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Full text of "'bin, der Schwärmer: Idyll"

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'Bin, dep Schwärmer 

Idyll 

von 

J. V. Widmann 

Mit Zeichnungen von Fritz Widmann 
Dritte Auflage 

'9 



Frauenfeld 

Verlag von Huber & Co. 
1906 



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Druck von Huber & Co. in Frauenfeld 



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Geleitwort. 



Beim dritten Bundgang send' ich euch, Gestalten, 

Die jungem Leser volk ich einst geweiht, 

Nunmehr zu meinesgleichen, zu den Alten. 

GrüBt sie von ihrer eignen Jugendzeit, 

Als Mendelssohns Duette noch erschallten 

Im trauten Kreise der Geselligkeit: 

„Ach! wie so bald verhallt der frohe Beigen 

Und wandelt Lust sich, ach! in trauernd Schweigen! 

„Wart ihr ein Traum, ihr Lieb'- und Lenzgedanken" — 
So fragt das Lied — „eim^ schnell verwehter Traum?" 
Wie freudig damals wir die Wehmut tranken 
Der Melodie, den Sinn beachtend kaum. 
Seither gar manchen Herbstes Blätter sanken; 
Uns flog ans Haupt des Winters Flockenflaum. 
Jetzt wissen wir, was jene Worte meinten, 
Die in so selig süßen Tönen weinten. 



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Yersunknes Jugendland! Zu deinen Auen 
Führt uns der Erdenpfade keiner mehr. 
Doch nach dem fernen Himmelsrand zu schauen^ 
Wo einst du lagst, wird sehnliches Begehr. 
Der Heimat Hügel stehn im Duft, im blauen, 
Und laue Lüfte wehn von dort uns her. 
Seht, ob vom Golde jener Sommersonnen 
Ein Strähnchen ward in dieses Lied gesponnen. 



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Erster Gesang 



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ülag sein, daß auf der ruhelosen Beise, 
Die unser Erdenball so sanft vollbringt, 
Er Wunden reichlich mehr als Wonnen weise 
Dem Flammenauge, das die Welt durchdringt. 
Mag sein, daß Moll die Harmonie der Sphären 
(Die zwar kein irdisch Ohr vernommen hat). 
Daß kurz die Freuden, lang die Leiden währen 
Und alles Lebens Endspiel heißt: schachmatt. 



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Mag sein! Und dennoch gibt's zwei Elemente, 
Aus denen sich ein Trank des Lebens braut, 
Der nicht verzischt im sprudehiden Momente 
Wie Sinnenlust, nein! sanft wie Nektar taut 
Ins Herz hinab und bleibendes Behagen 
Dort schafft und heller Freude hohen Schwung. 
Nur schäm' ich mich, die Namen euch zu sagen 
Der beiden Elemente: — dumm und jung. 

Solch junges dummes Volk kann göttlich schwärmen 

Ins Grenzenlose, zieht die ganze Welt 

Leicht an den Busen, wie man — sie zu wärmen — 

Nestvöglein wohl an Brust und Lippen hält. 

Und wieder schlägt's die Welt in tausend Stücke 

In schnell entflammtem königlichem Zorn, 

Und sitzt, auch zürnend, tief im Schoß dem Glücke, 

Denn Zorn und Liebe hegt derselbe Born. 

Nur müßt cum grano salis ihr's verstehen: 
Nicht zu jung und besonders: nicht zu dumm! 
Am besten ist's, ich lass' alsbald euch sehen 
Den Helden, den mein Sang — nein! mein Gesumm — 
Jetzt so umkreist, wie mit vergnügtem Brummen 
Sich eine Hummel auf ein Kleefeld senkt: 
Bei allem Saugen kann sie nicht verstummen. 
Wie köstlich ist es, wenn man „Honig" denkt! 



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Wohlan! so schaut den schönsten Junimorgen 
Und eine Post, die frisch landaufwärts fährt; 
Die Passagiere sitzen wohlgeborgen 
Im Kasten, der uns Einblick nicht gewährt. 
Nur einer thront im hellen Sonnenglanze 
Sichtbar dort oben bei dem Postillon, 
Und seine Blicke schweifen nach dem Kranze 
Der fernen Berge. Ja! das ist er schon! 

Das ist mein Held Sabinus oder 'Bin; 

Es nennt ihn so sein pfarrherrlicher Vater, 

Die Mutter so — denn Kürze scheint Gewinn — 

So auch das Städtchen Weidling, das Theater, 

Auf dem er seit der Kindheit Tagen spielt 

Den Narren, wenn man will den Leuten glauben, 

Weil oft sein Blick in leere Femen zielt, 

Scheinbar nach fliegenden, gebratnen Tauben. 

Und wahr ist's: selten hat er noch im Leben, 

Wo irgend nur genügte halbe Kraft, 

Sich mit der ganzen große Müh' gegeben, 

Hat niemals mehr als nötig just geschafft; 

Hat nur den Scherz mit Ernst vielleicht betrieben, 

Da heitres Spiel zu sehr sein Element; 

Ist in der Schul' auch sitzen schon geblieben 

Und ist doch — seit sechs Wochen nun Student. 



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6 



Student seit wenigen Wochen! — Was das heißt, 
Weiß nur, wer auch die Knechtschaft hat erfahren, 
In die auf Schulen oft den jungen Geist 
Vergrämte Greise zwingen. Noch nach Jahren 
Der eignen fernen Jugend finstre Zucht 
An späteren Geschlechtern zu vergelten 
Wird ihnen Pflicht; sie üben sie mit Wucht 
Und ahnen ihres Tuns Beweggrund selten. 

'Bin war sie los. »Frei ist der Burschi" Doch heute 
War dies allein nicht seines Glückes Grund. 
Noch vieler andern Freudenströme Beute 
War dieses junge Herz. Ist's doch frischwund 
Yon eines Mädchens dunkeln Sonnenaugen, 
Und diese Wunden bluten gar so schön. 
Wer's wagt, aus ihnen süßen Bausch zu saugen, 
Der fühlt sich leicht entrückt in Himmelshöhn. 

Dies war 'Bins ganz besondrer Fall. Denn Dichter 
War 'Bin. Ein neuer Grund zu Glücksgefühl I 
Poet und seiner eignen Verse Kichter. 
Noch gab er sie nicht hin dem Marktgewühl. 
Erst später mußt' es, leider! ihn auch jucken, 
Daß er, was ihm der blasse Mond vertraut 
Ließ indiskret -mit schwarzen Lettern drucken 
Ach, viel, wovor ihm nun im Alter graut. 



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Doch damals war er selbst sein Publikum 
Und Hofpoet der eignen freien Seele. 
Schwer mit Tragödien schleppt* er sich herum, 
Und, wie der Müller stets bestaubt vom Mehle, 
So war er mit Gedichten vollgepackt, 
Mit Keimen, Assonanzen reich beladen. 
Der innerlichen Klappermühle Takt 
Ging zu Eanzonen, Stanzen und Balladen. 

Am heut'gen Tag ruht' ein Sonettenkranz 
In seines schwarzen Gehroeks linker Tasche. 
Denn — seht! noch immer steigert sich der Glanz 
Des Glücks, von dem ich selbst behaglich nasche - 
Er fährt zu eines Freundes Hochzeitsfest 
Als ein Erwachsener! — Ol welch Vergnügen! 
Wenn erst er seine Verse „steigen" läßt . . . 
Schon jetzt ist's ihm, als ob ihn Flügel trügen. 

Doch nur drei flügellose Rößlein traben 

Mit ihm durchs Land. Auch so ist's wunderschön. 

Man kann, halb träumend, sich an Bildern laben 

Zu dieser Schellen klingelndem Getön. 

Und welches Bild war' mächt'ger als das eine 

Des schönen Mädchens, das er gestern sah? 

Die Augen vor dem Morgensonnenscheine 

Drückt er leisblinzelnd zu: gleich steht sie da. 



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8 



So stand abseits sie gestern den Gespielen 
In einem Park, als er vorüberging. 
Von ungefähr nicht seine Blicke fielen 
Durchs Gitter, da er stets mit Freuden hing 
An dieses Paradieses Herrlichkeiten: 
Dem Schwanenteich, dem reichen Blumenflor, 
Dem Kiesweg, der in schatt'ge Dunkelheiten 
Verschwiegener Boskette sich verlor. 

'Bin liebte Reichtum, weil der Reichtum schmückt 
Mit dem, was selten ist, das karge Leben. 
Für sich nicht sucht' er ihn, doch war beglückt. 
Daß andern solche große Macht gegeben. 
Er selbst, als Dichter, war ja reicher noch. 
Denn, was sie stofflich derb in Händen hielten. 
Besaß er alles freier, lust'ger doch. 
Wenn seine Phantasien es umspielten. 

Für ihn, zum Beispiel, war der Fabrikant, 
Dem, wie er wußte, dieser Park gehörte. 
Der Eigentümer nicht. Hierher gebannt 
Hatt' er Armiden, deren Reiz betörte 
So viele Ritter einst. Sie wohnte hier. 
Manchmal auch Circe; denn nicht zu pedantisch 
Regiert' er seiner Phantasie Revier, 
Doch freilich unverbesserlich romantisch. 



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9 



So kam's, daß er in seinen Träumerein 
Der wirklichen Bewohner kaum geachtet. 
Doch, wie er gestern dort im Abendschein 
Das Schwanenpaar zu schauen nur getrachtet, 
Da mußt' unfern dem Tor dies Mädchen stehn, 
Das — wäre wirklich hier Armidas Garten — 
Sich dürft' als schönste Nymphe drin ergehn, — 
Wie seine Blicke nach dem Zauber starrten 1 

Es war ein Kind von vierzehn Sommern nur. 

Doch schlank und hoch, mit großen schwarzen Augen, 

Wie ein Gebilde südlicher Natur, 

Wo Menschen gleich den Bäumen kräft'ger saugen 

In sich den Saft des sonnenwarmen Landes. 

Die feinen Schultern waren rund und voll, 

Und unterm Weiß des leichten Mullgewandes 

Die junge Brust in holder Wallung schwoll. 

Doch unbewußte heitre Kindlichkeit 
Schien über Antlitz und Gestalt gegossen. 
Und wie — was damals eine Seltenheit — 
Die Locken frei auf Hals und Nacken flössen, 
So war auch frei und mädchenhaft ihr Gang 
Im noch nicht völlig langen Damenkleide. 
Und flatternd um die schmeid'gen Hüften schlang 
Die Gürtelschärpe sich von roter Seide. 



