfe, die hier indess etwas spitz Zulaufendes
haben, die schlanken Gestalten, die Verzierungen erinnern vielfach an die
Decke von St. Michael zu Hildesheim, nur dass diese in der Eintheilung
noch schöner, imChai'akter noch strenger und würdevoller ist^). Die Zeich-
nung der verschiedenen Theile lässt darauf schliessen, dass sie nicht bloss,
wie schon der Umfang der Arbeit annehmen lässt, von mehreren Händen,
sondern auch nicht völlig aus gleicher Zeit herstammen. In den s3'mboli-
schen Darstellungen des Chorquadrates und in der Geschichte Johannes des
Täufers sind altchristliche Typen und byzantinisirende Anklänge vorherr-
schend; die legendarischen Hergänge, besonders die Auffindung des Kreuzes,
zeigen dagegen eine freiere, naive Auffassung, ohne jene typische Strenge
und zugleich ohne den gewaltsamen Lebensdrang der Uebergangszeit. Die
sehr grossartigen Gestalten der klugen und thörichten Jungfrauen und die
Kolossalfiguren an den Pfeilern scheinen einer mittleren Zeit anzugehören,
indem sie noch strenge, aber doch schon höchst bewegt und mit freier
^) Damit übereinstimmende Bemerkungen finden sich in den liandsclirifilichen
Notizen in Waagen's Nachlass. — Vergl. auch Hotho, a. a. 0., S. 179 ff.
526 Deutsche Wandmalerei.
Linienführung gezeichnet sind. Wo die Handlung im Innern eines Gebäu-
des vorgeht^ ist dies durch eine Architektur angedeutet, welche den Durch-
schnitt eines Gebäudes mit seinen Dächern und Thürmchen in einem schlan-
ken Rundbogenstyl 7 mit Einmischung von Kleeblattformen zeigt. Unterhalb
der historischen Malereien des Chors fand man einen gemalten Teppich,
und zwar in bunten prismatischen Farben, die wohl bezweckten, den Ge-
mälden selbst eine mehr harmonische und ruhige Haltung zu sichern. Xach
allem diesem dürfen wir annehmen , dass die früheren dieser Gemälde viel-
leicht schon im ersten Viertel, die aus dem Leben der Schutzpatrone etwa
um die Zeit, wo auch der h. Thomas als solcher anerkannt war, was zuerst
in einer Urkunde von 1238 ersichtlich ist, endlich die Auffindung des h.
Kreuzes nach der Mitte des Jahrhunderts ausgeführt sind. Die ruhige Hal-
tung der Gestalten, die geradlinig fallenden, breiteren Massen der Gewänder,
die schlichte, immer unumwunden auf das Ziel gerichtete Darstellung des
Historischen , die Technik , endlich der Charakter des Architektonischen
sprechen hiei' für diese spätere Zeit.
Auch in Holland sind wenigstens iu einem. Falle Wandgemälde des
dreizehnten Jahrhunderts dem zerstörenden Eifer der dortigen Reformation
entgangen. Sie befanden sich in der 1212 gegründeten und 1263 geweihe-
ten Johanuiskirche zu Gorkum, und sind vor dem Abbruche derselben im
Jahre 1845 entdeckt und uns in anscheinend treuen, in der königlichen
Bibliothek im Haag bewahrten Kopien erhalten. Ihre Anordnung war sehr
einfach; sie gaben nur eine Chronik der Heilslehre, welche in sechs Reihen
von je acht Bildern an der Wand des Chores erzählt war. Nur dreizehn
dieser Bilder, theils aus dem ersten Buche Mosis, theils aus dem Leben
des Heilands waren kenntlich. Die Formen sind derb und ohne Schön-
heitssinn , die Umrisse in starken , schwarzen Linien gezeichnet , die nack-
ten Körper fast ohne Details, die Gewandung ist einfach und dem Körper
ziemlich entsprechend, aber styllos, der Ausdruck oft roh und hart, die Farbe
ohne Schattirung aufgetragen. Der Urheber stand also auf keiner hohen
Stufe der Kunst. Bemerkenswerth ist aber der heitere und naive Naturalis-
mus, der schon hier die künftige Richtung der holländischen Kunst andeutet.
Nur in den Zügen Gottes und Christi ist ein Anklang an die typischen Züge,
übrigens schliesst sich der Maler an die Erscheinungen seines Landes und
seiner Zeit an. Die Thiere der ersten Schöpfung geben sich deutlich als
Schafe, Schweine, Gänse und Kaninchen zu erkennen, die Bäume des Para-
dieses tragen gemeine Aepfel, am Boden sind Blumen und Blätter von unver-
hältnissmässiger Grösse zerstreut. Einige Male mischen sich auch scherz-
hafte Züge ein, wie die spätere niederländische Malerei sie liebte, bei der
Scene des trunkenen Noah und seiner Söhne nascht hinter dem Rücken
seiner Herren ein Bock an den Trauben des Stockes , bei der Vertreibung
Franken und Schwaben. 527
aus dem Paradiese unterhält sich die einsam zurückgebliebene Schlange
durch Abnagen der Blätter^).
Im südlichen Deutschland ist die Zahl erhaltener Wandmalereien
dieser Epoche geringer. In Franken und Schwaben finden wir figurenreiche
Darstellungen des dreizehnten Jahrhunderts nur in zwei kleineren kirch-
lichen Gebäuden. In der Schlosskapelle zu Forchheim'-) unfern Bamberg
die Verkündigung, einige Propheten, das jüngste Gericht, jedoch in kleine-
rer Dimension, endlich als Hauptdarstellung die Anbetung der Könige. Die
Ausführung ist roh, aber die Motive sind bedeutend, und die stylgeraässe,
noch nicht durch das gothische Formprincip beherrschte Zeichnung lässt
auf die Mitte des Jahrhunderts schliessen. Einen bessern Zusammenhang
bilden die Malereien des Chors der Waldkapelle zu Kentheim an der
Nagold im Schwarzwalde =^); über dem Chorbogen die Verkündigung, am Ge-
wölbe Christus und die Zeichen der Evangelisten in fünf Medaillons, an der
Hinterwand Christus mit erhobener Rechten, neben ihm knieend Moses die
Gesetztafeln, Johannes der Täufer das Lamm darreichend, welche ungewöhn-
liche Darstellung die Vereinigung von Gesetz und Gnade in Christus mit
manchen sinnreichen Nebenbeziehungen andeuten dürfte. Die Gestalten sind
hier übermässig schlank und die Köpfe gross, das Ganze ist aber nicht ohne
Würde und anscheinend noch in das dreizehnte Jahrhundert fallend. Ausser-
dem kommen noch mehrere Apostelgestalten, die aber schon sehr verblichen
sind, am Peterschore imBambergerDom vor. Dem Ende des dreizehnten
Jahrhunderts gehören zwölf Wandgemälde aus dem Kreuzgange des Klosters
Rebdorf bei Eichstädt an, welche jetzt auf dreizehn Tafeln in dem bayeri-
schen Nationalrauseum zu München bewahrt werden. Sie erzählen die Ge-
schichte des Daniel und der drei Männer im Feuerofen höchst lebendig und
in grosser Ausführlichkeit. In ihnen herrscht die reinste Gothik in den
architektonischen Motiven, und die langgezogenen Figuren mit weicher Kopf-
neigung in graziöser Haltung erinnern an die Handschriften-Malereien aus
der genannten Zeit^).
Manche Reste sind in der Oberpfalz vorhanden: in der Damenstifts-
kirche Obermünster zu Regens bürg war die östliche Apsis mit einem
1) Eine ausführliche Beschreibung dieser Malereien habe ich im Tüb. Kunslbl.
1847 , S. 29 gegeben. Seitdem in Farbendrücken pubhcirt von L. J. F. Jansen , de
muurschiiderijen der S. Janskerk te Gorinchem.
-) Waagen, Kunstw. und K. in Deutschland I, 146.
') Grüneisen , Uebersichtliche Beschreibung älterer Werke der Malerei in Schwa-
ben, Tüb. Kunstbl. 1840, Nro. 96 ff.
^) Ausführlich beschrieben in dem von Messmer und Kuhn verfassten Führer
durch das bayr. Nationalmuseum, München 1868. Eine Abbildung bei Sighart a. a. 0.
zu S. 340,
^28 Deutsche Wandmalerei.
grossen jüngsten Gericht bemalt, von welchem noch eine Reihe höchst würde-
voller Figuren — wahrscheinlich aus dem Ende des 12. Jahrhunderts —
übrig ist^). Ein besser erhaltenes, wohl etwas späteres Werk ist die in der
Annakapelle derselben Kirche aufgedeckte Ausgiessung des heiligen Geistes.
Nicht weit von Regensburg, in der runden Todtenkapelle zu Perschen ist
die Kuppel mit zwei Reihen einzelner Gestalten bemalt; der thronende
Christus in der Glorie, umgeben von den Aposteln auf goldenen Stühlen,
darüber die Madonna mit Engeln und weiblichen Heiligen. Die langgezo-
genen Figuren in strenger Haltung scheinen etwas alterthümlicher als die
zuletzt geschilderten Arbeiten, zeichnen sich aber durch eine edle Gross-
artigkeit aus.
In Oesterreich sind mehrere kleinere Kapellen mit Wandbildern ge-
schmückt. Dem Ende des 12. Jahrhunderts mögen diejenigen im Chor der
erhaltenen Kapelle zu Sie ding-) angehören, der ersten Hälfte des 13. die
sehr pathetische Anbetung der Könige in der Concha des Rundbaues zu
Mödling-') und die neuentdeckten Gemälde der Dreikönigskapelle zu
Tulln*). Die bedeutendsten Schöpfungen dieser Gattung in den österreichi-
schen Provinzen befinden sich aber an einer der südlichsten Stellen des
deutschen Ostens, in dem Dome zu Gurk in Kärnthen. Die Bilder in der
unteren Vorhalle rühren erst aus dem 14. und 15. Jahrhundert her, weit
älter und werthvoUer sind dagegen diejenigen des darüber gelegenen Non-
nenchores, der aus der ursprünglichen Bestimmung der Kirche zu einem
Jungfrauenstifte herzustammen scheint-''). Hier sieht man zunächst auf der öst-
lichen Stirnwand, über den Bogenöffnungen nach dem Mittelschiffe, die
^) Vgl. über die oben erwähnten und noch einige Arbeiten in Bayern Sighart
a. a 0. mit Abbildungen auf S. 601 und 662 f.
") Miitheilungen der k. k. Centralcommission, III. S. 221.
3) Ebenda, S. 263 ff, mit Abbildungen,
■*) Mittheilungen B. XVI , p. CXXIX. — Eine Zusammenstellung noch anderer
österreichischer Monumente mit Wandgemälden ebenda S. 131.
'"') Vgl. die Beschreibung der Kirche und der Malereien , welche der Entdecker
derselben, F. v. Quast, in Otte's Grundzügen der kirchlichen Kunst-Archäologie 1855,
S. 69 gegeben hat. Schon 1071 war das ehemalige Nonnenkloster in einen Bischof-
sitz mit einem Chorherrenstifte verwandelt; wie es zugegangen, dass dennoch der
Nonnenchor noch im dreizehnten Jahrhundert mit so prachtvollen Malereien geschmückt
ist , bedarf einer näheren Aufklärung. Vielleicht war ungeachtet jener Umwandlung
dennoch ein Nonnenkloster neben dem Chorherrenstifte beibehalten , vielleicht diente
die Loge nur für die Aufnahme fürstlicher Personen und erhielt in dieser Eigenschaft
jenen Schmuck. Ausführliche Beschreibungen und Würdigungen von Schellander und
von .\nkershofen in den Miitheilungen der Central-Commission, II, S. 289 ff. und von
C. Haas in den Denkmalen des österr. Kaiserstaates , II, S. 166 ff. Neuerdings sind
ffute Publicationen erschienen in den Mittheilunsren B. XVI, S. 126 — 141.
Wandmalerei in der Kirche zu Gurk,
529
Jungfrau mit dem Christuskinde unter prächtiger Architektur mit schlanken
Säulen, auf einem Throne, zu dessen Füssen, wie bei dem Salomonischen,
Löwen stehen. Von dem Bogen der Architektur fliegen sieben Tauben
Fig. 131.
Wandmalerei aus dem Dome zu Guik.
die Gaben des heiligen Geistes, ihrem Haupte zu, und neben ihr, theils an
der hohen Rücklehne ihres Sitzes, theils in drei Arcaden auf jeder Seite
Schnaase's Kunstgesch. 2. Aufl. V. 34
530 Deutsche Wandmalerei,
stehen oder sitzen reichgekleidete Frauengestalten mit dem Nimbus und
meist mit einer Krone, acht an der Zahl, durch die Inschriften, soweit solche
noch vorhanden, als Tugenden bezeichnet. Auch ihnen zu Füssen sind
Löwen angebracht, die auf den Stufen einherschreiten und emporklettern.
Alle diese Gestalten haben eine gewisse Grossartigkeit der Haltung und
Strenge der Zeichnung, welche auf einen stärkeren byzantinischen Einfluss
hinzudeuten scheint. Die Bilder der Schildbögen auf der Nord- und Südseite
in dem östlichen Joche des Nonnenchors sind nicht mehr mit Sicherheit zu
erkennen, das Gewölbe enthält die Erschaffung des Adam, Gottes Gebot
an das erste Menschenpaar, und den Sündenfall, während das letzte Bild,
die Vertreibung aus dem Paradiese, erloschen ist. Ein Gurtbogen zeigt dann
auf seiner Unterseite die Leiter Jakobs, auf welcher Engel zu dem in der
Mitte befindlichen Bilde des Herrn aufsteigen. Das westliche Kuppelgewölbe
giebt die Darstellung des himmlischen Jerusalem in ganz ähnlicher Weise,
wie wir sie im Dome zu Braunschweig kennen gelernt haben ; in den Zwickeln
die vier grossen Propheten, dann ein mächtiger Mauerkranz von verschie-
denfarbigen Steinen mit Aposteln und Engeln in seinen Rundbögen, und in
den vier Ecken mit höher hinaufsteigenden Thürmen, welche in der Mitte
des Gewölbes einen Doppelkreis tragen, das Lamm mit der Siegesfahne im
inneren Kreise, im äusseren Ringe die Zeichen der Evangelisten. Die drei
Schildbögen dieses Joches endlich enthalten historische Darstellungen, die
heil, drei Könige, welche zu Rosse zum Christkinde ziehen, den Einzug
Christi in Jerusalem und die Verklärung des Heilandes, während unter 'den
Hauptbildern ein Fries mit Medaillons von Kirchenvätern und weiblichen
Heiligen angebracht ist. Auch dieser Bildercyklus ist nicht nur der Räumlich-
keit mit bewundernswürdigem Geschick angepasst, sondern auch in geistiger
Hinsicht tiefsinnig angeordnet und entwickelt. In dem knappen Räume
sind die Hauptmomente der Heilslehre, Sündenfall und Erlösung, sowie das
Walten der Kirche zusammengedrängt, und über dem Leben Christi auf
Erden baut die Zukunft des himmlischen Reiches sich auf. In den Gewän-
dern kommen scharfe, eckige Brüche vor, die Beinstellung ist hie und da
gesucht, im Wesentlichen aber sind Haltung und Geberden edel und aus-
drucksvoll, mitunter von tiefer Empfindung, was besonders die thronende
Madonna zeigt, die das Kind an sich schmiegt und liebkost. Auch die guten
Proportionen der Figuren sind bemerkenswerth , und der Künstler wusste
sogar mit der Schilderung des Nackten fertig zu werden. Leider haben
auch diese Malereien bedeutend gelitten, dennoch macht der Ernst der Ge-
stalten, die grossartige Anordnung der Räume, die durch das tiefe Blau der
Hintergründe harmonisch gestimmte Farbenpracht einen tief ergreifenden
Eindruck. Obgleich die Anordnung der Gruppen und Farben noch einen
alterthümliehen Charakter trägt, beweist doch die Gestalt der wiederholt
Tafelmalerei. gß i
angebrachten Vierblätter und Vierpässe, so wie der schon gothisch stylisir-
ten Blumen an den Gewölbgräten, endlich die spitzbogige Form der West-
fenster, dass die Gemälde erst im dreizehnten Jahrhundert ausgeführt sind.
Nähere Auskunft geben uns zwei Stiftergestalten , welche in den Zwickeln
der grossen Bogeuöffnungen unter dem Throne der heiligen Jungfrau Platz
gefunden haben; sie sind als Otto electus und als Dietrich episcopus be-
zeichnet. Der Erste kann nur der Salzburger Dompropst Otto sein , der
1214 zum Bischof gewählt wurde, aber noch im selben Jahre vor der Weihe
starb, der zweite ist offenbar Dietrich II, der 1254—1279 die bischöfliche
Würde bekleidete^), und so ist uns durch diese beiden Persönlichkeiten
-wohl Anfang und Ende der Arbeiten nachgewiesen. Damit stimmt überein,
dass gerade vom Ende des zwölften Jahrhunderts bis zum Jahr 1226 zahl-
reiche Maler in Gurker Urkunden vorkommen'^).
In der Schweiz linden sich alte Deckenmalereien, w^ohl noch aus
dem 12. Jahrhundert, in der Kirche zu Zillis, im Canton Graubündten 3).
Die flache Decke enthielt ursprünglich in 153 Feldern, von denen aber meh-
rere nicht mehr erhalten sind, Darstellungen aus der Geschichte Christi,
nach der Bibel und nach den apokryphen Evangelien, und in der äussersten
Reihe auf allen Seiten Sirenen, Meerungeheuer und andere fabelhafte
Thiere. Die Figuren sind auffallend gedrungen, der Charakter ist durch-
weg ein alterthümlicher , in Tracht und Geberden tauchen zahlreiche byzan-
tinische Reminiscenzen auf.
Die Tafelmalerei war in dieser Epoche noch von sehr geringer Be-
deutung. Schon die Technik, wie wir sie in Miniaturen und Wandmalereien
kennen lernen, musste davon zurückhalten; diese einfachen, gefärbten Umriss-
zeichnungen ohne Schattirung und Relief der Gestalten genügten wohl in dem
kleineren Maassstabe des Buches oder bei der architektonischen Einrahmung
und der Entfernung der Wandgemälde, nicht aber für die mittlere Dimension
und die nähere Betrachtung der Tafelbilder. Auch waren Altargemälde, welche
später die wichtigste Aufgabe der Tafelmalerei bildeten, damals noch nicht
üblich oder doch nur sehr selten angewendet. Die Rückseite des Altars diente
gewöhnlich zur Aufbewahrung von Reliquien und erhielt daher ihren Schmuck
durch das in Metall oder Stein gearbeitete Behältniss derselben. Zwar ist
auch jetzt häufig von gemalten Altartafeln (tabulae altaris) die Rede, allein
in den meisten Fällen ersieht man, dass damit entweder die Platten des Altar-
1) Dietrich I. (1179—1194) ist wohl zu früh.
2) Vgl. V. Ankershofen a. a. 0.
^) R. Rahn in den Mittlieilungen der Antiquarischen Gesellschaft, zu Zürich, Heft
XXXVI, (1872), mit Abbildungen.
34*
532 Tafelmalerei.
tisches oder die Tafeln bezeichnet sind, mit welchen man an Stelle der
sonst gebräuchlichen Vorhänge (Antependia) den unteren Theil des Altar-
tisches bedeckte % welche, wenn sie gemalt waren, doch eine einfachere, mehr
architektonische Behandlung erforderten. . Allerdings wird dann in anderen
Fällen ausdrücklich von gemalten Tafeln über dem Altare gesprochen; allein
Avahrscheinlich dachte man dabei, wie wenigstens aus einigen Urkunden klar
hervorgeht, nicht an eigentliche Gemälde, sondern an colorirte Reliefs-)..
Zwar giebt Theophilus, der sein Buch: Diversarum artium schedula, wahr-
scheinlich schon in der vorigen, spätestens aber im Anfange dieser Epoche
schrieb ■") , eine ausführliche Anleitung zu Malereien auf glatten Holzplatten
und zwar ausdrücklich mit Erwähnung figürlicher Darstellungen auf densel-
ben und mit Beziehung 'auf Tafeln der Altäre. Allein er setzt diese Tafeln
mit blossen Thüren , sowie mit Schilden, Sätteln, Faltstühleu und Bänken in
eine Kategorie, so dass man dabei wohl nicht an sehr geschätzte künstle-
rische Arbeiten denken darf**). Dies wird auch durch die im Jahre 1258
verzeichneten Statuten der Pariser Innungen bestätigt. Hier kommen näm-
lich die Maler zwei Mal vor, im Titel 78 mit den Sattlern verbunden, wo-
^) Ducange, Gloss. s. v. tabula altaris.
-) Dies gilt namentlich von dem Beschlusse des Generalkapitels der Cistercienser
vom Jahre 1240: „Quoniam de curiositate tabularum, quae altaribus ordinis super-
ponuntur, clamosa insinuatio venit ad capitulum generale, praecipitur, ut omnes tabulae
depictae diver sis coloribus amoveantur aut colore albo colorentur." Marlene et
Durand, Thesaur. anecdot IV, 137, 3. Wäre hier an eigentliche Gemälde gedacht, so
würde ganz einfach die FortschafFung angeordnet sein, da ein „Coloriren" mit weisser
Farbe bei dem Mangel der Schattirung hier keinen Sinn gehabt und ein blosses Ueber-
streichen die Kirche entstellt haben würde. Man dachte also an colorirte Reliefs und
verlangte, da nur die bunte Farbe, nicht das Bildwerk Anstoss erregte, ihre Ueber-
weissung. Guill. Durandus im Rationale divinorum officiorum Lib. I, cap. 3, Nro. 17
spricht zwar ausdrücklich davon , dass man die Bilder der Ku'chenväter Zuweilen auf
der Rücktafel des Altars male (Generaliter autem SS. Patrum imagines quandoque in
parietibus ecclesiae quandoque in posteriori altaris tabula quandoque in vestibus
sacris pinguntur). Allein da es ihm nur auf die Gegenstände ankam , ist schwerlich
anzunehmen , dass er die Technik wirklicher Malerei und bemalter Plastik sorgfältig
sondern wollen.
3) Vgl. B. IV. S. 241.
■*) Er beginnt lib. III, c. 17 (ed. de l'Escalopier, p. 31) mit den Worten: Tabnlae
altariorum sive ostiorum sie componuntur, und spricht dann in den nächsten Kapiteln
von einfachem Anstrich der Thüren und von Sätteln und der Malerei von Figuren,
Thieren , Vögeln oder Blattwerk , welche an ihnen üblich war. Im folgenden Kapitel
kommt dann die berühmte Stelle , aus welcher man früher und wiederum neuerlich
gefolgert hat , dass die Oelmalerei schon vor den Eyck's bekannt gewesen. Der Ver-
fasser si rieht nämlich von Oelfarben , die auf Holz gebraucht werden können; allein
er bemerkt auch , dass diese Farben wegen der Nothwendigkeit des Trocknens in der
Sonne in imaginibus zu lanffwiericr und desshalb nicht wohl anwendbar seien.
Ursachen ihrer Seltenheit. 533
bei dann natürlich mir an Wappeunialerei zu denken ist^j, und im Titel 62
mit den Bildschnitzern. Diese Innung der Paintres et taillieres ymagiers
beschäftigte sich ausschliesslich oder vürzugs^Yeise mit heiligen Bildern, und
ihre Mitglieder waren von der Ptlicht des Wachtdienstes befreit, weil ihr
Gewerbe im Dienste des Herrn und seiner Heiligen und zur Ehre der Kirche
ausgeübt werde-). Sie dürfen nach dem Inhalt des Statuts in allen Arten
von Holz, Stein, Knochen, Horu und Elfenbein und in allen Arten redlicher
Malerei arbeiten, allein die näheren Vorschriften über die Ausübung des
Handwerkes beziehen sich nur auf plastische Werke, so dass auch hierdurch
wahrscheinlich wird, dass der Kirchendienst nur solche forderte, imd der
Unterschied zwischen den Malern dieser Innung und den mit den Sattlern
verbundenen darin bestand, dass jene die reichere Bemalung kirchlicher
Statuen und Reliefs ausführten , während diese auf kleinere Flachnialereien
und zwar meistens heraldischer Art angewiesen waren, lieber die Gliederung
dieser Gewerke in Deutschland haben wir nicht so genaue Nachrichten, in-
dessen finden wir wenigstens zahlreiche Fälle, in denen dieselbe Person als
Maler und Bildschnitzer bezeichnet wird^). Auch wissen wir, dass die Maler
hier gewöhnlich mit den Schildmachern (Clipeatores) verbunden waren*), und
desshalb schon im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts mit dem Namen
Schilderer bezeichnet wurden. Eine bekannte, oft angeführte Stelle im
Parcival des Wolfram von Eschenbach ergiebt nun zwar, dass diese ur-
sprünglichen Wappenmaler schon eine gewisse künstlerische Bedeutung
hatten, indem der Dichter die Schönheit seines jugendlichen Helden bei sei-
nem ersten Ausritte durch die Bemerkung preist, das kein Schilderer von
^) Depping , in den bereits angeführten Reglements sur les arts et metiers de
Paris, p. 206.
2) Depping a. a. 0. p. 158: „par la raison que leurs mestiers u'apartient fors
que au Service de nostre seigneur et de ses sains , et ä la honnerance de sainte
Yglise."
3) Z. B. Alexander, incisor imaginum et pictor, welcher im Jahre 1230 das Stadt-
siegel von Lübeck sticlit. MithofiF, mittelalterliche Künstler Niedersachsens. Hannover,
1866, S. 7.
*) Wahrscheinlich war dies schon mn 1205 in Magdeburg der Fall-, Fiorillo II,
168. Jedenfalls wird es für Köln .und Maestricht durcli die sogleich anzuführenden
Verse im Parcival in Verbindung mit den Bezeichnungen in den kölnischen Schreins-
büchern (Merlo, die Meister der altkölnischeu Malerschule) nachgewiesen. Bekanntlich
erhielten sich ähnliche Verbindungen noch lange. Die im J. 1348 von Karl IV. be-
stätigte Prager Innung umfasste Malerj, Bildhauer, Glaser, Schildmacher und Gold-
schläger (Wackernagel, die deutsche Glasmalerei, S. 66), und die Statuten der Maler
gilde von Padiia vom Jahre 1441 legen ihr noch das ausschliessliche Recht bei, Schilde
mit Leder zu bedecken (Gaye Carteggio d'Artisti II, p. 44).
534 Tafelmalerei.
Köln oder Maestricht ihn besser gemalt haben -würde ^). Indessen darf man
diese Aeusserung nicht zu hoch anschlagen, und namentlich nicht daraus
folgern, dass diesen Schilderern auch schon höhere, namentlich religiöse
Aufgaben übertragen wurden. Denn unserem ritterlichen Dichter mag
schon die Erinnerung an eine ziemlich heraldische, aber straff zu Rosse
sitzende und in frischen Farben ausgemalte ritterliche Gestalt, wie sie viel-
leicht nur als Träger des Wappens auf dem schon nach damaliger Sitte an
der Grabstelle aufgehängten Schilde vorgekommen sein mochte-), genügt
haben. Wohl aber geht daraus hervor, dass keine höhere, etwa von Geist-
lichen betriebene Tafelmalerei blühcte, indem dann der Name des niederen,
handwerksmässigen Betriebes nicht zur Bezeichnung einer höheren Leistung
gebraucht worden wäre.
Nach allem diesem dürfen wir uns wenigstens nicht wundern, wenn
die Zahl und der Kunstwerth der auf uns gekommenen Tafelgemälde aus
dieser Epoche überaus gering ist. Das älteste derselben möchte ein
s. g. Antependium sein, welches aus dem Walpurgiskloster zu Soest in
das Provinzialmuseum zu Münster gekommen ist, der Heiland in der
Glorie mit vier Heiligen, Augustinus nebst Johannes dem Täufer, Walpurgis
und Helena, einfache, schwach colorirte schattenlose Umrisse von stren-
gem und herbem Style ^). Sehr viel bedeutender ist ein grosses Altar-
werk der Wiesenkirche in Soest, welches im Jahr 1858 aufgefunden
wurde, nachdem es bis dahin durch ein grösseres Gemälde verdeckt
war. Das _Mittelbild enthält den Heiland am Kreuz, oben Gruppen von
Engeln und die Gestalten der Kirche und der Synagoge, unten Johan-
nes mit den klagenden Frauen und die bestürzten Widersacher. Jeder-
seits ein kreisförmiges, von einem Quadrat umrahmtes Seitenfeld: Christus
vor den beiden Hohenpriestern und die Marien am Grabe. Leise, feierlich
gemessenen Schrittes nahen sie und erblicken die grossartige Erscheinung
des Engels mit dem Scepter und mit ausgebreiteten Flügeln , der auf dem
fortgewälzten Steine sitzt und auf das leere Grab zeigt; seitwärts, in kleinerer
Dimension ein Knäuel schlafender Krieger. Strenges Blattwerk bildet die
Umrahmungen, in den Zwickeln befinden sich kleinere Halbfiguren. Alle
Darstellungen heben sich in gediegener Färbung mit schwärzlichen Umris-
sen vom Goldgrund ab. Die Scene am Grabe, besonders die Gestalt des
Engels, ist nicht eine vollständig neue Erfindung, sie kommt in ähnlicher
Weise wiederholt in Italien vor und wird auf ein byzantinisches Vorbild zu-
1) Von Kölne noch von Mästricht kein Schiltaere entwerfe im baz , denn als er
üfem orse saz. Parz. 158, 14.
2) Vgl. Ducange Glossarium s. v. Clypeiis sepulchris militum appensus.
2) Lübke a. a. 0,,-S. 334. — Aquarelle im Berliner Kupfersticbcabinet.
Tafelgemälde zu Soest.
535
rückgehen 1). Aber das Verdienst des Künstlers, der das überlieferte Motiv
so zart und vollendet durchgeführt, ist darum nicht minder gross. Die
noch ziemlich gestreckten Figuren sind voll Erhabenheit und Adel, in
ruhig fliessende, fein gefaltete Gewänder gehüllt, jede Geberde hat den
Fig. 132.
-rj^g^^Ap^(:o'c'"^'itoclJ''^r3/^5^^
WfT&<^'<i:z^'^(5^'^'
Tafelgemälde aus der Wiesenkirche zu Soest.
Charakter des individuell Beseelten und überall wacht inmitten des alten
Styls ein neues geistiges Streben auf.
Ungefähr gleichzeitig, vom Anfange des dreizehnten Jahrhunderts
') Vgl. V. Quast in der Zeitschrift f. christl. Arch. und Kunst , II , S, 283 , mit
Abbildungen, die auch im 8. Bande von E. Försters Denkmalen wiederhoU sind. Auch
auf einem Buchdeckel in vergoldetem Silber von byzantinischer Arbeit , das aus der
Abtei von St. Denis stammend, sich jetzt im Louvre befindet, kommt dieselbe Gestalt
des Engels vor. Vgl. Labarte a, a. 0. Album I. pl. 26.
536 Zeichnende Künste.
mögen zwei Tafeln in der Nicolaikapelle des Domes zu "Worms sein, ein-
zelne Heilige auf gemustertem Goldgrunde ^j , etwas jünger, etwa um die
Mitte des Jahrhunderts entstanden, eine Tafel mit Momenten aus der Pas-
sionsgeschichte in der Klosterkirche von Heilsbronn bei Nürnberg-). Aus
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts scheint endlich ein Antependium in der
Klosterkirche zu Lüne bei Lüneburg zu stammen , auf welchem Christus in
der Glorie und daneben in acht kleineren Bildern Scenen aus der Kindheit
und aus der Passionsgeschichte des Heilandes unter Spitzbögen und in steifer
aber fester Zeichnung dargestellt sind^). Endlich können wir hieher noch
die Malereien rechnen, mit welchen die Thüren eines Schrankes in der
Kathedrale von Noyon verziert sind*); einfache Figuren auf gemustertem
Grunde vom Ende des dreizehnten Jahrhunderts, ohne erheblichen Kunst-
werth, wohl aber bei der Seltenheit solcher Möbeln aus dieser Epoche als
ein Beispiel ihrer Ausstattung merkwürdig.
Wichtiger waren mehrere andere Zweige der zeichnenden Kunst, nament-
lich das Graviren in Metall und die Teppichstickerei. Schon Theophilus
giebt ausführliche Anleitung zum Graviren; er beschreibt die Instrumente,
durch welche man Figuren, Vögel, Thiere und Blumen in dieser Weise dar-
stellen und demnächst durch farbige Ausfüllung der Umrisse als Nigelluni
anschaulich machen könne. Meistens diente diese Technik nebst der mit
ihr verbundenen Emailmalerei und in Verbindung mit der Plastik zur Aus-
stattung von Kirchengeräthen , in welcher Beziehung ich weiter unten auf
sie zurückkommen muss. Indessen wurde sie doch auch schon auf grösse-
ren Tafeln, zu Altarvorsätzen oder ähnlichen Zwecken, oder gar zu Grab-
platten verwendet. Die meisten solcher gravirten Grabplatten stammen
zwar erst aus dem vierzehnten Jahrhundert, indessen kamen sie im west-
lichen Frankreich schon früher vor, und auch in Deutschland beweist die
des Bischofs Yvo in St. Andreas zu Verden, dass man sich schon in der
Mitte des dreizehnten Jahrhunderts an eine so grosse Arbeit wagte.
Häufiger war der Gebrauch der Teppiche, welche theils als Dorsalia
die Rücklehnen der Chorstühle bedeckten, theils an Festtagen die Wände
1) Kugler, Gesch. d. Malerei, zweite Ausg. I, 167, und D. Kunstblatt 1854, S. 41.
2) Waagen, Kunstwerke und Künstler in Deutschland I, 310. Dagegen dürfte das
(überdies sehr übermalte) Altarbild in der Jakobskirche zu Niirnberg (daselbst S. 264)
schwerlich schon in das dreizehnte Jahrhundert gehören: die undeutliche, in Ziffern
geschriebene Jalireszahl scheint bei einer Restauration im 15. Jahrh. hinzugefügt.
3) Waagen, im D. Kunstbl. 1850, S. 148.
4) Vgl. Vitet, Descr. de la Cath. de Noyon-, Didron, Annales archeol. IV, 369,
und Viollet-le-Duc, Dictionaire du mobilier I, p. 10, wo auch eine farbige Abbildung
gegeben ist. Die Malereien sind übrigens nicht unmittelbar auf dem Holze , sondern
auf einer an demselben befestigten Leinwand ausgeführt.
Teppiche. 537
der Kirchen schraückteu. Verzeichnisse aus dem zwölften Jalirhundert und
der grosse Vorrath, welcher trotz aller Beraubungen und Zerstörungen sich
noch jetzt in einzelnen Kirchen erhalten hat^), können uns eine Vorstellung
von ihrer vielfachen Anwendung geben. Die feinsten und elegantesten Ar-
beiten dieser Art waren im Orient , im byzantinischen Reiche oder in muha-
medanischen Gegenden, verfertigt und durch den Handel hierher gebracht,
und enthielten zuweilen historische Darstellungen, meistens aber mannigfache
Muster mit Thiergestalten und Pflanzengewinden 2); der Geschmack daran
hatte sich so sehr im Abendlande eingebürgert, dass noch im dreizehnten
Jahrhundert in Paris zwei besondere Innungen von Teppichwebern bestan-
•den, von denen die eine vornehmere, saracenische , die andere nur einhei-
mische Teppiche lieferte^). Aber schon längst hatten sich auch die Klöster
mit dieser Art von Arbeit beschäftigt und nach dem vorherrschenden Triebe
der Zeit sie auch zu historischen Darstellungen benutzt. Vor allem geschah
dies in den Nonnenklöstern, denen es die ihnen am Meisten zusagende Be-
schäftigung gewährte, aber auch von Mönchen wurde es mit strenger Tech-
nik betrieben, wobei man zum Theil besonders dafür ausgebildete Arbeiter
(tapetiarii) hatte, w^elche sich an die ausgedehntesten Gegenstände wagten,
so dass z. B. ein Teppich im Kloster Wessobrunn die apokalyptischen Visio-
nen enthielt*).
Ich begnüge mich hier , ein Werk dieses Nebenzweiges der zeichnen-
pen Kunst anzuführen, weil dasselbe für die Richtung des deutseben Kunst-
sinnes bezeichnend ist: die in dem Schatze der Stifskirche von Quedlin-
^) Vgl. über die Teppiche im Dome zu Mainz in der Mitte des zwölften J;thr-
huuderts, Kugler Gesch. d. Mal., 2. Ausg. 1, 171. — Im Dome zu Halberstadt (Kngler
kl. Sehr. I, 131) und in der Lorenzkirche zu Nürnberg finden sich jetzt noch bedeu-
tende Sammlungen von Teppichen, von denen einzelne dort wohl aus dem elften oder
zwölften, hier aus dem dreizehnten Jahrhundert stammen.
-) Die Literatur über diesen Gegenstand (vgl. Bd. IV, S. 246) ist durcii die Mit-
theilungen über die ,,t§lofFes historiees" von Cahier und Martin in den Melanges d'Ar-
cheologie (Vol. II, p. 101 und 233 ff., III, 116 und 289) und besonders durch die
auf 37 Blättern gegebenen höchst vortrefflichen farbigen Abbildungen , so wie durch
das wichtige Werk von Francisque Michel, Recherches sur le commerce, la fabrication
et l'usage* des etoffes de soie , d'or et d'argent et autres tissus precieux en occident,
principalement en France, pendant le moyen äge, Vol. I, Paris 1852, bedeutend be-
reichert.
3) Depping a. a. 0., S. 126. Die „Tapissiers de tapis sarrasinois" sind , wie die
Peintres ymagiers, vom Wachtdienste befreit, weil sie, wie wiederum ausdrücklich an-
geführt ist, nur für die Kirche und für hohe Personen, für den König, Grafen und
Edelleute , arbeiteten. Den „Tapissiers de tapiz nostrez" ist solche Gunst nicht ver-
liehen.
■*) S. die näheren Anfülu-ungen und Belege bei Fiorillo, Deutschland I, 298.
gog Zeiclmeiide Künste.
bürg aufbewahrten, wahrscheinlich unter der Leitung einer um 1200 leben-
den Aebtissin Agnes gewirkten Teppiche^) mit Darstellungen aus der Ver-
mählung des Mercurius mit der Philologie [nach dem schon früher erwähn-
ten Werke des Marcianus Capeila. Der Gegenstand war noch aus den
klassischen Bestrebungen der Ottonenzeit her beliebt und schon damals auf
Teppichen behandelt-), vielleicht hatte daher der Zeichner ein älteres Vor-
bild, aus dem er das Kostüm entlehnte; aber nicht bloss dieses, sondern die
ganze Auffassung und Haltung verräth Verständniss und Sinn für die Schön-
heit der antiken Kunst. Die Zeichnung des Nackten ist frei, richtig und
massig, der Faltenwurf einfach und entsprechend, die Gebehrden sind an-
muthig und würdig, einige Gestalten von wahrhaft überraschender und aus-
gezeichneter Schönheit. Besonders gilt dies von zwei Stücken dieses Tep-
pichs, von dem, auf welchem sich Mercur selbst und unter anderen Gestal-
ten auch die Psyche (hier Sichem genannt), und von dem, worauf sich Pudi-
citia, Fortitudo und Prudentia befinden, während die anderen zu demselben
Teppich gehörigen Stücke jweit geringer und offenbar nach Vorzeichnungen
eines anderen Meisters gearbeitet sind. Die Behandlung ist auch dadurch
interessant und lehrreich, dass sie zeigt, wie diese vorübergehende Belebung
der antiken Form dazu dienen konnte, den Uebergang von der byzantinisiren-
den Weise zu dem späteren, am Ende der Epoche aufkommenden Style zu
bilden. Indem nämlich der Künstler die unnatürliche und unerfreuliche
Trockenheit jenes älteren Styles vermeiden, frischeres und volleres Leben
geben will, indem er hierbei die Antike im Auge hat, geht er doch schon
über das Maass derselben hinaus, und streift an jene breitere, sinnlichere
Form, die in der Sculptur des gothischen Styles ihre Ausbildung erhielt.
Frankreich und England sind an Ueberresten der Malerei aus dieser
Epoche viel ärmer als Deutschland, vielleicht nur aus dem Grunde, dass
in beiden Ländern der spätere Zeitgeschmack und die Stürme der Religions-
kriege und der Revolution gründlicher zerstörend gewirkt haben. Wenig-
stens belehren uns in Beziehung auf England eine Reihe urkundlicher
Nachrichten, dass die Wandmalerei hier unter der Regierung Heinrich's III.
^) Vgl. Kugler und Ranke , Beschreibung der Schlosskirche zu Quedlinburg,
S. 147 und S. 75, auch (mit einer Abbildung) in Kugler's kl. Sehr, I, 635. Eine
andere Abbildung in den Kunst - Denkmälern in Deutschland , 5. Lief. (Schweinfurt
1845).
2) In Ekkehard's Casus Sti. Galli (Pertz Monumenta, Vol. II) wird erzählt, dass
die Herzogin Hedwig im zehnten Jahrhundert dem Kloster einen Teppich mit demsel-
ben Gegenstande geschenkt habe.
England. 539
(1216 — 1272) blühete und in grossem Umfange betrieben wurde. Heinrich
war ein schwacher, unzuverlässiger Fürst, aber der Kirche ergeben und ein
so eifriger Gönner und Beförderer der Kunst, wie ihn das Mittelalter bisher
noch nicht gehabt hatte. Er hatte beständig in äusseren Kriegen und mit
inneren Unruhen zu kämpfen und war, wie die meisten Fürsten seiner Zeit,
fast immer in Geldverlegenheit. Aber gerade jetzt nahm der Handel der
britischen Insel einen ausserordentlichen Aufschwung, neueutdeckte Gold-,
Silber- und Kupferminen vermehrten den Nationalreichthum in unerwarteter
Weise ^), und diese Gunst der Umstände machte es ihm möglich, die Mittel
für die Befriedigung seiner Kunstliebe von seinem Volke zu erlangen. Eine
Reihe von Befehlen, die in den Archiven erhalten sind-), giebt uns eine An-
schauung von dem Umfange dieser königlichen Kunstpflege. Gleich nach
seiner Grossjährigkeit, im zwölften Jahre seiner Regierung, finden wir den
ersten Auftrag zur Ausmalung eines königlichen Zimmers, in späteren Jah-
ren, besonders von etwa 1248 an, werden die Bestellungen häufiger und
umfassender. Die meisten betreffen Kapellen und Gemächer des Königs
und der Königin in den Schlössern zu Winchester, Westminster und Wiud-
sor, im Tower zu London und in Guildford, doch wird auch die von Heinrich
neuerbaute Kirche der Westminsterabtei und das Kloster zu Glastonbury
reichlich bedacht. Die Aufträge sind zum Theil sehr unbestimmt; des Königs
Gemach in Winchester soll mit denselben Geschichten, welche früher darin
dargestellt waren, ein anderes" Zimmer daselbst mit Geschichten des alten
und neuen Testamentes, die nicht näher bezeichnet sind, ausgemalt werden^).
Später werden wenigstens die Gegenstände genauer angegeben, einige Male
auch mit näherer Aeusserung über die Art der Ausführung. Häufig wird
die Anwendung guter Farben (bonis oder optimis coloribus) oder eine wür-
dige Ausführung (uti melius et decentius fieri potest) anempfohlen, bei zwei
Cherubim sogar ausdrücklich vorgeschrieben, dass sie heiteren und freund-
lichen Antlitzes sein sollen (cum hilari vultu et 'jocoso). Die Gegenstände
sind meist, auch in den Wohnzimmern, religiösen Inhalts; doch kommt auch
1) Siehe darüber Lappenberg's von Pauli fortgesetzte Geschichte von England, III,
S. 843 ff.
-) Diese Urkunden von Vertue gesammelt und aus seinen Notizen bei Walpole,
in den Anecdotes of painting, iheils in Vol. I der ersten, theils iu der späteren Pracht-
ausgabe angeführt, sind bei Fiorillo, Gesch. d. z. K. Bd. V, S. 91 tf. gut zusammen-
gestellt. Einige Nachträge dazu liefert noch Pauli a. a. 0. Dass ein ßilderhandel
existirte , wird durch eine interessante Notiz bewiesen. Im Jahr 1233 befiehlt der
König , Bilder des heiligen Johannes des Evangelisten und Stephanus machen zu
lassen , oder , wenn solche vorhanden , zu kaufen (vel emi si prompte invenianlur),
Eastlake, materials for the history of oil painting, S. 560.
3) Fiorillo a. a. 0. S. 91 und 94.
g40 Englisclie Wandmalerei.
die Darstellung eines Spieles oder Wahlspruches '), die von Sceuen aus der
Historie von Antiochien , einer damals beliebten Romanzensammlung über
den Kreuzzug König Richard's-), und endlich die Geschichte Alexander's
vor. Besonders berühmt war das im Jahre 1834 durch Brand zerstörte ge-
malte Zimmer („Painted Chamber") im Palast von Weslminster, des unter
Heinrich HI, seinen Schmuck erhalten hatte. Der Saal war 80 Fuss lang,
26 Fussbreitund 31 Fuss hoch. Die Malereien waren später durch Teppiche
aus der Zeit Carls K. bedeckt und wurden est im Jahre 1800 bei Gelegen-
heit einer Herstellung wieder aufgefunden^). Die Befehle, welche sich auf
künstlerische Arbeiten beziehen, sind meistens an die gewöhnlichen Beamten
des Königs, an die Vicegrafen, Sheriffs, Kastellane oder an den Schatzmeister
gerichtet, und bezeichnen keinen bestimmten Maler, so dass die Wahl des-
selben und die weitere Anordnung der Malereien anscheinend dem Beamten
überlassen war. Doch kommen auch besondere Aufseher der Arbeiten vor,
an welche die Zahlungen geleistet werden sollen und denen die künstlerische
Leitung eher anvertraut werden konnte. So anfangs der Goldschmidt Odo,
wie man vermuthet hat ein Deutscher, dann dessen Sohn Edward, welcher
Abt von Westminster geworden war. Bei den Malereien aus der Historia
Antiochiae wird dieser noch weiter an Thomas Espervir verwiesen, der ihm
das Nähere sagen soll, und also mündliche Instructionen des Königs haben
musste. Vom Jahre 1250 an finden sich dann auch namhaft gemachte
Maler,' mit denen der König selbst Rücksprache genommen hatte und sich
darauf in seinem Befehle bezieht (sicut rex ei injunxit), offenbar um den
Malern dem Beamten gegenüber grössere Freiheit zu gewähren. Diese Maler
sind gleichzeitig ein Bruder Wilhelm, Mönch zu Westminster, ein anderer
Willielmus, der den Beinamen Florentinus hat*), und endlich ein Magister
1) Bei Walpole a. a, 0. S. G , aus dem Jahre 20 der Regierung. Der Auftrag
lautet wörtlich dahin, das Spiel (ludum): Wer nicht giebt, was er hat, erlangt nicht
was er wünscht, zu malen; sehr wahrscheinlich sagte aber der Spruch dem freigebigen
Könige zn, so dass er ihn als seine Devise behandelte.
2) Wie es scheint, wurden dabei Miniaturen benutzt, wenigstens lässt sich der
König einige Zeit vorher ,,librum magnum Gallico idiomate scriptum, in quo continen-
tur gesta Antiochiae et regum aliorum" übersenden. Fiorilio a, a. 0. S. 99 und 103.
^) Eme Beschreibung des Saals haben zwei Franziskanermönche aus Irland ge-
liefert, welche auf einer Reise nach Jerusalem im Jahr 1322 auch London besuchten
(Manuscript jetzt in der Bibliothek von Benet's College in Cambridge). Nach ihnen
waren darin alte Kriegsgeschichten der Bibel „ineffabiliter depictae". In der That
war dort die Geschichte der Makabäer , dann aber auch die Eduards des Bekenners
dargestellt. Vgl Brailey and Britton, History of Westminster Palace S. 419.