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10 



Zu alledem, was höchlich 'Bin entzückte, 
Kam noch der gelblich satte Ton der Haut, 
Der dieses Mädchens feine Züge schmückte 
Mit einer Vornehmheit, wie man sie schaut 
Auf alten Frauenbildem welscher Meister, 
Bei Palma Vecchio, bei Tizian. 
(Wir hören später noch, wie diese Geister 
Dem jungen Musensohn es angetan.) 

Sie stand allein, weil so das Spiel es wollte. 
Als Hirsch ward sie soeben ausgelost, 
Auf den die tolle Jagd losgehen sollte 
(Wie Jugend gern in wildem Laufspiel tost). 
Und weil sie scharf nach den Gespielen blickte. 
Um auf das erste Zeichen zu entfliehn, 
Sie nur ein flüchtiges Augenleuchten schickte 
Dem Späher dort. Allein — wie traf es ihnl 

Der Atem stand ihm still und aus den Wangen 
Zum Herzen drängte sich das junge Blut. 
Als wie ein Dieb auf frischer Tat gefangen 
Kam er sich vor. Jetzt schoß zurück die Glut 
Ins Antlitz ihm. Und länger hier zu stehen 
Hielt er fttr Frevel. Da — begann die Jagd. 
Windschnell floh sie davon. Das mußt^ er sehen! 
Da jetzt kein Auge nach dem Lauscher fragt. 



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11 



Er sah's in Lust und Qual. Denn zwei der Söhne 
Des Fabrikanten — freilich Knaben noch — 
Verfolgten so begierig seine Schöne, 
Daß 'Bin sich sagt': Auch ihnen ist sie doch 
Wohl mehr als nur der Spieljagd lust'ge Beute. 
Und innig wünscht' er, daß der Hirsch sich nie 
Gefangen geben müsse dieser Meute. 
Wer weiß, worin bestand das Hallali! 

Zum Glück war diese neue Atalante 

Leicht wie die Luft und kühn im schnellen Drehn, 

So daß das Brüderpaar vorbei ihr rannte 

Im Schuß, wenn schon es schien um sie geschehn. 

Einmal entging sie den Verfolgern nur 

Mit knapper Not durch jähen Sprung zur Seite. 

Ein Schrei der Angst, der ihr dabei entfuhr, 

Verriet, wie sehr sie ganz dem Spiel sich weihte. 

Zuletzt flog sie dem kleinen Wäldchen zu. 
Das in der Tiefe sich des Parks erstreckte. 
Dort boten Baum und Busch erwünschte Ruh, 
Auch Anlaß, daß sie die Verfolger neckte. 
Die Knaben trabten nach. Leer war der Park, 
So weit vom Gitter man ihn überschaute. 
Noch blieb Sabinus stehn und horchte stark; 
Doch unterschied er nicht die fernen Laute. 



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12 * 

So ging er denn. Und kam sich selber vor 

Jetzt wie ein Hirsch, der einen Pfeil empfangen. 

Nur eins war seltsam: daß sich ihm verlor 

Der Schmerz des Pfeils — das sehnende Verlangen — 

In ein vergnügtes schwelgendes Betrachten 

Des Abenteuers, das er hier erlebt. 

So war es stets! Ein tragisch ernstes Schmachten 

Gelang ihm nie, wie sehr er*s oft erstrebt'. 

Und dieses war sein einziger Liebeskummer: 
Daß ihm die Liebe nie ein Schicksal flocht, 
Ja, nicht einmal den Appetit und Schlummer 
Ihm je verdarb. Zwar mit den H&nden focht 
Er manchmal in der Luft, wühlt' in den Haaren 
Und schnitt ein melancholisches Gesicht. 
Doch es erzwang das wütendste Gebaren 
Ihm ein gediegnes Liebesunglück nicht. 

Es hing dies — wie mich dünkt — damit zusammen, 

Daß er wie Mozarts Cherubin empfand. 

(Von diesem 'Bin auch wißt ihr, daß in Flammen 

Sein Herz vor jedem schönen Mädchen stand.) 

Saht ihr in Kirchen schon, gespickt mit Pfeilen 

Den nackten heiligen Sebastian? 

Wohlan 1 was dem geschah, das wird zuweilen 

Von Amor einem Jüngling angetan. 



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13 



Nicht jedem. Mancher geht im dicken Panzer 
Der Selbstgefälligkeit heil durch die Welt 
Und dünkt ein großer Kerl sich und ein ganzer, 
Weil er verächtlich sich ein Stäubchen schnellt 
Vom Aermel, wenn die Red' auf Mädchen kommt. 
(Denn auch bei solchem Volk dahin doch fließt sie.) 
„Was? Mädchen? Puhl Wildgänse I Eines frommt 
Allein: man schießt sie, spießt sie und genießt sie!*^ 

Sabinus war aus weicherm Stoff geschaffen. 
Ein flatternd Röcklein, einer Locke Duft, 
Ein schmollend Mäulchen fand ihn ohne Waffen. 
Und — mehr als heilsam, ward von ihm verpufft 
In sel'gen Phantasien die Kraft des Herzens. 
Noch spürt' er freilich -nirgends den Verlust, 
Und die Gefahr leichtsinnigen Verscherzens 
Des ernstem Fühlens war ihm nicht bewußt. 

Nur daß doch jenes Sehnen nun ihm schwellte 

Recht oft die Brust nach schicksalsvollem Leid, 

Und an den Himmel er die Frage stellte. 

Wann endlich der berühmte „Göttemeid^ 

Sich werd' an ihm „bedeutend^ offenbaren 

Mit einer ungeheuren Leidenschaft 

Wie bei vergangner Zeiten Liebespaaren, 

Und wenn modern — dann doch „Lord Byronhaft I" 



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14 

Ich fflrchte sehr, nun habt ihr satt den Narren, 
Der auf der Post vergnügt landaufwärts fährt 
Und der beseufzt — welch fürchterlicher Sparren! - 
Daß seinem Glück kein Unglück wird gewährt. 
Doch sagt' ich ja im Anfang der Geschichte, 
Daß „JvLag*^ und „Dumm^ die Elemente sind, 
Aus denen sich ergab, was ich berichte. 
Ich halte Wort. So war dies große Kind. 

Indessen, ob er träumend auch vollbrachte 
Sein Leben und jetzt diese Sommerfahrt, 
Bemerkt' er doch, wie rings die Landschaft lachte 
Im Sonnenschein und immer schöner ward. 
Die waldgeschmückten Höhenzüge stiegen 
In stolzem Linien rechts und links empor 
Und schienen als ein Festungswall zu liegen, 
Zu dem die Felsenklus das enge Tor. 

„Messeniens Berge !^ dachte 'Bin vergnügt. 
In Wahrheit waren's Höhn des Schweizer Jura; 
Doch hatt' er über sie so frei verfügt 
Nicht aus Bedürfnis nur, was in natu/ra 
Sich bot, mit ein'gem Aufputz zu genießen, 
Neinl weil er just ein Griechendrama schrieb. 
Drum ward der Bach auch, den er glitzernd fließen 
Durch Weiden sah, ihm als „Eurotas^ lieb. 



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15 



Doch endlich solchem Tändeln zu entsagen, 
Zwang ihn die Ankunft in der kleinen Stadt. 
Beim alten Postwirtshause hielt der Wagen. 
Die Passagiere, längst des Fahrens satt, 
Entstiegen ächzend ihm. Vom Bock herunter 
Klomm 'Bin, verwundert, schon am Ziel zu sein. 
Denn das muß wahr sein: Phantasie hält munter. 
Verehrte Leser, sagen Sie nicht: Neinl 

Und weil hier Endstation ist für die Pferde, 
Ziehn wir den Pegasus auch in den Stall. 
Gleich ihnen trabt' er diesmal auf der Erde 
Bei Eummetglöckchenschall und Peitschenknall 
Zu kecker Hochflug würde sich nicht passen, 
Da Wirklichkeit berichtet dies Idyll. 
So lasset hier uns neuen Atem fassen 
Und sehen, was nun weiter werden will. 



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Zweiter Gesang 



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lan sagt, daß keine Fee mehr vor dem Glänze 
Der Wissenschaft und Aufklärung besteh'. 
Doch jede junge Braut im Myrtenkranze 
Und weißen Schleierduft ist eine Fee. 
An diesem Tag ist sie dem Staub enthoben 
Der Alltagswelt, ins Zauberland entrückt 
Und vom Geheimnis jener Macht um woben, 
Die aus dem tiefsten Lebensbom beglückt. 



Dies ahnt' auch 'Bin, als vor die Braut ihn führte 
Sein ältrer Freund, der einst sein Lehrer war. 
Andächtig fast er ihre Hand berührte. 
Die sie im weißen Handschuh reichte dar. 
Sie war des Arztes ält'stes Töchterlein, 
Ein wohlgeraten Kind an Leib und Seele. 
Längst ging der Ruf, wer diese würde frei'n. 
Zu seinem Glücke solchem nichts mehr fehle. 



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Der Glückliche — 'Bins Freund — war hier am Orte 

Seit kurzem Pfarrer; ein frohmüt'ger Mann, 

Voll Kraft und Glut, von resolutem Worte, 

Wert, daß er dieses Mädchenherz gewann. 

Drum ward sein Hochzeitsfest heut' auch begangen 

Nicht nur von der geladnen Gäste Schar, 

Das ganze kleine Städtchen sah man prangen 

Im Festschmuck, las manch: „Heil dem jungen Paar 1*^ 

Und als nun ihren Anfang nahm die Feier, 

Als man vom Haus der Braut zur Kirche ging 

Zu Fuß, in würd'gem Zug, als sich im Schleier 

Das sanfte Junimorgenlüftchen fing, 

Dazu vom Turm die Glocken festlich hallten 

Und von der hohen Felsenkuppe her 

Die mut'gen Böllerschüsse lustig knallten, — 

Da hing des Lebens Baum von Früchten schwer. 

Und über dunklen, waldgekrönten Höhn, 

Die ragend in des Städtchens Gassen schauen. 

Flog hoch ein Schwann von Tauben, weiß und schön. 

Der sich im Aether dann verlor, im blauen. 

'Bin sah empor; ihn deuchte, Wagenspeichen 

Goldglitzemd drehten blitzschnell sich herum, 

Der schönsten Göttin Nähe sichres Zeichen, 

Der „frohen Tochter aus Elysium." 



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21 



„Was sehn Sie dort?*^ mahnt' ihn an seiner Seite 
Des Bräutchens Schwester, seine Partnerin, 
Geärgert, daß er wie ein Träumer schreite. 
Da faßte sich und wurde höflich 'Bin. 
Und leicht hätt' ihn zu mehr als Höflichkeit, 
Zu Zärtlichkeit gerührt die frisch Erblühte; 
Doch war von gestern her sein Herz gefeit, 
Das für die unbekannte Schöne glühte. 

Und heimlich tat er schon sich was zu gut^ 
Darauf, daß er der Femen Treue hielt. 
Nicht ahnend, was im Schoß der Zukunft ruhte: 
Ein Los, das eben jetzt ward ausgespielt. 
Wie nämlich zum Portal bereits sie waren 
Gelangt der Kirche, drin die Orgel braust, 
Kam auf dem Platz ein Wagen angefahren . . . 
NeinI nicht gefahren, richtiger: angesaust 1 

Der prächt'gen Happen Zwiegespann regierte 
Ein Kutscher in Livree mit fester Hand, 
Der sie mit mächt'gem Ruck zum Stehn parierte 
Dicht an der Eirchentreppe Stufenrand. 
Jetzt sah man erst den eleganten Wagen 
Mit Wappenkrone, sah, daß das Geschirr 
Der Pferde war mit Silber reich beschlagen: 
Da ward von Flüsterstimmen ein Geschwirr. 



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22 

Und hundert Augen blickten nach der Dame, 

Die ganz allein im offnen Wagen saß. 

Von Mund zu Munde flog ein stolzer Name, 

Den keiner, der ihn hörte, mehr vergaß. 

Denn einem altpatrizischen Geschlechte, 

Das Burgen einst besaß im ganzen Gau 

Und — freilich längst erloschne — Freihermrechte, 

Entstammte diese schöne, junge Frau. 

Daß sie nun hier erschien zum Hochzeitsfeste 
— Und ungeladen gar! — ward sehr bemerkt, 
Und eine Klatscherei, die sich im Neste 
Herumgeschwatzt, ward neuerdings bestärkt. 
Der junge Pfarrer war Vikar gewesen 
In einem Dorf, bei dem ihr Landgut lag. 
Es hieß, sie habe sich — durch Griechisch lesen 
Mit ihm — verktlrzt manch langen Sommertag. 

Das mochte wohl so sein, denn Diotima — 
Den Namen borgen wir bei Hölderlin, — 
Hatt' ein besonders warmes geistiges Klima, 
Daher war ihr Verständnis auch verliehn 
Für jenen schönen Jünglingstraum der Welt, 
Den wir sehnsüchtigen Tons: Alt-Hellas nennen. 
Das kühne Wort: „Erlaubt ist, was gefällt« 
Scheint auf Apollos Strahlenschild zu brennen. 



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Und wenn nun wirklich in den griechischen Stunden 

Die junge Frau für ihren Lehrer mehr 

Als Achtung nur und Freundschaft hatt' empfunden, 

Nicht soll darum sie tadeln irgendwer. 

Denn Witwe war sie, durfte frei verschenken 

Ihr Herz nach Neigung oder Leidenschaft. 

Und auch dem Lehrer war's nicht zu verdenken, 

Wenn er geriet in ihre holde Haft. 

Warum dann aher faßt' er nicht das Glück, 

Das sich ihm darhot, fest beim krausen Stirnhaar? 

Warum entsagend zog er sich zurück? 

Warum? — Weil seinem ehrlichen Gehirn war 

Verhaßt und unerträglich der Gedanke 

An die Millionen, die mit ihrer Hand 

Er sich gewann. Auch der Gesellschaftsschranke 

Blieb sich bewußt sein wägender Verstand. 

Von Bauern stammt' er selbst und freute sich, 
Daß ihn Talent und eigne Kraft gehoben; 
Und wenn sein Ehrgeiz manchmal sich verglich 
Mit großen Männern, die auch einst nach oben 
Sich schwangen aus der niedem Bauemsippe, 
Mit Luther, mit Papst Hildebrand, dann schwur 
Er stets mit stolzer, aufgeworfner Lippe: 
„Ein Mann dankt dies dem eignen Geiste nur!" 



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24 

Darum blieb er auf seiner Hut und wollte 
Manch warmen Blick der Schülerin nicht sehn, 
Obwohl sein Blut zuweilen stürmisch rollte 
und er nicht leicht es fand zu widerstehn. 
Doch fest war sein Entschluß: von ihnen nicht 
Sollt*s heißen: „Und sie lasen da nicht weiter" — 
Wie von dem Paar in Dantes Weltgedicht. 
Gern hielt er seines Lebens Himmel heiter. 

Nun gibt es Frauen, denen sich verkehrt 
In Feindschaft die zurückgewiesene Neigung. 
Doch, wo der Mann beweist, daß er verehrt. 
Wo seine Schüchternheit nichts als Bezeigung 
Von Achtung scheint, die huldigend will schonen 
Die Freundin, die für ihn „zu hoch und schön". 
Da wird ihn später Dankbarkeit belohnen. 
Wenn ausgetobt der erste heiße Föhn. 

So hier. Nachdem die neue Pfrund bezogen 

Der Pfarrvikar und sie sich nicht mehr sahn. 

War jener süße Taumel bald verflogen, 

Zugleich der Schmerz, den er ihr angetan. 

Nun meldete sich wieder die Vernunft: 

Wie hätt' es die Verwandtschaft aufgenommen? 

Die alt-aristokrat'sche stolze Zunft? 

Es war doch besser, wie es jetzt gekommen. 



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25 



Und so verwandelte die Liebe sich 

In Wohlgesinntheit, die auch, als die Kunde 

Von der Verlobung eintraf, nicht entwich 

(Nur gab's ein Nervenkopfweh jene Stunde). 

Dann ward ein fürstliches Geschenk gesandt 

Dem jungen Paar, ein hinterind'scher Lacktisch, 

Den statt der Füße trug ein Elefant 

Aus Silber, schwer, und fdrchterlich unpraktisch. 

Daraufhin hätte man zur Hochzeit laden 
Sie müssen, aber tat, als wagte man 
Nicht recht; sich auszubitten solche Gnaden. 
Auch unterblieb es, weil man sich besann, 
Daß man ihr keinen würd'gen Partner wüßte. 
Und schließlich kam am meisten in Betracht 
Der Zwang, den man vor solchem Gaste müßte 
Sich antun, wo man gern bequem sich's macht. 

Und nun erschien sie doch! Zwar nur zur Trauungl 

Doch immerhin sie kam. — Begreiflich wird 

Im Zug zur Kirche nun die große Stauung, 

(Die auch in diese Verse sich verirrt). 

Zwar Braut und Bräutigam hatten schon betreten 

Das Gotteshaus, als sie gefahren kam; 

In ihren Herzen war ein ernstlich Beten, 

So daß ihr Ohr nichts Irdisches vernahm. 



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26 



Die andern aber machten jetzt Spalier, 
Als leicht sie aus der Equipage hüpfte 
Und grüßend, ohne weiter viel Gezier 
Vorbei an ihnen in die Kirche schlüpfte. 
Anmutig tat sie's und mit Eleganz, 
Wie wenn ein lose spielend Sommerlüftchen 
Ein Federwölkchen engagiert zum Tanz, — 
Und ließ zurück ein feines Veilchendüftchen. 

Nun folgten alle. So auch unser 'Bin, 

Er aber erst auf seiner Dame Mahnung. 

Denn überfallen hatte seinen Sinn 

Auf einmal neuer Lebenswunder Ahnung. 

Er kannte nur vom Hörensagen Frauen 

Der großen Welt. Da gönnt' ihm das Geschick, 

Der reizendsten hier eine nah zu schauen; 

Für ihn ein schicksalsvoller Augenblick I 

Daß er an Mädchen oft sein Herz verspielte 
(Wie gestern erst), ist uns nichts Neues mehr. 
Und sollt' er selbst bekennen, die wievielte 
Der Mädchen diese war, — es würd' ihm schwer, 
Es wob um alle solche holde Kinder 
Der Reiz sich, der aus frischen Knospen bricht. 
Ein Mädchen — nun! da gibts kein mehr und minder 
Entweder ist man's, oder ist es nicht. 



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27 



Doch eine Frau und junge Witwe gar, 
Bei vollen Formen schlank im prallen Kleide, 
In Lächeln, Blick, Bewegung frei und klar. 
Mit Augen, Zähnen blitzend wie Geschmeide; 
Ein adlig Weib, die Frucht von einem Baum, 
Dem Säfte gab manch früheres Jahrhundert, 
Und selbst genährt nur mit dem feinsten Schaum 
Von allem, was als köstlich man bewundert: 

Wahrhaftig! solch Geschöpf, so auserlesen 
Und zu so voller Schönheit ausgereift. 
War ein so neues, nie gedachtes Wesen 
Für 'Bin, der mit der Phantasie begreift, 
Was andre nur der Welterfahrung danken, 
Daß man ihn nicht zu strenge tadeln darf. 
Wenn sein Gemüt geriet in Wogenschwanken 
Und Sturm sein Herz auf eine Klippe warf. 

In jedem feinen Knaben steckt ein Page, 
Zu Frauendienst ein heimliches Talent; 
Der eine zeigt es offen mit Courage, 
Bei schüchternen Naturen bleibt's latent. 
Und daß man kann für Bärbchen und Susannen 
Erglühn und dennoch vor der Gräfin knien, 
Weil junge Herzen sich elastisch spannen. 
Das wissen wir aus — Mozarts Melodien. 



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28 



Der schönen unbekannten zwar von gestern 
Sind Mädchen von Susannens, Bärbebens Schlag 
Von ferne zu gesellen nicht als Schwestern. 
Was denn auch nicht in 'Bins Gedanken lag. 
Ihr Bild ward ihm sogar zum HeiFgenbild, 
In seiner Seele sucht' er's neu zu fassen 
Und zu gebrauchen hier als Schutz und Schild. 
So leicht nicht wollt' er sich besiegen lassen. 

Doch mächtig ist vor allem Gegenwart; 
Und die war in der Kirche sehr vorhanden 
und ward von ihm hypnotisch angestarrt 
Trotz seinem Treuevorsatz. Es empfanden 
Zuletzt der Dame sanft gesenkte Lider 
Den Blick des Knaben, der ausdauernd hing 
An ihrem Antlitz. Leis zu ihm hinwieder 
Ihr Blick zwei-, dreimal flüchtig streifend ging. 

Des jungen Menschen sichtliches Bestaunen 
War ihr ergötzlich; ja, sie war ihm gut. 
Gar wunderlich sind schöner Witwen Launen. 
Und daß es eben jetzt ganz wohl ihr tut, 
Der frischen Jugend Huld'gung zu empfangen, 
Da jener, dem sie einst ihr Herz geschenkt, 
Mit einer andern zum Altar gegangen — 
Ein Zustand ist's, in den man leicht sich denkt. 



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29 — 

Ich fürchte sehr, die Andacht war nicht groß 

Auch bei der jungen Witwe. Ganz zu schweigen 

Von 'BinM Es wäre deshalb hoffnungslos, 

Der Zeremonie Hergang euch zu zeigen 

Und euch zu liefern ein Exzerpt der Predigt; 

Denn, was ich weiß, hab' alles ich von 'Bin. 