•*) Walpole, Cap. 24, und nach ihm Fiorilio (S. 100) halten beide Wilhelm, den
Möncli von Westminster und Wilhelm den Florentiner, für dieselbe Person; wohl mit
Unrecht, da beide Maler fast gleichzeitig (im Jahre 44 der Regierung des Königs) mit
Friiiizösische Wandmalerei. 541
Walter. Alle drei erbalten die Bezeichnung als Maler des Königs, und
jener Wilhelm von Florenz wurde auch später zum Aufseher der Arbeiten im
Schlosse zu Guildford ernannt. Meistens handelt es sich um Wandmalereien^
doch ist anch die Tafelmalerei nicht unberücksichtigt; die Geschichten der
Heiligen Nicolaus und Catharina und die Jungfrau Maria sollen für ver-
schiedene Stellen der Wcstminsterkirche auf Tafeln gemalt werden^). Von
dem künstlerischen Werthe dieser Arbeiten oder anderer englischer Male-
reien aus dieser Epoche können wir freilich nicht näher urtheilen, da es an
erheblichen Ueberresten gänzlich fehlt-), indessen zeigt die veränderte Form
der Aufträge, die Namhaftmachung der Maler und die Zuziehung eines
Italieners die wachsende Theilnahme des Königs, auch geben sowohl die
Sculpturen , die wir weiter unten kennen lernen werden , als die oben er-
wähnten Miniaturen ein Zeugniss von bedeutenden, Fortschritten des Kuust-
sinnes, die sich auch in der Wand- und Tafelmalerei geäussert haben müssen.
In Frankreich ist äusserst Weniges erhalten. Aus dem zwölften
Jahrhundert stammen ihrem Style nach die Gestalten Christi und einiger
Heiligen an den Wänden der uralten Kirche St. Jean in Poitiers^), aus
Malereien an verschiedenen Orten, der eine in Windsor, der andere in Guildford be-
auftragt wurden. Ueberdies wird der Florentiner auch später niemals als Frater be-
zeichnet, was bei einem Mönche nicht leicht unterblieben wäre, und endlich mag die
stets wiederholte, umständliche Benennung des Frater Wilhelmus als Mönch von West-
minster gerade darauf deuten , dass man ihn von jenem anderen gleichnamigen Maler
unterscheiden wollte. Eher wäre denkbar, dass jenerFrater Wilhelmus natione Anglus,
S. Francisci socius secundus, den wir als den Maler einer Miniatur in den Schriften
des Math. Parisiensis kennen 'gelernt haben , mit dem Mönch von Westminster iden-
tisch ist. Die Verschiedenheit jener beiden William ist bewiesen bei John Gage
Rokewode, Account of the Painted chamber, in ,,Vetusta Monumenta , London 1842,
namentlich dadurch, dass Wilhelm der Florentiner täglich nur 6 Denare, William von
Westminster aber 2 Schillinge erhält.
1) Fiorillo a. a. 0. S, 93 und 97. Die Anweisung von drei Eichen an den Sa-
cristan von Glastonbury „ad imagines inde faciendas et pouecdas in ecclesia sua" ist
gewiss nicht (wie Fiorillo a. a. 0. annimmt) auf Gemäldetafeln, sondern auf plastische
Arbeilen zu beziehen.
2) In der Galilaea der Kathedrale von Durham und im Chore der Wcstminster-
kirche einige, jedoch kaum noch kenntliche Figuren. Auch die in den Vetusta monu-
menta, Vol. III, tab. 3, mitgetheilten Abbildungen der wahrscheinlich um 1280 in der
Magdalenenkapelle bei Winchester gefertigten Malereien sind unbedeutend. Eine voll-
kommene Serie ist 1858 in Chalgrave Church, Oxfordshire, aufgedeckt worden, rührt
aber wohl kaum noch aus dem XIII. Jahrhundert her. Der geringe Sinn für decora-
tive Anordnung und Theilung der Wandflüchen ist hier auffallend* Archaeologia, vol.
XXXVIII, S. 421, mit Abbildungen.
") Merimee, Voyage dans l'Ouest, p. 380. Publicirt in den Archives de la comm.
des mon. bist.
Py^2 Französische niid niederländische Wandmalerei.
dem dreizelinten die umfangreichen, aber sehr zerstörten "Wandmalereien
in der Krypta der Kathedrale von Chartres, geringere Ueberreste in der
Kirche zu Fretigny derselben Diocese, in der Dreifaltigkeitskapelle von
St. Emilion zu Bordeaux, in einer Kapelle der Kathedrale von Autun,
ein Bild der Jungfrau über dem Portale einer alten Kapelle im Dome zu
Rh ei ms. Vielleicht gehören auch die Gemälde im Chore der kleinen Wall-
fahrtskirche Notre-Dame-de-Presles in der Champagne; der Heiland
als "Weltrichter mit Heiligen und Engeln, noch in diese Epoche^). Unter
den Wandmalereien in der Kirche S. Philibert in Tournus rühren nur
einige Fragmente in der Krypta und die Bemalung der Gurtbögen mit Or-
namenten und Thierbildungen aus dem dreizehnten Jahrhundert her, und
jedenfalls war die Kirche nicht ganz, sondern nur stellenweise bemalt^). In
Lothringen weist das Refectorium der Templer in Metz, ein zweischiflfi-
ger Saal, heut ein Magazin der Citadelle, Malereien des dreizehnten Jahr-
hunderts auf^), in Belgien sind solche in den Kreuzschiffen der Kathedrale
von Tournay entdeckt worden. Ein Bild scheint eine Darstellung des
himmlischen Jerusalems zu sein, eine Gruppe von Engeln, unter welchen
■ — laut Beischrift — Michael und Gabriel in reichen Tuniken; in der Ferne
Mauern und Thürme. Ein zweites enthält eine Scene aus der Legende der
heiligen Margaretha, die, mit der Spindel im Arme Schafe hütend, von dem
Präfecten Olybrius von Antiochien erblickt und weggeführt wird*).
Die geringe Zahl dieser Ueberreste lässt sich nicht bloss dadurch er-
klären, dass die Richtung, welche die Architektur seit dem Anfange der
Epoche nahm, der Wandmalerei in den Kirchen die Fläche entzog. Denn
in Kapitelsälen, Kreuzgängen und Schlössern blieb noch Raum genug,
und doch haben wenigstens die französischen Archäologen uns keine Nach-
richten gegeben, welche, wie in England, auf grössere Unternehmungen dieser
1) Org-an für christl. Kunst, 1855, S. 288. Der Berichterstatter findet die Male-
reien denen von Ramersdorf ähnlich, welche nach meiner Meinung erst dem vierzehn-
ten Jahrhundert zuzurechnen sind.
2) Vgl. Archives de la comm. des mon. hist., Text, S. 13. Andere dort vorhan-
dene "Wandbilder, z. B. das in den Archives publicirte jüngste Gericht, gehören erst
dem vierzehnten Jahrhundert an.
3) VioUet-le-Duc , dict. de l'archit. VII, S, 94 ff.^, Revue archeologique , B. X,
1853.
*) Näher beschrieben , mit Abbildungen , durch ''Abbe Voisin im Bulletin des
commissions royales d'art et d'archeologie, 1865. Vgl. Michiels, 2. Aufl. II, S. 401.
— Die älteren romanischen Partien zeigen auch noch Spuren malerischer Aus-
schmückung. Auch im Höpital de la Biloque in Gent und im Schlosse Nieuport sind
Malereien entdeckt worden, ziemlich grob, mit schwarzen Umrissen, ohne wesentliches
Interesse. Michiels, 2. Aufl., I, S. 412.
Glasmalerei. 543
Art schliessen lassen. Man darf daher wohl annehmen, dass die Wand-
malerei vernachlässigt war. Auch ist dies sehr wohl erklärlich. Die raschen
Fortschritte der Architektur, die Begeisterung, mit der sie verfolgt wurden,
nahmen die künstlerischen Gemüther so sehr in Anspruch, dass eine Kunst,
welche ausserhalb dieser Strömung lag, keine grosse Anziehungskraft üben
konnte. Dies musste um so mehr die Wandmalerei treffen, als inzwischen
eine andere Art der Malerei aufgekommen war, die mit dem gothischen
Style so enge zusammenhing, dass sie für ihn fast eine noth wendige Ergän-
zung, er für sie wenigstens die natürliche Einrahmung bildete.
Ich spreche von der Glasmalerei. Allerdings war sie nicht eine
neue, dem gothischen Style gleichzeitige Erfindung, vielmehr hatte sie bei
seinem Entstehen schon eine gewisse Ausbildung erlangt. Aber er ergriff
sie mit Eifer und wandte sie in ausgedehnterem Maasse an.
Ihre Erfindung fällt vielmehr in eine ziemlich frühe Zeit und ist wie
die ^meisten Erfindungen in ein gewisses Dunkel gehüllt. Wie es scheint,
wurde sie durch die mangelhafte Technik der Glasfabrikation , welche von
den Römern auf das Mittelalter übergegangen war, erleichtert und befördert.
Farbloses Glas war schon bei den Kömern seltener und theuerer gewesen,
als farbiges, auch war die Zubereitung desselben so unvollkommen, dass es,
wo wir es an antiken Geräthen finden, meist einen blauen oder grünen An-
flug hat. Im [früheren Mittelalter verstand man noch w^eniger es zu berei-
ten und kannte nur farbiges dunkles Glas, so dass noch ein Dichter des
zwölften Jahrhnnderts bei der Schilderung des Sardonyx den Vergleich
brauchen konnte, das er „schwarz wie Glas" sei. Glasfenster waren den
Römern und ebenso den Erbauern der alten christlichen Basiliken unbe-
kannt gewesen; erst seit dem vierten Jahrhundert werden sie erwähnt, und
zwar immer als [etwas Kostbares und Seltenes. Das Bedürfniss der nordi-
schen Gegenden, wo man nicht einmal wie in Italien ihre Stelle durch durch-
scheinenden Marmor oder Alabaster ersetzen konnte, begünstigte ihre Ver-
breitung; allein man war in der Bereitung grösserer Tafeln eben so uner-
fahren, wie in der des farblosen Glases, so dass diese Fenster nur aus ver-
schiedenfarbigen kleinen Stücken bestanden. Daher war es denn fast eine
Nothwendigkeit, dass man diese Vielfarbigkeit zu regeln und eine Art von
musivischem Muster hervorzubringen suchte, was dann wieder bei dem vor-
herrschenden Drange nach Darstellungen heiliger Gegenstände den Wunsch
anregen musste, in gleicher Weise Figuren zusammensetzen zu können^}.
^) Vgl. ausser den Bd. IV S. 243 angeführten Werken: Abbe Texier, Hist. de
la peinture sur verre en Limousin; Marcliand, Verrieres de la catli. de Tours, Hucher,
Vitraux de la cath. de Mods; Capronnier, Vitraux de la cath. de Tournai, mit Text
P\AA Glasmalerei.
Indessen war dieser letzte Schritt keineswegs leicht, indem man denn
doch im Besitze wenigstens einer mit dem Glase verschmelzbaren Farbe
sein musste, um die Gesichtszüge und andere Details hineinzeichnen zu
können.
Wo diese wichtige Erfindung gemacht ist, steht nicht völlig fest. Jeden-
falls weder in England, wo man sie erst um 1200 nachweisen kann, und
wo die Glasfabrikation auch später noch so zurückblieb, dass man farbige
Gläser aus Ronen verschrieb^), noch in Italien, wo sie wahrscheinlich nicht
vor dem vierzehnten Jahrhundert in Anwendung kam-). Die ältesten sol-
chen Fenslerschmuck erwähnenden Nachrichten sind vom Ende des zehnten
Jahrhunderts und weisen auf Deutschland, Lothringen und das östliche
Frankreich. Der Danksagungsbrief des Abtes von Tegernsee in Bayern an
den Stifter des Klosters, in welchem er den Farbenreichthum und die
Malereien der neuen Fenster rühmt, lässt es zwar zweifelhaft, ob dabei an
wirkliche Gemälde, oder nur an Muster, welche durch blosse Zusammen-
setzung farbiger Glasstücke gebildet waren, zu denken ist 3). Dagegen
enthielten die Fenster der Klosterkirche von St. Remy in Rheims, welche
von Decamps und le Maisire d'Austaing; E. Didron, Histoire de la peinture sur verre
en Europe , Annales archeol. B. XXIII; E. Levy , Histoire de la peinture sur verre
en Europe, et particulierement en Belgique, Brüssel 1854 — 1860. Viollet-le-Duc, Dict.
IX, 373, s. v. vitrail.
1) Fiorillo, V, 135; vgl. mit Gessert, Gesch. der Glasmalerei, S. 65.
2) Wenn Leo von Ostia von dem Abt Desiderius von Monte Casino unter anderem
rühmt: Illud (den Kapitelsaal) vitreis fenestris consternens colorum varietate depinxit,
spricht er offenbar nicht (wie Lasteyrie, Histoire de la peinture sur verre, annimmt)
von wirklichen Glasmalereien , sondern nur von dem farbigen Scheine , mit welchem
die Gläser das Innere des Raumes bemalten.
^) Der Brief des von 983 bis 1001 dem Kloster vorstehenden Abtes Gozbert an
einen nicht näher bekannten Grafen Arnold nach Pez Thesaurus Auecdotorum Tom. VI,
Pars 1, p. 122, bei Gessert, a. a. 0. S. 25 ganz abgedruckt, sagt nämlich: Merito pro
vobis Deo supplicamus, qui locum nostrum talibus honoribus sublimastis, qualibus nee
priscorum tempox'ibus comperti sumus, nee nos visuros esse sperabamus. Ecclesiae
nostrae fenestrae veteribus pannis usque nunc fuerunt clausae. Vestris felicibus tem-
poribus auricomus sol primum infulsit basilicae nostrae pavimenta per discoloria pic-
turarum vitra, cunctorumque inspicientium corda pertentant mnltiplicia gaudia, qui
inter se mirantur insoliti operis varietates. Der Abt spricht also von einem unge-
wöhnlichen Schmucke , von welchem er noch nicht einmal durch Erfahrung Kenntniss
gehabt habe. Indessen kann sich dies , da die Ausstattung der Kirche in Tegernsee
und wahrscheiulich auch in den benachbarten Klöstern so ärmlich gewesen war, dass
man sich begnügt hatte , die Fenster mit alten Lappen zu schliessen , recht wohl auch
auf bloss farbige mosaikartige Muster des Glases bezogen haben. Und eben so wenig
lässt der Ausdruck: discoloria picturarum vitra, mit Sicherheit auf Figurenmalerei
schliessen, vielmehr würde der dankbare und volltönende Worte liebende Abt schwer-
lich eine Anspielung auf die heiligen Gestalten , wenn die Fenster solche enthalten
Ihre Entstehung-. 545
der neue Erzbischof Adalbcrt stiftete, bereits Historien , so dass das erste
Beispiel wirklicher Glasmalerei in Frankreich vorkommt , aber als Stiftung
des deutschen von Metz hierher berufenen, kunstliebenden Erzbischofs M.
Eine andere frühzeitige Erwähnung führt uns nach Burgund , indem
der Verfasser einer Chronik von St. Benigne in Dijon bei Erwähnung der
h. Pascasia, deren Reliquien hier bewahrt wurden, bemerkt, dass das Mar-
tyrium derselben auf einem im Kloster bewahrten alten Glasfenster gemalt
sei. Hier wird also von wirklicher Glasmalerei gesprochen, indessen steht
weder die Lebenszeit des Chronisten noch der Zeitpunkt der Anfertigung
des von ihm erwähnten Gemäldes fest, so dass beide erst in das zwölfte
Jahrhundert fallen können-).
Zuverlässig ist nur, dass Theophilus die Glasmalerei und zwar ganz in
dem Umfange, wie sie in dieser Epoche geübt wurde, kannte, da er voll-
ständige Anleitung zu ihrer Ausführung giebt. Da er im zwölften Jahrhun-
dert und zwar in Deutschland schrieb, so steht dadurch fest, dass damals
diese Kunst hier bekannt war. Allein freilich ist dann sogleich zu erwäh-
nen, dass er in wiederholten Aeusserungen in Beziehung auf Farbenreich-
thum und Farbenschönheit der Fenster Frankreich den Vorzug giebt ^), dass
also diese neue Kunst, wenn in Deutschland erfunden, jedenfalls frühzeitig
nach Frankreich übergegangen sein und dort einen dankbaren Boden ge-
funden haben musste.
Auch haben wir andere Spuren, dass sie hier frühe verbreitet war.
Schon im elften Jahrhundert erhielt das Kloster St. Hubert in den Arden-
nen, also an der damaligen Westgrenze Deutschlands, seine als schön ge-
rühmten Fenster durch einen zu diesem Zwecke aus Rheims berufenen
Künstler^). In der Provinz von Limoges, welche durch die schon längst
hätten, unterdrückt haben. Vgl. Gessert und Wackernagel a. a. 0., welche in dem
Briefe wirklich ein Zeugniss für vollständige Glasmalerei zu finden glauben, mit Kug-
1er, Gesch. d. Mal. I, 174, der nur den Beweis der Buntfarbigkeit darin findet.
1) Vgl. oben IV, S. 244. — Pertz, Mouum. Scr. III, p. 613.
2) Chron. S. Benign. Divion. bei d'Achery, Spicil. tom. II, p. 383: Ut quaedam
vitrea antiquitus facta et usque ad nostra perdurans tempora eleganti praemunstra-
bat pictura. Die Chronik schiiesst zwar mit dem Jahre 1052, allein sie deutet keines-
weges an, dass der Chronist um diese Zeit lebte, und noch weniger sagt dieser, wie
Emeric David, Hist. de la peinture au moyen äge, ed. Jacob., p. 79, annimmt, dass
dies Glasgemälde aus der älteren , durch Karl den Kahlen restaurirten Kirche her-
stamme. Es liegt daher gar kein Grund vor,, das unbestimmte „antiquitus facta" auf
die Zeit dieses Königs , oder gar , wie die Benedictiner von St. Maure in der Hist.
litt, de la France VI, 66, und ihnen beistimmend der neuere Herausgeber des Theo-
philus, Robert Hendiie p. XI der Vorrede, auf die Karl's des Grossen zu bezieheo.
3) Vgl. Bd. IV S. 241 und S. 243. Anm. 2.
*) Historia Andagienis monast. c. 12, bei Marlene ei Durand Amplissima colleclio
I, 423: Illuminavit quoque oratoria pulcherrimis fenestris, quodam Rogerio couducto
Schnaase's Kunstgosch. 2. Aufl. V. 35
546
Glasmalerei.
betriebene verwandte Teclinik der Emaümalerei dazu befähigt war, hat man
Glasmalereien vom Anfange des zwölften Jahrhunderts , wenn auch nur mit
Mustern, nicht mit Figuren gefunden^). Im zweiten Viertel des Jahrhun-
derts giebt die Regel der Cistercienser vom Jalire 1134, indem sie Glas-
gemälde in den Kirchen des Ordens verbietet, ein Zeugniss, dass diese schon
sehr verbeitet sein mussten-), und gleich darauf, um 1140, wussten die
Mönche der Klöster Bonlieu (Creuzej und Obasine (Correze) dieser Regel
und zugleich ihrem Geschmack dadurch zu genügen, dass sie die Fenster
ihrer Kirchen in grauem Glase mit Blattverschlingungen und Mustern aus-
füllten, welche milderes Licht und einen gefälligen Anblick gewährten^).
Um dieselbe Zeit Hess aber auch der schon oft genannte Abt Suger für
seine Kirche zu St. Denis eine Reihe von gemalten Fenstern ausführen, von
denen nach dem ausführlichen Berichte seines Lebensbeschreibers jedes eine
ziemlich grosse Zahl chronologisch oder symbolisch verbundener historischer
Gegenstände enthielt. Die meisten dieser Fenster sind bei den späteren
Herstellungen der Kirche untergegangen, einige jedoch erhalten, welche uns
Auskunft über die Behandlung und Anordnung des anscheinend überreichen
Stoffes geben. In jedem derselben befinden sich nämlich auf blauem, von
rothen Streifen rautenförmig durchkreuzten, und von einer helleren Ein-
rahmung umschlossenen Grunde neun Medaillons, drei in der Spitze des
Bogens, die sechs unteren je zwei neben einander zwischen den geraden
Fensterwänden, jene nur mit Arabesken, diese mit historischen Darstellungen.
Die Figuren sind darin von sehr kleiner Dimension und die historischen
Momente, so inhaltreich sie erscheinen, vermöge der dem Mittelalter geläu-
figen andeutenden Sprache, immer nur durch wenige Gestalten dargestellt.
So enthält das eine dieser Fenster die Geschichte Mosis, darunter auch den
Durchgang durch das rothe Meer, mit symbolischer Deutung auf die Taufe*).
Der Bericht macht ausdrücklich geltend, dass Pharao's Reiter im Meere ertrin-
ken^]; auf dem Bilde sehen wir das Medaillon in seiner unteren Hälfte durch
eine gelb und roth gefärbte Linie getheilt, oberhalb welcher fünf Juden von
Jehova geleitet, dessen Haupt im kreuzförmigen Nimbus am Scheitel des
ab urbi Remensi, hujus arlis peritissimo. Stenzel, Goscliiclite der fränkischen Kaiser I,
141, und Lasteyrie a. a. 0.
1) Caiimont, Bulletin monumental XII, 441.
-) Art. 82: Vitreae albae iiant et sine crueibus et pioturis. Bei Lasteyrie a. a 0
S. 44.
^) Texier in Didron's Annales arclieologiques X, 81, in einem Auszuge aus sei
ner Histoire de la peinture sur verre en Limousin. — Vgl. oben S. 316.
*) Quod baptisma bonis, hoc militia Pharaonis
Forma facit similis causaque dissimilis.
^) Ubi Pharao cum equitatu suo in mare demcrgilur.
Suger in St. Denis. 547
Kreises erscheint, ruhig schreiten, während darunter Pharao, das Rad eines
"Wagens auf seinem Gewände, der Kopf eines Pferdes und der einer zwei-
ten menschlichen Gestalt genügen , um den Untergang seines Heeres anzu-
deuten. Ein anderes Fenster zeigt uns Christus und die Jungfrau in man-
nigfachen mystischen Beziehungen, darauf in einem Medaillon auch Suger
selbst, im Mönchskleide, aber durch die Beischrift bezeichnet, vor der Jung-
frau am Boden liegend^). Ein drittes enthält nur Arabesken. Die Zeich-
nung der Figuren ist ziemlich roh und steif, die Gewänder sind aus winzi-
gen Glasstücken zusammengesetzt und wenig schattirt, die starken Eisen-
stäbe^ welche bei der Grösse des ungetheilten Fensters unentbehrlich waren,
durchschneiden zwar nicht die Medaillons, wohl aber den Grund; aber den-
noch macht das Ganze durch die überaus klare Anordnung und durch die
glückliche Wahl der kräftigen Farben einen sehr befriedigenden Eindruck -).
Suger legte grossen "Werth auf diese Malereien, die sein Lebensbeschreiber
Werke von wunderbarer Arbeit und grosser Kostbarkeit nennt; er hatte zu
ihrer Verfertigung Meister aus verschiedenen Nationen, die er nicht näher
bezeichnet, wahrscheinlich aus dem Limousin und aus Deutschland versam-
melt; er bestellte nach ihrer Vollendung einen eigenen Aufseher zu ihrem
Schutze und zu etwanigen Herstellungen ■^), aber er deutet mit keinem Worte
an, dass diese Kunst noch eine neue sei.
In der That steht sein Unternehmen auch nicht allein. An mehreren
Orten , durchweg im westlichen Frankreich , sind historische Glasmalereien
erhalten, welche nach dem Style ihrer Zeichnung und übereinstimmenden
Kachrichten theils älter, theils nicht viel jünger zu sein scheinen. So in
der Kathedrale St. Maurice in Angers, welche von 1125 bis 1149 ge-
wölbt wurde und wahrscheinlich bei dieser Gelegenheit ihre älteren Fenster
erhielt, welche abgesehen von ihrer minder klaren Anordnung, im Style denen
von St. Denis völlig gleichen und sich vor den späteren, sehr eleganten Glas-
malereien durch ihre harmonische Farbenbehandlung günstig auszeichnen*).
Aehnlich sind andere in St. Pere in Chartres, Ste. Radegonde in Poitiers,
im romanischen Schiffe der Kathedrale von Mans. In St. Trinite in Ven-
dome stammt eine Jungfrau mit dem Kinde in der Glorie von sehr grosser
Dimension und bewundernswürdig fester Zeichnung, nicht ohne feierliche
1) Bei Labane, Album II; pl. XCiV.
-) Abbildungen bei Lasteyrie a. a. 0. Taf. 3—7, bei Levy Tf. III, IV, bei Gail-
habaud, l'architecture et les arls qui en dependent, Bd. II.
•') Sugerius de rebus in administratione sua gestis, bei Duchesne, Hist. Francor.
Script. IV, 348 ff.: Vitrearum etiam novarum praeclaram varietatem — tarn superius
quam iuferius magistrorum multorum de diversis nationibus manu exquisita de-
pingi fecimus, — Tuitioni et refectioni earum ministerialem magistrum constituimus.
*) Merimee, Voyage dans l'Ouest, S. 333.
35»
548
Blüthe der Glasmalerei
Würde aber im strengsten byzantinisirenden Style, nach begründeten Ver-
muthungen aus dem Jahre 1180^). Schon 1155 stifteten, wie wir urkund-
lich wissen, der Graf Robert von Dreux und seine Gemahlin in der Abtei-
kirche zu Braine-le-Comte Fenster, auf denen ihre Bildnisse zu sehen waren^
und welche sie von der Königin Eleonore von England , ihrer Verwandten,
zum Geschenke erhalten hatten. Ohne Zweifel hatte diese, deren Gemahl
erst im Jahre vorher den englischen Thron bestiegen hatte, sie nicht in
England, sondern in ihren angestammmten französischen Provinzen, vielleicht
in Limoges, fertigen lassen 2). Auch besitzen wir im Chore der Kathedrale
von Poitiers einige Fenster, welche aller Wahrscheinlichkeit nach von
diesem Königspaare geschenkt, und wenn auch nicht vor dem Tode Hein-
rich's (1189), so doch vor dem seiner Gemahlin (1204) hierher gestiftet sind.
Namentlich gilt dies von dem mittleren der Ostwand. Es unterscheidet
sich von den Fenstern in St. Denis vortheilhaft durch grössere Dimension
der Figuren und durch eine sinnreichere Eintheilung. Oben in der Spitze
sehen wir nämlich den Heiland in der von Engeln getragenen Glorie, in der
Mitte die Kreuzigung mit mannigfachen Nebenfiguren, unten in den ver-
schiedenen Theilen eines Vierblattes die Marien am Grabe und die Marty-
rien der Apostel Petrus und Paulus, und schliesslich die Bilder der beiden
königlichen Stifter. Die Zeichnung ist überaus strenge, Christus noch ganz
im Mosaiken typus, die Haltung der Engel und anderer Nebenfiguren höchst
bewegt, fehlerhaft doch ausdrucksvoll, aber die ganze Anordnung zeigt ein
feineres rhythmisches Gefühl, und das Störende der unerlässlichen Eisen-
barren ist sehr geschickt dadurch gehoben, dass sie theils als Scheidung
der verschiedenen Bildflächen , theils in Zusammenhang mit den Balken des
Kreuzes angebracht sind und die Figuren ungeachtet ihrer grösseren Dimen-
sionen niemals durchschneiden^).
Mit dem Beginn des dreizehnten Jahrhunderts wurde der Betrieb die-
ses Kunstzweiges sehr viel lebendiger und erfolgreicher; man kann etwa
zwanzig französische Kirchen aufzählen, in denen Fenster aus den ersten
Decennien erhalten sind, und jedes weitere Jahrzehent fügt eine grössere
Zahl hinzu. Ungeachtet der Zerbrechlichkeit des Materials und der grossen
Verheerungen, welche die Zeit, der Vandalismus der Aufklärungsperiode
^) Abbildungen einiger dieser Fenster bei Lasteyrie a. a. 0. , der eben beschrie-
benen Madonna bei Gailhabaud l'architecture et les arts qiü en dependent, Bd. II.
") Gessert a. a. 0. S. 63 und 85 hält sie ohne Grund für englische Arbeit. Wir
haben schon oben (S. 197) bemerkt, dass Heinrich II, und seine Gemahlin gern die
Kunstfertigkeit ihrer französischen Unterthanen beschäftigten , und nichts berechtigt
uns, eine so frühe Ausübung der Glasmalerei in England anzunehmen.
•■') Eine Abbildung dieses Fensters in Auber, Hist. de la cath. de Poltiers.
iu Frankreich. 549
uud die Revolution angerichtet haben, fällt noch jetzt selbst dem flüchti-
gen Reisenden die grosse Zahl prachtvoller, grossentheils noch aus diesem
Jahrhundert herrührender Glasmalereien in den französischen Kirchen auf.
Offenbar hängt die Blüthe dieser Kunstgattung mit der fortschreitenden Ent-
vvickelung des gothischen Styls zusammen, der bei seinen weiten Fenster-
öffnungen ihrer nothwendig bedurfte. Es würde unmöglich und überflüssig
sein, alle noch erhaltenen Glasgemälde dieser Epoche oder auch nur alle
Kirchen aufzuzählen, in denen sich solche finden. Die Kathedrale von
Bourges hat allein 183 Fenster dieser Art von unvergleichlicher Farben-
pracht i), die von Chartres 146 und darunter noch viele aus diesem, einige,
wie sich aus der Lebenszeit der darauf genannten Stifter ergiebt, noch aus
den ersten Decennien desselben Jahrhunderts 2). Von gleicher Schönheit
sind die im Chore der Kathedrale von Maus. In der Kathedrale von Rheims
sind die unteren Fenster zwar unter Ludwig XIV. zerstört, die oberen aber
noch in ihrer alten Pracht erhalten; in der von Amiens bestehen wenigstens
noch die des Chors, darunter das eine mit dem Namen des Stifters und
der Jahreszahl 1269. In den Kathedralen von Troyes, Tours, Ronen ^),
Chalons-sur-Marne , Soissons und Clermont in der Auvergne sind meistens
in den Chören noch prachtvolle Fenster aus dieser Zeit, in der Ste. Chapelle
zu Paris noch bedeutende Ueberreste aus der Zeit Ludwig IX. erhalten.
Die Kathedrale der Hauptstadt, einst durchgängig mit Glasmalereien ge-
geschmückt, hat sie leider mit einem Schlage verloren, nicht durch Kriegs-
wuth oder den Fanatismus einer rohen Volksmasse, sondern auf Befehl des
Kapitels, das im Jahre 1741 sie durch weisse Scheiben ersetzen Hess. Pierre
Levieil, selbst Glasmaler und Geschichtschreiber der Glasmalerei, war mit
der Ausführung dieser Maassregel beauftragt und berichtet darüber iu sei-
nem Werke ^), ohne auch nur ein Bedauern auszusprechen. Das mittlere
Fenster des Chors enthielt Christus zwischen der Jungfrau und Johannes
dem Täufer, die der Seitenwände unter jedem der zwei Bögen kolossale 18
Fuss hohe Gestalten von Bischöfen, Patriarchen und Propheten. Glück-
^) Vgl. das ausgezeichnete Prachtwerk Martin et Caiiier , Monographie (Vitraux)
de la Cath. de Bourges.
-) Ein Fenster mit Scenen aus der Sage Carl's des Grossen und Rolands bei
Lassus, Monographie de la cath. de Chartres und in den Annales archeol. Bd. 24, p.
349. Anderes bei Levy, Tf. X, XI, bei Gailhabaud a. a. 0. B. II.
^) Auf einem Fenster ist der Name des Verfertigers genannt nud zwar als aus
Chartres gebürtig: Clemens Vitrierius Carnotensis. Lasteyrie, Taf. 33. Bemerkens-
werth ist, dass die Einfassung des Bildes hier noch genau das Arabeskenmuster hat,
wie auf einem der Fenster des Suger , die mehr als hundert Jahre früher entstan-
den waren.
*) Levieil, Traite pratique et historique de la peiuture sur verre.
R^Q Blüthe der Glasmalerei in Frankreich.
licherweise sind indessen die grossen Rosenfenster der drei Fagaden dieser
Zerstörung entgangen und geben uns noch eine Probe der alten Pracht.
Sie enthalten in kleinen, den inneren und äusseren Strahlen der Rose einge-
zeichneten Medaillons auf tiefblauem Grunde, im Anschlüsse an die Bedeu-
tung der darunter befindlichen Portalsculpturen , das westliche und nörd-
liche die Jungfrau mit dem Kinde dort von Propheten , Zeichen des Thier-
kreises, Monatsarbeiten und Tugenden, hier von alttestamentarischen Königen
und Propheten umgeben i), das südliche die Glorie der Märtyrer. Sie sind
da die Kreuzfagaden erst um 1257 erbaut wurden, eine Arbeit der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts. Die Fenster der Sainte-Chapelle sind sämmtlich
während der Revolution abhanden gekommen, und nur einzelne Fragmente
finden sich noch im Privatbesitze^). Schöne Proben aus der zweiten Hälfte
des dreizehnten Jahrhunderts enthält der Chor der Kirche St. Urbain in
Troyes, hier aber wird die Auffassung bereits realistischer, und die Behand-
lung nähert sich dem Styl der Miniaturen'^).
Dieser frühe und eifrige Betrieb der Glasmalerei erstreckte sich in
Frankreich genau so weit wie die Herrschaft des gothischen Styles. Nächst
den Provinzen Ile- de -France und Champagne ist er besonders in Burgund
verbreitet, aber die Fenster in den Kirchen Notre-Dame zu Dijon undNotre-
Dame zu Semur, obwohl schon aus der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts,
sind noch etwas alterthümlicher im Charakter; ebenso das schöne Radfenster
im südlichen Kreuzarm der Kathedrale von Lausanne^). In Lothringen
und in Belgien finden sich grösstentheils nur Glasgemälde aus dem vierzehnten
Jahrhundert-^), in den südlichen Provinzen sind sie sogar auch da noch
selten.
Deutschland kann sich bei Weitem nicht gleichen Reichthums rüh-
men, wie Frankreich. Aus jener Zeit, von der der Brief des Abtes Goz-
bert spricht, ist uns begreiflicherweise nichts geblieben; aber auch dem
zwölften Jahrhundert, und zwar seiner Spätzeit, können wir nur fünf Ober-
lichter im Dome zu Augsburg zuschreiben, einzelne alttestamentarische Ge-
stalten von sehr steifer Haltung mit breiten von vorn gesehenen Gesichtern,
verzierten Gewändern und jüdischen Mützen*^). Selbst Glasmalereien des
^) Dieses abgebildet bei Lasteyrie, Taf. 21.
2) Labarte, Album II, Taf. XCV.
3) Viollet-le-Duc, Vol. IX, S. 431 und 434 mit Abbildungen.
•*) Lübke, die alten Glasgemälde der Schweiz, abgedruckt in dessen kunsthist.
Studien, Stuttgart 1879, S. 407.
^) SpärUche Fragmente von Glasbildern des XIII. Jahrhunderts in der Kathedrale
von Tournay und in Ste. Gudule zu Brüssel bei Levy, pl. VIII.
^) In der Südwand des Mittelschiffes. — Vgl. Theodor Herberger, die ältesten Glas-
gemälde im Dom zu Augsburg, 1860, mit färb. Abbildungen.
Deutsche Glasmalerei. 551
dreizehnten besitzen wir nur in sehr massiger Zahl, aus früherer Zeit und
in rundbogigen Fenstern fast nur am Rheine und in Westphalen. Hier in
der Chornische des Patroclus - Münsters zu Soest einzehie Gestalten als
Ueberreste grösserer Compositionen , in der kleineren Kirche zu Legden
im Münsterlande dagegen ein vollständiges Fenster, in rhythmisch geordne-
ten Kreisbildern der Stammbaum Christi, ausgehend von dem als Kreuz ge-
stalteten paradiesischen Baume des Lebens, schliessend mit dem thronenden
von den sieben Tauben des heiligen Geistes umgebenen Christus ^). In der
Stiftskirche zu Büken an der Weser sind sodann drei sehr schöne Chor-
fenster, freilich mit starken neueren Ergänzungen, erhalten, welche in zahl-
reichen Darstellungen die Geschichte Christi, des heiligen Nicolaus und des
heiligen Maternianus erzählen. Die beiden Seitenfenster schliessen schon
im Spitzbogen, aber in den architektonischen Umrahmungen und im Blatt-
werk überwiegen noch die Formen des romanischen Styles-). Bedeutender
sind die Fenster der Chornische von St. Cunibert in Köln, drei grössere
und mehrere kleinere, ohne Zweifel um die Zeit der Einweihung 1247 ent-
standen und vollkommen dem edlen spätromanischen Style dieser Zeit ent-
sprechend. An dem mittleren Fenster, dessen Inhalt die über einander dar-
gestellten Hauptmomente der Geschichte Christi, Verkündigung, Geburt,
Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt mit begleitenden Engeln und
Propheten bilden, ist ausser der Farbenschönheit auch die räumliche An-
ordnung zu rühmen, die geschickte und künstliche Verbindung von Medail-
lons und Halbmedaillons mit gewissen , den schlanken Fensterwänden paral-
lelen senkrecht aufsteigenden Linien, und die Verwendung des Eisengerüstes
zu einer kräftigen Betonung dieses architektonischen Grundgedankens ^). Die
beiden anderen grösser en Fenster zur Seite enhalten Scenen aus dem Leben
des heiligen Cunibert, die kleineren Fenster einzelne Heilige, unter denen
namentlich die weiblichen sich durch Schlankheit und Zartheit, verbunden
mit feierlicher Haltung, auszeichnen. Dass man dies Fenster schon da-
mals als etwas Ausgezeichnetes anerkannte, beweist der Umstand, dass es
in einem der beiden Chorfenster der Kirche zu Heim er s heim an der Ahr
in verkleinerter Nachbildung vorkommt, indem dasselbe nicht nur jene fünf
geschichtlichen Scenen mit ganz ähnlichen Motiven wiederholt, sondern auch
in seiner Einrahmung eine Abbreviatur der dort angewandten reicheren
1) Lübke a. a. 0., S. 335.
■2) Farbig pubJicirl in den mitlelalt. Baudenkmälern Niedersachsens, Heft 11 und
12, Hannover, 1866.
') Boisseree, Niederrhein, Taf. 72. — Aquarelle der übrigen Fenster in dem Kupfer-
sticluabinet zu Berlin.
552 Deutsche (ilasmalerei
Formen giebt^j. Auch die Glasmalereien in den rundbogigen Fenstern der
Kirche zu Neuweiler im Elsass, starre Gestalten in einfacher Haltung,
■werden noch der ersten Hälfte des Jahrhunderts angehören-). Die meisten
übi'igen Glasmalereien dieser Provinzen sind dagegen jünger und finden sich
in gothischen Maasswerkfenslern. Die der Klosterkirche zu Altenberg
bestehen, soweit sie noch aus dem dreizehnten Jahrhundert herrühren, der
Cistercienserregel gemäss nur aus grau in grau ausgeführten, aber sehr ge-
schmackvollen Mustern und Blumengewinden^), die in der Kirche zu Wim-
pfen im Thale, jetzt im Museum zu Darmstadt, geben dagegen auf farbi-
gem, teppichartig oder mit Raukengewinden verziertem Grunde in einzelnen
Medaillons die Geschichte Christi mit alttestamentarischen Parallelen in
derber, kräftiger Zeichnung^). Bedeutender ist im Strassburger Mün-
ster die Reihenfolge deutscher Könige und Wohlthäter des Stiftes, welche,
an ihrer Spitze die anbetenden heiligen drei Könige und das Christuskind,
die Fenster des nördlichen Seitenschiffes füllen. Es sind einzelne statua-
rische Gestalten, je eine in jedem Bogenfelde unter einem gothischen Balda-
chin, aber in edler Form und styl voller Gewandung und in prachtvollen
wohlgewählten Farben ausgeführt^). Einige Ueberreste, Darstellungen der
thronenden Madonna, Brustbilder Christi und der heiligen Jungfrau in Blatt-
werkumrahmung, welche eine Mischung romanischer und frühgothischer Be-
handlung zeigen, befinden sich in dem nördlichen Arm des Kreuzganges der
Klosterkirche Wettingen bei Baden in der Schweiz '5). Ausserhalb dieser
westlichen Provinzen kommen Glasgemälde noch seltener und fast nur spo-
radisch vereinzelt vor. So finden sich in österreichischen Klöstern einige
werthvolle Arbeiten, selbst aus früher Zeit. Heiligenkreuz besitzt herrliche
Fenster theils mit Teppichmustern theils mit farbigen Gestalten einiger Für-
^) Müller, Beiträge zur deutsclieu Kunst uiul Geschichtskunde, I, Tai. 9.
2) Lasteyrie, a. a. 0., Taf. 1.
^) Abijildungen bei Scliimmel, Altenberg.
-») Müller a. a. 0., Taf. 18.
"'') Mit Recht nimmt Kugler, Gesch. d. Malerei I, 2. Auflage, 205 an, dass dem
Johann von Kirchheim, pictor vltrorum in ecclesia Argentinensi, welchen man in eine""
Urkunde vom Jahre 1348 entdeckt hat , nur die in der 1331 gestifteten Katharinen-
kapelle vorhandenen Glasgemälde (vgl. Schreiber, das Münster z. Strassburg, S. 69),
und nicht (wie bei Lasteyrie a. a. 0. , Taf. 40) die jener Königsreihe zuzuschreiben
sind, wogegen ich seinem ungünstigen Urtheil über diese (vgl. auch kl. Sehr. II, 517)
keineswegs beistimmen kann. — VioIlet-le-Duc, Dict. IX, p. 444 geht von Vorstellun-
gen aus, die er nur auf Grund der französischen Stylentwickelung gewonnen, wenn er
diese Strassburger Fenster schon in das XII. Jahrhundert setzt.
^) Publicirt von Lübke , Mitliieilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich,
Band XIV, Heft 5.
in Kirchen gothiscliea Styles. 553
steil aus dem Babenberger Hause, in ümrahmungea und mit Blattwerk, das
noch entschieden romanischen Styls ist^). Auch in Klosterneuburg
werden von den Glasmalereien, welche den 1279 — 1291 gebauten Kreuz-
gang schmückten noch einige jetzt an anderer Stelle willkürlich zusam-
mengefügte Reste bew^ahrt, die an der Grenze dieser Epoche stehen 2).
Die zweitheiligen Maasswerkfenster enthielten Darstellungen aus dem alten
und dem neuen Testamente sowie aus Legenden der Heiligen, mitunter in
sichtlicher Nachahmung des berühmten in demselben Kloster betindlichen
Verduner Email-Altars , von dem später die Rede sein wird , gut componirt,
anmuthig in den Typen der weiblichen und jugendlichen Köpfe , wie in den
Bewegungen, dabei doch in reiner, strenger und schöner Zeichnung.
Im mittleren Deutschland können wir noch weniger aufweisen. In der
Elisabethkirche zu Marburg in sehr zerstörten Fenstern äusserst geschmack-
volle Muster auf farbigem Grunde-^j, im Dome zu Halberstadt wenig be-
deutende Ueberreste, ferner noch ein Fenster mit dem gekreuzigten Heiland
und den Stiftern im Chor der Klosterkirche zu Heilsbronu*), das ist wohl
ziemlich Alles, was wir dem dreizehnten Jahrhundert mit Sicherheit zuschrei-
ben können. Allerdings ist auch bei uns Vieles durch Unfälle, falschen Ge-
schmack oder Vernachlässigung zerstört, allein schwerlich mehr als in Frank-
reich, und selbst die Nachrichten über Arbeiten aus dieser Epoche -^j, lassen
nicht auf eine grosse Thätigkeit dieses Kunstzweiges schliessen. Dass diese
Erscheinung nicht durch Mangel an technischem Geschicke oder an Farben-
sinn zu erklären ist, beweist ebensosehr die Vortrefflichkeit der wenigen
erhaltenen Glasgemälde als die lange Blüthe der Wandmalerei. Wir kom-
men daher zu dem bemerkenswerthen Resultate, dass in Frankreich die neue
Gattung, in Deutschland die ältere Kunst der Wandmalerei die grössere
Neigung für sich halte. Und dies erklärt sich denn auch schon vollkommen
aus der Baugeschichte beider Nationen, obgleich es noch tiefere Gründe
haben mag. Der gothische Styl forderte und begünstigte die Fenstermalerei
^) Publicirt von Camesina, Jahrbuch der k. k. Centralcommission , Bd. III, S. 190
und Taf. XXIII — XXVII, farbig in den miuelaherl. Kunstdenkmalen des österr. Kaiser-
staates, Taf. V. Die Grisaiileu ebenda, Taf. VI und Jahrljuch, Bd. II, S. 279 und
Tafel.
-) Publicirt vou Camesiua, Jahrbucli der k. k. Centralcommission, Bd. il, S. 170
und Tafeln , in sehr schöner und correcter Darstellung. Vgl. dort die urkuMdlichen
Kachweise im Text über das Vorkommen vou Glasmalern in Klosterneuburg schon
seit Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, und die Notizen S. 186, welche darthun, dass
wenigstens einige Fenster noch aus den Schlussjahren dieses Jahrhunderts herrühren.
•■■•) Moiler, Denkmäler, II, Taf. 16.
*) Von Stiilfried, Alterthümer des Hauses Hohenzülieru.
^) Gessert, a. a. 0., S. 70 tf. meist nacli Fiorillo's zerstreuten Allegaten.
gFj^ Glasmalerei in England.
während er jener anderen Kunst die Wandflächen entzog. Dem romanischen
Gebäude war dagegen der Farbenglanz der Glasgemälde nur ein, wenn auch
erwünschter, doch entbehrlicher Schmuck, während er, abgesehen von der
Schwierigkeit, das Glas unbeschadet der Zeichnung in den grossen unge-
theilten Fenstern zu festigen, mit der hergebrachten Wandmalerei nicht wohl
harmonirte. Neben den durchglänzten prachtvollen Farben des Glases er-
scheinen Wandgemälde, namentlich nach der Technik des dreizehnten Jahr-
hunderts, matt und trübe, während wiederum ihre strengere, besser durchge-
bildete Zeichnung die Unvollkommenheiten jener schwierigen Technik auffälli-
ger macht. Es ist daher begreiflich, dass die Deutschen, so lange ihre
Bauwerke mehr den romanischen Charakter trugen, die Kosten reicher aus-
gestatteter Fenster sparten und sich mit den trüben kleinen Scheiben, welche
die damalige Glasfabrikation bot, begnügten, um ihre Wände mit ernsteren
Kunstleistungen zu schmücken.
In England hat der puritanische Eifer von Cromwell's Soldaten so
gründlich aufgeräumt, dass man sich nicht wundern kann, wenn die Zahl der
Ueberreste dieser zerbrechlichen Gattung gering ist. Indessen ist es wahr-
scheinlich, dass schon unter Heinrich II. und Eleonore, welche wir bereits als
Stifter von Glasgemälden kennen gelernt haben, diese Kunst aus ihren fran-
zösischen Provinzen auch nach England übertragen wurde, auch finden wir in
den Seitenschiffen des Chors der Kathedrale von Canterbury Glasmalereien
auf tiefblauem Grunde, welche denen von St. Denis und Angers gleichen und
mithin wohl schon bald nachder Vollendung dieses Chors um 1180 entstanden
sein mögen. Aus dem dreizehnten Jahrhundert haben wir die Bestellungen
Heinrich's III. für ausgedehnte Glasmalereien in einigen Kapellen in West-
minster und in seinem Schlosse in Northampton und zwar in einer Weise,
welche darauf schliessen lässt, dass diese Kunst damals in England schon
sehr verbreitet war^). Auch sind in den Kathedralen von York und Lin-
coln, in Beckets Crown in Canterbury und an einigen anderen Orten noch
schöne Glasgemälde erhalten, die dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts
angehören dürften. Dennoch aber scheint der ganze Kunstzweig nicht sehr
geblüht zu haben, da man, wie schon angeführt, noch im vierzehnten Jahr-
hundert farbige Gläser gern aus Eouen kommen lies.