Doch denk' ich, daß die Sache ward erledigt 

Wie sich's gebührt nach Brauch mit frommem Sinn. 

Jetzt erst, als von den brausenden Akkorden 
Der Orgel ward das Volk hinausgespielt. 
War endlich auch der Bräutigam inne worden 
Der einstigen Freundin. Kurze Zwiesprach hielt 
Er mit der Braut, dann traten herzlich beide 
Vor Diotima hin und dankten ihr 
Und schwuren, wie man's ganz gewiß nicht leide, 
Daß sie das Fest verlasse, nun sie hier. 

Die schöne Frau, da sie so unbefangen 
Den Bräutigam sah, die Braut ihr auch gefiel. 
Die vor ihr stand mit Tränlein auf den Wangen, 
Fand reizend dieses Hochzeits-Schäferspiel 
Und sagte zu. Und dann im Weitergehen 
So ganz beiläufig fragte sie: „Wer ist 
Der junge Mensch, der eben hergesehen? 
Er scheint mir ein recht sonderbarer Christ. ^^ 



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- - 30 

Der junge Pfarrer lobte 'Bin natürlich. 

„Ich hab' ihm" sprach er — „Griechisch beigebracht." 

Hier hielt er inn', errötend unwillkürlich. 

„Wir haben in den Stunden viel gelacht. 

Denn, ob auch schwärmerisch, ist dennoch heiter 

Sein Wesen und sein Kopf von Flausen voll. 

Sind Jungen seines Alters sonst gescheiter, 

Treibt er's dafür im Phantasieren toll." 

'Bin war mit dieser Eede gut empfohlen 

Bei einer Frau von Diotimas Art. 

Noch einmal blickte sie nach ihm verstohlen 

Und lächelte: „Noch keine Spur von Bartl" 

Dann sprach von anderm sie, schier mütterlich 

Sich um die junge stille Braut bemühend, 

Der sanft und leicht sie Kinn und Wangen strich; 

Verlegen stand das gute Kind und glühend. 

Der Festtisch war im hübschen Gartensaal 
Der Badewirtschaft vor der Stadt bereitet. 
Wohl dreißig Gäste nahmen teil am Mahl. 
Die junge Witwe ward zu Tisch geleitet 
Vom Herrn Dekan, der vorhin am Altar 
Die Trauung lamentabeln Tons vollzogen. 
Doch sonst ein alter Herr voll Spässe war 
Und einem guten Trunk nur zu gewogen. 



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31 



Dem Brautpaar gegenüber war ihr Platz. 
'Bin saß entfernt am untern Tafelrande 
Und fühlte sich bedrückt. Denn, was ein Schatz 
Bis jetzt ihm, schien, die große lyr'sche Spende, 
Die er zum Nachtisch wollte „steigen" lassen. 
Der schön gewundene Sonettenkranz — 
Vierzehn Sonette, die sich gleichsam fassen 
Wie Nymphen zu geschlossenem Eingeltanz — 

Dies Werk, an dem er schaffte wie ein Biber, 
Der sich sein kunstvoll Haus aus Zweigen baut, 
Und das beim Bau'n ihm täglich wurde lieber — 
Auf einmal spürt er^ daß davor ihm graut. 
Wie? Solches Reimgeklingel sollt* er lesen 
Vor dieser Frau, der Geist im Auge blitzt? 
Jal wenn's ein Dithyrambus war' gewesen. 
Der wie ein Springquell hoch gen Himmel spritzt! 

Doch nun dies Lob auf Braut- und Bräut'gamstugend 

Der Zeilen sind es just zweihundertzehn — 

'Bin fühlt in aller seiner blut'gen Jugend, 

Wie spöttisch sie zur Seite würde sehn. 

Kam' er mit seinen blumigen Vergleichen, 

Mit all dem ausstudierten Zuckertand; 

Und doch — vor dieser Frau Ruhm zu erreichen, 

Treibt ihn ein unbezähmbar wilder Brand. 



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Zuletzt durchzuckt es ihn — : improvisieren! 
Ein Schreckgespenst steht die Versuchung da. 
Er hat's noch nie gewagt. Und hier probieren? 
Erst schießen lernen, wenn die Schlacht schon nah? 
Wenn Übung Sieg ist oder Niederlage? 
Das macht ihm heiß und macht ihm wieder kalt. 
Wag' ich's? verzieht' ich? das ist jetzt die Frage. 
Bereits der erste Schaumweinpfropfen knallt. 

Noch eine Gnadenfrist! Der Herr Dekan 

Spricht erst, und ob der Wein auch lähmt die Zunge, 

Stimmt er doch wieder jenes Heulen an, 

Das ihm BedQrfois ist bei höherm Schwünge. 

Die schöne Frau dicht neben ihm verbeißt 

Mit weltgewandter Artigkeit ihr Lächeln. 

Nur daß sie etwas ems'ger sich befleißt, 

Sich Kühlung und auch — Deckung zuzufächeln. 

Der ersten Rede folgt in kleiner Pause 
Die zweite, dritte, wie's nun einmal Brauch. 
Brautführer, dann Brautvater; wer dem Hause 
Verwandt ist, keiner hält mehr hinterm Strauch. 
Doch ist es Prosa nur und nicht die beste, 
Was dieser bald und jener stammelt her. 
Dem jungen 'Bin schwoll unter seiner Weste 
Von Mut das Herz. Auf einmal klingelt er. 



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33 — 

Und sclinellt empor und streift sich mit der linken 
Den Haarbusch aus der bleichen Stirn und sieht, 
Wie sich die Gäste mit den Augen winken 
Zu schweigen, während ihm zum Herzen flieht 
Das junge Blut, als wollt' es ihn ersticken. 
Und ein Gefühl von Schwindel ihn ergreift. 
Doch sieht er auch zu ihm hinüber blicken 
Die schöne Frau, und plötzlich wird's ihm leicht. 

Ins Chaos wirrer Bilder und Gedanken 
Kommt Ordnung, Worte reihen sich zum Vers, 
Um den sich Reime reich und ziervoll ranken. 
Die Rede fließt! — Entzückt empfindet er's. 
Und spürt, wie sehr an Schwungkraft überflügelt 
Solch von der Stunde frisch gezeugtes Wort 
Das Beste, was zu Haus man ausgeklügelt; 
Als wie mit Adlerfitt'gen reißt's ihn fort. 

Was sprach er denn? Je nunl es waren Phrasen, 
Doch Phrasen genialisch kühnen Klangs, 
Ein jugendlich pathetisch schönes Rasen, 
Ein Schwelgen im Gefühl des Überschwangs. 
Er ahne, sagt' er, einer Göttin Nähe, 
Obschon hier eine Pfarrershochzeit sei; 
Denn dieser Göttin holder Atem wehe 
Wie einst in Hellas, so noch heute frei. 



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34 



Ob sie mit Tauben, ob mit Schwänen fahre, 
Ob Venus, ob Frau Minne sei genannt, 
Umwallt Yon dunkelm oder blondem Haare — 
Wem sei nicht ihre große Macht bekannt? 
Auch seinen Freund dort seh' er ihr verfallen. 
Und jeder preise glücklich ihn darum. 
Im Siegeszug als ihr Gefangner wallen 
Heißt „frein"; von ihr frei sein ist Sklaventum. 

So ging's vieldeutig weiter. Und es zielte 
Die Rede wohl auf Aphrodite meist, 
Doch so, daß huldigend sie auch umspielte 
Die schöne Frau behutsam, nicht zu dreist. 
Zuletzt ließ er „die nahe Göttin" leben, 
„In deren Zauberkreis gebannt auch der, 
„Der nur sein Glas zu ihrem Ruhm darf heben, 
„Obwohl von Herzen gern er täte mehrl" 

„ Bravo 1" „Hoch! Hoch!" — so tönte zu dem Klingen 
Der Gläser froher Zuruf durch den Saal. 
Die Fernem grüßten 'Bin mit Becherschwingen; 
Der Bräut'gam, der ihn zu sich herbefahl, 
Raunt' ihm ins Ohr: „Ein klassisches Gekrähe, 
Mein junger Hahn, ein tapfres Eikriki ! 
Merkst wirklich du bereits der Göttin Nähe? 
Wohlan! so freu dich und genieße sie." 



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Da sah herüber Diotima auch, 

Und hob ihr Glas und grüßte 'Bin mit Nicken 

Des schönen Hauptes. Und ein Purpurhauch 

Flog ihm ins Antlitz, als er ihren Blicken 

Begegnete. Sie aber sagte schnell: 

„Kann Ihre Rhapsodie man wohl bekommen? 

Zwar merkt' ich, daß sie floß aus frischem Quell, 

In keinem Tintenfaß noch ist geschwommen.** 

Er sprach verwirrt: „Jal wenn ich mich besinne" . . . 
Sie drauf: „Ich mache gerne den Souffleur, 
Wenn ich damit mir schwarz auf weiß gewinne, 
Was Sie so flott uns brachten zu Gehör. 
Wir finden uns nachher wohl 'mal zusammen, 
Zu fügen diese Verse-Mosaik." 
Der gute Junge stand in hellen Flammen 
Und dankte mit beredtem stummem Blick. 

Ihr länger gegenüber noch zu weilen, 
Zog jetzt hervor er den Sonettenkranz 
Und sprach zum Brautpaar: „Mit geschriebnen Zeilen 
Auch wollt' ich feiern dieses Tages Glanz" . . . 
„Potztausend!" rief der Bräut'gam, „ein LibelU 
Ein ganzes Buch! Doch nicht nach Geßlers Weise 
Frag' ich: Wozu der zweite Pfeil, o Teil? 
Das nehmen mit wir auf die Hochzeitsreise." 



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— 36 — 

Das Stichwort war hiemit der Braut gegeben, 
Jetzt zu verschwinden; auch ihr Schwesterlein, 
Von ihrem Partner 'Bin erbaut nicht eben. 
Brach auf. Sie darf des Paars Begleiterin sein, 
Obwohl sonst Hochzeitsreisen einer dritten 
Person entbehren können. In Pension 
Wird sie gebracht, zu lernen welsche Sitten 
Und Sprache, wo die Braut einst lernte schon. 

Für 'Bin fiel dieser Umstand ins Gewicht. 

Nun war er völlig frei, da sie verschwunden, 

Enthoben jeder läst'gen Ritterpflicht. 

Noch wen'ger war die junge Frau gebunden 

An ihren Kavalier, der selig blinzte 

Mit kleinen Äuglein in des Kelches Grund 

Und der Zigarre bläuliche Gespinste 

Sanft lächelnd ließ entgleiten seinem Mund. 

Der Garten draußen lag im Abendscheine 
Des langen Sommertags. Und Eosenduft 
Drang durch die offnen Fenster und die reine, 
Vom nahen Bergwald abgekühlte Luft. 
Der Lockung widerstanden an den Tischen 
Die altern Herren nur. Die junge Welt 
Flog in den Garten, dort sich zu erfrischen. 
In Gruppen oder paarweis nur gesellt. 



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37 



Jetzt ging an Diotimas Seite 'Bin. 
Und^war er anfangs ihr genaht befangen, 
So gab er bald sich munterm Plaudern hin, 
Nachdem sie zweimal auf und ab gegangen. 
Sie ließen dann auf einer Bank sich nieder, 
Sein Schreibbuch nahm Sabinus flugs zur Hand 
Und lachend konstruierten neu sie wieder 
Den Trinkspruch, der noch schöner jetzt erstand. 

Dies tete-ortete fand statt vor aller Schau. 
Daß guter Takt hier kein Absondern dulde, 
Sah sehr wohl ein die kluge junge Frau 
Und fühlte, was sie der Gesellschaft schulde. 
Sie meinte drum: da man nicht tanzen sollte 

— Zur Pfarrershochzeit paßte Tanzen schlecht — 
Ob man nicht Pfänderspiele machen wollte? 
Natürlich war das allen Gästen recht. 

Wer nennt den Menschenfreund, in dessen Kopfe 

Zuerst der gute Einfall einst entstand. 

Daß, was im Ernst von manchem armen Tropfe 

Meist unter Schmerzen wird versetzt — das Pfand 

Im Spiel den Kern geselFger Lust abgebe? 

Millionen Herzen hat er schon beglückt, 

Ist wert, daß sich ein Denkmal ihm erhebe: 

— Ein Gymnasiast, im Backfischkuß verzückt! — 



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38 



Denn selbstverständlicli wurde nur ersonnen 
Für Pfandaaslösung durch den Kuß dies Spiel. 
Der Eu£ im Pfänderspiel, bei allen Wonnen 
Gesell'ger Lust ist er das höchste Ziel. 
So wenigstens empfanden junge Leute 
Zur Zeit, da 'Bin ausschlüpft' als Schmetterling. 
Der jfrühgereiften jungen Welt von heute 
Erscheint dies wohl altmodisch und gering. 

Vielleicht zwar da und dort in kleinen Nestern 

Lebt jener alte Brauch noch unberührt : 

Ein Mädchen, das sich sträubt, von seinen Schwestern 

Dem kußbegier'gen Jüngling zugeführt. 

Mit Lachen wie bacchant'sche Nymphen ziehen 

Sie die Errötende zum Strafrollzug. 

Und scheu empfängt sie, was sie scheint zu fliehen, 

Und was so süß, daß nie man hat genug. 

Ihr, die vor Böcklins scherzenden Najaden 

Sehnsüchtig wohl und überlegend steht. 

Ob jemals so in Wonnelust zu baden. 

Auch Menschenkindern war beschieden? — seht 

Zurück in eure goldnen Jugendtage, 

Als euch die Welt ein wogend Wellenspiel, 

Drin ihr die Arme spanntet, jauchzend: „Trage 

Du Welle mich, wohin du willst, gleichviel!" 



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39 

An jenem Abend schwamm in solchen Wogen 
Sabinus, nicht der stille Träumer mehr. 
Vom Wein, vom Spiel, von Lust und Liebe flogen 
Die Pulse; niemand war so flink wie er 
Im Teller-Drehn und vollends im Erfinden 
Von neuen Touren, als nun Pfand um Pfand 
Ward ausgelöst mit Raten, Sträußchenwinden, 
Mit polnisch Betteln und dergleichen Tand. 

Und Diotima? — Inniges Vergnügen 
Schuf ihr, zu kosten diesen Jugendschaum. 
Solch frisch Genießen in so durst'gen Zügen — 
In ihren Kreisen gab's dergleichen kaum. 
Auf steifen Zwang ist vieles dort gegründet, 
Naive Lust durchtobte hier den Saal. 
Und daß sie selbst den Jüngling hatt' entzündet, 
War nicht das Letzte^ was ihr ihn empfahl. 

Und da sie sicher ihrer selbst sich glaubte, 
Schien mit dem Feuer ihr zu spielen nett. 
Er war ein Page, den sie sich erlaubte 
Statt einem Lieblingsmops, „fle is my pet!" 
Sprach in Gedanken sie und ließ mitunter 
Gern ihre volle Hand in seiner ruhn, 
Und bot ihm endlich auch ihr Mäulchen munter, 
Daß er ihr durfte wie den andern tun. 



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Und war's auch nur ein flüchtiger EuB vor Zeugen, 
's war eine reife Frucht doch, pflaumensüß, 
Von einem Baum, der sanft sich schien zu beugen 
Zum Pflückenden, als ob er hold ihn grüß' 
Und Sprech': Es sind noch viele meinesgleichen 
In meinem Wipfel. Ob sie auch für dich — 
Wer weißl Und wenn du nie sie kannst erreichen, 
— Die eine Frucht gönn' ich dir sicherlich. 

Nie hatte solchen Kuß 'Bin nur geträumt. 
Geschweige je gekostet solche Lippen. 
Ward ihm von Mädchen jemals eingeräumt 
Des Kusses Recht, so war's ein hastig Tippen 
Von Mund auf Mund, wenn nicht sogar daneben. 
Denn beiderseits war das Genieren groß; 
Man brannte zwar, das süße Ding zu geben. 
Doch kam davon man gern auch wieder los. 

Auf diesen weichen Lippen aber weilte 
Sich's selig, wie im Rosenblättemest 
Der Schmetterling, der erst nur tastend eilte 
Von Kelch zu Kelch, sich wohlig niederläßt. 
Und muß er auch von hier sich weiterschwingen 
Im Zickzackflug nach allzukurzer Rast, 
So fliegt mit ihm ein wonnevolles Singen: 
Ich war der Rose Gast! der Rose Gast! 



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Solch Singen füllte nun auch 'Bins Gemüt 
Und hlieh, als endlich war die Lust des Festes 
Nach Mittemacht zu Asche still verglüht. 
In engem Stübchen lag er, tat sein Bestes 
Noch wach zu bleiben, weil ihm Torheit schien, 
Den Traum des Tags an den der Nacht zu tauschen. 
Hoch überm Bergwald sah den Mond er ziehn 
Und hört' in ferner Schlucht ein Wasser rauschen. 

Und denken wollt' er, immer nichts als denken, 
Wie schön doch diese Frau, wie süß ihr Kuß. 
Da kam der Mond, aufs Lager sich zu senken. 
Da fuhr sein Bett als Kahn auf breitem Fluß, 
Und auf den Wellen, ihm zu beiden Seiten, 
Sah schwimmen er, getrennt, der Nixen zwei. 
Die schweigend rechts und links sein Schiff begleiten. 
Und plötzlich sah er auch, wer jede sei. 

Die eine hob den weichen weißen Leib 

Hoch aus den Fluten, jeden Reiz enthüllend. 

Mit Staunen über solches Götterweib 

Fluß, Himmel, Strand, die ganze Welt erfüllend. 

Die andre, keusch, ließ kaum die Schulter sehn, 

Doch hielt ihr schwarzes Lockenhaupt gerichtet 

Mit ernstem Blick, als war' ihr Leid geschehn. 

Auf ihn. — So träumt, wer auch im Schlafe dichtet. 



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Dritter Gesang 



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Her frische Morgen ist die Zeit der Tugend; 
Sein klares Licht scheucht schwüle Phantasien. 
(Daher verschläft ihn manchmal gern die Jugend, 
Der, nach dem Sprichwort, Tugend nicht verliehn.) 
Doch, wenn's gelingt der Sonne, früh zu wecken 
Ein junges Herz zu neuem Lehenstag, 
So wird es vor den Fesseln oft erschrecken, 
In denen es recht gern am Ahend lag. 

Mir scheint Frau Tugend eine Jägerin, 
Die himmlische Diana dieser Zeiten, 
Da ihr der frühe Morgen hringt Gewinn, 
Und sie vor Sonnenaufgang lieht zu schreiten 
Auf tauigen Gefilden, hochgeschürzt. 
Die Locken gibt sie frei den Morgenwinden. 
Vom Bergesabhang, wo der Waldstrom stürzt, 
Weiß sie den Weg zum Menschenvolk zu finden. 



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46 



Doch sieht Wer schreitet dort, gleich ihr, so früh, 
Das leichte Keisetäschchen auf dem Rücken? 
Daß, ehe noch die Sonne heiEer glüh', 
Ihm schon ein Stück der Wandrang möge glücken? 
Ist's wirklich 'Bin, der spät erst war entschlafen? 
Das Städtchen in der kühlen Waldesschlucht 
Liegt noch in Schatten, erst den Kirchturm trafen 
Die Strahlen. Er schon fort? Ist das nicht Flucht? 

Flucht ist's. Die Jägerin, die wir nun kennen, 
Schoß einen strengen Pfeil auf dieses Wild. 
Sie jagt' ihn früh heraus; nun muß er rennen! 
Und vor ihm schweht des fernen Mädchens Bild, 
Das gestern er •— behauptet sein Gewissen — 
Verraten schändlich hat mit Herz und Mund. 
(Denn wenn Frau Tugend ist der Jagd beflissen, 
So hetzt das Wild ihr biß'ger Teckelhund.) 

'Bin war zerknirscht und fand ftlr seine Schuld 

Sogar sehr literarische Symbole. 

„Umschwebt von Mignons rührend reiner Huld" 

So klagt' er, „gab ich ihrem Gegenpole, 

Gab ich Phil inen alle meine Sinne, 

Schmolz hin im Wollustkuß der Weichlichkeit. 

Frau Venus, Ihr seid eine Teufelinnel 

Doch seht, ob nicht Tannhäuser sich befreit!" 



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47 



W&r' eben jetzt ein junges Eselein 
So nebenher des Wegs mit 'Bin gezogen, — 
Der Unterschied war' zwischen beiden klein ; 
Doch bin ich jungen Eselein gewogen. 
Auf ihren wollig krausen Stirnen stehn 
Auch wollig krause drollige Gedanken, 
Die mit den Arbeitsjahren schon vergehn; 
Wir wollen drum mit 'Bin sanftmütig zanken. 

Die junge Witwe hatt' ihm angetragen, 
Da durch sein Städtchen ihre Fahrt auch ging, 
Mit ihr zu fahren heut' in ihrem Wagen, 
Ein Vorschlag, den mit Freuden er empfing. 
Da war des Nachts zuerst der Traum gekommen, 
Der eine Mahnung ihm und Warnung schien; 
Dann, ehe noch der Morgenstrahl entglommen, 
Sein Tugendparoxysmus ; — drum dies Fliehn! 