Die Technik der Glasmalerei blieb übrigens in Deutschland und Frank-
*) Fioriilo, Gesell, d z. K., Bd. 5, S. 92 und 103. Aullallend ist namentlicii die
eine dieser Bestellungen Liberal. 36, Henr. III, Mandatum vic. Northampton, qnod
fieri faciat in Castro Norlli. fenestras de albo vitro, et in eisdem historiam F^azari
et Divitis de[)ingi), indem daraus hervorzugehen scheint, dass auf weisses Glas ge-
malt werden sollte. Wahrscheirdich aber wollte der König nur anordnen , dass die
P^enster im Ganzen aus farblosem Glase bestehen, aber, etwa in einem Medaillon, jene
Malerei enilialtcn sollten.
Technik dieser Epoche. 555
reich, und also gewiss auch in England während des ganzen Laufes dieser
Epoche dieselbe, wie sie schon Theophilus beschreibt. Man kannte nur
eine Farbe, welche sich durch Brennen mit dem Glase vereinigte, und zwar
eine schwarzgraue, das s. g. Schwarzloth , man rausste daher das Bild aus
so vielen verschiedenen Stücken schon in der Fritte gefärbten Glases zu-
sammensetzen, als es Farben enthalten sollte, und benutzte jenen Farbstoff
nur zur Hineinzeichnung der Details und der Schatten. Man entwarf zu
diesem Zwecke , wie Theophilus lehrt , das Bild des ganzen Fensters auf
einem dazu vorbereiteten Brette, schnitt dann die einzelnen Glasstücke, indem
man sie auf jenes Brett legte, nach den durchscheinenden Umrissen, bemalte und
brannte sie, und verband sie endlich mit Blei zu einem Ganzen. Bei Ornamenten
in der Einfassung des Bildes und in Gewändern oder bei Spruchzetteln bestrich
man auch wohl den ganzen Streifen mit jener Farbe und zeichnete dann die
Verzierungen oder die Buchstaben mit dem Stiele des Pinsels hinein. Dazu
kam nun noch, dass die damalige Glasfabrikation nicht leicht grosse Tafeln
gewährte, so dass der Maler grössere Felder derselben Lokalfarbe aus meh-
reren, oft sehr kleinen Stücken zusammensetzen und durch Blei verbinden
musste. Man gab deshalb auch selten historische Darstellungen von grossen
Dimensionen, sondern brachte lieber mehrere kleinere ;,n, oder richtete sich^
wenn doch grössere Figuren gegeben werden sollten, so ein, dass die Ver-
bindung durch Blei auf Theile traf, wo sie weniger auftiel, etwa auf den
Gürtel oder auf tiefer beschattete Falten. Man liebte deshalb auch ver-
zierte Gewänder und gab meistens teppichartige, nicht einfache Hintergründe,
um die Farbenflächen zu brechen und das Blei weniger auffallend anbringen
zu können. Die Zahl der Farben ist nicht gross, Blau, Roth und Gelb,
alle in mehreren Tönen, auch wohl Violett, Grün und Braun. Farbloses Glas ist
w^nig gebraucht und, obgleich schon an sich trübe, meist noch durch Far-
benaufstrich gemildert; am meisten kommt es in den Kandverzierungen vor.
Gesichter und andere Fleischtheile sind zuweilen weiss, häufiger von einem
gelblichen, lederfarbigen Tone.
Bei dieser geringen Zahl von Farben war es durchaus nöthig, mit ihnen
so abzuwechseln, dass die einzelnen Gegenstände sich von einander ablösten
und das Ganze einen gefälligen Eindruck machte. Schon Theophilus giebt
eine darauf hindeutende Vorschrift; er räth auf hellen Gründen saphirblaue
rothe oder grüne Gewänder, auf Gründen von dunkler Farbe weisse Gewän-
der anzubringen. In den Monumenten finden wir dies Princip noch mehr
ausgebildet und sehr sorgfältig beobachtet. Die Einrahmung hat einen
tiberwiegend hellen Ton, die Gründe sind fast immer dunkel, in den franzö-
sischen Glasmalereien meistens blau, in den deutschen mehr roth. In den
historischen Bildern werden dann die Farben des Grundes vermieden und
die demnach übrig bleibenden Farben in wiederkehrender Abwechselung des
556 Ginsmalerei.
Hellen und Dunklen angewendet. So ist auf dem Fenster, welches Suger's
Bild enthält , der Grund tiefblau mit rothen sich durchkreuzenden Streifen,
die Einfassung der Medaillons ein breiter, sich stark absetzender Streifen
desselben Roth, dafür kommen aber diese Farben im Inneren der Medail-
lons gar nicht mehr vor; sie haben vielmehr einen dunkelgrünen Grund, auf
dem die Figuren und anderen Gegenstände abwechselnd braun, hellgrün, gelb,
grau und weiss gehalten sind. In einem derselben, wo sieben Reiter er-
scheinen, wechselt dies in der Art, dass je drei neben einander stehende
Pferde weiss, gelb und grün in derselben Folge, das siebente allein stehende
wieder weiss , und die Gewänder abwechselnd gelb , grau , weiss und braun
sind. Man sieht, dass die Maler sich um naturalistische Wahrheit selbst
nach den bescheidenen Anforderungen dieser Epoche nicht viel kümmerten,
sondern lediglich auf Deutlichkeit der Zeichnung und gefälligen Wechsel der
Farbe bedacht waren.
Gegen das Ende des dreizehnten Jahrhunderts traten einige Aeude-
rungen ein, indem man theils grössere Tafeln zubereiten lernte, theils aus-
ser dem Schwarzloth noch einige andere, zur Verglasung geeignete Farben
entdeckte, die aber doch nur selten angewendet wurden. Dazu kam, dass
die bisherige Anordnung der Compositionen den breiteren, durch mehrere
Pfosten in schmale und hohe Felder getheilten Maasswerkfenstern nicht
völlig entsprach. Man wagte daher in diesen Feldern einzelne, statuarische
Gestalten von grösserer Dimension (in Notre-Dame von Paris waren sie 18
Fuss hoch) anzubringen, gab ihnen hellere Gewandfarben und statt des tep-
pichartigen einen einfarbigen Grund, dessen Fläche man durch einen gothi-
schen Baldachin verminderte. Indessen waren jene Verbesserungen der
Technik nicht allgemein bekannt, diese Aenderungen der Anordnung von
zweideutigem Werthe, und wir finden daher noch immer Fenster, in denen
man dem alten Principe treu blieb. Im Ganzen unterscheiden sich daher
die Arbeiten der verschiedenen Abschnitte dieser Epoche nur durch die
Zeichnung, durch die gewaltsameren Bewegungen oder die steifere Haltung
der früheren und den mehr statuarischen und einfacheren Styl der späte-
ren Zeit.
Bei den technischen Schwierigkeiten , mit denen die Glasmalerei zu
kämpfen hatte, musste sie nicht bloss auf naturalistische Wahrheit, sondern
auch auf den tieferen Ausdruck und die Bedeutsamkeit, welche die Wand-
malerei und Plastik ihren Gestalten geben konnten, verzichten. Aber in
der That war dieser scheinbare Mangel eher ein Vorzug, indem er sie ganz
von selbst in den eigentlichen Grenzen ihrer Aufgabe hielt. Die Wandmalerei
und die Plastik haben die feste Mauer hinter sich, sind daher von ihr,
wenigstens dem Gedanken nach, ablösbar und können ohne Verletzung des
architektonischen Gefühls mit selbständiger Bedeutsamkeit auftreten. Bei
Polychromie. 557
der Glasmalerei fällt diese Sonderung fort; das Glas des Fensters ist ein
Theil der umschliessenden "Wand mit einer bestimmten architektonischen
Function; es hat dem Inneren das Licht zuzuführen, und muss diese Auf-
gabe in einer Weise lösen, welche dem Geiste und der Stimmung des ge-
sammten Bauwerks und seiner Glieder entspricht, ohne sich durch allzube-
stimmte und concentrirte Zeichnung diesem Zusammenhange zu entziehen.
Wie sich diese Aufgabe in der Kirche, und zwar in der Kirche des Mittel-
alters näher gestaltete, kann keinem Zweifel unterliegen. Sie durfte das
Licht nicht als das weisse und kalte geben, welches die Dinge der Welt in
ihrer verständigen , selbstsüchtigen Trennung beleuchtet , sondern als das
Himmelslicht, als Quelle aller Schönheit, zur Farbenpracht des Regenbogens
entfaltet. Sie durfte und musste auf diesem Farbengrunde auch das Höchste
der Schöpfung, den Menschen in seiner Heiligung erscheinen lassen, aber
immer so, dass er der göttlichen Ordnung, die hier durch die architektonische
repräsentirt wird, sich unterordne.
Allerdings setzte die Lösung dieser Aufgabe voraus , dass die übrige
Architektur in demselben Geiste behandelt war, und namentlich das Element
der Farbe, das sich an den Fenstern in seinem höchsten Glänze zeigen sollte,
in sich aufgenommen hatte. Neben weissen Wänden erscheint die Glas-
malerei als ein bunter, willkürlicher Flecken, neben bemalten das weisse
Fenster wie eine Lücke. Der Gebrauch farbiger Fenster hing daher in der
romanischen Architektur mit der Gewohnheit durchgeführter Wandmalereien
zusammen und erlangte im gothischen Style um so höhere Bedeutung, weil
derselbe die Wandmalereien, für die er keine Flächen besass, aufgab, aber
die Farbe beibehielt und sie, indem er sie als das Mittel nicht historischer
Darstelhmg, sondern architektonischen Ausdruckes benutzte, nur um so inni-
ger mit dem Ganzen verschmolz. Er färbte die feinen Glieder , in welche
sich die Massen auflösten, mit verschiedenen ihren Functionen entsprechen-
den Tönen, die tragenden mit helleren, die blos füllenden und verbindenden
mit dunkleren, die verticalen mit aufsteigenden, die horizontalen mit band-
förmigen Mustern , das Blattwerk der Kapitale mit Gold. Auch die Sculp-
tur war von dieser Regel nicht ausgenommen, auch sie prangte in Gold und
Farben, nicht bloss im Innern der Kirchen, sondern auch an den Portalen.
Neben dieser durchgeführten Polychromie erschien dann die Glasmalerei als
die höchste Steigerung des alle Theile durchdringenden, aber an den un-
durchsichtigen Steinen nur in elementarer und architektonischer Bedeutung
entwickelten farbigen Lebens. Allerdings können wir nicht behaupten, dass'in
allen gothischen Gebäuden eine vollständige Färbung bestand; häufig mag sie
sich auf den Chor beschränkt, häufig ganz gefehlt haben. Aber sie war doch
als Postulat gedacht und jedenfalls waren die Wände nicht überweisst, son-
dern behielten die natürliche, durch die Zeit erhöhete und durch die Schatten
Rgg Polycliromie.
der reichen Gliederung belebte dunkle Farbe des Steines, die schon an
sich in einem bestimmten harmonischen Verhältnisse zu den farbigen Fen-
stern stand.
Das Mittelalter ist in ästhetischen Dingen schweigsam; die geistlichen
Schriftsteller besprechen die Malereien nur in Beziehung auf ihre Gegen-
stände, die Chronisten und Biographen sind nur bemüht, die Freigebigkeit
des Stifters oder die reiche Ausstattung ihrer Kirche zu rühmen. Um so
wichtiger ist es, dass wir wenigstens eine Aeusserung eines Künstlers haben,
der zu Kunstgenossen spricht und die Auffassung schildert, mit der man
diese Vielfarbigkeit betrachtete. Es ist wieder der so oft erwähnte Theo-
philus. Nachdem er nämlich in den beiden ersten Büchern seines Werkes
von der Malerei auf Wänden, Tafeln und Fenstern gehandelt hat, leitet er
das dritte, in welchem er von der Bereitung des Kirchengeräths sprechen
will, durch eine feierliche Vorrede ein, in welcher er die Künstler, für die
er sein Werk bestimmt, über etwanige Zweifel zu beruhigen und in ihrem
Streben zu ermuthigen sucht. Durch den Mund Davids, so beginnt er, habe
Oott uns belehrt, dass er an der Pracht seines Tempels Gefallen finde.
Darum solle der Künstler fest glauben, dass der Geist Gottes sein Herz er-
füllet habe und durch die sieben Gaben des heiligen Geistes ihn leiten werde.
Von diesen beseelt, redet er ihn dann weiter an, schmückst du, vertrauens-
voll zum Werke schreitend, das Haus Gottes mit aller Zierde, stattest Wände
und Decke mit verschiedener Arbeit und mannigfachen Farben aus und
giebst dem Beschauer ein Bild des himmlischen Paradieses, das in bunten
Blumen blühet, in Gras und Blättern grünet, damit er Gott den Schöpfer in
seinen Geschöpfen preise und als wunderbar in seinen Werken rühme. Das
Auge, fährt er fort, weiss nicht, wohin es sich wenden soll; die Decke glänzt
wie ein reiches Gewand, die Wände sind ein Bild des Paradieses; wenn es
die leuchtenden Fenster betrachtet, ist es von der unaussprechlichen Schön-
heit des Glases und von der Mannigfaltigkeit prächtiger Farben entzückt i).
Er schliesst hieran die Ermahnung, nun, nachdem das Haus des Herrn ge-
schmückt sei, das noch Fehlende zu ergänzen und auch die Geräthe zum
Dienste des Altars in gleicher Weise auszustatten.
1) His virtutum stipulalionibus (durch die Gaben des h. Geistes) aaimatus, donuim
Dei , fiducialiter ag-gressus , tanto lepore decorasti et laquearia seu parietes diverso
opere diversisque coloribus distinguens paradysi Dei speciem tloribus variis vernantem,
gramine foliisque virentem et Sanctorum animas diversi meriti coronis fovenTfem quo-
danimodo aspicienlibiis ostendisti , quodque creatorem Daum in creatura laudant , et
mirabilem in operibus suis praedicaiit, efl'ecisti. Nee enim perpendere humanus oculus
cui operi primum aciem infinget; si respicit laquearia, vernant quasi pallia; si consi-
derat parietes, est paradysi species; si luminis abundantiam ex fenestris iutuetur , in-
estimabilem vilri decorem et operis preliosissimi varietatem miratur.
Ilire Bedeutung. 559
Ich weiss keine Stelle, welche wie diese uns eine so befriedigende, so
sehr durch die Kunstwerke bestätigte Auskunft über die Stimmung der
mittelalterlichen Künstler gewährte. Sie gingen, wie es nicht anders zu
erwarten und zu wünschen war, von religiösen Empfindungen aus, stützten
sich auf ^Yorte der Schrift , erwarteten ilire Begeisterung von den Gabeg
des heiligen Geistes. Aber diese Religiosität war nichts vreniger als asce-
tisch strenge oder trübe; jene moderne Auffassung, welche an den Glas-
gemälden die mystische, ehrfurchterweckende Dunkelheit bewundert, war
ihnen fremd. Ueberall, wo derselben erwähnt ist, wird vielmehr die Mannig-
faltigkeit ihrer Farben, die Menge des durchscheinenden Lichtes gerühmt.
Wenn Albrecht von Scharfenberg in seiner Bearbeitung des Titurel bei der
Beschreibung des Tempels von Monsalwatsch alle Theile mit den kost-
barsten Edelsteinen verziert darstellt, wenn er die Fenster aus Beryllen und
Krystallen zusammensetzt , die soviel Tag eiuliessen , dass das Auge davon
verletzet sei ^), wenn er die „Reichheit" des ganzen Gebäudes überall rühmt,
so sind das zum Theil Uebertreibungen eines schwülstigen Dichters des vier-
zehnten Jahrhunderts. Aber es liegt ihnen doch noch das Gefühl der älteren
Generation zum Grunde, welches Theophilus schildert; auch er möchte alle
Pracht und allen Glanz in der Kirche vereinigen. Offenbar hängt seine
künstlerische Begeisterung mit einem warmen Gefühle für die heitere Schön-
heit der Natur zusammen. Freilich ist sie nicht Gegenstand und Aufgabe
seiner Kunst,- diese beschäftigt sich nicht mit der gemeinen, irdischen ^yelt,
sondern mit einer verklärten, deren Vorstellung sie in der Seele des Be-
schauers hervorrufen will. Aber die Farben dieser verklärten Natur nimmt
sie eben aus der wirklichen. Theophilus will ausdrücklich, dass der Be-
schauer der Kirche die Wunder Gottes in der Schöpfung preise; er erinnert
an die Blumen des Frählings, an das Grün in Wäldern und Thälern, er
verschmähet es nicht, den Glanz eines schillernden Gewandes zur Vergleichung
heranzuziehen. Wenn das Äüttelalter kein scharfes Auge für das Einzelne
der Natur hatte, weil es darin nur symbolische Beziehungen suchte, so war
es doch höchst empfänglich für das Ganze der natürlichen Erscheinung, für
den reichen Farbenglauz, der mit tausendstimmigem Chore den Schöpfer
preist und die Menschenseele erfreut, und wusste die leuchtendsten Farben,
^) San Marte, Leben und Dichten Wolfram's von Eschen bacli, Tli II, S. 122:
Berillen und Cristallen
Waren da für Glas gesetzet;
Dadurch begunde fallen
Des Tags so viel, das leicht da war' geletzet
Ein Aug', ob es die Länge freveulicher
Darin sehende war'.
RßQ Mosaik der Fussböden.
die kräftigsten Töne aus der Natur in das künstlerische Werk zu übertragen.
Diese Farbenlust war das vermittelnde Element zwischen der kirchlichen
Strenge und der überströmenden Jugendkraft des Zeitalters. Gerade durch
diese Verbindung wurde dieKunst des Mittelalters so stark und so wirksam;
sie war erhaben und doch populär, der strenggläubige ernste Mönch und der
lebensfrohe, jugendlich kräftige Laie, die scholastische Kirchenlehre und
Symbolik und die Naturgefühle, welche den ritterlichen Sänger erfüllten und
im Volksliede einen ahnungsvollen Ausdruck hatten^ fanden in ihr gleiche
Befriedigung; alle Extreme waren in dem wunderbaren Accorde ihrer viel-
farbigen Pracht verschmolzen und versöhnt.
Selbst an den Fussböden, bei denen die neuere Zeit seit dem sieben-
zehnten Jahrhundert sich fast immer mit farblosen oder höchstens mit ein-
fach wechselnden Fliesen begnügte, äusserte sich dies allgemeine Gesetz der
Vielfarbigkeit. Allerdings stammte der Gebrauch musivischer Auslegung
des Bodens aus der antiken Welt, war von ihr auf die italienischen Basiliken
und demnächst in die der nördlichen Länder übergegangen. Während aber
die dazu erforderliche Technik dort bald so vergessen wurde, dass man, wie
wir durch Leo von Ostia wissen, im elften Jahrhundert byzantinische Arbeiter
herbeirufen musste, erhielt sie sich diesseits der Alpen länger und wurde
theils zu bloss decorativer Ausstattung, theils aber auch zu historischen oder
symbolischen Darstellungen benutzt. Schon im elften Jahrhundert wird der
vielfarbige Schmuck des Bodens rühmend erwähnt % und eine tadelnde
Aeusserung des h. Bernhard beweist, dass im folgenden auch figürliche
Darstellungen hier gewöhnlich waren ^). Auch haben sich aus dieser Zeit
manche Ueberreste oder Beschreibungen erhalten, welche diese Darstellungen
als sehr umfassend erweisen. Im Dome zu Hildesheim fand man einen
solchen Mosaikboden, auf welchem die Tugenden und zwei historische
Scenen, von denen das Opfer Abrahams noch erkennbar, von einer Ein-
rahmung umschlossen waren, welche auf der oberen Seite das Symbol der
Dreieinigkeit, ein dreifaches Gesicht, unten die Personiticationen der vier
Elemente, an den Seiten aber Vita und Mors, also das menschliche Leben
zwischen Gott und der Natur enhielt-^). Verwandte Gedanken waren in
dem Mosaikboden des Chores von St. Remy in Ehe im s ausgeführt; denn
') Abt Eberhard von Tegernsee (f 1091) „pavimentum in choro et in ecclesia
vario lapidum artificio decoravit". Pez, Tiiesaiir. III, 3, 315, bei Wackernagel a. a. 0.
S. 135.
^) Ep. ad Wilhelmum Abb. (Opp. I, 544): At quid saltem sanctornm imagines
non venerentur, quibus utique hoc ipsum, quod pedibus conculcatur, nitet pavimentum -^
saepe spuitur in os angeli , saepe alicujus sanctornm facies caicibus tunditur
transeuntium.
■') Piper, Christi. Kniistmytliol. II, 700.
Mosaik. 561
auch hier sah man zunächst dem Altare Abraham's Opfer und andere alt-
testamentarische Symbole für den Tod Christi, im vorderen Räume aber die
Erde, eine männliche, auf dem Okeanos sitzende Gestalt, umgeben von den
vier Paradiesesflüssen, Jahreszeiten und Tugenden, so wie weiterhin von den
zwölf Monaten und Sternbildern ^j. Auch das Mosaik, welches im drei-
zehnten Jahrhundert in der Kathedrale von Canterbury vor dem Schreine
des Thomas Becket angebracht wurde, enthält durch Zusammensetzung von
farbigen Steinen auf Medaillons von dunklem Marmor die Gestalten und
Zeichen von Tugenden und Lastern, Sternbildern und Monaten.
Anfangs bediente man sich zu diesem Zwecke , ganz nach römischem
und italienischem Vorbilde, des natürlichen Steines, so gut man ihn hatte;
noch die Gestalt des Abtes Gilbertus vonLaach, auf seiner, jetzt im Museum
zu Bonn befindlichen Grabplatte aus der zweiten Hälfte des zwölften Jahr-
hunderts und einige nicht mehr erkennbare Darstellungen legendarischer
Hergänge in der Krypta von St. Gereon in Köln, welche um 1200 ent-
standen zu sein scheinen, sind mit grossen \Yürfeln natürlichen Steines
ziemlich roh ausgeführt -). In England , wo man schon frühe nach dem
Auslände hinblickte und fremde Künstler und Stoffe benutzte, suchte man
sogar in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts die erneuerte
italienische Technik des Mosaiks sich anzueignen. Das im Jahre 1260
oder 1270 errichtete Grabmal Eduard's des Bekenners in der Westminster-
abtei ist von einem Petrus % der sich römischer Bürger nennt, in der "Weise
der Cosmaten und in Marmor musivisch geschmückt, und in dem Marmor-
mosaik, unter welchem der im Jahre 1283 verstorbene Abt Richard de
Ware ruhet, rühmt die Inschrift wortspielend, dass er die Steine, welche
er jetzt trage, aus Rom hierher getragen habe^j.
An anderen Orten, wo man die Kunst mit einheimischen Mitteln be-
friedigen musste , kam man indessen schon im zwölften Jahrhundert darauf,
den Mangel an Marmorstücken durch glasirte Ziegel zu ersetzen, denen
man vor dem Brennen durch Aufstreichen anderer Erdarten verschiedene
Farben gab. Man begnügte sich dabei aber nicht mit dem blossen Farben-
wechsel viereckiger Platten, sondern gab den Steinen nach Maassgabe einer
1) Dom Marlot, Hist. de la Ville de Rlieims II, 542, bei Didron Anual. archeol.
X. 61 ff.
-) Kugler kl. Sclir. II, 284.
5) Dass es nicht (wie Vertue und Walpole annehmen) Pietro Cavallini gewesen
sein kann , ist ausser Zweifel , da dieser später lebte. Fiorillo, G. d. z. K. Bd. V,
S. 108. In der Inschrift ist das Jahrzehent (sexageno oder septuageuo) nicht mehr
deutlich.
■*) Abbas Richardus de W'ara, qui requiescit hie, portal lapides, quos huc porta-
vii ab urbe.
Schnaase's Kunstgesch. 2. Aufl. V. 36
562
Zieffelmosaik
zum Grunde gelegten Zeichnung verschiedene ineinandergreifende Formen
und erlangte so sehr mannigfaltige Muster. Die älteste uns bekannte Arbeit
dieser Art , wiederum in dem Bau des Suger im Öhore von St. Denis,
zeigt eine fortgeschrittene Technik und einen grossen Reichthum der Er-
findung. Der Boden jeder einzelnen Kapelle besieht nicht aus einem ein-
zigen, sondern aus vielen, streifenförmig nebeneinander herlaufenden , sehr
originellen Mustern. Bald sind es gelbe und schwarze, verschiedenartig
zusammengesetzte Polygone oder Dreiecke, bald rothe und schwarze Kreis-
linien, die sich auf einem Grunde von unglasirten Steinen durchschneiden,
bald endlich eiförmige Figuren, welche zu dreien aneinandergestellt ein
sphärisches Dreieck umschliessen. Eines dieser Muster besteht aus schwarzen
Quadern mit der französischen Lilie in gelber Farbe, wobei aber jede dieser
Quadern aus sieben Stücken zusammengesetzt ist, von denen drei die Lilie,
vier den Grund bilden. Mehrmals sind auch grössere Ziegel, kreisförmige,
viereckige, polygone oder künstlicher gestaltete, in der Mitte durchbrochen
und durch einen entsprechenden Stein von anderer Farbe ausgefüllt. Einige
Male wurde dies Verfahren auch zur Ausführung von Figuren auf Grab-
steinen benutzt; so in St. Bertin in St. Omer auf dem Grabe des schon im
Anfange des zwölften Jahrhunderts verstorbenen Sohnes des Grafen Robert
von Flandern, und im Kapitelsaale zu Jumieges sogar bei einer Reihe von
Aebten. Die Körper sind dabei aus einzelnen, durch Mastix verbundenen
farbigen Ziegelstücken zusammengesetzt, also in ganz ähnlicher Weise wie
in der Glasmalerei. Dagegen erhielten die Fussböden nun durchgängig nur
Muster, wahrscheinlich weil man die Kostspieligkeit figurirter Darstellungen
scheute, da sie nur durch eigends dazu gefertigte Formen gebildet werden
konnten. Im dreizehnten Jahrhundert erfand man jedoch ein Mittel , die
Procedur zugleich zu vereinfachen und zu vervollkommnen. Man drückte
nämlich in den weichen Thon des geformten Ziegels eine in Holz geschnittene
Figur von beliebiger Zeichnung ein, füllte dann diese Vertiefung mit anders
gefärbte Erde, und erlangte so auf demselben Steine ein mehrfarbiges Bild,
dem man auch freiere Zeichnung geben konnte als vermittelst blosser Zu-
sammensetzung einzelner Steine. Daher bestehen die Fussböden nun meistens
aus Blumen und zierlicheren Arabesken, abwechselnd mit Löwen, Adlern,
Greifen und ähnlichen Thieren, welche, in beliebiger Ordnung wiederkehrend,
einen sehr reichen und würdigen Steinteppich bilden. Die geschmackvollste
Leistung dieser Art ist der Boden des Quadraten Kapitelsaales im Kloster
St. Pierre-sur-Dive in der Normandie. Die Anordnung ist nämlich so,
dass um ein Medaillon in der Mitte des Saales acht concentrische Kreise
sich herumlegen , jeder aus Steinen gleicher Zeichnung zusammengesetzt,
aber von den anderen verschieden, während endlich die Ecken wieder andere
Motive enthalten. Die Farben sind nur Schwarzbraun und ein weissliches
im nördlichen Frankreich und in England. 563
Gelb ^), und zwar so, dass in den inneren Kreisen stets gelbe Zeichnung auf
schwarzem Grunde, in den äusseren, anfangs abwechselnd, nachher über-
wiegend, schwarze Zeichnung auf gelbem Grunde steht, so dass sich dann
die Ecken, in welchen wieder die dunkle Farbe vorherrscht, von dem
nächsten Kreise scharf absetzen und durch ihre Farbenverwandtschaft mit
den inneren das Ganze zusammeuschliessen. Zuweilen finden sich auch statt
dieser bedeutungslosen Figuren symbolische, das Kreuz, das Lamm, der
Pelikan, die Zeichen der Evangelisten, einige Male auch menschliche Ge-
stalten. Unter den Fragmenten eines Fussbodens, welche jetzt in einer
Seitenkapelle der Kathedrale von St. Omer gesammelt sind, erkennt man
die sieben freien Künste mit ihren Attributen, die Monate, mancherlei Thiere,
einen Elepbanten, einen Centaur, endlich auch die Bilder mehrerer Ritter
zu Ross und in voller Rüstung, mit einer Umschrift, welche sie nennt und
als Gescheukgeber und zwar einzelner Steine bezeichnet-). Dem Style
nach ist die Arbeit vom Ende des dreizehnten Jahrhunderts. Im Priorate
der Kathedrale von Ely, in der Kapelle des Priors John von Crowdon sind
vor dem Altar Adam und Eva, ihre Figuren lederfarbig und aus mehreren
Ziegeln zusammengesetzt, nebst dem Baume der Erkenntniss und mehreren
Thieren dargestellt ^). In der längst abgebrochenen Kathedrale zu Hamburg
war sogar ein Denkmal des Papstes Benedict V. mit seiner Gestalt in
natürlicher Grösse und mit Heiligengestalten an den Seiten derselben ganz
in Ziegeln ausgeführt, deren zwölf jene grosse Gestalt bildeten, dem Style
nach im dreizehnten Jahrhundert*).
Der Hauptsitz dieser Technik scheint das nördliche Frankreich, be-
sonders die Xormandie gewesen zu sein, wenigstens sind hier die zahlreichsten
und bedeutendsten Ueberreste^); auch findet man in englischen Urkunden,
^) Das Gelb ist in allen diesen Ziegelmustern vorherrschend und /.war deshalb,
weil der weisse Pfeifenlhon , welcher als ein vorzugsweise geeigneter Stoff überall
angewendet wurde, durch die Glasur eine gelbliche Farbe erhält.
2) Z. B. Fulco ülius Johannis de Sancta Adelguiida dedit istum lapidem in honorem
Sancti Audomari. — Vgl. Gailhabaud l'architecture etc. Bd. 11 und Ann, archeol.
Vol. Xir, S. 137 mit Abbild.
' ^) Allerdings wahrscheiulich erst vom Anfange des vierzehnten Jahrhunderts.
•*) Acta Sanct., Pro|iy!aeon Maji p. 164.
^) Die französische Literatur über diesen Gegenstand ist nachgerade sehr reich-
haltig. Vgl. zunächst Caumont, Bull, momum. 1848 , p. 712 , und im Abecedaire
d'Archeologie , sowie eine Reihe von Aufsätzen iu Didron's Annales archeologiques,
Vol. IX, X, XI und XII. Ausserdem sind mehrere bilderreiche Werke angekündigt
«nd theilweise erschienen: Wallet, Descr. du pave de l'ancienue Cath. de St. Omer;
Emile Ame, les carrelages emaillees du moyen &ge et de la renaissance dans le dep.
de l'Yonue, mit 50 farbigen Tafeln; Ed. Fleury, Etüde sur le pavage emaille dans le
dep. de TAisne, mit 200 Zeichnungen; endlich Alfred Rame, Etudes sur les carrelages
:56*
PyQA Ziegel mosaik.
dass solchen Ziegeln noch spät der Name der normannischen beigelegt wird.
Indessen hat man auch in England an mehreren Orten vereinzelte Ueber-
reste und neuerlich im Kapitelhause von Westmünster einen fast ganz er-
haltenen Boden von Ziegelmosaik entdeckt ^), welche sämmtlich noch aus dem
dreizehnten Jahrhundert zu stammen scheinen ^).
Nicht minder sind fast in allen Gegenden Deutschlands Ueberreste ent-
deckt. Zu den ältesten gehören die aus dem Kloster Altenzelle stam-
menden, welche jetzt im vaterländischen Museum zu Dresden bewahrt werden,
indem sie, obgleich schon dem dreizehnten Jahrhundert angehörig, wie jene
französischen Mosaikböden des zwölften, durch sinnreiche Zusammenfügung
verschiedengeforrater Ziegelstücke ein sehr geschmackvolles Muster bilden.
Aus derselben Zeit stammen dann auch die, mit welchen der Chor der Kirche
zu D ob er an in Mecklenburg ausgelegt ist, und die in der benachbarten
Kapelle zu Althof gefundenen. Sie sind schon nach der zweiten Ver-
fahrungsweise gearbeitet und enthalten auf einzelnen viereckigen Tafeln von
rothbraunem Grunde Centauren, Drachen, Löwen und andere Thiere. Die
jetzige Kirche zu Doberan ist erst im vierzehnten Jahrhundert erbaut, die
Ziegel sind aber aus dem älteren Bau beibehalten, indem einige derselben
Art sogar in der schon 1219 — 1232 errichteten Fürstengruft gefunden
sind. Auch weist der Styl auf das dreizehnte Jahrhundert. Sehr merk-
würdig ist, dass einige dieser Ziegel mit denen der romanischen Kirche des
114 7 gestifteten Cistercienserklosters zuHovedöe bei Christiania in Norwegen
so genau übereinstimmen, dass sie nothwendig mit denselben Formen'^) ge-
historiees du XII. au XVII. siecle. Decorde, pavage des eglises dans le pays de Bray^
1858. Einen sehr lehrreichen Artikel enthält auch das Dictionnaire de TArchitecture
von Viollet-le-Duc, Vol. II, p. 259 ff.
" M Vgl. den Bericht über diese Entdeckung in der Archaeologia brit. XXIX , p.
390. — Die Zeitschrift The Reliquary, vol. XI, 1870 — 71, theilt ein schönes Ziegel-
mosaik in der Kirche zu Wirksworth , Derbyshire mit , neu entdeckt durch Herrn
Llevvellyn Jewitt, der im Texte angiebt, dass solche Ziegel zu Repton fabricirt wurden.
-) Vgl. den Artikel Tiles for paving in Parker's Glossary of Architecture und die
daselbst gegebenen Abbildungen.
■■') Lisch (Blätter zur Geschichte der Kirchen zu Doberan und Althof, Schwerin
1854) , welcher diese merkwürdige Thatsache mittheilt und mit Abbildungen belegt,
will darin ein Argument zu Gunsten der früher erwähnten Hypothese einer Einwirkung
norwegischer Kunst auf die südlicheren Länder finden. Allein offenbar ist der Zu-
sammenhang ein anderer. Hovedöe war eine Stiftung des erst kurz vorher ge-
gründeten Klosters Kirkstall in England , und bekanntlich standen die Cistercienser-
klöster in der ersten Zeit des Ordens in enger Verbindung mit den Mutterklöstern.
Ohne Zweifel hat daher das norwegische Kloster bei jenen Ziegeln nicht norwegische,
sondern französisch-englische Technik angewendet. Auch Doberan war aber ein Cister-
cienserkloster, und so ist es sehr denkbar, dass es nicht bloss die Arbeit von Hovedöe
Labyrinthe. 565
macht sein müssen. Auch in Lübeck \) hat man bedeutendere, und an
mehreren Orten des südlichen Deutschlands geringere Ueberreste dieser
Technik gefunden.
Wahrscheinlich schmückte man mit solchen glasirten Ziegeln haupt-
sächlich die Chöre, Kapitelsäle und überhaupt solche Räume, welche dem
Zulaufe des Volkes und mithin der Abnutzung durch schwere Tritte weniger
ausgesetzt waren , und begnügte sich im Schiffe der Kirchen entweder mit
einfarbigen, gemusterten oder mit abwechselnden glasirten und rauhen
Steinen. Ueberdies führte die im dreizehnten Jahrhundert aufkommende
Sitte, das Schiff mit Grabsteinen zu belegen, zur Zerstörung der älteren Fuss-
böden, so dass wir von denselben hier überall keine Spuren gefunden haben.
Indessen hat sich bis auf die neueste Zeit im Mittelschiffe mehrerer Kathe-
dralen oder Hauptkirchen eine eigenthümliche Fussbodenverzierung musi-
vischer Art erhalten, welche man Labyrinth oder Bittgang genannt hat,
und die aus einer durch dunkleren Stein in der Fläche des Fussbodens be-
zeichneten spiralförmig oder sonst künstlich gewundenen und dem Mittel-
punkte zulaufenden Linie besteht. Das einzige noch erhaltene Exemplar,
im Dome zu Chartres, ist kreisförmig-), die von St. Quentin, Arras, Amiens
waren achteckig, das von Rheims in gleicher Form, aber mit vier kleineren
achteckigen Figuren daneben, das von St. Bertin in St. Omer viereckig und
endlich das in der Kathedrale zuPoitiers nach einer erhaltenen Zeichnung-^)
oval. Man vermuthet, dass der Zweck dieser sonderbaren Verzierung ge-
wesen, den Gläubigen als Wallfahrtsweg zu dienen, den sie, sei es als Surro-
gat für eine Pilgerung nach Jerusalem, sei es zur Erinnerung an den schweren
Gang des Heilandes vom Hause des Pilatus zum Calvarienberge , den
Schlangenwindungen der Linien folgend, betend und vielleicht auch auf den
Knien in etwa einer Stunde zurücklegen konnten. Dass sie dazu an einigen
Orten benutzt worden, ist sehr wahrscheinlich*), indessen ist bei keinem eine
bildliche Andeutung dieses Zweckes gefunden, vielmehr war in dem von
Amiens das Bildniss des Stifters der neuen Kirche , des Bischofs Eberhard,
und des Baumeisters, und in dem zu Rheims der Architekt nebst vier Werk-
meistern dargestellt, was eher darauf hindeutet, dass es ein Kunststück der
Arbeiter bei Vollendung des Baues gewesen sei. Uebrigens scheint dieser
naoligeahmt, sondern wirklich selbst die hölzernen Formen der Figuren von dort , wo
sie nicht mehr g-ebraucht wurden, erhalten hat.
1) Milde, Denkmäler bild. Kunst in Lübeck, Heft 2, 1848.
2) Dies und einige der unten erwähnten publicirt bei Gailhabaud a. a. 0. Bd. II.
3) Auber, Bist, de la cath. de Poitiers, Vol. I, p. 296.
*) Wenigstens versichert dies Wallet, description de la crypte de St. Berti n , in
Beziehung auf das Labyrinth von Arras. Ob dies aber ihre ursprüngliche Bestimmung
gewesen und ob es kirchlich gebilligt worden, ist mindestens sehr zweifelhaft.
566 Französische Plastik.
räthselhafte Schmuck von Frankreich ausgegangen zu sein, da er in Deutsch-
land nur ein Mal, und zwar in St. Severin zu Köln^), in England, soviel mir
bekannt, gar nicht entdeckt worden.
Neuntes Kapitel.
Die Plastik.
Im Anfange der Epoche eilte die Malerei derSculptur voraus; durch die
Miniatur von den neuen geistigen Regungen belebt, als Wandmalerei heil-
samer architektonischer Zucht unterworfen, schien sie im Besitze aller
Mittel zur Ausbildung eines neuen , den Bedürfnissen des Zeitalters ent-
sprechenden Styls. Allein das natürliche Gesetz, welches der Sculptur den
Vorrang giebt, war wohl modificirt, aber nicht aufgehoben; ein fester^
bleibender und maassgebender Styl konnte nur durch die Darstellung in
voller körperlicher Rundung erlangt werden. Sobald diese ihn ausgebildet
hatte, etwa um 1250, zögerte die Malerei nicht, sich ihm zu unterwerfen,
wie wir denn dies bei der Betrachtung ihrer einzelnen Zweige wahr-
genommen haben.
Freilich hatte die Sculptur einen längeren Weg zu durchschreiten, eine
strengere Schule durchzumachen. Ehe sie es wagen durfte, sich der Natur
zu nähern, musste sie sich völlig der ursprünglichen Rohheit entwinden^
Maass und Verhältnisse an der Architektur erlernen, sich den geraden
Linien und den scharf geschnittenen Profilen dieser herrschenden Kunst
anbequemen. Dadurch erklärt sich die auffallende Erscheinung, dass
während die Malerei schon freieren Regungen Raum giebt, die Sculptur sich
nach der entgegengesetzten Seite hinwendet, und eine Strenge des Styls
ausbildet, welche die des früheren byzantinisirenden der Malerei noch
übertraf.
Am auffallendsten ist dies gerade in dem Lande, in welchem bald
darauf die Sculptur freieren Styls ihre reichsten Blüthen trug, im nördlichen
Frankreich 2). In derselben Zeit, wo die Baukunst den Weg kühner
Neuerungen mit Entschiedenheit betrat, an denselben Bauwerken, welche
dazu die erste Anregung gaben, bildete sich hier eine plastische Schule der
alterthümlichsten Art. Zu ihren frühesten Leistungen gehören die Portale
^) Kreuser, der christl, Kirehenbau, I, 145.
2) Vgl. Viollet-le-Duc, Dict, VIII, S. 96, s. v. Sculpture. — W. Liibke, Gesch.
der Plastik, 2. Auflage. Leipzig 1871, Buch IV, Cap. II u. III.
Strenger Slyl.
567
Fig. 133
an der Kirche zu St. Denis und an der Kathedrale zu Chartres, deren
Bildwerke aus der Zeit des Baues selbst (1140 und 1145) stammen. Hier,
wo zuerst das Beispiel vollständiger plastischer Ausschmückung der ver-
tieften Seitenwäude mit Statuen, des Bogenfeldes mit Reliefs, der Archivolten
mit Statuetten gegeben wurde, finden wir Gestalten von übermässiger Länge,
mit hagerem, fast geradlinig gestrecktem
Körper, mit kleinen, etwas vorgebogenen
Köpfen und herabhängenden Füssen, die Ge-
wandung von scharfen parallelen Falten fast
gänzlich bedeckt, auch wohl an den Rändern
verziert und mit Edelsteinen geschmückt, mit
einem Worte alle Kennzeichen des früheren
byzantinisirenden Styls. Die Sculptur war
bisher in diesen Gegenden noch wenig ge-
übt, ihre Leistungen scheinen sich auf die
rohen Thiergestalten und Köpfe, welche als
Consolen dienten , beschränkt zu haben. Es
ist daher nicht unwahrscheinlich, dass die Er-
bauer jener Kirchen, indem sie das Bedürfniss
plastischen Schmuckes empfanden, sich, wie
dies wenigstens Suger nach seinem Berichte
in allen Kuustzweigen that, der Hülfe fremder,
herbeigerufener, in der Plastik erfahrener
Künstler bedient, und diese ans der nächsten
plastischen Schule, also aus Burgund und dem
südlichen Frankreich genommen haben wer-
den, wo, wie wir früher gesehen haben,
strenge, byzantinisirende Formen üblich waren 1).
Allein jedenfalls kann dies die Eigenthüm-
lichkeiten dieser nordischen Sculpturen nicht
völlig erklären, da ihr Styl in der That ein
anderer und noch strengerer ist, als jener
südliche. Auch lassen die Formen keinen
Zweifel, unter welchem Einflüsse sie entstanden
sind; der architektonische Sinn, der jetzt in
diesen Gegenden vorhei'rschte, bemächtigte sich hier auch der Plastik. Die
übermässige Länge der Gestalten hängt damit zusammen, dass die Säulen der
Portalwände schlanker geworden sind, sie sind gleichsam mit diesen empor-
geschossen; die Falten der Gewänder sind entweder senkrecht oder parallel.
Kathedrale zu Chartres.
1) Vgl. Bd. IV, S. 680.
5ßg Französische Plastik.
wie die Canneluren der Säulenschäfte, oder fast horizontal sich wiederholend.
Es waren Bauleute, welche den Meissel handhabten, und auch hier sich von
dem Gesetze des Winkelmaasses nicht losreissen konnten. Freilich machen
nun diese dünnen, ausgereckten Gestalten mit ihren wenig belebten , herab-
hängenden Köpfen auf uns den Eindruck ascetischer Abtödtung; aber gewiss
war dieser nicht beabsichtigt. Weder Sugcrs Bericht lässt darauf schliessen,
noch dürfen wir es bei den Arbeitern voraussetzen. Allerdings war die
Tradition typischer Würde bei ihnen noch vorherrschend, wie dies die Ge-
stalt des Erlösers zwischen den etwas gewaltsam bewegten Thieren der
Evangelisten im Bogenfelde des Hauptportals zu Chartres zeigt , daneben
aber erkennt man an den Köpfen, besonders an weiblichen, schon ein leb-
haftes Betonen des Individuellen, das zu der Starrheit der Körper und zu
ihrer mumienartige Einhüllung in eigenthümlichem Gegensatze steht, und
unter den kleineren Statuetten sind Engel von lieblicher Bildung.
Die Beispiele dieses Styls sind nicht so zahlreich, wie man glauben
sollte , sei es , dass er in geringerem Umfange geübt wurde, als die spätere,
mehr volksthümliche Sculptur, oder dass seine Werke durch spätere Arbeiten
verdrängt oder sonst zerstört sind. Die bedeutendste Leistung desselben
sind die schon erwähnten drei Portale der Westseite von Chartres^); an
der Kirche zu St. Denis sind die Statuen aus Sugers Zeit nur an einem
Portale des Seitenschiffs, an der Frontseite aber nur die Reliefs erhalten^).
Ausserdem gehören hierher Portale der Kathedralen zu Mans^) und zu
Bourges *), dort das südliche der Fagade , hier ein wahrscheinlich aus einer
älteren Bauzeit beibehaltenes Nebenportal, beide noch rundbogig; dann die
ausgezeichneten plastischen Arbeiten an der Kathedrale St. Maurice zu
Angers, Portale an der Kirche zu St. Loup bei Provins und zu Ram-
pillon (Seine et Marne), so wie an der Abteikirche Bertancourt-les-
Dames in der Diöcese von Amiens, und endlich zwei Statuen eines Königs
und einer Königin aus der Kirche der alten Abtei Notre-Dame-de-Corbeille^),
1) Die oben beig-efügten Zeiclinungen sind vom Mittelportale entlelint; die Arbeit
des nördlichen Portals , mit welchem vielleicht der Anfang- gemacht wurde , ist eine
noch strengere. Vorzüglich publicirt bei Gailhabaud , l'architecture et les arts qui en
dependent, ßd. I. Paris 1858.
-) Die Statuen, welche man jetzt an dieser Stelle sieht, sind Erfindungen der
Restauratoren des Gebäudes im vermeintlich alten Style.
■■') Merimee, Voyage en Oaest, p. 48.
*) Abbildungen bei Gailhabaud, monuments anciens et modernes , Vol. II , und in
Chapuy moyen Sge monum. num. 6. Obgleich rundbogig, dürfte dies Portal jünger
sein als das von Chartres , mit dem es in seiner Anordnung grosse Aehnliclikeit hat.
^) Eine Abbildung des ganzen Portals in der voyage dans l'ancieune France,
Picardie, einzelner Statuen bei Willemin, monumens francais , sowie bei Lacroix , les
arts au moyen äge et ä l'epoque de la renaissance.
Freier Styl. 569
welche nach dem Abbruche derselben in die Gruft zu St. Denis gelangt sind.
An der Kathedrale von Senlis und an den beiden älteren Portalen der Stifts-
kirche zu Man t es sehen wir gewissermaassen einen Uebergang, indem die
strengere Gewandbehandlung noch beibehalten, aber gemässigt und der
Natur genähert ist. An Xotre-Dame von Paris und zwar an dem Portal
St. Anna, dem südlichen, finden wir beide Style, jenen strengeren und den
späteren freieren, neben einander, indem man bei dem unter dem Bischöfe
Pierre de Nemours (1208 — 1219) begonnenen Ausbau der jetzigen Fagade
Reliefs und Statuetten des zwölften Jahrhunderts verwendet hat, die ent-
weder aus einem älteren Gebäude beibehalten oder beim Beginne des Neu-
baues unter Moritz von Sully (1163) vorgearbeitet waren ^). Bemerkens-
werth ist dabei die Statue des h. Marcellus am Pfeiler dieses Portals, indem
sie, obgleich schon dem dreizehnten Jahrhundert angehörig, eine Accomo-
dation an jene älteren Arbeiten zeigt.