Wie lächerlich es war, wie feig, wie kränkend 
Selbst fQr die junge Frau, bedacht' er nicht. 
Sein Sieg, mit Selbstgefühl ihn ganz durchtränkend, 
Rückkehr zu dem, was Tugend schien und Pflicht, 
LieB alles andre wenig wichtig scheinen. 
Der Krieger blickt im Sturmschritt nicht zurück. 
Mag hinter ihm es bluten oder weinen — ** 

Wenn ihm nur lacht des vollen Sieges Glück! 



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Daß hinter ihm es weder weint noch blutet, 

Vielmehr einstweilen noch süß schlummernd liegt, 

Das wird sogar vom Eselein vermutet. 

Und wohl dir, 'Bin! daß nicht durch Zauber fliegt 

Dein ahnungsvoller Geist in jenes Zinuner, 

Wo aus dem viertelsoffinen Lippentor, 

Aus dem es blinkt wie matter Perlenschimmer, 

Des Atems leise Genien gehn hervor! 

Doch nein! er will des Mundes nicht gedenken. 

Der schwellend unter seinem Kuß geblüht. 

Auf jene Maid will er sein Sinnen lenken. 

Die nichts ihm gab, -— für die er dennoch glüht. 

Und auch der Freiheit will er sich erfreuen, 

Der schönen stillen Morgeneinsamkeit. 

Er spürt ein großes sittliches Erneuen 

Und — großen Appetit. — 's ist Frühstückszeit. 

So wird im nächsten Dorf denn eingekehrt 
Und ein ganz leidlich Frühmahl eingenommen. 
So sehr ist sein Gewissen nicht beschwert, 
Daß Schwarzbrot ihm und Butter nicht bekommen. 
Dann geht es weiter. Schon nicht mehr so eilig. 
Wozu? Vor Abend will er nicht nach Haus. 
Durchs heitre Tal zieht schlängelnd sich, kurzweilig, 
Die Straße hin. Er singt jetzt hell heraus. 



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Und über ihm in Zweigen jubilieren 

Die Vögel und es rauscht der Weidenbach, 

Und weiße Wolkenlämmer gehn spazieren 

Auf blauer Himmelsflur. So herrlich, achl 

Sind diese Sonnenhalden, diese Hügel, 

Ist diese lichterfüllte Sommerwelt, 

Durch die der Frühwind streicht mit leisem Flügel, 

Daß seine Brust ein schwerer Seufzer schwellt. 

Hier wirbelt auf ein Flug von Schmetterlingen, 
Von kleinen blauen, eben ausgeschlüpft. 
Dort schweben Segler mit gespannten Schwingen 
Am Wiesenbord. Doch wo die Welle hüpft 
Im Bach, da sieht er aus dem Schatten schnellen 
Sich in die Sonn' und wieder in die Nacht 
Drei schlanke Ritterfräulein, drei Libellen, 
Ihr Stahlgewand ist dunkelblaue Pracht. 

Und jener Ritterinnen im Ariost 

Muß er gedenken, die mit Helden prallten 

Zusammen oft zu kriegerischem Tjost 

In Lieb' und Eifersucht und Zorneswalten. 

Lang sieht* er zu den schwebenden Najaden, 

Und, weil ein Wuhr den Bach dort tief gestaut. 

Beschließt er kurz und gut, sich hier zu baden, 

Ja! sagt die Phantasie, nein! sagt die Haut. 

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Doch wird die gute Haut zu Markt getragen 
Wie immer, wo die Phantasie regiert. 
Das Frostgefühl muß weichen dem Behagen; 
Er ist ein Fllißgott und kein Flußgott friert. 
Doch schlüpft er gerne wieder in die Kleider 
Und freut sich, daß so warm die Sonne scheint, 
Da althellenisch Flußgottum sich leider 
Mit zehn Grad R^aumur nicht lang vereint. 

Aufs neue sehn wir ihn nun weiter wallen. 
Die Sonne brennt, steht endlich im Zenith. 
Beim nächsten Dorf ins Wirtshaus einzufallen 
Scheint ihm und uns verständig. Es geschieht. 
Er tut es nicht aus Hunger nur und Durst, 
Auch weiPs ihm neu noch ist, den Herrn zu spielen. 
In wichtigem Ton befiehlt er Kraut und Wurst 
Nach scheu verstohlnem in die Börse schielen. 

Nach Tisch fühlt er auf einmal in den Gliedern 
Ein Schlafbedürfnis, schlürft erst seinen Wein, 
Sieht nach der Wirtin hin mit schweren Lidern, 
Lallt etwas brummend noch und nickt gleich ein. 
Zwei Stunden schnarcht er trotz den kühnen Fliegen, 
Die seinen Kopf zum Tummelplatz ersehn. 
Auf dem sie sich vergnügen und bekriegen 
Und jeder Freveltat sich unterstehn. 



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51 



Die stattliche Schwarzwälderuhr zeigt drei 
Und es erscheint des Vögelchens Figürchen, 
Zu melden dies mit lautem Enckucksschrei. 
Als imter Rasseln dann zuklappt das Türchen, 
Erwacht er endlich, reiht die Augen, zahlt 
Und tritt hinaus auf die heglänzte StraBe, 
Wo schon die Sonne längere Schatten malt. 
Gestärkt geht rüstig er in gleichem MaBe. 

Man kann viel sinnen hei so stetem Wandern, 
Und schwehte vormittags des Mädchens Bild 
Ihm vor, so streifen tastend zu der andern 
Jetzt die Gedanken — doch nicht ohne Schild: 
Als Vorwand muß ihm ein Erwägen dienen, 
An wen doch nur sie ihn erinnert hat? 
Ist ihm dies Augenpaar nicht schon erschienen? 
Dies Antlitz — gütig, doch sirenenglatt? 

Und plötzlich tut er einen Freudensprung. 
„Ich hab'sl'' ruft er. „Es ist Eleonore 
Gonzaga von ürbino.^ Und im Schwung 
Zieht er sein Reisetäschchen rechts dem Ohre 
Vorbei nach vom, kramt drin herum und bringt 
Zum Vorschein vierzig Stück Photographien; 
Er blättert eilig drin, und ihm gelingt, 
Die Karte, die er meint, herauszuziehen. 



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Die Kunst, die mit der Sonne Bilder schafft, 
Den zarten Lichthauch chemisch weiß zu fangen, 
War damals frisch erblüht in erster Kraft; 
Ein Glücksstern war der Welt sie aufgegangen. 
Durch sie auf einmal wurde frei erschlossen, 
Was Dresden, München bergen, Rom, Florenz 
An Schätzen, sonst von wenigen nur genossen. 
Die Pracht kam übers Land als wie ein Lenz. 

Für 'Bin auch war ein Lenz hervorgebrochen 
Aus diesen Platten mit Jodsilberdunst. 
Und tief bald steckt' er in den Flitterwochen 
Der ersten Liebe zu Italiens Kunst. 
Die Töchter Palma Vecchios, Cäcilien 
Dominichinos, Frauen Tizians, 
Madonnen, Engel, heilige Familien, 
Gemälde der Museen, des Vatikans — 

Kurz — was mit großen stillen Schönheitsaugen 
Der Renaissance blickt in unsre Zeit, 
MuEt' alles ihm in seine Sammlung taugen. 
Und seine Leidenschaft ging schon so weit. 
Daß einen Teil er seiner Galerie, 
Die Lieblingsbilder, immer bei sich führte. 
Weil alles, was dem Leben Schmuck verlieh. 
Er gern in seiner Nähe wüßt' und spürte. 



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— 53 — 

Das Bild der Fürstin, die vorhin er nannte, 
Der — wie er glaubte — Diotima glich, 
War Tizians Venus, jene wohlbekannte. 
Wer jemals die Uf&zien Bchon durchstrich, 
Hat ruhen sie gesehn auf weiBem Bette 
(Die Perle der „Tribuna" heißt sie auch); 
Sie zeigt sich völlig ohne Toilette 
Nach jener Zeit und jenes Ellmas Brauch. 

Nur ziert den rechten Arm ein Spangenreif; 
Die Hand hält lässig eine Bosenspende, 
Gelösten Seidenhaares Wellenstreif 
Umfließt den Nacken; doch ein Löckchenende 
Hat aus dem obern Haarkranz sich gestohlen 
Und tänzelt neckisch auf die Stirn hervor. 
— Anmut vom Scheitel nieder zu den Sohlen! 
Ein Händchen schläft daselbst — „der reine Tor.' 

Dies Bild nahm 'Bin zur Hand, es zu befragen 

Nach so bemerkenswerter Ähnlichkeit. 

Und well man solches tut mit mehr Behagen, 

Wenn man sich lagert, und Gelegenheit 

Zur Bast am Weg ein Hügelabhang bot 

Mit Schobern frischen Heu's, die köstlich rochen. 

Warf er sich hin, vom Gehn erhitzt und rot. 

Und — fand bestätigt, was er ausgesprochen. 



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54 



Ja, dieses Antlitz, ruhig sich erhellend, 
Je mehr man sich in seinen Reiz vertieft; 
Der feine Mund, dem Kuß entgegenschwellend, 
Der Augen Glanz, der heitern Sinn verbrieft; 
Die Nase, länglich griechisch, in den Nüstern 
Ganz leis gebläht — kurzum ein Angesicht 
Glück heischend. Glück gewährend, etwas lüstern. 
Doch klug dazu — ist*s Diotima nicht? 

Gewiß, sie ist*s. Doch -— was er nicht erwartet — 
Ihm schien, je länger er das Bild besah, 
Der Schnitt der Augen ähnlich auch geartet 
Dem Mädchen, dem sein Herz sich fühlte nah. 
Auch andre Zug* um Mund und Kinn und Wangen 
Erinnerten an sie, obwohl nur leicht, 
Wie etwa einer Rose vollem Prangen 
Die noch geschloßne Schwesterknospe gleicht. 

Bestürzt im Anfang über die Entdeckung, 
War er, nach seiner Art, doch schnell gefaßt. 
„Das ist Selbsttäuschung", sprach er, „eine Neckung 
Der Sinne, weil sie meines Herzens Gast. 
Dringt sie noch tiefer künftig in mein Leben, 
So wird ihr Bild, wie's hier mein Auge sieht. 
Mich überall, in Wald und Busch umschweben — 
Vergleiche Goethes: «Jägers Abendlied.»" 



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— 55 — 

So fand er ab sich mit der rätselvollen 
Entdeckung, leichter, als man's loben kann, 
Und überhört' ein fernes Wagenrollen, 
Das rasch und rascher Stärke jetzt gewann. 
Und eh' er's recht bedacht, da war's geschehen, 
Die Equipage Diotimas flog 
Heran und er, natürlich, ward gesehen. 
„Herrgott I" — Das war sein ganzer Monolog. 