Jedenfalls dauerte die Herrschaft dieses strengeren Styles nur bis zum
Anfange des dreizehnten Jahrhunderts. Die Künstler, welche jetzt an die
Eeihe kamen, gehörten nun schon den städtischen Corpora tionen an und
theilten den Geist der Freiheit, der sich in den Communen regte. Sie
arbeiteten an den Kathedralen, in denen nicht bloss der bischöfliche Klerus,
sondern auch die Städte ein Zeugniss ihrer Macht und Selbständigkeit ab-
legen wollten, und brachten ein Gefühl für Lebenskraft und Naturvvahrheit
mit, dem jene befangene, ängstliche Behandlung nicht mehr zusagte. Wie
das Blattwerk der Kapitale die conventioneile Form ablegte und sich ein-
heimischen Pflanzen näherte, wurden auch die menschlichen Gestalten freier
und natürlicher aufgefasst. Die Architektur kam ihnen dabei entgegen,
denn auch sie hatte nun breitere und vollere Formen angenommen; die
Statuen der Portale brauchten nicht mehr den schlanken, enggestellten Säulen
angeheftet zu werden, sondern fanden ihre Stelle in geräumigen Höhlungen,
und statt des gedrückten Tympans begünstigte ein hoch aufsteigendes Bogeu-
feld die Entwickeluug des Reliefs. Der ganze Bau athmete Luft und Frei-
heit, und die Plastik folgte daher auch hier nur dem Impulse der Architektur.
Auch die Gegenstände wurden andere; während jener strengere Styl sich
mit einfacher Nebeneiuanderstellung der Figuren begnügt hatte, gab jetzt
der ganze Umfang des Portals einen reichen zusammenhängenden Gedankeu-
inhalt, in welchem auch die Monatsbilder der bürgerlichen Beschäftigungen
und Scenen von verständlich moralischer Bedeutung Raum fanden. Es
*) Viollet-le-Diic, Dictionii. de l'Arcli. II , 285 glaubt , dass diese Ueberreste von
der abgebrochenen Kirche St. Elienne, an welcher um 1140 bedeutende Arbeiten statt-
gefunden hatten, hergenommen seien; Guilherniy, Itineraire archeologique de Paris,
p. G!), stellt die andere im Texte erwähnte Vernnithung auf.
570
Französische Plastik,
konnte nicht ausbleiben, dass diese neue Generation sich in einem Gegen-
satze gegen die ältere fühlte und demselben Ausdruck gab. Daher sehen
wir nun plötzlich statt jener hageren und steifen Glieder Gestalten von
dreister, breiter Haltung, statt der matt oder demiithig gesenkten Köpfe ein
frei gehobenes, muthiges Antlitz, statt der mühsam gelegten Falten volle,
weite, fliessende Gewänder, und alles dies mit einer Derbheit und Naivetät,
die den schroffsten Kontrast gegen jene Befangenheit bildet, und die nach-
her in mannigfacher Weise gemildert wurde.
Eine Uebersicht über den chronologischen Gang dieser Entwickelung
gewähren uns die Bildwerke auf den Grabsteinen^). Die Gestalten der
englischen Könige Heinrich IL (f 1189) und Richard Löwenherz (f 1199),
beide in der Abtei von Fontevrault im Anjou, sind noch von starrer Haltung
und mit scharf gefalteter Gewandung; aber schon die Gestalt der Gemahlin
Heinrichs, der Eleonore von Guyenne (f 1204) ist belebter, und die der
Wittwe des Richard Löwenherz, Berengaria (f 1219), in der Abtei L'Esp an
bei Mans, gehört schon im Wesentlichen dem neuen Style an. Einen
weiteren Fortschritt bemerken wir dann an den Grabmälern zweier Bischöfe
in der Kathedrale von Amiens, des Eberhard von Fouilloy (f 1223) und
des Gottfried von Eu (f 1237), die auch als Beispiele des Erzgusses in
dieser Gegend bemerkenswerth sind. Beide scheinen gleichzeitig gefertigt^
und ihre Züge gleichen sich so , dass an eine genaue Portraitähnlichkeit
nicht zu denken ist, aber sie zeigen doch das Bestreben nach einer grösseren
Lebenswahrheit im allgemeineren Sinne des Worts. Sehr anziehend und
belehrend ist demnächst die reiche Sammlung von Grabsteinen aus der Zeit
Ludwigs IX. in der Gruft von St. Denis. Bei der Herstellung dieser Kirche
wurden nämlich die Gräber der früheren Könige, Merowinger, Karolinger
und Kapetinger, welche wahrscheinlich blosse Denksteine ohne Sculptur ge-
habt hatten, mit Grabsteinen nach neuerer Weise versehen, die in den
Jahren 1263 und 1264 in die erneuerte Kirche übertragen wurden. Die
darauf ruhenden Gestalten sind offenbar in Ermangelung von Vorbildern
willkürlich von den Künstlern erfunden und alle einander ähnlich, nur mit
beliebiger Veränderung der Gewandmotive. Die Könige in langer, bis zum
Knöchel herabgehender, weiter Tunica, mit einem Mantel, der durch eine
Schnur auf der Brust gehalten ist, das Haupt von einer mit Lilien verzierten
Krone bedeckt. Die Rechte trägt das Scepter, die Linke ist immer be-
schäftigt, die Schnur oder irgend eine Stelle des Mantels zu fassen. Das
Haar fällt in einer Locke, die ungefähr einem S gleicht, auf beiden Seiten
gleichmässig herunter. Die Frauen sind alle in langen Gewändern, mit dem
') Vgl. Viollet-Ie-Duc, Dlct. d<; l'arciiitecture, Bd. IX, Artikel Tombeau, besonders
von S. 31 an.
Grabsteine. 571
Gürtel über den Hüften , das Haupt mit einem Schleier bedeckt, der bald
gerade herunterfällt, bald über der Brust zusammengelegt ist; das Haar in
dünneren Locken herabhängend. Körper und Gesichter sind voll und kräftig
gebildet, das Gewand in starke geradlinige Falten gelegt. Man sieht, dass
die Künstler ihre Aufgabe nicht sehr schwer genommen, sich namentlich
nicht bemüht haben , einen grossen Gedankenreichthum zu zeigen. Dass
dennoch alle diese Gestalten so würdig, so frei und natürlich sind, beweist,
wie gross schon jetzt die Festigkeit und Gleichmässigkeit des Styls war.
Die ersten Gräber, bei denen die Künstler die Bestatteten gekannt haben
konnten , sind die der beiden jung verstorbenen Prinzen Philipp , Bruder,
und Ludwig, Sohn Ludwigs IX. (fl221 und 1224). Sie sind offenbar mit
grösserer "Wärme behandelt, der Contrast der jugendlichen Köpfe und
reichen Gewänder mit der Ruhe des Todes, die Innigkeit, namentlich des
letzteren, der mit gefalteten Händen betend dargestellt ist, geben den Ein-
druck, den die Aufgabe forderte; das Trauergefolge an den Wänden der
Sarkophage zeigt den Schmerz in lebendigen und mannigfaltigen Aeusse-
rungen. Aber die Köpfe der Prinzen selbst sind ziemlich unbestimmt; das
Schönheitsgefühl war mehr gefördert als das Streben nach Individualität,
Die ersten Gräber, welche den Eindruck von Porträtwahrheit geben, sind
die Philipps IH., des Kühnen (f 1285), und seiner Gemahlin Isabella von
Aragonien (f 1271). Die Tracht des Königs ist noch fast dieselbe wie auf
den Gräbern der früheren Dynastien, aber der Kopf spricht bei nicht gerade
schönen Zügen , starken Backenknochen , grossem Munde und gespaltenem
Kinne den Charakter des Königs, Festigkeit, Eechtlichkeit und Güte sehr
bestimmt aus, und der mehr belebte Faltenwurf des Mantels zeigt, dass der
Künstler sich der Bedingungen einer natuiireuen Auffassung wohl be-
wusst war. '
Der Styl dieser Grabmonumente war ohne Zweifel immer nur der Reflex
von dem der kirchlichen Sculptur und kann uns daher als chronologischer
Führer bei diesen dienen; indessen können wir auch hier ungefähr dieselben
Stufen der Entwickelung verfolgen. Zu den frühesten Aeusserungen des
neuen Styls dürfen wir die Statuetten der Archivolten am Westportale der
Kathedrale vonLaon rechnen, welche etwa um 1210 gearbeitet sein mögen i).
Laon war damals eine reiche, dichtbewohnte Stadt, deren Bürger ihre Frei-
heiten mit bewaffneter Hand vertheidigten , und durch einen von Philipp
August bestätigten Friedensschluss (1191) deren Bestätigung erhielten. Man
glaubt in diesen etwas später entstandenen kleinen Figuren den kecken,
trotzigen Geist der Bürgerschaft zu erkennen; so breit und fest sitzen die
Gestalten, so dreist heben sie ihre Häupter, so derb und unausgeführt, aber
^) Die unteren Statuen sind zerstört.
572
Französische Plastik.
Fig. 135.
doch verständlich und natürlich fallen die Gewänder. Mildere und besser
durchgebildete Formen haben die wenige Jahre darauf entstandenen Portal-
sculpturen der Fagade von Notre-Dame von Paris;
der heilige Ernst der Apostel und Bischöfe und die
Anmuth der Engel und ähnlicher Gestalten sind hier
schon feiner, auch in der Gewandbehandlung besser
charakterisirt , und daneben macht sich in den Re-
liefs sowohl die Naivetät und Lebensfrische der
reichen Commune als die gelehrte Richtung der
Universitätsstadt geltend. Fast bei jedem grösseren
kirchlichen Sculpturwerke dieser Epoche kommt
der Thierkreis vor, als Andeutung der Entwickelung
des menschlichen Lebens aus den Einrichtungen
der Schöpfung, aber nirgends ist dies Thema so
systematisch und so lebendig behandelt, wie hier,
wo der Reihe der Monatsarbeiten noch eine zweite
hinzugefügt ist, welche die Erholungen der Menschen
in jedem Monate schildert. Ebenso sind am Haupt-
portale die Tugenden und Laster sehr ausführlich
dargestellt, jene als bekleidete weibliche Gestalten,
welche auf einer Scheibe irgend ein ihnen ent-
sprechendes Thicr oder anderes Attribut, gleichsam
ihr Wappenzeichen , tragen , diese dagegen nicht
personificirt, sondern durch Handlungen versinnlicht
und zwar in sehr lebendiger Weise, oft nicht ohne
Humor. Die Feigheit z. B. ist durch einen laufen-
den, sich ängstlich umblickenden Mann repräsentirt,
der sein Schwert verloren hat, während ihn nur ein
Hase verfolgt '). Neben dieser grösseren Freiheit
erhielten sich aber noch Reminiscenzen des stren-
geren Styles. An der Fagade der Kathedrale von
Aniiens, etwa um 1238, sind die Köpfe der Sta-
tuen verhältnissmässig klein, die Gewänder in engen,
senkrechten Falten gebrochen, die Haare zu regel-
mässigen Reihen gleichgeformter Locken gebildet, die Züge des Erlösers
und der Apostel noch an die traditionellen Typen erinnernd. Aber dabei
sind die Verhältnisse selbst bei kolossalen Dimensionen richtig, die Motive
Kreuzschiif zu Chartres
1) Die Sculpturen der Facade hatten theils durch eine unter Soufflot's Leitung;
(1771) vorgenommene bauliche Aenderung, iheils in der Revolution sehr gelitten, sind
aber jetzt im Ganzen sehr stylgemäss restanrirt.
Die Zeit Lndwig's IX. 573.
einfach, ausdrucksvoll und würdig, die Bewegungen mannigfaltig und mit
Geist behandelt, so dass das Ganze einen höchst imposanten Eindruck
macht 1).
Die Zeit . Ludwigs IX. war auch an kirchlichen Sculpturen überaus
fruchtbar, von denen wir als bestimmt datirt die an den Kreuzfa^aden von
Notre-Dame-j und die der Ste. Chapelle zu Paris anführen können.
Hier finden wir die Anforderungen des Natürlichen und Stylistischen schon
vollständig ausgeglichen, die herben und spröden Züge des älteren Styls vöUig
verschwunden, alles mit Feinheit, Sicherheit und Geschmack behandelt. Die
Apostel im Innern der Kapelle sind sehr lebendig charakterisirt, ihre Ge-
wandbehandlung ist musterhaft, frei, mannigfaltig und doch einfach; die
kleinen Engel, welche in den Bogenzwickeln zwischen reichem Blattwerk
knien , sind zugleich anmuthig und in dem vollen, breiten Wurf ihrer Ge-
wänder nicht ohne kirchliche Würde. Noch schöner und vollendeter sind
indessen die Sculpturen an den Vorhallen der Kreuzschiffe der Kathedrale
von Chartres und an den Portalen der Kathedrale von Rheims, die beide
zwar bald nach der Mitte des Jahrhunderts in Angriff genommen wurden,
aber ihren plastischen Schmuck wohl erst gegen das Ende desselben erhielten.
Hier ist in der That eine Reinheit des Styls, eine Verbindung von Naivetät
und Frische der Auffassung mit durchgebildetem Schönheitsgefühl, wie sie
nur besonders begünstigten Epochen gegönnt ist ^).
Die Fruchtbarkeit dieser Epoche und das Bedürfniss plastischen
Schmuckes war so gross, dass er fast an keiner ihrer Kirchen ganz fehlt.
Selbst die Pfarrkirchen kleinerer Städte, wie Villeneuve-rArcheveque
bei Sens, oder blosser Dörfer, wie Chaudes bei Saumur^) und Sains bei
Amiens, sind zuweilen damit versehen, und auch bürgerlichen Gebäuden, wie
der sogenannten Maison des Musiciens in Rheims^), wurde er nicht ver-
sagt. Bei der grossen Zahl der noch jetzt erhaltenen Sculpturen und bei
dem Mangel an genügenden Vorarbeiten, welche eine Sonderung des Bedeu-
tenderen gestatteten , habe ich mich begnügen müssen , diejenigen Kirchen
zu nennen, welche die vorzüglichsten und umfassendsten plastischen Arbeiten
1) Vgl. den Christus bei Viollet-ie-Duc, III, S. 244 f.
-) Das Tympanon des Portals am südlichen Querarm, von Jean de Chelles, bei
Didron, Annales archeol. vol. XXII, S. 309 ff.
'') Die Sculpturen von Chartres und Rheims vorzüglich publicirt bei Gailhabaud,
a. a. 0., Bd. I. — Die mitgetheilte Figur (Fig. 135) ist eine der Tugenden an der Halle
vor dem nördlichen Querarm. — Vgl. die Schilderung des gesammten CycUis von Bild-
werken Bd. IV S. 297.
*) Merimee, Ouest. pag. 370.
^ Verdier et Cattois, Arch. civile et domestique, Bd. I. — Vgl, oben S. 114.
fy'lA Französische Plastik.
-enthalten ^). Auch eine ncähere Schilderung dieser grossen Portalgruppen
ihrer Anordnung und ihrem Gedankeninhalte nach würde zu weit führen,
zumal ich einige solcher Werke grossartiger Raumsymbolik schon früher
(Bd. IV, S. 296 fif.) beschrieben "habe. Der Grundgedanke und die Haupt-
bestandtheile dieser grossen plastischen Gedichte, die stets auf mehr oder
weniger sinnreiche Weise den ganzen Inbegriff der Heilslehre mit Beziehung
auf locale Verhältnisse und Localheilige umfassen, wurde ohne Zweifel nicht
von den Meistern der Bauhütte, sondern von gelehrten Geistlichen festge-
stellt; aber dennoch blieb der Ausführung noch ein weites Feld der Erfin-
dung, und man muss die geistige Kraft und künstlerische Gewandtheit be-
wundern , mit welchen diese schlichten Werkleute auf den Gedanken einzu-
gehen , ihn in räumliche Verhältnisse zu übersetzen und jeder Gestalt die
richtige Stelle und den ihr zukommenden Ausdruck zu geben wussten. Dazu
kommt der gewaltige Umfang dieser Arbeiten. Jedes der grösseren Por-
tale enthielt in kolossalen Statuen, Statuetten und Reliefs an zweihundert
Figuren 2); erwägt man nun, dass an den Kathedralen zu Paris und Rheims
fünf, an der zu Amiens, weil das eine unausgeführt geblieben ist, vier, an
den Kreuzfagaden der Kathedrale zu Chartres aber sechs solcher Portale,
und zwar diese noch mit weiten Vorhallen, innerhalb dieses Jahrhunderts
plastisch geschmückt sind, dass dazu ausserdem die vielen und kolossalen
Statuen der Gallerien an der Fagade und der Strebepfeiler, die plastischen
Thiergestalten der Regenrinnen und Anderes hinzukam , so kann man nur
über die Fülle künstlerischer Kräfte und die Leichtigkeit der Concep-
tion erstaunen , welche dieser Zeit zu Gebote stand. Freilich kam den
Künstlern dabei Manches zu statten; sie waren nicht von dem Ehrgeiz be-
^) Die fVanzösischen Archäologen haben sich mit der Sculptur bisher fast nnr in
Beziehung- auf Iconograpliie, d. h. auf den Gedaiikeninhalt und das künstlerische Her-
kommen bei der Darstellung der heiligen Momente und Gestalten beschäftigt. Ein
Werk, welches die Entwickeiung des Siyles durch Zeichnungen belegte, wie wir Aehn-
liches über die Glasmalerei besitzen, fehlt noch gänzlich. Willemin's monumens
francais geben nur Vereinzeltes, Viollet-le-Duc , in dem citirlen Artikel Sculpture, ent-
wirft eine geistvolle Skizze, welche weiterer Ausführung werlh wäre. Aber selbst bei
ihm erweist sich die Unzulänglichkeit der Zeichnung zur Wiedergabe von Sculpturen
so gross, dass sie von solchen Unternehmungen abschrecken kann , welche vielleicht
mit Hülfe der Photographie eher gelingen werden.
^) Die Berechnung ist leicht. Schon bei einem Portale mit nur vier Archivolten
enthalten diese 62 Statuetten, von denen manche auch aus zwei Figuren gebildet sind;
dazu kommen dann die Figuren der Reliefs und die Statuen , welches alles z. B. an
dem Portal des südlichen Kreuzschiff'es der Kathedrale von Amiens (Jourdaiu et Duval,
le portail St. Honore, 1844) 183 menschliche und 15 thierische Gestalten ergiebt. Bei
sechstheiligen Portalen, wie an den Westfacadeu von Amiens und Rheims, ist die
Zahl natürlich grösser und über 200.
Fruchtbarkeit und Mannigfaltigkeit. 575
unruhigt, Ausserordentliches und Tadclfreies zu leisten, sondern arbeiteten
unbefangen und mit der Bescheidenheit des Handwerks nach wohlbekannten
und vielgeprüften Regeln eines festen Styles. Auch bewegten sich ihre Auf-
gaben in dem Kreise hergebrachter Gedanken und Gestalten und forderten
weder die Ausbildung heroischer Formen, noch die von Idealen, wie sie die
griechische Kunst erzeugte. Die Art der Compositionen hätte solche Ge-
stalten nicht einmal geduldet; der christliche Gedanke sowohl, als die archi-
tektonische Einrahmung gaben dem Ganzen immer, wie ich schon früher
gezeigt habe, einen mehr malerischen Zusammenhang, in welchem die ein-
zelnen Gestalten sich nicht in freier Kraft isoliren durften, sondern stets in
hinweisender Beziehung auf einander und auf den heiligsten Mittelpunkt der
ganzen Gruppe stehen mussten. Die Künstler waren daherauftheils typische,
theils doch wiederkehrende Motive und Charaktere geistlicher Würde,
frommer Demuth, hingebender Innigkeit hingewiesen. Aber dennoch war
der Abstand von der Erhabenheit des Erlösers und der Reinheit der Jung-
frau bis zu den Verdammten und Teufeln, und die Schwierigkeit, diese
Gegensätze in Harmonie zu bringen, so gross, dass man den Muth und die
Umsicht, mit welcher diese Künstler ihre Aufgabe zu lösen und selbst die
stets wiederkehrenden Motive mannigfaltig und individuell zu behandeln
wussten, nur bewundern kann. Es ist wahr, dass sie dabei in manchen Be-
ziehungen nicht so tief und gründlich zu Werke gingen, wie die antiken und
modernen Künstler. Sie hatten weder wie jene ein durch die Anschauungen
eines freien Volkslebens geübtes Auge, noch machten sie wie diese anato-
mische und psychologische Studien. Die Körperverhältnisse ihrer Gestalten
sind nur im Allgemeinen richtig, die Arme oft zu dünn oder zu klein, die
Hüften zu hoch oder zu niedrig; im Ausdrucke des Leidenschaftlichen fehlt
ihnen das richtige Maass, in der Ausprägung der Charaktere die volle Be-
stimmtheit. Aber diese Mängel werden durch die Verbindung der Gestalten
zu grossen Gesammtbildern weniger auffallend und sind jedenfalls wieder
mit manchen Vorzügen verbunden. Sind diese Künstler nicht durch Studien
gefördert, so sind sie auch nicht dadurch gehemmt. Wir finden sie nie-
mals von falscher Reflexion irre geleitet, niemals nach Effecten haschend
und kokett, niemals in kalter Correctheit ermattet; sie sind immer wahr,
unbefangen, frisch, nur mit ihrem Gegenstande beschäftigt. Didron nennt
irgendwo die Kathedrale von Rheims den Parthenon des dreizehnten Jahr-
hunderts, und in der That sind diese Sculpturen in ihrer ruhigen Objectivi-
tät denen des Parthenon zu vergleichen. Stylgefühl und Schönheitssinn
fehlen ihnen nicht leicht und wirken auch abgesehen von dem Inhalte der
Darstellung. Die Linienführung, die Art, wie die Figuren sich tragen und
auf ihren Hüften ruhen, die Verhältnisse der Körpermassen, der Wechsel
von lichten und von beschatteten Stellen, die Contraste der nebeneinander
576
Französische Plastik.
Fig. 136.
Kathedrale zu Rheiras.
Fig. 137.
gestellten Figuren sind durchweg wahrhaft plastisch und künstlerisch. Die
Gewandbehandlung erinnert oft im Wurfe des Mantels an die Antike, ist
aber noch häutiger bei den bald lose herabflies-
senden; bald durch den Gürtel mannigfaltig moti-
virten Gewändern von einer dem Mittelalter
eigenthümlichen Grazie. Im Ausdrucke der
Empfindungen, von welchen ihre Zeit vorsugs-
weise bewegt war, sind sie oft unübertrefflich;
die bescheidene Anmuth der Frauen, die Innig-
keit und Reinheit der Engel sind kaum in irgend
einer anderen Zeit besser geschidert.
Wir haben keinen Bericht, der uns von dem
künstlerischen Verfahren bei diesen umfangreichen
Sculpturen Kunde gebe; ohne Zweifel waren über-
all viele Gehülfen beschäftigt, denen schwerlich
vollständige Zeichnungen oder Modelle vorlagen,
sondern die nur unter der Leitung des erfinden-
den Meisters arbeiteten. Und da ist dann die
Uebereinstimmung aller Theile ein merkwürdiger
Beweis von der grossen Sicherheit des Styl-
gefühls.
Unsere Zeitgenossen haben für diese Werke
meist nur flüchtige Blicke; die Unscheinbarkeit
des rauhen Sandsteins, in welchem sie ausgeführt
sind, die nur durch ruhige Betrachtung und Er-
klärung zu entwirrende Menge der Gestalten,
selbst die Objectivität und der Mangel an starken
Effecten halten sie meistens ab, genauer auf das
Einzelne einzugehen; sie würden dabei oft eine
Fülle von Schönheit finden, welche den Ver-
gleich mit den gerühmten Werken des Alterthums
nicht zu scheuen braucht.
Die Ausbildung dieses plastischen Styles ist,
■wie gesagt, ausschliesslich das Verdienst der nörd-
lichen Provinzen, welche den gothischen Styl
hervorbrachten ; erst im Gefolge desselben gelangte
er auch in das südliche Frankreich, wo wir ihn dann
in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts
an verschiedenen Orten angewendet finden. So in St. Severin in Bordeaux
an einem südlichen Seitenportale, welches zufolge seiner Inschrift im Jahre
1260 durch den Canonicus Raimundus a fönte gestiftet ist, im Cistercienser-
Kathedrale zu Rheiras.
Deutsche Plastik. 577
kloster Obasine im südlichen Limousin an dem Denkmale des Stifters
St. Stephan (fllÖS), das in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts
entstanden zu sein scheint und an welchem der liebliche Ausdruck der
Gestalten und die Natürlichkeit der Pflanzen gerühmt wird^), in der Kathe-
drale von Narbonne an dem Grabe des Erzbischofs de la Jugie (f 1274);
das als ein Werk von höchster Schönheit gepriesen wird, endlich an der
Fa^ade der Kathedrale zu Lyon. Im Allgemeinen aber kam dieser neue
plastische Styl in diesen Gegenden erst im vierzehnten Jahrhundert zur
rechten Geltung.
In Deutschland war der Entwickelungsgang der Plastik ein ähnlicher
wie in Frankreich, aber doch mit wesentlichen Verschiedenheiten. Auch
hier nämlich entstand durch das Bedürfniss besserer Regelung der unbe-
stimmten Formen und durch den Einfluss der Architektur ein strengerer
Styl mit eckigen Körperformen und gehäuften geradlinigen oder ge-
brochenen Falten, der auch von Reminiscenzen der byzantinisirenden
Weise nicht frei blieb. Allein er wurde doch keinesweges so starr und
mumienhaft wie dort; die Verhältnisse sind mehr der Natur entsprechend,
und ein Bestreben nach Ausdruck und dramatischem Leben macht sich auch
in den spröden Formen geltend. Der tiefere Grund dieser Verschiedenheit
mag im Nationalcharakter liegen, der in Frankreich zu einer rücksichts-
losen Anwendung des formellen Princips hinneigte, in Deutschland dagegen
stets Wahrheit und Ausdruck forderte. Eine näher liegende Erklärung giebt
aber schon das verschiedene Verhältniss der Plastik zur Architektur Wäh-
rend in Frankreich gleich am Anfange der Epoche diese die herrschende
Kunst wurde und es zur Hauptaufgabe der Sculptur machte, sich in den
engen Raum neben den aufsteigenden Gliedern der Portale zu fügen, behielt
man in Deutschland den romanischen Styl bei, dessen breite Wandfelder
der vorzugsweise im Innern angewendeten Plastik gestatteten, sich freier
und nach ihren eigenen Erfordernissen auszubilden.
Das bedeutendste Werk dieses deutschen plastischen Styles sind die
Reliefs an der Brüstung des Georgenchores im Dome zu Bamberg,
Avelche höchst wahrscheinlich längere Zeit vor der Weihe vom Jahre 1237,
vielleicht noch im zwölften Jahrhundert entstanden sind. Es sind vierzehn
Reliefs, in eben so vielen spätromauischen , mit dem Kleeblattbogen über-
deckten Nischen, auf der einen Seite die Verkündigung und die paarweise
zusammengestellten zwölf Apostel, auf der anderen der Erzengel Michael
') Texier in den Ann. archeol. XII, 385, mit Abbildung
Schnaase's Kunstgeseh. 2. Aufl. V.
578
Deutsche Plastik.
mit dem Drachen nebst zwölf P ropheten ^). Die Zeichnung ist durchaus strenge ;
das Profil des Gesichts rechtwinkelig geschnitten, die Gewänder fallen schwer,
bald straff angezogen und mit vielen Falten, bald einfacher aber am Rande
in regelmässige Wellenlinien auslaufend, auch wohl flatternd. Einzelne
Figuren, namentlich die der Verkündigung, erinnern auffallend an den hieratischen
Styl der altgriechischen Kunst, mit dem sie auch eine gewisse feierliche Würde
gemein haben. Die Paare der Apostel undPropheten sind zugleich in lebendigem
Gespräche und_doch auch fortschreitend dargestellt, und diese Aufgabe überstieg
zuweilen die Körperkenntniss des Künstlers; dafür aber hat er diesen Gruppen
eine grosse Mannigfaltigkeit und viel dramatisches Leben gegeben; an den
Fig. 138
Kopf des Engels anf der Verkündigung im Georgenchore des Domes zu Bamberg.
Propheten bemerkt man sogar, dass er in Zügen und Bewegungen die
jüdische Nationalität ausdrücken wollte. Der Erzengel Michael endlich
schwingt das Schwert ziemlich gewaltsam, aber er giebt doch trotz der
mangelhaften Zeichnung den Ausdruck unwiderstehlicher Kraft, den der
Künstler beabsichtigte. Die Bewegungen sind oft ungeschickt, die Körper-
formen unschön, namentlich ist eine gewisse Dickbäucbigkeit der Gestalten
auffallend, Schönheitssinn und Anmuth sind überhaupt nicht die Vorzüge
^) Abbildungen einzelner Gruppen in Kngler's kl. Sehr. I, 154 (in selir charakteri-
stischer ZLichuuug), und bei Förster Deiiknnale, Bd. III.
Scliotlenkirche zu Regensburg. 579
dieser Arbeit, wohl aber erkennen wir eine lebendige Empfindung für Ernst,
Würde und Energie. Aehnlichen Styles und wahrscheinlich aus derselben
Zeit sind dann noch das Relief des Bogenfeldes am Nordportale neben der
östlichen Chornische und selbst die Statuen an der sogenannten goldenen
Pforte oder dem Fürstenportal am nördlichen Seitenschiffe, beide aber min-
der bedeutend und wahrscheinlich etwas später entstanden.
Einigermaassen verwandten Styles sind die Sculpturen an dem Portal-
bau der Schottenkirche in Regensburg, von dessen auffallender archi-
tektonischer Eigenthümlichkeit ich schon oben gesprochen habe, dessen
plastische Gestalten aber noch viel räthselhafter und abenteuerlicher sind.
Neben den wohlbekannten Erscheinungen des Heilandes, der Apostel, der
Jungfrau, finden wir priesterliche Gestalten mit ungewöhnlichem Kopfputz,
welche sich den Aposteln als die Lehrer des Ostens und des Westens an-
reihen, dann aber auch fabelhafte Thiere, Menschen von Drachen und
Krokodilen verschlungen, Weiber mit Fischschwänzen, und dies Alles nicht
als leichtes Phantasiespiel an untergeordneterstelle, sondern in bedeutsamer
Grösse und Anordnung i). Auch diese Darstellungen, die auf den ersten
Blick eher an indische Mythen als an christliche Dogmen erinnern, sollen
dazu dienen, Christi Herrlichkeit und die Ausbreitung seiner Lehre auf
Erden zu verkündigen, während, in üebereinstimmung mit diesem Grundge-
danken, Allegorien von der Ueberwindung des bösen Princips an passender
Stelle Platz gefunden haben 2), Die Ausführung ist zwar fieissiger und
schärfer als in Bamberg, aber dennoch roher, weniger von geistigen Motiven
belebt, und zugleich mehr byzantinisirend. Die Entstehungszeit dürfen wir
nach architektonischen Kennzeichen in die zweite Hälfte des zwölften Jahr-
hunderts, vielleicht erst gegen 1200 setzen. Die Vermuthung, dass die
irische Abkunft der Mönche auf ihre Arbeit Einfluss gehabt habe , ist in
Beziehung auf die Sculptur aus denselben Gründen und noch entschiedener
wie bei der Architektur abzulehnen, da es auf den britischen Inseln überall
noch keine irgend erhebliche plastische Kunst gab. Ueberhaupt drängt uns
nichts, hier eine fremde Einwirkung anzunehmen, da wir plastische Arbeiten
von gleicher Phantastik und von ähnlicher strenger und doch roher Behand-
lung, wenn auch von geringerem Umfange nicht nur in unmittelbarer Nähe,
an der Fa^ade der Kirche zu Gögging, welche dem Schottenkloster zu
Regensburg eigen war 2) und in der früher geschilderten Krypta zu Frei-
*) Vgl. Waagen, Künstler- und Kunstwerke in Deutschland, Bd. 2, S. 95. Ab-
bildungen bei ro|ip und Biilau , die Architektur des Miltelallers in llegensburg, bei
Gailhabaud Vol. U und in Förster's Denkmalen, Bd. IX.
2) Versuche genauerer Erklärung bei Sighart a. a. 0. S. 188.
3) Sighart S. 187. — Augsburger Postzeitung, 1853, Nr. 29. Beilage.
37*
580
Deutsche Plastik.
sing^), namentlich an der Mittelsäule, sondern auch an andern Orten des
südlichen Deutschlands, in Ober-Wittighausen in Franken, in Rosheim
im Elsass, in Faurndau und Brenz in Schwaben, und selbst in Trier an
den Aposteln und Heiligen der Choreinfassung antreffen.
Eher könnte man auswärtigen Einfluss bei den Sculpturen der Gallus-
p forte am Münster zu Basel zugeben, indem sie, der einzige Fall dieser
Art, an die älteren französischen Portalsculpturen erinnern. Zwischen den
schlanken Säulen auf beiden Seiten des Portals sehen wir nämlich die
Statuen der vier Evangelisten, im Bogenfelde darüber Christus als Welt-
richter mit den fürbittenden Gestalten localer Heiligen, darunter in einem
Friese die thörichten und klugen Jungfrauen, daneben auf den strebepfeiler-
artigen Vorsprüngen, welche das Portal einrahmen, in Reliefs sechs Werke
der Barmherzigkeit, endlich oben posaunenblasende Engel und Gruppen
Auferstehender, die auf dem oberen Gesimse ohne gemeinschaftliche Basis
auf der Mauer zerstreut sind. Das Ganze ist eine Darstellung des Welt-
gerichtes nach Anleitung des 25. Kapitels im Evangelium Matthäi. Die Arbeit
macht bei grosser Rohheit doch Ansprüche auf Zierlichkeit und selbst auf
Naturwahrheit. Die Gewänder sind sauber in treppenförmig geordnete Fal-
ten gelegt und mit gestickten Rändern verziert, die Hände der Evangelisten
deuten durch ein schematisches Netzwerk den Knochenbau und die Adern
an, dabei sind aber die Köpfe von einer erschreckenden Starrheit und Aus-
druckslosigkeit , was sich allerdings zum Theil durch die Härte des groben
Sandsteines, aus dem auch dieses Portal wie das ganze Münster besteht,
entschuldigen lässt. Nach den architektonischen Merkmalen dürfen wir das
Werk nicht früher als in die zweite Hälfte des zwölften Jahrhunderts
setzen 2).
Uebrigens gelangte dieser strenge Styl wohl kaum zu allgemeiner Herr-
schaft. Selbst im südlichen Deutschland finden wir gleichzeitige Sculpturen,
welche ihm nicht angehören. So namentlich die Reliefgestalten Kaiser
Friedrich's I. und seiner Gemahlin an dem Portale des Domes zu Frei-
sing^), welche in Bewegungen und Haltung dieselbe naturalistische Ten-
1) Vgl. oben S. 279.
2) Siehe die Abbildung in (Burckhardt's) Beschreibung des Münsters zu Basel.
Basel, bei Hasler, 1842 und in Förster's Denkmalen , Bd. I. Zwei der Evangelisten-
statuen in V. Hefner, Trachten des Mittelalters, Bd. I, Taf. 30.
^) Abbildungen bei Sighart, der Dom zu Freising, und bei v. Hefner, Trachten
des Mittelalters, Taf. 25. Die Reliefs tragen zwar die Jahreszahl 1161, aber wohl nur
als Erinnerung an die Schenkung des Kaisers von diesem Jahre , und werden erst
gegen Ende des zwölften oder am Anfange des dreizehnten Jahrhunderts gearbeitet
sein. Die Figur des Kaisers ist im vierzehnten Jahrhundert überarbeitet, die Haltung
der beiden anderen Figuren trägt aber zu sehr das Gepräge der früheren Zeit , als
Sächsische Schule. 581
denz wie manche Miniaturen verrathen, und ein anderes Reliefbild desselben
Kaisers im Kreuzgange des Klosters St. Zeno bei Reichenhall, welches
zwar sehr starr und von strenger Gewandung, aber ohne byzantinisirenden
Faltenwurf ist ^). Ein Zug grösserer Lebendigkeit, mitunter eine über-
raschende Aumuth tritt uns in den Sculpturen der Burgkapelle auf Schloss
Trausnitz bei Landshut entgegen, Stuckfiguren mit wohlerhaltener Be-
malung, die im Styl allerdings noch Anklänge an romanische Formbildung
geben, aber doch schon dem zweiten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts
angehören. An der Brüstung der Empore thront Christus mit Maria, Jo-
hannes dem Täufer und den Aposteln, neben der Chornische sehen wir die
Heiligen Katharina und Barbara, sowie die Verkündigung Maria's^), und an
der Decke hängt ein grosses Crucifix. Verwandt sind die Grabfiguren
Ludwigs des Kehlheimers und seiner Gemahlin , mit Stuck überzogene und
bemalte Holzbildwerke, in der nahegelegenen Afrakapelle zu Seligenthal-^).
Noch entschiedener macht sich aber ein freierer Aufschwung der Plastik
im nördlichen Deutschland geltend und besonders nimmt die sächsische
Schule eine sehr eigenthümliche und ausgezeichnete Stellung ein. Sie
hatte, da sie schon seit den Zeiten Bischof Bernward's vielfach geübt war*),
einen Vorsprung vor den übrigen Schulen Deutschlands. Das byzantini-
sirende Element war in ihr niemals vorherrschend geworden; sie beruhete
vielmehr eben vermöge dieses früheren Ursprunges auf unmittelbareren an-
tiken Traditionen, und dies war die Ursache, dass sie auch jetzt nicht erst
jener strengeren architektonischen Regelung bedurfte, sondern sogleich zu
einer freieren Auffassung überging, die sich aber dennoch sehr wesentlich
von derjenigen unterscheidet, welche in Verbindung mit der gothischen
Architektur sich später verbreitete.
Das früheste Beispiel dieser Richtung, an welchem wir sie fast im Ent-
stehen finden, geben einige Reliefs in der Stiftskirche zu Gernrode, nament-
lich die an der Nordseite der Busskapelle, wo eine weibliche Gestalt mit
dem Ausdrucke des inbrünstigen Gebetes durch die Schönheit ihrer Formen über-
rascht, während die daneben stehenden Figuren in Haltung und Gebehrde noch
völlig dem Style der vorigen Epoche entsprechen, und nur eine etwas freiere
Gewandbehandlung zeigen. Sehr viel bedeutender sind die Sculpturen an
dass man das Ganze mit v. Quast (Deutsches Kunstbl. 1852, S. 173) in das dreizehnte
Jahrhundert verweisen könnte.
1) V. Hefner a. a. 0. Taf. 23.
2) A.bgebildet in den Denkmälern des bayrischen Herrscherhauses, I.
'') Abgebildet ebenda, H.
*) Vgl. Bd. IV, S. 664, 677.
gg2 Deutsche Plastik.
der Kanzel der Klosterkirche zu Wechselburgi); auf der vorderen
Brüstung Christus, in sehr hohem Relief, thronend, von den Zeichen der
Evangelisten umgeben, neben ihm Maria auf der Schlange und Johannes
auf einer männlichen, vielleicht den vorchristlichen Unglauben darstellenden
Figur stehend; dann auf der einen Seitenmauer Abraham's Opfer, auf der
anderen Moses mit der ehernen Schlange und darunter Abel und Kain mit
ihren Opfergaben, alles bekannte Symbole des Opfertodes Christi.
Manche Züge in diesen Sculpturen entsprechen noch ganz dem Geiste
und Style des zwölften Jahrhunderts; die rohe und unförmliche Zeichnung
an der Gestalt des jungen Isaac und an dem Widder, der zu seiner Ver-
tretung im Gesträuche liegt, die heftige Bewegung des Patriarchen selbst,
auch die Wahl der Gegenstände, die noch ganz dem Kreise altchristlicher
Symbolik entnommen und ohne allen scholastischen Anflug ist, deuten auf
eine frühere Zeit, und die architektonischen Details der Kanzel würden es
gestatten, sie um die Zeit der Vollendung der Kirche (1184) zu setzen. Da-
gegen zeigt sich in den Köpfen und in der Haltung der Körper ein so feines
Gefühl für Schönheit der Linie, für Naturwahrheit und Ausdruck, wie wir
es in so früher Zeit nicht gewohnt sind. Schon die Christusgestalt, obgleich
typisch und strenge , ist doch frei bewegt und von belebten , mehr als ge-
wöhnlich individualisirten Gesichtszügen; besonders aber überrascht der Aus-
druck der Innigkeit und des Schmerzes oder der Reue in den Köpfen und
Bewegungen Abels und Kains. Auch Maria und Johannes haben eigenthüm-
lich bewegte Gebehrde und freie Gewandmotive.
Einen näheren Anhaltspunkt für die Zeitbestimmung dieser Arbeit giebt
ein zweites, bedeutenderes Werk, das in so grosser Stylverwandtschaft mit
jenem steht, dass man beide einem und demselben Meister zuschreiben zu
müssen geglaubt hat, die goldene Pforte zu Freiberg^), Ich habe schon
oben aus architektonischen Gründen mich dafür ausgesprochen, dass ihre-
Entstehung jedenfalls erst im dreizehnten Jahrhundert, vielleicht erst gegen
die Mitte desselben, angenommen werden könne, und die Anordnung des
Bildwerkes bestätigt diese Ansicht. Sie beruht zunächst keinesweges, wie
die der Kanzel von Wechselburg, auf der einfachen altchristlichen Symbolik,
sondern giebt schon nach der Weise des dreizehnten Jahrhunderts einen
umfassenderen , in Gegensätzen gegliederten Gedankeninhalt. Das Bogen-
feld zeigt uns die Jungfrau gekrönt und mit dem lehrenden Christuskinde
auf ihrem Schoose, zu ihrer Rechten die anbetenden drei Könige, zur Linken
^) Abbildungen bei Puttrich a. a. 0. und zum Theil bei Förster, Denkmale, Bd. 1.
^) Vgl. den Holzschnitt oben S. 229 ; vollständige Abbildungen bei Puttrich
a. a. 0. ßd. I, Abth. I, ferner in E. Förster, Denkmale, I. Vgl. Heuchler, der Dom
tu Freiberg, und die kritischen Bemerkungen von Waagen, in dessen K. und K. \V.
in Deutschland I, S. 7.
Die goldene Pforte zu Freiberg. 583
der Engel Gabriel und Joseph. Von den Archivolten enthält die erste Gott
Vater von P^ngeln umgeben, die zweite das Christkind umgeben von Prophe-
ten, die dritte den heil. Geist als Taube nebst Aposteln, die äusserste end-
lich die auferstehenden Gerechten, welche die Zahl der himmlischen Heer-
schaaren vermehren. Der ganze obere Raum giebt daher die Verklärung
der Jungfrau als Himmelskönigin. Die acht Statuen an den Seitenwänden,
auf jeder Seite drei männliche und eine weibliche, haben dann eine sym-
bolische prophetische Beziehung auf die Jungfrau und den Erlöser; auf der
einen Seite DanieP), die Königin des Morgenlandes, Salomo und Johannes
der Täufer; auf der anderen zuerst Aaron, dann eine gekrönte Frau, viel-
leicht die Ecclesia, dann David mit der Harfe und endlich ein jugendlicher
Apostel mit dem Buche , wahrscheinlich , obgleich jede nähere Andeutung
fehlt, Johannes der Evangelist^). Die Schönheit dieser Sculpturen ist be-
wundernswerth. Das Relief ist von vortrefflicher Anordnung, noch über-
raschender aber sind die Statuen. Die Köpfe, am meisten die, welche an
einigen Stellen über den Statuen zwischen den Kapitalen der Säulen ange-
bracht sind, haben ein fast antikes Profil, die Körper sind nicht bloss rich-
tig, sondern von edelster Bildung, die Bewegungen leicht und graziös, die
Gewänder voll und frei. Am auffallendsten ist die Gestalt des Daniel, der
jugendlich, in einer Art phrygischer Tracht, mit der linken Hand eine
Schriftrolle hält, mit der rechten den kurzen auf der Schulter befestigten
Mantel leicht hebt, und mit dem schlanken, von kurzen Stiefeln bekleideten
Beine in fast tanzender Bewegung fortschreitet Aber auch bei den anderen
Gestalten sehen wir die Richtung auf das Anmuthige vorherrschend; Salomo
und der Evangelist sind als Jünglinge, die beiden weiblichen Gestalten mit
einem Ausdrucke zarter Innigkeit dargestellt, und selbst Aaron in voller
priesterlicher Tracht und mit langem fliessendem Gewände hat doch mehr
weiche als strenge Formen. Schon bei der architektonischen Würdigung
dieses Portals habe ich die von Einigen aufgestellte Vermuthung, dass es
durch die Beihülfe italienischer Künstler entstanden sei, angeführt, und
in der That kann man nicht läugnen, dass der erste Eindruck des Ganzen,
das Vorwalten antiker Reminiscenzen neben einer Hinneigung zu grösserer
Zierlichkeit und bewusster Grazie, wohl an Italien erinnert, aber freilich
nicht an den derben Styl des gleichzeitigen Nicolo Pisano, sondern eher an
Späteres. Daher war denn jene Vermuthung auch dahin ausgesprochen
dass die Arbeit theilweise aus einer späteren Restauration herstamme.
^) Stieglitz, bei Puttrich , uauute diese Gestalt Josua; ohne Zweifel ist es aber,
wie es zuerst v. Quast im Kunstblatt 1845 , S. 226 aussprach , Daniel , auf den auch
der Löwenkopf zu seinen Füssen deutet.
2) Nach Heuchler a. a. 0, elier der Prophet Nahum.
5g4 Deutsche Plastik.
Allein dies wird wiederum jdurch die Vergleichung der einzelnen Theile des
Portals widerlegt. Zwar sind die Statuen freistehend, nicht im Mauerver-
bande mit dem architektonischen Theile des Portals, aber sie entsprechen
in ihrer ganzen Behandlung der Sculptur der Kapitale und der Köpfe , die
das Gebälk tragen, so dass das Ganze gleichzeitig entstanden sein muss;
nur mag die Arbeit an den Portalwänden zuletzt, die des Bogenfeldes und
der Archivolten, die einfacher und weniger graziös gehalten, zuerst vorge-
nommen sein. Doch finden sich selbst an den Statuen Züge, die völlig dem
deutschen Style des dreizehnten Jahrhunderts entsprechen. Nur diesem
müssen wir also das ganze Werk zuschreiben i) , wobei dann die Verwandt-
schaft mit späteren und italienischen Arbeiten sich leicht durch die Ver-
mischung antiker Reminiscenzen mit christlicher Naturauffassung und Em-
pfindung erklärt.
Vergleichen wir die goldene Pforte mit den Sculpturen der Kanzel von
Wechselburg, so ist eine innere Verwandtschaft nicht zu verkennen; in bei-
den ist dieselbe Weichheit der Linien, dasselbe Anschliessen an antike Tra-
dition, dieselbe Neigung zu sanften, graziösen Motiven. Allein dennoch ist
die Ausführung des Freiberger Werkes so viel vollkommener, dass man
beide nicht demselben Meister, sondern nur verschiedenen Generationen der-
selben Schule zuschreiben kann.
Auch finden wir diese sofort in einem dritten Werke, welches wieder-
um etwas jünger als die goldene Pforte zu sein scheint, nämlich an den
Altarsculpturen derselben Kirche von Wechselburg^). Der vor der Chor-
nische stehende steinerne Hauptaltar hat nämlich ungewöhnlicher Weise ^)
eine hohe steinerne Rückwand, welche den ganzen Raum der Chorvorlage
ausfüllt und nur durch zwei Bögen den Zugang in die Concha offen lässt.
Auf dem mittleren, wiederum vermittelst eines Bogens hinaufgeführten Theile
dieser Rückwand stehen nun die kolossalen in Thon gebrannten Gestalten
des Heilandes am Kreuze nebst Maria und Johannes; auf den Armen des
1) Diese Annahme ist auch jetzt die allgemein herrschende, von "Waagen, E. Förster
u. A., und auch schon früher von Schora in seinem Aufsatze: Altdeutsche und nor-
mannische Kunst, in der deutschen Vierteljahrsschrift 1841, Heft IV, S. 104 ff. aus-
gesprochen. Die von diesem zugleich aufgestellte Vermuthung, dass der Anblick und
das Studium der Mosaiken von Monreale, durch die Hohenstaufische Herrschaft über
Sicilien vermittelt, auf die Meister von Wechselburg und Freiberg Einfluss gehabt habe,
scheint unhaltbar, da die Aehnlichkeiten, auf welche er sie stützt, allzu allgemeine sind.
2) Pultrich a. a. 0. — E. Förster, Denkmale, Bd. H.
3) Noch im dreizehnteu Jahrhundert hatte der Hauptaltar in bischöflichen Kirchen
niemals, in klösterlichen äusserst selten eine solche Rückwand, weil die r,hürnische die
Sitze der Gei^llichkeit und namentlich des Bischofs oder Abtes enthielt und diesen dei
Blick auf den Altar nicht beschränkt sein durfte.
Altar zu Wechselburg-. 585
Kreuzes oben Gott Vater, zur Seite fliegende Engel, am Fusse desselben
eine liegende, bärtige Gestalt in weitem Mantel mit dem Kelche (Nicodemus
oder Joseph von Arimathia?), unter den Füssen der Jungfrau und des Jo-
hannes zwei gekrönte Figuren, Verköri)erungen des niedergeworfenen Juden-
thums und Heidenthums. Die beiden Seitenwände der Altarmauer enthalten
dann noch in Nischen unter Kleeblattbögen vier Steinreliefs, Daniel und
David, einen Propheten und einen jugendlichen König, ohne Zweifel wieder
Salomo. Diese Gestalten stimmen in Tracht und Haltung völlig mit den
Statuen der goldenen Pforte überein, und auch in den oberen Figuren ist
die Stylverwandtschaft unverkennbar, nur deutet sie hier überall auf eine
spätere Zeit. Die Formen des Christuskörpers, der mit zierlich gelegtem
Schurze bekleidet und mit drei Nägeln befestigt ist, sind sehr ausgearbeitet
aber fast weichlich, die anmuthigen, jugendlichen Züge und die Handbewe-
gungen der Jungfrau und des Johannes, das lockige Haar des letzten, auch
die Gewandmotive entsprechen den Statuen von Freiberg, aber alles ist
weniger präcis, und namentlich sind die Gewandfalten in einer Weise ge-
häuft und in geschwungene Linien gezogen, die dort nicht vorkommt. Zwei
Statuen, welche am Eingange des Chors angebracht sind, die eine in ritter.
lieber, fast römischer Tracht, die andere im Prophetengewande und mit dem
Scepter (Abraham und Melchisedek?) sind in ganz gleicher Weise den Frei-
berger Statuen ähnlich und von ihnen abweichend.
Wir bemerkten an den deutschen Wandgemälden, dass dem einfachen,
geradlinigen Style der gothischen Zeit eine unruhige, bewegte Haltung
der Figuren vorherging, die auf einem noch unausgebildeten Naturalismus
beruhte und sich besonders durch flatternde Gewandraotive äusserte. Auch
in der Sculptur können wir diese Richtung wahrnehmen und namentlich
zeigt dies Altarwerk Spuren davon. Sehr viel entwickelter ist sie aber auf
dem in derselben Kirche befindlichen Grabsteine des Stifters , Grafen Dedo
(t 1190) und seiner Gemahlin Mechtildis (f 1189). Hier sind die Gestalten
schon voll und kräftig, in der Modellirung an die Arbeiten der zweiten
Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts erinnernd, sogar nicht ohne Porträtähn-
iichkeit, die Gewänder aber in einer, besonders für liegende Gestalten höchst
auffallenden Weise wellenförmig bewegt und wie flatternd. Ohne Zweifel
hat die Dankbarkeit der Mönche dies Denkmal erst längere Zeit nach dem
Tode ihres Wohlthäters zu Stande gebracht, da die Form der Waffen und
der Lehnsfahne auf das dreizehnte Jahrhundert deuten.
Wie weit sich der Einfluss dieser Schule erstreckte, muss dahingestellt
bleiben; indessen lässt sowohl jenes Bildwerk in Gernrode als der Grabstein
eines Ritters im Dome zu Merseburg^), dessen Gestalt dieselbe weiche,
1) Puttrich a. a. 0., ßd. I, Abtli. 2, Taf. 8, Nro. 4.
5Qß Deutsche Plastik.
jugendliche Anmuth und eine ähnliche Gewandbehandlung zeigt, auf eine
weitere Verbreitung schliessen. Jedenfalls war sie nicht von Dauer und
auch wohl kaum zu weiterer Fortbildung geeignet. Ihre Formen, so an-
ziehend sie sind, haben doch etwas Schwankendes, und mussten, wie es die
späteren Wechselburger Sculpturen zeigen, leicht in Weichlichkeit und Hal-
tungslosigkeit übergehen. Ihr fehlte das architektonische P^lement, das ge-
rade jetzt zu neuer Herrschaft gelangte, und sie musste daher dem einfache-
ren, ruhigeren Style, der im Gefolge der gothischen Baukunst aufkam,
weichen. Selbst in Freiberg fand dieser nicht lange nach Vollendung der
goldenen Pforte Eingang, wie dies die jetzt im Museum des Alterthums-
vereins zu Dresden befindlichen, aus dem Freiberger Dome stammenden in
Holz gearbeiteten kolossalen Gestalten des Heilandes am Kreuze nebst der
Jungfrau und Johannes^) und einige am Aeusseren der s. g. Thümerei in
Freiberg, eines Nebengebäudes des Doms aus dem fünfzehnten Jahrhundert,
eingemauerte Reliefs beweisen.
So sehr der neue Styl aber auf innerer Nothwtndigkeit und architek-
tonischer Conscquenz beruhete, musste er sich in Deutschland erst einbür-
gern, und trat anfangs noch schüchtern und befangen auf. So zuerst an
der Liebfrauenkirche in Trier^), obgleich die schmale Fagade schon einen
nach der Weise des neuen Styles bildlich entwickelten Gedankengang giebt.
Das noch rundbogige und romanisch verzierte Portal enthält im Bogenfelde
die thronende Jungfrau mit dem Kinde nebst den anbetenden Königen und
der Darstellung im Tempel, in den fünf Archivolten, Engel, Bischöfe, Kirchen-
väter, darauf gekrönte, musicirende Gestalten, also Selige, welche die Krone
des Lebens erlangt haben, endlich die klugen und die thörichten Jungfrauen.
Von den sechs Statuen des Einganges sind nur noch drei erhalten, die eine
wahrscheinlich Johannes den Evangelisten, die anderen in gewohnter Weise
die Kirche und die Synagoge darstellend. Das ganze Portal verbindet also
die Begriffe des Himmelreiches und der Kirche, um die Jungfrau als Königin
des ersten und Repräsentantin der letzten zu feiern. Damit steht dann
weiteres Bildwerk an den oberen Theilen der Vorderwand in Verbindung;
an den Strebepfeilern hier Abraham, mit dem schon zum Opfer gebundenen
Isaac, dort Noah das Brandopfer darbringend, über ihnen jederseits noch
zwei Gestalten von Erzvätern und etwas höher, neben dem Fenster, die
Verkündigung , im Giebel endlich Christus am Kreuze zwischen Maria und
Johannes. Die Haltung der meisten Figuren ist noch sehr steif, sie zeigen
sich fast alle von der Vorderseite oder im Profil, mit geradlinigen, parallelen
^) E. Förster, Denkmale, F.
2) E. ans'm Weertli, Kiiiisideiikmale des Miltilalters in den Rheinlanden , Bd. III,
Tal. LIX.
Verbreitung des neuen Slyls.
587
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\ i'r
Gewandfalten, auch auf dem[Ilelief des Bogen-
feldes mit Ausnahme des einen kniendenKönigs
alle stehend. Nur die beiden weiblichen Sta-
tuen des Eingangs, die Kirche und Synagoge,
sind freier behandelt, und bei der Krönung
der Jungfrau, im Bogenfelde des Nebenportals,
sieht man, obgleich auch hier wieder alle Fi-
guren stehen , doch den Versuch, etwas mehr
Bewegung in die Gewandlinien zu bringen i).
Bei alledem verläugnet sich aber der Schön-
heitssinn, der in den architektonischen
Theilen waltet, an den plastischen nicht ganz,
vielmehr haben die Gesichtszüge und selbst ,
die Linienführung schon oft eine Anmuth, yi
welche mit jenen plastischen Mängeln ver-
söhnt.
Die Entstehungszeit dieser Bildwerke kön-
nen wir um 1240 setzen. In ähnlicher Weise
schwankend und schüchtern finden wir dann
denselben plastischen Styl an der benachbarten
Kirche zuTholey-), und an dem rundbogigen
Portal der Südseite der Stiftskirche zu
Wetzlar^). Anziehender sind einige Sculp-
turen des Bamberg er Domes, besonders die
Statuen, mit welchen das südliche Portal der
Ostseite offenbar mehrere Decennien nach
seiner Erbauung geschmückt ist, Kaiser Hein-
rich und Kunigunde, Adam und Eva, ein
Apostel, wahrscheinlich Petrus und der hei-
lige Stephanup. Diese in voller, freier Ge-
wandung würdig gehalten; die Kaiserin, mit
etwas kleinem Kopfe, gürtellosem weich herab-
fiiessendem Kleide und anmuthiger Gebehrde;
die beiden nackten Gestalten aber von über-
raschender Naturwahrheit und schlichter Be-
Statue der Kaiserin Kunigunde.
Dom zu Bamberg.
1) £. aus'm Weerlh a. a. 0. Taf. LXFig. 1. — Abbildungen beider Portale auch schon
n Schmidt's Trierischen ßaudenkmalen, Lief. J, Taf. 6 und 7*, eine geistvolle Erklärung
von dem Bischof Müller im Texte, S. 36 ff.
^) Kugler hl. Sehr. II, S. 259.
••') Daselbst S. 169 und 177.
(N /
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/
v(^
588
Deutsche Plastik.
Fig. UO.
Statuen im westlichen Chore des Doms zu Naumburg.
Dome zu Bamberg und Naumburg. 589
handlang, der Körper des Adam kräftig, der der Eva von anspruchs-
loser Grazie. Die Ruhe der Haltung und die Yölligkeit der Form
eignet diese Arbeiten dem neuen Style zu, während sie durch eine gewisse
jugendliche Bescheidenheit und Anmuth den Werken jener älteren sächsi-
schen Schule verwandt sind. Schärfer ausgeprägt finden wir den neuen
Styl in demselben Dome an mehreren der goldenen Pforte später hinzuge-
fügten und an einigen im Innern aufgestellten Statuen; unter den letzten
eine von ungewöhnlicher Aufgabe, die hoch an .einem Pfeiler angebrachte
Reiterstatue König Konrad's IIL, der hier begraben war. Das Pferd, wenn
auch nicht vollkommen richtig, ist doch mit glücklicher Xaturbeobachtung
wiedergegeben, während der Kopf des Königs schon jenes conventioneile
Lächeln hat, das zu den Schwächen des Styls gehört^). Verwandt, wenn
auch etwas handwerksmässiger, ist das Reiterbild des Kaisers Otto I. nebst
den Gestalten von zwei Tugenden auf dem Marktplatz in Magdeburg, die
Ummantelung des Sockels nebst den übrigen Figuren gehört aber hier erst
dem vierzehnten Jahrhundert an-).
Bald nach diesen, etwa 1250 entstandenen Arbeiten finden wir dann
diesen Styl in ganz Deutschland herrschend, bald freier, geistiger, häufig
aber auch schon ziemlich handwerksmässig ausgeübt. Zu den besseren Lei-
stungen dieser Zeit gehören die Sculpturen am Lettner des Westchores im
Naumburger Dome, besonders aber die zwölf ^) Standbilder in demselben
Chore, welche Bischof Dietrich den früheren Wohlthätern der Kirche, wie
er sie in seinem Stiftungsbriefe aufgezählt hatte, wahrscheinlich aber erst
bei vorgerücktem Bau, etwa um 1270, errichten Hess. Es sind schlichte
Arbeiten in Sandstein, an den Werkstücken der Pfeiler haftend, in künstleri-
scher Durchbildung den Freiberger Statuen nachstehend, aber durchweg mit
Gefühl und mit gesunden künstlerischen Motiven. Alle sind mit weiten
Gewändern und Mänteln bekleidet , die Frauen mit einer Krone und einer
unter dem Kinne festanliegendeu Binde, die Männer, ein breites Schwert
und einen spitzen Schild haltend, mit starkem, freiherunterfallendem Haare,
noch nicht in der damals in Frankreich aufkommenden schematischen Be-
handlung. Die Körper sind bis auf feinere Theile richtig, mehr kräftig
breit als schlank, die weiten Gewänder fallen in natürlichen Falten. Die
Köpfe sind nicht ohne Ausdruck, alle in Zügen und Haltung verschieden.
1) Vgl. über alle diese Sculpturen Kugler kl. Sehr. 1 , 156 m. Abbild. — Auch
bei Förster, Denkmale, Bd. III. — Das Reiterbild auch bei Lübke, Plastik, S. 424.
2) V. Quast und Otte, Zeitschr. I, S. 108 ff., Taf. 7 — 9, wiederholt bei Förster,
Denkm. Bd. IX. — Das Monument ist stark restaurirt.
3) Acht Männer und vier Frauen; eine der letzteren scheint von späterer Arbeit.
Vgl. die Abbildungen bei Puttrich a. a. 0, Bd. I, Abth. 2, Serie Naumburg, Taf. 16
und 17. — Förster, Denkmale, Bd. V.
p,gQ Deutsche Plastik.
die der Frauen zum Theil mit dem conventionellen Lächeln, das hier fromme
Freudigkeit bedeutet, die Männer entweder ruhig zuschauend, oder mit etwas
gesenktem Haupte und dem Ausdrucke inniger Theilnahme. Ueberhaupt
zeigt sich der Meister in der Art, wie er seine an sich monotone Aufgabe
zu beleben wusste, als einen denkenden Künstler, der dieGebehrden und Ge-
wandmotive mit der Bildung und dem Ausdrucke des Gesichts in Einklang
zn setzen suchte. 'Die jugendlichen Gestalten sind durchweg inniger und
ausdrucksvoller, die älteren ruhiger dargestellt ; GrafDithmar, der in der In-
schrift auf dem Schildrande als ermordet bezeichnet ist, erscheint, den
Schild vorhaltend, die Hand am Schwertgriffe, das Haupt emporhebend, als
wolle er sich gegen einen Angriff vertheidigen , Graf Wilhelm, der „unus
fundatorum" genannt wird, und also wahrscheinlich die reichste Beisteuer
gegeben oder der Grundsteinlegung beigewohnt hatte, zeigt mit erhobener
Hand, geneigtem Haupte und aufgeschlagenen Augen die wärmste Theil-
nahme an dem vorausgesetzten Hergange der Gründung, und in ähnlicher
Weise geben die meisten Gestalten ein Charakterbild.
Neben diesem ersten Werke des neuen Styls in Sachsen will ich so-
gleich ein zweites ähnlicher Art nennen, vier Statuen nämlich an den Wän-
den des Chors im Dome zu Meissen, welche den Kaiser Otto I. nebst
seiner Gemahlin, den Evangelisten Johannes und den Bischof Donatus, jene
die Stifter und diese die Schutzpatrone der Kirche darstellen ^). Sie sind von
feinerer Ausführung und jedenfalls jünger als jene, dürften aber wohl
noch am Schlüsse des Jahrhunderts entstanden sein, dem der Styl sowohl
der Gewänder als der darüber befindlichen Baldachine entspricht, und in-
teressiren auch dadurch, dass die vollständige Bemalung, wenn auch mit Er-
neuerungen, erhalten ist.
Vereinzelte kirchliche Bildwerke des dreizehnten Jahrhunderts kommen
ziemlich häufig vor, jedoch meist von geringerer Ausführung, welche auch
die Zeitbestimmung zweifelhaft macht 2). Mitunter tritt uns auch an grösse-
ren Werken noch in ziemlich später Zeit ein strenges Beharren bei den
Formen des älteren Styls entgegen. So in den kolossalen Steinfiguren, welche
sich in der Vorhalle am südlichen Hauptportal des Domes zu Münster
zwischen schlanken Ringsäulen erheben. Sie stellen mehrere Apostel und
Heilige, einen Fürsten und den Bischof Dietrich von Isenburg vor, welcher
1) Puttricli a. a. ()., Bd. II, Abtli. I, Serie Meissen, Taf. 12 und 14.
2) Dahin geliören die GestaUen der Wächter in der Kapelle des h. Grabes am
Dome zu Constinz, welche v. Hefner (Trachten d. M. A. I, 4 u. 5) von 1220 daiirl,
bei denen aber ungeacl)tet ihrer rohen Ansfi'ihrurg die freie und gewandte Haltung
auf eine spätere Zeit schliessen lässt. Die sehr einfach und strenge gehaltenen kolos-
salen Statuen Heinrichs des Löwen und des Bischofs Hermann im Braunscliweiger Dome
dürften der Mitte des Jahrhunderts zuzuschreiben sein.
Münster zu Freiburg und Strassburg. 591
1225 den Grundstein des Neubaues legte , und werden gewiss erst einige
Zeit nach seinem Tode, in dffv zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts,
entstanden sein^ Neben der architektonischen Gemessenheit in der Haltung
zeichnen sie sich andererseits schon durch lebendigen Ausdruck der Köpfe
und durch glücklichen, weichen Fluss der Gewandung aus^). Ein entschie-
neres Eindringen von Zügen des neueren Styls, die sich aber noch immer,
und zwar in plastischer wie in architektonischer Beziehung, mit Nachwir-
kungen des älteren Styles misclien , zeigt das noch rundbogige Portal der
südlichen Vorhalle am westlichen Kreuzschiffe des Domes zu Paderborn-)
Die Statue der Jungfrau am Mittelpfeiler in einfacher, gerader Haltung und
Gewandung und die naive, spielende Bewegung des Kindes auf ihrem Arme ge-
hören schon der neuen Auffassung an, während die Apostel an den Seitenwänden,
mit flachen Gewandfalten und gelocktem Haare, und endlich die grottesken
Figuren im Laubwerk der Kapitale noch auf Reminiscenzen des älteren
Styles beruhen. Dennoch wird man bei dem langsamen Gange der west-
phälischen Kunstentwickelung die Arbeit nicht früher als um 1260 setzen
können.
Unterdessen hatte sich am Oberrhein eine Schule gebildet, die an
Adel des plastischen Styles, an Leichtigkeit und Freiheit der Behandlung
mit der französischen Plastik wetteiferte. Hire umfangreichsten Werke sind
die Sculpturen in der Vorhalle des Freiburger und an der Fagade des
Strassburger Münsters, deren Inhalt ich schon früher als Beispiele der
Raumsymbolik beschrieben habe^). Aelter aber als diese grossartigen Bild-
werke sind die Sculpturen am Portale der südlichen Querhausfrout des
Strassburger Münsters, welche vielleicht nicht unmittelbar nach der
Entstehung der architektonischen Anlage, doch keinesfalls erheblich später
und ihrem stylistischen Charakter nach wohl um die Mitte des dreizehnten
Jahrhunderts, entstanden sein werden*}. Ausser den Statuen und Reliefs
am Doppelportal befanden sich früher in den Wandungen desselben, jetzt
durch Säulen ersetzt, die Figuren der zwölf Apostel , von denen eine ehe-
mals eine Inschrift trug, welche sie als das Werk einer Künstlerin Sabina
1) Zwei Apostel bei E. Förster, Denkmale, VII. — Vgl. Lübke , Westphalen,
S. 132.
-) Lübke a. a. 0., S. 174 und die Abbildung in Moller's Denkmalen, Band I,
Taf. 17.
3) Bd. IV, S. 291 S. und 295 f.
•*) Viollet-le-Duc, Dict. VIII, S. 169 setzt die Arbeiten in den Anfang des XIII.
Jalirhundeits, wolil etwas zu früh, indem er iiacli frcmzösischen Monumenten uitheilt,
die meisten deutschen Schiiftsleller haben sie aber noch irriger bisher dem Ende des
dreizehnten Jahriiunderls zuweisen wollen, ausgehend von der falschen Voraussetzung,
von der unten die Rede ist. — Vgl. über das Arcliiteklonische oben S. 277.
gg2 Deutsche Plastik.
bezeichnete. So interessant nun auch die Kunde von einer solchen in dieser
Zeit ist, in welcher nur ein ungewöhnliches Talent die Zulassung einer Frau
zu den Arbeiten der Hütte rechtfertigen konnte , so hat doch nur eine unbe-
gründete Sage aus dieser Sabina eine Tochter des Meisters Erwin von
Steinbach gemacht. Es ist ferner, da jene Statue mit der Inschrift nicht
mehr existirt, kein Anhalt vorhanden, jener Sabina irgend eine erhaltene
Arbeit zuzuschreiben ^). Von dem Bildwerk an diesem Querhausportal sind
nur die schlanken , bei einfacher Behandlung grossartigen Gestalten der
Kirche und der Synagoge in anmuthig fliessenden, fein angeordneten Gewän-
dern, und einige Theile des Reliefs, zum Beispiel der Tod der Maria, welcher
durch Schönheit der reichen Compositon überrascht, der Zerstörung während
der französischen Revolution entgangen^). Fast gleichzeitig scheinen die zwölf
Statuen an dem Mittelpfeiler des südlichen Querarms, unten die vier Evan-
gelisten, in einer zweiten Reihe vier Engel mit Posaunen, oben Christus und
drei Engel mit Marterwerkzeugen 3). Sie sind in der Schlankheit und der
zarten Gewandung den eben geschilderten Portalfiguren verwandt, aber, ob-
gleich sorgfältig ausgearbeitet, minder bedeutend. Gegen 1270 sind sodann
die wie gesagt bereits oben beschriebenen Sculpturen der Freiburger
Vorhalle ausgeführt, die an Schönheitsgefühl, Schwung und zarter Grazie
alle andern Bildwerke der deutschen Gothik übertreffen. Bald darauf,
1277, begann in Strassburg der Fagadenbau Meister Erwins, und im
Anschluss daran entstanden die Sculpturen dieser Front, der einzigen in
Deutschland, welche auch im Reichthume plastischer Ausstattung den fran-
zösischen Kathedralen gleichkommt^). Die Reliefs der Bogenfelder ihrer
Portale sind vielleicht zu inhaltreich und ohne feinstes Gefühl für Raumver-
theilung, die Statuen dagegen, namentlich die mit Recht berühmten der
klugen und thörichten Jungfrauen an einem der Seitenportale, sehr ausge-
1) Die leotiinischeii Verse an jenem Bildweri\ lauteten : Gratia divinae pietatis
adesto Saviuae de petra dura per quani sum facta figura. Sie beziehen sich also
ausdrücklich nur auf diese eine Statue. Specklin theiit zuerst mit , dass die Bild-
hauerin Sabina eine Tochter des Dombaumeisters gewesen, Schilter, in der Ausgabe
von Königshovens Chronik 1688 , und Grandidier gehen noch weiter indem sie die
Worte de petra dura, statt auf das Folgende , auf den vorhergehenden Namen be-
ziehen und etwas kühn mit „von Steinbach" übersetzen. Vgl. die feine Untersuchung
von L. Schneegans „La staluaire Sabine" in der Revue d'Alsace, Colmar 1850 p. 257,
Die Bildhauerin Sabina arbeitete lange bevor Erwins Thätigkeit am Münsterbau begann.
-) Die Gestalt des Königs Salomo zwischen den Portalen ist neu.
3) Adler (deutsche Bauzeitung 1870, S. 402) vermuthet darin eine Andeutung des
jüngsten Gerichts.
*) Auch diese Bildwerke sind nach den Verwüstungen der Revolution ^lark
restaurirt.
Münster zu Strassburg.
593
zeichnete Leistungen dieses Styls. Im Ganzen ist die Bildung der Gestalten
gedi-ungener als am südlichen Querarme, der Faltenwurf minder fein, aber
Fig. 141.
.; MlÜliiiiliii;!!:
Münster zu Strassburg, Westfayade.
auf reichere 3Iassemvirkung angelegt. Das Streben nach Lebendigkeit
Ausdruck und Haltung führt allerdings manchmal durch Uebertreibun
manieristischen Zügen.
Sclinaase's Kunstgesch. 2. Aufl. V.
m
R zu
38
^QA Deutsche Plastik.
Dei' Charakter derselben Schule und eine nahe Verwandtschaft beson-
ders mit den Bildwerken der drei Westportale zu Strassburg tritt uns an
dem Portal des südlichen Querhausarmes der Stiftskirche zu Wimpfen im
Thal entgegen, das wohlerhalten ist und deutliche Farbenspuren zeigt. An
dem Mittelpfosten steht die Madonna mit dem Kinde, an den Wandungen
erscheinen Petrus und Paulus nebst vier anderen Heiligen. In dem Tym-
panon ist der Gekreuzigte zwischen der Kirche und der Synagoge nebst Maria
und Johannes dargestellt, verehrt von zwei Stiftern in geistlichem Gewände,
die Archivolten enthalten die zwölf Apostel. Wie in Strassburg sind die
Figuren massig schlank, die Gesichter in dem Streben nach Belebung manch-
mal bis zur Grimasse verzogen, dabei aber die Bewegungen stets ausdrucks-
voll und von gesunder Beobachtung des Lebens.
So sehen wir also den neuen Styl in verschiedenen Gegenden Deutsch-
lands angewendet, aber immer doch nur vereinzelt und sparsam, nicht mit
der Energie und Fruchtbarkeit wie in Frankreich. Schon dies lässt darauf
schliessen, noch deutlicher ergiebt es sich aber aus gewissen feineren Zügen,
dass dieser Styl hier noch nicht so einheimisch und beliebt war, wie dort.
Er hing so innig mit der gothischen Architektur zusammen, entsprach dem
allgemeinen Zeitgeiste so sehr, dass man ihm die Aufnahme nicht versagen
konnte, aber er befriedigte nicht völlig. Er setzte eine tactvoUe Ausgleichung
der naturalistischen und poetischen Anforderungen mit dem Stylistischen,
eine Unterordnung des individuellen Gefühls unter die allgemeine Regel
voraus, die dem deutschen Geiste nicht natürlich war. Daher erklärt sich,
dass wir an manchen deutschen Sculpturen Spuren des Widerstrebens gegen
die Gleichförmigkeit jenes Styls und des Bemühens nach grösserer Indivi-
dualität und Naturwahrheit bemerken. Hauptsächlich finden wir dies an
Grabsteinen. Die französische Kunst bewegte sich hier in einem engen
Kreise, aber mit Geschmack und Anstand; sie hielt die Gestalten der Ver-
storbenen in gerader Lage und gab der Gewandbehandlung durch breite,
geradlinige Falten den entsprechenden Ausdruck des Ernstes und der Ruhe.
Auch in Deutschland kannte und verstand man dies Princip sehr wohl, und
wir besitzen eine Reihe von Grabmälern aus dieser Epoche, in denen es
strenge beobachtet, einige wo es mit grosser Meisterschaft durchgeführt ist.
So unter anderen die Denkmäler Heinrichs des Löwen und seiner Gemahhn
im Dome zu Braunschweig, welche etwa aus der Mitte des dreizehnten Jahr-
hunderts herrühren und die volle Meisterschaft der sächsischen Schule zei-
gen'), die Grabsteine des Landgrafen Conrad (f 1243) in der Elisabeth-
kirche zu Marburg 2), des Grafen Ulrich von Württemberg und seiner zweiten
Abgebildet im Anzeiger für Kunde der Deutschen Vorzeit, 1871, Col. 7 u. 8.
Moller a. a. 0., Taf. 18.
Grabsteine. 595
Gemahlin Agnes (f 1265) in der Stiftskirche zu Stuttgart') und des Grafen
Diether III. von KatzeneUnbogen (f 1276), früher in S.Clara zu Mainz, jetzt
im Museum zu Wiesbaden -) , die in gebranntem Thone gearbeitete Gestalt
Herzog Heinrich's IV. (f 1290) in der Kreuzkirche zu Breslau;^). In vielen
anderen Fällen dagegen sehen wir das Bemühen, die Figuren mehr zu be-
leben. Einige Male sind sie gleichsam in Handlung gesetzt, so zunächst auf
den Gräbern der Bischöfe Günther (f 1066) und Berthold (11285) im Dome
zu Bamberg (auch jenes augenscheinlich erst im dreizehnten Jahrhundert
gearbeitet) dadurch, dass sie im Profil und mit aufgehobener segnender
Hand dargestellt sind*), dann aber mit fast dramatischer Entwickelung auf
dem Grabsteine des Erzbischofs Sigfried (f 1249) im Dome zu Mainz ^).
Der Künstler hat nämlich dem gewaltigen Kirchenfürsten, der bekanntlich
in den letzten unruhigen Jahren der Regierung Kaiser Friedrich's II. eine
grosse politische Rolle spielte, die beiden Gegenkönige Heinrich Raspe und
"Wilhelm von Holland zur Seite gestellt, und zwar so , dass sie in kleinerer
Dimension und auf Fussgestellen stehend der grösseren Gestalt des Erz-
bischofs, der ihnen die Kronen aufsetzt, bis an die Schulter reichen. Dies
giebt allerdings unbequeme Bewegungen und ist nicht ganz geglückt, aber
die Haltung der beiden jugendlichen Fürsten ist anmuthig und ritterlich, die
Gewandbehandlung einfach und leicht, und der Zweck des Künstlers, seinen
Helden in der Fülle seiner Macht zu zeigen, möglichst erreicht. In den
meisten Fällen dagegen hielt man zwar die gerade, ruhige Lage des Körpers
für angemessen, suchte nun aber wenigstens durch die Gewandung Leben
und Mannigfaltigkeit zu erreichen. Statt in geraden, schweren Falten die
Glieder zu verhüllen, ist nämlich das Gewand wie ein leichter Stoff behan-
delt, der den Bau des Körpers durchscheinen lässt und auf der Fläche des
Steines unruhige und fast flatternd bewegte Falten bildet. Auch das Haar
fällt leicht und bewegt in langen Locken , und das Gesicht hat oft eine
1) Heideloff, Schwaben, Taf. VI.
2) V. Hefner, Trachten d M. A. I, Taf. 68.
3) Farbige Abbildung, doch etwas hart, in Büsching , Schlesiens Vorzeit in Bild
und Schrift, und in H. Luchs, Schlesische Fürstenbilder des Mittelalters, Berlin 1872.
*) Das Denkmal des Bamberger Bischofs Suidger von Mayendorf, der als Papst
Clemens II. im Jahre 1047 starb, halte auch ich (wie Kugler kl. Sehr. I, 159) für eine
Arbeit des 13., und nicht (wie E. Förster, deutsche Kunstgesch. I, 65) des 11. Jahr-
hunderts. Es enthält nur Reliefs an den Seitenwänden, welche den späteren Deckstein
tragen, von denen besonders die in sehr eigenthünilicher allegorischer Auffassung ge-
gebenen Tugenden merkwürdig sind. Ihre kräftigen und gewaltsamen Bewegungen
sind ebenfalls ein Beweis von dem Lebensdrange und der dramatischen Richtung der
deutschen Schule.
6) Müller Beiträge I, S. 21.
38*
596 Deutsche Plastik.
lächelnde Miene. Beispiele dieser Behandlungsweise sind ausser den schon
oben genannten Gräbern des Grafen Dedo in Wechselburg und eines Ritters
im Dome zu Merseburg, das Grab des Grafen Conrad genannt Kurzbold in
der Stiftskirche zu Limburg an der Lahn, wo die Falten bis zum Unschönen
sich fast wurmartig krümmen, das sehr viel schönere des Grafen Heinrich
von Solms - Braun fels (f nach 1258) im Kloster Altenberg an der Lahn i)^
und das des Grafen Otto von Botenlauben (f 1244) und seiner Gemahlin
(f 1250) in der Kirche von Frauenrode bei Kissingen-).
Man hat in dieser Behandlungsweise schon den Anfang zu der im vier-
zehnten Jahrhundert herrschenden Neigung zu gebogenen und wellenförmigen
Linien finden wollen^); allein beides beruht auf ganz verschiedenen Gefühls-
richtungen. Diese spätere Manier gab dem Körper selbst eine wellenförmige
Haltung, die nur von ihm auf das Gewand überging; sie behielt also den
Parallelismus zwischen Körper und Gewand aus dem gothischen Style bei
und setzte nur an Stelle der geraden die gebogene Linie. Sie war eine
Einwirkung der beginnenden Weichlichkeit und Sentimentalität auf den be-
reits eingebürgerten gothischen Styl, und trägt den Charakter des Gesuchten
und Affectirten. Die eben beschriebene, ausschliesslich deutsche Weise
ging dagegen anf jenen Parallelismus nicht ein, hielt den Körper in gerader
Lage und erlaubte sich die Bewegung nur an dem Gewände. Sie giebt eher
den Ausdruck eines frischen , jugendlichen Naturalismus , einer unruhigen,
noch nicht geregelten Lebendigkeit, als einer alternden Manier, und ist eine
merkwürdige Aeusserung des deutschen Gefühles im Gegensatze gegen jene
allgemeine Gleichmässigkeit des französischen Styles.
Der Entwickelungsgang der Plastik in England*) ist einfacher und
gleicht völlig dem der Architektur; wie in dieser die leichte und elegante
ij Beide bei 'Müller a. a. 0. I, S. 39 und II, S. 27.
2) V. Hefiier, Trachten d. M. A. I, Taf. 59 und 60.
'') Schoru in dem angeführten Aufsatze der deutschen Vierteljahrsschr. 1841,
Heft IV, S. 130.
*) Eine wissenschaftlich genügende Arbeit über die Geschichte der Sculptur fehlt
auch hier , indessen ist die Literatur doch reicher. Ausser vielfachen Abbildungen
von Sculpturen in der Archaeologia hritannica , und in den architektonischen Werken
von Britton u. A. sind hier zunächst John Carter Specimens of ancient sculpture
and paintings zu nennen , welche zuerst 1780 , dann mit unverändertem und nur
durch kurze Anmerkungen von Meyrick , Turner , Britton u. A. berichtigtem Texte
1838 erschienen sind. Leider ist indessen die Auswahl der niitgetheiiten Mo-
numente ohne System und die Zeichnung nicht charakteristisch. Aehnliches gilt von
dem ebenfalls älteren Werke Gough's über britische Grabdenkmäler, von denen da-
gegen Stüthard, Monumental effigies of Great Britain, 1817, eine Auswahl in vor-
Englische Plastik. 597
gothiscbe Bauweise unmittelbar und ohne Uebergang auf die schwere und
massenhafte des normannischen Styles folgte, giebt es auch in der Sculptur
keine Mittelstufe; von der äussersten Plumpheit und Rohheit geht sie sofort
zu einer sehr feinen und graziösen Handhabung des neuen Styles über.
Während der ganzen Dauer des zwölften Jahrhunderts wurde die Plastik
hier fast gar nicht geübt; statt reicheren Schmuckes begnügte man sich
meistens mit den einfachen Symbolen des Kreuzes oder Lammes , wo man
sich an die Darstellung menschlicher Gestalten wagte, sind sie unförmlich
roh oder im trockensten byzautinisirenden Style gearbeitet i). Die Ideen
der neuen Epoche kamen eher hieher als die stylistische Bildung; die reich-
haltigen Reliefs, mit welchen die Mönche von Malmesbury den südlichen
Thorweg ihres Klosters etwa am Ende des Jahrhunderts schmückten-), geben
neben zahlreichen Hergängen des alten und neuen Testamentes auch nach
neuer Weise den Thierkreis und die Mouatsbeschäftigungen , aber die Aus-
führung ist noch völlig styllos und ohne Schönheitsgefühl. Im dreizehnten
Jahrhundert aber, besonders gegen die Mitte desselben, wiederum unter der
Regierung Heinrich's III. (1216 — 1272), trat ein plötzlicher Umschwung
ein; statt der früheren Kargheit finden wir eine Fülle von Sculpturen, statt
der früheren Rohheit eine gewandte Technik und ein feines Gefühl für An-
muth und Charakteristik. Es ist eine naheliegende und von den britischen
Archäologen selbst ziemlich allgemein angenommene Yermuthung, dass diese
plötzliche Veränderung durch den Einfluss fremder Künstler herbeigeführt
worden. Die englische Nation war schon zu reich, zu klug, zu mercantilisch
gebildet, um nicht überall au die beste Quelle zu gehen und, wo die Lei-
stungen der Einheimischen nicht genügten, fremde Hände zu benutzen. Da
König Heinrich einen florentinischen Maler, einen römischen Musaicisten,
einen deutschen Goldschmidt in seinen Diensten hatte, einen Münzmeister
IrefFücher Zeichnung publicirt hat. Um die gerechte Würdigung der englischen
Sculptur haben sich endlich einige Künstler verdient gemacht. Zuerst der berühmte
Flaxman in seinen Lectures on sculpture (gehalten 1810 u. f. J. herausgegeben 1829),
welchen auch einige Zeichnungen beigefügt sind, dann der Bildhauer Westmacott in
einem 1846 gehaltenen Vortrage (im Tüb. Kunstblatt 1847, Nro. 3), endlich der be-
deutende Architekt Cockerell , der in einer Brochure: Iconographie of the West front
of Wells Cath., Oxford 1851 , die beste Uebersicht der noch erhaltenen kirchlichen
Sculpturen des Mittelalters giebt. Die reichhaltige Literatur der metallenen einge-
grabenen Grabplatten werde ich später erwähnen.
^) Ein Beispiel der ersten Art die Statue des Bischofs Herbert am Portale des
nördlichen Kreuzschiffes der Kathedrale zu Norwich (Britton, Cath. Antiqu. pl. X), die
Scul(3turen am Südportal der Kathedrale von Ely, ein Kruzifix und die Kapitale der
Kirche zu Romsey (Carter a. a. 0. Taf. 7 und 23, 24), der anderen das Relief und
die Statuen am Westportale der Kathedrale zu Rochester.
-) Britton, Archil. Antiquities Vol. 1.
tgg Die Plastik in England.
aus Braunschweig, Bergleute aus dem Harz, für die "Westminsterkirche fremde
Bauleute herbeirief, ist es sehr unwahrscheinlich, dass er gerade in der bis-
her so sehr vernachlässigten Sculptur sich mit den Arbeiten seiner Landes-
kinder begnügt haben sollte. Einige Grabsteine vom Ende seiner Regierung
scheinen von italienischen Künstlern gearbeitet, schwerlich werden aber diese
die ersten auswärtigen Bildhauer in England gewesen sein, da man aus viel
grösserer Nähe, aus den mit England noch so enge verbundenen französi-
schen Provinzen, tüchtige Meister mit Leichtigkeit erlangen konnte. Auch
stimmt der Styl und zwar an den bedeutendsten Werken dieser Epoche sehr
genau mit dem französischen überein. Indessen war die "Wirksamkeit dieser
Fremden nicht von langer Dauer, und der englische Boden brachte, als
jungfräuliche Erde, schnell eine grosse Zahl einheimischer Talente hervor,
welche sich die Kunst ihrer Lehrer zu eigen machten, ihr aber auch eine
andere , national - englische Richtung gaben. Sie stand mit der Auffassung,,
welche die gothische Architektur in England erhalten hatte, im engsten Zu-
sammenhange. Die niedrigen Portale mit geöffnetem Bogenfelde, an welche
man sich hier gewöhnt hatte, die wenig ausladenden Strebepfeiler, die da-
durch bedingte Bekleidung der Fagaden mit Blendarcaden eigneten sich
nicht für Statuen oder grössere Reliefs; das Aeussere der Kirchen erhielt
daher nur in seltenen Fällen, und zwar dann mit augenscheinlicher Nach-
ahmung continentaler Vorbilder, bedeutenden plastischen Schmuck. Dagegen
liebte die englische Sitte eine reiche Ausstattung des Innern, zwar nicht an
den Kapitalen und tragenden Gliedern, wohl aber an den architektonisch
unwirksamen Stellen, und hier kam denn die Sculptur sehr gelegen, um die^
Monotonie bedeutungsloser Decoration zu unterbrechen. Wir finden sie
daher besonders in den Bogenzwickeln derTriforien und Arcaden reichlichst
und mit grossem Geschmacke verwendet. Die Aufgaben, mit welchen die
Plastik hier beschäftigt wurde, waren also ganz andere; sie hatte nicht
grosse, gedankenreiche Bildwerke auszuführen, welche sich auf architek-
tonischer Grundlage gliederten, sie übte sich nicht an kolossalen Statuen,
sondern meistens an Reliefs und zwar von kleiner Dimension und decora-
tiver Bestimmung. Dies alles konnte nicht ohne Einfluss auf den Geist der
Kunst bleiben. Sie war auf das Anmuthige und Zierliche, nicht auf das
Strenge und Ernste angewiesen, und gab sich oft einer realistischen Neigung
hin, welche sich auf dem Continent erst später einstellte. Hierin wurde sie
noch durch einen anderen Umstand bestärkt, Grabdenkmäler mit dem
plastischen Bilde der Verstorbenen waren in England früher äusserst selten
gewesen, im dreizehnten Jahrhundert, besonders seit der Mitte desselben,,
ergriff aber die englische Aristokratie dies Mittel zur Erhaltung ihrer Namen
und Wappen mit solchem Eifer, dass diese Aufgabe die einheimischen Bild-
hauer vorzugsweise in Anspruch nahm. Auf dem Continente war hierbei
Grabsteine. 599
der kirchliche Styl maasgebend, so dass man auch die Gestalt des Verstor-
benen gern in einer idealen, mindestens in einer kirchlich-ruhigen Auffassung
darstellte. Hier dagegen, wo die Grabsteine fast die einzige Gelegenheit zur
Ausführung lebcnsgrosser Figuren darboten , machte sich die durch diese
Aufgabe begünstigte, ohnehin im englischen Charakter begründete Neigung
zu einer mehr realistischen Behandlung unbeschränkt geltend, und übte auf
die kleineren kirchlichen Sculpturen eine Rückwirkung aus.
Eine Uebersicht über die bedeutendsten Grabsteine wird uns am
besten in die Geschichte der englischen Sculptur einführen. Zu den seltenen
Beispielen aus dem zwölften Jahrhundert gehören die Gräber zweier Bischöfe
von Salisbury, des Jocelyn (f 1184) und des Roger (f 1139) in der dortigen
Kathedrale; das letzte von reichen romanischen Arabesken eingerahmt und
wahrscheinlich später als das erste, gegen Ende des Jahrhunderts entstanden.
Die Gestalten sind auf beiden in flacher Sculptur , ausdruckslos und plump
gehalten, aber völlig frei von den Spuren des strengeren Styles, welche sich
an den gleichzeitigen französischen Monumenten zeigen *). Das erste Denk-
mal neuen Styles ist das des Königs Johann in der Kathedrale von Wor-
cester, wahrscheinlich bald nach seinem Tode (1216) gearbeitet, da die
Kleidung des Bildes mit der im Grabe vorgefundenen übereinstimmt und da
die Einweihung des Chores schon 1218 in Gegenwart seines jungen Sohnes,
Heinrich's III., stattfand'-). Es ist von ziemlich derbem Meissel ausgeführt,
aber nicht ohne Stylgefühl ; die Züge des Gesichtes sind fast rechtwinklig, Haar
und Bart geradlinig, die Gewandfalten parallel und gerade, tief eingeschnitten
mit breiter Oberfläche, die ganze Erscheinung massig, schwer, jenes Be-
streben nach Ruhe und Würde , das in der französischen Kunst herrschte,
fast übertreibend, dabei aber doch schon in der Bildung des Gesichtes indi-
viduell und portraitartig. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Künstler
selbst ein Franzose war^). Verwandten Styles, aber mit weiterer Entwicke-
lung britischer Auffassung, ist der Grabstein des William Longespee (f 1227)
in der Kathedrale zu Salisbury. Der Körper ist mit dem (wie die noch er-
kennbaren Farbenspuren ergeben goldenen) Kettenpanzer und mit kurzem
^) Abbildungen dieser und der meisten anderen im Texte erwähnten Grabdenk-
mäler bei Stothard a. a. 0.
') Die Angabe in Winkies Cathedrals , dass das Grab aus dem fünfzehnten Jahr-
hu^ndert stamme, ist nur in Beziehung aut den unteren Theil richtig, während der Stein
mit dem Bilde älter ist.
^) Das Denkmal König Richards Löwenherz in der Kathedrale von Rouen, wo sein
Herz bestattet war, wahrscheinlich um 1207 gearbeitet und erst neuerlich (1838) wieder
entdeckt , hat grosse stylistisciie Aehnlichkeit mit dem im Texte erwähnten seines-
Bruders. Alb. Way in der Archaeol. brit. XXIX, 202, mit Abbildung.
600
Die Plastik in England.
Obergewande bekleidet, dessen Falten wie dort tief, aber nicht mehr gerad-
linig und parallel , sondern bewegt gehalten sind. Die Beine liegen gerad-
linig und das Gesicht ist durch den Panzer so weit bedeckt, dass nur Nase
und Augen zu sehen sind, aber der Kopf ist zur Seite gewendet, die Augen sind
offen, die Arme in freier und natürlicher Haltung, so dass das ganze Bild mehr
den Eindruck eines zur That Gerüsteten, als eines
Sterbenden macht. Noch bewegter ist die Gestalt
eines Ritters in der Tempelkirche zu London, die
man für die des noch im zwölften Jahrhundert
verstorbenen Geoffrey de Magnavilla, Grafen von
Essex hält, die aber gewiss nicht älter ist wie die
des William Longespee. Das Gesicht sieht hier
nach vorn, der Köper aber ist halb, die Beine
sind ganz im Profil gehalten und wie fort-
schreitend i). Diese Auffassung wurde von nun
an die herrschende für ritterliche Grabmäler, die
wir in grosser Zahl und durch ganz England
verbreitet finden. Stets die Bekleidung mit Ket-
tenpanzer und kurzer Tunica ohne Aermel, mit
Schild und Schwert , der Panzer Füsse und Hände
und einen Theil des Gesichtes bedeckend , aber
die Haltung bewegt. Fast immer findet sich dabei
die sonderbare, ausschliesslich englische Eigen-
thümlichkeit, dass die Beine nicht parallel liegen,
sondern in der Art gekreuzt sind, dass das eine
mit gebogenem Knie über oder unter das andere ge-
rade gehaltene gelegt ist. Man erklärt dies in
England allgemein als ein Zeichen, dass der Ver-
storbene den Kreuzzug in das gelobte Land ge-
macht habe, indessen unterliegt diese, so viel
ich weiss, von keinem ausdrücklichen Zeugnisse
unterstützte Meinung doch sehr gegründeten Zwei-
feln. Es ist nicht abzusehen, wesshalb man
statt dieser sehr unvollkommenen Andeutung des Kreuzes^) nicht lieber ein-
fach das Kreuz auf das Gewand gesetzt hätte. Dazu kommt, dass diese
Herzog Robert von der Nor
mandie. Kathedrale zu Glon
cester.
1) Stothard a. a. 0. Taf. 11, vgl. mit Taf. 17.
-) Nur einmal, und zwar auf einem Grabsteine der erst aus dem vierzehnten Jalu--
hundert stammt (Stothard, Taf. 54), sind beide Knie gebogen, so dass ein wirkliches
Kreuz , aber nur ein Andreaskreuz , entsteht. Gewöhnlich ist die Kreuzung viel un-
deutlicher.