Die schöne Frau ließ halten gleich und winkte 

Mit ihrem Schirmchen an den Wagenschlag 

Den Flüchtling. Ein geheimes Lächeln blinkte 

Auf ihrer Augen Grund, als „guten Tag!" 

Sie dem Verdutzten bot. „Frisch eingestiegen I" 

Befahl sie; „meine Rappen stehn nicht gern. 

Doch lassen Sie die Tasche dort nicht liegen. 

So! -— Vorwärts, fort! — Da hätten wir den Herrn!" 

Und plötzlich, noch in Händen seine Bilder, 

Saß gegenüber er der jungen Frau, 

Starr vor Beschämung. Sie hob an: „Ein Wilder, 

Ein Irokese sind Sie, wenn genau 

Man definieren will Ihr Tun von heute. 

So auszureißen jählings über Nacht! 

Sind öfter Sie so toller Launen Beute? 

Was haben Sie dabei sich nur gedacht? 



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56 

„Doch neini ich wilPs nicht wissen. Ihr Erglühen 
Sagt mir genug. Sie sehn Ihr Unrecht ein. 
So will ich mich erzieherisch bemühen 
Um Sie und huldvoll diesen Streich verzeihn. 
Und um mein neues Amt gleich zu probieren, 
Entführ' ich über Weidling Sie hinaus. 
In meinem Landhaus müssen Sie soupieren; 
Ich schicke Sie schon zeitig dann nach Haus.'' 

Was drauf Sabinus stammelte, kann füglich 
Nur angedeutet werden. Cicero 
Sprach besser. Katzenjammer schützt' er klüglich 
Als Hauptgrund vor, warum er früh entfloh. 
Der Kopf war ihm „so furchtbar eingenommen'', 
„Die Morgenluft" — das hab' er oft gehört — 
„Pfleg' einem dunst'gen Hirn gut zu bekommen." 
Kurzum, er log. — Ich registrier's empört. 

Ach Gott! Nicht länger auf der Tugendstraße 
Geht er zu Fuß; — er fahrt, fährt sehr bequem. 
Und Abend ist's. Und in demselben Maße, 
In dem es seinen Gliedern angenehm. 
So mühelos auf schwellend weichen Kissen 
Durchs goldverklärte Land die Fahrt zu tun, 
Versinkt in süße Rast auch sein Gewissen. 
Er denkt bereits: „Was war ich für ein Huhn!" 



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57 



Am Dahen Waldsaum drüben girrt ein Tauber, 
Auf Wiesen flimmernd tanzt die heiße Luft; 
Ihm gegenüber — Zauber aller Zauber — 
Dies Weib, ihr warmer Blick, ihr Veilclienduft, 
Ihr heitres Antlitz, allen Freuden offen, 
Ihr Mund, der schmollend zwar ihn eben schalt, 
Doch so, daß schöner Friedensschluß zu hoffen — 
Achl Das ist Übermacht! Das ist Gewalt 1 

„Was für ein Kartenspiel denn halten Sie 
In Händen?" ging's jetzt an ein Inquirieren. 
„Nur Königinnen! — meine Galerie!" 
Die Antwort schien sie sehr zu amüsieren. 
Nun mußt' er Bild um Bild mit ihr durchgehn, 
Ihr sagen, was an jedem ihm gefalle. 
Im Original hat viele sie gesehn. 
Die alten Florentiner kennt sie alle. 

Da wob aus schöner Selbstvergessenheit 

Ein Schleier um die beiden sichj ein feiner. 

Auflodern für ein Kunstwerk — das befreit! 

Gleich fließt der Strom der Rede kühner, reiner. 

Sabinus war ganz Feuer, wenn er pries, 

Was mit Poetenaugen er entdeckte. 

Die junge Frau sprach von dem Paradies, 

Wo Prinz Genie Domröschen Kunst einst weckte. 



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58 

Als jenes Bild auch durch die Hand ihr ging, 
Das 'Bin vorher so ähnlich ihr hefunden, 
Und sie bemerkte, daß sein Auge hing 
An ihrem Antlitz, wies sie die gesunden 
Mauszähnchen lächelnd ihm und sagte: „Gleicht 
Ein bißchen mir. Ich seh', daß Sie das denken; 
Sonst hätt' ich's nicht gesagt. Schad', daß es bleicht! 
Ich will ein größres, beßres Ihnen schenken." 

Ins Tor des Städtchens Weidling rollte jetzt 
Mit Donnerhufschlag des Gespanns der Wagen. 
Sie hatten aufrecht beide sich gesetzt, 
Und 'Bin genoß mit ziemlichem Behagen 
Die Lust, als wie ein fremder Potentat 
Zu fahren durch die wohlbekannten Gassen, 
Wo gaffend Volk in kleine Gruppen trat. 
Gern mocht' er so einmal sich sehen lassen. 

Dann kam das untre Tor — nur eine Lücke, 

Die noch den Namen, trug des einstigen Bau's — 

Und über eine kurze Bogenbrücke 

Ging's wieder in das offne Land hinaus. 

Das war die Straße, die hinab zum Kkeine, 

Zur Grenze führt; der Schwarzwald grüßt von fem. 

Auf seinem Höhenzug im Abendscheine 

Ein Eirchlein glänzte wie ein Demantstem. 



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59 



Dies deutsche Land dort drüben, noch zum Reiche 
Geeinigt nicht, war oft des Jünglings Traum. 
Und manches Lied sang er der deutschen Eiche. 
Ihm schien dort an des Horizontes Saum 
Ein wanderbares Märchenreich zu liegen 
Mit stillen Wäldern, Nibelungenhort, 
Mit Domen, Burgen, Hohenstaufensiegen, 
Mit edeln Frau'n und kühnem Manneswort. 

So oft er jene duftige Feme schaute, 
Ward ihm das junge Herz zum springen voll. 
Dort lag die zweite Heimat ihm, die traute, 
Aus der's wie ferne Harfenklänge quoll. 
Dort wandelten die herrlichen Gestalten 
Der großen Dichter durch den Musenhain, 
Dort schien, als war er lebend noch, zu walten 
Der Eine, dessen Wiege stand am Main. 

Sie waren beid' im Wagen still geworden, 
Da taucht' aus Bäumen links ein Landgut auf. 
Durchs Gittertor und an den Tuffsteinborden 
Vorbei der Beete ging des Wagens Lauf 
üild hielt vor einem offnen Peristyl. 
Ein alter Diener war sogleich zur Stelle 
Und eine Kammerfrau. „Wir sind am Ziel". 
Sprach Diotima und betrat die Schwelle. 



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„Steht alles gut?^ frug sie die Dienerin, 
Und als bejaht ward, wandte sie dem Gaste 
Sich wieder zu: „Ein Yiertelstündchen bin 
Ich unsichtbar. — In meinem Landpalaste 
Hat's freilich nun nicht viel des Sehenswerten, 
Doch treten Sie einmal in diesen Saal 
Und spielen weiter hier den Eunstexperten; 
Bis man Sie holt zu unserm kleinen Mahl.^ 

Fort war sie. 'Bin besah mit schuldiger Andacht 
Den schönen Raum, den Hausrat — Stil Empire — 
Und was in freudigen Farben von der Wand lacht', 
Wo Frohsinn schwang sein leuchtendes Panier. 
Pompejis schönste Tänzerinnen schwebten 
Nicht fern den Knäbchen von Correggio, 
Die einst in Parma der Äbtissin webten 
Die Illusion des Glücks, dem sie entfloh. 

Ihr kennt das Elosterstttbchen und die Bübchen, 
Die durch Festons von Blumen jagen frei, 
Die weichen vollen Arme mit den Grübchen — 
Doch schon zu lang verweilen wir dabei. 
Und wenn 'Bin einen Kursus Kunstgeschichte 
Hier repetiert, weil er zu warten hat. 
Bis in der Küche fertig die Gerichte, 
So findet solcher Grund für uns nicht statt. 



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61 

Wir ahnen, daß sich andres vorbereite, 

Als nur, was brodelt, siedet oder brät, 

Und wünschen, daß die Welle schneller gleite 

Jetzt, da sie nah dem Wasserfall gerät. 

Drum lauschen mit Vergnügen wir den Schritten 

Des Dieners, der auf einmal feierlich 

Erschien und sprach: „Die gnäd'ge Frau läßt bitten. '^ 

Es machte recht gediegen yomehm sich. 

In einem kleinen Gartensaale fand 
Des Hauses Herrin 'Bin. Zu drei Gedecken 
Ein reicher Tisch unfern dem Fenster stand, 
Vor dem sich auf dem Rasen Taxushecken 
Wie eine schwarze Kiesengarde reihten. 
So dunkel, weil die Nacht doch endlich kam 
Und sanft den Sommertag, den ruhbereiten. 
In ihre weichen, kühlen Arme nahm. 

Der Lampe Schein, gedämpft von rotem Schleier, 

ümfloß der jungen Wirtin Wohlgestalt. 

Sie trug ein weiß Gewand, das leichter, freier 

Sie als ihr graues Seidenkleid umwallt'. 

Die vollen runden Arme ließ es sehen 

Und war mit feinen Spitzen eingefaßt 

Von einem Wert, den freilich zu verstehen 

Noch viel zu unerfahren war ihr Gast. 



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62 



Mit heitrer Rede trat sie ihm entgegen: 

„Sie bringen, hoff' ich, guten Appetit, 

Da heute wie ein Landsknecht Sie gelegen 

Bei Bauern im Quartier. Wie steht's damit ?** 

Und als er nicht gleich wußte, was drauf sagen, 

Rief sie: „Nur nicht geheuchelt, Herr PoetI 

Ich weiß: Herz reimt auf Schmerz, doch auf Behagen 

Der Magen. Wohl dem, der das recht versteht!" 

Und eine Handbewegung lud ihn ein, 

Am Tisch ihr gegenüber Platz zu nehmen. 

Der Diener präsentierte Cyperwein, 

Hingleitend zwischen beiden wie ein Schemen. 

Und 'Bin, der zu Befangenheit leicht neigte, 

Ward, diese zu verbergen, plötzlich dreist. 

Indem er auf den leeren Sessel zeigte. 

Den dritten, ifragt' er: „Wohl für Bankos Geist?" 

„Durchaus nicht!" sprach die junge Frau. „Sehr leiblich 

Ist das Geschöpf, dem dieser Platz gehört. 

Ein homo sapiens, langhaarig, weiblich. 

Da kommt sie just! — Was schau'n Sie so verstört, 

Als wäre wirklich Bankos Geist erschienen? 