Grabsteine. ßOl
Gestalten zwar zuweilen gefaltete Hände, meistens aber eine trotzige Haltung,
die Rechte am Schwertgriffe haben, was sich mit der vermeintlichen Erinne-
rung an jene Handlung der Frömmigkeit kaum vereinigen lässt ^). Bei den
Mitgliedern der königlichen Familie, welche an Kreuzzügen Theil genommen
hatten, selbst bei dem Ideal ritterlicher Tapferkeit im gelobten Lande, bei
Richard Löwenherz findet sich dieses Merkmal nicht, während es anderer-
seits noch in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts ^), also in einer
Zeit vorkommt, wo Kreuzfahrten nicht mehr so häufig waren. Vielleicht
sollte daher diese ungewöhnliche Haltung, welche bei aufrechter Stellung
der Platte oft wie die eines Tanzenden erscheint, nur den Ausdruck ritter-
licher Rüstigkeit geben, so dass sie nur eine Steigerung der fortschreitenden
und dennoch gewiss kein Kreuz bildenden Bewegung auf dem schon erwähn-
ten Denkmale des Geofi'rey de Magnavilla war. Solche ritterliche Grab-
steine finden sich fast in allen Kathedralen und in vielen kleineren Kirchen ;
die Kirche der Templer in London bewahrt eine ganze Reihe. Einige sind
durch sorgfältige Ausführung oder feineres künstlerisches Gefühl ausge-
zeichnet, so die Gestalt des Robert de Vere Grafen von Oxford in der Kirche
von Hatfield, an der sogar die Falten des weiten Panzerhemdes sehr richtig
ausgedrückt sind, die eines Ritters de Vaux in der Kathedrale von "Win-
chester, die des Robert Ros in der Templerkirche und besonders die eines
Montfort in der Kirche zu Hitchendon ^). Die meisten sind aber ziemlich
derb behandelt, was zum Theil damit zusammenhängt, dass sie alle vollstän-
dige Färbung erhielten. Sie sind meistens ohne Inschrift und geben nur
durch die Wappen Auskunft über die Familie des Verstorbenen.
Die reichste und bedeutendste Sammlung mittelalterlicher Gräber ist
im Chore der Westminsterkirche, die in England ungefähr dieselbe Stellung
einnimmt, wie St. Denis in Frankreich. Unter denen, die noch in dieses
Jahrhundert gehören, zeichnen sich vor allen die König Heiurich's HI.
(t 1272) und der Königin Eleonore (f 1290), Gemahlin Eduard's L, durch
eine überraschende Schönheit aus*, beide Gestalten in Erz gegossen und von
meisterhafter Technik. Der König liegt in ruhiger Haltung, die Krone auf
dem Hanpte, das Gesicht in ernsten und edlen Zügen, mit einer einfachen
Würde, die an antike Auffassung erinnert, Haar und Bart ziemlich sjmme-
trisch geordnet, aber doch frei und natürlich, der Körper mit langer Tunica
1) Auf einem Grabsteine in Durliam (Stothard, Taf. 24) erscheint der Ritter sogar
mit geschlossenem Visir, gezogenem Schwerte und vorgeiialteuem Schilde , also ganz
kampffertig.
") Viele Beispiele bei Stothard, u. a. Taf. 24, in Alvechurch , Worcestershire bei
reichster Tracht des vierzehnten Jahrhunderts.
3) Stothard a. a. 0. Taf. 38, 39.
602
Die Plastik in England.
und einem, anf der rechten Schulter durch eine Agraffe gehaltenen Mantel
bekleidet, beide Arme etwas gehoben, wahrscheinlich um Scepter und Reichs-
apfel, die jetzt fehlen, zu halten; die Königin, von schlanker Gestalt und
mit verhältnissmässig kleinem Kopfe, aber mit regelmässigen Zügen von ge-
bieterischer Schönheit, ebenfalls mit langen Gewändern bekleidet, fasst mit
der Linken das Band ihres Mantels, während die Rechte wahrscheinlich
ebenfalls bestimmt war, ein Scepter zu tragen. Die vollendete Modellirung,
die feine Ausführung besonders der Hände , die edle Haltung des Körpers,
der schöne Rhythmus in der Gewandbehandlung ist an beiden Gestalten in
gleichem Grade, an der der Königin vielleicht in noch höherem, zu bewun-
dern, und die Uebereinstimmung des Styles, die gleiche Bildung der Krone
und manche anderen Details lassen keinen Zweifel, dass sie von derselben
Hand herrühren. Sie unterscheiden sich aber so sehr von den andern
gleichzeitigen Arbeiten, und nähern sich so sehr dem Style italienischer
Plastik am Ende des Jahrhunderts, wie er sich etwa bei Nino Pisano zeigt,
dass die zuerst von Flaxman ausgesprochene Vermuthung, dass der Künstler
ein Italiener gewesen, höchst begründet erscheint. Neuere Forschungen^)
haben auch den Namen dieses Künstlers als Meister Wilhelm Torell,
Goldschmied , ermittelt , der mit dieser Vermuthung wenigstens nicht im
Widerspruche steht, wenn er sie auch nicht ausdrücklich bestätiget. Von
nicht viel geringerer Schönheit sind unter den Monumenten der West-
minsterkirche die des Edmund Crouchback, Grafen von Lancaster und
zweiten Sohnes Heinrich's HI, (7 1296), und seiner Gemahlin Aveline
(7 1269); beide wahrscheinlich erst am Ende des Jahrhunderts entstanden,
da die Gewandbehandlung an der Gestalt der Gräfin schon an die langen,
weichen und gebogenen Linien des vierzehnten Jahrhunderts erinnert. Sie
scheinen von Einheimischen gearbeitet, lassen aber doch den Einfluss jenes
fremden Künstlers, dessen Werke sie vor Augen hatten, erkennen 2). Endlich
will ich noch das Denkmal des William von Valence, eines Halbbruders
Heinrich's HL, erwähnen, der ebenfalls 1296 starb, weil es mit reich
eniaillirten und vergoldeten Kupferplatten bedeckt ist, die aber, wie man
^) Von H.Turner, Manners and household expences, p. 108, 113, und Jos. Hunter
in Archaeologia ßrit. XXIX , p. 189. In einer Urkunde vom December 1290 wird
Torell als der Verfertiger des Bildes Heinrich's III. bezeichnet, im Jahre 1291 erliiilt
er bereits eine Zahlung- für das Bild der Königin. — Dass er ein Italiener war, wird
bestritten von Digby Wyatt, metal works, p. 33, hauptsächlich aus dem Grunde, da^s
dieser Name auch .sonst in englisciien Urkunden des früheren 13. Jahrhunderts vor-
kommt.
^) Auch die Gestalt des Edmund Crouchback hat eine wiewohl schwache An-
deutung des Kreuzes, obgleich er nicht im gelobten Lande gewesen war, sondern von
der wirkliihen Ausfuhrung des bereits abgelegten Gelübdes Dispens erhalten hatte.
Kirchliche Scuiptureii. gQ3
aus stylistischen Merkmalen schliesst und von ähnlichen gleichzeitigen Ar-
beiten weisS;, nicht in England gearbeitet, sondern in Liraoges bestellt sein
werden ^).
Ungeachtet dieser Verwendung fremder Kunst fehlte es aber in Eng-
land um diese Zeit nicht mehr an einheimischen Künstlern. Eduard I.
ehrte das Andenken seiner zärtlich geliebten Gemahlin auch dadurch, dass
er an den zwölf Ruhepunkten des Trauerzuges , der ihre Leiche von Nort-
hampton nach London braclite, Monumente, sogenannte Kreuze, achteckige, in
mehreren Absätzen aufsteigende gothische, mit Statuen, namentlich mit der
der Königin, verzierte Spitzsäulen errichten liess, von denen noch drei erhalten
sind-). Die Figuren an denselben sind sehr anmuthig, von zartem Ausdrucke
und weichem Schwünge der Linien; sie haben Verwandtschaft mit dem Grab-
bilde der Königin in der Westminsterkirche , aber sie unterscheiden sich
doch von ihm, so dass sie wahrscheinlich von einheimischen Scluilern jenes
italienischen Meisters lierrühren , was dann auch die aus den Urkunden
ermittelten Namen der dabei beschäftigten Bildhauer bestätigen 3).
Auch die kirchlichen Sculpturen deuten , wenn überhaupt auf fremden,
doch nur anf französischen Einfluss, Unter ihnen nehmen unstreitig die
an der Kathedrale von Wells den ersten Rang ein. Hier ist einmal wirk-
lich eine Fayade, welche in kräftiger architektouisclier Haltung und in
plastischem Schmucke mit den französischen wetteifert. Zwar fehlt ihr die
dreifache Portalhalle und somit die günstigste Grundlage für die Gliederung
eines grossen plastischen Gedichtes; ihr einziges Portal übersteigt nur um
ein Weniges die gewöhnlichen englischen Dimensionen. Aber es ist doch
durch die Anordnung dafür gesorgt, dass in horizontalen Reihen, die sich
über die ganze Breite des Vorbaues und über die Seitenwände der Thüren
erstrecken, und an den kräftigen Strebepfeilern, welche die Fagade theilen
etwa 600 Figuren als Statuen oder in Reliefs Raum finden*). Auch enthält
*) Labarte, Histoire des arts industriels, III, S. 702.
'^) Abbildungen derselben in Vol. III der Vetusta monumenta. Vgl. auch Britton,
Archit. Antiq. in dem Artikel: Stone crosses, Vol. I, pag. 60 ^. Die drei erhaltenen
Kreuze stehen in Northampton, Geddington und Walthani. Aus dem letzten giebt
Flaxmau a. a. 0. Taf. 5 die Gestalt der Königin.
^) Hunter in der Arch. ßrit. XXIX a. a. 0. Die Statuen wurden von Wilhelm
von Irland und von Alexander le Imaginator , der aber auch von Abyngton genannt
wird, die kleineren Biidhauerarbeiten von Ralph von Chichester und Robert de Corf
geliefert. Von den Bauleuten, mit denen contrahirt wurde, scheint der eine, Nicholas
Dymenge de Legert oder de Reyns, ein Franzose aus der Gegend von Rheims gewesen
zu sein.
*) Abbildungen der Statuen, freilich nicht sehr charakteristische, bei Carter a. a. 0.
Taf. 86 — 91. — Zeichiiiiiigen einiger Reliefs bei Flaxman a. a. 0. Taf. 2 — 4,
jßQ4. Die Plastik in England.
das Ganze einen klar ausgesprochenen, wenn auch etwas abstracten Gedanken.
Zunächst unten über dem Fussgesims in den Portalgewänden und von da zu
beiden Seiten in Nischen Statuen von Propheten und Patriarchen, darüber im
Bogenfelde des Portals die Jungfrau mit dem Kinde zwischen Engeln , die
im Maasswerke jener Nischen angebracht sind; dann in einer höheren
Reihe in Reliefs die Vorgänge des alten und neuen Testaments, und darüber
an den Strebepfeilern und Wänden eine grosse Zahl acht Fuss hoher Sta-
tuen, auf der Nordseite meist Könige, Ritter, Frauen (vielleicht alttesta-
mentarischer Bedeutung), auf der Südseite durchweg Bischöfe und andere
Geistliche; endlich unter der horizontalen Linie, welche die Fa^ade ab-
schliesst, Auferstehung und Gericht in einzelnen Gruppen, und darüber am
Giebel der Weltrichter zwischen Maria und Johannes nebst Aposteln und
posaunenblasenden Engeln. Das Ganze giebt also den chronologischen Ver-
lauf der Heilslehre; die Vorzeit, die Menschwerdung des Heilandes, sein den
alttestamentarischen Vorbildern entsprechendes Leben, dann die irdische
Kirche , und endlich das Gericht. Die Ausführung ist zwar noch sehr
strenge, aber doch in den Reliefs lebendig und ausdrucksvoll, an den Statuen
würdig und mit freier und voller Gewandung. Gewöhnlich schreibt man
die Herstellung auch dieser Bildwerke dem Bischof Jocelyn Trotman zu,
der den Stuhl von Wells von 1206 bis 1242 inne hatte und von dem wir
wissen, dass er einen Neubau begann, der im Jahre 1239 zu einer Weihe
führte. Er hatte, von König Johann verbannt, die Jahre von 1208 bis 1214
in Frankreich zugebracht, und mit diesem Aufenthalte mag die Hinneigung
zum französischen Style , die aus der Anordnung der Fayade hervorgeht,
zusammenhängen. Indessen wissen wir auch, dass der Bau der Kirche
keinesweges unter seiner Regierung beendet, sondern noch lange fort-
gesetzt wurde, und es ist wahrscheinlich, dass der grossartige Fa^adenbau
nach jener bei Vollendung des Chores vorgenommenen Weihe von 1239 be-
gonnen, erst etwa ein Decennium später, jedoch nach dem Plane Jocelyn's,
unter einem seiner Nachfolger seine plastische Ausschmückung erhalten
haben wird.
Ein minder umfangreiches und grandioses aber anziehenderes Werk
englischer Plastik ist der Engelchor in der Kathedrale von Lincoln,
Der Chor hat nämlich über jeder Arcade zwei zweitheilige Triforienbögen,
so dass zwischen den Diensten jedes Gewölbes unter dem Fenstergesimse
drei Bogenwinkel als sphärische Dreiecke entstehen, das in der Mitte zwischen
den zwei Bögen gelegene doppelt so gross wie die auf beiden Seiten neben
den Gewölb diensten. Diese drei Felder sind zu beiden Seiten des Chores
Vgl. übrigens Cockerell a. a. 0. und Cinuiall Dowues, Pbotographs from the Sculptures
in the West Front of Wells Caihedral, mit Text, London 1862.
Katliedralen von Wells und Lincoln. 605
an fünf Arcaden mit Reliefs geschmückt, so dass zusammen dreissig Reliefs
entstehen, >Yelche meistens je einen Engel enthalten, und zwar im anmuthigsten
und edelsten Style des dreizehnten Jahrhunderts. Einzelne bedeutungsvolle
Gestalten zeigen deutlich, dass das Ganze nicht etwa bloss die Hierarchie
der Engel oder die Freudigkeit der himmlischen Heerschaaren versinnlichen
soll , sondern eine tiefere, nicht leicht zu errathende Bedeutung hat. Wie
es scheint wollte der Künstler den ganzen Hergang der göttlichen Heils-
ordnung durch die Mitwirkung der Engel darstellen. Er beginnt dabei am
Ostende der südlichen Wand und giebt hier in dem grösseren Mittelfelde
des ersten Joches eine bekleidete und bärtige Gestalt mit der Krone auf
dem Haupte , geflügelt , die Füsse auf Wolken , in der Linken eine Leier.
Man hat sie für David gehalten und daraus den Schluss gezogen , dass die
Reihenfolge der Patriarchen und Propheten durch Engel repräsentirt sei^).
Ich glaube, dass der Gedanke ein viel kühnerer war und diese Gestalt nichts
Geringeres als Gott den Vater im Augenblicke der Schöpfung darstellt, der
alles, wie das Buch der Weisheit sagt, „mensura, numero et pondere" maass-
voll, nacli dem Takte himmlischer Melodien bildet. Ihm zur Seite und in
den beiden nächsten Jochen erscheinen die Engel, die ebenfalls auf Wolken
ruhen und theils mit Schriftrollen, theils mit Pauken und Posaunen ver-
sehen sind; das Schöpfungswerk wird also noch fortgesetzt und die Engel
führen die Befehle des Herrn aus oder feiern die Schönheit seiner Werke.
In der darauf folgenden vierten Abtheilung sehen wir in der Mitte einen
kräftigen, jugendlichen Engel, der einen noch gefesselten Falken hält, neben
ihm andere Engel mit Schriftrollen, unter ihren Füssen aber nicht mehr
Wolken, sondern Menschen oder Ungeheuer mit Menschenköpfen; die Zeit
des Gesetzes und der Sünde sind hier eingetreten und die Engel haben die
Aufgabe, den begehrlichen Willen zu zügeln und die Sünde zu überwinden.
Im folgenden fünften Felde hält ein begeisterter Engel ein Buch, ein zweiter
reicht mit beiden Händen eine Kindergestalt dar und zwar der im letzten
Felde dargestellten, von einem das Rauchfass schwingenden Engel be-
gleiteten Jungfrau mit dem Christkinde; das von Ewigkeit her im Buche
göttlicher Rathschlüsse verordnete Heil, die Erlösung der durch jene Kinder-
gestalt repräsentirten menschlichen Seele ist wirklich erschienen. So weit
die südliche Wand, welche also den alten Bund bis zur Geburt Christi ent-
hält. Die Nordseite, von Westen beginnend, scheint zwar nochmals in die
^) So Cockereir in seinem geistreichen, in den Memoirs illustrative of the bist.
and antiquities of the couuty and clty of Lincoln, London 1850, und in besonderem
Abdrucke erschienenen , von vortrefflichen Abbildungen begleiteten Aufsatze. Die Er-
klärung, welche ich zu geben versuche, scheint mir, obwohl zweifelhaft, doch einfacher
und wahrscheinlicher.
^06 '^'^ Plastik in England.
Urgescliichte der Menschheit zurückzuführen; der mittlere Engel, zornig
blickend, das Schwert in der Rechten, verstösst mit der Linken die ersten
Menschen aus dem Paradiese. Allein neben ihm werden von anderen Engels-
gestalten die Dornenkrone, die Lanze und der Schwamm emporgehalten , so
dass das Ganze nur das durch den Sündenfall verursaclite Leiden des Heilandes
darstellt. Dieser erscheint denn auch in der nächsten Abtheilung und
zwar als Weltrichter, die Rechte erhoben, mit der Linken die Wundenmale
zeigend, neben ihm ein Engel mit der Waagschale, dann aber einer mit ge-
schwungenem Rauchfasse. Die Verdammniss wird nicht weiter geschildert,
die Heilsgeschichte nur in Beziehung auf die Engel verfolgt, welche bei dem
Gerichte nur die Erwählten zu belohnen und den Herrn zu preisen haben.
Kronen und Palmen, Schriftrollen sowohl als Notenblätter und musikalische
Instrumente wechseln daher in den Händen der folgenden Engel, einer der
letzten aber hält Sonne und Mond empor, die nicht mehr untergehen, sondern
dem himmlischen Jerusalem ewig leuchten. Mich dünkt, dass diese religiöse
Phantasie vollkommen der herrlichen Ausführung würdig ist. — Der Chor
selbst wurde um 1282 gebaut, die plastische Arbeit kann daher nicht wohl
eher als gegen Ende des Jahrhunderts entstanden sein; auch ist sie in Mo-
tiven und Formen viel weicher und zarter als an der Kathedrale von Wells,
aber noch völlig in dem naiven und reinen Style dieses Jahrhunderts.
Ungefähr gleichzeitig mögen die sechzig Reliefs mit alttestamentarischen
Gegenständen sein, mit welchem in dem Kapitelhause zu Salisbury die
Zwickel der umherlaufenden Arcaden ausgefüllt sind. Sie sind sehr be-
schädigt, aber doch grossen Theils noch kenntlich, und zeigen einen feinen
Sinn für Raumvertheilung und edle und einfache Formen. Dagegen sind
die reizenden, aber fast schon allzu zierlichen Gestalten von vierzehn Tu-
genden in den Archivolten der Vorhalle desselben Kapitelhauses erst dem
vierzehten Jahrhundert zuzuschreiben.
Auch die schönen , aber freilich sehr beschädigten Statuen an der
Westseite von Lichfield^), die Reliefs an dem südlichen Seitenportale der
Kathedrale von Lincoln und die weniger gelungenen Figuren an den
Fa^aden der Abteikirche zu Croyland-) und der Kathedrale zu Peter-
borough stammen vielleicht noch aus dem dreizehnten Jahrhundert, während
die meisten anderen grösseren Sculpturwerke erst dem folgenden angehören.
Sehr viel reicher als an solchen grösseren Werken ist die englische
Schule an decorativen Sculpturen, namentlich an vereinzelten Köpfen,
welche bald an den Consolen der Gewölbträger oder in den Zwickeln der
1) Carter a. a. 0. Taf. 93.
-) Cockerell, Iconographie of tlie West front of Wells Caih. p. lOö, und Ciji-ier
a. a. 0. Taf. 39, 40.
Decorative Sculptur. QQ'J
Triforien, bald in kleineren Dimensionen unter Laubwerk an den unteren
Arcaden augebraclit sind. Sie sind, obgleich reihenweise und in grosser
Zahl vorkommend, stets alle verschieden und mit sorgfältig berechneter
Abwechselung zusammengestellt, scheinen aber keinen ernsten Gedanken-
inhalt zu haben, sondern der Laune und dem Geschmacke der Künstler
tiberlassen gewesen zu sein. Der normannische Styl liebte auch bei solchen
Veranlassungen schauerliche, schreckende Gestalten; hier dagegen erhalten
wir nur den Eindruck eines heiteren, aber sinnreichen und anregenden
Schmuckes. Zuweilen sieht man darunter die Gestalten von Bischöfen,
Heiligen, Engeln, dann aber auch wieder abenteuerlich verhüllte Köpfe
lächelnde oder verzerrte Gesichter, und manchmal, wie es scheint, Studien
des Leidenschaftlichen und des Charakteristischen. Die Gabe scharfer
Beobachtung des Lebens, die sich später auf anderen Gebieten der eng-
lischen Kunst so glänzend bewährt hat, regt sich schon hier. Zugleich aber
sind diese Köpfchen meisterhaft gearbeitet, mit vollem Verständniss der
Form und mit kluger Berechnung der Wirkung für die Entfernung des Be-
schauers, mit feinem Stylgefühl in der Benutzung des Raumes. Oft sind
sie von idealer Schönheit, fast immer anmuthig und anziehend. Einige
Male findet man in verschiedenen Gebäuden Wiederholungen einzelner
Köpfe oder der Motive der Anordnung, so dass ein Zusammenhang und eine
Mittheilung von Zeichnungen oder Modellen stattgefunden haben muss, aber
dennoch ist die Mannigfaltigkeit der Empfindungen und die Frische der
Auffassung so gross, dass man über die Fülle von Geist, Talent und Gefühl
erstaunen muss, die an diese meist übersehenen Arbeiten verschwendet ist.
Fast keiner Kirche des frühenglischen Styles fehlen Sculpturen dieser Art,
eine Aufzählung würde daher zweckwidrig sein, ich nenne nur aus der
Erinnerung beispielsweise die schönen Kragsteine der Kathedralen von
Wells und Worcester und die kleineren Köpfchen in den Arcaden des
Münsters von Beverley und der Kapitelhäuser von Lichfield und Salisbury
Steht daher die englische Schule der französischen und der deutschen in der
Ausbildung des kirchlichen und idealen Styles nach, so zeigt sie in diesen
kleineren Arbeiten gleiche Geistesfrische und Productionskraft und dasselbe
richtige Stylgefühl wie jene.
Man darf übrigens diese Richtung der englischen Plastik nicht gerade
als eine Wirkung der eigenthümlichen Aulfassung der gothischen Architektur
ansehen, vielmehr sind beide die Wirkung einer und derselben tieferen
Ursache. Der Geist der continentaleu Völker betrachtete diese Künste als
innig zusammenhängend und verschmolzen, gab der Architektur eine pla-
stische Fülle, der Plastik einen architektonischen Zweck; der vorherrschend
verständige Geist des britischen Volkes konnte sie nur als gesonderte auf-
fassen. Er gab daher der Architektur nüchterne Formen, die mit der
6^3 Metallarbeit.
Plastik nichts gemein hatten, und behandelte diese als eine selbständige
decorative Kunst, welche, da sie den idealen Zwecken der Baukunst fern
stand, sofort in unmittelbarere Beziehung zur Wirklichkeit trat. Die eng-
lische Plastik geht daher nicht so wie die des Continents aus dem tiefsten
Grunde des religiösen Bewusstseins hervor, erschöpft das "Wesen des Mittel-
alters nicht so wie diese, sondern nähert sich mehr dem Standpunkte der
modernen Welt. Aber die Jugendfrische und Naivetät des Zeitgeistes, das
Resultat jener idealen Stimmung, kam auch ihr zu statten und giebt ihr in
Verbindung mit jenem naturalistischen Anfluge einen eigenthümlichen Reiz,
Der Styl der Steinsculptur , als der höheren Gattung, war stets auch
für die plastischen Arbeiten in anderen Stoffen maassgebend, so dass es
einer besonderen Schilderung derselben hier nicht bedarf. Die Elfenbein-
Plastik spielt in dieser Epoche keine so bedeutende Rolle wie in der vor-
hergehenden und in der folgenden, aber sie bringt mitunter so köstliche
Werke hervor wie die fast einen Fuss hohe Gruppe der Krönung der
Maria, welche, im Jahre 1861 aus der Sammlung Soltykoff in das
Museum des Louvre übergegangen, von höchster Zartheit und Anmuth, zu-
gleich ein Muster geschmackvoller Polychroraie ist, und besonders in den
Händen Christi von seltenen Naturstudien zeugt ^). Dagegen verlangen die
Metallarbeiten, namentlich der Erzguss und die Werke der Gold-
schmiede, eine selbständige Betrachtung, weil sich bei ihnen durch
den Wertli des Stoffes und den darauf verwendeten Fleiss manche
Eigenthümlichkeiten ausbildeten, welche ein helleres Licht auf einzelne
Stellen des gesammteu Kunstgebietes werfen, besonders aber auch, weil bei
der Goldschmiedekunst durch die Verbindung der Gravirung und der Email-
malerei mit den Reliefs Einflüsse des malerischen und des plastischen Styles
zusammentrafen.
In Deutschland war der Aufschwung, welchen diese Kunstzweige in
der vorigen Epoche genommen, auch noch in der zweiten Hälfte des 12.
und im 13. Jahrhundert lebendig. Dass die dortige Production damals an
der Spitze der künstlerischen Bewegung stand ^), wird nicht bloss durch die
Aufzeichnungen des Theophilus bewiesen, der die Goldschmiedekunst und
Verwandtes besonders ausführlich behandelt und bezüglich solcher Arbeiten
^) Abgebildet bei Labarte, Album, I, PI. XVI, sowie in den Annales arfln'ol.
Bd. XXI zu S. 345. Vgl. Darcel, Gazette des beaux-arts, Mai 1861, p. 175.
-) Eigener Ausdruck von Labarte; vgl. dessen Histoire des arts industriels, Bd. II,
von S. 219 an.
Deutschland. 609
die „solers Germania" ausdrücklich hervorhebt , sondern geht auch aus den
gerade hier in reichem Masse erhaltenen Kunstwerken hervor. Der Ruhm
der deutschen Arbeiter dieses Faches war so verbreitet, dass ihre Thätig-
keit vielfach von fremden Ländern aus in Anspruch genommen ward. Einen
merkwürdigen Beweis dafür gewährt der Umstand, dass wir noch jetzt in
slavischen Ländern zwei grosse in Erz gegossene Thüren finden, welche in
Deutschland gefertigt und im Wege des Handels dorthin gekommen zu sein
scheinen. Die eine derselben ist die sogenannte Korssun'sche Thüre
der Sophienkirche in Novgorod. Sie besteht aus einzelnen, offenbar nicht
aus derselben Werkstatt hervorgegangenen und nicht richtig verbundenen
Tafeln, deren Mehrzahl aber zusammengehört, und, wie man aus der Lebens-
zeit der darauf dargestellten Bischöfe schliessen kann^), in der zweiten
Hälfte des zwölften Jahrhunderts in Magdeburg gemacht ist. Die zusammen-
hängenden Bilder geben, wie früher die Thüren des Bernward in Hildes-
heim, die Geschichte des Sündeufalles und die der Erlösung durch Christus;
neben ihnen sind aber andere nicht dahin gehörige Giestalten zur Ausfüllung
aufgenommen, unter anderen ein Centaur, dann auch die Bildnisse des Werk-
meisters Riquin und seiner Gehülfen Abraham und Waismuth, diese
so wie einige andere Figuren schon im Kostüme der Zeit. An der zweiten
dieser Thüren, am Dome zu Gnesen-), sind die beiden Flügel von ver-
schiedener Metallmischung, auch sonst ungleicher Behandlung; indessen
stehen sie beide einander nahe und dürften ebenfalls in die zweite Hälfte
oder gegen das Ende des 12. Jahrhunderts zu setzen sein. Sie stellen das
Leben des h. Adalbert dar, jeder Flügel hat neun Felder in einer Um-
gebung von Arabesken. Die Arbeit beider Monumente ist in hohem Relief,
also keinesweges byzantinisircnd , aber sehr roh, und weist auf eine schon
handwerksmässige Praxis hin. — In Deutschland selbst ist das grossartigste
Erzmonument dieser Epoche der eherne Löwe auf dem Domplatze zu Braun-
schweig, trotz einer gewissen Starrheit doch nicht ohne Studium der Natur,
im Jahre 1166 als Denkmal Herzog Heinrichs des Löwen errichtet.
1) Vgl. Fr. Adelung, die Korssun'schen Thüren in der Kathedrale der h. Sophia
zu Novgorod, Berlin 1823. Dargestellt sind: Wicmannus eps. Magdeburgensis, welcher
von 1156 bis 1191, und Alexander Bischof von Plock , der von 1129 bie 1156 re-
gierte. Bessere Abbildungen in den Antiquites de l'Empire de Russie , Moskau 1819,
Sörie VI. Tab. 21 — 26. Der Name Korssun (Cherson) wird in Russland häufig kost-
baren Werken beigelegt , ohne dass sie wirklich aus der Beute von Cherson her-
stammen. Vgl. oben Bd. IV, S. 218.
-) Vgl. die Abbildung nebst einer Beschreibung von Berndt in der Wiener Bau-
zeitung 1845, S. 370 fF. u. Atlas Taf. DCXC. Die Verschiedenheit des Künstlerischen
an beiden Flügeln ist nicht sehr bedeutend, und rechtfertigt am wenigsten die Annahme
des Verfassers, welcher den einen in die Zeit Otto's III., den anderen in das fünf-
zehnte Jahrhundert verweisen will. — Gypsabgüsse im Berliner Museum.
Schnaase's Kunstgescli. 2. Aufl. V. 39
610
Metallarbeit.
Von feinerer Ausführung sind die K i r c h e n g e r ä t h e , an denen dann auch
die sehr durchgeführte Symbolik interessirt ^). Während die Erzplastik in
grösserem Maassstabe vorzugsweise in Sachsen ausgebildet ist, wird die Klein-
kunst mit grösstem Erfolge von der rheinisclien Schule gepflegt. Besonders
war ihr die Zeit Kaiser Friedrichs I. (1152 — 1190) günstig. Durch die
Eröffnung des Grabes Carls des Grossen gab er Veranlassung zu der Her-
stellung mannigfaltiger prächtiger Reliquiarien, um die Gebeine des Kaisers
aufzunehmen, und unter ihm entstand auch eines der wichtigsten Werke
deutscher Goldschmiedekunst, der grosse Kronleuchter des Münsters zu
Aachen , welchen nach der darauf befindlichen Inschrift Kaiser Friedrich I.
und seine Gemahlin, wahrscheinlich um 1165 dorthin stifteten. Er soll,
wie die Inschrift ebenfalls besagt und wie es bei diesen Leuchtern fest-
stehendes Herkommen war, durch seine Anordnung ein Bild des himmlischen
Jerusalems geben. Die Entstehung dieser Symbolik ist wohl erklärbar.
Da die heilige Stadt nach der Schilderung des apokalyptischen Sehers keiner
Sonne und keines Mondes bedarf, weil sie vom Lamm durchleuchtet im
eigenen, hellsten Lichte strahlt, und da die Kirche die irdische vorbildliche
Erscheinung, der Abglanz des himmlischen Jerusalems ist, lag es nahe, diese
Beziehung au dem zur Beleuchtung der Kirche bestimmten Geräth in
Erinnerung zu bringen. Besonders aber war der hängende Leuchter dazu
sehr geeignet, weil die Stadt der Zukunft, das Jerusalem das droben ist
(Gal. 4, V. 26), nicht auf dem Boden der Gemeinde stehen, sondern ihr nur
als hohes Ziel vorschweben durfte. Wie es scheint kam diese Symbolik im
elften Jahrhundert auf, während man sich früher begnügt hatte, die Leuchter
und Lampen mit dem Monogramm Christi auszustatten oder als Kreuz oder
Krone zu gestalten, um so daran zu erinnern, [dass Christus das Licht der
Welt und die Krone des Lebens sei. Schon von einem Kronleuchter, der
im Jahre 1038 in Speyer gestiftet wurde, wissen wir, dass er mit Engel-
chören, Propheten und Aposteln, also mit Gestalten, die dieser Vorstellung
entsprechen, ausgestattet war; an dem gleichzeitigen des Bischofs Hezilo
im Dome zu Hildesheim, an einem anderen vom Ende des Jahrhunderts in
St. Pantaleon zu Köln, und an dem aus der ersten Hälfte des zwölften Jahr-
hunderts stammenden in der Klosterkirche zu Komburg bei Schwäbisch-
Hall ist es aber in den daran augebrachten Versen geradehin ausgesprochen,
dass sie ein Bild des himmlischen Jerusalems seien 2). Dass dergleichen
') Vgl. H. Otte , Handbuch der kirchlichen Kunst-Archäologie des deutschen
Miltelakers, 2 Bde., 4. Aufl., Leipzig 1868. S. 117 ff.
-) Ueber die Kronen von Hildesheim siehe Kratz, der Dom zu Hildesheim, Taf. II,
S. 78 ff., nebst Abbildung der kleineren; über die von Komburg die Zeitschrift des
histor. Vereins für das wirtembergische Franken, Bd. V, S. 169 f., über die von
Der Leuchter von Aachen. Q\ J
Kronleuchter um die Mitte des zwölften Jahrhunderts sehr gewöhnlich und
sehr reich geschmückt waren, ergiebt eine Äusserung des heiligen Bernhard,
welcher auch diesen Luxus rügt^), und sie wegen ihrer Grösse nicht mehr
Kronen, sondern Räder nennen will. Indessen ist in Frankreich kein
einziger erhalten; man weiss nur uachrichtlich von einem im Anfange des
zwölften Jahrhunderts im Dome zu Toul gestifteten und hat noch Zeich-
nungen von einem in St. Remy in Rheims, der erst 1793 zerstört ist. In
Deutschland besitzen wir dagegen noch vier, einen in Komburg, zwei im
Dome zu Hildesheim , alle sclion aus der vorigen Epoche, und endlich den
zu Aachen. Die Anordnung der älteren Kronen in Komburg und Hildes-
heim ist sehr einfach; sie bestehen aus einem kreisförmigen Reifen, der mit
zwölf Thürmchen (den zwölf Thoren der Apokalypse XXI, v. 12) besetzt ist,
in denen kleine Statuen von Propheten, Aposteln und Engeln Platz fanden.
Künstlicher war schon die Anordnung des Kronleuchters von Rheims; hier
bildeten nämlich die zwölf Bögen zwischen den Thürmchen nicht einen ein-
fachen Kreis, sondern den Umriss einer zwölfblätterigen Rose, indem sie
zwölf über die Peripherie jenes grösseren Kreises hinausgreifenden kleineren
Kreisen angehörten, welche so angeordnet waren, dass bei vollständiger
Ausführung je zwei Kreise in der Mitte des zwischen ihnen gelegenen dritten
einander tangirten. Dass man die Rose im Mittelalter als ein Symbol des
himmlischen Jerusalems betrachtete , ergiebt schon die Rede Innocenz III.
bei der Weihe der goldenen Rose am Sonntage Laetare, wie denn auch
Dante in seinem Paradiese die Versammlung der Heiligen in Gestalt einer
Rose schattete. Noch künstlicher ist die Anordnung des Leuchters in
Aachen. Hier ist nämlich die Zahl acht an die Stelle der Zahl zwölf ge-
treten, die Rose besteht nicht aus zwölf, sondern nur aus acht Kreisbögen,
die Zahl der Thürmchen steigt dagegen auf sechszehn , welche sich theils
an den Endpunkten, theils an den Scheitelpunkten der Bögen befinden. Die
begleitenden Verse sagen ausdrücklich, dass hierbei die achteckige Gestalt
des Münsters maassgebend gewesen sei 2), sie erwähnen aber noch aus-
führlicher, dass das Ganze das Bild des himmlischen Jerusalems darstelle^),
Aachen aber den ausführlichen Aufsalz in Cahier und Martin, Melanges d'Archeologie,
Vol. III. — Vgl. für alle das unten (S. 614) citirte Werk von Bock.
1) Ponuntur dehinc in ecclesia gemmatae non coronae , sed rotae , circunnseptae
lampadibns, sed non minus insertis lapidibus.
2) Ad templi normam sua sumant munia formam
Istius octogene donum regale corone
Rex pius ipse et pie vovit solvitque Marie.
S. die ganze Inschrift bei Cahier a. a. 0. und bei Noiten, Archäologische Beschreibung-
der Münsterkirche zu Aachen, 1818.
"') Celica Jherusalem Signatur iniagiue tali u. s. w,
39*
Q-^2 Metallarbeii.
und setzen 'daher voraus^ dass die gewählte Form diesem Bilde entsprechend
sei. In der That ist sie es in höherem Grade als die bisher übliche.
Denn die Mauer der apokalyptischen Stadt ist nicht zwölfseitig, sondern
viereckig; und zerfällt , da jede der vier Seiten drei Thore und mithin vier
kleinere Abtheilungen hat, in sechszehn Theile. Diese vier Ecken konnten
aber, wenn man nach dem Zwecke des Geräthes eine kreisrunde Grundlage
brauchte, nicht besser angedeutet werden, als durch vier Thürme, wie man
sie nach der Befestigungskunst jener Zeit an den Ecken der Mauer anzu-
bringen pflegte, und man erhielt daher , wenn man auch den zwölf Thoren:
die Gestalt von Thürmen gab, nicht zwölf, sondern wie an unserem Kron-
leuchter sechszehn Thürme. Allerdings kam es dann darauf an, die Eck-
thürme von den Thoren zu unterscheiden, aber auch dafür ist hier gesorgt.
Die sechszehn Thürmchen sind nämlich nicht gleicher Gestalt, vielmehr sind
acht kleiner und rund , acht dagegen grösser , aber auch diese unter sich
dergestalt verschieden, dass ihr Grundriss abwechselnd entweder die Gestalt
eines Quadrates oder die eines Vierblattes mit halbkreisförmig hervor-
tretenden Seiten hat. Höchst wahrscheinlich sollten nun jene viereckigen
Thürme, welche die Ecken eines Quadrates bilden, dessen Seite jedesmal
ein Segment mit drei anderen Thürmchen abschneidet, die Eckthürme der
Stadt bedeuten, während jene anderen vermöge ihrer halbkreisförmig hervor-
tretenden Seiten den acht runden Tliürmen auf den Scheitelpunkten der
Bögen gleichgestellt waren und also mit ihnen die zwölf Thore bildeten.
Dies war dann muthmaasslich durch die jetzt nicht mehr vorhandenen
Statuetten ausser Zweifel gesetzt, indem in die Oeffnungen jener zwölf runden
Thürme die zwölf Apostel , in die der vier viereckigen Thürme aber etwa
Engel mit Schwert und Lanze als Wächter der heiligen Stadt gestellt
waren 1). Zur Unterstützung dieser Yermutliung kann ich mich auf die
Anleitung zur Anfertigung eines Weihrauchgefässes nach dem Bilde der
heiligen Stadt beziehen, welche Theophilus in seinem oft erwälmten Buche
(Lib. III, c. 60) giebt. Er lehrt nämlich an dem kreisrunden oberen Theile
des Gefässes zunächst vier Thürme, und zwischen denselben je drei Pforten
anzubringen, aus welchen die Apostel hervorschreiten. Die Eckthürmchen
enthalten dann zwar bei ilim keine Figuren, weil in ihnen die Ketten des
Gefässes durchlaufen, aber er hat doch jene bewaffneten Engel in einem
oberen Stockwerke angebracht. Seine Anordnung ist also, so viel es die
verschiedene Bestimmung des Geräthes gestattet, der des Aacliener Leuchters
1) Martin a. a. 0. giebt eine etwas andere Erklärung, indem er hauptsächlich auf
die mehrfachen und sich durchschneidenden Quadrate , welche durch die verschiedene
Form der Thürme angedeutet sind , Gewicht legt. Die von mir gegebene Deutung
scheint aber einfacher und natürlicher.
Der Leuchter von Aachen.
613
Fig. U3.
Leuchter in Aachen.
614
Metallarbeit.
ganz ähnlich. Allerdings kann man bei diesem letzten fragen, warum der
Urheber des Planes jene als Vierblatt gestalteten Thürme nicht lieber den
runden Thürmen ganz gleich gebildet habe, um so die zwölf Thore von den
yier Eckthürmen schärfer zu unterscheiden. Allein dazu hatte er offenbar
mehrere Gründe. Zunächst formelle, aus der achteckigen Gestalt ent-
nommene, dann aber auch innere. Das neue Jerusalem ist der Sitz der
Seligen, für die Seligkeit sind aber acht Verheissungen gegeben; die Zu-
sammenstellung von je acht Thürmen gab ihm also die Gelegenheit, auch
diese mystische Beziehung auszusprechen.
Die Bodenstücke der sechszehn Thürme sind nämlich auf ihrer unteren,
der Gemeinde zugewendeten Seite mit gravirter Zeichnung auf goldenem
Grunde geschmückt und zwar so, dass die acht grösseren und die acht
kleineren unter sich im Zusammenhange stehen. Diese enthalten nämlich
die Geschichte Christi: Verkündigung, Geburt, Anbetung der Könige,
Kreuzigung, die Marien am Grabe, Himmelfahrt, Ausgiessung des heiligen
Geistes und Christus als Weltrichter ; jene dagegen die acht Seligpreisungen
in der Art, dass jedesmal ein Engel (bekleidet, ohne Flügel und manchmal
von Gruppen menschlicher Figuren umgeben), einen Spruchzettel mit einer
der Verheissungen hält.
Die Zeichnung ist auf allen diesen Platten mittelst des Grabstichels
ausgeführt, so dass sie völlig wie unsere Kupferstiche zum Abdrucke ge-
eignet sind^). Die Tafeln mit den Seligpreisungen sind aber überdies nicht
bloss in eingegrabener, sondern auch in durchbrochener Arbeit verziert,
dergestalt, dass der Engel immer innerhalb eines Rostes von sich durch-
kreuzenden Balken steht und die Räume neben den Umrissen der Figur
und zwischen den Balken ausgeschnitten sind; offenbar, damit am Abend
das durchfallende Licht der am oberen Rande des Reifes stehenden Kerzen
wenigstens die Umrisse der Engel sichtbar machen sollte ^). Der Styl dieser
Zeichnungen giebt uns eine sehr hohe Vorstellung von dem Geschick der
Künstler, die dem Kaiserpaare zu Diensten standen, lässt aber darauf
1) Vollständige Abdrücke auf dem Kupferstichkabinet zu Berlin. Der beigefügte
Holzschnitt der Verkündigung ist das Facsimile eines solchen , nur mit Fortlassung
eines Theiles der kreisförmigen Einrahmung. Die Engel der Seligpreisungen sind etwas
grösserer Dimension, so dass das Format meines Buches die Aufnahme derselben nicht
gestattete. — Neuerdings publicirt von Franz Bock, der Kronleuchter Kaisers Friedrich
Barbarossa etc. etc. und die formverwandten Lichterkronen Leipzig 1864, und
von E. aus'm Weerth, Rheinlands Kunstdenkmale, II, Taf. XXXV, Text S. 98 ff.
2) DieThürmchen enthielten bei allen diesen Kronen kein Licht; die Kerzen standen
vielmehr auf Leuchtern am Rande der Bögen. Auch an dem Leuchter von Komburg
haben die Bodenstücke der Thürmchen durchbrochene Arbeit, doch nur Blattwerk und
Thiergest alten.
Weihrauchge fasse. Gib
schliesseu, das dabei zwei verschiedene Meister thätig waren. Bei den
Scenen aus der Lebensgeschichte des Erlösers ist die Auffassung naiv und
dramatisch: bei der Kreuzigung sind Sol und Luna, Maria und Johannes in
gewohnter Weise , neben diesen aber ziemlich natürlich behandelte Bäume
dargestellt; bei der Geburt wendet sich das Kind nach der Mutter, spricht
Joseph mit aufgehobener Hand, und scheinen selbst Ochs und Esel mit
einigem Gefühl von der Bedeutung des Momentes auf das Kind zu blicken.
Der Erdboden ist stets durch halbkreisförmige Schollen, jede mit einer
Blume, angedeutet. Die Köpfe sind mehr viereckig als oval, die Füsse sehr
gross. Dagegen ist die Haltung und die Körperbildung an den Engeln der
Seligpreisungen grossartiger und mehr im typischen Style, mit reinerem
Oval des Gesichtes, wohlgeregelten symmetrischen Locken, kleinen und
eleganten Füssen und besonders mit sehr edlen Gewandmotiven, welche die
Formen des Körpers wohl erkennen lassen'; die Nebenfiguren erinnern sogar
an die Zeichnung in byzantinisirenden Miniaturen. Wir sehen also nicht
bloss zwei Meister von verschiedener Begabung, sondern zwei verschiedene
Richtungen nebeneinander. Der Meister der evangelischen Geschichten ist
von dem Naturalismus berührt, der sich besonders in der Miniaturmalerei
geltend machte; der andere theilt dagegen die Tendenz des strengeren
Styles, der sich damals in der Plastik ausbildete. Ihr Zusammentreffen
zeigt recht deutlich den Einfluss, den beide Künste, Malerei und Sculptur,
auf die Werkstätten der Metallarbeiter hatten. Die Architektun ist übrigens
durchweg rundbogig, und auch die Verzierungen an der Einrahmung und
an den Balken der Bodenstücke, sowie an den Bandstreifen, welche nebst
der Inschrift um den Reifen des Leuchters herumlaufen, haben noch durch-
weg romanischen Styl. Sie bestehen meistens in ziemlich einfachen Ge-
winden, Rauten und ähnlichen Mustern, sind aber alle verschieden, und
geben, golden auf einem mit braunem Firniss bedeckten Boden, dem Ganzen
ein sehr reiches Ansehen.
Bei Weihrauchgefässen wurde das Bild des neuen Jerusalems weder
so ausschliesslich noch so anhaltend wie bei Kronleuchtern angewendet.
Dies beweist schon der Text des Theophilus, welcher zwei solche Gefässe
beschreibt, das eine, dessen ich bereits (S. 612) erwähnte, mit der Hin-
weisung auf die himmlische Stadt in sehr ausgeführter Symbolik, das Lamm
auf der Spitze des Ganzen, bewaffnete Engel und die Apostel auf dem
oberen, die Propheten und in Medaillons [die Tugenden auf dem unteren
Theile, das andere dagegen bloss mit den Gestalten der vier Paradieses-
ströme und der vier Evangelisten verziert, und mithin nur auf die Aus-
breitung der Heilslehre, als Parallele des aufsteigenden Weihrauchdampfes,
hindeutend. Ueberhaupt folgte man bei diesen Gelassen jetzt mehr anderen
Gedanken, wie ein bereits früher angeführtes Beispiel zeigt, wo durch die
Q-^Q Metallarbeit.
Darstellung der drei Männer im feurigen Ofen der Weihrauch als Symbol
des Gebetes behandelt war. Eine Nachwirkung jener frühern Symbolik
war es indessen , dass man auch jetzt und bis in das späteste Mittelalter
hinein den oberen Theil solcher Gefässe mit Thürmen zu schmücken
pflegte^). Auch scheint die reiche Symbolik an einem Rauchgefässe vom
Anfange des dreizehnten Jahrhunderts, das in der Dorfkirche zu Buchholz
bei Manderscheid in der Diözese Trier entdeckt ist-), noch auf einer Um-
gestaltung des Gedankens der Stadt Gottes zu beruhen. Es zeigt nämlich
oben auf der Spitze einer thurmartigen Architektur den König Salomon mit
Krone, Scepter und Reichsapfel, von seinen vierzehn Löwen umgeben, wie
die beigeschriebenen Verse besagen als Symbol der himmlischen Herrschaft
Christi. Unter ihm stehen auf den vier Giebeln Abel mit dem Lamm,
Melchisedek mit Brod und Kelch, Abraham im Augenblicke des Opfers und
Isaak den Jakob segnend, alle den Opfertod Christi andeutend (Christum
venturum carnisque necem subiturum), dann am unteren Theile des Gefässes
Aaron mit dem Rauchaltar, Moses mit der Ruthe, Jesaias und Jeremias mit
Büchern, also die Functionen des Priesterthumes im Dienste Christi ver-
sinnlichend. Selbst die Agraffe, welche die Kette hält, giebt noch in vier
Ringen die Brustbilder der Apostel Petrus, Paulus, Johannes und Jacobus,
also der Lehrer jenes auf dem Gefässe selbst angedeuteten Mysteriums.
Das Fussgestell enthält eine Fürbitte für einen gewissen Gozbertus, der ent-
weder der Geschenkgeber oder der Künstler war.
Durchweg ist die Symbolik jetzt freier, poetischer, künstlicher ge-
worden; sie variirt gern den Grundgedanken, den die vorige Epoche ein-
fach wiederholte. Dies bemerken wir auch an den ehernen Taufbecken,
von denen in Deutschland einige erhalten sind. Zwar ist das des Domes
zu Osnabrück^), dem Style und den Schriftzügen nach vom Ende des
zwölften oder Anfange des dreizehnten Jahrhunderts , einfacher als das be-
deutend frühere in St. Bartholomäus zu Lüttich *). Es ruht auf bedeutungs-
losen Füssen iind die fünf Abtheilungen des cylindrisclien Kessels enthalten
ausser den Figuren der Apostel Petrus und Paulus nur die Taufe Christi
in den drei, je eine Abtheilung einnehmenden Gestalten Christi, des Täufers
und eines dienenden Engels. Die Bewegung des Letzten ist kühn und nicht
^) Mit diesem Gebrauche hängt es zusammen, dass in vielen Urkunden des Mittel-
alters das Wort: thuribulum, dessen griechischer Ursprung den Schreibern unbekannt
sein mochte, in turribulum, Thurmgefäss, verwandelt ist. Vgl. Ducange, Gloss. s. h. v.
Ein Rauchfass des dreizehnten Jahrhunderts aus dem Dome zu Mainz, das ohne Figuren,
aber mit einem Thürmchen bekrönt ist, bei Becker und v. Hefner a. a. 0, Taf. 58.
2) Abbildung und Beschreibung im Bull, monum. XIII , S. 195.
») Lübke a. a. 0. S. 417.
*) Bd. IV, S. 671.
Taufbecken in Hildeslieim. Q\1
ungeschickt, und verräth jenes Streben nach dramatischem Ausdrucke , das
sich in dieser Zeit in Deutschland häufig zeigt. Die Inschrift giebt zwar
kein Datum, wohl aber die Namen des Künstlers Gerhard und des Stifters
Wilbernus.
Um so reicher in symbolischer Beziehung und von bedeutend höherem
künstlerischem Werthe ist das dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts
zuzuschreibende Taufbecken im Dome zu Hildesheim ^). Der wiederum
cylindrische Kessel ruhet auf vier knieenden menschlichen Gestalten, welche
Urnen ausgiessen, bekanntlich die vier Paradiesesflüsse. Ueber den Köpfen
derselben sieht man an dem Becken selbst in Verbindung mit der Archi-
tektur, welche dasselbe in vier Felder theilt, die über einander angebrachten
Medaillons der vier Tugenden, der vier grossen Propheten und der vier
Evangelisten. Von den dazwischen gelegenen Feldern zeigt das eine den
Donator, einen Domherrn, der zufällig wie der des Beckens von Osnabrück
Wilbernus heisst, vor der Jungfrau knieend, die drei anderen geben die
Darstellungen des Durchganges der Juden durch das rothe Meer, des spä-
teren unter Josua durch den Jordan, und endlich der Taufe Christi. Auf
dem Deckel ist (ohne Zweifel in innerer Verbindung mit der Gestalt der
Jungfrau Maria auf dem Votivbilde) der Hergang mit Aarons blühender
Gerte dargestellt, dann, in Beziehung auf das rothe Meer, der Kinder-
mord zu Bethlehem, darauf weiter Magdalena im Hause des Pharisäers,
die Füsse des Herrn mit ihren Haaren trocknend, endlich viertens die Werke
der Barmherzigkeit in eine Gruppe vereinigt: die thronende Miseri-
cordia ist von Gestalten, denen sie ihre Wohlthaten spendet, um-
geben. Es sind deren aber nur sechs, das Begraben der Todten fehlt.
Man sieht , der Gedanke des Wassers bildet das Grundthema einer kunst-
gerecht durchgeführten Symbolik; in den Paradiesesströmen erscheint es
vorbildlich, in den Ereignissen der alttestamentarischen und evangelischen
Geschichte historisch mit allegorischer Nebenbedeutung, am Deckel tropo-
logisch, mit moralischer Anwendung, als Bluttaufe in der Trübsal, als
Thränentaufe in der Reue, durch das „Wasser, das zu Berge geht", von dem
unsere Dichter des Mittelalters so oft sprechen, endlich in den guten Werken,
unter denen die Wasserspendung vorkommt, als christliche zur Seligkeit
führende Tugend. Daneben ist die andere Eigenschaft der Paradiesesflüsse,
die Vierzahl nicht vergessen, welche in den Kardinaltugenden, an den
1) Vgl. eine Beschreibung und die bedeutungsvollen Verse der Aufschriften bei
Kratz, der Dom zu Hildesheim, Th. II, S. 195, und eine jedoch sehr unbefriedigende
Abbildung auf Taf. 12. Der Verfasser setzt die Entstehung in die zweite Hälfte des
dreizehnten Jahrhunderts, doch ohne überzeugende. Gründe, da der Styl der Arbeit auf
frühere Zeit schliessen lässt. — Abbildung bei Förster, Denkmale, Bd. VIII, der Deckel
in Didron's annales archeologiques, Bd. XXI.
g28 Melallarbeit.
grossen Propheten und endlich an den Evangelisten wiederkehrt, und somit
die Grundlage der Heiligung ist. Statt dieser künstlichen Anspielung auf
natürliche und geheimnissvolle Dinge hat das Taufbecken in Lüttich nur
die alttestamentarische Reminiscenz an das eherne Meer und führt ausser-
dem den Gedanken der Busse und Bekehrung, als der Erfordernisse des
Sacramentes, sehr einfach durch.
Der Guss des bedeutenden, sechs Fuss hohen Monumentes ist vor-
trefflich ausgeführt, die Zeichnung der Figuren ist sehr streng und typisch,
doch ausdrucksvoll, mehr an die Auffassung der Miniaturen als an archi-
tektonische Plastik erinnernd. Die Architektur, aus gewundenen oder ver-
zierten Säulenstämmen und breiten Kleeblattbögen bestehend, gehört noch
ganz romanischer Weise an.
Einen völlig verschiedenen Charakter hat das Taufbecken im Dome
zu Würzburg, dessen Inschriften den Namen des Verfertigers, Meisters
Eckart von Worms, und das Jahr der Vollendung 1279 angeben i). Die
Architektur ist hier schon ganz gothisch; Strebepfeiler mit Wasserschlägen,
Tabernakeln und Fialen trennen, gothisch verzierte Bedachungen überdecken
die acht bildlichen Darstellungen, welche ohne alle symbolische Gliederung
das Leben Christi darstellen , Verkündigung , Geburt , Taufe , Kreuzigung^
Auferstehung, Himmelfahrt, Ausgiessung des heiligen Geistes und das Welt-
gericht, dies jedoch nur in wenigen Gestalten. Meister Eckart war kein
grosser Künstler; die Arbeit ist durchaus roh, die Anordnung ohne Styl-
gefühl, der Ausdruck der kurzen, kaum, fünf Kopflängen haltenden Gestalten
unbedeutend; nur an einigen naiven Zügen und an einem, aber selten ge-
lungenen Streben nach Weichheit der Formen ist ein Einfluss des neuen
Styles zu spüren. Das Ganze besteht ungeachtet seines geringen ümfanges
nicht aus einem Stücke, vielmehr sind die Strebepfeiler, die Spitzbögen und
die Bildtafeln einzeln gegossen und zusammengelöthet, was allerdings durch
die schwerfällig behandelte gothische Architektonik erleichtert wurde. —
Noch später, 1290, wurde, laut Inschrift, das Taufbecken im Dom zu
Rostock gefertigt, das in der Arbeit handwerksmässig, im Styl alterthüm-
lich ist. Auch hier wird das Becken von vier kuieenden Gestalten getragen,
welche aber diesmal als die vier Elemente bezeichnet sind. Das Becken
selbst und der Deckel, ersteres in Feldern mit kleeblattförmiger Umrahmung,
enthalten Darstellungen aus dem neuen Testament.
Im Allgemeinen unterwarfen sich die Metallarbeiter dem Einflüsse des
gothischen Styles nur sehr zögernd.* Noch längere Zeit, nachdem er in der
^) Becker und v. Hefner, Kunstwerke und Geräthschaften des Mittelalters, Taf. 19;
die Jahreszahl 1289 beim Abdrucke der Inschrift ist irrig. — Förster, Denkmale,
Bd. IX.
Email. 619
Baukunst zur Herrscliaft gelangt war, behielten die Kelche, Schüsseln und
andere Kirchengeräthe die volle romanische Form und die hergebrachten,
Ornamente 1). Der romanische Styl gab gerade für diese Zwecke Motive
von grosser Schönheit; die volle, der Kreis- oder Kugelform sich annähernde
Rundung eignete sich für die Bestimmung solcher Gefässe besser als die
gebrochene Linie und die schlanke Haltung des gothischen Styles; die ganze,
unvergleichliche Ornamentik, der kräftige Schwung der Rankengewinde, die
reiche Mannigfaltigkeit linearer Durchschneidungen stand damit in innigster
Verbindung und war mit dem consequenten und einseitigen Gesetze verti-
caler Formbildung nicht wohl zu vereinigen. Es war daher begreiflich,
dass die Künstler sich sträubten, diese Vortheile zu Gunsten einer Archi-
tektur zu opfern, welclie au dieser Stelle durch keine statischen Gründe
gerechtfertigt war.
Von den Goldschmieden wurde auch die Kunst des Email 2) ausgeübt
und auch diese blühte zunächst vorzugsweise in Deutschland, ganz besonders
in den Gegenden des Rheines sowie in dem benachbarten Lothringen. Ein
Eilbert von Co In nennt sich als Verfertiger auf einem der Mitte des
zwölften Jahrhunderts angehörenden Tragaltärchen in der Sammlung des
Königs von Hannover'^), ein Meister Nicolaus vonVerdun hat, zu-
folge der Inschrift, im Jahre 1181 das glänzendste und grösste der noch
existirenden Werke dieser Technik verfertigt, den Altaraufsatz im Stifte
Klosterneuburg bei Wien*). Er besteht aus 51 Tafeln, von denen aber
1) Ausgezeichnet schöner Form ist der früher der Katliedrale zu Rheims ange-
hörige, jetzt in der grossen Bibliothek zu Paris bewahrte Kelch des li. Remigius aus
dem zwölften Jahrhundert (Annal. arch. II, 363). Kelche mit reicher plastischer Ver-
zierung kommen noch in zahlreichen deutschen Kirchen vor. Die Formen des. Ueber-
gangsstyls herrschen an dem in der Apostelkirche zu Köln (Bock, das heil. Köln,
Taf. XXVIII), ferner an dem aus Kloster Weingarten stammenden im Dome zu Regens-
burg (Becker und v. Hefner, Kunstwerke und Geräthschaften, III, Taf. 48), auf welchem
sich ein Meister Conrad de Husa als Verfertiger nennt und in dem durch seine schlichten
aber ausdrucksvollen Gravirungen merkwürdigen Kelch zu Werben in der Altmark
V, Quast u. Ölte, Zeitschrift, I, S. 69 if. u. Taf. IV). Die prächtigen Kelche der
Nicolaikirche zu Berlin und zu Zehdeuick (ebenda, II, S. 135 u. Taf. VII) nehmen
bereits Motive der Gothik auf.
2) Siehe oben Bd. IV, S. 244 ff. und 658 ff. — Besonders für diesen Kunstzweig
ist Labarte's Arbeit von Wichtigkeit; vgl. a. a. 0. Kd. III von S. 377 an, vgl. aber
auch, hinsichtlich der Reliquiarien, Bd. II, S. 224 fl". — Siehe aucli VioUet-le-Duc,
Dictionnaire raisonne du mobilier frangais, Bd. I, Paris 1858, Artikel Chasse, reli-
quaire etc.
3) Vgl. Bd. IV, S. 660, Anm.
*) Vortrefflich in Fai'bendruck publjcirt von Camesina und J. Arneth , das Niello
Antependium zu Kloster Neuburg, 1844. Zum Wortlaut des Titels ist zu bemerken, dass
dies Werk keine Niello-Arbelt ist und dass die Bestimmung als Antependium nur auf
620
Metallarbeit.
sechs im 14. Jahrhundert hinzugefügt, nur die übrigen 45 alt sind. Es sind
vergoldete Bronzeplatten, in denen die tiefeingeschnittenen Umrisse mit
Fig. 144.
■.Av^.Srm'TC
Email des Nicolaus von Verdun in Klosterneuburg bei Wien.
rother oder blauer Masse ausgefüllt und die Gründe mit derselben blauen
Farbe bedeckt sind. Ihrem Inhalte nach geben sie das Leben Christi in
Wahrscheinlichkeit beruhet. — Vgl. den Aufsatz von G. Heider in den Mittelalterlichen
Kunstdenlt^malen des österr. Kaiserstaates, II, S. 115 ff., mit Wiederholung einiger
Camesina'schen Tafeln, sowie Heider und Camesina, der grosse Altaraufsatz im Stifte
2u Klosterneuburg, mit einem Farbendruck und Lithographien, 1860.
Reliquienschreine. 621
Verbindung mit den vorbildlichen Ereignissen der alttestamentarischen Ge-
schichte. Die Zeichnung ist durchweg im Geiste altchristlicher Ueber-
lieferung; von der unruhigen Lebendigkeit, die wir in den Miniaturen be-
merken, ist keine Spur, die Gesichtszüge sind noch starr oder doch wenig
belebt, aber in der Haltung der Körper und in der Gewandung herrscht ein
so lebendiges Gefühl für Wahrheit und Schönheit und zugleich ein so klares
Verständniss der ursprünglichen Motive, dass man bei einzelnen Zügen
geradezu an antike Gestalten erinnert wird. — Von demselben Meister
wurde im Jahre 1209 noch ein Reliquienschrein für die Kathedrale zu
Tournay vollendet, der aber leider nur in verdorbenem Zustande existirt^).
Unter den Arbeiten der Goldschmiedekunst nehmen die Reliquien-
behältnisse die vorzüglichste Stelle ein; wir finden sie, je nachdem sie zum
Privatbesitz oder zur Aufstellung in Kirchen bestimmt waren, in sehr ver-
schiedener Gestalt, aber meistens mit dem reichsten Schmucke in Emails
verschiedener Art und mit Figuren in getriebener Arbeit. Kleinere, für den
Privatbesitz bestimmte Reliquiarien haben oft die Form des Kreuzes oder
die einer Säule, zuweilen aber auch die eines kleinen Flügelaltars. So ein
gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts entstandenes Reliquiarium , das aus
der berühmten Sammlung Soltyk off für das South Kensington Museum
in London erworben worden ist. In seinem Innern wird ein Täfelchen mit
den Behältern für Kreuzessplitter von einem schwebenden Engel gehalten^
während zwei grössere Engelfiguren feierlich als Wache daneben stehen.
Das obere Bogenfeld zeigt das Brustbild des segnenden Christus, auf den
Flügeln sind die zwölf Apostel zu sehen, alles Arbeiten in Relief, während
das Email nur auf wenige Stellen besonders auf eine im Sockel angebrachte
Darstellung der Frauen am Grabe beschränkt bleibt^). Eine verwandte
Form , aber ohne Anwendung von Email , zeigt der schon aus dem Anfang
des 13. Jahrhunderts stammende Reliquienschrein in der ehemaligen Bene-
diktinerabtei zu Mettlach^), ein Kasten aus Eichenholz, mit vergoldetem
Messingblech überzogen, der innen in Reliefs den Heiland in der Glorie, die
Wohlthäter des Klosters, sowie Apostel und Heilige, aussen auf den Flügeln
die gravirten Darstellungen der Verkündigung und der Anbetung der Könige
enthält. Noch häufiger indessen haben die Reliquienbehälter die Gestalt
eines kleinen kirchlichen Gebäudes, zuweilen kreuzförmig mit einem Kuppel-
aufsatz , wie ein seltenes Prachtstück , das ebenfalls aus der Sammlung
1) Notiz darüber in Cousin, Histoire de Tournay, nachgewiesen von Didron in den
Annales archeologiques , Bd. XXII. Mitlheilung über das Werk selbst von E. aus'm.
Weerth in dem Correspondenzblatt der Alterthumsvereine 1866, S. 20.
2) Publicirt bei Labarte, Album II, pl. CXLV.
3) V. Quast, Zeitschrift I, S. 230, 267 mit Abbildungen.
ß22 Metallarbeit.
Soltykoff in das South Kensington-Museum gelangt ist und welches
eine Verbindung des Email in rein ornamentaler Verwendung und der Elfen-
beinschnitzerei in Reliefs und Figuren zeigt ^). Häufiger jedoch, namentlich
für grössere, die üeberreste des Schutzpatrons der Kirche oder eines be-
sonders verehrten Heiligen bewahrende Gefässe ist die Form eines einfach
rechteckigen Gebäudes mit schrägem Dache, manchmal mit einem Aufsatz
in der Mitte, der dem Schreine die Gestalt einer Basilika giebt-). Die An-
ordnung dieser Reliquiarien ist sehr übereinstimmend; an den senkrechten
Wänden sind meistens sitzende Gestalten in getriebener Arbeit unter von
Säulen getragenen Bögen angebracht, auf den langen Wänden häufig die
Apostel, unter den Giebeln einerseits Christus oder die Jungfrau, andrer-
seits das Bild des bestatteten Heiligen; die Dachflächen enthalten in flacherem
Relief historische Darstellungen; die Säulenstämme, Bögen und Einfassungen
sind reich mit Arabesken in Emailmalerei und mit edlen Steinen oder
antiken Gemmen geschmückt.
Der Niederrhein , wie wir sahen der Hauptsitz der Email- und Gold-
schmiedekunst, ist noch jetzt sehr reich an solchen grossen Schreinen; man
kann etwa zwanzig aufzählen, unter welchen der berühmte zweistöckige
Schrein der heiligen drei Könige im Dom zu Köln wohl der präch-
tigste ist. (Fig. 145). Die Emailverzierungen sind hier von vollendeter
Eleganz, während die heiligen Scenen und die Figuren unter den Arcaden
zwar nicht von höchster Durchbildung, aber in der Gewandung wohlstudirt und
mit tiefem Ausdruck inneren Lebens erscheinen ^). Zwei sehr schön gearbeitete
Schreine aus der ehemaligen Abtei St. Pantaleou zu Köln befinden sich jetzt da-
selbst in der kleinen Kirche St. Maria Inder Schnurgasse, andere in St. Ur-
sula und St, Severin daselbst, in der Pfarrkirche zuDeutz, in St. Mathias
und auf der Stadtbibliothek zu Trier, eine ganze Sammlung in der
Pfarrkirche zu Siegburg ^). Der Kirchenschatz zu Aachen besitzt zu-
1) Publicirt bei Labarte, Album, I, XLIII und II, CIX, sowie von Cattois in zahl-
reichen Aufsätzen der Annales archeologiqiies, Bd. XX — XXV.
2) Der richtige Takt der Künstler dieser Epoche hielt sie indessen von näherer
Nachahmung- der Architektur ab; erst im 15. Jahrhundert bildete man solche Schreine
völlig in Kirchengestalt, mit Oberlichtern, der Rose anf der Facade und einem Thürmchen
auf dem Dache. So war namentlich der Schrein des Heiligen in St. Germaiu-des-
Pres in Paris vom J. 1408. Vgl. Viollet-le-Duc, Dictionnaire du mobilier, Vol. I, p. 73.
^) Vgl. über dies wie über die andern in Köln hefindüchen Reliquiarien: Fr. Bock,
das heilige Köln, Leipzig 1858, sowie sein neueres Werk, der Kunst- und Reliquien-
schatz des Kölner Doms, 1870, mit Abbildungen. Zwei Prophetengestalten bei E. Förster,
Denkmale, Bd. VII.
*) Die Schreine von Dcutz und Siegburg bei E. aus'm Weerth, Rheinlands Kiinst-
denkmale, IIl, Taf. XLIII fif., vgl. auch Organ für christi Kunst 1853, Nro. 19 — 23,
Niederrlieiiiisclie Reliquienschreiue.
623
Dächst den Reliquienschrein Karls des Grossen, welcher dem beschriebenen
Reliquiarium des Kölner Domes nur wenig nachsteht. Seine architek-
tonischen Formen sind noch rein romanisch , ohne Mischung mit Motiven
des Uebergangsstyls, und so ist es wahrscheinlich, dass er der Zeit Kaiser
Friedrichs I. angehört, der im Jahre 1166 die Gebeine Karls des Grossen
in demselben niederlegte. Indessen findet man unter den acht thronenden
Fig. 145.
fi^«-
Schrein der h. drei Könige. Dom zu Köln.
Statuetten deutscher Kaiser an den Langseiten auch die Nachfolger Barba-
rossa's, Heinrich VI., wahrscheinlich Philipp von Schwaben und endlich auch
Friedrich II. als römischen König, so dass die Vollendung des Schreines
und seine endgültige Aufstellung sich wohl bis zu der Zeit des Letzt-
genannten, der 1215 nach Aachen kam, verzögert haben mag^). Weiter
1855, Nro. 19. Notizen über diese und andere Schreine der Rlieiulande bei Kuglet
kl. Sehr. II, 328. Der Deckel des Schreins in Trier publ. in den Ann. archeologiques,
Bd. XIX, S. 225.
1) Dies ist die Ansicht von E. aus'm Weerth a. a. 0. S. 108 ff., welcher das
Kunstwerk auf T.fei XXXVil publicirt. Vgl. auch Labarte, Bd. II, S. 284 fl'. und
Album I, Taf. XL VII.
024 Metallarbeit.
entwickelte Formen zeigt der schöne Schrein, welcher die grossen Reliquien
des Münsters zu Aachen bewahrt und zum Unterschiede von dem die Ge-
beine Karl's des Grossen enthaltenden nach der h. Jungfrau benannt wird,
Avahrscheinlich bald nach dem Jahre 1220 begonnen^). Seine Architektonik
gehört zwar noch gewissermaassen dem Uebergangsstyle an, aber ihre auf
verzierten Säulen ruhenden Kleeblattbögen sind doch schon von Spitzgiebeln
mitBlattwerk bekrönt, dessen Behandlung sich der Gothik nähert. Im übrigen
Deutschland sind solche Reliquiarien seltener. Westphalen besitzt noch
mehrere, namentlich zwei sehr ausgezeichnete im Dome zu Osnabrück ^), der
Dom zu Hildesheim den prachtvollen, am Anfange dieser Epoche gefertigten
Schrein des h. Godehard. Weiter östlich sind mir keine aus dieser Epoche
bekannt^), selbst der der h. Elisabeth zu Marburg scheint erst aus dem
vierzehnten Jahrhundert zu stammen.
Da die Aufgabe hier geradezu die Nachahmung eines kirchlichen Ge-
bäudes forderte, so lag es nahe, sich an den herrschenden Baustyl dieser
Zeit anzuschliessen. Dennoch behielt man auch hier noch lange völlig
romanische Formen bei, halbkreisförmige oder auch kleeblattförmige Bögen,
verzierte Säulenstämme, korinthisirende Kapitale. So an dem schönen
Schrein des h. Eleutherius in der Kathedrale zu Tournay, obgleich er
im Jahre 1247 aufgestellt wurde, wo man schon den Ausbau des Chores im
reichsten gothischen Styl begonnen hatte ^), und selbst an der erst gegen
das Jahr 1264 verfertigten Reliquienkiste des h. Swibertus in der Stifts-
kirche zu Kaiserswerth *'').
Die Bedeutung dieser Monumente besteht hauptsächlich in der ein-
fachen, architektonischen Anordnung und in der geschmackvollen, würdigen
Pracht des Schmuckes, namentlich in dem Farben Wechsel des Emails und
in der Zeichnung der Friese. Die schwierige Technik gestattete nicht, dass
feinere künstlerische Empfindungen Ausdruck fanden, sie sind mehr Zeug-
nisse fleissiger , handwerksmässiger Arbeit und des frommen Sinnes , der zur
1) Cahier, Melanges d'Archeologie Vol. I, deutet eine Urkunde Kaiser Friedrich's II.
von diesem Jahre, in der einer Capsa der heiligen Jungfrau erwähnt wird, auf diesen
Schrein. Vgl. übrigens daselbst die vortrefflichen Abbildungen. — E. aus'm Weerth,
a. a. 0, S. 103 ff., Taf. XXXVI; Labarte, II, S. 287.
2) Lübke, Westphalen, S. 405.
8) lieber Goldschmiedsarbeiten in Bayern, besonders in Regensburg , vgl. Sighart,
a. a. 0., S. 260, 337.
*) Le Maistre d'Amstaing in den Annales arclieol. III, p. 113, mit Abbildung;
vgl. Anhales archeol. XIII, p. 113, XIV, p, lU; Labarte, a. a. 0. II, 289-
•') Vgl. Organ für christl. Kunst 1852, S. 18, 1853, S. 78. In dem angegebenen
Jahre erfolgte die feierliche Niederlegung der Reliquien. —^ E. aus'm Weerth, S. 44 f.,
Tafel XXX.
Güldschmiedekunst am Niederrhein. 625
Ehre des Heiligen das Kostbarste zu häufen bestrebt war. Namentlich
sind auf den älteren Schreinen die sitzenden Figuren meist schwerfällig; die
Köpfe ausdruckslos. Allmälig besserte sich zwar die Technik, an dem
Schreine zu Tournay von 1247 finden wir schon Gestalten von grosser
Schönheit und freier Bewegung, und auch an denen von Aachen zeigt sich
in der schlanken Haltung und volleren Gewandung der einzelnen Figuren
und in der Anordnung der historischen Reliefs der günstige Einfluss des
neuen Styles; obgleich auch hier die Arbeit der Goldschmiede hinter der
Steinsculptur zurückblieb und älteren Traditionen folgte. Günstiger war
der Einfluss des gothischen Styles auf die Ornamentik , obgleich sie in ge-
wissen Beziehungen romanische Elemente festhielt, namentlich kommt nun
eine überaus zierliche Filigranarbeit auf, welche bald die Innenseiten der
Bögen, bald die Kanten der Giebel und des Daches schmückt, und offenbar
auf einer Verbindung der Principien gothischen Maasswerkes mit dem volleren
Schwünge der romanischen Arabeske beruhet. Von höchster Schönheit ist
diese Filigranarbeit an dem Schreine von Aachen, und zwar gerade weil sie
jenes romanische Stylgefühl lebendiger bewahrt hat.
Die Werke dieser niederrheinischen Meister wurden nahe und fern
geschätzt und die Künstler fanden in den fernsten Ländern Beschäftigung.
Lorenzo Ghiberti erwähnt in seinen Aufzeichnungen einen Goldschmied von
Köln, der im 14. Jahrhundert durch einen Herzog von Anjou nach Italien
geführt wurde und dort eine Reihe vorzüglicher Arbeiten für diesen Fürsten
ausführte. Derselben Schule gehören die Werke dieses Kunstzweiges an,
welche in den Niederlanden zu finden sind, wo eine selbständige Aus-
bildung der Goldschmiedekunst erst vom Ende des 13. Jahrhunderts an
nachweisbar ist; ausser dem erwähnten Schrein des heiligen Eleutherius zu
Tournay ein aus dem zwölften Jahrhundert stammender in St. Servals in
Maestricht, mit strenger, fast byzantinisirender Zeichnung der Figuren^) und
noch ein ähnlicher im Museum zu Brüssel. Vom Rhein stammt wohl auch
jener Bruder Hugo, Mönch zu Oignies, der sich auf den verschiedenen,
jetzt im Nonnenkloster zu Naniur bewahrten Werken, auf dem Einbände
eines Evangeliariums , auf einem Kelche und auf einem sehr eigenthümlich
gestalteten Reliquiarium als Verfertiger nennt und, wie die Pergamentschrift
des Reliquiariums ergiebt, um 1228 arbeitete 2).
Auch zwei meisterhafte Goldschmiedsarbeiten, welche sich zuSt. Omer
^) Vgl. meine Niederländischen Briefe S. 536. — Hist. de la chässe de St.
Servais, par. Alex. Schaepkens, Gand 1849 (Abdruck aus dem Messager des sciences
historiques).
^) Vgl. Cahier und Martin, Meianges d'ArcheoIogie, Vol. I. (mit einer Abbildung
des Reliquiariums), und Annal. Archeol. V, p. 318. — Labarte, II, S. 291 tf,
Schnaa.so's Kunstgescb. 2. Aofl. V. 40
626
Metallarbeit.
in nördlichen Frankreich befinden^ sind Arbeiten dieser Schule. Das
städtische Museum bewahrt einen noch dem 12. Jahrhundert angehörigen
Kreuzesfuss aus der Abtei St. Bert in, in Gestalt eines Pilasters mit Dar-
stellungen aus dem alten Testament in Email auf den Flächen, während am
Fusse die vier Evangelisten, schon sehr bewegt und frei in der Auffassung
und an dem Kapital die vier Elemente in plastischer Ausführung angebracht
sind^). Die dortige Kirche Notre-Dame besitzt in dem Reliquiarium aus
der Abtei Clairmarais, das die Gestalt eines Doppelkreuzes und Niello-
Darstellungen auf der Rückseite hat, ein Werk der gleichen Zeit 2).
In derselben Epoche, in Avelcher in Frankreich der grossartige Auf-
schwung der Architektur, die Entwickelung des gothischen Styls begonnen,
stand man in der Goldschmiedekunst dort noch wesentlich unter dem Ein-
flüsse Deutschlands und bezog aus diesem den künstlerischen Bedarf-^).
"Welchen Werth man auf solche Gegenstände legte, beweist vor allem das
Beispiel des Abtes Suger von St. Denis, dessen Aufzeichnungen^) auch in
dieser Beziehung von Wichtigkeit sind. In lebhaftem Gegensatze zu der
strengen Censur, welche der heilige Bernhard gegen den Prunk des Cultus
übte, wollte er das Kostbarste zum Dienste des Herrn heranziehen und
sorgte ununterbrochen für die Ausstattung seiner Abteikirche, deren Bau
er betrieb. Von den Metallarbeiten, die er hervorrief, haben wir freilich
meistens nur noch schriftliche Nachricht. Er Hess seine Kirche mit erz-
beschlagenen Thüren schmücken, er berief (um das Jahr 11 44) Goldschmiede aus
Lothringen, also aus derselben Gegend, in welcher Nicolaus von Verdun,
der Meister des Altars von Klosterneuburg, zu Hause war, besonders um
einen grossartigen Untersatz für ein Kreuz zu arbeiten, den man sich wohl
nach Art desjenigen aus St. Bertin denken muss^), dann liess er Seiten- und
Rückflächen des Hochaltars mit goldenen Relieftafeln bekleiden, endlich ent-
stand ein Schrein des heiligen Dionysius und seiner Gefährten von ähnlicher
Gestalt wie der Kasten der heiligen drei Könige in Köln.
Mochten auch die Verfertiger dieser kostbaren Arbeiten grossentheils
Fremde sein, so übten doch allraälig diese Vorbilder eine lebhafte Wirkung,
auf die einheimische Goldschmiedekunst in Frankreich aus, und wir finden
1) Abgeb. in Didron's Annales arclieologiques, Vol. XVIII, S. 1 fF., mit vier Taf.
Vgl. Laharte, II S. 237.
2) Ann. archeologiques, Bd. XIV, S, 285 und 378 mit Abbildungen, und Bd. XV,
S. 1. — Labarte II, S. 239.
•') Labarte, II S. 244 ff., 294 tf., III, S. 465 ff., 613 ff., 640 ff'.
4) Vgl. oben S. 33.
ö) Labarte versucht eine Restauration nach der Beschreibung, Album I, Holzschnitt
im Text zu Taf. XLVI.
Email von Limoges. 627
bald in verschiedenen Theilen des Landes die Spuren ihres selbständigeren
Betriebes. Zu den frühesten grösseren Denkmälern gehörte das Grabmal
Heinrichs I. Grafen der Champagne, gestorben 1181, im Chor der
Kirche des h. Stephan zu Troyes, Das lebensgrosse vergoldete Bronze-
biki, von dem noch eine Zeichnung bewahrt wird, ruhte unter einem Arcaden-
Ealdachin und auf einem Sockel, der mit figürlicher und ornamentaler Plastik
sowie mit emaillirten Platten geschmückt war. Aehnlich war das etwas
spätere Grabmal seines Sohnes Graf Thibault's III. (gestorben 1201),
und Bruchstücke der Emaillen von beiden Werken werden noch im Schatz
-der dortigen Kathedrale bewahrt i). In Paris stand die Goldschmiedekunst
seit dem 13. Jahrhundert in Blüthe, hier wurden die kostbaren Kirchen-
geräthe für die Kathedrale Notre-Dame und für die Sainte-Chapelle gefertigt,
im Jahre 1292 weist die Steuerrolle hier 116 Goldschmiede auf; inAuxerre,
Arras, Montpellier, Avignon nahm dies Handwerk einen grossen Aufschwung,
ganz besonders aber bildete es sich in einer der bedeutendsten Städte Aqui-
taniens, in Limoges, aus, die in der Email-Arbeit bald einen Weltruhm
errang. Freilich haben die neueren Forschungen dargethan, dass der Nieder-
rhein in dieser Hinsicht der Limusiner Schule voranging, in welcher vor
den letzten Jahrzehnten des zwölften Jahrhunderts keine Spuren der Email-
fabrication nachweisbar sind ^). Irrthümlich wurde bisher einigen erhaltenen
Limusiner Arbeiten ein früheres Alter zugesprochen, wie zum Beispiel einer
schönen emaillirten Platte in dem Museum zu le Mans, welche aus der
•dortigen Kathedrale stammt und eine ritterliche Gestalt in halber Lebens-
grosse mit dem Wappen des Hauses Anjou enthält. Man glaubte früher in
ihr das einst daselbst befindliche Monument des Gottfried Plantagen et
(t llfil) zu sehen, obwohl dasselbe nach glaubwürdigen Nachrichten Ende
des 16. Jahrhunderts von den Hugenotten zerstört wurde und seine älteren
Beschreibungen mit dieser Platte nicht übereinstimmen. Diese stellt viel-
mehr seinen Sohn, König Heinrich H. von England, Grafen vonAnjon,
dar, der 1189 starb ^). Zu den ältesten Proben des Limusiner Email ge-
hören ferner einige aus der Abtei Grandmont bei Limoges stammende Frag-
mente im Museum des Hotel de Cluny zu Paris; das eine stellt den heiligen
Stephan von Muret vor, der mit dem heiligen Nicolaus redet, und diese
Platten rühren von dem Reliquien Schreine des ersteren, canonisirt 1189,
1) Didron, Ann. archeol. Vol. XX, Tresor de Sf. Elienne de Troyes mit Ab-
bildungen.
2) Labarie, III S. 640 ff., und besonders S. 662 ff.
3) Die Inschrift, welche auf ihn noch mehr als auf seinen Vater passt, lautet:
Ense tuo, princeps, predonum turba fugatur,
Ecclesiisque quies, pace vigente, datur.
628
Metallarbeit.
her, so dass sie auch nicht früher entstanden sein können^). Unter den;
Reliquienschreinen französischer Arbeit gehören die meisten erst dem drei-
zehnten Jahrhundert an, wie der schöne aus der Abtei Mauzac inAuvergne
stammende Kasten, welcher mit der Sammlung Soltykoff versteigert wurde;
dann der leider seiner Statuetten beraubte Schrein der heiligen Julia in
der Pfarrkirche zu Jouarre, auf Geheiss der Aebtissin Eustachia TL
(1208 — 1220) gefertigt, mit den ersten Spuren gothischer Motive 2) end-
lich der Schrein des heiligen Taurinus in der Kathedrale von Evreux,
welcher von den Abte Gilbertus zu St. Taurin (1240 — 1265) aufgestellt
wurde. Dieses Werk hat bereits das Aussehen einer kleinen gothischen
Kapelle. Zwar ruhen auch hier noch die Bögen auf reichverzierten Säulen
und die Laubgewinde des Frieses so wie die Emailmalereien haben noch
romanischen Charakter, aber die schlanken Spitzbögen, welche die Bild-
felder bedachen, und die Strebepfeiler, welche sie trennen und mit Fialen
über das Dach hinaufsteigen, sind schon der gothischen Architektur ent-
lehnt. Der Einfluss des neuen Styls offenbart sich gleichzeitig auch an
den Figuren, obwohl die steife Haltung der langen Gestalten, die dünnen,
vorgebogenen Hälse, die heftigen Bewegungen, die noch immer gehäuften
Falten mehr den Miniaturen vom Anfange des Jahrhunderts, als der gleich-
zeitigen architektonischen Sculptur entsprechen-^).
Was der Schule von Limoges in der Folge eine so grosse Bedeutung
gewährte, war namentlich auch die grosse Mannigfaltigkeit ihrer Arbeiten,
in welchen sie sich nicht auf einzelne Prachtstücke für Kirchenschätze und
für den Gebrauch des Cultus beschränkte , sondern ebenso sehr auch dem
weltlichen Luxus entgegenkam. Neben den Leistungen auf dem Felde der
Kleinkunst wagte sie sich aber auch an grössere Unternehmungen, wie an
den grossen Altar der Abtei Grandmont, von dem wir uns nur noch durch
Beschreibungen einen Begriff machen können, und es unterliegt keinem
Zweifel, dass die prachtvollen, lebensgrossen , mit emaillirten Kupferplat^ten
belegten Grabmäler, welche im dreizehnten Jahrhundert im nördlichen Frank-
reich beliebt und von denen vor der Revolution noch zwölf erhalten waren "*),
aus Limoges herkamen. Die beiden einzigen, welche davon noch übrig sind, die
des Prinzen Johannund derPrinzessinBlanche frühverstorbener Kinder
Ludwig'sIX., ehemals inRoyaumont, jetzt in St. Denis, erwecken übrigens.
') Publicationen anderer Emaillen der Zeit aus Limoges bei Labarte, II Taf. CX —
CXIL
2) Ann. archeol. VIII, S. 136, 260, 295.
5) Cahier und Martin, Melanges d'Archeologic, 1851, Vol. II, S. 1 u. Taf. I— III,,
wiederum mit vortrefflichen Publicationen.
*) Vgl. L. de Laborde Notice des emaux (1852). I. S. 59.
Goldschmiedekunst in England. ß29
abgesehen von der Pracht der Emailfarben, durch die rohe Behandlung der
Form , im Vergleich mit der Schönheit der gleichzeitigen Steindenkmäler
eine ungünstige Vorstellung von dem Geschick der französischen Metall-
arbeiter. Jedenfalls ist von dem ursprünglichen Reichthum der französischen
Kirchen ^) nach den systematischen Verheerungen der Revolution zu wenig
übrig geblieben, um uns ein Urtheil über die Leistungen der französischen
Kunst in diesen Zweigen zu gestatten.
In England ist äusserst wenig von Goldschmiedsarbeiten erhalten ;
wohl wurde diese Kunst auch hier während des zwölften und des dreizehnten
Jahrhunderts in Klöstern, z. B. in den Abteien St. Albans und Gloucester
betrieben 2), und die Schilderung des grossen, an Bildwerk reichen Altar-
kreuzes, welches Bischof Richard von Gravesende gegen Ende des drei-
zehnten Jahrhunderts für seine Kirche bestellte % zeigt, an welche Arbeiten
man sich wagte. Daneben bediente man sich aber auch fremder Arbeiter;
der rheinischen Schule gehört ein im britischen Museum zu London befind-
liches Medaillon mit einer auf England bezüglichen Inschrift und dem Bild-
niss Heinrichs von Blois, Bischofs von Winchester (1139 — 1146) an, so
dass es also auf englische Bestellung geliefert ist. Später wurden Emails
aus Limoges bezogen , wie sich dies an dem oben erwähnten Denkmal
des William von Valence (f 1296) schon aus der Technik ergab*).
Während die Broncebilder Heinrichs HI. und der Königin Eleonore,
wie wir oben sahen ^), wahrscheinlich von einem Italiener gefertigt waren,
werden in vielen Urkunden die Emails schlechthin als Arbeit aus Limoges
(opus Lemovicinum) bezeichnet. Ueberdies wissen wir in Beziehung auf
das Grab des Bischofs von Rochester Walthers von Morton (f 1276) durch
die noch erhaltene Rechnung der Testamentsexekutoren , dass diese nicht
bloss die Emails, sondern auch einen Meister Johannes von dortherkommen
Hessen, um sie zusammenzusetzen^).
^) Der Abbe Texicr liat ermittelt, dass sicli in der Abtei Grandmont noch im
Jahre 1787 mehr als 50 und nach den Invenlarien der Kirciien zu Limog-es in dieser
einzigen Sladt 438 meist emaillirte Reliquiarien 'befanden. Allerdings werden die
übrigen Provinzen nicht so reich gewesen sein wie diese Heimath der Metallarbeit,
indessen ist jedenfalls die grosse Armuth Frankreichs an solchen Schätzen haupt-
sächlich dem Umstände zuzuschreiben, dass die Convents-Commissarien des Jahres 1793
es sich zur Autgabe gestellt halten, die Kirchen alles Metalls zu berauben, um es zu
verkaufen oder in die Mi'inze zu schicken.
2) Matlh. Paris, Vit. Abb. S. Albani, S. 71, 78 ff.
•"'j Monasl. Angl. III, S. 311.
4) S. 602.
*) S. 601.
*j Die Urkunde befindet sich in der Bodleyanischeii Bibliothek zu Oxford und ist
630
Metallarbeit.
Neben dem feineren Handwerk der Goldschmiede muss ich zum Be-
schlüsse auch noch der Schlosser und Schmiede gedenken, da gerade diese
gröberen Arbeiten den auffallendsten Beweis für die Verbreitung des Ge-
schmackes und Stylgefühles in dieser Zeit geben ^). Besonders äussert sich
dies an den Thürbeschlägen. Die früheren Jahrhunderte hatten nach
der stolzen Pracht eherner Thüren gestrebt, der gothische Styl begnügte
sich auch hier wie in anderen Beziehungen mit minder kostbarem Stoffe,
wusste ihm aber durch die Form einen Werth zu geben. Kr setzte die
Flügel seiner weit geöffneten Thore auch an den reichsten Domen aus
schlichten, senkrecht gestellten Eichenbohlen zusammen, verband diese aber
durch eiserne Bänder, welche auf beiden Flügeln symmetrisch in Ranken
und Blattwerk auslaufen , von regelmässig gestalteten Nägeln befestigt sind
und durch die Zeichnung und die stylgemässe, sorgfältige Ausführung eine
wahre Zierde des Aeusseren bilden. Oft sind dabei die feineren Umrisse
des Blattwerkes eingegraben, die weichen Theile herausgetrieben und ge-
baucht. In gleicher Weise wurden dann die Schlösser mit breiten Platten,
die Schlüssel mit kunstreichen Rankengewinden oder sogar mit Figuren ge-
schmückt -). Die meisten künstlerischen Schmiedearbeiten, welche wir noch
besitzen , finden sich im Inneren der Kirchen an Gittern , Leuchtern oder
beweglichen Armen zum Auf hängen vonGefässen, und gehören dem späteren
Mittelalter an, indessen sind auch einzelne Thürbeichläge erhalten. So in
Deutschland die der Kirche zu Boppard^) aus der ersten Hälfte des drei-
zehnten Jahrhunderts. Die Bänder endigen hier mit einfachen Ranken
ohne weiteres Blattwerk, bilden aber dafür in joüor der ThürfüUungen eine
in sich abgeschlossene Figur. Bei weitem die schönste Arbeit dieser Art
sind aber die Beschläge der beiden westlichen Seitenportale von Notre-
Dame zu Paris*), an denen man die Mannigfaltigkeit des Blattwerkes, die
von Albert Way in der Arcliaeologia brit. bekannt gemacht. Vgl. Labarte, a. a. 0.
II [, S. 702.
1) Vgl. ViolIet-le-Duc, Dict. rais. de l'architecliire, ßd. VIII, S. 288, Artikel
Serrurerie, F. Bock über Schlosserarbeit an Thüren , in den Mittelaheriichen Kunst-
denkmalen des österr. Kaiserstaates, Bd. I., S. 141 fF. , Essenwein, Eisenarbeiten in
Krakau, Mittheilungen der Centralcommission, II, S. 305 f. — Herrn. Riewel, Studien
über Schmiede- und Schlosserarbeiten in Oesterreich, Mittheilungen, XV, S. 39 — 88.
mit zahlreichen Abbildungen.
2) Vgl. den mit drei männlichen Gestalten verzierten Schlüssel (in der Elisabeth-
kirche zu Marburg aufbewahrt, aber wohl älter als der Bau) bei Becker und v. Hefner
a. a. 0. Taf. 64.
3) Gladbach, Fortsetzung von MoUer's Denkmälern, Taf. 21.
*) Sie sind oft abgebildet, unter anderem in Lecomte's Monographie de N. D.
de Paris, in den Annales archeol. XII, p. 51, und bei v. Hefuer-Alteneck, Eisenwerke^
des Mittelalters und der Renaissance, Frankfurt 1870, Taf. 61 f.
Schlosser und Schmiede. 631
sinnreiche Anordnung der wiederkehrenden Ranken, die Festigkeit der
Umrisse nicht genug hewuudern kann. Die Phantasie des Meisters hat
sich hier sogar einige Male mit Glück darin versucht, Vögel in den Zweigen
anzubringen. Künstlerischer Sinn und künstlerische Freiheit waren selbst
auf die Männer übergegangen, welche den schweren Hammer zu schwingen
und das spröde Eisen zu schmieden hatten. Ein weiteres Beispiel, wie
sich der bildnerische Sinn bis auf die unscheinbarsten Dinge erstreckte,
giebt ein Waffeleisen in der Sammlung des Hotel de Cluny, an welchem , in
ganz erträglichem Style anscheinend aus der Mitte des dreizehnten Jahr-
hunderts, die Trinität und Scenen aus dem Leben des Heilandes dargestellt
sind ^).
So sehen wir denn die Kunst des Mittelalters nicht als das Eigen-
thum weniger vorzugsweise begabter und sorgfältig durchgebildeter Genien,
sondern als ein Gemeingut Aller, die irgendwie für höhere Zwecke mit-
zuarbeiten berufen waren, in ihren höchsten Leistungen so bescheiden, dass
die Urheber nicht einmal daran gedacht haben, ihr geistiges Eigenthum zu
bezeichnen, in den bescheidensten Aufgaben noch so rege, dass sie auch
ihnen ein individuelles Leben zu leihen wusste. Man hat diese Eigenschaft
in unseren Tagen oft herausgehoben und die Annäherung an das Hand-
werk als ein Heilmittel für die Schwächen unserer künstlerischen Zustände
empfohlen. Allein ^so nützlich die hierauf gerichteten Bestrebungen sein
mögen, darf man doch nicht verkennen, dass jene Erscheinung im Mittel-
alter nicht die Ursache, sondern eine Wirkung der Kunstblüthe oder ihrer
tieferen Gründe war. Die Kunst beruhte nicht auf einer höheren Bildung
oder auf genialen Anschauungen , sondern auf der allen gemeinsamen Reli-
giosität, und diese Religiosiät bestand nicht in ascetischer Weltentsagung
oder in einseitiger Schriftlehre , sondern in der frohen Ueberzeugung von
dem Einklänge der Schrift mit der Offenbarung Gottes in der Natur, von
der Einigung beider in und durch die Kirche. Dies freudige Gefühl durch-
drang nicht bloss alle Stände, sondern gab ihnen auch Sinn für Ordnung,
Symmetrie und Harmonie , und erhob sie über das Gebiet gemeiner Nütz-
lichkeit. Die Kunst hatte eine frohe Botschaft zu verkünden , sie war ein
Zeugniss aller für alle; daher konnte sie anspruchslos und zugleich muthig
und jugendfrisch aus dem Handwerke hervorgehen und selbst die härtesten
Arbeiten mit ihrem Geiste durchdringen.