Nur näher, Wildfang I Forsch, den Kopf empor! 

In diesem großen Kinde stell' ich Ihnen, 

Herr 'Bin, mein Töchterlein Sibylle vor." 



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63 

Ein Paukendonnerschlag müßt' hier erdröhnen, 
War' diese Dichtung eine Symphonie 
Und in den Violinen müßte stöhnen 
Ein scheuer Aufschrei: „Siel sie ist es! Sie!" 
Achl göttliche Musiki Nie schildern Worte 
Den Tönen gleich den seelischen Tumult. 
Beim Sprechen zieht geordnet durch die Pforte, 
Was fliegen sollte wie vom Katapult. 

So hab' auch ich fein ordentlich zu melden, 
Wie sich's mit 'Bins Erschrecken hier verhielt. 
Sibylle war die „Mignon" unsers Helden, 
Das schöne Kind, das Hirschjagd jüngst gespielt 
Im Park der Yilla jenes Fabrikanten, 
Der Gutsnachbar Frau Diotimas war, 
Auch Gegenschwager einer ihrer Tanten 
Und — irr' ich nicht — Sibyllens Pate gar. 

Sie war drum öfter drüben zu Besuch, 
Besonders auch, wenn die Mama auf Reisen 
Wie heut' und gestern, falls kein neues Buch 
Ihr still're, schön're Freuden konnte weisen. 
Doch hatte jetzt nicht dort sie sich versäumt 
Und schon vorhin begrüßt die Heimgekehrte; 
Still in den Abend hatte sie geträumt. 
Bis ihr's der Ruf der Speiseklingel wehrte. 



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— 64 — 

Und so erschien sie, völlig ahnungslos 
Der schicksalsYollen Wendung, die sie brachte. 
Sie grüßte leicht und wunderte sich bloß, 
Welch arg verdutzt Gesicht der Jüngling machte, 
Der bei Mama hier saB. Dann unbefangen 
Nahm Platz sie an des Tisches schmalerm Rand 
In allem ihrem frischen Jugendprangen, 
Und löste ruhig der Serviette Band. 

Wie vor den Kopf geschlagen, starrte 'Bin 

Auf die Erscheinung, scheu und herzbeklommen. 

Jetzt hatt' ihr Wild ereilt die Jägerin, 

Die ihn schon heute früh aufs Korn genommen. 

„Die Mutter und die Tochter!" — ..sein Gemüt 

Bewegte diesen einzigen Gedanken, 

Der flammte, wie des Schreckhoms Gipfel glüht. 

Wenn rings die Täler schon in Nacht versanken. 

„Sie rühren ja nichts an! Wo fehlt es Ihnen?" 
Weckt' ihn der Wirtin Stimme jetzt. Er goß 
Ein Glas Burgunder rasch hinab. Da schienen 
Die Tropfen all des Weins, den er genoß. 
Mit ihrem dunkeln Purpur in die Wangen 
Zu schießen ihm, die erst so totenbleich. 
Und mächtig war in ihm nur ein Verlangen: 
Fort! in die Einsamkeit hinaus! Sogleich! 



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65 — 

Da ließ Sibylle plötzlich sich vernehmen, 
Die von der Seite 'Bins Gesicht studiert — 
Sie sprach schon ganz im lässigen bequemen 
Tonfall der Mutter, heiter, ungeniert — : 
„Nicht wahr, vorgestern waren Sie's am Parktor, 
Als Hirschjagd mit den Jungens ich gespielt? 
Die wilde Hatz kam Ihnen, glaub' ich, stark vor; 
Das war's, was Sie so lang am Gitter hielt?" 

Noch heißer flammte 'Bins Gesicht. £r sagte 
Nur tonlos: „Ja! ich war's". ..und stockte dann. 
Doch bei dem ersten Wort der Tochter tagte 
Der Mutter das Verständnis. Richtig spann 
Den Faden weiter sie: Dem guten Jungen 
Hat diesen Morgen was im Kopf gesteckt. 
Sonst war' er nicht so heimlich mir entsprungen. 
Was es gewesen — denk' ich — war' entdeckt. 

Und wie auf einem neuen Menschen ruhte 

Auf ihrem Kinde Diotimas Blick. 

Bei allem Spaß war seltsam ihr zu Mute, 

Da sich zum erstenmale das Geschick 

Ihr meldete, das Müttern auferlegt, 

Nicht mehr so jung zu sein, wie sie sich fühlen, 

Weil schon an jene, die ihr Schoß gehegt. 

Des Lebens Wellen schmeichelnd, werbend spülen. 



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— 66 — 

Zwar noch weiß dieses Kind von Liebe nichts, 
Und das Gefühl, das es in 'Bin erweckte, 
Gewiß ermangelt es des Vollgewichts I 
Und doch — in diesem Possenspiele steckte 
Von einer ersten Mahnung eine Spur, 
Daß eine junge Knospe sich entfalte, 
Drum mit der Rührung auch ein Schreck durchfuhr 
Das Herz der Mutter, das Gefühl: Ich alte! 

Doch dies Gefühl verdarb ihr nicht den Spaß, 

An 'Bins Verblüfftheit lächelnd sich zu weiden. 

Als wie ein rechter armer Sünder saß 

Am Tisch der Jüngling zwischen diesen beiden 

Von ihm gleichzeitig angeschwärmten Wesen. 

Ol welche Fügung, daß der Himmel ihn 

Zu dieser Doppelliebe hatt' erlesen. 

Die ihm ein ungeheures Schicksal schien! 

Ein ungeheures Schicksal . . . Halt! war's eben 
Nicht dies, was ihm zum Glück allein gebrach? 
Dämon'sche Leidenschaft war doch sein Streben 
Schon längst. Wenn jetzt sie in sein Leben brach 
Gleich einem Waldstrom — dürft' er sich beklagen? 
Nein! nein! nachdem er lang darum gefleht. 
Galt's nun mit Würde Großes groß ertragen, 
Vom schwarzen Schleier trag'scher Schuld umweht. 



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67 

Vor allem 2iemt sich länger nicht zu weilen 

In dieser Liebesbande Doppelhaft. 

Er muß den Pfad des Leidens gehn, den steilen, 

Einsam als Einer, der empor sich rafft 

Aus Weichlichkeit der irrenden Gefühle. 

Hier — - sieht er ein — ist seines Bleibens nicht. 

Adel Frau Venus dort auf weichem Pfühle I 

Ade auch du, o Himmelsangesicht! 

Und plötzlich stand er auf und sprach: „Ich bitte, 

Mich zu entlassen. Meine Zeit ist um. 

Ungern verletz* ich so die gute Sitte; 

Doch muß es ^ein." -^ „Ich frage nicht warum" — 

Sprach Diotima, „denn es will mir scheinen, 

Der Grund ist ohne weitres einzusehn; 

Zu lange sind Sie schon heut' auf den Beinen; 

Sie büßen jetzt Ihr leidig Frühaufstehn. 

„Doch warten Sie, bis angespannt I" — „0 nein!" 
Kief 'Bin; „mir ist im Gegenteil Bedürfnis, 
Jetzt noch zu gehn. Die Strecke Wegs ist klein 
Von hier bis Weidlingl" — „GutI nur kein Zerwürfnis 
Deshalb. Gehn Sie, mein junger Freund, und zanken 
Sie mir nicht mit dem Mann im Mond. Ich seh' 
Ihn eben dort herauf den Bergpfad schwanken. 
Sie können durch den Garten gleich. — Adel" 



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- 68 — 

So war er draußen. — Mit dem letzten Blick 
Hatt' er Sibyllens Huldgestalt umschlungen, 
Liebkosend einmal noch, was das Geschick 
Ihm roh entriß, bevor er's noch errungen. 
Nun schritt er durch die laue Sommernacht 
Auf breiter, stiller, menschenleerer Straße. 
Und was ihm dieser Schicksalstag gebracht. 
Wuchs jetzt empor ihm in gigantischem Maße. 

Die Mutter und die Tochterl Wieder flammten 
Die wenigen Worte lodernd vor ihm auf. 
Und jenen Borgias Geschlecht Entstammten 
Verglich er sich, wo schrecklichen Verlauf 
Verbotne Liebe nahm. Auch Oedipus 
Schien ihm ein Fall, dem seinen zu vergleichen. 
In allen Greueln, die auf trag'schem Fuß 
Stolzieren, fand er ihm verwandte Zeichen. 

Doch sonderbar! je wilder er durchwühlte 
Sein Herz und Hirn, anschwellend seine Schuld 
Ins Kiesenhafte, desto wonn'ger fühlte 
Sein Sinn sich wie von Wollust eingelullt. 
Ach! so unglücklich sein, wie war das schön! 
Wie solche trag'sche Schmerzen doch beglücken! 
Es dehnte sich die Brust, wie wenn auf Höhn 
Der Alpen jedes Atmen wird Entzücken. 



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— 69 — 

Und endlich blieb er stehn, die Arme breitend, 

Und sah empor verklärten Angesichts 

Zum Mond, der sanft am dunkeln Himmel gleitend 

Zur Erde go& die Ströme seines Lichts. 

„Du bist" — so sprach er — „heil'ge Mondesscheibe 

Dieselbe, die zu allen Zeiten sah 

Die Qual, die jemals Dichtern kam vom Weibe. ^ 

Wie jenen schwebst auch mir du tröstend nah. 

„Dianas Silberwagen, blanker Schild! 
Was hat in dir nicht alles sich gespiegelt! 
Wie manches letzten Abschieds zärtlich Bild 
Liegt in des Lichtquells Tiefe dort besiegelt! 
Du sahst die Leichen Marathons, sahst Großes — 
Doch auch die Träne Sapphos glänzte dir. 
So nimm in das Geheimnis deines Schoßes 
Mein Wehgeschick auch auf und weih' es mir." 

So schwelgte 'Bin in seinem lieben Leide, 

Fast wie man's an Blondinen schon gesehn. 

Die sehr gefallen sich im Trauerkleide. 

Und wir? — Wir schließen. Lassen so ihn stehn. 

Denn auf des Glückes Gipfel angekommen 

Ist der, dem Weh zur Wonne nur verliehn, 

Zu dem auf Tränen kommt herangeschwommen 

Ein Lustgefilde schöner Phantasien. 



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70 



Und von Frau Diotima? von Sibylle? 
Was weiter sich begab, vernimmt man nicht? 
Kein Sterbenswörtchen mehr. Nicht böser Wille 
Verhindert mich, doch Künstlers Mai und Pflicht. 
Ein ganzes Epos wollt' ich ja nicht geben: 
Geburt und Hochzeit und noch gar den Tod, 
^ur ein Idyll. — Aus eines Dichters Leben 
Ein Nektarschälchen Jugendmorgenrot. 




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