^) Annales arch. XIII, p. 43, 86; andere Proben ebenda, Bd. XIV, Ferroniere du
moyen age.
Alphabetisches Ortsregister
der im V. Bande erwähnten Kunstwerke.
Ein der Seitenzahl beigefügter Stern bedeutet eine in den Text gedruckte Abbildung;
der beigefügte Buchstabe n verweist auf die Anmerkungen.
Aachen. Dom, Kronleuchter, 610 — 615,*
Reliquiarien 622 fF. Grashof 426 f.
Agincourt. Kirche. 69.
Ahrweiler. Kirche. 369 n., 424 f.*
Aigues-Mortes. Mauern. 137 n.
St. Albans. Abteikirche. 187 f.
Albersloh (Westphalen) Kirche. 297.
Allerheiligen (Baden), Klosterkirche. 383 f.
Aipirsbach. Klosterkirche. 279.
Alsfeld (Hessen). Kirche. 376.
Altbreisach. Münster. 278.
Altbunzlau. St. Wenzelskirche. 289.
Alt-Camp. s. Campen.
Altenberg a. d. Lahn. Kloster, Sc. 596.
Altenberg bei Köln, Klosterkirche. 334,
408, 420. Glasmalerei 552.
Altenstadt. St. Michaelskirche, 282 f.
Altenzelle (Sachsen). Kirche. 226 f.
Althoff (Mecklenburg). Kapelle , Ziegel-
mosaik. 564.
Alvechurch. Kirche. 'Sc. 601.
Amelunxborn. Klosterkirche. 321, 332.
Amieus. Kathedrale, 79,
95 f., 104, 406 ff.* Sc.
Andernach. Kirche. 262 f.
Angers. Kathedrale. 160 f . ,
547, Sc. 568.
Arendsee (Altmark). Kirche,
87*, 89 ft".*
570, 572.
, Glasmalerei.
308.
Arnsburg (Wetterau). Klosterkirche. 331 f.
Arnstadt (Thüringen). Liebfrauenk. 355.
Aschatfenburg. Stiftskirche. Kreuzgang. 272.
Ashboom. Kirche. 196.
Audenaerde Kirche Pamele, 166 f. *
Aufay. Kirche. 126 n.
Augsburg. Dom, Glasmalerei. 551.
Antun. Kathedrale. 154,Wandmalerei. 542.
Auxerre. Kathedrale. 93, 112.
Bacharach, St. Peterskirche. 263 f.
Balve (Westphalen), Kirche. 296.
Bamberg. Dom. 330 n. 345 ff.*, 354, 358,
448. Wandmalerei. 527. Sc. 577,
578*, 587*, 589, 595.
Carmeliterkirche. 282.
Bibliothek, Miiiiat. 493.
Barsinghausen. Klosterkirche. 296 f.
Basel. Münster. 279, 349 f. Sc. 580.
Battenfeld (Hessen), Kirche. 268,
Bayeux. Kathedrale. 132.
Capelle des Seminars. 133.
Beancaire. Schloss. 137 n.
Beauport (Bretagne). Kirche. 143.
Kapitelhans. 143.
Beauvais. Kathedrale. 80. 416.
St. Etienne. 32.
Bebenhausen. Klosterkirche, 321.
Alphabetisches Ortsregister.
633
Belsen (Würteniberg). Kirche. 279.
Benabec (Normandie). Kirche St. ürsule,
126 n.
Bergen (Rügen). Kirche. 311.
Berlin, Klosterkirche. 471 f.*
Nicolaikirche. 305. — Kelch. 619 n.
Kgl. Bibliothek, Miuiat. 495 (2).
Beme (01denbi]rg\ 464.
Bertancourt-les-Dames. Abteik., Sc. 568.
Beverley. Münster. 193 ff. *, 199, 204,
209, Sc. 607.
B^ziers (Lauguedoc). Kathedrale. 138 f.
Biburg (Bayern). Kirche. 279.
Billerbeck. St. Johannes-Kirche. 293, 295,
298.
Binham. Prioratskirche. 208.
Bocherville. St. Georges, Kapitelhaus. 126.
Boke (Westphalen). Kirche. 292.
Böle (Westphalen). Kirche. 292.
Bommel. St. Martinskirche. 463 n.
Bonn. Münster. 246 f., 264 f., 358.
Kapelle Aon Ramersdorf, 244*, 259 f.*
Museum, Mosaik. 561.
Boppard. Kirche. 263, 363 n., Tliür-
beschläge. 630.
Bordeatix. Kathedrale. 152 f.
Kirche St. Croix. 145 f.
Kirche St. Emiliou, Wandmalerei. 542.
Kirche St. Severin. 153. Sc. 576.
Botzen. Pfarrkirche. 351 n.
Bonrges. Kathedrale, 87 f., 94, 408, (üas-
malerei. 549. Sc. 568.
Braine. St. Wed. 77 f.*, 367 ff.*
Brakel (Westphalen). Kirche. 292
Brandenburg, Dom. 306 f.
Godehardskirche. 305.
Ehemalige Marienkircha auf dem Har-
lunger Berge. 309 f. =t
Nicolaikirche. 306 f.
Brannschweig. Dom. 234 — 236. Wand-
malerei. 523 ff. Sc. 590 n. 594.
St. Aegidien. 442 f.
St. Andreas. 236-
St. Gallus. 236.
St. Katharina. 236.
St. Martin. 236.
Marktplatz, eherner Löwe. 609.
Brauweiler, Abteikirche. 258. Wandge-
mälde. 512 f.*, Kapitelsaal, Wand-
gemälde , 510 ff. *
Breisach s. Altbreisach.
Bremen. Dom. 300.
Brenz (Würteniberg). Kirche. 279. Sc. 580.
Breslau. Dom. 473.
Dominikanerkirche. 473.
Kreuzkirche. 473 f. Sc. 595.
St. Maria-Magdalenenkirche, Portal. 288.
Martiuikirche. 474.
Bibliothek, Miniat. 490.
Brie-sur-Yeres Hospital. 114.
Bristol. Kathedrale, Kapiteihaus. 173, 196,
212.
Broadwater. Kirche. 330 n.
Broissac. Kirche. 144 n.
Bromskirchen (Hessen). Kirche. 268.
Bronnbach. Klosterkirche. 322 ff- *
Bruel (Mecklenburg). Kirche. 310.
Brügge. Liebfrauenkirche. 170.
Brüssel. Kathedrale St. Gudula. 169 f.,
Glasmalerei. 550 u.
Kirche N. D de la Chapelle. 166.*
Museum, Reliquiarium. 625.
Buchholz (bei Trier). Kirche, W'eihrauch-
gefäss. 616.
Bücken a. d. Weser. Stiftskirche, Glas-
malerei. 551.
Buildwas. Abteikirche. 175.
Eures (Normandie). Kirche. 126 ".
Byland. Abteikirche. 176.
Caen. St. Etienne, 81 f., 128 ff. *
Sl. Trinite. 81 f.
Cambray. Kathedrale. 46, 112.
Cammin. Dom. 311, 475.
Campen. Klosterkirche. 320.
Canterbury.Kathedrale. 173*, 179—185*
198. Glasmalerei. 554. Fussboden-
mosaik. 561.
Kapitelhaus. 212.
Carcassone. Abteikirche St. Nazaire. 138 f.*
Befestigungen. 137 n.
Garden (Mosel), Stiftskirche. 371.
Carlisle. Kathedrale. 208 n.
Cartmel. Abteikirche, 176.
Casamari bei Veroli. Klosterkirche. 326.
Chalgrave Church. Wandmalerei. 541 u.
634
Alphabetisches Ortsregister.
Chälons - s. - M. Kathedrale. 112. Glas-
malerei. 549.
Notre-Dame. 43, 47; 50-53*, 67, 81.
Champagne. Kirche. 69.
Champeau. Kirche. 69.
Chartres. Kathedrale N. D. 37 — 39, 65,
79 _ 87* , 89 ff. Wandmalerei. 542.
Glasmalerei. 549. Labyrinth. 565.
Sculpturen. 567,* 572.*
St. Pere, Klosterkirche. 32. Glasma-
lerei. 547.
Chaudes bei Saumur. Sc. 573.
ehester. Klosterkirche St. John. 195.
Chichester. Kathedrale. 186 f. 204.
Chorin. Klosterkirche. 468 ff.*
Chur. Dom. 351.
Citeaux. Klosterkirche. 318.
Clairvaux Klosterkirche. 318 f.
Clermont-Ferrand. Kathedrale. 140, 408.
Glasmalerei. 549.
Cliiny. Abteikirche. 81.
Bürgerhäuser. 156 n.
Coblenz. St. Castor 257. "Wandmalerei. 515.
Dominikanerkirche. 372.
Gymnasialbibliothek, Miniat. 499.
Colbatz (Pommern), Klosterkirche. 311,
335, 475.
Colmar. Münster. 393.
Conques. Abteikirche. 82.
Conradsburg. Klosterkirche. 240.
Constanz. Dom, Sc. 590 n.
Coucy. Schloss. 114.
Coutances. Kathedrale. 132 f.
Croyland. Abteikirche, Sc. 606.
Darmstadt. Musevim, Glasmalerei. 552.
Delbrück. Kirche. 292.
St. Denis. Abteikirche. 33— 36, 94 f. Glas-
malerei. 546 f. Mosaik. 562. Sc. 567
568 f., 570, 571. Grabplatten. 628 f.
Denkendorf (Würtemberg), Kirche. 279.
Derne (bei Dortmund), Kirche. 295.
Deutsch-Altenburg. Karner. 284.
Deutz. Kirche. Reiiquiar 622.
Deventer. St. Nicolaus, S. 462.
Diesdorf. Kirche. 308.
Diest (Belgien). Kirche. 170,
Dijon. Kirche N. D. 155 f. Glasmalerei. 550.
Dinant. Kirche. 170
Doberan Kirche, Ziegelmosaik. 564.
Dobrilugk. Klosterkirche. 307, 335.
Dol. Kathedrale. 143.
Domblainville, Kirche. 134.
Dorat. Collegiatkirche. 151 f.
Dortmund. Marienkirche. 292.
Dresden. Vaterl. Museum, Ziegelmosaik.
564. Sc. 586.
Durham. Kathedrale. 186, 200. Wand-
malerei. 541 n. Sc. 601 n.
Eberbach (Rheingau). Klosterkirche. 326.
Ebrach (Franken). Klosterk. 330 f., 448.
Ebsdorf. Kirche. 465.
Eger. Schlosskapelle. 232.
Eichstädt. Dom. 448.
Eisenach. Nicolaikirche. 226.
Eldena. Klosterkirche. 311, 335.
Ellwangen. Kirche. 279.
Elsey (Westphalen), Kirche, 297.
Ely. Kathedrale, 174, 188, 196, 207. Mo-
saik. 563. Sc. 597 n.
Enkenbach, Klosterkirche. 269.
Enniger (Westphalen), Kirche. 296.
Erfurt. Dom, Kreuzgang. 439 f.
Barfüsserkirche. 441.
Predigerkirche. 441.
Severistiftskirche. 441 f.
Kirche auf dem Petersberge. 225 f.
Erpel (Rhein). 264.
l'Espan bei Mans. Abteik. Grabm. 570.
Esslingen. Dionysiuskirche. 443.
Dominikanerkirche. 443.
Franziskanerkirche. 443.
Eu. Abteikirche. 71. 127 f.
Eusserthal. Klosterkirche. 327.
Evreux. Kathedrale. Reliquiarium. 628.
Exeter. Kathedrale. Capitelhaus. 212.
Faurndau. Kirche 279. Sc. 580.
F6camp (Normandie). Abteikirche. 126 n.
127.
Ferrieres. Kirche. 69, 78 n.
La Fert6. Kirche. 312.
Figeac (Guyenne). Bürgerhaus. 156. n.
Fontenay. Kloslerkirche. 325.
Fontövrault. Abteikirche. Grabmäler. 570.
Forchheim. Schlosskapelle. Wandmale-
rei. 527.
Fossanova (bei Auagni). Klosterkirche. 325.
Alphabetisches Ortsregister.
635
Pountains. Abteikirche. 175. 188.
Frankenberg (Hessenl Kirche. 376.
Frankfurt a. M. St. Leonbard. 272 f.
Frankfurt a. 0. Nicolaikiri he. 4G8.
Frauenrode (bei Kissingen). Kirche. Sc. 596.
Frauenthal. Klosterkirche. 548 n.
Freiberg. Dom. Goldene Pforte. 227—230.*
Sc. 582.
Freiburg (im Breisg-au\ Münster. 278.
385. 389 ff. 428. Sc. 591 f.
Evangelische Kirche, s. Thenneubach.
Freiburg (a. d. Unstrut\ Schlosskapelle.
231 n. 232. Pfarrkirche. 344 n.
Freising. Dom. 279. Sc. 579 ff.
Fretigny. Kirche. Wandmalerei. 542.
Friedberg. Kirche. 376.
Fritzlar. Stiftskirche. 339 f.
Fumes (Belgien). Kirche St. Walpurgis. 170.
Furness (England). Abteikirche. 175.
Gadebusch. Kirche. 310.
Gandersheim. Klosterkirche. 233. 238.
Gebweiler. S. Legerius. 274.
Geddington. Steinkreuz. 603.
Gehrden, Kirche. 292.
Geissnidda. Kirche. 377.
Gelnhausen. Kirche. 270 ff.*
Kaiserliches Schloss. 230 f.*
Genf. Kathedrale, 141 f.
Gent. Dominikanerkirche 170.
Kirche St. Jacques. 165.
Kirche St. Nicolas. 165.
Kloster St. Bavo. 165.
Hospital de laBiloque.Wandmalerei.542n.
St. Germain-en-Laye. Schlosscapelle. 100 f.
St. Germer. Abteikirche. 43. 46 f.
Mariencapelle. 100.
Germigny-les-pres. Kirche. 46 n.
Gernrode. Stiftskirche. Sc, 581. 585.
Gerresbeim. Stiftskirche. 265. 357.
Gisors. Kirche. 126. n.
Gladbach, siehe München-Gladbach.
Glastonbury. Josephskapelle. 177.
Gloucester. Kathedrale. 177 f. 198. Sc. 600.*
Kapitflhaus. 212
Gnadenthal bei Schwäbisch Hall. 444.
Gnesen, Dom. Erzthüren. 609.
Gögging (bei Begensburg). Sc. 579.
GöUingen. Kirche. 231. n.
Gorkum. Johanuiskirche. Wandmalerei. 526.
Görlitz. Petrikirche. 226.
Goslar. Marktkirche (St. Cosmas und Da-
mianus). 239.
Kirche des Klosters Neuwerk.239 ff. Wand-
malerei. 519.
Kirche auf dem Frankenberge. 238 f.
Kaiserbans. 232.
Gramzow (Mark Brandenburg). Kirche. 470.
Grantham. Kirche. 208.
Graville. Kirche. 126. n.
Greifswald. Jacobskirche. 476.
Marienkirche. 476.
Grenoble. St. Andre. 136.
Groningen. St. Martin 463.
Grünberg 'Hessen). Kirche. 376.
Gurk. Dom. Wandmalerei. 528 ff.*
Halberstadt. Dom. 208.* 354 ff.* Teppiche.
537 n. Glasmalerei. 553.
St. Burchhard. Klosterkirche. 332.
Liebfrauenkirche. Wandmalerei. 519.
Hamburg. Ehem. Kathedrale. Mosaik. 563.
Hamersleben. Kirche. 233. 241.
Hamm (Westphalen). Pfarrkirche. 379.
Hartberg. Karner. 284.
Hatfield. Kirche. Sc. 601.
Havelberg. Dom. 305. 471.
Hayna. Klosterkirche. 333. 377.
Heiligenkreuz bei Wien, Klosterkirche. 285.
Kreuzgang. 357. Glasmalereien. 316.
552 f.
Heüigenkreuz (bei Meissen). Kloster-
kirche. 433.
Heüsbronn. Klosterkirche. 321. 333. 448.
Tafelbild. 536. Glasmalerei. 553.
Kapelle 356 f.*
Heimersheim (Rhein). Kirche. 264. Glas-
malerei. 551.
Heiningen. Klosterkirche. 238.
Heisterbach. Klosterkirche. 254 ff.* 334.
Herford (Engl.). Kathedrale. 177 f. 203. 208.
Herford (Westphalen). Münster. 296 f.
Herzogenbusch. Johanniskirche. 463.
Hietzing bei Wien. (König v. Hannover.)
Miniat. 488. Altärchen. 619.
Hildesheim, Dom. Fussbodenmosaik. 560.
Kronleuchter. 610 f. Taufbecken. 617 f.
Reliquiariuro. 624.
636
Alphabetisches Ortsregister.
St. Michaeiiskirclie. 233. 353. Decken-
gemälde. 521 f.*
Himmelpforten. Klosterkirche. 448. u.
Hirzenach. Kirche. 372.
Hitchendon. Kirche. Sc. 601.
Hoerste (Westphaleu). Kirche. 292."
Hohenfurt. Klosteikirche. 334. n.
Hostivar. Kirche. 290.
Horpacz. Kirche. 287.
Hovedöe (Norwegen). Ziegelmosaik. 564,
Hradist. Klosterkirche. 333 n.
Huckarde (Westphalen). Kirche. 297.
Hude (Oldenburg). Klosterkirche. 352. 464.
Huy. Kirche. 170.
St. Jacob (^Böhmen). Kirche. 290.
St. Jak (Ungarn). Klosterkirche. 287.
Idensee. Kirche. 240. n.
Jerichow. Klosterkirche. 302.* 305 f.
Ilbenstadt. Kirche. 225.
Inichen (Tyrol). Kirche. 351 n. 457.
Jouarre. Kirche. Reliquiarium. 628.
Jouy-le-Moustier. Kirche. 69.
St. Julien bei Ronen. Kirche. 125.
Jumieges. Kapitelsaal. Mosaik. 562.
Jüterbog siehe Zinna.
Kaiserswerth. Stiftskirche. Reliquieu-
schrein. 624.
Haurzim (Böhmen). St. Stephan. 456.
Kentheim (Schwarzwald). "Waldkapelle.
Wandmalerei. 527.
Ketton (Rutlandshire). Kirche. 196.
Kirkstall. Abteikirche. 175.
Klein-Mariazell. Kirche. 287.
Klostemeuburg bei "Wien. Abtei. Kreuz-
gang. 457 f. Glasmalereien. 553. Altar-
aufsatz. 619. ff.*
Klosterrath. Kirche. 253 f.
Knechtsteden. Klosterkirche. 246.
Kobern. Maihiaskapelle. 244'. 260 f.
Köln. Dom. 394-421. (408*. 417*. 418*.)
Reliquiarium. 622. 623*.
St. Andreas. 265.
St. Apostel. 247—251*. 265. 266. Kelch.
619. n.
St. Cnnibert. 267. 357. Wandmalereien.
515. Glasmalereien. 551.
Dominikanerkirche. 421.
St. Georg. Taufkapelle. 259.
St. Gereon. 216. 246. 365. Mosaik.
561. Taufkapelle, Wandgemälde.
514 f.*
St. Maria i.u Capitol. 258. Krypta,
Waudgem. .de. 515.
St. Maria in Lyskirchen. 258. 268.
St. Maria in der Schnurgasse. Reliquia-
rium. 622.
Gross St. Martin. 247—249. 266.
Minoritenkirche. 421.
St. Pantaleon. 258. Kronleuchter. 610.
St. Severin. Wandgemälde. 515. Laby-
rinth. 566. Reliquiarium. 622.
(Ehemal.) Kloster Sion. 265.
St. Ursula. Wandgemälde. 515. Reli-
quiarium. 622.
Stadtthore. 252.
Königslutter. Kirche. 241. Kreuzgang. 233.
Koesfeld. St. Jacobskirche. 292. 295.
Kolin, Bartholomäuskirche. 456.
Komburg. Klosterkirche. Kronleuchter.
010 f.
Kreuznach. Karmeliterkiache. 373.
Krewese (Mark Brandenburgl 305.
Laach. Klosterkirche. 243. 245.
Grab des Stifters. 380.
Kreuzgang. 268. 358.
St. Lambrecht. Karner. 284.
Landsberg. Schlosskapelle. 232.
Langres. Kathedrale. 154.
Langrune (Normandie). Kirche. 133.
Laon. Kathedrale. 55 -59* . 63 f. 65 ff*
81 ff'. 104. 106. Sc. 571.
Kreuzgang. 113.
St. Martin. 68.
Laufien am Neck ir. 443.
Lausanne. Kathedrale. 140 f. Glasma-
lerei. 550.
L6au (Belgien). Kirche. 168.
Lebeny (Ungarn). Klosterkirche. 287.
Legden (Westpbalen). Kirclie. 295. 298.
Glasmalereien. 551.
Lehnin (Mark). Klosterkirche. 335. 468.
Leiden siehe Lebeny.
Lette (Westphaleu). Kirche. 293.
St. Leu d'Esserant. Klosterkirche. 73 f.*
Lickfield. Kathedrale. 213 n. Sc. 606.
Kapitelhaus. 213 f.* Sc. 607.
Alphabetisches Ortsregister.
637
Lilienfeld. Klosterkirche. 333 f.* Krenz-
gang. 357.
Limburg an der Lahn. Stiftskirche. 361.
ff.* Sc. 596.
Limoges. Kathedrale.153. Zeichnungen. 118.
Lincoln. Kathedrale. 188 f. 196. 200.201.
204.* 207. 208. Glasmalerei. 554. Sc.
604 f. 606.
Linz (Rhein l Kirche. 264.
Lippoldsberg (Weslphalen). Kloster-
kirche. 292.
Lippstadt. St. Jacobikirche. 378.
St. Marien. 295 f. 297 n. 298.
St. Nicolaus. 295.
Lisienx. Kathedrale (jetzt St. Pierre.) 132.
Loccam. Klosterkirche 326 f*.
London. St. Saviours-Kirclie. 196. 204.
Templerkirche.lSSf. 196. 204. Sc. 600 f.
Westminster-Abteikirche. 196 ff. 199.
207. Wandmalerei. 541 n. Mosaik.
561. Sc. 601 f. 629.
Kapitelllaus. 207. 215 f. Mosaik. 564.
Palast, ehem. painted Chamber. Wand-
malerei. 540.
Lambeth House. Kapeile. 296.
Brit. Musueum. Miniat. 504 (2). 506(4).
Goldschmiedsarbeit. 629.
South-Kensington-Museum. Reliquiarium.
621. 622.
Longpont. Abteikirche. 68. 73. 334.
St. Lorenzen. Karner. 284.
St. Loup bei Provins. Kii'che. Sc. 568.
Louviers. Kathedrale. 132.
Löwen. Dominikanerkirche. 170.
Lübeck. Dom. 307.
Marienkirche. 465. ff.* Briefkapelle. 216
Lüne bei Lüneburg. Kirche. 465. Tafel-
gemälde. 536.
Lüneburg. Johanniskirche. 465.
Lüttich. Bartholomäuskirche. Taufbecken.
616. 618.
Krenzkirche. 158.
Lyon. Kathedrale. 137. Sc. 577.
St. Macaire. Kirche St. Sauveur. 46. n.
Maestricht. Frauenkirche. 158.
St. Servatiuskirche. 158. Reliquia-
rium. 625.
Magdeburg. Dom. 359 ff.* 433 f.
Liebfrauenkirche. 361.
Mainz. Dom. 252. 269. 272 f. Sc. 595.
Barbarakapelle. 427. Kapitelsaal. 379.
Malmsbury. Abteikirche. 176*. Sc. 597.
Le Maus. Kathedrale. 88.* 89. 94. 405.
Glasmalerei. 547. 549. Sc. 568.
Museum. Grabplatte. 627.
Mantes. CoUegiatkirche. 69. ff. Sc. 569.
Marburg. Elisabetlikirche. 373 ff.** Glas-
malerei. 553. Sc. 594. Reliquiarium.
624. Schlüssel 630 n.
Marienkirche. 376.
St. Marie-des-Champs. Kirche. 126 n.
Marienburghausen. Klosterkirche. 448. n.
Marienfeld. Klosterkirche. 832.
Marienstatt. Klosterkirche. 334. 381 ff.*
Marienthal. Klosterkirche. 321. 332.
St. Martin-aux-Bois.. Refectorinm. 101.
Maulbronn. Klosterkirche. 321. 337 f.
Kloster. 355. 358.
Mauresmünster. Stiftskirche. 393.
St. Maximin. Klosterkirche. 136.
Meanx. Kathedrale. 71 f.
Meissen. Dom. 437. ff. Sc. 590.
Melverode. Kirche. 236 f.*
Memleben. Klosterkirche. 344. Wand-
malerei. 520 f.
Merseburg. Dom. 344. u. Sc. 585 f. 596.
Neumarktskirche. 226.
Merzig. Kirche. 252.
Meslay. Pachthof. 115. n.
Metelen. Kirche. 293.
Methler. Kirche. 296 f. Wandmalerei.
517 f.
Mettlach. Abtei. Reliquiarium. 621.
Metz. Kathedrale. 158. 426.
Kirche St. Martin. 157.
Templerkirche. 156. Refectorium der
Templer, Wandmalerei. 542.
Kirche St. Vincent. 157.
Meung-sur-Loire. St. Liphard. 46 n.
Mildenfurth. Klosterkirche. 343. 354.
Minden. Dom. 293, 428 ff.*
Mödling. Karner. 284. 287. Wandma-
lerei. 528.
Mont-aux- Malades (Normandie). Kirche
St. Thomas-le-Martyre. 125.
Montier-en-Der. Abteikirche. 68.
638
Alphabetisclies Ortsregister.
Montmajour. Kirche Sainte Croix. 46 n.
Montreal. Kirche 155.
Mont-Saint-Michel. Kreuzgang-. 194 n.
Morimond. Kiüsteri<irche. 319.
Mortain (Nürmandie). Stiftskirche. 132.
Moudon. Kirche. 142 f.
Moulineaux (Normandie). Kirche. 133.
Mühlhausen (Thüringen). Blasiuskirche. 355.
Mühlliausen in Böhmen (Milevsko). Kloster-
kirche. 289. 456.
München. BibHothek. Minial. 488. 495 f.
496 f.*
National miiseum. Tafelbilder. 527.
München- Gladbach. Klosterkirche. 422.
Münster. Dom. 293. Wandmalerei. 518.
Sc. 590 f.
St. Servatius. 295.*
Provinzialmiisenm. Tafelbild. 534.
Münstermaifeld. Martinskirche. 264. 268.
Münzenberg. Sdiloss. 231 f.
Ifamur. Nonnenkloster. Goldschmieds-
werke. 625.
Narbonne. Kathedrale. 138. Grabm. 577.
Abteikirclie St. Paul. 137.
Naumburg. Dom. 340 ff. 354. 434. Sc.
588.* 589 f.
Nesle. Kirche. 69.
Neuendorf (Altmark). 470.
Neufchätel (Schweiz). Stiftskirche. 350 f.
Neufchätel (Normandie). Kirche. 126 n.
Neukloster (Mecklenburg). Kirche. 310.
Neu-Ruppin, Klosterkirche. 303 n.
Neuss. St. Ollirin. 243*. 257.
Neustadt-Eberswalde. Maria-Magdalenen-
kirche. 470.
Neuweiler. Kirche St. Peter u. Paul 274.ff*.
384. Gliismalerei.552. St. Adelphi. 276.
St. Nicolaus-en-Glain (Belgien). Abtei-
kirche. 158.
Nienburg (Sachsen). Klosterkirche. 379.
Nieuport (Belgien). Schloss. Wandmalerei.
542 n.
Nordhausen. Dom. 355.
Norrey (Normandie). Kirche. 133.
Nordhampton. Steinkreuz. 603.
Norwich, Kathedrale. 174. 193. Sc. 597. n.
Notre-Dame-des-Dunes (Flandern). Abtei
117.
Notre - Dame - de - Presles (Champagne),
Kirche. Wandmalerei. 542.
Novgorod. Sophienkirche. Erzthüren. 609.
Noyon. Kathedrale. 43—46*. 363*. Tafel-
gemälde. 536.
Kreuzgang. 113.
Nürnberg. Euchariuskapelle. 331 n. 233.
St. Jacob. Tafelbild, 536 n.
St. Lorenz. 449 f. Teppiche. 537 n.
St. Sebald. 330 n. 348 f.
Burgkapelle. 232.
German. Museum. Miniat. 500.
Obasine. Klosterkirche. Sc. 577.
Ober-Marsberg. Kirche. 296.
Nicolaicapelle. 377 f.
Oberstenfeld (Würtemberg). Kirche. 279
Oberwerba. Kirche. 268.
Ober-Wittighausen. Kirche. 282. Sc. 580.
Oedenburg. Karner. 284.
Olfenbach am Glan. Klosterkirche, 371.
Oliva. Klosterkirclie. 311. 335.
St. Omer. Kathedrale. 93, Mosaik. 563
Goldschmiedsarbeiten. 626.
St. Bertin. Mosaik. 562. Museum. Gold-
schmiedsarbeiten. 626.
Ootmarsum (Holland). St. Simon u. .Judas
Sc. 462.
Opherdike (Westfalen). Kirche. 292.
Oppenheim, Kalharinenkirche. 369 n. 425.
Orbais (Champagne). Kirche. 53.
Orleans. Kathedrale. 408.
Osmoy (Normandie). Kirche. 125.
Osnabrück. Dom. 293. Taufbecken. 616 f.
Reliquiarium. 624.
Otterberg. Klosterkirche. 270. 333.
Ourscamp (Picardie). Abteikirche. 68.
Hospital. 114.
Oxford. Kathedrale. 174. 177 f. 209*.
Kapitelhius. Sc. 212.
Christ-church. 175*.
Merton College. Capelle. 210*. 211 n.
ßodl. Bibliothek. Miniat. 505.
Paderborn. Dom. 292. 299 f. 379. Sc. 591.
Paris. Kathedrale N.-D. 55—60*. 63. 65. ff,
74. 81 fl". 89. 104. 408. Glasmalerei.
549 f. Sc. 569. 572. 573. Tliürbe-
schläge. 630 f.
Alphabetisches Ortsregistcr.
639
Sainte - Chapelle. 75*. 96—99*. 115.
Glasmalerei. 549 f. Sc. 573.
Sainl-Geimaiii-des-Pres. 54. 67. Refec-
toriiim u. Marienkapelle. 99.
Saint-Marlin-des-Champs. 32. Refecto-
rium. 101.
Bibliolliek. Manuscript des Villard de
Honriecüurt. 118— 122. Minialuren. 489.
490 n. 501 (2). 503 f. (2). Kelch. 619 n.
Bibliolliek des Arsenals. Miniaturen.
501. 506.
Museum des Hotel-de-Cluny. Email. 627.
627. Schlosserarbeit. 631.
Museum des Louvre. Elfenbeinsculpt. 608.
Paulmzelle. Kirche. 226.
Pelplin. Klosterkirche. 333.
Ferschen (bei Regensburg). Todtenkapelle.
Wanilmalerei. 528.
Peterborough. Katliedrale. 196. 199. 200.
201. Sc. G06.
Petershausen. Klosterkirche. 278.
Petit-Angely (Normandie). Kirche St. Sau-
veur. 133.
Petronell. Karner. 284.
Pfaffenheim (Elsass). Kirche. 276 f.
Pfaffen-Schwabenheim. Abieikirche 271.
Pforta. Klosterkirche. 432.
St.-Pierre-sur-Dive. Kapitelsaal des Klosters.
Moi^aik. 562.
Plettenberg (Westphalen). Kirche. 296.
Plieningen (Würtemberg). Kirche. 279.
Podvinec (Böhmen). Kirche. 387. 290.
Poitiers. Kathedrale. 146—150*. Glas-
malerei. 548.
Kirche St. Jean. Wandmalereien. 541 f.
Kirche St. Radegonde. Glasmalerei. 547.
Grafenschloss. 114.
St. Pol-de-Leo]i(Bretagne). Kathedrale. 144.
Pont-ä-Mousson. (Lothringen). Kirche St.
Martin. 158.
Pont-Aubert (Burgund). Kirche. 155.
Pontigny. Klosterkirche. 318 f.
Pötnitz bei Dessau. Pfarrkirche. 344.
Prag. St. Agnes. 455.
St. Johann, in vado. 289.
Stift Strahow. Kirche. 289.
Alte Synagoge. Sc. 457.
Bibliothek Lobkowitz. Miniat. 497*.
Vateri. Museum. Miniat. 491*. 499.
PreuUly. Klosterkirche. 31.
Pulkau. Karner. 284.
Quedlinburg. Stiftskirche. Wandmalerei.
519. Teppiche. ,537 f.
Querqueville. K. St. Germain. 46 n.
Qaimperl6 (Bretagne), Kirche Sainte Croix.
46 n.
Ramersdorf. Kapelle, siehe Bonn.
Rampillon. Kirche. Sc. 568.
Ratibor. Schlosskapelle. 474 f.
Ratzeburg. Dom. 310.
Recklinghausen. Kirche. 293.
Regensburg. Dom. 453. S. Kelch. 619.
Alte Pfarre. 450 ff.
Domiuikanerkirche. 330 n. 452.
St. Emmeran. Kreuzgang. 450. f.
St. Jacob (Schotteilkirche). 280 ff. Sc.
579.
Obermünster. Wandmalereien. 527 f.
Reichenberg bei St. Goarshausen. Burg.
380.
Reichenhall. Kirche St. Nicolans. 282.
Remagen. Kirche. 380.
Retand (Sainionge). Kirclie. 145 n.
Reutlingen. Marienkirche. 444.
Rheims. Kathedrale. 74. 79—87*. 89. ff.*
103. ff.* Wandmalerei. 542. Glas-
malerei. 549. Sc. 574 n. 576*.
Saint-Nicaise. 106. ff.* Kreuzgang.
Saint-Remy.113. 43.47—50.*
81. Fussbodenmosaik 560 f.
ErzbischöfÜche Kapelle. 100.
Maison des musieiens. 114. Sc. 573.
Rhenen (Holland). St. Cunera. 463.
Riddagshausen. Klosterkirche. 328 ff*.
Riechenberg bei Goslar. Klosterkirch
283.
Riotard. Kirche Saint-Jean-Baptiste. 46 n.
Ripon. Münster. 200.
Rochester. Kathedrale. 195 f. 200. Sc.
597 n.
Roda. Klosterkirche. 333. 433.
Rolduc siehe Klösterrath.
Romans (Dauphiue). Kirche St. Bernard.
136.
Rommersdorf (Rhein). Abtei. 266 f. 268.
640
Alphabetisches Ortsregister.
Eomsey. Abteikirche. 178*. 195. 205*.
Sc. 597 n.
Bosheim. Kirche St. Peter u. Paul. 329 n.
Sc. 580.
Rostock. Dom. Taufbecken. 618.
Roth an der Oiir. Kirche. 252.
Rothenburg a. d. Tauber. Franciskanerk.
448.
Rouen. Kathedrale. 74. 92. 130 ff. 207 n.
Glasmalerei. 549. Sc. 599 n.
Rounds. Kirche. 208.
Royaumont bei Paris. Abtei. 117.
Ruifach. Kirche. 384.
Ruremonde. Liebfrauenkirciie. 159 f.*
Ruthen (Westphalen). Kirche. 296.
Sains bei Amieiis. Pfarrkirche. Sc. 573.
Salem. Klosterkirche. 332. 446 ff*.
Salisbury. Kathedrale. 190—192*. 199.
201. 203*. 205*. 207. 209. Sc.
599. (2).
Kapitelhaus. 207.* 214 f.* Sc 606.
607.
Salzburg. St. Peterskirche. 351 n.
Pfarrkirche (Franziskanerkirche). 351 n.
352.
Salzwedel. St. Lorenz. 308 f.
St. Marienkirche. 303 n.
Sangerhausen. Kirche. 239 n.
Sayn. Klosterkirche. 257. 265.
Scheiblingskirchen. Karner. 284.
Schlagsdorf. Kirche. 310.
Schlettstadt. Münster St. Georg. 384 f.
Schöngrabem. Kirche. Sc. 285.
Schulpforta siehe Pforta.
Schwärzloch (Würtemberg). Kirche. 279.
Schwarzrheindorf. Kirche. Wandbilder.
508 ff.*
Seez. Kathedrale. 132.
Seligenstadt. Abteikirche. 272.
Schloss. 232.
Seligenthal bei Landshut. St. Afr;ikapelle.
Sc. 581.
Semur. Kirche Notre-Dame.Glasmalerei. 550.
Senauque. Klosterkirche. 135. 325.
Senlis. Kathedrale. 55. 62 f. 65. Sculpt.
569.
Bens. Kathedrale. 55. 60 f.* 81.
Synodalsaal. 113.
Sieding. Kapelle. Wandmalerei. 528.
Siegburg. Pfarrkirche. Reliquiarien. 622.
Sinzig. Kirche. 263 f.
Sitten. St. Valerienkirche. 142.
Soest. Münster St. Patroclus. Wandmalerei.
516. Glasmalerei. 551.
St. Maria zur Höhe. 296 f.
St. Maria zur Wiese. Tafelbilder. 534 f.*
Minoritenkirche. 432.
St. Nicolaus. Wandmalerei. 516 f.
Petrikirche. 425.
St. Thomas. 296.
Soissons. Kathedrale. 46. 73. 75 ff. 85.
90. 115. Glasmalerei. 549.
Saint-Jean-des-Vignes. Kreuzgang. 113.
Southwell. Kollegiatkirche. 194.
Speyer. Dom. 268.
Stralsund. Katharinenkirche. 475.
Strassburg. Münster. 277 f. 385 ff.* Glas-
malerei. 552. Sc. 591 ff.*
Bauhütte des Domes. Zeichnungen, 118. .
Ehemalige Stadtbibliothek (verbrannt).
Miniat. 485. ff.*
Stuttgart, Stiftskirche. Sc. 595.
Oeffentl. Bibliothek. Miniat. 490 (2).
Privatbibliothek des Königs. Miniat. 489.*
490. 493 f. 499.
Süpplingenburg bei Königslutter. Kirche.
343 f.
Sylvacane, Klosterkirche. 135. 325.
Tepl. Stiftskirche. 289.
Tewkesbury. Abteikirche. 178. Monument
des Alanus. 188.
Thalbürgel, Kirche. 225 f.
Thennenbach. Klosterkirche (jetzt in Frei-
burg). 334 f.
Tholey bei Trier. Kirche. Sc. 587.
St. Thomas an der Kyll. Klosterkirche. 253.^
Thorouet. Klosterkirclie. 135. 325.
Tintem, Klosterk. 210 n.
Tischnowitz. Klosterk. 287. 352.
Tisnitz. Kirche. 290.
ToUbath (Bayern). Kirche. 279.
Tongern. Frauenk. 170.
Toul. Kathedrale. 157. Kreuzgang. 157.
Kirche St. Gengoul, 158. 369 n.
Toulouse. St. Saturnin. 82.
Alphabetisches Ortsregister.
641
Toumay. Katliedrale. 160—163*. 170 f.
405. 410 11. Wandmalerei. 542. Glas-
malerei. 550 n. Reliquiarien. 621.
624.
St. Jacques. 164 tt'.
St. Madeleine. 166.
St. Quentin. 165.
St. Piat. 165.
St. Pierre. 165.
Tournus. St. Philibert. Wandmalereien. 542.
Tours. Kathedrale. 112. Glasmaleiei. 549.
St. .Julien. 112.
Trausnitz. Burgkapelle. Sc. 581.
Trebitsch. Klosterkirche. 287. 352 f.
Trebnitz. Klosterkirche. 353. Hedwigs-
kapelle. 474.
Treffart. Kirche. 226.
Treuenbrietzen Nicolaikirche. 307 f.
Trier. Dom. 247. 250 ff. Sc. 580. Kreuz-
gang. 370 f.
Liebfrauenkirche. 365 ff.* Sc. 586 f.
Mathiask. 252 f. Reliquiar. 622.
Stadtbibüothek. Rel. 622.
Troyes. Kathedrale. 92 f. 95. 408. Glas-
malerei. 549. Goldschmiedsarbeiten.
627.
Saint - Urbain. 108—111. 392. Glas-
malerei. 550.
Tuln. Dreikönigskapelle. 284. 287. Wand-
malerei. 528.
Utrecht. Dom. 426. 463.
Biiurkirche. 463.
Valasse. .\bteikirche. 225.
Vallemagne. Klosterk. 138.
Vaux-de-Semay, Klosterk. 325.
Vendöme. St. Trinite. Glasmalerei. 547.
Verden. Dom 465.
Verdun. Kirche St. Nicolas -de -Graviere.
157.
Vermanton bei Auxerre. Kirche. 148 u.
Veme (Westphalen). Kirche. 292.
Veseliz (Lothringen). Kirche. 158.
Vessera. Klosterkirche. 226.
Veulettes. Kirche. 126 n.
V6zelay. Abteikirche. 154.
Vianden. Schlosskapelle. 261 f.
Vietlübbe (Mecklenburg). Kirche. 310.
Schnaase's Kunstgesch. 2. Aufl. V.
Vignogoul. Klosterkirche. 136.
Villeneuve l'Archeveque bei Sens. Sculpt.
573.
Villers (Belgien). Kirche und Kloster.
167 ff'.*
Vreden (Westphalen). Kirche. 293.
Walkenried. Klosterkirche. 327.
Waltham. Steinkreuz. 603.
Warburg. Kirche. 297.
Warmington. Kirche. 196. 207.
Wartburg. 232.
St. Waudrille. Kirche St. Saturnin. 46. n.
Wechselburg. Kirche. 225 f. Sc. 582.
584 t. 596.
Weinsberg. Kirclie. 279.
Weissenburg. Abteikirche. 393 f.*
Weissendorf. Kirche. 279-
Wells. Kathedrale. 194 f. 199. 202. 204.
Sc. 603 f. 607. Kapitelhaus. 210* n.
Wenlock Prior. Kirche. 196.
Werben (.\ltmark). Kirche. Kelch. 619. n.
Werden. Abteikirche. 364 f.
Wetter. Kirche. 376.
Wettingen (Schweiz). Klosterkirche. Glas-
malereien. 552.
Wetzlar. Stiftskirche. 377. Sc. 587.
Wickede (Westphalen). Kirche. 297.
Wien. St. Stephan. 285 f.
Michaeierkirche, 352.
Wiener Neustadt. Stiftskirche. 285, 287.
352.
Karuer. 284.
Wiesbaden. Museum. Sc. 595.
Wimpffen am Berg. Schloss. 232.
Wimpffen im Thal. Stiftskirche 444. ff.
Sc. 594.
Winchester. Kathedrale. 187. Wandmalerei.
541 n. Sc. 601.
Wolfenbüttel, Bibliothek, Miniaturen. 489,
490, 493.
Worcester, Kathedrale. 188 f. 198. 204.
Sc. 599, 607.
Kapitelhaus. 282.
Worms , Dom. 268. 269. Wandmalerei.
516. Tafelbilder. 536.
Paulskirche. 268 f.
Wunstorf. Klosterk. 233. 238.
41
642
Alphabetisches Ortsregister
Säulen. 282. Tauf
Würzburg , Dom
becken. 618.
Deutschherruk. 448.
Bibliothek. Miniat. 499.
Xanten, Stiftskirche. 369 n. 423 f. *
York, Kathedrale. 196, 199, 207, 208 u.
Glasmalerei. 554.
Kapitelhaus. 215.
St. Mary. 211.
Ypem. St. Marliu. 166, 170.
Zabor, Kirche. 287, 290,
Zehdenick, Kirche. Kelch. 619 n.
St. Zeno (bei Reichenhall). Kirche. 351 a
Sc. 581.
Zerbst, Bartholomäusk. 226.
Zillis (Schweiz). Deckenbilder. 531.
Zinna (bei Jüterbog). Klosterk. 327.
Zout-Leeuw s. L6au.
Zürich, Grossmünster. 351. Kreuzgang.
278 f. *
Zütphen, Walpurgiskirche. 463.
Zwetl, Kloster. Kreuzgang. 357.
Alphabetisches Register
der im V. Bande erwähnten Künstlernamen.
(A. bedeutet Architekt, B. Bildhauer, M. Maler).
Abraham, Erzgiesser. 609.
Achard, Klosterbruder zu Clairvaiix. A. 321.
Agnes, Aeblissin zu Quedlinburg, Teppich-
wirkerin. 538.
Albero, A. 248.
Albertus Magnus, A. 412 f. 421.
Alexander, M. u. Bildschnitzer. 583 n.
Alexander von Abyngton, B. 603 n.
Arnold, Dombaumeister zu Köln. 415.
Amulphus de Bincho, A. 166.
Berthold, Klosterbruder. A. 321 n.
Bodo, A. 326.
Bohusse, M. 500.
Clemens von Chartres, (ilasmaler. 549 ii.
Conrad de Husa, Goldschmied. 619.
Conrad von Scheyem, M. 495 f.
Eckard von Worms, Erzgiesser. 618.
Eilbert von Köln, Goldschmied. 619.
Erwin von Steinbach, A. 386 ff. 391 ff. 592.
EudesvonMontreuil, A. 70 n. 96, 101, 123.
Everhard von Köln. A. 181 n.
Everwin, M. 517.
GeofFroy de Noyers, A. 189 n.
Gerhard, Erzgiesser. 617.
Gerhard von Eile, A. 400. 410 ». 414 tf.
419. 421 u. 422.
Gervasius, A (?). 184 n.
Heinrich, Abt von Walkenried. A. 321 n.
Heinrich, A. in Achen. 426.
Heriman, M. 488. "
Herrad von Landsperg, Aebtissin, M. 485 f.
Hugo, M 506.
Hugo li Bergier, A. 107. 123.
Hugo, MönchzuOignies, Goldschmied. 625.
Humbertus, A. 393 n.
Ingelramnus, A. 123, 130.
Johannes, Dombaumeister zu Köln. 415, 419.
Johannes Anglicus, A. 109. 392.
Johannes de Campis, A. 124. 140.
Johannes von Chelles, A. 124.
Johann von Kirchheim, Glasm. 552 u.
Johannes von Limoges, Goldschmied. 629.
Jordan, Klosterbruder. A. 321 n.
Jousselin de Courvault, A. 96.
Mirozlaus, M. 492.
Nicholas Dymenge, A. 603 n.
Nicolaus von Verdun, Goldschmied. 619 f.
Odo, Goldschmied. 540.
Petrus von Rom, Mosaicist. 561.
Pierre de Montereau, A. 96 — 101, 123.
Ralph von Chichester, B. 603 ii.
Riquin, Erzgiesser. 609.
644
Alphabetisches Register der Künstlernamen.
Robert de Corf, B. 603 n.
Robert de Coucy, A. 107, 123.
Robert de Luzarch.es, A. 124.
Roger von Rheims, Glasni. 545 n.
Sabina, Bildhaueriu zu Strassbuig. 591 f.
Thomas von Cormont. A. 124.
Torell s. Wilhelm.
Villard de Honnecourt, A. 118—122. 216.
329. 481.
Vogelo, Subdiaconiis, A. 307.
Waismuth, Erzgiesser. 609.
Walter, ,M. 541.
Welleslaus, M (?), 497.
Wiegand, Mönch zu Georgentlial, A.
Wilhelm aus England, A. 180 f.
Wilhelm der Florentiner, M. 540.
WUhelm von Irland, ß. 603 n.
Wilhelm von Sens, A. 180 S.
Wilhelm Torell, B. 001.
Wilhelm von Westminster, M. 540,
Wolbero, A. 257.
821 n.
Druck von Bär & Hermann in Leipzig.
UNIVERSITY OF CALIFORNIA, LOS ANGELES
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Form L-0
23m-10, '14(2191)
AT
i/]ß ANGELES
000 156 090
N
5300
S35g
1866
sec,2
V.3